steckf voller A n r e g u n g e n , mif deren Hilfe jeder Junge und jedes M ä d e l a u d i ohne Vorkenntnisse eine g a...
73 downloads
532 Views
1019KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
steckf voller A n r e g u n g e n , mif deren Hilfe jeder Junge und jedes M ä d e l a u d i ohne Vorkenntnisse eine g a n z e W e l t f r ö h l i d i e r u n d nützlicher Dinge hervorzaubern k a n n . Nur w e n i g e W e r k z e u g e und w e n i g Material w e r d e n b e n ö t i g t , u n d was das Schönste an der Auswahl ist: a l l e Altersstufen v o m Jüngsten bis zu d e n „ G r o f t e n " finden, was ihnen Freude macht. Ein eigener Bastelkurs führt in d i e A r b e i t e n ein.
Für f r o h e S t u n d e n a n langen Winterabenden
250 Bastelarbeiten v o n A l b e r t F a b i a n und Susanne Ströse 216 Seiten • 468 A b b i l d u n g e n G a n z l e i n e n mif G o l d p r ä g u n g und farbigem Schutzumschlag
DM 2.22 VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU . M Ö N C H E N • INNSBRUCK • ÖLTEN
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN N AT U R - U N D K U LTU R K U N D LI C H E H E F T E I
E. von Beöczy
ZUCKER aus Hübe und Rohr Vom Wildhonig bis zum künstlichen Süßstoff
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAUMÜNCHENINNSBRUCKOLTEN
Zädcerrüben-Sämaschine
Auf einem Friedhof im Osten wischen Weizen- und Rübenfeldern liegt im niederschlesisehen 'Land, an der Straße, die von Wohlau nach Krehlau führt, ein kleiner einsamer Friedhof, den eine verwitterte Steinmauer umhegt. Uralte Linden und Buchen überschatten die Graberreihen. Durch das wildwuchernde Gezweig der Heckenrosen, durch das Gewirr der Efeuranken ist hier und da noch eine Inschrift zu erkennen: Namen und Berufsangaben, Jahreszahlen, beziehungsvolle Bibelsprüche und Worte liebenswerten Gedenkens. Schlicht und bescheiden findet sich an einem der Gräberwege die Ruhestätte des Mannes, dem Europa eines der wertvollsten und volkstümlichsten Nahrungs- und Genußmittel verdankt. „Franz Karl Achard" steht auf dem Grabstein und darunter das Geburts- und Todesdatum: „Geb. 28. 4. 1753 in Berlin. Gest. 20. 4. 1821 in Kunern."
Wenige Kilometer entfernt liegt dieses Kunern, wo Franz Karl Achard gewirkt hat und gestorben ist. Bis vor Jahren konnte man im Dorfe noch die Reste eines Bauwerkes sehen, dem für die Ernährung eines großen Teils der Menschheit ehrwürdige Bedeutung zukam. Es waren die Mauern der ersten Rübenzuckerfabrik d.er Welt, und Achard war es, der sie errichtet hatte.
* Es war vor eineinhalb Jahrhunderten, als Franz Karl Achard daranging, statt des durch Zölle, Seetransporte und Händlergewinne sehr teuren Kolonialzuckers aus der Zuckerrohrpflanze der heißen Zonen einen billigeren Zucker aus der einheimischen Runkelrübe auf den Markt zu bringen und ihn in Europa alltäglich zu machen. Zucker aus Rüben! — Seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts ist er aus unseren Haushaltungen, Rezeptbüchern und der Nährmittelindustrie nicht mehr wegzudenken. Er ist ein Volksnahrungsmittel geworden, wie Brot und Kartoffeln es schon lange waren. Er gehört zu Gebäck, Kuchen und Süßspeise, zu Kaffee, Kakao, Tee und anderen Getränken. Die Hausfrau braucht ihn zum Konservieren und Süßen von Obst und Marmelade, er ist nährender und süßender Bestandteil von Schokolade, Zuckerwaren und vielen Heilmitteln. Es sind große Mengen, die der Mensch im Laufe eines Jahres an Zucker in der verschiedenartigsten Anwendung zu sich nimmt. In normalen Verbrauclierzeiten waren es in Deutschland volle 25 kg je Kopf und Jahr. Da der Zucker hohen Wärmewert hat, ist es verständlich, daß südlichere Länder — in Europa vor allem-uie Bewohner der drei großen südlichen Halbinseln — sich mit 4 bis 12 kg begnügten, während andererseits der Zuckerbedarf und -verbrauch auf der nordischen, kälteren Halbinsel, in Schweden und Norwegen, mit rund 50 kg je Kopf und Jahr doppelt so hoch lagen wie in Deutschland. Doch auch die Vereinigten Staaten von Nordamerika verbrauchten mit 45 kg fast so viel wie Schweden. Im Kriege mußten diese Mengen ganz außerordentlich herabgesetzt werden; ein Kriegsgefangener in England erhielt 25 Gramm am Tag oder 9 kg im Jahr, und noch im Jahre 1946 gab es in Teilen Deutschlands nur 20 Gramm je Tag oder 7 kg im Jahre, ganz zu schweigen von den letzten Kriegstagen, in denen es fast überhaupt keinen Zucker mehr gab. In solchen Notzeiten erwies sich erneut, was der Zucker oder sein Fehlen im Ernährungshaushalt unseres Körpers bedeutet und wie sehr wir Franz Karl Achard wegen der Erschließung der Rüben als Zuckerquelle als einen der großen Wohltäter der Menschheit betrachten müssen. 3
Die
verschlossene
Zuckerdose
In der Glasvitrine manch „Guter Stube" von heute oder in den Schaukästen der Heimatmuseen steht noch von Barockzeiten her die ziervoll geschmückte silberne Zuckerdose oder die hübschfarbig lackierte Zuckerschachtel — kostbare Erinnerungsstücke aus Urvätertagen. Oft werden diese Behälter als kleine Schmucktruhen angesehen, da sie verschließbar eingerichtet sind, wenn auch der zugehörige Schlüssel längst nicht mehr auffindbar ist. Den Schlüssel zur Silberdose verwahrte einst die Hausherrin sorgsam vor dem Zugriff der Kinder und selbst des Hausherrn, da der Zuckerinhalt für Festtage gespart werden mußte — für die Kirchweih oder den Christkindetag. Denn Zucker war nicht immer eine so selbstverständliche Sache wie heute, wo die unverschlossene Zuckerdose zum beliebigen Zugreifen wieder auf den Tischen vieler Kaffeehäuser steht. Die Zuckerdose mit dem Schlüssel — sie ist wie ein Sinnbild für die Zuckerarmut früherer Zeiten. Selbst die kärgste Zuteilung in den Kriegs- und Nachkriegsjahren unserer Zeit ist üppig zu nennen gegenüber der Tagesration an Zucker, die noch im 18. Jahrhundert den meisten Familien als Süßwürze zur Verfügung stand. Viel wichtiger war damals der Honig — aber auch Honig war, da der Bedarf weit über der Leistungskraft der Bienenvölker lag, ein feiertäglicher Genuß, und in Zeiten des großen Immensterbens fehlte er oft ganz. So können wir uns den Speisezettel früherer Zeiten nicht „ungesüßt" genug vorstellen. Süße Näscherei der Kinder waren neben selteneren Honig- oder Honiggebäckstückchen vornehmlich die süßen Früchte des Gartens oder des Waldes. Süße Wildbeeren und Wildfrüchte — an ihnen erfreute sich schon das Kindervolk der Vorzeitmenschen, bis eines Tages die Wabe der Wildbienen als reichere Süßigkeitsquelle entdeckt und das Einheimsen von Honig zu einer der wichtigsten Beschäftigungen der Jäger und Sammler der Frühzeit wurde. Honig wurde der erste „Zucker" der Menschheit — der goldgelbe Honig der Wildobstblüten, der dunkelbraune der Tannen, der getönt-gelbe der Lindenblüten und der rötliche Honig der Heide. Den Honig besingen die Dichter der frühen Kulturvölker im Land des Euphrat und Tigris, des Nils und des Judäerlandes. Als „Tau des Himmels" preist ihn die Bibel, Götterspeise nennen ihn die Griechen und Römer, die auch seine heilende Kraft erkannt hatten. Den Germanen galt er als Saft aus der heiligen Esche der Überirdischen, der zur Erde herniederträufle und von den fleißigen Bienen gesammelt werde. Bis 4
Das reife Zuckerrohr wird über vier Meter hoch
in die Zeit der Kreuzzüge kannten die Menschen Mitteleuropas nur den süßen Würzstoff des Bienenhonigs. In dieser Zeit bringen die Handelsschiffe der Kaufherren von Venedig erstmals einen gelbweißen harten Süßstoff aus dem von den Arabern besetzten Osten mit, und er wird auf den Märkten des Abendlandes bald zur begehrten Ware. Da dieser Zucker sehr hoch im Preis steht, benutzen ihn die Käufer nicht als Süßmittel für die Küche, sondern als Arznei gegen Erkältungen und bei der Behandlung von eiternden Wunden, wie auch heute noch in den Krankenhäusern Zucker neben den modernsten Heilmitteln in der Wundbehandlung zuweilen angewandt wird. Dieser Süß- und Arzneistoff war ein Pflanzenzucker — Rohrzucker —, den man aus den Schilfstengeln des Zuckerrohrs gewann. Die Araber hatten die Pflanze und die Kenntnis ihres Anbaus von den Persern übernommen. Im Delta des Euphrat und Tigris, in Ägypten, Nordafrika und auch in Spanien — Ländern, die der Islam beherrschte — wuchsen die Zuckerrohrschilfe unter der heißen Sonne des Südens. Weit ausgedehnte künstliche Bewässerungsanlagen, Kanäle, Rinnsale, Schöpfräder sorgten für reichliche Feuchtigkeit, ohne die das süßhaltige Schilfrohr nicht gedeiht. Da die Pflanze in weiter nördlich gelegenen Breiten Europas nicht in den Saft steigen wollte, behaupteten die mohammedanischen Pflanzer das Monopol im Anbau und im Handel mit Zuckerrohr und Rohrzucker, soweit die abendländischen Märkte in Frage kamen.
