Wo bleibt denn da die Liebe? Pamela Dalton Bianca 1107 13/2 1998
gescannt von suzi_kay korrigiert von Spacy74
PROLOG ...
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Wo bleibt denn da die Liebe? Pamela Dalton Bianca 1107 13/2 1998
gescannt von suzi_kay korrigiert von Spacy74
PROLOG In dem Augenblick, als Devlin Hamilton ihr den goldenen Ring an den Finger steckte, wußte Abigail O'Reilly, daß sich etwas Grundsätzliches zwischen ihnen geändert hatte. Erregt schaute sie in Devlins tiefgrüne Augen. Spürte er ihre Bedenken ebenfalls? Fragte er sich wohl genau wie sie, ob der Schritt, den sie da vollführten, nun richtig war? Devlins Gesicht war ausdruckslos. "Kraft meines Amtes erkläre ich Sie hiermit zu Mann und Frau." Der Pastor schloß das schwarze Buch und lächelte beide huldvoll an. "Sie dürfen die Braut jetzt küssen, Mr. Hamilton." Als Devlins Gesicht sich ihrem näherte, hielt Abby den Atem an. Der zarte Kuß, der ihre Lippen streifte, ließ ihr Herz aufgeregt flattern. Hinter ihnen ertönte heftiger Applaus. Abby atmete tief durch, trat zurück und wendete sich Devlins Schwester und deren Mann zu. Gayle und Ed Sutherland waren ihre einzigen Begleiter und die Trauzeugen. Gayle, eine lebhafte Frau mit dem gleichen dunklen Haar wie ihr Bruder, umarmte Abby begeistert. " Schade, daß ich dich nun als Nachbarin verliere, aber dafür freue ich mich, daß du jetzt meine Schwägerin bist." Dann küßte sie Devlin auf die Wange. "Diesmal hast du wirklich gut gewählt, Bruderherz."
Über den Kopf seiner Schwester blickte Devlin Abby amüsiert an. Gayle hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß sie diese Ehe befürwortete, obgleich sowohl Devlin als auch Abby ihr immer wieder vor Augen gehalten hatten, daß sie aus reinen Vernunftgründen heirateten. Der Pastor unterbrach sie. "Ich brauche noch die Unterschriften, bevor ich gehe." Devlin schrieb schwungvoll seinen Namen auf das Dokument, schob es dann Abby zu und reichte ihr den Stift. Abby schrieb mit zitternder Hand und noch ganz verwirrt ihren Namen neben seinen, dann trat sie schnell zurück. Sie wußte nicht recht, was mit ihr los war. Eigentlich war sie ein ganz sachlicher Mensch, wieso war sie jetzt nur so durcheinander? Trotz des winterlichen Frostes draußen war ihr auf einmal in dem zarten Seidenkleid ganz heiß. Der Pastor steckte das Dokument ein und schüttelte ihnen die Hand. "Herzlichen Glückwunsch Ihnen beiden. Möge Ihr Leben voller Glück und Freude sein." Sobald der Pastor gegangen war und sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, holte Ed den Mantel seiner Frau von der Garderobe. "Wir müssen ebenfalls gehen." "Könnt ihr nicht noch ein bißchen bleiben?" bat Abby, die irgendwie Angst davor hatte, mit ihrem frisch angetrauten Ehemann allein zu sein. "Leider nein" Gayle knöpfte den Mantel zu und legte sich den Schal um den Hals. "Unsere Babysitterin hat eine romantische Verabredung, und wir haben ihr versprochen, gleich nach der Trauung zurückzukommen. Aber keine Sorge, ich bringe Paige morgen früh gegen neun Uhr zurück." "Falls sie zuviel Mühe macht, kann sie natürlich schon heute abend kommen", sagte Abby schnell. Gayle lachte. "Paige macht überhaupt keine Mühe. Außerdem freuen sie und Sarah sich schon die ganze Woche
über auf diesen Abend, du willst ihnen doch nicht den Spaß verderben?" Paige war gern bei den Sutherlands. Aber heute abend wäre Abby das unermüdliche Schwatzen ihrer kleinen Vierjährigen willkommen gewesen, als Ablenkung von ihren merkwürdig sinnlichen Gefühlen... Devlins Söhne waren noch nicht nach Ohio gekommen, sondern erst einmal bei den Großeltern in Wisconsin geblieben, wo sie Basketball spielen und herumtoben konnten. Kinder mochten Hochzeiten ja ohnehin nicht so besonders. Und da die Jungs nicht da waren, hatte Abby Gayle gefragt, ob Paige bei ihnen übernachten könnte. An der Tür drehte Gayle sich noch einmal um. "Übrigens: Im Kühlschrank steht Champagner für euch." Sie zwinkerte ihrem Bruder zu. "Wir wünschen euch viel Spaß!" Die kalte Luft, die plötzlich durch die Tür hereindrang, als Ed und Gayle gingen, half wenig, Abby abzukühlen. Sie vermied es, Devlin anzuschauen, und suchte nach irgend etwas, das sie aufheben oder ordnen konnte. Aber es gab nichts. Obgleich ihr Leben nun eine Hundertachtziggradwendung genommen hatte, schien in dem gemütlichen Wohnzimmer des Hauses alles unverändert zu sein. "Bereust du es schon?" fragte Devlin leise. "Nein", log sie und verwünschte ihre Feigheit. Devlin blickte sie forschend an, hakte aber nicht nach. Es war ohnehin zu spät für Reue. Beide hatten diese Vernunftehe schließlich gewollt. Devlin griff nach einem Stapel Papier auf dem Couchtisch. "Möchtest du dir den Ehevertrag noch einmal anschauen?" fragte er. Abby schüttelte den Kopf. Sie kannte den Vertrag Wort für Wort auswendig, und er enthielt alles, was sie voneinander erwarteten. Schließlich ging es nicht um eine Liebesheirat.
Beide waren gebrannte Kinder. Devlins erste Frau hatte sich scheiden und ihn die beiden Söhne allein großziehen lassen. Als Abbys Mann vor einem Jahr starb, hatte er ihr einen Haufen Spielschulden und die kleine Tochter hinterlassen, die sie nun allein aufziehen mußte. Sowohl Devlin als auch Abby wollten also eine Ehe, die beiden Geborgenheit und Sicherheit für ihre Kinder garantierte. Abby würde Ganztagsmutter sein und er das Geld verdienen. Keiner von ihnen wollte unliebsame Überraschungen haben. Und keine unaufrichtigen Liebesschwüre. Weder das noch bloße Leidenschaft, die womöglich schon vor Ablauf des ersten Jahres erloschen sein würde, keine geheimen Erwartungen, die für sie unerfüllbar waren. Also war diese Regelung für beide perfekt. So war es ihnen jedenfalls vorgekommen, als Devlin vor einem Monat den Vorschlag dazu gemacht hatte. Aber jetzt, mit dem Ehering am Finger, beschlichen Abby plötzlich große Zweifel. Was hatte sich geändert? Woher kam dieses plötzliche Kribbeln zwischen ihnen beiden? Es konnte doch nicht daran liegen, daß sie Devlin noch nie im Anzug gesehen hatte und er mit seinen breiten Schultern und den schmalen Hüften ausgesprochen sexy wirkte. Sie wollte vernünftig bleiben, mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen, und sich nicht Dinge einbilden, die nicht da waren! Devlin war noch immer derselbe Mann, der ihr vor ein paar Monaten das Dach repariert hatte. Er arbeitete hart, war ein solider Typ, ein guter Vater und hatte ehrlich ausgesprochen, wer er war und was er wollte. Das hatte ihr gefallen, so jemanden brauchte sie. Um die Ehe nicht zu gefährden, hatten sie sich darauf geeinigt, Sex außen vor zu lassen. Sex würde das Ganze nur komplizieren, und Komplikationen hatten sie beide mit ihren Expartnern genug gehabt. Die kleine Paige brauchte ein Zuhause
und etwas zu essen, und Devlins Söhne, der dreizehnjährige Jason und der sechsjährige Riley, brauchten eine Mutter, die für sie da war. Dafür wollte Abby gern die Verantwortung übernehmen. Sie liebte Kinder und freute sich darauf, die beiden Jungen wie ihre eigenen aufzuziehen. Es war also sinnvoll, ihre beiden Familien zu einer zu vereinen. Wieso empfand Abby dann nur diesen verrückten und für sie ganz untypischen Drang, nicht nur praktisch zu denken, sondern vor sich hin zu träumen? Wieso hatte sie solche Lust, mit dem Finger an Devlins weißem Hemdkragen entlangzufahren und den obersten Knopf zu öffnen, um seine leicht gebräunte Haut zu berühren? Das paßte gar nicht zu ihr! Sie hatte in ihrem Leben gelernt, Gefühlen zu mißtrauen. Leidenschaft würde nur alles gefährden. Wieso nur empfand sie diese körperliche Erregung? Wieso spielten ihre Hormone plötzlich verrückt? Daß auch in seinem Blick so etwas wie Lust zu sehen war, bildete sie sich bestimmt ein. Erotische Phantasien hatte sie bislang lieber anderen überlassen. Devlin riß sie aus ihren Gedanken, indem er die Papiere wieder auf den Tisch legte. "Wir könnten ja den Champagner öffnen." "Prima Idee." Das würde sie ablenken und die Atmosphäre auflockern. Auf dem Weg in die Küche erklärte sie beiläufig: "Mein Gläserbestand ist allerdings ziemlich begrenzt. Und bei einem ist der Rand angeschlagen. Ich möchte nicht, daß du dir weh tust." Devlin fand das sehr fürsorglich. Als sie den Küchenschrank öffnete, um ein Glas herauszunehmen, rutschte es ihr aus der Hand. Devlin, der ihr gefolgt war, fing es reflexartig auf. "Ist alles in Ordnung?"
Als Abby sich umdrehte, entdeckte sie, daß Devlin so dicht hinter ihr stand, daß sie seinen Atem spüren konnte. "Ja, vielen Dank. Beinahe wäre es kaputtgegangen, und Paige, deren Lieblingsglas das ist, wäre schrecklich traurig gewesen." Er schaute ihr unverwandt auf den Mund. "Das darf natürlich nicht passieren." "Nein, nicht wahr?" Abby wollte zurückweichen, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie zitterte vor Aufregung. Mit angehaltenem Atem stellte sie das Glas auf den Tresen. Es gab keine Möglichkeit auszuweichen. Und jede Zelle ihres Körpers reagierte auf seine Nähe. In seinen grünen Augen stand das gleiche Verlangen, das sie selbst empfand. Dann küßte er sie, lange und intensiv. Wenn Abby je daran gedacht hatte, sich ihm zu entziehen, sich zu verweigern, so verging ihr dieser Gedanke in einer Welle von Lust. Nie hätte sie erwartet, daß ein Kuß so erregend sein könnte. Nicht einmal Champagner hatte ihr Blut jemals derart zum Prickeln gebracht. Sie vergaß alles um sich herum und dachte nur noch an Devlin. Und er sorgte dafür, daß es so blieb. Er verlangte nach ihr. Die Verschmelzung ihrer Zungen entfachte eine heiße beiderseitige Gier. Irgendwie schafften sie es bis ins Schlafzimmer. Innerhalb von Sekunden entledigten sie sich gegenseitig ihrer Kleidung. Dann nahm Devlin Abby nackt auf die Arme und trug sie zum Bett hinüber. "Das Licht...", begann sie. "Laß es an, es ist schön so." Zeit verlor alle Bedeutung. Nichts anderes existierte mehr außer ihnen beiden. Der Liebesakt war so schön und Devlin so behutsam und zärtlich, daß Abby beinah die Tränen kamen. Als er sie schließlich nahm, tat er das mit einer Leidenschaft, die in ihr das gleiche heftige Gefühl auslöste.
Devlin war ebenso empfindsam wie gierig und gab Abby das Gefühl, wunderschön zu sein. Er ließ sie vergessen, wie hoch der Preis dafür war, wenn man jemanden zu sehr liebte ... Stunden später holte Gayles Stimme am Telefon Abby wieder in die Wirklichkeit zurück. "Abby, tut mir leid, dich so früh am Morgen zu wecken, aber ich glaube, Paige hat die Masern. Ihr Körper ist von Kopf bis Fuß voller roter Flecken." "Ich komme sofort!" sagte Abby schuldbewußt und erschrocken. Sie legte den Hörer auf, Devlin knipste das Licht an. "Was ist denn los?" "Paige ist krank." Unter seinem Blick wurde ihr ihre Nacktheit bewußt, eilig suchte sie etwas anzuziehen. Was hatte sie nur getan! Das Bild ihrer süßen kleinen Tochter mit dem strahlenden Lächeln stand ihr vor Augen. Wie hatte sie Paige vergessen können und das, was diese Ehe für ihre Zukunft bedeutete! Das hatte sie unbedacht alles aufs Spiel gesetzt! Eilig zog Abby das Laken vom Bett und bedeckte sich damit. "Soll ich mitkommen?" bot Devlin an. "Nein, das ist nicht nötig." "Abby..." Sie unterbrach ihn, um ihm zuvorzukommen. "Wir wissen beide, daß wir gegen unsere Abmachung verstoßen und damit einen Fehler gemacht haben. Laß es uns einfach vergessen und so tun, als sei es nicht geschehen, okay?" Devlins Schweigen lastete bleischwer im Raum. Nackt, wie er war, stand er auf. "Ich werde ins Gästezimmer ziehen, dann kannst du Paige hier einquartieren." Abby nickte. "Und unser Vertrag ...?" "Der ist von jetzt an gültig. Es wird nie wieder passieren." Damit drehte er sich um und ging ins Bad.
Abby, die das Laken noch immer um sich geschlungen hatte, sank aufs Bett. Sie hatte einen Kloß in der Kehle, hielt aber die Tränen zurück. Für das, was sie schriftlich vereinbart hatten, war sie äußerst dankbar. Sie brauchte die Bestätigung dafür, daß sich nichts zwischen ihnen geändert hatte. Von nun an würde sie sich an die Regeln halten und vergessen, was hier geschehen war. Devlin Hamilton durfte nicht wieder die Oberhand gewinnen und sie einfach überrumpeln. Nie wieder.
1. KAPITEL Abby war ziemlich nervös. Sie stand neben ihrem Wagen in der Auffahrt und schaute auf das Haus. Es war größer und mit seiner feinen Holzverkleidung und den gemütlichen Schaukelstühlen auf der altmodischen Veranda viel schöner, als Devlin es beschrieben hatte. In so etwas zu wohnen war schon immer ihr Traum gewesen. Und nun sollte es Wirklichkeit werden, ihr eigenes Zuhause sein! Würde Devlin es auch noch mit ihr teilen wollen, wenn er erführe... "Mami, wollen wir nicht reingehen?" fragte Paige ungeduldig. Abby schaute zu ihr hinunter. Das kleine Mädchen hatte langes blondes Haar, blaue Augen und vom Schlafen im Auto noch ganz rosige Wangen. Es drückte seine schwarzweiße Katze an sich, die sich zu befreien, suchte. "Ich möchte, daß Princess meine neuen Brüder kennenlernt. Mögen Jason und Riley Katzen?" Lächelnd legte Abby den Arm um die Schultern ihrer kleinen Tochter. Paige war schon ganz aufgeregt, weil sie Devlins Söhne zum erstenmal sehen würde. Abby selbst war genauso nervös. Wie würden die Jungen auf ihre neue Mutter reagieren? Auf eine neue Schwester? Hätten sie doch nur mehr Zeit gehabt, sich alle in Ruhe kennenzulernen! "Das werden wir bald herausfinden, nicht
wahr?" Schon wegen Paige muß diese Ehe funktionieren, dachte Abby entschlossen. Paige zupfte an der Hose ihrer Mutter. "Mami, Princess muß mal." Abby wußte, was das bedeutete. Vermutlich war es Paige, die mal mußte. Sie atmete noch einmal tief durch, um sich der bevorstehenden Begegnung zu wappnen. "Also gut, Schatz, laß uns mal nachsehen, ob jemand da ist." Sie schob Paige und Princess die Treppen hoch über die Schwelle. Als sie gerade an die Tür klopfen wollte, wurde die auch schon geöffnet, und zwei große, kräftige Hände griffen nach den beiden. "Schnell rein, und macht die Tür wieder zu!" Abby konnte gerade noch die blitzenden grünen Augen ihres Mannes erkennen und wußte gar nicht, wie ihr geschah, als sie auch schon drinnen standen. "Schnell, schließ die Tür, Riley", befahl Devlin. Der Junge gehorchte und warf sich so eilig dagegen, daß sie mit einem lauten Geräusch zuknallte und ein unangenehmer Schwall kalter Februarluft hereinströmte. Erschrocken rückte Paige enger an ihre Mutter heran, und die Katze, die von ihrer jungen Herrin eng an sich gepreßt wurde, miaute: "Oje, sie hat eine Katze", stöhnte Riley, dessen rotblondes Haar ihm struppig vom Kopf abstand. In dem Moment tobte ein pelziges braunes Etwas auf sie zu. Instinktiv stellte Abby sich schützend vor Paige. Princess miaute empört. Sie sprang Paige vom Arm und rannte davon. Der Hund folgte ihr sogleich" und riß dabei die Lampe herunter, als die Katze auch schon auf die Wohnzimmergardinen zulief. "Hulk!" schrie Devlin. Der große Hund blieb abrupt stehen, drehte sich um und sah sein Herrchen betreten an.
"Sitz!" befahl Devlin. "Jason, nimm ihn und bring ihn in die Küche!" Der Dreizehnjährige, der mit seinem schwarzen Haar und seinen dunklen grünen Augen ein Abbild seines Vaters war, verließ widerstrebend seinen Beobachtungsposten im Flur. Er zog eine Grimasse, packte Hulk am Halsband und führte das schwanzwedelnde Tier zur Küche. "Komm schon, Junge." Drinnen bellte der Hund ein paarmal, dann begann er zu jaulen. Abby sah Devlin entschuldigend an. "Ich hätte dir sagen sollen, daß Gayle und Ed Paige letztes Wochenende zum Abschied eine Katze geschenkt haben, und seitdem hat sie sich nicht mehr von ihr getrennt. Ich hoffe, das wirft keine allzu großen Probleme auf." Jason ging wieder an seinen Platz an der Türschwelle zurück. "Nicht, wenn die Katze zum Abendbrot auch Schlangen frißt." "Jason, laß das", sagte Devlin genervt. Er strich sich durch sein dunkles Haar und schaute Abby an. "Tut mir leid, das ist nicht gerade der Empfang, den ich für euch geplant habe." "Hat er ,Schlangen' gesagt?" fragte Abby, und ihr Magen schien sich erneut umdrehen zu wollen. Jason blickte schelmisch zu seinem Bruder hinüber. "Rileys Schlangen sind ausgebrochen." Paige Zitterte die Unterlippe. Schutzsuchend schmiegte sie sich an Abby. "Mami, Princess und ich mögen aber keine Schlangen." Hulks Jaulen verstärkte sich zu einem Heulen. "Hulk, sei ruhig!" brüllte Devlin zur Küche hinüber. Als Paige zu weinen begann, senkte er seine Stimme. Um sie abzulenken, fragte er: "Wie war denn eure Fahrt?" "Sehr angenehm. Die Straßen zwischen Ohio und Wisconsin sind gut", erklärte Abby. Paige drängte sich noch enger an sie. "Ich wußte nicht, daß Riley Schlangen hat", greinte sie.
"Das wußten wir auch nicht", erklärte Devlin. Rileys Gesicht rötete sich. "Ich habe mit Ben Fix ein paar Aquariumfische gegen Schlangeneier getauscht." "Es sind also erst Eier?" fragte Abby erleichtert. Sie hatte nichts gegen Schlangen, aber welche im Haus zu haben war schließlich etwas anderes. "Es waren welche." Jason schien der einzige zu sein, der sich amüsierte. "Aber jetzt sind es keine mehr. Riley hat heute morgen entdeckt, daß sie ausgeschlüpft sind. Bisher haben wir vier von den glitschigen Viechern gefunden. Eins im Bad, eins in Dads Schrank und zwei in der Küche." "Wie viele sind es denn insgesamt?" Aus dem Augenwinkel sah Abby, daß die Katze dabei war, im Wohnzimmer den Vorhang hinaufzuklettern. Abby hätte es gern verhindert, aber Paige klammerte sich an ihr fest. Als Princess den Vorhang schon halb hinauf war, packte Devlin die Katze und legte sie Paige in die Arme. "Insgesamt waren es sieben." "Sieben?" fragte Abby entsetzt. Riley sah schuldbewußt zu Boden. "Ja, drei fehlen noch." Nun begann Paige zu schluchzen und drückte das Gesicht an den Schenkel ihrer Mutter. "Princess will nach Hause, Mami." "Ich dachte, Paige mag Haustiere", erklärte Riley. "Ich wußte nicht, daß sie eine Katze hat. Die Schlangen tun nichts, sie sind nicht giftig." Abby tat ihr neuer Stiefsohn leid. Sie überlegte, wie sie die Situation retten könnte. Zwei Familien zu vereinen war nicht gerade leicht. Aber ausgerechnet mit Schlangen? Das erschien ihr wie ein schlechtes Omen. Insbesondere, da ihnen am heutigen Tag noch eine weitere unangenehme Überraschung bevorstand. Aber sich einfach umzudrehen und zu verschwinden war keine Lösung. Erst mußte sie mit Devlin reden.
Sie strich Paige über das weiche blonde Haar. "Schon gut, Liebes, Riley wollte dir nur ein Gastgeschenk machen, das ist doch nett, oder?" Paige schaute mißtrauisch zu Riley hinüber. "Wann sind die Schlangen denn wieder weg?" Der Junge sah ziemlich unglücklich drein. "Keine Ahnung. Erst muß ich sie alle finden." "Vielleicht hat Hulk die anderen drei gefressen", sagte Jason gedehnt. "Er war heute ziemlich komisch. Bestimmt kotzt er sie alle später auf den Wohnzimmerteppich." Devlin runzelte die Stirn. "Jason, es ist wirklich nicht..." "Nicht bewegen!" schrie Riley plötzlich und zeigte auf Abbys Füße. "Da ist noch eine!" Abby wurde auf einmal schlecht. "Wo ist bitte das Badezimmer?" Ohne weiter zu fragen, schob Devlin sie eilig durch den Raum und öffnete eine Tür. "Hier entlang." Abby stürzte an ihm vorbei zum Bad. "Mami, geh nicht weg!" schrie Paige und versuchte Abby am Pullover festzuhalten. "Paß auf meine Schlange auf!" rief Riley verzweifelt. Abby konnte nicht antworten. Sobald sie den Mund öffnen würde, wäre alles zu spät. Sie schaffte es gerade noch, ins Bad zu rennen, beugte sich über das Toilettenbecken und hielt sich am Rand fest. "Bleibt hier und laßt sie in Ruhe", hörte sie Devlin draußen sagen. In ihren Ohren summte es, sie dachte an nichts mehr, und ihr armer Magen ... Jason fragte frech in die erschrockene Stille: "Macht sie das immer, sobald sie eine Schlange sieht?" "Ich wußte nicht, daß sie Angst vor Schlangen hat", sagte Riley. "Heißt das, ich muß sie alle wieder weggeben?" fragte er besorgt.
Abby atmete tief durch und lehnte den Kopf an das kühle Waschbecken, um sich zu erholen. Hoffentlich bleibt dieser peinliche Moment der schlimmste Teil des Tages, wünschte sie sich inständig. Devlin reichte ihr die Hand und half ihr wieder auf die Füße. "Riley und Jason, ihr beiden geht jetzt am besten mit Paige ins Wohnzimmer." "Nein", protestierte Paige, "ich will nicht mit ihnen gehen. Princess und ich wollen nach Hause, Mami, gleich!" Sie warf sich gegen Abbys Beine. Die plötzliche Bewegung trieb Abby in Devlins Arme. Er half ihr, sich wieder aufzurichten. Abby lächelte zaghaft und versuchte, wieder Haltung anzunehmen. "Vielen Dank." In Devlins dunklem Blick lag eine Frage. Die würde sie ihm demnächst beantworten müssen. Sie schaute zu ihrer Tochter hinunter und legte ihr die Hand auf die Schulter. "Komm, Schatz, wir gehen jetzt mit Riley und Jason und holen etwas Wasser für Princess. Die ist bestimmt durstig." Paige rührte sich nicht. "Was ist mit den Schlangen?" "Die tun dir nichts. Die haben mehr Angst vor dir als du vor ihnen. Außerdem sind ja Jason und Riley da." Ihre Tochter schien nicht überzeugt zu sein. Jason sah gleichgültig drein, Riley hielt die kleine Schlange in der Hand, deren Kopf oben herausragte. Hinter der Küchentür war noch immer lautes Kratzen an der Tür und Hulks Jaulen zu hören. "Riley, tu die Schlange weg und halte den Hund fest, damit er Paige nicht anspringt." Devlins Stimme duldete keinen Widerspruch. "Jason, und du nimmst die Hand der Kleinen, damit sie keine Angst hat." "Und was ist mit ihrer Katze?" fragte Jason. "Wenn du dafür sorgst, daß Hulk in der Küche bleibt, können wir sie ins Wohnzimmer lassen."
Jason verzog das Gesicht nach Teenagerart, aber er gehorchte und streckte Paige die Hand hin. Schließlich, nach einigem Zögern, verließen die drei Kinder das Bad, und man konnte hören, daß sie in die Küche gingen und die Tür hinter sich schlössen. Abby fand sich plötzlich allein mit Devlin im Bad. Beide schwiegen. Sie schaute ihn unsicher an. "Könntest du mich einen Moment allein lassen?" bat sie ihn. "Das halte ich für keine gute Idee." Abby wurde leicht rot. "Es geht mir gut", behauptete sie, "ich möchte nur mein Gesicht waschen und mich ein bißchen frisch machen." Devlin zögerte. Dann begriff er, daß seine Gegenwart ihr unangenehm war. "Also gut. Aber ich warte draußen." Genau das hatte Abby befürchtet. Dennoch atmete sie erleichtert auf, sobald sie allein war. Wenn sie zu lange hierblieb, würde er sie womöglich einfach herausholen. Das hatte sie schon festgestellt: Devlin Hamilton war nicht sehr geduldig. Sie sah sich in dem kleinen, aber zweckmäßig eingerichteten Bad nach einem Waschlappen um. Im Raum stand nichts, was auf die Anwesenheit einer Frau hindeutete. Das gefiel ihr mehr, als sie hätte zugeben mögen. Devlin war zwar seit mehr als fünf Jahren geschieden, aber sie wußte nichts über eventuelle Beziehungen mit Frauen, die er seither gehabt haben mochte. Anscheinend hatte es in letzter Zeit keine gegeben, denn das Bad war bloß mit zweckmäßigen Dingen wie einem Glasbord, Papiertüchern, dicken Frottierhandtüchern, einem Hocker, dem Spiegelschrank und Toilettenpapier ausgestattet. Vor ihrer Trauung vor sechs Wochen hatte Devlin Abby gesagt, sie könne im Haus, das er vor zwei Jahren gebaut hatte, gern dekorative Änderungen vornehmen.
Wie weit würde er das tolerieren? Vielleicht würden ihm ihre Vorschläge nicht gefallen ... Und wenn er erst erfuhr, welche Veränderungen ihnen in der nächsten Zukunft bevorstanden, wäre er sicher ganz und gar nicht begeistert. Sie selbst war natürlich ebensowenig darauf eingestellt wie er, doch immerhin war sie bereit, sich den Umständen anzupassen. Abby drängte diese Gedanken beiseite. Es war müßig, sich vorzustellen, wie ihr neuer Lebensgefährte auf die Neuigkeiten reagieren würde. Das Problem bestand darin, daß sie sich noch viel zu wenig kannten. Sie hatten nun mal vor allem aus Vernunftgründen geheiratet, dieses Arrangement schien für beide die beste Lösung darzustellen. Inzwischen war es Mitte Februar, es waren sechs lange Wochen seit der Heirat vergangen - und seitdem hatte sich fast alles anders entwickelt als erwartet. Niemand wußte, was ihnen die Zukunft bringen würde. Draußen hörte Abby, wie Devlin hin und her ging. In einem Wandschrank fand sie weiße Waschlappen, die anscheinend hastig hineingelegt worden waren. Am liebsten hätte sie alles gleich aufgeräumt. Aber bevor sie das tat, wollte sie es erst mit Devlin besprechen. Sie nahm einen Waschlappen, hielt ihn unter heißes Wasser und rieb sich gründlich Gesicht und Hände ab. Als sie gleich darauf das Bad verließ, stieß sie mit Devlin zusammen. Seine kräftigen Hände erinnerten sie daran, wie er sie damals berührt hatte ... Schnell schob sie den Gedanken wieder weg. Devlin schaute Abby prüfend an. "Fühlst du dich jetzt besser?" "Ja, viel besser." Aus der Küche waren die Stimmen der Kinder zu hören. "Devlin, könnten wir irgendwo ungestört miteinander reden?" "
Er fragte nicht nach dem Grund. "Ja, natürlich." Er nahm sie am Ellbogen und führte sie durchs Haus. Abby hatte unterwegs kaum Zeit, die schlichten, geschmackvollen Möbel, die hohen Holzdecken und den Kamin im Wohnzimmer zu bewundern. In einem nüchtern eingerichteten Büro, das davon abging, standen ein papierübersäter Schreibtisch, ein Aktenschrank und ein mit blauem Samt bezogener Lehnstuhl. Devlin schloß die Tür. Sein Gesicht drückte eine gewisse Nervosität aus. "Du bist krank, nicht wahr? Abby, du mußt mir unbedingt sagen, was mit dir los ist. Ist es etwas Schlimmes?" "Nein, ich bin nicht krank." Nun kam der Augenblick der Wahrheit, ob sie wollte oder nicht. "Ich bin schwanger." Devlin brauchte Sekunden, ehe er begriff, was er da gehört hatte. Er hatte sich schon auf das Schlimmste eingestellt. Nun starrte er seine Frau, deren kurvige Figur durch die engen Jeans und den elfenbeinfarbenem Pullover besonders gut zur Geltung kam, nur wortlos an. Abby war ein bißchen blaß, aber gefaßt. Obgleich sie noch nicht an Gewicht zugenommen hatte, lagen ihre Hände beschützend auf dem Bauch. "Schwanger?" Die Frage kam ihm ganz seltsam vor. "Ja. Der Arzt meinte, das Baby werde Anfang September kommen." "Ich verstehe", sagte er, ohne daß er es wirklich verstand. Abby lächelte gequält. "Ich war der festen Meinung, ich könnte auf keinen Fall schwanger werden. John und ich haben es nie geschafft, noch ein Kind zu bekommen, deshalb dachte ich ..." Sie sank in den Lehnstuhl und senkte den Blick auf ihre verschränkten Finger. "Ich weiß, wir haben das nicht geplant, und ich übernehme die volle Verantwortung dafür." Devlin wußte nicht, was ihn mehr überraschte: die Schwangerschaft oder daß Abby sie so gefaßt hinzunehmen schien. Seine Exfrau hatte es gehaßt, schwanger zu sein. Er hatte Linda erst geheiratet, als sie schon schwanger war. Sie
beschwerte sich über den Verlust ihrer Figur und über seine angeblich mangelnde Aufmerksamkeit. Die Tatsache, daß Abby ihm keine Vorwürfe machte, sondern sich ganz ruhig zu dem Kind bekannte, freute ihn ungemein. Abby war offenbar keine Karrierefrau wie Linda! Deswegen hatte er sie ja auch geheiratet: Für sie kam die Familie zuerst. Als sie sich kennenlernten, hatte Abby sich mit Heimarbeitjobs durchgeschlagen, nur um Paige bei sich behalten und selbst betreuen zu können. Eine solche Mutter wünschte er sich auch für seine Söhne. Devlin war außerdem von Herzen dankbar, daß Abby weder .so war noch so aussah wie seine erste Frau. Sie gehörte nicht zu den atemberaubenden, aber unberührbaren kühlen Schönheiten, wie Linda es gewesen war. Und trotz allem hatte er seit Teenagerzeiten keine so begehrt wie Abby. Es hatte zwischen ihnen derart gefunkt, daß sie noch fünf weitere Kinder zeugen könnten! Daß sie schwanger war, dürfte ihn eigentlich gar nicht überraschen. Vermutlich hätte nicht mal ein Kondom etwas genützt... Er erinnerte sich noch genau an ihre seidenweiche Haut, daran, wie ihr schulterlanges braunes Haar auf dem Kissen ausgebreitet war, wie sich ihre weichen Formen in seine Hände geschmiegt hatten. Schon mit ihr allein in einem Zimmer zu sein weckte bei ihm das Verlangen, sie in die Arme zu reißen und zu ... Hör auf, Hamilton, das darfst du nicht tun, du hast den Vertrag schon einmal gebrochen! Wenn er es wieder zuließ, daß körperliche Lust die Oberhand gewann, würde er riskieren, daß seine Söhne erneut die Mutter verloren. Darunter litten sie bereits jetzt. Jason traute keinem weiblichen Wesen, Riley dagegen versuchte um jeden Preis die Aufmerksamkeit von Frauen zu gewinnen. Beide Jungen
brauchten eine mütterliche Bezugsperson in ihrem Leben. Eine, auf die sie bauen konnten. Eine, die sich mehr als nur wie ein Babysitter oder eine Haushälterin um sie kümmern würde. Eine wie Abby. Dabei stand Abby aufrecht da wie eine Angeklagte, die das Urteil erwartet. Devlin suchte nach Worten, um sie zu beruhigen, ihr zu sagen, daß er auf alle Fälle zu ihr stehen würde. "Dieses Kind stammt nicht von dir allein. Dafür, daß du schwanger bist, tragen wir beide die gleiche Verantwortung." Abbys Gesicht rötete sich. "Ich weiß nicht, was an dem Abend mit mir los war. So war es nie ..., ich meine ..., es war noch nie so..." Sie biß sich auf die Unterlippe. "Noch nie?" wiederholte er. Ihr formloses Geständnis hätte ihn eigentlich nicht freuen dürfen, aber insgeheim tat es das dennoch. "Das mit dem Baby stört dich also nicht?" fragte sie vorsichtig.. .. "Ob es mich stört?" fragte er ausdruckslos. "Stört es dich denn?" Abby legte wieder die Hände auf den noch ganz flachen Bauch. "Ich will dieses Kind. Aber nicht jeder Mann mag auf diese Weise überrascht werden." "Die meisten Frauen auch nicht." Der Gedanke, daß Abby sich seiner so gar nicht sicher war, erstaunte Devlin. Nicht einmal Linda hatte an seiner Loyalität der Familie gegenüber gezweifelt. Er wollte Abby gern klarmachen, daß er für sie und dieses Kind genauso sorgen würde wie für seine Söhne. "Das Baby wird uns beiden gleich willkommen sein", sagte er mit fester Stimme. Abby sah man die Erleichterung deutlich an. Sie umarmte ihn und küßte ihn zu seiner Überraschung kurz auf den Mund.
