Wege zur Männlichkeit im Rom der Späten Republik: Cicero und die adulescentia seiner Zeit*
Inaugural-Dissertation zur E...
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Wege zur Männlichkeit im Rom der Späten Republik: Cicero und die adulescentia seiner Zeit*
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultäten der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg i. Br.
vorgelegt von
Claudia Humpert aus Berlin
*Diese Dissertation wurde im Wintersemester 1999/2000 unter dem Titel: "Detur a/iqui Iudus aetati: Untersuchungen zu Ciceros Begriff der adulescentia" von der Philosophischen Fakultät IV der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. angenommen.
Die Deutsche Bibliothek - CIP - Einheitsaufuahme Humpert, Claudia Sabine: Wege zur Männlichkeit im Rom der späten Republik: Cicero und die adulescentia seiner Zeit I Claudia Sabine Humpert.- Halle: Trift, 2001 Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2000 ISBN 3-934909-11-6
©Trift Verlag, Halle 2001 Lion- Feuchtwanger- Str. 13 06132 Halle Telefon: 0345-775 7 007 Telefax: 0345-775 7 008 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustinunung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
1. Auflage, 2001 ISBN 3-934909-11-6
Erstgutachterin: Prof. Dr. Renate Zoepffel Zweitgutachter: Prof. Dr. Jochen Martin Vorsitzender des Promotionsausschusses des Gemeinsamen Ausschusses der Philosophischen Fakultäten I-IV: Prof. Dr. Dr. Franz-JosefBrüggemeier Datum der letzten Fachprüfung im Rigorosum: 6.07.2000
DANKSAGUNG
Bei diesem Buch handelt es sich ·um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 1999/2000 unter dem Titel ,,Detur aliqui Iudus aetati: Untersuchungen zu Ciceros Begriff der adulescentia" von der Philosophischen Fakultät IV der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg angenommen wurde. Nach Abschluß meiner Überarbeitung möchte ich alljenen danken, ohne deren Unterstützung diese Arbeit nie vollendet worden wäre: zunächst meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Renate Zoepffel, die mir stets mit konstruktiver Kritik an meinem Vorhaben und mit Verständnis für meine persönliche Situation hilfreich zur Seite stand, dann Herrn Prof. Dr. Martin, der das Korreferat meiner Arbeit übernahm, für seinen verständnisvollen Einsatz in letzter Minute, zuletzt auch Frau Dr. Marie-Luise Deißmann-Metten, durch deren Vermittlung ich am Seminar für Alte Geschichte arbeiten und erste Anregungen für mein Projekt sammeln durfte. Den Frauenbeauftragten und dem Rektor der Universität Freiburg bin ich für die Gewährung eines Wiedereinstiegsstipendiums zu Dank verpflichtet.
Für Rebecca, Layla und Zeyad
INHALT
I. Einleitung: Virilität und adulescentia in Rom .................................................. 7 ·1. l. Die adulescentia als Schule der Virilität: Die Fragestellungen und das Problem der Repräsentativität.. .................. ~ ........................ 10 1. 2. Die moderne Begrifflichkeit: Adoleszenz zwischen Anpassung und Rebellion .................................................................................... 15 1. 3. Das römische Modell: adulescentia zwischen Integration und Segregation................................................................................ 20 II. (Römische) Männlichkeit und Geschichte ..................................................... 25 2. 1. Theoretische Ansätze ........................................................................ 25 2. 2. Virilität und römische Geschichte I: Die Suche nach dem pater..... 33 2. 3. Virilität und römische Geschichte II: amor coniugalis und servitium amoris .............................................................................. .39 2. 4. Neuere Untersuchungen zur Virilität in Rom .................................. .45 III. adulescentia und römische Männlichkeit. .................................................. .49 3. 1. Der virtus- Begriff Ciceros vor dem Hintergrund der Krise der Späten Republik................................................................................ 49 3. 2. Die Sestiana: Die adulescentes in der Politik. .................................. 60 3. 3. Cato maior de senectute: Hierarchien der Virilität... ....................... 70 IV. Marcus Caelius Rufus adulescens ................................................................75 4. 1. Ein adulescens und sein Biograph: Caelius und Cicero ................... 75 4. 2. Zur Biographie .................................................................................. 79 V. Die Caeliana: Eine Apologia adulescentiae ................................................ 101 5. 1. Anklage und Ankläger.................................................................... I 0 I 5. 2. Dasexordium (c. I, I- c. I, 2): Der Beginn des Spiels ............... .l04 5. 3. Die praemunitio (c. 2, 3 - c. 20, 50): Der Kampf der Charaktere .. ! 08 5. 4. Die argumentatio (c. 21,51- c. 29, 69): Geschichten von Gold und Gift ............................................................................................ 149 5. 5. Die peroratio (c. 29, 70- c. 32, 80): Der adulescens als Garant der res publica ................................................................................. 162 5. 6. Zusammenfassung: Die Darstellung der adulescentia in der Caeliana .......................................................................................... 169
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VI. Stationen und Aspekte der adulescentia ................................~ ....... ;........... .173 6. 1. Der Beginn der adulescentia: Das tirocinium fori.. ....................... l73 6. 2. Das Ende des tirocinium fori: Das Ritual der inlustris accusatio und das Ideal des Redners .............................................. ;... ;... :....... J88 6. 3. Der adulescens und die Frauen: Iudus aetatis und · meretrices amores ................................................... ;...................... 198. VII. Cicero im Dialog mit der adulescentia ..................................................... 209 7. 1. Die Briefe an Curio: Vom adulescens zum vir.............................. 211 7. 2. Die Briefe an Caelius: Männerunter sich ...................................... 224 7. 3. Der adulescens als Konsul: Cicero und Dolabella........................ 233 7. 4. Zusammenfassung: Das Ende der adulescentia .............................242 VIII. Epilog: Das Urteil der Männer über den adulescens Octavian Virilität im Umbruch ................................................................................ 245 IX. Schlußbetrachtung: Cicero und die adulescentia ....................................... 271 X. Literaturverzeichnis ...................................................................................... 277 10. 1. Textausgaben und Kommentare ................................................... 277 10. 2. Sekundärliteratur........................................................................... 279
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I. EINLEITUNG: VIRILITÄT UND ADULESCENTIA IN ROM
"Ich will versuchen, dieses. Leben von fünf Monaten zusammenzufassen, das . abschließt, was man die Kindheit nennt, und jenes Etwas eröffnet, das keinen Namen hat, das Leben eines Mannes von zwanzig Jahren, und es ist (vor allem in meiner Natur) weder die Jugend noch das reife Alter..." Gustave Flaubertl
Männlichkeitsparadigmen sind keine kulturübergreifenden Konstanten. Sie gehorchen vielmehr den Gesetzen, Vorgaben und Forderungen ihrer jeweiligen kulturellen Umgebung. Sozialgeschichte und historische Anthropologie, Psychologie und Soziologie haben deshalb begonnen, "Männlichkeit" als soziales und kulturelles Konstrukt zu interpretieren und Kriterien für Virilität, die ihrerseits von Kultur zu Kultur, von sozialer Schicht zu sozialer Schicht signifikante Unterschiede aufweisen können, zu beschreiben. Im Kontext der Virilität besitzt die Lebensphase der Adoleszenz, ,jenes Etwas, das keinen Namen hat", zentrale Bedeutung. Denn gerade während der Adoleszenz müssen Normen und Rituale der Virilität erlernt werden. Auch die althistorische Forschung versucht, dem Phänomen ,,Männlichkeit" auf die Spur zu kommen; allerdings konzentriert sich die Forschungsdisskussion im Bereich der römischen Geschichte vor allem noch auf die Rolle des pater, also auf einen Teilaspekt römischen Mann-Seins. Eine Rekonstruktion römischer Ideologien von Virilität, in denen der pater nur eine, wenn auch zentrale Spielart der männlichen Identität darstellt, ist noch Desiderat. Ich möchte in dieser Arbeit abseits von der immer noch andauernden Diskussion um Rolle, Funktion und Spielraum des pater in Familie und Gesellschaft die Etappen des Weges verfolgen, den das männliche Selbst in Rom einschlagen mußte, um ein Mann zu werden. Virilität war auch in Rom keine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, sie mußte erlernt werden, und sie 1 Flaubert 1982, 28.
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mußte sich bestimmt~n gesellschaftlichen Normen unterwerfen. Deshalb setzt meine Arbeit ihren Schwerpunkt auf · die adulescentia, also · auf . den Lebensabschnitt der männlichen Existenz, der meiner Ansicht nach als Schule der römischen Männlichkeit apostrophiert werden kann. Denn iin Verlaufe der. adulescentia mußte das Individuum vor allem die gesellschaftlichen Spielregeln und Rituale der Männer unter sich erlernen, es mußte aber auch gegenüber den Frauen Position beziehen. Die Frage nach Wesen und Stationen der adulescentia erfordert zunächst einführend die Aufarbeitung moderner und römischer Begrifflichkeiten (Abschnitt 1): Was umschreibt der Begriff der ,.Adoleszenz"? Kann die moderne Begrifflichkeil zum Verständnis der römischen adulescentia beitragen? Gibt es signifikante Unterschiede? Da ich davon ausgehe, daß männliches Verhalten vor allem während der Adoleszenz/adulescentia erlernt wird, widme ich Abschnitt II dem Themenkomplex ,,Männlichkeit und Geschichte", in dem ich den aktuellen Forschungsstand zu Vorstellungen von Männlichkeit in Rom referieren werde. Im Zentrum meines Vorhabens steht Ciceros Versuch einer Theorie der adulescentia. In der Späten Republik hat vor allem Cicero die Auseinandersetzung mit der adulescentia gesucht, sei es auf der theoretischen Ebene mit dem Versuch, Handlungsvorschriften für die adulescentes seiner Zeit zu formulieren, sei es in der konkreten politischen und gesellschaftlichen Praxis mit dem Anspruch, adulescentes bilden und leiten zu können. Die theoretischen Ansätze Ciceros werde ich nach einer Diskussion des Begriffes der virtus, also der vollendeten Männlichkeit in Rom, deren Erreichen gesellschaftlich gefordertes Ziel des adulescens war, anband seiner Sestiana und seines Cato maior nachzeichnen (Abschnitt III). Denn die Sestiana thematisiert die politischen Anforderungen an einen adulescens, während Cato maior auch über männliche Hierarchien in Rom, also das Verhältnis zwischen alten und jungen Männern spricht. Ciceros konkrete gesellschaftliche und politische Praxis werde ich zunächst an seiner Freundschaft zu Marcus Caelius Rufus, einem adulescens, dessen Biographie exemplarischen Charakter für eine adulescentia vor dem Hintergrund der krisengeschüttelten Späten Republik besitzt, skizzieren (Abschnitt IV). Ausgehend von der Darstellung des Caelius in Ciceros Caeliana wird dann zu klären sein, welchen gesellschaftlichen Regeln der adulescens unterworfen war, mit welchen Bildern und Konzeptionen virilen Verhaltens er konfrontiert wurde und wie er unter Männern agieren mußte, um seinen Platz in der Hierarchie der Männereinnehmen zu können (Abschnitt V). Männlichkeit entsteht nicht allein in der Konfrontation des einzelnen mit postiven und negativen Beispielen virilen Verhaltens, sie wird auch in
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entscheidendem Maße durch Bilder von Weiblichkeit beeinflußt, da sich die Inhalte der Geschlechtscharaktere "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" komplementär zueinander verhalten. Von Marcus Caelius Rufus ist bekannt, daß er während seiner adulescentia eine Beziehung zur Clodia Metelli unterhielt.. Clodia steht für eine Spielart von Weiblichkeit, die für die Späte Republik charakteristisch war: Wie sah diese Spielart weiblichen Verhaltens aus, und wie reagierte der adulescens auf sie? clceros Caeliana thematisiert dep.-geseflsc4aftlichen Status des adulescens wie kaum ein andere Quelle: In Abschnitt VI werde ich deshalb die Schwerpunkte der. Darstellung Ciceros -+ das tirocinium'\,ri, die Beschreibung der adulescentia als Iudus aeta~ii, den Hang des adul cens zu meretrices amoresweiter vertiefen. ( Die Beziehung zwischen
2 Da die Abschnitte dieser Arbeit eine thematische Abgeschlossenheit in sich anstreben,
ergeben sich zwangsläufig einige inhaltliche Wiederholungen inbesondere in bezug auf die Abschnitte V und VI, für die ich schon an dieser Stelle um Nachsicht bitten möchte.
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1. 1. Die adulescentia als Schule der Virilität: Fragestellungen und das Problem der Repräsentativität
Die
Männlichkeit wird während der Adoleszenz erlernt. Der Jugendliche steht an der Schwelle des Erwachsenseins zwischen Familie und Gesellschaft und muß lernen, den Anforderungen beider Seiten gerecht zu werden. Mit Männlichkeit und Weiblichkeit sowie peer groups außerhalb des familiären Kreises konfrontiert, muß er außerdem die gesellschaftlich geforderten Verhaltenskodizes kennenlernen und internalisieren. Die historische wie gesellschaftliche Bedeutung der Adoleszenz beruht auf ihrer Fähigkeit, überkommene Traditionen und gesellschaftliche Strukturen nicht ohne weiteres zu akzeptieren, sondern sie in Frage zu stellen und möglicherweise zu verändern.3 Die adulescentia umfaßte in etwa den Zeitraum vom fünfzehnten bis zum dreißigsten Lebensjahr im Leben eines Mannes. Während der Beginn der adulescentia durch das Anlegen der toga virilis rituell markiert war, war der Übergang zum Status des erwachsenen Mannes meiner Auffassung nach fließend und nicht mit dem Beginn des cursus honorum gleichzusetzen, wie die Forschung weitgehend annimmt.4 Ich werde mich in der Folge am Sprachgebrauch Ciceros orientieren, der Caelius in Pro Caelio, gehalten 56 v. Chr., als adulescens bezeichnet. Nach Plin. n. h. 7, 165 ist Caelius 82 v. Chr. geboren worden. Dieser Datierung scheint allerdings der cursus honorum des Caelius (52 v. Chr. Tribunat, 50 v. Chr. curulische Aedilität, 48 v. Chr. Praetur) zu widersprechen. Die Forschung hat sich bis jetzt auf kein Geburtsjahr eindeutig festlegen können. Feststeht ihr zufolge lediglich, daß Caelius zwischen 88 und.82 v. Chr. geboren sein muß. M. E. sollte der Aussage des Plinius maior, für dessen Akribie sein Neffe Zeugnis ablegt, der ihr gebührende Glaube geschenkt werden.s Caelius wäre dann zum Zeitpunkt der Cae/iana etwa sechsundzwanzig Jahre alt gewesen.6 Die Cae/iana kann, wie noch zu zeigen sein wird, geradezu als eine Apologia adulescentiae gelesen werden. Da moderne Vorstellungen von Adoleszenz in
3 Vgl. S. 15ff. 4 Vgl. S. 2lf., S.171, S. 242f. 5 Vgl. Plin. Ep. m, 5 zur Arbeitsweise seines Onkels und Adaptivvaters und ibid., V, 8,
dessen summa diligentia in historischen Belangen. 6 Zur Diskussion um das Geburtsjahr des Caelius vgl. im übrigen Dettenhofer 1992, 80.
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5 zu
den zur adulescentia bislang vorhandenen Untersuchungen? implizit oder explizit der Ausgangspunkt der Analyse sind, wird zunächst eine Begriffsklärung notwendig sein, um dann anband von Ciceros Aussagen zur adu/escentia in der Sestiana und in Cato maior de senectute den politischen und gesellschaftlichen Ort der adu/escentes im Rom der Späten Republik zu beschreiben. Am Beispiel des adulescens Marcus Caelius Rufus, der fiir meine Untersuchung zentrale Bedeutung hat, werden im Anschluß die drei entscheidenden Themata einer männlichen Jugend im spätrepublikanischen Rom analysiert werden: das Wesen und die Normen der adu/escentia, die Konfrontation des adulescens mit Leitbildern fiir männliches Verhalten und die Beziehung des adulescens zum Weiblichen. Marcus Caelius Rufus ist deshalb ausgewählt worden, weil sein Leben durch das Werk Ciceros und durch Selbstzeugnisse relativ gut dokumentiert ist und er selbst außerdem als repräsentativ fiir seine Schicht gelten kann. So hat Dettenhofer in ihre Untersuchung der perdita iuventus zwischen Caesar und Augustus auch Caelius mit einbezogen. Sie geht davon aus, daß die von ihr ausgewählten Männer "möglicherweise die wichtigsten Repräsentanten (der Generation der Mitte zwischen Caesar und Augustus) zwischen Republik und Prinzipat waren" oder, anders formuliert, der adulescentia der Späten Republik.S Caelius scheint sich des "Exemplarischen" seines Charakters im übrigen selbst bewußt gewesen zu sein, wenn er an Cicero schrieb:
"Jetzt bitte ich Dich noch um eins: wenn Du, wie ich hoffe, Zeit hast, schreib doch fiir mich eine Art Denkschrift, damit ich sehe, daß Du Dich fiir mich interessierst... Ich möchte, unter Deinen zahlreichen literarischen Produkten fände sich etwas, was die Erinnerung an unsere Freundschaft der Nachwelt überlieferte. Wahrscheinlich fragst Du jetzt, welcher Art das sein soll. Nun, Du bist ja mit der ganzen Disziplin vertraut und wirst auf Anhieb das Passendste herausfinden; es muß aber eine Gattung sein,
7 Eyben 1977, indirekt ausgehend von Erikson, und Kleijwegt 1991, explizit ausgehend von
Mead und Aries. 8 Vgl. Dettenhofer 1992, 3. Zur politischen Biographie des Caelius vgl. S. SOff. und Dettenhofer 1992, 79 - 99. Obwohl Dettenhofer in ihrer Untersuchung die politische Lautbahn von sieben adulescentes analysiert, verzichtet sie weitgehend auf eine Klärung des Begriffes "adulescentia"; vgl. ibid., 9. Zur Kritik an Dettenhofers Ansatz, in der Krise der Republik auch die Auswirkungen eines Generationskonfliktes ausmachen zu können, vgl. Gotter 1996, 280f.
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die zu mir paßt und eine Art Unterweisung enthält, damit sie von Hand zu Hand geht. "9 · Die Konzentration meiner Untersuchung auf den eques und homo novus Ca~lius schränkt den Geltungsbereich der zu ziehenden Schlüsse von vomherein ein. Ob und inwieweit die Vorstellungen von adulescentia, die. in der Nobilität kursierten, für die römischen Unterschichten Gültigkeit besaßen, muß aufgrurid der Quellenlage der bloßen Vermutung anheimgestellt bleiben. Mit Sicherheit dürfte die Jugend eines Mannes der römischen Unterschichten anders ausgesehen haben als die des Caelius, da Unterschichtangehörigen eine Arbeitsteilung innerhalb der Familie sowie eine Delegierung von Erwerbsarbeit und die hiermit verbundene Freistellung der Kinder vom Erwerbsprozeß, die überhaupt erst Erlebnisgrundlage der Adoleszenz ist, kaum möglich gewesen dürfte,IO Caelius und andere adulescentes im Umkreis Ciceros - Curio, Dolabella und Octavian - stehen für die adulescentia in der Agonie der Späten Republik, in der die traditionellen Werte männlichen Verhaltens versagen und neue Spielregeln für Virilität entstehen sollten. Grundsätzlich stellt sich also zunächst die Frage, wie eine adulescentia vor diesem Hintergrund aussah: Wie sah die "Schulung" des adulescens aus? An. welchen Leitbildern sollte er sich orientieren, um seinen Platz in der Hierarchie der Männer einnehmen zu können? An welchen Leitbildern orientierte er sich wirklich? Die Phase der Adoleszenz ist von Leitbildern geprägt, sei es, daß sie mehr oder weniger kampflos akzeptiert, sei es, daß sie unter Protest verw9rfen werden.11 Die entstehende Mä1U1lichkeit der adulescentia mußte sich an Leitbildern orientieren; sie sah sich jedoch auch mit den ,,Modellen des Fehlverhaltens"12 in
9 Cic. ad fam. VIII, 3, 2 ("Illud nunc a te peto, si eris, ut spero, otiosus, aliquid ad nos, ut
intellegamus nos tibi curae esse, c:r6vtayf.La conscribas... opto aliquid ex tarn multis tuis monumentis exstare, quod nostrae amicitiae memoriam posteris quoque prodat. cuius modi velim, puto, quaeris. tu citius, qui omnem disciplinam, quod maxime convenit, excogitabis, genere tarnen, quod et ad nos pertineat et OIÖatJKoJ..{av (Hervorhebung von mir) quandam, ut versetur inter manus, habeat. "). Diese und die folgenden Übersetzungen aus dem Briefwechsel Ciceros orientieren sich an Kasten 1989. Auch die Zählung der Cicero-Briefe folgt Kasten 1989 bzw. 1990. Der Text in Klammem gibt stets den lateinischen Originalwortlaut der zitierten Quellen wieder. 10 Vgl. Foxhall 1999,4. Zur Adoleszenz als Privileg männlicher Oberschichtangehöriger vgl. außerdem Remschmidt 1992, 7. 11 Vgl. S. 15f. 12 Zum Begriff "Modelle des Fehlverhaltens" vgl. Devereux 1982, 52: ,.,Jede Gesellschaft enthält nicht nur funktionale' Aspekte, mittels derer sie ihre Integrität behauptet und erhält,
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der Späten Republik, verkörpert etwa durch Catilina und Clodius, konfrontiert. Diese Männer stehen fiir die tödliche Krise der virtus am Ende der Republik. Sie waren fiir Cicero viri sine virtute13, und sie dürften Caelius maßgeblich beeinflußt haben:14 Welche Charakteristika-wies diese Virilität auf, die ein Kind der scheitemden Republik und die fiir deren Ende in entscheidendem Maße verantwortlich. war? Welchen Vorbildcharakter besaß sie fiir politisch ambitonierte adulescentes? Auch im Rom der Späten Republik waren Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen voneinander abhängig. Der adulescens lernte in der adulescentia nicht nur die Regeln des männlichen Spiels; er mußte sich auch mit dem "Rätsel" des Weiblichen auseinandersetzen. Cicero hat uns in seiner Vetteidigung des Caelius das Bild einer Frau hinterlassen, zu der Caelius eine Beziehung hatte, das der Clodia.J5 Auch in ihrer verzerrten Darstellung durch Cicero steht Clodia für die Frauen ihrer Schicht, da sie gerade in ihrer Misogynie das spätrepublikanische Frauenideal, dem Clodia nicht entspricht und an dem ihr Verhalten gemessen wird, aufblitzen läßt. Clodia steht für einen Typus von Weiblichkeit, der gerade auf einen adulescens einen ungeheuren Reiz ausüben konnte. Hierltir legt nicht nur die Beziehung zwischen Caelius und Clodia, sondern auch die Darstellung des etwa mit Caelius gleichaltrigen adulescens Catull Zeugnis ab16: Wie gestalteten sich die Beziehungen zwischen dem adulescens und einer Frau, die weder Mitglied seiner Famile noch potentielle Heiratskandidatin war? Waren sie bestimmen Normen unterworfen? Und wenn ja, welchen? Wie sah dieser Typus von Weiblichkeit letztendlich aus, der den adulescens faszinierte und möglicherweise sein Bild vom Weiblichen entscheidend bestimmen sollte? Das letzte Kapitel der vorliegenden Arbeit unternimmt den Versuch, die spätrepublikanischen Vorstellungen von adulescentia, repräsentiert vor allem durch ihre Darstellung in der Caeliana Ciceros, anband von Ciceros Briefwechsel mit bzw. über adulescentes weiter zu verifizieren: Versuchte sondern auch eine gewisse Anzahl von Glaubensiiberzeugungen, Dogmen und Tendenzen, die nicht nur die wesentlichen Operationen und Stntkturen der Gntppe bekämpfen, negieren und untergraben, sondern manchmal ihre Existenz selbst (Text kursiv im Original)." 13 Nach Cic. pro Plane. 12: " ... Cn. Manlium, non solum ignorabilem, virum sine virtute"; zum Ideal der virtus vgl. S. 49ff. 14 Caelius unterstützte die zweite Bewerbung Catilinas um das Konsulat 64 v. Chr. (vgl. Cic. pro Cael. 5, 12); zur Bekanntschaft mit Clodius vgl. Dettenhofer 1992, 86f. 15 Zu Ciceros Darstellung der Clodia in Pro Caelio vgl. Heinze 1925, 231ff., Dorey 1958, Kreck 1975,115-151 undRarnage 1984. 16 Catulllebte nach Hier. chron. ad ann. 1930 von 87 bis 57 vor Chr. Geburts- und Todesjahr sind ähnlich unsicher wie das Geburtsjahr des Caelius; vgl. Eisenhut 1993, 222.
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Cicero, die adulescentes Caelius, Curio, Dolabella und Octavian nach den Regeln zu beeinflussen, die er in der Caeliana formuliert hatte? Wenn ja, wie reagierten die adulescentes auf Ciceros Erziehungsversuche? Antworteten sie mit Anpassung oder wählten sie den Weg der Rebellion gegen die Normen der Senatsgerontokratie, für die auch ein Cicero stand?
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1. 2. Die moderne Begrifflichkeit: Adoleszenz zwischen Anpassung und Rebellion . "Sind die Instinktreduktion und die Schicksale der frühen Kindheit Voraussetzungen für Institutionen, fiir Dauer im Wandel..., so ist die Adoleszenz eine der Voraussetzungen dafiir, daß der Mensch Geschichte macht und die überkommenen Institutionen nicht nur überliefert, sondern auch ändert." Mario Erdheim17
Die Phase der Adoleszenz wird vor allem durch Psychologie, Psychoanalyse, Anthropologie und Soziologie diskutiert; während der Begriff der Pubertät als pnmar biologisch lediglich die biologischen und physiologischen Veränderungen während der körperlichen und sexuellen Reifung umschreibt, also den biologischen Beginn der Adoleszenz markiert, kann die Phase der Adoleszenz allgemein als die des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsenenalter mit all ihren psychologischen, sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen definiert werden.IS Adoleszenz meint in diesem Kontext immer männliche Adoleszenz, die gesellschaftlich bis in die neueste Zeit zudem Privileg männlicher Oberschichtangehöriger war. Aufgabe der Adoleszenz ist es, eine sichere Identität zu schaffen, das gesellschaftlich geforderte Wertesystem zu internalisieren und eine Geschlechtsrolle endgültig zu übernehmen.19 Gerade die Psychoanalyse hat das kulturkritische und kulturverändernde Potential der Adoleszenz betont: Während im Verlaufe der Kindheit die Geschlechtsrolle innerfamiliär erlernt wird, die gesellschaftliche Dimension also fehlt, steht die Phase der Adoleszenz im Zeichen der Ablösung des Adoleszenten vom familiären Kreis.2o Diese Ablösung ist untrennbar verbunden mit einer Hinwendung zur umgebenden Kultur mit dem Ziele einer eindeutigen Identitätsbildung, in der sich individuelle Züge mit gruppen- und 17 Erdheim 1994, 197. 18 Zu dieser Definition vgl. Remschmidt 1992, 1f. 19Vgl. ibid. 20 Vgl. Bobleber 1996, 10, 22f. und 34 sowie Erdheim 1996, 97f.
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geschlechtsspezifischen Charakterzügen verbinden, das Individuum also eindeutig "vergesellschaftet" wird.21 Dieses Ziel der. Adoieszeilz, das im Dienste der Ich-Entwicklung und gesellschaftlichen Integration. des einzelnen steht, kann als transkulturell charakterisiert werden, · während · Dauer . der Adoleszenz und das Auftreten eines aggressiven Verhaltens ·des Adoleszenten:Adoleszenz also als Phase der Rebellion - von Kultur zu Kultur signifikante Unterschiede aufweisen können.22 · Ich-Entwicklung und Identitätstindung sind zentrale Aufgaben der Adoleszenz und können von einer biologischen und normativen Krise begleitet werdeß..23 Das Individuum muß sich im Verlaufe der Identitätstindung während der Adoleszenz den vorgegebenen Koordinaten seiner Existenz (z. B. Geschlecht, gesellschaftliche Schicht) anzupassen lernen und wird sich während dieser Phase verstärkt an Vorbildern, vor allem an den Eltern oder an elternähnlichen Bezugspersonen orientieren.24 Obwohl während der Adoleszenz eine "Entwertung" der Eltern stattfinden und die Elternbeziehung durch die Beziehung zu Gruppen Gleichaltriger (peer groups) ersetzt werden kann, bleibt die Familie in der Regel die wesentlichste Bezugsgruppe des Adoleszenten.25 So äußern Adoleszenten häufig Kritik an der Eltern-Generation an sich, jedoch selten an den eigenen Eltern.26 Gerade von der Psychoanalyse, aber auch von der älteren soziologischen Forschung ist die Adoleszenz auch als Phase des Sturm und Drangs, der Krise und der Subkultur definiert worden.27 Vor allem die Ethnopsychoanalyse der Züricher Schule hat Freuds These vom zweizeitigen Ansatz der psychosexuellen Entwicklung in Kindheit und Pubertät und dem mit ihm
21 Vgl. Bobleber 1996, 24 und Erikson 1959, 124. 22 Zur Selbstverwirklichung und Ich-Entwicklung als kulturiibergreifenden Aufgaben der Adoleszenz vgl. Remschmidt 1992, 102; zu Dauer der Adoleszenz und dem in ihr möglicherweise verstärkt auftretenden aggressivem Verhalten vgl. ibid., 1. Zur Adoleszenz als ubiquitär vorhandenem biologischen Faktum und gegen die These von der Adoleszenz als "Erfindung" moderner Gesellschaften, vertreten durch Aries 1975 und Gillis 1980, vgl. Erdheim 1994, 202: "Die Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklung und damit die Adoleszenz sind ... ein biologisches Faktum und treten in allen Kulturen auf. Aber die Kulturen können damit verschieden umgehen." 23 Vgl. Remschmidt 1992, 114 und Erikson 1979, 109. 24 Zur zugeschriebenen Identität, die auf gesellschaftlich vorgegebenen Kategorien basiert, vgl. Remschmidt 1992, 112. 25 Vgl. ibid., 113 und 128. Zum Einfluß der peer groups vgl. Hantover 1980, 88 und 92 sowie Kastner 1985, 138f. 26 Vgl. Remschmidt 1992, 133. 27 Vgl. Kastner 1985, 128ff. mit entsprechendem Forschungsüberblick.
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verbundenen kulturellen Fortschritt weiterentwickelt und die Adoleszenz als ,,Avantgarde des lndividuums"28 charakterisiert.29 Die Adoleszenz steht dieser Schule . zufolge im Zeichen der Ablösung von der Autorität der Eltern, insbesondere .von der des Vaters; der Adoleszent vollzieht im Dienste seiner Ide1ititätsfindung den Schritt hin zur Kultur.30 Hier ist wesentlich, daß von der Züricher Schule in Anlehnung an Freud die Familie, die das Kind allein im Sinne des für die Familie gültigen Weltbezuges formt, und die Kultur, die dazu tendiert, "durch die Entwicklung neuer ökonomischer, gesellschaftlicher und ideologischer Strukturen immer mehr Menschen aneinander zu binden",31 als Antagonistinnen begriffen werden, der Adoleszent sich also fast zwangsläufig in Widerspruch zur Generation der Eltern und der von ihnen vertretenen Nonnen begeben muß.32 Die Phase der Adoleszenz, entscheidend geprägt durch Größen- und Allmachtsphantasien des Adoleszenten,33 ist demnach prädestiniert für Äußerungen des Widerstandes bis hin zur Rebellion gegen tradierte gesellschaftliche Vorstellungen von Moral, Ethik, Religion, generell gesprochen für Äußerungen der Kulturkritik überhaupt.34 Betrachtet man also Geschichte auch als eine Geschichte von Generationskonflikten, kann die 28 Erdheim 1996, 86. 29 Zu Freuds Ansatz vgl. Freud 1905, 135: "Die Tatsache des zweizeitigen Ansatzes der Sexualentwicklung, also die Unterbrechung dieser Entwicklung durch die Latenzzeit ... scheint eine der Bedingungen für die Eignung des Menschen zur Entwicklung einer höheren Kultur (Hervorhebung von mir), aber auch für seine Neigung zur Neurose zu enthalten." 30 Vgl. Freud 1905, 128: "Gleichzeitig mit der Überwindung und Verwerfung dieser deutlich inzestuösen Phantasien wird eine der bedeutsamsten, aber auch schmerzhaftesten, psychischen Leistungen der Pubertätszeit vollzogen, die Ablösung von der Autorität der Eltern, durch welche erst der für den Kulturfortschritt so wichtige Gegensatz der neuen Generation zur alten geschaffen wird." Freud, der Psychoanalytiker und Arzt, unterscheidet in seinem Werk nicht zwischen Pubertät und Adoleszenz. 31 Erdheim 1994, 196. 32 Zum Antagonismus zwischen Familie und Kultur, zwischen konservativer Familien- und dynamischer Kulturstruktur vgl. Erdheim 1994, 197 und 208f., basierend auf Freud 1930, 462f., wo es heißt, "daß es eine der Hauptbestrebungen der Kultur ist, die Menschen zu großen Einheiten zusammenzuballen. Die Familie will aber das Individuum nicht freigeben.~. Die ... in der Kindheit allein bestehende Weise des Zusammenlebens wehrt sich, von der ... kulturellen abgelöst zu werden. Die Ablösung von der Familie wird für jeden Jugendlichen zu einer Aufgabe, bei deren Lösung ihn die Gesellschaft oft durch Pubertäts- und Aufnahmeriten unterstützt." 33 Zu Größen- und Allmachtsphantasien als Charakteristikum der Adoleszenz vgl. Erdheim 1994, 199f. 34 Zur "narzistischen Selbstaufblähung", die sich "in der Arroganz und Rebellion des Heranwachsenden sowie in seinem Widerstand gegen Gesetze und in seiner Missachtung der elterlichen Autorität gegenüber" zeige, vgl. Klosinski nach Erdheim 1994, 199.
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Adoleszenz auch als historische Größe definiert werden, da sie ein wesentlicher Motor der kulturellen wie gesellschaftlichen Entwicklung sein karin.35 So ist beispielsweise die Geschichte der Späten römischen Republik auch als Aufstand der adulescentes gegen die Gerontokratie der. patres, mit weitreichenden gesellschaftlichen, politischen und '-Virtschaftlichen Folgeil beschrieben worden.36 Im Gegensatz zur Psychoanalyse, die das Moment der Diskontinuität und des schöpferischen, innovativen Impulses im Verlaufe der Adoleszenz betont, heben klassische Psychologie und Soziologie das Element der Kontinuität im Verlaufe der Adoleszenz, die durch die Orientierung an elternähnlichen Vorbildern bzw. am "allgemeinen kulturellen Stereotyp der Männlichkeit", bedingt durch die häufige Absenz der Väter, gewährleistet wird, hervor,37 Man könnte in diesem Kontext in bezug auf Rom beispielsweise das gesellschaftlich verpflichtende Leitbild des pater anführen, das gerade die Kontinuität gesellschaftlicher Normen und Werte garantieren sollte.38 Ich werde mich im Verlaufe dieser Arbeit auf Ciceros Umgang mit den adulescentes seiner Zeit konzentrieren und der Frage nachgehen, welches der beiden oben vorgestellten Modelle am ehesten Gültigkeit für Ciceros Diskurse zum Thema adulescentia beanspruchen kann. Es handelt sich hier nicht um eine rein akademische Frage, denn je nach Modell ergäbe sich eine andere gesellschaftliche Festschreibung der adulescentia: Gehorchte in Rom die adulescentia dem Diktat der Kontinuität, dann wären von ihr keine gesellschaftlichen Impulse zu erwarten gewesen, sondern lediglich die erfolgreiche Aneignung der tradierten Normen der patres. Wiese dagegen die adulescentia zur Zeit Ciceros Tendenzen zur Abkehr von der Welt der patres und zur Rebellion gegen sie auf, dann könnte ein möglicherweise tiefgreifender Generationskonflikt skizziert werden, der entweder eine Antwort auf einschneidende gesellschaftliche Veränderungen oder aber erst deren Auslöser gewesen sein könnte. Adoleszenz kann im Kontext der vorgestellten Modelle von Kontinuitäüt und Diskontinuität entweder als Übergangsphase oder als eigenständige Phase interpretiert werden. Für eine Einordnung als Übergangsphase spricht die Defintion der Adoleszenz als Stadium des Übergangs zum Erwachsenenalter, 35 Vgl. Erdheim 1994, 193 und 197f. 36 So von Plescia 1976. V gl. auch Eyben 1982, 272 ("les adulescentes (-tuli), qui vers la fin de 1a Republique bou1eversent 1' etat"). Vgl. Remschmidt 1992, 194; zum "allgemeinen kulturellen Stereotyp der Männlichkeit" als Orientierungsmaßstab für den Adoleszenten vgl. ibid., 125 und Hantover, 1980, 91. 38 Zumpater vgl. S. 33ff. 37
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das gerade in industriellen Gesellschaften durch das Fehlen von Initiationsriten, also das Markieren voneinander getrennter Lebenschnitte aufgrund kulturell verbindlicher Riten, gekennzeichnet ist. Außerdem ziehen die immer komplexer werdenden gesellschaftlichen Strukturen die Verlängerung dieser Übergangsphase nach sich, in der die zunehmend differenzierterten Aufgaben uild Rollen des Erwachsenen erlernt werden müssen.39 Die Adoleszenz kann aber auch als eigenständige Phase mit spezifischen Verhaltensweisen, Normen, Rollenverhalten und Konflikten beschrieben wer<;len, als ein gesellschaftlich akzeptiertes "psychosoziales Moratorium", das allerdings aufgrund der Vielzahl der vom Adoleszenten zu bewältigenden Anforderungen (Identitäts- und gender-Findung, Berufs- und Partnerwahl) von "normativen Krisen" begleitet werden kann.40 Die Einordnung der römischen adulescentia der Späten Republik zwischen den Polen von Anpassung· und Rebellion wird zu leisten sein.
39 Vgl. Remschmidt 1992, 5f. 40 Vgl. ibid., 6; zur Beschreibung der Adoleszenz als psychosozialem Moratorium vgl. Erikson 1979, 137f.: "Man kann diese Periode als ein psychosoziales Moratorium bezeichnen, während dessen der Mensch durch freies Rollen-Eperimentieren sich in irgendeinem der Sektoren der Gesellschaft seinen Platz sucht, eine Nische, die fest umrissen und doch wie einzig für ihn gemacht ist." Zur Kritik an Eriksons Identitätstheorie vgl. Kastner 1985, 145ff. Zu dem Begriff der "normativen Krisen" vgl. Remschmidt 1992, 114.
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1. 3. Das römische Modell: adulescentia zwischen Integration und Segregation Die moderne Adoleszenzforschung hat sich nur am Rande ·in Förrit von unzulässigen Verallgemeinerungen mit etwa vorhandenen römischen Vorstellungen von Adoleszenz auseinandergesetzt.41 Im Bereich der Altertumswissenschaften existieren dagegen abgesehen von der Arbeit v.on Neraudau, die sich allerdings auf das archaische und klassische Rom bis 200 v. Chr. konzentriert und für mich schon allein deshalb nur von marginaler Bedeutung sein kann,42 mit den Arbeiten von Eyben und Kleijwegt zwei breit angelegte Studien zur antiken Adoleszenz.43 Während Eyben diachron die adulescentia bzw. iuventus, deren Bedeutungen für Eyben deckungsgleich sind,44 von 200 v. Chr. bis 500 n. Chr. in allen Aspekten ihres familiären, sozialen und kulturellen Seins mit Konzentration auf literarische Quellen untersucht, wählt Kleijwegt einen synchronen Zugriff, wenn er die antike Jugend in Griechenland und Rom - hier mit Konzentration vor allem auf epigraphische Zeugnisse des Prinzipats - unter Zuhilfenahme der Thesen von Mead und Aries erforscht.45 Eyben definiert die adulescentia/iuventus als spezifische und autonome Phase mit klar bestimmten Grenzen: Den Eintritt in die adulescentia habe das Anlegen
41 Vgl. Remschmidt 1992, 8: "Im römischen Reich sind entsprechend der starken Anlehnung an die griechische Kultur keine prinzipiellen Unterschiede festzustellen." 42 Der Titel von Neraudau - "La jeunesse dans Ia litterature et les institutions de Ia Rome republicaine" - ist irreführend, weil die Jugend der Späten Republzk kaum Thema der Untersuchung ist; vgl. Eyben 1982, 270. Die weiteren Mängel der Arbeit in bibliographischer, text- und quellenkritischer Hinsicht werden in Eybens Rezension von 1982, 266, Anm. 3 aufgelistet. Neraudau vertritt, ausgehend von der Heeresreform des Servius Tullius, die eine classis der iuvenms (= equites) erstmals festschrieb, die These, daß die römische iuvenms eine "classe d'age" gewesen sei, "dotee de droits et de devoirs, coherente et distincte de l'emsemble de citoyens." (Neraudau 1979, 353). Die Begriffe "iuvenis" und "eques" seien synonym; vgl. ibid., 252, 285f. Dies ergäbe eine Alterspanne der römischen Jugend von siebzehn bis sechsundvierzig(!) Jahren, eine Vorstellung, der sowohl die antiken Zeugnisse, etwa die Altersklassiftzierungen (vgl. S. 31, Anm. 89) als auch der Sprachgebrauch eines Cicero (vgl. S. l71f.) widersprechen. 43 Eyben 1977 und Kleijwegt 1991. Eyben 1993 wiederholt im wesentlichen die Aussagen von Eyben 1977; vgl. die Rezension von Meadows 1993, 1. 44 Vgl. Eyben 1977, 597. 45 Die für meine Untersuchung wesentlichen Aussagen von Eyben und Kleijwegt werde ich ausführlicher im entsprechenden Kontext berücksichtigen.
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der toga virilis im Alter von zwölfbis vierzehn Jahren markiert, deren Ende der Eintritt in den cursus honorum mit dreißig Jahren.46 Eyben folgt also der Auffassung, daß die Adoleszenz eigene Regeln, Normen, Verhaltensweisen und Ge~etze besitzt, dte sich vom Stadium der Kindheit einerseits, dem Stadium des Erwachset).enseins andererseits grundlegend unterscheiden.47 Er beschreibt in indirekter Anlehnung an Eriksm1 und in diesem Kontext vor allem gestützt auf Ciceros Cae/iana die adulescentia/iuventus als ein psychosoziales Moratorium, das dem adulescensliuvenis große gesellschaftliche Freiheiten gewährt und deshalb einen krisenhaften Verlauf genommen habe.48 Auch habe die römische Gesellschaft den adulescens/iuvenis nicht ernst genommen und ihm deshalb keinerlei politische oder soziale Verantwortung übertragen.49 Charakteristika der adulescentialiuventus seien aus diesem Grunde ihre ferocitas und ihre Neigung zu privaten und öffentlichen Exzessen gewesen, da sie keinerlei gesellschaftliche Sanktionen zu befürchten gehabt habe.so In bezug auf die Auswahl von Vorbildern habe für die adulescentes der pater, leiblich wie symbolisch, keinerlei Rolle gespielt, die adulescentes hätten sich vielmehr an erfolgreichen Politikern und Philosophen, im Prinzipat insbesondere an Seneca, orientiert.51 Aufgabe der adulescentia sei die Entscheidung zwischen virtus und voluptatesllibidines, also die Vorbereitung auf eine erfolgreiche gesellschaftliche Einordnung gewesen.52 Der römische adulescens der Oberschicht habe hier vor allem eine Karriere als Redner und/oder Politiker angestrebt. 53 Die römische Gesellschaft habe im übrigen mit Ausnahme Ciceros die Phase der adulescentia grundsätzlich negativ beurteilt. 54 Allerdings darf die 46 Vgl. Eyben 1977, 92ff. und 601. 47 Vgl. ibid., 595. 48 Zu Eriksons Identitätstheorie vgl. S. 19, Anm. 40; zu den neuen Freiheiten des adulescens vgl. Eyben 1977, 82fT. und Eyben 1993, 81 ff. Eyben stützt sich gerade in seiner Definition der adulescentia als Phase der Freiräume auf die Caeliana; vgl. Eyben 1977, 74 und 93f., er erwähnt Eriksons Definition der Adoleszenz als "psychosozialem Moratorium" allerdings nicht. Der Begriff der "Krise" selbst wird von Eyben nicht definiert; vgl. Meadows 1993, 1. 49 Vgl. ibid., 93f. 50 Zur ferocitas als Signum der adulescentia vgl. ibid., 28f. und 597, zu der Neigung zu Exzessen vgl. ibid., 601. 51 Vgl. ibid., 526 zumpaterund 621 zu Senecas Vorbildfunktion. Ähnlich Eyben 1993, 222f. 52 Vgl. ibid., 70f. 53 Vgl. ibid., 254ff. und 292ft: 54 Vgl. ibid., 624: "The Romans had too negative a vision of youth and underrated the intluence of this age on later life." und Eyben 1993, 39, hier allerdings vor allem fußend auf den Aussagen von Aristoteles(!) und Horaz. Zur Ausnahme Cicero vgl. Eyben 1977, 79f. und Eyben 1993, 52fT. mit Konzentration auf Ciceros und Caesars Einfluß auf die jungen Männer ihrer Zeit.
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Haltung Ciceros der adulescentia gegenüber meiner Auffassung nach nicht als Ausnahme gelten, sondern als Novum, das indesseri ·auf eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz hoffen durfte, also als ein Ergebnis · der sich wandelnden Normen und Werte der spätrepublikanischen herrschenden Schicht gewertet werden kann.55 Meine Arbeit wird versuchen, dieses Novum nachzuzeichnen. ·· · Kleijwegt hat Eybens Ansatz zu Recht in einem wesentlichen Punkt kritisiert. So legt das Quellenmaterial keinesfalls nahe, daß in Rom die adulescentia mit Eintritt in den cursus honorum beendet gewesen ist.56 Auch habe Eyben unreflektiert a pnon moderne Adoleszenz mit antiker adulescentia gleichgesetzt, ohne diese Gleichsetzung durch· antike Aussagen begründen zu können. 57 Eybens Aussagen sind auch in weiteren Punkten anfechtbar, insbesondere in der Gleichsetzung der Begriffe adulescens und iuvenis sowie der Negierung der Vorbildfunktion des pater, eine These, die Kleijwegt mit dem abstrusen Argument, daß Vatermord in Rom ein häufiges Delikt gewesen sei, im übrigen übernommen hat.58 Eyben wie Kleijwegt unterschätzen die Bedeutung der 55 Zur Repräsentativität Ciceros vgl. S. 76f. Ciceros Denken stellt nicht nur in bezug auf das Konzept "adulescentia" einen Wendepunkt dar, sondern auch hinsichtlich des Diskurses über die Rache, geübt auf demforom qua Anklagepraxis, wie Thomas 1989, 86 gezeigt hat, der hier den Aspekt der humanitas betont, den erst Cicero in die Rede(n) des forom eingeführt habe. Der Aspekt der humanitas beeinflußt gerade in der Späten Republik auch das Bild des Verhältnisses zwischen alten undjungen Männem; vgl. S. 124f. und S. 166. 56 Vgl. Kleijwegt 1991, 55f. mit entsprechenden Belegen. 57 Vgl. ibid., 52f. 58 Cicero legt den Begriffen adulescens und iuvenis zumindest in der Caeliana gegensätzliche Verhaltensmuster unter; vgl. S. 123 nebst Anm. 455 und 456. Zur Behauptung Kleijwegts, daß Vatermord in der römischen Gesellschaft häufig gewesen sei, ohne allerdings entsprechende Belege anzuführen, vgl. Kleijwegt 1991, 65. Die plautinischen Komödien spielen zwar mit diesem Topos, beispielsweise Plaut. Most. 233fund Pseud. 660f., können jedoch genrebedingt keinesfalls als historische Quelle dienen. Rom als "patrist society'' konnte das parricidium nicht dulden: "Of course father-son conflict is a universal psychological configuration, Freud's Oedipus complex being its most famous formulation. But it is of significance that in the Roman version ... it is the father who prevails." (Segal 1976, 138) In Ciceros Rhetorik steht parricidium für den gesellschaftlichen Tabubruch in jeder Beziehung, vollzogen durch die Außenseiter und Feinde der staatlichen Ordnung, der patria; vgl. Cic. Sull. 76: "penitus introspicite Catilinae, Autroni, Cethegi, Lentuli ceterorumque mentis; quas vos in his libidines, quae flagitia, quas turpitudines, quantas audacias, quam incredibilis furores, quas notas facinorum, quae indicia parricidiorom (Hervorhebung von mir), quantos acervos seelerum reperietis!" und Cic. Rose. 68: "haec magnitudo malefici facit, ut, nisi paene manifestum parricidium proferatur, credibile non sit, nisi turpis adulescentia,
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pater-lmago für das römische Selbstverständnis, die in engem Zusammenhang mit der Wahl des Mentors für das tirocinium fori, das seinerseits meiner Auffassung nach wiederum als eigentliche Schule der Männlichkeit in Rom gelten muß, stel}t.59 Diese systemintegrierende Funktion des tirocinium fori selbst wird weder von Eybennoch von Kleijwegt erkannt. Im Gegensatz zu Eyben und in Anlehnung an die These von Aries, daß "Jugend'' und mit ihr "Adoleszenz" eine Schöpfung des Bürgertums des 19. Jahrhunderts gewesen sei, geht Kleijwegt davon aus, daß die römische Gesellschaft wie andere praeindustrielle Gesellschaften Jugend und Erwachsensein nicht voneinander gesondert habe.60 Als einziges, gesellschaftlich verpflichtendes Verhaltensmodell habe das des erwachsenen Mannes gegolten.61 Deshalb seien mit Anlegen der toga virilis junge Männer früh in gesellschaftliche Pflichten und Ämter (Vigitintivirat, Fetialen, Vorsteher des Heimatmunicipium) eingebunden worden; für das Ausleben altersspezifischer Freiräume sei deshalb kaum Platz vorhanden gewesen.62 Das Ende der adulescentia sei im übrigen nicht mit dem Beginn des cursus honorum gleichzusetzen. Kleijwegts Ansatz reflektiert also die Perspektive der Adoleszenzforschung, die den Aspekt der Kontinuität betont und die Adoleszenz als notwendige Vorbereitung auf den Status des Erwachsenen beschreibt. Die Darstellung der adulescentia und einzelner adulescentes durch Cicero wird von Kleijwegt, da er sich auf den Prinzipat konzentriert, nur am Rande, von Eyben vor allem im Zusammenhang mit der Caeltana berücksichtigt. Eybens Interpretation von Ciceros Plädoyer für C±lius bedarf allerdings einiger Korrekturen insbesondere in bezug auf die cic ronianische Begrifflichkeit, die ich in meiner Deutung dieser Rede anbringen erde.63 1
nisi omnibus flagitiis vita inquinata, nisi sumptus effusi cum probro atque dedecore, nisi prorupta audacia, nisi tanta temeritas ut non procul abhorreat ab insania." Schon diese zwei Textstellen machen deutlich, daß das parricidium das kaum denkbare Ausnahmeverbrechen darstellt. Ciceros Formulierung "turpis adulescentia" darf im übrigen kaum als Indiz dafür gelten, daß adulescentes reihenweise zu Vatermördern wurden. Aus der Republik ist kein Fall eines tatsächlich erfolgten parricidium- Cicero arbeitet im rhetorischen Kontext immer mit Vermutungen- bekannt. Sextus Roscius wurde bekanntlich vom Vorwurf des Vatermordes freigesprochen 59 Zur Funktion des tirocinium fori vgl. S. 173ff. 60 Vgl. Kleijwegt 1991 , 56. 61 Vgl. ibid., 50. Ähnlich paradoxerweise Eyben 1977, 64 zum Ideal des puer senilis im Prinzipat. 62 Zur Quasi-Ämterlautbahn der adulescentes vgl. Kleijwegt 1991, 191 ff. 63 Vgl. zur Begrifflichkeit Ciceros in der Caeliana S. 170f.
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Zunächst gilt es jedoch, einen Überblick zu den Forschungsansätzen zu Männlichkeit und Geschichte mit besonderer Konzentration auf Rom zu geben, da die Adoleszenzladulescentia immer im Kontext von Virilität zu betrachten ist.
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II. (RÖMISCHE) MÄNNLICHKEIT UND GESCHICHTE ,,Mannsein und Männlichkeit haften nicht primär am Körper, sondern es sind kulturelle Konstrukte, die große soziale Differenzierungen und zeitlichräumliche Variationen aufweisen. Genau fiir die das macht sie Geschichtswissenschaft interessant." Ute Frevert64
2. 1. Theoretische Ansätze Nur wenige Tatsachen bestimmen das Dasein des Menschen so stark wie das Schicksal seiner Geschlechtszugehörigkeit.65 Deshalb muß in Kindheit und Jugend vor allem die Geschlechtsrolle erlernt und internalisiert werden, um als Mitglied einer Gesellschaft anerkannt zu werden. Die Inhalte der männlichen und der weiblichen Rolle scheinen im wesentlichen von den Aufgaben abgeleitet zu sein, die Männer und Frauen im Bereich von Fortpflanzung und Familienerhalt übernehmen müssen. Fast alle Gesellschaften fordern also von ihren Frauen Monogamie, Häuslichkeit, Zärtlichkeit, Treue, Hingabe und Passivität, während den Männern hingegen Zeugung und Versorgung der Nachkommen sowie der Schutz von Familie und Gemeinschaft obliegt,66 Dementsprechend müssen sie initiativ handeln, die Interessen der Familie nach
64 Frevert 199la, 42.
65 Vgl. Millett 1985,46. 66 Zu den sozialen Konsequenzen des biologischen Unterschiedes vgl. Wickler/Seiht 1983, 147ff. Daß auch in der römischen Antike Frauen vor allem qua deren Status als Ehefrau und Mutter wahrgenommen und beschrieben wurden, wobei ein bestimmter Katalog von WeiblichenTugenden gefordert wurde, zeigen so verschiedene Quellen wie Grabinschriften, historische Darstellungen von Frauen z. B. durch Livius und Tacitus und philosophische Abhandlungen wie etwa Plutarchs coniuga/ia praecepta. Auch die römische exemp/aLiteratur eines Valerius Maximus oder Aulus Gellius legt Zeugnis hierfür ab. Zur Darstellung der römischen matrona allgemein vgl. Pomeroy 1985, 227ft:
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außen hin vertreten und deshalb über ein gewisses Maß an Aggression verfügen können.67 Diese Scheidung der Aufgabenbereiche impliziert eine Trennung der Räume von Frau und Mann in "privat" und "öffentlich", in "Natur" lind ,;Kultur", .in "aktiv" und "passiv",68 Natürlich ist die vorgeblich private Sphäre der Familie immer auch politisch und damit öffentlich, da gerade in ihr ·.die gesellschaftlichen Traditionen und Normen erlernt, gelebt und weitergegeben werden. Die Ideologie der Geschlechter verweist die Frauen auf den häuslichen Bereich, der als privat charakterisiert wird, um eine Gefahrdung des männlichen Raumes auszuschließen. Spuren dieser Ideologie finden sich bereits in den Zeugnissen der Antike, insbesondere bei den Historikern, etwa in Tacitus' Kritik an den Frauen der domus principis wie z. B. Livia, Agrippina maior und minor, 69 deren politische Ambitionen scheinbar eine weibliche Bedrohung der als männlich gedachten Domäne ,,Herrschaft" darstellen, 70 scheinbar weiblich deshalb, weil an sich es Sache des Mannes ist, die Frau in ihren Schranken zu halten.7I
Gilmore 1991 bietet eine Fülle an Beispielen für die o. g. Eigenschaftsmuster. Zur imperativen Triade Erzeuger-Versorger-Beschützer vgl. Gilmore 1991, 245. 68 Zu dieser Trennung vgl. Erdheim 1994, 212. 69 Agrippina maior, Frau des Germanicus, wird von Tacitus nur dann getadelt, wenn sie das Maß des Weiblichen überschreitet; vgl. Tac. ann. I, 33; 3: "atque ipsa Agrippina paulo commotior, nisi quod castitate et mariti amore quamvis indomitum animum (Hervorhebung von mir) in bonum vertebat." und 111, I, 1: "(Agrippina) violenta luctu et nescia tolerandi". Livia und Agrippina minor werden gerade wegen ihrer Einmischung in die männliche Sphäre des Politischen harsch verurteilt; zu Livia vgl. Tac. ann. I, 10, 5: "Livia gravis in rem publicam mater, gravis domui Caesarum noverca" und N, 12, 4: "anum suapte natura potelitiae anxiam"; zu Agrippina minor vgl. Tac. ann. XII, 7, 3: "Versa ex eo civitas, et cuncta feminae oboediebant, non per lasciviam,ut Messalina, rebus Romanis illudenti: adductum et quasi virile servitium... " Zur taciteischen Frauendarstellung allgemein vgl. Späth 1994 pass. 69 Die Betonung der Polarität der Geschlechter ist im übrigen auch integraler Bestandteil des Ende des achtzehnten Jahrhunderts entstandenen bürgerlichen Wertesystems: ,,Den als Kontrastprogramm konzipierten psychischen zufolge ist der Mann für den öffentlichen, die Frau für den häuslichen Bereich von der Natur prädestiniert. Bestimmung und zugleich Fähigkeiten des Mannes verweisen auf die gesellschaftliche Produktion, die der Frau auf die private Reproduktion. Als immer wiederkehrende zentrale Merkmale werden beim Mann die Aktivität und Rationalität, bei der Frau die Passivität und Emotionalität hervorgehoben, wobei sich das Begriffspaar AktivitätPassivität vom Geschlechtsakt, Rationalität und Emotionalität vom sozialen Bezugsfeld herleiten." (Hausen 1976, 368) 71 Vgl. Tac. ann. Ill, 34, 5: "nam viri in eo culpam (Hervorhebung von mir), si femina modum excedat." 67
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Die Inhalte der Geschlechtsrollen, zunächst vor allem komplementär zueinander, können - möglicherweise als Ergebnis einer fortschreitenden Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern - an Polarität bis hin zur Unvereinbarkeit gewinnen, wobei dem Männlichen im wesentlichen "positive", dem ·Weiblichen im wesentlichen "negative" Eigenschaften zugeschrieben werden.72 Diese BündeJung positiv konnotierter "männlicher" Eigenschaften auf der einen und negativ konnotierter "weiblicher" Eigenschaften auf der anderen Seite impliziert eine Asymmetrie und zwangsläufig eine Hierarchie der Geschlechter;73 sie läßt außerdem voneinander abhängige imagines von "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" entstehen, die gesellschaftlich verpflichtend sind und deren Stabilität in wesentlichem Maße zum Erhalt einer Gesellschaft beiträgt. 74 Gerade "Weiblichkeit" ist von der Frauengeschichte als männliches kulturelles Konstrukt entlarvt worden, das Frauen in der Mutternolle festschreibt, um einen weiblichen Einbruch in männliche Domänen verhindem zu können.75 72 Die menschliche Wahrnehmung und das menschliche Denken unterliegen vor allem einer dualistischen Organisation, vgl. Smits 1995,12f. Der Dualismus Männlich/Weiblich ist hier beherrschend; vgl. hierzu Tyrell 1989, 71: "Die physiologische Geschlechtsdifferenz bietet sich für eine spezifisch binäre Klassifikation in unvergleichlicher Weise an ..." So haben bereits z. B. die Pythagoreer dem Weiblichen und dem Männlichen die Gegensatzpaare dunkel/hell, schlecht/gut, kalt/warm, krumm/gerade, links/rechts zugeordnet; vgl. Smits 1995, 18. Zu dieser Polarisierung vgl. auch Millett 1985, 40f. 73 Vgl. Kühne 1996, 13: "(Das polare Geschlechtersystem) ist nicht symmetrisch, sondern asymmetrisch konfiguriert. Weiblichen Defiziten stehen in seinen Kodierungen männliche Überlegenheiten gegenüber. Männlichkeit und Weiblichkeit stehen nicht parataktisch nebeneinander, sondern hypotaktisch über- und untereinander." Zur Asymmetrie der Geschlechter in der griechisch-römischen Antike vgl. Blok 1987. Stellvertretend für die zahlreichen antiken Texte, die das Ungleichgewicht der Geschlechter betonen, sei Anstoteies zitiert: "Desgleichen ist das Verhältnis des Männlichen zum Weiblichen von Natur so, daß das eine besser, das andere geringer ist, und das eine regiert und das andere regiert wird." (Arist. Pol. 1254 b, 13f.). 74 Zur gesellschaftsstabilisierenden Funktion der Geschlechterrollen vgl. Bock 1983, 36, Blok 1987, 40f. und Gilmore 1991, 9f. 75 Die Einsicht, daß "Geschlecht" nicht allein eine biologische Tatsache ("sex") ist, sondern auch ein soziales Schicksal ("gender") impliziert, ist der Frauenforschung zu verdanken. Eine Auseinandersetzung mit den sozialen, kulturellen und symbolischen Dimensionen des Gender-Konzeptsbietet Dietzen 1993 pass. Antike Konzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit und deren Asymmetrie analysiert Blok 1987, 40: " ... the meanings ascribed to masculinity and feminity are by no rneans ... selfevident. .. these concepts were indeed directly correlated with and in part defined by values and representations of a remarkably different kind ... ".
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Untersuchungen zur EntstehWlg und Perpetuierung von Männlichkeitsvorstellungen stellen dagegen eher noch Ausnahmen dar. 76 Sie stammen hauptsächlich aus dem angloamerikanischen Raum und konzentrieren sich inhaltlich insbesondere auf die Neuzeit und die Gegenwartsgeschi<#e,77 Männergeschichte begreift Virilität nicht als monolithische, an und :fiir sich seiende Konstante historischen Geschehens, sondern sie geht. in explizitem Rückgriff auf die Ergebnisse der Frauengeschichte · davon aus, daß "Männlichkeit" wie "Weiblichkeit" gesellschaftliche Konstrukte sind, die dem historischen Wandel W1terliegen.78 Sie betont außerdem die Instabilität der männlichen Identität, die sich stets vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen beobachten läßt, und deren Abhängigkeit von gesellschaftlichen Hierarchien und Vorstellungen von Weiblichkeit.79 So können gesellschaftliche Krisen und Umbrüche zu einer Neudefinition insbesondere männlicher Rollen führen: Hier lässt sich zwangsläufig an das Rom der Späten Republik denken, in dem weitreichende soziale Wld politische Veränderungen stattfanden- Führten diese Umwälzungen auch zu einer Veränderung des Bildes/der Bilder von Virilität? Die Neu- oder erneute Defmition männlichen Verhaltens stellt vor allem den Versuch der Abgrenzung und Identitätswahrungangesichts einer als bedrohlich empfundenen Umwelt dar. So hat beispielsweise Kimme! männliche Reaktionen auf die gesellschaftlichen Umwälzungen im Sog der Englischen bzw. Amerikanischen Revolution untersucht und für beide Fälle dieselben männlichen Reaktionsmuster festgestellt: den antifeminist backlash, der Zuflucht zu den ,,natürlichen" Unterschieden zwischen Mann. und Frau sucht, den promale backlash, der eine Art Hypervirilität propagiert, und, am 76 Zu diesen Ausnahmen zählen im deutschsprachigen Raum v. a. die Arbeiten Freverts. Zu den Gründen fiir die lang aufgeschobene Suche nach dem ersten "Geschlecht" vgl. Frevert 1991a. 77 Vgl. die bei Brod 1987 gesammelten Arbeiten, die einen repräsentativen Querschnitt der anglo-amerikanischen Interpretationsansätze darstellen dürften. Ähnliches gilt in bezug auf den deutschsprachigen Raum fiir die in Kühne 1996 veröffentlichten Arbeiten. Sowohl die angloamerikanische als auch die deutschsprachige Forschung konzentrieren sich auf die Neuzeit. 78 Auch in den Altertumswissenschaften ging der Impuls, männliche Verhaltensweisen und Rollen zu untersuchen, von der Frauengeschichte aus; vgl. Foxhall1999, 1f. 79 Vgl. Kühne 1996,26: "Mann-Sein bedeutet Abgrenzung- gegen Frauen und Weiblichkeit, aber auch gegen andere Männer... Macht von Männern über Frauen konstituiert männliche Identität und die Erfahrung von Männlichkeit. Aber auch das Verhältnis von Männern und Männern ist nicht gleichrangig, und ebensowenig das verschiedener Männlichkeitsideale in einer Zeit und einem Raum. Mannsein ist untrennbar verbunden mit Hierarchien und mit Hegemonien."
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erstaunlichsten, den Typus des profeminist man, der das Männliche durch das Weibliche gleichsam zu veredeln sucht.SO Ähnlich hat Frevert das Duell als männliches Abgrenzungsritual gegen die schleichende "Feminisierung" der bürgerlichen . Gesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts interpretiert und weiterhin. für das fin de siecle und die Vorkriegsjahre festgestellt, "(daß offenbar)... ein großer Bedarf an Zeichen (bestand), die dem ,männlichen' Charakter Ausdruck verschafften und ihm jene Eindeutigkeit und Geschlossenheit verliehen, die in einer als halbherzig, unbestimmt und ,feminisiert' empfundenen, sich unerhört rasch verändernden sozialen Umwelt einen häufig heftig ersehnten Kontrapunkt darstellten."81 Natürlich hat die Geschichtsschreibung und mit ihr die traditionelle Geschichtswissenschaft Männer und männliches Agieren immer wieder in das Zentrum ihrer Darstellung gerückt. Kaum wurde jedoch die Kategorie "Mann" hinterfragt, die Kategorie also, der betrachtendes Subjekt und betrachtetes Objekt angehörten.S2 Erst die Einführung der Kategorie "Geschlecht" in den historischen Diskurs ermöglichte es, die erkenntnistheoretisch stets implizit gedachte Gleichsetzung Mann/Mensch83 aufzubrechen und die für die Auseinandersetzung mit patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen eigentlich wesentliche Frage nach dem Zustandekommen und den Kriterien von MannsBildern zu stellen.S4 So wird Männergeschichte selbst, wenn sie Individuen untersucht, sich auf die Normen konzentrieren, die das Individuum als Mann handeln läßt. Die möglichen Funktionen, die dieses Individuum etwa als Vater, Ehemann, Politiker, etc. ausüben kann, werden vor dem Hintergrund der für seine Gesellschaft und für es selbst geltenden Anforderungen an Virilität interpretiert. Die möglichen männlichen Rollen stellen also Teilaspekte eines männlichen Bildes dar, das es zusammenzufügen gilt. Das männliche Bild ist nicht nur für die Männer einer Gesellschaft verpflichtend, sondern es birgt auch weitreichende Konsequenzen für das weibliche Bild, da die männlichen Normen als allgemein menschliche gesetzt werden und Weiblichkeit vom männlichen 80 Vgl. Kimme11987, 143ff. 81 Vgl. Frevert 1995, 264fT.; Zitat ibid., 296. 82 Vgl. in bezugauf die Antike Foxhall1999, 1: "The history of classical antiquity is a history of men, though it is never studied that way. We have been taught to see it as the history of Western civilization, not simply as a history, one of many strands of a broader classical past, which makes us what we are today." 83 Zur Gleichsetzung von "Mann" und "Mensch" vgl. Millett 1985, 68. 84 Die Gleichsetzung der Begriffe "Mann" und "Mensch" ist keineswegs aus der modernen Geschichtsbetrachtung der Antike verschwunden. So umfaßt die Aufsatzsammlung "Der Mensch in der römischen Antike" von Giardina nur Essays zu männlichen Rollen und Funktionen in Rom; vgl. Giardina 1998, pass.
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Blick meist nur noch als defizitäre Männlichkeit wahrgenommen werden kann.85 Untersuchungen von Virilität in verschiedenen Kulturen richten ihr Augenmerk zunächst auf die Erziehung zum Mann, dann auf die Inhalte, ·welche die männliche Rolle umfassen kann. In diesem Kontext .~;ind Vorhandensein ·und Form möglicher Initiationsriten von zentraler Bedeutung. So ·gibt ·es Gesellschaften, die ihren Männem strenge Initiationsriten auferlegen, und andere, die durch scheinbare Abwesenheit von Initiationsriten gekennzeichnet sind. Das Fehlen von streng gekennzeichneten Übergängen zwischen Kindheit und Männlichkeit bedeutet jedoch nicht, daß nicht bestimmte Verhaltensweisen von Jungen von Beginn der Pubertät an gefordert würden, etwa das klaglose Ertragen von Schmerz, der Mut zur Aggression und die Teilnahme an männlichen Gruppenaktivitäten.S6 Während die Frage nach möglichen Initiationsriten am ehesten von Anthropologie und Ethnologie beantwortet werden kann, sind Formen der Erziehung zum Mann und die Herausarbeitung von Virilitätsvorstellungen Thema von Sozial- und Mentalitätsgeschichte, Soziologie, (historischer) Anthropologie, Psychologie und angrenzender Disziplinen wie etwa der Ethnopsychoanalyse. Natürlich können gerade in der Diskussion um Entstehen und Inhalte männlicher (und weiblicher) Rollen die Disziplinen nicht streng voneinander getrennt werden. Es sind im Gegenteil meist facheruhergreifende Ansätze gefordert; so nutzt die Historikenn Frevert in ihrer Interpretation des Duells den Habitus-Begriff Bourdieus, und so versucht der Anthropologe Gilmore die Formung des männlichen Selbst u. a. unter Zuhilfenahme des psychoanalytischen Begriffs der Regression bzw. des Regressionswunsches zu erklären. Die psychoanalytische Diskussion fußt im wesentlichen auf Freuds Arbeiten zum Ödipus-Komplex, zur Sexualentwicklung während der Pubertät und zur weiblichen Sexualität.S7
85 Vgl. Dietzen 1993, 65ff. zu den Konstitutionsmodellen von Weiblichkeit. Nicht nur symbolisch, sondern tatsächlich defizitär präsentiert sich Weiblichkeit in Freuds Theorie zum Kastrationskomplex, der zufolge der biologische Unterschied die psychische Ungleichheit evoziert; vgl. Freud 1925. 86 Beispiele für den ersten Typus wären etwa die Samburu und die Sambia (vgl. Gilmore 1991, 137ft'. und 161ft'.), für den zweiten Andalusien und die modernen westeuropäischen Gesellschaften (vgl. ibid., 33ff.). Zu den von Pubertät an geforderten männlichen Verhaltensweisen vgl. Doyle 1984, 144ff. Daß gerade in postindustriellen Gesellschaften das individuelle Bedürfnis nach streng gekennzeichneten Übergängen zwischen Kindheit und männlichen Erwachsensein besteht, zeigt Bettelheim 1990 pass. 87 Vgl. Frevert 1995, 338, Anm. 19 und Gilmore 1991, 250ft'. Wegweisend in der Anthropologie war Mead 1958, in der Ethnopsychoanalyse das Werk von Devereux.
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Meine Arbeit unternimmt den Versuch, Vorstellungen von Adoleszenzladulescentia in der Späten Römischen Republik zu rekonstruieren. Die . von der Männergeschichte aufgezeigten Möglichkeiten, den Monolith "Männlichkeit" aufzubrechen, will ich insofern nutzen, als ich einige ihrer zentralen . Leitfragen zum Ausgangspunkt meiner Interpretation machen werde. Die Männergeschichte hat gezeigt, daß gerade während der Phase der Adoleszenz das männliche Selbst die Rituale und Leitbilder erlernen muß, die den gesellschaftlichen Umgang mit den Angehörigen des eigenen und des anderen Geschlechtes bestimmen. Wie sah die Erziehung zum Mann im Rom der Späten Republik aus, einer Gesellschaft mit "Virilitätskomplex"88, einer Gesellschaft, die ihren Männem, und nur ihnen, eine relativ lange Phase der Adoleszenz, nämlich ungefähr vom fünfzehnten bis zum dreißigsten Lebensjahr, zugestand?89 Mit welchen Mustern männlichen und weiblichen Verhaltens sah sich der adulescens konfrontiert, welche Regeln bestimmten den Umgang zwischen Männern und Frauen, den Umgang von Männem unter sich? Wie sahen die männlichen Hierarchien aus, und wie funktionierten sie? Man könnte hier im Sinne Späths (1994) vor allem von einer intra-gender-Analyse sprechen. Allerdings versucht Späth, die Allgegenwärtigkeit der pater-Imago in den Geschlechterbeziehungen im frühen Prinzipat anhand der Annalen des Zur psychoanalytischen Deutung vgl. Freud 1905, 1925 und 1931. Im übrigen war sich Freud bereits darüber bewußt, ,.daß die Begriffe männlich und weiblich ... in der Wissenschaft zu den verworrensten gehören... (Die Beobachtung der wirklich existierenden männlichen und weiblichen Individuen) ergibt für den Menschen, daß weder im psychologischen noch im biologischen Sinne eine reine Männlichkeit oder Weiblichkeit gefunden wird. Jede Einzelperson weist vielmehr eine Vermengung ihres biologischen Geschlechtscharakters mit biologischen Zügen des anderen Geschlechts und eine Vereinigung von Aktivität und Passivität (erstere als ,.männlich", letztere als ,.weiblich" interpretiert, d. V.) auf, sowohl insofern diese psychischen Charakterzüge von den biologischen abhängen als auch insoweit sie unabhängig von ihnen sind." (Freud 1905, 123f.) Der Psychoanalytiker Freud hat stets die relationalen und komplementären Züge bei der Entstehung und Festigung der männlichen wie weiblichen Geschlechtsidentität betont. In dieser Einschätzung steht er dem Soziologen Simmel nahe, der 1902 in "Weibliche Kultur" und 1911 in ,.Zur Philosophie der Geschlechter. Das Relative und das Absolute im Geschlechterproblem" die komplementäre Typologie der Geschlechtscharaktere rekonstruiert und insbesondere den relationalen Charakter des Männlichen hervorgehoben hat. Zu S immels Typologie vgl. Dietzen 1993, 61 ff. 88 Vgl. Deißmann-Merten 1989, 558. 89 Die Römer unterschieden nach Varro fünf Altersgruppen von je fünfzehn Jahren, puer (bis zum fünfzehnten Lebensjahr), adulescens (bis zum dreißigsten Lebensjahr), iuvenis (bis zum fünfundvierzigsten Lebensjahr), senior (bis zum sechzigsten Lebensjahr) und senex (bis zum fünfundsiebzigsten Lebensjahr); vgl. Varro ap. Cens. de die natali 14, 2 und Serv. ad Aen. V, 255. Zu den verschiedenen Altersstufen-Modellen in Rom vgl. am umfassendsten Eyben 1977, 7ff.
