Seewölfe 199 1
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Bevor das Boot auf den Strand lief, waren die restlichen Spanier verschwunden. Sie hatt...
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Seewölfe 199 1
Fred McMason 1.
Bevor das Boot auf den Strand lief, waren die restlichen Spanier verschwunden. Sie hatten mit angesehen, was da an Bord der „Isabella“ passiert war und daß sich das Blatt ganz überraschend gewendet hatte. Die meisten begriffen nicht, warum sich die eigenen Landsleute gegenseitig an den Kragen gingen, aber sie wußten auch nicht, daß sie den berühmt-berüchtigten Lobo del Mar vor sich hatten. Der einzige, der es bisher erfahren hatte, war der Kapitän der gestrandeten spanischen Galeone, und den hatte das Entsetzen fast wahnsinnig werden lassen. Sinona mußte sich selbst in die Riemen legen und pullen, während der Profos gelangweilt auf der Ducht hockte und an seinen Fingernägeln kaute. „Nicht so lahmarschig, du verlaustes Rübenschwein“, sagte Ed ab und zu, und jedesmal litt Sinona an plötzlich auftretender Übelkeit. Noch kein Engländer hatte so je mit ihm gesprochen, aber das nahm er gern hin, was dieser narbengesichtige Profos von sich gab. Triefäugige, verlauste spanische Kakerlake hatte er ihn genannt und noch vieles andere mehr. Sinona pullte, bis ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht lief und er heftig nach Atem rang. Besser wie ein Verrückter pullen, dachte er, als an der Rahnock der „Isabella“ zu hängen, denn wie er Gerüchten nach wußte, machte der Seewolf kurzen Prozeß mit Spaniern, wenn sie aufmüpfig waren oder ihm nicht paßten. Die Rahen an seinem Schiff sollten nur so strotzen von Gehenkten. Allerdings hatte Sinona bei dieser Begegnung keinen gesehen, und der Seewolf hatte ihm versprochen, keinen von ihnen zu hängen. „Schlaf nicht ein, du Kastanienfresser!“ rief Ed. „Und denke gefälligst nicht so dummes Zeug!“ Konnte der Narbenmann etwa seine Gedanken lesen, dachte Sinona erstaunt.
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Diesen Burschen traute er alles zu, über sie waren die wildesten Gerüchte in Umlauf. „Bis wir den Strand erreichen, ist mir ein langer, grauer Bart gewachsen“, nörgelte Ed und hielt gleichzeitig Ausschau nach weiteren Spaniern. Obwohl ein Großteil von ihnen noch bewaffnet war, fiel kein Schuß. Auch vorhin war keiner gefallen. Jetzt war für Sinona die Plackerei mit dem Pullen zu Ende. Ziemlich erschöpft stand er am Strand und sah sich um. Carberry warf ihm einen Spaten zu. „Wo stehen die Brotfruchtbäume?“ fragte er grob. „Links von den Hütten, Sen ... Sir“, verbesserte sich der Kapitän der „Kap Hoorn“, die jetzt als Wrack weiter hinten am Strand lag. „Hoffentlich bist du bald da, du abgewrackte Riesenwanze“, brummte der Profos. Noch einmal sah er sich um, aber er konnte niemanden entdecken. Für ihn selbst war kein Risiko dabei, mit diesem großmäuligen Burschen an den Ort zu fahren, wo sie die Brotfruchtbäume ausgegraben hatten. Keiner würde die Hand gegen ihn erheben, denn immerhin hatten sie auf der „Isabella“ fast zwanzig Spanier in der Vorpiek eingesperrt, und die konnte der Seewolf getrost so lange als Geiseln nehmen, bis diese Kerle alle auf einer der Nebeninseln ausgesetzt waren. Sie gingen an den Hütten vorbei, die von den Insulanern verlassen waren, seit die Spanier hier hausten. Die Polynesier hatten sich irgendwo in den Bergen der Insel Tahiti versteckt und trauten sich nicht mehr hinunter, seit diese Horde gelandet war und die Brotfrüchte plünderten — das Grundnahrungsmittel der Eingeborenen. Sinona führte Ed noch ein Stück weiter, bis dorthin, wo das Dickicht begann und aus den Hügeln langsam große, bewaldete Berge wurden. „Hier ist es!“ Es war eine Art Plantage, die die Insulaner hier angelegt hatten. In schnurgeraden Reihen hatten sie kleine Bäume gepflanzt, um sie großzuziehen.
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Ed sah zum ersten Male in seinem Leben den Brotfruchtbaum, und er war leicht enttäuscht. Er wußte nicht genau, was er erwartet hatte, aber diese Bäumchen trugen noch keine Früchte, und sie sahen eigentlich gar nicht bemerkenswert aus, fand er. Eine stattliche Anzahl dieser Jungbäume war ausgegraben worden und sollte verschifft werden — zu den anderen Inseln. auf denen sie noch nicht wuchsen. Sie sollten den Spaniern, die sich in dieser Ecke einzunisten begannen, das Leben erleichtern. „Daß ihr Lausekerle immer den anderen alles klauen müßt“, schimpfte der Profos. „Den einen das Gold. und Silber, den anderen sogar die Lebensmittel. Ah, Senor, am liebsten würde ich dir die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch abziehen, sie grün anstreichen und Flögel daraus herstellen. Auf eurem eigenen Mist wächst wohl überhaupt nichts, was, wie?“ „Was — äh, nein, Sir“, stammelte Sinona, der bei den Worten des Profos' immer mehr zusammenschrumpfte. „Na los, du andalusischer Hurenbock!“ befahl Ed. „Nicht mehr lange, und es wird dunkel. Hier habe ich eine kleine Sanduhr. Wenn ich sie umdrehe, heißt es schwupp, und die erste Reihe von den Bäumen sitzt wieder da, wo sie vorher war.“ „Si, Sir, ich werde mich beeilen, so schnell es geht.“ „Du wirst dich noch viel schneller beeilen“, versprach Ed. Die Spanier hatten die Bäumchen nur ausgegraben und dann in einen kleinen Wall von Erde eingeschlagen, damit die Wurzeln nicht austrocknen konnten. Ed blinzelte noch einmal in die Gegend, dann legte er sich auf den Boden und stützte sich auf einen Ellenbogen. Er hatte nicht die geringste Angst, daß Sinonas Landsleute hier aufkreuzten. Denen saß der Schreck viel zu sehr in den Knochen. Sinona begann zu graben. Er mußte die Löcher wieder sauber ausheben, die teilweise schon zugeschüttet Waren, die
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Bäumchen hineinsetzen, zuschaufeln, andrücken und festklopfen. Sein Gesicht sah aus wie fließendes Wasser, er war körperliche Arbeit bei sengender Hitze nicht gewohnt, und immer wenn er einmal tief Luft holen wollte, dann fing er von dem Narbenmann einen so wilden und drohenden Blick auf, daß er noch schneller weiterarbeitete. Und der Profos der „Isabella“ hatte ständig etwas zu meckern, dem tat es keiner recht, mit dem war nicht gut Salz lecken. Mal saß das Bäumchen nicht tief genug in der Erde, mal schaute es zu weit aus dem Boden heraus, mal war es schief eingesetzt worden. Sinona versuchte, seine Wut zu unterdrücken, so gut es ging. Am liebsten hätte er diesem narbigen Profos einmal den Spaten über den Schädel geschlagen. Mit jedem Spatenstich blätterte sein Stolz ab, wurde er degradiert, gedemütigt und entehrt. Seine Haare klebten wie festgeleimt in der Stirn, in seinen Augen juckte es, und seine Klamotten waren vom Schweiß so durchtränkt, als hätte er ein Bad im Meer genommen. Am meisten ärgerte ihn der Kerl, der faul und träge aufgestützt im Schatten lag und sich langweilte. Wenn er jetzt mit dem Spaten zuschlug und in die Berge zu dem Rest seiner Mannschaft flüchtete... Die „Patria“ und noch einige andere Spanier würden bald hier eintreffen, und dann hatte Lobo del Mar keine Zeit, sich um die Geflüchteten zu kümmern, dann hatte er genug zu tun, und sie konnten ihm die Hölle anheizen. Immer mehr begann er sich mit dem Gedanken anzufreunden und starrte verbissen auf die Löcher, die er grub. Einmal hielt er den Spaten unschlüssig in der Hand, als Carberrys Stimme ertönte. „Falls du dumme Gedanken hast, Don Philipp, dann denke an deinen Affenarsch oder an die Rahnock! Ich werde dich höchst eigenhändig daran aufknüpfen und bei deiner anschließenden Beerdigung einen Brotfruchtbaum darauf pflanzen.“
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„Verzeihung, Sir, ich dachte an zu Hause, ich hatte nicht vor ...“ „Quatsch nicht. Du dachtest gerade daran, wie du mir mit dem Spaten den Schädel einschlagen und zu deinen restlichen Leuten flüchten kannst.“ Das war eine ganz logische und einfache Schlußfolgerung, doch Sinona war so verwirrt und durcheinander, daß ihm dieser Profos immer unheimlicher wurde. Der ahnte jeden Gedanken schon lange, bevor man ihn in die Tat umsetzte. Erschöpft grub er weiter und verfluchte sich insgeheim selbst, daß sie mit dem Ausgraben der Bäume nicht noch etwas länger gewartet hatten, bis die anderen da waren. Aber nein, er mußte ja immer alles genau, schnell und pedantisch tun. Das hatte er jetzt davon. Den größten Teil hatte er geschafft, als der Profos ihn schon wieder zu nerven begann. „Da vorn habe ich vorhin einen kleinen Brunnen gesehen, so ein Rinnsal, das von einem Bach stammt. Wenn die Bäume eingepflanzt sind, wirst du sie natürlich auch wieder angießen, wie sich das gehört.“ „Begießen?“ fragte Sinona verstört. „Aber warum, Sir? Es wird bald regnen, und da – es regnet oft hier.“ Carberry warf ihm aus seiner Liegestellung einen Klumpen Erde an den Schädel. „Bestimmst du Laus hier etwa, wann es regnet? Bei uns muß alles seine Richtigkeit haben. Jedenfalls werden die Pflanzen wieder begossen, und bei der nächsten Widerrede drehe ich dir den Hals um.“ Sinona schuftete verbissen weiter, aber nach einer Weile drehte er sich um und sah Carberry scheu an. „Darf ich etwas fragen, Sir?“ Der Profos erlaubte es. „Worin soll ich Wasser holen?“ Eds ausgestreckter Daumen wies zum Strand. „Da vorn liegen noch ein paar von euren verbeulten Nachttöpfen herum. In die Helme paßt genug Wasser rein!“ Etwas später war auch die letzte Pflanze wieder an Ort und Stelle, und Carberry
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grinste so graueneinflößend, daß Sinona zurückwich. „Hol jetzt Wasser“, befahl er, „aber ein bißchen schneller als sonst! Sammel die Helme auf!“ Der Kapitän tat, wie ihm geheißen wurde. Jeder Anordnung des Profos' leistete er so schnell wie möglich Folge, denn sein Respekt vor Carberry wurde' immer größer. Deshalb kochte aber trotzdem der Haß in ihm, und er freute sich auf den Tag, an dem er es den Kerlen wieder zurückzahlen würde. Er trug Wasser in zwei Helmen und rannte hin und her, bis er auch damit fertig war. „Na“, sagte Ed gönnerhaft, „eines Tages wird auch aus dir noch ein ganz brauchbares Kerlchen. Vielleicht lasse ich dich auf der ‚Isabella' als Moses anfangen.“ Dann packte er ihn am Hemd und drehte es zusammen. „Siehst du jetzt ein, wie bescheuert du warst? Hast du diese Art von Klauerei vielleicht für eine Heldentat gehalten, was, wie?“ Dieses Was, Wie ließ den Spanier immer zusammenzucken, denn es brauchte eine Bestätigung, war aber drohend gemeint, und so nickte er schnell. „Jetzt mach dich auf die Socken und pfeife deine Faulenzer zusammen, die sich in der Nähe versteckt haben. Ich habe schon zwei von ihnen da oben am Hang gesehen“, log Ed. „Los, fang an zu brüllen, damit wir euch endlich auf die andere Insel bringen können.“ Sinona stellte sich an das Dickicht und rief einige seiner Leute laut beim Namen. Er befahl und schrie, und der Profos stand daneben und grinste hart, denn er rechnete nicht damit, daß auch nur einer jetzt auftauchen würde. Doch zu seiner grenzenlosen Überraschung geschah das Wunder. Stimmen riefen zurück, erst zwei, drei, dann mehrere. Und als Sinona weiterbrüllte, zeigte sich plötzlich ein Mann, der weiter links aus dem Gebüsch trat.
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Seine Klamotten waren noch naß, ein Zeichen, daß er erst vor kurzer Zeit über Bord gegangen war. Er trat näher, blieb aber in respektvoller Entfernung vor dem Profos stehen und sah ihn scheu an. Sinona erklärte ihm die Lage, worauf der Spanier noch weiter zurückwich und wieder ins Dickicht wollte. Aber Carberry war mit ein paar schnellen Sätzen bei ihm und hielt ihn fest. „Jetzt hör mal gut zu, du nasses Rübenschwein“, sagte er auf spanisch. „Du trommelst hier alle Leute zusammen, die irgendwohin verschwunden sind. Dann wartet ihr hier am Strand, ihr Zwerge. Später holen wir euch ab, und wenn dann noch einer fehlt, werden die ersten zehn Mann von euch gehängt.“ Sinona redete ebenfalls noch einmal eindringlich mit dem Seesoldaten und erhielt die Zusicherung, daß er alles tun werde, was in seiner Macht stünde, und auf der anderen Insel könne man auch sehr gut leben, und es war bestimmt nicht schlecht dort. Sie hatten ja schon erste „Kontakte“ hergestellt. Zwei weitere Burschen tauchten auf. Einer warf die Muskete in den Sand und hatte die Frechheit, Carberry zu fragen, ob sie ihre Waffen auf die andere Insel mitnehmen dürften. Ed platzte fast der Kragen. „Ihr kriegt sogar unsere Culverinen!“ schrie er. „Und alles an Pulver, was wir an Bord haben. Am besten lassen wir euch Rübenschweinen gleich das ganze Schiff da, oder wir gehen auf die Insel, und ihr könnt abhauen, wohin ihr wollt!“ Er befahl Sinona, endlich in das. verdammte Boot zu klettern und die restlichen Leute nochmals zu warnen. Dann durfte der spanische Kapitän wieder pullen, bis ihm die Zunge zum Hals heraushing, unerbittlich von Ed angetrieben. Als das Boot anlegte, enterte der Profos auf. „Du kannst gleich warten“, sagte er zu Sinona. „Deine anderen Kerle folgen sofort.“
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Hasard war noch einmal auf der Kuhl erschienen. Er würdigte den im Boot hockenden Spanier keines Blickes. „Was geben wir den Lausekerlen mit?“ fragte Ben Brighton. „Gar nichts“, erwiderte Hasard kalt. „Kein Werkzeug, keine Messer. Nur das, was sie auf dem Leib tragen. Die Vegetation ist überreichlich. Sie sollen sich von Kokosnüssen, Tomaten, Zuckerrohr und wilden Bananen ernähren, dann werden sie auch nicht so übermütig. Das Boot, das ihnen gehört, wird wieder mitgenommen, ich möchte nicht, daß diese Kerle noch einmal hier landen und die Insulaner vertreiben oder sich an ihnen rächen.“ „Ohne Boot können sie von der Insel nicht weg“, sagte Ben Brighton. „Und schwimmen — na ja, ich würde es nicht riskieren, bei den Korallenatollen wimmelt es doch von Haien.“ „Eben deshalb“, sagte der Seewolf. „Laß die Kerle jetzt an Deck bringen und dann ab mit ihnen. Die zwei Boote reichen. Suche ein paar Leute aus, Ben, für jedes Boot zwei oder drei. Und vergeßt die Lampen nicht, es wird bald dunkel.“ „Aye, aye, Sir. Sollen wir Pistolen mitnehmen?“ „Nehmt keine Waffen mit, sie können nichts unternehmen. Wir würden sie in jedem Fall kriegen, aber das werde ich dem Häufchen Elend im Boot besser selbst sagen.“ Hasard beugte sich über das Schanzkleid und sah Sinona, der mit eingezogenem Genick auf der Ducht hockte. Als Hasard ihn anrief, wurde er noch kleiner und duckte sich noch tiefer. „Hören Sie gut zu, Sinona“, erklärte der Seewolf kühl. „Und behalten Sie das ebenso gut, was ich Ihnen sage! Sie werden jetzt mit zwei Booten zu der Insel gebracht. Sie kennen ja die Richtung. Von meiner Mannschaft fahren sechs Leute mit, und diese Männer sind unbewaffnet. Verfallt nicht auf die Idee, sie als Geiseln zu nehmen, es würde nur eure Köpfe kosten, denn wir lösen grundsätzlich keine Geiseln aus. Dann sterben die sechs eben, aber von euch lasse ich keinen einzigen am
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Leben. Wir sitzen am längeren Hebel, und wir werden euch immer wieder zu fassen kriegen. Passiert etwas, bin ich mit meinem Schiff da, spätestens in ein paar Stunden. Was Ihnen dann blüht, überlasse ich Ihrer Phantasie. Haben Sie das klar und deutlich verstanden, Sinona?“ fragte Hasard. „Si, Senor Capitan. Ich gebe Ihnen mein Wort als Caballero, daß wir nichts unternehmen. Geiseln würden uns in einem solchen Fall ohnehin nichts nützen.“ „Fein, daß Sie das einsehen.“ Das hat der Bursche glatt und sauber geschluckt, überlegte der Seewolf. Aber nach allem, was er über die „Isabella“ und ihre Besatzung schon vernommen hatte, war das auch kein Wunder. Sollte er in dem Glauben bleiben, sie würden keine Geiseln auslösen, dann verfiel er nicht auf dumme Gedanken, und Hasard konnte seine Leute in aller Ruhe wegschicken. Inzwischen hatten Smoky, Blacky und ein paar andere die Kerle wieder aus der dunklen Vorpiek geholt. Jetzt standen sie in banger Erwartung an Deck, wurden aber ziemlich schnell ins Boot gescheucht. Das andere Boot legte schon ab zum Strand, um die Meute zu holen, die sich dort getreulich versammelt hatte. Brighton, Tucker und Luke Morgan hatten darin Platz genommen und pullten jetzt los. Ins andere stiegen der Profos, der alte O'Flynn und Matt Davies. Es war das Boot, das den Spaniern gehörte. Keiner muckste sich, als das Boot ablegte, das Segel gesetzt wurde und die Spanier außerdem zu den Riemen griffen. Sinona sah seine Leute ernst an. „Nur damit ihr informiert seid“, sagte er knapp. „Keinerlei Gewaltanwendung. Diese Galeone ist das Schiff von Lobo del Mar, die englische ‚Isabella'. Mehr habe ich nicht zu sagen.“ 2. Die Männer zuckten wie unter einem Hieb zusammen, der sie nicht schlimmer hätte treffen können.
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Sie gerieten beim Pullen aus dem Takt, klatschten die Riemen ins Wasser und sahen sich erschreckt an. El Lobo del Mar! Der Wolf der Meere! Dieser Name hatte in ihren Ohren einen Klang, der sich fortsetzte wie Donnerhall und sie erzittern ließ. Viele senkten heftig atmend die Köpfe, andere sahen verstohlen auf den alten O'Flynn, auf Matt Davies oder den Profos. Der alte Bursche mit dem Holzbein und dem verwitterten Gesicht war ein typisches Mitglied der Crew, dachten die meisten. Der hatte sein Bein sicher bei einem Kampf mit den Spaniern verloren, und nun hatte er einen gehörigen Grimm auf sie. Dann der andere Mann mit den grauen Haaren und dem fürchterlichen Eisenhaken, der an jener Stelle herausragte, wo ein anderer Mann die rechte Hand hatte. Ein furchteinflößender Kerl, der vor nichts, aber auch gar nichts zurückschrecken würde. Der Schlimmste aber war der Profos. Schon seine bloße Anwesenheit flößte den meisten unbestimmte Angst ein. Das war einer, der sofort zuschlug und meist gleich so, daß sein Gegner dann nichts mehr brauchte, außer vielleicht einem letzten Gebet an seinem Grab, falls er ihn nicht gleich ungespitzt in die Erde schlug, denn dann ersparte er sich sogar ein extra Grab. Er hatte viele Narben im Gesicht, Narben von Schlägereien, von Messerkämpfen, von allem möglichen. Und ein Kinn hatte der, so groß wie eine Faust, noch viel größer, eher einem Amboß gleich. Hastig wandten sie den Blick von ihm, als er sich leicht umdrehte. „Pullt schon, ihr triefäugigen Kakerlaken“, sagte er. Immer wenn er sprach, dann hörte es sich an, als zöge am Horizont ein starkes Gewitter herauf. Und sie pullten, was sie konnten, denn auf das Donnerwetter dieser Stimme konnten sie gern verzichten. Sie wollten nicht, daß dieser Narbenmann den Teufel tanzen ließ. Gegen den war ihr eigener Profos nur ein Schluck Wasser.
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Ed sah, daß die anderen jetzt ebenfalls ins Boot geklettert waren, und wandte sich an Sinona. „Wenn Sie die Kerle am Strand erkennen können, dann zählen Sie sie nach. Sind das alle? Oder fehlen noch ein paar Burschen?“ Sinona zuckte wieder zusammen. Nach einer Weile merkte er, daß zwei oder drei Mann fehlten. Nun, er wollte sich keinen weiteren Ärger einhandeln, vielleicht waren sie entwischt oder hatten sich gut versteckt. Später konnte er sich immer damit herausreden, daß von den angeblich Ertrunkenen eben ein paar doch noch gelebt hatten. „Ja, das sind alle“, sagte er, bemüht, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. „Wirklich?“ fragte Ed liebenswürdig. „Ganz bestimmt, Sen . Sir, äh.“ Sinona gab mit der Hand den Kurs an. „Dort, nach Backbord hinüber, Sir“, dienerte er. „Sobald wir die bergige Landzunge umfahren haben, kann man die Insel sehen.“ Die Sonne schickte sich an, das Meer an jener Stelle zu verbrennen, wo es scheinbar aufhörte. Als sie weitersank, sah es sekundenlang so aus, als würde dort ein gewaltiges Feuer entfacht, das sich rasch ausbreitete und übers Wasser glitt. Ed wollte die mitgebrachte Lampe entzünden, doch er sah am wolkenlosen Himmel bereits den Mond und verzichtete vorerst darauf. Das andere Boot mit Ben, Ferris und Luke folgte ihnen jetzt. Die Spanier pullten, daß es eine wahre Freude war, aber wahrscheinlich wurde ihnen auch kräftig eingeheizt. Ed genoß den atemberaubenden Anblick dieser phantastischen Inselwelt, an der sie jetzt vorbeiglitten. Die hohen, schlanken Palmen hoben sich dunkel mit ihren gefiederten Wedeln gegen den Horizont ab. Ab und zu blitzte ein Sonnenstrahl hindurch. Die Berge, ganz oben noch von einem leicht goldenen Schein überflammt, wurden schwarz, und auf dem fast ruhigen Wasser breiteten sich glitzernde, mitunter blutrote Bahnen aus.
