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FAIR FUTURE Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit Ein Report, herausgegeben vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
Mit 23 Abbildungen und 7 Tabellen • Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
Fair Future ist ein Buch aus dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH, Postfach 10 04 80, D-42004 Wuppertal, Deutschland.
Projektleiter und Autoren: Wolfgang Sachs und Tilman Santarius Weitere Autoren: Dirk Aßmann, Bernd Brouns, Manfred Linz, Stephan Moll, Hermann E. Ott, Andreas Pastowski, Rudolf Petersen, Gerhard Scherhorn, Wolfgang Sterk, Nikolaus Supersberger Mitarbeit: Cecil Arndt, Raimund Bleischwitz, Stefan Bringezu, Bernhard Burdick, Min-Ku Chung, Manfred Fischedick, Peter Hennicke, Sven Huber, Wolfram Huncke, Katharina Istel, Anne Kaiser, Richard Kranz, Hans Kretschmer, Kora Kristof, Christa Liedtke, Hans-Jochen Luhmann, Anke Merziger, Elke Mohrbach, Sebastian Oberthür, Dorle Riechert
• Verlag C. H. Beck oHG, München 2005 Umschlagentwurf: wunderamt + roland angst Satz: Greiner & Reichel, Köln Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff) Printed in Germany ISBN 3 406 52788 4 www.beck.de
Inhalt
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1. Gerechtigkeit für Realisten 13 1.1 Verflochtene Welt 14 Die neue Verwundbarkeit 14 • Ebenen der Interdependenz 16 Präventive Gerechtigkeit 19 1.2 Zerklüftete Welt 20 Abstand der Nationen 21 • Ungleichheit innen 25 • Drift der Weltarmut 27 1.3 Endliche Welt 30 Was sind Grenzen? 30 • Warnzeichen der Überlastung 34 1.4 Gerechtigkeit und Grenzen 37 Dreimal ökologische Gerechtigkeit 37 • Das Dilemma der Aufholjagd 41
2. Ungleichheit im Umweltraum 45 2.1 Die Triade der Allesfresser 46 Geografische Verteilung der Ressourcen 48 • Aneignung im Nord-SüdVergleich 54 • Verteilung der Schäden 61 2.2 Ungleicher ökologischer Tausch 63 Die Triade und ihre «Kolonien» 65 • Ökologische Handelsbilanz 68 Selbsttäuschung der Wohlhabenden 72 2.3 Die Ansprüche der Aufsteiger 74 Die neuen Verbraucherländer 75 • «Global Cities» und ihr Hinterland 78 Die transnationale Verbraucherklasse 82
3. Arenen der Aneignung 89 3.1 Geopolitik: Die Hand aufs Öl 91 Politik der Einflusssphären 92 • Maximaler Förderpunkt 94 • Mehr Nachfrager, weniger Anbieter 96 • Ausstieg als Sicherheitspolitik 97 3.2 Außenhandel: Aneignung von Ackerflächen 98 Exportzwang versus Eigenversorgung 100 • Marginalisierung von Bauern und Böden 102 • Wem dient die Landflucht? 104 • Ein Zerrbild des Freihandels 106
3.3 Investitionen: Vereinnahmung von Wasser 108 Gefangenes Wasser 109 • Virtuelles Wasser 110 • Verschmutztes Wasser 112 Lukratives Wasser 113 3.4 Internationales Recht: Patente auf Pflanzen 115 Aufstieg der Biopiraterie 116 • Wessen Wissen? 118 • Interessen im Institutionenstreit 119 • Bilaterale Abkommen als Einfallstor 122
4. Leitbilder der Ressourcengerechtigkeit 125 4.1 Ethik und Entfernung 126 Interesse an Sicherheit 126 • Interesse an Selbstachtung 128 Interesse an Weltbürgerlichkeit 130 4.2 Anerkennung und Verteilung 131 Gerechtigkeit als Anerkennung 132 • Gerechtigkeit als Verteilung 134 4.3 Existenzrechte garantieren 136 Naturräume und Menschenrechte 137 • Menschenrechte, Menschenpflichten 13g 4.4 Ressourcenansprüche zurückbauen 141 Egalitarismus als Ausnahme 141 • Überleben vor Wohlstand 143 Freiheit vor Überverbrauch 144 4.5 Austausch fair gestalten 146 Abschöpfung und Wertschöpfung 147 • Von Fair Trade lernen 750 4.6 Chancen ungleich einräumen 152 Gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortlichkeiten 152 Ökologische Schulden 154
5. Gerechtigkeitsfähiger Wohlstand 157 5.1 Kontraktion und Konvergenz 158 Gleichheit – auf welchem Niveau? 159 • Wohlergehen und Ressourcenverbrauch 161 5.2 Rückbau des Hochverbrauchs 165 Im Dreischritt von Effizienz, Konsistenz und Suffizienz 765 • Beispiel Energie 168 Beispiel Verkehnyi 5.3 Der Sprung nach vorn im Süden 172 Dezentrale Stromerzeugung 174 • Mobilität ohne Auto-Abhängigkeit 177 Regenerativer Landbau 180 • Finanzinstitutionen als Hilfesteller? 185
6. Verträge für Fairness und Ökologie 187 6.1 Gerechtigkeit im Treibhaus 189 Moleküle und Menschenrechte 190 Nutzungsrechte an der Atmosphäre 192 Ein Scheck pro Kopf 195 6.2 Fairness und Vielfalt 197 Souveränität als Schutz 198 • Rechte lokaler Gemeinschaften 200 6.3 Fairhandel statt Freihandel 203 Entwicklungsrechte vor Marktzugang 205 • Menschenrechte vor Marktzugang 208 Umweltrechte vor Marktzugang 215 • Denkansätze zur Neuerfindung der WTO 219 6.4 Bürgerpflichten für Unternehmen 222 Jenseits der Jahresbilanz 224 • Wie weit tragen freiwillige Standards? 227 Verantwortlich der Weltgesellschaft gegenüber 229
7. Was taugt Europa? 233 Make Law not War 233 • Kyoto – und was sonst? 236 Abschied von Marrakesch 239 • Allianzen für eine faire Zukunft 243
Anmerkungen 247 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 258 Literatur 259
Vorwort
Als vor drei Jahren eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Wuppertal Instituts mit den Vorarbeiten für dieses Buch begonnen hat, lautete die Ausgangsfrage: «Welche Globalisierung ist zukunftsfähig?» Globalisierung, so viel war klar, ist keine neue Entwicklung. Aber wie sind die aktuellen Erscheinungsformen und Trends zu erklären und zu bewerten? Globalisierung war und bleibt auch zukünftig gestaltbar, aber wo soll man ansetzen? Viel deutet daraufhin, dass die Globalisierung ökologischer Krisen und die Konflikte um strategische Rohstoffe wie Öl, Erdgas, Wasser, Edelmetalle etc. längst zur Triebkraft und zum Vorboten eines «Zeitalters der Ressourcenkriege» (Michael Klare) geworden sind. Ist daher die «Ökologievergessenheit» der Globalisierungskritiker nicht erstaunlich? Wird die Globalisierung der Ökologie nicht dringlicher, weil das dauerhafte Überschreiten von globalen Naturschranken nur um den Preis globaler Krisen und Katastrophen möglich ist? Als dieses Buch zum Druck stand, hat die Naturkatastrophe des Jahrhunderts, der Tsunami in Südostasien zum Jahreswechsel 2004/2005 Abertausenden den Tod und unsägliches Leid für Millionen Menschen gebracht. Noch nie war die «Eine Welt» in einer Schicksalsgemeinschaft so verbunden wie in diesen Tagen, als auf den Bildschirmen das Ausmaß der Katastrophe sichtbar wurde. Es war auch die größte Tourismustragödie aller Zeiten. Vielleicht hat dies im reichen Norden nicht nur die Demut vor den Naturgewalten, sondern auch die Wahrnehmung der Leiden der Armen gefördert. Denn in die Trauer um die Opfer und die spontane Spendenbereitschaft mischte sich auch die bittere Erkenntnis: Nicht die Ursache, aber das unbegreifliche Ausmaß dieses Natur-GAUs war menschgemacht. Es ist ein schwer zu ertragender Gedanke, dass es vielleicht einige Zehntausend weniger Tote gegeben hätte, wenn den Armen am Indischen Ozean ein ähnliches TsunamiFrühwarn-System zur Verfügung gestanden hätte wie den Reichen am Pazifik. Ist uns klar geworden, dass wir Reiche durch unseren überzogenen Ressourcenverbrauch zukünftig auch von Menschen gemachte Krisen in Gang setzen, deren Auswirkungen für die Armen vielleicht schleichender, aber deshalb nicht weniger grauenvoll wie ein naturgemachter Tsunami sein können? Dieses Buch spricht von Themen, die immer wieder kollektiver Verdrängung anheim fallen: globale Gerechtigkeit und das Schicksal der Biosphäre. Von den öffentlichen Finanzierungslöchern und den wegrationalisierten Jobs sind wir unmittelbar betroffen, der Klimawandel, die Armut und die Ressourcenkämpfe scheinen dagegen noch fern. Sind die globalen Heraus-
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forderungen zu groß? Dieses Buch rückt ins Licht, was jeder zwar ahnt, aber wofür niemand sich so richtig zuständig fühlt: Wie kann künftig in der Welt eine weitaus größere Zahl von Menschen ein würdiges Auskommen bei begrenzten Naturressourcen finden? Das ist das Schlüsselthema dieses Jahrhunderts. Aber es geht nicht nur um Ethik, sondern auch um unser Selbstinteresse als Bürger dieser einen Welt. Ressourcenkonflikte sind Treibstoff für kleine und große Zusammenstöße; sie setzen Dörfer und ganze Länder in Flammen. Wie sehr die jüngere Geschichte des Nahen Ostens, der Krisenregion schlechthin, mit Erdöl durchtränkt ist, braucht keine Erwähnung. Wie oft religiöse und ethnische Konflikte von Land- oder Wasserknappheit angetrieben werden, erschließt sich schnell für den genauen Betrachter. Und wie stark bevölkerungsreiche Länder wie China und bald auch Indien nach Öl und Kupfer, nach Soja und Holz jenseits ihrer Grenzen drängen, davon berichten die aktuellen Wirtschaftsnachrichten. Kurz gesagt: Ressourcenhunger macht die Welt friedlos. Ohne einen schonenden Umgang mit Naturgütern wird sich keine globale Sicherheitsordnung errichten lassen. Strategien zur Steigerung der Ressourcenproduktivität sind daher überall auch Friedenspolitik. Allerdings wäre es verfehlt, Ressourcenkonflikte nur als Sicherheitsfrage zu thematisieren. Letztendlich geht es um Recht oder Unrecht, Macht und Ohnmacht, also: um Gerechtigkeit im transnationalen Raum. Dass es gegenwärtig im Trend liegt, Umwelt- und Sicherheitsfragen zusammenzubringen, ist gefährlich. Denn wer nur von Sicherheit spricht, denkt gewöhnlich an die eigene und nicht an jene der anderen. Deshalb kommt es darauf an, die Konfliktlagen auf dem Globus nicht nur als Sicherheitsproblem, sondern auch als Ergebnis von Ungerechtigkeit zu begreifen. Nicht umsonst gehört der Spruch «Friede ist das Werk der Gerechtigkeit» von alters her zur Überlieferung politischer Weisheit. Mehr Gerechtigkeit in der Welt lässt sich aber nicht durch die Verbreitung des westlichen Wohlstandsmodells über den Globus hinweg verwirklichen. Das kostet zu viel Geld, zu viele Ressourcen und würde die Biosphäre vollends ruinieren. So steht die Entwicklung an einem Scheideweg: Entweder bleibt die Mehrheit der Welt vom Wohlstand ausgeschlossen oder das Wohlstandsmodell wird so umgestaltet, dass alle daran teilnehmen können, ohne den Planeten ungastlich zu machen. Es geht um die Wahl zwischen globaler Apartheid und globaler Demokratie. Dieses Buch nimmt Partei für eine demokratische, weltbürgerliche Ökologie. Es zeigt, dass der Übergang zu ökologischen Wohlstandsmodellen weltdemokratisch unerlässlich und überdies möglich und oft auch wirtschaftlich nützlich ist. So wird es höchste Zeit, die Produktions- und Konsummuster, welche die reichen Gesellschaften etabliert haben, ressourcen-leicht und naturverträg-
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lich zu machen. Dafür sind in den letzten dreißig Jahren eine Vielzahl wirksamer Technologien, naturnaher Verfahren, kluger Organisationsformen und qualitätsbewusster Lebensstile entwickelt worden. Einen Durchbruch freilich haben Macht und Marktzwänge bislang verhindert. Bei den ärmeren Ländern hingegen geht es um einen Start in die richtige Richtung. Und da ist China ein ambivalentes Beispiel; denn der bewunderte ökonomische Triumph Chinas ist, ökologisch gesehen, eher ein Debakel. Ein ökologisches und technologisches leapfrogging, das Überspringen ressourcenintensiver Produktionsweisen, könnte die Chance bieten, mehr Bürger, im Süden wie im Norden, Arbeit und Brot zu bringen und dennoch das Naturkapital zu kultivieren. Mit Fair Future möchte das Wuppertal Institut das Thema der globalen Ressourcengerechtigkeit in die öffentliche Aufmerksamkeit bringen. Es hat dafür eine Reihe von Untersuchungen vorgelegt, die als Papers im Internet verfügbar sind (www.wupperinst.org/globalisierung) und mit diesem Buch einen vorläufigen Abschluss finden. Mehr als zwanzig Kolleginnen und Kollegen waren für drei Jahre an der abteilungsübergreifenden Quergruppe «Welche Globalisierung ist zukunftsfähig?» beteiligt; aus dem Gesprächshumus dieser Gruppe ist dieses Buch gewachsen. Weitere Studien, wie sie u.a. etwa mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) zum Thema «Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren» laufen, sollen die Thematik weiterführen. Das erste Kapitel führt den Leser in die Problematik globaler Gerechtigkeit heute ein. Muss man die Ökologie opfern, um mehr Gerechtigkeit zu haben, oder die Gerechtigkeit opfern, um mehr Ökologie zu haben? Welche Auswege gibt es aus dieser Spannung? Im zweiten Kapitel wird dokumentiert, wer wie viel vom endlichen globalen Umweltraum in Beschlag nimmt. Wohin geht eigentlich all das Öl, all das Kupfer, all das Getreide? Beim ersten Blick auf die Geografie der globalen Stoffströme wird offenbar, dass die Industrieländer den Löwenanteil der Naturressourcen verbrauchen. Auf den zweiten Blick aber zeigt sich Bewegung: Neu aufsteigende Länder und Klassen aus dem Süden drängen mit Macht auf einen größeren Anteil. Allerdings ist die ungleiche Aneignung der Naturreichtümer kein gegebener Zustand; das dritte Kapitel geht den Mitteln der Macht nach und illustriert, wie über Geopolitik, Handelsverzerrung, Investitionskraft und Rechtssysteme die asymmetrische Verteilung der Ressourcen sichergestellt wird. Ungleichheit freilich ist nicht schon von sich aus verwerflich; wann aber schlägt sie in Ungerechtigkeit um? Das Nachdenken über Gerechtigkeit hat sich herkömmlicherweise auf die Nationalgesellschaft konzentriert. Das vierte Kapitel untersucht, was Fairness in der Weltgesellschaft heißen kann. Es fragt, was an einer unge-
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rechten Welt beunruhigend ist und umreißt vier Leitbilder transnationaler Ressourcengerechtigkeit, nämlich Menschenrechte, Teilhabegerechtigkeit, Fairhandel und Schadensausgleich. Diese Leitbilder führen im fünften Kapitel zu einer ersten Schlussfolgerung: Gerechtigkeitsfähige, weil ressourcen-leichte Wohlstandsstile zu realisieren ist der erste wichtige Beitrag zu größerer Ressourcengerechtigkeit. Es zeichnet sich ab, dass die Industrieländer (und der Norden im Süden) ihre Ressourcenansprüche nachdrücklich zurückbauen müssen, damit die Länder im Süden zulegen können. Dafür sind der Norden wie der Süden gehalten, mit einer Energie-, Verkehrs- und Agrarwende den Sprung nach vorne in eine Solarwirtschaft zu wagen. Damit weltweit andere Produktions- und Konsummuster an Boden gewinnen, bedarf es, wie das sechste Kapitel darlegt, einer Architektur globaler Kooperation. Deshalb lautet die zweite wichtige Schlussfolgerung, dass ohne eine politische Gestaltung transnationaler Märkte keine zukunftsfähige Globalisierung zu erwarten ist. Über Umweltverträge, die Organisation des Welthandels und einen Rechtsrahmen für die Aktivität transnationaler Unternehmen ist dafür zu sorgen, dass in der aufsteigenden Weltgesellschaft Prinzipien der Menschenrechte, der Fairness und der Naturverträglichkeit nicht länger hinter dem Prinzip des wirtschaftlichen Wachstums zurückgestellt werden. Genau im Projekt der zukunftsfähigen Globalisierung liegt, so behauptet das siebte Kapitel, die weltpolitische Mission Europas. Angesichts seiner glücklichen jüngeren Geschichte ist es dem alten Kontinent aufgegeben, in Allianz mit anderen Ländern, gerade auch mit Entwicklungsländern, auf der Weltbühne für Recht, Kooperation und Gemeinwohl einzutreten. Europa hat eine kosmopolitische Berufung – oder gar keine. Ein Buch kann unzeitgemäß sein, aber dennoch brisant. Wenn es gelingt, die Aufmerksamkeit der Leser für das Globale im Lokalen zu schärfen und überdies der kollektiven Verdrängung transnationaler Verantwortung entgegenzuwirken, hat sich die Mühe gelohnt. Dem Wuppertaler Team von Autoren und Mitarbeiterinnen unter der Leitung von Wolfgang Sachs und Tilman Santarius danke ich ganz herzlich für ihre Arbeit. 12. Januar 2005
Peter Hennicke Präsident des Wuppertal Instituts
1 Gerechtigkeit für Realisten Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorherzusagen, sondern es kommt darauf an, auf die Zukunft vorbereitet zu sein. Perikles, 500 v. Chr.
Wenn nicht alles täuscht, dann schließt sich in unseren Tagen ein Kreis, der sich vor mehr als fünfhundert Jahren geöffnet hatte. Am 3. August 1492 hatte die Große Ausfahrt begonnen. Von Palos aus, einem Hafen an der spanischen Atlantikküste, war Christoph Kolumbus mit drei Schiffen und 90 Männern aufgebrochen, um westwärts auf dem Seeweg jenen Kontinent zu erreichen, wohin lange vor ihm Marco Polo ostwärts auf dem Landweg gelangt war: Fernasien. Dem bewohnten Erdkreis den Rücken zukehrend, nahm er die unbekannte Wasserwüste in Angriff; die Aussicht auf Gold und Gottes Wohlwollen trieb ihn um den Erdball. Die Ausfahrt des Kolumbus war der Auftakt zum Ausgriff Europas auf die Welt, sie leitete – so zeigt sich im Rückblick – die Verflechtung der Welt nach dem Bilde des Westens ein. In den darauffolgenden Jahrhunderten folgten ganze Heerscharen den Spuren des Kolumbus. Missionare, Soldaten, Siedler und Kaufleute machten sich auf, um fremde Völker zu bekehren, zu unterwerfen, zu zivilisieren, zu beglücken. Den Segelschiffen folgten Frachtschiffe und Flugzeuge als Vehikel der Verflechtung und wurden ihrerseits von Telefonen, TV-Programmen und elektronischer Infrastruktur überlagert. Von Kolumbus zu CNN spannt sich ein Bogen: die Ausdehnung der euroatlantischen Zivilisation über alle fünf Kontinente. Die Große Ausfahrt von Palos war die ferne Eröffnung jenes Epochen übergreifenden Vorgangs, der am Ende des 20. Jahrhunderts «Globalisierung» genannt worden ist. Doch was seit 500 Jahren gegolten hat, gilt seit jüngstem nicht mehr. Über das Auf und Ab der Geschichte hinweg war durch all die Jahrhunderte ein Gesetz der Lastenverteilung am Werk, dessen Wirken nun aussetzt: Der Ertrag fiel gewöhnlich im Norden, das Leid aber im Süden an. Im euroatlantischen Zentrum konzentrierten sich Gewinne und Macht, während Ausbeutung und kulturelle Erosion in der Peripherie vorherrschten. Gewiss, mit Schulen, Hospitälern und Handel blieben Vorteile auch im Süden hängen, und selbst der Norden war nicht ganz gefeit gegen die Invasion unverträglicher Pflanzen oder den wirtschaftlichen Niedergang aufgrund kolonialer Verwicklungen. Doch aufs Ganze gesehen sorgte ein heimlicher Magnetismus dafür, dass sich die bitteren Folgen am einen und die positiven Ergebnisse am anderen Pol zusammenfügten. Der Norden wurde kaum je von den bitteren Folgen der Verflechtung der Welt heimgesucht. Jetzt aber macht sich ein Gezeitenwechsel bemerkbar. Seit ein, zwei Jahr-
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zehnten erreichen die widrigen Auswirkungen der Verflechtung auch den Norden. Es ist, als ob der alte Magnetismus seine Ordnungskraft verloren hätte: Die negativen Wirkungen beginnen zu vagabundieren, der Norden kann sich nicht mehr vor den schmerzhaften Verwerfungen schützen. Mit der Ökonomie begann es: Aufsteigende Schwellenländer wie Mexiko oder Malaysia, Korea oder China mausern sich zu veritablen Konkurrenten und machen den einstmals unangefochtenen Industrieländern Arbeitsplätze und Investitionen abspenstig. Beschäftigung und Wachstum – die Kernversprechen des Wohlstands – geraten unter Druck. Mit den Menschenströmen ging es weiter: Wirtschaftsemigranten und Flüchtlinge aus dem Süden und Osten der Welt drängen, halb legal, halb illegal, in die Wohlstandsfestungen der euroatlantischen Zone. Ferner lassen sich Umweltgefährdungen nicht von Grenzen abschrecken: Wenn im Süden Regenwald abgeholzt wird, die Vielfalt an Pflanzen und Tieren dahinschwindet oder der Ausstoß an Klimagasen wächst, dann wird die Biosphäre beeinträchtigt – auch zum Schaden des Nordens. Und schließlich wachsen sich hin und wieder Diktaturen unterschiedlicher Couleur zu einer militärischen Bedrohung auch für den Stärksten unter den Reichen aus. Megawaffen mitsamt Raketensystemen machen mitunter aus politischen Zwergen im Süden militärische Riesen, die selbst den gut gerüsteten Norden das Fürchten lehren können. Am Anfang stand die Große Ausfahrt des Kolumbus, am Ende steht die Rückkehr von Bedrohungen; es schließt sich der Kreis, der mit der europäischen Expansion geöffnet worden war.
1.1 Verflochtene Welt Dass aus der Integration der Welt Bedrohungen erwachsen können, ist für die Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas keine Neuheit; zu oft mussten sie erleben, wie sie nach jedem Integrationsschub ärmer und abhängiger zurückblieben. Doch in diesen Jahren entdeckt der Norden seine eigene Verwundbarkeit, eine Erfahrung, die ihm bislang erspart geblieben war. Gewinne sind nicht mehr ohne Kosten zu haben; auch die Gesellschaften des Nordens sind inzwischen von den Kollateral schaden der Globalisierung betroffen. Die neue Verwundbarkeit Als ein symbolisches Datum, das in Analogie zum 8. August 1492 das Ende der Epoche der Immunität markieren könnte, bietet sich der 11. September 2001 an. Nicht, weil vorher keine Gefährdungen von außen in den euroatlantischen Schutzraum eingedrungen wären, sondern weil der Angriff auf das World Trade Center als Menetekel für die neue Verwundbarkeit ge-
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lesen werden kann. Vergrößert durch die kaum überbietbare Grausamkeit, Flugzeuge in Wolkenkratzer zu steuern, demonstrierte der Anschlag die Schutzlosigkeit der Supermacht Amerika gegenüber schwachen, aber entschlossenen Angreifern, noch dazu innerhalb der eigenen Grenzen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte, von Pearl Harbour abgesehen, sahen sich die USA von einem auswärtigen Gegner auf eigenem Territorium angegriffen. In dieser beispiellosen Kränkung ist wohl die Quelle für die Angst und die grimmige Entschlossenheit zu sehen, die in der Folgezeit die amerikanische Antwort prägte. Verstärkt wurde die Kränkung durch die Konstellation David gegen Goliath: Alle Angreifer stammten aus Arabien; die Anschläge wurden folglich von vielen Beobachtern als Attacke des Südens auf den Norden verstanden. Nun wäre es gewiss kurzschlüssig, den Terror von Manhattan als Fanal der Armen gegen die Reichen zu begreifen. Und doch wurzeln die Terroristen in einem Milieu der Ohnmacht1, das einen beträchtlichen Teil der Menschheit in einem Gefühl der Unterlegenheit, ja Erniedrigung verbindet. Es gründet in einer langen Geschichte von Demütigungen, von der arroganten Aufteilung Arabiens zwischen England und Frankreich nach dem Fall des Osmanischen Reichs über die eigene Unfähigkeit des Islam, sich in der Moderne zurecht zu finden, bis zur Dauerwunde Palästina und hat eine Kultur des Ressentiments und der Wut hervorgebracht, aus der die Terroristen Antrieb und Echo beziehen. Nicht einmal so sehr Armut oder Elend, sondern Empörung über die Machtverteilung in der Welt ist der Treibstoff des Terrorismus. An die Stelle der einseitigen Verwundbarkeit des Südens ist nunmehr die wechselseitige Verwundbarkeit aller Länder der Erde getreten. Zwar mögen die USA über die Mittel verfügen, Streitkräfte in aller Welt zu stationieren und sogar mehrere Kriege gleichzeitig zu führen; sie waren aber nicht in der Lage, ihr Land zu schützen, «weil die Interdependenz den Schwachen die Chance eröffnet, die Kräfte des Starken gegen diesen selbst zu wenden».2 So ist der 11. September auch zum Symbol für die dunklen Seiten der Globalisierung geworden, und das in einem ziemlich präzisen Sinn: Die Abschaffung der Entfernung schließt nicht nur die Wohltaten, sondern auch die Bedrohungen der Welt enger zusammen. Denn Globalisierung, das ist die zeitgenössische Erfahrung, lässt die Welt schrumpfen, liegt doch ihr Kern darin, über Verkehrs- und Kommunikationssysteme die räumliche Distanz zwischen entlegenen Orten zu verkleinern und sogar auf null zu bringen. Doch von den geschrumpften Raumverhältnissen profitiert nicht nur der Tourist, der sich zu exotischen Gestaden aufmacht, der Unternehmer, der ferne Märkte erschließt, oder der Bankkunde, der Bargeld weit von zuhause aus dem Automaten zieht, sondern eben auch der Schleuser, der Flugtickets verschafft, der Wirtschaftskriminelle, der schmutziges Geld verschiebt, oder der Terrorist, der Simultananschläge organisiert. Die Welt wird kleiner, auch
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für ihre Plagen. Die neue Verwundbarkeit der Mächtigen geht auf diese Veränderung in den Raumverhältnissen zurück. Dabei rücken Verlust- und Gewinnzonen zusammen. Die Spaltung der Welt in Arm und Reich wird zur Bedrohung, weil neuerdings die Katastrophen via Bildschirm ins Wohnzimmer eindringen, weil die Opfer vor der Haustüre stehen oder weil das wirtschaftliche Gefälle in der Welt heimische Arbeitsplätze abzieht. Kein Ozean ist weit genug, keine Mauer hoch genug, um selbst mächtige Länder gegen Wirtschaftskrisen, Epidemien, ökologische Gefahren und staatenlose Gewalt abzuschirmen. Der Zusammenschluss der Welt ist keine Einbahnstraße mehr, wie so lange in der Vergangenheit, sondern löst zunehmend einen Gegenverkehr an Gütern, Menschen und Emissionen aus, der den Norden in Unruhe versetzt. Die westliche Zivilisation ist am Anfang des 21. Jahrhunderts mit der bitteren Einsicht konfrontiert, dass ihre gewaltige Macht über die Welt und die Natur keineswegs umfassende Kontrolle einschließt; im Gegenteil, sie bringt – raumverschoben und zeitversetzt – Wirkungen hervor, die das Zentrum selbst destabilisieren können. Ebenen der Interdependenz Auch in früheren Jahrhunderten haben internationale Verflechtungen das Gesicht der Menschheit mit geprägt. Man denke an die Verbreitung südamerikanischer Pflanzen wie Kartoffel und Mais in Europa, an den Sklavenhandel im Dreieck von Afrika, England und dem karibisch-amerikanischen Raum, an die Veränderung von Genussgewohnheiten im imperialen England im Gefolge von importiertem Zucker, Kaffee und Kakao. Doch die letzten beiden Jahrzehnte haben diesen Prozess auf eine neue Höhe getrieben. In der Periode der Globalisierung hat sich die Vernetzung nicht nur räumlich ausgeweitet, sondern ist auch intensiver geworden, hat sich dabei beschleunigt und streut die mit ihr verbundenen Wirkungen weiter als früher. Die wechselseitigen Kontakte haben sich zu einer kompakten Welt verdichtet, und zwar auf drei Ebenen der Interdependenz: auf der technischen, der politischen und auf der symbolischen Ebene. Auf der technischen Ebene haben die letzten Jahrzehnte den Aufstieg des in Raum und Zeit verdichteten Globus erlebt. Wie jede Phase in der Entstehung weltweiter Verflechtung ist auch die Globalisierung von einem spezifischen Transport System getragen. Während sich die koloniale Phase auf Karavellen, die imperiale Phase auf Dampfschiffe und die Entwicklungs-Phase auf den Flugverkehr gestützt hatten, ist die Basis der Globalisierung die digitale Infrastruktur. Ohne das weltumspannende Netzwerk von Glasfaserkabeln, Mobilfunkantennen, Relaisstationen und Kommunikations-Satelliten gäbe es keinen Zusammenschluss der Welt in Echtzeit und Nulldistanz. Elektronische Datenflüsse machen geografische Distanz
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belanglos; Kilometer schrumpfen im Cyberspace zum Mausklick. Der Widerstand der Entfernung ist gebrochen, und weil auch die Kosten für Fernübertragung und Datenverarbeitung steil abgesunken sind, ist weltweite Interaktion zum täglichen Brot für die transnationale Mittelklasse geworden. Entwicklerinnen in verschiedenen Erdteilen arbeiten über Internet gleichzeitig an der Konstruktion eines neuen Autos, wie auch der Anruf eines Versandhauskunden in England von einem Call-Center in Indien beantwortet werden kann. Im beständigen, intensiven und geschwinden Fluss von Informationsbits rund um die Erde realisieren sich die Vernichtung der Entfernung und die Angleichung der Zeiten. Auf der politischen Ebene hat der Übergang zum transnationalen Globus die nationalstaatliche Organisation des gesellschaftlichen Lebens in Unruhe versetzt. Im Zuge der Globalisierung gelangte jene Ordnung an ihr Ende, die man als die «Westfälische Konstellation» bezeichnet hat.3 In der Folge des Westfälischen Friedens von 1648, der das Prinzip der territorial bezogenen Souveränität durchsetzte, war der europäische Nationalstaat entstanden. Er umfasste in seiner idealisierten Version ein Territorium, über dem sich ein Regierungssystem, eine Volkswirtschaft, eine Nation und eine Kultur wölbten. Einem Behälter gleich hielt der Nationalstaat die Gesellschaft in all ihren Aspekten in einem umgrenzten Raum zusammen. 4 Auf internationaler Ebene trat dann diese Einheit mit anderen ebensolchen Einheiten in freundschaftliche oder feindliche Beziehung. Beide Aspekte – die alleinige Zuständigkeit des Nationalstaats für die Ordnung im Inneren und seine alleinige Zuständigkeit für die Vertretung nach außen – waren in der Idee der Souveränität vereint. Doch mit der Globalisierung sind diese Behälter, obwohl die Realität diesem Konzept nie so ganz entsprochen hatte, aufgebrochen. Güter, Geld, Informationen, Bilder, Menschen strömen nunmehr über Grenzen und lassen einen transnationalen Großraum entstehen, in dem Interaktionen erfolgen, als ob die nationalstaatlichen Räume nicht existierten. Folglich fällt die frühere – allerdings nie vollständige – Integration von Ökonomie, Regierungssystem und Kultur innerhalb eines Territoriums auseinander und macht die Staaten zu einem Akteur unter anderen inmitten transnationaler Netzwerke. Unternehmen oder Nicht-Regierungs-Organisationen operieren mit geringer Rücksicht auf Grenzen jenseits der Kontrolle von Staaten. Staaten, die einst feierlich ihre Unabhängigkeit erklärten, sind heute besser beraten, ihre wechselseitige Abhängigkeit zu proklamieren. Ohne supranationale Kooperation kommt ihnen in einer transnationalen Welt nur mehr beschränkter Einfluss zu. Auf der symbolischen Ebene hingegen ist eine selbstreflexive Vorstellung vom Globus herangereift. Immer mehr Menschen ist ein Bild von der Welt zugänglich, in dem sie ihre Existenz mit dem großen Ganzen verbunden sehen. Gewiss gäbe es nur ein karges Bewusstsein von globaler Interdependenz,
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wenn nicht seit der Apollo-Mission zum Mond das Bild von der Erde als dem blauen Planeten zur Verfügung stünde. Zum ersten Mal in der Geschichte der menschlichen Wahrnehmung wurde die Erde als Ganzes sichtbar, wenn auch vermittelt durch die Fotografie.5 Das Bildhat synoptische Kraft: Es eröffnet die Zusammenschau über Meere und Kontinente hinweg und enthüllt damit weiträumige Felder von Wechselbeziehungen, die vorher der menschlichen Anschauung verborgen waren. Aus der zeitgenössischen Bilderwelt ist dieses Foto von der Erde aus dem All nicht mehr wegzudenken; es ziert Umwelt-Reports ebenso wie Fernseh-Nachrichten, T-Shirts ebenso wie Werbespots. Ohne das Bild würde kaum anschaulich, was mit der Rede von «einer Erde» oder «einer Welt» gemeint ist. Überdies erzeugt es eine Wahrnehmung, die lokales Handeln in einen globalen Rahmen stellt. Legt es sich nicht für jede nahe, dass sie selbst, bei genügend großer Auflösung, auf dem Bild zu finden wäre? Diese visuelle Überblendung von globaler und individueller Existenz ist dabei, die kognitiven und moralischen Koordinaten der Eigenwahrnehmung zu verschieben. Die Folgen einer Handlung, so legt das Bild nahe, können bis an die Grenzen der Erde reichen, und alle sind dafür verantwortlich. So kann es geschehen, dass mit einem Male Autofahren mit dem Treibhauseffekt verbunden wird und auch die Spraydose oder die Flugreise in den Geruch globaler Grenzüberschreitung geraten. Von daher lässt sich durchaus eine vorläufige Bilanz der Globalisierungsepoche ziehen. Aus einer Vielzahl von Nationalgesellschaften taucht im Umriss eine Weltgesellschaft auf. Weil Kommunikationsstränge, Arbeitsteilung und Weltbilder grenzen-los geworden sind, weil sich die wechselseitigen Abhängigkeiten auf dem Erdball potenziert haben, nimmt die Welt – langsam und beileibe nicht überall – den Charakter einer Gesellschaft an. Daher kann die Emergenz einer Weltgesellschaft als das Kennzeichen unserer Zeit gelten. Freilich ist keineswegs ausgemacht, welche Gestalt diese Weltgesellschaft haben wird. Ihre heutige Lage ist mit jener der nationalen Gesellschaften vor ein paar Jahrhunderten vergleichbar. Wie die Nationalstaaten, nachdem sie einst kleinere Einheiten wie Städte und Fürstentümer in sich aufgenommen hatten, sich dann zu Königreichen, Demokratien oder Diktaturen entwickelten, so kann auch die Weltgesellschaft, indem sie kleinere Einheiten wie transnationale Unternehmen, Staaten oder Organisationen der internationalen Zivilgesellschaft in eine neue Konstellation bringt, ganz verschiedene Gesichter annehmen. Noch ist unsicher, was ihre Ideale, wer ihre Gewinner und Verlierer und was ihre Institutionen sein werden. Das wird aus immer neuen Debatten, aus konkurrierenden Utopien und aus langwierigen Machtkämpfen hervorgehen. Namen wie Seattle, Porto Alegre oder Davos sind zu Symbolen für ein Kräftemessen zwischen unterschiedlichen Perspektiven für die Weltgesellschaft geworden. Welche Art von Globalisierung wollen wir? Das ist die Schlüsselfrage.
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Präventive Gerechtigkeit Gerechtigkeit, so hat der Kirchenvater Augustinus gesagt, ist das, was eine Gesellschaft von einer Räuberbande unterscheidet. In der Epoche der Globalisierung rückt die Welt zusammen; ob aus ihr eine Weltgesellschaft oder eine Weltwillkürherrschaft hervorgeht, entscheidet sich an der Gerechtigkeit. Im ersten Fall wird der wechselseitigen Abhängigkeit von Staaten und Völkern durch eine Ordnung transnationalen Rechts und Respekts Rechnung getragen. Im zweiten Fall wird trotz Interdependenz Stabilität durch die Vorherrschaft verschiedener Machtgruppen hergestellt. Anders ausgedrückt: Die zukünftige Gestalt der Welt hängt davon ab, ob auf lange Sicht die Stärkung des Rechts oder das Recht des Stärkeren die Oberhand behält. Nicht wenige Beobachter fürchteten im Frühjahr 2003, dass die USA mit dem völkerrechtlich nicht gedeckten Krieg gegen den Irak eine welthistorische Weichenstellung im Sinne dieser Alternative vorgenommen haben. Jedenfalls zeigt sich: Die weltweiten Verflechtungen haben einen solchen qualitativen Sprung gemacht, dass bei den internationalen Auseinandersetzungen am Beginn des 21. Jahrhunderts nichts weniger als die Ordnungsgestalt der zukünftigen Welt auf dem Spiel steht. Nun gibt es seit den Zeiten der griechischen Polis auf die Schlüsselfrage, was eine gelingende Gesellschaft ausmacht, eine bündige Antwort: In ihr herrscht Gerechtigkeit. Denn eine ungerechte Gesellschaft entspricht weder den Strebungen der Menschen, noch kann sie auf Dauer Bestand haben. Wie viel jemand von den Gütern der Gesellschaft besitzen soll, was ihm an Achtung und Rechten zukommt, das muss gerecht geregelt sein. Wie umstritten in der Geschichte die konkrete Gestalt der Gerechtigkeit auch immer war – an der Geltung des Prinzips haben doch wenige gezweifelt. Die Gerechtigkeit, so lässt sich sagen, hat für die soziale Welt die gleiche Bedeutung wie das Ökosystem für die natürliche und die Sprache für die kulturelle Welt; sie ist das Rückgrat einer dauerhaften Ordnung. Warum soll das bei der Weltgesellschaft anders sein? Die Antreiber der Globalisierung hatten wohl Einkommensgewinne, Machthoffnungen oder auch Ingenieurleistungen im Sinn, aber kaum die Gerechtigkeit. Und dennoch: Mit ihrem Erfolg haben sie eine Welt gegenseitiger Abhängigkeit hervorgebracht, in der die Frage der Gerechtigkeit unausweichlich wird. Denn in einer weiten Welt stellt sich die Frage der Gerechtigkeit national, in der geschrumpften Welt jedoch transnational. Solange die Menschen sich hauptsächlich von Mächten im lokalen oder nationalen Umkreis abhängig sehen, haben sie keinen Anlass, ihre Forderungen nach Gerechtigkeit an Adressaten jenseits ihrer Gesellschaft zu richten. Ebenso haben Menschen, solange sie nur im lokalen oder nationalen Umkreis Einfluss und Macht ausüben, keinen besonderen Grund, ihr Handeln auf das Wohlergehen ferner Völker auszurichten. Entsteht freilich eine ge-
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genseitige Abhängigkeit ohne Grenzen, dann erweitert sich sowohl das Verlangen nach Gerechtigkeit wie auch die Verantwortung für Gerechtigkeit. Dann ist es kein Wunder, dass etwa die Ogoni im Niger-Delta einem englisch-holländischen Unternehmen wie Shell Menschenrechtsverletzungen vorwerfen, dass die Insel Palau vom fernen Deutschland Reparationen für Ressourcenplünderung in der Kolonialzeit fordert oder dass Südländer die Öffnung der nördlichen Agrarmärkte einklagen. Und ebenfalls liegt es in der Konsequenz der Dinge, wenn der Generalsekretär der Vereinten Nationen von den reichen Ländern erwartet, sich stärker bei der Armutsbekämpfung im Süden zu engagieren. Das Ringen um Gerechtigkeit verlagert sich zu einem erheblichen Teil auf die globale Bühne. Solange ferner einseitige Abhängigkeiten auf der Welt vorherrschten, war Gerechtigkeit eine Sache für Gutmenschen. Denn die mächtigen Gesellschaften hatten kein negatives Feedback zu befürchten, wenn sie sich um Gerechtigkeit nicht kümmerten. Seit hingegen wechselseitige Abhängigkeiten an der Tagesordnung sind, ist Gerechtigkeit zu einer Sache für Realisten geworden. Denn auch die Mächtigen werden – wie der Angriff auf das World Trade Center unübersehbar zeigt – von den Leidensfolgen ihrer fernen Taten heimgesucht. Angesichts bedrohlicher Abhängigkeiten steht die Welt, wenn nicht alle Zeichen trügen, vor einer Verzweigungssituation, an der sich der Weg zu einer Gerechtigkeitsordnung oder zu einer Herrschaftsordnung gabelt. Zugespitzt formuliert: Entweder können die mächtigen Gesellschaften für präventive Kriegsführung optieren oder für präventive Gerechtigkeit. In den Jahren seit dem 11. September 2001 hat unter maßgeblicher Führung der USA die militärisch-geheimdienstliche Variante den Vorrang gehabt. Deshalb steht zu befürchten, dass jene Infrastruktur an elektronischer Überwachung, präventiver Rechtsminderung und internationaler Truppenstationierung, die als Antwort auf den Terrorismus aufgebaut worden ist, zu einem transnationalen Verteidigungsring gegen Krisen aller Art mutiert. Demgegenüber kommt es darauf an, die Idee der vorbeugenden Gerechtigkeit auszuarbeiten und mit ihr eine alternative Politik vorzubereiten. Dieses Buch versteht sich als ein Beitrag dazu.
1.2 Zerklüftete Welt Es ist erst sechs Jahrzehnte her, seit Colin Clark im Jahr 1939 zum ersten Mal für eine Reihe von Ländern Zahlen über das Nationaleinkommen zusammengestellt hatte.6 Seitdem hat sich das Bruttosozialprodukt als ein Indikator durchgesetzt, mit dessen Hilfe die olympischen Tabellen der Wirtschaftsleistung aufgestellt werden, die jeder Nation eine Position im globalen Ranking zuweisen. Diese statistische Operation hat einen unleugbaren
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Vorzug: Sie bringt eine unübersichtliche Welt in ein klares Bild. Dabei beruht sie, genau besehen, auf einem zivilisatorischen Vorurteil: Weil die Qualität einer Zivilisation an der Höhe des Nationaleinkommens erkennbar sein soll, kann ein und dieselbe Messlatte an alle Kulturen angelegt werden. Folgerichtig lassen sich Länder nach Rang skalieren und lässt sich ihr Entwicklungsgang durch Aufstieg oder Abstieg auf der Skala ausdrücken. Erst der Sieg der ökonomischen Weltsicht ermöglichte diese mittlerweile zur Konvention gewordene Klassifizierung. Erst nachdem so die Verschiedenartigkeit der Lebensweisen, sei es auf Reunion oder in Rajasthan, auf eine Hierarchie aggregierter Einkommenszahlen geschrumpft war, sprang die enorme Kluft zwischen «reichen» und «armen» Ländern ins Auge. Ungleichheit in Wirtschaftskraft ist seither, was die Welt in Champions und in Versager teilt, ebenso wie nunmehr Einkommenszuwachs als der goldene Weg zu gesellschaftlicher Blüte gilt. Dieses Weltmodell der Entwicklung, denn als das wird es verstanden, erzeugte ein monumentales historisches Versprechen – dass am Ende alle Nationen in der Lage sein werden, die Kluft zu den Reichen zu schließen und an den Früchten der wirtschaftlichen Zivilisation teilzuhaben.7 Dabei vereinte dieses Versprechen zwei tief sitzende Interessen, nämlich das Interesse des Nordens, die Wirtschaftsarena auszuweiten, mit dem Interesse des Südens, endlich Anerkennung und Gerechtigkeit zu finden. Der Norden setzte zur Expansion, der Süden zur Aufholjagd an. Binnen einiger Jahrzehnte sollte die Spaltung der Welt, jenes verhängnisvolle Erbe des Kolonialismus, gemildert, wenn nicht gar überwunden sein. Mehr Gleichheit zwischen den Nationen, dieser Erwartungshorizont hat die Geschichte zwischen Nord und Süd in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angetrieben. Abstand der Nationen Doch diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Das zeigt sich, wenn heute das Feld der Ungleichheit zwischen Nationen vermessen wird. Eine geläufige Methode, Ungleichheit in einer Gesellschaft darzustellen, stellt fest, wie weit eine gegebene Einkommensverteilung vom Zustand vollkommener Gleichheit abweicht. Im so genannten Gini-Koeffizienten wird der Grad der Ungleichheit in einer Gesellschaft gemessen, und zwar auf einer Skala, die vom Wert 0 – alle haben gleiches Einkommen – zum Wert 1 – einer hat alles Einkommen – reicht. Je höher der Koeffizient, desto ausgeprägter ist also die Polarisierung in Reich und Arm. Wenn dieses Verfahren mit Hilfe des Bruttosozialprodukts pro Kopf auf die Weltgesellschaft angewandt wird, ergibt sich die in Abbildung 1 dargestellte Entwicklung für den Zeitraum 1950 bis 1998. Am niedrigsten war die Spreizung der Ungleichheit zwischen Ländern am Beginn des Beobachtungszeitraums. Dann folgt eine Periode einer un-
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Abb. 1: Ungewichtete internationale Ungleichheit nach dem Gini-Koeffizienten (1950–1998).8 Mit dem Gini-Koeffizienten lässt sich der Grad der Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft beschreiben. Insbesondere seit der Mitte der 1980er Jahre hat die Ungleichheit zwischen den Ländern der Welt, gemessen am Verhältnis der nationalen Pro-Kopf-Einkommen zueinander, stark zugenommen.
steten leichten Zunahme, bis etwa ab 1978 der Abstand zwischen Reich und Arm stetig und kräftig wächst, insgesamt um fast 20 Prozent. Die Ursache für die fast durchgängige Steigerung der Ungleichheit ist leicht zu finden: Entgegen den Erwartungen der Südländer, ihren Rückstand endlich aufzuholen, wuchsen die reichen Länder während des ganzen halben Jahrhunderts schneller als Lateinamerika und Afrika (nicht aber Asien); für diese beiden Kontinente war eher ein Ausreißen der Reichen als ein Aufholen der Armen zu beobachten. Die Erwartung, mit der Integration in die Weltwirtschaft würden gerade die schwachen Länder im Wachstum den starken überlegen sein, hat sich also als Wunschdenken erwiesen. Übrigens lagen – wiederum entgegen einer verbreiteten Erwartung – im Zeitraum der Globalisierung ab dem Ende der 1970er Jahre für alle Weltregionen die Wachstumsraten niedriger als in den zwanzig Jahren davor.9 Im Vergleich der beiden Epochen hat – aufs Ganze gesehen – Globalisierung weniger als die Hälfte an Wachstum gebracht. Ganz besonders blieben Lateinamerika und Afrika in dieser Periode zurück; deshalb ist das Feld der Läufer in der globalen Wirtschaftsarena in der Globalisierungsperiode weiter auseinander gerissen. Um zu ermessen, was sich an Ungleichheit in der Welt herausbildet, ist ein Vergleich mit den Verhältnissen auf nationalstaatlicher Ebene auf-
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schlussreich. Dabei zeigt sich, dass die Weltgesellschaft – verstanden als eine Versammlung von Staaten – einen ähnlichen Grad an Ungleichheit besitzt wie jene Nationen, die im globalen Vergleich den höchsten Grad an innerer Ungleichheit aufweisen. So lag im Jahre 1998 der Gini-Koeffizient für die weltweite Staatengemeinschaft bei knapp o,5410, was sie von Ländern wie Italien (0,36) oder Südkorea (0,32) klar abhebt, aber fast in dieselbe Liga wie Brasilien (0,59) oder Südafrika (0,59) befördert.11 Wer die Zustände in Brasilien oder Südafrika unerträglich findet, kann auch für die Verhältnisse auf der Welt nichts übrig haben. In der krassen Aufspreizung von Macht und Privileg zwischen den Nationen manifestiert sich der Sachverhalt, dass die wirtschaftliche Spaltung der Welt eine entscheidende Hürde auf dem Weg zur Weltgesellschaft ist. Allerdings zeigt der Befund nicht die ganze Wahrheit. Denn die statistische Darstellung der Ungleichheit steckt voller Fallstricke. Dass die Polarisierung zwischen reichen und armen Ländern zunimmt, ist nur ein Aspekt der Ungleichheitsdynamik in der Welt, der andere ist, dass innerhalb des polarisierten Feldes allerhand in Bewegung geraten ist. Schon der Blick auf die Ungleichheit zwischen Nationen erliegt leicht einer optischen Illusion, weil es unangemessen ist, Nationen als gleichwertige Individuen zu behandeln. So kommt bei der Berechnung des internationalen Gini-Koeffizienten nicht die Bevölkerungsgröße der jeweiligen Länder zur Geltung, mit der Folge, dass etwa die Bevölkerungsriesen China und Indien genauso wie die Bevölkerungszwerge Sri Lanka oder Nepal behandelt werden. Nun hat aber gerade China und in geringerem Maße auch Indien im Wirtschaftswachstum während der letzten beiden Jahrzehnte einen großen Sprung nach vorne getan, das chinesische Pro-Kopf-Einkommen ist in dieser Periode jährlich um 8 bis 10 Prozent und das indische um 5 bis 7 Prozent angestiegen. In der Tat, gibt man nicht Ländern gleiches Gewicht, sondern Bevölkerungen, dann verschwindet der Trend zu größerer Ungleichheit.12 Mehr noch, bei der Gewichtung des Bruttosozialproduktes nach Bevölkerungsgröße kehrt sich der Trend um: Die Ungleichheit zwischen nationalen Bevölkerungen nimmt seit etwa 1980 ab und hat in den 1990er Jahren den niedrigsten Punkt seit einem halben Jahrhundert erreicht (Abbildung 2). Eine verwirrende Folgerung stellt sich ein: Ob die globale Ungleichheit ab- oder zunimmt, hängt davon ab, welche statistische Brille man aufsetzt! Für beide Sichtweisen gibt es gute Gründe: Die ungewichteten Werte des Bruttosozialprodukts geben Auskunft über das Verhältnis zwischen Nationen, die gewichteten indes über das Verhältnis zwischen Nationalbevölkerungen. Der hoffnungsvolle Trend im letzteren Falle ist vor allem China zu verdanken: Kein Land hat einen solchen Zuwachs an Menschen und gleichzeitig eine solche Einkommenssteigerung hervorgebracht. Kein Wunder, dass sich Globalisierungsfreunde und -kritikerinnen immer wieder im Streit
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Abb. 2: Nach Bevölkerungsgröße gewichtete internationale Ungleichheit nach dem GiniKoeffizienten (1950-1998).13 Werden bei der Berechnung des Gini-Koeffizienten die Länder nach der Bevölkerungsgröße gewichtet, nimmt die internationale Ungleichheit seit den 1970er Jahren ab.
um Ungleichheit festbeißen; denn statistisch lässt sich sowohl ein negativer wie ein positiver Befund belegen. Während die Kritiker die sich öffnende Schere im Einkommen zwischen den Ländern beklagen, verweisen die Befürworterinnen darauf, dass einige hundert Millionen Bürger mit steigendem Einkommen in China und Indien bald weitere Hunderte von Millionen mit sich ziehen werden. Doch selbst wenn man die Ungleichheit zwischen Nationen im Auge behält, steht außer Frage, dass Südkorea wie Taiwan oder auch Mexiko, China oder Indien dabei sind, den Abstand zu den reichen Ländern zu verkürzen. Eine Gruppe von 10 bis 15 Schwellenländern ist voll in nachholender Entwicklung begriffen – auch wenn etwa China und Indien trotz ihres Wachstumsvorsprungs fast hundert Jahre weiter wachsen müssten, nur um das heutige Einkommensniveau der USA zu erreichen.14 Anders dagegen sieht die Lage für die große Mehrheit der Länder aus. Für Lateinamerika ist der Abstand zu den Industrieländern ein wenig, für Schwarzafrika und allgemein für die am wenigsten entwickelten Länder aber rasant angewachsen.15 Insbesondere Afrika und Teile Asiens sind weit davon entfernt aufzuholen; im Gegenteil, sie fallen stetig weiter zurück. Mit anderen Worten: Seit etwa 1970, als noch alle Länder des Südens in der Einkommenshöhe benachbart waren, haben Aufstiegs- und Abstiegsbewegungen das Feld neu
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sortiert. Innerhalb der früher relativ homogenen Gruppe der Südländer hat sich eine dramatische Polarisierung vollzogen: Die einen spurten davon, die anderen fallen zurück. So hat die Globalisierungsepoche ein janusköpfiges Ergebnis hervorgebracht: Einerseits erlebten manche Länder ihren Anschluss an die globale Wachstumswirtschaft, andererseits aber auch viele Länder ihren Ausschluss von ihr. Deshalb ist es irreführend, umstandslos von der Integration der Weltgesellschaft im Zuge der Globalisierung zu sprechen; in Wahrheit lässt sich ein Prozess der globalen Fragmentierung beobachten.16 Neben die Industrieländer, wo die Schaltstellen der Weltökonomie angesiedelt sind, treten die wirtschaftlich erstarkenden Schwellenländer, wohin Produktionszonen für Hardware und Software ausgelagert werden, während die Peripherie-Zonen die von der Weltökonomie ausgegrenzte Mehrheitswelt umfassen, und zwar sowohl ganze Länder – vor allem in Afrika, aber auch in Lateinamerika und Asien – wie auch manches Binnengebiet innerhalb der Schwellenländer. Blickt man auf die hoch gespannten Hoffnungen der Nachkriegsjahrzehnte zurück, ist jedenfalls eine Einsicht unumgänglich: Die Erwartung einer Konvergenz in der Entwicklung der Nationen ist von der Geschichte falsifiziert worden; die Welt entwickelt sich, aber in zwei entgegengesetzte Richtungen. Ungleichheit innen Mit den Augen des Statistikers gesehen hängt der Gesamtumfang an wirtschaftlicher Ungleichheit zwischen den Menschen in der Welt von zwei Bestimmungsfaktoren ab: dem Umfang an Ungleichheit zwischen Ländern und innerhalb von Ländern. Wenn, so könnte man sich in einem Gedankenspiel klar machen, alle Nationen in ihrem Einkommen gleichauf lägen, dann gäbe es zwar immer noch Ungleichheit zwischen den Personen, aber ihr Umfang würde allein von den Verteilungsstrukturen innerhalb der Länderbestimmt. Umgekehrt, wenn alle Nationen innerhalb ihrer Grenzen Einkommensgleichheit realisiert hätten, dann würde der Umfang an Ungleichheit in der Welt allein von der Ungleichheit zwischen den Ländern abhängen. Was würde es bringen, wenn alle Länder das gleiche Durchschnittseinkommen hätten? Viel, so lässt sich das Gedankenspiel weiterführen, denn die Statistiker erklären gute drei Viertel der Varianz zwischen Personen mit der Varianz zwischen Nationen.17 Der nach Bevölkerungszahl gewichtete Einkommensabstand zwischen, sagen wir, den USA und Indien ist beträchtlich größer als jener zwischen Manhattan und der Bronx beziehungsweise jener zwischen Bombays Malabar Hill und Dharavi Slum. Von daher ist eine Angleichung der Einkommen zwischen den Ländern immer noch der Königsweg zu nach dem Einkommen gerechten Weltverhältnissen. Trotzdem spielt die Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft eine wichtige Rolle, und
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zwar deshalb, weil nach wie vor im Erleben der Menschen zuvörderst die eigene Gesellschaft den Vergleichsrahmen abgibt. Offensichtlich sind manche Gesellschaften ungleicher als andere. Wer in Südafrika wohnt, ist einer weit größeren Spreizung zwischen Reich und Arm ausgesetzt als jemand, der in Südkorea zuhause ist. Aussagekräftig ist eine Dreier-Typologie, die Gesellschaften nach dem Anteil der 20 Prozent Reichsten, der 40 Prozent Mittelklasse und der 40 Prozent Ärmsten der Bevölkerung am Gesamteinkommen klassifiziert.18 Am einen Ende der Skala finden sich die extrem polarisierten Länder, wo das Verhältnis bei 60:30:10 liegt, das heißt, die 20 Prozent Reichsten beziehen etwa 60 Prozent, die Mittelklasse etwa 30 Prozent und die 40 Prozent Ärmsten etwa 10 Prozent des Gesamteinkommens. Länder wie Brasilien, Chile, Mexiko, Südafrika, Botswana, Zimbabwe, Kenia, Thailand fallen unter diese Kategorie. Am anderen Ende der Skala indessen versammeln sich die gering polarisierten Gesellschaften, wo das Verhältnis typischerweise bei 40:40:20 liegt. Dazu gehören die meisten Industrieländer mit Ausnahme der USA, aber auch Ghana, Indien, Indonesien, Taiwan, Südkorea, Ägypten. Dazwischen bewegen sich die moderat polarisierten Länder mit einem Ungleichheitsverhältnis von 50:35:15, worunter – neben den USA – die Masse der Südländer fällt, von Honduras bis Vietnam und von Peru bis Nigeria. Grob gesagt, finden sich die extrem polarisierten Länder vorwiegend in Südamerika sowie in Afrika, während die gering polarisierten Länder eher in Europa und Asien anzutreffen sind. Wendet man den Blick zurück auf die letzten Jahrzehnte, dann überrascht eher die Stabilität als der Wandel in den Einkommensverhältnissen. Wie Felsen in der Brandung haben die Ungleichheitsverhältnisse den wiederkehrenden Wellen an Entwicklung, Wachstum und Globalisierung getrotzt. Ein Abbau von Ungleichheit war die Ausnahme. Wenn sich überhaupt Veränderungen ergeben haben, dann fand eher eine Verschärfung statt. So nahm im Zeitraum 1980 bis 2000 bei einer Grundgesamtheit von 73 Ländern die Ungleichheit in 48 Ländern zu und ging in 9 Ländern zurück.19 Das heißt: Die Globalisierung der Märkte ist mit negativen wie positiven Veränderungen in den Strukturen der Ungleichheit verbunden, auch wenn weit häufiger eine Zunahme der Polarisierung zu beobachten ist. Vor allem in den Ländern des Südens war in den letzten beiden Dekaden – abgesehen von Taiwan – nirgendwo eine durchgängige Verringerung der Ungleichheit zu registrieren. In Ländern wie China, Chile, Kolumbien oder Mexiko zum Beispiel hat die Spreizung der Ungleichheit (angezeigt durch den Gini-Koeffizienten) zugenommen, während sie in Südkorea, Indonesien, Philippinen, Indien und Brasilien gleichgeblieben ist.20 Explodiert allerdings ist die Ungleichheit in den ehemals kommunistischen Ländern: In Russland, Polen, Bulgarien – nicht aber in Ungarn nach 1994 – vollzog sich in den 1990er Jahren eine rasante Aufspaltung ihrer Gesellschaften. Als
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Summe lässt sich festhalten: Wirtschaftliche Globalisierung korreliert kaum je mit dem Abbau von intranationaler Ungleichheit, sondern eher mit ihrer Vertiefung oder bestenfalls ihrer Stagnation. Schwerer zu greifen sind allerdings mentale Verschiebungen, die mit der Globalisierung von Wirtschaft und Kultur einhergehen. Es weitet sich der Horizont der Wünsche und Hoffnungen. Denn das Bewusstsein der Ungleichheit hängt wesentlich von der Referenzgruppe ab, an der jemand seine eigene Lage misst. Wird keine andere Referenzgruppe für maßgeblich gehalten, dann sehen – wie in manchen Kulturen – selbst Arme keinen Grund, sich als unterprivilegiert einzustufen. Verschiebt sich indes der Vergleichshorizont auf Referenzgruppen, die geografisch weiter entfernt wohnen oder sozial auf der Stufenleiter weit höher angesiedelt sind, dann verstärkt sich die Wahrnehmung des eigenen Defizits und löst entweder drängende Wünsche oder starke Frustrationen aus. Frühere Entwicklungstheoretiker haben diesen Schub die «Revolution der steigenden Erwartungen» genannt. Erst mit der Globalisierung kommt sie weltweit so richtig zum Durchbruch und erfasst alle Gruppen, die Masse wie die Eliten. Immer mehr Menschen vergleichen sich nicht mehr mit ihren Nachbarn, sondern mit den Besitz- und Lebensstilen entfernter Gruppen. Auch die Eliten bauen ihre Erwartungen um: Sie vergleichen sich nicht mehr mit den weniger Privilegierten im eigenen Land, sondern mit den noch Begünstigteren in reichen Ländern. Diese Expansion des Vergleichshorizonts auf allen Ebenen der sozialen Stufenleiter wirkt auf doppelte Weise. Sie wirkt als Treibstoff für Hoffnungen und Ansprüche, indem sie Menschen ermutigt, die Latte höher zu legen. Und sie wirkt als Sprengstoff, wenn die steigenden Erwartungen den begrenzten Realisierungschancen davonlaufen; das Gefühl, zu kurz zu kommen, wird dann chronisch. In welche Richtung sich diese Dynamik der Ungleichheit wendet, davon wird das Schicksal nicht weniger Gesellschaften in den kommenden Jahrzehnten abhängen. Drift der Weltarmut Schicksalsfragen beschwören oft harte Kontroversen herauf. Das gilt auch für die Frage: Wie entwickelt sich die Weltarmut? Wenige Fragen gehen so an den Nerv der herrschenden Weltordnung, wenige haben eine so hartnäckige Fehde in der internationalen Öffentlichkeit ausgelöst. Ganz gegenteilige Antworten sind zu hören, und es ist schwer geworden, aus dem Dickicht der unterschiedlichen Vorannahmen, Untersuchungsmethoden und Interessen heraus zu einer gewissen Klarheit zu finden. So fragt eine Broschüre des International Forum on Globalization: «Hilft die Globalisierung den Armen?»21, um mit einem selbstgewissen «Nein» zu enden. The Economist wiederum stellt breit die Frage in den Raum, wer bei der Globalisierung gewinne, um dann ebenso selbstgewiss die Antwort zu geben: die Armen.22
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Gewiss, die einen schelten die «Globalisierung» und die anderen loben sie, aber erstaunlich ist, dass zwischen den Parteien selbst der Befund zur Armut strittig bleibt. Es gibt keine Einigkeit darüber, ob die Armut in der Welt zunimmt oder abnimmt, ungeachtet der Frage, welche Rolle die Globalisierung dabei spielt.23 Also etwas vorsichtiger gefragt: Hat sich in der Globalisierungsperiode die Lage der Armen verbessert? Die Antwort ist ein vorsichtiges «Ja», gefolgt von einer Salve an «Aber». Betrachtet man die Zahl der Menschen in der Welt, die der bei der Weltbank üblichen Armutsdefinition entsprechend mit einem Jahreseinkommen von weniger als 360 US-Dollar – ein Dollar oder weniger am Tag – leben müssen, dann ist festzustellen: Von 1980 bis 2001 hat sich weltweit die Zahl der unter dieser Grenze lebenden Armen von 1481 auf 1092 Millionen, also um etwa 390 Millionen verringert.24 Angesichts der gleichzeitig gestiegenen Bevölkerungszahl ist das als enormer Erfolg anzusehen. Damit ist auch der Anteil der Armen in der Weltbevölkerung zurückgegangen: Während er im Jahre 1981 noch 40,4 Prozent ausmachte, war er im Jahre 2001 auf 21,1 Prozent gefallen.25 Setzt man ferner die Armutslinie bei zwei Dollar am Tag an, lässt sich für dieselben Jahre ein Rückgang von 66,7 Prozent auf 52,9 Prozent der Weltbevölkerung, die weniger als diese Summe haben, verzeichnen. Allerdings stützen sich diese Erfolgsmeldungen vornehmlich auf die Integration von einigen hundert Millionen Menschen in die Wachstumswirtschaft Chinas und in geringerem Maße auch Indiens. Außerhalb Chinas hat sich in dieser Periode die Zahl der extrem Armen von 840 auf 890 Millionen erhöht.26 Wenig hat sich am Anteil der Einkommensarmen in Lateinamerika verändert, angestiegen ist er in Afrika südlich der Sahara und zudem in Osteuropa und Zentralasien. Immerhin leben also außerhalb Chinas und Indiens mehr Menschen in extremer Armut als vor zwanzig Jahren – und damit wohl mehr als jemals zuvor. Trotzdem, die Weltbank und andere Protagonisten des Fortschritts sehen die Dinge im frischen Morgenlicht der wirtschaftlichen Globalisierung; ihr Optimismus, mit Marktöffnung und Wachstum auf dem richtigen Wege zu sein, wurzelt in der Erwartung, dass mit China und Indien schon ein Drittel der Weltbevölkerung in Bewegung gekommen ist und dasselbe Modell sich im Prinzip auch in anderen Regionen wiederholen lässt. Die Skeptiker indessen gießen Wasser in den Wein der Optimisten. Sie stellen schon die Definition der Armutsgrenze in Zweifel. Es sei, so sagen sie, ein Irrtum zu glauben, dass die so klassifizierten Armen in ihrem Land jeden Tag den Gegenwert von einem Dollar zur Verfügung hätten. Es handelt sich nämlich nicht um den Gegenwert nach dem Wechselkurs, sondern nach der Kaufkraft. Anders ausgedrückt, in Bangladesch oder Paraguay wird als absolut arm nur derjenige klassifiziert, dessen Lage einem Armen in den USA gleicht, der dort nur einen Dollar am Tag verdient. Das ist, schlicht gesagt, brutal arm. Dazu kommt, dass über die Methode, mit der die Kauf-
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kraftparität ermittelt wird, zu wenig Menschen in der Kategorie extremer Armut erfasst werden.27 Folglich untertreibt die Armutsgrenze von einem Dollar Kaufkraftäquivalent den Umfang der Armut. Es widerspricht überdies dem Allgemeinverstand, aus der Berechnung der Armut jede Komponente relativer Benachteiligung zugunsten der absoluten Dollargrenze zu tilgen; denn ein Ein-Dollar-Armer ist in einem Schwellenland deutlich schlechter gestellt als in einem Land mit niedrigem Gesamteinkommen. Stellt man dies in Rechnung und setzt als Armutsgrenze Ausgaben von höchstens einem Drittel des durchschnittlichen Ausgabenniveaus einer Gesellschaft an, dann erhöht sich der Anteil der extrem Armen schon um 8 bis 10 Prozent, und zwar auf 50,1 Prozent im Jahre 1981 und 28,9 Prozent im Jahre 2001.28 Die statistische Repräsentation der Armut nach den Konventionen der Weltbank unterschätzt somit das wahre Ausmaß der Armut in der Welt. Hinter hoch aggregierten Zahlenabfolgen wie dem Auf und Ab der globalen Armutsdaten können sich zudem qualitativ ganz gegensätzliche Realitäten verbergen: Neben den Aufsteigern gibt es auch Absteiger, neben dem Geldgewinn gibt es auch Wohlstandsverlust. Wenn eine Einkommensstatistik Erfolgszahlen vorstellt, verführt das zu der Annahme, dass sonst alles unverändert bleibt. Sie legt eine Bilanz vor, die nur Gewinne, aber keine Verluste enthält. Was musste einer aufgeben, der nun mehr als einen Dollar pro Tag verdient? Dabei sind die verborgenen Kosten von Einkommenswachstum auch bei den Armen keineswegs unbekannt, sie lassen sich nur nicht zu einer Kostenkurve hochrechnen. Im toten Winkel bleibt, dass Geldeinkommen gewöhnlich Männer begünstigt und Frauen schlechter stellt, dass manchmal ganze Berufskategorien wie Weber oder Fischer ihre Existenz verlieren oder dass die Ein-Dollar-Gewinner häufig in die Städte wandern und zum Lebensunterhalt nicht mehr auf ihren Clan oder unentgeltliche Naturgüter zurückgreifen können. Auch die Armutsstatistik folgt der uneingestandenen Losung: Was nicht in Geld gefasst werden kann, findet nicht statt. Deshalb führen die Globalisierungskritiker gerne qualitative, konkrete Geschichten der Verarmung gegen die Globalstatistiker ins Feld und haben Recht damit. So löst sich gewissermaßen der Widerspruch auf: Beide, Befürworter wie Skeptiker der Globalisierung, haben in ihrer je eigenen Weise Recht; sie kultivieren zwei verschiedene Seiten der Wahrheit. Die Konzentration auf die Armut lenkt den Blick leicht von der Ungleichheit ab. Beide Dimensionen fallen beileibe nicht in eins. Armut ist ein absoluter Begriff und umfasst den Kreis der Bevölkerung, der unterhalb einer definierten Schwelle lebt. Ungleichheit hingegen ist ein relativer Begriff und bezeichnet die Spreizung in der Verteilung von Einkommen. Wenn dank wirtschaftlichen Wachstums die Armut zurückgeht, ist mitnichten ausgemacht, was das für die Ungleichheit in einer Gesellschaft bedeutet. Es kommt auf die Verteilung des Zuwachses an. Dementsprechend kann ein
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Rückgang der Armut mit weniger, unveränderter oder erhöhter Ungleichheit einhergehen. Wenn Wachstumsgewinne hauptsächlich von den Oberund Mittelklassen abgeschöpft werden, dann bleibt der Rückgang der Armut hinter den vom Wachstum gegebenen Möglichkeiten zurück. Genau dies ist in den beiden Paradeländern China und Indien geschehen. Das lang gestreckte Wirtschaftswachstum hat zwar Armut abgebaut, doch zugleich Ungleichheit verstärkt.29 Es hat eine weniger elende, aber hierarchisch steilere Gesellschaft geschaffen. So wachsen in beiden Ländern die Einkommensunterschiede zwischen sozialen Klassen wie auch zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung. Darüber hinaus hat in beiden Ländern das Gefälle zwischen Regionen erheblich zugenommen. Die Kluft zwischen den östlichen Küsten- und westlichen Bergregionen in China öffnet sich ebenso wie jene zwischen den südwestlichen und nordöstlichen Staaten Indiens. Das Wachstum in China und Indien, so lässt sich im Lichte dieser Befunde sagen, hat in erster Linie die wirtschaftliche Macht bereits privilegierter Klassen und Regionen verstärkt und dann im Verlauf dieses Prozesses viele Menschen über die Armutsschwelle gehoben. Wenn also China und Indien ein Beispiel sein sollen für Armutsbekämpfung im 21. Jahrhundert, dann dürfte es um die Zukunft der Verteilungsgerechtigkeit innerhalb der Länder schlecht bestellt sein. Es zeichnet sich vielmehr ab, dass selbst eine «Welt ohne Armut» – so der Slogan der Weltbank – immer noch eine recht ungleiche Welt sein kann.
1.3 Endliche Welt Wenn es im 20. Jahrhundert ein Buch gegeben hat, das eine Zeitenwende markiert, dann im Jahre 1972 der Bestseller Grenzen des Wachstums.30 Mit einem Male war in den Fortschrittsglauben der Nachkriegsperiode der Verdacht eingebrochen, dass wirtschaftlichem Wachstum durch die Endlichkeit der Biosphäre Grenzen gesetzt sein könnten. Dabei verstärkten sich Wandlungen auf der Ebene der aktuellen Erfahrung wie auf jener der Mentalität und der Wissenschaft gegenseitig. Am Ende stand ein plötzlicher Sprung im gesellschaftlichen Lernprozess: Die Erde ist – im Gegensatz zu der Grundannahme des vorherrschenden Wirtschaftsdenkens – ein endliches System. Was sind Grenzen? In den ersten Jahren nach Grenzen des Wachstums wurde die Endlichkeit der Naturbasis menschlichen Wirtschaftern hauptsächlich als Endlichkeit der Ressourcenvorräte wahrgenommen. Wie schon einige Vordenker der klassischen Nationalökonomie – von Thomas Malthus über John Stuart Mill zu William S. Jevons – lenkten die Autoren von Grenzen des Wachstums die
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Aufmerksamkeit darauf, wie das Zurneigegehen mineralischer und energetischer Ressourcen sowie der Ackerfläche innerhalb einiger Jahrzehnte der Wirtschaft die Basis entziehen könnte. Anders gesagt, sie fassten die Natur als ein Lagerhaus von Produktionsmitteln auf, das sich bei fortschreitender und beschleunigter Entnahme zusehends leert. Diese Sicht der Dinge war zunächst durchschlagend, weil gerade nicht-erneuerbare Rohstoffe, wie der Name sagt, bei hoher Nachfrage irgendwann zu Ende gehen werden – es fragt sich nur: wann. Genau darum flammte in den letzten Jahrzehnten immer wieder Streit auf; denn es gibt keine festen Vorhersagen. Wann Öl- oder Erzvorräte sich erschöpfen, hängt auch von der Reaktion der Ökonomie auf sich ankündigende Knappheiten ab, selbst wenn – wie der «Vater» der ökologischen Ökonomie, Nicholas Georgescu-Roegen31, nicht müde wurde zu betonen – am langfristig entropischen Charakter der Umwandlung fossiler Bestände kein Zweifel bestehen kann. So können neue Technologien zu einem gewissen Grad Ressourcen ersetzen, steigende Preise können die Nachfrage dämpfen, wie auch eine Verlagerung zu Dienstleistungen hin den Rohstoffverbrauch pro Wertschöpfungseinheit vermindern kann. Je nach Anpassungselastizität des Wirtschaftssystems lässt sich also der Zeithorizont der Erschöpflichkeit verschieben, freilich nicht die Erschöpflichkeit eliminieren. So hat etwa die Erfindung der Agrarchemie die Vorhersagen von Malthus erschüttert oder die Entwicklung der Dienstleistungswirtschaft die düsteren Ankündigungen der Grenzen des Wachstums relativiert. Trotzdem gehen ökologische Rufer und Warner immer wieder in die Falle, den jeweils aktuellen Stand der Technik und die jeweils aktuelle Wirtschaftsstruktur mitsamt ihren Trends festzuschreiben und in die Zukunft zu projizieren. Bleibt dann der angesagte Kollaps aus, haben die ökologischen Schönsprecher, von einem erleichterten Publikum als «Öko-Optimisten» geehrt, ihrerseits Oberwasser. Vom Streit zwischen Paul Ehrlich und Julian Simon in den USA bis jüngst zu den Auseinandersetzungen in Europa um Björn Lomborg kehrte diese Debatte während der letzten Jahrzehnte in schöner Regelmäßigkeit wieder. Als Schlussfolgerung daraus lässt sich festhalten: Es ist leicht zu sagen, dass, aber schwer zu sagen, wann Grenzen erreicht werden. Mit Blick auf die Rohstoffe werden Grenzen, unterschiedlich nach Ressourcen, umso schneller erreicht, als das Wirtschaftswachstum nach Effizienzgrad und Komposition unverändert bleibt. Je elastischer aber die Wirtschaft antwortet, umso weiter schieben sich die Grenzen des Wachstums hinaus. Mit dieser Formel ließe sich gut auskommen – würde die Natur nicht weit mehr sein als nur ein Vorrat an Material für das menschliche Wirtschaften. Doch die Natur ist keineswegs nur ein Rohstofflager, sie ist eine Lebensgrundlage, und zwar die Lebensgrundlage schlechthin. Grenzen des Wachstums können also nicht nur in Sachen Ressourcenverfügbarkeit, sondern
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ebenso in Sachen Lebenserhalt auftauchen. Allzu leicht wird das leise Wirken der Natur für das Gedeihen von Menschen und Gesellschaften – einschließlich ihrer Wirtschaft – übersehen. Die Biosphäre und mit ihr die Welt umspannende Flora und Fauna sind aber nichts anderes als die relativ dünne Hülle der Erdkugel, die im Zusammenspiel von Ökosystemen und Organismen die Voraussetzung für Leben schafft. Materialien – wie Wasser oder essbare Stoffe – für Menschen oder sonstige Lebewesen zu liefern, ist dabei nur ein Teil; der andere ist der Unterhalt jener bio-geo-chemischen Zyklen, seien sie global oder lokal, die das Gewebe des Lebens stabil halten. Ob die Natur über die Photosynthese für Pflanzennahrung, über Insekten für die Bestäubung von Blüten, über Meeresströmungen für die Fruchtbarkeit von Landstrichen, oder über Luftdruck für den Transport enormer Wassermassen sorgt, immer erneuert sie, ganz unentgeltlich, die Springquellen jeder biologischen Existenz. 32 Ein Wald zum Beispiel hält Festmeter an Holz vorrätig, die als Bestandteil etwa der Papiererzeugung verkauft werden können. Ein Verlust des Waldes würde Kosten für seinen Besitzer wie für die Holzkunden verursachen; insofern schafft übermäßiger Ressourcenverbrauch ein wirtschaftliches Problem. Schon bevor jedoch finanzielle Kosten spürbar werden, beginnt der Wald die Fähigkeit einzubüßen, seinen Part in der Reproduktion des Lebensgewebes zu spielen. Weniger Wasser wird gefiltert und zurückgehalten, die Bäche werden dünner bei Trockenheit und gewaltiger bei Regen, Böden erodieren leichter, das Wild verschwindet und dann die Vögel, und für die Luft steht ein Reinigungswerk weniger zur Verfügung. Die Leben erhaltenden Dienste der Ökosysteme dünnen aus, wenn sie durch Übernutzung oder durch Schadstoffeintrag über ihre Regenerationsfähigkeit hinaus belastet werden; umkippende Seen, Überhitzung der Atmosphäre oder Niedergang der Bodenfruchtbarkeit sind andere Beispiele. Diese Art Grenzen stellen sich insbesondere bei biologischen Ressourcen ein; sie beeinträchtigen zunächst noch nicht die Wirtschaft, wohl aber die Gastlichkeit von großen und kleinen Naturräumen für die Vielfalt des Lebens – die Menschen eingeschlossen. Die Unterscheidung zwischen Grenzen bei der Ressourcenverfügbarkeit und Grenzen bei der Belastbarkeit von Ökosystemen erlaubt, im Streit zwischen den Vertretern «schwacher» und «starker» Nachhaltigkeit zu differenzieren.33 Die Ersteren meinen, dass an Naturverbrauch so lange nichts auszusetzen sei, als der Verlust in mehr technisches, menschliches oder finanzielles Kapital umgesetzt wird. Die Letzteren halten dagegen, dass es für den Ersatz von Natur durch Kapital Grenzen gibt: Man sägt den Ast, auf dem man sitzt, nur bei Strafe des Absturzes ab. In der Tat kann man in der Sicht knapp werdender Ressourcen am ehesten daran denken, dass der Verlust an Natur durch einen Gewinn an Wohlfahrt wettgemacht werden
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kann, weshalb die Rede der Umweltökonomen von der «schwachen Nachhaltigkeit» da einen gewissen Sinn macht. Doch in der Sicht knapp werdender Lebensgrundlagen ist das nicht der Fall. Für diese Art von Verlust kann kein Wohlfahrtsgewinn einen Ausgleich darstellen, weshalb hier «starke Nachhaltigkeit» gilt, das heißt, die Grenzen des Wachstums können durch keinerlei Wachstum der Grenzen ersetzt werden. Es ist also irreführend, sich Grenzen des Wachstums als eine klare Linie vorzustellen, deren Überschreitung plötzlich zur Katastrophe führen würde. Geläufig ist etwa das Bild vom Zug, der auf einen Abgrund zurast, oder jenes vom Organismus, der bei wachsender Belastung unversehens kollabiert. Beide Metaphern unterstellen, dass unerfreuliche Veränderungen schon bald und dann plötzlich auftreten, in katastrophischem Ausmaß und alle betreffend. Diese Charakteristik trifft nur auf wenige Gefahren zu, wie etwa auf das mögliche Umkippen des Golfstroms. Häufiger vollziehen sich bittere Veränderungen langsam, mit mittlerer Intensität und mit sozial ungleichen Auswirkungen. Sie verlaufen also eher linear, wie etwa das Abschmelzen der Eismasse der Alpengletscher um 60 Prozent im Verlauf der letzten 150 Jahre. Vom Verschleiß eines Gewebes zu sprechen könnte eine treffendere Metapher sein. Anfangs lösen sich nur ein paar Fäden und man merkt die Folgen noch kaum, doch zunehmend wird sowohl die Funktion wie die Schönheit des Gewebes beschädigt, bis es dann Löcher zeigt, reißt oder gar zerfällt.34 Es ist ratsam, sich das Überschreiten der Grenzen des Wachstums als eine solche Abfolge von kumulativen Prozessen des Niedergangs und dann erst von plötzlichen Momenten des Umschlags vorzustellen. Natursysteme sind in einem dauernden Wandel begriffen. Auch darum sind Grenzen schwer zu bestimmen. In der modernen Ökologie wird die Festigkeit der Gewebe des Lebens die «Resilienz von Ökosystemen» genannt, also ihre Belastbarkeit, ihre Widerstandsfähigkeit. In dieser Perspektive ist der Normalzustand von Ökosystemen, über alle Größenordnungen hinweg, nicht ein stabiles Gleichgewicht. Stattdessen sind sie in Bewegung und passen sich selbsttätig an sich verändernde Bedingungen an, vor allem an von außen kommende Störungen und Schocks. Die Resilienz von Ökosystemen liegt daher in ihrer Fähigkeit, sie zu verarbeiten, sich wieder zu erholen und zum früheren Flussgleichgewicht zurückzukehren.35 Wo ein solches bewegliches Gleichgewicht herrscht, ist es schwer, feste Grenzen der Resilienz von Ökosystemen zu bestimmen; es gibt keine eindeutigen Bruchlinien. Belastungsgrenzen der Natur sind darum besser als Korridore der Elastizität zu denken. Wenn allerdings die Störungen zu groß sind, bricht die Verarbeitungsfähigkeit zusammen, und das Ökosystem schlägt um in einen veränderten Zustand. Grenzen sind also dynamisch, nicht mit Sicherheit bestimmbar – aber trotzdem real. Die Tragekapazitäten von Ökosystemen – und erst recht die
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der Biosphäre – sind nicht statisch oder von einfachen Kausalbeziehungen geprägt. Sie sind abhängig von zwei stets in Veränderung begriffenen Bedingungen: einerseits vom Grad der Beanspruchung, der von Produktion und Konsum mitsamt der dort eingesetzten Technologien ausgeht, und andererseits von der Elastizität des Zusammenspiels zwischen a-biotischen und biotischen Faktoren in einem Ökosystem.36 Weil jedoch weder die Wirkungen menschlicher Innovation noch die Wirkungen biologischer Evolution vorausgesagt werden können, sind auch die Grenzen der Tragefähigkeit nicht mit Gewissheit bestimmbar. Sie sind aus der Natur der Dinge heraus unwissbar. Doch beseitigt die Ungewissheit des Wissens nicht die Realität der Grenzen. Gerade für sie gilt der Satz: Die Abwesenheit eines Beweises ist noch kein Beweis der Abwesenheit. Aus dieser Einsicht ergibt sich bereits eine politische Strategie im Umgang mit Umweltgrenzen: Nicht auf Beweise zu warten, sondern Vorsorge zu betreiben ist unter Bedingungen der Ungewissheit die vernünftige Strategie. Warnzeichen der Überlastung Einige Entwicklungen auf dem Globus lassen kaum einen anderen Schluss zu als den, dass die Menschheit seit ein paar Jahrzehnten angefangen hat, die Elastizität globaler Ökosysteme zu überspannen. Schon ein grober Blick auf die Bestandsgrößen bestimmter Ressourcen illustriert die Tiefe der Schleifspuren, welche die Wirtschaftstätigkeit in der Biosphäre hinterlässt. Globale Trends bei Ressourcen und Umwelt Umweltindikator
Trend
Atmosphäre
Das Weltklima hat sich in den letzten hundert Jahren um 0,6 bis 0,7 Grad Celsius erwärmt. Szenarien gehen, je nach Art der Entwicklung, von einer Zunahme der globalen Mitteltemperatur zwischen 1,4 und 5,8 Grad bis zur Jahrhundertwende aus. Der Temperaturanstieg in der nördlichen Hemisphäre war im 20. Jahrhundert größer als jemals zuvor in 1000 Jahren; die 1990er Jahre waren wahrscheinlich die wärmste Dekade des Millenniums. Zwar ist die Mitteltemperatur natürlichen Schwankungen unterworfen; aber es gibt starke Belege dafür, dass der überwiegende Teil der globalen Erwärmung in den letzten 50 Jahren durch menschliche Aktivitäten verursacht wurde.37
Feuchtgebiete
Feuchtgebiete sind äußerst bedeutsam für den Erhalt der biologischen Vielfalt und den Wasserhaushalt. Seit 1900 gingen über die Hälfte der weltweiten Feuchtgebiete verloren.38
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Biologische Vielfalt
Biologische Vielfalt ist nicht nur wichtig aufgrund des Eigenwertes der jeweiligen Art; sie ist zugleich eine Grundvoraussetzung für die Stabilität der Ökosysteme, von denen auch der Mensch abhängt. Doch sowohl im Meer wie auf dem Land hat auf der ganzen Welt der Artenverlust stark zugenommen; die Erde befindet sich gegenwärtig in der sechsten großen Aussterbensperiode ihrer Geschichte – die erste allerdings, die von einer biologischen Spezies verursacht wurde, dem homo sapiens.39 Ursachen hierfür sind Vernichtung und ökologische Beeinträchtigung von Lebensräumen, Übernutzung und Verschmutzung von Ökosystemen, Einschleppung von Arten, die andere verdrängen, sowie die globale Erwärmung.
Boden und Land
Schätzungsweise 50 Prozent der globalen Landfläche sind durch direkten menschlichen Einfluss verändert worden, mit bedeutsamen Konsequenzen für Artenvielfalt, Boden Struktur, Nährstoffkreislauf, Biologie und Klima.40 Man schätzt, dass 23 Prozent der nützlichen Landfläche eine so weitgehende Verschlechterung ihrer Qualität erfahren haben, dass ihre Produktivität zurückgeht. Ein wichtiger Faktor ist die Bodenerosion; von ihr sind aufgrund menschlicher Aktivitäten weltweit 15 Prozent des Bodens – eine Fläche größer als USA und Mexiko zusammen – betroffen.41
Wasser
Mehr als die Hälfte des zugänglichen Süßwassers wird für menschliche Zwecke genutzt, 70 Prozent davon für die Landwirtschaft, meistens zur Bewässerung.42 Riesige unterirdische Süßwasservorkommen, die sich im Laufe der Jahrtausende im Erdreich gebildet haben, werden dabei abgebaut. In den Vereinigten Staaten wird zum Beispiel das Ogallala Aquifer für die Bewässerung von Getreidefeldern derart übernutzt, dass in den nächsten 20 Jahren schätzungsweise 40 Prozent der bewässerten Flächen brach fallen können. Ähnliche Situationen existieren in Nigeria und im Nahen Osten.
Wälder
Die Waldfläche hat sich während der Menschheitsgeschichte von 6 Mrd. auf 3,9 Mrd. ha reduziert. In 29 Ländern gingen seit dem 16. Jahrhundert mehr als 90 Prozent des Waldes verloren. In den 1990er Jahren ging die Waldfläche weltweit um 4,2 Prozent zurück, hauptsächlich im Süden, wobei Aufforstung nicht berücksichtigt ist.43 Neben der Entwaldung spielt noch das Waldsterben eine Rolle. In den europäischen Wäldern waren 2001 ein Fünftel der untersuchten Baumkronen mittelstark oder stark geschädigt.44
Fischgründe
Die Übernutzung zahlreicher Fischbestände gefährdet das ökologische Gleichgewicht der küstennahen Ökosysteme und Ozeane. Nach Angaben der FAO sind derzeit mehr als ein Viertel aller Fischbestände erschöpft oder von Erschöpfung durch Überfischung bedroht. Weitere 50 Prozent werden am biologischen Limit befischt.45 Der weltweite Gesamtfischbestand hat sich nach Schätzungen zwischen Anfang der 1970er und Ende der 1990er Jahre nahezu halbiert.