Kampf gegen ein Monopol Aber Perser und Araber waren nicht die ersten, die den Wert der kostbaren Nutzpflanze erkannt hatten. Schon Jahrhunderte vor Christi Geburt hatten indische Bauern in den niederschlags- und flußreichen Gebieten südlich des Himalaja und im Stromgebiet des unteren Ganges das süßhaltige Schilf in Pflege genommen. Die indischen Zuckerrohrpflanzer der vorchristlichen Zeit kannten aber noch nicht die Verarbeitung des süßen Saftes zu festkörnigem Zucker. Was sie auf den Markt und in den Handel brachten, war eine sirup- oder honigartige Süßmasse, die in Tonkrügen transportiert und weithin gehandelt wurde. In dieser Flüssigform lernten auch die Soldaten Alexanders d. Gr. den Rohrzucker kennen und verbreiteten nach dem Abbruch des Indienfeldzuges die Kunde von dem „Wunderhonig" aus dem indischen Schilf auch in Europa. 6
'
Inzwischen wanderte das Zuckerrohr von Indien in andere Gebiete Siidasiens, und mit der Pflanze wanderte auch der Name für den süßen Saft mit, der im Altindischen Sackchar genannt wurde. Überall, wo das Zuckerrohr in Farmbetrieben Wurzeln schlug, bildeten sich aus der Wortwurzel Sackchar neue, ähnliche Benennungen für den Süßsaft. Daher erklärt es sich, daß heute fast in allen Sprachen der Name für Zucker unverkennbar auf das alte indische Wort zurückgeht (sucre, sugar, sukker, cucchero u. a.). Der Name übertrug sich dann auch auf die feste Form des Zuckers, der im 3. Jahrhundert n. Chr. erstmals von Zuckerschilfbauern des Zweistromlandes durch Eindicken und Schleudern des Saftes hergestellt wurde. Persien war das erste Land mit Betrieben zur Herstellung von Kristallzucker. Die größten Rohrzuckerfreunde wurden in der Folge die Araber, deren Lieblingsspeisen gesüßte Backwaren sind. Arabische Zuckerbäcker wurden Meister in der Zubereitung erlesener Leckereien mit überzuckerten Nüssen, Mandeln, Rosinen, Früchten, türkischem Honia:, Marzipan. Den Zucker lieferten die zahlreichen Plantagen und Fabriken, die sie in allen durch Klima und Bewässerung geeigneten Landstrichen ihres Riesenreiches eingerichtet hatten und die sie das ganze Mittelalter hindurch betrieben. An Versuchen, das Zuckerrohr auch außerhalb der arabischen Länder in Kultur zu nehmen und dadurch das arabische Alleinrecht zu brechen, fehlte es nicht, auch nicht in Deutschland. Aber das anspruchsvolle, sonnenhungrige Schilf gedeiht nicht unter dem kühleren Himmel des mittleren Europa. Erst im 15. Jahrhundert brachten dann die Entdecker jene tropischen Länder unter den Einfluß der europäischen Seefahrernationen, in denen eigene Zuckerrohrfelder angelegt und ausgenutzt werden konnten. Der erste Einbruch in das arabische Monopol gelang auf diese Weise den Portugiesen, die im Jahre 1420 auf den Kanarischen Inseln vor der afrikanischen Westküste Zuckerrohr zu pflanzen begannen und schone Erfolge erzielten. Schon in den nächsten Jahren brachten die Segelschiffe Proben des kanarischen Zuckers und Sirups in die Heimat. Als Columbus im Jahre 1493 nach seinem Aufenthalt auf den Kanarischen Inseln zu seiner Weiterreise über das Westmeer nach Westindien aufbrach, lagen unter Deck, sorgsam verpackt und unterwegs wie ein Schatz bewacht und betreut, Keimlinge des Zuckerrohres, die auf der Insel San Domingo in die Erde gesetzt werden sollten. Zwanzig Jahre später war aus dieser ersten Anbaufläche eine Zuckerrohrerzeugung von großer Ausdehnung ge7
worden, die sich über viele der regen- und sonnenreichen Inseln vor der Küste Mittelamerikas erstreckte. Im Jahre 1515 brachte ein Heimkehrerschiff den ersten Westindien-Rohrzucker nach Spanien. Europa hatte künftig seine eigene Zuckerproduktion. 100 Jahre später war Rohrzucker einer der wichtigsten Ausführgüter der Neuen Welt. Aus den Zuckerrohrplantagen Mittel- und Südamerikas stammten auch die Pflanzen, die von den Holländern, Franzosen, Spaniern nach Indonesien, Madagaskar und den Philippinen verbracht wurden, um dort zu Mutterpflanzen für riesige Pflanzungen zu werden, die zum Teil heute noch einen Teil des Weltbedarfs decken. In den europäischen Städten sorgten Zuckersiedereien für die Verarbeitung der Einfuhr. Trotzdem blieb der Rohrzucker immer eine Mangelware, da die Anbaugebiete in aller Welt den Hunger nach der süßen Kostbarkeit niemals zu stillen vermochten. Zuckerrohr ist ein saftreiches Riesengras, «las vier bis sechs Meter hoch wird und zu einem undurchdringlichen Dschungel zusammenwächst. Die oftmals armdicken Stengel enthalten bis zu 90 Prozent des Rohrgewichtes an süßem Saft, der nach der Verarbeitung den reinen Ri. hrzucker ergibt. 12 bis 22 Monate braucht das Zuckerrohr, dessen Saatpflanzen aus den Keimaugen der Halmstücke gewonnen werden, zu seiner Entwicklung. Kurz vor der Blüte werden die Halme des Schilfdickichts mit großen Haumessern oder mit den Schneidemessern der Erntemaschinen abgeschnitten und die Spitzen und Blätter von den Stengeln entfernt. Die Stengel kommen in die Fabrik, wo sie zerstückelt und mit großen Stahlwalzen ausgepreßt werden. Der so gewonnene Saft enthält bis zu 18%> Zucker und wird nach einer Reinigung eingedampft, bis man den Zucker in Kristallform erhält. Der verbleibende Rückstand wird meist zu Rum vergoren. Die ausgepreßten Stengelreste aber ergeben ein gutes Brennmaterial oder Rohstoff für die Herstellung von Faserplatten.
Zucker aus der Runkelrübe Die Süße des Zuckerrohrsaftes hatte indes schon manchen gelehrten Mann und Naturforscher Ausschau halten lassen nach einheimischen Pflanzen, die vielleicht in ähnlicher, wenn auch nicht gleich ergiebiger Weise wie das Schilfrohr zur Zuckerbereitung ausgenutzt werden könnten. Besonders in den Kriegszeiten des 17. und 18. Jahrhunderts suchte man nach solchen Pflanzen und prüfte vor allem Hirse, Mangold und Ahorn auf ihre Verwendbarkeit. 8
Gab es keine Möglichkeit, Zucker auch in Mitteleuropa, in Deutschland, zu erzeugen, um vom Ausland unabhängig zu werden? Diese Frage stellte sich vor mehr als 200 Jahren auch der Berliner Mediziner und Chemiker Andreas Sigismund Marggraf. Er machte sich an die Arbeit und untersuchte die verschiedenen Pflanzen der heimatlichen Erde auf ihren Zuckergehalt. Viel war es nicht, was er fand. Am günstigsten lag das Ergebnis noch bei der Runkelrübe, die man schon seit Jahrhunderten als Viehfutter anzubauen pflegte. Die Runkelrübe enthielt etwa l,6°/o Zucker, und Marggraf wies nach, daß der Rübenzucker die gleiche chemische Zusammensetzung, wie der Rohrzucker besaß. Marggraf war Gelehrter und kein Praktiker. Sein Schüler und Nachfolger aber verband beide Eigenschaften. Es war der Mann, dessen Grabstätte wir eingangs besuchten: Franz Karl Achard. Von Beruf war Achard Physiker und Chemiker. Schon mit 29 Jahren wurde er Direktor der Physikalisehen Klasse der Akademie der Wissenschaften in Berlin und gab bereits zwei Jahre nach dieser ehrenvollen Ernennung ein vierbändiges Werk über die Experimentalphysik heraus. Seit 1786 führte er die Versuche seines Lehrers Marggraf fort und beschäftigte sich neben seiner Tätigkeit als Akademielehrer auf seinem Gute Kaulsdorf bei Berlin auch mit dem Anbau und der Züchtung einer zuckerreicheren Runkelrübe und mit dem Problem, den Zucker, der in diesen Rüben enthalten war, auf ergiebige Weise physikalisch oder ehemisch „herauszuziehen" und in Kristallform rein darzustellen. Freilich waren seine Versuche keineswegs billig. Als er aber nach 13jähriger zäher Arbeit Rüben mit einem Gehalt von 6 bis 9% Zucker vorweisen konnte, wurde die preußische Regierung auf seine Forschungen aufmerksam und unterstützte ihn in jeder Weise. Man ahnte, wie wichtig seine Arbeiten für die Volksernährung werden könnten. Um das Jahr 1800 waren Achards Versuche soweit fortgeschritten, daß er daran denken konnte, eine fabrikmäßige Zuckerherstellung zu wagen. Es hatte sich bei seinen Untersuchungen ergeben, daß die Rüben um so mehr Zucker enthielten, je besser der Boden war, auf dem sie wuchsen. Der Boden der Mark Brandenburg, wo Kaulsdorf lag, war mit seinem Sand für die Fortführung der Rübenzüchtung nicht sehr geeignet. Achard mußte auf bessere Böden umsiedeln. König Friedrich Wilhelm III. gewährte ihm ein Darlehen von 50 000 Thalern zum Ankauf eines Gutes mit gehaltvollerem Rübenboden und zugleich zur Errichtung einer ersten Versuchszuckerfabrik. 9
