eHealth: Innovations- und Wachstumsmotor fÏr Europa
AuÞerdem erschienen: A. Picot, S. Doeblin (Hrsg.) eCompanies ± grçnden, wachsen, ernten
ISBN 3-540-67726-7. 2001. IX, 160 S. A. Picot, H.-P. Quadt (Hrsg.) Verwaltung ans Netz! ISBN 3-540-41740-0. 2001. IX, 201 S. J. Eberspåcher, U. Hertz (Hrsg.) Leben in der e-Society ISBN 3-540-42724-4. 2002. IX, 235 S. J. Eberspåcher (Hrsg.) Die Zukunft der Printmedien ISBN 3-540-43356-2. 2002. VIII, 246 S. A. Picot (Hrsg.) Das Telekommunikationsgesetz auf dem Prçfstand
ISBN 3-540-44140-9. 2003. VIII, 161 S. M. Dowling, J. Eberspåcher, A. Picot (Hrsg.) eLearning in Unternehmen
ISBN 3-540-00543-9. 2003. VIII, 154 S. J. Eberspåcher, A. Ziemer (Hrsg.) Video Digital ± Quo vadis Fernsehen?
ISBN 3-540-40238-1. 2003. VIII, 140 S. A. Picot (Hrsg.) Digital Rights Management ISBN 3-540-40598-4. 2003. V, 153 S. J. Eberspåcher, H.-P. Quadt (Hrsg.) Breitband-Perspektiven
ISBN 3-540-22104. 2004. VIII, 186 S. A. Picot, H. Thielmann (Hrsg.)
Distribution und Schutz digitaler Medien durch Digital Rights Management
ISBN 3-540-23844-1. 2005. X, 153 S. J. Eberspåcher, H. Tillmann (Hrsg.)
Broadcast-Mediendienste im Spannungsfeld zwischen Mårkten und Politik
ISBN 3-540-24345-3. 2005. VIII, 191 S. A. Picot, H.-P. Quadt (Hrsg.) Telekommunikation und die globale wirtschaftliche Entwicklung
ISBN 3-540-25778-0. 2005. VI, 110 S. J. Eberspåcher, W. von Reden (Hrsg.)
Umhegt oder abhångig? Der Mensch in einer digitalen Umgebung
ISBN 3-540-28143-6. 2006. IX, 230 S.
Jærg Eberspåcher ´ Arnold Picot Gçnter Braun (Herausgeber)
eHealth: Innovations- und Wachstumsmotor fÏr Europa Potenziale in einem vernetzten Gesundheitsmarkt
Mit 283 Abbildungen
12
Professor Dr.-Ing. Jærg Eberspåcher Technische Universitåt Mçnchen Lehrstuhl fçr Kommunikationsnetze Arcisstraûe 21 80290 Mçnchen
[email protected] Professor Dr. Dres. h.c. Arnold Picot Universitåt Mçnchen Institut fçr Information, Organisation und Management Ludwigstraûe 28 80539 Mçnchen
[email protected] Dr.-Ing. Gçnter Braun Siemens AG Leiter Healthcare Solutions Communication Enterprise Otto-Hahn-Ring 6 81739 Mçnchen
[email protected]
ISBN-10 3-540-29350-7 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-29350-7 Springer Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet çber
abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschçtzt. Die dadurch begrçndeten Rechte, insbesondere die der Ûbersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfåltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfåltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulåssig. Sie ist grundsåtzlich vergçtungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de ° Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wåren und daher von jedermann benutzt werden dçrften. Umschlaggestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg SPIN 11557579
42/3153-5 4 3 2 1 0 ± Gedruckt auf såurefreiem Papier
Vorwort „Ich wünsche Ihnen alles Gute – und vor allem Gesundheit.“ Wer von uns hat diesen Wunsch nicht schon gehört oder ausgesprochen. Gesundheit hat einen hohen Stellenwert in unserem Leben – vor allem dann, wenn man sie nicht hat. Beim Thema Gesundheit verbindet sich Emotion und oft auch persönliche Betroffenheit mit qualitativen und wirtschaftlichen Aspekten einer Gesundheitsversorgung, die die Gesundheit erhalten oder wieder herstellen soll. Gesundheitssysteme in aller Welt erwirtschaften mit typischerweise 10 % der Beschäftigten durchschnittlich 10 % des jeweiligen Bruttosozialprodukts. Sie haben durch ihre Leistungsfähigkeit, verbunden mit dem großen medizinischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte, wesentlichen Anteil an der gestiegenen Lebenserwartung der Menschen – und haben nicht zuletzt durch ihren eigenen Erfolg dazu beigetragen, dass die damit verbundenen Kosten die Sozialsysteme überfordern und zu einer Zweiklassenmedizin führen. Die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland mit den Grundprinzipien Solidarität, Sachleistungsprinzip und gleichem Leistungsanspruch für alle gilt in vielen Ländern als Vorbild. Aus Beiträgen stehen jährlich rund 150 Mrd. Euro zur Verfügung. Das deutsche Gesundheitswesen ist leistungsfähig, weist jedoch Mängel bei Effektivität und Behandlungsqualität auf. Dies gilt insbesondere auch im Bereich der großen Volkskrankheiten, die hohe fortlaufende Kosten verursachen. Die künftige demoskopische Entwicklung, die Zunahme chronischer Erkrankungen und der weitere medizinische Fortschritt erfordern jetzt geeignete Maßnahmen, um bei bezahlbaren Kosten die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung künftig auf höchstem Niveau zu sichern. Die anstehende Verbesserung von Prozessabläufen, die in der deutschen Gesundheitsversorgung seit fünfzig Jahren nur wenig verändert wurden, hin zu integrierten Versorgungsmodellen mit qualitäts- und kostenoptimierter Diagnostik, Behandlung und Nachsorge, ist eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Sie wird unterstützt vom Aufbau einer zeitgemäßen elektronischen Kommunikation zwischen den im Gesundheitswesen Tätigen, die in Deutschland das zum 01.01.2004 in Kraft getretene Gesundheits-Modernisierungsgesetz vorgibt. Der MÜNCHNER KREIS hat in seinem Kongress diese Entwicklungen mit ihren technischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Aspekten vorgestellt und diskutiert und die Chancen wie auch die Grenzen ausgelotet, die dabei zu erkennen sind. Die Verbesserung von Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung ist heute ein aktuelles Thema in den meisten europäischen Ländern, aber auch in anderen Kontinenten. Es besteht überall Handlungsbedarf. Auch wenn die Struktur der
VI
Vorwort
Gesundheitssysteme unterschiedlich ist – die Notwendigkeit einer Optimierung von Abläufen in Versorgung und Verwaltung und ein großer Nachholbedarf an moderner Informationstechnologie und elektronischer Kommunikation ist in allen Ländern gegeben.
Arnold Picot
Jörg Eberspächer
Günter Braun
Inhalt
VII
Inhalt 1
Begrüßung und Einführung eHealth: Innovationen durch Informationstechnologien im Gesundheitswesen
1
Prof. Dr.-Ing. Jörg Eberspächer, Technische Universität München
Eröffnungssitzung 2
Optimierung der Gesundheitsversorgung als soziale Aufgabe
3
Jürgen-W. Heike, Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit, Sozialordnung, Familie und Frauen
3
Gesundheitswesen in der Wissensgesellschaft
9
Bernd Kuhlin, Siemens Com
4
Gesundheitsversorgung – Internationale Übersicht
21
Prof. Dr. med. Reinhard Busse, Technische Universität Berlin
5
Vernetztes Gesundheitssystem – eine gesamtökonomische Herausforderung
39
Dr. Joachim Kartte, Roland Berger Strategy Consultants, Berlin
Status Quo und Trends 6
Psychologische und organisatorische Fallen für den Einsatz von IT im Gesundheitswesen
53
Markus Holtel, Franz-Hospital Dülmen
7
Telematik-Infrastruktur und Einführung der Gesundheitskarte
61
Dr. Günter Braun, Siemens AG. München
8
Diskussion Moderation: Prof. Dr. Jörg Eberspächer, Technische Universität München
75
VIII
Inhalt
Integrierte Versorgung/ Disease Management Programme 9
Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes
79
Dr. med. Siegfried Jedamzik, Regionales Praxisnetz GOIN e.V., Ingolstadt
10 Informationsmanagement in Disease Management Programmen
105
Prof. Dr. med. Jens Ricke, Charité, Rudolf-Virchow Krankenhaus, Berlin
11 Fallbeispiel: Telemedizinische Nachsorge
117
Dr. med. Bernhard Clasbrummel, BG-Kliniken Bergmannsheil, Bochum
12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
131
Dr. Matthias Matzko, Universitätsklinikum Großhadern, München
13 Podiumsdiskussion eHealth – Wird die ITK zum Innovationsmotor im Gesundheitswesen?
157
Moderation: Dr. Günter Braun, Siemens AG, München Teilnehmer: Prof. Dr. med. Reinhard Busse, Technische Universität Berlin Norbert Englert, IBM Deutschland GmbH, Frankfurt Prof. Dr. Reiner Leidl, Universität München Dr. Joachim Kartte, Roland Berger Strategey Consultants, Berlin Robert Schneider, SCM Microsystems GmbH, Ismaning
Neue und zukunftsweisende Technologien 14 Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth
177
Volker Apel, T-Systems International GmbH, Frankfurt
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth Prof. Dr. Heinz Thielmann, Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie SIT, Darmstadt
195
Inhalt
16 Prozessoptimierung durch moderne KrankenhausInformations- und Workflowsysteme
IX
221
Prof. Dr. Hans-Ulrich Prokosch, Universitätsklinikum Erlangen
Prävention und Eigenverantwortung 17 Prävention mit Hilfe elektronischer Medien in verschiedenen Alters- und Berufsgruppen
239
Elisabeth Pott, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln
18 Der Arzt im Gepäck: Vitalsensorik für mobile Patientenüberwachung
261
Alexander Scholz, Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik, Bernhard Wolf, Technische Universität München, Sendsor GmbH
Gesellschaftliche Aspekte; Sicherheit und Datenschutz 19 Der strafrechtliche Schutz des Arztgeheimnisses unter den Bedingungen der modernen Informationstechnik
269
Prof. Dr. Ulrich Sieber, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg
20 Podiumsdiskussion Gesellschaftliche Aspekte, Sicherheit und Datenschutz
289
Moderation: Prof. Dr. Marie-Theres Tinnefeld Teilnehmer: Prof. Jörg Sauerbrey, Siemens AG, München Dr. Grzegorz Sibiga, Academy of Entrepreneurship and Management, Warschau Prof. Dr. Ulrich Sieber, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg Reinhard Vetter, Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Bayern, München
X
Inhalt
Ökonomische Aspekte 21 Die Bedeutung der IT für die ökonomische Entwicklung der Gesundheitswirtschaft
307
Rolf-Rainer Riedel, Heike Hefner, Martin Prätorius, Rheinische Fachhochschule Köln
22 Wirkung des IT-Einsatzes auf Ökonomie und Qualität in der Praxis
319
Dr. Axel Munte, Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München
23 Die Rolle der Krankenkassen in der Gesundheitswirtschaft
337
Dr. Helmut Platzer, AOK Bayern – Die Gesundheitskasse
24 Diskussion
343
Moderation: Prof. Dr. Heinz Thielmann, Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie SIT, Darmstadt
Anhang Liste der Referenten und Moderatoren/List of Authors and Chairmen
349
1 Begrüßung und Einführung eHealth: Innovationen durch Informationstechnologien im Gesundheitswesen Prof. Dr.-Ing. Jörg Eberspächer Technische Universität München
Der MÜNCHNER KREIS befasst sich seit seiner Gründung vor mehr als 30 Jahren mit der Zukunft der Informations-, Kommunikations- und Medientechnologien, und zwar in einem interdisziplinären Ansatz. Die Technologien sind also nur ein Aspekt unserer Betrachtung, und das gilt besonders immer dann, wenn wir uns mit gestimmten Branchen oder Anwendungen befassen. So wie heute mit dem Gesundheitswesen, zum ersten Mal, aber sicherlich nicht zum letzten Mal! Die IuK-Technologien sind eben heute zu einer Grundlagentechnik geworden, zu einer Basis für Geschäfte, Produktion, Bildung und Ausbildung, Wissensaustausch und eben auch zunehmend das Gesundheitswesen. Computer, Internet und Mobilfunk sind unbestrittene und nachhaltige Innovationstreiber, weit über die IuKBranche hinaus. Die wichtigste Wirkung der Digitalisierung besteht in dramatischen Veränderung von Arbeitsabläufen und ganzen Geschäftsprozessen. Wir sind ja inzwischen regelrecht abhängig von bestimmten IuK-Anwendungen und Telematikdiensten. Alles ist elektronisch vernetzt und alles computergerecht aufbereitet. Fast alles … Und wie sieht es mit dem Einsatz von IuK-Technologien im Gesundheitswesen aus? Es wird geschätzt, dass inzwischen bis zu 40 % der Leistungen im Gesundheitswesen mit Datenerfassung und Kommunikation zu tun haben, mit steigender Tendenz. Hier bestehen offenbar erhebliche Möglichkeiten zur Steigerung der Effizienz und damit zur Kosteneinsparung, aber vor allem auch zur Qualitätsverbesserung, zur Nutzung der IuK-Technologien für neue Behandlungsmethoden und für eine verbesserte Patientenversorgung. Die elektronische Vernetzung in einer leistungsfähigen und standardisierten Telematik-Infrastruktur spielt dabei eine entscheidende Rolle. Experten konstatieren hier einen erheblichen Nachholbedarf, in den ärztlichen ebenso wie in den administrativen Bereichen. Andererseits dürfen auch die Schwierigkeiten und Risiken der erweiterten Nutzung der digitalen Technologien im „komplexen System Gesundheitswesen“ nicht übersehen werden. Die Einführung neuer technischer Systeme reicht allein nicht aus; es gilt, Lösungen zu finden, die Patienten, Ärzte und Verwaltungen gleichermaßen akzeptieren können, die also allen einen echten Mehrwert bringen und die großen Chancen hinsichtlich verbes-
2
Jörg Eberspächer
serter Prävention, Diagnostik, Behandlung, und Nachsorge nutzen kann. Die Einführung neuer Technologien muss ökonomisch sinnvoll sein und die großen Sicherheitsanforderungen dieses sensitiven Bereichs hinreichend berücksichtigen. Nicht zuletzt sollte dadurch mehr und nicht weniger Zeit für die persönliche Zuwendung zum Patienten vorhanden sein! Der Titel des Kongresses – „Innovations- und Wachstumsmotor für Europa“ – soll verdeutlichen, dass nach Meinung vieler Fachleute aus Politik, Gesundheitswesen und Industrie bei richtiger Gestaltung des Umbau- und Einführungsprozesses die Realisierung von eHealth zu einer Erfolgsstory werden kann, gerade in und für Deutschland und Europa. Beste Voraussetzungen sind gegeben, dass wir hier, wie in anderen Innovationsgebieten, die Vorreiter spielen und die „Potenziale im vernetzten Gesundheitsmarkt“ ausschöpfen können. Dazu will der Kongress Argumente liefern und als offene, interdisziplinäre Diskussionsplattform dienen. Wir haben für diese zwei Tage unter der Leitung von Herrn Günter Braun von der Siemens AG ein dichtes Programm von Vorträgen und Diskussionen zusammengestellt, das verschiedene Facetten des Themas beleuchten soll. Heute am ersten Tag wollen wir uns am Vormittag einen Überblick verschaffen. Am Nachmittag steht die Integrierte Versorgung auf dem Programm, garniert mit Fallbeispielen, worauf wir besonderen Wert legen. Eine Podiumsdiskussion rundet den Tag ab. Morgen geht es um einige grundlegende Technologien, Infrastruktur, dann um die Unterstützung der Prävention, um Sicherheit und Datenschutz incl. einer Podiumsdiskussion und dann, als Schwerpunkt zum Abschluss, um die Frage des wirtschaftlichen Einsatzes der IT. Nicht nur hier, sondern durch das ganze Programm hindurch, werden uns führende Experten aus dem Gesundheitswesen Rede und Antwort stehen. Ich wünsche uns allen einen fruchtbaren Dialog und gute Erkenntnisse!
2 Optimierung der Gesundheitsversorgung als soziale Aufgabe Jürgen-W. Heike Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit, Sozialordnung, Familie und Frauen eHealth, oder auch „Telematik im Gesundheitswesen“, ist ein vergleichsweise neues Tätigkeitsfeld im Gesundheitswesen mit komplexen und zukunftsweisenden Themen. Es umfasst nicht nur die Informatik im Gesundheitswesen, sondern auch die damit verbundenen Veränderungen in der medizinischen Versorgung sowie die Chancen und den Nutzen für Patienten, Wissenschaft und Wirtschaft. Der demografische Wandel in der Gesellschaft, die Globalisierung der Wirtschaft, der Fortschritt in Medizin und Technik stellen zu Beginn des 21. Jahrhunderts unsere Systeme der sozialen Sicherheit und eine für alle Bürgerinnen und Bürger angemessene und gerechte Gesundheitsversorgung vor enorme Herausforderungen, die nur im Zusammenwirken mit allen Kräften aus Wissenschaft, Wirtschaft und der Sozial- und Gesundheitspolitik bewältigt werden können. Der dafür erforderliche Reformprozess im Gesundheitswesen kann durch den Einsatz der elektronischen Informations- und Kommunikationstechnik unterstützt und die Gesundheitsversorgung optimiert werden. Für die Anwendung der Telekommunikation in der Medizin haben sich die Begriffe „Telematik im Gesundheitswesen“, „eHealth“ und „Telemedizin“ eingebürgert. Diese Anwendungen umfassen jeglichen Einsatz von EDV, sowie die Informationsund Kommunikationstechnologie und die Vernetzung im Gesundheitswesen. Die Telemedizin ist ein wichtiges Instrument zur Qualitätssteigerung in der Gesundheitsversorgung, um Patienten über weitere Entfernungen untersuchen und therapieren zu können sowie Informationen und Zweitmeinungen von Experten „online“ einzuholen. Der Freistaat Bayern hat früher als in jedem anderen Bundesland die Bedeutung der Telemedizin für eine bessere Gesundheitsversorgung sowie für den Wirtschaftsstandort Bayern erkannt. Bereits vor 10 Jahren begann der Freistaat, gezielt telemedizinische Projekte zu fördern. Inzwischen wurden 26 Vorhaben mit mehr als 8 Mio. € allein vom Bayerischen Sozialministerium unterstützt. Die Projekte befassen sich dabei mit den unterschiedlichsten Aspekten der Gesundheitstelematik. Gefördert wurden Projekte wie Telekonsultationen, teilweise in Kombination mit Fernuntersuchung, Teleradiologie und -therapie, elektronische Patientenkarte für
4
Jürgen-W. Heike
Diabetiker, elektronischer Arztausweis, elektronische Patientenakte, Expertensysteme. Auch übergeordnete Themen wie der Datenschutz wurden behandelt. Exemplarisch für die Bandbreite der von unserem Hause untersuchten Telematikanwendungen werde ich Ihnen drei Projekte vorstellen, an denen der Nutzen der neuen Technologien für die Krankenversorgung erkennbar ist. In Bayern erleiden jedes Jahr etwa 30.000 Personen einen Schlaganfall, etwa 80.000 leiden an den Folgen eines Schlaganfalls. Durch eine schnelle und adäquate Diagnostik und Behandlung können Folgeschäden eines Hirninfarktes reduziert oder sogar vermieden werden. Um den Einsatz der Telemedizin unter dem Blickwinkel der Volkswirtschaft und der Gesundheitsversorgung bei zunehmendem Alter unserer Bevölkerung darzustellen, wurde TEMPiS, das Telemedizinische Pilotprojekt zur integrierten Schlaganfallversorgung in der Region Süd-Ost-Bayern entwickelt. Es wird von den Schlaganfallzentren im Städtischen Krankenhaus München-Harlaching und im Bezirksklinikum Regensburg gemeinsam mit zwölf Partnerkliniken im süd-ost-bayerischen Raum umgesetzt. Um über die Neurologie hinausgehende diagnostische Möglichkeiten zu erschließen, wurden auch die Neurochirurgien der Krankenhäuser in München-Schwabing, München-Bogenhausen, Deggendorf, Murnau, Vogtareuth und in Regensburg (Barmherzige Brüder) einbezogen sowie die Unikliniken München-Großhadern und Regensburg beteiligt. Übergeordnetes Ziel ist es, die Schlaganfallversorgung im ländlichen Raum zu verbessern, d.h. das bestehende Versorgungsgefälle zwischen den Ballungsräumen mit spezialisierten Stroke Units und den Regionen ohne neurologische Kliniken zu beseitigen. Neben strukturellen und organisatorischen Maßnahmen – wie z.B. Konzentration der Schlaganfallbehandlung durch Aufbau spezialisierter Einheiten einschließlich so genannter Stroke Teams in den regionalen Kliniken, konsequente Fort- und Weiterbildung aller Teilnehmer, Qualitätsüberwachung durch die Zentren, Vereinheitlichung von Behandlungsprozeduren – soll vor allem die moderne Informationsund Kommunikationstechnologie genutzt werden, um eine raschere Diagnostik zu ermöglichen. Hierfür wurden die teilnehmenden Kliniken sowohl mit Anlagen zur digitalen Bildübertragung (Teleradiologie, insbesondere für CT-Aufnahmen) als auch mit leistungsfähigen Videokonferenzsystemen ausgestattet, die Telekonsultationsanfragen bei den Kompetenzzentren rund um die Uhr ermöglichen. Das Projekt, das nun seit fast zwei Jahren läuft, wird nicht nur vom Sozialministerium, sondern in erheblichem Umfang auch von den bayerischen Krankenkassen und der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe unterstützt. Abhängig von den Ergebnissen einer begleitenden Effizienzanalyse ist grundsätzlich geplant, das Angebot auf Dauer zu etablieren und es auf andere bayerische Regionen auszudehnen. Vergleichbare Konzepte werden bereits in Schwaben am Bezirkskrankenhaus Günz-
2 Optimierung der Gesundheitsversorgung als soziale Aufgabe
5
burg sowie im Projekt „STENO“ der Neurologischen Universitätsklinik Erlangen umgesetzt. Bis Dezember 2004 wurden im Projekt TEMPiS bereits mehr als 4.600 Patienten telekonsiliarisch betreut. In zunehmendem Maße gelingt es auch, innerhalb des schmalen Zeitfensters von drei Stunden telemedizinisch eine Lysetherapie in der betreffenden Partnerklinik zu veranlassen und durchzuführen. Allein dies ist schon ein enormer Erfolg und für die betroffenen Patienten von unschätzbarem Wert. Deutlich wird daran aber auch, wie sehr die Patientenversorgung von einer ständigen Investitionsbereitschaft abhängt. Fehlt die Fähigkeit zur Investition, können aktuelle Forschungsergebnisse nicht umge setzt werden. International betrachtet bleibt man nicht stehen, sondern fällt zurück. Wie sehr das telemedizinische Projekt „TEMPiS“ internationale Beachtung findet, zeigt das aus Frankreich bekundete Interesse an Übertragung dieser Behandlungsform auf französische Krankenhäuser. Vertreter der Harvard Medical School haben dieses Projekt als einzigartig für die flächendeckende Versorgung bezeichnet. Als zweite Telematikanwendung möchte ich ein Projekt erwähnen, das von Frau Prof. Lorenz, Leiterin der Abteilung für Kinderaugenheilkunde am Universitätsklinikum Regensburg, realisiert wurde. Ziel ist es zu verhindern, dass Frühgeborene ihr Augenlicht verlieren. Unreife Neugeborene sind erheblichen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Insbesondere besteht die Gefahr einer Erblindung auf Grund der Ablösung der Netzhaut, der so genannten Frühgeborenen-Retinopathie. Derzeit entwickeln 5 % der Kinder mit einem Geburtsgewicht unter 1.250 g eine behandlungsbedürftige Retinopathie. Das Risiko für eine Netzhautablösung mit nachfolgender Erblindung beträgt in diesen Fällen ohne Therapie ca. 50 %, mit zeitgerechter Laserbehandlung hingegen nur wenige Prozent. Durch rechtzeitiges Erkennen des Befundes und entsprechende Therapie kann somit ein Verlust des Sehvermögens nahezu ausgeschlossen werden. Ein Transport der Frühgeborenen zu den wenigen Spezialisten, die in der Lage sind, die Erkrankung zu diagnostizieren, birgt jedoch ebenfalls nicht unerhebliche Gesundheitsgefahren. Ausgangspunkt war deshalb, nicht die Frühgeborenen selber in das Kompetenzzentrum zu transportieren, sondern lediglich Bilder ihrer Netzhaut zu übermitteln. Hierfür wurden die Perinatalzentren bzw. neonatologischen Einrichtungen in mehreren Regionen Bayerns jeweils mit einer speziellen Weitwinkelkamera zur Aufnahme des Augenhintergrunds von Frühgeborenen ausgestattet. Augenärzte in diesen Einrichtungen erstellen die Bilder, die anschließend elektronisch zur Auswertung an die Uniklinik Regensburg übertragen werden. Dadurch kann zum einen der Transport zum Kompetenzzentrum in Regensburg vermieden werden. Zum anderen kann ausgeschlossen werden, dass die Behandlungs-
6
Jürgen-W. Heike
bedürftigkeit eines Frühgeborenen vor Ort unerkannt bleibt, wodurch die Diagnosequalität erheblich gesteigert wird. Mittlerweile konnte mit dem speziellen Kamerasystem eine Vielzahl an Kindern untersucht werden. Einigen von Ihnen, die bereits ein kritisches Stadium erreicht hatten, konnte anschließend mit Hilfe der Lasertherapie das Augenlicht erhalten werden. Neben dem volkswirtschaftlichen Nutzen dieses Projektes sind insbesondere die rein menschlichen Gesichtspunkte hervorzuheben. Die notwendigen Investitionen sind schon dann gerechtfertigt, wenn auch nur ein Kind vor Blindheit bewahrt werden kann. Das Projekt wird von der Bayerischen Landesstiftung, der Bayerischen Sparkassenstiftung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und soll schrittweise auf die noch nicht am Projekt beteiligten Regionen Bayerns ausgedehnt werden. Schließlich stelle ich Ihnen ein Projekt vor, das besonders den Charakter der integrierten Versorgung beim Einsatz von Telemedizin unterstreicht. Das Telemonitoring-Projekt, das zur Überwachung obstruktiver Lungenerkrankungen konzipiert wurde, wird unter dem Projektnamen: „Integrierte Telemedizin-Plattform zum Aufbau eines Netzwerkes im Krankenhaus Donaustauf mit Facharztpraxen im ambulanten Bereich“ vom StMAS gefördert. Es schließt nicht nur Fernüberwachung von Patienten durch das Krankenhaus Donaustauf ein, sondern auch Fachund Allgemeinärzte sind in das Kommunikationsnetz eingebunden. Damit wird das von Disease-Management-Programmen verfolgte ganzheitliche Therapiekonzept, das neben den stationären auch den ambulanten Bereich umfasst, umgesetzt. Das Projekt hat eine weitreichende Bedeutung für die Telematik im Gesundheitswesen. Die Vernetzungsstruktur ermöglicht die Behandlung eines Patienten auf der Grundlage einer gemeinsam erarbeiteten Strategie und der allgemein anerkannten Leitlinien zur Behandlung chronisch obstruktiver Atemwegserkrankungen, und zwar einheitlich über die verschiedenen Versorgungsbereiche hinweg. Die Anwendung von Therapiestandards in der gesamten Versorgungskette hilft, die Qualität der medizinischen Diagnostik, Therapie und Nachsorge zu verbessern. Das Projekt ist ein wichtiger Mosaikstein zur Optimierung der Gesundheitsversorgung. Die Erfahrungen, die Bayern aufgrund der Vielzahl an geförderten Projekten in den letzten Jahren sammeln konnte, werden uns in der Gesundheitstelematik auch bei der Umsetzung des nächsten Entwicklungsschritts helfen, nämlich beim Aufbau einer einheitlichen, umfassenden, interoperablen Telematikinfrastruktur und Erprobung der elektronischen Gesundheitskarte. Nach dem GKV-Modernisierungsgesetz soll die Krankenversichertenkarte ab dem 1.1.2006 zu einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) erweitert werden (§ 291a SGB V). Damit verbunden sind die Einführung des elektronischen Arztausweises und der Aufbau einer einheitlichen Telematik-Infrastruktur im Gesundheitswesen. Das heißt, es müssen einheitliche interoperable Schnittstellen im gesamten Gesund-
2 Optimierung der Gesundheitsversorgung als soziale Aufgabe
7
heitsbereich geschaffen werden, damit elektronisch ein geregelter und datenschutzkonformer Austausch von Patientendaten stattfinden kann. Die Komplexität dieses Vorhabens erfordert allerdings vor der bundesweiten Einführung 2006 die Erprobung der eGK in einer dafür konzipierten Telematik-Infrastruktur. Im Vorfeld sollen deshalb in verschiedenen Bundesländern mehrere Modellvorhaben getestet werden, um eine optimierte und erweiterungsfähige Lösung für die Kommunikationsbasis zu finden. Bayern hat sich zur Durchführung eines Modellprojektes bereit erklärt. Als Bayerische Modellregion wurde der Raum Ingolstadt mit dem Praxisnetz GO-IN ausgewählt. Dort bestehen ideale Voraussetzungen zur Umsetzung, da das Praxisnetz GO-IN fast 500 Haus- und Fachärzte und rd. 250.000 Patienten vereinigt. Um jedoch Fehlinvestitionen und verlorene Kosten zu vermeiden, sind wir als Bayerisches Sozialministerium sehr daran interessiert, bei der Erprobung ein Optimum für die eGK und deren telematische Infrastruktur herauszuholen. Deshalb unterstützen wir das Modellprojekt „Elektronische Gesundheitskarte – Modellregion Ingolstadt“. Wir wollen mithelfen, um ein exportfähiges Produkt auf den Markt zu bringen. Zukünftig werden wir in Bayern im Bereich der Gesundheitstelematik zweigleisig agieren. Zum einen, innovative telemedizinische Projekte weiterhin unterstützen, zum anderen das Pilotprojekt zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte forcieren, um eine einheitliche, umfassende und interoperable Telematikinfrastruktur für die digitale Datenkommunikation im medizinischen Bereich zu erhalten. Der vermehrte Einsatz von Telematik wird das Gesundheitswesen nachhaltig verändern, die Qualität in der Gesundheitsversorgung verbessern und der Gesundheitswirtschaft, aber auch dem Arbeitsmarkt starke Impulse geben. In diesem Sinne trägt Telematik im Gesundheitswesen, eHealth, Telemedizin dazu bei, die Gesundheitsversorgung zu optimieren und den Motor Gesundheitsmarkt zu beschleunigen. Ich wünsche Ihnen einen guten Verlauf des Kongresses.
3 Gesundheitswesen in der Wissensgesellschaft Bernd Kuhlin Siemens AG Seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre wird in Politik und Wissenschaft wieder verstärkt auf das Konzept der Wissensgesellschaft zurückgegriffen. Etwa gleichzeitig wurde im politischen Raum, in den Managementwissenschaften, in den Wirtschaftswissenschaften und in den Sozialwissenschaften wieder über Wissensmanagement oder wissensbasierten Organisationen etc. gesprochen. Spätestens mit dem Gipfel der europäischen Union im Jahre 2000 in Lissabon, auf dem die Entwicklung der EU zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt“ beschlossen wurde, hat der Begriff der Wissensgesellschaft seinen Platz in Festreden, in Forschungsprogrammen und in bildungspolitischen Leitlinien erobert. Lassen Sie mich zunächst kurz auf den Begriff der „Wissensgesellschaft“ eingehen, um deutlich zu machen, was eigentlich mit dem Begriff der Wissensgesellschaft gemeint sein könnte: Im Vergleich zur Informationsgesellschaft hat das Konzept „Wissensgesellschaft“ den Vorteil, dass es die Gegenwartsgesellschaft nicht ausschließlich durch ihre technologische Basis definiert.
Bild 1
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Bernd Kuhlin
Wissen war immer schon ein wesentlicher Faktor der Menschheitsentwicklung, so dass man sich zu Recht fragen mag, weshalb der Begriff Wissen gerade mit Blick auf die Zukunft eine so herausragende Rolle spielen soll. Die Informationsmenge ist immer schon schneller angestiegen als die Weltbevölkerung (Bild 1). Bis zum Jahr 1995 sind etwa 1 Mrd. Bücher erschienen. Das entspricht einer Informationsmenge von etwa 106 GigaByte. Das Gedächtnisinhalt der Menschheit wird auf über 109 GigaByte geschätzt. Wissen als Fähigkeit zum effektiven Handeln ist unbegrenzt. Jedoch schon auf den ersten Blick lassen sich unterschiedliche Bedeutungen im Zusammenhang mit dem Konzept der Wissensgesellschaft identifizieren: Zunächst einmal kann die Wissensgesellschaft quasi als Nachfolger oder zumindest als fortgeschrittene Informationsgesellschaft verstanden werden. Durch die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien ist es zweifelsohne möglich geworden, Wissen viel schneller verfügbar zu haben und es gezielter entwickeln zu können (Bild 2).
Bild 2
Stellvertretend für die heute bekannten Technologien muss hier selbstverständlich zu erst das Internet genannt werden, aber auch die Sprach- und Datenkonvergenz, grid computing, web- bzw. Portal-Technologien bis hin zu mobile and wireless com-
3 Gesundheitswesen in der Wissensgesellschaft
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munication gehören zu den Treibern einer fortgeschrittenen Informationsgesellschaft. Wissen wird als wichtige Ursache für wirtschaftliches Wachstum identifiziert. In der Literatur wird Wissen häufig als vierter Produktionsfaktor neben Arbeit, Kapital und Boden bezeichnet. Die Wissensgesellschaft wird in ausgewählten Branchen mit wissensbasierten Dienstleistungen und Produktionsprozessen gleichgesetzt. Von herausgehobener Bedeutung sind das Wissensmanagement, wissens- und kommunikationsintensive Tätigkeiten sowie hochqualifizierte Mitarbeiten, die Knowledge worker. Kurzum, bei der Wissensgesellschaft geht es um technologische, wirtschaftliche, wirtschaftsstrukturelle, organisatorische und personalpolitische Veränderungen der Gegenwartsgesellschaft. Über den Eintritt in die fortgeschrittene Informationsgesellschaft, der Wissensgesellschaft, wird die zusätzliche Ressource „Wissen“ generiert. Wir haben zweifellos ein neues Zeitalter begonnen, in dessen Mittelpunkt der Mensch und Netzwerke stehen. Hierbei geht der Begriff Netzwerk über die hinlänglich bekannten Telekommunikationsnetze hinaus, er beinhaltet auch Beziehungen, die Grundlage zielorientierter Zusammenarbeit und menschlichen Zusammenlebens sind. Die moderne Kommunikations- und Informationstechnik hat heute praktisch alle Wirtschaftszweige durchdrungen und prägt zunehmend auch unser privates Leben. Der Schritt in die Wissensgesellschaft stellt einen umfassenden Veränderungsprozess dar. Diese Veränderungen werden im Wesentlichen von sechs unterschiedlichen Aspekten begleitet von • • • • • •
Organisationsveränderungen Anforderungen an die technische Infrastruktur, kulturellem Wandel, veränderten (Geschäfts-)Prozessen veränderten Anforderungen an die Kompetenz bzw. Skills geänderten Zielen bzw. Strategien, die im Mittelpunkt stehen.
Zukünftig kommt zu den bestehenden Strategienparadigmen der Industriewelt – den „Economies of Scale“, den Economies of Scope“ und den „Economies of Speed“ ein weiteres, neues Paradigma hinzu: die „Economies of Knowledge“ (Bild 3). Gemeint ist, dass Organisationen, die die so genannten „Intangible Assets“ effektiver und effizienter als ihre Wettbewerber nutzen, erfolgreicher wirtschaften und höhere Renditen erzielen.
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Bernd Kuhlin
Bild 3
Welche Assoziationen bzw. welche Szenarien sind bei dem Thema Gesundheitswesen in der Wissensgesellschaft vorstellbar? • Der Patient als Herr seiner Gesundheitsdaten? • Zugriff über einen multimedialen, digitalen personal assistent sicher auf eine elektronische Patienten- bzw. Krankenakte? • Valide und konsistente Informationen und Daten über einen Patienten im Kontext der konkreten medizinischen Behandlung? • Epidemiologische Daten auf Knopfdruck? Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Nun stellt sich die Frage, in welcher Beziehung das Gesundheitswesen eigentlich zur Wissensgesellschaft steht bzw. inwieweit das Gesundheitswesen den Schritt in Richtung Wissensgesellschaft vollzogen hat? Der medizin-wissenschaftliche und medizin-technische Fortschritt sowie der wachsende gesundheitswissenschaftliche Erkenntnisgewinn machen deutlich, dass zunächst in einer Hinsicht ein Charakteristikum der Wissensgesellschaft für das Gesundheitswesen in besonderer Weise gilt: Wissensbestände sind schnell überholt, und die Wissensverbreitung durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien nimmt zu (Bild 4).
3 Gesundheitswesen in der Wissensgesellschaft
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Bild 4
Der insbesondere auf europäischer Ebene viel diskutierte Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen, nämlich die patientenorientierten Gesundheitsversorgung, findet auf nationaler Ebene seinen entsprechenden Niederschlag. Steigende Kosten bei der medizinischen Versorgung und die Fragen zur künftigen Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens sind Gegenstand von Gesundheitsreformen. Initiator dieser Reformen ist das Gesundheitsministerium, das als Rechtsaufsicht die höchste Instanz des Gesundheitswesens darstellt, da es Rechtsverordnungen formuliert und auch theoretisch umsetzen kann. Entsprechend der Erfahrung aus der Industrie ist ein strategisches, zielgerichtetes und vom „höchsten“ Entscheider getragenes Vorgehen erforderlich, um beispielsweise ein Projekt „Wissensmanagement“ innerhalb einer Organisation erfolgreich umzusetzen. Dabei müssen Ziele präzise, messbar und die Umsetzung konsequent sein. Das GKV-Modernisierungsgesetz schreibt mit dem §291a die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte vor und eröffnet damit ein landesweites Infrastrukturprojekt, das die zukünftige elektronische Kommunikation von ca. 80 Mio Versicherten mit etwa 120.000 niedergelassenen Ärzten, 22.000 Apothekern, 70000 Zahnärzten sowie 2200 Krankenhäusern und 290 gesetzlichen Krankenkassen unterstützen soll. Die Kommunikation wird web-basiert sein. Zentrale Basis- und Fachdienste steuern den Datenstrom.
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Bernd Kuhlin
Nach Abschluss dieses Projektes wird der Grundstein gelegt sein, um eine wissensbasierte Kommunikation zwischen allen Beteiligten aufzubauen (Bild 5).
Bild 5
Das heutige Gesundheitswesen ist hierarchisch starr und funktionsorientiert mit in sich optimierten Einheiten strukturiert. Das in der Industrie bekannte prozessorientierte Arbeiten hält zwar allmählich Einzug ins System, aber häufig noch mit lokalen Organisationsblöcken. Folglich kommt dem Abbau von Barrieren und direkten Kommunikationswegen eine erhöhte Bedeutung zu. Es ist zu erwarten, das sich flexiblere „lösungsorientierte Funktionseinheiten wie z.B. professionelle Arztnetze herausbilden, deren charakteristische Merkmale Offenheit, hochgradige Vernetzung und eine vollständige Durchgängigkeit aller Prozesse sein werden. Interne und externe Kooperationen in allen Phasen der Wertschöpfungskette werden sich immer mehr zu einem Wertschöpfungsnetzwerk entwickeln (Bild 6).
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Bild 6
Durch das eben schon erwähnte GKV-Modernisierungsgesetz haben sich die Rahmenbedingungen für Kooperationen zwischen Ärzten untereinander, aber auch mit anderen Leistungserbringern im Gesundheitswesen deutlich verändert (Bild 7).
Bild 7
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Bernd Kuhlin
So sind beispielsweise die Medizinische Versorgungszentren (MVZ) neuerdings als Leistungserbringer in der GKV definiert und zugelassen (§95). Medizinische Versorgungszentren können aus dem stationären oder ambulanten Sektor kommen, aber der Markt ist auch für neue Anbieter eröffnet. Waren Anfang 2004 die Bemühungen der Krankenhäuser noch verstärkt auf die integrierte Versorgung (§140) gerichtet, gewinnen die MVZ immer mehr an Fahrt. Mit Stand Januar 2005 waren bereits 90 MVZ zugelassen, weiter 70 sind beantragt. Bei den Zielen des GMG geht es in erster Linie um die Effektivität und Qualität der Dienstleistungen und die Effizienz der Versorgungsstrukturen im Gesundheitswesen. Auch die Kostenträger beschäftigen sich verstärkt mit den Fragen des vertraglichen Umfeldes von Medizinischen Versorgungszentren. Nachfolgend führe ich ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Punkte hierzu auf: • Die Gesundheitsförderung und Aktivierung von Selbsthilfepotenzial sowie die Stärkung der Bürger- und Patientenrechte im Gesundheitswesen; • der Vorrang ambulanter vor stationärer medizinischer und pflegerischer Versorgung; • die Integration der Sektoren des Gesundheitswesens und die Vernetzung sozialer und medizinischer Dienste und Einrichtungen; die Qualitätssicherung und Transparenz der erbrachten Leistungen sowie die Optimierung des Ressourceneinsatzes. Derartige Anforderungen über Produkt- und Prozessinnovationen haben neben dem Qualitätseffekt auch einen positiven Mengeneffekt auf die Beschäftigungsentwicklung und den Ausbildungsbedarf. Die Kerngeschäfte des Gesundheitswesens sind in erster Linie Dienstleistungen – beratende, vor- und fürsorgende, therapeutische und pflegerische Dienstleistungen. Der Bedarf und die Nachfrage nach qualifizierten Gesundheitsdienstleistungen wachsen. Diese Entwicklung lässt sich auf folgende Faktoren zurückführen: • Verbesserte Vorsorge und Behandlungsmöglichkeiten bei chronischen Krankheiten. • Der veränderte Altersaufbau der Bevölkerung bedeutet eine wachsende Zahl pflegebedürftiger Menschen. • Mit zunehmendem Wohlstand wird das Gut Gesundheit immer höher eingeschätzt. Die Bereitschaft zur Zuzahlung wächst. • Die Einkommensentwicklung erlauben es immer mehr Menschen, für ihre Gesundheit mehr Geld auszugeben.
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Wegen der organisatorischen Veränderungen oder veränderter Prozesse beispielsweise durch integrierte Versorgung oder Medizinische Versorgungszentren, müssen sich die Gesundheitsberufe in Aus- und Weiterbildung und in der Berufstätigkeit auf kooperatives Handeln im Team in einer kooperativen Versorgung einstellen. Professionelles Handeln muss aufeinander abgestimmt und miteinander verzahnt werden. Es geht darum, dass am Ende ein durch gemeinsame Ziele charakterisiertes sowie räumlich und zeitlich in sich geschlossenes Leistungsangebot entsteht. In Vordergrund steht dabei die Verknüpfung und Bereitstellung der unterschiedlichen Arten von Wissen, d.h. Wissen aus Büchern oder elektronischen Dokumentationen sowie den Begabungen, den Fähigkeiten und Skills von Personen, die methodisch und technologische Unterstützung z.B. zur Web-Portale unterstützt werden. Im Gesundheitswesen entstehen überdurchschnittlich hoch qualifizierte Arbeitsplätze. Sie stellen entsprechend hohe und veränderte Qualifikationsanforderungen an die Gesundheitsberufe. Kennzeichend sind: • Der Trend zur Akademisierung einiger nichtärztlicher Gesundheitsberufe, z.B. der Pflegeberufe • die Professionalisierung weiterer Berufsfelder z.B. der Psychotherapie • der Bedeutungszuwachs betriebswirtschaftlich orientierter Managementfunktionen und entsprechender Qualifikationen. Neben berufsspezifischen Qualifikationserfordernissen sind von den Gesundheitsberufen künftig verstärkt berufsübergreifende Schlüsselqualifikationen gefordert: Sachkompetenz allein reicht nicht mehr aus. Gefragt sind Teamfähigkeit und Sozialkompetenz, methodische und kommunikative Kompetenz, Management- und Politikkompetenz. Berufliche Erstausbildung oder Weiterbildung garantieren nicht länger einen dauerhaften Wissensvorsprung der Professionen. Lebenslanges Lernen und ständige berufsbegleitende Fortbildung gilt auch für die Gesundheitsberufe. Bei den veränderten Prozessen muß geklärt werden, wie neue Versorgungsprozesse zu integrieren sind, und wie auftretende Schnittstellen zwischen den Instanzen reguliert werden, die an der Versorgung beteiligt sind. Ziel ist, am Ende ein gemeinsames Handeln unterschiedlicher Leistungsanbieter zu erreichen. In dieser Perspektive können Berufsangehörige der Gesundheitsberufe als wichtige „change agents“ die Weiterentwicklung der gesundheitlichen Versorgung voranbringen. Auftretende Barrieren sind zum Teil technischer und zum Teil soziologischer und psychologischer Natur. Perfektioniert man beispielsweise die Informationsinfrastruktur und vernachlässigt die anthropogene Komponente, dann können sich kultu-
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Bernd Kuhlin
relle Barrieren aufbauen, die die Bereitschaft zur offenen Kommunikation mindern. Steht der kulturelle Aspekt zu sehr im Vordergrund und ist die technische Infrastruktur unzureichend, kommt man genauso wenig zu einem effizienten Wissenaustausch. Dabei muss man sich bewusst machen, dass erst der Mensch Information in Wissen umwandelt, das ihn zum bewussten und effektiven Handeln befähigt. Kommunikation, die den Wissensumsatz steigert, darf sich nicht auf Telekommunikation beschränken. Gerade in Zeiten perfekter Kommunikationsmittel sind persönliche Kontakte unerlässlich. Nehmen Sie z.B. den Umsetzungsstand des § 140 Sozialgesetzbuch V. Hier hat die Politik eine Grundlage für die Weiterentwicklung medizinischer Versorgungsformen geschaffen. Die gesetzlichen Vorgaben zur integrierten Versorgung gehen deutlich über das hinaus, was bisher im Rahmen von Modellvorhaben und Strukturverträgen möglich war: Die integrierten Versorgungsformen sind Teil der Regelversorgung. Die genaue Ausgestaltung der integrierten Versorgung hat der Gesetzgeber in die Hände der Selbstverwaltung gelegt. Das hat allerdings bisher nur zu einer empfehlenden Rahmenvereinbarung der Beteiligten geführt. Ihre Umsetzung ist – bezogen auf die integrierte ärztliche Versorgung – noch nicht erfolgt. Die Auseinandersetzung zwischen den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenversicherung und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung über die NichtBeteiligung der Kassenärztlichen Vereinigungen an der integrierten Versorgung hat noch nicht zu einer konstruktiven Lösung geführt. In der aktuellen Diskussion kommt die Ziel-, Prozess- und Ergebnisdimension des Versorgungsgeschehens häufig zu kurz. Im Vordergrund steht eher die Strukturdimension. Die Debatte um die Gesundheitsreform ist z.B. in erster Linie auf Finanzierungsfragen zentriert und darauf, wie die Versorgungsbereiche und Leistungsanbieter besser zusammenarbeiten können – im Interesse einer patientenbezogenen Versorgungsstruktur des Gesundheitswesens. Die Frage, wie und mit welchen qualitativen Ergebnissen Versorgung stattfindet, steht dagegen nicht so sehr im Blickpunkt. So lassen sich aber weder die aktuellen Versorgungsprobleme lösen, noch integrierte Versorgungsangebote entwickeln.
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Zusammenfassung In den nächsten 20 Jahren zählt das Gesundheitswesen zu den Wachstumsbranchen schlechthin. Wer die Integration der Versorgung und Leistungserbringung voranbringen will, kann nicht auf die gezielte Kooperation der Gesundheitsberufe in der Gesundheitsversorgung verzichten. Kooperation muss als zentrales Aus- und Weiterbildungsziel in Ausbildungsregelungen und Studiengangskonzepte implementiert werden. Traditionelle Strukturen stehen oft notwendigen innovativen Entwicklungen entgegen. Ist das Gesundheitswesen auf einem guten Weg in die Wissensgesellschaft? Bezogen auf die sechs Aspekte, die eine Wissensgesellschaft ausmachen, werden fünf Aspekte eindeutig in Angriff genommen. Lediglich ein Aspekt, nämlich der der veränderten Kultur – das kooperativen Miteinander – wird von den Playern des Gesundheitswesens nicht ausreichend bedient. Man könnte dem Gesetzgeber bescheinigen, dass er die Herausforderung zur Veränderung der Gegenwartsgesellschaft angenommen hat, jedoch ist er nicht konsequent genug gegen das Beharrungsvermögen und die Veränderungsresistenz angegangen und gefährdet damit den Gesamterfolg, dem unsere Volkswirtschaft bitter nötig hätte.
4 Gesundheitsversorgung – Internationale Übersicht Prof. Dr. med. Reinhard Busse Technische Universität Berlin „Gesundheitsversorgung – Internationale Übersicht“ lautet das Thema, d.h. wir bewegen uns jetzt von der institutionellen Mikroebene und der bayrischen Mesoebene auf die internationale Ebene und gucken auf ganze Gesundheitssysteme. Es soll um drei Fragen gehen, nämlich erstens, was sind die Ziele von Gesundheitssystemen, zweitens, wie gestalten Länder ihre Gesundheitssysteme und drittens, wie bewerten wir die Gesundheitssysteme, was dann zurückgreift auf die Ziele von Gesundheitssystemen wofür Daten eine ganz entscheidende Notwendigkeit sind.
Bild 1
Gleich zur ersten Frage: Was sind die Ziele von Gesundheitssystemen? (Bild 1) Oft, wenn man sich die politische Landschaft anguckt, denkt man, dass es immer nur um Kostendämpfung geht. Aber dem ist nicht so, und es ist sogar so, wenn man sich die Zielkataloge von internationalen Organisationen anguckt, kommt Kostendämpfung an sich da überhaupt nicht vor. Ich habe Ihnen zwei Beispiele mitgebracht, die beide noch relativ neu sind, weil wir uns lange Zeit erlaubt haben – nicht nur in Deutschland, sondern international –, nicht genau zu definieren, wofür wir Gesundheitssysteme haben und welche Ziele die erreichen sollen. Vor fünf Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation ihren damals sehr bekannt gewordenen Weltgesundheits-
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Reinhard Busse
bericht 2000 vorgelegt, der vor allem wegen seiner angehängten Tabellen bekannt wurde, in denen die 191 Gesundheitssysteme der WHO-Mitgliedsländer bewertet wurden. Alle haben sich nur die Tabellen angeguckt. Ganz hinten in der allerletzten Tabelle zur Bewertung der Effizienz der Systeme, in dem Bericht Performance genannt, kam Deutschland auf den 25. Platz. Vielleicht erinnert sich noch der eine oder die andere. Der wesentlichere Beitrag dieses Berichtes war, das die WHO explizit gesagt hat, was Gesundheitssysteme eigentlich leisten sollen, sprich: welches die Kriterien sind, die wir dann für die Bewertung zugrunde legen können. Ziel 1 – vielleicht an sich nicht erstaunlich, aber doch erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, es explizit zu machen –, ist das Erreichen eines möglichst hohen Gesundheitsstatus der Bevölkerung, und zwar einerseits im Sinne der Höhe, d.h. dass der Durchschnitt in einem Land möglichst hoch ist, aber gleichzeitig auch, dass die Verteilung möglichst homogen ist. Die WHO sagt hier, dass ein Land, wo praktisch alle in der Bevölkerung am 80. Geburtstag sterben, ein besseres Gesundheitssystem hat als ein Land, wo die Hälfte mit 70 verstirbt und die Hälfte mit 90, obwohl das natürlich im Durchschnitt auch 80 ergibt. Das zweite Ziel, im englischen Responsiveness genannt – ich habe es immer mit Personenorientierung übersetzt –, umfasst die Komponenten, die die Bevölkerung legitimerweise vom Gesundheitssystem erwartet, ohne dass sie notwendigerweise sofort Gesundheit schaffen. Das würde ja ins erste Ziel eingehen. Also, die WHO sagt, dass es gerechtfertigt ist, dass die Bevölkerung erwartet, dass die Würde gerecht berücksichtig wird, dass es eine Patientenautonomie gibt, dass es eine Klientenorientierung durch sofortige Betreuung gibt, nicht unnötige Wartezeiten, die Qualität der Versorgung usw. Auch hierbei wird gesagt, dass es ein möglichst hohes Niveau geben soll und eine möglichst gleichmäßige Verteilung. Nicht, dass es Personen gibt, die sofort Zugang zum Krankenhaus haben und andere warten ein halbes Jahr. Da wäre es gerechter, wenn alle drei Monate warten. Das dritte Ziel, und da sehen Sie keine Unterteilung in Durchschnitt und Verteilung, da geht es um die Finanzierung, und da wird gesagt, dass wir eine möglichst faire Finanzierung haben wollen, d.h. dass innerhalb der Länder möglichst alle Haushalte proportional zu ihrem Einkommen zum Gesundheitssystem beitragen, also sprich: dass der Sozialhilfeempfänger von seinen 10 Euro einen Euro bezahlt und der Millionär von seiner einen Million 100.000 Euro. Das wäre nach dieser Definition eine faire Finanzierung. Es wurden dann noch in einem vierten Schritt diese drei Ziele zusammengefasst und geteilt durch die Ressourcen, was dann der Effizienzparameter war.
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Bild 2
Ein weiteres Beispiel, was ich Ihnen vorlegen möchte, weil es deutlich relevanter sein wird, sind die Entwicklungen, die sich auf der EU-Ebene abspielen (Bild 2). Da kommt auf uns die so genannte offene Methode der Koordinierung zu, und etwa seit einem Jahr gibt es die neueste Version des Zielkatalogs: Erstens Sicherung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung, Universalität, also für alle, die Angemessenheit, natürlich nur, wenn es für den einzelnen sinnvoll ist und die solidarische Finanzierung. Zweitens die Förderung der Versorgungsqualität und drittens die Sicherung der langfristigen Finanzierbarkeit einer zugänglichen und hochwertigen Gesundheitsversorgung. Sie sehen, wir haben etwas unterschiedliche Ziele. Aber wenn wir daneben auch noch die von der OECD und einigen anderen Organisationen entwickelten Ziele legen würden, haben wir inzwischen schon einen ziemlich kohärenten Satz an Zielkatalogen für Gesundheitssysteme. Was die Finanzierung angeht, gibt es zwei Aspekte, die Fairness und die langfristige Nachhaltigkeit.
Bild 3
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Reinhard Busse
Wie gestalten nun Länder ihre Gesundheitssysteme? Gesundheitssysteme sind natürlich hochkomplexe Gebilde, und das erste, was wir brauchen und was Lehrstühle wie meiner dann versuchen zu entwerfen, ist ein klares Konzept, wie wir die verschiedenen Gesundheitssysteme der Länder etwas vereinfachend, aber hinreichend korrekt beschreiben können. Dabei hat es sich als sinnvoll herausgestellt, von einem Dreieck auszugehen (Bild 3). Auf der Unterseite des Dreiecks finden Sie die zwei zentralen Teilnehmer am System, nämlich die Bevölkerung und die Leistungserbringer. Teile der Bevölkerung sind ja auch immer Patienten und treten dann mit den Leistungserbringern in Kontakt. In Ländern, wo es praktisch kein Gesundheitssystem gibt, gibt es aber auch immer diese beiden Akteure. Also, wenn Sie nach Afrika gehen, wo die Heiler dann rechts sitzen und die Bevölkerung links, ist das ein relativ unterentwickeltes System. In mehr entwickelten Systemen haben wir dann zwei zusätzliche Akteure, nämlich einmal diejenigen, die an der Spitze stehen, die ich hier unterteile in die Beitragseinnehmer und die eigentlichen Zahler. Im Englischen heißen die treffenderweise Third Party Payers, weil sie nämlich die dritte Partei sind, die zu der Bevölkerung und den Leistungserbringern hinzutreten und einen Grossteil der Finanzierung abwickeln. Und wir haben in der Mitte, was die WHO Steward nennt – das ist nicht die Stewardess, die mit der Saftkiste durch das Flugzeug rollt, sondern mehr der Steuermann im System, der das Gesamtsystem reguliert. Zentrale Fragen und Beschreibungskriterien von Gesundheitssystemen kann man um dieses Dreieck anordnen, z.B. ist die Bevölkerung versichert gegen das Risiko von Krankheiten und wenn ja, wer von denen und gegen welche Risiken. Wie werden die finanziellen Ressourcen im Gesundheitssystem mobilisiert? Auf welcher Ebene werden sie gepoolt, also hat jeder sein eigenes Sparbuch wie in Singapur, wo jeder sein Geld für sich individuell sammelt und aus dem Sparbuch dann die Gesundheitsleistungen bezahlen kann? Oder haben wir auf dem anderen Extrem einen nationalen Pool, wo die gesamte Bevölkerung einzahlt? Oder haben wir Zwischendinge, z.B. Krankenkassen ohne Risikostrukturausgleich, die jeweils das Finanzpooling nur für ihre Mitglieder betreiben? Die nächste Frage betrifft Allokation bzw. Reallokation, je nachdem wer die Beiträge eingenommen hat. Deutschland hat eine Reallokation, weil die Krankenkassen die Beiträge einnehmen; durch den Risikostrukturausgleich werden diese anhand von Kriterien wie Alter und Geschlecht realloziert an die Zahler, was wiederum die Kassen sind. International ist das eine sehr ungewöhnliche Situation, dass die Beitragseinnehmer auch die Zahler sind. Die Zahler machen den Leistungseinkauf durch Verträge mit und Vergütung von den Leistungserbringern. Ganz wesentlich haben wir dann noch die Fragen von Zugang und Versorgung auf der Ebene zwischen Bevölkerung und Leistungserbringern und natürlich der Regulierung bzw. Steuerung des Gesamtsystems. Wenn wir versuchen, die Systeme vereinfachend zu typisieren und Gruppen zuzuordnen, benutzen wir normalerweise zwei Dinge. Wir gucken einerseits auf die Ressourcenmobilisierung – da gibt es in Europa zwei Hauptarten, Steuerfinanzierung und Sozialversicherungsbeiträge (eine dritte Quelle sind private Zahlungen).
4 Gesundheitsversorgung – Internationale Übersicht
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Wir neigen dann dazu, von steuerbasierten Systemen zu reden oder von Systemen mit gesetzlicher Krankenversicherung (GKV). Zumeist benutzen wir aber auch die Art des Zahlers, weil es natürlich nicht immer so ist, dass Sozialversicherungsbeiträge notwendigerweise an Krankenkassen gehen und Steuern notwendigerweise an staatliche Gesundheitsbehörden. In Belgien z.B. haben wir einen hohen Grad an Steuerfinanzierung, aber es gibt Krankenkassen, und wir sagen, weil es Krankenkassen gibt, ordnen wir Belgien den GKV-Systemen zu.
Bild 4
Fangen wir mit den steuerfinanzierten Systemen in Westeuropa an (Bild 4).
Bild 5
Die sahen, wenn wir 15 Jahre zurückgucken, so aus, dass der Third Party Payer und die Leistungserbringer eins waren (Bild 5). Das war eine Organisation, hier mit
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Reinhard Busse
NHS, d.h. National Health Service, beschrieben. Der Bürger hat sich also nur einer Organisation gegenüber gesehen, dem Staat, dem er die Steuern bezahlt hat und der ihm einen oftmals beschränkten Zugang zu Gesundheitsleistungen gegeben hat. Das wird international übrigens als integriertes System bezeichnet, da mit „integriert“ normalerweise die vertikale Integration zwischen Zahlern und Leistungserbringern umschrieben wird. Was wir in Deutschland unter Integration verstehen, ist nur die horizontale Integration verschiedener Leistungserbringer in der unteren rechten Ecke. Daher versteht international keiner, dass das Integrated Care sein soll.
Bild 6
Die erste wichtige Reformentwicklung, die es in diesen Ländern gegeben hat, war der sog. Purchaser Provider Split, wo man gesagt hat, dass zwar alles staatlich bleibt, die Organisation aber in zwei Hälften geteilt wird (Bild 6). Die eine hat das Geld und kauft bei der anderen die Leistungen ein. Und die Teile der anderen Hälfte, die Krankenhäuser, Rettungsdienste usw. werden unabhängig, bleiben in staatlicher Hand, aber kriegen ein unabhängiges Management. Die Manager beider Seiten verhandeln auch über Verträge ähnlich wie in GKV-Ländern.
Bild 7
4 Gesundheitsversorgung – Internationale Übersicht
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Die zweite Entwicklung, etwas vereinfacht gesagt, war die Dezentralisierung der Systeme in den Ländern, wo sie ursprünglich zentral geregelt waren, also in Großbritannien, Spanien oder Italien, hin zu – oftmals neu geschaffenen – Regionalregierungen (Bild 7). Dort gibt es jetzt also keine nationalen Gesundheitsdienste mehr, sondern regionale Gesundheitsdienste. Das wirft aber wichtige Fragen auf, die oft noch ungeklärt sind in diesen Ländern, nämlich: Ist dann die Finanzierung auch regional? Soll das System also über regionale Steuern finanziert werden, oder bleibt es bei nationalen Steuern, die dann runtergebrochen werden müssen? Gibt es einen einheitlichen Leistungskatalog? Gibt es eine einheitliche Angebotsplanung und Qualitätssicherung in allen Regionen? Was natürlich heißt, wenn das alles einheitliches ist, was meistens die Zentralregierung möchte, dann sagen die Regionalregierungen zu Recht, dass sie dann das Gesundheitssystem gar nicht in ihre eigene Hand hätten nehmen müssen, da sie ja nichts entscheiden können. Hier gibt es ein richtiges Spannungsfeld zwischen Zentralisierung und Regionalisierung.
Bild 8
Die dritte Reformentwicklung war dann, da es ja den Purchaser Provider Split gab, der Verträge vorgesehen hat, dass man der Bevölkerung eine größere Wahlfreiheit des Leistungserbringers einräumen konnte, weil man ja das Geld nicht mehr vorab zugeteilt hat, sondern weil es an die Nutzung des Gesundheitssystems geknüpft wird (Bild 8). Eine vierte Entwicklung ist, dass jetzt die Verträge erlauben, nicht mehr nur die vorher eigenen staatlichen Leistungserbringer zu kontrahieren, sondern auch nichtstaatliche, also private oder frei gemeinnützige Leistungserbringer.
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Reinhard Busse
Bild 9
Gucken wir auf die Länder mit Sozialversicherungssystemen in Westeuropa – wir nennen die international auch Bismarckländer, weil Deutschland das erste Land war, was ein solches System eingeführt hat – damals, als Bismarck Kanzler war (Bild 9). Obwohl der es gar nicht wollte; der hatte nämlich ein nationales Krankenversicherungssystem und nicht etwa ein System mit so vielen Krankenkassen im Kopf. Trotzdem wird es heute international mit seinem Namen verbunden.
Bild 10
Gucken wir zunächst auf die Versicherten, also wer ist versichert (Bild 10). Da stellen wir fest, dass in diesen Ländern das Versicherungsverhältnis klassischerweise an das Arbeitsverhältnis geknüpft war. Also, es war zunächst nur eine Versicherung für Arbeiter, dann für andere Arbeitnehmer, dann erst wurde es ausgeweitet auf Familienangehörige, auf ehemalige Arbeiter, also Arbeitslose und Rentner usw. Eine Art Bürgerversicherung, wo jeder versichert ist, ist in diesen Ländern erst ein
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sehr neues Phänomen. Mit Ausnahme der Niederlande, die 1968 eine bevölkerungsweite Versicherung für die besonderen Ausgaben, wie sie die erweiterte Pflegeversicherung nennen, eingeführt wurde, sehen wir das ansonsten erst seit 10 Jahren – etwa in der Schweiz 1996, dann in Belgien 1998 und vielleicht am spektakulärsten in Frankreich, was 1999 beschlossen hat, dass ab 2000 wirklich alle versichert sind. Jetzt ist es in den Niederlanden beschlossen, dass sie ihr System im nächsten Jahr umstellen wollen und dass eine bevölkerungsweite Pflichtversicherung auch für den akuten Bereich kommen soll. Es gibt in einigen dieser Länder – Belgien, Deutschland, Niederlande, Schweiz – eine Krankenkassenwahlfreiheit. In den anderen – Österreich, Frankreich, Luxemburg – gibt es eine feste Zuordnung, wer bei welcher Kasse versichert sein muss. Man könnte erwarten, dass die Wahlfreiheit als Responsiveness-steigernd wahrgenommen wird von den Bürgern. Ob das wirklich so ist, zeigen die Daten nicht unbedingt. Deutschland und die Niederlande stellen eine Sondersituation dar, was die Definition des Versichertenkreises der GKV bzw. das Recht auf eine private Versicherung angeht. In Deutschland erlauben wir ja die Wahl zwischen GKV und PKV. Die Niederlande haben indes eine strikte Grenze und sagen, wer darüber liegt, muss sich privat versichern, wenn er sich überhaupt versichern will. Aber im nächsten Jahr wird das abgeschafft und die GKV und PKV werden dort zusammengeführt.
Bild 11
Zum Beitragszahlen ließe sich viel sagen, z.B. ob die Krankenkassen alle den gleichen Beitrag nehmen. In manchen Ländern machen sie das, in manchen nicht (Bild 11). In den meisten übrigens ist der Beitragssatz für alle gleich, anders wie bei uns. Ein interessantes Beispiel, weil es ja auch bei uns immer diskutiert wird, ist die Bemessungsbasis der Beiträge. Da hat Frankreich im Jahre 1998 gesagt, dass es ab dem nächsten Jahr so ist, dass die Arbeitgeber weiterhin lohnbezogen bezahlen, aber die Arbeitnehmer ihre Beiträge nicht nur auf Löhne, sondern auch auf Zinsen und Mieten zahlen. Aufkommensneutral konnte dadurch der Beitragssatz gesenkt von
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Reinhard Busse
6,8 % auf 6,0 %, also etwa um 1/10, gesenkt werden, was auch bei uns so die Schätzungen sind. In den Niederlanden ist es so, dass die Privatversicherten, weil sie ein besseres Risiko darstellen und weniger Alte in ihren Reihen haben, eine Solidarabgabe in das System der GKV leisten müssen. Der Staat schreibt vor, dass jeder Privatversicherte einen Zuschlag auf seine Privatversicherung zahlt, die in die GKV geführt wird. Eine andere Frage, die in den GKV-Ländern auch immer diskutiert wird, ist, ob es eine Beitragsbemessungsgrenze gibt oder nicht. Die meisten Länder haben die inzwischen abgeschafft, so dass der Krankenkassenbeitrag theoretisch ins Unendliche steigen kann. Wer sehr viel verdient, zahlt den Beitrag proportional, auch bei sehr hohen Einkünften.
Bild 12
Bei dem Verhältnis Beitragseinnehmer – Zahler stellen wir fest, dass in den meisten Ländern die Beiträge zentral eingezogen werden, nicht durch die Einzelkassen, sondern zentral an einer Stelle, manchmal vom Staat, wie etwa in Belgien oder Frankreich, oder durch den Krankenkassenverband wie in Luxemburg (Bild 12). Das hat den Vorteil, dass die Kassen das Geld nicht als ihres betrachten, was sie damit anderen Kassen teilen müssen, sondern alle Kassen kriegen das Geld zugeteilt aus dem großen Topf aufgrund eine Risikostrukturformel. Alle Länder kämpfen mit der Frage, wie die chronisch Kranken, die natürlich sehr hohe Kosten auslösen, in diesen Allokationsmechanismus einbezogen werden können, bzw. fragen sich, ob die Formeln das wirklich entsprechend widerspiegeln.
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Bild 13
Die klassische Beziehung von GKV-Systemen ist die Beziehung zwischen Zahlern und Leistungserbringern durch Verträge (Bild 13). Diese ist gleichzeitig aber auch ihre Schwäche, weil Kostendämpfung dadurch erschwert wird. Wir haben zum Teil Hunderte von Kassen und Zehntausende von Leistungserbringern; wenn also jeder mit jedem einen Vertrag machen würde, wären allein die Transaktionskosten natürlich enorm. Der klassische Ansatz, den wir in Deutschland wählen, der aber auch in anderen Ländern gewählt wird, ist daher der so genannte Kollektivvertrag, dass es eben nur einen Vertrag pro Sektor und Region gibt, egal wie viele Akteure auf beiden Seiten sitzen.
Bild 14
Ein neuer Ansatz, den wir am ausgeprägtesten in Frankreich und in Österreich betrachten, ist, dass man den Kassen das Recht abspricht, Verträge zu schließen, indem der Staat hingeht und sagt: Für bestimmte Leistungssektoren in diesen beiden Ländern, insbesondere für stationäre Versorgung, schließen nicht die Kassen die
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Reinhard Busse
Verträge ab, sondern sie zahlen das Geld für stationäre Versorgung in einen gemeinsamen Topf und die so finanzierten regionalen Agenturen für stationäre Versorgung schließen dann die Verträge für alle Versicherten aller Kassen mit den Krankenhäusern ab (Bild 14). Einen weiteren interessanten Punkt gibt es in den Niederlanden, wo man beschlossen hat, dass im ambulanten Bereich Kollektivverträge illegal sind, also dass es die nicht mehr geben darf, sondern dass es nur Selektivverträge gibt.
Bild 15
Das bringt uns zu dem nächsten Punkt, der Marktrhetorik (Bild 15). Etwa die Hälfte der Länder spricht davon, dass sie mehr Wettbewerb, mehr Markt brauchen. Das sind Deutschland, Niederlande und die Schweiz. Es sind explizit nicht Frankreich oder Belgien, die das nicht kennen. Wir sehen aber auch, dass es in Deutschland Tendenzen zu zentraler Steuerung gibt, jetzt durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. Dass in den Niederlanden, damit komme ich auf die Selektivverträge zurück, es so ist, dass Selektivverträge so individualisiert sind wie bei uns die Mietverträge, wo man nur noch den Namen des Vermieters und des Mieters einträgt und alles andere vorgedruckt ist. Wenn Sie sich dort neu niederlassen als Hausarzt, kriegen Sie von den 20 Krankenkassen praktisch identische Vordrucke. Sie schreiben jeweils Ihren Namen rein, unterschreiben und dann haben Sie 20 Selektivverträge unterschrieben. In der Schweiz sehen wir, dass die dortigen HMOModelle, wo man sich einschreibt in ein System des Zugangs-, Leistungs- und Kosten-Managements durch die Kassen, nicht sehr beliebt sind. Nur etwa 1,5 % der Schweizer machen da mit.
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Bild 16
Ein klassisches Charakteristikum der GKV-Systeme ist auch der freie Zugang, ein Merkmal, was die GKV-Länder von den staatlichen Systemen unterscheidet (Bild 16). Wir wissen aus Untersuchungen, dass Gatekeeping, also alle gehen erst zum Hausarzt, eigentlich kostengünstiger wäre. Wir wissen aber auch, dass es nicht so richtig beliebt ist. Wir versuchen es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, mit dem freiwilligen Gatekeeping. Man muss sehen, ob und wie das funktioniert. Die Schweiz hat damit sehr schlechte Erfahrungen gemacht, weil es sich herausgestellt hat, dass diejenigen mit guten Gesundheitsrisiken sich da eingeschrieben haben und Beitragsermäßigungen von den Kassen bekommen haben. Die Kassen haben hinterher nachgerechnet und festgestellt, dass sie überhaupt nichts gespart haben und haben ihrerseits z.T. die Hausarztverträge usw. gekündigt. Sie haben ihren Versicherten mitgeteilt, dass sich das für sie nicht rechnet und sie alle wieder in die Normalversorgung einstufen.
Bild 17
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Reinhard Busse
Kurz zum dritten Punkt: Wie bewerten wir Gesundheitssysteme (Bild 17)? Das ist natürlich etwas, wofür wir Daten brauchen, die praktisch von der Mikroebene, vom Arzt-Patienten-Kontakt, was sich dann auf der Chipkarte widerspiegelt, über die Mesoebene, auf Krankenkassen- und regionaler Ebene, bis nach oben auf die nationale und europäische Ebene reichen müssen. Wir haben verschiedene Dimensionen. Die Frage, welches das beste Gesundheitssystem ist, kann ich nicht beantworten, weil die verschiedenen Dimensionen sehr unterschiedliche Spitzenreiter ergeben.
Bild 18
So ist das Erreichen von Gesundheit eine Dimension – und vereinfachend gucken wir dabei auf die Lebenserwartung (Bild 18). Dabei ist ein wichtiger Punkt, dass wir normalerweise querschnittlich betrachten, wer oben liegt – innerhalb der EU wäre das Schweden. Wenn wir allerdings auf den Längsschnitt gucken würden – analog etwa der Wirtschaftsentwicklung, bei wir ja auch nicht fragen, wer das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf hat, sondern wie die wirtschaftliche Entwicklung ist, wie viel wir zugelegt haben –, wenn wir das also auch für die Entwicklung der Gesundheit gelten ließen, dann sähen wir, dass innerhalb der EU zurzeit Tschechien vorn liegt, wobei Deutschland entwicklungsmässig auch ziemlich gut dasteht. Wir haben eine sehr steile Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit. Auf der anderen, negativen Seite stehen querschnittlich Lettland und die Niederlande – was, von den meisten unbemerkt, das Industrieland ist, das weltweit den schlechtesten Entwicklungstrend seiner Gesundheit erlebt. Wir haben es noch nie erlebt, dass in einem Land die Lebenserwartung stagniert. Die Lebenserwartung bei Frauen in den Niederlanden stagniert, und sie fängt sogar an, leicht zu sinken, was ein total ungewohntes Phänomen ist in westlichen Ländern.
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Bild 19
Zugang zu bedarfsgerechter Technologie ist ganz wichtig. Wenn wir das messen wollen, brauchen wir vergleichbare Daten. Dazu nützt auch die schönste Chipkarte nur in Deutschland nichts. Wir bräuchten die gleichen Daten aus anderen Ländern. Wir haben verschiedene Daten aus Studien, z.B. von der EUROASPIRE-Studie, die im Lancet veröffentlicht wurde (Bild 19). Da ging es darum festzustellen, ob bei Patienten, die wegen einer koronaren Herzerkrankung im Krankenhaus waren, sechs Monate nach der Entlassung deren Blutdruck gut eingestellt war. Sie sehen die Prozentzahlen links, gleichartig gemessen über neun Länder im Osten und Westen der EU. Ganz unten liegt Deutschland mit der geringsten guten Einstellung von Blutdruck. Leider haben wir viel zu wenige solcher Daten, wo wir uns selbst im Längsschnitt sehen können – und Sie sehen, Deutschland hat sich hier in den 90er Jahren verschlechtert – und wo wir uns im Querschnitt sehen können. Was man hier auch ganz schön sehen kann ist, dass in den neuen EU-Mitgliedsländern die Versorgung oft sogar besser ist. Sie sehen hier z.B. ganz oben Ungarn, gefolgt von Tschechien, mit den höchsten Werten.
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Deutschland: Zufriedenheit sehr niedrig für GKV!
Reinhard Busse
“In general, would you say you are very satisfied, fairly satisfied, neither satisfied nor dissatisfied, fairly dissatisfied or very dissatisfied with the way health care runs in (OUR COUNTRY)?”: very or fairly satisfied
“And, on a scale from 1 to 10, how satisfied are you with health services in (OUR COUNTRY)?”: answers 7, 8, 9 or 10
Change 1996-1998 Population (%-points)
1998 Population [E50.1] (%) relative order
1996 Population E44.3] (%)
1998 Population [E49] (%) relative order
1998 Poor [E49]* (%)
1998 Elderly [E49]* (%)
“Please tell me whether you are very satisfied, fairly satisfied, not very satisfied or not at all satisfied with each of the following?” “(OUR COUNTRY)’s health care system in general”: very or fairly satisfied 1999 Population [E52.1] (%) relative order
Austria
63.3
72.7
3
73
74
9.4
70.6
2
83.4
1
France
65.1
65.0
6
69
68
-0.1
59.7
4
78.2
2
Belgium
70.1
62.8
7
54
57
-7.3
56.3
5
77.0
3
Denmark
90.0
90.6
1
90
93
0.6
48.2
8
75.8
4
Finland
86.4
81.3
2
78
83
-5.1
78.0
1
74.3
5
Netherlands
72.8
69.8
4
68
70
-3.0
69.7
3
73.2
6
Luxembourg
71.1
66.6
5
69
75
-4.5
49.7
6
71.6
7
Sweden
67.3
57.5
9
56
66
-9.8
45.9
9
58.7
8
United Kingdom
48.1
57.0
11
67
69
8.9
49.3
7
55.7
9
Germany
66.0
57.5
9
52
57
-8.5
43.2
10
49.9
10
Ireland
49.9
57.9
8
65
62
8.0
23.9
12
47.7
11
Spain
35.6
43.1
12
47
57
7.5
30.8
11
37.6
12
Italy
16.3
20.1
13
22
30
3.8
14.9
13
26.3
13
Portugal
19.9
16.4
14
20
19
-3.5
5.7
15
24.1
14
Greece
18.4
15.5
15
18
22
-2.9
10.7
14
18.6
15
Bild 20
Bevölkerungs- und Patientenorientierung mit seinen diversen Ergebnisdimensionen. Zunächst zur Zufriedenheit der Bevölkerung mit ihrem jeweiligen Gesundheitssystem (Bild 20). Die GKV-Länder sind gelb dargestellt, die steuerfinanzierten Systeme grün. Die meisten GKV-Länder sind bei ihrer Bevölkerung sehr beliebt. Die Bevölkerung ist hoch zufrieden. Die einzige Ausnahme ist Deutschland. In Deutschland ist die Bevölkerung mit dem Gesundheitssystem nur etwa so zufrieden wie in einem steuerbasierten System, während die Österreicher, Franzosen, Belgier deutlich zufriedener sind mit ihren an sich doch sehr ähnlichen Systemen.
4 Gesundheitsversorgung – Internationale Übersicht
37
Beim Hausarzt-Service: GKV besser Table 4.6 Evaluations of general practice care in four SHI and four other countries, ca. 1998 (%) CH
D
B
NL
S
N
DK
UK
SHI avg.
Other avg.
Ratio
Overall evaluation
91
88
87
80
78
76
74
72
87
75
1.15
1. Keeping records and data confidential
96
94
97
95
88
91
96
91
96
92
1.04
2. Listening to you
96
92
93
89
85
85
79
83
93
83
1.11
3. Making you feel you had time during consultations
96
90
92
88
85
78
75
80
92
80
1.15
4. Providing quick services for urgent problems
96
95
93
85
84
83
81
71
92
80
1.16
20. Offering you services for preventing disease
84
85
77
76
75
67
68
74
81
71
1.13
21. Getting through to the practice on the phone
96
95
93
71
67
56
53
62
89
60
1.49
22. Being able to speak to the GP on the tele phone
91
87
90
72
65
54
59
51
85
57
1.48
23. Waiting time in the waiting room
79
70
66
61
65
57
59
50
69
58
1.19
Rank
1
2
3
4
5
6
7
8
-
-
-
… (15 other items)
Notes: Countries are sorted from left to right by overall evaluation. No data are available for other countries. Source: Grol et al. 2000
Bild 21
Die zweite Möglichkeit neben solchen Befragungen der Gesamtbevölkerung, in der sich natürlich auch Nichtpatienten befinden, sind Patientenbefragungen. Hier habe ich ein Beispiel mitgebracht, wo Patienten in einer Reihe von Ländern gefragt worden sind, wie sie mit ihren Hausärzten in insgesamt 23 Dimensionen zufrieden sind (Bild 21). Dabei schneiden die GKV-Länder mit ihren zumeist Einzelpraxen gegenüber den staatlichen Systemen deutlich besser ab; Deutschland liegt hier nach der Schweiz an zweiter Stelle. Die Patienten merken, dass die deutschen Hausärzte doch sehr auf ihre Bedürfnisse eingehen. Was hier natürlich nicht erfragt wird, ist die Qualität der Versorgung. Hier geht es mehr die Servicequalität: muss ich lange warten, kann ich meinen Hausarzt am Telefon erreichen und solche Dinge, und weniger: stellt er meinen Blutdruck gut ein? Dazu sind die Patienten hier nicht befragt worden.
38
Reinhard Busse
Verteilung: finanzielle Fairness (1,00 = max,)
Schwelle % an Haushalten mit katastrophalen [> 40%] Gesundheitsausgaben
% an Haushalten mit katastrophalen [> 40%] Selbstzahlungen (out of pocket)
Slowakei
0,941
0,00
0,00
Großbritannien
0,921
0,33
0,04
Dänemark
0,920
0,38
0,07
Schweden
0,920
0,39
0,18
Deutschland
0,913
0,54
0,03
Ungarn
0,905
0,96
0,20
Tschechien
0,904
0,01
0,00
Belgien
0,903
0,23
0,09
Finnland
0,901
1,36
0,44
Spanien
0,899
0,89
0,48
Slowenien
0,890
1,88
0,06
Frankreich
0,889
0,68
0,01
Litauen
0,875
1,68
1,34
Estland
0,872
2,47
1,30
Griechenland
0,858
3,29
2,17
Portugal
0,845
4,01
2,71
Lettland
0,828
4,05
2,75
en: Murray & Evans „Health Systems Performance Assessment: Debates, Methods and Empiricism“, WHO 2003: 52
Bild 22
Der letzte Punkt ist der ganze Bereich der Equity, also der Gerechtigkeit im System. Ich habe nur ein Beispiel mitgebracht, nämlich die Gerechtigkeit bei der Finanzierung. Das ist das, was die WHO Financial Fairness nennt. Da gibt es auch gute Daten (Bild 22). Die WHO hat sich die Mühe gemacht – nicht 2000, das waren geschätzte Zahlen in dem Bericht, aber hinterher –, Bevölkerungsumfragen zu machen, und wirklich zu befragen, wie viel Prozent des zur Verfügung stehenden Haushaltseinkommens eigentlich ausgegeben wird für Gesundheit. Wir sehen das hier in den beiden rechten Spalten. Es ist wiederum so, dass die steuerfinanzierten Länder grün sind, die GKV-Länder gelb und die neuen EU-Länder in Mittel- und Osteuropa magenta. Sie sehen, dass die sich sehr stark verteilen. Gemessen wurde, wie viel Prozent der Haushalte katastrophale Gesundheitsausgaben haben, definiert als 40 % oder mehr des zur Verfügung stehenden Einkommens. Wir sehen dabei, dass es Länder gibt wie Griechenland und Portugal, wo das über 3 % aller Haushalte sind, die mehr als 40 % ihres Einkommens ausgeben für Gesundheitsausgaben. Das sind natürlich Dinge, die wir europaweit so nicht wollen, und da könnte die offene Methode der Koordinierung erreichen, dass die Länder anhand der gewählten Ziele solche Daten vorlegen müssen und man sich dann darüber unterhält, was man vom anderen lernen kann. Ganz wesentliche Voraussetzung dafür sind Daten, die auf einer einheitlichen Erhebungsmethode beruhen und die zeitnah zur Verfügung stehen müssen.
5 Vernetztes Gesundheitssystem – eine gesamtökonomische Herausforderung Dr. Joachim Kartte Roland Berger Strategy Consultants, Berlin Wenn die Rede von Vernetzung ist, erwähne ich gern unsere Studie „Telematik im Gesundheitswesen“ von 1998, in der – unter uns gesagt – alles schon drin steht, worauf jetzt die Gesundheitskarte aufbaut. Es ist schön, dass die Studie noch nach so vielen Jahren aktuell ist, aber es ist natürlich schade, dass es sechs Jahre gedauert hat, bis es nun an die Umsetzung geht. Das Thema „Vernetztes Gesundheitssystem – eine gesamtökonomische Herausforderung“ ist relativ umfassend und komplex. Ich möchte versuchen, zumindest ein Schlaglicht auf das vernetzte Gesundheitssystem aus einer gesamtökonomischen Sicht zu werfen. Denn aus dieser Sichtweise werden sowohl die Herausforderungen als auch gleichzeitig Lösungsansätze deutlich. Spricht man über das deutsche Gesundheitswesen, so lautet meist der erste Satz: Die Ausgaben sind hoch. Auch ich fange ich damit an, denn es ist unübersehbar. Über die Jahre sind die Gesamtausgaben deutlich gestiegen. 2002 waren es 140 Milliarden Euro in den Gesetzlichen Krankenversicherungen, 234 Milliarden Euro im gesamten Gesundheitssystems. Gesamtausgaben [Mrd. EUR]
Ausgaben je Einwohner [EUR] 3,5% p.a.
3,7% p.a.
2.840 2.660
203,0 163,2
202,4
218,8
234,2 2.480
2.540
180,2 2.210 2.020
1992
1994
1996
1998
2000
2002
1992
Quelle: Statistisches Bundesamt; Roland Berger-Analysen
Bild 1: Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen
1994
1996
1998
2000
2002
40
Joachim Kartte
Die Gesamtausgaben werden weiterhin steigen, demzufolge auch die Ausgaben pro Einwohner (Bild 1). Das liegt hauptsächlich an der demografischen Entwicklung. Vergleichen sie das Jahr 2000 mit den Prognosen für 2050: Bei uns in Deutschland waren 2000 noch 17 Millionen Menschen unter 20 Jahre alt – 2050 werden es nur noch 10 Millionen sein. Das wird sich über die anderen Altersstufen entsprechend fortsetzen. Vergleicht man die unter 20-Jährigen mit der Bevölkerung zwischen 60 und 80 Jahren, so machen die Jungen 2000 noch die Mehrheit aus – 2050 werden sie nur noch etwas über der Hälfte der Vergleichsgruppe liegen. Anzahl Menschen pro Altersgruppe [Mio.]1) 23,5
Gesamtbevölkerung
22,0
17,3
17,1
2000:
82,3 Mio.
2050:
68,2 Mio.
18,0 16,4
13,5 9,9
9,7
3,1
<20 Jahre 2000
20-40 Jahre
40-60 Jahre
60-80 Jahre
>80 Jahre
2050
1) Notes Quelle: Statistisches Bundesamt; Roland Berger-Analysen
Bild 2: Altersverteilung der Bevölkerung
Neben der sich wandelnden Altersstruktur besteht noch ein weiterer dramatischer Faktor in der sich verändernden Quantität: die Gesamtbevölkerung wird deutlich sinken. 2050 werden wir nicht mehr von über 80 Millionen, sondern nur noch von unter 70 Millionen Einwohnern sprechen (Bild 2). Der Kostenanstieg ergibt sich aus der Verbindung mit den Gesundheitsausgaben nach Lebensalter (Bild 3). Die durchschnittlichen Gesundheitsausgaben nach Alterstufen können Sie folgender Abbildung entnehmen.
5 Vernetztes Gesundheitssystem – eine gesamtökonomische Herausforderung
41
Ø Leistungsausgaben [EUR/Jahr]1) 6.000 5.072
5.000
4.464
4.000 3.287
3.000
2.898 1.768
2.000 1.000
739
805
10
20
1.279
1.053
996
30
40
0 0
50
60
70
80
90 Alter
1) Erwerbsfähige Versicherte mit Krankengeld-Anspruch (2003) – ohne Berücksichtigung DMP und Risikopool Quelle: Bundesversicherungsamt; Roland Berger-Analysen
Bild 3: Jährliche Gesundheitsausgaben der GKV nach Altersstufen
In dieser Betrachtung bleiben die Ausgaben für nicht erwerbsfähige Versicherte und die Kosten für den Risikopool der Disease Management Programme (DMP) unberücksichtigt; ansonsten würde sich in der letzten Alterstufe die Summe von 5000 auf geschätzte 6000 Euro erhöhen. Das Gesamtproblem ergibt sich also einerseits durch die demografische Entwicklung und die steigenden Kosten im Alter, andererseits aber zusätzlich durch die dramatisch erschwerte Finanzierung der Gesundheitskosten; – Herr Busse hatte es eben angedeutet – die immer weniger werdenden Erwerbstätigen tragen in dem heutigen System die ganze Last auf ihren Schultern und müssen die steigenden Ausgaben finanzieren. Diese Situation verschärft sich dadurch, dass Behandlungen dazukommen, die erst neuerdings durchgeführt werden können, um Krankheiten zu kurieren und die es in der Vergangenheit noch gar nicht gab. Zudem besteht ein geringeres Gesundheitsbewusstsein, weil man weiß, dass man gegen alles behandelt werden kann. Eigenverantwortliche Gesundheitsvorsorge wird vernachlässigt. Die Bereitschaft zur Behandlung und letztlich auch der Anspruch auf eine optimale Versorgung wächst und kann dann teilweise auch über das notwendige Maß hinausgehen. Und schließlich soll sich Medizintechnik auch amortisieren: Bei wie vielen von uns wurden schon Computertomographie-Aufnahmen gemacht, die nur bestätigen sollten, was ohnehin zuvor klar war? Diese Situation legt die Befürchtung nahe: Wir können das gar nicht mehr bezahlen. Ein Blick auf diese Übersicht, die wir in der Rürup-Kommission für unsere Arbeit angefertigt haben, bestätigt das (Bild 4).