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Ganz allgemein gesprochen übersteigen die Einwirkungen der von Menschen verursachten Stoffströme von ihrer Größenordnung her bereits einige der von der Natur unterhaltenen Stoffkreisläufe. Anders gesagt, die Aktivitäten der Technosphäre übertreffen bereits die Aktivitäten der Ökosphäre. Der Abdruck menschlicher Aktivitäten prägt die Veränderungen im Gesicht der Erde gleichzeitig und noch dazu mehr als natürliche Kräfte. Obendrein laufen die von Menschen verursachten Veränderungen in einer Geschwindigkeit ab, die oft weit über jenen der Natur liegt. In einer historisch beispiellosen Weise ist im 20. Jahrhundert der Druck auf die fossilen wie biotischen Bestände der Erde angewachsen.46 Ein Versuch, die Übernutzung der Biosphäre in einen einzigen globalen Indikator zu fassen, ist der «ökologische Fußabdruck».47 Jedes Land hat einen solchen Fußabdruck. Er beschreibt die Gesamtfläche, die es benötigt, um seine Infrastruktur zu errichten, Nahrung und Güter wie Dienstleistungen zu erzeugen und die Emissionen fossilen Energieverbrauchs zu absorbieren. Werden so alle Belastungen der Biosphäre – außer der Umweltverschmutzung – in eine Flächengröße umgerechnet und aufsummiert, dann lässt sich der globale ökologische Fußabdruck quantifizieren, den die Menschen auf dem Planeten hinterlassen. Auf die letzten vierzig Jahre gesehen enthüllt dieser Indikator eine dramatische Entwicklung: Zwischen 1960 und 2000 hat sich der globale ökologische Fußabdruck um 80 Prozent ver-
Abb. 3: Globaler ökologischer Fußabdruck (1961–2001).48 Der ökologische Fußabdruck der Menschheit war im Jahre 2001 zweieinhalbmal größer als im Jahre 1961. Er liegt damit jährlich um etwa 20 Prozent über der biologischen Kapazität der Erde. Diese Überforderung greift fortdauernd das Naturkapital der Erde an und ist deshalb nur für eine begrenzte Zeit möglich.
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größert. Setzt man ihn in Beziehung zur biologisch produktiven Weltfläche – ausgeschlossen also Wüsten, Eisflächen und tiefe Meere –, dann zeigt sich, dass er seit Mitte der 1970er Jahre die biologisch produktive Fläche an Größe übertrifft, derzeit um etwa 20 Prozent (Abbildung 3; vgl. auch Abbildungen 7,19 und 20).49 Mit anderen Worten, die Welt verbraucht Jahr für Jahr mehr Ressourcen, als die Natur erneuern kann. Wenn auch die Bedürfnisse anderer Lebewesen einbezogen werden, ist die Überbelastung der Biosphäre noch höher anzusetzen. Diese Berechnungen zeigen: Seit einem Vierteljahrhundert ist die globale ökologische Überdehnung zu einem Kennzeichen der Menschheitsgeschichte geworden. Unter dem Druck von steigender Bevölkerung und wachsendem Wirtschaftsvolumen beginnt die Biosphäre Merkmale der Erschöpfung und der Desorganisation zu zeigen. Wahrlich eine neue Phase der Evolution!
1.4 Gerechtigkeit und Grenzen Es war im Jahre 1928, als Mohandas Gandhi eine jener Intuitionen formulierte, die sein Denken ins 21. Jahrhundert hineinragen lassen. In einer seiner Kolumnen für Young India, das publizistische Sprachrohr der indischen Unabhängigkeitsbewegung, schrieb er: «Gott verbiete, dass Indien jemals zu einer Industrialisierung nach dem Muster des Westens schreitet. Der wirtschaftliche Imperialismus eines einzelnen winzigen Insel-Königreichs (England) hält heute die Welt in Ketten. Falls eine ganze Nation mit 300 Millionen Einwohnern auf eine ähnliche ökonomische Ausbeutung setzt, würde die Welt kahl gefressen wie durch eine Heuschreckenplage.» Fast 80 Jahre später hat diese Feststellung nichts an Relevanz verloren. Im Gegenteil, sie hat an Gewicht gewonnen, weil inzwischen nicht mehr 300, sondern 1000 Millionen zur Nachahmung Englands schreiten. Gandhi ahnte, dass die Würde Indiens nicht auf dem Wirtschaftsniveau Englands wiederhergestellt werden kann, und ebenso wenig die Würde Chinas oder Indonesiens. Eine Vervielfachung Englands würde eine Vervielfachung kolonialer Ausplünderung nach sich ziehen, und zwar so weit, dass die Lebenshülle des Planeten in Mitleidenschaft gezogen würde. Die bio-physischen Grenzen für eine Verbreitung der Industriezivilisation auf dem Planeten, die in den letzten dreißig Jahren erkennbar geworden sind, haben Gandhis Ahnung eindrucksvoll bestätigt. Dreimal ökologische Gerechtigkeit Nun ist offensichtlich, dass die Ökologie sich mit bio-physischen Grenzen beschäftigt. Was sie aber mit Gerechtigkeit zutun haben soll, liegt nicht auf
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der Hand. In welchem Sinne lässt sich Ökologie als Thema der Gerechtigkeit fassen? Immerhin kommen ja Naturschützer und Umweltwissenschaftler häufig genug ohne Nachdenken über Gerechtigkeit aus. Dennoch wächst die Einsicht dass ökologische Grenzen neuartige Fragen der Gerechtigkeit stellen. Allerdings stand bislang die Gerechtigkeit zwischen den Lebewesen und zwischen Generationen im Vordergrund, noch kaum jedoch die Gerechtigkeit zwischen Ländern oder sozialen Klassen. Als erste Form ökologischer Gerechtigkeit kann die biosphärische Gerechtigkeit gelten. Alles Lebendige ist Teil der Biosphäre. Das Leben existiert nicht verstreut, mal hier, mal dort, sondern als ein zusammenhängendes Ganzes. Alles, was kreucht undfleucht, was geht und vergeht, gleichgültig,obin Patagonien oder Brandenburg, ist miteinander verbunden in der gemeinsamen Erzeugung jener dünnen Lebenshülle, die den Planeten umspannt. Damit ist die Voraussetzung gegeben, von den Beziehungen zwischen Menschen und anderen Lebewesen in Begriffen der Gerechtigkeit zu sprechen. Denn das Leben erweist sich als kommunitäre Veranstaltung; ein Gewebe vielfältiger Beziehungen konstituiert das Einzelwesen, die Anemone ebenso wie den Affenbrotbaum, den Wurm ebenso wie den Wal. Nicht anders verhält es sich mit dem Lebewesen Mensch. Auch wenn der Mensch über Sprache und Kultur verfügt, steht er der Natur nicht gegenüber. Er ist Teil der Gemeinschaft des Lebens auf der Erde. Auch für ihn ist die Natur nicht Umwelt, sondern Mitwelt.50 In einer solchen Perspektive kommen den Bäumen und den Flüssen, den Insekten und den Säugetieren, eben dem ganzen Kreis der Lebewesen, eigene Rechte zu.51 Die Rechte sind für kein Lebewesen absolut, also auch für den Menschen nicht. Menschen haben das Recht auf Nahrung, auf Kleidung, auf Lebensraum, auf Kultur. Doch daraus folgt nicht, dass sie das Recht haben, den Lebensraum anderer Lebewesen zu zerstören, etwa einen Binnensee umkippen zu lassen oder das Klima in Unordnung zu bringen. Die Besitz- und Machtansprüche der Menschen sind innerhalb der biosphärischen Gemeinschaft durch die Eigenrechte anderer Lebewesen eingeschränkt. Unter dem Gesichtspunkt biosphärischer Gerechtigkeit geht es also darum, wie der erste Absatz der Erd-Charta formuliert, zu «erkennen, dass alles, was ist, voneinander abhängig ist, und alles, was lebt, einen Wert in sich hat, unabhängig von seinem Nutzwert für die Menschen».52 Demgegenüber richtet der Begriff der inter-generationellen Gerechtigkeit die Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen den gegenwärtig Lebenden und den zukünftigen Generationen. Er dehnt das Prinzip der Fairness entlang der Zeitachse aus und erweitert damit den Kreis der menschlichen Gemeinschaft. Die Bedürfnisse der Gegenwart zu befriedigen, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen die ihrigen nicht befriedigen können – das war das Credo der Brundtland-Kommission, die den Grundstein zur Epoche der 1990er Jahre legte, als «Nachhaltige Entwicklung» in aller
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Munde war.53 Während bis dahin die Nachwelt eher als Nutznießer unverdienten, unaufhaltsamen Fortschritts gegolten hatte, wurde sie nun als dessen mögliches Opfer angesehen. Atomkraft, Klimawandel, Artenschwund, Bevölkerungsanstieg lassen sich als Beispiele für eine mögliche Kolonisierung der Zukunft durch die Gegenwart anführen. Wieweit aber haben Vorfahren das Recht, durch ihre Entscheidungen die Chancen der Nachwelt festzulegen? Die Antwort lautet: Gegenseitigkeit. Die Jetztgeborenen schulden den Nachgeborenen, was sie selbst von vorhergehenden Generationen empfangen haben. So wie von Eltern erwartet wird, dass sie ohne Entgelt an ihre Kinder weitergeben, was sie ihren eigenen Eltern verdanken, so stehen auch Generationen in der Pflicht, die Regel der Gegenseitigkeit zu beachten. Aus diesem Grund können sich die Heutigen nicht im Vollsinn als Besitzer des Naturvermögens der Erde betrachten; sie sind eher die Treuhänder eines Erbes, das ungeschmälert an die Nachfahren weiterzugeben ist, wie es ihnen selbst von ihren Vorfahren hinterlassen wurde.54 Allerdings haben beide angeführten Begriffe ökologischer Gerechtigkeit einen blinden Fleck: Die Institutionen der Menschen und ihre Beziehungen untereinander bleiben außerhalb des Blickfelds. Die menschliche Gesellschaft und ihre Binnenverhältnisse werden als eine black box behandelt. Das ist verständlich, führt man sich vor Augen, dass Umweltschützer nicht selten dazu neigen, die Wirklichkeit in zwei Sphären aufzutrennen, nämlich auf der einen Seite die Natur und auf der anderen Seite der Mensch. Beeindruckt vom Konflikt zwischen beiden, vernachlässigen sie häufig, dass «der Mensch» eine Fiktion ist. Was damit der Aufmerksamkeit entgeht, sind Fragen der Gerechtigkeit innerhalb der gegenwärtig lebenden Generationen. Innerhalb einer Generation sind dann alle Katzen grau, niemand sticht durch Reichtum oder Armut, Macht oder Ohnmacht hervor. Es ist die konzeptuelle Indifferenz gegenüber Macht- und Verteilungsfragen, die der Brundtland-Formel den Weg in Regierungskanzleien und Vorstandsetagen geebnet hat. Doch Umweltverbrauch prägt nicht nur die Beziehung der Menschen zur Natur, sondern auch die Beziehungen der Menschen untereinander. Umweltveränderungen sind gewöhnlich gut für die einen und schlecht für die anderen. Wer nimmt wie viel aus der Ökosphäre und kann sich welchen Nutzen von den Naturressourcen aneignen? Wer wiederum hat welche Belastungen zu tragen und muss mit den vielfältigen Kosten von Umweltverbrauch fertig werden? Das sind die beiden Schlüsselfragen der ökologischen Gerechtigkeit zwischen den gleichzeitig Lebenden, der intra-generationellen oder Ressourcen-Gerechtigkeit. Sie stellen sich, weil Vorteile von Umweltverbrauch – etwa Besitz, Prestige, Gewinn, Macht – und Nachteile – etwa Verschmutzung, Verhässlichung, Entbehrung, Armut – gewöhnlich nicht beim selben Akteur, am selben Ort und zum selben Zeitpunkt anfal-
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len, sondern sich ungleich verteilen. Vorteile wie auch Nachteile konzentrieren sich bei jeweils unterschiedlichen sozialen Gruppen, an jeweils unterschiedlichen Orten und möglicherweise auch zu unterschiedlichen Zeiten (Kapitel 2).55 Die Muster der Ressourcenaneignung folgen vielfach den Kräftelinien von Geld und Macht. Bestimmte Gruppen, Regionen und Länder ziehen den Löwenanteil der Naturressourcen an sich. Und was Wirtschaftswissenschaftler gerne «die Externalisierung negativer Folgen» nennen, hat nicht nur ein bio-physisches, sondern auch ein soziales Profil: Der Mechanismus der Externalisierung, also die Auslagerung der Nachteile und Kosten, strukturiert Gesellschaften in Gewinner und Verlierer. Machtbeziehungen etablieren ein soziales Gefälle, das dafür sorgt, dass sich auf der einen Seite eher die Vorteile und auf der anderen Seite eher die Nachteile ansammeln. Überhaupt lässt sich Macht in diesem Zusammenhang als die Fähigkeit definieren, den Nutzen von Umweltverbrauch zu internalisieren, die Kosten jedoch zu externalisieren – in Randgebieten, bei sozial schwachen Klassen oder zu einem späteren Zeitpunkt –, während der Nutzen sich in den Zentren, bei den sozial starken Klassen und ohne Verzug einstellt. Alle drei Dimensionen ökologischer Gerechtigkeit streben danach, die Gastlichkeit der Erde zu erhalten. In jeder von ihnen geht es um die Sicherung der Existenz- und Entfaltungsrechte einer Klasse von Erdenbürgern auf dem Globus: bei der ersten Variante um jene der nicht-menschlichen Lebewesen, bei der zweiten um jene der späteren Generationen und bei der dritten um jene der benachteiligten Menschen und Länder. Wem gehören die Ölvorräte, die Flüsse, die Wälder, die Atmosphäre? Wer hat welches Recht auf die lebensdienlichen Leistungen der Biosphäre? Wie viel darf ein jeder für sein Wohlergehen nehmen, ohne den anderen ihr Recht zu beschneiden? Das sind die Gerechtigkeitsfragen der Ökologie im Allgemeinen und, wenn es um die gegenwärtige Weltgesellschaft geht, jene der Ressourcengerechtigkeit im Besonderen. Und diese Gerechtigkeitsfragen spitzen sich zu, je deutlicher bio-physische Grenzen der Naturnutzung sichtbar werden. Wo es nicht mehr möglich ist, die Naturnutzung auszuweiten, können die Existenz- und Freiheitsrechte schwächerer Menschen und Nationen nur durch eine andere Nutzung und Verteilung der Naturressourcen gewahrt bleiben. Je mehr die Grenzen der Tragefähigkeit von Ökosystemen erreicht werden, desto stärker sind die Freiheitsgrade der weniger Starken gefährdet, weil ökologische Grenzen, lange bevor sie endgültig überschritten sind, ihre sozio-ökonomischen Schatten voraus werfen. Es wird das Benzin an der Zapfsäule teurer, Wasserquellen versiegen in Trockengebieten, die Preise für Getreideimporte schnellen in die Höhe, Fischer kehren mit leeren Netzen zurück. Knappheiten machen sich über verschärfte Konkurrenz, über
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Verteuerung und rechtliche Ausgrenzung oder über Qualitätsverfall und Verlust der Naturgüter bemerkbar. Bevor noch der Umweltfrieden im ökologischen Sinne ernsthaft gestört ist, schwindet häufig schon der soziale Frieden dahin. Die Verknappung von Ressourcen und Umweltgütern wird in diesem Jahrhundert den Hintergrund für zahllose große und kleine Konflikte abgeben (Kapitel 3). Das Dilemma der Aufholjagd Mit der Erkennbarkeit bio-physischer Grenzen des herkömmlichen Wachstums ist nichts mehr wie zuvor, insbesondere im Kampf um Gerechtigkeit. Denn die unterstellte Synergie zwischen dem Verlangen nach Gerechtigkeit und der Politik wirtschaftlichen Wachstums funktioniert nicht mehr. Seit langem nämlich gehört es zum Kernbestand politischer Gewissheiten, dass Gerechtigkeit durch Wachstum geschaffen wird, und zwar national wie international, wie man umgekehrt davon ausgeht, dass der Wunsch nach mehr Gleichheit das Wachstum antreibt. Bei wirtschaftlichem Aufstieg werde sich darum – so die geläufige Auffassung – die Frage der Gerechtigkeit auf Dauer von selber lösen. Diese Ankoppelung von Gerechtigkeit an wirtschaftliches Wachstum war nach dem Zweiten Weltkrieg zum konzeptuellen Eckstein des Entwicklungszeitalters geworden. Seit jedoch die Endlichkeit der Biosphäre zu Tage tritt, also seit wenigen Jahrzehnten, steht dieser Eckstein auf schwankendem Boden. In einem begrenzten Umweltraum kann konventionelles Wachstum keine Gerechtigkeit mehr schaffen – es sei denn um den Preis einer zerrütteten Biosphäre. Im Entwicklungszeitalter wurde Gerechtigkeit verstanden als die erweiterte Teilnahme von immer mehr Menschen an einem steigenden Mehrprodukt. Der soziale Kontrakt zwischen Norden und Süden sah vor, über Wachstum und Sozialpolitik eine nachholende Entwicklung auf den Weg zu bringen, um die benachteiligten Länder und Völker zu den reichen Gesellschaften aufschließen zu lassen.56 Das war die unausgesprochene Grundlage des Systems der Vereinten Nationen und der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Zwei Interessen schossen da zusammen: Der Norden hoffte durch erweiterte Märkte auf Gewinnchancen und damit auf politische Stabilität, der Süden hingegen auf mehr Gleichheit und Anerkennung.57 In der Folge wurde das Verlangen der Länder des Südens nach einer fairen Welt in die an sie gerichtete Aufforderung übersetzt, ihre nationalen Ökonomien in die wachsende Weltwirtschaft zu integrieren. Daran hat sich auch im Globalisierungszeitalter, nachdem der Washington Consensus 1986 stabile Währungen zur Priorität erklärte und der sozialstaatlich orientierten Entwicklungspolitik den Garaus gemacht hatte, im Prinzip nichts geändert, im Gegenteil. Nach wie vor stellen für die offizielle Politik und die große Mehrheit der Ökonomen Wachstum und Weltmarktintegration den
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Königsweg sowohl zu mehr Gleichheit zwischen den Nationen wie auch zur Bekämpfung der Armut innerhalb der Nationen dar. Wer dem eigenen Land einen würdigen Platz im Konzert der Nationen sichern will, hat kaum eine andere Wahl, als nach wirtschaftlicher Stärke zu streben. Das ist die tief verwurzelte Erfahrung der Südländer. Quer durch die Geschichte kolonialer Übermacht mussten Nationen ihre Schwäche gegenüber den Industrieländern erkennen, ein Unterlegenheitsgefühl, das bis zum heutigen Tag die Weltgeschichte mit antreibt. Länder optieren daher für wirtschaftliche Mobilmachung nicht nur aus Lust am Reichtum, auch nicht nur aus dem Verlangen, endlich auf gleiche Augenhöhe mit den Industrieländern zu kommen, sondern ebenso aus der Furcht, dem Diktat der Mächtigeren ausgesetzt zu sein. Wachstumsversessenheit ist nicht selten eine Form der Selbstverteidigung. In der konventionellen Sicht sowohl des Südens wie auch des Nordens ist daher der Aufbau wirtschaftlicher Macht der einzig realistische Weg zu größerer Gerechtigkeit zwischen den Nationen. Darüber hinaus gilt Wachstum noch immer als Trumpfkarte, um den Kampf gegen die Armut innerhalb der Nationen zu gewinnen. In der Metapher A rising tide will lift all boats, die über so vielen Entwicklungsanstrengungen schwebt, ist diese Annahme geradezu sprichwörtlich geworden. Wie mit der Flut alle Boote steigen, auch die letzte Schaluppe und nicht nur die Luxusliner, so wirken die Kräfte des Wachstums: Sie heben das Einkommen der Reichen wie der Armen, indem sie den Pegel des Nationaleinkommens ansteigen lassen. Gelänge es dazu noch, die Einkommen der Armen überproportional ansteigen zu lassen, dann hätte Wachstum sogar das Potenzial, den erwünschten Ausgleich herzustellen. Langfristig gesehen bekommen alle mehr, von keinem werden Einbußen verlangt. Wem es gelingt, in dieser Weise die Gerechtigkeit an das Wachstum zu koppeln, kann in der Tat die harten Fragen der Gerechtigkeit an die Zukunft delegieren. Diese Neigung vereint nicht selten politisch gegensätzliche Lager – Südländer mit Nordländern, Liberale mit Keynesianern, Globalisiererinnen mit Globalisierungskritikerinnen. Die meisten von ihnen waren und sind in einer Denktradition befangen, die in das frühe 19. Jahrhundert zurückreicht. Sie gehen davon aus, dass Wachstum ein Positivsummenspiel ist. Wirtschaftswachstum sei in der Lage, der Welt fortdauernd Nützliches und Neues hinzuzufügen, und zwar weit mehr, als dabei Schäden und Verluste anfallen. Seither sind Wirtschaftswissenschaftler unterschiedlicher Couleur auf rosige Zukünfte abonniert. Der Fortschrittsoptimismus gehört damit zur Ökonomie wie der Glaube zur Theologie. Auch wenn oft strittig war, ob gewinnorientiertes Wachstum aus sich selbst die wirklich Bedürftigen erreichen könne oder ob dafür nicht auch eine gesellschaftliche Steuerung notwendig sei, so stand doch die Wachstumsidee nicht wirklich in Frage. Sie
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half den Ökonomen, Vergangenheit und Zukunft der Wirtschaft im Wesentlichen als eine Geschichte anwachsenden Reichtums zu lesen. Gerechtigkeit musste nicht zum Thema werden, da für die Vermehrung des Reichtums keine natürlichen Grenzen vorgesehen waren. Im Gegenteil, so hieß es, Umverteilung oder Selbstbeschränkung – die klassischen Forderungen der Gerechtigkeitslehre – könnten nur den Fortgang des Wachstums aufhalten und die Ankunft des Wohlstands bei den Armen verzögern. Spätestens seit die bio-physischen Grenzen erkennbar werden, hat dieses Wachstumsverständnis seine Unschuld verloren. Es kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass Wachstum eher einem Nullsummenspiel gleicht. Es zeichnet sich ab, wie mit ökonomischer Wertschöpfung gleichzeitig ökologische Misswertschöpfung einhergeht. Wertschöpfung speist sich zu einem nicht geringen Teil aus der unentgeltlichen Nutzung der Natur; deshalb beginnt jenseits einer nahen oder schon erreichten Schwelle mit wachsendem Technikkapital und Geldkapital das Naturkapital zu schrumpfen. Die Überbeanspruchung der Biosphäre – von der Überstrapazierung lokaler Ökosysteme ganz abgesehen – rührt von der Übergröße des Weltwirtschaftssystems her; jede Ausdehnung des Stoffverbrauchs ohne einen Rückbau anderswo beschleunigt den Niedergang der Natur. Gewiss, monetäres Wachstum ist nicht in einer unveränderlichen Relation an stoffliches Wachstum gebunden. Das gleiche Bruttosozialprodukt kann unterschiedliche Grade an Umweltbelastung verursachen. Doch an der Gesamttendenz kann kaum ein Zweifel bestehen: Mit der monetären Größe der Wirtschaft nimmt auch ihre stoffliche Größe zu, jedenfalls bis zum Übergang in eine post-industrielle Phase. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im Industrialisierungsverlauf oft ein Formwandel der Belastung zu beobachten ist: Während anfangs lokale Luft- und Wasserverschmutzung vorherrschen, gewinnt später der Druck auf globale Ressourcenbestände (Energie und biologische Ressourcen) sowie auf globale Senken (Atmosphäre) an Gewicht. Die Schlussfolgerung aus diesen Einsichten lässt sich auch umgekehrt formulieren: So lange das Verlangen nach Gerechtigkeit an herkömmliches Wachstum gekoppelt bleibt, droht es mit der Stabilität der Biosphäre zu kollidieren. Genau darin liegt das Dilemma der gegenwärtigen Aufholjagd, besonders in Asien. Es mag umstritten sein, ob die Wachstumssprünge in China und Indien international ein Mehr an sozialem Ausgleich und national ein Weniger an Armut bringen (Kapitel 1.2), doch es ist sicher, dass sie den Verschleiß der Biosphäre vorantreiben. So schillernd die Ergebnisse des wirtschaftlichen Aufstiegs sich auf der Seite der Einkommensgerechtigkeit darstellen, so selbstzerstörerisch wirken sie auf der Seite der Umwelt. China ist, in absoluten Zahlen, mittlerweile zum zweitgrößten Emittenten von Kohlendioxid in der Welt nach den USA wie auch zum zweitgrößten Ölimpor-
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teur aufgestiegen. Noch stärker macht sich neben der Belastung globaler Ressourcensysteme der Druck auf lokale Lebensräume bemerkbar: Luftkranke Städte, schrumpfende Ackerflächen, schwindende Wasserbestände sind das Wetterleuchten einer heranziehenden Naturkrise.58 Die jährlichen wirtschaftlichen Kosten von Umweltschäden im Gefolge von Wirtschaftswachstum wurden für die 1990er Jähre immerhin auf die Größenordnung von 13 Prozent des chinesischen Inlandsprodukts geschätzt.59 Jahr für Jahr wäre dann die Einbuße an Natur größer als der Zuwachs des Wirtschaftsprodukts! Zwar sticht China durch die Größe seiner Bevölkerung hervor; aber im Prinzip sind ähnliche Tendenzen in Brasilien, Indien, Malaysia, Mexiko, Indonesien und anderen Schwellenländern am Werk. Bei Zusammensetzung und Wirkungsgrad des überlieferten Wirtschaftswachstums führt der Ausstieg aus Armut und Machtlosigkeit geradewegs zum Einstieg in Übernutzung und Überausbeutung. Es winkt mehr Einkommen, in Wirklichkeit aber doch nur ein größerer Anteil an der Raubökonomie. Es ist hohe Zeit, das Wohlstandsmodell der Industriemoderne auf den Prüfstand zu stellen. Mehr Gerechtigkeit in dieser Welt ist auf dem Verbrauchsniveau der Industrieländer nicht zu erreichen. Eine Wirtschaftsentwicklung konventionellen Stils, die einer wachsenden Weltbevölkerung insgesamt einen westlichen Lebensstandard bescheren möchte, wird ökologisch nicht durchzuhalten sein. Die dafür benötigten Ressourcenmengen sind zu groß, zu teuer und zu zerstörerisch. Deswegen wird der Kickstart der Schwellenländer in die Industriemoderne voraussichtlich zu einer weiteren Marginalisierung der armen Länder und Zonen und damit zu globaler Apartheid führen, aber sie auch selbst gefährden. Schon heute zieht sich für Dutzende von Peripherieländern die Schlinge weiter zu, weil China mit seiner kolossalen Nachfrage die Weltmarktpreise für Getreide, Erdöl und Eisenerz nach oben drückt. Wer daher das Ziel nicht aus den Augen verlieren will, eine fairere und gerechtere Welt als heute herbeizuführen, wird jene Produktions- und Konsummuster überprüfen, an die sich gegenwärtig die Wohlstandshoffnungen heften (Kapitel 5). Deshalb heißt Eintreten für globale Gerechtigkeit in einer ökologischen Perspektive nicht weniger, als das Wohlstandsmodell der Industriemoderne neu zu erfinden. Seit dem Altertum ist unstrittig, dass Gerechtigkeit die Eindämmung des Machtgebrauchs erfordert. Seit dem Auftauchen bio-physischer Grenzen verlangt Gerechtigkeit überdies die Eindämmung des Naturgebrauchs. Gerechtigkeit und Grenze müssen zusammen gedacht werden. In der Ökologie geht es nicht nur um die Natur, sondern eben damit um die Chancen eines gedeihlichen Zusammenlebens auf dem Globus. Eine Weltbürgergesellschaft ist nur auf der Basis ressourcen-leichter Wohlstandsstile vorstellbar. Wie sonst sollte es möglich sein, um 2050 rund neun Milliarden Menschen Gastfreundschaft auf der Welt zubieten?
2 Ungleichheit im Umweltraum Wahr aber bleibt, dass die größten Ungerechtigkeiten von denen ausgehen, die das Übermaß verfolgen, nicht von denen, welche die Not treibt. Man wird ja nicht Tyrann, um nicht zu frieren. Aristoteles, 329 v. Chr.
Im Allgemeinen wird das Weltbild von Umweltschützern durch eine Polarität geprägt. Sie trennen dann die Welt in zwei Sphären auf: hier der Mensch und dort die Natur, hier die Anthroposphäre und dort die Biosphäre. Dabei nehmen sie den Menschen als räuberische Spezies wahr, die ihre ökologische Nische gesprengt hat und mit ihren Aktivitäten zunehmend alle anderen Lebewesen und Ökosysteme belastet – damit aber auch sich selbst der Gefährdung aussetzt. Im Denken nicht weniger Ökologen rührt somit das drohende Verhängnis daher, dass der Mensch und sein Wirtschaftssystem die Tragefähigkeit des Natursystems überfordert. Nur – den Menschen gibt es nur in der Abstraktion. Gewiss, jeder Mensch benötigt ein Mindestmaß an Natur, um seine Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Dieser Austausch mit der Natur geschieht bio-physikalisch gesehen zunächst über die erste Haut, die menschliche Körperoberfläche, und ist eng mit dem menschlichen Stoffwechsel verbunden: Atmung und Transpiration, Nahrungsaufnahme und Wärmeabstrahlung, sowie stoffliche Ausscheidungen. Auf dieser elementaren Ebene beträgt der stoffliche Umsatz rund 800 kg pro Mensch und Jahr.1 Aber bereits sehr früh in ihrer Geschichte, als Jäger und Sammler, hatten Menschen sich eine Art zweite Haut zugelegt, in der Form von Bekleidung, Hütten oder Waffen. Auch heute wird diese Form des Stoffwechsels noch von einigen Volksgruppen in entlegenen Gebieten gelebt. Hinzu kam bald eine weitere Hülle, die Bauernkulturen umgibt. Hier umfasst das Wirtschaftssystem Ackerböden, domestizierte Pflanzen und Tiere, die Nahrung und Rohstoffe erzeugen. Aus Stein, Erz und sonstigen Materialien entstehen Gerätschaften und Häuser. Vielleicht gut die Hälfte der Menschheit folgt derzeit diesem Typus von Naturverbrauch, der entsprechende Stoffwechsel eines indischen Dorfes liegt im Jahr in der Gegend von durchschnittlich 2 bis 5 Tonnen pro Person.2 Eine vierte Hülle, jene der industriellen Zivilisation, umspannt weit mehr als die lokale Ebene und umfasst vor allem Einrichtungen, die von Organisationen auf unterschiedlichen Systemebenen betrieben werden: Hochhäuser, Stahlwerke, Supermärkte, Schwimmbäder, Flughäfen, Panzerfahrzeuge. Bei industriellen Gesellschaften liegt heute der Metabolismus (ohne Wasser und Luft) bei etwa 40 bis 70 Tonnen pro Kopf und Jahr3 und damit um eine Zehnerpotenz über dem biologisch unerlässlichen Niveau. Hinter den Großkategorien «Mensch» und «Wirtschaftssystem» verber-
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gen sich also sehr unterschiedliche Realitäten. Die unterschiedlichen Kulturen, Klassen und Produktionsweisen nehmen in einem ganz ungleichen Ausmaß die Biosphäre für ihr Überleben und für ihre Großtaten in Anspruch. Höchst ungleich ist der globale Umweltraum zwischen den Gesellschaften der Welt aufgeteilt, jenes Vermögen an Naturgütern, das der Menschheit durch das lebensdienliche Wirken der Biosphäre zur Verfügung gestellt wird. Obgleich diese Biosphäre allen gleich und niemandem im Besonderen gehört, wird sie von Regionen, Klassen und Nationen asymmetrisch genutzt. So ist die Weltgesellschaft weit davon entfernt, allen Erdenbürgern den gleichen Zugang zu den Naturgütern des Planeten zu gewähren. In diesem Kapitel versuchen wir, uns ein Bild von der Verteilung natürlicher Ressourcen auf dem Globus und von ihrer Aneignung durch die Menschen zu machen. Wer nimmt wie viel vom globalen Umweltraum in Beschlag? Zunächst stellen wir die ungleiche Ressourcenverteilung zwischen den Nationen dar und gehen dann der Asymmetrie in den Handelsbeziehungen zwischen Europa, auf das wir uns vor allem beziehen, und der Welt nach. Im weiteren Fortgang ändern wir den Fokus und nehmen die Ungleichheiten zwischen den sozialen Schichten innerhalb der Gesellschaften in den Blick, um daran zu zeigen, dass die Ressourcen verbrauchenden Klassen aller Länder soviel miteinander gemeinsam haben, dass sie als eine transnationale Mittel- und Oberklasse betrachtet werden können.
2.1 Die Triade der Allesfresser Zu den Vereinten Nationen (UN) gehören 191 Staaten, zur Triade, von der zu sprechen sein wird, zählen Nordamerika, die Europäische Union und Japan. In den Vereinten Nationen haben alle Staaten Sitz und Stimme. Dem Völkerrecht gelten sie als gleichwertige Einheiten. In Flächengröße, Einwohnerzahl und wirtschaftlicher Macht jedoch sind sie extrem unterschiedlich. Um über sie Aussagen zu treffen – etwa über die Verteilung von natürlichen Ressourcen –, müssen sie in Gruppen zusammengefasst werden, die für die gesuchte Wechselbeziehung aussagekräftig sind. Dabei ist die grobe Einteilung der Staaten in Erste, Zweite und Dritte Welt, wie sie noch in Zeiten des Kalten Krieges üblich war, schon seit langem hinfällig. Auch die traditionelle Einteilung in Industrie- und Entwicklungsländer ist zu grobmaschig. Sie verdeckt vor allem die enormen Differenzen, die sich in den letzten zwanzig Jahren zwischen den Entwicklungsländern herausgebildet haben und sich von Jahr zu Jahr vertiefen. Zwar kann die Einkommenshöhe eines Landes, meistens pro Kopf der Bevölkerung berechnet, immer noch als der treffendste Indikator für den Stand der wirtschaftlichen Entwicklung gelten; aber gerade für die Entwicklungsländer sind dabei deutliche Abstufungen angezeigt. Da
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die Daten sammelnden Agenturen wie die Weltbank, die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) oder die Welthandelsorganisation (WTO) mit unterschiedlichen Klassifikationen operieren, haben wir die länderspezifischen Daten in einer eigenen Einteilung der Ländergruppen zusammengefasst. Auf einer ersten Ebene werden Industrieländer von Entwicklungsländern unterschieden, auf einer zweiten die Letzteren untereinander differenziert. Bei ihnen ergeben sich fünf Untergruppen. Verwendete Ländergruppierungen4 Industrieländer
Andorra, Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Färöer-Inseln, Finnland, Frankreich, Gibraltar, Griechenland, Grönland, Großbritannien, Irland, Island, Israel, Italien, Japan, Kanada, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Monaco, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, San Marino, Schweden, Schweiz, Spanien, St. Pierre und Miquelon, Vereingte Staaten von Amerika
Entwicklungsländer mit hohem Einkommen
Aruba, Bahamas, Barbados, Bermuda, Brunei, Cayman Islands, Französisch Polynesien, Guam, Hong Kong, Katar, Kuwait, Macau, Neukaledonien, Niederländische Antillen, Nördliche Marianen, Singapur, Slowenien, US Virgin Islands, Vereinigte Arabische Emirate, Zypern
Entwicklungsländer mit oberem mittlerem Einkommen
Antigua und Barbuda, Argentinien*, Bahrain, Botsuana, Brasilien*, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, Estland, Gabun, Grenada, Rep. Korea*, Kroatien, Libanon, Libyen, Malaysien*, Mauritius, Mexiko*, Oman, Palau, Panama, Polen*, Puerto Rico, Samoa, Saudi-Arabien*, Seychellen, Slowakei, St. Kittis und Nevis, St.Lucia, Süd-Afrika*, Trinidad und Tobago, Tschechische Republik, Türkei*, Ungarn, Uruguay, Venezuela*
Entwicklungsländer mit unterem mittlerem Einkommen
Ägypten, Albanien, Algerien, Äquatorialguinea, Belize, Bolivien, Bosnien-Herzegovina, Bulgarien, Dominikanische Republik, Dschibuti, Ecuador, El Salvador, Fidschi, Guatemala, Guyana, Honduras, Irak, Iran*, Jamaika, Jordanien, Jugoslawien, Kap Verde, Kasachstan, Kiribati, Kolumbien*, Kuba, Lettland, Litauen, Malediven, Marokko, Marshallinseln, Mazedonien, Mikronesien, Namibia, Papua Neu Guinea, Paraguay, Peru, Philippinen*, Rumänien, Russland*, Samoa, Sri Lanka, St. Vincent und Grenadinen, Surinam, Swasiland, Syrien, Thailand*, Tongo, Tunesien, Turkmenistan, Vanuatu, Volksrepublik China*, Weißrussland, Westbank
Entwicklungsländer mit niedrigem Einkommen
Afghanistan, Angola, Armenien, Aserbaidschan, Äthiopien, Bangladesch, Benin, Bhutan, Burkina Faso, Burundi, Elfenbeinküste, Eritrea, Gambia, Georgien, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Haiti, Indien*, Indonesien*, Jemen, Kambodscha, Kamerun, Kenia, Kirgisistan, Komoren, Dem. Rep. Kongo, Rep. Kongo, Dem. VR Korea, Laos, Lesotho, * 20 sogenannte «Neue Verbraucherländer» nach Meyers/Kent 2004, siehe Kapitel 2.3
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Ungleichheit im Umweltraum Liberia, Madagaskar, Malawi, Mali, Mauretanien, Moldau, Mongolei, Mosambik, Myanmar, Nepal, Nicaragua, Niger, Nigeria, Osttimor, Pakistan*, Ruanda, Salomonen, Sambia, Sao Tome und Principe, Senegal, Sierra Leone, Simbabwe, Somalia, Sudan, Tadschikistan, Tansania, Togo, Tschad, Uganda, Ukraine*, Usbekistan, Vietnam, Zentralafrikanische Rep.
Sonstige
Anguilla, British Virgin Islands, Cocos Islands, Cook Islands, Falkland, Gaza-Streifen, Guadeloupe, Guyana, Martinique, Montserrat, Nauru, Niue, Norfolk Islands, Reunion, St. Helena, Taiwan, Rep. China, Tokelau, Turks und Caicos Islands, Tuvalu, Wallis und Futuna
Geografische Verteilung der Ressourcen Je nach geologischen und klimatischen Gegebenheiten sind Ressourcen schon von Natur her ungleich über den Erdball verteilt. Auch unterliegen sie unterschiedlichen Veränderungsraten in der Zeit. Sie hängen ab von der Frequenz bio-geo-chemischer Stoffkreisläufe, also der Zeit, die eine stoffliche Ressource benötigt, um den natürlichen Zyklus von Werden und Vergehen zu durchlaufen.5 Die Unterscheidung zwischen «erneuerbar» und «nichterneuerbar» beruht auf diesen bio-geo-chemischen Umlaufzeiten. Die in der Erdkruste vorkommenden nicht-erneuerbaren Rohstoffe, zum Beispiel Minerale, Erdöl, Metalle, haben die längsten geologischen Umlaufzeiten in Bereichen von Millionen von Jahren und kommen in ausreichend konzentrierter Form oftmals nur punktuell vor. Die Stoffkreisläufe der Biosphäre wiederum laufen im Bereich von • 10 Jahren ab. Es handelt sich um Stoffe, die in Lebewesen eingebaut sind. Aus den Kreisläufen der Biosphäre entstehen dann in wiederum längeren Zeiträumen nachwachsende Rohstoffe wie beispielsweise Wälder. Die kürzesten Stoffumlauf Zeiten im Bereich von • 1 Jahr schließlich finden über die Atmosphäre statt: elementarer Sauerstoff und Stickstoff, Wasser und Kohlendioxid. Durch Photosynthese und Atmung werden sie von den Organismen der Biosphäre verstoffwechselt. Tabelle 1: Globale Flächenverfügbarkeit und Nutzung (1999)6
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Definition natürlicher Ressourcen7 Nicht erneuerbare Rohstoffe
Fossile Energieträger, Metallerze und andere Minerale, etwa Gips oder Porzellanerde, sind in dem Sinne nicht erneuerbar, als sich ihre Vorkommen nicht innerhalb menschlicher Zeitmaßstäbe regenerieren können. Ihre Vorkommen sind begrenzt und nehmen aufgrund menschlicher Aktivitäten ab.
Erneuerbare Rohstoffe
Biomasse erneuert sich grundsätzlich innerhalb menschlicher Zeitmaßstäbe. Sie umfasst schnell erneuerbare Ressourcen wie landwirtschaftliche Nutzpflanzen und langsam nachwachsende Ressourcen wie Holz. Diese als Rohstoffe genutzten biologischen Ressourcen können sich jedoch bei Übernutzung erschöpfen.
Artenvielfalt
Artenvielfalt, auch Biodiversität genannt, umfasst die «Vielfalt des Lebens», bezeichnet sowohl den Grad des Artenreichtums in einem bestimmten Ökosystem als auch die genetische Vielfalt innerhalb einer Population. Artenvielfalt ist eine der Grundvoraussetzungen für die Stabilität der weltweiten Ökosysteme, die durch das weltweite Artensterben gefährdet wird.
Umweltmedien wie Luft, Wasser und Boden
Diese Ressourcen dienen zur Erhaltung des Lebens und zur Erzeugung biologischer Ressourcen. Bei ihnen ist es die nachlassende Qualität, die Anlass zur Besorgnis gibt. Die Gesamtmenge an Luft und Wasser auf der Erde ändert sich nicht innerhalb menschlicher Zeitmaßstäbe, aber aufgrund von Verschmutzung sind sie oftmals in schlechtem Zustand.
Strömende Ressourcen wie geothermische oder Solarenergie
Diese Ressourcen können sich nicht erschöpfen, für ihre Nutzung sind aber andere Ressourcen erforderlich. Beispielsweise sind Energie, Materialien und Raum nötig, um Windturbinen oder Solarzellen zu bauen.
Fläche
Es ist offensichtlich, dass für die Produktion oder Erhaltung aller oben erwähnten Ressourcen physischer Raum erforderlich ist. Beispiele sind Landnutzung für menschliche Ansiedlungen, Infrastruktur, Industrie, Mineralgewinnung, Land- und Forstwirtschaft.
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Erneuerbare Ressourcen haben vergleichsweise kurze Umlaufzeiten, ihre Verteilung ist dynamischer und kann sich in menschlichen Zeiträumen merklich verändern. Ihre Verteilung und Verfügbarkeit ist an Größe und Qualität der Landflächen gebunden – das gilt zumindest für den Großteil der vom Menschen genutzten Biomasse aus Land- und Forstwirtschaft. Die Landoberfläche der Erde beträgt rund 13 Milliarden ha. Die oben genannten Industrieländer belegen rund ein Viertel dieser Landfläche (Tabelle 1). Das ist verhältnismäßig viel im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil von rund 15 Prozent. Denn zu ihnen zählen große Länder mit geringen Bevölkerungsdichten (USA, Kanada, Australien), freilich auch Länder mit sehr hohen Bevölkerungsdichten (Westeuropa, Japan). Allerdings ist die Flächenverteilung nicht gleichzusetzen mit der Möglichkeit, erneuerbare Rohstoffe zu gewinnen. Wüsten und Steppen sind weniger oder überhaupt nicht nutzbar Rund 30 Prozent (ca. 4 Milliarden ha) der Landoberfläche sind Waldflächen und somit zumindest potenziell auch als Quelle für nachwachsende Rohstoffe anzusehen. Überdurchschnittlich viele Waldflächen finden sich in den gemäßigten Breitenzonen (Nordosteuropa, Nordamerika) und in der äquatorialen Zone Südamerikas. So werden nur knapp zwei Fünftel (5 Milliarden ha) der weltweit verfügbaren Landoberfläche landwirtschaftlich genutzt. Davon ist der überwiegende Teil Weideland – 3,5 Milliarden ha. Lediglich 1,5 Milliarden ha werden weltweit für den Ackerbau genutzt. In den dicht bevölkerten Industrieländern (Japan und Europäische Union) dagegen wird die landwirtschaftliche Fläche überwiegend für den Ackerbau und zum kleineren Teil als Weidefläche genutzt. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche ist nicht beliebig vermehrbar. Weltweit hat sie sich in den letzten 40 Jahren um ca. 10 Prozent erhöhen lassen. Gleichzeitig hat sich die Bevölkerung verdoppelt, sodass in der Folge die Pro-Kopf-Verfügbarkeit von 1,46 auf 0,82 ha pro Kopf gesunken ist.8 Dafür ist die landwirtschaftliche Produktivität, das heißt der Ernteertrag pro Hektar, auf das Zweifache gewachsen. Gleichwohl gibt es deutliche regionale Unterschiede. Südasien beispielsweise kann aufgrund seines starken Bevölkerungswachstums und seiner begrenzten Naturräume nur über 0,17 ha pro Kopf verfügen. Hinzu kommt, dass die Erntemenge pro Hektar in den Industrieländern fast 30 Prozent höher ist als in den Entwicklungsländern. In der Europäischen Union liegt sie sogar doppelt so hoch, ist freilich auch mit höherem Aufwand an Maschinen, Energie und auch höheren Umweltbelastungen durch Überdüngung und Pestizid-Einsatz verbunden. Ohne die durch künstlichen Dünger gesteigerten Erträge würde die Weltbevölkerung bei gleicher Art der Nachfrage etwa 30 Prozent hochwertige Anbaufläche zusätzlich benötigen.9 Insgesamt gesehen sind also die Industrieländer, allen voran Kanada und die USA, sowohl mit landwirtschaftlichen wie auch mit Waldflächen
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Abb. 4: Nachgewiesene Reserven fossiler Energierohstoffe (1998).10 Die Industrieländer verfügen über rund 40 Prozent der globalen Reserven an Kohle, doch nur über gut 5 Prozent der Erdöl- und 8 Prozent der Erdgasreserven. Ein guter Teil der Erdölreserven findet sich in Entwicklungsländern mit oberem mittlerem Einkommen, der überwiegende Teil der Erdgasreserven in Entwicklungsländern mit unterem mittlerem Einkommen.
weitaus besser ausgestattet als die Entwicklungsländer. Deren Potenzial an biotischen Ressourcen ist beträchtlich geringer, und dies bei höherer Bevölkerungsdichte. Mit einer Ausnahme allerdings, der biologischen Vielfalt. Von den 25 hot spots an biologischer Vielfalt, also Gebieten außerordentlicher biologischer Produktivität und überreichen Vorkommens an Pflanzen- und Tierarten, finden sich 21 in Entwicklungsländern, etwa im Amazonas oder am Kap Afrikas. Da biologische Vielfalt eine Ressource für die gentechnische Industrie darstellt, kann diese ungleiche Verteilung zugunsten des Südens politisch und ökonomisch relevant werden. Mineralische Rohstoffe haben geologisch lange Umlaufzeiten. Sie sind wesentlich punktförmiger auf der Erdoberfläche verteilt. Coltan zum Beispiel – ein Tantal-Erz, das zur Herstellung von elektronischen Geräten wie Handys, Digitalkameras und Computern benötigt wird – kommt überwiegend in Zentralafrika vor. Die Vorkommen von Platin – ebenfalls ein wichtiger Rohstoff für die Hightech-Industrie des Nordens – begrenzen sich auf
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Tabelle 2: Ökonomische Reserven ausgewählter mineralischer Rohstoffe (2004)11
wenige Abbaugebiete insbesondere in Südafrika und Sibirien. Die größten Erdölvorkommen befinden sich räumlich konzentriert im Mittleren Osten und im Gebiet um das Kaspische Meer. In Tabelle 2 sind die ökonomischen Reserven für eine Reihe wichtiger nicht-erneuerbarer Ressourcen zusammengestellt. Dabei sind ökonomische Reserven definiert als jener Teil des ermittelten Ressourcenbestands, der zum Zeitpunkt der Erhebung wirtschaftlich sinnvoll gefördert werden kann. Ökonomische Reserven können sich also verändern, weil ihre Menge von den Rohstoffpreisen und dem Stand der Fördertechnologien abhängt. Je höher also die Rohstoffpreise, desto höher die ökonomische Reserve, da dann auch schwerer zugängliche Lagerstätten wirtschaftlich extrahiert werden können. Die ökonomischen Reserven in den Industrieländern unterscheiden sich für die einzelnen mineralischen Rohstoffe. Chrom kommt dort überhaupt nicht vor. Für Zinn, Phosphat und Mangan liegen weniger als 10 Prozent der ökonomischen Reserven in den entwickelten Industrieländern. Bei Bauxit,
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Kupfer, Eisenerz liegen die ökonomischen Reserven des Nordens bei einem Fünftel oder niedriger. Bei Nickel, Blei, Zink, Gold sind sie hingegen reicher. Bei den Reserven für Energierohstoffe ergibt sich ein ähnliches Bild (Abbildung 4). Die nachgewiesenen Reserven an Erdöl – dem zurzeit wichtigsten Energierohstoff – liegen zum überwiegenden Teil in den Entwicklungsländern. Nur rund 5 Prozent der weltweiten Erdölreserven befinden sich in den Industrieländern. Ähnlich asymmetrisch verhält es sich bei Erdgas, wo sie nur über rund 8 Prozent der weltweiten Reserven verfügen. Im Fall der Kohle wiederum kehrt sich das Verhältnis um: Hier verfügen die Industrieländer über verhältnismäßig hohe Reserven. Aufs Ganze gesehen verfügt also der Norden über vergleichsweise weniger Reserven an nicht-erneuerbaren Rohstoffen. Ihr Hauptanteil ist in den Ländern des Südens zu finden. Jedoch stellen eine ganze Reihe dieser Ressourcen bis heute wichtige Antriebsmittel und Rohmaterialien für die industrielle Wirtschaftsweise dar; daher verbrauchen die Industrieländer des Nordens einen weit überproportionalen Anteil. Aus diesem Wider-
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Tabelle 3: Produktion und Verbrauch metallischer Rohstoffe in ausgewählten Ländern (2001)12
spruch zwischen Besitz und Bedarf rühren jene geo-strategischen Konfliktlagen, die seit mehr als hundert Jahren immer wieder die Welt in Atem halten (Kapitel 3). Aneignung im Nord-Süd-Vergleich Die Menge und die Art der natürlichen Ressourcen, die ein Land für sich in Anspruch nimmt, hängen nur zum Teil von der naturgegebenen Ressourcenausstattung ab. Die meisten Länder – manche mehr, manche weniger – importieren zusätzlich Natur von jenseits ihrer Grenzen, etwa in Form von Erdöl oder Nahrungsmitteln. Seit Jahrhunderten werden Naturgüter durch den internationalen Handel über den Erdball verteilt. Dabei folgen diese Ströme im Allgemeinen den Gravitationslinien ökonomischer und politischer Macht; die Kontrolle über die Bewegung wertvoller und wichtiger Stoffe ist seit alters eine Grundlage wirtschaftlicher Überlegenheit. So wird
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es möglich, dass bestimmte Nationengruppen von bestimmten Ressourcen weit mehr verbrauchen können, als sie selbst besitzen; der Handel wird zum Motor der ungleichen Aneignung. Bei einer Reihe von Mineralen springt ein Nord-Süd-Gefälle unmittelbar ins Auge. In keiner der reichen Volkswirtschaften der Triade wird zum Beispiel Bauxit gewonnen – der Rohstoff zur Herstellung von Primär-Aluminium. Der Großteil der natürlichen Bauxitvorkommen befindet sich in Entwicklungsländern Süd- und Mittelamerikas (Jamaika, Brasilien), die zum Teil erheblich von Bauxitexporten abhängig sind, zum Beispiel Jamaika zu 55 Prozent. Aber mehr als die Hälfte des weltweiten Primär-Aluminiums wird in der Triade verbraucht, insbesondere für Fahrzeugbau, Verpackungen, Maschinenbau und Hochbau. Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt in den Vereinigten Staaten rund fünfmal höher als im Weltdurchschnitt und fast 20 Mal höher als in Afrika.
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Abb. 5: Verbrauch fossiler Energierohstoffe (1999).13 Rund 50 Prozent des globalen Öl- und Gasverbrauchs entfallen auf die Industrieländer, bei Kohle liegt ihr Anteil bei gut einem Drittel. Die Gruppe der Entwicklungsländer mit niedrigem Einkommen, in der am meisten Länder versammelt sind, verbucht den zweithöchsten Verbrauch fossiler Energieträger.
Auch bei anderen Metallen (Tabelle 3) übersteigt der Verbrauch der Triade die eigenen Vorkommen. So werden in den USA und in der Europäischen Union lediglich 8 Prozent der weltweiten Eisenerze gefördert – rund 1 Milliarde Tonnen jährlich, und auch Japan verfügt über keine nennenswerten Vorkommen. Die Triade verbraucht aber 42 Prozent der weltweiten Stahlproduktion, eine Japanerin etwa 30 Mal soviel wie eine Afrikanerin. Zwei Drittel des Nickels, ein wichtiger Rohstoff zur Veredelung von Stahl, werden in der Triade verbraucht, obwohl sie nur über 2 Prozent der Vorräte verfügt. Blei ist ein wichtiger Rohstoff für die Automobilindustrie. Auch hier verbraucht diese Ländergruppe weit mehr als die Hälfte der weltweit produzierten Mengen, ein Amerikaner etwa 12 Mal soviel wie ein Chinese. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den fossilen Energieträgern (Abbildung 5). Von Öl und Gas verbrauchen die Industrieländer gut die Hälfte. Bei Kohle liegt der Anteil des Nordens etwas geringer. Damit entfallen etwa 50 Prozent des gesamten fossilen Energieverbrauchs der Welt auf die Indus-
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Abb. 6: Energieverbrauch und CO2-Emissionen (2000).14 Alle Entwicklungsländer zusammen verbrauchen bereits mehr Primärenergie und erzeugen mehr CO2-Emissionen als die Gruppe der Industrieländer. Die Entwicklungsländer mit hohem Einkommen emittieren pro Kopf gleichviel wie die Industrieländer; die pro-Kopf-Emissionen der anderen drei Gruppen der Entwicklungsländer sind bedeutend niedriger.
trieländer. Die andere Hälfte verteilt sich auf die Entwicklungsländer. Da allerdings das Bevölkerungsverhältnis zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern 15:85 beträgt, entstehen gravierende Disparitäten beim Pro-Kopf Vergleich: In den Industrieländern beträgt der fossile Energieverbrauch im Durchschnitt 4,5 Tonnen Erdöleinheiten pro Kopf und Jahr, in den Entwicklungsländern lediglich 0,8 Tonnen. Die Aneignung fossiler Energierohstoffe ist damit in den Industrieländern um einen Faktor 5 bis 6 höher als in den Entwicklungsländern. Dort ist der Verbrauch sehr gespreizt. In einer kleinen Gruppe mit hohem Einkommen und Entwicklungsstand, unter anderem in den Vereinigten Arabischen Emiraten, liegt er mit 4,6 Tonnen sogar etwas höher als in den Industrieländern. Am anderen Ende der Skala liegt die bevölkerungsreiche Gruppe der ärmsten Entwicklungsländer, insbesondere in Afrika. Sie verbrauchen lediglich 0,3 Tonnen Erdöleinheiten pro Kopf und Jahr, 14 Mal weniger als die Industrieländer. Bei der Verbrennung fossiler Energieträger entstehen CO2-Emissionen. Die weltweiten von Menschen verursachten CO2-Emissionen betrugen im
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Tabelle 4: Produktion und Verbrauch von pflanzlichen und tierischen Produkten (1999)15
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Jahre 2001 rund 23,7 Milliarden Tonnen, etwa 3,9 Tonnen CO2 pro Kopf. Die Klimaforscher weisen auf die Notwendigkeit hin, diese jährliche Emissionsmenge spätestens bis zur Mitte dieses Jahrhunderts zu halbieren, um den bereits geschehenden Klimawandel in erträglichen Grenzen zu halten.16 Fast die Hälfte (49 Prozent) der weltweiten CO2-Emissionen gehen auf das Konto der Industrieländer (Abbildung 6). Wiederum werden ähnliche Ungleichheiten erkennbar wie beim Energieverbrauch. Mit rund 12,6 Tonnen liegt der CO2-Ausstoß pro Kopf in den Industrieländern um einen Faktor 5 bis 6 höher als in den Entwicklungsländern. Dort sind es 2,3 Tonnen, aber wiederum mit einem starken Gefälle: je ärmer, desto weniger CO2-Ausstoß. Die Zahlen reichen von 0,9 Tonnen in den ärmsten Ländern bis zu rund 4,5 Tonnen CO2 pro Kopf in den Ländern mit oberem mittlerem Einkommen. Auch innerhalb der Gruppe der Industrieländer findet sich ein breites Spektrum: von rund 5,5 in Malta und Schweden bis zu 20 Tonnen CO2 pro Kopf in den Vereinigten Staaten. Das ist über 200 Mal mehr als in einigen zentralafrikanischen Ländern. In den letzten 30 Jahren haben freilich die südlichen Länder sowohl im Energieverbrauch als auch bei den CO2-Emissionen aufgeholt. Noch Anfang der 1970er Jahre betrug der Anteil des Nordens an beidem rund 60 Prozent. Jetzt wachsen gerade die CO2-Emissionen im Süden deutlich schneller, zuletzt um 1,2 Prozent im Jahr, während es in den Industrieländern 0,1 Prozent sind. Bei Nahrungsgütern ist die Situation, aufs Ganze gesehen, ausgeglichener. In Tabelle 4 wird für eine Reihe wichtiger Agrarerzeugnisse die Produktion dem inländischen Verbrauch gegenüber gestellt. Für Wurzelfrüchte, Zuckerpflanzen und Gemüse entspricht der Verbrauch in den Industrieländern ungefähr der dortigen Produktion. Auch entspricht der globale Verbrauchsanteil dieser Produkte in etwa der Bevölkerung in den Industrieländern. Bei anderen Produktgruppen liegt der globale Verbrauchsanteil der Industrieländer über ihrem Bevölkerungsanteil – kann aber durch eigene Produktion gedeckt werden (Ölfrüchte, Fleisch). In einigen Fällen liegt die Erzeugung in den Industrieländern sogar über dem inländischen Verbrauch (Getreide, Milch). Fisch und Früchte hingegen importieren die Industrieländer zu einem beträchtlichen Teil aus den Entwicklungsländern. Noch deutlichere Disparitäten ergeben sich bei Kaffee und Kakaobohnen, welche zu fast zwei Dritteln im Norden konsumiert, aber ausschließlich im Süden produziert werden. Dies verdeutlicht, dass sich der Norden trotz seiner allgemein besseren Ausstattung mit landwirtschaftlichen Flächen zusätzliche Flächen in den südlichen Ländern aneignet.
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Verteilung der Schäden Nicht nur Ressourcen und Emissionen sind zwischen Norden und Süden ungleich verteilt, sondern auch die Folgeschäden. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die bitteren Auswirkungen des Klimawandels die Länder und Menschen am ersten und am heftigsten treffen, die am wenigsten zu ihm beitragen. Denn anders, als der Film The Day After Tomorrow glauben macht, werden die Veränderungen wahrscheinlich nicht schlagartig und katastrophal eintreten, sondern unsichtbar und heimtückisch beginnen. Und sie werden nicht so sehr Nordamerika und Europa, vielmehr Länder der südlichen Hemisphäre in Mitleidenschaft ziehen. Die großen Deltagebiete in China, Vietnam, Nigeria und besonders in Bangladesch, kleine Inselstaaten in der Südsee, trockene und halbtrockene Gebiete quer über den Globus – sie alle sind doppelte Verlierer: einmal, weil sie weniger Ressourcen haben, die sie in Wohlstand umwandeln können; und zum zweiten, weil vor allem sie die Folgekosten des Klimawandels, wie Dürre, Stürme, Wassermangel, das Ansteigen des Meeresspiegels und den Rückgang der Ernten, zu tragen haben. Weit davon entfernt, lediglich ein Naturschutzthema zu sein, wird Klimawandel die unsichtbare Hand hinter landwirtschaftlichem Niedergang, sozialer Erosion und Vertreibung aus der Heimat werden. Denn wenn die Erdatmosphäre sich erwärmt, wird die Natur instabil. Unversehens ist kein Verlass mehr auf Regen, Grundwasserspiegel, Temperatur, Wind oder Jahreszeiten, alles Faktoren, die seit urdenklichen Zeiten für die Gastlichkeit der Lebensräume von Pflanzen, Tieren und nicht weniger von Menschen gesorgt haben. Veränderungen in Luftfeuchtigkeit und Temperatur werden Veränderungen in der Vegetation, der Artenvielfalt, der Bodenfruchtbarkeit und der Wasservorkommen auslösen. Zudem ist zu erwarten, dass die Umwelt ungesünder wird. Ernten werden eher von Ungeziefer befallen, Menschen werden an Malaria und Denguefieber erkranken oder sich mit Infekten anstecken.17 Forschungen sagen, dass bei einem globalen Temperaturanstieg um 2 Grad, der bei ungebremsten Emissionen zu erwarten ist, im Jahre 2050 25 Millionen Menschen von Überflutung der Küsten bedroht sind, zwischen 180 und 250 Millionen von Malaria und zwischen 200 und 300 Millionen von Wasserknappheit.18 Nach Einschätzung der meisten Wissenschaftler werden sich die Folgen des Klimawandels auf die Nahrungsmittelproduktion in den Entwicklungsländern besonders schwerwiegend auswirken.19 Neben allmählichen Veränderungen in Temperatur und Feuchtigkeit sind es vor allem extreme Wetterereignisse, welche die Nahrungsmittelproduktion direkt beeinträchtigen. Im Gegensatz dazu mag die Landwirtschaft in mittleren und hohen Breiten, also in den Industrieländern, von einer Erwärmung der globalen Mitteltemperatur zum Teil noch profitieren. Modellrechnungen legen nahe,
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dass zwar die globale Produktion bis zu einem Anstieg von 2˚C oder sogar 3˚C nicht gefährdet wäre, dass aber die globalen Disparitäten zwischen den Klimazonen zunehmen, sodass noch einmal die Industrieländer zu Gewinnern und die Entwicklungsländer zu Verlierern werden. Auch die wirtschaftlichen Schäden im Gefolge steigender Meeresspiegel treffen nach Modellberechnungen des Zwischenstaatlichen Gremiums zum Klimawandel (IPCC)20 ebenfalls Entwicklungsländer härter. Die globale Wasserkrise infolge des Klimawandels wird die Situation in den jetzt schon wasserarmen Regionen verschärfen – bereits heute haben 1,1 Milliarden Menschen keinen ausreichenden Zugang zu Trinkwasser. Das Fazit: Es sind vor allem anderen die physische Unverletztheit der Armen und die Integrität ihrer Lebensräume, welche die Wohlhabenden durch die exzessive Verbrennung fossiler Energieträger untergraben. Das bisher Dargestellte lässt sich in einem plastischen Bild zusammenfassen, dem ökologischen Fußabdruck (Kapitel 1.3).21 Der ökologische Fußabdruck der Menschheit betrug 1999 etwa 13,5 Milliarden ha. Demgegenüber beträgt aber die global verfügbare Biokapazität lediglich 11,4 Milliarden ha; das heißt, zurzeit wird die Erde bereits zu rund 20 Prozent übernutzt. Im Nord-Süd-Vergleich zeigen sich die folgenden Verhältnisse: Von den insgesamt 13,5 Milliarden ha, die den globalen ökologischen Fußabdruck der Menschheit ausmachen, entfallen 42 Prozent auf die Industrieländer – das sind pro Kopf etwa 6,5 ha (Abbildung 7). Die Entwicklungsländer nehmen etwa 58 Prozent des globalen Umweltraumes in Anspruch – pro Kopf sind das aber nur 1,5 ha. Ihrer Bevölkerungszahl nach dürften die Industrieländer nur etwa 30 Prozent der verfügbaren Biokapazität in Anspruch nehmen –
Abb. 7: Ökologischer Fußabdruck pro Kopf (2001).22 Der durchschnittliche Fußabdruck der Industrieländer ist pro Kopf knapp dreimal so groß wie der durchschnittliche Fußabdruck weltweit, der bei 2,2 Hektar pro Kopf liegt. Selbst die Entwicklungsländer mit oberem mittlerem Einkommen hinterlassen pro Person einen größeren Abdruck als der Weltdurchschnitt, während die größte Ländergruppe, die Entwicklungsländer mit niedrigem Einkommen, pro Kopf weniger als die Hälfte des Weltdurchschnitts belegen.
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tatsächlich beanspruchen sie 2,5 Milliarden ha zusätzlich. Da die Gesamtheit der Entwicklungsländer in etwa die ihnen zustehende Biokapazität beansprucht, geht die Überbeanspruchung ganz zu Lasten der Industrieländer.23 Obwohl sich die Ungleichheiten zwischen Norden und Süden in den letzten Jahrzehnten nur wenig abgeflacht haben, wird das nicht so bleiben. Insbesondere der Rohstoffhunger der Schwellenländer, allen voran China, wird dafür sorgen, dass die Pro-Kopf-Verbräuche der südlichen Länder sich denen im Norden annähern werden. Dieses Aufholen des Südens hat aber weit reichende Konsequenzen im begrenzten Umweltraum. Nach realistischen Schätzungen werden im Jahre 2050 auf der Erde knapp neun Milliarden Menschen leben.24 Würden sie alle so viele Rohstoffe verbrauchen wie der durchschnittliche Bürger der Europäischen Union, müsste die Menschheit rund 450 Milliarden Tonnen Materialien im Jahr verbrauchen.25 Das wäre das Vielfache von dem, was heute an Ressourcen verbraucht wird.26 Voraussichtlich würden die Umweltprobleme in etwa demselben Maße ansteigen. Die Folgerung daraus ist klar: Weder die Industrieländer noch die Entwicklungsländer können ihre Fußabdrücke nach ihren Wünschen vergrößern. Damit aber die gegenwärtig Benachteiligten die Chance zu einer ökologisch verträglichen Entwicklung erhalten, müssen die, die bisher ihre Ressourcenansprüche durchgesetzt haben, ihren Anteil auf das ihnen zustehende Maß zurückführen. Davon wird in Kapitel 5 zu sprechen sein.
2.2 Ungleicher ökologischer Tausch Jener Epochenschub, der mit dem Begriff «Globalisierung» angezeigt wird, hat mehr als nur ein Gesicht. Er umfasst den Aufstieg internationaler Fernsehstationen, etwa CNN, ebenso wie die beschleunigte Ausbreitung von Epidemien, zum Beispiel SARS und AIDS, die Verdichtung des globalen Flugverkehrs ebenso wie die Vorherrschaft der englischen Sprache. Doch sein bekanntestes Gesicht ist die Allgegenwart des Weltmarkts. Ihren statistischen Ausdruck findet die wachsende wirtschaftliche Verflechtung auf dem Globus darin, dass der weltweite Warenexport deutlich schneller ansteigt als das weltweite Bruttosozialprodukt. Ein immer größerer Teil der erzeugten Rohstoffe, Waren und Dienstleistungen überschreitet nationale Grenzen. Allerdings hat der Welthandel heute immer weniger mit dem klassischen Warenaustausch zwischen Nationen zu tun; immer häufiger handelt es sich stattdessen um den Transport von Erzeugnissen zwischen den verschiedenen Orten eines Grenzen überschreitenden Produktionsnetzwerks, oft innerhalb des gleichen Konzerns. Im wachsenden Volumen
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Abb. 8: Wachstum von Welthandel und ßruttoinlandspropdukt (1950-2002).27 Das Volumen des Welthandels steigt schneller als die Weltwirtschaft wächst. Das weltweite Bruttoinlandsprodukt hat sich in den vergangenen 50 Jahren um den Faktor 7 erhöht, während der Welthandel um den Faktor 22 angestiegen ist.
des Handels spiegelt sich die ökonomische Entgrenzung28 von Produktion, Vermarktung und Finanzierung. Ab Mitte des letzten Jahrhunderts haben die weltweiten Handelsverflechtungen rasant zugenommen (Abbildung 8). Während sich das weltweite Sozialprodukt seit 1950 in etwa versiebenfachte, stieg das weltweite Warenexportvolumen (ohne Dienstleistungen) um den Faktor 22! Besonders steil ist der Anstieg in den 1990er Jahren. Seit 1990 hat sich das Welthandelsvolumen nochmals verdoppelt, während die Weltwirtschaft (nur) um 30 Prozent wuchs. Das kennzeichnet diese Dekade eindeutig als Zeitalter der beschleunigten Globalisierung.29 Ein Großteil des Welthandels schließt Grenzen überschreitende Stoffströme ein; denn die Waren bestehen aus Materialien, seien es Tonnen an Rohöl, fein modellierte Plastikgehäuse oder leichtverderbliche Blumen. Außer bei Informations-, Kommunikations- und Finanzdienstleistungen ist wirtschaftlicher Austausch immer auch physischer Austausch. Im Folgenden wenden wir uns den physischen Strömen zu, die mit internationalem Handel verbunden sind, und zwar sowohl ihrer Zusammensetzung und ih-
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rem Volumen als auch ihrer geografischen Richtung. Baut vermehrter Austausch die Ungleichheiten in der Ressourcennutzung zwischen Nationen ab oder spitzt er sie zu? Wir werden uns dieser Frage vor allem aus der Perspektive Europas zuwenden und dabei auf ausführlichere Arbeiten des Wuppertal Instituts zurückgreifen.30 Die Triade und ihre «Kolonien» Rund die Hälfte des weltweiten Handels spielt sich innerhalb der Triade Europäische Union – Nordamerika – Japan ab. Von einer Globalisierung des Handels im Vollsinn des Wortes kann also nicht die Rede sein; beim überwiegenden Anteil des Welthandels – gemessen in US-Dollar – handelt es sich um Handelsverflechtungen zwischen diesen drei Wirtschaftsregionen. Unterscheidet man freilich zwischen verarbeiteten Waren einerseits und Rohstoffen andererseits, so ergeben sich bezeichnende Unterschiede in den Verflechtungsmustern. Tabelle 5 zeigt den Welthandel mit verarbeiteten Waren nach kontinental-geografischen Regionen. Rund die Hälfte der verarbeiteten Exportwaren wird interkontinental ausgetauscht. Die andere Hälfte wird innerhalb der jeweiligen Großregion gehandelt. In Westeuropa verbleiben zum Beispiel zwei Drittel der Exporte in den jeweiligen Nachbarländern. Darüber hinaus zeigt sich: Überwiegend handeln die Großregionen der Triade unter sich. Die größten interkontinentalen Handelsströme fließen zwischen Asien und Nordamerika, Asien und Westeuropa sowie zwischen Westeuropa und Nordamerika. Asien spielt dabei eine zunehmend wichtige Rolle im Welthandel mit verarbeiteten Waren, vor allem gilt das für Japan, China und die so genannten Tigerstaaten (Hongkong, Singapur, Südkorea, Taiwan, Vietnam, Malaysia, Thailand, Indonesien). Afrika nimmt am Handel mit verarbeiteten Waren so gut wie nicht teil.
Tabelle 5: Welthandel mit verarbeiteten Waren nach Regionen (2002)31
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Tabelle 6: Welthandel mit landwirtschaftlichen und Bergbauerzeugnissen nach Regionen (2002)32
Tabelle 6 zeigt den Welthandel mit Rohstoffen, genauer mit landwirtschaftlichen und Bergbauerzeugnissen. Der Geldwert der gehandelten Güter – wieder in US-Dollar gemessen – ist hier wesentlich geringer als bei den verarbeiteten Waren. In Tonnen übertreffen die Rohstoffe jedoch die verarbeiteten Waren. Auch bei den Rohstoffen ist der Handel innerhalb der jeweiligen Großregionen zum Teil beträchtlich. Innerhalb Westeuropas ist der Rohstoffhandel ausgeprägt im Bereich der Energie (Öl aus Norwegen und dem Vereinigten Königreich) und der Agrarerzeugnisse. Innerhalb Asiens wiederum spielt Australien eine herausragende Rolle als Rohstofflieferant für Japan und China. Zwischen den Kontinenten freilich erscheint eine andere Konfiguration. Die Triade handelt unter sich sehr wenig mit Rohstoffen. Hingegen fließen die größten Rohstoffströme vom Mittleren Osten nach Asien, von Latein- nach Nordamerika, von Afrika nach Westeuropa und von Zentral/Osteuropa nach Westeuropa. Dabei tritt ein deutliches Muster zu Tage: Die Triade-Regionen beziehen Rohstoffe aus ihrem jeweiligen Hinterland, fast ließe sich sagen aus ihren «Kolonien», da es sich bei den Lieferregionen überwiegend um Entwicklungsländer und für Westeuropa sogar tatsächlich um frühere Kolonien handelt. In seinem Fall ist das insbesondere Afrika, für Nordamerika ist es Lateinamerika, und für Asien ist es der Mittlere Osten. Japan, ein rohstoffarmes Land, bezieht seine Energierohstoffe fast ausschließlich über Importe. Nordamerika führt ebenfalls Energierohstoffe in beträchtlichem Umfang aus Lateinamerika ein, ebenso Agrarrohstoffe. Auch die Europäische Union bezieht Agrarrohstoffe aus den Entwicklungsländern des Südens. Mit diesen Agrarimporten belegen die Industrieländer wertvolle landwirtschaftliche Flächen in den Ländern des Südens. Insgesamt belegt die Europäische Union (EU 15) mit dem Import von Agrarrohstoffen und -produkten Flächen von etwa 43 Millionen ha.33 Zum Vergleich:
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In der Europäischen Union selbst werden rund 85 Millionen ha ackerbaulich und weitere 56 Millionen ha als dauerhafte Weidefläche genutzt. Rund 80 Prozent der ausländischen Flächenbelegungen der EU-Agrarimporte liegen in Entwicklungsländern, überwiegend für Soja, Sojaprodukte und Kaffee. Rund 6 Millionen ha (16 Prozent) der ausländischen Flächenbelegungen der europäischen Agrarimporte liegen in Afrika – insbesondere bedingt durch den Import von Kakao. Größere Flächenbelegungen geschehen auch für Futtermittel (Maniok), Naturkautschuk sowie pflanzliche Öle und Fette – vor allem Palm- und Kokosöl. Der hohe Anteil der Futtermittel an den Importen in die Europäische Union zeigt, dass der Konsum von tierischen Produkten einen Großteil der ausländischen Flächenbelegungen verursacht, und zwar indirekt, indem Futtermittel für die heimische Fleischproduktion importiert werden. Die Welthandelsströme folgen also im Großen und Ganzen folgendem Muster: Zwischen den Reichen geschieht der Austausch hochwertiger Waren, zwischen den Armen und den Reichen der Austausch von Waren geringeren Geldwertes, und zwischen den Armen findet kaum ein Austausch statt. Die Länder der Triade handeln überwiegend mit verarbeiteten Waren höherer Wertschöpfungsstufen. Im Geldwert macht dieser Handel mit veredelten Produkten rund drei Viertel des gesamten Welthandels aus, wobei sich in den Schwellenländern schwerindustrielle Verarbeitungsstufen ansiedeln. Aber die Ausgangstoffe dieses Veredelungsprozesses, die Rohstoffe, stammen zu einem großen Teil aus Entwicklungsländern. In ihrem ökonomischen Wert machen sie einen kleinen Anteil am gesamten Welthandel aus, nicht allerdings in ihrem Stoffvolumen. Am Beispiel des Außenhandels der Europäischen Union lässt sich das Ungleichgewicht zwischen Warenströmen und Wertströmen gut illustrieren. Drei Viertel der gesamten Importe in die Europäische Union – in Tonnen gemessen – sind Rohstoffe, wovon der größte Teil aus Entwicklungsländern stammt. Im Geldwert machen die Rohstoffimporte jedoch nur weniger als 20 Prozent aus. Ein typisches Beispiel ist die Metall verarbeitende Industrie mit ihren Veredelungsstufen. In Europa (EU 25 und Norwegen, Schweiz, Bulgarien, Rumänien, Türkei) selbst werden lediglich 2,5 Prozent der weltweiten Eisenerze gefördert.34 Aber es verbraucht zwischen 25 und 30 Prozent der verarbeiteten Produkte Eisen und Stahl. So wird das Eisenerz zu einem günstigen Preis importiert, zu Stahl verarbeitet, der wiederum in hochwertigen Maschinen und Fahrzeugen Verwendung findet, die dann Exportgüter der Hochtechnologie-Wirtschaft werden. Die Absatzmärkte dieser Produkte liegen überwiegend in den Industrieländern, wenn auch die Schwellenländer als Abnehmer an Bedeutung gewinnen. Der Wohlstand der Industrieländer gründet daher zu einem guten Teil in Veredelungsschleifen. Die letzten Stufen der Wertschöpfung, die auf Verar-
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beitung, Innovation und Symbolproduktion beruhen, sind das Reservat der spätindustriellen Volkswirtschaften und der hohen Qualifikationen der in ihrer Wirtschaft tätigen Facharbeiter, Ingenieure und Manager. Höherwertige Verarbeitung führt wirtschaftliche Koppeleffekte mit sich, die sich wiederum auf die gesamte Wirtschaftsstruktur förderlich auswirken. Das alles fehlt den Ländern an der Peripherie. Sie liefern die Rohstoffe; aber von diesem Handel gehen im Erzeugerland keine positiven Verstärkereffekte aus, eher verbleiben ihnen die Nachteile. Rohstoff-Ökonomien, wenn sie auf niedriger Verarbeitungsstufe verharren, erfordern wenige Qualifikationen und regen auch kaum zu einer Differenzierung der Wirtschaftsstruktur an. Sie werden faktisch in wirtschaftlicher Unterentwicklung festgehalten. Ökologische Handelsbilanz Selten nur noch stinkt und lärmt es in der spätindustriellen Wirtschaft, und Fördertürme und Hochöfen sind nahezu aus der Landschaft verschwunden. Aber auch wo Internet und Design dominieren, kommt eine Volkswirtschaft nicht ohne Rohstoffe aus. Rohstoffgewinnung und -verarbeitung einschließlich der damit verbundenen Umweltlastenjiaben sich nur aus der europäischen Wahrnehmung verabschiedet. Jene Mobilisierung der Natur, ohne die auch keine Datenströme fließen, geht immer mehr in geografisch weit entfernten Gebieten vor sich. Diesen Ausfall der Sinneswahrnehmung kann der so anschauliche Indikator ökologischer Rucksack ausgleichen. Er bezeichnet den Gesamtumfang an Ressourcenverbrauch, der – oft genug unerkannt – in jedes Erzeugnis eingegangen ist, und stellt ihn in Gewichtsgrößen dar. Schon jeder Rohstoff, dann jedes Produkt und auch jede Dienstleistung, schleppen einen solchen ökologischen Rucksack mit sich herum. Dabei kommt der größere Teil des Stoffstroms niemals in Form von Gegenständen in Umlauf, sondern bleibt irgendwo entlang des Lebenszyklus eines Produktes als Abraum oder Abfall zurück. Um Zugang zu mineralischen Rohstoffen zu gewinnen, müssen ja bisweilen ganze Berge aufgeschnitten und Wasserläufe umgeleitet werden, wie auch der Anbau von Getreide oder Baumwolle beträchtliche Bodenerosion mit sich bringt. Der ökologische Rucksack eines Produktes oder einer Dienstleistung enthält also alle Ressourcen, die benötigt wurden, um eine Einheit des jeweiligen Produktes herzustellen, zu nutzen und zu entsorgen – abzüglich des Eigengewichtes des jeweiligen Produktes. Er wird in Tonnen angegeben und jeweils pro Tonne Werkstoff oder Produkt gemessen.35 Der ökologische Rucksack von einer Tonne primärem Aluminium beträgt etwa 7 bis 8 Tonnen, der von einer Tonne Kupfer rund 500 Tonnen, und der von einer Tonne Gold sogar über 500 000 Tonnen.36 Mit der Stoffstrom-Analyse steht eine Methodik zur Verfügung, die es erlaubt, auch den Ressourcenaufwand von Wirtschaftsräumen, also von ganzen Volkswirtschaften, zu beziffern. Mit ihm lässt sich auch ermitteln, wo
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diese Ressourcenaufwendungen tatsächlich stattfinden.37 Dazu ist der Indikator Globaler Materialaufwand entwickelt worden. Mit ihm werden alle primären Stoffentnahmen aus der Natur (ohne Wasser und Luft) aufsummiert, die von einer Volkswirtschaft innerhalb eines Jahres beansprucht werden. Auch er wird in Tonnen oder Tonnen pro Kopf gemessen und setzt sich zusammen aus inländisch entnommenen und aus importierten Stoffen. Bei den Importen unterscheidet er überdies zwischen dem Eigengewicht der Importe und ihrem ökologischen Rucksack. Im Folgenden untersuchen wir den Außenhandel der Europäischen Union anhand dieses Indikators. In den vergangenen Jahren sind die globalen Ressourcenaufwendungen der Europäischen Union auf hohem Niveau konstant geblieben. Seit etwa Mitte der 1980er Jahre liegt der globale Materialaufwand der Europäischen Union bei etwa 50 Tonnen pro Kopf und Jahr. Jedoch haben sich die darin enthaltenen Importe mitsamt ihrer ökologischen Rucksäcke von rund 15 auf 20 Tonnen pro Kopf erhöht.38 Verantwortlich für diesen Anstieg sind vor allem Erze, mineralische Brennstoffe, Metallprodukte und Produkte wie Glass, Keramik und Edelsteine. Diese vier Gütergruppen sind ohnehin für den größten Teil der ökologischen Rucksäcke der Importe verantwortlich.39 Gut die Hälfte von ihnen stammt aus den Entwicklungsländern. Im Gegenzug haben sich die Ressourcen-Entnahmen in Europa verringert. So sind in den vergangenen Jahrzehnten in Europa zahlreiche Bergwerke geschlossen worden. Entweder waren die Lagerstätten erschöpft oder unwirtschaftlich geworden. Damit haben sich auch die Umweltbelastungen in Europa verringert, während sie durch die Importe nach Europa in anderen Regionen steigen. Die Umweltkosten haben sich also nur verlagert. Zugleich sind die ökologischen Rucksäcke der Importe in die EU höher geworden. Das Verhältnis zwischen dem Eigengewicht eines Produktes und seinem ökologischen Rucksack hat sich verschlechtert. Im Durchschnitt beträgt heute der ökologische Rucksack das fünffache Gewicht des importierten Gutes.40 Eine Tonne Import hinterlässt also durchschnittlich 5 Tonnen an Bergbauabfällen, Emissionen und Erosion im exportierenden Land. Dieses Verhältnis hat sich in den vergangenen 25 Jahren mehr als verdoppelt, bei importierten Erzen sogar von 4 auf 16 Tonnen. Bei den Importen aus Entwicklungsländern – die ja überwiegend aus Rohstoffen bestehen – hat sich der ökologische Rucksack ebenfalls deutlich erhöht während die Importmengen weitgehend konstant geblieben sind (Abbildung 9). Ein solcher Befund deutet daraufhin, dass die Gewinnung dieser Rohstoffe immer aufwendiger wird, mehr Bergbauabfälle entstehen und mehr Energie aufgewendet werden muss. Die Analysen der ökologischen Rucksäcke der Importe in die EU machen deutlich, dass Umweltbelastungen im Zusammenhang mit Rohstoffgewinnungen zunehmend aus der EU ausgelagert werden.
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Abb. 9: Ökologische Rucksäcke an den Importen aus Entwicklungsländern in die EU (1976– 2000).41 Die Importe aus den Entwicklungsländern in die Europäische Union (EU 15) liegen seit Jahren nahezu konstant bei rund 500 Millionen Tonnen pro Jahr. Die ökologischen Rucksäcke der Importe sind demgegenüber seit Mitte der 1980er stark angestiegen und mittlerweile sechsmal größer als die Importe selbst.
Aufs Ganze gesehen sind die Material- und Energieumsätze und damit die ökologischen Belastungen in den einfachen industriellen Verarbeitungsstufen höher als bei den Veredelungsstufen am Ende der Wertschöpfungskette. Beim Bergbau werden große Mengen an Abraummaterial und Wasser unter hohem Energieeinsatz umgesetzt. Kupfer und Gold werden mit Hilfe großer Mengen hoch toxischer Substanzen gewonnen. Auch biotische Rohstoffe werden in konventioneller Landwirtschaft mit hohen Umweltkosten erzeugt, etwa durch Überdüngung der Gewässer, klimaschädliche Methanemissionen bei der Tierproduktion, Belastung des Grundwassers mit Pflanzenschutzmitteln und so weiter. Auch die Verarbeitungsstufe vom Rohstoff zum Grund- und Werkstoff ist energie- und umweltintensiv. Erst die Produktionsprozesse am Ende der Wertschöpfungskette sind relativ sauber. Deutsche Autofabriken etwa sind so sauber, dass man sprichwörtlich vom Boden essen könnte. Im Hinblick auf Schadstoffemissionen (Luft, Wasser, Schwermetalle) hat eine Studie für die Weltbank die folgenden zehn Gütergruppen als beson-
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ders belastend für die Umwelt eingestuft: Eisen und Stahl, Nicht-EisenMetalle, Chemikalien, mineralische Brennstoffe, mineralische nicht-metallische Erzeugnisse, Zellstoff und Papierwaren aus Gummi, Leder und Metall.42 Der Anteil der die Umwelt besonders belastenden Güter an den Importen in die Europäische Union hat in den letzten 25 Jahren erheblich zugenommen und erreicht inzwischen rund 70 Prozent. Dabei ist eine deutliche Verschiebung zu Gunsten der aufstrebenden Entwicklungsländer zu beobachten während die ärmeren Entwicklungsländer an Bedeutung verlieren. Produktionen im Bereich der Grundstoffindustrien und Textilwirtschaft, die durch Lärm, Abfall, Gefahrstoffe und Landschaftsverbrauch besondere Belastungen darstellen, entstehen offenbar zunehmend in den aufstrebenden Entwicklungsländern insbesondere Osteuropas. Dabei handelt es sich teilweise um Produktionsauslagerungen aus der EU. Die Europäische Union importiert nicht nur die Umwelt belastende Rohstoffe und Waren, sie exportiert ihrerseits Stoffe in alle Welt, vor allem in Form veredelter Güter. Stoff-Importe und Stoff-Exporte lassen sich vergleichen; ihr Verhältnis drückt sich in der ökologischen Handelsbilanz aus. Dabei wird die ökologische Handelsbilanz in Tonnengrößen geführt, nicht in Geldgrößen wie die Außenwirtschaftsbilanz. Ein ökologisch ungleicher Tausch liegt dann vor, wenn Europa auf Dauer ein höheres Volumen an Energien, Stoffen und – indirekt – Flächen importiert als es selber exportiert.43 Um den Außenhandel der EU ökologisch zu bilanzieren, kann man auf den oben eingeführten Parametern ökologische Rucksäcke und besonders belastende Güter aufbauen. Die Außenhandelsbilanz der Europäischen Union war in den letzten Jahrzehnten im Großen und Ganzen monetär ausgeglichen. Physisch betrachtet ist der Außenhandel hingegen unausgeglichen. Importen in Höhe von insgesamt 1400 Millionen Tonnen stehen rund 400 Millionen Tonnen Exporte gegenüber. Die Differenz erklärt sich aus dem Unterschied zwischen geringer und höher verarbeiteten Gütern. Europa importiert überwiegend billige Güter niedriger Verarbeitungsstufen zum durchschnittlichen Wert von 0,70 Euro/kg, exportiert aber höherwertige Güter mit einem durchschnittlichen Wert von 2,20 Euro/kg. Diese Ungleichheit hat seit langem zu jenem unfairen Tausch zwischen Norden und Süden geführt, der ein Strukturmerkmal des Welthandels geworden ist (Kapitel 3.2, 4.5, 6.3). Auch die ökologischen Rucksäcke der Importe, also die in den Erzeugerländern entstehenden Belastungen, in die Europäische Union übersteigen die der Exporte deutlich. Sie betrugen im Jahre 2000 rund 7,2 Milliarden Tonnen, jene der Exporte nur 2,3 Milliarden Tonnen. Das ergibt einen Import-Überschuß von rund 5 Milliarden Tonnen, pro Bürger der EU immerhin rund 14 Tonnen. Europa belastet also die Herkunftsländer ökologisch erheblich stärker als sich selbst.
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Abb. 10: Importüberschuss besonders belastender Gütergruppen und ökologischer Rucksäcke an den Importen der EU (1976–2000).44 Im Außenhandel der Europäischen Union (EU 15) hat der Überschuss von Importen besonders belastender («umweltintensiver») Gütergruppen gegenüber den Exporten seit Mitte der 1990er Jahre zugenommen. Auch der Importüberschuss der ökologischen Rucksäcke ist im Außenhandel der EU seitdem deutlich angestiegen.