Doch bevor er den Kuß genießen konnte, hatte sie sich schon wieder von ihm gelöst. "Oh, ich bin so froh, du hast ja keine Ahnung, wie besorgt ich war!" Schon war sie aus dem Zimmer. Als sie zurückkam, hatte sie ihre Handtasche dabei und entleerte den Inhalt auf den Schreibtisch. Sie fischte ein Papier aus dem Haufen und reichte es Devlin. "Ich weiß, daß unsere Abmachung nichts über ein Baby enthielt..." "Unsere Abmachung?" Er schaute nicht auf den Zettel, sondern dachte im Moment nur an den Kuß. Abby versuchte es ihm zu erklären. "Als wir heirateten, hast du Johns Spielschulden übernommen, und ich versprach, dir das Geld nach dem Verkauf meines Hauses in Cincinnati zurückzugeben. Aber da der Immobilienmarkt in Ohio im Augenblick sehr flau ist, könnte das noch dauern. Und ein Baby bedeutet schließlich eine zusätzliche finanzielle Belastung." "Ich verdiene genug, um eine weit größere Familie zu ernähren", widersprach er vehement. "Es geht dabei gar nicht so sehr ums Geld." "Sondern?" Abby legte das Papier auf den Tisch. "Ich weiß, daß deine Baufirma gut läuft, und ich bin dir äußerst dankbar, daß du Johns Schulden übernommen hast, aber trotzdem bin ich dafür verantwortlich. Und ich muß an Paige und an das Baby denken." "Sie sind doch durch unseren Vertrag geschützt." "Bislang haben wir diesen Vertrag nicht gerade eingehalten", erinnerte sie ihn mit ruhiger Stimme. Das stimmte natürlich. Abby spielte eindeutig darauf an, daß Devlin sich von der Leidenschaft hatte hinreißen lassen. "Es wird nicht wieder passieren", sagte er mit zusammengebissenen Zähnen, "das verspreche ich dir." Abby lächelte bitter. "Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt." "Du glaubst mir also nicht?"
In ihrem Blick lag eine leise Traurigkeit. "Ich habe gelernt, daß Versprechen selten gehalten werden." "Nur wenn einer sich nicht an die Spielregeln hält." So wie seine Exfrau Linda, die anfangs mit den Jungen zu Hause geblieben war, dann aber eine Stellung angenommen und die Macht und die Freiheit entdeckt hatte, die sie durch ihr selbstverdientes Geld erwarb. Würde Abby das ebenfalls tun? Devlin schaute auf die Schatten, die unter ihren Augen lagen und die erlittenen Schmerz widerspiegelten. Nein, sie schien ihn nicht provozieren zu wollen, sondern schilderte nur die Tatsachen aus ihrer Sicht. "Dein Mann hat dir anscheinend übel mitgespielt." Abby verschränkte die Finger. "Devlin, wir waren beide schon einmal verheiratet und wissen, daß es keine Garantie für das Gelingen einer Ehe gibt. Alles, was ich will, ist, daß der Vertrag eine Zusatzklausel bekommt, die in jedermanns Interesse ist." "Welche?" Sie zeigte auf das Papier in seinen Händen. "Lies bitte den Zusatz. Grundsätzlich geht es darin um die Rückzahlung des Kredits. Ich behalte mein eigenes Konto, so daß es im Falle einer Scheidung keine Probleme gibt. Ich habe auch die Dinge aufgezählt, die nicht verkauft worden sind, um die Schulden zu begleichen. Alle weiteren Ergänzungen sind laut Scheidungsanwalt gängige Praxis." "Du warst bei einem Scheidungsanwalt?" fragte Devlin entsetzt, bemühte sich aber, ruhig zu bleiben. "Willst du unsere Ehe schon beenden?" "Nein, natürlich nicht!" Nun verstand er gar nichts mehr. "Aber du glaubst, ich würde dich eines Tages rauswerfen oder dich mittellos zurücklassen, so wie dein Mann es getan hat?"
"Hast du vielleicht erwartet, daß deiner ersten Frau die Karriere wichtiger sein würde als ihre Familie?" konterte Abby. "Hast du geglaubt, daß sie dich mit den beiden Jungen allein lassen würde?" "Du bist nicht Linda, und ich bin nicht John." "Das stimmt." Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher. "Aber ich kannte John mehrere Jahre, bevor ich ihn heiratete, und dachte, ich wüßte alles über ihn. Erst später wurde mir klar, daß ich gar nichts über ihn wußte. Und wir beiden kennen uns erst seit Monaten, und richtig zusammen waren wir nur ein paar Tage. Da sind wir nicht gegen Überraschungen gefeit." "Unsere Ehe wird halten." "Meinst du?" Abby legte die Hand auf seinen harten Arm. "Devlin, wir müssen praktisch denken. Es geht nicht nur um dich und um mich." Er wollte das nicht wahrhaben, aber Abby hatte natürlich recht. Er hatte für seine damalige Blauäugigkeit einen hohen Preis gezahlt und seine Söhne ebenso. Leidenschaft trug eine Beziehung nicht, sie reichte nicht, um einer Familie als Basis zu dienen. Als Devlin Abby einen Heiratsantrag gemacht hatte, wollte er ihre Verbindung so nüchtern wie möglich sehen, wie eine Art Geschäftsabschluß. Bewußt hatte er sich auf Logik verlassen anstatt auf romantische Gefühle. Aber dann hatte ihn die sexuelle Lust übermannt. Und er hatte den Vertrag gebrochen. Und nun war Abby auch noch schwanger. Ihr Mißtrauen ihm gegenüber war also verständlich, das hatte er nicht anders verdient. Für diesen Fehltritt mußten sie nun beide büßen. Devlin legte das Papier auf den Tisch. Solange sie im vernünftigen Rahmen blieben, hatte Abby ein Recht auf gewisse Zugeständnisse. "Du hast gesagt, daß du nicht die Absicht hast, außer Haus beruflich tätig zu sein."
"Das stimmt." "Was also möchtest du?" "Du hast mir doch mal gesagt, daß du keine Buchführung magst, aber dringend jemanden dafür brauchst. Ich kann ganz gut mit Zahlen umgehen und könnte das übernehmen. Die Stunden verrechnen wir dann mit meinen Schulden." Das gefiel Devlin erst nicht so recht. Andererseits haßte er den Papierkram wirklich, und Abby konnte schließlich genausogut für ihn arbeiten wie irgendein anderer. "Also gut, du kannst mir helfen und wirst dafür entlohnt:" Abby strahlte. Devlin kam näher, sorgte aber dafür, daß sie nicht in Berührung kamen. "Aber ich unterschreibe nicht die Zusatzklausel, der Vertrag bleibt, wie er ist." "Devlin, das ist..." Er unterbrach sie. "Wenn es zu viele Regeln zwischen uns gibt, funktioniert es nicht. Ich möchte nicht dauernd daran denken müssen, ob ich einen Fehler mache, du etwa?" Er würde Abby schon beweisen, daß sie sich auf ihn verlassen konnte. Sie schaute ihn zweifelnd an. "Es wird für keinen von uns leicht sein." "Wir schaffen es schon." Abby war sich da nicht so sicher. "Dein Jason ist gerade mitten in der Pubertät und wird weder eine Stiefmutter noch eine Stiefschwester und schon gar nicht noch ein Geschwisterchen haben wollen. Riley und Paige müssen sich auch erst aneinander gewöhnen. Wir haben die Aufgabe, zwei Familien zusammenzubringen und dann noch Platz zu schaffen für ein viertes Kind." Sie atmete zitternd ein, und um ihre Mundwinkel zuckte es. "Wir haben geheiratet, ohne uns zu kennen, und von dieser Entscheidung hängt das Leben von vier unschuldigen Menschen ab."
"Wenn wir uns an den Vertrag halten, wird alles gutgehen", versuchte Devlin sie zu beruhigen. Trotz aller Bedenken wollte er nicht an ein mögliches Scheitern denken. Diese Ehe hatte Vorrang, und er würde alles dafür tun, daß sie funktionierte. "Da ist noch etwas anderes." "Was denn?" "Ich kann nicht besonders gut kochen. Ich habe zwar etliche Kurse besucht, es aber nie richtig gelernt." . "Das werden wir schon hinbekommen." Er lächelte über ihren fast schuldbewußten Gesichtsausdruck. Abby nahm einen Stift und drehte ihn zwischen den Fingern. "Ich weiß nicht einmal, welche Zahnpasta du bevorzugst, wie du einen typischen Samstagabend verbringst oder was deine Lieblingsgerichte sind." "Ach, das ist nicht so kompliziert, ich benutze die billigste Sorte Zahnpasta, lese gern mal ein Buch oder schau mir einen Fernsehfilm an und esse, was du mir vorsetzt." "Magst du Eier?" "Oh, ja, recht gern." Devlin fand es rührend, daß Abby sich nach seinen Lieblingsgerichten erkundigte. "Dreimal am Tag Eier, das kann ziemlich langweilig sein." Devlin lächelte. "Das werden wir sehen." Abby legte den Kopf schief. "Du bist ja nicht sehr kompliziert." "Genau das wollte ich damit sagen."
2. KAPITEL Am nächsten Morgen fühlte Abby sich besser, die Übelkeit hatte sich zum Glück gegeben. Sie lächelte zärtlich, als sie Paige und Princess entdeckte, die auf der anderen Seite in Devlins großem Bett fest schliefen. Die sechste junge Schlange hatten sie schließlich in Rileys Tasche gefunden, aber Paige weigerte sich standhaft, in ihrem neuen Zimmer zu schlafen, da die siebente immer noch vermißt wurde. Daß Abby mit ihrer Tochter das Bett teilte, kam öfter vor. Seit Johns Tod war Paige oft zu ihr gekommen. Aber sie hatte einen unruhigen Schlaf, darum war es gut, daß Devlin im Gästezimmer schlief. Zu dritt mit Paige wäre es in seinem Bett doch ein wenig eng. Es würde ja nur vorübergehend sein, denn Paige würde sich hoffentlich bald eingewöhnen. Dann müßte Abby allerdings wieder neben Devlin schlafen, und wenn sie an die Hochzeitsnacht dachte ... Sie schob die Gedanken daran lieber weg und blickte sich im Zimmer um. Auch hier gab es holzvertäfelte Wände, dazu Jalousien, eine antike Kommode mit Spiegel und ein wundervolles Landschaftsbild. Alles wirkte anziehend. Genau wie der Besitzer des Hauses, dachte Abby. Im Einbauschrank hingen viele Jeans und einige Anzüge. Alles war ordentlich
aufgereiht. Devlin war ein eher sportlicher Typ, der bequeme, schlichte Kleidung liebte. Ihre eigenen Sachen hatte sie noch gar nicht ausgepackt. Ob sie sich wohl heimischer fühlen würde, wenn sie bald neben denen von Devlin im Schrank hingen? Die Vorstellung, das Schlafzimmer mit ihm zu teilen, verursachte ihr ein nervöses Kribbeln. Wieder kamen Zweifel in ihr hoch. In den vergangenen Jahren hatte Abby gelernt, daß man sich nur auf sich selbst verlassen konnte, nie anderen die Verantwortung überlassen durfte. Damit ersparte man sich viele Enttäuschungen. Inneren Abstand brauchte sie jetzt mehr denn je. Doch Devlin machte es ihr mit seiner sinnlichen Ausstrahlung schwer, den zu wahren. Seit sie ihn vor zweieinhalb Monaten bei einer Party anläßlich des fünfzehnten Hochzeitstages seiner Schwester kennenlernte, hatte sie sich in einem Zwiespalt befunden. Die Party hatte kaum begonnen, als der Babysitter von Paige anrief, daß es wieder durch das Dach regne. Devlin, der Bauunternehmer war, hatte sich bereit erklärt, mitzukommen und nachzusehen. Er hatte das Dach gleich provisorisch in Ordnung gebracht und es am nächsten Tag richtig repariert. Aus den wenigen Stunden Arbeit war dann ein ganzes Wochenende geworden. Ihm habe das nichts ausgemacht, erklärte er mit einem hinreißenden Lächeln. Paige hatte ihn sofort gemocht, und Devlin schien es - anders als dem eigenen Vater der Kleinen, der kein Interesse an Kindern mit klebrigen Marmeladenfingern hatte - richtig Spaß zu machen, sich mit ihr zu beschäftigen. Er hörte der Kleinen zu, spielte mit ihr und las ihr Geschichten vor. Wie hätte Abby einem Mann widerstehen können, der ein Dach reparieren konnte und mit einer Vierjährigen über erdachte Spielkameraden zu plaudern wußte?
An diesem Wochenende fanden Devlin und sie heraus, daß sie eine Menge gemeinsam hatten, nicht nur die Erfahrung einer großen Eheenttäuschung. Devlins Exfrau hatte ihn kurz nach der Geburt des zweiten Kindes verlassen und war ihrer Karriere zuliebe nach New York gezogen. Seitdem hatte Jason eine äußerst kritische Einstellung dem weiblichen Geschlecht gegenüber. Und Riley war dabei erwischt worden, wie er einem Schulkameraden das Lunchpaket stahl. Der Direktor erklärte Devlin, daß der Junge versuche, die Aufmerksamkeit seines Vaters zu erregen. Genauso unbefangen, wie Devlin davon erzählte, sprach Abby mit ihm über den plötzlichen Tod ihres Mannes und die bittere Entdeckung, daß er ihr nur Schulden hinterlassen hatte. Nachdem Sie einmal angefangen hatte, konnte sie nicht mehr aufhören zu reden. Sie wolle ihr Haus verkaufen, versuche vergeblich, einen Kredit zu bekommen und einen Job sowie einen Krippenplatz für Paige zu finden, erklärte sie Devlin. Das alles mal herauszulassen hatte sie ungemein erleichtert. Als Devlin nach dem Wochenende wieder wegfuhr, fühlte sie sich auf einmal richtig allein. Zwei Wochen später aber war er wieder zurück. Er sorgte für einen Babysitter und lud Abby zum Essen ein. Später am Abend schlug er ihr einen Handel vor, eine Zweckverbindung. Er brauche eine Frau und eine Mutter für seine Söhne und sie finanzielle Sicherheit, um ihrer Tochter ein Zuhause zu gewährleisten. In der Situation, in der Abby sich befand, war sein Vorschlag die Antwort auf ihre Gebete. Kinder großzuziehen war ihr Traum, und sich neben Paige um seine Söhne zu kümmern, erschien ihr wie eine Selbstverständlichkeit. Das einzige, was sie zur Bedingung machte, war, daß sie Johns Schulden selbst begleichen würde, um Devlin nicht allzu verpflichtet zu sein.
Sobald sie ja gesagt hatte, arrangierte Devlin eine Blitzhochzeit, so daß Abby gar keine Zeit mehr hatte, ihren Entschluß zu bereuen. Die erste Komplikation trat gleich nach der Hochzeit ein. Die Masern, die Paige bekam, dauerten länger als erwartet, weil die Kleine auf das Medikament allergisch reagierte, so daß der Umzug nach Wisconsin nicht zwei Wochen nach der Hochzeit, sondern erst sechs Wochen danach stattfand. Wegen eines wichtigen Auftrags konnte Devlin sie in der Zeit nur einmal besuchen, und obgleich sie in telefonischem Kontakt blieben, gingen sie nicht mehr so ungezwungen miteinander um wie zu Anfang. Und die Leidenschaft, die plötzlich aufflammte, zerstörte die Kameradschaftlichkeit zwischen ihnen. Bei den Telefonaten gab es gelegentlich ein gespanntes Schweigen, und Abby bekam Zweifel, ob diese Blitzehe eine gute Entscheidung gewesen war. Was wußten sie denn schon voneinander? Nun war sie kaum vierundzwanzig Stunden hier, und schon gab es eine unangenehme Begegnung mit kleinen Schlangen, nörgelnde Kinder, Gedanken an zu große Enge und das Bewußtsein, daß in weniger als sieben Monaten ein neues Familienmitglied dasein würde. Das war nun nicht mehr zu ändern. Das neue Leben wuchs schon heran. Aber was würde die Zukunft noch bringen? Alles war in der Schwebe. Nun, immerhin hatte sie diesmal einiges anders gemacht. Weder sie noch Devlin erwarteten so etwas wie Liebe voneinander. Das würde alles vereinfachen. Abby war in ihrem Leben schon so oft verliebt gewesen und verlassen worden, daß sie nun auf der Hut war und keine Illusionen mehr hatte. Auf so etwas konnte man seine Zukunft nicht aufbauen. Das einzige, was sie wollte, war, den Kindern eine gute Mutter zu sein und dafür zu sorgen, daß Johns Schulden
abgetragen wurden, damit sie nicht das Gefühl hätte, von Devlin aus Mitleid geheiratet worden zu sein. Nie wieder wollte sie so hilflos oder von jemandem abhängig sein. Abby stand auf und ging über den dicken Teppich, der den Holzboden bedeckte, ins Bad. Zwanzig Minuten später war sie in der Küche, schaute in die Schränke und freundete sich vorsichtig mit dem großen Hund an. Er begrüßte sie schwanzwedelnd, sprang an ihr hoch und versuchte ihr das Gesicht abzulecken. Nachdem sie ihn beruhigt hatte, ließ sie ihn an der Leine heraus, dann schaute sie in den Kühlschrank. Da es schon nach elf war, könnte das Frühstück schon etwas herzhafter ausfallen. Mitten in der Vorbereitung tauchte Devlin verschlafen auf. Sein Oberkörper war nackt, er trug nur ein Paar verwaschene Jeans und sah sehr sexy aus. Ruhig, Abby, befahl sie sich, benimm dich nicht wie ein alberner Teenager, du bist jetzt eine verheiratete Frau mit mehreren Kindern! Aber am liebsten hätte sie sich in seinen Arm gekuschelt und über sein dunkles Brusthaar gestrichen. "Was machst du denn hier?" fragte Devlin heiser. "Einen kleinen Lunch. Da ist noch etwas von gestern, aus dem italienischen Restaurant..." "Warum hast du mich nicht geweckt, damit ich dir helfe?" "Du bist doch spät ins Bett gegangen und brauchtest deinen Schlaf." "Den brauche ich noch immer, Hulk schnarcht nämlich." Auf ihren erstaunten Blick erklärte er. "Er wollte unbedingt bei mir schlafen." "Tut mir leid, daß Paige dich aus deinem Schlafzimmer vertrieben hat." Devlin zuckte die Achseln, seine wohlgeformten Muskeln bewegten sich. "Ich kann warten."
Abby wandte den Blick von seiner kräftigen Brust ab, als er ihr auf einmal die Hand auf die Stirn legte. "Was ist?" "Wie geht es dir heute? Ist dir noch übel?" Der Gedanke an den peinlichen Auftritt am Vortag war Abby äußerst unangenehm. "Nein, es geht mir gut." Sie entzog sich seiner Nähe. Sobald er sie berührte, fiel es ihr schwer, sachlich zu bleiben. "Ich bin schwanger, und gestern war ich erschöpft." Das schien Devlin nicht zu überzeugen. "Du hättest die Fahrt nicht an einem einzigen Tag machen dürfen." "Hör zu, du könntest duschen gehen, während ich das Essen mache." Als sie eine große Schüssel aus dem Schrank nahm, spürte sie, wie Devlin von der Seite auf ihr offenes, weites Hemd schaute. Unter seinem Blick wurde ihr ganz heiß. "Der Lunch ist in etwa zwanzig Minuten fertig." Sein Blick heftete sich auf ihre feuchten Lippen. "Wenn du meinst." Er rührte sich nicht. Jasons Stimme unterbrach die erotische Spannung. "Küßt ihr euch nun, oder laßt ihr endlich Hulk rein, bevor er die Tür zerkratzt?" Abby schrak zusammen, das hatte so feindselig geklungen, und erst jetzt nahm sie Hulks Jaulen wahr. "Tut mir leid, ich habe ganz vergessen, daß ich den Hund rausgelassen habe. Er hat bestimmt Hunger." Gerade wollte sie zur Tür eilen, als Devlin sie festhielt und zu seinem Sohn hinüberschaute. "Schon gut, Jason kann sich um den Hund kümmern." In diesem Augenblick tauchte auch Riley auf, der in viel zu großen Schuhen steckte und so aussah, als sei er gerade aus dem Bett gestiegen. "Ihr habt euch gerade geküßt? Wieso verpasse ich immer das Beste?"
"Was weißt du schon über das Beste?" ließ sich Jason mit der Überlegenheit eines Dreizehnjährigen vernehmen. "Du bist doch noch ein Kleinkind." "Dafür kann ich nichts", schmollte Riley. "Auf dem Spielplatz ist kein Sex erlaubt." Abby brach in Gelächter aus. Devlin dagegen schien das wenig komisch zu finden. "Riley, kümmere dich zusammen mit deinem Bruder um den Hund. Und dann zieht ihr beiden euch an." "Och Dad..." "Du auch, Jason." Jason hob verächtlich die Schultern und ging zur Tür. "Komm schon, du Armleuchter, hier ist es langweilig" Abby schaute ihnen nach, dann wurde sie wieder ernst. "Jason sieht nicht gerade zufrieden aus." "In dem Alter ist es schick, sowohl schlecht gelaunt als auch obercool zu sein", erklärte Devlin, "daran gewöhnt man sich." "Stand er seiner Mutter sehr nahe?" Devlins Blick verdüsterte sich. "Linda interessierte sich allein für ihre Arbeit. Wir anderen standen ihr dabei nur im Weg." Noch bevor Abby etwas dazu sagen konnte, wendete er sich ab. "Ich gehe erst mal duschen und ziehe mich an." Während Abby das Essen zubereitete, hörte sie die anderen im Haus herumrumoren und reden. Dreimal öffnete sich die Küchentür. "Dad hat gesagt, ich soll fragen, ob ich helfen kann", erklärte Jason. Er hatte geduscht und trug Jeans und ein weißes T-Shirt. "Du könntest nachsehen, ob auf dem Tisch noch etwas fehlt", schlug Abby vor. Jason verschwand. Fünf Minuten später stand Riley dort. "Dad läßt fragen, ob du Hilfe brauchst." Er versuchte, sein struppiges Haar zu glätten. Am liebsten hätte Abby ihm dabei geholfen. "Vielleicht legst du schon das Besteck auf den Tisch?"
Kaum war er gegangen, als Paige mit der Katze auf dem Arm hereinkam. "Mami, ich und Princess wollen auch helfen." "Princess und ich", verbesserte Abby automatisch. "Bring Princess lieber ins Schlafzimmer, dann wäschst du deine Hände und legst Servietten auf den Tisch, Schatz." "Princess ist nicht schmutzig, sie putzt sich immerzu. Kann ich meine Hände auch sauberlecken?" "Nein, du mußt schon Wasser und Seife benutzen." "Warum?" "Weil du keine Katze bist." Abby schob die Kleine zur Tür. "Beeil dich, wir essen gleich." Paige seufzte tief. "Wenn ich groß bin, werde ich eine Katze." "Meinetwegen. Aber jetzt bist du noch ein kleines Mädchen mit schmutzigen Händen. Husch, husch." Zehn Minuten später trug Abby die gefüllten Teller ins Eßzimmer, stellte jedem einen hin und setzte sich Devlin am Tischende gegenüber. Alle schwiegen. Abby schaute Devlin an. "Also, fangen wir an?" Er nahm sein Besteck auf. "Sieht köstlich aus, was, Jungs?" Riley nahm seine Gabel und blickte auf die Nudeln, die Abby kunstvoll auf den Tellern verteilt hatte. Er zog die Nase kraus. "Ich wußte gar nicht, daß man so etwas essen kann." Jason schaute noch weit mißtrauischer drein. "Was ist denn das?" "Brustimplantate", antwortete Riley, bevor Abby sagen konnte, was sie serviert hatte. "Hab' ich im Fernsehen gesehen." Jason kicherte. Devlin schaute Riley an und nahm ihm die Gabel aus der Hand. "Genug, junger Mann, entweder benimmst du dich, oder du verläßt den Tisch. Entschuldige dich bitte bei Abby." Riley wurde so blaß, daß seine Sommersprossen zu leuchten schienen. "Tut mir leid", murmelte er mit gesenktem Kinn.
Abby wollte nicht, daß gleich das erste Familienessen danebenging. "Das sind Ravioli, aber sie sehen wohl wirklich etwas merkwürdig aus, nicht?" "Die kennen wir nur aus der Dose", erklärte Devlin. Hausgemachtes Essen wird eine angenehme Abwechslung sein, nicht wahr?" "Die sind nicht selbstgemacht, ich habe sie nur wieder aufgewärmt", beeilte Abby sich zu sagen. Riley zögerte noch immer. "Paige liebt Ravioli, nicht wahr, Schatz?" wendete sie sich an ihre Tochter. Die Kleine schüttelte den Kopf. "Diese nicht, die schmecken komisch. Ich mag nur die von zu Hause." "Ich darf mich wohl entschuldigen", sagte Jason und erhob sich. "Du hast deinen Teller noch nicht leergegessen", mahnte sein Vater. "Schon gut...", wollte Abby sagen. Jason starrte seinen Vater an. "Ich bin nicht mehr hungrig." "Wunderbar." Devlins Gesicht war steinern. "Abby hat sich große Mühe mit dem Essen gemacht. Entweder ißt du jetzt auf, oder du kannst den Rest des Tages auf deinem Zimmer verbringen." "Das paßt mir gut." Jason warf seine Serviette auf den Tisch und stand auf. "Ich habe sie nicht darum gebeten. Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, daß sie hierbleibt, oder?" fügte er verächtlich hinzu. "Jason...!" Ohne sich noch einmal umzuschauen, verließ der Junge das Eßzimmer. "Mami?" bat Paige weinerlich, "fahren wir jetzt nach Hause?" "Das hier ist jetzt unser Zuhause." Abby versuchte, das entschiedener zu sagen, als ihr zumute war. "Du kannst nach
oben gehen, deinen Koffer auspacken und die Sachen in die Kommode deines neuen Zimmers tun." Paige schob die Unterlippe vor. "Ich mag das Zimmer nicht, ich will bei dir bleiben." Abby unterdrückte einen Seufzer, aber momentan hatte sie nicht genug Kraft für eine Auseinandersetzung. Das Essen war sowieso schon ein Fiasko. "Darüber reden wir später. Du kannst ja mal nach Princess schauen." Nachdem Paige gegangen war, legte Riley ebenfalls die Gabel hin. "Darf ich auch gehen?" Abby nickte. Riley stellte sich neben sie und fragte: "Können wir heute abend Boeuf Stroganow essen? Das mag ich sehr gern." Sein sehnsuchtsvoller Blick rührte Abby. "Vielleicht schaffe ich das nicht schon heute abend, aber vielleicht in den nächsten Tagen, okay?" Als er sie anstrahlte, fragte sie: "Magst du Eier?" Er kratzte sich den Kopf, so daß die Haare wieder durcheinandergerieten. "Am liebsten Rührei." "Gut." Sie verschwieg lieber, daß bei ihr sämtliche Eiergerichte zu Rührei wurden. Das würden alle schon bald genug selbst merken. Nachdem der Junge weg war, sahen Devlin und Abby sich an. "Ich fürchte, Riley wird von meinen beschränkten Kochkünsten enttäuscht sein", sagte sie. "Ich habe dich nicht wegen deiner Kochkünste geheiratet." Devlin schwieg einen Moment. "Es tut mir leid, Abby, die Jungs haben sich unmöglich benommen. Jason wird sich bei dir entschuldigen müssen." Abby schob die Essensreste auf einem Teller zusammen. Ihr war ebenfalls der Appetit vergangen. "Wir müssen ihnen Zeit lassen." Devlin wiegte den Kopf. "Vielleicht sollten wir ein Kindermädchen anheuern, das dir hilft."
"Wir haben doch abgemacht, daß ich mich um die Kinder kümmere." "Aber für wie lange?" Abby sah ihn überrascht an. "Wieso?" "Du warst doch schon beim Scheidungsanwalt." Seine Hände waren zu Fäusten geballt. "Wann wirst du finden, daß unsere Ehe nicht funktioniert, und den Anwalt um einen neuen Vertrag bitten?" Abbys Mund wurde ganz trocken. "Ich gehe zu keinem Anwalt. Wir müssen den Kindern nur etwas Zeit lassen." "Und was ist, wenn das nicht hilft?" Das waren die Narben, die seine erste Frau hinterlassen hatte. Abby hätte gern seinen Schmerz gemildert, aber sie wollte ihm auch nichts versprechen, was sie womöglich nicht halten konnte. "Ich weiß es nicht. Das werden wir sehen." "Wann?" Sie suchte nach einer Antwort. "Ich gehöre nicht zu denen, die schnell aufgeben. Aber ich möchte nicht, daß das Baby in eine Familie hineingeboren wird, in der alle im Krieg miteinander leben." Mit einem Quietschgeräusch, das an den Bohrer eines Zahnarztes erinnerte, schob Devlin seinen Stuhl zurück. In seinem Gesicht war deutlich die Anspannung zu sehen. "Ich werde Jason veranlassen, sich noch vor dem Abendessen bei dir zu entschuldigen." Als die Tür hinter ihm zuschlug, schrak Abby zusammen. Erschöpft lehnte sie sich im Stuhl zurück. Das fing ja gut an. Paige mochte ihr neues Zimmer nicht. Jason glaubte, sie würde bei der geringsten Schwierigkeit ihre Koffer packen. Riley behauptete, sie hätte das Mittagessen aus Resten in der Chirurgie hergestellt, und ihr frischgebackener Ehemann traute ihr keinerlei Durchhaltevermögen zu.
Wie sollte jemals eine richtige Familie aus ihnen werden? Wie würde es für das ungeborene Baby werden? Tränen stiegen ihr in die Augen. Wie würde sich das Leben für sie alle gestalten?
3, KAPITEL Auf einer Skala von eins bis zehn hatte Devlin wohl gerade eine Minus Sieben erreicht - gut gerechnet. Geduld war nie seine Stärke gewesen, er war immer den direkten Weg gegangen, um zu erreichen, was er wollte. Aber in diesem Fall war das sicher falsch. Er wollte nicht denselben Fehler wie mit Linda machen, das verdiente Abby nicht. Die hielt ihn jetzt garantiert für einen Tyrannen, denn als solcher hatte er sich aufgeführt. Bevor er wieder zu ihr ging, mußte er erst mal in Ruhe nachdenken. Das konnte er am besten im Freien, bei körperlicher Anstrengung. Nichts half ihm mehr dabei, als wenn er die Axt schwang oder einen Hammer. Mit langen Schritten ging er zum Holzhaufen vorm Schuppen. Die eisige Februarluft nahm er kaum wahr, das düstere, kalte Wetter paßte gut zu seiner Stimmung. Über der verschneiten Landschaft hingen schwere Wolken am Himmel. Erst in vielen Wochen würde es Frühling werden, der Winter hatte alles noch fest im Griff. Devlin überquerte die vereiste Auffahrt und den schneebedeckten Boden, legte einen Holzklotz auf einen Baumstumpf, nahm seine Lieblingsaxt und schlug sie mit kräftigem Schwung darauf. Die körperliche Anstrengung löste die innere Spannung.
Er hatte das Haus erworben, nachdem Linda ihn verlassen hatte. Das Haus, das er damals zusammen mit seiner Exfrau gekauft hatte, nachdem sie nach Humphrey gezogen waren, hatte ihr weit mehr als ihm gefallen. Devlin liebte eher das weite Land, eine natürliche Umgebung, in der man mit der Sonne aufstand und schlafen ging. Im College, beim Architekturstudium, versuchte er sich ans Stadtleben zu gewöhnen, aber nach drei Jahren hatte er genug. In verglasten Wolkenkratzern mit grellem Kunstlicht würde er nie arbeiten können, das reichte ihm nicht, er brauchte Freiheit und frische Luft. In dieser Gegend zu leben bedeutete für einen Mann wie ihn fast schon das Paradies. Er liebte den direkten, körperlichen Kontakt mit der Natur. Deshalb war er auch Bauunternehmer geworden. In Wisconsin hieß das, daß man an allen vier Jahreszeiten teilnahm, sie ganz deutlich spürte. Hier im Mittleren Westen wurde einem viel abverlangt, das entsprach Devlins Wesen. Der unbarmherzige Winter konnte wie die harte Linke eines Boxers sein, und der Sommer trieb einem manchmal den Schweiß aus den Poren. Devlin liebte die Extreme. Nur in seiner Ehe nicht. Sobald es ums Familienleben ging, wünschte er sich Vorhersehbarkeit und Ruhe. Linda war acht Jahre geblieben. Acht lange Jahre, in denen es Streß und Konflikte gegeben hatte. Nachdem sie gegangen war, war es recht mühsam gewesen, die Scherben des Lebens wieder zu kitten. Der Bau des Hauses hatte ihm geholfen, den Frust und das Gefühl, versagt zu haben, zu verarbeiten. Jeder Nagel, den er einschlug, stand für die Zukunft seiner Söhne. Hier würden sie wohlbehütet heranwachsen können, ohne die Feindseligkeit, die zur Basis seiner Ehe geworden war. Nach der Scheidung dauerte es Jahre, bis wieder Normalität einzog. Die Jungen wurden älter. Sie führten zwar kein
besonders luxuriöses Leben, aber sie hatten sich doch gegenseitig - und ihren Vater. Im vergangenen Jahr hatte es allerdings mit beiden Probleme gegeben. Devlin versuchte es bei jedem von Rileys Ausrutschern mit Gesprächen. Der Schuldirektor meinte jedoch, Riley sehne sich einfach nach mehr Zuwendung. Aber Devlin war natürlich oft nicht da, wenn seine Kinder ihn brauchten, schließlich mußte er arbeiten. Sie brauchten eine Mutter. Die Idee, wieder zu heiraten, kam nur zögernd, eine gescheiterte Ehe reichte ihm. An Liebe glaubte er nicht mehr, so etwas gab es offenbar nur in Seifenopern. Nie wieder wollte er diese emotionale Achterbahn erleben, aber genau das schienen die Frauen, die er kennenlernte, zu mögen. Sie erwarteten Dinge von ihm, die er ihnen nicht geben konnte. Devlin wollte vor allem eine Mutter für seine Kinder haben. Eine, die stabil war und die nicht den Ehrgeiz hatte, sich in der Geschäftswelt einen Namen machen zu wollen. Als er Gayles sympathische Nachbarin Abby kennenlernte, erschien sie ihm wie ein Geschenk des Himmels. Es dauerte nicht lange, bis er Informationen über sie zusammenhatte, und es ging genauso schnell, bis er eine Entscheidung fällte. Die kam ihm wie von ganz allein. Abby entsprach genau Devlins Vorstellung von grundsätzlichen Werten. Sie liebte Kinder und wollte keine "Superfrau mit Karriere und Familie nebenbei", sondern zu Hause sein. Abby war genau die Richtige für ihn. Bislang glaubte er, noch alles unter Kontrolle zu haben. Beim nächsten Schlag mit der Axt hatte er plötzlich eine Szene aus der Hochzeitsnacht vor Augen, und die Axt entglitt seinen schweißfeuchten Händen. Erstaunt sah er zu Boden. Von jetzt an wirst du dich auf das Wesentliche konzentrieren, Hamilton, und nicht an Sex denken! Kein Wunder, daß Abby
versuchte, neue Regeln aufzustellen. Du hast alles verdorben, Junge! Nein, von jetzt an wollte er sein Wort halten, damit die Ehe funktionierte. Es reichte schließlich, daß seine Söhne einmal verlassen worden waren! Was die Jungen betraf, so mußte er Abby allerdings auch Vertrauen schenken. Das fiel ihm nicht ganz leicht, nachdem er fünf Jahre lang alle Entscheidungen allein getroffen hatte. Das heutige Essen war nicht gerade ein guter Anfang. Abby war als Einzelkind aufgewachsen und tat sich möglicherweise schwer mit einer großen Familie. Vor allem mit Jason. Riley schien Abby zwar zu mögen, aber wer weiß, wie lange. Devlin nahm die Axt wieder auf und schlug kräftig zu. Splitternd brach das Holz auseinander. Er mußte mit Abby reden. Vielleicht bereute sie es schon, ihm damals wegen des Daches um Hilfe gebeten zu haben. Das würde ihn nicht wundern. Schnell warf er die Scheite auf eine Schubkarre in der Nähe und schlug die Spitze der Axt auf den Stumpf. Er wußte, was zu tun war. Die Fehler der Vergangenheit durften nicht die Zukunft gefährden. Sich schlechte Angewohnheiten wieder abzugewöhnen war schwer, aber er mußte unbedingt dafür sorgen, daß Abby durch die Kinder nicht überfordert wurde. Mit ein bißchen gesundem Menschenverstand und Geduld konnte man sicher alles in den Griff bekommen! Schließlich ging er zum Haus zurück. Aber sein Entschluß, Abby zu vertrauen und geduldig zu sein, wankte, sobald er die Küche betrat und seine Frau auf einer wackeligen Leiter stehen sah. Sie schien sich der Gefahr gar nicht bewußt zu sein und langte hoch oben in den Schrank. Plötzlich schwankte die Leiter. Devlin eilte herbei und versuchte, Abby zu halten, aber die plötzliche Bewegung ließ die Leiter umstürzen.