42
Joachim Kartte
Beitragssatzentwicklung in den GKV bis 2050 SZENARIEN 32
30,1
28
Kostensteigerung von 1% p.a. + demografischer Effekt
26,3 23,9 23,0
24 19,4
20
Kostensteigerung von 0,5% p.a. + demografischer Effekt
21,9
20,1
Nur demografischer Effekt
17,8 16,4 15,8
16 14,3 15,3 12 2002
2010
17,6
18,2
18,9
16,4
2020
2030
2040
2050
Bild 4: Szenarien für die Beitragssatzentwicklung in der GKV
Wenn Sie 2002 von einem Beitragssatz für die GKV von 14,3 Prozent ausgehen und würden nur den demografischen Effekt, die unterste Kurve, betrachten, so ergäbe sich schon eine deutliche Steigerung. Kombiniert man den demografischen Effekt noch mit den Kostensteigerungen, die aus dem medizinisch-technischen Fortschritt erwachsen, gelangen wir bei einer angenommenen Kostensteigerung von einem halben Prozent zur mittleren Kurve. Setzt man die Kostensteigerung dagegen bei einem Prozent an, so zeigt sich die oberste Kurve. Von welcher Kostensteigerung man wirklich ausgehen kann, darüber streiten sich die Wissenschaftler. Wie Sie sehen, würde man im Jahr 2050 im schlimmsten Szenario bei 30 Prozent GKV-Beitrag angelangen, wenn man alles belässt, wie es ist. Diese Darstellung macht deutlich, wie dramatisch das Finanzierungsproblem tatsächlich ist. Jetzt könnte man sagen, es sei auch Positives daran, wenn ein Sektor und damit ja auch ein Markt wächst. Schließlich macht der Gesundheitssektor über 10 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts aus (Bild 5).
5 Vernetztes Gesundheitssystem – eine gesamtökonomische Herausforderung
43
Ausgaben für Gesundheit 2002 als Anteil am BIP [%] 10,9
11,2
9,7
7,3
Finnland
7,7
7,6
UK
Spanien
8,7
8,5
Norwegen
Italien
9,1
8,8
Niederlande
Dänemark
Frankreich
Deutschland
Schweiz
Quelle: Statistisches Bundesamt; Roland Berger-Analysen
Bild 5: Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP (2002)
An diesem größten Sektor, den wir überhaupt haben, hängen viele Arbeitsplätze. Wenn wir über den „Kostenfaktor Gesundheit“ sprechen, muss uns immer bewusst sein, dass es gleichzeitig um zehn Prozent der Beschäftigten in Deutschland geht. Mit sinkenden Kosten nimmt auch die Zahl der Beschäftigten ab. Deshalb müssen wir immer abwägen, welcher Ansatz auch gesamtökonomisch richtig ist (Bild 6). Anzahl der Beschäftigten in ausgewählten Branchen, 2002
Branche
Beschäftigte, Gesamt ['000]
Anteil an Gesamtbeschäftigten D
Gesundheitswesen
4.175
10,8%
Baugewerbe
2.428
6,3%
Maschinenbau
1.165
3,0%
Metallerzeugung/-bearbeitung
1.133
2,9%
Elektroindustrie
1.108
2,9%
Fahrzeugbau
1.046
2,7%
Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Statistisches Bundesamt 2003
Bild 6: Anteil der Beschäftigten in ausgewählten Branchen
44
Joachim Kartte
Lösen wir uns einmal von der ausschließlichen Betrachtung der Zahlenden und der Leistungserbringer. Wir haben auch noch die Industrie, die auch viel Beschäftigung und Wachstum bewirkt und bewirken sollte. Und jetzt sehen Sie sich einmal die Pharmaindustrie an: Deutschland ist im Pharmasektor von der ehemaligen Apotheke der Welt zu einem Einkäuferland, einem Importland geworden (Bild 7). Unter den Top-Ten in der Welt gibt es kein deutsches Pharmaunternehmen mehr. Der Anteil an der gesamten Produktion ist in den letzten zehn Jahren auf sechs Prozent gesunken. Unter den ersten zehn der sogenannten „Blockbuster-Medikamente“ ist kein einziges einer deutschen Firma. Und den 19 Prozent Beschäftigten, die in Deutschland in der Forschung und Entwicklung arbeiten, stehen 27 Prozent in den USA gegenüber. Handelsbilanz mit pharmazeutischen Produkten [Mio. EUR] 13.721
• Kein Deutsches Pharma-Unternehmen unter den globalen Top 10
10.430
• Deutscher Anteil an weltweiter pharmaz. Produktion in den letzten 10 Jahren von 9% auf 6% gesunken
7.512 6.367 3.783 4.110
3.959
3.828
4.636
• Keines der Top 10 BlockbusterMedikamente von deutscher Firma • Nur ein geringer Teil der Beschäftigten arbeitet in F&E (19% ggü. 27% in US-Firmen)
IRL 2000
CH
F
GB
-568 D
2002
Quelle: EFRIA 2004, Roland Berger-Analyse
Bild 7: Pharmazeutische Handelsbilanz
Man mag zu den Klagen der Pharmaindustrie sagen, dass Jammern zum Geschäft gehöre. Doch es gibt auch Stimmen in eine andere Richtung. Ich denke hier an den Vorstandschef einer der größten deutschen gesetzlichen Kassen, der einmal sagte, ich zitiere, „Es ist furchtbar, wie mit der Pharmaindustrie umgegangen wird, wenn sich jemand als Pharmamanager outet, gilt er schon fast als Verbrecher“. Vielleicht ist es nicht ganz so dramatisch, aber man sollte sich darüber bewusst sein, dass die Pharmaindustrie auch ein Wirtschaftsfaktor ist und nicht nur ein Kostenfaktor im Gesundheitswesen. In folgender Abbildung (Bild 8) sehen Sie noch einmal die Beschäftigten in Forschung und Entwicklung im Vergleich mit anderen Ländern. Hier findet sich Deutschland hinter den USA, Großbritannien, Frankreich und Japan an letzter Stelle.
5 Vernetztes Gesundheitssystem – eine gesamtökonomische Herausforderung
F & E-Beschäftigte in pharmazeutischen Unternehmen 2002 ['000]
Anteil F & E-Beschäftigte an Beschäftigte in pharmazeutischen Unternehmen
75,7
Länder
29,0 19,1
USA
GB
F
1)
45
18,7
[%]
USA
27
GB
35
Frankreich
20
Deutschland
19
18,0
J 1)
D
1) 2001 Quelle: PhRMA, VfA, EFPIA
Bild 8: F&E-Beschäftigte in pharmezeutischen Unternehmen
Aber nicht nur der Pharmabereich ist betroffen, die Entwicklung setzt sich beispielsweise auch in der Biotechnologiebranche fort. Auf folgender Abbildung (Bild 9) sehen Sie einen Überblick über die Biotech-Industrie in Deutschland von 1999 bis 2003. Überblick über die Biotech-Industrie in Deutschland ELISCOS1)
1999
2000
2001
2002
2003
Anzahl der Unternehmen
279
332
365
360
350
Anzahl der Beschäftigten
8.124
10.673
14.408
13.400
11.535
Umsatz [Mio. EUR]
517
786
1.045
1.014
960
F & E-Aufwendungen [Mio. EUR]
326
719
1.228
1.090
966
Gewinn/Verlust vor Steuern [Mio. EUR]
n.a.
-247
-411
-661
-549
1) Entrepreneurial life science company: Firmen mit weniger als 500 Mitarbeitern, deren Hauptgeschäftszweck die Produkt- und Technologieentwicklung im life science sector ist Quelle: ISB
Bild 9: Entwicklung der Biotech-Industrie
46
Joachim Kartte
Dargestellt sind jene Unternehmen, deren geschäftlicher Schwerpunkt in der Produktion und Technologieentwicklung im Life-Science-Sektor liegt. Es genügt schon der Blick auf die Umsatzzahlen, um nach einem hoffnungsvollen Höhepunkt 2000/ 2001 einen Abwärtstrend festzustellen. Noch deutlicher wird diese Entwicklung bei den F&E-Aufwendungen. Und gerade wenn es uns um Innovationen und darauf basierend um Wachstum in der Gesundheitsbranche geht, ist dies ein weiteres alarmierendes Zeichen. In der Medizintechnik verfügen wir mit Siemens und Fresenius unter den ersten Zehn immerhin noch über zwei Schlachtschiffe (Bild 10). Doch das reicht nicht zum Aufatmen. Denn auch die Medizintechnik hat Grund zur Klage: In den Krankenhäusern besteht ein Investitionsstau, der dazu führt, dass Großgeräte nicht mehr kontinuierlich neu eingekauft werden können. Die Entwicklung in Deutschland stagniert, im Ausland dagegen findet Wachstum statt – und das sogar mit über zehn Prozent. Die Fertigungstiefe in Deutschland liegt bei weniger als zehn Prozent und die Produktion wird ins Ausland verlagert. Führende Medizintechnikunternehmen Unternehmen 1.
Johnson & Johnson (USA)
2.
General Electric Medical Syst. (USA)
3.
Tyco Healthcare (USA)
4.
Siemens Medical Solutions (GER)
5.
Medtronic (USA)
6.
Philips Medical Systems (NED)
7.
Fresenius (GER)
8.
Baxter (USA)
9.
Becton Dickinson (USA)
10. 3M Medical (USA)
Umsatz 2003 [Mio. EUR] 13.205 9.029 7.590 7.422 6.787 6.006 5.528 4.998 4.009
• Kostendruck bei deutschen Krankenhäusern führt zu Investitionsstau bei Medizintechnik • Wachstum 2004 nur noch im Ausland (+10%) – Stagnation in Deutschland • Produktion im Ausland – Fertigungstiefe in Deutschland z.T. <10%
3.537
Quelle: Spectaris; Roland Berger
Bild 10: Top 10 weltweite Medizintechnikunternehmen
Ich wähle bewusst diese gesamtwirtschaftliche Sichtweise, auch als Gegengewicht, um nicht immer nur darüber zu klagen, dass die Krankenhäuser, die Ärzte, die Leistungserbringer etc. viel zu teuer seien. Es geht um mehr. Es geht auch um mehr, wenn wir sagen: die Gesundheit ist nicht nur ein Kostenfaktor, sondern auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Dann müssen wir auch die Industrie gedanklich einbeziehen, die eine wesentliche Plattform und ein Innovationsmotor für den ganzen Wirtschaftsraum ist und sein muss. Allerdings sind in Deutschland die Voraussetzungen dafür, Sie sehen es anhand der Zahlen, mehr als ungünstig.
5 Vernetztes Gesundheitssystem – eine gesamtökonomische Herausforderung
47
Die gesamtökonomische Herausforderung liegt also darin, den Spagat zwischen Kostensenkung bei gleichzeitigem Wachstum zu vollbringen (Bild 11).
KOSTEN
WACHSTUM • Höhere Wahlmöglichkeiten für den "Konsumenten"
• Weitere Modifizierung des GKVLeistungspakets • Effizienzsteigerung in der Leistungserbringung, z.B. – Steigerung Produktivität – Vermeidung sinnloser / doppelter Versorgung – Nutzung innovativer Verfahren
Gesamtökonomische Herausforderung
• Transparenz durch Telematik und Integr. Vers. als "Enabler"
• Innovationsfreundliche Rahmenbedingungen für die Gesundheitsindustrie • Konzertierte Aktionen wie z.B. "Partner für Innovation" • Entkopplung der Gesundheitsausgaben von den Lohnnebenkosten
Bild 11: Die gesamtökonomische Herausforderung
Wem es ausschließlich um Kostensenkung geht, der beschäftigt sich damit, den Leistungskatalog der GKV weiter auszudünnen und die Produktivität in Krankenhäusern, von Niedergelassenen Ärzten, von Krankenkassen und allen Gesundheitsleistungserbringern zu erhöhen. Es bleibt auch immer das Bemühen, die Behandlungswege zu optimieren, indem sinnlose Doppel- oder Mehrfachbehandlungen möglichst vermieden werden. Zusätzlich könnte man aber auch innovative Verfahren nutzen. Zunächst widerspricht die Anschaffung eines teueren medizintechnischen Gerätes dem Ziel der Kostensenkung – dadurch können aber Behandlungsprozesse erheblich verkürzt, ihre Qualität gesteigert und sie letztlich sogar preiswerter gestaltet werden. Auch „Telematik“ und „E-Health“, auf die ich weiter unten noch einmal eingehe, sind hierbei wichtige Themen. In Verbindung mit dem § 140 SGB V über die „Integrierte Versorgung“ sind sie als „Enabler“ zu sehen, die es ermöglichen, Kosten zu senken, Qualität zu steigern und Effizienz zu erhöhen. Der Rahmen für die Nutzung von E-Health in einer Integrierten Versorgung ist geschaffen. Die Plattform E-Health selbst wird ebenfalls geschaffen. Man muss sie aber nutzen und zu nutzen verstehen. Herr Kuhlin spricht in seinem Beitrag noch von 2200 Krankenhäusern; davon werden in einigen Jahren vielleicht noch 1800 übriggeblieben sein. Wir werden weniger Ärzte haben. Wir erleben eine Konzentration im Gesundheitswesen und damit auch den Verlust von Arbeitsplätzen. Deswegen muss es in diesem bedeutenden Markt das zentrale Ziel sein, gleichzeitig Innovation und Wachstum zu erzeugen. Wesentliche Voraussetzung dafür ist die Schaffung größerer Nachfrage nach innovativen Leistungen. Mehr Wahlfreiheit würde bedeuten, dass man sich die
48
Joachim Kartte
Gesundheitsleistungen, die man wünscht, zu einem großen Teil selbst zusammenstellen kann. Gleichzeitig sollten die politischen Rahmenbedingungen für Innovation im Gesundheitswesen geschaffen werden. Beispielsweise verfolgt die Initiative „Innovate America“ in den USA ähnliche Ziele und fördert Innovationen explizit auch im Gesundheitssystem. Die Initative lobt Innovationspreise aus und stellt Gelder bereit. Ein schönes Beispiel in Deutschland ist die Initiative der Bundesregierung „Partnerschaft für Innovation“, in deren Rahmen sich ja die deutsche Großindustrie beim Kanzler versammelt und Ideen entwickelt, wie man innovative Dienstleistungen, Produkte und Entwicklungen vorantreiben kann. Für den Bereich Gesundheit sollen drei sogenannte „Leuchtturmprojekte“ initiiert werden, die die Bündelung von Exzellenz durch die Zusammenarbeit von Industrie und Spitzenmedizin fördert, darunter auch das „Digitale Krankenhaus“. Ein weiterer Schlüssel zur Lösung der drängenden Fragen ist die Entkopplung der Gesundheitsausgaben von den Lohnnebenkosten – ein Thema, dass ich nicht unerwähnt lassen möchte. Umso weniger, da es nicht nur für das Gesundheitswesen, sondern für die gesamte Wirtschaft wesentlich ist. Würde man die Gesundheitsausgaben entkoppeln, so dass die Arbeitskosten nicht mit den Gesundheitsausgaben steigen, wäre das ein erhebliches Signal, das wahrscheinlich in ganz Deutschland für alle Branchen eine deutliche Wirkung haben würde. Welche Chancen können aber durch ein vernetztes Gesundheitswesen erwachsen? Ich werde nun nicht den § 140 auswalzen, denn Vernetzung bedeutet weit mehr. Die Industrie muss miteinbezogen werden. Meiner Ansicht nach werden sich in Deutschland regionale Cluster bilden. Die könnten so aussehen wie auf dieser Abbildung, obgleich hier im Titel noch „Vision“ steht (Bild 12).
Innovation/ Finanzierung
Pharma/Biotech
Medizin-Technik
Niedergelassene, MVZ
Kostenträger
Umsatz/ Umsatz/ Kosten Kosten
UK KH der Grund- u. Regel-Versorgung
Reha/Pflege
IT-Industrie
Transparenz/ Steuerung
...
IT-Vernetzung
Bild 12: Vision eines integrierten Innovationsnetzwerks
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In Berlin, woher ich komme, ist das schon keine Vision mehr. In Bayern ist man da, wie ich weiß, ebenfalls sehr weit. Und andere Bundesländer haben sich das auch auf die Fahnen geschrieben. Es muss darum gehen, unter Beteiligung der Industrie „Innovative Integrationsnetzwerke“ zu gründen – wie ich sie genannt habe. Als Kristallisationskeim sehe ich die Spitzenmedizin; das sind natürlich insbesondere die Universitätsklinika, an denen Grundlagenforschung und Krankenversorgung betrieben wird und die sich von daher ganz besonders als Kristallisationskeim anbieten. Hier wird in der ersten Ausbaustufe der, wenn ich das so sagen darf, „klassische“ integrierte Versorgungsansatz verfolgt. Klassisch ist nicht ganz richtig, weil das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) erst seit 1.1.2004 mit § 140 doch relativ viel unternehmerische Freiheit eröffnet. Umgesetzt wurde diese erste Stufe bisher, ich sage es ganz vorsichtig, noch nicht flächendeckend. Ausgehend von einem solchen Universitätsklinikum oder einem anderen Maximalversorge, wird es Verknüpfungen mit Niedergelassenen Ärzten geben, die auch als Einweiser fungieren. Medizinische Versorgungszentren werden zum Beispiel auf den Campi der Universitätsklinika gegründet. Man kooperiert mit anderen Krankenhäusern der Grundund Regelversorgung. In den nachgelagerten Stufen wie Reha oder Pflege kooperiert man ebenfalls. Das entscheidend Neue an dem, was der § 140 mitbewirken kann, ist, dass solche Integrierten Versorgungsnetzwerke auch gemeinsam mit den Gesetzlichen Krankenkassen aufgebaut werden. Für die Klinika ist das existenziell. Die Motivation erwächst nicht etwa aus der „1%-Regel“ des GMG, Treiber sind vielmehr die Diagnosis Related Groups (DRG ). Die damit verbundene Absenkung der Vergütung zwingt die Krankenhäuser, solche Versorgungsformen zu wählen, um die Prozesse zu optimieren und um mit anderen kooperieren zu können. Durch diese erste Stufe können sich die Klinika Fälle sichern und Kostenpositionen senken. Wenn derartige Netzwerke bereits existieren – und hier kommen wir wieder zum Thema E-Health – müssen sie auf der nächsten Stufe auch durch IT miteinander verbunden und dadurch zu Leben erweckt werden. Denn solche Netzwerke wollen gemanagt sein: Behandlungspfade müssen koordiniert und Patientendaten müssen ausgetauscht werden. Ein derart komplexer Austausch der verschiedensten Informationen kann nur funktionieren, wenn eine Art virtuelles Unternehmen entsteht. Dazu gehören eine Geschäftsordnung und ein Controlling. Anreiz- und Sanktionsmechanismen müssen eingeführt und nachgehalten werden. Dazu sind IT-Lösungen erforderlich, die sowohl das Netz versorgen, als auch mit der eigenen internen IT zusammenpassen. In der letzten Ausbaustufe können die geschaffenen Rahmenbedingungen genutzt werden, um an innovativen Konzepten zu arbeiten. Zur Finanzierung solcher Innovationen bieten sich strategische Partnerschaften mit der Industrie an. Das können Pharma-, Biotech-, Medizintechnik-, oder aber IT-Unternehmen sein, die ihre Produkte nicht nur wie gehabt beim Einkäufer platzieren, sondern die gemeinsam mit der Spitzenmedizin völlig neue Verfahren, Behandlungsmethoden und IT-Lösungen entwickeln. Diese Entwicklungspartnerschaften können so dem Markt und damit auch den Patienten Produkte und Dienstleistungen anbieten, die nur durch die Zusammenarbeit zur Reife gelangen.
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Joachim Kartte
Wie so etwas konkret aussehen kann, will ich beispielhaft für die Pharmaindustrie wie auch für die IT zeigen. Therapiezentrum und KH-Netzwerk als Partner für Pharma- und Biotechfirmen
Pharmaund BiotechFirmen
• Klinische Daten • Gewebeproben/ -datenbanken • Neue Therapieansätze
KH1
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Vorteile für Pharma- und Biotechfirmen
Patienten
Patienten
• Schneller Zugang zu Patientenpool • Verbesserte Studiendauer, erhöhte Zulassungswahrscheinlichkeit • Effiziente Prüfung neuartiger Diagnoseund Therapie-Ideen • Gewebeproben und -datenbanken
Therapie zentrum
UK
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Vorteile für das Uniklinikum Patienten
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Patienten
Patienten
• Erschließung neuer Einnahmequellen • Entwicklung neuartiger Diagnose- und Therapiemethoden • Vermarktung von Forschungsergebnissen
Bild 13: Vernetzung von Pharmaindustrie und Universitätsklinikum
Im Fall der Pharmaindustrie würde ein Universitätsklinikum die zweifellos vorhandene Exzellenz bündeln (Bild 13). Dies schafft ein konzentriertes Reservoir an Forschung und an hervorragenden Möglichkeiten, klinische Studien durchzuführen und auszuwerten. Für die Pharmaindustrie ist es vorteilhaft, eine enge, verlässliche Kooperation einzugehen, um dadurch die Entwicklungszeiten für ihre Medikamente zu verkürzen. Denn so kann sie klinische Studien durchführen und auf exzellentes medizinisches Wissen an den Universitätsklinika zurückgreifen. Es entsteht ein Modell zu beiderseitigem Gewinn. Der Begriff Win-Win-Modell ist zwar überstrapaziert, aber manchmal stimmt er eben auch: Das Universitätsklinikum kann höhere Erträge erwirtschaften und das Pharmaunternehmen seine Produkte schneller und besser entwickeln. Ein Partnerschaft böte auch IT- Lösungsanbietern mit der Entwicklung des digitalen Krankenhauses eine gewaltige Chance (Bild 14).
5 Vernetztes Gesundheitssystem – eine gesamtökonomische Herausforderung
MAKRO-Ebene Kompatibilität
REGIONALE Ebene
KH KH
Ärzte Kompatibilität
Reha Ärzte
MIKRO-Ebene KH
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HERAUSFORDERUNGEN
Produkt-Beispiele
Transparenz durch Vernetzung aller Beteiligten
eGesundheitskarte, Portale, Sicherheitssysteme
Gestaltung von sektorübergreifenden Prozessen i. S. von Versorgungsnetzwerken (z.B. ambulant-stationär)
IT Plattformen zur Abrechnungs-, Controlling- und Leistungsdisposition
Prozessoptimierung und Kostenreduktion im Krankenhaus (inkl. Clinical Pathways)
Digitale Patientenakte, eArztbrief, Abrechungsprogramme (DRG), Bilddokumentation
Bild 14: Ebenen der IT-Innovation
Auf der „Mikro-Ebene“ liegt die Digitalisierung der Clinical pathways mit einer elektronischen Patientenakte. Die digitale Patientenakte ist auch das eigentliche Ziel, zu der die elektronische Gesundheitskarte bzw. die damit verbundene telematische Vernetzung auf der „Makro-Ebene“ führen soll. Es soll schließlich nicht dabei bleiben, dass man Medikamentenverträglichkeiten abgleicht oder ein Rezept erst in der Apotheke ausdruckt. Aber nicht nur in der Krankenversorgung, auch in der Forschung geht es darum, ITLösungen zu schaffen. Wollte die Charité beispielsweise mit Harvard ein Forschungsprojekt gemeinsam durchführen, so ist ein leistungsfähiges IT-Netz erforderlich. Zwischen diesen beiden Ebenen liegt die „regionale Ebene“, die die bereits erwähnte Integrierte Versorgung adressiert. Die IT-Lösungen müssen so gestaltet sein, dass auch die regionalen Kooperationspartner problemlos in das elektronische Netz eingebunden werden können. Bei diesem kleinen Streifzug war es mir wichtig, zu zeigen, dass es nicht einseitig nur um Kostensenkung bei den Leistungserbringern gehen darf, sondern der gesamtökonomische Kontext im Zentrum der Betrachtung stehen sollte. Um Wachstum und Innovation in Deutschland zu stärken, darf man die Industrie nicht aus Deutschland vertreiben, sondern muss ihr Möglichkeiten eröffnen und sie in tragfähige Netzwerke einbinden. Dazu verfügen wir über eine hervorragende Basis mit Spitzenmedizin, mit Exzellenz. Die gesamtökonomisch sinnvolle Vernetzung des Gesundheitssystems ist machbar – sie muss aber stärker gefördert werden.
6 Psychologische und organisatorische Fallen für den Einsatz von IT im Gesundheitswesen Dr. Markus Holtel Franz-Hospital, Dülmen Täglich signalisiert man dem Arzt, dass er wichtig ist. Jeder Medizinstudent fiebert dem Tag entgegen, an dem er den eindrucksvollen Satz sagen kann. Ein Unfall, eine plötzliche Erkrankung, Menschen in Not; doch professionelle Hilfe naht: „Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt!“
Arzt und Informationstechnologie Die besondere Bedeutung, die dem Arzt zugeschrieben wird, macht ihn auch zu einem besonderen Nutzer von Technologie. Anbietern von IT drohen bei Ärzten ganz typische Fallen. Die ärztliche Psyche hat ihre Besonderheiten. Wer als Anbieter von Technologie vorwiegend mit universitären Kollegen zu tun hat, dynamisch, von Forschergeist beseelt, allem Neuen aufgeschlossen, verkennt vielleicht die Mentalität der Zunft. Die ärztliche Psyche hat typische Charakteristika, und die Technikbegeisterung beschränkt sich manches Mal nur auf einen engen Bereich. Ebenso ist die Organisation ärztlicher Arbeit zu berücksichtigen, wie sie in fast jedem deutschen Krankenhaus anzutreffen ist. Die besondere Wichtigkeit der Ärzte war schon bei den alten Griechen ein Thema. Der antike Kollege hatte den Titel Iatrós, noch heute findet sich der Begriff als Endung beispielsweise bei Pädiatern oder Psychiatern. Der erste oder leitende Arzt am Königshof hatte einen besonderen Titel: Wie der Archi-Episkopós (heute der „Erzbischof“) wurde er aufgewertet zum Archi-Iatrós. Und weil jeder Arzt lieber Chefarzt als einfacher Iatrós war, gab es eine Titelinflation. Mit der Zeit nannte sich jeder dahergelaufene Balbierer Archiatrós. Die Sprache entwickelte seit dem Mittelalter daraus unser Wort „Arzt“, so dass in jedem Arzt also etymologisch gesehen schon ein Chefarzt steckt. Das spricht Bände.
Ärztliche Rolle und Eigenperspektive Warum sind die Ärzte so, wie sie sind? Der Arzt übt ohne Zweifel eine ungemein wichtige Tätigkeit aus. Patienten mit schweren Erkrankungen vertrauen ihm ihr Leben an. Mit immensem Aufwand, mit Blaulicht und Martinshorn, zum Teil per
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Hubschrauber, bringt man in Notfällen ärztliche Kompetenz vor Ort. „Keiner erlebt so intensiv das Gefühl, gebraucht zu werden. Keiner zieht solche Blicke auf sich, Blicke voller Angst, Hoffnung, Vertrauen.“ So poetisch hat es ein Journalist der Süddeutschen Zeitung einmal beschrieben. Die Rolle des „Halbgott in Weiß“ fällt den Ärzten zu, seit die Medizin im 19. Jahrhundert zu ihrem Höhenflug angesetzt hat. Ärzte sind schon als Berufsanfänger Vorgesetzte. Sie kommen frisch von der Universität in ein Krankenhaus und dominieren sofort das Pflegepersonal, die ungleich größere Berufsgruppe, mit zum Teil jahrzehntelanger Berufserfahrung. Der Arzt ist per se Leitender. Zu einem Arzt blickt man auf. Dazu kommt die professionelle Eigenperspektive. Ein Patient erwartet, dass er nicht von einem unsicheren Anfänger behandelt wird. Er erwartet die beste Behandlung, die die Medizin bieten kann. Er verlangt Perfektion im Auftreten und Handeln. Das erwarten wir alle als Patienten. Also wird es auch geboten, zumindest im Auftreten. Der Arzt stellt immer Perfektion dar. Er tritt seinem Patienten gegenüber und vermittelt Sicherheit, Zuversicht, Hoffnung. Beim Berufsanfänger ist das manches Mal ein Spagat zwischen Rolle und Realität. Und bei manchen Patienten – bei schwer Erkrankten, bei Tumorpatienten – möchte der Arzt die Hoffnung aufbauen. Möchte die Reserven nutzen, den Patienten im Kampf gegen seine Krankheit mobilisieren. Also spricht man mehr von Gesundung als vom Sterben, hält die vielleicht schlechte Prognose etwas hinterm Berg, vermittelt mehr Gewissheit, mehr Zuversicht, als man sie ehrlicherweise hat. Mancher Kollege hat diese Rolle so verinnerlicht, dass er sie selbst bei Sterbenden nicht mehr ablegen kann. Dass er selbst dort nicht mehr zu klaren, offenen Worten findet. Dass man eine solche verinnerlichte Haltung auch außerhalb des Berufs nicht so leicht ablegt, ist landläufig bekannt aus dem Lehrerberuf. Was den Lehrern ihre sprichwörtliche Besserwisserei, das ist den Ärzten das Vertrauen in die eigene Perfektion. Wer täglich und auf Knopfdruck Kompetenz ausstrahlt, nimmt Schaden an seiner Kritikfähigkeit. Je perfekter der Arzt seine Rolle ausfüllt, desto weniger ist er in der Lage, seine Haltung in Frage zu stellen. Als Beleg sei nur aufgeführt, wie Ärzte mit Risiken und Fehlern umgehen. Ärzte betreuen täglich schwerstkranke Patienten, versetzen relativ gesunde Menschen in Narkose, schalten ihnen die eigene Atmung ab, handeln in Krisensituationen. Und trotzdem fehlt ein konsequentes Risikomanagement. Mancher systemische Fehler könnte seit Jahren aufgedeckt sein, verursacht aber immer noch therapeutische Katastrophen. Die eigene Fehlbarkeit wird nicht akzeptiert. Auch die Patienten merken das, wie eine Umfrage der Universität Witten-Herdecke belegt. Der Informationsfluss nach einem medizinischen Fehler stockt. Manchmal wird das unangenehme Problem eines Fehlers als reine Abwicklung der Haftpflicht an die Verwaltung verschoben. Damit kommt der Patient zu seinem Ausgleich, der Arzt braucht
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sich aber nicht damit zu beschäftigen. Offensichtliche Fehler werden auch schon mal vertuscht oder anderen angelastet.
Belastungen und Arbeitsumfeld Zu den speziellen Erfordernissen des Berufs kommen noch seine Belastungen. Ein Arzt begleitet vom Schicksal Gezeichnete, er wird mit Abgründen konfrontiert. Er erlebt häufig Todesfälle, auch bei jungen, gesunden Menschen. Daher ist eine gewisse emotionale Abschottung dringend notwendig, eine professionelle Distanz überlebenswichtig. Wer ein gewisses Maß an Psychohygiene nicht einhält, verzweifelt an seinem Beruf. Diese wichtige Abschottung macht aber ebenfalls kritikunfähig. Und schließlich kennzeichnet die Masse der Ärzte eine bestimmte Intention für ihren Weg in die Medizin. Wer wird Arzt? Derjenige, der sich zum Heilen berufen fühlt. Der schwer kranke Patienten auf hohem Niveau versorgen möchte. Der dem ganzen Menschen einen wichtigen Dienst leisten möchte. Was auch immer Studium und Beruf nachher aus einem machen: Der ursprüngliche Impuls, Medizin zu studieren, ist meist ein humanistischer Ansatz. Ärzte im Management, im öffentlichen Gesundheitswesen oder gar in der Industrie werden unter den Kollegen gleichsam als „Irrläufer“ angesehen. Persönlicher Impuls
Studien- und Arbeitsumfeld
Humanistischer Ansatz
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Patientenversorgung auf hohem Niveau Umfassende Betrachtung
Detailversessenheit
Dem Menschen zugewandt
Geprägt durch Technik
Tab. 1: Konflikt zwischen persönlichem Impuls zur Berufswahl und Studien- und Arbeitsumfeld
Die ärztliche Tätigkeit hat ihren Ruf als eine Kunst. Sie enthält immer ein gewisses Maß an Intuition, an Irrationalität und Mystik. Medizin ist im konkreten Einzelfall nie ganz vorhersehbar. Der Alltagsbetrieb im Krankenhaus ist dagegen heute vielfach von Technik geprägt. Schon der humanistisch inspirierte Studiosus gewöhnt sich an die Betrachtungsweise der Naturwissenschaft, an ihre Detailversessenheit, an die Orientierung an messbaren Parametern. Aber bei den meisten bleibt ein Konflikt – zwischen ihrem persönlichen Impuls, ihrem Weg in die ärztliche Kunst, und dem technische Gepräge der Medizin.
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Es lassen sich zwei Muster beobachten, wie dieser Konflikt aufgelöst wird. Zum einen die Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Technik. In seiner ureigensten Domäne, am OP-Tisch, im Dunkel der Sonografie oder im Katheterlabor, akzeptiert der Arzt die Technik. Er spielt ihre Möglichkeiten aus, freut sich an Neuerungen und beansprucht auch das neueste aufwändige Gerät für sich. Beatmungsgeräte, OPRoboter, Kernspintomographen – das ist die Freund-Technik. Sobald er jedoch vom OP-Tisch abtritt, trifft der Arzt auf Feind-Technik: Computer, denen er DRG-Ziffern einhämmern muss. Geräte, die doch „nur für die schnöde Abrechnung“ Daten vom ihm verlangen. Programme, die ihm womöglich eine vorausschauende OP-Planung abfordern oder von denen er sich überwacht fühlt. Hier stellt sich der Arzt quer. Dies ist die häufigste Form der Konfliktbearbeitung. Natürlich gilt dabei, dass die Ärzteschaft nicht homogen technikfeindlich ist. Vor allem in den Universitätsklinika ist das Klima günstiger. Das andere Muster der Konfliktbearbeitung findet sich bei Ärzten, die sich ganz der Mystik und Irrationalität verschreiben. Ein gewisses Maß an Irrationalität wird dem Arztberuf immer bleiben: Medizin ist nicht so vorhersehbar und berechenbar, wie man es gerne hätte; der Umgang mit den persönlichen Umständen des Einzelfalls, mit dem Patienten als Menschen, mit seiner speziellen Situation, wird auch immer geprägt sein durch Intuition und durch emotionale Entscheidung – das macht die ärztliche Kunst aus. Ins Extrem treiben diese Haltung aber manche Ärzte, die sich fragwürdigen Therapien verschreiben. Diese „alternativen Therapien“ bedienen meist deutlich besser das Bedürfnis nach Mystik und Emotionalität. Die Ärzte schlagen sich ganz offen auf die Seite der Medizin- und Technikkritik. In beiden Fällen der Konfliktbearbeitung resultiert aber: eine latente oder sogar offene Technikfeindlichkeit bei den Ärzten. Die verpflichtende elektronische Übermittlung von Daten an die Kassenärztliche Vereinigung hat noch vor einigen Jahren große Unruhe unter niedergelassenen Ärzten ausgelöst. Diese Haltung erschwert den Zugang für innovative IT-Angebote.
Expertenorganisation und preußische Tradition Die Krankenhaus-Organisation birgt weitere Fallen. Der Arzt als Angestellter ist nicht leicht zu handhaben. Ein Krankenhaus ist eine Expertenorganisation, das unterscheidet es massiv von normalen Betrieben. Ärzte müssen in ihrer medizinischen Tätigkeit große Freiheit zur individuellen Entscheidung haben. Wer dies gewohnt ist, wird in der Organisation ähnliche Freiheiten erwarten. Klinikleiter, die einen bürokratischen Vorgang im Krankenhaus verlässlich erledigen lassen wollen, weisen diesen am besten der Pflege zu, wo man Zuverlässigkeit erwarten kann. Dagegen gab es immer wieder Berichte von Ärzten, die im Stationszimmer Entlassungsbriefe von Monaten stapeln statt diese Fälle abzuschließen. Als Experten werden in erster Linie die Ärzte persönlich von ihren Patienten aufgesucht, nicht die
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Organisation. Das begründet die traditionell starke Rolle der Chefärzte im Krankenhaus. Sie lassen sich weniger auf die Unternehmensziele einschwören. Die Loyalität mit der Berufsgruppe ist stärker als mit der Organisation. Nachgeordnete Mediziner sind innerhalb einer Abteilung wiederum in eine starke Hierarchie eingebunden. Die Berufsgruppe reguliert sich selbst und entzieht sich einer Einflussnahme von außen. Speziell die Ärzteschaft in deutschen Krankenhäusern ist geprägt von der preußischen Militärärztlichen Akademie, der Pépinière in Berlin. Sie wurde Ende des 18. Jahrhunderts gegründet, dort wurde der Unter- und der Oberarzt erfunden und die Professoren der Pépinière reichten ihr System weiter in die universitäre und von dort in die allgemeine klinische Medizin. In vielen Krankenhäusern hat sich die kalte Hierarchie des preußischen Militärs bis heute gehalten, ein Grund, warum Ärzte „so wenig zum Widerstand taugen“ (Veränderung beginnt im Kopf. Ruebsam-Simon 2002). Beobachtungen langjähriger Berufssoldaten und Rettungsflieger legen nahe, dass soziales Verhalten heute in der Bundeswehr sogar stärker augeprägt ist als in der Ärzteschaft. Die Organisation „Krankenhaus“ kämpft mit einer weiteren Schwierigkeit: Jeder Chefarzt übt eine „Nebentätigkeit“ aus, die manchmal die Haupttätigkeit ist – die Versorgung von Privatpatienten. Darunter leidet in jedem Fall seine Leitungsfunktion. Der Chef muss sich tagtäglich mit Tätigkeiten befassen, die einer seiner Assistenten ebenso routiniert durchführen könnte. Man möge sich das in anderen Branchen vorstellen: Der Vorstand von Maggi sitzt im Kochstudio, um einen Privatkunden zu bewirten. Der Chef der Telekom verlässt die Vorstandssitzung, um noch schnell das Telefon eines privaten Kunden anzuschließen. „Kundenversorgung geht vor …“ sagt man dann und lässt sich dafür sogar belobigen. Ein Chefarzt hat damit im schlechtesten Fall die Möglichkeit, sich ganz auf lukrative Privatbehandlungen zu konzentrieren und die Leitung einer Abteilung zu vernachlässigen. Und schließlich verfügt jeder Chefarzt, der Eingriffe von außen abwehren möchte, über ein Totschlagsargument: Medizinisch nicht zu verantworten. Die Patientensicherheit ist gefährdet, das forensische Risiko zu hoch. Nicht jeder Geschäftsführer eines Krankenhauses ist so souverän, dies zu beurteilen und zu kontern: „Wedeln Sie mir nicht gleich wieder mit dem Leichentuch.“
Der Arzt als besonderer Nutzer Aus Gründen, die in der ärztlichen Psyche und in der Organisation eines Krankenhaus liegen, ist also der Arzt ein ganz besonderer Nutzer von IT. Die ärztliche Psyche und die Organisation ärztlicher Arbeit birgt typische Fallen für den Anbieter. Ärzte bringt man nicht so leicht dazu, sich mit neuen Techniken zu befassen, sich auf ungewohnte Instrumentarien einzulassen. Ärzte wollen umworben sein. Für den IT-Anbieter, der Ärzte von seinen Lösungen überzeugen will, hat dieses psychologische und organisatorische Milieu mehrere Konsequenzen.
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• Ärzte springen nicht mit Begeisterung auf jede neue Technik an. Sie sind zumindest latent technikfeindlich. Eine Anwendung außerhalb des ureigensten medizinischen Bereiches wird sicherlich erst einmal kritisch betrachtet, bevor sie akzeptiert wird. Schon leichte Schwierigkeiten, eine nicht optimale Anpassung an die Benutzerbedürfnisse, kann zu Ablehnung führen. • Wer in seiner Arbeit sehr autonom handeln kann, dem kann man eine neue Technik nicht per Dienstanweisung aufgeben. Ein Nutzen für das Haus oder für Verwaltung und Abrechnung ist immer schwer zu vermitteln. Der Experte will umschmeichelt werden. Er möchte überzeugt werden, dass eine neue Aufgabe, eine Veränderung seines Arbeitsumfeldes, Sinn macht. Am einfachsten geht dies, wenn er einen konkreten Vorteil daraus zieht. Als Beispiel sei die Umsetzung eines elektronischen OP-Plans aufgeführt. Die Operateure nahmen traditionelle ihre Eintragungen handschriftlich in rote Bücher und kopierte Blankoformulare vor. Sie ließen sich jedoch problemlos von einem Eintrag auf dem Server überzeugen, weil dies den Vorteil hatte, an jedem Arbeitsplatz im Haus zeitig auf die Daten zugreifen zu können. • Das Umsetzungsmanagement bei der Einführung neuer Technologien berührt Strukturen innerhalb der Ärzteschaft. Die Hierarchie bedingt sehr unterschiedliche Funktionen und Interessen der Ärzte. Chefärzte müssen ganz anders überzeugt werden als die nachgeordneten Ärzte. Oberärzte als Schnittstelle haben wiederum andere Interessen und Möglichkeiten als junge Assistenzärzte. In der konkreten Situation muss man beurteilen, wie welche Zielgruppe gewonnen werden kann.
Perspektiven Das Gesundheitswesen erlebt derzeit Verwerfungen und Umbrüche wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Ganze Krankenhäuser werden unter dem Kostendruck und der Umstellung auf DRGs in Frage gestellt. Konkurse werden möglich, private Klinikketten haben den Krankenhausmarkt für sich entdeckt. Ärzte sind geprägt durch ihren Beruf und durch die tradierte Organisation des Krankenhauses. Sie bleiben sehr anspruchsvolle Kunden und verlangen mehr Überzeugungsarbeit als Anwender in anderen Branchen. Aber der äußere Druck zwingt auch eine tradtionsverhaftete Ärzteschaft zu mehr Kooperation, zu neuem Denken. Die Hierarchie hat durch Generationswechsel und eine veränderte Betrachtung der Prozesse im Krankenhaus schon begonnen, flacher und weicher zu werden. Überzeugende IT-Lösungen, die den Workflow verbessern, die medizinischen oder betriebswirtschaftlichen Benefit versprechen, können sich derzeit erfolgreicher platzieren.
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Literatur Bartels, Klaus: Wie die Amphore zur Ampel wurde. Neunundvierzig Wortgeschichten. dtv. München 1987. Bathelt, Julia: Kritik ist eine Form von Unternehmensberatung. Deutsches Ärzteblatt 101 (2004). S. A 154. Bergdolt, Klaus: Warum Medizingeschichte?. Deutsches Ärzteblatt 95 (1998). S. A 812-816. Degenhardt, Jörg: Entbehrliches Ritual oder Qualitätskontrolle? Psychogramm der Chefarztvisite. Deutsches Ärzteblatt 98 (2001). S. A 3102-3105. Glatzer, Ulrich: Die Branche im Aufbruch (Zukunftsmarkt Gesundheit). Klinikmanagement aktuell 2004. Hofinger, Gesine, Helfried Waleczek: Behandlungsfehler. Das Bewusstsein schärfen. Deutsches Ärzteblatt 100 (2003). S. A 2848-2849. Holm, Carsten: Operieren und frisieren. Der Spiegel Heft 12/2004 vom 15.3.04 2004, S. 6667. Köck, C. M. und N. R. Patera: Vorschläge für eine Reform des österreichischen Gesundheitssystems. Koeck, Ebner & Partner im Auftrag der Österreichischen Industriellenvereinigung 2002. Lebert, Stephan: Ärzte, seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Kein anderer Beruf verdient so viel Achtung. Aber die Mediziner verspielen dieses Kapital. Süddeutsche Zeitung Magazin vom 28.1.1994 1994. S. 30-39. Lutterotti, Nicola von: Werte Kollegen, wir haben das falsche Herz verpflanzt. FAZ vom 13.10.2004. S. N 2. Pietro, Daniel A, Linda J Shyavitz, Richard A Smith, Bruce S Auerbach: Detecting and reporting medical errors: why the dilemma? BMJ 320 (2000). S. 794-796. Rieser, Sabine: „Bitte bringen Sie gleich eine Lösung mit.“ Kritik-Kultur im Arbeitsleben. Deutsches Ärzteblatt 98 (2001). S. A 3308-3309. Ruebsam-Simon, Ekkehard: Ausgenutzt, doch stets loyal – warum Ärzte sich nicht wehren. Ärzte Zeitung vom 31.10.2002. Ruebsam-Simon, Ekkehard: Veränderung beginnt im Kopf. Einige Bemerkungen zur Sozialisation des deutschen Arztes oder: Warum taugen Ärzte so wenig zum Widerstand. Deutsches Ärzteblatt 99 (2002). S. A 2840-2844. Scheppokat, Klaus D.: Anfälligkeit komplexer Systeme. Fehler in der Medizin. Deutsches Ärzteblatt 101 (2004). S. A 998-999. Schriewer, Hilko: Arzt zwischen Tradition und Wertewandel. Deutsches Ärzteblatt 95 (1998). S. A 2685-2688. Sibbel, Rainer: Sanierungspotenziale aus betriebswirtschaftlicher Sicht. Grundlegende Veränderungen im Krankenhausmanagement. trend – zeitschrift für Soziale Marktwirtschaft IV/2004 (101). Strehlau-Schwoll, Holger: Die Profit-Center-Konzeption. Baustein der Führungsorganisation des Krankenhauses. f&w. Führen und Wirtschaften im Krankenhaus 13 (1996). S. 317-322.
7 Telematik-Infrastruktur und Einführung der Gesundheitskarte Dr. Günter Braun Siemens AG. München Als erstes möchte ich Ihnen einen Film zeigen, der den Nutzen der Telematik-Infrastruktur und auch der elektronischen Gesundheitskarte für die verschiedenen im Gesundheitswesen beteiligten Gruppen darstellt, d.h. für den niedergelassenen Arzt, für den Krankenhausarzt, auch für die Apotheke, die Krankenkasse und nicht zuletzt für den Patienten. Dieser Film, den wir Ihnen gleich zeigen werden, ist jetzt einige Monate alt, hat mittlerweile in den USA zwei internationale Preise bekommen und dauert 6,5 Minuten. Danach folgt mein Vortrag. Diesen Film haben wir natürlich nicht nur mit eigenem Wissen der Industrie gedreht, sondern wir sind von ärztlicher Seite intensiv beraten worden. Wir waren sehr froh, dass dafür bei all denen, mit denen wir gesprochen haben, eine hohe Motivation bestand, hierbei Unterstützung zu leisten und die Prozesse, die wir im Film beschrieben haben, sowie die Erwartungen zu definieren. Was Sie gesehen haben, ist so etwas wie eine Vision, aber keine Vision, die allzu weit in die Zukunft reicht. Wir sind überzeugt, dass das Ganze in etwas drei bis fünf Jahren Wirklichkeit sein kann, nur in dem einen oder anderen Punkt wird es vielleicht ein bisschen länger dauern. Das, was wir heute schon tun im Bereich elektronische Gesundheitskarte und Telematik-Infrastruktur, erfolgt mit dem Ziel, das im Film Dargestellte etwa in diesem Zeitraum tatsächlich auch einzuführen.
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Lassen Sie mich als erstes auf die Grundlagen zu sprechen kommen: Warum macht man das Ganze eigentlich? Gesundheitssysteme sind ja heute auf nationaler Ebene, Herr Busse hat das vorhin sehr deutlich gemacht, zwar alle etwas unterschiedlich, in der Regel aber alle sehr leistungsfähig, sie haben aber auch ihre Qualitätsmängel. Die Gesundheitssysteme sind im Grunde in den letzten Jahrzehnten so erfolgreich gewesen, dass sie heute auf Probleme treffen, die Sie eigentlich selbst verursacht haben (Bild 1). Die Menschen werden immer älter, und Menschen brauchen gegen Ende ihres Lebens oft eine sehr umfangreiche medizinische Betreuung. Es kommt auch vor, dass sie im Laufe ihres Lebens Erkrankungen bekommen, die dann für den Rest des Lebens nicht mehr verschwinden, häufig auch chronische Erkrankungen, die intensiver medizinischer Behandlung bedürfen und damit sehr viel Geld kosten. Unser Ziel muss es sein – und ich denke, da sind wir uns alle einig –, das hohe Niveau der Gesundheitsversorgung weiter zu erhalten, möglichst auch noch weiter zu verbessern und dies trotz all der widrigen Rahmenbedingungen, die wir vorfinden, also beispielsweise der steigenden Zahl chronischer Erkrankungen und der immer älter werdenden Bevölkerung, wobei letzteres ja nicht wirklich ein widriger Umstand ist. Wir alle sind ja froh darüber, dass wir gesund älter werden können. Aber um die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens unter diesen Rahmenbedingungen zu erhalten, muss eben etwas passieren – mit dem gegenwärtigen System ist es leider nicht möglich.
Bild 2
Wie löst man das Ganze? (Bild 2) Da kommt man zunächst einmal auf die Idee, es genauso zu machen wie viele Industrie- oder Wirtschaftsunternehmen dies in den letzten Jahrzehnten auch getan haben, nämlich auf die Prozessabläufe zu schauen und diese möglichst zu optimieren. Dabei stellt man fest, dass Prozessabläufe in der Industrie, in der Wirtschaft, in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert worden sind, dass die Prozessabläufe im Bereich der Medizin, im Bereich der Gesundheitsversorgung sich aber in den letzten 50 Jahren kaum geändert haben. Ein Schlüssel für die Verbesserung der Prozessabläufe war und ist der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie.
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Bild 3
Genau an dieser Stelle setzt das Thema Telematik-Infrastruktur und die Lösung des Problems an. Hier noch einmal eine Übersicht über das Gesundheitswesen in Deutschland (Bild 3). Das soll jetzt im Moment unser Hauptthema sein. In anderen Ländern passiert auch einiges. Darüber werde ich später noch ganz kurz berichten und ein paar Beispiele zeigen. Das Gesundheitssystem ist riesengroß. Wir haben über 4 Millionen Beschäftigte im deutschen Gesundheitswesen, davon 250.000 Ärzte, die sich etwa hälftig auf Krankenhäuser und auf niedergelassene Praxen verteilen. Krankenhäuser gibt es über 2.200, Zahnärzte etwa 77.000, Apotheken fast 22.000, gesetzliche Krankenkassen zur Zeit etwa 270. Es werden durch Fusionen laufend weniger. Dann gibt es auch noch sonstige Leistungserbringer wie beispielsweise Physiotherapeuten, Reha-Kliniken, Alters- und Pflegeheime, etc, die wir alle mit zum Gesundheitswesens rechnen, natürlich auch Rettungsdienste. Daneben unten links sehen Sie den Hinweis auf europäische Gesundheitssysteme, denn wenn wir in Europa schon versuchen zusammenzuwachsen, sollten wir auch versuchen, innerhalb der Gesundheitssysteme eine Interoperabilität sicherzustellen. Rechts unten noch einmal – was auch schon von Vorrednern gesagt worden ist – die Grundlage der Aktivitäten, nämlich das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, was bei vielen am besten in Erinnerung geblieben ist durch die Einführung der Praxisgebühr. Dieses Gesetz enthält eine ganze Reihe hoch interessanter und zukunftsträchtiger Bestimmungen, auf denen man aufbauen kann.
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Bild 4
Wie sieht so eine Telematik-Infrastruktur denn nun aus? (Bild 4) Es wird immer von der Gesundheitskarte gesprochen, und tatsächlich ist es das, was der Bürger am Ende in der Hand hält. Aus diesem Grunde hat man sicherlich richtig in der Politik auch entschieden, das ganze elektronische Gesundheitskarte zu nennen. De facto ist die Gesundheitskarte aber nur ein Zugangsmittel zu einem System, das ganz andere Dimensionen hat. Dieses System basiert auf einem eher zentral organisierten Teil, wo in Datenbanken mit hoher Sicherheit und Verfügbarkeit Daten gespeichert sind, die eHealth erst möglich machen. Das Entscheidende ist dabei die elektronische Patientenakte. Sie enthält die Krankengeschichte des Patienten mit Behandlungs- und Abrechnungsdaten. Als ein Auszug aus seinen Erkrankungen ist ein europäischer Notfalldatensatz mit wesentlichen Erkrankungen, Allergien etc. des Patienten gespeichert, dessen Kenntnis einem Notarzt hilft, die Behandlung auf vorhandene Risiken des Patienten abzustimmen. In der elektronischen Patientenakte ist weiterhin enthalten die Medikamentenhistorie wie auch die aktuelle Verordnung. Letztere wird wahrscheinlich auch noch als Bckup auf der Gesundheitskarte abgespeichert, aber der Master wird auf jeden Fall zentral in der Patientenakte gespeichert sein. Das Zuzahlungsmanagement des Patienten und aus Datenschutzgründen auch die Dokumentation der Zugriffe auf die Akte, denn auf diese Akte darf ja nur von autorisierten Personen und mit Zustimmung des Patienten zugegriffen werden.
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Bild 5
Was gehört noch zur Telematik-Infrastruktur? Auch Dinge, die jetzt den Münchner Kreis mit seinem Schwerpunkt der Kommunikation und Informationstechnologie sehr stark berühren. Wir brauchen dafür nämlich eine breitbandige hoch verfügbare und flächendeckende Netzinfrastruktur (Bild 5). Die ist heute mitnichten gegeben. Die Deutsche Telekom spricht bei der deutschen Breitbandinfrastruktur heute von einer Verfügbarkeit von 98,5 %. Das ist für einen Arzt, der tagtäglich damit arbeiten muss, völlig unakzeptabel. Die Anforderungen liegen vielmehr bei 99,99 %, und dieser Unterschied bedeutet eine ganze Menge an Investitionen und teilweise auch an neuer Technologie. Insofern ist das bestimmt auch ein Punkt für die spätere Diskussion. Die Investitionen in diese Breitbandinfrastruktur werden heute meist bei den Rechnungen vernachlässigt. Sie sind aber sehr hoch, sie können allerdings später auch für andere professionelle Dienste nutzbringend verwendet werden. Hier kann das Gesundheitssystem Vorreiter sein für neue Anwendungen. Wir brauchen eine hohe Datensicherheit, die geschaffen werden kann durch Verschlüsselung und Pseudonomisierung der Daten. Entsprechend wird dann über Virtual Private Networks kommuniziert. Es wird Verzeichnisse haben, in denen Pseudonomisierungsdaten abgelegt sind, so dass der unautorisierte Zugang zu Daten praktisch unmöglich gemacht wird. Der Zugang zu dieser Patientenakte, ich hatte es gerade schon gesagt, wird möglich sein durch die Gesundheitskarte des Patienten und den Heilberufsausweis des Arztes oder auch anderer Personengruppen, die zu den Heilberufen gehören und sowie durch eine zusätzliche Authentisierung. Der Patient und der Arzt müssen also
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nachweisen, dass sie tatsächlich die rechtmäßigen Eigentümer der jeweiligen Karte sind. Das wird zu Beginn durch eine PIN gelöst, aber sobald eine entsprechende Technologiereife erreicht ist, sollen biometrische Merkmale verwendet werden. Man kann nicht von allen Menschen erwarten, dass sie sich verschiedene PIN-Nummern merken können, die dann beim Arzt oder im Notfall nicht abrufbar sind.
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Ein weiterer Teil der Telematik-Infrastruktur sind kontextbasierte Expertensysteme für die Unterstützung von Diagnose und Therapie durch verschiedene Maßnahmen (Bild 6). Das können Leitlinien sein für integrierte Versorgungsmodelle. Das können Arzneimitteldatenbanken sein, wo Hinweise auf Kontraindikationen enthalten sind. Das kann zukünftig sogar so weit gehen, dass die Behandlung oder die Verordnung von Arzneimitteln abgeglichen wird mit den möglicherweise multiplen Erkrankungen, die ein Patient hat. Damit kann vermieden werden, dass nichts unternommen wird, was der einen Erkrankung hilft, möglicherweise eine andere erheblich verschlechtert. Damit wird dann auch eine automatische Prüfung von Arzneimitteln möglich; so wie Sie es im Film gesehen haben. Es gibt sehr konkret Anforderungen auch in anderen Ländern, dies schon umzusetzen und ich denke, dass die Kontraindikationsprüfung von Arzneimitteln zusammen mit dem elektronischen Rezept in vielen Ländern eine der ersten Applikationen der Telematik-Infrastruktur sein wird. Im Film haben Sie auch den Einsatz von Spracherkennungs und Sprachsteuerungssystemen gesehen. Das hat zwar nicht unmittelbar etwas mit einer Telematik-Infra-
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struktur zu tun, aber die Spracherkennung sorgt dafür, dass keine Medienbrüche mehr existieren, so dass Prozesse weiter optimiert werden können. Die Spracherkennungssysteme sind heute reif für einen professionellen Einsatz. Die Worterkennungsraten liegen heute bei bis zu 99%. Damit können Sie ganze Schriftstücke diktieren, wobei nur bei jedem zweiten oder dritten Arztbrief mal ein Wort korrigiert werden muss. Das ist inzwischen eine Qualität, die Spracherkennungssysteme für den Arzt höchst attraktiv machen. Sie werden heute schon sehr erfolgreich von einzelnen Ärzten eingesetzt, beispielsweise bei Operationen, wo direkt in den Rechner diktiert wird und der Arztbrief samt Bildgebung sofort nach der Operation zur Verfügung steht.
Bild 7
Lassen Sie mich das technische Konzept der Telematik-Infrastruktur anhand dieser einfachen Darstellung zusammenfassen (Bild 7). Es wird ca. 80 Millionen elektronische Gesundheitskarten in Deutschland geben. Die privaten Krankenversicherungen werden die Karten ebenso wie die gesetzlichen Krankenversicherungen ausgeben, obwohl sie dazu nicht per Gesetz verpflichtet sind. Etwa 1,25 Millionen Heilberufsausweise werden an Arztpraxen, Apotheken, Kliniken, aber eben auch auf andere Heilberufe ausgegeben, die heute mit der Krankenversichertenkarte abrechnen können, wie Sanitätshäuser, Physiotherapeuten und andere mehr. Alle Terminals der Leistungserbringer sind auf der linken Seite abgebildet. Auf der rechten Seite sehen Sie die zentralen Einrichtungen. Da sind Server dabei, die der Identifikation und der Datensicherheit dienen, Server die administrative oder medi-
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Günter Braun
zinische Applikationen beinhalten, und nicht zuletzt die elektronischen Patientenakten. Das System muss eine extrem hohe Datensicherheit aufweisen, und das Schlimmste, was passieren kann, ist ein unautorisiertes Eindringen in das System. Vielleicht steht dann am nächsten Tag in der Zeitung, dass jemand eine Patientenakte geknackt hat. Das ist etwas, was wir uns nicht leisten dürfen und aus diesem Grund müssen wir eine ganze Reihe von Vorkehrungen treffen.Die Gesundheitsdaten von Menschen werden als hochsensibel eingestuft und erfordern eine wesentlich höhere Datensicherheit als beispielsweise Bankdaten.
Bild 8
In dieser Folie sehen Sie das Ganze in einer anderen Darstellung (Bild 8). Wir haben auf der Seite der Leistungserbringer eine Art Gateway, das dafür sorgt, dass von außen her in dieses sichere Netz, also das Breitbandnetz und den Serververbund keine Viren oder unautorisierte Personen hineinkomme. Es ist eigentlich genau anders herum als man es heute hat. Da schützt man seinen lokalen Rechner vor dem Netz. In diesem Fall wird das Netz vor dem lokalen Rechner geschützt, denn der Arzt kann mit seinem lokalen Rechner auch im Internet surfen oder ihn irgendwo mit hinnehmen. Aus diesem Grund ist der Rechner erst einmal nicht sicher und muss von dem sicheren Netz mit einem speziellen Gateway abgetrennt werden. Dieser sog. bIT4health Connector wird eine eigene „Black Box“ sein, die alles beinhaltet, was für die Gewährleistung der IT-Sicherheit notwendig ist. Man bekommt den Netzzugang dann, wenn man sich mit Gesundheitskarte und Arztausweis über Kartenlesegeräte, die an diesen Connector angeschlossen sind, identifiziert und autori-
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siert. Der Connector dient gleichzeitig noch als Schnittstelle zu den heute teilweise schon vorhandenen IT-Systemen der Leistungserbringer.
Bild 9
Auf dieser Folie sehen Sie das ganze System in einer etwas anderen Darstellung (Bild 9). Da sind noch einmal die verschiedenen Ebenen der Realisierung aufgezeigt. Sie sehen unten die komplette Infrastruktur, also Kommunikations- und Security-Lösung mit einem Virtual Private Network, mit entsprechenden Directories, mit dem Connector sowie zugehörigen Dienstleistungen. Weiterhin die Karten sowie Client und Server Hardware. Darüber sehen Sie zentrale Einrichtungen, das sind wenige große Rechenzentren, deren Batrieb sowie den Anwendersupport. Im obersten Feld sehen Sie die Anwendungen. Die ersten beiden Anwendungen per Gesetz, die auch verpflichtend sind für den Patienten, sind das Vertragsdatenmanagement und das elektronische Rezept. Alle anderen Anwendungen sind per Gesetz zwar für die Selbstverwaltung verpflichtend, die sie bereitstellen muss, nicht aber für den Patienten. Dazu gehören Anwendungen wie die Arzneimitteldokumentation, der Notfalldatensatz, die Patientenakte. Wegen dieser Freiwilligkeit ist es wichtig, beim Patienten Akzeptanz für das System zu gewinnen. Dies wird aber nur möglich sein, wenn auch die Heilberufe vom Nutzen des eHealth-Systems überzeugt sind.
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Bild 10
Lassen Sie mich kurz auf zwei Beispielprojekte eingehen, die von Siemens in anderen Ländern bereits realisiert wurden bzw. in Realisierung begriffen sind (Bild 10). So werden in der Lombardei gerade 9 Millionen Gesundheitskarten an die Bevölkerung ausgegeben. Momentan sind etwa ¾ davon bereits an die Bevölkerung und an die Ärzteschaft verteilt. Das System hat einen ähnlichen Zweck wie in Deutschland, nämlich einen sicheren Zugang zu Patientendaten und Gesundheitsinformationen zu schaffen. Es pragmatischer und nicht so perfekt wie es in Deutschland derzeit entwickelt wird, dafür ist es aber schneller implementiert worden.
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Bild 11
Als zweites bereits laufendes Beispiel sehen Sie ein Rechenzentrum in der Größe und mit den Sicherheitsanforderungen die schon angesprochen wurden. Siemens betreibt in der Nähe von Philadelphia in den USA ein Großrechenzentrum in dem sämtliche outgesourcte Daten von rund 1500 US-Kliniken gespeichert sind (Bild 11). Über 200.000 Ärzte haben Netzzugang, insgesamt 450.000 Arbeitsplätze aus den ganzen USA hängen an dieser Serverfarm und sind auf die zuverlässige Verfügbarkeit der gespeicherten Daten angewiesen. Es handelt sich dabei um sämtliche Krankenhausdaten einschließlich der Patientendaten. Die Verfügbarkeit des Rechenzentrums ist 99,99 %, die durchschnittliche Reaktionszeit 0,5 Sekunden und das bei über 100 Millionen Transaktionen täglich. Die Sicherheit war in den mehreren Jahren, in denen das Rechenzentrum besteht, nie gefährdet und kann diesbezüglich für entsprechende Installationen in Deutschland als Vorbild dienen. Daten sind dort wesentlich sicherer aufgehoben als dies heute in einem Krankenhaus oder in einer Arztpraxis der Fall ist.
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Bild 12
Was sind die Wirkungen der Gesundheitskarte? (Bild 12) Wir bekommen eine bessere Transparenz für alle Beteiligten. Das Thema hohe Arzneimittelsicherheit hatte ich auch schon angesprochen, weil Unverträglichkeiten erkannt werden können. Heute, so lautet eine Schätzung, sterben in Deutschland über 10.000 Menschen pro Jahr allein daran, dass Unverträglichkeiten von Arzneimitteln oder falsche Arzneimittel verabreicht werden. Die Zahlen sind deutlich höher als die Verkehrstoten in Deutschland, und für die tut man eine Menge, damit es weniger werden. Es kommt hinzu die Unterstützung des Arztes durch entsprechende Expertensysteme. Hierfür sind Entwicklungen im Gang, um einen kontextbasierten, gezielten Zugriff auf wenige Informationen sicherzustellen. Wenn Sie heute bei Google ein Stichwort eingeben, dann bekommen Sie 10.000 Treffer. Was soll ein Arzt damit anfangen? Der braucht ein oder zwei Treffer, wenn er irgendetwas sucht, und die müssen ganz schnell und einfach dargestellt werden. Die Telematik-Infrastruktur ist eine Voraussetzung für integrierte Versorgung, d.h. die sektorübergreifende Zusammenarbeit beispielsweise von niedergelassenen Ärzten mit Krankenhäusern, wie sie von Herrn Dr. Kartte schon besprochen wurde. Die höhere Transparenz erlaubt auch die Vermeidung von Mehrfach- und Paralleluntersuchungen sowie Befragungen von Patienten. Bei entsprechender Qualität der Untersuchung soll diese auch von einer nachfolgenden medizinischen Institution anerkannt und genutzt werden. Dies führt zu Einsparungen. Darüber hinaus dient es auch dem Patienten, wenn er sich nicht unnötigen Untersuchungen unterziehen
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muß, die häufig wie bei Röntgen auch mit Strahlenbelastungen verbunden sind. Eine Zweitmeinung muss natürlich auch weiterhin eingeholt werden können. Die heutige Krankenversichertenkarte wird in hohem Maß missbräuchlich genutzt. Genaue Zahlen gibt es nicht, Schätzungen gehen aber davon aus, daß durch missbräuchliche Nutzung von Krankenversichertenkarten durch nicht Versicherte Schäden in Milliardenhöhe verursacht werden. Das Thema Datensicherheit und Datenschutz hatte ich schon angesprochen. Und natürlich führt eHealth bei näherer Betrachtung der Prozesse, zun einer deutlichen Verringerung des Verwaltungsaufwandes. Daraus resultiert schließlich eine höhere Qualität und eine höhere Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitsversorgung.
Bild 13
Jetzt interessiert Sie wahrscheinlich noch der Stand und das weitere Vorgehen bei der Gesundheitskarte in Deutschland (Bild 13). Wo stehen wir eigentlich gerade? Im Moment läuft ein Forschungs- und Entwicklungsvorhaben unter Leitung des Bundesgesundheitsministeriums als Auftraggeber. Beteiligt sind die Fraunhofer Gesellschaft, die Selbstverwaltung und die Industrie. Dabei sollte eine Arbeitsteilung stattfinden, bei der jeder das einbringen sollte, was er am besten kann. Seitens der Selbstverwaltung ist das naturgemäß die Kenntnis von Use Cases und Prozessen in der Gesundheitsversorgung sowie die daraus resultierenden Anforderungen an Architektur und Schnittstellen. Die IT-Industrie ist sicherlich am geeignetsten, wenn es darum geht, die Anforderungen in eine moderne IT-Lösung umzusetzen. Und wir
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brauchen ein Ministerium, das als Aufsichtsbehörde schließlich die Architektur, bestimmte Standards oder Spezifikationen verbindlich per Gesetz oder Verordnung festlegt.
Bild 14
Daneben beginnen wir, und das ist vorhin schon einmal kurz angeklungen in dem Referat von Herrn Staatssekretär Heike, in Ingolstadt und später in Bochum damit, in einem zunächst relativ kleinen Pilotprojekt die Umsetzung dieser IT-Lösung voranzubringen (Bild 14). So haben wir beispielsweise im November 2004 erstmalig weltweit ein elektronisches Rezept vorgeführt. Es umfasst die Rezepterstellung durch den Arzt, die Übertragung des eRezepts an einen Server, sowie die Abholung der Verordnung vom Server und die Ausgabe des Medikaments durch die Apotheke. Größere Modellprojekte werden etwa ab Anfang 2006 beginnen, aber immer unter der Prämisse, dass das Projekt sich nicht weiter verzögert und die Zeitplanungen wie sie heute bestehen auch realistisch sind. Um die Akzeptanz der eHealth-Lösung bei Patienten wie auch bei Leistungserbringern zu fördern, gilt es insbesondere, die Nutzeffekte des Systems kommunizieren. Dies kann sicher auch durch den Film geschehen, den Sie gesehen haben. Noch wichtiger sind aber mindestens bei den Leistungserbringern finanzielle Anreize zur Nutzung des Systems. Sind die Leistungserbringer überzeugt, so wird das System auch bei Patienten eine hohe Akzeptanz finden.
8 Diskussion Moderation: Prof. Dr. Jörg Eberspächer, Technische Universität München Prof. Eberspächer: Wir haben noch Zeit für Diskussionen, sowohl über den ersten als auch über den zweiten Beitrag. Bitte, die erste Frage! Herr Steffens, McDermott Will & Emery Rechtsanwälte, München: Ich berate im Umfeld der Gesundheitskarteneinführung, und der Zeitplan ist sehr ehrgeizig bei diesem doch sehr komplexen Projekt. Aus rechtlicher Sicht stellen sich da noch einige Fragen, die aus meiner Sicht bislang sehr wenig diskutiert wurden. Dies ist zum einen, dass die Leistungsvergabe grundsätzlich der öffentlichen Ausschreibung unterliegt, und zum anderen dass, wenn es zu einer Kooperation von Unternehmen auf der gleichen Wirtschaftsstufe kommt, hier an Einschränkungen durch kartellrechtliche Normen zu denken ist. Beide Felder werden europarechtlich überlagert. Demgegenüber ist der Datenschutz sicherlich recht gut im Blickfeld, was auch aus den vorangegangenen Vorträgen deutlich geworden ist. Schließlich muss man auch daran denken, dass die gesamte IT von den betroffenen Unternehmen natürlich vertragsmäßig abgesichert werden muss. Vielleicht könnten Sie einmal vor diesem Hintergrund sagen, wie Sie die Einhaltung des Zeitplans auch unter den Vorgaben der rechtlichen Regelungen realisieren wollen? Dr. Braun: Zunächst einmal kann ich Ihnen, was die Inhalte Ihrer Ausführungen anbelangt, nur zustimmen. Alles was Sie gesagt haben, ist uns sehr wohl bewusst, führt sicherlich zu einer höheren Komplexität auch in der weiteren Vorgehensweise, ist aber machbar. Ich denke, der Zeitplan hängt nicht von kartell- und vergaberechtlichen Problemen und auch nicht davon ab, wie wir Datenschutz gewährleisten. Alle diese Punkte sind schon seit längerem in Diskussion. Jedem, der in diesem Umfeld tätig ist, ist bewusst, dass alle von Ihnen genannten rechtlichen Vorgaben sorgfältig beachtet werden müssen und richtet seine Aktivitäten daran aus. Der Zeitplan hängt im Moment eher davon ab, ob, was ich vorher schon gezeigt habe, die Arbeitsteilung zwischen den drei Gruppen Selbstverwaltung, Industrie und Gesundheitsministerium funktioniert, und zwar bei der Erarbeitung einer Lösungsarchitektur auf der Basis von Use Cases, der Festlegung von Standards und Spezifikationen und der späteren Realisierung. Da gab es in der Vergangenheit ein paar Probleme. Deshalb hat sich der ursprüngliche Zeitplan, der etwa neun bis zwölf Monate früher angesetzt war als heute, verschoben, und solange diese Probleme nicht sauber gelöst sind, wird sich der Zeitplan auch noch weiter verschieben. Wir sind aber zuversicht-
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Moderation: Jörg Eberspächer
lich, dass wir heute einer Lösung sehr nahe sind. Ich hatte ja schon in einer vorherigen Aussage deutlich gemacht, dass auch der Zeitplan bei den großen Pilotprojekten nur dann gehalten werden kann, wenn sich keine weiteren Verzögerungen im Gesamtvorhaben ergeben. Prof. Eberspächer: Vielen Dank. Gibt es weitere Fragen aus dem Auditorium? Bitte schön. Dr. Clasbrummel, Bochum: Ich bin Unfallchirurg und habe mich natürlich über den mit englischem Humor versehenen Beitrag von Herrn Holtel natürlich sehr gefreut. Ich habe Ärzte bisher eher als technikfreundlich kennen gelernt. Ich glaube, dass Ärzte häufig Treiber von Technologien sind, weil sie eben sich davon Verbesserungen, Vereinfachungen ihres klinischen Alltags erhoffen. Wenn ich jetzt bedenke, wie die Dokumentationspflichten derzeit im Krankenhaus sind – der Assistenzarzt dokumentiert bei de Aufnahme, der Chirurg dokumentiert noch einmal im OP. Die OP-Schwester macht eine ähnliche Dokumentation, auch der Anästhesist dokumentiert und er entlassende Arzt kontrolliert die Verschlüsselung noch einmal. Das bringt oft ein Unverständnis vieler Kollegen. Warum soll ich jetzt wirklich ein, anderthalb, zwei Stunden, besonders die Assistenzärzte, täglich Dokumentationsaufwand treiben, wo es doch mit IT viel besser ginge. Nach zehn, zwölf Stunden Arbeitstag noch ein, zwei Stunden dokumentieren. Und die Verwaltung, die eigentlich mehr unterstützen sollte, geht schon 16 Uhr nach Hause. Ich denke, die Ärzte sind relativ technikfreundlich, und ich glaube, auch diese Tagung heute kann einen Beitrag dazu leisten, IT zu entwickeln, benutzerfreundlich auch für Ärzte. Dr. Holtel: Ich weiß nicht, an welchem Haus Sie tätig sind in Bochum, aber ich vermute an der Universität, und da haben Sie natürlich auch eine eher technikfreundliche Umgebung, die universitären Kollegen sind ja etwas anders eingestellt. Was mir bei meinen Kollegen im normalen kleinen Durchschnittskrankenhaus auffällt, ist diese Unterscheidung in Freund- und Feindtechnik. Beatmungsgeräte und Sonographiegeräte können nicht kompliziert und toll genug sein, wenn damit ein zusätzlicher Effekt zu erzielen ist, interessante Funktionen, mehr Farbe, eine bessere Darstellung. Und wenn es teuer ist, macht es eigentlich noch mehr Spaß. Aber wenn es um die Organisation der Arbeit geht – da spielt natürlich auch das Problem rein, dass man die Organisation sowieso schlecht verändern kann, das ist bei allen Berufsgruppen so – wenn es um neue Organisation geht oder wenn die Prozesse verändert werden sollen und das auf Computerbasis passieren soll, sehe ich immer sehr große Widerstände. Ich habe ein paar kleinere Dinge bei mir im Haus umgesetzt und habe immer wieder die Kollegen kneten und bearbeiten müssen, damit wir da hinkommen.
8 Diskussion
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Prof. Eberspächer: Kann das auch noch mit der Überlastung der Kollegen zusammenhängen? Die hatten Sie in Ihrem Beitrag nämlich nicht erwähnt; also diese chronische und manchmal für die Laien unglaubliche Belastung. Sie hatten es gerade auch wieder erwähnt, diese 70, 80 Stunden oder 12, 14 Stunden pro Tag. Dann hat man doch keine große Lust mehr, sich der scheinbar unnötigen oder überzogenen Bürokratie zu widmen. Hängt das damit nicht auch zusammen? Dr. Holtel: Ja, sicher. Aber das hängt auch damit zusammen, dass die Chancen nicht gesehen werden zum Teil, weil ich auf kleinem Niveau natürlich, bei mir im Haus auch zum Teil Sachen versuche einzubringen, die z.B. die Vereinfachung der Verordnung auf der Intensivstation und meine Kollegen, die das System, so wie es angelegt ist, auch wieder so eine simple Exeltabelle, wirklich nichts Großartiges, aber zumindest etwas, was das wiederholte Aufschreiben von immer den gleichen Anordnungen über mehrere Tage einfach verhindert, und was ich mir als Handschriftfeind sehr gern aneigne, um diese stupide Arbeit zu lassen. Die Kollegen nutzen das einfach nicht, weil sie den Computer per se ablehnen und ihre Pläne lieber per Hand schreiben. Es ist erstaunlich, man wundert sich, aber es ist so. Das erleben Sie an der Uni vielleicht wieder anders. Prof. Eberspächer: Vielen Dank. Herr Dr. Stein! Dr. Stein: Herr Braun, Sie haben mich als Uralttelekommunikationsmensch natürlich mit den 98,5 % Verfügbarkeit für das Breitbandnetz tief getroffen. Die einfache Frage: wenn Sie sowieso eine Schnittstellenkarte haben, die aus Sicherheitsgründen zum Breitbandnetz geht, warum sind in der Schnittstellenkarte nicht noch andere Netzanschlüsse drin, z.B. ein GPRS Mobilanschluss oder ein Anschluss der dritten Generation, die dann fallweise eingesetzt werden würden. Das sind jeweils nur Beträge von den Bauelementen her in der Größenordnung von 10 Euro? Warum verbietet sich so etwas? Also, redundante Netze an Stelle des einen Breitbandnetzes, wo die Patientendaten und z.B. der europäische Pass dann in hierarchischer Gliederung auch innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde rüberkäme? Dr. Braun: Also, ich glaube, wir müssen hier ein bisschen aufpassen. Die Verfügbarkeit des Breitbandnetzes insgesamt hängt natürlich von einer ganzen Reihe unterschiedlicher Komponenten ab. Die Verfügbarkeit ist heute weder beim „Access“ noch im Netz ausreichend für die Anwendung in der Gesundheitstelematik. Neben einer Erhöhung von Redundanzen im Breitbandnetz selbst wie auch beim Netzzugang, wofür es schon fertige Lösungen gibt, könnte man sich natürlich vorstellen, auch mit neuen Technologien diese Verfügbarkeit zu verbessern, beispielsweise auch mit
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Moderation: Jörg Eberspächer
mobilen Technologien für Redundanzzwecke. Über alle diese Varianten wird nachgedacht. Es gibt dabei aber eine Randbedingung: die notwendige, sehr hohe Datensicherheit darf auf keinen Fall beeinträchtigt werden. Beim Mobilfunk kann das etwas problematischer sein als im Festnetz. Darüber hinaus ist ein Breitbandzugang über DSL oder Glasfaser mit der Bandbreite von GPRS oder UMTS nicht vergleichbar. Bei einem Pass spielt das wohl keine Rolle, bei der Übertragung von Röntgenbildern aber schon. Wir müssen in jedem Fall dafür sorgen, dass wir eine Lösung bekommen, die es einem Arzt ermöglicht, ohne große Ausfallzeiten das System der Gesundheitstelematik zu nutzen. Dr. Stein: Darf ich vielleicht noch einen Kommentar nachschieben, den ich vorhin vergessen habe. Das gut alte Analognetz hat wesentlich mehr als vier Neunen erreicht und ist auch relativ abhörsicher. Prof. Eberspächer: Ein bisschen langsam für den Zweck. Ich glaube, wir sind mit dieser Sitzung am Ende. Die Mittagspause steht vor uns. Ich möchte mich noch einmal bei den beiden Referenten bedanken. Die beiden Themenkreise kommen natürlich heute und morgen noch einmal zur Sprache. Vielen Dank!
9 Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes Dr. med. Siegfried Jedamzik Regionales Praxisnetz GOIN e.V., Ingolstadt Ich möchte Ihnen einige Strukturveränderungen am Beispiel eines im Jahr 2000 gegründeten Ärztenetzes demonstrieren. Die Schwierigkeiten, zukunftsgerichtete Versorgungsebenen zu etablieren und Realitäten vor Ort umzugestalten, sind immens, da die Trägheit historisch gewachsener Institutionen nicht unerheblich ist. Wird das GMG + Telematik die Strukturgrenzen überwinden?
Apotheke
Hausarzt
Facharzt Physiotherapeuten
Kurkliniken
Krankenhaus
Notfall-Krankenhaus Reformhäuser
Krankenkassen
Status quo: Anbietermarkt
Bild 1
Sie kennen dies: Der Status quo ist ein versäulter Anbietermarkt (Bild 1). Jede Organisation arbeitet mit Blick auf sich selbst. Verbesserungen werden oft nur im Innenraum gesucht. Ein dynamisches, kooperatives und sektorenübergreifendes Konstrukt zur Patientenführung fehlt. Die Daten und Informationen ruhen still und bequem in den Archiven der Krankenhäuser und in den Aktenschränken der Arztpraxen. Der Austausch erfolgt, wie Sie es alle kennen, über teilweise noch hand-
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Siegfried Jedamzik
geschriebene Arztbriefe, mit denen wir nicht in der Lage sind, sie strukturiert weiteren Verwendungen zuzuführen. Eine konstruktive Versorgungungsforschung oder Benchmarking von Strukturen ist nur mit großem Aufwand möglich.
Medizintelematik - ohne Prozesssteuerung kein echter Wettbewerb Wandel vom Rechts- zum Wettbewerbssystem
Früher: Versorgungsmentalität
Status Quo 1995-2004 Orientierungsphase
Mitgliedschafts-, Leistungs- und Vertragsrecht
Wahlfreiheit
Vertragsrecht bestimmend
Leistungsrahmen
Sozialrechtlicher Anspruch
Vertragsoptionen
Schiedsamt - Konsenszwang
Kriteriengestützt EBM
Zukunft: Unternehmermentalität ? Wahlfreiheit Einheitliche Leistungen/ Zusatztarife Vertragsfreiheit/ Organisationsfreiheit Wettbewerb
Tarife Evaluation, Leitlinien
Produktentwicklung Selektives Kontrahieren Case Management
GMG – ein struktureller Umbruch Bild 2
Nun stellt das GMG einen strukturellen Umbruch mit unabsehbaren Folgen dar (Bild 2). Viele Ärzte und andere Leistungsanbieter haben noch nicht erkannt, welch immenser Veränderungsdruck auf sie zukommen wird. Früher hatten wir bis auf wenige Ausnahmen eine reine Versorgungsmentalität, bestimmt vom Vertragsrecht, das auf sozialrechtlichen Ansprüchen basierte. Zur Zeit erleben wir eine Orientierungsphase mit beginnender Wahlfreiheit, kriteriengestützten EBM-Leistungen, Evaluationen und Leitlinien. In der Zukunft werden sich die Ärzte mit ganz neuen Begriffen und Modellen auseinandersetzen müssen: Unternehmermentalität, Wahlfreiheit, Wettbewerb, Produktentwicklung und selektives Kontrahieren.
9 Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes
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Bild 3
Im Gesetz sind neue Paragrafen als Stukturtreiber von noch nicht absehbarem Einfluss angelegt, die Sie alle kennen (Bild 3). Sie werden in der Realität neue Versorgungsebenen schaffen: Praxisnetze, medizinische Versorgungszentren, integrierte Versorgungverträge, Krankenhausketten, hausarztzentrierte Versorgung, und vieles Andere mehr. Das alles wird jedoch keine neuen Effizienzen schaffen, wenn nicht durch eine elegante Medizintelematik effektive Kommunikationsstrukturen entstehen. Es wird sehr viel Bedarf an Struktur- und Prozessoptimierung geben.
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Siegfried Jedamzik
Telematikgestützte Optimierung der Struktur- und Prozessqualität Strukturoffenheit Ökonomischer Wettbewerb Arztpraxen Ärztenetze Integrierte Versorgung MVZ (Medizinische Versorgungszentren)
Krankenhäuser Rehakliniken Krankenhausketten Integrierte Strukturen
Apotheker
Krankenkassen Patientenverbünde
Versandapotheken Gesundheitszentren
Medizintelematik als Kommunikationbeschleuniger Medizinische Versorgung ist ein informationsabhängiger Prozess
Telefon Papier Fax Schrift Graphologie Schränke Akten
Bild 4
Medizintelematik wird ein Kommunikationsbeschleuniger werden (Bild 4). Telefon, Papierfax – man muss manchmal Graphologe sein, um die Schriften zu entziffern und um die Briefe zu lesen, die wir untereinander austauschen. Ich hoffe, dass dies bald ein Ende hat und in neuen, telematikgestützten Inforamtionsprozessen eine Strukturoffenheit und ökonomischer Wettbewerb entsteht. Dynamische Prozesse als Einheit Integrierte Versorgung bedeutet prozessorientiertes Zusammenführen aller Kompetenzen
Patient mit Gesundheitspass
„Hausarztvertrag“
Koordinationsarzt Facharzt
Krankenhaus
Apotheke Zahnarzt Kurkliniken Notarzt Alternative Heilverfahren Reformhäuser
Physiotherapeuten Notfallkrankenhaus Krankentransport
Gatekeeperversorgung der Papiergeneration wird scheitern Koordinationsarzt versucht den Patienten mit Gesundheitspass durch die Gesundheitsstruktur: „Integrationsversorgung“ zu leiten
Bild 5
9 Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes
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Ich bin fest davon überzeugt, dass eine reine Gatekeeper-Versorgung nach dem Hausarztmodell – papier- oder telematikgestützt – weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht effektiv sein wird (Bild 5). Ich möchte dies ausdrücklich so formulieren, weil dies in den momentanen Umsetzungsdiskussionen der integrierten Versorgung das bevorzugte Modell ist. Wir haben die letzten vier Jahre im Grunde genommen mit unseren GOIN-Papierpässen nichts anderes versucht, als über eine Koordinationsarzt und papiergestützten Informationsformularen wie Überweisungsbegleitbrief und Gesundheitspass eine Gateskeeper-Versorgung zu machen. Dieser Ansatz hat nur in Ansätzen funktioniert. Die meisten Patienten schreiben sich wohl in diese Programme ein, sind aber in der Umsetzung dann nicht bereit, sich von einem einzelnen Arzt durch die Strukturen leiten zu lassen. Zumal es auch eine völlige Überforderung mancher Arztgruppen wäre. Nicht der Arzt, sondern die Krankheit muss zentrales Steuerungsinstrument für eine optimale Versorgung sein. Der Patient beim Hausarzt
Bild 6
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Siegfried Jedamzik
Der Notarzt beim Patienten
Bild 7
Der Patient beim Facharzt im Krankenhaus
Bild 8
9 Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes
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Warum brauchen die Player im Gesundheitswesen eine neue Kommunikationsplattform, die auf effiziente Weise den Praxisworkflow erleichtert? Typische Fragen die bei Ärzten im Praxisalltag auftreten (Bilder 6, 7, 8). Der Patient: „ Mir ist schlecht geworden, als ich die gelbe Tablette einnahm, den Namen habe ich leider vergessen,“ oder: „Ich habe gestern eine Spritze bekommen für meinen Asthmaanfall, jetzt habe ich Blut im Stuhl,“ Frage: was für eine Spritze. Oder: „Ich habe seit letzter Woche einen Ausschlag am ganzen Körper; habe ein Medikament vom Vorjahr eingenommen. Den Namen des Medikamentes weiß ich leider nicht.“ Zentrales Problem ist immer der schnelle und unkomplizierte Zugriff auf fehlende anamnestische Daten. Commitment und Strategiearbeit - regional
Facharzt- Gyn.
Reha
Physiotherapeut
Hausarzt A Facharzt-Augen
Krankenhaus
Apotheken
Arzneimittelhersteller
Patient Pflegeeinrichtungen
Hausarzt B Facharzt-Innere Psychotherapeut
Krankenkasse
Teamplayer – Mentalität Bild 9
Stichwort: Teamplayer – Mentalität (Bild 9). Es ist sehr schwierig, in der Realität eine Teamplayermentalität zu entwickeln. Lassen Sie mich so formulieren: Ärzte, und das haben mehrere Vorredner gesagt, sind gewohnt, selbstständig und mit eigenen Daten Probleme zu lösen. Dies ist bei einfachen Krankheitsbilder wie einer Angina kein allzu großes Problem. Schwieriger wird es jedoch bei komplexen Krankheitsbildern wie dem Diabetes mellitus, der einen sektorenübergreifenden Ansatz erzwingt. Strukturierte Teamplayermentalität wie ich sie verstehe, ist zwischen den medizinischen Sektoren noch zu wenig ausgeprägt. Eine der größten Aufgaben wird sein, Akzeptanz für neue Kommunikationsstrukturen zu schaffen. Kommittment zu schaffen; Strategiearbeit für eine verbesserte Versorgungsstruktur zu beginnen – regional und national.
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Auszug aus dem Praxisnetzportfolio Erfolgsfaktoren für Akzeptanz bei Patienten und Player
500 Ärzte 290.000 eingeschriebene Patienten Region: Ingolstadt Neuburg Eichstätt Schrobenhausen Pfaffenhofen Rechtsform: Verein mit Management-GmbH Gründung: 2000 Kooperationspartner: Kassenärztliche Vereinigung Bayern AOK-Landesverband Bayern Audi-BKK + 34 BKK
Bild 10
Was haben wir in der Region Ingolstadt gemacht (Bild 10)? Die regionalen Ärzte haben den Verein GOIN e.V. im Jahre 2000 gegründet. Zwischenzeitlich sind rund 500 Ärzte daran beteiligt. Das sind insgesamt 90 % aller Ärzte aus der Region. Über 200.000 eingeschriebene Patienten beteiligen sich. Kooperationspartner sind die kassenärztliche Vereinigung Bayern, die AOK Bayern und verschiedene Betriebskrankenkassen wie z.B. Audi BKK, BKK Siemens oder BKK BMW. Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung dieser Kooperationspartner. Die Region hat 480.000 Einwohner.
9 Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes
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Region mit 480 000 Einwohnern Davon 270 000 als Patienten im Netz eingeschrieben
Bild 11
Stichwort: Dichtung und Wahrheit (Bild 11). Es gibt sehr viele Visionen. Viel steht in Gesetzen und auf dem Papier. GOIN hat versucht, einiges davon in die Realität zu transformieren. Ein Kodex zur Entwicklung und Zusammenarbeit ist als Verhaltensanweisung von allen unterschrieben worden. Aus der Ärzteschaft heraus gesteuertes Controlling, Benchmarking, Versorgungsforschung und telematikbasierte Kommunikation als Modellregion sind zukünftige Aktivitäten. Wir sind jedoch noch lange nicht am Ziel. Wir werden uns bemühen, die im Praxisnetz konsentierten Zielbausteine und Prozessstrukturen schrittweise umzusetzen. Dies ist aufwendig, komplex und schwierig.