Bei der Bilanz der Güter, die die Umwelt in den Herkunftsländern besonders belasten, ergibt sich ein ähnliches Bild. Den Importen von rund 1000 Millionen Tonnen standen im Jahre 2000 Exporte in Höhe von rund 240 Millionen Tonnen gegenüber. Auch dies zeigt einen ökologisch ungleichen Tausch an. Er hat insbesondere in den 1990er Jahren zugenommen, korreliert also zeitlich mit den allgemeinen Globalisierungstendenzen (Abbildung 10). Selbsttäuschung der Wohlhabenden Mit der Ausweitung transnationaler Wirtschaftsbeziehungen ändert sich die Verteilung der Umweltbelastungen im geografischen Raum. Die Schwellenländer im Süden und in Osteuropa haben zunehmend einen höheren Anteil an Umweltbelastungen zu tragen. Definiert man Macht im ökologischen Sinne als die Fähigkeit, Umweltvorteile zu internalisieren und Umweltkosten zu externalisieren, lässt sich diese Entwicklung als Machtgefälle zwischen nördlichen und südlichen Ökonomien begreifen. Im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung ist es den reichen Ländern gelungen, eine
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größere geografische Distanz zwischen die Orte zu legen, wo die Wohlstandsvorteile, und jene anderen, wo die Umweltbelastungen anfallen. Auch wenn die primären Gründe dafür in niedrigeren Löhnen und geringeren Abgabelasten liegen mögen, heißt das Ergebnis: Die die Umwelt belastenden Stufen in einer internationalen Produktionskette sind eher in wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen angesiedelt, die sauberen Stufen vorrangig in den Industriestaaten. In der Grundstoffindustrie, der Metallverarbeitung und der chemischen Industrie geht der Anteil der Industrieländer langsam zurück, während jener der Südländer wächst.45 In der Aluminiumindustrie findet sich die Stufe der Extraktion, der Bauxitabbau, neben Australien VOT allem in Guyana, Brasilien, Jamaika, Guinea. Auf der Stufe der Verarbeitung sind in den 1980er Jahren die Aluminiumschmelzen mehr und mehr aus dem Norden in Länder wie Brasilien, Venezuela, Indonesien oder Bahrein gewandert. Und die belastungsarme Stufe der Material- und Anwendungsforschung schließlich ist nach wie vor in den reichen Ländern lokalisiert.46 Wenn also Industrieländer mit überlegener Geste auf ihre manchmal relativ günstigen Umweltdaten verweisen, sitzen sie dem rich country illusion effect, der Selbsttäuschung wohlhabender Länder, auf.47 Was lokal aufatmen lässt, stellt sich global als Trugschluss heraus. In ein Schema gebracht, lässt sich von einer mehrstufigen Verteilung ökologischer Belastungen auf dem Globus sprechen. An der Spitze der Leiter stehen die spät-industriellen Ökonomien, in denen die augenscheinlichen Umweltbelastungen zurückgehen, während die Importe, welche die Herkunftsländer belasten, ebenso ansteigen wie die Emissionen von Kohlendioxid und damit ihr Export in die globale Atmosphäre. Sauberkeit wird weitgehend erreicht über die Verlagerung der Lasten. Zu ihnen zählen eine Reihe von Ölstaaten, die in großem Maßstab hochwertige Energieressourcen extrahieren und mit den Erlösen industrielle Wirtschaftsstrukturen mitsamt ihren Verlagerungsleistungen aufbauen. Auf halber Höhe finden sich dann die Volkswirtschaften der Schwellenländer, welche die schwerindustrielle Fertigung übernehmen und dabei mit der klassischen Verschmutzung von Wasser, Luft, Boden – und Menschen zu kämpfen haben. Selbstvergiftung ist für sie der Preis für einen höheren Anteil an der Wertschöpfung, die auch über eine Versorgung des Nordens mit Industriegütern erzielt wird. Ganz unten stehen schließlich die Rohstoffökonomien der ärmeren Länder- oder der ärmeren Regionen innerhalb von Schwellenländern –, in denen die große Mehrheit der Menschen lebt. Sie liefern metallische und vor allem agrarische Rohstoffe an die Schwellen- und Wohlstandsländer und haben als Folge Abraum, Entwaldung, Erosion und Wassermangel zu tragen. Das trifft insbesondere Naturvölker und jene Gruppen von Kleinbauern, die ihren Lebensunterhalt direkt von der Natur beziehen.
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2.3 Die Ansprüche der Aufsteiger Die Unterscheidung zwischen Norden und Süden – jene Grobgliederung der Welt, auf die auch dieses Buch nicht verzichten kann – führt bei genauerem Hinsehen in die Irre. Gewiss, bis in die 1980er Jahre hinein machte es Sinn, die Welt als bipolar wahrzunehmen, gegliedert in Industrieländer und Entwicklungsländer, reiche Länder und arme Länder. Doch spätestens seit dem Zerfall des kommunistischen Blocks hat diese Unterscheidung an Trennschärfe verloren und verwischt obendrein tiefere Konfliktlinien. Zum einen erfasst sie nicht mehr die Realität, weil sich mit der Vorherrschaft der transnationalen Ökonomie insbesondere das Lager der Entwicklungsländer tiefgreifend verändert. Es ist größer geworden, denn ex-kommunistische Staaten wie Kasachstan, Georgien, aber auch Russland, Ukraine, China, müssen von ihrer nationalen Wirtschaftsleistung her dort eingereiht werden. Und es ist kleiner geworden; denn 15 bis 20 Länder haben in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten Wachstumsraten erzielt, die sie von der Mehrzahl der Entwicklungsländer rasch entfernen und als Schwellenländer in mehr oder weniger kräftigen Sprüngen zu den Industrieländern aufschließen lassen. So verbergen sich hinter der Rubrik «Süden» Länder mit unterschiedlichsten Interessen und Erfahrungen; oder was sollen schon etwa Singapur und Mali miteinander gemeinsam haben? Zum anderen kann eine Gegenüberstellung von Ländergruppen nur noch bedingt die entscheidende Trennungslinie darstellen, welche die heutige Welt durchzieht. Die Rede von Norden und Süden verwischt, dass die soziale Kluft innerhalb von Ländern ebenso gravierend sein kann wie die Kluft zwischen Ländern. Vieles deutet darauf hin, dass nur immer Teile eines Landes vom Sog des Weltmarkts erfasst werden, dass also eine Trennlinie zwischen den globalisierten Reichen einerseits und den lokalisierten Armen andererseits jedes einzelne Land durchzieht, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlichen Proportionen. Wie wirken sich diese Verschiebungen zwischen den Ländern und in ihnen auf die Aneignung der Ressourcen aus? Sind die Schwellenländer dabei, im Ressourcenverbrauch mit den Industrieländern gleichzuziehen? Oder handelt es sich womöglich gar nicht um Länder, die expansiv ihre Ansprüche an den globalen Umweltraum voran tragen, sondern in erster Linie um den transnationalen Wirtschaftskomplex, der sich in all diese Länder hinein ausdehnt? Es ist ja nicht zweifelhaft, dass sich den alt eingesessenen Hochverbrauchern weitere Länder und Klassen in einer neuen Allianz von «Allesfressern» zugesellen. In den Ballungsräumen des Südens leben inzwischen Hunderte Millionen von Menschen der Mittel- und Oberklassen, die in Kaufkraft und Konsum verhalten den vergleichbaren Schichten im Norden nahe rücken oder auch schon in nichts mehr nachstehen.
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Die neuen Verbraucherländer Allen Schwellenländern ist gemeinsam, dass sie mit raschen, teilweise sogar stürmischen Schritten einen größeren Anteil an der globalen Wirtschaftstätigkeit erobern. In den letzten 10 bis 20 Jahren konnten sie mit Wachstumsraten aufwarten, die jene der Industrieländer und erst recht die der ärmeren Entwicklungsländer weit übertroffen haben. Auf verschiedene Weise konnten sie günstige Positionen in der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung besetzen: Einige bieten sich als Energielieferanten an (etwa SaudiArabien, Venezuela oder Russland), andere als Exporteure von Hard- und Software (etwa Thailand, China, Indien) und wieder andere als stattliche Absatzmärkte (Brasilien, China, Argentinien). Als neue Verbraucherländer sollen im Folgenden Schwellenländer angesprochen werden, die mehr als 20 Millionen Einwohner zählen, weil sie damit über eine Größe verfügen, die den Aufstieg ihrer Verbraucher global bedeutsam werden lässt.48 Als neue Verbraucherländer gelten nach Myers und Kent (2004) folgende 20 Länder: Argentinien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Iran, Kolumbien, Malaysia, Mexiko, Pakistan, Philippinen, Polen, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, Thailand, Türkei, Ukraine, Venezuela. Unter ihnen nimmt China eine herausgehobene Stellung ein. Das Land, das mehr als ein Sechstel der Weltbevölkerung beherbergt, treibt von sich aus alle Verbrauch sziffern in die Höhe. In diesen Ländern nimmt mit steigendem wirtschaftlichen Wohlstand, in unterschiedlichem Ausmaß zwar, doch klar in der Tendenz, der Verbrauch an Energie, Material und Fläche zu. Wirtschaftlicher Erfolg intensiviert die Ansprüche an die natürliche Umwelt. Eben weil im Rahmen des vorherrschenden Wirtschaftsmodells Einkommensgewinne zu einem nicht geringen Teil in der Fähigkeit gründen, unbezahlte Naturwerte in ertragsträchtige Warenwerte umzuwandeln, schnellt die Nachfrage nach Ressourcen in die Höhe. Zieht man den Verbrauch von Primärenergie heran, der als Leitindikator für umweltintensive Produktions- und Konsummuster dienen kann, so ergibt sich ein erster Eindruck vom wachsenden Ressourcenhunger der neuen Verbraucherländer (Abbildung 11). Zwar führen beim absoluten Energieverbrauch nach wie vor die Industrieländer, doch wird ihnen diese Position zunehmend von den neuen Verbraucherländern streitig gemacht – die freilich auch mehr Einwohner haben. Sieht man vom Bruch in der Zeitreihe ab, der durch Umstellungen in der Statistik nach der Auflösung der Sowjetunion entstanden ist, so zeigt sich deutlich, wie die neuen Verbraucherländer seit den 1970er im absoluten Energieverbrauch zur Gruppe der Industrieländer aufschließen. Gleichzeitig entfernen sich die Aufsteiger von der großen Mehrheit der Entwicklungsländer, deren Energieverbrauch zwar langsam steigt, aber auf vergleichsweise niedrigem Niveau verbleibt.
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Abb. 11: Absoluter Verbrauch an Energie in den neuen Verbraucherländern (1972–2000).49 In den 70er Jahren war der Energieverbrauch der neuen Verbraucherländer noch auf mittlerem Niveau zwischen den Industrie- und anderen Entwicklungsländern. Inzwischen ist ihr absoluter Energieverbrauch ähnlich hoch wie bei den Industrieländern. Allerdings muss bedacht werden, dass die neuen Verbraucherländer weit mehr Einwohner haben als die Industrieländer.
Beträchtlicher Umweltverzehr ist auch mit der Verbreitung bestimmter Konsumgüter wie Autos oder Fernsehgeräte verbunden (Abbildungen 12 und 13). Vergleicht man ihre Verbreitung über die letzten Jahrzehnte, entsteht ein ähnliches Bild, doch mit charakteristischen Unterschieden. Seit Ende der 1980er Jahre hat die Verbreitung von Autos wie von Fernsehgeräten in den neuen Verbraucherländern zuerst allmählich, dann aber stärker zugenommen, wobei Fernsehgeräte sich viel schneller verbreiten, weil sie auch bei geringerer Kaufkraft erschwinglich sind. Immerhin hat diese Dynamik dazu geführt, dass die neuen Verbraucherländer – bei größerer Bevölkerung – bereits die Industrieländer in der Anzahl der Fernsehgeräte überholt haben. Nicht wenige Prognosen legen nahe, dass dasselbe in 15 bis 20 Jahren für die Automobile gelten wird. Konsumgewohnheiten werden nicht nur von der Einkommensentwicklung bestimmt. Auch geografische, ökonomische oder kulturelle Gegebenheiten haben Einfluss und können bei ähnlichen Einkommen eine Variationsbreite von Konsumstilen hervorbringen. So besteht zwar ein starker
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Abb. 12: Zahl der registrierten Pkw in den neuen Verbraucherländern (1960–2004).50 Der Zuwachs des Pkw-Besitzes in den neuen Verbraucherländern erfolgt im Vergleich langsamer als der Anstieg des Energieverbrauchs und der Besitz von Fernsehern. Obwohl die neuen Verbraucherländer weit mehr Einwohner zählen, befindet sich der überwiegende Anteil der Pkw noch immer in den Industrieländern.
Zusammenhang zwischen der Zunahme des Einkommens und der Zunahme des Pkw-Besitzes;51 aber Städte mit vergleichbaren Pro-Kopf-Einkommen weisen doch deutliche Unterschiede in den Fahrleistungen auf, und zwar abhängig davon, wie räumlich zerstreut und funktional getrennt sie angelegt sind.52 Solche Möglichkeiten, ihre Entwicklung selbst zu gestalten, werden die Schwellenländer nutzen müssen, wenn sie den Gefahren einer bloß nachholenden Entwicklung entgehen wollen. Aus der Erfahrung der Industrieländer ist hinlänglich bekannt, wie wirtschaftliche Entwicklung zu Sichtweisen, Gewohnheiten und Alltagsroutinen führt, die sich als Sperrklinken in den Köpfen festsetzen und Richtungsänderungen erheblich erschweren. Gleiches gilt für die großen, den Konsum unterstützenden Infrastrukturen, ohne die weder Fernsehgeräte noch Autos jemals funktionieren können. Fernseher laufen nicht ohne Kraftwerke und Autos nicht ohne Straßennetze, beide Infrastrukturen stellen Investitionsgüter von sehr langer Lebensdauer dar. In ihnen gerinnen gewissermaßen die Entscheidungen der
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Abb. 13: Zahl der Fernsehgeräte in den neuen Verbraucherländern (1974–2000).53 Die neuen Verbraucherländer verfügen seit Anfang der 1990er Jahre insgesamt über mehr Fernsehgeräte als die entwickelten Industrieländer, während sie Anfang der 1980er Jahre kaum mehr Fernsehgeräte besaßen als alle sonstigen Entwicklungsländer.
Gegenwart in Beton und Stahl, möglicherweise zum Nachteil späterer Generationen. Es wäre darum eine kluge Strategie, wenn Schwellenländer sich Optionen erhielten, die den Menschen auch ohne einen ressourcen-intensiven Lebensstil ein befriedigendes Leben sichern (Kapitel 5). «Global Cities» und ihr Hinterland Bei aller Aufmerksamkeit für den Aufstieg der Schwellenländer, und darunter besonders von China und Indien, kann nicht verborgen bleiben, dass ein Wirtschaftsaufschwung kaum jemals das ganze Land und die ganze Bevölkerung erfasst. In der Regel konzentriert er sich auf zentrale Stadtregionen und mehr oder weniger ausgedehnte Industriezonen. Das ist kein Zufall, sondern Teil des Systems. Unter den Bedingungen transnationaler Arbeitsteilung nehmen nicht Länder am globalen Wettbewerb teil und auch nicht ihre Bevölkerung als Ganze, sondern nur bestimmte Orte und Zonen mit einem Teil der Bevölkerung, und auch das nur solange es die Wettbewerbsbedingungen erlauben.54 Denn die erwünschte Arbeitsteilung hat sich weit über nationale Grenzen hinaus aufgefächert und verbindet über die Erde
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verstreute Orte miteinander. Ungezählte Produktionsketten durchziehen kreuz und quer den globalen Raum. Transport- und Kommunikationstechnik erlauben es, auch räumlich weit gespannte Produktionsnetzwerke zu koordinieren und zu kontrollieren. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Erfolg der Schwellenländer nicht als Aufschwung von Nationen lesen, sondern als Aufschwung von Regionalräumen oder gar nur einzelnen Orten, die für globale Investoren günstige Merkmale aufweisen. Die Wachstumsregionen sind so in erster Linie als Knotenpunkte globaler Produktionsnetze und nicht als Vorreiter einer Volkswirtschaft zu betrachten. Dass Shanghai und Shenzhen in China oder Bombay und Bangalore in Indien liegen, ist in dieser Perspektive eher zweitrangig; sie sind in ihren florierenden Teilen vor allem Standorte für Grenzen übergreifende Prozesse der Kapitalbildung. Die Globalisierung von Wirtschaftstätigkeiten führt also nicht zu einer geografisch gleichmäßigen Ausdehnung des Wirtschaftswachstums im globalen Raum, sondern zu zugespitzten Ungleichheiten und Unterschieden zwischen Regionen und Standorten.55 Manche Regionen werden herausgehoben, andere fallen zurück, manche Orte boomen, andere stehen vor dem Abbruch. Es vertiefen sich regionale und ebenso soziale Gegensätze, weil nebeneinander liegende Gebiete zur gleichen Zeit ganz unterschiedliche Funktionen für die transnationalen Produktionsketten spielen können. Nimmt man eine globale Vogelflugperspektive ein, so lassen sich in diesem Sinne drei Klassen von Gebieten unterscheiden, in denen sich jeweils unterschiedliche Funktionen innerhalb globaler Produktionsnetze räumlich ausprägen: die globalen Orte, das globalisierte Hinterland und die ausgegrenzte Restwelt.56 In global cities wie Tokio, Hongkong, New York, London, laufen die Kommandostränge zusammen; dort sind Finanzinstitute, Konzernleitungen, Kommunikationsindustrien und Forschungszentren in großer Dichte angesiedelt. Als globalisiertes Hinterland können hingegen die Räume der weltweit vernetzten Dienstleistungs- und Güterproduktion angesehen werden, also Softwarehäuser, Fabriken für Massengüter, Zonen der Rohstoffgewinnung und Tourismusgebiete. Beispiele sind Städte wie Bangalore, Johannesburg oder Neapel und Regionen wie die chinesische Südostküste oder Mauritius. Auch die Sonderwirtschaftszonen sind zu nennen, steuerfreie Exklaven, von denen es mehr als 500 in über 70 Ländern gibt.57 Und die ausgegrenzte Restwelt schließlich ist der Lebensraum der für den Weltmarkt weitgehend randständigen, wenn nicht überflüssigen Mehrheit der Weltbevölkerung. Diese Gebiete Teichen von den Ghettos Nordamerikas und den favelas in Brasilien über den afrikanischen Kontinent zu den Dörfern Indiens oder Indonesiens. Sicherlich können Orte und Regionen von einer zur anderen Ebene auf- oder absteigen, und vielerorts dreht sich darum ein
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Abb. 14: Lage der nach Zahl der Passagiere 150 größten Flughäfen (2000).58 Die am meisten genutzten Flughäfen für den Personen-Luftverkehr liegen in Nordamerika und Europa; auch Asien beherbergt einen guten Anteil der 150 größten Flughäfen der Welt. Afrika besitzt dagegen lediglich zwei davon, Lateinamerika sechs.
heftiger Wettkampf. Doch bleibt bestehen, dass die Globalisierung wirtschaftlich gesehen keine Angleichung, sondern eine Hierarchisierung des globalen Raumes hervorbringt. Diese Hierarchisierung spiegelt sich in den internationalen Verkehrsund Transportströmen wider. Schließlich kommt dem physischen Verkehr von Personen und Gütern trotz der zunehmenden Bedeutung der Telekommunikation für viele internationale Austauschprozesse eine tragende Rolle zu. Vor allem der Luftverkehr, sowohl für Personen wie für Fracht, wirkt als Transmissionsriemen einer global arbeitsteiligen Wirtschaft. So konzentriert sich die geografische Verteilung des Personen-Luftverkehrs deutlich auf die oben beschriebenen Ballungsgebiete. Wie Abbildung 14 zeigt, befinden sich die 150 nach der Zahl der Passagiere größten Flughäfen zum weit überwiegenden Teil in der nördlichen Hemisphäre, gerade mal sechs in Südamerika, zwei auf dem afrikanischen Kontinent sowie lediglich einer im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Stellt man in Rechnung, dass die zugrunde liegenden Daten durch Reisende aus Ländern mit hohem Einkommen in Länder mit geringerem Einkommen verzerrt sind, so tritt deutlich hervor, wie die Verteilung des Luftverkehrs die Hierarchisierung des globalen Raumes wiedergibt. Herausgehoben ist die Ebene der an der Globalisierung beteiligten Orte und
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Regionen. Auf einer zweiten Ebene liegen ebenfalls Flughäfen über den Globus verstreut, aber mit weit geringerer Dichte und Passagierzahl. Auf einer dritten Ebene, zu der die ausgedehntesten Landflächen des Erdballs gehören, sind überhaupt keine größeren Flughäfen anzutreffen. Entsprechend gehen Schätzungen davon aus, dass überhaupt nur ein Anteil zwischen i59 und 5 Prozent60 der Weltbevölkerung bis jetzt jemals ein Flugzeug bestiegen hat. Hoch beschleunigte Interaktion spielt sich also weit überwiegend zwischen wenigen Gebieten ab; obwohl über die Welt verstreut, stehen die Weltmetropolen in engem Kontakt. Dass zwischen 1975 und 1999 die Personenkilometer in der zivilen Luftfahrt um insgesamt 278 Prozent zugenommen haben,61 unterstreicht, wie sich dieses Kontaktnetz gerade in der Periode der Globalisierung verdichtet hat. Ein noch deutlicheres Bild der Hierarchisierung vermittelt die geografische Verteilung der größten Frachtflughäfen (Abbildung 15). Der Transport von Gütern durch die Luft, und zwar gerade von hochwertigen Gütern wie Maschinen- oder Computerteilen, ist für globale Produktionsnetzwerke unerlässlich, sonst würde der Nutzen von Standortvorteilen durch Zeitverzögerungen und Transportgefährdungen wieder zunichte gemacht. So ist zu erklären, dass die zivile Luftfracht, in Tonnenkilometern gemessen, zwischen 1975 und 1999 um 449 Prozent angestiegen ist.
Abb. 15: Lage der nach der Luftfracht-Tonnage 150 größten Flughäfen (2000).62 Die meisten der 150 größten Frachtflughäfen befinden sich in Nordamerika, Europa und Asien. Im Unterschied zum Personen-Luftverkehr sind Ostasien und Südamerika stärker ans Verkehrsnetz angeschlossen.
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Allerdings ist für die Luftfracht eine etwas stärkere geografische Durchmischung festzustellen. Zwar bleibt Afrika auch in diesem Fall außen vor, aber Südamerika ist schon besser und Ostasien deutlich stärker ans Netz des Luftfrachtverkehrs angeschlossen. Damit ist eine größere Anzahl von Regionen in transnationale Produktionsverbünde integriert. Die Verteilung der Flughäfen zeigt so die Ausbreitung internationaler Produktionsnetzwerke mit ihren räumlich separierten und teilweise weit voneinander entfernten Standorten. Die ausgebaute Infrastruktur der globalen Produktionsnetze kostet Ressourcen und belastet die Umwelt. Wenn die Verkehrsnachfrage weiterhin um jährlich 2,1 Prozent wächst, wie die Internationale Energieagentur schätzt, dann liegt dieser Anstieg höher als in allen anderen Verbrauchssektoren. Damit wird der Verkehr in den nächsten beiden Jahrzehnten die Industrie als wichtigsten Verbraucher von Endenergie überholen.63 Der globale Personenluftverkehr wächst gar mit einer Rate von rund 6 Prozent pro Jahr, was durch die Anschläge des 11. September nur zeitweilig gebremst worden ist. Bereits für das Jahr 1992 wurde der Beitrag des weltweiten Luftverkehrs auf das Klima auf 3,5 Prozent der gesamten vom Menschen beeinflussten Klimaänderungen geschätzt. Dabei ist ein erheblicher Teil der Klimawirkungen von anderen Bestandteilen im Abgas verursacht als dem Kohlendioxid. Die Wirkungen von unter anderem Stickoxiden, Kondensstreifen oder Zirruswolken sind ebenso wie die atmosphärischen Vorgänge in zehn Kilometern Reiseflughöhe nur teilweise erforscht. Gemessen am Treibstoffverbrauch und dem Kohlendioxid gehen Schätzungen von einer zwei- bis vierfach erhöhten Klimawirkung des Luftverkehrs gegenüber deiri bodennahen Verkehr aus.64 Angesichts der immensen Wachstumspotenziale könnte der Luftverkehr zukünftig beträchtlich höhere Anteile an den gesamten Klimawirkungen verursachen und damit die Anstrengungen anderer Sektoren zur Begrenzung der Klimawirkungen zunichte machen. Überdies verlangt Lufttransport mehr als nur Antriebsstoffe: Fluggeräte kosten Metalle, Flughäfen brauchen Flächen und Bauwerke Stahl und Zement. Die Expansion des internationalen Luftverkehrs wird mit einer massiven Übernutzung von Naturressourcen erkauft. Der wirtschaftliche Gewinn einzelner Weltregionen hängt daran, dass sich das internationale Verkehrssystem einen unverhältnismäßig hohen Anteil der globalen Ressourcen aneignen kann. Die transnationale Verbraucherklasse Statistiken verzerren bisweilen die Wahrheit – nicht weil sie lügen, sondern weil sie Kategorien anbieten, die das wirkliche Leben nur aus einer bestimmten Perspektive erfassen. Dies gilt für einen guten Teil der Statistik der Vereinten Nationen. Die Tabellen der Weltbank beispielsweise bereiten
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die Welt im Allgemeinen über länderbezogene Datensätze auf; gleichgültig, ob Sozialprodukt oder Energieverbrauch, die Angaben sind auf die Nation bezogen. Das ist nicht erstaunlich, da die Vereinten Nationen sich stark auf die statistischen Ämter ihrer Mitgliedsländer stützen müssen. Dieser methodische Nationalismus in der statistischen Konstruktion der globalen Wirklichkeit ist aber ein Hindernis für die Erfassung dessen, was die Globalisierung ausmacht: die Emergenz transnationaler Sozialräume wie grenzüberschreitender Unternehmen, Wissensnetze oder Konsumkulturen. So unterliegt auch die Rede von den neuen Verbraucherländern einer eingeschränkten Sicht: Aussagen über länderspezifische Ressourcen-Verbräuche verdecken, dass nicht die ganze Bevölkerung an ihnen gleichen Nutzen hat, sondern oftmals nur eine mehr oder weniger schmale Minderheit. Einleuchtend und auch gut belegt ist schon für Industrieländer der Zusammenhang zwischen Haushaltseinkommen und Energieverbrauch. Ähnlich verhält es sich in Entwicklungs- und Schwellenländern. Was dort freilich die besser Gestellten von den Habenichtsen trennt, ist oft schon die Art des Energiekonsums. Die Reichen stützen sich auf ganz andere Energieträger als die Armen. Diese sammeln Reisig, Äste oder trockenen Dung, nur in Stadtgebieten haben sie gelegentlich Zugang zu Petroleum oder Elektrizität. Ganz anders die Wohlhabenden: Sie nutzen Treibstoffe und Elektrizität. So lassen sich die verschiedenen Energieträger auf einer Energieleiter anordnen, je nach der Einkommensstufe von Haushalten.65 Für den Nutzungszweck Kochen zum Beispiel finden sich auf den unteren Stufen der Leiter Holz, Dung und sonstige Biomasse, auf der mittleren Stufe Holzkohle, Kohle und Kerosin, und auf den höheren Stufen Strom, Flüssiggas und Benzin. Die Energieleiter korrespondiert mit der sozialen Schichtung in vielen Ländern des Südens. Hauptsächlich aber bildet sich die Klassenschichtung in den Mengen verbrauchter Energie ab. Aus Pakistan und Indien liegen Daten vor, die zeigen, dass die Mittelklasse etwa drei- bis viermal und die Oberklasse vier- bis fünfmal soviel Elektrizität verbraucht wie die Unterklasse, soweit diese damit ausgestattet ist.66 Schärfer treten die Differenzen beim Transport zutage. Weil Personen der Unterklasse sich zu Fuß und mit dem Bus bewegen, verbrauchen jene, die mit ihren eigenen Autos fahren, über zehnmal soviel Energie. Ein ähnlicher Befund ergibt sich beim Vergleich der privaten Konsum-Ausgaben in Indien: Die oberen 10 Prozent der Bevölkerung in der Stadt tätigen pro Kopf jährlich fast zehnmal so hohe Ausgaben wie die unteren 50 Prozent auf dem Land. Überhaupt geben Stadtbewohner quer durch alle sozialen Schichten dreimal soviel Geld für Energie, dreimal soviel für Transportdienstleistungen, mehr als zweimal soviel für Verbrauchsgüter und Kleidung, aber nur weniger als zweimal soviel für Ernährung aus.67 In zahlreichen Ländern Afrikas und Südamerikas, wo steilere Klassen-
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hierarchien bestehen als in Südasien, fallen die landesinternen Differenzen zwischen Klassen und Regionen noch größer aus. Summarisch gesehen nutzen Angehörige der oberen Mittelklasse in Südasien so viel Energie wie Gleichgestellte in vielen Industrieländern. Die Ungleichverteilung im Energieverbrauch, wie sie auf Weltebene zwischen Industrie- und Entwicklungsländern besteht, wiederholt sich in vergleichbarer Spreizung in den Entwicklungsländern selbst zwischen der Verbraucherklasse und der Mehrheit der Bevölkerung. Dennoch liegt der Verbrauchsdurchschnitt der oberen Mittelklasse in den Entwicklungsländern im Allgemeinen niedriger als in den Industrieländern. Neben dem privaten Verbrauch muss man im Norden auch noch öffentliche Dienstleistungen und Sozialsysteme in Anschlag bringen, während im Süden auch der Reiche mit dem Rest der Bevölkerung eine eher karge Infrastruktur teilen muss.68 Jedenfalls ist gerade in den Schwellenländern eine mehr oder weniger große Verbraucherklasse in der Lage, sich einen weitaus größeren Anteil der Naturressourcen zu sichern als die Mehrheit der Bevölkerung. Es fallen schließlich auch dem flüchtigen Besucher in den Metropolen des Südens die Quartiere des Wohlstands ins Auge: glitzernde Bürotürme, Einkaufsgalerien mit ihren Luxusboutiquen, abgeschirmte Wohnviertel mit Villen in manikürten Gärten, vom Strom der Mitsubishi und Mercedes entlang der Zugkarren und fliegenden Händler ganz zu schweigen. Sandton in Johannesburg, Alphaville in São Paulo, Ksour in Marrakesch oder Sukhumvit in Bangkok sind Inseln des Reichtums inmitten eines Meeres an einfachen Häusern und ärmlichen Hütten. Die räumliche Fragmentierung der Städte macht die soziale Polarisierung anschaulich; sie demonstriert, wie sehr sich die tonangebenden Klassen in ihrem Lebensstil von den gewöhnlichen Bürgern entfernt haben. Wie groß ist die Verbraucherklasse in den einzelnen Ländern? Das entscheidet sich an der Abgrenzung der gesuchten Gruppe. Wird die Schwelle tief angesetzt, nimmt die Verbraucherklasse statistisch an Umfang zu, weil sie dann die untere Mittelklasse einschließt, also alle, welche die ersten Schritte zu einem ressourcen-intensiven Konsum gemacht haben, wenn auch auf bescheidenem Niveau. Setzt man die Schwelle höher an, wird die Verbraucherklasse statistisch kleiner und umfasst nur die einigermaßen kaufkräftigen Schichten. Sie wiederum sind in ihrem Konsumstil der unteren Mittelklasse in Industrieländern vergleichbar. Den ersten Weg haben Norman Myers und Jennifer Kent beschritten.69 Sie setzen ein Pro-Kopf-Einkommen von 2500 US-Dollar im Jahr an, wobei sie die Kaufkraft des Geldes im jeweiligen Land berücksichtigen. Oberhalb dieser Einkommensschwelle können Menschen sich über die Befriedigung von Grundbedürfnissen hinaus Schritt für Schritt einem Lebensstil annähern, wie sie ihn bei ihren Vorbildern im Norden kennengelernt haben. Den
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Berechnungen von Myers und Kent zufolge gibt es weltweit 1059 Millionen neue Verbraucher. Der Befund ändert sich, wenn man die Verbraucherklasse enger definiert und als Einkommensschwelle auf 7000 US-Dollar (in Kaufkraftparität) pro Kopf im Jahr ansetzt. Immerhin entspricht diese Summe grob gemessen der offiziellen Armutsgrenze in Westeuropa, sodass damit die transnationale Verbraucherklasse als eine Gruppe umschrieben werden kann, die wenigstens über ein Einkommen der unteren Mittelklasse Westeuropas verfügt. Mit diesem Vorgehen hat Matthew Bentley 816 Millionen neue Verbraucher errechnet.70 Sie gesellen sich zu den 912 Millionen etablierten Verbrauchern in den Industrieländern, die allerdings im Durchschnitt über ein um ein Mehrfaches höheres Einkommen verfügen. Spannt man ein weites Netz und definiert die Verbraucherklasse auf dieser Kaufkraftebene, dann umfasste sie schon im Jahr 2000 gut 1,7 Milliarden Menschen, mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung.71 Abbildung 16 zeigt eine Zusammenstellung der Länder mit der größten Zahl (neuer) Verbraucher bei der Einkommensschwelle von 7000 US-Dol-
Abb. 16: Zahl und Bevölkerungsanteil der (neuen) Verbraucher in 25 Ländern (2000).72 53 Prozent aller globalen Verbraucher leben in Industrieländern, 47 Prozent sind «neue Verbraucher» in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Rund ein Drittel der globalen Verbraucherklasse befindet sich in den drei Ländern USA, China und Indien.
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lar.73 Allein auf China und Indien entfällt ein Anteil von mehr als 20 Prozent der globalen Verbraucherklasse. Mit zusammengerechnet 362 Millionen Menschen ist die Verbraucherklasse dieser beiden Länder größer als jene in ganz Westeuropa, allerdings bei beträchtlich niedrigerem Durchschnittseinkommen. Die Anteile der Verbraucherklasse an der Bevölkerung liegen beispielsweise in China bei 19 Prozent, in Brasilien bei 33 und in Russland bei 43 Prozent.74 Hält man sich vor Augen, dass ihr Anteil in Westeuropa 89 Prozent beträgt, braucht es nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, welches Wachstumspotenzial hier zumindest den Zahlen nach vorliegt. Und gleichzeitig wird deutlich, wie in Zeiten der Globalisierung auch im Norden mehr als jeder Zehnte vom Wohlstand der transnationalen Verbraucherklasse ausgeschlossen ist. Die transnationale Verbraucherklasse ist also, ganz grob gesehen, etwa zur Hälfte im Süden wie im Norden beheimatet. Ihr gehören jene Gruppen an, die sich trotz unterschiedlicher Hautfarbe in ihrem Lebensstil überall gleichen: Sie leben immer weniger landestypisch, sondern werden in Leitbildern und Verhalten den gleich gelagerten Klassen in anderen Nationen ähnlich. Die Anwaltfamilie in Caracas hat in vieler Hinsicht mehr mit einer Unternehmerfamilie in Beijing gemein als jede von ihnen mit ihren Landsleuten in den Berggebieten. Mit anderen Worten: Sie sind nicht «venezolanisch» oder «chinesisch», vielmehr die örtlichen Repräsentanten einer transnationalen Verbraucherklasse. Sie shoppen in ähnlichen Einkaufscenters, kaufen High-Tech-Elektronik, sehen ähnliche Filme und TV-Serien, verwandeln sich hin und wieder in Touristen und verfügen über das entscheidende Medium der Angleichung: Geld. Sie sind Teil eines transnationalen Wirtschaftskomplexes, der seine Absatzmärkte mittlerweile in globalem Maßstab entwickelt. Es ist Nokia, das sie überall mit Mobiltelefonen versorgt, und Toyota mit Autos, Sony mit Fernsehern, Siemens mit Kühlschränken, Burger King mit Schnell-Imbiss und Time-Warner mit Videos. Werbung und Kredite bahnen den Weg. Angebot und Nachfrage verstärken dabei einander: Es sind einerseits vor allem transnationale Unternehmen, die konsumintensive Lebensstile in den Markt drücken, und es sind andererseits die zu Geld gekommenen Menschen, die auf einen höheren Lebensstandard brennen. In der Folge läuft beides darauf hinaus, dass diese Expansion das Gewicht enorm verstärkt, mit dem die Weltwirtschaft auf der Biosphäre lastet. Drei Klassen von Verbrauchsgütern sind es vor allem, die Energie-, Material- und Flächenverbrauch der Verbraucherklasse in die Höhe treiben: Fleischverbrauch, Elektrogeräte und Autos.75 Fleischproduktion aus Tiermast erfordert in der Regel Getreide, und Getreide erfordert Ackerfläche und Wasser. Allein von 1990 bis 2000 nahm die Menge des an Vieh verfütterten Getreides in China um 31 Prozent, in Malaysia um 52 und in Indonesien um 63 Prozent zu.76 Der Wasserverbrauch für die Bewässerung der bei
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der Tiermast eingesetzten Getreidesorten zehrt an den Oberfläch enge wässern und am Grundwasser; um eine Tonne Getreide zu produzieren, sind bis zu 1000 Tonnen Wasser und für eine Tonne Rindfleisch wiederum 16 000 Tonnen Wasser erforderlich.77 Nicht selten richtet sich, wenn Ackerfläche und Wasser knapp werden, die Nachfrage nach Getreide auf den Weltmarkt und treibt zum Schaden der ärmeren Länder die Nahrungspreise hoch; immerhin haben die neuen Verbraucherländer bei den weltweiten Getreideimporten bereits einen Anteil von fast 40 Prozent erreicht. Weiter: Die ganze Palette der Elektrogeräte – vom Kühlschrank zur Klimaanlage, von der Waschmaschine zum Fernseher, von der Mikrowelle zum Computer – lässt den Verbrauch an Strom steigen, normalerweise erzeugt mit fossilen Brennstoffen. Im Jahre 2002 hatten schon 1,12 Milliarden Haushalte, in denen etwa drei Viertel der Weltbevölkerung leben, mindestens einen Fernsehapparat.78 Von ihnen können sich 31 Prozent mittels Kabelanschluss in den globalen Kreislauf fabrizierter Bilder einklinken und so die Güter kennen lernen, die sie erstreben. Und schließlich das Auto. Betrug die Zahl der Personenwagen in den neuen Verbraucherländern 1990 noch 62 Millionen, so stieg sie bis 2000 auf 117 Millionen und erreichte damit einen Anteil von 21 Prozent an der globalen Flotte. Wenn sich die Wachstumsraten der 1990er Jahre fortsetzen, dürfte sich die Autozahl bis 2010 noch einmal fast verdoppeln. Kein Wunder, dass so ziemlich alle Städte mit der höchsten Luftverschmutzung in der Welt in den Schwellenländern liegen, die mittlerweile auch für zwei Fünftel der globalen CO 2-Emissionen verantwortlich sind. Es zeigt sich: Im Ressourcenverzehr verbreitet sich die Lebensweise des Nordens über die Erde, und dessen Filialen im Süden konkurrieren inzwischen mit ihren Vorbildern um den globalen Umweltraum.
3 Arenen der Aneignung Die Macht des Menschen über die Natur erweist sich als eine Macht, die einige Menschen über andere ausüben, mit der Natur als ihr Instrument. C. S. Lewis, 1947
Der transnationalen Verbraucherklasse fliegen die Ressourcen der Erde nicht einfach zu. Meistens liegen die Orte des Verbrauchs und die Orte der Verfügbarkeit weit auseinander, teils liegen Kontinente, teils nur Provinzen dazwischen. Wie geschieht es, dass die transnationalen Verbraucher in der Lage sind, sich den Löwenanteil der Ressourcen anzueignen? Der Name jener Schwerkraft, die dafür sorgt, dass Ressourcen sich von nah und fern auf die Hochverbraucher hin in Bewegung setzen, ist jedermann vertraut: Es ist die Macht. Dabei hat die Macht kein einziges Gesicht, sondern viele Gesichter, sie entspringt nicht einem willkürlichen Akt, sondern ist eingelassen in den normalen Gang der Dinge. Kraft ihres Wirkens nehmen Flotten an Öltankern sicheren Kurs auf die Industrieländer, finden Tee, Reis, Soja und Kaffee aus armen Ländern ihren Weg in die Supermärkte der reichen Länder oder füllen sich die Schwimmbecken bei den gut Situierten selbst in Zeiten der Wasserknappheit. So tritt die Macht des transnationalen Wirtschaftskomplexes über Kraftfelder in Aktion, die ungezählte Entscheidungen in einer Weise durchziehen, dass am Ende ein Viertel der Weltbevölkerung aus überproportional vielen und wertvollen Naturressourcen ihren Nutzen schlagen kann. Dabei wirkt die Macht durch den Einsatz ganz unterschiedlicher Mittel. Sie sind größtenteils alte Bekannte aus der Geschichte, wie der Gebrauch militärischer Gewalt, das leise Werk des Welthandels oder die kanalisierende Wirkung von Infrastrukturen. Die Macht kann auch – wie in Beispielen dieses Kapitels – durch eher neuartige Mittel wie völkerrechtliche Abkommen Schützenhilfe bekommen. Ohne den Einsatz offener oder subtiler Mittel der Macht sind Ressourcen schwer zu bekommen; denn sie sind oft weder frei zugänglich noch unerschöpflich verfügbar. Erstens befinden sich nur wenige Ressourcen in einem Niemandsland, sondern im Lebensraum von Menschen, die oft originäre Ansprüche geltend machen. Ob Erdgas oder Wasser, Ackerland oder genetisches Material, vielfach müssen Ressourcen erst aus dem Besitz der Einwohner in jenen der Ressourcen-Industrien überführt werden. Zweitens treten meist konkurrierende Nachfrager auf den Plan, die dieselben Ressourcen in ihre Kontrolle bringen wollen. Staaten stehen gegen Staaten, Städte stehen gegen Landgebiete, Konzerne gegen Konzerne, amerikanische gegen europäische Verbraucherinnen, und zudem wächst auch die Zahl der Menschen im Verhältnis zu den natürlichen
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Ressourcen. Und drittens gibt es Ressourcen nicht mehr im Überfluss, sondern aus den meisten Gaben der Natur sind mittlerweile knappe Güter geworden. Deshalb verschärft sich nicht selten die Konkurrenz um Ressourcen; wenn Ölvorkommen zur Neige gehen oder wenn die Böden in ihrer Fruchtbarkeit verfallen, ist Rivalität unter den Interessenten angesagt. Aus diesem Grund treten oft soziale Konflikte auf, lange bevor noch eine Ressource ökologisch am Ende ist. Oder anders ausgedrückt: Ressourcengrenzen werfen ihre Schatten voraus und heizen soziale Auseinandersetzungen an. Ökologische Grenzen, weit davon entfernt, nur bio-physische Sachverhalte zu sein, sind oft die Ursache sozialer Konflikte. In den verschiedenen Arenen der Aneignung – der Geopolitik, dem Handel, den Investitionen, dem Völkerrecht – sind daher Konflikte, laute und leise, an der Tagesordnung. Über die Kraftfelder der Macht versuchen die transnationalen Verbraucherund Unternehmen die Oberhand zubehalten. Doch entwickeln sich auch Gegenkräfte, der Sieg der Stärkeren ist keineswegs sicher, und das Resultat ist selten eindeutig. Ressourcenaneignung ist deshalb ein konfliktträchtiger Prozess, der immer wieder in die weitere Gesellschaft ausstrahlt. Der Streit um Ressourcen verbindet sich häufig mit Konflikten politischer oder ethnischer Natur; Ressourcenungerechtigkeit erweist sich etwa regelmäßig als die Hintergrundursache für Konflikte, bei denen es vordergründig um Religion oder Stammesfehde geht. Ohne einen Blick aufs Öl lässt sich weder der Krisenschauplatz im Nahen Osten verstehen noch der Bürgerkrieg im Sudan. Und ohne die Verschlechterung und Verknappung von Böden in Betracht zu ziehen, erschließt sich weder dje Lage von Flüchtlingen in Pakistan noch der Völkermord in Ruanda. Sei es auf internationaler oder subnationaler Ebene, in jedem Fall tragen, wenn legitime Formen der Konfliktregelung fehlen, Ressourcenkonflikte zur sozialen Destabilisierung bei. Es ist daher absehbar, dass bei weiterer Zuspitzung der Ressourcensituation vielerorts Konfliktpotenziale heranwachsen, die insgesamt gesehen die Welt entzündlicher machen. Im Folgenden werden vier Schauplätze für Ressourcenkonflikte näher betrachtet. Beispielhaft treten dabei vier Muster der Aneignung zutage. Beim Anspruch auf Erdöl werden angesichts der Knappheit der Ressource geopolitische Strategien eingesetzt, um einen steten Fluss von den Quellen zu den Konsumenten zu sichern. Die Zufuhr von landwirtschaftlichen Gütern in die transnationalen Zentren wiederum wird über das Kraftfeld des globalen Marktes garantiert, welcher die Länder des Südens veranlasst, ihre Agrarproduktion auf den Export auszurichten. Der Fluss des Wassers wird vorwiegend über Investitionen in Stau-, Kanal- und Leitungssysteme gesteuert, die das Gemeinschaftsgut Wasser sammeln und schließlich einseitigen Industrie- sowie konsumdienlichen Zwecken zuführen. Und am Schluss des Kapitels stehen völkerrechtliche Rechtswerke im Mittelpunkt,
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die über die Vergabe von Patenten auf Pflanzen einerseits Unternehmen die lukrative Nutzung genetischen Materials sichern, andererseits aber Ärmere an der unentgeltlichen Nutzung der Pflanzen hindern.
3.1 Geopolitik: Die Hand aufs Öl Wenn von der Aneignung von Ressourcen die Rede ist, denkt man heute zu allererst ans Öl. Erdöl ist gegenwärtig die wichtigste globale Ressource. Öl ist wichtiger als Gold es je war. Alle zivilisationsrelevanten Strukturen sind auf das «schwarze Gold» ausgerichtet. Ohne Öl würde das industriewirtschaftliche System zusammenbrechen: Industrie und Arbeitsplätze basieren in weiten Teilen auf der Nutzung oder Verarbeitung von Rohöl; Verkehr und Mobilität – zu Wasser, zu Lande und in der Luft – sind hauptsächlich auf raffinierte Ölprodukte angewiesen;1 und ebenso sind es Plastik, Medikamente, Dünger, Baustoffe, Farben, Textilien und vieles mehr. Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts wuchs die Abhängigkeit vom Öl immer mehr; es avancierte zu einer politisch, ökonomisch, ja sogar kulturell unersetzlichen Ressource. Öl prägt wie kein anderer Stoff die Lebensstile in aller Welt. Und das bedeutet: Sein strategischer Wert potenziert seinen wirtschaftlichen Wert. Der sichere Zugang zum Öl ist seit langem ein zentraler Faktor geopolitischer Strategien. Staaten richten ihre internationale Wirtschafts-, Außenund Militärpolitik darauf aus, politischen Einfluss auf wichtige Ressourcen in anderen Ländern und Kontinenten zu gewinnen. So ist erkennbar, dass es den USA und ihren Verbündeten mit ihrem Eingreifen nicht nur um die Befreiung des Staates Kuwait, den Sturz der Diktatur im Irak oder die Auflösung des Terrornetzwerks AI Kaida ging und geht, sondern immer auch um die Ölreserven im Mittleren Osten. Denn so wichtig Öl den Industriestaaten auch geworden ist, so wenig hatten und haben sie oftmals auf ihren eigenen Territorien davon verfügbar (Kapitel 2.1). Darum hat der Zugang zu Ölquellen in anderen Regionen für sie eine hohe Priorität – eine so hohe, dass ihre Anstrengungen zur Kontrolle von Ölquellen in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Male zu massiven Konflikten und Kriegen führten. Bei der Sicherung des Zugangs zu Öl kamen in der Hauptsache diejenigen Staaten zum Zuge, die bereits eine starke Stellung im internationalen Kontext innehatten: die Staaten Nordamerikas und Europas sowie Japan und der australische Kontinent, kurz: die heutigen Industrieländer. Die ungleichen Verhältnisse in der Nutzung des Erdöls wurden mit Hilfe geopolitischer Strategien ausgebaut und zementiert.
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Politik der Einflusssphären Die USA sind im Mittleren Osten schon lange über ihren Verbündeten Saudi-Arabien präsent. Die gegenseitigen Beziehungen beider Staaten datieren zurück bis ins Jahr 1945, in dem Präsident Roosevelt mit dem damaligen saudischen König Abd al-Aziz Ibn Saud eine folgenreiche Vereinbarung traf: Die USA boten militärischen Schutz und erhielten im Gegenzug Zugangsrechte zu den saudischen Ölquellen. Seither sind die USA der wichtigste Handelspartner des Landes. Der staatliche Ölkonzern ARAMCO war ursprünglich ein saudi-arabisch-amerikanisches Unternehmen. Im Wettlauf um Handelsbeziehungen waren die USA schneller als alle anderen und konnten sich so ihren Nachschub an Öl und ihren Einfluss auf den Weltölmarkt auf lange Sicht sichern. 1991, während des Golfkriegs gegen die Annektierung Kuwaits durch den Irak, ließ Saudi-Arabien sogar erstmals die Stationierung von US-amerikanischen Soldaten auf seinem Territorium zu. Im Gegenzug konnte die Operation «Wüstensturm» zur «Befreiung» auch des kuwaitischen Öls durchgeführt werden. Aus amerikanischer Sicht sprechen wichtige Gründe für ihre Präsenz in Saudi-Arabien: Der Staat fördert über 9 Millionen Barrel Öl täglich und ist somit der weltgrößte Ölproduzent – gefolgt von Russland und den USA.2 Gewänne eine den USA feindlich gesinnte Macht Einfluss auf die saudischen Ölquellen, ließen sich die USA und mit ihr die gesamte ölabhängige Welt unter Druck setzen. Außerdem verfügte Saudi-Arabien lange Jahre über freie Produktionskapazitäten, die beim Ausfall anderer Ölproduzenten kurzfristig genutzt werden konnten, um die erwünschte Ölmenge am Markt zu sichern.3 Damit hatte Saudi-Arabien – und indirekt auch die USA – das wichtigste Instrument in den Händen, auf Ölmenge und Ölpreis stabilisierend einzuwirken. Die Attentate des 11. September 2001, die auch mit Kontakten und Geld aus Saudi-Arabien vorbereitet wurden, haben die Situation drastisch verändert. Saudi-Arabien gilt den USA nunmehr als unzuverlässiger Partner. Vor diesem Hintergrund erscheint der jüngste Irakkrieg in einem anderen Licht. Denn die Kernfrage für die amerikanische Geopolitik um Öl lautet heute: Wie können die USA ihren Einfluss in der Region behaupten und sich gleichzeitig aus der Abhängigkeit von Saudi-Arabien lösen? Während im Mittleren Osten die geopolitischen Betätigungsfelder abgesteckt sind, ist das Ringen um Erdöl im kaspischen Raum in vollem Gange. Russland zeigte in den ersten Jahren nach der Auflösung der Sowjetunion wenig Interesse an Zentralasien, da innere Probleme und auch mangelnde finanzielle Mittel seinem politischen und wirtschaftlichen Einfluss dort im Wege standen. Die USA hingegen unterstützten bereits Anfang der 1990er Jahre die zentralasiatischen Staaten in ihren Unabhängigkeitsbestrebungen und investierten gleichzeitig in die Ölindustrie.4 Die politisch unsichere
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Lage des kaspischen Raumes birgt großes Krisenpotenzial. Die USA antworten darauf mit einem verstärkten politischen und militärischen Engagement. In den letzten Jahren wurden in Usbekistan etwa 1000 Soldaten zu humanitären Zwecken stationiert; seit dem Beginn des «Kampfes gegen den Terrorismus» befindet sich in Afghanistan ein massives, auch internationales Truppenaufgebot; und auch in Kirgisien leisten inzwischen amerikanische Soldaten Dienst. Bereits 1997 zogen US-Spezialeinheiten mit kasachischen Soldaten ins Manöver.5 Nicht nur die USA haben es verstanden, Militär und Wirtschaft im Rahmen geopolitischer Energieversorgung miteinander zu verbinden. Auch die NATO schreibt in ihrem aktuellen Strategiekonzept: «Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken umfassenderer Natur berührt werden, einschließlich ... der Unterbrechung des Zufuhrs lebenswichtiger Ressourcen.»6 Und bereits im November 1990, noch vor Beginn des zweiten Golfkriegs, rechtfertigte der damalige Generalsekretär Manfred Wörner ein Eingreifen der NATO nicht nur mit der Befreiung Kuwaits, sondern auch mit der Sicherung des Nachschubs an Öl.7 Solche militärischen Drohgebärden sind als eine universelle Einschüchterung all derer zu verstehen, die mit dem Gedanken spielen könnten, der NATO oder einem ihrer Mitglieder zentrale Energieressourcen vorzuenthalten. Inzwischen wird kein Hehl mehr daraus gemacht, dass auch demokratische Staaten zu militärischen Mitteln greifen, um ihre Energieversorgung zu sichern – und damit ein System zu verteidigen, das sich selbst in solche Abhängigkeit gebracht hat. Krieg oder militärische Drohungen sind nicht das einzige Mittel, um sich Vorteile beim Zugang zu Öl zu sichern. Der Weltmarkt für Öl ist alles andere als ein freier Markt, auf dem sich Preise und Mengen nach dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage entwickeln. Große Ölproduzenten wie das Kartell der Organisation der Erdöl exportierenden Staaten (OPEC) bemühen sich, den Markt zu steuern. Die Möglichkeit der Kunden, sich unter den Anbietern den für sie günstigsten auszusuchen, ist begrenzt durch Förderkapazitäten und politische Einflussfaktoren, und auch durch die Unentbehrlichkeit des Erdöls: Für den kurzfristigen Bedarf muss fast jeder Preis bezahlt werden, da es keine Alternativen gibt. Wie sich die Unentbehrlichkeit der Ressource Öl auswirken kann, zeigte die erste Ölkrise Ende 1973. Nach einem Lieferboykott der arabischen Ölförderstaaten als Antwort auf den Jom-Kippur-Krieg vervierfachte sich der Preis innerhalb kürzester Zeit. Dabei wurde die Förder- und Exportmenge lediglich um fünf Prozent gesenkt. Die Folge war eine weltweite Stagnation der Wirtschaft, die beispielsweise in Deutschland 1974 zu einem NullWachstum und im Jahr darauf sogar zu einem Rückgang des Bruttosozialprodukts um ein Prozent führte.8
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Staaten, die Öl importieren, haben daher ein besonderes Interesse, auf das Marktgeschehen einzuwirken, also Angebot und Preis des Öls nicht dem freien Kräftespiel des Markts zu überlassen. Zwei Ziele bestimmen die geopolitischen Strategien: Sicherung des Nachschubs und Sicherung des Preises auf niedrigem Niveau. Besonders ärmeren Staaten des Südens oder Industriestaaten wie etwa Japan, bei denen sich auf dem eigenen Territorium überhaupt kein Öl finden lässt, ist an einem möglichst niedrigen Ölpreis gelegen. In den USA ist die Interessenlage komplexer. Auch sie sind als weltgrößter Verbraucher an einem niedrigen Preis interessiert, jedoch existiert in den USA selbst eine ausgedehnte Ölindustrie. Damit stehen sie in einem ständigen Konflikt: Gesamtwirtschaftlich ist ein niedriger Ölpreis vorteilhaft. Doch um die heimische Ölindustrie nicht zu ruinieren, darf er nicht zu niedrig sein, da im Vergleich zum Mittleren Osten nordamerikanisches Öl sehr teuer zu produzieren ist. Auch Produzentenländer wie Saudi-Arabien, dessen vorrangige Exportgüter Öl und Gas sind, sind an einem niedrigen bis mittleren Ölpreis interessiert. Die Erklärung dafür lautet: Viele der Öl exportierenden Staaten investierten so viel Geld im Ausland in Form von Unternehmensbeteiligungen und anderen Finanzanlagen, dass eine weltweite Wirtschaftsrezession aufgrund eines hohen Ölpreises ihnen empfindliche Einbußen bescheren würde. Billiges Öl ist also nicht nur im Interesse der vom Import abhängigen Staaten, auch die Öl produzierenden Länder möchten Turbulenzen der Weltwirtschaft vermeiden. Außerdem macht ein hoher Ölpreis langfristig alternative Energiequellen auch finanziell attraktiv. Damit könnte die Nachfrage nach Öl dauerhaft sinken. Vorausschauende Investitionen in die Entwicklung erneuerbarer Energien wären eine zukunftsfähigere Alternative zu der imperialistischen Strategie, den Zugriff auf die Ölquellen der Welt mit militärischen Mitteln zu sichern. Aber dem kurzfristigen Denken derer, die an der Aufrechterhaltung der im letzten halben Jahrhundert entstandenen Strukturen interessiert sind, ist diese Alternative nicht zugänglich. Sie müssten ja selbst dazu beitragen, die Strukturen zu ersetzen, in die sie investiert haben und aus denen sie bisher noch Gewinn ziehen. Maximaler Förderpunkt Ihre hohe geopolitische Bedeutung erlangt die Ressource Öl nicht nur, weil sie heute noch die Grundenergie der Weltwirtschaft ist, sondern auch und gerade, weil sie schon bald knapp werden wird. Bis vor wenigen Jahrzehnten konnten sich die Öl-Explorateure noch über stark wachsende Reserven freuen und verlautbaren, die Menge neu gefundener Ölfelder übersteige die jährliche Fördermenge. Dieses Verhältnis hat sich seit Beginn der 1980er Jahre umgekehrt. Die jährliche Förderung ist inzwischen bedeutend größer
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als die Menge der Neufunde. Für jedes neu entdeckte Barrel Rohöl werden etwa vier Barrel entnommen.9 Geht es um die Verfügbarkeit von Öl, wird meist über die absoluten Ölreserven und deren Reichweite diskutiert. Was aber sagen solche Zahlen aus? Im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Öl nur wenig. Aussagefähig ist erst der Abgleich mit heutigen und zukünftigen Produktionskapazitäten. Die Produktionskapazität gibt das Maß an, wie viel Öl pro Zeiteinheit gefördert werden kann. Die Ausbeutung eines Ölfeldes folgt in ihrem Verlauf einer Glockenkurve: Die Förderquote steigt anfangs stark an und erreicht etwa bei der Hälfte des maximal förderbaren Öls ihren Höhepunkt. Anschließend folgt eine Rückgangsphase, in der die Fördermenge infolge des geringer werdenden Druckes immer mehr abnimmt. Durch Anwendung unterstützender Maßnahmen lässt sich dieser Befund nur leicht verzögern – und schon gar nicht umkehren. Irgendwann kommt so wenig Öl aus dem Feld, dass sich eine weitere Förderung nicht mehr lohnt. Der Förderstopp tritt also vor der völligen Erschöpfung des Feldes ein. Bezogen auf alle Ölfelder weltweit gibt es also einen Punkt der maximalen Förderung, den so genannten Depletion Mid Point, nach dem die Produktionsrate unweigerlich absinkt. Über den Zeitpunkt dieser global maximalen Ölförderung wird heftig gestritten. Das Problem dabei ist, dass die Auswertung der vorliegenden Statistiken meist interessengeleitet erfolgt: Während die Repräsentanten börsennotierter Ölkonzerne verkünden, dass der Maximalpunkt niemals erreicht wird10, verweisen Zweckoptimisten wie die Energieinformationsbehörde (EIA) des US-amerikanischen Energieministeriums oder die internationale Energieagentur (IEA) in Paris diesen maximalen Förderpunkt in einen sehr breiten Zeitkorridor, der wenig Aussagen zulässt.11 Eine Datierung des maximalen Förderpunkts auf ein bestimmtes Jahr erscheint auch kaum möglich, eine deutliche Eingrenzung ist jedoch vertretbar. Wägt man die verschiedenen Faktoren ab, dann kommt man zu dem Schluss, dass der Punkt der maximalen Ölfördermenge wohl im Zeitraum zwischen 2008 und 2015 erreicht werden wird.12 Vor diesem Hintergrund bekommen die geopolitischen Strategien zur Sicherung des Nachschubs und eines stabilen Ölpreises eine noch einmal steigende Bedeutung. So geht es den Kriegführenden im Irak nicht nur um Reserven für die mittlere Zukunft, sondern bereits um die Abwehr einer befürchteten Krise der Weltwirtschaft in naher Zeit. Nachdem der Punkt der maximalen Ölfördermenge erreicht ist, werden die Ölpreise schnell ansteigen und möglicherweise einen Teufelskreis in Gang setzen, wie bereits bei den Ölkrisen der 1970er Jahre – nur dass diesmal kein Ende der Verknappung in Sicht ist. Wenn die Produktionsmenge nicht mehr mit dem Anstieg der Nachfrage Schritt halten kann, gehen alle Länder, und zumal die vom Ölimport abhängigen, einer Wirtschaftskrise entgegen.
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Die Diskussion auf der Basis von absoluten Reserven ist also verfehlt. Aber sie ist gewollt. Sie verfolgt einen klaren psychologischen Effekt. Wenn es heißt, das Öl reiche noch für vierzig Jahre oder länger, so ist damit gesagt: Wir sprechen über ein Problem in der Zukunft. Und wie in der Vergangenheit, so wird es auch in der Zukunft neue Fördertechnologien geben, welche die Reichweite wieder um einen gehörigen Zeitraum verlängern. Die Diskussion soll also von der sich zuspitzenden Frage der Verfügbarkeit ablenken und auch vom Risiko sprunghafter Preiserhöhungen. Mehr Nachfrager, weniger Anbieter Die gerade beschriebene Krise kündigt sich zu einer Zeit an, in der weltweit der Öldurst stetig wächst. Alle Prognosen sagen einen dramatisch ansteigenden Ölverbrauch voraus.13 Denn nahezu alle Länder der Welt setzen auf eine wirtschaftliche Entwicklung, die nur mit einem wachsenden Verbrauch fossiler Energieträger zu erreichen ist. Über die alteingesessenen Industrieländer hinaus schwillt seit einiger Zeit die Nachfrage nach Öl besonders in den neuen Verbraucherländern an (Kapitel 2.3), allen voran in China, Indien und Brasilien. Ihr Bedarf an Erdöl – bisher unverzichtbar als Rohstoff und als Antriebsmittel – steigt rapide an, und sie treten auf dem Weltmarkt als neue Nachfrager auf. Besonders die Schwellenländer Asiens, wo insgesamt nur relativ geringe Gas- und Ölvorkommen liegen, sind dabei, in die Konkurrenz ums Öl einzusteigen. China hat gegenwärtig bereits die Position des weltweit zweitgrößten Importeurs an Öl erreicht, und selbst ein Land wie Malaysia, das heute noch Netto-Exporteur ist, wird sich binnen eines Jahrzehnts zum Netto-Importeur wandeln. Weil gleichzeitig die Industrieländer weit davon entfernt sind, ihren Verbrauch an Öl nennenswert zurückzuschrauben, ja ihn sogar in vielen Fällen wachsen lassen, wird die Lage eng. Die aufsteigenden Länder pochen auf ihre Ansprüche, die Altnutzer wollen von ihnen nicht lassen, und gleichzeitig schwinden die Vorkommen: ein Bilderbuchszenario für die Rivalitätskämpfe der nächsten Jahrzehnte. Darüber hinaus ist die Ölförderung dabei, sich auf immer weniger Lieferanten zu konzentrieren. Gegenwärtig operiert auf dem internationalen Ölmarkt noch eine größere Zahl von Ölproduzenten. Sie setzt sich aus einer bunt gemischten Schar von Staaten und Konzernen zusammen. Aus den OPEC-Staaten stammen etwa 30 Prozent des Angebots; Nordamerika trägt knapp 20 Prozent zur Versorgung bei, und Afrika, Südamerika, Asien, die frühere Sowjetunion und Europa jeweils rund 10 Prozent.14 In den letzten dreißig Jahren haben sich jedoch die relativen Anteile stark verschoben. Auch ausgelöst durch die Ölkrisen der 1970er Jahre haben die westlichen Industrieländer enorme Anstrengungen unternommen, die Abhängigkeit von den OPEC-Staaten zu reduzieren. Diese Ausweitung der eigenen Förde-
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rung hatte jedoch ihren Preis. Einige wichtige Förderländer haben ihr Produktionsmaximum bereits vor Jahren hinter sich gelassen: Die USA hatten es schon 1970 erreicht; heute pumpen sie nur noch 60 Prozent der damaligen Menge aus dem Boden. Russland schaffte 2003 nur noch etwa 70 Prozent des Maximalwertes von 1988. Norwegen, Mexiko und Venezuela gelangten in den vergangenen fünf Jahren an den maximalen Förderpunkt.15 In Zukunft werden immer mehr Produzenten ihren Förderhöhepunkt erreichen und danach die Ölförderung reduzieren müssen. Das Feld der Ölproduzenten wird kleiner, und wenige große werden überleben. Wenn sie sich untereinander absprechen, wird es eine freie Wahl des Anbieters und ein freies Spiel der Marktkräfte noch weniger geben als heute. Ausstieg als Sicherheitspolitik Eine kurzfristige Betrachtung könnte zu dem Schluss führen, die beschriebene Politik des billigen Öls habe allen genutzt, den Industrieländern wie den Ölexporteuren. Gerade die armen Länder des Südens, denen kaum Alternativen zur Verfügung stehen, konnten doch vom billigen Öl profitieren. Diese Deutung lässt freilich außer Acht, dass durch den niedrigen Preis des Öls und die Sicherung des konstanten Nachschubs überall eine Infrastruktur aufgebaut worden ist, die ganz von dieser einen Ressource abhängt. Das ging so lange gut, wie es genügend billiges Öl für alle gab. Nun jedoch, da der Kuchen kleiner wird, der Hunger aber größer und die Anzahl der Gäste zunimmt, öffnet sich ein dauerhaftes Konfliktfeld. In den Kriegen am Golf, in Afghanistan, aber auch durch die Spannungen im kaspischen Raum oder im Tschetschenien-Krieg wirft der große Streit der Zukunft schon seine Schatten voraus. Denn jetzt geht es darum, dass die mächtigen Staaten ihre Ölversorgung mit imperialistischen Mitteln sichern, was für die weniger mächtigen nur bedeuten kann, dass sie ebenfalls mit gewaltsamen Aktionen antworten, um nicht in noch größere Abhängigkeit zu geraten. Den höchsten Preis werden die armen Länder bezahlen. Wie Analysen der internationalen Energieagentur zeigen, führen allein die reinen Primäreffekte eines Ölpreisanstiegs von 15 auf 25 US-Dollar pro Barrel schon in den Industrieländern zu einer Abschwächung des Wirtschaftswachstums um 0,4 Prozent, während er Öl importierende Entwicklungsländer ungleich härter trifft: Die asiatischen Entwicklungsländer büßen 0,8 Prozent ein, die Länder südlich der Sahara sogar 3,0 Prozent.16 Die Staatsverschuldung dieser Länder wird wachsen, wie es bereits während der Ölkrise 1973 zu beobachten war, und für große Teile der Bevölkerung wird fossile Energie kaum noch erschwinglich sein. Damit wird das Wirtschaftswachstum blockiert – schon heute fehlt in zahlreichen Staaten Afrikas das Benzin, bleiben Nutzfahrzeuge einfach stehen. Und glaubt man den Einschätzungen, die gegenüber einem Ölpreis von langer Zeit zwischen 10 und 20 US-Dollar einen
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Anstieg auf zukünftig über 50 US-Dollar pro Barrel vermuten, der obendrein von extremen Preisspitzen begleitet wird, dann wird deutlich, dass diese Probleme bloß erste Kostproben sind.17 Wahrlich schlechte Aussichten für die Armen: Es ist wahrscheinlich, dass die weniger kaufkräftigen Länder durch die Preisentwicklung bei Öl weiter in die wirtschaftliche Apartheid gestoßen werden. Die Ungleichheit in der Welt wird sich vergrößern, statt sich zu verkleinern. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass in möglichen Ressourcenkriegen sich nicht nur Arme und Reiche, sondern auch die Reichen einander gegenüberstehen. So werden weit vor den ökologischen Grenzen die sozialen Grenzen der Nutzung fossiler Energieträger sichtbar. Die Endlichkeit von Öl wird zum Destabilisierungsfaktor, lange bevor das letzte Barrel aus der Erde gepumpt ist. Die «Grenzen des Wachstums» kehren als geo-politische Konflikte wieder. Vor diesem Hintergrund ist es kaum übertrieben zu sagen, dass die konventionelle, auf fossile Energieträger gestützte Wirtschaftsentwicklung zu einem Großrisiko für die Sicherheit in der Welt geworden ist. Damit dreht sich eine lang gehegte Selbstverständlichkeit aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts um: Entwicklung fördert nicht den Frieden sondern führt – solange sie auf Öl, Gas oder Kohle basiert – in die Friedlosigkeit. Deshalb dienen Strategien zur effizienten Nutzung fossiler Brennstoffe und zum Umstieg auf regenerative Energien (Kapitel 5) nicht nur dem Schutz der Biosphäre, sondern auch der Vorbeugung gegen steigende Armut, Konflikte und Kriege. Strategien der Ressourcenproduktivität sind damit ein unverzichtbarer Teil globaler Friedenspolitik geworden.
3.2 Außenhandel: Aneignung von Ackerflächen Nicht nur Öl, auch landwirtschaftliche Fläche ist mittlerweile eine global begehrte Ressource. Fläche wird nicht exportiert, aber sie wird mit Exportgütern bestellt. Denn wirtschaftliche Globalisierung bedeutet zu allererst, die Produktion nicht mehr auf den lokalen oder nationalen Markt, sondern auf den Weltmarkt auszurichten. Über den Fernhandel wird landwirtschaftliche Fläche – eigentlich unabdingbar ortsgebunden – de facto zur global umkämpften, begrenzten Ressource: Weite und dünn besiedelte Landflächen hier stehen für die Bedürfnisse bevölkerungsreicher Regionen dort zur Verfügung, und kaufkräftige Konsumenten an allen Orten können über Agrarimporte auf die Nutzung von Flächen zugreifen, die auf der entgegengesetzten Seite des Globus liegen. Allein die Europäische Union (EU 15) nimmt durch ihren Import von Agrarrohstoffen und -produkten in den Herkunftsländern dieser Güter eine Fläche von 43 Millionen ha in Anspruch, was mehr als einem Fünftel ihres Territoriums entspricht (Kapitel 2.2).
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Wo früher Reis oder Mais für den Eigenbedarf und den einheimischen Markt angebaut wurde, wachsen heute häufig exotische Früchte für die fernen Konsumenten. Bis zu 50 Prozent der nutzbaren Fläche auf der philippinischen Insel Mindanao beispielsweise werden heute von ausländischen Firmen kontrolliert: von Monokulturen für Ananas und Bananen der Konzerne Del Monte und Dole über Kaffeeplantagen von Nestle, Holzschlagkonzessionen für japanische Firmen und die britisch-malayischen Ölpalmenplantagen von Guthrie bis hin zur Kokosproduktion für Henkel und Mars. Kleinbauern wurden über die Jahre verdrängt, oft genug mit alles andere als höflichen Methoden. Und wer sein Stück Land an die Konzerne verpachtete, stellte fest, dass Pachtzins und eventueller Lohn für die Arbeit in den Konservenfabriken nicht für den Lebensunterhalt ausreichten. Gewöhnlich nicht ins Kalkül gezogene Möglichkeiten der Überlebenssicherung waren mit der Verpachtung weggefallen: der Anbau von Nahrung für den eigenen Bedarf, oder Tierhaltung sowie Jagd und Fischfang auf eigenem Grund. Ferner laugt die Ananas den Boden aus, eine Rückkehr zu Reis und Mais ist nurmehr schwer möglich.18 So kommt es, dass die Erzeugung landwirtschaftlicher Güter für den Export in vielen Ländern, vor allem im Süden, mit der Erzeugung für den Eigenbedarf konkurriert. Dies hat zu einer höchst widersprüchlichen Entwicklung geführt: Obwohl große Teile der eigenen Bevölkerung an Unterernährung leiden, betreiben viele Länder des Südens eine stark ausgeweitete Exportlandwirtschaft, die häufig mit einem auf ein Produkt konzentrierten und mit starkem Ressourcenverbrauch verbundenen Landbau einhergeht.19 Viele Länder des Südens sind nicht mehr in der Lage, ihre Binnennachfrage nach Grundnahrungsmitteln durch die eigene Produktion zu decken – etwa den Bedarf an Getreide, die mit Abstand wichtigste Nahrungsgrundlage weltweit. Schon Mitte der 1970er Jahre haben alle Entwicklungsländer zusammen 4 Prozent weniger Getreide produziert, als sie benötigten; Ende der 1990er Jahre waren es bereits 9, und für 2030 wird gar eine Lücke von 14 Prozent prognostiziert.20 Die Länder des Südens werden also zunehmend von Nahrungsmittelimporten abhängig. Gleichzeitig verarmen große Teile ihrer Bevölkerungen, wandern aus dem ländlichen Raum in überfüllte Städte und bringen somit eine gefährliche Polarisierung von Arm und Reich, von Stadt und Land hervor. Warum aber spezialisieren sich zahlreiche Länder auf Exportgüter, was ihnen die eigene Versorgung erschwert? Warum forcieren ausgerechnet Länder des Südens, in denen das größte Bevölkerungswachstum stattfindet, eine Wirtschaftsstruktur, die immer wieder Verdrängung und Verarmung zur Folge hat? Meist sind sie zum Erwerb von Devisen gezwungen, um ihre Auslandsschulden abzutragen. Solange sie relativ billige Rohstoffe exportieren und relativ teure Industriegüter importieren müssen, können
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sie – wenn überhaupt – nur mit Mühe ausreichende Einnahmen erwirtschaften, um über die Zinszahlung hinaus ihre Schulden zu tilgen. Einmal in der Schuldenfalle gefangen, haben sie kaum eine andere Wahl, als ihre eigene Bevölkerung zugunsten der Konsumenten in fernen, finanzstarken Ländern zu benachteiligen. Und auch ohne Überschuldung werden viele Südländer in die Ausweitung des Exportsektors gedrängt, weil sie den kontinuierlichen Wertverlust ihrer Güter auf dem Weltmarkt kompensieren müssen. Die Industrieländer erschweren es ihnen, ihre Austauschrelationen zu verbessern; deshalb bleibt den Südländern oft keine andere Wahl, als für höhere Exporte zu optieren. Exportzwang versus Eigenversorgung Schon in der Kolonialzeit verfolgten die Staaten des Nordens eine Politik, die den Süden auf die Produktion agrarischer Güter und die Extraktion von Rohstoffen festlegte und sie gleichzeitig am Aufbau von veredelten Gütern oder Fertigprodukten hinderte. Bengalen beispielsweise war vor der Kolonialisierung Indiens ein wirtschaftlich selbstständiges Land mit landwirtschaftlichen Überschüssen und einer reichhaltigen Produktion von Baumwolle, Seide und Musselin in hoher Qualität. Doch die britischen Kolonisatoren «stutzten das wirtschaftlich autarke Land auf die Rolle eines Lieferanten für koloniale Bedürfnisse zurück». Sie errichteten in großer Zahl Jute- und Papierfabriken sowie Baumwollspinnereien, unterbanden aber «alle Industrien, die nicht in ihr Konzept passten, etwa Eisen- oder Stahlverarbeitung, erst recht den Maschinenbau».21 Dieses Interesse, die eigene Wirtschaft vor der Konkurrenz der Indus-trie aus dem Süden zu schützen, findet heute in der Außenhandelspolitik der Staaten des Nordens seine Weiterführung. Mit ihr versuchen sie in vielen Wirtschaftssektoren immer noch sicherzustellen, dass ihr eigener Vorsprung nicht gefährdet wird und die Staaten des Südens als Agrargüterund Rohstofflieferanten zur Verfügung stehen. Einerseits erschweren sie den Import industrieller Güter, um die heimischen Unternehmen vor einer billiger produzierenden Konkurrenz aus dem Süden zu schützen (Kapitel 6.3). Die Länder des Südens werden dadurch gezwungen, eher unverarbeitete, niedrigpreisige Produkte – Rohstoffe und Agrargüter – zu liefern und verarbeitete, eher hochpreisige Industrieprodukte vom Norden zu kaufen. Andererseits fördern die wohlhabenden Länder ihre eigene landwirtschaftliche Produktion mit Subventionen und exportieren ihre überschüssigen Agrargüter zu derart verbilligten Preisen, dass die Staaten des Südens für ihre Agrarprodukte aus traditionellem, arbeitsintensivem Landbau keine kostendeckenden Preise mehr erzielen können, also auf kapitalintensive Methoden des industriellen Landbaus angewiesen sind. Die Kombination der beiden Strategien wirkt sich auf die Länder des Sü-
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dens besonders nachteilig aus. Denn die Schere zwischen ihren Einnahmen aus niedrigpreisigen Rohprodukten und ihren Ausgaben für die hochpreisigen Fertigprodukte der Industrieländer geht schon durch den Einfluss des technischen Fortschritts, der den Wert der Fertigprodukte steigert, immer weiter auseinander. Hinzu kommt die unlautere Konkurrenz industrieller Exportländer, die ihre Produkte durch staatliche Subventionen verbilligen. Kostete im August 1995 ein kg Baumwolle noch 2,50 US-Dollar, so waren es im Januar 2002 nur noch 0,84 US-Dollar, der Rekordtiefstand seit 30 Jahren. Das Einkommen vieler Baumwollproduzenten, die keine Subventionen erhielten, verringerte sich auf ein Drittel, und die Exporteinnahmen der produzierenden Länder im Süden wurden gravierend reduziert.22 Insgesamt sind die Südländer gezwungen, immer größere Mengen an Agrarprodukten zu exportieren, um für den Erlös eine gleich bleibende Menge an Industrieprodukten einführen zu können. Dadurch, dass alle vermehrt produzieren, sinkt aber auch der Preis, da die Nachfrage sich kaum verändert. «Eine Lokomotive aus der Schweiz, die 1980 noch 12 910 Sack Kaffee kostete, musste 1990 bereits mit 45 800 Sack Kaffee bezahlt werden.»23 Insgesamt sanken zwischen 1980 und 2000 die Weltmarktpreise 18 wichtiger Agrargüter im Durchschnitt um 25 Prozent, mit einer Preiseinbuße bei Baumwolle um 47 Prozent, bei Kaffee um 64, bei Reis um 60,8, bei Kakao um 71,1 und bei Zucker um 76,6 Prozent.24 Als Folge hat sich in zahlreichen Ländern des Südens die Handelsbilanz verschlechtert, mit nunmehr 64 Staaten, die eine negative Bilanz aufweisen und mit einer chronischen Not an Devisen zu kämpfen haben.25 Und wiederum bewirkt die hohe Verschuldung vor allem der ärmeren Länder weiterhin eine starke Exportabhängigkeit. Da die Länder des Südens immer größere Mengen an Agrarprodukten exportieren müssen, gehen sie zu industriellen Methoden kapital- und chemieintensiver Landbewirtschaftung über und widmen ihr einen großen Anteil ihrer Wirtschaftsflächen. Die Produktion von Agrargütern ist aber flächenintensiver als die von Fertigprodukten. Darum beanspruchen die Industrieländer für ihre Importe mehr Fläche in Peripherieländern, als sie diesen für die exportierten Güter zur Verfügung stellen (Kapitel 2.2). Diese Fläche steht für die Versorgung der einheimischen Bevölkerung nicht zur Verfügung. Die wichtigsten Exportgüter Tansanias zum Beispiel sind Kaffee, Baumwolle und Cashew-Nüsse; außerdem ist Tansania einer der weltgrößten Erzeuger von Gewürznelken. Der Eigenanbau von Mais, Hirse, Reis und Hülsenfrüchten reicht bei schlechten Ernten nicht mehr zur Eigenversorgung aus; Nahrungsmittel müssen dann importiert werden. Tansania war denn auch im Jahr 2004 – trotz 3 Milliarden US-Dollar Schuldenerlaß drei Jahre zuvor – wieder mit 6,6 Milliarden US-Dollar verschuldet.26 So scheint der Schluss berechtigt, dass die Industrieländer ihre Außenhandelspolitik zu einem wirksamen Instrument entwickelt haben, den
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Ländern des Südens mehr abzunehmen, als sie ihnen zurückgeben. In den Ländern des Nordens erhöht die Aneignung billiger Rohstoffe das Produktionspotenzial und die billigen Importe an Nahrung und Kleidung unmittelbar die Kaufkraft. Beides vermehrt das verfügbare Sach- und Geldvermögen über das Maß hinaus, das ohne die Aneignung erreicht würde. Von der Bereicherung profitieren Konsumenten und Produzenten gleichermaßen, in besonderem Maß aber, wie noch zu zeigen ist, das mobile Kapital. Die korrespondierende Verarmung in den Ländern des Südens wirkt sich auf ihre Gesamtwirtschaft entgegengesetzt aus; aber der Verarmungseffekt trifft auch hier nicht alle Gruppen der Gesellschaft gleich, sondern einige härter und manche besonders hart. Deren Produktionsgrundlagen und Lebensbedingungen verschlechtern sich derart, dass sie an den Erwerbs- und Artikulationschancen ihrer Gesellschaft kaum mehr teilhaben, also marginalisiert werden. Marginalisierung von Bauern und Böden Der Begriff der Marginalisierung bezieht sich zunächst auf Arbeitskräfte, die auf Dauer von der Teilhabe an Wohlstand und sozialer Wertschätzung ausgeschlossen und in diesem Sinn an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.27 In den Ländern des Südens beruhen Einkommen und Lebensgestaltung oft für die Mehrheit der Bevölkerung auf dem Zugang zu natürlichen Ressourcen. Deshalb geht nicht selten die Marginalisierung der Natur der Marginalisierung der von ihr lebenden Menschen voraus. Wo man die Natur ausschließlich als Produktionsfaktor betrachtet, wird sie vernachlässigt, sobald ihre Ertragskraft zu gering geworden ist. Das ist bei der exportorientierten Landwirtschaft der Fall, denn sie folgt dem Prinzip der industriellen Fertigung. Sie kommt mit wenigen Arbeitskräften aus, und sie bewirtschaftet nur die ergiebigen Böden, lässt also die ertragsschwächeren Flächen aus, die vorher ebenfalls bewirtschaftet wurden, nun aber als marginale – also an oder jenseits der Rentabilitätsgrenze befindliche – Böden betrachtet und ausgegrenzt werden. In der Baumwollproduktion zum Beispiel werden die Böden durch Vergiftung und Versalzung geschädigt. Ein großer Teil der weltweit verwendeten Pflanzenschutzmittel (Pestizide, Entlaubungsmittel, Wachstumsregulatoren) wird auf Baumwollfeldern versprüht. Baumwolle gedeiht gut auf trockenen Böden mit künstlicher Bewässerung. Dafür werden pro Jahr 200 bis 1500 Liter Wasser pro Quadratmeter und 3600 bis 26 900 m3 Wasser pro Tonne Baumwolle eingesetzt; für die Produktion eines T-Shirts werden daher bis zu 20 000 Liter Wasser verbraucht. Durch die regelmäßigen Wassergaben wird die obere Bodenschicht allmählich mit den im Wasser enthaltenen Salzen angereichert. In den Ländern der russischen Föderation, aber auch in Ländern des Südens haben Versalzung und Vergiftung schon
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große Flächen für eine landwirtschaftliche Nutzung unbrauchbar gemacht. So verschlechtern sich die Böden in ihrer Qualität, nicht selten bis hin zur Verwüstung. Insgesamt betrachtet gehen Felder, Weiden, Wälder, Seen zugrunde, weil der Sinn dafür verloren gegangen ist, wie man die Produktionsweise der Natur so kultiviert, dass sie zugleich der Erzeugung von Gütern wie der eigenen Erhaltung dient. Vielfach ist die Marginalisierung der Natur eine Folge der Exportorientierung der landwirtschaftlichen Produktion. Sie lässt sich nämlich von den industriellen Produktionsverfahren des Nordens und den dortigen Absatzchancen leiten, statt für den heimischen Bedarf mit Methoden zu produzieren, die an die heimischen Boden- und Klimaverhältnisse angepasst sind, und nur die dabei entstehenden Überschüsse zu exportieren. «Es klingt paradox, aber die Bemühungen, der Hungersnot durch eine Intensivierung der industriell effizienten Landwirtschaft zu begegnen, vergrößern die Dimensionen der Katastrophe, indem sie die Nutzung marginaler Böden vernachlässigen. Der Hunger wird sich ausbreiten, bis der Trend zur kapitalintensiven Produktion von Nahrungsmitteln für die Reichen durch die Armen durch eine neue Form der arbeitsintensiven regionalen Agrarautonomie ersetzt ist.»28 So besteht ein innerer Zusammenhang zwischen der Exportorientierung, der Vernachlässigung der Natur und der Verdrängung der Arbeit. Wenn Unternehmen des Nordens in die industrielle Landwirtschaft im Süden investieren, sparen sie Kosten, einmal für die Instandhaltung der Umwelt, denn dort gelten meist niedrigere Standards; aber auch durch geringere Löhne und Sozialabgaben. Die den Ländern im Süden aufgenötigte Exportorientierung verursacht dort also Umweltbelastungen und Armut, die sich in den Gesellschaften des Nordens nicht mehr rechtfertigen lassen. Die Exportwirtschaft kann nur wenige der vorher in der Subsistenzwirtschaft Tätigen aufnehmen. Das ist anders, wenn eine Volkswirtschaft im Großen und Ganzen geschlossen ist, wohl Güteraustausch betreibt, aber Arbeit und Kapital im Lande behält. Dann gibt es zwar temporäre Arbeitslosigkeit; aber der Arbeit sparende technische Fortschritt schafft eine Verbilligung der bisherigen Produkte und einen Anstoß zur Herstellung neuer Güter. Diese werden mit den freigewordenen Arbeitskräften hergestellt und mit der gestiegenen inländischen Kaufkraft nachgefragt. Eine solche Binnenmarktorientierung haben die Industriestaaten bis ins 20. Jahrhundert hinein praktiziert. Im Zuge der Globalisierung droht sie auch im Norden durch Exportorientierung abgelöst zu werden. Diese bewirkt, dass der technische Fortschritt Arbeitskräfte freisetzt, ohne die Produkte im Inland zu verbilligen. Wenn Produkte billiger werden, erhöht das die inländische Kaufkraft nicht, weil sie im Ausland verkauft werden. Auch Gewinne aus den Exporten werden nicht in die Produktion neuer Güter für den inländi-
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schen Markt investiert; denn auf ihm fehlt die Nachfrage, und das Ausland wehrt den Import von Industriegütern ab.29 In Europa, wo die industrielle Entwicklung bereits vor Jahrhunderten einsetzte, traten nach und nach landwirtschaftliche und handwerkliche Unternehmen kleiner oder mittlerer Reichweite an die Seite der Eigenversorgungswirtschaft und zum Teil an deren Stelle. Sie waren es in erster Linie, welche die aus der Eigenversorgung ausscheidenden Arbeitskräfte aufgenommen haben. In den Südländern dagegen droht heute die Gefahr, dass die kleinen und mittleren Unternehmen gar nicht erst entstehen. Der Entwicklungsprozess geht so schnell vor sich, dass an die Stelle der Eigenversorgungswirtschaft vielfach gleich der Großgrundbesitz tritt, allerdings ohne sie adäquat zu ersetzen; denn er ist nicht ihr Substitut, sondern ihr Gegensatz, so wie die exportorientierte Landwirtschaft das Gegenteil des regional angepassten Landbaus ist; sie tritt zwar an dessen Stelle, erfüllt aber seine Aufgaben nicht. Denn die großen Konzerne verfolgen ja exportorientierte Strategien. Auf diese Weise wird die herkömmliche Eigenversorgung ersatzlos verdrängt. Menschen verlieren ihre Arbeit und damit ihre Lebensmöglichkeiten und drängen in die Städte. An dieser Entwicklung sind freilich nicht nur die Eigentümerinnen von landwirtschaftlichem oder industriellem oder Finanzkapital interessiert, sondern auch die städtischen Beamten, Angestellten und Freiberufler. Ländliches und nur begrenzt monetäres Wirtschaften wird von ihnen oft als veraltet und unnütz betrachtet, ja sogar verachtet. Die Elite in Ländern des Südens, oft an den Universitäten der Industrieländer geschult, ist besonders anfällig für die Geringschätzung allen kleinräumigen, nicht-monetären und nicht-industriellen Wirtschaftens. Als Anfang der 1970er Jahre in Nigeria der Erdölboom einsetzte, waren es nicht nur reiche Stadtbewohner, die sich über ihre halbnackten Landsleute in den Dörfern lustig machten, «sondern auch solche, die nur in ärmlichen Mietskasernen wohnten und außer einem weißen Hemd vielleicht gerade eine Armbanduhr besaßen. Selbst Slumbewohner, die oft in größerem Schmutz hausten als zuvor im Kral, zeigten sich noch stolz darauf, das Strohdach mit einem Wellblechdach vertauscht zu haben und für einen Hungerlohn eine Garage zu bewachen, statt hungernd ein Feld zu bearbeiten. Sie alle, ob reich oder arm, gaben den Bauern auch noch seelisch den Anstoß, das Dorfleben als minderwertig zu empfinden.»30 Wem dient die Landflucht? Die Verdrängung der Eigenversorgungswirtschaft und die Dominanz der industriellen Produktion gibt es überall; aber in den Ländern des Südens haben sie zu einer selbstzerstörerischen Polarisierung im Raum geführt. Zu einem guten Teil sind diese Entwicklungen auch für die Migration in die
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Städte verantwortlich. Allerdings lässt nicht die Armut schlechthin die Menschen wandern oder die Aussicht auf ein besseres Einkommen in den Reichtumszonen, sondern ebenso sehr die Auflösung des sozialen Gewebes, welches bislang ihre Existenz gehalten hatte. Wenn ein Land zum Abwanderungsland wird, ist es zuvor zum Hinterland degradiert worden.31 Erst die Unterordnung eines Gebietes unter fremde Kräfte schafft jenes Ungleichgewicht, das zu Entwurzelung und Abwanderung führt. Damit werden die ländlichen Räume mehr und mehr von Bewohnern entleert. Die Städte dagegen platzen aus den Nähten, werden unregierbar und zu gefährlichen Zeitbomben. «Auf der Liste der zehn bevölkerungsreichsten Städte der Welt werden im Jahr 2020 vermutlich neun Städte der Länder des Südens stehen, davon allein drei aus Indien ... Es wird erwartet, dass Bombay bis 2020 auf den ersten Platz vorrücken wird mit dann 28,5 statt heute 18 Millionen Einwohnern, Lagos wird dann Platz drei einnehmen.»32 Von den Bewohnerinnen der Megastädte wird der größte Teil in den Slums leben – heute bereits weltweit 1 Milliarde Menschen. Freilich kann man die Migration nicht nur als Folge, sondern auch als Instrument der Expansion des großen Kapitals sehen. Diese Auffassung ist vor allem von Saskia Sassen33 formuliert worden. Sie besteht aus drei Aussagen: Erstens verstärkt die Wanderungsbewegung aus den ländlichen Gebieten in die Städte den Druck auf die städtische Arbeiterschaft; denn zu den Freisetzungen durch Digitalisierung von Arbeitsprozessen tritt die Konkurrenz der zugewanderten Arbeitskräfte um die gering bezahlten Arbeitsplätze. Zweitens bildet die gering entlohnte Arbeit den Sockel, auf dem die Tätigkeit der globalen Unternehmen beruht. Auch im virtuellen Raum operierende Unternehmen sind auf räumliche Stützpunkte angewiesen, und auch die Informationsindustrien benötigen eine physische Infrastruktur, die sich in strategischen Knotenpunkten mit einer Konzentration technischer Einrichtungen zusammenballt. Daraus resultiert drittens die wachsende Bedeutung der global cities als Knotenpunkte. Diese wird vielfach übersehen, denn die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die Mobilität des Finanzkapitals, der hoch qualifizierten Arbeitskräfte, des Wissens und der Produkte; das ortsgebundene Kapital und die ortsgebundene Arbeit aber bleiben unbeachtet. Das lenkt die Aufmerksamkeit davon ab, dass die Ertragskraft der globalen Unternehmen zu einem guten Teil auf dem Sockel der gering entlohnten Arbeit beruht und diese durch die unsichtbare, unbezahlte Subsistenzarbeit der Frauen ermöglicht wird. So muss selbst die informelle Wirtschaft zur Polarisierung beitragen; denn die Bezieher der oberen Einkommen profitieren davon, dass sie im Umfeld der Konzernniederlassungen die billigen Produkte und Dienste nachfragen können. Die wachsende Anwesenheit von Immigranten und namentlich Frauen in den großen Städten oder den «Sonderwirtschafts-
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zonen» der Länder des Südens hat mit der Entstehung eines neuen, großteils weiblichen Proletariats den Sockel an gering entlohnter Arbeit geschaffen, auf den die global operierenden Unternehmen gegründet sind. Dies wäre nicht möglich, wenn die Migration nicht ein riesiges Reservoir von Interessenten für unterbewertete Tätigkeiten geschaffen hätte und unterhielte. Die Ursache der Migration aber liegt nicht so sehr in der Attraktivität der Städte als in der Verschlechterung der Lebensbedingungen in den Regionen, aus denen die Migranten kommen. Diese hängt mit der Exportorientierung zusammen. Ein Zerrbild des Freihandels Im Übrigen können auch die kaufkräftigen Länder, die Zielgebiete der Agrarexporte, Leidtragende der Exportorientierung werden. Denn die Einfuhr von Produkten, die in einer anderen Region in identischer Qualität, aber mit geringeren Kosten hergestellt werden, bringt oft enorme soziale Kosten mit sich.34 Sie kann einen Verdrängungshandel35 auslösen, der einheimische Produkte und Arbeitsstätten durch die Einfuhr gleichartiger Produkte aus Billigproduktion aus dem Feld schlägt. Japan etwa hat bereits vor Jahrzehnten die amerikanische Produktion von Videogeräten und Kameras, Fernsehgeräten und Stereoanlagen verdrängt, da es diese Produkte imitierte und dann billiger herstellte. Die Verlagerung der Produktion nach Japan hatte zur Folge, dass die USA schon 1980 aus Japan Güter im Wert von 33 Milliarden US-Dollar bezogen, zur gleichen Zeit aber nur Produkte im Wert von 21 Milliarden US-Dollar nach Japan verkauften. Das mit diesem Verlust an Umsätzen verbundene Sterben ganzer Industriezweige hatte mehrere hunderttausend Arbeitsplätze gekostet.36 Wer kann bei solchen Aussichten an der Exportorientierung interessiert sein? Um das zu beantworten, muss man fragen, wem sie nützt. Exportorientierung ist ohne Zweifel im Interesse der politisch und ökonomisch mächtigsten Schicht, des Finanzkapitals. Der inländische Markt ist weitgehend gesättigt, hohe Renditen sind dort nicht zu erwarten. Eine Ausweitung des Exports dagegen erschließt neue Märkte und verspricht höhere Umsätze und Gewinne, die in einer Wirtschaft der Überkapazitäten sonst kaum noch erreichbar sind. So kann die Exportorientierung im Interesse der transnationalen Unternehmen und des weltweit operierenden Finanzkapitals liegen, auch wenn dadurch die binnenmarktorientierten kleinen und mittleren Unternehmen verdrängt werden. Denn bei ihnen sind für das Finanzkapital keine Gewinne zu holen. Die Vormachtstellung des Finanzkapitals beruht heute darauf, dass es die mobilen Produktionsfaktoren – das mobile Kapital, die mobile, wissensbasierte und hochspezialisierte Arbeit und die mobile und standardisierte Transformation von Natur – an einem Punkt zusammenführt, um weltweit
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die absolut niedrigsten Kosten zu nutzen. Dadurch verdrängen sie das ortsgebundene Kapital. Dieses hat früher durch Nutzung der komparativen Kostenvorteile der jeweiligen Standorte den Wohlstand der Nationen gemehrt – gemäß David Ricardos Lehre, dass alle Länder profitieren, wenn sie sich auf die Produkte spezialisieren, für die sie im Vergleich zu anderen einen Kostenvorteil haben, und die übrigen Produkte von anderen kaufen. Ihr gemeinsames Sozialprodukt ist dann größer, als wenn jedes Land alle gebrauchten Güter selbst herstellt. Das funktioniert nach Daly37 aber nur, wenn Arbeit, Kapital und Natur im Lande bleiben, sodass nur die Güter getauscht werden, und wenn die Handel treibenden Länder in etwa den gleichen Entwicklungsstand haben. Es funktioniert dann nicht, wenn Kapital und Arbeit an beliebige Standorte versetzt werden können und wenn Natur in Gestalt externalisierter Umweltkosten transferiert werden kann; denn dann lassen sich alle Kostenvorteile an einem Standort vereinigen. Die Standorte, an denen dies heute geschieht, sind die global cities. In ihnen werden die Interessenunterschiede zwischen den transnationalen Unternehmen und den überlieferten Regional- und Eigenversorgungswirtschaften ausgetragen – meist zu Lasten der Letzteren. Eine mögliche Strategie für einen Ausweg aus dieser Problemlage ist allerdings noch älter, sie findet sich schon bei Aristoteles.38 Seine Unterscheidung zwischen der Produktion für den eigenen Bedarf («Ökonomie») und der Produktion für Handel und Gewinn («Chrematistik») enthält laut Polanyi den wohl prophetischsten Hinweis, der jemals im Bereich der Sozialwissenschaften gegeben wurde. Es ist der Hinweis, dass die regionale Binnenversorgung nicht der Produktion für den Export untergeordnet werden dürfe. «Aristoteles beharrt darauf, dass der Sinn des Wirtschaftens die Produktion für den Gebrauch und nicht die Produktion für den Gewinn ist. Aber eine zusätzliche Produktion für den Export, meint er, müsse die Selbstversorgung nicht gefährden, sofern die zum Verkauf bestimmten Produkte im Rahmen der Selbstversorgung ohnehin erzeugt würden, wie Getreide oder Vieh; der Verkauf von Überschüssen müsse daher die Grundlage der Volkswirtschaft nicht zerstören.»39 Im Umkehrschluss heißt das: Eine exportorientierte Produktion, welche die Selbstversorgung gefährdet, wird die Grundlagen der regionalen oder nationalen Wirtschaft untergraben. Genau das geschieht durch die industrie- und agrarpolitischen Strategien, mit denen die Industrieländer allerdings die Idee des Freihandels zum Zerrbild machen.