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Tacitus nachzuweisen; er nimmt also einen, wenn auch beherrschenden, Aspekt der männlichen Rolle zum Ausgangspunkt. Ich werde hingegen versuchen, eine Antwort auf die Frage zu geben, wie Männer. im Rom der Späten Republik zu Männem gemacht wurden. Erweist sich hier der patemale Aspekt als· einer unter vielen, oder nutzte Cicero gerade das Idealbild des paterinseinem Umgatig·mit und seinen Erziehungsversuchen von adulescentes? ·· ·
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2. 2. Virilität und römische Geschichte 1: Die Suche nach dempate~o
"Bürgerliche Werte und Vaterschaft, es brauchte ein eigenes Buch, um dieses Thema zu behandeln ... und vor allem versteht man wenig von der römischen Welt, von ihren Institutionen und ihrer Politik, bevor man nicht ihr wesentliches Merkmal verstanden hat: die Verherrlichung der Vaterschaft, die zur öffentlichen Norm erhoben wird." Yan Thomas9t
In der römischen Altertumswissenschaft ist vor allem eine männliche Rolle ausführlich dikutiert worden, die des pater. So ist beispielsweise von Späth die Rolle des pater im Zusammenhang mit Vorstellungen römischer Virilität thematisiert worden.92 Hier folgt die Forschung den Akzenten, die die Überlieferung gesetzt hat. Denn die römische Gesellschaft, scheint von ihren Vätern geradezu besessen gewesen zu sein. Ein gewichtiges Indiz hierfür ist zunächst die Institution der patria potestas, die in ihrer lebenslangen Dauer und ihrem ius vitae necisque kein Äquivalent in anderen antiken Gesellschaften besitzt.93 Die auetorilas despaterfamiliaswar keine Macht des Vaters, die sich nur auf den familiären Bereich erstreckte; sie besaß vielmehr Modellcharakter
90 patermeint hier nicht nur den genitor,
sondern eine männliche Rolle mit einem bestimmten Kanon von Eigenschaften. 91 Thomas 1996, 323. 92 Zuletzt von Späth 1994, 123ff. und 306ff. 93 Zu Wesen und Inhalt der patria potestas, "the fundamental institution underlying Roman institutions" (Lacey 1986, 123) vgl. u. a. Kaser 1938 und 1950, Sachers 1949 und 1953, Martin 1984, Lacey 1986 sowie Salier 1986. Die Literatur zur patria potestas ist zu umfangreich, als daß sie im einzelnen aufgefiihrt werden könnte. Ich möchte stattdessen auf Krauses Bibliographie 1992, 125- 132 ("Vater", "Väterliche Gewalt", "ius vitae necisque") verweisen. Einen ausgezeichneten Überblick über die Rechte des pater und die juristischen Veränderungen, denen das Institut der patria potestas unterworfen war, gibt Plescia 1976, 144ff.
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für die Herrschaftsausübung im staatlichen Bereich.94 So wurde die patria potestas gerade von den Juristen mit demimperiumder Magistrateverglichen.95 Das Prinzip der Patemalität war mehr als das Prinzip der bloßen biologischen Vaterschaft: Es war das Prinzip der römischen Gesellschaft an siCh; die siehin ihren Institutionen an dem pater und seiner potestas · orientierte .. Jhren adulescentes boten sich deshalb kaum Möglichkeiten der Abkehr vom Bilde. des pater-ihre Spielräume waren zunächst gering.96 Bilder vom pater spielten eine hervorragende Rolle auf allen Ebenen gesellschaftlichen und politischen Lebens: Hierfür legt nicht nur die Verehrung des genius patris Jamilias und der maiores, die auch als ,,Kodex und Botschaft"97 gleichsam als gesellschaftliches "Über-Ich"98 fungierten, Zeugnis ab, sondern auch das Kollegium des Senates, also das Gremium der patres conscripti, in dem sich das gesamte politische Wissen und Potential der römischen Gerontokratie verkörperte. Cicero wurde nach Aufdeckung und Beendigung der Catilinarischen Verschwörung im Senat als pater patriae tituliert. Die Titulierung als pater patriae dürfte zu den höchsten
94 Vgl. Thomas 1996, 324f.: "Es ist wichtig zu verstehen, daß die eigentliche politische Grundeinheit in Rom die Familie in ihrer männlichen Ordnung war... Söhne sind Staatsbürger zweiter Klasse und dies ausschließlich über ihren Vater... Die Einheit für den Zensus und die Steuereinheit ist der Familienälteste einer domus: Er vereint, was wir heute Zivilgesellschaft und Staat nennen." 95 Vgl. Ulp. Dig. 50, 17, 4, Gell. l 0, 23, 4; Ciceros Cato äußert über Appii.Js Claudius Caecus: "tenebat non modo auctoritatem, sed etiam imperium (Hervorhebung von mir) in suos: metuebant servi, verebantur Iiberi, carum omnes habebant; vigebat in illa domu patris disciplina." (Cic. Cato mai. 37). 96 Vgl. Erdheim 1994, 202f. und 212f. zur Tendenz konservativer Gesellschaften, ihre Institutionen denen der Familie nachzubilden und damit auch den "avantgardistischen" Zügen der Adoleszenz einen Riegel vorzuschieben: "Der in der Adoleszenz stattfindende Prozeß der Ablösung von der Familie wird psychisch nicht vollzogen; statt dessen werden die Abhängigkeiten von der Familie auf die entsprechenden Institutionen übertragen. Die Gesellschaft wird unbewußt als Familie erfahren, und dementsprechend wirkungslos sind auch die Handlungen, mit denen man sich der etablierten Politik zu erwehren sucht." (Erdheim 1994, 202f.). 97 Bettini 1992, 150. 98 Das "Über-Ich" übt, verallgemeinert gesprochen, Verbotsfunktionen in der individuellen Psyche aus und richtet Idealbilder auf; vgl. Laplanche/Pontalis 1986, 541. Die Formung des individuellen Selbst vollzieht sich in der Familie. Die Familie ihrerseits ist Vorbild und Antagonist der staatlichen Hierarchie. Dieser Zusammenhang hat Freud und später auch die Ethnopsychoanalyse ein gesellschaftliches Über-Ich vermuten lassen, das Traditionen, Verund Gebote einer Gesellschaft in sich vereint. Zum Kultur-Über-Ich vgl. Freud 1930, 267fT.
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Auszeichnungen der Republik gehört haben; während des Prinzipats blieb dieser Titel allein dem Prinzeps vorbehalten.99 · Staatliche und kultische Elemente verschmelzen in der Person des pater patratus, des Oberhauptes der Fetialen, zuständig für foedera und l(r:iegserk~ärungen. Daß gerade der pater patratus, der "vollendete Vater"10o, das römische Volk nach außen repräsentierte, kann als weiteres Zeugnis für die Bedeutung gewertet werden, die die pater-Imago für das römische Selbstverständnis besaß.101 Auf kultischer Ebene besaß der pontifex maximus, der höchste Priester überhaupt, das ius vitae necisque über die ihm auch unterstellten Vestalinnen. Im Verhältnis zwischen pontifex maximus und virgines vestales ist die VaterTochter-Symbolik evident.102 Wie ein leiblicher Vater besitzt er ihnen gegenüber das ius vitae necisque, wie ein leiblicher Vater "ergreift"103 er die fiir das Priesteramt der Vesta ausersehene Kandidatin. Auch die Anrede der Vestalin als "Amata"104 könnte Reflex der symbolischen Vater-TochterBeziehung gewesen sein. Die Forschung hat sich in ihrer Untersuchung despatervor allem auf die Rolle des paterfamilias konzentriert und das Bild des paterfamilias als eines absoluten und strengen Herrschers über die seiner Gewalt Unterworfenen
99 Vgl. Cic. pro Sest. 121: " ... me ille absentem ut patrem deplorandum putabat, quem Q. Catulus, quem multi alii saepe in senatu patrem patriae nominarant." Caesar wurde 44 v. Chr. durch senatus consultum als parens bzw. pater patriae geehrt (vgl. Liv. per. 116; Suet. Iu!. 76). Augustus soll die Verleihung des Ehrentitels durch Senat, Ritter und Volk von Rom 2 v. Chr. nur zögernd akzeptiert l]aben (vgl. Aug. res gest. 35; Suet. Aug. 58). Danach wurde er zum regulären Bestandteil der kaiserlichen Titulatur. Lediglich Tiberius lehnte den Titel ab (vgl. Tac. ann. 2, 87; Suet. Tib. 26, 2). 100 Die Übersetzung von pater patratus ist unklar. Da patrare auch "vollenden" bedeuten kann, läge meine Übersetzung im Bereiche des Möglichen. I 01 Der Brauch, durch den Speerwurf des pater patratus den Krieg erklären zu lassen, wurde von Octavian anläßlich der Kriegserklärung gegen Kleopatra erneuert (zur Kriegserklärung gegen Kleopatra vgl. Cass. Dio L, 4, 3ff.). Octavian, der stets geschickt Traditionen für eigene Zwecke einzusetzen wußte, mag hier den Gegensatz paterlregina im Blick gehabt haben. 102 Zur paradoxen Rolle der Vestalinnen, die einerseits sui iuris waren und andererseits der potestas des pontifex maximus unterstanden, vgl. Beard 1980. 103 Der Terminus Technicus ist hier "tollere". Ebenso erkennt der Vater nach der Geburt ein Kind durch das "liberum tollere" an; vgl. Cic. de div. I, 21, 3; Quint. inst. or. IV, 2, 42. 104 Daß ungeachtet des von einigen Quellen gezeichneten Bildes vom pater severus die Beziehung zwischen Vater und Tochter äußerst liebevoll sein konnte, betont Hallett 1984, 63f. Prominentestes Beispiel ist Ciceros Beziehung zu Tullia, vgl. z. B. Cic. ad Att. I, 4, 3; XI, 2, 2; XII, 10, I; 18, l.
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weitgehend relativiert.l05 Das ius vitae necisque konnte ein pater kaum willkürlich ausüben; in den uns bekannten Beispielen, in denen ein Vater von seinem Tötungsrecht Gebrauch machte, tat er dies in seiner öffentlichen Funktion als Magistrat, also als Träger eines imperium, indem. er, gegen politisch unbotsame Söhne vorging; in der Kaiserzeit konnte die Tötung eines Haussohnes sogar auf breiten gesellschaftlichen Widerstand stoßen, . das Tötungsrecht selbst wurde im Verlaufe des Prinzipats überdies zunehrriend durch kaiserliches Edikt beschnitten.l06 Auch der demographische Faktor dürfte hinsichtlich der möglichen Ausübung der patria potestas eine Rolle gespielt haben, da die Lebenserwartung auch in den Oberschichten nicht allzu hoch war, erwachsene Söhne also relativ selten noch unter der patria potestas eines Vaters gestanden haben dürften.l07 Die Analyse literarischer Zeugnisse mit Schwerpunkt auf dem Prinzipat hat außerdem ergeben, daß die römische Vatervorstellung neben den Elementen der auetorilas und der severitas, die für die Autorität des pater über die ihm Gewaltunterworfenen stehen, stets die regulativen Elemente der cura und der pietas im Sinne eines officium, also einer ethischen Verpflichtung, enthalten
I 05 Anders Bettini 1992, 21: "Sicherlich darf man zwischen Vater und Sohn neben Strenge und Ehrfurcht auch eine gewisse Distanz annehmen, einen grundlegenden Mangel an Vertrauen, der aus dem väterlichen Auftreten zwangsläufig folgen mußte." "in publicis causis" erstreckte sich der Einfluß des paterfamilias nur bedingt auf seinen Sohn; vgl. Dig. I, 6, 9: "filiusfamilias in publicis causis loco patrisfamilias habetur, velut ut magistratum gerat." · 106 Zur Beschränkung der patria potestas vgl. Salier 1986 pass. Zur politisch bedingten Sohnestötung vgl. Wlosok 1978, 22 und Thomas 1996, 325. Die prominentesten Beispiele für die Ausübung der väterlichen Koerzitionsgewalt gegenüber Söhnen sind Brutus und Manlius Torquatus; zu Brutus vgl. Liv. 11, Sff., zu Manlius vgl. Liv. VIII, 6ff. Livius' Einschätzung der Tat des Manlius dürfte Reflex der Haltung sein, welche die Gesellschaft des Frühen Prinzipats gegenüber der Sohnestötung einnahm: " ... argumento est, quod imperia Manliana ... appellata sunt, cum, qui prior auctor tam saevi exemp/i (Hervorhebung von mir) foret, occupaturus insignem titulum crudelitatis fuerit. Imperioso quoque Manlio cognomen inditum... " (Liv. IV, 29, 6). Bettini 1992, 18ff. interpretiert Livius Erzählungen zu den Manlii als Zeichnungen eines "kulturellen Kodex". Einen Sonderfall stellt die Tötung Verginias dar, die die Ehre der Tochter retten und nicht eine Verfehlung bestrafen sollte; zu Verginia vgl. Liv. m, 44ff. Zur gesellschaftlichen Ablehnung des väterlichen Tötungsrechtes vgl. Sen. de eiern. ill, 13. Zu dessen Einschränkung durch kaiserlichen Erlaß vgl. Inst. IV, 18, 6; Dig. XXXVII, 12, 5;
XLVIII, 9, 5.
107 Vgl. Salier 1994, 58. Seinen Evaluationen zufolge standen in Rom nur noch 54% der Männer im Alter von zwanzig Jahren und 32% der Männer im Alter von dreißig Jahren unter der patria potestas.
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haben.I08 So hat beispielsweise Vergil mit seinem Aeneas das Paradebeispiel eines pater geschaffen.I09 Vergils Aeneas vereinigt in sich alle Eigenschaften, die die römische Gesellschaft des Prinzipats von ihren Vätem gefordert hat: die cura gegenüber gens und familia, die pietas gegen die Ahnen und die Götter, das o.fficit!m, das beim Verlassen Didos über die Emotion triumphiert. Daß Vergils pater Aeneas vor dem Hintergrund des sich etablierenden Augusteischen Prinzipats entstanden ist, dürfte kaum Zufall sein. In Vergils "Aeneas" nur eine Apotheose des Augustus zu sehen, dürfte indessen zu kurz greifen. Vergils ,,Aeneas" reflektiert sicher auch "öffentliche" Eigenschaften des Augustus, er verkörpert aber vor allem die pater-Imago des noch jungen Prinzipats, das in seinem Versuch, nach der Bürgerkriegserfahrung emeut eine stabile Welt zu schaffen, im Zeichen der Wiederbelebung der traditionellen Nonnen stand,IIO Den überlieferten Bildem vom pater haftet eine gewisse positive Stereotypie an, die sich mit nur geringfligigen Variationen in Quellen verschiedenster literarischer Gattungen von der Republik bis hin zur Spätantike nachweisen läßt. Es versteht sich von selbst, daß die Nonnen männlichen wie weiblichen Verhaltens, die sich in den Quellen spiegeln, wenig über das Verhalten der tatsächlichen Individuen aussagen können. Sie stellen jedoch den gesellschaftlich geforderten Soll-Zustand dar, der seinerseits Bestandteil der sozialen Realität der einzelnen war. III Die Verbindung zwischen der Imago des pater und Vorstellungen von Virilität in Rom ist von Späth hergestellt worden, wenn er fonnuliert: ,,Patres sind
108 Vgl. hierzu Wlosok 1978 pass. und Önnerfors 1974 pass. Önnerfors hat als Konstanten der von ihm interpretierten Vaterportaits deren "unsentimentalen Realismus, Mäßigkeit, Würde" (S. 148) betont. Ähnlich charakterisiert Späth 1994, 307 das männliche Handlungsspektrum, das für ihn stets das Handlungsspektrum der patres ist, mit den Begriffen "Kontrolle", "Fürsorge" und "Verwendung". 109 Vgl. Thomas 1996, 291: "Immer stehen im Zentrum die genealogische Erinnerung, das ideale Bild der domus, die Legitimität, aber auch die politische Repräsentation: Nimmt Rom die Stellung des Ego ein, können drei Grundväter angeführt werden, denn Aeneas trägt seinen Vater auf den Schultern und führte seinen Sohn an der Hand. Anchises jedoch, der getragene Vater, hält die sacra der Ahnen: Der Eine und die drei, aber auch die drei und dieses Gesamte, das nur als Ursprung eine Einheit ist." II 0 Zu den Parallelen zwischen Augustus und Aeneas vgl. neuerdings Alston 1999, 213. 111 Dem Kanon der patemalen Eigenschaften entspricht die Stereotypie der idealen Matrona, dem weiblichen Gegenstück des pater, gut zu illustrieren durch die Epitheta der Grabinschriften, z. B. CIL VI 11602: "optima et pulcherrima, lanifica, pia, pudica, frugi, casta, domiseda". Zur Stereotypie der inschriftlichen Darstellung von matronae vgl. im übrigen Hesberg-Tonn 1983, 212f.
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Männer, Männer sind patres"ll2, Norm der Männlichkeit der patres sei "ein Handeln von Männern in dominierender Stellung, ein Handeln, das sich durch die Realisierung dieser Dominanz in den verschiedensten Bereichen ·und Formen auszeichnet."113 Ob sich römische Virilität mit Patemalität gleichsetzen läßt und in der Ausübung einer absoluten Machtstellung erschöpft; wie gerade ältere Studien zum pater und zur patria pote.Stas naheiegen,l14 l,llÜßte hinterfragt werden. Festzuhalten bleibt, daß Späth einmal mehr auf die Bedeutung der Normen der "Väter" für das Handeln der "Söhne" und auf die Bedeutung von familialen und gesellschaftlichen Hierarchien für das Handeln von Männern hingewiesen hat.ll5 Offen bleibt indessen die Frage, wie sich die Söhne ihrer Männlichkeit versichern lernten, welche Hürden sie auf dem Wege zum pater meistern und mit welchen Bildern von Virilität, abgesehen von dem des pater, sie sich auseinandersetzen mußten.116
112
Späth 1994, 306.
113 Ibid., 309. Vgl. hier auch Späth 1997, 195: "Männlich ist der Römer, der uns in den Annalen entgegentritt, wenn er nicht auf Dauer und unabänderlich "einer personifizierten Macht unterstellt ist... Die Wahrnehmung einer dominierenden Position ist deshalb das wesentliche Merkmal von Männlichkeit. .. " 114 Späths These nimmt im Grunde diesen Ansatz wieder auf, allerdings mit der Einschränkung, "nur einen Aspekt des geschlechterspezifischen Diskurses, nicht ,reales' Verhalten, ... sondern die Bedingungen, den Rahmen, worin sich ,reales' Handeln situiert", (Späth 1994, 327, Anm. 38) zu untersuchen. 115 Zur Vater-Sohn-Hierarchie als möglichem Modell für das Handeln unter Männern vgl. ibid., 234f.; vor Späth hat schon Wlosok 1978, 19 die "Vater-Sohn-Konstellation ... als eine wesentliche Struktur für das römische Selbstverständnis und seine Explikationen" charakterisiert. 116 Juristisch gesprochen, war ein Mann dann paterfamilias, wenn sein paterfamilias gestorben war, selbst wenn er noch keine Kinder hatte; vgl. Dig. 50, 16, 195: "paterfamilias appellatur, qui in domo dominium habet, recteque hoc nomine appellatur, quamvis filium non habeat; non enim solam personam eius, sed et ius demonstramus. Denique et pupillum patremfamilias appellamus." Demnach konnte auch ein adulescens nach dem Tode des Vaters als paterfamilias gelten. Da dieser Zusammenhang allerdings von Cicero nicht thematisiert wird, seine Auseinandersetzung mit der adulescentia also nicht wesentlich beeinflußt haben dürfte, kann ich hier nur auf diesen hinweisen, ihnjedoch nicht weiter verfolgen.
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2. 3. Virilität und römische Geschichte II: amor co11iugalis und servitium amoris Ehe und ·Vaterschaft waren auch in der römischen Gesellschaft zentrale Bausteine der männlichen Existenz. Anders als die Vaterrolle war jedoch die Rolle des Ehemannes kaum definiert.117 Die allmächtige pater-Imago scheint das Bild vom Gatten fast gänzlich zu überlagem.JIS Die gerade aus der Kaiserzeit erhaltenen Texte, die das eheliche Leben thematisieren, etwa Plutarchs coniugalia praecepta oder Plinius' Briefe an und über seine Gattin, besonders ep. IV, 19, betonen direkt oder indirekt die erzieherische Funktion des Gatten gegenüber seiner Gattin, also eigentlich einen zentralen Aspekt der Vaterschaft. Die eheliche Beziehung zwischen Mann und Frau wird also der Vater-Tochter-Beziehung angeglichen. Zwei Bereiche römischer Virilität abseits des pater sind jedoch vor allem im Zusammenhang mit der Rolle des Ehemannes diskutiert worden, die der Sexualität und der Emotion. Wegweisend waren hier die Thesen Veynes und Foucaults, die sich kaum zufällig auf Texte des frühen und mittleren Prinzipats stützen. Denn ähnlich wie der Hellenismus zwang der Prinzipat das (schreibende) Individuum der Oberschicht - und fast auschließlich von ihm sprechen die Quellen - auf sich selbst zurück. Dieser Rückzug auf und in sich mußte zwangsläufig auch die eheliche Beziehung, die Ehefrau und die mit ihr verbundenen Werte und Emotionen, thematisieren und neu, meist positiv, bewerten.J19 Modem formuliert, könnte man hier vom Typus des profeminist man sprechen.J20 Veyne wie Foucault fassen die Beziehung zwischen Mann und Frau letzendlich dennoch als Machtverhältnis auf; die Analyse des (schreibenden) Gatten ist von zentraler Bedeutung. Veyne, der die römische Gesellschaft als "machistisch" charakterisiert,l21 hebt als Charakteristikum römischer Virilität die sexuelle
117 Vgl. Treggiari 1991a, 40. 118 Daß die Entwicklung von Vater- und Tochter-Rolle in Rom in enger Beziehung zueinander steht und die Tochter-Rolle Vorbildfunktion für das weibliche Verhalten überhaupt besitzt, vermutet Hallett 1984, 32. 119 Vgl. Deißmann-Merten 1989, 543fund Treggiari 1991, 229f. 120 Zum profeminist man vgl. S. 29. 121 Vgl. Veyne 1990, 45; ähnlich spricht Deißmann-Merten von einem "Virilitätskomplex" der Römer, vgl. S. 31, Anm. 88. Die Zurschaustellung des spanischen "Machismo" dürfte in der Tat einige Züge mit römischer Virilität gemein haben, insbesondere den Aspekt der Fürsorge. Allerdings sind die gesellschaftlichen Rahmen und die virilen Symbole gänzlich
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Beherrschung anderer, also die sexuelle Aktivität beim homo- oder heterosexuellen Akt, hervor.l22 Der Scheidung von Homo- und Heterosexualität habe die römische Gesellschaft nur sekundäre Bedeutung beigemessen; als anstößig habe man allein die passive Rolle des Mannes beim· sexuellen. Akt empfunden.123 Veyne übersieht bei seiner Einschätzung der · rödiischen Einstellung zur Homosexualität allerdings, daß· mälmliche (wie weibltche) Homosexualität generell als anstößig empfunden wurde,l24 Zeugnisse ftir sexuelle Praktiken sagen zunächst nichts über deren mögliche gesellschaftliche Verbreitung und Akzeptanz aus. Die viel zitierten Äußerungen Catulls und· der Elegiker, die gerade ftir die Verweigerung der traditionellen römischen Vorstellungen von Männlichkeit standen, 125 zur Päderastie dürfen nicht als repräsentativ für die römische Gesellschaft an sich gewertet werden, in der gerade die öffentliche Denunziation des Homosexuellen insbesondere in der rhetorischen Praxis immer auch eine Denunziation als Nicht-Mann war,l26 Der mollities-Vorwurf umfaßte m. E. alle Spielarten der als griechische Unsitte abgelehnten Homosexualität, die in diametralem Gegensatz zum Wertekodex römischer Männlichkeit, der die Herrschaft über sich selbst und die anderen forderte, stand.127 Folgt man Veyne weiter, so habe die Späte Stoa die coniugale Liebesethik des Christentums antizipiert und die gesellschaftlich wie juristisch fundierte Macht von paterfamilias und Ehemann durch eine emotional begründete Herrschaft ersetzt,l28 Die Thematisierung der ehelichen Liebe durch Literatur und Philosophie des ausgehenden ersten und beginnenden zweiten Jahrhunderts maskiere also lediglich die traditionelle Hierarchie von Mann und Frau. Veyne setzt also im wesentlichen die Ausübung von Herrschaft mit römischer Virilität
andere; zum mediterranen Machismo mit Schwerpunkt auf Andalusien vgl. Gilmore 1991, 39f. 122 Vgl. Veyne 1978, 37f. sowie Veyne 1990, 40f. 123 Vgl. ibid. 124 Vgl. MacMuHen 1982, 491ff. und ibid., 485, Anm. 4 mit der Kritik am Ansatz Veynes, der z. B. von Boswell 1980, 22, Anm. 42 weitgehend übernommen wurde, wenn er formuliert: "Romans were quite open about homosexual feelings and gay relationships were ... generally accepted." 125 Zu den Elegikern vgl. S. 42f. 126 Zur Ausnahmestellung der Elegiker vgl. MacMuHen 1982, 495f. Zur rhetorischen Praxis vgl. ibid., 490f. und Koster 1980, 134ff. 127 Zur Päderastie als mos graecus vgl. Polyb. 31, 25, 3; Cic. Tusc. IV, 33, 70f.; V, 20, 58. Zur positiven Einschätzung der Päderastie in Griechenland vgl. z. B. die Worte des Aristophanes in Plat. Symp. 191 d 3ff. 128 Vgl. Veyne 1978, 49f.
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gleich. Allerdings ist der männliche "Wille zur Macht" kein exklusives Kennzeichen genuin römischer Vorstellungen von Männlichkeit, sondem ein Charakteristikum · männlicher Ideologien patriarchalischer Gesellschaften überhaupt.J29 Denn in den meisten Gesellschaften ist die Familie, Grundschule der Männlichkeit, hierarchisch organisiert. Eine Position zu erreichen, die der Machtposition des Vaters ähnelt, ist deshalb Anliegen des männlichen Selbst, bzw. wird dem männlichen Individuum durch Erziehung als Anliegen suggeriert.130 In bewußter Anlehnung an die Thesen Veynes hat Foucault versucht, die Entwicklung des römischen Ehebündnisses von der "matrimonialen Form" hin zum "coniugalen Band", zur "Liebes- und Respektsbeziehung" vor dem Hintergrund der "Krise der Subjektivierung", welche die "Dienstaristokratie" des Prinzipats erfaßt habe, nachzuzeichnen.131 Für Foucault präsentiert sich die römische Ehe des Prinzipats in idealistischer Manier als "frei eingegangene Beziehung zwischen zwei Partnem... , deren Ungleichheit bis zu einem gewissen Punkt zurückgeht, ohne jedoch ganz zu verschwinden".l32 Vor dem Hintergrund der Augusteischen Ehegesetzgebung dürfte diese These allerdings einiger Einschränkungen bedürfen, zumal im Prinzipat weiterhin außerdem auch politisch begründete Ehen geschlossen wurden.133 Veyne wie Foucault haben versucht, das römische Reden über die Liebe und die Ehe diskursanalytisch zu fassen. Der diskursive Zugriff auf das Quellenmaterial, den Veyne und insbesondere Foucault gewählt haben, spiegelt jedoch nur eine vorgebliche Veränderung männlicher Moral vor und dürfte mit der sozialen Realität zudem wenig gemein gehabt haben. Die Rede über die eheliche Liebe in den Texten des Prinzipats kann letztendlich nicht mit deren "Erfindung" gleichgesetzt werden.134
129 Vgl.
Gilmore 1991, 119.
130 Vgl. Bobleber 1996, 17. 131 Vgl. Foucault 1989, 197 und 228; zur "Krise der Subjektivierung" vgl. ibid., 129. 132 Ibid., 102. 133 Zur augusteischen Ehegesetzgebung vgl. Nörr 1977. Auf die politisch motivierten Eheschließungen der Angehörigen der domus principis sei hier am Rande hingewiesen; vgl. hierzu Dixon 1985. 134 Vgl. Cooper 1992, 151 und Gamsey/Saller 1991, 195. M. E. trifft die Kritik von Duerr 1990, 19 am diskursiven Zugriff Foucaults den Kern des Problems, wenn er zu seiner eigenen Quellenauswahl schreibt: .,Nun habe ich in der Tat versucht, jede Form von Quellen zu berücksichtigen, weil ich nicht in die Fußstapfen Foucaults treten will, der den Eindruck erweckte, eine ,Geschichte der Sexualität' geschrieben zu haben, während er in Wirklichkeit eher eine ,Geschichte der Ideen intellektueller Männer über die Sexualität' vorgelegt hat."
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Es ist Veyne und Foucault jedoch zu danken, daß sie zwei zentrale Aspekte der männlichen Existenz, den Umgang mit Sexualität und Emotionalität, für Rom überhaupt erst thematisiert haben. In diesem Kontext haben sie zu· Recht die Bedeutung der Herrschaft über sich und die anderen für.das männliche Selbst betont.J35 Allerdings scheint der Wille zu herrschen und die damit verbundene Furcht, beherrscht zu werden, Kennzeichen des "uruversalen Mannes"l36 zu sein; das römische Bild von Virilität teilt dieses Charakteristikum ·mit Männlichkeitsvorstellungen verschiedenster Ethnien.t37 Und gerade für Rom stellt sich außerdem die Frage, inwieweit die männlichen Vorstellungen von Sexualität und Emotionalität während des Prinzipats von griechischen, insbesondere hellenistischen Vorstellungen beeinflußt worden sind.l38 Im Diskurs über die Ehe schweigt die Rede des sexus. Anders in der Elegie des Prinzipats, vorbereitet durch das Werk Catulls: Hier formulieren adulescentesCatull wurde dreißig Jahre, Tibull fünfunddreißig Jahre alt, Properz gelangte im Alter von zwanzig Jahren zu erstem literarischem Ruhm _!39, einen Typus von Männlichkeit, der Zeugnis für die These ablegt, daß Bilder von Virilität vor dem Hintergrund durchgreifender gesellschaftlicher Veränderungen gerade durch den Impuls einer jungen kulturellen Avantgarde neue Facetten erhalten können.I4o Denn die Elegiker stellen scheinbar die althergebrachte Hierarchie der Geschlechter auf den Kopf, wenn sie von einem männlichen servitium amoris sprechen, ohne die eigene Virilität in Zweifel zu ziehen.141 Abgesehen von möglichen hellenistischen Einflüssen scheint die Augusteische Elegie in der Nachfolge Catulls tatsächlich von neuen jungen Männem zu sprechen, die Krieg als Tummelplatz männlicher virtus ebenso ablehnen wie_ die traditionellen Als Zeugnisse ehelicher Zuneigung fiir die Späte Republik sei hier nur auf Ciceros Briefe an Terentia aus dem Exil, gesammelt im liber XIV der adfamiliares, und die in der Forschung viel zitierte Laudatio Turiae (ILS 8393), deren Aussagen sich v.a. auf die letzten Jahre der Republik beziehen, verwiesen. 135 Reflexe dieser Erkenntnis finden sich, wie gezeigt, bei Späth 1994 und außerdem bei Meyer-Zwiffelhoffer 1995, 72f., 87 und 213. 136 Vgl. Gilmore 1991, 110, 152. 137 Vgl. Gilmore 1991, 146f. und Doyle 1984, 264 (in bezugauf den zeitgenössischen USAmerikaner). 138 Vgl. Reinsberg 1989, 47f. zu der Aufwertung des Individuums und seiner privaten Beziehungen, insbesondere der Ehe, ausgelöst durch den Tod der polis. 139 Zu den Lebensdaten Catnlls vgl. Hier. Chron. ad ann. 1930, zu denen Tibulls, die ähnlich unsicher sind wie die Catulls, vgl. Ov. am. III, 9; zum frühen literarischen Ruhm des Properz vgl. Mart. epigr. 14, 189. 140 Zum Konnex zwischen kultureller Avantgarde und Adoleszenz vgl. S. 17. Dieser Zusammenhang müßte gerade in bezugauf das Werk der Elegiker weiter untersucht werden. 141 Zumservitium amoris vgl. z. B. Prop. carm. I, 4, 3f. und I, 5, 19f.
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. Familienbeziehungen, insbesondere das mit ihnen verbundene Postulat von Ehe und Fortpflanzung.t42 Mag das Lob der inertia und das Bekenntnis zum amour fou als beherrschendem Inhalt männlichen Seins tatsächlich für eine Virilität abseits der traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit, die vom Bilde des pater belwrrscht werden, sprechen, so wird das Bild der scripta puella dennoch weiterhin von den traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit geprägt.l43 Reflex der traditionellen Hierarchie der Geschlechter ist zunächst die Verkindlichung der Geliebten als puella. Der puella wird außerdem Treue in der. Untreue, also gleichsam ein symbolisches Univirat, abverlangt, ihre Treulosigkeit in der Untreue gegeißelt.144 Allerdings unterwirft sich der Dichter selbst ebenfalls der Forderung nach unbedingter fides.145 Hier trifft sich der coniugalis amor mit dem eros der Elegiker. Der Prinzipat, der durch die politische Entmachtung des Einzelnen den Rückzug des Mannes auf sich selbst begünstigte, schuf in seiner Literatur einen größeren Raum für die Äußerung männlicher Emotionalität, als ihn die Republik gewähren konnte. Das männliche servitium amoris der Augusteischen Elegie, vorbereitet durch das Werk Catulls, war jedoch eine Ausnahme.146 Die Regel blieb der pater als 142 Vgl. hier als gleichsam programmatisch Cat. carm. 5, lff.: "Vivamus, mea Lesbia, atque amemus/rumoresque senum severiorum/omnes unius aestimemus assis!" Vgl. hier auch Prop. carm. I, 6, 29f.: "non ego sum laudi, non natus idoneus annis:/hanc me militiam fata subire volunt." Vgl. auch ibid., carm. II, 7, 7f.: "nam citius paterer caput hoc discedere collo,/quam possem nuptae perdere more faces,/aut ego Iransirern tua limina clausa maritus/respiciens udis prodita luminibus." und ibid., 13f.: "Unde mihi Parthis gnatos praebere triumphis?/nullus de nostro sanguine miles erit.l.. ./tu mihi sola places: placeam tibi, Cynthia, solus:/hic erit et patrio nomine (Hervorhebung von mir) pluris amor." In ähnlicher Manier verherrlicht Tibull das Landleben in cann. I, I. Die Abwendung von der Welt des Politischen deutet sich bereits im Werke Catulls an; vgl. Cat. cann. 52; 93. Auch die Verabsolutierung der Beziehung zur Geliebten nimmt Catull vorweg, vgl. z. B. Cat. carm. 58, 2f.: "illa Lesbia, quam Catullus unam/plus quam se atque suos amavit omnes" und 72, 3f.: "dilexi turn te non tantum, ut vulgus amicam,/sed pater ut gnatos diligit et generos." Zum neuen Virilitätsideal·der Elegiker, das in seiner Verweigerung traditionellen männlichen Verhaltens und in seinem Loblied auf die freiwillige Aufgabe der männlichen libertas paradoxerweise in einer militärischen Bildersprache schwelgt, vgl. Alston 1999, 213f. 143 Zum Topos der pue/la in der Elegie vgl. Wyke 1987. 144 Zum Univirat als Ideal einer weiblichen Existenz vgl. Treggiari 1991, 233f. und 328 sowie Deißmann 1989, 514ff.; zur Ausschließlichkeit der Beziehung zwischen Dichter und Geliebter vgl. Cat. carm. 58; 109 und Prop. cann. I, 12, l9f.; zur Anklage der Untreue vgl. ibid., II, 5 und 8. 145 Vgl. Cat. cann. 87. 146 Es sei in diesem Kontext auch an die Zeugnisse fiir extreme Misogynie erinnert, die v. a. aus dem Prinzipal stammen, z. B. luvenals 6. Satire. Zur römischen Misogynie allgemein mit umfassendem Quellenüberblick vgl. Richlin 1983 pass.
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Maßstab für männliches Verhalten, propagiert durch die.principes, gestützt auf die Tradition der Republik. ·
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2. 4. Neuere Untersuchungen zur Virilität in Rom Im Gefolge der. Geschlechtergeschichte wurden und werden in jüngster Zeit römische Virilitätsvorstellungen stärker diskutiert. Diese Untersuchungen haben alle einen gen1einsamen Nenner: Sie definieren römische Virilität, antike Virilität überhaupt, über den Begriff der Dominanz: Mann ist, wer es versteht, Herrschaft auszuüben,l47 Dies gilt für den sexuellen Bereich ebenso wie für den familiären oder den gesellschaftlichen. So ist für Meyer-Zwiffelhoffer die sexuelle Beziehung vor allem als Herrschaftsbeziehung codiert.148 Meyer-Zwiffelhoffers Untersuchung betont zwar zu Recht wie schon Veyne und Foucault vor ihm das Prinzip der Herrschaft als Teil des männlichen Selbstverständnisses, verzichtet aber auf eine klare Begrifflichkeit in bezug auf die adulescentia, die eigentlich Schule des männlichen Verhaltens ist. Die Beschränkung der interpretatorischen Perspektive auf das Sexuelle, das mit Sicherheit in Rom, wie Meyer zu Recht feststellt, auch immer öffentlichen Charakter besaß, muß wesentliche Elemente römischer Virilität vernachlässigen, insbesondere den Postulat der virtus, den zentralen Begriff männlichen Selbstverständnisses in Rom. Die Bedeutung der Ausübung von Herrschaft für die römische Virilität ist auch von Späth .betont worden, allerdings in Hinsicht auf das Funktionieren männlicher Hierarchien während des Prinzipats. Seine Analyse der Darstellung der inter- und intra-gender-Beziehungen in den Annalen des Tacitus führte zu dem Ergebnis, daß männliches Verhalten dem Idealbild des pater, insbesondere in bezug auf die Autonomie männlichen Handelns, entsprechen muß, um auf gesellschaftlicher Ebene als viril akzeptiert zu werden.149 In einer weiteren
147 Daß Virilität deckungsgleich mit der Ausübung von Herrschaft ist, gilt allerdings nicht allein für die Antike, sondern für patriarchalische Gesellschaften überhaupt; vgl. S. 40f. und Alston 1999, 205 sowie Foxhalll999, 8, die die Verbindung zwischen antiken und modernen männlichen Dominanzvorstellungen herzustellen versucht. 148 Vgl. Meyer-Zwiffelhoffer 1995, 213: "Das ist möglich, weil ... die sexuellen Beziehungen nicht als Geschlechterbeziehungen, sondern als Herrschaftsbeziehungen ... objektiviert werden. Man versteht sie als ein Verhältnis von Herrschaft und Unterwerfung, von Kraft und Schwäche, von Macht und Gehorsam, von Aktivität und Passivität, und faßt dieses im Geschlechtsleben metaphorisch als Differenz von Virilität und Feminität, wobei hier Virilität ein Konzept von Männlichkeit ist, das persönliche Freiheit und Souveränität mit Herrschaft über andere verbindet." 149 Vgl. Späth 1994, 290 ("Modellhaftigkeit der väterlichen Norm" als .,prägendes Merkmal für die Darstellung der männlichen Handlungssubjekte in dominierenden Positionen") und
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Untersuchung zu Männerfreundschaften während des Prinzipats vertiefte er diese These.J50 Daß die sozialen Beziehungen unter Mannern in Rom letztendlich die sozialen Beziehungen unter patres familias sind, unterstreicht einmal mehr die Bedeutung der pater-lmago für • das· .mämiliche Selbstverständnis; Späth ist sich allerdings im klaren darüber, daß ~s ·sich hierbei nur um einen Aspekt römischer Virilität handein kann.15t' Die anglo-amerikanische Forschung hat sich gerade in den letzten Jahren in einer Reihe von Einzeluntersuchungen mit antiken Männlichkeitsbildern . auseinandergesetzt.J52 Auch hier wird das Prinzip der Herrschaft betont und explizit darauf hingewiesen, daß Ergebnisse zu Formen antiker Virilität nur für den kleinen Kreis von "elite males" Gültigkeit beanspruchen können.J53 Die Arbeiten zum römischen Kulturkreis beschränken sich historisch wie schon die Arbeiten von Späth und Meyer im wesentlichen auf den Prinzipat. Sie analysieren entweder Männlichkeitsvorstellungen in den östlichen Provinzen oder die rechtliche Position von Männem, die eigentlich rein physisch keine Männer mehr sind, also etwa der castrati und spadones.J54 Im Ietzeren Falle ergab es sich, daß für das römische Recht sex und gender identisch sind, also
306 (,,Patres sind Männer; Männer sind patres"). Zum Konnex zwischen der Position eines paterfamiliasund der Ausübung absoluter Macht vgl. ibid., 360 und Thomas 1996, 324f. 150 Vgl. Späth 1997, 195: "Männlich ist der Römer, der uns in den Annalen entgegentritt,
wenn er nicht auf Dauer und unabänderlich einer personifizierten Macht unterstellt ist; zwar schließt römische Männlichkeit keineswegs eine zeitweilige Unterordnung im - für das soziale Feld der römischen Aristokratie konstitutiven - Spiel um Macht aus, die momentane Überlegenheit eines andem aber muß als eine provisorische erkennbar sein und die Möglichkeit einer späteren Umkehrung des Abhängigkeitsverhältnisses beinhalten. Die Wahrnehmung einer dominierenden Position ist deshalb das wesentliche Merkmal von Männlichkeit, weil die Beziehungen der Männer untereinander als Relation zwischen je eigenständigen patres fami/ias bestimmt ist, zwischen Vorstehern und Verkörperungen ihrer domus, das heißt der Vorfahren und der ihrer Gewalt unterstellten Nachfahren und abhängigen Personen, die ebenso Objekte ihrer- rechtlichen Gewalt sind wie der materielle Besitz. Entsprechend bestimmt ein männlicher Mann seine Freundschaften aufgrund seiner eigenen Wahl; wird diese eingeschränkt und gleichsam systemimmanent vorbestimmt, ist damit seine männliche Identität in Frage gestellt." 151 Vgl. Späth 1994, 387. 152 Vgl. FoxhalUSalmon 1999. 153 Vgl. Foxhall 1999, 4 mit dem Verweis, daß die Vorstellungen der Elite die der anderen Schichten geprägt haben müssen. 154 Vgl. Monserrat 1999 (Darstellung des männlichen Körpers im römischen Ägypten), Fischler 1999 (Kaiserkult in den östlichen Provinzen), Harris 1999 (Männliche Rollen im römischen Boötien), Gardner 1999 ("unvollständige" Männer im römischen Recht).
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das Geburtsgeschlecht für die juristische Definition eines Mannes ausschlaggebend ist.l55 Nur die Arbeit Alstons, die den Konnex zwischen Soldaten, Vorstellungen von Männlichkeit und Macht im Blick hat, rekurriert auf die Späte Republik, wenn sie das Prinzip der libertas, also das der persönlichen Autonomie, als ein beherrschendes Element römischer Virilitätsvorstellungen, beschnitten durch den Prinzipat, herausarbeitet.156 Libertas ist der Interpretation Alstons zufolge eng verknüpft mit dem Begriff der potestas, also der Möglichkeit, Herrschaft über andere auszuüben, einer Möglichkeit, von der filii familias und die Soldaten ausgeschlossen gewesen seien.157 Auch hier habe der Prinzipat restriktive Wirkung ausgeübt.158 Außerdem betont Alston die Bedeutung der gesellschaftlichen Krise am Ende der Republik für die Veränderungen traditioneller Bilder von Virilität, die vor allem eine "Entmilitarisierung" des herrschenden Bildes evoziert und Karrieren wie die eines Cicero erst möglich gemacht habe.159 In der Augusteischen Zeit habe dann kein einheitliches Männlichkeitsbild mehr existiert trotz der Versuche des Prinzeps, gerade die jungen Mätmer der Aristokratie auf militärische Ideale einzuschwören.160 Die Soldaten des Prinzipats, in der Republik gerade über die Absenz von libertas und potestas als Nicht-Männer definiert, seien ein hervorragendes Beispiel für die Wandlungen römischer Virilitätsvorstellungen, da sie an der Schwelle zur Institutionalisierung des Prinzipats immer häufiger die Möglichkeit
155 Vgl. Gardner 1999, 147: " ... legal capacity and gender role in Roman society depended upon assigned sex at birth. Males were those who bad what passed formale genitals (even if dysfunctional or later removed), and they bad public and private rights, including potestas, which were denied to biological females." 156 Vgl. Alston 1999, 208: "In the second century, libertas was becoming a defining characteristic of the Roman vir. Social, political and economic changes further enhanced the importance of libertas." 157 Vgl. ibid., 209. 158 Vgl. ibid., 215f. 159 Vgl. ibid., 211: "lncreasing social stratification and structural differentiation must also have bad an impact. Politicians such as Cicero were men of letters and rhetoric, not primilarily military Ieaders, though they may have held military appointments at various points in their careers. These men asserted their status and power in non-military areas, through culture, through civil politics and through their wealth. Command of troops was no Ionger the main area in which political reputations were made, and political careers did not necessarily culminate in military expeditions." 160 Vgl. ibid., 212.
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wahrnehmen konnten, potestas qua Demonstration für bestimmte Generäle bzw. Principes auszuüben und so doch als Männer zu agieren,161 · Gemeinsam ist den hier kurz vorgestellten Arbeiten der Versuch, eine Antwort auf die Frage zu geben, wer im Rom des Prinzipats ein Mann war. ·Sie versuchen also eine Beschreibung des Status "Mann" und müssen deshalb den Weg, den einpuer und später dann ein adulescens zU beschreiten hatte, um ein Mann zu werden, außeracht lassen. Dieser Weg wurde aber gerade iri den Männlichkeitsideologien der Republik, festgehalten vor allem im Werk Ciceros, vorgezeichnet. Sie vernachlässigen allerdings auch den zentralen Begriff römischer Virilität, den der virtus.
161 Vgl. ibid., 220f.: "In the circles ofthe elite, the soldiers had no claimtobe viri. For they did not behave as viri should, but the circles of the elite were but a small part of the Roman Empire. In some parts and among the soldiers themselves, the soldiers' control over violence and their relatively high status as representatives of the empire qualitied them as viri. Political events in the first two centuries AD demonstrated forcibly to the elite that the ultimate arbiters of empire were not the elite themselves but the soldiers. The emperor could use his troops to rob them of their wealth, their homes and ultimately their lives. The hostility of the elite towards soldiers stems from this threat to their political power and to their definition of and status as viri."
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111. ADULESCENTIA UND RÖMISCHE MlNNLICHKEIT
,;wer er ist, weiß er selbst nicht, ob ein Mami oder keiner." Catulll62
3. 1. Der virtus-Begriff Ciceros vor dem Hintergrund der Krise der Späten Republik "quam non facilis est virtus! Quam vero difficilis eius diuturna dissimulatio!" Cicero an Atticust63
Vaterschaft, Ehe und Sexualität sind zentrale Bausteine der männlichen Existenz und Prüfsteine der Virilität. Sie sind indessen nur Teile des Mosaiks "Männlichkeit": Männer müssen jedoch auch und vor allem gerade während der Adoleszenz die Spielregeln des Umganges mit anderen Männern erlernen. Die römische Gesellschaft stellte ihren Männern nicht nur exempla für das angemessene Verhalten von Gatten und Vätern vor Augen, sie bot ihnen auch eine Konzeption von Männlichkeit an und fiir sich, das der virtus. virtus, also "was den Mann zum Manne macht",164 bedeutete letztendlich den erfolgreichen Erwerb von Virilität. Für den adulescens mußte sie also das Hauptziel darstellen, da während der adulescentia männliches Agieren erlernt werden sollte. So wollte Cicero gerade die adulescentes seiner Zeit im Sinne seiner virtus-Vorstellung bilden und beeinflussen.J65 Deshalb soll sie hier in ihren
162 Cat. carm. 22, 21 ("ipse qui sit, utrum sit an non sit, id quoque nescit."). 163 Cic. ad Att. VII, 1, 5. 164 Eisenhut 1973, 22. 165 Zu Ciceros erzieherischem Ehrgeiz gerade jungen Männem gegenüber vgl. Cic. ad Att. II, 1, 3: "Orationuncu1as autem et quas postulas et plures etiarn rnittarn, quoniarn quidem ea, quae nos scribimus adulescentulorum studiis e.xcitati (Hervorhebung von mir), te etiarn
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Grundzügen nachgezeichnet werden. Das Konzept der.römischen virtus, vom positiv konnotierten vir abgeleitet,l66 ging weit über das der griechischen o.vopefo. hinaus; es weist Parallelen zur griechischen o.psrt auf und trägt doch spezifisch römische Züge.t67 Während z. B. die platonische o.pere in- erster Linie im philosophischen Bereich angesiedelt war, handelte es sich bei der rönÜschen virtus um eine gesellschaftliche Realität: Ihr wurden Tempel geweiht, ihr Bildnis erschien auf Münzen,t68 und Cicero schuf vor dem Hintergrund- der sterbenden Republik die römische Philosophie der virtus, Denkmal für das im_ Aussterben begriffene Männlichkeitsideal seiner Zeit. So war für Cicero die Existenz der res publica von dem Vorhandensein von echten Männem, also von Männemim Besitze der virtus, abhängig. In diesem Sinne formulierte er in de re publica, dem Werk, in dessen Zentrum der vollendete (Staats-)Mann steht: "Denn was soll ich von den Männem sagen? Sind doch eben die Sitten deshalb zugrunde gegangen, weil es an wirklichen Männem fehlt. Für dieses große Unheil müssen wir nicht nur Rechenschaft ablegen, sondern auch uns wie Leute, die gleichsam eines Kapitalverbrechens angeklagt sind, irgendwie vor Gericht veranworten. Unsere eigenen Laster, nicht· ein Zufall sind ja schuld, daß wir nur noch dem Worte nach an dem
delectant."; N, 2, 2; de off. I, 44, 154 sowie Classen 1985, 5, und meine Austubrungen zu Cato maior S. 70ff. Ciceros erzieherische Ambitionen erstreckten sich nicht nur auf die adulescentes; vgl. Wood 1988, 89: "An individual's failure to fulfill hisrational nature, according to Cicero, is largely the result of a defective social invironment in the form of inadequate upbringing and education. Consequently, he offers a faint promise of enlightenment through education - at least to the upper classes - as the eure for social ills, a somewhat nebulous idea of mental hygiene as fundamental to any social therapy. While Cicero hirnself was to do little with this provocative suggestion, in centuries to come the idea was to captivate the European mind." 166Mandenke z. B. an die viel zitierten Worte des Ennius: "moribus antiquis stat res romana virisque", mit denen Cicero das 5. Buch von "de re publica" beginnen läßt, in dem der ideale rector et gubernator civitatis geschildert wird, oder an Livius' Gebrauch des Begiffes vir nur in positivem Kontext; vgl. Santoro I' Hoir 1992, 63ff. Im Gegensatz zu vir hat homo in den spätrepublikanischen und kaiserzeitlichen Texten meist einen pejorativen Beigeschmack; vgl. ibid., 12ff. (vir) und 16f. (homo). Allerdings scheint homo im privaten Sprachgebrauch, etwa in den Briefen Ciceros, nicht durchweg negativ besetzt gewesen zu sein; vgl. z. B. Cic. ad fam. N, 1, 2 ("homini prudentissimo"); V, 6, 1 ("hominem frugi"); 19, 1 ("non ... homines novi"); IX, 7, 1; XII, 8, 2 ("magnum hominem"). 167 Cicero, dem auch die ,,Latinisierung" der Schlüsselbegriffe der griechischen Philosophie zu verdanken ist, übersetzt apere mit virtus; vgl. Eisenhut 1973, 57ff. Die Gleichsetzung von 'apere und virtus impliziert eine Bedeutungsverschiebung hin zur 'avopeia; vgl. ibid., 15f. 168 Zu den templa virtutis vgl. Eisenhut 1974, 897ff.; zu den Münzprägungen vgl. ibid., 901.
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Gemeinwesen festhalten, es aber in Wirklichkeit längst verloren haben. "169 virtus wird trotz ·ihrer Etymologie mit Vorliebe mit "Tugend", "Tüchtigkeit", "Tapferkeit" übersetzt, seltener mit "Mannhaftigkeit", meines Wissens nie mit "Männlichkeit". Diesen Übersetzungen liegt die unbe\vußte Annahme zugrunde; daß "Tugend" eine genuin männliche Eigenschaft ist, die Männlichkeit selbst also in der Übersetzung gar nicht mehr zum Ausdruck gebracht werden muß. Natürlich stand virtus schon vor Cicero für perfektes männliches Verhalten im Dienste der res publica. Die Tempel der virtus, die zusammen mit honos verehrt wurde, und die Seipionen-Inschriften legen hierfür u.a. Zeugnis ab,l70 Aber es war Cicero, der in seinem philosophischen Werk als erster eine Konzeption der virtus entwickelte, die die traditionellen römischen Vorstellungen von virtus bündelte und weiterentwickelte. Das Konzept der virtus ist bis jetzt insbesondere von der Klassischen Philologie diskutiert worden.171 Eine Verbindung zwischen den männlichen Rollen in Rom, die nur Facetten römischer Virilität sind, denen jedoch in der Forschungsdiskussion implizit ein nie näher definiertes Konzept von Männlichkeit zugrunde gelegt worden ist, und virtus ist allerdings noch kaum hergestellt worden, obwohl Männlichkeit in Rom an der virtus des einzelnen gemessen wurde. Die Späte Republik, eine Zeit der Umwertung aller Werte aus der Sicht Ciceros,172 sollte eine Atmosphäre schaffen, in der nur noch "simulacra virtutis"173 existierten, und in der es möglich war, ein vir ohne virtus zu sein und doch virtutes zu besitzen. Die Figur eines Catilina kann hier geradezu als exemplarisch gelten:
169 Cic. de rep. V, 1, 2 ("nam de viris quid dicam? mores enim ipsi interierunt virorum penuria, cuius tanti mali non modo reddenda ratio nobis, sed etiam tamquam reis capitis quodam modo dicenda causa est. nostris enim vitiis, non casu aliquo rem publicam verbo retinemus, re ipsa vero iam pridem amisimus. "). 170 Vgl. z. B. ILS I, IV, VI, VII. Zu den Seipioneninschriften als Modellen männlichen Handeins vgl. Bettini 1992, 151. 171 V. a. von. Eisenhut 1973. 172 Vgl. z. B. Cic. ad Brut. XVIII, 3; de rep. V, 1, 1/2. 173 Vgl. Cic. de off. I, 15, 46: "Quoniam autem vivitur non perfectis hominibus planeque sapientibus, sed cum iis, in quibus praeclare agitur, si sunt simulacra virtutis (Hervorhebung von mir), etiam hoc intellegendum puto, neminem omnino esse neglegendum, in quo aliqua significatio virtutis appareat..."
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"Dieser Mann hatte ja ... zwar nicht ausgeprägte, aper doch immerhin angedeutete Zeichen der trefflichsten Eigenschaften an sich. Er verkehrte mit einer Menge übler Menschen, und doch konnte er vortäuschen, den besten Männern zugetan zu sein. Es fanden sich bei ihm viele Anreize für Leidenschaften, es fand sich aber auch der Ansporn für Ehrgeiz und Anstrengung. Er verzehrte sich in leidenschaftlichen Begierden, ~her auch die Begeisterung für das Kriegswesen war in ihm lebendig. Niemals, glaube ich, hat es auf Erden ein solch monströses Wesen gegeben, derartig gemischt aus gegensätzlichen, wechselvollen und sich gegenseitig bekämpfenden Bestrebungen und Begierden der Natur."174 Der Ton dieses Nekrologes auf Catilina unterscheidet sich deutlich von dem Bild des Catilina, das Cicero in seinen Catilinarischen Reden gezeichnet hat. Da Caelius anläßlich seiner Anklage im Jahre 56 v. Chr. auch eine Beteiligung an der Verschwörung des Catilina vorgeworfen wurde, mußte Cicero natürlich zugunsten seines Klienten, der augenscheinlich zum Gefolge Catilinas gehört hatte,175 sein ursprüngliches Catilina-Bild entschärfen. Es gewann damit an Glaubwürdigkeit und an Authentizität. Die Montrosität - monstrum bedeutet "Vorzeichen" wie "Ungeheuer" _!76 offenbart sich für Cicero hier in der Kombination positiver wie negativer männlicher Eigenschaften und in seiner Fähigkeit der dissimu/atio, also der Täuschung. Die Figur Catilinas in ihrer Darstellung in der Cae/iana ist also Indiz für die Umwertung der männlichen Werteam Ende der Republik, die zumindest von Cicero wahrgenommen wurde, und kann als Vorzeichen einer neuen Virilität gedeutet werden, in der das männliche Selbst nur noch scheinbar dem Postulat der virtus gehorchte und dennoch auf gesellschaftliche Akzeptanz hoffen durfte, 177 für Cicero deutliches
174 Cic. pro Cael. 5, 12 ("Habuit enim ille ... pennulta maximarum non expressa signa sed adumbrata virtutum. Utebatur hominibus improbis multis; et quidem optimis se viris deditum esse simulabat. erant apud illum inlecebrae libidinum multae; erant etiam industriae quidem stimuli ac laboris. flagrabant vitia libidinis apud illum; vigebant etiam studia militaris. neque ego umquam fuisse tale monstrum in terris ullum puto, tarn ex contrariis diversisque atque inter se pugnantibus naturae studiis cupiditatibusque conflatum. "). Diese und die folgenden Übertragungen aus der Caeliana orientieren sich an Giebel 1994. 175 Vgl. S. 80 und S. llO. 176 Vgl. auch Cic. Cat. II, 1, 1: "nulla iam pernicies a monstro illlo atque prodigio moenibus ipsis intra moenia comparabitur." 177 Vgl. hier auch Trilling 1983, 47f.: ,,Auf einer bestimmten Stufe der historischen Entwicklung liegt die Wahrheit des Selbst darin, daß es sich nicht treu ist, daß es kein Selbst gibt, dem gegenüber es wahrhaftig zu sein vennag. Für das Selbst, den Geist, besteht die Wahrheit gerade in Betrug und Schamlosigkeit."
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Zeichen des Niederganges am Ende der Republik. So formulierte er in seinem Alterswerk "de officiis": . "Von aller Ungerechtigkeit aber verdient keine mehr den Tod als die derjenigen, die dann, wenn sie am meisten täuschen, darauf hinwirken, ·daß sie als gutgesinnte Männer erscheinen."178 Für die Entwicklung von Ciceros virtus-Begriff spielten letztendlich zwei Faktoren eine wesentliche Rolle: die wirtschaftliche und soziale Krise, die das spätrepublikanische Rom erschütterte, und das gesellschaftliche Legitimationsbedürfnis des homo novus Cicero. Daß gesellschaftliche Krisen auch zu einer Neubestimmung überlieferter männlicher Rollenklischees führen, ist bereits ausgeführt worden.l79 Die Krise im Rom der Späten Republik weist alle Charakteristika, die zwangsläufig einen Wertewandel nach sich ziehen müssen, auf: Die Spaltung der Aristokratie in Optimaten und Popularen seit 133 v. Chr. zersplitterte die Interessen der Senatsaristokratie und wurde von der Forschung auch als Ausdruck der Rebellion der Söhne gegen die Werte der Väter interpretiert,180 Sie evozierte schwere innenpolitische Krisen, in denen die Popularen von den Gracchen über Catilina bis hin zu Clodius ihren Blutzoll entrichteten, und die das Vertrauen in die Gerontokratie des Senats untenninierten,l81 Die innenpolitischen Unruhen waren untrennbar mit der bis dahin schwersten wirtschaftlichen Krise verknüpft, die die Republik jemals erlebt hatte, und die ihren deutlichsten Ausdruck in den von popularer Seite immer wieder geforderten tabulae novae, also einem totalen Schuldenerlaß, fand.182 Ursachen der wirtschaftlichen Depression waren die breite Insolvenz der Schuldner, die durch die fast permanente Kriegslage ausgelöste Akkumulation des Kapitals in den Händen der Bankiers und die hieraus resultierende Deflation, die zu einer zunehmenden 178 Cic. de off. I, 13, 41 ( "Totius autem iniustitiae nulla capitalior quam eorum, qui turn, cum maxime fallunt, id agunt, ut boni viri esse videantur."). Vgl. hier auch Cic. de off. III, 15, 61: " ... ex omni vita simulatio dissimulatioque tollenda est." und S. 116, Anm. 423. 179 Vgl. S. 28f. 180 Zum Generationskonflikt in der Späten Republik und seinen weitreichenden gesellschaftlichen Folgen vgl. Plescia 1976, 143. Vgl auch ibid., 168 zur Gleichsetzung von Popularen und iuvenes audaces. 181 Zur "perfekten" Gerontokratie des Senates vgl. Kleijwegt 1991, 188ff. 182 Zur Schwere der wirtschaftlichen Krise vgl. Cic. pro Sest. 49; 63 und de off. II, 24, 84. Cicero bemerkte im Jahre 62 v. Chr. ironisch zu seiner eigenen wirtschaftlichen Situation: "itaque nunc me scito tantum habere aeris alieni ut cupiam coniurare, si quisquam recipiat.". (fam. V, 6 , 2).
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Pauperisierung führte.J83 Die Nichtbewältigung der wirtschaftlich desolaten Situation durch die patres der Senatsoligarchie, · die · diesbezüglichen Refonnbestrebungen stets ablehnend gegenüberstand, unterminierte gerade in den Augen der politisch ambitionierten jungen Männer in der Nachfolge der Gracchen die auetorilas senatus,184 die weder den Erfordernissen de{durch militärische Expansion gewachsenen Imperium noch dem zunehinenden Einfluß einzelner Imperatoren vom Schlage eines Pompeius oder Caesar gewachsen war.J85 Das Versagen der Zentralgewalt des Senats schuf nicht nur Raum ·für aufsehenerregende Karrieren gerade auch junger Männer; es evozierte auch die kritische Diskussion des von der Senatsaristokratie zur Schau gestellten Wertekonzeptes, in dessen Zentrum der Begriff der virtus stand, durch den homo novus Cicero.186 virtus und ingenium mußten für Cicero die fehlende commendatio maiorum, über die die Angehörigen adliger gentes verfügten, ersetzen.187 Trotz seines Aufstieges zum Konsulat, außergewöhnlich für einen homo novus, blieb er sich zeitlebens seiner Außenseiterposition in der Nobilität bewußt.J88 Das
183 Zum Schuldenproblem vgl. Fredriksen 1966 und Cic. in Vat. llf.; ad Att. VII, 18, 4; Caes. b. c. m, 1,2. 184 Vgl. Plescia 1976, 168: "The movement ofthe populares, established by the Gracchi, was essentially a movement of the educated youth of the affluent classes of Rome, of the iuvenes audaces ... It took momentum and caused a constitutional crisis only because ... the oligarchy failed to respond adequately to the economic crisis and to the new social consciousness ... " 185 Vgl. Martin 1965, 224; Meier 1980, 15lff. und Brunt 1988, 8lf.: " ... in the changed conditions created by imperial expansion the senatonal aristocracy, blinded in part at least by short-term views of its own political and economic advantage, failed by timely concessions to satisfy the needs ... of the ltalian allies, the best-organized Equites, the urban plebs, the peasantry and the soldiers. To maintain or reassert its ascendancy, which was not based on unchangeable legal or customary rights, it tumed to coercition and force; but despite the traditions ofrespect for the senate as such, and for the noble families which preponderated in its ranks, it ceased to possess that measure of consent ... which was required if it was to retain a superiority offorce ..." 186 Vgl. Strout 1974, 68: "Für ... Menschen, die in einer Zeit der Instabilität leben, besitzen die alten Symbole, die wichtige Übergänge im Lebenszyklus andeuten, keine Authentizität mehr, und für sie sind nur vorübergehende, unsichere ldentitäten möglich." Sicherlich war für Cicero die virtus an und für sich noch authentisch, ihre vorgeblichen Träger waren es jedoch mit Sicherheit nicht mehr. 187 Vgl. Mancal1982, 100 und Cic. de off. I, 32, 116. 188 homines novi waren bis zum Erreichen der Praetur keine Ausnahme; anders verhielt es sich im Falle des Konsulats, wo sie in 300 Jahren lediglich 24 Konsuln stellten; vgl. Gelzer 1983, 27f. und 40f. Gelzers Nobilitätsdefinition wird bestätigt durch Burckhardt 1990.
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Bewußtsein, ein ignotus und ignobilis zu sein,189 formte Ciceros Theorie von der virtus, die seiner Auffassung nach allein aus sich selbst entspringt und nur aufsich selbst beruht und vor allem im Dienste der civitas zu wirken hat,190 also gerade · in dieser Definition für den homo novus einziger Schlüssel des gesellschaftlichen Aufstieges ist und· Cicero zufolge allein eine vera nobilitas vermitteln kann.l91 Eng verlmüpft mit ingenium und virtus ist Iabor, der allein die Vermittlung des ingenium ermöglichen kann.l92 Durch diese virtusAuffassung kann Cicero seine eigene. Herkunft in positiven Begriffen fassen: denn gerade ingenium und Iabor sind die Domänen des erfolgreichen homo novus,l93 Cicero wird deshalb in seiner Caeliana vor allemingeniumund Iabor als zentrale Begriffe einer erfolgreich absolvierten adulescentia, deren Ziel ja immer die Aneignung von virtus sein muß, hervorheben.194 virtus muß für den lwmo novus Cicero konsequenterweise immer die virtus der Tat sein: 195 Sie muß im Dienste der civitas wirken, sich stets von neuem auf die Probe stellen lassen, kann also fast als ein ,,Heroismus des Dienstes" Zu Ciceros Außenseiterposition als homo novus in der Nobilität vgl. Ase. Clark p. 84: "Huic orationi Ciceronis et Catilina et Antonius contumeliose responderunt, quod solum poterant, invecti in novitatem eius (Hervorhebung von mir)."; Q. Cic. comm. pet. 2ff.; Cic. pro Sull. 22ff. sowie Mancal 1982, 84 und 1OOf. mit weiteren Belegen. Zu Ciceros Aufsteigermentalität als "genialem Aufsteiger an sich" vgl. Gotter 1996, 107f. 189 Zu dieser Selbsteinschätzung Ciceros vgl. Mancall982, 85. 190 Vgl. Cic. rep. I, 2, 2: " ... virtus in usu sui tota posita est; usus autem eius est maximus civitatis gubematio ... " und Cic. Tusc. UI, 37: "(virtus) et oriatur a se et rursus ad se revertatur et omnia sua complexa nihil quaerat aliunde." 191 Zur virtus als Grundlage der vera nobilitas vgl. Mancal 1982, 107 und 122; zur Kritik Ciceros an der zeitgenössischen Nobilität, die nur noch über nomina nobilitatis verfüge, vgl. ibid., 105ft: und Cic. in Pis. 2: "ls (sc. Piso) mihi etiam gloriabatur se omnis magistratus sine repulsa adsecutum? Mihi ista licet de me vera euro gloria praedicare; omnis enim honores populus mihi ipsi homini detulit. .. Me euro quaestorem in primis, aedilem priorem, praetorem primum cunctis suffragiis populus Romanus faciebat, homini ille honorem non generi, moribus non maioribus meis, virtuti perspectae non auditae nobilitati (Hervorhebung von mir) deferebat." Vgl. auch ibid., 1: "Obrepsisti ad honores errore hominum, commendatione fumosarum imaginum, quarum simile nihil habes praeter colorem." 192 Vgl. zu diesem Zusammenhang Mancal 1982, 99 und ibid., 104: "Das ,facere' des homo novus bestimmt sich, als solches, als die Realisierung der virtus im usus sui durch das semper laborare; gerade das semper Iaborare ist es, das die Vielfalt der Realität der virtus ausmacht." 193 Vgl. Mancall982, 87f.: "Cicero begreift sich nicht mehr als ,obscuris maioribus ortus' ... , sondern als ... ,a se ortus' ... Des homo novus Selbstbewußtsein beruht so auf dem Wissen von sich selbst, ,euro ipse sui generis initium ac nominis a se gigni et propagari vellet. "' Das Zitat Ciceros ist Cic. in Verr. II, 50, 180 entnommen. 194 Zum Iabor vgl. S. 143 und S. 165; zum ingenium vgl. S. 184f. 195 Vgl. Cic. de off. I, 6, 19: "virtutis enim laus omnis in actione consistit."
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charakterisiert werden.196 Hier trifft sich die theoretische Definition mit Ciceros politischer Praxis nicht nur, aber vor allem während seines Konsulates.197 Teile der Forschung haben Cicero politische Weitsicht abgesprochen und ihm übermäßige Egozentrik und Eitelkeit vorgeworfen; dennoch · kann .sein· unbedingter Einsatz für die res publica nicht in Frage gestellt werden; alsÖ seine Versuche, im Rahmen der eigenen virtus-Konzeption zu handeln, auch wenn sich Ciceros Bild von der res publica letztendlich als Anarchronismus erweisen sollte.J98 Cicero hat sich vor allem in seinem philosophischen Spätwerk, den Tusculanen, um eine abschließende Definition von virtus bemüht und dabei den Zusammenhang zwischen vir und virtus, zwischen Mann und Männlichkeit, thematisiert: ,.Aber sieh doch, obwohl alle rechten Verfassungen der Seele virtutes genannt werden, ist das nicht der Eigenname von allen, sondern sie haben ihren Namen von der einen (virtus), die alle überragt. virtus ist nämlich von vir abgeleitet. Dem vir aber ganz besonders eigen ist die fortitudo, die insbesondere zwei Eigenschaften hat: die Verachtung des Todes und die Verachtung des Schmerzes. In diesen müssen wir uns also bewähren, wenn wir der virtus teilhaftig, vielmehr Männer sein wollen, denn die virtus hat ihren Namen von den Männem."199
196 Vgl. Cic. de off. I, 45, 160 zum Konnex zwischen pflichtgemäßem Handeln, also Handeln im Sinne der virtus, und dem Bestand der "societas hominum" und Mancal 1982, 109 zur Auseinandersetzung Ciceros mit dem Gemeinwohl als Eckpfeiler seiner Staatsphilosophie. Zum "Heroismus des Dienstes" vgl. Hegel1986, 378. 197 Zur Identifikation des Staates mit der eigenen Person, wie sie Cicero vor allem ab 63 v. Chr. praktizierte, vgl. Gotter 1996, 110f. 198 Zur fehlenden politischen Weitsicht Ciceros vgl. Fuhrmann 1994, 142. Zu Ciceros Egozentrik und Eitelkeit vgl. Cic. de dom. 92; 93, Gatter 1996, 1l3f. und Meier 1968, 110. 199 Cic. Tusc. II, 18, 43 ("Atquin vide ne, cum omnes rectae animi adfectationes virtutes appellentur, non sit hoc proprium nomen omnium, sed ab ea, quae una ceteris ecellebat, omnes nominatae sint. Appellata est enim ex viro virtus; viri autem propria maxime est fortitudo, cuius munera duo sunt maxima mortis dolorisque contemptio. Utendum est igitur his, si virtutis compotes vel potius si viri volumus esse, quoniam a viris virtus nomen est mutuata.") Vgl. hier auch Cic. de off. I, 7, 20: "iustitia, in qua virtutis splendar est maxima, ex qua viri boni nominantur..." und Cic. Tusc. V, 27, 76, wo virtus als Summe ausfortitudo, magnitudo animi und patientia definiert wird.