Achard erwarb das Rittergut Kunern im Kreise Wohlau in Niederschlesien rechts der Oder und schuf dort die erste Rübenzuckerfabrik der Welt. Das war im Jahre 1801. Drei Jahre spater nahm das Werk seinen Betrieb auf. Nur einen Bruchteil des in der Rübe enthaltenen, an sieh schon geringen Zuckergehaltes konnte Achard als Kristallzucker gewinnen. Die technische Einrichtung seiner Fabrik war zu bescheiden. Was er an süßem Ertrag der Rübe abgewann, glich noch keineswegs dem schönen weißen Zucker, wie wir ihn kennen, sondern dem braunen, unregelmäßig geformten großen Stücken des Kandiszuckers. Aber es war immerhin ein Anfang. Kaum war Achard, auf diesen ersten Ergebnissen aufbauend, zu neuen wertvollen Erkenntnissen gelangt, als die Fabrik im Kriege 1806/07 völlig zerstört wurde. In dieser Zeit kam ihm ein politischer Umstand zu Hilfe: die sogenannte Kontinentalsperre, die Blockade, die Napoleon in den Jahren von 1806 bis 1813 über den Handel mit englischen Waren verhängte. Kein Stückchen Rohrzucker kam mehr auf normalen Wegen in die deutschen Länder. Aber wie immer in Kriegszeiten war der Hunger nach etwas Süßem besonders groß. In allen Kreisen der Bevölkerung las man daher mit größtem Interesse das dreibändige Werk Achards über „Die Europäische Zuckerfabrikation aus Runkelrüben", in dem er die Erfahrungen mit der ersten Zuckerfabrik niedergelegt hatte. Es war in den Jahren nach dem Brand seiner Fabrik entstanden, in denen er zur Untätigkeit verurteilt gewesen war. 1812 erlebte das Buch eine zweite Auflage. Der finanzielle Gewinn aus dieser Arbeit ermöglichte dem Forscher den Wiederaufbau seiner zerstörten Betriebe, und zwar diesmal fast ohne Staatsbeihilfe, da Preußen nach dem Kriege keine Mittel für solche Forschungsaufgaben mehr flüssig machen konnte. Die neue Fabrik in Kunern wurde auf Grund der früheren Erfahrungen wesentlich verbessert und diente jetzt in erster Linie als Versuchs- und Lehranstalt, während nach ihrem Muster an mehreren Orten in Deutschland weitere Zuckerfabriken nach Achards Vorschlägen errichtet wurden. Bis zu seinem Tode im Alter von 68 Jahren arbeitete der Pionier der deutschen Zuckerindustrie unentwegt weiter an seiner Aufgabe. Andere haben sein Werk fortgesetzt. Wie bei der Einführung der Kartoffel traten aber auch bei der Zuckergewinnung aus Runkelrüben viele Schwierigkeiten auf. Sie ergaben sich weniger aus der Kultur der neuen Rübenart oder aus der Technik der Zuckerherstellung; vielmehr war es die Kurzsichtig10
keit jener „überklugen" Mitmenschen, die allem Neuen von vornherein Widerstand entgegensetzten, „Wie? Der schöne weiße, kristallreine Zucker mit seinem köstlichen Süßgeschmack soll jetzt aus einem Viehfutter hergestellt werden? Und das sollen wir essen?" Doch auch diese Stimmen konnten allmählich zum Schweigen gebracht werden, und der Rübenzucker trat in Deutschland, trat in ganz Europa seinen Siegeszug an, zumal man gelernt hatte, das gelbbraune Zuckerprodukt in weißen Kristallzucker zu verwandeln. Schon bald wanderte die neue Rübenart nach den Vereinigten Staaten aus und ist dort neben dem Zuckerrohr der Hauptzuckerlieferant geworden. Etwa ein Fünftel des in Amerika gewonnenen Zuckers stammt heute aus der Zuckerrübe. Freilich war es notwendig, den Zuckergehalt der Rübe noch weiter zu erhöhen, während andere Stoffe, die in ihr enthalten waren, die Eiweißstoffe und Salze, welche die Zuckergewinnung erschwerten, möglichst verringert werden mußten. Es war eine langwierige und mühsame Arbeit, zumal man die Vererbungsregeln, nach denen heute die Züchtung erwünschter Eigenschaften in einer Pflanze erfolgt, noch nicht kannte. Heute liegt der Zuckergehalt der Rübe mindestens auf gleicher Höhe wie beim Saft der Zuckerrohrpflanze; doch bleibt der Süßgehalt immer von der Sonnenscheindauer abhängig. In regnerischen Jahren beträgt er etwa 16°/o, steigt aber in sonnigen Sommern auf über 20°/o. Auch die Technik der Zuckergewinnung konnte laufend soweit verbessert werden, daß heute durchschnittlich 15°/o des mittleren Rübengewichtes als Weißzucker in die Hand der Hausfrau oder in die Süßwarenindustrie gelangen. Der einst hochbegehrte und kostspielige Rohrzucker ist dank Achars Forschungen und Erfolgen in Deutschland und Europa fast ganz vom Rübenzucker verdrängt worden. Von der Weltzuckererzeugung, die etwa 35 Millionen Tonnen beträgt, stammen rund 40 Prozent aus der Zuckerrübe. Entsprechend groß ist der Anteil der Zuckerrübe an der Gesamtheit der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Vor dem ersten und vor dem zweiten Weltkrieg wurde in Deutschland Jahr für Jahr fast eine halbe Million Hektar Land mit Zuckerrüben bestellt. Das war ungefähr ein Viertel der Fläche, die dem Weizenanbau diente. Während aber der Weizenanbau, unabhängig von Krisenzeiten, fast immer auf gleicher Höhe bleibt, pflegt der Zuckerrübenanbau in ungünstigen Zeiten stark zurückzugehen, da er sehr kostspielig ist und sehr viel Arbeit erfordert. Man könnte die Zuckerrübenanbaufläche in den einzelnen Jahren geradezu als einen Gradmesser der Landwirtschaft ansehen. 11
Die jährlichen Ertrage sind je nach der Witterung Schwankungen unterworfen. Der Gesamtdurchschnitt lag in Deutschland in der letzten Zeit bei etwa 600 Zentner je Hektar, d. h. auf einer Fläche von 100 mal 100 Meter; das entspricht ungefähr 90 Zentner Zucker. Im allergünstigsten Falle kann ein Hektar Land bis 1000 Zentner Rüben erbringen; aber es sind auch völlige Mißernten möglich, wenn die Witterung oder die sonstigen Umstände gar zu schlecht sind. Die Gesamtdurchschnittsernten liegen in Polen um 2 5 % niedriger als in Deutschland, in manchen Balkanländern sogar um 30 bis 35%). Diese Zahlen sprechen eine beredte Sprache; denn keine andere Frucht macht dem Bauern soviel Arbeit und soviele Kosten wie die Zuckerrübe.
Vom Samenkorn zur Zuckerrübe Mehrere Arten stehen dem Bauern heutzutage zur Auswahl zur Verfügung, und er verwendet sie je nach Bodengüte und je nach der Entfernung von der Fabrik. Verhältnismäßig geringe Ansprüche an den Boden stellen die sogenannten E-Rüben, ertragreiche, dafür aber etwas zuckerarme Rüben, die vor allem bei nahe gelegenen Zuckerfabriken in Frage kommen, weil dann die Frachtkosten nicht sehr ins Gewicht fallen. Die suckerreichen Z-Rüben verlangen jedoch beste Boden und sehr sorgfältige Pflege; da die Masse der Z-Rüben bei sehr hohem Zuckergehalt gering ist, können diese Rüben auch die hohen Frachtkosten nach entfernter gelegenen Fabriken vertragen. ZZ-Rüben sind noch zuckerreicher und noch geringer an Gewicht. Zwischen den E- und den Z-Rüben liegen die normalen N-Rüben mit einem mittleren Zuckergehalt bei mittlerer Gesamtmasse und mittleren Bodenansprüchen Von jeder dieser Arten gibt es noch verschiedene Sorten für besondere Verhältnisse und Ansprüche, so daß der Bauer reichliche Möglichkeiten hat. Wenn die verschiedenen Rübensorten auch unterschiedliche Bodenansprüche stellen, so haben doch alle Zuckerrüben eins gemeinsam: sie verlangen alle mehr oder weniger schweren Boden, der sich in bestem Zustand befindet und ausreichenden Kalkgehalt aufweist. In Deutschland sind solche Böden nicht allzu häufig. Dazu kommt, daß die Zuckerrübe viel Wärme und Sonne haben muß, wenn sie gedeihen und genügend Zucker liefern soll. Ein nebliges und regnerisches Klima befriedigt ihre Ansprüche nicht. Die größten Anbaugebiete Westdeutschlands liegen daher auch dort, wo gute Böden und zugleich ein sonniges Klima vorherrschen. 12
Weitaus am bedeutendsten ist die Gegend nördlich des Harzes, in und um Braunschweig, bei Peine, Hildesheim, Wolfenbüttel und Helmstedt. Fast ebenso wichtig ist die Landschaft westlich des Rheins bei Köln, umgrenzt etwa von den Städten Aachen, Rheydt, Köln, Bonn und Düren. Nicht so groß ist die Fläche in der Gegend von Worms und noch kleiner diejenige bei Würzburg-Kitzingen und nördlich von Offenbach, in der Gegend des mittleren Neckar, und endlich südlich der Donau, von Regensburg bis in die Höhe von Deggendorf. Aber auch bei Uelzen und südlich des Harzes finden wir noch Flächen mit Zuckerrüben bebaut. Große Anbaugebiete liegen in der Ostzone, in der Gegend von Halle und Magdeburg, sowie in Sachsen. In dem von Polen verwalteten Gebiet war es vor allem Schlesien links der Oder, das große Flächen mit Rüben bestellte. Im ganzen gingen durch die künstliche Grenzziehung längs der OderNeiße etwa 25 bis 26°/o der gesamten deutschen Zuckerrübenanbaufläche für unsere Ernährung verloren. Das erscheint besonders schwerwiegend, wenn man bedenkt, daß die Zuckerrübe nicht jedes Jahr auf dem gleichen Feldstück angebaut werden kann, weil die Gefahr der Verseuchung durch einen Pflanzenschädling, die Rübennematode, zu groß würde und sich auch Abbauersdieinungen einstellen könnten. Vier Jahre muß der Bauer mindestens verstreichen lassen, bevor er wieder Rüben auf einem abgeernteten Felde anbauen kann. Eine sorgfältige Eingliederung der Rübe in die sogenannte „Fruchtfolge" des Betriebes ist unerläßlich. Aber alle Mühe, alles sorgfältige Planen lohnt sich nicht nur wegen der Zuckergewinnung. Der Bauernhof zieht aus der Rübe noch manch anderen Nutzen. Die Rübenblätter liefern dem Landwirt ein vorzügliches Viehfutter, so daß er mehr Rindvieh halten kann, mehr Milch gewinnt und mehr Mist erhält, den er für den Rübenanbau dringend benötigt. So bedeutet der Zuckerrübenanbau für den Landwirt eine hohe Leistungssteigerung im ganzen Betrieb, die freilich mit viel Arbeit erkauft werden muß. Denn es ist ein langer Weg vom Samenkorn bis zur fertigen Zuckerrübe und weiter bis zum fertigen Weißzucker auf dem gedeckten Kaffeetisch, und viele Hände müssen sich regen, bevor das kristallene Weiß seinen Zweck erfüllen kann.