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Siegfried Jedamzik
Kodexfixierte Ziele der Praxisnetzes Integrierte Versorgung auf regionaler Ebene Erwirkung von Einsparpotenzialen Hebung von Synergiepotenzialen regionaler Leistungserbringer Optimale, Telematik-basierte Kommunikation und Patientenbetreuung Einführung von Prozessqualität (Zertifizierung) Controlling – Benchmarking – Versorgungsforschung - DMP
Dichtung und Wahrheit
Bild 12
Zielbausteine des Praxisnetzes GOIN e.V. Ziele: U
Ehrenamtliche Patientenbetreuung Soziale Zuwendung, Image
Pflegeheim
Partner: Ambulante Rehabilitation
Arbeitsmedizinisches Zentrum
Mitarbeiter Kirchen Andere Kostenträger GKV
Gesundheitscenter
Rationelle Verordnungsweise
Leitstelle ISDN Case- Management
Kooperation mit Pflege- u. Sozialdiensten
Betreutes Schlafen Last Minute
Häusliche Nachtwache
Kooperation mit Rettungs-wesen
Kooperation mit Klinik –Patienten- u. Belegbetten
GKV Präsenz zu Unzeiten Notfallpraxis
(Not)-ärztlicher Visitendienst
Patienten-schulung Prävention
Eigenes Honorarbudget
Gesundheits-pass für Patienten
Kommunikation und Patientenbetreuung
Überweisungsbegleitbrief Telefax
Qualitätszirkel Netzkonferenzen Arbeitsgruppen
Zertifizierung und Prozessqualität
Bild 13
Medizinische Schwerpunkte
Vertragsärzte
Kooperation Timesharing Praxisorganisation
Mitarbeiter – und Gerätepool
Service Einkaufsgemeinschaft
Patientenbroschüre
EDV ISDN Internet
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Wenn die Telematikvisionen, so wie wir sie heute in den Vorträgen gehört und gesehen haben, umgesetzt werden sollen, dann muss sehr viel in der regionalen Realität vorgearbeitet werden (Bilder 12, 13). Mancher wird sich noch wundern, wenn er die Vorstellungen der IT-Ebenen auf der Realebene aufschlagen sieht. Eine Mindestvoraussetzung wird sein, die Ärzte in Praxen und Krankenhäusern auf die geänderten Workflows vorzubereiten. Wir haben diesbezüglich in den letzen zwei Jahren in über 200 Praxen ein Qualitätsmanagementsystem etablieren lassen, das bei vielen Praxen durch eine Zertifizierung ergänzt worden ist. Nur durch die Beschäftigung mit „Inhouseprozessen“ wird eine reibungslose Etablierung der Telematik möglich werden. Zum Beispiel Telefax: Es ist auch heute noch nicht einfach, Ärzte darauf festzulegen, dass sie wenigsten ein Telefaxgerät haben – und wir reden hochkomplexen Telematik-Infrastrukturen das Wort! Vielen Erhebungen zufolge haben Arztpraxen eine schlechte technische Infrastruktur. Das ist bei uns in der Region etwas besser, weil wir seit vielen Jahren in Kommunikation investieren. Leider benutzen viele Ärzte ihre Praxissoftware nur zum Einlesen von Chipkarten und zur Erstellung der Abrechnungen. Von einem PVS als Businesstool sind viele Arztpraxen noch meilenweit entfernt. Netzleitstelle als Koordinationsstelle
Informationsstelle für die Netzpatienten Koordinations- und Kommunikationszentrale für alle GO IN-Ärzte Geschäftsführer und zwei Sekretärinnen
Präsenzzeiten:
- Mo., Di., Do. - Mittwoch - Freitag
von 08.00 Uhr bis 18.00 Uhr von 08.00 Uhr bis 17.00 Uhr von 08.00 Uhr bis 14.00 Uhr
Kernaufgaben der Netzleitstelle: ¾
Unterstützung des Vorstandes, des Lenkungsbeirates bzw. der GO IN-Projektgruppen,
¾
Unterstützung und Assistenz der Geschäftsführung des GO IN,
¾
Koordination aller Verwaltungsarbeiten im GO IN,
¾
Entlastung der Praxisnetzmitglieder von organisatorischen und administrativen Aufgaben,
¾
Vermittlung von Gesundheitsinformationen für Patienten.
Bild 14
Ein weiterer Baustein im Praxisnetz ist die Netzleitstelle, die von Morgens bis Abends besetzt ist (Bild 14). Als Kommunikationsschnittstelle wird sie am Tag ca. 80 Mal von Patienten und Kollegen kontaktiert.
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Siegfried Jedamzik
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Zusammen mit unseren Kassenpartnern haben wir Gesundheitspässe in Papierform entwickelt, die Vorinformationen wie Allergien, Dauerdiagnosen, Kontraindikationen, Dauermedikamente, Laborwerte oder Blutdruckwerte enthalten (Bild 15). Telematikgetriggerte Prozesssteuerung im Netz nötig
Qualitätsmanagement • Einführung des GO IN-Qualitätsmanagement-Systems (QMS) • GO IN ist seit Dezember 2003 nach DIN EN ISO 9001 zertifiziert. • Teilnahme von über 200 GO IN-Praxen an GO IN-QMS • Masterhandbuch -Praxismanagement- zur Erstellung eines praxisindividuellen QM-Systems
Umsetzung im Praxisalltag • Einsatz des Masterhandbuches schwierig • Strukturelle Entwicklungen bleiben unberücksichtigt
Zertifizierung der kompletten Netzstruktur Handbuch/CD
Bild 16
9 Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes
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Die Prozesse des Ärztenetzes sind zertifiziert worden (Bild 16). Ein umfangreiches Masterhandbuch wurde in mühevoller Arbeit erstellt. Dies werden wir als eHandbuch zur Verfügung stellen, damit zeitnah und ohne Zugriffsbarrieren davon Gebrauch gemacht werden kann. 290 000 GO IN Gesundheitspässe in Papierform
Inhalte 9 Persönliche Daten 9 GO IN-Servicenummern 9 Dauerdiagnosen 9 Erklärung zur Organspende 9 Patientenverfügung 9 Krankenhausaufenthalte 9 Medikamentenunverträglichkeiten
9 Notfallnummern 9 Behandelnde Ärzte 9 Dauermedikamente 9 Allergien 9 Blutdruckwerte 9 Operationen 9 Laborwerte
Bild 17
Bei eine Anzahl von über Zweihunderttausend Gesundheitspässen können sie sich vorstellen, dass es eines ungeheuren Aufwandes bedarf, die Pässe mit Hand auszufüllen und immer auf dem neuesten Stand zu halten (Bild 17). Allein die Umständlichkeit dieser Arbeit zwingt uns dazu, den Pass telematisch abzubilden. Es ist den Ärzten und den Arzthelferinnen nicht mehr zuzumuten, die Informationen per Hand einzutragen.
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Siegfried Jedamzik
Gesundheitskarte / Serverstrukturen dringend erforderlich! • Unvollständig oder fehlerhaft ausgefüllt • Datenmaterial unlesbar bzw. veraltet • Signaturprobleme bei Ärzten und Patienten • Rückverfolgung des Krankheitsbildes nur in Ausschnitten • Patienten vergessen den Patientenpass • Datenmanipulationen möglich
Problematische Erfahrungen mit „Papier“-Patientenpässen!
Bild 18
Ein weiteres Problem ist die Rechtssicherheit und Signaturproblematik des Datenmaterials (Bild 18). Trotz Unterschrift und Stempel können sich weiterbehandelnde Ärzte nicht auf die Eintragungen verlassen. Die Passinhalte könnten gefälscht sein. Patienten vergessen oft den Patientenpass, ganz einfach durch die Tatsache bedingt, dass er nicht in eine Handtasche passt. Das kennen Sie alle, zumindest die ärztlichen Kollegen, die hier im Raum sitzen. Das ist die Realität, und diese Realität haben wir jeden Tag.
9 Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes
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Ohne MedizinTelematik kein quantitativ stukturiertes DiseaseManagement
• Zeitproblem beim Ausfüllen bei Ärzten ! • Fehlende einheitliche Standards ! • Wartezeit und Verzögerung bei der Weiterleitung ! • Einbindungsmöglichkeit in die Praxissoftware ?
Überweisungsbegleitbriefe Arztbriefe oft schwer lesbar!
Bild 19
Ohne Medizintelematik ist kein quantitativ strukturiertes Diseasemanagement möglich (Bild 19). Per Hand oder auch per Schreibmaschine geschriebene Briefe sind vollständig ungeeignet zur Weiterverarbeitung z.B. für Versorgungsforschung, Benchmarking und, wie Sie Herr Heil gerade sagten, Strukturen der vierten Ebene.
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Siegfried Jedamzik
Qualitätszirkelarbeit der Netzärzte (40 Qualitätszirkel)
Qualitätszirkel in den Jahren:
2001
2002
2003
2004
Gesamtsitzungen pro Jahr
158
148
156
157
Aufgabe eines QZ: Erarbeitung, Weitergabe diagnostischer und therapeutischer Strategien unter Berücksichtigung aktueller und wissenschaftlicher Erkenntnisse. Durchführung: Erarbeitung von Strategien (Leitlinien) zur Steigerung der medizinischen und wirtschaftlichen Effektivität. Instrumente: Einzelfallbesprechungen, indikationsbezogenen Therapie-, Diagnose- und Arzneimittelempfehlungen.
Ein Kernstück für Aktzeptanzbildung und Dynamik Bild 20
Ein zentraler Punkt in der Umsetzung der elektronischen Gesundheitskarte und der Medizintelematik ist die Akzeptanzbildung. Ärzte, Apotheker und Patienten wissen noch recht wenig, was auf sie zukommt (Bild 20). Dies ist nicht weiter verwunderlich, da es bisher in Ermangelung einer von allen Seiten akzeptierten Lösungsarchitektur oder Spezifikation für die Karte noch keine Möglichkeit gab, klare Aussagen über die zu akzeptierenden Prozesse zu treffen. Ich halte aus rein praktischer Erfahrung heraus die Arbeit in ärztlichen Qualitätszirkeln für eine optimale Struktur, Telematik zu diskutieren und Akzeptanz zu fördern. Das Praxisnetz hat insgesamt 40 Qualitätszirkel auf die Beine gestellt, die durchschnittlich von 15 Kollegen besucht werden. Durchaus schwierig ist die Integration von Behandlungsleitlinien im Alltag einer Arztpraxis. Wir haben insgesamt vier eigene Behandlungsleitlinien entwickelt z.B. zum Tinnitus oder zur Diagnostik und Therapie des Astma bronchiale. Wo liegen denn diese Behandlungsleitlinien? Meistens in den Schubladen oder unter dem Schreibtisch.
9 Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes
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Telematische Lösung: „ Data Warehouse System“ Leitlinieneinbindung in die Praxissoftware – Stichwort: „One-Klick-Information“
Tinnitus
Asthma bronchiale
Arterielle Hypertonie
Malignes Melanom
Weitere in statu nascendi in den Qualitätszirkeln
Behandlungsleitlinien Umsetzungs- und Controllingprobleme
Bild 21
Wenn Behandlungsleitlinien als Expertensysteme, und nicht nur als juristische Drohung, eine Steuerungsfunktion entwickeln sollen, dann müssen Sie als On-clickInformation in die Praxissoftware eingebunden sein; Alles andere ist ineffektiv (Bild 21). Eine weitere Entwicklung wäre eine plausibilitätsgeprüfte Controlling oder Benchmarkingsoftware, die eine computergesteuerte Patientenbetreuung anbietet.
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Siegfried Jedamzik
ePatientenakte: Krankheitsverläufe, Labor, Diagnosen, Kontraindikationen
• Geöffnet: am Wochenende/ an Feiertagen und unter der Woche abends. • Über 80 Ärzte sind abwechselnd in der Bereitschaftspraxis tätig.
• Keine signaturgesich. Informationen über die Krankengeschichte verfügbar. • Weiterleitung der Diagnosen per Notfall-/ Vertretungsschein an den Hausarzt • Gesundheitspässe: Keine Zwischenfälle mehr seit 2001
Erfahrungen aus dem Betrieb einer eigenen Notfallpraxis! Bild 22
Ein schlagender Beweis für die Notwendigkeit, die medizinischen Kommunikationsstränge zu renovieren, ist die Notfallpraxis des Ärzteverbundes (Bild 22). Bisher hatten wir keine Vorinformationen im Notfall über die Krankheitsbilder der Patienten. Nebenbei bemerkt: Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass wir in Deutschland nicht in der Lage sind, durch strukturierte Vorinformationen tödliche Zwischenfälle bei Arzneimittelinteraktionen zu verhindern. Unsere Gesundheitspässe haben mit dazu geführt, dass wir in der Region seit 2001 keine Todesfälle mehr durch akute Arzneimittelinteraktionen im Notfalldienst hatten. Das ist durchaus ein beachtlicher Fortschritt, erzeugt allein durch Printpässe. Wenn dies telematisch abgebildet wird erhoffe ich mir weitere Verbesserungen.
9 Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes
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Telematisches Diseasemanagement
-
Enge Zusammenarbeit im Rahmen der Palliativstation/ Hospizverein
-
Gemeinsames Arzneimittelmanagement in Konsentierungsphase
-
Elektronische Vernetzung der Archive und Zugang zu Patientenakten
-
Kooperation der Pulmologen – ausgewählte Krankheitsbilder Bereitschaftsdienstpraxis Kinder- und Jugendärzte im Klinikum Ingolstadt Bereitschaftsdienstpraxis Hausärzte im Klinikum Ingolstadt
Kooperative Patientenbetreuung mit Kliniken
Bild 23
Weitere Telematikaktivitäten werden wir im Bereich DiseaseManagement und kooperative Patientenbetreuung wie Betreutes Schlafen zusammen mit den regionalen Kliniken etablieren (Bild 23). Es ist in meinen Augen heute selbstverständlich, dass Kliniken bereit sein müssen, eng mit Praxisnetzen zusammenzuarbeiten. Wir sind momentan im Diskussionsprozess, und werden das voraussichtlich bis Jahresende schaffen, eine elektronische Vernetzung der Archive und Zugang zu den Patientenakten in den Kliniken für die Niedergelassenen zu gewährleisten. Wie wollen Sie beispielsweise eine Logistiksteuerung von 15.000 gemeinsamen Diabetikern in der Region auf die Beine stellen, wenn kein telematisches Recallsystem vorhanden ist?
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Siegfried Jedamzik
Logistiksteuerung der Diabetes –Schulungsgemeinschaft ca. 15 000 Diabetiker - nur telematisch möglich - Recall
Bild 24
Nochmals zum Akzeptanzmanagement. Dies bleibt der zentrale Baustein für den Erfolg. Was wären die Milliardeninvestitionen wert, wenn die technische Infrastruktur vorhanden ist und niemand würde sie benutzen (Bild 24)? Wenn die Patienten keine Gebrauch von ihren neuen Informationsfreiheit machen würden. Wenn die Leistungserbringer keine qualitativen Verbesserungen ihrer Strukturen generieren könnten.
9 Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes
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Erweiterung durch Chat-Sprechstunde über die GO IN-Internet-Plattform
GO IN - Infosprechstunden
•
Jeweils mittwochs von 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr Informationsmöglichkeit für Patienten über aktuelle und interessante Themen im Medizinbereich.
•
Radioberatung einmal monatlich (samstags) von 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr
•
Ab März Sprechstunde im Regionalfernsehen
•
Verhandlungen über Wartezimmerfernsehen in allen GOIN-Praxen Akzeptanzmanagement
Bild 25
Deshalb informiert GOIN die Bevölkerung Samstags über Gesundheitsthemen und zur Medizintelematik im Radio (Bild 25). In Zukunft erhoffen wir, eine Sprechstunde im Regionalfernsehen abhalten zu können. Momentan sind wir in Verhandlungen über ein Wartezimmerfernsehen in allen Praxen.
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Siegfried Jedamzik
Bild 26
Es wird noch sehr viel Öffentlichkeitsarbeit nötig sein (Bild 26). Unsere Webseite www.goin.info und unsere Gesundheitszeitschrift Reflex stehen dafür zur Verfügung. Gesundheitstage und Gesundheitsmessen ergänzen diese Aktivitäten. Noch ein paar Stichworte zur Logistik und Organisationsproblematik im Notdienst. Allein die Tatsache, dass z.B. bei einem Massenunfall keine Telekommunikationsinfrastruktur zur Bettenabfrage zur Verfügung steht, geschweige denn eine Belegungsabfrage der Operationsräume, zeigt, dass es hier einen großen Optimierungsbedarf gibt. Wie oft muß mühsam per Handy erfragt werden, ob der Patient im Krankenhaus aufgenommen werden kann.
9 Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes
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Casemanagement ohne Telematik ist wie Autofahren ohne Lenkrad
• Gesamtprozess der Leistungserstellung tritt in den Vordergrund.
• Bedürfnisse des Patienten werden bei der Planung berücksichtigt und während des Prozesses angepasst. Diagnostik
Behandlungsprozess abgestimmt zwischen:
Prozess
Maßnahmen vor der OP Krankenhausbehandlung
Versicherten Casemanager Ärzten Sonst. Leistungserbringer
Reha
Endpunkt
Bereits vor der Operation wird die Phase danach geplant und vorbereitet. Der Casemanager begleitet die Behandlungsphasen.
Ambl. Maßnahmen nach Reha
Keine effiziente Steuerungsstrukturen für effektives Casemanagement vorhanden
Bild 27
Case Management ohne Telematik ist wie Autofahren ohne Lenkrad (Bild 27). Es sind bis heute keine effizienten Steuerungsstrukturen für ein effektives Case Management vorhanden. Wir müssen unbedingt den Behandlungsprozess rund um den Patienten nicht nur qualitativ sondern auch quantitativ telematisch abbilden. Gesundheitsanbieter wie Praxisnetze, Krankenhäuser oder medizinische Versorgungszentren, werden im Wettbewerb nicht überleben, wenn sie keine telematikbasierten Steuerungsstrukturen aufbauen.
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Siegfried Jedamzik
Gesundheitskarte und Serverlandschaften – das neue Nervensystem Fokussierung auf den Patienten Aufbrechen der sektoralen Schranken Schneller Zugriff auf alle benötigten Informationen
Verbesserung der Qualität der medizinischen Behandlung
Umfassendes Datenmaterial über den eigenen Gesundheitsstatus
Synergieeffekte für das Gesamtsystem
Datenübertragung in Echtzeit
Transparenter Versorgungsablauf/ Transparentes Verschreibungsmanagement
Bits statt Print
Bild 28
Was können wir erwarten? Bits statt Print, Datenübertragungen in Echtzeit, umfassendes Datenmaterial über den Gesundheits- bzw. Krankheitsstatus unsere Patienten (Bild 28). Datenschutzrechtlich genau definiert und abgesichert. Mit der Gesundheitskarte, nebenbei bemerkt, lockt man keine Ärzte hinter dem Ofen hervor. Ärzte interessieren sich für eine e-Patientenakte, d.h. für Möglichkeiten, Daten sektorenübergreifend zu speichern, um zu einen besseren Informationsaustausch zwischen Haus- und Fachärzten zu gelangen. Und sie interessieren sich selbstverständlich für die Finanzierung des Systems. Hier herrscht noch viel Unklarheit. Und es ist zu hoffen, dass sich eine Lösung findet, die allen Seiten Genüge tut. Synergieeffekte für das Gesamtsystem zu generieren, sektorale Strukturen aufzubrechen und die Medizin auf neuen Wegen in eine neue Zukunft zu führen. Dafür ist es Wert, sich auch als Modellregion für die Umsetzung der elektronischen Gesundheitskarte zu positionieren. Das Ärztenetz GOIN stellt die Basisregion für die Gematikaktivitäten in Bayern dar.
9 Einführung und Überblick am Fallbeispiel eines Praxisnetzes
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Pilotprojekt Bayern Zahnarzt VSA/BAV
Kammern KVB
„Regionales Praxisnetz “1
Kassen
Industrie
Telematik Infrastruktur
Datenschutz
Basisservices, eRezept, Verwaltungsdatenmanagement et. al.
Partner
Apotheker Ärzte Klinikum Ingolstadt Klinikum Ingolstadt KH Kösching/Eichstätt
Bild 29
Zusammen mit unseren Projektpartnern werden wir uns dem Wettbewerb stellen. Nähere Informationen können sie auf der Projektseite www.baymatik.de einsehen, die in Kürze etabliert wird (Bild 29). In Anbetracht der vielfältigen und hochkomplexen Strukturen ist zu hoffen, dass alle im Gesundheitswesen Verantwortlichen an einem Strang ziehen und die Telematik nicht als Machtinstrument missbraucht wird. Vergessen wir nicht: Die Telematik ist nur ein Werkzeug. Der Kernprozess der Heilung wird weiterhin das fundierte Gespräch zwischen Arzt und Patient bleiben. Dazu kann die Medizintelematik einen ergänzenden Beitrag leisten.
10 Informationsmanagement in Disease Management Programmen Prof. Dr. med. Jens Ricke Charité, Rudolf-Virchow Krankenhaus, Berlin Meine Damen und Herren, ich fühle mich sehr geehrt, heute hier eingeladen zu sein, und mir ist mit Blick auf meinen Vorredner ein bisschen bang, weil Sie einen wichtigen Teil meiner Vita unterschlagen haben. Ich war erst bei der Bundeswehr und bin jetzt an dieser preußischen Kaderschmiede gelandet, die sich Charité nennt. Sie werden gleich sehen, was für ein hierarchiesüchtiges Monster demnächst aus mir werden wird, wenn ich es schaffen sollte, irgendwo einmal Chefarzt zu werden. – Vielleicht wäre eine differenziertere Betrachtung der Probleme, die wir haben, ITInfrastrukturen im Gesundheitswesen umzusetzen, dann doch hilfreich. Ich werde versuchen, Ihnen am Beispiel von Disease Management Programmen zu zeigen, welche Probleme, aber auch welche Chancen Informationsmanagement im Gesundheitswesen bietet.
Disease management Programme (DMP) • Krankheitszentrierte Steuerung von Behandlungsproblemen – Führung interdisziplinärer Versorgungsaufgaben – kontinuierliche Evaluation von Leistungsinhalten und -umfängen – Wirtschaftlichkeitsprüfung
Bild 1
Ich möchte vorab kurz auf die Definition von Disease Management Programmen eingehen (Bild 1). Disease Management Programme fordern die krankheitszentrierte Steuerung von Behandlungsproblemen, beinhalten interdisziplinäre Versorgungsaufgaben und befördern die kontinuierliche Evaluation von Leistungsinhalten und –umfängen in der Versorgung. Ein Kernaspekt ist damit die Wirtschaftlichkeitsprüfung, die konsequenterweise in Disease Management Programmen vorgeschrieben ist.
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Jens Ricke
Disease management Programme (DMP) • Standardisierung der Art und des Umfangs einer Versorgungsleistung – Qualitätssicherung – Fach- bzw. Sektorübergreifend – Case management • „Individuum“ versus „Fall“
Bild 2
Letztlich geht es in DMP auch um eine Standardisierung der Art und des Umfanges einer Versorgungsleistung und damit auch originär um Qualitätssicherung, die fachbzw. sektorübergreifend funktionieren muss (Bild 2). Allen im Raum, die sich auch als Patient sehen, wird vermutlich unwohl sein, nicht als Patient, sondern als „Fall“ angesprochen zu werden. Das lässt sich in solchen standardisierten Programmen und auch im richtigen Leben kaum umgehen. Trotzdem bleibt ein Problem solcher Programme der Umgang mit dem Individuum versus „ein Fall“. Ich werde Ihnen gleich hinsichtlich der sozialen und individuellen Dispositionen eines jeden Patienten versus „ein Fall“ noch einige Beispiele bringen.
Disease management Programme (DMP) • Risikostrukturausgleich der Kassen – Koppelung nur in Deutschland
• Chronikerprogramme – aufwändige, teure Patienten
• Gesetzliche Voraussetzungen 2002 – Brustkrebs, Diabetes, Atemwegserkrankungen, Koronare Herzerkrankung
Bild 3
Für Disease Management Programme in Deutschland von zentraler Bedeutung ist ihre Position im Rahmen des Risikostrukturausgleiches der Krankenkassen (Bild 3). Wie Sie alle wissen, wird eine Kasse, die sich nur mit Patienten beschäftigt, die in jungen Jahren eine chronische Krankheit erleiden, sehr schnell Pleite gehen im
10 Informationsmanagement in Disease Management Programmen
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Wettbewerb mit der Kasse, die nur Gesunde hat. DMP greift in dieser frühen Phase bevorzugt nach Chronikerprogramme und ist so als Instrument des Risikostrukturausgleiches vorgesehen. Ziel ist, chronische Erkrankungen effizienter und kostengünstiger behandeln zu können. Die gesetzlichen Voraussetzungen dazu sind im Juli 2002 geschaffen worden für die hier aufgeführten unterschiedlichen Krankheitsentitäten, die chronisch genannt werden können: Brustkrebs, Diabetes, Atemwegserkrankungen, Koronare Herzerkrankung. Infomationsmanagement und DMP • Schnittstelle 1 – Umfassende Verfügbarkeit patientenbezogener Daten • administrativ • medizinisch
• Lösung – Gesundheitskarte + Elektronische Patientenakte
Bild 4
Wir hatten bei meinen Vorgängern schon gehört, dass das Informationsmanagement bzw. Telematik Infrastrukturen ein unabdingbares Element für ein Disease Management Programm darstellen (Bild 4). Kein moderner Mensch kann verstehen, warum im Gesundheitswesen, in der Medizin und vor allem auf der Ärzteseite überwiegend handschriftlich gearbeitet wird. Wenn Sie heute eine Krankhausverwaltung anschauen, werden Sie diese zwingend mit EDV ausgestattet finden – andere Wege sind unmöglich. Auf der Ärzteseite hat sich die Computerisierung nicht durchgesetzt – unglaublicherweise, wenn man die Datenmengen ansieht, die Ärzte in der Behandlung eines Patienten generieren. Ich würde gleich gern darauf eingehen, woran das liegt. Eine Lösung des Problems mangelhafter ärztlicher Vernetzung und Versorgung mit krankheitsrelevanten Informationen ist naturgemäß die umfassende Verfügbarkeit patientenbezogener Daten. Als realisiert darf wie erwähnt die administrative Seite angesehen werden, desaströs bleibt derzeit die Verfügbarkeit elektronischer medizinischer Daten. Eine Lösung könnte die Gesundheitskarte sein, zu der wir bereits einiges gehört haben; die entscheidende Frage scheint mir hier jedoch ungelöst. Korrigieren Sie mich: ist die Angabe persönlicher Daten auf der Gesundheitskarte nicht freiwillig? Ist das nicht eine wunderbare verpasste Gelegenheit und eine Gefährdung der Kernidee?
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Jens Ricke
Die Basis: Elektronische Patientenakten (EPR) • CENTC 251 (www.centc251.org) – ENV 13606 : Health Informatics – electronic healthcare record communication
• HL7 (www.hl7.org) – ein ANSI-akkreditierter Standard für klinische Dokumente (xml-basiert)
• GEHR (www.gehr.org) – Good Electronic Health Record – Open source
Bild 5
Tatsächlich ist das eigentlich angestrebte Ziel naturgemäß die elektronische Patientenakte (Bild 5). Das ist ein unglaublich großes Wort, wie Sie vermutlich alle bestens wissen. Ich habe einmal kurz zusammengestellt, wo wir da stehen – es ist ein sehr deprimierendes Thema. Es gibt eine Reihe von Standards, an denen mehr oder weniger effizient gearbeitet wird und mehr oder weniger zielgeführt, was tatsächlich das erwartete Endergebnis in einem Zeitraum angeht, den wir alle noch erleben werden. Man wird sehen, ob es passiert, wann es passiert – das scheint mir das ganz wesentliche Element zu sein. Ich erinnere mich, vor zehn Jahren wurde uns versprochen, dass das in zehn Jahren so weit wäre. Ich glaube, jetzt kursieren Gerüchte, es soll in zehn Jahren so weit sein. Einführung der elektronischen Patientenakte nach Waegemann (2000)
1. Rudimentär „automatisierte“ Krankenakte – parallel zum analogen Krankenblatt – erste Computerisierung
2. Computerisierte Krankenakte – papierlos durch Einscannen – Verbreitung der Computerisierung
3. Provider-basierte elektronische Krankenakte – interaktive Arbeit am PC durch medizinisches Personal – Informationsintegration durch einen Provider – vollständige Computerisierung
Bild 6
10 Informationsmanagement in Disease Management Programmen
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Da ist sicherlich viel Arbeit zu tun, und um das noch einmal zu erläutern, sehen Sie hier eine kurze Auflistung (Bild 6, Bild 7): wie etabliere ich eine elektronische Patientenakte? Einführung der elektronischen Patientenakte nach Waegemann (2000)
4. Elektronische Patientenakte – Regionale/Nationale/Globale Infrastruktur – Regionale/Nationale/Globale Interoperabilität – Sicherheits-Konsensus
5. „Electronic Health Record“ – Einbeziehung des Patienten – Integration nicht-traditioneller Gesundheitsinformationen
Bild 7
Anwendungen heute • Archivierung und Austausch von Patientendaten – Abteilungsspezifische Datenbanken • Labor, Pathologie, PACS, …
– Abteilungsübergreifende Systeme • Medvision, …
– Regionale Zusammenschlüsse
Geographische Insellösungen Bild 8
Anwendungen heute • Proprietäre Patientenaktenformate • Elektronischer Arztbrief, Rezept – Chipkarten
Funktionelle Insellösungen Bild 9
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Jens Ricke
Wo wir heute stehen, das sieht, wie Sie alle wissen, ganz anders aus (Bild 8, Bild 9). Es gibt in Hülle und Fülle abteilungsspezifische Datenbanken, beispielsweise Labordatenbanken oder Informationssysteme für die Pathologie oder für Radiologen, dort gerne auch Bildarchivierungssysteme („PACS“). Abteilungsübergreifende Systeme gibt es tatsächlich auch. Regionale Zusammenschlüsse wird es auch geben. Aber in aller Regel gibt es allenfalls geografische Insellösungen. Es sind zu allem Überfluss in der Regel funktionelle Insellösungen, die sich in den allerseltensten Fällen überhaupt gegenseitig ansprechen bzw. einen Austausch an Daten ermöglichen. Infomationsmanagement und DMP • Schnittstelle 2 – Qualitätssicherung – Prüfung der Ergebnisqualität
• Lösung – entferntes Monitoring – Plausibiltätskontrollen der Maßnahmen
Bild 10
Kommen wir zur Schnittstelle zwei zu DMP (Bild 10): Qualitätssicherung und Prüfung der Ergebnisqualität. Für jeden von Ihnen, der sich mit Software auseinandersetzt, ist ein entferntes Monitoring oder Plausibilitätskontrollen der Maßnahmen ein ganz kleines Ding. Die Frage, die sich stellt: warum gibt es das dann eigentlich nicht? Das Hauptproblem ist sicherlich der Wille und die Möglichkeit zur Standardisierung von Prozessen. Qualitätssicherung kann letztlich nur evidenzbasiert betrieben werden. Was dabei niemals vergessen werden darf: Medizin oder die Behandlung von Patienten ist eben nicht wie ein Auto bauen. Wenn Sie einen 3er BMW zusammenschrauben, erzählt er Ihnen nicht am zweiten Tag, dass er Zeuge Jehovas ist und Sie keine Blutprodukte transfundieren dürfen. Überraschungen sind in reinen Produktionsprozessen deutlich seltener und die Abweichungen von Standards auch leichter planbar als in der Medizin.
10 Informationsmanagement in Disease Management Programmen
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Warum scheitert Telemedizin? • Substantieller Mangel an Infrastruktur – Investitionsstau
• Keine Anpassung des Ärztlichen Workflows • Ungeeignete Medien – Insellösungen – Parallelwelten einschließlich Papier – Konsequente Doppeleingabe
Bild 11
Nichts von dem, was Sie an telemedizinischen Applikationen oder IT für das Krankenhaus heute kaufen passt sich tatsächlich meinen „Work-flow“ in meinem Arbeitstag wirklich an (Bild 11). Der substantielle Mangel an Infrastruktur ist ganz evident und mithin ursächlich. Der Investitionsstau ist hierfür nur eine vordergründige Entschuldigung. Denn letztlich würden sich Investitionen in eine vernünftige IT Infrastruktur – richtig eingesetzt – immer rechnen.
Konventioneller Work Flow Thoraxaufnahme
59 Arbeitsschritte 11 beteiligte Personen
Siegel et al, AJR 2002
Bild 12
Dies noch einmal zur Erläuterung: Arbeitsschritte für eine Thoraxaufnahme ohne elektronische Infrastruktur (Bild 12). Sie machen ein Bild von der Lunge, 59 Ar-
112
Jens Ricke
beitsschritte, 11 beteiligte Personen – man ahnt, warum eine Röntgenaufnahme so teuer ist.
Work Flow mit PACS Thoraxaufnahme
9 Arbeitsschritte 4 beteiligte Personen
Siegel et al, AJR 2002
Bild 13
Benutzen Sie ein Archivierungssystem, bleiben neun Arbeitsschritte, vier beteiligte Personen (Bild 13). Es gibt keinen Zweifel, dass solche Kommunikationsstrukturen von Ärzten angenommen werden. Sie können sicher sein, dass die Vorteile messbar und geldwertmessbar sein werden.
DMP und Risikostrukturausgleich
• Ausgleich finanzieller Risiken für die Krankenkassen • Ergänzend: Risikoausgleich Qualität medizinischer Versorgung für den Patienten?
Bild 14
Noch eine Idee für die DMP Manager, die wahrscheinlich demnächst aus dem Boden schießen werden (Bild 14): DMP ist unter anderem gedacht als Ausgleich finanzieller Risiken für die Krankenkassen. Wie wäre es mit einer Ergänzung um
10 Informationsmanagement in Disease Management Programmen
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einen Risikoausgleich „Qualität medizinischer Versorgung für den Patienten in der Fläche“?
Risikoausgleich Qualität • Chronische Erkrankungen heute: – Über- oder Unterversorgung – Fehlende Expertise in der Grundversorgung • Besonders in der Fläche/ländliche Gebiete
• Effekt: Überspringen heimatnaher Versorger – Überteuerung durch Inanspruchnahme von Maximalversorgern
Bild 15
Wenn sie chronische Erkrankungen anschauen, gelten diese üblicherweise als überoder unterversorgt, und das Problem ist insbesondere, in der Fläche in vernünftiger Weise eine Grundversorgung herzustellen (Bild 15). Der Effekt, den wir heute beobachten, ist, dass vielfach heimatnahe Versorger übersprungen werden, man geht lieber in das große Zentrum einer großen Stadt und lässt sich dort versorgen. Diese Akuthäuser, diese Maximalversorger sind weder darauf eingerichtet noch können diese solche chronischen Patienten kostendeckend versorgen.
Telemedizin zur Distribution des Wissens: Beispiele • Arzt-Arzt-Kommunikation – Zweite Meinung – Telekonsultation – Chirurgie: Telechirurgie – Radiologie: Entfernte Befundung
Bild 16
Es gibt Beispiele, die sich tatsächlich momentan nicht rechnen, die in diesem Kontext aber große Wirkung entfalten könnten (Bild 16). Zweite Meinung, Telekonsultation – das kennen Sie alles.
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Jens Ricke
Arzt-Arzt-Kommunikation Remote Surgery
Quelle: http://jota.rrk-berlin.de/op2000
Bild 17
Arzt-Arzt-Kommunikation Radiologie: Remote viewing
81% der radiologischen Praxen in den USA nutzen Teleradiologie 56% der Nicht-Nutzer planen die Anschaffung in den nächsten 12-18 Monaten
Bild 18
Es gibt diese hübschen Bilder zur Telechirurgie (Bild 17). Die entfernte Befundung in der Radiologie – mittlerweile gut etabliert. Hier dieses von mir glühend beneidete Beispiel, wie Radiologenkollegen von mir, die ausgewandert sind, in Kalifornien sitzen und ausschließlich am Strand befunden. Sie ahnen wie groß der Vorteil ist. Es ist tatsächlich bereits soweit, dass 81 % der radiologischen Praxen in den USA Teleradiologie bereits benutzen und 56 % des Restes planen eine Anschaffung einer solchen Ausrüstung für die Zukunft (Bild 18).
10 Informationsmanagement in Disease Management Programmen
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Zusammenfassung • Unabdingbare Voraussetzungen für IT im Gesundheitswesen – Anpassung medizinischer Workflows – Geeignete, flächendeckende Infrastruktur – Aufsetzend: • höhere Anwendungen • elektronische Dienstleistungen – Entstehung neuer Anwendungen + Industriezweige
Bild 19
Ich fasse zusammen (Bild 19). Unabdingbare Voraussetzung – ich hoffe, das ist als Botschaft bei Ihnen angekommen – für IT im Gesundheitswesen ist die Anpassung des medizinischen Workflows, die nur klappt, wenn Sie eine geeignete flächendeckende Infrastruktur tatsächlich haben und darauf aufsetzen. Dann und nur dann wird es für Sie, die Sie aus der Industrie kommen, richtig interessant: denken Sie an neuartige aufsetzende elektronische Dienstleistungen, die wir derzeit noch gar nicht denken, und die auf eine solche Infrastruktur aufsetzen und sich als völlig neue Geschäftsfelder und Industriezweige entwickeln. Schließen möchte ich hiermit (Bild 20):
„If we are truly committed to quality, almost any mechanism will work. If we are not, the most elegantly constructed of mechanisms will fail.“
A. Donabedian
Bild 20
Und noch etwas, bezogen auf meinen Vorredner: ich werde einfach mal in die Runde fragen: Wer von Ihnen würde, wenn Ihr Sohn besispielsweise heute Abend kommt und sagt: Mamma, Papa, ich will Medizin studieren, ich will unbedingt Arzt
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Jens Ricke
werden, sagen: super, die beste Idee, die du je gehabt hast? Ich bitte um Handzeichen. – . Sehen Sie, Motivation ist das Problem. Ich glaube, dass wir eher ein Motivationsproblem haben als irgendein anderes sonst – und daran muss wahrscheinlich noch kräftig gearbeitet werden.
11 Fallbeispiel: Telemedizinische Nachsorge Dr. med. Bernhard Clasbrummel BG-Kliniken Bergmannsheil, Bochum Herr Vorsitzender, Sie haben recht starken Druck aufgebaut. Positiv denken, natürlich, das kann ich. Aber ob ich wirklich Zukunftsszenarien aufbauen und vermitteln kann, das wird die Zeit zeigen. Wenn ich bedenke, ATG, Aktionsforum Telematik im Gesundheitswesen 2000, da war die Gesundheitsministerin Fischer noch aktiv. Damals sollte die elektronische Karte schon recht zügig kommen, um z.B. ein elektronisches Rezept machen zu können. Wir haben jetzt fünf Jahre später, und Vernetzung ist wirklich schwer, insbesondere im Land der Reichsbedenkenträger. Datenschutz usw. ist sicherlich extrem wichtig, deswegen ganz herzlichen Glückwunsch noch einmal an meinen Vorvorredner, der einfach ein hervorragendes Netzwerk aufgebaut hat im Ingolstädter Raum. Ich denke, das verdient besondere Bedeutung.
1890
2004
Bild 1
Zur Historie Bergmannsheils; einige mögen wissen, älteste Unfallklinik der Welt, 1890 gebaut. Es liegt daran, dass man im Ruhrgebiet viel nach Kohle gegraben hat, und wer gräbt, kann sich auch verletzten. Früherer Operationssaal um 1900 – das ist jetzt der Eingangsbereich; ein Bild aus dem Herz-OP (Bild 1).
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Bernhard Clasbrummel
Bevor ich zu der Applikation komme, Televisite, ganz kurz ein Ausblick auf neue Technologien und Motivation für Menschen etwas zu tun, etwas Neues zu machen, Change Management ist ein großes Stichwort, neue Technologien aufnehmen und wirklich selbst verinnerlichen. Was ist eine richtige Applikation für die Zukunft? Richtige zeitgemäße Einschätzung von Megatrends: Wie geht das? Das kann ich Ihnen natürlich auch nicht genau sagen, aber eine Ursache für Motivationen sind natürlich Basisbedürfnisse; Essen, Wohnen, Beruf, Gesundheit. Jeder braucht auch Sozialkontakte, ein gewisses Ausmaß an Ruhe. Jeder hat natürlich persönlich auch strategische Bedürfnisse, persönliche Karriere, Bildung, Geld, um die Brötchen morgens bezahlen zu können. Und man muss auch immer Kostenvergleiche machen, egal wo man ist, privat, im Beruf, in einer Organisation. Dann natürlich extrem viele soziale Bedürfnisse, Spiele,. Sport, Reisen, Technikverspieltheit usw. Wer hat das neueste Handy? Oder Technologie am Arbeitsplatz. Brot und Spiele bei Cäsar, heute eher Sex, Drugs and Rock’n Roll (Bild 2).
Motivation Basisbedürfnisse Strategische Bedürfnisse
Soziale Bedürfnisse B&S oder S&D&R
Essen
Karriere
Spiele, Sport
Wohnen
Bildung
Reisen
Beruf
Information
Mode
Gesundheit
Geld
Sex
Sozialkontakt
Kosten
Gourmet
Religion / Phil.
Technikverspieltheit
Ruhe
Suche nach persönlichem Vorteil Bild 2
Technologien im Gesundheitswesen, intelligente Netze. Wir vernetzen uns immer mehr, UMTS, zunehmend diese kleinen elektronischen Helfer, elektronische Patientenakte kann dort gespeichert werden. Es ist gar nicht so leicht, neue Applikationen zu finden. Man muss auch immer unterscheiden, ob jemand wirklich krank ist oder gesund und einfach etwas für seine Gesundheit tun möchte – wellness aspect!
11 Fallbeispiel: Telemedizinische Nachsorge
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Technologien im Gesundheitswesen intelligente Netze * Multimedia Bilder * UMTS * PDA Krank
Gesund
Diagnostik Therapie Nachsorge Pflege
Aktiv Beruf Bildung Freizeit
Szenarien von Dienstleistungen
Bild 3
Ganz wichtig ist, wenn man die Zukunft einschätzen will, ob jemand wirklich krank ist, ob er wirklich etwas braucht. Herzschrittmacher für einen Patienten, der ein wirkliches Problem hat, ist relativ einfach zu verkaufen. Der Patient würde es auch persönlich kaufen, von der Rente absparen, wenn ihm damit wirklich geholfen würde. Auch Nachsorge und Pflege sind relativ wichtige Bereiche, wenn die Leute relativ alt und gebrechlich werden, nicht mehr einkaufen können usw. Der Nachbar macht es vielleicht für umsonst oder man bezahlt eine Hilfsperson, wenn man allein ist. Der Sohn lebt in München, die Tochter irgendwo anders und man selbst in Norddeutschland. Diese ganze anderen Bereiche, Wellness z.B., muss man bei der Überlegung von Szenarien für Dienstleistungen kritisch hinsichtlich eines Bedürfnisses hinterfragen (Bild 3).
Prinzip Televisite Verkürzung der Krankenhausliegedauer Die Patienten bekommen einen leicht bedienbaren Computer mit Touchscreen-Monitor, der mit Kamera für eine Fernbefundung ausgestattet ist.
Einfache Menüführung wie bei einem Bankautomaten. INTERAKTIVE FRAGEN ZU: • Allgemeinzustand • Temperatur • Schmerzen • Krankengymnastik • Bilder von Wunden • Video
Bild 4
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Bernhard Clasbrummel
Ich möchte Ihnen jetzt ein ganz einfaches Beispiel vorstellen, Televisite, was wir in Bergmannsheil, Bochum, durchführen und was wir schon relativ häufig eingesetzt haben (Bild 4). Das ist eine Anwendung, die man nicht wirklicht braucht – Patienten könnten auch länger im Krankenhaus liegen. Aber es macht einen relativ guten sozio-ökonomischen Vorteil aus, und die Patienten akzeptieren das System sehr. Sie bekommen ein Gerät mit, eine Kamera, und es ist so einfach zu bedienen wie ein Bankautomat. Wer einen Fön und einen Bankautomat bedienen kann, kann auch Televisite machen. Es gibt kaum Patienten, die das nicht können. Ablauf Televisite
Bild 5
Wir fragen interaktiv zum Allgemeinzustand, Temperatur, Schmerzen und der Patient kann dann auch noch Bilder von den Wunden aufnehmen (Bild 5). Das geht etwa so: Bei der Visite zeigen Mitarbeiter der Patientin das Gerät, zuhause knipst sie die Wunde und sieht dann noch, was sie geknipst hat, und kann noch Fragen interaktiv abgegeben und übermitteln. Kommunikationsstruktur Televisite
Bild 6
11 Fallbeispiel: Telemedizinische Nachsorge
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Strukturell ist das so (Bild 6): anmelden, PIN-Nummer wie beim Bankautomat, Bildersprache-Text übermitteln, später auch Videos. Das geht dann verschlüsselt auf unseren Server, und über das Internet können wir das dann abgreifen. Das ist nicht online, sondern zeitversetzt asynchron, so ähnlich wie bei Email. Die Informationen der Patienten, die zuhause sind, laufen bei und ein, und wir geben den Patienten die Gewissheit, dass Nachrichten, die bis 12 Uhr abgeschickt wurden, bis 16 Uhr eine Antwort bekommt. Televisite
Bild 7
Das sieht etwa so aus. Hier, die Ehefrau eines Patienten, den ich am Ellbogen operiert habe (Bild 7). Einige Tage nach der stationären Behandlung wird er entlassen und kann Zuhause die Televisite durchführen. Wenn der Patient selbst nicht fotografieren kann, kann das jemand aus der Familie übernehmen.
Bild 8
122
Bernhard Clasbrummel
Das Patientengerät ist noch relativ groß (Bild 8). In Zukunft wird es natürlich kleiner sein. Wir haben auch eine Umfrage bei Patienten gemacht, die Gerätgröße stört die Patienten nicht, für sie die Sicherheit in der Übertragung und die Arztantwort wichtig. Televisite
Bild 9
Der Kollege macht hier im Arztzimmer am einfachen Rechner, wo der Bildschirm farbkalibriert ist, die Arztantworten (Bild 9). Televisite Akzeptanz beim Patienten
Akzeptanz beim Arzt
• Mehrwert
• Sicherheit, Funktionalität
• Zufriedenheit
• Mehrwert (Zeitersparnis)
• Sicherheit
• automatisierte Dokumentation
• Bedienbarkeit
Bild 10
Der Patient akzeptiert das System wirklich nur, wenn er sicher ist in der Bedienbarkeit, wenn er einen echten Mehrwert verspürt, wenn er wirklich gern zuhause ist (Bild 10). Viele haben eine gute Krankenhaustagegeldversicherung und wollen gar
11 Fallbeispiel: Telemedizinische Nachsorge
123
nicht nach Hause. Dieser Patient wollte gern früher nach Hause, weil seine Ehefrau auf ihn wartete. Akzeptanz ist beim Arzt nur dann vorhanden, wenn der Arzt wirklich von seiner Arbeit erleichtert wird oder wenn von der Krankenhausdirektion oder vom Chefarzt gesagt wird, dass etwas zu tun ist oder nicht. Ein erheblicher Vorteil des Systems ist die automatisierte Dokumentation. Wenn die Patienten die letzten ein, zwei Tage im Krankenhaus sind, üben sie mit dem Gerät, nehmen auch die Bilder auf. Die Daten und Bilder sind dann in der Datenbank. Bei Arztwechsel, Urlaub oder Dienstfrei kann aufgrund der automatischen Dokumentation eine Übernahme der Telebehandlung aus Arztsicht einfach erfolgen. Televisite * Chronische Osteomyelitis
Bild 11 Beispiel Chronische Osteomyelitis vom Unterschenkel, oft eine Krankheit, die sehr lange, im Krankenhause behandelt werden, drei, vier, sechs, acht Wochen (Bild 11). Diesen Patienten haben wir nach 1 bis 2 Wochen entlassen können. Es ist gut, wenn eine Kompresse im Bild ist. Dann ist der automatische Weißabgleich weitgehend erfolgt. Das Bild ist mit einer 4-Megapixel-Kamera aufgenommen, auf 120 K reduziert. In der hier abgebildeten Schärfe kann man sehr gut den Wundrand beurteilen, z.B. ob eine Entzündung in dem Bereich ist.
124
Bernhard Clasbrummel
Kosten bei Wundpatienten
14.000 € 12.000 €
Kosten
10.000 € 8.000 € 6.000 € 4.000 € 2.000 € 0€ Telegruppe
Kontrollgruppe
Bild 12
Zudem haben wir die Kosten verglichen (Bild 12). Bei Wundpatienten haben wir einen deutlichen Vorteil dargestellt. 16 Patienten in der Televisitengruppe, 18 Patienten in der Kontrollgruppe, 15 Tage im Krankenhaus im Fall der Wundgruppe, etwa 30 Tage in der Kontrollgruppe. Früher Zuhause Wie zufrieden waren Sie mit der Möglichkeit, mit Hilfe der Televisite früher Zuhause zu sein? 100% 90%
90,9%
80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 9,1%
10%
0,0%
0,0%
0% völlig zufrieden
ziemlich zufrieden
teilweise zufrieden
kaum zufrieden
0,0% gar nicht zufrieden
Bild 13
Wir haben jedem der über 150 Behandelten Patienten einen Fragebogen mit mehr als 50 Fragen mitgegeben. Auf die Frage: Wie zufrieden waren Sie über die Möglichkeit, mit der Televisite früher zuhause zu sein, haben die meisten „ja“ gesagt (Bild 13).
11 Fallbeispiel: Telemedizinische Nachsorge
125
Ärztliche postoperative Betreuung Wie wichtig finden Sie, die nachoperative Betreuung durch den Arzt ? 100%
92,3%
90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 7,7%
10%
0,0%
0% sehr wichtig (1)
wichtig (2)
0,0%
0,0%
teilweise wichtig weniger wichtig unwichtig (3) (4) (5)
Bild 14
Wie wichtig finden Sie diese operative Nachbetreuung durch den Arzt? (Bild 14) Also, eine televisitenunabhängige Frage – das finden die Patienten sehr wichtig, dass sie auf jeden Fall fünf, acht, zehn oder zwanzig Tage nach der Operation immer noch ihren Arzt, den sie als kompetent erachten bezüglich ihrer jetzigen Erkrankung, erreichen können. Pflegerische postoperative Betreuung Wie wichtig finden Sie, die Betreuung durch das pflegerische Personal ? 100% 90% 80% 70%
61,5%
60% 50% 40%
34,6%
30% 20% 10%
3,8% 0,0%
0% sehr wichtig (1)
wichtig (2)
teilweise wichtig weniger wichtig (3) (4)
0,0% unwichtig (5)
Bild 15
Weitere Frage: Wie wichtig finden Sie die Betreuung durch das pflegerische Personal? (Bild 15) Auch sehr wichtig; wenn Sie wichtig, sehr wichtig zusammenfassen, kommen Sie auf deutlich über 90 %. Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass die ärztliche und pflegerische Ansprechbarkeit gesichert sein sollte.
126
Bernhard Clasbrummel
Behandlungsverlauf Behandlungsverlauf Allgemein 100% 91%
Wie zufrieden waren Sie, im Krankenhaus mit der Organisation Ihres Behandlungsverlaufes?
90%
Wie zufrieden waren Sie, mit der Organisation Ihres Behandlungsverlaufes während der Televisite? Wie zufrieden waren Sie, mit der Möglichkeit, mit Hilfe der Televisite früher zuhause zu sein?
65%
73%
80% 70% 60%
Wie zufrieden waren Sie, mit der ärztlichen Betreuung während Ihres stationären Aufenthaltes? Wie zufrieden waren Sie, mit der Erreichbarkeit eines Facharztes während Ihrer Behandlung?
50%
50%
35%
35%
40%
23%
25%
19%
30%
völlig zufrieden
ziemlich zufrieden
teilweise zufrieden
kaum zufrieden
4% 0%
0%
0%
4%
4% 0%
0%
0%
4%
4%
8%
9%
10%
8%
12%
12%
17%
20%
gar nicht zufrieden
Bild 16
Hier ein etwas überladenes Dia (Bild 16). Wie zufrieden waren Sie im Krankenhaus mit der Organisation des Behandlungsverlaufes? Da waren nur 30 bis 40 % zufrieden. Die Patienten empfinden eine Krankenhausaufenthalt häufig als unangenehm, 5 Stunden vielleicht bei der Anmeldung zu sitzen. Zum Röntgen wird man irgendwann abgerufen; das kann zwischen 8, 13 und 15Uhr sein. Dann waren zur Krankengymnastik, sind abgerufen worden, anschließend ist der Behandlungstermin in der Krankengymnastik ausgefallen. Wie zufrieden waren Sie mit der Televisite, früher zuhause zu sein? Da gab es eine sehr hohe Zufriedenheit. Mit der ärztlichen Betreuung während des stationären Aufenthaltes waren 70 % zufrieden. Technische Einführung Wie wichtig finden Sie, die persönliche Einführung in die Funktionsweise der Televisite durch technische Assistenten/innen? 100% 90% 80% 70% 60% 50,0% 50% 40% 30%
28,6%
20%
14,3% 7,1%
10%
0,0%
0% sehr wichtig (1)
wichtig (2)
teilweise wichtig weniger wichtig (3) (4)
unwichtig (5)
Bild 17
Wie wichtig finden Sie die persönliche Einführung in die Funktionsweise durch Assistenten? (Bild 17) Das war wichtig, aber mäßig wichtig. Die meisten kaufen sich auch ein Handy und können das einfach locker bedienen.
11 Fallbeispiel: Telemedizinische Nachsorge
127
Einfache Bedienbarkeit Wie wichtig finden Sie, eine einfache Handhabung unserer Geräte der Televisite? 100% 90% 80%
73,3%
70% 60% 50% 40% 26,7%
30% 20% 10%
0,0%
0% sehr wichtig (1)
wichtig (2)
0,0%
teilweise wichtig weniger wichtig (3) (4)
0,0% unwichtig (5)
Bild 18
Weil die Televisite nicht so schwer zu bedienen ist, ist den Patienten eine Einführung relativ egal, ob sie gut eingeführt werden oder nicht. Außerdem haben sie auch noch eine Bedienungsanleitung mitbekommen, die recht einfach ist. Die einfache Handhabung, Mensch-Maschine-Interface, sehen sie als sehr wichtig an (Bild 18). Ambulante telemedizinische Versorgung •
Wer zahlt ?
•
Nummer im Hilfs- und Heilmittelkatalog dauert Jahre ! ?
•
Wie können sich Innovationen im Verwaltungsdschungel durchsetzen ?
• • • •
Krankenhäuser Betten Patienten 1/5 Telemedizin ? geschätzte Ersparnis pro Patient
2.240 552.680 16.600.000 3.300.000 450 €
Bild 19
Ambulante telemedizinische Versorgung. Wer zahlt es? Das ist immer das Problem (Bild 19). Wir konnten nachweisen, dass wir relativ kostengünstig die Televisite anbieten können. Wir haben aber trotzdem das Problem, eine Nummer im Hilfs- und Heilmittelkatalog zu erlangen.
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Bernhard Clasbrummel
Erlös Behandlung Wundpatient nach Infekt
Bild 20
Hier ein Beispiel (Bild 20). Wundpatient nach Infekt; den wir an diesem Tag entlassen mit Televisite haben. Ohne Televisite wäre er sicherlich fünf bis zehn Tage im Krankenhaus geblieben; er hatte noch eine offene Wunde mit Sekretion aus der Wunde. Wenn man bedenkt, dass ein Krankenhaustag die internen Kosten auch nach der Operation usw. um 180 Euro liegen, für Langlieger gibt es über die obere Grenzverweildauer der Patienten einen gewissen Satz von 197 Euro je nach Basisfallwert eines Krankenhauses. Erlös Behandlung Wundpatient nach schwerer Extremitätenverletzung
Bild 21
Hier ein anderer Patient, den wir zu dem Zeitpunkt entlassen haben (Bild 21). Der war zum Entlassungszeitpunkt bereits mehrere Tage Langlieger. Da das Krankenhaus etwa 290 Euro pro Tag Erlös erzielte, kann eine frühzeitigere Entlassung mit
11 Fallbeispiel: Telemedizinische Nachsorge
129
Televisite finanzielle Nachteile aus Sicht des Krankenhauses bringen. Wir sind im Verwaltungsdschungel des DRG-Systems eingebunden. Man braucht letztlich integrierte Versorgungskonzepte und auch Empfehlungen der Politik, Dinge durchzusetzen oder nicht durchzusetzen. Ambulante telemedizinische Versorgung Partner
Vorteil / Veränderung
•
Patient
Genesung im heimischen Umfeld, weniger Arztbesuche
•
Arzt
Durch automatisches Abfragen Entlastung von Routinetätigkeiten
•
Pflegedienst
Tätigkeitsverlagerung in den ambulanten Bereich
•
Krankenhaus
Verkürzung der Liegedauer, Erhöhung der Fallzahl möglich
•
Versicherungen
Insgesamt verringerte Kosten pro Fall
Bild 22
Zusammenfassend haben wir durch telematische Applikationen Veränderungen für Patienten, Arzt, Pflegedienst, Krankenhaus und Versicherungen angedeutet, die durch verschiedenste Systeme, z.B. Televisite, Eingang finden können in das Gesundheitssystem (Bild 22). Ich bin sicher, das sich solche Systeme im Zeitverlauf durchsetzen werden. Die Frage ist in Zukunft, in welcher Ausprägung und mit welchen Partnern.
12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin Dr. Matthias Matzko Universitätsklinikum Großhadern, München Mein Thema ist heute die Verbesserung der medizinischen Versorgung durch den Einsatz von Telemedizin. Es ist in der Tat so, dass wir vielfach Projekte insbesondere in der Medizin planen, welche 150 %ig sein müssen, und das Resultat ist dann nicht einmal 10 %ig. Ich möchte Ihnen heute gerne ein Gegenbeispiel zeigen. Wir haben mit unserer Firma 1997 angefangen Teleradiologie zu betreiben, mit dem, was uns damals zur Verfügung stand, nämlich mit dem bloßen ISDN-Netz der Telekom und einfachen IT-Infrastrukturen, und sozusagen mit Basismitteln versucht, im System des Gesundheitswesens etwas zu verbessern.
Rasante Entwicklung der elektronischen Kommunikation Global mobile networks
Communication services and applications
YEN
Virtual reality services
DM
$
E-cash
Electronic mall E-mail Fax
Pager
Datex
Telex 1847 - 1960 after 1960
CATV
Interactive television ISP/ Content Provider VideoBroadband on-demand Internet 2000
Time
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Bild 1
Mittlerweile haben wir eine rasante Entwicklung der Kommunikationstechnik erlebt, und das spiegelt sich auch in der Aufmerksamkeit wieder, die das Thema eHealth und Telemedizin derzeit erfährt. Die Zeit ist reif, tatsächlich etwas Großes
132
Matthias Matzko
für die Telematik im Gesundheitswesen in Bewegung zu setzen. Das Schema ist ein paar Jahre alt (Bild 1). Die Zeitachse ist weiter gegangen. Wir haben nun zumindest die technischen Voraussetzungen. In der Tat gilt es jetzt, die Köpfe der Menschen zu verändern.
Probleme im Gesundheitswesen
• steigende Kosten in Behandlung und Verwaltung • sinkende Erlöse durch Fallpauschalentgelte für KH • Ineffiziente Strukturen und fehlende Standardisierung • Investitionsstau in Klinik und Praxis • starre sektorale Grenzen • steigende Zahl chronisch Kranker
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Bild 2
In welcher Situation stehen wir? (Bild 2) Wir haben steigende Kosten in Behandlung und Verwaltung. Demgegenüber sinkende Erlöse und in der Tat oftmals ineffiziente Strukturen. Wenn wir von Einführung einer Telematikplattform reden, dann müssen wir überlegen, was wir brauchen, um uns telematisch zu vernetzen. Wir brauchen zuhause, im Krankenhaus, in der Praxis eine entsprechende Infrastruktur, die uns diese Vernetzung ermöglicht. Und das ist leider oftmals noch nicht der Fall. Das Faxgerät war vorhin ein nettes Beispiel; in den Krankenhäusern fehlt es zum Teil insbesondere in den kleineren Häusern an effizienten IT-Strukturen. Es ist ein riesiger Investitionsstau in Kliniken und Praxen vorhanden, gefördert durch starre sektorale Grenzen – das haben wir heute alles schon gehört.
12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
133
Zunehmender Bedarf an Vernetzung und IT-Datentransfers
Quelle: emedical Ausgabe 10/2004
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Bild 3
Wie wollen wir das lösen? Da stand kürzlich in der Presse „Deutsche Kliniken wollen durch IT-Investitionen die Kosten senken“ (Bild 3). In der Tat ist es aber nicht die Investition in neue IT-Infrastrukturen, die die Kosten senkt, sondern die daraus resultierende Optimierung von Prozessen.
Entwicklung des deutschen Krankenhausmarktes Kapazitätsentwicklung im stationären Sektor Bestand Akutkliniken 2003
ca. 2.200
Prognose Arthur Andersen
ca. 1.600
Bedarfs gem. Prof. Lauterbach
ca.
900
Trägerentwicklung im stationären Sektor Krankenhausträger 2010
Krankenhausträger 2000 Gemeinnützige Träger
Gemeinnützige Träger
Öffentliche Träger
Private Träger
Private Träger IMAGING MAGING SERVICE ERVICE
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Bild 4
7%
20%
35%
55%
38%
Öffentliche Träger
45% Quelle: Grafiken Oppenheim Research GmbH
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Matthias Matzko
Gefördert wird der Investitionsdruck von einer weiteren Entwicklung. Schauen wir uns den Bestand an Akutkliniken an, im Jahr 2003 waren es 2.200, heutzutage geht die Anzahl rapide nach unten (Bild 4). Und eines ist auch ganz interessant zu betrachten, die öffentlichen und gemeinnützigen Träger haben bis vor wenigen Jahren noch deutlich die Mehrheit gehabt. Das Verhältnis ist jedoch momentan dabei, sich zu verschieben. Nach Schätzung einer Oppenheim-Studie werden wir im Jahre 2010 das Gros der Krankenhäuser durch private Trägerschaften in Betrieb finden. Diese privaten Klinikketten arbeiten anders als Träger öffentlicher Verwaltungen. Sie arbeiten hoch effizient, das muss man so sagen, haben das Kapital und scheuen auch nicht, neue und notwendige IT-Infrastrukturen zu implementieren.
Lösungsansätze
Schaffung von Modellen zur Integrierten Versorgung Aufbrechen der starren sektoralen Grenzen Zentrale Dienste in Verwaltung und medizinischer Dienstleistung Telemedizinportale zum reibungslosen Datenaustausch zwischen den Partnern
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Bild 5
Lösungsansätze, um aus dem Dilemma herauszukommen, haben wir heute vielfach schon gehört (Bild 5): Schaffung von Modellen zur integrierten Versorgung, aufbrechen der starren sektoralen Grenzen, zentrale Dienste in Verwaltung medizinischer Dienstleistungen, oder Telemedizin-Portale zum reibungslosen Datenaustausch zwischen den Partnern.
12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
135
Kurzprofil der Imaging Service AG Die Imaging Service AG ist eine universitäre Ausgründung durch fünf Ordinarien und Chefärzte aus der Radiologie. Sie wurde Ende 1999 nach erfolgreicher wissenschaftlicher und ökonomischer Evaluation eines ersten Modellprojektes mit dem Krankenhaus Mindelheim gegründet und ist seitdem mit wachsendem Erfolg auf dem Gebiet der Teleradiologie und Telemedizin tätig. Der Geschäftssitz ist Starnberg. Für Befundleistungen arbeitet die Imaging Service AG mit etablierten Radiologischen Instituten deutscher Großkliniken und Universitäten, wie Großhadern und der Charité, zusammen. Um ein vollständiges Solution-Business anbieten zu können, hat die Imaging Service AG mit zahlreichen Unternehmen aus der Medizintechnik eine Kooperation zum Vertrieb und Implementation von –
medizinisch-technischen Infrastrukturen.
–
IT-Dienstleistungen
–
Projektmanagment für Digitalisierung und Integration von Radiologien in KHInfrastrukturen
Die Imaging Service GmbH ist Betreiber von IMAGING MAGING SERVICE ERVICE
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Bild 6
Da kommt jetzt unsere Firma ins Spiel (Bild 6). Wir sind eine Ausgründung aus einer Radiologie. Wir haben als Teleradiologie-Anbieter angefangen und es uns zum Ziel gemacht, eine deutschlandweit qualitätsgesicherte Telemedizin, insbesondere Teleradiologie, anzubieten. Mittlerweile haben wir uns weiterentwickelt und bieten nicht nur die Abwicklung von Teleradiologie an, sondern auch die Implementierung der dafür notwendigen medizinisch-technischer Infrastrukturen, sowie IT-Dienstleistungen und Projektmanagement, um die Voraussetzungen zu schaffen, sich überhaupt an diesem telematischen Datenaustausch zu beteiligen. Diese Erweiterung war eine zwingende Konsequenz aus unserer Tätigkeit, weil es überall, wo wir hingekommen sind, und eine Teleradiologie oder eine telemedizinische Anbindung generieren wollten, an diesen zwei wesentlichen Erfolgsfaktoren mangelte, der ITInfrastruktur und einem strukturierten Projektmanagement für die richtige Planung, Dimensionierung und schnelle Umsetzung.
136
Matthias Matzko
Geschäftsziel der Imaging Service AG Geschäftsziel der Imaging Service AG ist das Angebot qualitativ hochwertiger medizinischer Leistung mittels Telemedizin als Application Service Provider, unter voller Berücksichtigung gesetzlicher Anforderungen und Einsatz höchster technologischer Standards. Die Hauptaufgaben der Imaging Service AG umfassen den Betrieb des telemedizinischen Netzwerkes an Krankenhäusern hoher Versorgungsstufe, die Vermietung von Gerätepaketen an Krankenhäuser mittlerer und kleiner Versorgungsstufen mit Vertrag zur teleradiologisch gestützten Betreuung durch eines der angeschlossenen Befundzentren sowie deren Gesamtabrechnung auf Basis der tatsächlich in Anspruch genommenen Befundleistungen. Kundenkrankenhaus
Befundzentrum
Anforderung Befund
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Bild 7
Was ist der Kern der Teleradiologie? Wir generieren Schnittbilddiagnostik in einem Krankenhaus oder einer Praxis vor Ort in digitaler Form (Bild 7). Diese wird mittels elektronischem Datentransfer zu einem Befundzentrum, einem Kristallisationspunkt, übermittelt und dort befundet. Befundzentren, das sind meistens Unikliniken, die über unsere Zentralserver vernetzt sind. Die Leistung, die eigentliche Bildbefundung wird also anderorts erbracht. Diese Leistungsteilung kann man in vielfältigen Ausprägungen gestalten – ich werde Ihnen gleich ein Beispiel bringen – : mit Radiologie vor Ort, ohne Radiologie vor Ort, nur für Nacht- und Notfallbefundung, für die Abgabe von Überkapazitäten oder einholen von Zweitmeinungen, je nachdem, was für rechtliche Rahmenbedingungen und lokale Umstände an dem jeweiligen Krankenhaus vorliegen. Jede Variante birgt Rationalisierungspotenzial und eine verbesserte Patientenversorgung.
12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
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Aktive Referenzen der Imaging Service AG Befundungszentren: Universitätsklinik Großhadern, München, seit 1999 Charité, Berlin, seit 2001
Auswahl Kundenkrankenhäuser:
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Kreisklinik Mindelheim
Städtisches Krankenhaus Bobingen
Ilmtalklinik Pfaffenhofen
Stiftungskrankenhaus Nördlingen
Dominikus Krankenhaus Berlin
Amperkliniken AG Dachau
Caritas Klinik Berlin Pankow
Kreiskrankenhaus Köthen
Praxis Dr. Höffler / Kreisklinik Wolfratshausen
Max-Planck Institut für Psychatrie München
u.v.m.
Bild 8
Unsere aktiven Befundzentren sind momentan die LMU München, Klinische Radiologie und andere Fachdisziplinen sowie der Campus Charité Mitte (Bild 8). Es kommen jetzt noch weiter Unikliniken in unseren Verbund als Leistungszentren hinzu. Wir haben also gerade die Schwelle des exponentiellen Wachstums erreicht, und das schließt natürlich ein, dass wir uns nicht nur auf den reinen teleradiologischen Bilddatenaustausch beschränken können. Deshalb werde ich Ihnen gleich unseren Lösungsansatz vorstellen, die Telematik und den Datenaustausch weiter zu verbessern.
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Matthias Matzko
Integrierte radiologische Versorgung (1)
Klinikum Dachau
Radiologen im Tagdienst und in Rufbereitschaft Teleradiologie
Befundservice
Fixbetrag für radiologische Gesamtleistung
Universitätsklinikum München-Großhadern
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Bild 9
Nun ein Beispiel der Teleradiologie, wie wir sie umgesetzt haben im Rahmen einer integrierten radiologischen Versorgung (Bild 9). Ich weiß nicht, ob es sich hierbei tatsächlich um eine reinrassige integrierte Versorgung handelt wie sie sein soll, aber zumindest haben sich Ärzte über Krankenhausstrukturen hin integriert und auch die IT-Plattformen haben sich vernetzt. Die Amperklinik in Dachau hat eine neue Möglichkeit gesucht, ständig auf dem radiologischen State of the Art zubleiben, sowohl gerätetechnisch als auch was das ärztliche Know-how anbetrifft. Folgenden Lösungsansatz hat man gewählt. Wir haben ein Rotationssystem entwickelt, in dem Radiologen aus dem Universitätsklinikum München untertags in Dachau vor Ort tätig sind. Die Radiologie wird also von Rotanten aus der Universität betrieben. Nachts kommt dort die Teleradiologie ins Spiel. Da ist dann kein Radiologe vor Ort, sondern die in Dachau erstellten Bilder wandern auf das Telemedizinportal und werden der LMU München zugeschickt. Die dort diensthabenden Radiologen erstellen den Befund und melden der Amperklinik das Ergebnis zurück. Interventionelle Radiologie wird auch weiter angeboten, im Nacht- und Notfallbetrieb mittels Rufbereitschaft. Und die ganze Abwicklung findet zu einem Fixbetrag für eine radiologische Gesamtleistung statt. Also, ein Beispiel dafür, wie man auch mit einfachen Dingen und etwas organisatorischem Geschick Dinge effizient gestalten kann.
12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
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Integrierte radiologische Versorgung (2) Ziele des Klinikums der Universität München Finanzierung zusätzlicher Arztstellen aus der vom Klinikum Dachau gezahlten Vergütung Erweiterte Ausbildungsmöglichkeiten durch Betreuung eines Versorgungskrankenhauses Erprobung und Weiterentwicklung der Teleradiologie Beeinflussbarkeit der Patientenströme Ziele des Klinikums Dachau Verbesserung der Versorgungsqualität durch Zugang zum Expertenwissen eines universitären Zentrums / Verfügbarkeit subspezialisierter Radiologen „rund um die Uhr“ Erweiterung des diagnostischen und therapeutischen Spektrums Zugang zu zeitgemäßen/zukunftsweisenden Technologien Akzeptanzsteigernde Außenwirkung ohne Erhöhung des ärztlich-radiologischen Budgets! IMAGING MAGING SERVICE ERVICE
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Bild 10
Was waren die Ziele der Akteure? (Bild 10) An der Uni München sollten bei schwindenden Drittmitteln zusätzliche Arztstellen geschaffen und erweiterte Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Wir haben ja in einem Krankenhaus der Versorgungsstufe 3, wie es Dachau darstellt, ein ganz anderes Patientenspektrum, was den Subsubsubspezialisten in der Universität vielleicht manchmal fehlt. Also, hier eine durchaus attraktive Ergänzung. Außerdem wollte sich die LMU München im Sinne des Wettbewerbs mit der Technischen Universität weitere Patientenströme sichern. Ziele des Klinikums Dachau waren die verbesserte Versorgungsqualität, der Zugang zu Expertenwissen und die Aufrechterhaltung des breiten Leistungsspektrums bei gleichzeitig planbare Kosten.
140
Matthias Matzko
Technische Infrastruktur (1) 1. Implementation der Teleradiologie • Datenleitungen mit Ausfallkonzept • Befundungsstationen mit • Teleradiologiefunktionalität
Bild 11
Technische Infrastruktur (2) 1. Implementation der Teleradiologie • Datenleitungen mit Ausfallkonzept • Befundungsstationen mit • Teleradiologiefunktionalität 2. Digitalisierung der konventionellen Radiologie mit Speicherfoliensystem
Bild 12
12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
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Technische Infrastruktur (3) 1. Implementation der Teleradiologie • Datenleitungen mit Ausfallskonzept • Befundungsstationen mit • Teleradiologiefunktionalität 2. Digitalisierung der konventionellen Radiologie mit Speicherfoliensystem 3. Implementation von PACS mit Anbindung von RIS und Bildverteilung zu den Stationen
Bild 13
Technische Infrastruktur (4) 1. Implementation der Teleradiologie • Datenleitungen mit Ausfallskonzept • Befundungsstationen mit • Teleradiologiefunktionalität 2. Digitalisierung der konventionellen Radiologie mit Speicherfoliensystem 3. Implementation von PACS mit Anbindung von RIS und Bildverteilung zu den Stationen 4. Multimedia- Demoraum für Falldemonstration / Röntgenbesprechungen
Bild 14
Was wurde gemacht: Die technische Infrastruktur musste aufgebessert werden, bevor wir überhaupt anfangen konnten (Bilder 11, 12, 13, 14). D.h. Installation von Datenleitungen, Befundungsstationen, Digitalisierung der konventionellen Radio-
142
Matthias Matzko
logie, weil ja nicht nur Schnittbilddiagnostik hin- und hergeschickt werden sollten, Implementation eines kompletten radiologischen Informationssystems, PACS, RIS, mit Bildverteilung bis in den letzten Winkel des Krankenhauses. Das Krankenhaus muss filmlos sein, denn wenn wir so eine Investition rechnen möchten, dann darf kein Pfennig mehr für irgendwelche unnützen Papier- oder Filmausdrucke ausgegeben werden. Das Ganze, das garantieren wir, rechnet sich dann nach drei bis fünf Jahren. Und natürlich ein Umstellen auf Multimediademonstration, was übrigens interaktiv auch zwischen den Standorten, also München und Dachau, funktioniert. Da sehen Sie zwei Cursor am Bildschirm während sich die beiden Ärzte am Telefon unterhalten und schon kann man die Fälle dort vernünftig besprechen. Das ist eine ganz interessante Sache.
Integrierte radiologische Versorgung – patientenbezogene Ergebnisse Verbesserte Qualität der radiologischen Patientenversorgung Erweiterung des Leistungsspektrums:
CT-Interventionen (+200%)
RFA (vorher nicht angeboten)
TIPSS (vorher nicht angeboten)
Chemoembolisation der Leber (vorher nicht angeboten)
PTC
PTA (+50%)
Stentimplantationen (vorher nicht angeboten)
Erhöhte Patientenzufriedenheit und -akzeptanz
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Bild 15
Wir übertragen bis jetzt mit unserer Teleradiologie viele digitale Bilder (Bild 15). Das ist schön und gut, aber wir haben natürlich auch die medizinischen Befunde und natürlich auch noch einen weitaus höheren Anspruch, zukünftig Telematik im Gesundheitswesen anzubieten. Die nächste Integrationsstufe ist die Übermittlung des Befundes in elektronischer Form, so dass dieser nicht mehr physikalisch per Fax oder Taxi von einem Ort zum anderen geschickt werden muss, so wie das heute oft noch läuft.
12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
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TempoBy Betreiberkonzept soll zukünftig alle Bayerischen Universitätsklinika einschließen
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Bild 16
Hier kam es gerade recht, dass das Wissenschaftsministerium in Bayern gesagt hat: wir wollen für unsere Universitätsklinika eine Telemedizin Portal Bayern Plattform schaffen (Bild 16). Die Idee ist alt, die Umsetzung hat lange gedauert. Und wir befinden uns noch in der Umsetzung der Pilotphase. Hiermit wurde das Klinikum der Universität München beauftragt. Es gab eine Ausschreibung, und die Firma Siemens zusammen mit uns als Subunternehmer hat den Zuschlag bekommen und gemeinsam mit dem Klinikum wollen wir dieses Telemedizinportal umsetzen.
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Matthias Matzko
TempoBy Zukünftiger Prozess des Informationsaustausches Radiologie
CT, MR, X-Ray... Prozessebene
Großhadern Applikationsebene (Soarian)
VPN+ Client
NT Server Wer bin ich? Darf ich mitspielen? Netzwerkebene VPN+ EGW
VPN-Tunnel
Vorteile:
Internet
• Vertraulichkeit • Integrität • Klare Userauthentifizierung
• Klar definierte Prozessabläufe • Schnelle Reaktion • Auslastung von Leerkapazitäten
Bild 17
Wie funktioniert das (Bild 17)? Alle Prozesse werden digital abgebildet mittels einer Punkt-zu-Punkt-Verbindung zwischen den Partner im Rahmen eines Virtual Private Networks. Dort identifiziert man sich mit einer Chipkarte, die kompatibel ist zu der zukünftigen Health Professional Card. Dann meldet man sich am Server an. Der Daten-Tunnel wir etabliert und schon können die Daten ausgetauscht werden. Es handelt sich hier um beliebige Daten, um Bilddaten, um Labordaten usw. Sie müssen natürlich nur in irgendeiner Form digital vorliegen. Wenn Sie ganz einfach mit einer Software aus einem digitalen proprietären Format einen PDF Ausdruck erstellen und den verschicken, ist der Anfang schon gemacht. Schon haben wir die Vorteile erreicht, die wir wollen; Vertraulichkeit, Integrität der Daten, klare UserAuthentifizierung, klar definierte Prozessabläufe und schnelle Reaktionszeiten sowie natürlich eine verbesserte Auslastung von Leerkapazitäten.
12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
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TempoBy Netztopologie und Funktion Morgen
Klinikum in Bayern
Externer Partner
Zentrale in Großhadern
VPN Client IP Network
RehaKlinik
IPSec Tunnel
Internet
IPSec Tunnel
Krankenhaus
Interner Arzt
Imaging Service / Tempo By
ISDN / WAN
VPN Client IPSec Tunnel
Arzt Praxis
VPN Gateway
Bild 18
Hier noch einmal als größeres Schema; eine zentrale Serverarchitektur (Bild 18). Alle Akteure sind sternförmig über einen zentralen Knoten miteinander verbunden. Jeder, der mitspielen will, loggt sich dort mit seiner Karte ein. So kann ein patientenorientierter Austausch von Informationen auch über mehrere Fachbereiche stattfinden. Eine weitere Integrationsstufe wäre die elektronische Patientenakte. Zum Abschluss möchte ich Ihnen ganz kurz ein paar Screenshots davon zeigen (Bilder 19 bis 36). Sie melden sich an und befinden sich dann in Ihrem eigenen Postfach. Sie sehen, es ist eine neue Nachricht angekommen. Sie öffnen diesen Fall und lesen, was jemand von Ihnen möchte. Sie klicken weiter, es poppt, ein Viewer auf. Sie brauchen praktisch nur einen PC mit Internetanschluss und schon können Sie sich auf dieses Portal anmelden und in dem ganzen Szenario mitspielen. Sie können von Ihrem lokalen Rechner Dokumente zum Patienten hoch laden und entsprechend an andere Partner in diesem Netz verschicken. Und dann schreiben Sie eine Antwort, schicken das Ganze weg und schon sind Sie abgemeldet. Das würde jetzt noch so weitergehen mit ein paar Screenshots, wie sich derjenige, dem Sie die Antwort geschickt haben, sich jetzt wieder zu verhalten hat. Das spare ich mir.
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Bild 19
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12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
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12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
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12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
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12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
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Matthias Matzko
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12 Fallbeispiel: Verbesserung der Versorgung durch Telemedizin
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Zum Schluss meines Vortrags möchte ich Ihnen noch meine Aussagen zur Telemedizin in einer Auflistung zusammenfassen (Bild 37).
Zusammenfassung Schneller und sicherer Informationsaustausch zwischen Partnern Kein Medienbruch da elektronische Übermittlung Import in hauseigene Informationssysteme eines Partners möglich Breites Konsultationsspektrum Kostenreduktion und Zeitgewinn bei der Versorgung stationärer und ambulanter Patienten Sicherheitsinfrastruktur bietet Raum für weitere Anwendungen: Vorbereitet für Nutzung der HPC Zukünftig auch Ausbau zur Datenaustauschplattform zwischen Universitätsklinika zu Forschung und Lehre In Planung: Austausch mit elektronischen Patientenakten externer Anbieter
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In Planung: Integration von „Home Care“ Anwendungen zur Überwachung chronisch kranker Patienten
13 Podiumsdiskussion eHealth – Wird die ITK zum Innovationsmotor im Gesundheitswesen? Moderation: Dr. Günter Braun, Siemens AG, München Teilnehmer: Prof. Dr. med. Reinhard Busse, Technische Universität Berlin Norbert Englert, IBM Deutschland GmbH, Frankfurt Prof. Dr. Reiner Leidl, Universität München Dr. Joachim Kartte, Roland Berger Strategey Consultants, Berlin Robert Schneider, SCM Microsystems GmbH, Ismaning Dr. Braun: Zum Ende des heutigen Tages folgt jetzt noch eine Podiumsdiskussion zum Thema „eHealth – wird die Informations- und Kommunikationstechnologie zum Innovationsmotor im Gesundheitswesen?“ Das ist ja auch Thema unserer gesamten Veranstaltung. Wir können uns gut vorstellen, dass die hohen Wachstumsraten, die vor allem bei IT und Kommunikation im Gesundheitswesens für die nächsten Jahre prognostiziert sind, sich auch positiv auf Innovationen im gesamten Gesundheitswesen auswirken werden. Darüber hinaus wäre der Nachweis der Innovationsfähigkeit in dem wichtigsten unserer Sozialsysteme ein Zeichen für die gesamte Wirtschaft. Nötig hätten wir das ja in Deutschland und insoweit ist die folgende Diskussion auch politisch recht aktuell Für die Diskussion habe ich neben mir auf dem Podium Herrn Prof. Busse von der Technischen Universität Berlin. Ich habe ihn heute schon vorgestellt. Ich habe weiter neben mir Herrn Englert von IBM Deutschland. Herr Englert hat zunächst Lehramt Sekundarstufe II in Amerikanistik und Politologie studiert. Er hat anschließend in einem amerikanischen Softwarehaus gearbeitet, war dann bei Price Waterhouse Coopers, wo er auch Partner und Geschäftsführer war. Im Anschluss war er im Bereich des Personalwesens bei der IBM Deutschland Business Consulting Services führend tätig. Seit Juli 2004 ist er Vice President des Geschäftsbereichs eHealth bei der IBM Deutschland, und in dieser Funktion verantwortet er das gesamte Leistungsspektrum von IBM in diesem Bereich. Dazu gehört auch das Thema Gesundheitskarte und Telematik-Infrastruktur.
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Moderation: Günter Braun
Daneben sitzt Herr Prof. Leidl von der Universität München. Herr Leidl hat an der Ludwig-Maximilians-Universität hier in München Volkswirtschaftslehre studiert. Er war dann in einer Reihe von Institutionen tätig: Zunächst beim GSF Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg bei München, hatte dann den Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie an der Universität Maastricht, war anschließend an der Universität Ulm, ist seit September 2003 wieder zurück an der Universität München und beschäftigt sich hier mit dem Thema ökonomische Evaluation von Gesundheitsleistungen, ökonomische Analyse und Management im Gesundheitssystem. Herrn Dr. Kartte von Roland Berger habe ich schon vorgestellt. Herr Schneider hat einen Ingenieurabschluss in Salzburg und einen BA von der Academy for Business Administration in Überlingen. Er hat zunächst bei der Intel Corporation Europe mehr als zehn Jahre gearbeitet, wo er verschiedene Sales und Marketing Positionen innehatte. 1990 hat er dann das Unternehmen SCM aufgebaut, das er leitet. In diesem Zusammenhang ist er mit der Herstellung von Kartenlesern befasst. Er ist auch sehr aktiv in Standardisierungsorganisationen, in der PC-Sicherheit und beim digitalen Fernsehen. Soweit die Vorstellung des Panels. Wir haben uns die Podiumsdiskussion so vorgestellt, dass jeder der Teilnehmer ein kurzes Statement abgibt, das themenbezogen sein sollte, also auf die Frage „eHealth als Innovationsmotor im Gesundheitswesen?“ eingeht. Wir werden danach zur Diskussion kommen. Ich darf zunächst einmal in der Reihenfolge, wie die Herren auf dem Programm stehen, um die Statements bitten. Wir beginnen mit Herrn Prof. Busse. Prof. Busse: Was wir uns manchmal klarmachen müssen ist, dass das Gesundheitssystem immer noch, wie auch viele meiner Kollegen im Ausland sagen, ein sehr handwerklich orientierter Industriezweig ist. Wir haben es gesehen – es gibt sehr viele Beschäftigte im Gesundheitssystem. Teilweise liegt es daran, dass die Produktion in den „medizinischen Produktionsstätten“, also Krankenhäusern, Arztpraxen etc., sich noch nicht deutlich verändert hat im Vergleich zu vor mehreren Jahrzehnten. Wir stehen davor bzw. wir sind dabei zu entdecken, dass sich gewisse Prozesse – wir haben heute sehr schöne Beispiele gesehen; Sie erinnern sich an die Ultraschall-Untersuchungen – doch zu einem Gutteil automatisieren lassen, zumindest was den Anteil von nicht direkt medizinischen Leistungen, also Hilfstätigkeiten und Verwaltungstätigkeiten angeht. Wir stehen davor, dass sich Teile des Gesundheitswesens „industrialisieren“ werden, was sie bisher fast nicht geschehen ist. Dabei kann natürlich die Informations- und Kommunikationstechnologie eine ganz entscheidende Rolle spielen, um diesen Prozess voranzubringen. Das wird nur funktionieren, wenn eHealth – oder wie immer wir es nennen werden – eine deutlich größere Rolle spielen wird. Das ist die Chance. Das ist die Marktlücke für die Informations- und Kommunikationstechnologie. Das ist auch vermutlich gut für die Patienten, weil
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sich die Leistungsqualität eher steigern wird. Aber es ist natürlich schlecht, und das muss man deutlich sagen, für gewisse Berufsgruppen im Gesundheitswesen, die von der sehr handwerklich orientierten Produktionsweise leben. Das darf man nicht verkennen – und es werden, wenn wir in die Zukunft blicken, um zu beurteilen, ob das wirklich der große Innovationsmotor sein, nicht nur die Ärzte da sein, sondern wenn wir an Krankenhäuser denken, sind da auch die Personalräte, die die nichtärztlichen Berufsgruppen vertreten, die wesentlich mehr zu verlieren haben von den Umwälzungen. Insgesamt aber wird sich das nicht aufhalten lassen. Es wird zu Verzögerungen kommen und es kann sich rechnen – anders als im Arzneimittelsektor, dem es schwerer fällt, immer zu belegen, dass mehr Ausgaben für Arzneimittel sich wirklich lohnen. Das ist immer das Argument der Arzneimittelindustrie, aber die Datenlage ist nicht so gut, dass sich wirklich eine Einsparung, außer bei gewissen Indikationsgruppen, errechnet. Hier ist das Feld wesentlich besser, so dass man sagen kann, angenommen da, wo wir bisher 100 Euro ausgeben für Gesundheit, sind locker 10 Euro Effizienzreserven drin, und wenn wir 5 Euro dafür aufwenden, um diese 10 Euro zu realisieren, spart das Gesamtsystem noch 5 % – aber diese 5 Euro Zusatzaufwand für Informations- und Kommunikationstechnologie geben einen Riesenwachstumsmarkt her. Wir haben hier eine potenzielle Win-Win-Situation für das Gesundheitssystem als Ganzes und für die entsprechenden Anbieter dieser Leistung. Aber es gibt eben auch Verlierer, und die Hauptschwierigkeit ist, dass wir uns fragen müssen, wie das implementiert werden kann. Wo sind die entscheidenden Hürden? Wer muss überzeugt werden? Da gibt es verschiedene Gruppen, angefangen von den Patienten. Für die Patienten, die dem noch ambivalent gegenüber stehen, der Technisierung, den Chipkarten usw. Mittelfristig wird es da sehr wesentlich sein, dass belegt ist, dass das die Qualität verbessert. Dass sie also nicht darunter leiden, sondern davon Zusatznutzen haben. Wir sehen es in einigen Ländern. Frankreich ist das beste Beispiel. Frankreich ist dabei, so eine Chipkarte, eine Gesundheitskarte einzuführen, die gleich an finanzielle Anreize gekoppelt wird. Die Franzosen setzen nicht darauf, dass die Versicherten das nur aus guter Erkenntnis machen werden, sondern es soll in Zukunft so sein, dass wer ohne seine Karte zum Arzt kommt, höhere Aufschläge zahlt, höhere Praxiskosten, höhere Zuzahlungen zu Arzneimitteln, um die Akzeptanz zu steuern. Für die Zahler, Krankenkassen bzw. staatliche Systeme, wird es ganz entscheidend sein, dass wir nicht nur zeigen, dass es gut ist, dass es funktioniert, sondern dass wir auch die Kosteneffektivität immer im Auge behalten. Lohnen sich die Investitionen und die laufenden Kosten gegenüber dem, was wir dafür erhalten? Ich habe gerade vorgerechnet. Das Potenzial ist hier tatsächlich da, dass wir mal eine Technologie im Gesundheitswesen haben, die auch spart. Aber das muss von vornherein bei den Evaluationen mit einbezogen werden und dann kann sich das wirklich zu einem Innovations- und Wachstumsmotor entwickeln. Dr. Braun: Vielen Dank, Herr Prof. Busse. Ich möchte gleich weitergeben an Herrn Englert von IBM. Bitte schön!