"Devlin!" rief Abby erschrocken. Er hatte sie zum Glück sicher aufgefangen. Er ließ sie auch nicht gleich wieder los, sondern bemühte sich nur, wieder ruhig zu atmen - wobei der Duft und das Gefühl ihres weichen Körpers ihm das nicht gerade erleichterten. "Was zum Teufel machst du denn?" schimpfte er. Sein Herz pochte. Wie sollte er sich in Geduld üben, wenn sie ihr Leben riskierte? Abby entwand sich seinen Armen. "Ich wollte im Schrank aufräumen. Aber wenn du etwas dagegen hast." Allmählich beruhigte er sich wieder und ließ Abby los. "Nein, du kannst die Sachen einordnen, wo du willst, aber wenn du etwas von hoch oben brauchst, laß es mich bitte holen! Ich möchte nicht, daß du stürzt und dich und das Baby verletzt." Sie schaute ihn durch ihre langen Wimpern an. "Sollte ich immer gleich Verbandszeug dabeihaben?" fragte sie amüsiert. Er kam sich plötzlich albern vor und stellte die Leiter wieder auf. "Ich bin ein ziemlicher Trottel, was?" "Na ja, wir stehen wohl beide ein bißchen unter Spannung." "So kann man das auch sehen." Unter Spannung stand er, seitdem sie das Haus betreten hatte ... "Was wolltest du denn da oben?" Sie zeigte auf eine große blaue Schüssel auf dem obersten Bord. "In der könnte ich gut die Eier verquirlen." Devlin holte sie herunter und stellte sie auf den Tresen. "Was sonst noch?" "Den Rest mache ich." "Vielleicht wäre es besser ..." "Nein, das wäre es nicht. Ich muß allein lernen, mich in der Küche zurechtzufinden", sagte sie ruhig. Wie sie so mit verschränkten Armen dastand und ihn anlächelte, war sie so reizvoll, daß ihm gleich wieder ganz heiß wurde.
Eigentlich kleidete sich Abby wirklich nicht ausgesprochen sexy. Aber der Schwung ihrer Hüften und die Brüste, die sich unter dem weichen Sweatshirt abzeichneten ... Am liebsten hätte er sich jetzt in kaltem Schnee gerollt, so wie die Skandinavier es nach einem Saunagang taten. Während Devlin seine Jacke auszog, nahm Abby einen Zettel mit Notizen vom Tisch. "Wenn es dir recht ist, würde ich gern in den Ort fahren, um Lebensmittel einzukaufen." "Ich fahre dich hin, Jason kann auf die Kinder aufpassen." Abby schob eine Locke zurück. "Das brauchst du nicht. Ich finde mich auch allein zurecht." "Du brauchst sowieso eine Vollmacht für das Bankkonto, das können wir dann gleich erledigen." "Ich behalte mein eigenes Konto, hast du das vergessen?" "Die Lebensmittel bezahlst du von unserem gemeinsamen Konto, das gehört zu unserer Abmachung." "Ah, ja." Abby zögerte. "Über Geld zu sprechen ist immer irgendwie unangenehm, nicht?" "Nicht, wenn wir das locker sehen." Abby steckte den Zettel in die Tasche. "Ich bin in fünf Minuten abfahrtsbereit, paßt dir das?" Devlin war klar, daß Abby ihm nicht zugestimmt hatte. Mit anderen Worten: Sie bestand auf einem eigenen Konto. Aber solange sie für den Haushalt das gemeinsame benutzte, war das ja akzeptabel. Devlin steuerte den Caravan auf die Landstraße in Richtung Stadt. Abby empfand leises Unbehagen. Als sie sich kennenlernten, war alles viel unkomplizierter gelaufen. Nun kam es ihr vor, als seien sie wie zwei Fremde, die sich erst einmal vorsichtig beäugten. Ob diese plötzliche unterschwellige Spannung darauf zurückzuführen war, daß sie in der Hochzeitsnacht miteinander geschlafen hatten?
Abbys Gefühle für Devlin waren undefinierbar. Sollte sie sie einfach ignorieren? Devlin brach das Schweigen zwischen ihnen. "Riley bemüht sich übrigens, die Schlangen loszuwerden. Vermutlich enden sie im Labor einer Schule." "Vielleicht könnte er eine behalten", schlug Abby vor. Devlin sah sie kurz an. "Drei Kinder, ein Baby, ein Hund und eine Katze im Haus stellen doch genug Wildnis dar, oder?" "Ist er sehr enttäuscht?" "Im Moment ja. Aber schon morgen hat er sicher etwas anderes. Er hängt noch nicht an seinen glitschigen Freunden." Sie lächelte. "Das glaube ich gern." "Das solltest du öfter tun." "Was?" "Lächeln." Abby zog die Kragenecken ihres Mantels zusammen. "Ich fühle mich ein bißchen unter Druck." "Verständlich. Das tun wir beide." Abby sah das als einen Versuch von Devlin, sich zu entschuldigen. "Ja, das glaube ich auch." Er lachte leise. Sie schaute auf seine schön geformten und leicht gebräunten Hände, die auf dem Lenkrad lagen, und mußte unwillkürlich daran denken, wie er sie in der Hochzeitsnacht gestreichelt hatte. Nein, diese Erinnerung wollte sie lieber schnell verdrängen. Sonst... Devlin packte das Lenkrad fester. "Keiner von uns konnte ahnen, wie sich alles mit uns entwickelt." "Nein. Wir wußten beide nicht, worauf wir uns da einließen. Was würdest du eigentlich anders machen, wenn du deine erste Ehe noch einmal beginnen könntest?" Devlin bremste ab, als ein Trecker mit Anhänger vor ihnen auftauchte. "Darüber habe ich lange nachgedacht, nachdem Linda weg war. Ich glaube, keiner von uns wußte, was der
andere von einer Ehe erwartete. Zum Schluß war es uns beiden egal." "Was wolltest du denn?" Er runzelte die Stirn. "Ich wollte in einer Kleinstadt wohnen, wo die Leute an der Straßenecke stehenbleiben, um miteinander zu reden, und sich helfen, wenn einer Hilfe braucht. Das gehörte zu meinem Leben, als ich aufwuchs, und das wünschte ich mir auch für meine Kinder." Er schwieg einen Moment. "Aber Linda gefiel das nicht. Sie haßte die ländliche Stille. Fand, daß es auf dem Markt nie das nichtige gab, auch wenn wir nur ganz einfach aßen. Ich liebte es, abends zu Hause zu sein, sie dagegen wollte ins Theater oder zu abendlichen Versammlungen. Mich störte es nicht, daß die Post mittags geschlossen hatte oder daß man nur vormittags zum Bezirksamt gehen konnte - Linda fand das hinterwäldlerisch. Wir waren wie zwei verschiedene Schuhe, die nicht zusammenpaßten. Nur wenn ich mich bereit erklärt hätte, nach Madison zu ziehen, hätte es vielleicht funktioniert." "Aber dann wärst du vermutlich unglücklich gewesen." Abby konnte sich Devlin überhaupt nicht in einer Großstadt vorstellen. Obgleich er an ihrem Hochzeitstag umwerfend in seinem Anzug ausgesehen hatte, wußte sie, daß er sich darin nicht besonders wohl fühlte. Ein Blick in seine frechen grünen Augen zeigte, wie er war: wirklichkeitsnah, direkt und ehrlich. Genau das gefiel ihr an ihm! Darin lag auch eine gewisse Gefahr. Devlin war ein Mann, an den man sich anlehnen konnte, aber sie durfte nicht vergessen, was sie erlebt hatte! Sie erreichten den Stadtrand. "Gibt es in Humphrey einen Kindergarten?" wollte sie wissen. "Ja. Ich habe vorige Woche schon mit der Leiterin gesprochen. Sie erwartet deinen Anruf, damit du Paige vorstellen kannst."
Daß er daran gedacht hatte, rührte Abby. "Das war sehr lieb von dir." "So etwas tun Väter und Ehemänner, sie kümmern sich um die Familienangelegenheiten." Abby biß sich auf die Lippe. "Nicht alle." "Das täten alle, wenn sie von meiner Mutter erzogen worden wären", widersprach er lächelnd. Abby mußte an ihre Schwiegermutter denken, die für jeden ein freundliches Wort hatte. "Ich mag deine Eltern." "Das beruht auf Gegenseitigkeit." "Hast du ihnen schon von dem Baby erzählt?" "Nein." Sie schaute aus dem Fenster. "Vermutlich sind sie schockiert, nach allem, was ..." Devlin lachte. "Meine Mutter wird sich riesig freuen, und mein Vater kauft mir bestimmt eine Kiste Zigarren. Ich habe es ihnen noch nicht erzählt, weil Mutter dann sofort käme, um sich um dich zu kümmern. Aber das ist ja wohl noch ein bißchen früh. Sie ist froh, daß ich wieder verheiratet bin, und mag dich und Paige sehr. Wenn sie von dem Baby hört, bleibt sie gleich ganz da." "Das ist doch lieb von ihr." Er gab einen mürrischen Laut von sich. "Warte, bis sie dir hilft, das Kinderzimmer zu dekorieren oder einen Namen für das Baby auszusuchen." Abby wußte nicht, ob er scherzte oder nicht. Sie hatte Devlins Eltern schon mehrmals bei Gayle getroffen, und nachdem sie verheiratet waren, mit ihnen telefoniert. Sie schienen sehr nett zu sein. "Gibt es Namen, die deine Mutter gar nicht mag?" "Na ja, Ralph oder Ralphina zum Beispiel." "Ich denke, darauf kann ich verzichten."
"Gut, denn vor dreißig Jahren hat mal ein Ralph Hamilton eine Bank überfallen, den Namen würden wir also nicht gern weitergeben." "Kann ich mir denken", sagte Abby amüsiert. "Und was ist mit Ralphina?" "Das klingt so ähnlich wie Ralph. Außerdem findet meine Mutter, die früher Lehrerin war, daß es mühsam zu buchstabieren ist." Wie fürsorglich, daß Devlins Eltern zuerst an die Kinder dachten. "Deine Mutter scheint großartig zu sein." "Davon versucht sie meinen Vater auch immer zu überzeugen." "Seit wann sind sie verheiratet?" "Seit fast fünfunddreißig Jahren." "Sie haben Glück gehabt, nicht?" sagte Abby etwas wehmütig. "Mein Vater meint immer, jeder sei für sein eigenes Glück verantwortlich." Hat Devlin mich darum heiraten wollen? überlegte Abby, während sie vor dem Supermarkt von Humphrey einparkten. Die Ehe seiner Eltern funktionierte gut, das konnte jeder sehen. Aber trotz deren Zustimmung würden Devlin und sie sicher mehr als Glück benötigen, damit es auch bei ihnen klappte ... Auf der Bank verlief alles problemlos. Abby unterschrieb die nötigen Formulare, und Devlin protestierte nicht, als sie auch ein eigenes Konto einrichtete.. Diese Unabhängigkeit brauchte sie anscheinend. Als sie mit John verheiratet gewesen war, hatte sie ihm vertraut ... und dafür dann fast alles verloren. Daß er all ihre Ersparnisse veruntreut und dazu das Haus mit einer Hypothek belastet hatte, war ein grausamer Schock für sie gewesen. Die Gläubiger forderten sofortige Bezahlung, und Abby hatte kaum noch genug, um die nötige Kleidung für Paige zu kaufen. So war
Devlins Heiratsantrag genau im richtigen Moment gekommen. Aber wegen ihrer Vergangenheit ertrug sie es nun nicht mehr, von jemandem abhängig zu sein. Es wäre ein leichtes, die Fehler zu vergessen, die sie gemacht hatte. Devlins Haus, seine Söhne und die Zukunftsaussichten waren etwas, wovon sie immer geträumt hatte. Aber sie mußte vor allem an Paige und an das Baby denken. Und mit Jason und Riley umzugehen würde viel Fingerspitzengefühl erfordern. Kinder waren so verletzlich. Wenn diese Ehe nicht funktionierte, dann ... Darauf mußte sie zur Not vorbereitet sein, egal wie beruhigend die gegenwärtige Situation aussah. Nichts hielt ewig, gar nichts. Zu hohe Erwartungen führten unweigerlich zu Enttäuschungen. Nach dem Bankbesuch fuhren sie zum Supermarkt! Sie hatten gerade einen Einkaufswagen besorgt, als eine weibliche Stimme rief: "Devlin Hamilton, habe ich richtig gehört: Du hast geheiratet? Und du sagst es nicht deinen ältesten und besten Freunden?" Eine zierliche braunäugige Frau kam auf sie zu. "Ich habe es dir nicht gesagt, weil du es prompt deinem Ehemann erzählt hättest, und der hätte garantiert sofort versucht, Abby davon abzuhalten, mich zu heiraten." "Du hattest wohl Angst, daß ich sie über all deine Laster aufkläre, was?" Ein hochgewachsener Mann kam hinzu. "Ihr seid doch mein einziges Laster, seit Jahren versuche ich, euch abzuservieren, aber ihr seid immer noch da." Devlin grinste, und aus der lockeren Reaktion des Ehemannes entnahm Abby, daß es sich um wirklich gute Freunde von Devlin handeln mußte. "Abby, ich möchte dich mit Rebecca und Cash Castner bekannt machen." Devlin legte den Arm um Rebeccas Schulter und drückte sie kurz an sich. "Becky ist ganz prima, außer daß sie, was Männer betrifft, einen schlechten Geschmack hat."
"Du bist ja nur eifersüchtig, weil ich mir die einzige tolle Frau von Humphrey geangelt habe." Die beiden Männer schienen im gegenseitigen Frotzeln große Übung zu haben. "Ruhe, ihr beiden", Rebecca lachte, "sonst hält Abby uns noch für unzivilisiert." "Hey, wir sind hier in Wisconsin, das wird sie früher oder später auch begreifen", meinte Cash. "Hm", stimmte Devlin zu, "die Wahrheit ist, daß Cash selbst nach Wisconsin-Standard so eine Art Hinterwäldler ist." "Nach welchem Standard? Na ja, das hier ist schließlich das Land der ,Käseköpfe'." Cash grinste. "Hör nicht auf die beiden", wendete sich Rebecca an Abby und bot ihr gleich das vertraute Du an. "Sie tun immer so bissig, sind aber nichts weiter als bellende Hunde. Streichelt man sie, dann fressen sie einem aus der Hand." "Das werde ich mir merken." Abby ahnte, daß Rebecca genau wußte, wie man ihren stattlichen Ehemann in Schach hielt. Auch die tiefe Liebe zwischen beiden war deutlich spürbar. "Woher kommst du eigentlich, Abby?" wollte Cash nun wissen. "Aus der Gegend von Cincinnati." Cash sah Devlin ein wenig skeptisch an. "Ach, noch eine aus der Stadt, wie?" Rebecca stieß ihrem Mann in die Seite. "Benimm dich, du kannst doch Linda und Abby nicht vergleichen. Linda ist hier aufgewachsen und wollte immer schon weg. Abby dagegen ist hergekommen, um hier zu bleiben." Sie blickte Abby entschuldigend an. "Achte nicht auf Cash, er hat nur Angst, daß du kein Interesse an seinen und Devlins Football-Glanztagen von früher hast. Frag sie bloß nicht nach den Gelben Falken von Humphrey!" "Na hör mal, Abby muß doch etwas über die hiesigen Leute wissen, wenn sie hier leben wird!" warf Cash ein.
Rebecca verdrehte die Augen. "Dann erzählen wir ihr lieber etwas darüber, wie Devlin und ich die Jungs- beziehungsweise die Mädchenmannschaft vertraten. Und über den Chor, zu dem wir alle gehören." Cash zog ein Gesicht. "Das interessiert sie doch gar nicht." "Erst recht nicht deine Tarzan-Vorstellung." Abby verstand nicht so recht, worauf die beiden anspielten, lächelte Cash aber zu. "Ich freue mich darauf, von euren Glanztagen auf dem Footballfeld zu hören, wenn ich dafür dann von meinen als Basketballstar erzählen kann." In Cashs Gesicht spiegelte sich Respekt. Abby ahnte, daß hinter seiner etwas großmäuligen Art ein ganz lieber Mensch steckte, ein wirklich guter Freund. Die Castners gefielen ihr. Devlin legte seine warme Hand unter Abbys Ellbogen. "Hör mal, ich habe Abby nicht geheiratet, damit du sie mit deinem Footballkram langweilst, es sei denn, du erzählst ihr davon, wie ein Cheerleader des gegnerischen Teams dich so verletzt hat, daß du mit einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus gelandet bist." Cash schaute nachdenklich drein. "Ich werde dir die wahre Geschichte erzählen, Abby, da dein Mann sich nicht richtig zu erinnern scheint." Rebecca stieß ihrem Mann in die Rippen. "Ihr beiden könnt doch schon mal nach dem Müsli schauen, während ich Abby die Tiefkühlabteilung zeige." Devlin ließ Abby nur ungern los, aber sie entzog sich schließlich lächelnd und folgte Rebecca. "Herzlichen Glückwunsch zu eurer Hochzeit, es freut uns sehr für Devlin", sagte Rebecca. "Vielen Dank." "Du hast eine Tochter, habe ich gehört." Abby nickte. "Ja, Paige ist vier Jahre alt."
"Das ist ja wundervoll! Unsere Tochter Kelly ist im selben Alter! Die wird sich freuen. Vielleicht kann Paige ja mal zum Spielen zu uns kommen?" "Bestimmt gern, sie vermißt nämlich ihre alten Freunde." "Ja, nichts bedeutet Kindern mehr als ihre Spielkameraden. Zum Glück ist Paige noch jung genug, um sich umzugewöhnen." "Das hoffe ich sehr." Rebeccas freundliche Art machte es Abby leicht, sich natürlich zu geben. "Habt ihr noch andere Kinder?" "Noch nicht, aber ich hätte gern irgendwann einen Sohn, einen kleinen Riley." Das klang sehnsuchtsvoll. "Wie kommst du denn mit Jason klar?" "Das kann ich noch nicht so recht beurteilen." "Es wird schon werden." Rebecca seufzte. "Er ist empfindlicher, als er zugibt." Plötzlich legte Rebecca ihre Hand auf Abbys Arm und schaute sie ernst an. "Ich bin sicher, daß diese Heirat für euch beide ein großer Schritt war, aber ehrlich gesagt, bin ich heilfroh für Devlin. Ich hatte schon befürchtet, daß Linda ihn für alle Zeit für die Ehe verdorben hätte. Devlin ist ein lieber Mensch und braucht dringend etwas Zuwendung." "Ja, das stimmt." Von dem Vertrag sagte Abby lieber nichts. In der Tiefkühlabteilung blieben sie stehen. Rebecca nahm ein Paket Karotten aus dem Schrank. "Ich kann mir vorstellen, daß es nicht gerade leicht ist, zwei Familien zusammenzubringen. Ich hoffe, du weißt, daß du in uns gute Freunde gefunden hast." Rebecca reichte Abby das Paket und sagte mit verschwörerischer Stimme: "Riley liebt Karotten." Abby war gerührt. "Vielen Dank." Devlin und Cash tauchten mit einer Menge Lebensmittel auf und legten sie in die Einkaufswagen. "Ich wußte nicht, welche du am liebsten magst, darum habe ich verschiedene Sorten Cornflakes mitgebracht."
"Prima." Abby waren alle recht. Als Cash etwas in Rebeccas Wagen legen wollte, hielt sie ihn auf. "Hör mal, ich möchte nicht, daß Kelly so süßes Zeug ißt." "Die sind auch nicht für sie, sondern für mich." Rebecca schüttelte den Kopf. "Du ißt viel zuviel Süßigkeiten." "Darum habe ich dich auch geheiratet, meine Süße." Cash grinste. "Übrigens haben sie frischgebackene Schokokekse in der Bäckerei." "Oh, warum erzählst du mir das nur?" klagte Rebecca. "Komm, laß uns hingehen." Unterwegs drehte Rebecca sich noch einmal um. "Wollt ihr beiden nicht mal zum Kartenspielen oder so vorbeikommen?" Abby stimmte zu. "Hört sich gut an." "Super." Rebecca winkte und verschwand aus dem Blickfeld. "Möchtest du auch zu den Keksen?" fragte Devlin. "Nein, die gehören nicht zu meinen Lastern." "Was denn sonst?" Männer mit grünen Augen, wollte Abby schon sagen, verkniff sich das aber lieber und hielt ein Päckchen Marshmallows hoch. "Die liebe ich und weiß sofort, wenn sich jemand daran zu schaffen gemacht hat." Devlin drängte sich an sie. "Mir würde es auch ganz und gar nicht passen, wenn sich jemand an meinen Lieblingsnaschereien zu schaffen macht..."
4. KAPITEL Auf der Nachhausefahrt lehnte Abby ihren Kopf erschöpft an die Rücklehne und schloß die Augen. Nachdem sie angekommen waren, stellte Devlin die Einkaufstüten in der Küche auf den Tresen und ging in die Werkstatt. Abby hatte gerade begonnen auszupacken, als Riley hereinstürmte. "Was hast du mitgebracht?" Sie reichte ihm ein Päckchen. "Dein Dad sagt, du magst Schokokekse mit Marshmallowfüllung." Riley strahlte. "Klasse! Kann ich einen haben?" "Einer oder zwei werden dir schon nicht gleich den Appetit verderben." Begeistert riß Riley das Päckchen auf. Abby hatte schon oft überlegt, wie es wohl wäre, einen Sohn zu haben. Rileys rotblondes Haar stand zu Berge, sein verknautschtes T-Shirt war etliche Größen zu weit, seine Jeans wiesen an jedem Knie einen stolzen Riß auf, und seine Turnschuhe waren schlammverkrustet. Paige kam mit ihrer Katze herein, ließ sie aber zu Boden, sobald sie die Tüten sah, und stieg auf einen Stuhl. "Mami, was hast du mir mitgebracht? Hast du mir meine Lieblingscornflakes mitgebracht?" "Die sind in der großen Tüte." Abby runzelte die Stirn. Das Gesicht von Paige wies eindeutig Schminkstreifen auf. Diesmal
handelte es sich um den Lippenstift der Farbe "Rosiger Sonnenuntergang", wenn Abby nicht alles täuschte. "Bist du wieder an mein Make-up gegangen, Schätzchen?" Paige schürzte die Lippen. "Nur ein bißchen. Princess gefiel es nicht so. Sie hat gefaucht, und dann ist es alles auf dem Boden gelandet und so." Abby überlegte, was im Haus wohl sonst noch etwas von dem Make-up abbekommen haben mochte. Aber bevor sie schimpfte, wollte sie sich erst einmal einen Überblick verschaffen. Jason kam herein. Er durchsuchte nicht die Einkaufstüten wie die anderen beiden Kinder, sondern ließ nur seinen Blick darüber schweifen. Abby zeigte auf eine Tüte. "Dein Vater meinte, daß du Kekse mit Erdnußbutter magst. Ich habe ein paar Päckchen davon mitgebracht." Jason tat desinteressiert. "Ich mag nur Selbstgebackenes." Er hinderte Riley daran, noch einen Keks zu nehmen. "Du weißt, daß Dad es nicht mag, wenn du dich damit vollstopfst." Riley riß sich los. "Jason, back doch mal wieder diese süßen Kekse, die mag ich am liebsten." "Ach, du kannst backen?" fragte Abby erstaunt. Jason wurde ein bißchen rot. " Irgend jemand muß das ja tun." "Er kann es gut", sagte Riley. "Grandma meint, er soll Koch werden, er kann nämlich ganz prima kochen." Jason machte ein trotziges Gesicht. "Hey", Riley hob einen Karton hoch, "wieso sind da so viele Eier drin?" "Magst du keine?" fragte Abby. "Doch." "Ich und Mami mögen Eier gern", verkündete Paige wichtig. Jason hob eine Konservendose hoch. "Die kann Dad nicht essen, er reagiert allergisch auf Pilze."
"Macht nichts", sagte Abby, "dann verschenken wir sie eben. Müßt ihr nicht auch Lebensmittel mit in die Schule bringen?" Jason zuckte mit den Achseln. "Andere sind vielleicht auch allergisch gegen Pilze." Er verließ die Küche - jedoch nicht, ohne ein paar Erdnußkekse mitzunehmen. Devlin starb allmählich vor Hunger. Allerdings nicht, weil er nicht gegessen hatte. In den vergangenen drei Wochen hatten sie alle möglichen Arten von Eiergerichten probiert, darum ging es nicht. Nein, sein Hunger betraf etwas anderes, wie ihm an diesem kalten Winterabend im Schuppen bewußt wurde. Mit riesigem Krachen fuhr die Axt ins Holz. Devlin mußte an den verdammten Ehevertrag denken. Abgesehen von der Hochzeitsnacht hatten Abby und er sich an jeden Buchstaben gehalten. Dazu hatte er den CramdenAuftrag so pünktlich erledigt, daß er einen finanziellen Bonus und gleich zwei neue Aufträge bekam. Abby erfüllte ebenfalls ihren Teil: Sie hielt das Haus sauber, paßte auf, daß die Kinder nicht zuviel fernsahen, und half Riley bei den Schularbeiten, obgleich der es eigentlich gar nicht benötigte. Aber er hatte Abby gern in seiner Nähe. Paige war noch nicht in ihr neues Zimmer gezogen und behauptete, ihre Katze wolle das nicht. Immerhin betrat sie es gelegentlich, um sich dort ein bißchen umzuschauen. Jason war meist in seinem Zimmer, wenn er zu Hause war, und kam nur heraus, wenn er zur Schule mußte, wenn es Essen gab oder wenn er etwas brauchte. Er hielt sich vom Rest der Familie fern. Devlins Ältester schenkte niemandem so ohne weiteres sein Vertrauen, schon gar nicht, wenn es sich um ein weibliches Wesen handelte. Auch mit Lehrerinnen hatte es Schwierigkeiten gegeben, aber nach einer gewissen Zeit gewöhnte er sich an sie. Er brauchte einfach Zeit. Zum Glück ließ man ihm die. Alles in allem schien das Familienleben jedoch zu funktionieren.
Nur Devlin selbst hatte Probleme. Sein wachsendes sexuelles Verlangen nach Abby trieb ihn Abend für Abend nach draußen. Er dachte ständig daran, daß er mit ihr schlafen wollte, und sich zurückzuhalten fiel ihm immer schwerer. Wenn er im Haus bliebe, fürchtete er, daß er etwas tun würde, was sie dann beide bereuen würden. Was Abmachungen betraf, so war Devlin immer zuverlässig gewesen. Er hatte Abby versprochen, daß ihre Ehe platonisch blieb, und das sogar unterschrieben. Daß er einmal sein Wort gebrochen hatte, belastete ihn. Er war ja froh, daß Abby überhaupt da war! Dazu empfand er es als großes Glück, daß sie ihm die Schwangerschaft nicht vorwarf, sondern daß sie das Kind wollte, Kinder überhaupt mochte und sich sogar an Jasons Launen gewöhnt hatte. Es war sicher nur eine Frage der Zeit, wann sie dessen Widerstand überwunden haben würde. Abby hatte eine Art, mit Menschen umzugehen, die ganz erstaunlich war. Auch was ihn selbst betraf. Wieso ging ihm diese Frau, die außer Rühreiern nichts Eßbares zubereiten konnte, nur derart unter die Haut? Jeden Morgen durchforstete sie die zahlreichen Kochbücher, die sie aus Ohio mitgebracht hatte, machte sich Notizen und Einkaufslisten, aber dann wurden immer wieder nur Eiergerichte daraus. Und dennoch fand er Abby so aufregend wie keine Frau zuvor und begehrte sie mit einem unbeschreiblichen Verlangen. Er stellte sich vor, von Abbys verführerischen Lippen zu trinken, dachte an die weichen Rundungen ihrer Brüste, daran, wie er ihren knackigen Po umschmiegen würde und dann ... Nicht dran denken, Hamilton, befahl er sich. Er hatte erneut eine einsame Nacht im Gästebett vor sich, zusammen mit einem schnarchenden Hund und einer schnurrenden Katze. Du mußt lernen, damit zu leben. Nun gut, bis zum Jahre 2050 würde er sich vielleicht daran gewöhnt haben. Dann würde er
allerdings vermutlich zu alt sein, um überhaupt noch laufen zu können. Tief einatmend hob er wieder die Axt. "Devlin?" Die Stimme riß ihn so aus seinen Gedanken, daß die Axt seiner Hand entglitt. "Oje, ist alles in Ordnung?" fragte Abby besorgt. "Ja, alles in Ordnung", behauptete er und verdrängte das Bild von Abbys nacktem, verführerischen Körper. "Was ist denn passiert?" "Mein Arm war auf einmal ganz verkrampft." "Kommt das öfter vor?". Jedesmal wenn ich in deiner Nähe bin, wollte er sagen. "Vergangene Nacht habe ich ganz verquer geschlafen, alles scheint irgendwie ein bißchen steif zu sein." Das war die Untertreibung des Jahres. "Das Bett ist wahrscheinlich nicht groß genug für dich", Abby klang besorgt, "Paige und ich könnten doch darin schlafen." "Nein." "Wieso nicht?" Devlin wünschte, er würde lockerer klingen. "Es ist besser, du schläfst in dem großen Bett. Bald wird das Baby anfangen, sich zu bewegen." Abby biß sich auf die Unterlippe. "Vielleicht passen wir ja alle drei in das Bett. Falls es dir nichts ausmacht, wenn Paige gelegentlich strampelt." "Nein, nein, das ist wirklich nicht nötig. Ich bleibe am besten, wo ich bin." "Na gut, wenn du meinst." Die Idee, mit ihr das Bett zu teilen, würde erst denkbar sein, wenn er mindestens fünfundsechzig wäre. Dann nahm der sexuelle Appetit allmählich ab, hatte er gehört. Abby hob die Axt auf und reichte sie ihm. "Vielleicht sollten wir mal miteinander reden."
Sah sie nicht ein bißchen blaß aus? "Stimmt etwas nicht mit dem Baby?" fragte er besorgt. "Nein, dem geht es gut und mir auch." Sie lächelte. "Ist was mit den Kindern? War Jason wieder frech?" "Nein, es hat nichts mit den Kindern zu tun." Abby schaute ihn aufmerksam an. "Ist mit dir wirklich alles in Ordnung? Du wirkst so angespannt. Soll ich deine Schultern vielleicht massieren?" Devlin unterdrückte ein Stöhnen, aber die Versuchung war zu groß. "Gern, gehen wir rüber ins Haus?" "Nun, ich wollte dich nicht bei deiner Arbeit stören, ich weiß ja, du hast viel zu tun." Ihr Blick wanderte über die Berge von Holzscheiten, die vorm Schuppen gestapelt waren und die für mindestens drei harte Winter reichen würden. Devlin wollte nicht, daß Abby lange darüber nachdachte, warum er sich dauernd als Holzhacker betätigte, und schob sie in Richtung Haus und ins Büro, in den einzigen Raum, wo sie ungestört sein würden. "Wenn du dich hier auf den Stuhl setzt, komme ich besser an deine Schultern heran", sagte sie. Das mindeste, was ich dafür tun kann, daß du auf dein Bett verzichtest, ist, deine Beschwerden zu lindern." Wie konnte er sich auf ihre Worte konzentrieren, wenn ihre Hände ihn einer so göttlichen Folter unterzogen? Vielleicht war das die Strafe für seine ausschweifenden Phantasien. "Kein Wunder, daß du nicht mehr weitermachen konntest", erklärte sie, "deine Muskeln sind völlig verspannt. Eine meiner Pflegemütter sagte immer, man solle auf seinen Körper hören." Ihm wäre es lieber gewesen, sie würde auf seinen Körper hören ... "Wie viele Pflegemütter hattest du denn?" "Zwölf." "So viele?" "Ja. Manche hatten schon zu viele Kinder, eine Familie entschloß sich plötzlich, Zwillinge zu adoptieren, eine andere
zog woandershin, und eine fand es dann doch zu schwierig, ein fremdes Kind zu betreuen." Sie schwieg einen Moment. "Ich gebe zu, daß ich als Teenager nicht ganz einfach war." In ihrer Stimme lag ein verborgener Schmerz. "Das muß schwer für dich gewesen sein." Abbys Bewegungen verlangsamten sich kurz, nahmen dann jedoch wieder an Kraft zu. "Es geht, wenn man nicht zu viele Erwartungen hat. Man lernt, flexibel zu sein." "Und immer auf gepackten Koffern zu sitzen?" Abby lachte. "Manchmal war es so." Devlin wurde wütend. Aber wen sollte man für das alles verantwortlich machen? Am liebsten hätte er Abby in die Arme genommen und sie all die Einsamkeit für immer vergessen lassen. Aber er hatte ja versprochen, sie nicht anzurühren ... Wenn er nur, bevor er ihr den Heiratsantrag gemacht hatte, gewußt hätte, was genau sie brauchte! Nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch Liebe und Respekt. Niemand verdiente es mehr, glücklich zu sein, als sie. "Entspann dich", sagte sie und fuhr über die verkrampften Muskeln, "so schlimm ist es ja nun auch wieder nicht." Devlin zwang sich, seine Muskeln zu lockern. Abby wechselte das Thema. "Du mußt mir übrigens noch die Buchhaltung zeigen, damit ich damit den Kredit abarbeiten kann." Das klang so sachlich im Gegensatz zu den Gefühlen, die Abby bei ihm verursachte. "Für das Haus in Ohio gibt es zwar noch keine Angebote, aber ich möchte mit der Rückzahlung trotzdem gern schon beginnen." Ihre Finger fanden all die empfindlichen Punkte im Nackenbereich. Über Geld mochte Devlin jetzt nicht sprechen, am liebsten über gar nichts, er wollte nur ihre Berührungen genießen. Abby hielt inne. "Devlin?" hakte sie nach. "Mit der Buchhaltung können wir uns beschäftigen, wann immer du willst." Sie sollte bloß nicht aufhören. Das war es fast
wert, mit Hulk und Princess in einem Raum zu schlafen. Beinahe jedenfalls. "Vielleicht morgen abend nach dem Essen?" "Gut." Er mochte gar nicht sprechen. Nach ein paar Minuten sagte sie: "Ich war heute übrigens beim Arzt." "Ah ja, ist alles in Ordnung?" "Es war nur eine Routineuntersuchung, nichts weiter." "Findet der Doktor nicht, daß du zu dünn bist?" "Findest du mich denn zu dünn?" fragte sie amüsiert. "Das habe ich nicht gesagt." "Magst du lieber mollige Frauen?" wollte sie wissen. Devlin lehnte sich zurück und verschränkte die Hände, als müsse er nachdenken. "Ich mag eine gesunde Frau, die sich um sich selbst und um ihre Familie kümmert. Mit Augen so blau wie der Michigan-See und einer Figur, die den Appetit auf sie weckt." Abby setzte sich in den Lehnstuhl. "Du stellst ja ganz schöne Ansprüche." "Na ja, an dich kommt so leicht keine heran", sagte er leise. Abby schien verlegen, und Devlin war beruhigt darüber, daß die Anziehungskraft nicht nur einseitig war. Aber das änderte natürlich wenig. Schließlich gab es da immer noch diesen Vertrag. Abby löste die Hände von Devlin und ging im Zimmer auf und ab. "Hast du dir eigentlich schon überlegt, wann wir den Bändern von dem Baby erzählen sollen?" "Nein, noch nicht. Du?" "Vielleicht sollten wir es bald machen, meine Jeans werden mir allmählich zu eng." Er schaute unauffällig auf ihre Figur. "Wir könnten es heute abend tun, wenn du willst."