Der „hineingehackte" Zucker Schon etwa anderthalb Jahre, bevor wir den Zucker in die Kaffeetasse geben können, setzen die ersten Vorarbeiten zu seiner Herstellung ein. Wenn im Juli oder August die goldenen Weizengarben 13
auf dem Erntewagen das Feld verlassen haben, legt ein sogenannter Schälpflug die Stoppeln des abgeernteten Feldes ganz flach um, damit die ausgefallenen Körner und die Unkrautsamen keimen können; denn sie müssen, solange sie jung sind, bei den anschließenden Arbeiten vernichtet werden. In günstigen Gegenden kommt mit der Schularbeit wohl auch zugleich eine Futterzwischenfrucht in den Boden. In den nebligen und kalten Novembertagen bringt der Bauer dann den Mist aus seinen Ställen, den er lange Zeit sorgfältig aufbewahrt und gepflegt hat. auf das Feld, breitet ihn aus und pflügt ihn unter. Damit die Rübe spater eine genügende Bodentiefe vorfindet, wird der Boden so tief wie möglich umgewendet. Heute wird diese schwere Arbeit wohl meist mit dem Motorpflug oder gar mit dem Dampfpflug ausgeführt. Unter dem umgewendeten Boden liegt oft noch eine feste Erdschicht, die der Rübe später bei ihrem Wachsen in die Tiefe hinderlich ist. Um auch diese Schicht etwas aufzulockern, setzt der Bauer an seinen Pflug noch einen Untergrundlockerer an. Er ist so eingerichtet, daß er die wenig fruchtbaren Tiefenschiebten zwar durchfurcht, sie aber nicht an die Oberfläche bringt, wo sie nicht nützlich wären. Nach dieser schweren Arbeit bleibt das Feld ohne jede weitere Bearbeitung „in rauher Furche41", wie der Landwirt sagt, über Winter liegen. Tief dringt der Frost in die Erdoberfläche ein und zersprengt die einzelnen Bodenteilchen und lockert so die Krume ohne menschliche Beihilfe. Wenn der Frühling seine ersten Boten in die erwachende Natur sendet, herrscht an einem schönen Apriltage wieder emsiges Leben auf unserem Feldstück. Und wenn wir genauer zusehen, können wir leicht die Reihenfolge der vielfältigen Arbeiten erkennen, mit denen der Boden für die Aussaat der Zuckerrübe endgültig vorbereitet wird. Ein Gespann Pferde zieht einen Holzbalken oder einige eiserne Reifen über das Feld, schräg zu den noch deutlich sichtbaren Pflugfurchen, die durch dieses Uberscbleifen eingeebnet werden sollen. Dam: aber reißt ein Grubber oder Kultivator die Erde wieder auf, schwere eiserne Eggen zerkleinern größere Klumpen, die von der nachfolgenden schweren Ringelwalze weiter zerdrückt werden. Und schon lockert eine kleine Egge die nach der Walze festgedrückte Krume wieder auf. Jetzt kann die Diingerstreumaschine folgen. Phosphorsäure und Kali sowie ein langsam wirkender Stickstoffdünger werden in genau abgemessenen Gaben ausgestreut, damit die Rübenpflanze ihre 14
Nährstoffe genau im Zeitpunkt des Bedarfs fertig zur Aufnahme im Boden vorfindet. Kalk hat der Bauer bereits im Winter gegeben. Noch einmal muß die Egge über das Feld gezogen werden, um die ausgestreuten salzartigen Düngemittel in den Boden zu bringen. Der Rübenacker, der „Rübenschlag", gleicht jetzt in seiner krümeligen Beschaffenheit einem riesigen Gartenbeet. Eine leichte Glattwalze wird herangebracht und glättet die Fläche. Dann erst ist der Acker zur Saat bereit. Außerordentlich sorgfältig stellt der Bauer die Sämaschine ein. Wegen der späteren Pflegearbeiten mit den verschiedensten Geräten und Maschinen achtet er genau auf gleichmäßigen Abstand der einzelnen Rübenzeilen voneinander. Gewichte an den einzelnen Drillscharen sorgen für eine stets gleiche Saattiefe von 3 cm. Etwa* 35 kg Saatgut sollen auf den Hektar fallen. Auf diese Menge ist die Sämaschine vor der Saat genau einzustellen. Der Samen der Zuckerrübe ist etwa erbsengroß, grau und hat eine runzelige Oberfläche. Öffnen wir mit dem Fingernagel ein solches „Knäuel", dann finden wir im Inneren zwei bis fünf einzelne Körnchen, die eigentlichen Rübensamen, von denen jedes eine eigene Pflanze hervorbringt. Damit alle Rüben zugleich keimen und nicht in Hohlräumen zwischen den einzelnen Erdklümpchen verkommen, hängt der Bauer an jede Säschar noch eine schwere Rolle an, welche die gesäten Rübenknäuel gleichmäßig fest in den Boden drückt. Zum Abschluß der Rübenbestellung rauht dann eine kleine Egge den Boden nochmals oberflächlich auf. Nun können unsere Rüben wachsen! Aber zugleich wächst auch etwas anderes: das Unkraut! Hacken, Hacken und wieder Hacken ist die einzige Hilfe dagegen. Der Landwirt nennt eine ganze Gruppe von Pflanzen „Hackfrüchte", weil sie während ihres Wachstums immer wieder diese Pflegearbeit erfordern. Und die Pflanze, bei der das am gründlichsten geschehen muß, ist die Zuckerrübe. „Der Zucker wird in die Rübe hineingehackt", sagt der Bauer. Zwischen den einzelnen Hackarbeiten werden der Rübe immer wieder neue Nährstoffgaben zugeführt, vor allem Stickstoff in der leicht aufnehmbaren Salpeterform. Zum Aufhacken des Bodens fährt der Bauer, lange bevor die ersten kleinen Blättchen die Oberfläche durchbrechen, seine Hackmaschine über das Feld, genau in den Spuren der Sämaschine, nach denen er sich allein richten kann- Er gibt die Blindhacke, wie er es nennt. In einem fahrbaren Rahmen sind kleine Messer befestigt, die zwischen den Pflanzenzeilen den Boden oberflächlich schaben. Da eine solche Maschine nie ganz genau bis dicht an die noch unsicht15
baren Keimlinge heran arbeiten kann, wird sofort anschließend dieselbe Arbeit noch einmal mit der Hand wiederholt. Wenige Tage später geht der Bauer mit der umgehängten Schüssel über das Feld und gibt den eben sichtbar werdenden Pflänzchen als erste Kopf, düneergabe, sozusagen als Frühstück, mit weit ausholenden Armbewegungen ein schnell wirkendes Salpetersalz. Und wieder geht die Hackmaschine über das Feld, diesmal mit Schutzrollen versehen, damit die kleinen Blättchen nicht verschüttet werden können. In schönen geraden Zeilen stehen nun unsere Rüben eng nebeneinander in ihrem frischen Grün auf braunem Grund. Ließe man sie so stehen, so würden sie sich als ausgewachsene Pflanzen gegenseitig bedrängen, und aus keiner könnte etwas werden. Die zuviel vorhandenen Pflanzen werden daher entfernt; die Rüben werden „vereinzelt", wie der Bauer sagt. Man nimmt soviele Pflänzchen heraus, daß die stehenbleibenden einen gegenseitigen Abstand von 20 bis 30 cm haben. Nach Möglichkeit beläßt man vor allem die stärksten Pflanzen. Große Fingerfertigkeit erfordert es, von den zwei bis fünf Jungrüben, die einem einzigen Rübensamenknäuel entstammen und daher sehr eng beieinander stehen, die kräftigste von den benachbarten zu trennen. Es ist eine schwere körperliche Arbeit, tagelang auf den Knien oder in tief gebückter Haltung in der sengenden Junisonne solche Millimeterarbeit zu leisten. Aber leider ist auch diese Arbeit unentbehrlich, und ihre Unterlassung würde zu einem völligen Mißerfolg im Ertrag führen. Anschließend an das Vereinzeln führt der Landwirt den Rüben wieder neue Nahrung in Form von Salpeter zu, und wieder zieht die Hackmaschine ihre Bahn über das Feld. Noch einmal ergreift die Bauersfrau die Handhacke und gibt den Rüben, die jetzt schon recht ansehnliche Pflanzen geworden sind, hinsichtlich Standweite und Unkrautfreiheit den letzten Schliff. Zur Sicherheit und zur abschließenden Bodenauflockerung fährt die Hackmaschine zu guter Letzt erneut durch die Reihen. Erst dann, wenn die Blätter die Furche bedecken, also dann, wenn die Rüben so groß geworden sind, daß sich die Blätter zweier benachbarter Pflanzen berühren,ist die Hackarbeit beendet. Alles Unkraut ist nun vernichtet, ständig konnte die Luft in die obersten Bodenschichten eindringen. Etwa 100 000 Rübenpflanzen stehen jetzt auf dem Hektar. Krankheiten, Feinde und tierische Schädlinge vermindern den Bestand bis zur Ernte noch bis auf etwa 80 000. An Feinden hat die Zuckerrübe nur allzuviele. Tausendfuß und Aaskäferlarven, Drahtwürmer und Engerlinge, Maulwurfsgrille und 16
Rüben-Erntemaschine, die zugleich mehrere Reihen nebeneinander „roden* kann und die Rübenknollen beiseite wirft Rübennematoden, Schildkäfer und Erdflöhe, Gammaeule und Kohlfliege, Rübenblattwespen und Rübenfliegen stechen und saugen über und unter der Erde und müssen bekämpft werden. Bakterienkrankheiten, wie Herz- oder Trockenfäule, Kräuselkrankheit und andere, erfordern die Anwendung moderner chemischer Mittel. Alle diese Krankheiten und Schädlinge kennt der Bauer, er kennt die Gegenmaßnahmen und den Zeitpunkt ihrer Anwendung. Immer wieder überquert er sein Rübenfeld und bewacht seine Pfleglinge mit kritischem Blick, um sofort eingreifen zu können, wenn sie HiJfe brauchen.