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Moderation: Günter Braun
Herr Englert: Bevor ich zu dem Thema Wachstumsmotor komme, wollte ich versuchen, eine Definition von Innovation in den Raum zu stellen, nämlich Innovation nicht als die neue Idee – das ist vielleicht mehr die Inspiration, sondern Innovation als die erfolgreiche Umsetzung, die demzufolge dann auch gesellschaftliche Relevanz hat. Da ist in der Tat das Gesundheitswesen ein sehr gutes Forum, um Innovationen tatsächlich zu kreieren, schlichtweg deswegen, weil es gesellschaftlich relevant ist. Innovation heißt, wenn es richtig ist, dass es gesellschaftlicher Relevanz bedarf, dann aber auch, dass es eine ganze Reihe von Nutzern geben muss. Nutzer, das sind zum einen wir als Versicherte, auch als Patienten, aber es sind natürlich auch die anderen Mitspieler des Gesundheitswesens, die Leistungserbringer, die Kostenträger. Wir haben heute an einer Reihe von Beispielen gehört und gesehen, dass es schon erfolgreiche Telematik im Gesundheitswesen gibt, aber im Wesentlichen sind es Inseln, die noch nicht nahtlos Informationen austauschen können. Ich glaube, es gibt eine Reihe von Beispielen dafür, dass Infrastruktur erforderlich ist, die es ermöglicht, dass die einzelnen Spieler nahtlos miteinander kommunizieren können und dass diese Kommunikation dann letztendlich auch der Motor sowohl für Inspiration als auch dann potenziell für Innovation ist. Das heißt für mich letztendlich dann so viel wie, um mit Kästner zu sprechen: es gibt nichts Gutes außer man tut es, dass es jetzt wirklich an der Zeit ist, dass wir diese Infrastruktur aufsetzen. Vielleicht wundert es Sie, wenn ich als Vertreter von IBM sage, dieses Projekt ist kein Technologieprojekt. Ich nehme an, es hat nichts damit zu tun, dass ich einmal Lehrer war, sondern eher damit, dass die Erkenntnis eben die ist, dass die Komponenten, die zusammenspielen müssen, neben dem Thema Technologie auch und ganz besonders die Themen Organisation oder auch Politik und Interessenpolitik sein müssen, und es gehört die Ebene der Prozesse sicherlich auch mit dazu. Wenn es also jetzt darum geht zu sagen, wir wollen eine Infrastruktur schaffen, die eine nahtlose Kommunikation oder Vernetzung im Sinne neuronaler Netzwerke erlaubt, dann müssen wir uns überlegen, was die entscheidenden Punkte sind, die jetzt noch fehlen, um dahin zu kommen. Wir haben eine ganze Reihe von Fortschritten in den letzten Monaten erzielen können. Wir haben durch die gemeinsame Vereinbarung zwischen der Selbstverwaltung und dem Gesundheitsministerium vom 28.10. letzten Jahres die Grundlage für eine Forschungs- und Entwicklungsinitiative gelegt, um die Lösungsarchitektur, die technischen Spezifikationen, festzulegen, auf die u. a. natürlich auch die Industrie wartet, um zu sagen, wie letztendlich die Produkte, die Komponenten aussehen sollen, die auf der technologischen Ebene erforderlich sind, um das Ganze zum Fliegen zu bekommen. Wir haben aber daneben auch eine sehr wichtige organisatorische Entscheidung getroffen, nämlich die, dass die Selbstverwaltung eine Gesellschaft gegründet hat, die Gematik, deren Aufgabe es ist, die Einführung, die Pflege und den Betrieb von Gesundheitskarte und Telematik Infrastruktur zu machen (ich gehe davon, dass alle hier im Raum wissen, dass es ja nicht nur eine Karte gibt, sondern eine zweite, den Heilberufausweis, der ebenfalls dazu erforderlich ist).
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Man kann die Herausforderung in vier Schlagworten zusammenfassen. Das erste nenne ich Integration. Wir haben auf einigen sehr schönen Schaubildern gesehen, wie komplex das Gesundheitswesen ist; die Anzahl der Spieler, ob das die 125.000 Praxen sind, die 2.200 Krankenhäuser, die 290 Kostenträger. Ob es die anderen, die Zahnärzte, die Heilpraktiker, aber auch die KVen, die Ärztekammern, die Zahnärztekammern sind – all die müssen ja miteinander in Verbindung gebracht werden. Manchmal habe ich den Eindruck, als ob man sich vorstelle, dass ist so ähnlich als wenn Sie sich Ihren Elektrobaukasten zuhause nehmen, den aufmachen, in die Luft werfen und hoffen, dass ein Fernsehgerät runterkommt. Ich glaube nicht, dass das so passieren wird, sondern man wird ein ganz aktives Integrationsmanagement betreiben müssen, also deutlich über einzelne Komponenten hinausgehen. Und dieses Integrationsmanagement ist eine zentrale Herausforderung, bei der auch noch eine ganze Menge zu tun ist. Das zweite ist das Thema Organisation, d.h. wir brauchen eine verantwortliche Stelle zu dem Thema Normierung. Wie sieht das eigentlich aus? Welche Komponenten gehen wie in den Markt und erfüllen dann auch die Standards, um Interoperabilität sicherzustellen?. Also, sicherzustellen, dass nicht nur alle Spieler miteinander kommunizieren können, sondern dass beispielsweise auch jeder Patient, der in Flensburg zum Arzt geht, auch in München am Stachus in der Apotheke sein Rezept einlösen kann. Das bedeutet, dass wir eine Organisationsform brauchen, die nicht nur die Standards setzt, definiert und quasi zertifiziert, sondern, und das ist aus meiner Sicht die Gematik, auch die Verantwortung übernimmt für Einführung und Betrieb. Daraus leiten sich dann aber auch Fragestellungen ab zum dritten Schlagwort: Wettbewerb. Das Thema Vergaberecht ist heute bereits einmal angesprochen worden aus dem Publikum. Wie kann so etwas dann überhaupt ins Leben gerufen werden im Sinne der Vergabe? Welche Modelle kann man sich vorstellen, so etwas dann auch zu betreiben? Wer wird also zuständig sein, diese schätzungsweise 300.000, 400.000 Konnektoren, die es geben wird, in den Markt zu bringen? Werden sie als Einzelkomponente ausgeschrieben? Von wem? Wie sieht es aus bei den Themen der ganzen Netzwerke und auch der verteilten Serverfarmen, die zu betreiben sind, bei der sicheren Kommunikation, bei der Entwicklung von Anwendungen und bei dem Betrieb derselben? Wer wird das tun? Wer wird es beauftragen? Was sind mögliche Konstellationen? Da gibt es noch eine ganze Reihe an Themen, die zu besetzen sind, die es vordringlich zu bearbeiten gilt. Der letzte Begriff, den ich ins Spiel bringen möchte, ist der Begriff Finanzierung. Es ist ebenfalls wichtig, dass man sich Gedanken darüber macht, wie finanziert man sowohl die Initialinvestition als auch den dauerhaften Betrieb der Telematik Infrastruktur, um sicherzustellen, dass es eben nicht nur ein „Einmalschuss“ ist – wunderbar, es ist alles da –, sondern dass es dauerhaft auch vorangeht. Ist das ein Bereich, wo Public Private Partnerships sinnvoll sind oder ist es das nicht? Wie könnten die aussehen? Kann man sich Modelle vorstellen, die darauf hinauslaufen, dass man sagt, man erwartet gewisse Einsparungen, die schon zur Finanzierung von Anfangsinvestitionen herbeigezogen werden? Das wiederum hätte zur Konsequenz,
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Moderation: Günter Braun
dass Sie auch in bestimmte Betreibermodelle hineingehen. Wer kann solche Betriebskomponenten übernehmen? Ich glaube, dass diese Fragen neben den technologischen Fragen in der Tat essentiell sind. Abschließend möchte ich betonen, dass wir m. E. genügend Zeit aufgewandt haben bezogen auf die konzeptionellen Vorarbeiten. Ich glaube, dass es in der Tat jetzt an der Zeit ist, das Ganze umzusetzen, und ich muss zugeben dass ich weiterhin verhalten optimistisch bin, dass wir das auch schaffen werden. Ich erwarte, dass wir durchaus in dem Moment, wo dann beispielsweise die Lösungsarchitektur verfügbar ist, wo Testregionen definiert sind, auch einen ganz massiven Druck bekommen werden, diese Innovationen dann auch tatsächlich umzusetzen, und zwar deutlich über die sog. Pflichtanwendung hinaus. Wir werden schneller, als wir es vielleicht heute erwarten, Themen wie einen Arztbrief, Arzneimitteldokumentation, Notfalldokumentation und auch die Patientenakte sehen, weil dort der wesentlich Nutzen sowohl qualitativ als auch auf der Effizienzseite liegt. Dr. Braun: Vielen Dank, Herr Englert. Gehen wir gleich weiter. Prof. Leidl, Universität München, bitte. Prof. Leidl: Ich möchte gern Ihren Blick beim Thema eHealth und Innovation auf das Management richten, und zwar auf das Management von Patienten und Versichertengruppen. Um das zu unterstützen, habe ich eine Folie mitgebracht. Ich möchte also nicht auf die Arzt-Patient-Ebene, auf die Ebene der direkten Versorgung blicken, sondern werde zunächst von einer Institution wie dem Krankenhaus ausgehen und ansehen, was es an Informationsgrundlagen gibt über den Patienten und über das, was im Krankenhaus gemacht wird. Wie war das früher? Wie ist das heute? Welchen Beitrag leistet ITK, also Informationstechnik und Telekommunikation, hier dazu? Sie sehen auf der linken Seite ein Bild, das vor etwa 90 Jahren entstanden ist (Quelle: Codman E.A. The product of a hospital. Surgery, Gynecology and Obstetrics 1914[18]; S. 496). Ein amerikanischer Gynäkologe hat aufgezeichnet, was im Krankenhaus produziert wird. Etwas weniger als 7.000 Patienten sind im Jahr 1912 im Massachusetts General Hospital versorgt worden. Das Entscheidende, was uns dieses Bild zeigt, ist, dass man keinen weiteren Begriff hatte als nur den von dem durchschnittlichen Krankenhausfall, jeder war gleich wie der andere. Es hat bis in die 90er Jahre gedauert, bis wir bundesweit versucht haben, eine Krankenhausdiagnosestatistik zu generieren. Wie Sie alle wissen, ist eigentlich erst mit den letzten Jahren eine genauere Beschreibung der Krankenhausfälle über die DRGs, die uns jetzt einige Hundert Gruppen liefern, möglich geworden. Diese Beschreibung erfolgt in Abhängigkeit von der Hauptdiagnose, bis zu 19 Nebendiagnosen, 20 Prozeduren und einigen anderen Variablen. Dieses alles für die vielen Millionen Krankenhausfälle zu produzieren, ist natürlich nur auf einer elektronischen Basis möglich.
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Was bedeutet das für das Krankenhausmanagement? Das ist ein ganz grundsätzlicher und wesentlicher Unterschied für das Controlling im Krankenhaus, da nun die Leistungen im Krankenhaus pro Patientengruppe viel genauer beurteilt werden können. Für diejenigen, die es nicht wissen: die DRGs sind ursprünglich Ende der 60er Jahre für Managementzwecke entwickelt worden und nicht für die Vergütung. Es ist beispielsweise möglich, die Leistungsfähigkeit der Versorgung je DRG zwischen den Häusern einer Klinkkette zu vergleichen, und natürlich wird auch auf Systemebene durch die Krankenkassen verglichen, welche diese Daten dann für ihre Gespräche mit den Kliniken nutzen können. Das ist ein Beispiel, wie auf einmal eine Differenzierung der zu versorgenden Patienten – hier in der Institution Krankenhaus – gelingt. Ähnlich Ansätze gibt es, im Moment nur in der Theorie, für den ambulanten Bereich. Aber man arbeitet auch hier an einer morbiditätsspezifischen Ausdifferenzierung dessen, was Patientenversorgung heißt. Wenn wir unter demografischen Gesichtspunkten an die Zukunft denken, können wir uns leicht vorstellen, dass später auch im Pflegebereich differenziertere Darstellungen als nur ein paar Pflegestufen von Interesse sind. Es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu. Diejenigen, die sich mit der gesetzlichen Krankenversicherung und dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz näher beschäftigen, wissen, dass auch im Risikostrukturausgleich vorgesehen ist, eine morbiditätsorientierte Unterteilung durchzuführen. Damit soll dann für die etwas mehr als 70 Millionen GKV-Versicherten nicht nur nach Alter, Geschlecht und Erwerbsstatus unterschieden werden, wie wir das im Moment haben, sondern auch nach einigen Hundert Morbiditätskategorien für die Berücksichtigung der Schwere des Versicherungsfalles. Dies geht dann in den Ausgleich der Finanzen zwischen den Kassen ein; eine große Managementaufgabe: Was hier an Finanzmasse bewegt wird, ist mehr als das Doppelte, was wir im Länderfinanzausgleich haben. Es geht also bei der Differenzierung der Information um viele wichtige Themen. Wir haben heute eine ganze Reihe von Ansätzen gehört, die organisatorische Neuerungen im Gesundheitssystem bedeuten und auf die ich nicht näher einzugehen brauche. Ich will diese Neuerungen aber zumindest in Trends zusammenfassen: Ein erster Trend beschreibt die vertikale Integration der Versorgung, beispielsweise durch Disease Management Programme oder durch integrierte Versorgungsansätze. Ein zweiter Trend beschreibt die hausarztzentriertre Versorgung. Bei beiden Trends wird auch deutlich, dass wir uns bezogen auf bestimmte Indikationsgebiete und Patientengruppen über verschiedene Versorgungsinstitutionen hinweg ein Bild machen müssen und Daten sammeln, sowohl was die medizinisch Effektivität als auch, was die Wirtschaftlichkeit der Versorgung anbelangt. Man kann als dritten Trend auch noch die Integration von Versicherung und Versorgung heranziehen. Wir haben schon über Ansätze wie die Health Maintenance Organisations gehört, wo gleichzeitig Krankenversicherung und Versorgung angeboten wird. Daneben gibt es Weiterentwicklungen solcher Managed Care-Ansätze in den USA sowie andere Ansätze wie die Hausärzte mit Budgetverantwortung in den
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Moderation: Günter Braun
Primary Care Trusts in England. All diese Ansätze zeigen, dass es in vielen Gesundheitssystemen eine stärkere Integration von Versorgung und Krankenversicherung stattfindet. Das Management in diesen integrierten Ansätzen erfordert auch wieder eine indikations- und morbiditätsspezifische Differenzierung der Patienten bzw. Versicherten. Ich habe versucht, dieses an einer weiteren Abbildung darzustellen mit den drei Würfeln aus dem Gesundheitssystem (die für Patienten/Versicherte, Versicherer und Leistungserbringer stehen), die wir auch schon kennen gelernt haben. Das Entscheidende ist, dass dieser dritte Würfel – der für die Patienten bzw. Versicherten steht – jetzt differenziert wird. Es ist nicht mehr nur der durchschnittliche Krankenhausfall, es ist nicht mehr nur der durchschnittliche Versicherte, um den es geht, sondern es wird genau nach der Versorgungsaufgabe differenziert. Im differenzierten Bild können dann Effizienz und Qualität der Versorgung und Kategorien des Risikomanagements in der Versicherung überprüft und gegebenenfalls gesteuert werden. Das alles ist nur möglich mit einer ganz intensiven Unterstützung der Informationsbasis. Die Information liefert die Grundlage für differenziertes Management. Die Herausforderung für ITK liegt dann primär in einer besseren Unterstützung der Managementanwendungen. Wir haben in dem Referat am Nachmittag deutlich gehört, wie Nutzer-nahe die Anwendungen für die ärztliche Tätigkeit sein müssen. Das gilt in gleicher Weise für die Managementaufgaben. Wenn eine entsprechende Unterstützung des Managements gelingt, glaube ich, dass ein wesentliches Wachstumspotenzial besteht. Danke. Dr. Braun: Vielen Dank, Herr Prof. Leidl. Das nächste Statement kommt von Herrn Dr. Kartte von Roland Berger aus Berlin. Dr. Kartte: Herr Dr. Braun. Ich habe ja heute Vormittag im meinem Vortrag schon Einiges gesagt zum Thema Innovationsnotwendigkeiten und auch Innovationsmöglichkeiten im Gesundheitswesen, wo ITK natürlich eine ganz besondere Rolle spielt. Deswegen hier nur einige ergänzende Bemerkungen. Ich glaube, dass das Potenzial im deutschen Gesundheitssystem noch erheblich ist, wobei man dieses nicht allein durch ITK heben kann, sondern auch entsprechende Prozess- und Strukturveränderungen vornehmen muss. So sind meines Erachtens neben den ca. 700 Millionen Euro Einsparungen durch das e-Rezept insgesamt ca. 10% Effizienzsteigerungen möglich, d.h. auf das GKV-Budget bezogen über 10 Milliarden Euro. Wie komme ich darauf. Man könnte sagen, 10% sind immer drin. Das ist die eine Möglichkeit sich zu nähern. Eine objektivere Form besteht darin, sich konkrete Beispiele anzuschauen. So hat die Bundesknappschaft, die Integrierte Versorgungsnetzwerke betreibt, 13% Einsparungen erzielt.
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Ich sehe zwei zentrale Entwicklungen in die richtige Richtung. Das eine ist das Projekt „bit4health“, die Entwicklung der elektronischen Gesundheitskarte. Ich vergleiche das mit der Verlegung eines Schienennetzes, auf dem einmal Züge fahren können. Die ICEs, die da fahren sollen, müssen allerdings noch gebaut werden. Diese Züge entstehen durch den Handlungsdruck, der auf die Leistungserbringer und Kostenträger entstanden ist. Die Krankenhäuser müssen nicht erst seit GMG 2004 sondern durch das Fallpauschalengesetz ihre kompletten Geschäftssysteme umstellen. Sie müssen sehen, dass sie ihre Wertschöpfung, die sie selber erbringen, in Breite und Tiefe hinterfragen. Sie müssen sich vernetzen mit vorgelagerten Wertschöpfungsstufen, d.h. mit Niedergelassenen Ärzten und auf der nachstationären Phase mit Reha-/Pflegeeinrichtungen etc. Ich will damit sagen, dass das Thema integrierte Versorgung nicht erst durch den § 140 SGB V forciert wird, sondern aus dem reinen Existenzkampf der Krankenhäuser heraus ergibt sich die Notwendigkeit, Integrierte Versorgungsnetzwerke aufzubauen. Das ist für mich der eine Treiber, der dazu führt, dass die ICEs gebaut. Der zweite Treiber sind für mich die Kassen, heute gibt es noch über 250. Auch die Kassen müssen schauen wie es weitergeht, Bestandschutz gibt es hier nicht. Frau Schmidt sprach einmal von 30 bis 50, die noch am Ende maximal notwendig seien. In anderen Ländern ist man der Meinung, dass eine Kasse reicht. Die Kassen müssen sich ausrichten. Sie müssen die Qualität und die Effizienz der eingekauften Leistungen optimieren. Dieses muss allerdings erst geschehen, und das ist ein ganz langsamer mühsamer Prozess. Was ich damit sagen will, ist: Neben dem Vorantreiben der ITK-Entwicklung sind noch andere Hausaufgaben zu machen. Die ICEs müssen erst gebaut werden, die auf diesen Hochgeschwindigkeitsschienennetzen fahren sollen. Dr. Braun: Vielen Dank, Herr Dr. Kartte. Last but not least, Herr Schneider von SCM Microsystems aus Ismaning. Herr Schneider: SCM ist eine kleines Hightech Unternehmen, ansässig in München-Ismaning, 300 Mitarbeiter weltweit. Wir müssen natürlich international agieren, machen 40 % des Umsatzes in den USA; 40 % in Europa und 20 % in Asien. Es ist ein sehr mühsames hartes Geschäft mit Smartcard-Lesern und Terminals. Die Bedeutung dieses europäischen oder deutschen Projektes ist enorm. Der Weltmarkt für Smartcard-Leser ist ca. 6 Millionen Stück pro Jahr und zwar in der Regel sehr viel einfachere Geräte als das hier in diesem Healthcard Terminal Projekt ist. Der Wachstumsschub, der allein aus Deutschland kommen würde für dieses Marktsegment ca. 30 % in einem Jahr betragen. Man sieht schon, was das für eine Bedeutung hat. Natürlich für uns ist das ideal, genial. Wir sind nicht der Einzige, der hier hoffentlich beteiligt wird. Es soll ein offener Wettbewerb sein. Aber der Innovations- und Wachstumsmotor für unser
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Moderation: Günter Braun
Marktsegment ist richtig bedeutend. Es ist ganz selten, dass so etwas passiert. In unserer zehnjährigen Geschichte ist es das erste Mal, dass aus Deutschland ein derartiger Innovationsschub kommt und nicht nur Innovation, sondern auch umsetzbar in Stückzahlen. Für uns war das Geschäft eigentlich sehr mühsam. Das erste Geschäft war in Frankreich mit digitalen Fernseh-Smartcardlesern. Das zweite Geschäft größerer Größenordnung war in den USA mit dem US-Government. So gesehen kann man dieses Projekt gar nicht hoch genug einschätzen, sogar von der europäischen Sichtweise. Es gibt sehr gute Beispiele in Europa über erfolgreiche Standardisierungen. GSM ist ein sehr gutes Beispiel, wo man sich nicht nur in einem Land geeinigt hat, sondern überregional in Europa. Man weiß, was da entstanden ist an europäischen bedeutenden Firmen. Dieses HealthCare Projekt hätte es in sich, dass man hier wirklich eine europäisch dominierte Technologie entwickelt, die weltweit führend ist. Von unserer Seite können wir das sicher beurteilen, weil selbst die Sicherheitsanforderungen des Gerätes und der Infrastruktur mit diesen zwei Smartcard-Slots, der Patientenkarte oder Ärztekarte, des internen SIM-Card Lesers und den sog. Connectors weltweit einmalig sind. Wenn man dieses Konzept standardisieren kann, preislich auch entsprechend reduzieren kann, dann gibt es für deutsche und europäische Firmen hier in diesem Technologiesektor eine absolute Führungsmöglichkeit. Nachdem, was man heute Vormittag gehört hat, scheint dieses Thema im großen Stil ein Wachstumsmotor zu sein für die Technologie- oder für die IT-Industrie. Somit kann man das nicht hoch genug einschätzen und eine erfolgreiche Umsetzung ist sicherlich ganz wichtig für die ganze Wirtschaft. Dr. Braun: Vielen Dank, Herr Dr. Schneider. Ich darf von meiner Seite noch etwas hinzufügen. Ich hatte es auch schon erwähnt und Sie haben in meinem Foliensatz von heute Morgen auch das Projekt Gesundheitskarte Lombardei gesehen. Es ist ja mitnichten so, dass es gerade einmal Italien oder Deutschland sind, wo etwas zu eHealth passiert, sondern wir sind allein mit Siemens ganz konkret in Projekten und Vorprojekten zu diesem Thema in insgesamt zehn Ländern unterwegs. Dazu rechne ich nicht die, die gerade angefangen haben über eHealth nachzudenken und in einer Konzeptphase sind, wo sicher erst in den nächsten sechs bis zwölf Monaten eine Konkretisierung erfolgt oder gar die ersten Realisierungsprojekte ausgeschrieben werden. Von den zehn Ländern sind sieben in der europäischen Union und drei außerhalb des europäischen Kontinents. Überall stellen wir fest, dass die Probleme und Herausforderungen, die wir zu lösen haben im Gesundheitswesen, die gleichen sind. Die Gesundheitssysteme sind unterschiedlich strukturiert, Herr Prof. Busse hat uns das ja heute sehr schön nahe gebracht, und dennoch haben Sie alle die gleichen Probleme, die im Grunde auch auf ähnliche Art und Weise gelöst werden können. Überall ist die Informations- und Kommunikationstechnologie zunächst einmal das Mittel, um die administrativen
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Prozesse, die im Gesundheitswesen einen viel zu hohen Aufwand verursachen, auf ein Maß zurückzustutzen wie es heute in der gewerblichen Wirtschaft allgemein üblich ist. Damit werden auch Kapazitäten bei Ärzten frei. Ärzte sind ja Experten auf ihrem Gebiet und es ist eine Vergeudung von Ressourcen, Ärzte für die Durchführung administrativer Prozesse einzusetzen. Denn mit einer Entlastung bei administrativen Arbeiten kann der Arzt sein Wissen viel besser für die Behandlung von Patienten verwenden. Insoweit wird bei eHealth noch einiges auf uns zukommen. Wir sehen, dass es in einem Teil der Welt bei der Organisation von Gesundheitssystemen und der Nutzung von ITK dafür inzwischen unruhig wird und entsprechende Gedanken jetzt, wo einige mit der Realisierung zumindest in Teilbereichen begonnen haben, an vielen Stellen hochkommen. Ich möchte aber auch noch einmal auf etwas eingehen, was wir in dem in Deutschland ja so wichtigen Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vorfinden. Wir haben heute schon gehört; es gibt diesen §67, der vorschreibt, dass Ärzte in Zukunft nicht mehr papierbasiert kommunizieren dürfen, sondern das Papier durch elektronische Kommunikation zu ersetzen ist. Dummerweise ist aber kein Termin dafür angegeben. Wir gehen aber davon aus, dass das doch in absehbarer Zeit geschehen wird, weil es für den Aufbau der Telematik-Infrastruktur notwendig ist. Aber so ist das mit den Gesetzen; es hängt auch von deren Vollständigkeit und Formulierung ab, wie sie denn wirksam sind. Wir haben andererseits die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in §291a. Dort sind u.a. die Anwendungen definiert, die auf der Telematik-Infrastruktur künftig elektronisch ablaufen und den ökonomischen wie qualitativen Nutzen des Systems bewirken sollen. Ihre Umsetzung ist für die Selbstverwaltung verpflichtend. Für den Patienten sind jedoch die wirklich interessanten und nutzbringenden Applikationen freiwillig. Hierfür muss er eine Willenserklärung unterzeichnen, wie wir es aus anderen Branchen kennen, wenn es um die elektronische Speicherung von Daten geht. Schon deshalb muss um eine hohe Akzeptanz beim Patienten erreicht werden. Wir träumen ja von Quoten weit über 90 %, aber dafür muss man noch einiges tun. Ich habe in dem Zusammenhang interessiert gehört, was Herr Prof. Busse gesagt hat, dass nämlich in Frankreich die Patienten für die Teilnahme an diesem System incentiviert werden. In Deutschland haben wir an der Stelle ein Problem, weil sich der Datenschutz dagegen wehrt, dass Patienten, die sich nicht systemkonform verhalten, dafür sanktioniert werden. Da besteht die Forderung, wer nicht mitmacht, darf sich nicht schlechter stellen als der, der mitmacht. Das Vorgehen in Frankreich ist besonders interessant, weil dort die gleichen europäischen Richtlinien gelten sollten wie in Deutschland. So wie es für einen Arzt selbstverständlich ist, dass er für die Teilnahme an eHealth incentiviert wird, so müsste man sich auch überlegen, ob zusätzlich zu der erwarteten besseren Behandlungsqualität ein finanzielles Anreizsystem nicht auch für den Patienten sinnvoll wäre. Schließlich geht es um eine Solidarversicherung und die Frage ist, ob man der Solidarität nicht an der einen oder anderen Stelle ein bisschen nachhelfen kann.
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Moderation: Günter Braun
Mit dem Fortschreiten des Projekts elektronische Gesundheitskarte und der begleitenden Diskussion wird es weitere Nachschaltgesetze geben, die Ergänzungen und Verfeinerungen des ursprünglichen Änderungsgesetzes (GMG) zum Sozialgesetzbuch SGB 5 enthalten. Wichtig hierbei ist auch eine Incentivierung für die Leistungserbringer, um bei denjenigen, die mit dem System beruflich umgehen müssen, eine hohe Akzeptanz zu erreichen. Die Anreize müssen aber noch gesetzlich bzw. per Verordnung festgelegt werden. Es ist in der Tat so, dass es ohne eine Incentivierung für die Teilnahme am System für Leistungserbringer nicht gehen wird. Die Incentivierung für Leistungserbringer muss so aussehen, dass am Ende für denjenigen, der sich beteiligt und der motiviert dabei ist, neben der Amortisation seiner Investitionen auch etwas übrig bleibt und er sich dadurch etwas besser stellt als es heute der Fall ist. Das waren noch ein paar Bemerkungen von meiner Seite. Jetzt können wir natürlich unter uns hier am Podium diskutieren, aber ich würde mich auch sehr freuen, wenn aus dem Publikum die eine oder andere Frage oder der eine oder andere Kommentar käme. Prof. Thielmann, Fraunhofer Institut SIT: Ich hätte eine Frage an Herrn Englert und teilweise an Herrn Leidl. Sie haben beide davon gesprochen, dass das Management im Gesundheitswesen eine wichtige Rolle spielt. Herr Englert, Sie haben darauf hingewiesen, dass neben der jetzt gegründeten Betriebsgesellschaft auch Betreiberkonzepte zu überlegen sind. Die gibt es ja noch nicht. Wir werden eine Telematik Infrastruktur in Gang setzen, und die muss gepflegt und betrieben werden. Gibt es dazu Ihrerseits Vorstellungen, wie man so etwas machen könnte? Aus dem Gesundheitswesen selbst heraus? Aus der Selbstverwaltung? Oder gibt es Möglichkeiten, das durch professionelle Betreiber im Outsourcing-Konzept zu machen? Herr Englert: Herr Thielmann, meiner Kenntnis nach gibt es solche Überlegungen seitens der Gematik bis zum heutigen Tage nicht, wobei die Gematik ja auch noch wirklich im Werden begriffen ist. Ich glaube aber, dass es Zeit ist, genau diese Diskussion zu beginnen. Es gibt unterschiedlichste Möglichkeiten solcher Betreibermodelle. Betreibermodelle können bei dem einen oder anderen Spieler übrigens auch vehemente Ängste auslösen. Ängste, die so weit gehen, als dass man sagt, die Industrie – und da geht es dann auch sehr schnell um das Thema Kollektivhaftung – will sozusagen das deutsche Gesundheitswesen übernehmen. Das kann nicht Sinn und Zweck und auch nicht Intention irgendeines Betreibers sein, sondern es kann nur darum gehen, zu sagen: Kann man sinnvoller Weise – beinahe wie beispielsweise bei der Analyse einer Fertigung – sagen, was ist eigentlich eine vernünftige Fertigungstiefe? Was sind die Kernkompetenzen der einzelnen Spieler und was kann ggf. durch einen Dienstleister sinnvoller an Leistung erbracht werden? Solche Modelle sind ja in anderen Bereichen durchaus bekannt, sowohl was das Thema Oursourcing
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im IT-Bereich anbelangt, aber auch in dem Bereich, den wir bei IBM Business Transformation Outsourcing nennen, d.h. man nimmt auch Geschäftsprozesse mit hinein. Ich will gleich hinzufügen, dass es dazu auch bestimmte rechtliche Voraussetzungen geben muss, also §203 StGB beispielsweise ist da ein ganz relevantes Thema. Die Frage aber noch einmal beantwortet; mir sind keine Überlegungen auf Seiten der Gematik oder der Selbstverwaltung diesbezüglich bekannt. Ich bin allerdings der Meinung, dass dies eine Diskussion ist, die es wert ist geführt zu werden. Ich weiß, dass es Überlegungen gibt, wie man solche Modelle gestalten kann bzw. ich weiß es nicht nur, sondern habe natürlich auch an der Gestaltung einiger solcher Modelle mitgewirkt, wie wir uns vorstellen könnten, Bereiche in diesem Sine zu unterstützen. Prof. Leidl: Ich würde ergänzen. Für eine Unterstützung des Managements müssen die Softwaredienstleister praktisch Managementsysteme an die Versorgungsinstitutionen liefern. Wir können so etwas im Bereich der DRGs beobachten, wo entsprechende Anwendungen mit geliefert werden, wobei hier noch die Frage offen ist, wie weit diese Anwendungen an unterschiedliche Gesundheitssysteme, vielleicht sogar an unterschiedliche Kliniken oder Klinikketten angepasst werden müssen. Dr. Bernd Schlobohm: Ich bin Gründer und Vorstand der QSC AG. Wir sind ein Tec-Dax Unternehmen und wachsen sehr stark im Bereich der Telekommunikation für Geschäftskunden und zwar deutschlandweit. Wir vernetzen Unternehmen wie z.B. Tchibo, TÜV, Thyssen und viele andere. Warum bin ich hier? Die Frage geht an Herrn Kartte im Wesentlichen. Vielleicht kann ich ein wenig kostenlose Beratung von Ihnen bekommen. Ich bin hier, weil ich überlege, inwieweit es sich lohnt, in diesen Markt heute schon zu investieren. Wir haben sozusagen die Hochgeschwindigkeitsstrecken, die Sie angesprochen haben. Die Züge fehlen noch. Ich sagte schon, wir wachsen sehr stark. Ich kann das Geld in Markt A oder Markt B investieren. Markt B wäre jetzt der eHealth Markt. Meine Frage ist: ist jetzt der richtige Zeitpunkt oder lehnen wir uns noch zwei Jahre zurück? Dr. Kartte: Das müsste man natürlich mal in Ruhe besprechen. So pauschal kann man das nicht beantworten, aber grundsätzlich kann man sagen, dass der eHealth Markt oder überhaupt der Gesundheitsmarkt, wenn man ihn als einen solchen begreift, momentan durch die größte Umwälzung der letzten Jahre geprägt ist. Ich glaube, dass diejenigen, die diesen Markt als Geschäftsfeld sehen, diese zwei Jahre nicht haben. Jetzt kann man den Markt noch mitgestalten.
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Moderation: Günter Braun
Dr. Braun: Ich stimme Herrn Dr. Kartte völlig zu, es kommt aber auch darauf an, in welche dieser neuen Bedürfnisse im Gesundheitsmarkt Sie investieren wollen. Sie haben angesprochen, dass Sie schnelle Übertragungsstrecken zur Verfügung stellen würden. Wir wissen, das wird gebraucht. Wahrscheinlich noch nicht zu Beginn der Pilotprojekte, denn wenn dort erst einmal mit dem elektronischen Rezept begonnen wird, geht es auch noch anders. Aber mit weiteren Applikationen, und wir wollen ja relativ rasch in Richtung einer elektronischen Patientenakte kommen, in der auch Bildgebung enthalten ist, werden schnelle, hoch verfügbare Netze benötigt. Dazu braucht man eine gewisse Vorlaufzeit, besonders wenn man die ganze Republik damit ausstatten will. Ich denke, in drei bis fünf Jahren sollten große Teile eines solchen Breitbandnetzes verfügbar sein. Prof. Busse: Ich wollte gern noch eine Bemerkung machen, weil Sie vorhin noch gesagt haben, dass es schade ist, dass die Ärzte mit administrativen Dingen ihre Zeit vertun. Man könnte sie besser einsetzen. Ich denke, eines der Probleme in Deutschland ist schon – mehr als in anderen Ländern –, dass Ärzte immer meinen, nur wenn sie direkt mit dem Ultraschallkopf in der Hand da sitzen oder dem Patienten gegenüber sitzen, üben sie ärztliche Tätigkeit aus. Ich bin einmal auf einem Kongress von Ärzten, ich bin ja selber einer, fast gesteinigt worden, als ich gesagt habe, der Kugelschreiber wäre ein ärztliches Werkzeug. Das ist einfach im Denken leider nicht so ganz drin – unabhängig aller Informationstechnologie. Ich war auch einmal in den USA tätig; dort schrieben alle Stationsärzte jeden Tag über jeden Patienten einen zusammenfassenden Bericht. Es wurde jeden Tag zusammengefasst, wo wir heute eigentlich stehen, welche Befunde neu dazugekommen sind, wie wir die jetzt bzgl. der Diagnose gewichten, ob wir weitere Diagnostik benötigen oder welche Therapie jetzt durchgeführt werden soll. Das fehlt bei uns. Es ist ja nicht nur, dass die Ärzte schlecht schreiben. Es steht auch oft sehr wenig da. Nehmen Sie einmal eine Krankenhausakte. Wenn Sie wissen, dass der Patient zehn Tage bleibt und Sie gucken nach fünf Tagen einmal in die Akte, da steht fast nichts drin. Da steht überhaupt nicht drin, was die behandelnden Ärzte sich zurzeit bei dem Fall denken. Das ist unabhängig von der Hardware, ob man das jetzt auf ein Blatt Papier schreibt oder in den Computer eingibt. Da fehlt leider noch Einiges. Ich hoffe, was dann noch eine langfristige Perspektive ist, dass dies zukünftig im Medizinstudium und natürlich in der Weiterbildung mehr vermittelt wird. Leider ist es doch heute so, dass ärztlicherseits immer gejammert wird, dass noch etwas dokumentiert werden muss – und leider widerspricht den Assistenzärzten auch nie jemand. Da müsste eigentlich der Chef tun, er müsste sie darauf hinweisen, dass es ihre Aufgabe ist, die erbrachte Qualität auch zu belegen. Das kann nur in Maßen von Dokumentationskräften übernommen werden, weil: was sollen die dokumentieren, wenn die Behandler überhaupt keine Spuren hinterlassen von dem, was sie eigentlich gemacht haben?
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Jörg Sauerbrey, Siemens AG: Eine Frage an Herrn Busse und an Herrn Braun. Das Thema heißt so schön: eHealth – Innovations- und Wachstumsmotor für Europa. Ist es wirklich so, dass das System, was wir uns gerade gemeinsam alle ausdenken und zu implementieren versuchen, wirklich geeignet ist, einen Innovationsmotor für Europa darzustellen angesichts der Tatsache, dass wir in anderen Ländern – Sie haben es heute Morgen ja dargestellt – durchaus unterschiedliche Rahmenbedingungen und unterschiedliche Strukturen im Gesundheitswesen haben? Dies auch angesichts der Tatsache, dass es durchaus Länder gibt, die deutlich weiter sind als wir heute. Herr Braun hat es schon angesprochen, Lombardei (Italien), Valencia (Spanien), Frankreich, Österreich sind ein Stückchen weiter als wir. Die Frage ist, lassen wir uns da eigentlich zu viel Zeit? Müssten wir nicht, wenn wir eine Trendsetterrolle spielen wollen in Europa und der Welt, deutlich einen Zahn zulegen? Prof. Busse: Man muss gucken, wo die anderen weiter sind. Die anderen sind ganz eindeutig weiter in der Informationsgewinnung, Auswertung und Aufarbeitung – oftmals sichtbar im Internet, wenn es um Leistungserbringer geht, hauptsächlich um Krankenhäuser. Sie können in Großbritannien ins Internet auf die Seiten des NHS gehen und können sich angucken, was eigentlich die diversen Krankenhäuser machen, wie lang die Wartelisten sind, wie hoch die Komplikationsraten in jedem Krankenhaus sind etc. Diese Daten, die wir überhaupt nicht haben, können sich dort im Internet alle angucken. Die sind dort verfügbar. Was die Leistungsanbieter angeht, besteht da sehr viel Erfahrung. Auch was bevölkerungsbezogene Daten angeht, was unserem Denken so ein bisschen widerspricht, weil wir in Krankenkassenkategorien denken. Wir haben sozusagen 260, 270 kleine Schubladen aufgemacht und jede Krankenkasse entwickelt ihre Daten – vielleicht gut, vielleicht sogar besser als im Ausland –, hat aber nur die Daten für ihre Versicherten. Wir haben eine größere Herausforderung, weil wir die Bevölkerung auch unterteilt haben und nicht in ganzen Regionen denken wie etwa in Spanien. Für die in Valencia oder auch in der Lombardei ist es ganz normal, dass alle, die dort wohnen, gleichermaßen in einem System versichert sind. Die haben da einen Vorteil. Wir brauchen hier ein sehr viel komplizierteres System, was erstens der Vielzahl der Akteure Rechnung trägt und zweitens individuell gestaltet sein muss. Wir brauchen das für vielerlei Dinge, weil wir in Individuen denken. Auch im Risiko-Strukturausgleich z.B. behandeln jeden einzelnen Versicherten. In Großbritannien brauchen Sie das nicht; da denken Sie in Regionen. Da teilen Sie Geld zu nach Regionen und können da auf aggregierte Daten zurückgreifen. Wenn es uns aber gelingt, eine der Vielschichtigkeit der Datenanforderungen in unserem System Herr werdende Lösung zu finden, dann ist sie natürlich führend weltweit. Ob die alle Länder in der Komplexität gebrauchen können, ist eine zweite Frage. Die müssten eher wieder abspecken, weil, wenn die bei uns funktioniert, braucht man viele der Dinge woanders gar nicht. So ein Datenfeld wie „Krankenkasse“ oder „Versichertenstatus“ bräuchten Sie in vielen Ländern nicht. Man könnte dann wieder abgespeckte Lösungen für die anderen Länder
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Moderation: Günter Braun
machen. Andererseits ist es für uns schwieriger durch Imitation zu lernen, weil die anderen Lösungen nicht so komplex waren. Was man lernen kann – und wo man noch einmal dahinter gucken muss, weshalb ich das Beispiel Frankreich erwähnt habe –, ist, wie kann man das wirklich befördern, wie steigert man die Akzeptanz in der Bevölkerung? Was für Implementationsstrategien gibt es, an die Leistungserbringer ranzukommen, dass die das aufnehmen usw.? Dafür lohnt es sich auf jeden Fall, mal in andere Länder zu gucken. Dr. Braun: Ich darf das von der technischen Seite noch ein bisschen ergänzen; ich sehe dort gar nicht so schwarz. Bei vielen der Aktivitäten, die sich in anderen Ländern entwickelt haben, sind wir seitens Siemens beteiligt, oft sogar in einer Treiberrolle, und das nicht zuletzt aufgrund des bereits vorhandenen Wissens aus Deutschland. Wir haben in Deutschland sehr früh angefangen – gut, Großbritannien war noch ein bisschen früher dran. Aber was den europäischen Kontinent anbelangt, hat sich in Deutschland schon relativ lange eine Bewegung formiert, die in Richtung eHealth ging. Ich nenne hier beispielhaft das ZTG (Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen) in Nordrhein-Westfalen. Darüber hinausgehend ist die Befassung mit eHealth in Deutschland seit rund drei Jahren wirklich großflächig in Gang gekommen. Man hat relativ frühzeitig schon Ideen und Architekturkonzepte entwickelt, die man ebenso für andere Länder nutzen konnte wie die vorhandene Kartentechnologie. Nur in der Implementierung sind uns inzwischen andere zuvorgekommen; die Beispiele sind genannt worden. Österreich kommt gut voran, hat zunächst jedoch ein anderes Ziel. Die Österreicher haben bislang noch mit Krankenscheinen gearbeitet, und führen jetzt gerade eine Krankenversichertenkarte ein, die es in Deutschland schon seit über zehn Jahren gibt. Allerdings hat man in Österreich die Technologie so gewählt, dass man sie bis zu einer elektronischen Gesundheitskarte aufbohren kann. Insofern sind die Infrastrukturen durchaus vergleichbar; nur von der Anwendung her fängt man ganz klein an. Das Problem ist heute auch schon angesprochen worden. Die sehr komplexen Strukturen in unserem Gesundheitssystem führen dazu, dass Entscheidungen meist sehr viel länger brauchen als in anderen Ländern. Schwierig war vor allem eine Konsensfindung zur Arbeitsverteilung zwischen der Selbstverwaltung, der Industrie und dem Gesundheitsministerium. Da ist vieles nicht ganz glatt gelaufen und das hat letztlich auch die Verzögerungen des Projekts elektronische Gesundheitskarte verursacht. Trotzdem hat sich Manches getan. Die Spezifikationen beider Karten sind schon weit vorangetrieben worden. Es sind weitere für die Umsetzung wichtige technische Elemente des Systems entstanden, die Teile einer erwarteten Spezifikation entweder vorwegnehmen oder sich auf den aktuellen Stand der Spezifikation abstützen. So ist es auch Sinn der Pilotprojekte, nicht nur Spezifikationen aufzunehmen und damit Lösungen zu realisieren, sondern innovative technische Lösungen über Pilotprojekte oder andere Tests zu spezifizieren. Auch Vorschläge zu weiteren Applikationen, die nicht im Gesetz erwähnt sind, können bei Interesse der Nutzer realisiert werden.
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Trotz aller bisherigen Verzögerungen stelle ich fest, dass vieles, was wir hier in Deutschland durchdacht und auch schon begonnen haben, uns in anderen Ländern, insbesondere in Europa aber auch außerhalb, nützt. Ich denke, dass das auch noch weitergeht. Viele Länder schauen auf Lösungen aus Deutschland, obwohl sie dabei sind, Deutschland bei der Umsetzung zu überholen. Prof. Thielmann: Herr Kartte, Sie hatten heute Morgen in Ihren Statistiken die Zahlen dargestellt, auch die Beschäftigungszahl; 4 Millionen im Gesundheitswesen. Wenn wir über Wachstum in Europa reden, auf der anderen Seite die Kosten konstant halten wollen oder sogar senken wollen, geht dieses Wachstum ja nur, indem wir unser Wissen oder unsere Technik exportieren. Meine Frage an Sie ist: Wie schätzen Sie die Umverteilung in Deutschland von den 4 Millionen Beschäftigten in Richtung IT und Nicht-IT? Es muss ja eine Strukturverschiebung geben. Dr. Kartte: Eine Prognose, wie viel Beschäftigung in der IT noch entstehen wird, kann ich nicht wagen. Wichtig ist, dass die Effizienz auf der einen Seite durch Innovationen auf der anderen Seite flankiert wird. Dabei muss man nutzen, dass die Menschen jetzt immer mehr für ihre Gesundheit tun wollen. Dazu muss der Bürger eine größere Wahlmöglichkeit zwischen Gesundheitsleistungen bekommen. Nur so entsteht eine aktive Nachfrage, die innovative Angebote forciert. N.N.: Vielleicht kann ich auch noch einen Kommentar dazu abgeben. Ich glaube, wenn wir von dem Thema Kostensenkungen sprechen, reden wir auf der einen Seite von dem Thema Effizienz. Effizienz will heißen, dieselbe Leistung mit weniger Aufwand zu erbringen und den daraus freiwerdenden Teil zu nutzen, um Mehrwert zu schaffen. Aber wir reden meinem Verständnis nach nicht davon, dass wir sagen, dieses ist ein von der Nachfrage gedeckelter Markt. Die Kostensenkung in dem Sinn haben wir „nur“ in dem Bereich der umlagefinanzierten Systeme. Das, was Herr Kartte sagte, ist da ein ganz entscheidender Punkt, dass der Markt für Gesundheits-, Wellness-, wie auch immer, leistungen eigentlich ein signifikant wachsender ist und wir nicht sagen dürfen, dass es alles nur Kostensenkung ist, um sicherzustellen, dass eine gedeckelte Nachfrage für weniger bedient werden kann, sondern eigentlich eher umgekehrt sollte man sich nicht nur auf den Markt der umlagefinanzierten Systeme dabei beziehen. Prof. Busse: Wobei man als Warnhinweis schon sagen muss, als 1997 das erste Mal Zahnersatz für gewisse Personen aus dem Leistungskatalog ausgegliedert wurden, als letztes Jahr die nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittel ausgegliedert wurde: die Märkte brechen zumindest erst einmal drastisch ein. Es ist nicht so, dass die Leute, wenn Sie denen das Geld in die Tasche stecken, statt es ihnen aus der Tasche raus-
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Moderation: Günter Braun
zunehmen und an die Krankenkassen zu geben zur Verteilung, dass die Leute das Geld mit dem gleichen Elan für die Dinge auch ausgeben. Das muss man auch sehen, dass es nicht so ist, dass die jetzt alle in die Apotheken rennen und sich wie wild über die nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittel her machen, weil sie die vielleicht 10 % billiger kriegen können, weil die nicht mehr preisgebunden sind. Die Märkte sind bis um 50 % eingebrochen bei den nichtverschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Es ist also auch nicht so, dass Privatfinanzierung das Allheilmittel ist, das sozusagen ein Riesenwachstumspotenzial auslöst. Dr. Kartte: Nur noch eine Bemerkung. Richtig. Deswegen darf sich das in meinen Augen auch gar nicht nur auf bestehende Märkte beziehen, dass die jetzt alle unbedingt in so ein Kernspin reinklettern wollen oder in die Apotheke rennen, sondern z.B. einmal Prävention. Es ist ja auch noch relativ dehnbar, was das alles sein kann. Dass man diesem Willen keine Bremse auferlegt. Dass die Leute alles machen können, Fitnesscenter, irgendwelche Anwendungen, sich in diesem völlig anderen Markt zu betätigen und da das Geld auszugeben. Das kann zu Verlagerungen führen. Das kann sein, dass einige Apotheken einbrechen. Aber das geht dann in andere Felder. Dr. Braun: Wenn Sie sagen, Herr Busse, dass bis zu 50 % weniger nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel gekauft werden, dann werden sie wahrscheinlich vorher nicht notwendig gewesen sein. Auf der anderen Seite wird auch darüber gesprochen, und ich denke, dass das ein ganz wichtiges Thema ist, die Vorbeugung mit Anreizen zu versehen. Es ist durchaus denkbar, dass man einem Patienten oder vielleicht auch einem Bürger, bevor er Patient wird, die Möglichkeit gibt, entsprechend vorzusorgen und ihn dafür in gewissem Umfang auch zu belohnen. Denn wenn er nicht krank wird, erspart er dem System auch Kosten. Über solche Wege wird auch nachgedacht, aber man muss das alles im Gesamtsystem sehen. Prof. Leidl: Ich würde gern bei der Suche nach Wachstumsmärkten noch auf eine Bereich eingehen, der nicht im Zentrum unserer heutigen Betrachtung des Gesundheitssystems steht, aber gemessen an dem, was wir an demografischer Veränderung erwarten, mmer bedeutsamer werden wird, auch in seiner Abgrenzung zum akuten Versorgungsbereich: Das ist der Pflegebereich. Hier sind Lösungen mit Hilfe von neuen ITK-Technologien möglich, die einen längeren Verbleib der älteren Menschen in ihrer gewohnten Umgebung erlauben, etwa durch zusätzliche Monitoringsysteme oder andere Unterstützungssysteme. Solche Lösungen werden wir künftig in sehr viel stärkerem Maß benötigen, und sie könnten sogar eine Entlastung für die umlagefinanzierte Pflegeversicherung bedeuten, die ja unter denselben Problemen leidet wie die Krankenversicherung. Man darf also den Gesundheitsbereich ruhig ausdehnen, nicht nur in den Bereich Wellness hinein, sondern auch in den Bereich
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Pflege. Gerade da haben wir, wenn wir über Wachstumsmärkte sprechen, eine besonders große potenzielle Nachfrage. Prof. Eberspächer: Ich wollte noch eine Frage an Herrn Schneider richten. Sie hatten gesagt, dass der Push auf diesem Gebiet sicherlich Effekte hat, die den ganzen Kartenbereich nach vorne bringen. Meine Frage: Erwarten Sie, dass sich das dann nur auf den Gesundheitsbereich beschränkt oder gibt es in Ihrer Vorstellung allgemeine Effekte, denn wir haben ja noch andere Bereiche vom Banking bis zur Zugangskontrolle. Das ist die eine und davon abgeleitet die andere Frage: Wenn ich jetzt an Ihr eigenes Geschäft denke, also an die Lesegeräte: Benötigt man denn künftig für die vielen unterschiedlichen Anwendungen verschiedene Geräte? Herr Schneider: Das ist ein gutes Thema. Natürlich gibt es einen Innovationsschub bezüglich höherer Sicherheit. Und das Thema Zugangskontrolle ist auch ein Thema, was ständig verbessert werden muss. Es steht nicht still, d.h. die Hacker und ähnliche Versuche werden auch immer besser. Diese Thematik hier in dem deutschen Gesundheitsmarkt hat schon sehr viel Innovation mit dem Thema, dass das ein Kartenleserterminal ist mit zwei Smartcards, mit einer internen Smartkarte noch einmal mit einem biometrischen Verfahren bis hin zur Connectivity, also zu dem Netzwerk, was auch als Option wireless sein kann. Da passiert sehr viel in sehr kurzer Zeit an innovativen Ideen. Die Geräte sind am Anfang natürlich nicht die Billigsten. Wie ich das verstehe, sind das 100 Euro Geräte in etwa, aber immerhin billiger als die jetzigen alten Geräte. Da sieht man schon, was für Sprünge technologisch möglich sind. Das kann man natürlich umsetzen in andere Strukturen, ganz eindeutig. Es gibt in Asien z.B. einige Projekte, in denen Regierungen die Personalausweise digitalisieren, und dort sind ähnliche Geräte notwendig. Das sind dann auch Anwendungen mit mehreren Smartcards, mit biometrischen Funktionen. Man kann diese Technik dann in diese Geschichten umsetzen, digitale Ausweise z.B. sind in Europa auch ein ganz großes Thema, was auch massiv durch die Vorschriften der ICAO kommt. Auch da sehen wir als kleine Firma Synergieeffekte, die man damit nutzen kann. Dr. Braun: Haben wir noch Wortmeldungen? Ich bedanke mich sehr für Ihr Mitwirken, für Ihre Anwesenheit und hoffe, dass viele von Ihnen morgen auch wieder hier sein werden. Ich denke, wir haben heute eine ganze Menge gelernt.
14 Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Volker Apel T-Systems International GmbH, Frankfurt Aus den Beiträgen des Vortages konnte schon entnommen werden, welche Anforderungen an das Gesundheitswesen in Zukunft gestellt werden, und welche Visionen sowie Herausforderungen damit verbunden sind. Um das bundesdeutsche Gesundheitswesen auf hohen Niveau und auch finanzierbar zu halten, bedarf es immenser Anstrengungen vonseiten der Politik, vonseiten der Selbstverwaltung und auch vonseiten der Industrie. Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Inhalt des Vortrags
Reicht der Anschluß ans Internet nicht aus? oder Was braucht es mehr als die schon vorhandenen Netze?
Anforderungen
Lösungsmöglichkeiten
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 2
Bild 1
Ich möchte meinen Vortrag mit zwei Fragen eröffnen (Bild 1). Passend zu dem Thema Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth hier die Fragestellung: Reicht der Anschluss ans Internet nicht aus oder was braucht es mehr als die schon vorhandenen Netze? Ich möchte dies anhand von Anforderungen und den Lösungsmöglichkeiten mit Ihnen erörtern.
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Volker Apel
Wir haben gestern schon gehört, dass eine Vernetzung aller Beteiligten im Gesundheitswesen ansteht. Das bedeutet, es müssen 124.000 Allgemeinmediziner, niedergelassene Ärzte, 55.000 Zahnärzte, 22.000 Apotheken, 2.000 Krankenhäuser, etwa 270 gesetzliche Krankenversicherungen, ca. 50 private Krankenversicherungen vernetzt werden, um Applikationen wie eRezept, eArztbrief und letztlich auch eine ePatientenakte zu ermöglichen. Es soll außerdem der Zugriff von rund 80 Millionen Versicherten, gesetzlich und privat Versicherten, auf ihre Daten ermöglicht werden. Dazu bedarf es einer standardisierten Hochsicherheitsinfrastruktur mit einer entsprechend hohen Verfügbarkeit. Diesbezüglich findet bereits heute, getrieben vom BMGS (Bundesministerium für Gesundheit und Soziales) unter Beteiligung von Selbstverwaltung, Fraunhofer Gesellschaft und führenden Köpfen der Industrie eine Erarbeitung einer ganzheitlichen Lösungsarchitektur statt. Aufbauend auf die aktuelle Situation und die sich hieraus ableitenden Maßnahmen habe ich folgende 6 Thesen aufgestellt, die umschreiben sollen, was momentan aus Sicht der Kommunikations-Infrastruktur für eHealth von großer Bedeutung ist. Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Thesen
Integrierte Versorgung erfordert eine leistungsfähige Kommunikationsplattform.
Eine leistungsfähige Kommunikations-Infrastruktur bildet das Fundament für alle heute geplanten und zukünftigen Anwendungen im Gesundheitswesen.
Die für 2006 geplante elektronischen Gesundheitskarte ist ein wichtiger Beitrag
Der Nutzen technologischer Innovationen wird jedoch erst durch moderne integrierte Prozesse und Anwendungen, die auf einer flächendeckenden einheitlichen IT- und Netz-Infrastruktur aufbauen, realisierbar.
Es gilt Netzwerke und integrierte Versorgung auch in den ambulanten Sektor zu verlagern.
35 Prozent der niedergelassenen Ärzte in Deutschland verfügen nicht über Internet, während z.B. 81 Prozent der niedergelassenen Mediziner in Dänemark das Internet aktiv für ihre Arbeit nutzen*
* Quelle: IPK DTAG 2005
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 3
Bild 2
Die integrierte Versorgung erfordert eine leistungsfähige Kommunikationsplattform (Bild 2). Diese leistungsfähige Kommunikationsplattform bildet das Fundament für alle heute geplanten und zukünftigen Anwendungen im Gesundheitswesen. Die für 2006 geplante Gesundheitskarte ist hier sicherlich ein sehr wichtiger Beitrag. Der Nutzen technologischer Infrastruktur und Innovation wird jedoch nicht allein durch die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte realisierbar, sondern erst durch
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moderne integrierte Prozesse und Anwendungen, die auf einer flächendeckenden einheitlichen IT- und Netz-Infrastruktur aufbauen. Ich denke, hier sind insbesondere die wesentlichen Beteiligten im Gesundheitswesen gefragt, eine Vereinheitlichung und nach Möglichkeit Vereinfachung der Prozesse zu erarbeiten, die dann durch industrielle Methoden und mit hoch modernen ICT-Infrastrukturen unterlegt werden. Die meisten Krankenhäuser haben inzwischen gelernt, IT-Systeme sinnvoll zu nutzen. Jetzt gilt es, Netzwerke und integrierte Versorgung auch in den ambulanten Sektor zu verlagern. So verfügen noch rund 35 % der niedergelassenen Ärzte in Deutschland nicht über Internet, während z.B. 81 % der niedergelassenen Ärzte in Dänemark das Internet aktiv für ihre Arbeit nutzen. Aber lassen Sie mich, bevor ich die Lösungsmöglichkeiten und den Nutzen darstelle, zuerst mit den Anforderungen der Leistungserbringerseite, hier Ärzte beschäftigen. Welche Anforderungen benötigt ein Arzt aus Sicht der Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth? Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Anforderungen Ärzte u.a.
Einfache, kostengünstige ICT-Infrastruktur
Online
Transaktion mit minimalem Datenvolumen
Speicherung des eRezeptes auf der Karte oder zentral
Für eRezept ist keine dauerhafte Online Anbindung erforderlich
Sicheres E-Mail ähnliches Verfahren
Zentrale Speicherung und Abruf von z.B. eArztbrief
eArztbrief ggf. mit Anlagen (Dateien) mit geringem Datenvolumen
Übertragung von z.B. eArztbrief ist nicht zeitkritisch (Minuten)
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 4
Bild 3
Wir brauchen hier eine einfache kostengünstige Information Communication Technology Infrastruktur für Online Transaktionen mit minimalem Datenvolumen (Bild 3). Die Speicherung des eRezeptes kann auf der Karte oder zentral erfolgen, hier befinden wir uns noch in der allgemeinen Diskussion. Für eRezepte ist natürlich keine dauerhafte Online-Anbindung erforderlich. Des weiteren wird ein sicheres
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Volker Apel
email-ähnliches Verfahren benötigt, denn e-Mail ist sicherlich ein Instrumentarium, was bereits heute von 65 % der niedergelassenen Ärzte verwendet wird. Zentrale Speicherung und Abruf von z.B. elektronischen Arztbrief ist erforderlich. Dieser elektronische Arztbrief könnte auch Anlagen enthalten, die im Vergleich zu bildgebenden Verfahren relativ geringe Datenvolumen aufweisen, und die Übertragung ist nicht zeitkritisch im Bereich von Minuten. Wenn man bedenkt, dass heute elektronische Arztbriefe noch nicht verfügbar sind bzw. Arztbriefe auf dem Postweg teilweise Tage brauchen, um versendet bzw. zugestellt zu werden, so ist hier eine Übertragungsqualität von Minuten, bzw. im Minutenbereich, sicherlich ein enormer Fortschritt. Diese Anforderungen leiten sich in erster Linie aus dem Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) ab. Untermauert werden dies Anforderungen dadurch, dass seit Inkrafttreten des GMG im Jahre 2004, in Deutschland schon fast 90 medizinische Versorgungszentren (MVZen) zugelassen wurden. In diesen medizinischen Versorgungszentren arbeiten bereits Ärzte und Ärztinnen verschiedener Fachrichtungen vom Allgemeinmediziner bis zur Augenärztin, aber auch Physiotherapeuten oder Apothekerinnen eng zusammen. Die Idee dahinter: Ein gezieltes Behandlungsmanagement und der Informationsaustausch zwischen den Leistungserbringer führen zu einer besseren Koordination der Behandlung. Doppeluntersuchungen und lange Wartezeiten werden vermieden. Hierfür ist natürlich eine durchgängige Kommunikations-Infrastruktur zwingend erforderlich Die sich hieraus ergebende Möglichkeit der strukturierten Datenerfassung und Nutzung elektronischer Formulare ermöglicht eine hohe Qualitätssicherung, vermeidet Doppelarbeit, die Dokumente wie z.B. der Arztbrief werden mit den vorhandenen Daten vorbefüllt, das erspart Zeit sowie den Einsatz vieler Papierdokumente. Die Überweisung an weiterbehandelnde Fachärzte erfolgt elektronisch, ebenso die Terminvereinbarung. Wir haben bereits viele Informationen über Ärzte sowie über Krankenhäuser erhalten, die auf Leistungserbringerseite zugehörigen Apotheken wurden bisher eher außen vor gelassen, Ich möchte dennoch heute die Möglichkeit nutzen, auch die Anforderungen der Apotheken aus unserer Sicht einmal darzustellen.
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Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Anforderungen Apotheken.
Einfache und kostengünstige ICT-Infrastruktur
Online Transaktion mit minimalem Datenvolumen
Abruf des Rezeptes von der Karte oder zentral
Kommunikation mit Rechenzentren
Elektronischer Abgleich von Bestellungen
Zugriff auf zentrale Informationsdatenbanken
Abrechung mit Krankenkassen
Dauerhafte Online Anbindung wünschenswert
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 5
Bild 4
Neben den bereits bekannten Anforderungen der Ärzteschaft, wie einfache und kostengünstige IT-Infrastruktur, Online-Transaktion mit minimalem Datenvolumen, Abruf des eRezeptes von der Karte oder zentral, gibt es weitere Anforderungen der Apotheker (Bild 4). Im Unterschied zu den Ärzten brauchen Apotheker im wesentlichen die erforderliche Kommunikation mit Rechenzentren, den elektronischen Abgleich von Bestellungen, den Zugriff auf zentrale Informationsdatenbanken, und die Abrechnung mit Krankenkassen. Hierfür ist natürlich eine dauerhafte OnlineAnbindung wünschenswert. Nun komme ich wieder auf die Anforderungen der Kliniken zurück.
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Volker Apel
Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Anforderungen Kliniken.
Anwendung der Applikation Telemedizin
Übertragen von Bildern/Daten zu Fachärzten/Kliniken
Zentrale Speicherung von Bildern
Übertragung nicht zeitkritisch
Teilweise sehr große Datenmengen
Online Abruf von Expertenwissen aus Datenbanken
Echtzeitübertragung Video zwischen Kliniken
Parallele Sprach- und Datenübertragung (Integration)
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 6
Bild 5
Bereits heute spielt bei den Kliniken eine breitbandige und vernetzte Kommunikation eine wesentliche Rolle (Bild 5). So gehören die Anwendung Telemedizin, die Übertragung von Bildern und Daten zu Fachärzten und zu anderen Kliniken, die zentrale Speicherung von Bildern, und die Bildspeicherung und Archivierungssowie Kommunikationslösungen (PACS) schon heute zum Tagesgeschäft vieler Klinikmitarbeiter. Übertragung ist in diesem Umfeld nicht immer zeitkritisch, teilweise jedoch mit sehr großen Datenmengen verbunden. Hierzu ein Beispiel: Wird ein Patient ins Krankenhaus eingeliefert, muss der behandelnde Arzt (beispielsweise der Kardiologe bei Herzerkrankungen) schnell reagieren. Dazu benötigt er sowohl aktuelle Daten, die den gegenwärtigen Zustand des Patienten dokumentieren, als auch die Patientengeschichte. Eine zielgerichtete Kommunikations-Infrastruktur erleichtert auch hier niedergelassenen Ärzten und Kliniken, Unterlagen über ihre Patienten schnell und sicher auszutauschen und für einen unbegrenzten Zeitraum vorzuhalten. Zudem könnten die verschickten Patientendaten auf einem Zentralrechner archiviert werden, wobei die Kommunikations-Infrastruktur gewährleistet, dass alle Ärzte, die einen Patienten behandeln, Zugang zu denselben Unterlagen haben. Somit ist die Transparenz für den gesamten Behandlungsprozess gegeben. Die Daten sind durch einen ausgereiften Zugriffsschutz inklusive Verschlüsselungs-verfahren vor Missbrauch geschützt.
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Der Online-Abruf von Expertenwissen aus Datenbanken spielt hier ebenfalls eine große Rolle. Die Echtzeitübertragung von Video zwischen den Kliniken ist bereits heute eine der wesentlichen Anwendungen, diese bedarf unter anderem einer Sprach- und Datenintegration. Man stelle sich nur vor, dass zwischen Bild und Ton ein Time Delay besteht, so ist das sicherlich nicht zielfördernd. Erlauben Sie mir vor dem Hintergrund der spannenden Diskussion bezüglich Telematikarchitektur und Verwendung der neuen Versichertenkarte als Trägermedium oder Zugangsschlüssel, einen kurzen Exkurs in diese Thematik.
Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Ansatz einer ganzheitlichen Lösungsarchitektur
Leistungerbringer
Kommunikation & Transport
Integration
Klinik
KIS
Zentrale Dienste Berechtigungsdienst Berechtigungsserver
Connector
Praxis eRezept PVS
Connector Apotheke
APS
VPN
Integrationsserver
eRezept Server
eRezept Datenbank ePA
Connector
Versicherte
Portal
Trust Center
ePA Server ePA Datenbank eArztbrief
Patient
Web Browser
Internet
Verzeichnisdienst
eArztbrief Datenbank
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 7
Bild 6
Aus Sicht der T-Systems bieten serverbasierende Kommunikastionsinfrastrukturen, die alle Informationen über eine zentraler Stelle hochverfügbar und sicher zum Abruf bereitstellen, die größe Sicherheit und den größten Nutzen (Bild 6). In diesem Fall dient die Karte, also elektronische Gesundheitskarte in Verbindung mit der Health Professional Card nicht als Datenträger, sondern als ZugangsSchlüssel, mit dem beispielsweise der Arzt auf einen zentralen Server zugreift. Wir sehen hier die Leistungserbringerseite mit den verschiedenen bereits heute verfügbaren Systemen, Krankenhausinformationssystem, Praxisverwaltungssystem oder auch Apothekenverwaltungssysteme. Daneben die gestern bereits beschriebenen Connectoren, eine Kommunikations- und Transportplattform, die Integration
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für die zentralen Dienste, entsprechend geschützt sowie auch Portale für die Versicherten. Diese Kommunikationsinfrastruktur ließe sich um zusätzliche Dienste erweitern. So könnte eine zentrale Stelle beispielsweise aktuelle Erkenntnisse bezüglich Nebenoder Wechselwirkungen von Medikamenten erfassen und zur Verfügung stellen. Der Arzt oder Apotheker prüft diese dann bei Bedarf per Mausklick. Am Ende wird eine solche serverbasierte Lösung auch einen späteren Ausbau der Telematik im Gesundheitswesen erleichtern. Für die ePatientenakte könnten dann beispielsweise die bereits vorhandenen Informationen entsprechend strukturiert aufbereitet und ergänzt werden. Zur Umsetzung dieser Telematik-Architektur bzw. der Integrierten Versorgung ist eine Kommunikations- und Transportplattform, hier als VPN (Virtual Private Network)dargestellt, zwingend erforderlioch. Ich komme nun auf diese Kommunikations- und Transportplattform zu sprechen. Hier habe ich Ihnen exemplarisch mögliche Verkehrsbeziehungen zwischen Leistungserbringer- und der Kostenträger-Seite dargestellt.
Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Kommunikation- und Transport (Netzplattform)
Zugänge für z.B. (GKVen, PKVen, KVen) KV 1 Konzentrator
KV 2 Konzentrator
KV n Konzentrator KV n
Festanbindung Festanbindung Festanbindung
Festanbindung
Extranet (VPN)
Dial In Plattform
T-DSL
Analog / ISDN Mobil
Verkehrsbeziehungen (Punkt zu Punkt, Multichannel)
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 8
Bild 7
So sind bereits heute einige kassenärztliche Vereinigungen dabei, ihre Kassenärzte online anzubinden, um z.B. Applikationen wie die Online-Abrechnung zu ermöglichen (Bild 7). Aber stellvertretend für die aktuelle Situation, könnte man auch das
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Ärztenetz GOIN in Ingolstadt oder etwa das integrierte Bremer Onkologie-Netz iBON nennen. Hierbei kann auf die im internationalen Vergleich exzellent ausgebaute Telekommunikations-Infrastruktur in Deutschland aufgesetzt werden. Die Nutzung bewährter Technologien wie etwa Breitbandanbindungen über DSL und Hochgeschwindigkeitsnetze auf IP-Basis ermöglichen bereits heute eine effiziente und schnelle Unterstützung der OnlineAbrechnung. Gestern wurde die Frage gestellt, wann die Industrie anfangen müsse zu investieren, um diese hoch verfügbare Infrastruktur aufzubauen. Ich bin der Meinung, dass die Basis für diese Infrastruktur bereits durch die in den vergangenen Jahren getätigten Vorinvestitionen der Netzbetreiber gebildet wurde. Somit orientieren sich die Lösungen an einer weitgehenden Nutzung der bestehenden Netzinfrastruktur. Ein Design und der Aufbau einer völlig neuen und kostenintensiven Infrastruktur, ausschließlich für das Gesundheitswesen, ist nicht erforderlich. Mittlerweile hat sich die MPLS (Multiprotocol Label Switching) Technologie in diesem Umfeld fest etabliert und wird von allen führenden Netzwerkprovidern im IP-gestützen Virtuellen Privaten Netz Bereich eingesetzt. Ich hatte zu Beginn des Vortrages die unterschiedlichen Leistungsanforderungen der Leistungserbringer dargestellt. Die Leistungsanforderungen an die Netzplattform richten sich hierbei nach den unterschiedlichen Anforderungen der Nutzer: Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Leistungsanforderungen an die Netzplattform
Leistung
Volumenpaket Flat Volumenpaket 5 GB Fixed Connect
Volumenpaket 3 GB
64kB bis 34 MB
Volumenpaket 1 GB
Inkl. Router Minuten Minuten zzgl. Datenvolumen
T-DSL 3000
Inkl. Volumen (Flat)
T-DSL 2000
Inkl. IP Sec
T-DSL 1000 Mobilfunk GSM / GPRS / (UMTS) inkl. IP Sec
SW Client mit IP Sec
LAN mit Router mit IP Sec
T-ISDN oder analoger T-Net Anschluss Einzelplatz
LAN Anforderung
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Volker Apel
Ich habe Ihnen hier die unterschiedlichen Variationsmöglichkeiten aufgezeigt, die darstellen sollen, dass wir in der Lage sein müssen, eine flexible und kostengünstige ICT-Infrastruktur entsprechend der unterschiedlichen Anforderungen bereitzustellen (Bild 8). Neben den unterschiedlichen Anwendungen wie eRezept/eArztbrief versus Übertragung von Bildern und Daten, der Übertragung von nicht zeitkritischen Anwendungen wie Übertragung des eRezeptes im Vergleich zur Echtzeitübertragung von Video, und der unterschiedlichen Netztopologie hier als Einzelplatz und LAN bzw. Mehrplatzsyteme aufgeführt, stellt insbesondere die flexible Anschlussbandbreite sowie das unterschiedliche Datenvolumen ein vor allem wirtschaftliches Kriterium dar. Um die innovative Rolle, welche die Kommunikations-Infrastruktur eHealth spielen wird, noch weiter zu erläutern sowie den damit verbundenen Wachstumsmotor für Europa dazustellen, möchte ich noch die Sicherheitsanforderungen explizit erläutern. Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Sicherheitsanforderungen an die Netzplattform
Anforderungen
Gefährdung
Abwehr
Vertraulichkeit Vertraulichkeit
Mitlesen Mitlesen von von Daten Daten
Verschlüsselung Verschlüsselung
Authentizität Authentizität
Vortäuschen Vortäuschen einer einer falschen falschen Identität; Identität; Spoofing Spoofing
Authentisierungsverfahren Authentisierungsverfahren Aufstellen Aufstellen von von Regeln Regeln
Integrität Integrität
Veränderung Veränderung von von Übertragungsdaten Übertragungsdaten
Prüfverfahren Prüfverfahren (Hashing) (Hashing)
Verfügbarkeit Verfügbarkeit
Denial Denial of of Service Service (DoS) (DoS) Attacken; Attacken; Fremdnutzung Fremdnutzung
Extranet Extranet mit mit IP IP Sec Sec Tunnel Tunnel
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 10
Bild 9
Die Sicherheitsanforderungen an die Netzplattform sind in erster Linie zu definieren mit Vertraulichkeit, Authentizität, Integrität und Verfügbarkeit (Bild 9). Das Gefährdungspotenzial, welches sich ergeben könnte, ist das Mitlesen von Daten, das Vortäuschen einer falschen Identität, z.B. Nutzung einer falschen IP-Adresse auch Spoofing genannt, die Veränderung von Übertragungsdaten und Denial of Service, wo es u.a. bis zu einem vorübergehenden Ausfall von Netzwerk-Connectivity und Netzwerk-Services kommen kann.
14 Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth
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Wie kann dieses Gefährdungspotenzial verringert bzw. abgewehrt werden? Durch eine Verschlüsselung der Daten, ein Authentisierungsverfahren mit hinterlegten Regeln, durch ein entsprechendes Prüfverfahren sowie einem abgeschirmten Extranet mit IP Sec-Tunnel, d.h. es wird für eine Kommunikationsleitung ein eigener Tunnel gebaut. Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Bsp.: Abwicklung und Zertifikats-Handling
1 IPSec für Fixed Connect (von 64 kbit/s bis 155 Mbit/s) 2 IPSec für Dial Connect
Arzt/Mobile User
3
Mobilfunknetze D1, D2, E1, O2
3 IPSec für Dial In Trustcenter Kassenärztliche Vereinigung
Wählnetz Deutsche Telekom
Laptop mit VPN Software
Branchennetz
2
DialLogin In
1
Artzpraxis
RADIUS VPN-Gateway
ISDN/ xDSL VPN-Router
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 11
Bild 10
Das Abwicklungs- und Zertifikats-Handling spielt hierbei ebenfalls eine entscheidende Rolle. Zumal die Betriebssicherheit des Netzes einer der wichtigsten Parameter für den Erfolg der Einführung digitaler Technologien im Gesundheitswesen ist (Bild 10). Neben einem verschlüsselten Verfahren mit Trustcenter-Funktionalität, ist die Gestaltung eines geschlossenen Netzes für die Anwendungen des Gesundheitswesens erforderlich. Die Netzarchitektur sollte Povider-unabhängig sein. Es dürfen jedoch keine direkten ungesicherten Zugänge zum öffentlichen Internet bestehen. Wir haben bereits heute eine unterschiedliche Anzahl von Mobilfunknetzen, sowie weitere Providernetze, diese könnten eng vermascht und vernetzt werden und in ein sogenanntes Branchennetz überführt werden. Der Zugang zum Branchennetz sollte über spezifische zertifizierte Netzzugänge realisiert werden, für die ein Mindeststandard an Sicherheitskriterien definiert sein muss. Ich komme nun auf das Thema Innovation: das Branchenetz-Gesundheitswesen.
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Volker Apel
Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Innovation: Branchennetz Gesundheitswesen
Ein Branchennetz baut als geschlossene Plattform auf bestehenden Telekommunikations-Infrastrukturen verschiedener Anbieter auf.
Über Festlegung auf Standards ist eine Netzkopplung möglich und Wettbewerb gewährleistet.
Höhere Kosten in der Grundstruktur stehen einer höheren Sicherheit und Verfügbarkeit für alle Beteiligten gegenüber.
Ein Branchennetz mit klaren Standards sichert Zukunftsfähigkeit.
Zentrale Verantwortung für: Registrierung, Authentifizierung, Standardanschlüsse, Datenverschlüsselung, Netzwerkmanagement, Bandbreiten, Verfügbarkeit, Service, Helpdesk und Reporting.
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 12
Bild 11
Ein Branchenetz-Gesundheitswesen baut als geschlossene Plattform auf bestehenden Telekommunikationsinfrastrukturen verschiedener Anbieter auf (Bild 11). Wir befinden uns in Deutschland nicht auf der grünen Wiese. Bereits heute besteht eine Vielzahl von unterschiedlichen kleinen Teilnetzen, die wir versuchen müssen, in eine geschlossene Plattform zu überführen. Das kann nur erfolgen über die Festlegung von Standards, um somit eine Netzkopplung und auch den Wettbewerb gewährleisten zu können. Höhere Kosten in der Grundstruktur stehen einer höheren Sicherheit und Verfügbarkeit für alle Beteiligten gegenüber. Ein Branchennetz mit klaren Standards, sicherer Zukunftsfähigkeit – es muss hierbei eine zentrale Verantwortung geben für Registrierung, Authentifizierung, Standardanschlüsse, Datenverschlüsselung, Netzwerkmanagement, Bandbreitenverfügbarkeit, Service, Help Desk und Reporting. Dieses geschlossene Branchennetz für das Gesundheitswesen entspricht z.B. der festen und sicheren Reservierung einer Straßenspur im öffentlichen Straßennetz. Diese sichere betriebene Kommunikations-Infrastruktur stellt auch die Basis dar für ein Vertrauen der Nutzer in dieses Netz, denn nur ein sicheres Branchennetz gibt den Leistungserbringern und Versicherten die Chance, ein Gefühl für Sicherheit und Verlässlichkeit der elektronischen Kommunikation zu entwickeln.
14 Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth
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Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Kundennutzen
Extrem leistungsfähiges Datennetz mit hoher Sicherheit und Flexibilität
Passende Kundenanbindung für nahezu jeden Anwendungsfall Zugang zum gesicherten Branchennetz Gesundheitswesen mit Ende-Ende-Verschlüsselung
Abwicklung von Unternehmensübergreifendem Datenverkehr und Geschäftsprozessen innerhalb der Gesundheitsbranche Closed User Groups Kosten nach Zugangsgröße, Dauer oder Datenvolumen Qualitäts- und Performance- Zusagen Sprach-/Datenintegration Proaktives Management und Support gebündelt beim Provider Strenge Überwachung und netzbasiertes Reporting Auf Wunsch: Gesicherter Zugang ins Internet
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 13
Bild 12
Wie sieht denn nun der konkrete Nutzen dieses Branchennetzes für die wesentlichen Beteiligten aus (Bild 12). So ist z.B. die T-Systems auf Basis eines dediziertes Extranets mit erhöhter Ausfallsicherheit (unabh. vom Internet), mehr als 7.500 Netzzugangspunkten, und der Hochverfügbarkeit des Kernnetzes (Backbone) größer 99,9 % in der Lage, ein extrem leistungsfähiges Datennetz mit hoher Sicherheit und Flexibilität bereitzustellen. Skalierbare Zugangsbandbreiten von 64 kbit/s <=> 155 Mbit/s über Festanbindung oder Einwahllösung lassen eine passende Kundenanbindung für nahezu jeden Anwendungsfall zu. Die Kosten richten sich nach Zugangsgröße, Dauer oder Datenvolumen sowie den Qualitäts- und Performance-Zusagen. Der Zugang zum gesicherten Branchennetz erfolgt durch IP Sec Verschlüsselung und zwar Ende zu Ende. Proaktives Management und Support gebündelt beim Provider bedeuten: Zugriff auf das Netz nur durch ausgewähltes Personal in einem abgesicherten Betriebscenter für das Branchennetz. Proaktives Management aller eingesetzten Komponenten an 7×24 Std, sowie an 365 Tagen im Jahr, umfassendes Servicepaket mit Branchen Help Desk und Störungsbehebung. Außerdem handelt es sich um eine Komplettlösung aus einer Hand (Backbone, Zugänge, Endgeräte, Service). Es erfolgt eine strenge Überwachung und ein netzbasiertes Reporting. Auf Wunsch kann ein gesicherter Zugang ins Internet ermöglicht werden, dies bedeutet in diesem Zusammenhang, dass medizinische – und soziale Daten nicht vom Internet beeinflusst werden. Ein weiterer Aspekt dieses Branchennetzes ist auch die europäische Verfügbarkeit.
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Volker Apel
Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Europäische Verfügbarkeit.
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 14
Bild 13
Bereits heute stehen unsere Nachbarländer sowie deren entsprechenden Vertreter aus Politik, Gesundheitswesen und Industrie vor der selben Herausforderung wie wir in Deutschland (Bild 13). Stellvertretend möchte ich hier die Vorhaben, eCard in Österreich sowie Dossier Medical Personnel in Frankreich nennen. Europäische Verfügbarkeit bedeutet im ersten Schritt nicht, dass wir von einer Netzinfrastruktur sowie einem ganzheitlichen europaweitem Betriebszentrum ausgehen. Es muß jedoch sehr schnell eine enge Verzahnung zwischen den landesspezifischen KommunikationsInfrastrukturen für eHealth erfolgen, um länderübergreifend einen sicheren Datentransfer, auch von medizinischen Daten sicherzustellen. Zum Abschluss meiner Präsentation erlauben Sie mir bitte noch ein kurzes Fazit:
14 Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth
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Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Fazit Ärzte, Apotheken.
Internet Lösungen sind realisierbar wenn die Sicherheitsaspekte berücksichtigt werden
VPN Lösungen auf „geschlossenen“ Plattformen vereinfachen den Betrieb des Netzes sind aber auch mit höheren Grundkosten verbunden
ADSL ist als Anbindung wünschenswert, e-Rezept und eArztbrief lassen sich sicher aber auch über ISDN realisieren
Die e-Patientenakte ist ebenfalls über ADSL und mit Einschränkungen (große Bilddateien) auch über ISDN realisierbar
Für Anwendungen der Telemedizin und zukünftige Online-Telemedizin ist SDSL eine geeignete Technologie
Als Ergänzung ist ein mobiler Zugang (GPRS / UMTS) zu den Systemen sinnvoll, oder als Backuplösung für Ausfallszenarien
Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 15
Bild 14
Für Ärzte und Apotheker sind Internet Lösungen realisierbar, wenn die Sicherheitsaspekte berücksichtigt werden. VPN-Lösungen auf „geschlossenen“ Plattformen vereinfachen den Betrieb des Netzes sind aber auch mit höheren Grundkosten verbunden (Bild 14). Die technische Infrastruktur für die Realisierung erster Anwendungen wie des eRezeptes und des e-Arztbriefes stellt keine technologisch außergewöhnlichen Anforderungen an die bereitzustellende Telekommunikationsinfrastruktur. Das Datenvolumen ist relativ gering und somit ist eine Übertragung der Daten selbst über ISDN (64 Kbit) Wählverbindungen möglich. Anzustreben ist jedoch eine Ausstattung der Anwender mit DSL bzw. Festverbindungen, weil hier im Gegensatz zu ISDN kein Wählvorgang erforderlich ist und zudem eine höhere Bandbreite für Online Telemedizin und künftige Anwendungen wie die e-Patientenakte zur Verfügung steht. Unter der Maßgabe, dass alle sicherheitsrelevanten Fragen hinlänglich berücksichtigt werden, sind auch mobile Zugangsmöglichkeit eindeutig zu begrüßen.
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Volker Apel
Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth Fazit Krankenkassen, Kliniken u.a.
Internet Lösungen sind grundsätzlich technisch realisierbar aber wegen der fehlenden Ende-Ende SLA´s nicht empfehlenswert
VPN Lösungen auf „geschlossenen“ Plattformen vereinfachen den Betrieb des Netzes sind aber auch mit höheren Grundkosten verbunden
Festverbindungen mit entsprechenden Backup oder Zweitwegführungen sind hier sinnvoll
Die Anwendungen e-Rezept, eArztbrief und e-Patientenakte sind problemlos realisierbar.
Für Anwendungen der Telemedizin und zukünftige Online Telemedizin eine flexible Nutzung der Bandbreite sinnvoll wie es z.B. die MPLS Technologie mit den Verkehrsklassen erlaubt
Als Ergänzung ist ein mobiler Zugang (GPRS / UMTS) zu den Systemen sinnvoll Volker Apel, Strategic Projects 18. Februar 2005 Seite 16
Bild 15
Für Krankenkassen und Kliniken bedeutet dies ergänzend, dass Festverbindungen mit entsprechenden Backup oder Zweiwegeführungen sinnvoll sind (Bild 15). Für die Großkliniken, Ärztehäuser, Rechenzentren und Krankenkassen stehen ferner klassische Festverbindungen als Zugang zur Verfügung, die, falls erforderlich auch hochverfügbar, von 64 Kbit/s bis zu 2,5 Gbit/s allen Anforderungen einer modernen Netzinfrastruktur Rechnung tragen. Die Vorteile der elektronischen Kommunikation im Gesundheitswesen für Patienten und alle Beteiligte sind offensichtlich. Wesentliche Schritte zur Gestaltung neuer Prozesse und der Definition der Telematikarchitektur sind im Jahr 2003 angegangen worden und müssen auch weiter fortgesetzt werden. Der Nutzen technologischer Innovationen wird nicht allein durch die Einführung der Elektronischen Gesundheitskarte realisierbar, sondern erst durch moderne integrierte Prozesse und Anwendungen, die auf einer flächendeckenden einheitlichen IT- und Netz-Infrastruktur aufbauen. Reflektierend auf die Ausgangsfragen: Reicht der Anschluß ans Internet nicht aus? oder Was braucht es mehr als schon vorhandene Netze? bleibt festzuhalten: Grundsätzlich ist die Zugangsvariante über das Internet zwar technisch realisierbar, stellt jedoch im Hinblick auf die Netzwerksicherheit, keine optimale Lösung dar.
14 Kommunikations-Infrastrukturen für eHealth
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Handlungsbedarf besteht daher in der Gestaltung eines geschlossenen, hochverfügbaren Branchennetzes für das Gesundheitswesen. Die State of the Art-Technologien dafür stehen in Deutschland zur Verfügung, ebenso wie eine ausreichende Breitband-Infrastruktur für eHealth. Ein sicher betriebenes Netz kann auch einen erheblichen Beitrag zur Stärkung des Vertrauens in die Sicherheit und der Wahrung der Vertraulichkeit sowohl bei den unmittelbar Beteiligten im Gesundheitswesen als auch in der gesamten Bevölkerung leisten.
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth Prof. Dr. Heinz Thielmann Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie SIT, Darmstadt Wir haben bei Fraunhofer insgesamt sieben Institute, die sich nachweislich in den letzten Jahren mit verschiedenen Anwendungen und Konzepten zum Thema Gesundheitswesen beschäftigt haben. Deshalb haben wir diese eHealth Allianz gegründet, und wir arbeiten seit einem Jahr, seit Inkrafttreten des GMG, mit drei Instituten über verschiedene Etappen und Phasen hinweg an diesem Thema, gemeinsam mit der Selbstverwaltung, mit dem Gesundheitsministerium und der Industrie. Ich muss Ihnen nicht sagen, wie komplex dieses Thema von der Organisation her ist. Technisch gesehen, da sind wir uns sicher alle einig, ist hier kein allzu hoher Anspruch gegeben. Dennoch ist das Thema Datenschutz und Datensicherheit ein ganz wichtiges Thema, denn es ist einer der kritischen Erfolgsfaktoren für eHealth. Es hängt mit dem Vertrauen des Patienten zusammen und mit dem Vertrauen in die elektronischen Geschäftsprozesse. Datenschutz und Datensicherheit • Der Bürger und Patient im Mittelpunkt • Rechtliche Grundlagen, Rahmenbedingungen, Gesamtkonzept • Die Kette: Bürger, Patient, Arzt, Apotheker, Klinik,.... • Die eGK: Daten, Personalisierung, Ausgabe, Zugriffsrechte • Karten- und Rechtemanagement • Dezentrale Dienste
Archivierungsangaben
• Zentrale Dienste • Aktuelle Aufgaben in der Spezifikation der Lösungsarchitektur Folie 2
Bild 1
Ich möchte meinen Vortrag in acht Punkte gliedern (Bild 1). Wir beginnen mit dem Thema „Bürger und Patient im Mittelpunkt“. Mein Vortrag wird auch nicht rein
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Heinz Thielmann
technische Aspekte behandeln, sondern eine Mischung aus den rechtlichen Anfragen oder Anforderungen und einigen Aspekten der technischen Realisierung. Ausgangsthese Das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt ist ein hohes Gut, das durch die Einführung einer Telematikinfrastruktur nicht abgewertet werden darf.