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Wichtigster Bestandteil der Virilität privatim ac pub/ice ist also die männliche fortitudo.200 Aber Ciceros virtus-Begriff umfaßt mehr als nur die Tapferkeit. Um Schmerz und Tod verachten zu können, müssen auch die magnitudo animi, die gravitas, die patientia, die rerum humanarum despicientia vorhanden sein und nicht .zuletzt die moderatiooder temperantia, "die es nicht zuläßt, daß du etwas Schändliches oder Gemeines tust." Cicero fährt hier f01t: "Und was ist schändlicher und gemeiner als ein e.ffeminatus vir?" - also ein Mann, der das Maß des Männlichen verloren hat.20t Ciceros Definition der virtus in den Tusculanen kann als Reaktion auf die oben kurz skizzierte politische Situation der Späten Republik, die von inneren Konflikten zerrissen w1d von einer normativen und wirtschaftlichen Krise erschüttert wurde, gedeutet werden.2o2 Die Umwertung aller Werte zog fast zwangsläufig auch eine Neubestimmung des männlichen Geschlechtsverständnisses nach sich. Die Erfahrung des Bürgerkrieges zivilisierte also paradoxerweise die Männlichkeit. Nicht mehr nur bloße fortitudo, sondemfortitudo erst in Verbindung mit moderatiound temperantia konstituiert echte virtus; diese muß sich nicht mehr allein im militärischen, sondern auch und vor allem im innenpolitischen Bereich der civitas bewähren. Schlüsselerlebnis ist für Cicero hier seine Bewältigung der Catilinarischen Verschwörung, mit der er den direkten Vergleich mit Pompeius203 suchte und die für ihn bewies, daß die domesticae fortitudines den militares fortitudines nicht mehr unterlegen waren.204 200 Zur fortitudo als einem Charakteristikum männlichen Verhaltens vgl. Cic. de off. I, 27, 95: "Similis est ratio fortitudinis; quod enim viriliter animoque magno fit, id dignum viro et decorum videtur, quod contra, id ut turpe sie indecorum." Vgl. hier auch Santaro L'Hoir 1992, 13f. 201 Cic. Tusc. III, 17, 36: "aderit temperantia, quae est eadem moderatio ... , quae te turpiter et
nequiter facere nihil patietur. Quid est autem nequius aut turpius ecfeminato viro?" Vgl. auch ibid., II, 13, 32 sowie de off. I, 35, 129: "Quibus in rebus duo maxime sunt fugienda, ne quid effeminatum aut malle et ne quid dumm aut rusticum sit." 202 Zum Zusammenbang von inneren Konflikten und einer moralischen Krise innerhalb der Oberschicht vgl. Plescia 1976, 159f. 203 Vgl. Cic. Cat. II, 13, 28: "Atque haec omnia sie agentur, Quirites, ut maximae res minimo motu, pericula summa nullo tumultu, bellum intestinum ac domesticum post hominum memoriam crudelissimum et maximum me uno togato duce et imperatore (Hervorhebung von mir) sedetur."; Cat. III, 6, 15: "Atque etiam supplicatio dis immortalibus pro singulari eorum merito meo nomine decreta est, quod mihi primum post hanc urbem conditam togato (Hervorhebung von mir) contigit ... " und Cat. III, 10, 23: "togati me uno togato duce et imperatore (Hervorhebung von mir) vicistis." Zu Ciceros Selbstvergleich mit Pompeius vgl. Cic. Cat. II, 5, 11; IV, 10, 21. 204 Vgl. Cic. de ofT. I, 22, 78.
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Ciceros Neuerung der tradierten virtus-Vorstellung deutet sich auch in einem anderen Umstand an, der virtus der Frauen. So schreibt Cicero aus seinem Exil an Terentia: ,,Den Briefen vieler und den Reden aller entnehme iCh, d?ß Deine virtus und Deine fortitudo unglaublich sind, und daß Du Dich weder durch seelische noch durch körperliche Anstrengungen erniüden läßt... Daß Du mit einer solchen virtus, einer solchenfides, einer solchenprobitas, einersolchen humanitas meinetwegen in eine derartige Mühsal geniten mußtest. .. "205 Cicero ist der erste, der virtus einer noch lebenden Frau zuschreibt.206 Einher mit diesem Zuständnis geht die Erkenntnis, selbst aufgrund der eigenen virtus gescheitert zu sein. So formuliert Cicero in einem anderen Brief: "Nicht meine Fehler, meine virtus hat mich ins Verderben gestürzt."207 Dieses Geständnis macht Cicero seiner Frau, die in Rom als Stellvertreteein im Dienste ihres Mannes agiert, quasi als seine altera ego und gerade deshalb virtus- Trägerin. Diese Delegierung ermöglicht es Cicero, den Verlust der eigenen virtus zu beklagen und Schmerz und Scham zu äußern: " ... ich vergehe vor Schmerz und Scham; denn ich schäme mich, daß ich es gegenüber meiner optima uxor, gegenüber meinen reizenden Kindem habe an virtus und diligentia fehlen lassen. "208 Die Konstatierung der virtus einer noch lebenden Frau, die hier einhergeht mit dem Eingeständnis, die eigene virtus verloren zu haben, ist sicher ein Indiz für die Veränderung weiblicher und männlicher Rollenbilder am Ende der Republik. Ein weiteres Indiz gerade fiir die Veränderung der männlichen Rolle ist die Tatsache, daß virtus im politischen Alltag keine absolute Größe mehr, sondern relativ geworden ist: Es können "viri sine virtute" existieren, ein 205 Cic. ad fam. XIV, 3, 1 ("Et litteris multorum et sermone omnium perfertur ad me incredibilem tuam virtutem et fortitudinem esse teque nec animi neque corporis laboribus defetigari... te ista virtute, fide, probitate, humanitate in tantas aerumnas propter me incidisse ... "). 206 Weibliche virtus wurde zu Zeiten der Republik mit Vorliebe den sagenhaften Heldinnen von Schlage einer Lucretia oder Verginia zugeschrieben. Diese Haltung ändert sich gerade in bezug auf die Ehefrauen allmählich im Verlaufe des Prinzipats; vgl. Treggiari 1991, 229ft'. 207Vgl. Cic. ad fam. XIV, 1, 5. 208 Cic. ad fam. XIV, 4, 2 (" ... cum dolore conficiar turn etiam pudore; pudet enim me uxori meae optimae, suavissimis liberis virtutem et diligentiam non praestitisse.").
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Catilina kann "adumbrata signa virtutis" aufweisen, eine "mediocris virtus" kann für einen gesellschaftlichen Erfolg schon ausreichend sein.209 virtus ist in der politischen Praxis letztendlich nur noch scheinbar vorhanden. In diesem Sinne schreibt Cicero an Atticus: "Wie schwer ist virtus! Wie schwer, sie jeden Tag vorztJtäuschen!"2IO Wahrung von Männlichkeit muß sich nunmehr für Cicero über den Akt des sui similem esse vollziehen: Die Treue sich selbst gegenüber und den anderen kann Identität und Gemeinschaft stiften und beide retten;2tt sie ist Grundlage der virtus Ciceros, die er gerade den adulescentes auf ihrem Weg hin zur Virilität anzuerziehen versuchen wird.212 Dissimulatio wird dagegen zum Kontrapunkt der Virilität.213 Für Cicero bleibt die virtus in Verbindung mit der Treue sich selbst und anderen gegenüber Schlüsselbegriff römischer Männlichkeit. Diese virtus zu erreichen, mußte in seinen Augen Ziel der adulescentes sein.
209 Vgl. Cic. pro Plane. 12; pro Cael. 12; ad fam. XIV, 3, 5. 210 Cic. ad Att. VII, I, 5 ("quam non est facilis virtus! quam vero difficilis eius diutuma dissimulatio!"). 211 Vgl. Cic. ad fam. XIV, 8, 2: "et tarnen eius modi spero negotia esse, ut ... sperem ... me aliquando cum similibus nostri rem p. defensuros."; Cic. de off. I, 17, 55: "Sed omnium societatum nulla praestantior est, nulla firmior, quam cum viri boni moribus similes sunt familiaritate coniuncti"; 58: " ... estque ea iucundissima amicitia, quam similitudo morum coniugavit." Vgl. Auch Cic. de off. II, 12, 43; 13, 44. 212 Vgl. S. 22lf. und S. 239. 213 Zur dissimulatio vgl. S. 51 f.
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3. 2. Die Sestiana: Die adulescentes in der Politik · Nach seiner Rückkehr aus dem Exil wurde Cicero auch gerade von jungen Männem begeistert empfangen, eine Bestätigung seiner Theorie ~r RettUng der res publica, der concordia ordinum, die auch auf der Einmütigkeit aller aetates basierte, und die er zuerst in seinen Reden gegen Catilina formuliert hatte.2l4 Cicero vertiefte diese Theorie in seiner Rede für Sestius, die er einen Monat vor· seinem Plädoyer ftir Caelius hielt. Die Sestiana appelliert in der erster Linie an die adulescentes und illustriert Ciceros Versuch, die adulescentes seiner Zeit zur virtus - dem Inbegriff römischer Männlichkeit - zu erziehen, in aller Deutlichkeit. Diese Auseinandersetzung mit der adulescentia setzt sich auf theoretischer Ebene mit der Caeliana fort und findet ihren Abschluß in Ciceros Alterswerk Cato maior de senectute. Ihre Interpretation kann demnach Aufschluß über Ciceros Haltung gegenüber und Bewertung der adulescentia geben. Anfang März 56 v. Chr. verteidigte Cicero P. Sestius gegen eine Anklage de vi, die von Clodius in Szene gesetzt worden war.215 Sestius, im Jahre 57 v. Chr. Volkstribun und wie sein Amtskollege Milo energischer Beftirworter der Rückkehr Ciceros, wurde die Aufstellung und der Einsatz von bewaffueten Schlägerbanden vorgeworfen. Sestius wurde einstimmig vom Vorwurf der Anklage freigesprochen. Ciceros Verteidigungsrede ist politisches Programm und Fortsetzung der politischen Theorie seiner Konsulatsreden zugleich: denn die Sestiana sieht den Erhalt der res publica durch die Formel "cum dignitate otium" und durch die Einheit der boni aller Stände und Altersgruppen gewährleistet, während die Konsulatsreden den consensus omnium bonorum beschworen hatten.2t6 214 Vgl. Cic. pro Sest. 51, 109: "Utra igitur causa popularis debet videri: in qua omnes honestates civitatis, omnes aetates (Hervorhebung von mir), omnes ordines una consentiunt, an in qua furiae concitatae tamquam ad funus rei publicae convolant?" sowie zur Entwicklung des Begriffes der concordia ordinum in den Catilinarischen Reden Cic. Cat. I, 1, 1; II, 9, 19; IV, 7, 15f. und 9, 18f.: "omnes ordines ad conservandam rem publicam mente, voluntate, voce consentiunt. .. habetis omnes ordines, omnes homines, universum populum Romanum unum atque idem sentientem." Vgl. Auch Cic. de dom. 15: " ... quod in meo reditu spes oti et concordiae sita videbatur... " und ibid., 57. Zur Ausbildung des Begriffes der concordia ordinum ab dem Jahre 63 v. Chr. vgl. Strasburger 1956, 39ff. 215 Zum politischen Hintergrund der Anklage vgl. Gruen 1974, 300ff. 216 Zumconsensusomnium bonorum vgl. Anm. 214 sowie Cic. Cat. I, 32; pro Flacc. 103; de dom. 94; zur Formel cum dignitate otium vgl. pro Sest. 45, 98. Zum politischen Programm der Sestiana vgl. Fuhrmann 1994, 142f. Daß Cicero nach seiner triumphalen Rückkehr aus dem
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Ciceros Programm richtet sich vor allem an die adulescentes bzw. die iuventus seiner Zeit;2t7 die Sestiana kann deshalb auch als hervorragendes Zeugnis für römische Vorstellungen zu der politischen Einbindung der adu/escentia gelten. Denn die Rede in Rom, deren Ziel auch das docere der Zuhörerschaft ist, muß da.s Wahrscheinliche als Norm formulieren, um die Richter überzeugen zu können.2l8 Das Votum eines Freispruchs impliziert also hnmer auch die Zustimmung zur Darstellung des Redners. Die Rede ist vielfach durchsetzt mit Appellen an die adulescentia bzw. die iuventus, den Richtlinien der Optimaten, wie Cicero sie definiert,2l9 zu folgen und schlechte Vorbilder - sc. Clodius - zu verwerfen. Gegen Ende der Rede zieht Cicero sein dementsprechendes Fazit: "Doch um nun endlich mit meiner Rede zu einem Ende zu kommen und um eher aufzuhören zu sprechen, als ihr aufhört, mir so aufmerksam zuzuhören, will ich meine Äußerungen über die Optimaten, ihre führenden Männer und Verteidiger des Staates damit abschließen, daß ich euch, ihr jungen Männer, die ihr Adlige seid, aufrufe, euren Vorfahren nachzueifern, und euch, die ihr durch Begabung und Leistung die Nobilität erreichen könnt, ermahne, den Weg zu beschreiten, auf dem viele homines novi zu Ehren und Ruhm gelangt sind. Das ist, glaubt es mir, der einzige Weg zu Ruhm, Ansehen und Ehre: von guten vernünftigen Männern gelobt und geschätzt zu werden, die Verfassung
Exil von der Richtigkeit seiner politischen Linie, die er während seines Konsulats eingeschlagen hatte und die letztendlich in die totale Identifikation seiner eigenen Person mit der res publica mündete, überzeugt war, belegt Gotter 1996, 117. Vgl. hier auch Gruen 1974, 503: "Cicero ... equates bis own problems with the ills ofthe Republic." 217 Der Sprachgebrauch in der Sestiana unterscheidet sich in seiner Gleichsetzung von iuvenes und adulescentes von dem der Caeliana (vgl. S. 123f.) und ist ein Indiz für Eybens These von der Diffusion der Begriffe. Allerdings gebraucht Cicero als Anrede nur "adulescentes". 218 Zu den Zielen der Rede (docere, delectare, movere) vgl. Cic. Brut. 185. Zur Aufgabe des Verteidigers, das Wahrscheinliche als wahr auszugeben, vgl. Cic. de off. Il, 14, 51: "Nam quid est tarn inhumanum quam eloquentiam a natura ad salutem hominum et ad conservationem datam ad bonorum pestem perniciemque convertere? ... Iudicis semper est in causis verum sequi, patroni non numquam veri simile, etiamsi minus sit vernm, defendere (Hervorhebung von mir) ..." 219 Cicero ersetzt in der Sestiana den gängigen Gegensatz Optimaten-Popularen durch den der boni - improbi; vgl. Cic. pro Sest. 44, 96f. und die Interpretation dieser Begriffsverschiebung bei Lacey 1971 und Gotter 1996, 111 f.
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unseres Staates zu kennen, die unsere Vorfahren mit so viel Weisheit geschaffen haben. "220 Prägnant formuliert Cicero hier die Richtlinien für das Erwachsenwerelen der adu/escentes. Oberstes Gebot ist das Prinzip der. Nachahmung; während allerdings adulescentes nobiles den eigenen Ahnen nacheifern können, sind die jungen homines novi auf kulturelle und gesellschaftliche Vorbilder angewiesen, also auf Männer, die gut, weise und im Einklang tnit der natura handeln.221. Gerade für die letzteren ist demnach die Wahl des Mentors von entscheideilder Bedeutung für ihre zukünftige politische Haltung und ihr weiteres politisches Avancement, wie das Beispiel des Caelius zeigen wird.222 Diese Mentoren sollen Optimaten sein, wie sie Cicero in der Folge defmiert: "Die Männer, die diese Grundsätze (nämlich die der Herrschaft des Senates, d. V.) nach Kräften vertreten, sind Optimaten, gleichgültig zu welchem Stand sie gehören; diejenigen aber, die mehr als andere die Last der Staatsgeschäfte auf ihre Schultern nehmen, die galten immer als die ersten Männer der Optimaten, als die Wortführer und Schirmherrn der Bürgerschaft. Männer dieser Art haben ... viele Gegner, ich gebe es zu; sie haben Feinde, Neider, sind vielen Gefahren ausgesetzt, vielen Kränkungen ausgeliefert; sie müssen große Anstrenungen auf sich nehmen und ertragen. Aber ich habe es ja in meiner ganzen Rede mit der virtus zu tun, nicht mit dem Nichtstun; mit der Ehre, nicht mit der voluptas; mit denen, die glauben, für ihr Vaterland, :fiir ihre Mitbürger,
220 Cic. pro Sest. 65, 136f. ("Sed ut extremum habeat aliquid oratio mea, et ut ego ante dicendi finem faciam quam vos me tarn attente audiendi, concludam illud de optimatibus eorumque principibus ac rei publicae defensoribus, vosque, adulescentes, et qui nobiles estis, ad maiorum vestrorum imitationem excitabo, et qui ingenio ac virtute nobilitatem potestis consequi, ad eam rationem in qua multi homines novi et honore et gloria floruerunt cohortabor. (137) Haec est una via, mihi credite, et Iaudis et dignitatis et honoris, a bonis viris sapientibus et bene natura constitutis laudari et diligi; nosse discriptionem civitatis a maioribus nostris sapientissime constitutam ... "). Diese und die folgenden Übersetzungen aus der Sestiana orientieren sich an Krüger 1980. 221 Auch in modernen Forschungsansätzen wird die Bedeutung von Vorbildern außerhalb des familiären Bannkreises fiir den Adoleszenten betont; vgl. S. 16 und Erikson 1971 pass. Zur imitatio freiwillig gewählter Vorbilder, fiir Cicero gerade fiir homines novi von Bedeutung, vgl. Mancal 1982, 116 und Cic. de off. I, 32, 116: "Fit autem interdum, ut nonnulli omissa imitatione maiorum suum quoddam institutum consequantur, maximeque in eo plerumque elaborant ii, qui magna sibi proponunt obscuris orti maioribus." 222 Vgl. S. 90ff.
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für Anerkennung und Ruhm geboren zu sein, nicht zum Schlafen, ftir Festessen und Vergnügen."223 Prägnant formuliert Cicero hier die Quintessenz römischer Männlichkeit (= virtus), dit; ein ordo-übergreifendes Ideal und deren einziges Ziel der Erhalt der res p'ublica sein muß.224 Diese Passage greift Ciceros Ausführungen in der Caeliana ·in bezug auf das Ideal des Redners, der immer immer im Dienste der res publica zu handeln hat, vor, wenn sie die Notwendigkeit des Iabor betont, um Ziele durchzusetzen.225 Die Notwendigkeit des Iabor muß beim wahren Optimaten wie beim Redner mit einer Absage an desidia und voluptas einhergehen. Deshalb wird Cicero auch im Falle des Caelius versuchen, den Nachweis dafür zu führen, daß sein Mandant als Redner gleichzeitig kaum desidia und voluptas verfallen sein könne.226 Die Vorbilder der adulescentes müssen Optimaten nach der Definition Ciceros sein. Da Cicero dieses Vorbild ganz bewußt als ordo-übergreifend verstanden haben will, bietet es sich jungen nobiles wie jungen homines novi zur Identifikation an. Daß es zudem patemale Eigenschaften, insbesondere die Elemente der cura und des Iabor, aufweist, ist selbstverständlich, daß diese patemalen Züge implizit allerdings von den leiblichen Vätern abgelöst werden, ist auffallend und kann als Reflex der römischen Adoptionsvorstellung gedeutet werden, die den patres jenseits der biologischen Vaterschaft die Möglichkeit bot, geeignete "Söhne" auszuwählen.227 Die Relativierung der Bedeutung des leiblichen Vaters ist auch Grundlage für Ciceros Umgang mit adulescentes, für die er immer, wie im übrigen auch für die res publica, wie ein pater sein will, wie noch zu zeigen sein wird.228
223 Cic. pro Sest. 66, 138 ("Haec qui pro virili parte defendunt optimates sunt, cuiuscumque sunt ordinis; qui autem praecipue suis cervicibus tanta munia atque rem publicam sustinent, hi semper habiti sunt optimaturn principes, auctores et conservatores civitatis. Huic hominum generi fateor ... multos adversarios, inimicos, invidos esse, multa proponi pericula, multas inferri iniurias, magnos esse experiundos et subeundos Iabores; sed mihi omnis oratio est cum virtute non cum desidia, cum dignitate non cum voluptate, cum iis qui se patriae, qui suis civibus, qui laudi, qui gloriae, non qui somno et conviviis et delectationi natos arbitrantur."). 224 Zur virlus vgl. S. 49ff. 225 Zum Iabor als Signum des Aufstiegs des homo novus vgl. S. 55f. 226 Vgl. S. 141f. 227 Vgl. Thomas 1996, 280 zu der sich im Adoptionsprinzip manifestierenden römischen Vorstellung, "die Abstammung sei im wesentlichen eine Sache willentlicher Entscheidung." 228 Zum Selbstverständnis Ciceros alspaterder civitas vgl. Cic. de dom. 95: "Exstinctum est iam illud maledieturn crudelitatis, quod me non ut emdelern tyrannum, sed ut mitissimum parentern omnium civium studiis (Hervorhebung von mir) desideratum, repetitum, arcessitum
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Zentrale Schlüsselbegriffe römischer Virilität sind Cicero~) Sestiana zufolge dignitas und virtus. Ihr Erwerb muß fiir ihn Ziel der adulescentia abseits etwa fixierter Altersgrenzen sein. Cicero geht es also primär um die moralische Entwicklung und die gesellschaftliche Einordnung des adulescens .. Dignitas. meint einen gesellschaftlichen Rang, der erworben werden und durch · die Gemeinschaft verliehen werden muß;229 virtus hingegen .ist scheinbar paradoxerweise Eigenschaft und Ziel zugleich.230 Um dignitas, die nur in der und durch die res publica verliehen werden kann, zu erwerben, sind politisch ambitionierte adulescentes zur Verteidigung des Staates verpflichtet: ,,Deshalb mahne ich euch, junge Männer, ... die ihr euer Augenmerk auf Ehre, auf eine politische Laufbahn, auf Ruhm richtet: Wenn euch einmal eine Zwangslage dazu aufruft, den Staat gegen schlechte Bürger zu verteidigen, dann seid nicht allzu säumig und schreckt durch die Erinnerung an meinen Sturz nicht vor energischen Maßnahmen zurück!"23I Die Ziele einer erfolgreichen römischen Virilität werden hier klar durch den Erwerb von Dignität, durch Absolvierung des cursus honorum (res publica), also das Engagement im Dienste des Staates,232 und durch gesellschaftlichen Erfolg (gloria) definiert.233 Cicero geht hier außerdem davon aus, daß seine Lautbahn Vorbildcharakter besitzt - deshalb der Hinweis auf sein Exil, das vident." Zur patemalen Attitüde Ciceros gegenüber den adulescentes Atratinus und Caelius vgl. S. 110. 229 Zur dignitas vgl. S. 88f., S. 115f. sowie Drexler 1966 pass. und Rilinger 1991, 81f., der ordo und dignitas als ,,zentrale Begriffe römischen Leistungs- und Rangdenkens" definiert. 230 Vgl. Cic. de off. n, 10, 35 : " ... meque ipso saepe disputatum sit, qui unam haberet, omnes habere virtutes ... " 231 Cic. pro Sest. 23, 51 ("Qua re moneo vos, adulescentes, ... qui dignitatem, qui rem publicam, qui gloriam spectatis, ne, si quae vos aliquando necessitas ad rem publicam contra improbos civis defendendam vocabit, segniores sitis et recordatione mei casus a consiliis fortibus refugiatis. "). 232 Zur absoluten Pflicht, den cursus honontm einzuschlagen, vgl. auch Cic. de off. I, 21, 72: "Sed iis, qui habent a natura adiumenta rerum gerendarum, abiecta omni cunctatione adipiscendi magistratus et gerenda res publica est; nec enim aliter aut regi civitas aut declarari enim magnitudo potest." 233 gloriamuß immer im Dienste der res publica erworben werden; vgl. Mancal 1982, 121: "Des Einzelnen virtus ist es, die das Negative der Iabores, der dolores negiert: stellt diese virtus im usus sui nicht ihre eigene Realität her, zielt sie nicht auf das esse usui civitatis, sondern unmittelbar auf die gloria, so ist sie eine negative, weil: nihil habet in se gloria cur expectatur (Cic. Tusc. I, 109)."
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seiner Meinung nach letztendlich Resultat seines energischen Widerstandes , gegen Catilinas Umtriebe war.234 Wiederholt geht Cicero in seinem Plädoyer für Sestius auf die Notwendigkeit des.· Vorhandenseins adäquater Vorbilder für die adulescentes ein. Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen Sestius und Clodius bemerkt er beispielsweise: ,,Aber welche Schlüsse werden die jungen Männer ziehen, die das miterleben? Der Mann, der öffentliche Bauten, heilige Tempel, die Häuser seiner Feinde gestürmt, zerstört und in Brand gesteckt hat, der immer von Banditen umdrängt, von Bewaffneten abgeschirmt, durch ein Netz von Spitzeln gesichert war, ... der einen Haufen auswärtiger Verbrecher aufgehetzt, zu Mord und Totschlag fähige Sklaven gekauft und während seines Tribunats alle Gefängnisinsassen auf das Forum losgelassen hat, der läuft als Ädil frei herum und klagt den an, der seinem maßlosen Wüten wenigstens einigermaßen Einhalt geboten hat..."235 Die adulescentes sind hier aufmerksame, keineswegs apolitische Zuschauer des Zeitgeschehens. Sie sind deshalb auch anfällig für ein Vorbild "Clodius"; Clodius hatte sein Volkstribunat - das klassische Instrument politisch ambitionierter adulescentes seit den Gracchen _236 zu umfangreichen Gesetzesinitiativen genutzt; die insgesamt auf die Schwächung der Senatsautokratie und -willkür abzielten. Er trieb populare Politik bis zur letzten Konsequenz und erwarb sich bei seinen zahlreichen Anhängem eine in den Augen Ciceros äußerst zweifelhafte gloria. Sein kometenhafter Aufstieg vom Instrument der Triumvim zum unabhängigen, äußerst einflußreichen popularen Politiker mußte adulescentes beeindrucken, die auf der Schwelle zum cursus honorum standen. Gerade diesen adulescentes will Ciceros Sestiana ein anderes
234 Zur Lautbahn Ciceros, die "sich in atemberaubender Makellosigkeit und Gesetzlichkeit (vollzog)", vgl. Gotter 1996, 108. Zu Ciceros Exilierung als Folge der Gesetzesinitiativen des Clodius vgl. Willl991, 74f. 235 Cic. pro Sest. 44, 95 ("sed qui haec vident adulescentes quonam suas mentis conferent? Ille qui monumenta publica, qui aedis sacras, qui domos inimicorum suorum oppugnavit excidit incendit, qui stipatus semper sicariis, saeptus armatis, munitus indicibus fuit, ... qui et peregrinam manum facinerosorum concitavit et servos ad caedem idoneos emit et in tribunatu carcerem totum in forum effudit, volitat aedilis, accusat eum qui aliqua ex parte eius furorem exsultantem repressit. .."). 236 Vgl. Plescia 1976, 160ff.; zum Volkstribunat als möglichem Ende der adulescentia vgl. S. 242f.
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Leitbild präsentieren, das der Optimaten, die die wahren Popularen seien,237 Männer und Aristokraten wie ein M. Scaurus, ein Q. MeteBus ·oder ein Q. Catulus: ,,Diese Vorbilder müßt ihr nachahmen, bei den unsterblichen Göttern, ihr, die ihr nach Ansehen, Lob und Ruhm strebt! Sie sind groß, göttlich, unsterblich; sie sind in aller Munde, werden in geschichtlichen Dokumenten festgehalten und der Nachwelt überliefert. Ihnen nachzueifern, bringt Mühe, ich leugne es nicht, große Gefahren, ich gebe es zu; denn es ist nur zu wahr, daß, wie man gesagt hat, ,Hinterlist den Guten droht'. "238 Cicero formuliert hier die Trinität männlicher Ziele: dignitas, laus und g/oria. Sie ist nicht durch spektakuläre politische Aktionen zu erreichen, sondern durch Iabor und das konsequente Eintreten für die Belange der /ibera res publica, auch unter Einsatz des eigenen Lebens. Lohn für vorbildliches männliches Verhalten im Sinne der boni ist Unsterblichkeit. Unsterblichefama besitzt einen hohen Stellenwert im römischen Wertesystem, das bei Cicero grundsätzlich durch Retrospektive gekennzeichnet ist:239 Ein römischer Mann muß so männlich werden, wie seine Vorgänger es waren, wie es der Kodex der maiores diktiert: Fama entsteht also durch die Bewahrung der Tradition, wie sie von den maiores etabliert worden ist.240 Dieses Männlichkeitsbild trägt ebenso wie
237 Zur Umdeutung des Begriffs popularis in der Sestiana vgl. Martin 1965, 50f. 238 Cic. Pro Sest. 48, 102 ("Haec imitamini, per deos immortalis, qui dignitatem, qui laudem, qui gloriam quaeritis! Haec ampla sunt, haec divina, haec immortalia; haec fama celebrantur, monumentis annalium mandantur, posteritati propagantur. Est Iabor, non nego; pericula magna, fateor; multae insidiae sunt bonis verissime dieturn est."). 239 Zum Lob der Unsterblichkeit vgl. Cic. Cat. ill, 11, 26: "Quibus pro tantis rebus, Quirites, nullum ego a vobis praemium virtutis, nullum insigne honoris, nullum monurnenturn Iaudis postulabo praeterquam huius diei memoriam sempiternam (Hervorhebung von mir)." und ibid., N, 11, 23 sowie Mancal 1982, 122. Zu Ciceros anachronistischem Weltbild in der Sestiana vgl. Gotter 1992, 112: "Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, worum es Cicero im Grunde ging: um die Definition der Ordnung, um die Fixierung überkommener Werte, die sich der Objektivierung zunehmend entzogen. Die boni etwa verstanden sich wohl einhellig als die Schützer der tradierten Verfaßtheit, als diejenigen, die im Einklang mit dem mos maiorum handelten." Zu Ciceros reformatorischem Ehrgeiz, durch Rückbesinnung auf den Kodex der maiores die res publica erneuern zu wollen, vgl. Kroymann 1969, 255. 240 Beispielhaft wird dieser Zusammenhang durch die Seipionen-Inschriften (CIL VI 1288 1293) illustriert; vgl. insbesondere CIL VI 1288 = ILS 4: "quibus sei in longa Jicuisset tibe utier vitajfacile facteis superasses gloriam maiorum" und CIL VI 1293 = ILS 6: "maiorum optenui laudem, ut sibei me esse creaturn/laetentur: stirpem nobilitavit honor." Cicero rechnet
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Ciceros politische Botschaft in der Sestiana anachronistische Züge und ignoriert das Debakel der Späten Republik, einer Epoche, in der wie in kaum einer anderen Männer Geschichte machten und die durch eine Infragestellung all~r traditionellen Werte gekennzeichnet war:24t So geriet vor allem dignitas zu eiriem W~rt, den Männer wie Catilina und Caesar für sich in Anspruch nahmen, ohne erst die Billigung einer Senatsmajorität abzuwarten.242 · Cicero geriert sich in der Sestiana als laudator temporis acti243. Die Gründe liegen hier auf der Hand: Die erfolgreiche Bewältigung des Catilinarischen Unternehmens, das indessen im Vergleich etwa zu Pompeius' Aktionen im Osten und Caesars Erfolgen in Gallien ein Sturm im Wasserglas war, und die triumphale Rückkehr aus dem Exil schienen Ciceros anachronistischer Utopie von einer res publica, gestützt auf die Normen der maiores, zunächst Recht zu geben. Die Sestiana fiel in den März des Jahres 56 v. Chr.; wenige Wochen später erneuerten die Triumvirn ihr Bündnis in Lucca - Ciceros Appell an den consensus omnium bonorum war gescheitert. Die Cae/iana, gehalten in den ersten Aprilwochen desselben Jahres, also kaum einen Monat nach der Sestiana, kann de1m1ach auch als Reaktion auf das Scheitern eines politischen Reformversuches, der sich letztendlich in der Restauration erschöpfte, gedeutet werden. In der Sestiana appellierte Cicero an alle adulescentes, in der Cae/iana wird er einen von ihnen verteidigen. Während die Sestiana versuchte, das Kollektiv der adulescenü!s auf den Imperativ des mos maiontm zu verpflichten, wird die Caeliana dem Aktionsraum des ,,realen" adulescens ungleich mehr Rechnung tragen. In seinem Plädoyer für Sestius hatte Cicero den voluptates der jungen Männer keinen Platz eingeräumt, da das Eingeständnis von voluptates Ciceros Zielgruppe in die Nähe des Clodius, mit dem einmal mehr in der Sestiana in
Scipio Aemilianus zu den maiores der gesamten civitas; vgl. Cic. Verr. II, 4, 79- 83 und zur Stelle Rotoff 1983, 278ff. Zum hohen Stellenwert der maiores bei Cicero vgl. Cic. de rep. I, 21, 34 und ibid., I, 46, 70: "sie enim decemo, sie sentio, sie affinno nullam omnium rerum publicarum aut constitutione aut discriptione aut disciplina conferendam esse cum ea, quam patres nostri nobis acceptam iam inde a maioribus reliquerunt." Zur Vorbildfunktion der patres familias für die männlichen Nachkommen des Hauses vgl. Cic. de off. I, 32, 116: "quorum vero patres aut maiores aliqua gloria praestiterunt, ii student plerumque eodem in genere Iaudis excellere..." und ibid., I, 33, 121: "optima autem hereditas a patribus traditur liberis omnique patrimonio praestantior gloria virtutis rerumque gestarum, cui dedecori esse nefas et vitium iudicandum est." 241 Zum Konservativismus Ciceros gerade in bezug auf den Begriff der maiores vgl. Rotoff 1983, 307ff. 242 Vgl. S. 64, Anm. 229. 243 Vgl. Hor. a. p. 173.
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harscher Invektive abgerechnet wird, gerückt hätte. Anders wird die Caeliana voluptates und libidines streng voneinander scheiden und unterschiedlich bewerten.244 Das Schreckensbild "Clodius" verbot nicht nur die Verbindung adulescentia/voluptates, es untersagte auch die Verbindung ardor/adulescentia, da ardor gerade in ,,Pro Sestio" Signum des monstrum Clodius ist. Iti ;,Pro Caelio" wird dagegen der Konnex ardor/adulescent{a ebensowenig ansti,)ßig wie der der voluptates/adulescentia sein. ardor wird sogar als notwendige Voraussetzung für die politische Karriere des adulescens mit gloria in Zusammenhang gesetzt werden und als positives Charakteristikum der Lebensphase der adulescentia gelten.245 In zwei wesentlichen Punkten stimmen indessen Sestiana und Caeliana überein, in den gesellschaftlich geforderten Zielsetzungen der adulescentes - dignitas und gloria, verliehen durch die res publica- und in ihrer Erkenntnis des politischen Einflusses der adulescentes, die in der Späten Republik nicht nur als Klientel, nicht nur in bezug auf Wahlen,246 sondern gerade auch als Politiker eine hervorragende Rolle spielen konnten. Sestiana und Caeliana legen Zeugnis dafür ab, daß Cicero sein Augenmerk nach seiner Rückkehr aus dem Exil verstärkt auf politisch ambitionierte adulescentes einflußreicher gentes gerichtet hatte. Cicero war von der Nobilität enttäuscht, die sein Exil zunächst kaltlächelnd akzeptiert und ihn dann im Stich gelassen hatte. Cicero war aber auch überzeugter Vertreter einer Staatsidee, wie sie die nobiles längst vergangeuer Tage geschaffen hatten. Seine Auseinandersetzung mit der adulescentia zeugt von einem Kompromiß und dem Glauben, daß adulescentes zu boni in Ciceros Sinne .erzogen werden könnten.247 Sestiana und Caeliana könnten als Verteidigungsreden als Zugeständnisse an die Tagespolitik gedeutet werden. Cicero hat aber auch auf philosophischer 244 Vgl. S. 133. Dieser Umstand ist von Eyben 1977, 98 übersehen worden, der das
Vokabular der Sestiana beibehält; vgl. Eyben 1977, 70f.
245 Vgl. S. 165f. 246 Zu den adulescentes als Klientel Catilinas Cic. Cat. II, 3, 5; 4, 7/8; 6, 13 ; 9, 22/23 ; Sall. bell. Cat. 14; als Klientel des Clodius vgl. Cic. ad Att. I, 14, 5; als Klientel Caesars vgl. Cic. ad Att. VII, 3, 5; 7, 6.; als Klientel Ciceros vgl. Cic. Cat. ill, 2, 5; zu ihrer Bedeutung für Wahlen vgl. Q. Cic. com; pet. 8, 33; "Nam studia adulescentulorum in suffragando, in obeundo, in nuntiando, in adsectando mirifice et magna sunt." 247 Zu Ciceros erzieherischen Ambitionen insbesondere im Bereich der Redekunst, die im republikanischen Rom immer politisch war, vgl. Cic. ad Att. II, 1, 3; IV, 2, 2; Phil. II, 20. Zu Ciceros Proteges vgl. Balsdon 1965, 181: "(Cicero) patronized a number ofyounger men with intemperate enthusiasm (Octavian the last of them), conscious to their failings, but willfully blind to the significance ofthose failings."
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Ebene in seinem Alterswerk Cato maior de senectute vor dem Hintergrund seiner Darstellung der Segnungen des Alters die adulescentia beschrieben. Von Ciceros Darstellung des Verkehrs der Männer verschiedener Altersstufen untereinander, dessen konfliktfreier Verlauf für Cicero die Stabilität eines patriarchalischen Gesellschaftssystems garantieren kann, wird jetzt zu reden sein.·
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3. 3. Cato maior de senectute: Hierarchien der Virilität Die Adoleszenzforschung hat römischen Theorien zur adu/escentia ·jegliche. Originalität abgesprochen.248 Ciceros Darstellung von Alter und Jugend inCato maior de senectute wird hingegen gerade in ihrer positiven Zeichnung yon senectus und adulescentia die Eigenständigkeit römischer Vorstellungen zu den Lebensaltern belegen können.249 Cicero unterscheidet in seinem Dialog Cato maior de senectute, entstanden im Jahre 44 v. Chr. und dem Freund Atticus gewidmet, vier Altersstufen:250 "Das Leben hat seine bestimmte Bahn, und es gibt nur einen Weg der Natur, und der ist einfach; und jeder Lebensabschnitt hat seine Zeit zugemessen bekommen: die Schwäche der IGnder, die Wildheit der Jugend, der Ernst des Mannesalters und die Reife des Greisenalters haben etwas Naturgemäßes, das zu seiner Zeit ergriffen werden wi11."251 Für Cicero nimmt das Alter eine hervorragende Stellung ein. Die Alten sind für ihn aufgrund ihrer Erfahrung und auetorilas Lenker und Bewahrer des Staatssystems, ungeachtet ihrer physischen Schwäche:252
248 Vgl. S. 20. 249 Zur der mit Ausnahme Platons (vgl. Plat. Pol. 328d - 330a) ·generell negativen Einschätzung des Alters im klassischen Griechenland vgl. Arist. Rhet. II, 12/13 = 1389a, 351390a, 25 (Vergleich zwischen Jugend und Alter) sowie Powell 1988, 25f. Als ein Beispiel für die negative Einschätzung des Alters auch in Rom sei Hor. a. p. I 69ff. angeführt: "multa senem circumveniunt incommoda, vel quodlquaerit et inventis miser abstinet ac timet uti/vel quod res onmis timide gelideque ministrat,/dilator, spe longus, iners avidusque futuri,/difficilis, querulus, laudator temporis acti/se puero, castigator censorque minorum." 250 Zu den verschiedenen Altersstufenmodellen in Rom vgl. Eyben 1977, 7ff; 20ff.und Powell 1988, 170f. Cicero korrigiert allerdings die hier von ihm vertretene Auffassung, wenn er in c. XI, 38 das Ideal des adulescens senilis formuliert; vgl. S. 71 f. 251 Cic. Cat. mai. X, 33 ("cursus est certus aetatis, et una via naturae eaque simplex; suaque cuique parti aetatis tempestivitas est data, ut et infirmitas puerorum, et ferocitas iuvenum, et gravitas iam constantis aetatis, et senectutis maturitas, naturale quiddam habeat quod suo tempore percipi debeat."). Diese und die folgenden Übersetzungen aus "Cato maior de senectute" orientieren sich an v. Reusner 1987. 252 Zur hervorragenden Bedeutung der senes für den Erhalt des Staates vgl. Cic. Cat. mai. VI, 20: "quodsi legere aut audire voletis extema, maximas res publicas ab adulescentibus labefactatas, a senibus sustentatas et restitutas reperietis." Und ibid. XIX, 67: "mens enim et ratio et consilium in senibus est, qui si nulli fuissent, nullae onmino civitates fuissent."
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"Nichtssagend sind also die Reden derer, die dem Greisenalter die Tätigkeit absprechen, und es ist ungefähr so, wie wenn man behaupten wollte, der Steuennann tue bei der Schiffahrt nichts ... Freilich tut er nicht das, was die jungen Leute tun, aber dafür ungleich Wichtigeres und Besseres. Nicht durch Kraft oder körperliche Behendigkeit und Schnelligkeit werden große Leistungen vollbracht,· sondern durch besonnenen Rat, das Gewicht der Person, gereiftes Urteil: Eigenschaften, die im Alter nicht verlorenzugehen, sondern zu wachsen pflegen."253 Anders als die Jugend wird das Alter zudem nicht mehr von voluptatesllibidines beherrscht und steht deshalb der virtus näher als jede andere Altersstufe: " ... könnten wir die Sinnenlust nicht mit Hilfe der Vernunft und Weisheit verschmähen, wir wären dem Greisenalter großen Dank schuldig, da es bewirken würde, daß uns nicht nach dem gelüstet, wonach uns nicht gelüsten sollte. Denn die Sinnlichkeit verhindert Überlegung, ist der Vernunft feind und hat keinen Umgang mit der virtus."254 Im übrigen ist Ciceros Cato zufolge die voluptas/libido Charakteristikum nur der depravierten adulescentia, eine These, die Cicero in seiner Caeliana allerdings nur in bezug auf die libidines ebenfalls vertreten wird.255 Vielmehr muß der adulescens im Idealfall immer auch Züge des Alters aufweisen: "Wie übermütiges und ausschweifendes Wesen mehr bei den jungen Männern als bei den alten zu finden ist, und doch nicht bei allen jungen Männern, sondern nur bei verkommenen, ebenso findet sich jene Albernheit des Alters, die man Schwachsinn zu nennen pflegt, bei leichtfertigen Greisen, nicht aber bei allen ... Wie ich nämlich den jungen 253 Cic. Cat. mai. VI, 17 ("nihil igitur adferunt qui in re gerenda versari senectutem negant, similesque sunt ut si qui gubernatorem in navigando nihil agere dicant ... non facit ea quae iuvenes; at vero multo maiora et meliora facit. Non viribus aut velocitate aut celeritate corporum res magnae geruntur, sed consilio auctoritate sententia; quibus non modo non orbari, sed etiam augeri senectus so Iet. "). 254 Cic. Cat. mai. XII, 42 ("si voluptatem aspernari ratione et sapientia non possumus, magnam habendam esse senectuti gratiam, quae efficeret ut id non liberet quod non oporteret. Impedit enim consilium voluptas, rationi inimica est, mentis ut ita dicam praestringit oculos, nec habet ullum euro virtute commercium."). 255 Vgl. S. 125f. und S. 1'70f. Anders sieht etwa Aristoteles im Ausleben der Begierden ein entscheidendes Charakteristikum der männlichen Jugend; vgl. Arist. Rhet. li, 12 = 1389a, 35ff.
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Mann lobe, der etwas von einem alten in sich hat,. so lobe ich mir auch den Greis, der sich etwas von einem jungen Mann bewahrt hat. "256 Auffallend ist hier die Definition der adu/escentia als einer Altersstufe, die von petu/antia und Iibido frei zu sein hat: Sie ermöglicht erstmals die Konstruktion des für Rom typischen Idealbildes des adu/escenslpuer senilis; die Literatur und Epigraphik des Prinzipats noch weiter vertiefen werdeß.257 Diese Definition eines Ideals entkleidet also die Adoleszenz in Rom des in anderen Kulturen gesellschaftlich gebilligten Sturm und Drangs und erweist in · ihrer Verschmelzung von Jugend und Alter die Einzigartigkeit römischer Adoleszenzvorstellungen.258 Die Nähe zwischen Jugend und Alter, die Ciceros Cato postuliert und die im übrigen gegen die These spricht, daß Rom die adulescentia als eigene Lebensphase mit spezifischen Verhaltensweisen und Ritualen aufgefaßt habe, ermöglicht die Schulung der Jungen durch die Alten in der Redekunst, gerade in Rom Schlüssel zum öffentlichen Erfolg und zum politischen Einfluß,259 in enger persönlicher Beziehung zum Wohle des Gemeinwesens, reflektiert also eine ideale Gerontokratie:260 ,,Denn wie an jungen Männem von guten Anlagen verständige Alte Freude haben und wie erträglicher das Alter derer wird, die sich von der Jugend geehrt und geliebt sehen, so haben auch die Jungen ihre Freude an den Lehren der Alten, durch die sie in ihrem Streben nach virtus geleitet
256 Cic. Cat. mai. XI, 36; 38 ("ut petulantia, ut Iibido magis est adulescentium quam senum, nec tarnen omnium adulescentium sed non proborum, sie ista senilis stultitia quae deliratio appellari solet, senum levium est, non omnium... ut enim adulescentem in quo est senile aliquid, sie senem in quo est aliquid adulescentis probo."). 257 Zum Ideal des puer senilis/senex in Literatur und Epigraphik des Prinzipats vgl. Kleijwegt 1991, 125f. 258 Zur Adoleszenz als einer Periode des Sturm und Drangs vgl. S. 16f. und Kastner 1985, l28ff. mit Forschungsüberblick. 259 Vgl. Cic. de off. I, 37, 132 ("magna vis orationis") und ibid., II, 14, 48 : "Quae autem in multitudine cum contentione habetur oratio, ea saepe excitat gloriam. Magna est enim admiratio copiose sapienterque dicentis, quem qui audiunt intellegere etiam et sapere plus quam ceteros arbitrantur. Si vero inest in oratione mixta modestia gravitas nihil admirabilius fieri polest, eoque magis, si ea sunt in adu/escente (Hervorhebung von mir)." 260 Zur Ausbildung in der Redekunst vgl. Cic. Cat. mai. IX, 28. Zur römischen Gerontokratie vgl. Kleijwegt 1991, 72: "The wish to keep youngsters in a subordinate positionwas most dominant in the ideology of the Roman senate, where gerontocratic preference could and did reign supreme."
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werden, und ich fühle, daß ich euch nicht weniger angenehm bin als ihr mir."261 pie Erziehung der jungen Männer durch die alten ist in Rom durch die Institution des tirocinium fori gesellschaftlich fest verankert und kann, wie die · ·Diskussion der Freundschaft zwischen Caelius und Cicero noch zeigen wird, Grundlage für lebenslange politische und/oder private Beziehungen werden, also die politischen Einstellungen der senes perpetuieren und Stabilität des gesellschaftlichen Systems mit garantieren.262 Ciceros Cato thematisiert diesen Konnex im Zusammenhang mit dem Einfluß, den die Seipionen auf die jüngere Generation ausübten: "Oder wollen wir dem Greisenalter nicht einmal die Kräfte lassen, junge Männer zu belehren, zu bilden, auf all die Ämter, zu denen sie verpflichtet sind, vorzubereiten? Und kann wohl etwas herrlicher sein als eine solche Tätigkeit? Mir schienen in der Tat Gnaeus und Publius Scipio und deine beiden Großväter, Lucius Aemilius und Publius Africanus, beglückt, wenn edle junge Männer sie umgaben, und überhaupt sind alle Lehrmeister der edlen Wissenschaften für glücklich zu schätzen, so sehr auch ihre Körperkräfte gealtert sind und abgenommen haben."263 Cato maior de senectute präsentiert die Welt der römischen Männer in perfekter Harmonie: Der Primat der alten Männer wird von den jungen akzeptiert, die sich, sofern sie boni adulescentes sind, freiwillig der Hierarchie der Altersstufen unterwerfen. Ciceros Darstellung in Cato maior de senectute reflektiert mit Sicherheit auch seine persönlichen Idealvorstellungen vom Umgang der Männer untereinander. Wie letzterer in der politischen Praxis der Späten Republik 261 Cic. Cat. mai. VIII, 26 ("ut enim adulescentibus bona indole praeditis sapientes senes delectantur, leviorque fit senectus eorum qui a iuventute coluntur et diliguntur, sie adulescentes senum praeceptis gaudent, quibus ad virtutum studia ducuntur; nec minus intellego me vobis quam mihi vos esse iucundos.") Zu den senes als Lehrern der jungen Männer vgl. auch Cic. de ofT. I, 34, 123; 44, 154. 262 Zum tirociniumfori vgl. S. 173ff. 263 Cic. Cat. mai. IX, 29 ("an ne tales vires senectuti relinquimus, ut adulescentes doceat, instituat, ad omne offici munus instruat? quo quidem opere quid polest esse praeclarius? mihi vero et Gnaeus et Publius Scipiones et avi tui duo, Lucius Aemilius et publius Africanus, comitatu nobilium iuvenum fortunati videbantur; nec ulli bonarum artium magistri non beati putandi, quamvis consenuerint vires atque defecerint... ").
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tatsächlich aussah, wird nun am Beispiel der Freundschaft zwischen Caelius und Cicero zu beschreiben sein.
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IV. MARCUS CAELIUS RUFUS ADULESCENS ,,Als Kind habe ich von der Liebe . geträumt; als junger Mann vom Ruhm; als Miinn vom Grab- jenerletzten Liebe derer, die keine mehr haben." Gustave Flaubert264
4. 1. Ein adulescens und sein Biograph: Caelius und Cicero Als fast ausschließliche Quelle muß für das Leben des Caelius das Werk Ciceros, insbesondere seine Rede für und sein Briefwechsel mit Caelius, zugrunde gelegt werden.265 Cicero und Caelius blieben trotz politischer Meinungsverschiedenheiten bis zum Tode des Caelius eng miteinander befreundet. Die erhaltenen Äußerungen Ciceros sind also nicht nur wie beispielsweise in Pro Caelio als zwangsläufig positive und damit einseitige Stellungnahmen für seinen Schützling zu lesen, sondern sie zeichnen auch, gerade im Briefwechsel, ein individuelles Bild. Im Spannungsfeld zwischen privatem Meinungsaustausch und öffentlicher Verallgemeinerung in der Rede dürften sich Spuren des authentischen adulescens Caelius ausmachen lassen, zumal uns nicht allein die Briefe Ciceros, sondern auch die des Caelius erhalten sind. Ich gebrauche hier die Begriffe "privat" und "öffentlich" im modernen Sinne, um die inhaltliche Differenz zwischen den Quellengattungen hervorzuheben. Die römische Gesellschaft selbst war durch die "gegenseitige Durchdringung dessen, was wir heute als ,öffentlich' und ,privat' unterscheiden",266 gekennzeichnet. Trotzdem kann man meiner Auffassung nach die Gattung der Rede eher dem "öffentlichen" Bereich zuordnen, da sie auf Publikumswirksamkeit zielt, indem sie insbesondere durch den Einsatz von Verallgemeinerungen und Stereotypen männlichen Verhaltens einen breiten Konsens erzielen will. Diese Taktik macht gerade die politische Rede für die Geschlechtergeschichte interessant, die nach den Normen für männliches und 264 Flaubert 1991,65. 265 Allgemein zu Ciceros Rede für Caelius vgl. immer noch Heinze 1925 sowie Classen 1973 undDettenhofer 1992,83-87. 266 Martin 1990, 83. Zur Scheidung von privatem und öffentlichem Raum vgl. außerdem S. 26.
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weibliches Verhalten sucht. So lassen sich beispielsweise aus Pro Caelio die Verhaltensweisen eruieren, die vom ·adulescens gesellschaftlich gefordert wurden. Die Gattung der Briefe läßt sich hingegen eher einem ·"privaten" Bereich zuordnen, da Briefe vor allem ein Medium individueller Meinungsäußerungen sind, zumal dann, wenn sie wie der Briefwechsel Ciceros . zunächst nicht für die Veröffentlichung bestimmt waren.267 · Die Quelle Cicero birgt vor allem zwei Probleme in sich, das der Frage nach der Objektivität der Darstellung und das der Person des Schreibenden selbst. Denn für "Objektivität" im Sinne des Wissenschaftsbegriffs des 19. Jahrhunderts gibt es in antiken Quellen keine Entsprechung. Dies macht es der Interpretion gerade im Bereich der Geschlechtergeschichte so schwer, zu eindeutigen Aussagen zu gelangen. Die Objektivität, die der Redner und Philosoph Cicero und die Historiker von Sallust bis Tacitus für sich Anspruch nehmen,268 hat nur wenig mit Vorurteilslosigkeit zu tun. Sie stellt eher den Versuch dar, im Entwurf von Stereotypen menschlichen Verhaltens Authentizität, also Glaubwürdigkeit zu schaffen. Können außerdem die Aussagen eines homo novus repräsentativen Charakter für die Schicht der Nobilität, für ihre Einstellung zur adulescentia, zur Virilität überhaupt beanspruchen? Ich denke, im Falle Ciceros ist dies möglich. Denn anders als der in seine Schicht hineingeborene nobilis mußte der homo novus Cicero erst die Normen der Nobilität erlernen, um sie dann internalisieren zu können. Für einen derartigen Assimilationsversuch ist es charakteristisch, daß die Normen der angestrebten gesellschaftlichen Schicht durch den Aufsteiger in weit stärkerem Maße analysiert, akzeptiert und propagiert werden als durch einen Mann, der in diese Schicht hineingeboren ist.269 Zeugnisse für die geglückte Anpassung Ciceros sind nicht nur sein vorbildlicher cursus honorum, seine überaus erfolgreiche Rednerlaufbahn und sein beträchtlicher politischer Einfluß, sondern auch die Verbreitung und Popularität seines schriftstellerischen Werkes. 270 Sein Werk dürfte also durchaus repräsentativen 267 Zur Bedeutung des Briefwechsels Ciceros als historischer Quelle vgl. Strasburger 1968, 13. 268 Vgl. SaU. Bell. Cat. 4: "eo magis quod mihi a spe metu, partibus rei publicae animus liber erat"; Tac. bist. I, 1, 3: "sed incorruptam fidem professis neque amore quisquam et sine odio dicendus est."; ann. I, 1, 3: "inde consilium mihi pauca de Augusto et extrema tradere, mox Tiberii principatum et cetera, sine ira et studio, quorum causas procul habeo." Zu Ciceros Haltung gegenüber den "Ieges historiae" vgl. Cic. ad fam. V, 13. 269 Zu Ciceros Aufsteigerturn und seinen Konsequenzen vgl. Gotter 1996, 108f. 270 So schreibt Caelius nach dem Erscheinen von de re publica im Jahre 51 v. Chr. an Cicero: "Tui politici libri omnibus vigent." (Cic. ad fam. VIII, 1, 4). Zur Popularität von Ciceros schriftstellerischem Werk vgl. auch Cic. de off. II, 1, 2.
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Charakter für sich beanspruchen können, wobei allerdings das "intellekhtelle Profi1"271, die Eigentümlichkeit des Autors Cicero nicht unterschlagen werden darf. Letztendlich trifft Girardet den Kern, wenn er zur Frage von Ciceros möglicher Repräsentativität für die Mentalitäten der Oberschicht Roms forinuliert: ". .. (Man wird) in Rechnung stellen dürfen, daß seine rhetorischen und staatspolitischen Schriften, die philosophischen Werke, die politischen Reden an den Senat und das Volk von Rom, die mehr als 800 erhaltenen Briefe doch auf ein Publikum und eine Leserschaft berechnet waren, welche die ausgesprochenen Gedanken und Wertvorstellungen weitgehend verstanden und teilten. Von daher könnte es vielleicht doch möglich sein, mit aller Vorsicht zu etwas allgemeineren und in Grenzen repräsentativen Aussagen über die Mentalität zumindest der römischen Führungsschicht im 1. Jahrhundert v. Chr. zu gelangen. In jedem Falle ist Cicero eine der wichtigsten Quellen für bestimmte, fast stereotyp auftretende Argumente, Denk- und Verhaltensweisen in der Tagespolitik seiner Zeit."272 Für die Analyse der Clodia, der Frau, der ein Verhältnis mit dem adulescens Caelius nachgesagt wurde, wird neben Cicero auch die Darstellung Catulls am Rande berücksichtigt werden. Hier gehe ich davon aus, daß die Clodia Metelli aus Ciceros Caeliana mit der Lesbia Catulls identisch ist.273 Während Cicero in seinem Bild der Clodia gleichsam den Antitypus der matrona entwirft, verleiht Catull seiner Lesbia individuelle Züge und beschreibt zudem seine Beziehung zu ihr, also die des adulescens zu einer (älteren) Frau. Natürlich kann und will
271 Girardet 1993, 205. 2721bid. 273 Meiner Auffassung nach erweist neben Ov. Trist. li, 427 (Lesbia als Pseudonym der Clodia) und Apul. Apo!. I 0 (Lesbia stehe fiir Clodia) Catulls cann. 79 diese Identität hinlänglich. In cann. 79, I -2 heißt es: "Lesbius est pulcer. quid ni? quem Lesbia malit/ quam te cum tota gente, Catullus, tua". pulcer spielt offensichtlich auf das cognomen des Bruders der Clodia an, Lesbius als feminine Fonn von Lesbia parodiert das nomen gentile, deutet also sowohl die Verschwisterung als auch durch das Prädikät "malit" die den beiden auch von Cicero in Pro Cael. 15, 36 vorgeworfene inzestuöse Beziehung an. Zur Diskussion um die mögliche Identität der Clodia Metelli mit der Lesbia Catulls vgl. im übrigen Kreck 1975, l09f., die eine mögliche Identität verneint, jedoch cann. 79 nur bezüglich des Inzestgerüchtes erwähnt, ohne die Anspielung in pulcer zu berücksichtigen.
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die Dichtung Catulls kein objektives Bild der Clodia zeichn.en.274 Sie kann aber dennoch Aufschluß dariiber geben, wie· Weiblichkeit durch einen adu/escens wahrgenommen und kolportiert wurde. Aus Ciceros Clodia und Catulls Lesbia könnte sich demnach möglicherweise das Bild. von· Weiblichkeif eruieren lassen, das fiir einen adulescens der Späten Republik ausschlaggebend war. · . Die ausgewählten Quellen dürften zunächst eine ausreichende Grundlage ftir die Untersuchung einer adulescentia im Rom der Späten Republik bieten. Zieht man dariiber hinaus mit aller gebotenen Vorsicht die Repräsentativität eines Cicero und eines Caelius in Betracht, könnte sich aus dem Korpus der Texte das Bild der spätrepublikanischen adulescentia, der Schule der Männlichkeit, eruieren lassen und mit ihm die Vorstellungen von Virilität, die nicht nur den adulescens beeinflußten, sondern auch Teil der gesellschaftlichen Realität aller Männer waren.
274 Sie ist dennoch gegen Kreck 1975, 109f. eine Quelle, aus der sich über Cicero hinausgehende Schlüsse ziehen lassen, insbesondere in bezug auf den Verlauf und die Einschätzung einer Beziehung zwischen adulescens und einer verheirateten, älteren Frau, da Dichtung als Medium der Selbstreflexion stets auch über den Dichter spricht. Zu Catulls Beziehung zu Clodia vgl. auch S. 206.
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4. 2. Zur Biographiem Marcus Caelius Rufus. entstammte dem ordo equestris eines mzmicipium.276 Sein Geburtsort ist unbekannt, sein Geburtsjahr umstritten. Folgt man der Chronologie des Plinius, die zudem durch das Zeugnis Ciceros untermauert wird, wurde er im Jahre 82 v. Chr. geboren. Dieser Datierung widerspricht allerdings die Ämterlaufbahn des Caelius, der bereits 52 v. Chr. Tribun, 50 v. Chr, Aedil und 48 v. Chr. Praetor war. Der cursus honorum ließe demnach unter Zugrundelegung der Iex Villia annalis auf das Geburtsjahr 88 v. Chr. schließen.277 Meines Erachtens ist der antiken Chronologie der Vorzug zu geben, da sie durch den Zeitgenossen Cicero gestützt wird; die Frage des Geburtsjahres läßt sich jedoch kaum abschließend entscheiden, da das entscheidende Datum der Quaestur des Caelius fehlt und kaum rekonstruiert werden kann. Caelius war der einzige, vermutlich spät geborene Sohn des eques Marcus Caelius Rufus, der in Rom einen gewissen Bekanntsheitsgrad und Einfluß besessen haben muß.278 Cicero charakterisierte ihn als vorbildlich für seinen ordo: "Wegen seiner Würde kann sich der Vater Marcus Caelius bei allen, die ihn kennen, sowie bei den Älteren auch ohne meine Rede unschwer selbst rechtfertigen, ohne ein Wort sagen zu müssen. Diejenigen aber, denen er nicht so gut bekannt ist - er läßt sich seines Alters wegen schon länger nicht mehr so oft auf dem Forum und bei uns sehen-, die sollen versichert sein: Was ein römischer Ritter an Ansehen besitzen kann- und das kann ja beträchtlich sein -, das wurde Marcus Caelius stets in höchstem Maße zugebilligt, und es wird ihm bis zum heutigen Tage zuerkannt, nicht nur von seinen Freunden, sondern von allen, die aus diesem oder jenem Grunde seine Bekanntschaft machen konnten. "279 275 Die folgende Skizze möchte den Leser lediglich mit den wichtigsten Details der vita Caeli vertraut machen, da in den Arbeiten von Madsen und Dettenhofer bereits ausfiihrliche Rekonstruktionen der Biographie des Caelius vorliegen. 276 Zur Herkunft des Caelius vgl. Cic. pro Cael. 2, 4/5. 277 Zur Diskussion um das Geburtsjahr des Caelius vgl. S. 10; zu den Bestimmungen der Iex Villia annalis aus dem Jahre 180 v. Chr. vgl. Liv. XL, 44, 1. 278 Daß Caelius' Vater im Jahre 56 v. Chr. hochbetagt war, erwähnt Cic. in Pro Cael. 32, 79. 279 Cic. pro Cael. 2, 3 ("De dignitate M. Caelius notis ac maioribus natu etiam sine mea oratione tacitus facile ipse respondet; quibus autem propter senectutem, quod iam diu minus in foro nobiscumque versatur, non aeque est cognitus, hi sie habeant, quaecumque in equite
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Nach dem Anlegen der toga virilis, also vermutlich. im Alter von sechzehn Jahren, im Jahre 66 v. Chr., brachte ihn sein Vater nach Rom, um Caelius sein tirocinium fori, also seine Lehrjahre auf dem Forum, unter der Obhut von Cicero und Crassus ableisten zu lassen.280 Caelius scheint ·sieh· in ·.den politischen Zirkeln Roms bemerkenswert schnell zurechtgefunden zu haben und aufgefallen zu sein. Er unterstützte Catilina während .dessen zweiter Konsulatsbewerbung; inwieweit er allerdings tatsächlich· in die Catilinarische Verschwörung eingeweiht war, muß der Vermutung anheim gestellt bleiben.28I Allerdings hielt es Caelius 62 v. Chr., vermutlich um dem Stadtklatsch zu entgehen, für angebracht, Rom für eine Zeitlang zu verlassen und den Prokonsul Q. Pompeius für drei Jahre nach Africa zu begleiten, wo auch Caelius' Vater über Besitzungen verfügte.2s2 Nach seiner Rückkehr begann er seine politische Karriere mit einem Paukenschlag, indem er zusammen mit Q. Fabius Maximus und Caninius Gallus den C. Antonius Hybrida, Ciceros Konsulatskollegen und den nominellen Sieger von Pistoria, im Jahre 59 v. Chr., dem chaotischen Konsulatsjahr Caesars, vermutlich de repetundis anklagte.283 Cicero bemerkte hierzu in der
Caeliana: ,,Er wollte dem Herkommen entsprechend und nach dem Beispiel junger Männer, die später in diesem Staat bedeutende Männer und hochangesehene Bürger geworden sind, dem römischen Volk seine Einsatzbereitschaft beweisen, indem er eine aufsehenerregende Anklage
Romano dignitas esse possit, quae certe potest esse maxima, eam semper in M. Caelio habitam esse summam hodieque haberi non solum a suis sed etiam ab omnibus quibus potuerit aliqua de causa esse notus. "). 280 In der Späten Republik wurde die toga virilis meist im Alter von sechzehn Jahren angelegt; vgl. Cic. Sest. 69, 144 zu P. Lentulus und im übrigen Marquardt 1882, 128 ff. mit den entsprechenden Belegen. Da Cicero selbst in pro Cael. 4, 9/10 erwähnt, daß Caelius sofort nach dem Anlegen der toga virilis zu ihm gebracht worden und er damals Praetor gewesen sei, ist 66 v. Chr. als Beginn des tirociniumfori des Caelius wahrscheinlich. Zu den Einzelheiten des tirociniumfori vgl. S. 173ff. und Regner 1937. 281 Vgl. Cic. pro Cael. 4, 10/11. 282 Vgl. Cic. pro Cael. 30, 73 zu Caelius' Aufenthalt in Afiica. Daß Caelius der Boden in Rom nach der Catilinarischen Verschwörung zu heiß geworden war, vermutet Münzer 1899, 1267. 283 Zur Anklage des Antonius, ihren politischen Hintergründen und Konsequenzen vgl. Meyer 1974, 73f.
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einbrachte. Mir wäre es lieber gewesen, er hätte sein Ruhmesstreben in andere Bahnen gelenkt ... "284 C. Antonius war eine zwielichtige Persönlichkeit; einerseits galt er offiziell als Sieger über die Catilinarier, andererseits stand er im Verdacht, selbst in die Verschwörung verstrickt gewesen zu sein. Caelius' Rede scheint vor allem die militärische Unfähigkeit und moralische Depraviertheit des Antonius ganz in der Schule ciceronianiseher Invektive verspottet zu haben.285 Antonius wurde von seinem ehemaligen Konsulatskollegen Cicero erfolglos verteidigt und mußte ins Exil gehen. Die öffentliche Reaktion auf das Urteil war paradox: Zwar wurde die Verurteilung des Antonius von den Catilinariem gefeiert, Cicero konnte Caelius' Anklage später aber auch als Beweis für die Distanz seines ehemaligen Schülers zu den Umtrieben des Jahres 63 v. Chr. anführen.286 Kaum drei Stunden nach der Verurteilung des Antonius gestattete Caesar in seiner Eigenschaft als pontifex maximus den Übertritt des Clodius zur plebs qua Adoption und machte so den Weg frei für dessen Bewerbung um das Volkstribunat.287 In letzter Konsequenz wurde Caelius also zu einem der Handlanger für Ciceros spätere Verbannung. Mit der Anklage des Antonius hatte Caelius sich alle politische Optionen offen gehalten: er konnte sowohl als bonus im Sinne Ciceros gelten, da er einen vermutlichen Catilinarier ausgeschaltet hatte, als auch als popularis, da er gegen den offiziellen Sieger über Catilina Stellung bezogen hatte. Caelius' Anklage des Antonius, die Herausforderung eines nobilis und Konsularen durch einen homo novus, besitzt im übrigen keine Parallele in der Späten Republik.288 Caelius beanspruchte mit seiner ersten Anklage ein Privileg junger nobiles und machte seine ehrgeizigen politischen Ambitionen schon mit seinem ersten öffentlichen Auftritt deutlich.
284 Cic. pro Cael. 30/31, 73f. ("Voluit vetere instituto et eorum adulescentium exemplo qui post in civitate summi viri et clarissimi cives exstiterunt industriam suam a populo Romano ex aliqua inlustri accusatione cognosci. Vellem alio potius eum cupiditas gloriae detulisset;"). Cicero hielt als erste öffentliche Rede eines adu/escens weniger eine Anklage denn eine Verteidigung fiir angemessen; vgl. Cic. de off. Il, 14, 49. 285 Vgl. ORF p. 483, frg. 17. 286 Zu Ciceros Interpretation vgl. Cic. pro Cael. 7, 15. 287 Der Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Antonius und dem Übertritt des Clodius zur plebs ist von Cicero selbst hergestellt worden. Denn er hatte in seinem Plädoyer fiir Antonius die Machthaber des Triumvirats kritisiert; vgl. Cic. de dom. 41. 288 Vgl. Heinze 1925,206.
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Mit seiner Rede gegen Antonius hatte Caelius sein tir.ocinium fori offiziell beendet.289 Er verließ die väterliche domits und bezog eine Wohnung auf dem Palatin in einem der Häuser des Publius Clodius Pulcher, um sich einer regen Prozeßtätigkeit zu widmen.290 Unter anderem verklagte er im Jahre· 56 v_. Chr. den Calpumius Bestia, den Vater seines späteren Anklägers Atratinus; de ambitu.291 Wie im Falle des Antonius scheint Caelius auch hier gegen sei_nen Kontrahenten scharfe Geschütze aufgefahren zu haben, da er Bestia unter anderem kurzerhand die Vergiftung aller seiner Gattinnen vorwarf.292 Weitere Details der forensischen Laufbahn des Caelius bis zum Jahre 56 v. Chr. sind unbekatmt. Ganz anders steht es um die vita privata dieser Jahre: Die Caeliana Ciceros enthält eine Fülle von Nachrichten zum Lebenswandel des Caelius. Caelius lernte vermutlich 59 v. Chr. Clodia, die Witwe des Q. Metellus Celer (cos. 60 v. Chr.) und ältere Schwester des P. Clodius Pulcher, kennen.293 Wie intim diese Beziehung letztendlich wirklich gewesen ist, läßt sich heute kaum mehr eindeutig entscheiden.294 Sicher ist, daß Caelius eine Beziehung zu Clodia nachgesagt wurde: So stützt Cicero seine gesamte Argumentation in der Caeliana auf das Rachemotiv der angeblich verlassenen Clodia,295 und der Dichter Catull nennt Caelius den erfolgreichen Rivalen um Lesbias/Clodias Gunst.296 Caelius trat im übrigen in jenen Jahren als typischer Angehöriger der spätrepublikanischen jeunesse doree auf: Er machte Schulden, verk~hrte in
289 Daß die erste öffentliche Rede das tirocinium fori offiziell beendete, -geht aus Liv. XVL, 37, 3 hervor: "Servius quidem Galba, si in L. Paulo accusando tirocinium ponere et documentum eloquentiae dare voluit. .. " Wie Caelius den Antonius vor Gericht zog, so hatte vor ihm Clodius als adulescens den Catilina erfolglos de repetundis verklagt (vgl. Cic. de harusp. resp. 42; in Pis. 23) und wurde Caelius selbst von dem adulescens Atratinus belangt (vg). Cic. pro Cael. 3, 7). Zur ersten öffentlichen Rede vgl. auch S. 188ff. 290 Vgl. Cic. pro Cael. 7, 17/18. 291 Zur Anklage des Bestia vgl. Cic. pro Cael. 1, I und 31, 76. 292 Vgl. ORF, p. 484, frg. 22. 293 Daß Caelius Clodia durch seinen Umzug auf den Palatin kennengelernt habe, behauptet Cicero in Pro Cael. 7, 18 und 16, 36. 294 Vgl. Dettenhofer 1992, 85, Anm. 40 zum Problem der Faktizität der Beziehung zwischen Caelius und Clodia. lbid. findet sich ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand. 295 Vgl. Cic. pro Cael. 13, 31: ,,Res est ornnis in hac causa nobis, iudices, cum Clodia, mutiere non solum nobili sed etiam nota.", 32: "Sin ista rouliere remota nec crimen ullum nec opes ad oppugnandum M. Caelium illis reliquuntur, quid est aliud quod nos patroni facere debeamus, nisi ut eos qui insectantur repellamus?" und ibid. 15, 36: "cur huic qui te spernit molesta es?" 296 Vgl. Cat. carm. 77.