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Ganz langsam verschwammen die Konturen. Als das Flammenrad der Sonne hinter dem Wasser versank, brach die Nacht herein. Dunkel wurde es trotzdem nicht. Der Mond löste die Sonne ab, nur die Farben wechselten, und jetzt sah die Landschaft im Schein des Mondes bleich und ruhig aus. Jede Einzelheit war deutlich zu erkennen. Die Insel tauchte auf, als sie die Landzunge gerundet hatten. Das andere Boot schloß jetzt auf und folgte ihrem Kurs. Eine ganz sanfte Brise wehte vom Meer herüber, in der Luft lag der unbestimmbare Geruch irgendwelcher Blumen oder Blüten. „Noch mehr Backbord, bitte, Sir“, sagte der Spanier. „Wir können die Insel von der linken Seite her anlaufen.“ Carberry wollte gerade den Kurs korrigieren. Jetzt unterließ er es und stutzte. Weshalb wollte Sinona so weit nach links? Da gab es Felsen und Brandung. Weshalb wollte er nicht auf der anderen Seite anlegen, wo der Strand flach und ohne Klippen war? Ed ahnte, warum das so war. Dort standen vermutlich die Hütten der paar Insulaner, und dort hatten die Spanier nach ihrer üblichen Manier gehaust. Das wollte Sinona gern verbergen. Er reagierte nicht und gab auch keine Antwort, und Sinona traute sich nicht, noch einmal darauf hinzuweisen. Er warf dem Profos nur einen prüfenden Blick zu. Immer näher rückte die Insel, immer deutlicher hoben sich ihre Konturen gegen den Himmel ab. Carberry erkannte eine Bucht, vor der sich das Wasser leicht kräuselte. Die Einfahrt für ein größeres Schiff war offenbar mit einigen Problemen verbunden, denn dort, wo das Wasser schäumte, mußte sich eine riesige Korallenbank befinden. Er steuerte darauf zu und beschrieb einen leichten Bogen. Unbewußt war er fast an der gleichen Stelle gelandet wie Sinona schon vor ihm,
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aber weit und breit gab es keine Hütten zu sehen. Auf der Insel herrschte geisterhafte Stille. Nicht der geringste Laut eines Tieres oder Nachtvogels war zu hören. Die einzigen Geräusche waren das Schnaufen der Spanier und das leichte Plätschern der Wellen, die an den Strand leckten. Das Boot schrammte über Sand, neigte sich leicht zur Seite und blieb dann liegen. Die Spanier stiegen aus, sahen sich um und sprachen kaum ein Wort. „Wo standen denn die Hütten?“ wollte der Profos wissen. „Etwas weiter landein“, erwiderte Sinona ängstlich. „Weit?“ „Nur an dem Bach entlang, Sir, dann eine Biegung, ein kleiner Pfad, und man ist da.“ Carberry nickte dem Kapitän zu. „Zeit genug haben wir ja“, sagte er hinterhältig. „Dann können wir uns auch gleichzeitig überzeugen, daß es euch hier an nichts mangelt. Gehen wir.“ „Uns mangelt es wirklich an nichts“, versicherte Sinona. „Das freut mich“, sagte Ed und sah zu, wie auch das andere Boot jetzt auf den Strand lief und die Spanier ausstiegen. Ben Brighton kam herüber. Die Nacht war so hell, daß man die Gesichter deutlich erkennen konnte. „Wollte mir mal die Hütten von den geflüchteten Insulanern ansehen”, sagte Ed. „Gehst du mit?“ „Aber gern, zumal die doch nur ein paar Nüsse mitgenommen haben. Sehen wir uns das mal an. Die anderen Burschen können sich ganz nach Belieben über die Insel verteilen.“ Der Profos, Ben, Sinona und noch ein weiterer Spanier folgten dem Pfad, der weiter landeinwärts führte. Sinonas Schritte wurden immer langsamer. „Soll ich dich tragen, Generalkapitän?“ erkundigte sich der Profos liebenswürdig. „Ich bin etwas erschöpft, Sir.“ „Ach ja, er hat den ganzen Vormittag Brotfruchtbäume eingebuddelt. Kein Wunder“, sagte Ed. „Aber jetzt wünsche
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ich, daß du deine Flamencostelzen etwas schneller bewegst, was, wie?“ Zügig ging es weiter, bis sich die kleine Lichtung ihren Blicken im Mondlicht bot. Daß hier Spanier gehaust hatten, war deutlich zu sehen. Man sah es noch an den Überresten der Hütten, von denen nur noch die kleinen Pfähle standen. Die Palmen im ganzen Umkreis der Behausungen waren gefällt worden, und ihre Stämme hatten die Hütten zertrümmert, so daß sie unbewohnbar waren. Pflanzen waren zertreten und verwüstet worden, es sah aus, als hätte hier eine Horde Vandalen gewütet. Carberry und Ben Brighton sahen sich an. Sinona stand mit gesenktem Kopf daneben und sprach kein Wort. „Gut gemacht“, lobte Ed. „Ihr seid wenigstens gründlich gewesen, das schätze ich an euch Burschen immer so. Na, ihr habt ja Zeit genug, das alles wieder in Ordnung zu bringen.“ „Man sollte es nicht für möglich halten“, sagte Ben. „Dafür müßte jeder einzelne von euch hundert Schläge mit der Neunschwänzigen erhalten. Gehen wir wieder zurück!“ Sinona schlich mit hängenden Ohren hinter ihnen her, bis sie nach einer Weile wieder den Strand erreichten. Dort standen die Spanier immer noch herum und wußten nicht so recht, was sie beginnen sollten. „Die Kerle haben alles verwüstet“, sagte Ben zu Tucker. „Alle Hütten kurz und klein geschlagen, sogar die Kokospalmen haben sie gefällt, um die Nüsse zu ergattern. Segeln wir zurück, die Burschen öden mich an, wenn ich sie nur sehe.“ „Was soll jetzt aus uns werden?“ fragte Sinona kläglich. „Ihr habt alles, was ihr braucht. Frisches Trinkwasser, jede Menge Früchte, eine Insel und die große weite See. Das Wetter ist auch bestens, was wollt ihr mehr? Hier hängt es sich besser herum als bei uns an der Großrah“, sagte Carberry. „Ihr verdammten Läuseknacker!“ rief der alte O'Flynn. „Das nächste Mal überlegt
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ihr euch gefälligst, wie man sich benimmt, wenn man eine bewohnte Insel anläuft.“ Sie schoben das eine Boot etwas tiefer ins Wasser, nahmen die Leine und wollten das andere daran befestigen, um es nachzuschleppen. Sinonas Unterkiefer klappte herab. „Das ist unser Boot, Sir“, wagte er zu sagen. Carberry fuhr herum und ging einen Schritt auf ihn zu. „Sag das noch mal, du Wanze!“ drohte er. „Das war einmal euer Boot, oder glaubt ihr, wir lassen es hier, damit ihr morgen früh wieder auf den anderen Inseln herumgeistert?“ Unter den Spaniern klang Murren auf, als sie hörten, daß das Boot mitgenommen werden sollte. „Ohne Boot können wir nicht mal fischen!“ rief einer. Carberry wollte den Kerlen gleich zeigen, wo die Glocken hingen, damit keine falsche Stimmung aufkam. Er ging auf den Sprecher zu, fegte ihm mit einem Schlag seinen Kupferhelm vom Schädel, den er immer noch trug, und schlug ihm links und rechts die flachen Hände um die Ohren. Der Don wackelte erst zur einen Seite, dann fing er sich wieder, kriegte das andere Ding und landete in hohem Bogen in dem weichen Sand. „Will noch jemand das Boot?“ fragte der Profos. „Oder wollt ihr die Fische lieber mit der Hand fangen?“ Niemand muckte mehr auf. Sie hatten gesehen, wie rigoros dieser narbige Kerl immer vorging. Obwohl sie stark in der Überzahl waren, muckste sich niemand mehr. Auch Sinona sagte nichts, aber in seinen Augen glomm jetzt der Haß, und er knirschte vor hilfloser Wut mit den Zähnen. Er fühlte sich gedemütigt und bestraft von diesen Engländern, und er wandte sich hastig ab, um seinen Haß nicht zu zeigen. Eines Tages, dachte er, wird sich das Blättchen wieder drehen, und dann ging es
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diesem Seewolf und seinen Kerlen an den Kragen. Die sechs Seewölfe nahmen in dem Boot Platz, setzten das Segel und schleppten das andere Boot hinter sich her. Die leichte Brise trieb sie schnell vom Ufer weg. Bald waren sie nur noch Schatten, die übers Wasser glitten. „Eigentlich ist es nicht richtig“, sagte Luke Morgan unterwegs, „daß wir diese Satansbrut auf der herrlichen Insel angesiedelt haben. Die sind doch direkt im Paradies gelandet.“ „Hast du denn eine bessere Lösung?“ fragte Sen Brighton. „Nee, die hab ich auch nicht.“ „Na also! Uns blieb gar nichts anderes übrig. Jedenfalls können sie dort kein Unheil mehr anrichten, auch wenn die geflüchteten Insulaner vorerst nicht mehr zurückkönnen. Wir werden morgen, bei Tagesanbruch, versuchen, Kontakt mit dem Inselhäuptling aufzunehmen, um ihm das zu erklären.“ „Die halten uns doch auch für Spanier oder Kerle, die sie nur ausplündern wollen.“ „Das hängt von der Taktik ab, mal sehen. Ich bin sicher, daß sie uns längst beobachtet haben.“ Der Mond war ein ganzes Stück weitergewandert, als endlich die Silhouette der „Isabella“ wieder auftauchte. Ben Brighton meldete sich an Bord zurück und berichtete dem Seewolf, daß alles erledigt sei. 3. Sie waren tatsächlich beobachtet worden. Die Späher des Papalagi ließen die Vorgänge auf der Insel keine Sekunde lang aus den Augen. Über jede Einzelheit wurde ihm berichtet. Die Verwunderung des Papalagi wurde immer größer. „Sie sind Brüder“, sagte er, „und sie sind doch keine Brüder, denn sie bekämpfen sich gegenseitig. Wenn ihre Gebeine morgen in der Sonne bleichen, wird man keinen Unterschied zwischen ihnen feststellen können. Jene gruben die
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Brotfrucht aus, die anderen zwangen sie, sie wieder einzugraben. Noch verstehe ich das nicht.“ Vergebens sann der Papalagi darüber nach, was die Fremden wohl bewog, die Gestrandeten auf die andere Insel zu bringen. Die Aualuma hatten sich jetzt zur Ruhe begeben, nur die jungen Männer und die beiden alten Frauen hockten noch im Halbkreis um den Papalagi herum und redeten. Es war die Art des Papalagi, lange zu schweigen, dann laut zu überlegen und diese Gedanken schließlich den anderen mitzuteilen. Aber er wurde aus den Fremden nicht schlau. Ihre Schiffe glichen sich, von den Fremden sah einer aus wie der andere, und man konnte sie nur durch die blinkenden Helme unterscheiden. Das eine Schiff war durch die Kraft der Götter gestrandet und total beschädigt, aber die anderen dachten nicht daran, jenen Gestrandeten zu helfen, sie bei sich aufzunehmen, wie es nach einem solchen Unglück selbstverständlich war. Stattdessen brachten sie sie nach Mooreá und überließen sie dort sich selbst. Leise flehte der Papalagi um den Beistand der Inselgötter, damit sie seinen, Verstand schärfen mögen. Länger als eine Stunde hockte er da, still, in sich versunken, als schliefe er. Der Mond war weitergewandert, die blitzenden Löcher im Himmel erschienen, und das Boot von Mooreá war längst wieder zurück. Tiefe Stille herrschte, sie lag wie ein Schleier über der Landschaft. Es war eine tiefe Ruhe, die auch auf den Papalagi übergriff. Erst als die zahnlose Alte sich leise räusperte, wurde diese tiefe Ruhe unterbrochen, und der Papalagi blickte hoch. „Sie sehen nur wie Brüder aus“, sagte er leise. „Sie müssen von verschiedenen Stämmen abstammen, denn die einen sind böse, die anderen sind gut. Sie haben nichts zerstört, sie haben uns die Früchte
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zurückgegeben. Vielleicht war es ein Trick der Bösen, die Guten zu überrumpeln, und jene haben es gemerkt. Suala, der Gott des Mondes, sagt mir, daß sie uns suchen werden, sobald es hell wird.“ „Deine Worte sind weise, Papalagi“, sagte die Alte wieder. „Mit deiner Hilfe können wir vielleicht schon bald in unsere Hütten zurückkehren. Was schlägst du vor?“ Die Augen des Stammesältesten blickten in das narbige Gesicht des wandernden Mondes. Er sah die Berge der Götter darin, ihre Höhlen und die tiefen Schluchten, die sie dort bewohnten. „Wir werden uns nicht verstecken“, sagte er leise. „Wir werden uns so verhalten, daß sie uns finden werden. Dann sehen wir weiter. Sie werden den Fautaua-Wasserfall finden, und wir werden ganz in der Nähe sein.“ „Wie willst du wissen, Papalagi, daß sie den Fautaua finden?“ Der alte Mann lächelte über sein runzeliges Gesicht. „Jeder Fremde würde ihn finden. Man hört ihn sehr weit, und der Fautaua erweckt die Neugier. Man folgt ihm unbewußt, und so findet man ihn auch.“ Ja, dachte die Alte, der weise Papalagi findet auf alles eine Antwort, und sie zweifelte auch nicht an dem, was er sagte. Alles würde so eintreffen, wie der Papalagi es mit den Göttern absprach. Die meisten schliefen jetzt, und nach einer Weile legte sich auch der Papalagi an jener Stelle hin, wo er die ganze Zeit gesessen hatte. Gleich darauf schlief auch er unter dem warmen Dach des Himmels. * Als die Sonne aufging, war der Seewolf schon an Deck und sah zum Land hinüber. Wie ein träges Tier hockte das Wrack der „Kap Hoorn“ immer noch auf dem Sand, und es schien mit jeder Stunde mehr zu verfallen. Siri-Tong und ein großer Teil der Crew waren ebenfalls an. Deck erschienen, um den prachtvollen Morgen zu genießen.
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Einige hatten es vorgezogen, ohnehin an Deck zu schlafen, und so erwachten auch sie nach und nach. Hasards Blick wanderte weiter zu den Bergen. Über dem tropischen Bergwald lag noch ein feiner Dunstschleier, den die aufgehende Sonne jedoch schnell vertrieb. „Ich will versuchen, wie wir gestern schon besprochen haben, mit den Insulanern Kontakt aufzunehmen“, sagte Hasard. „Wir wissen, daß sie in die Berge geflüchtet sind und uns auch von Zeit zu Zeit beobachtet haben. Um sie nicht zu erschrecken, nehme ich Siri-Tong mit. Eine Frau muß hier ganz einfach Vertrauen einflößen. Dan O'Flynn wird uns begleiten, mehr nicht. Wir gehen selbstverständlich unbewaffnet, damit die Insulaner nicht mißtrauisch werden. Alle anderen bleiben vorerst an Bord. Ihr könnt euch die Zeit mit Fischen oder Baden vertreiben, ganz wie ihr Lust habt. Das Kommando hat während meiner Abwesenheit Ben.“ „Was ist, wenn die Insulaner euch schnappen?“ fragte Matt Davies. „Sie wissen bestimmt nicht, was hier gelaufen ist, und es kann ein verdammtes Mißverständnis geben.“ „Das glaube ich nicht. Wenn wir bis morgen früh bei Tagesanbruch nicht zurück sind, überlasse ich euch die Entscheidung.“ „So lange?“ fragte Smoky. „Der Aufstieg in die Berge wird nicht einfach sein, und die Insulaner werden ganz sicher nicht hinter der nächsten Palme auf uns warten. Wir müssen uns also etwas gedulden. Nach allem, was sie vermutlich gesehen haben, werden sie uns nicht gerade freundlich um den Hals fallen.“ „Und wie sieht es mit der Verständigung aus?“ wollte Ben wissen. Hasard winkte lässig ah. „Wir haben uns sogar mit den Inuits, den Nordmännern, und auch mit Kopfjägern verständigt. Die Sprache bildet da nicht unbedingt die einzige Schwierigkeit.“ Er wollte die Rote Korsarin fragen, ob ihr der Weg nicht vielleicht doch zu beschwerlich wäre, aber er ließ es lieber.
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Was war Siri-Tong schon beschwerlich? Er wußte nichts. Die Zwillinge erschienen und wollten auch mit. Aber das wär ausgeschlossen, es ging nicht. Wer wußte, was Hasard und Philip unterwegs alles wieder anstellten. „Noch eine Frage, Sir“, sagte Pete Ballie. „Angenommen, ihr seid irgendwo da oben in den Bergen, und dieser verdammte Don Alfredo oder ein anderer Spanier kreuzt hier plötzlich auf – was dann?“ Hasard lächelte, daß seine weißen Zähne blitzten. „Erstens hat Ben das Kommando und entscheidet, was zu tun ist. Zweitens werden wir das Schiff eher sehen als ihr. Drittens werdet ihr Don Alfredo die ‚Isabella' ausliefern und euch alle kampflos ergeben. Ist sonst noch etwas, Pete?“ „Nein, Sir“, sagte der Rudergänger und grinste. „Nach dem Frühstück brechen wir auf. Ed wird uns an Land bringen“, sagte der Seewolf. Das Frühstück war schon fertig, und sie alle verzichteten darauf, es im Aufenthaltsraum einzunehmen. Das Deck war bei diesem herrlichen Wetter genau der richtige Platz dafür. Der. Kutscher brachte Pfannen voller Speck und gebackener Tomaten. Dazu gab es heißes Brot, Mus und wilden Honig. Danach folgte mit Kandiszucker gesüßter kalter Tee, den sie immer noch aus dem Land des Großen Chan massenweise mit sich führten. Eine andere Pfanne enthielt in Fett geröstete Maiskolben. Die hungrige Meute langte kräftig zu wie immer, und die Zwillinge hieben wie die Bären in den Honig rein. Anschließend schleppte Carberry die beiden zu einer Pütz voll Seewasser. „Da steckt ihr jetzt erst einmal eure Griffel rein“, sagte er, „sonst klebt ihr an Deck an und bleibt für alle Zeiten auf den Planken stehen.“ Es stimmte. Die beiden klebten und pappten, und der Honig troff von ihren Fingern und aus den Gesichtern. Anschließend brachen der Seewolf, SiriTong und Dan O'Flynn auf.
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Sie nahmen nichts mit, nur ein paar Messer und einen Ballen bunter Seidenstoffe, die ebenfalls noch aus China stammten und deren Farbe das Herz jedes Insulaners höher schlagen ließ. Lebensmittel brauchten sie nicht, Wasser ebenfalls nicht. Die Insel hatte der liebe Gott in einer ausgesprochen guten Laune erschaffen, und sie bot alles an, was es an Früchten gab. Auch Trinkwasser war reichlich vorhanden. Am Strand verabschiedete sich der Profos mit Leichenbittermiene. „Soll ich euch ein Stück begleiten, oder schafft ihr das allein?“ „Ja“, sagte Hasard. „Fein, dann gehe ich mit“, sagte Ed strahlend. „Das bezog sich auf das letztere, Ed. Wir schaffen es allein, ich glaube nicht, daß du uns tragen mußt.“ Er klopfte dem Profos noch einmal auf die Schulter und suchte nach einem günstigen Aufstieg in die allmählich anwachsenden Berge. Es fand sich auch bald ein fast verborgener Pfad, den Dan sofort entdeckte. Er hatte schon gestern durch das Spektiv einen kleinen Bachlauf gesehen. Es wurde wärmer, die Sonne stieg höher. Über den Inselbergen begann es wieder zu dampfen, am Horizont tauchte eine Wand aus Watte auf, die aber nicht weiterwanderte. Einmal kreischte ein Papagei, der sich in seiner Ruhe gestört fühlte. Er kreischte lauter, stieg dann auf und flatterte protestierend davon. Er war kleiner als Sir John, der auf der „Isabella“ auf den Rahnock hockte, aber dafür war er bunter. Mitunter hörte der Pfad abrupt auf und ging in dichtbewachsene Wildnis über. Aber sie orientierten sich an dem leisen Murmeln des kleinen Baches, der aus den Bergen floß. Nach einer knappen Stunde Marsch lag die „Isabella“ tief unter ihnen wie das Spielzeug eines Kindes. Das Schiff sah aus dieser Höhe schlank und zerbrechlich aus, die Masten wirkten wie Zahnstocher.
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Siri-Tong war nichts anzumerken. Sie atmete nicht heftiger als sonst, und für Hasard und Dan war es nicht viel mehr als ein größerer Spaziergang. „Ein herrlicher Ausblick“, schwärmte Dan und blieb stehen. Sie konnten jetzt einen großen Teil der Insel überblicken und bis hinüber nach Mooréa schauen. Vor ihnen lag ein landschaftliches Paradies von einmaliger Schönheit, ein Geschenk der Natur. Als Dan sich wieder umdrehte, stieß SiriTong einen leisen Schrei aus und ging zwei Schritte zurück. Hasard griff zu einem der Messer, die sie den Insulanern schenken wollten, aber er sah niemanden. „Dort“, sagte Siri-Tong und wies auf eine dichte Buschgruppe. zwischen der sich eine kleine Lichtung auftat. Im ersten Augenblick zuckte auch der Seewolf zusammen, und Dan stieß leise die Luft aus. „Ho, ist das ein höllischer Bursche“, sagte er. Aus dem Boden wuchs ein hölzerner Pfahl bis zu zwei Yards Höhe auf. Der untere Sockel war mit roter Farbe verschmiert, die wie Blut aussah. Dann folgten übergangslos zwei Arme und ein gedrungener Hals. Der Schädel war schrecklich anzusehen, jedenfalls auf den ersten Blick, wenn man mit dem Anblick nicht rechnete. Eine geschnitzte, diabolisch verzerrte, grinsende Fratze blickte sie an. Aus dem klaffenden Maul schauten Reißzähne, von denen das Blut troff, die Zunge war weit herausgestreckt, und die Augen schienen von Leben erfüllt zu sein. Sobald das Sonnenlicht auf sie fiel, begannen sie bösartig zu funkeln. Vor der Statue stand eine Schale Wasser, daneben lagen ein paar Kokosnüsse und eine besonders große Frucht. Sie war von gelblicher Farbe und so groß wie der Kopf eines Kindes. Sie mochte etwa vier Pfund wiegen, vielleicht etwas mehr, wie Hasard schätzte. Hasard wollte sie erst neugierig in die Hand nehmen, doch er unterließ es.