An einem Tag im Herbst . . . Wenn die äußeren Blätter unserer Rübenpflanzen zu vergilben anfangen, also etwa von Ende September an, könnte die Ernte beginnen. Gern aber schiebt der Landmann den Erntetermin möglichst weit hinaus, weil er weiß, daß die unterirdischen 'Peile, die eigentlichen Rüben, immer noch wachsen, solange noch grüne Blätter vor17
handen sind. An jedem Tage im Oktober wächst der Gesamtertrag je Hektar noch um etwa zwei Doppelzentner, und im November immerhin noch um einen. Gar zu lange warten will er aber auch nicht, denn bei Frosteintritt sollte die Ernte ziemlich beendet sein, wenn auch einige Grad Kälte den Rüben nicht viel schaden. Die alte Erntemethode, nach der jede Rübe einzeln von der Hand mit Hilfe einer starken zweizinkigen Gabel aus dem Boden gehoben wird, sieht man eigentlich nur noch in sehr kleinen Betrieben. Meist wird heute das vorteilhafte und arbeitssparende sogenannte Pomritzer Verfahren angewendet. Die Rüben werden, noch im Boden stehend, mit einem schaufelartigen, scharfen flachen Eisen, der „Köpfschippe", von ihren Blättern befreit; oder man läßt von Pferden einen Köpfschlitten die Zeilen entlang ziehen, wobei gleichzeitig mehrere Reihen bearbeitet werden. Das Kraut wird viel sauberer und vollständiger gewonnen, als bei den früheren Ernteverfahren. Das ist für den Bauern wichtig, weil die Blätter frisch oder auch nach Konservierung ein vorzügliches Futter für das Milchvieh darstellen. Sie werden sofort, möglichst mit gummibereiften Wagen, abgefahren, damit die noch im Boden steckenden Rüben keinen Schaden leiden. Der Trecker schleppt nun ein schweres Gerät hinter sich her über das Feld, die Rübenrodemaschine. Der Motor muß alle seine Kräfte hergeben. Wer jemals versucht hat, eine ausgewachsene mittelgroße Zuckerrübe aus dem Boden zu heben, der weiß, was das an Kraft erfordert. Geräte, die von Pferden gezogen werden, können daher nur eine einzige Reihe, treckergezogene zwei oder noch mehr Reihen je nach der Motorenstärke gleichzeitig bearbeiten. Gehen wir hinter einer solchen Rodemaschine her, so beobachten wir, wie die Rüben eine nach der anderen durch zwei schräg in die Erde ragende, massive Stahlzinken im Vorwärtsfahren aus dem Boden gehoben werden Tauchen sie dann über der Erdoberfläche auf, so stoßen sie an schräg nach hinten gestellte Eisenstäbe, durch die die Rüben seitwärts abgelegt werden. Eine angehängte Egge wälzt sie einige Male um sich selbst, damit der noch anhaftende Boden durch die Eggenstacheln wenigstens zum Teil entfernt wird. Dann brauchen die Rüben nur noch mit Gabeln zu kleinen Haufen zusammengeworfen zu werden, und sie sind fertig zur Abfuhr. Die Ruhenabfuhr! Ein Kapitel für sich! Meist hat nebliges, kaltes Herbstwetter den schweren Rübenboden in eine zähe Masse verwandelt. Tief versinkt jeder Fuß und jedes Rad im Morast. Oftmals müssen die schweren Rübenwagen vier- und sechsspännig bis auf den 18
festen Weg gezogen werden. Gelegentlich werden auch wohl Feldbahngeleise provisorisch verlegt und wechseln ihren Platz immer wieder, was unendlich viel Arbeit macht. Schließlich aber stehen die Wagen doch auf der festen Straße, bereit, zum Bahnhof in die Waggons oder direkt zur nächsten Zuckerfabrik gefahren zu werden. Wieder kostet das Pferdebeine oder Treckerbrennstoff! Am Bahnhof oder in der Fabrik werden die Wagen gewogen. Es wird festgestellt, wieviel Prozent Schmutz noch an den Rüben haftet, eine Feststellung, die keineswegs überflüssig ist, da bei schlechtem Wetter 10 bis 20% Schmutzanteil keine Seltenheit sind! Proben werden von den Rüben genommen und der Zuckergehalt ermittelt. Beide Probenahmen und das Gewicht sind für den Bauern sehr wesentlich; erfolgt danach doch die Bezahlung seiner Lieferung. Niedrige Schmutzprozente und hoher Zuckergehalt sind das, was er sich wünscht.
Aus Rüben werden Kristalle Wir haben uns zu einer Führung durch die Fabrik angemeldet, ein Ingenieur zeigt uns die riesige Anlage. Etwa 150 Eisenbahnwagen Rüben verarbeitet dieser Betrieb täglich zu Zucker, kleinere Werke mindestens 30 Waggons, da sich noch bescheidenere Anlagen nicht mehr rentieren. Die größte deutsche Zuckerfabrik in Regensburg bewältigt am Tage mehr als 300 Eisenbahnwagen zu je 15 t, verwandelt also gegen 5000 t Rüben je Tag in Zucker! Das sind zehn Güterzüge zu je 30 Waggons! Es sind ausgedehnte Werkanlagen, die für den süßen Kristall sorgen. Alle diese Fabriken arbeiten aber nicht das ganze Jahr über, sondern nur in der sogenannten Kampagne, in der Zeit von Anfang Oktober bis zu den Weihnachten, spätestens bis Mitte Januar. In der übrigen Zeit werden die Maschinen instandgesetzt, die anfallenden Nebenprodukte und Abfälle beseitigt, der gewonnene Zucker abgesetzt und Rohmaterial für die nächste Arbeitszeit beschafft und gelagert. Schon von weitem ragen die hohen Bauten der Zuckerfabrik in unser Gesichtsfeld: die Kesselhäuser, der mächtige Schornstein und an seinen Seiten fast ebenso hohe Stahltürme, die Filtertürme und Kalköfen. Dampfschwaden quellen an vielen Stellen empor, in der Luft liegt ein süßlicher Geruch nach Sirup. Der werkseigene Güterbahnhof steht voll von beladenen und leeren Eisenbahnwagen. Dort, wo die Rüben abgeladen werden, treffen wir auf unseren Begleiter. „Warfen wir erst einen Blick auf die Abiadeeinrichtung!" meint der Ingenieur und weist auf einen merkwürdigen Bau, der torartig 19
auf mehreren schmalen Mauern steht; sie bilden die Durchfahrten für die pferde- und treckerbespannten Bauernwagen. Nicht weit davon arbeitet zwischen den Eisenbahngeleisen eine allseitig schwenkbare Krananlage. Von oben hängen Wasserstrahlrohre herab, die nach jeder gewünschten Richtung über die rübenbeladenen Waggons gelenkt werden können. Ein Mann dreht im Schaltraum über den Durchfahrten die Handräder, und schon schießen dicke Wasserstrahlen auf die Rübenmassen herunter. Weit sind alle Wagentüren geöffnet. Der wasserfallartige Strom spritzt die Rüben von den Wagen in die gemauerte kanalartige Schwemmrinne, die sich längs der Geleise und der Fuhrwerkstraße hinzieht. In einer Minute ist unter dem Druck des auftreffenden Wasserstrahls ein Bauernwagen „abgeladen", in 7 bis 10 Minuten je nach der Größe wird ein Eisenbahnwagen entleert. Wagen auf Wagen fährt unter das Strahlrohr, hält kurz und verläßt abgeladen und triefend die Abladestelle. Tausende von Zentnern werden in kürzester Zeit in die Kanäle und mit dem strömenden Wasser zur Fabrik geschwemmt. Bei dieser Ablademethode wird zugleich der meiste anhaftende Schmutz von den Rüben entfernt. Das Schmutzwasser aus den Schwemmkanälen fließt, nachdem es seine Zuckerrübenlast in der Fabrik abgegeben hat, in große Klärbassins, wo sich die erdigen Bestandteile absetzen; dann wird es aufs neue zum „Abladen" verwendet. Naß, kühl und unfreundlich ist der Raum, in dem die Rüben nach ihrer Ankunft im Fabrikgebäude noch ein letztes Mal gründlich gewaschen werden. In mächtigen, wassergefüllten Eisentrögen wandern sie durch schaufelartig wirkende Rührwerke dem durchströmenden Wasser entgegen. Tropfnaß verschwinden sie mit einem Aufzug nach oben. Viele Treppen geht es jetzt hinauf. Oben sehen wir unsere Rüben wieder, wie sie der Aufzug heraufbringt und in große eiserne Kästen fallen läßt. „Hier werden die Rüben automatisch gewogen", erläutert unser Führer. „Sobald der Kasten voll ist, schließt sich die Zufuhröffnung von selbst, ein Zählwerk notiert die Kastennummer, der Kasten kippt um, die Rüben fallen heraus, der Kasten richtet sich wieder auf, und die nächste Rübenfracht kann eingelassen werden".