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Baiae, dem römischen Treffpunkt der Schönen und Reichen, und bestach seine Umgebung durch sein glänzendes Auftreten.297 Nach der erfolglosen Anklage des Calpurnius Bestia de ambitu erhob Caelius erneut Anklage und wurde seinerseits vom Sohn des Calpurnius, Atratinus Bestia, selbst noch ein adulescens, de vi vor Gericht gezogen, um eine erneute Anklage zu durchkreuzen.298 Mitankläger waren C. Herennius und ein P. Clodius, sicherlich nicht identisch mit dem Tribun des Jahres 58 v. Chr.299 C!ielius sprach für sich selbst, unterstützt von Crassus und Cicero, der das Abschlußplädoyer hielt. Caelius wurde freigesprochen. Dieser Freispruch markierte den Beginn einer lang andauernden Feindschaft zwischen Caelius und der gens Clodia.300 Caelius ergriff deshalb konsequenterweise während seines Tribunats im Jahr 52 v. Chr nach der Ermordung des Clodius die Partei Milos. Unter anderem ließ er ihn in einer contio sprechen und sprach auch für ihn selbst,30I Dieses Eintreten für Milo scheint der Grundstein für eine weitere Freundschaft zwischen beiden gewesen zu sein. Milo schloß sich später der Revolte des Caelius im Jahre 48 v. Chr. an; beide sollte die Enttäuschung über den optimatischen Klüngel einerseits, über Caesar andererseits verbinden,302 Während seines Volkstribunats erwies sich Caelius nicht nur durch sein Eintreten für Milo als echter Schüler Ciceros, sondern auch in seiner letztendlich vergeblichen Opposition zu den Gesetzesanträgen des Pompeius, im Jahre 52 v. Chr. consul sine collega, die auf eine Verschärfung der vis- und ambitus-Gesetzgebung zielten und deshalb als privilegia gegen Milo ausgelegt werden konnten. Auch gegen Caesar, der sich in absentia um das Konsulat für 48 v. Chr; bewerben wollte, meldete Caelius seinen Widerstand an und konnte erst durch die Intervention Ciceros zum Einlenken bewegt werden,303 Caelius betrieb also als Tribun Politik im besten optimatischen Sinne, um sich politisch eindeutig zu profilieren und sich mächtige politische Freunde, insbesondere den Kreis um Cato, der ebenfalls gegen Pompeius und Caesar opponiert hatte, zu schaffen,304
297 Zu dem Schuldenvorwurfvgl. Cic. pro Cael. 7, 17, zum Aufenthalt in Baiae vgl. ibid., 12, 28; zum glänzenden Auftreten vgl. ibid., 31, 77. 298 Vgl. Cic.pro Cael. 3, 7. 299 Vgl. Dettenhofer 1992, 83. 300 Zur Feindschaft mit der gens Clodia vgl. Cic. ad Q. fr. II, 13, 2 und ad fam. VIII, 17, 1. 301 Vgl. Cic. pro Mil. 91, Brut. 273, Ase. in Mil. p. 29 und App. b. c. II, 22. 302 Zu den Motiven des Caelius vgl. Dettenhofer 1992, 163f. Milo hatte sich vergeblich von Caesar die Rückberufung aus dem Exil erhofft; vgl. ibid., 161. 303 Vgl. Cic. ad Att. VII, 1, 4. 304 Zum Tribunat des Caelius vgl. Dettenhofer 1992, 90f.
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Cicero hat Caelius' Verhalten als Tribun im übrigen als Zeugnis seiner erfolgreichen Erziehung des Caelius im Sinne der Tradition der . boni gewertet.305 Caelius verfolgte seinen cursus honorum stetig weiter und bewarb sich .5 L v. Chr. erfolgreich um die Ädilität, die ohne besondere Vorkommnisse.':verlief. Caelius vertiefte in diesem Jahr auch seine amicftia zu Curio, der seine ädilizischen Spiele durch Panther unterstützte und ·sich Caelius damit verpflichtete.306 Caelius selbst begründete seine spätere Parteinahme für Caesar auch mit seiner Zuneigung zu Curio, der sich dem Diktator schon friiher angeschlossen hatte.J07 Mit diesem Jahr beginnt auch der uns erhaltene Briefwechsel des Caelius mit Cicero, damals in seiner Provinz Kilikien, der bis zum Todesjahr des Caelius andauerte. Caelius informierte seinen Freund und einstigen Lehrer über das politischen Geschehen in Rom, er mokierte sich über die Angehörigen der Senatsaristokratie und legte, meist ironisch distanziert, Zeugnis über sein eigenes politischen Verhalten, insbesondere über seine Ädilität und später über seine Hinwendung zu Caesar, ab. Die Caelius-Briefe sind nicht nur ein beredtes historisches Zeugnis für das Ende der fünfziger Jahre, sie gewähren auch einen Blick auf die Psyche eines adulescens, auf dessen Suche nach politischen Vorbildern, auf dessen Versuche, sich eine eigene gesellschaftliche Dignität zu schaffen und zugleich auf die politischen Realitäten der Späten Republik adäquat zu reagieren. In der entscheidenden Senatssitzung vom I. Januar 49 v. Chr., in der das Vorgehen des Senats gegen Caesar diskutiert wurde, unterstützte Caelius den Antrag des Calidius, der Pompeins dazu aufforderte, mit seinen beiden Legionen in seine Provinz zu gehen, um einen Krieg zu verhindern.3os Nach Scheitern dieses Antrages begab sich Caelius zu Caesar und scheint schnell zu einem der Vertrauten des Diktators avanciert zu sein. Er begleitete Caesar nach Spanien, fungierte als Mittler zwischen Cicero und Caesar und riet seinem einstigem Mentor letztendlich erfolglos, unter allen Umständen Neutralität zu bewahren.J09
305 Vgl. Cic. Brut. 273: "qui quamdiu auctoritati meae paruit (Hervorhebung von mir), talis tribunus piebis fuit, ut nemo contra civium perditorum popularem turbulentamque dementiam a senatu et a bonorum causa steterit constantius." 306 Vgl. Cic. ad fam. VIII, 9, 3; 8, 10. 307 Vgl. Cic. ad fam. VIII, 17, 1. 308 Vgl. Caes. b. c. I, 2, 4. 309 Zur Begleitung Caesars nach Spanien, zur Mittlerfunktionen des Caelius und seinem Rat zur Neutralität vgl. Cic. ad fam. VIII, 16.
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Caelius, der noch während seines Tribunates im Sinne der Optimaten agiert hatte, begriindete seine Parteinahme für Caesar nicht nur mit dem Einfluß Curios, sondern auch mit seiner Enttäuschung über seine politische Verfolgung durch· Teile. der· Senatsaristokratie, deren hervorragender Exponent Appius Clodius (cos. 54 v. Chr., cens. 51 v. Chr.) gewesen war.JIO Clodias Schatten scheinen lang gewesen zu sein. Allerdings durchschaute Caelius nach anfänglichem Enthusiasmus das Wesen des Diktators schnell und entlarvte Caesars Politik der clementia als reine Farce. So schrieb er im April 49 v. Chr. an Cicero: "Wenn Du glaubst, Caesar werde ... wie bisher seine Gegner laufen lassen und in seinen Forderungen die gleiche Mäßigung zeigen, so irrst Du Dich. Was er sinnt und redet, ist nichts als Wut und Grausamkeit. Erbost auf den Senat hat er Rom verlassen; diese Interzessionen haben ihn furchtbar aufgebracht; für Abbitte ist er bestimmt nicht zu haben."311 Caesar ließ Caelius 48 v. Chr. zu einem der praetores peregrini wählen.312 Die angesehenere Stadtpraetur erhielt Caesars alter Parteigänger C. Trebonius. Caelius agierte als Praetor wider Erwarten nicht als bloße Exekutive Caesars, sondern nutzte seine Postion als Basis für eine eigene Politik mit popularem Programm. Sein Verhalten als Praetor von Caesars Gnaden glich dem des Tribunen nach Caesars Wünschen, des P. Clodius Pulcher. Beide verdankten ihre Position Caesar, beide verwalteten ihr Amt jedoch nach ganz eigenen Vorstellungen. Caelius, der noch während seines Tribunates Handlanger der senatorischen Majorität gewesen war, verwandelte sich während seiner Praetur zum Anwalt der Massen und trat in die Fußstapfen eines Catilina und Clodius. Zunächst stellte er sich offen gegen Caesars Anordnungen der anberaumten Vermögensschätzungen, dann forderte er den Erlaß von Darlehen innerhalb von sechs Jahren. Von den Konsuln und dem Senat boykottiert, promulgierte er zum Trotz zwei weitere Gesetze, die einen Mieterlaß auf ein Jahr und tabulae novae, also die sofortige und vollständige Streichung vorhandener Schulden,313 forderten. Die städtische Bevölkerung dankte es ihm mit
310 Vgl. Cic. ad fam. VIII, 17, l. 311 Cic. ad fam. VIII, 16, 1 ("si existimas eandem rationem fore Caesaris in dimittendis adversariis et condicionibus ferendis, erras; nihil nisi atrox et saevum cogitat atque etiam loquitur; iratus senatui exiit, bis intercessionibus plane incitatus est; non mehercules erit deprecationi locus."). 312 Die Hauptquelle zu Praetur und Rebellion des Caelius ist Caes. b. c. 111, 20-22. 313 Zu den tabulae novae vgl. S. 53 und S. 139, Anm. 527.
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Sympathiekundgebungen, der Senat konterte mit . Amtsenthebung und Senatsausschluß. Caelius verließ Rom, nachdem er von den Konsuln daran gehindert worden war, in einer contio zu sprechen. Unter dem Vorwand,. sich zu Caesar begeben zu wollen, setzte er sich mit Milo in Verbindung. Beide scheinen mit.ihren bescheidenen militärischen Mitteln einen Aufstand geplant zu ·haben, dessen politische Zielsetzung im Dunkeln liegt, zumal Milo behauptete, auf Geheiß des Pompeius zu handeln, während Caelius vorgeblich auf seiner Parteinahme für Caesar beharrte. Caelius wurde zum hostis erklärt und fand wie Milo bei Thurii den Tod, als er bei dem Versuch, Teile der dortigen gallischen und spanischen Reiterei Caesars aufzuwiegeln, von den Reitern Caesars erschlagen wurde. Der politische Alleingang des Caelius ist von der Forschung fast einhellig als dilettantisch und ergebnislos verurteilt worden, wobei meist übersehen wurde, daß Caelius' Forderungen in der sozialrevolutionären Tradition seiner Zeit standen und auf die Beseitigung tatsächlich vorhandener dringender wirtschaftlicher Probleme abzielten, also auf eine Unterstützung durch die stadtrömische p/ebs hoffen konnten,314 Als beherrschendes Motiv für die Rebellion des Caelius wurde von der antiken Überlieferung gekränkte dignitas ausgemacht, da Caelius nicht die angesehenere Stadtprätur erhalten hatte.JI5 Diese Erklärung greift sicherlich zu kurz. Caelius war ein Realpolitiker, der Risiken und Chancen seines Handeins kühl zu kalkulieren wußte. In diesem Sinne schrieb er an Cicero im September des Jahres 50 v. Chr. vor dem Hintergrund der drohenden militärischen Auseinandersetzung zwischen Pompeius und Caesar: "Wozu ich mich persönlich entschließe, weiß ich noch nicht; zweifelos wird auch Dir diese Entscheidung Kopfschmerzen bereiten. Mit unseren Leuten verbinden mich enge, freundschaftliche Beziehungen; die Sache der anderen, das ganze Milieu gefällt mir nicht. Wahrscheinlich bist auch Du Dir darüber klar, daß man bei inneren Streitigkeiten, solange mit zivilen Mitteln, nicht mit den Waffen gekämpft wird, auf der anständigeren Seite stehen muß, sobald es aber zu Krieg und Waffenlärm kommt, auf der stärkeren, und für das Beste halten muß, was das Sicherste ist. "316 314 Den Dilettantismus betont Münzer 1899, 1271, die Ergebnislosigkeit Dettenhofer 1992, 161. Die sozialrevolutionäre Tendenz hebt dagegen Wil11991, 132 hervor. 315 Vgl. Cass. Dio 42, 25, 3. 316 Cic. ad fam. VIII, 14, 2/3 ("neque mearum rerum quid consilii capiam reperio; quod non
dubito, quin te quoque haec deliberatio sit perturbatura. nam mihi cum hominibus his et
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Auch wenn Cicero nicht immer mit den Ansichten seines Schützlings über die res publica konform ging, bescheinigte er dennoch gerade ihm Ende der fünfziger Jahre einen hervorragenden politischen Sachverstand: "... einen so politischen Kopf wie Dich habe ich bisher noch nicht gefunden... Darum erwarte ich weder Vergangenes noch Gegenwärtiges von Dir, sondern, als von einem Manne, der weit in die Zukunft blickt, das Zukünftige, damit ich mir ein Bild machen kann, wie der fertige Staatsbau aussehen wird, nachdem ich aus Deinen Briefen den Grundriß ersehen habe. "317 Das Caelius-Unternehmen läßt sich meiner Auffassung nach in zwei Phasen scheiden. Die erste Phase umfaßt Caelius' Handlungen als Praetor. Caelius operierte als Praetor noch am Rande der republikanischen Verfassung und promulgierte Gesetzesvorschläge, die die wirtschaftliche Notlage weiter Teile der Bevölkerung hätten lindern und die ihm außerdem zu einer umfangreichen Klientel hätten verhelfen können, wären die Gesetze tatsächlich verabschiedet worden. Seine politische Weitsicht erweist sich im übrigen im späteren Vorgehen Caesars, der schließlich 46 v. Chr. zumindest den Mieterlaß auf Druck derplebsbewilligen mußte)IS Erst als Caeiius vom Senat die Möglichkeit genommen wurde, die Massen qua contiones durch sein Rednertalent, das außergewöhnlich gewesen sein muß die antike Nachwelt nannte seinen Namen in einem Atemzuge mit Cicero und Caesar --.319, zu mobilisieren, unternahm er seinen einsamen bescheidenen Waffengang - Caesar spricht davon, daß er im Verein mit Milo Hirten(!), Gladiatoren und Sklaven mobilisieren wollte --..320 und scheiterte kläglich. gratiae et necessitudines sunt; causam illam, unde homines, odi. illud te non arbitror fugere, quin homines in dissensione domestica debeant, quam diu civiliter sine armis certetur, honestiorem sequi partem, ubi ad bellum et castra ventum sit, finniorem et id melius statuere, quod tutius sit. "). 317 Cic. ad fam. II, 8, l ("tco}.m~Cwtepov ... te adhuc neminem cognovi... quare ego nec praeterita nec praesentia abs te, sed ut ab homine Ionge in posterum prospiciente futura expecto, ut, ex tuis litteris cum formam rei publicae viderim, quale aedificium fi.lturum sit, scire possim.") Zur hervorragenden Bedeutung politischer Weitsicht für Cicero bei Einschätzung seiner Freunde vgl. auch Cic. de off. II, 9, 33: "Nam et iis fidem habemus, quos intellegere quam nos arbitramur quosque et futura prospicere credimus... " 318 Vgl. Cass. Dio 42, 51, lff. 319 Vgl. Tac. dial. 17; Quint. inst. or. XII, 10, ll; Plin. ep. I, 20, 4. 320 Vgl. Caes. b. c. III, 21, 4.
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Caesar hat Caelius' Waffengang mit den Gefühlen von dolor und ignominia begründet.321 Er trifft wahrscheinlich einen Teil der Wahrheit, auchwenn er das Unternehmen des Caelius, nachdem er dessen Anhängerschaft als relativ gering charakterisiert hatte, in eigener Sache als Meister der· . Apologetik ·.als ,,magnarum initia rerum" kennzeichnete,322 Bis zu seiner Vertreibung ~us der contio handelte Caelius als Politiker. Sein Scheitern a\lf dem poÜtischen Pa;-kett Roms bedingte seine Radikalisierung, geboren aus der Beleidigung der dignitas des Politikers Caelius. Nicht der Umstand, gleichsam ein Praetor zweiter Wahl gewesen zu sein, war das Motiv für die Rebellion des Caelius, sondern die Tatsache, daß die Senatoren Roms Caelius aus dem Kreise der boni verstoßen hatten, der boni, die Caelius vor Caesar hatte retten wollen, indem er den Versuch unternahm, ihnen die Unterstützung der Massen zu verschaffen, zumindest wenn man seinen letzten überlieferten Worten Glauben schenken will. Noch vor den Tumulten, die seine Gesetzesvorschläge auslösen sollten, schrieb Caelius im Februar 48 v. Chr. an Cicero: "Ich habe es bereits dahin gebracht, daß vor allem der Pöbel, aber auch anständige Leute, die zunächst zu uns hielten, jetzt zu euch gehören. ,Warum das?' sagst Du. Wartet nur erst einmal das Weitere ab; ich zwinge Euch noch, gegen Euern Willen zu siegen (vos invitos vincere coegero)l Ihr sollt in mir einen zweiten Cato erleben! ... Und das tue ich nicht in Erwartung irgendeines Vorteils, sondern aus unwilliger Empörung, die bei mir meist den Ausschlag gibt."323 Caelius nennt als Hauptmotive dolor und indignitas - ähnlich hatte Caesar sich in bezug auf Caelius ausgedrückt -; hierbei handelt es sich um Schlüsselbegriffe römischer Virilität am Ende der Republik, für die der Erwerb und Erhalt von dignitas, selbst auf Kosten des Gemeinwesens, zentral war,324 Denn folgt man der Überlieferung, war Catilina der erste, der seine persönliche dignitas über die Forderungen der res publica stellte; Caesar war dagegen der erste, der seine dignitas auf Kosten der res publica und eines Bürgerkrieges
321 Vgl. ibid. 322 Vgl. ibid., m, 22, 4. 323 Cic. ad fam. Vill, 17, 2 ("equidem iam effeci, ut maxime plebs et, qui antea noster fuit, populus vester esset. 'cur hoc?' inquis. immo reliqua expectate; vos invitos vincere coegero. geram alterum me Catonem;... atque hoc nullius praemii spe faciam sed, quod apud me plurimum solet valere, doloris atque indignitatis causa." ). 324 Zur Verschiebung des Bedeutungsinhaltes von dignitas vgl. S. 115f.
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e1folgreich zu wahren wußte.J25 Caelius hatte Caesar und seinen Anhang kennengelernt und sich deshalb von ihnen insgeheim distanziert. Er unternahm den Versuch, seine Position als Praetor zugunsten der caesarfeindlichen Nobilität zu nutzen, indem er - "vos invitos vincere cogero" - populare Instrumente der Politik erfolgreich einsetzte: plebs und populus Roms standen hinter ihm. · Die Senatsoligarchie verkannte die Erfolgsaussichten dieses Rettungsversuches, der in seiner Anlage ohne historisches Beispiel war. Sozialrevolutionäre Tendenzen in der Innenpolitik Roms gab es zwar seit den Gracchen, aber kein Politiker, der im Namen der plebs agierte, hatte sich vor Caelius die Rettung der Senatsoligarchie zum Ziel gesetzt. Letztere verstieß den vermeintlichen Renegaten. Von beiden Kontrahenten des Bürgerkrieges enttäuscht, verließ sich Caelius auf sich selbst und scheiterte, da eine dritte Partei undenkbar war.
325 Zu Catilina vgl. Sall. bell. Cat. 35, 3f.; zu Caesars Selbsteinschätzung vgl. b. c. I, 7, 7 und I, 9, 2.
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4. 3. "nec mihi est iucundius quicquam .nec Freundschaft zwischen Caelius und Cicero
carius"J26:
Die
Männliches Verhalten ist nicht angeboren. Für .die Entwicklung· · einer männlichen Identität ist der Einfluß von Vorbildern von ausschlaggebender Bedeutung. Abgesehen vom Vater spielen während der Adoleszenz andere, insbesondere ältere Männer eine entscheidende Rolle.J27 Die römische Gesellschaft hatte mit dem tirocinium fori, dem "Dienst" auf dem Forum, e.ine Institution geschaffen, die junge Männer fast vollendet in die soziale und gesellschaftliche Welt der Älteren zu integrieren wußte. Sobald der Vater seinem Sohn die toga virilis verliehen, also dessen tirocinium fori offiziell begonnen hatte, begab sich der adulescens in die tutela eines älteren, politisch erfahrenen Mannes, um von ihm unterrichtet und auf eine forensische Laufbahn vorbereitet zu werden. Der Mann, der die tutela übernommen hatte, besaß für den adulescens eine besondere Autorität. Er fungierte quasi als zweiter pater.328 So bemerkte Cicero über sein eigenes tirocinium fori bei den Mucii Scaevolae : ,,Ich aber war von meinem Vater, als ich die Männertoga angelegt hatte, mit dem Ziel dem Scaevola zur Ausbildung zugeführt worden, daß ich niemals - soweit ich könnte und dürfte - von des Greises Seite wiche (Hervorhebung von mir). Und so prägte ich vieles, das er klug erörterte, doch auch viele kurze und treffende Sprüche meinem Gedächtnis ein und suchte mich durch seine Lebensklugheit zu bilden. Nach seinem Tode habe ich mich dem Oberpriester Scaevola angeschlossen, den ich den durch Begabung und Gerechtigkeitssinn vortrefflichsten Mann unseres Staates zu nennen wage. "329
326 Cic. ad fam. li, 10, 1.
327 Dies war insbesondere in Rom der Fall; vgl. meine Ausführungen zu Cato maior S.70ff. und zum tirocinium fori S. 173ff. 328 Auf den möglichen Einfluß römischer Adoptionsvorstellungen auf das Institut des tirociniumfori ist bereits hingewiesen worden; vgl. S. 63. 329 Cic. Lael. 1, 1 ("Ego autem a patre ita eram deductus ad Scaevolam sumpta virili toga, ut, quoad possem et liceret, a senis latere numquam discederem; itaque multa ab eo prudenter disputata, multa etiam breviter et commode dicta memoriae mandabam fierique studebam eius prudentia doctior. Quo mortuo me ad pontificem Scaevolam contuli, quem unum nostrae civitatis et ingenio et iustitia praestantissimum audeo dicere."). Diese und die folgenden Übersetzungen aus "Laelius de amicitia" orientieren sich an Feger 1995.
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Wie Ciceros Beschreibung zeigt, konnte der adulescens im Verlaufe des tirocinium fori in seiner politischen Haltung entscheidend beeinflußt werden. Cicero ging bei Optimaten reinsten Wassers in die Lehre; sie haben vermutlich seipe pölitischenAnschauungen tief geprägt, denn Cicero blieb im Namen der respublicp stets der Anwalt der Senatsaristokratie. Die Beziehung zwischen dem älteren und dem jüngeren Marine konnte in eine amicitia münden. Grundvoraussetzungen für eine freundschaftliche Bindung waren benevolentia und amor/caritas, beide unabdingbare Basis für eine dauernde amicitia; Ciceros Laelius beschrieb Freundschaften, die letztendlich auf dem tirociniumfori beruhten, so: "Mit solchem Wohlwollen haben wir als junge Männer jene Greise geliebt: den Lucius Paulus, Marcus Cato, Caius Galus, Publius Nasica, Tiberius Gracchus, unseres Scipio Schwiegervater... Auf der anderen Seite aber finden wir Alten Erholung in der Liebe junger Leute, so in eurer und in der des Quintus Tubero. Ich selbst ergötze mich auch an dem vertrauten Umgange mit dem noch sehr jungen Publius Rutilius und dem Aulus Verginius."33o So wie Cicero Schüler der Scaevolae war, so wurde Caelius nach Anlegen der toga virilis der Schüler Ciceros und des Crassus. Auch hier war der Umgang zwischen Schützling und den älteren Männern eng, und auch hier fungierten die Älteren an des Vaters Statt, wenn sie Aufsicht und Ausbildung des adulescens mit Zustimmung des Vaters übernahmen: "Als (der Vater) (Caelius) die Männertoga verliehen hatte- ... das eine will ich nur sagen: der Vater hat ihn auf der Stelle zu mir gebracht -, hat niemand diesen Marcus Caelius in der Blüte seiner Jugend, während er in den würdigsten Bildungsfächern unterrichtet wurde, jemals anders gesehen als mit seinem Vater oder mit mir oder im sittenstrengen Hause des Marcus Crassus."331
330 Cic. Lael. 27, 101 ("Hac nos adulescentes benevolentia senes illos, L. Paulum, M.
Catonem, C. Galum, P. Nasicam, Ti. Gracchum, Scipionis socerum, di\eximus; ... Vicissim autem senes in adulescentium caritate acquiescimus, ut in vestra, ut in Q. Tuberonis; equidem etiam admodum adulescentis P. Rutili, A. Vergini familiaritate delector."). 331 Cic. pro Cael. 4, 9 ("Qui ut huic togam virilem dedit - ... hoc dicam, hunc a patre continuo ad me esse deductum- nemo hunc M. Caelium in illo aetatis tlore vidit nisi aut cum patre aut mecum aut in M. Crassi castissima domo cum artibus honestissimis erudiretur. ").
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Man kann vermuten, daß Cicero seinen Schüler fiir die Sache der boni, also der Männer, die den Erhalt der res publica über ihre eigenen Interessen stellten, zu begeistern versuchte. Dies scheint ihm letztendlich geglückt zu sein. Abgesehen von seiner vermutlichen Parteinahme für Catilina- hier könnte der Einfluß. des · Crassus am Werk gewesen sein _332 und zu seiner tatsächlichen fiir Caesat bÜeb Caelius letztendlich der Sache der boni treu. Seine Rebellion widersprach; .wie gezeigt, nur dem Anschein nach den Interessen der Senatsaristokratie.333 Gelzer hat in seiner "Nobilität der römischen Republik" die römische amicitia als vorherrschend politisch-utilitaristisch interpretiert und das Phänomen der amicitia auf die politische Ebene beschränkt.J34 Seine Interpretation subsummiert Bindungen zwischen Senatoren und ihren Klienten einerseits, zwischen gleichrangigen Angehörigen der Senatsaristokratie andererseits unter dem Begriff der amicitia. Vor dem Hintergrund von Gelzers These, die die Forschung nachhaltig beeinflußt hat, muß der Befund erstaunen, daß bereits die Beziehung zwischen einem adulescens, der noch unter der väterlichen Gewalt stand und zunächst persönlich noch über keinerlei politischen Einfluß verfügte, und einem wesentlich älteren Tutor des tirocinium fori aus der Sicht Ciceros als amicitia gewertet werden konnte. Cicero hat in seinem Alterswerk Laelius de amicitia, das im Jahre 44 v. Chr. entstand und das er wie Cato maior de senectute seinem Freund Atticus gewidmet hat, die wesentlichen Kriterien fiir eine amicitia definiert. Es handelt sich hierbei nicht um eine bloße philosophische Spekulation über das Wesen der Freundschaft, sondern um die Quintessenz seiner eigenen Erfahrungen. Ciceros Aussagen zum Phänomen der amicitia versuchen, diesen fiir das Funktionieren des römischen Gemeinwesens so wesentlichen Begriff neu zu definieren und gehen weit über dessen politische Komponenente hinaus: Sie begreifen die amicitia zwischen Männem als politisches und als persönliches Band, wobei die persönliche, emotionale Bindung Vorrang besitzt, aber auch Grundlage einer möglichen politischen Allianz sein kann.335 So entsteht Cicero
332 Crassus wurde eine geheime Unterstützung Catilinas nachgesagt; vgl. Ase. Clark p. 83. 333 Vgl. S. 88f. 334 Vgl. Gelzer 1983, 49 - 56.Eine kritische Auseinandersetzung mit Gelzer bietet Späth 1997, 192f., der versucht, anband der Plinius-Briefe einen Begriff der amicitia zu rekonstruieren, der zugleich persönlich-zweckfreie und politisch-utilitaristische Züge aufweisen kann. 335 Vgl. hier auch Cic. de otf. II, 8, 30f.: "Certum igitur hoc sit idque et primum et maxime necessarium familiaritates habere fidas amantium nos amicorum et nostra mirantium. Haec enim est una res prorsus, ut non multum ditferat inter summos et mediocres viros, eaque utrisque est propemodum comparanda. Honore et gloria et benevolentia civium fortasse non
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zufolge amicitia zunächst durch caritas, die in der Ähnlichkeit der Charaktere und ihrer gleichen Haltung zur virtus begründet ist: "Es ist nämlich Freundschaft nichts anderes als Übereinstimmung in allen göttlichen und menschlichen Dingen, verbunden mit Wohlwollen und Liebe (Est enim amicitia nihil aliud nisi omnium divinarum huniananmzque rerum cum benevolentia et caritate consensio); im Vergleich zu ihr ist jedenfalls, die Weisheit ausgenommen, dem Menschen nichts Besseres von den unsterblichen · Göttern gegeben worden ... Die aber in der Mannestugend (in virtute) das höchste Gut erblicken, handeln zwar vortrefflich, allein gerade sie, die Mannestugend (virtus), zeugt und erhält Freundschaft, und ohne Mannestugend (sine virtute) kann Freundschaft schlechterdings nicht bestehen." 336 Ciceros Freundschaftskonzept, das er dem Politiker Laelius in den Mund legt, will nicht als Philosophie fernab von· den Realitäten der res publica verstanden werden. Es erteilt auch implizit eine Absage an die politischen amicitiae der letzten Jahre der Republik. Wenn Laelius außerdem darauf hinweist, daß nur zwischen den Guten Freundschaft bestehen kann- "nisi in bonis amicitiam esse non posse" (Cic. Lael. 5, 18) -, wird der Konnex zwischen amicitia und Erhalt der res publica deutlich und die Grenze zwischen "Freundschaft" im privaten Bereich und in der politischen Sphäre überschritten. Ciceros Laelius macht zudem deutlich, daß in der Politik kaum wahre Freundschaften existieren können: Die Konkurrenz um honores macht Männer zu Konkurrenten, die Freundschaft um des eigenen Vorteils lediglich vortäuschen.337 Wahre Freundschaft stützt sich also auf die benevolentia und die consensio zwischen den Freunden.338 Übereinstimmung und Wohlwollen schließen Tadel und Ermahnung nicht aus; im Gegenteil, ehrliche Freundschaft fordert sogar die
aeque ornnes egent, sed tarnen, si cui haec suppetunt, adiuvant aliquanturn curn ad cetera, turn ad arnicitias cornparandas." 336 Cic. Lael. 6, 20 ("Est enirn arnicitia nihil aliud nisi ornniurn divinarurn hurnanarurnque rerurn curn benevolentia et caritate consensio; qua quidern haud scio an excepta sapientia nihil rnelius hornini sit a dis irnrnortalibus daturn ... Qui autern in virtute surnrnurn bonurn ponunt, praeclare illi quidern, sed haec ipsa virtus amicitiarn et gignit et continet, nec sine virtute arnicitia esse ullo pacto potest. "). 337 Vgl. Cic. Lael. 17, 64: "atque verae arnicitiae difficillirne reperiuntur in iis, qui in honoribus reque publica versantur; ubi enirn isturn invenias, qui honorern arnici anteponat suo?" und de off. 1, 25, 87: "Miserrirna ornnino est arnbitio honorurnque contentio... " 338 Zur Bedeutung der benevo/entia vgl. auch Cic. de off. I, 15, 47.
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Korrektur des Freundes, insbesondere, wenn er im Begriff steht, sich gegen die res publica, also das Gemeinwohl, zu vergehen: "Nur eine Art von Anstoß muß beseitigt werden, damit Nutzen und Treue in der Freundschaft erhalten bleiben: Es müssen die Freunde oft ertnahnt und getadelt werden (nam et monendi amici sa~pe sunt et obiurgandi), und dies soll man in Freundschaft aufuehmen, wenn es aus Wohlwollen geschieht. "339 Das monere ist wesentlicher Bestandteil auch des tirocinium fori. Es schließt damit auch die amicitia zwischen senex und adulescens nicht aus. Auch der Altersunterschied und die unterschiedliche gesellschaftliche Position sprechen nicht gegen die Begründung einer amicitia, wie Laelius nicht nur an seinen oben zitierten Beispielen für die Freundschaften zwischen adulescentes und senes, sondern auch am exemplum seines Freundes Scipio illustriert: "Sehr wichtig ist es weiter, sich in der Freundschaft dem Niedrigeren gleichzustellen. Es gibt ja oft hervorragende Persönlichkeiten, so wie Scipio in unserem Verein, um diesen Ausdruck zu gebrauchen, eine war. Niemals stellte er sich dem Philus, nie dem Rupilius, nie dem Mummius voran, niemals den Freunden von geringerem Stand. Den Quintus Maximus aber, seinen Bruder, einen im ganzen hervorragenden, ihm aber keinesfalls gleichwertigen Mann, ehrte er, nur weil er älter war, wie einen Höherstehenden ... "340 Um zusammenzufassen: Folgt man Cicero, basiert die amicitia zwischen zwei Männern zunächst auf einer Verwandtschaft der Seelen. Ihre Fundamente sind benevolentia und caritas/amor. Da nur zwischen boni wahre Freundschaft entstehen - das verbindende Element ist die virtus - kann, ist sie von besonderer Bedeutung für den Erhalt der res pub/ica. Die Freundschaft kann eine temporäre freiwillige Unterordnung erfordern, d. h. die Befolgung der Ermahnungen des Freundes, ihr Prinzip ist jedoch egalitär: Denn sie kennt 339 Cic. Lael. 24, 88 {"Una illa sublevanda offensio est, ut et utilitas in amicitia et fides retineatur: nam et monendi amici saepe sunt et obiurgandi, at baec accipienda amice, cum benevole fiunt. "). 340 Cic. Lael. 19, 69 {"Sed maximum est in amicitia parem esse inferiori. Saepe enim excellentiae quaedam sunt, qualis erat Scipionis in nostro, ut itam dicam, grege. Numquam se ille Philo, numquam Rupilio, numquam Mummio anteposuit, numquam inferioris ordinis amicis; Q. vero Maximum fratrem, egregium virum omnino, sibi nequaquam parem, quod is anteibat aetate, tamquam superiorem colebat...").
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weder Hierarchien der gesellschaftlichen Positionen noch der Altersunterschiede.J41 Ciceros Begriff der Freundschaft reflektie1t so auch Ciceros Programm zur Rettung der res publica, dessen Kern die Egalität und die Überstimmung ·zwischen den boni, also den wahren optimates, ohne Berücksichtigung von Rang und Alter ist,342 Die Freundschaft zwischen Caelius und Cicero weist das gesamte Spektrum des ciceronilinischen Freundschaftsbegriffes auf. Diese Freundschaft begann mit dem tirociniumfori des Caelius, also in der Phase im Leben eines adulescens, in dem der leibliche pater die Erziehung seines Sohnes zum Teil an andere Männer delegierte, die quasi als Ersatzpatres fungierten. Die Ausbildung durch den älteren Mentor, der durch den adulescens ausgewählt werden konnte,343 war frei von der Autorität der patria potestas; der ältere Mann nahm zwar im erzieherischen Bereich Aufgaben des Vaters wahr, er agierte in erster Linie jedoch als Freund. Caelius und Cicero, zwischen denen der Altersunterschied ein Vierteljahrhundert betrug, haben ihre Beziehung selbst als amicitia definiert: Cicero nannte Caelius einen "bonus civis et bonus amicus", während Caelius Cicero um ein Monument ihrer Freundschaft bat,344 Der Ton ihres Briefwechsels zeugt von ihrer Zuneigung. So schrieb Cicero beispielsweise an Caelius: "Dich aber liebe ich; mein Rufus, den mir das Schicksal als Förderer meiner Würde, als Rächer an meinen Feinden und Neidern geschenkt hat! Sie sollen ihre Verbrechen, ihre Albernheiten noch bereuen. "345 Caelius schrieb dagegen über seine Stimmung nach Ciceros Abreise in dessen Provinz Kilikien: "Siehst Du! Habe ich recht behalten und schreibe dir oft? Und beim Abschied wolltest Du es nicht wahrhaben, daß ich Dir den Gefallen tun 341 Ähnlich Späth 1997,205 zu den Plinius-Briefen. 342 Vgl. Cic. Sest. 51, 109: "Utra igitur causa popularis videri: in qua onmes honestates civitatis, omnes aetates, omnes ordines 1ma consenthmt (Hervorhebung von mir), an in qua furiae concitatae tamquam ad funus rei publicae convolant?" 343 Vgl. Cic. de off. I, 34, 122 : "Est igitur adulescentis maiores natu vereri exque iis deligere optimos et probatissimos, quorum consilio atque auctoritate nitatur ... " 344 Vgl. Cic. ad fam. II, 5, 3; VIII, 3, 2. 345 Cic. ad fam. II, 9, 3 (,.te vero, mi Rufe, diligo, quem mihi fortuna dedit amplificatorem dignitatis meae, ultorem non modo inimicorum sed etiam invidorum meorum, ut eos partim seelerum suorum, partim etiam ineptiarum paeniteret. ").
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würde? Aber es ist so, wenn anders meine Briefe richtig bei Dir ankommen. Und zwar tue ich es um so lieber, als ich, wenn ich nichts zu tun habe, absolut nicht weiß, womit ich mir meine Mußestunden verschönen könnte. Als Du noch in Rom warst, war es fiir mich, wenn ich frei war, eine selbstverständliche und höchst angenehme Beschäftigung, mit Dir zusammen die Mußestunden zu verbringen. Das veimisse ich Jetzt ziemlich, so daß ich mich nicht nur vereinsamt fühle, sondern mir Rom nach Deiner Abreise ausgestorben zu sein scheint, und wenn ich, sorglos, wie ich bin, Dich, als Du hier warst, oft tagelang nicht aufsuchte, ·so härme ich mich jetzt täglich, daß Du nicht da bist, zu dem ich laufen könnte. "346 Caelius und Cicero verbanden die gleichen sozialen Voraussetzungen; beide entstammten der Oberschicht eines municipium, beide waren ursprünglich equites, beide homines novi. Daß dies eine consensio der Charaktere im ciceronischen Sinne gefördert hat, dürfte auf der Hand liegen. Caelius gelang es, ähnlich wie dem adulescens Curio, auffallend früh, sich politisch zu etablieren, ohne allerdings wie der nobilis Curio über nennenswerte familiäre politische Bindungen in Rom zu verfiigen.347 Hier trifft sich die Biographie des homo novus Caelius mit der des homo novus Cicero, und hieraus läßt sich die enge Bindung zwischen beiden erklären,348 Caelius ist das Paradebeispiel des homo a se ortus, ein erfolgreicher Zögling der ciceronischen
346 Cic. ad fam. vm, 3, 1 ("Estne? vici et tibi sape, quod negaras discedens curaturum tibi, litteras mitto? est, si quidem perferuntur, quas do. atque hoc eo diligentius facio, quod, cum otiosus sum, plane, ubi delectem otium meum, non habeo. tu cum Romae eras, hoc mihi certurn ac iucundissimum vacanti negotium erat, tecum id otii tempus consumere; idque non mediocriter desidero, ut mihi non modo solus esse sed Romae te profecto solitudo videatur facta, et qui, quae mea neglegentia est, multos saepe dies, ad te, cum hic eras, non accedebam, nunc cotidie non esse te, ad quem cursitem, discrucior (Hervorhebung von mir)."). "discrucior" kennzeichnet eine extreme Emotion; vgl. Cat. carm. 85. 347 Caelius ist von Curio politisch stark beeinflußt worden. Caelius selbst macht ihn neben Appius für seinen Seitenwechsel zu Caesar verantwortlich: "quod utinam aut Appius Claudius in hac parte fuisset aut in ista parte C. Curio, quoius amicitia me paulatim in hanc perditam causam imposuit; nam mihi sentio bonam mentem iracundia et amore ablatam." (Cic. ad fam. VIU, 17, 1). 348 Caelius war sich seines Status als homo novus durchaus bewußt; so beklagte er sich ironisch anläßlich seiner Bewerbung um die Aedilität im Jahre 51 bei Cicero: "ego incidi in competitorem nobilem (Hervorhebung von mir) et nobilem agentem... "(Cic. ad fam. VIU, 2, 2).
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Theorie vom homo novus.349 Die Freundschaft von Cicero und Caelius überdauerte politische Differenzen, so die Parteinahme des Caelius für Catilina, die erfolgreiche Anklage des Antonius, der von Cicero verteidigt worden war, und nicht zuletZt den Anschluß des Caelius an Caesar. Der Einfluß des Advokaten der libera res publica scheint noch in der erfolglosen Revolte des Caelius im Jahre 48 v. Chr. durchzuschimmern; denn obwohl das Programm des Caelius, des Praetors von Caesars Gnaden, von Catilina bzw. von Clodius hätte diktiert sein können, so war es doch Cato, den Caelius selbst als Vorbild nannte, so waren es doch die boni, zu deren Rettung Caelius mit unkoventionellen Mitteln angetreten war.350 Der Briefwechsel zwischen Cicero und Caelius zeugt auch von einem weiteren ganz persönlichen Bindeglied abseits der Politik in Rom, dem ironischen Humor, der insbesondere diesen Briefwechsel kennzeichnet. Beide schätzten diese Fähigkeit am anderen, sie scheint für beide ein besonderes Merkmal ihrer geistigen Nähe zueinander gewesen zu sein.J5I Denn gerade die Ironie war offenbar auch nicht nur ein Charakteristikwn der Reden Ciceros, sondern auch der des Caelius.352 Die Freundschaft zwischen Caelius und Cicero erschöpfte sich nicht im Austausch ironischer Spitzen zur Tagespolitik und in der Bekundung der gegenseitigen Zuneigung. Die beiden Freunde berieten einander und setzten sich auch füreinander im politischen wie im privaten Bereich ein.J53 Die einander geleisteten beneficia umfaßten ein breites Spektrum von Hilfeleistungen, die sich vor allem, aber nicht nur auf den politischen Bereich konzentrierten: Cicero verteidigte Caelius 56 v. Chr. de vi, er steuerte neben Curio zu den ädilizischen Spielen des Caelius Panther aus seiner Provinz Kilikien bei und trieb Geld bei einem Schuldner des Caelius ein; Caelius setzte sich dagegen als Volkstribun im Jahre 52 v. Chr. für Ciceros Protege Milo öffentlich ein und bemühte sich erfolgreich auf die inständigen Bitten Ciceros in den Jahren 51150 v. Chr. darum, daß Ciceros Statthalterschaft in Kilikien Zurhomo novus-Philosophie Ciceros vgl. S. 54f. und Cic. pro Plane. 67; Phil. 6, 17 sowie 1982, 87ff. 350 Vgl. Cic. ad fam. VIII, 17, 2: "geram alterum me Catonem."; zum Vorbild Cato an sich vgl. Dettenhofer I 992, 92. 351 Vgl. z. B. Cic. ad fam. II, 9, 2 (Spott über Caelius' Konkurrenten bei seiner Bewerbung um die Ädilität). 352 Quintilian betont die asperitas des Caelius; vgl. Quint. inst. or. X, 2, 25. 353 Vgl. z. B. Cic. ad fam. li, 13, I: "vel quas (Iitteras) proxime acceperam, quam prudentis, quam multi et ojjicii et consilii! etsi omnia sie constitueram mihi agenda, ut tu admonebas, tarnen confirmantur nostra consilia, cum sentimus prudentibus fideliterque suadentibus idem videri (Hervorhebungen von mir)." 349
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nicht verlängert und ihm zudem eine supplicatio, also .ein. Dankfest für seine militärischen Erfolge, vom Senat bewilligt wurde.354 Nach seiner Entscheidung für Caesar vertrat Caelius, der schnell zu einem der Vertrauten des Imperators avancierte, Ciceros Interessen, tadelte jedoch auch die Unentschlossenheit des Freundes.355 Cicero verteidigte in seinem Antwortbrief ·seine zwiespältige Haltung und forderte außerdem den Schutz des Freundes: · "Das Fazit meiner Ausführungen: ich werde keinen kopflosen, keinen unüberlegten Schritt tun. Dich aber bitte ich, wo in aller Welt ich imrtler sein mag, mich und meine Kinder unter Deine Fittiche zu nehmen, wie unsere Freundschaft und Deine treue Liebe es Dir gebieten. "356 Die Beständigkeit der amicitia zwischen Cicero und Caelius vor dem Hintergrund der Ietzen Jahre der Republik, in denen das Jonglieren mit und Lavieren zwischen den politischen Bindungen zur Überlebens- und Erfolgstaktik gehörte und das politische Geschehen von flexiblen Frontstellungen lebte,357 kann als singulär charakterisiert werden.J58 Die Beziehung zwischen Cicero und dem mindestens zwanzig Jahre jüngeren Caelius scheint keine Hierarchie gekannt zu haben, also eine echte amicitia in Sinne der ciceronischen Forderungen des Laelius gewesen zu sein, obwohl der Altersunterschied beträchtlich war. Denn die amicitia beruht grundsätzlich auf 354 Zu den Panthern vgl. Cic. ad fam. II, 12, 2; zur Verhinderung der Verlängerung der Statthalterschaft vgl. Cic. ad fam. II, 8, 3 und II, 10, 4; zur supplicatio vgl. Cic. ad fam. II, 15, l. 355 Vgl. Cic. ad fam. VIII, 16. 356 Cic. ad fam. II, 16, 7 ("Extremum illud erit: nos nihil turbulenter, nihil temere faciemus: te tarnen oramus, quibusqumque erimus in terris, ut nos liberosque nostros ita tueare, ut amicitia nostra et tua fides postulabit."). 357 Zu den flexiblen Frontstellungen in der römischen Politik der Späten Republik, deren Bedeutung Cicero als Schöpfer der Theorie vom staatserhaltenden "consensus omnium bonorum" nicht wahrhaben konnte und wollte, vgl. Gotter 1996, 114. 358 So hatte die Freundschaft zwischen Cicero und dem adulescens Curio keinen Bestand, nachdem Curio die Seiten gewechselt hatte, obwohl Cicero versucht hatte, Curio einem ähnlichen "Bildungsprogramm" wie Caelius zu unterziehen; vgl. die Briefe aus dem Jahre 53 v. Chr an Curio, z. B. Cic. ad fam. II, 1, 2: " ... quoniam meam tuorum erga me meritorum memoriam nulla umquam delebit oblivio, te rogo, ut memineris, quantaecumque tibi accessiones fient et fortunae et dignitatis, eas te non potuisse consequi, nisi meis puer olim fidelissimis atque amantissimis consiliis paruisses. quare hoc animo in nos esse debebis, ut aetas nostra iam ingravescens in amore atque adulescentia tua conquiescat (Hervorhebungen von mir)." Zur Entfremdung zwischen Cicero und Curio vgl. Cic. Brut. 280f.; zur Persönlichkeit und zur Karriere Curios vgl. S. 211f. und Dettenhofer 1992, 33ff. und 146ff.
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Gleichheit. Sie verbindet mehr durch gegenseitige beneficia, also Freiwilligkeit, als durch officia, zu leistende Dienste. Die Möglichkeit, amicitiae einzugehen, ist durch das Prinzip der Gleichheit der Person ein hervorragendes Merkmal römischer Männlichkeit, erweist also Caelius als Mann unter Männem,359 Cicero scheint durch seine Betreuung des Jüngeren während des tirocinium fort auch "Wahlvater"36o des Caelius gewesen zu sein, eine Vaterfigur, die Caelius stärker beeinflußte als der leibliche Vater selbst. Letzterer scheint dagegen für den adulescens Caelius kaum eine Bedeutung besessen zu haben. So nahm Caelius großen Anteil an den familiären und persönlichen Problemen Ciceros, verliert jedoch in den uns erhaltenen Briefen kein Wort über die eigene Familie.36t Caelius ist wie Cicero ein hervorragender Redner und gesuchter Anwalt geworden, Caelius hat Cicero aber auch z. B. durch den Anschluß an Catilina, die Anklage des Antonius, vielleicht sogar durch seine Beziehung zu Clodia brüskiert.362 Die amicitia zwischen beiden erwies sich dennoch als stabil, Indiz für die enge persönliche Bindung und gegen die Reduktion des Phänomens der amicitia auf eine rein politische Ebene. Betrachtet man die Beziehung zwischen Cicero und Caelius unter dem Aspekt der ,,Mann-Werdung" im Rom in der späten Republik, so fällt zunächst die Absenz des leiblichen Vaters auf. Zwar war es in Rom üblich, Söhne mit dem Beginn der adulescentia, der durch das Anlegen der toga virilis markiert wurde, von anderen Männem durch das Institut des tirocinium fori quasi mit erziehen zulassen, während sie zuvor ihren Vater stets begleitet hatten,363 es ist jedoch erstaunlich, wie rasch Mentor und Schützling auf Basis der amicitia, also der absoluten Gleichheit, miteinander verkehrten. Unterlegt man allerdings der Freundschaft zwischen Caelius und Cicero die Kriterien des Laelius, wird sie zum Beispiel für Ciceros Theorie der Freundschaft. Begonnen während des tirociniumfori zwischen einem Mann, der an des Vaters statt agierte, und einem adulescens, der wie ein Sohn war, verband Cicero und Caelius eine amicitia, die bis zum Tode des Caelius andauem sollte. Obwohl der pater, wie gezeigt, ein hervorragendes Leitbild des kollektiven mätmlichen Bewußtseins war,364 zeichnete sich im Verhältnis zwischen den
359 Vgl. Späth 1997,205. 360 Zum "Wahlvater" vgl. S. 179f. 361 Zum Beispiel am Heiratsprojekt Tullia-Dolabella; vgl. Cic. ad fam. VIII, 9, 2, 5; 12, 1, und an Ciceros Entschluß, sich Pompeius anzuschließen; vgl. Cic. ad fam. VIII, 16, I. 362 Zur Beziehung zwischen Caelius und Clodia vgl. S. 128f. 363 Die Söhne begleiteten ihre Väter ab dem siebenten Lebensjahr (vgl. Gell. noct. Att. II, 23; Val. Max. fact. et dict. mem. li, 1, 10; Plut. quaest. rom. 33, 272). 364 Vgl. S. 33ff.
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Wahlvätern und Wahlsöhnen im Institutdes tirociniumfori keinerlei Hierarchie im negativen Sinne ab, die etwa dem adulescens blinden Gehorsam gegenüber dem Älteren abforderte,365 Da das Verhältnis zwischen diesen offensichtlich der Beziehung zwischen leiblichem Vater und Sohn nachgebildet war ...., .neben dem pater besaß der Erzieher während des tirocinium fori, wie gezeigt; .die auctoritas über den adulescens -, kann vermutet werden, daß das Bild despater in der späten Republik den Aspekt der absoluten Herrschaft über den Sohn weitgehend eingebüßt hatte.J66 Für die Beziehung zwischen älteren und jüngeren Männern konnte wie im Falle von Cicero und Caelius das Prinzip der Egalität gelten, das, wie erwähnt, eine temporäre freiwillige Unterordnung nicht ausschließen mußte. Der Ältere konnte als Vorbild fungieren, er konnte den Eintritt in die politische Laufbahn erleichtern - Caelius konnte seine Kontakte zu Cicero und Crassus für die eigene politische Laufbahn nutzen - und die politischen Auffassungen des Jüngeren beeinflussen. Die Gleichheit zwischen Cicero und Caelius impliziert eine Gleichheit der Männer unter sich, verbunden durch eine ähnliche soziale Herkunft, ähnliche Begabungen und eine ähnliche Geisteshaltung. Der Altersunterschied spielte keinerlei Rolle. Diese Gleichheit und hervorragende Bedeutung des "Wahlvaters" des tirocinium fori für die Entwicklung des adulescens sind nicht nur Beweis dafür, daß die von Theorektikem wie Varro proklamierte Separation der männlichen Altersstufen für die Praxis des Umgangs unter Männern verschiedener Altersstufen kaum Bedeutung hatte, daß also die adulescentia nicht allein etwa aufgrund theoretischer AltersstufenModelle als Lebensphase mit eigenen Gesetzen, Regeln und Ritualen definiert werden kann. Sie sind auch ein Indiz für die Absenz der leiblichen Väter in der Reihe der männlichen Vorbilder trotz der ideellen Präsenz der patres.
365 Das Verhältnis zwischen jungen und alten Männem soll ja Cicero zufolge auf einer freiwilligen Unterordnung beruhen, also aufEinsieht basieren; vgl. S. 73f. 366 V gl. hier auch S. 35f.
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V. DIE CAELIANA: EINE APOLOGIA ADULESCENTIAE "Ich möchte, unter Deinen zahlreichen literarischen Produkten fände sich etwas, was . die Erinnerung . an unsere Freundschaft auch der Nachwelt überlieferte. Wahrscheinlich fragst Du jetzt, welcher Art das sein soll. Nun, Du bist ja mit der ganzen Disziplin vertraut und wirst auf Anhieb das Passendste herausfinden; es muß aber eine Gattung sein, die · zu mir paßt und eine Art Unterweisung enthält, damit sie von Hand zu Hand geht." Caelius an Cicero367
5. 1. Anklage und Ankläger Am 4. April des Jahres 56 v. Chr. wurde während der Iudi megalenses, Spielen zu Ehren der magna mater, der adulescens Marcus Caelius Rufus in einer außerordentlichen quaestio de vi angeklagt.368 Accusator, also Hauptankläger, war der damals erst siebzehnjährige Atratinus Bestia, Sohn des von Caelius zweifach de ambitu angeklagten Calpumius Bestia; als subscriptores fungierten der bekannte Redner Herennius und ein nicht weiter bekannter Clodius, vermutlich ein Klient des P. Clodius Pulcher,369 Hauptanklagepunkt war eine mögliche Beteiligung des Caelius an der Ermordung des alexandrinischen Philosophen Dion, des Anfiihrers einer Gesandschaft, welche die Wiedereinsetzung des Königs Ptolemäus, Günstling des Pompeius, auf dem
367 Cic. ad fam. VIII, 3, 2 ("opto aliquid ex tarn multis tuis monumentis exstare, quod nostrae amicitiae memoriam posteris quoque prodat. Cuius modi velim, puto, quaeris. tu citius, qui omnem nosti disciplinam, quod maxime convenit, excogitabis, genere tarnen, quod et ad nos pertineat et c'itc'iacrKaA.iav quandam, ut versetur inter manus, habeat. "). 368 Zum Zeitpunkt der Anklage und den Iudi megalenses vgl. Austin 1960, 42 und 151. 369 Zu Atratinus, Herennius und Clodius vgl. ibid., 154f.; zur Identifikation des Bestia und dessen Auseinandersetzungen mit Caelius vgl. Madsen 1981, 58fT.
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Thron Alexandrias durch den römischen Senat zu .verhindern suchte;37o außerdem wurde ihm ein versuchter Giftmordanschlag auf Clodia Metelli, die Schwester des P. Clodius Puleher und die Lesbia Catulls, der auch eine Affäre mit Caelius nachgesagt wurde, angelastet.371 . Clodia nahm · als· eine Hauptbelastungszeugin an der Verhandlung tei1.372 Die Anklage des Caelius geriet zu einer umfassenden Attacke. aufdie mores und die vita des Angeklagten. Während Atratinus die pudicitia des Caelius in Frage stellte und ihn wegen seiner Affäre mit Clodia als geldgierigen pulchellus Iason verspottete sowie ihn als Anhänger Catilinas diffamierte und Clodius den Anklagepunkt de veneno übernahm, so nahm Herennius Baibus als letzter Redner die Person des Caelius zum Anlaß, ein düsteres Gemälde von der Verworfenheit der adulescentia der Späten Republik zu entwerfen.373 Caelius verteidigte sich gegen die Anwürfe gegen seine vita, insbesondere seine Bindung zu Clodia, selbst. Diese Selbstverteidiung, äußerst untypisch für die Späte Republik,374 legt Zeugnis von der Schwere der gegen Caelius vorgebrachten Anschuldigungen ab; Caelius, dessen gesellschaftliche Existenz auf dem Spiele stand, sprach als erster und legte eingangs eine für ihn ungewöhnliche Zurückhaltung an den Tag, um dann allerdings seinen Ankläger als ,,Pelia cincinnatus" zu verspotten, der sich seine Anklagerede auch noch von anderen verfassen lasse,375 Crassus nahm sich dann der Caelius unter de vi vorgeworfenen Delikte an: Caelius sei für Unruhen in Neapel und auch für einen ersten erfolglosen Anschlag auf die Gesandschaft aus Alexandria in 370 Zu den Hintergründen der Ptolemäus-Affäre vgl. Wiseman 1985, 54ft': 371 Caelius wurde unter der Iex Plotia de vi angeklagt, die ein außerordentliches Verfahren ermöglichte und die sich gegen staatsgefährdende Gewalt richtete (vgl. Cic. pro Cael. 1, 1 und 29, 70). Unter diese Kategorie fielen der Caelius zur Last gelegte Aufruhr in Neapel genauso wie der Mordanschlag aufDio. Der Vorwurf des Giftmordversuches hätte formaljuristisch vor einer questio de veneficiis verhandelt werden müssen, wurde aber von der Anklage zur Untermauerung der Vorwürfe de vi angeführt. Zumjuristischen Kontext vgl. im übrigen Stroh 1975, 246ft'. 372 Die Zeugen waren während des Verfahrens anwesend; vgl. Wiseman 1985,70. 373 Zur Reihenfolge der Reden vgl. Austin 1960, 155f. Zur Rede des Atratinus vgl. RLM I, 124, 24. Caelius nahm das Motiv der lason-Sage schlagfertig auf und verhöhnte Atratinus seinerseits als "Pelia cincinnatus" (vgl. Quint. inst. or. I, 5, 61). 374 Vgl. Stroh 1975, 244, Anm. 9 mit entsprechenden Belegen. 375 Vgl. Quint. inst. or. XI, 1, 51: "Ne cui vestrum atque etiam omnium, qui ad rem agendam adsunt, meus aut vultus molestior aut vox immoderatior aliqua aut denique, quod minimum est, iactantior gestus fuisse videatur." Caelius' Einleitung macht deutlich, wie sehr es in diesem Prozeß auf die mores des Angeklagten ankommen sollte. Caelius scheint aber in seiner Auseinandersetzung mit Atratinus den für seinen Redestil typischen bissigen Spott an den Tag gelegt zu haben; vgl. hier ORF p. 485, frg. 24 zur Unfähigkeit des Atratinus.
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Puteoli verantwortlich gewesen; außerdem habe er die Güter einer Palla, vermutlich einer Verwandten des Atratinus, venmtreut.376 Diese Delikte stellten höchstwahrscheinlich aus Sicht der Anklage Stationen auf dem Weg des Caelius hin zu Mord und Todschlag dar, begleitet von einer fortschreitenden sittlichen ~nd moralischen Depravierung des Angeklagten.377 Cicero sprach als letzter, übernahm also den entscheideneu Part der Verteidigung. Er verteidigte die vita · seines Klienten und bezog zu den Hauptanklagepunkten, den Mordanschlägen auf Dio und Clodia, Stellung in einer Rede, die als eine seiner besten und ungewöhnlichsten gilt.J78 Ciceros Rede zeitigte ihren Erfolg: Caelius wurde freigesprochen. Ciceros Rede ist die einzige Rede des Prozesses, die vollständig erhalten ist. Von den übrigen Reden von Anklage und Verteidigung existieren nur noch bescheidene Fragmente, meist in der Paraphrase Cicei'os und in Zitaten Quintilians. Dennoch lassen sich die Strategien von Anklage und Verteidigung gerade durch die Cicero-Rede rekonstruieren. Das rhetorische Gefecht um die Schuld des Caelius war ein vollendetes "trial of character"379, in dem die Charaktere des Angeklagten und der Hauptbelastungszeugen die ausschlaggebende Rolle spielten. Caelius' Freispruch zollte Ciceros Apologie der Adoleszenz ihren Tribut, und er unterschrieb auch Ciceros öffentliche Diffamierung der Clodia. Ich werde in der Folge den Inhalt der Caeliana referieren, mich hier aufCiceros Aussagen rur adulescentia konzentrieren und die entsprechenden Passagen interpretieren. Im Zentrum werden zwei Fragen stehen: Wie stellt Cicero den adulescens Caelius dar? Und: Wie beschreibt Cicero die Räume der adulescentia in der Späten Republik?
376 Vgl. Cic. pro Cael. 10, 23: "Itaque illam partem causae facile patior graviter et ornate a. M. Crasso peroratam de seditionibus Neapolitanis, de Alexandrinorum pulsatione Puteolanae, de bonis Pallae." Zu den bona Pallae vgl. Austin 1960,74. 377 Vgl. Wiseman 1985, 73 zur Wirkung der Rede des Herennius auf die Richter. 378 Vgl. z. B. das Urteil von May 1988, 116: "The speech, so successful at the time of its delivery, endures for us today as one of Cicero' s finest efforts. For persuasion through sheer delight ... the Pro Caelio stands unchallenged." 379 Zum Begriffvgl. May 1988, I05ff.
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5. 2. Dasexordium (c. 1, 1- c. 1, 2):380 Der Beginn des Spiels In seiner Einleitung bündelt Cicero die wesentlichen Themata seiner Verteidigung. Er entwirft zudem bewußt gerade vor d~m Hintergrund der ludi megalenses, also Iudi scenici zu Ehren der magna mater,381 einen ganz eigenen mimus, das Szenario einer Komödie,382 Dasexordium entspricht dem Prolog der Komödie: So erscheint Caelius von Anfang an als unbescholtener junger Mann, der durch die Ränke und Intrigen einer meretrix, sc. Clodia, selbstverständlich zu Unrecht attackiert wird:383 "Und wenn (einer) hört, daß hier über keine Untat, kein freches Wagnis, keinen Gewaltstreich verhandelt wird, sondern ein junger Mann, hervorragend begabt, strebsam und angesehen, vom Sohn des Mannes, gegen den er selbst prozessiert hat und weiterhin prozessiert, angeklagt wird und daß ihn obendrein eine Dime mit allen Mitteln attackiert- dann würde er das Pflichtgefiihl des Atratinus nicht tadeln, aber meinen, man müsse der weiblichen Zügellosigkeit einen Riegel vorschieben. Euch, (Richter), aber hielte er fiir vielgeplagte Leute, die ihr nicht einmal an freien Tagen frei habt. "384 380 Die Gliederung der Caeliana ist seit Norden 1913 erbittert diskutiert worden, ohne daß eine Einigung erzielt werden konnte. Die Diskussion konzentriert sich insbesondere aufTeile der narratio/praemunitio, und zwar die c. 10, 23 - 20, 50, in denen sich formal Elemente der narratio (Leben des Angeklagten, Exkurs zur adulescentia, Charakter der Hauptbelastungszeugin Clodia) mit denen der argumentatio (Stellungnahmen zu den crimina) miteinander vermischen. Der Streit ist fast ausschließlich philologischer Natur - die Argumentation von May 1988, 112f. stellt eine bemerkenswerte Ausnahme dar, da sie sich auf inhaltliche Aspekte konzentriert - und tangiert deshalb mein Thema kaum. Die von mir gewählte Gliederung entspricht dem Ansatz von Austin 1960, da sie den Vorzug angelsächsischer Klarheit besitzt. Eine Übersicht über die bisherigen Gliederungsvorschäge bietet Stroh 1975 und wartet außerdem 286f. mit der bislang kompliziertesten Version auf. 381 Zu den Iudi MegaZenses vgl. Austin 1960, 4lf. 382 Zuerst erkannt von Geffcken 1973; die Verschmelzung der tatsächlichen Situation, also der der Iudi, mit der des Gerichtes, die stets auch theatralischen Charakter besitzt, ist ein Kunstgriff ohne Parallele. 383 Vgl. May 1988, 106. 384 Cic. pro Cael. 1, 1 ("cum audiat nullum facinus, nullam audaciam, nullam vim in iudicium vocari, sed adulescentem inlustri ingenio, industria, gratia accusari ab eius filio quem ipse in iudicium et vocet et vocarit, oppugnari autem opibus meretriciis: Atratini ipsius pietatem non reprehendat, libidinem muliebrem comprimendam putet, vos laboriosos existimet quibus otiosis nein communi quidem otio liceat esse.").
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Cicero beschreibt hier den Prozeß des Caelius aus der Sicht eines unbeteiligten, der römischen Sitten und Gebräuche unkundigen Zuschauers;385 er entwirft also ein Spektakel, das dem der Megalensien, Spielen, die stets ihren fremden, "umömischen" Charakter behielten, gleicht. Caelius wird zum Held eines mbnus, Clodia zur bösartigen Gegenspielelin. Alle Hauptfiguren der Rede treten in der zitierten Passage auf: Caelius, der hervorragende adulescens, Clodia, die als menitrix, von Iibido beherrscht, stigmatisiert wird, und Atratinus, Hauptankläger, selbst noch ein adulescens. Clodia ist die Drahtzieherin der Anklage und eigentliche Gegnerin Ciceros, Atratinus dagegen, zum Zeitpunkt des Prozesses erst siebzehn Jahre alt, nur ein Opfer seines Alters und seiner pietas386: "Ich will meinerseits Nachsicht üben gegenüber Atratinus, einem höchst umgänglichen, tüchtigen jungen Mann, der mit mir freundschaftlich verbunden ist. Er kann sich zur Entschuldigung auf seine Sohnespflicht berufen, auf gesellschaftliche Bande oder seine Jugend. Wenn er die Anklage aus freiem Willen erhoben hat, rechne ich es seiner Sohnesliebe zu, wenn er es auf Geheiß tat, seinen unumgänglichen Verpflichtungen, wenn er sich etwas davon versprochen hat, seiner großen Jugend. Die anderen Ankläger verdienen jedoch keine Nachsicht - ihnen muß man vielmehr entschiedenen Widerspruch leisten."387 Die Anklage des Atratinus gegen Caelius ist also fast ausschließlich persönlich motiviert, da Caelius dessen Vater Bestia erneut de ambitu verklagen wollte, obwohl er in einem ersten Anlauf bereits gescheitert war - Bestia wurde damals von Cicero verteidigt,388 Auch der subscriptor Herennius gibt persönliche Motive für sein Vorgehen gegen Caelius an: während Atratinus aus pietas
385 Dieser Kunstgriff ist einmalig fiir ein Prooemium Ciceros; vgl. Stroh 1975, 48, Anm. 39. 386 Zur "pietas in parentes" vgl. Cic. de off. II, 13, 46. pietas schuldet der Sohn dem Vater ebenso wie umgekehrt; dieses Muster der gegenseitigen Verpflichtung symbolisiert am deutlichsten der pater Aeneas, durch pietos sowohl dem Vater Anchises als auch dem Sohn Ascanius verbunden; vgl. S. 37, Eyben 1991, l36f. und Wlosok 1978, 42ff. 387 Cic. pro Cael. I, 2 ("Sed ego Atratino, humanissimo atque optimo adulescenti, meo necessario, ignosco, qui habet excusationem vel pietatis vel necessitatis vel aetatis. Si voluit accusare, pietati tribuo, si iussus est, necessitatis, si speravit aliquid, pueritiae. Ceteris non modo nihil ignoscendum, sed etiam acriter est resistendum. "). Ähnlich argumentiert Cicero in pro Sul. 46f. gegenüber dem jungen Torquatus. 388 Zur Affäre Bestia/Caelius vgl. Heinze 1925, 195f. und Dettenhofer 1992, 83.
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handelt, tritt Herennius für seinen amicus Bestia ein.389 .Eine Gegenanklage de vi konnte eine de ambitu-Klage verhindern, da sie bevorzugt verhandelt werden mußte. Die "ceteri", die Atratinus' Klage unterstützen, rekrutieren sich aus der gens Clodia und sind in Ciceros Version Handlanger Clodias, die ebenfalls.aus persönlichen Motiven Caelius zu Fall bringen will. Die Caeliana ist alsÖ eine der wenigen, vielleicht sogar die einzige Rede· Ciceros, deren politischer Hintergrund sich nur schwer eruieren läßt. Der Versuch, die möglichen politischen Hintergrunde der Anklage gegen Caelius aufzudecken, griindet sich im übrigen auf den Anschlag auf Dio. Wäre Caelius Mittäter gewesen, hätte er im Interesse des Pompeius, dessen Schützling Ptolemäus war, gehandelt, damit aber auch gegen P. Clodius Pulcher, der sich in Opposition zu Pompeius befand. Caelius' Motive wären dann vor allem finanzielle gewesen; seine Schulden waren notorisch und Ptolemäus ein freigebiger Gläubiger. Gegen diese Version spricht allerdings die Verachtung, die Caelius Pompeius gegenüber an den Tag legte, genauso wie die Beharrlichkeit, mit der Caelius als Volkstribun gegen Pompeius' außerordentliche Vollmachten im Jahre 52 v. Chr. Front machte,390 Das exordium der Caeliana ist beispielhaft. Es ist ein Abriß der gesamten Rede, umfaßt aber auch prägnant die Schlüsselthemen der geplanten Verteidigung adulescens vs. meretrix, ingeniumlindustrialgratia vs. Iibido, adulescens vs. adulescens -, und es läßt die Zuhörer nicht zuletzt gespannt die Details der Geschichte erwarten. Cicero mag vielleicht gerade dieses exordium im Blick gehabt haben, als er ein Jahr später in de oratore zum exordium formulierte: " ... man nimmt (den Beginn) nämlich aus den Dingen, die am ergiebigsten sind, entweder in der Argumentation oder in den Bereichen, zu denen man ... oft abschweifen sollte. Sie werden somit einerseits einen bedeutungsvollen Beitrag leisten, wenn sie gewissermaßen dem Kern der Verteidigung entnommen sind, andererseits wird deutlich werden, daß sie nicht nur keine Banalitäten sind... , sondern daß sie vielmehr zutiefst aus dem Fall, der gerade zur Verhandlung steht, erwachsen sind. Jeder Anfang muß aber entweder die Bedeutung des gesamten Gegenstandes der Verhandlung in sich tragen oder einen gangbaren Zugang zu dem Fall eröffnen... Doch wenn man so anfangen muß, wie es zumeist der Fall sein wird, kann man an die Person des Angeklagten oder die des Gegners, an die Sache oder an das Tribunal, vor dem verhandelt wird, anknüpfen. Zu 389 Vgl. pro Cael. 23, 56: "Quin etiam L. Herennium dicere audistis verbo se molesturn non futurum fuisse Caelio, nisi iterum eadem de re suo familiari absoluto nomen hic detulisset." 390 Zu Caelius' abschätziger Haltung gegenüber Pompeius vgl. S. 229 und Cic. ad fam. VIII, 15, 1.
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der Person des Angeklagten ... erwähnt man das, was zu erkennen gibt, daß er ein guter Mensch, großzügig, elend und erbannungswürdig ist, was falschlieber Beschuldigung entgegenwirken kann. Zu der Person des . Gegners wiederum ergibt sich aus denselben Grundgedanken das Gegenteil. "391 Das exordium der Caeliana weist nicht nur einen der möglichen Ausgangspunkte einer Rede, wie in de oratore vorgeschlagen, sondern alle auf. Es berücksichtigt Ort und Zeitpunkt des Prozesses, es stellt die Rechtmäßigkeit einer Anklage de vi in Frage, es wendet sich an die Richter, und es führt die Hauptakteure Caelius und Clodia in plakativer Schwarz-Weiß-Malerei, den adulescens infustri ingenio gegen die Iibido muliebris, vor. Schon das exordium macht deutlich, um was es in der Folge vor allem gehen wird: um einen Kampf der Charaktere, in dem das Thema "adulescentia" eine entscheidende Rolle spielen wird.
391 Cic. de or. li, 319 - 321 (" ... sumentur enim ex eis rebus, quae erunt uberrimae ve1 in
argumentis vel in eis partibus, ad quas dixi digredi saepe oportere; ita et momenti aliquid adferent, cum erunt paene ex intima defensione deprompta, et apparebit ea non modo non esse communia... , sed penitus ex ea causa, quae turn agatur, effloruisse. (320) omne autem principium aut rei totius, quae agatur, significationem habere debebit aut aditum ad causam et communitionem... (321) sed cum erit utendum principio, quod plerumque erit, aut ex reo aut ex adversario aut ex re aut ex iis, apud quos agetur, sententias duci licebit. Ex reo ... quae significent bonum virum, quae liberalem, quae calamitosum, quae misericordia dignum, quae valeant contra falsam incriminationem; ex adversario eisdem ex locis fere contraria ... ").
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5. 3. Die praemunitioJ92 (c. 2, 3 - c. 20, 50): D.er Kampf der Charaktere Die praemunitio umfaßt den bei weitem größten Teil der· Caeliana. In ihrem Zentrum stehen vita und mores des Caelius ebenso wie die vita und mores der Clodia. Schon allein der Umfang der praemunitio, des "Vorbaus" der eigentlichen Beweisführung in der argumentatio, macht deutlich, worauf es Cicero ankommt: Sein Ziel muß zunächst die Rehabilitierung des Caelius sein, dessen vita in allen Bereichen von der Anklage in schwärzesten Farben gezeichnet worden war. Dieses Ziel impliziert die moralische Diffamierung und öffentliche Demontage der Hauptbelastungszeugin Clodia. Cicero etikettiert seine Verteidigung explizit als "defensio adulescentiae", macht also das Alter seines Mandanten zum Hauptthema seiner Verteidigung ein Umstand, der den Kommentatoren bislang entgangen ist - und weist im gleichen Atemzug die gegnerischen Vorwürfe gegen die Lebensführung seines Mandanten als bösartigen Rufmord zurück;393 "Mir scheint nun im Hinblick auf das jugendliche Alter des Marcus Caelius dies der passendste Beginn für meine Verteidigung, ihr Richter (Ac mihi quidem videtur, iudices, hic introitus defensionis adulescentiae M. Caeli maxime convenire), wenn ich zuerst zu den Behauptungen Stellung nehme, die die Ankläger vorgebracht haben, um ihn in ein schlechtes Licht zu rücken und seinen guten Ruf zu schmälern und zu ruinieren. "394
392 Die praemunitio entspricht der narratio, der "(parteiischen) Mitteilung des in der argumentatio zu beweisenden Sachverhalts an die Richter" (Lausberg 1967, 163). Ich habe Austins Wahl des Ausdrucks, der rein rhetorisch betrachtet nicht ganz korrekt ist, da die praemunitio vor allem eine Redefigur gewesen zu sein scheint (vgl. Stroh 1975, 266), dennoch beibehalten, da Ciceros Verteidigung eingangs in der Tat vor allem eine Absicherung und Befestigung nach allen Seiten darstellt. 393 Nur Heinze 1925, 204 ist aufgefallen, daß Cicero " ... hier wie im weiteren Verlauf die Jugend des Angeklagten sehr stark betont". Daß die adulescentia das zentrale Thema der Rede ist, ist ansonsten bislang außer von Eyben 1977 übersehen worden. Vielmehr stand die Darstellung Clodias im Mittelpunkt inhaltlicher Auseinandersetzungen mit der Caeliana, so z. B. bei Kreck 1975, 109 und Wiseman 1985, 38ff. 394 Cic. pro Cael. 2, 3 ("Ac mihi quidem videtur, iudices, hic introitus defensionis adulescentiae M. Caeli maxime convenire, ut ad ea quae accusatores deformandi huius causa et detrahendae spoliandaeque dignitatis gratia dixerunt primum respondeam. ").