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Vielleicht wurden sie beobachtet und verletzten ein Tabu. Dann würde hier der Teufel los sein, denn darin verstanden die Eingeborenen keinen Spaß. Manche sahen darin den größten Frevel, den es nur gab. „Ob das die Brotfrucht ist?“ fragte er leise, mehr zu sich selbst. „Ich habe sie jedenfalls noch nicht gesehen.“ „Schon möglich“, sagte Siri-Tong. „Die Früchte sind der Gottheit hier geopfert worden. Aber die Maske sieht schrecklich aus. Sie wirkt so echt, als würde der Kopf leben.“ „Vermutlich steht der Götze hier, um Fremde zu warnen“, meinte Hasard. „Es kann auch heißen, bis hierher und keinen Schritt weiter. Aber das wissen wir nicht genau. Ebenso gut kann etwas ganz anderes dahinterstecken.“ „Wir gehen weiter, oder?“ fragte Dan. „Natürlich, wir wissen ja nicht um die Bedeutung. Es kann auch ein Götze sein, der Dämonen fernhalten soll, das läßt sich nicht so ohne weiteres beurteilen.“ Sie warfen einen letzten Blick auf das gräßliche Standbild, und noch einmal schien es, als lebten die Augen und wollten sie eindringlich vor etwas warnen. Der Seewolf ließ sich jedoch nicht beirren, auch Siri-Tong ging schließlich schulterzuckend weiter, gefolgt von Dan, der der Statue noch einen letzten Blick zuwarf. Sie waren jetzt schon sehr hoch, aber es ging immer noch weiter. Links von ihnen dehnte sich eine riesige Schlucht, die in das eigentliche Gebirgsmassiv weiterführte. Hasard fragte sich besorgt, wie sie hier jemals die geflüchteten Insulaner finden sollten. Hier boten sich Tausende von Verstecken an, hier konnten ganze Völkerstämme ungesehen verschwinden. Dort, wo sich der zentrale Gebirgsstock in die Länge zog, befand sich eine pfadlose Schlucht. Anderen Ende war eine gut dreihundert Yards hohe, fast senkrechte Mauer zu überwinden, die aus einem einzigen Felsblock bestand. „Sieht ziemlich finster aus“, bemerkte Dan. „Auf dem Weg können wir nicht weiter,
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denn die Wand erklimmen wir nie. Versuchen wir, nach rechts zu gehen.“ Hasard hatte sich das Inselinnere längst nicht so gewaltig vorgestellt. Von See her hatte es nach ein paar Hügeln und kleinen Bergen ausgesehen, aber jetzt wandelte sich das Bild gründlich. Rechts ging es weiter, aber man sah den Pf ad noch nicht, der immer wieder aufhörte und über Stock und Stein ging. Bei ihrer Suche war ihnen gar nicht aufgefallen, daß die Wand aus Wolken sich inzwischen rasch genähert hatte. Höhenwinde jagten sie vor sich her und trieben sie über die Insel. Es ging blitzschnell. Über den Bergen entlud sie sich. Sie fanden gerade noch Zeit, unter ein ziemlich dichtes Blätterdach eines großen Baumes zu schlüpfen, da ging es los. Ein Wolkenbruch prasselte vom Himmel, und Ströme von Wasser ergossen sich schwallartig. Die Luft wurde so feuchtwarm, daß das Atmen schwerfiel. Die Wolke wanderte weiter, regnete in südlicher Richtung noch einmal ab und kehrte dann wieder übers Meer in die gleiche Richtung zurück. Der Regenwald begann zu dampfen und zu brodeln. Überall stiegen aus dem warmen Boden Dämpfe auf, tanzten wie Nebelgeister über der Landschaft und strebten zum Himmel. Der Boden war schlüpfrig geworden. Moosbewachsene Steine behinderten das Weitergehen. Immer wieder rutschte einer von ihnen aus. „Fast wie am Amazonas“, sagte Dan fluchend, als er gerade noch einen Ast zu fassen kriegte. Der Landschaftscharakter begann sich wieder zu verändern. Alles wurde dichter, bewachsener. Sträucher und niedere Pflanzen bedeckten dampfenden Boden mitunter hüfthoch. Dann folgten Bananenwälder, so dicht, daß man kaum noch weiterkam. Hasard pflückte ein paar Früchte. „Glaubst du, sie sind eßbar?“ fragte Siri-Tong. „Sie sehen anders aus als die gewöhnlichen Bananen.“
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„Ganz sicher sind sie eßbar, nur wesentlich kleiner.“ Hasard probierte die Frucht. Sie war nicht viel größer als ein Finger, aber sie schmeckte ungemein süß. Auch die Korsarin und Dan probierten und fanden sie vorzüglich. Nach dem überraschenden Schauer breitete sich wieder Ruhe aus. Tiere gab es kaum zu sehen, ab und zu flog eine Schwalbe vorbei, oder eine Ente flog von irgendwoher auf. Noch einmal sahen sie zwei der kleinen bunten Papageien, die entsetzlich krächzten, ehe sie wegflogen. Der tropische Hochwald wurde immer dichter. Nach einer Weile schlug Hasard eine Rast vor. „Es wird immer aussichtsloser, die Insulaner zu finden“, sagte er. „Ich habe mir das Landesinnere dieser Insel wesentlich anders vorgestellt. Wir können noch tageoder wochenlang so weiterlaufen, ohne daß wir eine Menschenseele zu Gesicht kriegen.“ Donegal Daniel O'Flynn ließ sich auf einem bemoosten Stein nieder. Schweiß rann ihm vom Gesicht. Sein Leinenhemd war so naß, daß er es auswringen konnte. Er reckte die Schultern, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und wollte etwas sagen, als sein Blick plötzlich starr wurde. „Was ist?“ fragte die Rote Korsarin und blickte ebenfalls in die Richtung. „Da vorn, wo das kleine Plateau ist, stehen Hütten. wenn mich meine Augen nicht täuschen“, sagte Dan. „Kleine Hütten, mit Palmblättern gedeckt.“ Hasard blickte sich um. Vor ihnen lag immer noch der Wald aus Bananenstauden, dahinter standen hohe Bäume, dann gab es eine kleine Lichtung vor einem Berg. Und da standen tatsächlich ein paar kleine Hütten. Man mußte aber schon sehr genau hinsehen, wollte man sie erkennen. In der Nähe der Hütten war allerdings keine Menschenseele zu erblicken. Sie schienen verlassen zu sein. 4.
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„Wir werden versuchen, die Hütten unentdeckt zu erreichen“, sagte der Seewolf. „Obwohl ich das für fast ausgeschlossen halte, denn ich habe das Gefühl, als hätte man uns längst gesehen. Aber wir kennen die Insulaner nicht, wissen nichts von ihnen, und es ist besser, wenn die Überraschung auf unserer Seite bleibt.“ „Das wird wirklich nicht leicht sein, Sir. Hier raschelt es doch an allen Ecken, sobald wir uns bewegen.“ „Versuchen wir es trotzdem.“ Vorsichtig bewegten sie sich weiter. Der Pfad hatte längst aufgehört zu existieren, und es sah auch nicht so aus, als wären hier jemals Menschen entlanggegangen. Es gab keine abgerissenen oder zertretenen Blätter, nichts, was darauf hindeutete. Zwischen den Bananen lagen ab und zu riesige Felsblöcke. In deren Schutz gelang es ihnen, bis auf fast hundert Yards an die Hütten heranzuschleichen. Dan legte den Finger auf die Lippen. „Dort vorn sind Leute“, wisperte er, „ich höre Stimmen.“ Hasard ging ein paar Yards weiter um einen Felsblock herum, und dann verschlug es ihm glatt die Sprache. Er deutete mit der Hand auf den freien Platz vor den Hütten. Auf der Lichtung knieten vier Insulaner, voller Angst, wie es den Anschein hatte. Vor ihnen stand ein Weißer, etwas weiter rechts noch mal einer, der grinsend auf die Insulaner blickte. Der eine Weiße, es konnte sich nur -um einen Spanier handeln, hielt in der rechten Hand eine hölzerne Maske hoch. Sie ähnelte derjenigen, die sie gerade eben erst gesehen hatten. Genau die schrecklich verzerrten Züge, die leuchtenden Augen und die heraushängende Zunge. Offensichtlich war die Maske von dem Sockel herabgerissen worden, und jetzt flößte der Spanier den Insulanern damit Angst ein. „Die zwei sind von der ,Kap Hoorn“, sagte Hasard. „Gar kein Zweifel, sie sind in die Berge getürmt,“
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„Aber was bezwecken sie damit?“ fragte Dan. Der Seewolf zuckte mit den Schultern. „Sie haben Angst vor den Insulanern, die sie vielleicht gestellt hatten. Dann rissen sie die Dämonenmaske von einer Statue, und jetzt ist es genau umgekehrt, jetzt haben die Insulaner Angst.“ „Holen wir uns die Affenärsche?“ fragte Dan gepreßt. „Aber sicher. Sonst schwingen die Dons sich hier noch zu Herren auf, wenn sie merken, daß die Insulaner vor ihren eigenen Götzen soviel Angst haben. Du von der rechten Seite, ich von der linken. Siri-Tong kann uns folgen, falls einer der Kerle entwischt.“ Immer noch knieten die Insulaner, hatten die Hände über den Kopf gelegt und stießen leise Schreie aus. Der Spanier tänzelte mit der Maske in der Hand herum, hielt sie ihnen mal dicht vor die Gesichter, entfernte sich dann wieder. Hasard vermied, so gut es ging, jedes Geräusch. Auch Dan arbeitete sich ziemlich lautlos weiter. Die Rote Korsarin nahm den geraden Weg. Erst die letzten paar Yards begann der Seewolf zu laufen. Er und Dan langten fast gleichzeitig an. Der Spanier mit der Maske fuhr herum, rief seinem Kumpan eine Warnung zu und griff zu seinem Messer am Gürtel. Gleichzeitig schleuderte er Hasard die Maske ins Gesicht. Dan O'Flynn stürmte auf den anderen zu, aber der drehte ab und raste davon. Dan folgte ihm schnell, aber dann stoppte er jäh, denn hinter den Basaltblöcken am Rand des Bananenhains gähnte ein tiefer Abgrund. Der Spanier sah ihn nicht, oder er bemerkte ihn zu spät. Dan rief ihm eine Warnung zu und blieb stehen. Der Mann drehte sich noch einmal um, hob die Faust und rannte blindlings weiter. Sekunden später schwebte er frei in der Luft, und dann war er verschwunden. Nicht einmal der Aufprall war zu hören.
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Hasard konnte nur noch ganz knapp ausweichen, als das hölzerne Wurfgeschoß heranflog. Er blockte es mit der Hand ab und wollte dem Spanier nach, aber der hatte es sich jetzt plötzlich anders überlegt und rannte ebenfalls los. Der Seewolf versuchte, ihm noch zu folgen, doch er verlor den flüchtenden Don bald aus den Augen, der irgendwo weiter hinten im angrenzenden Regenwald verschwand. Sein Messer hatte er jedenfalls auf der Flucht verloren. Hasard hob es auf und kehrte zurück, als er sah, daß eine weitere Verfolgung sinnlos geworden war. Den Mann würde er in dem undurchdringlichen Dickicht nie mehr finden, und wenn er ihn tagelang suchte. Auf der Lichtung erwartete ihn eine weitere Überraschung. Die Insulaner waren verschwunden, als hätten sie sich buchstäblich in Luft aufgelöst. „Wo sind sie geblieben?“ fragte der Seewolf. „Du mußt sie doch noch gesehen haben, Siri-Tong?“ „Nur ganz flüchtig, sie tauchten im Gehölz unter und waren wie Schemen verschwunden. Man hört auch kein Rascheln mehr.“ „Und der andere fiel in den Abgrund“, sagte, Dan. „Meine Warnung kam zu spät.“ „Also sind noch weiterhin ein oder zwei Dons auf der Insel, die sich versteckt halten. Nun ja, sie werden den Insulanern nicht mehr gefährlich werden können, und ich bin sicher, daß man sie auch bald fassen wird.“ Hasard bewegte sich auf den Abgrund zu, hinter dem der eine Don verschwunden war. Von einer vorspringenden Klippe aus schaute er hinunter. Er sah nichts mehr von dem Don, er hatte auch keinen Schrei ausgestoßen. Er war einfach weitergelaufen und in die endlose von Wald und Pflanzen bedeckte Tiefe gefallen. Dort würde er bis zum Jüngsten Tag liegenbleiben, denn da unten trauten sich ganz sicher nicht einmal die Insulaner hin. Die Insulaner hatten sie anscheinend im ersten Schreck ebenfalls für Spanier
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gehalten, und daher war ihre Angst verständlich. Sie waren geflüchtet, und da sie sich auf ihrer Insel bestens auskannten, war die Suche nach ihnen ebenso zwecklos. Hasard hatte sie jedoch für kurze Augenblicke gesehen. Es waren fast goldhäutige, großgewachsene Menschen mit langen schwarzen Haaren und schönen Gesichtern. Sie sahen nicht wie Wilde oder wie Kopfjäger aus, entfernt ähnelten sie den Menschen von den Hawaii-Inseln. Nur ihr Hinterkopf schien etwas flach zusammengedrückt zu sein, aber das hatte vermutlich nicht die Natur geschaffen, es war wahrscheinlich künstlich so zusammengedrückt worden. Die Insulaner, die Hasard flüchtig gesehen hatte, waren in blauen Kaliko gekleidet, der von den Hüften bis zu den Knien reichte. Als sie einen Blick in die Hütten warfen, mußten sie feststellen, daß sie leer waren. Es gab keinerlei Einrichtungsgegenstände. Entweder waren sie noch nicht bezogen worden, oder man hatte sie schon wieder verlassen, oder sie dienten nur einem vorübergehenden Aufenthalt. „Was jetzt?“ fragte Siri-Tong. „Ja, was jetzt?“ wiederholte Hasard etwas ratlos. „Uns bleiben nur noch zwei Wege. Dort schräg hinüber oder der Rückweg.“ „Dann lieber dort schräg hinüber“, sagte Dan spontan. „Sonst finden wir die Insulaner nie.“ Ein lauer Windstoß fuhr durch die Bananenwälder und ließ sie rascheln. Als die kleinen Wedel sich wieder aufrichteten, herrschte be- klemmende Stille. Sie schlugen den Weg ein, der wiederum durch dichtes Gestrüpp, unter Bäumen und an herrlich duftenden Blüten vorbeiführte. Nach knapp zehn Minuten Marsch blieb der Seewolf stehen. Dan sah ihn fragend an. „Ganz still bleiben“, sagte Hasard. „Da rauscht doch etwas. Hört ihr es auch?“ Dan spitzte die Ohren, die Rote Korsarin bewegte sich nicht und lauschte ebenfalls. Anfangs war es nur ein ganz zartes Säuseln, das sie vernahmen, aber dann
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hörten sie es doch heraus. Es mußte entweder ein größerer Bach sein oder ein Wasserfall. „Ein Wasserfall“, sagte Hasard bestimmt. „Und zwar einer, der aus großer Höhe herabstürzt.“ Nun versuchten sie, die Richtung zu bestimmen, doch das war nicht ganz einfach. Das Raunen, Flüstern und Murmeln war überall. Mal schien es von rechts zu stammen, mal von links, dann wieder hörte es sich so an, als käme das Geräusch aus der Schlucht tief unter ihnen. „Gehen wir ein paar Schritte weiter“, sagte der Seewolf. „Wenn es sich dann verstärkt, haben wir die Richtung.“ Der Seewolf behielt recht. Nach knapp hundert Yards wurde aus dem Geraune ein kräftiges Murmeln, dann ein zartes Rauschen. „Wir gehen dem Geräusch nach, bis wir die Quelle erreichen“, sagte Hasard. Damit behielt der Papalagi wiederum recht, der behauptet hatte, man würde dem Wasserfall aus Neugier folgen oder auch ganz unbewußt und man würde ihn auch finden. Später, sie waren jetzt länger als zwei Stunden unterwegs, so schätzte Dan, hatte sich das Geräusch verstärkt. Es war ein monotones Brausen geworden, das immer noch anschwoll. Als sie aus einer dichten Buschgruppe hervortraten, war das Getöse übermächtig. Der Wasserfall lag vor ihnen. Er stürzte eine von wilden bunten Blumen und Ranken bewachsene Steilwand hinunter und ergoß sich unten zischend und brodelnd in einen kleinen See, von dem wiederum der Bach gespeist wurde. Sie blieben stehen, um den Anblick in sich aufzunehmen. „Phantastisch“, sagte die Rote Korsarin. Sie hatte einen weiteren Knopf ihrer roten Bluse geöffnet, so daß man den Ansatz ihrer kleinen festen Brüste erkannte. „Man hat den Wunsch, sich darunter zu stellen bei dieser Hitze“, sagte Dan, „und das stundenlang.“ „Das steht dir frei, Dan. Wenn du dich abkühlen willst, bitte.“
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„Weshalb springen wir nicht einfach in den See?“ fragte Siri-Tong. „Uns allen ist es verdammt heiß, eine kleine Abkühlung würde ganz gut tun.“ Hasard war kein Spielverderber. Ihre Sachen würden in kurzer Zeit wieder trocken sein, und die Abkühlung tat wirklich gut. „Also los“, sagte er, riß sich das Hemd vom Oberkörper und sprang mit einem Satz in das glasklare Wasser. Dan und die Rote Korsarin folgten seinem Beispiel, wobei Dan lebhaft bedauerte, daß Siri-Tong nicht auch ihre Bluse ablegte. Das Wasser war kühl und erfrischte. Man konnte bis auf den Grund des Sees blicken. Aber es gab kein Lebewesen darin, jedenfalls sahen sie keines. Eine Weile planschten sie in dem See, tauchten, schwammen ein Stück und kletterten schließlich wieder an Land. „Herrlich war das“, sagte Hasard lachend und drehte sich um. Er zog sein Hemd über und erstarrte, als er ein leises Kichern hörte. Wie vom Blitz getroffen, blieb er stocksteif stehen und blickte Siri-Tong an. Aber es war nicht ihr Lachen. Am Gebüsch standen sie. Mindestens zehn Insulaner, Männlein und Weiblein bunt gemischt, sie lachten fröhlich und unbeschwert und schienen nicht die geringste Angst vor den Fremden zu haben. Sie kamen sogar neugierig näher. Allen voran ging ein verwitterter Greis mit hellen, klaren Augen. Er schien uralt zu sein, doch er bewegte sich erstaunlich sicher, und seine wachen Augen huschten wieselflink umher. Ihm zur Seite standen jüngere Männer, wie sie sie flüchtig schon gesehen hatten. Aber der Anblick der Mädchen war einfach umwerfend, und über Dans Lippen zog ein ausgesprochen freudiges Grinsen. Die Frauen waren hochgewachsen und schlank, und sie schienen eitel und gefallsüchtig zu sein, denn sie lächelten ungeniert und herausfordernd. Auf ihren schwarzen Haaren trugen sie den tahitianischen Rewarewa, einen zierlichen Kopfputz aus den jungen zarten Blättern
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der Kokospalme, den sie sich in die üppige Haarpracht gesteckt hatten. Zwei andere hatten ihr wallendes Haar mit den feurigen Blüten des Hibiskus rosasinensis geschmückt. Hasard und Dan fielen besonders ihre kleinen zierlichen Hände und Füße auf, obwohl sie figürlich etwas größer als SiriTong waren, ungefähr einen halben Kopf. Ihre Oberkörper waren wie die der jungen Männer nackt, und sie zeigten ungeniert ihre festen Brüste. Von den Hüften ab trugen auch sie rote, hellblaue oder lila Gewänder, die bis zu den Knien reichten. Alles in allem waren sie wohlproportioniert, hatten schöne Gesichter mit intelligentem Ausdruck und sinnlich-fleischige Lippen. Ihr Teint war von gelblichbrauner Farbe, aber in der Sonne schimmerte er in Goldtönen. Die Verblüffung auf Seiten der „Isabella“Crew war wesentlich größer als umgekehrt. „Donnerwetter“, sagte Dan begeistert, und sein Wort löste unter den Aualuma wiederum laszives Gekicher aus. Der Oberkörper des Alten war ebenfalls nackt. Als Zeichen seiner Würde trug er von den Hüften ab ein faltiges Gewand, das ebenfalls an den Knien endete. Lange Zeit musterten sie sich gegenseitig ungeniert. Hasard sah in ehrliche und offene Gesichter, und er fühlte, daß sie hier willkommen waren, denn wahrscheinlich hatte man sie lange beobachtet. Auch das unbekümmerte Bad in dem kleinen See hatte den Insulanern offenbar gefallen. Er spürte die begehrlichen Blicke der jungen Frauen, die das bunte Tuch musterten und miteinander tuschelten, kicherten und immer wieder darauf hinwiesen. Auch Siri-Tong wurde mit großem Interesse gemustert und begutachtet, denn für die Insulaner war eine fremde Frau noch viel ungewöhnlicher als ein fremder Mann. „Dann wollen wir mal mit der völkerverbindenden Verständigung beginnen”, sagte der Seewolf unbekümmert.
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Niemand verstand ihn, nur das Gekicher der Aualuma begann wieder, und die jungen Burschen grinsten ebenfalls. Hasard übergab dem Alten den Stoff ballen und legte ihm auch die Messer vor die Füße. Er wußte nicht, ob sie Messer dieser Art kannten, deshalb demonstrierte er mit einem, wie man blitzschnell einen Zweig vom Ast trennte. Dann warf er das Messer aus der Drehung zwischen Daumen und Zeigefinger auf einen Baumstamm, in dem es steckenblieb. Die jungen Burschen brüllten begeistert, griffen zu den Messern, verbeugten sich und nahmen sie in die Hand. Dann trat der Papalagi vor und deutete eine Verbeugung an. Mit einer allumfassenden Bewegung, die die gesamte Insel einschloß, sagte er laut und deutlich: „Otaheite!“ „Otaheite heißt die Insel also, die wir Tahiti nennen“, sagte Hasard. Das Brausen des Wasserfalles, der aus einer Höhe von fast zweihundert Yards herabstürzte, klang immer noch in seinen Ohren, und er mußte genau hinhören, um die Worte zu verstehen. Der alte Mann deutete auf sich und sagte: „Papalatschi!“ „Otaheite, Papalatschi“, wiederholte Hasard und vollführte dabei die gleichen Bewegungen. Der Alte nickte eifrig, und über sein' verwittertes Gesicht zog ein strahlendes Lachen. Wieder kicherten die Aualuma, und eine von ihnen, die leuchtende Hibiskusblüten im langen schwarzen Haar trug, trat näher, sah ihm aus kohlschwarzen Augen ins Gesicht und legte ihm kichernd die Hand auf die Schulter. Daß ihr Busen ihn dabei berührte, störte sie nicht im geringsten. „Na, hier scheint uns ja noch einiges bevorzustehen“, murmelte Dan O'Flynn, aber er war nicht unglücklich darüber, wenn die Mädchen hier so offenherzig waren. Er grinste zurück, und damit hatte er bereits ihr Herz gewonnen.