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3.3 Investitionen: Vereinnahmung von Wasser Nirgends werden Konflikte um Ressourcen ihrem Namen so gerecht wie im Fall von Wasser. Denn der Begriff «Ressource» leitet sich aus dem lateinischen Wort «surgere», «hervorquellen», ab. Er ist als Metapher für Leben zu verstehen.40 Und bei Konflikten um Wasser geht es unmittelbar um Leben – und Überleben. Rund 20 Prozent aller Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, und gar 40 Prozent der Weltbevölkerung leiden an Wasserknappheit. Schätzungen zufolge werden im Jahre 2050 im schlimmsten Fall 7 Milliarden Menschen, im besten Fall 2 Milliarden Menschen an Wasserknappheit leiden.41 Auf den ersten Blick mag Süßwasser noch keine globale Ressource sein. Zwar werden zunehmend Ansprüche wasserarmer Weltregionen auf wasserreiche laut, und bereits heute wird Wasser mittels Tankern, Pipelines oder Flaschen zwischen Staaten gehandelt; dennoch spielen direkte Wassertransfers internationalen Ausmaßes bislang eine untergeordnete Rolle. Indirekt allerdings findet global ein beträchtlicher Zugriff auf lokale Wasser-Ressourcen statt: etwa durch den Export von Gütern, zu deren Erzeugung Wasser vonnöten ist, oder durch die Verschmutzung von Wasser bei der industriellen Produktion. Auch dabei machen Unternehmen und Konsumentinnen ferner Länder eine knappe Ressource jenen streitig, die es für ihren täglichen Lebensunterhalt benötigen. Bei öffentlich ausgetragenen Konflikten um Trinkwasser stehen gegenwärtig regionale Auseinandersetzungen im Vordergrund. Sie spiegeln den Streit zwischen den regionalen Eliten und der lokalen Bevölkerung wider. Immer spielen dabei Investitionen in konkrete Projekte eine Rolle, die erst die Strukturen hervorbringen, um Wasser von einem Ort zur Vereinnahmung an einem anderen transferieren zu können. Durch Investitionen in Infrastrukturen wie Staudämme, Kanäle oder Pipelines wird Wasser aus den Landgebieten in die kaufkräftigen Zentren umgeleitet; durch Investitionen in die verarbeitende Industrie, die Wasser im Produktionsprozess verwendet, wird es der lokalen Bevölkerung entzogen oder verschmutzt und unbrauchbar gemacht; durch Investitionen in die exportorientierte Landwirtschaft wird Wasser in Form von Feldfrüchten zu fernen Verbraucherinnen transportiert. Den Unternehmen, welche die Investitionsprojekte ausführen, geht es in erster Linie um ihren Geschäftsgewinn. Den Regierungen, welche diese Investitionen vorantreiben, geht es um Prestigeprojekte wie auch um die Förderung der urbanen Mittel- und Oberklasse und des Wirtschaftswachstums. Obwohl solche Investitionen oft als Entwicklungsprojekte angekündigt werden, die vor allem den Armen nützen sollen, führen sie im Ergebnis häufig zu einer Verschlechterung der Lebenssituation der lokalen Bevölkerung.
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Durchweg weisen die Konflikte um Wasser gemeinsame Merkmale auf. Es geht darum, eine lebenswichtige Ressource und die von ihr abhängigen Ökosysteme gegen die Nutzungsansprüche nicht-ansässiger Akteure zu verteidigen. Nicht so sehr aus Motiven des Naturschutzes, sondern weil die jeweiligen Naturräume – die Feuchtlandschaften, die Flüsse, ihre Täler und ihre Deltas – Lebensraum für eine menschliche Gemeinschaft bieten. Quellen, Seen und Flüsse sind ja auch ein integraler Teil jener Kulturräume, die eine Verbindung zu den Vorvätern wie zur Götterwelt herstellen. Schwerwiegende Eingriffe in diese Naturräume haben daher nie nur ökologische, sondern immer auch soziale Bedeutung. Aus der Bedrohung der Gemeinschaft erwächst der ökologische Widerstand, «der Umweltschutz der Armen»,42 der die eigenen Lebensrechte gegenüber den fern lebenden Anwärtern der transnationalen Verbraucherklasse verteidigt. Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht immer die Frage: Wem gehört dieses Wasser? Und: Haben wir ein Existenzrecht dort, wo wir hingehören? Gefangenes Wasser Konflikte und Proteste gegen den Zugriff auf Wasser zeigen sich am deutlichsten beim Bau von Staudämmen. Die Umformung der Natur nimmt hier besonders dramatische Formen an. Talsperren, teils riesigen Ausmaßes, fangen Wasser regelrecht ein, verändern Flussläufe, versenken Täler und zerstören bestehende Ökosysteme. Bis 1949 sind ungefähr 5000 große Staudämme gebaut worden, drei Viertel davon in Industrieländern; am Ende des Jahrhunderts gab es schon 45 000 Staudämme in der Welt, zwei Drittel davon in Ländern des Südens.43 Sie wurden hauptsächlich gebaut, um die industrielle Landwirtschaft zu bewässern, aber auch, um Strom zu erzeugen und Trinkwasser für Städte zu sammeln. An erster Stelle der dadurch ausgelösten Konflikte steht die Verdrängung von Familien und Dorfgemeinschaften. Allein zwischen 1986 und 1993 mussten schätzungsweise 4 Millionen Menschen den Dämmen weichen. Die von der Weltkommission für Dämme (WCD) zusammengeführten Fallstudien zeigen: Die negativen Auswirkungen treffen vor allem Subsistenzbauern, indigene Gruppen, ethnische Minoritäten und vor allem die Frauen unter ihnen, während die positiven Auswirkungen in erster Linie Stadtbewohnern, Großlandwirten und Industriebetrieben zugute kommen.44 Über die Ressource Wasser werden Gewinner und Verlierer aussortiert. Besonders die Konflikte um Staudammprojekte in China entfachten eine öffentliche Diskussion. In China ist Wasser ein knappes Gut; denn China besitzt nur 6 Prozent des weltweit verfügbaren Süßwassers, aber mehr als ein Sechstel der Weltbevölkerung. Das größte Problem stellt dabei die Verteilung von Wasser und Bevölkerung dar: Mehr als drei Viertel der Wasserressourcen befinden sich im Jangtse oder südlich davon, während rund 400
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der 600 großen Städte im Norden unter Wasserknappheit leiden. Daher plant die chinesische Regierung eine Reihe gigantischer Projekte, um mittels Kanälen und Pipelines Wasser aus den ländlichen Gebieten im Süden in die Ballungsräume im Norden umzuleiten.45 Neben den schwer abschätzbaren ökologischen Folgen solcher Umleitungsprojekte erfordern sie massive Umsiedlungen, wie beispielsweise beim Dreischluchten-Staudamm. Nach offiziellen Angaben sollen für seinen Bau 1,13 Millionen Menschen umgesiedelt worden sein; kritische Stimmen sprechen gar von bis zu 1,9 Millionen. Die Versprechen, Land und Arbeitstätten bereitzustellen, wurden oft nicht eingehalten. Falls neues Land angeboten wurde, war es häufig von schlechterer Qualität als das zuvor besessene. Angebotene Kompensationsleistungen wurden nicht in voller Höhe ausgezahlt. Von der Umsiedlung Betroffene mussten mitunter neue Wohnstätten kaufen, die viel teurer waren als die erhaltenen Kompensationen. Da entgegen den Planungen die Ansiedlung der heimatlos gewordenen Menschen aufgrund zu großer Bodenerosionen nicht in der Dreischluchtenregion möglich war, zwang die Regierung ca. 125 000 Menschen, sich in entfernter liegenden Regionen anzusiedeln. Diese Menschen haben neben allen anderen Problemen noch mit einer Eingewöhnung in eine neue, für sie ungewohnte physische und soziale Umgebung zu kämpfen, und mit Verlust ihres sozialen Netzes sind ihnen informelle Erwerbsquellen oftmals unwiederbringlich verloren gegangen.46 Virtuelles Wasser Nutzungskonflikte entstehen auch, wenn Wasser bei der Produktion von Gütern in großen Mengen gebraucht wird. «Virtuelles Wasser» ist der Begriff, der angibt, welche Menge Wasser in einem Produkt enthalten oder zur Fertigung eines Produkts verwendet wird. In Anlehnung an den ökologischen Rucksack (Kapitel 2.2), der den gesamten Materialaufwand umfasst, wird mit dem Begriff des virtuellen Wassers sozusagen der aquatische Rucksack von Gütern und Dienstleistungen ausgedrückt. Nahezu jedes Produkt enthält virtuelles Wasser. Die Produktion eines 2 Gramm schweren 32-Megabyte-Computerchips erfordert etwa einen Wasserverbrauch von 32 Litern; die Fertigung eines Automobils verschlingt bis zu 400 000 Liter. Der größte Wasserverbrauch findet in der Landwirtschaft statt, auf die 65 bis 70 Prozent des globalen Süßwassergebrauchs zurückgeführt werden kann. In einem Kilo Getreide stecken rund 1000 bis 2000 Liter virtuelles Wasser – je nach dem Klima der Anbauregion. In die Produktion von einem Kilo Käse fließen 5000 bis 5500 Liter, in ein Kilo Rindfleisch gar bis zu 16 000 Liter Wasser ein. Der Wasserverbrauch von Nationen muss daher eine Bilanz des virtuellen Wassers umfassen; und der individuelle Wassergebrauch von Konsumentinnen kann nicht nur am direkten Wasser-
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gebrauch für Getränke, Duschen oder Autowaschen festgemacht werden. Denn ein durchschnittlicher Bürger der USA etwa nutzt allein für seinen Rindfleischkonsum täglich rund 2000 Liter Wasser.47 Der Export von Gütern mit hohem virtuellem Wasseranteil birgt ein besonderes Konfliktpotenzial, wenn Regionen ohnehin an Wasserknappheit zu leiden haben – so etwa bei der Blumenzucht in Kenia. Kenia produzierte im Jahr 2001 52 Millionen Tonnen Blumen für den europäischen, japanischen und nordamerikanischen Markt, während 3 Millionen Kenianer unter Wasserknappheit litten. Allein die Europäische Union importierte im Jahr 2000 aus Kenia insgesamt Blumen im Wert von 153 Millionen Euro. Die Blumen werden vorrangig mit Wasser aus dem See Naivasha bewässert, einem ökonomisch und ökologisch wichtigen Gewässer. Im und um den See leben 350 Vogelarten, Nilpferde, Büffel, Affen und andere seltene Tiere, und das Wasser dient als Tiertränke der Maassai-Nomaden. Nicht nur die Verknappung des Wassers, auch seine Vergiftung durch Dünger und Pflanzenschutzmittel stellt für sie eine Bedrohung dar. Ohne es zu wissen, schmälern die Blumenliebhaber ferner Länder so jenem Teil der lokalen Bevölkerung, der nicht an den Erlösen der Blumenproduktion teilhat, die Existenzgrundlage.48 Der Entzug von Wasser als virtuellem Wasser bringt nicht nur an den Rändern des Weltmarkts und im Süden existenzielle Probleme für die lokale Bevölkerung mit sich. Sie kann auch Menschen mitten im Norden, in den Hinterhöfen der globalen Verbraucherklasse bedrohen. Ein eklatantes Beispiel findet sich um die Black Mesa-Kayenta Kohlemine im Südwesten der USA. Dort zerkleinert die Peabody Western Coal Company, der weltweit größte private Kohleproduzent, die Kohle nach dem Abbau, vermengt sie mit (Trink-)Wasser und pumpt sie anschließend durch riesige Pipelines nach Nevada, wo sie verarbeitet oder abtransportiert wird. Die Pipeline transportiert täglich etwa 43 000 Tonnen Kohleschlamm, wofür Peabody stündlich rund 480 000 Liter Wasser zuführen muss; der jährliche Wasserverbrauch summiert sich auf rund 5 Milliarden Liter Wasser. Das Wasser wird dem Navajo-Aquifer entnommen, das in der Gegend das einzige Aquifer mit Trinkwasserqualität ist. Außerdem speist es die Mehrzahl der Quellflüsse des Black-Mesa-Gebiets. In dieser weithin trockenen Region ist es das Wasser der Quellen, um das sich das soziale, spirituelle und kulturelle Leben der dort lebenden Hopi dreht. Sie nutzen die biologische Vielfalt der Feuchtgebiete für ihre Zeremonien und verehren eine in den Quellen lebende Art der Wasserschlange. Um die größeren Quellen herum bewirtschaften sie einige Felder, während sie von dort gleichzeitig ihr Trinkwasser beziehen. Die Quellen versiegen zusehends, was zu einer Gefährdung des sozialen Lebens sowie der Landwirtschaft der Hopi führt. Untersuchungen gelangten bereits 1995 zu der Überzeugung, dass etwa zwei Drittel der Ab-
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senkung des Grundwasserspiegels auf das Konto von Peabody und deren Kohleproduktion gehen. Bis zum Jahre 2011 ist mit dem völligen Austrocknen einer Vielzahl der Quellen der Hopi zu rechnen.49 Verschmutztes Wasser Umweltverschmutzung – so argumentieren noch heute zahlreiche Regierungen ärmerer Länder auf internationalen Umweltkonferenzen – ist in erster Linie ein Problem der Industrieländer; Umweltschutz ist daher ein Luxus, der erst mit einem gewissen ökonomischen Wohlstand erreichbar ist. Tatsächlich aber leiden vor allem die Armen überall auf dem Globus unter der Umweltverschmutzung. Denn für sie, die oft unmittelbar von der Natur leben, ist die Qualität ihrer natürlichen Umgebung gleichbedeutend mit ihrem Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Verschmutzung von Wasser stellt derzeit eine Bedrohung für etwa 1,2 Milliarden Menschen dar und führt jährlich zum Tod von rund 15 Millionen Kindern.50 Verschmutzung von Wasser kann lokale Ursachen haben, wie etwa die Einleitung ungeklärter Abwässer oder giftiger Rückstände aus der nahe gelegenen Landwirtschaft. Aber Abwässer und Rückstände können auch in der Ferne entstehen, und die Kontamination kann auch von Städten und Industrien am Oberlauf herrühren. Je ferner dem eigenen Leben die Verschmutzung ist und je weiter entfernt die Nutznießer den Folgen ihres Tuns sind, desto geringer ist in der Regel das Interesse an einem nachhaltigen Gebrauch von Wasser. Extrem sind Wasserverschmutzungen durch Industrien, die Rohstoffe zum Export aus dem Boden ziehen und anschließend verarbeiten. Ein Beispiel ist der Abbau von Bauxit in der Nähe des Dorfs Kinari im indischen Staat Orissa. Dort schürft die indische Firma Sterlite Industries India Limited (SIIL) Bauxit und verarbeitet es zu Aluminium. Das Mineral wird im Tagebau gewonnen und dafür der Nyamgiri-Hügel abgeholzt. Die Entwaldung beeinträchtigt die Aufnahmefähigkeit des Bodens für Niederschläge und bedingt dadurch eine Absenkung des Grundwasserspiegels, was die Austrocknung zweier nahe gelegener Flüsse sowie weiterer kleinerer Wasserläufe nach sich zieht. Während der Aluminium-Produktion entstehen toxische Substanzen in einem unlöslichen roten Schlamm, der das Wasser verseucht und die Böden unfruchtbar macht. Das Grundwasser, die Flüsse und die Ländereien sind aber die einzigen Lebensmittel der ansässigen Bevölkerung.51 Ein anderes Beispiel betrifft die Erdölgewinnung im Regenwald Ecuadors. Aus etwa 300 Quellen ergibt sich eine Jahresproduktion von knapp 20 Millionen Tonnen Öl, 0,4 Prozent der Weltproduktion. Die an multinationale Konzerne vergebenen Konzessionen betreffen Gebiete von rund 1,2 Millionen ha Regenwald und liegen oft in Territorien indigener Völker. Sie sind
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vorwiegend Subsistenzgesellschaften und damit auf die Naturräume der Wälder, der überfluteten Gebiete und der Flussufer angewiesen, wobei der Landbau mit Jagen, Sammeln und Fischen kombiniert wird. Das Zusammenspiel von Wald und Wasser macht die Region zu einer der artenreichsten der Welt. Die Folgen der Wasserverschmutzung durch die Ölförderung sind daher besonders schwerwiegend. Über zahlreiche Lecks in den Leitungsrohren sickert Öl in Boden und Wasser; in den letzten zwanzig Jahren flossen aus über dreißig Brüchen im Pipelinesystem mehr als eine halbe Million Barrel Öl in Ecuadors Flussläufe, die den Einwohnern als Trinkwasser dienen. Krankheiten nehmen zu, Mangelernährung, sozialer Niedergang und schließlich Vertreibung sind die Folge.52 Lukratives Wasser Preissteigerungen der Ressource Wasser treffen am stärksten arme Bevölkerungsgruppen, vor allem in den Städten. Denn sie haben gewöhnlich keine Möglichkeit, auf Preiserhöhungen mit einer anders geordneten Nachfrage zu reagieren. Höhere Wasserpreise gefährden darum unmittelbar ihre Lebensmöglichkeiten. In den letzten Jahren kam es in den Metropolen des Südens zu Auseinandersetzungen um die Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung. Unternehmen kaufen Wasserrechte auf, und wenn Kunden nicht zahlen können, ist Abschaltung an der Tagesordnung. Entsprechend heftig sind die Proteste, etwa in Städten wie Cochabamba, Soweto, Jakarta oder in Manila. Bis in die 1990er Jahre hinein hatten etwa 30 Prozent der Menschen in Manila keinen Wasseranschluss, eine städtische Kanalisation existierte praktisch nicht. Das öffentliche Versorgungsunternehmen Manilas war durch die geringen Einnahmen und eine hohe Schuldenlast nahezu handlungsunfähig geworden. Daher versprach sich die Stadtregierung viel von der Privatisierung ihrer Wasserversorgungsrechte, die 1997 an die Unternehmen Mayniland Water Services International und der Manila Water Company Inc. vergeben wurde. Sie versprachen, Altschulden abzubauen und Investitionen zu tätigen; sie gelobten niedrigere Tarife und eine flächendeckende Wasserversorgung in spätestens zehn Jahren. Zwar konnten sie bis Ende 2002 mit ihrem Wasser-für-die-Gemeinschaft-Programm Erfolge verbuchen, da mehr Menschen als zuvor nun über einen Wasseranschluss verfügen. Alle aber, die den Preis für den Anschluss nicht aufbringen können, stehen jetzt schlechter da. Denn die öffentlichen Wasserstellen sind geschlossen worden, und Nutzer illegaler Anschlüsse werden von den Unternehmen konsequent als Wasserdiebe angezeigt. So werden die Ärmsten und unter ihnen vor allem auch Frauen gezwungen, sich auf stundenlange Wege zu begeben, um an Wasser zu gelangen. Hinzu kommt, dass die Unternehmen nicht, wie versprochen, in die marode Infrastruktur investier-
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ten, sondern die Leitungsverluste durch eine Erhöhung der Wassertarife zu kompensieren suchen. Nun zahlen die Endverbraucher nicht nur den teuren Anschluss, sondern auch höhere Preise. Im Jahre 2002 betrugen sie bereits das Dreifache von 1997, für 2003 wurden Steigerungen auf das Fünffache erwartet.53 Neben der Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung haben sich andere Wege gefunden, Geld aus dem knappen Gut Wasser zu schlagen: im Markt für Flaschenwasser. Dass der weltweite Boom des Flaschenwassers zum Nachteil ganzer Bevölkerungsteile werden kann, lässt sich am Beispiel der Ortschaft Plachimada im südindischen Kerala verdeutlichen. Hier hat Coca-Cola mit der Hindustan Coca-Cola Beverages Private Ltd. eine Fabrikanlage gebaut und pumpt aus den eigens dafür angelegten 65 Bohrlöchern täglich bis zu 600 000 Liter aus der Erde. Dies führte zu einem rapiden Abfall des Grundwasserspiegels in der Gegend und damit zu unlösbaren Problemen. Zum einen ist das Wasser, dessen Härtegrad durch den beständigen Raubbau fortwährend steigt, nur schwer genießbar und wird sowohl für den menschlichen Konsum als auch für die Landwirtschaft zunehmend unbrauchbar. Hinzu kommt, dass Coca-Cola den Anwohnern lange Zeit empfohlen hat, die von der Fabrik produzierten schlammigen Abfälle als Dünger zu nutzen. Dies brachte Missernten, und der Konsum von bitterem Wasser und kontaminiertem Reis führte zu einer Häufung von Magen-Darm-Entzündungen, Sehstörungen, Hautreizungen und anderen Erkrankungen. Wer sauberes Wasser möchte, muss sich auf den Weg zu einer drei Kilometer entfernten Quelle machen. Durch die Missernten fehlen den Menschen Einnahmen. Sie können es sich nicht mehr leisten, Arbeiter auf den Ländereien anzustellen, und viele sehen sich in die saisonale Arbeitsmigration gedrängt; eine Katastrophe für eine Gegend, in der die Mehrheit von landwirtschaftlicher Lohnarbeit abhängig ist. Im Dezember 2003 zwang der Gerichtshof Keralas Coca-Cola, nach Alternativen zu ihrer bisherigen Wasserversorgung zu suchen und nur soviel Wasser zu nutzen, wie es ein Landbesitzer mit ähnlich großer Landfläche dürfte. Im März 2004 stellte Coca-Cola die Produktion ein, da die Produktionsgenehmigung nicht verlängert wurde.54 Die Konflikte, die durch Verschmutzung von Wasser, zu hohe Wasserpreise und die reale oder virtuelle Umleitung von Wasser auftreten, entziehen vor allem den in der Eigenversorgungswirtschaft Lebenden und den Armen die Existenzgrundlage. Existenzrechte umfassen, was Personen als Lebensmittel zur Realisierung ihrer grundlegenden Menschenrechte brauchen: genießbares Wasser, fruchtbaren Ackerboden, ausreichend Nahrung, ein Dach über dem Kopf und so weiter.55 Im Konflikt um natürliche Ressourcen wie Wasser ist es darum vor allem wichtig, den ökologischen Lebensraum dieser Bevölkerungen zu sichern. Die Achtung der Existenzrechte verlangt, die Rechte der lokalen Gemeinschaften auf ihre Ressourcen anzu-
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erkennen und zu stärken. Schließlich sind Seen, Flüsse und Grundwasser die unentbehrlichen Quellen für Nahrung, Gesundheit und Hygiene – und damit auch eine unabdingbare Grundlage für Freiheit und für ein Leben in Würde. Die Existenzrechte zu stärken ist daher zentraler Bestandteil einer Strategie, die bei begrenzten Ressourcen auf globale Gerechtigkeit abzielt (Kapitel 4.3).
3.4 Internationales Recht: Patente auf Pflanzen Wo von Öl, Wasser oder Böden die Rede ist, erscheinen Ressourcen als Materialien der Natur, die als Rohstoffe in den wirtschaftlichen Produktionsprozess einfließen. Doch im Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsökonomie nimmt neben den Naturgütern das Wissen um ihre Manipulation als Ressource einen zentralen Platz ein. Der Wettlauf um Ölreserven oder um landwirtschaftlich fruchtbare Flächen wird längst ergänzt durch den Kampf um einen Vorsprung bei Erfindungen und Technologien. Denn zu einer Ressource, die im Wettbewerb einem Anbieter eine exklusive Stellung verschafft, wird Wissen vor allem durch den Besitz von exklusivem Know-how und durch die Zuweisung von geistigen Eigentumsrechten. Geistige Eigentumsrechte sind verbriefte Rechte, wie etwa Patente auf Erfindungen, Technologien, Designs oder auf Erkenntnisse, beispielsweise auf genetische Codes. Sie dienen dazu, Erfindern und Entwicklerinnen von Ideen und Produkten einen zeitlich begrenzten Schutz, meist zunächst 20 Jahre, und die exklusive Kontrolle der kommerziellen Nutzung ihrer Idee einzuräumen. Die für die Nutzung erhobenen Gebühren sollen eine Refinanzierung der Technologieentwicklung sicherstellen und zu neuer Forschung und Produktentwicklung anregen. Im Zusammenhang mit Konflikten um natürliche Ressourcen sind der größte Streitgegenstand die Patente auf genetische Codes lebender Organismen wie Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen. Dabei führt im Fall der Bio-Patente die Globalisierungsepoche nicht zur Deregulierung, sondern zur Erstregulierung: Über das Patentabkommen der Welthandelsorganisation wird versucht, ein weltweit einheitliches Rechtssystem über geistige Eigentumsrechte durchzusetzen. Und da Patente ihre Existenz erst durch staatliche und internationale Regeln erhalten, erstrecken sich die Konflikte weniger auf die Pflanzen, die dem Patent zugrunde liegen, als auf die Regeln, nach denen Patente vergeben werden. Der Streit um Patente auf pflanzengenetische Ressourcen wird daher seit gut einem Jahrzehnt auf Gipfeltreffen, auf internationalen Konferenzen und auf diplomatischer Ebene zwischen Regierungen geführt, und zwar vor allem darum, welche
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Regeln für ein Patentrechtsregime fair sind. In diesem Streit sind die Waffen ungleich. Den ärmeren und kleineren Staaten stehen meist weniger Finanzmittel, Personal und auch politischer Einfluss zur Verfügung, um auf gleicher Augenhöhe mit den reichen Staaten über Regeln zu verhandeln, die alle zufrieden stellen. So ist zu beobachten, wie im Dickicht internationaler Diplomatie die Interessen der mächtigen Staaten mit völkerrechtlicher Wirkungsmacht ausgestattet werden; wie Unternehmen Rechte zuerkannt werden, die lokalen Gemeinschaften verwehrt bleiben; wie Regierungen des Südens geschickt gegeneinander ausgespielt werden und wie der Norden Zug um Zug seinen Vorsprung im Wettlauf um Wissen ausbaut. Aufstieg der Biopiraterie Die meisten Menschen rund um den Globus sehen in der Artenvielfalt ein Gemeingut, das der Menschheit als gemeinsames Erbe zur Verfügung steht und niemanden von der Nutzung ausschließt. Exklusive Verfügungsansprüche auf pflanzengenetische Ressourcen, die durch Patente einzelnen Individuen oder Unternehmen zugesprochen werden, sind dem Gemeinsinn fremd. Das Verständnis der Artenvielfalt als gemeinsames Erbe der Menschheit wurde 1983 denn auch in einem der ersten völkerrechtlichen Verträge zum Umgang mit pflanzengenetischen Ressourcen bei der UNOrganisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO) festgehalten. Doch alsbald wurde dieses Einverständnis von verschiedenen Seiten angefochten. Unternehmen, die kommerziell Pflanzen züchten, sahen den privatrechtlichen Sortenschutz bedroht und fürchteten, ohne eine gewisse Exklusivität bei der Vermarktung ihrer Zuchtergebnisse ihre Profite zu verlieren. Lokale Gemeinschaften aus Gebieten hoher Artenvielfalt beanstandeten, unterstützt von zivilgesellschaftlichen Organisationen, dass ihre spezifischen, traditionellen Wissensbestände nicht gewürdigt würden. Staaten wehrten sich gegen einen Eingriff in ihre territoriale Souveränität. Insbesondere viele Südländer, die den weitaus größten Teil der biologischen Vielfalt der Erde beheimaten, betrachten ihren Reichtum an Biodiversität und traditionellem Wissen als nationale Ressource. Durch einen freien Zugang würden vor allem die Länder des Nordens mit ihren ungleich höheren finanziellen wie technologischen Möglichkeiten in die Lage versetzt, einseitig vom «grünen Gold» zu profitieren. Diese Staaten wenden sich nicht prinzipiell gegen Patente, solange sie an den Gewinnen aus den Patenteinnahmen und dem Absatz der patentierten Produkte beteiligt werden. Seit geraumer Zeit schon sind biotechnologische Unternehmen, meist aus dem Norden, in Gebieten hoher Artenvielfalt auf der Suche nach Genmaterial zur Optimierung ihrer Produkte. Mit Hilfe moderner Biotechnologien, aber auch mit Hilfe des traditionellen Wissens der ortsansässigen
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Bevölkerung wird nach Wirkstoffen Ausschau gehalten, deren Eigenschaften für die Entwicklung von Produkten in der Pharma-, Kosmetik- oder Pflanzenschutzmittelindustrie geeignet erscheinen. Die für bestimmte Eigenschaften von Pflanzen verantwortlichen Gene werden isoliert und gezielt bei der Züchtung neuer Nutzpflanzen oder der Entwicklung von Medikamenten oder Kosmetika eingesetzt. Wenn es ihnen gelingt, Patente auf die Eigenschaften der Stoffe oder die Produkte zu erhalten, können sie den Marktpreis bestimmen und hohe Gewinne erzielen – etwa im pharmazeutischen Bereich.56 Da die Patente auf die Entdeckung pflanzlicher Eigenschaften und die Erfindung neuer pflanzengenetischer Produkte an die Unternehmen fallen, fühlen sich die Bevölkerungsgruppen jener Orte, wo Unternehmen ihr Wissen aufgetan haben, übergangen – oder gar in ihrer Existenz bedroht. Daraus entsteht der Vorwurf der Biopiraterie. Der Begriff wird allerdings von unterschiedlichen Interessengruppen in einem je eigenen Verständnis verwendet.57 So wird es als Biopiraterie bezeichnet, wenn Unternehmen sich biogenetische Ressourcen aneignen, ohne die Zustimmung der lokalen Gemeinschaft oder des Landes einzuholen und ohne sie an ihrem Gewinn teilhaben zu lassen. Beispielsweise hat das Unternehmen Pfizer die HoodiaPflanze Südafrikas, deren Hunger stillender Eigenschaft sich die San seit Generationen bedienen, nutzen wollen, ohne die San in Kenntnis zu setzen oder ihnen einen Teil des Gewinns zukommen zu lassen. Zwar wurde nach Protesten der San im Nachhinein ein Abkommen zur Gewinnteilhabe ausgehandelt. Das Abkommen spricht den San aber weniger als 0,003 Prozent der erwarteten Einnahmen an der Vermarktung der Hoodia-Pflanze zu und nimmt ihnen im Gegenzug jedes Recht, ihr Wissen anderweitig kommerziell zu nutzen.58 Transnationale Unternehmen hingegen halten es für Biopiraterie, wenn ihre Produkte ohne Autorisierung und Entrichtung von Patentgebühren verwendet werden. Das US-Unternehmen Monsanto etwa hat im Jahre 2001 einen kanadischen Bauern, Percy Schmeiser, auf Schadenersatz verklagt, weil auf seinen Feldern Saatgut von Monsanto gefunden wurde. Monsanto bezichtigte ihn der illegalen Nutzung seiner patentgeschützten Pflanzen – während der Bauer angab, davon nichts zu wissen, da sich die Pflanzen durch Blütenstaub von benachbarten Feldern ausgebreitet hätten. Im Mai 2004 erklärte der höchste Gerichtshof Kanadas Schmeiser für schuldig, erließ ihm aber jegliche Strafzahlungen oder Gerichtskosten.59 Zivilgesellschaftliche Gruppen und Vertreter lokaler Gemeinschaften aus aller Welt wiederum fassen den Begriff der Biopiraterie wesentlich weiter. Da die Nutzung biologischer Vielfalt häufig mit kulturellen Praktiken zusammenhängt, halten sie es überhaupt für illegitim, dass das Recht auf ihre Nutzung privatisiert wird und in die Hände transnationaler Konzerne
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gelangt. Selbst wenn Unternehmen die Gemeinschaften an ihren Gewinnen beteiligen, stehen solche Abkommen für diese Gruppen im Widerspruch zur öffentlichen und kollektiven Nutzung der Ressourcen, die sie als gemeinsames Erbe der Menschheit betrachten, das bewahrt werden muss.60 Geistige Eigentumsrechte auf pflanzengenetische Ressourcen können nämlich zum Niedergang der biologischen Vielfalt auf der Erde beitragen. Patente auf Pflanzenzüchtungen etwa verlangen, dass die gezüchteten Sorten weltweit genetisch einheitlich sind. Die Kultivierung einheitlicher Sorten zieht aber einen Verlust biologischer Vielfalt nach sich und beschleunigt genetische Erosion, in deren Folge Pflanzen gegen Krankheitserreger und Schädlinge anfälliger werden. Dies führte zum Beispiel während der «Grünen Revolution» in den 1960er Jahren dazu, dass sich in Indien die Vielfalt von 50 000 lokalen Reissorten binnen weniger Jahrzehnte auf nur noch 30 bis 50 angebaute Reissorten reduzierte.61 Damit einher gingen zum Teil dramatische Ertragseinbußen für jene Bauern, die zuvor lokal besser angepasstes und resistenteres Saatgut verwendet hatten. Wessen Wissen? Die eher langfristigen Auswirkungen von Patenten auf die Artenvielfalt der Erde werden indes durch unmittelbare soziale Konflikte überlagert. Indigene Gemeinschaften sind in vielfältiger Weise mit den sie umgebenden pflanzengenetischen Ressourcen verbunden. Sie liefern ihnen Nahrung und Material für Medizin, Kleidung und Wohnungsbau, sind aber auch eng mit dem spirituellen Sein der Gemeinschaften verwoben. Da Patente deri Zugang zu bestimmten Teilen der Biosphäre einschränken, gefährden sie die traditionellen Lebensweisen – und führen in der Folge auch zu einem Verlust biologischer Vielfalt. Denn traditionelle Lebensstile haben sich über Jahrhunderte an die Bedingungen ihrer natürlichen Umwelt angepasst. Indem sie ihre eigene Existenzgrundlage sichern, leisten sie einen bedeutenden Beitrag zur Bewahrung und Weiterentwicklung der biologischen Vielfalt.62 Häufig hegen und bewahren vor allem Frauen das Wissen über die Herstellung und Konservierung von Medizin oder Saatgut. Ihre Tätigkeiten liegen oft in Bereichen außerhalb der Marktökonomie, etwa in der Sorge um das Wohlergehen von Familie und Gemeinschaft.63 Durch Patente, die ihren Wissensschatz kommerzialisieren, geraten die traditionellen Geschlechterbeziehungen aus den Fugen, was häufig mit einer Verschlechterung des sozialen Status und des Einflussbereichs von Frauen einhergeht. Denn Patente sind Gegenstand von Ökonomie und Politik und gehören damit zu einer gesellschaftlichen Sphäre, in der Frauen in der Regel unterrepräsentiert sind.64
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Diese Sphäre beherrschen die global players. Nur sechs transnationale Unternehmen (Aventis, Dow, Du Pont, Mitsui, Monsanto und Syngenta) halten zusammen 98 Prozent Marktanteil am weltweiten Markt genetisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft. An Patenten und hohen Patentgebühren haben zu allererst sie ein Interesse. Sie machen geltend, dass durch genetisch verbessertes Saatgut höhere Ernten auf weniger Fläche erreichbar seien – und dass dies zur Armutsverminderung beitragen könne. Doch gilt das kaum für die bislang patentierten Produkte. So wirbt das Unternehmen Monsanto beispielsweise für seine genetisch manipulierte Baumwolle bt cotton mit dem Versprechen, es würde zu größeren Ernteerträgen und geringeren Produktionskosten führen.65 Studien aus Indien legen hingegen nahe, dass die Ernten schlechter ausfallen als bei traditionellem Baumwollsaatgut und somit zur Verschuldung der Bauern beitragen.66 Da Patente zum Ziel haben, die Produktentwicklung zu refinanzieren, werden Forschungsprioritäten vor allem auf kommerziell lukrative Vorhaben fokussiert und nicht an den Bedürfnissen von Individuen oder Gemeinschaften orientiert, die in Hunger und Armut leben. Bisher gibt es kaum ernsthafte Investitionen in jene fünf Feldfrüchte (Sorghum, Hirse, Kichererbse, Straucherbse, Erdnuss), die für die Bevölkerung in armen, trockenen Ländern eine herausragende Bedeutung haben. Und nur ca. ein Prozent der Forschungs- und Entwicklungsbudgets transnationaler Konzerne wird in Feldfrüchte investiert, die für die Bevölkerung des Südens von Nutzen sein können.67 Der weitaus größte Teil des patentierten Saatguts zielt bisher auf eine Steigerung der Pestizidtoleranz von Pflanzen ab – da die sechs genannten Unternehmen überdies 70 Prozent Marktanteil bei Pestiziden halten.68 Für 1,4 Milliarden Menschen weltweit ist der freie Tausch von Saatgut eine unverzichtbare Grundlage für den Anbau im nächsten Jahr und die Sicherung der landwirtschaftlichen Erträge. Für diese Menschen ist eine hohe Vielfalt an Pflanzen und Pflanzensorten wichtig, da sie nur durch die Auswahl von lokal und jahreszeitlich am besten angepassten Sorten ihre Ernährung gewährleisten können. Ruchi Tripathi ermittelte, dass von 918 Patenten auf Reis, Mais, Weizen, Soja und Sorghum 633 Patente direkte negative Auswirkungen auf Kleinbauern hatten.69 Den Armen werden mit Patenten auf Saatgut nicht nur ihre Produktionsbedingungen verschlechtert, sondern sie werden über die Patentgebühren von den Unternehmen auch noch zur Kasse gebeten. Interessen im Institutionenstreit Fragen des Zugangs zu Saatgut und zu den natürlichen Ressourcen in Gebieten großer Artenvielfalt, die Nutzung traditionellen Wissens wie die Verteilung der Gewinne aus ihrer Nutzung – das sind die Kernfragen im politischen Konflikt um Patente auf pflanzengenetische Ressourcen. Wie sind
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die internationalen Regelungen zustande gekommen, welche die Interessen der Konzerne begünstigen, während sie die Interessen lokaler Gemeinschaften und armer Bevölkerungsgruppen benachteiligen? Im Kern des Konflikts steht die Rivalität zwischen der Biodiversitäts-Konvention der Vereinten Nationen und dem TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation. 1993 trat die Biodiversitäts-Konvention in Kraft und zählt mittlerweile 188 Mitgliedsstaaten. Sie definiert genetische Ressourcen als genetisches Material von aktuellem oder potenziellem Wert aus Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen. Sie unterstellt deren Nutzung der Souveränität der Staaten. Die Biodiversitäts-Konvention zielt nicht nur auf den Erhalt der Artenvielfalt und deren nachhaltige Nutzung. Sie fordert als erstes internationales Abkommen, dass der Zugang zu Ressourcen immer auf dem Einverständnis der Betroffenen beruhen soll, und knüpft ihn an eine faire Verteilung der aus der Nutzung entstehenden Gewinne, dem so genannten Vorteilsausgleich. Er kann vielfältige Formen annehmen: Neben einem monetären Ausgleich fällt darunter auch der Transfer von (Bio-)Technologien oder etwa die Einbindung Berechtigter in Forschungsaktivitäten. Da über den Vorteilsausgleich bislang keine international verbindlichen Regelungen vereinbart wurden, liegt die tatsächliche Ausgestaltung des Prinzips in der Freiheit der einzelnen Staaten. Parallel zu den Verhandlungen über die Biodiversitäts-Konvention verhandelte die Staatengemeinschaft im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) über ein Abkommen zum privatrechtlichen Schutz geistigen Eigentums, das so genannte TRIPS-Abkommen (Abkommen über die handelsbezogenen Rechte des geistigen Eigentums). Das 1995 in Kraft getretene Abkommen verpflichtet die 149 Mitgliedsstaaten der WTO dazu, nationale Regelungen des Patentrechts an Minimalstandards anzupassen. Es zielt darauf ab, ein global einheitliches Regime geistiger Eigentumsrechte zu errichten. Da viele Staaten des Südens noch keine Patentrechtsregime hatten, mussten und müssen sie das Konzept privater geistiger Eigentumsrechte erst einführen. Das TRIPS-Abkommen verlangt Patente auf jede Erfindung in allen Bereichen der Technologie, egal ob es sich um Produkte oder um Prozesse handelt. Es erlaubt zwar, von einer Patentierung auf Pflanzen und Tiere abzusehen, fordert aber einen Patentschutz auf Mikroorganismen. Beim Schutz von Pflanzensorten, die im Labor oder durch Züchtungen genetisch verändert wurden, räumt das TRIPS-Abkommen eine gewisse Flexibilität ein. Es erlaubt neben Patenten auch andere, national je eigene Formen des Sortenschutzes. Obwohl in den Verhandlungen die Mehrzahl der Staaten und Regierungen identisch waren, steht die Verleihung exklusiver Patentrechte durch das TRIPS-Abkommen mit einigen zentralen Regelungen der BiodiversitätsKonvention in Widerspruch. Denn das TRIPS-Abkommen erkennt weder das
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Prinzip staatlicher Souveränität an noch den Schutz traditionellen Wissens indigener Gemeinschaften. Es stellt damit auch das Instrument des fairen Vorteilsausgleichs infrage.70 Dieser Widerspruch entstand nicht von ungefähr. In der WTO treffen Regierungsvertreter vor allem auf Handelsexperten, Ökonomen und Unternehmensvertreter, um die zukünftige Architektur des Weltwirtschaftssystems zu gestalten. In der Biodiversitäts-Konvention dagegen treffen sich diejenigen, die Artenvielfalt und Umwelt, traditionelles Wissen und die Anliegen indigener Gemeinschaften schützen wollen. Weil nun die Biodiversitäts-Konvention ein völkerrechtliches Abkommen ohne Sanktionsmechanismus ist und damit kaum Mittel zur Verfügung stehen, die Umsetzung ihrer politischen Ziele zu forcieren, haben sich die Interessenvertreter der Wirtschaft und die Lobbyisten transnationaler Konzerne die WTO für ihr Vertragswerk ausgesucht; denn die WTO verfügt über ein Organ zur Streitschlichtung mit scharfer Sanktionsmacht. Verstöße gegen das TRIPS-Abkommen können durch Strafzölle auf beliebige Güter oder Dienstleistungen geahndet werden, die einen empfindlichen Einfluss auf die Wirtschaft eines Staates nehmen.71 Der Versuch, die widerstreitenden Interessen zwischen Norden und Süden, Konzernen und lokalen Gemeinschaften im Rahmen der Biodiversitäts-Konvention auszubalancieren, verhallt so in bloßen Appellen. Eine andere Strategie, dem Wissensschatz lokaler Bevölkerungsgruppen keinen Schutz zuzusprechen, ist die Verschiebung der Zuständigkeiten von einer völkerrechtlichen Instanz zur anderen. Die Gruppe afrikanischer Staaten hatte es lange Zeit hindurch prinzipiell abgelehnt, traditionelles und kollektives Wissen im TRIPS-Abkommen als einem Vertrag zum Schutz privaten geistigen Eigentums zu verhandeln. Weil sie jedoch die völkerrechtliche Wirkungslosigkeit der Biodiversitäts-Konvention fürchten, fordern sie nun einen neuen WTO-Ausschuss, der sich des Schutzes traditionellen Wissens und genetischer Ressourcen annimmt. Doch lehnen die Europäische Union, die USA und einige weitere Industrienationen diesen Vorschlag ab, weil die WTO nicht der adäquate Ort für die Thematik sei. Stattdessen sollte die Diskussion in einem bestehenden Forum der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) geführt werden.72 Der Schutz privaten geistigen Eigentums ist aber vor dem TRIPS-Abkommen bereits in der WIPO verhandelt und allein aufgrund massiven Drucks der Industriestaaten auf die Agenda der WTO gesetzt worden.73 Zuvor hatten sie dort Verhandlungen zum Schutz traditionellen Wissens abgelehnt. In der WIPO gibt es zwar ein eigenes Komitee zu den Themen «geistiges Eigentum und genetische Ressourcen, traditionelles Wissen und Folklore». Aber auch nach drei Jahren Diskussion über ein internationales Rechtsregime zum Schutz traditionellen Wissens war keine Einigung zu erzielen. Insbe-
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sondere die USA fürchten, dass der Schutz traditionellen Wissens mit gegenwärtigem Patentrecht in Konflikt geraten und Ansprüche an Patentbesitzer zur Folge haben könnte. Zudem lehnen sie ab, dass große Teile der pflanzengenetischen Ressourcen von einer Patentierung ausgeschlossen werden.74 Auch in der Biodiversitäts-Konvention konnten Fortschritte bislang erfolgreich verzögert werden. Die Mitgliedsstaaten der Konvention, der die USA als eines der wenigen Länder weltweit nicht angehören, lassen bis heute ungeklärt, welche Rolle geistige Eigentumsrechte beim Schutz traditionellen Wissens spielen sollen. In den nichtbindenden Bonner Richtlinien der Konvention werden geistige Eigentumsrechte nur als eine mögliche Quelle für einen Vorteilsausgleich bei der Nutzung biogenetischer Ressourcen genannt und gemeinsame Patent-Eignerschaften zwischen einer lokalen Gemeinschaft und einem vermarktenden Unternehmen vorgeschlagen. Es gibt nicht einmal eine Verständigung darüber, ob der Vergabe geistiger Eigentumsrechte zuvor eine Einwilligung jener Gemeinschaften vorausgehen muss, von denen das traditionelle Wissen stammt. Und obwohl die Staatengemeinschaft auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg noch vereinbart hatte, dass ein internationales Regime zum Vorteilsausgleich entwickelt werden soll, verzögern sich Verhandlungen auch hierzu, weil strittig ist, ob ein solches Regime völkerrechtlich bindend sein oder bloß appellativen Charakter haben sollte.75 Bilaterale Abkommen als Einfallstor Die Staaten des Nordens betätigen sich nicht immer als Bremser zwischenstaatlicher Verhandlungen. Wenn Beschleunigungsverfahren mehr Erfolg versprechen, entscheiden sie sich für bilaterale Verhandlungen. Dann nämlich können sich die Staaten des Südens nicht in Gruppen zusammenschließen, um ihre Position gemeinsam zu vertreten. In weit über 100 bilateralen Handelsabkommen haben die USA, die EU und andere Industriestaaten im Tausch gegen einen verbesserten Marktzugang für ausgewählte Güter den Staaten des Südens einen starken Schutz privater geistiger Eigentumsrechte aufoktroyiert.76 Da die Absprachen der bilateralen Abkommen in der Regel weit über die Minimalstandards des TRIPS-Abkommens hinausgehen, werden sie auch TRIPS-plus genannt. Doch der hohe Schutz privater Rechte gilt dann keineswegs nur für die beiden Unterzeichnerstaaten. Denn da im TRIPS-Abkommen das Prinzip festgeschrieben ist, dass allen Mitgliedsstaaten der WTO die gleichen Privilegien einzuräumen sind, muss der betroffene Staat die Standards des bilateralen Abkommens auch auf alle anderen Mitgliedsstaaten der WTO ausdehnen. Bilaterale Abkommen werden damit zu einem effektiven Instrument, die multilateral ausgehandelten Vereinbarungen der WTO zu unterlaufen und durch die Hintertür den Interessen der mächtigen Industriestaaten anzupassen.
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Besonders bewährt hat sich diese Strategie beim Schutz von Pflanzenzüchtungen. Seit 1961 schützen die Industriestaaten im Internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) die Rechte geistigen Eigentums ihrer Pflanzenzüchter. An einem Beitritt zu den Abkommen der UPOV waren bislang nur wenige Staaten des Südens interessiert, da der Verband die Interessen großer, agroindustrieller Züchter weit besser vertritt als die kleinerer Züchter. So liegen etwa die Kosten für eine Zertifizierung nach UPOV weit über dem, was sich kleinbäuerliche Züchter leisten können. Zudem erteilt die UPOV exklusive Monopolrechte auf gezüchtete Sorten, was dem im Süden weit verbreiteten Austausch von Saatgut zuwiderläuft. Obendrein knüpft die UPOV an die Erteilung eines Pflanzenzüchtungsrechts das Kriterium, dass die Züchtung weitgehend uniforme Pflanzen hervorbringt, was, wie oben dargelegt, zur Erosion der Artenvielfalt beiträgt. Mit Hilfe der bilateralen Abkommen werden die Staaten nun dazu gezwungen, UPOV-ähnliche Standards einzuführen oder sogar dem neuesten und striktesten Abkommen der UPOV beizutreten. Auch wird Staaten durch diese Abkommen das Einverständnis abgerungen, Patente auf Tiere und Mikroorganismen einzuführen. Die geringen Flexibilitäten im Schutz geistigen Eigentums, welche die Staaten des Südens im TRIPS-Abkommen immerhin durchgesetzt hatten, werden damit im Nachhinein zunichte gemacht. Und wieder werden die Interessen der lokalen Bevölkerung und der kleinbäuerlichen Züchter des Südens auf andere völkerrechtliche Foren verschoben, die weit weniger politisches Durchsetzungspotenzial aufweisen als bilaterale Abkommen. So trat im Jahre 2004 nach über 25 Jahren Verhandlungen in der FAO das «Internationale Abkommen über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft» in Kraft. Doch das Abkommen garantiert keine Rechte für Landwirte und kleinbäuerliche Züchter auf deren bestehende Sorten, es postuliert lediglich den Schutz traditionellen Wissens und fordert eine gerechte Teilhabe an den Gewinnen aus der Nutzung landwirtschaftlicher Pflanzenzüchtungen. Immerhin verlangt das Abkommen ein Patentverbot und einen erleichterten Zugang zu den 64 bedeutendsten Nahrungs- und Futtermittelpflanzen – ein Überbleibsel des ursprünglichen Konzepts des gemeinsamen Erbes der Menschheit.77 Doch das Patentverbot gilt nur für die nativen Pflanzensorten; sobald diese genetisch verändert werden, greift es nicht mehr. Ähnlich den Regeln in der Biodiversitäts-Konvention bleibt offen, inwieweit und mit welchen Maßnahmen Staaten diese Forderungen umsetzen werden; Sanktionsmechanismen liegen ebenso wenig vor wie Leitlinien oder gute Beispiele. Zudem lässt das Abkommen unklar, in welchem Verhältnis es zum TRIPS-Abkommen der WTO steht. Als eine Farce könnte sich etwa die Formulierung entpuppen, dass Bauern Saatgut aus eigener Vermehrung frei austauschen
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Arenen der Aneignung
dürfen, solange dies nationalem Recht entspricht – während bilaterale Verträge und das TRIPS-Abkommen vorschreiben, dass ein nationales Recht zum Schutz geistiger Eigentumsrechte auf Pflanzenzüchtungen eingeführt werden muss.78 Und so legt das Tauziehen um Patente auf pflanzengenetische Ressourcen den Verdacht nahe, dass die Macht des Rechts manches Mal eher den Mächtigen zu Rechten verhilft, als Gerechtigkeit zu schaffen. Und doch ist es nur das Recht, das den südlichen Staaten und lokalen Gemeinschaften einen größeren Handlungsspielraum im Umgang mit ihren Ressourcen einräumen oder ihnen faire Anteile an den Gewinnen von Unternehmen sichern kann. Etappensiege in den Gefechten der Gipfelkonferenzen lassen sich auf beiden Seiten verzeichnen; doch um Gerechtigkeit herzustellen gilt es, das Recht nicht als Instrument bestimmter Machtinteressen, sondern zur Balance von Machtunterschieden einzusetzen (Kapitel 4.3).
4 Leitbilder der Ressourcengerechtigkeit Wenn jemand ihn fragte, woher er denn komme, gab er die Antwort: «Ich bin ein Weltbürger.» Diogenes Laertius, 4. .Jhdt n. Chr.
Gerechtigkeit ist, wie Liebe und Freiheit auch, ein utopiehaltiger Begriff, der sich Festlegungen entzieht. Vielmehr gewinnt er, fern von allen Definitionen, seine Umrisse durch konkrete Geschichten von Bitterkeit und Leid, von Widerstand und Gegenwehr. So weiß zwar niemand, was Gerechtigkeit bedeutet, aber was Ungerechtigkeit ausmacht, das wissen alle. Der Baumwollzüchter in Mali, dessen Ernte jedes Jahr weniger Geld einbringt, die Bauern in Nigeria, die vertrieben werden, weil unter ihrem Acker ein Ölfeld liegt, die Reisbauern in Bangladesh, die gezwungen sind, ihr Saatgut zu kaufen statt es zu tauschen, sie alle können erzählen, was Gewalt und Einschüchterung, Unterdrückung und Armut ihnen an Gerechtigkeit vorenthält. Und ebenfalls deuten ihre Empörung und ihr Protest an, worin ein Zuwachs an Gerechtigkeit bestehen könnte: Mehr Unabhängigkeit und Sicherheit, mehr Freiheit und Einfluss würde für sie die Klammer der Ungerechtigkeit lockern. Gerechtigkeit ist das Verständnis, das aus der andauernden Anstrengung entsteht, Ungerechtigkeit zu überwinden. Leitbilder der Gerechtigkeit bieten deshalb keinen Bauplan, keine Konstruktionsanweisungen für eine bessere Welt, sondern artikulieren die verborgenen Ideale, die den Widerstand gegen Ungerechtigkeit antreiben. Welche Prinzipien werden, bewusst oder unbewusst, bei den Auseinandersetzungen für mehr Gerechtigkeit ins Feld geführt? Das folgende Kapitel möchte zunächst erläutern, worin die besondere Herausforderung einer transnationalen Ethik liegt. Es versucht dann in knappen Strichen zwei Grunddimensionen im Verständnis von Gerechtigkeit – Anerkennung und Verteilung – zu skizzieren. Vor diesem Hintergrund soll dann der Versuch unternommen werden, vier Leitbilder der Ressourcengerechtigkeit zu skizzieren, die das Engagement für faire Verhältnisse in den transnationalen Beziehungen anleiten könnten: Existenzrechte garantieren, Ressourcenansprüche zurückbauen, Austausch fair gestalten, Nachteile kompensieren.
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Leitbilder der Ressourcengerechtigkeit
4.1 Ethik und Entfernung Die meisten Theorien der Gerechtigkeit weisen ein Handikap auf: Sie sind für nationalstaatlich verfasste Gesellschaften entworfen. Sie legen ihrem Nachdenken eine territorial abgrenzbare Gesellschaft zugrunde, deren Architektur durch den Staat garantiert wird und deren Mitglieder durch soziale Kooperation und gemeinsame Grundwerte zusammengehalten werden. Kurz gesagt, Gerechtigkeitsprinzipien hängen oft einer «Container»-Theorie der Gesellschaft an.1 Wenn diese Theorien sich der internationalen Ebene zuwenden, heben sie, der Tradition des Völkerrechts folgend, auf die Staatenwelt ab und erörtern die Beziehungen zwischen Nationen. Das macht sie für eine Betrachtung der globalisierten Welt nur bedingt brauchbar. Denn die Pointe der Globalisierung – in welchem Verständnis auch immer – liegt darin, dass die Menschen immer weniger in geschlossenen Gesellschaften leben (Kapitel 1). Diese Entwicklung hat dem überlieferten Gerechtigkeitsdenken den Boden entzogen. Immer mehr entstehen grenzüberschreitende Sozialbeziehungen zu fernen Ländern und Menschen. Nur spielen sie sich in einem weithin gerechtigkeitsfreien Raum ab. Während die Nation seit langem als Gerechtigkeitsgemeinschaft eingeführt ist, gilt das für die Weltgesellschaft noch keineswegs. Eine Gemeinschaft des Rechtes, die alle Bewohner der Erde als Mitglieder umfasst, hat sich noch kaum herausgebildet. Warum auch sollte die Sorge für Gerechtigkeit die Grenzen der eigenen Gesellschaft überschreiten? Welche Beweggründe drängen dazu, fremde Gesellschaften in diese Community of justice einzubeziehen? Drei Gründe sind erkennbar: der Wunsch nach Sicherheit, nach Selbstachtung und nach Weltbürgerlichkeit. Interesse an Sicherheit Eine geöffnete Tür löst Luftzug aus, eine niedergelegte Grenzmauer Verkehrsströme. In dem Maße, in dem nationalstaatliche Behälter aufbrechen, werden Interaktionen zur Gewohnheit, die zum Teil über weite Entfernungen reichen. Die Türken in Deutschland leben und leiden mit Ereignissen in der Türkei, die Informatiker in Atlanta wie in Bangalore arbeiten im Tag- und Nachtwechsel an demselben Softwareprojekt, eine Textilfabrik schließt in Dänemark und setzt sich geringerer Lohnkosten wegen nach Rumänien ab. Ähnlich verhält es sich mit Wechselwirkungen ökonomischer, kultureller oder ökologischer Art. Ölmanager in Saudi-Arabien beeinflussen den Preis an den Zapfsäulen in Japan, die Verlagerungen des Monsuns in Südasien hängen mit dem Kohlendioxidausstoß in den USA zusammen, der Währungsverfall in Mauretanien treibt Flüchtlinge nach Europa. Eine saubere Unterscheidung zwischen Binnen- und Außenraum lässt sich immer schwerer treffen: Transnationale Sozial- und Wirkungskorridore
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schließen die Nähe ununterscheidbar mit der Ferne zusammen. Es entstehen sich überlappende Schicksalsgemeinschaften (overlapping communities of fate), die David Held als Kennzeichen einer globalisierten Welt identifiziert hat.2 Doch offene Grenzen machen verwundbar. Hatte das territorialstaatliche Gehäuse einen gewissen Schutz geboten vor Anfechtungen und Aggressionen aller Art, so sind jetzt die Orte und Organisationen einer Gesellschaft den Einflüssen ferner Akteure und Kräfte ausgesetzt. Unbestimmte Unsicherheit formiert sich deshalb als ein Lebensgefühl in vielen Bereichen der Gesellschaft; es entspringt wiederholten Erfahrungen von Abhängigkeit und Kontrollverlust. Fabrikschließungen etwa oder Finanzkrisen folgen oft einer externen Logik; sie sind Symptome einer Verflechtung, deren Schrittmacher zwar dem heimischen Einfluss entzogen sind, deren Auswirkungen sich aber unvermeidlich einstellen. Für Länder in der Peripherie ist diese Erfahrung der Verwundbarkeit gewiss nicht neu, mächtige Länder jedoch müssen in Zeiten der Globalisierung erstmals mit einer Situation von außen importierter Unsicherheit fertig werden. Überhaupt spricht viel dafür, dass die dunklen Seiten der transnationalen Wechselbeziehungen eine wichtige Schicht der Globalisierungserfahrung darstellen. «Der alltägliche Erfahrungsraum kosmopolitischer Interdependenz entsteht nicht als ein Liebesverhältnis aller mit allen. Er entsteht und besteht in der wahrgenommenen Not globaler Gefährdungslagen.»3 Auch die Formen der Kriegsführung sind von den Prozessen der Entnationalisierung eingeholt worden. Nicht mehr nur Staaten treten gegeneinander an, sondern sub-nationale oder supra-nationale Gewaltverbände stellen sich auf. Nicht mehr nur Heere ziehen in die Schlacht, sondern warlords oder Attentäter operieren aus dem Untergrund heraus. Und gerade Zonen, in denen sich Recht und Ordnung pulverisiert haben, wo der Staat zerfallen ist, haben sich als Brutstätten für transnationale Illegalität erwiesen. Eine Form dieser Illegalität, der grenzüberschreitende Terrorismus, hat eine besonders extreme transnationale Gefährdung heraufbeschworen. Er ist unübertroffen im Bedrohungsgrad, hat aber von seiner geografischen Struktur her manches mit anderen Gefährdungslagen wie Finanzbewegungen, Waffenhandel oder Wirtschaftswettkampf gemeinsam. Es handelt sich um Bedrohungen, die von außen kommen und jede Gesellschaft zwingen, sich mit den Vorgängen jenseits ihrer Grenzen um der eigenen Sicherheit willen auseinanderzusetzen. Dabei konkurrieren nicht selten drei unterschiedliche Antworten miteinander: Abgrenzung, Vorherrschaft und Kooperation. Die Reaktion der Abgrenzung setzt auf Renationalisierung und auf Abschottung. Die Politik Europas gegenüber Asylanten und Flüchtlingen spricht Bände. Die Option der Vorherrschaft indessen können nur relativ mächtige Nationen ergrei-
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fen; sie versuchen, ihre Kontrollmacht auf den Außenraum auszuweiten – im Falle der amerikanischen Weltmacht sogar über den ganzen Erdball. Bleibt die Antwort der Kooperation. Auch dabei ist Vorbeugung im Außenraum Trumpf, aber eben mit anderen Mitteln. Durch gemeinsames Handeln sollen die Ursachen der Bedrohungen ausgeräumt oder doch gemildert werden. Das ist wahrscheinlich der aussichtsreichste Weg. Transnationale Gefährdungen verlangen kooperative Sicherheitspolitik, allerdings weniger im militärischen als im polizeilichen oder wirtschaftlichen Sinne. Eine solche Politik versucht, Situationen und Akteure über Interessenausgleich und Zusammenarbeit zu beeinflussen. Kooperationssysteme dieser Art können freilich – ob zur Herstellung kollektiver Leistungen oder zur Abwehr kollektiver Gefährdungen – nur eingeschränkt asymmetrische Beziehungen vertragen. Sie sind auf die Mitarbeit aller Beteiligten angewiesen und funktionieren nur, wenn Rücksicht und Fairness sie regieren. Krasse Ungerechtigkeiten in den internationalen Beziehungen untergraben die Kooperationsbereitschaft, wie man an der Abwehr des Terrorismus oder auch des Klimawandels studieren kann. Die dunklen Folgen der Globalisierung schaffen so die Nachfrage nach einer multilateralen Kooperationsarchitektur. Aus der strukturellen Unsicherheit in einer globalisierten Welt könnte der Unterbau einer transnationalen Gemeinschaft des Rechtes hervorgehen (Kapitel 6). Interesse an Selbstachtung Poröse Grenzen sind nicht nur für Einwirkungen von außen durchlässig, sondern auch für Einwirkungen, die vom Inneren eines Landes in die Welt hinausgetragen werden. Globalisierung ist keine Einbahnstraße; sie macht nicht nur verwundbarer, sondern auch einflussreicher. Vor allem mächtige Länder – oder besser gesagt: mächtige Metropolen, welche die Handels-, Finanz- und Bilderflüsse in Zirkulation halten – haben in der transnationalen Welt enorm an Einfluss jenseits ihrer Grenzen gewonnen. Selbst das britische Empire, in dem bekanntlich die Sonne nie unterging, verblasst gegenüber dem Einflussbereich der Weltbank oder – in anderer Beziehung – der Reichweite von Hollywood. Je mehr die Ferne zum Aktionsfeld wird, desto weniger lässt sich freilich die ethische Priorität der Nähe halten.4 Schließlich hatte sich die vorrangige Loyalität gegenüber Familie und Mitbürgern in Zeiten herausgebildet, als die Auswirkungen der eigenen Handlungen im Großen und Ganzen auf den Umkreis des eigenen Territoriums beschränkt waren. Daher war traditionelle Ethik weitgehend Binnenethik; moralische Verpflichtungen galten, wenn es sich um Angehörige, Freunde oder Mitglieder der eigenen Gesellschaft handelte. Fremde hatten im Allgemeinen keinen Anspruch auf moralische Achtung, es sei denn, sie waren Gäste, Reisende oder Hilfsbe-
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dürftige. Sicher war dabei die Grenze zwischen Innen und Außen wiederholt umstritten; aber als Terrain der Gerechtigkeit wurde nur das eigene Gemeinwesen betrachtet. Sozialen Ausgleich, Garantie der Bürgerrechte, Wohlfahrtsunterstützung war man etwa den Angehörigen des eigenen Nationalstaats schuldig. In den internationalen Beziehungen waltete das Recht des Stärkeren. Auch wenn diese Konzeption noch heute vorherrscht, ist sie doch durch die Denationalisierung der Sozialbeziehungen schwer angeschlagen. Wo Geld und Menschen und Güter unaufhörlich Grenzen überschreiten, muss da nicht auch die Moral grenzüberschreitend werden? Die Frage stellen heißt bereits, sie zu beantworten. In dem Maße, in dem der Wirkraum sozialer Akteure transnational wird, kann ihr Verantwortungsraum nicht national bleiben. Wenn Produktionsketten ganze Kontinente überspannen und Handel global reguliert wird, dann können die neu entstandenen Sozialräume kein ethisches Niemandsland bleiben. Sie fordern ähnliche Debatten und Absprachen zum richtigen Zusammenleben heraus wie die Gemeinwesen vor Ort. In Parlamenten und Konferenzen, auf Demonstrationen und in Planspielen geschieht das bereits. Beim Streit um die Welthandelsordnung oder bei dem Ruf nach Verhaltenscodices für Unternehmen geht es schließlich im Kern darum, Formen übernationaler Gerechtigkeit zu finden. Eine transnationale Politik, die diesen Namen verdient, wird künftig nicht nur territoriale, sondern auch sie übergreifende Sozialräume als Kontexte für Gerechtigkeit verstehen. Allerdings begründet die Ausdehnung des Verantwortungsraums keine Allzuständigkeit der Mächtigen. Denn mit der Zuständigkeit für das Wohlergehen ferner Völker ist schon manch eine Herrschaftsideologie begründet worden. Die Idee der Gerechtigkeit ist an eine Vorstellung vom Gemeinwohl gebunden, und die kennt viele Unterschiede. Das unterstreichen die «Kommunitaristen» unter den gegenwärtigen Gerechtigkeitsdenkern.5 Was Gerechtigkeit sein soll, erwächst aus dem Verständnis, das eine Gesellschaft von sich selbst hat, aus ihren spezifischen Erinnerungen, aus ihren besonderen Idealen. Aus diesem Grunde ist keine Gesellschaft für größere Gerechtigkeit in einer anderen Gesellschaft zuständig – außer bei schwerer Verletzung der Menschenrechte. Eine Gesellschaft ist aber sehr wohl dafür verantwortlich, anderen keine Ungerechtigkeiten zuzufügen. Durch die eigene Politik ungerechte Verhältnisse in einem anderen Land mit zu verursachen und mit zu stabilisieren ist moralisch nicht belanglos; im Gegenteil, es ist im transnationalen Rahmen ebenso verwerflich wie im nationalen. In der Schadensvermeidung, nicht zuerst in der Wohlstandsmehrung, liegt der Kern transnationaler Verantwortung. Und dies auch aus Gründen der Selbstachtung. Es widerspricht einem elementaren Gefühl von Fairness, anderen zu verweigern, was man selbst
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beansprucht. Die planetarische Fünftelgesellschaft6 hat von daher wenig Grund, sich für die Kulmination der Geschichte zu halten. In dem Maße, in dem sie von der Übernutzung der Natur und von den Reichtümern anderer Völker lebt, bleibt sie – wie Klaus Töpfer einmal gesagt hat – in der Wohlstandslüge gefangen. Transnationale Verantwortung aus dem Motiv der Selbstachtung bedeutet nicht Allzuständigkeit für das Glück der Welt, sie erfordert Selbstrevision, um nicht andere ins Unglück zubringen. Vielleicht kann so eine Moral reifen, die auf die Entschärfung der Weltverhältnisse abzielt und dennoch nicht zum Interventionismus neigt. Anders gesagt, es empfiehlt sich, transnationale Verantwortung nicht transitiv, sondern zuallererst intransitiv zu verstehen: nicht als Handeln an anderen, sondern als Handeln an sich selbst. Interesse an Weltbürgerlichkeit Der Entwicklungsgang von Kindern lässt erkennen, so lehren Psychologen wie Jean Piaget, wie sie sich in ihrer Wahrnehmung des anderen von einer Phase des Egozentrismus, in welcher die andere Person nicht berücksichtigt oder aber instrumentalisiert wird, zu einer Phase der Dezentrierung bewegen, in der sie lernen, sich mit fremden Augen zu sehen und diese Fremdwahrnehmung in ihre Handlungen einzubeziehen.7 Selbstdistanz verbunden mit Einfühlung sind so Grundfähigkeiten moralischen Verhaltens. Einen vergleichbaren Entwicklungsgang kann man für menschliche Gesellschaften beobachten: Der Loyalitätsraum dehnt sich schrittweise von der Familie über die Gemeinde und die Landesherrschaft auf den Staat aus und ist gegenwärtig dabei, langsam auch die Weltgesellschaft einzubeziehen. Auf der kulturellen Lernkurve der Völker ist in diesen Jahren ein Sprung an Dezentrierung angesagt. In einer Erweiterung des Blickes wird der eigene Standpunkt in ein transnationales Referenzsystem eingeordnet und bezieht die Sichtweisen ferner anderer ein. Freilich hat die Ausdehnung der moralischen Sensibilität wenig mit einem Schub an Altruismus zu tun; sie stellt vielmehr eine kognitive und emotionale Anpassung an die weltweite Vernetzung der Sozialbeziehungen dar. Der Bürger als citoyen – im Gegensatz zum Bürger als bourgeois – weiß, dass sein Selbst mit unzähligen Fäden in die Gesellschaft hinein verwoben ist, folglich die Gesellschaftssorge ein Stück Selbstsorge darstellt. Wer ein citoyen der Welt sein will, ist sich bewusst, dass sein Selbst transnational mit fernen Ereignissen und Personen verknüpft ist; für ihn lässt sich die Weltsorge nicht von der Selbstsorge trennen. Er lässt sich von der Einsicht leiten, dass er nicht auf sein eigenes Recht pochen kann, wenn er fundamentalen Eigeninteressen der anderen die kalte Schulter zeigt. Früher oder später, das ahnt er, schlägt Unrecht an anderen in der einen oder anderen Weise auf ihn und seine Lebensprojekte zurück.
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Drei Überzeugungen stecken das Terrain der Weltbürgerlichkeit ab. Erstens kommt moralische Anerkennung hauptsächlich Personen zu und nicht Clans oder Staaten. Zweitens gilt diese Anerkennung allen lebenden Menschen in gleicher Weise, nicht nur Männern oder Christen etc. Und drittens bringt jeder Mensch allen anderen Menschen moralische Anerkennung entgegen. «Es ist die zentrale Idee des moralischen Kosmopolitanismus, dass jeder Mensch als letztendlicher Träger moralischer Bedeutung eine globale Statur besitzt.»8 In einer weltbürgerlichen Perspektive stellt sich die Welt als eine Gemeinschaft von Menschen und nicht als ein Ensemble von Staaten dar, und zwar als eine Gemeinschaft, in der alle Anspruch auf Gerechtigkeit haben, so wie sie selbst auch Gerechtigkeit schulden. Streng genommen gründet die weltbürgerliche Perspektive in der allen gemeinsamen Natur des Menschseins, ist also keine Frucht transnationaler Wechselbeziehungen. Dennoch schafft grenzen-loser Umgang zwischen Menschen einen neuen Resonanzboden für kosmopolitisches Denken. Wer bei Sportwettkämpfen oder im Projektteam laufend mit Menschen anderer Kulturen und Rassen zu tun hat, findet es naheliegend, im anderen zuerst den Menschen und dann erst den Hindu oder die Farbige zu sehen. Recht hat darum, wer die völkerverbindende Kraft der Globalisierung hervorhebt. So richtig es ist, dass man zuvörderst den Mitgliedern der eigenen Gesellschaft moralische Achtung schuldet – eine moralische Achtsamkeit gegenüber der ausgedehnten Gemeinschaft ist nach dem Modell der konzentrischen Kreise damit nicht ausgeschlossen. Moralische Verpflichtungen können von verschiedener Stärke sein: stark in begrenzten Gemeinschaften, schwächer in der Weltgesellschaft. Eine Ethik der Ferne ist durchaus mit einer Ethik der Nähe vereinbar.
4.2 Anerkennung und Verteilung Wer sich ungerecht behandelt fühlt, ist überzeugt, dass ihm vorenthalten wird, was ihm zusteht. Das lässt sich ablesen an archetypischen Situationen der menschlichen Biografie, in denen Gerechtigkeit gefordert wird: Kinder gegenüber Eltern, Schüler gegenüber dem Lehrer, Angestellte gegenüber dem Chef, Angeklagte gegenüber dem Richter. Überall wird einer Autoritätsperson die Erwartung entgegengebracht, Vorteile wie Nachteile unparteiisch zuzuteilen. Deshalb wurde die Figur der iustitia in der Ikonografie des Abendlandes oft mit verbundenen Augen dargestellt. So lässt sich der Bedeutungskern der Gerechtigkeit verstehen als der Anspruch darauf, dass keine und keiner zum Nachteil anderer bevorzugt und niemand zum Vorteil anderer geschädigt werden soll. «Suum cuique», jedem das Seine, lautet daher die Faustformel für Gerechtigkeit seit der Antike, und sie verdeut-
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licht zugleich, dass der Streit um Gerechtigkeit darum geht, wer aufgrund welchen Anspruchs was als das Seine reklamieren kann. Um diesen Anspruch zu führen, wird darum gerungen, welche Regeln als verbindlich gelten können. Wo es gerecht zugeht, da herrschen anerkannte Regeln, die insbesondere das Handeln der Mächtigen binden. Überhaupt kann der Zweck der Gerechtigkeit darin gesehen werden, insbesondere die Schwächeren gegen Regellosigkeit, gegen Gewalt zu schützen. Bei Gerechtigkeit geht es um soziale Verbindlichkeit, um Rechte, die zu erfüllen ein anderer die Pflicht hat. Damit ist sie zu unterscheiden von Großzügigkeit oder Barmherzigkeit, die man nur erhoffen oder erbitten kann. «Die Anerkennung der Gerechtigkeit betrachten wir nicht als Gnadenakt, um den wir die Mitmenschen oder die »Obrigkeit bitten und die sie uns aus Sympathie oder Mitleid gewähren. Die Verwirklichung von Gerechtigkeit wird gefordert; angesichts von Ungerechtigkeit wendet man sich nicht enttäuscht ab, sondern ist entrüstet, empört und erhebt Protest.»9 Dabei muss die Entrüstung keineswegs nur an Personen adressiert sein, sie kann auch sozialen Strukturen gelten. Seit Aristoteles das Nachdenken über Gerechtigkeit als Tugendlehre entwickelt hatte, waren zwar die Philosophen in ihrem Denken auf personale Gerechtigkeit konzentriert. So hatten sich zahllose Traktate darum bemüht, die Figur des gerechten Hausvaters oder gerechten Herrschers zu modellieren, wobei es gewöhnlich um persönliche Qualitäten wie Unbestechlichkeit und Konsequenz ging. Doch mit der Neuzeit rückte die politische Gerechtigkeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit und mit ihr die Verfahren, Gesetze und Institutionen, die das soziale Zusammenleben prägen. Auf Institutionen gemünzt lässt sich dann eine Einrichtung oder eine Gesellschaft als ungerecht bezeichnen, wenn sie so verfasst ist, dass sie den einen ermöglicht, sich Vorteile oder Übermacht auf Kosten und gegen den Willen anderer zu verschaffen.10 Ins Positive gewendet, ist Gerechtigkeit, wie John Rawls einmal gesagt hat, die erste Tugend sozialer Institutionen.11 Gerechtigkeit als Anerkennung Gerade in den letzten Jahrzehnten sind Auseinandersetzungen um Gerechtigkeit zu beobachten, die nicht in erster Linie eine andere Verteilung von Gütern einfordern, sondern eine Anerkennung als vollberechtigtes Mitglied der Gemeinschaft. Man denke an die Frauenbewegung oder an die Anti-Apartheid-Bewegung, an den Kampf der indigenen Völker oder den Ruf nach nationaler Unabhängigkeit. Bei all diesen Beispielen steht die Forderung nach Anerkennung ohne Diskriminierung im Vordergrund. Gerade die Großkonflikte, welche die Weltgesellschaft heute durchziehen, vom Nord-Süd-Konflikt über den arabisch-israelischen zum islamisch-westlichen Konflikt, sind nicht einfach als Verteilungskonflikte zu verstehen, son-
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dern müssen auch als Anerkennungskonflikte begriffen werden. In ihnen spielt das Verlangen nach Ebenbürtigkeit, nach Wertschätzung eine herausragende Rolle. Es kommt also darauf an, die volle Bedeutung von Gerechtigkeit im Blick zu behalten. Darauf richtet sich auch ein Strang in der gegenwärtigen philosophischen Debatte, der Gerechtigkeit als eine Verschränkung von Anerkennung und Verteilung versteht, ohne dass bislang über das Verhältnis beider eine Einigung erzielt worden wäre.12 Konflikte um Anerkennung unterscheiden sich, will man sie denn analytisch trennen, von Konflikten um Verteilung. Sie drehen sich im Allgemeinen um Fragen der Gruppenidentität und nicht um Klasseninteressen, sie richten sich mehr gegen kulturelle Herabwürdigung als gegen wirtschaftliche Ausbeutung. Sowohl die persönliche als auch die kollektive Selbstachtung ist gefährdet, wenn sie von anderen auf Dauer missachtet wird. Wenig ist so verletzend, als «wie Luft» behandelt zu werden. «Nicht-Anerkennung oder Verkennung des anderen zeugt nicht bloß von einem Mangel an gebührendem Respekt. Sie kann auch schmerzhafte Wunden hinterlassen, sie kann auch den Opfern einen lähmenden Selbsthass aufbürden. Anerkennung ist nicht bloß ein Ausdruck von Höflichkeit, den wir den Menschen schuldig sind. Das Verlangen nach Anerkennung ist vielmehr ein menschliches Grundbedürfnis.»13 Und, so kann man hinzufügen, sie ist ebenfalls ein kollektives Grundbedürfnis für alle, die von der geltenden Rangordnung herablassend behandelt werden, für Farbige wie für Frauen, für Moslems wie für Mayas. Es empfiehlt sich also, Ressourcengerechtigkeit nicht vorschnell mit Gerechtigkeit bei der Verteilung von Ressourcen gleichzusetzen. Stattdessen entstehen Ressourcenkonflikte auch aus dem Widerstand gegen Missachtung, aus dem Wunsch nach Teilnahme und Anerkennung. Sei es bei Konflikten um Wasser oder um Patente, bei Auseinandersetzungen um den natürlichen Lebensraum oder sogar bei Konflikten um Öl, immer ist, mehr oder weniger stark, das Verlangen nach Anerkennung beigemischt. Nicht um den gleichen, sondern um den hinreichenden Zugang zu Ressourcen geht es – hinreichend für die individuelle physische Existenz, für die Kultur einer ethnischen Gruppe, für die Entfaltung einer Gesellschaft. Der Streit um Naturressourcen ist dabei verknüpft mit dem Streben nach Selbstbehauptung und Teilnahme. So geht es in allen Varianten von Menschenrechten, Volksrechten und Entwicklungsrechten zuerst um Gerechtigkeit als Anerkennung; sofern dabei die Verfügung über Naturressourcen eine Rolle spielt, wird ihr Besitz oft als der materielle Ausdruck für erfolgte Anerkennung betrachtet. Im Übrigen ist unter Bedingungen der Globalisierung das Verlangen nach Anerkennung dringlicher geworden. Die Welt schrumpft, und die alten Gehäuse geben oft keine Heimstatt mehr. Über Migration, Reisen, Fern-
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sehen findet mehr Begegnung und Durchmischung statt. Der Fremde, der Andersgläubige, der Rivale rückt näher und löst damit Abgrenzungswünsche aus. Die großen Lager wie Kommunismus und freier Westen als sein Gegenpart haben sich aufgelöst, Institutionen wie Kirchen und Gewerkschaften verblassen, und auch Staaten werden porös oder zerfallen gar. Wer kann sich wo aufgehoben fühlen? Angesichts der neuen Vermischung werden identitätsstiftende Unterschiede wichtig und wiederum bergende Mitgliedschaft, insbesondere dann, wenn auf Schutzmächte wie den Staat kein Verlass mehr ist. Eine grenzen-lose Welt – das ist ein Paradox der Globalisierung – provoziert die Suche nach neuen Grenzen; denn das Verlangen der Menschen nach Zugehörigkeit erscheint unausrottbar – und auch immer wieder ausbeutbar. Serben gegen Kroaten, Hindus gegen Moslems, Islamisten gegen den Westen – der Wunsch nach Anerkennung erweist sich als leicht entzündlicher Brennstoff. Gerechtigkeit als Verteilung Wer auch immer gegen Ausgrenzung und für Anerkennung streitet, wird früher oder später als Unterpfand der Anerkennung eine Teilhabe an den materiellen Besitztümern einer Gesellschaft einfordern. Zwar mag Anerkennung der Verteilung vorauslaufen, doch ohne Verteilungsfolgen bliebe sie unehrlich und leer. In diesem Sinne lässt sich weder Verteilung von Anerkennung noch Anerkennung von Verteilung trennen. Einmal kreist Gerechtigkeit um den Begriff der Gleichheit, das andere Mal um den Begriff der Würde.14 Ein volles Verständnis von Gerechtigkeit wird beide Bedeutungen einschließen. Auf das rechte Verhältnis zwischen sozialen Gruppen konzentriert sich die Verteilungsgerechtigkeit im engeren Sinn. Die Verteilungsgerechtigkeit war vor allem das Kampffeld der bürgerlichen Revolution und der Arbeiterbewegung. Beide traten mit der Forderung auf den Plan, die Lebensaussichten anzugleichen, Erstere im Vergleich zur Aristokratie, Letztere im Vergleich zum Bürgertum. Zwei Umstände vor allem waren dafür verantwortlich, dass dieses Gerechtigkeitskonzept sich in den Vordergrund schob. Einerseits war nach Tapferkeit, Frömmigkeit oder Standesehre Wohlfahrt zum wichtigsten Gut in der Gesellschaft aufgestiegen, andererseits setzte sich die Auffassung durch, in der Verteilung der Wohlfahrt könne niemand eine angeborene Stellung geltend machen. Der Arbeitertochter war nicht von vornherein zu verweigern, was für den Unternehmersohn gang und gäbe war. In den Industriegesellschaften sind diese Annahmen zu Selbstverständlichkeiten geworden, auf deren Grundlage das Tauziehen zwischen Tarifpartnern oder selbst der Streit um Arbeitslosengeld ausgetragen werden. Auf internationaler Ebene ist allerdings weniger klar, wie weit die Grundsätze der Wohlfahrt und der Gleichheit gelten und wie tief sie in die Kulturen eingedrungen sind. Wo Kastenzugehörig-
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keit das Leben bestimmt, ist Wohlfahrt ein nachrangiges Gut, und wo nur Söhne Rechtstitel erben können, wird Verteilung über die Geburt mit festgelegt. Im Westen jedenfalls denkt man beim Leitbild der gerechten Verteilung an eine Angleichung der Lebensaussichten zwischen den Menschen. Freilich: Ungleiche als gleich zu behandeln – darüber kann seit Aristoteles kein Zweifel sein – kann die höchste Ungerechtigkeit bedeuten. Nicht jede Abstufung, nicht jede Hierarchie kann unter das Verdikt der Ungerechtigkeit fallen, unterscheidende Gerechtigkeit ist vielmehr im Normalfall geboten. Eine Philosophie der Verteilungsgerechtigkeit muss darum begründen, inwieweit und wie weit Ungleichheit gerechtfertigt sein kann. Wem steht wieviel vom zu Verteilenden zu? Aufgrund welchen Anspruchs und mit welcher Berechtigung? So lauten in Verteilungskämpfen aller Art die Streitfragen. Drei Prinzipien werden herkömmlicherweise angeführt, die eine ungleiche Verteilung gerecht machen könnten: Jeder wird entweder nach seinem Recht oder nach seinem Bedürfnis oder nach seiner Leistung bedacht. Der Konflikt zwischen diesen Verteilungsprinzipien durchzieht eine Vielzahl von Auseinandersetzungen, er macht weithin den Stoff im Kampf um Gerechtigkeit aus. Allerdings lassen sich diese Spannungen bis zu einem gewissen Grade entschärfen, wenn man genauer fragt: Gleichheit worin? John Rawls zufolge empfiehlt es sich, zwischen Gleichheit in Bezug auf Grundfreiheiten, in Bezug auf wirtschaftliche Güter und in Bezug auf Chancen zu unterscheiden. Um allen Gesellschaftsmitgliedern gleichen Respekt zu zollen, sind für alle gleiche Grundfreiheiten einzufordern. Sie zu verweigern ist ungerecht; denn es hieße, Personen aus dem Zusammenhang wechselseitiger Anerkennung auszuschließen, der der sozialen Kooperation vorausliegt. In anderen Worten, hier ist zu wenig Gleichheit der Feind der Freiheit. Umgekehrt verhält es sich bei der Verteilung wirtschaftlicher Güter. Gehälter oder Gewinne, Kunstbesitz oder Landbesitz gleich zu verteilen kann für alle zum Nachteil gereichen, wenn dadurch die Triebkräfte der sozialen Unterscheidung und damit der Nutzenvermehrung erlöschen. Eine gewisse Ungleichheit kann folglich sozial nützlich sein, das Bedürfnisprinzip darf nicht das Leistungsprinzip aufheben. Auch bei zuviel Gleichheit kann die Freiheit auf der Strecke bleiben. Allerdings ist unverzichtbar, die Verteilung nach Leistung wiederum an die Verteilung nach Recht und Bedürfnis zurückzubinden; deshalb führt Rawls sein berühmt gewordenes «Differenzprinzip» ein: «Soziale und ökonomische Ungleichheiten müssen zwei Bedingungen erfüllen: erstens müssen sie mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen unter Bedingungen fairer Chancengleichheit offen stehen, und zweitens müssen sie sich zum größtmöglichen Vorteil für die am wenigsten begünstigten Gesellschaftsmitglieder auswirken.»15 Damit lässt sich eine
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vorläufige Summe sozialer Gerechtigkeit ziehen: Eine Gesellschaft ist ausreichend gerecht, wenn sie allen Bürgerinnen und Bürgern die gleichen Grundrechte bietet, wenn faire Chancengleichheit im Zugang zu privilegierten Positionen besteht und wenn sie im Übrigen so organisiert ist, dass es den am meisten Benachteiligten besser ergeht, als es ihnen erginge, wenn die Gesellschaft anders organisiert wäre.16 Es ist nicht zu übersehen, dass das Differenzprinzip gehörigen Sprengstoff enthält, gerade im Hinblick auf Ressourcengerechtigkeit. Es stellt eine Verurteilung der gegenwärtigen Ressourcenverteilung dar, denn man wird schwerlich behaupten können, dass die drastische Ungleichheit im Umweltraum die am wenigsten Begünstigten in der Welt besser stellt. Ähnliches gilt für Auseinandersetzungen in den internationalen Foren. Weder die Klimaverhandlungen, um zwei Beispiele zu nennen, noch die Agrarverhandlungen der WTO werden mit Blick auf das Schicksal der weltwirtschaftlich peripheren Mehrheitswelt geführt. Eine systematische Beachtung des Differenzprinzips würde den Zuschnitt der entsprechenden Abkommen beträchtlich verändern; denn Fairness gegenüber den Armen ist gewiss nicht das erste Anliegen, das sie bislang im Sinn führen.