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Die Anklage hatte Caelius seine Herkunft aus dem Ritterstand vorgeworfen und behauptet, er habe es seinem Vater gegenüber an der nötigen pietas fehlen lassen.395 Außerdem sei Caelius in seinem nnmicipium nicht sonderlich beliebt gewesen. Daß es von der Anklage taktisch unklug war, den Punkt der Herkunft negativ z.u bewerten, versteht sich angesichts eines Richterkollegiums, das zu zwei Dritteln aus Rittem bestand, ebenso wie angesichts des Verteidigers Cicero. Auch die Vorwürfe der mangelnden pietas und der Unbeliebtheit in der Heimatstadt kann Cicero leicht durch die Anwesenheit der Eltem, der römischen Praxis der öffentlichen Inszenierung emotionaler Gesten gemäß in Trauergewänder gehüllt und in Tränen aufgelöst, bei Gericht und die Präsenz einer Gesandschaft des municipium, angereist, um Caelius zu unterstützen, entkräften.396 Familie und Freunde der Heimatstadt sind Bollwerke der Verteidigung: "Mir scheint, ich habe nun den Grund gelegt für meine Verteidigung, ein besonders sicheres Fundament, wenn es sich auf das Urteil Nahestehender stützen kann. Ich könnte euch ja seine Jugend nicht gebührend ans Herz legen (Neque enim vobis satis commendata huius aetas esse passet), wenn der junge Mann sowohl bei seinem Vater, diesem Ehrenmann, wie auch bei einer so bekannten und altangesehenen Landstadt auf Abneigung stieße."397 Cicero versäumt auch hier nicht die Gelegenheit, sein Auditorium auf das Alter des Caelius hinzuweisen. Aetas und adu/escentia sind Schlüsselbegriffe der gesamten Rede. Auch im Zusammenhang mit der sich nun anschließenden Widerlegung der gegnerischen Vorwürfe gegen die pudicitia Cae/i spielt das Alter des Caelius genauso wie das des Atratinus, der diesen Anklagepunkt vertreten hatte, eine entscheidende Rolle. Laut Cicero handelt es sich bei diesen Vorwürfen nicht um "crimina", also durch Indizien und Zeugen bewiesene Vergehen, sondem um bloße "voces" und "maledicta", die jeden adulescens, wenigstens jeden gutausehenden adulescens treffen könnten:398 395 Vgl. pro Cael. 2, 3: "Obiectus est pater varie, quod aut parurn splendidus ipse aut parum pie a filio tractatus diceretur." 396 Vgl. Cic. pro Cael. 2, 4-5. 397 Cic. pro Cael. 2, 5 ("Videor mihi iecisse fundamenta defensionis meae, quae firmissima sunt si nituntur iudicio suorum. Neque enirn vobis satis comrnendata huius aetas esse posset, si non rnodo parenti, tali viro, verum etiarn rnunicipio tarn intustri ac tarn gravi displiceret."). 398 Vgl. Cic. pro Cael. 3, 7: "sed aliud est male dicere, aliud accusare. Accusatio crimen desiderat, rem ut definiat, hominem notet, argurnento probet, teste confirmet; maledictio autem nihil habet propositi praeter contumeliam; quae si petulantius iactatur, convicium, si
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"Was aber den Vorwurf eines unsittlichen Lebenswandels angeht..., so wird sich Caelius nicht so sehr darüber grämen, daß es ihn reut, nicht mißgestaltet auf die Welt gekommen zu sein. Solche üble Nachrede wird ja über alle verbreitet, die durch ein besonders gutes· .Aussehen auffallen. "399 Schon hier weist Cicero auf die physische Attraktivität des Caelius hin, die in Ciceros Version vom Beginn der Beziehung zwischen Clodia und Caelius von entscheidender Bedeutung sein wird. Das gute Aussehen des adulescens macht ihn zum Opfer übler Nachrede; denn es bringt ihn schuldlos in den Verdacht, schuldig der impudicitia zu sein, sich etwa als Anhänger Catilinas der Homosexualität schuldig gemacht zu haben.4oo Daß gerade Atratinus diesen Anklagepunkt übernommen hatte, wundert Cicero vermutlich nur dem Anschein nach. Denn Atratinus ist selbst noch adulescens, dazu noch um einiges jünger als Caelius: "Weder schickte sich das, noch vertrug es sich mit dessen jugendlichem Alter (aetas), und wie ihr selbst sehen konntet, sträubte sich auch das Schamgefühl (pudor) des trefflichen jungen Mannes dagegen, daß er sich in seiner Rede mit solchen Dingen abgeben mußte. "401 Cicero, der wie später gegenüber Caelius, hier gegenüber Atratinus eine väterliche Attitüde einnimmt, 402 lobt den pudor des Atratinus, der nur ungern diesen Anklagepunkt übernommen habe. Er macht am Beispiel des jungen ·accusator außerdem deutlich, daß nicht Caelius, sondern allein seine aetas die Schuld an Verdächtigungen unsittlichen Lebenswandels trage: "Denn wem stünde dies nicht frei, wer könnte nicht gegen dein jugendliches Alter(, Atratinus,) und deine ansprechende Erscheinung so facetius, urbanitas nominatur." Cicero weiß, wovon er redet: Seine Auseinandersetzung mit Clodia in diesem Prozeß ist eine reine maledictio. 399 Cic. pro Cael. 3, 6 {"Nam quod obiectum est de pudicitia... , id numquam tarn acerbe feret M. Caelius ut eum paeniteat non deformen esse natum. Sunt enim ista maledicta pervolgata in omnis quorum in adulescentia forma et species fuit liberalis."). 400 Zum Vorwurf der Homosexualität der Anhänger Catilinas vgl. S. 111 f. 401 Cic. pro Cael. 3, 7 ("Neque enim decebat neque aetas illa postulabat neque, id quod animum advertere poteratis, pudor patiebatur optimi adulescentis in tali illum oratione versari."). 402 Cicero behält diese Rolle während des Prozesses konsequent bei; vgl. May 1988, 107 und 109.
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unverschämte Verleumdungen vorbringen, wie er nur will, zwar ohne konkreten Verdacht, aber doch nicht ohne einen plausiblen Ausgangspunkt für solche Behauptungen?"403 Die adulesr:entia erweist sich in der Darstellung Ciceros als ein äußerst prekäres Alter; der pudor, für den die toga virilis als toga candida deutliches Zeugnis ablegen sollte,404 ist ein Signum der adulescentia. Allerdings kann die Öffentlichkeit wie im Falle des Caelius den pudor in Zweifel ziehen, da die adulescentia auch das Alter der erwachenden Sexualität ist, wie Cicero an anderer Stelle noch ausführen wird.405 In der Folge geht Cicero detailliert auf die Beschuldigungen des Atratinus ein. Er verweist auf den pudor des Caelius und den Schutz, den jener zunächst durch den Vater und dann während des tirocinium fori durch Cicero und Crassus genossen habe. Cicero beschreibt den Umgang zwischen ihm und seinem Schützling als äußerst eng: "Als (der Vater) ihm die Männertoga verliehen hatte- ... das eine will ich nur sagen: der Vater hat ihn auf der Stelle zu mir gebracht-, hat niemand diesen Marcus Caelius in der Blüte seiner Jugend, während er in den würdigsten Bildungsfächern unterrichtet wurde, jemals anders gesehen als mit seinem Vater oder mit mir oder im sittenstrengen Hause des Marcus Crassus." 406 Der junge Ankläger Atratinus hatte Caelius als impudicus charakterisiert und ihm auch eine Verwicklung in die Verschwörung Catilinas im Jahre 63 v. Chr. vorgeworfen. Beide Vorwürfe stehen in kausalem Zusammenhang, da die Anhängerschaft Catilinas gerade auch in der Darstellung Ciceros etwa in den
403 Cic. pro Cael. 3, 8 ("Quis est enim cui via ista non pateat, quis est qui huic aetati atque isti dignitati non possit quam velit petulanter, etiam si sine ulla suspicione, at non sine argumento male dicere?"). 404 Zurtogacandida vgl. S. 175. 405 Anders als in modernen Theorien zur Sexualität, insbesondere der psychoanalytischen, scheint die römische Vorstellung erste sexuelle Regungen erst in der ad1descentia, also nach der Pubertät im modernen Sinne vermuten; vgl. Cic. pro Cael. 18, 42: "Detur aliqui Iudus aetati; sit adulescentia liberior; non omnia voluptatibus denegentur; non semper superet vera illa et derecta ratio; vincat aliquando cupiditas voluptasque rationem...". 406 Cic. pro Cael. 4, 9 ("(pater) ut huic togam virilem dedit - ... hoc dicam, hunc a patre continuo ad me esse deductum - nemo hunc M. Caelium in illo aetatis flore vidit nisi aut cum patre aut mecum aut in M. Crassi castissima domo cum artibus honestissimis erudiretur. ").
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Catilinarischen Reden die impudicitia ihres Anführers vorgeblich teilte. 407 Der Vorwurf, ein impudicus oder libidinosus zu sein, · gehörte. zum Standardrepertoire der Diffamierung derjenigen, die aus Sicht der Senatsmajorität im Geruch standen, die res publica durch res novae1 ·also gewaltsamen Umsturz, vernichten zu wollen, wie etwa Catilina oder Clodius. Daß Atratinus in bezug auf Caelius einen Kausalzusan1menhang. herstellte; .den Cicero selbst im Falle Catilinas und später bei Clodius und Mare Anton iminer wieder benutzte,408 legt im übrigen Zeugnis für die Ubiquität eines Denkmusters der herrschenden Senatsoligarchie ab, das versuchte, abweichende politische Aspirationen durchweg psychologisch durch einen Mangel an Moralität zu erklären und durch die Reduzierung auf die Persönlichkeit eines einzelnen gravierende gesellschaftliche Probleme in Abrede zu stellen. Cicero muß zugeben, daß Caelius mit Catilina befreundet war, da dies vermutlich allgemein bekannt war.409 Er versucht jedoch, diese Freundschaft auf einen möglichst kurzen Zeitraum zu beschränken, allerdings auf den Zeitraum, in dem Catilina am gefahrliebsten war, nämlich auf das Jahr 63 v. Chr., in dem sich Catilina zum zweiten Male erfolglos um das Konsulat bewarb. Cicero führt zur Verteidigung seines Klienten sein Hauptargument an, die adulescentia des Caelius, der 63 v. Chr. etwa zwanzig Jahre alt gewesen sein muß: Caelius sei wie viele andere boni adulescentes letztendlich dem Charisma Catilinas erlegen, obwohl er Cicero bis zu dessen Konsulatsjahr nicht von der Seite gewichen sei.4IO Er sei zwar Freund Catilinas gewesen, habe sich aber 407 Atratinus behandelte vermutlich Caelius' Anhängerschaft zu Catilina auch unter dem Gesichtspunkt der impudicitia, vgl. Wiseman 1985, 71. Catilina und seiner Anhängerschaft wurde auch immer wieder impudicitia, i. e. Homosexualität, vorgeworfen; vgl. Cic. Cat. I, 6, 13; Il, 9, 22/23; pro Mur. 49 und Sall. bell. Cat. 14, der allerdings eine wesentlich objektivere Betrachtungsweise an den Tag legt, wenn er schreibt: "Scio fuisse nonnullos qui ita existumarent iuventutem, quae domum Catilinae frequentabat, parum honeste pudicitiam habuisse; sed ex aliis rebus magis quam quod cuiquam id camperturn foret haec fama valebat
(Hervorhebung von mir)." 408 Zur Darstellung des Clodius durch Cicero, die alle Aspekte der Person diffamiert, vgl. insbesondere Cic. de dom. pass.; hier nur eine kleine Auswahl aus dieser Rede: de dom. 2: "illa 1abes ac flamma rei publicae"; de dom. 5: "funesta rei publicae pestis", de dom. 24: "ipse archipirata"; de dom. 26: "patricida, fratricida, sororicida"; de dom. 72: "felix Catilina"; zu Clodius' sexuellen Perversionen vgl. ibid., 25 (Homosexualität, Inzest); 105; 139 (bona deaSkandal) und Will 1991, 182, Anm. 176 und 177 mit weiteren umfangreichen Belegen; zur negativen Darstellung des Marcus Antonius insbesondere in der zweiten Philippica vgl. Cic. Phil. Il, 20 (Verhältnis mit Schauspielerin); 44 (Prostituierung); 45 (Verhältnis mit Curio). 409 Zur Freundschaft zwischen Catilina und Caelius vgl. Madsen 1981, 34ff. 410 Vgl. Cic. pro Cael. 3, 10: "Nam quod Catilinae familiaritas obiecta Caelio est, longe ab ista suspicione abhorrere debet. Hoc enim aculescente scitis consulatum mecum petisse
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nicht politisch als Verschwörer kompromittiert; schuld an der schlechten Freundeswahl sei ausschließlich die aetas des Caelius gewesen, eine Behauptung, die iil gewissem Widerspruch zu Ciceros Betonung der langjährigen Sammlung politischer Erfahrungen und Eindrucke des adulescens Caelius auf dem Forum bereits vor der Bekanntschaft mit Catilina steht.411 Die aetas des Caelius ist zentraier Punkt der Verteidigung Ciceros, jene aetas, die für Demagogen vom Schlage Catilinas anfallig ist. Deshalb betont Cicero: "... ich verteidige hier jene Zeit des Lebens, die von sich aus so schwankend und der Begierde anderer wehrlos ausgesetzt ist."412 Cicero wirbt um Verständnis für seinen Schützling, indem er sein eigenes
tirocinium fori et militiae mit dem des Caelius kontrastiert. Cicero und seinen Altersgenossen wurde lediglich ein Jahr für das tirocinium fori zugestanden, eine Zeit, in der man "brav den Arm unter der Toga zu halten hatte".413 Das tirocinium fori mußte vor allem eine Zeit des Selbstschutzes sein, wenn ein adulescens nicht zum Opferderfama werden wollte: "Wer in diesem Alter nicht selbst daraufbedacht war, sich zu schützendurch ein würdiges, zutückhaltendes Benehmen, die zu Hause genossene Erziehung und vor allem mit Hilfe der eigenen guten Veranlagung -, den mochte man von Haus aus noch so sehr bewachen, er konnte es doch nicht verhindern, daß ihm ein begtündeter schlechter Ruf anhing."414
Catilinam. Ad quem si accessit aut si a me discessit umquam - quamquam multi boni adulescentes illi homini nequam atque improbo studuerunt - turn existimetur Caelius Catilinae nimium familiaris fuisse. At enim postea scimus et vidimus esse hunc in illius etiam amicis." 411 Vgl. Cic. pro Cael. 5, 11: "Tot igitur annos versatus in foro (Hervorhebung von mir) sine suspicione, sine infamia, studiut Catilinae iterum petenti." und 12: "At studuit Catilinae, cum iam aliquot annos esset inforo (Hervorhebung von mir), Caelius." 412 Cic. pro Cael. 4, 10 ("... ego illud tempus aetatis quod ipsum sua infirmum, aliorum libidine infestum est, id hoc loco defendo."). Vgl. zur Beeinflußbarkeit der adulescentia auch Cic. de off. I, 34, 122: "... ineuntis enim aetatis inscitia senum constituenda et regenda prudentia est." 413 Vgl. Cic. pro Cael. 5, 11. Auf dieser Textpassage beruht vor allem die moderne Auffassung, daß das tirocinium fori lediglich ein Jahr gedauert habe; vgl. S. 178f. 414 Cic. pro Cael. 5, 11 ("Qua in aetate nisi qui se ipse sua gravitate et castimonia et cum disciplina domestica turn etiam naturali quodam bono defenderet, quoquo modo a suis custoditus esset, tarnen infamiam veram effugere non poterat.").
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Das tirociniumfori hatte noch für einen Cicero und für die Richter, die über die Schuld oder Unschuld des Caelius zu entscheiden hatten, ungleich strengeren Maßstäben zu gehorchen als das eines adulescens in den sechziger Jahren der Republik. Caelius hatte - gemessen an den. Maßstäben seines Anwaltes und seiner Richter- nur in einem Punkte versagt: Trotz der Obacht seines Vaters und seiner custodes, trotz der angeborenen guten Aniagen hatte er es an der gebotenen Zurückhaltung fehlen lassen und Catilina favorisiert. Indirekt gibt Cicero den Richtern hier zu verstehen, daß es weniger der adulescens Caelius war, der die Schuld an seiner Parteinahme für Catilina trug, als die Gesellschaft selbst, die es zuließ, daß das tirocinium fori nicht mehr zeitlich scharf begrenzt war, daß also vielmehr der adulescens selbst über dessen Ende entscheiden konnte.415 Caelius, so wird Cicero später ausführen, hatte auch Kontakte zur Clodia Metelli geknüpft. Diese Kontakte sind aus Sicht der Verteidigung der einzige Grund für die Anklage des Caelius; hätte Clodia nicht die Anklage des Caelius veranlaßt, wäre die Parteinahme für Catilina lediglich ein Intermezzo in der vita des Caelius gewesen, über das niemand ein Wort verloren hätte. Für den erfolgreichen Verlauf einer adulescentia ist das Schweigen der fama allerdings eine Hauptbedingung: " ... wer jene ersten Anfangsjahre unversehrt und unbeschadet hinter sich gebracht hatte, dessen Ruf und Moral war dann, war er erst einmal herangereift und lebte als Mann unter Mällllem, kein Gesprächsthema mehr."4t6 Da Caelius in der Tat für Catilina im Jahr der Verschwörung Partei ergriffen hatte, auch wenn er in die Verschwörung selbst vermutlich nicht vetwickelt war, muß Cicero dem Richterkollegium die Motive seines Klienten begreiflich machen. Er tut dies, indem er in der wohl besten Charakteristik seines gesamten rednerischen Werkes Catilina als Wesen zeichnet, dem alle Altersgenerationen, alle Stände, alle Männer Roms zum Teil verfallen waren, da sich in Catilina 415 Glaubt man Cicero, dann hatte Caelius die Möglichkeit, ein außerordentlich langes tirocinium fori zu absolvieren, das er aus eigenem Entschluß durch die Anklage gegen C. Antonius beendete; vgl. Austin 1960, 58 und Madsen 1981, 32f. Die Parteinahme für Catilina muß natürlich negativ auf die Richter wirken, soll aber gerade mit Hinweis auf die aetas des Caelius entschuldigt werden. Im Falle eines kürzeren tirocinium fori, so will Cicero suggerieren, hätte Caelius kaum die Muße und Freiheit gehabt, seine Zeit Catilina zu widmen. 416 Cic. pro Cael. 5, 11 ("... qui prima illa initia aetatis integra atque inviolata praestitisset, de eius fama ac pudicitia, cum iam sese conroboravisset ac vir inter viros esset, nemo loquebatur. ").
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virtutes und libidines in bisher unerhörter Weise paarten.417 Catilina besaß eine Persönlichkeit, die die adulescentes - und nicht nur sie allein - in entscheidendem Maße beeinflussen konnte, da er für einen Typus von Virilität stand, der gerade in seiner Zweideutigkeit anzuziehen wußte.418 An der regulären Ämterlautbahn gescheitert, bediente Catilina sich zunächst popularer Mittel, schreckte aber auch in letzter Konsequenz vor res novae, gewaltsamem Umsturz, nicht zurück, um seine eigene dignitas zu wahren.419 An Catilinas Vorgehen erweist sich exemplarisch die Umwertung des Begriffes der dignitas, der zunächst den von der Gemeinschaft verliehenen Rang umschrieb und auf der Leistung im Rahmen der res publica beruhte und deshalb zu den "zentralen Begriffen römischen Leistungs- und Rangdenkens"420 gehörte, der aber gegen Ende der Republik gerade durch das Beispiel Caesars, der seine dignitas gegen die Belange der res publica zu verteidigen suchte, nunnein noch die reine
417 Ciceros Catilina-Charakteristik an dieser Stelle unterscheidet sich natürlich stark von der Darstellung in den Catilinarien, da der Redekontext ein gänzlich anderer ist: hier Verteidigung eines Klienten, dort Vernichtung eines Kontrahenten. Ciceros Bild des Catilina, das hier entworfen wird, darf als bahnbrechend für die antike Charakterdarstellung gelten und beeinflußte insbesondere Sallusts Portrait des Catilina (vgl. Sall. bell. Cat. 5). 418 In Catilina gingen männliche Tugenden und Untugenden eine Symbiose in bisher nie dagewesener Weise ein; vgl. Cic. pro Cael. 6, 13: "Illa vero ... in illo homine admirabilia fuerunt, comprehendere multos amicitia, tueri obsequio, cum omnibus communicare quod habebat, servire temporibus suorum omnium pecunia, gratia, Iabore corporis, scelere etiam si opus esset, et audacia, versare suam naturam et regere ad tempus atque huc et illuc flectere, cum tristibus severe, cum remissis iucunde, cum senibus graviter, cum iuventute comiter, cum facinerosis audaciter, cum libidinosis luxuriose vivere." Als Meister der vollendeten Täuschung besitzt er aus Sicht Ciceros eine "species quaedam virtutis adsimulatae" (Cic. pro Cael. 6, 14) und ist Symptom der Aufweichung des virtus-Begriffes, wie er S. 49 ff. skizziert worden ist. 419 So begründete Catilina seinen Griff zu den Waffen Sallust zufolge mit seiner verletzten dignitas in einem Brief an Catulus, dessen Original Sallust vermutlich vorlag: "iniuriis contumeliisque concitatus, quod fructu laboris industriaeque meae privatus statwn dignitatis (Hervorhebung von mir) non obtinebam, publicam miserorum causam pro mea consuetudine suscepi..." (Sall. bell. Cat. 35, 3). Ähnlich klingt Caesars viel zitierte Rechtfertigung im belZum civi/e (vgl. Caes. b. c. I, 7, 7 und v. a. I, 9, 2: "sibi semper primam fuisse dignitatem vitaque potiorem."). Catilina war also, folgt man der Überlieferung der erste, der seine eigene dignitas über die Forderungen der res publica stellte; Caesar war dagegen der erste, der seine dignitas auf Kosten der "res publica" erfolgreich vereidigen konnte. Bereits Nietzsche sah in Catilina "die Praeexistenzformjedes Caesar" (WerkeN, Salzburg 1985, 421). Ähnlich sehen Yavetz 1963, 499 und Kaplan 1968, 148 Catilina als erfolglosen Vorläufer Caesars; vgl. hier auch Strasburger 1968, 20. 4 20 Rilinger 1991 , 81.
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Leistung des Einzelnen beschrieb.421 Dignitas und Virilitätstehen im übrigen in engem Zusammenhang miteinander: Der Grad der erworbenen Virilität sollte mit dem Grad an dignitas kongruent sein.422 Catilina besaß die Fähigkeit, in seiner "Monstrosität"423 eine. große Gefolgschaft an sich zu binden, da er jedem seiner Anhänger aufrichtige amicitia vorzutäuschen wußte:424 ·· · ,,Man kann es dem Caelius nicht zum Vorwurf machen, er habe Umgang mit Catilina gehabt. Da befindet er sich nämlich in zahlreicher und durchaus auch guter Gesellschaft. Mich selber, sage ich, mich hat der Mensch doch damals beinahe hinters Licht geführt. Er wirkte auf mich wie ein tüchtiger Bürger, der sich mit Eifer :fiir die gute Sache einsetzt, wie ein zuverlässiger und treuer Freund. Seine Verbrechen standen mir eher vor Augen, als daß ich eine Vorstellung davon gehabt hätte ... "425 Cicero, der noch 65 v. Chr. geplant hatte, Catilina trotz offensichtlicher Schuld gegen eine Anklage de ambitu zu verteidigen, identifiziert sich hier explizit mit seinem Mandanten.426 Die Freundschaft mit Catilina fand ihre Ursache nicht im 421 Zur Umwertung des dignitas-Begriffes durch Caesar vgl. Strasburger 1968, 32f. und Meier 1980, 298: ,,Da die Gesellschaft in ihrem Versagen die engste Mittelmäßigkeit zur Norm erklärte, konnte (Caesar) ihr Urteil nicht mehr maßgebend sein. Die Leistung allein und nicht mehr die Zustimmung der sogenannten Guten wurde seine Richtschnur. So wurde es ... möglich, daß er einen Bürgerkrieg wesentlich um seiner dignitas willen eröffnete. So weit hatte die Krise ohne Alternative gefiihrt, daß das alte Maß der Leistung fiir den Staat einen Krieg legitimieren konnte, der nicht nur von der überwältigenden Mehrheit der Bürgerschaft abgelehnt wurde, sondern nun nicht einmal eine Sache mehr fiir sich aufzuweisen hatte." 422 Vgl. S. 227. 423 Vgl. s. 52. 424 Vgl. auch Cic. Cat. ill, 7, 16: "ille erat unus timendus ex istis ornnibus, sed tarn diu, dum urbis moenibus continebatur. ornnia norat, omnium aditus tenebat; appellare, temptare, sollicitare poterat, audebat, erat ei consilium ad facinus aptum, consilio autem neque manus neque lingua deerat." 425 Cic. pro Cael. 6, 14 ( "nec Catilinae familiaritatis crimen haereat. Est enim commune cum multis et cum quibusdam bonis. Me ipsum, me, inquam, quondam paene ille decepit, cum et civis mihi bonus et optimi cuiusque cupidus et firmus amicus ac fidelis videretur; cuius ego facinora oculis prius quam opione ... deprendi." ). 426 Vgl. Cic. ad Att. I, 11, 1: "hoc tempere Catilinam competitorem nestrum defendere cogitamus. iudices habemus, quos volumus, summa accusatoris voluntate. spero, si absolutus erit, coniunctiorem illum fore in ratione petitionis; sin aliter acciderit, humaniter feremus." Der Ankläger war damals der junge Clodius Pulcher. Will 1991, 50 geht davon aus, daß Cicero Catilina tatsächlich verteidigt hat. Vor der Hintergrund der Caeliana ist dies allerdings unwahrscheinlich: Cicero hätte in seinem Versuch, sich mit seinem Mandanten zu
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Alter des Caelius, sondern in der Persönlichkeit Catilinas. Auch der zumindest im Vergleich mit Caelius politisch ungleich erfahrenere Cicero ließ sich von Catilina täuschen. Der adulescentia des Caelius, die Cicero zum zentralen The.ma seiner Verteidigung macht, ist also aus Sicht Ciceros in jedem Falle die Schuld abzusprechen. Auch das Verhalten des Caelius nach seiner Rückkehr aus Aftica spricht gegen eine Verwicklung in die Verschwörung, da er den C. Antonius erfolgreich durch eine "coniurationis accusatione"427 belangte.428 Ähnlich kann Cicero im Falle der Caelius außerdem vorgeworfenen Wählerbestechung - Caelius scheint als sodalis, also als eine Art Treuhänder einer Wählervereinigung, fungiert zu haben -429 argumentieren: Hätte sich Caelius selbst des ambitus schuldig gemacht, so hätte er nicht die Dreistigkeit besessen, den Bestia eben wegen ambitus gleich mehrfach vor Gericht zu zitieren.430 Dieses prohabile e vita431 mag vor dem Hintergrund der römischen Anklagepraxis, die es keineswegs ausschloß, daß Ankläger und Angeklagte in diversen Prozessen die Rollen vertauschen konnten und sich Ankläger und Verteidiger deshalb kaum auf feste Positionen festlegen ließen,432 banal und zudem nicht allzu überzeugend wirken; sie fügen sich dennoch nahtlos in Ciceros Schwarz-Weiß-Entwürfe zugunsten des Angeklagten.433 Generell muß man bei Ciceros Verteidigung seines Klienten die Redesituation berücksichtigen. Weder Richter noch identifizieren, gerade diese Verteidigung expressis verbis zugeben müssen. Vgl. hier auch Ase. p. 76 Clark, der ein Zustandekommen dieser Verteidigung verneint, und Drexler 1976, 80f. 427 Cic. pro Cael. 7, 15. 428 Zur Anklage gegen Antonius vgl S. 80f. 429 Dettenhofer 1992, 85 hält die "crimina sodalium ac sequestrium" fiir die eigentlich wesentlichen Anschuldigungen gegen Caelius, da sie Aufschluß über die möglichen politischen Hintergründe des Prozesses geben könnten. 430 Vgl. pro Cael. 6, 15/16. 431 Zumprohabile e vita vgl. Stroh 1975,251, Anm. 48 mit den entsprechenden Belegen. 432 Vgl. Cic. pro Cluent. 139 zur römischen Anklage- und besonders Verteidigungspraxis: ,,Sed errat vehementer, si quis in orationibus nostris quas in iudiciis habuimus auetoritotes nostras consignatas se habere arbitratur. Omnes enim illae causanmr ac tempontm stillt, non hominum ipsorum ac patronontm (Hervorhebung von mir). Nam si causae ipsae pro se loqui possent, nemo adhiberet oratorem. Nunc adhibemur, ut ea dicamus, non quae auctoritate nostra constituantur sed quae ex re ipsa causaque ducantur." 433 Vgl. Wiseman 1985, 79: "To tbe careful reader, the non sequitur is obvious, but the jury had no timetothink as Cicero moved plausibly on, using the same argument to prove Caelius' innocence of bribery." Wiseman weist auch ibid., Anm. 126 zu Recht darauf hin, daß Antonius eben nicht wegen einer Beteiligung an der Verschwörung Catilinas, sondern in einem Verfahrende repetundis angeklagt worden war.
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Publikum hatten die Muße heutiger Exegeten zur Verfügung: Was dem heutigen Leser unlogisch erscheinen mag, mochte damals . gerade in seinet strikten Schwarz-Weiß-Zeichnung überzeugen. 434 Nachdem Cicero die Vorwürfe gegen die politische vita des Caelius entkräftet hat, wendet er sich den Attacken gegen dessen mores zu: Caelius habe Schulden gehabt, seine Lebensführung sei verschwenderisch gewesen, seiD. V erhältn~s zum Vater wenig von pietas getragen, da er sobald als möglich beim Vater ausgezogen sei. Die angeblichen Schulden wischt Cicero mit Hinweis auf die patria potestas, der Caelius noch untersteht und aufgrund der er rechtlich gar nicht dazu in der Lage gewesen sei, in eigener Rechnung zu handeln, beiseite.435 Ausführlicher befaßt er sich mit dem Auszug des Caelius aus der domus des Vaters: "Ihr habt Caelius einen Vorwurf daraus gemacht, daß er von seinem Vater weggezogen ist. Das kann man in seinem Alter aber gewiß nicht tadeln. Er hatte ja schon in einem Strafprozeß einen für ihn glorreichen Sieg davon getragen ... und konnte sich seinen Jahren nach bereits um die Ämter bewerben. Da ist er nicht nur mit Erlaubnis, sondern sogar auf Zureden seines Vaters von zu Hause ausgezogen."436
434 Cicero war im übrigen Meister dieser Methodik; vgl. etwa Cic. Cat. II, 11, 25. 435 Vgl. Cic. pro Cael. 7, 17. Daß Ciceros Argumentation hier nicht stichhaltig sein kann, belegen etwa die Hinweise auf die Schulden der iuventus Catilinas; vgl. SaU: bell. Cat. 12; 14. Cicero unterschlägt nämlich hier das peculium, also das Eigentum, das ein paterfamilias Angehörigen seiner familia, also Söhnen, Töchtern oder Sklaven zueignen konnte; vgl. z. B. Liv. II, 41, 10 (peculium desfiliusfamilias), Sen. ep. XI, 1 (peculium derfiliafamilias), Varr. res rust. I, 17, 5 (peculium des Sklaven). Das peculium des filiusfamilias, das "Mittel, um Unabhängigkeit und Abhängigkeit, seinen Status als Bürger und die häusliche Zugehörigkeit zu vereinbaren" (Thomas 1996, 301), wird häufig in der Flautinischen Komödie im Zusammenhang mit dessen Verschwendung fiir Geliebte erwähnt; vgl. Plaut. As. 277, 498; Stich. 751; Mos. 253, 863, 875; Merc. 96. Die richtigen Fragen formuliert in bezug auf Caelius' Schulden demnach Wiseman 1985, 80: ,,All right, so the money he spent and borrowed was technically in his father' s name - but how much ofthat does he owe? And why don 't you produce his father' s account books? Are you telling us that no one can get into debt before his father is dead?" 436 Cic. pro Cael. 7, 18 ("Reprehendistis a patre quod semigrarit. Quod quidem in hac aetate minime reprehendendum est. Qui euro et ex publica causa iam esset ... sibi ... gloriosam victoriam consecutus et per aetatem magistratus petere posset, non modo permittente patre sed etiam suadente ab eo semigravit..."). ,,magistratus petere" meint hier sicherlich noch nicht die Bewerbung um die Quaestur, sondern um den Militärtribunat oder den Vigintisexvirat; vgl. Austin 1960, 67f.
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Das Verhalten des Caelius, von der Öffentlichkeit zumindest als ungewöhnlich erachtet,437 war von Seiten der Anklage scharf kritisiert worden. Cicero selbst weist in einer anderen Rede darauf hin, daß der Verbleib beim Vater als höchstes Zeichen der pi~tas gewertet wurde; und es war vor allem pietas, die deradulesc;ens dem Vater schuldete.438 So betonte Cicero in seiner Rede für Phmciils, "daß (Plancius) mit den Seinen, vor allem mit dem Vater- denn meiner Meinung nach ist die Ehrfurcht vor dem Vater das Fundament aller anderen Tugenden - zusammenlebt, den er verehrt wie einen Gott - und wirklich ist ja ein Vater kaum etwas anderes für seine Kinder- und den er liebt wie einen Kameraden, einen Bruder, einen gleichaltrigen Freund."439 Caelius war zum Zeitpunkt seines Umzuges, legt man die Daten des Plinius zugrunde, dreiundzwanzig Jahre alt.440 Cicero begrundet den Umzug auf den Palatin damit, daß das Haus des Vaters zu weit vom Forum, also vom Zentrum des politischen Geschehens, in dem Caelius durch seinen Erfolg über Antonius eine Rolle zu spielen begann, entfernt gewesen sei. Er betont auch, daß der Vater dem Umzug zugestimmt habe. Und er nutzt den Vorwurf der Anklage für die eigene Strategie. Denn dieser Umzug schadete Caelius tatsächlich, nicht wegen der Distanz zum Vater - diese war ja vom Vater ausdrücklich gebilligt worden -, sondern wegen der Nachbarschaft zu Clodia, der Hauptzeugin der Anklage: 437 Daß ein (früher) Auszug nicht die Regel gewesen sei, nimmt auch Thomas 1996, 307 mit Hinweis auf Cic. pro Plane. 97 und Cic. pro Sest. 131 an. Anders Kleijwegt 1991, 64, der eine frühe Trennung von Vater und Sohn als typisch für die römische Gesellschaft annimmt, ohne allerdings hierfür überzeugende Zeugnisse anzuführen. 438 Zur Bedeutung der pielas für die Beziehung zwischen Vater und Sohn, die ihren deutlichsten symbolischen Ausdruck im Verhältnis zwischen Aeneas und Anchises findet, vgl. S. 105, Anm. 386. 439 Cic. pro Plane. 29 ("ut vivat cum suis, primum cum parente - nam meo iudicio pietas fundamenturn est omnium virtutum- quem veretur ut deum- neque enim multo secus est parens liberis - amat vero ut sodalem, ut fratrem, ut aequalem."). Die bereits S. 35f. angesprochene Veränderung der pater-lmago illustriert diese Textpassage, in der der pater wie ein Kamerad, Bruder und gleichaltriger Freund geliebt wird, deutlich. 440 Das Geburtsjahr des Caelius ist nach wie vor umstritten; vgl. S. 10. Ich folge der PliniusDatierung und schließe mich damit den Argumenten von Heinze 1925, 194, Anm. 3 und Austin 1960, 144f. an. Die Altersfrage ist in bezugauf die Cae/iana keine rein akademische, "da es für das Verständnis der Rede nicht gleichgültig ist, ob wir uns den Angeklagten als Fünfundzwanzigjährigen oder Einunddreißigjährigen vorzustellen haben." (Heinze 1925, 194, Anm. 3).
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So nämlich werdet ihr sehen, Richter, daß diese Medea vom Palatin und dieser Umzug für den jungen Mann Ursprung aller Übel oder vielmehr aller Redereien gewesen ist. "441 Die Verhöhnung Clodias als Medea vom Palatin antwortet nicht ·nur auf eiij.en Spott des Anklägers Atratinus, der Caelius als "pulchellus Iason" beleidigt, also auf Clodias finanzielle Möglichkeiten angespielt hatte, sie bietet der Zuhörerschaft auch eine Fülle von Assoziationen an: Medea galt als Zauberin, also kundig der Gifte, Medea kannte in ihrer Liebe zu Iason keinerlei Grenzenso verriet sie für Iason ihre Familie und ließ die Ermordung des eigenen Bruders zu -, Medea ermordete die eigenen Kinder und die Nebenbuhlerin, um lasons Treulosigkeit furchtbar zu bestrafen und zugleich seinen Stamm zu tilgen. Cicero hatte Clodias Rache, die Rache einer verlassenenen Frau, schon zu Beginn seiner Rede als Motiv der Anklage ins Spiel gebracht und wird Clodia im Verlauf des Prozesses des Giftmordes an ihrem Gatten beschuldigen: Die Parallelen zu Medeas Handeln sind aus Ciceros Perspektive evident. Läuft Ciceros defensio vitae, die in ihrem Kern immer eine defensio adulescentiae ist, darauf hinaus, aus dem Leben seines Klienten Beweise für dessen Unbescholtenheit anzuführen, so hatte die Anklage versucht, ganz im Sinne quasi einer accusatio adulescentiae Zeugen dafür anzuf'lihren, daß Caelius bereits vor den ihm zur Last gelegten Delikten einen ausgeprägten Hang zu Gewalttätigkeiten und ausschweifendem Leben an den Tag gelegt habe. So habe sich Caelius tätlich an einem Senator während der Pontifikalwahlen vergriffen, so habe er außerdem verheiratete Frauen auf ihrem Heimweg von einem Gastmahl unsittlich belästigt.442 Die Zeugen, die die Anklage diesbezüglich aufrufen lassen wird, tut Cicero als gekauft ab: Jene angeblichen Zeugen hätten das ihnen zugef'ligte Unrecht sofort rächen müssen, wenn es denn tatsächlich stattgefunden hätte.443 Derartig schwere Attacken auf die dignitas, wie Caelius sie in den genannten Fällen verübt haben soll, hätten wahre ,,homines graves" nicht so ohne weiteres über sich ergehen lassen. Sie hätten den Weg der gerichtlichen Auseinandersetzung, zumindest aber im Falle der
441 Cic. pro Cael. 7, 18 ("Sie enim, iudices, reperietis... hanc Palatinam Medeam migrationemque hanc adulescenti causam sive malorum omnium sive potius sermonum fuisse."). 442 Vgl. pro Cael. 8, 19/20. 443 Vgl. ibid.
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belästigten Ehefrauen den der privaten Genugtuung gesucht, da dies in den Bereich der Familiengerichtsbarkeit fiel.444 Cicero unterscheidet in diesem Kontext scharf zwischen denjenigen, die die Anklage vertreteti, und denen, die sie ins Werk gesetzt hatten. Hinter der A11klage steckt aus Sicht Ciceros Clodia,445 seit Ciceros Verbannung dessen Feindin, die Anklage wird von Atratinus, dessen Vater von Cicero sechsmal (!) de ambitu verteidigt worden war, und Herennius vertreten, also eigentlich von Freunden Ciceros.446 Gerade Atratinus, der den Ankläger des Vaters vor Gericht zitiert hat, handelt so, wie es die Sitte von einem Manne fordert: "Sie tun ihre Pflicht, setzen sich für ihre Angehörigen ein, sie verhalten sich, wie man es von tüchtigen Männem erwartet. Kränkt man sie, zeigen sie schmerzliche Empörung, reizt man sie, werden sie zornig, und sie kämpfen, wenn man sie herausfordert. "447 Der Prozeß selbst allerdings ist aus Sicht der Verteidigung eine Farce, inszeniert von einer rachsüchtigen, einflußreichen Frau, bestückt mit Zeugen, die sich ihre Aussagen bezahlen lassen. Die Ankläger erscheinen vor diesem Szenario letztendlich als gutgläubige Opfer der Intrigantin Clodia, als Opfer wie der Angeklagte selbst. Cicero mußte in diesem Kontext natürlich die persönlichen Motive des Atratinus und des Herennius, die explizit für Vater bzw. Freund eintraten, herunterspielen, um Clodia die Hauptschuld an der Verfolgung des Caelius zuschieben zu können. Cicero verspricht dagegen eine rationale Vorgehensweise und eine stringente Widerlegung der Darstellung der Anklage: "Mit Argumenten wollen wir vorgehen und die Beschuldigungen mit Beweisen widerlegen, die mehr als sonnenklar sind; die Sache selbst wird wider die Sache streiten, Beweggrund wider Beweggrund und Beweisführung gegen Beweisführung. "448 444 Vgl. ibid. 445 Daß eine Frau, nämlich Sassia, Drahtzieherio der Anklage gegen einen adulescens gewesen sei, behauptet Cicero auch in seinem Plädoyer fiir Cluentius; zu den angeblichen Machenschaften der Sassia vgl. Cic. pro Cluent. 13f. und 176ff. 446 Vgl. pro Cael. II, 25 (Herennius "familiaris" Ciceros) und 26 (Bestia "necessarius" Ciceros). 447 Cic. pro Cael. 9, 21 (,.Funguntur officio, defendunt suos, faciunt quod viri fortissimi solent; laesi dolent, irati efferuntur, pugnant lacessiti."). 448 Cic. pro Cael. 9, 22 ("Argumentis agemus, signis luce omni clarioribus crimina refellemus; res cum re, causa cum causa, ratio cum ratione pugnabit."). Daß Cicero auf die
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Deshalb bezieht er sich jetzt zunächst auf die · Anklagepunkte; die sein Vorredner Crassus wohl gerade nach dem zitierten Schema abgehandelt hatte. Es handelte sich hierbei um angeblich von Caelius provozierte Unruhen in Neapel, um Tätlichkeiten gegen die Gesandtschaft Dions in Puteoli und utn ·die Veruntreuung von Gütern einer gewissen Palla, vermutlich einer Verwandten des Atratinus.449 Weitere Details lassen sich zu diesen Anldagepunkten eberiso wie die Crassus-Rede selbst nicht rekonstruieren. Die Vorwürfe dienten der Anklage vermutlich einmal mehr dazu, den Nachweis für die Aggressivität und Skrupellosigkeit des Caelius zu erbringen. Caelius wurde vor allem auch eine Beteiligung an der Ermordung Dions vorgeworfen. Cicero macht allerdings in aller Entschiedenheit deutlich, daß Caelius weder Mitwisser noch Mittäter jenes Verbrechens war. Im Gegenteil, Cicero selbst hatte einen Asicius erfolgreich gegen den Vorwurf, Dion ermordet zu haben, verteidigt, ohne daß während des gesamten Verfahrens von Caelius die Rede gewesen war.450 Für entscheidend hält Cicero hier weniger den Vorwurf des Mordanschlages als die Argumentation, mit der der Ankläger Herennius die Schuld des Caelius zu beweisen suchte. Herennius hatte am Beispiel des Caelius ein vernichtendes Bild der zeitgenössischen adulescentes entworfen, ein Bild, das Richter und Zuhörerschaft offensichtlich in seinen Bann gezogen hatte: "Er sprach ja lang und breit über Genußstreben, über Begierden, über die Laster der Jugend (de vitiis iuventutis), über Unmoral, und er, der im sonstigen Leben so milde ist und gewöhnlich jene liebenswürdigmenschliche Duldsamkeit an den Tag legt, in der mari sich allgemein gefällt, er zeigte sich in diesem Prozeß als ein grämlicher alter Onkel, als Sittenrichter und Schulmeister. Er hat Marcus Caelius schlimmer zugesetzt als jemals ein Vater seinem Sohn und hat sich des längeren über dessen maß- und zügellose Art verbreitet."45I Beweisfiihrung angewiesen war, versteht sich angesichts der Tatsache, daß es abgesehen vom schriftlichen Zeugnis des Lucceius, einem der Gastgeber Dions, und der Aussage des Pompeius Rufus, dessen contubernalis Caelius gewesen war (vgl. Cic. pro Cael. 30, 73), keine Zeugen der Verteidigung gab. 449 Vgl. Cic. pro Cael. 10, 23: "Itaque illlam partem causae facile patior graviter et ornate a M. Crasso peraratarn de seditionibus Neapolitanis, de Alexand.rinorum pulsatione Puteolana, de bonis Pallae." 450 Vgl. Cic. pro Cael. 10,23/24. 451 Cic. pro Cael. 11, 25 ("Dixit enim multa de luxurie, multa de libidine, multa de vitiis iuventutis, multa de moribus et, qui in reliqua vita mitis esset et in hac suavitate humanitatis qua prope iam delectantur omnes versari periucunde soleret, fuit in hac causa pertristis
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Cicero betont hier das Grundsätzliche des Herennius-Vortrages. Was Herennius für Caelius behauptet, mag auf die iuventus allgemein zutreffen, ob es auf Caelius zutrifft, Ist laut Cicero zunächst indessen noch völlig offen. Leider ist die Herennius-Rede nicht erhalten, so daß nicht rekonstruiert werden kann, ob Herermius tatsächlich von den Lastern der iuventus oder denen der adulescentia gesprochen hatte. Denn Cicero selbst spricht in bezug auf seinen Klienten ausschließlich von adulescentia/adulescens; die iuventus und die iuvenes sind dagegen bei ihm in dieser Rede ausschließlich negativ konnotiert.452 Daß die Begriffe adulescens und adulescentia stets im positivem Kontext auftauchen, da sie immer direkt oder indirekt auf Caelius bezogen sind, belegen die bereits zitierten Textpassagen453 und die Aussagen während der Apologie der adulescentia454 sowie die Formulierungen in der peroratio455. Die Begriffe iuventus und iuvenes werden dagegen stets abwertend gebraucht, da sie sich entweder auf die iuventus beziehen, unter deren schlechtem Ruf Caelius unverdient zu leiden hat, oder auf die Anhänger der Clodia.456 Denn die iuventus wird später als Klientel Clodias charakterisiert werden, die aus jungen Männern besteht, auf die - anders als auf Caelius - die HerenniusCharakteristik zutrifft. luxuries und Iibido, von Herennius den jungen Männern seiner Zeit vorgeworfen, sind stets, nicht nur bei Cicero, sondern auch später beispielsweise bei Sallust, · eng miteinander verknüpft, da beide in engem
quidam patruus, censor, magister; obiurgavit M. Caelium sicut neminem umquam parens; multa de incontinentia intemperantiaque disseruit. "). 452 Unrichtig Austin 1960, 45, wenn er formuliert: "Note that in this speech Cicero uses adulescentia and iuventus indifferently (Hervorhebung vo~ mir)." Vgl. die Belege in Anm. 454, 455 und 456. 453 Vgl. z. B. Cic. pro Cael. I, 1; 2, 3. 454 Vgl. ibid., 12, 30: "vacationem adulescentiae"; 18, 42: "sit adulescentia liberior". 455 Vgl. ibid., 29, 70: "hac nunc lege Caeli adulescentia non ad rei publicae poenas sed ad mulieris libidines et delicias deposcitur"; 30, 74: "eorum adulescentium exemplo qui post in civitate summi viri et clarissimi cives exstiterunt..."; 32, 78: "honestissimum adu/escentem"; 32, 79: "Quod cum huius vobis adulescentiam proposueritis... " Auch die Freunde des Caelius werden von Cicero als adulescentes, nicht aber als iuvenes bezeichnet; vgl. Cic. pro Cael. 10, 24 zu Titus und Gaius Coponius ("adulescentes humanissimi et doctissimi") und 25, 61 zu C. Licinius ("pudenti adulescenti et bono"). 456 Vgl. pro Cael. 11, 25: "multa de luxurie, multa de libidine multa de vitiis iuventutis"; 12, 28: "Sed tu mihi videbare ex communi infamia iuventutis aliquam invidiam Caelio velle conflare" und 28, 67: "lautos iuvenes mulieris beatae ac nobilis familiaris".
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Kausalzusammenhang zueinander stehen.457 Der Vorwurf eines zügellosen und ausschweifenden Lebens gehört im übrigen in vielen. Kulturen . zum Standardrepertoire der Kritik am Lebenswandel männlicher Jugend.458 · Herennius, so Cicero, habe sich wie ein patruus, also ein Vaterbruder, anders als der avunculus (Mutterbruder) ein Inbegriff zensarischer · Str~nge; aufgefiihrt,459 schlimmer noch, er habe ihn härter attackiert, als. es ein Vater . seinem leiblichen Sohne gegenüber getan hätte.460 Cicero selbst verweist auf die humanitas461, modern gesprochen Toleranz, in der sich Herennius sonst gegenüber den adulescentes übe und die auch den zeitgemäßen Umgang der älteren Generation mit der männlichen Jugend überhaupt nunmehr auszeichne.462 Die Vorwürfe, die ganze Denkweise des Herennius ist aus Sicht Ciceros anachronistisch. Schon hier deutet Cicero seine Theorie von der "vacatio adulescentiae" an, die einen, vielleicht den entscheidenden Pfeiler seiner Verteidigung darstellen wird. Den Vorwurf des Herennius, Caelius habe den Bestia anläßlich seiner Bewerbung um die Praetur im Stich gelassen, also wider die Freundespflicht gehandelt, tut Cicero im Nebenbei als unwahr ab,463 um dann seine defensio adulescentiae, also seine Replik auf Herennius, in aller Ausführlichkeit fortzusetzen: "Dir aber, Balbus, will ich ... nun antworten, falls es erlaubt, falls es rechtens ist, daß ich einen Mann verteidige, der keine Einladung
457 Vgl. z. B. Sall. bell. Cat. 5 zum verhängnisvollen Einfluß der luxuria und ibid.,13 zur Iibido. Zu Sallusts Theorie vom Sittenverfall, die um die Begriffspaare avaritia/ambitio und luxuriallibido kreist, vgl. Latte 1935, Drexler 1970, Becker 1973 und Paul 1985; zur spätrepublikanischen Politik vor dem Hintergrund der Theorie des Sittenverfalls vgl. Hamp1 1966. 458 Vgl. Kastner 1985, 128fT. 459 Zum Rollenbild des Zensorischen patruus vgl. Bettini 1992, 48ff. (Cicero als patruus) und Hallett 1984, 190f. 460 Vgl. Cic. pro Cael. 11, 25: "obiurgavit M. Caelium, sicut neminem umquam parens... " Daß Cicero hier parens statt pater gebraucht, ist m. E. ungewöhnlich. 461 Zum römischen Begriff der hwnanitas, der "literarische Bildung, Menschlichkeit und Zivilisiertheit" meint, vgl. Veyne 1998, 382. 462 Vgl. Cic. pro Cael. 11, 25: "qui in reliqua vita mitis esset et in hac suavitate humanitatis qua prope iam de1ectantur omnes versari periucunde soleret". 463 Vgl. Cic. pro Cael. 11, 26.
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ausschlug, der gern im Park lustwandelte, der Parfum verwendete und der in Baiae war. "464 Die Anklage hatte Caelius offensichtlich als typischen, verweichlichten, fast weibischen Vertreter der spätrepublikanischen jeunesse doree porträtiert, als Stamingast auf Gelagen und in Baiae, als parfümierten, also unmännlichen Dandy.465 Cicero läßt diese Vorwürfe hier nicht gelten, da selbst eine lasterhafte Jugend eine spätere Besserung keineswegs ausschließen müsse.466 Im Gegenteil, das Ausleben von cupiditates während der adulescentia sei normaler Bestandteil der männlichen Entwicklung: "Man billigt es der Jugend doch allgemein zu, daß sie über die Stränge schlägt; die Natur selbst hat ja die adulescentia reich mit Trieben und Neigungen ausgestattet (et ipsa natura profimdit adulescentiae cupiditates). Wenn sie sich so Luft machen, daß sie kein Leben ruinieren, keine Familie zerstören, dann wird das gewöhnlich als harmloser Leichtsinn genommen. "467 Die zitierte Passage nimmt in prägnanter Kürze die Hauptargumente von Ciceros noch folgender detaillierter defensio adulescentiae vorweg. Die adulescentia ist Cicero zufolge die Zeit, über die die natura herrscht. Da die natura an sich gut ist - Cicero nennt sie in seinen Tusculanen die "mater omnium" und rückt sie neben die unsterblichen Götter -,468 räumt eine gesellschaftliche Übereinkunft den adulescentes die Freiheit ein, ihren natürlichen cupiditates und nur diesen nachzugeben. Diese Freiheit ist
464 Cic. pro Cael. 11, 27 ("Tibi autem, Balbe, respondeo primum ... , si licet, si fas est defendi a me eum qui nullum convivium renuerit, qui in hortis fuerit, qui unguenta sumpserit, qui Baias viderit. "). 465 Der Begriff "Dandy'' mag in antikem Kontext zunächst als anachronistisch anmuten. In der Tat hat jedoch einer der geistigen Väter des Dandytums, Baudelaire, expressis verbis gerade Caesar und Catilina zu den glänzendsten Vertretern des Dandyturns gerechnet; vgl. Pia 1979, 63. Daß Caelius bei Catilina zumindest in dieser Hinsicht in die Schule ging, darf vermutet werden. 466 Vgl. Ciceros Beschreibung der Anhänger Catilinas, die der der Anklage hier verblüffend ähnelt, in Cic. Cat. II, 3, 5; 10, 22. 467 Cic. pro Cael. 12, 28 (,.Datur enim concessu omnium huic aliqui Iudus aetati, et ipsa natura profundit adulescentiae cupiditates. Quae si ita erumpunt ut nullius vitam labefactent, nullius domum evertant, faciles et tolerabiles haberi solent."). Vgl. hier auch S. 140f. 468 Vgl. Cic. Tusc. disp. I, 49, 118. Zum Primat des "naturam sequi" vgl. auch Cic. de off. I, 7, 22; 28, 100; III, 3, 13; 5, 22f.
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allerdings auf den Zeitraum der adulescentia beschränkt. Cicero spricht hier bewußt von cupiditates, nicht von libidines.469 Denn anders als die libidines besitzen die cupiditates keine Zerstörerische Potenz. Erstere sind wider die Natur, letztere im Einklang mit ihr. Die libidines hausen auf Seiten .Clodias; denn es ist Clodia, die versucht, vita und domus des Caelius zu ·zerstören, während die cupiditates der adulescentia in Ciceros Darstellung ein Spiel si~d, ein ungefährliches Spiel, wenn es weder das Leben noch den Besitz noch die Familie anderer gefährdet.470 Cicero wirft Herennius dann erneut vor, seinen Mandanten ungerechtfertigterweise zur Zielscheibe der "communis infamia iuventutis"471 zu machen. Er zählt die Laster auf, die jungen Männemallgemein zum Vorwurf gemacht werden - Verführung, Ehebruch, Frechheit, Verschwendung, alles Laster, die nach Ciceros Definition nichts mit dem Ausleben gesellschaftlich eingeräumter Freiheiten gemein haben, da sie gegen das Gemeinwohl verstoßen -,472 will jedoch Caelius' Verhalten nicht einmal mit den der adulescentia tatsächlich erlaubten Freiheiten entschuldigen, da sein Mandant diese Freiräume entgegen den Behauptungen der Anklage gar nicht genutzt haben soll: "Es stünde mir ja zu, mich auf den Freiraum der Jugend zu berufen und um Nachsicht zu bitten. Das ... wage ich nicht. Ich nehme meine Zuflucht nicht zu den jugendlichen Jahren, ich gebe allgemein zugestandene Rechte auf, ich bitte nur um folgendes: Wenn man heutzutage der Jugend wegen ihres Hangs zum Schuldenmachen, zu frechem Betragen und Ausschweifungen mit Mißbilligung begegnet, mit starker sogar, wie ich
469 Der Begriff der Iibido ist bei Cicero stets negativ konnotiert; vgl. seine große Auseinandersetzung mit den Leidenschaften (perturbationes animi) im vierten Buch seiner Tusculanen; vgl. zur Iibido insbesondere Tusc. disp. IV, 9, 21; 25, 55 und de off. lll, 33, 117; 119. Auch die Invektive der Rede versäumt es nie, die /ibidines des Kontrahenten zu geißeln; vgl. etwa Ciceros Reden gegen Catilina (vgl. Cic. Cat. I, 13), Clodius (vgl. Cic. de dom. 49), Piso (vgl. Cic. in Pis. 8) und Marcus Antonius (vgl. Cic. Phil. li, 44f.); zum Topos des libidinosus in der Rede vgl. Koster 1980, 113ff. und 21 Off. 470 Eyben 1977 hat seine These von der adulescentia als spezifischer Altersstufe mit eigenen Gesetzen vor allem aufCiceros Aussagen in der Caeliana gestützt; vgl. ibid., 74f. und 78f. Er übersieht allerdings Ciceros Trennung von cztpiditates/vo/uptates und libidines und setzt sie als bedeutungsgleich; vgl. ibid., 99f. 471 Cic. pro Cael. 12, 29. 472 Vgl. S. 125.
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sehe, dann darf man Caelius nicht für die Sünden anderer, für die Laster seiner Altersstufe und unserer Zeit büßen lassen. "473 Cicero betont schon hier, daß Caelius keineswegs ein typischer Vertreter seiner Generation sei, bleibt den Beweis hierfür allerdings an dieser Stelle noch schuldig. Hatte die Anklage Caelius als typischen Repräsentanten der jeunesse doree geschildert, allerdings als einzigartig in seiner Skrupellosigkeit, die selbst voi: Mord nicht zuriickschreckt, so wird Cicero dagegen seinen Mandanten als einzigartig in Erfüllung der gesellschaftlichen Konventionen und Normen darstellen.474 Der Redner kontrastiert auch hier scharf zwischen adu/escentia und iuventus; der ersteren mag eine vacatio in bestimmten Grenzen anstehen Basis der späteren Erklärung der Beziehung zwischen Caelius und Clodia -, der letzteren, verstrickt in Schulden, Dreistigkeit und Ausschweifungen, nicht. Über ein Drittel seiner Rede hat Cicero auf Präliminarien veiWandt. Den konkreten Anklagepunkten wendet er sich erst jetzt zu. Daß Caelius als "adulter, impudicus, sequester"475 seitens der Anklage beschimpft worden 1st, tut für ihn nichts zur Sache. Hierbei handele es sich um ,,maledicta"476, nicht um "crimina". Die "crimina", wegen derer sich Caelius zu verantworten hat, sind allerdings Kapitalverbrechen: Er soll sich von Clodia Gold geliehen haben, um Mörder des Dion zu dingen, er soll dann versucht haben, seine Mitwisserin zu vergiften. Erst hier nennt Cicero Clodia beim Namen: ,,Bei den beiden genannten Punkten sehe ich allerdings einen Anstifter, eine Quelle, ich sehe sogar eine bestimmte, namentlich bekannte Person. Caelius brauchte das Gold, er lieh es sich von Clodia, er lieh es ohne Zeugen und behielt es, solange er wollte. Darin sehe ich das deutlichste Zeichen höchster Vertrautheit. Er wollte sie umbringen, er verschaffte 473 Cic. pro Cael. 12, 30 ("Erat enim meum deprecari vacationem adulescentiae veniamque petere. Non ... audeo; perfugiis nihil utor aetatis, concessa omnibus iura dimitto; tantum peto ut, si qua est invidia communis hoc tempore aeris alieni, petulantiae, libidinum iuventutis, quam video esse magnam, tarnen ne huic aliena peccata, ne aetatis ac temporum vitia noceant."). 474 Männlichkeit und adaequates gesellschaftliches Verhalten maß sich in Rom vor allem in der Erfiillung der Normen der Älteren, verkörpert in der Generation der jeweiligen patres: Es galt also nicht wie etwa in modernen Industriegesellschaften, den Status des Vaters zu übertreffen, sondern den Status des pater durch singuläre Erfüllung der Normen ebenfalls zu erreichen; zur Bedeutung dieser Normerfiillung für die römische Gesellschaft vgl. S. 66 nebst Anm. 240 (Scipionen"Inschriften) sowie Alfoldy I 980, I 7 und Hesberg-Tonn 1985, 2 I 6. 475 Cic. pro Cael. 13, 30. 476 Zu den ma/edicta, die gerade adu/escentes zu Unrecht treffen können, vgl. S. I IOf.
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sich Gift, er stiftete daftir Sklaven an, bereitete den Trank, bestimmte den Ort, brachte alles heimlich dorthin. Darin sehe ich· wiederum den Ausbruch eines tödlichen Hasses aufgrund eines äußerst schmerzhaften Zerwürfuisses. Es dreht sich in diesem Prozeß alles · um ·Clodia,. ihr Richter, um eine nicht nur vornehme, sondern auch berüchtigte Frau: Ich will mich über sie nur insoweit äußern, als es für die Widerlegung der Anklage nötig ist (Res est omnis in hac causa, iudices, cum Clodia, muliere non so/um nobili verum etiam nota; de qua ego nihil dicam nisi depellendi criminis causa.)."411 Cicero hatte die Ankläger eingangs als wahre Männer bezeichnet, die mit der Anklage des Caelius lediglich ihrer Pflicht oblagen. Wahre Urheberin des Verfahrens, wie bereits in der Einleitung und im Zusammenhang mit Caelius' Umzug auf den Palatin angedeutet wurde, sei indessen Clodia. Cicero wird in der Beschreibung Clodias der römischen Misogynie und ihren Vorurteilen ein beredtes Denkmal setzen, und er wird durch die Demontage der wichtigsten Belastungszeugin den Freispruch seines Mandanten erreichen, den Kampf der Charaktere also ftir Caelius entscheiden. Cicero nimmt eine enge Beziehung zwischen Caelius und Clodia als ehemals existent an und wird später die Gründe ftir diese Beziehung offenlegen, seinen Mandanten allerdings von jeder Schuld freisprechen.478 Die Beziehung zwischen Caelius und Clodia war im übrigen bekannt und Thema des stadtrömischen Klatsches, wie Catulls Äußerungen belegen.479 Bewußt doppeldeutig formuliert Cicero seine These vom "odium magnum", angeblich mögliches Motiv des Caelius, de facto Motiv der Clodia, der Medea vom Cic. pro Cael. 13, 31 (,,Horum duorum criminum video auctorem, video fontem, video certurn nomen et caput. Auro opus fuit; sumpsit a Clodia, sumpsit sine teste, habuit quamdiu voluit. Maximum video signum cuiusdam egregiae familiaritatis. Necare eandem voluit; quaesivit venenum, sollicitavit servos, potionem paravit, locum constituit, clam attulit. Magnum rursus odium video cum crudelissimo discidio exstitisse. Res est omnis in hac causa, iudices, cum Clodia, mutiere non solum nobili verum etiam nota; de qua ego nihil dicam nisi depellendi criminis causa."). 478 Daß überhaupt eine Beziehung zwischen Caelius und Clodia bestanden habe, ist von Stroh 1975, 272 trotzder Belege bei Catull energisch bestritten worden. Cicero habe vielmehr diese Liebschaft überhaupt erst erfunden, um seinen Klienten entlasten zu können; vgl. auch ibid., 276f. und 296f. Andere Interpreten der Caeliana sehen das Verhältnis als gegeben an, unterscheiden sich jedoch in der Frage, ob zuerst die Anklage oder die Verteidigung die Liebschaft zur Sprache gebracht hätten. Daß bereits Herennius das Verhältnis zu Sprache gebracht habe, vermutet Austin 1960, 86; daß erst die Verteidigung die Rede darauf gebracht habe, behauptet mit pausibleren Gründen Heinze 1925, 245f. 479 Vgl. Cat. carm. 58. 477
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Palatin. Auch die Formulierung "mulier nobilis" ist dopppeldeutig: . oberflächlich zu beziehen auf Clodias altadlige Herkunft, bietet gerade die römische Komödie - die Cae/iana ist, wie bereits erwähnt, durchsetzt von ihren Motiven -480 Beispiele von meretrices, die ironisch als nobiles charakterisiert werden.481 ,,mulier", im Deutschen in etwa mit "Weib" wiederzugeben, ist ebenso abschätzig wie das Adjektiv "nota", das explizit die Prostituierte bezeichilete.482 Der letzte Satz des Zitats persifliert zudem die bekannte Sentenz des Perlkies über die anständigen Witwen, über die es in der Öffentlichkeit nichts, weder ein Wort des Tadels noch des Lobes, zu verlieren geben dürfe.483 Scheinbar verheißt er Objektivität, tatsächlich verweist er Clodia schon jetzt aus dem Kreise der ehrbaren Frauen: Denn Cicero wird allzu viel zu erzählen haben. Cicero fordert folglich auch von Clodia, ihr Zeugnis gegen Caelius zu widerrufen. Denn damit würde sie gegen ihre familiaritas mit Caelius zeugen und zugleich beweisen, daß sie die Anstandsgrenzen der römischen matrona nicht überschritten hat. Widerriefe sie allerdings ihre Aussage, dann müßte die Anklage gegen Caelius in sich zusammenfallen.484 Cicero setzt natürlich als gegeben voraus, daß Clodia bei ihrer Beschuldigung bleiben wird, und nimmt sich deshalb das Recht, ihre vita, ihre mores in den schwärzesten Farben zu zeichnen, um ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Deshalb verspottet er sie schon zu Beginn seiner Diffamierungkampagne als "amica omnium"485, deshalb wirft er ihr, wie schon in anderen Reden ihrem Bruder, incestum vor.486 Cicero führt in der Folge scheinbar mit Clodia einen Dialog und bittet scheinheilig um ihr Einverständnis für die Schmähungen, die er parat hat.487 Seinen Tadel legt er geschickt zwei Prosopoeiae in den Mund, zunächst der 480 Vgl. S. 104f. 481 Vgl. z. B. Ter. Heaut. 227 und Hec. 797, wo nobilis auf eine meretrix bezogen wird. 482 Vgl. S. 151 nebstAnm. 566. 483 Vgl. ThuJe bist. II, 45, 2. Austin und anderen Interpreten ist dieses "Zitat" entgangen. 484 Vgl. Cic. pro Cael. 13, 32. Zur Unlogik dieser Argumentationskette vgl. Kreck 1975, 132. 485 Cic. pro Cael. 13,32. 486 Zum angeblichen incestum zwischen Clodius und seiner Schwester vgl. Cic. de dom. 92; de harusp. resp. 38; 42; 59; pro Sest. 16; 39. incestum gehörte zu den typischen Vorwürfen politischer Diffamierung. So wurde auch Cicero Inzest mit der eigenen Tochter vorgeworfen; vgl. SaU. inv. in Cic. 2, 2. Neben Cicero bezeugt im übrigen Catull (carm. 72 und 79) eine blutschänderische Beziehung zwischen Clodia und ihrem Bruder. Der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung mag dahingestellt bleiben; schon Austin 1960, 90 bemerkte: "Cicero's wit is not always in good taste." 487 Vgl. Cic. pro Cael. 14, 33: "Sed tarnen ex ipsa quaeram prius utrum me secum severe et graviter et prisce agere malit, an remisse et leniter et urbane."
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des Appius Claudius Caecus, Censor 312 v. Chr., Konsul307.v. Chr. und 296 v. Chr., Sieger über Pyrrhus und Erbauer der via und der aqua Appia, dann der ihres Bruders P. Clodius Pulcher.488 Zunächst zu Caecus: Er galt als Inbegriff altrömischer severitas und gravitas, als Vorbild im Dienste der res. publica gelebter römischer virtus.489 Die Konfrontation zwischen Ahnherr und Ahnin trägt komödiantische Züge und ist durchsetzt von beißender Ironie. Cicero führt Caecus als barbatus ein und verspottet im Nebenbei Clodias Gefolgschaft als barbatuli, als Jünglinge mit gestutztem Bärtchen, weichlich und unmännlich.490 Ciceros Caecus konfontiert Clodia zunächst mit der auetorilas der Männer ihrer gens, alle Konsuln, deren Anseben Clodia durch ihre Intimität zu Caelius in den Schmutz gezogen habe.49I Auch ihren Gatten Q. Metellus Celer, obwohl zum Zeitpunkt der Affäre bereits tot, habe Clodia verraten: "Und weißt du nicht mehr, daß du bis vor kurzem noch mit Quintus Metellus verheiratet warst, mit einem hochangesehenen, tüchtigen Manne, der sein Vaterland über alles liebte, der nur einen Schritt über die Schwelle seines Hauses zu tun brauchte, um nahezu alle seine Mitbürger an virtus, Ruhm und Ansehen zu übertreffen? Aus einem altangesehenen Geschlecht stammend hast du in eine hochberühmte Familie eingeheiratet -warum warst du dann so eng verbunden mit diesem Caelius? War er mit
488 Mit Sicherheit persifliert Cicero hier auch ein "iudicium domesticum". Zum iudicium domesticum, das in jedem Falle aus den männlichen Angehörigen einer domus bestand und dessen Aufgabe es war, Kapitalverbrechen der (Ehe-)Frauen der domus zu ahnden, vgl. Pomeroy 1976, 218f. 489 Zu dem Meisterstück der Prosopoeiae vgl. Austin 1960, 90; zu den komödiantischen Zügen, die diese Scheinkonfrontation trägt, vgl. Geffcken 1975, 18f.; zu Caecus vgl. Liv. IX, 29. 490 Zur Barttracht vgl. Austin 1960, 91 mit den entsprechenden Belegen. Junge Männer, insbesondere Clodius und seine Anhängerschaft, wurden von Cicero wegen ihrer gepflegten Bärtchen verhöhnt (vgl. Cic. ad Att. I, 14, 5; pro Sest. 18). Will 1991, 63 sieht in der Barttracht der adulescentes einen bewußten Ausdruck gesellschaftlichen Widerstandes: "(Die Gruppe der barbatuli iuvenes) hatte sich als eine Art literarisch-politischen Zirkels um Clodius und seine Schwester Clodia gebildet. Zu ihm gehörten in erster Linie Söhne (und Töchter) von nobiles. Sie rebellierten gegen Roms adlige Greise und gaben mit kurzgeschnittenen Bärten - die herrschende Mode war bartlos - ihrer Haltung Ausdruck." Leider verschweigt Will dem Leser die Quellen, die auf einen derartigen literarischpolitischen Zirkel schließen ließen. 491 Vgl. Cic. pro Cael. 14, 34.
