EGWARTEN LIEDER, dem Volke geschenkt von
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EGWARTEN LIEDER, dem Volke geschenkt von
Rainer Maria Rilke
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Rainer Maria Rilke
WEGWARTEN Lieder, dem Volke geschenkt (1895)
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littera scripta manet
Rainer Maria Rilke (04.12.1875 – 29.12.1926)
1. Ausgabe, Dezember 2006 © eBOOK-Bibliothek 2006 für diese Ausgabe Textvorlage: „Wegwarten. Lieder, dem Volke geschenkt“ von René Maria Rilke, im Selbstverlag des Verfassers, Prag, 1895
Die „Wegwarten“ pflegen jedes Gebiet: Lied, Skizze, Novelle, Drama und Psycho-Drama in abwechselnder Reihenfolge. Das nächste Heft (erscheint Juli 1896) bringt ein Drama: „Jetzt und in der Stunde des Absterbens“ aus der Feder des Herausgebers.
Prag, im Weihnachtsmond 1895.
Ein Wort nur. . . . . . Ihr gebt eure Werke in billigen Ausgaben. — Ihr erleichtert dadurch den Reichen das Kaufen; den Armen helft ihr nicht. Den Armen ist alles zu teuer. Und wenn es zwei Kreuzer sind, und die Frage heißt: Buch oder Brot? Brot werden sie wählen; wollt ihr’s verargen? Wollt ihr also allen geben, — so gebt! — Paracelsus erzählt, die Wegwarte werde alle Jahrhunderte zum lebendigen Wesen; und leicht erfüllt die Sage sich an diesen Liedern; vielleicht wachen sie zu höherem Leben auf in der Seele des Volkes. Ich bin selbst arm; aber diese Hoffnung macht mich reich. — Die „Wegwarten“ werden ein- bis zweimal jährlich erscheinen. Pflückt sie, und mögen sie euch zur Freude sein! René Maria Rilke.
Das Volkslied. (Nach einer Karton-Skizze des Herrn Liebscher.)
Es legt dem Burschen auf die Stirne Die Hand der Genius so lind, Daß mit des Liedes Silberzwirne Er seiner Liebsten Herz umspinnt. Da mag der Bursch sich süß erinnern, Was aus der Mutter Mund ihm scholl, Und mit dem Klang aus seinem Innern Füllt er sich seine Fiedel voll. Die Liebe und der Heimat Schöne Drückt ihm den Bogen in die Hand, Und leise rieseln seine Töne Wie Blütenregen in das Land. Und große Dichter, ruhmberauschte, Dem schlichten Liede lauschen sie, So gläubig wie das Volk einst lauschte Dem Gotteswort des Sinai.
Morgen. Der Frühwind kommt. — Dem Schein Des Lichts macht er die Bahn frei; Keck wirft er einen Hahnschrei In jeden Hof hinein. Sonst ist im Dorf noch Ruh’; Nur hoch die Pappeln flüstern. Die Luft lechzt lerchenlüstern Dem roten Morgen zu.
Falter und Rose. Ein Falter, der begehrte Die Rose. Loser Knab’! Die Rose aber wehrte Sein stürmisch Werben ab. Und wie er fort auch mühte sich, Und keinen Deut die Blüte wich, — . . . . Ei, hüte dich! ’s war eine Wasserrose, Die ihm so gut gefiel. — Jetzt trotzte er im Moose, Gab scheinbar auf sein Spiel. Doch sann der kleine Wüterich: Bis nur der Tag verglühte sich, . . . Dann hüte dich. Und als die Nacht vom Hügel Herabstieg, — voll Begier Spannt er die Pracht der Flügel Und flatterte zu ihr . . . . . Doch sein Triumph verfrühte sich! — Es schloß ganz leis’ die Blüte sich, Jetzt — hüte dich.
Der Gespensterturm. Dort steht ein Turm, ein kleiner, Uralter — hoch und frei; — Bei Tage selbst geht keiner Gern an dem Platz vorbei. Wenn ihm sein Leben teuer, Und fromm er ist zumal; Denn dort ist’s nicht geheuer, So munkelt man im Tal. Doch fahrendes Gesindel Hält gern im alten Haus: Jetzt g’rad’ hangt eine Windel Als — Geisterfahne aus.