4.3 Existenzrechte garantieren Die Idee des Weltbürgerrechts fand ihren juristischen Niederschlag in der Verfassung der Menschenrechte. Es war im Dezember 1948, drei Jahre, nachdem die Welt aus den Schrecken von Krieg und Holocaust wieder aufgetaucht war, dass die Vereinten Nationen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte jene Grundsätze verkündeten, die sich heute mehr denn je wie politische Sprengsätze ausnehmen: «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren» (Artikel 1) und «Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person» (Artikel 3).17 Zum ersten Mal wurden damit auf internationaler Ebene feierlich die Rechte von Einzelpersonen gesetzlich verankert. Denn für das Völkerrecht war die Welt bis zum Zweiten Weltkrieg nichts weiter als eine Arena konkurrierender Staaten; Rechte konnten daher nur Nationalstaaten beanspruchen. Jetzt aber identifiziert die Menschenrechtscharta die Menschen auf dem Erdball als eine moralische Gemeinschaft, deren Mitglieder allesamt gleiche und unveräußerliche Rechte besitzen, die der Jurisdiktion souveräner Staaten vorausliegen. Alle sechs – beziehungsweise damals drei – Milliarden Menschen, gleichgültig ob Reiche oder Arme, Männer oder Frauen, Weiße oder Schwarze, sind Träger von Rechten und von Pflichten; sie sind Bürger eines transnationalen Rechtsraums. Das kann als die juristische Revolution der Menschenrechte betrachtet werden.18
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Naturräume und Menschenrechte Jedem Bewohner der Erde, so sagt es die Erklärung der Menschenrechte, kommt dank seines Menschseins das Recht zu, ein würdiges Leben zu führen, also ein Leben, das physisch sicher ist und die Ausübung des eigenen Willens erlaubt. Denn ohne Schutz der körperlichen Integrität, ohne Basis für den Lebensunterhalt und ohne Äußerungs- und Handlungsfreiheit ist kein Mensch in der Lage, ein unverstümmeltes Leben zu führen. Dabei richten sich diese Rechte nicht gegen irgendwelche Böswillige, sondern gegen die Versuchung von staatlichen und anderen Mächten, Menschen als Manövriermasse zur Durchsetzung ihrer Interessen zu behandeln. In der Tat, die Idee der Menschrechte dreht das herkömmliche Verhältnis um: Bevor noch die Gesellschaft einen Anspruch gegen den Einzelnen geltend machen kann, kann der und die Einzelne auf legitime Ansprüche an die Gesellschaft pochen. Darin ist angelegt, dass die Menschenrechte eine politische Waffe in der Hand der Machtlosen werden konnten. Inzwischen sind die Unteilbarkeit und die wechselseitige Abhängigkeit der Menschenrechte im Grundsatz weitgehend akzeptiert.19 Es wäre in der Tat schwer einzusehen, warum Mangelernährung oder Krankheit die Handlungsfähigkeit von Menschen weniger beinträchtigen sollte als Pressezensur oder religiöse Verfolgung. Wem die wirtschaftlich-sozialen Rechte verweigert werden, dessen bürgerlich-politische Rechte sind meistens nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind. Und umgekehrt, die bürgerlich-politischen Rechte werden oft unterdrückt, um keine wirtschaftlich-sozialen Zugeständnisse an die Habenichtse machen zu müssen. Existenzrechte als der elementarste Teil der Menschenrechte umgreifen daher, was Personen zur ihrer Entfaltung als Lebewesen brauchen: gesunde Luft und genießbares Wasser, elementare Gesundheitspflege, angemessene Nahrung, Bekleidung und Wohnung20 – und ebenso das Recht auf soziale Teilnahme und Handlungsfreiheit. Existenzrechte machen den Kernbestand der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte aus, wie sie 1966 im «Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte»21 niedergelegt worden sind. Sehr oft geht erniedrigende Armut auf eine Verweigerung von Existenzrechten zurück. Denn verbreitetes Elend rührt weniger von einem Defizit an Geld als von einem Mangel an Macht her. Dabei ist vom Gesichtspunkt der Ressourcengerechtigkeit aus entscheidend, dass zur Sicherung der Existenzrechte den Naturräumen ein hoher Stellenwert zukommt. Weil Savannen, Wald, Wasser, Ackerboden und auch Fische, Vögel oder Rinder wertvolle Mittel zum Lebensunterhalt sein können, fällt hier das Interesse an Existenzsicherung mit dem Interesse an Umweltschutz überein. Und niemand ist stärker auf intakte Ökosysteme angewiesen als jenes Drittel der Weltbevölkerung, das für Nahrung, Kleidung, Behausung, Medizin und Kultur direkt
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vom unentgeltlichen Zugang zu den natürlichen Ressourcen abhängt. Mit der Zerstörung von Naturräumen werden daher ihre Existenzrechte untergraben. Gerade diese Gruppen stehen aber in einem latenten und manchmal offenen Konflikt mit den lokalen und globalen Ober- und Mittelklassen und deren Ressourcenhunger.22 Da werden Staudämme gebaut, um Wasser in Großstädte zu transportieren; da wird der beste Boden genutzt, um exotische Früchte für die globale Verbraucherklasse anzubauen; da werden Berge aufgebrochen und Flüsse vergiftet, um Metalle für die Industrie zu holen; da wird Biopiraterie betrieben, um Pharmazeutika gentechnisch zu optimieren. So ging im Oktober 2000 ein empörtes Raunen durch die Weltpresse, als die indische Schriftstellerin Arundhati Roy wegen Missachtung des Gerichts für einen Tag ins Gefängnis musste. Grünes Licht für den Weiterbau des mächtigen Narmada-Staudamms! «Seit zehn Jahren», schreibt Roy, «wird in Indien gegen den Sardar-Sarovar-Damm gekämpft, und es geht inzwischen um viel mehr als um einen Fluss ... Heute steht das Wesen unserer Demokratie auf dem Prüfstand. Wem gehört dieses Land? Wem gehören seine Flüsse? Seine Wälder? Seine Fische? Das sind gewaltige Fragen, und der Staat nimmt sie sehr ernst. Alle seine Institutionen – die Armee, die Polizei, die Verwaltung, die Gerichte – antworten darauf mit einer Stimme. Und nicht nur das, ihre Antworten waren eindeutig, heftig und brutal.»23 Immer wieder geraten die Natur-Lebensräume der Armen ins Visier der internationalen Ressourcenwirtschaft. Inzwischen hat sich die Suche nach Rohstoffquellen bis in die entlegensten Zonen der Kontinente und Meere vorgeschoben, da die leichter zugänglichen Vorkommen bereits erschlossen oder erschöpft sind. Dabei sind es ausgerechnet die Territorien von Ureinwohnern, die oft ins Netz weltweiter Ressourcenflüsse eingegliedert werden; ihre Landschaften werden degradiert und entweiht. Die Geschichte der Kolonialisierung bis in die Epoche der Globalisierung hinein ist ja gleichzeitig eine Geschichte der Landnahme. Von Tee und Zuckerrohr über Baumwolle und Eukalyptusbäume bis zu Kiwis und Garnelen werden Agrarsysteme aufgebaut, um den Tisch ferner Verbraucherinnen zu decken. Der Ressourcenkonflikt zwischen Unterhaltswirtschaften und Marktökonomie bildet die Wurzel aktueller Auseinandersetzungen um den Umbau der Natur für Plantagen, Aquakultur und Wasserreservoirs (Kapitel 3.2 und 3.3). Auch auf dem Saatgut oder auf bestimmten Pflanzen und Nutztiersorten könnte von nun an ein Preisschild kleben. Denn auf genmodifizierten Lebewesen liegt ein durch Patente geschütztes Eigentumsrecht: Bauern, die bislang unentgeltlich Samen tauschen, Schösslinge sammeln oder Tiere vermehren konnten, müssen nun Lizenzgebühren zur Nutzung der Natur bezahlen (Kapitel 3.4).
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Als Wirtschaftsraum stellt ein solcher Natur-Lebensraum wesentliche Ressourcen zur Selbstversorgung wie auch zur marktgängigen Produktion bereit, als Kulturraum vermittelt er oft die Verbindung der ansässigen Gemeinschaft zu ihren Vorvätern wie auch zur Transzendenz ihrer Götterwelt. Schwerwiegende Eingriffe in den Naturraum sind daher nicht nur von ökologischer und wirtschaftlicher sondern gleichzeitig von sozialer Bedeutung: Sie bedrohen die Lebensgrundlagen lokaler Gemeinschaften. Und dann verwandeln sich Belastungen in Unrecht; die betroffenen Menschen sind in ihren fundamentalen Rechten bedroht. Dann wirft Ressourcenungerechtigkeit Menschenrechtsfragen auf, und es entsteht die Elementarfrage der Demokratie: Haben wir ein Bleibe-, ein Existenzrecht in diesem Land? Menschenrechte, Menschenpflichten Die Rechte der einen sind die Pflichten von anderen. Freiheitsrechte verlangen, dass Machtträger nicht unterdrücken, Existenzrechte verlangen, dass die Gesellschaft dem Einzelnen die Mittel zum Lebensunterhalt zugänglich macht. In der internationalen Debatte allerdings blieb die Komplementarität von Rechten und Pflichten bislang im toten Winkel der Rechte-Rhetorik. Oft ist hier von Menschenrechten, selten aber von Menschenpflichten die Rede. Wie soll aber die Universalität der Menschenrechte jemals in die Wirklichkeit umgesetzt werden, wenn ihr nicht auch eine Universalität der Menschenpflichten gegenübersteht? Kann man Weltbürgerrechte postulieren, ohne gleichzeitig Weltbürgerpflichten ins Auge zu fassen? Während Artikel 29 der Menschenrechtserklärung nur andeutungsweise die unvermeidliche Schlussfolgerung zieht: «Jeder hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entwicklung seiner Persönlichkeit möglich ist», ist die «Erklärung der menschlichen Pflichten und Verantwortlichkeiten», wie sie im Jahre 1999 unter der Schirmherrschaft der UNESCO vorgelegt wurde, viel eher auf der Höhe der Zeit: «Die Mitglieder der Weltgemeinschaft tragen persönlich und gemeinsam Verantwortung dafür, den Respekt vor den Menschenrechten und den fundamentalen Freiheiten zu fördern.»24 Bemerkenswert ist dabei zunächst, dass als Weltgemeinschaft beileibe nicht nur Staaten angesprochen werden, sondern auch internationale Institutionen, transnationale Konzerne, NichtRegierungs-Organisationen und überhaupt alle Gemeinwesen. Das Souveränitätsprinzip verblasst heute; dafür aber sind multilaterale wie private Akteure im Aufschwung. Sie alle haben Einfluss darauf, ob eine politischwirtschaftliche Ordnung die Existenzrechte der Menschen erfüllt. Es wäre schlecht um die Menschenrechte bestellt, wenn in Zeiten der Transnationalisierung von Machtbeziehungen nach wie vor Staaten die alleinigen Pflichtenträger blieben. In einer globalisierten Welt kommt auch den nichtstaatlichen Akteuren eine Verantwortung für die Verwirklichung der Men-
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schenrechte zu.25 Im deutschen Recht übrigens spricht man von der «Drittwirkung» der Grundrechte, denn sie gelten auch im Verhältnis von Privatpersonen untereinander. So ist es auch auf Weltebene an der Zeit, die Drittwirkung der Menschenrechte – und zwar nicht nur in ihrer politischen, sondern auch in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung – zu akzeptieren (Kapitel 6.4). Gerade Existenzrechte werden nicht nur durch Gewaltakte verletzt, sondern auch durch das leise Wirken von Institutionen vorenthalten. Sie zu garantieren heißt daher, nicht nur Einschränkungen zu unterlassen, sondern auch Vorkehrungen zu ihrer Erfüllung zu treffen. Zu einer Menschenrechtspolitik gehört also nicht nur die Eindämmung der Macht, sondern auch der Einsatz der Macht. Im Übrigen kennt die menschenrechtliche Verantwortung drei Verpflichtungsstufen: Respekt, Schutz und Erfüllung. Prinzipieller Respekt etwa verlangt, soziale Institutionen so zu gestalten, dass sie nicht strukturell und auf Dauer fundamentale Rechte untergraben.26 Ein Schutz der Rechte kann verlangen, Handels-, Kartell- oder Ressourcengesetze einzuführen, um den Druck der Macht abzumildern. Und die Erfüllung von Rechten kann verlangen, Menschen – etwa über Landreformen – erst in die Lage zu versetzen, ihren Lebensunterhalt zu sichern.27 Die Erfüllung dieser Existenzrechte hat Priorität. Überleben geht vor besser leben.28 Diese Formel bezeichnet eine Grundpflicht, die sich für die Institutionen, national und in zunehmenden Maße international, aus der Anerkennung von Existenzrechten ergibt (Kapitel 6.1 bis 6.3). Für eine Stärkung ökologischer Existenzrechte ist eine doppelte Strategie nötig: den Spielraum der Machtlosen erweitern und die Macht der Wohlhabenden einschränken. Ungezählte Konflikte vor allem in den ländlichen Gebieten des Südens gehen darum, den Rechten lokaler Gemeinschaften auf ihre Ressourcen Anerkennung und Durchsetzung zu verschaffen. Weiden und Wälder, Felder und Saatgut, Frischwasser und saubere Luft sind unentbehrliche Quellen für Nahrung, Gesundheit, Materialien und Medizin. Darum deckt sich eine Politik des Rechtes auf Lebensunterhalt mit dem Interesse an Umweltschutz. Weil intakte Ökosysteme die Verwundbarkeit der Armen mindern, ist Naturschutz ein Kernstück einer Politik, die Armutsüberwindung ernst nimmt. Und weil umgekehrt wirksame Rechte der Bewohnerinnen die beste Gewähr dafür geben, dass die Ressourcen der Armen nicht mehr so leicht zu den Reichen umgelenkt werden, sind Rechte auf Lebensunterhalt ein Kernstück des Natur- und Artenschutzes. Ökologie und Überlebensrechte sind so aufs Engste verschränkt. Darum werden sich die Konflikte um das Menschenrecht auf eine intakte Umwelt nur entschärfen lassen, wenn die globale Klasse der Vielverbraucher ihre Nachfrage nach Naturressourcen zurückbaut. Erst wenn die Nachfrage nach Öl sinkt, lohnt es nicht mehr, Förderzonen im Urwald zu
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erschließen; erst wenn der Wasserdurst von Landwirtschaft und Industrie abklingt, bleibt genügend Grundwasser für Trinkwasserbrunnen in den Dörfern; erst wenn insgesamt die exzessive Verbrennung fossiler Stoffe beendet wird, sind die Existenzrechte der Armen nicht mehr von der Heimtücke des Klimawandels bedroht. Daraus folgt nichts weniger, als dass erst ressourcen-leichte Produktions- und Konsummuster in den wohlhabenden Ökonomien die Basis schaffen für eine menschenrechtsfähige Weltwirtschaft. So ergibt sich aus der Anerkennung elementarer Existenzrechte die Verpflichtung, einen Wirtschaftsstil zu verfolgen, der diese Rechte nicht untergräbt (Kapitel 5).
4.4 Ressourcenansprüche zurückbauen Die Aneignung der Naturschätze auf dem Planeten ist höchst ungleich verteilt. Nach wie vor empfiehlt es sich, die geläufige Faustformel im Kopf zu behalten: Gut 25 Prozent der Weltbevölkerung eignen sich etwa 75 Prozent der Weltressourcen an. Und es ist nicht schwer, in der konkreten Anschauung wiederzufinden, was die abstrakte Statistik mitteilt. Es reicht, sich den Kontrast zwischen einer durchschnittlichen Familie in den USA und einer ebensolchen in Bangladesh zu vergegenwärtigen. Die einen verfügen mit ihren Autos, ihren Kühlschränken, ihren Haushaltsgeräten, ihrem Air-Conditioning-System zu viert im Schnitt über 300 Energiesklaven, während die anderen mit der einen Glühbirne in der Hütte, der entfernten Wasserpumpe, der Gasflasche für den Herd, dem Moped des Familienvaters nur über drei Energiesklaven verfügen, also dreimal die Arbeitskraft eines Menschen über 24 Stunden und das ganze Jahr.29 Das Beispiel illustriert krasse Ungleichheit in der Ressourcenverteilung. Nur – kann man Ungleichheit von vornherein als ungerecht bezeichnen? Vieles in der Welt ist schließlich ungleich verteilt. Unter welchen Bedingungen schlägt Ungleichheit in Ungerechtigkeit um? Egalitarismus als Ausnahme In einem ersten Anlauf liegt es nahe zu sagen, angesichts der Gleichheit aller Menschen sollten Bangladeshi den gleichen Anteil an der Nutzung der Ressourcen der Erde, in diesem Fall der Energie, haben wie Amerikaner. In der Tat, die Naturgüter dieser Erde sind das gemeinschaftliche Eigentum aller Menschen. Lufthülle und Ozeane, Flora und Fauna machen zusammen jenes Gewebe des Lebens aus, das alle und jeden Menschen erhält. Es kommt jeder Generation als unverdientes Erbe zu, es wird von allen genutzt und soll intakt an die nächste Generation weitergegeben werden. Vor der Biosphäre sind alle Menschen gleich, so könnte man sagen; deshalb genie-
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ßen alle das gleiche Recht auf die Ressourcen der Erde. Insoweit die Biosphäre ein Gemeinschaftseigentum darstellt, hat es Sinn, vom ökologisch gleichen Recht aller Menschen auf die Ressourcen der Erde zu sprechen. Bei genauerem Hinsehen jedoch wachsen Zweifel. Denn was dem Postulat der Gleichheit entgegensteht, ist der Reichtum an Unterschieden in der Welt, und zwar in ökologischer wie in kultureller Hinsicht. Vom ökologischen Blickpunkt aus gedeihen die meisten Ressourcen – man denke an Öl, Wald, Fisch, Wasser, Humus, Erze – keineswegs als Teil des globalen Ökosystems, sie sind vielmehr Komponenten regionaler oder lokaler Ökosysteme. Global sind sie nur in einem mittelbaren, systemischen Sinn, in einem unmittelbaren, handgreiflichen Sinn aber territorial gebunden und unter dem Eigentumsanspruch direkter Bewohner und Nutzer. Es ist offensichtlich abwegig, die Almgebiete in den Alpen oder die Mangrovenwälder vor der Küste Tansanias als globale Ressourcen zu bezeichnen, auf die alle einen Anspruch hätten. Auch wenn die lokalen Nutzer eine Verpflichtung als Treuhänder haben, die ihnen anvertrauten Naturgüter für das Wohlergehen des Großen und Ganzen zu bewahren, sind lokale Naturgüter im konkreten Sinne keine globalen Gemeinschaftsgüter. Es ist gerade die Verschiedenheit der Naturräume, welche die Mannigfaltigkeit der Biosphäre ausmacht. Ebenso vielfältig wie die Naturräume sind die Kulturräume auf der Erde. Ob Geld oder Ehre oder Macht wichtige Güter sind, ob man sie durch Familienstatus, Anstrengung oder Gnade erlangt, all das ergibt sich zuvörderst aus Geschichte und Kultur eines Landes. Vorstellungen zur Verteilungsgerechtigkeit sind ebenso vielfältig wie die Kulturen, aus denen sie hervorgehen. Aus diesem Grunde kann Verteilungsgerechtigkeit im globalen Maßstab nicht bedeuten, Menschen gleiche Positionen oder Ressourcen zuzusprechen, egal in welchem politisch-kulturellen Gemeinwesen sie leben.30 Allerdings gilt diese Regel nicht, wenn es sich um Ressourcen handelt, von denen alle oder doch sehr viele abhängen, die an kein Territorium gebunden sind, oder die von allen Gesellschaften nachgefragt werden und die sich zu erschöpfen drohen. Vor allem die Atmosphäre als Senke für Kohlendioxidemissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger ist eine solche Ressource: Sie ist nicht eingelassen in ein lokales Ökosystem, sie ist ein globales System, hoch nachgefragt und in ihrem Aufnahmevermögen inzwischen an der Obergrenze. Kein Land und kein Einzelner kann deshalb auf Dauer Zugangsrechte zu diesem globalen Gemeinschaftsgut zu Lasten anderer beanspruchen, es sei denn, eine Abweichung vom Gleichheitsgrundsatz wird ausgehandelt und akzeptiert. Vor allem in der Klimapolitik trägt daher der equal entitlement approach, der Ansatz gleicher Ressourcenrechte für alle Erdenbürger;31 die meisten anderen Ressourcen sperren sich gegen eine einfache Formel der Gleichverteilung (Kapitel 6.2).
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Überleben vor Wohlstand Ungleiche Ressourcenaneignung kann durchaus gerechtfertigt sein; beileibe nicht jedes Land muss soviel Holz nutzen wie Finnland, Wasser wie Deutschland, Fische wie Bangladesch oder Öl wie Quatar. Überdies ist die Weltgesellschaft eine Gesellschaft in der Schwebe. Ihre Verflechtung wächst zwar, aber von einer einigenden institutionellen Struktur oder gar einem verbindenden Weltbild kann noch kaum die Rede sein. Aus diesen Gründen hatte John Rawls davon Abstand genommen, sein Differenzprinzip auf die Weltverhältnisse auszuweiten.32 Mit seinem methodischen Patriotismus warnt er vor einer kosmopolitischen Illusion. Trotzdem, eine solche Zurückhaltung lässt sich nicht länger aufrechterhalten; der noch schwachen Gesellschaftlichkeit der Welt muss zumindest eine beginnende Verteilungsgerechtigkeit entsprechen. John Rawls weiterdenkend ist es daher angezeigt, seinem internen Differenzprinzip ein externes Schadenvermeidungsprinzip an die Seite zu stellen. Das heißt: Alle Regelungen, national wie international, sind so zu treffen, dass sie nicht die Lage der weniger Begünstigten verschlechtern.33 Das kann als die Basisregel der Verteilungsgerechtigkeit gelten. Sie zielt nicht auf Umverteilung, sondern auf Fairness. Und es kann als der Hauptverstoß gegen Fairness gelten, Vorteile herauszuholen, indem man die Lage der Schwächeren ausnutzt. Legt man diese dem Anschein nach bescheidene Regel als Prüfkriterium an Entscheidungen in internationaler Wirtschaft und Politik, ist eine erhebliche Veränderung der Prioritäten fällig. Gegenwärtig sind sowohl Investitionsentscheidungen wie Politikverhandlungen davon geprägt, in der Auseinandersetzung mit Konkurrenten den eigenen Vorteil zu maximieren – ohne große Rücksichten auf die Kosten für die am wenigsten Begünstigten, die gewöhnlich auch gar nicht am Tisch der Entscheidungen sitzen. Beispieleliegen auf der Hand: Bei multilateralen Agrarverhandlungen wird um Konkurrenz vorteile zwischen Agrarexportländern gerungen, doch die Lage von Kleinbauern wird ignoriert; bei Klimaverhandlungen werden Emissionsgrenzen ins Auge gefasst, welche die Wohlfahrtsverluste für Industrieländer minimieren, aber den Verlust von Überlebensrechten durch Klimawandel bei Fischern, Bäuerinnen und Deltabewohnern in der südlichen Hemisphäre in Kauf nehmen. Es widerspricht der Gerechtigkeit, wenn die einen Vorteile auf Kosten großer Nachteile für die anderen erwirtschaften. Fairness verlangt, die eigenen Vorteile zurückzustellen, sobald durch deren Wahrnehmung die bereits Schwachen noch mehr beschädigt werden. Die Minimalregel der Verteilungsgerechtigkeit fällt so in eins mit der Achtung der Existenzrechte weltweit. Es ist in jedem Fall ungerecht, Überlebensbedürfnisse der einen den Wohlstands-Bedürfnissen der anderen zu opfern.
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Freiheit vor Überverbrauch Die Pointe der Gerechtigkeit liegt nicht darin, allen Weltbürgerinnen ein gutes Leben zu garantieren, wohl aber allen die Freiheit zu lassen, ihr jeweiliges Projekt eines guten Lebens zu verfolgen. Eine Theorie der Gerechtigkeit sollte daher als Freiheitstheorie und nicht als Glückstheorie angelegt sein.34 Eine weltbürgerliche Theorie der Gerechtigkeit wird davon ausgehen, dass die Menschen und die Gesellschaften auf dem Erdball grundverschieden sind in ihren Lebensweisen und ihrem Streben. Gleichheit ist eben nicht Gleichartigkeit. Und doch ist allen ein Interesse gemeinsam, nämlich das Interesse an der Freiheit, ihre Eigenart und ihren Eigensinn zu leben. Eine pflichtenzentrierte Theorie der Gerechtigkeit – als deren prominentester Vertreter Immanuel Kant gelten kann – wird das Gebot verantwortlichen Handelns aus der Erfordernis begründen, die Freiheit anderer zu respektieren. Auch der Umgang mit Naturressourcen in einer vernetzten Welt muss sich am Freiheitskriterium messen. Er geschieht erst dann aus dem Geist globaler Verantwortung, wenn er es darauf anlegt, die Freiheit der Menschen und Gesellschaften auf dem Globus nicht einzuschränken. Die Freiheit von Ländern und Gesellschaften wird geachtet, wenn ihnen nicht die für ihre Entwicklung erforderlichen Naturressourcen vorenthalten werden. Nachdem Wellen der Industrialisierung über die Welt gegangen sind, ist jede Gesellschaft über Nahrung, Pflanzen und intakte Ökosysteme hinaus auch auf Energie, Treibstoff, Metalle und Mineralien angewiesen. Wenn man Entwicklung – mit Amartya Sen35 – als einen Prozess versteht, der die realen Freiheiten der Menschen erweitert, dann ist die Freiheit der Gesellschaften zu einer selbstbestimmten, ebenbürtigen Entwicklung nicht ohne eine ausreichend starke Ressourcenbasis zu haben. Wie immer «Entwicklung» zu verstehen ist, sie ist die Chiffre für das Verlangen, endlich auf gleiche Augenhöhe mit den mächtigeren Ländern zu kommen. Entwicklung steht dann, kurz gesagt, für die Überwindung internationaler Ungerechtigkeit. Nun kann Überwindung von Ungerechtigkeit vieles heißen, von Armutshilfe zur Wachstumsförderung, von Staudammprojekten zu Marshallplänen. Sieht man aber die Maxime der Gerechtigkeit im Respekt vor der Freiheit der anderen, wird man als das Feld für die Überwindung der Ungerechtigkeit nicht die Peripherie, sondern die Zentren wählen. Das versteht sich beileibe nicht von selbst; denn die meisten Initiativen, die im Namen größerer Gerechtigkeit gestartet werden, wie etwa Armutsbekämpfung, AIDS-Hilfe oder Vergabe von Mikrokrediten, suchen Menschen oder Strukturen im schwächeren Land zu verändern. Sie sind interventionistisch. Im Vordergrund steht dann, die Armen hochzupäppeln, und selten genug, den Reichen Schranken zu setzen. Für eine Haltung des Respekts gegenüber
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der Freiheit anderer einzutreten bedeutet aber, sich nicht auf die Rechte der Schwachen zu konzentrieren, sondern auf die Pflichten der Starken. Nicht universelle Rechte zu postulieren, sondern ihr Gegenstück, universelle Pflichten, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken war bekanntlich der entscheidende Schachzug der Kant’schen Ethik. Wenn alle ihren Freiheitsraum genießen wollen, dann ist die Freiheit des einen die Grenze für die Freiheit des anderen. Daraus ergibt sich eine Richtschnur für jeden Mitspieler: Keiner darf sein Handeln auf Prinzipien gründen, die nicht universalisierbar sind, also dem Grundsatz nach von allen anderen ebenfalls übernommen werden können. Oder wie die erste Formulierung des kategorischen Imperativs in der «Grundlegung zur Metaphysik der Sitten» lautet: «Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.» In einer Kant’schen Perspektive lässt sich daher Ungerechtigkeit so definieren: Politische und wirtschaftliche Institutionen sind ungerecht, wenn sie auf Prinzipien gründen, die nicht von allen Nationen übernommen werden können. Gerecht sind sie, wenn ihre Prinzipen von allen übernommen werden könnten, weil sie niemandes Freiheitsraum beschneiden.36 Für kaum ein anderes Feld trifft das Denken Kants so zu wie für das Feld der internationalen Ressourcenverteilung. Der Umweltraum ist weitgehend von den starken Nationen in Beschlag genommen, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass die schwächeren Nationen nicht mehr auf jene Anteile zurückgreifen können, die sie für eine autonome und ebenbürtige Entwicklung brauchen. Die äußere Freiheit der wirtschaftlich weniger starken Gesellschaften ist ernstlich beschnitten, heute schon und erst recht für die Zukunft, zugunsten enormer Freiheitschancen der starken Gesellschaften. Deshalb ist das System der Ressourcenverteilung ungerecht. Verstärkt wird diese Ungerechtigkeit durch zwei weitere Faktoren: die Zahl der Bürger und die Endlichkeit der Ressourcen. Die schwächeren Länder stehen vor der Herausforderung, einer rasch wachsenden Anzahl von Bürgern eine Heimstatt zu geben; daher ist eine Beschränkung ihrer Freiheitsrechte doppelt drückend. Erst recht aber spitzt die zunehmende Knappheit wichtiger Ressourcen die Ungerechtigkeit ungleicher Ressourcenverteilung zu. Die Ressourcenverteilung wird zu einem Nullsummenspiel, in dem der Gewinn des einen den Verlust des anderen bedeutet. Aus der Überaneignung des Umweltraums wird Raub. Darum liegt in der Verschränkung von Ungleichheit und Begrenzung die Sprengkraft der globalen Ressourcenverteilung. In der Linie des Kant’schen Denkens wird auch erkennbar, was eine global gerechte Ressourcenverteilung bedeutet. Jede Gesellschaft wird dann ihren Ressourcenverbrauch nach Regeln einrichten, die im Grundsatz von allen anderen übernommen werden können. Die Überaneignung des Umwelt-
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raums durch wenige starke Länder auf Kosten vieler schwächerer Länder widerspricht diesen Regeln. Deshalb wird der Rückbau des Ressourcenverbrauchs in den reichen Ländern zum kategorischen Imperativ der Ressourcengerechtigkeit (Kapitel 5).
4.5 Austausch fair gestalten Zu den Leitbildern weltbürgerlichen Handelns gehört auch ein Handel, der die Interessen aller an ihm Beteiligten wahrt. Güteraustausch wird zwischen Menschen von alters her getätigt; er gehört zu den Handlungen, die den Menschen zum Gesellschaftswesen machen. Dabei waren und sind die Regeln für Tauschgerechtigkeit weit weniger strittig als etwa jene für Verteilungsgerechtigkeit. Was den fairen Tausch auszeichnetest die Gleichwertigkeit zwischen Nehmen und Geben. Im Tausch kann sich eine gelungene Beziehung nur herausbilden, wenn keiner der Beteiligten auf die Dauer schlechter dasteht; denn dann ist mit der freien Kooperationsbereitschaft des Verlierers nicht mehr zu rechnen. Aus dem Tausch, der ein Bindemittel für den Zusammenhalt eines Gemeinwesens ist, wird dann ein Sprengsatz für dessen Zerfall. Und doch kann die Frage nach dem gerechten Tausch zu einem immer neuen Konflikt werden. Gewiss, Gleiches soll im Austausch mit Gleichem vergolten werden; aber was ist gleich? Wonach bemisst sich der Wert der zu tauschenden Waren oder Dienste? Wie kann man erkennen, wann Gleiches mit Ungleichem getauscht wird? Die Antworten schwanken im Großen und Ganzen zwischen zwei Polen. Die Vertreter einer objektiven Werttheorie – von Thomas von Aquin über Karl Marx bis zu Nicholas Georgescu-Roegen – bestehen darauf, dass das Arbeitsquantum bzw. Naturquantum, das einem Produkt innewohnt, letztendlich seinen Wert bestimmt. Demgegenüber unterstreichen die Vertreter der subjektiven Werttheorie – lange eine kleine Minderheit bis zum Aufstieg der neo-klassischen Wirtschaftslehre –, dass der Wert von der Knappheit eines Produkts im Wechselspiel von Nachfrage und Angebot abhängt. Wie so oft in unauflösbaren Grundsatzfragen sind beide Positionen zutreffend und falsch zugleich; sie entspringen unterschiedlichen Perspektiven. Die eine rührt vom Interesse an Effizienz, die andere vom Interesse an Gerechtigkeit her. Wer sich entschließt, die Ungerechtigkeit von Tauschverhältnissen ins Visier zu nehmen, wird davon ausgehen, dass dem Unterlegenen etwas vorenthalten wird, was ihm zusteht. Dabei handelt es sich nicht immer um ein objektiv messbares Defizit, vielmehr oft um ein Urteil über das Verhältnis zwischen den Akteuren. Ein Tauschverhältnis kann als ungerecht bezeichnet werden, wenn sich durch die Transaktionen über die
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Dauer die relative Position des Unterlegenen weiter verschlechtert. Wenn ein Verhältnis drastisch unausgewogen ist, findet die darin investierte Leistung des Unterlegenen zu geringe Anerkennung; insoweit kann die Gerechtigkeitsdiskussion nicht ohne Urteil über einen objektiven Sachverhalt auskommen. Die Ungleichheit im Austausch spiegelt darum die Ungleichwertigkeit in den Beziehungen. So führt auch die Untersuchung der Tauschgerechtigkeit auf internationaler Ebene zu der Frage zurück, welche Beziehungen die aufsteigende Weltgesellschaft herstellen will. «Das gerechte Tauschverhältnis», so resümiert Serge Latouche, «muss man suchen, indem man daran denkt, dass wir mit unseren Partnern eine Gesellschaft bilden und ihre Probleme die unseren, aber auch die unseren die ihren sind.»37 Abschöpfung und Wertschöpfung Gegenwärtig kann in den Handelsbeziehungen zwischen der nördlichen und der südlichen Hemisphäre von Tauschgerechtigkeit wenig die Rede sein. Wer hat, dem wird gegeben – diese Losung regiert das Geschehen auf den Weltmärkten. Schon früh ist es gerade im Fernhandel selten mit feinen Manieren zugegangen. Weder die Stadtrepublik Venedig, deren Kaufleute Pfeffer, Zimt und Seide aus dem Orient zur Versteigerung auf den RialtoMarkt brachten, noch England, dessen Handelsschiffe Baumwolle, Zucker und Indigo aus Indien heranschafften, wollten darauf verzichten, auf den Beschaffungsmärkten mit List und Gewalt die Kosten zu drücken, um auf den Absatzmärkten mehr herauszuschlagen. Und mehrere Jahrhunderte hindurch bestand kein Wechselverhältnis, über welches die Opfer den Kolonialmächten die Erniedrigung hätten heimzahlen können. Doch in einer schrumpfenden, mehr und mehr verflochtenen Welt hat sich der Kontext von Ungerechtigkeit und Ausbeutung dramatisch verändert: Die Verlierer wandeln sich von entfernten Fremden zu vernetzten Weltbürgern. Was aber kann man denen zumuten? Noch immer regiert Ungleichheit die Tauschbeziehungen zwischen denen, welche die Ressourcen bereitstellen, und denen, welche die mit ihnen geschaffenen Produkte auf die Märkte bringen. Dabei mischen sich Konstellationen des ökologisch ungleichen Tausches mit solchen des ökonomisch ungleichen Tausches. Ökologisch gesehen importieren Industrieländer und -zonen mehr Stoffe und Energien, als sie exportieren; vor allem gegenüber den Südländern ist ihre stoffliche Handelsbilanz alles andere als ausgeglichen (Kapitel 2.2). Allerdings ist dabei das schiere Volumen an Erdölbarrels, Holzmetern, Kupfertonnen nur eine Seite der Geschichte, die andere ist die Qualität. Unter dem Blickwinkel der Thermodynamik erfolgt bei der Umwandlung von Rohstoffen im Allgemeinen eine energetische Reorganisation, die den Gehalt an nutzbarer Energie reduziert. Wie nämlich die Umwandlung von Kohle zu Strom unvermeidlich Abwärme freisetzt, so er-
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folgt auch bei der Verarbeitung von Bauxit zu Autos oder von Eisenerz zu Stahlträgern insgesamt ein Verlust an nutzbarer Energie, es entsteht so genannte Entropie. Die gegenwärtigen Austauschverhältnisse des Welthandels führen dazu, dass ein Nettotransfer von hoher nutzbarer Energie, so genannter Syntropie, von der Peripherie zu den Zentren stattfindet. Mit den Worten der Thermodynamik lässt sich also zugespitzt sagen: Der Süden liefert Syntropie, der Norden produziert Entropie. Der wirtschaftliche Wohlstand der transnationalen Verbraucherklasse hängt entscheidend davon ab, die Lagerstätten von Stoffen mit hoher innerer Energie, also gewissermaßen die Syntropie-Inseln der Erde anzapfen zu können.38 Die Umwandlung von Bauxit zu Autos erfordert indes einen enormen Input an Arbeit. Inwieweit der Tausch von Produkten mit hohem «Arbeitsgehalt» gegen Rohstoffe mit hohem «Syntropiegehalt» – aber auch der Tausch vieler Tonnen Rohstoffe gegen relativ wenige Endprodukte – fair ist, ergibt sich zu einem guten Teil aus den Preisrelationen zwischen Importen und Exporten: Je weniger man für Importe ausgeben muss und je mehr man an Exporten verdienen kann, umso leichter fällt der Austausch. Doch was des einen Glück, ist des anderen Unglück. Fallende Preise für Rohstoffe und steigende für Industriewaren oder Kapital bringen die Südländer in die Klemme (Abbildung 17): Sie sind dann auf Gedeih und Verderb gezwungen, für denselben Gegenwert fortlaufend mehr Rohstoffe zu exportieren (Kapitel 3.2). Ökonomisch gesehen ist in der Tat die säkulare Tendenz zur Verschlechterung der Handelsbedingungen zwischen den Nord- und Südländern vorherrschend: Während des gesamten 20. Jahrhunderts sind die Rohstoffpreise (ohne Öl) jedes Jahr um ungefähr ein Prozent relativ zu den Industrieprodukten zurückgegangen, seit den frühen 1970er Jahren sind die realen Preise um zwei Drittel gefallen.39 Daher stehen zahlreiche Südländer unter einem chronischen Druck, mit gesteigerten Rohstoffexporten Devisen zu verdienen. So wirkt der Verfall der terms of trade wie ein Schmiermittel für den Syntropie-Transfer von Süd nach Nord; die ökonomische Asymmetrie ist die Basis für die ökologische Asymmetrie. Was sich im Handel zwischen den Nationen an Strukturen der Ungleichheit herausgebildet hat, spiegelt sich auch in den Binnenbeziehungen transnationaler Produktionsketten. Schließlich ist ja die gewohnte Vorstellung vom «Handel» mit der grenzüberschreitenden Mobilität des Kapitals zum erheblichen Teil hinfällig geworden. Es geht bei der Globalisierung nicht mehr darum, dass Nationen sich wechselseitig mit den Dingen ausstatten, die sie nicht selber besitzen. Vielmehr wird die Welt zu einer durchgängigen Wirtschaftsarena, in der die gleichen Erzeugnisse im Prinzip überall miteinander konkurrieren. Wertschöpfungsketten werden so über den Globus gespannt, dass ihre einzelnen Glieder sich an den jeweils günstigsten Standorten befinden, um aus der Summe der Rationalisierungsgewinne
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Abb. 17: Verfall von Güterpreisen auf dem Weltmarkt (1970–2003).40 Zwischen 1980 und 2002 sanken die Preise für Agrargüter um 47, für Rohöl und für Minerale um 35 Prozent. Dabei wurde der Preisverfall von starken Preisschwankungen begleitet.
den entscheidenden Vorsprung auf den Märkten zu sichern. Im Verhältnis dieser Glieder untereinander, statt zwischen Nationen, vollzieht sich nun der ungleiche Tausch, und zwar der ökologische wie der ökonomische. Für ein T-Shirt – schätzungsweise 90 Prozent aller in Deutschland verkauften Kleidungsstücke kommen aus dem Ausland41 – verläuft zum Beispiel die Wertschöpfungskette vom Baumwollanbau im Punjab und der Spinnerei in Lahore zur Färberei in Vietnam und zur Näherei in Südchina, die wiederum einem schwedischen Markenhersteller zuliefert, der seinerseits nach den Vorgaben eines Designbüros in Mailand und einer Marketingfirma in der Schweiz die Hemden über eine Einzelhandelskette in deutschen Städten absetzt. An jedem Übergang werden im Wesentlichen Materialien und Löhne entgolten, und an jedem Übergang versucht der jeweilige Verkäufer gegenüber dem Käufer einen Gewinn zu erzielen, indem er einen Preis durchsetzt, der möglichst weit über seinen Beschaffungskosten liegt. Dabei ist der Erzeuger häufig das schwächste Glied in der Kette. Er ist erpressbar, weil er sein «Kapital» – etwa Land, Fruchtfolge, Klima, Körperkraft – nicht einfach anderswo investieren kann. Daher kommt es, dass gerade im Welthandel das Entgelt der Erzeuger als das weiche Element im Warenpreis gilt,42 während die nach gelagerten Handels-, Design- und Vertriebsdienstleistungen den Löwenanteil der Differenz zwischen Erzeuger-und Verbraucherpreis vereinnahmen. Bei der Textilkette etwa bleiben nur ein paar Prozent des Endpreises bei den Rohstoffproduzenten und knapp 20 Prozent bei
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der Verarbeitung; der Rest wird durch Dienstleister abgeschöpft, die meistens in den Konsumländern zuhause sind. Es hängt letztendlich von der Macht der beteiligten Akteure ab, wie Gewinne und Verluste, und zwar ökologische und ökonomische, entlang der Kette verteilt sind. So taucht die Frage der Tauschgerechtigkeit in globalen Produktionsnetzwerken wieder auf, vielfach verteilt zwar, aber doch ablesbar an der Kluft zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreisen. Von Fair Trade lernen In den Debatten der 1970er Jahre um eine neue internationale Wirtschaftsordnung gab es auch ein Tauziehen um Preisstabilisierungsfonds für Rohstoffe. Seitdem hat sich die große Politik vom Thema Tauschgerechtigkeit verabschiedet. Stillschweigend verrichten der Markt und die dominanten Akteure der Produktketten, die transnationalen Unternehmen, ihr Werk der Deklassierung. Die Regierungen geben sich machtlos gegenüber dem systemischen «An-den-Rand-Drängen» zahlreicher Länder und großer Bevölkerungsgruppen innerhalb der Weltgesellschaft. In diesen Fällen bewirkt der Markt die Segregation statt der Integration des globalen Gemeinwesens. Während jedoch für die Gipfeldiplomatie der gerechte Preis kein Thema mehr ist, wird er von der Basis aus in der Bewegung für fairen Handel zum Leitstern. Unter den Marken TransFair in Deutschland, Max Havelaar in Holland oder FairTrade in England haben sich Handelsorganisationen gebildet, die den Austausch zwischen Erzeugern und Verbrauchern zum Motor für mehr Gerechtigkeit und Umweltschutz machen wollen. Handel, das ist ihr Ausgangspunkt, ist die Alternative zur Barmherzigkeit. Im Slogan «Handel, nicht Hilfe» kristallisiert sich die Einsicht, dass der durch Anstrengung und Intelligenz erworbene Anspruch auf Entgelt den einzig würdigen Weg aus Not und Randständigkeit weist.43 Offensichtlich baut nicht jeder Handel diese Brücke; deshalb gingen die Fair-Trade-Organisationen daran, Handelsketten zwischen südlichen Erzeugern und nördlichen Verbrauchern aufzubauen. Sie sollen Ersteren einen gerechteren Preis und Letzteren eine ethische Konsumoption ermöglichen. Ob fair gehandelte Bananen, Kaffee oder Kinderspielzeug, das Prinzip ist überall dasselbe: Ein höherer Endpreis sorgt für ein besseres Einkommen der Erzeuger und – zunehmend – für eine bessere ökologische Qualität der Produkte. Damit wird mit der unseligen Tendenz profitorientierter Märkte gebrochen, soziale und ökologische Kosten so weit irgend möglich nach außen zu verlagern, sie also auf den Schwächeren abzuschieben. Mit «unwahren» Preisen werden nicht nur Arbeit und Umwelt degradiert, auch die Konsumenten werden unwillentlich zu Komplizen von Menschenverachtung und Naturzerstörung. Ein fairer Preis ist wirtschaftlich ausgedrückt ein Vollkostenpreis; er soll neben der Kompensation für die Produktionskosten den
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Menschen einen anständigen Lebensunterhalt mit einer Marge für Zukunftsinvestitionen ermöglichen und der Natur die ungebrochene Regenerationsfähigkeit. Es wäre nicht erstaunlich, wenn künftige Historiker auf die Fair-TradeBewegung als auf ein Laboratorium für die Neugestaltung der Weltökonomie zurückblickten. In einer Nische werden da Prinzipien ausprobiert, die eines Tages zu Bausteinen einer zukunftsfähigen Welthandelsordnung werden können. Dabei kann man sich vorstellen, dass die Prinzipien des Fair Trade auf zwei Ebenen an Einfluss gewinnen: bei Handelsabkommen zwischen Staaten sowie bei der Kooperation zwischen den Akteuren eines globalen Produktionsnetzwerks. Statt nur Deregulierung durchzusetzen, würden Handelsabkommen im Geiste des Fair Trade auf einen Ausgleich der Interessen abzielen. Im Mittelpunkt steht dabei die Absicht, Austausch nicht auf Kosten der Schwächeren, ihrer Entwicklungschancen, ihrer sozialen Rechte, ihrer Naturressourcen stattfinden zu lassen. In Übereinkünften lassen sich Regeln und Standards formulieren, welche der verdeckten Subventionen niedriger Erzeugerpreise durch Verarmung und Umweltzerstörung entgegensteuern (Kapitel 6.3). Auf der anderen Seite können in solchen Übereinkünften auch die Abnehmer ihre Interessen zur Geltung bringen – etwa an menschenwürdigen Verhältnissen oder an umweltverträglich produzierten Gütern. Ähnliche Maßstäbe können bei der Kooperation zwischen den Akteuren entlang einer transnationalen Wertschöpfungskette wirksam werden. In Zielvereinbarungen werden dabei für die Zulieferer Leistungen festgelegt, welche die Sozial- und Umweltverträglichkeit in der Herstellung von Vorprodukten gewährleisten. Ihnen stehen entsprechende Verpflichtungen der Abnehmer gegenüber, diese Leistungen zu unterstützen und durch höhere Preise zu honorieren. Die Kosmetikkette The Body Shop zum Beispiel hat mit ihrem Community Trade Programme vorgemacht, wie Fair-Trade-Prinzipien in die Geschäftsbeziehungen zu Zulieferern eingebaut werden können: Beim Erwerb von Naturstoffen für Körperlotionen und Shampoos aus pflanzenreichen Gebieten des Südens sucht die Firma eine faire Kooperationsbeziehung zu einheimischen Gemeinschaften aufzubauen. Auf der einen Seite garantieren die Einkäufer Marktzugang, einen angemessenen Preis, Langfristverträge und Hilfen für kommerzielle oder soziale Investitionen, auf der anderen Seite tragen die Erzeuger Sorge für eine arbeiterfreundliche, umweltverträgliche und gemeinschaftsfördernde Produktion.44 Solcherart Vereinbarungen fügen sich in die Tendenz, die Stufen globaler Produktionsketten über die Anforderungen der Logistik – wer liefert was, wo und wann? – hinaus auch über gemeinsame Qualitäts- und Effizienznormen miteinander zu verbinden. Wenn Unternehmen über supply chain management nach besserer systemischer Integration der Stufen entlang einer
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Kette streben, bietet es sich an, auch gemeinsame Sozial- und Umweltstandards zum Kennzeichen eines Produktionsnetzwerks zumachen. Denn globale Unternehmensnetzwerke sind mehr als nur kommerzielle Zweckbündnisse; sie sind vielmehr Subsysteme der Weltgesellschaft, denen nicht gestattet sein kann, im Gegensatz zu kosmopolitischen Werten zu operieren. Im Gegenteil, erst wenn globale Produktionsnetzwerke in Synergie mit Menschenrechten und Umweltschutz stehen, kann man auf eine zukunftsfähige Weltgesellschaft hoffen (Kapitel 6.4).
4.6 Chancen ungleich einräumen In einer sarkastischen Aufwallung spottete einmal Anatole France über den «majestätischen Egalitarismus des Gesetzes, das den Reichen und Armen gleichermaßen verbietet, unter Brücken zu schlafen, auf Straßen zu betteln und Brot zu stehlen». Dieser Aphorismus spießt erneut die Ungerechtigkeit auf, die daraus entstehen kann, wenn alle gleich behandelt werden. Aber hier kommt ein neuer Gesichtspunkt ins Spiel: Es kommt auf die Ausgangsbedingungen an. Alle als Gleiche anzuerkennen, kann nicht heißen, alle gleich zu behandeln; es ist vielmehr gerecht, nur die Gleichstarken gleich, aber die ungleich Starken ungleich zu behandeln. Deshalb gehört von alters her zur Praxis der Gerechtigkeit die Kunst der iustitia correctiva, der ausgleichenden Gerechtigkeit. Sie bedeutet, Benachteiligten zum Ausgleich Startvorteile einzuräumen. Wird diese kompensierende Funktion der Gerechtigkeit missachtet, dann führt das Gleichheitsgebot bei ungleichen Ausgangsbedingungen zur Fortsetzung der Ungleichheit. In einer Welt krasser Ungleichheiten alle Nationen gleich zu behandeln läuft auf eine Stabilisierung von Privilegien hinaus; größere Gerechtigkeit ist nur zu erwarten, wenn die Schwachen begünstigt und die Starken belastet werden. Gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortlichkeiten Dass von Fairness keine Rede sein kann, wenn die Starken die Schwäche der Schwachen ausnutzen können, diese Einsicht ist auch den Regularien der Welthandelsorganisation (WTO) nicht fremd. Unter der Formel des Special and Differential Treatment, der besonderen und unterschiedlichen Behandlung, ist dort das Prinzip eingeführt, Handelsregeln nach dem Grad der wirtschaftlichen Entwicklung zu differenzieren. So wird Entwicklungsländern hin und wieder zugestanden, mit Maßnahmen zur Marktöffnung nicht ebenso weit gehen zu müssen wie stärkere Länder, wie umgekehrt von stärkeren Ländern erwartet wird, den schwächeren Ländern bevorzugten Zugang zu ihren Märkten zu verschaffen. Nach Artikel XI, 2 des Übereinkommens von Marrakesch brauchen die am wenigsten entwickelten
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Länder Verpflichtungen sogar nur so weit zu übernehmen, als es ihrer Leistungsfähigkeit entspricht. Damit wird anerkannt, dass drastisch ungleiche Länder nicht über einen Leisten geschoren werden können. Wie anders soll jemals, etwa bei der Weizenproduktion, die handgeführte Sichel eines syrischen Bauern gegenüber dem Mähdrescher eines kanadischen Landwirts bestehen können? Freilich ist dieses Prinzip in der Welthandelsorganisation bis heute weder ernsthaft genug realisiert worden, noch geht es weit genug. Denn die WTO basiert auf der Annahme, dass Freihandel letztendlich allen gleichermaßen dient, und sie geht davon aus, dass die Entwicklungsländer mit dem Freihandel genau jenes Rezept übernehmen sollen, das die Industrieländer einst stark gemacht hat. Doch es ist durchaus fraglich, ob die Grundidee der WTO, weltweit den Staaten Freiheiten zu nehmen und den grenzüberschreitenden Unternehmen umfassende Freiheiten zu geben, den Entwicklungschancen der Schwächeren Auftrieb gibt oder ihnen eher einen Absturz beschert. Der historische Befund zeigt: Weitaus die meisten Industrieländer, unter ihnen England und die USA, setzten sich erst für Freihandel ein, als sie sich bereits eine gewisse Vorherrschaft gesichert hatten; in der Zeit davor suchten sie sich mittels Subventionen, Zöllen und anderen Interventionen gegen die Stärkeren zu schützen.45 Heute wird den Entwicklungsländern der Freihandel aufgedrückt; den Protektionismus als Schonfrist, wie ihn die Industrieländer in ihrer Frühphase pflegten, dürfen sie sich nicht mehr erlauben. Ginge es der WTO in erster Linie um die ebenbürtige Entwicklung der schwächeren Volkswirtschaften, müsste für geraume Zeit das Special and Differential Treatment die Regel und nicht die Ausnahme darstellen (Kapitel 6.3). Besonders schwer erträglich ist eine Benachteiligung unter dem Mantel der Gleichheit, wenn die Stärkeren im Gefolge der Kolonialgeschichte für die schlechte Ausgangslage der Schwächeren eine historische Mitverantwortung tragen. Es ist schwerlich als gerecht anzusehen, wenn Positionen einseitigen Vorteils, die in der Vergangenheit ohne die Zustimmung der Benachteiligten aufgebaut worden sind, festgeschrieben und in die Zukunft verlängert werden. So heißt es in der Erklärung von Rio, dem Abschlussdokument der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung im Jahre 1992: «Angesichts der unterschiedlichen Beiträge zur globalen Umweltverschlechterung tragen die Staaten gemeinsame, wenngleich unterschiedliche Verantwortlichkeiten.»46 In der Tat ist dieser Grundsatz zu einem Pfeiler in der Architektur internationaler Umweltkooperation geworden. In den Klimaverträgen zum Beispiel wird für die erste Phase nur den Industrieländern zugemutet, Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung einzugehen sowie finanzielle Belastungen zu tragen (Kapitel 6.1). Dahinter scheinen zwei Fairness-Regeln auf: Es ist Sache der Starken, einseitig Lasten
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zu übernehmen, die in etwa den in der Vergangenheit unfair angeeigneten Vorteilen entsprechen, und es kommt ebenfalls den Starken zu, vergleichsweise mehr Kosten zur Lösung gemeinsamer Probleme zu schultern als die Schwächeren.47 Ökologische Schulden Wie weit sollen die reichen Länder heute Verantwortung für die Geschehnisse der Vergangenheit übernehmen? Mit dem Prinzip der unterschiedlichen Verantwortlichkeiten wurde in der Umweltpolitik grundsätzlich die rechtliche Bedeutung vergangener Taten für die Gegenwart anerkannt, bisher allerdings nur in ersten Ansätzen. Denn was wie ein diplomatisches Zugeständnis aussieht, lässt sich, wenn das auch nicht beabsichtigt ist, als ein Eingeständnis lesen: Der Norden hat im Laufe der letzten Jahrhunderte gegenüber dem Süden ökologische Schulden angesammelt, indem er Anteile des Umweltraums verzehrt hat, die heute dem Süden für seine Entwicklung fehlen.48 Das hat einen ökonomischen und einen ökologischen Aspekt. Ökonomisch gesehen wurden im Laufe der Kolonialgeschichte eine Vielzahl von Ressourcen, vom Silber aus Bolivien über den Kaffee aus Kenia bis zum Bauxit aus Jamaika, in den Norden gebracht, ohne einen angemessenen Preis dafür zu bezahlen. Manchmal wurde gar nichts bezahlt, häufig aber zu wenig, in jedem Fall aber nicht der angemessene wirtschaftliche Preis, vom ökosystemischen Wert der Naturgüter selbst ganz zu schweigen. Ökologisch gesehen wurde ein unverhältnismäßig hoher Anteil an Ressourcen den Ökosystemen des Südens entnommen, und dabei wurden enorme Schäden zurückgelassen. Die «ökologischen Rucksäcke» (Kapitel 2.2) haben selbstredend auch eine historische Dimension; Jagdtätigkeit, Plantagen, Bergwerke haben die Natur mehr umgestaltet, als die erwirtschafteten Produkte erkennen lassen. Auch globale Gemeinschaftsgüter – Atmosphäre, Urwälder – wurden so weit aufgebraucht, dass heute kein gleicher Anteil mehr für die damals Benachteiligten zur Verfügung steht. Vor diesem Hintergrund verkehrt sich die gewohnte Wahrnehmung in ihr Gegenteil: Nicht der Norden ist der Kreditgeber des Südens, sondern umgekehrt, der Süden ist der Kreditgeber des Nordens. Nun könnte die Neigung entstehen, die finanziellen Schulden des Südens gegen die ökologischen Schulden des Nordens aufzurechnen. Das ist politisch verständlich, sachlich aber wohl ein Irrweg. Denn es wäre nicht nur verwegen, den Schaden des Südens in der Kolonial- und Neokolonialzeit zu quantifizieren; auch die Beziehungen zwischen Täter, Tat und Opfer sind allzu schattenhaft, um spezifische Rechte auf Kompensation festlegen zu können. Es ist eben schwer zu bestimmen, wer wem welche Kompensation für welche Schäden schulden soll – auch deshalb, weil die Schulden viele Generationen zurückreichen. So liegt der Reiz des Konzepts der ökologi-
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schen Schulden nicht in seiner buchhalterischen Genauigkeit, sondern in seiner politischen Aussagekraft. Zwar können nicht die Nachfahren jener bestraft werden, die keine Ahnung von den Schadenswirkungen ihrer Taten hatten; wohl aber kann ihnen eine Verantwortung für die Folgen zugeschrieben werden.49 Denn die heutige Generation ist im Guten wie im Bösen die Erbin der vergangenen Generationen. So, wie sie ohne Zögern die überlieferten Vorrechte und Reichtümer genießt, so hat sie auch die überlieferten Schulden und Verantwortlichkeiten zutragen. Es gehört zur Institution der Erbschaft, sowohl das Vermögen als auch die Verbindlichkeiten zu akzeptieren. Und es macht den historischen Rang einer Generation aus, wie sie mit beiden umgeht, den überkommenen Vorrechten wie den Verantwortlichkeiten. Auch aus diesem Grunde sind die Industrieländer nicht Gleiche unter Gleichen; sie haben größere Vorleistungen zur Fairness zu erbringen als andere, ja, mehr noch: der Rückbau ihres Ressourcenverbrauchs (Kapitel 5) wie auch ihrer wirtschaftlichen Vorherrschaft (Kapitel 6) sind die wichtigsten Weichenstellungen hin zu einer Welt größerer Fairness.
5 Gerechtigkeitsfähiger Wohlstand Der Weg zum Sozialismus führt über das Fahrrad. Ivan Mich, 1974
Zivilisationen, so unanfechtbar in ihrer Macht und so beeindruckend in ihrem Glanz sie zu Zeiten auch erscheinen mögen, sind nicht selten Ausnahmefälle; sie beruhen auf Sonderbedingungen, die weder überall gelten noch ewig halten. So war die römische Zivilisation angewiesen auf Nahrungsimporte aus den Peripherien des Mittelmeers oder die Mittelchinesische Zivilisation auf die Regulierung von Wasservorkommen und Wasserverbrauch im Deltagebiet des Jangtse. Nicht anders verhält es sich mit der euro-atlantischen Zivilisation des 19. und 20. Jahrhunderts. Um ihre Vorherrschaft gegenüber dem Rest der Welt zu erklären, haben Historiker eine ganze Reihe unterschiedlicher Faktoren ausgemacht;1 aber gerade die neueste Forschung rückt besonders die Rolle des Ressourcenzugangs ins Licht. Während nämlich der Entwicklungsstand Chinas bis 1750 in etwa mit jenem Englands vergleichbar war, schaffte England in den darauffolgenden hundert Jahren den entscheidenden Durchbruch. Es konnte sich aus der Fessel begrenzter Ressourcen befreien, namentlich aus der beschränkten Verfügbarkeit von Boden.2 Knappes Land konnte nicht Holz und Wolle für die junge Industrie und zugleich Nahrung für die Arbeiter hervorbringen; erst als Kohle das Holz und Agrarimporte aus Nordamerika das fehlende Land ersetzten, konnte der Aufschwung beginnen. Mit anderen Worten, der Aufstieg der euro-atlantischen Industriekultur verdankt sich zu einem guten Teil dem Zugriff auf zwei wichtige Ressourcenbestände: die fossilen Rohstoffe aus der Erdkruste und die biotischen Rohstoffe aus den (Ex-)Kolonien. Ohne die Mobilisierung von Ressourcen aus den Tiefen der geologischen Zeit und den Weiten des geografischen Raums hätte sich die Industriezivilisation in ihrer heutigen Gestalt nicht herausgebildet. Jenes Feuerwerk an Ressourcen, das Europa abgebrannt hat, um groß zu werden, ist nicht wiederholbar, schon gar nicht an vielen Orten der Welt und mit ungleich größeren Bevölkerungen. Denn die beiden Bestände, welche die Sonderrolle Europas ermöglichten, stehen nicht mehr ohne weiteres zur Verfügung: Die fossilen Rohstoffe destabilisieren das Klima und gehen zur Neige, und für die biotischen Rohstoffe stehen keine Kolonien mehr in Übersee bereit. Rohstoffe müssen zu mehr oder weniger teuren Preisen eingekauft oder Teile des eigenen Landes de facto in Kolonien verwandelt werden – wie sich in Brasilien oder Indien beobachten lässt. Wer heute den historischen Entwicklungsgang der Industriezivilisation – ungeachtet aller
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Produktivitätsfortschritte in seinem Gefolge – einfach nachahmen möchte, macht die Rechnung ohne den Wirt: Ressourcen sind weder so leicht zugänglich noch so billig zu haben. Die Strategen der nachholenden Entwicklung, soweit sie heute noch die Kommandohöhen von Wirtschaft und Politik bevölkern, sitzen einer tragischen Verwechslung auf: Sie glauben, im 21. Jahrhundert noch mit den Utopien des 19. Jahrhunderts Erfolg haben zu können. Doch jeder wirtschaftliche Aufstieg heute muss, von den zu erwartenden Folgeschäden einmal abgesehen, mit Ressourcenbeschränkungen rechnen, mit denen die überkommenen Produktions- und Konsummuster nicht vereinbar sind. Es ist nicht erkennbar, wie etwa der automobile Verkehr, der klimatisierte Bungalow oder ein auf einem hohen Fleischanteil gründendes Nahrungssystem allen Weltbewohnern zugänglich werden können. Wohlstand für wenige wird dann das ungewollte Ergebnis realindustrieller Entwicklung sein, eben weil die Demokratisierung ressourcenintensiven Wohlstands an wirtschaftlich oder ökologisch unüberwindliche Knappheitsgrenzen stößt. Weil das unter Sonderbedingungen entstandene Wohlstandsmodell der euro-atlantischen Zone sich nicht auf die Welt übertragen lässt, ist es strukturell nicht gerechtigkeitsfähig – oder nur um den Preis, den Globus ungastlich zu machen. Daraus ergibt sich das Dilemma der Gerechtigkeit im Zeitalter bio-physischer Grenzen. Auf der einen Seite fixieren sich die Wünsche der Menschen und Gesellschaften nach Gleichheit und Würde auf das Wohlstandsmodell der reichen Länder. Der Auszug aus Armut und Marginalität wird imaginiert als Einstieg in die Industriezivilisation. Auf der anderen Seite kann Gerechtigkeit nicht auf dem Verbrauchsniveau der nördlichen Volkswirtschaften erreicht werden. Denn die Endlichkeit der Biosphäre verbietet es, den Lebensstandard des Nordens zum Maßstab der Gleichheit zu machen.
5.1 Kontraktion und Konvergenz Denkmodelle sind Kürzel für eine komplexe Wirklichkeit. Sie reduzieren ein unüberschaubares Geflecht von Geschehnissen auf ein einfaches, aber fassliches Schema. Um sich zu vergegenwärtigen, welche Entwicklungswege die Welt zu größerer Ressourcengerechtigkeit bringen können, könnte sich das Denkmodell «Kontraktion und Konvergenz» bewähren. Es entstammt der Forschung über zukünftige Klimapolitik3 und konzentriert sich auf zwei Entwicklungspfade, einen für die Industrieländer und einen für die Entwicklungsländer.
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Gleichheit – auf welchem Niveau? Im Zukunftsmodell «Kontraktion und Konvergenz» suchen die Nationen der Welt bei der Ressourcennutzung Wege, die sie im Laufe gut eines halben Jahrhunderts in die Lage versetzen, die Absorptions- und Regeneration sfähigkeit der Biosphäre nicht mehr zu überfordern. Weil nun keine Nation ein Anrecht auf einen überproportional großen Anteil am globalen Umweltraum besitzt, streben in diesem Modell alle Länder in ihrer Entwicklung – bei Anerkennung spezifischer Unterschiede – auf einen gemeinsamen Zielkorridor zu, also auf einen Stoff- und Energieumsatz ihrer Volkswirtschaften, der mit den gleichwertigen Ansprüchen anderer Länder vereinbar ist und gleichzeitig innerhalb der Tragekapazität der Biosphäre verbleibt (Abbildung 18). Für eine andere Verteilung global relevanter Ressourcen gibt es schließlich keine Rechtfertigung; das Recht aller Nationen auf eine selbstbestimmte und ebenbürtige Entwicklung gestattet jedem Land nur einen weltgesellschaftlich wie ökologisch verträglichen Anspruch. Darauf läuft, wie erinnerlich, die von Kant inspirierte Argumentation hinaus: Institutionelle Muster des Ressourcenverbrauchs sind als ungerecht anzusehen, wenn sie auf Regeln beruhen, die nicht im Grundsatz von allen anderen Nationen übernommen werden können (Kapitel 4.4). Von den Industrieländern verlangt dieses Zukunftsbild eine Kontraktion, also eine Verminderung des Ressourcenverbrauchs. Denn aus den
Abb. 18: Ein Zukunftsmodell: Kontraktion und Konvergenz.4 Die Industrieländer vermindern ihren Ressourcenverbrauch stärker, als die Entwicklungsländer ihren Ressourcenverbrauch ausweiten. In der Zukunft treffen sich alle Länder auf einem gemeinsamen Zielkorridor, der innerhalb der Tragekapazität der Biosphäre verbleibt.
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vorherigen Prämissen ergibt sich zwingend, dass zuallererst die Überverbraucher von ihrem zu hohen Niveau herunterkommen müssen. Die Ressourcengerechtigkeit in der Welt hängt entscheidend davon ab, ob die Industrieländer imstande sein werden, sich aus der Übernutzung des globalen Umweltraums zurückzuziehen. Am Beispiel der Treibhausgase lässt sich der Entwicklungspfad eines schrumpfenden Ressourcenverbrauchs veranschaulichen: Bis zur Jahrhundertmitte müssen die Überverbraucher die Beanspruchung der Atmosphäre durch die Verbrennung fossiler Energieträger um 80 bis 90 Prozent reduzieren, um den Geboten der Ökologie wie auch der Fairness gerecht zu werden.5 Da die fossilen Energien den Löwenanteil des gegenwärtigen Ressourcenbudgets der reichen Länder ausmachen, hat es sich bewährt, vom «Faktor 10» zu sprechen:6 Bis zur Jahrhundertmitte müssen sie mit einem Ressourcenverbrauch auskommen, der um einen Faktor 10 unterhalb des Verbrauchs von 1990 liegt – es sei denn, es ließen sich haltbare Technologien der CO2-Entsorgung entwickeln. Dabei ist daran zu erinnern, dass die Verbraucherklasse in den Ländern des Südens unter der gleichen Verantwortung steht. Die Formel vom Faktor 10 charakterisiert lediglich die Größenordnung; im Einzelnen mögen niedrigere oder auch weitergehende Zielwerte anzustreben sein. Obwohl Faktor 10 sich auf fossile Ressourcen bezieht, gilt es, auch den Verbrauch biotischer Ressourcen zu vermindern. Zwar kann in diesem der Rückbau weniger stark ausfallen, aber die begrenzte Bodenfläche legt auch dort Grenzen nahe. Die Entwicklungsländer ihrerseits durchlaufen nach der Modellvorstellung eine ansteigende Kurve im Ressourcen verbrauch. Zunächst steht außer Frage, dass ärmere Länder ein Recht daraufhaben, zumindest eine untere dignity line7 an Ressourcennutzung zu erreichen, also ein Niveau, das ein menschenwürdiges Auskommen für alle Bürger erlaubt. Denn ohne Zugang zu Kerosin oder Biogas, ohne eine Infrastruktur an Energie und Transport lassen sich schwerlich die grundlegenden Bedürfnisse des Lebensunterhalts gewährleisten. Darüber hinaus wird jedes Land unterschiedliche Vorstellungen und Formen einer blühenden Gesellschaft zu realisieren suchen, eine Ambition, die wiederum die Verfügung über Ressourcen wie Energie, Material und Fläche verlangt. Doch die Aufwärtsbewegung kann nicht in eine exponentielle Kurve einmünden; sie wird nach einem linearen Anstieg abschwingen und in dem gemeinsamen Zielkorridor mit der der Industrieländer in Konvergenz treten, also zusammenlaufen. Denn der Anstieg endet an einer oberen Linie der ökologischen Nachhaltigkeit für alle. Die Naturgrenzen setzen den Rahmen für die Gerechtigkeit. Das Zukunftsmodell von «Kontraktion und Konvergenz» kombiniert so Ökologie und Gerechtigkeit: Es beginnt mit der Einsicht in die Endlichkeit des Umweltraums und endet mit seiner fairen Aufteilung unter den Bürgerinnen und Bürgern der Welt.
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Wohlergehen und Ressourcenverbrauch Freilich verträgt sich ein solches Zukunftsmodell nicht gut mit der gegenwärtigen Wirtschaftsdynamik. Es läuft zwei Grundannahmen der Wachstumswirtschaft zuwider: erstens der verbreiteten Erwartung, dass die Wirtschaftsentwicklung an einen hohen Ressourcenverbrauch gebunden ist, also für die Industrieländer auf einem hohen Plateau verbleibt und für die Entwicklungsländer auf ein solches Plateau zustrebt, und zweitens der Auffassung, dass menschliches Wohlergehen mit zunehmendem Ressourcenverbrauch steigt, also die reichste Gesellschaft jene sei, in der das Ziel der Wirtschaft – materielles Wohlergehen – am vorbildlichsten verwirklicht ist. Beide Annahmen erreichen mitunter die Dignität von Mythen; sie gehören zu jenen vor-analytischen Selbstverständlichkeiten, die den wirtschaftlichen Institutionen stillschweigend zugrunde liegen. Doch wie die meisten Mythen haben auch diese Selbstverständlichkeiten ein gespanntes Verhältnis zur Realität; bei genauerem Hinsehen lockern sich die unterstellten Verknüpfungen und rücken auch die Annahmen ins Zwielicht. Um sich über die erste Annahme Aufschluss zu verschaffen, genügt es, für eine große Zahl von Ländern die Wirtschaftsleistung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, mit dem Ressourcenaufwand, gemessen am ökologischen Fußabdruck pro Kopf, zu korrelieren (Abbildung 19). Aus
Abb. 19: Ökologischer Fußabdruck pro Kopf im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (1998).8 Ab einem Bruttoinlandsprodukt von 1000 US-Dollar pro Kopf lässt sich ein steigender ökologischer Fußabdruck beobachten. Selbst bei einem hohen Bruttoinlandsprodukt von 50000 Dollar pro Kopf zeigt sich jedoch eine erhebliche Spreizung im Ressourcenverbrauch, die zwischen 4 und 10 Hektar pro Kopf liegt.
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dieser Abbildung lassen sich zwei Folgerungen entnehmen. Zum einen zeigt sich ein grober und großflächiger Zusammenhang zwischen Ressourcenverbrauch und Reichtum insofern, als – mit Ausnahme von Italien – alle Industrieländer einen Fußabdruck von über vier ha/Person aufweisen, während alle weniger entwickelten Länder mit einem Jahreseinkommen von maximal 1000 US-Dollar unter 2 ha/Person belegen – die Mehrheit dieser Länder gar unter 1 ha/Person. Damit bestätigt sich die Annahme insoweit, als man gegenwärtig von unteren und oberen Schwellen sprechen kann: Unterhalb eines Mindesteinsatzes von Ressourcen gibt es kein Entkommen aus dauernder Armut, und hohes Einkommen ist weithin erst ab einem erhöhten Einsatz von Ressourcen zu erzielen. Zum anderen fällt jedoch eine erhebliche Streuung des Ressourcenverbrauchs oberhalb und unterhalb der Einkommenskurve auf. Unter den reichen Ländern nehmen die USA oder die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) knapp doppelt soviel Ressourcen in Anspruch wie Westeuropa im Durchschnitt oder Japan. Eine ähnliche Elastizität lässt sich bei den Ländern mittleren Einkommens beobachten: Gabun hat etwa dasselbe Bruttoinlandsprodukt pro Kopf wie Malaysia, verbraucht jedoch nur halb soviel Ressourcen; und Costa Rica weist ein ähnliches durchschnittliches Bruttoinlandsprodukt wie Peru auf, hinterlässt dabei aber einen fast doppelt so großen Fußabdruck. Es besteht also nur eine lockere Verknüpfung zwischen Wirtschaftsentwicklung und Ressourceneinsatz; selbst unter gegebenen Bedingungen haben Länder einen beträchtlichen Spielraum, wenn sie Geografie, Politik und Intelligenz nutzen, wirtschaftliche Leistung bei reduziertem Ressourcenaufwand zu’erbringen. Wenn es um die Verknüpfung von Ressourcenverbrauch und Wohlergehen geht, so zeigen sich – bei allen Unterschieden – in Entwicklungsländern und Industrieländern ähnlich verlaufende Entwicklungen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) erhebt seit mehr als einem Jahrzehnt mit einem Satz von Indikatoren wie Lebenserwartung, Alphabetisierung und Gesundheitsstandards den Stand der «menschlichen Entwicklung» eines Landes. Setzt man den aggregierten «Index für die menschliche Entwicklung» in Vergleich zum Ressourcenverbrauch (Abbildung 20), zeigt sich das folgende Ergebnis: Eine Zunahme der Entwicklung bis zu einem oberen mittleren menschlichen Wohlergehen (ca. 0,75) ist ohne ein Anwachsen des ökologischen Fußabdrucks zu haben; so verbraucht etwa Georgien bei gleichem Entwicklungsstand zwei Drittel weniger Ressourcen als Lettland. Erst im Feld jener Länder, die bereits einen hohen Entwicklungsstand (ab 0,8) aufweisen, beginnt eine deutliche Spreizung. Dabei gibt es etliche Länder, die mit geringerem Ressourcenverbrauch einen höheren Grad an menschlichem Wohlergehen aufweisen als solche mit höherem Ressourcenverbrauch – und umgekehrt. So haben zum Beispiel
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Abb. 20: Ökologischer Fußabdruck pro Kopf im Verhältnis zum Index für menschliche Entwicklung (1998).9 Eine Zunahme der Entwicklung bis zu einem oberen mittleren menschlichen Wohlergehen (0,75) ist ohne ein Anwachsen des ökologischen Fußabdrucks möglich. Ab einem hohen Entwicklungsstand (ab 0,8) beginnt jedoch eine deutliche Spreizung, wobei die meisten Länder mit einem Index über 0,9 einen Fußabdruck von wenigstens 4 Hektar pro Person hinterlassen.
die Niederlande oder Korea ein höheres Wohlergehen erreicht als die ressourcenintensiveren Volkswirtschaften Irlands oder der Tschechischen Republik – geschweige denn Estlands oder gar Kuwaits. Ebenso wie das Einkommen ist auch menschliches Wohlergehen nur lose mit dem Ressourcenverbrauch gekoppelt. Im Übrigen liegt auch nur ein lockerer Zusammenhang zwischen menschlichem Wohlergehen und Einkommen vor. Auch hier gilt: Aus der Vogelperspektive gesehen hängt das menschliche Wohlergehen mit der Wirtschaftsleistung zusammen, bei näherer Betrachtung jedoch zeigt sich, dass dies nur bis zu einer gewissen Schwelle gilt. So erfreuen sich zum Beispiel die Menschen im indischen Kerala, in China oder Sri Lanka einer bedeutend höheren Lebenserwartung als die viel kaufkräftigeren Bevölkerungen von Gabun, Brasilien, Namibia oder auch die Afroamerikaner in den USA.10 Dies bestätigt ein Blick auf die Industrieländer und ihren Entwicklungsgang, bei dem das Wohlergehen keineswegs im Gleichschritt mit dem Nationaleinkommen angewachsen ist. Die amerikanischen Bürger verfügten im Jahr 1993 verglichen mit dem Jahr 1957 über mehr als doppelt soviel Einkommen. Das hat sie nicht doppelt so glücklich gemacht; eher scheint sich die Einschätzung zu verändern: Während 1957 35 Prozent der Befragten angaben, sehr glücklich zu sein, gaben 1993 nur mehr 32 Prozent diese
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Auskunft.11 Subjektives Wohlergehen hat oberhalb einer gewissen Stufe nicht mehr viel mit der Höhe des Einkommens zu tun; Einkommensunterschiede oder das Gefühl sozialer Zugehörigkeit spielen eine größere Rolle. Hinzu kommt, dass ein wachsendes Nationaleinkommen in der Regel nicht mehr zu einem Zuwachs im verfügbaren Einkommen führt. Denn die Wohlstandskosten aller Art – von Umweltschäden über Polizeiausgaben bis zu Mietsteigerungen und Krankenhauskosten – pflegen schneller zu steigen als das individuell verfügbare Einkommen.12 Auch wenn die Wirtschaft wächst, haben die Bürger dann nicht unbedingt zusätzliche Kaufkraft. So kommt es auch, dass Wohlstandsmessungen, welche die systemischen Kosten vom Nationaleinkommen abziehen, regelmäßig nahe legen, dass der reale Wohlstand in den Industrieländern seit dem Ende der 1970er Jahre nicht im gleichen Maße wie das Nationaleinkommen wächst, wenn er nicht gar stagniert.13 Aus alldem lässt sich der Schluss ziehen, dass Lebensqualität nur begrenzt mit Lebensstandard zu tun hat. Dieses scheinbare Paradox rührt daher, dass Wohlstand viele Dimensionen hat, sein auf materiellen Zuwachs gerichtetes Verständnis aber nur die Gelddimension ernst nimmt. Um es in wirtschaftsnahen Begriffen zu sagen: Wohlstand gründet in der Pflege des Geldkapitals, des Naturkapitals und des Sozialkapitals einer Gesellschaft. Er umfasst privaten wie gemeinschaftlichen Reichtum. Wer die Sicherheit der Städte, die Natur, den sozialen Zusammenhalt, die Gerechtigkeit der Institutionen – also den Commonwealth – um der Mehrung des privaten Reichtums willen verkommen lässt, ist im Ergebnis wertvernichtend und nicht wertschöpfend tätig. Daher ist es abwegig, eine Steigerung des Wohlergehens nur über die Maximierung des Geldkapitals zu suchen. Zumindest ist es dann abwegig, wenn dabei das Natur- oder Sozialkapital, die anderen Quellen des Wohlstands entscheidend in Mitleidenschaft gezogen werden. Vielmehr verlangt – um für einen Moment noch in dieser Sprache zu bleiben – die Optimierung der Wohlstandsproduktion einen effizienten Einsatz des Geldkapitals, also nicht zu viel und nicht zu wenig, und zwar in gelungener Synergie mit dem Natur- und Sozialkapital. So könnte man eine Art von Wohlstand als wahrlich effizient verstehen, der – auf gleichem Niveau der Befriedigung – mit einem möglichst geringen Einsatz an Geldkapital auskommt. Eine Art von Wohlstand, mit anderen Worten, der in der Lage ist, aus einem gegebenen Geldeinkommen ein Maximum an Wohlergehen herauszuholen. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass nur ein in diesem Sinne «konsum-effizienter» Wohlstand weltweit gerechtigkeitsfähig sein kann. Denn bislang hat noch niemand glaubhaft machen können, dass ein ressourcen-leichter Wohlstand auf Dauer mit exponentiellen Wachstumsraten des Geldeinkommens zu erreichen ist, weder für die Entwicklungs-
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länder noch für die Industrieländer. Aus diesem Grunde ist das Verlangen nach Gerechtigkeit in einer endlich gewordenen Welt immer mit der Suche nach anderen Wohlstandsformen verbunden, welche die Mehrung des Natur- und Sozialkapitals im Auge haben und die Mehrung des Geldkapitals dafür dienstbar machen.