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Hasard hielt sich zurück, er sagte nichts, er wies auch Dan O'Flynn nicht zurecht, der auf die Annäherungsversuche einging. Andere Länder, andere Sitten, war seine Devise, und wenn die Insulaner eben so waren, dann mußte man auch auf sie eingehen. Alles andere führte nur zu Mißverständnissen und Ärger, und den wollte er gern vermeiden. Er deutete auf sich und sagte: „Hasard.“ Dann nannte er Dans Namen und den der Roten Korsarin. Der Papalagi versuchte nachzusprechen, aber bei dem Versuch brach er sich fast die Zunge ab, was bei den Aualuma wiederum einen Sturm der Heiterkeit hervorrief. „Hasaid“, wiederholte der Papalagi verbissen, „Dehn, Siritonga.“ Hasard lachte mit. Was soll's, dachte er, diese aufgeschlossenen, fröhlichen Menschen gefielen ihm. Sie waren natürlich und gaben sich fröhlich und unkompliziert. Der Papalagi redete auf Hasard ein, in einer wohlklingenden Sprache, von der Hasard jedoch kein einziges Wort verstand. Hasard versuchte seinerseits zu erklären, daß sie von dem Schiff in der Bucht waren, und brachte dem Papalagi bei, daß sie die anderen verjagt hätten, die die Brotfrucht stehlen wollten. Der alte Mann nickte ernst, als verstünde er jedes Wort. Er zeigte durch Gesten an, daß sie alles gesehen hätten. Von da an ging es viel leichter, und die Verständigung, die der Seewolf als so schwierig gesehen hatte, klappte ganz gut. Lediglich die jungen Mädchen stifteten noch leichte Verwirrung, aber wenn der Papalagi das ungerührt hinnahm und die anderen sich auch nichts dabei dachten, dann mußte Hasard es erst recht hinnehmen. Einige Aualuma streiften ungeniert ihre Röcke ab, stellten sich etwas abseits hin und probierten den Stoff aus. Daß sie dabei hüllenlos dastanden, störte keinen, nur der Seewolf dachte mit leisem Bangen an seine Crew. Wenn die Kerle erst einmal herausgekriegt hatten, wie natürlich sich
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die Inselschönheiten gaben, dann war bei denen kein Halten mehr. Aber das würde die Zeit mit sich bringen, überlegte er. Durch Gesten bedeutete der Papalagi ihnen, zu folgen. 5. Hasard hätte sich in dieser Wildnis niemals zurechtgefunden, und er mußte seine Meinung über die Insel Otaheite noch einmal gründlich revidieren. Tahiti war nicht nur groß, es war ein riesiges Felsmassiv mit schroffen Bergen, steil abfallenden Felswänden, undurchdringlichem Regenwald, Wasserfällen und kleineren Seen. Der Papalagi führte sie einen steilen Pfad hoch, der in gekrümmtem Bogen dem Wasserfall folgte. Der Alte ging unbekümmert, als wäre er erst zwanzig Jahre alt. Er kannte keine Rast, unermüdlich stieg er weiter. Wieder nahm sie der tropische Hochwald auf. Einmal blieb der Papalagi stehen und zeigte mit der Hand in die Tiefe. Von einer Lichtung aus sahen sie die „Isabella“, so unvorstellbar klein, daß man sie scheinbar in der hohlen Hand verbergen konnte. Es gab völlig einsame und verlassene Täler in dieser romantischen Inselwelt. Weiter hinten zeigten sich siebentausend Fuß hohe Berge mit schaurigen Felshängen. Drei der Bergspitzen sahen aus wie das Diadem einer Riesendame. Sie funkelten prachtvoll im hellen Licht der Sonne. Nach einer Weile sahen sie den großen See. „Waihiria“, sagte der Alte und nickte dem Seewolf zu. Seitlich des Waihiria-Sees standen ein paar Hütten, und davor tummelte sich ein unbesorgt scheinendes Völkchen, das ihnen neugierig entgegenlief. Die drei von der „Isabella“ wurden bestaunt, betastet, und jeder lächelte ihnen zu. Der Papalagi sprach zu ihnen, schnell, sprudelnd, wie es sonst gar nicht seine Art
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War, und unterstrich seine Worte mit Gesten und Bewegungen. Jubel brach los. Ein junges eingeborenes Mädchen mit samtenen, strahlenden Augen, die fröhlich und etwas schelmisch aus einem fast kindlichen Gesicht blickten, ging auf Hasard zu und berührte seine Lippen mit ihrer Hand. Sie begrüßte auch Siri-Tong und Dan auf die gleiche Weise und sah sie immer wieder staunend an, denn sie wich beträchtlich von dem Inseltyp ab und war ständiger Anlaß zur Neugier. Vor einem freien Platz bei den Hütten ließen sie sich auf dem Boden nieder. Zwei Aualuma kamen, Kokosschalen in den Händen, und boten den Kawa an, den Willkommenstrunk, der aus der Kawawurzel bereitet wurde. Zum Glück kannten weder Hasard noch Dan oder Siri-Tong die Zubereitung, denn die Kawawurzel wurde von den Aualuma einfach gekaut und in einen großen Topf gespuckt. Angesichts der ungeniert wippenden vielen Brüste verschluckte sich Dan O'Flynn mehrmals, und immer wenn er hustete, begann das Gekicher der Dorfschönen. Hasard sah interessiert zu, wie zwei ältere Frauen die gleiche Frucht in Scheiben schnitten, die sie bei der hölzernen Statue gefunden hatten. Die Scheiben wurden auf glühendheiße Steine gelegt und von zwei Seiten gebacken. Der Papalagi wies immer wieder auf die Frucht, zeigte auf Hasard, dann in Richtung der „Isabella“, wieder auf sich, faltete dann die Hände und verbeugte sich. Durch weitere Gesten deutete er an, daß fremde Männer die Frucht mitnehmen wollten, daß die Leute der „Isabella“ das jedoch verhindert hätten. Hasard begriff sehr schnell. „Die Brotfrucht“, sagte er, „das Grundnahrungsmittel der Insulaner, das ihre Existenz sichert. Der Duft dieser gebackenen Frucht ist einfach unbeschreiblich.“ „Wirklich wie heißes, frisch gebackenes Brot“, sagte Siri-Tong. „Nur noch würziger.“
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Eine zahnlose Alte plinkerte Hasard vertraulich zu. Ihr faltenreiches Gesicht war von tiefen Runzeln durchzogen, vorn fehlten ihr die Schneidezähne. Sie versuchte, Hasards Blick festzuhalten, und der Seewolf grinste belustigt. „Die hat es auf dich abgesehen, Sir“, sagte Dan frech. „Mit der wird der Inselkäptn dich später verheiraten.“ „Male bloß nicht den Teufel an die Wand“, sagte Hasard entsetzt. „Doch, so sind hier die Sitten“, behauptete Dan. Daß die runzelige Alte den Seewolf ganz besonders gern mochte, bewies sie wenig später, als die heißen Brotfrüchte verteilt wurden. Der Seewolf erhielt die dicksten Scheiben, und die Alte hockte sich zu seinen Füßen auf den Boden und ermunterte ihn durch Gesten zum Essen. Dan grinste unverschämt, und immer wenn die Alte dicht bei Hasard war, lachten die Aualuma und riefen laut: „Isa ele ma le lo matun!“, was soviel hieß wie, die Alte solle sich schämen. Hasard ließ sich nicht weiter stören. Er biß kräftig in die geröstete Scheibe Brotfrucht und war von dem angenehmen und aromatischen Geschmack mehr als überrascht. „Das schmeckt noch besser, als es riecht“, stellte er bewundernd fest. „Kein Wunder, daß die Dons so gierig darauf sind. Wir werden jedenfalls alles tun, was in unseren Kräften steht, den Insulanern diese Frucht zu erhalten.“ Und die Dons zur Hölle zu schicken, wenn sie hier noch einmal aufkreuzen“, murmelte Dan, dem es sichtlich schmeckte und der sich so wohl fühlte wie schon lange nicht mehr. Sie wurden verwöhnt und regelrecht gehätschelt. Die Blicke waren eindeutige Bewunderung, von den Aualuma aber auch zärtliches Verlangen. Eifersucht schien es auf dieser Insel nicht zu geben, stellte Siri-Tong verblüfft fest, denn es störte keinen der jungen Burschen, wenn eine Aualuma ungeniert flirtete.
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Nach dem Essen, es hatte noch Tomaten, Zitrusfrüchte, Ananas, Kokosmilch, Maniok und Bananen gegeben, versuchte Hasard dem Papalagi zu erklären, daß ihre Hütten ihnen wieder zur Verfügung ständen und sie keine Angst mehr haben sollten. Es dauerte lange, bis der Papalagi begriff, und es wurden viele Gesten gewechselt und einige Irrtümer ausgeräumt. Dann erst hatte der Stammesälteste verstanden, und er teilte es nun seinerseits den anderen mit. Hasard deutete durch ermüdende und sich ständig wiederholende Gesten an, daß sie alle Fremden, die die Insel anliefen, sofort vertreiben würden. Auch das begriff der Papalagi. Jetzt brachte er Hasard mühevoll bei, daß am heutigen Tage bei Sonnenuntergang ein großes Fest zu Ehren der Fremden gefeiert werden würde und alle dazu erscheinen müßten. Die Aualuma würden tanzen. „Aualuma, upa-upa“, sagte der Alte und winkte mit dem gekrümmten Zeigefinger eine Inselschönheit herbei, die sich auf ein Wort von ihm in den Hüften zu wiegen begann. Es war ein frivol angedeuteter Tanz, der sich upa-upa nannte und an Eindeutigkeit nicht viel zu wünschen übrigließ. Jedenfalls konnte sich Hasard deutlich vorstellen, daß es beim Strandfest noch viel frivoler werden konnte. Nun, dann muß ich die Meute eben von der Kette lassen, dachte er beklommen. Aber schließlich hatte er ja auch keine frommen Betbrüder und Asketen an Bord, sondern richtige Männer. Diese Insulaner waren jedenfalls ohne Falsch, sie waren von der Last der Arbeit befreit und genossen sorglos die Früchte, die die Natur ihnen in verschwenderischer Pracht tausendfältig bot. Daß diese Polynesierinnen frei von jeder europäischen Moralvorstellung waren, erschütterte den Seewolf nicht im geringsten. Es sprach nur für sie selbst und ihre Freiheit, und er war sicher, daß sie jedem ihre Gunst schenkten, der sie darum
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bat, und darum brauchte bestimmt keiner zweimal zu bitten. Im Geiste sah er das grinsende Narbengesicht Carberrys vor sich, wenn der von der Offenherzigkeit der Inselschönen erfuhr. Und die anderen seiner Crew brauchte er sich gar nicht erst vorzustellen, da genügte schon Dans Gesicht, denn das sprach Bände. Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel, es wurde heißer, und der Seewolf deutete an, daß sie wieder zurückkehren wollten. Der Papalagi hatte dafür Verständnis, nur die Aualuma und vor allem die zahnlose Alte bedauerten das lebhaft, und sie taten so, als wäre es ein Abschied für immer. „Diese Insel ist wie Gift“, sagte Hasard leise zu Dan. „Sie übt einen fast tödlichen Zauber auf alle Fremden aus. Ich werde später alle Mühe haben, die Höllenhunde wieder an die Kette zu legen. Der Reiz der Verlockung ist einfach zu groß.“ „Solche Giftstoffe liebe ich“, sagte Dan unbekümmert. „Die gehen ins Blut, Sir.“ „Bei dir fängt es schon an zu wirken“, sagte Hasard. „Deine Augen leuchten wie das Wasser in der Lagune.“ „Das hast du aber nett gesagt, Sir.“ „Ach, quatsch nicht“, sagte Hasard grob. Sie verabschiedeten sich von dem Papalagi, den Aualuma, den jungen Burschen und den älteren Frauen und mußten jedem einzelnen die Hand geben. Der Papalagi erinnerte sie noch einmal an ihr Versprechen und gab zu verstehen, daß das Fest ausschließlich zu ihren Ehren stattfände. Dann schickte er einen jungen Burschen als Begleiter mit, der ihnen den kürzesten Weg weisen würde. Hinter ihnen blieb die Gruppe der Polynesier zurück. Immer wenn sie sich umdrehten, wippten die Aualuma kichernd mit den Brüsten. Ihr junger Begleiter lachte laut. Überhaupt schienen diese Leute oft und gern und aus den nichtigsten Anlässen zu lachen oder sich zu freuen, das lag ihnen einfach im Blut und entsprach genau ihrer Mentalität. Unterwegs plapperte der Bursche munter drauflos, obwohl keiner ein Wort verstand.
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Aber er war schon zufrieden, wenn sie nickten oder zu ihm etwas in ihrer Sprache sagten. Das Messer, das er im Bund stecken hatte, trug er mit Stolz, holte es alle Augenblicke hervor und betrachtete es eingehend und voller Besitzerstolz. Er zeigte ihnen eine Abkürzung, einen Weg, den sie nicht gesehen hatten, weil er verborgen war. Von da an dauerte es nur noch eine halbe Stunde, bis sie wieder am Strand waren. Der Bursche palaverte noch einmal und verschwand dann. Durch Gesten deutete er an, daß die anderen bald nachfolgen würden. Von Bord der „Isabella“ aus hatte man sie längst entdeckt, und Carberry war schon unterwegs, um sie abzuholen. „Wir sahen den Insulaner“, berichtete er. „Demnach habt ihr sie also doch gefunden. Na ja, das war sicher nicht sehr schwierig, denn die Insel ist ja nicht so groß.“ „Hast du eine Ahnung, Ed“, sagte Hasard. „Die Insel ist zehnmal größer, als du sie dir vorstellst. Dort wechseln menschenleere Täler mit riesigen Bergstöcken und tiefen Schluchten. Ich hatte sie mir nicht annähernd halb so verwirrend vorgestellt.“ „Was ist denn mit dir los?“ fragte der Profos den immer noch in der Erinnerung grinsenden Dan O'Flynn. An seiner Stelle antwortete Hasard. „Er hat ein paar barbusige Mädchen gesehen, und nun ist er ganz aus dem Häuschen. Vielleicht freut er sich auch auf das Strandfest, das heute abend uns zu Ehren stattfinden soll.“ Der Profos pfiff durch die Zähne und ließ die Riemen sinken. „Strandfest?“ fragte er gedehnt. „Etwa auch mit barbusigen Mädchen? Mann, das haut ja den ...“ „Weiterpullen!“ sagte Hasard. „Verzeihung, Sir!“ Ed legte sich wieder in die Riemen, aber sein Blick war jetzt schon verklärt, und der Seewolf seufzte tief. „Das kann ja heiter werden“, meinte er ergeben. „Aber das eine sage ich euch jetzt schon. Daß ihr mir ja keine Schlägerei anfangt!“
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„Darauf hast du natürlich mein Wort, Sir“, sagte Ed laut. „Das verspreche ich hiermit feierlich. Wir werden mit keiner barbusigen Insulanerin eine Schlägerei anfangen. Selbst wenn sie uns angreifen, nicht“, setzte er verträumt hinzu. „Jetzt ist die Krankheit endgültig ausgebrochen“, sagte der Seewolf. „Genau das habe ich befürchtet. Aber bevor das Strandfest heute abend beginnt, wird die ,Isabella' noch einmal auf Vordermann gebracht. Sie muß vor Sauberkeit blitzen.“ „Auch das verspreche ich!“ schrie der Profos. Er hätte vermutlich alles versprochen, dachte Hasard resigniert. Dann enterten sie auf, neugierig angestarrt von den Seewölfen, die auf den Bericht warteten. Siri-Tong gab die notwendigen Erklärungen ab, weil Hasard das infame Grinsen der Kerle kaum noch ertragen konnte. Siri-Tong tat es knapp und präzise, beinahe nüchtern, und jeder verherrlichende Überschwang war dem Seewolf gerade recht. Die Freude war riesengroß. Dann wurde Dan bestürmt, und der schmückte seinen Bericht wesentlich farbiger aus, bis den Kerlen das Wasser auf der Zunge stand. Nur der alte O'Flynn tat leicht entrüstet und spielte den Moralapostel. „Zu meiner Zeit hat's das nicht gegeben, barbusige Mädchen“ sagte er nachdrücklich. Carberry warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Du bist ja auch bloß in der Ostsee rumgegurkt“, sagte er, „und auf den Inseln hatten die Frauen zu deiner Zeit sowieso keine Brüste, und wenn sie welche hatten, dann versteckten sie sie, weil es zu kalt war. Deshalb haben sie dich auch mit der Flasche aufgezogen ...“ „Was bin ich?“ schrie der Alte empört. „In der Ostsee rumgegurkt? Du narbiger Stint hast doch selbst die ,Empress of Sea` damals bei Ceylonia gesehen.“ „Klar, bloß warst du im Indischen Ozean nicht mehr an Bord“, sagte der Profos. „Deine ,Empress of Sea`, oder wie der
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alten Kasten hieß, war da schon halb verfault.“ O'Flynn zuckte zusammen. Dieses „oder wie der alte Kasten hieß“ löste bei ihm jedesmal Herzkrämpfe aus. Tausendmal hatte er diesen verlausten Plattfischen schon erklärt, daß das Schiff „Empress of Sea“ hieß und nicht anders, daß es der beste, schnellste und prächtigste Segler der Welt war, die Mannschaft ein Vorbild an Mustergültigkeit, und sie hatten immer reichlich Geld in den Taschen und, soviel Rum, wie sie wollten. Von dem hervorragenden Essen, das nicht einmal. Königen serviert wurde, ganz zu schweigen. Und da hatten diese Kanalratten den Namen immer noch nicht behalten. Das war einfach unglaublich. „Du nimmst an dem unsittlichen Strandfest jedenfalls nicht teil“, sagte O'Flynn zu seinem Sohn Dan. „Du bleibst an Bord und paßt auf die Zwillinge auf!“ „Hör mal zu, Väterchen!“ brüllte Dan zurück. „Wenn bei dir die Segel killen, dann bring dich wieder in den Wind! Und wenn du dich auf dein Holzbein stellst, ich gehe zu dem Fest, und davon werden mich zehn ausgewachsene O'Flynns nicht abhalten.“ Die anderen rieben sich erwartungsvoll die Hände. Der Streit zwischen dem alten und dem jungen O'Flynn artete mitunter etwas aus, aber am Ende verzog sich der Alte meist grummelnd, und eine Stunde später war alles vergessen. Vater und Sohn warfen sich Worte an den Kopf, und danach waren sie wieder ein Herz und eine Seele, denn mitunter vergaß der Alte ganz, daß sein Sohn längst erwachsen war und auf sich selbst aufpaßte. „Du gehst nicht“, wiederholte er mit Grabesstimme. „Ich gehe doch!“ „Du wirst dich versündigen!“ drohte der Alte. „Klar, tue ich gern.“ „Hat die Welt schon einen so undankbaren Lausebengel gesehen!“ schimpfte der Alte, aber er erntete von den Seewölfen nur lautes Gelächter.
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Beleidigt drehte er sich um, drohte noch einmal mit der Faust und schrie erbost: „Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen, mein Sohn!“ „Für mich schon, Daddy!“ brüllte Dan zurück. Damit war der Disput auch schon beendet, noch ehe er richtig begonnen hatte. Doch am Niedergang blieb der Alte noch einmal stehen und warf Dan einen galligen Blick zu. „Beruhige dich wieder, Donegal“, sagte der Profos. „Früher sind nur Eunuchen zur See gefahren, heute sieht das anders aus.“ Ein Belegnagel pfiff durch die Kuhl und prallte an den Mast. Das war Donegals Antwort. „So“, sagte der Profos händereibend, „jetzt werdet ihr das Schiffchen auf Hochglanz bringen, denn wer mit zum Tanzen will, muß sich vorher putzen. Ist das klar, ihr Rübenschweine?“ „Aye, aye, Sir!“ riefen sie grinsend und voller Erwartung. Sie alle fieberten dem Abend entgegen, und Smoky sagte: „Wenn jetzt Don Alfredo aufkreuzt und uns das Strandfest vermasselt, könnt ihr ruhig alle an Bord bleiben. Ich schwimme ganz allein hinüber und reiße seine verdammte Galeone in Stücke, darauf könnt ihr euch verlassen.“ „Den schicken wir zur Hölle, wenn er schon an der Kimm auftaucht“, setzte Ben Brighton hinzu. Das merkwürdige Fieber griff immer weiter um sich, und der Profos mußte sie auf seine liebevolle Art noch einmal nachdrücklich daran erinnern, daß jetzt der Hausputz bevorstand. Gleich darauf ergossen sich Ströme von Salzwasser an Deck, und das große Schrubben begann. 6. Am Nachmittag erschienen die ersten Insulaner am Strand und winkten zur „Isabella“ hinüber. Die Seewölfe, so gut sie sonst auch sahen, rissen sich gegenseitig die beiden Spektive aus der Hand, die es an Bord gab.
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Jeder wollte einen Blick auf die Aualuma erhaschen, aber sie sahen sie kaum, denn die Vorbereitungen spielten sich auf dem Platz unter den Palmen ab, die im toten Winkel vom Schiff aus lagen. Etwas später erschien der Papalagi mit zwei jungen Männern in einem Auslegerboot. Sie brachten kopf große Brotfrüchte mit, die der Papalagi feierlich überreichen ließ, als er an Deck stand. Sein Blick ging in die Runde, er bestaunte das große Schiff, die aufgegeiten Segel, die langen Masten und alles, was es zu sehen gab. Noch nie in seinem Leben war er auf einem derart großen Schiff gewesen. Hasard und der Profos unternahmen einen Rundgang mit ihm und versuchten ihm gestenreich alles zu erklären, während die beiden Insulaner weitere Früchte ausluden und an Bord brachten. Später erklärte der Papalagi etwas, das Hasard nicht verstand. Er zeigte in sämtliche Richtungen. „Mooréa“, sagte er, „Méhétia, Raiata, Bora-Bora, Tahaa, Huahin.“ Dann wies er noch einmal auf die Insel. „Otaheite“, murmelte er dazu. „Jetzt verstehe ich“, sagte der Seewolf. „Das sind die Namen der umliegenden Inseln. Du kannst sie gleich mal aufschreiben, Dan, und sie später in die Karten einzeichnen, so gut es geht.“ Dan schrieb die Namen auf, um sie später auf die Karten zu übertragen. Anschließend ließ der Seewolf weitere Seidenstoffe in das Auslegerboot bringen, Messer und Geräte wie Sägen, Äxte und Nägel. Für die Aualuma gab er polierte Spiegel dazu aus dünnen Kupferplatten, über die sich der Papalagi wie ein Kind freute. Dann vergewisserte er sich ein letztes Mal, daß auch keiner das abendliche Strandfest vergaß, und fuhr mit dem Auslegerboot wieder zum Strand zurück. Von dort klang ab und zu ein leiser Ton auf. Einer der jungen Männer schlug die Pehu, eine kleine Trommel, und bei jedem Trommelschlag stieß er einen lauten Schrei aus.
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Anfangs war das Geräusch nur alle Viertelstunde zu hören, aber schon bald änderte sich das, und die Pehu erklang in immer kürzeren Abständen. „Die Burschen bringen sich langsam auf Trab“, stellte Smoky mit einem Blick zum Strand fest. „Verdammt, wenn doch bloß bald die Sonne untergehen würde. Diese Warterei macht mich noch ganz krank.“ „Du wirst es doch wohl noch abwarten können, was, wie?“ fuhr der Profos ihn an. „Ihr. benehmt euch wie die Kinder.“ Er selbst, sonst immer Vorbild für Zucht und Ordnung, benahm sich, genau besehen, allerdings auch nicht viel anders, denn auch er konnte es kaum erwarten, und seine Worte waren nur Tarnung. Irgendwie schienen sie alle angesteckt zu sein, der Rausch dieser Insel begann sie in ihren Bann zu schlagen. Es war eben nicht eine gewöhnliche Insel, es war Otaheite, Tahiti genannt, und mit diesem Namen stand sie auch in einigen Karten. „Die Sonne stand noch nie so lange am Himmel“, sagte Luke Morgan zu .Sam Roskill. „Oder willst du etwa das Gegenteil behaupten?“ „Sage ich ja gar nicht. Vielleicht gibt es einen Tag im Jahr, an dem sie gar nicht untergeht.“ Der Profos dachte plötzlich mit Schaudern daran, wie es wohl bei der Platzverteilung später zugehen würde. Klar, daß alle Kerle auf einmal dabei sein wollten, aber das ging nicht. Ein paar Wachen mußten für alle Fälle an Bord bleiben, und wenn er die bestimmte, stand einer Prügelei nicht mehr viel im Wege. So beiläufig wie möglich fragte er, als sich die meisten auf der Kuhl auf- hielten: „Wer bleibt nachher freiwillig an Bord?“ Er hatte nicht erwartet, daß sich auch nur einer melden würde, daher haute es ihn fast um, als sich der alte Segelmacher Will Thorne mit der größten Selbstverständlichkeit meldete. „Ich bleibe an Bord, Profos.“ „Noch einer?“ fragte Carberry erleichtert. „Batuti auch bleiben an Bord“, versicherte der herkulische Gambianeger.