Abby unterbrach die Massage, und Devlin stand auf. "Und ich brauche Schwangerschaftskleidung. Vielleicht konntest du mir etwas Geld leihen, bis ich etwas dazuverdient habe." "Na, hör mal, die Kleidung bezahle ich natürlich." "Ich möchte aber nicht..." "Diese Schwangerschaft wurde von uns beiden verursacht. Du trägst das Kind aus, und ich übernehme den Rest", unterbrach er sie. "Mutter Natur hat das so eingerichtet, nicht ich." "Dagegen habe ich wohl kein Argument." , "Außerdem siehst du schwanger weit besser aus, als ich das täte", scherzte er. "Findest du?" Sie legte den Kopf schief, als wolle sie sich ihn schwanger vorstellen. "Ich wette, du wärst wahnsinnig sexy." "Sag mal, hat dir der Arzt vielleicht eine bewußtseinserweiternde Droge verschrieben?" "Oh, ich habe viel Phantasie." "Davon möchte ich lieber nichts hören." "Mit einem Kind im Bauch würdest du bestimmt auf das Titelblatt der Vogue kommen", neckte sie ihn weiter. "Meinst du?" Ohne nachzudenken, näherte er sich ihr. Ihre großen blauen Augen weiteten sich. Abby hob das Kinn, als wolle sie ihm befehlen stehenzubleiben. Aber Devlin konnte sich nicht beherrschen, er mußte Abby einfach berühren, komme, was da wolle. Als er nur noch einen Atemzug entfernt war, strich er ihr jedoch bloß ganz zart über die Wange. Nur einmal. Es hätte genügen sollen, aber allein die Berührung ihrer weichen Haut brachte ihn beinahe um den Verstand. Er hatte schon fast vergessen, wie wundervoll sie sich anfühlte! Nein, das stimmte nicht. Denn im Morgengrauen pflegte Abby seine Sinne zu beherrschen. Wie immer er sich auch auf dem Gästebett drehte und wendete und Hund oder Katze wegzuschieben versuchte, er konnte die Gedanken an Abby
einfach nicht verdrängen. Er dachte unentwegt daran, wie sie schmeckte, wie sie roch, wie sie heiser aufgeschrien hatte, als sie sich liebten ... Und die Berührung ihrer Wange brachte ihm jeden Moment davon in Erinnerung. "Ich glaube, das ist keine gute Idee", flüsterte sie; Am liebsten hätte er so getan, als hörte er sie nicht. Und er wußte, daß seine schwieligen Finger eine gewisse Wirkung auf sie hatten. Abby würde ohne allzuviel Widerstand in seine Arme kommen, so daß die Leidenschaft zwischen ihnen wieder aufleben würde. Die Versuchung war groß. Aber danach käme unweigerlich ... Es kostete ihn ungemein viel Anstrengung, die Hände von Abby zu nehmen und ein Stück zurückzutreten. Ihr Seufzer drückte sowohl Bedauern als auch Erleichterung aus. Er wußte, daß ihm erneut eine lange, frustrierende Nacht bevorstand. Das Ticken der Uhr war das einzige Geräusch im Raum. Abby schluckte hörbar. Hatte sie vielleicht gehofft, daß er ihre Bitte ignorieren würde? Am liebsten hätte er sie danach gefragt. Aber wozu auch. Er hatte ihr ein Versprechen gegeben und mußte es halten, wenn er wollte, daß die Ehe funktionierte und daß Abby seinem Wort trauen konnte. Sie strich sich das Haar aus der Stirn. "Tut mir leid." "Das muß es nicht." Seine Stimme klang ganz fremd. "Es wird nicht gerade leichter, nicht wahr?" Unfähig zu sprechen, schüttelte er nur den Kopf. Abby wendete den Blick ab. "Morgen fange ich dann mit der Buchhaltung an." Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, fühlte Devlin sich wie betäubt. Er zwang sich, stehenzubleiben, anstatt ihr hinterherzueilen.
Mit dieser Ehe hatten sie vor allem vorgehabt, ihre sachlichen Probleme zu lösen. Aber nun erzeugte die Situation ganz neue Komplikationen. Mit der Schwangerschaft, mit Jasons Feindseligkeit, mit Paige, die in seinem Bett schlief, konnte Devlin umgehen. Nichts im Leben war perfekt. Schließlich war er Realist. Das Problem, mit dem er nicht fertig wurde und das sich täglich vergrößerte, war die Tatsache, daß er diese Ehe in jeder Hinsicht verwirklichen wollte, auch in sexueller. Er begehrte Abby von Tag zu Tag mehr. Und das nicht nur, weil sie seine Frau war und sein Baby unter dem Herzen trug. Allein das beglückte ihn. Aber er hätte es gern so genossen wie ein normaler Ehemann, wollte seiner Frau Häppchen ans Bett bringen oder ihr um Mitternacht etwas Besonderes zu trinken besorgen. Das Baby sollte das Ergebnis einer normalen Liebesbeziehung sein, aber das war es nun mal nicht. Und Abby würde ihn niemals um etwas bitten und nichts von ihm erwarten. Sie hatte in ihrem Leben gelernt, unabhängig zu sein. Es bewahrte sie davor, verletzt zu werden, half ihr, mit Schwierigkeiten allein fertig zu werden, zu überleben und dadurch stärker zu werden. Und Devlin konnte nicht erwarten, daß sie sich plötzlich schwach zeigte. Dabei sehnte er sich zutiefst danach. Er träumte davon, daß seine Frau schwach würde, nachgab ... Sie zu berühren bedeutete eine Mischung aus Qual und Glück. Er hätte sie so gern in die Arme genommen und ins Schlafzimmer getragen. Ihr Duft hing noch im Raum und weckte erneut seine Lust auf sie. Er wußte kaum noch, wie er ihr vorhin hatte widerstehen können. Und wie er je mit diesem Konflikt fertig werden sollte.
5. KAPITEL Im Haus blieb alles beim alten. Devlin hackte weiterhin Holz und baute gleich vier deckenhohe Bücherborde, in denen Abby unter anderem ihre diversen Kochbücher unterbringen konnte. Am Abend ihres Gesprächs in seinem Büro erzählten sie den Kindern von dem Baby. Paige hatte in die Hände geklatscht, sogleich unmißverständlich erklärt, sie wolle eine kleine Schwester, und sofort begonnen, sich Namen auszudenken. Jeden Tag war es ein anderer. Mal Jenny, mal Sally, mal Betsy und dann wieder Kelly. Letzteres natürlich zu Ehren von Kelly Castner, ihrer "allerallerbesten Freundin in der ganzen Welt". Jasons Reaktion war vorhersehbar. Er schloß die Augen, schnaubte verächtlich auf und verschwand in seinem Zimmer. Devlin wunderte das nicht. Teenager pflegten in ihrer eigenen Welt zu leben und so zu tun, als hätten sie keine Geschwister. Sie mochten auch nicht daran denken, daß ihre Eltern womöglich Sex miteinander hatten. Trotz seiner Gleichgültigkeit würde Jason das Baby wohl akzeptieren, so wie er Paige akzeptiert hatte. Die Kleine wickelte ihren großen Bruder schon jetzt um den Finger. Sie brauchte ihn mit ihren großen blauen Augen nur bittend anzuschauen, dann war er butterweich. Er hielt sein Zimmer für alle geschlossen - außer für seine kleine Stiefschwester, die
kommen und gehen durfte, wie es ihr paßte. Paige hatte entdeckt, was sonst niemand wissen durfte: daß Jason eigentlich ein Softie war. Das Baby würde das auch eines Tages herausfinden. Riley dagegen war ganz anders. Seine Reaktion auf die Neuigkeit war die, überhaupt nicht zu reagieren. Von den drei Kindern hatte er die neue Situation als einziger sofort akzeptiert. Er folgte Abby wie ein junger Hund, und seitdem sie im Haus war, hatte es in der Schule keinen einzigen Zwischenfall mehr gegeben. Keine Prügeleien, keinen Diebstahl, kein Haareziehen mehr. Abby war sozusagen die Antwort auf Rileys Probleme gewesen. Ob er auf das neue Baby eifersüchtig war, zeigte er nicht. Er hatte keine Fragen gestellt oder mit Paige darüber gestritten, ob es lieber ein Junge oder ein Mädchen sein sollte. Riley wirkte beinahe, als habe er gar nicht vernommen, was sein Vater erklärt hatte. Devlin wollte erst einmal abwarten, Riley würde sich schon irgendwann äußern. Hoffentlich passierte es bald, denn verdrängte Gefühle taten nicht gut. Diese Art leisen Schmerz kannte Devlin selbst allzugut. Seine Gefühle für Abby zurückzuhalten fiel ihm von Tag zu Tag schwerer. Wenig hilfreich war auch, daß seine Eltern ganz vernarrt in Abby waren und ihn ständig zu dieser wundervollen Ehefrau beglückwünschten. Seine Mutter hatte sie beide schon mehrmals zum Essen eingeladen und sich gefreut, daß Abby ihr ihre Kochbücher lieh. Devlins Vater war genauso entzückt und freute sich, wenn Abby ihn dazu ermunterte, seine alten Kriegsgeschichten zu erzählen. Einerseits freute es Devlin, daß seine Frau und seine Eltern sich so gut miteinander verstanden, andererseits beneidete er sie. Er hätte sich Abby gegenüber auch gern so ungezwungen gegeben!
Abbys Anwesenheit im Haus zeigte sich in vielen Details, in etlichen kleinen Änderungen. Im Bad hing ein neuer Spiegel, auf Fenstersimsen oder Borden standen hübsche kleine Dinge, die Plastiktischsets waren ersetzt durch feine Tischdecken und Stoffservietten, im Wohnzimmer standen Blumen. Nachdem Abby nun die Buchhaltung machte, mochte Devlin sich abends nicht mehr in seinem Büro aufhalten. Ihre Nähe war einfach zuviel für ihn. Dabei war ihm ihre Anwesenheit überall bewußt. Eines Tages stellte er fest, daß sie seine Unterwäsche sorgfältig zusammengelegt hatte. Er und die Jungen pflegten die saubere Wäsche sonst nur einfach in die Schublade zu stopfen. Wenn Devlin sich vorstellte, daß Abby seine Slips berührt hatte ... Manchmal war es die Hölle. Am nächsten Mittag um halb eins ertappte Abby sich dabei, wie sie vor sich hin träumte, anstatt das Essen zuzubereiten. Normalerweise konzentrierte sie sich problemlos, aber in letzter Zeit mißlang ihr das öfter. Irgend etwas beschäftigte sie. Oder besser: jemand. Devlin Hamilton. War es normal, daß eine schwangere Frau dauernd an ihren Mann dachte? Der Familie zuliebe mußte sie diese erotischen Gedanken verdrängen. Schließlich führten sie eine Vernunftehe, nicht mehr und nicht weniger. Devlin war ihr Partner und verdiente ihren Respekt und das Einhalten der Regeln. Sie klappte das Kochbuch zu und ging ins Schlafzimmer. Einem alten Koffer im Kleiderschrank entnahm sie einen zerdrückten Umschlag. Vielleicht war ihre Idee ja von Nutzen. In wenigen Bereichen hielt sie sich für eine Expertin, ganz bestimmt nicht in dem der Ehe. Schon beim Gedanken daran, wie kompliziert die Situation mit Devlin war, verknotete sich ihr
Magen. Und sie verstand einfach nicht, wieso sie so stark auf ihn reagierte. An ihre Teenagerzeit erinnerte sie sich noch gut. Die Hormone spielten verrückt, sie schwankte zwischen Jungenkleidung und dem ersten BH, gab nichts auf die Ratschläge Älterer und bewunderte Popstars, die zu Idolen wurden. Jene schwierigen Zeiten standen Abby noch allzugut vor Augen, deshalb nahm sie sich vor, ihr Wissen um diese Dieganze-Welt-ist-gegen-mich-Einstellung zu nutzen. Nach ihrer Einschätzung war die Zeit reif dafür. Seit ihrer Ankunft hatte Jason immer Distanz gehalten. Er tauchte nur zu Essenszeiten auf, aß nur so viel, daß er sich keine Rüge einfing, und verschwand sofort wieder in sein Niemandsland. Sprechen tat er allenfalls mit Paige und Riley. Mit Paige, weil sie ihn so lange nervte, bis er nachgab, und mit Riley, um mit ihm zu streiten. Er antwortete einsilbig auf die Fragen seines Vaters und beteiligte sich auch sonst nicht am Familienleben. Abby tat jedoch, als merke sie das nicht. Teenager lebten in einer anderen Welt. Aber Jason hatte ein wichtiges Talent, das der Familie zugute kommen könnte. Wie Abby gehört hatte, konnte er gut kochen. Sie hatte das nie miterlebt, aber selbst Rebecca Castner hatte ihn als Genie dargestellt, was die Küche betraf. Und nachts standen manchmal Töpfe und Pfannen im Edelstahlspülbecken, so daß man daraus schließen konnte, daß er seine Kochkünste heimlich erprobt hatte. Abby mußte jedoch strategisch vorgehen. Jason würde auf der Hut sein vor jeder Art von Manipulation. Er mußte davon überzeugt sein, daß er es selbst wollte: das Kochen für die Familie zu übernehmen. Abby war nur allzugern bereit, ihm das zu überlassen. Ihre Gerichte wurden immer langweiliger, zum Teil absichtlich. Aber Timing und Ausführung ihres Plans waren extrem wichtig.
Um Punkt halb vier betrat Jason das Haus. Seine Ohren waren von der eisigen Kälte gerötet. Er trug eine alte Armee Jacke, schlabberige weite Hosen und schwere schwarze Stiefel. "Hi, Jason", begrüßte Abby ihn, sobald er in die Küche kam. "Hi", sagte er nur. "Wie war es in der Schule?" "Gut." Das war die Standardantwort. Wie immer nahm er sich ein Eiscreme-Sandwich aus der Gefriertruhe und verzog sich in sein Zimmer. Alles war wie sonst. Abby schaute auf die Uhr und schätzte die Zeit, die er brauchen würde, um das Eis zu essen und das zerknüllte Papier in den Abfalleimer zu werfen. Dann bezog sie Position vor seiner Tür. Sie wollte mit ihm sprechen, bevor er die Kopfhörer aufsetzte und den Rest der Welt ausschloß. Sie klopfte an die Tür und hörte, wie das Bett knarrte. Dann war es wieder still. Ein gutes Zeichen. Immerhin hatte er noch nicht die Musik angestellt. Sie klopfte erneut. Dann wurde die Tür geöffnet. Mit leicht angeekeltem Gesicht fragte er: "Was ist?" Abby ließ sich davon nicht einschüchtern und ging direkt auf ihr Ziel los. "Ich möchte mit dir einen Deal machen." Seine Augenlider senkten sich. "Einen Deal?" "Na ja, ich geb' dir was, und dafür gibst du mir auch was." "Und was ist das?" "Kann ich reinkommen?" Sie hatte ihn schon, ob er das nun wußte oder nicht. Wenn er ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen hätte, wäre sie wieder bei null gewesen. Ihn um etwas zu bitten würde ihr nichts ausmachen, aber Achtung gewann man nur, wenn man dem anderen als gleichgestellte Person gegenübertrat. Jason zögerte einen Moment, dann zuckte er mit den Achseln und ließ sie herein.
Kommentarlos stieg Abby über einen Haufen schmutziger Wäsche und etliche Paar Schuhe und schaute Jason an. Seine Haltung und sein Blick sagten ihr, daß er erwartete, wegen des Zustands seines Zimmers kritisiert zu werden. Aber den Gefallen tat sie ihm nicht. Sie hatte in den verschiedenen Pflegefamilien gelernt, wie man es diplomatisch schaffte, das zu bekommen, was man wollte. Sie hielt ihm den großen braunen Umschlag hin, den sie mitgebracht hatte. Jason machte keine Anstalten, ihn entgegenzunehmen. "Was ist das?" "Das wirst du wissen, wenn du ihn öffnest." Zögernd nahm er den Umschlag, Abby blieb betont lässig. Er nahm ein großes Foto heraus, schaute es überrascht an, räusperte sich und sagte verblüfft: "Das ist ja James Dean. Mit einem Autogramm! Woher hast du denn das? Hast du ihn gekannt?" Der Ton seiner Stimme sagte ihr alles, was sie wissen wollte. Sie hatte recht gehabt. Seitdem sie ihm immer die saubere Wäsche ins Zimmer legte und entdeckt hatte, daß drei große Poster von Fünfziger-Jahre-Rebellen an der Wand hingen, wußte sie, daß ihr Foto ein Trumpf in ihrer Hand war. Ruhig setzte sie sich auf den Stuhl an seinem Schreibtisch, bevor sie seine Fragen beantwortete. Es war müßig, Jason darauf hinzuweisen, daß sie beim Tod seines Helden noch nicht einmal geboren war, denn in Jasons Augen gehörte Abby einfach zur älteren Generation. "Ich wollte, das hätte ich." Sie seufzte in Gedanken daran, daß sie genauso für James Dean geschwärmt hatte. Jason schaute sie skeptisch an. "Woher weißt du, ob die Unterschrift echt ist?" "Mein Pflegevater war Statist in einem von Deans letzten Filmen." "Cool." "Hm."
Beinahe ehrfurchtsvoll berührte Jason den Rand des Bildes. "Wieso hast du es nie rahmen lassen?" Fragen zu ihrer Vergangenheit gehörten nicht zu Abbys Lieblingsthemen, aber sie wußte, daß Jason nur die Wahrheit akzeptieren würde. "Wenn man Pflegekind ist, darf man oft nicht behalten, was einem gehört. Man weiß nie, was man zurücklassen muß und was nicht, wenn man wieder geht." Oder was einem weggenommen wird. "Ich wollte nicht, daß irgend jemand weiß, daß ich es hatte. Und auf den Umschlag achtete niemand. Deshalb besitze ich das Foto noch immer und konnte es anschauen, wann immer ich wollte." Zum erstenmal sah Jason Abby offen an, und sein Ausdruck war ohne Feindseligkeit. "Du hattest nie eine richtige Familie?" "Meine Eltern sind umgekommen, als ich noch klein war." "Das ist ja übel." "Aber die Wirklichkeit für manche Kinder." Wieder sah Jason mißtrauisch drein. Abby sagte nichts, er sollte seine eigenen Schlüsse ziehen. Nichts haßten Teenager mehr, als daß Erwachsene Entscheidungen für sie trafen. Schließlich fragte er: "Wieso gibst du mir das Bild?" Abby bemühte sich, Jason nicht zu sehr zu drängen, kam aber nun doch auf den Punkt. "Ich habe gehört, daß du ziemlich gut kochen kannst.," Jason wurde eine Spur rot und scharrte unruhig mit den Stiefeln. "Das ist nichts Besonderes." "Doch, zumindest für jemanden, der nichts anderes zubereiten kann als Eier", sagte Abby selbstkritisch. Um seine Mundwinkeln spielte die Andeutung eines Lächelns. Aber sofort zog er wieder ein gleichgültiges Gesicht. "Eier sind okay." "Ja, für Hühner." Sein Gesichtsausdruck erinnerte Abby an seinen Vater. "Schlangen brüten auch welche aus."
Abby schauderte es. "Wie könnte ich das je vergessen." Jason lachte auf, versuchte aber schnell, das als Hüsteln zu kaschieren. Abby verkniff sich ein Lächeln. Jason Hamilton war in Ordnung. "Also, was ist? Ich schenke dir das Bild, und dafür hilfst du mir in der Küche." Jason schaute Abby skeptisch an. "Hat dir denn niemand beigebracht, wie man kocht?" "Doch, schon, aber es war zwecklos." "Gibt es heute abend wieder Eier?" "Magst du welche mit süßsaurer Soße?" Jason verzog das Gesicht. "Okay, du deckst besser nur den Tisch, und ich koche." Abby wendete das Gesicht ab, damit Jason nicht sehen konnte, wie sehr sie sich freute. "Vielen Dank, Jason." Dann stand sie auf und ging zur Tür. "Abby, das Bild brauchst du mir nicht zu schenken." Er reichte ihr den Umschlag. "Möchtest du es denn nicht haben?" Er zuckte die Achseln. "Ich koche gern, dafür brauchst du es mir nicht zu schenken." Die Worte waren eine Sache, sein Blick sagte etwas anderes. Am liebsten hätte sie ihn in den Arm genommen, aber damit wäre wohl alles verdorben gewesen. Sie hatte mehr erreicht, als sie erwarten konnte. Jason hatte ihr gerade etwas geschenkt, was viel wertvoller war als alles Gold der Welt. Sie wußte, daß er das Foto gern haben wollte, aber die Tatsache, daß er bereit war, etwas für sie ohne Gegenleistung zu tun, rührte sie zu Tränen. Sie senkte den Kopf, so daß die herunterhängenden Haare ihre Augen verdeckten. Schnell blinzelte sie und reichte ihm den Umschlag zurück. "Es gehört dir, wenn du es haben möchtest. Ich brauche es ohnehin nicht mehr." "Wieso nicht?"
Mit einer Gefaßtheit, die sie gar nicht empfand, sagte sie: "Das Bild war alles, was ich hatte, als ich in deinem Alter war. Es bedeutete mein einziges Glück. Aber jetzt habe ich dich, Riley, deinen Vater und Paige. Das ist alles, was ich je wollte. Wenn du das Kochen übernimmst, werden alle zufrieden sein. Und das ist das, was mir im Augenblick am wichtigsten erscheint: daß meine Familie zufrieden ist." Sie wartete nicht auf eine Antwort, um nichts zu riskieren.
6. KAPITEL Abbys Zufriedenheit währte nicht lange. Am nächsten Tag sie hatte zwei Ladungen Wäsche fertig und dachte gerade daran, wie begeistert Jasons Spaghetti Bolognese aufgenommen worden waren - klingelte das Telefon. "Mrs. Hamilton?" Daß sie mit ihrem neuen Namen angesprochen wurde, machte Abby stutzig. An den war sie noch nicht so recht gewöhnt. "Ja, am Apparat." "Hier spricht Mrs. Branson von der Grundschule von Humphrey. Ich bin Rileys Lehrerin und habe vor einer Stunde versucht, Ihren Mann zu erreichen, aber er hat nicht zurückgerufen." "Ist etwas passiert?" fragte Abby nervös. Eine bedeutsame Pause folgte. "Riley und ein anderer Junge haben sich in der Schule geprügelt." Man hörte deutlich, wie Mrs. Branson das fand. "Es besteht bei uns die Regel, daß, wenn so etwas geschieht, ein Elternteil zur Schule kommt und das Kind abholt. Da das bei Riley nicht das erste Mal ist, hat der Direktor beschlossen, ihn für zwei Tage vom Unterricht auszuschließen."
Die Lehrerin hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Abby schon nach ihrer Handtasche griff. "Ich komme, so schnell ich kann." Die gesamte Rückfahrt über starrte Riley schweigend aus dem Fenster. Sein Haar war zerzauster denn je, sonst sah man ihm nicht das geringste an. Aber sein Schweigen war ein enormer Kontrast zur sonstigen Lebhaftigkeit des Jungen, der normalerweise zwischen den Sätzen kaum Luft holte. Daß er Abby nicht in die Augen schaute, als sie ihn abholte, war bei ihm ebenfalls unüblich. Im Haus nahm sie ihn genauer unter die Lupe. Am rechten Auge prangte eine dicke Schwellung. "Die wird morgen einen interessanten Blauton annehmen", sagte sie sachlich. "Am besten wäschst du dich kurz, und dann lege ich dir einen Eisbeutel darauf." Riley blickte sie kurz an. "Es tut nicht weh, aber vielleicht sollte ich mich hinlegen." "Fühlst du dich krank?" Er schüttelte den Kopf. "Nimm mal einen Waschlappen, dann reden wir miteinander", sagte sie leise und schob ihn sachte in Richtung Bad. Riley nahm sich Zeit bei der Wäsche. Schließlich kam er ins Wohnzimmer zurück. "Können wir in meinem Zimmer reden?" Abby nickte und folgte ihm dorthin. Riley ging zu seinem Bett hinüber, und Abby setzte sich neben ihn. "Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?" Er zuckte mit den Achseln. "Bobby und ich sind keine Freunde mehr." Bobby Carmichael war sein bester Freund. "Wieso nicht?" Riley antwortete nicht. "Habt ihr euch gestritten?" Riley nahm einen Baseball-Handschuh und fummelte an den Bändern herum. "Er hat was Gemeines gesagt."
"Möchtest du darüber sprechen?" "Nein." Der Kleine sah so unglücklich aus wie nie zuvor in seinem Leben. Abby kaute an ihrer Unterlippe. Wie konnte sie ihm nur helfen? Was mochte ihn nur bedrücken? Seit Tagen war er ziemlich schweigsam. Seitdem er wußte, daß er ein Geschwisterchen bekommen würde, war er viel unausgeglichener als sonst. Im einen Moment lachte er sich halbtot, im nächsten war er mißgelaunt. Gehörte dieser Streit mit Bobby ebenfalls in diese Kategorie? "Ich dachte, Bobby sei dein Freund." "Jetzt nicht mehr." Riley warf den Handschuh weg und schlug mit dem Absatz auf den Boden. "Wieso nicht?" "Weil er doof ist." Abby spürte, wie verletzt er hinter der schroffen Aussage war. Sie hob den Handschuh auf und legte ihn auf die Kommode neben dem Bett. "Das meinst du doch nicht wirklich, oder?" Lautes Schniefen war ein deutliches Anzeichen für den inneren Kampf, den der Junge ausfocht. Schließlich brach der Schmerz aus ihm heraus, und er begann zu weinen. "Er hat gesagt, du bist nicht meine richtige Mami." Ärgerlich schlug er sich mit der Hand auf die Wange. "Er hat gesagt, du tust nur so, als ob." Als eine weitere Träne auf der anderen Seite herablief, beugte Abby sich vor und wischte sie ihm behutsam ab. Sie hob sein Kinn, so daß er sie ansehen mußte. "Es ist doch gar nicht wichtig, was Bobby denkt, es ist nur wichtig, was du denkst." "Meine richtige Mami wollte mich nicht." Das war eine sehr direkte Aussage. Wenn es doch nur ein Zaubermittel gegen seelischen Schmerz gäbe, gegen das Gefühl der Zurückweisung, des Verlassenseins ... Kinder dürften niemals durch das Verhalten Erwachsener verletzt werden. Aber auch so etwas gehörte zur Wirklichkeit.
Abby hatte keine Antworten auf Rileys Fragen parat. Sie konnte seinen Schmerz nicht lindern oder gar ganz verschwinden lassen. Weder ihr Zorn half dabei noch irgendwelche flauen Antworten. Das einzige, was sie ihm bieten konnte, war, über seinen Kummer zu sprechen. Offen damit umzugehen und dem Jungen zu sagen, daß es ganz normal war, daß er traurig und verletzt war. Sorgfältig wählte sie die Worte. "Deine Mutter hätte dich nicht zur Welt gebracht, wenn sie dich nicht gewollt hätte." Er ballte die Hände zu Fäusten. "Wieso ruft sie dann nie an oder besucht uns?" Wie oft hatte auch Abby sich gefragt, wieso ihre Pflegeeltern sie so schnell vergessen hatten, sobald sie nicht mehr bei ihnen war. Sie schwor sich, daß Paige niemals dieses Gefühl der Verlassenheit kennenlernen sollte. Riley brauchte die gleiche Zuwendung. Auch wenn Abby nicht wußte, was die Zukunft bringen würde, so nahm sie sich doch vor, auch diesen Jungen niemals allein zu lassen. Er brauchte sie! Am liebsten hätte sie ihn in den Arm genommen, glaubte aber, daß es dafür noch zu früh war. "Ich weiß nicht, warum deine Mutter weggegangen ist. Vielleicht kannst du sie das eines Tages fragen. Aber eines weißt du: Sie hat es nicht getan, bevor sie nicht wußte, daß ihr gut aufgehoben wart, daß ihr ein schönes Zuhause hattet und einen fürsorglichen Vater. Das ist mehr, als viele Kinder haben." Riley schluckte und schaute Abby an. Sein innerer Konflikt war ihm anzusehen. "Sie hat mir nie etwas zum Geburtstag geschenkt." Wenn seine leibliche Mutter ihn so sähe, ob sie ihr Verhalten nicht bedauern würde? Abby empfand tiefen Zorn auf diese Frau, die sie gar nicht kannte. Aber das würde Riley nicht helfen. Haß zerstörte. Nur Liebe heilte.
Abby gab der Versuchung nach und strich dem Jungen eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht. "Wann hattest du denn Geburtstag?" "Am fünften November." "Und, habt ihr etwas Besonderes gemacht?" Ein Hauch von einem Lächeln belebte Rileys Gesicht. "Dad hat mir erlaubt, alle meine Freunde zum Pizzaessen einzuladen." "Fand es hier statt?" "Nein. Das war das Jahr davor. Aber da hat Willie Gross das Badezimmerfenster kaputtgemacht, und Lionel hat Saft auf die Couch gekleckert. Dad sagte, von jetzt an müssen die Pizzerien alles saubermachen." Abby verkniff sich ein Lächeln, als sie sich vorstellte, wie Devlin verzweifelt versuchte, die Flecke aus dem Sofabezug zu entfernen. "Euer Dad ist schon einer." "Ja, das ist er." "Er hat dich die Party geben lassen, obwohl er keine Unordnung mag. Nicht jeder hat so einen Vater." Riley nickte. "Fred Stanglers Vater ist ziemlich übel, der brüllt dauernd rum und so." Abby ließ Riley seine eigenen Schlüsse ziehen. Auch wenn das nicht die Frage beantwortete, warum seine Mutter ihn verlassen hatte. Es würde auch den Schmerz nicht völlig lindern, aber immerhin zeigte es einen Weg, wie er damit umgehen konnte, ohne sich mit Bobby zu streiten. Das war schon mal ein Fortschritt. Riley nahm wieder den Handschuh auf und zog an den Bändern. "Fred hat keinen großen Bruder wie Jason." "Hat Jason dir den Baseballhandschuh geschenkt?" Riley nickte. "Ja, zum Geburtstag. Der ist besser als Bobbys." "Hat er auch einen Bruder?" "Ja, aber der ist noch klein. Bobby sagt, er ist ein richtiger Schnüffler, der immer an seine Sachen geht."
"Der wünschte sich sicher einen großen Bruder, wie du ihn hast, der ihm beibringen kann, wie man Ball spielt." Rileys Tränen waren nun beinahe versiegt. "Kann sein. Wenn er nicht grade schlechtgelaunt ist, ist Jason cool." Er legte den Kopf schief und sagte plötzlich; "Ich habe einen Papi, einen Bruder, eine Stiefmutter und eine Stiefschwester. Das ist eigentlich ganz schön viel, nicht?" "Das finde ich auch." Dann fügte Abby hinzu: "Und bald hast du noch einen Bruder oder eine Schwester. Noch jemanden zum Liebhaben." "Ja." Zwischen seinen Sommersprossen erschien eine Stirnfalte. Unruhig rückte er hin und her. Abby erwartete keine Wunder, aber sie wollte ihm noch etwas mit auf den Weg geben. "Das Baby wird froh sein, daß es dann einen großen Bruder wie dich hat." Riley hob wieder den Kopf. "Meinst du?" "Dann kannst du ihm oder ihr beibringen, wie man Baseball spielt. Große Brüder sind wichtig." Riley schien nicht überzeugt. "Hat dein großer Bruder dir auch Baseball beigebracht?" "Ich hatte weder Brüder noch Schwestern." "Keinen einzigen?" "Nein." "Dann mußtest du auch nicht dein Spielzeug oder deine Mami und deinen Papi mit ihnen teilen." Das klang neiderfüllt. "Ich hatte auch keine Mami und keinen Papi." Der Junge sah sie erschrocken an. "Hat dir dann auch keiner was geschenkt oder mit dir Geburtstag gefeiert?" Geschenke waren für Kinder so wichtig wie das Atmen. Abby wollte Riley nicht mit etwas beunruhigen, was lange zurücklag. "Ich hatte keine Geburtstagsfeste, aber meistens bekam ich trotzdem etwas geschenkt." Sie legte ihm den Finger auf die sommersprossige Nase. "Und was wünschst du dir zum nächsten Geburtstag?"
"Keine Ahnung. Vielleicht wieder, zum Pizzaessen zu gehen. Dann müßt ihr, Dad und du, nicht hinterher die Couch oder sowas saubermachen." Abby lächelte. "Na, du kannst ja schon mal darüber nachdenken, und dann sagst du es mir, wenn es soweit ist." "Okay." Er schien sich wieder gefangen zu haben. Riley stand auf und begann, in seinen Spielsachen herumzusuchen. Schließlich drehte er sich zu Abby um und sah sie etwas unsicher an. "Darf ich dich vielleicht manchmal Mami nennen? Nur so mal. Vielleicht ist das leichter." In Abby stiegen vor Rührung Tränen auf, aber sie konnte sie zurückhalten. "Es würde mich sehr freuen, wenn du mich immer dann Mami nennst, wenn dir danach ist." Riley strahlte sie an. "Vielleicht ist mir oft danach." Er schwieg einen Moment. "Mami." Abby stand auf, umarmte ihn kurz, doch bevor es ihm unangenehm werden konnte, eilte sie zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um und sagte: "Aber von jetzt an kein Streit mehr in der Schule, ist das klar?" "Ja, Mami," Er strahlte übers ganze Gesicht. Devlin entfernte sich schnell von der Tür, um Abby und Riley nicht das Gefühl zu geben, er habe gelauscht. Er hatte inzwischen mit Rileys Lehrerin gesprochen und erfahren, daß Abby den Jungen abgeholt hatte. Dann war er den Stimmen bis zu Rileys Zimmer gefolgt. Sein Bedürfnis, Riley gründlich zu bestrafen, hatte sich sogleich gelegt, als er mitbekam, worüber Abby und Riley sprachen. Ihm fiel auf, daß Abby intuitiv erfaßt hatte, was Riley wirklich bedrückte. Auf die Idee, daß dessen schulische Zusammenstöße etwas mit Linda zu tun haben könnten, war er nicht gekommen. Dabei war es eigentlich klar, daß Riley eines Tages darüber nachdenken würde, wieso seine Mutter ihn verlassen hatte.