5.2 Rückbau des Hochverbrauchs Derzeit nimmt die transnationale Verbraucherklasse in Nord und Süd einen unverhältnismäßig großen Teil des globalen Umweltraums in Anspruch (Kapitel 2). Gerade im Zeitalter heraufziehender Grenzen der Naturbelastung geraten dadurch die Existenzrechte wirtschaftlich schwächerer Menschengruppen sowie die Chancen aller Nationen auf eine ebenbürtige Entwicklung (Kapitel 4) unter Druck. Gerechtigkeit also verlangt Rückzug aus der Überaneignung des Umweltraums. Überdies beschwört die einseitige Aneignung von Naturressourcen Konflikte aller Art herauf, unübersehbare internationale Rivalitäten ebenso wie verborgene lokale Kämpfe (Kapitel 3). Auch im Namen größerer Sicherheit vor Destabilisierung und Gewalt steht daher ein Rückbau der Ansprüche an die Biosphäre auf der Tagesordnung. Eine ressourcen-leichte Wirtschaftsweise ist ein Beitrag zur Friedenspolitik. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ein Projekt säkularer Größenordnung ab: Die transnationale Hochverbrauchswirtschaft muss sich umstrukturieren, und zwar so, dass sie am Ende die Erde nur mehr beiläufig als Bergwerk oder Müllhalde zu behandeln braucht. Im Dreischritt von Effizienz, Konsistenz und Suffizienz Wie wäre der Übergang von einer ressourcenverzehrenden zu einer ressourcen-leichten und naturverträglichen Wirtschaft zu bewerkstelligen? Eine große Schar von Ingenieuren, Managern, Aktivisten und Wissenschaftlern hat sich in den letzten dreißig Jahren daran gemacht, die Herausforderungen dieses Übergangs zu erkunden. Sucht man die großen Linien dieser Erkundung zu verstehen, dann kehren drei Denk- und Strategieansätze immer wieder: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Beim ersten Ansatz, der Effizienz im Ressourcenverbrauch, geht es darum, den Einsatz von Stoffen und Energie pro Ware oder Dienstleistung zu verringern. Das geschieht durch verbesserte Technik und Organisation, durch Wiederverwendung und Abfallvermeidung. Beispiele gibt es zuhauf: Wasser und Strom sparende Waschmaschinen, Leichtbau-Fahrzeuge, frequenzgesteuerte Industriemotoren, Kraftwerke mit erhöhtem Wirkungsgrad, recyclingfähige Produkte etwa bei Zeitschriften oder Sitzmöbeln. Initiativen zur Ressourceneffizienz konzentrieren sich auf das Design der Produkte,
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um deren Lebensdauer und wiederholte Nutzung voranzubringen, auf den Produktionsprozess, um Energie- und Stoffflüsse zu verringern, sowie schließlich auf die Unternehmensstrategien, um den Verkauf von Produkten zugunsten ihrer Nutzung zurückzufahren.14 Doch hat die Effizienzstrategie auch eine Achillesferse. Sie kann zwar große Erfolge dabei verbuchen, den spezifischen Ressourceneinsatz, also den Material- und Energieaufwand pro Einheit zu vermindern; sie verhindert aber nicht einen höheren Gesamtverbrauch. Denn die Summe aller Einsparungen, die erzielt werden, kann durch die weltweit wachsende Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen aufgezehrt und überkompensiert werden. Und das geschieht bis heute. Deshalb hat die Effizienzstrategie auf dem Weg zur Nachhaltigkeit ein großes Anfangspotenzial,15 stößt aber, sobald der Anstieg der Gütermenge und des Energieverbrauchs die Einsparungen übersteigt, an ihre Grenzen. Beim Ansatz der Konsistenz hingegen geht es um die Vereinbarkeit von Natur und Technik. Das Prinzip lautet: Industrielle Stoffwechselprozesse dürfen die natürlichen nicht stören. Beide sollen einander möglichst ergänzen oder gar verstärken. Sofern das nicht möglich ist, sollen Natur schädigende Stoffe störsicher in einem eigenen technischen Umlauf geführt oder – wenn das nicht gelingt – ausgemustert werden.16 Im Übrigen gilt: In intelligenten Systemen gibt es keine Abfälle, nur Produkte. In den Rückständen der Bierproduktion wachsen Pilzkulturen, Kraftwerke stellen mit der Stromerzeugung auch Abwärme zur Fernheizung bereit. Eine Wirtschaft kann so aufgebaut werden, dass – von der unausweichlichen Entropie abgesehen – aus dem Abfall der einen Nutzungsstufe Rohmaterial für die nächste wird.17 Dabei ist es weniger wichtig, Energieverbrauch und Materialflüsse zu verringern, als sie naturverträglich zu bewirtschaften. Solar erzeugter Wasserstoff zum Beispiel könnte langfristig eine Energieversorgung ohne Schädigung der Atmosphäre ermöglichen. Ähnliches gilt für die Möglichkeiten der Bionik, einer am Vorbild der Natur orientierten und sie nachahmenden Technik.18 Auch die Konsistenzstrategie ist kein Allheilmittel. Autos mit wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen zum Beispiel belasten zwar nicht mehr die Atmosphäre, doch brauchen und verbrauchen sie Flächen, Infrastrukturen, begrenzt verfügbare Materialien. Auch die Brennstoffzelle muss hergestellt und entsorgt, auch der Wasserstoff muss bevorratet und transportiert werden. Nicht alle Abfälle können zu Rohstoffen neuer Produkte werden. Es sind ja gerade natürliche Stoffe wie Kohlendioxid oder aber Gülle, die in hohen Quantitäten ökologische Probleme verursachen.19 Und die Informationstechnologien haben bisher nicht zu einem geringeren, sondern zu einem gesteigerten Verbrauch an Materie und Energie geführt, wie auch die vorhergesagten Einsparungen an Transport, Reisen, Berufsver-
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kehr, Papierverbrauch etc. sich ins Gegenteil verkehrt haben. Auch Konsistenz kann nur einen Teil der Nachhaltigkeit ermöglichen. Die Suffizienz wiederum fragt nach dem, was genug ist, was der Wirtschaft und den Lebensweisen gut bekommt. Die Wortbedeutung führt auf die Spur: Das lateinische «sufficere», gebildet aus «sub» und «facere», bedeutet in seiner transitiven Fassung «den Grund legen», im intransitiven Gebrauch «zu Gebote stehen, hinreichen, genug sein, im Stande sein, vermögen».20 Die Pointe der Suffizienz liegt also darin, nicht dem Übermaß und der Überforderung zum Opfer zu fallen, sondern nur so viel an Leistungen in Anspruch zu nehmen, wie für das Wohlergehen der Einzelnen und des Ganzen zuträglich ist. Während – nach einem Wort von Paul Hawken – die Effizienz verlangt, die Dinge richtig zu tun, strebt die Suffizienz danach, die richtigen Dinge zu tun. Denn es ist zweifelhaft, ob die im Zeitalter des Ressourcenüberflusses eingeführten Leistungserwartungen auch im Zeitalter der Ressourcenschonung bestehen bleiben können. Erdbeeren im Winter, Geländewagen im Stadtverkehr, Tag und Nacht Heißwasser auf Vorrat, solcherart Komfortleistungen bringen wenig, kosten aber viel. Daher ist eine ressourcen-leichte Wirtschaft besser beraten, sich auf mittlere Niveaus an Leistung einzustellen. Die Frage «Wie viel ist genug?» lässt sich nicht vermeiden.21 Weil es dabei um Verhaltensänderungen geht und damit auch um eine veränderte Beziehung zu Gütern und Dienstleistungen, steht ÖkoSuffizienz in einem engen Zusammenhang mit dem, was seit der Antike und bis heute als das rechte Maß, als gutes Leben, als Lebenskunst bedacht worden ist. Und es mag durchaus sein, dass die Beweggründe zur Öko-Suffizienz auch aus der Einsicht in die Lebensklugheit jenes antiken Satzes «Von nichts zuviel» kommen. Den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft kann man sich von daher nur zweigleisig vorstellen: durch eine Neuerfindung der technischen Mittel und durch eine Orientierung an Lebensqualität statt an Gütermenge. Insgesamt wird erkennbar: Alle drei Wege zur Nachhaltigkeit sind so unverzichtbar, wie sie unersetzbar sind. Sie haben ihre je eigene Bedeutung wie ihre je eigenen Grenzen. Effizienz ist eine ökologische Basisstrategie mit hohem Anfangspotenzial und dauerhafter Bedeutung; es wird niemals darauf zu verzichten sein, Stoffe und Energie so wirksam wie möglich zu nutzen. Effizienz allein kann aber den zunehmenden Bedarf nicht befriedigen und die wachsenden Belastungen der Natur nicht neutralisieren. Suffizienz ist, ebenso wie Effizienz, eine gegenwärtig unentbehrliche Strategie zum sorgsamen Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen. Während Effizienz den rationalen Gebrauch der Ressourcen sichert, steht Suffizienz für ihren sparsamen Verbrauch. Konsistenzstrategien ermöglichen ein naturverträgliches Wirtschaften und sind darum für den Fortbestand einer weiter wachsenden Menschheit unentbehrlich. Effizienz und Suffizienz
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überbrücken die Zeit bis zur Funktionsreife naturverträglicher Technologien, wobei Suffizienz den Leistungsdruck entlastet, der gegenwärtig auf den Effizienzstrategien liegt. Aber auch dann, wenn sich eines Tages die mit Konsistenz verbundenen Erwartungen erfüllen, verlieren Effizienz und Suffizienz ihre Bedeutung nicht. Denn rund neun Milliarden Menschen werden mit den begrenzten Ökosystemen, auf deren Dienste sie angewiesen sind, vorsichtig umgehen und sie gerecht verteilen müssen. Und dafür ist neben Effizienz vor allem Suffizienz nötig als die Frage nach dem, was genug ist, und nach dem, was gut tut. Die Möglichkeiten dieser drei Nachhaltigkeitsstrategien seien an zwei Bereichen verdeutlicht, der Energie und dem Verkehr. Ihnen ist gemeinsam, dass sie eine wichtige Komponente im persönlichen Verhalten haben, aber im Wesentlichen durch staatlich festgelegte Infrastrukturen geprägt sind, und dass ihre Entwicklung auch heute noch durch Investitionen öffentlicher Haushalte und durch detaillierte gesetzliche Regelungen beeinflusst ist. Welche Kraftwerke gebaut werden, wie das Elektrizitäts-, Straßen- oder Schienennetz aussehen soll, wie mit Wasser und mit Abwasser verfahren wird, das alles wird, wenn auch unter Einwirkung der Wirtschaft, durch staatliche Infrastrukturpolitik festgelegt. Und diese Entscheidungen wiederum beeinflussen die Entscheidungen der Haushalte und der Wirtschaftsakteure. Beispiel Energie Für die Ökonomien des globalisierten Nordens stellt der Übergang von einer fossilen zu einer solaren Rohstoffbasis die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts dar. Ohne einen massiven Rückzug aus der Nutzung fossiler Brennstoffe verwandelt sich die globale Klimaerwärmung in einen Angriff auf die Lebensmöglichkeiten von Teilen der Menschheit, erhöhen sich Kriegs- und Sicherheitsrisiken und werden allerorten Energieverbraucher den ansteigenden Knappheitspreisen ausgesetzt. Nur ein entschlossener Einstieg in erneuerbare Energien kann das verhindern und zugleich eine sichere Versorgung bieten. Der Wechsel zu einem nachhaltigen Energiesystem läuft über die drei im vorausgehenden Abschnitt besprochenen Strategielinien, also über die rationelle Energienutzung, den Übergang zu Solar-, Wind- und Bioenergien und die behutsame Nachfrage nach Energiedienstleistungen. Die Effizienz der Energienutzung zu erhöhen ist eine Sache der Intelligenz. Auf allen Stufen der Energiekette, von der Erzeugung bis zum Verbrauch, schlummern Effizienzpotenziale. Sie zu nutzen ist ein Gebot wirtschaftlicher und technischer Vernunft. Allerdings muss die Energiewirtschaft ihr Ziel und ihren Zweck neu bestimmen, wenn es tatsächlich zu einer «Effizienzrevolution»22 kommen soll. Während Öl- oder Elektrizitäts-
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unternehmen seit mehr als hundert Jahren ihr Geschäft in der Versorgung mit Energie erblicken, sind sie nun gehalten, ihr Geld ebenso sehr mit der Vermeidung von Verschwendung zu verdienen. Statt das Angebot zu erweitern, werden sie lernen müssen, die Nachfrage flach zu halten. Das erfordert einen Perspektivenwechsel: Rationelle Energieumwandlung und -nutzung gewinnt Priorität vor der Energieerzeugung. Für den Kunden ist ja der Kauf von Kilowattstunden nur ein Mittel zum Zweck; er will einen bestimmten Nutzen haben, also Kraft oder Wärme. Energiesparende Gebäude, Fahrzeuge und Geräte zum einen und modernes Management wie weitsichtiges Verhalten zum andern ersetzen große Teile des Brennstoffs durch Geschick und bieten denselben Nutzen. Es wird dann auch leichter, den verbleibenden Energiebedarf überwiegend aus erneuerbaren Quellen bereitzustellen. In letzter Konsequenz wird der Energiedienstleister der Zukunft die Verantwortung auch für die potenziellen externen Schäden seines Produkts übernehmen, etwa für Schadstoffemissionen oder Nuklearunfälle. Er kann dann im Gegenzug staatliche Rahmenbedingungen erwarten, die ihn an der gesellschaftlich erwünschten Vermeidung von unnötigem Energieeinsatz und von externen Kosten angemessen verdienen lassen. Würde weltweit der rationellen Energienutzung Vorrang eingeräumt, dann – so zeigen Szenarien23 – könnte bis zum Jahr 2050 trotz eines dreifach höheren Weltbruttosozialprodukts der globale Primärenergieverbrauch konstant gehalten werden. Setzt man obendrein auf Konsistenz, dann lässt sich der globale Ausstoß an Treibhausgasen sogar durchgreifend reduzieren. Dabei bedeutet eine höhere Naturverträglichkeit der Energieströme, dass die Energiequellen regenerativer Natur sind: Wind, Wasser, Sonne, Biomasse. Alle erneuerbaren Energien sind im weiteren Sinne solare Energien: Solarkollektoren und Solarzellen zur Wärme- und Stromerzeugung nutzen unmittelbar die Sonne; Wind- und Wasserkraft entstehen indirekt aus der Sonnenenergie; Pflanzen bauen mittels Sonneneinstrahlung Biomasse auf; Wärmepumpen verwenden die Umgebungswärme aus Luft, Wasser und dem Erdboden; geothermische Kraftwerke nutzen die im Erdinneren gespeicherten Energieströme.24 Inzwischen stehen ausgeklügelte Geräte und Anlagen zur Verfügung, um das Angebot der Natur in Strom, Wärme oder Kraftstoffe umzuwandeln. Gewiss, auch regenerative Energien sind nicht zum ökologischen Nulltarif zu haben: Biomasse kostet Fläche, Windkraft kostet Landschaft, und die Herstellung von Effizienztechnologien kostet Energie und Materialien. Diese Umweltauswirkungen sind aber insgesamt drastisch geringer als jene der herkömmlichen Energien; wohl aber weisen sie daraufhin, dass auch Energie aus erneuerbaren Quellen sorgsam und sparsam einzusetzen ist.25 Auch bei optimalem Einsatz erneuerbarer Energien wird also der Energieverbrauch deutlich sinken müssen. Denn ein System lässt sich umso
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Abb. 21: Energieversorgung Deutschlands im Jahre 2050.26 Um ein nachhaltiges Verbrauchsniveau zu erzielen, müsste der Energieverbrauch Deutschlands bis 2050 um ca. 50 Prozent gesenkt werden. Kohle, Mineralöl und Erdgas würden dann nur noch mit zwei Fünfteln zur Versorgung beitragen, wobei der Schwerpunkt auf dem Erdgas läge. Knapp 60 Prozent der Energie würden aus erneuerbaren Energiequellen stammen.
leichter zur Naturverträglichkeit hin transformieren, je geringer seine Ansprüche an Energieeinsatz sind. Wenn, wie Abbildung 21 zeigt, für ein Land wie Deutschland das Ziel heißt, bis zum Jahre 2050 fünfzig Prozent weniger Primärenergie einzusetzen, werden VOT allem Effizienz und Suffizienz zusammenwirken müssen. Sie ergänzen sich vielfältig, sind also komplementär, und es gibt gleitende Übergänge, bei denen erst eine ökoeffiziente Technik zusammen mit dem ihr entsprechenden Verhalten zum erwünschten Resultat führen. Beispiele sind Raumwärme – erst bauliche Dämmung und besonnenes Lüftungs- und Heiz-Verhalten zusammen ergeben ein befriedigendes Resultat – oder Ökolandwirtschaft – erst mit dem überlegten Einkauf von Bio-Lebensmitteln wird eine chemie- und ölfreie, also ressourceneffiziente Landwirtschaft überlebensfähig. Auch Mengenbegrenzungen im Gebrauch fossiler Stoffe, wie sie der Handel mit Lizenzen für Schadstoffbelastung in Europa vorsieht, können konkurrierenden Unternehmen Beiträge zum Gemeingut Klimasicherheit ermöglichen. Wenn obendrein ein Wahrnehmungs- und Wertewandel Platz greift, der Solarfassaden, frische Nahrungsmittel, autoarme Städte und generell eine behutsame Beanspruchung von «Energiesklaven» für gelungen hält, dann eröffnen sich weitere Potenziale für den Rückzug aus der fossilen Energiewirtschaft.
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Beispiel Verkehr Mit der Einführung von Verbrennungsmaschinen in den Verkehr seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts begann eine Ära rapide ansteigender Verkehrsmengen, Verkehrsdistanzen und damit eben Energieverbräuchen. Und diese Wachstumsraten dauern an. Doch anders als in einigen Industriebereichen ist im Verkehr noch keine Trendumkehr im Energieverbrauch und in den CO2-Emissionen eingetreten, auch wenn gegenwärtig in einigen Ländern, wohl bedingt durch den hohen Ölpreis, die Fahrleistungen im Individualverkehr und damit die Emissionen geringer werden. Weltweit betrachtet ist die Mobilität bis heute ein entscheidender Hemmschuh der energetischen «Abrüstung» geblieben. Das betrifft die Fahrzeuge wie den Systemcharakter des Verkehrs. Denn Autos erfordern Straßen, die wiedemm Autos nach sich ziehen, die ihrerseits Fahrten in größere Entfernungen erlauben, die dann nach neuen Straßen rufen. Dieser Teufelskreis des Verkehrswachstums prägt die Raum Strukturen und macht motorisierte Bewegung nach und nach für jedermann unausweichlich. Vergleichbares gilt für den Luftverkehr, in dem immer größere Flugzeuge immer weitere Strecken zu immer geringeren Kosten zurücklegen, unter anderem weil die Kerosinpreise die Umweltkosten nicht enthalten. Ein Wirtschafts- und Lebensmodell, das auf entfernungsintensiven Raumstrukturen beruht, ist schwerlich über den Globus verallgemeinerbar; zu groß sind der Flächen- und der Materialaufwand. Der Weg zu einem nachhaltigeren Verkehrssystem führt zunächst wieder über eine höhere Ressourceneffizienz. Zahllose technische Verbesserungen an allen Fahrzeugen, vom Motorroller zum Düsenjet, haben und behalten Sparpotenziale im Treibstoffverbrauch, in den Materialien, sowie bei Lärm- und Schadstoff-Emissionen. Schonende Fahrweisen ebenso wie neu gedachte Organisationsabläufe im Güter- und im öffentlichen Verkehr tragen dazu bei, die notwendige Mobilität mit geringerem Aufwand zu erreichen. Chancen ergeben sich auch aus neuen Kraftstoffen, seien es BioKraftstoffe oder zukünftig regenerativ erzeugter Wasserstoff. Ein weiterer strategischer Ansatz ist die Verlagerung des Personen- und Güterverkehrs auf Transportarten, die weniger schädlich, weil naturverträglicher sind. Hier ist zu denken an Eisenbahnreisen statt Pkw-Fahrten, an Schienen- und Binnenschiff-Transporte statt Lkw-Güterverkehr, an die Nutzung von Bus und Straßenbahn statt Auto und im Nahbereich an den Gebrauch der Körperkraft beim Radfahren oder Gehen. Das freilich muss mit den Erfordernissen des Alltags vereinbar werden, und das wiederum kann nur gelingen, wenn der öffentliche Verkehr den Anforderungen der Nutzer besser gerecht wird und wenn künftig Preisinstrumente dafür sorgen, dass schädlicher Verkehr nicht mehr zu Ungunsten des nachhaltigen Verkehrs subventioniert wird.
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Der dritte strategische Ansatz, die Verkehrsvermeidung, verweist wieder auf die Suffizienzperspektive. Auf der Ebene des Verbrauchers bieten etwa das Car-Sharing – nach dem Motto «nutzen, nicht besitzen» – die Chance, die Option Auto zurückzustufen, Kosten zu sparen und doch für den besonderen Fall den Zugang zum Auto zu behalten. Auf der Ebene der Betriebe bedeutet eine erneute Aufmerksamkeit für regionale Beschaffung und Vermarktung kürzere Transportwege, also weniger Lastverkehr. Bier aus Bayern statt Bier aus Mexiko – wohl kaum ein Einbruch in der Lebensqualität. Und auf der Ebene der Stadt- und Siedlungspolitik ist unter dem Leitbild der «Stadt/Region der kurzen Wege» daran zu denken, wo die räumliche Nähe wichtiger Orte Transport unnötig macht. Anstatt immer weitere Entfernungen durch immer schnellere Verkehrswege und Verkehrsmittel zu überbrücken, geht es darum, verkehrssparende Strukturen aufzubauen.27 Ähnlich wie im Energiesektor behindern allerdings auch im Verkehrssektor die Neigungen der Verkehrsteilnehmer und die Vorherrschaft des Angebotsdenkens mitsamt den damit verbundenen Macht- und Gewinninteressen einen Umschwung. Allzu viele profitieren von einer Ausweitung des Verkehrs, auch wenn sie auf Kosten des Allgemeinwohls sowie der NichtMotorisierten wie Kinder, Auszubildende, Hausfrauen, ältere Menschen geht. Autounternehmen und Baufirmen, Factory Outlets und Freizeitparks verdienen am Ausbau. Aus dem Rückbau der Nachfrage hingegen sind massive Investitionsgewinne kaum zu erzielen. Im allgemeinen sind die Interessen des Geldkapitals in der Lage, sich wirksamer zu artikulieren als die Interessen des Sozial- oder Naturkapitals. Behutsamkeit ist nicht lukrativ. So erklärt sich auch, dass Energieunternehmen lieber neue Kraftwerke bauen als bei den Kunden Energiebedarf abzubauen. Megawatts zu produzieren bewegt viel Geld zum Nutzen weniger Großakteure, «Negawatts», also die Einsparung, erschließen dagegen nur verstreutes Geld zum Nutzen vieler Kleinakteure. Es ist diese Interessenstruktur, die den Übergang zu einer ökologischen Service-Wirtschaft bremst, einer Wirtschaft eben, in der Geld nicht fließt, um möglichst viele Güter abzusetzen, sondern um Dienste wie Wärme, Kühlung, Mobilität zu verkaufen, was dann in einem begrenzten Maße den Absatz von Gütern einschließt.
5.3 Der Sprung nach vorn im Süden Zwei Hindernisse stellen sich vor allem einer größeren Ressourcengerechtigkeit in der Welt entgegen: die ressourcenintensiven Wohlstandsmodelle des globalisierten Nordens und der Drang im Süden, eben diese Wohlstandsmodelle zu kopieren. Wolkenkratzer in Shanghai, Autobahnen in Indien, Shopping Malls in Marokko: Bauweisen, Technologien, Vermarktungs-
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formen breiten sich aus, die historisch überholt sind. Doch sie verkörpern die Hoffnung, der Armut und Machtlosigkeit zu entrinnen und eines Tages so viel an Wohlstand und Ansehen zu erringen, dass sich weder die Menschen noch die Nationen ihrer Unterlegenheit noch länger schämen müssen. Diesen Wunsch nach ausgleichender Gerechtigkeit zu erfüllen, ohne gleichzeitig die Biosphäre zu überfordern, darin besteht die Herausforderung der nachhaltigen Entwicklung. Eine solche Entwicklung wird es darauf anlegen, allen Bürgern einen auskömmlichen Lebensunterhalt zu sichern und gleichzeitig die Ressourcenbasis des Landes zu erhalten und zu erneuern. Dem steht nicht der Mangel an Arbeitenden im Wege, sondern – außer Geld – viel eher der Mangel an Natur. Menschen gibt es in südlichen Ländern im Allgemeinen in großer Zahl; eine Entwicklung, die systematisch Arbeit durch energie- und materialintensive Technologie ersetzt, ist darum eine soziale Fehlsteuerung und lässt das Heer der Überflüssigen anwachsen. Es gilt also, eine größere Zahl an Händen und Köpfen arbeiten zu lassen, anstatt sie gegen immer mehr Kilowattstunden und Megabytes auszutauschen. Hinzu kommt, dass in vielen Gebieten die Natur weniger hergibt als vor einem Jahrzehnt. Immer häufiger wird der wirtschaftliche Fortschritt nicht durch einen Mangel an Fischerbooten gebremst, sondern durch einen Mangel an Fischen, nicht durch die Leistungsschwäche der Pumpen, sondern durch das Absinken des Grundwassers, nicht durch das Fehlen von Kettensägen, sondern durch das Verschwinden der Wälder.28 In einer solchen Situation macht ein großindustrieller, maschinenintensiver, ressourcenvergeudender Entwicklungsstil weit weniger Sinn als im Europa des 19. Jahrhunderts; stattdessen versprechen solche Wirtschaftsformen sozialen Fortschritt, die eine große Zahl von Menschen einbeziehen und gleichzeitig pfleglich mit den materiellen und biologischen Ressourcen umgehen. Nur so zeichnet sich ein Fortschritt ab, der gleichermaßen den Armen wie der Umwelt zugute kommt. In diesem Entwicklungspfad liegt eine historische Chance. Wie vielleicht nie zuvor in der Geschichte bietet sich für die Länder des Südens die Gelegenheit, die Industrieländer zu überlisten. Weil die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen die Industrieländer in eine Sackgasse treibt, können Länder im Süden, die lange als rückständig galten, die Führung übernehmen. Sie können auf ökologisches leapfrogging setzen und – mit dem weiten Satz des Frosches – die Fehlentwicklungen der Industrieländer überspringen und zum Beispiel direkt zu modernen erneuerbaren Energien übergehen – etwa indem sie früher und konsequenter als die nördlichen Ökonomien in die Solarwirtschaft einsteigen. So können sie unverzüglich bei Nachhaltigkeitsmustern landen, welche die reichen Länder noch gar nicht erreicht haben.29 Anzeichen dafür gibt es: China ist, ungeachtet seiner hohen Ressourcenverbräuche in vielen Bereichen, führend im Verkauf drahtloser Telefone
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wie bei der installierten Fläche an thermischen Solaranlagen, was massive Ersparnisse an Kupfer und Kohle bedeutet. Vielleicht sollte sich die so genannte Unterentwicklung am Ende noch in einen Vorteil verwandeln? Vor allem Schwellenländer stehen vor Richtungsentscheidungen, wenn es darum geht, Infrastrukturen wie Energie-, Transport-, Abwasser- oder Kommunikationssysteme einzuführen.30 Sie bilden einen Kernbereich politischer Gestaltung. Viele Südländer sind jetzt noch in der Lage, sich direkt für Infrastrukturen zu entscheiden, die das Land auf einen ressourcensparenden und emissionsarmen Entwicklungspfad schicken. Moderne Bahnund Bussysteme, fuß- und fahrradfreundliche Verkehrswege, dezentrale Energieproduktion, Brauchwasserkreisläufe, angepasster Wohnungsbau, regionalisierte Nahrungsversorgung, verdichtete Siedlungen können ein Land auf den Weg bringen zu saubereren, kostengünstigeren und gerechteren Produktions- und Konsummustern. Dezentrale Stromerzeugung Zu einem Mindestmaß an Wohlstand gehört ein Mindestmaß an Energie. Doch etwa ein Drittel der Weltbevölkerung – zwei Milliarden Menschen – hat nur zur Verfügung, was in der Umgebung der Wohnhütte zu finden ist: Holz, Kuhdung, Äste, landwirtschaftliche Abfälle. Das zehrt in dreifacher Hinsicht an den Armen: Es bedeutet Rauch in den Wohnungen, Mühsal und Zeitverlust – meist für Frauen –, es verursacht einen ständigen Mangel an Energie für Haushalt und Kleingewerbe, und es führt zur Dauerplünderung von Buschland und Wäldern, was einer stummen Katastrophe gleichkommt, weil unter dem Druck von immer mehr Menschen Zug um Zug die Vegetationsschicht abgetragen wird. Darum steht an der Spitze der Aufgaben für Armutsüberwindung und Umweltschutz, den Zugang zu erneuerbaren Energien zu ermöglichen, damit Arbeit zu schaffen und die Natur zu regenerieren.31 Hierzu gehört auch die Elektrifizierung der ländlichen Gebiete. Sie ermöglicht Gesundheit und Bildung durch Energie für Krankenstationen, Wasseraufbereitung und Schulen und schafft Arbeitsplätze. Diese Herausforderung, die fast einer Quadratur des Kreises gleicht, ist nur zu bestehen, wenn jetzt eine Grundentscheidung getroffen wird, die gleichzeitig technisch und politisch ist: Die Stromversorgung, die im Norden, aber gegenwärtig auch im Süden meist zentralistisch, oligarchisch und fossil organisiert ist, muss dezentral, auf regenerativer Basis und unter Beteiligung der Bevölkerung geplant werden. Anhand der Abbildung 22 lässt sich erkennen, welche wirtschaftliche und soziale Bedeutung eine solche Entscheidung hat. In den Industrieländern wird der überwiegende Teil der elektrischen Energie von leistungsstarken Kraftwerken direkt ins Hochspannungsnetz eingespeist und zu den Verbrauchsschwerpunkten übertragen. Von dort
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Abb. 22: Struktur einer zentralen und einer dezentralen Energieversorgung im Vergleich.32 In einer zentral organisierten Energieversorgung wird der überwiegende Teil der elektrischen Energie von leistungsstarken (Groß-)Kraftwerken in ein Hochspannungsnetz eingespeist und zu den Verbrauchsschwerpunkten übertragen. In einer dezentral geprägten Energieversorgung wird ein beträchtlicher Anteil des Stroms in kleinen, modularen Leistungseinheiten wie Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) oder Photovoltaik (PV) erzeugt und direkt den Verbrauchern zugeführt. Nur zur Sicherstellung der Versorgung gibt es zusätzlich einen Anschluss an ein übergeordnetes Verbundnetz.
aus werden die einzelnen Verbraucher über die verschiedenen Spannungsebenen versorgt. Der Lastfluss findet also hauptsächlich vertikal statt. Demgegenüber wird in einer dezentral geprägten Stromversorgung ein beträchtlicher Anteil des Stroms in kleinen, modularen Leistungseinheiten erzeugt. Die betreffenden Kraftwerke versorgen vorrangig die zahlreichen kleinen Verbraucher. Zur Sicherstellung der Versorgung bei Ausfällen gibt es zusätzlich einen Anschluss an ein übergeordnetes Verbundnetz. Da das dezentrale System einen höheren Anteil von verbrauchernaher Stromerzeugung hat, kann es lokalen Wirtschafts- und Naturbedingungen angepasst werden. Stromerzeugung wird zu einer lokalen Wirtschaftstätigkeit. Aus Energiekonsumenten werden zunehmend Energieproduzenten. Damit ist technisch angelegt, was auch sozial sinnvoll ist: Kleinkraftwerke, regionale Rohstoffe, lokale Versorgungsnetze erfordern die Beteiligung der Bevölkerung, stärken lokale Kompetenzen und sind in jedem Fall demokratienäher als zentrale Strukturen. Sie schaffen mehr Arbeitsplätze, da eine
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Vielzahl von Anlagen zu errichten und zu betreuen ist, sie ermöglichen eine am unmittelbaren Bedarf orientierte Planung wie auch kurze Bauzeiten, und sie vermitteln den Beteiligten ein besseres Verständnis ihrer Bedeutung für die Gesellschaft. Noch sind die unmittelbaren Kosten einer größeren Anlage (50 bis 200 Megawatt) im Bereich der zentralen Netzversorgung geringer als die vieler kleiner. Dafür haben diese einen höheren volkswirtschaftlichen Nutzen. Sie schaffen einen Massenmarkt, erleichtern den Eintritt neuer Marktteilnehmer und setzen so eine ökonomische Aufwärtsentwicklung in Gang. Erneuerbare Energien werden die Grundlage des dezentralen Versorgungssystems bilden. Fossile Rohstoffe brauchen meist lange Nachschubwege, die ihrerseits lange Wertschöpfungsketten schaffen.33 Die meisten Arbeitsplätze und die meisten Gewinne entstehen dann fern den Verbrauchern. Mit einem Wechsel der Rohstoffbasis kann sich diese Logik verändern. Photovoltaik, Windkraft, kleine Wasserkraftwerke und Biomasse haben kürzere Nachschubwege; das gilt nicht nur für die Rohstoffe, sondern oft auch für die mit ihnen verbundenen Konversionstechnologien. Arbeit und Einkommen bleiben verstärkt auf lokaler und regionaler Ebene, weil das Geld in einem kleineren geografischen Raum zirkuliert. Vom Blickpunkt eines indonesischen Bauern etwa wäre es wahres leapfrogging, einen energieeffizienten Herd, eine Solarpumpe oder eine Biogasanlage zur Verfügung zu haben – alles Techniken, die seinen Lebensunterhalt erleichtern, gleichzeitig seine natürliche Umwelt schonen und deren Quellen – Sonnenschein und Biomasse – überall vorkommen.34 Das industrielle Muster, die Natur zu vergeuden anstatt den Menschen Arbeit zu geben, würde vom Kopf auf die Füße gestellt, weil Menschen benötigt und Rohstoffe gespart werden. Noch ist allerdings der Trend zu zentralen Versorgungsstrukturen fast ungebrochen. Zu stark sind die Gegenkräfte, die Trägheit bestehender Apparate und die Interessen der Konzerne wie der transnationalen Mittelklasse im Süden. Am Beispiel Brasiliens lassen sich die Fehlentwicklungen gut studieren. So baute Brasilien in den letzten Jahrzehnten eine im Vergleich zur Größe des Landes und zur geringen Bevölkerungsdichte äußerst zentrale Energieversorgungsstruktur auf. Die Wirtschaftszentren im Südosten wurden mit Energie aus großen Wasserkraftwerken und einzelnen thermischen Kraftwerken versorgt; das Hinterland sowie die ärmeren Bevölkerungsschichten wurden vernachlässigt.35 Dort ist die Elektrifizierung gering und überdies höchst störanfällig. Diese Zweiteilung innerhalb eines Landes ist kein Einzelfall, sondern für Schwellenländer ziemlich typisch. Energieentscheidungen werden in erster Linie von Ökonomen und Ingenieuren getroffen, die kaum die Bedürfnisse der Mehrheit bedenken. Im Gegenteil, die Experten setzen gerne auf große Projekte wie Atom- und Kohle-
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kraftwerke, weil solche Großanlagen den nationalen Stolz heben, den Investoren und Ingenieuren Gewinn und Prestige verschaffen und sich mit militärischen Interessen verbinden lassen. Erst seit neuestem gibt es in Brasilien zaghafte Anläufe zur Förderung von erneuerbaren Energien.36 Dennoch steigt in vielen Ländern des Südens das Interesse an einer nicht-konventionellen Energieversorgung. Das lässt sich an einigen Verpflichtungen ablesen, die bei der Regierungskonferenz «Renewables 2004» in Bonn eingegangen worden sind. Anspruchsvolle Ziele verfolgen zum Beispiel Ägypten mit Wasserkraft, Wind und Solarkraftwerken, und die Philippinen, die zum weltweit größten Nutzer geothermischer Energie, zum führenden Produzenten von Windenergie und zum Exporteur für Solarzellen werden wollen. Schließlich haben karibische Staaten angekündigt, dem Beispiel Brasiliens zu folgen und Äthanol aus Zucker zu erzeugen, um teure Erdölimporte zu ersetzen. Mobilität ohne Auto-Abhängigkeit Wie viel Verkehr braucht eine Gesellschaft für mehr Wohlstand? Die triviale, aber folgenschwere Antwort heißt: weder zu wenig noch zu viel. Wie bei Energie, Wasser und anderen Naturstoffen gibt es auch für den Verkehr eine Mindestschwelle, unterhalb derer wenig Chancen bestehen, den Lebensstandard einer Gesellschaft anzuheben. Vermutlich ist das bei all jenen Gesellschaften der Fall, deren durchschnittliche Verkehrsleistungen pro Kopf unter 2000 km im Jahr liegen – das sind die meisten Länder des Südens. Sie werden also auch ihren Verkehr entwickeln müssen. Aber wie? Auch das ist eine Richtungsentscheidung. Ein noch wenig motorisiertes Land findet sich heute vor der Alternative, entweder ein Mobilitätssystem mit hoher Motorisierung für eine Minderheit anzustreben oder eines mit behutsamer Motorisierung für möglichst viele. Die im Norden entstandene Art hoher Auto-Motorisierung wird gegenwärtig zwar von vielen erstrebt; aber sie wird unerreichbar sein, da nicht nur die ökologischen sondern ebenso die sozialen und wirtschaftlichen Kosten einer rundum automobilen Gesellschaft zu hoch sind. Irgendwann wird sie stecken bleiben, weil die Treibstoffimporte zu teuer oder die Flächen zu knapp werden oder weil für die wirtschaftlich Schwachen nicht genügend Kaufkraft übrig bleibt. Bei der Alternative hohe Mobilität für eine Minderheit wächst die Motorisierung von oben in die Gesellschaft hinein, schafft neue Ungleichheiten und verschlechtert die Mobilität der Nicht-Motorisierten.37 In den Städten der Länder des Südens ist die Mehrheit der Menschen nach wie vor mit Rikschas oder Fahrrädern, zu Fuß oder im Autobus unterwegs. Durch das Wachstum des Autoverkehrs wird ihr Bewegungsraum immer mehr eingeengt. Sie werden deklassiert durch Lebensgefahr, Luftverschmutzung, Ver-
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treibung von den Straßen und schließlich auch durch das Wachstum der Entfernungen im Stadtgebiet. So sind in Indien 90 Prozent der Autos in den sechs größten Städten anzutreffen. Chinas Städte, einst ein Fahrradparadies, ersticken im Smog von Mopeds, Autos und Taxen. Sie beanspruchen oft mehr als die Hälfte der Straßenfläche, obwohl sie weniger als 10 Prozent der Personen bewegen. Ob in Delhi oder Nairobi, überall treffen die meisten Todesfälle die Fußgänger, gefolgt von Motor-Rikschas und Radfahrerinnen. In vielerlei Hinsicht führt die Beschleunigung relativ weniger Wohlhabender mitsamt ihrer Versorgung zur Verlangsamung der einfachen Leute. Mit der Mobilität der einen wächst drastisch die Immobilität der anderen. Eine nachhaltige Strategie wird daher eine andere Struktur des Verkehrswachstums wählen. Sie wird es dort fördern, wo es den größten gesellschaftlichen Vorteil erbringt. Also nicht: Autobahnen und Stadtringe bauen, weil die Pkw-Nachfrage der Oberschicht dies nahe legt, sondern Landstraßen in die entlegeneren Regionen, damit Lehrer und Ärzte die Menschen und landwirtschaftliche Produkte der Höfe die umliegenden Märkte erreichen können. Oder: Vorrang haben nicht breite Straßen, um die Staus der Pkw-Nutzer in den großen Städten zu beseitigen, sondern die sozialen und wirtschaftlichen Mobilitätsbedürfnisse der großen Mehrheit. Dazu gehören selbstverständlich auch Lkw-Transporte – aber nicht so sehr jene, die Konsumgüter von den Häfen zu den Metropolen liefern, sondern solche, die kostengünstig Gesundheits-, Bildungs- und Produktionsgüter zu den randständigen Regionen transportieren. Wer die Lebensbedingungen der breiten Bevölkerung verbessern will, darf nicht die Bewertungen der Wohlstandsländer übernehmen: «Wir bauen dort Straßen, wo schon ein starker Verkehrsaufwand dies fordert», oder, wie neoliberale Planer der Weltbank argumentieren: «Wir finanzieren dort Straßen, wo zahlungsbereite Pkwund Lkw-Nutzer diese refinanzieren.» Nachhaltige Mobilität bildet sich so nicht. Wo sie gesucht wird, entstehen einfache und kostengünstige Systeme, in denen Fußwege, nicht-motorisierte Fortbewegung und öffentlicher Verkehr aufeinander aufbauen.38 Sie können in der Bevölkerung mit weit mehr Akzeptanz rechnen, als das in den verkehrsverwöhnten Wohlstandsländern zu erwarten wäre. Gut ist der Grundsatz: first walk, then bike, then ride. Anstatt den Fußund Radverkehr als rückständig zu betrachten, sollten diese Möglichkeiten der Fortbewegung erhalten und gefördert werden. Das geschieht durch Verbesserung der Verkehrssicherheit zu Gunsten der schwächsten Verkehrsteilnehmer, durch zusammenhängende Routennetze für Fahrradfahrer und vor allem durch eine integrierte Stadtplanung, die den nicht-motorisierten Verkehr nicht ausgrenzt, sondern in den Mittelpunkt stellt.39 Da nicht alle Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigt werden können, ist ein gut aus-
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gebautes öffentliches Verkehrsnetz notwendig, das zugleich für jeden bezahlbar ist. Dabei birgt gerade der finanzielle Engpass vieler Entwicklungsländer auch Chancen in sich. Eine Form des Massenverkehrsmittels, deren Popularität weltweit wächst, sind Bus Rapid Transit-Lösungen, wofür Curitiba in Brasilien ein Vorbild geworden ist. Dabei handelt es sich nicht um einfache Expressbusse, sondern um ein eigenes Verkehrssystem, das unter anderem durch eigene Fahrspuren vergleichbare Transportkapazitäten wie U-Bahnen bietet und dabei sehr viel kostengünstiger ist.40 Das beispielhafte und inzwischen in mehreren Städten übernommene System von Curitiba erinnert daran, dass der Siegeszug des Autos und der Niedergang des öffentlichen Verkehrs keineswegs das Ergebnis natürlicher Evolution sind, sondern die Folge von spezifischen Kostenstrukturen, Subventionen und staatlich gesetzten Infrastrukturen. Das trifft auch für die Konstruktion der Automobile selbst zu. Wohlgemerkt: Es geht um eine Korrektur der Fehlentwicklung Auto, nicht um den Verzicht auf das Automobil, das für vielerlei Anwendungen nützlich und nötig ist. Nur: Die hoch industrialisierten Länder haben Automobile erfunden, die 1000 bis 1500 kg Material bewegen müssen, um 70 bis 90 kg Personengewicht zu transportieren. Das ist nicht durch Naturgesetze zu erklären, sondern durch eine Kombination aus Gleichgültigkeit gegenüber Naturschätzen, aus der Einführung des Autos als Spaßprodukt für die Begüterten, aus Geschwindigkeitsliebe und mit Hilfe massiver Subventionen für den Einsatz von Ressourcen. Um einer Ärztin oder einem Handelsreisenden den Zugang zu Streusiedlungen in gering besiedelten Regionen zu ermöglichen, bedarf es keiner «lackierten Kampfhunde» mit mehreren hundert Kilowatt Leistung und potenziellen Geschwindigkeiten von 180 km/h oder mehr, sondern Fahrzeuge mit mäßigen Höchstgeschwindigkeiten um 100 km/h, einer Leistung von 30 kW sowie eines auf ein Zehntel reduzierten Energieverbrauchs. Eine behutsam motorisierte, ressourcen-leichte Automobilflotte könnte die Mobilität ungemein erhöhen, ohne dieselbe Schleifspur an sozialen und ökologischen Kosten zu verursachen, wie sie die Fahrzeuge aus den nördlichen Verschwendungsindustrien hinterlassen. Die Automobilfirmen werden freilich erst dann leichte, langsame und sparsame Pkw für Länder des Südens bauen, wenn die Regierungen erkennbar für sie eintreten, also die entsprechenden Infrastrukturen herstellen und die rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen schaffen, die solche Gefährte begünstigen und die andern belasten. Doch vor solchen Innovationen im Geist eines ökologischen leapfrogging stehen hohe Hindernisse: die Wünsche von Reichen, die an das Prestige PSstarker Autos denken, das Gewinninteresse der Autokonzerne, die ihre hoch gerüsteten Modelle in neuen Märkten absetzen wollen, und der Wille der Staatsvertreter, mit Straßenbauten Wähler zu beeindrucken. Wie alle drei
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Hemmfaktoren zusammenspielen, lässt sich seit zehn Jahren in China beobachten – einem Land, in dem die Dynamik des eigenen Aufstiegs sich mit den Exportinteressen der großen Automobilkonzerne verbunden hat, und das durch forcierten Straßen- und Autobahnbau und durch Absenkung der Importzölle in die Richtung einer individuellen Vollmotorisierung drängt. China ist dabei, sich die Zukunft für eine nachhaltige Mobilität im wahrsten Sinne des Wortes zu verbauen. Dazu holt es sich mit dem rasanten Ausbau der Verkehrswege ein Problem ins Land, das die hoch motorisierten Länder immer stärker belastet: die kaum mehr zu schulternden Erhaltungskosten mit ihren langfristigen Ausgabenverpflichtungen. Regenerativer Landbau Der Sprung nach vorn in der Landwirtschaft des Südens ist ein Überspringen und Ablösen jener Anbaumethoden, die in den Industrieländern «konventionell» genannt werden, weil sie die Prinzipien der industriellen Produktion übernommen haben. Wie schon die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts als Entwicklungsweg einen historischen Ausnahmefall darstellt, der wesentlich auf Fernhandel und fossilen Energien basiert, so gilt dies auch für die Industrialisierung der Landwirtschaft. Denn erst das Mitte des 19. Jahrhunderts über den Seeweg aus Peru importierte Guano (phosphor- und stickstoffhaltige Vogelexkremente), das später durch industriell gefertigten Kunstdünger ersetzt wurde, drängte die Bauern dazu, sich von den natürlichen Stoffkreisläufen und dem Gleichgewicht zwischen Acker- und Weidewirtschaft abzuwenden.41 Gleichzeitig legte damals der große Bedarf an Arbeitskräften in Industrie und Städten eine zunehmend kapital- und ressourcenintensive Produktion in der Landwirtschaft nahe, die in der Lage war, Arbeitskräfte freizusetzen. Allein, die Länder des Südens befinden sich heute in einer grundlegend anderen Situation: Sie verfügen eher über ein Übermaß an Arbeitskräften auf dem Land und haben ein großes Interesse, Migrationsströme in die Städte zu verringern. Hinzu kommt, dass sich die industrielle Landwirtschaft – im Norden wie im Süden – in eine ökologische und soziale Sackgasse manövriert hat. Sie produziert mit massivem Dünger- und Pestizideinsatz, hohem Wasser- und Energieverbrauch, einer meist großflächigen, hoch technisierten Produktion und mit Massentierhaltung möglichst billige Nahrungsmittel. Dies führt zur Abnahme der Bodenfruchtbarkeit und zur Bodenerosion, zur Verschmutzung von Grundwasser, Seen und Meeren und zu einem Rückgang der Agro-Biodiversität, die durch den Einsatz genmanipulierter Pflanzen und Tiere noch vertieft wird. Die industrielle Landwirtschaft stellt insofern den Kreuzungspunkt einer Vielzahl drängender ökologischer Probleme dar. Im Süden markiert sie darüber hinaus einen Kreuzungspunkt sozialer Probleme: Sie ist eine Hauptursache für die mangelnde heimische Nah-
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rungsversorgung vieler Länder und macht Menschen arbeitslos, die in der Landwirtschaft beschäftigt waren und anderswo keine Anstellung finden (Kapitel 3.2). Die ökologischen und sozialen Folgen der industriellen Landwirtschaft treffen vor allem arme Menschen auf dem Land. Ihr Lebensunterhalt hängt in der Regel nicht nur von den angebauten Feldfrüchten oder der Tierzucht ab, sondern auch von wild wachsenden Pflanzen und von Tieren, die auf Gemeinschaftsland leben und nebenbei gesammelt, gejagt oder aus den Gewässern gefischt werden. Wie eine Untersuchung für Bangladesch herausfand, bezieht die ländliche Bevölkerung dort mindestens 40 Prozent des Nahrungsgewichts und die größte Menge des erforderlichen Nährstoffgehalts von Flächen oder Gewässern, die nicht bewirtschaftet werden.42 Die Grundannahme der Monokulturwirtschaft, dass eine Spezialisierung auf eine einzelne Feldfrucht die ertragreichste Form des Landbaus sei, leidet unter einer verkürzten Sicht. Auch wenn deren Ertrag wächst – durch Bodenerosion, abnehmende Bodenfruchtbarkeit, Umweltvergiftung oder Wasserknappheit werden die wild wachsenden Nahrungsmittel weniger. So kommt es, däss durch die Monokulturen insgesamt weniger Nahrungsmittel zur Verfügung stehen, obwohl die Einzelerträge je Frucht zunächst größer sein mögen. Im Gegensatz zur industriellen Landwirtschaft zielen regenerative Landbaumethoden darauf ab, die natürlichen und sozialen Ressourcen schonend zu nutzen, die Produktion auf naturverträgliche Weise zu steigern und vorrangig auf die Eigenversorgung und den lokalen Markt auszurichten, traditionelle Anbautechniken ökologisch weiterzuentwickeln und an die natürlichen Ökosysteme anzupassen. Das setzt ein Umdenken voraus: Man muss sich von den Leitvorstellungen der industriellen Durchlaufwirtschaft frei machen, um die spezifische Artenvielfalt und die natürlichen Vernetzungen und Kreisläufe zu nutzen, und um mehr die Menschen als die Maschinen als wichtigstes Produktionsmittel zu erkennen. Im Kern umfassen Methoden des regenerativen Landbaus folgende Prinzipien: den Anbau in Mischkulturen, die auf einem Feld zur gleichen Zeit mehrere Feldfrüchte in räumlicher Nähe kultivieren, um Lebensraum für natürliche Feinde von Schädlingen anzubieten und die biotische Aktivität des Bodens anzuregen; Fruchtfolgewechsel, welche die Bodenfruchtbarkeit regenerieren und die Lebenszyklen von Schädlingen durchbrechen; die gemischte ackerbauliche und forstwirtschaftliche Landnutzung (Agro-Forstwirtschaft) sowie die Pflanzung von Feldfrüchten unter Bäumen, um Schädlinge fernzuhalten und die Bodenfeuchtigkeit und das Mikroklima zu stabilisieren; schließlich die Integration von Ackerbau, Vieh- und, wo möglich, Fischzucht, um genügend Biomasse zu erzielen und organische wie mineralische Nährstoffe in die Stoffkreisläufe rückzuführen.43
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Mit den Formen des regenerativen Landbaus gibt es im Süden bereits gute Erfahrungen. Jules Pretty und Rachel Hine haben 208 Agrarprojekte in 52 Ländern ausgewertet, die auf möglichst naturnahe Weise der Nahrungsmittelknappheit zu begegnen versuchen.44 Ein Beispiel: In Bangladesch hatten Bauern jahrzehntelang ihre Felder mit Hybridsaaten und Agrarchemikalien bestellt und waren damit den Forderungen der so genannten «Grünen Revolution» nachgekommen, wie von ihrer Regierung und der Weltbank empfohlen. Durch den massiven Einsatz von Pestiziden und Mineraldünger hatten sich die Erträge zwar zunächst erhöht, waren dann aber wieder abgesunken, da Boden und Wasser verseucht und ausgelaugt waren. Die Wende kam mit der großen Flutkatastrophe von 1988: Weder Saatgut noch Agrarchemikalien hatten die Flut überstanden. Für einen Neukauf fehlte das Kapital. Darum kamen die Betroffenen überein, neue Wege auszuprobieren. Wo früher nur eine Pflanze, zum Beispiel Zuckerrohr, kultiviert wurde, herrscht heute eine üppige Mischkultur auf kleinen Parzellen vor. In wechselnder Fruchtfolge und im Gemisch werden beispielsweise Zwiebeln, Knoblauch, Kartoffeln, Rettich, Linsen, Kürbisse und Süßkartoffeln gezogen; Zuckerrohr wird zwischen die Reihen oder die Flecken anderer Nutzpflanzen gesetzt. Um den Ankauf von mineralischen Düngemitteln zu umgehen, streuen die Bauern in Bangladesh stickstoffproduzierende Hülsenfrüchte, Okraschoten, Wasserhyazinthen – sie galten vormals als aggressives Unkraut –, Bananenblätter, Reisstroh oder Kuhmist in die Pflanzungen. Im tropischen Klima kommt es durch die Organismen des Bodens schnell zur Humusbildung. Nicht nur in Bangladesh, auch in China und Vietnam werden die Nassreisfelder darüber hinaus für AquaKulturen genutzt. Fische oder auch Krabben werden zwischen den im Wasser stehenden Reispflanzen produziert und für die eigene Eiweißversorgung genutzt. Die Fische wiederum vertilgen die Larven der Moskitos und andere Insekten, die Krankheitserreger übertragen, was die Seuchengefahr verringert. Die Dämme rings um die Felder werden als Gemüsebeete bewirtschaftet.45 Entscheidend ist, dass der Landbau die Regelkreisläufe der Natur besser nutzt, weil er sich an die jeweiligen Bedingungen von Klima und Boden anpasst und die lokale Artenvielfalt pflegt. Er wird dadurch dort, wo Löhne niedrig sind, kostengünstiger als die industrielle Landwirtschaft: Das arbeitsintensive Wirtschaften auf relativ kleinen Parzellen erlaubt beträchtliche Einsparungen bei betriebsfremden Produktionsmitteln wie Maschinen, Mineraldünger und Pestiziden. Da die Ökosysteme intakt und die Artenvielfalt erhalten bleiben, können insbesondere ärmere Menschen weiter dem Sammeln und Jagen als Nahrungs- und Einkommensquelle nachgehen. Und von vornherein werden die Schadstoffe vermieden, deren Beseitigung einer Volkswirtschaft Kosten auferlegt.
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Kosten können zudem vermieden werden, wenn die Vermehrung des Saatguts nicht (ausländischen) Unternehmen überlassen wird, sondern im Lande bleibt. Frauen haben unzählige Saatguttechniken und soziale Formen des Austauschs von Saatgut tradiert, die eine kosten-lose Pflege der Agro-Biodiversität gewährleisten. Sie können durch den Aufbau lokaler, nicht-kommerzieller Saatgutzentren unterstützt werden, wie es beispielsweise das Seed Wealth Center in Bangladesch vorgemacht hat. Dort werden Hunderte von lokalen Pflanzen- und Baumsaaten gesammelt, die anschließend den Bäuerinnen zur Verbesserung ihres eigenen Saatguts zur Verfügung stehen. Der angepasste Landbau wird nicht nur Weide- und Farmlandschaften regenerieren, sondern auch mit einer Restauration von Feuchtgebieten, Uferbiotopen und Wäldern einhergehen, die für die Wasserspeicherung und die Bildung des Grundwassers unerlässlich sind. Wichtig ist auch die Rückführung städtischer Abwässer. Hier ist sogar ein Sprung erforderlich – weit über moderne Methoden des biologisch-dynamischen Landbaus im Norden hinaus, der städtische Abwässer in der Regel noch nicht systematisch für die Nutzung in der Landwirtschaft einsetzt. Die folgende Trennung städtischer Abwässer bietet sich an: Gelbwasser (Urin), in dem die größte Menge an Nährstoffen enthalten ist, lässt sich bei separater Ableitung zu hochwertigem Dünger verarbeiten. Braunwasser (Faeces) kann entweder kompostiert werden und dient anschließend der Bodenverbesserung oder wird zur Energieerzeugung in Biogasanlagen eingesetzt. Relativ gering belastetes Grauwasser (Baden, Waschen, Putzen etc.) lässt sich in biologischen Kläranlagen leicht reinigen und steht anschließend zur Bewässerung der Felder zur Verfügung. Eine separate Behandlung der Abwässer industrieller Einleiter ist gegebenenfalls ebenso erforderlich; denn so können die Schadstoffe, die in einem Betrieb oder Krankenhaus anfallen, in entsprechend spezialisierten und dezentralen Aufbereitungsanlagen herausgefiltert werden, sodass das Wasser direkt wieder nutzbar gemacht wird.46 Eine systematische Verknüpfung der landwirtschaftlichen Produktion mit dem Abwassermanagement wird so die knappen Wasserressourcen schonen und die Umweltbelastungen der Seen, Flüsse und des Grundwassers vermindern (Abbildung 23). Schließlich hat der regenerative Landbau insgesamt eine positive Energiebilanz, während die industrialisierte Landwirtschaft – richtig gerechnet – mehr Energie investiert als erzeugt.47 Auch das macht deutlich, dass für die Länder des Südens nicht die Industrialisierung der Landwirtschaft, sondern die Anpassung des Landbaus der Weg ist, auf dem sie sowohl ihre Binnenversorgung als auch ihre Austauschbeziehungen verbessern können. Denn woher soll der hohe Energieeinsatz kommen, und wie soll er bezahlbar sein, wenn die fossilen Energien knapper werden?
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Abb. 23: Integration von Landbau, Abwasserentsorgung und Energieversorgung.48 Eine Verknüpfung des Landbaus mit dem städtischen Abwasser-Management und der Energieerzeugung aus Biomasse wird einen Stoffkreislauf schließen und die knappen Wasserressourcen schonen.
Die arbeitsintensive und gleichzeitig energiesparende Produktion erlaubt eine Trendumkehr der Rolle der Landwirtschaft in der Gesamtwirtschaft. Sie kann zu einer Zukunftsbranche werden, nämlich zu einer zentralen Quelle der Energieversorgung. Indem sie Biomasse liefert und Rohstoffe für Biotreibstoffe kultiviert, wird sie in mittlerer Frist – auch im Norden – einige der Funktionen übernehmen, die bislang noch die Industrie besetzt. Den Ländern des Südens eröffnet sich die historische Chance, zur Speerspitze dieser Entwicklung zu werden und ihre Bauern zu den «Ölscheichs» des 21. Jahrhunderts zu machen. Doch darf dabei die Energieversorgung nicht in Konkurrenz zum Anbau von Nahrungsmitteln sowie zum Landschafts- und Naturschutz treten, weshalb im Schnitt maximal 3 Prozent der globalen Landfläche dem Anbau von Energiepflanzen dienen sollten.49 Zudem kann der Anbau auf nachhaltige Weise nur mit Methoden des regenerativen, in Mischkulturen produzierenden Landbaus erfolgen, der zudem vorrangig auf den regionalen Markt ausgerichtet ist – sonst drohen die vegetationsreichen Regionen des Südens zu monokulturell verarmenden «Tankstellen» des Weltmarkts zu verkommen.
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Finanzinstitutionen als Hilfesteller? Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass multilaterale Finanzinstitutionen in zahlreichen Ländern als Agenten des fossilen Zeitalters auftreten. Schon seit geraumer Zeit versteht etwa die Weltbank ihre konstitutionelle Aufgabe, zur Armutsüberwindung beizutragen, in der Hauptsache als eine Verpflichtung zur Wachstumsförderung, und seit den 1990er Jahren insbesondere darin, in Ländern des Südens die Infrastrukturbedingungen für den Zufluss privaten Investitionskapitals aus dem Ausland herzustellen. Autobahn-Infrastrukturen etwa mögen in der kurzen Sicht diesen Zielen dienlich sein, doch indem sie Regionen unter Vorrang für Lastzüge und Privatautos erschließen, haben sie die Tendenz, ein Land in die Vollmotorisierung zu treiben. Dies lässt sich in zahlreichen Ländern beobachten, wo internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank neben der nationalen Regierung und der Automobilindustrie als der dritte wichtige Akteur in der Infrastrukturpolitik auftreten. Vor allem der Straßenbau wird mit Großkrediten unterstützt, wie etwa in China das National Trunk Highway System, das für Verbindungen zwischen 95 Städten bis 2008 ein Streckennetz mit einer Länge von 30 000 km vorsieht, oder in Indien das National Highway Development Project, das mit über 14 000 km entlang der Küsten und in Nord-Süd- wie Ost-West-Achsen das Land für den Motortransport öffnen soll. Der Wachstumsförderung durch eine fossil-orientierte Infrastrukturpolitik Vorschub zu leisten ist umso verhängnisvoller, als Infrastrukturinvestitionen die nachgeordnete Wirtschaftsstruktur prägen und obendrein über viele Jahrzehnte wirken. Sie legen den Entwicklungsweg eines Landes für den Rest dieses Jahrhunderts fest, indem sie zunehmend das Zeitfenster schließen, wo nachhaltige Optionen noch hätten gewählt werden können. Und dieser Befund gilt weit über Verkehrsprojekte hinaus. Auch im Energiesektor konzentrieren sich die Weltbank und andere multilaterale Finanzgeberauf die Expansion des fossil erzeugten Energieangebots – weit vor der Förderung der Energieeffizienz oder erneuerbarer Energien. Zwischen 1992, dem Jahr des Rio-Gipfels, und 2004 hat die Weltbank-Gruppe insgesamt 11 Milliarden Dollar für 128 Projekte zur Öl-, Gas- und Kohleförderung in 45 Ländern genehmigt. Von diesen Projekten zielen 52 auf den Export von fossilen Brennstoffen für den Weltmarkt ab, meistens für Industrieländer. Nach den Berechnungen des Extractive Industries Review investierte die Weltbank 94 Prozent ihres Energie-Portfolios im Jahr 2003 in fossile Energien, aber nur 6 Prozent in erneuerbare Energien.50 Das ist bemerkenswert, weil man meinen möchte, dass die Weltbank als Institution der Vereinten Nationen sich auch den Vereinbarungen der UNKonferenz zu Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro über nachhaltige Entwicklung im Allgemeinen und den Klimawandel im Besonderen
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verpflichtet fühlt. Davon kann freilich keine Rede sein. Multilaterale Finanzinstitutionen gehören nach wie vor de facto, trotz mancherlei Reformvorsätzen – die Weltbank hat sich im Aktionsplan der Konferenz «Renewables 2004» zu einer erhöhten Förderung regenerativer Energien verpflichtet –, zu den treibenden Kräften fossiler Entwicklung, übrigens nicht nur unter dem Druck der Geberländern im Norden, sondern zunehmend auch unter dem Druck von Schwellenländern. Und so werden Milliarden an öffentlichen Geldern in einer Weise investiert, dass ein gerechtigkeitsfähiger Wohlstand bald nicht mehr der Horizont, sondern die Fata Morgana der Weltgesellschaft sein wird. Überdeutlich hat sich dies auch in der Agrarpolitik gezeigt. Der Siegeszug der industriellen Landwirtschaft – den Bauern und der öffentlichen Meinung als «Grüne Revolution» schmackhaft gemacht – wurde von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds im Verein mit anderen internationalen Institutionen vorangetrieben. Die «Grüne Revolution» ersetzt den bäuerlichen Einsatz von Arbeit, pflanzlichem und tierischem Dünger, selbstgezogenem Saatgut, Wasser durch industriell hergestellte Produktionsmittel, die insgesamt weit mehr Energie verbrauchen als die bäuerliche Produktionsweise und die entsprechend mehr Schadstoffemissionen verursachen. Sie macht die Landwirte abhängig vom jährlichen Kauf von Saatgut, von Düngemitteln, Pestiziden, Insektiziden und forciert den Umstieg auf Monokulturen. Die Weltbank vergab zur Förderung dieser Entwicklung Kredite an große Agrarunternehmen für die (anfangs kostenlose) Verbreitung hybriden Saatguts und der begleitenden Chemikalien in Entwicklungsländern und finanzierte Wasserprojekte für industrielle Landbewirtschaftung.51 Auch hier sind Weichen gestellt worden, die sich nicht kurzfristig umstellen lassen, wenn die großflächigen monokulturellen Strukturen einmal geschaffen sind und die Vielfalt der Pflanzenarten bereits zurückgegangen ist. Ein Sprung der Länder des Südens in eine post-fossile Wirtschaftsweise kann zu Beginn mitunter Mehrinvestitionen erfordern, die sich erst in der längeren Frist und aufgrund ihres volkswirtschaftlichen Nutzens rentieren. Den Finanzinstitutionen obliegt im 21. Jahrhundert die Herausforderung, bei diesem Sprung Hilfestellung zu leisten. Daher scheint die Zeit reif, dass die Weltbank und andere Geldgeber ihre Rolle bei der Förderung von Infrastrukturen und Technologien entlang der Einsicht überdenken, dass Armutsminderung und Gerechtigkeit bei begrenzten Ressourcen langfristig nur in einer ressourcen-leichten Wirtschaft realisiert werden können.
6 Verträge für Fairness und Ökologie Das Recht muß nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepaßt werden. Immanuel Kant, 1797
Vor einem Vierteljahrhundert, noch bevor die Rede von der «Globalisierung» aufgekommen war, brachte ein deutscher Bundeskanzler mit treffsicherer Intuition die politische Konsequenz weltweit angewachsener Interdependenz auf den Punkt. Alle Außenpolitik, so Willy Brandt in Aufnahme eines von Carl Friedrich von Weizsäcker geprägten Begriffes, sei von nun an nichts anderes als Weltinnenpolitik. Damit hat Brandt die Lage der Politik im postnationalen Zeitalter charakterisiert. Nach dem Auszug von Wirtschaft und Kultur, oder doch beträchtlicher Teile davon, aus dem Nationalstaat lässt sich Innenpolitik nicht mehr von Außenpolitik trennen. Auf vielfache Weise sind nun die inneren Angelegenheiten eines Landes von transnationalen Kraftfeldern beeinflusst. Und umgekehrt lässt sich Außenpolitik nicht mehr so recht von Innenpolitik unterscheiden, da innere Angelegenheiten, selbst wenn sie in Europa geregelt werden – man denke an Energiepolitik oder die Subventionen für die Landwirtschaft –, zunehmend außenpolitische Wirkungen zeigen. Unter solchen Umständen wird die Unterscheidung zwischen außen und innen von der Unterscheidung zwischen global und lokal überlagert. Mit der Forderung nach einer Weltinnenpolitik zog Brandt die Schlussfolgerung aus dieser Verschiebung. Nicht das nationale Wohl ist für ihn der Bezugsrahmen für eine aufgeklärte Außenpolitik, sondern das Gemeinwohl der Weltgesellschaft. Willy Brandt stellt sich damit in Linie mit jenem Projekt, das schon 1795 Immanuel Kant in seiner Schrift «Zum ewigen Frieden» andachte: die Verwirklichung einer Weltbürgergesellschaft. Für Kant lag die Bedeutung einer tragfähigen Weltordnung darin, dass die Staaten davon ablassen, sich wie konkurrierende Einzelwesen zu benehmen, die nur auf ihre relativen Machtvorteile aus sind. Stattdessen wollte er Machtbeziehungen in Kooperationsbeziehungen umformen und die Rechte der Bürger über die Interessen ihrer Staaten stellen. Wie allerdings eine solche Weltinnenpolitik ausehen kann und welchen Prinzipien sie gehorchen soll, ist Gegenstand eines weltweiten Streites. Globalisiererinnen stehen gegen Globalisierungskritiker, Davos gegen Porto Alegre, und beide wurden in den letzten Jahren vom terrorabwehrenden Unilateralismus in den Hintergrund gedrängt. Gegenüber der unilateralen – in nicht-diplomatischer Sprache: selbstherrlichen – Sicherheitspolitik der USA lassen sich sogar Gemeinsamkeiten zwischen den Lagern ausmachen: Beide, Globalisierer und Globalisierungskritikerinnen, setzen im Gegensatz
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zu den Unilateralisten der USA sowohl auf die Herrschaft des Rechts wie auch auf multilaterale Kooperation. Größer als ihre Gemeinsamkeiten bleiben jedoch ihre Differenzen. Ohne zu sehr zu vergröbern, stehen gegenwärtig zwei Konzepte der Globalisierung im Konflikt. Die marktgeleitete Globalisierung ist darauf aus, die Welt zu einem einheitlichen und durchgängigen Wirtschaftsraum umzubauen. Transnational agierende Unternehmen sollen ohne Hindernisse miteinander in globalen Wettbewerb treten, um möglichst effizient Reichtum und Wohlstand in der Welt zu vermehren. Dieses Konzept, das sich bis zur Freihandelsidee im England des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt, hat die Weltpolitik vor allem seit den 1980er Jahren geprägt. Demgegenüber sieht das Konzept der politikgeleiteten Globalisierung die Welt nicht als Wirtschaftsarena, sondern als ein Gemeinwesen, in dem Menschen, Nationen, Gesellschaften zusammenleben. Dieses Gemeinwesen soll Institutionen ausbilden,die dem Gemeinwohl verpflichtet sind-was eine ständige Abwägung zwischen den Werten der Demokratie, der Ökologie und dem wirtschaftlichen Nutzen verlangt. Die Wurzeln dieses Konzepts gehen auf die Theorien der polis und später der kosmo-polis in der griechischen Antike zurück und dann auf die europäische Aufklärung. Um den Unterschied zwischen beiden Konzepten auf eine Formel zubringen: Die Vertreter einer politikgeleiteten Globalisierung blicken auf die Welt und sehen eine Gesellschaft, die einen Markt hat; die Vertreter der marktgeleiteten Globalisierung hingegen blicken auf die Welt und sehen eine Gesellschaft, die ein Markt ist. In den vorangegangenen Kapiteln haben wir Beiträge zur Empirie und Theorie globaler Ressourcengerechtigkeit geliefert. Denn in der Idee der Ressourcengerechtigkeit fließen die beiden Herausforderungen zusammen, die die Welt in der Zukunft wird bestehen müssen: mehr Gerechtigkeit zu realisieren und gleichzeitig die Biosphäre zu schützen. In dieser Perspektive stellen sich drei Leitfragen. Erstens, wie können Institutionen transnationalen Regierens dazu beitragen, den Zugang zu Naturressourcen so zu gestalten, dass für alle Weltbürger die elementaren Existenzrechte gesichert sind? Zweitens, wie müssen solche Institutionen ausgelegt sein, um allen Nationen die Chancen auf eine frei gewählte, ebenbürtige Entwicklung zu erhalten? Und drittens, wie können Institutionen der Global Governance den Übergang zu gerechtigkeitsfähigen Produktions- und Konsummustern unterstützen? Mit diesen Fragen wenden wir uns in diesem Kapitel einigen wichtigen Schauplätzen der internationalen Umwelt- und Wirtschaftspolitik zu, auf denen in diesen Jahren um die Architektur globaler Institutionen gerungen wird. Schauplätze dieser Auseinandersetzung sind zum Beispiel die internationalen Umweltregime oder die Welthandelsorganisation (WTO). Aber auch die Akteure der internationalen Bühne rücken ins Blickfeld: transna-
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tionale Unternehmen als Wegbereiter und Profiteure der Globalisierung, die Akteure der Zivilgesellschaft als Ideengeber und Antreiber einer zukunftsfähigen Weltgesellschaft, und nicht zuletzt die Europäische Union als ein möglicher, aber noch unentschlossener Förderer einer solchen Entwicklung. Allerdings ist auf der globalen Ebene nur ein Teil dieser Auseinandersetzung sichtbar. Denn Veränderungen von oben bleiben ziemlich kraftlos, wenn sie nicht durch Veränderungen von unten begleitet, ja herausgefordert werden. Es sind vor allem die vielfältigen Aktivitäten für Ökologie und Gerechtigkeit auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, die eine Entwicklung zu mehr Ressourcengerechtigkeit vorantreiben: die Interessenvertretungen der Kautschuksammler im Urwald des Amazonas, die Baumschutzbewegung in Indien, die Unternehmerinitiativen für Ressourcen sparendes Wirtschaften, die Verbraucherkampagnen für fairen Handel und auch die zahllosen Mitglieder von Menschenrechtsgruppen und Umweltverbänden. Sie alle sind Teil des großen Bemühens, die Weltgesellschaft auf eine zukunftsfähige Basis zu stellen. Schließlich gehören zu dieser Bewegung auch die vielen Millionen Menschen, die durch eigenes Handeln und als Wahlbürger Einfluss auf das Geschehen nehmen.
6.1 Gerechtigkeit im Treibhaus Die Verbrennung von Kohle, Öl, Erdgas und auch Holz setzt als ein Nebenprodukt Kohlendioxid (CO2) frei. Es wird zum Teil von Vegetation und Meeren absorbiert, zum anderen Teil sammelt es sich aber in der Erdatmosphäre an. Konzentriert es sich dort im Überschuss, wirkt es wie eine zusätzliche Isolierschicht und hält zu viel Sonnenwärme auf der Erde zurück. Nicht alle Länder und schon gar nicht alle Menschen setzen in gleichem Ausmaß Treibhausgase frei; diese Freisetzung korreliert mit der Verteilung wirtschaftlicher Kraft auf dem Globus. Die Beziehung zwischen der Verschmutzung der Atmosphäre und wirtschaftlicher Prosperität ist eindeutig (Kapitel 2.1). Je reicher und damit mächtiger eine Gesellschaft ist, desto höher ist, mit leichten Variationen, auch der Ausstoß an Kohlendioxid; denn die Möglichkeit, die Lebenshülle des Planeten als Müllkippe zu nutzen, stellt eine Quelle wirtschaftlicher Macht dar. Wer immer nach einem größeren Anteil an wirtschaftlicher Macht strebt, wird daher auf einem größeren Anteil an der Belastung der Atmosphäre beharren. Darin besteht der Verteilungskonflikt um die begrenzte Ressource Erdatmosphäre. Doch die Inanspruchnahme der Erdatmosphäre schafft nicht nur Macht, sie vertieft auch Ohnmacht. Denn mit der Erderwärmung fallen Schadenswirkungen an, die sich ungleich über die Erde verteilen und wirtschaftlich schwache Regionen und Menschen bis an die Grenze ihrer Existenzfähigkeit und darüber hinaus
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belasten können. Um nur ein Beispiel zu nennen: Bis zu 100 Millionen Menschen und mehr leben unterhalb der 88 cm, um die Klimaforscher den Anstieg des Meeresspiegels für möglich halten.1 Moleküle und Menschenrechte Das Tauziehen um Entwicklung und Emissionen hat seinen Niederschlag in zwei zusammenhängenden völkerrechtlichen Verträgen gefunden: der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen von 1992 und dem KyotoProtokoll von 1997. Während die Klimakonvention einen Rahmen für die Kooperation in wissenschaftlicher und politischer Hinsicht setzt, geht das Kyoto-Protokoll darüber hinaus und stellt rechtlich verbindliche Minderungsverpflichtungen für Industriestaaten auf.2 Zentrale Zielsetzung des Rahmenvertrages ist gemäß Artikel 2 die Verpflichtung, «eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems» zu verhindern.3 Der Vertrag geht davon aus, dass der globale Umweltraum zur Deponierung von Kohlendioxid und anderen Gasen begrenzt ist, und sieht gemeinsame Verpflichtungen vor, um einer gefährlichen Überlastung des Umweltraums vorzubeugen. Damit hat die internationale Staatengemeinschaft vorgegeben, was Regieren im transnationalen Raum bedeuten kann: Weil Emissionen keine Grenzen kennen, bedarf es multilateraler Beschlüsse; und weil die Atmosphäre ein Gemeinschaftsgut ist, kann über sie nur in geteilter Souveränität verfügt werden. Freilich fingen mit dieser Festlegung die Probleme erst an. Seither rollt eine Welle an Kontroversen durch Wissenschaft, Publizistik und Politik. Wie viel am Klimawandel lässt sich anthropogenen Einflüssen zuschreiben? Welches Ausmaß an Erderwärmung ist hinnehmbar? Wann kann eine Störung des Klimasystems gefährlich werden und für wen? Von den Antworten auf diese Fragen hängt viel ab. Denn daraus ergibt sich, welche Obergrenzen für Emissionen die Weltgesellschaft für sich definieren muss, und das heißt auch, wie viel Raum für die Öl-, Gas- und Kohlewirtschaft auf der Erde verbleibt. Welcher Anstieg der globalen Mitteltemperatur ist tolerierbar – und für wen? Hinter dieser Schlüsselfrage lauern Grundfragen des Zusammenlebens der Menschen und Nationen auf dem Globus. Nur, diese Einsicht sucht man in der öffentlichen Klimadebatte über weite Strecken vergeblich; dort herrscht soziale Blindheit vor. Das hat Gründe: Die Schadenswirkungen des Klimawandels erreichen nicht alle, sie treffen die Armen mehr als die Reichen, daher können die Letzteren sich mehr Toleranz erlauben als die Ersteren (Kapitel 2.1). Übereinstimmend erwarten einschlägige Untersuchungen4, dass die Länder des Südens und in ihnen besonders jene kaufkraftschwachen Gruppen auf dem Lande, die direkt von der Natur abhängig sind, die destabilisierenden Folgen der Erderwärmung wesentlich schroffer
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zu spüren bekommen werden als Industrieländer und Stadtbevölkerungen. Während die transnationale Verbraucherklasse den Klimawandel mitverschuldet, werden größere Teile der mehrheitlichen Restwelt die Zeche bezahlen. Schon heute sind beispielsweise die in den arktischen Regionen Kanadas lebenden Inuit aufgrund gestiegener Temperaturen in ihrer wirtschaftlichen Sicherheit und in ihrer Kultur gefährdet. Jäger verschwinden auf der Jagd, da die herkömmlichen Routen über das Eis nicht mehr tragfähig sind; Vorräte verderben, weil der Permafrostboden aufbricht; Iglus verlieren ihre isolierende Eigenschaft, wenn der Schnee taut und dann wieder gefriert. Und schließlich führt das Abtauen der Ufer zu einem Abfluss von Süßwasser mitsamt Fischpopulationen in die Arktische See. Am größten sind die Gefahren für jene, die am verwundbarsten sind. Es ist die Integrität ihrer Lebensräume, welche durch exzessive Verbrennung fossiler Ressourcen untergraben wird. Vielfach wird die Produktivität der Ernten sinken, und damit werden die Nahrungsmittelpreise ansteigen. Elendsviertel werden Schlammlawinen und Zerstörung ausgesetzt sein. Und Krankheiten werden diejenigen heimsuchen, die am wenigsten körperliche und wirtschaftliche Abwehrkräfte besitzen – die Armen. In jedem Fall werden sich zahlreiche Länder des Südens insgesamt auf beträchtliche wirtschaftliche Verluste einzustellen haben. Die Risiken konzentrieren sich also auf die sozial Schwachen und Machtlosen; es ist die Integrität ihrer Lebensräume, welche durch exzessive Brennstoffverbrennung auf Seiten der Wohlhabenden untergraben wird. Im Übrigen sind solche Aussichten nicht nur eine Sache der Zukunft. Die Erderwärmung hat bereits eingesetzt und ist von den Industrieländern verursacht. Nach dem Verursacher-Prinzip stehen damit die Industrieländer heute schon in der Verantwortung, Entschädigung für die Kosten Unbeteiligter zu leisten. Erforderlich wäre schon jetzt, die medizinische Grundversorgung zu verstärken, Deiche zu erhöhen, Bewohner von durch Hochwasser gefährdeten Gebieten umzusiedeln. Über solche Hilfen zur Anpassung an den Klimawandel verweigern die Industrieländer bislang die Diskussion. Lediglich bei den Verhandlungen um die Detailregelungen des KyotoProtokolls in den Jahren 2000 und 2001 ergriffen die in der Gruppe der G77 (plus China) organisierten Länder des Südens die Gunst der Stunde und machten ihre Zustimmung von zusätzlichen Unterstützungszahlungen abhängig. Mit den Übereinkommen von Marrakesch wurden tatsächlich drei neue Fonds errichtet, die in erster Linie der Finanzierung von Maßnahmen im Süden, unter anderem für Anpassungsprojekte, dienen sollen.5 Aber nur einer der drei Fonds kann mit moderaten, sicheren Einnahmen aus einer Abgabe auf Projekte im Rahmen des Clean Development Mechanism des Kyoto-Protokolls rechnen. Bei den anderen steht die Verbindlichkeit noch in den Sternen.
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Kompensationsleistungen sind notwendig, lassen aber die Schadensursache unangetastet. Den Verbrauch fossiler Brennstoffe abzusenken ist deshalb nicht nur für den Schutz der Atmosphäre geboten, sondern auch für den Schutz der Menschenrechte (Kapitel 4.3). Seit der Bill of Rights, die während der englischen Revolution erkämpft wurde, bildet das Recht auf physische Unversehrtheit den Kern des Grundrechtekanons, zu dessen Garantie die Staaten sich verpflichtet haben. Doch Millionen Menschen sind dabei, dieses Kernstück der Bürgerrechte zu verlieren: Lebens-Mittel wie Wasser, fruchtbare Böden, eine Heimstatt und eine infektionsfreie Umwelt. Klimawandel stellt einen Angriff auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte großer Bevölkerungsgruppen dar. Nur geht in diesem Fall die Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit nicht von der Staatsmacht aus, sondern von den kumulativen und ferntransportierten Wirkungen des Energieverbrauchs in den wohlhabenden Teilen der Welt. Emissionsarme Ökonomien im Süden und Norden durchzusetzen ist daher weit mehr als ein Appell an die Moral; es ist eine Kernforderung kosmopolitischer Politik. Nutzungsrechte an der Atmosphäre Dass es bei der Begrenzung von Treibhausgasen um die Wahl zwischen Menschenrechten und Wohlstandsrechten geht, wird bei den Klimaverhandlungen von fast allen Beteiligten verdrängt. Zu groß erscheint die Aufgabe, den Anstieg der Temperatur unter 2 Grad zu halten, und zu bedrohlich für die Interessen derer, die vom gegenwärtigen Verbrauch profitieren. Den Berechnungen nach ist bereits bis zum Jahre 2050 ein Rückbau der globalen Kohlendioxidemissionen um 45 bis 60 Prozent erforderlich.6 Das Kyoto-Protokoll mit seinen offiziellen Reduktionsverpflichtungen für die Industrieländer von durchschnittlich 5,2 Prozent gegenüber 1990 bis zum Jahre 2012 bleibt weit hinter diesem Anspruch zurück. Und die tatsächlichen Reduktionen sind aufgrund vieler Schlupflöcher noch viel geringer. Der Vertrag ist unzulänglich, weil die Industrieländer bisher – allen voran der Hauptemittent USA, der sich dem Vertrag ganz entzieht – unwillig zur Veränderung sind. Er ist aber auch unzureichend, weil die Schwellenländer noch ohne Beschränkungen davonkommen. Das wird nicht so bleiben können. Denn inzwischen würden schon jetzt die Emissionen allein der Länder des Südens die Aufnahmekapazität der Atmosphäre überfordern, selbst wenn alle Industriestaaten wie durch Zauberhand plötzlich verschwänden.7 Ohne die Schwellenländer ist folglich der globale Klimaschutz zum Scheitern verurteilt. Genau an diesem Punkt wird Fairness zum Sachzwang.8 Denn die Südländer werden die Kooperation verweigern, solange sie fürchten müssen, dass damit die globale Ungleichheit festgeschrieben wird. Sie fürchten, dass der Norden hinter sich die Leiter hochzieht, auf der die anderen Nationen zu hohem Lebensstandard aufzusteigen trachten. Die Rettung des
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Klimas um den Preis ewiger Unterlegenheit ist für sie keine Option. Sie lehnen es ab, für den Norden die Kastanien aus dem Feuer zu holen und sich dabei noch zu verbrennen. Warum auch sollen sich Länder wie China, Brasilien oder Indien auf ein Abkommen einlassen, das ihnen auf unbestimmte Zeit weniger Emissionen zugestehen würde als den Industrieländern? Man kann sich der Schlussfolgerung nicht entziehen: Ohne Fairness zwischen Norden und Süden kann man globalen Klimaschutz buchstäblich in den Wind schreiben. Wie Gerechtigkeit nicht ohne Ökologie, so ist auch Ökologie nicht ohne Gerechtigkeit zu haben. Indes gibt es Anlass für die Verbreitung dieser Einsicht. Bereits in der 1992 in Rio unterzeichneten Klimarahmenkonvention heißt es, die internationale Staatengemeinschaft solle Maßnahmen zum Klimaschutz «auf der Grundlage der Gerechtigkeit und entsprechend ihren gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und ihren jeweiligen Fähigkeiten» ergreifen (Artikel 3,1). Den Südländern gelang es damals, die Vorreiterrolle der Industrieländer festzuschreiben, da diese für den Großteil der gegenwärtigen wie auch der vergangenen Emissionen verantwortlich sind. Für sich konnten die Länder des Südens die Freiheit wahren, ihre Emissionen zu steigern, um «ihre sozialen und Entwicklungsbedürfnisse befriedigen» zu können. Aus denselben Motiven sind unter dem Kyoto-Protokoll lediglich die Industriestaaten zur Umsetzung von Minderungszielen verpflichtet. Bei der Festlegung der einzusparenden Emissionen für die einzelnen Länder ging es damals jedoch alles andere als planmäßig zu, eher wie auf einem Basar. Entscheidend waren Verhandlungsgeschick, politische Macht, Sturheit und Chuzpe.9 Sollen Schwellenländer und arme Länder in der Zeit nach dem Kyoto-Protokoll mit ins Boot, dann müssen gerechte Regeln für die Verteilung von Emissionsrechten ausgehandelt werden. Denn Störungen, die aus einer Überlastung der Erdatmosphäre erwachsen, treffen früher oder später alle. Freilich gehört die Atmosphäre keinem Einzelnen, sondern allen; sie ist ein globales Gemeinschaftsgut. Wer soll in Zukunft noch wie viel Treibhausgase freisetzen dürfen? Nach welchen Prinzipien könnte der «Kuchen» fair verteilt werden? Schon seit geraumer Zeit wird diese Frage heiß diskutiert.10 Dabei wird zum Beispiel das grandfathering-Prinzip in Stellung gebracht: Es beruft sich auf die historische Entwicklung und ein damit gegebenes Gewohnheitsrecht und verfährt nach der Regel: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Es schlägt vor, die gegenwärtig ungleiche Verteilung der Emissionen zu akzeptieren und allen die gleichen Minderungspflichten aufzuerlegen. Dieses Prinzip würde jedoch die Wohlstandskluft in der Welt zementieren undkann darum schwerlich fair genannt werden. Etwas besser stellt sich ein anderes Prinzip dar: Länder sollen nach ihren unterschiedlichen Fähigkeiten reduzie-
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ren. Wirtschaftlich starke Länder würden dann den größten Teil der Reduktionslasten tragen – unabhängig davon, wie sparsam und effizient sie mit Energie umgehen. Dieser Vorschlag mag fair sein, ist aber ökologisch nicht sinnvoll, weil er den reichen Ländern keinen Anreiz für effiziente Energienutzung bietet. Ein drittes Prinzip fordert, Minderungspflichten nach historischer Verantwortung zu verteilen. Dies entspricht der Regel: Wer etwas falsch gemacht hat, muss es auch ausbaden. Die Höhe der Verpflichtung richtet sich dann nach dem Verursacherprinzip: Jeder Staat soll gemäß seinem historischen Beitrag zum Klimawandel einen entsprechenden Teil der globalen Reduktionslast übernehmen. Das würde die Industrieländer am meisten kosten. Brasilien hat 1997 einen entsprechenden Vorschlag in die internationalen Verhandlungen eingebracht; seitdem steht das Thema der «ökologischen Schulden» auf der Agenda der Umweltdiplomatie.11 Allerdings ist zweifelhaft, wie weit Verantwortung eingefordert werden kann für Taten, die in Unkenntnis ihrer Folgen begangen wurden (Kapitel 4.6). Anders ist der so genannte Pro-Kopf-Ansatz zu beurteilen.12 Er folgt dem Gedanken, dass ein globales Gemeinschaftsgut nicht allen Staaten, sondern allen Menschen gehört, folglich vom Prinzip her jeder Erdenbürgerin das Recht auf gleichen Zugang zur Atmosphäre zukommt. Damit beruht er auf der Gleichstellung aller Menschen, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert ist. In den jüngsten klimapolitischen Verhandlungen lassen sich erste Grundzüge dieses Leitbildes erkennen. Im Übereinkommen von Marrakesch zur Umsetzung des Kyoto-Protokolls einigten sich die Vertragsparteien darauf, dass in ihren Ländern Maßnahmen ergriffen werden sollen, die auf eine Angleichung der Pro-Kopf-Differenzen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zielen.13 Der indische Premierminister Vajpayee erklärte auf dem Klimagipfel in Neu-Delhi im Jahr 2002, dass «mit einem demokratischen Ethos keine andere Regel als die von gleichen Pro-Kopf-Rechten auf globale Umweltressourcen vereinbar» sei.14 Auch beim französischen Staatspräsidenten Jaques Chirac auf dem Klimagipfel von Den Haag im Jahr 2000 sowie im Europäischen Parlament fand dieses Leitbild Unterstützung.15 Das Ziel sich annähernder Pro-Kopf-Emissionen erfordert zunächst höhere Reduktionsleistungen von Industriestaaten. Es ist demnach ein Kompromiss zwischen den Forderungen nach Haftung der Industriestaaten für ihre historischen Emissionen und ihrer eigenen Forderung, vom Status quo auszugehen. Es erfüllt die Mindestbedingung an eine gerechte Verteilung, bestehende Ungleichheiten nicht zu verschärfen, sondern zu mildern. Wird es mit dem weiter unten zu besprechenden Emissionshandel verbunden, kann durch die Einnahmen aus dem Verkauf überschüssiger Emissionsrechte sogar ein Beitrag zur Verminderung der globalen Kluft zwischen Armen und Reichen entstehen. Dies entspräche auch der Millenniums-De-
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klaration der Vereinten Nationen, die auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im Herbst 2002 noch einmal die Armutsbekämpfung als zentrales Ziel bekräftigt hat. Ab 2005 werden die Verhandlungen für die nächste Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls ab 2013 beginnen. Die Industriestaaten werden in eine drastische Emissionsminderung einwilligen müssen; gleichzeitig werden auch die Länder des Südens stufenweise Verpflichtungen übernehmen müssen. Dabei sind faire, nachvollziehbare Differenzierungen zwischen so unterschiedlichen Südländern wie Burkina Faso oder Südkorea zu entwickeln.16 Ersteren würden gewisse Emissionssteigerungen erlaubt, Letztere müssten sich auf Beschränkungen einstellen. Anders sind weder die Existenzrechte der Armen noch die Freiheitsrechte der südlichen Nationen zu wahren. Ein Scheck pro Kopf Das Prinzip gleicher Pro-Kopf-Rechte auf die Atmosphäre und sein Ausgleich im Emissionshandel der Staaten mindert die Ungleichheit zwischen Ländern; die Ungleichheit im Ressourcenzugang innerhalb der Länder ist damit noch nicht im Blickfeld. Auch in den Nationalstaaten bestehen krasse Unterschiede im Wohlstand und im Emissionsniveau verschiedener Bevölkerungsgruppen (Kapitel 2.3). Im Übrigen sind heute Staaten nicht mehr die einzigen Adressaten des Völkerrechts; auch die einzelnen Menschen werden in ihrer Ressourcennutzung erkennbar als Träger von Rechten, die gegebenenfalls im Konflikt mit den Staaten zur Geltung zubringen sind. Wie zu erreichen ist, dass auch Einzelne und Gruppen zu Nutznießern internationaler Regelungen werden – das ist ein neues, wichtiges Gebiet des Umwelt-Völkerrechts. Nach dem traditionellen Modell zwischenstaatlicher Verhandlungen gibt es keine Garantie dafür, dass ein Staat die Mittel, die ihm im System eines internationalen Emissionshandels zukommen, auch pro Kopf ausschüttet. Nicht nur in despotischen Regierungen haben viele andere Interessen als die des Volkssouveräns Einfluss auf die Entscheidungen. Eine an transnationaler Gerechtigkeit orientierte Politik muss daher neben der zwischenstaatlichen auch die innerstaatliche Verteilung in Augenschein nehmen, also die gerechte Verteilung der atmosphärischen Nutzungsentgelte an die Bevölkerung oder an Einrichtungen, die allen zugute kommen. Wie ist das zu erreichen? In der Literatur findet sich kaum eine Antwort auf diese Frage, ja, sie wird in den meisten Fällen nicht einmal gestellt. Eine der wenigen Ausnahmen ist die von Peter Barnes formulierte Idee eines Sky Trust, der nach dem Vorbild des Alaska Permanent Fund konzipiert ist.17 Letzterer verwaltet einen Teil der staatlichen Öleinnahmen Alaskas, um durch eine langfristige Anlagestrategie den endlichen Ölwohlstand in eine ste-
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tige Einnahmequelle umzuwandeln.18 Ein Teil der jährlichen Zinsgewinne – über 1000 US-Dollar pro Kopf – wird seit Anfang der 1980er Jahre als Dividende an die Einwohnerinnen Alaskas ausgezahlt. Der Alaska Permanent Fund ist damit eines der seltenen Beispiele für die direkte wirtschaftliche Teilhabe jeder Bürgerin und jedes Bürgers an einem Gemeinschaftsgut. Diesem Beispiel folgt die Idee vom Klimatreuhandfonds. Solche Fonds könnten treuhänderisch für die Bürger die Verwaltung der einem Land auf internationaler Ebene zuerkannten Emissionsrechte übernehmen. Mineralöl- oder etwa Energiekonzerne müssten von ihren Regierungen Emissionsrechte erwerben, um weiterhin CO2 emittieren zu dürfen; wenn die Nachfrage nach Emissionsrechten im Inland nicht hoch genug ist, könnte ein Teil von ihnen auch an andere Länder oder ausländische Unternehmen verkauft werden. Die Einnahmen verteilt der Klimatreuhandfonds jährlich an die Bürger, die so aus den ihrem Land zugebilligten Emissionsrechten direkten Nutzen ziehen würden. Allerdings fiele der Nutzen nicht für alle gleichermaßen an, denn durch den Klimatreuhandfonds würde gleichzeitig ein Umverteilungsmechanismus eingeführt: Bürger mit einer hohen Nachfrage an emissionsintensiven Produkten und Dienstleistungen verzeichnen wegen der gestiegenen Endverbrauchspreise höhere Mehrausgaben, als sie durch die Dividendenzahlungen einnehmen. Sie werden so zu Nettozahlern, denn sie finanzieren über die erhöhten Preise Unternehmen den Kauf ihrer Emissionsrechte – und damit die Dividenden an die Bürger. Demgegenüber werden all jene bevorzugt, die einen emissionssparenden Lebensstil pflegen, denn sie werden durch die Dividenden aus dem Klimatreuhandfonds finanziell günstiger dastehen als vorher. Klimafreundliches Verhalten – ob bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt – würde so direkt finanziell zu Buche schlagen. Denn es würde Geld fließen, und zwar von denjenigen, die das Gemeinschaftsgut «Atmosphäre» übermäßig nutzen, zu denen, die es pfleglich in Anspruch nehmen.19 Solch ein Klimatreuhandfonds wäre ein wirksames Instrument, dem gleichen Pro-Kopf-Recht aller Bürger an der Atmosphäre trotz unterschiedlicher Emissionsniveaus Geltung zu verschaffen. So könnte das europäische Emissionshandelssystem mittelfristig entlang dieser Idee umgestaltet und erweitert werden. Hier bietet sich der Europäischen Union die Möglichkeit, ein Modell der Klimademokratie zunächst intern einzurichten, das möglicherweise Beispielcharakter für andere Länder oder für eine weltweite Einführung annehmen könnte. Es ist nicht auszuschließen, dass ein Durchbruch zu mehr weltbürgerlichem Bewusstsein gerade in der Klimapolitik gelingt: Mit neuen Institutionen wie einem Klimatreuhandfonds, der alle an den Gebühren für die Nutzung eines Gemeinschaftsguts teilhaben lässt, wird eine Gemeinsamkeit geschaffen, nämlich die, mit Millionen anderen ein Miteigner des Gemeinschaftsguts Atmosphäre zu sein.