* Die gesäuberten und gewogenen Rüben aber wandern in die Schnitzelmaschinen. Im nächsten Saal treten wir vor eine der großen, fast ganz verkleideten Anlagen. Ein meterdickes Rohr führt hinein 20
und ist unten durch eine große Scheibe abgeschlossen, die sich mit großer Geschwindigkeit dreht. Schräggestellte Messer schneiden hier aus den herunterpolternden Rüben handlange, dünne Streifen heraus, die wie Nudeln aus der Schnitzelmaschine austreten und auf einem Transportband gesammelt weitergeführt werden. „Das sind ,unsere' Schnitzel", scherzt der uns begleitende Ingenieur. „Warum wir sie so klein schneiden, werden Sie fragen. Sehen Sie: Der Zucker befindet sich in wassergelöster Form in den mikroskopisch kleinen Pflanzenzellen der Rübenwurzel. Wir müssen ihn von dort herausziehen. Machen Sie einmal folgenden Versuch: Nehmen Sie einen Kochtopf und füllen ihn etwa zur Hälfte mit klarem Leitungswasser. Dann stellen Sie in diesen Topf einen anderen, kleineren, dessen Boden Sie durch eine pergamentartige Membran ersetzt haben. In diesen inneren Topf geben Sie eine Zuckerlösung. Nach einiger Zeit werden Sie feststellen können, daß auch das äußere Wasser süß schmeckt, also Zucker enthält. Ersetzen Sie das äußere Wasser durch neues, so schmeckt auch dieses bald wieder nach Zucker, und Sie können den Versuch solange fortsetzen, bis das Wasser im inneren Topf seinen ganzen Zucker verloren hat. Er ist durch die Membran hindurch diffundiert, wie der Fachmann sagt. In ganz ähnlicher Weise ziehen wir hier in der Fabrik den Zucker aus der Rübe. In der Schnitzelmaschine werden die Rüben in dünne Streifchen zerlegt, damit das auslaugende Wasser eine möglichst große Oberfläche benetzen kann und auch den innersten Pflanzenzellen möglichst nahe ist. Der tief in den Zellen eingeschlossene Zuckersaft wandert durch die membranartigen Zellwände in das umgebende Wasser. Zur Beschleunigung dieses Vorganges verwenden wir warmes Wasser, kochen und pressen die Rüben aber nicht."
* Die Auslaugung — die Diffusion — des Zuckersaftes aus den Zellen der Rübenschnitzel geht in einem andern Fabrikteil vor sich, dort wo die „Diffusionsbatterien" sich erheben. Bis ins obere Stockwerk ragen verdeckt die aufrecht stehenden zylindrischen Kessel mit ihren Bedienungshebeln und Handrädern, mit denen der Wasserstrom und der Weg der Schnitzel reguliert wird. Jeder der 8 bis 10 Kessel, die zu einer Diffusionsbatterie gehören, hat oben durch Schraubdeckel verschlossene Einfüllöffnungen, zu denen das Transportband läuft, das die Schnitzel heranträgt. Wir stehen oben am Ende des Bandes. 21
Ein Arbeiter dreht gerade das große Handrad über einem der Kessel, der Deckel öffnet sich, der Schnitzelstrom ergießt sich ins Innere. In wenigen Minuten ist der Zylinder, der etwa 6 bis 8 Kubikmeter Schnitzelmasse faßt, gefüllt, der Deckel wird wieder geschlossen. Noch einige Drehbewegungen an Griffen und Rädern, und der Wasserstrom füllt das Gefäß. Unsichtbar tut das warme Wasser sein Werk. „Für jeden Doppelzentner Rüben verbrauchen wir bei der Diffusion mehr als einen Doppelzentner Wasser", erklärt der Werksbeamte. „Ist der Auslaugeprozeß beendet, dann sind nur noch 0,2% Zucker in den zurückbleibenden Schnitzeln, dafür aber 15°/o Zucker im Wasser. Diesen hohen Prozentsatz erreichen wir durch einen kleinen Kunstgriff, indem wir die einzelnen Kessel und den Wasserdurchfluß hintereinanderschalten und so den Vorgang mehrmals wiederholen. So haben wir zuletzt den Zucker in fast völlig gelöster Form vor uns. Die ausgelaugten Schnitzel dienen als Viehfutter. Das Zuckerwasser aber wird weiter verarbeitet; denn in dem ,Rohsaft', wie wir ihn nennen, befindet sich noch eine Reihe von Verunreinigungen, die wir entfernen müssen, denn sie hindern den Rohsaft daran, Kristalle zu bilden."
* Der Ingenieur führt uns an ein Fenster und deutet auf einen riesigen runden Eisenturm, aus dem weißer Dampf quillt. „Das ist der Kalkofen, in dem die Reinigung von diesen Stoffen vor sich geht. Sie werden erstaunt sein, daß wir mit Kalk einen so süßen Stoff, wie es der Rohsaft ist, reinigen wollen. Aber es gelingt. Drüben erkennen Sie den Aufzug, mit dem Rohkalkstein, also kohlensaurer Kalk, Marmor oder dergleichen, nach oben gebracht und in den Turm geschüttet wird. Dann kommt eine Ladung Koks hinterher, und dann wieder Kalkstein und so fort. Unten wird Luft oder Sauerstoff eingeblasen und das Ganze von unten her zum Glühen gebracht. Dadurch entsteht gebrannter Kalk und Kohlensäure. Beides verwenden wir zur Reinigung des Rohsaftes. Für je 100 kg Rüben sind ungefähr 5 kg Rohkalkstein und ein reichliches halbes Kilogramm Koks erforderlich. Zunächst geben wir den gebrannten Kalk zu dem Rohsaft. Man kann es diesem großen Behälter von außen natürlich nicht ansehen, wie sich in seinem Inneren unter der Hitzeentwicklung ein umständlicher chemischer Prozeß abspielt, bei dem sich der Kalk mit allen Nichtzuckerstoffen, Eiweißen, Zellresten und Schmutzteilchen verbindet, das Eiweiß zersetzt, die Bak22
terien tötet und sich mit allen anderen Fremdstoffen sättigt. Wir nennen di*«en Vorgang die Saturation, Sättigung. Gleich darauf tritt auch die Kohlensäure in Aktion und wird in das Gemisch eingeblasen. Der Kalk nimmt die Kohlensäure wieder an, löst sich von den Zuckerteilchen. Alle Stoffe, die kein Zucker sind, und der Kalk selber werden dabei zu einem Niederschlag, den wir nun aus dem Zuckersaft entfernen müssen".
* Um uns auch diesen Vorgang an Ort und Stelle zu erläutern, führt uns der Ingenieur in den Raum der Filterpressen. Ein Arbeiter hat gerade eine der Pressen geöffnet; im Inneren erkennt man viele eiserne Rahmen, die mit Tüchern überzogen sind. Durch sie wird der schmutzig-grauweiße Saft gepreßt. Hinter den Tüchern bleibt ein weißlicher Schlamm zurück, der Kalk mit allen Verunreinigungen. Als „Scheideschlamm" wird dieser Rückstand von den Bauern gern als Düngemittel verwandt, da er 55 bis 75°/o kohlensauren Kalk, etwa 2°/o Phosphorsäure und neben sonstigen Bestandteilen noch 10 bis 15°/o verschiedene organische Stoffe aufweist. Er hat aber den Nachteil, daß er eine Menge Wasser enthält, die den Abtransport verteuern, weshalb man dazu übergegangen ist, den Schlamm in der Fabrik vor der Versendung zu trocknen. Von jedem Eisenrahmen der Filterpresse geht ein kleines Röhrchen ab, aus dem eine helle goldgelbe Flüssigkeit rinnt, der Zuckersaft. Nett sieht es aus, die vielen kleinen goldenen Strahlen in eine gemeinsame Rinne fließen zu sehen, von wo sie mit Pumpen einer nochmaligen „Saturation" zugeführt werden. Entweder wird der Saft noch einmal mit Kohlensäure oder aber mit schwefliger Säure behandelt, damit er tadellos rein wird. Dann durchläuft der Zuckersaft die einzelnen Stufen der Verdampfstation, in der möglichst viel Wasser aus dem Saft verdampfen soll, damit der Zucker kristallisch wird.