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„Auch ich bleibe freiwillig“, sagte Big Old Shane und strich sich grinsend über den grauen Bart. Der alte O'Flynn, der wieder erschienen war, räusperte sich, als Ed ihn anblickte. „Was glotzt du mich so gallig an, du grüner Hering?“ fragte er rauhbauzig. „Einer muß doch auf die kleinen Rübenschweinchen aufpassen - oder nicht? Und da mein Herr. Sohn es vorzieht, sich der offensichtlichen Sünde hinzugeben, bleibe ich eben hier. Basta!“ „Ich bleibe ebenfalls an Bord, Edwin“, erklang die helle Stimme der Roten Korsarin. „Oh, Madam, das werde ich Ihnen nie vergessen“, sagte Ed, erleichtert darüber, daß er wenigstens eine Handvoll Leute an Bord hatte. Als Siri-Tong wieder gegangen war, beugte sich Dan etwas vor und flüsterte vertraulich: „Ich glaube, der Seewolf bleibt auch an Bord, denn auf den hat eine zahnlose Alte beide Augen geworfen. Die hat ihn vielleicht angeblickt, sage ich euch.“ Ferris Tucker zwinkerte dem jungen O'Flynn verzweifelt zu, denn hinter ihm war der Seewolf aufgetaucht, ohne daß Dan es merkte. Ungeniert sprach er weiter und wunderte sich nur über die merkwürdigen Gesichter seiner Kameraden. „Ja, die war richtig scharf auf ihn. Sie gab ihm die dicksten Scheiben von der Brotfrucht, hockte sich vor ihn hin und grinste ihn an. Dabei hatte sie keinen Zahn mehr im Mund. Ihr hättet mal den Seewolf sehen sollen. Richtig peinlich war ...“ Jetzt ging O'Flynn ein Licht auf, und er drehte sich um. Hinter ihm stand der Seewolf, der ihn um einen halben Kopf überragte. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos, und dennoch verkniff er sich nur mühsam das Lachen. „Ich gehe mit“, sagte Hasard ernst. „Das ist selbstverständlich. Aber an meiner Stelle wirst du an Bord bleiben, Mister O'Flynn, und die Männer mit deinen ergötzenden Geschichten unterhalten, die ebenfalls hierbleiben. Dann können sie sich richtig
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vorstellen, wie es in den Bergen war. Alles klar, Mister O'Flynn, verstanden?“ „Sir“, stammelte Dan entgeistert. „Damit sprichst du mein Todesurteil.“ „Du wirst es überleben. Märchenerzähler werden meist sehr alt, das siehst du auch an deinem Vater.“ Dan O'Flynn hätte sich die Zunge abbeißen mögen. Zerknirscht blickte er in die Runde. Und die Kerle nahmen ihn alle in Schutz und protestierten. „Er hat es nicht so gemeint, Sir“, verteidigte Carberry ihn, und auch die anderen fielen in den gleichen Chor ein, bis der Seewolf schließlich nickte. „In Ordnung“, sagte er. „Die Leute, die freiwillig bleiben, werden genügen, alle anderen gehen mit. Sollte ein Don aufkreuzen, dann sind wir in ein paar Minuten ohnehin an Bord.“ „Danke, Sir“, stammelte Dan erleichtert. „Das mit der zahnlosen Alten war wirklich nicht so gemeint.“ Hasard winkte lachend ab. Für ihn war die Sache erledigt. Immer noch stand die Sonne am Himmel, wenn auch schon merklich tiefer als vorher. Bob Grey, der drahtige, braunäugige Mann, der als Waise von Geistlichen erzogen worden war, dann ausriß und zur See ging, bedauerte lautstark, daß seine blonden Haare jetzt gefärbt seien. Als Blonder hätte er wesentlich mehr Chancen bei den Schwarzhaarigen gehabt, meinte er. „Heute ist der Sankt-NimmerleinsTag“, sagte er. „Mit dem Sonnenuntergang stimmt etwas nicht. Verdammt, wenn man den Glutball doch bloß mit dem Bootshaken hinter die Kimm schieben könnte.“ Das Trommeln war lauter geworden. Die Pehu wurde jetzt anscheinend von mehreren Insulanern geschlagen, und der aufpeitschende Rhythmus ging den Seewölfen ins Blut. Dann – endlich – sank der Sonnenball weiter, und der Seewolf erschien wieder auf der Kuhl.
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Noch bevor die kurze Dämmerung einsetzte, leuchteten am Strand Fackeln auf, und aus dem Trommeln wurde ein pausenloser Dauergong. „Ab ins Boot“, sagte der Seewolf. Der Kutscher, sonst vornehm und zurückhaltend, flitzte wie ein Affe über die Jakobsleiter, verfing sich mit dem rechten Fuß und landete aufklatschend im Wasser. Fluchend tauchte er wieder auf. „Junge, Junge, ist das ein disziplinloser Sauhaufen“, schimpfte der Profos. „Könnt ihr nicht nacheinander abentern, ihr vergammelten Strandläufer!“ Erst ein Machtwort von Hasard brachte sie wieder zur Vernunft, und von da an ging es ganz manierlich zu, denn wer sich nicht benahm, so versprach Hasard, durfte Doppelwache gehen, und dazu hatte angesichts der romantischen Insel keiner Lust. Dann legte das Boot ab. * Am Strand war alles auf den Beinen, auch die geflüchteten Leute von Mooréa waren dabei und bereiteten den Seewölfen einen überaus herzlichen Empfang. Sie wurden umringt und mit Blumenkränzen behängt, und sie fühlten sich wie die Könige. Junge Männer und junge Mädchen standen um sie herum, und der Papalagi erschien inmitten einer Menge Aualuma. Den Seewölfen quollen fast die Augen aus dem Kopf, als sie die barbusigen Inselschönheiten sahen. Dan hatte wirklich nicht übertrieben, die Mädchen gaben sich ganz ungeniert und ungezwungen, und schon jetzt flogen die ersten feurigen Blicke hin und her, wurde getuschelt, gekichert und gelacht. Die Frauen trugen fast ausnahmslos den Rewarewa, ihren zierlichen Kopfputz aus den zarten Blättern der Kokospalme. Hinters Ohr hatten sie sich wieder die feurigen Blüten des Hibiskus gesteckt. Im Hintergrund standen die Palmen dunkel gegen den Abendhimmel. Die leichte Brise, die von See wehte, ließ die Wedel
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geheimnisvoll rauschen. Dazwischen klang das wilde Trommeln der Pehu, immer lauter, immer schneller, und es ging verdammt ins Blut. Eine johlende und freudige Menge geleitete die Seewölfe zu den Hütten und von dort aus zu dem freien Platz neben der Palmengruppe. Hasard blieb überrascht stehen, denn was er sah, ließ ihm den Atem stocken. Die Insulaner hatten keine Mühe gescheut. Eine endlos lange Tafel war aufgestellt worden, die Sitzgelegenheit bot der Boden, aber an dieser Tafel war alles dran, und sie erregte sofort die Bewunderung des Kutschers, dem Carberry gerade in die Rippen knuffte. „So was könntest du dir mal einfallen lassen“, sagte er. „Und nicht immer deinen lausigen Speck mit Eiern. Da reißt du die Klüsen auf, was, wie?“ Der Kutscher konnte nicht einmal antworten. Die Bretter, die zusammengesetzt als Tafel dienten, waren so überladen, daß sie sich durchbogen. Da lagen riesengroße Ananas, Mangofrüchte, aufgeschlagene Kokosnüsse, die kastaniengroßen Samen der Brotfrucht. Maniok lag neben der Tarofrucht, Zitrusfrüchte bedeckten massenweise die Tafel. Es gab wilde Bananen, die gelbe Kaparao prangte inmitten der Tafel wie ein stacheliger Riesenkürbis. Schon der Duft war unbeschreiblich. Es roch nach heißem, würzigem Brot, gebackenen Hühnern und Gewürzen. Links von der Tafel qualmte es aus der Erde. Bananenblätter bedeckten zwei kleine Schweine, die man auf heiße, fast glühende Steine gelegt hatte. Darüber war lockere Erde geschichtet und mit den Blättern abgedeckt worden. Kawa, der Begrüßungstrunk aus der gleichnamigen Wurzel, fehlte ebenfalls nicht. In großen Schüsseln stand er dicht bei dicht auf der Tafel. Andere, unbekannte Speisen waren in grünen Blättern gegart und zusammengerollt worden. Was sie
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enthielten, ließ sich nicht einmal erahnen. Brotfruchtscheiben waren geröstet worden, und die älteren Frauen waren immer noch damit beschäftigt, weitere in Scheiben geschnittene Brotfrüchte auf heißen Steinen zu backen. Überall standen winzige Schüsseln herum, aus denen es verlockend duftete. Es sah nach einem Fest der absoluten Fröhlichkeit aus. Was da an kulinarischen und teils völlig unbekannten Genüssen herumstand, ließ die Herzen höher schlagen. Aber auch der Anblick der schwarzhaarigen Inselschönen war nicht zu verachten, die geschäftig hin und her rannten, um ihre Gäste zu verwöhnen. Etwas abseits vor einer Buschgruppe saßen die polynesischen Musiker auf dem Boden. Zwei Mann bearbeiteten mit den flachen Händen die kleinen Pehus und schlugen mit den Füßen den Takt dazu. Der Papalagi freute sich über die bewundernden Blicke seiner Gäste. Der alte Fuchs wies ihnen die Plätze zu, und er verstand es so einzurichten, daß nie zwei Seewölfe zusammensaßen. Immer setzte er eine Aualuma dazwischen, und die ließen sich nicht lange bitten und begannen mit den Seewölfen zu kokettieren und zu schäkern. Hasard nahm am Ende der Tafel neben dem Papalagi Platz und betrachtete die grinsenden Gesichter seiner Männer. Dann wurde der Kawa gereicht, und „die Sauferei ging endlich los“, wie Blacky sagte. Carberry, dieser Klotz von einem Kerl, saß neben einer zierlichen Aualuma, die ihn verträumt anblickte. Ungeniert legte sie ihre Hände auf die seinen, sah in sein narbiges Gesicht und sagte etwas zu ihm, das er nicht verstand. Dann schob sie ihm einen Bissen nach dem anderen in den Mund. „Luama“, sagte sie leise und zeigte auf sich. „Profos“, sagte Ed grinsend und' deutete auf seine Brust, und als sie das Wort wiederholte, wollte er sich totlachen. Sein Gelächter wirkte ansteckend, denn er
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lachte tief und grollend. Es übertrug sich auf die jungen Männer und Frauen, und das Schwatzen, Kichern und Lachen nahm seinen Anfang. Pausenlos wurde serviert, wurden Früchte gereicht und zum Trinken animiert. Neuer Kawa wurde gebracht, er war schon etwas stärker und würziger, und dann wurde eins der gebackenen Schweine ausgegraben und in Stücke geteilt. Die Seewölfe hieben rein, vergaßen auch das Trinken nicht dabei und schäkerten weiter mit den schwarzhaarigen Schönen. Smoky langte kräftig zu, aber er nahm seine Speisen immer nur von rechts, denn da mußte er an dem Busen seiner Aualuma vorbeigreifen, und seltsamerweise grapschte er immer nach den gleichen Früchten, ohne sie zu erreichen. Aber das störte ihn nicht, denn der Busen der Aualuma war herrlich warm, wenn er ihn mit dem Arm berührte. Der Aualuma gefiel das sichtlich, und Smoky riskierte einen Blick auf die zahlreichen Männer, ob da einer vielleicht Besitzansprüche vorbrachte oder scheele Blicke herüberwarf. Aber es gab keine Eifersucht, und als er einen Blick des Papalagi auffing, nickte der ihm aufmunternd und freundlich zu. „Mann“, sagte Smoky zu Matt Davies, dessen Hakenprothese immer wieder staunende Bewunderer fand, „das nenne ich verdammt noch mal ein Paradies. So herrliche Weiber habe ich schon lange nicht mehr gesehen.“ „Und so bereitwillige“, sagte Matt grinsend. „Die Kleine neben mir hat mir schon erklärt, wo es ganz dunkle Stellen auf der Insel gibt.“ Dan stieß den Profos an. „Da, was ich dir gesagt habe“, kicherte er. „Jetzt ist die Alte wieder da. Sieh sie dir an!“ Rechts neben Hasard saß der Papalagi, daneben eine Aualuma, groß und schlank gewachsen, mit schwarzen Samtaugen und Bronzehaut, und jetzt näherte sich eine ältere Frau, der vorn die Schneidezähne fehlten. Daß sie den Seewolf regelrecht anhimmelte, sah jeder, denn immer wieder
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kreuzte sie auf, suchte die besten Stücke aus und überreichte sie Hasard. Dabei warf sie der anderen Frau neben Hasard unfreundliche Blicke zu. Der Seewolf fühlte sich in dieser Rolle nicht gerade wohl. Er hatte zwar eine unbeschreibliche Schönheit neben sich sitzen, die ihn ebenfalls anhimmelte, aber er sah das stille Grinsen auf den Gesichtern seiner Männer und ließ fünfe gerade sein. Gut, sollten sich die Kerle einmal richtig amüsieren, was konnte er schließlich dafür, wenn ihm das alte Mädchen ständig nachlief? Sie mühte sich sichtlich, ihn zu füttern und zu versorgen, und er nickte ihr freundlich zu. Etwas später verschwand sie, als der Papalagi etwas zu ihr sagte, und von da an fiel den Seewölfen auf, daß nur noch junge Männer und Frauen an dem Fest teilnahmen. Die älteren waren ausnahmslos verschwunden. Das schien hier so Sitte zu sein. Nur der Papalagi als Stammesältester blieb da. Etwas später klatschte er laut in die Hände und rief: „Upa-upa, Hiva!“ Die Aualuma, die ungeniert mit den Seewölfen schmusten, erhoben sich und gingen in frivolen Bewegungen auf den Tanzplatz zu. Der Rhythmus der Pehu veränderte sich, er wurde dumpfer, und immer, wenn die Trommeln geschlagen wurden, ertönte ein lauter Schrei der Musiker dazu. Der Tanz, der nun begann, war eindeutiger Natur und stellte eine einzige Aufforderung dar. Die Aualuma zeigten zu der Musik sinnliche Gesten, drehten sich, blickten herausfordernd die Männer an und winkten ihnen zu, auf den Tanzplatz zu folgen. Einige der Seewölfe zierten sich noch, und wieder war der noch fast tropfnasse Kutscher der erste, der aufsprang. Er hatte schon eine Menge getrunken, und jetzt hielt ihn nichts mehr. „Seht mal diesen lausigen Kombüsenhengst“, sagte Carberry. „Mitunter kriegt er vor lauter Gescheitheit das Maul nicht auf und gibt sich so
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zurückhaltend. Und jetzt hüpft er rum wie ein angestochener Karnickelbock.“ „Ja, ja, stille Wasser sind tief“, sagte Gary Andrews geistreich. Der Kutscher, leicht benebelt von dem vielen Kawa, drehte sich wie ein Irrer im Kreis, hüpfte um die Aualuma herum, die sich köstlich amüsierten, und kniff ihnen in den Hintern, wenn er mit markigen Schreien über den Tanzplatz raste wie ein Derwisch. Die Seewölfe brüllten und tobten vor Lachen, als der Kutscher seine Soloeinlage gab. Hasard seufzte tief auf. Jetzt hatte sich die Atmosphäre restlos gelockert, jeder soff Unmengen Kawa oder Palmwein in sich hinein, und nichts konnte diese Burschen mehr halten. Es war, als hätte die Hölle all ihre Teufel ausgespien und losgelassen. Der Seewolf war jedoch tolerant genug, um die Männer gewähren zu lassen. Wenn sie morgen wieder auf dem Posten waren, war alles in bester Ordnung, und daher sollten sie sich ruhig austoben. Er war kein Prediger, der lockere Moral nicht duldete. Himmel, sie waren ausgewachsene Kerle, und er hätte sich für seine Crew geschämt, wenn sie dümmlich herumgesessen hätte. Also ließ er den Dingen freien Lauf und genierte sich auch nicht, mit der Schwarzhaarigen zu flirten, die ihn ständig umgarnte. Siri-Tong würde bestimmt nicht mit dem Spektiv an Deck stehen und sie beobachten. Als Halbasiatin war sie nicht unbedingt prüde. Der Tanz ging weiter, und gleich darauf, den unmißverständlichen Aufforderungen der Aualuma folgend, schlich einer nach dem anderen auf den Tanzplatz, angestachelt durch den aufreizenden Trommelwirbel und noch mehr angefeuert durch die eindeutigen Gesten der bildhübschen Insulanerinnen. Ihre Devise war, daß man sich den Sitten und Gebräuchen der Einheimischen anpassen mußte, denn schließlich genossen sie die Gastfreundschaft der Insulaner, und es würde sie sicher unangenehm berühren, wenn sie nicht mitmachten.
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Die Aualuma verrenkten die Glieder, ihre Brüste wippten, sie stießen heisere Schreie aus und versetzten sich durch den Tanz, durch die Musik und den Kawa in einen Rauschzustand. Dann bildeten die Mädchen einen Kreis, umringten die Seewölfe, gingen auf sie zu, bis sie sie berührten, und lösten sich wieder. Stenmark und Sam Roscill legten den Tanz mehr auf die europäische Art aus und packten ihre Tänzerinnen um die Hüften. Das schien den Aualuma zu gefallen, sie schmiegten sich eng an, schmusten und raunten den Männern heisere Worte ins Ohr. „Wenn ich nur wüßte, was die immer zu mir sagt“, meinte der Kutscher nach einer Weile halb erschöpft. „Leg's doch aus, wie du willst, du Blödmann!“ schrie Smoky übermütig. „Ich habe die Sprache längst kapiert.“ Er ließ seine Tänzerin stehen, wetzte zur Tafel, goß sich kühlen Palmwein in den Hals und kehrte wieder zurück. Sam Roscill, der mit seiner Aualuma aneinanderklebte, als hätte man ihn angeleimt, grinste das Mädchen lüstern an. „Weißt du nicht ein Plätzchen, wo es schön dunkel ist?“ fragte er. „Die Fackeln blenden mich so.“ Gary Andrews grinste, als er das hörte, und starrte Ben Brighton an, der mit einer langbeinigen Schönheit tanzte. Brighton schüttelte grinsend den Kopf, tanzte aber weiter. „Ausreden hat der Kerl“, sagte er. „Die Kleine versteht doch sowieso kein Wort.“ „Aber sie versteht seine Blicke“, sagte Gary. Ferris Tucker hatte seinen Tanz für eine kurze Zeit unterbrochen. Carberry ebenfalls, und so standen die beiden Männer vor der Tafel und griffen wahllos in die Früchte, von denen immer noch mehr als die Hälfte übrig war. „Wo ist denn unser Moses?“ fragte Ed. „Der Kerl hüpfte gerade an mir vorbei, aber seit einer Weile ist er spurlos verschwunden.“
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„Er hat ganz schön gebechert. Vielleicht liegt er irgendwo besoffen hinter den Büschen.“ Carberry griff nach einer Kanne mit Palmwein, hob sie hoch und ließ sich den grünlichen kühlen Wein in die ausgedörrte Kehle plätschern. Er schluckte kaum, das Zeug rann einfach seinen Hals runter. „Sucht ihr jemanden?“ fragte Jeff Bowie mit glasigen Augen. „Der Moses ist weg“, sagte Ed. Jeff Bowie langte mit dem spitzen Haken seiner Prothese zu und zog sich eine dicke Ananasscheibe von der Tafel. Noch kauend, begann er infam zu grinsen. „Der ist mit einem Mädchen abgehauen“, sagte er. „Angeblich zu einer Strandwanderung, er war ganz nüchtern.“ Ed und Ferris blickten sich vielsagend an. „So, Strandwanderung“, meinte der Profos. „Bestimmt wollen sie sich das Wrack der ,Kap Hoorn` ansehen.“ „Ganz bestimmt“, versicherte Jeff. „Was gibt es Schöneres als ein Wrack beim Mondschein unter Palmen?“ Die alleingelassenen Tänzerinnen erschienen. Eine hängte sich beim Profos in den Arm, die andere umklammerte Ferris Tucker, als wäre sie am Ertrinken. Carberry hub die samtene Schönheit mit einem Ruck auf seinen Arm. Sie biß zärtlich in sein Ohr und legte ihm die Arme um den Hals. „Hast du schon mal ein Wrack bei Mondschein gesehen?“ fragte Ed. Verliebtes Lachen antwortete ihm. Er hielt sie immer noch wie eine Puppe auf dem linken Arm, griff mit der rechten Hand wieder nach dem Palmwein und trank einen langen Schluck. „Nein?“ fragte er. „Das muß ich dir zeigen. Dieser Hakenkerl hier behauptet, es gebe nichts Schöneres!“ Er ließ die beiden verblüfften Männer stehen, grinste noch einmal, und schon war er verschwunden. Ferris Tucker räusperte sich. „Na ja“, sagte er zu dem verdutzten Jeff. „Als Zimmermann interessieren mich ganz besonders die Holzarten auf dieser Insel. Die muß ich mir mal ansehen.“
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„Die Holzarten?“ fragte Jeff begriffsstutzig und schwankte leicht. „Du denkst immer nur an deine Arbeit.“ „Ja, so bin ich eben“, sagte Ferris, hieb dem verblüfft vor sich hin blickenden Jeff auf die Schulter und verschwand ebenfalls mit seiner Schönen. Gleich darauf hatte ihn die Dunkelheit geschluckt. Jeff Bowie, der den Kanal schon reichlich voll hatte, schwankte an der Tafel hin und her. Wenn er zum Wasser blickte, sah er die dunkle Silhouette der „Isabella“. In der Bucht schien ein starker Wind zu wehen, denn das Schiff schwankte wild, hob und senkte sich auf und nieder. Er griff zur Kanne, goß sich Palmwein in den Hals und wunderte sich, daß der Sturm an Heftigkeit zunahm, obwohl die Palmen ganz ruhig standen. Zwar standen sie mitunter auf dem Kopf, aber sie stellten sich immer wieder richtig auf, die Wedel nach oben. „Ei — ein Paradies ist das“, murmelte er, „ei — ein richtiges Radapies das ist.“ Dann musterte er ab. Grinsend fiel er um und blieb im Sand liegen. Die Aualuma, die sich um ihn bemühte, hatte alle Hände voll zu tun, ihn wieder auf die Beine zu bringen. Das Spektakel am Strand ging weiter. Die mal eben verschwunden waren, erschienen wieder, aßen und tranken weiter und tanzten. Das Gebrüll und Gejohle mußte deutlich auf der „Isabella“ zu hören sein. Mittlerweile wanderte der Mond weiter. Es war schon weit nach Mitternacht, doch wenn die Polynesier feierten, dann stand die Zeit still, und das imponierte den Seewölfen, zumal Hasard nicht zum Aufbruch mahnte. Er unterhielt sich immer noch gestenreich mit dem Papalagi und flirtete nebenbei mit der Schwarzhaarigen. Ab und zu reichte sie ihm Palmwein oder Kawa. Die Aualuma konnten von den bärenstarken Seewölfen nicht genug kriegen und wunderten sich, daß diese Männer so unheimlich soffen und sich dabei noch einigermaßen gesittet benahmen. Kein Insulaner hätte diese
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Mengen verkraftet, ohne für die nächsten drei Tage restlos betrunken zu sein. Die Seewölfe aber hieben rein, und außer Jeff Bowie und Luke Morgan standen sie noch sicher auf den Beinen. Al Conroy, der Waffen- und Stückmeister, ließ sich ebenfalls nicht lumpen. Die Insel und ihre Schönheiten hatten es ihm abgetan, und er war sichtlich aufgekratzt. Sie alle aber übertraf der Kutscher, den man dem Augenschein nach eher für seriös oder vornehm halten konnte. Seine gute Kinderstube, die ihm Sir Freemont angeblich beigebracht hatte, war vergessen. Er brüllte am lautesten, tanzte wie ein Verrückter, soff auf Vorrat >und belustigte die gesamte Crew mit seinen tänzerischen Einzeldarbietungen. Auch der Moses war wieder zurück, und auf seinem jungenhaften Gesicht lag ein verträumter Ausdruck. Er hockte auf dem Boden; hatte eine junge Aualuma im Arm und freute sich seines Lebens. Er hätte schon längst Jungmann sein müssen, denn er war schon einige Jahre auf der „Isabella“ und älter als zwanzig, aber er war eben der Moses, weil er der Jüngste war, und er war mit dieser Rolle auch mehr als zufrieden. „Nun sieh dir diesen Meisenarsch an“, sagte Ed zu Ferris, die alle beide ebenfalls wieder zurück waren, der eine; um das Wrack zu besichtigen, der andere, der sich angeblich für die Holzarten der Insel interessierte. „Der sieht aus wie ein verliebter Kater.“ Laß ihn doch, er ist ein feiner Bengel, er erfreut sich an dem Fest.“ „Hast du Dan gesehen?“ „Der hat das Mädchen aus den Bergen wieder getroffen“, sagte Ferris. „Der hat bloß ein paar Früchte in sich reingestopft, und dann ist er mit ihr abgehauen.“ „Zur Bergbesichtigung“, sagte Carberry trocken. „Diese Insel hat ja ganz verdammte Besonderheiten aufzuweisen, das muß ich schon sagen.“ „Wirst du wohl selbst gemerkt haben, oder?“ „Allerdings“, erwiderte Ed grinsend. Er zeigte auf die Hibiskusblüte neben sich.