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6.2 Fairness und Vielfalt Es sind zwei verschiedene Umweltkrisen, welche der Menschheit heute zu schaffen machen: die der fossilen Ressourcen und die der lebenden Ressourcen. Beide sind miteinander verbunden, unterscheiden sich aber in Ursprung und Charakter. Die fossile Krise rührt her vom beschleunigten Transfer fester, flüssiger und gasförmiger Stoffe aus der Erdkruste in die Atmosphäre mittels industrieller Technologie. Die Krise lebender Ressourcen hingegen geht zurück auf den übermäßigen Druck, den die Menschen auf die Biosphäre ausüben und dadurch ganze Natursysteme, große oder kleine, schwächen oder gar zerstören, was sich wiederum zur Gefährdung der Menschen selber auswachsen kann. Sie können auf zwei Arten betroffen sein, einmal, indem von belasteten Ökosystemen ein geringerer Ertrag an lebenswichtigen Produkten wie Getreide, Milch, Fleisch, Holz, Rohfasern oder Wasser zu erwarten ist; zum anderen, indem Ökosysteme weniger Leben erhaltende Leistungen erbringen, etwa die Reinigung von Luft und Wasser, die Zersetzung und Neuverwertung von Nährstoffen oder den Aufbau von Mutterboden. Während die fossile Krise besonders im Norden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, ist es im Süden die Krise der lebenden Ressourcen.20 Der Grund dafür ist einfach: Vom Niedergang lebender Systeme ist der Süden mehr betroffen als der Norden, und zwar sowohl in seinen Geldwirtschaften wie in seinen Eigenversorgungswirtschaften. Nicht wenige Volkswirtschaften basieren zu einem erheblichen Teil darauf, die Erträge frei verfügbarer Ökosysteme abzuernten. Landbau, Forstwirtschaft und Fischerei schaffen immerhin weltweit die Hälfte aller Arbeitsplätze. In Afrika südlich der Sahara, in Süd- und Ostasien sowie im pazifischen Raum machen sie sogar zwei Drittel der Arbeitsplätze aus. Und bei einem Viertel aller Länder tragen Feldfrüchte, Holz und Fische mehr zur Wirtschaft bei als Industriegüter.21 Schließlich leben im Süden zwei von drei Armen auf dem Land. Ein beträchtlicher Teil von ihnen bezieht seine Nahrung, seine Web- und Baustoffe, seine Medikamente unmittelbar aus der sie umgebenden Natur. Gerade dort, wo nicht viel Kaufkraft vorhanden ist, sind intakte Ökosysteme unentbehrlich – für den Lebensunterhalt wie für den Gelderwerb. Vor diesem Hintergrund sind in den letzten beiden Jahrzehnten zwei Gerechtigkeitskonflikte hervorgetreten. Beim ersten geht es um Fairness zwischen Nationalstaaten in der Nutzung der biologischen Schätze, beim zweiten um Fairness innerhalb eines Landes zwischen Staat und Industrie auf der einen und lokalen Gemeinschaften auf der anderen Seite. Ähnlich wie in der Klimapolitik geht der Gerechtigkeitskonflikt zwischen Norden und Süden auch in der Biodiversität auf eine grundlegende Asymmetrie zurück: Der Süden verfügt über die größere Vielfalt an Ökosystemen, Arten und Ge-
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Tabelle 7: Pflanzenvielfalt in ausgewählten Ländern22
nen (Tabelle 7), während die Nachfrage nach Naturgütern sowie die gentechnische Industrie sich vorwiegend im Norden befinden. Die Streitfrage heißt: Wer hat Zugang zu den biologischen Ressourcen und unter welchen Bedingungen? Zur Debatte stehen die überkommenen Muster des wirtschaftlichen Austauschs sowie die Machtansprüche der Industrieländer; in der Auseinandersetzung um biologische Ressourcen spiegelt sich ebenfalls der Kampf der Schwellen- und Peripherieländer um ebenbürtige Entwicklungsrechte. Eine ähnliche Asymmetrie lässt sich auch innerhalb der Länder beobachten, und auch aus ihr entstehen Gerechtigkeitskonflikte um Lebensunterhalt und Menschenrechte. Die einheimische Mittel- und Oberschicht, nicht selten im Gleichklang mit transnationalen Wirtschaftsinteressen, ist auf die kommerzielle Nutzung von Holz, Meeresfrüchten, Ackerböden, Wasservorkommen und genetischem Reichtum aus, während lokale Gemeinschaften dieselben Naturgüter als ihr Gemeinschaftseigentum oder jedenfalls als ihre Lebensbasis betrachten. Wem gehört die biologische Vielfalt? Der Konflikt zwischen Wohlstandswünschen und Existenzbedürfnissen ist kaum irgendwo so gegenwärtig wie im Bereich der lebenden Ressourcen. Souveränität als Schutz Bei der Konferenz der Vereinten Nationen zu Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 ist neben der Klimakonvention ein anderes großes Vertragswerk verabschiedet worden: die Konvention zur Erhaltung der biologischen Vielfalt (CBD).23 Die Biodiversitäts-Konvention ist bis heute die
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wichtigste Plattform für die internationale Zusammenarbeit im Umgang mit lebenden Ressourcen. Ratifiziert haben die Konvention praktisch alle Länder der Welt – außer den USA. Alarmiert von Nachrichten über den schrumpfenden Naturreichtum hatten damals die Regierungen ein Abkommen beschlossen, das alle Parteien auf den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt sowie auf eine gerechte Aufteilung der daraus resultierenden Vorteile verpflichtet.24 Obwohl die Konvention sich auf die Vielfalt von Ökosystemen, Arten und Genen richtet, konzentrierten sich die Verhandlungen zum überwiegenden Teil auf den Zugang zu pflanzengenetischem Material und den daraus zu ziehenden Gewinn.25 Das Interesse der Länder galt zunächst weniger dem Reichtum der Natur als dem Reichtum, den Unternehmen und Staaten sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen erhofften. Obwohl die Vertragsparteien in den letzten Jahren auch eine Verständigung zu Groß-Ökosystemen wie Meere und Wälder sowie zur Artenvielfalt gesucht haben, prägten sich die Konfliktlinien doch im Streit um pflanzengenetische Ressourcen aus. Erst seit wenigen Jahrzehnten werden die im Erbgut von Lebewesen enthaltenen genetischen Informationen als eine neue Klasse von Ressourcen wahrgenommen. Im Gegensatz zur traditionellen Züchtung treten nun Wissenschaft und Industrie an, Organismen mit artfremden Genen zu reprogrammieren, um neue Höchstleistungen zu erzielen. Damit ist genetisches Material als Ressource für die Lebensindustrien entdeckt – und zugleich wurde eine neue Runde in der Geschichte der Ressourcenkonflikte zwischen Nord und Süd eingeläutet. Darf sich jeder genetisches Material aus anderen Ländern besorgen? Wem gehört der Gewinn, der sich aus der Nutzung dieses Materials ergibt? Es wogt ein Streit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern um den legitimen Besitz und Gebrauch pflanzlicher Gene (Kapitel 3.4). Die Idee, die genetischen Ressourcen der Biosphäre als global commons, als globale Gemeingüter zu verstehen, stand den Interessen mächtiger Akteure entgegen. Deshalb trat der Gedanke des gemeinsamen Erbes der Menschheit immer mehr in den Hintergrund und fand auch keinen Eingang mehr in die Biodiversitäts-Konvention von Rio. Der Zugang zur biologischen Vielfalt war nun nicht mehr frei. Insbesondere viele Länder des Südens pochten erfolgreich auf ihre territoriale Souveränität und damit auf ihr Recht, die Nutzung der genetischen Ressourcen in ihrem Hoheitsbereich selbst zu regeln. Sie wollten nicht länger kostenlose Rohstofflieferanten sein, sondern sich über eine Beteiligung an der Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen neue Einnahmequellen erschließen. Die Anerkennung nationaler Souveränität über genetische Ressourcen in der Konvention stärkte also die Rolle der Länder mit hoher Biodiversität gegenüber den Nachfragern. Mit dem Recht geht aber auch die Pflicht ein-
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her, «den Zugang zu genetischen Ressourcen für eine umweltverträgliche Nutzung durch andere Vertragsparteien zu erleichtern, und keine Beschränkungen aufzuerlegen, die den Zielen dieses Übereinkommens zuwiderlaufen» (Artikel 15.2). Die Souveränität erfuhr also eine Einschränkung, welche dem Interesse der Biotechindustrien entgegenkam. Wie freilich ein Rechtswerk zum Vorteilsausgleich aussehen kann, darüber wurde im Widerstreit der Interessen bis heute nur eine Einigung über «Leitlinien» erzielt, die in der Praxis auch unterlaufen wird (Kapitel 3.4). Aber selbst diese schwache Übereinkunft ist nicht unwichtig als Gegengewicht zu jenem anderen Angriff, der weltweite geistige Eigentumsrechte etablieren möchte und von der Welthandelsorganisation ausgeht (Kapitel 6.3). Rechte lokaler Gemeinschaften Zumeist freilich sind die Hüter der Gebiete hoher biologischer Vielfalt nicht die Staaten, sondern traditionelle Gemeinschaften und indigene Völker. Das ist keine zu vernachlässigende Gruppe; denn weltweit wird die indigene Bevölkerung auf ca. 300 Millionen Menschen geschätzt, immerhin fast die Bevölkerungszahl der USA. Nimmt man überdies die lokalen Gemeinschaften mit traditionellen Lebensstilen hinzu, wie es die Biodiversitäts-Konvention tut, so vergrößert sich diese Gruppe auf ca. 1,5 bis 2 Milliarden Menschen,26 ist damit etwa ebenso groß wie die transnationale Verbraucherklasse und kulturell wie ökonomisch ihr Gegenpart. Lokale und indigene Gemeinschaften sind in vielfältiger Weise mit’den sie umgebenden biologischen Ressourcen verbunden. Diese sind nicht nur Nahrungsmittel und Material für Medizin, Kleidung und Wohnungsbau, sondern auch eng mit dem spirituellen Sein der Gemeinschaften verwoben.27 So wie die Kultur traditioneller Gemeinschaften nicht von der Natur geschieden werden kann, so sind umgekehrt das Saatgut, die Kulturpflanzen, die Tierbevölkerung, die Vegetation geprägt vom Gang der Gemeinschaften durch die Geschichte. Kulturen drücken also auch der Natur ihren Stempel auf. Biologische Vielfalt und kulturelle Vielfalt haben sich zu einem guten Teil in Ko-Evolution entwickelt.28 Beide Dimensionen der Vielfalt hängen auf Gedeih und Verderb zusammen: Beim Schwinden der Artenvielfalt verlieren Kulturen ihren Halt, während mit der Erosion der Kulturen auch die Welt der Pflanzen und Tiere verarmt. Traditionelle Gemeinschaften sind gewöhnlich die besten Heger der Biodiversität. Daher ist der Schutz biologischer Vielfalt weit mehr als nur eine Aufgabe für den Naturschutz; er hat auch mit der Lebensfähigkeit lokaler Gemeinschaften zu tun, also mit kulturellem Pluralismus und Beteiligungsrechten. Damit öffnet sich allerdings ein Konflikt innerhalb der Staaten. Gerade in artenreichen Ländern wie Brasilien, Indien, Indonesien, Mexiko gibt es eine lange Geschichte der Auseinandersetzung zwischen den lokalen Gemein-
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schaften und dem Kolonial- bzw. Nationalstaat. Dabei ging und geht es um die Lebensfähigkeit indigener und traditioneller Gemeinschaften, ihre Landrechte, ihre Kulturfreiheit, ihre Autonomie. Immer wieder kollidiert das Hoheitsinteresse des Staates, nicht selten im Verein mit einheimischer oder ausländischer Industrie, die aus Wäldern, Fischgründen oder Bodenschätzen Gewinn ziehen wollen, mit dem Interesse lokaler Gemeinschaften an Lebensraum, Ressourcensicherheit und kulturellem Überleben. Naturgüter existieren nur selten in einem Niemandsland; deshalb kann sich der Naturschutz nicht der Frage entziehen: Naturvielfalt für wen? Vom Gesichtspunkt der Eigenversorgungsrechte aus gesehen, lautet die Antwort: Einheimische Gemeinschaften leben von Biodiversität, sie haben deshalb die vorrangigen Rechte an den lokalen Naturressourcen. Das ist gleichzeitig eine gute Nachricht für den Naturschutz. Alle Erfahrungen deuten darauf hin: Biodiversität kann nicht gegen, sondern nur mit den lokalen Gemeinschaften erhalten werden.29 Mehr Beteiligung und mehr kulturelle Freiheit, kurz: mehr Gerechtigkeit, erweist sich wiederum als Voraussetzung für den Umweltschutz. Dieses Zusammenspiel von Selbstbestimmung und Bewahrung natürlicher Vielfalt wurde zu einem gewissen Grad auch in der BiodiversitätsKonvention aufgegriffen. Vor allem in Artikel 8j werden die Vertragsstaaten angehalten, «Kenntnisse, Innovationen und Gebräuche eingeborener und ortsansässiger Gemeinschaften mit traditionellen Lebensformen, die für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt von Belang sind, [zu] achten, [zu] bewahren und [zu] erhalten». Außerdem ist dort vorgesehen, dass das traditionelle Wissen zur biologischen Vielfalt bei Regelungen zum Vorteilsausgleich Berücksichtigung finden soll. Damit unterstreicht die Konvention, dass indigene und traditionelle Gemeinschaften Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sind. Der Staat soll einen Teil seiner Souveränitätsrechte abgeben – darüber, wie dies zu erfolgen hat, gibt es bislang freilich keine verbindlichen internationalen Übereinkünfte. Einige Länder aber, etwa Costa Rica, einige Andenstaaten, die Philippinen und andere, haben im Rahmen ihrer nationalen Gesetzgebung bereits rechtliche Regelungen getroffen, in denen lokalen Gemeinschaften ein Mitspracherecht bei der Gewährung von Zugangs- und Nutzungsrechten an Dritte durch den Staat garantiert wird. Von der Biodiversität her betrachtet ist der heute vorhandene Genpool bei Nutzpflanzen das Erbe einer jahrhundertelangen Kulturleistung. Es ist eingebettet in die technische und spirituelle Kompetenz lokaler Gemeinschaften, die Vielfalt der Lebensformen zu nutzen und zu erhalten.Traditionelles Wissen ist oft der Humus, aus dem Vielfalt hervorgeht. Das Wissen indigener Gemeinschaften dient den Bioprospektoren oft genug als Orientierungshilfe bei der Suche nach nützlichen und damit verwertbaren Ei-
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genschaften von Pflanzen. Auf diese Weise hat traditionelles Wissen schon vielfach bei der Entwicklung von Medikamenten und Kosmetika Pate gestanden, ohne dass sein Anteil an deren Entwicklung entsprechende Würdigung gefunden hätte. Darum sieht die Konvention die Beteiligung traditioneller Gemeinschaften am Vorteilsausgleich vor. Wegweisend für die Stärkung lokaler Gemeinschaften ist das im Jahre 2000 von den Regierungschefs der afrikanischen Staaten verabschiedete Mustergesetz, das afrikanischen Regierungen einen rechtlichen Rahmen für die Umsetzung der Biodiversitäts-Konvention bieten soll.30 Die Rechte lokaler Gemeinschaften auf ihre Ressourcen sind dort als «a priori»-Rechte hervorgehoben und werden damit über solche Rechte gestellt, die lediglich privaten Interessen zugute kommen. Der Zugriff auf pflanzengenetische Ressourcen durch Dritte bedarf der Zusage der betroffenen Gemeinschaften. Bei einer absehbaren Schädigung des kulturellen und/oder natürlichen Erbes der lokalen Gemeinschaft durch die Gewährung des Ressourcenzugangs kann er verboten oder mit Einschränkungen versehen werden. Dabei wird auch auf eine ebenbürtige Einbeziehung von Frauen in die Entscheidungsfindung Wert gelegt, da diese oft Trägerinnen von speziellem Wissen über die Nutzung natürlicher Ressourcen sind, auf die politische Willensbildung aber häufig nur geringen Einfluss haben.31 Dem Staat wird darüber hinaus die Pflicht auferlegt, mindestens die Hälfte der beim Vorteilsausgleich anfallenden Güter an die lokalen Gemeinschaften weiterzuleiten. Unabhängig davon bleiben die unveräußerlichen Gemeinschaftsrechte bestehen, die Ressourcen ihrer tradierten Praxis entsprechend zu nutzen und auszutauschen. Das afrikanische Mustergesetz nimmt damit eine Einsicht auf, die in der Konvention angelegt ist, aber weit darüber hinaus Geltung hat: Der Schutz biologischer Vielfalt und größere Selbstbestimmung seitens lokaler Gemeinschaften gehören zusammen. Artenvielfalt stärkt die Armen und die Armen stärken die Artenvielfalt. Damit diese Gleichung aufgehen kann, ist freilich mehr elementare Demokratie die entscheidende Voraussetzung. Ressourcenrechte lokaler Gemeinschaften können in die nationale Gesetzgebung und auch in das Völkerrecht integriert werden. Dadurch würden Regierungen wie Unternehmen verpflichtet werden, sich auf Verhandlungen über fairen Zugang und gerechte Gewinnteilung einzulassen. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat bereits in seiner Präambel das Recht aller Völkergruppen bestimmt, «frei über ihre natürlichen Reichtümer und Ressourcen zu verfügen ... auf der Basis wechselseitigen Nutzens und des Völkerrechts. Unter keinen Umständen darf ein Volk seiner Lebensgrundlagen beraubt werden.»32
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6.3 Fairhandel statt Freihandel Wer die Regeln diktieren kann, hat Macht – und wer Macht hat, kann die Regeln diktieren. Nach diesem politischen Regelkreis sind vielfach auch die internationalen wirtschaftlichen Einrichtungen gebaut: die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF), aber auch die 1994 gegründete Welthandelsorganisation (WTO). Durch diesen Regelkreis werden, mit einigen Ausnahmen, die beiden Asymmetrien verstärkt, welche den Gang der Welt in eine verhängnisvolle Richtung treiben: die Ungleichheit zwischen Reichen und Armen sowie jene zwischen Mensch und Biosphäre. Weil aber Macht und Regelsystem zueinander in positiver Rückkopplung stehen, kommen Gefahren leicht als scheinbare Sachzwänge daher. Es entsteht der Eindruck, als gebe es zum Status quo keine Alternative. Daher ist die Revision der Regeln für die globalen Institutionen das Kernstück einer politikgeleiteten Globalisierung. Seit Ende der 1990er Jahre konzentriert sich die Debatte über die Zukunft der Globalisierung vor allem auf die Welthandelsorganisation (WTO). Als Nachfolgerin des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), das seit dem Zweiten Weltkrieg durch wechselseitig abgestimmte Zollsenkungen dem internationalen Handel beträchtlichen Auftrieb gegeben hatte, hat die WTO sich als jene Organisation etabliert, welche weitgehend den Ordnungsrahmen für die transnationale Ökonomie festlegt. Doch führt sie nicht lediglich den Grundsatz der so genannten Nicht-Diskriminierung fort, der auf den Märkten die Gleichstellung aller in- und ausländischen Waren erreichen soll; sie will dieses Gestaltungsprinzip gründlicher verwirklichen, umfassender anwenden und weltweit durchsetzen. So verfolgt die WTO diesen Grundsatz gründlicher, weil sie nun nicht nur Zollschranken, sondern auch technische Vorschriften, Umwelt- und Sozialstandards sowie Subventionen als ungerechtfertigte Hindernisse für einen offenen Marktzugang betrachtet. Damit verliert ein ungleich größerer Bereich staatlicher Politik an Gestaltungsfähigkeit. Ferner wird der Grundsatz der Nicht-Diskriminierung ausgeweitet, und zwar über den Industriesektor hinaus. Auch für Agrargüter, Dienstleistungen und geistige Eigentumsrechte – für so ziemlich alle Wirtschaftsaktivitäten also – soll nun das Prinzip des offenen Marktzugangs gelten. Gerade bei Gütern aus der Landwirtschaft und Dienstleistungen in der Basisversorgung, die für die Existenzsicherung von Menschen zentral sind, werden damit Probleme aufgeworfen. Und schließlich wird mit der WTO der Geltungsbereich des Grundsatzes der Nicht-Diskriminierung geografisch auf den ganzen Erdball ausgedehnt. Über die Vertragsparteien des GATT hinaus sind nun alle Länder zum Beitritt aufgefordert, unter der Bedingung, dass sie sich völkerrechtlich verbindlich zum ausgehandelten Programm der Marktöffnung verpflichten.
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Damit sehen sich insbesondere die Länder des Südens und Ostens mit einem neuen internationalen Kontext für ihre Entwicklung konfrontiert. Vor dem Hintergrund dieser Verschiebungen ist der Übergang vom GATT zur WTO ein Wendepunkt in der Geschichte des Welthandels. Darüber hinaus nimmt die WTO eine dominante Position in der gegenwärtigen Architektur der internationalen Ordnung ein. Als Organisation, die nicht unter der Ägide der Vereinten Nationen steht, überschattet sie wichtige UN-Institutionen wie die Internationale Arbeitsorganisation, die Weltgesundheitsorganisation oder das Umwelt- und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Sie droht damit Ziele wie Sozialrechte, Gesundheit, Umweltschutz und Entwicklung an den Rand zu drängen. Die WTO ist als einzige internationale Institution mit einem Schiedsgericht und mit Sanktionsmacht ausgestattet, mit der Folge, dass ihre Regelungen auch wirtschaftsferne Politikbereiche durchdringen. Sei es auf Umweltoder Sozialgipfeln – immer schwebt das Gesetz offener Märkte wie ein Damoklesschwert über den Bemühungen, in Fragen des globalen Gemeinwohls zu Übereinkünften zu kommen. Das Ziel des grenzen-losen Handels schiebt sich so an die Spitze der Hierarchie öffentlicher Werte; den anderen Werten wird nur Gehör gegeben, soweit sie dieser Rangfolge nicht widersprechen. Aus dieser Überlegenheit wirtschaftlicher über nicht-wirtschaftliche Werte entsprang im letzten Jahrzehnt die Neigung, die sich formierende Weltgesellschaft mit ihrer Wirtschaftsordnung zu identifizieren. Weil gegenwärtig auf globaler Ebene weitgehend Wirtschaftsregeln die Gesellschaftsregeln dominieren, kann die WTO als die real existierende Weltregierung betrachtet werden. Die Institution der WTO verkörpert den vorläufigen Sieg des Freihandels als Leitprinzip der heraufziehenden Weltgesellschaft. Um es mit einer Formel des Wirtschaftshistorikers Karl Polanyi zu sagen: Die WTO steht dafür, dass auf Weltebene derzeit eine Marktgesellschaft und nicht nur eine Marktwirtschaft eingerichtet wird. Gewiss, ein multilaterales System von Wirtschaftsverhandlungen kann gerade für schwächere Staaten große Vorteile haben. Sonst würden bilaterale Abkommen zwischen Handelspartnern noch forcierter als derzeit vorangetrieben, und marktschwache Staaten hätten keine Gelegenheit mehr, als Gruppe Einfluss zu nehmen.33 Wie dann die Gewichte zwischen, sagen wir, den USA und Burkina Faso verteilt wären, lässt sich leicht ausmalen. Die WTO hat also eine Funktion. Nur: Um zum Garanten eines fairen und zukunftsfähigen Welthandelssystems zu werden, muss sie sich neu erfinden. Das Ziel der WTO ist ihrem Gründungsvertrag nach die Steigerung des Lebensstandards insbesondere in Ländern des Südens; doch es ist keineswegs sicher, dass die Ausweitung des Handels das wichtigste oder gar das einzige Mittel zur Erreichung dieses Ziels darstellt.34 Rechtssicherheit, eine legitime Regierung oder Bildung sind auch nach einschlägiger ökono-
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mischer Auffassung wichtiger. Die WTO indessen ist chronisch geneigt, das Mittel mit dem Ziel zu verwechseln, die Ausweitung des Handels mit dem wirtschaftlichen Wohlergehen. Dramatischer noch wird die Herrschaft des Mittels über das Ziel, wenn man dem Ziel «Lebensstandard» die Ziele «Umweltverträglichkeit» und «Menschenrechte» zur Seite stellt. Handelsliberalisierung kann dann nicht mehr als Allheilmittel angepriesen werden. Sie ist eines von vielen Mitteln, das wohl überlegt, zur richtigen Zeit und wohl dosiert eingesetzt werden muss. Zukunftsfähig kann nur ein Welthandelssystem werden, das ebenso wie auf Wohlstand auf die Regeneration der Natur und auf die Sicherung der Menschenrechte bedacht ist. Eine Neuausrichtung der WTO wird deshalb nicht mehr die Handelsliberalisierung ins Zentrum der wirtschaftlichen Kooperation stellen. Vielmehr wird multilaterale Handelspolitik sich dann auf den Interessenausgleich zwischen Ländern mitsamt ihren unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen konzentrieren, sowie auf die Gestaltung der Handelsströme nach Effizienz, Fairness und Ökologie. Entwicklungsrechte vor Marktzugang Ungleiche gleich zu behandeln kann den Gipfel der Ungerechtigkeit darstellen (Kapitel 4.6). Von Anfang an war die WTO in der Gefahren diese Falle falscher Gleichheit zu gehen. Wie sollte es möglich sein, ein für alle Akteure gleich ebenes Spielfeld zu schaffen in einer Welt voll drastischer Ungleichheiten? Die Idee überall gleicher Regeln für den Weltmarkt fasziniert liberale Geister, macht sie aber kurzsichtig gegenüber den himmelweiten Unterschieden in den Ausgangspositionen und in den Fähigkeiten der Spieler. Weil formal gleiche Regeln den Schwächeren benachteiligen, verlangt es die Fairness, dem Benachteiligten Vorteile einzuräumen. So entpuppt sich der Grundsatz der Nicht-Diskriminierung ausländischer Hersteller bei näherem Hinsehen als diskriminierend gegenüber Entwicklungsländern. Zunächst erscheint Gleichbehandlung als eine gute und gerechte Sache: Wer einem Land niedrige Zölle für die Einfuhr von Waren einräumt, muss nach dem Prinzip der Meistbegünstigung dieselben Konditionen allen anderen Staaten auch gewähren. Es soll sich ja der wettbewerbsfähigste Anbieter durchsetzen, gleich welcher Nationalität. Doch Wettbewerbsvorteile können meist von Unternehmen aus Industrieländern erzielt werden, die über ein hohes Produktivitätsniveau verfügen. Gegenseitige Marktöffnung bedeutet für viele Länder des Südens häufig nichts anderes als eine faktisch erzwungene Marktöffnung für Produkte der Industriestaaten. Aus dem Grundsatz der Nicht-Diskriminierung wird unter der Hand ein Vorteil für den Stärkeren. Ähnliches gilt für das Prinzip, dass gleichartige Erzeugnisse aus dem Ausland nicht schlechter gestellt werden dürfen als jene aus dem Inland. Weil die Gleichartigkeit sich nur auf
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das Produkt selbst bezieht, nicht aber auf die Bedingungen, unter denen es hergestellt wurde, verwandelt sich ein zunächst gerechtes Prinzip in einen Nachteil für den Schwächeren – und den Sorgsameren. So dürfen nordamerikanische Rindfleischproduzenten wachstumfördernde Hormone einsetzen und ihre Steaks ohne Einschränkungen auf fremden Märkten anbieten, auf denen weniger Menge erzeugt wird, aber gesündere Produkte entstehen.35 Was als Gleichbehandlung begann, endet mit einem Vorteil ausländischer gegenüber inländischen Anbietern. Hinzu kommt: Ausländische Anbieter gleichen vielfach Wirtschaftsnomaden, die leichtfüßig ihre Produktionsstandorte wechseln und sich den Gemeinverpflichtungen wie Steuerabgaben, Sozialfürsorge oder Umweltschutz entziehen oder Sonderkonditionen für sich durchsetzen. Inländische Hersteller sind zu einem höheren Grad an Land und Gemeinwesen gebunden; sie können und wollen im Gegensatz zu ihren transnational operierenden Konkurrenten nicht beliebig ihren Produktionsstandort wechseln. Aus diesen Erfahrungen heraus fordern die Länder des Südens seit über 40 Jahren eine differenzierte Sonder- und Vorzugsbehandlung gemäß ihren wirtschaftlichen Kapazitäten, das so genannte Special and Differential Treatment. Auf der einen Seite sollte damit den Industrieländern gestattet werden, selektiv den Zugang von Produkten aus den Ländern des Südens zu den Märkten des Nordens zu erleichtern. Auf der anderen Seite sollte den Südländern die Befugnis eingeräumt werden, ausgewählte Importe ungleich zu behandeln und ihre einheimischen Unternehmen nicht bedingungslos den hoch effizienten Konkurrenten des Nordens ausliefern zu müssen. Bislang bewegten sich die Maßnahmen zur Vorzugsbehandlung auf einem recht bescheidenen Niveau,36 obwohl die Industrieländer seit 1979 in der Lage sind, dem Süden Sonderbedingungen einzuräumen. Mehr noch: Marktöffnungen im Rahmen der Vorzugsbehandlung, deren Sinn genau darin liegt, nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen, werden regelmäßig als Verhandlungsjoker verwendet, um die begünstigten Länder in anderen Bereichen zu Zugeständnissen zu bewegen. Bei der Uruguay-Verhandlungsrunde ging das in einigen Fällen so weit, dass die Industrieländer sogar für sich eine Vorzugsbehandlung verlangten.37 Auch in der Doha-Verhandlungsrunde, die im November 2001 eröffnet wurde, wird das Prinzip der Vorzugsbehandlung erneut stiefmütterlich behandelt. Obwohl die Länder des Südens mit dieser Aussicht in die Verhandlungsrunde gelockt und in der Zeit zwischen den Konferenzen von Doha und Cancún im Jahre 2003 mehr als 90 Vorschläge zur Vorzugsbehandlung eingereicht worden waren, war davon beim politischen Poker von Cancün und danach kaum mehr die Rede.38 Diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Prinzip der Vorzugsbehandlung hat dazu geführt, dass gerade die ärmeren Länder des Südens unter
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dem gegenwärtigen Handelsregime schlechter gestellt sind als in den Zeiten des GATT. In der ernüchternden Geschichte der Vorzugsbehandlung tritt zutage, wie die Asymmetrie der Macht hinter der Rhetorik von gleichen Rechten ihre Wirkung entfaltet. Beim praktizierten Freihandel nämlich sind die einen freier als die anderen. Zum Beispiel setzt ein liberalisierter Weltmarkt in der Theorie die freie Mobilität von Waren, Kapital und Menschen voraus. In Wirklichkeit aber gibt es Mobilität vor allem für Kapital und Waren, die vom Norden nach Süden fließen, aber weitaus weniger für Waren und Menschen, die vom Süden in den Norden streben. So zeigen sich die Industrieländer zögerlich, wenn nicht sogar feindlich gestimmt, wenn es um die Abschaffung von Barrieren für die freie Bewegung von Arbeitskräften geht. Marrakesch – wo die WTO gegründet wurde – ist für die Waren, aber Schengen – wo die Flüchtlingsabwehr an Europas Grenzen vereinbart wurde – ist für die Menschen bestimmt. Mittlerweile hat der Süden weit mehr an Handelsliberalisierung geleistet als der Norden. Während die Industrieländer sich weitgehend freien Zugang zu den Märkten der Entwicklungsländer verschafft haben, werden umgekehrt Exporte aus den Entwicklungsländern weiterhin durch Zölle und nicht-tarifäre Barrieren von den Märkten der Industrieländer ferngehalten. Mithin waltet im real existierenden Freihandel allenthalben eine Doppelmoral: Der Norden verordnet dem Süden offene Märkte, ist aber selbst noch weit davon entfernt, seine eigenen Märkte zu öffnen. Von Vorzugsbehandlung also keine Spur, im Gegenteil: Das Ungleichgewicht der Macht hat bislang für die Halbierung des Freihandels zugunsten der Starken gesorgt. Doch in jedem Fall reicht das Prinzip offener Märkte nicht aus, um die Chancen der Südländer auf eine stabile ökonomische und soziale Entwicklung zu stärken. Gewiss, ohne eine Öffnung zum Weltmarkt hat in den letzten Jahrzehnten kaum ein Land eine dauerhafte Entwicklung erlebt, allerdings auch keines nur aufgrund dieser Öffnung.39 Überhaupt ist zweifelhaft, ob der wirtschaftliche Erfolg eines Landes in erster Linie mit der Offenheit der Märkte zu tun hat; vielmehr geben innere Bedingungen wie Rechtsstaatlichkeit, Teilhabe der Bürger und Sozialpolitik oft den Ausschlag. Hinzu kommt, dass keines der Industrieländer bei seinem Aufstieg dem Rezept offener Märkte gefolgt ist; gerade in der Anfangsphase suchten sie ihre noch wenig entfaltete Wirtschaft gegen die überlegene Konkurrenz von jenseits der Grenzen zu schützen. Die Chancen auf ebenbürtige Entwicklung für die schwächeren Länder hängen auch heute daran, gegenüber globalen Marktregeln einen hinreichend großen Raum zur Gestaltung der eigenen Rechts- und Sozialordnung wie auch der Wirtschaftspolitik zubehalten.40 Zugespitzt gesagt: Eine Handelsordnung, der es auf die Mehrung von Entwicklungschancen ankommt, wird aus der Vorzugsbehandlung eine Re-
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gelbehandlung machen. Länder brauchen einen eigenständigen politischen Spielraum – nicht als Ausnahme sondern als Normalfall.41 Multilaterale Handelsregeln, die Regierungen darin lähmen, sich um das Allgemeinwohl ihres Staates zu kümmern, sind widersinnig. Ihr Sinn liegt darin, im internationalen Austausch Sicherheiten zu geben und Transaktionskosten niedrig zu halten, und nicht darin, der Entfaltung von Gesellschaften im Wege zu stehen. Weil nun Bürger unterschiedlicher Länder unterschiedliche Vorstellungen über Arbeitsrechte, Sozialpolitik, Umwelt oder Nahrungsqualität haben, ist es angezeigt, Handelsregeln nicht auf Vereinheitlichung hin anzulegen, sondern auf die produktive Ko-Existenz unterschiedlicher Wirtschafts- und Gesellschaftsstile.42 Die gegenwärtige WTO-Politik könnte sich in diese Richtung bewegen, wenn zwei Grundsätze festgehalten werden: Zum einen sollten Regelungen rückgängig gemacht werden dürfen, in denen die Marktöffnung bereits zu weit gegangen ist. Dies könnte schwächeren Staaten ermöglichen, Schutzmechanismen, etwa Schutzzölle oder mengenmäßige Importbeschränkungen, zur Bewahrung von Lebensgrundlagen und Existenzrechten ihrer Bevölkerung einzuführen. Zum anderen müssen WTO-Abkommen nicht für alle Staaten gelten. Die Verhandlungen können durchaus multilateral sein; aber nicht alle Regeln müssen unbedingt, von allen übernommen werden. Stattdessen könnten Mitgliedsstaaten gemäß ihrer Ausgangssituation unterschiedliche Geschwindigkeiten bei der Marktöffnung zugestanden werden.43 Ein Wettbewerb der Wirtschaftsordnungen würde soziale und ökologische Belange berücksichtigen. Das wären Schritte auf einem Weg, an dessen Ende eine Welthandelsordnung stünde, welche die Vielfalt der Volkswirtschaften in ein fruchtbares und verlässliches Verhältnis bringt, anstatt sie zugunsten einer einheitlichen Weltwirtschaft auszuräumen. Menschenrechte vor Marktzugang Das Fundament der Vereinten Nationen ist die Selbstverpflichtung der Staaten auf die Anerkennung der Menschenrechte. Ohne den Kanon der Menschenrechte wären die Vereinten Nationen nichts weiter als ein Staatenbund, der keine weltgesellschaftliche Legitimität beanspruchen könnte. Die Menschenrechte sind international, nicht nur national, höchstes Recht. Umso erstaunlicher ist daher die Abwesenheit der Menschenrechte in der WTO; weder im Übereinkommen zur Errichtung der WTO von 1994 noch in der Rechtsprechung des Schiedsgerichts findet sich ein Bezug auf die Menschenrechte.44 Die WTO operiert in einem rechtlichen Rahmen, in dem das Grundgesetz der Vereinten Nationen keine Rolle spielt. Und doch kann die WTO sich nicht den Verpflichtungen entziehen, die aus dem Menschenrechtskanon erwachsen. Schließlich kommt den Menschenrechten universelle Geltung zu. Die UN-Charta ist da unmissverständlich: «Widersprechen
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sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta Vorrang» (Artikel 103). Denn Menschenrechte haben einen absoluten Charakter, sie gelten unter allen Umständen und können weder wegverhandelt noch einem wirtschaftlichen Nutzen geopfert werden. Selbst einer demokratischen Mehrheitsentscheidung sind sie nicht unterworfen, umso weniger einer Kosten-Nutzen-Analyse. Menschenrechte haben Vorrang vor allen anderen moralischen, politischen oder wirtschaftlichen Ansprüchen.45 Nahrungsmittel zum Beispiel haben einen solchen Menschenrechtsbezug. Sie sind keine Ware wie jede andere. Sie sind unverzichtbar für die Aufrechterhaltung der physischen Existenz. Darüber hinaus sind sie in den Ländern des Südens eine unersetzliche Einnahmequelle für die Mehrheit der Menschen. Denn dort sind im Schnitt 56 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, in einigen Ländern wie Burkina Faso oder Ruanda sogar über 90 Prozent.46 Ein Eingriff in die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung kann deshalb einen schweren Eingriff in die Lebensgrundlagen vieler Menschen bedeuten. Unbestritten gehört aber das Recht auf Nahrung zum Grundbestand der Menschenrechte (Artikel 25). Es formuliert eine Norm für die Zugänglichkeit und Verteilung von Nahrung in einem Wirtschaftssystem.47 Welche und wie viel Nahrung für wen vorhanden ist, wird erkennbar von internationalen Handelsregeln beeinflusst. Dennoch werden im Agrarabkommen der WTO Nahrungsmittel und Agrargüter wie jede andere Ware behandelt. Das Abkommen regelt ihren Import und Export, ganz besonders im Hinblick auf den Austausch zwischen Norden und Süden. Was die Ernährungssicherheit anbelangt, ist dabei zum einen der Export wichtig: Sowohl zu wenig wie auch zu viel Export kann für manche Bevölkerungsgruppen existenzgefährdend sein. Ist der Zugang zu nördlichen Märkten für Exporte aus dem Süden blockiert, kommen nicht genug Geldmittel ins Land für eine Umverteilungspolitik. Expandiert jedoch der Exportanteil der Landwirtschaft allzu sehr, kann die Eigenversorgung untergraben werden (Kapitel 3.2): Zum anderen sind auch die Schwankungen auf der Importseite von Bedeutung: Zu wenig preiswerte Importmöglichkeiten können eine Nahrungskrise verschärfen, aber auch zu viele Einfuhren können vom Preis und Volumen her die Ernährungssicherheit in Mitleidenschaft ziehen. Zwar waren die Länder des Südens zunächst erfreut, als mit dem Abkommen der Landwirtschaftssektor erstmals in einem multilateralen Rahmen reguliert wurde. Sie erwarteten vor allem, über einen verbesserten Zugang zu den Märkten der Industrieländer Gewinne aus dem Welthandel zu erzielen. Doch im Ergebnis wurden diese Erwartungen bislang enttäuscht. Denn die Ausgangszölle in den reichen Ländern waren so hoch, dass die im Agrar-
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abkommen geforderte Zollsenkung wenig bewirkt hat. So lagen die Zölle der USA für Zucker bei 244 und für Erdnüsse bei 174 Prozent, die der EU für Rindfleisch bei 213 und für Weizen bei 168 Prozent vom Einfuhrpreis.48 Überdies dürfen die Industrieländer so genannte Zollspitzen auf besonders sensible Güter aufrechterhalten – oftmals genau jene Güter, bei denen Staaten des Südens Wettbewerbsvorteile aufweisen, wie etwa bei Rindfleisch und Zucker.49 Ferner ist ihnen weiterhin gestattet, Zolleskalation zu betreiben, also den Zoll umso höher anzusetzende höher der Verarbeitungsgrad eines Produktes ist. So darf zum Beispiel der Rohkaffee zollfrei in die EU eingeführt werden, während gerösteter oder gefriergetrockneter Kaffee mit hohen Zöllen belegt ist. Noch immer ist der Süden vor allem Rohstofflieferant und wird daran gehindert, auf die profitablere Verarbeitung umzusteigen.50 Umgekehrt verschärft nicht selten ein expandierender Exportanteil der Landwirtschaft die prekäre Lage von Kleinbauern – und im Übrigen auch die Umweltkrise in der Landwirtschaft. Eine forcierte Exportausrichtung nämlich favorisiert oft Großlandwirte gegenüber Kleinbauern, stärkt Konzerne und nicht das Handwerk, führt zu Monokultur statt zu Artenvielfalt und lenkt öffentliche Mittel eher in Infrastrukturen für den Export als in die lokale Versorgung (Kapitel 3.2). Eine Politik der Exportförderung kann daher schnell in Gegensatz zu einer Politik der Ernährungssicherheit geraten.51 Gerade das Gebot der Nahrungssicherung widerspricht dem Drang, die landwirtschaftliche Produktion auf cash crops zu konzentrieren, also den schnellen Dollar durch den Anbau von Exportpflanzen zu suchen. Brasilien ist hierfür ein gutes Beispiel. Zwar wurden die landwirtschaftlichen Exporteinnahmen zwischen 1991 und 2001 mit einer Steigerung von 7,9 auf 16 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt. Doch führten die Bevorzugung der exportorientierten Unternehmen sowie der durch die Öffnung der Märkte wachsende Importdruck zu einer Verdrängung von traditionellen Kooperativen und Kleinbäuerinnen. Die Handelsgewinne konzentrierten sich in den Händen der industriellen Großproduzenten – zu Lasten der kleinen, traditionellen Produzenten. Mit deren Verdrängung verschlechterte sich obendrein auch die allgemeine Ernährungssituation: Zwischen 1980 und 2002 fiel die Reisproduktion um ein Viertel und die von Maniok um ein Drittel.52 Ähnliches war im indischen Bundesstaat Kerala zu beobachten. Waldgebiete und Reisfelder wurden dort in den 1990er Jahren großflächig in Gummi-, Kokosnuss- und Kaffeeplantagen umgewandelt, während außerdem Fischereiunternehmer mit Exportinteressen den lokalen Fischern die Küstengewässer streitig machten.53 Zunehmend frisst sich der Anbau für den Export in die fruchtbaren Landstriche; die Erzeugung von Nahrungsmitteln und auch die Kleinbauern müssen dran glauben. Wiederum sind viele Märkte des Südens weit für Importe aus dem Norden geöffnet. Meist im Gefolge von Strukturanpassungsprogrammen des
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Internationalen Währungsfonds und der Weltbank wurden viele Länder zur Öffnung für den Weltmarkt verpflichtet. Oftmals eilte die Absenkung der Einfuhrzölle den im WTO-Agrarabkommen geforderten Zollsenkungen voraus und ging über sie hinaus.54 Als Folge dieser Öffnung werden die südlichen Märkte zunehmend von Produkten aus dem Norden überschwemmt, noch dazu mit Preisen, die durch Subventionen verbilligt sind. Die Landwirtschaft wird in den OECD-Staaten mittlerweile mit mehr als 300 Milliarden US-Dollar jährlich unterstützt – dem sechsfachen Betrag der offiziellen staatlichen Entwicklungshilfe.55 Und subventionierte Agrargüter führten auf dem Weltmarkt schon mehrmals zu Preisstürzen. Das erfreut zwar zunächst die Verbraucher, bringt aber die Erzeuger in Bedrängnis. In Indien zum Beispiel warfen die hochgeschnellten Einfuhren von Speiseölerzeugnissen zahlreiche Erzeuger von Sonnenblumen-, Kokos- und Palmöl aus dem Markt; in Ghana konnten Viehzüchter und Metzger nicht gegen billige Fleischimporte aus Europa bestehen; in Mexiko werden die Maisbauern durch subventionierte Maisimporte aus den USA an die Wand gedrückt. Nahrungsmitteleinfuhren, die einheimische Preise unterbieten, verbilligen die Konsumausgaben der städtischen Schichten, aber untergraben die Grundlagen des Lebensunterhalts für zahlreiche Menschen, die in der Landund Nahrungsmittelwirtschaft beschäftigt sind (Kapitel 3.2). Das Fazit: Zu wenig Exporte lassen ein Land verarmen, zu viele Agrarexporte bereichern eine Minderheit und drängen die Mehrheit ins Abseits. In einem kritischen Moment können zu wenig Importe die Ernährungslage bedrohen, während zu viele, zu billige und zu plötzliche Importe das einheimische Ernährungsgewerbe in den Ruin treiben können. Jede dieser Situationen hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, alle weisen dennoch auf dieselbe Problemlage hin: Das deregulierte Wirken der Agrarmärkte kann Existenzrechte von Menschen in Mitleidenschaft ziehen. Wo aber Bauern verdrängt, weniger Nahrungsmittel erzeugt, Wirtschaftszweige ruiniert werden und nicht zuletzt Böden verarmen, kann von einer allgemeinen Wohlfahrtssteigerung durch freie Agrarmärkte nicht mehr die Rede sein. Schlägt diese Belastung in eine Gefährdung der Ernährung und Existenzsicherheit um, wird der freie Agrarmarkt zu einer Bedrohung für die Menschenrechte. Über das Agrarabkommen hinaus wirft auch das Dienstleistungsabkommen (GATS) ähnliche Probleme auf. Eingeführt schon bei der Gründung der WTO 1994, hat es zunächst lediglich den Status quo im grenzüberschreitenden Handel von Dienstleistungen festgeschrieben.56 Seit dem Jahr 2000 jedoch haben die Mitgliedsstaaten erneute Verhandlungen aufgenommen, um die Liberalisierung von Dienstleistungen weiter voranzutreiben. Freilich erschließt sich die Brisanz einer Liberalisierung von Dienstleistungen für die Existenz- und Menschenrechte erst beim zweiten Hinsehen. Kern-
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stück des Abkommens ist die Verpflichtung, ausländische Anbieter von Dienstleistungen wie inländische Anbieter zu behandeln, also ähnlich wie bei Gütern einen freien Wettbewerb zu gewährleisten. Ein kurzer Blick auf die Liste der potenziellen Dienstleistungen macht die Reichweite einer solchen Regelung klar: Gedacht wird nicht nur, wie man meinen könnte, an Versicherungen und Finanzen, vielmehr auch an Tourismus und Verkehr, Bildung und Kultur, Bauwesen und Krankenhäuser, Unternehmensführung und Umweltdienstleistungen – und noch ist beileibe nicht alles genannt.57 Kommt es zur vollen Liberalisierung, müssten etwa staatliche Stellen ihre Angebote – zum Beispiel den Krankenhausbetrieb oder die Wasserversorgung einer Stadt – international ausschreiben und dürften einem heimischen Anbieter den Zuschlag nur geben, wenn er bessere Konditionen als das ausländische Unternehmen bietet. Bei der bloßen Marktöffnung bleibt das GATS aber nicht stehen; auch die Bedingungen, unter denen die Leistung in einem Land erbracht wird, dürfen zu keinem Wettbewerbsnachteil führen und auch nicht im Verlauf der Zeit verändert werden. Damit könnte der innenpolitische Handlungsspielraum von Staaten beträchtlich eingeschränkt werden, etwa wenn es um gesundheits-, umweit- oder sozialpolitische Regelungen geht. Insgesamt gesehen zielt das Abkommen darauf ab, öffentliche Vorsorgeleistungen zu privatisieren und zusammen mit den anderen Dienstleistungssektoren für den Zugriff ausländischer Unternehmen zu öffnen. Angesichts seiner möglichen Reichweite ist das GATS daher nicht nur ein Handels-, sondern de facto auch ein Investitionsabkommen; es beschneidet die staatliche Kompetenz und bietet transnationalen Unternehmen einen Freibrief für Investitionen in zentralen Lebensbereichen. Gerade für die weniger kaufkräftigen Bevölkerungsgruppen sind aber erschwingliche Basisdienstleistungen wie Wasser, Energie, Gesundheit oder Bildung lebenswichtig. Dafür trifft das Dienstleistungsabkommen keine Vorsorge. Deshalb kann eine Liberalisierung unmittelbar mit den Existenzrechten der ärmeren Bevölkerung kollidieren. Weil der private Anbieter nach Gewinnüberlegungen handelt, neigt er dazu, die Versorgung auf Gebührenzahler zu beschränken. Das kann arme oder kranke Menschen von einer Basisversorgung ausschließen, auf die alle einen Anspruch haben. Höhere Verbraucherpreise haben Ausschlusswirkung. Der Streit um die Wasserversorgung in Cochabamba, Bolivien, ist dafür exemplarisch. Als Folge des Verkaufs an das US-Unternehmen Bechtel stiegen die Wasserpreise allein im Jahre 2002 um für Arme unerschwingliche 200 Prozent. Nach bürgerkriegsähnlichen Protesten sah sich die Regierung gezwungen, den Verkauf wieder rückgängig zu machen.58 Ähnlich gelagerte Proteste gegen den Ausschluss von Wasser oder Strom haben in vielen Städten des Südens stattgefunden (Kapitel 3.3). Darüber hinaus untergräbt die weitgehende Ermächtigung, die private Anbieter unter dem GATS genießen, die Fähigkeit des
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Staates, die Verwirklichung der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte sicherzustellen. Staaten haben die Pflicht, bis zu einem gewissen Niveau für das Recht aller auf Trinkwasser, auf Wohnung, auf Gesundheit zu sorgen. Wenn nötig, müssen Subventionen oder Gesetze den verwundbaren Gruppen zu ihrem Recht verhelfen – eine Praxis, die den Regeln des unregulierten Wettbewerbs widerspricht. Zumindest bedarf es einer Grundversorgung jenseits derer erst Marktpreise wirksam werden. Ein voll realisiertes Dienstleistungsabkommen der WTO würde die soziale Polarisierung verschärfen: Firmen, und darunter besonders transnationale, sowie kaufkraftfähige Ober- und Mittelklassen können höhere Gewinne und ein gesteigertes Leistungsangebot erwarten, während die einkommensschwachen Gruppen weiter geschädigt werden. Die Abkommen der WTO für den Agrarhandel, den Dienstleistungshandel und auch jenes für Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) zielen darauf ab, vor allem im Süden mehr Sektoren des Lebens für die transnationale Wirtschaft zu erschließen. Güter und Leistungen, die bisher vorwiegend mit gemeinschaftsbezogenen Wirtschaftsweisen erzeugt wurden, sollen nun durch Unternehmen erbracht werden, die global im Wettbewerb um Konsumenten und Investoren stehen. Saatgut etwa ist gewöhnlich in der Eigenversorgungswirtschaft erhältlich, ebenso vielfach Grundnahrungsmittel wie Reis, Hirse oder Milch. Getränke oder Lebensmittel sind seit urdenklichen Zeiten über die Märkte der Regionalwirtschaft verfügbar. Und Wasserleitungen, Schulen oder Krankenstationen werden gewöhnlich durch die Gemeinwirtschaft-Vereinigungen oder öffentliche Hand – unterhalten. Allen drei Wirtschaftsstilen, Eigenversorgungs-, Regional- und Gemeinwirtschaft, sind zwei Merkmale gemeinsam: Sie folgen vorwiegend soziokulturellen Normen und nicht dem Imperativ der Kapitalvermehrung, und die Lenkung und Überwachung der Wirtschaftstätigkeiten vollzieht sich auf lokaler oder höchstens nationaler Ebene. Erlangen weltmarktorientierte Unternehmen, wie es die Mission der WTO verlangt, ungehinderten Zugang, geraten diese kleinräumigen und gemeinschaftsbezogenen Wirtschaftsstile verstärkt unter Druck. Es vertieft sich die Kommerzialisierung – denn nun ist ein größerer Kreis an Gütern und Diensten den Gewinnnormen unterworfen; und die Kontrolle über die Wirtschaftsaktivitäten verschiebt sich von der lokalnationalen zur globalen Ebene. Die Pluralität der Wirtschaftsweisen gerät ins Wanken und leitet die Herrschaft der globalen Wettbewerbswirtschaft über die örtlichen Eigen-, Markt- und Gemeinwirtschaften ein. Zwar sind auch die gemeinschaftsbezogenen Wirtschaftsstile oft durchzogen von Unterdrückung und Armut, aber sie geben in aller Regel eine Basis für den Lebensunterhalt der Mehrheiten an der Peripherie des Weltmarkts. In ihrer Mischung von unentgeltlichen, gewohnheitsrechtlichen und durch Steuern finanzierten Leistungen bieten sie den wenig Kaufkräf-
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tigen ein Auskommen, vielfach sogar ein Auskommen in Anstand und Würde. Die Liberalisierung gerade lebensdienlicher Wirtschaftssektoren und Basisdienste liefert schwächere Gruppen den fernen Gesetzen des Weltmarkts aus und erhöht ihre wirtschaftliche Unsicherheit. Davon sind gerade Frauen betroffen; ihre ohnehin schon schmalen Verdienstmöglichkeiten als Kleinproduzentinnen werden häufig durch billige Massenprodukte, Verdrängung vom Land oder Verteuerung handwerklicher Rohstoffe zunichte gemacht.59 Nun bleiben auch den Verfechtern freier internationaler Märkte solcherart Folgen nicht verborgen. Sie plädieren mittlerweile – wie etwa die Weltbank in einer Art aufgeklärter Freihandelstheorie – für soziale Abfederung und einen vorausschauenden Staat. Sie sind dabei von einer geschichtsphilosophischen Annahme geleitet: Armut, so glauben sie, ist ein vorübergehendes Phänomen und wird früher oder später dem allgemeinen Wirtschaftsaufstieg weichen. Die Opfer in der Gegenwart sind in ihren Augen die Kosten für den Erfolg in der Zukunft. Die Armen heute müssen leiden, damit morgen die Armut überwunden werden kann. Was überdies zählt, ist die aggregierte Wohlfahrt und nicht das individuelle Recht. Wenn nämlich Wirtschaftswissenschaftler von einer Steigerung der Wohlfahrt sprechen, haben sie gewöhnlich die allgemeine Wohlfahrt im Auge und nicht das Schicksal bestimmter Gruppen, die sich dabei möglicherweise mehr Nachteile einhandeln. Darauf kommt es aber in einer Gerechtigkeitsperspektive an: Ungleichheit ist höchstens dann zulässig, wenn damit die am wenigsten Begünstigten besser gestellt sind (Kapitel 4.6). Menschenrechte zumal sind absolute Rechte konkreter Personen oder Gruppen; sie können nicht für den größeren gesamtgesellschaftlichen Nutzen, jetzt oder in der Zukunft, geopfert werden. Vor diesem Hintergrund sind Nahrungsgüter und Basisdienstleistungen keine geeigneten Kandidaten für Handelsliberalisierung. Um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte zahlreicher Bürgerinnen und Bürger in der südlichen Hemisphäre zu schützen, ist es geboten, die Welthandelsorganisation in ihrer gegenwärtigen Logik neu zu dimensionieren und den Agrar- und Dienstleistungshandel nicht dem Freihandelsregime zu unterwerfen. Multilaterale Handelsabkommen sind unverzichtbar; aber sie müssen auf einen politischen Ausgleich zwischen unterschiedlich gelagerten Volkswirtschaften hinarbeiten. Handel durch Interessenabgleich und nicht Handel durch Regelfreiheit könnte die Devise sein. Um sich in diese Richtung zu bewegen, ist es denkbar, den Agrarsektor der Länder des Südens zunächst von den WTO-Verpflichtungen auszunehmen, um dann anhand von Positivlisten für jeden einzelnen Landwirtschaftssektor individuell zu entscheiden, ob er für den Weltmarkt geöffnet wird.60 Handelsbeschränkende Maßnahmen wie Quoten oder Zollerhöhun-
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gen können erlaubt sein, wenn sie der Sicherung des Rechts auf Nahrung dienen. Insbesondere kann der bereits vorgesehene spezielle Schutzmechanismus, der einen vorübergehenden Importschutz erlaubt, wenn die Einfuhr eines Produktes plötzlich stark ansteigt oder die Preise stark fallen, für alle Länder verfügbar gemacht werden. Ähnlich ist beim Dienstleistungshandel zu verfahren. Vielleicht macht die Logik der offenen Märkte noch Sinn bei Versicherungsunternehmen, in der Touristik oder im Bau- und Verkehrswesen, gewiss aber nicht bei Wasser, Erziehung und Gesundheit. Existenziell wichtige Dienste der Daseinsvorsorge sind folglich von Liberalisierungsverhandlungen auszunehmen. Wie diese Dienste erbracht werden, hängt ganz von der Tradition und dem politischen Willen eines Landes ab. In jedem Fall empfiehlt es sich, in den Verhandlungen von einer engen Definition von Dienstleistungen auszugehen, die nur den grenzüberschreitenden Austausch von Dienstleistungen reguliert, nicht aber das Angebot und die Erbringung der Leistungen im Inland. Dadurch würde das GATS nur noch wenig in innenpolitische Angelegenheiten eingreifen. Also blieben Staaten in ihrer Kompetenz unangetastet; sie könnten selbst sozial-, umweit- und wirtschaftspolitische Standards für das Angebot von Dienstleistungen setzen. Dann kann ein Welthandelsabkommen sich auf seine Kernaufgabe konzentrieren, nämlich die Pluralität der Wirtschaftsstile zu garantieren und die institutionelle Vielfalt der Länder miteinander verträglich zu machen. Umweltrechte vor Marktzugang In langwierigen und konfliktreichen Verhandlungen haben über das letzte halbe Jahrhundert hin die Staaten der Welt Rechtsordnungen entwickelt, die der Weltgesellschaft Form und Verlässlichkeit geben sollen. Die Völkerrechtler bündeln die Vielzahl der einzelnen Verordnungen und Verträge in Sachgruppen unter dem Begriff «internationale Regime». Das älteste, das Menschenrechtsregime, besteht aus den in der International Bill of Rights zusammengefassten Grundrechtserklärungen. Das Umweltregime besteht aus mehreren hundert Einzelverträgen, am prominentesten unter ihnen sind die Konventionen zum Schutz des Klimas und der Biodiversität. Und im Welthandelsregime sind, abgesehen von regionalen und bilateralen Verträgen, die Abkommen der WTO festgelegt. Die Wirrnis im Aufbau einer überwölbenden global governance rührt daher, dass die drei Regime kaum miteinander vereinbar sind. Sie folgen nicht derselben Logik, ihre Verträge und Normen verkörpern widerstreitende Werte. Nicht nur zwischen dem Welthandelsregime und den Menschenrechten ist eine Konfliktzone entstanden, sondern auch zwischen dem Welthandelsregime und den Umweltrechten. Die Welthandelspolitik strebt eine Entgrenzung wirtschaftlicher Aktivitäten an, während Umwelt- und auch Menschenrechtsverträge eher auf die
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Begrenzung schädlicher, gefährlicher oder entwürdigender Wirtschaftsaktivitäten hinauslaufen. Oder: Das Welthandelsrecht setzt auf das Funktionieren der Märkte möglichst ohne Eingriffe des Staates, während die anderen Rechtsregime auf das Marktversagen reagieren, in hinreichendem Maße öffentliche Güter zu schützen oder zur Verfügung zu stellen. Oder: Die WTO möchte über den Wettbewerb für einen möglichst effektiven Einsatz von natürlichen und anderen Ressourcen sorgen, um weitere Expansion kostengünstig zu ermöglichen, während die Umweltverträge von der langfristigen Begrenztheit natürlicher Ressourcen ausgehen und darin eine Bremse für fortdauernde Ausweitung sehen. Und schließlich impliziert eine Welthandelspolitik mit der Suche nach größten komparativen Kostenvorteilen eine möglichst hohe Auslagerung von ökologischen Kosten, während Umweltabkommen auf eine möglichst weitgehende Internalisierung solcher Kosten über Gesetze und Abgaben zielen.61 Dennoch nennt die Präambel zum WTO-Vertrag «nachhaltige Entwicklung» als ein Ziel, das «die Erhöhung des Lebensstandards» sowie «die Ausweitung der Produktion» qualifizieren soll. Handelsbeziehungen, so heißt es dort, sollen auch «die optimale Nutzung der Ressourcen der Welt im Einklang mit dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung gestatten». Überdies erlauben die Ausnahmebestimmungen in Artikel XX des GATT den Staaten, handelsbeschränkende Maßnahmen einzuführen, wenn Gesundheitsgefahren für Pflanzen, Tiere und Menschen drohen oder wenn der Verbrauch erschöpflicher Naturressourcen eingeschränkt werden muss. Im Rückblick auf zehn Jahre WTO-Verhandlungen zeigt sich jedoch, dass die Präambel bisher weitgehend rhetorischen Charakter hatte. Nie wurde das breite Spektrum der Handelspolitik unter der Maßgabe «nachhaltiger Entwicklung» systematisch überprüft; allerdings haben einige Entscheidungen des Schiedsgerichts auf dieses Ziel Bezug genommen. In der institutionellen Gliederung der WTO werden Umweltthemen vom Ausschuss für Handel und Umwelt erörtert. Die Besorgnis galt dort freilich eher den Auswirkungen von Umweltschutzmaßnahmen auf den freien Wettbewerb und weit weniger den Auswirkungen des freien Wettbewerbs auf die Umwelt.62 Insbesondere die Länder des Südens wehrten sich gegen Umweltregeln, weil sie damit ihre komparativen Vorteile auf dem Weltmarkt dahinschmelzen sahen.63 Entgegen allen Versprechungen ohnehin schon von wichtigen Märkten in den Industrieländern ausgesperrt, wollten und wollen sie sich durch Umweltschutz keine zusätzlichen Barrieren einhandeln. Auch die Industrieländer waren eher darauf aus, ihre eigenen Länder sauber zu halten und, sofern es ihren Geschäften nicht im Wege stand, die Umweltverschmutzung im Süden zu bremsen; aber sie waren und sind weit davon entfernt, den Ressourcenverbrauch ihrer heimischen Industrie und ihrer Exporte infrage zu stellen. Insgesamt gesehen war eher eine Koalition der
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Wachstumsprotagonisten aus dem Süden wie dem Norden gegen die Zumutungen einer Ökologisierung der Wirtschaft am Werk. Sie ging ohne viel Federlesens davon aus, dass Wirtschaftswachstum eine Voraussetzung für Umweltschutz sei. Als Standardformel galt die «gegenseitige Unterstützung von Handel und Umwelt», ohne eine Bemühung darum, die Bedingungen für eine solche Synergie zu identifizieren. Überhaupt kommt in den WTO-Verhandlungen ein eher überlebtes Verständnis von Umweltpolitik zum Vorschein. Gedacht wird an die Eingrenzung von Schäden durch Gesetze und durch Technik, weniger an eine Neuausrichtung der Produktion zugunsten einer besseren Nutzung der Ressourcen. Doch es geht ja nicht nur um Schadensminderung am Ende eines vorgegebenen Produktionsprozesses, sondern um eine ressourcensparende Innovation in seiner Gestaltung. In Form zusätzlicher Produktionsauflagen mag Umweltpolitik in der Tat als hinderlich daherkommen, luxurierend und Kosten treibend und daher zum Missfallen besonders der südlichen Länder. Anders ist der Blickwinkel, wenn statt des additiven ein integrierter Umweltschutz gesucht wird. Dann geht es darum, Herstellung und Verbrauch so einzurichten, das sie mit weniger Natur-Ressourcen auskommen und in der Folge weniger betriebliche wie mittelfristig auch weniger gesellschaftliche Kosten verursachen. Ein solcher Ansatz ist für die Südländer reizvoller: Er spart Kosten, gibt Menschen Arbeit und mildert auf Dauer die wachsende Naturknappheit. Und er lenkt die Aufmerksamkeit ebenso auf den hohen Umweltverbrauch der Industrieländer; schließlich beansprucht der Export eines Laptop mehr Ressourcen als der Import einer Ladung Textilien. Nach Maßgabe eines integrierten Umweltschutzes, der ressourcensparende Produktion begünstigt, werden insbesondere diejenigen Südländer, die durch ein leapfrogging ressourcenleichte Produktionsund Konsumstile einführen, gegenüber den ressourcenintensiven Handelspartnern bald Wettbewerbsvorteile veranschlagen können. Stattdessen aber, so könnte man sagen, hat Marrakesch Rio geschlagen – eine Rangfolge, die auch beim Verhältnis zwischen Wirtschafts- und Umweltverträgen deutlich wird. Ohne Umschweife gesagt: Weder die Klimanoch die Biodiversitäts-Konvention spielen für die Welthandelsordnung eine Rolle. Umweltverträge finden auf einem anderen Planeten statt. Gewiss, seit Jahren wird über das Verhältnis beider Arten von Verträgen debattiert, aber im Wesentlichen heißt dabei die Frage, ob Handelsbeschränkungen – in einigen Umweltverträgen wie dem Artenschutzabkommen oder dem Protokoll zur Biologischen Sicherheit vorgesehen – mit dem Freihandelsprinzip der WTO vereinbar sind. Ungleich dringender ist jedoch die Frage, welche transnationale Handelspolitik erforderlich ist, um die Ziele der Umweltkonventionen voranzubringen. Sie liegt indes außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der WTO. Dennoch kann das Rechtswerk der WTO
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massiv Anstrengungen behindern, die Weltwirtschaft auf einen klimafreundlichen und Lebensvielfalt kultivierenden Pfad zu bringen. Zunächst gibt es Regelungen, die den Umweltabkommen widersprechen, insbesondere steht das Abkommen über die Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS), soweit es Patentrechte über Lebewesen betrifft, im Widerstreit zur Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD). Das TRIPS-Abkommen erkennt weder das Prinzip staatlicher Souveränität über Naturressourcen noch die besondere Rolle indigener und traditioneller Gemeinschaften an – und stellt damit auch das Instrument des Vorteilsausgleichs infrage. Nicht zuletzt aus diesen Gründen wird es daher der «Legalisierung der Biopiraterie»64 beschuldigt (Kapitel 3.4). Überdies führt – wie schon bei der «Grünen Revolution» – Patentschutz für Genpflanzen zu einer Verdrängung anderer Sorten und damit zu einem weiteren Verlust der landwirtschaftlichen Pflanzenvielfalt. Ferner schreckt die Vormachtstellung der WTO manche Regierungen ab, die Märkte auf Umweltziele auszurichten. Nach der Biodiversitäts-Konvention etwa sind Staaten zum Schutz von Wäldern, Fischgründen, Feuchtgebieten, Wasserläufen angehalten. Aber es ist nicht zu sehen, wie das ohne eine Regulierung und Neuausrichtung der transnationalen Holzindustrie, Fischereiwirtschaft und erst recht der agrarwirtschaftlichen Produktionsketten geschehen könnte. Doch eine nachdrückliche Steuerung in diese Richtung kollidiert, so wird befürchtet, mit WTO-Regeln. Ähnlich bei der Klimakonvention: Handelsmaßnahmen, die klimafreundliche Güter begünstigen, können als eine Diskriminierung energieintensiver Güter gelesen werden. Das Gleiche gilt für den ganzen Kranz von Instrumenten wie Steuern, Zöllen, Subventionen oder Produktstandards, die unerlässlich sind, um ernsthaft Weichen in Richtung einer emissionsarmen Wirtschaft zu stellen.« Gegenwärtig ist nicht zu sehen, wie ein Durchbruch zu einem fairen und umweltverträglichen Welthandelsregime ins Werk gesetzt werden kann. Allenfalls verschieben sich leicht die Kräfteverhältnisse zugunsten der «Gruppe der 20», Staaten unter der Führerschaft Indiens und Brasiliens, die auf der Ministerkonferenz in Cancún 2003 und danach gewisse Zugeständnisse Europas und der USA beim Zugang zu nördlichen Märkten durchgesetzt haben. Exporte aus Staaten des Südens zu erleichtern schafft mehr Fairness, verlässt aber nicht den Rahmen des Freihandelsregimes. Weniger verzerrte Chancen im Marktzugang können die gröbsten Ungerechtigkeiten beseitigen, tragen allerdings kaum dazu bei, den Welthandel auf den Schutz der Biosphäre wie der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte hin umzuorientieren.
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Denkansätze zur Neuerfindung der WTO Für eine solche Umorientierung wird man nicht an einer Neuerfindung des Welthandelsregimes vorbeikommen. Dafür zeichnen sich in der öffentlichen Debatte drei unterschiedliche Gedankenmodelle ab, die teils miteinander vereinbar sind, teils miteinander konkurrieren: das Modell globaler Mindeststandards, das Modell national selbstbestimmter Politikwahl und schließlich das Modell der Gewaltenteilung. Globale Standards in Sachen Umwelt und Menschenrechte haben den Vorteil, sich gut in die Logik des Freihandels zu fügen. Sie legen, so lässt sich argumentieren, das Fundament, auf dem sich erst das Versprechen des Freihandels verwirklichen kann, dass nämlich der Beste die Nase vorne haben wird. Dafür muss, wie es in der WTO geschieht, Protektionismus an den Ländergrenzen abgebaut werden. Das allein reicht aber nicht: Nicht nur gilt es zu verhindern, dass Staaten ihre Industrien protegieren, sondern auch, dass Plünderer und Ausbeuter sich entscheidende Wettbewerbsvorteile sichern können. Wettbewerb, das ist der Ansatz dieses Gedankenmodells, ist für das Gemeinwohl erst dann gedeihlich, wenn das Spielfeld keine Schieflage zulässt zugunsten derer, die ihre Kosten auf andere abwälzen. Warum sollen ausgerechnet die Lohndrücker, Rechtsverletzer, Ressourcenverschwender unter den Firmen bessere Wettbewerbschancen haben? Erst bei möglichst umfassender Internalisierung externer Kosten kann der Wettbewerb eine allgemeine Wohlfahrtssteigerung hervorzubringen. Mehr noch: Es kann sich möglicherweise auch ein Wettbewerb zwischen Ländern und Standorten zugunsten von Umwelt- und Menschenrechten entfalten.66 Ein Weg, diesem Ziel näher zu kommen, ist zum Beispiel die Einrichtung einer oder mehrerer Agenturen für Handelslizenzen.67 Als Muster für solche Agenturen können die Institutionen des Fair Trade oder der Vergabe von Umweltlabels dienen. Ob fairer Kaffeehandel oder ökologischer Holzhandel, die Grundfunktionen sind immer die gleichen: Eine Zertifizierungsagentur setzt Standards, eine Firma beantragt das Zertifikat, die Agentur prüft die Herstellungs- und Vertriebsbedingungen, und bei positivem Ergebnis ist es der Firma gestattet, in den internationalen Handel einzusteigen. Das Verfahren ist in kleinem Maßstab vielfach erprobt, vom TransfairSiegel zum Forest-Stewardship-Holzsiegel, doch bislang auf freiwillige Teilnahme beschränkt (Kapitel 4.5). Eine Welthandelsorganisation, die sich als Motor für Fairness und Umwelt versteht, wird solche Verfahren nach und nach für alle Wirtschaftssektoren und alle Regionen verbindlich machen. Denn wie jedem Recht, so korrespondiert auch dem Recht von Unternehmen, transnationale Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen, eine Verantwortung. Globale Standards sind nichts weiter als ein Hilfsmittel, diese Verantwortung einzulösen.
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Die Schwachstellen des Gedankenmodells der globalen Standards heißen Vielfalt und Selbstbestimmung. Standards weltweit zur Geltung zu bringen, für Vietnam wie für Kolumbien, für kleine Exportfirmen wie für Weltkonzerne, ist ein Akt der Vereinheitlichung, dem die Vielfalt von Situationen entgegensteht. Je weiter die Standardisierung einen Sockel an Minimalregeln überschreitet, desto schwieriger wird es, unterschiedlichen Situationen gerecht zu werden. Überdies stehen globale Normen in Spannung mit der demokratischen Selbstregierung einer Gesellschaft. Deshalb kommt es dem zweiten Gedankenmodell darauf an, den politischen Gestaltungsspielraum der Staaten im Welthandel zu erweitern. Umstände und Prioritäten sind von Land zu Land verschieden; darauf lässt sich nur auf der nationalen Ebene flexibel und vor allem demokratisch legitim eingehen. Gesellschaften müssen in der Lage sein, ihre kollektiven Präferenzen zum Ausdruck zu bringen; andernfalls kann sich kein demokratischer Wille zur Neuausrichtung der Wirtschaftsprozesse durchsetzen. Dafür müssen die Staaten zu eigenen Entscheidungen ermächtigt sein; und das bedeutet den Rückbau der alles entscheidenden Autorität der WTO. Mit anderen Worten: Protektionismus ist unerlässlich, sowohl im Süden als auch im Norden – wenn es um den Schutz von Sozial- und Umweltrechten geht. Dabei ist eine neue Ermächtigung der Staaten auf verschiedenen Stufen vorstellbar. Zunächst ließe sich Artikel XX des GATT, der staatliche Eingriffe in Ausnahmen gestattet, deutlich erweitern. Staaten könnte eine handelspolitische Steuerung erlaubt sein, wenn sie dazu dient, die Ziele eines multilateralen Sozial- oder Umweltvertrags zu verwirklichen.68 Grundlegender ist ein Ansatz, der unter dem Stichwort «Deglobalisierung» das Recht jedes Landes auf eigenständige und selbst gesteuerte Entwicklung einfordert.69 Der Freihandel wird dann durch ein Netz von Handelsverträgen ersetzt. Die strategische Weichenstellung liegt hier darin, von der Exportorientierung als dem angeblichen Königsweg zur Armutsüberwindung auf eine Binnenorientierung der Wirtschaft umzulenken. Dem Aufbau einheimischer Kapazität wird in dieser Sichtweise mehr Bedeutung zugeschrieben als der Exportkraft; denn kein Land kann unabhängig handeln und einen eigenen Entwicklungsweg verfolgen, wenn es sich nicht zuallererst auf eine einheimische wirtschaftliche Basis stützen kann. Eine noch ausgeprägtere Gegenposition zur gegenwärtigen Globalisierung vertreten die Befürworter der «Lokalisierung»,70 die sich für eine Ermächtigung der Staaten bis hin zur Umkehr der Prioritäten aussprechen. Um weltweit die lokale/nationale Wirtschaft zu schützen, will dieser Ansatz in der Wirtschaftspolitik der lokalen Industrie und Landwirtschaft den Vorrang geben und internationalen Handel als Restgröße betrachten. Wie leicht zu sehen ist, verschiebt sich in jeder dieser Positionen die Grundvorstellung darüber, was unter Welthandel zu verstehen ist: insgesamt wird er in diesem Gedankenmodell eher als
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ein Koordinationssystem zwischen einer Vielfalt nationaler Wirtschaftsweisen betrachtet und nicht als eine weltweit durchgängige Wirtschaftsarena. Das dritte Gedankenmodell hingegen möchte die Vormachtstellung der WTO auf der rechtlichen Ebene begrenzen. Es will in der Weltwirtschaft die Koexistenz unterschiedlicher Werte wie Wirtschaftskraft, Umwelt und Menschenrechte gewährleisten und eine Balance zwischen den einschlägigen internationalen Institutionen herstellen. Beides ist gegenwärtig nicht gegeben, da die Welthandelsorganisation einen Alleinanspruch auf die Lösung von Konflikten vertritt, die Handelsbelange berühren. Sie besitzt das strengste und wirksamste Streitschlichtungsorgan, das je in völkerrechtlichen Regimen eingerichtet worden ist. Im Unterschied zu anderen Schiedsinstanzen besitzt es Sanktionsmacht: Die unterlegene Partei kann durch Vergeltungsmaßnahmen im Handelsverkehr bestraft werden. Im Falle eines Konflikts zwischen Handelsrecht und Menschen-, Sozial- und Umweltrecht ist deshalb keine unabhängige Rechtssprechung garantiert. Außerdem fehlt eine klare Trennung zwischen gesetzgebender, ausführender und rechtsprechender Gewalt; alle Funktionen sind unter dem Dach der WTO vereint. Das ur-demokratische Prinzip der Gewaltenteilung, erfunden zur wechselseitigen Überwachung der Macht, spielt auf der internationalen Ebene kaum eine Rolle. Aber jede Gesellschaft, erst recht die globale, ist mit Konflikten zwischen Werten, Interessen und Institutionen durchsetzt. Es ist unausweichlich, eine neutrale Instanz zu ihrer Regelung zu schaffen, andernfalls wird die Dominanz des Handelsrechts mehr oder weniger festgeschrieben. Von diesem Ansatz her ist zunächst der wichtigste Schritt, das Streitschlichtungsorgan der WTO auf Handelsfragen im engen Sinne zu beschränken. Sobald in Streitfällen Umwelt-, Sozial- oder Menschenrechte berührt sind,muss die Zuständigkeit auf ein neutrales internationales Gericht übergehen. Entweder ließen sich Institutionen wie der Internationale Gerichtshof oder der Internationale Schiedsgerichtshof damit betrauen oder es müßte ein Handelsgerichtshof geschaffen werden.71 Selbst bei Streit in Handelskonflikten sollte die Schlichtung nicht nur im engen Rahmen der WTO-Abkommen gesucht werden, sondern ebenso den Rekurs auf andere multilaterale Abkommen zulassen. Überfällig ist in der WTO ein Bezug auf die Menschenrechte und auf internationale Verträge wie etwa die Umweltabkommen, damit Staaten darin motivierte Ausnahmen von WTO-Regelungen geltend machen können.72 Insgesamt ist eine weitgehende Auslagerung der Streitschlichtung aus der WTO unerlässlich, um Unparteilichkeit in der Entscheidung über widerstreitende Standpunkte zu erreichen.