* Die Verdampfstation befindet sich in einem weiten und hohen Räume. Die riesigen zylindrischen Kessel sind von Handrädern, Manometern und Rohren umgeben. Nur wenige Menschen sind hier zu sehen. „Da wir aus dem Saft den Zucker in fester Kristallform gewinnen wollen", erläutert unser Begleiter, „müssen wir den Wassergehalt der Zuckerlösung allmählich durch Verdunstung soweit herabsetzen, bis die Lösung „übersättigt" ist. Das geschieht mit einer Art Dampfheizung in diesen Kesseln; den Abdampf des einen Kessels verwen23
den wir dabei zur Heizung des nächsten und so weiter. Allmählich verliert der sogenannte Dünnsaft immer mehr Wasser und wird zum Dicksaft, der aber immer noch über 40°/o Wasser enthält. Bis dahin läuft der Saft immer von einem Kessel in den nächsten; jetzt aber, als Dicksaft, geht das nicht mehr. Würde man unter Hitze noch weiter verdampfen wollen, so würde sich der Zucker dunkel färben und sich in andere Zuckerarten zersetzen. Man würde keinen weißen Kristallzucker erhalten, sondern eine mischfarbene Bonbonmasse. Die weitere Verdampfung des noch vorhandenen Wassers erfolgt deshalb unter geringer Hitzeentwicklung. Wie in den luftverdünnten Höhen des Hochgebirges Wasser schon bei einer niedrigeren als der normalen Kochtemperatur siedet, so geschieht der weitere Wasserentzug im Vakuum, im luftverdünnten Räume."
* Die Halle der Vakuumkessel ist ähnlich ausgestattet, wie der Raum, den wir eben verlassen haben. „Jeder Kessel wird in dieser Vakuumstation einzeln beschickt und entleert", fährt der Ingenieur mit seiner Erklärung fort. „Auch diese Kessel enthalten je einen Saft- und einen Heizraum. Durch große Luftpumpen wird in ihnen die Luft über dem Saft laufend verdünnt, so daß die verdampfende Entwässerung diesmal durch Hitze wie auch durch Dünnluft geschieht. Damit die zukünftigen Zuckerkristalle, die hier entstehen sollen, einen Kern vorfinden, um den herum sie sich ausbilden können, geben wir dem Dicksaft eine kleine Menge fertigen Puderzuckers bei, es ist das sogenannte ,Impfen'. Etwa fünf Stunden bleibt der Dicksaft in seinem Kessel. In dieser Zeit bilden sich um die Puderzuckerstäubchen die Zuckerkristalle; sie sind zuletzt so groß, daß sie auf einer Glasscheibe deutlich einzeln erkennbar sind". Der Ingenieur öffnet an einem der großen weißen Kessel einen Schieber und hält eine Glasplatte darunter. Eine dicke braune Masse fließt langsam auf die handtellergroße Platte. Dann hält er die Scheibe vor eine elektrische Lampe, und bei der Durchsicht zeigt sich das Glitzern und Flimmern von tausenden Zuckerkristallen. „Genau so, wie Mutters Sirup zu Hause!" meint einer der Besucher. In der Tat sieht die braune Masse auf der Platte genau so aus. Aber unser Führer berichtigt den Vergleich; das sei nur eine sehr äußerliche Ähnlichkeit. „Sirupe enthalten nur einen geringen Teil von Rübenzucker und bilden eine Mischung von Traubenzucker und Fruchtzucker, aus der nur schwer Kristallzucker entstehen kann. In diesem Dicksaft aber wachsen die Kristalle weiter; und zwar 24
Mit etwa 1000 Umdrehungen in der Minute dreht sich die Zentrifuge und trennt die Zuckerkristalle vom Saft, der durch die feinen Wandporen nach außen geschleudert wird
25
kommt der kristallisierende Saft zu diesem Zweck aus den Vakuumkesseln unter gleichzeitiger Abkühlung in die Rührmaschinen, die großen Trommeln, die Sie dort im Nebenraum stehen sehen". „Wie aber entsteht aus dieser braunen Masse der weiße Zucker?" fragt einer von uns. — Der Weg zum weißen Kristall scheint also immer noch nicht zu Ende zu sein. „Auch das ist ein sehr langwieriges Verfahren", sagt der Werksingenieur, dem wir in den nächsten Saal gefolgt sind. „In den elektrischen Zentrifugen hier laufen Schleudern mit 1000 Umdrehungen in der Minute."
* Der Mann an der Schleuder schaltet den Motor ein. Allmählich schneller werdend, vollführt die Trommel ihren Kreislauf mit tiefem Brummen und einem immer höher steigenden Pfeifton. Erst bei einer bestimmten Geschwindigkeit wird der Zuckerbrei, der von den Rührmaschinen herübergeleitet wurde, in die Zentrifuge gelassen. Der Brei wird durch die Geschwindigkeit der Trommel gegen die Seitenwände geschleudert. Es ist dasselbe, wie wenn ein Imker seinen Honig schleudert. Die Zuckerkristalle können durch die feinen Sieblöcher in den Seitenwänden nicht nach außen gelangen und bleiben im Inneren der Trommel, während der dickflüssige Saft durch die Öffnungen nach außen tritt und an den äußeren Gel\äusewänden herabläuft. Dieser Saft aber enthält immer noch Reste von Zucker. Während die Zentrifuge arbeitet, verfolgen wir den Weg, den der ausgesonderte Saft nimmt. Zunächst wird er noch einmal verkocht und dann noch einmal zentrifugiert. Erst dann ist er praktisch zuckerfrei und dient nun als gutes Viehfutter. Man nennt ihn jetzt „Melasse", die man mit einem anderen Abfallprodukt der Fabrikation, den ausgelaugten Schnitzeln, vermischen kann. Als Melasseschnitzel sind sie ein vorzügliches Futter für das Rindvieh und werden gern von den Landwirten gekauft. Melasse, die nicht in der Mischanlage zu den Trockenschnitzeln gegeben wird, kann auch zur Herstellung von Alkohol Verwendung finden. Inzwischen ist die Zentrifuge abgebremst worden. Im Augenblick des Stillstandes fällt der kristallische Zucker von den Wanden der Schleuder nach unten auf breite Transportbänder, die ihn in das Zuckerlager befördern. Das Produkt hat jetzt eine gelblich-bräunliche Farbe. Die Kristalle haften durch die immer noch vorhandenen Melassereste wie bei tauendem Schnee zusammen. Viele Fabriken gewinnen den Zucker nur bis zu diesem Stadium. Zum Haushalts26
verbrauch aber muß er noch geweißt und getrocknet werden. Das geschieht in der sogenannten Raffinerie, die oft an eine Zuckerfabrik angeschlossen ist. Auch unsere Fabrik ist eine Weißzuckerfabrik, und so können wir den Vorgang hier weiter verfolgen.
* In besonders gebauten Schleudern wird der Rohzucker mit Hilfe von Dampf, Wasser und reinen Zuckerlösungen von den anhaftenden Melasseresten befreit. Auch schweflige Säure wird vielfach verwendet. Unter Ausnützung sogenannter Oberfiächenkräfte benutzt man neuerdings auch Knochenkohle. Neu sind auch die Methoden der Zuckerreinigung durch Kationen- und Anoinenaustauscher, wodurch ein reinerer Zuckergeschmack erzielt wird und das Enderzeugnis auch im Preise billiger gehalten werden kann. Schließlich wird der Weißzucker in großen Rohren getrocknet; ein gefilterter und erhitzter Luftstrom entzieht ihm die Feuchtigkeit. Der fertige Weißzucker wird nun noch durch die Siebe in die verschiedenen Korngrößen sortiert. Stückzucker wird mit Sägen aus großen Tafeln geschnitten, die unter hohem Druck gepreßt worden sind. Zuckermühlen zerkleinern den Zucker zu Puderzucker, und in dieser Form prangt er dann als Zuckerguß auf den Torten des Konditors oder auf den weihnachtlichen Pfefferkuchen.