Archivierungsangaben
Der Bürger/Patient ist Herr seiner Daten.
Folie 4
Bild 2
Der Bürger und Patient, also wir alle, stehen im Mittelpunkt. Die Ausgangsthese ist (Bild 2): das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt ist ein hohes Gut, das durch die Einführung einer Telematik Infrastruktur nicht abgewertet werden darf. Es steht sogar im Gesetz, dass der Bürger bzw. Patient der Herr seiner Daten sein soll. Das ist besonders zu unterstreichen, und das müssen wir dann auch natürlich wiederfinden in technischen Realisierungen. Ärztliche Verordnungen mit Unterstützung der eGK GMG §291a:
Die eGK „muss geeignet sein“, Angaben aufzunehmen für • die Übermittlung ärztlicher Verordnungen in elektronischer und maschinell verwertbarer Form“ Zugriffsberechtigt sind: a) Ärzte, b) Zahnärzte,
Archivierungsangaben
c) Apotheker,
Bild 3
d) sonstiges Personal e) sonstige Erbringer ärztlich verordneter Leistungen,
Folie 6
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth
197
Zunächst die rechtlichen Grundlagen, Rahmenbedingungen und das Gesamtkonzept (Bild 3). Im vielzitierten Modernisierungsgesetz für das Gesundheitswesen (GMG) im § 291a steht u. a.: die elektronische Gesundheitskarte muss geeignet sein, Angaben aufzunehmen für die Übermittlung ärztlicher Verordnungen in elektronischer und maschinell verwertbarer Form, also „geeignet sein“ heißt, dass natürlich ein Gesetz die technischen Detaillösungen offen lassen muss. Zugriffsberechtigt sind oder müssen sein: Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Klinikpersonal, sonstige Leistungserbringer, also alle, die im Gesundheitswesen irgendwo eine Funktion haben, wobei es sich aber um unterschiedliche Zugriffsberechtigungen handelt. Einwilligung GMG §291a:
Mit dem Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Daten des Versicherten darf erst begonnen werden, wenn der Versicherte jeweils gegenüber dem Arzt, Zahnarzt oder Apotheker dazu seine Einwilligung erklärt hat. Die Einwilligung ist bei erster Verwendung der Karte vom Leistungserbringer auf der Karte zu dokumentieren; die Archivierungsangaben
Einwilligung ist jederzeit widerruflich und kann auf einzelne Anwendungen beschränkt werden. Folie 7
Bild 4
Ein wichtiger Punkt für die These „der Patient ist Herr seiner Daten“, ist die sog. Einwilligung (Bild 4). Mit dem Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Daten des Versicherten darf erst begonnen werden, wenn der Versicherte, also jeder von uns, jeweils gegenüber dem Arzt, Zahnarzt oder Apotheker dazu seine Einwilligung erklärt hat. Die Einwilligung ist bei einer ersten Verwendung der Karte vom Leistungserbringer auf der Karte zu dokumentieren. Die Einwilligung ist jederzeit widerrufbar und kann auf einzelne Anwendungen beschränkt werden, und zwar widerrufbar von uns selbst als Bürger und Patient.
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Heinz Thielmann
Protokollierung GMG §291a:
...durch technische Vorkehrungen ist zu gewährleisten, dass mindestens die letzten fünfzig Zugriffe auf die Daten nach Absatz 2 oder Absatz 3 für
Archivierungsangaben
Zwecke der Datenschutzkontrolle protokolliert werden.
Folie 8
Bild 5
Wichtig ist auch die Protokollierung, ebenfalls festgelegt im Gesetz (Bild 5). Es muss durch technische Vorkehrungenebenfalls hier nicht im Detail beschrieben, wie die aussehen müssen,- gewährleistet sein, dass mindestens die letzten 50 Zugriffe auf die Daten für Zwecke der Datenschutzkontrolle protokolliert werden. Das muss einsehbar sein für den Besitzer der Karte, für den Patienten. Gesamtkonzept: Datenschutz und Datensicherheit (I)
- Erstellung einer Bedrohungsanalyse - Erstellung und Abstimmung der aus der Bedrohungsanalyse folgenden Schutzprofile für Teilkomponenten der Telematikinfrastruktur
Archivierungsangaben
- Berücksichtigung der Datenschutzanforderungen und Patientenrechte
Bild 6
- Beteiligung von BfD, BSI, Patientenvertretern,... Folie 9
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth
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Im Rahmen des Gesamtkonzeptes zu Datenschutz und Datensicherheit (Bild 6) haben wir zunächst gemeinsam mit der Selbstverwaltung, der Industrie und dem Gesundheitsministerium eine Bedrohungsanalyse erstellt, die auch die Schutzprofile für Teilkomponenten der Telematik Infrastruktur enthalten muss, sowie die Datenschutzanforderungen und Patientenrechte, die ja im Gesetz festgelegt sind, berücksichtigen muss. Wir haben hierzu natürlich den Bundesdatenschutzbeauftragten, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und die Patientenvertreter einbezogen, und sie sind auch weiterhin einbezogen.
Gesamtkonzept: Datenschutz und Datensicherheit (II) Es geht um alle Bereiche - elektronische Gesundheitskarte eGK - Heilberufeausweis HBA - elektronische Patientenakte ePA
Archivierungsangaben
- Vernetzung: Connector, Server, Transaktionen,...
Folie 10
Bild 7
Es ist gestern schon gesagt worden, dass es nicht nur um die elektronische Gesundheitskarte als das physikalische Objekt geht, sondern es geht um alle Bereiche (Bild 7), nämlich die Gesundheitskarte, den Heilberufeausweis, die elektronische Patientenakte, den Arztbrief und, was Herr Apel vorhin schon dargestellt hat, die Vernetzung im ganzen Gesundheitswesen über den sog. Connector, über die verschiedenen Server und über die Transaktionen.
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Heinz Thielmann
Rechtliche Grundlagen - GMG - BDSG - StGB - Signaturgesetz - IT-Grundschutzhandbuch - Common Criteria Archivierungsangaben
- SAGA (eGovernment-Handbuch) - ...... Folie 11
Bild 8
Die rechtlichen Grundlagen (Bild 8) sind natürlich zunächst einmal alles, was festgelegt ist im Modernisierungsgesetz zum Gesundheitswesen, im GMG, im Bundesdatenschutzgesetz, im Strafgesetzbuch, im Signaturgesetz, im IT-Grundschutzhandbuch, in den Common Criteria und im eGovernment-Handbuch unter dem Namen Saga. Und es gibt noch einige andere rechtliche Vorlagen und Unterlagen, die natürlich alle hier mit greifen.
Grundsätzliche Fragen für die technischen Lösungen - wer darf auf was, wann, wie zugreifen ?, lesen, kopieren, ändern, löschen,.... ? - was wird wann, durch wen, wo protokolliert ? Zugriffe, Orte, Häufigkeit, Aufbewahrungsdauer ? - was passiert bei Kartenverlust, Kartenmissbrauch, Technikausfall ?
Archivierungsangaben
- Handhabung von Notfalldaten ? (national, international)
Bild 9
- Handhabung der Karte im Prozessablauf ? (ärztliche Praxis, Apotheke, Klinik,...) Folie 12
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth
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Es gibt einige wichtige grundsätzliche Fragen (Bild 9), die sich aus diesen vorhin genannten Statements ergeben. Wer darf auf was, wann und wie zugreifen? Hier geht es also um die Themen wie Lesen, Kopieren, Ändern, Löschen, also Berechtigungsfragen. Was wird wann durch wen und wo protokolliert? Hier geht es um die Fragen Zugriffe, Orte, Häufigkeit, Aufbewahrungsdauer. Eine wichtige Frage ist, was passiert bei Kartenverlust, bei Kartenmissbrauch, bei Technikausfall? Zum Thema Kartenverlust ergibt sich jetzt automatisch die Frage, wo überhaupt die Daten gespeichert werden dürfen. Nur auf der Karte? Dann sind sie natürlich verloren, wenn der Kartenverlust eintritt. Oder brauchen wir Backup-Lösungen, aber mit Zugriffsberechtigung? Ein wichtiger Punkt ist schließlich die Handhabung der Karte im gesamten Prozessablauf, also wie geht man mit der Karte um, wenn der Patient in die Arztpraxis kommt und bis er wieder herauskommt? Muss da jedesmal eine elektronische Signatur mühsam erzeugt werden und all diese Dinge, die dazu gehören? Da gibt es verschiedene Lösungen, auf die ich nur im Ansatz nachher noch einmal eingehen werde. Freiwillige Anwendungen 1. medizinische Daten, soweit sie für die Notfallversorgung erforderlich sind, 2. Befunden, Diagnosen, Therapieempfehlungen sowie Behandlungsberichte in elektronischer und maschinell verwertbarer Form für eine einrichtungsübergreifende, fallbezogene Kooperation (elektronischer Arztbrief), 3. Daten einer Arzneimitteldokumentation, 4. Daten über Befunde, Diagnosen, Therapiemaßnahmen, Behandlungsberichte sowie Impfungen für eine fall- und einrichtungsübergreifende Dokumentation über den Patienten (elektronische Patientenakte), 5. durch von Versicherten selbst oder für sie zur Verfügung gestellte Daten sowie
Archivierungsangaben
6. Daten über in Anspruch genommene Leistungen und deren vorläufige Kosten für die Versicherten (§ 305 Abs. 2).
Folie 13
Bild 10
Es gibt neben den Pflichtanwendungen auch freiwillige Anwendungen (Bild 10) – gestern wurde ja gesagt, dass das elektronische Rezept die erste Anwendung ist, bei der hoffentlich eine Ersparnis von vielleicht ¾ Million eintritt, nämlich 700 Millionen Rezepte müssen im Jahr gehandhabt werden mit etwa 5 verschiedenen Stationen der Handhabung pro Rezept, und zwar mit Medienbruch von der Elektronik auf Papier und wieder auf Elektronik. Aber daneben gibt es freiwillige Anwendungen für die Notfallversorgung, für das Befunden, für Diagnosen, Therapiedarstellungen usw. Der ganze Komplex freiwilliger Anwendungen wird sicher erst in
202
Heinz Thielmann
den nächsten Jahren nach Einführung des ersten Rollout ab 2006 kommen, und hier werden wir sicher noch eine intensive Lernphase haben. Wichtig ist, dass in der gesamten Architektur all diese freiwilligen Anwendungen vorgesehen sein müssen, denn wir müssen davon ausgehen, dass diese gesamte Telematik Infrastruktur mit all ihren Updates und allem, was dazu kommt, einen Lebenszyklus von ca. 20 Jahren haben wird. Wir sollten nicht bei jeder neuen technischen Lösung die gesamte Architektur wieder ändern müssen. Die elektronische Gesundheitskarte: Ein Paradigmenwechsel KVK
Archivierungsangaben
Wenige Daten
Elektronische Gesundheitskarte eGK
• PIN • Ausweisfunktion mit Sichtbild • Signaturfähige Karte • Anwendungen (eRezept, Notfalldaten, …) • Datenspeicherung (Notfalldaten, Verweise, …) • Zuzahlungsstatus • Patientenfach • Europäischer Versicherungsausweis • Interaktion mit HPC (eHBA) Folie 15
Bild 11
Ich komme nun zum Thema der Prozesskette Bürger, Patient, Arzt, Apotheker, Klinik. Auch das kann ich hier nur in Ansätzen umreißen. Die elektronische Gesundheitskarte (Bild 11) stellt einen Paradigmenwechsel dar von der heutigen Krankenversichertenkarte zur elektronischen Form und Sie sehen hier bereits einige Funktionen, die auf der Karte vorgesehen sein müssen, um die Sicherheits- und Datenschutzanwendungen zu ermöglichen. Das beginnt mit der PIN, geht in die Ausweisfunktion mit Sichtbild, was wir heute nicht auf der Krankenversichertenkarte haben und somit schon einen zusätzlicher Sicherheitsaspekt darstellt. Es muss eine signaturfähige Karte sein. Sie muss vorgesehen sein für Anwendungen wie elektronisches Rezept, Notfalldaten. Es muss eine Datenspeicherung auf der Karte möglich sein, aber nicht nur auf der Karte, sondern auch im Backup auf Servern mit Verweisen. Der Zuzahlungsstatus muss festgelegt sein, ein Patientenfach muss angelegt sein. Der europäische Versicherungsausweis muss auf der gleichen Karte vorgesehen sein. Wenn Sie die Karte einmal ansehen, dann ist dies auf der Rückseite vorgesehen. Und die Interaktion mit dem elektronischen Arztausweis, also der Health Professional Card.
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth
203
elektronischer Heilberufsausweis: neues Arbeitsmittel der Ärzte Elektronischer Arztausweis HBA
Papierausweis
Archivierungsangaben
Keine elektronischen Prozesse
• PIN • Ausweisfunktion mit Sichtbild • Qualifizierte Signatur • Auslösen rechtsgültiger Prozesse nach Signaturgesetz • Anwendungen (eRezept, Notfalldaten, …) • Aufbau sicherer Kanäle zu Zweitkarten (SMC) • Interaktion mit eGK
Folie 16
Bild 12
Wir haben eine zweite Karte; das ist der Heilberufeausweis (Bild 12), also die Health Professional Card. Hier gehen wir auch vom Papierausweis auf den elektronischen Ausweis über. Ebenfalls muss hier vorgesehen sein eine PIN, eine Ausweisfunktion mit Sichtbild des Arztes, eine qualifizierte Signatur und schließlich die Anwendungen eRezept, Notfalldaten, das Auslösen rechtsgültiger Prozesse nach Signaturgesetz – das werde ich gleich noch zeigen – und der Aufbau sicherer Kanäle zu Zweitkarten und natürlich die Interaktion mit der Gesundheitskarte. elektronische Kommunikation heute 3UD[LV
3UD[LV
3UD[LV ADT/DMP
3IOHJH
3IOHJH
Archivierungsangaben
3IOHJH
.DVVHQ
ವ 0HGL]LQLVFKH.RPPXQLNDWLRQ 3DSLHUEDVLHUW ವ %LGLUHNWLRQDOH6FKQLWWVWHOOHQ ವ )HKOHQGH5HFKWVVLFKHUKHLWLQGHU RQOLQH.RPPXQLNDWLRQ ವ )HKOHQGH,QIUDVWUXNWXU ವ 3DWLHQWXQ]XUHLFKHQGHLQEH]RJHQ
.9Q
§301/DRG Folie 17
.UDQNHQKDXV
Bild 13
.DPPHUQ
.UDQNHQKDXV
.UDQNHQKDXV
204
Heinz Thielmann
Die elektronische Kommunikation heute (Bild 13), Sie haben hier auf der linken Seite die verschiedenen Leistungserbringer und Kostenträger, also die Arztpraxen, das Krankenhaus, Pflegestationen und Pflegeberufe und auf der rechten Seite die Kassen, Kammern, kassenärztlichen Vereinigungen usw. dargestellt. Wir haben heute die medizinische Kommunikation überwiegend papierbasiert. Wir haben bidirektionale Schnittstellen. Wir haben fehlende Rechtssicherheit in der OnlineKommunikation. Es gibt Insellösungen überall; das wissen wir. Und es gibt eine fehlende Infrastruktur, die alles miteinander verbindet; darauf ist Herr Apel vorhin eingegangen, was wir dazu brauchen. Und schließlich ist der Patient als Herr seiner Daten unzureichend einbezogen. einheitliche Infrastruktur: Die Autobahnen der modernen Medizin eHBA
CMS*
Anwendungen:
Kassen KV Kammern
Zuzahlung eRezept Notfalldaten
gateways
eGK
connector
Archivierungsangaben
Ärzte Apotheker Patient
Plattformdienste
Zentrale Dienste
TC** Folie 18
*Card Management System
**Trust Center
Bild 14
Die zukünftige Infrastruktur (Bild 14) – Sie sehen, alle hier Vortragenden benutzen sehr unterschiedliche Bilder zum gleichen Thema, wie die Telematik Infrastruktur aussieht. Wir haben links diese zwei Kartentypen, die elektronische Gesundheitskarte des Patienten oder des Bürgers und den Heilberufeausweis. Das sind die beiden Karten, die wichtig sind im Zusammenspiel zwischen Arzt, Apotheker, Patient und Klinik. Wir haben dann in der Mitte die Gesamtarchitektur, die sich aufteilt in dezentrale Dienste und Connectorlinks, in zentrale Dienste, in Plattformdienste rechts. Diese Infrastruktur muss verschiedene Anwendungen, wie z.B. Zuzahlungen, elektronisches Rezept, Notfalldaten usw. bearbeiten können. Dann haben wir die Back-Endstruktur; das ist einmal das Kartenmanagementsystem rechts oben. Rechts unten ein Trustcenter, um die ganze Schlüsselverwaltung und die ganzen Sicherheitsfunktionen zu unterstützen.
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth
205
Lösungsarchitektur: interoperable Telematikinfrastruktur Übergreifende Dienste Central Service Locator Central Object ID Service Policy Rules Application Repository
Klinik eGK, HBA Archivierungsangaben
Apotheke
Common Services
eGK, HBA
Object Id, Workflow, Query, Info. Access, Terminology, ….
Praxis
Confidentiality, Auth., Integrity, Policy, Audit, ….. Directory Transport, Transaction, Persistence, Life Cycle mgmt.,..
eGK
Security Services
Generic Common Services
SB-Term
eGK, HBA
Primärsysteme
Plattform 1..n mal
Resource Provider External Services Verzeichnis: LE, Versicherter aministrative- & Kartendaten
Integrator Backend Resource Provider Server
eRezept Klin. Basisdaten Arzneimitteldoku. Arztbrief ePA Anwendungen 1..m mal
CMS
Kassen
Statusabfrage Versichertenverzeichnis Karten-DB (eGK), [TC]
TC
Kammern
Statusabfrage (OCSP), TC Ärzte-, Apotheker, LEVerzeichnis Karten-DB (HBA) Folie 19 Verzeichnisdienste
Bild 15
Ich will Sie jetzt hier nicht mit allen technischen Details belasten, aber Sie sollten einen Eindruck haben, wie komplex dieses ganze System aussieht (Bild 15). Sie sehen auf der linken Seite wieder die Praxis, in der Gesundheitskarte und Heilberufeausweis gehandhabt werden müssen oder die Klinik, die Apotheke und oben auch ein Versichertenterminal, wo wir als Bürger, als Patienten, die eigenen Daten einsehen und auch verändern können, wie gesagt als „Herr der Daten“. Dieser ganze Komplex mit dem Connector wird als Primärsystem bezeichnet. Etwas weiter in der Mitte haben wir die Plattform Dienste mit den Security Services, mit generischen Dienstefunktionen, und wir haben rechts die sog. Back-End-Funktionen und ganz rechts das Kartenmanagementsystem, was im Wesentlichen durch die Kassen gehandhabt werden muss, Statusabfrage, Versichertenverzeichnis usw. und das Managementcenter mit den Verzeichnisdiensten, mit den Schlüsselverwaltungen usw. Es geht jetzt darum, bei Datenschutz und Datensicherheit all diese Anforderungen aus dem Gesetz, die ich vorhin dargestellt habe, in den verschiedenen Funktionen auch hier zu realisieren und abzudecken.
206
Heinz Thielmann
Die Auswirkungen der neuen Infrastruktur 3UD[LV
3UD[LV
3UD[LV .DVVHQ
3IOHJH •Medizinische Kommunikation: Rechtssicher •Einheitliche Plattform und Schnittstellen • Flächendeckende Infrastruktur • Patient als aktiver Mitgestalter • Höhere Sicherheit und Qualität
Archivierungsangaben
3IOHJH
.DPPHUQ
.9Q
3IOHJH
Folie 20
.UDQNHQKDXV
.UDQNHQKDXV
.UDQNHQKDXV
Bild 16
Die neue Infrastruktur (Bild 16), die wir über diese Telematikplattform und die Gesundheitskarte bekommen werden, soll die medizinische Kommunikation rechtssicher machen, wird einheitliche Plattformen und Schnittstellen haben, wird flächendeckende Infrastruktur haben, aber in Stufen in den nächsten Jahren, wird den Patienten als aktiven Mitgestalter haben und natürlich eine höhere Sicherheit und Qualität bieten. Auswirkungen auf die Prozesse im Krankenhaus allgemein
eGK
Archivierungsangaben
eHBA
Bild 17
connector
• Prüfung Zuzahlungsstatus • Ausstellung eRezept in Ambulanz • Management der Notfalldaten • Ausstellung Arzneimitteldokumentation ambulant und stationär !! • Personalisierung der Karten • Realisierung von Ausfallkonzepten (Verlust, Vergessen, Defekte, …) • Signierung statt Unterschrift
• Integration in IT Infrastruktur • LDAP Server für Signaturen • Komplexes Management von allen eGK und eHBA
Folie 21
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth
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Wie laufen nun z.B. die Prozesse ab in der Klinik oder in sonstigen medizinischen Abläufen? (Bild 17) Ich möchte das hier nur in einem sehr schematischen Bild darstellen. die Gesundheitskarte muss die Prüfung des Zuzahlungsstatus zulassen, muss die Ausstellung eines elektronischen Rezeptes beim Arzt in der Ambulanz zulassen, muss das Management der Notfalldaten zulassen und eine Ausstellung der Arzneimitteldokumentation ambulant und stationär. Der Heilberufeausweis in der Mitte muss die Personalisierung der Karten vorsehen, die Realisierung von Ausfallkonzepten. Es müssen Verlust, Vergessen und Defekte berücksichtigt werden. Eine Signierung der handgeschriebenen Unterschrift muss enthalten sein. Der Connector, der beim Arzt, in der Arztpraxis, in der Apotheke, in der Klinik steht und sozusagen die Verbindung zwischen den Primärsystemen und den zentralen Systemen darstellt, ist eine wichtige Funktion für die Integration in die IT-Infrastruktur, muss einen Server für Signaturen haben, muss ein komplexes Management von allen Gesundheitskarten und Heilberufeausweisen vorsehen. Auswirkungen auf die medizinischen Prozesse
eRezept
Archivierungsangaben
Notfalldaten
Arzneimitteldokumentation
• Signatur der Rezepte durch Ärzte • Backupprozesse über Papier • Umstellung der Rezeptausgabeprozesse
• Prüfung der Notfalldaten vor Aufnahme auf die Station • Erstellung oder Pflege der Notfalldaten mit dem Patienten • Dokumentation der Verordnung auch im stationären Bereich • Prüfung der Historie und erweiterte Folie 22 Kontraindikation durch diese Daten • Signatur der Dokumentation durch den Arzt
Bild 18
Hier etwas allgemeiner; in den medizinischen Prozessen (Bild 18) muss das eRezept die Signatur der Rezepte durch den Arzt vorsehen, Backup-Prozesse über Papier? – immer wieder eine Frage. Ob es notwendig ist oder nicht, man hat sich geeinigt, dass zumindest in den nächsten Jahren – auch wegen der verschiedenen Ausstattungen der Praxen und Apotheken, und weil manche Patienten doch noch das Papierrezept
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Heinz Thielmann
gern haben möchten – parallel auch das Papierrezept möglich sein muss. Und es muss natürlich eine Umstellung der Rezeptausgabeprozesse stattfinden. Bei den Notfalldaten ist es wichtig, die Prüfung der Notfalldaten vor Aufnahme in die Notfallstation durchzuführen, und die Erstellung und Pflege der Notfalldaten mit dem Patienten muss gemeinsam erfolgen. Der Patient soll entscheiden können, welche Notfalldaten auf seiner Karte stehen. In der Arzneimitteldokumentation ist die Dokumentation der Verordnung auch im stationären Bereich notwendig. Prüfung der Historie und erweiterte Kontraindikation durch diese Daten und schließlich die Signatur der Dokumentation durch den Arzt. Hier ist ein ganz wichtiger Effekt neben Kosteneinsparung gegeben, nämlich dass diese Arzneimitteldokumentation einen gewissen Schutz für den Patienten darstellt, dass keine Kontraindikationen entstehen oder, wie es heute der Fall ist, dass viele Patienten zu fünf Ärzten gehen und sich verschiedene Medikamente verordnen lassen, die insgesamt unverträglich sind. Das kann man hier transparenter machen; vielleicht möchte das nicht jeder, aber es hilft natürlich, um die Gesundheitsfunktionen besser nachprüfen zu können. Personalisierung der eGK
- Herzstück im Rahmen von Produktion und Herausgabe
Archivierungsangaben
- aktive Rolle und lebende Karte, die x gepflegt, x aktualisiert, x geändert und x nachstrukturiert werden muss
Neue Anforderungen an die Einbettung der Personalisierung in der gesamten Prozesskette Folie 24
Bild 19
Wie sieht nun die Handhabung der Gesundheitskarte aus? (Bild 19) Ich kann zwar nicht auf alle Datenschutz- und Sicherheitsfunktionen eingehen, aber ein wichtiges Element ist ja die Karte. Wie sehen hier die Funktionen, wie dieDaten, wie die Personalisierung aus? Und wie sind die Zugriffsrechte? Die Karte – wie gestern und heute schon mehrfach betont – ist ein Herzstück in dieser ganzen Vorgehensweise, und es beginnt mit der Produktion und der Herausgabe. Wichtig ist, dass uns bewusst
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth
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ist, dass die Karte eine lebende Karte ist und eine aktive Rolle spielt. Sie muss gepflegt werden. Sie muss aktualisiert werden. Sie muss geändert werden können. Sie muss nachstrukturiert werden können, und das alles mit Sicherheitsfunktionen. Einführung der eGK für alle Versicherten in Deutschland Rollout Kartenproduktion
Personalisierung
Datenaktualisierung
Gesamtprojekt
Lebenszyklus
Archivierungsangaben
Anwendungsmanagement Folie 25
Bild 20
Deshalb muss neben der Kartenproduktion und der Vorbereitung des Roll-out eine Personalisierung bereits vor der Ausgabe stattfinden (Bild 20). Es müssen die richtigen Daten aktualisiert werden. Es muss ein Anwendungsmanagement vorgesehen werden. Produktion eGK Initialisierung
Personalisierung
Ausgabe
• Übernahme Image der Initialisierung • Verzeichnis/Dateistruktur
Archivierungsangaben
• Zugriffsbedingungen
Bild 21
• kryptographische Daten
• nicht karten- bzw. personenindividueller Daten
• Zuordnung zur Person
•evtl. anwendungsspezifische Ergänzungskommandos
•optische u. elektr. Personalisierung
•evtl. Updates/Patches
• Anwendungsdaten (Bsp. VSD) •Freischaltung
Folie 26
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Heinz Thielmann
Das sieht dann so aus (Bild 21), dass bei der Initialisierung Verzeichnisse angelegt werden müssen, eine Dateistruktur, Zugriffsbedingungen, nichtkarten- bzw. personenindividuelle Daten müssen vorgesehen sein, eventuelle Anwendungen spezifischer Ergänzungskommandos, Updates, Patches usw. Wenn dann die Personalisierung stattfindet, also auf den einzelnen Menschen, auf das Individuum, muss die Übernahme dieser Strukturen auf die Karte festgelegt werden. Die kryptographischen Daten zur Verschlüsselung werden festgelegt, die Zuordnung zur Person, die optische und elektronische Personalisierung, optisch z.B. durch Lichtbild. Die Anwendungsdaten des Individuums müssen festgelegt werden, z.B. die Versichertenstammdaten. Dann wird die Karte schließlich freigeschaltet. Hier beginnt eigentlich schon dieser Vertrauensprozess im Sinne des Datenschutzes, dass der Patient mitwirken kann, welche Daten auf seine Karte kommen. Rechte des Versicherten Der Versicherte hat das Recht, Daten seiner eGK (z.B. Rezepte) zu verbergen.
Archivierungsangaben
Das kann z.B. über eService-Terminals geschehen.
Folie 28
Bild 22
Nun das Karten- und Rechtemanagement. Wenn der Patient Herr seiner Daten sein soll, muss er die Möglichkeit haben, die Inhalte der Karte einzusehen (Bild 22). Das sollte z.B. geschehen durch einen Versichertenterminal, das in einer geschützten Umgebung steht, an dem der Patient die Karte einschiebt und dann feststellen kann, was auf der Karte von ihm freigegeben werden soll und was nicht.
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth
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Patienten-Rechte-Management
Archivierungsangaben
•
Patient geht zu einem Touchscreen-PC (Aufstellungsort = überwachte Umgebungen z.B. Arztpraxis, Apotheke) und steckt eGK in das Kartenterminal („eKiosk“)
•
Patient gibt seine PIN.HCA (Health Care Application PIN) ein
•
Es findet eine Authentisierungsprozedur zwischen eGK und SMC.eKiosk statt
•
Patient kann sich bestimmte Inhalte anschauen und Zugriffsrechte auf medizinische Datenobjekte verändern (Activate/Deactivate)
•
Hinweis: Um Erpressbarkeit des Karteninhabers auszuschliessen (Gewalt in der Familie, Offenlegung medizinischer Daten bei Abschluss von Lebensversicherungen oder Einstellung bei Arbeitgeber, …) sollte RechteManagement nur an speziellen Terminals mit SMC.eKiosk in überwachten Umgebungen möglich sein
Folie 29
Bild 23
Das Rechtemanagement (Bild 23) sieht so aus, dass der Patient zu dem eben gezeigten Terminal geht, seine Gesundheitskarte in das Terminal einschiebt, seine PIN für die Health Care Application eingibt. Es findet eine Authentisierungsprozedur zwischen Gesundheitskarte und dem Terminal statt. Der Patient kann sich bestimmte Inhalte anschauen, Zugriffsrechte verändern, und wichtig ist, um die mögliche Erpressbarkeit des Karteninhabers auszuschließen, muss das Kartenterminal, mit dem der Patient seine Karte oder die Berechtigung verändern kann, in einer überwachten Umgebung stattfinden, möglichst beim Arzt, beim Apotheker oder bei einer Kasse.
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Heinz Thielmann
Archivierungsangaben
mögliche Abläufe in der Arztpraxis (1) •
Patient betritt Arztpraxis und meldet sich am Empfang
•
Der Patient übergibt eGK und Arzthelferin prüft, ob Foto zum Patienten paßt
•
Arzthelferin steckt Karte in Kartenterminal
•
Versichertendaten werden aus eGK ausgelesen
•
Prüfung durch Arztpraxis-Sytem in Verbindung mit KK-Datenbank, ob Versichertenverhältnis noch ok (falls Karteninhaber noch versichert und Zuzahlungsstatus stimmt: weiter, sonst Update mit SMC.KK initiieren)
•
eGK wird auf Echtheit durch Security Module Card (SMC.Arztpraxis) geprüft (die SMC ist praktisch die Plug-in-Ausprägung eines Heilberufsausweises und wird durch eine PIN aktiviert)
•
eGK prüft SMC.Arztpraxis und setzt Status „Certificate Holder Authorization of SMC.Arztpraxis successfully presented“ Folie 30
Bild 24
Hier finden Sie jetzt vier Charts mit möglichen Abläufen in der Arztpraxis (Bilder 24, 25, 26, 27): Der Patient betritt die Arztpraxis, meldet sich am Empfang, übergibt die Gesundheitskarte der Arzthelferin, die das Foto des Patienten prüft – das passiert heute mit der Versichertenkarte nicht –, steckt die Karte in das Kartenterminal, es werden die Versichertenstammdaten aus der Karte ausgelesen. Das Arztpraxissystem in Verbindung mit der Krankenkassendatenbank prüft, ob das Versichertenverhältnis noch stimmt. Das geschieht ebenfalls heute nicht. Das kann also hier eine zusätzliche Sicherheitsfunktion darstellen. Die Karte wird auf Echtheit durch die sog. Security Module Card geprüft, und die Verknüpfung Gesundheitskarte mit dieser Module Card setzt den Status dann, wenn alles in Ordnung ist, auf Certificate State Holder, auf Successfully Presented, d.h. von da ab kann der Behandlungsprozess beginnen – ein wesentlich komplexerer, aber hoffentlich handhabbarer Prozess als wir es heute haben.
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth
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Archivierungsangaben
mögliche Abläufe in der Arztpraxis (2) •
Arztpraxis-Software sucht elektronische Patientenakte in lokaler ArztpraxisDatenbank
•
Übernahme aller Daten, auf die die betreffende eGK Zugriff gewährt, z.B. Arzneimitteldokumentation (medizinische Daten nicht für Arzthelferin sichtbar), in das Primärsystem. Weitere Verwendung z.B. Ablage in Patientenakte
•
Logging-Datensatz wird geschrieben (hier ist zu prüfen, ob es nicht ausreicht, einen Logging-Satz pro Arztbesuch bzw. pro „Card-Session“ zu erstellen)
•
eGK wird aus Kartenterminal herausgenommen und verbleibt beim Empfang oder wird an Patient zurückgegeben
•
Patient geht ins Wartezimmer und wird dann später gebeten, sich in den Behandlungsraum X zu begeben
•
Im Behandlungsraum X ist ein PC, der gesperrt und dessen Bildschirm dunkel geschaltet ist, damit der Patient nicht unbefugt sich Zugang verschaffen kann
Folie 31
Bild 25
Die Arztpraxissoftware sucht jetzt die elektronische Patientenakte in der lokalen Praxis. Es kann natürlich später auch der Fall sein, dass diese Patientenakte irgendwo in einer Klinik vorhanden ist, d.h. wo auch immer, wird die Patientenakte geöffnet. Es werden alle Daten bezogen auf die betreffende Gesundheitskarte durch Zugriffsberechtigung geöffnet. Sie sind für die Arzthelferin nicht sichtbar. Es wird ein LogIn Datensatz geschrieben. Die Karte wird aus dem Kartenterminal herausgenommen. Der Patient geht ins Wartezimmer und später in den Behandlungsraum. In dem Behandlungsraum steht ein PC, der zunächst noch gesperrt ist und den nur der Arzt mit seinem Heilberufeausweis öffnen darf.
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Heinz Thielmann
Archivierungsangaben
mögliche Abläufe in der Arztpraxis (3) •
Der Arzt aktiviert PC (z.B. durch Präsentation eines Fingers am Kartenterminal im Behandlungsraum)
•
Auf dem Bildschirm erscheint die elektronische Patientenakte des Patienten, die ihm durch die Arzthelferin bereitgestellt wurde (bei der SIT-Sichtweise sind Kartenterminals für die Nutzung der eGK in den Behandlungsräumen nicht zwingend erforderlich, d.h. der Arzt kann von dem ganzen eGK-Handling weitgehend entlastet werden!)
•
Arzt führt Behandlung durch
•
Arzt erstellt z.B. elektronischen Notfalldatensatz aus und signiert diesen mit seiner HPC (Notfalldatensatz wird in elektronische Patientenakte eingetragen, aber noch nicht in eGK)
•
Arzt stellt nun ein eRezept aus (automatische Prüfung der Verträglichkeit der Medikamente mit Hilfe der im Primärsystem verfügbaren Infos zu bisheriger Medikation und patientenindividuellen Risiken) und signiert es
•
Signiertes Rezept wird in elektronische Patientenakte eingetragen, aber noch nicht in eGK Folie 32
Bild 26
Jetzt aktiviert der Arzt den PC, z.B. durch biometrische Verfahren, durch Präsentation seines Fingers am Kartenterminal. Es erscheint dann für ihn sichtbar die elektronische Patientenakte. Er führt die Behandlung durch. Der Arzt erstellt z.B. einen Notfalldatensatz und signiert diesen mit seinem Heilberufeausweis. Also, hier ist HPC, Health Professional Card, gleich Heilberufeausweis. Er erstellt nun ein Rezept, prüft auf Verträglichkeit – das passiert heute auch nicht –, und er signiert dieses Rezept in der elektronischen Patientenakte, aber es wird noch nicht auf die Gesundheitskarte übertragen.
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth
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Archivierungsangaben
mögliche Abläufe in der Arztpraxis (4) •
Arzt verabschiedet Patient, der sich zum Empfang begibt
•
Arzthelferin steckt eGK wieder ins Kartenterminal
•
Nach gegenseitiger Authentisierung zwischen eGK und SMC.Arztpraxis erscheint administrativer Teil der elektronischen Patientenakte des Patienten (damit Sicherstellung der Eintragung der richtigen Daten in die richtige eGK)
•
Notfalldatensatz und elektronisches Rezept werden in die eGK eingetragen
•
Logging-Datensatz wird geschrieben
•
Die Rezept-Begleit-Info wird ausgedruckt und zusammen mit der eGK dem Patienten übergeben
•
Patient verläßt Arztpraxis und begibt sich üblicherweise direkt zur Apotheke und löst Rezept ein. Folie 33
Bild 27
Im nächsten Schritt verabschiedet der Arzt den Patienten. Der Patient geht zur Arzthelferin. Sie schiebt wieder die Karte in das Kartenterminal. Nach gegenseitiger Authentisierung zwischen Kartenterminal und dieser Berechtigungskarte in der Arztpraxis wird der administrative Teil sichtbar. Die Arzthelferin stellt die Eintragung der richtigen Daten in die richtige Gesundheitskarte sicher. Der Notfalldatensatz wird in die Karte eingetragen. Es wird wieder ein LogIn Datensatz erstellt. Es wird die Rezeptbegleitinformation einmal in Papier ausgedruckt, aber auch auf der Karte gespeichert. Mit dieser Karte geht dann der Patient zur Apotheke. Das ist ein möglicher Ablauf, über den wir zurzeit noch in Details diskutieren mit der Rezeptverwaltung, über die sog. Use Cases, und wie die praktische Handhabung am optimalsten ist. Sie haben gestern auch über die verschiedenen Testregionen, Testaktivitäten gehört, die demnächst stattfinden sollen. All diese Handhabungen müssen natürlich erprobt und getestet werden. Da werden wir eine intensive Lernkurve haben. Es wird unterschiedliche Erfahrungen in der Handhabung geben, die auch dann noch einmal diese Abläufe korrigiert. Wichtig ist aber, dass wir jetzt in dieser Spezifikation der Lösungsarchitektur alle Veränderungsmöglichkeiten so vorsehen, dass, wir nicht plötzlich nach einem halben Jahr oder später beginnen, die gesamte Struktur und die gesamte Spezifikation wieder zu ändern.
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Heinz Thielmann
Ich will noch kurz auf die zentralen und dezentralen Dienste eingehen. Ich hatte vorhin dieses Bild schon gezeigt (Bild 15). Sie sehen wieder auf der linken Seite die dezentralen Dienste, in denen überall Sicherheitsfunktionalitäten vorzusehen sind. Sie sehen wieder auf der rechten Seite die zentralen Dienste und Funktionen, in denen ebenfalls überall diese Sicherheitsvorkehrungen im Kartenmanagement in der Handhabung getroffen werden müssen. Zum Schluss gehe ich noch kurz ein auf die aktuellen Aufgaben in der Spezifikation der Lösungsarchitektur. Sie wissen, wir sind zurzeit in diesem gesamten Projekt als Fraunhofer Gesellschaft mit Selbstverwaltung, Gesundheitsministerium und Industrie tätig. Es ist vorgesehen, dass wir am 14. März, in der zweiten Hälfte der CeBIT, die Dokumentation für die Lösungsarchitektur an Ministerin Ulla Schmidt übergeben. Es wird danach eine Phase von vier bis sechs Wochen stattfinden, wo diese Ergebnisse von der Gematik, dieser gestern schon erwähnten Betriebsgesellschaft der Selbstverwaltung, übernommen und geprüft werden auf Umsetzbarkeit, denn letzten Endes sollen aus diesen Informationen ausschreibungsfähige Unterlagen entstehen, so dass die Industrie nach dieser Phase – ich gehe da von April, Mai aus – von der Selbstverwaltung aufgefordert werden kann, ihre Komponenten für die Testphase noch in diesem Jahr zu liefern und im nächsten Jahr für das Roll-out. Fachanwendungen Konkrete IT Spezifikation der Fachanwendungen mit speziellen Fokus auf Versichertenstammdaten, eRezept, eVerordnung und Zugriffsrechte
Archivierungsangaben
- Auf Basis der fachlichen Geschäftsprozessdefinition und des fachlichen Informationsmodells werden die IT Spezifikationen für die Fachanwendungen erstellt - Ergebnisse: x Detaillierte Beschreibung der relevanten Use Cases (Sequenzdiagramme) undFestlegung der Fehlerfälle x Festlegung der Testfälle und des Testplans x Detaillierte Beschreibung der Sicherheitsmechanismen
Folie 39
Bild 28
Welche aktuellen Aufgaben liegen hier vor? (Bild 28) Zunächst einmal haben wir eine Bestandsaufnahem der sog. Fachanwendungen gemacht, auch bekannt unter dem Namen Use Cases, also wie sind die wirklichen Abläufe in der Arztpraxis, in der Apotheke, in der Klinik? Das beginnt mit der konkreten IT-Spezifikation der
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth
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Fachanwendungen mit speziellem Fokus auf Versichertenstammdaten, elektronisches Rezept, Verordnungen, Zugriffsrechte. Auf Basis dieser fachlichen Geschäftsprozessdefinition und des fachlichen Informationsmodells werden dann die Spezifikationen für die Fachanwendungen erstellt. Ergebnisse sind detaillierte Beschreibungen dieser Use Cases in Form von Sequenzdiagrammen der Testfälle und des Testplans, und dabei auch die detaillierte Beschreibung der Sicherheitsmechanismen wie ich sie teilweise beschrieben habe.
Connector Primärsysteme Spezifikation des Connectors mit speziellen Fokus auf x Komponenten des Connectors
Archivierungsangaben
x Sicherheitsanforderungen und nicht funktionale Anforderungen x Testplan und Zertifizierungsplan (Einbindung der CC) x Abstimmung der Dienstschnittstellen zu Primärsystemen, Systemmanagementschnittstelle und Schnittstelle zu zentralen Diensten x konkrete Spezifikation des Karten-API (KT-API) Folie 40
Bild 29
Für den Connector zu den Primärsystemen (Bild 29) ist ebenfalls die Spezifikation notwendig und ist weitgehend erarbeitet mit den Komponenten des Connectors, auch hier wieder mit den Sicherheitsanforderungen und dem Zertifizierungsplan.
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Heinz Thielmann
Kartenterminal Spezifikation des Kartenterminals mit speziellen Fokus auf x Komponenten (PIN-Pad, Netzanbindung, ....) x Sicherheitsanforderungen und nicht funktionale Anforderungen x Testplan und Zertifizierungsplan (Einbindung der CC)
Archivierungsangaben
x Abstimmung der Dienstschnittstelle zu Connector
Folie 41
Bild 30
Das Gleiche gilt für das Kartenterminal (Bild 30). Da fängt ja die Sicherheitsproblematik an und auch die vertrauensbildende Funktion; für die Kartenspezifikation und für den Heilberufeausweis ähnlich. Und schließlich für die zentralen Dienste, für die Sicherheitsdienste, Verzeichnisdienste usw. sind hier beschriebene einzelne Sicherheitsmaßnahmen, Sicherheitsfunktionalitäten einzubauen. Was wir im Moment bearbeiten, ist die Spezifikation dafür mit dem Hintergrund des Wissens, wie eine Public Key Infrastruktur funktioniert, welche Schlüsselverfahren und welche Signaturverfahren angewendet werden sollen. Qualifizierte Signatur, was muss für spätere Zwecke vorgesehen werden? Ich denke, sie können davon ausgehen, dass genügend Experten seitens Fraunhofer, seitens Industrie und Selbstverwaltung vorhanden sind, die sich mit den Sicherheitsdetails auskennen und diese auf die Karte, die zentralen Server usw. bringen.
15 Datenschutz und Datensicherheit – Kritische Erfolgsfaktoren für eHealth
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Fazit: Datenschutz und Datensicherheit
Archivierungsangaben
sind technisch machbar Die Handhabbarkeit ist der Schlüssel zur Akzeptanz Folie 44
Bild 31
Damit bin ich am Ende meines Vortrages (Bild 31). Datenschutz und Datensicherheit sind technisch machbar. Das habe ich Ihnen hoffentlich mit einigen Ansätzen zeigen können. Das Thema heißt ja „Kritischer Erfolgsfaktor für eHealth“. Das Wichtige ist, dass wir bei allem, was wir technisch realisieren, die Handhabbarkeit im Auge haben, denn das ist der Schlüssel für die Akzeptanz. Wenn wir zu komplexe Lösungen mit einer schlechten Handhabung einbauen, dann wird auch hier neben anderen Faktoren die Akzeptanz erheblich darunter leiden.
16 Prozessoptimierung durch moderne Krankenhaus-Informations- und Workflowsysteme Prof. Dr. Hans-Ulrich Prokosch Universitätsklinikum Erlangen Nach den beiden ersten Vorträgen, die viele Probleme eher von der technischen Seite her beleuchtet haben, möchte ich die Sicht auf die Prozesse im Krankenhaus, aber auch über die Krankenhausgrenzen hinweg, in einem sektorübergreifenden Gesundheitssystem in den Vordergrund meines Vortrags stellen. Wenn wir über die elektronische Patientenakte oder elektronische Krankenakte u. ä. reden, sollten wir uns immer vor Augen führen, wie so etwas entsteht, wie überhaupt im normalen Tagesablauf die traditionelle Akte entsteht und dass die traditionelle Papierakte absolut kein Selbstzweck ist, sondern wirklich nur ein Nebeneffekt ärztlichen Handelns. Das Entstehen einer solchen Akte in der klinischen Praxis ist ein sehr komplexer und ein dynamischer Prozess, der dadurch geprägt ist, dass unterschiedliche Berufsgruppen und unterschiedliche Personen im Krankenhaus zusammenarbeiten, um eine bestmögliche medizinische Versorgung im Rahmen der Diagnostik und der Therapie zu gewährleisten. Aufgrund der Tatsache, dass dabei natürlich alle Handlungen dokumentiert werden müssen, entsteht schrittweise die Krankenakte des Patienten. Das heißt aber, dass kein Arzt im Krankenhaus das primäre Ziel verfolgt, eine Krankenakte zu führen, sondern dass das primäre Ziel aller Ärzte darin besteht, Patienten zu behandeln. Das wird leider viel zu sehr ignoriert. Wenn man dies nun überträgt auf die elektronische Krankenakte, so muss man sich darüber klar werden, dass auch eine solche elektronische Krankenakte kein Selbstzweck sein sollte, sondern dass sie als Nebeneffekt entsteht, wenn man mit IT-Werkzeugen im Krankenhaus die Kommunikation zwischen Krankenhausbereichen elektronisch möglichst gut unterstützt und wenn dadurch die Durchführung aller diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen in einer einheitlichen Struktur dokumentiert werden. Wenn mich also ein Arzt fragt, worauf man achten sollte, wenn man eine Elektronische Krankenakte kaufen will, dann antworte ich, dass man sich eigentlich nie eine elektronische Krankenakte als solches kaufen solle. Sie gehen ja auch nicht als Arzt in den Laden und kaufen sich eine Papierakte. Warum wollen Sie sich eine elektronische Krankenakte kaufen? Kaufen Sie sich auch kein Krankenhausinformationssystem; die Begriffsvielfalt, die da missbraucht wird, ist sehr groß. Das, was die
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Hans-Ulrich Prokosch
meisten Anbieter Ihnen unter diesem Namen anbieten, ist zunächst sowieso nur die reine Patientendatenverwaltung und die Abrechnung. Achten Sie auf die Details, die sich hinter diesen Schlagworten verstecken. Schauen Sie sich die Werkzeuge genau an. Ich möchte Ihnen im Folgenden anhand einiger Beispiele vorstellen, worauf man wirklich achten sollte, wenn man IT-Systeme für das Krankenhaus kaufen will. Kaufen Sie IT-Werkzeuge, die wirklich Ihre klinischen Arbeitsprozesse sowie die interdisziplinäre Kooperation und Kommunikation in Ihrem Haus möglichst gut unterstützen. Halten Sie Ausschau nach IT-Systemen, die wirklich gut geeignet sind, die klinische Dokumentation unmittelbar aus dem Prozessablauf heraus möglichst gut zu unterstützen. Und achten Sie heute auch schon darauf, dass ein System nicht nur begrenzt ist auf die eine Institution, sondern dass Prozesse auch im integrierten Versorgungsbereich über Sektorgrenzen hinweg unterstützt werden können. Was heißt das jetzt im Detail? Wir brauchen zukünftig keine klinischen IT-Systeme mehr zur Unterstützung der medizinischen Dokumentation, mit denen man im Stile der Microsoft Office Produkte arbeiten muss; bei denen man genau wissen muss, hinter welchem Menü bzw. Untermenü sich eine ganz bestimmte Dokumentationsmaske befindet. Es kann nicht sein, dass sich Anwender zum Aufruf einer Dokumentationsfunktion jedes mal durch mehrstufige Menüstrukturen durchhangeln und genau wissen müssen, unter welchem Menüpunkt man etwas findet. Nein – Dokumentation muss als Abfallprodukt entstehen. Man muss dazu in der Lage sein Behandlungsabläufe in einem EDV-System zu hinterlegen, und die medizinische Dokumentation durch einfaches „Wandern“ entlang eines solchen Pfades zu erledigen. Benötigt werden somit Modellierungswerkzeuge, mit denen z.B. klinische Behandlungspfade, die mehr und mehr in den Krankenhäusern definiert werden, auch im IT-System modelliert werden können. Solche einmal modellierten klinischen Behandlungspfade sollten dann automatisch mit den Werkzeugen dieses ITSystems in Dokumentationsabläufe umgesetzt werden können. Innerhalb der verschiedenen Schritte durch einen solchen klinischen Behandlungspfad werden typischerweise schon eine Vielzahl von klinischen Fakten dokumentiert, die an späteren Entscheidungsknoten wieder relevant werden. Kommt man nun an einen solchen Entscheidungsknoten, dann müssen alle Daten, die für die Entscheidung zwischen weiteren Behandlungsschritten benötigt werden, z.B. im Sinne von Checklisten für eine OP-Indikation, auch an diesem Entscheidungsknoten wieder automatisch aus der Datenbank abgerufen werden können, um dem Anwender bereits einen daraus abgeleiteten Vorschlag für die weitere Vorgehensweise geben zu können. Es macht keinen Sinn, wenn ein EDV-System an einem solchen Entscheidungspunkt zwar auf alle Fakten aufmerksam macht, die für diese Entscheidung wichtig sind, es aber dann dem Arzt überlässt, diese Daten wieder mit viel Mühe aus der Datenbank abzurufen, um dann seine Entscheidung zu treffen. Etwas derartiges sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein; aber schauen Sie sich die Mehrzahl der Produkte an – das ist es leider heute noch nicht.
16 Prozessoptimierung durch Krankenhaus-Informations- und Workflowsysteme
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Auf den folgenden Folien möchte ich dies nur kurz am Beispiel eines „fiktiven“ urologischen Behandlungspfades illustrieren. Der typische Einstieg in einen solchen Behandlungspfad ist die Anmeldung eines Patienten am Aufnahmestützpunkt einer Klinik, die administrative Aufnahme – auch hier werden schon erste Daten erfasst – muss in die Datenbank einfließen (Bild 1, Bild 2). Nach diesem ersten Schritt kommt man zum Anlegen der Akte und vielleicht zur ersten ambulanten Arztvorstellung. Im Gespräch mit dem Patienten werden anamnestische Daten erhoben und dokumentiert. Auch die Befunde der anschließenden körperlichen Untersuchung werden hoffentlich entsprechend elektronisch dokumentiert und fließen somit in die elektronische Patientendatenbank ein.
Bild 1
Es schließen sich nun weitergehende diagnostische Verfahren an: es wird z.B. ein Uroflow durchgeführt, Messwerte werden bestimmt. Im Klinisch-chemischen Labor wird eine Urinprobe untersucht, um den Urinstatus zu bestimmen. All das fließt in die Datenbank ein. Als Bild gebendes Verfahren kommt z.B. auch noch eine Urosonographie zum Einsatz. Viele Personen aus sehr unterschiedlichen Bereichen des Krankenhauses tragen also dazu bei, dass die elektronische Akte des Patienten schrittweise gefüllt wird. Ziel muss es nun sein, dass diese Daten, im Folgeprozess an jeder Stelle des Krankenhauses an der sie wieder benötigt werden, in unterschiedlichen, den jeweiligen Fragestellungen angepassten Sichten, wieder präsentiert werden können. Darüber hinaus kann man aber auch erwarten, dass im Hintergrund
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Hans-Ulrich Prokosch
diese Daten so zusammengeführt werden, dass an einer Stelle, an der eine Entscheidung getroffen werden muss – in unserem Beispiel etwa die Entscheidung, ob eine Operation indiziert ist, und wenn ja, welche – das System entsprechende Scores oder Checklisten aus den in der Datenbank befindlichen Fakten selbständig errechnet bzw. prüft und dem Anwender einen Entscheidungsvorschlag unterbreitet.
Bild 2
Man beachte, dass dies immer nur ein Entscheidungsvorschlag sein darf, und keine starre Handlungsvorgabe. Die endgültige Entscheidung hat natürlich der Arzt, aber er hat dazu alle notwendigen Informationen elektronisch vor sich. Arbeitslisten sind in den verschiedensten EDV-Systemen oft der erste Schritt hin zur Workflow-Unterstützung. Dazu muss man sich vor Augen halten, dass der Arzt in der Praxis auch heute mit Papier ständig mit irgendwelchen Arbeitslisten hantiert. Wäschekörbe mit Akten von entlassenen Patienten für die noch Arztbriefe zu schreiben sind, sind nur ein Beispiel solcher alltäglicher Arbeitslisten. Auch der Stapel von Akten im Regal stellt eine Art Liste dar (Bild 3).
16 Prozessoptimierung durch Krankenhaus-Informations- und Workflowsysteme
Prozessoptimierung durch moderne Krankenhaus-Informations- und -Workflowsysteme ::
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Seite 17
Sichten des klinischen Anwenders
Prof. Dr. H.U. Prokosch
Lehrstuhl für Medizinische Informatik
Bild 3
Und der Visitenwagen auf Station (Bild 4) ist eine andere Variante einer traditionellen Arbeitsliste (nämlich der Zugriff auf die Daten aller Patienten einer Station). Prozessoptimierung durch moderne Krankenhaus-Informations- und -Workflowsysteme ::
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Sichten des klinischen Anwenders
Prof. Dr. H.U. Prokosch
Bild 4
Lehrstuhl für Medizinische Informatik
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Hans-Ulrich Prokosch
Wenn wir derartige alltägliche Abläufe durch EDV-Systeme unterstützen wollen, so ist es wichtig, die Vielzahl der – vom jeweiligen Arbeitsumfeld abhängigen „Arbeitslisten“ genau zu analysieren und dafür elektronische Pendants bereit zu stellen; Beispiele hierfür sind: • in einer Ambulanz, die Arbeitsliste aller für einen Vormittag zur Untersuchung einbestellten Patienten auf Station, die Liste aller aktuell aufgenommenen Patienten – eventuell auch grafisch aufbereitet. • im Arztzimmer, die Liste aller entlassenen Patienten für die noch Arztbriefe zu erstellen sind oder für die noch die Dokumentation der DRG-relevanten Diagnosen aussteht. • in einem Funktionsbereich, Listen mit allen zur Untersuchung angemeldeten Patienten, bzw. • am Befundungs-Arbeitsplatz, Arbeitslisten mit allen bereits untersuchten Patienten, für die der Befund noch geschrieben werden muss. Sie sehen: es gibt sehr viele solcher Listen und ein gutes klinisches Arbeitsplatzsystem sollte als Einstieg in eine Workflow-Unterstützung den „Fluss“ eines Patienten, z.B. in den verschiedenen Phasen einer Auftragskommunikation durch entsprechend konfigurierbare Arbeitslisten optimal unterstützen können. Als weiteren Schritt zur Unterstützung des klinischen Personals sind viele Details in der Gestaltung solcher Arbeitslisten von Bedeutung. Ist es möglich, durch einfache Symbole entscheidungsrelevante Hinweise so darzustellen, dass sie auf den ersten Blick wahrgenommen werden? Im folgenden Screenshot (Bild 5), sieht man eine Stationsliste in der z.B. der Hinweis auf neue Befunde aus Funktionsbereichen, die auf Station noch niemand angesehen hat, durch ein kleines türkises Kästchen gegeben wird.
16 Prozessoptimierung durch Krankenhaus-Informations- und Workflowsysteme
Prozessoptimierung durch moderne Krankenhaus-Informations- und -Workflowsysteme ::
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Seite 19
Der „Arbeitsplatz“ des Stationsarztes
Arbeitslisten mit allen neuen Befunden oder Erinnerungen
Ŷ „Kritische“ Befunde (gestern und heute) vorhanden
Direkter Aufruf der Patientenakte
Ŷ Aktuelle Befunde vorhanden (Zeitraum ist einstellbar)
Prof. Dr. H.U. Prokosch
Lehrstuhl für Medizinische Informatik
Bild 5
Sind diese neuen Befunde kritisch, weil sie z.B. außerhalb von Normbereichen liegen bzw. einen pathologischen Zustand beschreiben, der eine schnelle therapeutische Aktion erfordert, so erscheint hinter dem jeweiligen Patienten ein rotes Kästchen. Hiermit erhält der Arzt schon bei dem ersten Blick auf seine Stationsliste, offensichtliche Hinweise, für welche Patienten er unmittelbar dringend die neuen Befunde ansehen sollte. Durch Anklicken des Aktensymbols in der entsprechenden Patientenzeile kann man nun direkt in die Akte des Patienten im Detail hineingehen und sich so nacheinander alle einzelnen Patientenakten ansehen. Allerdings ist hierzu jedes Mal der Weg aus einer Akte heraus auf die Patientenliste zurück und in die Akte des nächsten Patienten hinein notwendig. Eine Reihe von Klicks, die in kritischen Situationen unter Zeitdruck schon zu viele sein können. Man muss sich darüber bewusst sein, dass jeder Klick im Alltag eines Arztes Verschwendung ist. Der will nämlich nicht klicken, sondern mit dem Patienten arbeiten. Die Bildschirmmasken eines Prozesssteuerungssystems sollten deshalb so gestaltet sein, dass man möglichst gut und effizient und mit wenigen Mausklicks arbeiten kann und direkt zu den jeweils benötigten Daten kommt.
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Hans-Ulrich Prokosch
Deshalb enthält die folgende Bildschirmmaske in der linken Hälfte als Beispiel weitere Arbeitslisten (Bild 6), die genau auf diese Fragestellung eingehen. Stellen Sie sich das folgende Szenario vor: Ein Arzt kommt aus dem OP nachmittags zurück auf Station. Er möchte nun sehr schnell feststellen können, für welche Patienten auf Station von den vormittags angeforderten Untersuchungen schon die Befunde rückgemeldet wurden, und ob dabei kritische Werte vorliegen. Er hat natürlich rechts durch die türkisen Kästchen schon einen ersten Überblick, aber anstatt jetzt jede Akte einzeln aufmachen zu müssen, kann er in der Arbeitsliste „Neue Befunde“ durch einen Klick eine Liste aller Patienten sehen, für die neue Befunde eingetroffen sind, die noch kein Arzt gesehen und abgezeichnet hat. Durch einen Haken hinter dem jeweiligen Patienten oder den einzelnen Werten kann er sein Zeichen setzen und sagen: ich habe die neuen Werte gesehen, jetzt fliegen sie aus dieser Arbeitsliste raus; in der Datenbank, in der Akte, sind sie natürlich weiterhin enthalten. Prozessoptimierung durch moderne Krankenhaus-Informations- und -Workflowsysteme ::
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Bearbeiten der Arbeitsliste
Abzeichnen aller markierten neuen Befunde.
Prof. Dr. H.U. Prokosch
Lehrstuhl für Medizinische Informatik
Bild 6
Dies ist also ein weiterer Ansatz, mit dem man das Arbeiten in der Klinik beschleunigen kann. Während die bisherigen Beispiele darauf abzielten, die Entscheidungen des Arztes dadurch zu unterstützen, dass ihm ein EDV-System die Inhalte der elektronischen
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Krankenakte möglichst effizient, übersichtlich, schnell und situationsgerecht präsentiert, gibt es weitere Möglichkeiten, die zum Teil auf sehr alten Konzepten und Überlegungen aufsetzen. Elektronische Entscheidungsunterstützung und elektronisches Entscheidungsmonitoring, z.B. in Form von Erinnerungsfunktionen, sind Konzepte, die bereits vor drei Dekaden mit den ersten Entwicklungen z.B. des HELP-Systems in Salt Lake City oder des RMRS in Indianapolis als integrierte Funktionen von Krankenhausinformationssystemen zum Einsatz kamen und deren erfolgreiche Anwendung zum Zwecke der Verbesserung der Prozessqualität, zur Reduktion von Behandlungskosten und zur Vermeidung von Behandlungsfehlern eingesetzt wurden. In Deutschland war Prof. Dudeck in Gießen einer der frühen Verfechter dieser Konzepte. Waren solche Konzepte aber bisher fast vollständig auf proprietäre Eigenentwicklungen einzelner Universitätsklinika beschränkt, so findet man heute auch in Deutschland kommerzielle Produkte, in denen regelbasierte Erinnerungsfunktionen zum Einsatz kommen. In Kombination mit den ebenfalls nun immer mehr verfügbaren Funktionalitäten einer elektronischen Prozessunterstützung sowie dem gleichzeitigen zunehmenden Einsatz mobiler Geräte lassen sich dadurch ganz neue Ansätze einer elektronischen Wissensverarbeitung umsetzen. Bei der Konzeption solcher neuer Unterstützungsfunktionen sollte man sich allerdings einige Erkenntnisse Medizinischer Informatiker zu Eigen machen. Aus dem über viele Jahre hinweg gewonnen reichen Erfahrungsschatz der Medizinischen Informatik möchte ich hier nur zwei Aussagen zitieren: „Very few physicians have idle time …“; und sollten Sie doch einmal etwas mehr Zeit haben, dann möchten Sie diese bestimmt nicht mit Dateneingabe an einem Computer verbringen. Das Problem der Dateneingabe wird durch das zweite Zitat noch deutlicher betont: „Physicians can not imagine typing in all that data …“ Wie kann man also EDV-Systeme so konzipieren und parametrieren, dass sie Ärzte tatsächlich in ihren Arbeitsabläufen unterstützen und nicht eher behindern? Dazu sollte man zwei Prämissen grundsätzlich beachten: Da ein Arzt nicht kontinuierlich am PC-Arbeitsplatz sitzt, muss man sich andere weitergehende Konzepte überlegen, wenn man ihn dringend und zeitkritisch auf Patientenprobleme hinweisen möchte. Wie also kann man den Arzt tatsächlich erreichen? Wenn ich den Arzt auf Probleme hingewiesen oder an durchzuführende Aktivitäten erinnert habe, wie kann ich ihm die dazu notwendigen EDV-basierten Folgeschritte (z.B. einer Auftragskommunikation oder einer medizinischen Dokumentation – u.a. zur Anpassung einer Medikamententherapie) möglichst einfach machen? Ich möchte dies beispielhaft an einem kleinen klinischen Szenario illustrieren, welches wir im Erlanger Universitätsklinikum zur Zeit pilotieren. Es geht hierbei um den schnellen Hinweis des Arztes auf im Klinisch-Chemischen Labor bestimmte kritische Laborwerte (z.B. Kalium < 3, etc.). Ohne EDV-Unterstützung erfordert das
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Hans-Ulrich Prokosch
Erkennen eines solchen kritischen Wertes im Zentrallabor heute das Anrufen auf der Station, um den Arzt schnell und direkt zu informieren. Wenn der Telefonanschluss auf Station aber besetzt ist, kann dies auch das mehrmalige wiederholte Greifen zum Telefonhörer und damit über einen Arbeitstag hinweg den Verlust vieler Minuten bedeuten. Prozessoptimierung durch moderne Krankenhaus-Informations- und -Workflowsysteme ::
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Arden Syntax: Ein Beispiel MLM: Knowledge Slot Beispiel aus dem Aktions-Slot der Arden-Syntax, mit dem bewirkt werden soll, dass der Anwender über ein Patientenproblem informiert werden soll action:
send
„Caution: patient´s relative granulocytopenia may be“ „exacerbated by trimethoprim/sulfamethoxazole.“
||
to user;; end:
Aber: Wie erreiche ich den „User“ ? Prof. Dr. H.U. Prokosch
Lehrstuhl für Medizinische Informatik
Bild 7
Derartige Regeln (z.B. „Warne den Arzt, falls der Kalium-Wert unter 3 fällt“) lassen sich z.B. durch die sogenannte Arden-Syntax repräsentieren (Bild 7). Ein kleines unscheinbares Detail, dieser oben dargestellten Syntax illustriert anschaulich, das oft auftretende Missverständnis zwischen Programmierer und Arzt. Die obige Syntax besagt explizit, dass eine Warnungsmeldung, im Falle eines identifizierten Problems unmittelbar an den Arzt „geschickt“ (=„send to user“) werden soll. Was aber wird im zugrunde liegenden EDV-System typischerweise statt dessen gemacht? Die Nachricht wird nicht in irgendeiner Form „verschickt“ (und schon gar nicht an den Arzt), sondern in ein entsprechendes Feld der Patientendatenbank geschrieben (also nicht „send to user“ sondern eher „store to database“). Aber befindet sich denn der Arzt in der Datenbank? Sicherlich nicht! Natürlich gibt es dann andere Programme, die diese Nachricht, dann (wenn Sie vom Arzt gestartet werden) auch wieder auf einen Papierausdruck bringen oder in unterschiedlichen Varianten am Bildschirm präsentieren können. Aber so etwas bedingt natürlich, dass der Arzt dazu zunächst von sich aus aktiv an den Rechner geht und bewusst nach
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neuen Ergebnissen und Erkenntnissen für seine Patienten am Rechner sucht. Im Falle wirklich zeitkritischer Meldungen kann dies aber schon zu spät sein, und dann hätte die MTA im Labor doch besser oft genug zum Telefonhörer gegriffen, und versucht, den Arzt telefonisch zu erreichen. In unserer Erlanger Pilotierung soll es tatsächlich darum gehen, sowohl das Personal im Klinisch-Chemischen Labor als auch auf der Station vom zeitaufwendigen Telefonieren im Falle kritischer Laborwerte zu entlasten und statt dessen Warnungs- und Eskalationsfunktionen im Rahmen des dafür pilotierten klinischen Prozesssteuerungssystems Soarian TM einzusetzen. Prozessoptimierung durch moderne Krankenhaus-Informations- und -Workflowsysteme ::
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Erzeugen von Warnhinweisen / Erinnerungen Kritischer Laborwert
Benachrichtigung
Pflege Arzt
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Bild 8
Die Umsetzung solcher Warnhinweise innerhalb von Soarian ist nun auf verschiedenen Ebenen möglich. Laborwerte werden über den bei uns eingesetzten Kommunikationsserver aus dem Labor-EDV-System an Soarian übermittelt. Aufgrund entsprechend in der Arden-Syntax definierter Regeln, werden diese Laborresultate unmittelbar nach Speicherung in der Datenbank überprüft, kritische Werte erzeugen die Speicherung einer Warnmeldung in der elektronischen Krankenakte (Bild 8). Die erste Variante in der ein solcher Hinweis dam Arzt nun präsentiert wird, ist die sogenannte 72-Stunden Zusammenfassung (in der zu einem Patienten – frei parametrierbar – alle wesentlichen und entscheidungsrelevanten Befunde und Erkennt-
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nisse der letzten 72 Stunden zusammengefasst werden). Mit einem einzigen Klick auf den Patienten aus der Stationsliste heraus wird diese Zusammenfassung angezeigt. Aus den Normbereichen abweichende Befunde werden in dieser Übersicht rot markiert und sind dadurch leicht erkennbar (Bild 9). Prozessoptimierung durch moderne Krankenhaus-Informations- und -Workflowsysteme ::
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Anzeige des kritischen Kaliumwertes
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Bild 9
In obigem Beispiel kann man – rot hervorgehoben – relativ schnell erkennen, dass der Kaliumwert mit 6 stark überhöht ist. Was aber, wenn der Arzt nicht regelmäßig genau diese 72-Stunden-Zusammenfassung aufruft? Was wenn der Arzt auch nicht die Zeit findet, regelmäßig in die vollständige elektronische Krankenakte des Patienten zu schauen, in der dieser erhöhte Wert natürlich auch rot markiert ist? Dann ist eine solche Warnung nichts anderes als ein Eintrag in der Datenbank, der seinen eigentlichen Adressaten aber nicht – oder zumindest zu spät – erreicht. Aus diesem Grund wurde in Soarian eine zusätzliche Variante einer Arbeitsliste definiert, in der alle kritischen Warnungen, die als Ergebnis regelbasierter Erinnerungsfunktionen erkannt und in der Datenbank gespeichert wurden, patientenübergreifend in einer Hinweisliste zusammengestellt sind. Haben die Ärzte die Bedeutung dieser Hinweislisten erst einmal verinnerlicht, so erhofft man sich, dass sie, wenn sie an den PC-Arbeitsplatz kommen, zumindest als erstes prüfen, ob in dieser Hinweisliste Einträge vorhanden sind. Derartige Arbeitslisten befinden sich, wie
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bereits erwähnt, in der linken Bildschirmhälfte. Die folgende Abbildung (Bild 10) zeigt eine solche Hinweisliste aufgeklappt. Prozessoptimierung durch moderne Krankenhaus-Informations- und -Workflowsysteme ::
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Anzeige des kritischen Kaliumwertes
Beispiel eines Warnhinweises: Wie kann ich man dem Arzt nun die Umsetzung von möglichen Handlungschritten so einfach wie möglich machen ?
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Bild 10
Hat ein Arzt diese Meldung gesehen, so stellt sich die Frage, welche Aktivitäten er als Folge daraus einleitet und wie er diese im Klinischen Arbeitsplatzsystem am einfachsten umsetzen kann. Im obigen Beispiel, wäre es denkbar, dass der Arzt weitere Details (z.B. die vollständige Übersicht der Laborwerte des Patienten) ansehen möchte, dass der Arzt die Bestimmung des Kalium-Werts zur Verifikation sicherheitshalber noch einmal anordnen möchte, oder dass der Arzt aufgrund der Warnung erkennt, dass er die Dosis eines verordneten Lasix-Präparats anpassen muss. Für all diese Optionen gibt es normalerweise entsprechende Funktionen innerhalb eines klinischen Arbeitsplatzsystems und meistens muss nun der Arzt das entsprechende Funktionsmenü aufrufen, um die jeweilige Aktivität am Rechner durchzuführen. Meist muss man sich dazu durch verschieden tief geschachtelte Menüs durchhangeln, um nach mehreren Mausklicks endlich an der richtigen Stelle zu landen. Will man dem Arzt aber die Durchführung eines der möglichen Handlungsalternativen so einfach wie möglich gestalten, so könnte man ihm z.B. genau diese drei möglichen Varianten unmittelbar hinter dem Hinweis auf den zu hohen Kalium-
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Wert vorschlagen, so dass er nur noch entscheiden muss, welche dieser Alternativen er durchführen möchte, und diese dann mit einem einzigen Mausklick anstoßen. Prozessoptimierung durch moderne Krankenhaus-Informations- und -Workflowsysteme ::
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Anzeige des kritischen Kaliumwertes dynamisch generierbare „Funktionsaufrufe“
Dosis anpassen
Einfaches und schnelles Umsetzen vorgeschlagener Handlungsschritte !
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Bild 11
Die beispielhafte Umsetzung hierzu, so wie wir sie im Erlanger Universitätsklinikum parametriert haben, ist in obiger Abbildung (Bild 11) dargestellt. Mit einem einzigen Mausklick kann der Arzt nun, ohne langes Suchen des Funktionsaufrufs in Menübäumen, die gewünschte Aktivität anstoßen. Eine wesentlich Voraussetzung für eine solche einfache Unterstützung des Arztes, ist, dass ein Klinisches Prozesssteuerungssystem in der Lage sein muss, bestimmte Funktionsaufrufe nicht nur statisch an bestimmten Stellen in Menübäumen hinterlegt zu haben, sondern das diese auch dynamisch und kontextabhängig generiert werden können. Entscheidet er sich z.B. dafür eine erneute Kaliumbestimmung anzufordern, so kann dies in der entsprechenden Labor-Anforderungsmaske bereits vorbelegt sein, so dass der Untersuchungsauftrag mit nur einem weiteren Klick schon fertig gestellt und an das Laborsystem abgeschickt werden kann. Gleichzeitig wird der Hinweis auf den zu hohen Kaliumwert, den der Arzt nun ja gesehen und auch schon entsprechend reagiert hat, aus der Hinweisliste gelöscht. Dies ist in der nachfolgenden Abbildung (Bild 12) illustriert.
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Anordnen eines erneuten Labortests Automatisches Löschen des Hinweises nach Durchführung der Anordnung
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Bild 12
Nachdem, mit diesem Beispiel illustriert wurde, wie man das Abarbeiten von Hinweisen, dem Arzt durch geschickte Gestaltung der Benutzeroberfläche und dynamisch generierbare Funktionsaufrufe, möglichst einfach gestalten kann, bleibt natürlich immer noch die Frage, wann der Arzt einen solchen Hinweis wirklich sehen und bearbeiten würde. Denn, wie bereits erwähnt, sitzt der Arzt ja nicht den ganzen Tag am PC und ruft diese Arbeitsliste alle fünf Minuten auf. Er ist im OP unterwegs, in der Ambulanz, rennt durch das Haus, ist einfach nicht zu erreichen und kommt vielleicht erst nachmittags um vier, fünf dazu, sich dies am Bildschirm anzusehen. Dann aber kann es evtl. schon zu spät sein. Wie also erreiche ich ihn, wenn ein wirklich dringender Hinweis erkannt wurde? Wie ist ein EDV-System in der Lage, seine Ergebnisse aktiv „an den Arzt zu bringen“? Dies kann zukünftig z.B. durch den Einsatz mobiler Arbeitsgeräte (Notebooks, PDA, etc.) und Funknetze erreicht werden. Verknüpft man die Möglichkeiten moderner Prozesssteuerungssysteme mit der zeitgesteuerten Übertragung von Informationen an mobile Geräte (z.B. auch DECT-Telefone), so wird es ermöglicht, zeitkritische Informationen auch schnell an den Arzt zu übermitteln, unabhängig davon, wo sich dieser gerade im Krankenhaus aufhält (Bild 13).
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Eskalation ohne Reaktion innerhalb festgesetzter Zeit
WLAN / DECTAnlage
Wie kann ich den Arzt erreichen ?
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Bild 13
Im Erlanger Universitätsklinikum erproben wir dieses Konzept in zwei Pilotbereichen. In Absprache mit den klinischen Anwendern wurde ein Eskalationsmechanismus definiert und in der Soarian zugrunde liegenden Workflow-Engine hinterlegt. Mit Hilfe kleiner Erinnerungsmodule in der Arden-Syntax werden bestimmte Laborwerte auf Abweichung aus dem Normbereich überwacht. Daraus entstehende Warnhinweise werden in die Datenbank geschrieben und können über die oben beschriebene Hinweisliste abgerufen werden. Gleichzeitig wird ein Prozess angestoßen, der im Hintergrund überwacht, ob dieser Hinweis innerhalb eines vordefinierten Zeitraums als „gesehen“ abgezeichnet wird. Falls dies nicht geschieht, wird nach diesem Zeitraum automatisch eine E-Mail generiert, die dem diensthabenden Arzt auf einen über Funklan angebundenen PDA übermittelt wird und die dort einen akustischen Alarm auslöst. Damit „erreicht“ der Hinweis den Arzt auch dann, wenn dieser nicht selbst aktiv an seinen PC-Arbeitsplatz geht, um sich die Hinweislisten anzusehen (Bild 14).
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Prozessoptimierung durch moderne Krankenhaus-Informations- und -Workflowsysteme :: Knowledge to the point of care
„Timer“ zur Eskalationssteuerung
Kritischer Laborwert
Benachrichtigung
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Benachrichtigung 10 min
Pflege
Pflege
Arzt
Arzt
Integration von Erinnerungsfunktionen mit Workflowmechanismen Prof. Dr. H.U. Prokosch
WLAN
Dienstarzt
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Bild 14
Mit obigen Beispielen konnte ich nur ansatzweise aufzeigen, welche neuen Möglichkeiten sich ergeben, wenn man in modernen klinischen Prozesssteuerungssystemen regelbasierte Erinnerungsfunktionen mit Workflow-Mechanismen verknüpfen und zukünftig mit mobilen DV-Geräten eine fast ubiquitäre Erreichbarkeit des Arztes sicherstellen kann. Ich hoffe aber auch, aufgezeigt zu haben, dass es mit immer umfassender und komplexer werdenden EDV-Systemen auch immer wichtiger wird, die Gestaltung von Benutzeroberflächen sowie die Benutzerführung weiter zu optimieren. Prozessoptimierung ist ein Schlagwort, welches heute in eigentlich keinem deutschen Krankenhaus mehr weg zu denken ist. Oft geht man davon aus, dass die Einführung von EDV-Unterstützung z.B. durch Klinische Arbeitsplatzsysteme, dazu automatisch einen wichtigen Beitrag leistet. Man muss sich aber immer vor Augen halten, dass damit der Arbeitsalltag im Krankenhaus mit völlig neuen Werkzeugen ausgestattet wird und dass dies mit komplexen Aufgaben des „Change Managements“ verbunden ist. Die Analyse der Arbeitsabläufe im Krankenhaus und die optimale Einbindung neuer EDV-Funktionen ist absolut wichtig, für die Akzeptanz der EDV-Anwendungen. Gleichzeitig, müssen sich die KIS-Produkte weiter entwickeln. Weg von statischen Dokumentationswerkzeugen und hin zu flexiblen, dynamisch anpassbaren Prozesssteuerungssystemen.
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Ich hoffe, dass mein Vortrag ein kleiner Beitrag dazu war, darüber nachzudenken, wie man zukünftig klinische Prozesse mit innovativen EDV-Systemen unterstützen kann und welche Anforderungen dazu an moderne KIS-Produkte zu stellen sind.
17 Prävention mit Hilfe elektronischer Medien in verschiedenen Alters- und Berufsgruppen Dr. Elisabeth Pott Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln Nach den Vorträgen meiner Vorredner habe ich den Eindruck, dass das, was ich Ihnen heute präsentieren kann, etwas von dem abweicht, was Sie bisher an Vorträgen gehört haben. Die bisher dargebotenen Präsentationen haben sich auf das Gesundheitswesen im engeren Sinne konzentriert, während das, was ich Ihnen heute über das Thema Prävention anbieten kann, Strukturen innerhalb und außerhalb des Gesundheitswesens betrifft. Ich darf mich zuerst vorstellen. Mein Name ist Pott, ich leite die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Ich bin Ärztin für öffentliches Gesundheitswesen. Ich fand es doch sehr interessant, dass Herr Holtel in seinem Abstract an der Stelle, an der er sich über die Mentalität und das Persönlichkeitsprofil von Ärzten geäußert hat, Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen meistens „als Irrläufer wahrgenommen“ dargestellt hat. Ich gehöre also zu dieser besonderen Spezies. Ich habe allerdings früher durchaus auch ganz klassisch im Krankenhaus gearbeitet, in der Chirurgie, hatte also auch einmal das „Heldentum“ irgendwie im Blick und bin jetzt im öffentlichen Gesundheitswesen tätig. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass gerade die Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens sich bemühen, die neuen Technologien, die neuen Medien professionell und adäquat für ihre Arbeit zu nutzen. Wir sind im öffentlichen Gesundheitswesen häufig in der Situation, aus Geldmangel, aufgrund veralteter Strukturen u. ä. der Zeit hinterher zu laufen. Deshalb haben wir versucht, uns als BZgA im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung, an die Spitze der Bewegung zu setzen und Prävention und Gesundheitsförderung zielgruppengerecht zunehmend mit modernen Technologien zu vermitteln. Trotzdem bin ich keine e-Fachfrau, sondern eine Health-Fachfrau. Sie werden mir also verzeihen, wenn ich mit der Technik hier nicht so versiert bin. Zunächst möchte ich Ihnen einen Überblick über das, was wir aufgrund der Themenauswahl in unserer Arbeit im Bereich moderner Technologien in den letzten Jahren aufgegriffen haben, geben. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat als größten Arbeitsschwerpunkt die nationale AIDS-Präventionskampagne, die dem einen oder anderen aus entsprechenden Fernsehspots, Kinospots oder auch über die Großplakate der „machs-mit“-Teilkampagne bekannt ist.
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Im Rahmen dieser Schwerpunktsetzung haben wir die Bereiche entwickelt, in denen wir heute mit Internetangeboten aufklären. Die klassischen und traditionellen Wege der gesundheitlichen Aufklärung reichen von der Welthygieneausstellung 1911, als man vor allen Dingen mit Organpräparaten und Exponaten im Rahmen von Gesundheitsausstellungen zur Darstellung der Anatomie des menschlichen Körpers gearbeitet hat, bis zur Entwicklung moderner Kommunikationsstrategien, die die Möglichkeiten der Massenkommunikation über Plakate, Anzeigen, Fernsehen usw. nutzen und seit einigen Jahren verstärkt die neuen Medien, Internetangebote, CDROMs u. ä. integrieren. Sie sehen auf der Übersicht (Abb.2), dass wir vor allem das Gesamtprogramm „Gib Aids keine Chance.de“ als Website zur Gesamtkampagne vorhalten, dass wir aber auch ein Angebot zur persönlichen Beratung im Aidsbereich entwickelt haben. Dass der Schwerpunkt Reisegesundheit, Informationen zur Gesundheit im Urlaub, ein in diesem Zusammenhang wichtiges Thema ist, weil unglaublich viele Leute, die eigentlich beabsichtigen, sich im Urlaub zu erholen, krank wieder nach Hause kommen. Sie finden hier ein umfassendes Angebot mit präventiven Informationen (Bild 1). Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
Zentrale Internetangebote der BZgA www.gib-aids-keine-chance.de: Web-Site zur Kampagne www.aidsberatung.de: Angebot zur persönlichen Beratung www.bzga-reisegesundheit.de: Infos zur Gesundheit im Urlaub www.check-dein-risiko.de: Selbsttest zum individuellen STD-Risiko www.sexsicher.de: Gesundheitsinfo für Freier www.bist-du-staerker-als-alkohol.de: Jugendinfo über Alkohol www.rauchfrei-info.de: Nikotin-Ausstieg für Erwachsene www.kickit.de: Nikotin-Ausstiegsprogramm für Jugendliche
Bild 1
Check dein Risiko – eine deutliche Zunahme von sexuell übertragbaren Krankheiten in den letzten Jahren hat es notwendig gemacht, auch innerhalb der AidsKampagne den Bereich der anderen sexuell übertragbaren Krankheiten, wie z.B. Syphilis und Gonorrhöe, stärker aufzugreifen. Gerade solche tabuisierten Themen sind natürlich sehr geeignet, um im Internet auch anonym abgefragt zu werden. Sehr beliebt sind Angebote, die über einen Selbsttest eine Einschätzung des eigenen Risikos ermöglichen.
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Die Gesundheitsinfos für Freier im Internet – alle, die sich mit diesem Thema beschäftigen, aber auch die, die sich nicht damit beschäftigen, sondern nur die Zeitung lesen, wissen, dass heute ganz häufig die Anbahnung von sexuellen Kontakten über das Internet läuft. Deshalb muss man auch mit der Aufklärung und Prävention ins Internet gehen, nämlich genau an die Stelle, wo Kontaktsuche und -anbahnung stattfinden. Die www.bistdustärkeralsalkohol – Jugendinfo über Alkohol ist ein Teil unserer Jugendkampagne zur Alkoholprävention, wobei ich betonen möchte, dass die Kampagnen natürlich aus ganz vielen Elementen bestehen. Diesen Internetansatz haben wir in der Regel in den letzten Jahren in umfassende Kampagnen eingeführt und ergänzt. Internetangebote sind mit den anderen Maßnahmen, mit Events, mit Veranstaltungen, mit Beratungsangeboten, mit Materialhinweisen vernetzt. „Rauchfreiinfo.de“ – ein Nikotinausstiegsprogramm für Erwachsene ist in Vorbereitung und wird voraussichtlich im März starten; das Nikotinausstiegsprogramm für Jugendliche ebenfalls. Was ich Ihnen heute etwas ausführlicher darstellen möchte, sind drei Programme (Bild 2). Einmal die www.loveline.de – ein Informationsangebot zur Sexualaufklärung, um Ihnen daran zu zeigen, wie man ein solches Angebot heute so attraktiv aufbauen kann, dass es Jugendliche wirklich anspricht. Www.drugcom.de – ein Internetprojekt zur Suchtprävention. Hier geht es vor allen Dingen darum, solche Jugendliche zu erreichen, die schon eine höhere Affinität zu Suchtmitteln haben, gerade auch zu illegalen Drogen. Die Erreichbarkeit dieser Zielgruppe zu diesem Thema über das Internet ist besonders gut, denn drogenaffine Jugendliche sind häufigere Nutzer des Internets als andere Jugendliche. Aus der Aidskampagne der BZGA, möchte ich Ihnen gern unter www.machsmit.de ein interaktives Beispiel zeigen. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Zentrale Internetangebote der BZgA www.loveline.de: ein Informationsangebot zur Sexualaufklärung
www.drugcom.de: ein Internetprojekt zur Suchtprävention
www.machsmit.de: die Aids-Kampagne der BZgA im Internet
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BZgA
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Elisabeth Pott
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
www.loveline.de Internetadresse der BZgA seit 1998 Zielgruppe: Jugendliche von 13 -17 Jahren Themenschwerpunkte: Liebe, Partnerschaft, Sexualität und Verhütung
Bild 3
www.loveline.de ist eine Internetadresse der BZGA seit 1998 (Bild 3). Die Zielgruppe sind Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren. Die Themenschwerpunkte sind Liebe, Partnerschaft, Sexualität und Verhütung. Wir haben das Konzept mit Psychologen, Soziologen und Pädagogen zusammen entwickelt, die auch zielgruppengerecht diese Homepage gestaltet haben, um genau die Bedürfnisse der Zielgruppe in diesem Alter auch zu treffen. Ein entscheidender strategischer Ansatz ist, dass wir z.B. zu einem Thema, das sonst vorrangig Mädchen interessiert, über den Weg der neuen Medien auch Jungen erreichen, weil Jungen gern im Internet spielen, weil sie im Internet auf das Angebot stoßen und dann solche Informations- und Aufklärungsangebote nutzen, mit denen sie sich sonst gar nicht befassen würden. Loveline gibt es bereits seit Mitte der 90er Jahre, erst als interaktives Informationsangebot in Form einer CD-Rom, die es derzeit noch in der zweiten Fassung gibt. Die gleichnamige Internetseite wurde 1998 zunächst als inhaltliche Ergänzung und Weiterentwicklung eingerichtet und seit dem Relaunch ist www.loveline.de eine eigenständige Informations- und Kommunikationswebsite, die monatlich erweitert und den Bedürfnissen der User und Userinnen angepasst wird, d.h. gerade für junge Leute muss man ständig aktuell sein. Wir sehen hier die Homepage von www.loveline.de; sie sehen in der Übersicht, was alles in dieser Homepage enthalten ist (Bild 4). Sie besteht aus folgenden Bereichen: unter der Überschrift „Home“ monatlich wechselnde Themenumfragen und News. In „Infoshot“ auf der linken Seite aufgelistet elektronisches Abrufen der Jugendmedien der BZGA mit Bestellfunktion und Download. Die „Fakes“, die Aufbereitung eingehender häufig gestellter Fragen in thematischen Kategorien. Das „Liebeslexikon“, der dritte Button von oben, mit über 350 Begriffen, Zeichnungen, O-Tönen und Videos, ist das größte Sexuallexikon für Jugendliche im Netz. Der „Chat“, Chaträume, in denen sich die Jugendlichen aus-
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tauschen oder zu festen Zeiten auch Fragen an externe Experten stellen können. Liebesthemen, aktive Beteiligung und Identifikation durch ein thematisches Archiv mit authentischen Statements und Liebesgeschichten. „Liebesspiel“, die aktive Auseinandersetzung mit überwiegend thematischen Gewinnspielen. Gerade für Jugendliche ist es besonders attraktiv, wenn man auch Kleinigkeiten gewinnen kann. Weitere Service- und Interaktionsmöglichkeiten stellen das „Gästebuch“, „E-Cards“, „ Newsletter“ und Links zu Beratungsangeboten vor Ort, aber auch z.B. „Literaturtipps“ dar. 77 % der Zielgruppe der 14- bis 19-jährigen, die wir erreichen wollen, sind regelmäßige Online-Nutzer. Das ist auch einer der Gründe, warum wir gerade mit diesen Angeboten ins Internet gehen. Für Jugendliche ist das Internet in erster Linie ein Kommunikationsmedium. Die gehen zunächst einmal hinein, um miteinander zu kommunizieren. Über das Kommunikationsangebot schafft man dann auch die Nachfrage nach Informationen. Dann muss man wissen, dass es im Internet nur sehr wenige seriöse und nichtkommerzielle Informationen zu Liebe und Sexualität für Jugendliche gibt. Deshalb nimmt das Angebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hier auch einen ganz besonderen Stellenwert ein und gibt Orientierung, denn man weiß, dass man bei dem was hier angeboten wird, nicht Gefahr läuft, auf irgendeine falsche Schiene gelockt zu werden. Unsere Studien zeigen, dass 21 % der Jungen und 9 % der Mädchen eine wirkliche Vertrauensperson in der näheren Umgebung fehlt, um mit ihr über Fragen der Sexualität sprechen zu können. Insofern ist ein Internetangebot, in dem man sich umfassend informieren kann und weiß, dass man seriös informiert wird, noch einmal besonders wichtig. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
www.loveline.de Das Angebot über 1000 Seiten fundierte und seriöse Informationen zu den Themen Liebe, Verhütung, Partnerschaft und Sexualität für Jugendliche in interaktiver Form monatlich wechselnde Themen und News machen die Seite attraktiv und aktuell regelmäßige Umfragen und Gewinnspiele gewährleisten die Nähe zur Zielgruppe Mit dem Gästebuch, der Möglichkeit zum Versenden von eCards* sowie dem „Loveletter“, der als E-mail-newsletter regelmäßig über Neuerungen auf der Website informiert, wird das Bedürfnis der Jugendlichen nach Austausch und Kommunikation befriedigt
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Über 1000 Seiten fundierte und seriöse Informationen zu den Themen Liebe, Verhütung, Partnerschaft und Sexualität für Jugendliche in interaktiver Form ist ein sehr umfangreiches Informationsangebot. Wir bieten jeden Monat ein spezielles Monatsthema an, das Thema „Mädchen“ zum Beispiel (Bild 5). Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
Bild 5
Sie sehen wie dieses Angebot aufbereitet ist (Bild 6). Es geht z.B. um die weiblichen Geschlechtsorgane. Es geht um einen Menstruationskalender. Es geht um einen Besuch beim Frauenarzt. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Bild 6
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Es geht um Statements von bekannten Mädchen und Frauen. Es geht um die Bodymap, d.h. das Kennenlernen des eigenen Körpers. Es gibt Chaträume, und es gibt die Möglichkeit, unter der Überschrift „Eure Fragen“ auf die Fragen einzugehen, die ganz gezielt hier gestellt werden. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
Bild 7
Monatlich wechselnde Themen und News machen die Seite attraktiv und aktuell (Bild 7). Sie haben jetzt eine Monatsseite gesehen. Das sind z.B. Monatsthemen: vorhin waren wir beim Thema Mädchen, dann folgen Themen wie „Liebe ohne Grenzen“, „Pleiten, Pech und Pannen“, „was tun, wenn die Verhütung versagt“, „der Traummann“, „die Traumfrau“, „Reisen“ – Sie sehen, je nach Jahreszeit z.B. gibt es unterschiedliche Themen, die für Jugendliche gerade besonders aktuell sind. Regelmäßige Umfragen und Gewinnspiele gewährleisten die Nähe zur Zielgruppe. Durch die regelmäßigen Umfragen erfahren wir immer, was gerade bei Jugendlichen angesagt ist, was sie besonders interessiert und über Gewinnspiele haben wir immer wieder eine kleine besondere Motivation, hier auch tatsächlich mitzumachen. Mit dem Gästebuch und der Möglichkeit zum Versenden von E-Cards, was bei Jugendlichen auch sehr gut ankommt, sowie einem Loveletter, der als Email-Newsletter regelmäßig über Neuerungen auf der Website informiert, haben wir weitere Instrumente, die gerade das Bedürfnis von Jugendlichen nach Austausch besonders bedienen. Wir sehen uns noch einmal die E-Cards an (Bild 8). Das sind beispielsweise E-Cards, die man sich runterladen kann und die man verschicken kann mit netten Motiven, die von Jugendlichen sehr gut angenommen werden.