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6.4 Bürgerpflichten für Unternehmen Als im 16. Jahrhundert, dem Zeitalter der großen Entdeckungen, die europäischen Staaten begannen, ihr Herrschaftsnetz über den Planeten zu ziehen, folgten alsbald Handelshäuser den Forschern, und private Unternehmer suchten Profit aus Goldrausch und Gewürzhandel zu schlagen. Bereits 1602 wurde in Amsterdam das erste transnationale Unternehmen gegründet, die Vereinigte Ostindien-Kompanie. Bald bevölkerten neben Kriegs- auch Handelsschiffe die Weltmeere, und zur staatlichen Macht gesellte sich die wirtschaftliche Ausplünderung als Grundlage der jahrhundertelangen Kolonialzeit. Mittlerweile haben die einstigen Eroberer ihre politische Herrschaft im Süden nach langen nationalen Unabhängigkeitskämpfen aufgegeben. Die Aktivitäten transnationaler Unternehmen haben sich freilich vervielfacht. Gegenwärtig werden, über den Globus verteilt, gut 60 000 transnationale Unternehmen mit rund 870 000 Tochterunternehmen gezählt. Sie beschäftigen nicht nur 53 Millionen Menschen, sondern kontrollieren weltweit Millionen lokaler Zulieferbetriebe und Dienstleistungsfirmen.73 Transnationale Unternehmen sind gegenwärtig mehr denn je global players, weil die Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen in erster Linie zwischen und innerhalb von Unternehmen stattfindet. Zwei Drittel des Welthandels werden von transnationalen Unternehmen getätigt, und mehr als die Hälfte davon erfolgt ausschließlich intern zwischen ihren verstreuten Produktionsstandorten. Inzwischen haben einige Unternehmen eine solche Größe erreicht, dass selbst mittlere Staaten ihnen gegenüber klein aussehen. Ein Vergleich des Bruttosozialprodukts von Staaten und der Umsätze von Unternehmen zeigt, dass sich unter den hundert größten Ökonomien der Welt heute nur noch 49 Staaten finden, alle anderen sind Unternehmen. So machte der weltgrößte Konzern Wal Mart im Jahr 2002 218 Milliarden US-Dollar Umsatz, während im selben Jahr das Bruttosozialprodukt der 50 am wenigsten entwickelten Länder zusammen 207 Milliarden US-Dollar betrug.74 Der Bestand an ausländischen Investitionen belief sich Ende 2002 auf weltweit mehr als 7,1 Billionen US-Dollar,75 doch das Gros ausländischer Investitionen konzentriert sich in wenigen reichen Ländern. In den Südländern findet sich ein Drittel des Investitionsbestands, und dieser ist überdies zu 90 Prozent auf nur neun Spitzenreiter der nachholenden Industrialisierung beschränkt, allen voran China. Die restlichen Länder liegen an der Peripherie transnationaler Wirtschaftstätigkeit. Betrachtet man alle Länder des Südens zusammen, so stieg der Anteil ausländischer Investitionen an ihrem Bruttosozialprodukt – und damit ihre Abhängigkeit – von 13 Prozent im Jahr 1980 auf über 30 Prozent im Jahr 2002.76
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Ein guter Teil der Auslandsinvestitionen wurde und wird eingesetzt, um globale Produktionssysteme aufzubauen, namentlich im Bereich der hochtechnischen Industrien wie Elektronik und Halbleiter sowie der arbeitsintensiven Konsumgüterindustrien wie Textilien und Schuhe.77 Bei der hochtechnischen Industrie übernehmen im Allgemeinen Tochtergesellschaften in Schwellenländern die Produktion ausgewählter Bauelemente, während Forschung und Design in den Industrieländern verbleiben. Bei der Konsumgüterindustrie hingegen wird oft der gesamte Produktionsprozess unter spezifizierten Vorgaben an lokale Firmen vergeben, und das transnationale Unternehmen kontrolliert das Marketing, die Marke und das Image. Sei es zur Reduzierung von Arbeitslosigkeit oder von Armut, sei es zum Erwerb von Wohlstand, Wirtschaftswachstum oder Wählerstimmen: Regierungen weltweit werben um die Gunst transnationaler Unternehmen. Besonders im Süden werden ihnen Tür und Tor geöffnet, in der Hoffnung auf eine Initialzündung für die heimische Wirtschaft und einen Transfer moderner Technologien. Dabei können die Länder dort in der Regel nicht mit einem Umfeld moderner Zulieferfirmen oder mit günstigen Infrastrukturen locken. Ihre Standortvorteile sind geringe Löhne, niedrigere Sozialstandards und Steuervergünstigungen. Fast 4300 zwischenstaatliche Investitionsschutz- und Doppelbesteuerungsabkommen sorgen dafür, dass Unternehmen ihr Netz an weltumspannenden Geschäften verdichten können.78 Sie gleichen allerdings eher Freibriefen als Abmachungen; auf die Steuerung von Investitionen oder Unternehmen im Interesse der Gastländer zielen sie nur in seltenen Fällen ab. Allerdings ist es nicht einfach, die Tätigkeit transnationaler Firmen im Süden zu bilanzieren. Zu widersprüchlich ist die Datenlage, zu verschieden sind die Situationen. Was die Entwicklung der Einkommen und die physische Lebensqualität der Bevölkerung angeht, schreibt eine Untersuchung den transnationalen Unternehmen einen eindeutig positiven Einfluss zu,79 während eine methodisch identische Untersuchung mit einem erweiterten Datenmaterial zum genau gegenteiligen Ergebnis kommt.80 Ambivalent ist auch ihre Rolle bezüglich der Arbeitsplätze. Einerseits schaffen sie mit dem Aufbau neuer Produktionsstätten und durch Aufträge an Zulieferfirmen weltweit Millionen Arbeitsplätze. Insbesondere Frauen gelten dabei gemeinhin als die großen Gewinnerinnen der globalen Arbeitsteilung. Allein in zwei Freihandelszonen Bangladeschs entstanden in 20 Jahren rund 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze, davon 90 Prozent für Frauen.81 Andererseits gehen durch die Veränderung der lokal gewachsenen Wirtschaftsstrukturen an anderer Stelle Arbeitsplätze verloren. So kommen manche Studien zu dem Ergebnis, dass transnationale Konzerne in der Summe mehr Arbeitsplätze zerstören, als sie neue schaffen.82 Keineswegs immer, aber häufig genug lässt die Qualität der Arbeitsplätze zu wünschen übrig: Von mi-
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serablen Arbeitsbedingungen, unbezahlten Überstunden, Repressionen und drastischen Sanktionen auch bei kleinen Regelverstößen wird berichtet. Vor allem Arbeitsplätze für Frauen sind häufig sehr unsicher; bei Heirat oder Schwangerschaft werden sie aufgekündigt. Ein ebenso ambivalentes Bild zeigt sich in Umweltfragen. Transnationale Unternehmen weisen vor allem dort, wo es kaum staatliche Autorität gibt, im Vergleich zu lokalen Unternehmen oft wesentlich bessere Standards auf. Sie orientieren sich am internationalen Technologie- wie Qualitätsniveau und heben sich damit von der lokalen Industrie ab. Auf der anderen Seite haben insbesondere Unternehmen, die in der Rohstoffextraktion tätig sind, eine schlechte Umweltbilanz.83 Straßen von Holzkonzernen zerstören Lebensräume, Öllecks verschmutzen ganze Landstriche, die Wasserentnahme von Getränkefirmen senkt das Grundwasser ab, der industrielle Anbau von Ananas verdrängt Bauern. Der dramatische Anstieg der Auslandsinvestitionen in den letzten zwanzig Jahren wurde nicht begleitet von der Ausarbeitung eines Rechtsrahmens, der Grundbedingungen des Gemeinwohls sichert. Transnationale Unternehmen können sich nationalen Regelungen entziehen. Sie suchen sich rund um den Globus die günstigsten Produktionsorte aus, wo sie die geringsten Produktionskosten haben – was auch bedeutet, dass sie dort am besten Kosten vermindern oder sie an die Allgemeinheit auslagern können. Transnationale Unternehmen sind insofern wahre «ExternalisierungsMaschinen»84; denn sie haben Macht und Möglichkeit, Steuerzahlungen sowie Kosten für Umwelt- und Sozialstandards durch Abwanderung – oder der Drohung damit – zu umgehen oder gar Subventionen für sich durchzusetzen. Dort, wo im Süden und Osten der Welt schwache oder korrupte Staaten ihrer Regulierungsaufgabe nicht nachkommen, nützen manche Unternehmen ihre Macht, um Regeln und Standards auf niedrigem Niveau zu halten85 oder bedienen sich korrupter Regime, um Rohstoffe und Arbeitskräfte billig auszubeuten.86 Nicht wenige Auslandsinvestitionen werden so in einem de facto rechtsfreien Raum getätigt. Darum kann die politische Gestaltung transnationaler Wirtschaftsbeziehungen sich nicht auf die Neuausrichtung des Handels von Gütern und Dienstleistungen beschränken, sie muss auch die Regeln grenzüberschreitender Investitionen umfassen. Jenseits der Jahresbilanz Im Verlauf der letzten Jahrzehnte haben Betroffene und zivilgesellschaftliche Gruppen immer lauter gefordert, transnationale Unternehmen zur Einhaltung von sozialen und ökologischen Mindeststandards zu bewegen. Sie haben diese Forderung nicht erfunden: Bereits die Havanna-Charta von 1948 sah eine Steuerung von Auslandsinvestitionen vor – sie wurde aber
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nie verabschiedet. 1972 rief die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) dazu auf, Verhaltensregeln für transnationale Firmen auszuarbeiten. 1974 wurde das Zentrum für Transnationale Unternehmen der Vereinten Nationen (UNCTC) gegründet, und 1976 erklärte der Wirtschaftsund Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) die Entwicklung von Standards zu seiner Priorität – um nur einige Ansätze zu nennen.87 Mitte der 1980er Jahre jedoch schlug die Stimmung um. Die genannten Initiativen wurden abgebrochen und das UNCTC 1992 aufgelöst. In der Folge wurden transnationale Unternehmen eher als verantwortungsvoll handelnde Partner denn als zur Verantwortung zu ziehende Akteure behandelt.88 Gleichzeitig wurden Unternehmen im Rahmen des nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) 1994 weitreichende Rechte gegenüber Regierungen eingeräumt, ohne sie im Gegenzug mit Pflichten zur Sorge für das Gemeinwohl zu belegen. Und in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wurde Ende der 1990er Jahre – wenn auch ohne Erfolg – ein Investitionsschutzabkommen (MAI) verhandelt, wie auch gegenwärtig wieder marktmächtige Staaten ein ähnliches Abkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation und auf bilateraler Ebene einführen wollen. Diese Absage an verpflichtende Verhaltensregeln haben freilich das Thema nicht erledigen können. Seit den 1990er Jahren gibt es neue Initiativen, diesmal nicht durch die Politik von oben herab, sondern von betroffenen Akteuren selbst entwickelt. Unternehmensvereinigungen und zivilgesellschaftliche Orgnisationen, Managementberater und Finanzdienstleister haben Verhaltenskodizes entwickelt, um Unternehmen zu helfen, ihre Geschäfte nachhaltig zu gestalten. Eine respektable Anzahl von Unternehmen hat sich unter dem Schlagwort corporate social responsibility inzwischen gesellschaftliche Verantwortung auf die Fahnen geschrieben und sich für die freiwillige Einhaltung von Verhaltenskodizes entschieden.89 Sie werden dabei von unterschiedlichen Motiven geleitet: Sie möchten unternehmenseigene Werte in konkrete Handlungen überführen, das Image eines sozial und ökologisch verantwortlichen Unternehmens stärken, sie reagieren auf den Druck der Medien und der Zivilgesellschaft, oder sie hoffen darauf, dass Staaten keine verbindlichen Regeln einführen, solange freiwillig Standards eingehalten werden.90 Außerdem können sie dadurch nicht selten Energieund Materialkosten senken und Innovationen entwickeln. Auch internationale Institutionen haben Initiativen gegründet. Die am besten bekannte ist der Global Compact unter der Ägide der Vereinten Nationen. Im Jahre 2000 von UN-Generalsekretär Kofi Annan und einigen Unternehmen als Partnerschaft zwischen den Vereinten Nationen und der Privatwirtschaft ins Leben gerufen, verzeichnet der Global Compact heute weit über 1000 Teilnehmer.91 Verglichen mit dem Global Compact sind die
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OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, im Jahr 2000 von der Organisation vorgelegt, umfassender und konkreter. Die OECD-Staaten sowie mittlerweile acht weitere Länder, die sich den Leitsätzen angeschlossen haben, verpflichten sich zum Aufbau so genannter nationaler Kontaktstellen, bei denen Individuen, Nicht-Regierungs-Organisationen oder Staaten Beschwerde gegen die Praktiken eines transnationalen Unternehmens einlegen können.92 Vier Elemente lassen sich in diesen Initiativen besonders hervorheben.93 Einige von ihnen bemühen sich, möglichst viele von einem Unternehmen betroffene Personen und Gruppen, die so genannten stakeholder, an den Unternehmensentscheidungen zu beteiligen. Während den Aktionären eines Unternehmens vorrangig am möglichst hohen Profit gelegen ist, werden im Idealfall die von seinen Geschäften positiv und negativ Betroffenen neben dem Gewinn die allgemeine Wohlfahrt bedenken.94 Einige Konzerne haben bereits Netzwerkstrukturen aufgebaut, um eine Vielzahl von Akteuren an ihren Entscheidungen teilhaben zu lassen; so hat etwa das spanische Unternehmen Mondragón Co-operatives of Spain Basque Country ein Netzwerk von rund tausend Kontaktzentren aufgebaut, die eine weitreichende Beteiligung von Stakeholdern ermöglichen; die schwedische Supermarktkette «KF» wird gar über Verbraucherkooperativen gesteuert.95 Weiter erleben seit dem Erdgipfel in Rio 1992 Umweltmanagement-Systeme einen Aufschwung, die in einer Reihe von Initiativen auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene entstanden sind und von zivilgesellschaftlichen Organisationen, internationalen Institutionen oder Finanzdienstleistern mitgetragen werden. Ihr Ziel ist es, Produktionsprozesse so zu gestalten, dass mit Ressourcen und Abfallprodukten möglichst schonend und effizient umgegangen wird. Einige dieser Systeme versuchen, von den Rohstofflieferanten über die Produzenten von Halbfertigprodukten bis hin zu den Konsumenten möglichst viele Akteure entlang der Produktkette eines Unternehmens in Verbesserungsprozesse einzubeziehen. Sie bieten Trainingsprogramme für Manager an, entwickeln Pilotprojekte oder versuchen über einen organisierten Informationsaustausch die Weiterverbreitung von guter Praxis zu unterstützen.96 Beispiele sind der «ISO 14001»-Standard oder «EMAS». Management-Systeme, die auf soziale Verbesserungen abzielen, gibt es bislang hingegen kaum. Um freiwillige Verhaltenskodizes wirksam zu machen, kommt es auf Vernetzung und öffentliche Aufmerksamkeit an. So will die Global Reporting Initiative entlang ökologischer, sozialer und ökonomischer Kriterien Transparenz in das Berichtswesen von Unternehmen bringen. Die Extractive Industries Transparency Initiative bemüht sich um Durchsichtigkeit in der Vergütung von Rohstoffen aus Ländern des Südens. Das Forest Stewardship Council weist Holzprodukte aus nachhaltiger Forstwirtschaft aus, und das
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Label Rugmark kennzeichnet Teppichwaren aus dem Süden, die ohne Kinderarbeit hergestellt wurden.97 Schließlich wurden zahlreiche Ansätze entwickelt, die das Verhalten von Unternehmen unabhängig prüfen und die Erfüllung der freiwillig auferlegten Standards bestätigen, so etwa AccountAbility, Social Accountability International oder Social Observatory. Ergänzt werden sie sowohl durch die Prüfungsangebote von Unternehmensberatungen als auch durch Aktienindizes bzw. Nachhaltigkeitsindikatoren an der Börse, wie etwa den Dow Jones Sustainability Index oder den deutschen Natur Aktien Index (NAI). Sie alle zielen nicht nur auf die Transparenz von Unternehmen in der Öffentlichkeit ab, sondern ermöglichen ihnen auch, der Kritik und dem Feedback zufolge Verbesserungen vorzunehmen.98 Wie weit tragen freiwillige Standards? Freiwillige Standards haben den unbestreitbaren Vorzug, dass sie von Betroffenen und Unternehmen mit hohem technischen Know-how entwickelt werden, worüber andere Institutionen in der Regel nicht verfügen.99 Sie sind daher ein unerlässliches Laboratorium für gute Praxisbeispiele und für die Entwicklung von Produktionsstandards. Sie regen die öffentliche Debatte um Unternehmensverantwortung an, zeigen, wie Transparenz in Unternehmen gebracht werden kann, tragen zur Verbreitung guter Praxis bei, befruchten das Nachdenken über alternative Unternehmensstrategien und verbessern den Informationsfluss zwischen Unternehmen, politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit. Spielen die vier genannten Elemente ineinander – die Integration von Stakeholdern in Entscheidungsprozesse, die Anwendung von Management-Systemen, die Verbesserung der Transparenz und die unabhängige Überprüfung – dann stellen freiwillige Verhaltenskodizes durchaus ein effektives Mittel dar, um der Ressourcengerechtigkeit in der Weltwirtschaft einen Schritt näher zu kommen. Doch es ist ratsam, sich von freiwilligen Verpflichtungen und guten Praxisbeispielen nicht allzu viel zu erhoffen. Ihre Wirksamkeit steht und fällt nämlich mit der Anzahl der teilnehmenden Unternehmen und mit der Höhe der Zielvorgaben. Beide stehen aber in einem umgekehrten Verhältnis zueinander: Je anspruchsvoller die Ziele, desto geringer die Teilnahme. Im Übrigen gehen Unternehmen häufig auf öffentlichen Druck hin Selbstverpflichtungen ein. Doch nur wenige (End-)Produkte eignen sich dazu, öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und nur diese müssen öffentlichen Druck fürchten. Die Mehrzahl der Zwischenprodukte oder Rohstoffe sind den Konsumenten nicht bekannt. Und bisher haben nur wenige transnationale Unternehmen die ungezählten Zulieferfirmen und Rohstofflieferanten, die ihnen zuarbeiten, in ihre freiwilligen Selbstverpflichtungen wirksam einbezogen.100
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Unternehmen werden zuvörderst solche Selbstverpflichtungen eingehen, die ihnen leicht fallen. Sie tendieren dazu, ihre Aktivitäten auf medienwirksame Ergebnisse zu konzentrieren, wie etwa auf Umweltberichte oder die öffentliche Erklärung von Verhaltensregeln und einzuhaltenden Standards. Mehr als die Hälfte der von einer unabhängigen Unternehmensberatung befragten Manager gestand ein, dass die ökologische Verantwortung ihrer Unternehmen sich auf einen grünen Anstrich des öffentlichen Auftritts beschränkt.101 Immerhin kommt eine Studie des Weltwirtschaftsforums zu dem Ergebnis, dass knapp die Hälfte der weltweiten Top-Unternehmen Berichte zu verantwortlicher Unternehmensführung vorlegt.102 Von den hundert größten transnationalen Unternehmen, die in Ländern des Südens operieren, legen allerdings deutlich weniger als die Hälfte einen Bericht vor, und weniger als zehn lassen ihren Bericht unabhängig überprüfen.103 Die Berichte sind zudem von sehr unterschiedlicher Qualität und Tiefe: Während etwa das Unternehmen Ricoh die Umwelteffekte seiner Produkte von der Herstellung über deren Anwendung bis zur Entsorgung analysiert und veröffentlicht, berichten die meisten Konzerne nur über die unmittelbar mit dem Produktionsprozess in Verbindung stehenden Effekte.104 Vor diesem Hintergrund werden Verhaltenskodizes und freiwillige Mindeststandards nur eingeschränkt wirksam sein. Sie eignen sich vor allem, um bei einer Gruppe von Vorreitern die «tief hängenden Früchte»105 abzuernten, die ohne größeren finanziellen Einsatz erreichbar sind. Die zentrale Frage lautet daher: Wie kann die Fülle an konstruktiven Initiativen auf eine Grundlage gestellt werden, auf der sie sich weiter entwickeln und in die Wirtschaft hinein ausbreiten können? Denn sollen sie sich ökonomisch durchsetzen, dürfen die Vorreiter sich nicht einen Wettbewerbsnachteil einhandeln. Und sollen sie sich politisch durchsetzen, dann muss die Einsicht Geltung gewinnen, dass die Pflicht zum Profit gegenüber den Anteilseignern mit der Pflicht zur ethischen Unternehmensführung gegenüber der Gesellschaft in Einklang zu bringen ist. Tatsächlich zeigen die Bilanzen der ökologisch und sozial fortschrittlichen Unternehmen durchweg, dass sie deshalb nicht weniger erfolgreich wirtschaften; auch die Börsenkurse haben bei ihnen einen günstigeren Verlauf als bei der nach dem herkömmlichen Konzept geführten Mehrheit der Unternehmen.106 Es ist eine überholte Vorstellung, ökologisch und sozial bewusstes Management müsse ökonomisch zu schlechteren Ergebnissen führen. Inzwischen ist immerhin eine wachsende Minderheit von Aktionären bereit, Unternehmen zu bevorzugen, die ökologische und soziale Kriterien ebenso wichtig nehmen wie die ökonomischen und sich bei ihren Geldanlageentscheidungen an den Empfehlungen der ethisch-ökologischen Unternehmensbewertung zu orientieren.107 Und auch die Regelung der Berichtspflichten für Unternehmen entwickelt sich in diese Richtung.108
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Verantwortlich der Weltgesellschaft gegenüber In jüngster Zeit sind eine Reihe von Vorschlägen für einen international verbindlichen Rechtsrahmen für die Tätigkeit transnationaler Unternehmen veröffentlicht worden.109 Die internationale Umweltorganisation Friends of the Earth hat beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg eine internationale Rahmenkonvention zur Unternehmensverantwortung vorgeschlagen.110 In der Tat hat sich die Staatengemeinschaft auf dem Weltgipfel das Ziel gesetzt, «aktiv die Unternehmensverantwortung und die Rechenschaftspflicht von Unternehmen zu fördern, namentlich durch die volle Ausarbeitung und wirksame Umsetzung zwischenstaatlicher Übereinkünfte und Maßnahmen».111 Freilich lassen diese zwischenstaatlichen Übereinkünfte bislang auf sich warten; aber es gibt einen weiteren Anstoß aus den Vereinten Nationen, an den anzuknüpfen sich lohnen würde. Im August 2003 legte eine Unterkommission der UN-Menschenrechtskommission die «UN Norms on the Responsibility of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights» vor. Die Normen basieren auf einer Vielzahl von Rechtsquellen: den Menschenrechtskonventionen, den Abkommen innerhalb der Weltarbeitsorganisation zu den Rechten von Arbeitern und indigenen Völkern sowie der Rio-Deklaration zu Umwelt und Entwicklung. Zusammen mit dem ausgearbeiteten Kommentar bilden die UN-Normen den bislang umfassendsten Katalog internationaler Verhaltensregeln für transnationale Unternehmen.112 Es bildet sich heraus, dass eine internationale Konvention zur Unternehmensverantwortung auf vier Säulen ruhen müsste: Informationspflicht und Transparenz; Anerkennung von Standards bei Menschen-, Arbeits- und Umweltrechten; Beachtung ausgewogener und fairer Beziehungen innerhalb globaler Produktionssysteme; und schließlich Rechenschaftspflicht und Klageweg. Zur ersten Säule: Unerreichbare Daten, verschwiegene Produktzusammensetzungen, heimliche Geldflüsse und manchmal auch die Rechtsfigur des Geschäftsgeheimnisses sind ein Schutzwall für dunkle Geschäfte. Transparenz ist aber die Voraussetzung für die Kontrolle von Macht, ein Prinzip der Demokratie, das nicht nur gegenüber Staaten, sondern auch gegenüber Unternehmen Geltung hat. Anders werden Bürger – und auch Konsumenten – in ihrer Rolle als Hoheitsträger nicht ernst genommen. Informationen über Produkte und Produktionsprozesse, die Veröffentlichung von Evaluationsberichten, die Erkennbarkeit von Subventionen, Steuerbedingungen sowie Geldflüsse an Regierungen – alles das kann man als Bürgerpflichten eines Unternehmens bezeichnen. Dem Geiste nach wäre das Åarhus-Abkommen113 der europäischen Staaten zur Informationsfreiheit und Öffentlichkeitsbeteiligung bei Umweltangelegenheiten – im Oktober
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2001 in Kraft getreten – zu globalisieren und auf die Tätigkeit von Unternehmen auszudehnen. Was die zweite Säule betrifft, so hängen universelle Rechte wie Menschen-, Arbeits- und Umweltrechte in der Luft, wenn ihnen nicht entsprechende Pflichten korrespondieren. Herkömmlicherweise wurden die Staaten als die Garanten universeller Rechte betrachtet; mit dem Übergang von der Staatengemeinschaft zur Weltgesellschaft kommt eine Verantwortung dafür auch nicht-staatlichen Akteuren zu, allen voran den transnationalen Unternehmen (Kapitel 4.3). Sie haben in der Globalisierungsepoche einen außergewöhnlichen Zuwachs ihrer Rechte erfahren; es ist überfällig, diese Rechte durch eine Konsolidierung ihrer Pflichten zu ergänzen. Für die Menschenrechte kann das die Verpflichtung einschließen, keine Komplizenschaft mit Menschenrechtsverletzungen zu dulden und die eigenen Operationen auf ihre Auswirkungen auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte zu überprüfen. Dazu gehört die Pflicht, bei Aktivitäten auf dem Territorium indigener Völker deren vorherige informierte Zustimmung einzuholen. Was die Arbeitsrechte anlangt, geht es, entsprechend dem Kodex der Internationalen Arbeitsorganisation, um Nichtdiskriminierung, Minimallöhne, Sicherheit und Versammlungsfreiheit. Bei den Umweltrechten wiederum werden die Prinzipien der Schadensvorbeugung und der Vorsorge im Mittelpunkt stehen. Sie sind auch zu praktizieren, wenn sie kurzfristig Kapitalverlust bedeuten. Vorsorge verlangt auch, Technologien, Produktionsverfahren, Materialien vor ihrer Markteinführung auf Unschädlichkeit bei sachgemäßem Gebrauch zu prüfen, wobei die Beweispflicht beim Hersteller und nicht beim Käufer liegt. In mancher Hinsicht, so ist zur dritten Säule zu bedenken, ähneln die Verhältnisse in der globalisierten Wirtschaft jenen in der Frühindustrialisierung. Nach einer Phase der Ausbeutung hatte sich damals die Überzeugung durchgesetzt, es diene dem langfristigen Interesse von Staat und Wirtschaft, wenn das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern nach klaren Regeln gestaltet wird. Das Verbot von Kinderarbeit, eine Begrenzung der Arbeitszeiten, Versicherung gegen Krankheit und Arbeitslosigkeit, Sicherheits- und Gesundheitsstandards am Arbeitsplatz sowie Mindestlöhne legten in der Folge den Kern zu einem System, das mit dem Attribut der sozialen Marktwirtschaft versehen werden konnte. Heute jedoch ist in globalen Produktionsketten oftmals die Macht so ungleich verteilt, dass die schwächsten Glieder sich in einer Situation der Ausbeutung befinden. Gewinne und Macht nehmen in Richtung auf Endfertigung und Marketing zu, während sie in Richtung auf Rohstofflieferanten und Zulieferern abnehmen. Die Verpflichtung zur nicht-ausbeuterischen Gestaltung von Austauschverhältnissen innerhalb globaler Produktionsketten ist Teil der Verantwortung von transnationalen Unternehmen. Es ist ihre Auf-
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gabe, Zulieferfirmen und Vertragspartner planungssicher in ihr Geschäft einzubinden und sie ausgewogen an den Gewinnen zu beteiligen. Dabei lässt sich auf eine Vielzahl von Fair-Trade-Initiativen zurückgreifen. Sie alle zeigen, wie Gewinn- und Gerechtigkeitsinteressen vereinbart werden können. Unternehmen sind dann angehalten, mittel- bis langfristige Verträge und Zielvereinbarungen mit ihren Geschäftspartnern zu schließen, die denen faire Preise, Investitionshilfen, Vorauszahlungen und eine Mitsprache an Geschäftsstrategien ermöglichen. Umgekehrt begeben sich damit Zulieferfirmen in die Verpflichtung, von häufigem Lohndumping und Umweltverschmutzung Abstand zu nehmen.114 Transnationale Unternehmen gewinnen damit die Möglichkeit, die gesamte Produktionskette nach Qualitätsstandards anzulegen. Und schließlich sind Rechenschafts- und Wiedergutmachungspflicht von Unternehmen als die vierte Säule einer solchen Konvention anzusehen. Evaluation und Monitoring sind unerlässlich, um einem Regelwerk zur Geltung zu verhelfen. Unabhängige Betriebsprüfer, eine nationale oder eine zwischenstaatliche Agentur könnten diese Aufgabe übernehmen. Ferner ist ein Klageweg zu institutionalisieren. Er wird Bürgern und Organisationen erlauben, Streitsachen klären zulassen wie auch gerichtlich gegen Verstöße vorzugehen. Zuletzt ist das Verursacherprinzip zu unterstreichen; es besagt, dass Verursacher von Schäden zur Wiedergutmachung verpflichtet sind. Es wird über die Regel der begrenzten Haftung hinaus eine Haftungspflicht für Unternehmensleitungen einschließen müssen. Vorsorgeprinzip und das Haftungsprinzip könnten mit einer Pflicht zur Versicherung verbunden werden. Das würde Unternehmen zwingen, Risiken in Preisen zu internalisieren und könnte damit einen wirtschaftlichen Anreiz zur Vermeidung von Schäden bieten. Eine Konvention zur Unternehmensverantwortung würde ein Stück weit jenes Ungleichgewicht beseitigen, das zwischen dem Rechtsstatus eines Unternehmens und dem Rechtsstatus eines Bürgers besteht. Denn als «juristische Personen» werden Unternehmen im Allgemeinen «natürlichen Personen» gleichgestellt. Das bevorteilt Unternehmen und benachteiligt Personen. Denn Unternehmen genießen zwar Persönlichkeitsrechte wie Eigentum, Klagerecht und Meinungsfreiheit, aber sind nur beschränkter Haftung unterworfen und obendrein viel größer und langlebiger als natürliche Personen.115 Die Idee, dass Unternehmen für ihren rechtlich privilegierten Status der Gesellschaft gegenüber rechenschaftspflichtig waren, stand schon an der Wiege der Vereinigten Ostindien-Kompanie. Sie verdankte ihre Geschäftserlaubnis der britischen Krone, die sich in einer «Charta» ein Verfügungsrecht über ihr Eigentum und ihre Handelsgewinne vorbehielt. Auch in den USA, während ihrer Industrialisierung und ihres Aufstiegs zur wirtschaftlichen Weltmacht, unterlagen mehr als 100 Jahre lang Unterneh-
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men in vielen Staaten einer solchen Charta. Sie schrieb vor, unter welchen Bedingungen Unternehmen produzieren durften, was für öffentliche Abgaben zu leisten waren, wie das Mitspracherecht der Anteilseigner sein sollte, welche Rechte an Grund und Boden die Unternehmen erwerben durften. Nur wenn ein Unternehmen seinen Pflichten nachkam, wurde seine Geschäftserlaubnis verlängert.116 Es sieht ganz so aus, als ob die Gegenwart hierbei von ihrer Geschichte lernen könnte, damit die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nicht nur in einem Land, sondern weltweit Wirklichkeit wird.
7 Was taugt Europa? Wer in europäischen Angelegenheiten nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. Walter Hallstein, 1964
Selbst jemand, der Heraklit für eine Gesteinsformation hält, wird jenen berühmten Spruch kennen, den der Philosoph aus Ephesus hinterlassen hat: «Der Krieg ist der Vater aller Dinge.» Obwohl zunächst auf den Widerstreit der Gegensätze im Kosmos gemünzt, steckt in ihm auch dem geläufigen Wortsinn nach ein Wahrheitskern. Kriege beschleunigen die Geschichte; so auch im Jahre 2003 der Krieg im Irak. Der Angriff der USA, sowohl gegen den Irak wie gegen Moral und Völkerrecht, erwies sich als eine Triebfeder für die Suche nach der Identität Europas. Seit langem schon hatte der alte Kontinent, bisher im Wesentlichen als Wirtschaftsraum konzipiert, nach einer politischen Identität Ausschau gehalten. Doch nach der Auflösung des Kommunismus hatte die Gelegenheit gefehlt, sich im Gegenüber zu anderen zu definieren, insbesondere im Unterschied zum «großen Bruder» aus der Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit dem Feldzug im Irak war allerdings die Zeit der Identitätsschwäche vorbei. Im Gegenüber zu den Vereinigten Staaten entdeckte sich Europa als eine Macht, die im internationalen Recht die Basis für eine künftige Weltordnung sieht, die auf multilaterale Übereinkünfte und Kooperation setzt und die am friedlichen Ausgleich zwischen Kulturen und Nationen festhält. Für einen flüchtigen Moment entdeckte Europa seine Berufung zum Kosmopolitismus. Kaum gefunden, wurde die eigene Stimme sogleich von schrillen Klängen gestört. Mit der Unterstützung des Krieges durch einige westeuropäische und eine Reihe von osteuropäischen Regierungen sah sich Europa mit seinen inneren Dissonanzen konfrontiert. Donald Rumsfeld, der amerikanische Verteidigungsminister, prägte das Wort vom «alten Europa» – ein Titel, in dem für die Europäer, nach einer Schrecksekunde, freilich bald auch Stolz mitklang. Denn die Völker Europas dachten anders, sie sahen sich im Allgemeinen von kriegsfreundlichen Regierungen nicht repräsentiert. Darüber hinaus nahmen die Europäer mit Wohlgefallen das neue Interesse zur Kenntnis, das ihnen aus anderen Teilen der Welt entgegengebracht wurde. Denn in den Augen vieler Menschen steht Europa für ein nichthegemoniales Modell von Weltpolitik. Make Law not War Die Weltpolitik ist an einer Weggabelung angelangt: Wird die Gemeinschaft der Völker zukünftig von unilateraler Vorherrschaft oder von multilateralem Recht geprägt sein? Mit dem Einmarsch in den Irak haben die USA jene
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Konzeption verwirklicht, die Präsident George W. Bush im September 2002 in seiner National Security Strategy niedergelegt hatte. Er bekräftigte feierlich die Absicht, internationale Verpflichtungen weder einzugehen noch zu befolgen, wenn sie dem vitalen Interesse der USA entgegenstehen. Damit erklärte die einzige Weltmacht sich selbst von Buchstaben und Geist des Völkerrechts ausgenommen. Allerdings hatte dieser hegemoniale Unilateralismus1 sich bereits in den 1990er Jahren angekündigt. Systematisch hatte sich der Senat der USA geweigert, multilateralen Abkommen die erforderliche Zustimmung zu geben: Weder die Abkommen zur Ächtung von Landminen oder zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs noch Umweltverträge wie die Biodiversitäts-Konvention oder das Kyoto-Protokoll wurden von den USA ratifiziert – oft genug, nachdem die amerikanischen Diplomaten zuvor alles darangesetzt hatten, die Verträge zu verwässern. Doch zum Programm wurde der hegemoniale Unilateralismus erst als Antwort auf die Terroranschläge vom 11. September 2001. Seither durchzieht die Angst vor dem unsichtbaren, aber allgegenwärtigen Feind die Außenpolitik der USA. Das Beharren auf unilateraler Vorherrschaft ist aus dem Bedürfnis der Weltmacht nach voller Bewegungsfreiheit geboren, frei nach dem Motto: «Am stärksten ist der Starke stets allein.» Der überwiegende Teil Europas antwortete mit Enttäuschung und Zorn auf die Aufkündigung des Multilateralismus durch die Weltmacht. Die Europäische Union selbst ist eine einzigartige Gestalt auf der Weltbühne – zu keiner Zeit haben sich selbstständige Nationalstaaten in ähnlicher Weise freiwillig zusammengeschlossen und einen Teil ihrer Souveränitätsrechte an eine supranationale Organisation abgetreten.2 Dies ist das Ergebnis langer blutiger Kriege, das Ergebnis eines schmerzhaften Lernprozesses von Millionen Menschen und ihren Regierungen. Zunächst erdacht zur wirtschaftlichen Einbindung Deutschlands, um eine erneute Eroberungspolitik zu verhindern, haben die europäischen Staaten in den letzten 50 Jahren ein System sich verdichtender Kooperation geschaffen.3 Vielleicht die wichtigste Grundlage für den Erfolg eines so komplexen Vorhabens war das Prinzip, die Europäische Union als eine Rechtsgemeinschaft ins Werk zu setzen.4 Bei einer Vielzahl an Akteuren und Regelungsebenen kann allein über eine «Verrechtlichung» der Beziehungen Undurchsichtigkeit und Willkür vermieden werden. Unvermeidlich auftretende Konflikte werden auf einer überparteilichen, rechtlichen Ebene geregelt; Verlässlichkeit, Transparenz und Vertraglichkeit haben sich als Bindemittel der supranationalen Kooperation erwiesen. So ist es gelungen, eine lange Geschichte von Konkurrenz und Gewalt zu neutralisieren, ohne dass jemand zum Verlierer wurde. Die europäischen Staaten haben gelernt, dass ihre Macht durch die Preisgabe nationaler Souveränität nicht geschmälert, sondern erweitert wird.5 Multilateralismus ist mittlerweile Teil ihres genetischen Codes. Kein Wunder
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also, dass Europa allergisch auf die selbstherrliche Art Amerikas reagierte, transnationaler Gewalt zu begegnen. Hinzukommt, dass die Europäer in ihrer Mehrheit einen anderen Begriff von Sicherheit haben. Sie teilten mit den Amerikanern den Schock der Gewalt, das Gefühl der Verwundbarkeit; aber sie glauben weniger daran, dass diese neue Form der Gewalt sich mit Gegengewalt ausgrenzen und fernhalten lässt. Für sie können geheimdienstliche Überwachung und militärische Aktionen keinesfalls die einzigen Mittel gegen Terrorismus bleiben. Vielmehr haben sie einen Sinn dafür, dass Gewalt sozial erlernt wird, also aus Demütigung und Aussperrung und aus der Erinnerung daran hervorgeht. Die Spaltung der Welt in Reiche und Arme, in Mächtige und Machtlose, in Anerkannte und Verkannte ist in dieser Perspektive die Triebfeder für so viel Unruhe und Unsicherheit in der Welt. Transnationaler Terrorismus ist wie eine Hydra, der immer neue Köpfe nachwachsen, solange einige seiner Hauptquellen – Verhältnisse chronischer Erniedrigung und Missachtung – nicht ausgetrocknet sind. Massive Gegengewalt, das zeigt die Erfahrung mit dem Irakkrieg, bewirkt ziemlich genau das Gegenteil von Befriedung. Überdies sehen Europäer neben dem Terrorismus noch andere globale Gefahren wie Klimagefährdung oder Migrationsdruck. Sie haben erkannt: In einer vielfach verflochtenen Welt lässt sich das Bedürfnis nach Sicherheit nicht nur für eine Seite befriedigen; die Sicherheit des einen ist nicht ohne die Sicherheit des anderen zu haben. Eine für alle Erdbewohner sicherere Welt kann daher nur eine gerechtere Welt sein; deshalb sind Strukturen von Fairness und Gerechtigkeit der Unterbau einer langfristigen Sicherheitsund Friedensordnung. Kurz gesagt, Europa neigt mehr zu präventiver Gerechtigkeit als zupräventiver Kriegführung. Von seinen geistigen und historischen Voraussetzungen her kann Europa der Welt ein nicht-hegemoniales Modell des Zusammenlebens in Einheit und Vielfalt vorschlagen. Aus seiner Denktradition ging die Idee des Weltbürgerrechts hervor, in seiner Geschichte hat es eine Friedensordnung durch Kooperation geschaffen, in seiner Politik hat es auf einem sozialen und ökologischen Rahmen für die Marktwirtschaft bestanden, in seinem Rechtssystem kommt den Bürgern der Vorrang vor den Staaten zu. Was Europa noch davon abhält, international eine eigenständige Rolle zu spielen, ist ein überholtes Verständnis von transatlantischer Loyalität. Es ist ein Sediment des Kalten Krieges zu glauben, der Auftrag Europas liege im Schulterschluss mit den Vereinigten Staaten. Einstmals hing an dieser Haltung die Stabilität der Welt, heute befördert sie deren Instabilität. Weil nicht zu sehen ist, wie das Konzept Amerikas – Unilateralismus, Gewaltvorbehalt, Marktfundamentalismus, Umweltausbeutung – für die Weltgesellschaft zukunftsdienlich sein kann, besteht im Blick auf das angebrochene Jahrhundert die weltpolitische Verpflichtung Europas darin, ein alternati-
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ves Konzept in den globalen Dialog einzubringen. In der Unfähigkeit der USA zur kosmopolitischen Führerschaft mag eine historische Chance für Europa liegen: Nach Kolonialismus, Kriegskatastrophen und Wirtschaftswunder könnte die Zeit reif sein, dass Europa als eine Zivilisation des geglückten Zusammenlebens das Interesse der Welt auf sich zieht. Für ein solches Profil freilich muss Europa sich auf der weltpolitischen Bühne neu positionieren. Mit der Rolle des «ökonomischen Riesen, aber politischen Zwergs» ist da kaum ein Stich zu machen. Europa als Bannerträger eines kosmopolitischen Entwurfs für die Weltgesellschaft, dessen Eckpunkte Kooperation, Recht und biosphärische Verträglichkeit lauten – eine solche Mission hätte den Charme, in den Traditionslinien Europas verwurzelt wie gleichzeitig auf der Höhe der gegenwärtigen Herausforderung zu sein. Ein solches Profil könnte, wenn schon nicht die Machtverhältnisse, so doch die Anziehungsverhältnisse in der Welt verschieben. Europa könnte zu einer kristallisierenden Kraft für eine demokratische und ökologische Weltgesellschaft werden und sich als Verbündeter anbieten für alle gleichgerichteten Bestrebungen in der Welt, auch in den USA selbst. In jüngster Zeit sind es gerade amerikanische Autoren, die von Europa diese Rolle erwarten.6 Kyoto – und was sonst? Außerhalb der USA hat auf der Ebene von Staaten heute nur Europa die symbolische und die wirtschaftliche Macht, Impulse für ein Alternativmodell der Weltpolitik zu setzen. Das gilt gerade auch für eine Politik der Ressourcengerechtigkeit. Die Durchsetzung von Themen im internationalen Bereich braucht einen starken Anwalt, also das, was in der Sprache der Politikwissenschaftler ein Vorreiter genannt wird.7 Für die Entstehung von Ideen sind einzelne Menschen, Organisationen und Bewegungen unverzichtbar; sie heben ihr Thema ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und tragen es damit auch in die Politik, wie dies der Umweltbewegung in den 1980er Jahren gelungen ist, und wie es derzeit die weltweite globalisierungskritische Bewegung versucht. In einem nach wie vor an Staaten orientierten internationalen System ist jedoch ab einem bestimmten Zeitpunkt ein staatlicher Akteur erforderlich, der die Idee verficht, Mitstreiter gewinnt und Maßnahmen zur Verwirklichung anstößt.8 Kann Europa ein solcher Akteur sein? Gewiss sind Zweifel angebracht. Das Erscheinungsbild Europas ist gegenwärtig unklar. Der Entwicklungssprung der Europäischen Union von 15 auf 25 Mitgliedsstaaten wird gewaltige finanzielle und personelle Ressourcen verschlingen und womöglich zu einer Konzentration der Aufmerksamkeit auf die eigenen Probleme führen. Auch die Wirkung der Erweiterung auf die politische Entscheidungsfähigkeit ist gegenwärtig nicht abzuschätzen; die komplexere Struktur der
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Union wird die Vereinbarung und Einhaltung gemeinsamer außenpolitischer Leitlinien nicht vereinfachen. Wird allerdings die europäische Verfassung angenommen, mag das zu effektiveren Entscheidungsverfahren und einer größeren personellen Kontinuität führen.9 Außenpolitisch – um den betagten Begriff der Nationalstaatsdiplomatie noch einmal zu verwenden – steht jedenfalls an, Umweltpolitik als Teil einer Weltinnenpolitik zu entwerfen. Dafür ist es unerlässlich, Umweltpolitik in einer neuen Perspektive zu sehen. Vier Jahrzehnte wurde sie vorwiegend in der Perspektive einer besseren Lebensqualität für die Bürger vorangebracht; zukünftig wird Umweltpolitik in eine weltgesellschaftliche Perspektive zu rücken sein. Ohne Zweifel liegen den Bürgerinnen und Bürgern Europas saubere Seen und pestizidfreies Obst am Herzen; doch in der übrigen Welt erweckt die Aussicht auf eine blitzblanke und gepflegte Wohlstandsinsel Europa wenig Interesse. Über Lebensqualität hinaus geht es vielmehr um drei weltgesellschaftliche Ziele. Erstens: Ein ökologisches Europa ist die Voraussetzung für eine gerechtere Welt. Mit einem überlegten und selbstbewussten Rückzug aus der Übernutzung des globalen Umweltraums schützt Europa das Lebensrecht armer Bürger in den ländlichen Peripherien der Welt und macht Platz für die Entfaltung bislang benachteiligter Nationen. Zweitens: Ein ökologisches Europa ist ein Laboratorium für gerechtigkeitsfähigen Wohlstand. Wirtschaftsweisen, die ein gutes Leben mit möglichst geringer Nutzung der Natur ermöglichen, werden im 21. Jahrhundert in großer Nachfrage stehen. Europa ist darum gut beraten, sich an die Revision seines Wohlstandsmodells zu machen, um in der weltweiten Suche nach ressourcen-leichten Produktions- und Konsummustern Vorreiter zu sein. Unddrittens: Ein ökologisches Europa gibt dem Verlangen nach Fortschritt eine neue Deutung. Noch beherrscht der amerikanische Lebensstil die Vorstellungskraft weiter Teile der Weltbevölkerung. Technologien und Lebensweisen eines naturverträglichen Europas haben einen Demonstrationseffekt; sie bieten lebensverträglichere Beispiele für Erfolg und setzen andere Ziele als Vorbilder. Immerhin kann die Europäische Union einige Belege für ihre Glaubwürdigkeit vorzeigen. Noch auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002 hat sie sich als Vorkämpfer für die Rechte der Armen und die Rechte der Biosphäre präsentiert. Ihre Diplomaten verwendeten sich dafür, die Anzahl der Armen ohne ausreichenden Zugang zu Energie und Trinkwasser bis zum Jahre 2015 zu halbieren, fochten für eine globale Ausweitung erneuerbarer Energien und suchten die Entwicklung nachhaltiger Produktions- und Konsummuster in den Industrieländern heimisch zu machen. Ferner kämpfte die Europäische Union für die Bekräftigung der Prinzipien der UN-Konferenz von Rio 1992, besonders des Vorsorgeprinzips und des Prinzips, das die erstrangige Verantwortung der Industrieländer
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für den globalen Umweltschutz bekräftigt. Dies alles war keineswegs selbstverständlich, sondern barg eine antihegemoniale Position, weil die Weltmacht USA in Johannesburg zur Obstruktion multilateraler Umweltpolitik angetreten war. Die EU entpuppte sich als Gegenspieler der USA. Sie ging, was die erneuerbaren Energien betrifft, glorreich unter, da die öl- und kohlefördernden Schwellenländer die Unterstützung verweigerten. Bei den Rio-Prinzipien behielt sie aber die Oberhand, als die internationale Gemeinschaft den Versuch der USA zurückwies, Grundübereinkünfte von 1992 zu demontieren und damit das Rad der Geschichte hinter Rio zurückzudrehen. Auch auf anderen Bühnen der Umweltdiplomatie ist die Europäische Union ein Hoffnungsträger für den weltweiten Wandel zu ökologischer Umsicht. Sieben Jahre nach seiner Unterzeichnung tritt das Kyoto-Protokoll völkerrechtlich in Kraft – dank der Beharrlichkeit der Europäischen Union.10 Das ist nicht nur ein umweltpolitischer, sondern auch ein antihegemonialer Erfolg. Ohne Europa hätte es diesen ersten Weltvertrag über rechtlich bindende Minderungsziele nicht gegeben. Ähnliches gilt für die Weiterentwicklung der Biodiversitäts-Konvention und vor allem für das Protokoll zur biologischen Sicherheit: Europa hat in den letzten fünfzehn Jahren sein eigenständiges Profil als weltpolitischer Akteur hauptsächlich über die Umweltpolitik gewonnen. Doch noch klaffen Ruf und Realität gehörig auseinander. Wenn es nur auf Absichten ankäme, stünde die Union im Bereich der Umweltpolitik nicht schlecht da. Die Europäische Union hat im EU-Vertrag (Artikel 2)11 und in der neuen EU-Verfassung (Artikel 3) das Ziel der nachhaltigen Entwicklung verankert und eine weit reichende, integrative Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsinteressen sollen auf allen Ebenen umfassend miteinander verzahnt und im Sinne der Nachhaltigkeit ausgeglichen werden. Die Crux liegt, wie so häufig, in der Umsetzung. Die Interessen- und Machtverhältnisse sind anders ausgerichtet. Der so genannte Lissabon-Prozess, der Europa bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum machen will, dominiert über dem Göteborg-Prozess, der Institutionen und Verhalten auf Nachhaltigkeit ausrichten und Umweltbelange in sämtliche Fachpolitiken integrieren möchte. Deshalb ergibt sich ein widersprüchliches Bild: Eher vorwärts weisenden Ansätzen in Naturschutz, Agrarpolitik und Klimaschutz stehen Versäumnisse gegenüber wie im Transportbereich, in der Industriepolitik, den Strukturfonds oder der Preispolitik.12 Zwar tritt die Union als Vorkämpfer des Vorsorgeprinzips auf, hat es aber noch nicht geschafft, etwa bei Chemikalien die Beweislast für ihre Ungefährlichkeit den Unternehmen aufzuerlegen. Zwar inszeniert sich Europa als ein Vorreiter des Klimaschutzes, steht aber der Verbreitung von Luxusgeländewagen und Billigflügen hilflos gegenüber.
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So ist eher Unübersichtlichkeit das Kennzeichen europäischer Umweltpolitik; aber das zeigt auch den politischen Prozess in fortlaufender Veränderung. Umweltpolitik ist eine Dauerbaustelle, wo Industrie, Umweltadministration und Zivilgesellschaft immer aufs Neue die Kräfte messen. Das ist nicht die schlechteste Voraussetzung, um die ökologische Umgestaltung Europas als Teil einer Politik globaler Fairness zu verstehen. Bevor nämlich noch Europa zu Menschenrechtsinterventionen und Marshallplänen schreitet, ist seine Selbstreform im kosmopolitischen Geiste gefordert. So ist, wie in den vorangegangenen Kapiteln ausgeführt, der Wechsel der Ressourcenbasis von fossilen zu erneuerbaren Stoffen unerlässlich, weil anders die Weltgesellschaft friedlos bleibt und sozial noch tiefer gespalten wird. Ebenso ist der Übergang zur ökologischen Land- und Ernährungswirtschaft unabweisbar, weil anders die Existenzbasis beträchtlicher Teile der Weltbevölkerung dahinschwindet. Wenn sich schon die Europäer mehr als die Amerikaner als Weltbürger sehen, dann werden sie auch für den Hinweis zugänglicher sein, dass ein geordneter Rückzug aus der Übernutzung des globalen Umweltraums eine weltbürgerliche Großtat darstellen würde. Es ist möglicherweise nicht zuviel gesagt: Europa muss sich in den Aufbau der Weltgesellschaft als ressourcen-leichte und solare Zivilisation einbringen. Abschied von Marrakesch Die Europäer werden sich dabei von zwei Einsichten leiten lassen: Eine Politik globaler Gerechtigkeit führt notwendig zu einer ökologischen Wirtschaft in Europa, und dieser ökologische Übergang muss in eine Politik des sozialen Ausgleichs in der Weltgesellschaft eingebettet werden. Als Anwalt für Sozial- und Menschenrechte aufzutreten, auch dafür ist Europa vergleichsweise gut gerüstet. Schließlich wurde hier die Idee des modernen Sozialstaats geboren. Wie zuvor schon bei den Nationalstaaten des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist auch für die europäische Gesellschaft der Gedanke der Solidarität fundamental. Das Wirken des Marktes, so erklärt die Programmatik der Union, bedarf des arbeits- und sozialrechtlichen Gegengewichts. Europa ist beides, ein Wirtschaftsraum und ein Raum des sozialen Ausgleichs. Deshalb hat Europa zum Beispiel Mechanismen der Umverteilung mit Hilfe von Struktur- und Kohäsionsfonds aufgelegt, um das wirtschaftliche Gefälle zwischen den Ländern – erst im Süden, jetzt im Osten – allmählich abzutragen. Ebenso haben die Menschenrechte in Europa einen hohen Stellenwert. So haben die Europäische Menschenrechtskonvention und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seit den 1950er Jahren in beispielloser Weise die Durchsetzung der Menschenrechte gefördert.13 Unerreicht sind dabei sowohl die inhaltliche Substanz der Konvention und ihre Weiterentwicklung als auch die Garantie für den einzelnen Bürger auf rechtliches Ge-
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hör und gegebenenfalls auf die Durchsetzung individueller Rechte gegen den Willen des Heimatstaates. Hier ist zu einem guten Teil realisiert, was sich im transnationalen Raum erst herausbildet: Menschenrecht geht vor Völkerrecht und nicht mehr Völkerrecht vor Menschenrecht. Während bislang die Idee der Bürgerschaft exklusiv an einen Nationalstaat gebunden war, sind die Rechte des europäischen Bürgers durch eine internationale Körperschaft garantiert. So schickt sich Europa gegenwärtig an, für 450 Millionen Bürger ein Modell der Mitgliedschaft zu verwirklichen, das in der von Territorien unabhängigen Anerkennung persönlicher Rechte verankert ist.14 Freilich hebt die Bürgerschaft in der Union die Bürgerschaft in einer Nation nicht auf, vielmehr existieren beide nebeneinander.15 Wie es in Zukunft vielleicht einmal für die Weltgesellschaft gelten mag, wird in Europa die doppelte Zugehörigkeit zum Normalfall: Der Bürger ist Träger von Rechten und Pflichten gleichzeitig in einem territorialen wie in einem überterritorialen Gemeinwesen. Was nun die Wirtschaft betrifft, so ist der Europäischen Union durchaus nicht fremd, ihre Wirtschaftsbeziehungen zur südlichen Hemisphäre auch in der Logik der sozialen Übereinkunft und nicht nur in der Logik des Marktes zu betrachten. Seit ihrer Gründung pflegt sie besondere Beziehungen zu den sogenannten AKP-Staaten, hauptsächlich den ehemaligen Kolonien in Afrika, in der Karibik und im Pazifik. Ihnen wurden einseitige Vorteile eingeräumt, um ihnen gewisse Entwicklungschancen zu eröffnen; sie dürften ihre Produkte zollfrei nach Europa einführen, aber umgekehrt Aufschläge auf Importware von Europa erheben. Doch seit dem Jahre 2000 spielt im Abkommen von Cotonou eine andere Musik. Dem Weltbild der WTO folgend steht nunmehr die Bewegungsfreiheit der Unternehmen und ihrer Waren und Dienstleistungen im Vordergrund, nicht mehr die Entfaltungschancen weniger kräftiger Volkswirtschaften. Und wie häufig unter der WTO deuten die ersten Erfahrungen bereits auf eine Blockierung der wirtschaftlichen Entfaltung hin: Milchimporte aus Europa, nunmehr zollfrei, verdrängen die einheimische Milchwirtschaft in Jamaika; Einfuhrsperren für Bohnen oder Schokolade aus Kamerun schließen die ärmeren Erzeuger vom Weltmarkt aus.16 Überhaupt ist nicht erkennbar, dass die Europäische Union in der Handelspolitik ein ähnliches Profil der Eigenständigkeit entwickelt hat wie in der Umweltpolitik. Im Verhandlungsprozess der Welthandelsorganisation erscheint sie eher als Zwillingsschwester der USA, gelegentlich mit ihr im Familienzwist, aber dennoch mit gleichgerichtetem Auftreten gegenüber der Außenwelt. In Handelsfragen läuft das Spiel der Allianzen bemerkenswert anders als in der Umweltpolitik: Europa und die USA machen – trotz aller Divergenzen – gemeinsame Sache gegenüber den Südländern. Bei den letzten Ministerverhandlungen der WTO in Cancún im September 2003
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agierte die Europäische Union interessenbezogen und nutzte die Schwäche anderer aus. Sie setzte sich als Verteidiger eines machtpolitisch halbierten Freihandels in Szene, der den Süden unter Druck setzt, um dessen Märkte für Investitionen zu öffnen, selbst aber einen freizügigeren Zugang zu den eigenen Märkten für Agrargüter aus dem Süden verweigert. Der damals von den Ländern des Südens erzwungene Abbruch der Gespräche richtete sich ebenso gegen die Politik Europas wie gegen die USA.17 Dabei sind multilaterale Verhandlungen nur ein Schauplatz zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen; auch in bilateralen Abkommen hat sich die Europäische Union nicht durch Großzügigkeit hervorgetan, sondern ihre Verhandlungsmacht eingesetzt, um zum Beispiel Südländern den Zugang europäischer Wasserunternehmen zu ihren Ländern abzutrotzen im Ausgleich für vitale Zusagen bei der Entwicklungshilfe. In der Welthandelspolitik steht Europa dem Hegemonialanspruch der USA in nichts nach. Ohne klare Wende bleibt Europa darum in der Politik des internationalen Handels weit hinter seiner sozial- und menschenrechtlichen Tradition zurück. Will Europa seiner Aufgabe treu bleiben, muss es zum «Washington Consensus» ebenso auf Distanz gehen wie zur «Washington Security Agenda».18 Jene wirtschaftspolitische Orthodoxie mit ihren Formeln Freihandel, Deregulierung und Privatisierung, wie sie seit den 1980er Jahren die internationalen Finanz- und Wirtschaftsinstitutionen beherrscht, verträgt sich nicht mit dem zivilisatorischen Anspruch Europas, Wettbewerb und Solidarität zu vereinen. Es steht ihm weit besser an, für jenes Modell einzutreten, das den Kern seines Selbstverständnisses ausmacht: eine öko-soziale Marktwirtschaft. Obwohl Relevanz und Reichweite dieses Modells angesichts grenzen-loser Märkte gegenwärtig heftig umstritten sind, bildet es über unterschiedliche politische Parteien hinweg den Grundkonsens für die Perspektive der europäischen Einigung.19 Warum nicht auch für die Weltgesellschaft? Um die marktgeleitete Globalisierung weiterzuführen, braucht es kein Europa; von ihm werden in der Welt Impulse für eine öko-soziale Globalisierung erwartet. Eine Politik, die auf die Globalisierung einer öko-sozialen Marktwirtschaft zielt, wird als oberste Richtlinie die Basisregel der Fairness im Auge haben: Entscheidungen sind so zu treffen und Institutionen so einzurichten, dass die am wenigsten Begünstigten in der Welt nicht noch schlechter gestellt werden (Kapitel 4.6). Von einer weltweiten sozialen Marktwirtschaft wird jedenfalls nicht die Rede sein können, wenn das Elend der Armen in der südlichen Hemisphäre als Kollateral schaden des Wohlstands in der nördlichen Hemisphäre in Kauf genommen wird. Und es gilt auch: Kein Land und kein Kontinent können es sich in einer globalisierten Welt mehr leisten, systematisch Umwelt- und Armutsrisiken auf andere Nationen abzuschieben. Die Basisregel der Fairness anzuerkennen bedeutet darum,
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dem wirtschaftlichen Wertkampf zwischen Unternehmen und Nationen nicht allein den obersten Rang zuzuerkennen. Weder bei WTO-Verhandlungen noch bei Klimaverhandlungen, weder beim Wettbewerbsrecht noch bei der Exportförderung kann die Wettbewerbsstärke der Europäischen Union das allein ausschlaggebende Argument sein. Es gehört zusammen mit einer Art Menschenrechts-Verträglichkeitsprüfung: Werden die betroffenen Armen besser oder schlechter dran sein? Es handelt sich also bei der Basisregel der Fairness nicht um Hilfe oder Umverteilung, sondern um Schadensvermeidung. Für eine gute globale Nachbarschaft geht Schadensvermeidung vor Hilfe und Umverteilung – ist allerdings ebenso schwer zu verwirklichen. Damit ergibt sich für eine europäische Gerechtigkeitspolitik eine Richtlinie: In allen menschenrechtlich sensiblen Bereichen des Welthandels sind die Abkommen zum Freihandel in Abkommen zum Fairhandel zu überführen. Zu den Handelssektoren, die für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte von unmittelbarem Belang sind, gehören der Dienstleistungshandel, die geistigen Eigentumsrechte und vor allem die Landwirtschaft (Kapitel 6.3). In den letzten zehn Jahren wurde in diesen Sektoren ein Regelwerk aufgebaut, das – unter tatkräftiger Mithilfe der Europäischen Union – auf die Interessen der mächtigen Unternehmen und Nationen zugeschnitten ist. In Teilen realisiert, in Teilen sich abzeichnend, stellt dieses Regelwerk eine Bedrohung für zahlreiche am wenigsten begünstigte Mitbürger der Weltgesellschaft dar; deshalb kann es unteY Kriterien einer sozialen Marktwirtschaft keinen Bestand haben. Ein Europa, das auf diese Kriterien Wert legt, wird in diesen Sektoren den internationalen Handel über Abkommen steuern, die den Rechten und den Entwicklungschancen der wirtschaftlich schwachen Bevölkerungen Rechnung tragen. Um dies zu erreichen, bedarf es auch eines Lernprozesses und Wandels der Institutionen der Europäischen Union. Das kann nur durch ein Mehr an demokratischer Legitimation der Politik der Gemeinschaft und nicht – wie durch die neue europäische Verfassung droht – durch eine Loslösung der europäischen Handelspolitik von ihrer Legitimation durch die Mitgliedsstaaten und nationalen Parlamente erreicht werden. Denn nur wenn die Entscheidungsfindung offen, transparent, partizipativ erfolgt und möglichst viele, heterogene Interessen ausbalanciert, dürfen auch Ergebnisse erwartet werden, die sich am allgemeinen Wohlergehen orientieren. Schließlich wird kein Pakt zwischen den armen und reichen Ländern der Welt, wie immer er auch aussehen mag, ohne eine starke Komponente des finanziellen Ausgleichs auskommen. Zu Recht erwarten die früheren Kolonialländer vom Norden Reparationen für zu Unrecht erworbene Vorteile, und es ist das vitale Interesse des Nordens – politisch wie wirtschaftlich –, die Kluft in der Welt nicht zu weit aufreißen zu lassen. Ein Ausgleich sollte aber gemeinsam beschlossen und durchgeführt werden, damit sowohl auf
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der Seite der Geber wie der Nehmer ökologische Richtungsregler eingebaut werden können. Kurz gesagt, Geldflüsse sollen als Schrittmacher für den Übergang zu umweltverträglichen Ökonomien eingesetzt werden. Dafür sind verschiedene Ansätze vorgeschlagen worden; aber die Grundidee ist immer dieselbe: Stoff- und Energieumsatz bei Hochverbrauchern werden mit negativen finanziellen Anreizen belegt, um so den Übergang zu Ressourcen sparendem Wirtschaften anzuregen, während die gewonnenen Summen bei den Niedrigverbrauchern investiert werden, um ein ökologisches leapfrogging (Kapitel 5.3) zu ermöglichen. Dafür gibt es eine Reihe von Modellen: Mit einer «globalen Ressourcendividende»20 lässt sich der Überverbrauch besteuern; beim internationalen Emissionshandel muss der Überverbraucher Emissionsrechte kaufen;21 bei Nutzungsentgelten für globale Gemeinschaftsgüter wie Luftraum oder Meere22 werden Gebühren für Nutzung und Verschmutzung eines Gutes eingezogen, das niemandem und allen gehört. Für die Geldverwendung gibt es ähnliche Vorschläge: Die Erträge aus Ressourcen steuern sollen in einen Entwicklungsfonds fließen; beim Emissionshandel erzielt der Niedrigverbraucher Gewinne aus dem Verkauf von Emissionsrechten; und beim Global Marshall Fund werden ökosoziale Entwicklungswege ko-finanziert.23 In allen Fällen ist der Transfer von Geld in einen sozialen Kontrakt zur Förderung nachhaltiger Entwicklung eingebettet. Allianzen für eine faire Zukunft Es mag gerade die brüchige Integration Europas sein, die eine Vorreiterrolle der Europäischen Union für eine globale Ressourcengerechtigkeit ermöglicht. Nur durch eine kosmopolitische Öffnung, also im Kontext der Weltgesellschaft, wird sich auch die innere Bestimmung Europas festigen.24 Schon der Zusammenschluss Europas beruhte auf einer Idee, die größer war als der geografische Raum: Jean Monnet, der geistige Vater eines geeinten Europa, war nicht zuletzt beseelt von dem Wunsch, einen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten (une contribution à un monde rneilleur). Die Stärke Europas als einer «kooperativen Weltmacht»25 wird darin bestehen müssen, Bündnisse aufzubauen und Netzwerke zu bilden. Transnationale Politik entwickelt sich ohnehin in diese Richtung; denn zusehends werden geografische Allianzen, einst zusammengehalten durch die Furcht vor Nachbarstaaten, ersetzt durch Koalitionen von gleichgesinnten Staaten, die verwandte Ziele verfolgen. Freilich sind wahrhaft universelle Allianzen noch nicht in Sicht. Einstweilen erscheint der stärkste Akteur und Hegemon unwillig zur Mitarbeit. Darauf ist nur eine strategische Antwort möglich, wie der völkerrechtliche Erfolg des Kyoto-Protokolls gezeigt hat: In vitalen Fragen müssen die anderen notfalls ohne die USA vorangehen – und dabei die Türe für einen späteren Beitritt offen halten. Da für eine Politik
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der Ressourcengerechtigkeit von den USA auf absehbare Zeit wenig zu erwarten ist, muss sich eine Anzahl bereitwilliger Staaten zur Regelung und Lösung eines globalen Problems zusammenschließen. Denn es wäre ein falsch verstandener Universalismus, die Lösung allein in globaler Einmütigkeit zu suchen. Vielmehr bleibt gegenwärtig kaum eine andere Wahl, als auf eine Strategie des «Universalismus minus X» zu setzen. Weder die Landminen-Konvention zum Verbot von Anti-Personen-Minen noch die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs wären möglich gewesen, hätten Europa und Kanada auf die USA gewartet. Stattdessen zeigte sich in beiden Fällen eine Allianz von Europa, Kanada, Japan und vielen Ländern des Südens als stark genug, ohne die Supermacht zu gültigen Abmachungen zu kommen. Ein lohnendes Projekt für ein solches Abkommen ist zum Beispiel die Einrichtung einer internationalen Organisation zur Förderung erneuerbarer Energien. Dazu brauchte es nicht mehr als eine Handvoll Industrieländer, die einen Teil der finanziellen Ressourcen umleiten, die jetzt zum Beispiel noch an EURATOM oder das nukleare Kooperationsprogramm der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) fließen. Das Statut einer International Renewable Energy Agency (IRENA) ist bereits ausgearbeitet,26 der Bundestag hat im April 2003 die Gründung einer solchen Organisation befürwortet. Leider wurde die von Deutschland ausgerichtete Konferenz über erneuerbare Energien im Juni 2004 nicht genutzt, um die Sache voranzubringen – hauptsächlich deshalb, weil man nicht den Mut hatte, ohne die USA und Saudi-Arabien Nägel mit Köpfen zumachen. In der vielschichtigen transnationalen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sind die möglichen Partner für die Durchsetzung strategischer Ziele nicht mehr auf Staaten beschränkt. Akteure der Zivilgesellschaft haben in den letzten Jahrzehnten viele Bereiche internationaler Politik und Diplomatie erobert, gerade im Bereich der Gerechtigkeits- und Umweltpolitik. Viele dieser neuen Akteure sind spezialisierte Verbände, die zum Teil hoch professionell die internationale Politik mitgestalten.27 Organisationen der Zivilgesellschaft bilden mittlerweile neben Politik und Wirtschaft die dritten Akteure des internationalen Geschehens. Der steile Aufstieg von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) in der internationalen Politik begann Anfang der 1990er Jahre mit der Vorbereitung auf den «Erdgipfel» von Rio de Janeiro. Die in seiner Folge durchgeführten Weltkonferenzen der Vereinten Nationen zu Umwelt und Entwicklung (Rio de Janeiro 1992), Menschenrechten (Wien 1993), Bevölkerung (Kairo 1994), sozialer Entwicklung (Kopenhagen 1995) und die Weltfrauenkonferenz (Beijing 1995) waren durch die Teilnahme jeweils mehrerer tausend Menschen aus der Mitte der Zivilgesellschaft geprägt.28 Insgesamt gesehen haben zivilgesellschaftliche Organisationen den internationalen Beziehun-
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gen seit dem Zweiten Weltkrieg eine neue Qualität verliehen.29 NGOs haben vielen Menschen eine Stimme gegeben, die sonst zwischen Industrie und Regierungen nicht zu hören gewesen wäre. Manche der Interessen, die von NGOs vertreten werden, haben ohne sie überhaupt keine Stimme, wie Korallenriffe in den Meeren oder Urwaldriesen in Tasmanien. Und immer wieder treten NGOs in ihrer Funktion als «gesellschaftliches Gewissen» auf, um die Politik kritisch zu prüfen – auch die Politik der Europäischen Union, etwa auf den Welthandelskonferenzen. Europäische Strategien, um Ressourcengerechtigkeit voranzubringen, gewinnen darum an Gewicht und sozialer Verankerung, wenn sie sich auf eine Allianz mit den großen Akteuren der Zivilgesellschaft aus Norden und Süden, wie zum Beispiel Oxfam, Greenpeace, Friends of the Earth, Human Rights Watch, Amnesty International, Third World Network und viele andere, stützen können. Insbesondere wenn Staaten ihren Einfluss durch Wissenspflege, Überzeugungsarbeit und Netzwerkbildung verstärken wollen, empfehlen sich solche Verbindungen. So ist das Climate Action Network, das ca. 300 Umweltorganisationen für den Klimaschutz umfasst, 1989 in Loccum mit Hilfe Deutschlands und Schwedens gegründet worden.30 Ohne dieses Netzwerk würde es in dieser Form weder die Klimarahmen-Konvention noch das Kyoto-Protokoll geben. Auch die schon erwähnten Kampagnen für eine Anti-Personen-Minen-Konvention oder für den Internationalen Strafgerichtshof wurden von einem Bündnis aus interessierten Staaten und zivilgesellschaftlichen Gruppierungen vorangetrieben. Und auf der WTO-Ministerkonferenz in Cancún im September 2003 wurden zivilgesellschaftliche Gruppen von Regierungen des Südens sogar gebeten, mit ihnen ein Bündnis gegen unfaire Regeln und grenzen-losen Freihandel einzugehen. Eine weitergehende Form der Kooperation zwischen NGOs und Staaten ist die Bildung «hybrider» Organisationen, die weder NGO noch eine zwischenstaatliche Einrichtung sind. Ein frühes Beispiel ist die International Union for the Conservation of Nature (IUCN). Sie wurde 1948 unter der Schirmherrschaft der UNESCO mit einem zentralen Sekretariat in der Schweiz gegründet. Die Mitgliedschaft steht nicht nur nationalen und internationalen NGO’s offen, sondern auch Staaten und staatlichen Behörden – und sogar staatlichen Einrichtungen aus Ländern, die keine Mitglieder sind. Auf diese Weise versammelt IUCN knapp 1000 Mitglieder aus etwa 140 Staaten. Inzwischen hat eine erfolgreiche Weiterentwicklung des lUCN-Modells stattgefunden, nämlich die World Commission on Dams.31 Diese Kommission, zusammengesetzt aus Regierungsmitgliedern, Industrievertretern und NGOs, hat Vorschläge für ökologische und soziale Standards bei der Errichtung großer Staudämme erarbeitet. Ihr Erfolg war das Ergebnis von Unabhängigkeit, umfassender Beteiligung von Befürwortern
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wie Kritikern, und größtmöglicher Transparenz der Arbeit;32 seither gilt sie als ein wichtiges Beispiel für die Lösung internationaler Probleme durch «globale Politiknetzwerke»: Alle für ein globales Problemfeld wichtigen Akteure – Regierungen, Unternehmen und Vertreter der Zivilgesellschaft – erarbeiten eine für alle Parteien annehmbare Regelung.33 So kann eine bewegliche, nicht-hierarchische Organisationsstruktur auf komplexe Probleme globalen Regierens antworten. Europa wird wählen müssen. Wenn es, um sich zu schützen, auf präventive Kriegsführung setzt, wird es einen Schulterschluss mit den USA und den Marktfundamentalisten in der Wirtschaft anstreben. Wenn es Vorreiter einer Politik präventiver Gerechtigkeit in der Welt sein möchte, wird es Koalitionen mit gleichgesinnten Staaten und in die Zivilgesellschaft hinein suchen. Dann kann es dem europäischen Projekt nur gut tun, wenn die Europäer hin und wieder vom alltäglichen Handgemenge in Brüssel aufschauen und sich fragen, wofür sie denn von den kommenden Generationen am Ende des 21. Jahrhundert erinnert werden möchten. Denn darum handelt es sich: In der sich entfaltenden Weltgesellschaft wird Europa nicht durch die Zahl seiner Menschen, sondern nur durch die Kraft seiner Ideen überleben. Die transnationale Welt von morgen werden braune, gelbe und schwarze Gesichter bevölkern, die europäischen Weißen werden kaum mehr als sieben Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. So wird die Weltgesellschaft des 21. Jahrhunderts ganz gewiss keine europäische Gesellschaft sein – wie das Europa des 15. Jahrhunderts auch keine griechisch-römische Gesellschaft war. Und doch: Ohne das griechisch-römische Erbe im Recht und in der Kultur wäre Europa als Zivilisation ärmer, vielleicht sogar barbarischer geworden. Das ist ein Trost und eine Ermunterung zugleich: Warum soll Europa nicht für die Weltgesellschaft werden, was Rom einst für die Renaissance war?
Anmerkungen
1. Gerechtigkeit für Realisten 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37
Scholz 2003, S. 56 Barber 2003, S. 21 Menzel 1998 Beck 1997, S. 49; Taylor 2003 Sachs 2002 Arndt 1987, S. 35 Zur Geschichte und Anatomie der Entwicklungsidee siehe Sachs 1993 oder Rist 1996 Quelle: Milanovic 2002, S. 27 CEPR 2001; Milanovic 2002, S. 14; Kozul-Wright/Raymant 2004, S. 26 Milanovic 2003, S. 675 Weltbank 2003a, S. 64 ff. Ravaillon 2004,S. 13 Ouelle: Milanovic 2002, S. 69 Birdsall 1998, S. 8o UNDP 2001, S. 16 Menzel 1998; Scholz 2002 Milanovic 2002 UNCTAD 1997, S. 106–108 Cornia/Court 2001, S. 8, dort auch eine Liste der Länder Bourguignon 2002, S. 65 IFG 2001 The Economist, z. B. in der Ausgabe vom 27. Mai 2000, S. 94 Für die mannigfaltigen methodologischen und konzeptuellen Probleme der Armutsmessung siehe Ravaillon 2003 und, von eher skeptischer Seite, Wade 2003 Weltbank 2002a, S. 51, gab noch 200 Mill. an; dagegen Ravaillon 2003, S. 22., hier dargestellt nach Neuberechnungen von Ravaillon/Chen 2004. Sala-I-Martin 2002 und Bhalla 2002 setzen den Rückgang der Armut noch höher an, allerdings mit umstrittener Methodologie. Ravaillon/Chen 2004, S. 28 ebendort, S. 16 Pogge 2oo3 Ravallion/Chen 2004, S. 32 Deaton/Dreze 2002 Meadows et al. 1972 Georgescu-Roegen 1971 Bevilacqua 2000 Neumayer 1999, S. 112 Davidson 2000 Folke et al. 2002 Arrow et al. 1995, S. 93 IPCC 2001a
248 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59
Anmerkungen
Moser et al. 1996 Steffen et al. 2004, S. 259 Steffen et al. 2004, S. 258 UNEP 2002, S. 64 Posteletal. 1996 FAO 2001c UNECE 2003 FAO 2000 Für eine Zusammenfassung aus der Sicht der Earth System Sciences: Steffen et al. 2004, insbesondere S. 4 ff. und S. 257 ff. Wackernagel/Rees 1997; Wackernagel et al. 2002 Quelle: WWF 2004 WWF 2004 Meyer-Abich 1991 Berryi999 The Earth Charter Initiative o. J. WCED 1987 Brown Weiss 1992 Die amerikanische Bewegung für Umweltgerechtigkeit und Autoren wie Juan Martinez Alier (2003) haben darauf immer wieder hingewiesen. Kapstein 1999 Sachs 2002 Weltbank 2001 Smil/Mao 1998
2. Ungleichheit im Umweltraum 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
16
Baccini/Brunner 1991; Moll 1996 Mehta/Winiwarter 1996 Adriaanse et al. 1998; Bringezu 2004 Quelle: eigene Darstellung SRU1990 Quelle: FAO 2001a. Daten für Waldflächen nicht 1999, sondern 1994. Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Europäische Kommission 2003 Steger 2005 McNeill 2003, S. 39 Quelle: World Energy Council 2001. Kategorie «Sonstige Länder» nicht abbildbar, da Werte zu gering. Quelle: U. S. Department of the Interior/U. S. Geological Survey 2004 Quelle: eigene Berechnungen auf der Basis von Natural Resources Canada 2002, International Iron and Steel Institute 2002 und Weltbank 2003. Quelle: World Energy Council 2001 Quelle: IEA 2004c Quelle FAO 2001a. Die Differenz zwischen Produktion und Verbrauch ergibt sich aus Vorratsveränderungen, das heißt aus Zu- und Abgängen aus entsprechenden Speichern. IPCC 2001a; WBGU 2003a
Anmerkungen 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
50 51 52 53 54 55 56 57 58 59
IPCC 2001b Parryetal.2001 IPCC 2001b;WBGU 2003a IPCC 2001b Wackernagel/Rees 1997 Quelle: eigene Berechnungen nach Daten aus WWF 2004. Aufgrund von Datenmangel keine Angabe für Entwicklungsländer mit hohem Einkommen. persönliche Mitteilung von Ann Harris und Mathis Wackernagel in 2004; siehe auch WWF 2004 United Nations Population Division 2002 Bringezu 2004 Bringezu/Schütz/Moll 2003 Quelle: WTO 2003 Altvater/Mahnkopf 1996 Enquete Kommission 2002; Le Monde diplomatique 2003 Schütz/Moll/Bringezu 2003; Schütz/Moll/Steger 2003; Steger 2005 Quelle: WTO 2003 Quelle: WTO 2003 Steger 2005 British Geological Survey 2003 Schmidt-Bleeki998,S.82 Schmidt-Bleek 1998, S. 297 Bringezu/Schütz 1995 EEA2003 Schütz/Moll/Bringezu 2003 Schütz/Moll/Steger 2003 Quelle: Schütz/Moll/Bringezu 2003 Mani/Wheeleri997 Andersson/Lindroth 2001 Quelle: eigene Berechnungen Sprenger 1997; Mason 1997 Heerings/Zeldenrust 1995 Andersson/Lindroth 2001; Muradian et al. 2002 Wir übernehmen Definition und Einteilung der Länder von Myers/Kent 2004 Quelle: Weltbank 2003; IE A1997 und eigene Berechnungen. Aufgrund der Datenverfügbarkeit wurde hier bis 1990 die gesamte U DSSR den neuen Verbraucherländern zugerechnet Quelle: VDA. Aufgrund der Datenverfügbarkeit wurde hier bis 1990 die gesamte UDSSR den neuen Verbraucherländern zugerechnet lngram/Liui997,S.32 Kenworthy 2003, S. 3 Quelle: Weltbank 2003 und eigene Berechnungen. Bis 1990 keine Daten für die UDSSR verfügbar Scholz 2003, S. 12 Knoxetal.2OO3,S.ii3 Scholz 2003 Knoxetal.2OO3,S.325 Quelle: eigene Darstellung nach ACI 2002 Humphreys 2003, S. 20
249
250 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78
Anmerkungen
Whitelegg 2003, S. 235 ICAO 1975–2001 Quelle: eigene Darstellung nach ACI 2002 IEA 2002,S.28 IPCC 1999 Goldemberg 2000 Siddiqi 1995 Siddiqi 1995 Parikh 2003 Myers/Kent 2004 Bentley 2003 Bentley 2003 Quelle: Bentley 2003, S. 153 ff. Bentley 2003 Bentley 2003; Gardner et al. 2004, S. 44 Myers/Kent 2003, S. 4964 ff. Myers/Kent 2003 Hoekstra 2003a Gardner et al. 2004, S. 47
3. Arenen der Aneignung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
BWA 2003; MWV 2004 IEA 2003 Salameh 2004 ElA 2004a Klare 2002 NATO 1999 Wörner 1990 in realen Preisen von 1995; persönliche Mitteilung des Statistischen Bundesamts, August 2004 Salameh 2004 so etwa Exxon Mobil 2004 IEA 2004a; USGS 2000, EIA 2000 Hennicke/Müller 2005; ähnlich sehen dies Duncan/Youngquist 1998; ASPO 2004 EIA 2004b; IEA2002 BMWi 2002 Schindler/Zittel 2000a; 2000b; eigene Berechnung IEA2004a;IEA2004b EIA 2004b; al-Husseini 2004 Braßel/Windfuhr 1995; Raina et al. 1999 Steger 2005; Thrupp 1995 FAO 2002, S. 33 Schweizer 2004, S. 110 Paulitsch 2004 Jenner 1994, S. 65 WCSDG 2004, S. 83
Anmerkungen 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73
Weltbank 2003 Paulitsch 2004, S. 48 Nun 1968; Nickel 1973 Illich 1995, S. 192 f. Jenner 2004 Schweizer 1987, S. 274 f. Parnreiter 1999, S. 130 f. Stiftung Entwicklung und Frieden 2001, S. 102 f. Sassen 1998; 2000 Daly 1994, S. 41; Stiglitz 2004, S. 97 Jenner 1997, S. 83 ff. ebd. Daly 1994 hier in freier Interpretation nach Polanyi 1978 wiedergegeben Polanyi 1978, S. 85 Shiva 1993 UNESCO 2003 Martinez-Alier et al. 2003 WCD 2000 WCD 2000 Barlow/Clarke 2003; China Ministry of Water Resources 2004; The Economist 2003 International Rivers Network 2003; Haggart/Chongqing 2003 eigene Berechnungen,basierend auf MHR 2003; Hoekstra 2003 Fachverband deutscher Floristen 2004; Alfarra 2004; Hargreaves-Allen 2003 USGS 1995; Whiteley/Masayesva 1998; Beckman et al. 2000 UNEP 2000 FIAN 2004;The Hindu Business Line 2003 Haller 2000; Sachs 2003 Grefe 2003; Höring 2003; Deckwirth 2004; Bernhardt 2005 Kürschner-Pelkmann 2003; Llorente/Zerah 2003; Pabst et al. 2004 Shue 198o, S. 23 WRI 2000 Ribeiro 2002 Wynberg 2002 Öko-Institut 2002; 2004 Ribeiro 2002; Brouns 2004 Görg 1998 UN EP 1999; Posey 1999; Enquete-Kommission 2002; Kuppe 2002 Aguilar/Blanco 2004 Quiroz 1994; UNDP/TCDC 2001; Barwa/Rai 2002; Howard 2003 James 2002 Sahai/Rahman 2003; Chandrasekar/Gujar 2004 Pingali/Traxler 2002 Madeley 2001; Lewis 2001 Tripathi 2001 CEAS 2000; WTO 2002b; Brouns 2004 Santarius et al. 2003 Lasén Diaz 2005 Steinberg 2002
251
252 74 75 76 77 78
Anmerkungen
Lasén Diaz 2005 Lasén Diaz 2005 GRAIN 2003 und 2004 Brouns 2004 Lasén Diaz 2005
4. Leitbilder der Ressourcengerechtigkeit 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38
Beck 1997 Held 2003 Beck 2004, S. 38 wie Scheffler 2001 und Nussbaum 1996 ausführlich erörtert haben Walzer 2000; Miller 2001 Schmid 1998 Kesselring 2003 Pogge 2002, S. 169 Hoffe 1989, S. 56 Ritsert 1997, S. 8 Rawls 1998, S. 19 Fräser/Honneth 2003 Taylor 1993, S. 14 Krebs 2002 Rawls 1998, S. 69 Kesselring 2003, S. 72 OHCHR 1948 lgnatieff 2001, S. 5 Steiner/Alston 1996 Shue 1980, S. 23 Auswärtiges Amt ohne Jahr Gadgil/Guha 1995 Roy 1999, S. 17 eigene Übersetzung nach: Human Rights Research and Education Centre o. J., Artikel 2 O’Neill 2000 Pogge 2002 Shue 1980, S. 52 ff. Shue 1980, S. 118 McNeill 2003, S. 30 Miller 2001, S. 80 Meyer 2000 Rawls 1999, S. 117 Müller-Plantenberg 2000; Pogge 2002, S. 23 Hoffe 1989, S. 306 Seniggg O’Neill 2000, S. 136 Latouche 2004, S. 141 Altvater 1992; Hornborg 2001; Giljum/Eisenmenger 2003
Anmerkungen 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
Weltbank 2002b Quelle: Weltbank 2004. Paulitsch 2004, S. 13 Ritter 1994, S. 66 Perna 1998; Roozen/van der Hoff 2003 www.thebodyshopinternational.com; EFTA 2002, S. 25 Chang2OO2 UNCED1992, Grundsatz 7 Shue 1999 Martinez-Alier et al. 2003 Shue 1999
5. Gerechtigkeitsfähiger Wohlstand 1 2 3 4 5 6 7 8
9
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
Landes 1999 Pomeranz 2000; 2002 Meyer 2000 Quelle: eigene Darstellung WBGU 2003b, S. 6 argumentiert für eine Reduktion um etwa 80 Prozent BUND/Misereor 1996 Larrain 2001 Quelle: eigene Darstellung. Fußabdruck-Daten: persönliche Mitteilung von Mathis Wackernagel und Cylcia Bolibaugh. Fußabdrücke einiger Länder zum Teil geschätzt nach Ländern mit vergleichbarer Kaufkraft. BSP-Daten: Weltbank 2003 Quelle: eigene Darstellung. Fußabdruck-Daten: persönliche Mitteilung von Mathis Wackernagel und Cylcia Bolibaugh. Fußabdrücke einiger Länder zum Teil geschätzt nach Ländern mit vergleichbarer Kaufkraft. HDI-Daten: UNDP 2000 Sen 1999 Lane 2000, auch für einen Überblick über vergleichbare Studien Ayres 1998, S. 105 ff. Eine Zusammenfassung solcher Studien findet sich in Diefenbacher 2001, S. 133 ff. Weizsäcker/Lovins/Lovins 1995; Fussler 1997; Hawken/Lovins/Lovins 2000; Hennicke/ Seifried 2000 Jochem 2003 Braungart/McDonough 2003 Pauli 1999 Gleich 2001 Bringezu 2004, S. 113 Georges 1880; Werner 1989 Segal 1999; Sachs 2002; Linz 2004 Weizsäcker/Lovins/Lovins 1995, S. 21 Lovins/Hennicke 1999 Fischedick et al. 2000 Zur Gestaltung des Ausbaus regenerativer Energien für Deutschland siehe DLR/ifeu/ WI 2004 Quelle: Fischedick et al. 2000, S. 122 Eine Einführung in ökologische Verkehrspolitik geben Petersen/Schallaböck 1995
253
254 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51
Anmerkungen
Hawken/Lovins/Lovins 2000 Colombo 2002; Goldemberg 2003 Eine Reihe der folgenden Argumente sind entfaltet in Dalkmann et al. 2004 Goldemberg/Johansson 1995 Quelle: eigene Darstellung Scheer 1999 Khosla 2003 Oliveira 1998 Übersicht in Dalkmann et al. 2004 Whitelegg/Haq 2003 GTZ/Kaltheier 2001 Mohan/Tiwari 2000 Zimmermann 2002 Radkau 2000, S. 223 Mazhar/Akhter 2000 Altieri 2004 Pretty/Hine 2001 Pretty/Hine 2001, S. 126 ff. Dalkmann et al. 2004 Thomas/Vögel 1993 Quelle: eigene Darstellung WBGU 2004, S. 4 Fritsche/Matthes 2003 Barker 2002, S. 250 ff.
6. Verträge für Fairness und Ökologie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
IPCC 2001a UNFCCC 1998; Oberthür/Ott 2000 BGBl 1993 für eine Zusammenfassung siehe Hare 2003 Huq 2002 WBGU 2003b Ott et al. 2004 Athanasiou/Baer 2002, S. 74 Oberthür/Ott 2000 Grubb 1995; Agarwal/Narain 1991; Kaiser et al. 1991; für einen aktuellen Überblick siehe Brouns 2004 La Rovere et al. 2002; UNFCCC 1997 Aslam 2002; Meyer 2000 UNFCCC 2001 Vajpayee 2002 Lammi/Tynkkynnen 2001; Europäisches Parlament 1998 ein ausgearbeiteter Vorschlag befindet sich bei Ott et al. 2004 Barnes 2001 APFC 2001 Barnes 2001, S. 72
Anmerkungen 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66
Sachs et al. 2002, S. 45 WRI 2000, S. 4 Quelle: eigene Zusammenstellung nach Groombridge/Jenkins 2002 für eine Einführung siehe Henne 1998 BMU 1992 McAfee 1998 UNHCHR 2001 UNEP 1999 Posey 1999; Grim 2001 Kothari et al. 1998 OAU 2000 Schäfer et al. 2002 Auswärtiges Amt ohne Jahr für einen Überblick über bilaterale Abkommen siehe www.bilaterals.org Rodrik 2001 Ehring 2002, S. 938 f. Whalley 1999; CUTS 2003; Jawara/Kwa 2003; für einen Überblick zu den Ausnahmeregelungen für die Länder des Südens siehe UNDP 2003, S. 58 ff. Whalley 1999, S. 8 IISD 2003; Stevens 2003, S. 3 Rodrik 2001 WCSDG 2004, S. 78 ff. UNDP 2003, S. 74 Vogel 2002; UNDP 2003, S. 63 ff. IISD 2003; Stevens 2003 Petersmann 2003, S. 18 Normand 2000 FAO 2001b, S. 8 Gray 2003 Khor 2003, S. 8 UNDP 2003, S. 115 f. UNDP 2003, S. 116; Windfuhr 2003, S. 3 für einen Überblick siehe Madeley 2000; für Erfahrungen im Indien der 1990er Jahre siehe Patnaik 2003 FAO 1999; Cassel/Patel 2003 Sharma 2003 FAO 1999 IATP 2003, S. 5; A SEED Europe 2003, S. 3; UNDP 2003, S. 123 Senti 2001, S. 13 WTO 2002a, S. 2 Mayer et al. 2002 WCSDG 2004, S. 47 IISD 2003, S. 2; UNDP 2003, S. 138 Santarius et al. 2003 Santarius et al. 2003 Eglin 1998; Tarasofsky 1999 Shiva 2002, S. 91 siehe detailliert Charnovitz 2003; Buck/Verheyen 2001 Vogel 2002
255
256 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113
Anmerkungen Monbiot 2003, S. 227 ff. Vorschläge in dieser Richtung finden sich bei Helm 1995, S. 123 ff.; Biermann 1999 Bello 2002 Hines 2004 Guruswamy 1998; Neumann 2001, S. 575 ff.; IFG 2002, S. 235 f. Santarius et al. 2003 UNCTAD 2003 Weltbank 2003 und Wal Mart 2002 UNCTAD 2003 UNCTAD 2003 WCSDG 2004, S. 33 f. UNCTAD 2003 Meyer 1998 Smith et al. 1999; Stellung dazu bezieht auch Meyer 2003 Wichterich 1998 Windfuhr 1993; Meyer 1998 Spar 1998a und 1998b; Caruso et al. 2003; EIR 2003 Mitchell 2002 beschreibt dies für U.S.-Unternehmen Porter 1999; Vogel 2000 Forsythe 2000 ausführlich Bendell 2004 Richter 2002 für eine Übersicht siehe Europäische Kommission 2001a Arts 2003/4, S. 38 Global Compact 2004; für kritische Stellungnahmen Hamm 2002; Weiß 2002; Martens 2004 OECD 2000 und 2004; für kritische Stellungnahmen DNR 2003; Germanwatch 2003 Kuhndt et al. 2003 Turnbull 2002 Turnbull 2002; www.anglamark.com Buck/Helmchen/Moltke 2002 Kuhndt et al. 2003 Kuhndt et al. 2003 Arts 2003/4, S. 39 Porter 1999; Alberini/Segerson 2002 Nima Hunter 2003 WEF 2002 KPMG 2002 WRI 2003 Gabel/Sinclair-Desgagne 2001 Orlitzky/Schmidt/Rynes 2003 Hoffmann/Scherhorn 2002 so etwa die EU-Richtlinie 2003/51/EG vom 18. Juli 2003 Bendell 2004 FoEI 2002 BMU 2002, Paragraph 49 Hillemanns 2003; Elliesen 2004 UNECE 1998
Anmerkungen 114 Porter 1999; Woodroffe 1999 115 IFG 2002, S. 126 ff. 116 Grossmann/Adams 1993
7. Was taugt Europa? 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
Habermas 2004 Siaughter 2004; Rifkin 2004 Nuscheler 2001; Hamm et al. 2002 Pernice 2003 Beck 2004, S. 262 George 2003; Rifkin 2004 Young/Osherenko 1995 Beck 2002, S. 419 Schaik/Egenhofer 2003 Oberthür/Ott 2000 Europäische Kommission 2001b für eine kritische Einschätzung der EU-Nachhaltigkeitspolitik siehe EEB 2004 Meyer-Ladewig 2003 Rifkin 2004, S. 298 f. Preuß 1998 für einen ersten Überblick über Auswirkungen des Cotonou-Abkommens siehe Eurostep et al. 2004 Narain 2003 Held 2004 Radermacher 2002 Pogge 2003 Oberthür/Ott 2000 WBGU 2002 Radermacher et al. 2004 Beck 2004 Messner 2001 Eurosolar 2001; Scheer 2003 Walk/Brunnengräber 2000 Messner/Nuscheler 1996 Hummer 2000, S. 49 Waddell 2003 siehe www.dams.org WRI et al. 2001 vgl. Reinicke et al. 2000; Streck 2002
257
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Seite 22
Abb. 1: Ungewichtete internationale Ungleichheit nach dem Gini-Koeffizienten Seite 24 Abb. 2: Nach Bevölkerungsgröße gewichtete internationale Ungleichheit nach dem Gini-Koeffizienten Seite 36 Abb. 3: Globaler ökologischer Fußabdruck Seite 48/49 Tab. 1: Globale Flächen Verfügbarkeit und Nutzung Seite 51 Abb. 4: Nachgewiesene Reserven fossiler Energierohstoffe Seite 52/53 Tab. 2: Ökonomische Reserven ausgewählter mineralischer Rohstoffe Seite 54/55 Tab. 3: Produktion und Verbrauch metallischer Rohstoffe in ausgewählten Ländern Seite 56 Abb. 5: Verbrauch fossiler Energierohstoffe Seite 57 Abb. 6: Energieverbrauch und CO2-Emissionen Seite 58/59 Tab. 4: Produktion und Verbrauch von pflanzlichen und tierischen Produkten Seite 62 Abb. 7: Ökologischer Fußabdruck pro Kopf Seite 64 Abb. 8: Wachstum von Welthandel und Bruttoinlandsprodukt Seite 65 Tab. 5: Welthandel mit verarbeiteten Waren nach Regionen Seite 66 Tab. 6: Welthandel mit landwirtschaftlichen und Bergbauerzeugnissen nach Regionen Seite 70 Abb. 9: Ökologische Rucksäcke an den Importen aus Entwicklungsländern in die EU Seite 72 Abb. 10: Importüberschuss besonders belastender Gütergruppen und ökologischer Rucksäcke an den Importen der EU Seite 76 Abb. 11: Absoluter Verbrauch an Energie in den neuen Verbraucherländern Seite 77 Abb. 12: Zahl der registrierten Pkw in den neuen Verbraucherländern Seite 78 Abb. 13: Zahl der Fernsehgeräte in den neuen Verbraucherländern Seite 80 Abb. 14: Lage der nach Zahl der Passagiere 150 größten Flughäfen Seite 81 Abb. 15: Lage der nach der Luftfracht-Tonnage 150 größten Flughäfen Seite 85 Abb. 16: Zahl und Bevölkerungsanteil der (neuen) Verbraucher in 25 Ländern Seite 149 Abb. 17: Verfall von Güterpreisen auf dem Weltmarkt Seite 159 Abb. 18: Ein Zukunftsmodell: Kontraktion und Konvergenz Seite 161 Abb. 19: Ökologischer Fußabdruck pro Kopf im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt pro Kopf Seite 163 Abb. 20: Ökologischer Fußabdruck pro Kopf im Verhältnis zum Index für menschliche Entwicklung Seite 170 Abb. 21: Energieversorgung Deutschlands im Jahre 2050 Seite 175 Abb. 22: Struktur einer zentralen und einer dezentralen Energieversorgung im Vergleich Seite 184 Abb. 23: Integration von Landbau, Abwasserentsorgung und Energieversorgung Seite 198 Tab. 7: Pflanzenvielfalt in ausgewählten Ländern
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