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Von den polynesischen Männern waren einige ebenfalls verschwunden. Zwei andere trommelten immer noch unermüdlich und hatten glasige Augen, ein paar andere lagen still im Sand und rührten sich nicht mehr, sie hatten sich zu sehr am Palmwein gelabt. Das Fest erreichte keinen toten Punkt, es gab keine Unterbrechung, pausenlos ging es weiter. Es wurde immer noch gelacht, gescherzt, getrunken und gegessen. Jeder, der Wieder Appetit verspürte, ging zur Tafel und bediente sich. Erst als ganz zarte Schleier den nahenden Tag verkündeten, erhob sich der Seewolf. „Verabschiedet euch für heute“, sagte er. „Einmal hat jede Feier ein Ende.“ Niemand murrte, sie hatten auch genug, und einige der Aualuma waren erschöpft und hatten sich zwischen die Büsche zum Schlafen gelegt. Nur der Moses und Dan O'Flynn waren nicht zu finden. Die letzte Umarmung, heiße Schwüre, getauschte Küsse, dann ging es an Bord zurück. Die Sonne schickte sich an, den Himmel zu erobern. 7. Fünf Stunden Schlaf hatten den meisten genügt, dann waren alle wieder auf den Beinen. Der Palmwein und der Kawa hatten keine schweren Köpfe hinterlassen. Allerdings gab es dicke Klüsen, und zum Arbeiten hatte keiner so richtig Lust. Aber Hasard ließ noch einen faulen Tag dranhängen, wie er sagte. Es gab ohnehin nicht viel zu tun auf der „Isabella“, denn sie blitzte vor Sauberkeit. Der Strand war wie leergefegt, bis auf zwei Gestalten, die da entlang schlichen und dann stehenblieben. „Dan und der Moses“, sagte der Profos grinsend. „Die haben sich doch, weiß Gott, aus einer der Hütten geschlichen, wenn ich das richtig gesehen habe.“ „Sie wollten sie vermutlich besichtigen“, sagte Ferris sanft.
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„Und sind darüber eingeschlafen“, höhnte Ed. „Durchaus verständlich. Hier hat ja jeder was Neues entdeckt.“ „Jedenfalls war es heißer als bei den Eskimos“, sagte Jeff Bowie, der immer noch leicht angeschlagen an Deck herumstolperte. Die beiden am Strand blickten zur „Isabella“, dann marschierten sie ins Wasser und schwammen einträchtig nebeneinanderher, bis sie das Schiff erreichten. Sie enterten auf und räusperten sich verlegen. „Habe gar nicht gemerkt, daß das Fest schon vorbei ist“; sagte Dan. „Ich auch nicht“, sagte der Moses Bill unschuldig. „Ich habe mich wohl verirrt und bin in einer Hütte wieder aufgewacht.“ „Natürlich“, sagte der Profos, „um das Hüttenleben der Insulaner zu studieren, was, wie?“ „Ich weiß wirklich nicht“, erwiderte Bill kläglich und sah den Profos treuherzig an. Auch Dan war um Ausreden nicht verlegen und verfiel auf die tollsten Ideen. Er sah in grinsende Gesichter. O ja, die Kerle hatten vollstes Verständnis, dachte er, bis auf einen, und das war sein Dad, der unfreundlich und grantig am Schanzkleid lehnte und seinen Sohn giftig ansah. „Bist du jetzt endlich zufrieden, du lausiger Hurenbock?“ fragte Donegal gallig. „Sehr, Dad. Und vielen Dank, daß du an Bord geblieben bist. Das wäre für dich viel zu anstrengend gewesen.“ Diese Frechheit verschlug dem alten O'Flynn glatt die Sprache. Er drehte sich erbittert um und wandte ihnen den Rücken zu. Der Kutscher erschien und zog indigniert die Augenbrauen hoch. „Ich habe noch kalten Tee“, sagte er. „Falls ich einen der ehrenwerten Gentlemen zum Frühstück bitten dürfte.“ Carberry lachte dröhnend. „Kalten Tee“, sagte er. „Den kannst du dir selbst in den Hals gießen. Wer trinkt nach einer solchen Nacht schon kalten Tee? Aber du könntest uns dein Tänzchen von
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heute nacht noch einmal vorführen, Kutscher. Das hat uns allen mächtig imponiert, als du wie ein wilder Ziegenbock da herumgehüpft bist.“ „Ich?“ fragte der Kutscher empört. „Bei dir piept es wohl? Klar, ich habe auch mal getanzt, aber von wegen Ziegenbock und so! Das existiert höchstens in deiner Phantasie.“ „Das streitet der doch glatt ab“, sagte Ed entrüstet. „Dabei haben es alle gesehen.“ Der Kutscher wollte davon jedoch nichts wissen und verzog sich wieder in seine Kombüse. Am späten Nachmittag begann aus den Bergen plötzlich eine Trommel zu dröhnen. Man hörte es bis weit in die Bucht hinaus. Hasard sah zum Ufer hin, wo die Insulaner auftauchten. Allen voran rannte der Papalagi gleich darauf zu einem Auslegerboot, wurde von zwei jungen Männern begleitet und sprang hinein. „Was mag das wohl zu bedeuten haben?“ fragte Hasard. „So wild haben die sich doch noch nie gebärdet.“ Die Begleiter des Papalagi trieben das Auslegerboot durch die schwache Brandung der „Isabella“ entgegen. Etwas später legten sie an, und der Papalagi kletterte mit der Behendigkeit eines jungen Mannes an Bord. Er sprudelte in schneller Folge Worte hervor und war sehr aufgeregt. Immer wieder deutete er zum Horizont. Hasard deutete fragend auf die „Isabella“, und diesmal nickte der Papalagi eifrig und zeigte wieder zum Horizont. „Offensichtlich haben sie ein Schiff gesehen“, meinte er zu Ben. Er blickte zum Großmars hinauf, wo der Schwede Stenmark seinen Beobachtungsund Ausguckposten eingenommen hatte. „Siehst du etwas an der Kimm, Sten?“ fragte der Seewolf. „Keine Spur, Sir, hätte ich längst gemeldet.“ „Weiter genau aufpassen!“ „Aye, aye, Sir.“ Dann begriff er, was der Papalagi zum Ausdruck bringen wollte.
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Seine Späher in den Bergen hatten ein Schiff entdeckt, das auf die Insel zuhielt. Aus der Höhe hatte es die Krümmung der Kimm scheinbar schneller überwunden, und man konnte es aus dieser Höhe früher sehen als auf der „Isabella“. Folglich mußte das Schiff auch in Kürze vom Großmars aus sichtbar sein. Er zeigte dem Papalagi, daß er verstanden hatte, und demonstrierte ihm mit beiden Fäusten lachend einen Zusammenstoß zweier Schiffe. Daraufhin kniete sich der Papalagi an Deck und flehte um den Beistand der Götter. „Wenn es unser onkelhafter Don Alfredo ist“, versicherte Carberry grimmig, „dann werden wir seinen Göttern schon die Arbeit abnehmen.“ „Schiff klar zum Gefecht!“ rief der Seewolf. „Alles überprüfen, bei Meldung aus dem Mast alle auf die Stationen.“ Der Papalagi erhob sich und starrte mit staunenden Augen um sich. Da herrschte plötzlich eine Emsigkeit, die er keinem Menschen zugetraut hätte, ganz besonders keinen, die eine ganze Nacht durchgefeiert und soviel getrunken hatten. Aber er hatte Angst, und auch als Hasard ihn beruhigen wollte, gelang das nicht. Der Papalagi enterte ab, ließ sich in das Auslegerboot hinunter und fuhr zum Strand zurück, wo immer noch die Insulaner standen und über das Wasser blickten. Ein Spanier war es in jedem Fall, sann Hasard, denn es war eine ganze Meute unterwegs, etwa sechs Schiffe, die jetzt kamen, um von den Inseln die Brotfrucht zu holen. Sinnend blieb der Seewolf an Deck stehen und überlegte. Dann war sein Plan gefaßt. Er rief den Profos zu sich. „In ein paar Stunden ist es dunkel, Ed“, sagte er. „Wenn wir Glück haben, erwischen wir eine günstige Zeit.“ „Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, Sir.“ „Ganz einfach, wir beide werden, falls es sich wirklich um die ,Patria' handelt, unserem guten Freund entgegensegeln, und zwar mit dem kleinen, schnellen Boot.“
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Carberry hatte noch nicht den richtigen Durchblick. „Unbewaffnet in dem kleinen Boot?“ fragte er ungläubig. „Ja, wir segeln auf ihn zu und bieten uns als Lotsen an, die ihn durch die Korallen bringen, die er noch nicht kennt.“ „Und du glaubst wirklich, er tut das, Sir?“ „Klar, wir sind doch seine spanischen Freunde, und wir sagen ihm, daß wir bereits mehr Brotfrüchte ausgegraben haben, als wir laden können. Das wird dem guten Onkel Alfredo mächtig imponieren. Und dann lassen wir seine lausige Galeone knallhart auf das große Korallenriff dort draußen auflaufen. Danach können wir ihm dann die Haut in Streifen und so weiter, du weißt schon!“ Carberry hieb mit der Hand auf den Handlauf des Schanzkleides und begann zu lachen. „Sir, das ist eine feine Überraschung“, sagte er. „Und so ganz nach meinem Geschmack. Wenn es jetzt aber nicht die ,Patria' ist, sondern ein anderes Schiff?“ „Dann werden wir ihn mit aufgezogener spanischer Flagge freudig erwarten, die Stückpforten hochziehen und ihm eine volle Breitseite servieren. So oder so, sie alle werden eine höllische Überraschung erleben, denn dieses frohe Inselvölkchen soll nicht unter den Dons zu leiden haben.“ „Ganz meine Meinung, Sir.“ „Wahrschau, Deck!“ schrie Stenmark. „An der Kimm tauchen Masten auf. Genauen Kurs auf die Insel.“ „Die Waffen in Ordnung, Al?“ fragte der Seewolf den Stückmeister. „Geladen, überprüft, feuerbereit“, erwiderte Al Conroy. „Sag Ferris, er soll noch einmal nach dem Boot sehen, Ed. Es muß einwandfrei in Ordnung sein. Er soll auch noch zwei oder drei seiner Höllenflaschen hineinpacken.“ Carberry flitzte los. Hasard hatte noch Zeit. Von Deck aus sah man die Aufbauten des Schiffes noch nicht. Nur ein winziger Punkt war zu erkennen. Er nahm vom Achterkastell das Spektiv mit und enterte auf.
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Eine halbe Stunde später hatte er die Gewißheit. Durch das Spektiv sah er, daß es die „Patria“ des ehrenwerten Don Alfredo war, die da heransegelte und Kurs auf die Insel hielt. Im Geiste prägte er sich noch einmal die Riffe ein, die sie bei der Herfahrt bemerkt hatten. Das gefährliche und fast unsichtbare große Korallenriff lag ziemlich weit vor der Bucht, von See aus gesehen rechts. Wenn die „Patria“ da aufbrummte, war für Don Alfredo der Traum von der Brotfruchtpflanze und der Unterjochung der Insulaner ausgeträumt. Dann konnte er neben der „Kap Hoorn“ Quartier beziehen und ihr Gesellschaft leisten. Hasard wußte nur noch nicht, wo er mit den Spaniern hinsollte, falls alles klappte. Vielleicht hatten sie auch noch auf Mooréa Platz, und später konnte sie ein Don einsammeln, den sie dann zum Teufel jagen würden, wenn sich die Gelegenheit bot. Zusammen mit dem Profos stieg er ins Boot. Die anderen Seewölfe waren informiert, jeder wußte, um was es ging, und es juckte sie schon mächtig in den Fäusten. Ben hatte solange das Kommando über die „Isabella“, und er wünschte ihnen noch einmal Glück. Hasard und der Profos segelten los. Das kleine Boot flitzte nur so über das Wasser, und langsam wurde die „Patria“ größer. Carberry rieb sich wieder die Hände, als die stark gelohten Segel des Spaniers immer größer wurden und erste Einzelheiten zu erkennen waren. „Der gute Don Alfredo“, sagte er. ..Wird das ein tränenfreudiges Wiedersehen, wenn er erst auf den Klippen sitzt.“ „Kurz vor dem Aufbrummen müssen wir verschwunden sein“, sagte Hasard. „Halte dein Messer bereit, damit wir die Leine des Bootes sofort kappen können.“ Jetzt hatte man sie gesehen, und Hasard sah, daß ein Mann sie vom Achterkastell aus mit dem Kieker beobachtete. Es konnte nur Don Alfredo sein. Der Seewolf begann zu winken, während Ed die Ruderpinne herumriß und einen
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Bogen lief. Er ging auf den anderen Bug und lief jetzt vor dem Spanier her. Dann nahm er das Segel weg. Don Alfredo hatte sie erkannt und richtig angenommen, daß etwas nicht in Ordnung war. Auf der „Patria“ fiel die Blinde, dann zwei Segel, das Schiff wurde merklich langsamer. Der Spanier winkte lebhaft zurück. Zwei Mann standen auf der Kuhl und fingen den Tampen auf, den Hasard ihnen zusammengerollt zuwarf. Eine Jakobsleiter wurde außenbords gehängt. Die beiden Seewölfe kletterten blitzschnell an Bord, grüßten auf spanisch wie alte Bekannte und wurden sofort zum Achterkastell geführt. Don Alfredo, der Ahnungslose, strahlte in liebenswerter Einfalt und reichte ihnen die Hand. „Buenas tardes“, sagte er. „Mein lieber Morena, willkommen! Haben Sie Sinona schon getroffen?“ „Wir sind ein Herz und eine Seele, mein lieber Don Alfredo“, sagte der Seewolf strahlend. „Aber die Zeit drängt, deshalb sind wir Ihnen entgegengesegelt. Sinona empfahl mir das dringend.“ Carberry stellte ungeniert die Höllenflaschen an Deck und grinste harmlos. Es waren dunkle Flaschen, und man sah ihren Inhalt nicht, der aus Pulver, gehacktem Blei und alten Nägeln bestand. „Das erkläre ich Ihnen später“, sagte Hasard auf Don Alfredos neugierigen Blick. „Lassen Sie aber bitte schon ein oder zwei Lunten entzünden und aufs Achterkastell bringen. Ich will Ihnen nur einen Trick Sinonas zeigen, vor dem die Kanaken unheimlichen Respekt haben. Übrigens, wir haben so viele Brotfruchtbäume ausgegraben, daß Ihre Leute sich ruhig auf die faule Haut legen können. Die Kapazität aller drei Schiffe wird kaum ausreichen.“ Don Alfredo strahlte. Ja, dieser Handelsfahrer, das war ein Kerl ganz nach seinem Geschmack. Der dachte nur an die Krone und half aus, wo er nur konnte. „Lassen Sie meinen Steuermann den Kolderstock übernehmen“, bat der
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Seewolf. „Deshalb kamen wir. Es gibt hier viele tückische, teils kaum sichtbare Korallenriffe, und ich möchte nicht, daß Sie hier aufbrummen. Sie können aber ruhig unter vollem Segelpreß weiterfahren, ich kenne den Küstenabschnitt mittlerweile, wir haben uns damit vertraut gemacht.“ Don Alfredo schöpfte nicht den geringsten Verdacht. Er zeigte sich gerührt und dankbar, und als Hasard auch noch betonte, daß „wir Spanier“ zusammenhalten müssen, da schmolz er wie Eis an der Sonne und überließ dem Profos den Kolderstock. „Wie haben sich die Insulaner verhalten?“ fragte er neugierig. „Sie sind geflüchtet und haben sich in den Bergen verkrochen. Die Insel ist fest in unserer Hand. Wir haben gestern schon ein überaus nettes Strandfest gefeiert, ohne behelligt zu werden. Ich soll Ihnen übrigens herzliche Grüße ausrichten.“ „Vielen Dank, mein lieber Morena“, sagte der Kapitän, und wieder geriet ihm sein Degen zwischen die Beine. Unterdessen stand Carberry am Kolderstock und segelte die „Patria“ jetzt wieder unter vollem Preß dem Strand entgegen. Don Alfredo dachte mit Unbehagen an die Korallenriffe und war heilfroh, zwei Lotsen bei sich zu haben, die ihr Handwerk nach so kurzer Zeit schon verstanden. „Wo ist denn die ,Kap Hoorn`?“ fragte er nach einer Weile ohne Zeichen von Mißtrauen. „Sie liegt hinter dem Buchtausläufer. Man sieht sie erst, wenn man in die Bucht einläuft. Sinona hatte nämlich leichte Berührung mit den Korallen, aber es war nur ein kleiner Schaden, der gleich behoben werden konnte. Aus diesem Grund habe ich mir auch den Küstenabschnitt so genau angesehen.“ „Sehr löblich, mein lieber Morena.“ Er ließ einen Mann aufs Achterkastell, der ein kleines Messingbecken brachte, in dem zwei Stücke Holzkohle glommen. Eine Lunte lag daneben.
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Die erste Spur von Unbehagen er schien auf Don Alfredos Gesicht. „Soll das etwa ein Feuerwerk werden?“ fragte er stirnrunzelnd. Hasard verkaufte ihm die Geschichte, so gut er konnte, und lachte dabei sorglos. „Nein, das sind Heuler“, sagte er. „Das hat mein Schiffszimmermann ausgeknobelt. Man entzündet die Lunte, und gleich darauf gibt es einen durchdringenden Heulton. Sie hätten mal sehen sollen, wie die Kanaken gerannt sind. Die dachten, der Teufel persönlich wäre hinter ihnen her.“ Don Alfredo begann zu lachen. Er lachte laut und dröhnend und hielt sich schließlich den Bauch. „Darauf bin ich gespannt“, sagte er. Hasard war auch darauf gespannt, aber anders als Don Alfredo. „Damit kündigen Sie Ihre Ankunft an, Don Alfredo“, sagte er. „Dann fürchten sich die Kanaken schon jetzt vor Ihnen. Es soll eine Demonstration der Macht werden, die wir haben.“ Dafür war Don Alfredo schon immer zu haben, und er klopfte dem Seewolf begeistert auf die Schultern. Das tückische Riff rückte näher, und Hasard befürchtete schon, der Ausguck der „Patria“ würde es bemerken. Aber jetzt setzte zu seinem großen Glück auch gleich die Dämmerung ein, und dann konnten sie die spanische Galeone aufbrummen lassen. Natürlich wollte er nicht, daß nichtsahnende Männer durch die Höllenflasche verletzt wurden, auch wenn es zehnmal Spanier waren. Aber die Dinger würden Verwirrung stiften, und das genügte. Sie hatten dann Zeit, sich in aller Ruhe zu empfehlen. Hasard sah sich die Seesoldaten an. Unter normalen Umständen wäre diese Horde an Land gestürmt und hätte alles niedergemacht, die Brotfrüchte gestohlen, die Aualuma geraubt oder vergewaltigt und ein Chaos in diesem Paradies hinterlassen. Nein, das durfte nicht passieren, die Dons mußten aus dieser lieblichen Ecke mit allem Nachdruck vertrieben werden. „Etwas mehr Steuerbord“, sagte Hasard zu Ed.