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Elisabeth Pott
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
Bild 8
Belegt wird die Attraktivität dieses Angebots durch den kontinuierlichen Anstieg der Userzahlen. Pro Monat rufen durchschnittlich mehr als 60.000 Jugendliche insgesamt 700.000 Seiten auf. Das sehen wir auf dieser Graphik (Bild 9). Wir können hier noch einmal sehen, wovon auch die Intensität der Nutzung abhängt. Während großer Hitzewellen z.B. geht die Nachfrage deutlich zurück. Aber in Zeiten, in denen Anzeigen geschaltet werden oder eine Sommeraktion stattfindet, die speziell das Angebot bewirbt, geht die Nachfrage deutlich nach oben. Gerade auch wenn Fernsehsendungen ausgestrahlt werden, die mit dem Internetangebot verknüpft sind, hat das ganz besonders hohe Zugriffszahlen zur Folge.
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Talkshow
Zahl der Zugriffe pro Monat April 2000 - Dezember 2004 4.500.000
Talkshow Anzeigen
4.000.000
TV-Koop 3.500.000
Anzeigen 3.000.000
Sommeraktion
Anzeigen
2.500.000
Ferienzeit
2.000.000
Anzeigen Hitzewelle
1.500.000
Anzeigen Update
Ferienzeit
1.000.000
0
Apr. 00 Mai. 00 Jun. 00 Jul. 00 Aug. 00 Sep. 00 Okt. 00 Nov. 00 Dez. 00 Jan. 01 Feb. 01 Mrz. 01 Apr. 01 Mai. 01 Jun. 01 Jul. 01 Aug. 01 Sep. 01 Okt. 01 Nov. 01 Dez. 01 Jan. 02 Feb. 02 Mrz. 02 Apr. 02 Mai. 02 Jun. 02 Jul. 02 Aug. 02 Sep. 02 Okt. 02 Nov. 02 Dez. 02 Jan. 03 Feb. 03 Mrz. 03 Apr. 03 Mai. 03 Jun. 03 Jul. 03 Aug. 03 Sep. 03 Okt. 03 Nov. 03 Dez. 03 Jan. 04 Feb. 04 Mrz. 04 Apr. 04 Mai. 04 Jun. 04 Jul. 04 Aug. 04 Sep. 04 Okt. 04 Nov. 04 Dez. 04
500.000
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Die www.loveline.de ist das umfangreichste Internetportal für Jugendliche zum Thema Liebe, Partnerschaft, Sexualität und Verhütung. Wir haben hier noch einmal die Anzahl der Besuche pro Monat (Bild 10). Sie sehen, die durchschnittliche Zahl liegt bei 60.000. Das sind die Pageviews pro Besuch; so setzen sich dann hinterher die 700.000 Pages insgesamt zusammen. Neben vielen nationalen Auszeichnungen wurde www.loveline.de im Jahr 2003 in der Kategorie Internetauftritte pädagogischer Institutionen mit dem „Intermedia Globe in Gold“ auch international ausgezeichnet. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
www.loveline.de Die Resonanz Belegt wird die Attraktivität dieses Angebots durch den kontinuierlichen Anstieg der User-Zahlen: Pro Monat rufen durchschnittlich mehr als 60.0000 Jugendliche insgesamt 700.000 Seiten auf. www.loveline.de ist das umfangreichste Internetportal für Jugendliche zum Thema Liebe, Partnerschaft, Sexualität und Verhütung. Neben vielen nationalen Auszeichnungen wurde www.loveline.de im Jahr 2003 in der Kategorie „Internetauftritte pädagogischer Institutionen“ mit dem „intermedia-globe“ in Gold auch international ausgezeichnet.
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Elisabeth Pott
Sie sehen, dass wir hier ein hoch attraktives Angebot geschaffen haben und durch eine kontinuierliche quantitative und qualitative Prüfung des Angebots und seiner Resonanz eine hohe Qualität kontinuierlich gewährleisten (Bild 11). In der Gesundheitsförderung/Prävention ist heute das Thema Evaluation und Qualitätssicherung ein ganz zentrales Thema, deshalb müssen wir sicherstellen, dass die Qualität gewährleistet ist. Das setzt voraus, dass Programme sich aktuellen Entwicklungen immer schnell anpassen. Deshalb wird ein durchgängiges Monitoring aller relevanten Eckdaten zum Nutzungsverhalten in den einzelnen Bereichen kontinuierlich durchgeführt. Die qualitative Überprüfung durch tiefenpsychologische Befragung ausgewählter Nutzer und auch durch Usability-Tests wird entsprechend durchgeführt. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
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www.loveline.de Qualitätssicherung und -entwicklung
kontinuierliche, quantitative wie qualitative Prüfung des Angebots und seiner Resonanz durchgängiges Monitoring aller relevanten Eckdaten zum Nutzungsverhalten in den einzelnen Bereichen qualitative Überprüfung durch tiefenpsychologische Befragungen ausgewählter Nutzer/-innen und durch „Usability-Tests“
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Ein Internetangebot für drogenaffine Jugendliche und junge Erwachsene
Bild 12
17 Prävention mit elektronischen Medien in verschiedenen Alters- und Berufsgruppen
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Ein zweites Beispiel ist das Programm „www.drugcom.de“, ein Internetangebot für drogenaffine Jugendliche und junge Erwachsene (Bild 12). Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine Situation, in der Alkoholproblem bei Jugendlichen im internationalen Vergleich recht groß ist. Wir beobachten Rauschtrinken schon im jugendlichen Alter. Wir haben ein Problem mit illegalen Drogen. Insbesondere ist der Cannabiskonsum in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Während im Bereich der legalen Suchtmittel noch eher ein Zugang zu Jugendlichen gefunden werden kann, z.B. in der Schule und in der Familie, ist z.B. das Cannabisproblem deshalb ganz besonders schwierig, weil es sich um eine illegale Droge handelt. Alle, die damit zu tun haben, also Lehrpersonen in der Schule, Eltern, sind häufig überfordert, wenn sie mit dem Drogenkonsum Jugendlicher konfrontiert sind. Deshalb bestand sowohl im Hinblick auf legale aber auch auf illegale Suchtmittel eine besondere Notwendigkeit, Programme gerade über das Internet anzubieten, wo Jugendliche besonders gut erreicht werden. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
Zielgruppe von drugcom.de Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 25 Jahren, die aktuell illegale Drogen konsumieren
Ziele von drugcom.de Verhinderung von Substanzmissbrauch und -abhängigkeit Reduzierung von negativen Folgen des Konsums
Bild 13
Die Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 25 Jahren (Bild 13). Ich weise immer darauf hin, weil ich glaube, dass es ganz wichtig ist, sich immer wieder klarzumachen, auch Angebote im Internet müssen zielgruppengerecht gestaltet sein, sonst erreicht man nicht diejenigen, auf die es wirklich ankommt. Es gibt, wie auch bei anderen Aufklärungsmedien, keine effektiven allgemeinen Angebote. Hier geht es vor allen Dingen auch um solche, die schon aktuell illegale Drogen konsumieren, also schon eine besondere Nähe zu diesem Thema haben. Ziel ist eine möglichst weitgehende Verhinderung von Substanzmissbrauch und Abhängigkeit, aber mindestens die Reduzierung von negativen Folgen des Konsums.
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Elisabeth Pott
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
Theoretisches Konzept von drugcom.de: Risikokompetenz Erhöhung des Wissensstands über Drogen und Drogenkonsum Förderung von Problembewusstsein und einer kritischen Einstellung gegenüber eigenem Konsumverhalten Förderung eines risikoarmen Umgangs mit psychoaktiven Substanzen (Punktnüchternheit, mäßiger Konsum in tolerierten Situationen) Vermittlung von Kompetenzen zur Reduzierung oder Absetzung von Substanzen
Bild 14
Das theoretische Konzept im Hintergrund ist die Stärkung der Risikokompetenz (Bild 14), die Erhöhung des Wissensstands über Suchtmittel und Suchtmittelkonsum, die Förderung von Problembewusstsein und einer kritischen Einstellung gegenüber eigenem Konsumverhalten, die Förderung eines risikoarmen Umgangs mit psychoaktiven Substanzen, wie z.B. in bestimmten Situationen nüchtern zu bleiben oder nur mäßig zu konsumieren u. ä., und die Vermittlung von Kompetenzen zur Reduzierung oder Absetzung von Substanzen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Information alleine, die Androhung von Strafe oder abschreckende Informationen über die Gesundheitsschädlichkeit, keine Wirkung im präventiven Sinne haben. Deshalb muss ein fundiertes theoretisches Konzept, wie angestrebte Verhaltensänderungen erreicht werden sollen, hinter einem erfolgversprechenden Angebot stehen. Es ist deshalb eine systematische Angebotsentwicklung notwendig, damit tatsächlich auch Erfolge zu erwarten sind.
17 Prävention mit elektronischen Medien in verschiedenen Alters- und Berufsgruppen
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
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BZgA
Methodische Umsetzung mit einem modular aufgebauten Angebot Drogen- und Suchtlexikon Beratungsangebote (Mail, Chat) Wissenstests zu acht verschiedenen Substanzen Verhaltenstest zu Alkohol (check your drinking) und zu Cannabis ab Mitte 2005 (cannabis check) Ausstiegsprogramm für Cannabiskonsumierende (quit the shit) Beratungsprogramm für Alkoholkonsumierende ab Mitte 2005 (change your drinking)
Bild 15
Der methodische Aufbau (Bild 15) ist modular mit einem Drogen- und Suchtlexikon, mit Beratungsangeboten, die hier eine sehr wichtige Rolle spielen, mit Wissenstests zu acht verschiedenen Substanzen, mit Verhaltenstests zu Alkohol und zu Cannabis. Der Cannabisverhaltenstest wird ab Mitte 2007 online gehen. Der Verhaltenstest zu Alkohol ist bereits enthalten. Ein Ausstiegsprogramm für Cannabiskonsumierende „Quit the shit“ ist im letzten Jahr eingerichtet worden. Ich glaube, Sie sehen, dass wir hier recht innovative Programme, bei denen wir das Internet nutzen, etabliert haben. Ein Beratungsprogramm für Alkoholkonsumierende ab Mitte 2005 „Change your drinking“ ist ebenfalls in der Vorbereitung. Damit wird auch deutlich, dass es immer um die Nutzung des Internets einmal als Massenmedium geht, also für Information und Kommunikation allgemein, aber es geht auch immer um die Schaffung von Beratungsangeboten für diejenigen, die eine individuelle Beratung brauchen. Beim Test des eigenen Alkoholkonsums zum Beispiel geht es um folgende Fragen, die in einem Onlinefragebogen enthalten sind, „Konsumfrequenz im letzten Monat“, „Konsummenge letztes Mal“, „Frequenz des Betrinkens in den letzten zwölf Monaten“, „Trinkmotive im letzten Monat“, „Trinken zu unpassenden Gelegenheiten im letzten Monat“ – ich erinnere nur gerade an die Unfallsituationen, die vorhin als Notfallsituationen geschildert wurden; sehr viele dieser Unfälle passieren unter Alkoholeinfluss. Parameter, die abgefragt werden, um das Trinkverhalten zu ermitteln und festzustellen, welches Risiko besteht. Auf diese Risikoauswertung aufgrund des ausgefüllten Fragebogens gibt es dann eine automatisiertre individuelle Rückmeldung, eine Auswertung über ein automatisiertes Regelsystem zu konsumspezifischen Parametern, zu spezifischen Risikoindikatoren, wenn solche vorliegen, und
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Elisabeth Pott
abschließend gibt es eine konsumspezifische Empfehlung im Einzelfall. Dabei wird das Alter berücksichtigt, z.B. sollten Jugendliche unter 16 gar keinen Alkohol trinken. Dabei wird auch nach Geschlecht unterschieden. So ist die Obergrenze für nichtriskanten Alkoholkonsum bei Frauen bei 20 g und bei Männern bei 30 g Alkohol pro Tag. Solche geschlechtspezifischen Unterschiede müssen berücksichtig werden. So sieht die Homepage aus. Hier sehen Sie die Oberfläche und Sie erkennen, dass es einmal um „Druginfo“ geht, um „Testangebote“, um „Selbsttestmöglichkeiten“ „Check your drinking“ und „Quit the shit“, sind die beiden schon realisierten Ausstiegsprogramme für Alkohol und Cannabis. Es geht um Chaträume. Es geht um Projekte; d.h. User des Internets, die ihrerseits Präventionsprojekte entwickeln oder entwickelt haben, sind aufgefordert, diese hier einzustellen. Es geht immer wieder auch um aktuelle News, weil Jugendliche einfach immer an Neuigkeiten interessiert sind. Schließlich sehen Sie unten immer ein „Special Topic“, eine Fragestellung z.B. „Was hältst du vom Schischarauchen?“, also irgendetwas, was gerade total „in“ ist, wird als Frage eingegeben, um sich darüber weiter auseinandersetzen zu können. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
check your drinking Online-Fragebogen zum Test des eigenen Alkoholkonsum Parameter Konsumfrequenz: im letzten Monat Konsummenge: letztes Mal Frequenz des Betrinkens: in den letzten 12 Monaten Trinkmotive: im letzten Monat Trinken zu unpassenden Gelegenheiten: im letzten Monat Negative Erfahrungen: Filmriss/Blackout
Bild 16
BZgA
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BZgA
check your drinking Automatisierte individuelle Rückmeldung Auswertung über ein automatisiertes Regelsystem Rückmeldung zu konsumspezifischen Parametern (alle) zu spezifischen Risikoindikatoren (gegebenenfalls) abschließend mit einer konsumspezifischen Empfehlung (alle) Altersspezifische Differenzierung Geschlechtsspezifische Differenzierung
Bild 17
So sieht dieses Checkprogramm in wenigen Beispielseiten aus (Bild 16, 17, 18). „Check your drinking“ – mit diesem Selbsttest können Jugendliche herausfinden, wie es um ihren aktuellen Alkoholkonsum steht. Es ist z.B. so, dass Jugendliche vielfach völlig falsch einschätzen, wie viel Alkohol in einem Glas Wein, einem Glas Bier, einem Glas Schnaps oder einer Flasche Alkopops enthalten sind. Es stellt sich heraus, dass Jugendliche häufig nicht wirklich wissen, wie viel Alkohol in ihrem Getränk enthalten ist. Wie häufig hast du in den letzten 30 Tagen Alkohol getrunken? Wann warst du zum letzten Mal betrunken? Dabei wird genau erklärt, dass nicht nur „beschwipst“ gemeint ist, sondern wirklich ein „Rausch“, bei dem man sich „besoffen“ gefühlt hat. Man muss auch die Sprache der Jugendlichen sprechen, um verstanden zu werden. Wie häufig warst du in den letzten zwölf Monaten betrunken? Ein interessantes Ergebnis der Auswertung zeigt, dass wenn man das Ergebnis von Repräsentativuntersuchungen in der Altersgruppe mit den Angaben derjenigen, die am Test „Check your drinking“ teilnehmen, vergleicht, dass wir offensichtlich bei der Gruppe die das Internet nutzt, eine Gruppe erreichen, die sehr viel mehr Alkohol trinkt als die durchschnittlichen Jugendlichen dieser Altersgruppe. Sie sehen das an diesem Zahlenvergleich „Check your drinking“ z.B. vierbis siebenmal im letzten Monat Alkohol getrunken. Das sind hier 28,9 % und in der entsprechenden Repräsentativuntersuchung der Bundeszentrale sind es 18 %. Bei den anderen Zahlen sieht es ähnlich aus. Offensichtlich erreichen wir gerade Gruppen mit besonderem Risiko. Das Alter beim ersten Alkoholrausch in der bevölkerungsbezogenen Studie ist 15,6 Jahre und bei den „Drug.com“ Usern 14,6 Jahre. Hier erreichen wir auch die, die noch jünger mit dem Alkoholtrinken anfangen und früher Alkoholrauscherfahrungen haben.
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Elisabeth Pott
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
check your drinking: Trinkhäufigkeit im Vgl. zur Normalbevölkerung check your drinking 12-25 Jahre (n=29.292)
BZgA-Studie* 12-25 Jahre (n=3.000)
kein Mal / seltener, nie
7,2%
34%
1-mal / einmal im Monat
5,0%
13%
2-3-mal / mehrmals im Monat
14,6%
23%
4-7-mal / etwa einmal i.d. Wo.
28,9%
18%
8-23-mal / mehrmals pro Wo.
38,5%
11%
24-30-mal / fast täglich
5,7%
1%
Konsum im letzten Monat Kategorien: drugcom.de / BZgA-Studie*
*BZgA (2001). Drogenaffinitätsstudie
Bild 18 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
check your drinking: Akzeptanz: Verständlichkeit, Interessantheit
Verständlich
Interessant
21 5
25
33
61
21
0%
20%
gar nicht
wenig
45
40% mittelmäßig
28
60%
80%
ziemlich
100%
sehr N=435
Bild 19
Wir prüfen natürlich auch die Frage, ob in der Zielgruppe verstanden wird, was gezeigt wird, ob es interessant ist, wie es aufgebaut ist (Bild 19). Sie sehen, dass die Beurteilung durchweg sehr gute Ergebnisse erzielt. Von der Verständlichkeit, die ja Voraussetzung dafür ist, dass ich mit einer Information die Zielgruppe erreiche, bis dahin, dass das Programm als interessant bewertet wird. Von denjenigen, die einmal an diesem Test teilgenommen haben, sagen immerhin 10 %, dass die Teilnahme sogar eine Intention zur Verhaltensänderung ausgelöst hätte und 31 % sagen, es
17 Prävention mit elektronischen Medien in verschiedenen Alters- und Berufsgruppen
255
hätte eine Reflexion ausgelöst. Die Intervention besteht bei „Check your drinking“ darin, dass einmal ein Test mit zehn Fragen gemacht wird. Wenn man also den Input im Vergleich zu dem sieht, was damit ausgelöst wird, scheint das ein recht gutes Ergebnis zu sein. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
quit the shit: Cannabisausstiegsprogramm Ziel: Reduzierung des Cannabiskonsums in einem Zeitfenster von 50 Tagen Zielpyramide von quit the shit Drogenabstinenz Zeitweilige Drogenabstinenz / Konsumpausen Reduzierung der Konsumfrequenz / der Intensität
Bild 20 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
quit the shit: Methodisches Konzept Kurzintervention Übersichtliche Zeitperspektive Zielorientierter Ansatz Vermittlung unterstützender Informationen und Empfehlungen Förderung der Eigenverantwortung Beratungskonzept Stärkung der Selbstwirksamkeit Angebot von Alternativen der Bewältigungs- oder Veränderungsstrategie Rückmeldungen zur kritischen Reflexion der gegenwärtigen Situation Ratschläge
Bild 21
Damit kommen wir zum dritten Programm das ich Ihnen heute vorstellen möchte, dem „Quit the shit“-Programm., dessen Ziel die Reduzierung des Cannabiskonsums
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Elisabeth Pott
in einem Zeitfenster von 50 Tagen und möglichst die Erreichung der Drogenabstinenz ist (Bild 20). Zeitweilige Drogenabstinenz oder Konsumpausen wären ein Zwischenziel und die Minimalerwartung ist die Reduzierung der Konsumfrequenz und der Intensität. Diese Kurzintervention, die hier als methodisches Konzept entwickelt worden ist, sieht vor, dass in einem überschaubaren Zeitraum von 50 Tagen mit diesem zielorientierten Ansatz, den ich gerade genannt habe, durch die Vermittlung unterstützender Informationen und Empfehlungen eine Förderung der Eigenverantwortung bewirkt werden kann (Bild 21). Das Beratungskonzept ist deshalb so angelegt, dass besonders die Stärkung der Selbstwirksamkeit, also die Erwartung daran, was ich wirklich selber entscheiden kann, was kann ich auch, wenn ich mich entscheide, tatsächlich leisten und durchhalten, gestärkt wird. Ein Angebot von Alternativen der Bewältigungs- oder Veränderungsstrategie, d.h. jeder kann zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen. Es wird ihm keine Zielvorgabe gemacht. Rückmeldungen zur kritischen Reflexion der gegenwärtigen Situation – die Gelegenheit wird geschaffen, d.h. der Betroffene muss selber darüber reflektieren, und es gibt dazu Rückmeldungen. Schließlich gibt es auch konkrete Hilfen und Ratschläge. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
quit the shit: Umsetzung/Ablauf Kennen lernen von quit the shit und allgemeine Informationen Eingangsbefragungen zur Motivation und zum Konsum 30 bis 40-minütiges Eingangsgespräch im Chat zur Zielvereinbarung Führen des 50-Tage-Tagebuchs (50-Tagebuch) Tägliche ausführliche Einträge zum Cannabiskonsum mit eigenem Resümee Wöchentliche Rückmeldung von der drugcom-Beraterin Abschlussgespräch im One-to-One-Chat
Bild 22
Die Umsetzung sieht so aus (Bild 22). Erst wird „Quit the shit“ in diesem Programm erläutert. Dann gibt es eine Eingangsbefragung zu Motivation und zum Konsum. Es gibt ein 30- bis 40-minütiges Eingangsgespräch im Chat zur Zielvereinbarung, weil der Betroffene selber mit dem Ziel einverstanden sein muss, das dann vereinbart wird. Er muss es selber wählen. Dann wird das 50 Tage Tagebuch begonnen. Es gibt täglich ausführliche Einträge zu Cannabiskonsum mit eigenem Resümee. Es gibt eine wöchentliche Rückmeldung von der Drug.com Beraterin, und es gibt nach den 50 Tagen ein Abschlussgespräch im One-to-One Chat.
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So sieht ein Tag mit den Einträgen aus. Hier z.B. 24 Uhr, Art und Menge: „ein Joint“; mit wem und wo: „allein zu Hause“; warum, was war der Grund: „ich habe es den ganzen Abend geschafft, nichts zu rauchen, im Bett konnte ich nicht einschlafen, da habe ich doch noch eine kleine Tüte geraucht und bin dann eingeschlafen“. Resümee des Tages: wie bewertest du den heutigen Tag im Hinblick auf deinen Cannabiskonsum, denke dabei an das persönliche vereinbarte Ziel: „Scheiße, ich habe es nicht geschafft, auf das Kiffen zu verzichten, weil ich nicht einschlafen konnte.“ Das ist ein kleines Beispiel aus einer Tagebucheintragung an einem Tag. Das Tagebuch dient also dazu, alle Dinge, die mit dem Kiffen zusammenhängen, täglich wirklich zu notieren. Oder gerade dann auch, wenn nicht gekifft worden ist, sind diese Einträge sinnvoll, weil es vielleicht jemand geschafft hat, in einer Situation, in der er normalerweise kiffen würde, zu widerstehen. Es kommt darauf an, unbedingt jeden Tag etwas einzutragen. Aber jeder Tag, der im Zusammenhang mit dem Kiffen für den Jugendlichen von Bedeutung ist, sollte in dem Tagebuch auf jeden Fall festgehalten werden. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
Bild 23
Hier haben wir das Beispiel von einem fiktiven Teilnehmer: Nick, 17 Jahre alt, männlich (Bild 23). Für die angemeldeten User ist natürlich das persönliche Tagebuch geschützt. Nur die Drug.com Beraterin und der Betreffende werden diesen per-
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Elisabeth Pott
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
Bild 24
sönlichen Bericht lesen können. Und hier kommt man dann auf die wöchentliche Situation. Wir sehen: an drei Tagen nicht gekifft, an den anderen Tagen gekifft. Die Kommentare vom Drug.com Team hier jetzt nur verkürzt wiedergegeben: „erst einmal ein großes Lob für dich, du hast es geschafft, von sieben Tagen drei Tage nicht zu kiffen, an zwei Tagen je nur einen Joint zu rauchen“ (Bild 24). Also, die Bestätigung und Bestärkung; hier sehen wir das noch etwas ausführlicher wie dieser Kommentar aussehen könnte. „Du hast in dieser Woche gemerkt, dass du an manchen Tagen nicht einschlafen konntest ohne zu kiffen. Das ist nicht ungewöhnlich, denn zu den typischen Entzugssymptomen bei Cannabis gehören auch Einschlafstörungen. Du findest Weiteres, wo du dich noch einmal informieren kannst, um den Cannabiskonsum in den Griff zu kriegen, in diesem Programm unter „Wissenswertes“. Du kannst aber davon ausgehen, dass deinen Schlafstörungen nach einiger Zeit aufhören, wenn du nur noch wenig kiffst. Das fällt einem übrigens leichter, wenn man einmal eine oder zwei Wochen ganz aufgehört hat, weil man dann gelernt hat, wieder nüchtern einzuschlafen. Am Donnerstag hast du wieder einmal Basketball gespielt. Dass dein Luftproblem neben mangelnder Kondition auch vom Rauchen kommen könnte, hast du richtig erkannt. Kiffen und Rauchen können die Atemwege verengen.“ Sie sehen, es gibt eine Menge von Hinweisen, wo man sich weiter informieren kann. Es gibt eine Erläuterung der Zusammenhänge, woher die Beschwerden kommen. Es
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gibt eine Ermutigung dazu, dass man es schaffen kann, weil man ja schon einen guten Schritt gegangen ist. Das wird sehr auf die individuelle Situation abgestimmt. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
BZgA
Nutzung der Bereiche auf drugcom.de 20 21
druglex 9 10 10
FAQ help
4
42 41
Wissenstests 22
check your drinking Quit the shit
33
19
drugtalk
17
10
drugworks
19
9
news
13
special topic
18
2003 2004
8 3
about 0
4
10
20
30 Angaben in %
40
50
60
Bild 25
Hier sehen Sie noch einmal die Nutzung der verschiedenen Bereiche von Drug.com. Diese Wissenstests sind unglaublich beliebt bei Jugendlichen (Bild 25). Sie sehen, wie, nachdem wir das Angebot 2001 eingerichtet haben, die Teilnehmer, die Userzahlen bis 2004 tatsächlich zugenommen haben. Ich hoffe, damit konnte ich Ihnen einen kleinen Einblick in die Präventionsangebote mit den neuen elektronischen Medien bei Jugendlichen geben. Ein weiteres, interaktives Modul aus dem Internet, in dem Jugendliche z.B. eigene Entwürfe im Rahmen einer Kampagne entwerfen können, ist das Programm www.machsmit.de. Wir haben monatlich 400 Einsendungen mit neuen Motiven, die immer wieder in eine Auswahl eingehen, aus der dann die neuen Motive für die mach’s-mit-Großplakatkampagne, die Sie draußen, auch in München auf den Plakatflächen sehen, ausgewählt werden. Der Gewinner des Monats geht in die Jahresauswahl ein. Ein weiterer Ansatz, in dem interaktiv mit Jugendlichen gearbeitet wird, die Präventionskampagne partizipativ weiter entwickelt wird und die Verknüpfung des Internets mit anderen Instrumenten der Kampagne gewährleistet wird.
18 Der Arzt im Gepäck: Vitalsensorik für mobile Patientenüberwachung Alexander Scholz, Bernhard Wolf, Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik, Technische Universität München, Sendsor GmbH Einleitung Die soziodemografische Situation einerseits sowie die Kostensituation im Gesundheitswesen andererseits erfordern zunehmend den Einsatz effizienter und gleichzeitig humaner Behandlungsstrategien. Einsparungen dürfen nicht auf Kosten von Qualität und Quantität der medizinischen Versorgung erfolgen, sondern sie müssen durch deren Strukturierung zustande kommen. Dies beinhaltet sowohl den Einsatz moderner Technologien zur Diagnostik und Therapie, also im eigentlichen medizinischen Tätigkeitsfeld, als auch die Verwaltung von Patientendaten in elektronischen Patientenakten, mit dem Ziel der ständigen Zugriffsmöglichkeit über medizinische Netzwerke. In diesem Zusammenhang kann die moderne Informations- und Kommunikationstechnik eine große Hilfe bei der Aufgabe darstellen die Gesundheitsversorgung strukturierter und effizienter zu gestalten. Durch die Miniaturisierung und die immer einfachere Bedienung medizinischer Geräte können neue Therapiekonzepte, vor allem für chronische Krankheitsbilder, eingeführt werden. Jedoch nicht nur die technischen Möglichkeiten allein sondern auch die gesammelten Erfahrungen aus vorhergehenden Telemedizinprojekten bieten ein Potential zur Etablierung neuer und effektiver Therapiekonzepte. Vor allem bei Krankheiten wie Diabetes, Asthma, COPD und Hypertonie lässt die compliance oft nicht den gewünschten Stand erreichen. Um die Einnahmewilligkeit von Medikamenten langfristig zu stabilisieren, muss der Patient stärker in die Therapie eingebunden werden. Jeder Mediziner ist hier gefordert, die Therapie individuell an den Patienten anzupassen.
262
Alexander Scholz, Bernhard Wolf
Telemedizinische Plattform
Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik Prof. Dr. rer. nat. Bernhard Wolf
Die Telemedizin-Plattform macht mobile Medizingeräte telemetriefähig
Telemetric Personal Health Monitoring: Plattform für medizinische Sensoren und Geräte. Eine Kombination aus Mikrosystemen und Kommunikationseinheiten.
4 Copyright Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik
Bild 1
Bild 1 zeigt das Grundprinzip einer Telemetric Personal Health Monitoring Plattform, wie sie am Lehrstuhl von Professor Wolf entwickelt wurde. Der Heinz-Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik der TU-München forscht an miniaturisierten, am Körper getragenen Sensoren für die Messung medizinischer Gesundheitsdaten. Ziel der aktuellen Forschungen ist es, diese mit aktuellen Kommunikationstechnologien zu kombinieren. Durch die in Bild 1 gezeigte Telemetric Personal Health Monitoring Plattform können unterschiedlichste tragbare Sensoren in das telemetrische System eingebunden werden. So kann der Gesundheitszustand des Patienten dem Arzt verfügbar gemacht werden, und Veränderungen können somit zeitnah erkannt werden. Telemetric Personal Health Systeme ermöglichen völlig neue Therapieformen, da die Wirkung der Therapie durch die kostengünstige und kontinuierliche Messung medizinischer Daten sichtbar gemacht werden kann.
18 Der Arzt im Gepäck: Vitalsensorik für mobile Patientenüberwachung
263
Anwendungen Bewegungsmonitoring Da unser gegenwärtiges Gesundheitssystem überwiegend umsatzorientiert strukturiert ist, kann das Modell auf eine mobilfunkunterstützte Präventionsstruktur übertragen werden. Eine große Zahl medizinischer Interventionskonzepte ist nicht evidenzbasiert. Durch den Einsatz entsprechender Datenbanksysteme kann der Nutzer sich im Vorfeld über bestimmte Vermeidungsstrukturen informieren oder aber sich dahingehend beraten lassen, inwieweit die Wahrscheinlichkeit des Eintretens bestimmter medizinischer Ereignisse durch entsprechende Vorbeugemaßnahmen zu beeinflussen ist. Auch hier können entsprechende sensorunterstützte Parameterverlaufsbeobachtungen hilfreich sein. Im Bereich der Herz-Kreislauferkrankungen ist Bewegung der Schlüssel zur Prävention. So bewirken schon 2000 Schritte über dem normalen Durchschnitt pro Tag eine Gewichtsabnahme. Koordinierte Bewegung, d.h. nicht zu viel und nicht zu wenig, sorgt für Wohlbefinden und Reduzierung des Bluthochdrucks.
Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik Prof. Dr. rer. nat. Bernhard Wolf
Die intelligente Schuhsohle Eine intelligente Schuhsohle erfasst personenbezogene Bewegungsparameter und kommuniziert mit dem Mobiltelefon des Präventionsprogramm - Teilnehmers: -
Die Schuhsohle bezieht ihre Energie aus der Bewegung der Person.
-
Schrittmuster und Art der Bewegung werden erkannt.
-
Verschiedene Trainingsmodelle stehen dem Benutzer - individuell an sein Leistungsspektrum angepasst - zur Verfügung.
8 Copyright Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik
Bild 2
Bild 2 zeigt eine intelligente Schuhsohle, die personenbezogene Bewegungsparameter erfasst, und mit dem Mobiltelefon des Teilnehmers kommunizieren kann. Schrittmuster und Art der Bewegung werden erkannt. Verschiedene Trainings-
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Alexander Scholz, Bernhard Wolf
modelle stehen dem Benutzer – individuell an sein Leistungsspektrum angepasst – zur Verfügung und können aus dem Internet auf das Mobiltelefon geladen werden. Außerdem erhält der Benutzer via Mobiltelefon ein Feedback zu den absolvierten Fitnessprogrammen. Hauptziel solcher Präventionssysteme ist das Gesundheitsbewusstsein der Teilnehmer zu schulen. Die ActiveTrack Schuhsohle besitzt matrizenförmig angeordnete Drucksensoren um ein detailliertes Druckprofil des Fußes zu erhalten (Bild 2). Mit diesen Druckdaten können sowohl Schritte gezählt als auch Schrittarten erkannt werden.
Schlafstörungen Ein bislang vernachlässigtes medizinisches Phänomen ist die starke Zunahme des Zähneknirschens, auch Bruxismus genannt. Schon heute sind ca. 10 % der erwachsenen Bevölkerung betroffen. Eine telemedizinische, mit Sensoren ausgestattete Aufbiss-Schiene macht es möglich, die beim Bruxismus (Zähneknirschen) auftretenden Kräfte erstmals komfortabel und in Realzeit zu messen. Die Elektronik kann durch den Zahntechniker einfach in die individuell für den Patienten angefertigte Schiene integriert werden und bietet höchsten Tragekomfort. Gemessen werden die Kräfte direkt zwischen den Zahnflächen. Die gesamte Sensorik und Messelektronik werden in einer Zahnschiene untergebracht, die Bruxismuspatienten üblicherweise zur Schonung ihrer Zähne verordnet bekommen. Die Daten werden kabellos nach Außen übertragen. Es kann komfortabel und in Realzeit gemessen werden, ohne wie bisher störende Elektroden im Gesicht des Patienten zu befestigen oder eine große Anzahl von Patienten im Schlaflabor zu untersuchen. Die „Schlafwächter-Box“ empfängt und speichert die Messdaten der Schiene (Bild 3). Die Daten werden für den Patienten grafisch auf einem Mobiltelefon angezeigt und automatisch an den zuständigen Arzt weitergeleitet. Dadurch können sowohl Diagnose als auch Verlaufsbeobachtungen im gewohnten häuslichen Umfeld des Patienten erfolgen ohne die Schlafqualität des Patienten und damit das Messergebnis zu beeinflussen. Auf diese Weise können neue Therapien evaluiert und individualisiert werden.
18 Der Arzt im Gepäck: Vitalsensorik für mobile Patientenüberwachung
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Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik Prof. Dr. rer. nat. Bernhard Wolf
Das Schlafwächtersystem
•
keine Elektroden, keine Kabel
•
Integration in eine übliche Zahnschiene
•
höchster Komfort für den Patienten 10
Copyright Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik
Bild 3: Das System zur Überwachung des Schlafes sendet Bruxismus Ereignisse an eine „Schlafwächter-Box“. Die Ergebnisse können am PC oder Mobiltelefon ausgewertet werden.
Lungenfunktion Ein weiteres Beispiel für ist das an der TU München entwickelte Lungenfunktionsmessgerät (Spirometer). Der Anwendungsbereich des Gerätes liegt in der PeakFlow-Messung und der dadurch einfach mögliche Diagnose von Asthmaerkrankungen. Damit ein Arzt solche Aussagen treffen kann, müssen bei den Patienten über einen Zeitraum von 2 Wochen mehrere Messungen durchgeführt werden. Da Atemwegserkrankungen bei ca. 10 % der Bevölkerung verbreitet sind, ist eine positive Diagnose sehr wahrscheinlich. Leider sind nur wenige Ärzte mit einem Spirometer ausgestattet. Sicherlich sind die Gründe dafür in der fehlenden Mobilität, sowie im Fehlen der automatisierten Datenübertragung und auch in den hohen Anschaffungskosten zu suchen. Das Spirometer der Projektgruppe der TU-München dagegen ist klein, günstig und einfach zu bedienen. Das Gerät wird kombiniert mit einem Inhalator, der die Medikamenteneinnahme automatisch dokumentiert. Arzt und Patient erhalten so Informationen über die Wirkung von Medikamenten bezüglich der Lungenfunktionswerte. Außerdem können Arzt und Krankenkasse die Einnahme (Compliance) von Medikamenten überwachen.
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Alexander Scholz, Bernhard Wolf
Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik Prof. Dr. rer. nat. Bernhard Wolf
Medizinisches Verfahren zur Diagnose und Therapie von Atemwegserkrankungen •
Entwicklung eines Systems, das Lungenfunktionsdaten mit der Medikamenteneinnahme kombiniert
•
Man benötigt ein mobiles kabelloses Spirometer in Kombination mit einem Gerät zur automatischen Dokumentation der Medikamenteneinnahme
•
Arzt und Patient erhalten Informationen über die Wirkung der Medikamente bzgl. der Lungenfunktionswerte
•
Arzt kann die Medikamenteneinnahme prüfen 12
Copyright Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik
Bild 4
Bild 4 zeigt das System zur Erfassung der Lungenparameter bei gleichzeitiger Dokumentation der Medikamenteneinnahme, kann sowohl für die Erstellung des Krankheitsbildes des einzelnen Patienten und für die Planung der weiteren Behandlung als auch für ein Asthma-Forschungsprogramm verwendet werden.
Blutdruck Der Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik der TU München (Prof. Bernhard Wolf) und die Firma OMRON Europe haben gemeinsam ein Blutdruckmessgerät entwickelt, mit dem Patienten einfach und hochpräzise selbst ihren Blutdruck bestimmen können. Ein integrierter Positionierungssensor zeigt an, ob das Gerät korrekt am Handgelenk angebracht ist. Für ihre Entwicklung wurden die Wissenschafter gemeinsam mit OMRON Europe von der Fachzeitschrift Praxis-Depesche mit dem Praxis-Depeschen-Award 2004 ausgezeichnet. Der Heinz Nixdorf-Lehrstuhl und OMRON forschen in einem gemeinsamen Projekt an Telemetric Personal Health (TPHM) Systemen. Im realisierten TPHM-System überträgt das Blutdruckgerät die Daten über ein Handy an den behandelnden Arzt. Arzt und Patient können jederzeit auf die Daten zugreifen. Veränderungen des Gesundheitszustands des Patienten können sofort erkannt werden. Einfach und kostengünstig wird so der Blutdruck des Patienten überwacht, die deutlich erhöhte Qualität der Therapie kann zu einer schnelleren Entlassung führen.
18 Der Arzt im Gepäck: Vitalsensorik für mobile Patientenüberwachung
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Das Blutdruck-System (Abbildung 5) besteht aus einem medizinischen Sensor oder medizinischen Messgerät und einer Einheit, die die Daten an ein Endgerät weiterleitet, etwa ein Mobiltelefon oder einen Personal Digital Assistent. So kann der Patient jederzeit und sofort die Werte als Grafik auf einem Display betrachten. Der Arzt hat zugleich die Möglichkeit, häufiger und über einen längeren Zeitraum medizinischer Gesundheitsparameter des Patienten zu erfassen – ohne direkten Patientenkontakt. Medikamente können genauer eingestellt, Abweichungen frühzeitig erkannt werden. Völlig neue Therapieformen werden somit erst möglich. Das System des Heinz Nixdorf-Lehrstuhls trägt dazu bei, Kosten im Gesundheitssystem zu senken bei gleichzeitiger Verbesserung der Versorgungsqualität. Die Akzeptanz dieser Technik wurde von 11 Patienten in einer kleinen Studie per Fragebogen evaluiert. Die an der Studie teilnehmenden Patienten zeigen ein positives Bild über die verwendeten Geräte auf. So sind 91 % der Patienten mit dem System insgesamt sehr zufrieden und 91 % begrüßen die einfache Handhabbarkeit des Systems. Diese hohe Akzeptanz bestätigt sich auch im persönlichen Gespräch. Hierbei ist ebenfalls die einfache Bedienung und die Interaktion über das Handy als Ursache für die Zufriedenheit genannt worden.
Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik Prof. Dr. rer. nat. Bernhard Wolf
Ein telemedizinisches Blutdruckmessgerät der TU München ist bereits am Markt erhältlich
Starke positive Resonanz bei Patienten und Ärzten • Eigenverantwortung der Patienten führt zur erhöhter Motivation • Mediziner sehen neue Therapieansätze und Kundenbindungsmodelle Starke Ablehnung durch Grossindustrie, Krankenkasse und öffentliche Einrichtungen • Aktive Prävention ist nur schlecht abrechenbar Entwickelt am Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik; Hergestellt durch die Sendsor GmbH; Vertrieb durch Omron Europe. Copyright Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik
Bild 5
14
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Alexander Scholz, Bernhard Wolf
Die Sendsor GmbH hat ein Blutdruckmesssystem für den häuslichen Einsatz auf dem Markt gebracht (Bild 5). Das System besteht aus einem hochqualitativen Blutdruckmessgerät der Firma Omron, und einem Kommunikationsaufsatz (TPHM©Aufsatz), der die gemessenen Daten auf einem Mobiltelefon anzeigt. Diese Daten können durch einen Arzt, oder vom Patienten selbst, übersichtlich am PC ausgewertet werden.
Das Mobiltelefon als Medizingerät Das Mobiltelefon als Medizingerät wird das Gesundheitswesen grundlegend verändern sobald die gesetzlichen Rahmenbedingungen geklärt sind (Bild 6).
Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik Prof. Dr. rer. nat. Bernhard Wolf
Das Mobiltelefon als Medizingerät wird das Gesundheitswesen grundlegend verändern… Mobiltelefon als Medizingerät ...
x… x… …
x…
Innovationsbarrieren: x… …
• Fehlende gesetzliche Rahmenbedingungen bezüglich: – Datenverantwortlichkeit – Standardisierung/Normierung
• Sensoren für das Monitoring aller wichtigen Vitalparameter sind bereits heute einsatzfähig
• Fehlende Zulassungsmöglichkeiten von Mobiltelefonen als Übermittlungsgeräte für medizinische Daten
• Das Mobiltelefon als interaktives Medizingerät steht zur Verfügung
… sobald die gesetzliche Rahmenbedingungen geklärt sind 21 Copyright Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik
Bild 6
Gesetzliche Rahmenbedingungen ...
19 Der strafrechtliche Schutz des Arztgeheimnisses unter den Bedingungen der modernen Informationstechnik Prof. Dr. Ulrich Sieber Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg Rechtsinformatikzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität, München I.
Neue Gefährdungen des Arzt- und Patientengeheimnisses durch die moderne Informationstechnik
Der persönlichkeitsrechtliche Schutz des Arzt- und Patientengeheimnisses steht unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung vor neuen Herausforderungen. Dies beruht vor allem darauf, dass mit dem zunehmenden Einsatz der Informationstechnik in Arztpraxen, Laboren, Krankenhäusern und Versicherungsunternehmen die dem Arzt- und Patientengeheimnis unterliegenden Daten aufgrund technischer und wirtschaftlicher Zwänge einer Vielzahl von Personen außerhalb der genannten Einrichtungen und Unternehmen zugänglich gemacht werden müssen. Bereits die unverzichtbare Wartung und Fehlerbehebung der eingesetzten Computersysteme führt in diesen Bereichen des Gesundheitswesens zu Zugriffsmöglichkeiten zahlreicher externer Personen auf die dem Arzt- oder Krankenversicherungsgeheimnis unterliegenden Daten. Die elektronische Fernwartung – z.B. über das Internet – erlaubt diese Wartungszugriffe dabei auch Personen von außerhalb der jeweiligen Einrichtungen. Informationssysteme und Netzwerke von Krankenhäusern und Arztpraxen ermöglichen ebenfalls – wie die Berichte von Datenschutzbeauftragten und Aufsichtsbehörden zeigen – neue Zugriffsmöglichkeiten auf die Patientendaten1. Auch bei der Anpassung von Soft- und Hardware an spezifische Kundenwünsche (dem so genannten Customizing) und bei vielen sonstigen kundenspezifischen Dienstleistungen im EDV-Bereich kommen die dabei tätigen Techniker in Kontakt mit den durch § 203 StGB geschützten Daten, z.B. bei der System1
Vgl. etwa LT-Drs. (Baden-Württemberg) 13/40, S. 90; Landesbeauftragter für den Datenschutz in Baden-Württemberg, 22. Tätigkeitsbericht, 2001, S. 51; Landesbeauftragter für den Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern, Sechster Tätigkeitsbericht 2002/2003, S. 83; Sächsischer Datenschutzbeauftragter, 9. Tätigkeitsbericht, 2001, S. 172; ders., 11. Tätigkeitsbericht, 2003, S. 201, Hessischer Datenschutzbeauftragter, 29. Tätigkeitsbericht, 2000, S. 67.; zur Telemedizin vgl. näher Dierks/Feussner/Wienke, Rechtsfragen der Telemedizin, 2001; Ulsenheimer/Heinemann, MedR 1999, 197.
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pflege, dem Operating, der Wiederanlaufplanung, der Bereitstellung von Netzwerken oder dem Aufbau von Backup-Lösungen. Die externe Datenarchivierung führt zu einer noch weiter reichenden massenhaften Auslagerung von geheimen Daten bei fremden Unternehmen. Beim Outsourcing der Rechenzentren von Krankenhäusern oder Versicherungen gelangt sogar deren gesamter Datenbestand in die Verfügungsgewalt eines fremden Unternehmens, wenn dieses die Datenverarbeitung einer Vielzahl von Unternehmen wirtschaftlicher als die Einzelunternehmen betreiben will. Beim Fehlen einer angemessenen Regulierung wird – wie dies aus dem Ausland berichtet wurde – dem Patienten dann eventuell erst beim Auftreten von Datenpannen klar, wo seine Gesundheitsdaten tatsächlich gespeichert werden. Soweit derartige Vorgänge der (Fern)Wartung, des Customizing, der Vernetzung, der externen Datenarchivierung oder des Outsourcings von Rechenzentren nur personenbezogene Daten und damit das allgemeine Datenschutz(straf)recht (insb. der §§ 44, 43 BDSG) berühren, sind sie unter juristischen Gesichtspunkten vergleichsweise einfach zu bewältigen. Das Datenschutzrecht kennt insoweit nicht nur die Datennutzung innerhalb einer „Stelle“ i.S.v. § 3 Abs. 7 BDSG, sondern enthält vor allem auch spezielle Bestimmungen zur Auftragsdatenverarbeitung, welche die Weitergabe von personenbezogenen Daten an einen Auftragnehmer ausdrücklich erlauben, wenn der Auftraggeber die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen überwacht, unter besonderer Berücksichtigung der von ihm getroffenen organisatorischen und technischen Maßnahmen sorgfältig auswählt und darauf achtet, dass die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der personenbezogenen Daten nur im Rahmen seiner Weisungen erfolgt. Unterliegen die weitergegebenen personenbezogenen Daten dagegen (zusätzlich) dem speziellen Schutz des Arztgeheimnisses oder dem entsprechenden Schutz eines anderen Berufsgeheimnisses durch § 203 StGB, so stellt sich die Situation sehr viel schwieriger dar, da – wie unten näher auszuführen sein wird – die datenschutzrechtlichen Regelungen über die Auftragsdatenverarbeitung nach zutreffender Ansicht im Bereich der speziellen Berufsgeheimnisse des § 203 StGB jedenfalls nicht ohne weiteres auch Offenbarungsbefugnisse darstellen. Die – in Anlehnung an §§ 185, 186 E 1962 konzipierte und ursprünglich auf § 300 Reichsstrafgesetzbuch gründende – Vorschrift des § 203 StGB bedroht denjenigen Berufsgeheimnisträger mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe, der ein ihm anvertrautes Berufsgeheimnis unbefugt offenbart. Mit einer qualifizierten Strafdrohung (Freiheitsstrafe von bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe) belegt § 203 Abs. 5 StGB das Handeln gegen Entgelt, in Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht. § 204 StGB erfasst darüber hinaus die unbefugte Verwertung der geschützten Geheimnisse. Diese Strafdrohungen gelten im Bereich des Gesundheitswesens gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB für Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und bestimmte Angehörige anderer Heilberufe sowie gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB für Angehörige privater Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherungen und privatärztlicher Verrech-
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nungsstellen. § 203 Abs. 2 StGB bezieht daneben u.a. Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete in den Kreis der Berufsgeheimnisträger ein. Gemäß § 203 Abs. 3 S. 2 StGB stehen diesen Personen u.a. ihre „berufsmäßig tätigen Gehilfen“ (d.h. insbesondere die im Verfügungsbereich des Geheimnisträgers tätigen Personen) gleich. Eine ausdrückliche Vorschrift über die Befugnisse zu einer Weitergabe der Berufsgeheimnisse an den Kreis von Gehilfen, Subunternehmern und Mitunternehmern des Berufsgeheimnisträgers enthält die Vorschrift dagegen nicht. Die moderne Problematik, dass Patientengeheimnisse heute nicht mehr nur einem einzelnen Arzt und eventuell auch noch seiner Sprechstundenhilfe anvertraut werden, sondern in komplexen Organisationseinheiten und Netzwerken (wie Gemeinschaftspraxen mit angeschlossenen Kleinkliniken oder größeren Verbundkrankenhäusern) verarbeitet werden, hat der Gesetzgeber zwar im Datenschutzrecht bedacht, nicht jedoch in § 203 StGB. In der Praxis besteht deswegen heute eine erhebliche Rechtsunsicherheit, wenn externe Wartungstechniker in Arztpraxen, Laboren, Krankenhäusern, privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherungen sowie privatärztlichen Verrechnungsstellen, bei der Archivierung von Krankenunterlagen durch externe Archivierungsunternehmen, beim Aufbau von Krankenhausinformationssystemen und anderen Netzwerken oder beim Outsourcing der Rechenzentren von Versicherungen eingesetzt werden: So fürchten z.B. Ärzte beim Einsatz der Fernwartung ihrer Computersysteme eine Strafbarkeit nach § 203 Abs. 1 StGB.2 Die Abtretung von ärztlichen Honorarforderungen ohne spezielle Einwilligung der Patienten wird von der Zivilrechtsprechung wegen Verstoßes gegen § 203 StGB als nichtig angesehen. Mit demselben Argument gelingt es Konkurrenzunternehmen, im Rahmen von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen die Archivierung von Krankenversicherungsunterlagen durch Subunternehmer zu verhindern. Besondere Rechtsunsicherheit besteht darüber hinaus vor allem bei dem bereits erwähnten Outsourcing der Rechenzentren von Versicherungsunternehmen: Zahlreiche große Versicherungskonzerne verzichten aus Angst vor einem Verstoß gegen § 203 StGB im Bereich der Kranken-, Lebens- und Unfallversicherungen auf das – unter dem Gesichtspunkt der Kostenreduzierung und auch der Datensicherheit oft sinnvolle – Outsourcing ihrer EDV-Abteilungen. Andere Versicherungsunternehmen haben ihre Rechenzentren dagegen bereits auf unabhängige Dienstleister ausgelagert, fürchten inzwischen jedoch nicht nur eine Strafbarkeit, sondern auch die – in der Praxis zumindest kurzfristig kaum mögliche und existenzbedrohende – Rückabwicklung von hohen Investitionen. Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass beim Einsatz der modernen Informationstechnik im Gesundheitswesen auf2
Die rechtliche Situation wird für Ärzte zusätzlich dadurch verschärft, dass die Verschwiegenheitspflicht auch durch die Berufsordnungen bekräftigt wird (vgl. § 9 Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte) und bereits fahrlässige Verstöße als Verletzung von Berufspflichten bzw. als berufsunwürdige Handlungen mit einer berufsgerichtlichen Maßnahme belegt werden können (vgl. etwa §§ 29 ff., 55 ff. Heilberufe-Kammergesetz Baden-Württemberg).
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grund der Strafdrohung des § 203 StGB sowohl die Rechtsunsicherheit als auch die juristischen Hemmnisse gegenüber neuen technischen Lösungen ganz erheblich sind.
II. Möglichkeiten der Datenweitergabe im Bereich von § 203 StGB Unter juristischen Gesichtspunkten stellt sich die Frage einer Strafbarkeit nach § 203 StGB beim Einsatz der modernen Informationstechnik im Gesundheitswesen deswegen mit besonderer Schärfe, weil der Geheimnisbegriff des § 203 StGB überaus weit verstanden wird, und weil ein Zugänglichmachen der entsprechenden Berufsgeheimnisse gegenüber anderen Personen bei einem sinnvollen EDV-Einsatz weithin unvermeidlich ist: So unterliegt dem Arzt- oder Versicherungsgeheimnis z.B. bereits die Tatsache, dass jemand von einem bestimmten Arzt behandelt wird.3 Entsprechend kann im Bereich der privaten Kranken-, Unfall oder Lebensversicherung bereits die Tatsache ein Geheimnis sein, dass eine bestimmte Person (kranken-)versichert ist.4 Auch wenn zahlreiche Daten im Gesundheitswesen verschlüsselt oder anonymisiert übermittelt werden können, so bleiben doch viele Fälle, in denen es schon technisch nicht möglich oder zumindest wirtschaftlich kaum vertretbar ist, die entsprechenden personenbezogenen Daten entweder nur in anonymisierter Form zu verarbeiten (und damit gegenüber den im Bereich der EDV tätigen Personen gar kein personenbezogenes Geheimnis zugänglich zu machen) oder sie durch Zugriffskontrollsysteme gegenüber dem EDV-Personal abzuschotten (und damit ein „Offenbaren“ des Geheimnisses gegenüber einem anderen zu vermeiden5). So kommt es beispielsweise in den Fällen des Outsourcings von Rechenzentren im Bereich der Krankenversicherungen beim Kontakt zwischen der Versicherung und ihren Kunden (z.B. beim Ausdruck von Briefen) unvermeidlich auch zu einem Kontakt der eingeschalteten Techniker mit den erfassten Klartextinforma3
Vgl. BGHSt 33, 148, 152; 45, 363, 366; OLG Bremen MedR 1984, 112 f.; OLG Oldenburg NJW 1982, 2615 f.; LG Köln NJW 1959, 1598 f.; Langkeit, NStZ 1994, 6, 9; Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB (LK), 11. Aufl. 2001, § 203 Rn. 29; Lenckner, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar (Sch-Sch), 26. Aufl. 2001, § 203 Rn. 7; Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch Kommentar, 53. Aufl. 2004, § 203 Rn. 4; a.A. LG Oldenburg NJW 1992, 1563, 1564. 4 So auch Ayasse, VersR 1987, 536, 537; Frels, VersR 1976, 511, 512; Rein, VersR 1976, 117, 120; offengelassen von Otto, wistra 1999, 201, 202 für öffentlich-rechtliche Kreditinstitute. 5 Nach h.M. ist ein Geheimnis dann „offenbart“, wenn es in irgendeiner Weise an einen anderen gelangt. Bei mündlichen Mitteilungen wird dabei Kenntnisnahme verlangt, während bei Schriftstücken und anderen verkörperten Geheimnissen das Verschaffen des Gewahrsams mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den anderen genügt. Für Letzteres verlangt die h.M. ein beachtliches Maß an „Offensichtlichkeit“ der geschützten Informationen. Vgl. dazu den sehr weit gehenden Ansatz bei LK-Schünemann (Fn. 3)., § 203 Rn. 41 und Cierniak in: Münchner Kommentar zum StGB (MK), 2003, § 203 Rn. 52.
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tionen. Auch bei der Wartung und Fehlerbeseitigung im Bereich von EDV-Systemen und internen Netzwerken (Intranets) kann dem Wartungstechniker in zahlreichen Konstellationen ein Zugriff auf die Berufsgeheimnisse nicht versagt werden. Technische Lösungen der Verschlüsselung, der Anonymisierung oder der Zugriffskontrolle, wie sie aus Datenschutzgründen gefordert werden,6 können die Problematik deswegen in vielen Fällen nicht lösen. In der Literatur wird deswegen auch festgestellt, dass der Zugriff auf eine EDV-Anlage durch Servicepersonal die Offenbarung aller darin gespeicherten Geheimnisse bedeute. Der Einsatz der Informationstechnik im Gesundheitswesen und im Bereich der anderen Berufsgeheimnisträger nach § 203 StGB ist daher in vielen Fällen nur dann rechtmäßig, wenn dabei • entweder ein Offenbaren des Geheimnisses gegenüber einer anderen Person verneint werden kann • oder ein spezieller Erlaubnissatz (insb. Einwilligung oder Einverständnis des Geheimnisträgers) eingreift und deshalb das Offenbaren nicht als „unbefugt“ anzusehen ist. Diese beiden – hier zur Veranschaulichung plakativ als „Tatbestandslösung“ und „Rechtfertigungslösung“ umschriebenen – Ansatzpunkte sollen im folgenden auf ihre Begründung und Reichweite analysiert werden. Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten ist dabei vor allem interessant, in welcher Form die gleichen Sachprobleme (z.B. einer konkludenten Willensäußerung des Rechtsgutsträgers) bei den beiden unterschiedlichen Lösungen auftreten.
1. Tatbestandslösung: Das Offenbaren gegenüber einer anderen Person a) Das Tatbestandsmerkmal des „Offenbarens“ in § 203 StGB setzt voraus, dass das Berufsgeheimnis einer anderen Person zugänglich gemacht wird. Der hier als „Tatbestandslösung“ bezeichnete und von der herrschenden Meinung vertretene Ansatz beruht deswegen darauf, ein solches Zugänglichmachen des Geheimnisses an einen anderen bei der Weitergabe innerhalb von engen Organisationseinheiten oder Funktionseinheiten abzulehnen. So wird beispielsweise die Weitergabe des Patientengeheimnisses vom Arzt an seine Sprechstundenhilfe von weiten Teilen der Literatur nicht als Weitergabe an einen anderen angesehen.7 Dieser Ansatz ist allerdings nicht unbestritten. Eine Mindermeinung sieht als tatbestandsmäßiges Offenbaren jede Mitteilung zwischen natürlichen Personen an, ohne Rücksicht darauf, ob diese Per6
Vgl. dazu den Anhang zu den Empfehlungen der Bundesärztekammer zu ärztlicher Schweigepflicht, Datenschutz und Datenverarbeitung in der Arztpraxis, DÄBl. 1996, C-1984, sowie Garstka, Zeitschrift für ärztliche Fortbildung und Qualitätssicherung (ZaeFQ) 1999, 781, 783; Der Landesbeauftragte für den Datenschutz im Saarland, ArztR 1999, 182, 186. 7 Sch-Sch-Lenckner (Fn. 3), § 203 Rn. 19.
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sonen der gleichen Organisation angehören.8 Diese zuletzt genannte Meinung kommt deswegen in entsprechenden Fällen erst auf der Rechtfertigungsebene über die Konstruktion einer (ausdrücklichen, konkludenten oder mutmaßlichen) Einwilligung des Patienten zur Straflosigkeit. Sucht man nach der Begründung für die Ablehnung eines „Offenbarens“ von Geheimnissen in bestimmten Organisations- bzw. Funktionseinheiten, so lassen sich vor allem zwei unterschiedliche Gesichtspunkte für eine Eingrenzung des Begriffs „Offenbaren“ feststellen: Zum einen wird – was die subjektive Perspektive des Verfügungsberechtigten in den Vordergrund stellt – darauf abgehoben, dass der Inhaber von Geheimnissen diese häufig nicht einer bestimmten Person, sondern einer Einrichtung (z.B. einer Arztpraxis oder einem Versicherungsunternehmen) mitteilt.9 Zum andern wird – was eher zu einer objektiven Abgrenzung der relevanten Funktionseinheiten aus der Perspektive der Verschwiegenheitspflichtigen führt – das Offenbaren als die „Hinausgabe von Tatsachen aus dem Kreis der Wissenden oder der zum Wissen Berufenen10“ definiert. Der erstgenannte – auf dem Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsinhabers beruhende – Gesichtspunkt ist überzeugend: Da der verfügungsberechtigte Rechtsgutsinhaber bei § 203 StGB sein Geheimnis nicht nur entweder gegenüber einer einzelnen Person oder aber vollständig gegenüber jedermann offenlegen kann (mit der Folge, dass im letztgenannten Fall kein Geheimnis i.S.v. § 203 StGB mehr vorliegt), sondern auch gegenüber einem beschränkten Personenkreis, kann eine personell begrenzte Aufgabe des Geheimhaltungswillens bereits den Tatbestand von § 203 StGB entfallen lassen. Die zweite – eher auf die objektive Notwendigkeit der Mitteilung z.B. für die ärztliche Behandlung und nicht auf den Patientenwillen abstellende – Begründung erscheint dagegen nur insoweit berechtigt, als – bei fehlenden Anhaltspunkten für einen gegenteiligen Patientenwillen – die Auslegung der entsprechenden konkludenten Erklärung des Patienten über den Adressatenkreis seiner Geheimnisoffenbarung am Bild eines „vernünftigen“ Patienten zu orientieren und damit zu objektivieren ist. b) Mit der damit möglichen Tatbestandslösung werden in Rechtsprechung und Literatur Einschränkungen des Tatbestandsmerkmals „Offenbaren“ vor allem bei Mitteilungen im Behördenverkehr angenommen: Nach herrschender Meinung liegt im internen Dienstverkehr einer Behörde kein Offenbaren vor, wenn das Geheimnis dem für die Bearbeitung zuständigen Amtsträger mitgeteilt oder sonst bestimmungs8
Vgl. z.B. Jung, in: Lüke (Hrsg.), Constantinesco-Gedächtnisschrift, 1983, S. 355, 363 f.; Seelos, Informationssysteme und Datenschutz im Krankenhaus, 1991, S. 60 ff; Hoyer, in: Systematischer Kommentar zum StGB (SK), 7. Aufl. 2003, § 203 Rn. 33 ff. 9 Vgl. LG Bonn NJW 1995, 2419, 2420; Langkeit, NStZ 1994, 6 f.; Sch-Sch-Lenckner (Fn. 3), § 203 Rn. 19 a.E.; ähnlich Ayasse, VersR 1987, 536, 537; Rein, VersR 1976, 117, 120; Rogall, NStZ 1983, 1, 8. 10 So bereits Bockelmann, Strafrecht des Arztes, 1968, S. 51; Niedermair, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, 2. Aufl. 2001, S. 393, 397 f.; BVerfGE 32, 373, 382 („Kreis der Wissenden“).
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gemäß, etwa zur innerdienstlichen Berichterstattung, verwendet wird.11 Dazu wird darauf hingewiesen, dass beim Verkehr mit Behörden das Vertrauen regelmäßig nicht – wie z.B. beim Arzt oder Anwalt – dem Amtsträger in seiner Person, sondern als Repräsentant seiner Behörde entgegengebracht wird. Der Bereich des internen Dienstverkehrs einer Behörde wird durch einen funktionalen Behördenbegriff bestimmt. Davon abgegrenzt werden Mitteilungen nach außen an andere Behörden. – Mit der gleichen Begründung lehnt die herrschende Meinung ein Offenbaren i.S.v. § 203 Abs. 1 StGB auch dann ab, wenn der Schweigepflichtige das Geheimnis im Rahmen einer (privaten oder öffentlichen) Organisations- bzw. Funktionseinheit weitergibt. Als Beispiele für derartige „Organisationseinheiten“ genannt werden dabei auch Krankenhäuser oder Versicherungsunternehmen nach § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB. Im Hinblick auf die Größe und Komplexität dieser modernen „Organisationseinheiten“ wird dabei allerdings häufig nicht eindeutig geklärt, welche Personen bzw. Abteilungen der jeweiligen Funktionseinheit zuzurechnen sind. Die überwiegende Literaturmeinung nimmt bei der Bestimmung der Organisationsoder Funktionseinheiten, innerhalb derer kein tatbestandsmäßiges Offenbaren stattfinden soll, eine objektive Eingrenzung dahingehend vor, es müsse sich um Kräfte handeln, die unmittelbar in den Einsatz des Arztes einbezogen sind, weil sie bei der ordnungsgemäßen Ausübung der ärztlichen Tätigkeit Unterstützung leisten. Personen, die im Rahmen darüber hinausgehender organisatorischer Vereinfachung tätig werden, gehörten dagegen nicht mehr zum „Kreis der zum Wissen Berufenen“12. Die Literatur ergänzt diese Eingrenzung durch das Korrektiv der Erforderlichkeit einer Einweihung des Informationsempfängers in das fragliche Geheimnis im konkreten Fall13 sowie ferner durch das Kriterium, dass der Patient mit der Einschaltung dieser Person von vornherein rechnet14. 11
Vgl. Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch Kommentrar, 24. Aufl. 2001, § 203 Rn. 21; Sch-SchLenckner (Fn. 3), § 203 Rn. 45. 12 So Meier, Der rechtliche Schutz patientenbezogener Gesundheitsdaten, 2003, S. 155 f.; Niedermair, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, 2. Aufl. 2001, S. 393, 398; wohl auch Schlund, in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 75 Rn. 45; vgl. auch Sch-Sch-Lenckner (Fn. 3), § 203 Rn. 19. 13 Vgl. Bockelmann, Strafrecht des Arztes, 1968, S. 39; Lin, Persönlichkeitsrechtsverletzung des Patienten und Arzthaftung, 1996, S. 51; Meier, Der rechtliche Schutz patientenbezogener Gesundheitsdaten, 2003, S. 156; Rieger, Lexikon des Arztrechts, 2. Aufl. 2001, 4740/27; wohl auch Langkeit, NStZ 1994, 6, 7; Niedermair, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, 2. Aufl. 2001, S. 398. Nach Andreas, ArztR 2000, 296, 298 darf der ärztliche Direktor eines Krankenhauses Patientendaten nur erfahren, wenn er in die Behandlung dieses Patienten eingebunden und aus diesem Grund die Mitteilung erforderlich ist. 14 Vgl. Langkeit, NStZ 1994, 6, 7 m.w.N. Die Aufnahme von Patientendaten in sogenannte Krankenhausinformationssysteme, innerhalb derer Patienteninformationen von vornherein verschiedenen Abteilungen oder gar Spezialkliniken zugänglich sind, lässt sich daher nicht auf diesem Wege legitimieren. Vgl. dazu Seelos, Informationssysteme und Datenschutz im Krankenhaus, 1991; Hessischer Datenschutzbeauftragter (Fn. 1), S. 67; Landesbeauftragter für den Datenschutz in Baden-Württemberg (Fn. 1), S. 55 f.; Reichow/Hartleb/Schmidt, MedR 1998, 162, 163 f.
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Die oben dargestellte Begründung für die Tatbestandslosigkeit des Offenbarens macht deutlich, dass diese in der Literatur überwiegend vertretenen, in ihrer Herleitung aber kaum begründeten Kriterien insoweit zutreffend sind, als der Patient seine Geheimnisse im Regelfall jedenfalls all denjenigen Personen anvertraut, die notwendigerweise und unmittelbar in den Behandlungsablauf eingeschaltet sind und von denen er sich „ein Bild machen“ kann.15 Dies kann auch für Personen gelten, die – wie die Mitarbeiter des Labors oder der Bereitschaftsdienst eines Krankenhauses – im Bedarfsfall zur Behandlung zugezogen werden sollen. Einen Grenzfall bildet dagegen die interne Archivierung der Dokumentation nach Abschluss der Behandlung: Da die Aufbewahrung der Original-Behandlungsunterlagen dem Interesse der Patienten dient und von diesen regelmäßig erwartet wird, kann man diese noch dem eigentlichen Behandlungsgeschehen zurechnen. Eine etwaige spätere Mikroverfilmung (bei Vernichtung der Originalakten) zur Platzersparnis kann demgegenüber – ebenso wie eine Archivierung der Originalunterlagen durch externe Unternehmen – als Maßnahme der organisatorischen Vereinfachung nur über die „Einwilligungslösung“ legitimiert werden. c) Darüber hinaus verneint eine verbreitete Auffassung das Offenbaren auch bei Mitteilungen des primär Schweigepflichtigen an seine zur Berufsausübung erforderlichen Hilfskräfte i.S.v. § 203 Abs. 3 S. 2 StGB,16 vor allem mit dem o.g. Argument, dass in diesem Fall das Geheimnis nicht aus dem „Kreis der zum Wissen Berufenen“ hinausgelange. Diese Einschränkung des Tatbestandes von § 203 StGB ist allerdings schon unter methodischen Gesichtspunkten problematisch, da der Begriff des „berufsmäßig tätigen Gehilfen“ im geltenden Recht in ganz unterschiedlichen Funktionen verwandt wird. Der Gehilfenbegriff wird zunächst in § 203 Abs. 3 S. 2 StGB in einer strafbarkeitsbegründenden Form verwandt, indem er den Täterkreis dieses Sonderdelikts (in Erweiterung von Absatz 1) umschreibt.17 Er hat sodann eine strafprozessuale Funktion, wenn er – für einen Teil der von § 203 Abs. 1 StGB erfassten Berufsträger sowie für andere Personen – das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 53 StPO und das Beschlagnahmeprivileg des Zeugnisverweigerungsberechtigten auf sie erstreckt (§§ 53 a, 97 Abs. 2 S. 2 StPO). Hiervon zu unterscheiden ist die vorliegend interessierende dritte Funktion der Begründung einer – strafbarkeitseinschränkenden – Befugnisnorm. Die Gleichsetzung der damit bestehenden drei Gehilfenbegriffe mit jeweils unterschiedlicher Funktion, die in der Literatur meist nicht ausreichend auseinander gehalten werden, ist methodisch nicht ohne weitere Begründung gerechtfertigt und 15
Eine solche subjektive Komponente ist nach h.M. zu Recht ein wesentlicher Grund für die Tatbestandslosigkeit der Mitteilung innerhalb der Organisationseinheit; vgl. BGH NJW 1999, 2731, 2734. 16 Vgl. z.B. OVG Lüneburg, MedR 1985, 230, 232; Andreas, ArztR 2000, 296, 299. 17 Parallele Fragestellungen ergeben sich bei der Auslegung von „Mitglied einer anerkannten Beratungsstelle“ (§ 203 Abs. 1 Nr. 4a StGB) und „Angehörige eines Unternehmens“ i.S.v. Abs. 1 Nr. 6 StGB.
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daher im Ergebnis keineswegs selbstverständlich. Insbesondere ist der Schluss falsch, die Informationsweitergabe an „berufsmäßig tätige Gehilfen“ stelle generell kein Offenbaren dar, da diese Personen „zum Wissen berufen“ seien. Dieser Schluss negiert nicht nur die oben dargestellten unterschiedlichen Funktionen des „Gehilfen-Kriteriums“, sondern vernachlässigt auch die Komplexität arbeitsteiliger Prozesse im Gesundheitssektor. Der Kreis der Gehilfen, an die das Geheimnis straflos weitergegeben werden darf, muss vielmehr eigenständig und – mangels anderer erkennbarer Kriterien – unter Rückgriff auf die o.g. Gesichtspunkte des Patientenwillens bestimmt werden, wobei nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass der Kreis der Informationsberechtigten auch Gehilfen umfasst, die nicht auch ihrerseits gemäß § 203 StGB der Verschwiegenheitspflicht unterliegen; noch weniger kann davon ausgegangen werden, dass im konkreten Fall ein Geheimnis allen gemäß § 203 StGB verschwiegenheitspflichtigen Personen einer bestimmten Funktionseinheit zugänglich gemacht werden darf.18 Da andere tragfähige Begründungen nicht ersichtlich sind, ist ein tatbestandsloses Offenbaren des Geheimnisses an „Gehilfen“ daher nur in dem oben begründeten Umfang möglich, in dem der – bei Fehlen von gegenteiligen Anhaltspunkten am „vernünftigen“ Patienten verobjektivierte – Willen des Patienten dies erkennen lässt. Nur in diesem Rahmen kann z.B. begründet werden, dass ein „vernünftiger“ Patient eine Weitergabe seiner Geheimnisse an nicht-schweigepflichtige Personen in der Regel ablehnt, mit einer Mitteilung an schweigepflichtige Personen dagegen in bestimmten Fällen einverstanden sein kann, so dass zwischen dem strafbarkeitsbegründenden und dem strafbarkeitsausschließenden Gehilfenbegriff zwar gewisse Zusammenhänge bestehen, nicht jedoch der teilweise vertretene Gleichsetzungs-Automatismus. Im Ergebnis kann das tatbestandslose Mitteilen an „Gehilfen“ somit nicht weiter gehen als das tatbestandslose Mitteilen an bestimmte Organisations- oder Funktionseinheiten. Einen zusätzlichen Freiraum für tatbestandslose Mitteilungen erbringt das Schlagwort des „Gehilfen“ gegenüber der oben erörterten Konstruktion von Funktionseinheiten somit nicht. Die gesamte Problematik des Informationsaustausches mit „Gehilfen“ sollte daher – anders als in der überwiegenden Kommentarliteratur – auch nicht (und vor allem nicht mit einem methodisch unzutreffenden Rückgriff auf den strafbarkeitsbegründenden oder den strafprozessualen „Gehilfenbegriff“) separat von der Fragestellung der Organisations- und Funktionseinheiten behandelt werden, sondern allenfalls als Spezialfall dieser Problematik. Im Ergebnis ist der Rechtsprechung und der Literatur jedoch darin zuzustimmen, wenn sie den Kreis der „berufsmäßig tätigen Gehilfen“ i.S.v. § 203 Abs. 3 S. 2 StGB primär und abstrakt anhand ihrer organisatorischen Einbeziehung in die eigentliche Berufstätigkeit des Schweigepflichtigen bestimmen. Insoweit wird – meist allerdings ohne tragfähige Begründung – verlangt, dass die Tätigkeit des Gehilfen dem 18
Nach ganz h.M. wird die Strafbarkeit einer Mitteilung nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Empfänger selbst schweigepflichtig ist. Vgl. RGSt 57, 13, 14; BGHZ 116, 268, 272; LKSchünemann (Fn. 3), § 203 Rn. 42; Sch-Sch-Lenckner (Fn. 3), § 203 Rn. 19 und 21; Tröndle/ Fischer (Fn. 3), § 203 Rn. 30.
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Schweigepflichtigen bei der „eigentlichen Berufsausübung“ helfen, „in unmittelbarem innerem Zusammenhang mit der Tätigkeit des Schweigepflichtigen stehen“ oder „unmittelbar unterstützend“ für dessen Berufstätigkeit wirken müsse; nicht ausreichend sei es dagegen, wenn durch sie bloß die äußeren Bedingungen für die Berufstätigkeit des Schweigepflichtigen geschaffen werden. Im Rahmen ärztlicher Tätigkeit müsse diese vielmehr „wesensmäßig mit der Arbeit am Patienten“ verbunden oder derart beschaffen sein, dass „der Arzt die Tätigkeit des Gehilfen ohne die organisationsbedingte Arbeitsteilung mit erledigen müsste, um die Behandlung seiner Patienten durchführen zu können.“19 Aufgrund dieser Vorgaben wird im Bereich der Schweigepflicht des Arztes (vor allem im Krankenhaus) der erforderliche „unmittelbare“ innere Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für externe Mikroverfilmungs- und Archivierungsunternehmen, für Rechenzentren und Abrechnungsstellen sowie für EDV-Wartungsunternehmen von der herrschenden Meinung abgelehnt, da deren Verrichtungen lediglich „die äußeren Bedingungen für die Berufsausübung schaffen“, aber nicht in innerem Zusammenhang mit ihr stehen. Dabei wird von den Gerichten und Autoren in erster Linie auf die jeweilige Funktion (und damit auf das Unmittelbarkeitskriterium), teils aber auch auf die generelle Gehilfeneigenschaft i.S.v. § 203 Abs. 3 S. 2 StGB, bzw. auf die konkrete Tätigkeit als Gehilfe i.S.v. § 203 StGB abgehoben. Diese Eingrenzungen sind aufgrund der oben gegebenen Begründung der Tatbestandslosigkeit zutreffend, da und soweit der Wille des Patienten dahin geht, seine Geheimnisse an Personen mit einer entsprechenden „behandlungsbezogenen“ Tätigkeit zu offenbaren. d) Aus dieser Analyse ergibt sich: Der Hauptanwendungsbereich der „Tatbestandslösung“ liegt im Bereich der horizontal und vertikal arbeitsteilig organisierten ärztlichen Behandlung sowie bei Mitteilungen an Versicherungen. Bei der ärztlichen Tätigkeit ist die Annahme sachgerecht, dass der Patient bei Aufnahme der Behandlung von einem Informationsaustausch der mit der Behandlung befassten Personen im Rahmen seiner kunstgerechten Behandlung ausgeht, er dabei allerdings die Möglichkeit hat, eine von ihm generell oder in Bezug auf bestimmte Informationen gewünschte Einschränkung des Kreises der Mitteilungsempfänger kundzutun. Entsprechende Offenbarungsmöglichkeiten sind auch vertretbar, soweit es um organisatorische Abläufe geht, die mit der Abwicklung des Behandlungsvertrages unmittelbar zusammenhängen (z.B. bei der Dokumentation, bei Schreibarbeiten der Sekretärin oder bei der Abrechnung), wenn sie durch (auch nichtärztliche) Mitglieder der jeweiligen Organisationseinheit ausgeführt werden und diese selbst der „verlängerten“ Schweigepflicht unterliegen.20 Für die dem Behandlungsgeschehen fer19 20
So OLG Oldenburg NJW 1982, 2615, 2616; Wienke/Sauerborn, MedR 2000, 517. Soweit es um die der Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen dient, kommt ein erweitertes Offenbaren dagegen nicht mehr in Betracht. Hier sollte die Delegationsbefugnis unmittelbar aus dem Gesetz abgeleitet werden. Vgl. z.B. für die Kontrollbefugnisse des betriebsinternen Datenschutzbeauftragten § 4 f BDSG oder für die innerbetriebliche Delegation der melderechtlichen Dokumentations- und Auskunftspflichten von Krankenhäusern. § 25 Abs. 2 MeldeG Baden-Württemberg.
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ner stehenden Beschäftigten (z.B. das Reinigungspersonal, aber auch die EDVWartungstechniker) scheidet dagegen mangels einer entsprechenden Vorstellung der Patienten eine Tatbestandslösung regelmäßig aus. Großzügiger kann bei Unternehmen außerhalb des eigentlichen medizinischen Versorgungsbereichs, insbesondere bei Krankenversicherungen, verfahren werden, da insoweit die Vertrauensbeziehung von vornherein auf das Unternehmen und nicht auf bestimmte Personen oder Funktionsbereiche bezogen ist. Hier ist es gut begründbar, all diejenigen Mitarbeiter als informationsberechtigt anzusehen, deren jeweilige innerbetriebliche Aufgabenstellung den Zugang zu den entsprechenden Daten erlaubt oder erfordert, also insbesondere auch EDV-Wartungsbedienstete, die – in der klassischen Terminologie – hier anders als bei der ärztlichen Behandlung auch „unmittelbar“ zur Abwicklung des Versicherungsverhältnisses eingesetzt sind. Problematisch wäre es in diesen Fällen allerdings, den Kreis der von vornherein Informationsberechtigten auch auf außenstehende „Geschäftspartner“ zu erstrecken. Daher kann das in der Praxis wichtige Outsourcing der Rechenzentren von Versicherungsunternehmen allenfalls dann noch als tatbestandslos beurteilt werden, wenn das ausgelagerte Unternehmen als Konzerntochter allein für die Versicherung arbeitet. Das Outsourcing des gesamten Datenbestandes einer Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung an ein unabhängiges Drittunternehmen stellt dagegen kein – vom Willen des Versicherungsnehmers gedecktes – tatbestandsloses Offenbaren mehr dar. Dieses Ergebnis lässt sich auch nicht dadurch vermeiden, dass im neuen Rechenzentrum nur von diesem übernommene Mitarbeiter der Versicherung mit den Alt-Geheimnissen der bisherigen Versicherungsnehmer befasst werden. Abgesehen davon, dass sich dadurch aufgrund der Fluktuation der Beschäftigten ein rechtlich unbedenklicher Umgang mit dem bereits erfassten Datenmaterial auf Mitarbeiterebene nur für eine Übergangszeit realisieren ließe, würden damit Probleme hinsichtlich des Umgangs mit neu anfallenden Geheimnissen von Altkunden geschaffen, da diese bei der Einreichung ihrer Erstattungsanträge davon ausgehen, dass diese von Angestellten der Versicherung (und nicht des Rechenzentrums) bearbeitet würden. Des Weiteren würde es auch keine Lösung bedeuten, die entsprechenden Angestellten des Rechenzentrums einen zusätzlichen Arbeitsvertrag mit dem outsourcenden Versicherungsunternehmen abschließen zu lassen. Abgesehen von den damit verbundenen arbeits- und steuerrechtlichen Fragen bliebe damit das Problem des Datengewahrsams auch des neuen Arbeitgebers bestehen. Die bei Arztpraxen und Anwaltskanzleien anzutreffende Variante, den Erwerber bereits vor der in Aussicht genommenen Übernahme für eine nicht unerhebliche Zeit als Mitarbeiter oder Sozius zu beschäftigen, um ihm als Mitglied der Organisationseinheit den Zugriff auf die Altdaten zu ermöglichen, kann für das Outsourcing nicht als Vorbild dienen, da letzteres eine Auslagerung von Teilaufgaben in ein fremdes Unternehmen bezweckt und nicht die Übernahme des bisherigen Unternehmens durch einen „Extraneus“.
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Damit ergibt sich folgendes Zwischenergebnis: Mit einer „Tatbestandslösung“ im Bereich von § 203 StGB kann nur ein begrenzter Teil der eingangs dargestellten Probleme des Arzt- und Patientengeheimnisses beim EDV-Einsatz im Gesundheitswesen gelöst werden. Einem extensiveren Ausbau sind in den zuletzt genannten Fällen insbesondere dann Grenzen gesetzt, wenn man berücksichtigt, dass der Tatbestand des § 203 StGB in den entsprechenden Fällen nur deswegen nicht erfüllt ist, weil der Patient oder Versicherungsnehmer sein Geheimnis nicht nur dem Arzt, sondern der ganzen Funktions- oder Organisationseinheit „Arztpraxis“ bzw. „Versicherungsunternehmen“ anvertraut. Soweit ein derartiges Anvertrauen gegenüber einer Funktions- oder Organisationseinheit nicht eindeutig besteht, kann eine Lösung der Problematik daher nur noch auf der Rechtfertigungsebene versucht werden, bei deren Prüfung sich jedoch ebenfalls erhebliche Probleme stellen.
2.
Rechtfertigungslösungen: Insbesondere ausdrückliche und konkludente Einwilligung
Auf der Rechtfertigungsebene bieten sich zur Lösung der vorliegenden Problematik vor allem Rechtfertigungsgründe an, die auf dem Gedanken der Einwilligung beruhen. Hinsichtlich der Einwilligungsform kommen dabei zunächst eine ausdrückliche sowie eine konkludente Einwilligungserklärung in Betracht.21 Ein weiterer möglicher Rechtfertigungsgrund ist der Notstand.22 a) Eine ausdrückliche Einwilligung liegt vor, wenn bereits der Wortlaut einer Erklärung einen konkret zu beurteilenden Eingriff rechtfertigt. Eine solche Einwilligungserklärung erfordert allerdings neben der Dispositionsbefugnis des Rechtsgutinhabers und der entsprechenden Einwilligungserklärung vor allem die Einwilligungsfähigkeit des Rechtsgutinhabers, das Fehlen von erheblichen Willensmängeln sowie die Aufklärung des Einwilligenden. Eine wirksame Einwilligung setzt dabei voraus, dass der Betroffene Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung überblickt. Unter diesem Gesichtspunkt problematisch sind daher pauschale und formularmäßige Ermächtigungen. Für solche Offenbarungsermächtigungen ist aus strafrechtlicher Sicht erforderlich, dass sie – unabhängig von der Anwendbarkeit der zivilrechtlichen AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB – für die Betroffenen in ihren Wirkungen überschaubar sind. Voraussetzung hierfür ist wiederum eine hinreichende Aufklärung, bei der ein verständiger Betroffener Bedeutung und Inhalt seiner Einwilligungserklärung – jedenfalls im Wesentlichen – versteht. Formularmäßige Einwilligungserklärungen tragen dem jedoch nur dann Rechnung, wenn sie hinreichend bestimmt sind. 21
Vgl. darüber hinaus zur mutmaßlichen Einwilligung Sieber, in: Eser-Festschrift (Fn. ), S. 1175. 22 Vgl. darüber hinaus zur Wahrnehmung berechtigter Interessen sowie zur entsprechenden Heranziehung datenschutzrechtlicher Erlaubnisnormen wie der Auftragsdatenverarbeitung als mögliche Rechtfertigungsgründe Sieber (Fn. 21), S. 1176 ff.