* Puderzucker ist aber auch das Ausgangsinaterial für die Bonbonfabrikation, die zuweilen ebenfalls an die Zuckerfabriken angeschlossen ist. Der Zucker wird dabei mit Wasser zu einem Brei angerührt und durch Kochen eingedickt. Wie Gummi läßt sich das gläsern durchscheinende Material ziehen und formen. Auf dampfgeheizten Eisentischen wird die Masse zu brotartigen Laiben geknetet. Geschickte Hände drücken Furchen in den Klumpen und füllen sie mit bunten und wohlschmeckenden Würzzutaten. Der Brotlaib kann dann zu großen Längen ausgezogen werden, die oben zusammengedrückten Furchen ergeben dabei die schöne Musterung der Bonbons. Maschinen schneiden die Bonbons in Stücke oder geben ihnen durch Pressung die gewünschte Form. Nach der Trocknung und Abkühlung sind die Süßigkeiten verkaufsfertig. Großhandel und Kleinverkäufer verteilen den fertigen Zucker bis zu den Verbrauchern, nachdem Vater Staat zunächst einen nicht allzugeringen Preisanteil in Form der Zuckersteuer eingezogen hat. 27
„Zuckerfabrik" im Körper Wenn die Mühe und Arbeit, die der Bauer und die Zuckerfabrik bei der Zuckergewinnung aufwenden, nur dazu dienten, die Mensdien mit einem Genußmittel, einer süßen, aber immerhin entbehrlichen Schleckerei zu versorgen, so könnten der Arbeitsfleiß, der große Aufwand und das wertvolle Ackerland sicher für bessere Zwecke eingesetzt werden. Aber der Zucker ist viel mehr als ein Genußmittel, er ist eines der hochwertigsten Nahrungsmittel, die der Mensch überhaupt besitzt. Im menschlidien Körper spielen der Zucker und seine Umsetzungsformen eine lebensnotwendige Rolle. Nehmen wir ein Stückchen Zucker auf die Zunge, so vermitteln uns unsere Geschmacksnerven die Empfindung der Süßigkeit, deutlidi untersdiieden von den drei anderen Geschmacksarten: bitter, sauer und salzig. Während die eigentliche Ursache dieser Geschmacksempfindung nicht geklärt ist, weiß man sehr genau, daß der Zucker im Munde chemisch unverändert bleibt und lediglich durdi den Speichel in schlüpfrige Form überführt wird. Wir speicheln aber jede Nahrung ein, bevor sie durch die Speiseröhre in den Magen gelangt. Die Durchfeuchtung der Nahrung durch den Speichel — es sind etwa ein- bis eineinhalb Liter am Tage — dient nicht nur der Sdilüpfrigmachung der Speisen, die wir hinunterschlucken. Während der Zerkleinerung von stärkehaltiger Nahrung, besonders von Getreide, Brot, Hülsenfrüchten, Kartoffeln, Schalenobst, wird die Stärke in Zucker umgesetzt. Wir können das leicht feststellen, wenn wir ein Stück Brot übermäßig lange kauen; es erhält einen süßen Geschmack. Diese Umwandlung setzt sich im Magen durch andere flüssige Absonderungen, Fermente und Enzyme, fort; dort wird aus allen stärkehaltigen Nahrungsmitteln durch die Magenflüssigkeit der Zucker weiter herausgelöst. Bei der Aufteilung der Stärke in Zucker ist auch das Ferment behilflich, das aus der Bauchspeicheldrüse stammt. Aller verzehrter Zucker und alle in Zucker umgewandelte Stärke gelangt durch die Wände und Zotten des Darmes direkt ins Blut." Das auf diese Weise zuckerhaltig gewordene Blut sammelt sich und gelangt in die Leber, die den Zucker aus dem Blut entnimmt und ihn in einen neuen festen Körper umwandelt, die Leberstärke oder das Glykogen. Auch Fette und zum Teil sogar übersdiüssige Eiweißstoffe werden hier in diesen Reservestoff Glykogen umgesetzt. Ständig gibt die Leber nun das Glykogen,zur Wärme- und Arbeitserzeugung an das Blut wieder ab, nachdem es zuvor wieder 28
in die Zuckerform zurückverwandelt worden ist. Das Blut hat also immer einen gewissen Zuckergehalt, um alle Organe mit diesem lebensnotwendigen Stoff versorgen zu können. Aus dem Blut dringt der Zucker durch die Zellwände in alle Gewebe des Körpers und wird hier zusammen mit dem durch die Lungen eingeatmeten Sauerstoff „verbrannt", d. h. zur Wärmeabgabe veranlaßt. Was bei der Zuckerverbrennung an Abfällen übrigbleibt — es sind die Stoffe, die bei starker Muskelarbeit die Ermüdungserscheinungen verursachen —, wird durch das Blut allmählich den Nieren zugeführt und dann als Harn abgeschieden. Es gibt im Körper neben der Leber auch noch andere Speicheranlagen für Wärme- und Kraftstoffe, selbst die Muskeln können zu kleineren Glykogensammelstellen werden, aus denen der Körper bei Bedarf Kraftstoffe für Arbeitsleistungen entnimmt. Es ist das Verdienst des Ehepaares Cori, das 1947 den Nobelpreis für diese Forschungen erhielt, Klarheit in das Problem gebracht zu haben, wie diese vielfachen TJmwandlungsprozesse im menschlichen und tierischen Körper gesteuert werden, wie also aus Zucker Wärme und Kraftstoff für unsere Arbeitsleistungen entsteht. Der Zucker ist also bei den innerkörperlichen Vorgängen unentbehrlich. Es genügt an sich, wenn sich in der Nahrung Vorstufen des Zuckers, also vor allem Stärke befindet, wie wir sie im Brot und in der Kartoffel in hinreichender Menge zu uns nehmen. Der süße Geschmack des Zuckers ist dabei ohne Bedeutung. Wenn aber in Notzeiten der Zuckerverzehr erheblieh herabgesetzt werden muß oder ganz unterbleibt, dann hat der Organismus doch ein starkes Verlangen nach etwas Süßschmeckendem, ohne Rücksicht auf seinen Nährwert. Man hat daher nach Stoffen Umschau gehalten, die zwar keine Zucker sind, die aber dieses Bedürfnis nach Süßigkeit etwas befriedigen. Es gibt vielerlei solcher Süßstoffe, die beweisen, daß das Süße nicht unbedingt mit dem Zucker aus Zuckerrohr oder Zuckerrüben verbunden zu sein braucht. Süßstoffe, die nicht Zucker sind, waren zum Teil seit langem bekannt, teilweise wurden sie erst durch Zufall oder in langjähriger Forschungsarbeit gefunden oder entwickelt.
Fünftausendmal
süßer
Über das Maß an Süßigkeit eines Stoffes gibt seine chemische Zusammensetzung keine Auskunft. Man muß den Süßigkeitsgrad auf andere Weise ermitteln, und zwar wird der betreffende Stoff solange mit Wasser verdünnt, bis er eben gerade noch eine Spur 6Üß 29
schmeckt. Man hat auf diese Weise gefunden, daß ein Gramm Rohrzucker, in 200 Gramm Wasser aufgelöst, die Süßigkeitsgrenze gerade erreicht. Diese Süßigkeit erhielt die Grundzahl 1,0. Muß man einen anderen süßen Stoff zum Beispiel mit 100 000 Gramm oder 10 Liter Wasser verdünnen, um den gleichen schwach süßen Geschmack wahrzunehmen, so ist seine Süßigkeit 100 000 : 200 = 500mal höher als Rohrzucker. So hat man viele chemische Stoffe auf ihre Süßigkeit hin untersucht und manches Brauchbare gefunden. Einige davon schieden allerdings sofort wieder aus: So eignet sich Bleiazetat oder Bleizucker, dessen Süßigkeit schon seit fast 2000 Jahren bekannt ist, wegen seiner Giftigkeit nicht als Genußmittel. Auch das Chloroform, das bekannte Betäubungsmittel, ist trotz seines Süßigkeitsgrades naturgemäß ungeeignet. Das gleiche gilt von dem nur 0,48 bis 0,5 süßen Glyzerin. Berylliumsalze schmecken ebenfalls süß, sind aber zu teuer, als daß sie als Süßstoffe Verwendung finden könnten. Das Glykol, das wir seit etwa 100 Jahren kennen, weist eine Süßigkeit von 0,5 auf, hat aber gelegentlich Vergiftungserscheinungen hervorgerufen. Durch einen Zufall entdeckte der Chemiker Fahlberg in Baltimore in USA vor rund 75 Jahren, daß sein Frühstücksbrot süß schmeckte, als sich an seinen Händen Spuren von Benzoesäuresulfimid befanden, mit dem er gerade experimentiert hatte. Er ging der Erscheinung nach und fand einen Süßstoff, der je nach Reinheit etwa 300 bis 700mal süßer war als Rohrzucker. Fahlberg nannte seinen neuen Stoff Saccharin, brachte ihn 1884 in New-York auf den Markt und gründete zwei Jahre später in Magdeburg die Fahlberg-List-A.G., die seit 1902 das Monopol der Saccharinherstellung hatte und jahrzehntelang der alleinige Süßstoffhersteller in Deutschland war. Das weiße Pulver, das in kleinen Tabletten in den Handel kommt und das noch in einer Verdünnung von 0,001 Milligramm in 1 ccm Wasser deutlich süß schmeckt, hat zwar keinen Nährwert. Saccharin ist jedoch der Zuckerersatz für Zuckerkranke, da er nicht in das Blut gelangt und unverdaut durch die Nieren wieder ausgeschieden wird. Interessant ist es, daß der Süßstoff von Bienen, Fliegen und anderen Insekten nicht als Zucker anerkannt wird. Sie lassen ihn selbst bei richtiger Verdünnung unberührt. Andere Süßstoffe sind nach der Erfindung des Saccharins hinzugekommen, teilweise mit erstaunlichen Süßigkeitszahlen. Seit 1884 kennt man das Dulzhi mit einer zwischen 70 und 350 schwankenden Süßigkeitsziffer; das farblose kristallische Pulver wird in 30
der Getränke-, Obst- und Gemüse-Industrie verwendet. Nur selten gebraucht man dagegen noch das 1893 von Nölting synthetisch hergestellte Glaucin mit der Süßigkeit 100. Etwa 300 Süßigkeitseinheiten zeigt das neuartige Suosan, das 1947/48 von Petersen und Müller in den Bayerwerken entdeckt wurde und eine tiefgelbe Farbe hat. Es hat den Vorteil, daß es außerordentlich billig herstellbar ist und nach den bisherigen Beobachtungen völlig unschädlich sein dürfte. Bemerkenswert sind andere neue Süßstoffe, die das Saccharin an Süßigkeit wesentlich übertreffen. So hat das Douxan, eine farbBtoffähnliche organische Verbindung, 1400 Einheiten, die Peryllar« tine etwa 2000, und als Spitzenleistung ein neuer Stoff eine Süßigkeitszahl von 4000 bis 5000. Es ist ein orangefarbenes Pulver mit dem schönen Namen 1-N-propoxy-m-nitranilin oder in ähnlicher Form l-N-propoxy-2-amino-4-nitrobenzol. Es wird zur Zeit vor allem in Holland hergestellt und bis zu einer Süßkraft von 500 verdünnt. Außer den genannten Stoffen sind noch mehrere andere in Bearbeitung. So beachtenswert und wichtig alle diese Süßstoffe auch immer sein mögen, sie alle können den Zucker nicht ersetzen, da ihnen jeder Nährwert fehlt, der das weiße Kristall für die Ernährung so kostbar macht. Diesen Nachteil hat jedoch ein anderer künstlicher „Nährstoff" nicht, der Zucker, den man neuerdings aus geringwertigem Holz gewinnt und der vor allem als Viehfutter zur Mästung von Rindern und Schweinen dient, aber auch zur Erzeugung von Treibstoffen, als Nährflüssigkeit für Bäckerei- und Futterhefe und zur Gewinnung von Harzen, Gerbstoffen, Essigsäure und anderen chemischen Erzeugnissen.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bildvorlagen: Gustav Rüggeberg, Dipl.-Ing. Heinrich Korn, Sommerkamp-Kallmeyer und Ottmar Schubring
L u x - L e s e b o g e n 186 ( N a t u r k u n d e ) - H e f t p r e i s 25 P fg. Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen {vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau, München, Innsbruck, Ölten — Druck: Buchdruckerei Müblberger, Augsburg
31