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dir verwandt, verschwägert, ein Freund deines Mannes? Nichts von alledem. Was also war es anders als Zügellosigkeit und Leidenschaft?"492 Metellus Celer starb 59v. Chr., ein Jahr nach seinem Konsulat; er war Gegner des Clodius und deshalb auch notgedrungen Freund Ciceros.493 Seine Ehe mit Clodia, von beiden vermutlich in jungen Jahren geschlossen; dauerte zwanzig Jahre, war also vermutlich nicht so schlecht, wie Cicero wissen wollte, wenn er Atticus vermeldete, daß Clodia Metellus betrüge und sie außerdem seinen mangelnden politischen Ehrgeiz kritisiere.494 Das in der Caeliana entworfene Bild des MeteBus zeichnet ihn als Lichtgestalt der res publica: Metellus ist der einzige Mann in der Caeliana, dem explizit virtus zugebilligt wird. Metellus ist vir im besten Sinne, seine Ehefrau dagegen bloße mulier, die alle Normen der matrona, insbesondere den Primat der pudicitia,495 verletzt hat. Die Vorstellung Cic. pro Cael. 14, 34 ("non denique modo te Q. Metelli matrimonium tenuisse sciebas, clarissimi ac fortissimi viri patriaeque amantissimi, qui simul ac pedem limine extulerat, omnis prope civis virtute, gloria, dignitate superabat? Cum ex amplissimo genere in familiam clarissimam nupsisses, cur tibi Caelius tarn coniunctus fuit? cognatus, adfinis, viri tui familiaris? Nihil eorum. Quid igitur fuit nisi quaedam temeritas ac Iibido?"). 493 Der hochemotionale Nachruf, den Cicero Metellus in der Caeliana (vgl. Cic. pro Cael. 24, 59f.) widmet, verschleiert die Tatsache, daß Metellus und Cicero im Jahre 62 v. Chr. wegen Metellus' Bruder, der als Volkstribun Ende 63 v. Chr. Cicero an der Rechenschaftsablegung über sein Konsulat vor dem Volke hindern wollte, ernsthaft aneinander geraten waren. In diesem Sinne schrieb Metellus im Januar 62 v. Chr. an Cicero: "Existimaram pro mutuo inter nos animo et pro reconciliata gratia nec absentem ludibrio laesum iri nec Metellum fratrem ob dieturn capite ac fortunis per te oppugnatum iri. Quem si panrm pudor ipsius defendebat, debebat vel familiae nostrae dignitas vel meum studium erga vos remque publicam satis sublevare (Hervorhebung von mir). Nunc video illum circumventum, me desertum, a quibus minime conveniebat. Itaque in luctu et squalore sum, qui provinciae, qui exercitui praesum, qui bellum gero. Quae quo11iam nec ratione nec maionrm nos/rum clementia admi11istrastis, non erit mirandum, si vos paenitebit. Te tarn mobili in me meosque esse a11imo 11011 sperabam (Hervorhebung von mir). me interea nec domesticus dolor nec cuiusquam iniuria ab re p. abducet." (Cic. ad fam. V, 1). Der kurzangebundene Tonfall dieses Briefes macht in allseiner Herablassung die Distanz zwischen dem 11obilis Metellus und dem homo novus Cicero deutlich. Vgl. auch Cic. de dom. 7 ( "Q. Metellus, qui cum meus inimicus esset. .. "). 494 Zur Persönlichkeit des Metellus und zu seiner Ehe mit Clodia vgl. am illustrativsten Wiseman 1985, 24f. und 49f.; zu Ciceros bösartiger Einschätzung Clodias bereits vor seinem Exil vgl. Cic. ad Att. II, 1, 5: "sed ego illam odi male consularem. ,ea est enim seditiosa, ea cum viro bellum gerit', neque solum cum Metello sed etiam cum Fabio, quod eos nihili esse moleste fert." 495 Pudicitia, also das zurückhaltende Auftreten in der Öffentlichkeit, gehörte zu den Kardinaltugenden der matrona; vgl. Deißmann-Merten 1989, 513 und Treggiari 1991, 233. Daß pudicitia bzw. castitas weibliche Iibido ausschlossen, ist selbstverständlich. Am besten wird die Stereotypie der weiblichen Tugenden in Rom durch die Epigraphik illustriert, 492
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von der matrona, die auch als vidua im Univirat zu verharren hat, formuliert durch Ciceros Appius, ist kein bloßer Anachronismus. Sie besaß für die von ihren Traditionen besessene römische Gesellschaft auch noch am Ende der Republik- und im übrigen bis weit in den Prinzipat hinein- ihre Gültigkeit.496 Deshalb wird Cicero nach der Prosopoeia des Appius dessen· Vorwürfe g~gen den Lebenswandel Clodias auch wiederholen und sich einer breiten Akzeptanz sicher sein können. 497 Ciceros Appius kennzeichnet seine Nachfahrin wie schon vorher Cicero selbst implizit als meretrix, die ihren gesellschaftlich geschützten und geachteten Rang der matrona - die einzig akzeptable Position einer Frau -498 mutwillig verspielt und so dem Ansehen ihrer gens schweren Schaden zugefügt hat. insbesondere durch CE 237: "lanifica pia pudica frugi casta domiseda"; weitere Beispiele werden zitiert bei Hesberg-Tonn 1983, 170ff. 496 Zum Ideal des Univirats, das trotz politisch begründeter Mehrfachehen in der Republik und trotz der Augusteischen Ehegesetzgebung, die die Wiederverheiratung Geschiedener bzw. Vetwitweter erzwingen wollte, für Republik und Prinzipat uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen konnte, vgl. Treggiari 1991, 234f. und Deißmann-Merten 1989, 516, die den Widerspruch zwischen Ideal und gesellschaftlicher Wirklichkeit folgendermaßen begründet: "Um das religiös und rechtlich schwach abgesicherte Band zwischen den Eheleuten zu stabilisieren, verschob sich allmählich die Betonung auf die Moral, und die univira wurde zu einem Symbol der guten alten Zeit, so daß wir in einer Zeit mit gesellschaftlich durchaus anerkannten Mehrfachehen nun die Verherrlichung der univira als moralisches Postulat haben. Sie wird zu einer Frau, die mit einem Mann zufrieden ist und nicht durch mehrfache Heiraten wie eine Prostituierte ihre sexuelle Zügellosigkeit beweist." Zur Bedeutungsverschiebung des Begriffes univira von der Republik über den Prinzipat bis hin zum Frühchristentum vgl. Lightman/Zeisel 1977. 502 Vgl. Cic. pro Cael. 15, 35: "tu vero, mulier ... si ea quae facis, quae dicis, quae insimulas, quae moliris, quae arguis, probare cogitas, rationem tantae familiaritatis, tantae consuetudinis, tantae coniunctionis reddas atque exponas necesse est. Aceusatores quidem libidines, amores, adulteria, Baias, actas, convivia, commissationes, cantus, symphonias, navigia iactant, idemque significant nihil se te invita dicere. Quae tu quoniam mente nescio qua effrenata atque praecipiti in forum deferri iudiciumque voluisti, aut diluas oportet ac falsa esse doceas aut nihil neque crimini tuo neque testimonio credendum esse fateare." 498 Die römische Literatur, insbesondere des Prinzipats, ist voll von Beispielen heldenhafter und dennoch bescheidener Matronen: Man denke etwa an die Zeugnisse der Iaudatio Turiae (ILS 8393) und der Iaudatio Murdiae (ILS 8394), an die heldenhaften Gattinnen verfolgter Senatoren, z. B. die Arria des Caecina Paetus (vgl. Plin. ep. III, 16, 6), die Fannia des Helvidius Priscus (vgl. Plin. ep. VII, 19, 3ff.) und die Lichtgestalten des römischen Mythos, Lucretia (vgl. Liv. I, 57, 6- 59, 6), Verginia (vgl. Liv. III, 44ff.) oder Lavinia (vgl. Verg. Aen. XII, 194). Vgl. hier auch die besonders illustrative Schilderung des Auftretens der anständigen matrona bei Sen. contr. ll, 7, 3: "matrona ... ferat iacentis in terram oculos; adversus officiosum salutatorem inhumana potius quam inverecunda sit; etiam in necessaria salutandi vice multo rubore confusa sit... in has servandae integritatis custodias nulla Iibido inrumpet."
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Ciceros Caecus führt gegen Clodia im übrigen nicht nur die männlichen, sondern auch die weiblichen Vorfahren ins Feld, die Clodia als Maßstab angemessenen Verhaltens hätten dienen sollen.499 Anders als die adulescentes verdienen also gestrauchelte matronae keine humanitas;500 das Verhalten Clodias ist wider die Natur, da es durch die gefährliche Iibido bestimmt ist. Denn anders als die voluptas/cupiditas, die natürlich ist und deren Einfluß sich auf den Zeitraum der adulescentia beschränkt,50t ist die Iibido stets negativ koimotiert, da die Iibido die Forderungnach Maß (moderatio oder temperantia) verletzt.502 Die Iibido ist zunächst nicht geschlechtsspezifisch: Männer, die angeblich von den gesellschaftlichen Konventionen abwichen, wurden stets auch als libidinosi gebrandmarkt. Paradebeispiele sind hierfür neben den Darstellungen der tyrannischen reges z. B. Ciceros Charakteristiken des Catilina, des Clodius und des Antonius.503 Allerdings stellen Männer, die von der Iibido beherrscht werden, in Ciceros politischem Kosmos, der auf dem consensus omnium bonorum bzw. der concordia ordinum beruht,504 die Ausnahmen dar. Die Ubiquität der weiblichen Iibido wird dagegen von ihm als Regel angenommen und ist Standardvorwurf im Kanon der römischen Misogynie. Im römischen Denken sind Iibido und das Streben nach illegitimer weiblicher Herrschaft untrennbar miteinander verbunden.505 Wenn Frauen von der Iibido regiert werden, muß stets ihr Einbruch in die männliche Sphäre verhindert werden. Der Iibido- Vorwurf dient also letztendlich auch der Legitimierung der männlichen Herrschaft über die Frauen. Vor die zweite Prosopoeia, die des P. Clodius Pulcher, schaltet Cicero die direkte Anrede Clodias ein, in der er seine Vorwürfe wiederholt; er skizziert 499 Nämlich die Claudia Quinta, die als Vestalin 204 v. Chr. ihre Unschuld durch die Überfiihrung des Steines der Magna Mater nach Rom bewies (vgl. Liv. XXIX, 14, 12), und die Vestalin Claudia, die ihren Vater bzw. Bruder 143 v. Chr.vor den Attacken der plebs durch ihre sacrosanctitas schützte (vgl. Liv. Per. 53); vgl. Cic. pro Cael. 14, 34 allerdings ohne die entsprechenden Details. 500 matronae sind anders als adulescentes erwachsen; außerdem war die adulescentia rein männliches Privileg der Oberschichten; vgl. S. 12 und S.15 sowie Rawson 1991,29. 501 Vgl. Pro Cael. 18, 42: "Detur aliqui Iudus aetati; sit adulescentia liberior, non omnia voluptatibus denegentur; non semper superet vera illa et derecta ratio; vincat aliquando cupiditas voluptasque rationem ... "Zur Stelle vgl. auch S. 139. 502 Vgl. Cic. Tusc. disp. IV, 9, 22: "Omnium autem perturbationum fontem esse dicunt intemperantiam, quae est (a) tota mente a recta ratione defectio sie aversa a praescriptione mtionis, ut nullo modo adpetitiones animi nec regi nec contineri queant." und S. 57. 503 Vgl. S. 112 nebst Anm. 408. . 504 Zur concordia ordinum vgl. S. 60 nebst Anm. 214. 505 Dieser vermeintliche Zusammenhang beherrscht z. B. auch die Frauenbilder des Tacitus: Livia, Agrippina maior und minor, Messalina; vgl. S. 26 nebst Anm. 69.
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außerdem ihren Lebenswandel, indem er Aussagen der Anklage böswillig zitiert.5o6 Die Ankläger hatten von Affaren, Ehebruch, ausschweifenden Aufenthalten in Baiae gesprochen, um Caelius herabzusetzen; Cicero benutzt diese maledicta dagegen, um Clodia als Zeugin zu diskreditieren:. Er holt ironisch Clodias Zustimmung zum ,,Auftritt" ihres Bruders, im Gegensatz iu Caecus ein echter "urbanissimus",507 ein und wiederholt spöttisch zunächst den incestum- Verdacht. Das Urteil des "Clodius" ist ebenso vernichtend wie das des "Caecus", wenn auch aus ganz anderer Perspektive: ,.Du hast auf einen jungen Mann aus der Nachbarschaft ein Auge geworfen, seine glänzende Erscheinung, seine schlanke Gestalt, sein Gesicht und sein Blick haben es dir angetan. Du wolltest ihn gern öfter sehen, du ergingst dich bisweilen mit ihm im Park. Du, eine Frau aus reichem Hause, suchtest ihn, den Sohn eines sparsamen und knauserigen Vaters, mit deinen Geldmitteln dauernd an dich zu fesseln. Es gelingt dir nicht, er zeigt sich widerspenstig, abweisend, ablehnend - er glaubt, deine Geschenke sind nicht soviel wert. Also such dir einen anderen! Du hast eine Gartenanlage am Tiber, mit Bedacht dort angelegt, wohin alle jungen Leute zum Baden kommen. Dort hast du tagtäglich Gelegenheit, dir jemanden auszusuchen. Warum hängst du dich gerade an einen, der dich nicht will?"508 Folgt mau Ciceros "Clodius", hat Clodia in ihrem von der Verteidigung unterstellten Beharren auf Caelius auch die Regeln für außereheliche Beziehungen verletzt. Trotz ihres Prestiges und ihres Reichtums gelingt es ihr nicht, den gesellschaftlich unter ihr rangierenden und viel jüngeren adulescentulus - deshalb der Diminutiv - an sich zu binden, obwohl dieser mit einem geizigen Vater gestraft ist. Auch hier ist die Komödie als Vorlage evident: Clodia gibt die alternde, immer noch mannstolle Hetäre, die nicht mehr gekauft wird, sondern sich die Männer kaufen muß, Caelius den unschuldigen adulescentulus, der das Pech hat, aufgrund seines guten Aussehens das Augenmerk Clodias auf sich gelenkt zu haben. Und es sind in der Komödie 506 Vgl. Cic. pro Cael. 15, 35. 507 Cic. Pro Cael. 15, 36. 508 Cic. pro Cael. 15, 36 ("Vicinum adulescentulum aspexisti; candor huius te et proceritas voltus oculique pepulerunt; saepius videre voluisti; fuisti non numquam in isdem hortis; vis nobilis mulier illum filium familias patre parco ac tenaci habere tuis copiis devinctum. Non potes; calcitrat, respuit, repellit, non putat tua dona esse tanti. Confer te alio. Habes bortos ad Tiberim ac diligenter eo Ioco paratos quo onmis iuventus natandi causa venit; hinc licet condiciones cotidie legas; cur huic qui te spemit molesta es?").
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gerade die Söhne geiziger Väter, die in das Netz reicher Frauen mit zweifelhaftem Ruf geraten.509 Cicero dreht den Spieß der Anklage regelrecht um: Letztere hatte Caelius gerade vorgeworfen, auf Clodias Reichtum aus gewesen zu sein; vermutlich hatte sie auch auf die politischen und gesellschaftlichen Vorteile hingewiesen, die sich für Caelius aus der Nähe zu Clodia und vor allem zu ihrem Bruder ergeben hatten.51o Deshalb ist die Prosopoeia des Clodius besonders perfide: Cicero ruft die gegnerische Partei selbst auf, um gegen Clodias Ruf Zeugnis abzulegen. Und die Demontage der Hauptbelastungszeugin ~ist Ciceros Ziel. Denn die Zeugen des gesamten Verfahrens werden erst nach der Verteidigung zu Wort kommen; ihre Worte werden den Richtern am ehesten im Gedächtnis haften bleiben: Ihre Reputation muß deshalb von vomherein zerstört werden. 51! Cicero wendet sich jetzt direkt an seinen Mandanten und übernimmt ihm gegenüber ausdiücklich eine "auctoritas patria severitasque"512, um ihn mit den Urteilen der typischen Väter der Komödie zu konfrontieren, dem des "tristis ac derectus senis"513 und dem des "lenis ac clemens pater"514. So wie Clodia von "Caecus" und "Clodius" unisono verurteilt und verspottet worden ist, so könnten beide Arten von Vätern mit Caelius zufrieden sein: Caelius hat sich keiner cupiditas schuldig gemacht, seine Finanzen sind geordnet, die Nähe zu Clodia bedeutungslos, denn sie ist weniger wert als eine meretrix.5l5 Daß Clodia in den Augen Ciceros kaum mehr als eine meretrix ist, geht besonders drastisch aus der sich hier anschließenden Charakteristik von Clodias Lebensstil hervor: "Über die besagte Frau hier sage ich nichts weiter. Aber stellen wir uns eine ganz andere vor, ganz verschieden von dieser hier: eine, die sich mit jedermann einläßt, die ganz offen jeweils einen Liebhaber auswählt, in deren Gärten, in deren Hause, in deren Villa in Baiae jeder Lebemann freien Zutritt hat und die auch junge Männer durchfüttert und sie für die Knauserigkeit ihrer Väter durch ihren eigenen verschwenderischen
509 Vgl. Cic. de nat deor. III, 72 mit Zitat des Caecilius zum typisch geizigen Vater der Komödie. 510 Vgl. Austin 1960, 69. 511 Zum Auftritt der Zeugen nach dem Verfahren vgl. Wiseman 1985, 70 mit entsprechenden Belegen. 512 Cic. pro Cael. 16, 37. 513 Cic. pro Cael. 16, 38. 514lbid. 515 Vgl. Pro Cael. 16, 38.
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Aufwand entschädigt. Wenn diese Dame als Witwe freizügig, als lockeres Frauenzimmer frivol, als reiche Frau verschwenderisch~ als zügellose Person nach Art einer Dime lebte- sollte ich da jemanden tadeln, der sie · ein wenig zu intim gegrüßt hat?" 516 Cicero charakterisiert hier Clodia als Hure, als Nympliomanin, Ehebrechetjn, Verführerin unschuldiger junger Männer und Verschwenderin und stellt ·in Abrede, daß Caelius gegenüber Clodia die Grenzen angemessenen Verhaltens überschritten habe. Er versucht bewußt, Clodias gesellschaftliches Prestige zu zerstören, das sie als Angehörige einer der ältesten patrizischen gentes Roms, als Schwester eines der einflußreichsten Männer der Stadt - Clodius Pulcher, zum Zeitpunkt der Caeliana amtierender Aedil, besaß auch Anhänger in den Reihen des Senats und war keineswegs der gesellschaftliche outlaw, als den ihn Cicero mit Vorliebe diffamierte _517 und als Witwe des Metellus besaß. Er brandmarkt sie nicht ohne Grund als Prostituierte: Denn die meretrix unterlag der infamia, sie besaß also juristisch kaum Rechte, unter anderem auch nicht das Recht, vor Gericht Zeugnis abzulegen.518 Da Clodia sich laut Darstellung Ciceros wie eine meretrix verhält und damit alle Privilegien der matrona verspielt hat, muß ihre Zeugenaussage gegen Caelius ebenso wertlos sein wie die einer echten meretrix. In seiner sich anschließenden Apologie der adulescentia519 führt Cicero zudem den Nachweis, daß "meretrices amores"52o- denn, wenn überhaupt, kann sich die Beziehung zwischen Caelius und Clodia nur in diesen Bahnen bewegt haben- vorerst nichts über den adulescens selbst aussagen können. Er verwahrt 516 Cic. pro Cael. 16, 38 ("Nihil iam in istam mulierem dico; sed, si esset aliqua dissimilis istius quae se omnibus pervolgaret, quae haberet palam decretum semper aliquem, cuius in hortos, domum, Baias iure suo libidines omnium commearent, quae etiam aleret adulescentis et parsimoniam patrum suis sumptibus sustineret; si vidua libere, proterva petulanter, dives effuse, libidinosa meretricio more viveret, adulterum ego putarem si quis hanc paulo liberius salutasset?"). Diese Clodia-"Charakteristik" stand sicher auch Patin für Sallusts berühmte Darstellung der Sempronia, einer angeblichen Mitverschworenen Catilinas in bell. Cat. 25: "sed ei cariora semper omnia quam decus atque pudicitia fuit; pecuniae an famae minus parceret, haud facile discemeres; lubido sie accensa, ut saepius peteret viros quam peteretur." 517 Gerade während der Wahlen zur Aedilität für das Jahr 56 v. Chr. hatten die Optimaten, unter ihnen der amtierende Konsul, Clodius unterstützt, da Pompeius, als curator annonae mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, der Senatsmajorität erneut zu mächtig geworden war und Clodius als Verbündeter benötigt wurde. Zu den Ereignissen vgl. Will 1991, 85ff. · 518 Zur infamia der meretrix vgl. Wiseman 1985, 85 mit dem Hinweis auf Dig. XXII 5, 3, 5, wonach eine meretrix in einem Verfahren nach der Iex lulia de vi kein Zeugnisrecht besaß. 519 Vgl. Cic. pro Cael. 17, 39- 18, 43. 520 Vgl. Cic. pro Cael. 18, 48.
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sich mit seiner Apologie auch gegen den möglichen Einwand, der männlichen Jugend gegenüber zu tolerant zu sein. Diese Apologie nimmt die bereits gegen Herennius vorgebrachten Argumente wieder auf und vertieft sie weiter. Zunächst betont. Cicero die genuin menschliche Fehlbarkeit und verweist die Zucht der maiores in die römische Frühzeit, in die Welt der fast sagenhaften Männer vom Schlage eines Camillus, Fabricius oder Curius, Heroen der virtus, die allerdings ausgestorben sind: "Wenn es jemanden gegeben hat mit einer solchen Willensstärke und Anlage zu sittlicher Kraft und Selbstbeherrschung, daß er alle Vergnügungen verschmähte und sein gesamtes Leben nur auf körperliche Anstrengung und geistiges Streben ausrichtete, wenn dieser keine Freude hatte an Freizeit, Erholung, Zeitvertreib mit Gleichaltrigen, an Spiel und gemeinsamem Mahl, sondern nur Dinge im Leben für erstrebenswert hielt, die mit Ruhm und Ehre verbunden sind, so muß der meiner Ansicht nach mit geradezu göttlichen Gaben bedacht und ausgezeichnet worden sein. Von dieser Art waren, wie ich meine, Männer wie Camillus, Fabricius, Curius und alle, die unser Staatswesen aus kleinen Anfängen zur Größe erhoben haben. Doch solche Tugendhelden findet man schwerlich in unserer Zeit, ja kaum noch in Büchem."521 Cicero beschreibt hier die traditionelle römische Vorstellung vollendeter Virilität, die im wesentlichen auf dem Prinzip der Entsagung basiert und ihr ausschließliches Ziel im Erwerb von laus, gloria und dignitas im Dienste der res publica besitzt.522 Auch wenn diese Ziele für die adulescentes im Rom der fünfziger Jahre noch Gültigkeit beanspruchen können, sollte ihnen dennoch Ciceros Auffassung nach mehr persönlicher Freiraum gewährt werden, ein Freiraum, der Frauen allerdings versagt blieb, da ihrer Biographie keine Phase
521 Cic. Pro Cael. 17, 39/40 (.,Ego, si quis ... hoc robore animi atque hac indole virtutis ac continentiae fuit ut respueret omnes voluptates omnemque vitae suae cursum in Iabore corporis atque in anirni contentione conficeret, quern non quies, non rernissio, non aequalium studia, non Iudi, non conviviurn delectaret, nihil in vita expetendum putaret nisi quod esset cum laude et curn dignitate coniunctum, hunc rnea sententia divinis quibusdam bonis instructum atque omaturn puto. Ex hoc genere illos fuisse arbitror Camillos, Fabricios, Curios, omnisque eos qui haec ex minirns tanta fecerunt.(40) Verum haec genera virtutum non solum in moribus nostris sed vix iam in libris reperiuntur."). 522 Zur Bedeutung von gloria für die römische Virilität vgl. Pro Cael. 31, 74 ("cupiditas gloriae") und 76 ("ardor mentis ad gloriam") sowie Cic. de off. I, 24, 84; II, 8, 31 f.; zur dignitas vgl. S. 115f.
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der adulescentia von Seiten der Gesellschaft zugestanden wurde.523 Man erinnere sich hier an die ähnlich beschriebenen Vergnügungen Clodias, die als ausschweifend verteufelt wurden. Cicero illustriert seine These vom Verschwinden der severitas weiter mit Beispielen aus der Philosophie, mit dem schwindenden Publikum: der Philosophen, die, etwa anders als die Epikureer, den voluptates in ihren Lehrmeinungen nicht genügend Platz einräumten.524 Hier führt Cicero wie schon in seiner Antwort auf Herennius die Bedürfuisse der natura ins Feld, um seine Argumentation zu untermauern: ,,Die Natur selbst hat ja allerhand Verlockungen für uns geschaffen, bei denen sich die Tugend bisweilen betören und einlullen läßt (Multa enim nobis blandimenta natura ipsa genuit quibus sopita virtus coniveret interdum ). So manchen schlüpfrigen Pfad weist sie der adulescentia; hat man ihn einmal eingeschlagen und begangen, kommt man kaum ohne einen Fall oder wenigstens ein Ausgleiten davon. Einen bunten Strauß von Freuden schenkt uns die Natur, durch die sich nicht nur die Jugend, sondern auch das reifere Alter fesseln läßt. "525 natura und virtus präsentieren sich hier nicht als Antagonistinnen; letztere räumt ersterer lediglich während der adulescentia einen angemessenen Ort ein. Gemäß der Natur zu fehlen, fügt der virtus keinerlei Schaden zu. Wenn also Cicero nachweisen kann, daß Caelius in bezug auf Clodia der natura gemäß gehandelt hat, dann sind die mores seines Klienten rehabilitiert, dann kann er sogar als potentieller virtus- Träger dargestellt werden. Wie schon in c. 12, 28 plädiert Cicero, gestützt auf das natura-Argument, quasi für ein Moratorium des Mannes während der adulescentia, ein Moratorium allerdings, das genauen Regeln unterworfen ist: 523 Zur adu/escentia/Adoleszenz als männlichem Privileg vgl. S. 12 und S. 15. Die Absenz
dieses Lebensabschnitts in der weiblichen vita hat primär biologische Gründe, die kulturell überformt worden sind: Der weibliche Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein wurde bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein durch das Eintreten der ersten Menarche markiert; der männlichen vita fehlt dieses eindeutige Zeichen des Übergangs und wird deshalb in vielen Initiationsriten durch das Blutvergießen des Initianden imitiert; vgl. Bettelheim 1990, 141f. 524 Vgl. Cic. pro Cael. 40/41. 525 Cic. pro Cael. 17, 41 ("Multa enim nobis blandimenta natura ipsa genuit quibus sopita · virtus coniveret interdum; multas vias adulescentiae lubricas ostendit quibus illa insistere aut ingredi sine casu aliquo ac prolapsione vix posset; multarum rerum iucundissimarum varietatem dedit qua non modo haec aetas sed etiam iam conroborata caperetur. ").
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"Verlassen wir also diesen verödeten, verwilderten, schon durch Gebüsch und Zweige versperrten Weg. Wir wollen der Jugend einen Freiraum .gönnen (Detur aliqui Iudus aetati), sollen die jungen Männer sich ruhig etw~s ungezwungen geben. Zum Vergnügen braucht man nicht grundsätzlich nein zu sagen, es soll nicht immer jene wahre und aufrechte Vernunft die Oberhand behalten. Gelegentlich dürfen Begehren und Lust auch einmal den Sieg davon tragen - solange dabei nur die folgenden Maßregeln gelten: Die jungen Männer sollen ihr eigenes Schamgefühl bewahren und kein fremdes verletzen. Sie sollen ihr väterliches Gut nicht vergeuden, sich nicht durch Wucherzinsen minieren lassen, in keine fremde Ehe und Familie einbrechen, den Reinen keine Schande, den Ehrbaren keine Schmach antun und den Anständigen keine Unehre bringen. Auch sollen sie nie jemanden durch Gewaltakte terrorisieren, sich nicht an hinterhältigen Unternehmungen beteiligen und sich von Verbrechen fernhalten. "526 Die von Cicero aufgestellten Regeln f'tir die adulescentia sollen die voluptates in gesellschaftlich tragbaren Grenzen halten. Ciceros Regeln beziehen sich auf das sexuelle, soziale und politische Verhalten des adulescens. Im sexuellen Bereich gilt also das Verbot der Homosexualität, der perversen Praktiken und des Ehebruchs, im sozialen die Achtung des eigenen und des fremden Eigentums, im politischen die Distanz zu Terror und Streben nach res novae.527 526 Cic. pro Cael. 18, 42 (,,Ergo haec deserta via et inculta atque interclusa iam frondibus et
virgultis relinquatur. Detur aliqui Iudus aetati; sit adulescentia liberior; non omnia voluptatibus denegentur; non semper superet vera illa et derecta ratio; vincat aliquando cupiditas voluptasque rationem, dum modo illa in hoc genere praescriptio moderatioque teneatur. Parcat iuventus pudicitiae suae, ne spoliet alienam, ne effundat patrimonium, ne faenore trucidetur, ne incurrat in alterius domum atque familiam, ne probrum castis, labern integris, infamiam bonis inferat, ne quem vi terreat, ne intersit insidiis, scelere careat. "). 527 res novae, in etwa gleichzusetzen mit "Revolution", implizieren stets die Forderung nach tabulae novae, dem generellen Erlaß vorhandener Schulden. Das Schuldenproblem war eines der wichtigsten der spätrömischen Gesellschaft und bot reichen Konfliktstoff, deshalb auch immer die Möglichkeit, mit der Forderung nach tabulae novae breite Schichten der Bevölkerung zu mobilisieren; zum Schuldenproblem vgl. Fredriksen 1966 und Shaw 1975. Nach Catilina forderte auch Caelius als Praetor generellen Schuldenerlaß. Zur verschuldeten Anhängerschaft des Catilina vgl. Cic. Cat. II, 8/9; 18 - 21; Sall. bell. Cat. 13; 16; 28; 33 und 37; zu Caelius vgl. S. 85f. und Caes. b. c. III, 21, lf. Die politische Sprengkraft von tabulae/res novae manifestiert sich auch in der Begrifflichkeit: "Neues" konnte von einer Oberschicht, deren Normen immer noch -zumindest dem Anschein nach - vor allem auf dem Kodex der maiores basierten, in seiner Gefährdung der materiellen
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Dieser Verhaltenskodex ftir die adulescentia stellt, zunächst entworfen, um einen adulescens zu rehabilitieren, möglicherweise eine Antwort auf .die Intergrationsprobleme der, Gesellschaft der Späten Republik dar, in welcher die adu/escentes den Regeln der Vätergeneration nicht mehr gehorchenwolltenund dennoch ftir den Erhalt der res publica unabdingbar nötig waren.528 ·· · Folgt man Ciceros Argumentation in der Cae/iana, so hat Caelhis die zitierten Forderungen erfüllt: Caelius hatte keinerlei Schulden, Caelius nahm nicht· an der Verschwörung Catilinas teil, Caelius hatte auch mit der Ermordung Dions nichts zu tun.529 Auch sein sexuelles Verhalten entsprach den Regeln, so wird es Cicero zumindest in der Folge suggerieren. Cicero hat den voluptates des adulescens den ihnen angemessenen Platz eingeräumt und sie als naturgemäß legitimiert. Wenn Caelius seine voluptates bei Clodia der gesellschaftlichen Konvention gemäß ausgelebt hat, so kann ihm kein Vorwurf gemacht werden. Diesen Nachweis hat Cicero demnach zu führen. Clodia war während ihres Verhältnisses zu Caelius bereits Witwe. Caelius hat also keine intakte Ehe zerstört. Clodia war allerdings eine matrona der höchsten Gesellschaft, und auch die Ehre der matrona hatte ftir den adulescens unantastbar zu sein. Allerdings war es dem adulescens erlaubt, mit Prostituierten zu verkehren, da auch in Rom die Prostitution als Regulativ männlichen sexuellen Verlangens außerhalb legitimierter Beziehungen gestattet war. Ist Clodia allerdings ihrenmoresnach eine meretrix, so hat sich Caelius' Verkehr mit ihr in Ciceros Darstellung in gesellschaftlich erlaubten Bahnen bewegt. Um nach seiner allgemein gehaltenen Verteidigung der adulescentia die Richter konkret fiir seinen Mandanten einzunehmen, vertritt Cicero im weiteren Verlauf seiner Rede, der sich auf die Rednerlaufbahn des Caelius · konzentriert, eine Charaktertheorie, die angesichts seiner Schilderungen eines Catilina oder Clodius überraschen muß: Während Cicero in der Darstellung seiner großen Gegner der Wandlung des Charakters keinerlei Möglichkeit einräumt - ihm Basis auch als elementare Bedrohung der eigenen gesellschaftlichen Existenz wahrgenommen werden. 528 Zur Bedeutung der adulescentes für den Erhalt der res publica vgl. meine Ausführungen zur Sestiana S. 60ff. Zu einem möglichen Generationskonflikt in der Späten Republik vgl. S. 18 und Kleijwegt 1991, 66 allerdings mit der unzutreffenden Schlußfolgerung, daß die adulescentes der Späten Republik apolitisch gewesen seien; die Biographien der adulescentes Caelius, Curio, Dolabella sprechen genauso gegen diese These wie die Bereitschaft der adulescentes, sich Politikern von Einfluß anzuschließen; zur jungen Anhängerschaft Catilinas vgl. Sall. Bell. Cat. 14; 16; zu den adulescentes als Anhängern Ciceros vgl. Quint. Cic. comm. pet. 8, 33; Plut. Crass. 13. 529 Vgl. S. 112f. (Catilina), S.118 (Schulden) und S. 149f. (Ermordung Dions).
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zufolge waren Catilina, Clodius und Marcus Anonius bereits als adulescentes depraviert und ihre späteren Taten als Männer nur folgerichtige Konsequenz eines von Anfang an verderbten Subjektes -530 und dort der verbreiteten rön;tischen Theorie von der Unveränderlichkeit der Charaktere folgt, geht er zt!gunsten seines Mandanten, gestützt auf seine These von der adulescentia als einer aetas, die den Forderungen der natura gehorchen darf, zunächst von einer möglichen Änderung des männlichen Charakters hin zum Nützlichen und Guten aus.m Für diese These spricht laut Cicero die vita hervorragender Männer der Republik: "Wenn ich wollte, könnte ich eine Vielzahl von erstrangigen und ausgezeichneten Männem aufzählen, die sich in ihrer Jugend teils allzu wildem Treiben, teils der Schwelgerei, dem Schuldenmachen, der Verschwendung und der Sinnenlust hingegeben haben. Das alles haben sie später durch eine Fülle großartiger Leistungen gleichsam zugedeckt, und man mag es daher als Sünden der adulescentia entschuldigen. "532 An diesem Punkte seiner defensio aetatis533 angekommen, schlägt Cicero eine für sein Auditorium sicher überraschende Volte: Nachdem er wiederholt eine
530 Vgl. zu Catilina Cic. Cat. I, 7, 18; 9, 22; zu Clodius Cic. de dom. 84; zu Marcus Antonius
Cic. Phi!. II, 44f. Vgl. hier auch die Darstellungen des Vatinius und des Piso durch Cicero (Cic. in Vat. 11; in Pis. VIII; XI). 531 Zur Vorstellung von der Unveränderlichkeit des Charakters vgl. May 1988, 163: "For the Romans, a man' s character remained essentially constant from birth, even from generation to generation of the same family. lt was almost impossible to change or to disguise one's ethos. A man's actions were a direct result ofhis character; indeed, character determined actions." Um Veränderungen des Charakters zu erklären, arbeitete Cicero als erster und meines Wissens vor allem im Falle Catilinas mit der Konzeption der "simulatio" (vgl. Cic. pro Cael. 5, 12: "et quidem optimis se viris deditum esse simulabat" und 6, 14: "specie quadam virtutis adsimulatae"). Sallust übernahm dieses Konzept in seiner Beschreibung Catilinas (vgl. Sall. bell. Cat. 5: "quoius rei lubet simulator ac dissimulator"). Sallusts größter Schüler Tacitus vervollkommnete das Erklärungsmodell der "(dis-)simulatio" in seinen Portraits der principes, insbesondere des Tiberius; vgl. Tac. ann. I, 4, 2; li, 57, 3 sowie IV, 71, 3: "nullam aeque Tiberius ex virtutibus suis quam dissimulationem diligebat" und VI, 50, 1: "lam Tiberium corpus, iam vires, nondum dissimulatio deserebat." Zur gesellschaftsgefahrdenden Potenz der "dissimulatio" vgl. auch S. 52f. 532 Cic. pro Cael. 18, 43 ("Quod si facere vellem, multi a me summi atque ornatissimi viri praedicarentur, quarum partim nimia libertas in adulescentia, partim profusa luxuries, magnitudo aeris alieni, sumptus, libidines nominarentur, quae multis postea virtutibus obtecta adulescentiae qui vellet excusatione defenderet."). 533 Zum Begriff vgl. S. l08f.
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Auszeit für die adulescentia gefordert hat, nachdem er zur. Verteidigung des Caelius ein Gros namenloser Männer in höchsten Positionen hat aufmarschieren lassen, stellt er Caelius noch über diese, indem er behauptet, daß sein Klient aufgrund seiner Ausbildung und Tätigkeit als orator frei von. jeglichen Anfechtungen und Forderungen der adulescentia sein müsse, also frei vom Diktat der Leidenschaften und Begierden und also doch unveränderlich. in seinen mores:534 · ,,Denn das ist doch unmöglich. Ein Geist, der sich der Lust ergeben ha:t, sinnlicher Liebe und Leidenschaft, der Begierde, ein Geist, der oft durch Überfluß, bisweilen wieder durch Mangel in Bande geschlagen ist, wie könnte der unsere Tätigkeit als Redner - was es auch immer sei, was wir tun und wie wir es vorbringen -, wie könnte der das überhaupt leisten, nicht nur was das Auftreten selbst angeht, sondern auch die Gedankenarbeit. Oder wißt ihr einen anderen Grund dafür: Obwohl der Redekunst so reicher Lohn winkt, das Reden so großes Vergnügen macht und so viel Ruhm, Einfluß und Ehre einbringt, gibt und gab es stets nur wenige, die sich dieser Aufgabe verschrieben haben (an vos aliam causam esse ullam putatis cur in tantis praemiis eloquentiae, tanta voluptate dicendi, tanta laude, tanta gratia, tanto honore, tarn sint pauci semperque fuerint qui in hoc Iabore versentur?). Man muß sich dabei sämtlicher Vergnügungen entschlagen, alle Unterhaltung beiseite lassen, Spiel und Spaß, der Besuch von Gastmählern, ja gar das Gespräch mit Freunden: alles das hat zurückzutreten. Daher erregt dieser Beruf mit seiner Mühsal Widerwillen bei den Leuten und schreckt sie vom Studium ab- dabei fehlt es ja weder an Talenten noch an der nötigen Vorbildung in der Jugend."535 Cicero übt hier erneut den patemalen Schulterschluß mit Caelius, indem er den "Leidensweg" des orator ins Spiel bringt. Daß seine Argumentation zunächst 534 Cicero hat also nur scheinbar die Bahnen der römischen Charaktertheorie verlassen. 535 Cic. pro Cael. 19, 45/46 ("Fieri enim non potest, ut animus Iibidini deditus, amore, desiderio, cupiditate, saepe nimia copia, inopia etiam non numquam impeditus hoc quicquid est quod nos facimus in dicendo, quoquo modo facimus, non modo agendo verum etiam cogitando possit sustinere. (46) an vos aliam causamesse ullam putatis cur in tantis praemiis eloquentiae, tanta voluptate dicendi, tanta laude, tanta gratia, tanto honore, tarn sint pauci semperque fuerint qui in hoc Iabore versentur? Obterendae sunt omnes voluptates, relinquenda studia delectationis, Iudus, iocus, convivium, sermo paene est familiarium deserendus. Qua re in hoc genere Iabor offendit homines a studioque deterret, non quo aut ingenia deficiant aut doctrina puerilis.").
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Widerspruche aufweist, die erst die peroratio teilweise auflösen wird, wird der Zuhörerschaft angesichts der Redesituation vermutlich entgangen sein: Zunächst die breite Verteidigung der adulescentia und ihrer Schwächen in zwei Anläufen536, um· die gegnerischen Attacken gegen die mOJ·es des Caelius abzufangel)., dann die Behauptung, daß Caelius gar kein Opfer dieser Schwächen gewesen sei, vielmehr als bereits erfolgreicher Redner - Cicero verweist wieder auf Caelius' Anklage des Antonius -über die voluptates seiner Altersgenossen erhaben gewesen sei. Caelius hat Cicero zufolge den Weg des Redners beschritten, also den steinigen Weg zu gratia und laus, beide nur zu erreichen durch Iabor und Verzicht,537 Caelius wird vor diesem Hintergnmd als exemplarisch in Erfüllung der Norm präsentiert und genügt so den Anspriichen, die die römische Gesellschaft an ihre Männer stellte, nämlich hervorragend den gesellschaftlichen Normen zu gehorchen, also einen Heroismus der Ein- und Unterordnung zu pflegen.538 Und noch etwas ist hier evident: Caelius ist als orator Mann, ohne jemals den Schwächen seiner aetas nachgegeben zu haben: Seine von Cicero geschönte Biographie reflektiert demnach auch das römische Ideal des puerladulescens senex/senilis, des Kindes, das von Anfang an erwachsen ist.539 536 Vgl. Cic. pro Cael. 12, 28- 30; 17, 39- 18, 43. 537 Hier deutet sich im übrigen bereits ein Gegenentwurf Ciceros zu den traditionellen Vorstellungen römischer Virilität an, in deren Zentrum der Typus desimperatorvom Schlage eines Pompeius oder Caesar stand, den er ein Jahr nach der Cae/iana in de oratore explizit formulieren sollte: Die Ziele des imperator und des orator sind identisch, der Erwerb von laus, gratia und dignitas, ihre gesellschaftliche Bedeutung deshalb, so wenigstens in den Augen Ciceros, gleich. Dieser Gegenentwurf einer erfolgreichen männlichen Identität wurzelt mit Sicherheit in Ciceros Herkunft: als homo novus mit politischen Ambitionen mußte er seine "obskure" Herkunft durch persönliche virtutes wettmachen; zur Bedeutung des homo novus-Status fiir Ciceros virtus-Konzeption vgl. S. 54f. Zur Vorstellung, daß deroratorder perfekte Mann sei, da er sich in allen zivilen und politischen Belangen auskennen müsse, vgl. Cic. de or. III, 133f. Zum Ideal des orator vgl. auch S. 188f. 538 Vgl. Alföldy 1980, 22: "Ob der Einzelne in der römischen Welt als eine seltene und exemplarische Figur, ob als einzigartig, unübertrefflich oder gar mit anderen Menschen unvergleichbar galt, so lag der Grund fiir seine Eigenart letztlich nicht in dem, was ihn von seinen Mitmenschen wirklich als Persönlichkeit hätte unterscheiden können, sondern gerade in dem, was ihn mit den anderen verband: in der - nach eigenen Kräften möglichst vollständigen- Befolgung der Vorschriften der Kollektivmoral, welche als mos maiorum die gesamte Gemeinschaft verpflichtete. Die römischen Vorstellungen über seltene oder singuläre Werte, Unübertrefflichkeit oder gar Unvergleichbarkeit verlangten also von dem Individuum bei seinem Auftritt in der Gesellschaft letztlich kaum eine jeweils neue Qualität. Vielmehr lag der individuelle Beitrag zur Kollektivmoral in der ständigen Steigerung der Quantität, oder anders ausgedrückt, in der Verwirklichung immer neuer e..r:emp/a fiir die gleichen Werte." 539 Zum Ideal des puerladulescens sene.x/seni/is vgl. S. 72 und Eyben 1986, 335.
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Caelius ist also frei von den Schwächen seiner Altersgenossen; allerdings hatte Cicero ja eingangs behauptet, daß sein .Mandant Opfer der Rachsucht einer verlassenen Frau, nämlich Clodias geworden sei. Es bleibt also die Frage zu beantworten, ob ein so vorbildlicher adulescens wie Caelius · überhaupt jene Beziehung zu Clodia hätte unterhalten dürfen. Ciceros Anwort lautet ;ja''; ~enn Clodia ist kaum mehr als eine billige Prostituierte, die zudem durch ~hre Anklage des Caelius wie eine echte meretrix von sich reden inachen will:540 "Allerdings hört man dort nicht nur etwas, es tönt vielmehr durch die Gassen: Soweit geht die Hemmungslosigkeit einer einzigen Frauensperson, daß sie keineswegs die Abgeschiedenheit und Dunkelheit, also das übliche Versteck der Unsittlichkeit sucht, nein, in aller Öffentlichkeit, im hellen Tageslicht brüstet sie sich mit ihrem schändlichen Tun und Treiben."541 Die Anklage hatte Caelius konkrete Vergehen vorgeworfen und würde dem Gericht Zeugen in persona für ihre Behauptungen präsentieren können. Cicero, der keine persönlich anwesenden Zeugen zur Verfügung hat - ein Umstand, der gegen Caelius sprechen muß -, verwirft die Anklagepunkte in Bausch und Bogen und deklariert sie als Phantasieprodukt der Iibido einer meretrix. Er führt die Anklagepunkte und vor allem die zu erwartenden Aussagen der Hauptbelastungszeugin ad absurdum. Denn daß Caelius zu Clodia Kontakt hatte, fällt für Cicero in die Kategorie des gesellschaftlich seit jeher gestatteten Umgangs mit Dirnen. Der Gang zu einer Prostituierten kann_ seiner Meinung nach den Ruf eines jungen Mannes demnach kaum in Gefahr bringen: "Wer nun aber der Meinung ist, der Umgang mit Dirnen sei jungen Männem untersagt, der ist, wie könnte ich es leugnen, in der Tat höchst sittenstreng. Aber er entfernt sich damit nicht nur von der großzügigen Moralauffassung unserer Zeit, sondern auch von dem, was bei unseren Vorfahren gewohnt und gestattet war. Wann war das nicht allgemein
540 Vgl. Wiseman 1985, 87. 541 Cic. Pro Cael. 20, 47 ("IIIae vero non loquuntur solum verum etiam personant, huc unius mulieris libidinem esse prolapsam ut ea non modo solitudinem ac tenebras atque haec integumenta non quaerat sed in turpissimis rebus frequentissima celebritate et clarissima luce laetetur.").
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üblich, wann gab es dafür Tadel, wann ein Verbot, wann schließlich war es so, daß man nicht durfte, was man darf?"542 Cicero spielt hier vermutlich auf eine bekannte Anekdote über Cato an, der einen adulescens, den er ein Bordell verlassen sah, lobte, da jener so wenigstens die Ehre der matronae nicht gefährden würde.543 Dasselbe Verhalten unterstellt Cicero seinem Mandanten, obwohl dieser gerade auch der Belästigung von matronae bezichtigt worden war. Da Clodia in der Version Ciceros ihren Status als matrona zugunsten der Existenz einer Hure freiwillig aufgegeben hatte, kann Caelius kein Vorwurf aus seiner Beziehung zu Clodia, über deren Details er sich wohlweislich ausschweigt,544 gemacht werden. Cicero hatte schon in c. 16, 38, also vor seiner großen Apologie der adulescentia, den Lebenswandel und den Charakter Clodias in groben Zügen skizziert. Er beschließt sein Plädoyer für die voluptates der adulescentia wieder unter der fiktionalen Wahrung von Anonymität mit einer noch ausführlicheren Clodia-Charakteristik, um seinem Auditorium nochmals in aller Deutlichkeit die Haltlosigkeit der Anwürfe gegen seinen Klienten vor Augen zu führen. Caelius hat Clodia lediglich als die meretrix behandelt, die sie war; er hat also die Grenzen des gesellschaftlich Gestatteten nie überschritten: "Nehmen wir folgendes an: Eine nicht verehelichte Frau hält ein offenes Haus für alle Lebemänner, sie führt offenkundig das Leben einer Dirne, nimmt regelmäßig an Gelagen wildfremder Männer teil, und sie lebt in diesem Stil hier in der Stadt, in den Gärten, in der Öffentlichkeit eines Badeortes wie Baiae. Sie beträgt sich so - nicht nur durch die Art, wie sie einhergeht, durch ihren Aufputz, ihre Begleitung, die feurigen Blicke und losen Reden, sondern auch durch Umarmungen, Küsse, Strandfeste, Bootspartien, Gastmähler -, daß sie ganz offen als Dirne, ja als dreiste 542 Cic. Pro Cael. 20, 48 ("Verum si quis est qui etiam meretriciis amoribus interdieturn iuventuti putet, est ille quidem valde severus - negare non possuin - sed abhorret non modo ab huius saeculi licentia verum etiam a maiorum consuetudine atque concessis. Quando enim hoc non factitatum est, quando reprehensum, quando non permissum, quando denique fuit ut quod licet non liceret?"). 543 Vgl. Schot. ad Hor. sat. I, 2, 31; weitere Belege bei Austin 1960, 110. 544 Zur Diskussion der Historizität des Verhältnisses zwischen Caelius und Clodia vgl. S. 128 nebst Anm. 478 und Dettenhofer 1992, 85, Anm. 40. Caelius äußerte sich übrigens in seiner Verteidigungsrede eher als enttäuschter abgewiesener Liebhaber denn als ein Favorit, der selbst die Beziehung beendet hatte; vgl. ORF (ed. Malcovati) S. 486, frg. 27: "in triclinio coam, in cubiculo nolam". Die Diskrepanz zwischen der Darstellung Ciceros - Clodia, die verlassene Geliebte- und des Caelius- Caelius, der abgewiesene Galan- ist offenkundig.
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Kokotte erscheint. Wenn sich nun ein junger Mann mit dieser Person einläßt, was ist er dann fiir dich, Herennius: Ist er ein Ehebrecher oder ein · Schwerenöter, wollte er die Keuschheit mit Füßen treten oder lediglich seine Lust befriedigen?"545 Clodia geriert sich in allen Bereichen des weiblichen Lebens in Rom als Antitypus der matrona und verletzt alle Auflagen, die die matrona betrafen: Obwohl sie Witwe ist - Cicero betont zudem, daß sie nicht verheiratet ist -, sucht sie den Kontakt zu fremden Männem, anstatt ihn zu meiden, gibt sie sich ihren libidines hin, statt ihre pudicitia zu wahren, sind ihr Auftreten und ihre Kleidung auffallend, statt dezent zu sein.546 Clodia provoziert die Männer dazu, sie als Hure zu behandeln. Folgerichtig können einem adulescens Kontakte zu ihr - "forte" betont sowohl das Beiläufige als auch das Willkürliche dieser Kontakte, wie sie auch fiir den Verkehr mit Prostituierten gelten -, kaum zum Vorwurf gemacht werden. In der Forschung zur Caeliana ist die Historizität des Verhältnisses zwischen Caelius und Clodia umstritten.547 Meiner Auffassung nach geht diese Diskussion am Kern der Argumentation, besser der Diffamierungskampagne Ciceros vorbei. Da Cicero die Hauptbelastungszeugin als meretrix gebrandmarkt hat, ist die Faktizität des Verhältnisses vollkommen irrelevant. Die wie auch immer geartete Nähe zu einer solchen Frau muß üble Nachrede verursachen, gerade bei einem gutaussehenden adulescens, der ohnehin schneller zum Opfer der fama werden kann, wie Cicero ja eingangs bereits ausgeführt hatte.548 Ursachedieserfama ist aber die Frau, nicht der adulescens. Cicero hatte in seiner praemunitio zwei Ziele verfolgt und erreicht, denn Caelius Wurde freigesprochen: die Verteidigung der adulescentia als einer aetas der Freiräume und die totale moralische Demontage der Zeugin Clodia. Beide 545 Cic. pro Cael. 20, 49 ("Si quae non nupta mulier domum suam patefecerit omnium cupiditati palamque sese in meretricia vita conlocarit, virorum alienissimorum conviviis uti instituerit, si hoc in urbe, si in hortis, si in Baiarum illa celebritate faciat, si denique ita sese gerat non incessu solum sed omatu atque comitatu, non flagrantia oculorum, non libertate sermonum, sed etiam complexu, osculatione, actis, navigatione, conviviis, ut non solum meretrix, sed etiam proterva meretrix procaxque videatur: cum hac si qui adulescens forte fuerit, utrum hic tibi, L. Herenni, adulter an amator, expugnare pudicitiam an explere libidinem voluisse videatur?"). 546 Vgl. das Portrait der Sempronia bei Sall. bell. Cat. 25, das ähnliche Eigenschaften aufweist; zur Darstellung der Sempronia allgemein vgl. Paul 1985. Zum gesellschaftlich geforderten Verhalten der matrona vgl. S. 131f. 547 Vgl. S. 145, Anm. 544. 548 Vgl. S. llOf.
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Themen stehen in engem Zusammenhang zueinander: Caelius mag eine Beziehung zu Clodia unterhalten haben; aber Clodia war Ciceros Utteil zufolge eine meretrix.549Der Kontakt zu ihr fiel also in den Freiraum eines adu/escens, ihre Zeugenaussage, Kernstück der Anklage, mußte deshalb für die Richter ohrie Bede.utung sein. Cicero hatte seiner Apologie der adulescentia die Prosopoeiae des Caecus und des Clodius Puleher vorangestellt und vor diesen Clodia das erste Mal direkt angesprochen. Auch am Ende seiner praemunitio spricht Cicero erneut Clodia an, behauptet, alle Kränkungen der Seinen während seines Exils durch Clodia vergessen zu haben,sso gibt vor, Clodia mit seinen Schmähungen nicht gemeint zu haben und stellt sie vor ein scheinbares Dilemma:55I "Zeige uns also, auf welchem Weg, auf welche Weise wir bei unserer Verteidigung vorgehen sollen. Entweder wird nämlich deine Ehrbarkeit dem Marcus Caelius zur Verteidigung dienen, denn er hat sich niemals etwas gegen dich herausgenommen - oder die Schamlosigkeit wird ihm und allen anderen die beste Verteidigungsmöglichkeit an die Hand geben. "552 Diese Argumentation macht die überragende Bedeutung der Charaktere der Persönlichkeiten, die in einen römischen Prozeß verwickelt waren, deutlich: Die Fakten treten gänzlich vor der fama zurück.553 Denn selbst wenn Clodia freiwillig das Leben einer meretrix führt, selbst wenn sie adulescentes in ihre Netze lockt, könnten ihre Beschuldigungen, objektiv betrachtet, dennoch auf Ciceros Strategie, Clodia als rneretrix zu diffamieren, um ihre Zeugenaussage wertlos zu machen, wird von den lnterpretatoren der Caeliana übereinstimmend hervorgehoben; vgl. Heinze 1925, 236; Stroh 1975, 274; Wiseman 1985, 85; May 1988, 112f. 550 Vgl. Cic. de dom. 59 zur Kränkung Terentias durch Clodius und dessen Familie. 551 Vgl. Pro Cael. 20, 50: "Obliviscor iam iniurias tuas, Clodia, depono memoriam doloris mei; quae abs te crudeliter in meos me absente facta sunt neglego; ne sint haec in te dicta quae dixi." Vgl. hier auch Cic. de dom. 59. 552 Cic. pro Cael. 20, 50 ("Qua re nobis da viam rationemque defensionis. Aut enim pudor tuus defendet nihil a M. Caelio petulantius esse factum, aut impudentia et huic et ceteris magnam ad se defendendum facultatem dabit."). 553 Vgl. May 1988, 113 (zur praernunitio): "Indeed, (Cicero) has established through character the basis for bis defence." und ibid. 167: "(Cicero) interweaves proofby character with proofby other means and, depending on the guilt or innocence ofhis client, the strength of his case, and the amount of proofthat can be established by rational arguments, employs rhetorical ethos accordingly. Where cornpelling, /ogical prooft are lacking, proof based on character oftenfills the breach, overshadowing the realfacts ofthe case and often becoming the focal point of the speech (Hervorhebung von mir)." 549
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Wahrheit beruhen, könnte Caelius dennoch Anschläge. auf Dion und Clodia geplant haben.554 Ciceros narratiolpraemunitio hat ihren Sinn erfüllt: Sie hat in ihrer parteiischen Mitteilung des Sachverhaltes, in ihrer Rehabilitierung der adulescentia und ihres Protagonisten Caelius und in ihrer Diffamierung Clodias das Fundament für die argumentatio gelegt, also den Teil der Rede, in der es die gegnerischen Beweise zu entkräften gilt. Diese Beweise werden fast ausschließlich auf dem Zeugnis Clodias basieren, deren Charakter und deren Glaubwürdigkeit durch die narratio bereits gänzlich zerstört worden sind. Deshalb umfaßt die praemunitio/narratio den weitaus größten Teil der Caeliana. Cicero, der über keine persönlich anwesenden Zeugen in eigener Sache verfügte, zerstörte die Zeugin der Anklage.
554 Gerade diese Möglichkeit will Cicero durch seine bösartige Zeichnung Clodias den Richtern als unwahrscheinlich vor Augen fiihren; zur Unlogik der Argumentation vgl. S. 129, Anm.484.
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5. 4. Die argumentatio (c. 21, 51- c. 29, 69): Geschichten von Gold und Gift
In seiner argumentatio,555 also der konkreten Widerlegung der gegnerischen Beweise, kann sich Cicero ungleich kürzer als in seiner praemunitio/narratio fassen, da er den Kampf der Charaktere zugunsten seines Klienten entschieden hat. Er selbst spricht davon, in der Folge einen "leichten Kurs"556 steuem zu können. Zunächst referiert er die schwerwiegendsten Anklagepunkte gegen Caelius: Caelius soll sich zunächst Gold von Clodia geliehen haben, um die Sklaven des Lucceius, des Gastgebers Dions, zum Mord an dem alexandrinischen Gesandten anzustiften.557 Gegen Caelius spricht der von Cicero nicht erwähnte Umstand, daß Dion der Gastfreundschaft des Lucceius möglicherweise mißtraute und sie zugunsten der eines anderen römischen Senators eintauschte, um dort dennoch von seinem Schicksal ereilt zu werden.558 Außerdem habe sich Caelius Gift verschafft, um Clodia als angebliche Mitwisserin zu beseitigen. Cicero setzt nun auf den Erfolg seiner vorangegangenen Diffamierungskampagne gegen Clodia, um die Darstellung der Gegenseite zu widerlegen: . ,,Angesichts dieser Beschuldigungen stelle ich zunächst folgende Frage: Hat er Clodia gesagt, zu welchem Zweck er sich das Gold lieh, oder hat er ihr es nicht gesagt? Wenn er nichts sagte - warum hat sie es ihm gegeben? Wenn er etwas sagte, dann ist sie als Mitwisserin ebenfalls in das Verbrechen verstrickt. Du hast also kein Bedenken gehabt, das Gold aus deinem Schrein zu nehmen, deine Venus ihres Schmuckes zu berauben, sie, die den Männem alles raubt - obwohl du wußtest, für welch eine Schurkerei dieses Gold bestimmt war. Zur Ermordung eines Gesandten, einer Tat, die den Lucius Lucceius, diesen Mann ohne Fehl und Tadel, auf ewig als Verbrecher brandmarken sollte! Bei einer solchen Untat hätten dein weites Herz, dein volksfreundlich offenes Haus und
555 Zur argttmentatio vgl. Lausberg 1967, 190ff. 556 Vgl. Cic. pro Cael. 21, 51. 557 Zu den Anklagepunkten vgl. Cic. pro Cael. 21, 51. 558 Vgl. Wiseman 1985, 61, der den Giftmordanschlag im Hause des Lucceius als Tatsache annimmt.
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schließlich deine so gastliche Göttin Venus nicht Mitwisser, Mittäter und Mithelfer sein dürfen."559 · · Cicero schreckt hier nicht davor zurück, Clodia in die Nähe eines Verbrechens zu rücken, indem er ihr Mitwisserschaft und vor allem Einverständnis vorwirft. Daß die Anklage behauptet hatte, Caelius habe sich das Gold von Clodia u~ter dem Vorwand geliehen, Spiele veranstalten zu wollen, Clodia also von jeder Mitwisserschaft freizusprechen war, tut Cicero als Lüge der ohnehin verkommenen meretrix ab, um in der Folge auch auf die fides dieser außerehelichen Beziehung zu sprechen zu kommen: "Wenn (Caelius) in so inniger Beziehung zu Clodia stand, wie du (gemeint ist Herennius, d. V.) vorgibst, da du doch so viele Worte machst über seine Liebesleidenschaft, dann hat er doch bestimmt verraten, wozu er das Gold brauchte. War er aber nicht so intim mit ihr, dann hat sie ihm auch nichts gegeben. Um es klar zu sagen: wenn dir Caelius die Wahrheit verriet, du maßloses Weib, dann hast du das Gold wissentlich für ein Verbrechen hergegeben. Wenn er es aber nicht zu sagen wagte, dann hast du ihm auch nichts gegeben."56o Die Verzerrung der gegnerischen Darstellung ist eklatant: Herennius hatte vermutlich allgemein von den Ausschweifungen des Caelius berichtet, seine Zeugin hier jedoch wohlweislich aus dem Spiel gelassen. Cicero schiebt den schwarzen Peter des Iibido- Vorwurfes Clodia zu, unterstellt zudem, daß in ihrer Affäre eine fides geherrscht haben müsse, die eher einer Ehe, zumindest dem
559 Cic. pro Cael. 21, 52 ("Quo quidem in crimine primum illud requiro, dixeritne Clodiae quam ob rem aurum sumeret, an non dixerit. Si non dixit, cur dedit? Si dixit, eodem se conscientiae scelere devinxit. Tune aurum ex armario tuo promere ausa es, tune Venerem illam tuam spoliare ornamentis, spoliatricem ceterorum, cum scires quantum ad facinus aurum hoc quaereretur, ad necem legati, ad L. Luccei, sancitissimi hominis atque integerrimi, labern sceleris sempiternam? Huic facinori tanto tua mens liberalis conscia, tua domus popularis ministra, tua denique hospitalis illa Venus adiutrix esse non debuit."). 560 Cic. pro Cael. 21, 53 ("Si tarn familiaris erat Clodiae quam tu esse vis cum de libidine eius tarn multa dicis, dixit profecto quo vellet aurum; si tarn familiaris non erat, non dedit. Ita si verum tibi Caelius dixit, o immoderata mulier, sciens tu aurum ad facinus dedisti; si non es ausus dicere, non dedisti."). Die Argumentation als solche ist wie bereits an anderen Stellen der Caeliana kaum schlüssig; vgl. S. 129, Anm. 484. Die Anklage hatte ja Clodias "Darlehen" hinreichend damit begründet, daß Caelius habe Spiele, vermutlich in seinem Heimatmunicipium, veranstalten wollen. Vgl. Heinze 1925, 248f. Eine Affäre muß demnach keineswegs die conditio sine qua non des Darlehens gewesen sein.
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Ideal nach, anstünde,561 während er selbst doch noch kurz zuvor das Oberflächliche der Beziehung seines Mandanten zu Clodia betont hatte.562 Diese Argumentation ist also nur eine scheinbare. Sie besticht durch Prägnanz, klärt den tatsächlichen Sachverhalt jedoch nicht im geringsten. In der argumentatio bringt Cicero auch den Hauptzeugen der Ve1teidigung, L. Lucceius ins Spiel, der allerdii1gs nur eine eidesstattliche Erklärung seiner Aussage für Caelius vorlegen ließ, selbst also nicht anwesend war - ein Umstand, der gegen Caelius sprechen mußte -, und baut ihn als positive Parallelfigur zu Clodia auf. Lucceius ist ein "sanctissimus homo atque integerrimus"563, ein "grav1ss1mus testis"564, ein Prototyp römischer Männlichkeit und Gelehrsamkeit: "Ein Mann (ille vir) von solch feinsinniger Bildung, mit solchen Interessen und Studien, solchen wissenschaftlichen Lehren verpflichtet wie hätte er eine Gefahr für Leib und Leben des Mannes unbeachtet lassen können, den er eben wegen dieser gemeinsamen Interessen so schätzte?... Ein solche Untat, von Unbekannten begangen, hätte ihm, we1m er sie erfuhr, schmerzliche Empörung bereitet, und die hätte ihn bei seinen eigenen Sklaven nicht gekümmert?"565 Lucceius ist vir, Clodia lediglich mulier,566 Lucceius verkörpert das Prinzip der Selbstbeherrschung, Clodia dagegen das der Maßlosigkeit, Lucceius kontrolliert als echter paterfamilias seine Sklaven, während Clodia mit den ihren in schamloser Kumpanei lebt, wie Cicero noch einflechten wird.567 Deshalb ist sein schriftliches Zeugnis mehr wert als die Worte Clodias. Noch deutlicher werden diese Gegensätze der Charaktere in Ciceros anschließender Gegenüberstellung:
561 Zur ehelichen.ftdes, die von beiden Gatten zu leisten ist, vgl. Treggiari 1991, 237fT. 562 Vgl. Cic. Pro Cael. 16, 38. Vgl. hier auch Cic. pro Cael. 31, 75. 563 Cic. pro Cael. 22, 54. 564 Ibid. 565 Cic. pro Cael. 22, 54 (,,An ille vir illa humanitate praeditus, illis studiis, illis artibus atque doctrina illius ipsius periculum quem propter haec ipsa studia diligebat, neglegere potuisset et ... (facinus) quod per ignotos actum si comperisset doleret, id a suis servis temptatum esse neglegeret?"). 566 Zum pejorativen Beigeschmack von nmlier im Gegensatz zufemina vgl. Santoro I' Hoir 1992, 29ff. Cicero tituliert Clodia ausschließlich als mulier; vgl. Cic. pro Cael. I, I; 13, 32, 33;15,35; 16,38;20,47;24,60;26,62;29, 70. 567Vgl. S. 154f.
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"Das ganze Verbrechen ist die Erfindung eines .feindlich gesinnten Hauses, voller Ruchlosigkeit, Grausamkeit, Ränke und zügelloser Begierden (totum crimen profertur ex inimica, ex infami, ex crudeli, ex facinerosa, ex libidinosa domo ). Das Haus aber, gegen das sich dieses gräßliche Verbrechen gerichtet haben soll, ist ein Hort von Ehre ilnd Anstand, von Würde, Pflichtbewußtsein und Gewissenhaftigkeit (Domu~ autem il/a quae temptata esse scelere isto nefario dicitur plena est integritatis, dignitatis, offici, religionis), und aus diesem Haus verliest man vor euch ein eidlich bekräftigtes Zeugnis. So geht es also um eine Entscheidung, an der es keinen Zweifel gibt: Hat hier eine verantwortungslose, dreiste und rachsüchtige Frau (temeraria, procax, irata mulier) ein Verbrechen vorgegaukelt, oder hat ein würdiger, charakterfester und besonnener Mann (gravis sapiens moderatusque vir) ein seinem Eid entsprechendes Zeugnis abgelegt?"568 Vordergründig werden die Zeugnisse eines Mannes und einer Frau vor Gericht gewertet. Im Grunde manifestieren sich in dieser Gegenüberstellung jedoch römische Begrifflichkeiten von Weiblichkeit und Virilität. Auf Seiten Clodias stehen alle negativen Eigenschaften, die insbesondere unabhängigen Frauen unterstellt wurden: crudelitas, Iibido, Zügellosigkeit und die Lüge.569 Auf Seiten des Lucceius residieren die Tugenden, die wesentliche Fundament.e der römischen Virilität sind, integritas, dignitas, officium und religio, außerdem Maß und Weisheit. In der zitierten Passage erweist sich Ciceros ganzes sprachliches Können, wenn er die scharfe Antithese mulier-vir dl;lfch Adjektive auf der einen, Substantive auf der anderen Seite illustriert. Die Adjektive beziehen sich auf eine domus, die durch eine ihrer Vertreterinnen depraviert ist, die Substantive symbolisieren in der Härte ihres Ausdrucks die Werte des Männlichen selbst. Das Beweisverfahren konzentriert sich also auch fast ausschließlich auf die fama der Zeugen, der Beschuldigte selbst tritt fast gänzlich in den Hintergrund; Cicero verweist in diesem Kontext fast beiläufig nur auf das ingenium und die 568 Cic. pro Cael. 22, 55 (" ... totum crimen profertur ex inimica, ex infami, ex crudeli, ex facinerosa, ex Jibidinosa domo. Domus autem illa quae temptata esse scelere isto nefario dicitur plena est integritatis, dignitatis, offici, religionis ex qua domo recitatur vobis iure iurando devincta auctoritas, ut res minime dubitanda in contentione ponatur, utrum temeraria, procax, irata mulier finxisse crimen, an gravis sapiens moderatusque vir religiose testimonium dixisse videatur."). 569 Ein weiteres Beispiel für diese Topik wäre für die Späte Republik die Darstellung Fulvias; vgl. Kreck 1975, 213f. mit den entsprechenden Belegen. Diese Topik prägt auch später die taciteische Darstellung der Frauen der domus principis; vgl. S. 26 nebst Anm. 69.
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pntdentia seines Mandanten, die ihn nie hätten auf Sklaven vertrauen lassen,
wäre er zu einem solchen Verbrechen bereit gewesen.570 Cicero gibt im übdgen selbst zu, mit seiner Argumentation der Charaktere die üblichen Bahnen der argu11zentatio verlassen zu haben, um sich ganz auf seinen Zeugen zu stützen. Vor seiner Lucceius-Charakteristik hatte er jedoch bereits betont, daß auch im Sinne einer klassischen argumentatio keine Beweise gegen Caelius sprechen: "Ich könnte in meinen Ausführungen alle Ecken und Winkel nach Verdachtsgründen durchstöbern: kein Beweggrund, kein Ort, keine Gelegenheit, kein Mitwisser, keine Aussicht, die Untat durchzuführen, sie zu tarnen, kein Plan und keine Spur eines solch umfangliehen Verbrechens -nichts wird zu finden sein."571 Mehr im Sinne der klassischen argumentatio verfahrt Cicero mit der Beschuldigung des versuchten Giftmordes an Clodia - er bestreitet die Wahrscheinlichkeit der Vorwürfe: "Nun geht es also noch um die Anschuldigung wegen des Giftes. Hierbei kann ich weder Anfang noch Ende des Knäuels finden. Aus welchem Grunde hätte Caelius dieser Frau Gift verabreichen sollen? Damit er das Geld nicht zurückgeben mußte? Hat sie es denn verlangt? Um eine Anklage von sich abzuwenden? Wer beschuldigte ihn denn? Hätte jemand überhaupt die ganze Sache erwähnt, wenn Caelius selbst nicht als Ankläger aufgetreten wäre? Ihr habt es ja gehört: Herennius Baibus sagte, er wäre dem Caelius mit keinem einzigen Wort zu nahe getreten, wenn dieser nicht zum zweiten Mal, trotz erfolgten Freispruches, gegen seinen Freund (Bestia) eine Klage eingebracht hätte! Soll man also glauben, daß jemand, ohne ein Motiv zu haben, solch ein Verbrechen begeht? Und seht
570 Vgl. Pro Cael. 22, 53: "Possum dicere mores M. Caeli longissime a tanti sceleris atrocitate esse disiunctos; minime esse credendum homini tam ingenioso tamque prudenti (Hervorhebung von mir) non venisse in mentem rem tanti sceleris ignotis alienisque servis non esse credendam." Man beachte die verschiedenen Bezugsebenen des Arguments: die mores allein reichen selbst in Ciceros Darstellung für die Entkräftung des Vorwurfes nicht aus; Talent und Klugheit des Angeklagten müssen Hilfestellung leisten. 571 Cic. pro Cael. 22, 53 ("Possum omnis latebras suspicionum peragrare dicendo; non causa, non locus, non facultas, non conscius, non perficendi, non occultandi malefici spes, non ratio ulla, non vestigium maximi facinoris reperietur.").
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ihr denn nicht: Hier wird ein schweres Delikt erfunden, damit ein Motiv da ist für die Ausführung eines anderen Verbrechens!"572 · Die Anklage gegen Caelius entpuppt sich hier als Teil der Rivalitäten,unter Männern, die gerade in Rom vornehmlich vor Gericht ausgetragen wurden;573 Es galt letztendlich Bestia, der übrigens von Cicero gegen die. Anklage des Caelius verteidigt worden war, zu rächen.574 Clodia wird - wie es sich für eine . meretrix gehört - auf den zweiten Platz verwiesen. Sie hatte sich Ciceros Version zufolge lediglich bereits vorhandener männlicher Rivalitäten geschickt bedient. Das crimen auri war Basis des crimen veneni; da die erste Anschuldigung haltlos ist, muß auch die zweite in sich zusammenfallen. Um Clodia zu vergiften, habe Caelius laut Anklage versucht, sich der Sklaven Clodias als Helfershelfer zu bedienen.575 Diese hätten allerdings ihre Herrin gewarnt. Deshalb habe Clodia eine Giftübergabe in den Bädern des Senia inszenieren lassen, um Caelius zweifelsfrei zu überführen. Cicero führt erneut das auch von der Gegenseite nicht abgesprochene ingenium seines Klienten ins Feld, das sich nicht - ähnlich wie im Falle der Sklaven des Lucceius - auf die wankelmütige Unterstützung von Sklaven verlassen hätte, von Sklaven zudem, die zu einer berüchtigten domus gehörten: "Denn wem ist das nicht klar, ihr Richter, wer wüßte das nicht: Wo die Dame des Hause nach Art einer Kurtisane lebt, wo nichts, was geschieht, nach draußen dringen darf, wo ungewöhnlichen Begierden und Ausschweifungen, ja unerhörten Lastern und Gemeinheiten aller Art gefrönt wird, dort sind Sklaven keine Sklaven mehr. Denn ihnen überläßt man alles, sie führen alles aus, sie nehmen ebenfalls an den
572 Cic. pro Cael. 23, 56 ("Reliquum est igitur crimen de veneno; cuius ego nec principium invenire neque evolvere exitum possum. Quae fuit enim causa quam ob rem isti mulieri venenum dare vel\et Caelius? Ne aurum redderet? Num petivit? Ne crimen harereret? Num quis obiecit? num quis denique fecisset mentionem, si hic nullius nomen detu\isset? Quin etiam L. Herennium dicere audistis verbo se molesturn non futurum fuisse Caelio, nisi iterum eadem de re suo familiari absoluto nomen hic detulisset. Credibile est igitur tantum facinus nullam ob causam esse commissum? et vos non videtis fingi sce\eris maximi crimen ut alterius sceleris suscipiendi fuisse causa videatur ? ''). 573 Diese Möglichkeit, Rivalitäten unter Männem auszutragen, ist Reflex des agonalen Charakters, "der die römische Aristokratie prägt" (Deißmann-Merten 1990, 526, Anm. 88) und wird im Zusammenhang mit dem Ende des tirocinium fori ausführlicher diskutiert werden; vgl. S. 188ft'. 574 Zu Bestia vgl. S. 82. 575 Vgl. hier und zum Folgenden Cic. pro Cael. 25, 61/62.