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Carberry bestätigte und hielt jetzt auf das Riff zu. „Schaumwirbel!“ schrie der Ausguck. „Genau voraus!“ „Wir segeln dicht dran vorbei“, sagte Hasard beruhigend. „Das täuscht hier mitunter, ich kenne mich aus.“ Der Ausguck schwieg, und der Seewolf warf dem Profos einen schnellen, unauffälligen Blick zu. Nur noch dreihundert Yards trennten sie von dem Riff. Hasard bückte sich, hob die Flaschen auf, nahm die Lunte und entzündete sie. Dann klemmte er sie unter die Stelle, wo der Kolderstock durch ein wulstförmiges Eisen lief. Die zweite stellte er auf das Deck dicht dahinter. Die Lunten glommen leicht und rauchten. „Gleich geht es los“, versprach Hasard. „Vorsichtig, Don Alfredo, gehen Sie nicht in die Nähe.“ Knapp hundert Yards noch, und die „Patria“ segelte immer noch mit allem, was sie an den Masten trug. In diesem Augenblick entschloß sich Don Alfredo, die ersten Segel wegzunehmen, denn schon lag die Bucht vor ihnen. „Los, Ed, ein schneller Satz!“ schrie der Seewolf auf englisch. Er blickte in entsetzte Gesichter. Don Alfredo, sah ihn gehetzt, verwundert und verblüfft zugleich an. Noch fünfzig Yards! Carberry ließ den Kolderstock sausen und stürmte los. Den Kurs der Galeone würde jetzt keiner mehr beeinflussen, es war zu spät. Mit einem wilden Satz flankten sie den Niedergang hinunter, liefen über die Kuhl und stießen zwei Seesoldaten um. Im selben Augenblick gab es eine dumpfe Explosion, und die erste Höllenflasche flog auseinander. Die zweite krepierte ebenfalls, und auf dem Achterkastell herrschte Panik. Eine Flamme züngelte auf, und alle rannten schreiend davon. Hasard sprang aufs Schanzkleid, dicht gefolgt von Carberry. Gedankenschnell
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sprangen sie von der Kuhl aus ins Boot, das bedrohlich schwankte. Der Profos säbelte den Tampen durch, und schon löste sich das kleine Boot von der „Patria“. Mit einem Ruck setzte er das Segel, genau in dem Moment, als die erstaunten Seesoldaten am Schanzkleid erschienen. „El Lobo del Mar läßt grüßen!“ schrie Hasard Don Alfredo zu, der wie ein Götze dastand und über Bord blickte. Befehle wurden gebrüllt, Spanier rannten brüllend durcheinander, und dann war es soweit. Die „Patria“ donnerte in die Klippen und segelte unter vollem Preß in das Korallenriff. Die Erschütterung war bis ins Boot zu hören. Lautes Krachen ertönte, aber erstaunlicherweise hielten die Masten, und es flog auch keine Rah. herunter. „Scheiße“, sagte Carberry grimmig. „Das gibt es doch gar nicht. Der Bock müßte in tausend Fetzen auseinanderfliegen.“ Hasard war genauso überrascht. Die Sonne war gerade untergegangen. und es wurde schnell dunkel. Die „Patria“ aber schwang leicht herum, sie zeigte ihr Heck, neigte sich einmal hart auf die Seite und lief weiter. Eine halbe Minute später blitzte es an ihrem Heck auf. Don Alfredo hatte die beiden achteren Drehbassen abfeuern lassen. 8. Der Eisenhagel rauschte über die See und riß Fontänen aus dem Wasser. Die beiden Schüsse lagen höchstens vierzig Yards von ihnen entfernt und bliesen Wasser hoch. Hasard blickte Carberry an. der Profos blickte zurück und begann lauthals zu fluchen. „Verstehst du das, Sir?“ brüllte er enttäuscht. „Ich glaube, ja. Wir haben in dem Atoll eine Korallenkette erwischt, die nur ganz schwach war, und die hat dieser lausige Mistkahn durch sein Tempo und seine Gewalt einfach durchbrochen wie eine
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Sperre. Es gibt keine andere Erklärung, es kann nur so gewesen sein.“ „Aber sie ist ganz sicher beschädigt.“ „Und sie zieht Wasser“, setzte Hasard bitter hinzu. „Aber das nützt uns jetzt nicht viel. Der Kerl weiß jetzt, wen er auf dem Hals hat. Verdammt noch mal!“ Über die nur leicht bewegte See orgelte etwas weg, und gleich danach folgte der dumpfe Knall. Diesmal feuerte die „Isabella“ aus ihren überlangen Culverinen hinter dem Spanier her, und die Siebzehnpfünder hieben mit gewaltiger Kraft durch die Luft. Aber hundert Yards hinter dem flüchtenden Spanier fielen sie wie faule Eier in die See und versanken. Die Distanz war zu groß geworden, denn jetzt segelte der Don weiter, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. „Zurück an Bord!“ befahl der Seewolf. Carberry hielt auf die noch weit entfernt liegende „Isabella“ zu, deren Geschütze jetzt nicht mehr aufblitzten. Al Conroy hatte vermutlich eingesehen, daß keine Treffer mehr zu erzielen waren, und er wollte nicht sinnlos Pulver vergeuden. Die ganze Strecke erging sich der Profos in lästerlichen Flüchen. Hasard ließ ihn fluchen, er kannte das. Nach dieser Enttäuschung mußte man sich erst einmal abreagieren. Ihm erging es genauso. Der Don hatte die sichere Niederlage vor Augen gehabt und war noch einmal davongekommen. Er hatte mehr als Glück gehabt. Hasards höhnischer Gruß hatte ihm dann den Rest gegeben, und jetzt segelte er dem Teufel ein Ohr ab, während die Dons sicher dabei waren, das Leck abzudichten. Wie es aussah, war ihm nicht viel passiert, und wenn sie einen guten Zimmermann an Bord hatten, dann würde er es schaffen, ohne viel Wasser aufzunehmen. Der einzige, mit an Sicherheit grenzende Erfolg war lediglich der, daß der Don leicht havariert war. Aber das zählte für einen Mann wie den Seewolf nicht. Als sie bis auf Rufweite an der „Isabella“ heran waren, rief der Seewolf mit lauter
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Stimme: „Deck! Wir gehen ankerauf, setzt die Segel, hopp, hopp!“ Hasard enterte auf, als sich das Ankerspill auch schon in Bewegung setzte. „Holt die Beiboote ein, bis auf das spanische!“ rief der Profos. „Und beeilt euch gefälligst, ihr Saufköppe. Hoch mit den Segeln, oder habt ihr nicht kapiert, daß uns der Don sonst durch die Lappen geht, was, wie? Wir werden dieses Rübenschwein wieder kriegen!“ „Verdammt noch mal!“ schrie Smoky vom Vordeck. „Die Trosse steht auf und nieder, aber der lausige Anker rührt sich nicht!“ „Was soll das heißen?“ fauchte Ed, der jetzt eine Stinklaune hatte und sich das auch anmerken ließ. „Er hängt irgendwo am Grund fest.“ Wieder ließ der Profos ellenlange Flüche vom Stapel. Mit riesigen Schritten durchquerte er die Kuhl, stieß Stenmark von der Spillspake weg und legte sich mit seiner ganzen gewaltigen Kraft auf die Spake. „Und wenn wir sämtliche Korallenriffe am Anker hängen haben!“ donnerte er. „Das Ding muß raus, sonst ist der Don weg. Stemmt euch gefälligst härter rein, ihr lausigen Vorpiekwanzen!“ Es half nichts, der Anker kam nicht hoch, die Trosse war zum Brechen gespannt, und das Spill rührte sich nicht mehr. Ed schrie und brüllte vor Wut. „Hoch mit allen Segeln!“ schrie er und scheuchte die Männer an die Nagelbänke. Schließlich, als auch das nichts half, entschloß er sich, die Trosse zu kappen. Wenn der Anker zum Teufel ging, konnten sie immer noch den von der „Kap Hoorn“ nehmen oder den Anker von Don Alfredo, falls die Galeone nicht versenkt wurde. Aber dann gab es doch einen gewaltigen Ruck, und die „Isabella“ schleppte ihren Anker über Grund. Carberry scheuchte sie wieder an das Spill, damit sie den Anker hieven konnten, und nach einer weiteren halben Stunde war er gelichtet. Inzwischen war der Don im Dunkel der Nacht verschwunden, aber sie kannten seinen Kurs, und sie würden ihn
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wiederfinden, das stand für den Seewolf fest. Diese Scharte Mußte wieder ausgewetzt werden. Hasard hatte selbst das Ruder übernommen und segelte in die Nacht hinaus. Ben Brighton stand neben ihm, und er fühlte, daß der Seewolf keine gute Laune hatte. „Ich habe fest damit gerechnet, daß von Don Alfredos Schiff nur ein Trümmerhaufen bleibt“, meinte er. „Aber es kann nur so sein, wie du sagtest, Sir: Das Schiff hat eine ganz dünne Korallenbank erwischt und sie abgerissen.“ „Ja“, sagte Hasard einsilbig. Mehr nicht. Spät in der Nacht entdeckte Dan O'Flynn den flüchtenden Spanier an der Kimm. Sofort wurde der Kurs leicht geändert und die Verfolgung wiederaufgenommen. Hasard ließ sich auch von Pete Ballie nicht am Ruder ablösen. Er steuerte die „Isabella“ mit einer Verbissenheit, die nur das Ziel kannte, dem Gegner eine Schlappe beizubringen. Immer wieder, besonders bei Nacht, passierte es, daß Don Alfredo entwischen konnte, und es war nur Hasards Spürsinn zu verdanken, daß sie ihn immer wiederfanden. Am dritten Tag endlich schrumpfte die Entfernung immer mehr zusammen. Die „Patria“ konnte nicht mehr entwischen, obwohl sie ein gutes und schnelles Schiff war. Aber sie war kopflastig geworden, und außerdem segelte die „Isabella“ schneller. Sie hatten die „Patria“ einzig und allein deshalb nicht eingeholt, weil sie immer wieder verschwunden war und wieder mühsam gesucht werden mußte. „Jetzt haben wir ihn“, sagte Hasard. „Wir segeln immer dichter auf. Ich glaube, daß die Kerle dort drüben Tag und Nacht an den Pumpen stehen und lenzen. Sie hat anscheinend doch mehr abgekriegt, als ich dachte. Morgen früh werden wir ihn schnappen.“ Am vierten Tag, der Morgen brach gerade an, wurde eine Insel gesichtet. Niemand kannte ihren Namen, aber auch hier ließen sich Berge und große weite Buchten
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erkennen, weiße lange Strände, hohe Palmen, Urwald. Der Don hielt auf die Insel zu und steuerte eine langgezogene Bucht an. Dann eröffnete er das Feuer aus den achteren Drehbassen auf die „Isabella“. „Das sind nur Schreckschüsse“, sagte Hasard lachend. „Die Entfernung beträgt noch fast eine Meile, der Kerl wirkt ja lächerlich.“ „In der Bucht wird er sich zum Kampf stellen“, sagte Ben mit überzeugter Stimme. „Wer weiß, fast glaube ich es nicht. Ich weiß nicht, welche Absichten er hat.“ Immer noch unter vollem Preß, genau wie bei Tahiti, jagte der Don in die Bucht. Sobald die Drehbassen wieder nachgeladen waren, feuerte er, aber die Distanz war immer noch zu groß. Durch das Spektiv sah der Seewolf, daß sich die Seesoldaten alle an Deck versammelt und Aufstellung bezogen hatten. „Der gute Don scheint verrückt zu sein“, vermutete Dan O'Flynn. „Der kann doch nicht mit vollem Preß in die Bucht dreschen! Der segelt ja bis in den Urwald.“ „Das verstehe ich auch nicht“, sagte Hasard kopfschüttelnd. „Anscheinend hat er vor Angst den Verstand verloren.“ Die „Isabella“ war gefechtsbereit, und schon sehr bald würden ihre überlangen Rohre die Distanz zum Gegner überbrücken können. Von der „Patria“ löste sich nur noch ab und zu ein Schuß. Meist war es grob gehacktes Blei, das ihre Drehbassen ausspien. Es richtete jedoch keinerlei Schaden an. Jeder rätselte daran herum, was Don Alfredo veranlaßte, mit vollen Segeln Kurs auf den Strand zu halten. Selbst wenn die Galeone mit verklemmtem Ruder lief und sie den Kurs nicht mehr beeinflussen konnten, mußte sie doch zumindest die Segel wegnehmen. Aber das tat sie nicht. „Die Kerle haben sich alle auf dem Achterschiff versammelt“, sagte der Profos. „Keins der Rübenschweine rührt
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auch nur einen Finger, um die Katastrophe aufzuhalten. Na ja, jetzt ist es gleich zu spät, die brummen auf und segeln quer durch die Insel.“ Hasard änderte noch einmal den Kurs, weil er nicht die gleiche Stelle anlaufen wollte wie die „Patria“. Er segelte etwas dichter auf und blieb dann ins der Luvposition auf Parallelkurs. Für ihn war offensichtlich, dass Don Alfredo sein Schiff mit voller Absicht auf den Strand jagte, um es aufzusetzen. Dann sahen sie fassungslos zu, wie sich jeder der Seesoldaten einen festen Halt verschaffte, um nicht umzufallen, wenn der Anprall erfolgte. Es war ein beklemmender Anblick, wie die Galeone durch die Bucht rauschte, wie von Geisterhänden gesteuert, und dann auflief. Sie stoppte aus voller Fahrt abrupt, bäumte ihr Achterkastell hoch auf, warf die Rahen ab wie ein alter Baum die Früchte und zerfetzte die Segel. Ein gewaltiger Ruck schleuderte die Masten nach vorn, die wie Zahnstocher abknickten und wegbrachen. Das Krachen, Bersten und Splittern klang den Seewölfen überlaut in den Ohren, und noch immer wollte keiner so recht glauben, was er jetzt mit eigenen Augen sah. Auch Hasard sah sprachlos zu, wie die Selbstzerstörung begann. Das Schiff neigte sich hart zur Seite, und so blieb es liegen. Aber jetzt wurden in einer Eile, die selbst die Seewölfe nicht schafften, alle drei Boote abgefiert. Kräftige Fäuste zogen, zerrten und stießen die Boote über Bord, und sie waren kaum im Wasser, als die Seesoldaten wie die Wilden abenterten. „Wir gehen dort vorn vor Anker“, sagte Hasard. „Die werden ganz sicher keinen einzigen Schuß mehr abfeuern.“ Drei Kabellängen von dem Wrack der „Patria“ entfernt, ließ der Seewolf Segel wegnehmen und Anker setzen. Die kurze Zeit nutzten die Spanier, so gut es eben ging. Auf laut gebrüllte Kommandos flitzten die Dons in die Beiboote, setzten die Segel, griffen zu den Riemen und begannen zu pullen wie
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erfahrene Galeerensklaven. In einem der Boote erkannte Hasard den Kapitän Don Alfredo, der die Faust hob und sie in Richtung der „Isabella“ schüttelte. Hasard hatte die englische Flagge setzen lassen, und jetzt dippte der Moses grinsend einen Gruß zu den Spaniern hinüber. Das veranlaßte Don Alfredo zu noch schnellerer Flucht. Die drei Boote glitten durch die Bucht, immer schneller, hielten sich parallel zum Strand und jagten der Krümmung entgegen, wo ein riesiger Felsblock im Wasser stand. Von dort aus drehten sie ab, weg von der Insel. „In ein paar Meilen Abstand gibt es noch eine Insel“, sagte Dan. „Vermutlich sogar mehrere, und da werden sie hinpullen. Sollen wir ihnen nicht folgen?“ Hasard winkte verächtlich ab. „Was sollen wir mit den Feiglingen. Laß sie doch zum Teufel segeln! Ihr Schiff sind sie los, das ist vor allem wichtig. Sie können überhaupt nichts mehr unternehmen, sie haben keine Kanonen, kaum Pulver und nur ein paar Pistolen oder Musketen. Diesen Alfredo muß die Angst geradezu überwältigt haben, und so wählte er die für ihn günstigere Möglichkeit. Er läßt ein nutzloses Wrack zurück und verdrückt sich. Damit ist er erledigt.“ „Und kein Hund wird jemals ein Stück Brot mehr von ihm nehmen, wenn sich das herumspricht“, setzte Dan hinzu. Hasard verließ das Achterkastell und ging in die Kuhl. Der Profos grinste ihn an. „Ein schöner Kampf“, sagte er, „und von unserer Seite fiel nicht mal ein Schuß. Ein Kampf, den der gute Don Alfredo auf heroische Weise ganz allein gegen sich geführt hat. Da hauen diese Rübenschweine ab, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Hm, Sir, die Culverinen sind geladen, und wir liegen gerade günstig. Etwas muß ich mir von der Seele schießen. Versteh mich richtig, Sir, ich will die Kerle nicht treffen, ihnen nur mit ein,
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zwei Schuß etwas einheizen, damit sie noch schneller pullen.“ „Gut, zwei Schuß, Ed, aber wenn du die Boote triffst, hast du in ein paar Tagen noch mehr Narben im Gesicht.“ Carberry grinste, richtete die Culverine aus und peilte. Dann hielt er die Lunte an das Zündkraut, und der Siebzehnpfünder donnerte unter der üblichen Geräuschentwicklung hinaus. Den zweiten Schuß feuerte Al Conroy fast zur selben Zeit ab, nur um den Dons zu zeigen, daß sie sie ohne weiteres versenken konnten, wenn sie das nur wollten. Carberrys Kugel donnerte nur knapp zwanzig Yards vor dem vorderen Boot ins Wasser und ließ eine riesige Säule aufsteigen, die wie eine große Eisblume zusammenbrach. Conroys Schuß lag knapp hinter dem letzten Boot, und die Wassersäule überschüttete die Spanier, die sich ängstlich duckten. Die Seewölfe lachten, denn jetzt hatten die Kerle es noch eiliger und pullten noch wilder drauflos. Die beiden Siebzehnpfünder hatten ihre Nerven noch einmal flattern lassen. „Laßt das Boot zu Wasser“, sagte Hasard nach einem letzten Blick auf die Fliehenden. Er blickte zu dem nahen Ufer, aber da gab es keine Hütten. Nichts deutete darauf hin, daß diese Insel bewohnt war. Zumindest nicht dieser Teil der Insel, schränkte Hasard ein. „Ben, Ed und Dan“, sagte er. „Ihr fahrt an Land und wärmt den Strand ein wenig auf.“ Ed Carberry glaubte, nicht richtig gehört zu haben, und Ben Brighton stutzte ebenfalls, nur Dan hatte sofort begriffen. „Ich habe mal irgendwo gehört, daß spanische Galeonen ganz besonders gut brennen“, sagte der Seewolf. ..Wenn die Kerle schon ihre Galeone opfern, dann aber auch richtig. Sonst verfallen sie eines Tages noch auf die Idee, zurückzukehren, um sich aus den Trümmern Hütten zu bauen, und so bequem sollen die Dons es ja auch nicht haben. Durchsucht das Wrack nach etwas Brauchbarem. Vielleicht gibt es
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Roteiros, Spektive oder nautische Instrumente. Kann sein, daß sie etwas zurückgelassen haben, obwohl ich eher annehme, daß sie alles über Bord geworfen oder mitgenommen haben. Anschließend steckt ihr die Galeone in Brand.“ „Mit Vergnügen, Sir“, sagte. Ed. „Jetzt gleich?“ „Jetzt gleich!“ Die drei enterten ab. Der Kutscher gab ihnen ein Messingbecken mit glimmender Holzkohle. „Das wird ein Freudenfeuerchen geben“, sagte Carberry, als sie ablegten und zu der aufgelaufenen „Patria“ hinüberpullten. „Aber es ist tatsächlich besser, wenn der Kahn verbrannt wird, da hat der Seewolf ganz recht.“ Das Wrack hatten sie schnell erreicht. Aus der Nähe sah es noch schlimmer aus als von der „Isabella“ aus. Das Deck war ein einziger Trümmerhaufen aus zerfetzten Masten, Spieren und Rahen, die beim Aufprall große Löcher in die Planken geschlagen hatten. „Prächtig sieht das hier aus“, sagte Ben, „als hätte man alles kurz und klein geschossen.“ Sie begannen mit der Durchsuchung und nahmen sich die Kapitänskammer vor. Roteiros fanden sie nicht, auch keine nautischen Instrumente Alfredo hatte sie, wie der Seewolf ganz richtig vermutete, entweder über Bord geworfen oder mitgenommen, damit sie nicht in die Hände der Engländer fielen. Nun das konnten sie ihm nicht einmal verübeln, das hätte vermutlich jeder andere auch getan. Pulver fand sich genug, ebenso Kugeln in der Pulverkammer, aber das Kaliber stimmte nicht überein, und Pulver hatten sie selbst noch genug an Bord. „Das wird nachher um so besser brennen“, sagte Ed. Dann durchsuchten sie noch die anderen Räume, aber auch dort fand sich nur das, was sie selbst an Bord hatten, und Lebensmittel hatten die Dons ebenfalls ausgeräumt.
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In der Vorpiek, die sie dann besichtigten, stand das Wasser fast brusthoch. Durch kleine Risse im Rumpf konnte man den blauen Himmel erblicken. Unter Wasser schien sich ein größeres Leck zu befinden, das nicht ganz abgedichtet werden konnte. „Da ist er über die Korallen geschrammt“, sagte der Profos. „Er hat also doch ganz schön was abgekriegt.“ In einem anderen Raum fanden sie spanische Uniformen, Helme, Kürbishosen und Lederwesten. „Das kann man immer brauchen“, meinte Ed. „Das nehmen wir natürlich mit, wenn wir wieder mal Dons spielen. Pack das Zeug zusammen, Dan.“ „Auch die Helme“, sagte Ben. „Wir werfen sie an den Strand und nehmen sie nachher mit. So, mehr gibt es nicht zu holen. Du kannst den Kahn jetzt anheizen, Ed.“ „Mit Vergnügen.“ „Mit der Holzkohle geht es schneller“, sagte Ben grinsend. Der Profos holte noch ein kleines Fäßchen Pulver aus der Kammer und zog eine lange Spur damit. Das -hoch halbvolle Pulverfaß stellte er unter den Niedergang des Quarterdecks. „Alle Mann verlassen das Schiff“, sagte er. „Der Profos geht als letzter von Bord.“ Dann leerte er den Inhalt des Messingbeckens aus, und sofort fraß sich eine helle Flamme blitzartig über das Schiff. Ja, es würde gut brennen, das war sicher, und wenn die Stichflamme erst aus dem Fäßchen schlug, dann stand schlagartig auch das Achterschiff in Brand. Er ging ins Boot und pullte die paar Yards zum Strand. An Bord der „Patria“ begann es zu knistern und zu knacken, als das trockene Holz Feuer fing. Die an Deck liegenden Segel brannten zuerst, dann fingen die aufgerissenen Planken Feuer, und bald klang das Prasseln und Knacken immer bedrohlicher. Dann schoß vom Quarterdeck eine helle, zischende Feuersäule in den Himmel und setzte die Schmuckbalustrade in Brand.
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Die drei Männer standen am Strand und sahen zu, wie der Brand immer weiter um sich griff, wie er gierig das Holz zu fressen begann und sich schnell ausbreitete. „Die spanischen Galeonen brennen tatsächlich gut“, sagte Ed und drehte sich zu den beiden anderen um. Sein Grinsen erstarb ihm jedoch auf den Lippen. Noch bevor er einen Schrei ausstoßen konnte, um die anderen zu warnen, waren sie schon blitzartig über die drei Seewölfe hergefallen. Mindestens zwanzig braunhäutige Insulaner waren es, bewaffnet mit spanischen Entermessern und Schiffshauern. Carberry schlug um sich, aber gegen die Übermacht hatten sie nicht die geringste Chance. Etwas sauste auf seinen Schädel, und er blieb benommen stehen. Als er noch einmal rein instinktiv die Arme hochreißen wollte, hoben die Insulaner ihn einfach auf. Sechs, sieben Mann waren es, die ihn trugen. Genauso geschah es mit Dan und Ben Brighton. Sie konnten sich nicht mehr zur Wehr setzen und wurden von der Masse halbnackter brauner Leiber fast erdrückt und überrollt. Im Eilschritt ging es in das dschungelähnliche Dickicht. 9. „Offenbar haben sie nicht viel gefunden“, sagte Hasard, als Ed, Dan und Ben die auf der Seite liegende Galeone verließen. Erster Rauch quoll auf, dann sahen sie, wie die Flammen züngelten und das Feuer um sich griff. Die drei Seewölfe standen jetzt am Strand und sahen zu, wie die spanische Galeone vom Feuer gefressen wurde. „Segeln wir eigentlich wieder nach Otaheite zurück?“ fragte Big Old Shane den Seewolf. „Ich ...“, sagte Hasard, dann verschlug es ihm glatt die Sprache, und die Gesichter der anderen Männer versteinerten.
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Es ging alles so blitzschnell, daß für einen Warnschrei keine Zeit mehr blieb. Fassungslos sahen sie mit an, wie aus dem Dschungel der Bucht eine Horde Insulaner stürmte. Weder Ed noch die beiden anderen schienen sie zu hören, denn es ging blitzschnell und 'es geschah in gespenstischer Lautlosigkeit. Sie wurden so blitzartig überrumpelt wie selten zuvor, und sie konnten sich nicht einmal zur Wehr setzen. Der ganze Vorgang spielte sich in einer knappen Minute ab, dann war der Spuk so schnell verschwunden, wie er erschienen war, und mit ihnen waren auch die drei Seewölfe weg. Nur am Strand brannte jetzt lichterloh die Galeone. „Sind das Menschenfresser?“ fragte Bill entsetzt. Hasard zwang sich gewaltsam zur Ruhe. Nur nichts überstürzen, dachte er, eiskalt bleiben, so schwer es auch fiel. „Nein, das glaube ich nicht“, sagte er. „Hier scheint ein Mißverständnis vorzuliegen, das wir aber klären können. Runter mit dem anderen Boot.“ Die Seewölfe ergriff ein unbeschreiblicher Zorn, und die ersten waren schon dabei und wollten sich über Bord schwingen, als Hasards scharf er Zuruf sie stoppte. „Die Himmelhunde räuchern wir aus!“ schrie Luke Morgan mit hochrotem Kopf. „Gar nichts werdet ihr“, sagte der Seewolf. „Ich gehe allein an Land. Hier gibt es sicher ebenfalls einen Papalagi wie auf den anderen Inseln, und mit dem werde ich reden.“ „Das ist Wahnsinn, Sir!“ schrie Tucker. „Die bringen dich um, die schnappen dich auch!“ „Noch bestimme ich hier“, sagte Hasard ruhig. „Offenbar haben hier schon mal die Spanier gehaust, und die sind den Insulanern in unliebsamer Erinnerung. Behaltet also kühle Köpfe, ganz besonders du, Luke“, rief er dem Hitzkopf Morgan zu. „Die verwechseln uns mit Spaniern.“ „Die werden kaum einen Unterschied kennen“, murrte Ferris.