Riley war noch ein Baby gewesen, als Linda und Devlin sich scheiden ließen. Sein Jüngster kannte seine Mutter nur von Fotos. Devlin erinnerte sich nicht, daß Riley je danach gefragt hatte, wieso Linda ihm nie etwas zum Geburtstag schickte oder sie nie besuchte. Oder hatte er das doch? Vielleicht hatte Devlin nur die Botschaft nicht verstanden. Seit wann bedrückte Riley es wohl? Wieso war sein Sohn damit nicht zu ihm gekommen? Abby ging ins Wohnzimmer und blieb stehen, als sie Devlin entdeckte. "Ich wußte gar nicht, daß du schon zu Hause bist." "Ich wollte euch nicht stören." "Dann hast du also zugehört?" Devlin nickte. "Ich hätte ahnen müssen, daß er Fragen über seine Mutter hat." Er fuhr sich nervös durch die Haare. Abby setzte sich an den Rand des Sofas, Devlin in die Mitte. "Ich glaube, Riley wußte gar nicht recht, was ihn bedrückte." "Das ist ihm durch dich klargeworden." Abby schüttelte den Kopf. "Ich glaube, es ist das Baby. Er hat Angst, übersehen oder vernachlässigt zu werden." "Meinst du wirklich?" Abby stand auf, trat hinter Devlin und begann wieder, seine verspannten Schultern zu massieren. Devlin vergaß beinahe zu atmen. Sie hielt inne. "Stört es dich?" "Oh, nein, ganz im Gegenteil!" Devlin kämpfte mit aller Macht gegen das Bedürfnis, Abby über die Sofakante in seine Arme zu ziehen. Sein Körper wurde so hart vor Lust, vor heftigem Begehren, daß er für einen einzigen Kuß seine Seele verkauft hätte ... "Nein, es tut gut!" wiederholte er, um sich abzulenken. "Ich war nur so überrascht." Abby massierte ihn weiter. "Hat Riley noch Kontakt mit seiner leiblichen Mutter?" "Nein, keinen."
"Ach so." Devlin begriff, daß Abby eine Menge mehr von menschlichen Beziehungen verstand als er. "Danke, daß du mit ihm gesprochen hast. Und dafür, daß du keine Ausrede für seine Mutter gefunden hast und daß du seine Gedanken ernst genommen hast. Linda hat sich als Mutter wirklich nicht mit Ruhm bedeckt, aber eines Tages..." Er brach ab. "Eines Tages wird sie es bedauern, nicht zu wissen, was aus ihren Söhnen geworden ist. Und die Jungs werden noch lange brauchen, ehe sie das überwunden haben. Wolltest du das sagen?" Devlins Nackenmuskeln entspannten sich wohlig unter Abbys massierenden Händen. Nur ein Atomkrieg hätte ihn im Augenblick dazu bringen können, sich wegzubewegen. "Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, was für eine kluge Frau du bist, Abby Hamilton?" "Ich weiß nicht, ob ich klüger bin als andere, aber ich habe eine Menge Erfahrungen hinter mir." "Du weißt, was es heißt, elternlos zu sein. Niemand hätte besser mit Riley darüber reden können als du." Devlin konnte nicht mehr anders, er hörte auf, sich gegen seine Gefühle zu wehren, drehte sich nach Abby um und zog sie auf seinen Schoß. . Sie protestierte nicht. Sein heißer Blick zeigte ihr, wie es um ihn stand. Er streichelte ihr Gesicht, fuhr mit dem Finger über das winzige Grübchen an ihrem Kinn und dann um ihren Mund herum. Sie atmete hörbar, schaute ihn mit großen Augen an und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. "Du brauchst mir nicht zu danken, das gehört zu meinem Job hier." Devlin schüttelte den Kopf. "Du hättest ja auch genausogut mit Riley schimpfen und ihm mit einer Woche bei Wasser und Brot drohen können ..." "Das wäre ihm vielleicht lieber als jeden Tag Eier."
Devlin ging nicht darauf ein. "Du hättest ihn auf sein Zimmer schicken können, damit er darüber nachdenkt, was er falsch gemacht hat. Du mußtest dir nicht Zeit für ihn nehmen, um zu entdecken, was in seinem sechs Jahre alten Köpfchen herumgeht. Es wäre viel leichter gewesen, einfach die Tür zuzumachen." "Das wäre aber keine Lösung gewesen. Er wäre noch genauso verletzt wie vorher und hätte seinen Frust an jemand anders ausgelassen." Devlin strich sachte über den Rand ihrer Lippen. "Du hast uns allen viel Kummer erspart." "Ich bin doch dazu da, dir dein Leben zu erleichtern." Die Wärme ihrer Worte berührte ihn zutiefst. Genauso wie das unglaubliche Blau ihrer Augen ... "Dad?" Rileys Stimme von der Tür her unterbrach Devlins zärtliche Gedanken. Ohne den Blick von Abby zu nehmen, sagte er laut: "Mußt du keine Schularbeiten machen?" "In der ersten Klasse bekommt man noch nicht soviel auf." Devlin wies zur Tür. "Dann beschäftige dich mit irgend etwas anderem." "Okay." Rileys Bereitwilligkeit erstaunte Devlin, aber er dachte nicht weiter darüber nach. Er wollte nur mit Abby allein sein. Sobald Riley weg war, schmunzelte Abby. "Es hörte sich an, als freue es ihn, Schularbeiten zu machen." "Da haben wir ja Glück gehabt." "Abby?" rief Riley, bevor er wieder eintrat. Sie lächelte belustigt, und Devlin tat es ihr nach. "Ja, Riley?" "Haben wir Bananen im Haus?" "Ich glaube, in der Küche sind welche. Soll ich dir eine aufschneiden?" "Nein, das kann ich selber."
Sobald er wieder verschwunden war, sagte Abby zu Devlin: "Bist du sicher, daß er sich nicht in den Finger schneidet?" "Ich habe alle scharfen Messer weggeschlossen." "Du bist ein kluger Vater, Devlin Hamilton." "Darum habe ich ja auch dich geheiratet." Abby wurde ganz heiß bei dem Satz, aber sie tat so, als sei nichts gewesen. Nur das leichte Zittern ihrer Unterlippe war ein Zeichen ihrer Erregung. Was empfindet sie wohl für mich? dachte Devlin. Auf einmal wollte er es unbedingt wissen. Ein schneller Kuß würde vielleicht das Geheimnis lüften. Sei nicht albern, Hamilton, denk daran, was letztes Mal passiert ist! Das konnte er in der Tat keinen Moment seit der Hochzeitsnacht vergessen. Er hätte es aus seiner Erinnerung auslöschen müssen. Aber wie sollte er die Gedanken an das erotische Feuer und die Leidenschaft verdrängen, die ihm ständig das Leben schwermachten? Mit einem Kuß? Irgendwie mußte etwas geschehen, durch das er seine Lust auf sie ein für allemal bewältigen konnte. Damit er endlich wieder schlafen konnte und nicht die ganze Zeit an seine Frau denken mußte! Je länger er sie anschaute, um so mehr war er davon überzeugt, daß ein Kuß die Lösung für sein Problem war. Die Tatsache, daß sie nicht von ihm weggerückt war, festigte seine Entscheidung. Als er die Hand zu ihrem Gesicht hob, erschrak Abby, aber er wollte ja nur ihre Wangen umschmiegen. Instinktiv legte sie die Hände auf seine Brust. Ob sie das tat, um ihn abzuwehren oder enger an sich zu ziehen, war nicht ersichtlich. Das war Devlin im Augenblick egal. Sie mußten beide die Hochzeitsnacht hinter sich lassen. Diese Spannung zwischen ihnen gefiel ihr sicher genausowenig wie ihm. Ein Kuß würde vielleicht alles normalisieren und endlich wieder Ruhe einkehren lassen. Jedenfalls hoffte er das.
Sein gesunder Menschenverstand setzte aus. "Abby", brachte er gerade noch heraus. "Devlin ..." Das klang beinahe flehentlich. Sein Mund senkte sich auf ihren. Immer noch hatte Devlin die Illusion, daß es damit getan wäre, wenn er Abby nur einmal küssen würde. Ihre Lippen schmeckten viel süßer und heißer, als Devlin es in Erinnerung hatte. Der Kuß war weder zart noch vorsichtig, sondern direkt und fordernd. Und Abby erwiderte ihn mit einer Intensität, die ganz zu ihr paßte. Wie hatte Devlin dieser Frau nur so lange widerstehen können? Wieso hatte er sich dazu gezwungen? Die schwelende Glut in seinen Adern wurde zum lodernden Feuer. Abby spielte ihm nicht vor, verschämt oder kokett zu sein, das hätte ihn vielleicht kuriert. Sie kam ihm ungeniert entgegen, zeigte offen ihre Lust, ihr Verlangen. Und das warf ihn förmlich um. Erst jetzt, da er sie in den Armen hatte, schien das Leben zu beginnen, er verlor jegliches Gefühl für Zeit und Raum. Nichts anderes zählte mehr, nur noch sie beide. Auf einmal spürte er, wie Abby ihre Hände zwischen sie schob. Sie löste sich von seinen Lippen. "Warte." Sie atmete tief durch. "Ich bekomme keine Luft mehr." "Wozu mußt du denn atmen ..." Erneut zog er Abby fest an sich. Rileys Stimme tönte wieder dazwischen. "Dad, darf ich mir mit deinem Rasierapparat den Kopf kahlscheren?"
7. KAPITEL Devlin war noch ganz gefangen in diesem wundervollen Kuß und hatte Mühe zu begreifen, was Riley von ihm wollte. Jason, dessen Heimkommen sie gar nicht gehört hatten, folgte seinem Bruder ins Zimmer. "Wieso willst du dir denn den Kopf rasieren, alberner Fatzke?" Riley zuckte die Achseln. "Du hast gesagt, daß alle für Michael Jordan schwärmen, weil er kahlgeschoren ist. Wenn ich meine Haare abrasiere, schwärmen die Mädchen auch für mich." Er preßte seine rotblonden Locken flach auf den Kopf. "Was meinst du?" "Dann siehst du wie ein Affe aus", befand sein großer Bruder. Devlin bemerkte, daß Abby sich das Lachen verkniff. Er wußte nicht, was ihm schwerer fiel: den Kuß von eben zu vergessen oder das Wissen zu verdauen, daß sein Sechsjähriger sich schon für Mädchen interessierte. Jason ging wieder. Riley schaute unsicher drein. "Darf ich denn nun meine Haare abrasieren?" "Nein. Du wirst statt dessen die Küche fegen und heute abend den Abwasch machen, als Strafe dafür, daß man dich frühzeitig aus der Schule nach Hause geschickt hat", ordnete Devlin mit fester Stimme an. "Aber Dad..."
"Je länger du brauchst, um anzufangen, um so länger wird die Liste werden." Riley blieb vor Schreck der Mund offen stehen, dann stürmte er aus dem Zimmer. Kaum war er verschwunden, lachte Abby prustend los. "Wie konnte Riley nur ohne Warnschild auf die Welt kommen?" meinte auch er amüsiert. . Abby wischte sich die Lachtränen aus den Augen und gab Devlin das Taschentuch zurück. "Na ja, so sind Sechsjährige eben." "Meinst du? Jason war nicht so frühreif." "Vielleicht hat er das nur besser kaschiert." "Möglicherweise." Abby berührte seinen Arm. "Weißt du, Riley interessiert sich einfach für menschliche Beziehungen, das halte ich für gesunde Neugier. Er versucht schon vieles zu verstehen und seinen eigenen Platz in der Welt zu finden." Abby stand auf. "Wünschst du dir wirklich, daß er anders wäre?" "Nein, um nichts in der Welt", sagte Devlin, ohne zu zögern. "Das habe ich mir gedacht." Nachdem Abby das Zimmer verlassen hatte, war Devlin noch eine ganze Weile ziemlich durcheinander. Und das lag nicht unbedingt an Rileys frühreifem Verhalten. Er dachte vor allem über die zukünftige Beziehung zu seiner Frau nach. Der Kuß hatte natürlich nicht die Erinnerung an die Hochzeitsnacht überdeckt, sondern erneut das Verlangen nach Abby geweckt. Aus der simmernden Glut war ein helles Feuer geworden. Nie hatte er Abby mehr begehrt als jetzt. Warum zum Teufel hatte er nur diesen Ehevertrag unterschrieben? Nachdem Abby die Tür von Devlins Büro hinter sich geschlossen hatte, lehnte sie sich erst einmal an das glatte Holz. Ihr Herz klopfte so stark, als hätte sie gerade in der
afrikanischen Steppe einen Löwen gejagt. Vielleicht war sie ja soeben einem viel gefährlicheren Tier entkommen ... Devlin. Nein, ihr selbst: Abigail O'Reilly Hamilton. Sie kam sich vor wie ein losgelassenes wildes Tier. Als sei sie nur von Instinkten geleitet, von deren Existenz sie vorher nicht das mindeste gewußt hatte. Der arme Devlin konnte gar nichts dafür: Er schaute sie nur an, und schon warf sie sich in seine Arme! Was mußte er nur von ihr denken? Eine Schlagzeile erschien vor ihren Augen: "Wildgewordene Ehefrau fällt über eigenen Mann her". Sie erschauerte und schloß die Augen. Wieso nur? Wie konnte das passieren? Sie hatte ihre Gefühle doch sonst immer unter Kontrolle! Glaubte nicht an Märchen, Geister und Feen oder Töpfe voller Gold am Ende des Regenbogens. Der einzige Fehler, den sie in ihrer ersten Ehe begangen hatte, war der, ihrem Mann die Verantwortung für ihre finanzielle Sicherheit zu überlassen. Das war dumm gewesen, aber dafür hatte sie gezahlt, ihre Lektion gelernt! Zumindest dachte sie das. Vielleicht spielten ihre Hormone ja verrückt. Schwangere Frauen pflegten ungewöhnliche Gelüste zu entwickeln. Auf saure Gurken, Eiscreme oder Heringe. Nahrung war ein normales Bedürfnis für eine werdende Mutter, die womöglich bald die Form einer riesigen Birne haben würde. Dabei hatte Abby im Augenblick noch keinerlei Lust, den Kühlschrank mitten in der Nacht zu plündern. Nein, sie verspürte nur das Verlangen nach einem Mann mit grünen, sexy Augen, der eine Frau alles vergessen lassen konnte, was sie gelernt hatte. Das erschien ihr geradezu abartig für jemanden, der sonst so vernünftig war wie sie. Schließlich war sie schon einmal verheiratet gewesen und hatte keinerlei Grund, alles durch eine rosarote Brille zu sehen.
Irgend etwas war mit ihr anders als sonst. Der Arzt hatte ihren Zustand als völlig normal eingestuft. Aber wenn er von ihren ungewöhnlichen erotischen Phantasien wüßte, würde er sie vielleicht für verrückt halten. Welche Frau wurde schon von derartiger sexueller Lust auf ihren eigenen Mann gequält? So eine war ihr jedenfalls noch nie untergekommen. Vielleicht war irgend etwas in dem Wasser von Wisconsin. Zuviel Blei oder Eisen. Oder ihr BH war zu eng und behinderte die Blutzufuhr zum Gehirn. Sonst hätte sie doch nicht so sehr darauf geachtet, wie gut Devlin unter seiner legeren Kleidung gebaut war. Wie er mit langen, kraftvollen Schritten einen Raum zu durchqueren pflegte. Wie sich sein knackiger Po dabei bewegte ... Nein, das würde sie niemals ihrem Arzt erzählen! Außerdem: Was könnte man dagegen tun? Gab es etwa Vitamine gegen sexuelle Wunschvorstellungen? Bestimmt nicht. Vitamine ergänzten nur die Nahrungsmittel, Abby brauchte dagegen etwas zum Abschwächen dieser ausschweifenden Gedanken. So etwas wie ein drastisches Mittel gegen Sexualität. Aber wenn es das gäbe: Würde sie es haben wollen? Du bist ja völlig übergeschnappt, Abby! Manche Frauen verhielten sich so, wenn sie ihre Periode bekamen. Aber bisher war ihr das noch nie passiert. Und außer dem einen Mal, als ihr morgens übel geworden war, hatte es bislang keinerlei Probleme mit der Schwangerschaft gegeben. Alles schien bestens zu verlaufen. Wieso gefiel es ihr dann so sehr, sich in Devlins Büro aufzuhalten, wo alles an ihn erinnerte, wo seine Gegenwart so spürbar war? Schwanger und gleichzeitig rollig wie eine Katze, das war sie! Vielleicht sollte sie mal zum Tierarzt gehen!
Ob Devlin ahnte, daß er eine Wahnsinnige geheiratet hatte? Wenn man bedachte, wie er jeden Abend noch Holz hackte, konnte man daraus schließen, daß er es wußte! Der arme Mann hatte vermutlich Angst, daß sie über ihn herfallen würde! Ob sie das ausstrahlte? Dabei wirkte er nicht gerade wie jemand, der Angst vor Frauen hatte. Aber vielleicht befürchtete er, daß sie sich zu sehr an ihn klammerte. War es das? Neigte sie dazu, sich zu stark an Menschen zu klammern? Vielleicht war es ihr alter Wunsch, zu jemandem zu gehören und das zu besitzen, was alle anderen zu besitzen schienen, der sie beeinflußte. Den mußte sie unterdrücken, um nicht schwach und verzweifelt zu erscheinen. Sie wußte, was von ihr erwartet wurde, das hatte sie ja schwarz auf weiß. Ihre Pflichten und ihre Verantwortung waren in dem Ehevertrag ganz klar definiert. Abby seufzte und öffnete kurz die Augen. Dabei fiel ihr Blick auf den Aktenschrank. Es war besser, wenn sie jetzt an etwas anderes dachte und sich an die Arbeit machte. Nüchterne Zahlenkolonnen brachten ihre Hormone bestimmt wieder ins Gleichgewicht. Und außerdem würde sie dann endlich nicht mehr an Devlin und den aufregenden Kuß denken. Sie würde die Rechnungen überprüfen und Schecks ausschreiben. Und mit dem Bonus, den Devlin für das letzte Projekt erhalten hatte, konnte sie gleich die Lieferanten auszahlen. Aber statt die geschäftlichen Ordner aus den metallenen Schubfächern zu nehmen, durchsuchte Abby die Umschläge und fand dabei den mit dem Ehevertrag, den Devlin und sie vor Monaten unterzeichnet hatten. Sie kannte ihn beinahe auswendig und sagte den Text halblaut vor sich hin: "Die Unterzeichneten werden den Vertrag einhalten, es sei denn, einer oder beide Partner wünschen die Ehe zu beenden."
Als sie ihn unterschrieben, dachte Abby, alle Möglichkeiten seien darin berücksichtigt worden. Nun wußte sie, daß das nicht stimmte. Sie hatten weder Wahnsinn noch Lust, noch erotische Zwangsvorstellungen mit einbezogen. Dinge, die erklärten, wieso sie die Kontrolle verlor, sobald Devlin in der Nähe war, wieso bei ihr der Verstand aussetzte und eine Frau wie sie, die sonst so sachlich und nüchtern war, sich aller mühsam erworbenen Erfahrung zum Trotz absolut seltsam verhielt! Welche Erklärung konnte es dafür nur geben? Dabei hatte sie wirklich genug zu tun und sollte sich eigentlich über ganz andere Dinge Gedanken machen. Langeweile gehörte nicht zu ihrem Alltag. Jeden Tag die Wäsche für eine fünfköpfige Familie zu erledigen war allein schon recht zeitraubend. Sobald Devlin von der Arbeit kam und geduscht hatte, pflegte er sich umzuziehen. Jason, der mehrmals pro Woche Basketball spielte, wechselte ebenfalls täglich die Wäsche. Und auch Riley und Paige spielten ausgiebig draußen und mit dem Hund und beschmutzten ihre Kleidung reichlich. Dazu kamen Handtücher und Bettwäsche, so daß jeden Tag mindestens eine Maschinenladung anstand. Darüber hinaus standen noch das Einkaufen, Saubermachen und die Buchführung auf dem Programm. Und durch die Schwangerschaft ermüdete Abby leichter als sonst. Vom Nichtstun konnten diese Gedanken wirklich nicht ausgelöst werden. In ihrer Kindheit hatte Abby wenig Zuneigung gekannt, war oft einsam und allein gewesen. Sobald sie Paige in den Armen hielt, war das Gefühl aber verschwunden, die überwältigende Liebe zu ihrer Tochter füllte alle vergangenen Lücken. Dazu liebte Paige es besonders, mit ihrer Mutter zu kuscheln. Nun war da noch Riley, der sie gern Mami nennen wollte, und Jason, der so tat, als brauche er niemanden, aber vermutlich gerade sie als weibliche Bezugsperson benötigte. Und nun kam auch noch das Baby.
"Abby?" Sie hatte nicht gehört, wie er die Tür öffnete, erkannte aber sofort Devlins Stimme. "Es liegt an der Schwangerschaft", platzte sie heraus, noch bevor er ganz eingetreten war. Er blieb stehen, wo er war. "An der Schwangerschaft?" "Ja, es sind meine Hormone, die sind irgendwie durcheinander." Er zog die Brauen fragend hoch. Wenn Abby in seine grünen Augen schaute, konnte sie einfach nicht mehr klar denken. Er fragte sich vermutlich, ob sie vielleicht eine Zwangsjacke brauchte. Abby plapperte weiter, ohne nachzudenken. "Manche Frauen haben dann einen Heißhunger auf saure Gurken oder Eis, manche auf Hering oder Leber. Ich dagegen bin ganz gierig auf ..." Sie hielt inne und spürte, wie sie tiefrot wurde. Devlin schaute sie amüsiert an. "Was wolltest du sagen, Liebes?" hakte er in seltsamem Ton nach. Die Erkenntnis, daß sie gerade dabei war, sich lächerlich zu machen, bewirkte, daß Abby schlagartig ernüchterte. "Tut mir leid, ich habe nur laut gedacht. Wolltest du irgend etwas?" Devlin wartete einen Moment. Dann sagte er: "Rebecca Castner möchte uns für Freitag abend zum Kartenspielen einladen. Ist dir das recht?" "Und was ist mit den Kindern?" "Meine Mutter hat angeboten, sie übers Wochenende zu nehmen. Meine Eltern wollen ihre neue Stiefenkelin gern ihren Freunden zeigen und ihre Enkelkinder verwöhnen, wenn wir gerade mal nicht zuschauen." Abby überlegte. Wenn sie am Wochenende allein wären, müßte sie sich aber in acht nehmen! Sich bei den Castners aufzuhalten wäre jedoch recht sicher. "Ich bin aber keine besonders gute Kartenspielerin", wendete sie ein. "Ich auch nicht", er lächelte, "das dürfte dich beruhigen."
Beruhigung war wohl das letzte, was Abby hinsichtlich ihres attraktiven Mannes empfand. Später am Abend saß Devlin vor dem Fernseher, allerdings ohne daß er das Basketballspiel, das da lief, wirklich verfolgte. Abby war seit zwei Stunden im Büro, arbeitete am Computer, ordnete Papiere, rechnete Beträge zusammen und murmelte halblaut vor sich hin. Devlin versuchte ebenfalls, sich zu beschäftigen, aber Abbys Nähe lenkte ihn davon ab. Immer wieder schaute er zu ihr hinüber, betrachtete aus der Ferne ihre samtige Haut, die kleine Locke, die sie sich gedankenverloren hinters Ohr zu streichen pflegte, und ihre feuchten, weichen Lippen. Es kostete ihn viel Kraft, nicht zu ihr zu gehen und sie einfach in den Arm zu nehmen. Die Erinnerung an die Liebesnacht von damals ließ ihn einfach nicht los. Und dann hatte es auch noch diesen Kuß gegeben ... Meine Güte, wie sollte ein Mann nicht durchdrehen, angesichts einer Frau, die jeden Zentimeter des Hauses und jede Zelle seines Gehirns in Anspruch nahm? Nicht einmal das Spiel zwischen den Bucks und den Bulls konnte ihn von ihr ablenken. Abbys Bild war in jedem Moment präsent, ob er nun gerade ein Gebäude ausmaß oder versuchte, in dem unbequemen Gästebett zu schlafen. "Dad?" Jason klang schon etwas ungeduldig, als wolle er seit längerem Devlins Aufmerksamkeit auf sich lenken. Devlin fuhr sich durch das zerzauste Haar. "Entschuldige, wolltest du dir lieber etwas anderes im Fernsehen anschauen? Du kannst ruhig das Programm wechseln, das Spiel ist nicht allzu spannend." "Und die Bucks haben in den letzten vierzehn Sekunden der Halbzeit die Führung übernommen!" verkündete gerade der Fernsehsprecher, vor der Kulisse kreischender Fans im Stadion. Jason blickte neugierig vom Bildschirm zu seinem Vater. "Ist alles in Ordnung mit dir, Dad?"
"Ja, wieso?" Devlin griff nach der Fernbedienung und schaltete den Apparat aus. "Was gibt es denn?" Der Junge setzte sich in den großen Lehnsessel. "Vielleicht könnten wir uns mal unterhalten." Aber dann schwieg er. Devlin überlegte, wie er Jason dazu bringen konnte, zu sagen, was er auf dem Herzen hatte. "Gibt es Probleme in der Schule?" "Nein." "Mit deinen Freunden?" "Nein." Jason war nie sehr geschwätzig gewesen, bislang hatte er aber auch keine Schwierigkeiten gehabt, zu sagen, was ihn beschäftigte. Vielleicht ging es um ein heikleres Thema. "Möchtest du über Mädchen sprechen?" Jason verzog das Gesicht. "Mädchen?" Devlin rieb sich den Nacken. Der Junge machte es ihm nicht leicht. "Ich weiß, wie es in deinem Alter ist. Dann wollen Jungs etwas über ..., na, über Vögel und Bienen wissen. Du kannst mich ruhig danach fragen." Jason schnaubte verächtlich. "Dad, ich will mit dir nicht über Sex sprechen." "Ach nein?" Devlin war erleichtert. "Das haben wir schon vor Jahren in der Schule durchgenommen." Vermutlich wußte der Junge mehr, als Devlin lieb war. Aber er verkniff sich eine Frage danach. "Also, worum geht es?" Jason beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. "Wieso schlaft ihr, Abby und du, eigentlich nicht im selben Zimmer?" Mit dieser Frage hatte Devlin nun wirklich nicht im geringsten gerechnet. Er suchte nach einer Erklärung. "Paige mag noch immer nicht in ihrem eigenen Zimmer schlafen." Jasons Augen wurden ganz schmal. "Das tut sie aber seit fast einer Woche."
Das war Devlin noch gar nicht aufgefallen, und Abby hatte ihm davon nichts gesagt. Warum sollte sie auch. "Wir wollten abwarten, ob sie sich da auch wirklich wohl fühlt", behauptete er schnell. Jason sah ihn forschend an. Er schien seinem Vater nicht zu glauben. "Irgend etwas stimmt doch nicht, oder? Abby ist keine dolle Köchin, aber sonst ist sie okay. Du willst dich doch nicht etwa scheiden lassen oder sie irgendwie loswerden?" "Wie kommst du denn darauf ...", entfuhr es Devlin. Aber bevor er seinem Sohn sagen konnte, was er von dessen Gedanken hielt, erklärte Jason bestimmt: "Dad, Abby braucht uns." "Wieso?" fragte Devlin nun erstaunt. "Sie hat ihr geliebtes James-Dean-Foto weggegeben, weil sie, wie sie mir gesagt hat, nun uns hat." "Und du fürchtest, sie will es wiederhaben, wenn sie geht?" Devlin hoffte, daß sein Sohn nicht derart selbstsüchtig war, verstand aber nicht ganz, worauf der hinauswollte. "Ach, es ist ja nur ein Bild. Aber für Abby war es alles, was sie in ihrer Kindheit hatte. Als Mami uns verließ, hatten wir uns immerhin noch, du, ich und Riley. Aber Abby hatte niemanden, als sie in meinem Alter war. Jetzt hat sie zwar Paige, aber den ganzen Tag etwas von Ernie und Bert oder über Barbiepuppen zu hören ist ja ziemlich langweilig, verstehst du?" Dafür, daß Jason sonst eher schweigsam war, redete er jetzt ganz schön viel. Um sicherzugehen, daß Devlin ihn nicht mißverstanden hatte, fragte er noch einmal nach: "Du möchtest also, daß Abby und Paige hierbleiben?" Jason zuckte die Achseln. Gedankenverloren spielte er am Hebel des Ruhesessels, so daß das Fußteil plötzlich hochschoß. Aber er tat so, als sei das beabsichtigt gewesen. Nur sein Fuß wippte nervös. "Na ja, so wichtig ist mir das nicht, ich bin ja sowieso in ein paar Jahren weg. Aber Riley braucht jemanden, der auf ihn aufpaßt, wenn du bei der Arbeit bist."
"Meinst du?" "Ich kann das ja nicht immer tun." "Glaubst du denn, daß ich das von dir erwarte?" "Na ja, ich find's ja auch nicht weiter schlimm, Riley ist in Ordnung. Paige auch. Manchmal braucht sie jemanden, der ihr hilft, die Schuhe anzuziehen und so." "Und das Baby?" Jason betrachtete seine Füße. "Das wird vermutlich viel weinen." "Ja, das tun Babys manchmal." Jasons Gesicht nahm den altvertrauten trotzigen Ausdruck an. Er spielte mit seinen Schuhbändern. "Ich kann mir ja ein paar neue Kopfhörer anschaffen, dann ist es nicht so schlimm." "Vermutlich." Devlin verkniff sich ein Lächeln. Er hatte gehofft, daß Jason sich eines Tages auf die neuen Familienverhältnisse einstellen würde, hatte allerdings nicht erwartet, daß es so bald sein würde. Was Abby wohl getan hatte, daß er sein Verhalten geändert hatte und sie nun sogar verteidigte! Vielleicht war es gar nicht von ihr beabsichtigt gewesen, aber funktioniert hatte es jedenfalls. Jason schien sich damit alles von der Seele geredet zu haben. Er wirkte erleichtert. Devlin bewunderte es, wie Abby mit Jason umging. Sie hatte ihn dazu gebracht, sein Zimmer zu verlassen, ihr beim Kochen zu helfen und obendrein seine abweisende Haltung der Familie gegenüber aufzugeben. Das Mittel dazu war ein James-Dean-Foto gewesen, das sie seit Jahren besaß. Vielleicht brauchte sie es nicht mehr. Aber war die Tatsache, daß sie es Jason geschenkt hatte, nun ein Zeichen dafür, daß sie bleiben wollte, oder nur der Preis dafür, den Jungen aus der Reserve zu locken?
Wenn Devlin Abby doch nur dazu bringen könnte, den Ehevertrag zu vergessen ... und gleichzeitig auch die Schulden, die sie glaubte, bei ihm zu haben ... Er wußte nun, daß die körperliche Anziehung auf Gegenseitigkeit beruhte. Abby hatte so intensiv auf den Kuß reagiert, daß es daran keinen Zweifel gab. Aber das hieß nicht, daß sie nicht darauf bestehen würde, die Regeln des Ehevertrags einzuhalten. Als Heranwachsende hatte sie nichts besessen als das Foto eines Filmstars. Von einem Jahr zum anderen wußte sie nicht, wo sie wohnen und wer sie von der Schule abholen würde. Die Ehe mit einem Mann, der ihr einen Berg Schulden hinterließ, hatte nur die Erfahrungen ihrer Kindheit bestätigt: Man kann niemandem vertrauen. Die Chance, diese riesigen Vorbehalte abzubauen, war gering, aber Devlin mußte es wenigstens versuchen. Denn er wollte Abby ganz für sich gewinnen, mit Herz und Seele. Er wollte, daß sie in jeder Hinsicht "seine Frau" war.
8. KAPITEL Am Freitag, der noch recht kühl war, obwohl es schon Mitte Mai war und die Sonne schien, überlegte Abby, was sie alles zu erledigen hatte. Nachdem sie Paige zum Kindergarten gebracht hatte, wollte sie in ein Einrichtungsgeschäft gehen und Tapeten für das Zimmer der Kleinen aussuchen. Die würde sie gleich danach anbringen, bevor sie abends mit Devlin zu den Castners ginge. Am Samstag wollte sie dann ihre Energie dazu verwenden, Devlins Buchhaltung auf Vordermann zu bringen. Er hatte das bislang nicht geschafft. Die Belege für die Steuerrückzahlungen waren mit den Kostenvoranschlägen vermischt, manche davon waren schon zehn Jahre alt. Abby wollte alles sortieren und das, was nicht mehr aktuell war, in einem Karton auf dem Dachboden verstauen. Das würde sicher den ganzen Tag dauern, wenn nicht sogar weit mehr. Aber sie brauchte dringend eine nüchterne Beschäftigung. Die sollte ihr helfen, sie von dem beunruhigenden Gedanken abzulenken, daß sie das ganze Wochenende mit Devlin allein sein würde. An das letzte Mal mochte sie gar nicht denken, schon in der vergangenen Woche war ihr dauernd die Hochzeitsnacht wieder eingefallen. Es war, als wäre jedes einzelne Detail in ihrem
Bewußtsein verankert: Devlins Duft, die kräftigen Hände, mit denen er sie zärtlich streichelte, sein nackter Körper an ihrem ... Das waren gefährliche Gedanken. "Mami!" rief Paige sie in die Gegenwart zurück. "Darf Princess mit mir zu meinen neuen Großeltern?" Die Kleine hüpfte auf dem Bett herum, während Abby ihren rosa Jogginganzug in ein weißes Lackköfferchen packte. "Princess hat auch noch nie bei ihnen übernachtet." Seitdem sie morgens aufgestanden war, hatte Paige über nichts anderes geplappert als darüber, daß sie abends bei Devlins Eltern schlafen würde. "Nein, ich glaube, Grandpa und Grandma wäre es lieber, wenn Princess hierbliebe." In dem Moment schaute Devlin ins Zimmer herein. "Braucht ihr Hilfe?" Paige sprang vom Bett, schob ihre kleine in seine große Hand und lächelte ihn bittend an. "Daddy, darf ich Princess mit zu Grandma und Grandpa Hamilton nehmen?" Devlin beugte sich herab und tätschelte ihr die Nase. "Wenn ihr alle drei weg seid, ist es so einsam hier. Ich glaube, wir brauchen Princess hier, damit sie uns Gesellschaft leistet. Ist dir das recht?" Paige verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte tief. "Na ja, meinetwegen." Devlin strich ihr übers Haar. "Vielleicht gehst du schon nach unten und schaust mal nach, welche Spiele du mitnehmen möchtest." Paige zog ein Gesicht. "Wer spielt denn mit mir? Riley mag keine Spiele, die findet er doof." "Grandpa tut das, er mag Spiele." "Auch meine?" "Ganz bestimmt."