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Ausschweifungen teil, ihnen vertraut man Geheimnisse an, und ihnen fließt ein guter Teil der tagtäglichen üppigen Verschwendung zu. Das hätte Caelius also nicht gesehen?"576 Hier wird der Verrat Clodias an den Normen der matrona explizit ausgesprochen, ihre Reputation endgültig zerstört: Eine niateifamilias, die Clodia ja noch immer war,577 hätte eher - zumindest römischen Idealvorstellungen nach, die sich immer noch an Ikonen der Weiblichkeit vom Schlage einer Lucretia orientierten - den Tod gewählt, als mit Sklaven einen wie auch immer gearteten Umgang zu pflegen.578 Ciceros Bezeichnung der Clodia als materfamilias wirkt hier also besonders anstößig und illustriert die vermeintliche Pervertierung gesellschaftlicher Normen weiblichen Verhaltens durch Clodia drastisch. Caelius soll das für Clodia bestimmte Gift zunächst an einem Sklaven ausprobiert haben. Diese Unterstellung der Anklage läßt Cicero seinen Ton ändern, der gerade in bezug auf Clodia von Sarkasmus und Ironie bestimmt war. Gift mag im Spiel gewesen sein, so Cicero, aber Gift, das nicht von Caelius, sondern von Clodia und zwar zum Gattenmord benutzt wurde.579 Für Cicero trägt Clodia die Schuld am Tode ihres Gatten, mit dem sie zwar lange verheiratet war, jedoch angeblich in ständigem Zwist lebte.5SO Q. Metellus Celer {praet. 63 v. Chr., cos. 60 v. Chr.) war ein konservativer Aristokrat reinsten Wassers, deshalb ein erbitterter Gegner des Clodius und deshalb auch
576 Cic. pro Cael. 23, 57 ("Quis enim hoc non videt, iudices, aut quis ignorat, in eius modi domo in qua mater familias meretricio more vivat, in qua nihil geratur quod foras proferendum sit, in qua inusitatae libidines, luxuries, omnia denique inaudita vitia ac flagitia versentur, hic servos non esse servos, quibus omnia committantur, per quos gerantur, qui versentur isdem in voluptatibus, quibus occulta credantur, ad quos aliquantum etiam ex cotidianis sumptibus ac luxurie redundet? ld igitur Caelius non videbat?' '). 577 Zur Definition der mateifamilias vgl. Dig. I, 6, 4: "civium Romanorum quidam sunt patresfamiliarum, alii filiifamiliarum, quaedam matresfamiliarum, quaedam filiaefamiliarum. Patresfamiliarum sunt, qui sunt suae potestatis, sive puberes sive impuberes; simili modo matresfamiliarum, filii vero et filiaefamiliarum, qui sunt in aliena potestate." Vgl. hier auch Cic. Top. 3, 14. 578 Zu Lucretia, die sich erst dann dem Willen des Tarquinius Superbus fügte, als jener gedroht hatte, sie nicht nur zu töten, sondern auch die Leiche eines Sklaven an ihre Seite zu legen, vgl. Liv. I, 57, 6- 59, 6. 579 Schon Caelius hatte Clodia des Gattenmordes verdächtigt; vgl. ORF (ed . Malcovati), S. 486, frg. 26: "quadrantariam Clytemestram". Zur angeblichen Erprobung des Giftes an einem Sklaven und zu Clodias angeblichem Gattenmord vgl. Cic. pro Cael. 24, 58 und 60. 580 Zur Ehe von Clodia und Metellus vgl. S. 131.
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notgedrungen ein Freund Ciceros.581 Cicero widmet ihm in der Caeliana einen beeindruckenden Nachruf: · "Ich habe es gesehen, ja, gesehen habe ich es, und dabei· den· wohl bittersten Schmerz meines Lebens verspürt, damals,. als Quintus Metellus vom Schoße und aus den Armen seiner Heimat hinweggerafft wur~e: Dieser Mann, der sich von Geburt an im Dienste unseres Reiches sah, der noch zwei Tage zuvor in der Kurie, auf der Rednerbühne, in Staatsgeschäften geglänzt hatte - in der Blüte seiner Jahre, bei bester Gesundheit und im Vollbesitz seiner Kräfte ist er allen Gutgesinnten, ja der gesamten Bevölkerung auf die unwürdigste Weise entrissen worden. Im Augenblick seines Todes, als sich sein Geist schon von allem übrigen abgewandt hatte, da bewahrte er noch seinen letzten Gedanken für das Wohl des Gemeinwesens. Er sah mich und meine Tränen und gab mir mit stockender und ersterbender Stimme zu verstehen, welch ein Unwetter sich über meinem Haupte zusammenzog, welcher Sturm den Mitbürgern drohte. Er klopfte des öfteren an die Wand, die sein Haus mit dem des Quintus Catulus verband, und nannte häufig den Namen des Catulus, häufig den meinen, häufiger noch aber das Staatswesen. Mehr als sein eigener Tod schmerzte es ihn offenbar, daß die Mitbürger, besonders aber ich, dadurch seines Schutzes beraubt sein würden."582 Die Darstellung vom Tode des Metellus besitzt eine ähnliche Intensität wie die des Catilina zu Beginn der Rede.583 Metellus kann als positives Gegenbild zu Catilina interpretiert werden: Denn beide stehen für konkurriende Modelle römischer Virilität am Ende der Republik. Im Kontext der Rede ist die Darstellung der Todesszene - ein Meisterstück rhetorischer Inszenierung von
581 Zu Q. Metellus vgl. S. l31f. nebst Anrn. 493, Austin 1960, 92f. und Wisernan 1985, 49f.; zur Gegnerschaft zu Clodius vgl. Cic. pro Cael. 24, 60. 582 Cic. pro Cael. 24, 59 ("Vidi enirn, vidi et illurn hausi dolorern vel acerbissirnurn in vita, curn Q. Metellus abstraheretur e sinu grernioque patriae, curnque ille vir qui se naturn huic irnperio putavit tertio die post quarn in curia, quarn in rostris, quarn in re publica floruisset, integerrirna aetate, optirno habitu, rnaxirnis viribus eriperetur indignissirne bonis omnibus atque universae civitati. Quo quidern ternpore ille rnoriens, cum iarn ceteris ex partibus oppressa rnens esset, extrernurn sensurn ad rnernoriarn rei publicae reservabat, curn rne intuens tlentern significabat interruptis ac rnorientibus vocibus quanta irnpenderet procella rnihi, quanta ternpestas civitati et curn parietern saepe feriens eurn qui cum Q. Catulo fuerat ei cornrnunis crebro Catulurn, saepe rne, saepissirne rern publicarn norninabat, ut non tarn se rnori quarn spoliari suo praesidio curn patriarn turn etiarn rne doleret."). 583 Zur Darstellung Catilinas vgl. S. ll2f. und S. ll6f.
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Affekten -584 vor allem in bezug auf Clodia von Belang: Clodia wagt es, von einem Giftmordanschlag zu sprechen, sie, deren Mann ein Inbegriff römischer virtus war und von ihr, der Medea vom Palatin, der Giftmischerin, vergiftet worden sein soll. Eimnal mehr machen die Männer gegen Clodia geschlossene Front: Cicero, so Freund des Metellus wie Feind Clodias, und Metellus selbst, der zu Lebzeiten entschiedener Gegner von Clodias Bruder war und gegen den als Inbegriff vollendeter Männlichkeit Clodias angeblich depravierte Weiblichkeit nur noch verlieren konnte: "Hätte diesen Mann nicht ein plötzliches, gewaltsames Verbrechen dahingerafft, wie wäre er als Konsular seinem rasenden Vetter in die Parade gefahren - hat er doch als Konsul vor dem Senat erklärt, er werde ihn, der damals mit seiner Raserei begann und gewaltig tönte, mit eigener Hand töten? Und aus diesem Hause tritt dieses Weib hervor und wagt es, von einem schnellwirkenden Gift zu sprechen? Fürchtet sie sich nicht vor dem Hause selbst, daß es seine Stimme erheben könnte, schreckt sie nicht zurück vor den Wänden als Mitwissern, vor jener Nacht des Todesschauers und des Jammers?"585 Caelius hatte in seiner Selbstverteidigung Clodia boshaft als "Quadrantaria Clytemestra"586 bezeichnet und ihr so in einem Atemzuge Hurerei und Gattenmord unterstellt. Cicero übernimmt diese Polemik, trennt jedoch beide Vorwürfe. Gilt das Stigma der Clytemestra, also das der heimtückischen Gattenmörderin, für den Tod des Metellus, so setzt er die Verhöhnung als "quadrantaria"587, also als Hure, die für den Tarif eines quadrans, des
584 Zur Bedeutung des movere fiir die römische Gerichtspraxis, das " ... eine (als solche nur momentane, wenn auch in ihrer Wirkung durchaus nachhaltige) seelische Erschütterung des Publikums im Sinne einer Parteinahme fiir die Partei des Redners (bewirkt)", vgl. Lausberg 1967, 142ff. 585 Cic. pro Cael. 24, 60 ("Quem quidem virum si nulla vis repentini sceleris sustulisset, quonam modo ille furenti fratri suo consularis restitisset qui consul incipientem furere atque tonantem sua se manu interfecturum audiente senatu dixerit? Ex hac igitur domo progressa ista mulier de veneni celeritate dicere audebit? Nonne ipsam domum metuet ne quam vocem eiciat, non parietes conscios, non noctem iiiam funestam ac luctuosam perhorrescat?"). 586 Vgl. Quint. inst. or. VIII, 6, 53. 587 Den boshaften Beinamen "quadrantaria"erläutert Cicero im Zusammenhang mit der Frage, wie sich bekleidete Männer in einem Bade hätten verstecken können, in pro Cael. 26, 62: "sin se in intimum conicere vellent, nec satis commode calceati et vestiti id facere possent et fortasse non reciperentur, nisi forte mulier potens quadrantaria (Hervorhebung von mir) illa permutatione familiaris facta erat balneatori."
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männlichen Eintrittsgeldes für die Benutzung der Bäder,588 ,zu haben ist, in seiner Version der Giftübergabe ein, die Caelius überführen sollte. Cicero _fallt wieder seinen ironischen Tonfall zurück, um die Giftübergabe im Stile einer Komödie zu persiflieren.589 Die Geschichte, die sich in den Bädern des Seriia zugetragen haben soll, ist rasch erzählt:590 Caelius habe versucht, Skhiven Clodias zum Mord an ihrer Herrin anzustiften. Diese hätten allerdings Clodia informiert. Clodia selbst habe den Sklaven befohlen, zum Schein auf Caelius' Wünsche einzugehen, und als Treffpunkt der Giftübergabe die Bäder des Senia festgesetzt, um Caelius zweifelsfrei zu überführen, und dort ihr ergebene junge Männer postiert, um einen Licinius, der für Caelius das Gift übergeben sollte, auf frischer Tat zu ergreifen. Das Manöver scheiterte: Licinius ergriff die Flucht, ohne daß die belastende pyxis veneni in die Hände der Anhänger Clodias fiel. Cicero hält die ganze Geschichte für eine Komödie; seine Erzählung trieft von Hohn und Spott: bekleidete Männer, die sich in einem Bade verstecken, eine Befehlshaberin, die sich als quadrantaria verdingt hat, um ihren Jüngelchen Einlaß zu verschaffen, einer Schar verkommener junger Männer, der es nicht gelingt, einen Schwächling - Licinius - zu überwältigen. Anders als Licinius sind die Anhänger Clodias als Zeugen geladen: für Cicero mehr als willkommener Anlaß, den iuvenes der Clodia alle Fehler ihrer aetas zuzuschreiben und einen herben Kontrast zu seinem Schützling zu entwerfen: "Diese Zeugen erwarte ich nun allerdings, ihr Richter, ganz ohne Besorgnis, ja ich erhoffe mir im Gegenteil einiges Vergnügen von ihnen. (67) Ich bin richtig gespannt darauf, sie zu sehen, zum einen die sauberen Jüngelchen (lautos iuvenes), die trauten Freunde der reichen feinen Dame, zum anderen aber die tapferen Helden, die auf Befehl ihrer Kommandeuse in den Bädern versteckt Posten bezogen ... mögen sie bei ihren Gelagen noch so witzig und schlagfertig sein und beim Wein mitunter auch beredt sein, auf dem Forum braucht man ein anderes Stehvermögen als im Eßzimmer, auf Gerichtsbänken Platz zu nehmen ist etwas anderes als auf dem Speisesofa. Es ist nicht das Gleiche, ob man Richter vor sich hat oder seine Zechkumpane ... Daher werden wir ihnen alle ihre Frivolitäten und Albernheiten austreiben, wenn sie hier auftreten. 588 Vgl. Austin 1960, 124. 589 Dieser abrupte Stimmungswechsel von tränenreicher Theatralik hin zu Spott und Ironie, dieses gekonnte Spiel auf der Klaviatur der Emotionen dürfte selbst für eine Cicerorede einmalig sein und mit dazu beigetragen haben, daß die Caeliana zu den Meisterstücken Ciceros zählt; vgl. Gelzer 1969, 166. 590 Zur gescheiterten Giftübergabe vgl. Cic. pro Cael. 25, 62 - 28, 66.
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Doch sie sollen auf mich hören: Tummelt euch auf einem anderen Feld, sucht euch anderswo beliebt zu machen, tut euch bei anderen Gelegenheiten hervor, entfaltet meinetwegen euren Channe bei eurer Dame, spielt die großen Herren beim Geldausgeben, hängt an ihr, liegt ihr zu Füßen, dient ihr sklavisch - aber haltet euch fem von Leib und Leben eines Unschuldigen."59t Den Richtem muß bei dieser sarkatischen Beschreibung der iuvenes Clodias iuvenis ist, wie gezeigt, in der Caeliana immer der negative Gegenbegriff zum adulescens _592 die Lobeshymne auf den adulescens Caelius vor Augen gestanden haben. Die Anhänger der Clodia mögen im Rausch rednerische Talente offenbaren, Caelius tat und tut dasselbe, allerdings nüchtem auf dem Forum, vor den strengen Augen der Öffentlichkeit Roms; die Anhänger Clodias geben sich der /u.;r:uria hin, Caelius hätte dasselbe Cicero zufolge als angehender orator nie tun können, ohne seiner Profession entsagen zu müssen; die iuvenes sind Clodia sklavisch ergeben, während Caelius, wenn überhaupt, nur eine oberflächliche Affäre mit ihr unterhielt, ohne sich gänzlich in ihren Bann ziehen zu lassen.593 Die iuvenes Clodias haben vor allem auch die von Cicero aufgestellten Regeln der adulescentia verletzt, indem sie Hilfestellung dazu leisteten, Caelius' Leben und Existenz zu gefährden.594 Cicero hält die ganze Geschichte für eine Schmierenkomödie, ungeachtet der Tatsache, daß Clodia tatsächlich an den geplanten Giftanschlag geglaubt zu
591 Cic. pro Cael. 28, 66/67 ("Quas quidem ego, iudices, testis non modo sine ullo timore sed etiam cum aliqua spe delectationis exspecto. (67) Praegestit animus iam videre, primum lautos iuvenes mulieris beatae ac nobilis familiaris, deinde fortis viros ab imperatrice in insidiis atque in praesidio balnearum conlocatos ... quam valent in conviviis faceti, dicaces, non numquam etiam ad vinum diserti sw1t, alia fori vis est, alia triclini, alia subselliorum ratio, alia lectorum; non idem iudicium commisatorumque conspectus... Quam ob rem excutiemus omnis istorum delicias, omnis ineptias, si prodierint. Sed me audiant, navent aliam operam, aliam ineant gratiam, in aliis se rebus ostentent, vigeant apud istam mulierem venustate, dominentur sumptibus, haereant, iaceant, deserviant; capiti vero innocentis fortunisque parcant. "). 592 Vgl. S. 123f. 593 Vgl. Cic. pro Cael. 31, 75: "In hoc flexu quasi aetatis- nihil enim occultabo fretus humanitate ac sapientia vestra - fama adulescentis paululum haesit ad metas notitia nova eius mulieris et infelici vicinitate et insolentia voluptatum ... Qua ex vita vel dicam quo ex sermone -nequaquam enim tantum erat quantum homines loquebantur - verum ex eo quicquid erat emersit totumque se eiecit atque extulit, tantumque abest ab illius familiaritatis infamia ut einsdem nunc ab sese inimicitias odiumque propulset" 594 Zu Ciceros Regeln für die adulescentia vgl. S. 139f.
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haben scheint:595 "So geht es auch hier in dieser ganzen Schmierenkomödie - ·in Szene gesetzt von einer gewiegten Fabulierkünstlerin, die einen reichen Stoff solcher Fabeleien auf Lager hat: Da fehlt ein roter Faden, da läßi. sich kein richtiger Schluß finden. "596 · · Und: ,,Kein schlagender Beweis in dieser Sache, kein verdächtiger Umstand in diesem Fall, kein Ziel und kein Zweck bei diesem Verbrechen, nichts wird sich finden lassen. "597 Auch hier kann Cicero auf bereits geleistete Vorarbeit zurückgreifen, die Diffamierung Clodias als einer meretrix, die bereit ist zu lügen, um Rache zu nehmen. Letztendlich erweist sich die ganze Geschichte als komödiantische Farce, passend zu den zum Zeitpunkt des Prozesses stattfindenden Megalensien. Einzig diepyxisbesitzt Realität, die pyxis, die Clodia zum Stadtgespött machte, deren ltlhalt allerdings der Nachwelt unbekannt geblieben ist: ,,Da wundem wir uns noch, wenn diese Fabelbüchse (commenticiam pyxidem) der Ausgangspunkt war für eine recht unanständige Geschichte! Es gibt ja nichts, was man sich bei einer Frauensperson dieser Art nicht vorstellen könnte. Die Sache ist jedenfalls bekannt und geht von Mund zu Mund... Wenn das Ganze wirklich ins Werk gesetzt wurde, dann sicher nicht von Caelius, - denn was hätte es ihm gebracht? - sondern von irgendeinem jungen Mann (ab a/iquo adulescente), der zwar Witz hat, aber keinen Anstand. Ist es jedoch eine Erfindung, dann handelt es sich um eine nicht gerade anständige, doch immerhin witzige Lügengeschichte. Sie wäre wahrhaftig niemals so zum Gesprächsstoff der Leute geworden, wenn nicht all solche Frivolitäten nur zu gut zu jener Dame paßten (nisi omnia quae cum turpitudine aliqua dicerentur in istam quadrare apte viderentur)."598 595 Vgl. Heinze 1925, 250 (crimen auri) und 252 (crimen veneni). 596 Cic. pro Cael. 27, 64 ("Velut haec tota fabella veteris et plurirnarum fabularum poetriae quarn est sine argumento, quarn nullum invenire exiturn potest.").
597 Cic. pro Cael. 28, 66 ("Nullum argurnenturn in re, nulla suspicio in causa, nullus exitus crirninis reperietur."). 598 Cic. pro Cael. 29, 69 ("Hic etiarn rnirarnur, si illam cornmenticiam pyxidern obscenissima sit fabula consecuta? Nihil est quod in eius modi rnulierern non cadere videatur. Audita et
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Der Schluß der argumentatio ist nicht nur durchsetzt von versteckten Obszönitäten - Der Inhalt der ominösen "pyxis" besaß vermutlich wie der Begriff "pyxis" selbst eine obszöne Bedeutung,599 "quadrare" nimmt die Beschimpfung als "quadrantaria" geschickt wieder auf -, sondern er variiert nochmals das Thema adulescens-meretrix: Ist Clodia einem bösartigen Scherz zum Opfer gefallen, dann verdient durch den Witz nicht eines iuvenis, sondern eines adulescens.6oo Daß die ganze Geschichte überhaupt so aufgebauscht worden ist , ist letztendlich der infamia Clodias zuzuschreiben. Die ·argumentatio der Caeliana widerlegt die Hauptzeugin durch Zeugen, so durch die Konfrontation Lucceius-Clodia, so indirekt durch die Konfrontation Metellus-Clodia, so letztendlich indirekt auch durch die Darstellung der iuvenes auf Seiten Clodias, die im Vergleich mit Caelius nur negativ abschneiden können. Sie ist weniger ein Beweis- als ein Zeugenverfahren, da konkrete Beweise gegen Caelius nicht vorlagen. So wie Caelius und die adulescentia im Mittelpunkt der praemunitio standen und die Grundlagen der Diffamierung Clodias gelegt wurden, so tritt in der argumentatio die Person des Anklagten zu Gunsten der angeblichen Ränke Clodias fast gänzlich zurück. Caelius wurde freigesprochen; dies war in erster Linie der erfolgreichen Inkriminierung der Zeugin Clodia zu danken: Denn in Clodia vernichtete Cicero gleichsam in effigie eine Weiblichkeit, deren Gebaren von denjenigen Zeitgenossen, die sich an den traditionellen Werten der res publica orientierten - und das dürfte die Mehrheit der Senatsaristokratie und der vertreteneneu Geschworenen gewesen sein , als Bedrohung der eigenen Handlungsspielräume empfunden wurde. In Caelius dagegen wurde die adulescentia der Republik rehabilitiert, die adulescentia, auf die sich die marode res publica stützen mußte, um weiterhin Bestand haben zu können, wie Cicero abschließend in seiner peroratio noch betonen wird.
percelebrata sermonibus res est... Quod etiam si est facturn, certe a Caelio quidern non est facturn - quid enirn attinebat? - est enirn ab aliquo adulescente fortasse non tarn insulso quarn inverecundo. Sin autern est ficturn, non illud quidem rnodesturn sed tarnen est non infacetum mendacium; quod profecto numquam hominurn sermo atque opinio comprobasset, nisi omnia quae cum turpitudine aliqua dicerentur in istam quadrare apte viderentur."). 599 Vgl. Quint. inst. or. VI, 3, 25: "facto risus conciliatur interim admixta gravitate ... interim sine respectu pudoris, ut in illa pyxide Caeliana, quod neque oratori neque ulli viro conveniat." 600 Von der dezidierten Verwendung der Begriffe adulescensliuvenis ist bereits gesprochen worden; vgl. S. 123f. In der oben zitierten Passage schreibt Cicero den geschmacklosen Scherz ausdrücklich einem adulescens zu.
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5. 5. Die peroratio (c. 29, 70 .,.. c. 32, 80): Der adulescens als Garant der res publica
Ziele der peroratio, des letzten Teils der Rede, sind die Gedächtnisauffiischung. des Auditoriums, also die Rekapitulation der wichtigsten Fakten, und der Appell an die Affekte des Richterkollegiums.601 Häufig nimmt die peroratio die Themata des exordium wieder auf, so auch in der Caeliana. Cicero wiederholt die Unrechtmäßigkeit einer Anklage des Caelius de vi und die nunmehr durch seine Rede untermauerte Tatsache, daß Caelius - wie andere Männer vor ihm Opfer der Willkür einer Frau geworden sei:602 "Und diesem Gesetz soll nun die adulescentia des Caelius ausgeliefert werden: nicht um Verbrechen gegen den Staat zu büßen, sondern um der Lust (ad mulieris libidines) und Freude eines Weibes willen!"603 Die Schlüsselworte dieser Einleitung der peroratio sind wieder die adulescentia und die Iibido; deutete das exordium deren Bedeutung für den Prozeß an, so gilt für die peroratio die adulescentia als rehabilitiert und ist die Iibido Clodias in ihren Zerstörerischen Auswirkungen erwiesen. Cicero läßt in der Folge nochmals die wichtigsten Stationen der Biographie seines Mandanten Revue passieren. Für diese Ausführlichkeit findet sich in keiner anderen Rede Ciceros eine Parallele, indirektes Indiz für die schlechte fama, die sein Klient vermutlich in der Tat besessen haben muß und die deshalb den schlüssigen Hauptangriffspunkt der Anklage dargestellt hatte.604
601 Zur peroratio vgl. Lausberg 1967, 236: "Die peroratio ... hat zwei Ziele: Gedächtnisauffrischung ... und Affektbeeinflussung..." 602 Um die Unrechtmäßigkeit der Anklage de vi nachzuweisen, diskutiert Cicero hier den ansonsten unbekannten Fall der Anklage eines M. Camurtius und C. Casemius, den die Anklage bereits erwähnt hatte, um die mögliche Bandbreite von Anklagen de vi zu demonstrieren: Die beiden Angeklagten hatten eine Beleidigung Clodias durch einen Vettius gerächt, indem sie ein stuprum an ihm verübt hatten. Cicero zufolge fiel diese Tat strenggenommen nicht unter die Iex de vi; beide Fälle haben Clodia als angebliche Drahtzieherio gemein; vgl. Cic. pro Cael. 30, 71. 603 Cic. pro Cael. 29, 71 (" ... hac nunc lege Caeli adulescentia non ad rei publicae poenas sed .ad mulieris libidines et delicias deposcitur."). 604 Vgl. Heinze 1925, 253: " ... ganz ungewöhnlich ist es, daß nun hier erst der Redner eine vita des Klienten gibt, wie sie ihm erscheint (72 - 77)... Wie der Platz, der ihr angewiesen ist, so ist auch die Ausfiihrlichkeit der Caeliusvita beispiellos. Man erkennt hier von neuem, daß
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Zunächst betont Cicero, daß Caelius' Aspirationen auf den Gewinn von dignitas durch das Anstreben des "cursus laudis" abzielten, also sich im korrekten und . gewünschten gesellschaftlichen Rahmen männlichen Verhaltens bewegten:6os "Er hat sich in seinen Jugendjahren dem Lernen gewidmet, den Fächern, die uns auf die Gerichtstätigkeit hier wie auf die politische Laufbahn vorbereiten, also auf Ehrenstellen, Ruhm und Ansehen. Bei seinen Freundschaften mit Älteren ging es ihm darum, ihre Tüchtigkeit und . Charakterfestigkeit nachzuahmen. Sein Umgang mit Gleichaltrigen erwies, daß er dieselbe ehrenvolle Laufbahn (cursum /audis) einzuschlagen gedachte wie die Besten und Vornehmsten."606 Um die Richter zu vollends überzeugen, betont Cicero am Ende seiner Rede Caelius' Bestreben, der gesellschaftlichen Norm in vorbildlichem Ausmaß zu entsprechen. In den Kreisen der Männer wählt er Vorbilder höchster moralischer und gesellschaftlicher Integrität. Daß seine Freundschaft mit Catilina hier verschwiegen wird, versteht sich von selbst. Aus der Provinz Africa zurückgekehrt und mit bestem Leumund versehen, wählte Caelius die politische Laufbahn, auch hier im Einklang mit den Forderungen der Werte Roms, die für ihre Männer galten: "Sodarin wollte er dem altangesehenen Brauch entsprechend und nach dem Beispiel junger Männer, die später in diesem Staate bedeutende Männer und höchst angesehene Bürger geworden sind, dem römischen Volk seine Einsatzbereitschaft beweisen, indem er eine aufsehenerregende Anklage einbrachte. "607
die defensio vitae dem Cicero als die wesentlichste Aufgabe nicht nur seiner Rede, sondern der gesamten Verteidigung erschien." 605 Zur absoluten Pflicht derjenigen, "qui habent a natura adiumenta rerum gerendarum", sich dem Dienste im und am Staate zu widmen, vgl. auch Cic. de off. I, 21, 72. 606 Cic. pro Cael. 30, 72 ("Cuius prima aetas disciplinae dedita fuit eisque artibus quibus instruimur ad hunc usum forensem, ad capessendam rem publicam, ad honorem, gloriam, dignitatem. Eis autem fuit amicitiis maiorum natu quorum imitari industriam continentiamque maxime vellet, eis studiis aequalium ut eundem quem optimi ac nobilissimi petere cursum Iaudis videretur. "). 607 Cic. pro Cael. 30, 73 ("Voluit vetere instituto et eorum adulescentium exemplo qui post in civitate summi viri et clarissimi cives exstiterunt industriam suam a populo Romano ex aliqua in Justri accusatione cognosci. ").
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Auch hier eiWeist sich Caelius als mustergültig in Erfiillung der Regeln der adulescentes: Er beendet sein tirociniumfori mit der Anklage ·des C. Antonius und triumphiert sogar über seinen einstigen Lehrer Cicero; er unterwirft sich dem Urteil der Öffentlichkeit und akzeptiert von diesem Zehpunkt an . die dauernde Kontrolle durch sie. Deshalb führt er auch nach dem Sieg über Antonius, glaubt man Cicero, ein Leben im Dienste der Öffentlichkeit und r~ibt sich in seiner Tätigkeit auf dem Forum auf. 60S · Die Affare mit Clodia, begonnen nach dem ersten Prozeßsieg und dem Umzug auf den Palatin, ist kein Ergebnis ungezügelter Leidenschaften - Caelius zeichnete sich laut Cicero ja im Gegenteil durch Selbstbeherrschung und unermüdlichen Arbeitswillen aus -, sondern Folge eben jener Selbstbeschränkung, die für den perfekten orator eigentlich conditio sine qua non ist: " ... da also ist der junge Mann gleichsam mit seinem guten Ruf ein wenig an der Wendemarke hängengeblieben - schuld waren die neue Bekanntschaft mit der gewissen Dame, die unselige Nachbarschaft und das ungewohnte Feuer der Leidenschaften. Wenn man sie allzu lange unter Verschluß hält und in früher Jugend gezügelt und gebändigt hat, dann brechen sie mitunter ganz plötzlich hervor und greifen gewaltsam um sich. Von diesem Leben und Treiben, oder soll ich lieber sagen: von alldem, was da Gesprächsstoff bot- es war nämlich nie so viel daran, wie es das Geschwätz der Leute wollte -, hiervon also, was es auch war, machte er sich frei, er riß sich ganz und gar los und li~ß es hinter sich: nicht nur, daß er keine ehrenrührige Beziehung mehr zu dieser Frau unterhält- er muß sich ganz Gegenteil nun ihrer Feindschaft und ihres Hasses eiWehren. "609
608 Vgl. Cic. pro Cael. 31, 74: "Postea nemini umquam concessit aequalium plus ut in negotiis versaretur causisque amicorum, plut ut valeret inter suos gratia. Quae nisi vigilantes homines, nisi sobrii, nisi industrii consequi non possunt, omnia Iabore et diligentia est consecutus." 609 Cic. pro Cael. 31, 75 (" ... fama adulescentis paululum haesit ad metas notitia nova eius mulieris et infelici vicinitate et insolentia voluptatum, quae, euro inclusae diutius et prima aetate compressae et constrictae fuerunt, subito se non numquam profundunt atque eiciunt universae. Qua ex vita vel dicam quo ex sermone - nequaquam enim tantum erat quantum homines loquebantur - verum ex eo quicquid erat emersit totumque se eiecit atque extulit, tantumque abest ab illius familiaritatis infamia ut eiusdem nunc ab sese inimicitias odiumque propulset").
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Hier erst gibt Cicero die Antwort auf die Frage, die sich dem Richterkollegium angesichts der langen apologia adulescentiae in der praemunitio aufdrängen mußte, warum denn so viele Worte um die Leidenschaften der adulescentes gemacht werden mußten, wenn Caelius als orator diese doch unter Kontrolle haberi mußte. Cicero suggeriert, gestützt auf seine Theorie der adulescentia als Zeit der naturgewollten Leidenschaften,610 daß Caelius nur deshalb in die Fänge Clodias geraten konnte, weil er der natura eben zu lange nicht gehorcht habe; ein läßlicher Fehler, da er vom außergewöhnlich großen Wunsch seines Klienten zeugt, sich Iabor und disciplina zu unterwerfen. Cicero kann das Verhältnis zu Clodia hier deshalb endgültig als Bagatelle abtun, da ihr Ruf von ihm bereits in jeder Hinsicht in Zweifel gezogen worden ist. Außerdem hatte Caelius ja Cicero zufolge die Beziehung zu Clodia sofort abgebrochen, sobald sein Ruf in Gefahr geriet, also die von einem adulescens erwartete Selbstbeherrschung, die sich an das Ausleben der cupiditates anschließen muß, an den Tag gelegt. Cicero motiviert Caelius' mehrfache Anklagen des Bestia- wahrer Grund ftir die Anklage des Caelius, wie ja Herennius zugegeben hatte - mit dessen Wunsch, das Gerede über seinen Lebenswandel zum Schweigen zu bringen, also auch hier wird die negative Version der Anklage ins Positive umgedeutet: ,,Auf niemand von uns will (Caelius) hören, er geht mit mehr Ungestüm vor, als mir lieb ist. Doch ich will nicht der Besonnenheit das Wort reden, die nicht zu diesem Alter gehört, von seinem Feuergeist rede ich, von seinem Ehrgeiz zu siegen, von seinem glühenden Verlangen nach Ruhm (de impetu animi loquor, de cupiditate vincendi, de ardore mentis ad gloriam). Bei Männern in unserem Alter äußern sich diese Neigungen in etwas gedämpfter Form, so gehört es sich, bei der Jugend aber zeigt dies wie bei den Pflanzen an, was die spätere Reife an virtus bringt, welche reichen Früchte dieser Eifer tragen wird. Man hat hochgesinnte junge Männer in ihrem Ehrgeiz schon immer eher zügeln als anspornen müssen; es geht bei diesem Alter, wenn es seine Talente entfaltet, eher um das Zurechtstutzen als um das Aufpropfen. "611
610 Zur natura vgl. S. 125f. 611 Cic. pro Cael. 31, 76 (" ... nemini nostrum obtemperat, est violentior quam vellem. Sed ego non loquor de sapientia, quae non cadit in hanc aetatem; de impetu animi loquor, de cupiditate vincendi, de ardore mentis ad gloriam; quae studia in bis iam aetatibus nostris contractiora esse debent, in adulescentia vero tamquam in herbis significant quae virtutis maturitas et quantae fruges industriae sint futurae. Etenim semper magno ingenio adulescentes refrenandi
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Hier spricht Cicero sein Schlußwort zu seiner Theorie von der adulescentia. Befaßte sich Cicero in der praemunitio mit den cupiditates der jungen Männer, so kommt er hier auf die politische Bedeutung der adulescentes zu sprechen. Ähnlich wie die cupiditates, die sich im Laufe der Zeit zügeln und :einen .· beherrschten adulescens zurücklassen werden, wird der "inipetus animi~\ die "cupiditas vincendi", der "ardor mentis ad gloriam", Cicero hier unbedingt positive Charakteristika des adulescens,612 in echte virtus und industria im. Dienste der res publica einmünden. Angesichts des zukünftigen Nutzens des adu/escens Caelius für das Gemeinwesen müssen ihm - vor allem in einer Zeit, in der die Meinungen über die adulescentes von humanitas getragen sein sollten _613 äußere Schwächen, die nur vorübergehend sind, verziehen werden:
für
"Wenn also jemand meint, Caelius habe gar zu hitzig Feindschaften gesucht, ungestüm und halsstarrig wie er war, oder falls jemand an solchen Lappalien Anstoß nimmt wie an der Purpurfarbung seiner Kleider, den Scharen seiner Freunde, an seinem eleganten Auftreten, seinem bestechenden Äußeren: Das klärt sich bald ab, das wird das Alter, die Lebenserfahrung, die Zeit bald mildem. (32) Erhaltet daher, ihr Richter, dem Staat einen Bürger, der eine gute Veranlagung hat, die gute Sache vertritt und auf der Seite gutgesinnter Männer steht. Das verspreche ich euch und gelobe es dem Staat: so wahr ich selbst immer meine Pflichten dem Staatswesen gegenüber erfüllt habe, wird dieser Mann hier niemals von unseren politischen Grundsätzen_ abweichen. Ich verspreche dies im Vertrauen auf unsere Freundschaft, zumal da er sich selbst bereits an die strengsten Richtlinien gebunden hat. "614
potius a gloria quam incitandi fuerunt; amputanda plura sunt illi aetati, si quidem efflorescit ingeni laudibus, quam inserenda."). Vgl. hier auch Cic. de or. ß, 88: "volo enim se efferat in adulescente fecunditas; nam facilius sicut in vitibus revocantur ea, quae se nimium profuderunt, quam, si nihil valet materies, nova sarmenta cultura excitantur; item volo esse in adulescente, unde aliquid amputem; non enim potest in eo sucus esse diuturnus, quod nimis celeriter est maturitatem exsecutum (Hervorhebung von mir)." 612 Anders Cic. de off. I, 15, 47: "sed benevolentiam non adulescentulorum more ardore quodam amoris (Hervorhebung von mir), sed stabilitate potius et constantia iudicemus." 613 Zurhumanitas vgl. S. 124. 614 Cic. pro Cael. 31132, 77 ("Qua re, si cui nimium effervisse videtur huius vel in suscipiendis vel in gerendis inimicitiis vis, ferocitas, pertinacia, si quem etiam minimorum horum aliqujd offendit, si pupurae genus, si amicorum catervae, si splendor, si nitor, iam ista deferverint, iam aetas omnia, iam res, iam dies mitigarit. (32) Conservate igitur rei publicae, iudices, civem bonarum artium, bonarum partium, bonorum virorum. Promitto hoc vobis et
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Zeigt sich Caelius in seinem äußeren Auftreten als echter Vertreter eines spätrepublikanischen Dandytums, so sprechen seine bisher verfolgte Laufbahn - die Verfolgung ·des Antonius ist nicht mit etwaigen aufruhrensehen Bestr~burtgen zu vereinbaren, ebensowenig Caelius' Anklage Bestias de ambitu mit Bestechungen - und seine Freundschaft mit Cicero, der hier explizit eine Vatenolle mit der entsprechenden Verpflichtung, das Schicksal seines "Sohnes" zu seinem· eigenen zu machen, übernimmt, dagegen eine andere Sprache: Caeiius steht auf Seiten der boni, der Mätmer, die unabhängig von Alter und Stand, für den Erhalt der res publica eintreten_615 Abschließend führt Cicero das Gegenbeispiel des Sextus Cloelius, der rechten Hand des Clodius Pulcher, an, der kurz vor dem Prozeß gegen Caelius freigesprochen wurde, angeblich auch mit der Unterstützung Clodias.616 Während sich Cloelius Cicero zufolge in allen Bereichen seines privaten und öffentlichen Lebens schwer kompromittiert hatte, ist der adulescens Caelius unschuldig, Opfer einer Frau, die verstrickt ist in Inzest und bodenlose politische Machenschaften- der Kreis zumexordiumhat sich geschlossen: "Nun duldet ihr es nicht, (Richter), daß in unserem Staat solch einer durch Weibergunst freigesprochen wird, ein Marcus Caelius aber einer Weiberlaune zum Opfer fällt. Es schiene sonst so, als habe ein und dieselbe Frauensperson im Verein mit ihrem Mann und Bruder einen schändiichen Räuber gerettet und einen äußerst ehrenwerten adulescens ruiniert. "617
rei publicae spondeo, si rnodo nos ipsi rei publicae satis fecirnus, nurnquarn hunc a nostris rationibus seiuneturn fore. Quod curn fretus nostra familiaritate prornitto, turn quod durissirnis se ipse legibus iarn obligavit."). 615 Zur patemalen AttitüdeCicerosan dieser Stelle vgl. May 1988, 115f.: "Caelius, the dient, and bis efforts are identified with Cicero, the pah·onus, who, as the great consular orator, guarantees the young man's allegiance to the state. Through this identification Cicero speaks for Caelius and, in a sense, becomes Caelius, working as the comic hero who searches for extrication from bis troubles and victory over those who would oppose hirn. Cicero's persona as the understanding, supportive, and merciful father is an extension of this role and works to effect the sarne resul t." 616 Vgl. Cic. pro Cael. 32, 78. Zu Cloelius, dem wohl treuesten und deshalb Cicero verhaßtesten Anhänger des Clodius vgl. Will 1991, 169, Anrn. 114. 617 Cic. pro Cael. 32, 78 (" ... in ea civitate ne patiamini illum absolutum rnuliebri gratia, M. Caeliurn libidini muliebri condonaturn, ne eadem rnulier cum suo coniuge et fratre et turpissirnum latronem eripuisse et bonestissimurn adulescentem oppressisse videatur.").
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Mag die peroratio der Caeliana untypisch in ihrer ausführlichen erneuten Würdigung der vita Caeli sein, ihr Ende entspricht der Tradition:. ein gefühlsschwangerer Appell an die Richter, die selbst liebevolle Vät.er und liebende Söhne sind, dem greisen Vater nicht den einzigen Sohn, die Stütze seines Alters, zu entreißen, zumal dieser Sohn ein Pfand fti.r die Sicherheit der · res publica, ihrer Väter und Söhne sein wird: .· . . "Bewahrt den Sohn für den Vater, den Vater fti.r den Sohn- es soll nicht aussehen, als hättet ihr das schon fast aller Hoffnung beraubte Alter verachtet oder einer hoffnungsvollen Jugend den Nährboden entzogen, ja sie niedergetreten und zerschlagen. Wenn ihr Caelius aber für uns, für die Seinen, für den Staat erhaltet, dann werdet ihr einen Mann an ihm haben, der euch und euren Kindem zugetan, ergeben und verpflichtet ist. Und ihr seid es, ihr Richter, die in besonderem Maße die reichen und dauerhaften Früchteall seiner Mühen und Anstrengungen ernten werdet."618 Die Caeliana hat vor allem über einen adulescens gesprochen, und sie hat die wesentlichen Wegmarken und Aspekte einer adulescentia skizziert. Mag die Rede im wesentlichen unpolitisch sein, ist sie vielleicht gerade deshalb als Dokument für die entscheidende Phase einer männlichen Biographie in Rom interessant: Denn sie spricht das wesentliche Integrationsmodell für junge Männer, das tirociniumfori, an und lebt von den Duellen unter jungen und alten Männem (Cicero-Atratinus, Caelius-Atratinus) genauso wie vom Kampf der Geschlechter (Cicero-Clodia, Caelius-Clodia). Sie präsentiert außerdem in unglaublicher Dichte prägnante Skizzen möglicher männlicher Vorbilder vom genitor (Caelius pater) über den gescheiterten Revolutionär (Catilina) bis hin zum perfekten vir (Metellus). Die Ergebnisse meiner Interpretation der Caeliana sollen deshalb in der Folge nochmals zusammengefaßt werden.
618 Cic. pro Cael. 32, 80 ("Conservate parenti filium, parentern filio, ne aut senectutem iam prope desperatam contempsisse aut adulescentiam plenam spei maximae non modo non aluisse vos verum etiam perculisse atque adflixisse videamini. Quem si nobis, si suis, si rei publicae conservatis, addictum, deditum, obstrictum vobis ac liberis vestris habebitis omniumque huius nervorum ac laborum vos potissimum, iudices, fructus uberes diutumosque capietis. ").
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5. 6. Zusammenfassung: Die Darstellung der adulescentia in der Caeliana Ciceros Pro Caelio kann als einzige in sich geschlossene Abhandlung über den Lebensabschnitt der adulescentia gelesen werden. Der adulesce1is Caelius steht im Zentrum dieser Rede, seine vita, seine mores stehen zur Diskussion und mit ihnen die vita und die mores seiner ganzen Generation. Interessanterweise ist dieses. Hauptthema der Rede von ihren Interpretatoren mit Ausnahme von Eyben kaum gesehen worden.619 Der faszinierende, da widersprüchliche und Fragen zur Gliederw1g aufwerfende Aufbau der Rede hat den Blick auf das Thema adulescentia bislang verstellt. Der Aufbau der Caeliana, insbesondere die weit angelegte und von theoretischen Exkursen durchzogene defensio vitae, hat den Kommentatoren Rätsel aufgegeben; er schien, da allzu zerrissen, nicht unbedingt den klassischen Aufbau der Gerichtsrede zu entsprechen,620 obwohl die Konstruktion sich gerade durch eine inhaltliche Konzentration auf Ciceros zweigeteilte Apologie der adulescentia621 aufschlüsseln läßt: Interpretiert man die Caeliana unter inhaltlichen Aspekten, geht man also davon aus, das Caelius und Clodia im Zentrum der Darstellung stehen, dann löst sich das Rätsel der Konstruktion. Die Teile der Rede, die als apologia adulescentiae charakterisiert werden können, sind eng mit der Darstellung Clodias verwoben. Zunächst antwortet Cicero auf die Kritik des Herennius am Lebenswandel der jeunesse doree; diese Kritik scheint Hauptargument der Verteidigung gewesen zu sein. Der erste Teil seiner Apologie betrifft also die adulescentia allgemein. Die sich anschließende Behandlung der konkreten Anklagepunkte aurum und venenum zieht die Verengung auf Clodia nach sich. Clodia wird als meretrix diffamiert. Der zweite Teil der Apologie konzentriert sich deshalb auf den gesellschaftlichen Umgang mit den voluptates der adulescentia und appelliert an Toleranz. Da Clodia bereits als meretrix gebrandmarkt worden ist, ist Caelius' Beziehung zu Clodia nur Teil des männlichen Erwachsenwerdens, sein Lebenswandel also bar jeder Kritik. Das Hauptargument der Anklage ist entkräftet. Caelius hat sich als adulescens an die Regeln, die laut Cicero für die adulescentes gelten sollen, gehalten. Die schrittweise Verengung der 619 Die zentrale Bedeutung des Themas adulescentia wurde andeutungweise gesehen von Heinze 1925,205: "Cicero betont (am Anfang, d. V.) wie im weiteren Verlaufdie Jugend des Angeklagten sehr stark." V gl. auch S. 20f. zu Eyben 1977. 620 Zur widersprüchlichen Disposition der Cae/iana vgl. immer noch Norden 1913 und Heinze 1925, außerdem Stroh 1975, 243 und 262ff. 621 Vgl. Cic. pro Cael. 11, 26- 12, 30 sowie ibid., 17, 39- 19, 44.
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Argumentation von der adulescentia auf den adulescens Caelius und seine Beziehung zu Clodia ist demnach schlüssig. Außerdem ist der Inhalt der Caeliana vornehmlich unter dem Aspekt der politischen Einordnung des Caelius in die politische Landschaft der partes ·der · fiinfziger Jahre diskutiert worden; hier stand vor allem Cadius' Halturig ·zu Pompeius im Vordergrund.622 Also standen philologische Fragestellungen ~nd solche der politischen Ereignisgeschichte im Zentrum der Diskussion. Lediglich die Darstellung der Clodia gab Anlaß zu mehr oder weniger fundierten Aussagen zur Stellung der römischen matrona; hier ging die Forschung also über den bloßen Versuch einer philologischen Wertung bzw. einer historisierenden Nacherzählung hinaus und versuchte sich nicht immer erfolgreich in Aperyus zu einer Sozialgeschichte römischer Weiblichkeit. 623 Das Thema "adulescentia" war Cicero durch die Anklage vorgegeben worden, die vita und mores des Caelius vor dem Hintergrund eines Szenarios der Depraviertheit der adulescentia attackiert hatte.624 Cicero nutzte die Gelegenheit, um sich grundsätzlich mit dem Begriff der adulescentia auseinanderzusetzen und am Beispiel seines Klienten den gesellschaftlich erwünschten Weg eines adulescens zu skizzieren. Ciceros Plädoyer fiir Caelius bezieht sich also nicht nur auf einen Einzelfall, sondern versucht, allgemein geltende Normen zu formulieren. Dieser Versuch kann als charakteristisch fiir das Genre der Gerichtsrede in Rom gelten, die von einem konkreten Fall ausgehend allgemein gültige Aussagen zur gesellschaftlichen Realität zu treffen sucht, um eine breite Mehrheit überzeugen zu können. Der Freispruch des Caelius unterschrieb Ciceros Bild der adulescentia und bescheinigte ihm eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz. Die Caeliana zeichnet sich durch eine dezidierte Begrifflichkeit aus: Cicero unterscheidet anders als andere Autoren und vor allem moderne Interpreten scharf zwischen iuventus und adulescentia, zwischen libidines und voluptates.625 Erstere sind negativ, letztere positiv konnotiert; gerade die positive Konnotation des Begriffes adulescentia läßt sich, wie gezeigt, auch fiir
622 Zu den politischen Hintergründen Dettenhofer 1992, 83ff. 623 Ich werde auf die Bewertung Clodias durch die neuere Forschung noch zu sprechen kommen; vgl. S. 202. Es sei an dieser Stelle bereits angemerkt, daß Teile der Forschung Ciceros chauvinistische Haltung gegenüber Clodia nicht nur unkritisch übernommen, sondern auch unzulässig verallgemeinert haben. Ciceros Darstellung der Clodia geriet so zur Grundlage der Darstellung römischer matronae überhaupt. 624 Vgl. Cic. pro Cael. 11, 25 und S. 122f. 625 Vgl. S. 123f. (iuventusladulescentia) und S. 133 (voluptates/libido).
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die Sestiana und Cato maior de senectute belegen.626 iuventus und adulescentia haben ftir Cicero nur eine Gemeinsankeit, die derselben Altersstufe; ihr Auftreten und ihre Ziele sind jedoch grundverschieden. Auf Seiten der iuventus stehenfaenus,luxuria und libido,627 auf Seiten der adulescentia pudor, pietas und Iabor. 628 Die iuventus zeichnet sich negativ durch Ziellosigkeit und die freiwillige Unterwerfung unter die Herrschaft einer Frau aus,629 die adulescentia dagegen positiv durch den unbedingten Willen, in der Welt der Manner akzeptiert zu werden und dies auf dem Wege der Rednerlaufbahn, die den Erwerb von gloria, laus und dignitas garantieren kann.63o Der Beginn der adulescentia wird von Cicero durch den Beginn des tirocinium fori klar definiert.631 Die Phase der adulescentia selbst gliedert er in zwei Abschnitte: das tirocinium fori, das der adulescens mit der ersten öffentlichen Anklagerede beendet, und den sich daran anschließenden Zeitraum der vacatio adulescentiae. Diese vacatio adulescentiae bezieht er jedoch nur auf einen bestimmten Freiraum, den des sexuellen Umgangs mit einer meretriJC.632 Für den weiteren Verlauf der adulescentia nach Beendigung des tirociniwn fori gelten von dieser Ausnahme abgesehen strenge Regeln: die Wahrung der pudicitia, also der Verzicht auf homosexuelle oder ehebrecherische Beziehungen, die Wahrung des Besitzes der Familie und die Distanz zu staatsgefährdenden Unternehmen anderer.633 Das Ende der adulescentia wird bei Cicero nur vage mit der Formulierung "cum vir inter viros esset" umschrieben und keineswegs mit dem Beginn des cursus honorum gleichgesetzt.634 Letztendlich wird die adulescentia ftir Cicero durch das Befolgen eines moralischen Postulats abgeschlossen, dem der Absage an die voluptates und der Unterwerfung unter den Postulat der moderatio. Dieser Postulat impliziert das Akzeptieren der gesellschaftlichen Forderungen durch den adulescens, die an einen erwachsenen Mann gestellt werden: die Sorge um die eigene domus, um die forensische Laufbahn und um das Gemeinwesen.635 626 Ciceros Cato spricht fast ausschließlich von adulescentes; vgl. S. 7If. nebst Zitaten; ähnlich verhält es sich in der Sestiana; vgl. S. 60ff. nebst Zitaten.
627 V gl. Cic. pro Cael. I I, 25 und S. 122f. 628 Vgl. Cic. pro Cael. 2, 4; 3, 6; 19, 45f. und S. 1 !Of. (pudor), 1 I8f. (pietas), I42f. (Iabor). 629 Vgl. Cic. pro Cael. 28, 67 und S. 158f. 630 Vgl. Cic. pro Cael. 3I, 76 und S. 164f. 631 Vgl. Cic. pro Cael. 4, 9 und S. I I 1f. 632 Vgl. Cic. pro Cael. I2, 30 (vacatio adulescentiae), I8, 42 (Iudus aetatis) und 20, 48 (Umgang mit meretrices); vgl. auch S. 126f. und S. 144f. 633 Vgl. Cic. pro Cael. 12, 28; 18,42 und S. l39f. 634 Vgl. Cic. pro Cael. 5, II. 635 Vgl. Cic. pro Cael. 18, 42.
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Während der adulescentia spielen außerfamiliale männliche Vorbilder eine hervorragende Rolle, insbesondere die Mentoren des tirociniumfori; aber auch Politiker vom Schlage eines Catilina.636 Die Beziehung zu Frauen charakterisiert Cicero dagegen am Beispiel der der Iibido unterworfenen Clodia als gänzlich negativ: Frauen dürfen in der Caeliana lediglich als Mittefzum Zweck der Befriedigung der voluptates dienen; ihr Versuch, adulescentes .zu beeinflussen, wird scharf kritisiert. 637 Vergleicht man Ciceros Modell der adulescentia in der Caeliana mit den Ansätzen moderner Adoleszenzforschung, die die Adoleszenz entweder als spezifische Phase oder als Kontinuum definieren,638 dann nimmt es eine Zwischenposition ein. Cicero weist den Primat der voluptates als charakteristisch für die adulescentia aus und definiert sie nur in dieser Hinsicht als besonderen Lebensabschnitt.639 In allen anderen Bereichen, also in bezug auf das soziale und gesellschaftliche Verhalten des adulescens, betont er das Moment der Kontinuität insbesondere hinsichtlich der Orientierung an älteren männlichen Vorbildern und des den adulescentes gesteckten gesellschaftlichen Ziels, nämlich Eingliederung in die res publica über die Laufbahn als Redner.640
636 Vgl. Cic. pro Cael. 4, 9; 5, 12; vgl. hier auch S. 183f. 637 Vgl. Cic. pro Cael. 28, 67 (imperatrix). 638 Vgl. S. 15ff. 639 Vgl. Cic. pro Cael. 17, 41 und Eyben 1977, 293ff. 640 Vgl. Cic. pro Cael. 19, 47; 32, 79f. und Eyben 1986, 34lf. zur Laufbahn desoratorals Ziel der adulescentes.
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VI. STATIONEN UND ASPEKTE DERADULESCENTIA "Es ist also . Aufgabe eines jungen Mannes, vor den älteren Ehrfurcht zu haben und aus deren Reihen die Besten • und Bewährtesten auszuwählen, um sich auf ihre Einsicht und ihr Ansehen zu stützen. Der Unwissenheit des jl!gendlichen Alters ist durch der alten Männer Lebenserfahrung Richtung und Halt zu geben. Am meisten aber ist dieser Lebensabschnitt von den Begierden femzuhalten ... " Cicero64I
6. 1. Der Beginn der adulescentia: Das tirocinium fori
"Primitive" Gesellschaften, also die "kalten" Kulturen, belegen den Übergang vom Jungen zum Mann mit eindeutigen, fast immer schmerzhaften Ritualen.642 Diese Rituale schaffen ein Gefühl der Zugehörigkeit und verhindem vor allem die Infragestellung des erworbenen männlichen Status. "Zivilisierte" Gesellschaften, also die "heißen Kulturen", die im Gegensatz zu den "kalten" Kulturen durch schnellen sozialen Wandel und hohe gesellschaftliche Mobilität
641 Cic. de ofT. I, 34, 122 ("Est igitur adulescentis maiores natu vereri exque iis deligere optimos et probatissimos, quorum consilio atque auctoritate nitatur; ineuntis enim aetatis inscitia senum constituenda et regenda prudentia est. Maxime autem haec aetas a libidinibus arcenda est. .. "). 642 Die Initiationsrituale "primitiver Kulturen" sind eingehend untersucht worden, in bezug auf Männlichkeit zuletzt von Gilmore 1991. Sie weisen stets die gleichen Konstanten auf: Wechsel der äußeren Attribute, das Erdulden von Schmerz, meist durch Beschneidung, und die symbolische Unterwerfung unter die Älteren, meist durch einen homosexuellen rituellen Akt. In Bezug auf die antiken Kulturen finden sich entsprechende Zeugnisse vor allem fiir Sparta. Zu der Möglichkeit des Vorhandenseins von rites de passage in der griechischen Antike vgl.Nippell988, 311f.
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gekennzeichnet sind, verwehren ihren Jugendlichen diese eipdeutige Grenze.643 Rom nähert sich in bezug auf die Kennzeichnung der · entscheidenden männlichen Altersgrenze den "heißen" Kulturen an, da es zwar den Beginn der adulescentia durch die feierliche Verleihung der toga virilis zelebrierte, jedoch auch diesen Ritus des Übergangs weitgehend "zivilisiert" und ihn· danlir der Deutlichkeit der Markierung beraubt hatte, die eine Integration junger Mä:t;mer erleichtert.644 In den "primitiven" Gesellschaften kennzeichnet der Übergangsritus die Schwelle zwischen Kind und Mann. In Rom markierte die Verleihung der toga virilis durch den Vater, sofern er noch lebte, den Übergang vom Kind zum jungen Mann - der Begriff des "Jugendlichen" ist eine Schöpfung des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts -645, vom puer zum adulescens. Sie fand anläßtich der Liberalia, dem Fest zu Ehren des Bacchus liber, an den Iden des März statt. Da Bacchus vor allem als Gott der Fruchtbarkeit galt, ist der Konnex zwischen dem Beginn der adulescentia und der Forderung nach Nachkommenschaft offensichtlich: Mit dem Anlegen der toga virilis konnte der adulescens als heiratsfähig gelten. 646 Die toga virilis wurde dem filiusfamilas im allgemeinen, sobald er das sechzehnte Lebensjahr erreicht hatte, durch seinen Vater oder Onkel im Kreise von Familie und Freunden verliehen.647 Der Knabe trug, ebenso wie das
643 Zum gegensätzlichen Umgang der ,,heißen" und "kalten" Kulturen mit dem Phänomen der Adoleszenz vgl. Erdheim 1994, 202: "Die Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklung und damit die Adoleszenz sind ... ein biologisches Faktum und treten daher in allen Kulturen auf. Aber die Kulturen können verschieden damit umgehen. Verallgemeinemd kann man sagen: Jene Kulturen, die sich gegen den Kulturwandel abschirmen, also jene Kulturen, die LeviStrauss ... ,kalt' nannte, die frieren die Adoleszenz mittels der Initiation ein ... ; jene Kulturen hingegen, welche dazu tendieren, den Wandel zu beschleunigen (,heiße' Kulturen), bauen die Initiationsriten ab, um das in der Adoleszenz liegende Veränderungspotential freizusetzen." 644 Vgl. ibid. 645 Es ist bereits auf das römische Ideal des puer/adulescens senex/senilis hingewiesen worden, das die Vorstellung einer Jugerid im modernen Sinne, die als eigener Altersabschnitt definiert wird und vor allem durch die Abhängigkeit und Unfahigkeit des Jugendlichen, Eigenverantwortung zu übernehmen, gekennzeichnet ist, ausschließt; zum puerladulescens senex/senilis vgl. S. 72. Zum Begriff der Jugend als Idee des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts vgl. Aries 1975,29 sowie Gillis 1980, 105ft'. und 14lff. Wie gezeigt, hatte sich der adulescens als junger Mann zu verhalten, verantwortlich gegenüber den älteren Männemund der res publica; vgl. S. 62f. und S. 73f.; vgl. hier auch S. 179f. 646 Zu den Einzelheiten des tirociniumfori vgl. auch Regner 1937. 647 Vgl. Cic. ad Att. V, 20, 9: "Ego, cum Laodiceam venero, Quinto sororis tuae filio togam puram iubeor dare; cui moderabor diligentius." und ibid, IX, 23, 1: "Ego meo Ciceroni,
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Mädchen bis zum Tag ihrer Hochzeit, noch die toga praetexta, also das Gewand der Magistrate Roms, das ihn als Sohn mit seinem Vater, aber auch mit den Vätern Roms verband. Der adulescens trug dagegen die toga virilis, also die toga pura/cmu;lida; er würde sich die toga praetexta des Vaters/der Väter erst er;neut verdienen müssen.648 Da die römische Gesellschaft eine in hohem Maße öffentliche war, führte die Kleidung stets den gesellschaftlichen Status des einzelnen vor Augen. Die weiße Kleidung der adulescentes steht sowohl für deren pudicitia als auch für deren Unerfahrenheit und Unbescholtenheit im Bereich der Politik. Deshalb trugen im übrigen auch die Bewerber um das Konsulat während ihres Wahlkampfes die toga candida. Die Verleihung wurde durch einen festlichen Zug auf das Forum beschlossen, wo der junge Mann, der erstjetzt seinpraenomen erhielt, mit vollem Namen in die Tribuslisten eingetragen wurde.649 Bei der Verleihung der toga virilis handelte es sich nicht um einen standesexklusiven, also nur Söhnen von Senatoren und equites vorbehaltenen Ritus. Denn: "In unserer Bürgerschaft pflegen Geladene sich einzufinden, um die Söhne einfachster Leute fast noch bei Nacht und oft vom äußersten Stadtrand aus zu begleiten ... "650 "deducere (in forum)" wird nicht nur im Zusammenhang mit der Verleihung der toga virilis gebraucht,65t sondern auch bei der Überführung der Braut in das Haus ihres Bräutigams.652 Der Zusammenhang der Riten der Brautüberführung bzw. der Überführung des adulescens auf das Forum mit dem Eintritt in die Welt der Erwachsenen ist evident. Überhaupt kann die Brautüberführung als Äquivalent zum Ritus des "togam virilem dare" gelten, da beide die Ablegung der kindlichen toga praetexta fordern. Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß die Initiation des junges Mannes sich über das eigene, die der jungen Frau über das andere Geschlecht vollzieht, letztere also ausschließlich über die Heirat definiert wird.
quoniam Roma caremus, Arpini potissimum togam puram dedi, idque municipibus nostris fuit gratum... " 648 Zur Toga allgemein vgl. Heichelheim 193 7; zur toga candidalpura vgl. ibid., 1659f. 649 Vgl. Regner 1937, 1450f. und Auct. de praen. c. 3: "pueris non prius quam togam virilem sumerent ... praenomina imponi moris fuisse Scaevola auctor est". 650 Cic. pro Mur. 33, 69 ("qua in civitate rogati infimomm hominum filios prope de nocte ex ultima saepe urbe deductum venire venire soleamus. "). 651 Vgl. Quint. inst. or. XII, 6, 7; Sen. ep. IV, 2; Suet. Aug. 26; Tib. 54; Ner. 7. 652 Vgl. Cat. Carm. 61.
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Ist der also der Beginn der adulescentia durch einen Ritus gekennzeichnet, so sind Dauer und Ende der adulescentia viel zitierten antiken Altersklassifizierungen zum Trotz, in denen die Kategorie "vir" fehlt; kaum zu bestimmen; der Übergang zum senex scheint. abrupt zu erfolgen. 6:53 Zwischen adulescentia und senectus siedelt die Virilität. Der adulescens konnte bereits als vir agieren, wenn er wie Caelius beispielsweise bereits vor der Quaestur, ~lso vor Beginn des cursus honorum und vor dem erneuten · Anlegen der toga praetexta, öffentlich aufsehenerregende Anklagen vertrat. Der adulescens hat demnach ähnlich wie der "Jüngling" präindustrieller Gesellschaften einen Zwitterstatus eingenommen:654 Einerseits stand er, sofern der Vater noch lebte, weiterhin unter patria potestas, andererseits konnte er bereits öffentlich agieren und sich nach Abschluß des tirocinium fori und unter Umständen des tirocinium militiae innerhalb des Viginti(sex)virats655 in einer der magistratus minores
653 Zu den fiinf Altersstufen, die vor allem aus Varro ap. Cens. de die natali 14, 2 und Serv. ad. Aen. V, 255 herausgelesen werden, vgl. S. 31, Anm. 89; zur Kritik an der Übernahme dieser Klassifikation durch die moderne Forschung, insbesondere durch Eyben, um sich der adulescentia zu nähern, vgl. Kleijwegt 1991, 88. Zur Klassifikation der Altersstufen durch Cicero vgl. S. 70. Teilweise werden die Begriffe adulescens und iuvenis in der modernen Forschung gleichgesetzt, teilweise werden sie in Anlehnung an Serv. ad Aen. V, 255 ("infans, puer, adulescens, iuvenis, senex") als aufeinanderfolgende Altersstufen interpretiert; vgl. S. 20. M. E. gilt sowohl fiir die Späte Republik als auch fiir den frühen Prinzipat, daß iuvenis und adu/escens die gleiche Altersstufe bezeichnen, iuvenis jedoch in der Prosa vor allem bei Cicero negativ konnotiert ist, in der Dichtung hingegen fiir den adulescims, vermutlich aus Gründen des Versmaßes, gesetzt wird; vgl. Axelson 1948, der fiir den Prinzipat die Bevorzugung des Begriffes iuvenis nachgewiesen hat. Ciceros negative Verwendung des Begriffes iuvenis ist nicht nur in der Cae/iana durchgängig; vgl. z. B. die Charakterisierung der Anhängerschaft des Clodius als barbatu/i iuvenes in Cic. ad Att. I, 14, 5; 16, 11. 654 Gillis charakterisiert diese Phase der männlichen Jugend durch einen Zustand der "Halbabhängigkeit": Früh eingebunden in die Welt der Erwachsenen, galt fiir den jungen Mann einerseits das Prinzip der unbedingten Unterordnung unter die Älteren; andererseits nahm er früh am Erwerbsleben teil, das die Separation vom elterlichen Hause in den meisten Fällen erforderte; vgl. Gillis 1980, 21 (Halbabhängigkeit) und 23 (Weggabe der Kinder in andere Familien zu Erwerbszwecken). Kleijwegt 1991, 43 bevorzugt im gleichen Kontext zu Recht den Begriff der "ambiguity": "In my view we might gain some useful insights into youth's status by introducing the term ,ambiguity'. I believe that youth in preindustrial society was characterized by the co-existence of adult and non-adult characteristics, thereby scoring high on some adult identiflcations (residence other than parents' home, involvement in the labour market and in other adult activities such as politics) and low in others (marriage, flnancial independence)." 655 Der Begriff vigintiviri bezeichnete im Prinzipat die magistratus minores (triumviri moneta/es, triumviri capitales, decemviri slitibus iudicandis, quattuorviri viarum
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politisch engagieren. Die Bekleidung eines der Ämter des Vigintisexvirats scheint aber in der Späten Republik anders als im Prinzipat nicht unabdingbare Voraussetzung für den cursus honorum gewesen zu sein.656 Die Bereitschaft von adulescentes, sich innerhalb des Vigintisexvirats zu engagieren, scheint in der Späten .Republik dementsprechend gering gewesen zu sein.657 Das Anlegen der toga virilis markierte für den jungen Mann den Eintritt in die Welt der erwachsenen Männer, in der er allerdings zunächst vor allem Zuschauer und Schüler blieb: Der adulescens begann sein tirocinium fori und unter Umständen im Anschluß daran sein tirocinium militiae unter Obhut und Weisung älterer Männer. Eine sukzessive Absolvierung beider tirocinia scheint in der Späten Republik nicht obligatmisch gewesen zu sein; der adulescens konnte, je nach nach Befähigung und Neigung, auch nur eines der der beiden tirocinia ableisten. 658 Daß gerade das tirocinium militiae in der Späten Republik nicht obligatorisch war, geht indirekt aus der Augusteischen Reform des cursus honorum hervor, die die Söhne der Oberschicht stärker militärisch einzubinden versuchte.659 In Ciceros Jugend umfaßte jedes tirocinium die Dauer eines Jahres. So kontrastiert er in der Caeliana seine eigene Ausbildung mit der des Caelius: "Wie lange, was glaubst du denn, hätte man sein Alter noch beschützen sollen? Uns war damals (olim) ein Jahr zugemessen, um brav den Arm unter der Toga zu halten und in der Tunica auf dem Marsfeld Sport und
curandantm) und ging auf die vigintisexviri der Republik zurück, deren Stellenanzahl Augustus um sechs verringerte. Zum Viginti(sex)virat vgl. Kleijwegt 1991, 192f. 656 Vgl. Talbert 1984, 13 und Tac. Ann. III, 29 zur Bekleidung eines der Ämter des Vigintivirats als Vorbedingung für den cursus honorum im Prinzipat. 657 Vgl. Eyben 1981, 336f. und Kleijwegt 1991, 192: " ... in the chaotic period ofthe civil wars the real ambition to hold these offices dwindled ... In this period existed other and faster ways to gain political influence. Young people made up an essential part of the following of the political Ieaders of these days. Careers were made through personal friendship or clientship. Traditions] ways in making a career were sometimes bypassed." 658 Vgl. Eyben 1986, 339 und Bonner 1977, 84f. Als Beispiel für die Absolvierung des tirocinium militiae nach Anlegen der toga virilis kann Ciceros Sohn angeführt werden; vgl. Cic. de off. II, 13, 45. 659 Vgl. Alston 1999, 212: " ... there was an attempt to inculculate a military ideology in the Roman aristocratic youth. The addition to the cursus honorum of junior military posts in charge of cavalry units and in the Iegions and the development of vigorous military exercises for aristocratic youths demonstrate Augustus' policy of generating an aristocracy fit to campaign."
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Spiel zu betreiben. Und wenn wir dann sogleich mit dem Wehrdienst begannen, galt im Lager wie im Feld die gleiche Regelung.''66o · Dies ist die einzige mir bekannte Textstelle, die dezidiert von einer scharfen zeitlichen Eingrenzung der tirocinia und ihrer sukzessiven· Abfolge spricht. Diese Stelle wird auch immer wieder als einziger Beleg eben fÜr Dauer und Abfolge der tirocinia angefiihrt,661 obwohl Cicero in dieser Passage ausdrucklieh von "olim" spricht, also betont, daß diese Regelhaftigkeit zum Zeitpunkt seiner Rede für Caelius längst nicht mehr gegeben war. Cicero absolvierte sein tirocinium fori im Alter von sechzehn Jahren unter der Obhut der beiden Scaevolae im Jahre 90 v. Chr., sein tirociniumfori 89 v. Chr. im Heer des Pompeius Strabo. 662 Seine erstes öffentliches Plädoyer hielt er erst im Jahre 81 v. Chr., die Verteidigung des P. Quinctius. Ganz anders verhielt sich die Sache bei Caelius. Zwar begann auch er sein tirocinium fori im Alter von sechzehn Jahren, also 66 v. Chr., unter der Aufsicht von Crassus und Cicero; sein tirocinium militiae, also die Ausbildung im militärischen Bereich, die mit dem Kennenlernen der Provinzialverwaltung verbunden sein konnte, absolvierte er allerdings erst 61 v. Chr. im Gefolge des Q. Pompeius Rufus in Africa.663 Die Dauer der tirocinia scheint demnach, zumindest im letzten Vierteljahrhundert der Republik, mit auch im Ermessen des Adepten gelegen zu haben, sicherlich Reflex einer Zeit, in der Irregularität des dem Anschein nach sonst so regulären cursus zur Regel werden konnte. 664
660 Cic. pro Cael. 5, 11 ("Quem ergo ad finem putas custodiendam illam aetatem fuisse? Nobis quidem olim annus erat unus ad cohibendum bracchium toga constitutus, et ut exercitatione ludoque campestri tunicati uteremur, eademque erat, si statim merere stipendia coeperamus, castrensis ratio ac militaris."). 661 Vgl. Regner 1937, 1450; Eyben 1977, 82; Bonner 1977, 346; Kleijwegt 1991, 181. 662 Zu den tirocinia Ciceros vgl. Fuhrmann 1994, 23f. (t.fori) und 30 (t. militiae). 663 Vgl. Cic. pro Cael. 30, 73: "Cum autem paulum iam roboris accessisset aetati, in Atiicam profectus est Q. Pompeio pro consule contubemalis, castissimo homini atque omnis offici diligentissimo; in qua provincia, cum res erant et possessiones patemae, turn etiam usus quidam provincialis non sine causa a maioribus huic aetati tributus." Diese Beschreibung des tirocinium militiae weist es als relativ alte Institution, begründet durch die maiores, aus. Cicero verknüpft hier das tirocinium militiae explizit mit einer späteren Lebensphase des adulescens. 664 Neben den bekannten Beispielen für irreguläre Laufbahnen, Pompeius und Octavian, beide Konsuln ohne vorher bekleidete Ämter, kann auch der adulescens P. Comelius Dolabella (69 v. Chr. - 43 v. Cbr.) als Beispiel angeführt werden, der, ohne die Praetur bekleidet zu haben, bereits im Alter von fünfundzwanzig Jahren das Suffektkonsulat bekleidet hatte. Zu Pompeius vgl. S. 188; zu Octavian vgl. S. 245ff.; zu Dolabella vgl. S. 233ff.