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Die Anforderungen der Rechtsprechung an derartige Einwilligungen sind dabei in dem hier untersuchten Bereich sehr hoch. Als ungenügend wurde von der Rechtsprechung z.B. eine Einwilligung angesehen, bei der eine privatärztliche Verrechnungsstelle mit der „Abwicklung“ von Patientenrechnungen beauftragt wurde. Dem Patienten sei insoweit nicht erkennbar gewesen, dass damit auch Honorarforderungen abgetreten und zu diesem Zweck Patientendaten weitergegeben werden sollten. Für die Abtretung ärztlicher Honorarforderungen fordert der BGH deswegen hinsichtlich der Klarheit des Umfangs der Einwilligungserklärung, dieser müsse etwa zu entnehmen sein können, dass eine Einbeziehung „sämtlicher zur Erstellung der Abrechnung erforderlichen Behandlungsdaten“ notwendig sei.23 Hinsichtlich des Anlasses und des Zwecks der Geheimnisoffenbarung müssten vage, unbestimmte Formulierungen vermieden werden, welche den einwilligenden Geheimnisträger darüber im Unklaren lassen, in welcher Weise und aufgrund welchen finalen Zusammenhangs die offenbarten Geheimnisse genutzt werden. Das gleiche gilt auch für die Bezeichnung derjenigen Personen, welchen die betreffenden Geheimnisse offenbart werden. Allgemeinfloskeln wie etwa „Geschäftspartner des Versicherers“ sind nicht hinreichend. In dem hier untersuchten Bereich sind derartige Einwilligungslösungen in einer Reihe von Fällen freilich praktisch nicht realisierbar. So beziehen sich beispielsweise in der Versicherungsbranche die – branchenweit standardisierten – Einwilligungserklärungen der Versicherungsnehmer regelmäßig nur auf die Datenübermittlung an konzerninterne Rechenzentren und erlauben gerade keine Datenübermittlung an unabhängige Outsourcingunternehmen. Die Einholung neuer Einwilligungserklärungen bei einer Vielzahl von Versicherungsnehmern ist in diesen Fällen nicht praktikabel, da die Verweigerung der Einwilligung durch einzelne Versicherte das gesamte Outsourcing-Projekt blockieren würde. Ähnliches gilt im Bereich der Krankenbehandlung, in dem der Datenbestand überwiegend aus abgeschlossenen Behandlungsfällen besteht, so dass selbst mit erheblichen Anstrengungen eine beträchtliche Zahl betroffener Personen faktisch nicht erreicht und um eine ausdrückliche Einwilligung gebeten werden kann. Im Übrigen sind derartige Einwilligungen im Massenverkehr problematisch, da (vor allem bei standardisierten branchenweit eingesetzten Erklärungen) häufig ein wirtschaftlicher Zwang zu ihrer Abgabe besteht, der dann wiederum durch eine AGB-rechtliche und datenschutzrechtliche Inhaltskontrolle kompensiert werden muss. Auf diese spezielle Problematik wird in der abschließenden Bewertung noch zurückzukommen sein. b) Einfacher wäre die Situation, wenn in den vorliegend interessierenden Fällen in großzügiger Weise mit einer konkludenten Einwilligung durch schlüssiges Verhalten bzw. einer stillschweigend erteilten Einwilligung24 gearbeitet werden könnte. 23
Vgl. BGH NJW 1992, 2348, 2350; vgl. insoweit auch BGHZ 95, 362; OLG Celle NJW 1980, 347, 348. 24 Zu dieser – in der strafrechtlichen Literatur zu § 203 StGB nur gelegentlich anzutreffenden – Unterscheidung vgl. näher Meier, Der rechtliche Schutz patientenbezogener Gesundheitsdaten, 2003, S. 176 ff.
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Eine konkludente bzw. stillschweigend erteilte Einwilligung setzt in dem hier untersuchten Bereich voraus, dass ein (bei der konkludenten Einwilligung: aktives) Verhalten des Patienten in so engem Verhältnis mit einer erkennbar vorgesehenen, hinsichtlich Adressat und Inhalt ausreichend umrissenen Offenbarung steht, dass es nur im Sinne einer Zustimmung dazu verstanden werden kann. In diesem Sinne wird etwa die Übergabe der Versichertenkarte als konkludente Zustimmung in die Übermittlung der abrechnungsrelevanten Daten an die zuständige Kassenärztliche Vereinigung bzw. Krankenkasse (nicht aber in die Anforderung bzw. den Abruf von medizinischen Daten bei anderen Ärzten) gewertet. Mit der Behandlungseinwilligung in einer ärztlichen Gemeinschaftseinrichtung oder einem Krankenhaus wird die konkludente Erklärung verbunden, frühere Aufzeichnungen anderer Ärzte einzusehen, die für das interne Informationsnetz erlaubterweise erhoben und gespeichert wurden. Ob und unter welchen Voraussetzungen die hausinterne Archivierung von Krankenunterlagen durch eine konkludente oder stillschweigende Einwilligung abgedeckt ist, wird dagegen unterschiedlich beurteilt. Für den Bereich des Datenzugriffs durch Wartungseinrichtungen könnten nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen konkludente oder stillschweigende Einwilligungen z.B. dann in Betracht kommen, wenn die Betroffenen nicht widersprechen würden, nachdem ein Arzt im Wartezimmer über seinen Einsatz von EDV-technischem Hilfspersonal informiert hätte oder nachdem eine Versicherung in einem allgemeinen Rundschreiben über das geplante Outsourcing informiert und dabei darauf hingewiesen hätte, dass ein Schweigen des Versicherten auf diese Mitteilung als Zustimmung gewertet würde. Diese Konstruktionen stehen allerdings vor dem Problem, dass die Zivilrechtsprechung derartige konkludente Einwilligungen im Hinblick auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten in wesentlichen Bereichen von § 203 StGB nicht mehr anerkennt und ausdrückliche klare Einwilligungen verlangt. Insoweit kann auf die umfangreiche zivilrechtliche Rechtsprechung – auch des BGH – zur Abtretung von ärztlichen Honorarforderungen an private Verrechnungsstellen verwiesen werden (die wegen eines Verstoßes gegen § 203 StGB als nichtig angesehen werden) sowie auf eine entsprechende Rechtsprechung zur Übertragung von Arztund Rechtsanwaltspraxen mit dem Mandantenstamm an Praxennachfolger. Die Rechtsprechung war hier mit der Annahme von konkludenten Einwilligungen (ebenso wie mit mutmaßlichen Einwilligungen) lange Zeit verhältnismäßig großzügig. Aufgrund einer konkludenten Einwilligung (oder teilweise auch einer mutmaßlichen Einwilligung) gerechtfertigt wurden z.B. die Abtretung ärztlicher oder anwaltlicher Honorarforderungen, die Überlassung der Patienten- oder Klientenkartei anlässlich des Verkaufs einer Arzt- oder Anwaltspraxis sowie die Ermächtigung des durch den Hausarzt hinzugezogenen Betriebsarztes zur Mitteilung eines beschäftigungsrelevanten Untersuchungsergebnisses an den Arbeitgeber.25 25
So OLG Braunschweig BB 1958, 340, 341.; vgl. dazu auch Lackner/Kühl (Fn. 11), § 203 Rn. 18.
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Diese Rechtsprechung änderte sich dann allerdings in entscheidender Weise nach der Anerkennung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1983.26 Nach diesem Urteil forderte zunächst der BGH für die Abtretung einer ärztlichen oder zahnärztlichen Honorarforderung an eine gewerbliche Verrechnungsstelle, dass es im Hinblick auf die ärztliche Schweigepflicht dem Arzt obliege, „die Zustimmung des Patienten in eindeutiger und unmissverständlicher Weise einzuholen“. Es sei „grundsätzlich nicht Sache des Patienten, der Weitergabe seiner Daten zu widersprechen, um den Eindruck des stillschweigenden Einverständnisses zu vermeiden“. Ein Verhalten des Patienten könne eine entsprechende rechtserhebliche Bedeutung „mithin nur dann haben, wenn die externe Abrechnung einer privatärztlichen Leistung in einem solchen Maße üblich und geradezu selbstverständlich wäre, dass die Inanspruchnahme der ärztlichen Behandlung ohne gleichzeitigen Widerspruch bei objektiver Betrachtung vernünftigerweise nur als Zustimmung verstanden werden könnte“. Die Abtretung einer ärztlichen Honorarforderung an eine gewerbliche Verrechnungsstelle sei daher wegen Verstoßes gegen § 203 StGB in Verbindung mit § 134 BGB nichtig, weil der Patient beim Vorbringen von Einwendungen gegen die Honorarforderung evtl. gezwungen sei, gegenüber dem Zessionar Privatgeheimnisse offenzulegen.27 Für die Annahme einer konkludenten oder stillschweigenden Einwilligung genügt es nach der neueren Rechtsprechung daher auch nicht, wenn die Patienten durch einen Aushang im Wartezimmer des Arztes auf die Datenübermittlung an eine Verrechnungsstelle hingewiesen werden und ihr im Verlauf der Behandlung nicht widersprechen. Ebenso wenig ist von einer konkludenten oder stillschweigenden Einwilligung auszugehen, wenn ein Patient ärztliche Leistungen in Anspruch nimmt, nachdem er schon früher Rechnungen des Arztes durch eine Verrechnungsstelle erhalten hatte (d.h. diese Handhabung also kannte), ohne ihr zu widersprechen. Im Ergebnis ist damit der Annahme einer konkludenten Einwilligung in die Abtretung von ärztlichen Honorarforderungen an (gewerbliche wie berufsständische) Verrechnungsstellen die Grundlage entzogen. Entsprechende Ausführungen finden sich im Übrigen auch in der zivilrechtlichen Rechtsprechung zur Abtretung der Honorarforderung eines Rechtsanwaltes sowie zur Abtretung einer Forderung aus steuerberatender Tätigkeit. Auch hinsichtlich des bereits oben angesprochenen Verkaufs von Arztpraxen hält der BGH nunmehr unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren großzügigeren Rechtsprechung ein konkludentes Einverständnis des Patienten mit der Weitergabe seiner Unterlagen zwar nicht für generell ausgeschlossen, verlangt aber, der Patient müsse seine Zustimmung durch schlüssiges Verhalten eindeutig zum Ausdruck bringen.28 Die Literatur stimmt dieser Rechtsprechung teilweise unter Berufung auf den hohen Stellenwert des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu; teilweise wird 26
BVerfGE 65, 1. Vgl. BGHZ 115, 123, 127 f.; BGH NJW 1992, 2348, 2350; BGH NJW 1996, 773, 774. 28 Vgl. BGHZ 116, 268, 273. 27
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aber auch darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung „über das Ziel hinausschieße“, damit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße, im ärztlichen Bereich dem Patienteninteresse nicht gerecht werde und bei der Verwahrung von Patientenakten nach einer Praxisaufgabe kaum lösbare Probleme verursache. In der strafrechtlichen Literatur wird die Zivilrechtsprechung teilweise ebenfalls als „vergleichsweise streng“ kritisiert und vor einer „Überstrapazierung des informationellen Selbstbestimmungsrechts“29 gewarnt, von der überwiegenden Auffassung jedoch gebilligt.30 Im Ergebnis dürfte eine vermittelnde Linie zutreffend sein. Im Ansatz erscheint es dabei richtig, dass der Bundesgerichtshof in Zivilsachen aufgrund der Bedeutung des informellen Selbstbestimmungsrechts vor allem im Bereich der besonders sensiblen Gesundheitsdaten konkludente Einwilligungen nur restriktiv anerkennt. Strenge Anforderungen sind insbesondere dort angebracht, wo dem Geheimnisinhaber weitere Rechtsgutsbeeinträchtigungen (auch im Bereich der informationellen Selbstbestimmung) drohen und nicht nur eine wenig wahrscheinliche Wahrnehmung durch Dritte (wie bei der Fernwartung) in Frage steht. In einzelnen Entscheidungen der Rechtsprechung erscheinen die Anforderungen an konkludente Einwilligungen aus strafrechtlicher Sicht jedoch überzogen. Insoweit ist daran zu erinnern, dass konkludente Einwilligungen im ärztlichen Bereich selbst – und gerade – bei Eingriffen in die Körperintegrität eine verbreitete Anwendung finden. Somit erscheint es daher zwar möglich, die Heranziehung von – eventuell auch externem – technischem Wartungspersonal für EDV-Anlagen durch die in § 203 StGB genannten Geheimnisträger in einem bestimmten Umfang mit einer konkludenten Einwilligung zu rechtfertigen. Jedoch ist es auch bei einer – selbst über die bisherige Zivilrechtsprechung hinausgehenden – maßvollen Anerkennung von konkludenten und stillschweigenden Einwilligungen nicht möglich, alle der eingangs erörterten Fallgruppen sinnvoll zu lösen. Wenn beispielsweise allgemeine Versicherungsbedingungen eine Datenverarbeitung nur in konzerninternen Rechenzentren erlauben, dann lässt sich diese Einwilligung (schon wegen dieser präzisen und abschließenden vertraglichen Regelung) nicht mit einer „konkludenten“ Einwilligung auf das Outsourcing des Versicherungsrechenzentrums auf einen unabhängigen Dienstleister erweitern. c) Die von Otto31 unter Rückgriff auf den Notstand (§ 34 StGB) vertretene weitgehende Rechtfertigung der Kenntnisnahme von Geheimnissen in einem öffentlichrechtlichen Kreditinstitut (§ 203 Abs. 2 Nr. 1, 2 StGB) durch das Wartungs- und Servicepersonal für ein Computer-Netzwerk ist auf den vorliegenden Fall nicht 29
So Tröndle/Fischer (Fn. 3), § 203 Rn. 28a. Vgl. Lackner/Kühl (Fn. 11), § 203 Rn. 18 f.; LK-Schünemann (Fn. 3), § 203 Rn. 110; MKCierniak (Fn. 5), § 203 Rn. 65; Tröndle/Fischer (Fn. 3), § 203 Rn. 33; SK-Hoyer (Fn. 8), § 203 Rn. 78; teilweise großzügiger Sch-Sch-Lenckner (Fn. 3), § 203 Rn. 24 b. 31 Vgl. Otto, wistra 1999, 201, 204 ff. 30
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übertragbar und im übrigen auch zweifelhaft. Der Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB schützt zwar auch wirtschaftliche Rechtsgüter. Nach der Rechtsprechung in Zivilsachen zum Arztrecht vermögen wirtschaftliche Erwägungen unter dem Gesichtspunkt einer Kosten-Nutzen-Analyse die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht allerdings grundsätzlich nicht zu rechtfertigen, vor allem wenn es um die Abwehr drohender wirtschaftlicher Nachteile geht, die in den eigenen Risikobereich des Handelnden fallen. Soweit § 34 StGB in einzelnen Fallkonstellationen für anwendbar gehalten wird, wenn der Handelnde durch seine Offenbarung eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt (z.B. bei der Einklagung des Arzt- oder Anwaltshonorars), so wird bei der Interessenabwägung bzw. bei der Angemessenheitsprüfung mit berücksichtigt, dass der Schweigepflichtige ansonsten praktisch rechtlos wäre, und dass in diesen Fällen die Gefahr für das Vermögen des Schweigepflichtigen vom Geheimnisbetroffenen ausgeht; jedoch sind dies beides Erwägungen, die sich auf das wirtschaftlich motivierte Auslagern von EDV-Dienstleistungen im vorliegend untersuchten Bereich nicht übertragen lassen. § 34 StGB scheidet auch in all denjenigen Fällen aus, in denen die „Gefahr“ anders (z.B. durch Einholung einer Einwilligung) abwendbar ist. d) Die Untersuchung der in Betracht kommenden Rechtfertigungsnormen führt damit zu dem Ergebnis, dass der dadurch geschaffene Raum für straflose Mitteilungen beim Einsatz der EDV-Technik im Gesundheitswesen sich zwar im Einzelfall vom dem entsprechenden Bereich des tatbestandslosen Offenbarens unterscheiden kann. Für die Einwilligung beruht dies vor allem darauf, dass Zeitpunkt, Bezugspunkt, Inhalt und Wirkungsvoraussetzungen einer (rechtfertigenden) Einwilligung in die Weitergabe von Geheimnissen nicht zwangsläufig mit den entsprechenden Voraussetzungen bei der Spezifizierung des Adressatenkreises der Geheimnisoffenbarung durch den Rechtsgutinhaber identisch sein müssen. Da sowohl die Einwilligung in die Geheimnisweitergabe als auch die Spezifizierung des Adressatenkreises der Geheimnisoffenbarung auf dem Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers beruhen, fallen die Ergebnisse der beiden Lösungsmodelle jedoch nicht sehr verschieden aus.
III. Ergebnis und Folgerungen Der Einsatz der modernen Informationstechnik im Gesundheitswesen führt heute in zahlreichen Fällen dazu, dass Arzt- und Patientengeheimnisse aufgrund von technischen und wirtschaftlichen Sachzwängen den im EDV-Bereich eingesetzten Mitarbeitern bekannt werden. Für die insoweit tätigen Personen ergibt sich hieraus in der Praxis ein erhebliches Strafbarkeitsrisiko im Hinblick auf § 203 StGB. Mit Hilfe der klassischen Strafrechtsdogmatik lassen sich für einen Teil der einschlägigen Fälle angemessene Lösungen entwickeln: Im Tatbestand des § 203 StGB ist insbesondere die Einschränkung berechtigt, dass die von der Strafvorschrift
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geschützten Personen ihre Geheimnisse nicht nur den jeweiligen Geheimnisträgern persönlich anvertrauen, sondern auch bestimmten für diese tätigen Personen. Damit liegt in den entsprechenden Fällen kein unbefugtes Offenbaren von Geheimnissen vor. Dieses Ergebnis kann in ähnlichem Umfang und mit den gleichen (nämlich ebenfalls auf den Patientenwillen rekurrierenden) Wertfundierungen auch auf der Rechtfertigungsebene mit einer konkludenten Einwilligung begründet werden, vor allem wenn man für die strafrechtliche Beurteilung die Anforderungen der zivilrechtlichen Rechtsprechung abmildert, die im Bereich des Arzt- und Patientengeheimnisses aufgrund des informationellen Selbstbestimmungsrechts konkludente Einwilligungen nur in seltenen Ausnahmefällen anerkennt. Damit lässt sich insbesondere der Zugriff auf Berufsgeheimnisse durch unternehmensinterne Angestellte im EDV-Bereich mit § 203 StGB vereinbaren. Für die – in der Praxis zentrale – Datenweitergabe an betriebsfremde EDV-Techniker sowie für Fälle des Customizing und des Outsourcing im Gesundheitswesen bietet dieser Ansatz dagegen keine rechtssichere Lösung. Dies gilt auch für die Fälle, in denen datenschutzrechtlich eine „Datenverarbeitung im Auftrag“ ohne eine Einwilligung möglich wäre. In einem weiteren Teil der eingangs dargestellten Fälle sind rechtssichere Lösungen möglich, wenn die von § 203 StGB geschützten Personen in die Weitergabe ihrer Geheimnisse an die im EDV-Bereich tätigen Personen und Unternehmen ausdrücklich einwilligen. Derartige Einwilligungen haben sich etwa bei der Weitergabe von ärztlichen Abrechnungsdaten an privatärztliche Verrechnungsstellen oder bei der Übermittlung von Kranken-, Unfall- und Lebensversicherungsdaten an – auch juristisch selbständige – konzerninterne Versicherungsrechenzentren etabliert. Voraussetzung für derartige Problemlösungen ist dabei allerdings, dass diese Einwilligungen ausdrücklich erklärt werden und die Patienten oder Versicherungsnehmer zuvor über die Datenübermittlung und -verarbeitung ihrer dem Arzt- und Patientengeheimnis unterliegenden Daten ausreichend informiert wurden. Die Heranziehung von EDV-Mitarbeitern aufgrund von ausdrücklichen Einwilligungserklärungen erscheint damit zunächst als „Königsweg“ zur Lösung der hier behandelten Probleme. Er sollte deswegen in der Zukunft auch in den geeigneten Fallkonstellationen beschritten werden, da er dem Selbstbestimmungsrecht des jeweiligen Rechtsgutsträgers Rechnung trägt. Im Hinblick auf „Einwilligungslösungen“ ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass diese nicht in allen Fällen durchführbar sind. So ist es etwa beim Outsourcing des Rechenzentrums eines Versicherungsunternehmens in der Praxis kaum möglich, aufgrund von entsprechenden Anschreiben die Einwilligung sämtlicher Kunden zu erhalten; die Folge einer reinen „Einwilligungslösung“ wäre deswegen in diesem Bereich, dass die nicht einwilligenden Kunden entweder ausgeschlossen würden oder aber für sie ein spezielles Inhouse-Rechenzentrum aufgebaut werden müsste, was den durch das Outsourcing angestrebten Rationalisierungseffekt wieder beseitigen würde. In ähnlicher Weise ist bei der externen Archivierung von Krankenversicherungsunterlagen eine Einwilligung aller (z.B. verzogener oder verstorbener) Altpatienten nicht möglich.
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Dies sind jedoch nicht die einzigen Mängel einer „Einwilligungslösung“. Hinzu kommt, dass die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Rechtsgutsträger durch eine reine „Einwilligungslösung“ im modernen Massenverkehr vor allem auch deswegen problematisch ist, weil die entsprechenden Einwilligungserklärungen in der Regel (in der Versicherungswirtschaft z.B. brachenweit) standardisiert sind und der betroffene Rechtsgutsträger dem wirtschaftlichen und sozialen Zwang zur Anerkennung dieser Einwilligungserklärungen häufig nicht widerstehen kann. Der Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten oder des Versicherungsnehmers erfolgt deswegen in den Fällen des modernen „Massengeschäfts“ in der Praxis auch nicht aufgrund der Autonomie des Rechtsgutsträgers, sondern über eine Kontrolle der standardisierten Erklärungen durch die Rechtsprechung mit Hilfe des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie des Wettbewerbs- und des Datenschutzrechts. Dieser Weg ist jedoch mühsam und führt auch nicht immer zu angemessenen Lösungen. Es dürfte daher auch kein Zufall sein, dass das moderne Datenschutzrecht sich in dem vorliegend untersuchten Bereich nicht auf eine Einwilligungslösung beschränkt, sondern mittels verschiedener Instrumentarien wie beispielsweise dem Institut der Auftragsdatenverarbeitung die Voraussetzungen an eine entsprechende Datenweitergabe (z.B. im Hinblick auf erforderliche Sicherheitsanforderungen und Weisungsrechte) selbständig normiert. Bei Berücksichtigung dieser zuletzt genannten Gesichtspunkte liegt es nahe, die Inhaltskontrolle und Konkretisierung der hier gesuchten Rechtfertigungsnorm nicht erst in Anknüpfung an allgemeine Geschäftsbedingungen im Wege von Musterprozessen über mehrere Gerichtsinstanzen zu entwickeln, sondern unmittelbar durch eine gesetzliche Konkretisierung. Für eine solche Lösung spricht nicht nur die Tatsache, dass § 203 StGB in seiner Auslegung durch die herrschende Meinung eine solche Regelung bereits für bestimmte – wie auch immer konkretisierte – „Gehilfen“ enthält. Als Muster einer entsprechenden gesetzgeberischen Entscheidung kann vor allem auch die datenschutzrechtliche „Auftragsdatenverarbeitung“ in § 11 BDSG angeführt werden, die festlegt, unter welchen Bedingungen computergespeicherte personenbezogene Daten – auch aus dem Gesundheitsbereich – an andere Personen weitergegeben werden dürfen. Weitere Beispiele für spezielle gesetzliche Regelungen der Datenverarbeitung im Gesundheitswesen finden sich in verschiedenen Landeskrankenhausgesetzen. Eine ähnliche Konkretisierung der zulässigen „EDV-Gehilfen“ im Bereich von § 203 StGB würde daher nicht nur die Bedürfnisse der betroffenen Bereiche in Wirtschaft und Medizin nach Rechtssicherheit erfüllen, sondern auch die Patientenrechte sehr viel effektiver als durch „Einwilligungslösungen“ schützen. Geregelt werden könnten dabei z.B. die Erforderlichkeit einer Heranziehung von technischem Hilfspersonal, die notwendigen technischen Schutzmaßnahmen für die Verarbeitung der übermittelten Berufsgeheimnisse, die notwendigen Aufklärungserfordernisse gegenüber den Betroffenen sowie eventuell auch deren Widerspruchsrechte. Der Gesetzgeber müsste sich dabei darüber klar sein, dass die strafbarkeitsbegründenden und die strafprozessualen Fragen des Gehilfeneinsatzes bei
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Berufsgeheimnisträgern von der Reichweite der hier erörterten Befugnisnormen unabhängig sind, bei Gelegenheit dieser Reform jedoch ebenfalls geregelt werden sollten, vor allem nachdem das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003 hier bereits Erweiterungen des Beschlagnahmeverbots von § 97 Abs. 2 S. 2 StPO für EDV-Dienstleister gebracht hat.32 Die Präzisierung einer – vor allem das EDV-technische Hilfspersonal betreffenden – „Gehilfenlösung“ zu § 203 StGB in Anlehnung an entsprechende datenschutzrechtliche Konzepte würde damit keinen Fremdkörper im geltenden Rechtssystem darstellen. Eine entsprechende Ermächtigungsnorm würde in der Praxis vor allem Rechtssicherheit bieten, den Einsatz der Informationstechnik in der Medizin erleichtern, Kosten im Gesundheitswesen senken und – eine angemessene Regelung vorausgesetzt – auch den Geheimnisschutz des Patienten verbessern.
32
Durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) vom 14.11.2003 wurde der strafprozessuale Aspekt des Beschlagnahmeverbotes klargestellt: Gesundheitskarten im Sinne von § 291 a SGB V bleiben nunmehr generell (ohne Rücksicht darauf, wer an ihnen Gewahrsam hat) beschlagnahmefrei und beschlagnahmefreie Gegenstände werden nun auch geschützt, wenn sie sich im Gewahrsam eines Dienstleisters befinden, der für die in § 97 Abs. 2 S. 2 StPO Genannten personenbezogene Daten erhebt, verarbeitet oder nutzt. Im Bereich des §§ 53, 53 a StPO ist der Gesetzgeber dagegen untätig geblieben. Materiellstrafrechtlich hat sich der Gesetzgeber bislang damit begnügt, durch § 307 a SGB V i.d.F. des GKV-Modernisierungsgesetzes den unbefugten Zugriff auf Daten, die in einer elektronischen Gesundheitskarte enthalten sind, unter Strafe zu stellen.
20 Podiumsdiskussion Gesellschaftliche Aspekte, Sicherheit und Datenschutz Moderation: Prof. Dr. Marie-Theres Tinnefeld Teilnehmer: Prof. Jörg Sauerbrey, Siemens AG, München Dr. Grzegorz Sibiga, Academy of Entrepreneurship and Management, Warschau Prof. Dr. Ulrich Sieber, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg Reinhard Vetter, Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Bayern, München Das gesellschaftspolitische Ringen um eine zukunftsfähige Gesundheitsreform ist nicht bloß ein akademischer Diskurs. Der Wechsel von der herkömmlichen Gesundheitsvorsorge zu Electronic Health erfasst alle Akteure im Gesundheitswesen und insbesondere das Arzt-Patientenverhältnis. Damit sind wir bei der ältesten Verortung des Datenschutzrechtes: dem Schutz des Patientengeheimnisses durch den sogenannten Hippokratischen Eid. Dieser Eid schützt seit circa 2500 Jahren die Privatsphäre und achtet die Intimität in einer Weise, wie es dies sonst in der antiken Welt nicht gab. Der Eid macht die Schweigepflicht zu einem elementaren Bestandteil des ärztlichen Berufsethos: „Was ich bei der Behandlung sehe oder höre oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgang mit Menschen, sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren.“ Das aktive Element im Geheimhalten ist im Ausdruck selbst enthalten und erscheint in der englischen Wendung als „keep secret“ wieder. Herr Prof. Dr. Sieber wird sich mit der Gewährleistung des uralten Eid in Verbindung mit dem Datenschutzrecht und dem Strafrecht befassen und dabei insbesondere die Probleme herausgreifen, die sich bei der der Wartung bzw. Fernwartung der Computer von Ärzten, Krankenhäusern und Versicherungen, bei der Vernetzung von Arztpraxen usw. für die ärztliche Schweigepflicht rechtlich ergeben. Ich darf als erstes hier Herrn Prof. Sieber begrüßen, der dem Münchner Kreis kein Unbekannter ist. Wir sind sehr froh, dass er trotz seines neuen Tätigkeitsbereichs in
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Moderation: Marie-Theres Tinnefeld
Freiburg gekommen ist. Prof. Sieber ist dort Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht sowie Honorarprofessor und Fakultätsmitglied an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er ist weiterhin Honorarprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg und an der ReminUniversität in Peking. Er ist daneben wissenschaftlicher Leiter des Informatikzentrums an der LMU in München, Präsident der Deutschen Vereinigung für Europäisches Strafrecht sowie Herausgeber und Mitherausgeber verschiedener Zeitschriften und Buchreihen. Herr Prof. Sieber studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Freiburg etc, Habilitation in Freiburg sowie Gutachter in zahlreichen Firmen und Fachzeitschriften. Er hat auch den Europarat, die OECD und die Vereinten Nationen beraten. Ich darf Herrn Prof. Sieber bitten, seine Ausführungen zu einem sehr aktuellen Thema zu machen, nämlich zu dem aus dem 19. Jahrhundert stammenden §203 StGB, der Bestimmungen zur ärztlichen Schweigepflicht enthält, die sich so nicht mehr realisieren lassen. Ich darf Sie ganz herzlich bitten. Prof. Sieber: (Der Vortrag von Prof. Sieber ist unter Ziffer 19 abgedruckt) Prof. Tinnefeld: Ich darf Ihnen zunächst die weiteren Teilnehmer an der Podiumsdiskussion vorstellen. Zu meiner Rechten sitzt der bayerische Beauftragte für den Datenschutz, Herr Reinhard Vetter, der Ihnen allen mit Sicherheit bekannt ist. Er war in der Staatskanzlei Referatsleiter für Inneres, seit 1987 stellvertretender Leiter der Rechtsabteilung und Leiter des Bundesratreferats der bayerischen Staatskanzlei. Er ist seit 1.4.1994 ein sehr präsenter bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz, und, was in unserem Zusammenhang interessant ist, er ist Vorsitzende des Arbeitkreises Gesundheit, Soziales der Konferenz des Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. Zu meiner Linken sitzt Herr Dr. Grzegorz Sibiga. Er wird auf Englisch sprechen, und bitte richten Sie Ihre Fragen an ihn auch auf Englisch. Er hat in Schlesien studiert und promoviert. Es liegen zahlreiche Veröffentlichungen im Datenschutzrecht von ihm vor. Dr. Szibiga hat als Inspektor bei der Generalinspektorin für den Datenschutz in Warschau, Frau Dr. Ewa Kulesza, gearbeitet (1998-2000). Er war dann als Spezialist in dem schlesischen regionalen Krankheitsfund tätig und berät heute aktuell Firmen in puncto Datenschutz und Gesundheitskarte. Herr Dr. Sibiga war verantwortlich für die Einführung der Gesundheitskarte in Schlesien und wird Ihnen davon berichten. Last but not least möchte ich Herrn Prof. Dr. Sauerbrey vorstellen; er studierte Elektrotechnik an der TU Darmstadt und promovierte an der TU München zum Thema „IT-Sicherheit“. Er ist Leiter des Produktmanagement für IT-Sicherheitslösungen bei Siemens Communications und seit 2001 Honorarprofessor an der Fakultät für
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Elektrotechnik und Informationstechnik der TU München, also eine ideale Ergänzung hier im Podium. Ich denke, Herr Vetter, es wäre schön, wenn Sie anfangen würden. Sie haben gerade in Ihrem letzten Tätigkeitsbericht ausführlich zur elektronischen Gesundheitskarte Stellung genommen. Es ist sicherlich für uns alle hier sehr interessant, wenn Sie die datenschutzrechtlichen Aspekte noch einmal besonders beleuchten würden. Herr Vetter: Vielen Dank, Frau Prof. Tinnefeld. Ich darf vielleicht zunächst auf das für mich sehr aufschlussreiche Referat von Prof. Sieber eingehen. Wir befassen uns von der Datenschutzseite auch schon seit längerem mit diesem Problem der Datenverarbeitung von medizinischen Daten durch IT-Dienstleister und haben uns zunächst mit Krücken behelfen müssen, am Beispiel der Fernwartung. Ich habe mir von den Informatikern sagen lassen, dass es einfach nicht anders geht. Die Fernwartung ist bei den technisch so komplizierten Systemen unverzichtbar. Es ist wirtschaftlich einfach nicht vertretbar, sich so viele Informatikressourcen, z.B. in Krankenhäusern vorzuhalten, dass alle Probleme der Systeme in Haus gelöst werden können. Auf Fernwartung kann also nicht verzichtet werden. Diese Fernwartung ist darauf angewiesen, in Notfällen mit Echtdaten zu arbeiten; mit pseudonomisierten Daten geht es vielfach nicht. Das bedeutet, dass die medizinischen Daten den ärztlichen Kreis verlassen. Sie unterlagen im Bereich der Fernwartung der Beschlagnahmegefahr. Es gab kein Zeugnisverweigerungsrecht für die Fernwartung. Was macht man also? Wir haben uns mit Einwilligungslösungen beholfen, weil wir diese einfach notwendige Art der Datenverarbeitung nicht verhindern wollten. Wir können nicht den Betrieb eines Krankenhauses mit unseren Datenschutzbedenken lahm legen. Aber uns war natürlich genau so bewusst, dass diese Einwilligung eine ausgesprochene Krücke ist, denn eine informierte Einwilligung setzt Feiwilligkeit voraus, und Freiwilligkeit bedeutet, dass Alternativen da sein müssen. Und diese Alternativen gibt es nicht, weil in jedem Krankenhaus, das IT-Systeme verwendet, Fernwartung betrieben wird. Wenn der Patient also in dem einen Krankenhaus sagt, dass er da nicht reingeht, dann muss er ein anderes suchen, und das mit einem akuten Blinddarm. Das kann man schlicht vergessen. Der Gesetzgeber hat jetzt einen halben Schritt getan mit dem Artikel 30 des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes, indem er die outgesourcte IT-Verarbeitung von medizinischen Daten ebenfalls dem Beschlagnahmeschutz und dem Zeugnisverweigerungsrecht unterstellt hat. Es ist aber die Frage, ob eine Befugnis nach 203 StGB anzunehmen ist. Diese Frage ist eher zu verneinen. Wir würden es von der Datenschutzseite deshalb sehr begrüßen, wenn hier durch eine Revision des § 203 StGB eine klarere Rechtslage geschaffen wird. Zu fordern ist allerdings die Zumutbarkeit für den Betroffenen, dass hier klare Grenzen gesetzt werden, die es für den Betroffenen gerechtfertigt erscheinen lassen, dass diese Daten übermittelt werden. Zum anderen ist die Information des Betroffenen auch okay, weitere organisatorische
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Moderation: Marie-Theres Tinnefeld
Sicherungen ebenfalls. Wir halten diese Diskussion für notwendig und eine Revision des § 203 für erforderlich. Zur Gesundheitskarte: Ich darf mich hier auf das beziehen, was heute Vormittag und wohl auch gestern ausführlich erörtert worden ist. Aus Datenschutzsicht habe ich mir vier Essentialia für eHealth Systeme aufgeschrieben. Das Erste ist der Grundsatz: Die Datenverarbeitung in elektronischen Systemen darf für den Patienten keine Verschlechterung seiner Patientenautonomie mit sich bringen. Wie war die Patientenautonomie außerhalb eines elektronischen Systems? Der Patient konnte entscheiden, welchem Arzt er welche Informationen gibt. Das Verhältnis der Ärzte untereinander war und ist von der ärztlichern Schweigepflicht gekennzeichnet. Der Patient kann also entscheiden, welche Informationen er gibt, und die Informationen müssen beim behandelnden Arzt verbleiben. Ein vernetztes System der Datenverarbeitung im Gesundheitswesen leistet natürlich Ungeheueres. Die Informationen sind vollständig oder sollen vollständig sein. Sie sind verfügbar. Der Arzt ist nicht mehr darauf angewiesen, dass sich der Patient erinnert, welche Krankheiten er hat, welche Medikamente er nimmt. Im Zweifelsfall, wenn der Arzt den Patient nach den Krankheiten der letzten zehn Jahre fragt, fallen dem Patient vielleicht zwei ein, und den Rest weiß er nicht. Von den Medikamenten weiß er vielleicht allenfalls, was er aktuell nimmt, aber nicht, was er vor einem Jahr genommen hat. Es bestehen da durchaus erhebliche Informationslücken, die durch ein derartiges System abgedeckt werden sollen. Was natürlich voraussetzt, dass die Informationen, die in dieses System eingegeben werden, jederzeit aktuell qualitätsgesichert sind. Der Patient muss aber entscheiden können, welche Informationen er an den Arzt weitergibt. Ich habe jetzt nur eine Seite dieses Systems beleuchtet. Eine weitere Seite ist die Informationsübermittlung, Stichwort elektronischer Arztbrief, wobei heute Vormittag gesagt worden ist, dass das Problem nicht die Übermittlung ist, sondern der Zeitrahmen, in dem der elektronische Arztbrief erstellt wird. Wenn das Ganze aber im Wege eines Workflows durchgeführt wird, ist der Zeitrahmen wahrscheinlich auch beherrschbar und begrenzbar. Auf der anderen Seite steht natürlich das Thema, ob der Patient, ob der Versicherte das will. Es wird immer von Vernetzung sämtlicher Beteiligter im Gesundheitswesen gesprochen, dass sämtliche Beteiligte im Gesundheitswesen jederzeit diese Informationen über den Einzelnen zur Kenntnis nehmen. Hier ist es bisher so gewesen, dass die Beteiligten untereinander abgeschottet und es vom Willen des Patienten abhing, ob diese Informationen übermittelt werden. Diese Patientenautonomie soll und muss im Grundsatz erhalten bleiben. Sie ist durch die Novellierungen im Gesundheitswesen schon ganz erheblich eingeschränkt, wenn ich das am Rande bemerken darf. Bei der letzten Novelle des Sozialgesetzbuchs V ist ein ganz erheblicher Einbruch dadurch entstanden, dass inzwischen die gesetzlichen Krankenkassen die Abrechnungsdaten der niedergelassenen
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Ärzte personenbezogen bekommen. Es ist verfügt worden, dass u. a. bei den Abrechnungen die Versicherungsnummer mit übermittelt wird. Bisher war es so, dass die Abrechnungen nur fallbezogen übermittelt wurden; jetzt mit Versicherungsnummer. Es ist ein merkwürdiger Bruch in dem § 295 SGB V, wo im Absatz 2 Sätze 3 ff steht, dass personenbezogene Übermittlung zulässig sein soll bei Disease-ManagementProgrammen. Und in Satz 2 steht, dass die Versicherungsnummer übermittelt wird, und zwar immer. Die Frage ist, wie es zu diesem scheinbaren Widerspruch kommt. Löst es sich dadurch, dass das eine die Novellierung 2003 war und das andere die Novellierung 2004? Da sieht man, wie die Entwicklung nach vorn geht. Noch einmal zur Gesundheitskarte. Unsere Thesen und Anforderungen waren und sind, dass die Verfügbarkeit über die medizinischen Daten nach wie vor dem Willen des Patienten unterworfen sein muss. Der Patient muss entscheiden können, ob er diese Funktion der elektronischen Gesundheitskarte, nämlich Träger und Vermittler von medizinischen Daten zu sein, überhaupt nutzen will. Und er muss entscheiden können, ob er sie im Einzelfall nutzen will. Und er muss entscheiden können, welche Informationen in dieses System eingegeben werden und welche Informationen aus dem System zu löschen sind. Die Ärzte wenden ein, wie auch heute früh gesagt wurde, dass das Ganze nichts wert ist, wenn das so ist. Sie müßten sich auf die Vollständigkeit des Systems verlassen können. Sie müßten sich darauf verlassen könne, dass sie auch alles sehen. Das ist ein gewichtiges Argument, was abgewogen werden muss gegen die Patientenautonomie. Der Gesetzgeber hat sich aus meiner Sicht aber zu Recht dafür entschieden, dass er hier der Patientenautonomie gegenüber der Vollständigkeit den Vorzug gegeben hat, Hätte er das nicht getan, liefe es darauf hinaus, dass eine Behandlungs- und Offenbarungspflicht seitens des Patienten besteht. Das hätte einen ganz massiven Einbruch in die Rechte auf informationelle Selbstbestimmung mit sich gebracht. Ein Problem, das wir natürlich auch sehen, ist, inwieweit sich diese „feingranularen“ Zugriffsteuerungsrechte so implementieren lassen, dass das ganze System für den Patienten handhabbar ist. Das ist ein Problem, das die Technik lösen soll. Was auf jeden Fall realisiert werden muss, ist dass ganz sensible Daten in diesem System, wie Nervenfacharzt, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Drogenabhängigkeit, HIVKrankheit, in einem speziell ansprechbaren Fach gespeichert werden, über dessen Freigabe der Patient im Einzelfall entscheidet. Es ist ein ausgesprochen komplexes System. Es wirft aus unserer Sicht erhebliche, auch ethische, Fragen auf. Aber die Welt geht weiter. Diese Fragen müssen gelöst werden, und wir sind eigentlich schon zuversichtlich, dass sie technisch gelöst werden können. Rechtlich sind sie in diesen Bahnen vorgegeben. Es ist nicht der böse Datenschutz, der dies verlangt, sondern es ist der Gesetzgeber im § 291a SGB V. Ich habe heute in der Pressekonferenz gesagt, dass ich das für ein nicht einfach zu lösendes Problem halte, aber ich gehe davon aus, dass wir gut dabei sind. Im Hinblick auf die Zeit beschränke ich mich darauf.
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Moderation: Marie-Theres Tinnefeld
Prof. Tinnefeld: Herr Vetter, ganz herzlichen Dank. Sie haben ein sehr engagiertes Statement für den Datenschutz gehört und ich denke auch, ein sehr plausibles. Ich darf weiter geben an Herrn Dr. Sibiga. Please, would you start with your lecture. Dr. Sibiga: Professor Tinnenefeld, ladies and gentlemen, first thank you for your inivitation. In a short speech I am going to present a computer system for the registration of medical services in Poland. The system is called of course in a context of personal data processing. The system called “START” was implemented in the last year of the 20th century but only in one of 16 regions in Poland, Upper Silesia. Nowadays the system incorporates about ca. 5 Mio. persons and of course their personal data. The system based on an e-card, paper’s coupon, computer system is used in hopitals, ambulatories, clinics, pharmamcies etc. Central data base provided by national health care found in Germany known as Krankenkasse. It is important that in Poland the law allows the Krankenkasse to process data in computer systems and to make up e-cards for all patients we vote data subjects permission. In fact there are two kinds of e-cards, patient’s e-card and doctor’s e-card. Every person who lives in Silesia has such a card. The slide presents the front view of a patient’s card. Of course there are personal data, for example the Polish identification number, name, surname, address, birth place and date etc. It is important that in the small chip there is no sensitive data, I mean data concerning health. The e-card is only the key to the system which authorizes medical services provided to the patient. This is only one function of e-card. How does it work? The first step is the patient’s registration in the hospital, ambulatory, clinic etc. During a visit the patient must give his e-card which is authorized by an electronic reader. At the same time the doctor’s e-card is authorized too. After a visit all data, the patient’s data, doctor’s data and medical services data are sent to the Krankenkasse, but medical data are limited only to a code. The Krankenkasse pays money only if it received earlier such a block of data. Different situation happens in the pharmacy because identification is based on paper coupon prescription made up by the doctor. The paper coupon is authorized by different kinds of electronic readers. Of course there is a natural conflict between the need to protect privacy and the necessaity to make the public health insurance system workable. As for me the public insurance is firstly controller of data, as Krankenkasse have to realize a lot of conditions for processing data. We will discuss it. The public insurance system will not become fully functional unless the Krankenkasse is allowed to process the personal data. I give you one simple example. The slide shows a statistical figure of serious heart attacks in Upper Silesia. A) is the number of hospitalisation without personal data
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and B) is a simple report of computer system in Krankenkasse, the real number of patients with serious heart attacks. The number of hospitalisations without personal data is more than 8.000 and the number of real patients with serious heart attacks in 2001 is less than 7.000, apart from patients with the subject of transfer between two or more hospitals. But hospitals sent only information about hospitalisations. This is why there is a difference between the numbers. The second important fact of this computer report is the great number of transfers during serious heart attacks. Maybe this is a signal for the Krankenkasse to check it, and of course we can control each case on the based computer system. This slide shows a map of computer systems only in Kronstadt in Silesia two years ago. There was a minimum of 61 locations of the system, locations of terminals, modems and servers. Thank you very much for your attention. Prof. Tinnefeld: Thank you very much; I think we have some questions. Aber zuerst gehe ich weiter zu Prof. Sauerbrey. Ich denke, Sie werden einige Anmerkungen zur Allianz von Datenschutz und IT-Sicherheit machen wollen, zumal die EG-Datenschutzrichtlinie (Art. 17) alle in Betracht kommenden Maßnahmen in Betracht zieht, die dem Stand der Technik entsprechen. Die Richtlinie verlangt, dass die Verantwortlichen für die Datenverarbeitung entsprechend den gegebenen Umständen angemessene Sicherheitsstrukturen entwickeln müssen und geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zu treffen haben. Bitte schön. Prof. Sauerbrey: Wir haben heute Morgen von Prof. Thielmann einen relativ guten Überblick über das Thema IT-Sicherheit bekommen und was im Rahmen der elektronischen Gesundheitskarte geplant ist bzw. was der aktuelle Stand der Planung ist, denn die Planung ist noch nicht endgültig abgeschlossen. Deswegen möchte ich mich hier relativ kurz fassen und noch ein paar Statements zum Thema IT-Sicherheit und Datenschutz im Hinblick auf die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte aus Sicht der IT-Industrie machen. Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in Deutschland gilt als eines der größten IT-Projekte der Welt, manche sagen sogar das größte. Die Zahlen sind schon mehrfach genannt worden – 200.000 Ärzte, 20.000 Apotheken, 2.000 Krankenhäuser müssen miteinander vernetzt werden, wobei das eigentlich keine grundsätzliche Herausforderung ist. Ich denke, wir haben in Deutschland eine relativ gute Infrastruktur was die Kommunikationstechnik anbelangt. Im Hinblick auf den Datenschutz spielt natürlich die IT-Sicherheit eine entscheidende Rolle, weil sie letztendlich die Enabling Technology ist, um den Datenschutz zu realisieren. Hierbei ist es allerdings wichtig, dass wir uns nicht nur mit der Karte als solche beschäftigen, sondern die gesamte Telematik Infrastruktur anschauen, angefangen von der Leistungserbringerseite bis hin zu den Kostenträgern, denn eine Sicherheitsarchitektur
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Moderation: Marie-Theres Tinnefeld
ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Hier haben wir mit der Entscheidung, einen Sicherheitsanker in Form einer Smart Card zu haben, ein ideales Medium gefunden, um eine sichere Brücke zu schlagen zwischen dem Datenschutz des Einzelnen und den Vorteilen der elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten der Telematik Infrastruktur. Verbindliche Aussagen, wie die technische Anbindung dieser Karte erfolgen soll, liegen im Moment leider noch nicht vor. Weitgehende Einigkeit besteht aber darin, dass wir ein eigenständiges Bindeglied zwischen den Systemen der Leistungserbringer, den sog. Primärsystemen, und dem Gesundheitsnetz, also den Hintergrundsystemen, brauchen. Das ist der sog. Connector, und dieser Connector hat im Sinne einer Sicherheitsarchitektur auch eine ganz wesentliche Rolle, über die wir bisher noch nicht so intensiv gesprochen haben. Der Connector soll zusammen mit der Gesundheitskarte und dem Heilberufeausweis das entscheidende Element der elektronischen Kommunikation sein, und diese drei Komponenten sollen dafür Sorge tragen, dass die notwendige IT-Sicherheit auch erreichbar ist. Das Ganze ist nicht ausschließlich ein technisches Thema und auch nicht allein ein IT-Sicherheitsthema, sondern letztendlich geht es darum, die Interessenlagen der verschiedenen Beteiligten unter einen Hut zu bringen; Datenschutz zur Absicherung der Patienteninteressen, aber natürlich auch Einbindung aller im Gesundheitssystem Beteiligten im Hinblick auf die Akzeptanz. Wir wissen, dass Sicherheit auch ein Thema ist, das Akzeptanz voraussetzt. Und die besten Sicherheitsmechanismen, die technisch vorgesehen sind, nützen nichts, wenn sie nicht entsprechend angewandt werden. Insofern müssen wir das ganze System so aufbauen, dass es akzeptiert wird und benutzbar bleibt. Da greife ich auch das auf, was Herr Vetter gesagt hat, nämlich dass die Einbindung des Gesamtsystems in die Prozessabläufe entscheidend ist auch für das Thema IT-Sicherheit und damit auch für den Datenschutz. Bei diesem Prozess wird der eine oder andere Beteiligte im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes über seinen Schatten springen müssen. Das ist die Voraussetzung für ein erfolgreiches Projekt. Aus Sicht der Industrie ist die zeitnahe Vorlage der Spezifikation für die Gesundheitskarte und die Telematik Infrastruktur wünschenswert. Hier haben wir natürlich einen Zielkonflikt, und wir sollten aufpassen, dass die technischen Anforderungen nicht über das Ziel hinausschießen und wir bei der Einführung einen Stufenplan haben, bei dem wir Erfahrungen aus Pilotregionen einbeziehen. Das hilft letztendlich, die Qualität der Gesamtlösung auf ein vernünftiges Niveau zu heben, insbesondere auch im Hinblick auf IT-Sicherheit und Datenschutz. Darüber hinaus sollte sich die Lösung an internationalen Standards ausrichten. Der technologische Vorsprung im internationalen Vergleich bietet uns die Chance, die deutsche Gesundheitskarte als Innovationsmotor zu nutzen. Wir haben gerade etwas über Polen gehört. Es gibt eine Menge von anderen Ländern, die solche Dinge eingeführt haben, nicht ganz so komplex wie wir das hier in Deutschland vorhaben. Nichtsdestotrotz gibt es Beispiele, wo nach Anfangsschwierigkeiten sich dann doch
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internationale Nachfrage nach deutschen Technologien entwickelt. Insofern bin ich da positiv gestimmt. Prof. Tinnefeld: Ich darf Ihnen sehr herzlich danken und wegen der fortgeschrittenen Zeit vielleicht erst einmal an das Publikum wenden. Darf ich um Fragen bitten. Herr von der Locht, HMO AG: Wir sind Hersteller einer Online-Patientenakte, die patientenorientiert ist. In diesem ganzen System, wie wir es vorgestellt bekommen haben, stellt sich mir die Frage: Wenn ein Connector zum Einsatz kommt, wie ihn Herr Prof. Sauerbrey vorgestellt oder noch einmal erwähnt hat, dann würde der Patient faktisch von seinen eigenen Daten abgeschottet werden, oder? Generell hat jeder Patient doch zumindest ein Recht auf eine Kopie seiner Daten, und es ist auch oftmals gesagt worden, dass er das Zentrum, der Owner seiner Daten ist. Wie aber kommt er dann ohne den Arzt an seine Daten ran? Reicht ihm seine Gesundheitskarte, um sich auch von zuhause seine Daten anzusehen, um sich persönlich z.B. im Internet weitere Informationen zu seinem Krankheitsbild einholen zu können oder ist gerade das dann nicht möglich? Prof. Sauerbrey: Auch das ist nicht so sehr eine technische Frage. In Diskussion ist, dass es sog. Kioske gibt, Selbstbedienungsterminals, mit denen dann der Patient auch die Möglichkeit hat, seine Daten einzusehen. Der Connector dient nicht zur Abschottung des Patienten von seinen Daten, sondern er dient dazu, Systeme in Arztpraxen vernünftig anzubinden an das Gesamtsystem, so dass man einerseits ein geschlossenes Netz hat, andererseits aber auch sicherheitskritische Elemente wie den Zugriff auf Chipkarten u. ä. in einer Umgebung ablaufen lässt, die ausreichende Sicherheit gewährleistet. Herr Vetter: Der Gesetz, der § 291a SGB V, bestimmt ausdrücklich in Absatz 5, dass jeder Verarbeitungsschritt in dem Bereich der freiwilligen Anwendungen vom Patienten authorisiert werden muss. Der Patient ist nicht darauf beschränkt, nur zu sagen, dass er den freiwilligen Teil der Gesundheitskarte verwendet oder nicht, sondern er muss wie gesagt auch die einzelnen Verarbeitungsschritte, die sich in diesem Freiwilligenbereich dann bewegen, jeweils authorisieren. In Zukunft wird es eine Patientendatenkarte, Patient Data Card, geben oder durch biometrische Systeme oder auch eine PIN. Auf Ihren Beitrag, Herr Prof. Sieber, wollte ich noch sagen, dass nach meiner Kenntnis der § 291 a Abs. 8 der besagt, dass vom Inhaber der Karte nicht verlangt werden darf, den Zugriff auf Daten anderen Personen oder zu anderen Zwecken als der Gesundheit freizugeben, pönalisiert ist, zum Teil als Ordnungswidrigkeit und zum
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Teil als echter Straftatbestand. Also, eine Kriminalisierung der Fehlverwendung oder des Zwangs zur Fehlverwendung ist bereits im Gesundheitsmodernisierungsgesetz gegeben. Herr von der Locht: Das kommt leider einer Entmündigung des Patienten gleich. Wir haben auch das Akzeptanzproblem angesprochen. Ein Patient wird nur dann ein solches System wirklich nutzen, wenn er doch noch das Gefühl hat, er selber ist Herr seiner Daten und nicht, dass er wieder nur Spielball in einem Netz der Leistungserbringer ist. Wenn er selber nicht mehr die Möglichkeit hat, für sich seine eigenen Daten noch einmal zu kontrollieren, seine Laborwerte noch einmal anzusehen, zu schauen, welcher Wert beispielsweise im roten Bereich war. Wenn er das nur im Kontext mit einem Arzt machen kann, weil man Angst hat, dass er sonst gefoltert, gezwungen oder sonst etwas wird, seine medizinischen Daten offen zu legen, fürchte ich, dass es große Akzeptanzprobleme geben wird bei den Patienten. Herr Vetter: Das war auch bisher so, dass er zum Arzt gehen musste, um sich die Daten geben zu lassen. Also, eine Mitwirkung des Arztes ist immer notwendig gewesen und ich glaube, dass es hier sogar besser wird, weil nämlich bisher die Bereitschaft der Ärzte, die Patienten in die Datenbestände hineinschauen zu lassen, in Einzelfällen nicht sehr ausgeprägt war. Prof. Dr. Sieber: Da ich nicht an der ganzen Tagung teilnehmen konnte, bin ich über den bisherigen Diskussionsstand nicht vollständig informiert. Aufgrund des bisher Gehörten sehe ich jedoch vor allem drei kritische Punkte, die geklärt werden müssten. Sie betreffen das Akteneinsichtsrecht des Patienten, das technische Sicherungskonzept des Gesamtsystems sowie die gesetzliche Normierung von Mindestsicherungsstandards. Wenn man – was zutreffend ist – ein Einsichtsrecht des Patienten in die gespeicherten Daten normiert, so muss man sich über die damit verbundenen Probleme klar werden. Wenn der Patient jederzeit – und möglicherweise ohne Kenntnis des betroffenen Arztes – seine Patientendaten einsehen kann, so wird dies das Verhalten der Ärzte im Hinblick auf ihre Aufzeichnungen verändern. Sie werden sich – auch im Hinblick auf Haftungsfragen – sehr viel vorsichtiger äußern. Möglicherweise wird es auch zu einer „doppelten Buchführung“ kommen, so dass der Patient faktisch nur in einen Teil der Aufzeichnungen Einsicht bekommt. Ein anderer Teil der Aufzeichnungen des Arztes würde dann – wie die Aufzeichnungen des Staatsanwalts in seiner Handakte – dem Einsichtsrecht entzogen. Der zweite und noch sehr viel wichtigere Fragenkomplex betrifft das mit der Einführung der Gesundheitskarte verbundene Sicherheitskonzept. Aufgrund der bishe-
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rigen Erfahrungen im Bereich der Computersicherheit wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis die zentralen Server mit den Patientendaten „gehackt“ werden. Das System muss deswegen – vor allem durch eine sichere Verschlüsselung – dafür sorgen, dass beim unbefugten Zugriff auf die gespeicherten Daten diese nicht alle offen liegen. Durch die Verschlüsselung muss darüber hinaus gewährleistet sein, dass es beim „Knacken“ des Verschlüsselungscodes nur zu einzelnen unberechtigten Zugriffen kommt und nicht der Gesamtdatenbestand offen liegt. Ansonsten ist damit zu rechnen, dass vor allem Politiker und andere Persönlichkeiten der Zeitgeschichten rasch zum Opfer von Indiskretionen und Erpressungen werden. Im Zusammenhang mit diesen Sicherheitsproblemen stellt sich schließlich die weitere Frage, inwieweit die mit den entsprechenden EDV-Anwendungen befassten Techniker nicht nur einer strafbewehrten Schweigepflicht gemäß § 203 StGB unterliegen sollen, sondern darüber hinaus auch durch gesetzliche Vorschriften und Strafvorschriften zur Gewährleistung eines bestimmten Sicherheitsniveaus verpflichtet werden. Im bisherigen Datenschutzstrafrecht sind strafbewehrte Verpflichtungen zur Gewährleistungen von Sicherheitsmaßnahmen kaum zu finden. Die Sensibilität der im Bereich der Gesundheitskarte und der dazugehörigen Serversysteme gespeicherten Daten könnte es jedoch rechtfertigen, dass in diesem Fall z.B. grob fahrlässige Verstöße gegen Sicherheitsstandards mit Strafe bedroht werden. Diese drei – hier beispielhaft genannten – Fragenkomplexe zeigen, dass die notwendigen Grundsatzdiskussionen zu Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit im Bereich der Gesundheitskarte bisher noch nicht geführt wurden. Wenn das neue System der Gesundheitskarte von den Bürgern akzeptiert werden soll und wenn Überraschungen bei der Einführung der Gesundheitskarte vermieden werden sollen, ist es dringend an der Zeit, die derzeit geplante Systemkonzeption offen zu legen und kritisch zu diskutieren. Die heutige Diskussion kann hierzu einen ersten Ansatz liefern. Prof. Sieber: Da ich leider nicht die ganze Tagung verfolgen konnte, stellen sich für mich gleich drei Fragen. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich Dinge erfrage, die hier diskutiert wurden. Die erste Frage betrifft ganz spontan diese Einsichtsrechte. Wenn es so ist, dass der Patient leicht einsehen kann, dass er nicht mehr die krickelige Handschrift des Arztes entziffern muss auf der Patientenkarte, wird sich natürlich dieses Einsichtsersuchen dramatisch erhöhen. Es wird wahrscheinlich dazu führen, dass der Arzt anders protokolliert, wenn er weiß, dass der Patient hier öfters reinschaut, dass er sensible Sachen, wie Simulant, nicht mehr protokolliert. Es ist einfach die Frage des totalen Veränderns der ärztlichen Mitschrift und Protokollierung. Wie ist das bedacht? Ist es berücksichtigt? Wird es zu einer doppelten Buchführung kommen, dass eine der Arzt für sich selbst, so wie die Handakten der Staatsanwaltschaft, in die der Verteidiger keine Einsicht bekommt, und auf der anderen Seite das Offizielle, was reingeht und dann aber ziemlich nichtssagend sein wird? So wird es der Arzt macht, wenn er Angst hat.
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Moderation: Marie-Theres Tinnefeld
Das wäre mein erster Fragenkomplex. Mein zweiter Fragenkomplex betrifft das Sicherheitskonzept, und wie das im Grundsatz ausgestaltet ist. Wir wissen aus bisherigen Bereichen – ich habe mich seit 20 Jahren mit Hacking und Computerkriminalität beschäftigt –, dass zentrale Systeme irgendwann einmal aufgemacht werden. In Projekten, die ich zurzeit vorbereite, in denen wir in den Sicherheitsbereich reingehen werden, sind wir zurzeit in einem sehr interessanten Gespräch mit einem Tophacker. Ich halte ihn für einen ausgezeichneten Mann, mit dem wir uns unterhalten haben, was geht und nicht geht. Er sagte mir ganz offen, dass über 90 % der Rechnersysteme für ihn und seine Freunde offen sind. Das ist die Quote, die herauskommt. Ich hatte bei dem Gespräch unseren Rechenzentrumsleiter dabei, dem es richtig „fror“ als er das hörte. Also, die Leute können jegliche Sicherheitsprotokollierung zunächst einmal so abstellen und n dann so rausgehen, dass man nicht sieht, dass sie in den Computersystemen waren. Wenn man das im Hintergrund hat, dass da etwas passieren kann, stellt sich die Frage, ob diese Daten in die Serversysteme zentral mit Zuordnung des Namens reinkommen, oder wird es ein System geben, wo überhaupt auf dem Server nur Daten sind, mit denen man nichts anfangen kann, wenn man nicht die Karte hat? Das wäre für mich der entscheidende Prüfschritt. Unter der Prämisse „der Server wird einmal aufgemacht“ fange ich mit den Daten etwas an oder habe ich ein Sicherungskonzept, wo man wirklich die Karte und die PIN noch in der Hand haben muss, wenn man in diese Richtung geht? Das sind für mich zwei fundamentale Konzepte. Dann wäre mir verhältnismäßig wohl bei der Geschichte. Es gibt dann einzelne Missbräuche, aber es wird nicht mehr diesen großen Missbrauch geben, wie einmal den Server aufgemacht und alles runtergeholt. Es ist klar, was zunächst veröffentlicht wird, ist irgendein Politiker, den man nicht mag. Das wäre für mich die Weichenstellung am Sicherheitskonzept, wo mir die Kenntnisse fehlen. Und die dritte Frage für mich betrifft speziell dieses Projekt, was ich Ihnen vorgestellt habe. Es ist die Frage inwieweit wir gesetzlich Sicherungsmaßnahmen verlangen und erzwingen sollen. Wenn man sich das bisher ansieht, so haben wir im Bundesdatenschutzgesetz bestimmte Anforderungen an die Sicherheit, insbesondere in der Anlage zu § 9 BDSG. Diese Sicherungsmaßnahmen sind, wenn sie vernachlässigt werden, jedoch nicht sanktioniert. Da gibt es aufsichtsrechtliche Maßnahmen, aber wir haben keine Bestimmung, dass der, der die fremden Daten nicht ausreichend sichert, bestraft wird; auch nicht aus § 203 StGB. Das ist ein Vorsatzdelikt. Wer die Dinger fahrlässig rauskommen lässt, wird nicht erfasst. Und der Eventualvorsatz ist weit, was bedeutet, dass keine Sanktion drauf ist. Für mich wäre es eine große Frage, ob wir das Vorgehen sanktionieren wollen oder nicht. Das ist eine schwierige Implikation. Es ist sehr unbestimmt, was wir an angemessenen Sicherungsmaßnahmen verlangen. Es gibt gute Gründe, es nicht zu verlangen. Ich hatte mir bei dem Tatbestand, an dem ich zurzeit arbeite, überlegt, ob ich verlangen soll, dass der Arzt nur weitergeben darf, wenn die Daten irgendwo gesichert sind. Ich komme da zu einer Ablehnung, denn wie soll ein Landarzt im Bayerischen Wald überblicken, ob das große Rechenzentrum in München ausreichend gesichert ist.
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Aber wenn auch nicht als Voraussetzung der Weitergabebefugnis, so doch als selbstständig sanktionierte Pflicht, sei es als Ordnungswidrigkeit, sei es als Straftat, wollen wir es oder wollen wir es nicht – da würde ich einfach gern im Hinblick auf zukünftige Aktivitäten auch Ihre Meinung kennen lernen. Prof. Tinnefeld: Ich denke, Frau Prof. Anlauff könnte möglicherweise hier sogar als Spezialistin für die Beantwortung in Frage kommen. Prof. Anlauff: Ich möchte mich erst vorstellen: ich bin Professorin für Informatik an der Fachhochschule München und habe als „dienstliche Spielwiese“ ein Chipkartenlabor. In diesem Labor biete ich gemeinsam mit einer Münchner Firma, die Chipkarten herstellt aber eigentlich aus dem Banknotengewerbe kommt, ein Projektstudium an, das sehr großen Zulauf hat. Rein zufällig habe ich in diesem Wintersemester den Stand der elektronischen Gesundheitskarte untersucht (ohne Absprache mit Frau Prof. Tinnefeld, sondern einfach aus Interesse). Es waren 35 Teilnehmer, Informatiker, die sich vom technischen Standpunkt auf dieses Thema gestürzt haben. Sehr schnell hat sich die Abteilung geteilt in mehrere Gruppen: eine Gruppe Datenschutz, eine Gruppe Recherche, eine Gruppe Kryptologen und eine Gruppe Implementierer, die Sicherheitsmodule implementieren wollten. Das ganze Projekt hat sich dann genau auf die Frage über die Zugriffsrechte konzentriert, nämlich wer welche Daten – vorerst noch auf der Karte – lesen, schreiben, verändern darf. Wir sind nach einem ganzen Semester Diskussion zu dem Schluss gekommen, dass es am besten ist, wenn auf der Karte keine medizinischen Daten stehen, weil man damit aus dieser Situation der Erpressbarkeit einigermaßen herauskommt. Ich kann hier für Herrn Sibiga sprechen: Ich finde es schön, dass auf der polnischen Gesundheitskarte in Oberschlesien keine medizinischen Daten enthalten sind. Studenten sind immer recht erfindungsfreudig und haben einen ganz pragmatischen Lösungsansatz vorgeschlagen nach dem bekannten Firewall-Prinzip: Alles ist verboten, was nicht explizit vom Patienten erlaubt ist. Das heißt, dass nicht, wie es im jetzigen Modell angedacht ist, der Patient bei der Kartenausgabe entscheiden muss, ob er an der Speicherung seiner Daten, also seiner Patientenakte, auf der Karte teilnimmt und grundsätzlich erlaubt, dass die Ärzte alles darauf schreiben dürfen und dass im Prinzip jeder Arzt und Apotheker alles lesen darf, wenn der Karteninhaber das nicht „ausradiert“. Denn es stellt sich folgende Frage: wenn der Karteninhaber Einträge ausradiert oder ausradieren lässt – weil er das alleine gar nicht machen kann, sondern nur in der sicheren Umgebung an einem „Kiosk“ gemeinsam mit einem Arzt – sieht der nächste Arzt, dass radiert wurde, dass etwas verborgen werden soll. Hier sind uns Bedenken gekommen, und wir haben es ganz anders organisiert: Für jeden möglichen Facharzt wird eine Patientenakte angelegt. Diese Akte ist geschlossen und erst, wenn der Patient zu einem Arzt geht und
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es für notwendig hält, dass dieser Arzt in diese Akte Einsicht nimmt oder neue Einträge vornimmt, erlaubt er ihm das, und zwar nicht generell für immer, sondern nur für den Behandlungszeitraum. Wenn die Behandlung abgeschlossen ist, erlischt dieses Recht nach einer bestimmten Toleranzzeit, etwa 3 Monate, von selbst. Das bedeutet, man kann gemeinsam mit dem Arzt des Vertrauens – denn wir wollen die Karte und wir wollen dem Arzt vertrauen – entscheiden, welche Akten er öffnen darf. Wenn der Arzt z.B. die Akte mit den allgemeinen Daten braucht, kann man sie für ihn öffnen. Wenn aber z.B. der Augenarzt den Internistenbefund sehen möchte, kann der Patient das ablehnen. In diesem Modell können Arzt und Patient von Fall zu Fall gemeinsam über den Zugriff entscheiden. Das ist unser erster Lösungsvorschlag. Dieses Prinzip kann man nicht nur auf der Karte anwenden, sondern auch auf die Patientenakte, die irgendwo auf einem Server liegt, warum nicht? Prof. Tinnefeld: Vielen Dank. Herr Vetter würde die Ausführungen gern in ein paar Punkten ergänzen. Herr Vetter: Der Gesetz, der § 291a SGB V, bestimmt ausdrücklich in Absatz 5, dass jeder Verarbeitungsschritt in dem Bereich der freiwilligen Anwendungen vom Patienten authorisiert werden muss. Der Patient ist nicht darauf beschränkt, nur zu sagen, dass er den freiwilligen Teil der Gesundheitskarte verwendet oder nicht, sondern er muss wie gesagt auch die einzelnen Verarbeitungsschritte, die sich in diesem Freiwilligenbereich dann bewegen, jeweils authorisieren. In Zukunft wird es eine Patientendatenkarte, Patient Data Card, geben oder durch biometrische Systeme oder auch eine PIN. Auf Ihren Beitrag, Herr Prof. Sieber, wollte ich noch sagen, dass nach meiner Kenntnis der § 291 a Abs. 8 der besagt, dass vom Inhaber der Karte nicht verlangt werden darf, den Zugriff auf Daten anderen Personen oder zu anderen Zwecken als der Gesundheit freizugeben, pönalisiert ist, zum Teil als Ordnungswidrigkeit und zum Teil als echter Straftatbestand. Also, eine Kriminalisierung der Fehlverwendung oder des Zwangs zur Fehlverwendung ist bereits im Gesundheitsmodernisierungsgesetz gegeben. Prof. Tinnefeld: Vielen Dank. Herr Prof. Sauerbrey wollte sich auch noch zu den Fragen von Herrn Prof. Sieber äußern. Prof. Sauerbrey: Aus dem Publikum kam die Diskussion: zentrale oder dezentrale Datenspeicherung, was soll auf der Karte gespeichert sein, was nicht? In anderen Ländern ist das in der Regel so, dass die Karte wirklich nur ein Pointer ist auf einen Datensatz, der zentral
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gespeichert ist. Das zweite, was Prof. Sieber fragte, ob das verschlüsselt gespeichert wird, so dass nur mit Hilfe der Patientenkarte und der Health Professional Card zugegriffen werden kann. Soweit ich weiß, ist das noch nicht endgültig spezifiziert, sondern es ist noch offen. Herr Heil, Dt. Gesellschaft für Integrierte Versorgung: Ich muss noch einmal als Arzt intervenieren. Wenn wir solche Einrichtungen wie eben erwähnt an der Karte platzieren, übergeben wir doch den Patienten die Verantwortung für die Bereiche, die nun geöffnet werden oder nicht. Wer will dem Patienten zumuten, die medizinischen Zusammenhänge zu verstehen und den Bereich zu öffnen, der vielleicht für den Arzt, für die Therapie sehr wichtige Informationen enthält. Ich möchte das auch an einem konkreten Beispiel beschreiben. Ein ganz großes Problem in Deutschland ist die Betreuung, Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen. Chronische Schmerzen haben tausendfache Ursachen. In der Therapie hat sich etabliert, dass der Patient sich mit chronischen Schmerzen ein Antidepressivum erhält, welches er natürlich vom therapiebegleitenden Psychotherapeuten oder Psychologen verschrieben bekommt. Nun ist gerade Psychotherapie und Psychologie erst recht in bestimmten Generationsbereichen ein sensibles Thema. Nun verschweigt oder verbietet der Patient die Öffnung dieses Fachs, Facharzt Psychologie oder Psychiatrie. Antidepressiva haben eine Menge von Nebenwirkungen. Antidepressiva können lebensbedrohliche Situationen auslösen in Kombination mit Medikamenten, die dann in Unwissenheit einen Antidepressiva-Therapie gegeben werden, d.h. mit dieser Freiwilligkeit der Öffnung solcher Fächer setzen wir den Patienten Gefahren aus, die de Patient nie in seinen Dimensionen beurteilen kann. Mir kommt das manchmal vor, als würden wir nach einem Fallschirmsprung das Öffnen des Fallschirms noch zur Diskussion stellen. Diese Datenlage ist für viele Patienten auch in Notsituationen doch ein Schutz, eine Hilfe, eine echte Unterstützung durch Daten für den weiterbehandelnden Arzt. Nehmen wir ein anderes Beispiel, eine Notfallsituation. Wie viele Patienten kommen in Stresssituationen zum Arzt und vergessen einfach bestimmte Angaben bzw. überblicken natürlich auch nicht, welche Facharztfächer auf dieser Karte jetzt geöffnet werden können. Da sehe ich desolate Situationen auf uns zukommen, die auch haftungsrechtliche Probleme zur Folge haben können. Das kann man einfach von der ärztlichen Seite aus so nicht akzeptieren. Prof. Tinnefeld: Vielen Dank. Ich glaube, dass das ein ganz wesentlicher Einwand ist, den man in der Praxis häufig erlebt. Da geht es dann wirklich um Leben und Tod. Herr Vetter möchte sofort darauf antworten. Herr Vetter: Ich habe dieses Problem auch bereits in meinen einführenden Worten angesprochen. Ich muss zunächst einmal die Rechtslage schildern. Der § 291 a SGB V bestimmt es
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Moderation: Marie-Theres Tinnefeld
so, dass der Patient die Steuerungsmöglichkeit hat. Zwei Dinge: Erstens ist es bereits bisher so gewesen, dass der Patient zum Arzt kommt, der Arzt erhebt eine Anamnese. Er ist darauf angewiesen, was ihm der Patient sagt. Zweitens, die Patientenaufklärung ist ein ganz wesentlicher Faktor, dass der Arzt in dem ersten Anamnesegespräch dem Patienten sagt, was er wissen muss und dass diese Informationen in der Patientenakte vorhanden sind und vom Patient freigegeben werden sollen. Ich bin einigermaßen sicher, dass jeder vernünftige Patient das in breitestem Umfang tun wird. Die Medikamentenunverträglichkeit gehört in den Bereich der Pflichtanwendung, nämlich der Rezepturen, und im Bereich des elektronischen Rezepts gibt es Hintergrundsysteme, die die Verträglichkeit der verordneten Medikamente überprüfen. Ich glaube, dass dieses Problem minimierbar ist. Natürlich ist das die Grundfrage, wofür ich mich entscheide. Entscheide ich mich für eine 100 % optimale Behandlung des Patienten, dann muss ich dafür einfach alles wissen. Das würde wie gesagt die Offenbarungspflicht des Patienten bedeuten. Die hatten wir bisher nicht und der Gesetzgeber hat aus unserer Sicht zu Recht entschieden, dass wir sie auch in Zukunft nicht haben sollen. Aber mit entsprechender Aufklärung des Patienten, meine ich, dass dieses Problem lösbar ist. Prof. Tinnefeld: Hier kommen sofort zwei Antworten. Bitte. Herr Heil: Herr Vetter, ich respektiere Ihre Äußerungen außerordentlich. Wenn das allerdings bisher so war, und wir sind uns hier auch über den Saal hinaus einig, dass es erhebliches Verbesserungspotenzial gibt in dem Gesundheitswesen in Deutschland. Wenn wir jetzt auf das Argument „es war ja bisher auch so“ und ein wesentlicher Teil der mittelmäßigen Krankenversorgung in Deutschland sind die Informationsdefizite, die die jeweiligen Leistungserbringer haben und die sie in vielen Situationen, wie schon beschrieben, auch nicht bekommen können von ihren Patienten. Wenn wir auf dem Standpunkt stehen, den Sie gerade beschrieben haben – noch einmal meinen Respekt für diese Äußerungen –, dann brauchen wir auch keine Gesundheitskarte. Dann können wir uns dieses sparen, weil da dann keine Dynamik mehr ist. Prof. Picot: Wenn es so ist, dass der Patient durch den Arzt aufgeklärt werden soll und ihm gesagt wird, dass er deutliche Risiken eingeht, wenn er bestimmte Daten nicht frei gibt oder öffnet, sind wir dann nicht in einer Drucksituation, die Sie vermeiden wollen. Bei den Krankenversicherungsbeiträgen wird vorgeschlagen, dass derjenige, der bei der Gesundheitskarte mitmacht, umfassend Beitragsnachlässe bekommen kann. Da sagen Sie, dass das aus datenschutzrechtlicher Sicht auf keinen Fall sein darf. Aber hier, wenn der Arzt vor einem sitzt und sagt: Mein lieber Freund, wenn du mir nicht das Ganze freigibst, wer weiß, ob du nicht morgen im Sarg liegst, ist das doch eine Situation, die viel stärkeren Druck ausübt. Da sehe ich eine gewisse Inkonsistenz in der Argumentation aus der Datenschutzecke.
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Prof. Tinnefeld: Vielen Dank, Herr Prof. Picot. Ich habe jahrelang Patienten, Psychologen etc beraten. Diese Situationen entstehen und sind schwer lösbar – ich würde da den medizinischen Standpunkt teilen. Die Frage ist, wie der Datenschutz damit klar kommen kann. Herr Vetter: Es ist nicht mein Problem, dass ich damit klar komme. Die Patienten müssen damit klar kommen, dass auf diese Art und Weise eine Offenbarungspflicht ihrer sämtlichen sensiblen Gesundheitsprobleme jedem Arzt gegenüber statuiert wird. Wenn der Gesetzgeber das so entscheiden würde, bin ich gespannt, ob das vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte. Da habe ich leise Zweifel. Prof. Tinnefeld: Hier kommt noch ein Argument. Herr Blobel: Ich hatte für das BMGS, das „Bit for Health“ Projekt, die Ausschreibung und auch die generelle Spezifikation zur Rahmenarchitektur gemacht und zur Sicherheitsinfrastruktur ein paar Korrekturen. Zuerst stimme ich Herrn Vetter voll zu, dass die Gesetzeslage so ist, und ich sehe den Konflikt insofern nicht, weil, wie deutlich gesagt wurde, das Vertrauensverhältnis gestärkt werden muss. Und im Vertrauensverhältnis ist die Informiertheit des Patienten sehr wichtig, aber natürlich auch die Frage der Weiterbildung, der Ausbildung des Patienten. Das ist eine gemeinsame Aufgabe, und wenn die in enger Kooperation zwischen Arzt und Patient realisiert wird, dann dürfte das Spannungsverhältnis sicher ganz stark reduziert sein, was jetzt als Problem genannt wird. Insofern würde ich das nicht vordergründig sehen. Eines war aber nicht korrekt, Herr Vetter. Die Verschreibung ist ein Pflichtfach, das Medication File nicht, und in der Verschreibung habe ich nur die aktuelle Transaktion und keinen Bezug zu anderen Medikamenten, die der Patient bekommen hat, so dass diese Frage damit nicht gelöst werden kann, d.h. da bräuchten wir auch wieder das Vertrauensverhältnis und damit auch die Öffnung des Medication File. Dabei muss man deutlich sagen, dass fast alle anderen Länder hier andere Wege gehen und den Electronic Health Care Record bzw. die Spezialisierung des Medication File zur Vermeidung von Interaktionen als erste Anwendung favorisieren. Noch einen kurzen Hinweis zur Problematik der Speicherung von Daten, die ja jenseits der Frage der elektronischen Gesundheitskarte sind, aber bezogen auf die Rahmenarchitektur für eine Gesundheitstelematikplattform. Dabei wird es nicht nur ein Modell geben, d.h. es werden sowohl zentralisierter Modelle möglich sein, aber im Sinne von Region oder Institution. In vielen Länder wird ein persönlicher Health Record favorisiert, den der Patient mit den Ärzten gemeinsam verwaltet. Dabei werden diese Sachen für unterschiedliche Zwecke parallel existieren. In Finnland z.B. haben die Krankenhäuser den Krankenhausrecord und für die Region eine Aus-
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Moderation: Marie-Theres Tinnefeld
tauschdokumentation, die alle benutzen können und die ein Subset des eigentlichen Records aller Häuser ist und gemeinsam verwaltet wird. Das sind nur verschiedene Modelle. Das Entscheidende ist nicht die Speicherung, sondern die Zugriffssteuerung und darauf sollten wir die meiste Aufmerksamkeit verwenden. Prof. Tinnefeld: Ich danke Ihnen sehr, auch noch für diesen sehr wichtigen Beitrag. Ich darf den Kollegen auf dem Podium sehr herzlich für ihre engagiertren Stellungnahmen danken, auch für die differenzierten Fragestellungen, die sicherlich den juristischen und medizinischen Problemen weiter helfen werden. Ich darf dem Publikum sehr danken, dass es so aktiv an der Debatte teilgenommen hat und ich denke, es hat sich aus einigen Argumenten ergeben, dass eine Allianz zwischen Technik und Datenschutz notwendig ist, dass ein Höchstmass an Datensicherheit die Verarbeitungsprozesse verlässlich gestalten kann, allerdings nur unter klaren normativen Vorgaben, die Auskunft darüber geben, welche Patientendaten von wem für welche Zwecke und unter welchen Bedingungen verwendet werden dürfen. Vielen herzlichen Dank.
21 Die Bedeutung der IT für die ökonomische Entwicklung der Gesundheitswirtschaft Prof. Dr. Rolf-Rainer Riedel, Heike Hefner, Martin Prätorius Rheinische Fachhochschule Köln Das Thema IT und ökonomische Entwicklung hat viele Facetten; von denen einzelne Punkte in den beiden letzten Tagen bereits angesprochen worden sind. Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie die Ausgangslage zu definieren ist. In Deutschland „erwirtschaften“ wir rund € 255 Mrd. des Bruttosozialprodukts, d.h. die Gesundheitswirtschaft ist das stärkste „Einzel-Wirtschaftssegment“ bezogen auf das Bruttosozialprodukt mit rd. 11,2 %. Aktuell sind in diesem Wirtschaftsbereich rd. 4,2 Mio. Arbeitnehmer beschäftigt, welcher damit bedeutsamer ist als die Automobilindustrie. Viele verkennen diese wichtige gesamtwirtschaftliche Situation. Somit sind rd. 12 % der Arbeitnehmer in der Gesundheitsindustrie tätig.
Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen 2003 Arzneimittel 24,196 Mrd. €
Ärztliche Behandlung 24,276 Mrd. €
Zahnärzte / Zahnersatz 11,786 Mrd. €
Heil- und Hilfsmittel, Dialyse 9,257 Mrd. € Krankenhaus 46,845 Mrd. €
Sonstiges 13,165 Mrd. € NettoVerwaltungskosten 8,038 Mrd. €
Krankengeld 6,968 Mrd. € Quelle: IKK-Landesverband NRW 2004
Bild 1: Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherungen 2003
Die gesetzlichen Krankenversicherungen wendeten für die Gesundheitsversorgung ihrer Versicherten rund 150 Mrd. im Jahr 2003 auf (Bild 1). Davon entfallen rd. € 24 Mrd. auf die ambulante ärztliche Behandlung, rd. € 46 Mrd. auf die stationäre Krankenhausbehandlung und rd. € 24 Mrd. auf die Arzneimittelversorgung. Die Frage ist, warum wir uns damit auch volkswirtschaftlich auseinandersetzen müssen.
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Da gibt es einmal eine Differenzierung nach Ausgaben, und zwar nach Junioren und Senioren. Nach der Definition sind wir bis zu einem Alter von 65 Jahren alle Junioren, ab diesem Alter werden wir den Senioren zu gerechnet. Sie sehen, dass die Ausgaben der Junioren sich von 1993 bis zum Jahre 2003 von rd. € 1.600 auf rd. € 2.000 Euro erhöht haben. Demgegenüber haben sich die „Behandlungsaufwendungen“ für die Senioren wie folgt entwickelt: von € 2.900 im Jahr 1993 auf rd. € 4.000 im Jahr 2003. Wie sich diese Ausgabenentwicklung in den kommenden Jahren fortsetzen. In den kommenden Monaten werden wir zu diesem Themenkreis ein vereinfachtes Modell vorstellen. Es ist interessant zu fragen, inwieweit die Bevölkerung über diese Entwicklung grundsätzlich informiert ist. Dabei ist von Bedeutung, dass die durchschnittlichen Ausgaben/ pro Einwohner € 2.790 im Jahr 2003 betragen hat. Nun haben wir das Problem, dass 90 % unserer Bevölkerung (DIW 2001) gar nicht weiß, was wir überhaupt für die Gesundheitsversorgung aufwenden. Dieses Problem haben auch die Krankenkassen immer wieder. Wir haben eine Situation, dass der Patient als betroffener Versicherter einen ungenügenden Wissensstand aufweist. Diese Hypothese konnten wir im Rahmen eines Projektes untermauern: 550 Patienten in unterschiedlichen Arztpraxen wurden mittels eines strukturierten Erhebungsbogens im November und Dezember 2003 interviewt wurden. Das Ergebnis war insbesondere unter Berücksichtigung der bevorstehenden Einführung des GM-Gesetzes zum 01.01.2004 überraschend: Nur der Patienten waren darüber informiert, was im Gesundheitsbereich passiert; die restlichen befragten Patienten zeigten u.a. aufgrund der fehlenden Möglichkeit „gesundheitspolitische Sachverhalte“ mit zu beeinflussen, kein Interesse sich mit diesem Themenkreis auseinander zu setzen. Ergänzend sei an dieser Stelle in Erinnerung gerufen, das GMG für die Kostenträger auch positive Effekte hatte: Ende 2004 schlossen die gesetzlichen Krankenkassen als „Ganzes betrachtet“ mit einem Überschuss von rd. € 3,0 Mrd. ab. Der durchschnittliche Beitragssatz konnte auf einem Niveau von 14,2 % stabilisiert werden. Wie soll das in diesem Jahrtausend weitergehen. Folgende Fragen sind u.a. von Interesse: Die defizitäre Haushaltssituation der gesetzlichen Krankenkassen Phänomen diese Jahrtausends? Welche Haupteinflussfaktoren lassen sich für diese Ausgabensituation primär identifizieren? Da kann ich Sie beruhigen: Seit 1980 ist uns das Problem wiederkehrend bekannt, dass wir immer wieder in defizitäre Situationen für die gesetzlichen Krankenkassen hineinlaufen. Seit nunmehr fast 25 Jahren ist man politisch bestrebt, die Ausgabensituation der gesetzlichen Krankenversicherungen durch das Gesetzgebungsverfahren unter Berücksichtigung einer „optimierten Gesundheitsversorgung“ zu begrenzen. Inwieweit diese Zielsetzungen zielführend umgesetzt werden konnten, überlasse ich Ihnen in Anbetracht der mir heute begrenzten Zeit. Die nächste Thematik in diesem Zusammenhang ist die Anspruchshaltung der Patienten: Die Patienten werden zunehmend anspruchsvoller; sie haben einen
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immer höheren Informationsgrad aufgrund des „Web-Zeitalters“. Wenn Sie chronische Patienten unter 50 haben, so surfen diese im Netz, was für den behandelnden Arzt hat häufig ein gewisses Problem darstellen kann. Warum? In diesem Fällen fangen die Patienten an, mit Ihnen als Behandler über die möglichen Therapieformen zu diskutieren. Dabei ist es natürlich schwierig, eine angemessene und zielführende Diskussion in Anbetracht der unterschiedlichen Wissensstände zu führen. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel verdeutlichen: Als Auto-Laie würden Sie mit Ihrem KFZ-Meister ihrer Service-Werkstatt über die Reparaturverfahren Ihres Kupplungsschadens diskutieren. Für mich kann ich Ihnen nur versichern, dass eine solche „Auseinandersetzung“ unter Berücksichtigung meiner technischen Kenntnisse „nur einen Unterhaltungswert“ haben könnte. Gerade, wenn es um Leitlinien Evidence Based Medicine (EbM) geht, ist das in der Praxis dann nicht ganz einfach, da Sie den Patienten die EbM-Ergebnisse erläutern müssen und auch ggf. einen Erklärungsbedarf haben, um diesen zu erklären, weshalb bestimmte Untersuchungen oder Therapien bei ihrem Krankheitsbild nicht ärztlich indiziert sind. Damit ich an dieser Stelle richtig verstanden werde, dass gut informierte Patienten eine Voraussetzung für eine zielführende Compliance erforderlich sind. Die Arbeitsmarktsituation; im Januar hatten wir eine Arbeitslosenrate von rd. 12 %. Gemäß eines Rechenmodells von Herrn Prof. Dr. Steinmüller1, TU München, hat letztens ausgerechnet, dass uns die Arbeitslosigkeit rd. € 75 Mrd. jährlich kostet. Wenn Sie die Vorschau für Februar sehen, so sind wir da schon bei 12,1 %, und wir würden uns alle wohler fühlen, wenn wir wieder eine Vollbeschäftigung hätten. In dieser Fallkonstellation würden wir nur noch eine Arbeitslosigkeit von 5 % ausweisen und könnten auf diese Weise die wiederkehrend drohende Unterfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherungen vermeiden. Das ist ein klares Thema. Neben der Arbeitslosigkeit sei hier der Themenkreis der Leistungsstrukturentwicklung angesprochen. In den kommenden 15 Jahren müssen wir nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes (2003) ist mit einer Zunahme von 4 Mio. Senioren bis zum Jahr 2020 auszugehen. Betrachten wir nun exemplarisch die hüftendoprothetischen OP-Versorgung in Europa und weltweit so kann man hier eine sehr unterschiedlich OP-Häufigkeit erkennen (Bild 2):
1
Vortrag anlässlich der Tagung der Bezirkskrankenhäuser der Landes Bayern am 03./ 04.02.2005 in Irrsee.