"Oh, prima." Schon hatte Paige ihre geliebte Katze vergessen und rannte hinaus. Sie hörten, wie sie die Treppen hinunter ins Wohnzimmer lief. "Dafür, daß sie noch so klein ist, trampelt sie schon ganz schön laut", amüsierte Devlin sich, während Abby den Koffer zumachte und die Verschlüsse zuschnappen ließ. "Dadurch weiß man aber immer, wo sie gerade ist", meinte Abby und wollte den Koffer vom Bett nehmen. Devlin kam ihr zuvor und hob ihn herunter. "Ich stelle ihn ins Auto." Abby wünschte, er sähe nicht so attraktiv aus. Er trug neue Blue Jeans und ein weiches Flanellhemd mit aufgerollten Ärmeln. "Jetzt schon? Ich dachte, wir bringen die Kinder erst heute abend nach dem Essen weg." "Das wollten wir ursprünglich auch, aber meine Mutter hat angerufen und gefragt, ob sie Paige nicht schon vom Kindergarten und die Jungs von der Schule abholen könnten. Ich sah kein Problem darin, darum habe ich zugestimmt." Er wartete einen Moment. "Das ist dir doch hoffentlich recht?" Abby nahm ein Kissen auf und klopfte es zurecht. "Ja, das ist mir recht. Ich wollte heute ein Zimmer tapezieren, dann habe ich mehr Zeit dafür." Devlin schüttelte den Kopf. "Keine Kinder und auch keine Arbeit an diesem Wochenende." Er nahm ihr das Kissen aus der Hand und warf es aufs Bett. "An diesem Wochenende sind wir beide mal dran, nur du und ich." Bevor Abby darüber nachdenken konnte, was das bedeuten würde, fuhr Devlin fort: "Allerdings erst nachdem wir zusammen zu deinem Arzt gegangen sind. Du gehst doch jeden Monat einmal zu ihm, oder?" Unwillkürlich legte Abby die Hände auf den Bauch. Sie war im fünften Monat, und da es die zweite Schwangerschaft war,
sah man schon etwas. "Du willst mit mir zum Arzt gehen?" wunderte sie sich. "Warum nicht, es ist doch auch mein Kind." Devlin zog sie an sich. "Und später könnten wir ja irgend etwas Schönes unternehmen." "Was unternehmen?" wiederholte sie. Abby wußte nicht, was sie mehr in Aufregung versetzte - der Gedanke daran, mit Devlin zum Arzt zu gehen oder etwas mit ihm allein zu machen. Beides ließ ihr Herz um einiges schneller schlagen. Was meinte er wohl mit "etwas Schönes"? Seine Augen hatten irgendwie gefunkelt, als er das sagte. Noch bevor Abby nachhaken konnte, war Devlin mit dem Koffer schon verschwunden. In der nächsten Stunde waren sie damit beschäftigt, die Kinder zur Schule zu bringen und die Taschen ins Auto zu stellen. Im Kindergarten gaben sie Bescheid, daß Devlins Eltern Paige abholen würden. Dann mußten sie auch schon zum Arzt. Im Wartezimmer war Devlin der einzige Mann. Es schien ihm aber nichts auszumachen, von lauter schwangeren Frauen umgeben zu sein. Sie setzten sich neben eine junge Frau, die das zeltgleiche Schwangerschaftskleid schon ganz ausfüllte. "Ist es Ihr erstes Baby?" fragte Abby freundlich. Die Frau, höchstens Anfang oder Mitte Zwanzig, strich sich mit geschwollenen Fingern durchs Haar. "Ja, das ist es. Ich bin schon seit zwei Wochen überfällig. Ich weiß nicht, ob das Baby sich dort drinnen so wohl fühlt, daß es sich nicht bewegen mag, oder ob es einfach nur dickköpfig ist." "Vielleicht von beidem etwas." Die Frau versuchte zu lächeln. "Es wird einem schon etwas lang. Ist das auch Ihr erstes Kind?" Devlin, dessen Arm auf Abbys Rücklehne ruhte, sagte: "Nein, das ist unser viertes."
"Das vierte?" staunte die junge Frau. Sie bemerkte Devlins beschützende Körperhaltung. "Wie schaffen Sie das nur? Sie unterstützen sich bestimmt gegenseitig, nicht wahr?" Abby lächelte. "Na ja, Kinder halten einen ganz schön in Trab." Die Frau nickte. "Sie müssen sich beide sehr lieben, um so viele Kinder zu haben." Sie schien keine Antwort zu erwarten und zupfte nervös am Saum ihres Kleides herum. "Ronnie sagt, wir müssen uns nur genug lieben, dann läuft alles andere wie von selbst, und unsere Kinder bekommen die nötige Geborgenheit. Solange Kinder sich geliebt fühlen, akzeptieren sie jede Situation, meint er." Die Sprechstundenhilfe kam herein. "Mrs. Armstrong?" Die junge Frau stand auf. "Das bin ich." "Viel Glück", rief Abby ihr nach. "Danke." Sie seufzte tief auf. "Das kann ich brauchen." Dann folgte sie der Sprechstundenhilfe. Abby schaute ihr hinterher, wie sie mühsam davonging. "Ich weiß noch, wie nervös ich war, als ich Paige bekommen sollte. Man hat beim ersten Mal so viele Zweifel und Bedenken und fragt sich, ob man es überhaupt schafft, ein Kind großzuziehen. Ich las damals alle möglichen Bücher darüber, aber die Wirklichkeit ist dann doch ganz anders als das, was die Experten beschreiben. Am Ende war alles, was ich tun konnte, sie zu lieben und meinem Instinkt zu folgen." Abby wurde plötzlich bewußt, wie dicht Devlin neben ihr saß. Er hatte den Arm nicht heruntergenommen und sah sie forschend an. Sie lachte ein wenig verlegen. "Entschuldige, ich schwafele wohl ein bißchen." "Nein, du schwafelst nicht." Devlin hätte seine Frau gern in den Arm genommen und geküßt. "Jeder braucht vor allem Liebe. Sie ist die Basis für unser Glück." Ein Hauch von Schmerz erschien in Abbys Blick, als gäbe es eine verdrängte Sehnsucht. Was bedeutete das? Begann sie
womöglich, echte Gefühle für ihn zu entwickeln? Eine leise Hoffnung keimte in Devlin auf. Falls Abby sich in ihn verlieben würde, wollte er diesen kleinen Funken schon zum Leben entfachen! Eine Weile später erschien die Sprechstundenhilfe erneut. "Mrs. Hamilton?" Devlin und Abby standen gemeinsam auf und ließen sich den Gang hinunter zu einer großen Waage führen. Abby stöhnte auf, als sie das Gerät auch nur sah. Darauf wog sie immer gleich zehn Pfund mehr als sonst. Und nichts fand sie demütigender, als nun auch noch vor ihrem Mann gewogen zu werden! Sie schaute Devlin von der Seite an. "Hast du nicht Lust, mal für dreißig Sekunden zu verschwinden?" Devlin aber ließ sich nicht beirren und wagte es, sie mit gespielter Unschuld anzuschauen. "Achte nicht auf mich, wir wollten doch alles gemeinsam machen, nicht?" "Dann steig du auf die Waage." Seine Augen blitzten belustigt. ."Möchtest du, daß ich deine Hand halte?" , Nun, sie würde ihm nicht die Genugtuung geben, seine Meinung allzu wichtig zu nehmen. Ohne ihn noch einmal anzuschauen, stieg sie auf die Waage und brachte es fertig, nicht mit der Wimper zu zucken, als die Sprechstundenhilfe verkündete: "Einhundertsechsundzwanzig Pfund. Ganz prächtig." Ohne Devlins ausgestreckte Hand zu nehmen, stieg Abby von der Waage. Er raunte ihr zu: "Ich werde dich auch noch lieben, wenn du hundertsechsundsechzig wiegst." Das Wort "lieben" ließ Abbys Puls schneller gehen. So wörtlich meinte er das aber sicher nicht. Forschend schaute sie ihn an. Dann brachte die Sprechstundenhilfe beide in den Untersuchungsraum. Sie hatten kaum Zeit, sich hinzusetzen, als
der Arzt, ein kleiner freundlicher Orientale, auch schon hereinkam. "Guten Morgen, Mrs. Hamilton." "Dr. Lee, das hier ist mein Mann." Der Doktor reichte Devlin die Hand. "Schön, daß Sie mitgekommen sind. Wir ermuntern unsere werdenden Eltern immer, gemeinsam zu kommen und den Vorbereitungskursus nach der Methode von Dr. Lamaze mitzumachen." Er nahm Abbys Patientenkarte auf. "Sie haben sich dafür schon angemeldet?" "Nein, noch nicht", sagte Abby. Sie hatte es überlegt, wollte Devlin aber nicht damit behelligen und schon gar nicht unter Druck setzen. Devlin hob fragend die Augenbrauen. "Hat der Kursus schon angefangen?" Der Arzt nahm einen Kalender vom Schreibtisch und schlug ihn auf. "Nächste Woche beginnt ein neuer. Zu dem können Sie sich beim Weggehen noch anmelden, wenn Sie wollen." Zu Abbys Überraschung sagte Devlin, ohne zu zögern: "Gut, das werden wir tun." Dr. Lee legte den Kalender wieder hin und klopfte auf den Untersuchungsstuhl. "Okay, Abby, dann wollen wir mal schauen, ob alles in Ordnung ist." Zum Glück verlief die Untersuchung nicht allzu intim, nur Abbys gewölbter Bauch war entblößt. Devlin blieb währenddessen am Rand sitzen, so daß Abby ganz entspannt auf die Anweisungen und Kommentare des Arztes reagieren konnte. Schließlich wendete der Doktor sich an Devlin. "Mr. Hamilton, möchten Sie mal den Herzschlag Ihres Kindes hören?" "Ja, gern!" Devlin stellte sich neben Abby und bekam das Stethoskop in die Hand. Abby wagte kaum zu atmen. Auf Devlins Gesicht spiegelten sich starke Emotionen wider. Als er sie anschaute, lag in seinem Blick fassungsloses Staunen.
Auch Abby wurde von einem starken Gefühl ergriffen. Als Devlin verkündet hatte, daß er sie zur Untersuchung begleiten würde, hatte sie dem keine große Bedeutung beigemessen. Sie erwartete, daß er sich, genau wie ihr erster Mann, nur ins Wartezimmer setzen und dort auf sie warten würde. John hatte sich, was die körperliche Seite der Schwangerschaft betraf, eher unbehaglich gefühlt. Aber bei Devlin war alles ganz anders. Er zögerte nicht, empfand keinen Widerwillen gegen was auch immer. Er hielt ihre Hand und strich mit der anderen ganz sachte, beinahe ehrfurchtsvoll, über ihren Bauch. Ihr kamen beinahe die Tränen. Am liebsten hätte sie sich aufgerichtet und ihm für diesen wundervollen, innigen Augenblick gedankt. Später am Abend hatte Abby Schwierigkeiten, sich auf das Spiel, zu dem sie sich am Tisch versammelt hatten, zu konzentrieren. Zum Teil lag das allerdings auch an den Castners. Kaum waren Devlin und Abby angekommen - Cash hatte ihnen fürsorglich die Mäntel abgenommen -, war Abby gleich von der harmonischen Atmosphäre des Hauses gefangengenommen worden. Erst einmal hatten die Castners sie überall herumgeführt und ihr alles gezeigt. Das zweistöckige Gebäude war von Devlins Firma gebaut worden. Jedes Zimmer hatte seinen eigenen Charakter. Da sie sich nicht auf eine gemeinsame Stilrichtung einigen konnten, hatte Cash die eine Hälfte eingerichtet und Rebecca die andere. Rebecca liebte Antiquitäten, und ihre Zimmer enthielten kostbare Einzelstücke, die sie in vielen Jahren zusammengetragen hatte. Cashs Zimmer dagegen waren, wie sich seine Frau ausdrückte, voller verrücktem Krimskrams. In seinem Wohnzimmer prangte ein Rolling-Stones-Bild sowie eins von Zsa Zsa Gabor. In der hinteren Ecke stand ein Stoffschwein mit Silberflügeln neben einer Katzenfrau aus Pappmache. Über dem
steinernen Kamin hing ein Bild von Wisconsins berühmtem Footballteam, den Green Bay Packers, von denen Cash ein großer Fan war. Mit einer solchen Einrichtung hätte jedes andere Zimmer billig, wenn nicht sogar peinlich ausgesehen, statt dessen mußte man den Räumen Ungewöhnlichkeit und einen eigenwilligen Charme bescheinigen. Das Haus wirkte genau so, wie Cash und Rebecca selbst es waren: voller Gegensätze, aber auch von charmanter Eigenwilligkeit. "Wenn du nicht endlich aufhörst, mir in die Karten zu spähen, übernachtest du im Keller bei den Ratten", schimpfte Rebecca mit ihrem Mann und drückte die Karten beschützend an die Brust. "Ich weiß doch sowieso schon längst, daß du Colonel Mustard hast, das Bleirohr und das Eßzimmer", sagte Cash provozierend, "ich wollte nur wissen, welche Karte du Devlin gezeigt hast." Rebecca schaute ihn verächtlich an. "Gib es auf, Cash, den Bluff hast du schon vor zwei Spielen versucht, und da bin ich auch nicht drauf reingefallen. Also laß es sein." "Willst du damit sagen, daß ich ein Lügner bin?" "Behalte bitte deine Hände auf dem Tisch, wo ich sie sehen kann." "Entschuldige, war das dein Knie, Liebling?" Cash grinste. "Das hoffe ich für dich", schaltete Devlin sich ein, der die Karten ebenfalls außer Sichtweite seines Freundes brachte. "Ich werde dir helfen, wenn du meine Frau anmachst, alter Knabe." Cash beugte sich zu Abby, die zu seiner Rechten saß. "Auweia, merkst du, wie schlechtgelaunt die beiden sind? Das liegt daran, daß sie nicht gewinnen." Abby wünschte, der Abend würde ewig dauern. Zumal das Drumherum, das die Castners veranstalteten, ihre Aufmerksamkeit fesselte und sie dadurch weniger auf den Mann achtete, der ihr gegenübersaß.
Sie vergaß beinahe, daß sie heute abend beim Nachhausekommen allein miteinander sein würden. Unwillkürlich legte sie die Hand auf die Stelle, wo das Baby langsam heranwuchs. "Abby? Du bist dran." Rebeccas Stimme brachte sie in die Gegenwart zurück. Die anderen drei beobachteten sie neugierig. "Entschuldigung, ich habe gerade vor mich hin geträumt." "Prima, dann gewinne ich um so schneller", sagte Cash schmunzelnd. "Niemals, Castner", sagte Rebecca energisch. Abby versuchte, sich den Rest des Abends nur noch auf das Spiel zu konzentrieren. Als sie mit dem Kartenspielen fertig waren, deckte Devlin den Tisch ab, während Abby zu Rebecca in die Küche ging. "Sag mal, wie läuft es eigentlich mit den Jungs? Findest du es nicht schwierig, Stiefmutter zu sein?" wollte Rebecca wissen. "Na ja, wir haben gute und mittelgute Tage." "Das kann ich mir vorstellen. Und was sagen die Kinder zu dem zukünftigen Baby?" Abby dachte nach, bevor sie antwortete. "Sie wissen nicht recht, wie sie das finden sollen. An den Gedanken müssen sie sich erst noch gewöhnen." Rebecca nickte. "Wir uns genauso." Abby brauchte eine Sekunde, ehe sie begriff. Beinahe hätte sie die Teller fallen lassen. "Ach, du bist auch in anderen Umständen?" "Ja, der Termin ist im Dezember. Ein paar Monate nach dir." Ihrer Stimme war anzuhören, wie glücklich sie war. "Ich war ganz neidisch, als ich hörte, daß ihr beide ein Baby bekommt. Wir haben uns fast ein Jahr lang darum bemüht." Rebecca holte vier Tassen aus dem Wandschrank. "Ich dachte schon, irgend etwas wäre mit mir nicht in Ordnung." "Aber du hast dich zum Glück geirrt."
"Ja, Gott sei Dank. Der Doktor sagte immer wieder, ich solle ruhig bleiben, abwarten und der Natur ihren Lauf lassen. Und Cash war wunderbar. Er sorgte dafür, daß ich mich nicht aufregte. Ich neige nämlich dazu, nervös zu werden, wenn nicht alles so läuft, wie ich es möchte. Wenn ich ihm nicht gerade drohe, ihn an seinen Hosenträgern aufzuhängen, hält er mich immer schön auf dem Boden der Tatsachen. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn täte." Abby wurde etwas melancholisch zumute. Sie durfte auf Rebecca nicht neidisch sein, es gab auch für sie so vieles, für das sie dankbar sein konnte. "Freut Kelly sich schon?" Rebecca lachte leise. "Wir haben es ihr heute abend gesagt. Am liebsten hätte sie sofort Paige angerufen und es ihr erzählt. Ich nehme an, von jetzt bis zur Geburt werden sie nur noch mit Babypuppen spielen." "Die beiden verstehen sich sehr gut." "Ja, das finde ich auch." Nachdem Rebecca die Tassen auf den Tisch gestellt hatte, berührte sie Abbys Arm. "Ich bin so froh, daß Devlin dich geheiratet hat. Du machst ihn sehr glücklich, und das Glück verdient er." Abby kämpfte gegen eine Welle von Gefühl an. "Danke. Du und Cash, ihr seid wirklich sehr nett." "Das ist bei dir auch nicht schwer", sagte Rebecca überzeugt. "Du bist so natürlich. Weißt du eigentlich, daß es das erste Mal ist, daß Devlin eine Frau mit zu uns gebracht hat, seitdem Linda ihn verlassen hat?" Abby wollte in diese Aussage nicht zuviel hineininterpretieren. Sie konnte sich vorstellen, warum Devlin nicht allzuoft ausgegangen war. "Ein alleinerziehender Vater hat es ja auch nicht leicht. Er muß arbeiten und sich obendrein um die Kinder kümmern." Rebecca nickte. "Kinder können selbst an normalen Tagen ziemlich anstrengend sein." Sie reichte Abby das Besteck.
"Deine Bluse gefällt mir übrigens. Hast du sie hier in der Gegend gekauft?" Abby berührte das seidige Material. "Nein, Devlin hat sie mir vor ein paar Wochen aus Madison mitgebracht." Rebecca stöhnte. "Du hast es gut. Cash hat, was Kleidung angeht, nicht den geringsten Geschmack." "Wer behauptet das?" wollte Cash wissen, der gerade die Küche betrat. Devlin war gleich hinter ihm. "Mach dir keine Gedanken darüber, mein Junge, dafür hast du, was Frauen betrifft, einen prima Geschmack." Damit ging er zu Rebecca und küßte sie auf die Wange. "Du wirst also auch wieder Mutter?" Rebecca strahlte Devlin an. "Wir wollten euch nicht zuviel Vorsprung lassen. Du mußt mir aber versprechen, Cash von deiner Erfahrung in Sachen Schwangerschaftskleidung profitieren zulassen." "Nun, Wunder kann ich nicht vollbringen." Devlin fing sich einen Knuff von Cash ein und lachte. Als sie sich eine Stunde später zum Gehen bereitmachten und ihre Mäntel anzogen, fühlte Abby sich erschöpft. Dazu herrschte zwischen Devlin und ihr, obgleich der Abend und die Gespräche ganz locker gewesen waren, eine unterschwellige Spannung. Das große einsame Haus und getrennte Betten erwarteten sie. "Das ganze Wochenende ohne Kinder? Tut bitte nichts, was ich nicht auch täte", ermahnte Cash sie fröhlich, während Devlin, Abbys Arm nahm, um sie die Treppen hinunter und in die Nacht hinaus zu führen. Das werden wir sicher nicht tun, das dürfen wir gar nicht, dachte Abby und fröstelte leicht in der kühlen Luft. Ein Vertrag stand zwischen ihnen! Abby war zu müde, um sich über ihre melancholische Stimmung Gedanken zu machen.
Sobald sie zu Hause ankamen, ging sie sofort schlafen. Das letzte, was sie noch hörte, war, wie Devlin das Gästebett herunterklappte. Am frühen Morgen erwachte Abby dadurch, daß eine große, rauhe Zunge ihr übers Gesicht fuhr. "Hulk, runter mit dir!" Devlins Gesicht rückte ins Blickfeld, erst unscharf, dann immer deutlicher. Er sah sowohl entschlossen als auch genervt aus. Abby versuchte, wach zu werden und zu begreifen, was los war. Bevor sie Devlin wieder anschauen konnte, sprang der Hund noch einmal an ihr hoch und versperrte ihr den Blick. "Hey", stöhnte sie. "Das reicht, raus mit dir!" schimpfte Devlin, der ein vollgepacktes Tablett auf die Kommode stellte, bevor er den sich sträubenden Hund zur Tür hinausbeförderte. Dann kam er wieder zurück und stellte das Tablett aufs Bett. Abby setzte sich auf und nestelte an ihrem Nachthemdträger, der heruntergerutscht war und die Wölbung ihrer Brust entblößte. "Du mußtest mir doch kein Frühstück machen." Unter Devlins Blick fühlte sie sich beinahe nackt. Als habe er ein Eigenleben, glitt der Träger immer wieder herab. Bevor sie ihn ganz hochschieben konnte, hatte Devlin das bereits gemacht. Die Berührung seiner Finger verursachte ihr eine Gänsehaut. "Du bist nicht die einzige, die Eier kochen kann", sagte er. Seine heisere, tiefe Stimme bewirkte, daß Abby ganz verlegen wurde und die Bettdecke hochzog. Es war schon etwas merkwürdig, von einem Hund wachgeküßt zu werden, wenn man dann aber noch gleich nach dem Wachwerden jemanden wie Devlin in seinem Schlafzimmer vorfand .... Sie nahm sich zusammen und griff nach der Gabel. "Ißt du denn mit?" wollte sie wissen. "Ja, aber ich hatte nur das eine Tablett und dachte, wir könnten uns alles teilen, wenn es dir recht ist."
Abby reichte ihm die andere Gabel. "Bitte, bedien dich." Devlin setzte sich auf die Bettkante und griff zu. Da er so dicht bei ihr saß, konnte Abby weder den Toast noch die Eier oder den Saft so richtig genießen. Durch die geschlossenen Fensterläden drang die Sonne herein und tauchte das Zimmer in ein intimes, warmes Licht. Das einzige, was Abby wahrnahm, war Devlin. Sein weißes Hemd, dessen oberste Knöpfe offenstanden, ließ seinen gebräunten Hals unbedeckt und betonte das Grün seiner Augen. In der Bundfaltenhose kamen seine langen Beine und die schmalen Hüften gut zur Geltung. Da es Samstag war, trug er keine Arbeitsschuhe, sondern weiche Slipper. Alles an ihm wirkte attraktiv und männlich. Und alles in ihr reagierte weiblich auf ihn. Nervös bewegte sie sich hin und her. Devlin hielt beim Essen inne. "Tut dir dein Rücken weh?" "Na ja, ein bißchen." Er nahm ein Kissen von der anderen Bettseite und stopfte es sorgfältig hinter sie. "Besser so?" Abby nickte. Ihr Mund war zu trocken, als daß sie hätte antworten können. Für den Rücken war es so besser, aber dafür klopfte ihr Herz bei der Sorgfalt, mit der er sich um sie kümmerte, um so heftiger. Ihr war jede seiner Bewegungen bewußt ..., die seines Körpers sowie die seiner Hände. Abby legte die Gabel wieder hin. "Sind die Eier nicht in Ordnung?" fragte er. "Doch, doch. Alles schmeckt gut. Aber ich bin wohl noch satt von gestern abend." "Ja, Rebecca kocht sehr gern, und sie wollte dich bestimmt beeindrucken." "Mit den Castners bist du schon lange befreundet, nicht?" "Ja, fast mein ganzes Leben. Cash und Rebecca waren schon ab der fünften Klasse zusammen."
"Ab der fünften Klasse?" Abby lehnte sich zurück, um Devlin beim Essen zuzuschauen. "Heutzutage kann man sich kaum noch vorstellen, wie sich eine Beziehung, durch die schwierigen Teenagerjahre hält und sich dann auch noch zu einer funktionierenden Ehe entwickelt." Devlin legte die Serviette hin, nahm das Tablett vom Bett und stützte die Unterarme auf. "Sie hatten sowohl Höhen als auch Tiefen. Lange glaubten sie zum Beispiel, Rebecca könne keine Kinder bekommen. Und als sie dann endlich schwanger wurde, mußte sie die letzten drei Monate im Bett verbringen, um das Baby nicht zu verlieren. Cash war außer sich vor Sorge." In Devlins Augenwinkeln waren kleine Fältchen zu sehen, die von sorgenvollen Gedanken herrührten und Abbys Anteilnahme weckten. Mit seinen Freunden verband ihn offensichtlich eine tiefe Zuneigung. "Sie lieben sich sehr, nicht wahr?" meinte sie. "Ja, das tun sie. Und was immer geschieht, sie sind in jeder Situation füreinander da." "Ich glaube, das macht wahre Liebe aus. Eine, wie sie in Märchen beschrieben wird." In Abbys Worten schwang versteckte Wehmut mit. Devlin schaute sie von der Seite an. In seinem Blick lag eine gewisse Intensität, so als müsse er etwas zurückhalten. Abby schluckte. Wünschte auch er sich eine Liebe, wie seine Freunde sie erlebten? Bereute er, daß er sich "praktisch arrangiert" hatte, anstatt auf die wahre Liebe zu warten? In ihr stieg eine große Sehnsucht hoch. Sie krallte die Hände ins Bettlaken ... und prompt rutschte der kecke Träger erneut herunter. Devlin sah sie so forschend an, daß Abby seinem Blick nicht ausweichen konnte. Heißes, ungeniertes Verlangen stand darin. Die Stille um sie herum knisterte förmlich. Das Schweigen hielt unendlich lange an. Abby wünschte, sie könnte die
geheimnisvolle Botschaft entziffern und würde verstehen, was genau er von ihr wollte. Hatte er ihr mit einem bestimmten Hintergedanken das Frühstück gebracht? Schließlich unterbrach Devlin das Schweigen zwischen ihnen. "Was möchtest du heute gern tun? Worauf hast du Lust?" Abby schob den Träger wieder hoch und versuchte sich möglichst unauffällig mit der Tagesdecke zuzudecken. "Wenn du arbeiten mußt, brauchst du dir für mich nichts auszudenken. Ich kann mich irgendwo hinsetzen und ein Buch lesen." Devlin runzelte die Stirn. "Ich dachte, wir würden etwas gemeinsam unternehmen." Abby versuchte, die Decke weniger verkrampft festzuhalten. "Woran hast du denn gedacht?" Devlin rieb sich den Nacken. "Tut dir dein Rücken noch immer weh?" fragte sie besorgt. Er verzog das Gesicht. "Na ja, ich habe wohl falsch gelegen." "Wieso schläfst du nicht hier im großen Bett, und ich nehme das Gästebett?" "Nein." Die glatte Ablehnung gestattete keinen Widerspruch. Eigentlich hatte Abby auch nichts anderes erwartet. Ihr Mann hatte ein ausgeprägtes Gefühl für das, was er für richtig oder falsch hielt. Aber sie hatte auch ihre eigene Meinung. "Es wäre doch nur fair, wenn ich jetzt drankäme. Du brauchst dringend deinen Schlaf." Devlin schüttelte den Kopf. "Im Gästebett kannst du nicht schlafen. Wenn das Baby größer wird und sich bewegt, brauchst du eine gute Matratze zur Unterstützung." "Dann schlafen wir eben beide hier. Platz genug ist ja da." Abbys Stimme zitterte beinahe. Ihr Vorschlag machte sie insgeheim nervös. Aber vielleicht wollte Devlin ja gar nicht bei ihr schlafen? Warum sonst blieb er im Gästezimmer und zog nicht in sein eigenes Schlafzimmer zurück, obgleich Paige sich
endlich zu dem großen Schritt entschlossen hatte, in ihrem eigenen Zimmer zu schlafen? Dabei war es sicher nicht gut für ihn, weiterhin dieses auf Dauer unbequeme Bett zu benutzen, er bezahlte das anscheinend mit schlaflosen Nächten. In Devlins Gesicht zuckte es. "Ich weiß nicht recht, ob ich das tun sollte." Er wollte Abby vermutlich nicht verletzen, aber dennoch tat er es mit diesem Satz. "Ich würde mich auch bemühen, mich im Schlaf nicht soviel herumzuwerfen", versprach sie. Auf einmal legte Devlin den Arm um sie und zog sie an seine Seite, sein Bein lag auf ihrem. "Es ist mir egal, ob du dich im Schlaf herumwirfst oder schnarchst oder singst." "Was ist denn sonst der Grund dafür, daß du nicht im selben Bett mit mir schlafen willst?" Gegen seine Antwort konnte sie sich nicht wappnen, dazu war sie momentan zu empfindsam. "Ich bin schließlich ein Mann und keine Holzpuppe", sagte er gepreßt, und sein Gesichtsausdruck spiegelte die Spannung wider, unter der er stand. "Ich kann nicht im selben Bett mit dir schlafen, ohne mit dir zu schlafen."
9. KAPITEL Abby war zumute, als hätte man ihr alle Luft aus den Lungen gesogen. Sie starrte Devlin an, dessen Gefühle ihm deutlich ins Gesicht geschrieben standen. Er drückte sie fester an sich. "Das ist der Grund, warum du nicht wieder in dein Zimmer zurückgezogen bist?" flüsterte sie ungläubig. Devlin nickte. "Wieso hast du es mir denn nicht gesagt?" Er nahm ihre Hand, führte sie an seine Lippen und küßte die Innenfläche und die sensible Stelle im Pulsbereich. "Weil das unserer Abmachung widerspricht! Aber ich kann mir nicht helfen, ich begehre dich so sehr, daß es beinahe weh tut. Ich kann nicht aufhören, daran zu denken, wie schön es mit uns war, als wir in der Hochzeitsnacht zusammen waren." Abby spürte deutlich, wie erregt er auch körperlich war. Beinahe hätte sie ihm gestanden: "Ich begehre dich genauso." Aber irgend etwas in ihr verbot ihr, das auszusprechen. Devlin löste sich wieder von ihr und stand auf. "Wie wäre es, wenn du dich anzögest und wir heute nach Madison fahren würden?" Seine Stimme klang unsicherer, als ihm lieb war. Dadurch, daß Devlin sie so plötzlich wieder losgelassen hatte, war Abby zumute, als führe ein kalter Hauch über ihre entblößte Haut. Sie vermißte sogleich seine Körperwärme. "Du
willst also gar nicht über das diskutieren, was du da eben gesagt hast?" "Da gibt es nichts zu diskutieren, das ist allein mein Problem, nicht deins." Er nahm das Tablett auf und ging zur Tür. "Während du dich fertig machst, kümmere ich mich um den Abwasch. Wir treffen uns dann unten, einverstanden?" Sobald er den Raum verlassen hatte, war Abby wie benommen. Tausend Fragen und die unmöglichsten Antworten Wirbelten in ihrem Kopf herum. Devlin begehrte sie also! Das Bewußtsein ängstigte und beglückte sie zugleich. Dabei begehrte sie ihn ja genauso. Aber das machte ihr mehr angst, als sie erwartet hätte. Beinahe erlag sie der Versuchung, ihn zurückzurufen. Wenn er die Tür nicht hinter sich geschlossen hätte, hätte sie diesem Wunsch nicht widerstehen können. Aber so hatte er es eben entschieden. Abby verdrängte ihre Verwirrung und ihre erotischen Phantasievorstellungen, verließ das Bett, zog den Morgenmantel an und ging ins Bad. Zwanzig Minuten später hatte sie geduscht, ihr Haar gewaschen und getrocknet und mit den Fingern locker in Form gebracht. Devlin wartete schon unten. Das verhinderte, daß sie die Gedanken noch weiter schweifen lassen konnte. Es war ohnehin besser, nicht zuviel nachzugrübeln! Heute würden sie sich einfach mal treiben lassen. Sie hatten ja den ganzen Tag zusammen, und kein Moment sollte unbehaglich oder anstrengend sein. Das kam sonst schon oft genug vor. Auch wenn nun klar war, daß sie beide mehr von ihrer Beziehung erwarteten, war es noch zu früh, über den nächsten Schritt nachzudenken. Sie brauchten einfach mal ein paar unbeschwerte Stunden miteinander - falls das überhaupt möglich war ...
Abby trug ein Trägerkleid aus blauem Jeansstoff, das Devlins Schwester Gayle ihr vor einiger Zeit geschickt hatte. Sie betrat die Küche, als Devlin gerade den Hörer auflegte. Sein anerkennender Blick freute sie. Er nahm den Schlüssel vom Haken neben der Tür. "Gehen wir? "Ja, und was machen wir?" "Vielleicht kaufen wir etwas für das Baby ein, ein Körbchen, ein paar Möbel. Danach sehen wir dann, wie du dich fühlst, und überlegen uns, wie wir den Rest des Tages gestalten." Er nahm die Mäntel von der Garderobe. "Bist du damit einverstanden?" Das war zwar nicht gerade das, wonach ihr Herz sich sehnte, hörte sich aber sachlich und sinnvoll an. Abby zog sich an. "Einverstanden, geh nur voraus." Sein Lächeln war aufregend. "Ich liebe Frauen, die ihrem Mann überallhin folgen", scherzte er. Wenn das nur wahr wäre, dachte Abby, während er ihr den Vortritt ließ. Devlin hatte gehofft, dieser Stadtbesuch würde die Nervosität mildern, die er seit Wochen empfand. Er und Abby das ganze Wochenende allein im Haus ..., das mochte er sich kaum vorstellen. Er würde durchdrehen und unausweichlich über sie herfallen! Sie brauchten etwas, was sie gemeinsam machen, wobei sie aber dennoch ganz locker sein konnten - auch wenn ihm das im Moment fast unerreichbar erschien. Je öfter er sich in Abbys Nähe befand, um so mehr begehrte er sie, sowohl gedanklich als auch körperlich. Sie besuchten mehrere Geschäfte. In einem verliebte Abby sich Hals über Kopf in eine altmodische Kinderkrippe mit einem kleinen Baldachin. "Gefällt sie dir?" Devlin hatte Abbys entzücktes Gesicht gesehen.