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Hasard blieb ruhig und gelassen und zeigte seine Besorgnis nicht, um nicht ansteckend zu wirken, denn die meisten waren rein aus dem Häuschen. Ebenso gelassen stieg er ins Boot, stieß sich ab und pullte zum Strand hinüber. Er zog das Boot hoch und lief am Strand entlang, vorbei an der lichterloh brennenden und qualmenden Galeone. Er hatte keine Waffe mitgenommen, bis auf das Entermesser, das er immer trug, und er konnte mit gutem Gewissen behaupten, daß er sich seiner Sache gar nicht so sicher war. Aber er wollte hier kein Blut vergießen, und wenn sie ihn ebenfalls überfielen, dann mußten Tucker oder Shane handeln, und sie würden schon das Richtige tun, dessen war er sicher. Dort, wo die wilde Horde verschwunden war, gab es einen breiten und ausgetretenen Pfad, der durch dichtes Gestrüpp führte. Zwischen den Palmen wuchs Blattwerk. Der Pfad wurde anscheinend täglich begangen, denn Hasard gelangte gut voran. Immer wieder blickte er sich um und wartete darauf, daß sie links und rechts aus den Büschen traten, doch es geschah nichts. Fast zehn Minuten lief er unbehelligt den Pfad entlang, der mitunter so schmal wurde, daß er dauernd ins Buschwerk trat. Dann erreichte er eine Lichtung und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Mindestens zwanzig Hütten standen dort, und die Insulaner blickten bösartig in seine Richtung. Seine Ankunft war längst avisiert worden, und wenn er freiwillig erschien, brauchten sie ihn ja nicht erst zu holen. An die Stämme dreier Palmen gefesselt, sah er Ben, Dan und Ed. Neben jedem stand ein Insulaner und hatte ihm ein spanisches Entermesser an die Kehle gesetzt. Alle drei grinsten trotz ihrer mißlichen Lage, als sie den Seewolf sahen, der jetzt von Eingeborenen rechts und links flankiert wurde. Auf dem Boden vor den Palmen hockte mit gekreuzten Beinen ein älterer, grimmig
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blickender Mann, der ihm starr entgegensah. Hasard hob zum Zeichen des Friedens die Hände und zeigte die leeren Handflächen vor. „Papalagi?“ fragte er. Der Alte stand auf, musterte den Seewolf, nickte dann und sagte schnell etwas in seiner Sprache, die Hasard nicht verstand. Jetzt kam das, was dem Seewolf Kopfzerbrechen bereitete. Er mußte dem Alten erklären, um was es ging und daß sie keine blutrünstigen Spanier waren. Er zeigte auf sein Entermesser, dann auf das der Insulaner und schüttelte den Kopf. Sie ließen ihn zu seiner Verwunderung unbehelligt, und der Papalagi versuchte zu begreifen, was dieser Fremde von ihm wollte. Hasard zeichnete mit dem Messer Schiffe in den Sand und brauchte eine halbe Stunde, bis der Papalagi endlich begriff, daß sie einen Spanier gejagt hatten und sein Schiff verbrannten. Trotz allem wurde es schwierig, denn nun begann der Papalagi seinerseits umständlich durch Gesten zu erzählen. „Rarotonga“, sagte er mit einer allumfassenden Bewegung, und das war der Name der Insel, und er bewies, daß die Insulaner ein Völkchen waren, das sieh heftig zur Wehr setzen konnte. Soviel Hasard begriff, war hier eine Galeone eingelaufen, und die Dons hatten sich ziemlich übel benommen. Immer wieder griff der Alte zum Messer und demonstrierte, daß man ihnen schließlich die Hälse durchgeschnitten, die Waffen abgenommen hatte und die Galeone geflüchtet sei. Anscheinend war dann ein anderer Don erschienen und hatte einen Rachefeldzug veranstaltet, wobei viele der Insulaner ums Leben gekommen waren. Aber er begriff den Unterschied zwischen Engländern und Spaniern nicht richtig, und Hasard erklärte es eine weitere Viertelstunde geduldig. Der Papalagi ließ von jungen, immer noch grimmig blickenden Männern Eisenkugeln bringen und zeigte sie Hasard, der erst auf sich wies und die Kugeln dann mit
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Abscheu zurückwies. Dann deutete er wieder auf die spanische Galeone, die er in den Sand gezeichnet hatte. Schließlich beriet sich der Papalagi mit den jungen Männern, und es wurde endlos lange palavert. „Die Kerle müssen doch gemerkt haben, daß wir einen Don jagten und den Kahn verbrannten“, sagte Ben von der Palme aus: „Versuche doch mal, ihnen das zu erklären, Hasard.“ „Das wird nicht einfach sein, aber natürlich werde ich es versuchen. Ihr Haß auf die Dons scheint grenzenlos zu sein.“ Der Papalagi kehrte wieder zurück, und das Palaver begann von neuem und zog sich in die Länge. Hasards Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, denn immer wieder gab es Mißverständnisse, die erst langwierig ausgeräumt werden mußten. Etliche Male betonte er, daß sie einen der Spanier verfolgt hätten, die die Insulaner belästigten. Und jetzt würde das Schiff am Strand liegen und brennen und die Spanier wären in einem Boot auf das Meer geflüchtet. „Himmel“, sagte Ed mit zusammengebissenen Zähnen, „begreift denn dieser Affenarsch das nicht!“ „Wenn er es nicht begreift, läßt Ferris oder Shane die Kameraden los, und dann geht hier die Hölle auf. Das möchte ich gern vermeiden, denn ich kann die Insulaner verstehen.“ Das Palaver, das nun wieder begann, regte Hasard auf. Jeder sagte etwas, zum Schluß schrien alle durcheinander, zeigten immer wieder auf die drei gefesselten Männer und dann auf Hasard. Aber die Stimmung war jetzt nicht mehr so böse, und auch der Grimm aus den braunen Gesichtern schwand langsam. Immer wieder verglichen die jungen Männer die Entermesser mit denen, die sie den Spaniern abgenommen hatten. Danach trat der Papalagi wieder vor und sprach zu Hasard, der bedauernd mit den Schultern zuckte. Er sprach schnell und lange mit ernstem Gesicht, zeigte auf die Männer, die sich alle versammelt hatten, deutete über die
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Insel und befahl zehn der jungen Männer zu sich. Hasard hatte kein Wort verstanden. Er wußte nicht, was der Stammesälteste zum Ausdruck gebracht hatte. Aber dann lächelte er erleichtert. Einer der jungen Männer trat vor und begann damit, die Stricke zu lösen, die den Profos an dem Palmenstamm hielten. Gleich darauf war er frei und kriegte auch sein eigenes Messer zurück. Dann fielen Bens Stricke, und schließlich wurde auch Dan O'Flynn befreit. „Das ist ja noch einmal gut gegangen“, sagte er erleichtert. „Wir glaubten schon, die Burschen würden erst ihr Spielchen mit uns treiben und dann heim zu den Göttern schicken.“ „Viel hätte nicht daran gefehlt“, sagte Ben. „Ich hatte angenommen, ihr würdet mit Feuer und Schwefel erscheinen.“ „Daran hätte auch nicht viel gefehlt“, erwiderte Hasard. „Was glaubst du, was das für eine Stimmung war, als die euch einfach wegschleppten! Aber ich denke, dieses war der bessere Weg.“ „Können wir jetzt verschwinden?“ fragte Carberry. „Sieht so aus, als würden uns die jungen Männer begleiten“, sagte Hasard. Der Papalagi gab ihnen durch Gesten zu verstehen, daß sie frei waren und die Lichtung verlassen konnten. Carberry grinste den Papalagi erleichtert an und verbeugte sich. „Vielen Dank, du verrunzelter Meisenarsch“, sagte er, wobei auf den Zügen des Papalagi ebenfalls die Andeutung eines Lächelns erschien. „Seht ihr, er versteht mich“, sagte Ed todernst. „Na, na“, meinte Hasard. „Er versteht sowieso kein Wort“, verteidigte sich Carberry, „dabei ist es ganz egal, was ich sage. Man muß es nur freundlich sagen, davon hängt alles ab.“ „Merkwürdige Ansichten hast du!“ Der Papalagi sah sie jetzt wohlwollend an, und Carberry überließ ihm in einem Anflug von Großmut sein Entermesser.
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Dan und Ben folgten seinem Beispiel, damit sie später immer den Unterschied zwischen spanischen und englischen Entermessern vor Augen hatten. Dann zogen sie los, begleitet von zehn schweigsamen' jungen Männern, die mit zum Strand gingen. Die spanische Galeone war zusammengesackt zu einem qualmenden Trümmerhaufen, aus dem noch immer Flammen schlugen. Die Insulaner standen davor und sahen sich die Überreste an. Es wurde wieder getuschelt und diskutiert, und einer nach dem anderen deutete auf die etwas weiter entfernt liegende „Isabella“, und dann palaverten sie von neuem. Carberry schnappte sich das große Boot und stieß es mit dem Riemen vom Strand ab. So bewegte er sich dicht am Ufer entlang. Die zehn Männer wichen immer noch nicht von ihrer Seite und begleiteten sie bis zu dem anderen kleinen Boot. Auf der „Isabella“ standen schweigend die Seewölfe und blickten aufmerksam und erleichtert herüber. Sie wußten zwar noch nicht ganz, wie das alles zusammenhing, aber sie sahen, daß ihre Kameraden wieder frei waren. Also hatte Hasards Mission Erfolg gehabt, und darüber waren sie froh. Hasard lud die zehn Männer durch Gesten ein, mit an Bord der „Isabella“ zu fahren. Aber sie berieten erst untereinander, so ganz schienen sie dem Braten nicht zu trauen. Doch dann trat einer zögernd vor, und die anderen folgten schließlich seinem Beispiel und kletterten in das große Boot. Immer wieder starrten sie die „Isabella“ an und verglichen sie in Gedanken wahrscheinlich mit den spanischen Galeonen. Hoffentlich bemerkten sie den feinen Unterschied, dachte Hasard. Als sie schließlich an Deck aufenterten, blieben sie stehen und wagten sich kaum zu rühren. Alles war neu, unbekannt und fremd für sie, und vermutlich hatten sie ebenfalls noch nie an Bord einer Galeone gestanden wie auch der Papalagi von Otaheite.
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Einer der Männer trat vor, zeigte zum Himmel und deutete an, daß es bald Nacht werden würde. Hasard nickte. Dann zeigte er durch Gesten weiter an, daß das Schiff noch hier liegenbleiben und erst dann fortsegeln solle, wenn wieder die Sonne erscheinen würde. „Den Gefallen können wir ihnen ruhig tun“, sagte Hasard. „Ich glaube nicht, daß sie etwas Böses planen.“ Davon waren auch die meisten anderen überzeugt, nur der alte O'Flynn warnte wieder einmal, diesmal jedoch vergebens. Der Seewolf ließ die Insulaner beschenken und verteilte auch an die Burschen Messer, die noch keine hatten. Bevor jedoch die Nacht hereinbrach, gingen sie wieder von Bord, und Ed brachte sie an Land zurück. Vor dem ausgebrannten Rest der spanischen Galeone blieben sie noch einmal stehen, dann verschwanden sie im Dickicht. Als die Sonne versank und die Dunkelheit hereinbrach, zogen finstere Wolken auf. Über die Insel blies heftiger Wind, der sich zu einem handfesten Sturm auswuchs und das Wasser tief in die Bucht hineintrieb. „Das müssen diese Burschen gerochen haben“, sagte Ed. „Deshalb haben sie uns wohl aufgefordert, heute noch hierzubleiben.“ „Ja“, sagte Ferris Tucker. „Die glaubten vielleicht, daß wir das bißchen Wind nicht unbeschadet überstehen würden.“ „Die kennen eben die englischen Galeonen noch nicht“, meinte Ben Brighton. Die Ankertrosse wurde überprüft, und Carberry ließ noch etwas weiter nachfieren, damit die „Isabella“ einen guten Halt hatte. Vier Wachen zogen auf, aber O'Flynns Spökenkiekerei erwies sich als grundlos. Kein Eingeborener ließ sich blicken, niemand hatte die Absicht, das Schiff zu überfallen. Bis auf den tosenden Sturm war es eine ruhige Nacht, und der hatte die Seewölfe noch nie sonderlich gestört. In dieser Bucht lagen sie außerdem ganz gut geschützt.
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„Was jetzt?“ fragte Ben am anderen Morgen, als die Sonne sich anschickte, den Himmel zu erobern. „Keiner weiß, wie es weitergeht. Wohin segeln wir, Sir?“ „Ihr möchtet natürlich alle gern wieder zurück, aber das kostet uns noch mal ein paar Tage.“ Der Profos druckste herum. „Wir haben uns noch gar nicht verabschiedet“, sagte er lahm. „Und dabei waren die Insulaner so nett.“ „Ganz besonders die Insulanerinnen“, verbesserte Hasard. „Richtig, die hätte ich bald vergessen.“, log Ed ungerührt. „Was sind für uns schon ein paar Tage, Sir?“ fragte der Moses, der ebenfalls gern zurückwollte, um seine Liebschaft fortsetzen zu können. Alle wollten sie zurück, jeder hatte andere lausige Argumente. Matt Davies verstieg sich zu der faulsten Ausrede. „Ich habe da mein Entermesser irgendwo verloren, Sir“, sagte er treuherzig. „Das ist natürlich ein schwerwiegender Grund“, sagte Hasard ironisch. „Aber wir befinden uns auf keiner Vergnügungsreise. Ich denke wir werden westwärts segeln.“ Protestgemurmel wurde laut, aber dann wurde dem Seewolf die Entscheidung auf eine recht merkwürdige Weise abgenommen. Hinter der Landzunge der Bucht tauchte ein Auslegerboot auf, hielt sich parallel zum Strand und hatte als Ziel ganz offensichtlich die „Isabella“. „Sie wollen uns wohl noch verabschieden“, meinte Ben. Das Auslegerboot hatte ein großes, dreieckiges Segel, und es bewegte sich leicht und schnell über das Wasser. Hasard erkannte sieben Männer darin. „Drei Weiße“, sagte Dan erstaunt. „Und vier Insulaner. Mann, das werden doch nicht etwa welche von den Dons sein, die es gestern so eilig hatten, zu verschwinden!“
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„Das ist höchst unwahrscheinlich“, meinte der Seewolf. „Die haben doch schon die Hosen voll, wenn sie uns nur an der Kimm aus der Ferne sehen.“ Rasch kam das Boot näher. Hasard erkannte auf Anhieb, daß es keine Spanier waren, die da unter den Insulanern saßen. Die Insulaner sahen auch anders aus als die Eingeborenen von Rarotonga, sie ähnelten mehr den Leuten von Otaheite, wenn man den kaum sichtbaren Unterschied bemerkte. Aber für Gesichter hatten Hasard und auch die Seewölfe schon immer einen Blick, und sie konnten sehr gut unterscheiden. Das Boot hielt weiter auf die Bordwand zu, und einer der Europäer richtete sich auf. „Ihr seid die Engländer, Sir“, sagte er. „Habe ich recht?“ Er sprach das Englisch der Cockneys, und diesmal war Hasards Verblüffung echt. „Ja, das sind wir“, antwortete der Seewolf erstaunt. „Dürfen wir aufentern, Sir?“ „Landsleute immer. Entert auf.“ Das Erstaunen wurde immer größer. Niemand hatte ein englisches Schiff gesehen, und jetzt erschienen drei Engländer zusammen mit vier Eingeborenen in einem Auslegerboot. Das war fast ein unglaublicher Zufall. Die drei Männer, mit Stoppelbärten im Gesicht, aber von kräftiger Gestalt, enterten etwas lahm auf, und als sie an Deck standen, wirkten sie, als hätten sie eine tagelange Reise mit dem Auslegerboot hinter sich. „Sind Sie der Kapitän, Sir?“ fragte einer. „Ja, Philip Hasard Killigrew. Willkommen.“ „Ihr Burschen seht ja halb verhungert aus“, sagte Ben Brighton. „Ich lasse euch etwas bringen.“ „Lassen Sie die Insulaner ebenfalls an Bord“, sagte Hasard. Die drei riefen etwas auf polynesisch hinunter, was .den Seewolf erneut wunderte, dann kletterten die vier ebenfalls hoch. Sie nannten ihre Namen. Einer von ihnen hieß Boyd, ein gedrungen wirkender Mann
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mit dunkelblonden Haaren. Er führte das Wort. „Sir, der Papalagi hat uns zu Ihnen geschickt“, begann er. „Wir wußten nicht, daß ein Engländer in der Bucht liegt.“ „Der Papalagi aus dem Dorf dort hinten?“ fragte Hasard. „Ja, es hat gestern anscheinend einige Mißverständnisse gegeben, so sagte er.“ ,,Sie sprechen die Sprache?“ „Nur ein wenig, Sir, nicht der Rede wert. Wir sind schon lange in dieser Ecke. Wir hatten uns vor ein paar Tagen aufgemacht, um die benachbarten Inseln um Hilfe zu bitten, das heißt natürlich, die Insulaner. Jetzt waren wir länger als drei Tage unterwegs, und heute nacht erwischte uns dieser lausige Sturm.“ Hasard, der sich immer noch über das Auftauchen der Engländer und die damit verbundenen Umstände wunderte, fragte: „Wo kamen Sie denn her?“ „Von Bora-Bora, Sir.“ „Ein eigenartiger Zufall. Wir sind vor ein paar Tagen noch in Otaheite gewesen, daher kenne ich die Insel dem Namen nach. Und Sie sind mit dem Auslegerboot die gewaltige Strecke gesegelt?“ „Kein Problem, Sir, man wird nur etwas kreuzlahm dabei. Außerdem rennen - die Dinger wesentlich schneller als ein großes Schiff.“ Alle Seewölfe hatten die Engländer unterdessen umringt und hörten staunend und ungläubig zu, was Boyd berichtete. Inzwischen hatte der Kutscher Brotscheiben und Getränke gebracht, und die Engländer wie auch die Insulaner ließen sich nicht zweimal bitten. „Um was geht es?“ fragte Hasard. „Eine üble Geschichte, Sir“, sagte Boyd. „Auf den polynesischen Inseln beginnen sich die verdammten Dons einzunisten, und sie werden immer frecher und spielen sich als die Herren der Inseln auf. Es ist zu schweren Kämpfen zwischen Engländern und Spaniern gekommen, und jetzt hat sich ein Größenwahnsinniger auf Bora-Bora niedergelassen, der die Insel beherrscht. Deshalb die Bitte und auch die unsere an
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die Insulaner, aber der Papalagi sagte, er könne nicht helfen, und verwies auf Sie.“ „Kämpfe zwischen Engländern und Spaniern?“ sagte der Seewolf leise. „Das paßt genau in unser Konzept. Erzählen Sie weiter. Was meint ihr dazu?“ wandte er sich fragend an die Crew. „Keine Frage, Sir. Den Halunken werden wir es zeigen, meinetwegen können wir gleich lossegeln.“ Sie alle waren schon mit Feuereifer bei der Sache und brannten darauf, bei diesen Kämpfen kräftig mitzumischen. Boyd erzählte weiter. „Der Größenwahnsinnige auf Bora-Bora nennt sich El Supremo. Er hat Landsleute von uns gefangengenommen. Und dieser Mistkerl hat jetzt vor, sie anläßlich eines Festes öffentlich zu opfern! Sie sollen sozusagen hingerichtet werden, wie er sich ausdrückte.“ Ed Carberry lief knallrot an. Er stellte sich vor Boyd und sah ihn grimmig an. „El Supremo?“ sagte er gedehnt. „Diesen Namen habe ich gefressen wie grüne Seife. Wenn ich das schon höre! El Supremo! Was glaubt diese verlauste Kanalratte eigentlich, was, wie? Diesem El Supremo werde ich persönlich die Haut in Streifen von seinem karierten Affenarsch abziehen, bis ihn seine eigene Mutter nicht mehr erkennt. Mein Wort darauf, Mister! Diesen komischen Vogel muß ich mir unbedingt ansehen, wenn es unser Kapitän gestattet.“ Die Empörung der Seewölfe wurde immer größer, als sie das hörten. Und Ed heizte die Stimmung kräftig an. „Die Kanalratte verarbeiten wir zu kleinen Miststücken“, sagte er drohend, „wenn er auch nur einem unserer Landsleute ein Haar krümmt. Oder ist jemand anderer Ansicht?“ „Dem werden wir es zeigen!“ „Dem Don schlagen wir den Bart zwischen die Zähne.“ „Der wird noch den Tag seiner Geburt verfluchen!“ So ging es weiter. Boyd war von diesen Kerlen auf Anhieb begeistert. Sie gefielen ihm, und seinen beiden Kameraden erging es genauso, denn
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noch wußten sie nicht, wen sie vor sich hatten. Auch für den Seewolf gab es da kein langes Überlegen mehr. Er entschied sich sofort. Landsleute konnte man nicht im Stich lassen, die Inseln konnte man ebenfalls nicht den Dons überlassen, das waren schon zwei sehr gewichtige Gründe. „Sie werden mir das nachher alles genau erzählen, Mister Boyd“, sagte er. „Sie hatten Glück, uns noch anzutreffen, denn wir wollten gerade westwärts segeln, um die Inseln näher kennenzulernen. Jetzt ist die Sache entschieden. Ed“, wandte er sich an den Profos. „Laß das Auslegerboot an Bord nehmen. Wir lichten Anker, setzen Segel und laufen aus.“ „Aye, aye, Sir. Das ist ein Wort!“ schrie Ed. „Das ist mein Profos“, erklärte Hasard. „Aber den werdet ihr unterwegs schon noch kennenlernen.“ „Sie tun das wirklich für uns, Sir?“ fragte Boyd überrascht. „Hatten Sie etwas anderes erwartet?“ Boyd zuckte mit den Schultern. „Anfangs hatte ich das nicht geglaubt“, sagte er ehrlich. „Aber als ich dann Ihre Männer sah - die sehen aus, als verstünden sie sich aufs Kämpfen.“ „Darauf verstehen sie sich wirklich, das kann ich nur bestätigen. Sie bringen auch die nötige Erfahrung mit.“ Der Profos war schon dabei, alles n die Wege zu leiten. „Ho, Leute, beeilt euch gefälligst, ihr lausigen Bilgenratten. Oder wollt ihr etwa nicht El Supremos Bart kraulen? So eine Kakerlake hat mir in der Suppe gerade noch gefehlt. Dem ziehe ich höchst eigenhändig... Dann folgte wieder sein Spruch; aber diesmal steckte kein Späßchen dahinter. Carberry meinte es todernst. Die „Isabella“ ging ankerauf. Unter vollem Preß segelte sie aus der Bucht aufs offene Meer hinaus. Ihr Ziel war Bora-Bora, und dort würden sie versuchen, einen gewissen El Supremo
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auf seine ursprüngliche Größe zurückzustutzen. Denn daß ihre Landsleute von einem Verrückten geopfert werden sollten, das kam gar nicht in Frage. No, Sir!
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Und auf den glücklichen Inseln sollten sich die Spanier ebenfalls nicht ausbreiten. Dazu waren die Insulaner viel zu nett, ganz besonders die Frauen...
ENDE