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Hüft-Implantationen im Ländervergleich Land
Hüft-OP auf 105 Einwohner
Japan Italien Spanien USA Großbritanien Niederlande Schweden Norwegen Belgien Österreich Deutschland Schweiz
60 75 82 90 115 117 130 146 159 168 183 203
* Werte gemittelt
(Quelle: Merx et a. Ann. Rheum. Dis. (S. 222-6, 62, 2003))
Bild 2
Bezogen auf 100.000 Einwohner haben wir in Japan 60 Eingriffe und in der Schweiz 203. Beziehen wir uns auf Schweden, so hat Schweden das größte Register mit 130 Eingriffen und Deutschland 183. Unter Berücksichtigung der hüftendoprothetischen OP-Zahl für das Jahr 20032 von rd. 183.000 Eingriffen ist mit einem Anstieg dieser Eingriffart bis um Jahr 2020 auf rd. 220.000 Operationen zu rechnen. Vor diesem Hintergrund muss die Frage zugelassen sein, was diese Entwicklung für uns kostentechnisch in den gesetzlichen Krankenversicherungen bedeutet? Ausgabensteigerungen, wobei u.a. zu prüfen wäre, wie sich denn diese leistungsstrukturbedingten Ausgabensteigerungen über die Krankenversicherungsbeiträge refinanzieren ließen. Auf welche Weise lässt sich mehr Transparenz, um eine höhere Datensicherheit zu schaffen? In diesem Zusammenhang ist es erforderlich eine Reihe von Fragen zu stellen: Die Frage, was darf uns die Gesundheit „morgen“ eigentlich kosten? Diese Frage werden wir heute nicht beantworten können. Die nächste Frage lautet: Wird der Erhalt der „Gesundheit“ möglicherweise zu einem Konsumgut in unserem 3. Jahrtausend? Müssen wir nicht wie die US-Amerikaner auch mehr für die Gesundheitsversorgung in den kommenden Jahrzehnten aufwenden? Und werden wir dann heute durchschnittlich angestrebte Urlaubsfrequenz (zwei bis drei Urlaub im Jahr)
2
Prof. Dr.med. Günter, Dir. der Orthopädischen Universitärklinik Dresden (2004)
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zugunsten von Gesundheitsaufwendungen reduzieren müssen? Provozierende Frage an dieser Stelle, die ich gerne unbeantwortet im Raum stehen lassen möchte. Als nächste Themen betrachten wir nun IT im Gesundheitswesen und die „Integrierte Versorgung“. Die gesetzlichen Grundlagen für „e-Health“ kennen Sie: Es handelt sich um die Paragraphen 67, 68, 291 SGB V. Darüber hinaus müssen wir uns bewusst sein, dass noch immer bis zu 20 % der niedergelassenen Ärzte in einzelnen KV-Regionen keine Praxis-EDV-Systeme einsetzen. In diesem Fällen wird die „EDV“ nur als „Adressensystem“ eingesetzt. An dieser Stelle leite ich zu dem IGV-Projekt über, welches von der RFH Köln begleitet wissenschaftlich begleitet wird. In der Integrierten Versorgung muss sich der Patient freiwillig einschreiben (Anm.: entsprechend den DMP-Programmen). Die Leistungserbringer (niedergelassene Arzt, das Akutkrankenhaus, die RehaKlinik)schließen einen speziellen Vertrag mit den Kostenträgern. Ergänzend müssen die Leistungserbringer ihre Zusammenarbeit untereinander rechtlich und haftungstechnisch regeln. So haben sich alle Leistungserbringer in diesem Projekt darauf verständigt, dass sie die Patienten entsprechend den Leitlinien eines vereinbarten Behandlungspfades betreuen. Hier von kann nur in begründeten medizinischen Fällen (diese müssen dokumentiert werden) abgewichen werden. Somit stellt der Behandlungspfad ein Qualitätsmanagementinstrument dar. Darüber hinaus ist es möglich, dass der Behandler zu jedem Zeitpunkt diesen Behandlungspfad einsehen kann. Darüber hinaus bildet dieser Behandlungspfad die Grundlage für die Abrechnung, d.h. jeder der Leistungserbringer hat sein Leistungsmodul, welches er abrechnen kann. Wie haben wir in diesem Projekt den Datenfluss zwischen den Leistungserbringern. In diesem Projekt sind 25 niedergelassene Orthopäden, ein Krankenhaus, drei Reha-Kliniken und drei physiotherapeutische Praxen angeschlossen. An diesem Projekt beteiligen sich 20 Betriebskrankenkassen mit rd. 2,9 Mio. Versicherten. Weitere Details können auf der Homepage vitep.de nachgelesen werden.
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Rolf-Rainer Riedel, Heike Hefner, Martin Prätorius
Prinzip der IGV: QMQM-Versorgungskreis heute Eintritt des Patienten in das IGV-System auf freiwilliger Basis Austritt aus der Integrierten Versorgung
Patient Patient
Reha-Einrichtung Ambulant / Stationär
Konsultation anderer Disziplinen
kte na nte tie Pa
Pa tie nte na kte
Niedergelassener Arzt
Krankenhaus Ambulant / Stationär
Konsultation Konsiliarärzte
Patientenakte Heilmittelversorgung , D1 und D2 Rezepte
Bild 3: Basis der Kommunikation in der Integrierten Versorgung im Jahr 2005
Nach eingehender Diskussionen wurde aus Kostengründen die nachfolgend dargestellte „Kommunikationslösung“ gewählt (Bild 3): Im Krankenhaus wurde ein Server für die Projekt-Kommunikation installiert. Dieser wird als Faxserver genutzt und alle niedergelassenen Ärzte faxen ihre Befunde auf diesen Server. Auf diese Weise werden diese Daten digitalisiert und lassen sich gut archivieren. Die Krankenhausbehandlungsdaten werden patientenbezogene den ambulanten Daten zugeordnet, um so eine umfassende Patientendokumentation sicherstellen zu können. Bei seiner Entlassung erhält jeder Patient eine CD-ROM, auf der alle relevanten Befunde dokumentiert sind. Nach der stationären Entlassung erfolgt in den meisten Fällen eine rehabilitative ambulante oder stationäre Behandlung. Die AkutklinikDaten werden in das Reha-Klinik-Dokumentationssystem eingespielt. Bei der Entlassung erfolgt dann die abschließende Dokumentation für den weiterbehandelnden niedergelassenen Arzt wiederum mittels einer CD-ROM, die dem Patienten ausgehändigt wird. Auf diese Weise lässt sich das potentielle Datenschutzproblem lösen: Wer darf diese Behandlungsdaten einsehen? Übergibt der Patient die CD-ROM mit seinen Behandlungsdaten dem weiterbehandelnden Arzt, dann wird diese Übergabe auch als positive Willenserklärung des Patienten gewertet, dass dieser Behandler seine Vorbefunde einsehen kann. Das Thema Datensicherheit und Datenhoheit lässt sich so mit einfachen Mitteln lösen. Aber es ist den Handelnden in diesem Projekt bewusst geworden, dass bei einer bestehenden „EDV-Vernetzung“ die gewünschte Kommunikation einfacher sicher zu stellen wäre. Damit konfrontiert uns die Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen mit der Situation, wo wir konstatieren können, dass wir entspre-
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chend EDV-technisch vernetzt sein müssten. Alle Beteiligten hätten sich hier gewünscht, dass eine elektronische Patientenkarte schon genutzt werden könnte. Aber um eine „digitale, zentral gehostete Patientenakte“ nutzen zu können, ist es notwendig, dass sowohl die „eGK“ als auch der „HBA“ zur Verfügung steht. Nun warten wir es ab, denn zum 1.1.2006 sollen diese „Gesundheitskarten“ in Deutschland eingeführt werden. Wir hoffen, dass sich auch unter Berücksichtigung der noch mannigfach zu regelnden „Karten-, Anwendungs- und Netzkritieren“ dieser geplante „Innovationsschritt“ nicht verschoben werden muss. Unter anderem erwarten wir, dass dann auch entsprechende epidemologische Daten für alle forschenden Institutionen anonymisiert verfügbar sein werden. Dann müssen auch beispielsweise die RFH-Studenten nicht mehr als Jäger und Sammler „Daten sammeln“, da diese ansonsten nur begrenzt verfügbar sind. Das nächste Thema: Wir kriegen eine Leistungstransparenz. Wenn Sie heute Morgen die Schlagzeile der TZ gelesen haben, dann war hier folgendes zu lesen: Arzt hat 1.400 nicht durchgeführte Operationen betrügerisch abgerechnet. Dies ist verwerflich, da eine ganze Berufsgruppe in Verruf geraten kann. Aber, dies ist auch nur möglich, weil insbesondere in der Vergangenheit keine umfassenden Leistungsdaten zur Verfügung standen, um eine angemessene Leistungstransparenz sicher zu stellen. Ein adäquates EDV-Dokumentationssystem ermöglicht diesen Schritt und beugt diesen „schwarzen Schafen“ vor.
Leistungstransparenz Reduzierung Wechselwirkungen
Versicherungsdaten Medikation Elektronisches Rezept
Elektronische Patientenakte
Verbesserung von Arbeitsprozessen
Verbesserung der Versorgungsqualität
Der Patient erhält eine zentrale Rolle
Elektronisches Arztbrief
Notfalldaten
Epidemiologische Daten erhöht
Bild 4: Nutzungsmöglichkeit innerhalb des „eHealth-Systems“
Es lassen sich hier noch eine Vielzahl von Pros und Cons zu dieser Thematik aufrufen und diskutieren (Bild 4). In Anbetracht seiner Bedeutung gehe ich nur noch
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auf die Überlegung der „Verbesserung der Arbeitsprozesse“ durch EDV-gestützte Dokumentations- und Archivierungssysteme“ ein. Damit tangiere ich auch einen Fragenkomplex, der für das Gesundheitssystem eine „ökonomische Bedeutung“ haben kann. Wir haben in unserem ViTep-Projekt aufzeigen können, dass die Prozesse gerade, wenn Sie die Schnittstellen zwischen der ambulanten, stationären, rehabilitativen und wieder ambulanten Versorgung betrifft, zu wertvollen Klarstellungen zwischen Behandlern führen. So ist zu erkennen, dass sich so radiologische Doppeluntersuchungen vermeiden lassen. Wir sind ganz gespannt, ob sich diese Anfangserfolge auch zukünftig noch abbilden lassen. Dies erfordert u.a. eine entsprechende Disziplin aller beteiligten Behandler. Welche Herausforderungen sind bei der Einführung von „e-Health“ zu bewältigen? Es sind 80 Mio. Versicherte, 220.000 Ärzte, 65.000 Zahnärzte, 21.000 Apotheken und 2.200 Krankenhäuser mit „eGK“ und „HPC“ auszustatten (Bild 5).
Nutzer der eGK und der HPC
80Mio. Mio.Versicherte Versicherte •• 80 220.000Ärzte Ärzte(Praxis/KH) (Praxis/KH) ••220.000 65.000Zahnärzte Zahnärzte •• 65.000 21.000Apotheken Apotheken •• 21.000 • 2.200 Krankenhäuser • 2.200 Krankenhäuser ••
330gesetzliche gesetzlicheund undprivate privateKrankenversicherungen Krankenversicherungen 330
Bild 5: Nutzer der „eHealth-Karten“ unterschieden nach Berufsfeldern (Anzahl der nutzenden Mitarbeiter bleibt hier unberücksichtigt“
Dabei ist zu bedenken, dass nicht nur eine „HPC“ je Arzt, Apotheke oder Institution auszugeben sind. Warum? Dies sei an dem Beispiel der Apotheke dargestellt: Nicht nur der Apotheker wird eine „HPC“ erhalten, nein auch alle PTAs werden eine entsprechenden „HPC“ erhalten- denn die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln darf dann nur noch für gesetzlich versicherte Patienten in den Verkehr gebracht werden, wenn das Rezept elektronisch durch die „HPC“ signiert wurde. Darüber hinaus sei erwähnt, dass die notwendige EDV-technische Infrastruktur einer Vernetzung aller „Health Professionals“ zurzeit und in naher Zukunft nicht gegeben sein wird. Hierfür werden noch umfangreiche Investitionen erforderlich
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sein. Neben den „Einmalinvestitionen“ für eine „schnittstellenfreie“ Dokumentation und Kommunikation zwischen den Behandlern müssen bei der Betrachtung von „eHealth“ auch die „Betriebskosten“ für den Unterhalt dieser Systeme berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang ist auch u.a. die Frage zu stellen, inwieweit diese Betriebskosten sich denn u.a. durch Prozesskostenoptimierungen oder die Leistungsempfänger refinanziert werden sollen? Eine Antwort u.a. auf diese noch offene Frage wird noch zu finden sein. Wir haben zusammenzutragen versucht, mit welchen Investitionen Sie rechnen müssen, wenn „eHealth“ in Deutschland eingeführt wird:
lau fen d
ein ma lig
E-Health: Betriebswirtschaftl. modellierte Eckdaten
Karten Karten eGK:80 80Mio. Mio.jejeStck. Stck. 33––15 15€€ –– eGK: HPC:11Mio. Mio.jejeStck. Stck. 33––30 30€€ –– HPC:
SonstigeInfrastrukturkomponenten Infrastrukturkomponenten Sonstige z.B.Konnektoren Konnektorenfür fürInstitutionen Institutionen –– z.B. 300.000 Einheitaa1.000 1.000––3.000 3.000€€ 300.000 jejeEinheit
AngabenininMio. Mio.€€ Angaben 240bis bis1.200 1.200 240 bis30 30 33bis
300–– 900 900 300
Installation,Inbetriebnahme, Inbetriebnahme,Integration, Integration,Schnittstellen, Schnittstellen,Schulung Schulung Installation, ProInstitution Institution –– Pro 300.000 Inst. a 200 – 600 € 60––180 180 300.000 Inst. a 200 – 600 € 60
ZentraleServices Services Zentrale proService Service €€50/h 50/h(100.-200.000 (100.-200.000h) h)p.a. p.a. –– pro
LaufendeServicekosten Servicekosten Laufende Hotlineund undFlatrate; Flatrate;pro proInstitution Institution(210.000 (210.000User) User) –– Hotline
10 55––10 96––168 168/p.a /p.a 96
Bild 6: Infrastrukturkosten ohne Trust-Center
Wir haben einen sehr konservativen Ansatz für die Bewertung der Betriebskosten gewählt –und Sie sehen, dass wir auf € 60 bis €180 Mio. kommen (Bild 6). Aber es wird deutlich, dass dieses zukunftsweisende System auch von allen Usern finanziert werden muss. Hierauf wird gleich nochmals kurz eingegangen. Dann haben wir die Infrastruktur erst einmal stehen. Dabei sind die Aufwendungen für das Trust-Center und mögliche Investitionen für die Infrastruktur unberücksichtigt geblieben. Herr Braun hatte gestern dankenswerterweise darauf hingewiesen. Das sind die Infrastrukturkosten. Wir unterstellen dabei, dass ein entsprechendes Netzwerk einfach genutzt werden kann. Sonst werden viele Modelle in der volkswirtschaftlichen Betrachtung fast nicht mehr nachvollziehbar.
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Einzelne hier angesprochene Fragen sollen seit dem 11. Januar 2005 durch die GEMATIK gGmbH mit beantwortet werden. In der GEMATIK gGmbH sind Kostenträger und Leistungserbringer jeweils zu 50 % beteiligt. Diese Entwicklung stellt aus meiner Sicht einen wichtiger Schritt dar, u.a. wenn es um die langfristige ökonomische Betrachtung oder die Festlegung von „Arbeitsstandards“ geht. Eine Kernfrage wird es allerdings geben: Wie werden sich in dieser Gesellschaft auf Seiten der Leistungserbringer die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse und damit die Stimmrechtsanteile entwickeln? Wird möglicherweise einer der starken Partner „die Führung“ übernehmen? Wie werden sich die Juniorpartner in dieser Gesellschaft verhalten? Dabei muss man nur beispielsweise an das große Thema „Arzneimittelversorgung von gesetzlich versicherten Patienten im Zusammenhang mit den §§ 129, 129a und 130 SGB V“ denken. Wie würde sich denn die Interessensgemeinschaft der Apotheker verhalten, wenn es zu den ersten Direktverträgen zwischen Arzneimittelherstellern und Kostenträgern kommen würde? Meine Damen und Herren, Sie sehen nur an den hier angesprochenen Punkten, dass auch bei der Betrachtung des Themenkreises „GEMATIK gGmbH“ die kommenden Jahre spannende Fragen und Antworten geben wird. Lassen Sie mich zusammenfassen und überlegen, welche möglichen wirtschaftlichen Folgen sich aus der Einführung von „eHealth“ in das deutsche Gesundheitssystem ergeben könnten. Volkswirtschaftlich haben wir folgende Problematik: Wir werden zum einen Investitionsschub haben von rund 2 Mrd. ohne dass wir hier über mögliche erforderliche Investitionen für EDV-Infrastruktur nachdenken. Diese € 2 Mrd. werden unserer „Volkswirtschaft gut tun“. Aber, und an der Stelle bin ich sehr vorsichtig, wir haben heute 5 Mio. Arbeitslose, und wir alle wissen, was es bedeutet, wenn wir Prozessmanagementoptimierungen einführen. Wir wissen, was z.Z. im Krankenhaus passiert. Wenn demzufolge Prozesse optimiert werden, wenn Sie uns hier exemplarisch das elektronische Rezept erwähnen, dann können wir uns alle vorstellen, dass eine Vielzahl von Arbeitsschritten und damit auch am Ende – hoffentlich dann doch nicht- auch Arbeitsplätze u.a. in Apotheken, Abrechnungszentren oder Krankenkassen wegfallen könnten. Es ist keine Frage, wir sind alle an Prozessmanagementverbesserungen interessiert. Demzufolge kann überlegt werden, inwieweit Teilfunktionen eines „eHealthSystems“ auch als QM-Managementinstrument genutzt werden könnte? Diese Überlegung können wir aber noch nicht positiv beantworten, aber wir können uns dies vorstellen. Langfristig wünschenswert wäre auch eine „behandlerübergreifende Netzinfrastruktur“, die eine sektorenübergreifende und damit auch interdisziplinäre schnittstellenfreie Kommunikation aller Behandler ermöglichen würde. Diese wünschenswerte Möglichkeit einer schnellen und „nahezu vollständigen“ Verfügbarkeit der
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Patientendaten ist u.a. in Notfallversorgungssituation sehr hilfreich. Aus der Praxis kann dies nicht offen genug bestätigt werden. An dieser Stelle meine Fragen „für den Weg nach hause“. Wenn wir uns an anderer Stelle wiedersehen, dann können wir über mögliche Lösungsansätze gemeinsam diskutieren. Folgende Fragen sollten u.a. zeitnah beantwortet werden: • Wer wird die erforderlichen Infrastrukturinvestitionen finanzieren? • Für welches Finanzierungsmodell entscheiden wir uns hinsichtlich der Betriebskosten? • Für welche Infrastruktur wird man sich im Hinblick auf die „Datenhaltung“ entscheiden? Eine zentrale „Serverstruktur“? • Welche Aufgaben soll das Trust-Center“ übernehmen und wer soll die Betriebskosten übernehmen? • Wie wird man sich datenschutzrechtlich verhalten, wenn Patienten nicht mit einer Speicherung ihrer Daten einverstanden sein sollten? Es ist erkennbar, dass aus Zeitgründen diese hier abschließend aufgeführten Fragen nicht mehr zu beantworten sind. Wünschenswert ist es aus meiner Sicht, wenn es gelingen könnte eine „langfristig tragfähige Partnerschaft“ aus: • • • • •
Leistungserbringern Kostenträgern Hochschulen Dienstleistern und Industrie
Sicher zu stellen. Warum? Der Themenkreis „eHealth“ ist so umfassend und stellt alle Beteiligten vor mannigfache Aufgaben, dass aus meiner Einschätzung der angestrebte Wandel in der Gesundheitsversorgung und damit in der Gesundheitswirtschaft in den kommenden beiden Jahrzehnten nur zu bewältigen ist, wenn alle an einem „Strang“ ziehen. Auch wenn es schwer sicher zu stellen ist, „Partialinteressen“ müssen hier ausgeschlossen werden- nur so wird „eHealth“ für uns ein wichtiger Meilenstein in der Gesundheitsversorgung des 3. Jahrtausend.
22 Wirkung des IT-Einsatzes auf Ökonomie und Qualität in der Praxis Dr. Axel Munte Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München Ich wurde Ihnen als Initiator von Ärztehäusern vorgestellt. Ärztehäuser – was sind das? Heute bezeichnet man sie als Medizinische Versorgungszentren, eine durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz gesetzlich fixierte Form der Kooperation von Heilberufen in der GKV. Der Gesetzgeber hat damit eine sich schon lange abzeichnende und – soweit bereits in der Vergangenheit rechtlich zulässig – von mir forcierte Entwicklung nachvollzogen und die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen eingeführt. Dieses Thema ist nicht Gegenstand meines Vortrags; es ist aber ein gutes Beispiel dafür, was durch frei beruflich tätige Ärzte und Psychotherapeuten zusammen mit einer funktionierenden Selbstverwaltung bei gutem Willen angestoßen werden kann. Die Entwicklung des IT-Einsatzes in den Praxen der in Bayern niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten, zusammengeschlossen in der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, kann durchaus als weiteres Beispiel angeführt werden. In der Rückschau der vergangenen Jahre muss dabei festgestellt werden, dass diese Entwicklung auch notwendige Folge war eines tief greifenden Wandels in den ökonomischen Rahmenbedingungen, der in der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Vielzahl der Kostensenkungsgesetze ausgelöst worden ist und durch die Innovationskraft der freiberuflich tätigen Ärzteschaft mitgestaltet werden konnte. IT- Innovation in der Arztpraxis entsteht durch ökonomischen Zwang Seit über 10 Jahren sinkende Realeinkommen in fast allen Arztgruppen
Ungesteuerte Explosion der Punktzahlen mit sinkenden Punktwerten - Muschelwährung!
Budgetierung verschleiert den echten Leistungsbedarf und gefährdet die Qualität
Bürokratisierung beeinträchtigt das Arzt Patienten-Verhältnis – zwingt zum IT Einsatz 2
Bild 1
320
Axel Munte
Das Realeinkommen der Vertragsärzte sinkt seit Jahren deutlich (Bild 1). Der Grund hierfür sind die gesetzlich vorgegebenen Budgets. Ein Anstieg der ärztlichen Leistungen führt nach der Budgetlogik nur zu einer ungesteuerten Explosion der Punktzahlen, die als Maß für die Menge der abgerechneten Leistungen fungieren. Mehr Geld kommt deswegen nicht beim Arzt an. Der in Cent ausgedrückte Wert eines Punktes sinkt also, je mehr Leistungen erbracht werden. Diese Budgetierung, die uns der Gesetzgeber aufzwingt, verschleiert somit den tatsächlichen Bedarf an Leistungen. Da viele Ärzte in der Folge nicht mehr ausreichend reinvestieren können, wird auch die Qualität nach und nach gefährdet. Die Bürokratisierung, die in Folge des GMG verstärkt zunimmt – ich komme im Zusammenhang mit den DMP darauf zurück – lenkt den Arzt zudem immer mehr vom Patienten ab und gefährdet das Arzt-Patienten-Verhältnis. Diese Entwicklungen haben in den letzten Jahren einen erheblichen ökonomischen Zwang für umfassende Effizienzsteigerungen und damit für einen starken IT-Einsatz in der Praxis ausgelöst (Bild 2). IT- Innovation in der Arztpraxis entsteht durch ökonomischen Zwang
3
Bild 2
Die allgemeine Vorstellung, wonach Ärzte und Psychotherapeuten nicht wissen, wie man die IT einsetzt, ist also falsch. Im Gegenteil: ich denke, die Mitglieder der KVB gehen voran. Diese Einschätzung möchte ich Ihnen näher erläutern, wobei ich nicht auf spektakuläre Innovationsschritte in einzelnen, vorbildlichen Praxen eingehen möchte, die es natürlich gibt, sondern die allgemeine positive Entwicklung in fast allen Praxen darstellen werde.
22 Wirkung des IT-Einsatzes auf Ökonomie und Qualität in der Praxis
321
Der IT- Einsatz in der Praxis bewältigt den Praxis-Alltag Einlesen von Versichertenkarten Allgemeine Stammdatenverwaltung KV-Abrechnung per ADT BG-Abrechnung, Privatliquidation Tagesaktuelle Finanzbuchhaltung Übersicht über Budgetstatus der Praxis
Bild 3
Der EDV-Einsatz in den Praxen bei der Unterstützung der Routineabläufe ist beachtlich (Bild 3). Neben den Standardfunktionen wie das Einlesen der Versichertenkarten und der Stammdatenverwaltung hat insbesondere die weitgehend automatisierte Abrechnung für GKV- und Privatpatienten den Praxisalltag vereinfacht. Tagesaktuelle Finanzbuchhaltung ist in vielen Praxen Standard. Der stets aktuelle Überblick über den Budgetstatus der Praxis ist aus den genannten Budgetzwängen heraus eine unverzichtbare Planungshilfe geworden. Der IT- Einsatz in der Praxis bewältigt den Praxis-Alltag Befunddokumentation (digitale Bildaufzeichnung) Analyse von Patientendaten Steuerung von Recall - Aktivitäten Wartelistenverwaltung Verordnungsabgleich mit Medikamentendatenbank Fernübertragung von Labordaten
Bild 4
Die Befunddokumentation als weiteres Beispiel für den IT-Einsatz in der Praxis ist eine für eine adäquate Patientenversorgung unverzichtbare Anwendung geworden
322
Axel Munte
und liefert den Grundstock für eine praxisinterne elektronische Patientenakte, die auch die Basis für eine tiefgehende Analyse aller Patientendaten bietet (Bild 4). Eingebundene Recallsysteme, in die Terminplanung integriert und oft mit automatisch generierten Informationen an den Patienten verbunden, stellen unter anderem sicher, dass wichtige Anschlussbehandlungen durchgeführt werden und die Patienten notwendige, die Heilung unterstützende Maßnahmen nicht vergessen. Der IT- Einsatz in der Praxis bewältigt den Praxis-Alltag Summe aller Installationen in der KV Bayerns: Rang 1.
Systeme PSYPRAX ON WINDOWS
18.321
Installationen
% Anteil
1.998
10,9%
2.
MEDISTAR #
1.901
10,4%
3.
MCS -ISYNET
1.670
9,1%
4.
TURBOMED #
1.407
7,7%
5.
easymed
1.128
6,2%
6.
DOCexpert Comfort
1.007
5,5%
7.
ALBIS ON WINDOWS
770
4,2%
8.
CompuMED -M1
698
3,8%
9.
S+N ARZTSYSTEM
533
2,9%
10.
weitere über 100 Systeme
7.209 496
2,7%% 39,3
6
Bild 5
Das Ergebnis der Anstrengungen, insbesondere in den letzten 10 Jahren, ist die in Bayern mit über 18.000 installierten Systemen weitgehend abgeschlossene Umstellung der Praxisverwaltung auf EDV (Bild 5). Das damit verbundene erhebliche Investitionsvolumen wurde von den Mitgliedern der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns trotz der seit 1996 von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelten Honorarentwicklung ohne Subventionen geschultert. Die Vielfalt der nachfragenden Praxen spiegelt sich dabei wider in der Vielzahl der eingesetzten Systeme: die Top Neun EDV-Anbieter machen nur 60 % aller Installationen aus.
22 Wirkung des IT-Einsatzes auf Ökonomie und Qualität in der Praxis
323
Bild 6
In Bezug auf die bei der KVB eingereichten Abrechnungen können wir feststellen, dass nur noch 7 % aller Mitglieder, die übrigens weniger als 2 % aller Leistungen erbringen, noch per Hand abrechnen (Bild 6). Ab dem 31.12.2005 ist es dann soweit: die KVB wird keine manuellen Abrechnungen mehr annehmen. Eine entsprechende Änderung des SGB V hat diese Deadline endlich gesetzt. Die Expansion des IT Einsatz steht bevor
100% IT-Einsatz in den Praxen ist absehbar Praxisinterne Organisations-Optimierungen wurden weitgehend umgesetzt - Neue Aufgaben Datenaustausch zwischen Ärzten, Kliniken und anderen Heilberufen und insbesondere auch: Versorgungssteuerung, Evaluation der Qualität 8
Bild 7
Die flächendeckende Einführung von „IT in der Praxis“ ist also absehbar (Bild 7). Die praxisinternen Organisationsoptimierungen können damit weitgehend umge-
324
Axel Munte
setzt werden. Diesen Erfolg sehen wir allerdings nur als notwendigen Zwischenschritt an. Neue Aufgaben, wie ein verstärkter Datenaustausch zwischen Ärzten, Kliniken und anderen Heilberufen, stehen an. Ein besonderes Anliegen der KV Bayerns, eine Versorgungssteuerung auf der Grundlage valider Aussagen über die Qualität der Versorgung, erfordert eine umfassende Evaluation der Qualität der erbrachten Leistungen. Aus diesen Zielsetzungen heraus ergibt sich für die KV Bayerns der Bedarf für zwei neue Schnittstellen des IT-Einsatzes in der Praxis (Bild 8):
Bild 8
Der Austausch von Patientendaten zwischen den Versorgungsebenen mittels der elektronischen Gesundheitskarte, wobei die vollständige Implementierung der vorgesehenen Funktionen beginnend mit der Einführung in ausgewählten Modellregionen 2006 sicher mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird, und die diagnoseund therapiebezogene Datenerfassung und Datenbewertung, die die KVB als zentrale Aufgabe begreift und deswegen mit der Entwicklung eines geeigneten Konzepts für den hierfür notwendigen Datenaustausch, dem Safenet, vorangetrieben hat. Auf die letztgenannte Schnittstelle, die man als Basis für eine Art Versorgungsmanagement begreifen kann, möchte ich ausführlich eingehen, da sie für die Qualität der Leistungserbringung in der Praxis, aber auch für deren Ökonomie von herausragender Bedeutung ist (Bild 9).
22 Wirkung des IT-Einsatzes auf Ökonomie und Qualität in der Praxis
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Versorgungsmanagement erfordert eine zentrale Datenbearbeitung Professionelle ärztliche Selbstverwaltung
VersorgungsSteuerung durch aktuelle Morbiditätsdaten
Umsetzung
Valide statistische Aussagen über medizinische Versorgung und Qualität
Professioneller Umgang mit den Daten
Zielvorstellung der KVB
Permanente medizinische VersorgungsSteuerung
Safenet 10
Bild 9
Eine professionell geführte ärztliche Selbstverwaltung hat andere Aufgaben als immer nur nach dem Geld der Ärzte zu schauen. Wir haben mit unseren Vertragspartnern, den Krankenkassen, insbesondere auch mit der AOK, die auf dem Podium durch ihren Vorstandsvorsitzenden, Herrn Dr. Platzer vertreten ist, beste Erfahrungen damit gemacht, den Fokus bei unseren gemeinsamen Projekten auf die Qualität der Versorgung zu legen und diese nicht nur verbal in den Vordergrund zu stellen, sondern auch einzufordern. Unsere Erfahrung ist, dass wir dann auch auf Verständnis stoßen, wenn wir eine angemessene Vergütung für diese hochqualifizierten Leistungen der Ärzte und Psychotherapeuten fordern. Unsere Zielvorstellung ist also eine medizinische Versorgungsforschung auf der Grundlage aktueller Daten über die in der Praxis zu beobachtende Morbidität unserer Patienten, die als permanenter Prozess zu einer Steuerung der Versorgung führt, die sich unmittelbar an den tatsächlichen Bedürfnissen ausrichtet.
326
Axel Munte
Optimal - aber schwierig zu erreichen: Verfügbarkeit der Daten in Echtzeit
erhöhter InstallationsAufwand
gestiegene Komplexität
DatenSicherheit wesentlich
hohe Datenqualität gefordert
IT Dokumentation ! • Echtzeiterfassung sichert Plausibilität und hohe Datenqualität • geringer Aufwand für: - Übernahme von Daten - Nachkorrekturen
11
Bild 10
Um dieses Ziel erreichen zu können, ist insbesondere ein professioneller Umgang mit den Daten notwendig (Bild 10). Im Ergebnis bedeutet dies, Daten möglichst in Echtzeit zu generieren und auszuwerten. Das Erfordernis, aktuelle Daten zu erhalten, löst dabei verschiedene Anforderungen aus, die untrennbar miteinander verwoben sind: Wenn die Daten in der KVB zur Auswertung eingehen, müssen sie verfügbar sein, umfangreiche Überprüfungen auf Plausibilität und nachträgliche Korrekturen müssen ausgeschlossen sein. Auf Seiten des Datenlieferanten, also unseres Mitglieds, bedeutet dies, dass eine hohe Datenqualität vorhanden sein muss und die Sicherheit der hochsensiblen Patientendaten gewährleistet ist. Diese Anforderungen lösen üblicherweise einen stark erhöhten Installationsaufwand in der Praxis aus, die gestiegene Komplexität des Umgangs mit den Patientendaten kann zu zusätzlichem bürokratischen Aufwand führen. Es wurde uns deswegen sehr schnell klar, dass nur eine IT-gestützte Dokumentation die beste Gewähr dafür bietet, den verschiedenen Anforderungen gerecht werden zu können. Parallel dazu, bis zur Implementierung einer geeigneten Plattform in allen Praxen müssen wir aber für eine Übergangszeit auch mit herkömmlichen Dokumentationsverfahren, also mit der Dokumentation auf Papier leben und versuchen, diese für den Zweck der Versorgungsforschung nutzbar zu machen. Die KV Bayerns hat sich der Herausforderung Versorgungssteuerung also zunächst auf beiden Dokumentationswegen angenommen. Wir haben die Grundlage für eine gesicherte OnlineÜbertragung aus den Praxen in die IT-Abteilung der KVB geschaffen.
22 Wirkung des IT-Einsatzes auf Ökonomie und Qualität in der Praxis
327
Die KVB nimmt sich der Herausforderung „Versorgungssteuerung“ an
Patient
Arzt
Dokumentationen
Erfassungsinfrastruktur
1
Online-Übertragung
2
Einsenden medizinischer Dokumentationsbögen
Auswertungsinfrastruktur
Auswertungen
Kapazitäten
Scannererfassung: 500.000 Bögen/Quartal Online-Erfassung: Unbegrenzt
Datenqualität
Integrierte Maßnahmen sichern hohe Datenqualität (Vollständigkeitsprüfung, Plausibilitätskontrolle)
Kosten
Deutliche Kosteneinsparungen
Rückmeldung
Benchmarking z.B. im Mammografie-Screening 12
Bild 11
Und wir haben eine Möglichkeit geschaffen, diejenigen Dokumentationsbögen, die noch manuell auszufüllen sind und die KV Bayerns per Post erreichen durch Scannen nutzbar zu machen (Bild 11). Dies betrifft zur Zeit vor allem die endoskopischen Leistungen, deren Dokumentation uns erst nach und nach online erreichen. Die Sicherung der Datenqualität, insbesondere durch Vollständigkeitsprüfung und Plausibilitätsprüfung, ist im manuellen Bereich allerdings sehr aufwändig. Im Vergleich zur herkömmlichen manuellen Übertragung durch Ablesen vom Blatt in die Datenbanken der KVB sind die Kosten durch das Scannen dennoch erheblich gesunken. Die Etablierung eines Rückmeldesystems zu den Ärzten und weiter auch zu den Patienten ist aber ohne einen definierten IT-Kanal nicht zu schultern. Wir wollten aber bei den Ärzten, die Mammographien erstellen, sicher stellen, dass sie im Sinne eines Benchmark ihre Qualität in der Befundungsdiagnostik anonymisiert und in Relation zu den Kolleginnen und Kollegen erkennen und daraus lernen. Hier haben wir dann sehr schnell die Grenzen der manuellen Befundübertragung feststellen müssen. Damit komme ich auf ein Projekt, auf das wir besonders stolz sind und das ohne die kooperative Zusammenarbeit mit den Krankenkassen – auch hier ist an erster Stelle die AOK Bayern zu nennen – nicht möglich gewesen wäre: das Bayerische Mammographie-Screening, BMS.
328
Axel Munte
Das Mammographie-Screening machte eine neue IT-Strategie notwendig Nutzung bestehender Versorgungsstrukturen
10 ScreeningEinheiten in Bayern mit 8 bis 12 Gyn. und Rö. Ärzten als Erstbefunder min. 2 Zweitbefunder (5.000 Befunde p.a.) Drittbefunder als Netzverantwortlicher
Bildtransport durch Logistikunternehmen
Qualifiziertes Assessment-Center Pathologe und Referenzpathologe 13
Bild 12
Neben der Notwendigkeit, ein Rückmeldesystem für die teilnehmende Mammographeure zu etablieren, das auf manuellem Weg nur unter größten Schwierigkeiten einzurichten ist, mussten wir bei der Planung dieses Projektes feststellen, dass für seine Durchführung eine Online-Dokumentation auch aus anderen Gründen unverzichtbare Bedingung ist (Bild 12, Bild 13). Die Etablierung von Screening-Einheiten, in denen die verschiedenen Schritte des Screenings, abgestimmt durchgeführt werden, konnte manuell einfach nicht mehr gesteuert werden. Alle teilnehmenden Ärzte mussten stattdessen direkt mit einem Server der KVB kommunizieren können. Das war die Geburtsstunde des KVB-Safenets. Das KVB-Safenet wurde also in der Not als Modellprojekt aufgesetzt. Mittlerweile läuft es aber seit 2 Jahren in der Routine.
22 Wirkung des IT-Einsatzes auf Ökonomie und Qualität in der Praxis
329
KVB-SafeNet: Basis des diagnosen- und therapiebezogenen Datenaustausches Abgeschlossenes Virtual Private Network (VPN) Zentraler Server in der KVB
Mailserver
Firewall
Firewall
WWW
Verschlüsselte Übertragung
Gateway Internet Kostengünstige Datenanbindung für alle interessierten Praxen
Geschlossenes Netz garantiert Datensicherheit 14
Bild 13
Bild 14
Wie funktioniert das Safenet? (Bild 14) Die Sicherheit der Daten in den angeschlossenen Praxiscomputern und Netzwerken und bei der Datenübertragung kann gewährleistet werden, da ein Virtual Private Network genutzt wird. Dieses VPN erfüllt einen besonders hohen Sicherheitsstandard, da der Zugang nur mit festgelegten, speziell konfigurierten Zugangsgeräten möglich ist. Nur Anbieter mit Safenet-Zertifikat dürfen diese Zugangsgeräte anbieten. Diese Zugangsgeräte blockieren den Zugriff von außen auf das Praxisnetz. Durch Vorgaben für die Safenet-
330
Axel Munte
Zertifizierung durch die KVB ist sichergestellt, dass die Anbindungen an das KVBSafenet die datenschutzrechtlichen Bestimmungen erfüllen. Beim KVB-Safenet erhalten ausschließlich KVB-Mitglieder eine Zugangsberechtigung. Der Zugang durch Unbefugte zu diesem Netz, den darin übertragenen Daten sowie den angeschlossenen PCs ist somit vollkommen ausgeschlossen. Das Safenet wurde für das Mammographie-Screening entwickelt. Bayern war nur wegen dieser Innovation imstande, als einziges Bundesland das MammographieScreening in allen Regionen zeitnah einzuführen. Ich denke, dass wir schon Ende dieses Jahres mit wissenschaftlichen Ergebnissen an die Öffentlichkeit treten können. Da sind wir nicht schlechter als Länder, in denen bereits seit 10, 20 Jahren das Screening durchgeführt wird. An diesem Beispiel konnten wir belegen, das unter Nutzung moderner IT und deren Anbindung in den Praxen der beteiligten Ärzte eine Versorgungssteuerung im Sinne der Patienten möglich ist. Die KVB als zentrale Daten- und ProzessInstanz konnte schnelle Erfolge generieren •Rezertifizierung der Mammographeure in Bayern •Schulungen für teilnehmende Ärzte •In 2-jährigem Zyklus Einladung aller 1,4 Mio. bayer. Frauen zwischen 50 und 69 Jahren
Flächendeckendes Mammographie-Screenings in Bayern
16
Bild 15
Natürlich sind für ein ambitioniertes Projekt, wie es das BMS darstellt, auch andere Prozesse zu optimieren, auf die ich kurz eingehen möchte (Bild 15). Im Vorfeld mussten wir uns vor allem mit der Qualität der Mammographeure auseinandersetzen. Dafür haben wir an einer digitalen Befundungsstation eine Rezertifizierung durchgeführt, die jetzt nach vier Jahren Auseinandersetzung über die Aussagekraft der digitalen Befundung auch auf Bundesebene anerkannt worden ist. Wir haben auf diese Weise den Ärzten zwei Jahre lang einzigartige Schulungsmöglichkeiten verschafft und dann die Zertifizierung scharf geschaltet. Als Ergebnis haben wir heute nur noch die Hälfte der Mammographeure in Bayern. Von diesen sind wiederum 160 so geeignet, dass sie das Screening durchführen dürfen. Die Ärzte, die den hohen Anforderungen nicht gerecht werden konnten, haben sich übrigens nicht beschwert.
22 Wirkung des IT-Einsatzes auf Ökonomie und Qualität in der Praxis
331
Sie haben vielmehr festgestellt, dass sie eigentlich nicht in der Lage waren, gute Mammographieauswertungen zu erstellen. Der Erfolg gibt uns recht (Bild 16): über 120.000 Frauen haben sich mittlerweile am Screening beteiligt bei rund 500.000 Einladungen. Die KVB hat es sich zur Aufgabe gemacht, über das KVB-Safenet zukünftig mehrere solche Dokumentations- und Abrechnungswege zu etablieren. Bayern ist in dieser Thematik in Deutschland führend und es freut uns, dass nun auch auf der Bundesebene Interesse dafür vorhanden ist. Das Projekt Bayerisches MammographieScreening ist deshalb auf Erfolgskurs 120.000
100.000 100.000
Über 100.000 Frauen am BMS teilgenommen !
80.000
60.000
In Kürze Teilnahme von VdAKVersicherten
40.000
Flächendeckung erreicht: Start des Screenings in Mfr. 1.Quartal 2005
20.000
Feb. 05
N ov. 04
A p r. 0 4
Aug. 04
Jan. 04
O k t. 0 3
Jun. 03
M rz . 0 3
0
Bild 16 Mit IT- Innovationen stützt die KVB die Freiberuflichkeit
Aus dem Bericht der Bundesregierung über die freien Berufe: „Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren den Bürokratieabbau zu einem vordringlichen Thema gemacht.“
ABER: Disease Management Programme - zur Perfektion getriebene Bürokratie ! 20
Bild 17
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Axel Munte
Die Bundesregierung verspricht den freien Berufen regelmäßig einen Abbau der Bürokratie (Bild 17). Das ist ein stets als vordringlich bezeichnetes Thema. Es sollte deswegen ausgeschlossen sein, dass die guten Ansätze zum Bürokratieabbau, die von der Selbstverwaltung erarbeitet werden und die ich Ihnen hier in Ansätzen dargestellt habe, durch immer neue Gesetze, die einen immer höheren manuellen Verwaltungsaufwand auslösen, in Frage gestellt werden. Leider hat uns die Einführung der so genannten Disease Management Programme per Bundesgesetz vor Augen geführt, dass wir hier offenbar einem Missverständnis aufgesessen sind: die DMP sind eine zur Perfektion getriebene, unglaubliche Bürokratie. Dabei sollte es nur darum gehen, einen Weg zu definieren, wie ein chronisch kranker Patient sicher durch das Gesundheitswesen geleitet wird, damit er alle erforderlichen Therapien zur rechten Zeit erhält.
Bild 18
Eine Ahnung des gesetzlich vorgegebenen und durch das Bundesversicherungsamt peinlichst eingeforderten Prozessdschungels mag Ihnen diese Darstellung geben (Bild 18). Im Zusammenhang mit dem Thema „IT-Einsatz in der Praxis“ ist besonders die Regelung hervorzuheben, wonach vorgeschrieben ist, dass die Eintragung in das DMP mittels Papier zu erfolgen hat und per Brief an eine zentrale Datenstelle zu versenden ist. Wir konnten wenigstens erreichen, dass die sonstige Dokumentation auch elektronisch bei der zuständigen Datenstelle eingereicht werden kann.
22 Wirkung des IT-Einsatzes auf Ökonomie und Qualität in der Praxis
333
Die Nachteile einer papierbasierten Dokumentation im DMP sind evident
Fehlerquoten bis zu 85%! Fehlende oder fehlerhafte Kreuze Körpergröße
175 m Fehlende oder fehlerhafte Werte
Bogen nicht scannbar
Bogen muss stets neu ausgefüllt werden, nur vollständige und plausible Dokumentationen werden vergütet! 22
Bild 19
Und hier konnte die KVB mit dem gerade angelaufenen Safenet eine funktionierende Lösung anbieten, um der Datenflut in den Praxen gerade noch Herr zu werden (Bild 19). Wir haben das System zunächst auf das DMP für Diabetiker Typ II übertragen und werden in wenigen Tagen mit dem DMP für Patienten mit koronarer Herzkrankheit – KHK – weitermachen. Andere Programme für Patienten mit Asthma COPT und Mammakarzinom sind in der Planung. Diese Vielfalt an Programmen, die alle unterschiedliche Dokumentationsanforderungen stellen, kann schnell, effektiv und plausibel nur über eine elektronische Dokumentation abgewickelt werden, die über das Safenet läuft. Der Vorteil der elektronischen Dokumentation ist dabei evident. In Bereichen, in denen auf eine Papier-Dokumentation vertraut wurde, hat man Fehlerquoten von bis zu 85 % feststellen müssen. Zum Teil wurde vergessen, notwendige Kreuze zu machen, zum Teil wurden einfach falsche Werte, wie z.B. eine Körpergröße von 175 Meter eingetragen.
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Axel Munte
Die Fehlerquoten der Dokumentationen im DMP Diabetes sprechen für sich > 85%
~ 25% < 3% < 1%
2003
2004
Papierversion
gesamt
KVB-Safenet
Bayern (elektr. Dokumentation)
23
Bild 20
Wie hat sich das Safenet im Vergleich dazu geschlagen? (Bild 20) Während bei einer papierbasierten Dokumentation selbst nach einer gewissen Eingewöhnungszeit immer noch über 25 % aller in der Datenstelle eingereichten Dokumentationen fehlerhaft sind, konnten wir mittels elektronischer Dokumentation Fehlerquoten von weniger als 3 % erreichen, bei Nutzung des Safenets ist die Fehlerquote sogar ohne Belang. Das ist es, was IT in der Praxis bedeutet, das ist IT, wie wir sie uns wünschen: kostensenkend, bürokratieabbauend und den Vertragspartnern und den Patienten die Sicherheit gebend, die sie brauchen.
22 Wirkung des IT-Einsatzes auf Ökonomie und Qualität in der Praxis
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Identifizierung ungültiger Krankenversichertenkarten! Prüfung der Kartengültigkeit unter Verwendung eines Geldkarten-Lesegeräts Online-Prüfung der Karte Standalone-Lösung, keine Interaktion mit Praxisverwaltungssoftware (Verax) Keine Koppelung zwischen Chipkarten-Prüfung und Zahlungsvorgang bei der Praxisgebühr Prüfung liefert dreiwertiges Ergebnis: Karte gültig Karte ungültig Krankenkasse nimmt nicht am Verfahren teil
Bild 21
Zuletzt möchte ich Ihnen noch ganz kurz ein neues Projekt skizzieren, das wir insbesondere mit der AOK angehen möchten: die Identifizierung von ungültigen Versichertenkarten (Bild 21). Diese vagabundierenden Karten sind für uns ein großes Problem. Hier ging es uns darum, bestehende technische Lösungen zusammenzuführen, um einen Mehrwert zu generieren. Mit der Einführung der Praxisgebühr wurden in vielen Praxen Geldkartenlesegeräte angeschafft, um die Gebühr bargeldlos einziehen zu können. Diese Geräte bauen selbständig eine Verbindung zu einem externen Server auf. Es ist nahe liegend, diese Technologie auch zur OnlinePrüfung der Gültigkeit der Krankenversichertenkarte zu nutzen. In einem Pilotprojekt konnten wir mit den beteiligten Anbietern der Terminals und eine Krankenkasse feststellen, dass diese Idee umsetzbar ist. In den kommenden Wochen wollen wir mit weiteren Krankenkassen ein Modellprojekt starten. Das ist die Zukunft wie wir sie uns vorstellen.
23 Die Rolle der Krankenkassen in der Gesundheitswirtschaft Dr. Helmut Platzer AOK Bayern – Die Gesundheitskasse Einführung Einleitend nur ganz kurz ein paar Informationen zur AOK Bayern: (nicht als Werbung, nur zur Illustration der titelentsprechenden ökonomischen Bedeutung). Wir versichern etwa 4,1 Millionen Menschen und wenden für ihre medizinische und pflegerische Versorgung rund 11 Milliarden Euro auf. Mit einem Marktanteil von über 40 Prozent ist die Gesundheitskasse die Nummer eins unter den gesetzlichen Krankenkassen im Freistaat, bundesweit viertgrößte Krankenkasse und größte AOK, mithin die größte AOK der Welt. Die AOK Bayern zählt zu den bedeutendsten Dienstleistungsunternehmen im Lande. Über 250 Geschäftsstellen und rund 10.000 Mitarbeiter stehen für eine ortsnahe und serviceorientierte Kundenbetreuung. Dazu zählt auch die Betreuung von 280.000 einzelnen Arbeitgebern und Unternehmen. Bundesweit ist die bayerische AOK die größte regionale Krankenversicherung und viertgrößte Krankenkasse überhaupt. Diese Zahlen und Fakten zum Unternehmen AOK Bayern verdeutlichen Ihnen ein wenig die Dimensionen, um die es im Gesundheitswesen geht. Schiere Größe und Marktmacht einer einzelnen Krankenkasse allein sind aber bei weitem nicht entscheidend für eine qualitativ gute gesundheitliche Versorgung der Versicherten. Die wichtigste Rolle im Gesundheitswesen spielen die Versicherten und insbesondere die Patienten. Um deren Gesundheit bzw. Wiederherstellung ihrer Gesundheit soll sich alles Tun und Handeln der Akteure im Gesundheitswesen drehen. Aus welchen Teilen dieses „Netzwerk“ besteht, wie es funktioniert und welche Rolle dabei die Krankenkassen spielen, will ich Ihnen mit meinen Ausführungen verdeutlichen.
Blick auf die Hauptakteure im Gesundheitswesen Da spielen zunächst wieder ein paar Zahlen eine wichtige Rolle. Mit 85 % ist der weitaus größte Teil der Bevölkerung in Deutschland – das sind 70 Millionen Menschen – umfassend und solidarisch gegen das Risiko Krankheit in einer von 270 gesetzlichen Krankenkassen versichert. Für die Gesundheitsversorgung ihrer Versicherten wendete die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im vergangenen
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Helmut Platzer
Jahr 132 Mrd € auf, was etwa 57 % der gesamten Gesundheitsausgaben in Deutschland (zu den Gesundheitsausgaben im weiteren Sinne zählen noch die Einkommensleistungen, v.a. Lohnfortzahlung von weiteren 68 Mrd €) ausmacht. Vor 30 Jahren betrug dieser Anteil der GKV erst 42 %. Weitere 8 Millionen Menschen sind bei einem der 50 privaten Krankenversicherungsunternehmen krankenversichert. 8 % der gesamten Gesundheitsausgaben entfallen auf privat Krankenversicherte. Sie sehen allein an diesem Größenvergleich, dass die GKV durchaus in der Lage wäre, die Rolle eines „Global Players“ in einer anderen Branche einzunehmen. Ganz zweifellos ist das Gesundheitswesen nicht nur ein erstklassiger Wirtschaftsfaktor sondern auch eine der zukunftsträchtigsten Dienstleistungsbranchen mit stabilen, eher steigenden Wachstumsraten. Die demographische Entwicklung der Bevölkerung mit einer weiter steigenden Lebenserwartung, der medizinische und medizin-technische Fortschritt oder auch die zunehmende Übernahme von familialer Krankenpflege durch professionelle Dienste sind untrügliche Indikatoren dafür, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts persönliche, gesundheitsbezogene Dienstleistungen in fortentwickelten Gesellschaften eine zentrale gesamtwirtschaftliche Rolle einnehmen. Fast 40 % aller öffentlichen und privaten Dienstleister sind im Gesundheitswesen tätig – mit steigender Tendenz. 4,2 Millionen Beschäftigte und damit mehr als jeder 10. Erwerbstätige ist im personalintensiven Gesundheitssektor tätig. Angesichts von 5 Millionen Arbeitslosen und weiteren Entlassungen in vielen Branchen – trotz steigender Gewinne – ist dieser Aspekt von zunehmender gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Im Gesundheitswesen steckt auch ein großes finanzielles Potential. So wenden wir in Deutschland mittlerweile 11 % des Bruttonationalproduktes – das sind rund 235 Mrd € oder 2.850 € pro Kopf – für die Gesundheit unserer Bürger auf. Damit sind wir hinter den USA und nahezu gleichauf mit der Schweiz „Weltspitze“. Spitze sind wir auch in der gesundheitlichen Versorgungsdichte, d.h. bei der Versorgung mit Ärzten, Krankenhausbetten, oder sonstigen Gesundheitsdienstleistern: So kommen auf jeden berufstätigen Arzt rein rechnerisch 267 Einwohner. 1991 musste jeder Arzt noch 329 Einwohner „versorgen“. Damit sind wir in der EU hinter Italien, Griechenland und Spanien das mit am besten ärztlich versorgte Land. Bayern übrigens „leistet“ sich von allen Flächenstaaten Deutschlands mit 258 Einwohnern je Arzt die höchste Arztdichte, allen anderslautenden Meldungen zum Trotz übrigens mit kontinuierlich steigender Tendenz. Ganz ähnlich verhält es sich bei der Versorgung mit Zahnärzten. Hier kamen 1991 noch 1.460 Einwohner auf jeden Zahnarzt in Deutschland – 10 Jahre später sind es nur noch 1.290. Erstaunlicherweise ist in fast allen ostdeutschen Ländern die Versorgung mit Zahnärzten noch höher als in den alten. Das muss wohl an dem noch nicht ausreichend gestillten Nachholbedarf für Zahnbehandlung und Zahnersatz in den neuen Bundesländern liegen.
23 Die Rolle der Krankenkassen in der Gesundheitswirtschaft
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In den 550.000 Krankenhausbetten in Deutschland wurden letztes Jahr 18 Mio Patienten behandelt. Mit einer Krankenhaus-Bettendichte von 67 Betten je 10.000 Einwohner gehört Deutschland zu den bestversorgten Ländern in Europa. Von den gegenwärtig 2.200 Krankenhäusern in Deutschland halten Wissenschaftler 300–500 für eine umfassende stationäre Versorgung nicht notwendig. Ganz und gar nicht passt in dieses Bild das Wehklagen über einen angeblich flächendeckend drohenden Ärztemangel, über künftige wesentlich längere Anfahrtswege zu den Krankenhäusern, oder Endzeitstimmung einer angeblich darniederliegenden Arzneimittelindustrie. (Ein kurzer Hinweis an dieser Stelle auf den zuverlässigen Indikator Aktienmarkt: Wo finden Sie die performantesten Papiere?) Deutschland zählt erwiesenermaßen zu den hochentwickelten Industrienationen, die keine medizinische und gesundheitliche Mangelversorgung aufweisen. Bei uns gibt es keine Wartelisten für OP-Patienten, wie sie in Großbritannien zum Beispiel für Hüftoperationen durchaus schon an der Tagesordnung sind. Im Gegenteil – zahlreiche Krankenhäuser hier in Bayern und anderswo in Deutschland nutzen ihre Überkapazitäten und sind sehr erfolgreich im Geschäft mit englischen Patienten, mit zahlungskräftigen russischen oder auch arabischen „Kunden“. Erst vergangenes Wochenende hat sich Staatsministerin Stewens für eine hochqualitative stationäre Behandlung von Patienten aus dem Nahen Osten in bayerischen Krankenhäusern auf der zweitgrößten Medizinmesse der Welt in Dubai stark gemacht. Wir können zurecht stolz darauf sein, dass wir vergleichsweise geringe Wartezeiten sowohl beim niedergelassenen Arzt als auch im Krankenhaus aufweisen, und dass wir der gesamten Bevölkerung einen freien und gleichen Zugang zur medizinischen Behandlung gewährleisten. Das ist selbst im teuersten Gesundheitswesen der Welt – in den USA – nicht üblich, wo über 40 Mio Bürger überhaupt nicht krankenversichert sind.
Konstruktionsmerkmal: Die gemeinsame Selbstverwaltung – ein System mit Zukunft Der vielfach von „interessierten Kreisen“ erweckte Eindruck, in Deutschland gäbe es quasi eine Staatsmedizin, oder sie stehe unmittelbar bevor, ist rundweg falsch. Die eigentliche Erbringung gesundheitlicher Leistungen am Patienten ist schon seit jeher Privatsache. Wir haben keine annähernd vergleichbare Situation wie in Großbritannien oder Italien mit ihren teilweise maroden staatlichen Gesundheitsdiensten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir in Deutschland seit Jahrzehnten ziemlich erfolgreich einen „Dritten Weg“ in der Gesundheitsversorgung für den überwiegenden Teil der Bevölkerung praktizieren: Die Mittel der GKV werden solidarisch durch einkommensabhängige, paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzierte Beiträge sowie von den Rentnern aufgebracht. Die Leistungsgewährung erfolgt je nach individuellem medizinischem Bedarf – unabhängig vom Ein-
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Helmut Platzer
kommen, sozialen Status oder Art des Krankenversicherungsschutzes. Mehrere repräsentative Umfragen haben ergeben, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland die umfassende soziale und solidarische Absicherung der großen Lebensrisiken Alter, Arbeitslosigkeit, Krankheit und Pflegebedürftigkeit in mit ihren jetzigen Strukturen befürwortet. Eine rein staatliche, fürsorgeähnliche Grundabsicherung wird von ihr genauso abgelehnt wie eine überwiegend private Daseinsvorsorge. (Ich rate dringend, dies in der aktuellen Debatte über die künftige Finanzierungsform der GKV im Auge zu behalten.) Anders als in der privaten Krankenversicherung bestehen zwischen GKV-Patienten und Leistungserbringern keine direkten Vertragsbeziehungen. Die Kassen schließen mit den Leistungserbringern zumeist „gemeinsam und einheitlich“ Verträge zur Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung ihrer Versicherten. Nahezu einzigartig auf der ganzen Welt ist das deutsche Gesundheitswesen durch eine Besonderheit geprägt: Ökonomisch gesprochen erfolgt der Ausgleich von Angebot und Nachfrage weder durch ein rein marktliches System noch in einem staatlichen Verteilungssystem; wir verfolgen einen „Dritten Weg“. Ein kompliziertes Geflecht aus Verhandlungen zwischen den beteiligten Verbänden der Leistungserbringer und Kassen prägt unser „korporatistisches“ System des Gesundheitswesens. Im Gegensatz zur privaten Krankenversicherung pflegen die gesetzlichen Kassen ein ausgefeiltes System von Vertragsbeziehungen zu den Leistungserbringern. Die Preise sind also – mit Ausnahme der Arzneimittelpreise – nicht Produkt von Angebot und Nachfrage, sondern Ergebnis von Verhandlungen. Sie können dieses Vertragssystem – das wesentlicher Ausfluss des Sachleistungsprinzips in der GKV ist – sogar dahingehend auslegen, dass die Kassen ihren Versicherten die Preisverhandlung mit dem Arzt weitestgehend abnehmen. Über den Inhalt der Verträge – also die Gesundheitsleistungen – besteht allerdings nicht allzu viel Gestaltungsfreiheit. Die Krankenkassen sind in vielen Bereichen (ein anachronistisches Relikt in Zeiten des Kassenwettbewerbs) zu sogenanntem „gemeinsamen und einheitlichen“ Verhandlungen mit den Leistungserbringern verpflichtet. Außerdem legt der Gesetzgeber ziemlich genau fest, was die GKV an Leistungen umfassen darf. Wie die Leistungen im einzelnen ausgestaltet sind, entscheidet allerdings die „Gemeinsame Selbstverwaltung“ aus Kassen und Leistungserbringern. Für die zentrale Entscheidung zur Ausgestaltung der Patientenversorgung ist seit letztem Jahr ein sektorenübergreifender „Gemeinsamer Bundesausschuss“ mit Vertretern der Kassen, Ärzte, Zahnärzte Krankenhäuser sowie Patientenvertretern (letztere mit einem Mitberatungsrecht) zuständig. Die Vorarbeiten erledigen sektorenbezogene gemeinsame Unterausschüsse aus Kassenvertretern und Vertretern der jeweiligen Leistungserbringer.
23 Die Rolle der Krankenkassen in der Gesundheitswirtschaft
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Die zukünftige Rolle der GKV: Player statt payer Die eigentliche Arbeit mit und am Patienten läuft jedoch vor Ort ab. Bestes Beispiel ist die vor drei Jahren gemeinsam von Kassen und Ärzten unter Beteiligung einzelner Kassenärztlicher Vereinigungen begonnene Einführung so genannter Disease Management Programme (DMPs). Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass in Deutschland 18 Millionen Menschen von Volkskrankheiten betroffen sind. Auf nur 20 % dieser erkrankten Versicherten entfallen 80 % der Behandlungsausgaben in der GKV. Man kann es als vollen Erfolg bezeichnen, dass sich bislang über eine Million Patienten, die an Brustkrebs, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden, in entsprechende Programme eingeschrieben haben. In diesem Zusammenhang ist es für mich völlig unverständlich, dass höchste Repräsentanten der Ärzteschaft in Deutschland die eigene Selbstverwaltung schlecht reden. Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe glaubt, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen auf bestem Wege seien, zu reinen Ausführungs- und Kontrollinstrumenten der Politik degradiert zu werden (Ärzte-Zeitung vom 2.2.2005). Die DMPs hält er für „Beschäftigungsprogramme für Krankenkassen“ und für „gesundheitspolitische Umverteilung“ (Ärzte-Zeitung vom 9.2.2005). Daraus kann ich nur eine zentrale, unabdingbare Forderung für die nächste Gesundheitsreform ableiten: Es zeugt nicht gerade von einer besonders innovativen, wettbewerbsfördernden Einstellung der Politik, wenn zwar auf der Nachfragerseite seit 1996 die nunmehr 270 gesetzlichen Krankenkassen im Wettbewerb zueinander stehen und die Versicherten ihre Kasse nahezu frei wählen können, die Anbieterseite jedoch immer noch von monopolartigen Strukturen geprägt ist – „wettbewerbsfreier Naturschutzpark“. Damit vergeben wir eine ordnungspolitische Entwicklungschance. Ohne grundlegende strukturelle Änderungen der Angebotsseite im Gesundheitswesen verpuffen die bisher erbrachten Sparanstrengungen völlig wirkungslos. Bei den Ärzten und allen weiteren Gesundheitsdienstleistern – aber selbstverständlich auch bei den verantwortlichen Politikern – muss ein grundlegender Sinneswandel eintreten. Wir müssen endlich weg kommen von der kurativen, in erster Linie nur „reparierenden“, Medizin hin zur primär präventiven Gesundheitserhaltung. Um es einmal ökonomisch auszudrücken: Die knappen Mittel im Gesundheitswesen werden schon seit vielen Jahren nicht ihrer optimalen Verwendung zugeführt. Oder bildhaft dargestellt: Wir zahlen für unsere Gesundheitsversorgung einen derart hohen Preis wie für ein Auto der Luxusklasse. Dafür erhalten wir aber – gemessen am Gesundheitszustand der Bevölkerung und am Erfolg bei der Bekämpfung der „klassischen“ Volkskrankheiten (wie zum Beispiel Krebs, Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Diabetes) – nur einen Mittelklasse-Golf. Dies zeigen mehrere internationale Vergleichsstudien der WHO oder der OECD sehr deutlich.
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Helmut Platzer
Bevor wir uns also Gedanken machen, ob und wieviel mehr Geld in das Gesundheitswesen fließen soll, müssen die verkrusteten Strukuren im Gesundheitswesen einer wesentlichen Effizienzsteigerung unterworfen werden! Auf Seiten der Krankenkassen wurde ein entscheidender erster Schritt schon 1996 getan. Seitdem stehen die gegenwärtig 270 gesetzliche Krankenkassen miteinander im Wettbewerb. Dieser Wettbewerb ist nicht um seiner selbst willen installiert worden und sollte auch nicht dazu missbraucht werden, Risikoselektion unter den Versicherten zu betreiben. Deshalb ist der Kassenwettbewerb unabdingbar mit dem so genannten Risikostrukturausgleich (RSA) verbunden, um eine Ausgrenzung von kranken, geringer verdienenden und älteren Versicherten sowie Familien mit Kindern zu verhindern. Bis 2007 soll der RSA zum so genannten morbiditätsorientierten RSA weiter entwickelt werden. Dieser soll wesentlich exakter und manipulationsresistenter funktionieren als der bisherige RSA. Diejenigen Kassen, die überproportional viele Kranke und chronisch Kranke versichern und sich mit entsprechenden Programmen – wie zum Beispiel den DMPs – um eine qualitativ hochwertige und auch wirtschaftlichere Versorgung bemühen, werden endlich durch eine adäquat höhere Zuweisung aus dem RSA „entschädigt“. Der Kassenwettbewerb zielt in unserem Gesundheitssystem darauf ab, sowohl für die Versicherten ein möglichst umfassendes, qualitativ hochstehendes Angebot an gesundheitlichen Leistungen anzubieten als auch die Leistungserbringer zu einer effizienten Leistungserbringung zu veranlassen. Anders als die Privaten Krankenversicherer, die vornehmlich eine reine Kostenerstatter-Funktion ausüben, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die entscheidende Funktion, zwischen dem Angebot an Gesundheitsleistungen und der Nachfrage nach ihnen möglichst ein optimales Gleichgewicht zu erzielen. Diese Möglichkeiten wurden durch das GMG im Sinne der Ermöglichung selektiven Kontrahierens wesentlich erweitert. Unter den genannten organisatorischen und wettbewerbspolitischen Voraussetzungen sind die Krankenkassen darauf vorbereitet, den Grundsatz „Geld folgt Leistung“ in der Gesundheitsversorgung zu verwirklichen. Ich bin davon überzeugt, dass mit der Fortsetzung des „Dritten Wegs“ eines selbstverwalteten Gesundheitssystems Deutschland den medizinischen, demographischen und gesellschaftlichen Herausforderungen – mit denen übrigens alle Industrienationen gleichermaßen konfrontiert werden – bestens gewachsen ist.
24 Diskussion Moderation: Prof. Dr. Heinz Thielmann, Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie SIT, Darmstadt Prof. Thielmann: Wir haben jetzt über zwei Tage hinweg verschiedenen Aspekte zu dem ganzen Thema eHealth behandelt; zum Schluss noch einmal die juristischen Aspekte. Davor waren es technische Themen und Fallbeispiele. Gestern hatte Herr Kartte in einem der Einführungsvorträge schon einmal über die gesamtökonomischen Aspekte berichtet. Das wollen wir heute nochmals in spezifischen Vorträgen behandeln. Wie sieht die Sicht der verschiedenen Kostenträger und Leistungserbringer aus? Wir haben gestern gelernt, und Herr Riedel wird es noch einmal darstellen, dass der gesamte Gesundheitsmarkt 255 Milliarden Euro umfasst, über 4 Millionen Beschäftigte, größter Wirtschaftszweig, hohe Wachstumsraten werden erwartet, bedingt durch Altersstruktur der Gesellschaft. Ob das dann so glücklich ist, damit die Kosten nach oben zu tragen, ist etwas anderes. Die Frage ist, wie wir diesen Markt so gestalten können, dass die medizinische Leistung am Menschen im Vordergrund steht, die Prozesse optimiert werden, und vor allen Dingen auch für die Industrie die Lösungen exportierbar sind. Eines ist auch schon deutlich geworden und ich hoffe, dass wir das hier noch etwas herausarbeiten können: mit dieser Transparenz über Patientendaten, über Patientenakten, wer die Daten besitzt, wer Zugang zu den Daten hat: damit werden sich auch die Geschäftsmodelle der beteiligten Leistungserbringer und Kostenträger entweder graduell oder massiv verändern. Ich begrüße am Podium Herrn Dr. Munte, Herrn Dr. Platzer und Herrn Prof. Riedel. Ich möchte danach gleich Sie, Herr Riedel, bitten. Herr Riedel hat das dritte Staatsexamen in Humanmedizin absolviert, hat eine wissenschaftlich-medizinische Tätigkeit von 1984-92 wahrgenommen, als Arzt in der Neurologie und Psychiatrie praktiziert, von 1992-2002 eine Managementtätigkeit in der Gesundheitsindustrie ausgeübt, dann noch einen berufsbegleitenden Abschluss als Diplom-Kaufmann an der Fachhochschule gemacht und ist seit 2002 Studiengangsleiter Medizinökonomie an der Rheinischen Fachhochschule in Köln. Herr Prof. Riedel, ich darf Sie bitten. Prof. Riedel: (Der Vortrag von Prof. Riedel ist unter Ziffer 21 abgedruckt)
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Moderation: Heinz Thielmann
Prof. Thielmann: Vielen Dank Herr Riedel. Ich hoffe, Sie alle sind damit einverstanden, dass wir zunächst die beiden anderen Vorträge noch hören und dann gemeinsam diskutieren. Ich darf dann Herrn Dr. Axel Munte ankündigen. Herr Munte hat Medizin in München, Kiel und Edinburgh studiert; Staatsexamen, Promotion und Approbation bis 1976 absolviert, ist seit 1978 niedergelassener Internist in München, seit 2001 Vorsitzender des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, war von 2002 bis 2004 Mitglied des Vorstandes der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, ist Delegierter der Bayerischen Landesärztekammer, des Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbandes München und Initiator des wohl ältesten kooperativen Ärztehauses in Deutschland und auch dort seit 25 Jahren als Internist und Gastroendologe tätig. Er ist Initiator weiterer kooperativer Ärztehäuser wie beispielsweise in Köln das Haubrich Forum am Neumarkt. Herr Dr. Munte, ich darf Sie bitten. Dr. Munte: (Der Vortrag von Dr. Munte ist unter Ziffer 22 abgedruckt) Prof. Thielmann: Vielen Dank, Herr Munte. Auch Ihren Vortrag würde ich gern zur Diskussion stellen im Anschluss an den von Herrn Dr. Platzer. Ich darf damit Herrn Dr. Helmut Platzer ankündigen; Studium der Rechtswissenschaft an der LMU München, Referendar am Oberlandesgericht München, Promotion an der Uni Bayreuth. Herr Platzer war dann in der Landesversicherungsanstalt Oberbayern und 1991 dort auch Mitglied der Geschäftsführung. Er ist seit 1996 stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Bayern, ab 1991 Vorstandsvorsitzender der AOK Bayern. Besonderen Hinweis gebührt, dass er 2002 und 2003 Mitglied der Rürup Kommission zum Themenschwerpunkt „Grundsatzfragen der Fortentwicklung der sozialen Sicherungssysteme“ war. Herr Dr. Platzer, bitte. Dr. Platzer: (Der Vortrag von Dr. Platzer ist unter Ziffer 23 abgedruckt) Prof. Thielmann: Vielen Dank, Herr Platzer, für die sehr engagierte Rede. Wir haben noch einige Minuten Zeit zur Diskussion. Ich habe mir eine Frage notiert, mit der ich beginnen möchte. Herr Riedel, Sie hatten darauf hingewiesen, dass wir für den Betrieb der gesamten Telematikinfrastruktur erhebliche Summen, laufende Kosten ansetzen müssen und zwar 24 Stunden, 7 Tage in der Woche, ein ganzes Jahr hindurch. Das erhebt die Frage, wer diesen Betrieb wahrnehmen soll. Kann das die heutige Struktur im Gesundheitswesen in der Selbstverwaltung? Wie kann man diesen Betrieb wahrnehmen, der ein hochprofessioneller IT-Betrieb sein muss?
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Prof. Riedel: Als eine der ersten Herausforderungen sollte man überlegen, ob nicht die Selbstverwaltung ein Unternehmen entsprechend formen kann. Das ist aus unserer Sicht eine wesentliche Forderung. Ich kann mir vorstellen, dass sie viele andere Dinge gemeistert hat, d.h. die Abrechnung oder andere Meisterschaften, die fast jedes Jahr durch Gesundheitsreformen zu tätigen sind. Wenn man hier eine Partnerschaft aus Selbstverwaltung plus professionelles Management eingeht, ist das aus unserer Sicht der richtige Weg. Das Thema ist, Know how zu bündeln und die Erfahrungen, die diese Organisationen haben, in einer solchen Gesellschaft zu bündeln. Das ist für mich der dritte Weg. Es gibt sonst den Weg, wo man von Modell eins oder zwei spricht. Ich halte diesen dritten Weg, den ich gerade dargestellt habe, für die beste Lösung. Dr. Munte: Ich glaube, die Schwierigkeit in der jetzigen Konstruktion besteht darin, dass bei der Entscheidungsfindung alle Gruppierungen gehört und einbezogen werden, und dass dadurch Kompromisse gemacht werden für technische Fragen, die eigentlich keine Kompromisse zulassen. Insofern fände ich es gut, wenn die mit der Entwicklung betraute Institution durch einen Geschäftsführer geführt würden, der das Sagen hat und der entscheiden kann, der kompetent ist und die Sache schnell vorantreiben will. Diskussionsgremien für solche Projekte behindern deren Umsetzung, machen sie eigentlich fast unmöglich und insbesondere nicht kostengünstig realisierbar. Dr. Platzer: Um ganz ehrlich mit der Frage umzugehen, muss man natürlich beginnen, dass wir es im Status quo nicht können. Das ist völlig ausgeschlossen. Aber wir sind sehr wohl in der Lage, entsprechende Strukturen zu schaffen, wobei ich auf der Kassenseite an der Stelle schon innehalten und sagen muss, dass zumindest die großen Kassen dazu in der Lage sind. Wir sind hier wieder bei einem der großen Probleme von Einheitlichung gemeinsam. Ich habe es mehrfach in meinem Vortrag erwähnt. Wenn wir natürlich warten, bis auch der Letzte so weit ist, dass er mitziehen und mithelfen kann, entsprechende Strukturen aufzubauen, dann wird es mühsam und langwierig. Aber ich denke, dass das nicht der Weg in der Zukunft sein wird. Herr Dr. Munte, wir verraten kein Geheimnis, dass wir an der Stelle schon ein bisschen üben. Beispielsweise sind wir hier in Bayern als KV auf der einen Seite und AOK auf der anderen Seite darum bemüht, solche Joint Ventures auf die Beine zu bringen, mit denen man solche und ähnliche Aufgaben gemeinsam bewältigen kann. wir halten das auch für einen Auftrag an die gemeinsame Selbstverwaltung, sich solchen Herausforderungen zu stellen. Dass es an der einen oder anderen Stelle nicht klappt, hat das Risiko in sich. Das ist völlig klar. Wir werden unser Lehrgeld noch zahlen und gelegentlich bei dem einen oder anderen Thema auch scheitern. Das halte ich für vertretbar, denn im Endeffekt geht es darum, dass man wirklich eine große Herausforderung meistert. Man soll dieses Beispiel nicht überstrapazieren, aber Erfahrungen wie beispielsweise Toll Collect sind zumindest dafür geeignet,
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Moderation: Heinz Thielmann
ungeheuren Erkenntniswert darüber zu vermitteln, wie man es gelegentlich nicht angehen sollte. Prof. Thielmann: Vielen Dank. Gibt es Fragen aus dem Plenum. Dr. Munte: Herr Vorsitzender, ich hätte gerne noch eine Replik, weil das nicht stehen bleiben darf. Herr Platzer, ich habe es nicht differenziert ausgeführt und habe meine Folien auch nur kursorisch angeschnitten, um den Abend für die Herrschaften hier zu retten. Die Thematik DMP und Bürokratie ist für die Ärzteschaft, insbesondere für die Hausärzte, die es betrifft, eine sehr wichtige Thematik und so schlimm, dass wir uns lange dagegen gewehrt haben. Mit dem Ergebnis, dass wir zum Bedauern für Sie und letztendlich auch für uns mit den DMPs, d.h. mit dem DMP Diabetes, erst ganz spät gestartet sind und uns überlegt haben, wie wir das, was wir den Ärzten zumuten, gangbar machen können. Da kamen wir zusammen mit Ihnen auf die Idee, diese Sache elektronisch über das Safenet abzuwickeln. Damit haben wir das Thema der Überbürokratisierung in den Griff bekommen und haben die Ärzte einfangen können. Trotzdem ist der DMP-Ansatz eine Überbürokratisierung. Dass wir daraus etwas gemacht haben, weil wir in der Kooperation so gut zusammenarbeiten und bereit waren, Wege zu gehen, die uns auch Schwierigkeiten bereiten, ist nur ein Zeichen dafür, dass man kreativ sein muss, um den Gesetzgeber verbessern zu können. Aber letztendlich ist der Ursprungsansatz bürokratisch und eigentlich nur von innovativen Leuten, wie wir beide es sind, zu beherrschen. Das ist der Punkt. Dr. Platzer: Also, ich nehme die Entschuldigung an. Prof. Thielmann: Ich hätte noch eine Frage, vielleicht auch an alle am Podium und im Plenum. Herr Platzer, Sie haben darauf hingewiesen, dass die Strukturen der Selbstverwaltung sich grundsätzlich bewährt haben und auch auf dem richtigen Weg sind. Jetzt gibt es gerade im Zuge dieser Betriebsorganisationen und Gründungen den Beschluss, von der Konsensfindung zur Zweidrittelmehrheit bzw. zur qualifizierten Mehrheit überzugehen. Was meinen Sie? Sind sie damit glücklich? Reicht das aus? Prof. Riedel: Undankbar, bei dem Thema als erster zu antworten. Wenn Sie das Thema Zweidrittelmehrheit aus dem politischen Konsensverfahren kennen, so erschwert es den Weg. Wir haben immer wieder Projekte, die wir begleiten und moderieren, wo wir genau das erleben. Wenn Sie eine kleine Gruppe haben, können Sie zügig einen Konsens herbeiführen. Haben Sie beispielsweise 20 Gesprächspartner an einem Tisch und müssen diese zusammenführen, wird es schwieriger, eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen, da hier die Partialinteressen der einzelnen Gruppierungen zu
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berücksichtigen sind. Da beneide ich die Kollegen hier am Tisch nicht, die das demnächst so realisieren sollen, denn Zweidrittelmehrheit bedeutet einfach, dass man sich vorher abstimmt. Von daher wird es empfehlenswert sein, interessengruppenübergreifende Gespräche vor den offiziellen Verhandlungsrunden zu führen, um die bestehenden Zieldifferenzen zu verringern. Dr. Platzer: Die Einführung der Zweidrittelmehrheit ist eine Pseudovereinfachung des Verfahrens, denn sie brauchen immer dann, auch wenn Sie auf einem vereinfachten Weg eine Entscheidungsfindung geschafft haben, letzten Endes immer alle Mitspieler, damit die getroffenen Entscheidung umgesetzt werden konnte. Das ist doch das eigentliche Problem dabei. Sie müssen also letzten Endes nach einer Entscheidungsfindung im Wege der Mehrheit wieder anfangen, um die letzten Zurückgebliebenen auf der Strecke zu werben, damit am Ende die Entscheidung auch umgesetzt werden kann. Ich erwarte nicht, dass sich das Verfahren aus den genannten Gründen dadurch effektiv verändern wird. Aber der gute Wille war sicher, dass man versucht, die endlosen Debatten darüber vermeidet, bis auch der Letzte mit seiner Positionierung mitgenommen ist. ich glaube allerdings, dass man die Schwierigkeiten nur um eine Debatte nach hinten verlegt. Dr. Munte: Zweidrittelmehrheit einführen bei Abstimmungsprozessen, die dringend und erforderlich sind, bedeutet quasi, dass man auch gleich alternierend den Vorsitzenden machen könnte und man dann einmal hüh und einmal hott sagen kann. Das ist praktisch nicht machbar und nicht effektiv. Prof. Thielmann: Darf ich noch einmal um Wortmeldungen bitten? Herr Dr. Braun. Wenn Sie schon einmal aufstehen, Herr Braun, so hatte ich noch eine Frage an die Herstellerseite in Reserve. Herr Riedel hat die Preise für den Connector schon auf seinem Chart gehabt, d.h. er gibt die Preise vor? Dr. Braun: Das war nicht mit uns abgesprochen, das möchte ich ganz deutlich sagen, und die tatsächlichen Preise werden darunter liegen. Aber dafür sind andere Positionen nicht in der Rechnung gewesen, die noch dazu kommen. Insgesamt, was die Gesamtkosten anbelangt, liegen wir schon in der richtigen Größenordnung. Ansonsten wollte ich gar keine Frage stellen. Ich wollte eine Frage beantworten, die Herr Platzer vorhin gestellt hat, nämlich warum er ein Vortragsthema bekommen hat, wo nicht IT in der Überschrift steht. Herr Platzer, das hat Hintergründe. Wir waren der Auffassung, dass das Thema IT in der Gesundheitsversorgung eigentlich von der Strukturdiskussion nicht getrennt werden kann, und wir haben von Ihnen erwartet, dass sie sich dieser Diskussion annehmen, genau wie wir das zu Beginn der Veranstaltung vom Staatssekretär im Sozialministerium auch erwartet hatten. Es spannt
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Moderation: Heinz Thielmann
sich damit ein Bogen, der das alle anderen diskutierten Themen mit einschließen soll, vom Anfang zum Ende des Kongresses. Und ich darf sagen, Sie haben unsere Erwartungen – und ich beziehe das auf alle Podiumsteilnehmer- nicht enttäuscht. Es gab auch zum Abschluss noch eine sehr lebendige Diskussion und sehr gute Vorträge. Prof. Thielmann: Wenn dann keine weiteren Wortmeldungen sind, möchte ich auch den Abschluss nicht länger strapazieren. Herr Prof. Picot und Herr Prof. Eberspächer, die beide noch Verpflichtungen an der Hochschule haben, haben mich gebeten, diesen Kongress abzuschließen. Ich denke, wir haben mit dem Münchner Kreis, wie wir das bisher meistens geschafft haben, wieder das richtige Thema zum richtigen Zeitpunkt erwischt, wie die Diskussionen gestern und heute gezeigt haben. Dafür herzlichen Dank an Sie, Herr Dr. Braun, als Vorsitzender des Programmausschusses und an die Mitglieder des Programmausschusses. Wir haben den Bogen gespannt von der Eröffnung mit den Themen soziale und politische Aufgaben, Gesundheitswesen, Wissensgesellschaft, internationale Aspekte, gesamtökonomische Herausforderungen und sind dort eben wieder gelandet. Wir haben die Sicht des Arztes, der IT-Unternehmen betrachtet, wie Fallbeispiele aus der integrierten Versorgung, haben die Podiumsdiskussion zum Thema ITK als Innovationsmotor für oder durch eHealth, haben heute einige Infrastrukturtechnologiethemen und Prozesstechnologien im Datenschutz behandelt. Wenn man insgesamt alle Aspekte betrachtet, haben wir den Patienten und Bürger hoffentlich nicht aus den Augen verloren bei der gesamten Diskussion. Er steht immer noch im Mittelpunkt. Wir haben ansatzweise die Aspekte der Kostenträger der Leistungserbringer behandelt. Wir haben die rechtlichen Fragen, die sehr gravierend sind, zum Datenschutz und Datensicherheit heute noch einmal intensiv diskutiert. Die technischen Themen waren wie auch geplant nicht dominierend, sondern nur ein Teil unserer Diskussion und zum Schluss haben wir noch einmal die ökonomischen Fragen in den Vordergrund gestellt. Ich denke, wir haben damit einen Anfang zu dieser gesamten Diskussion gemacht. Der Münchner Kreis ist dafür bekannt, dass er interdisziplinär arbeitet und nicht eine Massenveranstaltung durchführt, wo möglichst viele Vorträge abgespult werden zu bestimmten Themen, sondern wo wirklich versucht wird, intensiv einen Dialog zu beginnen. In der Pause habe ich auch von einigen Teilnehmern erfahren, dass es gut wäre, wenn wir einzelne Themen in einer ähnlichen oder anderen Form in der nächsten Zeit weiter vertiefen. Ich darf mich bei Ihnen allen bedanken, vor allen Dingen hier noch einmal bei den Podiumsteilnehmern und allen, die gestern und heute mitgewirkt und teilgenommen haben. Ich wünsche Ihnen einen guten Nachhauseweg.
Anhang
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Anhang Liste der Referenten und Moderatoren/ List of Authors and Chairmen Dipl.-Ing. Volker Apel
Jürgen W. Heike
T-Systems International GmbH Hahnstr. 43d 60528 Frankfurt am Main
Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Winzererstr. 9 80797 München
Dr.-Ing. Günter Braun Siemens AG Leiter Healthcare Solutions Communications Enterprise Otto-Hahn-Ring 6 81739 München
Dr. med. Thomas Heil Fasanenstr. 42 10719 Berlin
Prof. Dr. med. Reinhard Busse
Dr. med. Markus Holtel
Technische Universität Berlin Fachgebiet Management im Gesundheitswesen Sekr. EB 2 Straße des 17. Juni 145 10623 Berlin
Kalandsweg 11a 59348 Lüdinghausen
Dr. med. Bernhard Clasbrummel BG-Kliniken Bergmannsheil Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum Prof. Dr.-Ing. Jörg Eberspächer Technische Universität München Lehrstuhl für Kommunikationsnetze Arcisstr. 21 80290 München
Stefan Holtel Vodafone Pilotentwicklung GmbH Chiemgaustr. 116 81549 München Dr. med. Siegfried Jedamzik 1.Vorsitzender Regionales Praxisnetz GOIN e.V. Oberer Grasweg 45 85055 Ingolstadt Dr. Joachim Kartte Roland Berger Strategy Consultants Alt Moabit 101 b 10559 Berlin
Norbert Englert Vice President Business Area eHealth IBM Business Consulting Services Wilhelm-Fay Strasse 32 65936 Frankfurt am Main
Bernd Kuhlin Siemens AG Ltr. Gesch.Gebiet Enterprise Systems Hofmannstr. 51 81359 München
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Dr. Josef Lauter Philips GmbH Forschungslaboratorien Weißhausstr. 2 52066 Aachen Prof. Dr. Reiner Leidl Universität München Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen Ludwigstr. 28 RG 80539 München Dr. Matthias Matzko Imaging Service Ag Kompetenznetzwerk Telemedizin Curt-Zechbauer-Weg 5 82343 Niederpöcking
Anhang
Prof. Dr. Hans-Ulrich Prokosch Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Lehrstuhl für Medizinische Informatik Krankenhausstraße 12 91054 Erlangen Dr. Roland Raschke General Manager Germany Fujitsu Laboratories of Europe Rheinstr. 75 64295 Darmstadt Prof. Dr. med. Jens Ricke Klinik für Strahlenheilkunde Charité Virchow-Klinikum Universitätsmedizin Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
Dr. med. Axel Munte Vorsitzender des Vorstandes Kassenärztliche Vereinigung Bayerns Elsenheimerstr. 39 80687 München
Prof. Dr. med. Dipl.-Kfm. (FH) Rolf-Rainer Riedel Rheinische Fachhochschule Köln Medizin-Ökonomie Hohenstaufenring 16-18 50674 Köln
Prof. Dr. Michael Nerlich Klinikum der Universität Regensburg Abt. für Unfallchirurgie Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93042 Regensburg
Prof. Dr. Jörg Sauerbrey Siemens AG Com ESY SEC Charles-de-Gaulles-Str. 2-3 81730 München
Dr. Helmut Platzer Vorstandsvorsitzender AOK Bayern Carl-Wery-Str. 28 81739 München
Robert Schneider SCM Microsystems GmbH Oskar-Messter-Straße 13 85737 Ismaning
Dr. Elisabeth Pott Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Ostmerheimer Str. 220 51109 Köln
Dipl.-Ing. Alexander Scholz Technische Universität München Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik Arcisstr. 21 80290 München
Anhang
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Dr. Grzegorz Sibiga
Prof. Dr. Marie-Theres Tinnefeld
ul. Rodakowskiego 11/27 43-100 Tychy Polen
Stolzingstr. 41 81927 München Reinhard Vetter
Prof. Dr. Ulrich Sieber Direktor Max-Planck-Institut für ausländisches und intern. Strafrecht Günterstalstr. 73 79100 Freiburg Prof. Dr.-Ing. Heinz Thielmann Fraunhofer Institut f. Sichere Informationstechnologie SIT Rheinstr. 75 64295 Darmstadt
Bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz Prinz-Ludwig-Str. 9 80333 München
Anhang
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Programmausschuss / Program Committee Dr.-Ing. Günter Braun Siemens AG Leiter Healthcare Solutions Communications Enterprise Otto-Hahn-Ring 6 81739 München Prof. Dr.-Ing. Jörg Eberspächer Technische Universität München Lehrstuhl für Kommunikationsnetze Arcisstr. 21 80290 München Prof. Dr. Thomas Hess Universität München Institut für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien Ludwigstr. 28 80539 München David Hoeflmayr Vice President International debitel AG Gropiusplatz 10 70563 Stuttgart Dr. med. Markus Holtel Kalandsweg 11a 59348 Lüdinghausen Prof. Dr.-Ing.Dr.h.c. Paul J. Kühn Universität Stuttgart Institut für Kommunikationsnetze und Rechnersysteme Pfaffenwaldring 47 - ETT II 70569 Stuttgart Prof. Dr. Reiner Leidl Universität München Lehrstul für BWL Ludwigstr. 28 80539 München
Harald Nawo Microsoft Deutschland GmbH Konrad-Zuse-Str. 1 85716 Unterschleißheim Wilhelm F. Neuhäuser Direktor IBM Deutschland Entwicklung GmbH Schönaicher Str. 220 71032 Böblingen Prof. Dr. Dres. h.c. Arnold Picot Universität München Institut für Information, Organisation und Management Ludwigstr. 28 80539 München Dr. Hans-Peter Quadt Kanzler Fachhochschule der Deutschen Telekom Gustav-Freytag-Str. 43-45 04277 Leipzig Dr. Roland Raschke Fujitsu Laboratories of Europe Rheinstraße 75 64295 Darmstadt Thomas Sichert IABG mbH Telekommunikation Einsteinstr. 20 85521 Ottobrunn Prof. Dr. Ulrich Sieber Direktor Max-Planck-Institut für ausländisches u. internationales Strafrecht Günterstalstr. 73 79100 Freiburg
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Anhang
Prof. Dr.-Ing. Ralf Steinmetz
Prof. Dr. Marie-Theres Tinnefeld
Technische Universität Darmstadt Multimedia Kommunikation KOM Merckstr. 25 64283 Darmstadt
Stolzingstr. 41 81927 München
Prof. Dr.-Ing. Heinz Thielmann Fraunhofer Institut f. Sichere Informationstechnologie SIT Rheinstr. 75 64295 Darmstadt