Abby fuhr liebevoll über den holzgeschnitzten Rahmen. "Sie ist wunderschön." "Dazu gibt es noch eine passende Kommode und einen Tisch." Abby ging hinüber und schaute sich auch die anderen Stücke an. "Als ich ein kleines Mädchen war, habe ich von solchen Sachen immer geträumt. Sie standen auf meiner heimlichen Wunschliste." "Deiner heimlichen Wunschliste?" Abby wurde ein bißchen rot. "Ja, das war eine, auf der ich in Gedanken alles notierte, was ich mir kaufen würde, wenn ich erwachsen wäre und mein eigenes Zuhause hätte." Sie lachte. "Na ja, Wünsche gehen natürlich nicht immer in Erfüllung. Als ich mit Paige schwanger war, hatten wir nicht genug Geld und mußten uns ein Kinderbett vom Nachbarn borgen." Wenn eine Frau es verdient, daß ihre Träume in Erfüllung gehen, dann ist es Abby, dachte Devlin sofort. Sie war der liebenswerteste Mensch, den er je kennengelernt hatte. Er winkte der Verkäuferin, die etwas entfernt stehengeblieben war, um das Paar beim Anschauen und Aussuchen nicht zu stören, und zeigte auf das KinderbettEnsemble. "Haben Sie diese Sachen hier auf Lager?" Die dunkelhaarige Frau blickte auf das Etikett, das an der Krippe hing. "Einen Moment, ich schaue mal nach." Nachdem sie weg war, sagte Abby leise: "Damit wollte ich nicht sagen, daß wir das kaufen müssen, Devlin. Es ist doch unheimlich teuer." Devlin sah in ihre großen, skeptisch blickenden Augen. "Das Baby braucht ein Bettchen, und das hier gefällt dir doch, oder?" "Ja, sehr, aber da paßt es nur eine kurze Zeit hinein, und was machen wir dann damit?" Es lag Devlin auf der Zunge vorzuschlagen, daß sie ja noch sechs weitere Kinder haben könnten, Wenn Abby dafür nur für
immer bei ihm bleiben würde. Aber er wollte sie auf keinen Fall festlegen und damit einengen. Sie sollte freiwillig bleiben! Bei ihm bleiben, weil sie ihn liebte. So wie er sie liebte ... Das Bewußtsein, daß er sie liebte, traf ihn mit voller Wucht. Unter dem flimmernden Licht schien sich der Boden zu bewegen, und Devlin mußte sich plötzlich an dem Bettchen festhalten. Wieso hatte er das eigentlich nicht schon längst begriffen? Er liebte sie! Das hätte er doch begreifen müssen! Aber vielleicht war es ihm ja insgeheim schon längst klar gewesen. Seit wann das so war, wußte Devlin nicht. Es kam ihm vor, als existierten diese Gefühle für Abby schon seit ewigen Zeiten. Vielleicht schon seitdem er sie auf dem Fest bei seiner Schwester kennengelernt hatte. Auf Anhieb war ein ganz starkes Gefühl für sie dagewesen. Zum Beispiel bewunderte er Abby dafür, daß sie selbst mutig versucht hatte, ihr Dach allein zu reparieren. Und dafür, wie sie ihr Leben meisterte, ohne daß dabei die Bedürfnisse ihrer Tochter zu kurz kamen. Und dafür, wie attraktiv sie damals in dem eng anliegenden Overall ausgesehen hatte ... Da kam eins zum anderen und hatte sich wie ein Schneeball, der unermüdlich weitergerollt und dabei immer größer wird, zum Wunsch entwickelt, immer mit Abby zusammenzusein, sie zu heiraten und sie für alle Zeiten an sich zu binden. Der Ehevertrag war ihm als schnellstes Mittel zum Zweck erschienen. Aber nun, da sie seine Frau war, fand er sein Vorgehen unsinnig. Er hätte es richtig machen, ihr in allen Ehren den Hof machen sollen! Sie hatte keine richtige Kindheit gehabt, und ihre erste Ehe war eine Katastrophe gewesen. Schon deshalb
hätte er wissen müssen, daß Abby weit mehr brauchte als nur eine finanzielle Absicherung! Auch er hatte sie also um etwas betrogen: um die Möglichkeit, endlich richtig glücklich zu werden. Vielleicht hatte er sich damit um sein eigenes Glück gebracht? War es zu spät, noch alles zu ändern? Wieso sollte Abby ihm nun glauben, daß er es ehrlich mit ihr meinte? Könnte sie je die Vergangenheit vergessen und ihn lieben, ohne daß ihnen dieser verdammten Ehevertrag in die Quere kam, der Devlin wie eine Schlinge um den Hals hing? All das ging ihm durch den Kopf, verwirrt schaute er drein. Abby legte die Hand auf seinen muskulösen Arm. "Devlin, geht es dir gut?" "Entschuldige, ich bin wohl ein bißchen unausgeschlafen." Er versuchte, die Fassung wiederzugewinnen. Abby schien seine Erklärung nicht recht zu glauben, aber hier war nicht der richtige Ort dafür, über private Dinge zu sprechen. Devlin nahm sein Scheckbuch heraus. "Laß uns jetzt dieses Kinderzimmer bestellen, und wenn das Baby eines Tages nicht mehr hineinpaßt, vererben wir es eben unseren Enkelkindern." Abby überzeugte das nicht so recht. Wie immer, wenn sie unschlüssig war, kaute sie an der Unterlippe. "Vielleicht könnte ich mich finanziell daran beteiligen?" "Es ist doch unser gemeinsames Geld, Abby. Das, was mir gehört, gehört auch dir." Verstand sie denn nicht, was er damit sagen wollte? Devlin wünschte sich eine gemeinsame Zukunft mit ihr, eine, in der sie alles miteinander teilten! Sie dagegen wollte immer ihren Anteil selbst bezahlen. Aber das lag sicher daran, daß sie es mit Leuten zu tun gehabt hatte, die sie nie wirklich geliebt hatten.
Jedenfalls nicht so, wie er sie liebte, mit diesem Herzklopfen verursachenden Bewußtsein, daß es genau diese Frau war, die er haben wollte: in seinem Leben, in seinem Bett und für alle Zeiten! Aber Abby hatte man offenbar ihr ganzes Leben lang Dinge versprochen, die dann nie eingehalten wurden. Sie hatte gelernt, vorsichtig zu sein und keinem wirklich zu vertrauen. So sollte es zwischen ihnen nicht sein! Devlin wollte dafür sorgen, daß Abby sich auch in ihn verliebte. Er mußte sie dazu bringen, daß sie bereit war, den Ehevertrag einfach zu zerreißen! Nachdem sie die Lieferung der Kinderzimmermöbel geregelt hatten, lud Devlin Abby in ein chinesisches Lokal zum Mittagessen ein. Als sie mit dem Essen fertig waren, fragte er sie: "Möchtest du noch weiter einkaufen gehen, oder hast du vielleicht Lust, dir ein paar Musterhäuser vorführen zu lassen?" "Vom Einkaufen habe ich für heute genug", meinte Abby. "Was für Musterhäuser sind es denn?" Devlin erklärte, daß es sich bei der Ausstellung um ein jedes Jahr stattfindendes Ereignis handelte, bei dem etwa dreißig neue Häuser gezeigt wurden. Die meisten von ihnen waren schon vorfinanziert und befanden sich in vier verschiedenen Gegenden um Madison herum. Devlin lenkte den Wagen sicher durch die Stadt in eins der neuen Ansiedlungsgebiete im Osten der Stadt. Als sie dessen Hauptstraße entlangfuhren, in der es schon eine Reihe von Geschäften gab, erklärte er: "Früher war hier nur eine kleine Dorfgemeinde. Aber in den letzten Jahren haben sich die Leute von Madison verstärkt hier angesiedelt." "Hast du auch einige von diesen Häusern gebaut?" Devlin schüttelte den Kopf. "Nein, nur nördlich von hier und in Sun Prairie." Abby bewunderte die unterschiedlichen Baustile der zum Teil sehr eleganten Häuser, die sie besichtigten. Besonders gut gefiel
es ihr, wenn Devlin als Baufach- und Geschäftsmann dazu interessante Erklärungen abgab. Das erste Haus, ideal gelegen und von mächtigen alten Eichen umgeben, befand sich auf einem großen Grundstück am Ende einer Sackgasse. Von einem riesigen Balkon aus, der an drei Seiten des Hauses entlangführte, hatte man einen prächtigen Blick über die Landschaft. Sie wanderten durch das hübsch eingerichtete einstöckige Haus, Devlin überprüfte technische Vorrichtungen, während Abby die Küche inspizierte. Die Eßnische war groß genug für sechs Personen. Man konnte sich hier gut eine große Familie beim Frühstück oder beim Abendessen vorstellen. Auch der Rest des Hauses war eindrucksvoll: Es gab drei geräumige Schlafzimmer, zwei Kamine und gepflegte Holzböden. Aber so schön das Haus auch war, so blieb Abbys Aufmerksamkeit doch die ganze Zeit auf Devlin gerichtet. Obgleich sie nichts von den Materialien und vom Bauen allgemein verstand, fragte er sie nach ihrer Meinung über dies und jenes. Dazu nahm er öfter ihre Hand, wenn sie von Zimmer zu Zimmer gingen, was die Intimität wiederherstellte, die sie am Vortag in der Arztpraxis empfunden hatte. Die Nähe zwischen ihnen wurde durch jede Berührung, jedes kleine Gespräch deutlicher. Devlin gab Abby das Gefühl, für ihn wichtig und etwas ganz Besonderes zu sein, was Abby sowohl freute als auch ihre Skepsis weckte. Einerseits wollte sie die Distanz wahren, andererseits konnte sie das gar nicht mehr. Nicht seitdem sie wußte, daß Devlin sie begehrte. Er begehrte sie, Abby O'Reilly Hamilton! Und das, obgleich sie schwanger war und einen Berg Schulden abzutragen hatte! Daß er ihr diese Gefühle gestanden hatte, fiel ihr immer wieder ein.
Das vierte Haus, das sie besichtigten, war für sie das schönste. Daran gefiel ihr einfach alles, vom Kamin im Wohnzimmer, der aus groben Feldsteinen gebaut war, bis hin zum großen Schlafzimmer, das beinahe die Hälfte des oberen Geschosses einnahm. Aber am schönsten fand sie das Bad. Als sie es betraten, blieb sie wie angewurzelt stehen. Ein Whirlpool, groß genug für zwei Personen, nahm die gesamte Mitte ein. Schwarze Lackschränke, Marmorwaschbecken und Spiegel an allen vier Wänden ließen es so geräumig wie elegant erscheinen. Bewundernd seufzte sie auf. "Das ist ja phantastisch, wie in dem Harem eines indischen Moguls." "Gefällt es dir?" Devlin lehnte am Türpfosten und beobachtete Abby amüsiert. Sie fuhr mit dem Finger über den Marmor. "In dem Whirlpool würde ich wahrscheinlich ewig liegenbleiben. Er ist wunderbar und so extravagant! Normale Menschen besitzen etwas so Ausgefallenes gar nicht, oder?" "Du würdest dich wundern, wie viele sowas haben. Übrigens lieben vor allem Frauen dieses Bad." Er stellte das Licht matter ein, so daß es nun weich und sinnlich wirkte. "Na, was meinst, du?" fragte er in verführerischem Ton. Abby bekam eine Gänsehaut. Sie wagte nicht zu sagen, was sie wirklich dachte. Die Stimmung, in der sie sich befand, war zweifellos erotisch, und Devlin spielte darin die Hauptrolle. Sie stellte sich vor, wie sie beide in der großen Wanne liegen würden, wie Devlins nackte kräftige Schultern feucht glänzend aus dem Wasser ragen würden und sie seine Haut an ihrer spürte. Dann würde er sich über sie beugen, sie auf den Hals küssen, immer wieder, an verschiedenen empfindlichen Stellen ... "Abby?" Sie schrak zusammen, als er sie in die Wirklichkeit zurückholte.
Devlin näherte sich. Als wolle sie ihn abwehren, hob sie die Hand. In seiner Nähe hatte sie Mühe, klar zu denken. Falls er noch dichter herankäme, wüßte sie nicht, was sie tun würde, und könnte für nichts garantieren! "Mit mir ist alles in Ordnung. Ich habe nur noch nie ein solches Bad gesehen", sagte sie etwas hektisch. Am klügsten wäre es, wenn sie schnell den Raum verließe, bevor irgend etwas Peinliches geschähe. "Aber ich glaube, für ein Baby ist es nicht so geeignet." Er blickte sie mit dunklen Augen an. "Nein, für Kinder ist es nicht gedacht, nur für Erwachsene." Er blieb stehen, wo er war, schaute sie aber weiterhin forschend an. "Für uns zum Beispiel. Es wäre doch eine gute Idee, wenn wir uns so ein Bad einbauen würden. Wir könnten es am Ende eines langen Tages benutzen, wenn die Kinder im Bett sind. Hört sich das nicht nach wohliger Entspannung an?" Ein warmes Bad mit Devlin zu teilen wäre alles andere als nur eine wohlige Entspannung. Das hörte sich eher verführerisch und aufregend an! Selbst wenn ihr die erotischen Phantasien vergangen wären, konnte Abby sich kaum vorstellen, daß ein Schaumbad mit Devlin jemals etwas Beruhigendes hätte ... "Sowas kostet doch sicher ein Vermögen, oder?" versuchte sie schnell abzulenken. "Geld ist kein Thema." Für ihn war es das wohl nie gewesen. Abby suchte nach einem anderen sachlichen Argument, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. "Außerdem hast du gar keine Zeit, es einzubauen, laut Auftragslage gibt es schon viel zuviel zu tun." "Meine Leute brauchen noch ein weiteres Objekt in diesem Sommer. Sie könnten uns problemlos das Bad einbauen und außerdem für ein weiteres Zimmer im Haus sorgen." Er hatte anscheinend auf alles eine Antwort. Abby wünschte, sie hätte den Mut, Devlin zu fragen, was er wirklich im Sinn
hatte. "Wieso hast du beim Bau des Hauses nicht gleich ein Zimmer mehr eingeplant?" "Dazu hatte ich damals keine Veranlassung." Hatte er sie denn jetzt? Auch wenn er sich nicht bewegte, spürte Abby doch ganz deutlich seine Nähe. Er will dich, Abby, fuhr es ihr durch den Kopf. Aber wie lange? Was passierte, wenn er ihrer müde würde? Wenn der Reiz des Neuen sich verflüchtigte? Sie konnten sich auch nicht ewig hier im Bad aufhalten. Was würde sein, wenn das Verlangen nacheinander eines Tages nicht mehr da wäre? "Wir würden beide ganz schrumpelig werden", sagte Abby unvermittelt und dachte wieder an den Whirlpool. "Dann könnten wir uns doch gegenseitig eincremen", schlug Devlin vor. Mein Gott, wollte er sie in den Wahnsinn treiben? Devlin stand ganz gerade da, die Daumen in den Bund seiner Jeans gehakt, und schaute Abby mit unmißverständlichem Verlangen an. Das war nicht fair! Abby schloß die Augen, um die sinnlichen Bilder zu verscheuchen. Später würden sie es bereuen, wenn sie sich jetzt gehenließen. Das einzige Gegenmittel, das ihr einfiel, war, daß sie Müdigkeit vorschützte und ein Gähnen vorspielte. Zum Glück kam es dann ganz von allein. Nachdem sie den gesamten Tag auf den Beinen gewesen war, war sie nun ziemlich erschöpft. Und angesichts der Energie, die es sie kostete, ihre Gefühle im Zaum zu halten, war sie sogar hundemüde. Devlin stellte das Licht wieder ganz hell. Besorgt schaute er Abby an. "Du siehst aus, als könntest du einen Nachmittagsschlaf brauchen. Wollen wir gehen?"
Abby nickte. Noch einmal sah sie sich kurz im Bad um, dann nahm sie Devlins Arm. "Ich habe die Unterlagen des Herstellers zu Hause. Wenn du magst, kannst du sie dir später ansehen." Ansehen kostete ja nichts. Fast den gesamten Rückweg über schlief Abby im Wagen. Als sie ins Haus gingen, brachte Devlin sie sofort ins Schlafzimmer, drückte sie sanft auf den Bettrand und zog ihr die Schuhe aus. Abby konnte kaum noch die Augenlider heben und sich bedanken, als er sie hinlegte, die Decke sorgsam über sie zog und leise den Raum verließ. Erst Stunden später wurde Abby wieder wach. Erschrocken stellte sie fest, daß es beinahe sieben Uhr abends war. Sie konnte kaum glauben, daß sie so lange geschlafen hatte. Eilig schob sie die Decke zurück und stand auf. In dem Moment kam Devlin auch schon herein. "Hast du gut geschlafen?" "Wie eine Tote." Er lächelte. "Willkommen zurück unter den Lebenden. Bist du vielleicht hungrig?" "Ich sterbe vor Hunger." "Hast du Lust, essen zu gehen, oder wollen wir uns zu Hause etwas brutzeln?". Es wäre sicher klüger, auswärts zu essen, aber Abby hatte keine Lust, klug zu sein. Am nächsten Morgen würden die Kinder zurückkommen, und eine Gelegenheit, daß sie beide mal allein zu Hause essen konnten, gab es selten. "Laß uns hier etwas kochen." Es dauerte nicht lange, bis sie ein hübsches kleines Essen zubereitet hatten. Bei Tisch sprachen sie über die Kinder, über Devlins nächste Aufträge und andere sachliche Themen. Danach trugen sie das Geschirr wieder in die Küche. Devlin bestand darauf, den Abwasch zu machen.
"Hier, du hast nicht ganz aufgegessen", sagte Abby und reichte ihm die Schüssel. "Vielleicht hast du Lust, es später zu essen?" "Nein, das ist lieb gemeint, aber nicht nötig." "Ich bin immer lieb", betonte er. "Und sehr fürsorglich." "Daß dir das aufgefallen ist..." Allerdings war ihr das aufgefallen. Ihr fiel auch auf, daß sein Arm ihren berührte, als er sich vorbeugte, um den Tresen abzuwischen. Schon wieder wurde ihr ganz heiß. Wie konnte sie nur glauben, daß sie diesem Mann je widerstehen könnte? Aber wollte sie das überhaupt? Nachdem der letzte Teller abgetrocknet und verstaut war, fragte Devlin: "Möchtest du etwas spielen oder fernsehen oder die Broschüren anschauen, die ich mitgebracht habe?" Ein Spiel hörte sich relativ harmlos an. "An was für ein Spiel dachtest du denn?" "Poker vielleicht?" Abby zog die Nase kraus. "Hast du Scrabble?" Er stöhnte. "Das ist natürlich etwas für Frauen." "Ich bin ja auch eine, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest." "Oh, das ist mir allerdings aufgefallen." Sein verlangender Blick sprach Bände. "Ich könnte dir die Feinheiten von StripPoker erklären." "Darin stecken doch wohl wenig Feinheiten." "Das kommt darauf an, auf welcher Seite des Tisches man sitzt." Seine grünen Augen blitzten frech. Wie konnte ich nur glauben, daß ein Spiel mit Devlin harmlos sein könnte, dachte Abby. Aus irgendeinem Grund versuchte er, die simmernde Glut zwischen ihnen immer wieder anzufachen. Das mußte sie verhindern. "Was für Spiele hast du sonst noch?"
Devlin wollte nicht so schnell von seinem Plan ablassen. "Wir könnten uns gleich ganz ausziehen, dann müßtest du dich nicht darüber beklagen, deine Kleidungsstücke zu verlieren." Doch Abby ließ sich nicht provozieren. "Wir könnten ja beide für uns allein Patiencen legen." Devlin zog ein Gesicht. Das gefiel ihm nun ganz und gar nicht. Er holte einen Stuhl aus dem Eßzimmer für Abby. "Ich gehe mal ins Zimmer der Jungs, um nachzusehen, was sich da so finden läßt." Er kam mit Boggle zurück, einem Spiel, das ähnlich war wie Scrabble und das Abby immer gern gemocht hatte. Aber die Art, in der Devlin es spielte, war nicht ganz regelgetreu. Er erfand Wörter, die es nicht gab und die ganz anders geschrieben wurden, als er behauptete, berührte unter dem Tisch ihr Knie mit seinem, lächelte sie so unverhohlen sexy an, daß das öffentlich verboten werden sollte, und legte oft seine Hand streichelnd auf ihre. "So ein Wort gibt es nicht", empörte sich Abby. "Oh, doch, es steht zum Beispiel auf der Tür der Männertoilette an der Tankstelle." Abby gab ihm nicht die Befriedigung, ihre Hand schüchtern wegzuziehen, damit er sich dann als Sieger vorkäme. "Das kann ja jeder behaupten." "Du mußt mir einfach glauben." Abby schüttelte den Kopf. "In der Frauentoilette der Tankstelle buchstabiert man das Wort anders. Und da dies ein Frauenspiel ist, wie du sagst, gelten auch die Regeln des Frauenbereiches." Devlin schaute belustigt drein. "Bist du sicher, daß es so auf der Wand der Frauentoilette steht?" "Ganz sicher." Ihr Lächeln hatte etwas Katzenhaftes. Er gab nach. Im Augenblick jedenfalls.
In den nächsten Spielen verteidigte Devlin noch weitere verrückte Begriffe, und mehr als einmal drohte Abby damit, ein Wörterbuch zu holen, um nachzuschlagen, ob es das jeweilige Wort überhaupt gab. So wie die Debatte zwischen ihnen hitziger wurde, stieg auch die erotische Spannung. Irgendwann merkte Abby, daß ihre Beine zwischen seinen gefangen waren, sie konnte sich kaum bewegen, ohne Devlin dabei zu berühren. Die erotische Atmosphäre wurde immer greifbarer, immer kribbelnder. Abby mochte gar nicht daran denken, daß der Abend irgendwann vorbei sein und sie getrennt zu Bett gehen würden. Morgen würde die Wirklichkeit wieder alles beenden, auch dieses Knistern zwischen ihnen. Die Uhr schlug elf, als sie ein weiteres Spiel hinter sich hatten. Als Abby aufsah, bemerkte sie, daß Devlin sie anschaute. "Wollen wir es damit gut sein lassen?" fragte er. War seine Stimme heiserer und tiefer als sonst? Da ihr das Blut in den Ohren pochte, konnte Abby das nicht richtig beurteilen. Sie atmete tief aus. "Ja, gern, ich habe allmählich das Gefühl, alles doppelt zu sehen." Sein Blick ruhte kurz auf ihren Brüsten. "Mir geht es genauso." Abby nahm den Spielkarton. "Wir können ja ein andermal weitermachen." Während er das Spiel zurück ins Kinderzimmer brachte, stand Abby auf und ging ins Wohnzimmer. Sie war noch viel zu aufgedreht, um jetzt schlafen zu gehen, und ihre Beine fühlten sich ein wenig steif an vom langen Sitzen. Sie ging hinüber zum Fenster und schaute hinaus in die Nacht. Eine Wolke hatte sich über den Mond geschoben, so daß seine unregelmäßige Oberfläche kaum noch zu sehen war. Plötzlich spürte sie Devlin dicht hinter sich.
"Als kleines Mädchen pflegte ich mit dem Mond zu reden, als sei er ein Freund", erzählte sie ihm. Sie rieb sich die Oberarme und drehte sich zu Devlin um. Er fand es offenbar gar nicht lächerlich, daß sie als Kind mit dem Mond geredet hatte. "Und, sprichst du noch immer mit ihm?" fragte er leise. "Nein, jetzt bin ich ja kein einsames kleines Mädchen mehr." "Nein, das bist du nicht." "Jetzt habe ich endlich eine Familie und alles, was ich mir je gewünscht habe." "Alles?" fragte er gedehnt. "Hast du wirklich alles, was du dir wünschst? Was du brauchst?" Abby schwieg. Sie versuchte, Devlins Gesichtsausdruck zu deuten. Aber da gab es nicht viel zu deuten, er hatte ja kein Geheimnis daraus gemacht, wonach er sich sehnte. Er wartete nur darauf, daß sie sich für das entschied, was sie selbst wollte. Und darauf, ob sie wagen würde, das zu äußern. Abby schüttelte den Kopf. "Nein, ich habe noch nicht alles, was ich mir wünsche." "Sag mir, was du dir wünschst", bat er und kam einen Schritt näher. Er gab ihr die Möglichkeit, sich selbst zu entscheiden,, auch wenn man seiner verkrampften Körperhaltung ansah, wie nervös er war. Plötzlich war draußen ein Donnern zu hören, dem ein heller Blitz folgte. Einige Tropfen fielen zögernd aufs Dach, ein leises Fing hier, ein Fang da. "Oh, es fängt an zu regnen!" "Tatsächlich?" fragte Devlin. "Ja, hör doch." "Sag es, Abby, ich möchte, daß du es aussprichst." Abby suchte nach Worten. Sie konnte den Blick nicht von Devlin wenden, auch wenn sie es gern getan hätte.
Schließlich sagte sie: "Heute morgen hast du gesagt, du könntest nicht mit mir im selben Bett schlafen, ohne auch mit mir zu schlafen. Hast du das wirklich so gemeint?" "Ja, das habe ich." Er sagte es geradeheraus und unmißverständlich. Der Wirkung dieser direkten Worte konnte Abby sich einfach nicht entziehen. Und das wollte sie auch gar nicht. Sie begehrte Devlin ja ebenfalls! "Mir geht es ganz genauso", gestand sie. "Das sagst du doch hoffentlich nicht, weil du meinst, ich wollte es hören." "Nein, Devlin, ich gebe zu, daß ich dich ebenfalls begehre, auch wenn ich mich dagegen gewehrt habe und unbedingt wollte, daß wir alle Punkte unseres Ehevertrages einhalten. Ich ..." Er ließ Abby nicht zu Ende sprechen, sondern nahm sie in die Arme. "Zum Teufel mit dem verdammten Ehevertrag." Sein Mund senkte sich zärtlich auf ihren. Draußen öffnete der Himmel seine Schleusen, und Regen prasselte auf die dürstende Erde hernieder.
10. KAPITEL Devlins Verlangen nach Abby war stärker, als er es sich je hätte vorstellen können. Er glaubte, es keinen Moment länger aushalten zu können. So trug er Abby ins Schlafzimmer, setzte sie sanft auf dem Bett ab und legte sich neben sie. Die Leidenschaft, die auch in ihrem Blick brannte, ließ ihn beinahe den Vorsatz vergessen, sich diesmal viel Zeit zu nehmen, um es auch für sie so schön zu machen, wie sie es sich erträumte. Wenn je eine Frau es verdient hätte, geliebt zu werden, dann war es Abby. Sie hatte in ihrem Leben gelernt, keine Liebe zu erwarten, weil sie sicher war, daß das unweigerlich zu Enttäuschungen führte. Nun wollte er ihr gern das Gegenteil beweisen. Ihre enttäuschende Vergangenheit konnte er nicht auslöschen, wohl aber konnte er ihr eine wunderschöne Zukunft bieten, in der es ihr nie wieder an etwas fehlen würde. Devlin zog Abby enger an sich. Schon das Gefühl ihres Körpers an seinem erfüllte ihn mit unendlicher Zärtlichkeit. Abby streichelte sein Gesicht und er küßte ihr die Handgelenke. "Ich hätte nie gedacht...", begann sie. "Was hättest du nie gedacht, mein Schatz?"
Abby lachte leise. "Ich hätte nie gedacht, daß ich mich je so fühlen würde, wie ich mich im Augenblick fühle." "Beschreib es mir." Er fuhr mit dem Finger über die sanfte Vertiefung ihres Halses und ließ der Berührung kleine Küsse folgen. Abby atmete stoßweise. "Ich bin aufgeregt, nervös und habe sogar ein bißchen Angst." Er nahm ihre Hand und legte sie auf seine linke Brust, so daß sie spüren konnte, wie sein Herz klopfte. "Siehst du, damit bist du nicht allein." Abby schaute ihn mit großen Augen an. Er verschränkte seine Finger mit ihren und schob sie hoch über ihren Kopf. "Sag mir, was du möchtest." "Wie meinst du das?" "Wo möchtest du berührt werden, wie schnell oder wie langsam sollen wir vorgehen?" Seine heisere Stimme zeigte deutlich, wieviel Kraft es ihn kostete, sich noch zurückzuhalten, obgleich er Abby derart nahe war. Aber er wollte nicht vorgreifen, diesmal sollte es für sie ganz zu einem besonderen Genuß werden. In ihrer Hochzeitsnacht hatte er sich von Leidenschaft überwältigen lassen und an nichts anderes mehr gedacht. Das durfte heute abend nicht wieder passieren. Dazu ging es um zuviel. Ihr Zusammensein sollte vor allem für Abby wie ein Geschenk sein, etwas, das sie vorsichtig auspacken konnte, langsam und genußvoll, mit dem Bewußtsein, daß es nur für sie gedacht war, ganz allein für sie. Etwas, das ihr keiner jemals wieder nehmen könnte! Sie sollte nie wieder auf etwas warten müssen, auf eine Art milde Gabe hoffen, auf etwas, das für sie nur abfiel. Dieser Liebesakt würde ganz auf sie abgestimmt sein. Sie sollte sich nach der körperlichen Vereinigung sehnen und wissen, daß sie von niemandem je wieder verdrängt oder weggeschickt werden wurde.
Abby sollte wissen, daß sie mit Devlin endlich ein wirkliches Zuhause gefunden hatte. Daß sie für alle Zeiten zu ihm gehörte. Sie nestelte an seinen Hemdknöpfen. "Aber ich möchte, daß es für dich genauso schön ist." "Wenn es für dich schön ist, ist es das gleichzeitig für mich." Abby wollte verhindern, daß Devlin seine Meinung noch änderte. Sie schlang die Arme um seinen Hals und zog seinen Mund zu ihrem herab. Erst küßten sie sich ganz zart, ganz vorsichtig, ganz behutsam, aber dann überkam beide eine solche Lust, daß sie sich, nicht mehr zurückhalten konnten, und Abby öffnete sehnsüchtig die Lippen. Devlin kämpfte darum, sich nicht wieder sofort von seiner Leidenschaft überwältigen zu lassen, aber Abby machte es ihm sehr schwer. Sie öffnete seine Hemdknöpfe und begann, Devlin nach und nach auszuziehen. Devlin versuchte anfangs, sich nicht gleich mitreißen zu lassen. Das Bewußtsein, Abby endlich wieder in den Armen zu halten, war für ihn ebenso unberechenbar wie elektrisierend. Diesmal wollte er vor allem zärtlich sein und Abby das Gefühl vermitteln, daß sie für ihn einzigartig sei. Abby gab ihm jedoch keine Gelegenheit dazu, behutsam vorzugehen. Obgleich sie im fünften Monat schwanger war, bewegte sie sich geschmeidig und voller Temperament. Und die Kühnheit ihres Streichelns brachte Devlin beinah um den Verstand. "Warte", bat er sie, "nicht so schnell. Ich kann ja kaum noch atmen." Sie lächelte, wobei sich ihre Wangengrübchen vertieften. "Mußt du denn überhaupt atmen?" Genußvoll knabberte sie an seinen Ohrläppchen. Devlin stöhnte auf. "Nein, das muß ich wohl nicht..."
Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er schob sich über sie und überließ sich seinen Gefühlen. Zum Teufel mit allen guten Vorsätzen, Abby wollte ihn offenbar sofort und ganz. Die einzige Wahl, die sie ihm ließ, war die, sich von ihr mitreißen zu lassen ... Abby erwachte am nächsten Morgen zur gewohnten Zeit. Vorsichtig löste sie sich aus Devlins Armen. Sie wunderte sich, wie gut, wie vertrauensvoll sie in solcher Körpernähe, in engster Umarmung geschlafen hatte. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nicht so geborgen gefühlt. Vorsichtig stand sie auf und ging ins Bad. Als sie wenige Minuten später wieder herauskam, schlief Devlin noch immer fest, den Kopf unter dem Kissen vergraben. Bei seinem Anblick lächelte sie glücklich. Mit dem zerzausten Haar, dem sanften Gesichtsausdruck und dem muskulösen Körper sah er einfach hinreißend aus. Was für ein attraktiver Mann, dachte sie überwältigt. Sie mußte wieder an Einzelheiten der vergangenen Nacht denken, daran, wie Devlin verstand, ihre Sinne zu wecken. Keine Sekunde lang hatte sie befürchtet, daß ihn ihr schon recht gerundeter Bauch stören würde. Mit seiner Zärtlichkeit hatte er alle eventuellen Bedenken weggewischt. Dieser Gedanke ängstigte sie aber gleichzeitig. Etwas unbedingt haben zu wollen führte unweigerlich dazu, enttäuscht zu werden! Das war die Quintessenz ihrer Lebenserfahrung ... Am liebsten hätte sie sich gleich wieder ins Bett gelegt und sich an ihn gekuschelt, noch bevor er aufwachte. Aber dann würden sie sich garantiert wieder lieben, und Abby würde vergessen, wieso er sie eigentlich geheiratet hatte und daß sie eine große Verantwortung hatte. Einen Fehler durfte sie sich nicht leisten! Sie warf noch einen sehnsuchtsvollen Blick auf ihren friedlich schlafenden Mann, dann zog sie sich einen Bademantel an.
Abby bemerkte Devlins Anwesenheit erst, als er von hinten die Arme um sie legte, sie vom Stuhl hochzog und dabei liebevoll an sich drückte. Gleich wurde ihr wieder ganz warm. "Wieso bist du schon auf?" Er küßte die empfindsame Stelle hinter ihrem Ohr. "Ich habe dir gar nicht erlaubt, schon das Bett zu verlassen, oder?" "Seit wann brauche ich dazu deine Erlaubnis?" "Seitdem ich weiß, wie ich dich zum Schnurren bringen kann." Abby entzog sich ihm und schaute ihn mit schief gelegtem Kopf an. "Hört sich an, als sei ich eine Katze." "Das bist du auch. Ich kann dir ja die Kratzspuren zeigen." Devlin wollte gerade wieder nach ihr greifen, als ihm das aufgeschlagene Buch auf dem Tisch ins Auge fiel. "Was ist denn das?" "Das ist das Heft, in dem ich die Buchhaltungsstunden notiere, mit denen ich meine Schulden bei dir abtrage." Devlins Blick wurde sichtlich kühler. Er ließ Abby los. "Und daran zu arbeiten war dir wichtiger, als bei mir im Bett zu bleiben?" "Das habe ich nicht gesagt." "Was willst du denn sonst damit sagen?" Abby ließ sich nicht von seinem Blick einschüchtern. "Bald kommen die Kinder zurück, und ich wollte damit fertig sein, um Zeit für sie zu haben." Als Devlin nichts dazu sagte und sie nur anschaute, fuhr sie fort: "Sie sind doch der eigentliche Grund, warum ich hier bin." Sobald das heraus war, erschrak sie. "Ich meinte es nicht so, wie es klang." Devlin zog eine Braue hoch. "Wirklich? Du wolltest damit also nicht sagen, daß die Kinder und die Buchhaltung dir wichtiger sind, als Zeit mit mir zu verbringen?" "Du verdrehst das", sagte Abby ruhig.
"Dann erkläre es mir doch genauer." Devlin verschränkte die Arme. Abby wußte nicht, wie sie es formulieren sollte. "Als wir heirateten, beschlossen wir, daß es vor allem um die Kinder gehen würde. Außerdem versprach ich dir, den Kredit zurückzuzahlen. Aber das heißt nicht..." "Das heißt nicht, daß ich nicht auch wichtig bin?" Devlin wartete nicht erst auf ihre Antwort, sondern ging zur Tür. Dort blieb er stehen. "Dich könnte wohl nichts dazu bringen, unseren Ehevertrag zu zerreißen, oder?" Abby schluckte. "Warum sollte ich das tun?" "Vielleicht aus Liebe." "Aus Liebe?" wiederholte sie leise. Vergangene Nacht hatte Devlin ihr das Gefühl gegeben, daß sie für ihn etwas ganz Besonderes war. Jetzt dagegen war sie wieder total verunsichert. "Was hat denn Liebe damit zu tun?" fragte sie zaghaft. Mit zwei Schritten war er wieder bei ihr. "Vielleicht möchte ich eine richtige Ehe führen, eine, in der weder der eine noch die andere Karriere und Geld wichtiger finden als den Partner." "Das ist es, was du willst?" "Ja, Abby, das möchte ich. Ich liebe dich nämlich", sagte er ruhig. Abby schaute ihn hilflos an. Wie sollte sie nur auf diese umwerfende Erklärung reagieren? Wenn sie den Mund öffnete, würde nur Unsinn herauskommen, das wußte sie. Nichts im Leben hatte sie auf diesen Moment vorbereitet. Sie hatte gelernt, niemandem zu vertrauen, schon gar nicht Liebesschwüren zu glauben. Man konnte sich nur auf sich selbst verlassen, auf nichts und niemanden sonst. Devlin legte die Arme schwer auf ihre Schultern. "Abby, sag mir, liebst du mich?" Abby fühlte sich wie gefangen.