Künstler-Los. Rasch rollt das Zelt! Komödianten, fahrende Leute. Gestern ins Städtchen erst, aber schon heute Fort in die Welt! Flott angespannt! Pony, du kleines, du ziehst den grünen, Prächtigen Wagen, die schönste der Bühnen, Von Land zu Land. Hei, wie der Wind Trugst du noch gestern auf deinem Rücken Nedda, die braune, zu aller Entzücken — Das schöne Kind! Frei auf Gebot Sprangst du durch Reifen und stiegst auf Treppen. Heute — mußt du den Karren schleppen: Kunst geht nach Brot.
Mittag. Wie über dem blauenden Waldsee schwer Hinlastet schwärmendes Schweigen. Ein Raunen, ein heimliches, zittert noch her Von blütenbezwungenen Zweigen. Die schillernde, schnelle Libelle schwirrt Hin über die Fläche, die blanke, — Da, rauschend im ragenden Röhricht irrt Ein — niegedachter Gedanke . . . . .
Die Rose. Die Rose hier, die gelbe, Gab gestern mir der Knab’; Heut trag’ ich sie, dieselbe, Hin auf sein frisches Grab. Die Rose ist seit gestern Noch immer hold und schön, So ganz wie ihre Schwestern Im Hag und auf den Höh’n. An ihren Blättern lehnen Noch lichte Tröpfchen — schau! Nur sind es heute — Tränen, Und gestern war es Tau . . . .
Eine alte Geschichte. Eine alte Weide trauert Dürr und fühllos in den Mai, Eine alte Hütte kauert Grau und einsam hart dabei. War ein Nest einst in der Weide, In der Hütt’ ein Glück zuhaus, — Winter kam und Weh, und beide — Blieben aus . . . .
Trost. Im hohen Himmelsraum Dort zieht der Sterne Reigen, Der Bäume Wipfel neigen Sich leise wie im Traum. Die Blumen auf der Flur, Sie sind so sonnenmüde, Ein heiliger Wonnefriede Durchzittert die Natur. Wenn manch ein Sturm getost, Den Blumen feindlich wilde, Nun lächelt Nachtluft milde Und lispelt ihnen Trost . . .
Abend im Dorfe. Sieh, wie fern im dämmerdüstern Wald die Sonne sich verlor. Ruh’ im Dorfe. — Leise flüstern Hausgenossen noch am Tor. All das blanke Werkgeräte Steht im reinen Hofe still; Manchmal stört noch eine späte Kuh das trauliche Idyll. Eine heil’ge, gottgeweihte Rast, — der Müh’ des Tages wert. Selbst die Straße scheint, die breite, Wie getüncht fast, wie gekehrt. Pfeifend treibt ein Gänsehirte Heim die weiß beschwingte Schar . . . Hoch der müde, lichtdurchflirrte Himmel oben — weit und klar.
Abendwolken. Abend . . . . . Stille die Fernen. — Ich schau’ Hoch ob verdämmernder Hügellehne Wandelnde Wolken, silberne Kähne, Schimmernd schwimmen im bleichen Blau. Gleiten so leicht in die Weite hinaus . . . Da, bei des Mondes blinkenden Bergen Stehn sie, als setzten sie selige Fergen Dort auf dem einsamen Eiland aus.
Irrlicht. Du sahst ein Lichtlein schimmern Allnächtig überm See; Du hörtest leis es wimmern So matt, so todesweh. Du fragst, was solch’ ein spätes Licht soll im nächt’gen Bann? — Ein Glück ist’s, ein verschmähtes, Das nicht — ersterben kann.
Königin See. Wenn lang der rote Tag verflammt sich Und wenn der Sonnenflug gelähmt, Da hüllt die See in schwarzen Samt sich, Den weißer Hermelin verbrämt. Sie legt in immer neue Falten Ihr Nachtgewand, schon halb im Traum; Zehn schlichte Fischerbarken halten Verliebt und schüchtern seinen Saum.