Liebe war das Glück der Ahnungslosen! Etwas, was von außen wie Gold aussah, aber innen hohl war. Abby war in ihrem Leben viel zu oft verletzt worden, um noch daran zu glauben. Liebe konnte man genauso leicht geben wie sie wieder wegnehmen. Die Gespenster ihrer Vergangenheit tauchten immer wieder auf. Den Birminghams hatte sie damals geglaubt, als sie sagten: "Sobald es Grandpa wieder bessergeht und er in sein Haus zurück kann, holen wir dich zu uns, Abby, du wirst dann wie unsere Tochter bei uns leben." Susie Conrad hatte Abby auch geglaubt, als sie schwor: "Ich schreibe dir jede Woche, weil du die beste Freundin der ganzen Welt bist und das auch für alle Zeiten bleiben wirst." Abby hatte es immer geglaubt, wenn John sagte: "Ich gehe heute abend Poker spielen, Schatz. Heute abend habe ich Glück, und ich werde dir einen schönen Ring kaufen, um dir zu zeigen, wie sehr ich dich liebe." Devlin war anders, er war ein Mann, der sein Wort hielt. Aber dennoch wußte sie nicht, ob sie ihn wirklich lieben und ihm das geben konnte, was er brauchte. Ewig wiederkehrende Zurückweisungen und die vielen Lügen hatten irgend etwas in ihr zerstört. Devlin verlangte einfach zuviel von ihr. Dabei wäre sie so gern in seine Arme geeilt, damit die Zweifel und die Ängste sich verflüchtigten, hätte gern ihre Chance genutzt. Wenn es dabei nur um sie ginge, würde sie es zumindest versuchen. Aber es ging doch vor allem um die Kinder! "Was ist mit Jason, Riley, Paige und dem Baby?" Devlin preßte die Lippen zusammen. "Was soll mit denen sein?" "Sie brauchen uns. " "Wenn wir uns lieben, ist es gleichzeitig auch das Beste für sie."
"Aber was ist, wenn wir uns nun irren?" Abby wollte eine Garantie, die er ihr nicht geben konnte. "Was ist, wenn wir uns dann doch gegenseitig enttäuschen und es sogar damit endet, daß wir uns hassen?" "Das wird nicht geschehen", sagte er fest. Abby schüttelte ungläubig den Kopf. "Das kann man doch nie wissen." "Doch, ich weiß es." Wieso verstand er sie denn nicht! "Ich wollte, ich hätte deine Zuversicht, aber die habe ich nicht. Unsere Kinder brauchen einen Vater und eine Mutter, die sich gegenseitig achten. Das darf nicht abhängig sein von der Unberechenbarkeit der Liebe. Vier unschuldige Kinder verlassen sich auf uns. Wenn wir Fehler machen, müssen sie das ausbaden. Damit würden sie nicht fertigwerden", gab sie zu bedenken. Und sie selbst genausowenig ... Sich in Devlin zu verlieben würde sie verwundbarer machen, als sie es je in ihrem Leben gewesen war. Weit mehr als bei ihrer Freundin Susie, bei den Birminghams oder selbst bei John. Es wäre ein enormes Risiko. Wenn Devlin sie nicht mehr lieben würde, würde sie sich nie mehr wieder davon erholen, das war ihr klar. Und was würde sie dann tun? Wie sollte sie dann noch einen einzigen Tag überstehen, wenn sie wüßte, daß Devlin sie nicht mehr wollte? Wie könnte sie ihn auch nur noch ansehen? Ihm am Eßtisch gegenübersitzen? Neben ihm schlafen? Ihr Herz hatte zuviel Kummer im Leben erfahren. Wenn sie es Devlin schenkte und er sich irgendwann wieder von ihr abwendete, würde es für alle Zeiten zerbrechen. Das fühlte sie bis in die tiefste Tiefe ihrer Seele. Abby schloß die Augen und betete um die Kraft, sie wieder öffnen zu können. Mit einer Ruhe, die sie gar nicht empfand, sagte sie: "Ich möchte dich glücklich machen, Devlin, aber auf
Liebe kann ich nicht bauen. Ich kann dir nur das geben, was ich dir in unserem Vertrag versprochen habe." Sie wendete sich ab, so daß sie nicht mehr sah, wie alle Freude in seinem Blick erlosch. Erst als sie hörte, wie sich die Tür hinter ihm schloß, ließ sie ihren Tränen freien Lauf.
11. KAPITEL Viereinhalb Monate später stieg Abby mühsam aus dem Auto, nachdem sie wieder beim Arzt gewesen war. Sie war inzwischen so umfangreich, daß sie glaubte, allmählich Ähnlichkeit mit den Kühen von Wisconsin zu haben. Ihr tat der Rücken weh, aber sie bemühte sich, nicht darauf zu achten. Ärgerlich schlug sie nach einer Mücke, die sich gerade auf ihren Arm setzen wollte, um Blut zu saugen. Alles in allem ginge es mir vielleicht sogar besser, wenn ich eine Kuh wäre, dachte sie spöttisch. Dann könnte sie die Mücken, die es hier im Sommer in großen Mengen gab, wenigstens mit einem langen buschigen Schwanz verscheuchen. Die vielen Regentage im Juni waren von einer Hitzewelle im Juli abgelöst worden, die Schwaden von Insekten zur Folge hatte. Dauernd war Abby damit beschäftigt, die lästigen Biester zu vertreiben. Sonst hatte sie auch nicht allzuviel zu tun. Zwar war sie noch immer regelmäßig mit der Buchhaltung für Devlin beschäftigt, aber nachdem sie alle Daten in den Computer gefüttert hatte, ging das viel leichter. Ende August hatte die Schule noch nicht wieder begonnen, so daß sie weder Riley bei den Hausaufgaben helfen noch Paige zum Kindergarten bringen mußte.
Jason hatte das Kochen inzwischen ganz übernommen, Abbys Anwesenheit in der Küche war nun also viel seltener erforderlich. Das hatte Jason vor kurzem unmißverständlich erklärt. Und für alle groben Säuberungsarbeiten hatte Devlin schließlich eine Putzfrau angeheuert. Als Abby protestierte, erklärte er, die Frau brauche den Job, und Abby wolle doch sicher nicht dafür verantwortlich sein, daß die sich nicht das Nötigste für den Unterhalt verdienen könne. Dadurch hatte Abby viel Zeit. Zeit, die sie damit verbrachte, Insekten zu erschlagen ... und über Devlin nachzudenken. Sie lehnte sich ans Auto und schaute zum Haus hinüber, um sich vor dem Hineingehen innerlich zu wappnen. Wieso sie das brauchte, wußte sie nicht recht, aber seit einiger Zeit fühlte sie sich ein wenig wie eine Außenseiterin, so wie ganz am Anfang. Außer ihr schien jeder seinen Platz in der Familie zu haben. Paige war sehr zufrieden. Sie stritt sich mit Kiley, bewunderte Jason und lief an der Hand ihres neuen Papis herum, sooft es irgend ging. Die Kleine war eine richtige Hamilton geworden. Abby freute das sehr, und sie war kein bißchen eifersüchtig auf Paige. Ihre Gedanken schweiften zu Devlin und dem Zustand ihrer Beziehung. Seit der einen unvergeßlichen Nacht vor viereinhalb Monaten hatten sie nicht mehr miteinander geschlafen, und die innere Nähe, die sie an dem Wochenende empfunden hatte, war nur noch eine wehmütige Erinnerung. Sie stritten sich nicht, ihre Gespräche waren immer höflich und freundlich. Sie sprachen über Politik, über die Aktivitäten der Kinder und selbst über die Chancen des Footballteams, am Endspiel teilzunehmen. Aber sie tauschten keinerlei Zärtlichkeiten aus oder küßten sich gar.
Devlin drückte seine Anerkennung dafür aus, daß sie ihm bei der Büroarbeit half. Aber wann immer sie im Arbeitszimmer war, um die Papiere aufzuarbeiten, pflegte er den Raum zu verlassen. Und er vermied jede Berührung. Obgleich sie im selben Bett schliefen, geriet er nie in ihre Hälfte oder auch nur in die Nähe. Vor einem Jahr wäre ihr das alles sehr entgegengekommen. Aber inzwischen beruhigte diese platonische Beziehung sie weder, noch gab sie ihr die erwartete Sicherheit. Ganz im Gegenteil. Sie fühlte sich einsam. Sie handelten beide ganz nach den Regeln des Ehevertrages, aber Abby war inzwischen darüber nicht mehr so glücklich. Das war es doch nicht, was sie sich wünschte! Wenn sie gemeinsam die Schwangerschaftskurse im Krankenhaus besuchten, war es ihr eher unangenehm, sich von Devlin beim Atmen unterstützen, sich den Rücken massieren und berühren zu lassen. Es fiel ihr schwer, so zu tun, als sei zwischen ihnen alles in Ordnung. Besonders dann, wenn sie mit den anderen werdenden Eltern zusammen waren, die sehr liebevoll miteinander umgingen. Es war, als befänden Devlin und sie sich in einer Art Übergangsstadium. Es gab eine Wand zwischen ihnen - oder vielmehr einen Vertrag. Und Abby wußte nicht, wie sie die Situation ändern sollte. In letzter Zeit war Devlin ihr besonders distanziert erschienen. Die Kinder verbrachten auch mehr Zeit mit ihm als mit ihr, baten eher ihn um Hilfe als sie. Das war sicher keine Absicht, hatte aber doch zur Folge, daß sie sich regelrecht überflüssig vorkam. Am schlimmsten war jedoch, daß Devlin das Ganze nichts auszumachen schien. Bestimmt bereute er, ihr je gesagt zu haben, daß er sie liebte. Dabei sehnte sie sich so danach, daß er ihr beteuerte, es habe sich nichts geändert...
Nun, was man sich wünschte und was man schließlich bekam waren gewöhnlich zwei Paar Schuhe. Das hatte sie ihr ganzes Leben lang erfahren, und es war sinnlos, Dinge zu beklagen, die unabänderlich waren. Entschlossen ging Abby über den Bürgersteig auf das Haus zu und trat ein. "Überraschung!" schallte es ihr fröhlich aus dem Eßzimmer entgegen, so daß sie erschrocken stehenblieb. Erstaunt betrachtete sie die Szene. Riley, Paige und Kelly Castner waren um eine riesige Geburtstagstorte versammelt, die mit so vielen Kerzen bestückt war, daß man damit einen Wald hätte abbrennen können. Im Hintergrund bemühte Jason sich, die Luftschlangen festzuhalten; die am Kronleuchter hingen und sich zu lösen drohten, wobei Rebecca und Cash ihm zu Hilfe kamen. Nur Devlin stand abseits und schaute sie bloß an. "Herzlichen Glückwunsch, Mami!" Paige klatschte aufgeregt in die Hände und hatte glänzende Augen. "Es gibt eine Party für dich mit ganz vielen Geschenken!" "Mach meins als erstes auf!" forderte Riley und reichte ihr sein Geschenk. Devlin zog einen Stuhl hervor und sorgte dafür, daß Abby sich setzen konnte. Bevor er beiseite trat, legte sie die Hand auf seinen Arm. "Hast du die Party geplant?" Sie staunte darüber, daß das alles für sie veranstaltet wurde. Bedeutete das, daß Devlin sie doch mochte? Daß er sie vielleicht sogar liebte? "Na ja, die Kinder haben mir dabei geholfen." "Woher wußtest du überhaupt, daß ich heute Geburtstag habe?" Zum ersten Mal seit Wochen lächelte er. "Ich habe heimlich in deinen Ausweis geschaut." Riley schüttelte sein Geschenk vor ihren Augen. "Mach es auf, Abby!"
Sie nahm das Päckchen entgegen, das aus mehr Klebeband als Inhalt zu bestehen schien. Rebecca setzte sich neben sie und reichte ihr eine Schere. "Du hattest keine Ahnung, wie?" "Nein, kein bißchen." "Dann mußt du mit den Gedanken ganz woanders gewesen sein, denn seit Wochen sind alle am Flüstern und Reden und Vorbereiten. Ich dachte schon, Devlin würde sie alle erwürgen." Abby riß das Klebeband auf und sah aus dem Augenwinkel zu Devlin hin. Obgleich sie ihm gesagt hatte, daß sie ihn nicht lieben könnte; hatte er das alles für sie vorbereitet. Wieso? Das Ziehen im Rücken verstärkte sich, sie atmete tief ein und aus. Bereitwillig öffnete sie Rileys Päckchen. Zum Vorschein kam ein Baseballhandschuh. "Woher wußtest du, daß ich mir einen gewünscht habe?" fragte sie den Jungen, der strahlend vor ihr stand. "Habe ich geraten." Er grinste und entblößte dabei eine große Zahnlücke. "Nun können wir beide zusammen spielen." "Das ist ja prima." "Und ich und Jason können auf das Baby aufpassen", schlug Paige vor, die ihre kleine Hand in die von Jason legte. "Das ist ein guter Vorschlag, Abby", befand Cash, "das würde ich mir schriftlich geben lassen." "Erwarte nur nicht, daß ich die Windeln wechsele", sagte Jason stirnrunzelnd, entzog seine Hand aber nicht der von Paige. Über ihre Köpfe hinweg sah Devlin Abby an. In seinem Blick lag ein Lächeln, das ihr Herz erwärmte. Von Jason bekam sie ein Sweatshirt mit einer gewaltigen Mücke darauf und mit dem Schriftzug: "Wappentier von Wisconsin". Paige hatte ihr ein Bild gemalt und schenkte ihr außerdem ein Puppenteeservice. Besonders gefiel Abby auch ein Aquarellbild, das Rebecca für sie gemalt hatte.
Als sie sich bedankte, sagte die: "Es hat großen Spaß gemacht, es zu malen, denn das hinderte Cash daran, mir mal wieder die Sportseite aus der Zeitung vorzulesen." "Hey, das habe ich mitbekommen", stichelte Cash, während alle anderen lachten. Das letzte Geschenk, das Abby bekam, war das von Devlin. Es war ein schneeweißes Päckchen, das mit einer goldenen Schleife geschmückt war. Abbys Finger zitterten, als sie das Papier entfernte und den Karton öffnete, auf dem der Namenszug eines exklusiven Damengeschäftes stand. Darin lag ein Tunika-förmiger eleganter Hausanzug in Königsblau. Abby war beinahe zu Tränen gerührt, als sie ihn herausnahm und hochhob, so daß die anderen ihn auch sehen konnten. "Er ist wundervoll", sagte sie lächelnd und versuchte, die Fassung zu bewahren, als sie Devlins Blick begegnete, in dem so etwas wie Zufriedenheit und noch etwas anderes zu sehen war, das sie nicht ganz deuten konnte. Riley packte Devlins Arm. "Dad, essen wir jetzt?" Als Devlin sich nun seinem Sohn widmete, ließ er Abby mit mehr Fragen als Antworten zurück. Und einem seltsamen Hoffnungsgefühl. Cash und Devlin bestanden darauf, daß Rebecca und Abby sitzenblieben und plaudern konnten, während die Männer den Tisch für Kaffee, Saft, Torte und Eis deckten. Die Kinder halfen beim Hereintragen, bevor sie sich ebenfalls setzten. Rebecca und Cash blieben nicht sehr lange: Sobald sie weg waren, brachte Abby Paige ins Bett. Die Kleine war durch die Aufregung todmüde und schon halb eingeschlafen, als Abby sie hinlegte. Paige hob noch einmal den Kopf. "Ich möchte, daß Daddy mir einen Gute-Nacht-Kuß gibt." Abby trat zur Seite, als Devlin hereinkam, sich hinunterbeugte, Paige einen lauten Schmatz gab und sie umarmte.
Paige lachte leise. "Ich hab' dich lieb, Daddy." Er kniff ihr sanft in die Nase. "Ich dich auch, Schatz." Das klang so natürlich und selbstverständlich, als wäre es seit jeher eine Tatsache. Abby ging hinaus, Devlin folgte ihr kurz darauf ins Wohnzimmer. "Ich glaube, sie war schon eingeschlafen, bevor ich die Tür zugemacht habe." "Es muß dich eine Menge Kraft gekostet haben, sie davon abzuhalten, das Party-Geheimnis auszuplaudern", staunte Abby. Devlin lächelte. "Das war nur die eine Hälfte. Jason mußte auch Riley nach Möglichkeit von dir fernhalten, weil es dem genauso schwerfiel, es dir nicht zu erzählen." Irgend etwas ist anders als sonst, dachte Abby, aber was nur? Sie hatte sich zu sehr mit Devlin beschäftigt, um zu sehen, daß sich auch die Kinder anders verhielten als früher. "Du hattest sicher eine Menge Probleme dadurch." "Das war es mir wert." "Tatsächlich?" Abby versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Devlin sah aus, als warte er auf etwas. Aber worauf? "Hat es sich auch für dich gelohnt, mein Geburtstagsfest zu planen?" Er antwortete nicht direkt darauf. Schließlich sagte er: "Abby, ich habe in letzter Zeit versucht, mich genau an die Regeln unseres Ehevertrags zu halten, habe alles in meiner Macht Stehende getan, um dir den Raum zu geben, den du brauchst. Aber ich glaube, viel länger halte ich es nicht aus." Hieß das etwa, daß sie gehen sollte? Daß Devlin die Ehe beenden wollte? Abby biß sich auf die Unterlippe und versuchte, die Angst zu unterdrücken, die in ihr hochstieg. "Möchtest du die Scheidung? Ist es das, was du willst...?" "Nein, ich will keine Scheidung." Er näherte sich ihr und ergriff ihre Hände. "Ich möchte nicht, daß du den Kredit zurückzahlst. Es ist mir auch egal, ob du meine Socken wäschst
oder nicht und ob du noch etwas anderes als Eier kochen kannst. Aus all diesen Gründen habe ich dich nicht geheiratet." "Du hast mich wegen Riley und Jason geheiratet." "Nein." Er sah ihr in die Augen. "Nein?" "Ich habe dich meinetwegen geheiratet, aus keinem anderen Grund. Ich habe diesen albernen Vertrag nur dir zuliebe aufgesetzt." "Wirklich?" fragte sie so leise, daß es fast nicht zu hören war. Devlin zog Abby vorsichtig an sich, aber so leicht, daß sie ihn problemlos hätte wegschieben können, wenn sie es gewollt hätte. Als sie das nicht tat, beugte er den Kopf zu ihr hinunter und sah sie innig an. Dann berührten seine Lippen ihre, ganz zart, fast tastend, und Abby schloß unwillkürlich die Augen. Der Kuß war unendlich zärtlich. Und viel zu kurz ... Denn als sie ihn erwidern wollte, hatte Devlin sich schon wieder von ihr gelöst. Ihre Augenlider waren ganz schwer. Devlin legte ihr die Hände auf die Schultern, in seinem Blick stand unmißverständliches Verlangen. "Ich weiß, daß du nicht an die Liebe glaubst und dich davor fürchtest, mir zu vertrauen, aber das ändert nichts." Seine Stimme wurde leiser. "Ich liebe dich, Abby, und das wird immer so bleiben. Ich möchte diesen verdammten Vertrag zerreißen und eine richtige Ehe mit dir führen, eine richtige Beziehung haben. Alles, worum ich dich bitte, ist, daß ich dir beweisen darf, daß uns mehr verbindet als vier Kinder und ein Ehevertrag." Die Luft knisterte förmlich zwischen ihnen. Abby dachte daran, wie sehr sie verletzt und enttäuscht worden war. Fast ihr ganzes Leben lang war sie allein gewesen. Und davon hatte sie genug. Sie hatte auch genug davon, immer stark sein zu müssen, hatte genug davon, immer wieder Verlustängste zu haben.
Sie empfand sowohl körperlichen als auch seelischen Schmerz. Ihr ganzes Glück schien von Devlin abzuhängen. Sie liebte ihn, das begriff sie nun. Aber liebte sie ihn auch genug, um den Vertrag zu zerreißen und eine wirkliche Ehe zu führen, ohne Netz und doppelten Boden? Noch bevor sie das entscheiden konnte, wurde das Ziehen in ihrem Rücken stärker. Sie legte die Hände um den Bauch. "Devlin ...", flüsterte sie. Er hielt sie fest. "Was ist? Was ist los?" Sie schaute ihn hilflos an. "Ich glaube, das Baby kommt."
12. KAPITEL Devlin blickte Abby besorgt an, dann hob er sie wortlos auf seine Arme und eilte mit ihr zur Tür. "Ich kann doch allein gehen." Er achtete nicht auf ihren Protest, sondern trug sie zum Wagen und setzte sie vorsichtig hinein. "Ich komme gleich wieder." Er lief noch einmal die Treppen hinauf, war aber bald zurück. "Und was ist mit den Kindern?" fragte sie, sobald er am Steuer saß und den Motor startete. "Alles in Ordnung. Ich habe Jason gesagt, daß wir ins Krankenhaus fahren, und meine Eltern angerufen. Sie kommen gleich her und kümmern sich um alles." "Devlin, ich wollte dir noch sagen ..." "Mach dir keine Gedanken, jetzt bist nur du wichtig." Aber diesmal wollte sie nicht feige sein und wieder kneifen. "Ich muß dir unbedingt etwas ..." Die nächste Wehe kam mit so großer Kraft, daß sie nicht mehr sprechen konnte. Devlin trat aufs Gaspedal, während er mit seiner Rechten beruhigend ihre Hand hielt. "Keine Erklärung jetzt, verlaß dich nur auf mich." Im Augenblick hatte sie keine Wahl, etwas anderes zu tun. Bei Beginn der nächsten Wehe gab sie es auf, ihm noch etwas
sagen zu wollen. Im Augenblick war sie nur dankbar für die moralische Unterstützung, die sie von ihm erhielt. Als sie beim Krankenhaus ankamen, betrug der Abstand der Wehen nur noch zwei Minuten. Alles um Abby herum verschwand wie im Nebel. Das einzige, was sie klar sehen konnte, war Devlin. Er blieb immer an ihrer Seite, auch als die Schwestern ihn wegschicken wollten. "Ich bleibe hier", sagte er energisch, so daß die Schwestern ihn gewähren ließen, auch als der Arzt kam. Nun ging alles so schnell, daß Abby kaum noch mitbekam, was im einzelnen passierte. Sie wußte nur, daß sie es ohne ihn kaum überstanden hätte. Er war wie ein ruhender Pol, ein Fels in der Brandung, der Anker, der das schwankende Schiff hielt. Devlin strich ihr übers Haar, redete beruhigend auf sie ein und wischte ihr zwischendurch die Stirn mit einem kühlen Waschlappen ab. Auch im Kreißsaal blieb Devlin immer bei ihr, und wenn er sagte "Atmen!", dann atmete sie und hechelte, wenn er ihr befahl zu hecheln. Dann endlich kam das, worauf alle sehnsüchtig warteten: der erste Schrei des Babys. Und der Arzt verkündete: "Ein Mädchen, eine richtige kleine Schönheit." Abby sank erschöpft zurück und schaute Devlin glücklich an. Seine Augen waren feucht. Lächelnd sagte sie: "Sie ist hübsch, nicht?" "Beinahe so hübsch wie ihre Mutter." Diese liebevolle Bemerkung ließ Tränen in ihre Augen steigen. Einige Stunden später wachte Abby im Krankenhausbett wieder auf. Im Hintergrund hörte sie, wie Devlin leise mit dem Baby sprach. "Du wirst eine richtige Herzensbrecherin werden, genau wie deine Mama, das kann man jetzt schon sehen." Aus seiner Stimme klang Bewunderung. "Und genauso dickköpfig und
unabhängig und mit einem Herzen so groß wie die ganze Welt. Die Jungs werde ich mit einem Baseballschläger von dir fernhalten müssen und dich in einen Turm einschließen." Abby hob die Augenlider. Devlin stand am Fenster und sprach zärtlich auf das kleine Bündel in seinem Arm ein. Wenn sie bisher noch nicht gewußt hatte, daß sie ihn liebte, dann hätte sie sich spätestens jetzt Hals über Kopf in ihn verliebt. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von dem seiner Tochter entfernt, mit der er sein erstes Gespräch führte. Ob das Baby nun schlief oder von der Stimme seines Vaters wie hypnotisiert war, konnte man nicht sagen. Es schien wie gebannt zu lauschen. Deutlich wurde für Abby das unerschütterliche Gefühl, das in dieser Szene zum Ausdruck kam: eine tief empfundene Liebe. Sie zweifelte nicht daran, daß Devlin demjenigen, der seiner Tochter je zu nahe träte, auch körperlichen Schaden zufügen würde. Das betraf allerdings alle seine Kinder. Sie wußte jetzt: Er war ein Mann, auf dessen Wort man sich verlassen konnte, der seine Versprechen immer hielt. Er würde immer für seine Tochter dasein, genauso wie für Jason, Riley und Paige. Und das aus ganzem Herzen und voller Überzeugung. Er war ein Mann, der sich einer Sache, die ihm wichtig erschien, hingebungsvoll widmete und für den die Belange seiner Familie immer Vorrang vor den eigenen Bedürfnissen hätten. Während der gesamten Entbindung war er bei ihr geblieben, hatte ihr Ruhe und Vertrauen eingeflößt und ihre Hand gehalten. So ganz anders als John, der noch vor der Geburt von Paige die Flucht ergriffen hatte. Devlin war jemand, dem sie endlich wirklich vertrauen konnte. Auch in schwierigen Zeiten würde er nicht aufgeben und sich nie von seiner Familie abwenden.
Das Baby wußte es noch nicht, aber mit einem Vater wie Devlin konnte es sich so glücklich schätzen wie kein anderes Kind auf der Welt. Devlin hob den Kopf und lächelte Abby zu. Er hatte gemerkt, daß sie zuhörte, denn wenn sie wach war, pflegte sie ihren Fuß sachte hin und her zu bewegen. Das hatte er in den langen Monaten, die er neben ihr schlief, ohne sie berühren zu dürfen, entdeckt. Schlaf hatte er dabei selten finden können. Statt dessen hatte er auf ihr Atmen gehorcht, auf die kleinen Geräusche, die sie von sich gab, auf die Form ihres Körpers geachtet und darauf, wie sie sich in die Laken schmiegte. Es gab kaum noch etwas, was er über seine Frau nicht wußte. Außer einem: welche Gefühle sie für ihn hatte! Aber Devlin hatte Geduld, viel Zeit und jede Menge Hoffnung. In den Stunden der Entbindung waren ihm einige Dinge eingefallen, die er falsch gemacht hatte. Zum Beispiel wußte er jetzt, daß es unsinnig war, Abby daran hindern zu wollen, den Kredit zu tilgen. Devlin brauchte das Geld nicht, aber für Abby war die Verpflichtung, jeden einzelnen Cent zurückzuzahlen, ein Zeichen für ihre Geradlinigkeit und für die Überzeugung, mit der sie diese Ehe führte. Sie wollte alles für ihn und für die Familie tun, gab alles, was sie geben konnte. Wieso hatte er das nicht früher begriffen? Es nicht eher erkannt? Nun wußte er es zum Glück. Jetzt würde er damit umgehen können. Hoffentlich gab Abby ihm die Gelegenheit, es ihr zu beweisen! Er sprach immer noch mit dem Baby, trat aber vom Fenster zurück und näherte sich dem Bett. "Sieh mal, Kleines, wer da wach ist: Da ist deine Mami." Er setzte sich aufs Bett und legte Abby das Baby in den Arm. Das strahlende Lächeln, mit dem sie ihre kleine Tochter in Empfang nahm, ließ Devlins Herz so laut klopfen, daß er dachte,
die ganze Welt müsse es hören. Er hatte warten wollen, bis Abby aufwachte. Er wollte gar nicht unbedingt mit ihr reden, sondern einfach nur dasein, bei ihr sein. Mit ihr und dem Baby zusammensein. Abby strich zart über das winzige Gesichtchen. "Sie sieht Riley ähnlich, findest du nicht?" "Zumindest brüllt sie genauso kräftig wie er früher." "Warst du inzwischen zu Hause?" wollte sie wissen. Devlin nickte. "Cash kommt später noch mit den Kindern vorbei." "Was haben sie zu dem Baby gesagt?" "Jason gab sich desinteressiert. Riley dagegen wollte wissen, ob er es sofort halten dürfe. Und Paige möchte es unbedingt mit in den Kindergarten nehmen, um es allen dort zu zeigen." Abby hatte Tränen der Rührung in den Augen. Sie schaute erst das Baby an und dann ihren Mann. "Ich danke dir, Devlin." "Wofür?" "Ich hätte nie gedacht, daß ich jemals so glücklich sein könnte." Sie überraschte Devlin, denn sie schob das Baby in den einen Arm, richtete sich auf und gab ihrem Mann einen zarten Kuß. In ihren Augen lag eine tiefe Innigkeit. "Ich liebe dich, Devlin. Und es tut mir unendlich leid, daß ich so feige war und es dir bislang nicht gesagt habe." Devlin warf dieses Geständnis förmlich um. Aus Abbys Worten hörte er nur das eine heraus: daß sie ihn liebte. Und allein das zählte. Ein heißes Gefühl des Glücks stieg in ihm auf. Er beugte sich zu ihr und zog sie an sich. Und dieser Kuß war ganz anders als der vorige, voller Hingabe und voller Wonne. Und er enthielt ein Versprechen, das er für alle Zeiten zu halten beabsichtigte. "Ach, du liebe Zeit", kam Jasons genervte Stimme von der Tür her, und der ganze Ekel eines Teenagers lag darin. "Sie küssen sich!"
Devlin, noch ganz erfüllt von dem, was gerade geschehen war, ließ Abby nur zögernd los und lächelte sie an. "Ich glaube, unsere anderen Kinder sind da." Die drei Ältesten kamen herein. Jason blieb erst einmal im Hintergrund, während Riley und Paige gleich auf das Bett zustürzten. "Darf ich das Baby als erster halten?" bat Riley. Abby half ihm dabei, es richtig in den Arm zu nehmen. Paige zupfte derweil an Devlins Bein. "Daddy, ich kann das Baby nicht sehen." Er hob die Kleine hoch, so daß sie ihre winzige Schwester von oben betrachten konnte. "Wie heißt sie?" wollte Paige wissen. "Wir haben noch keinen Namen ausgesucht", erklärte Abby. "Können wir sie nicht Molly nennen? Das ist ein schöner Name ", fand Riley. Jason schnaubte verächtlich und kam näher heran. "Das meinst du nur, weil du Molly Smythe magst. Letzte Woche wolltest du noch Beth Everett heiraten. Wir können den Namen doch nicht jedesmal wechseln, wenn du für ein neues Mädchen schwärmst." Abby versuchte, sich das Lachen zu verkneifen, und wendete sich an Jason, der so tat, als interessiere ihn das Baby gar nicht. "Jason, welcher Name gefällt denn dir?" Er zuckte mit den Achseln. In dem Moment öffnete das Baby seine Augen und schaute ihn an. Er berührte vorsichtig seine kleine Hand und versuchte zu verbergen, wie sehr es ihm gefiel, als es seinen Finger mit der winzigen Faust umschloß. "Ich finde Angela cool." Paige drängte sich heran. "Angela mag ich auch." "Ich auch", fügte Riley hinzu. Abby blickte Devlin an. "Und was meinst du?" "Ich glaube, das ist ein einstimmiger Beschluß", sagte er, "oder?"
Zwei Monate später fand Devlin beim Nachhausekommen das Haus so gut wie leer vor. Nur im Wohnzimmer brannte Licht. "Abby?" rief er. "Ich bin hier!" Er legte den Schlüssel auf die Flurkommode und ging durch die Küche ins Wohnzimmer. Seine Frau stand mit dem Rücken zu ihm da und wollte gerade das Kaminfeuer entzünden. Devlin ging zu ihr. "Laß mich das machen." Abby trat zurück und reichte ihm die Streichhölzer. Nach wenigen Augenblicken begann das Holz hellauf zu brennen und verbreitete ein rosiges Licht im Raum. Devlin fiel auf, daß Abby den blauen Hausanzug aus Satin trug, den er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie sieht darin äußerst reizvoll aus, dachte er. Und er erinnerte sich voller Wonne an andere reizvolle Momente mit seiner Frau ... "Wo sind denn die Kinder?" fragte er. "Angela ist gerade gestillt worden und wird jetzt wohl für ein paar Stunden schlafen. Jason ist bei einem Freund, und Riley und Paige übernachten bei Cash und Rebecca." "Wir beide sind also ein paar Stunden lang allein?" Devlin wurde ganz heiß, eilig zog er sein Jackett aus. "Und was wollen wir machen?" "Hm, ich hätte da eine Idee." "Jetzt bin ich aber gespannt." Abby griff hinter sich und zog einen Aktenordner hervor. "Ich finde, wir könnten unseren Ehevertrag endgültig vernichten." Devlin nahm ihr die Papiere ab und schaute sie forschend an. "Bist du sicher, daß du es auch nicht bereuen wirst?" "Nein, das werde ich nicht." Mit einem glücklichen Gesichtsausdruck beugte Devlin sich vor und warf die Papiere ins Feuer, das hell aufloderte. Dann
legte er Abby den Arm um die Schultern und schaute sie liebevoll an. "Ich habe noch etwas für dich, Devlin." "Wenn du es unter dem Hausanzug trägst, kann ich kaum erwarten, es auszupacken." Abby lachte leise, und das klang so sexy, daß sein Körper sogleich darauf reagierte. "Das ist ein weiteres Geschenk." Sie ging zum Tisch hinüber und griff nach einem dicken Umschlag, den sie ihm reichte. Devlin nahm ihn entgegen, öffnete ihn aber nicht sofort. Statt dessen fragte er: "Was ist das?" Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte Abbys Lippen. "Mach ihn auf, dann weißt du es." Schließlich übermannte ihn die Neugier, und er riß den Umschlag auf. Drinnen befanden sich fünf Sparbücher einer Bank. Auf jedem stand der Name eines ihrer Kinder, und jedes enthielt die gleiche Summe Geld. Devlin schaute Abby überrascht an. "Du hast Sparkonten für unsere Kinder eingerichtet?" "Ja, von dem Geld aus dem Verkauf des Hauses in Cincinnati habe ich für jedes von ihnen ein College-Konto eingerichtet." Devlin nahm den fünften Ordner hoch, auf dem "A&DKonto" stand. "Und wofür ist der?" "Für Abby und Devlin", erklärte sie. "Ich weiß ja nicht, ob wir vielleicht noch ein Kind bekommen, aber falls ja, wollte ich ihn oder sie nicht benachteiligen. Alle sollen das gleiche erhalten." Nie hätte sie mit ihrem weichen Herzen ertragen können, daß ein Kind Außenseiter wäre und nicht dazugehörte, so wie es ihr selbst ergangen war, dachte Devlin gerührt. Auch die Tatsache, daß sie seine Söhne genauso bedacht hatte wie ihre leiblichen Töchter, rührte ihn zutiefst. Abby hatte
sie ganz als ihre eigenen Kinder akzeptiert. Aber etwas anderes wäre bei ihr auch gar nicht in Frage gekommen. "Bist du damit einverstanden?" wollte sie wissen. Es ging Devlin nicht um das Geld. Damit konnte sie tun und lassen, was sie wollte. Wichtig war nur ihre Liebe zueinander, eine Liebe, die jeden Tag wuchs und die die gesamte Familie genauso beeinflußte wie die tiefe Beziehung, die sich zwischen ihnen beiden entwickelt hatte. Er legte den Umschlag wieder hin und öffnete die Arme. "Es ist wunderbar. Genau wie du." Ohne zu zögern, schmiegte Abby sich zärtlich an ihn. "Darf ich nun auch das andere Geschenk öffnen?" fragte er und begann an den Knöpfen ihres Hausanzugs zu nesteln. Abby lachte, und das klang ebenso verliebt wie verführerisch. "Wir könnten auch die Broschüren für Whirlpools noch einmal durchsehen oder einen Plan für unser neues Bad entwerfen, wenn du magst." "Später. Jetzt möchte ich unbedingt erst mal die Liebe mit meiner Frau genießen." Er hob Abby auf seine Arme. "Oder gibt es irgendwelche Einwände?" Abby wendete ihm ihr Gesicht zu, und darin lag alle Zärtlichkeit, alles Vertrauen, das Devlin sich jemals gewünscht hatte. "Nein, keinen einzigen."
-ENDE -