Sterne. Seliger Sterne schimmernde Scharen Schweben so ferne, blinken so schön; Aber in blauenden Nächten, in klaren, Gleiten sie leise von einsamen Höh’n. Stürzen, von siegender Sehnsucht getrieben, Jäh durch der Welten unendlichen Raum Nieder und weben ihr leuchtendes Lieben Ein in der Blüten keuschen Traum. Doch wenn im Osten der Tag sich rötet, Müssen zurück sie, verblichen und matt . . . . Sahst du denn niemals noch ein verspätet Sternlein hangen am Rosenblatt? —
Nachtgedanken. Weltenweiter Wand’rer, Walle fort in Ruh’ . . . . . . . . Also kennt kein and’rer Menschenleid wie — du. Wenn mit lichtem Leuchten Du beginnst den Lauf, Schlägt der Schmerz die feuchten Augen zu dir auf. Drinnen liegt, — als riefen Sie dir zu: versteh’! — — Tief in ihren Tiefen Eine Welt von Weh . . . . . . Tausend Tränen reden Ewig ungestillt, — — Und in einer jeden Spiegelt sich dein Bild.
Im Dunkel. Wenns im Zimmer dunkel ist, Kind, das grämt mich nicht; Deines Aug’s Gefunkel ist Ja so lieb, so licht. Überm Fensterbrette schwebt Licht noch bis zu viel, — Scharf als Silhouette hebt Ab sich dein Profil. Wie bezaubert schau’ ich dann Diese Linien, fein, Flüsternd dir vertrau’ ich an Herzensträumerei’n . . . . . Doch — der Anstand! Spricht empört Mancher Alltagstropf. — Lieber Freund, das Licht gehört Immer in den — Kopf.
Durch einen Wald von Ungemach . . . . . Durch einen Wald von Ungemach Geht licht ein Glück auf leisen Sohlen, Und tausend Herzen geh’n verstohlen Dem einen kleinen Glücke nach. Und weil ein jedes sich versprach, Dem Glück zu werden zum Begleiter, So geh’n sie alle weiter, weiter Tief in den Wald von — Ungemach . . .
Sehnsucht. Ein Aar, dem niemand Halt gebot, Ist Sehnsucht. Über Tal und Hügel Schwebt er auf mondbeglänztem Flügel Zu der Erfüllung Morgenrot. Stolz kann er, wenn der Flug gelingt, Im ersten Strahl die Schwingen baden, Wenn er an heimischen Gestaden, Zu Tod ermattet, — niedersinkt . . . . .
Mir geschah . . . . . (Lied.)
Mir geschah, so wie dem Kinde, Dem nach banger Krankheit Gram Man des Fiebers heiße Binde Von dem klaren Auge nahm. Meine Tage gingen golden Durch der Seele Heiligtum, Und auf meiner Träume Dolden Wiegte sich der Falter: Ruhm.
Zukunft. Ei, schummert die Leinwand des Lebens mir grau Das Schicksal mit Wehmutsgerinsel, Dann tauch’ ich getrost in der Hoffnung Blau Hinein meinen durstigen Pinsel. Da mal’ ich die Zukunft, so wie ich sie seh’, Gar prächtig in Farbe und Linie; — Fromm, zitternd, wie einstens Fra Fiesole Madonnen gemalt und Bambini.
Zum Licht. 1.
Nur nicht im Dunkel Schmählich erschlaffen! Im Lichtgefunkel Leben und schaffen. Nur im Verstecke Nicht müd’ versiechen, Kränkeln und kriechen — Nur das nicht! Richte und recke Auf dich zum Licht! 2.
Siegende Sonne Hellt dir die Brust, Wogende Wonne Wird dir bewußt, Unter der Decke Ängstlicher Kleinheit Wärmt sich — Gemeinheit; Nur das nicht! Richte und recke Auf dich zum Licht!
3.
Sowie des Lichtes Funken sich heben, Sieh’, des Gedichtes Rhytmisches Schweben, Daß es dich wecke Aus deinen Träumen . . . . Zaudern und säumen? Nur das nicht! Richte und recke Auf dich zum Licht!