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Das tirocinium fori war meiner Auffassung nach ein Meilenstein der männlichen Entwicklung in Rom und wichtigste Grundvoraussetzung für den möglichen Beginn einer politischen Laufbalm.665 Die vom pater für den adulescens und ·vom adulescens selbst ausgewählten Mentoren,666 meist Konsularen und Redner von Rang, genossen quasi-väterliche Autorität und konnten ihren Schützling politisch maßgeblich beeinflussen. So vertrat Cicero Zeit seine·s Lebens den politischen Konservativismus der beiden Scaevolae, und so lavierte Caelius zwischen den politischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten, die ein Crassus Dives vorgelebt hatte, und den Selbstbeschränkungen im Dienste der res pub/ica, die ein Cicero gepredigt hatte.667 Das tirocinium fori wird durch die Schulung des jüngeren Mannes durch die älteren geprägt,668 beruht also grundsätzlich auf dem Prinzip der Nachahmung, das gerade fiir eine Gesellschaft, die Männlichkeit vor allem über ihre patres definiert, charakteristisch ist;669 es integrierte die jungen Männer fast konfliktfrei in die Welt der älteren, die Absenz gravierender innenpolitischer Krisen vorausgesetzt,670 Tacitus hat uns in seinem "Dialog über die Redner" ein anschauliches Bild jener Fonn der Ausbildung hinterlassen: 665 Vgl. Bonner 1977, 84 : "Rhetorical theory and practice ... was most fruitful if it could be matched with .experience of the actual conditions of public oratory. Under the Republic, there flourished an excellent system, approved ... by Cicero", nämlich das firocinium fori. 666 Zur selbständigen Auswahl der Mentoren durch den adulescens vgl. Cic. de off. II, 13, 47. 667 Zu dem Konnex zwischen tirocinium fori und amicitia vgl. S. 91 f. Zum tirocinium fori Ciceros vgl. Fuhrmann 1994, 23. Zur politischen Haltung des Caelius vgl. S. 81f., Heinze 1925, 199, wo er Caelius' politische Haltung als eine "zum Prinzip erhobene() Treulosigkeit" charakterisiert, und Gmen 1974, 305ff.; 354fT. 668 Zur Schulung der Jüngeren durch die Älteren vgl. S. 72f. sowie S. 177 und Cic. de off. II, 13, 47: "Facillume autem et in optimam partem cognoscuntur adulescentes, qui se ad claros et sapientes viros bene consulentes rei publicae contulerunt; quibuscum si frequentes sunt, opinionem adferunt populo eorum fore se similes, quos sibi ipsi delegerint ad imitandum." 669 Zum Ideal des pater vgl. S. 33ff.; zum Ideal der Nachahmung des idealen Staatsmannes vgl. Cic. de rep. II, 42, 69: "nam in hoc fere uno sunt cetera, ut numquam a se ipso intuendo contemplandoque discedat, ut ad imitationem sui vocet a/ios (Hervorhebung von mir), ut sese splendore animi et vitae suae sicut speculum praebeat civibus." 670 Zum römischen Integrationsmodell vgl. Kleijwegt 1991, 66: "The Romans ... successfully avoided generational conflicts for a thousand years, apart from a short period under the late Republic. The ,mos maiorum', the cult of the ancestors and the traditional values of ,disciplina' and ,pietas'- all these served to mold each generation in the image of the elders and forefathers'." Allerdings weist Kleijwegt ibid. darauf hin, daß dieses Integrationsmodell in der Späten Republik vor dem Hintergmnd der BUrgerkriege kaum funktionieren konnte, da gerade zu jener Zeit eine offene Opposition zwischen jungen und alten Männern geherrscht habe.
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,,Bei unseren Vorfahren (apud maiores nostros) also wurde jenerjunge Mann, der für die Beredsamkeit auf dem Forum ausgebildet wurde, bereits mit jener häuslichen Zucht veJ,iraut gemacht und mit edlem Streben erfüllt, vom Vater oder von den Verwandten zudem Redtier geleitet, der die erste Stelle im Staat einnahm. Diesem eifrig zu folgen, ihn zu begleiten, all seinen Reden, sei es vor Gericht oder in den Volksversammlungen, beizuwohnen, gewöhnte er sich so, daß er auch schon die Prozeßdebatten aufnahm, bei Streitreden sich beteiligte und sozusagen in der Schlacht kämpfen lernte. Daraus erwuchs den jungen Männem sogleich eine große Übung, viel Standfestigkeit und ein Höchstmaß an Urteilsfähigkeit, da sie ja im Rampenlicht und mitten in gefährlichen Entscheidungen sich abmühten, wo niemand ungestraft etwas töricht oder widersinnig sagt, ohne daß der Richter es zurückweist und der Gegner es ihm vorhält und schließlich die Anwälte selbst es verwerfen. So wurden ~ie gleich in die wahre und unverdorbene Redekunst eingeweiht; und obwohl sie nur einem folgten, lernten sie dennoch alle Anwälte ihrer Zeit in sehr vielen Prozessen und Gerichtshöfen kennen... "671 Tacitus betont hier das Prinzip der Nachahmung im tirociniumfori und verweist es zugleich in die Zeit der Republik - "apud maiores nostros" -; inhärent ist die Polemik gegen den Rhetorikunternicht durch Lehrer, der im Prinzipat anders als in der Republik die Regel war.672 Während des tirocirJiumfori wurde der adulescens nur durch die von ihm und seinem Vater ausgewählten Mentoren unterrichtet, nicht durch Lehrer wie im Elementar- und dem sich Tac. dial. de or. 34 ("ergo apud maiores nostros iuvenis ille, qui foro et eloquentiae parabatur imbutus iam domestica disciplina, refertus honestis studiis deducebatur a patre vel a propinquis ad eum oratorem, qui principem in civitate locum obtinebat. hunc sectari, hunc prosequi, huius omnibus dictionibus interesse sive in iudiciis sive in contionibus adsuescebat, ita ut altercationes quoque exciperet et iurgiis interesset utque sie dixerim, pugnare in proelio disceret. magnus ex hoc usus, multum constantiae, plurimum iudicii iuvenibus statim contingebat, in media luce studentibus atque inter ipsa discrimina, ubi nemo impune stulte aliquid aut contrarie dicit, quominus et iudex respuat et adversarius exprobret, ipsi denique advocati aspementur. igitur vera statim et incorrupta eloquentia imbuebantur; et quamquam unum sequerentur, tarnen onmes eiusdem aetatis patronos in plurimis et causis et iudiciis cognoscebant."). Zur Stelle vgl. auch Eyben 1986, 339. ·672 Tacitus' dialogus de oratoribus stellt die republikanische Redekunst, geschult an der Praxis und ausgeübt in der libera res publica, über die des Prinzipats, verdorben durch den schematischen und realitätsfremden Unterricht der Rhetoriker; vgl. Tac. dial. de or. 35/36 und Borzsak 1978, 440. 671
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anschließenden Grammatikunterricht während seiner Kindheit.673 Hier sei angemerkt, daß in der Republik trotz des Unterrichts der Söhne durch Lehrer in einzelnen Fächern bis zum Anlegen der toga virilis -die Unterrichtung durch Lehrer war Ergebnis der zunehmenden Hellenisierung der römischen Oberschicht _674 der Vater der eigentliche Lehrer seines Sohnes in intellektueller wie physischer Hinsicht zumindest in der Idealvorstellung blieb.675 Das tirocinium fori war also letztendlich eine sich schrittweise vollziehende Einführung in die von Männern beherrschte Welt der Öffentlichkeit und der Politik, die auf Nachahmung betuhte und in der die Kunst der Rede, gerade für homines novi, Schlüssel zum gesellschaftlichen Erfolg war,676 Diese Einführung wurde durch den Mentor kontrolliert, wobei sich das persönliche Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler sehr eng gestalten und zur Grundlage einer dauernden amicitia werden konnte.677 Der Lehrer wachte auch über den pudor des adulescens, seine Kontrolle ging also weit über den öffentlichen Bereich hinaus. So verteidigte Cicero Caelius gegen den Vorwurf, bereits während des tirocinium fori, also im Alter von etwa siebzehn Jahren, unsittliche, also homosexuelle Beziehungen unterhalten zu haben, gerade mit dem Hinweis auf die dauernde Kontrolle, die Crassus und er ausübten: ,,Als (der Vater) ihm die Männertoga verliehen hatte ... , hat niemand diesen Marcus Caelius in der Blüte seiner Jugend, während er in den würdigsten Bildungsfächern unterrichtet wurde, jemals anders gesehen
673 Zum Elementar- und Grammatikunterricht vor Anlegen der toga virilis, der meist durch Privatlehrer erteilt wurde, vgl. Eyben 1986, 350ff. Der Rhetorikunterricht lag während des Prinzipals ebenfalls in den Händen von Lehrern; vgl. ibid., 353ff. 674 Beispiel für eine hellenistische Ausrichtung der Erziehung der eigenen Söhne ist Aemilius Paullus, der allerdings diese Erziehung beaufsichtigte; vgl. Plut. Paul. Aem. 6, 4f. 675 Paradebeispiel ist die Catos Erziehung des eigenen Sohnes; vgl. Plut. Cato mai. 20, Sff. Vgl. auch Val. Max. fact. et dict. mem. II, 7, 6 zu Aulus Postumius (dict. 432 v. Chr.): " ... cuius infantiae blandimenta sinu atque osculis foveras, quem puerum litteris, quem iuvenem armis instruxeras, sanctum, fortem, amantem tui pariter ac patriae..." und Plin. ep. VIH, 14, 6: "Suus cuique parens pro magistro, aut cui parens non erat maximus quisque et vetustissimus pro parente. Quae potestas referentibus, quod censentibus ius, quae vis magistratibus, quae ceteris libertas, ubi cedendum ubi resistendum, quod silentii tempus, quis dicendi modus, quae distinctio pugnantium sententiarum, quae exsecutio prioribus aliquid addentium, omnem denique senatorium morem- quod fidissimum percipiendi genus- exemplis docebantur." 676 Cicero und Caelius sind Paradebeispiele hierfür. Zur Rednerlaufbahn als äußerst populärem Ziel junger Männer vgl. Eyben 1977, 292ff. 677 Vgl. S. 91f.
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als mit seinem Vater oder mit mir oder im sittenstrengen Haus des Marcus Crassus."678 Und im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Parteinahme •für Catilina ·-". Caelius war damals etwa achtzehn Jahre alt - betont Cicero die über Jahre andauernde Anhänglichkeit seines Mandanten: "Er war ständig bei mir während meiner Praetur... Es verging ein weiteres Jahr, da wurde Catilina wegen unrechtmäßiger Bereicherung im Amt angeklagt. Caelius war ständig bei mir, er hatte nicht einmal auf gerichtlicher Ebene Verbindung mit ihm. Dann folgte das Jahr, in dem ich mich um das Konsulat bewarb, und Catilina bewarb sich mit mir. Niemals nahm Caelius Verbindung mit ihm auf, nie wich er mir von der Seite. "679 Allerdings fällt gerade im Zusammenhang mit Ciceros Diskussion einer möglichen Beteiligung seines Mandanten an der Catilinarischen Verschwörung auf, daß Cicero zu guter Letzt dennoch zugeben muß, daß Caelius für Catilina im Jahre 63 v. Chr., also gerade mal mit einundzwanzig Jahren, ganz offen Partei ergriffen hatte. Daß dies ein offener Schlag in das Gesicht seines Mentors Cicero, des immerhin amtierenden Konsuls und erbitterten Feindes Catilinas, gewesen sein mußte, darf angenommen werden. 680 Möglicherweise ist diese Parteinahme auf den zweiten Lehrer des Caelius, nämlich auf Crassus zurückzuführen, der im Geruch stand, Catilinas ,,revolutionäre" Bestrebungen insgeheim zu unterstützen und dessen Einfluß auf Caelius keinesfalls unterschätzt werden darf,681 Caelius begab sich im Jahre 66 v. Chr. in die Obhut von Cicero und Crassus; während der homo novus Cicero in jenem Jahr Praetor war und vor allem durch seine Reden gegen Verres und durch sein Plädoyer für den Oberbefehl des Pompeius - Reden, in denen er eigentlich schon gewonnene
678 Cic. pro Cael. 4, 9 ("Qui ut huic togam virilem dedit... , nemo hunc M. Caelium in aetatis flore vidit nisi aut cum patre aut mecum aut in M. Crassi castissima domo cum artibus honestissimis erudiretur. "). 679 Cic. pro Cael. 4, 10 ("Fuit adsiduus mecum praetore me ... Secutus est turn annus, causam de pecuniis repetundis Catilina dixit. Mecum erat hic; illi ne advocatus quidem venit umquam. Deinceps fuit annus quo ego consulatum petivi; petebat Catilina mecum. Numquam ad illum accessit, a me numquam recessit."). 680 Dieser Umstand scheint weder den Interpreten der Caeliana noch Caelius' Biographen Madsen aufgefallen zu sein. 681 Zu einer möglichen Verwicklung des Crassus in die Verschwörung Catilinas vgl. Plut. Crass. 13 und S. 92.
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Schlachten schlug -682 als Redner in Erscheinung getreten war, war Crassus neben Pompeius und Caesar die politische Größe der sechziger Jahre. Als Angehöriger der alten piebeisehen gens Licinia, als Sieger über Spartacus, Konsular und Cerisor des Jahres 65 v. Chr. durfte er für Caelius als Beispiel . einer äußerst erfolgreichen politischen Laufbahn gelten und deshalb Vorbildcharakter besessen haben. Indirekt wird dies aus der Parteinahme des Caelius für Catilina gerade im Konsulatsjahr Ciceros deutlich: Caelius folgte dem Beispiel des Crassus, der Catilinas zweite Konsulatsbewerbung unterstützte, und nicht dem des amtierenden Konsuls, der Catilina mit haßerfüllten Tiraden verfolgte. An der Catilina-Affäre fallen im Zusammenhang mit der Institution des tirocinium fori zwei Dinge auf. Zunächst überrascht die Wahl zweierpolitisch so gegensätzlicher Mentoren wie Cicero und Crassus. Sicher prägten die gegensätzlichen Charaktere seiner Mentoren den adu!escens Caelius, dessen spätere politische Laufbahn sich gerade durch die Unmöglichkeit auszeichnete, einer politischen Richtung auf Dauer treu bleiben zu könnenß83 Der zweite Umstand, der für das tirocinium fori von Belang ist, betrifft den Grad der möglichen politischen Partizipation des adulescens: Caelius gehörte im Alter von achtzehn Jahren ganz offensichtlich zum Gefolge Catilinas - Cicero spricht in der Caeliana in diesem Kontext von "studere" _684; er machte ihm also seine morgendliche Aufwartung, gehörte zu seinem Gefolge und unterstützte seine Wahlkampagne.685 Demnach bestand für den adulescens trotz Kontrolle durch Vater und Mentoren durchaus die Möglichkeit, einen Politiker seiner Wahl, der nicht unbedingt seinem Vater - Caelius senior dürfte über die Parteinahme seines Sohnes für Catilina einigermaßen entsetzt gewesen sein __686 und seinen Lehrern - Cicero dürfte Caelius' Verhalten seinem Konsulatsjahr als
682 In Verres griff Cicero einen Emporkömmling Sullas an und konnte auf eine Verurteilung rechnen; der außerordentliche Oberbefehl des Pompeius im Jahre 66 v. Chr. fiir die Bekämpfung des Mithridates, die Iex Manilia, stand im Begriff, ohnehin von der Volksversammlung abgesegnet zu werden; zur Iex Manilia vgl. Fuhrmann 1994, 80f., zu den Reden gegen Verres vgl. ibid., 62ff. 683 Zu Caelius' politischer Haltung vgl. S. 80f. 684 Vgl. Cic. pro Cael. 5, 12. 685 Zu Aufwartung und Geleit erfolgreicher Politiker durch junge Männer vgl. Cic. Cat. mai. 18, 63; Val. Max. fact. et dict. mem. II, 1, 9; Gell. noct. Att. II, 15. 686 Caelius' Vater galt als Zierde der Ritterschaft (vgl. Cic. pro Cael. 2, 3); da die equites auf die Wahrung ihres Besitzes und ihrer finanziellen Pfriinden (Geldverleih, Steuerpacht) bedacht sein mußten und deshalb stets auf Seiten konservativer Politiker standen, müssen sie Catilinas Programm der tabulae novae mit, gelinde gesagt, äußerster Skepsis gegenübergestanden haben; zur Stellung der equites in der Späten Republik vgl. Brunt 1976.
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persönlichen Affront gewertet haben - zusagen mußte, zu · favorisieren. Trotzdem untersagten weder der Vater noch Cicero Caelius die Favorisierung · Catilinas noch gab Cicero seine Mentorenposition auf. Ziel des tirocinium fori war die Ausbildung zum erfolgreiChen,. an der. römischen Praxis orientierten Redner. Diese Ausbildung folgte relativ strengen Regeln und verlangte dem Schüler ein hohes Maß an Selbstdiszipiin ab, wenn er selbst später auf dem Forum erfolgreich agieren wollte,687 Ciceros eigene Bemühungen legen hierfür beredtes Zeugnis ab, Bemühungen, die sein Schüler Caelius ebenfalls auf sich zu nehmen hatte und erfolgreich bewältigen sollte: "Ihr habt gehört, wie er selbst fiir sich sprach, ihr habt ihn schon früher gehört, bei seinen Anklagereden - ich erwähne das nur als Verteidiger, nicht um mich selbst herauszustreichen -, und dabei habt ihr als Sachkenner den Stil seiner Rede, die Gewandtheit des Vortrags und seinen Gedanken- und Ausdrucksreichtum würdigen können. Ihr habt nicht nur sein glänzendes Talent (ingenium) wahrgenommen, das ja oft von sich aus hervorsticht, auch wenn es nicht durch fleißige Arbeit (industria) genährt wird. Es gibt bei ihm vielmehr auch- falls ich nicht aus W obiwollen voreingenommen bin und mich täusche - eine methodische Art der Beweisfiihrung, die sich auf solide Grundsätze stützt und unter Sorgfalt und Mühen ausgearbeitet ist. Und ihr solltet wissen, ihr Richter, daß solches Genußleben, wie man es Caelius hier zum Vorwurf macht, und die Bestrebungen, von denen ich hier spreche, wohl kaum bei ein und demselben Menschen zu finden sind. Denn das ist doch urunöglich: ein Geist, der sich der Lust ergeben hat, similieher Liebe und Leidenschaft, der Begierde, ein Geist, der oft durch Überfluß, bisweilen wieder durch Mangel in Bande geschlagen ist, wie könnte der unsere Tätigkeit als Redner- was es auch immer sei, was wir tun und wie wir es vorbringen -, wie könnte der das überhaupt leisten, nicht nur was das Auftreten selbst angeht, sondern auch die Gedankenarbeit! (46) Oder wißt ihr einen anderen Grund dafiir, warum bei so reichem Lohn der Redekunst, bei so großem Vergnügen des Redens, bei so viel Ruhm (tanta laude), so viel Einfluß (tanta gratia) und so viel Ehre (tanto honore) es stets doch nur wenige gibt und gab, die sich dieser Aufgabe verschrieben haben. Man muß sich dabei sämtlicher Vergnügungen entschlagen, alle Unterhaltung beiseite lassen, Spiel und Spaß, Besuch von Gastmählern, ja gar das Gespräch mit Freunden: alles hat zurückzutreten. Daher erregt bei diesem Beruf seine Mühsal (Iabor) 687 Vgl. Bonner 1977, 76ff.
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Widerwillen bei den Leuten und schreckt sie vom Studium ab - dabei fehlt es ja weder an Talenten noch an der nötigen Vorbildung in der . Jugend. "688 Auch wenn Ciceros Bild der Redekunst, geboren aus ingenium, industria und Iabor, hier sicherlich zugunsten seines Klienten das Element der Entsagung allzu sehr betont, verlangte dennoch die Beherrschung der Redekunst hat1es Training sowohl in theoretischer wie in praktischer Hinsicht. Die Kunst der Rede war im Rom der Späten Republik keine rein akademische, sondern stellte insbesondere fiir homines novi wie Cicero und Caelius, die weder über die finanziellen Ressourcen noch über das Prestige altadliger senatorischer gentes verfiigen konnten, das Sprungbrett in Öffentlichkeit und Politik dar. Die Redekunst, deren Grundlagen während des tirocinium fori erworben wurden, konnte dem jungen homo novus den Weg zu laus, gratia und honor eröffnen, also zu den römischen Zielen einer erfolgreichen männlichen Existenz. Laus, gratia und honor sind die wesentlichen Stationen auf dem Weg zur dignitas, also der absoluten Akzeptanz als Mann in allen gesellschaftlichen Bereichen und werden deshalb insbesondere auf den Monumenten fiir die Ewigkeit, den Grabinschriften, beispielsweise der Scipionen, 689 besonders betont. Ähnlich formuliert Cicero als Ziele des Caelius an anderer Stelle, honor, gloria und dignitas zu erlangen. 690 Die römische Begrifflichkeit mag modernen Betrachtern illlzu allgemein klingen und zu viele Begriffe fiir ein einziges Ziel umfassen: den Erwerb von "Ehre", die eine Schlüsselfunktion fiir die männliche Position besitzt. Die römische Bandbreite der Nuancen - laus, gratia und honor Cic. pro Cael. 19, 45/46 ("Audistis curn pro se diceret, audistis antea curn accusaretdefendendi haec causa, non gloriandi loquor - genus orationis, facultatern, copiarn sententiarurn atque verborurn, quae vestra prudentia est, perspexistis. Atque in eo non solurn ingeniurn elucere eius videbatis, quod saepe, etiarn si industria non alitur, valet tarnen ipsum suis viribus, sed inerat, nisi me propter benivolentiam forte fallebat, ratio et bonis artibus instituta et cura et vigiliis elaborata. Atqui scitote, iudices, eas cupiditates quae obiciuntur Caelio atque haec studia de quibus disputo non facile in eodern homine esse posse. Fieri enim non potest ut animus libidini deditus, amore, desiderio, cupiditate, saepe nirnia copia, inopia etiam non numquarn impeditus hoc quicquid est quod nos facimus in dicendo, quoquo modo facirnus, non rnodo agendo verurn etiam cogitando possit sustinere. (46) An vos aliam causarn esse ullarn putatis cur in tantis praemiis eloquentiae, tanta voluptate dicendi, tanta laude, tanta gratia, tanto honore, tarn sint pauci semperque fuerint qui in hoc Iabore versentur? Obterendae sunt ornnes voluptates, relinquenda studia delectationis, Iudus, iocus, conviviurn, sermo paene est farniliariurn deserendus. Qua re in hoc genere Iabor offendit hornines a studioque deterret, non quo aut ingenia deficiant aut doctrina puerilis."). 689 Vgl. S. 51 und S. 66 nebst Anrn. 240. 690 Vgl. Cic. pro Cael. 30, 72. 688
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bedeuten "Ehre" bzw. deren Erwerb, bezeichnen jedoch auch .die verschiedenen Bezugsebenen, auf denen Ehre erworben wird _691 verdeutlicht ·im übrigen die römische Besessenheit von genauen Kennzeichnungen erworbener Grade der öffentlichen Akzeptanz. . . . Das Institut des tirocinium fori basierte, wie bereits skizziert, auf -~iner Freundschaftsbeziehung zwischen älterem und jüngerem Mann, die einer Vat~r Sohn-Beziehung glich, die sich allerdings auf Toleranz gründete und des autoritären Elements entkleidet war.692 Anders als in anderen Gesellschaften, etwa der frühneuzeitlichen oder der modernen, in denen "peer groups" entscheidend zur Prägung des Adoleszenten beitragen, 693 muß der Einfluß der pater-imago, wie sie vor allem durch den Mentor des tirocinium fori vermittelt wurde, auf den römischen Heranwachsenden ungleich höher veranschlagt werden als der gleichaltriger junger Männer. Der adulescens bewegte sich also während des tirocinium fori immer in den Spuren seiner Väter oder der Vätergeneration seiner Zeit. So vertrat Cicero bei Caelius fast Vaterstelle. Der leibliche Vater, Caelius senior, bleibt in der Caeliana blaß; im Briefwechsel mit Cicero erwähnt Caelius den eigenen Vater mit keinem Wort. Es war Cicero, der Caelius den Weg in die Politik ebnete und der ihm auch trotz politischer Differenzen treu blieb. Hier scheidet sich der Weg eines adulescens, dessen gens einen Konsular aufzuweisen hatte, von dem des adulescens, der dem Ritterstand entstammte. Leitbild der adulescentes senatorischer Väter war in erster Linie sicherlich der eigene Vater, dessen Status zu erreichen war, jedoch nicht übertroffen werden mußte.694 Hier spielte die absolute Autorität des pater eine entscheidende Rolle. Rom als Gerontokratie konnte. seinen jungen Männem keine weiteren Zugeständnisse machen.695 Caelius' Ausgangssituation war wie die Ciceros eine andere. Beide waren homines novi, obscuro loco natu.696 Cicero hat in seinem Werk immer wieder seine "bescheidene" Herkunft betont und den Iabor seines Aufstiegs hervorgehoben. Ciceros virtus war in seinen eigenen Augen eine erworbene, keine ererbte und deshalb ungleich höher einzuschätzen als die eines nobilis. Für adulescentes, die homines novi waren und politischen Ehrgeiz an den Tag legten, besaß das tirocinium fori entscheidende Bedeutung, da sie davon ausgehen konnten, daß ihre Mentoren und Quasi-Väter sie weiterhin politisch 691 Vgl. Cic. Brut. 281. 692 Vgl. S. 90f. 693 Vgl. Hantover 1981, 88. 694 Vgl. Cic. de off. I, 32, 116. 695 Zum Konnex zwischen dempaterund der "Macht der Alten" vgl. Martin 1984, 96. 696 Vgl. S. 54f.
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unterstützen würden. Der Quasi-pater konnte deshalb unter diesen Umständen genauso wichtig oder noch wichtiger als der leibliche werden. Der adulescens beendete sein tirocinium fori mit seiner ersten großen öffentlichen Rede, · die gleichzeitig den Beginn der zweiten Phase der adulescent(a markierte. Von ihr wird jetzt zu reden sein.
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6. 2. Das Ende des tirocinium fori: Das Ritual der inlustris accusatio und das Ideal des Redners Die erste öffentliche Rede markierte nicht nur den Eintritt des adu/escens ·in ·die Welt der Öffentlichkeit, sondern auch den Beginn des Zeitraumes, den Cic~rö als vacatio adulescentiae oder Iudus aetatis, also die zweite Phase der adulescentia, charakterisiert hat. 697 Das Erlernen männlichen Verhaltens ist in jeder Gesellschaft mit dem Erwerb verschiedener Fähigkeiten und der Bewährung in ihnen verknüpft. Im Rom Ciceros existierten für die adulescentes der Oberschicht zwei Möglichkeiten, die Rituale des Männlichen zu erlernen und sich in ihnen zu erproben, das Kriegswesen und die Rednertätigkeit.698 Paradebeispiel für die erste Option war Pompeius, quasi ein adulescens imperator699, der Konsul wurde, ohne je den regulären cursus honorum absolviert zu haben;7oo Paradebeispiel für die zweite war sein Altersgenosse Cicero, der zum erfolgreichsten Redner überhaupt avancieren sollte. Es war konsequenterweise auch Cicero, der versuchte, die Rednertätigkeit, die ihre Entfaltung der libera res publica verdankt hatte, zur conditio sine qua non politisch wie gesellschaftlich erfolgreichen männlichen Verhaltens zu erheben.70t Diears dicendi als alternativer Weg zum Erfolg ist ganz Ciceros Idee:7G2 Denn Cicero, geprägt durch die positive Erfahrung seines Konsulates,703 stellte in
697 Vgl. S. 171. 698 Zu den "adulescentium officiis, quae valeant ad gloriam adipiscendam" (Cic. de ofT. II, 15, 52), nämlich Kriegswesen und Rednertätigkeit, vgl. Cic. de off. II, 13, 45: "Prima est igitur adulescenti commendatio ad gloriam, si qua ex bellicis rebus (Hervorhebung von mir) comparari potest, in qua multi apud maiores nostros exstiterunt..." und ibid., II, 14, 49: " ... cum ... multique in nostra re publica adulescentes et apud iudices et apud populum et apud senatum dicendo (Hervorhebung von mir) laudem assecuti sint. ..". 699 Zu Pompeius' erstem Triumph 79 v. Chr., den er im Alter von siebenundzwanzig Jahren abhielt und der ihm bewilligt wurde, obwohl er noch kein Amt bekleidet hatte- der Triumph war eigentlich Privileg eines Praetors bzw. Konsuls-, vgl. Plut. Pomp. 14. 700 Zum zweiten Triumph 71 v. Chr. und zum ersten Konsulat des Pompeius im Jahre 70 v. Chr. vgl. Plut. Pomp. 21f. 701 Vgl. S. 142f. 702 Noch 92 v. Chr. galt der Senatsaristokratie der Unterricht in lateinischer Rhetorik als "Iudus impudentiae", als Gefahr für die Vorherrschaft der Aristokratie; vgl. Tac. dial. de or. 35, 1. Natürlich darf der lateinische Rhetorikunterricht, der 92 v. Chr.durch die Censoren Crassus und Domitius Ahenobarbus verboten worden war, nicht mit der Erziehung gleichgesetzt werden, die ein adulescens während seines tirocinium fori durch seine
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Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Pompeius704 die Theorie auf, daß der orator dem imperator, dem Inbegriff männlichen gesellschaftlichen Erfolgs, an gesellschaftlicher Bedeutung und Vorbildfunktion in jeder Hinsicht gleichkomme. 705 Das tirociniwn fori des Caelius, begleitet durch den seit dem Prozeß gegen Verres populärsten Redner seiner Zeit,706 vermittelte dem adulescens Caelius nicht nur eine ausgezeichnete Ausbildung in der ars dicendi, es verlieh ihm auch das notwendige Selbstbewußtsein, vermutlich als erster homo novus ein Adelsprivileg fiir sich in Anspruch zu nehmen: die Beendigung des tirocinium fori durch eine aufsehenerregende Anklage eines altadligen Konsulars, nämlich des C. Antonius,707 Gestützt auf eine Ausbildung, die sich
Mentoren, die immer Politiker und Redner waren, genoß. Entscheidend bleibt indessen die Tatsache, daß die Redekunst bis Cicero immer ein Privileg der Senatsaristokratie war. 703 Zu Ciceros Konsulat vgl. Meier 1968. 704 Es war vor allem Cicero, der den direkten Vergleich mit Pompeins suchte (vgl. z. B. Cic. ad Att. I, 14, 4; 16, II; 19, 7), den er aber auch verehrte und demertrotz aller Kritik an der unentschlossenen Haltung des Pompeins in der Auseinandersetzung mit Caesar (vgl. z. B. Cic. ad Att. VII, 22, I; 26; VIII, 3, 3) letztendlich politisch treublieb (vgl. z. B. Cic. ad Att. II, 21, 4; VII, 3,5; 8, 4; 24, lf.; VIII, I, 4; IX, 10, 1; 11, 2ff.; XI, 7, 5). 705 Vgl. hier vor allem Cic. de off. I, 22, 77178: "IIIud autem optimum est ... : Cedant arma togae, concedat laurea laudi (Hervorhebung von mir). Ut enim alios omittam, nobis rem publicam gubernantibus nonne togae arma cesserunt? Neque enim periculum in re publica fuit gravius umquam nec maius otium. Ita consiliis diligentiaque nostra celeriter de manibus audacissimorum civium delapsa arma ipsa ceciderunt. Quae res igitur gesta umquam in bello tanta? Qui triumphus conferendus? ... Sunt igitllr domesticae fortitudines non inferiores militaribus; in quibus plus etiam quam in his operae studiique ponendum est (Hervorhebung von mir)." Ciceros Selbstüberschätzung wurde bereits von seinen Zeitgenossen spöttisch kritisiert; vgl. Cic. ad Att. I, 14, 5. Auch in seinem philosophischen Werk, insbesondere in de oratore, versucht Cicero, den Redner zum exklusiven Ideal von Virilität zu erheben; vgl. S. 195 nebst Anm. 734. 706 Cicero hatte durch seinen Sieg über Verres Hortensius als bis dahin erfolgreichsten Redner der Späten Republik auf jeden Fall infragegestellt, wenn nicht abgelöst; vgl. Fuhrmann 1994, 69. 707 Zum außergewöhnlichen Verhalten des Caelius vgl. Heinze 1925, 206: "(Caelius) war in ganz jungen Jahren als Ankläger des Konsularen Antonius zuerst hervorgetreten: solches hat aber, wie es scheint, als Privileg der jungen nobiles gegolten. In allen Fällen, die ich überblicke, sind die jungen Leute, die ihre forensische Lautbahn mit einer politischen Anklage begannen, nobiles gewesen, so unter Ciceros Gegnern Atratinus selbst ... , Laterensis der Ankläger des Plancius, Torquatus der des Sulla, Laelius der des Flaccus, Ser. Sulpicius Mitankläger des Murena; das sind die pueri nobiles, die als Ankläger in Staatsprozessen, wie Cicero div. in caec. 24 (vgl. 68; Verr. III 3) beklagt, neben den quadntplatores die Rolle des öffentlichen Anklägers usurpiert haben." Diese Reihe läßt sich mit weiteren prominenten Beispielen fortsetzen; vgl. S. 191 f.
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dem aristokratischen Prinzip gemäß an der Nachahmung der Älteren und der adligen aequales orientierte, forderte Caelius im Alter von dreiundzwanzig Jahren seinen Mentor erfolgreich heraus und bewies, daß er seine Lektion gelernt hatte: "(Caelius) hat sich in seinen Jugendjahren dem Lernen gewidmet, .den Fächern, die uns auf die Gerichtstätigkeit hier wie auf die politische Lautbahn vorbereiten, also auf Ehrenstellen, Ruhm und Ansehen. Bei seinen Freundschaften mit Älteren ging es ihm darum, ihre Tüchtigkeit und Charakterfestigkeit nachzuahmen. Sein Umgang mit Gleichaltrigen erwies, daß er dieselbe ehrenvolle Lautbahn einzuschlagen gedachte wie die Besten und Vornehmsten ... Sodann wollte er dem Herkommen entsprechend und nach dem Beispiel der jungen Männer, die später in diesem Staat bedeutende Männer und höchst angesehene Bürger geworden sind, dem römischen Volk seine Einsatzbereitschaft beweisen, indem er eine aufsehenerregende Anklage einbrachte (industriam suam a populo Rarnano ex aliqua inlustri accusatione cognosci). Mir wäre es lieber gewesen, er hätte sein Ruhmesstreben in andere Bahnen gelenkt, aber heute ist es zu spät, das zu bedauern. Er klagte meinen Kollegen Gaius Antonius an... "708 Cicero spricht hier von der quasi offiziellen Beendigung des tirocinium fori, der ersten öffentlichen Anklagerede,709 also dem Schritt des adulescens in die Welt des Forum und des öffentlichen Rituals des Prozesses.7IO Dergesellschaftliche Ganz anders hatte Cicero seine rednerische Lautbahn mit Verteidigungen begonnen, dieser Richtung blieb er von wenigen Ausnahmen abgesehen (Verres) treu; vgl. Fuhrmann 1994, 66. Cicero schätzte das Genre der Verteidigung ungleich höher als das der Anklage; Vgl. Cic. de off. ll, 14, 49. Cicero hatte auch, ganz anders als Caelius, sein tirociniumfori nicht mit einer aufsehenerregenden Rede abgeschlossen. 708 Cic. pro Cael. 30, 72 ff. ("Cuius prima aetas disciplinae dedita fuit eisque artibus quibus instruimur ad hunc usum forensem, ad capessendam rem publicam, ad honorem, gloriam, dignitatem. Eis autem fuit amicitiis maiorum natu quorum imitari industriam continentiamque maxime vellet, eis studiis aequalium ut eundem quem optimi ac nobilissimi petere cursum Iaudis videretur... Voluit vetere instituto et eorum adulescentium exemplo qui post in civitate summi viri et clarissimi cives exstiterunt industriam suam a populo Romano ex aliqua intustri accusatione cognosci. Vellem alio potius eum cupiditas gloriae detulisset; sed abiit huius tempus querelae. accsavit C. Antonium, conlegam meum ... "). 709 Vgl. Liv. XLV, 37, 3: "Servius quidem Galba, si in L. Paulo accusando tirocinium ponere et documentum eloquentiae dare voluit.. ." 710 Vgl. Thomas 1984, 64 zur Welt der Prozesse in der Republik, die er als "cet echange plus ou moins ritualise de violence" charakterisiert.
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und psychische Druck, der auf dem adulescens lastete, muß ungeheuer gewesen sein; denn der Prozeß war immer auch ein Duell vor einem riesigem Publikum und Feuerprobe der erworbenen Fähigkeiten,?! I Deshalb verknüpft Cicero im oben zitierten Argument die inlustris accusatio, die einen Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung des adulescens - vorher Schüler und Beobachter, jetzt selbst Akteur - darstellte, mit den adulescentes, die später zu den summi viri zählen sollten: Die inlustris accusatio markierte den ersten Schritt in die Welt der Männer. Sie war im Grunde ein Privileg der Angehörigen der Senatsaristokratie; noch Cicero kaprizierte sich von Anfang an auf Verteidigungen, erst Caelius wagte es, mit dieser Tradition zu brechen.712 Hier liegt der eigentliche Gtund ftir Ciceros ausführliche Rechtfertigung der Anklage des Antonius durch Caelius. Nicht die Anklage an sich konnte Kritik in den senatorischen Kreisen auslösen, sondern die Herkunft des Anklägers. Caelius' erster Auftritt machte deutlich, an welchen Normen er sich zu orientieren wußte und wo seine Vorbilder waren: in den Reihen der altadligen gentes. Zwar wurde das tirocinium fori offiziell durch die erste öffentliche Rede beendet, es gab jedoch keinerlei Vorschriften darüber, wann diese erste Rede stattzufinden hatte. So klagte Atratinus bereits im Alter von siebzehn Jahren den Caelius an, während Caelius zum Zeitpunkt seines ersten öffentlichen Auftritts bereits dreiundzwanzig Jahre alt war. Clodius klagte 65 v. Chr., also mit fünfundzwanzig Jahren, Catilina allerdings erfolglos de repetundis an. 119 v. Chr. belangte L. Crassus, einer der Dialogpartner in de oratore, im Alter von einundzwanzig Jahren erfolgreich den C. Carbo unter der gleichen Anklage. Caesar war bei seiner ersten öffentlichen Anklagrede gegen Dolabella ebenfalls einundzwanzig Jahre alt. Dolabella, der spätere Schwiegersohn Ciceros, klagte dagegen bereits mit neunzehn Jahren erfolglos im Jahre 59 v. Chr. den Appius
711 Wiseman 1985, 69 beschreibt im Zusammenhang mit dem Verfahren des Caelius äußerst plastisch die Atmosphäre, die der adulescens bei seiner ersten Gerichtsrede zu
vergegenwärtigen hatte: "Trials in the Roman Republic were not held in a sober courtroom, but outside in the sunshine, with the forum crowd jostling around. The corona, or ring of bystanders, enclosed the space like an arena, and what went on within might weil be, in effect, a mortal combat. Within the space were the presiding magistrate on bis tribunal, the three decuriae of judges on their benches ... , and confronting each other from opposite sides, the benches of the prosecution and defence." Die Ähnlichkeit mit dem öffentlichen Zweikampf ist frappant. 712 Vgl. Gotter 1996: "(Ciceros) Selbstachnmg und die fehlenden Verbindungen seiner Familie verboten ihm auch, nach Art juveniler Adliger einen beliebigen Schauprozeß gegen irgendeinen beriihmten Politiker zu entfesseln, um den eigenen Namen karrierefördernd bekannt zu machen."
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Claudius Puleher an.713 Das tirocinium fori kann demnach nicht bloß ein Jahr gedauert haben, wenn man sein Ende mit der ersten öffentlichen· .Rede gleichsetzt. Es konnte vielmehr einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren umfassen und ermöglichte demnach eine äußerst gewissenhafte Schulung · und· eine behutsame, fast gemächliche Initiation des adulescen$ in die Wek. der Öffentlichkeit, die im Rom der Späten Republik immer auch die Welt der Rede war. Die gesellschaftliche Praxis räumte den Jugendlichen der Oberschichten also mit den Anlegen der toga virilis eine relativ lange Phase der Orientierung ein, die mehr durch freiwillige Imitation der Älteren denn durch Restriktion gekennzeichnet war. Caelius wählte wie viele andere adulescentes seiner Zeit, sicher durch das Vorbild Ciceros beeinflußt, die Rednerlaufbahn und begann sie mit einem bahnbrechenden Erfolg. Er bewährte sich glänzend in dem für Rom äußerst wichtigen Ritual der Männlichkeit, der spektakulären Anklage am Ende des tirocinium fori.114 Die erste große Rede eines adulescens war beileibe kein "beliebiger Schauprozeß"715, sondern sie hatte im Gegenteil bestimmten Kriterien zu genügen: Sie mußte aufsehenerregend sein, sie mußte eine Anklagerede sein,716 und sie mußte ein prominentes Opfer haben. Allerdings mußte kein Sieg über den meist älteren, politisch etablierten Gegner errungen werden. Diese Auseinandersetzung vor Gericht wies demnach gewisse Parallelen mit dem Duell der Neuzeit auf, das letztendlich vor allem die Autonomie des männlichen Selbst verdeutlichen sollte.717 Beide zielen als "symbolische Praxis"718 auf Konfrontation und Kräftemessen, beide stehen im Dienst der männlichen Selbstvergewisserung und gesellschaftlichen
713 Zu Crassus und Caesar vgl. Tac. dial. de or. 34, 7, wo außerdem noch Asinius Pollio und Calvus (erste Anklagerede mit zweiundzwanzig Jahren) als Beispiele angeführt werden. Zu Clodius' Anklage des Catilina vgl. Cic. de har. resp. 42; in Pis. 23; Cass. Dio XXXVII, 10, 3; zu Dolabellas Anklage des Appius, Vorgänger Ciceros in der Verwaltung Kilikiens, vgl. Cic. ad Att. VI, 7, 1. Zur gleichen Zeit heiratete Dolabella Ciceros Tochter Tullia, die acht Jahre älter als er war. 714 Vgl. Gruen 1974, 288 (zur Anklage des C. Antonius): "Three young men handled the prosecution- a splendid opportunity for public display and personal advancement." und ibid., 353 (zur Anklage des Appius Claudius): "Dolabella ... was angling ... for the fame of a successful prosecution." 715 So m. E. unrichtig formuliert von Gotter 1996, 108, zutreffender ibid., 268 zu Dolabellas Anklage des Appius Claudius, wo diese erste Anklage als "eine Art politischer Initiation nach .den gängigen Muster der jeunesse doree" charakterisiert wird. 716 Zur Ausnahme Cicero vgl. S. 189f. nebst Anm. 707. 717 Vgl. Frevert 1991, 196; 214. 718 Vgl. ibid., 17.
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Standortbestimmung.719 Da Männlichkeit anders als Weiblichkeit der biologischen Initiation enträt, ist sie auf Rituale angewiesen, auf Grenzen, die von außen gesetzt werden. Für die adulescentes der Späten Republik war die erste Anklagerede ein derartiges Ritual, das als Abgrenzungsritual im Sinne einer kontrollierten Gewalt interpretiert werden kann.720 Meist wurden Gegner geWählt, die wesentlich älter waren und den cursus honorum weitgehend absolviert hatten. Bei der Anklage des C. Antonius durch Caelius war diese Vorimssetzung sogar in doppelter Hinsicht erfüllt: Der Anklagte war ein Konsular, der Verteidiger, nämlich Cicero, ebenfalls. Und der Verteidiger war eine Vaterfigur des Anklägers, vielleicht noch mehr als der leibliche Vater selbst.721 Der Sieg des Caelius über Cicero kam also einer Emanzipierung gleich. Mit dem Eintritt in die Lautbahn eines Anwalts und Redners begann der Caeliana zufolge auch die Phase der adu/escentia, die durch Verpflichtungen einerseits, durch Freiräume in sexueller Hinsicht andererseits gekennzeichnet war.722 Der Zeitabschnitt der adulescentia war keinemfesten Ende unterworfen. Caelius verließ die väterliche domus im Alter von dreiundzwanzig Jahren nach seiner erfolgreichen Anklage des Antonius und bezog eine Wohnung auf dem Palatin. Trotzdem blieb er adulescens. Dieser Auszug mag allerdings nicht typisch für einen adulescens gewesen sein, da Caelius gerade in diesem Punkte mangelnde pietas vorgeworfen wurde. Die gesellschaftliche Erwartung scheint demnach eher einen Verbleib des adulescens im Hause des Vaters gefordert zu haben, vermutlich auch nach einer Eheschließung.723
719 Frevert 1991, 197f. hat das Duell als Ritual der männlichen Abgrenzung und Selbstvergewisserung des eigenen Geschlechts interpretiert.
720 Vgl. ibid. 721 Männlichkeit formt sich zunächst an den Vorbildern der Kindheit, insbesondere am Vater. Während der Adoleszenz kann aber auch der Protest gegen den Vater und gegen die Männer, die als Imagines des Vaters fungieren, geprobt werden; vgl. S. 16f. 722 Vgl. S. 171f. 723 Vgl. S. 118f. Die These von Dixon 1988 und Kleijwegt 1991, 64, daß der adulescens nach Anlegen der toga virilis in der Regel die väterliche domus verließ, ist kaum zu halten und wird zudem nur durch eine nichtrömische Quelle gestützt (Nicolaus v. Damascus zum Leben des Augustus). Ein früher Auszug hätte allen Regeln der patria potestas und den Prinzipien der römischen Gerontokratie widersprochen. Wo hätte schließlich der adulescens ohne eigene finanzielle Mittel - das peculium gehörte rein juristisch ja weiterhin dem paterfamilias leben sollen? Dixon und Kleijwegt scheinen in ihrer Argumentation die Erziehung während des tirocinium fori, während der der adulescens noch zuhause lebte, jedoch seine Mentoren mehrfach täglich aufsuchte, mit einem Auszug zu verwechseln. Man beachte, daß der Auszug des Caelius im Alter von immerhin dreiundzwanzig Jahren noch kritisiert wurde. Zum
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Die Phase der adulescentia ist anders als die der modernen Adoleszenz als Zeitraum der Ambiguität, also der Zweideutigkeit des Status. des adulescens, gekennzeichnet durch das Nebeneinander von Charakteristika von Kindheit und Erwachsens ein, beschrieben worden,724 Für die Einbindung der aditlescentes in die Welt der erwachsenen Männer spricht neben der Rednerlaufbahn die reiativ· frühe Bekleidung vor allem municipaler, aber auch priesterlicher Ämter durch adulescentes. 725 So wurde Caelius bereits vor dem gegen ihn angestrengten Prozeß in absentia in das Gremium der Decurionen seiner Heimatstadt, also den lokalen Senat, gewählt,726 Cicero überliefert außerdem in der Sestiana den Fall des P. Lentulus, der mit sechzehn Jahren die toga virilis erhielt und gleichzeitig in das Kollegium der Auguren gewählt wurde. 727 Als weiteres Beispiel kann Ciceros dritter Schwiegersohn P. Dolabella, der mit achzehn Jahren das Amt eines XV vir sacris faciundis bekleidete, angeführt werden. 728 In der Spannung zwischen der Einbindung der jungen Männer in "kleine" Karrieren und möglicherweise in eine Rednerlaufbahn einerseits und dem gesellschaftlich tolerierten Freiraum, wie er sich in bezug · auf Frauen des meretrix-Typus manifestiert, 729 andererseits, liegt in der Tat ein Status der Ambiguität begründet: Der adulescens bewegte sich immer in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld zwischen vacatio und Pflicht. Caelius wählte den Weg des orator: Trotz Nutzung aller Freiräume, die dem adulescens gestattet waren - auffälliges, sogar aggressives Auftreten in der Öffentlichkeit, Verschwendung, Beziehungen zu Frauen mit zweifelhaftem moralischen Ruf -,730 nahm er die Belastungen einer Rednerlaufbahn auf sich:
peculium und der Annahme, daß ein froher Auszug aus der väterlichen domus nicht die Regel gewesen sei, vgl. auch Thomas 1996, 301ff. 724 Vgl. S. 176, Anm. 654. 725 Zum Viginti(sex)virat vgl. S. 176f. nebst Anm. 655 und 656. 726 Vgl. Cic. pro Cael. 2, 5: "Nam quod est obiectum municipibus esse adulescentem non probatum suis, nernini umquam praesenti +Praestutiani+ maiores honores habuerunt, iudices, quam absenti M. Caelio; quem et absentem in amplissimum ordinem cooptarunt et ea non petenti detulerunt quae multis petentibus denegarunt." 727 Vgl. Cic. pro Sest. 69, 144: "cui superior annus idem et virilem patris et praetextam populi iudicio togam dederit. .. " 728 Vgl. S. 233. ·729 Vgl. hierzu S. 200ft: 730 So soll Caelius einem Senator gegenüber in aller Öffentlichkeit tätlich geworden sein (vgl. Cic. pro Cael. 8, 19), Matronen belästigt (vgl. Cic. pro Cael. 7, 20) und den Ruf eines Verschwenders genossen haben (vgl. Cic. pro Cael. 7, 17).
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"Hätte nun Caelius, wenn er wirklich dem Wohlleben verfallen wäre, schon in ganz jungen Jahren einen ehemaligen Konsul vor Gericht gezogen? Würde er, wenn er jede Mühe scheute (si /aborem fugeret), · wenn ihn die Begierden in Bann hielten, tagtäglich auf diesem Kampfplatz auftreten, sich Feinde machen, Anklagen betreiben, sich der Gefahr von Kapitalprozessen aussetzen, ja würde · er nun schon monatelang unter den Augen des römischen Volkes einen Kampf ausfechten, bei dem er seine Existenz aufs Spiel setzt, um Ruhm (gloria) . zu gewinnen?"73t Anders als in der Modeme war die Anwaltstätigkeit in Rom kein Broterwerb; der Empfang von Honoraren war untersagt.732 Deshalb blieb die Laufbahn des orator ein Privileg der vermögenden Schichten; deshalb war auch die zweideutige Lebensphase der adulescentia ausschließliches Privileg der jungen Männer des Ritterstandes und der Senatsaristokratie. Weg und Ziel werden von Cicero oben prägnant formuliert: durch Iabor gilt es, gloria zu erreichen.733 Die voluptates dürfen deshalb im Leben eines angehenden Redners wenn überhaupt nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Welt der Redner und Prozesse ist die Welt der Männer, in der es sich zu behaupten gilt. Das Ausleben der voluptates hingegen findet in der gemischten Welt der Geschlechter statt; gerade deshalb muß es marginalisiert werden. Die Etablierung qua Redekunst vollzieht sich in der Öffentlichkeit des Forum und gleicht dem Kampf von Mann zu Mann; Cicero spricht in der oben zitierten Passage von "acies" und "dimicare", wobei gerade "dimicare", also der Kampf Mann gegen Mann bis zur letzten endgültigen Entscheidung, die Aspekte der Aggression und der Rangordnung betont. Cicero hat in seinem späteren philosophischen Werk denoratorzum Mannpar exce/lence stilisiert, da vor allem er den Erhalt der res publica garantieren könne.734 Spuren finden sich bereits in Pro Caelio. Geboren aus der 731 Cic. pro Cael. 19, 47 (,,An hic, si sese isti vitae dedidisset, consularem hominem admodum adulescens in iudicium vocavisset? hic, si Iaborern fugeret, si obstrictus voluptatibus teneretur, hac in acie cotidie versaretur, appeteret inimicitias, in iudicium vocaret, subiret periculum capitis, ipse inspectante populo Romano tot iam mensis aut de salute aut de gloria dimicaret?"). 732 Vgl. K1eijwegt 1991, 165ff. zum Status römischer Anwälte und Rechtsgelehrter. 733 Zur Bedeutung des Iabor vgl. auch S. 55. 734 Zur Bedeutung des Redners für den Erhalt des Gemeinwesens vgl. Cic. de or. I, 34: "sie enim statuo perfecti oratoris moderatione et sapientia non solum ipsius dignitatem, sed et privatorum plurimorum et universae rei publicae contineri."; Zur Redekunst als einer der höchsten Tugenden vgl. ibid., III, 55: "Est enim e1oquentia una quaedam de summis
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Notwendigkeit, die amoureusen Abenteuer seines Klienten zu erklären, formulierte Cicero seine Vorstellung des Iudus aetatis, die einen begrenzten Freiraum beschreibt. Ein angehender orator kann zwar den Freiraum der voluptates der adulescentia nutzen, explizit den Umgang mit einer· Frau. wie Clodia; er wird jedoch freiwillig auf diesen Freiraum v:erzichten,. sobald seine Ambitionen gefährdet sind. 735 Caelius klagte den Bestia an, um die Gerüchte über seine Liebschaft zum Schweigen zu bringen, also um über ein erneutes Duell in die Welt der Männer zurückzukehren. Die Standortbestimmung des adulescens vollzieht sich nicht nur im Agon mit den älteren Männem, sondern auch im Austragen von rednerischen Duellen der jungen Männer untereinander, beispielhaft in der Caeliana durch die Konfrontation Atratinus- Caelius. Beim Verfolgen der rednerischen Laufbahn mußten die aequales ebenfalls in ihre Schranken gewiesen werden: "In der folgenden Zeit (also nach dem Prozeß gegen Antonius, d. V.) ließ sich Caelius von keinem seiner Altersgenossen (aequalium) übertreffen, so häufig erschien er auf dem Forum, trat als Beistand seiner Freunde in Geschäften und Prozessen auf, und so viel Ansehen erwarb er sich bei seinen Bekannten. Was nur unermüdlich tätige, nüchterne und strebsame Männer zu erreichen vermögen, das hat er alles mit ausdauernder, gründlicher Arbeit erreicht. "736 Die Zweideutigkeit der adulescentia löst sich in der Eindeutigkeit der Anforderungen einer politischen Karriere, die allein durch Akzeptanz des männlichen Verhaltenskodexes bewältigt werden können, in dessen Zentrum die Ideale des Iabor - der diametrale Gegensatz zu den voluptates - und der industria und die Ziele gratia und gloria stehen. In der Modeme sind berufliche Laufbahn und Gründung eines eigenen Hausstandes eng miteinander verknüpft und markieren das Ende der Adoleszenz; Aufgabe der römischen adulescentia virtutibus; quamquam sunt omnes virtutes aequales et pares, sed tarnen est specie alia magis alia formosa et inlustris, sicut haec vis, quae scientiam complexa rerum sensa mentis et consilia sie verbis explicat, ut eos, qui audiant, quocumque incubuerit, possit impellere; quae quo maior est vis, hoc est magis probitate iungenda summaque prudentia..." 735 Vgl. Cic. pro Cael. 31,75176. 736 Cic. pro Cael. 31, 74 ("Postea nemini umquam concessit aequalium plus ut in foro, plus ut in negotiis versaretur causisque amicorum, plus ut valeret inter suos gratia. Quae nisi ·vigilantes homnines, nisi sobrii, nisi industrii consequi non possunt, omnia Iabore et diligentia est consecutus.").
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ist dagegen vor allem die Einbindung der jungen Männer in die Welt der älteren. Die Gründung einer Familie ist für den Erwerb des Prädikats ,.Mann" sekundär; als primär erweist sich die Aufnahme des jüngeren Mannes in die · gesellschaftliche Welt der Männerunter sich. Die Karriere als orator hat hier sicher Leitbildfunktion besessen, vermutlich insbesondere ftir die adulescentes aus den: Reihen der equites. · . Der. ambigUe Status des adulescens läßt sich in der Caeliana nur durch einen Umstand begründen, den des Iudus aetatis. Abseits vom Iudus aetatis war die adulescentia aus der Sicht Ciceros vor allem durch die Auseinandersetzungen des adulescens mit Männem geprägt, auf vertikaler Ebene mit älteren, auf horizontaler Ebene mit den aequales. Diese Duelle können als Einordnungsversuche des adulescens in die Welt der Männer charakterisiert werden, und sie sprechen gegen die Auffassung, daß die adulescentia in Rom als eigener Abschnitt der männlichen vita mit eigenen Gesetzen definiert wurde. Die adulescentia präsentiert sich in der Caeliana vielmehr als integraler Teil der Virilität überhaupt und umschreibt deren Lemprozeß. Dieser Lemprozeß blieb wohlgemerkt den Angehörigen der Oberschichten Roms vorbehalten und unterschrieb deren Exklusivität und Herrschaftsanspruch.
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6. 3. Der adulescens und die Frauen: · Iudus aetatis und meretrices amores Ciceros Definition der adulescentia auch als Phase des "ludus aetatis"737 in seiner Rede für Caelius wurde von modernen Kommentatoren unter der Parole "Laßt doch der Jugend ihren Lauf" fast beiläufig subsumrniert.738 Die modernen Interpretationen lassen indessen die Tatsache außer Acht, daß Ciceros positives Bild der adulescentia gerade in diesem Punkt ein für seine Zeit ganz neuer Entwurf war. Die römische Welt forderte ja im Gegenteil eine restriktive Erziehung und permanente Kontrolle junger Männer, um deren Zügellosigkeit Herr zu werden, definierte also die Phase des Heranwachsens im wesentlichen als negativ.739 Cicero konstatiert dagegen in bezug auf die cupiditates der adulescentia den Primat der natura. 740 Da die natura an sich ein bonum ist, können die cupiditates, die eine Kernerfahrung der adulescentia sind, nicht negativ sein. Die adulescentia ist auch Zeit des Iudus und Zeit der vacatio. Gehorchen die adulescentes ihren cupiditates, ohne dabei gesellschaftlichen Schaden anzurichten, haben sie die Möglichkeit, nach Ausleben der cupiditates den Status eines erwachsenen Mannes und vollwertigen Bürgers zu erreichen.741 Cicero bietet gerade in der Caeliana in polemischer Auseinandersetzung mit den konservativen Ansichten seiner Zeit, die immer noch trotz der von Cicero beschworenen humanitasbestimmend gewesen sein müssen, eine Definition der adulescentia, die verblüffend modern anmutet, da sie die Kernpunkte moderner soziologischer wie psychologischer Versuche, den Begriff der Adoleszenz näher zu umreißen, vorwegnimmt. Aus moderner Sicht stellt sich die Adoleszenz, wobei es sich immer um die männliche Adoleszenz handelt, als Lebensphase dar, die mit bzw. nach der Pubertät beginnt, unter Umständen durch Krise und Rebellion gegen die existierenden gesellschaftlichen Nonnen gekennzeichnet ist und mit dem Eintritt des Mannes in die Welt der erwachsenen Männer endet; dieser Eintritt manifestiert sich im wesentlichen durch die Gründung einer Familie und die Aufnahme einer beruflichen 737Vgl. S. 139f., S. 171 und S. 197. 738 Vgl. beispielsweise Stroh 1975, 259. 739 Vgl. S. 22 nebst Anm. 55. Auch Cicero ist sich der "maxima inbecillitas consilii" (Cic. de off. I, 32, 117) im Lebensabschnitt der adulescentia bewußt, betont jedoch in diesem Kontext den positiven Einfluß älterer Vorbilder (vgl. Cic. de off. I, 32, 118ft:). 740 Vgl. hier und zum Folgenden S. 125f. 741 Vgl. Cic. pro Cael. 17,41-18,42 und S. 169f.
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Tätigkeit.742 Zwei Faktoren bestimmen die Adoleszenz vor allem: die Sexualität und das Erlernen gesellschaftlich geforderten männlichen Verhaltens. 743 In sexueller Hinsicht wird die Ausbildung einer eindeutig heterosexuellen Geschlechtsrolle erwartet, während in bezug auf soziales Verhalten die Ein- und Unterordnqng in die männlich dominierten gesellschaftlichen Gesellschaftsstrukturen gefordert wird. 744 Cicero begreift in der Caeliana die adulescentia als einen Lebensabschnitt, der in zwei Phasen verläuft, und thematisiert in seiner Darstellung der zweiten Phase das Problem des sexuellen Verhaltens:745 Sexuelle Erfahrungen seien im positiven Sinne natürlich, wenn sie heterosexuelle Prägung tragen. Cicero plädiert nur hier für den Freiraum, eigene Erfahrungen zu sanuneln, sofern bestimmte Verhaltensregeln beachtet werden. Ergebnis der adulescentia muß letztendlich die freiwillige Einordnung in die Welt der Männer sein - Cicero benutzt an anderer Stelle die Formulierung "cum vir inter viros esset", um das Ende dieses Lebensabschnitts zu beschreiben -;746 diese Einordnung manifestiert sich in der Gründung eines Hausstandes ("cura rei domesticae"), in der Aufnahme einer Tätigkeit, vorzüglich als Redner ("cura rei forensis") - hier ist, wie gezeigt, die erste öffentliche Rede von hervorragender Bedeutung - und in der Akzeptanz des herrschenden gesellschaftlichen Systems ("cura rei publicae").747 Cicero nimmt also nicht nur die wesentlichen Elemente moderner Theorien zur Adoleszenz in groben Zügen vorweg - Adoleszenz als Phase der sexuellen Orientierung und Vorbereitung auf gesellschaftliche Verantwortung , er ist sich auch über die gesellschaftliche Relevanz der Altersgruppe der adu/escentes, die die kommenden Politiker stellte und als Klientel von herausragender Bedeutung sein konnte, im klaren. So richtet sich auch Ciceros politische Progranunrede, die Sestiana, die das politische Übel der discordia durch den "Consensus omnium bonorum" kurieren möchte, wie gezeigt, vor allem und inuner wieder an die adulescentes bzw. an die iuventus.748 In der Caeliana verweist er nicht nur auf die adulescentes im Gefolge Catilinas, deren 742 Vgl. S. 15ff. und Kastner 1985,20. 743 Vgl. Gillis 1980,23 und Kleijwegt 1991, 27ff. 744 Vgl. S. 19. 745 Vgl. S. 125f. 746 Vgl. Cic. pro Cael. 5, 11: .,Sed qui prima illa initia aetatis integra atque inviolata praestitisset, de eius fama ac pudicitia, cum iam sese conroboravisset ac vir inter viros esset (Hervorhebung von mir), nemo loquebatur." 747 Vgl. Cic. pro Cael. 18, 42. 748 Vgl. S. 60f. und Cic. pro Sest. 6, 14; 23, 51; 44, 95196; 48, 102. Zur politischen Programmatik der Sestiana vgl. Fuhrmann 1994, 142f. mit Kritik an deren mangelnder Einsicht in die realen politischen Kräfteverhältnisse.
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Geleitschaft letztendlich als Akt politischer Partizipation und Stellungnahme gewertet werden muß, sondern legt den Richtern auch nahe, in Ca:elius, dem adulescens, den künftigen civis und Garanten politischer Stabilität zu sehen.749· Ciceros Darstellung des Iudus aetatis in seiner Rede fiir Caelius ist untrennbar mit der Demontage der Glaubwürdigkeit der wichtigsten Zeugin der Anklage, Clodias, die während des Prozesses anwesend war, verbunden. 750 So gibt Cicero Clodia gleich zu Beginn seiner Rede ·die Schuld ·an dem gesamten Verfahren gegen Caelius, in seinen Worten den opes meretriciae und der Iibido muliebris der Clodia, die als rachsüchtige, verlassene Geliebte dargestellt wird.751 Seine Verteidigung inkriminiert konsequenterweise Clodia in allen Bereichen ihres Lebens und exculpiert Caelius in seiner groß angelegten apologia adulescentiae, deren beherrschendes Thema der Iudus aetatis ist.752 Clodia ist Ciceros Plädoyer zufolge nicht die matrona mit beträchtlichem politischem Einfluß, sondern eine meretrix, die ihre gesellschaftlichen Grenzen überschritten hat. Die meretrix besitzt kein Recht zur Zeugnisaussage, geschweige denn das Recht, selbst eine Anklage anstrengen zu lassen.753 Die Anklage des Caelius wird deshalb hinfa.llig, wenn Clodia als meretrix überfiihrt werden kann. Dieser Nachweis enthebt Cicero im übrigen der genauen Klärung des Verhältnisses zwischen Clodia und Caelius; denn selbst wenn es existiert hat, kann es Caelius nicht negativ ausgelegt werden. Denn es ist, wie gezeigt, Teil des Iudus aetatis, sexuelle Erfahrungen zu sammeln, sofern bestimmte Regeln eingehalten werden: der Verzicht auf homosexuelle Erfahrungen, auf
749 Vgl. Stroh 1975, 259 und Cic. pro Cael. 32, 80: "Quem si nobis, si suis, si rei publicae conservatis, addictum, deditum, obstrictum vobis ac liberis vestris habebitis omniumque huius nervorum ac Iaborum vos potissimum, iudices, fiuctus uberes diutumosque capietis." 750 Vgl. Rarnage 1984, 202, der Ciceros Vorgehen zutreffend als "character assassination" beschreibt. Vgl. ibid., 209 zur Notwendigkeit, Clodias Glaubwürdigkeit zu untergraben, um den Prozeß zu gewinnen. Zu Clodias Anwesenheit während des Verfahrens vgl. Cic. pro Cael. 13, 31 : ,,Horum duorum criminum video auctorem, video fontem et caput (Hervorhebungen von mir)." 751 Vgl. Cic. pro Cael. 1, I: " ... (Caelium) oppugnari autem opibus meretriciis: ... libidinem muliebrem comprimendam putet"; wie bereits gezeigt, rahmt das Thema der adulescentia Ciceros Rede ein; vgl. S. 162. Genauso verhält es sich mit dem Bild des jungen Mannes, dessen Existenz durch eine Frau bedroht wird; vgl. Cic. Pro Cael. 32, 78: "ne patiamini illum (= Sexturn Cloelium) absolutum muliebri gratia, M. Caelium libidini muliebri condonatum, ne eadem mulier cum suo coniuge et fratre et turpissimum latronem eripuisse et honestissimum adulescentem oppressisse videatur." 752 Vgl. S. 124f. und S. 137f. 753 Zum rechtlichen Status der meretrix vgl. Schneider 1931, Sp. 1026. Zu Ciceros Ziel, Clodia als meretrix zu diffamieren, vgl. S. 135f. und S. 144f. sowie Rarnage 1984, 206f.
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den Verkehr mit unberührten oder verheirateten, ehrbaren Frauen.754 meretrices amores755 als Teil des Iudus aetatis rücken diese Beziehungen in die Nähe einer sexuellen Initiation, gesellschaftlich gebilligt und gleichzeitig von nur marginaler Bedeutung fiir die sonstige gesellschaftliche Bewertung des adulescens, die sich in erster Linie über sein Agieren in der Welt der Männer konstituiett.756 Diese Einstellung zu vorehelichen sexuellen Erfahrungen weist gewisse Parallelen mit der Haltung des Bürgertums im neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhunde1t auf, die voreheliche Erfahrungen mit Prostituierten akzeptierte.m Cicero hatte den voluptates des adulescens ihren angemessenen Platz eingeräumt, indem er sie als natürlich charakterisiert hatte.758 Caelius hat seine voluptates bei Clodia aus Sicht Ciceros, wie bereits gezeigt,759 der gesellschaftlichen Konvention gemäß ausgelebt, da Clodia ihren Status der matrona freiwillig gegen den einer meretrix160 eingetauscht hatte. Und es war dem adulescens erlaubt, mit Prostituierten zu verkehren, da auch in Rom die Prostitution als Regulativ männlichen sexuellen Verlangens außerhalb legitimierter Beziehungen gestattet war.761 Caelius' Verkehr mit Clodia entspricht Cicero zufolge den Bedürfnissen und den natürlichen Rechten seiner aetas. Denn anders als der weiblichen Iibido, die ewig und unbezähmbar ist, ist
754 Vgl. S. 139f. 755 Vgl. Pro Cael. 20, 48: "Verum si quis est qui etiam meretriciis amoribus interdieturn iuventuti putet, est ille quidem valde severus ... "
756 Vgl. meine Ausfiihrungen zu Cato maior S. 70ff. und zum Duell der Rede als symbolischer Praxis S. 192ff. 757 Vgl. Hubbard 1983, 253ff. 758 Vgl. S. 125f. 759 Vgl. S. 135f. 760 Vgl. Cic. pro Cael.16, 38: " ... si esset aliqua ... quae se omnibus pervolgaret, quae haberet palam decretum semper aliquem, cuius in hortos, domum, Baias iure suo libidines omnium commearent, quae etiam aleret adulescentis et parsimoniam patrum suis sumptibus sustineret; si vidua libere, proterva petulanter, dives effuse, libidinosa meretricio more viveret... " Dieselben Vorwürfe wiederholt Cicero leicht abgewandelt in c. 20,49/50. Daß Clodia sich fiir ihre Liebesdienste auch habe bezahlen lassen, behauptet Ciceero in pro Cael. 21, 52: " .... tune Venerem illam n1am spoliare ornamentis (ausa es), spoliatricern ceterorum... " 761 Die römische Gesellschaft mißbilligte grundsätzlich das griechische Phänomen der Hetaira, die in ihrer Person Bildung und sexuelle Attraktivität miteinander verband; die Prostitution galt lediglich als notwendiges Übel und repräsentierte Weiblichkeit in ihrer äußersten Perversion und Dekadenz, so wie es die Clodia des Caelius-Prozesses in Ciceros Darstellung tat. So sind die Alternativbezeichnungen für die meretrix sämtlich in emiedrigenster Weise obszön; vgl. die Sammlung bei Schneider 1931, Sp. 1019.
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der männlichen voluptas ein Freiraum gestattet, da diese durch die ausgelebte Erfahrung beschränkt werden kann.762 Im Bestreben, die Misogynie der antiken Darstellung, die teilweise von modernen Interpreten übernommen worden ist, 763 zu relativieren, WtJ!den Clodias "Verfehlungen" auch als Freiräume der matrona interpretiert. Beide _ Positionen vernachlässigen allerdings die Tatsache, daß das von Cicero Clodia zugeschriebene Verhalten einerseits von Cicero selbst als untypisch fiir die matrona charakterisiert wird, andererseits, daß die geschilderten Verfehlungen im sexuellen Bereich, positiv gesprochen also die Wahrnehmung persönlicher Interessen, zunächst wenig über den tatsächlichen Einfluß der matrona auf das politische Leben ihrer Zeit aussagen können. Die skizzierte Position wird etwa vertreten durch Kreck, wenn sie aus Ciceros Clodia-Charakteristik folgert, daß es verständlich sei, "daß Sempronia und Clodia von der Forschung vielfach in einem Atem genannt und zusammen als Typ der emanzipierten Frauen hingestellt werden. An ihnen zeigt sich, welcher Art die reale Situation der Frau in der römischen Gesellschaft (Hervorhebung von mir) sein konnte. Zugleich aber wird durch die negative Beurteilung Clodias durch Cicero und durch die zumindest kritische Beurteilung Sempronias durch Sallust deutlich, wie die männlichen Zeitgenossen über eine solche von den traditionellen Moralvorstellungen befreite Lebensweise der Frauen urteilten. Die Beispiele Clodias und Sempronias erweisen sich somit in gewisser Weise als typisch fiir die widerspruchsvolle Situation der Frau in der späten Republik".764 Kreck nimmt die Darstellungen Ciceros und Sallusts zu wörtlich und hält sie fiir Abbilder gesellschaftlicher Realität, obwohl sie vielmehr als Zerrbilder zu verstehen sind, geprägt von einer misogynen Tradition. Clodia und Sempronia stehen zudem sicherlich nicht fiir "die Frau" der Späten Republik in ihrem von männlicher Seite unterstellten unkonventionellen Verhalten. Politisch handelte Clodia zudem immer fiir die Interessen ihrer gens, indem sie ihren Bruder 762 Zum Unterschied zwischen weiblicher Iibido und männlicher voluptas vgl. S. 125f. un,d S. 133f.
763 Die Darstellung Clodias in Pro Caelio hat vor allem dem Chauvinismus moderner Interpreten Tür und Tor geöffuet, vgl. beispielsweise Stroh 1975, 270: "... eine bekanntermaßen lustige Witwe mittlerer Jahre", Gelzer 1969, 165: "die dämonische Clodia" und Fuhrmann 1989, 145. Ungleich sensibler beurteilte Heinze 1925 Clodias Rolle im Prozeß gegen Caelius; vgl. Heinze 1925,243 und 253. 764 Kreck 1976, 151.
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unterstützte, also durchaus gemäß der gesellschaftlichen Konvention, nach der die Frauen einer gens immer die Politik von deren Männem unterstützten.765 Sempronia war politisch dagegen ohne Bedeutung; ihr Name fallt bei Sallust lapidar mit der Formulierung "in iis fuit Sempronia"766 , ohne daß der Historiker im weiteren Verlauf seiner Darstellung über nennenswerte Taten der Sempronia innerhalb der Verschwörung berichtet. Die gehässige Darstellung Clodias durch den Redner Cicero ist im übrigen ein prägnantes Beispiel für das Auseinanderklaffen von rhetorischer und gesellschaftlicher Praxis, wie Ciceros Briefe an Atticus, der mit Clodia befreundet war, beweisen. In den Briefen Ciceros erscheint Clodia nicht als männermordende Megäre, sondern lediglich als eine, wenn auch bedeutende, Frau der senatorischen Oberschicht, die Cicero allerdings wegen ihres politischen Ehrgeizes zutiefst unheimlich war, deren Tun und Treiben er jedoch mit der Neugier des Emporkömmlings verfolgte.767 Bislang unbeachtet blieb indessen das Bild einer Beziehung zwischen dem adulescens und einer Frau, das Cicero abseits vom meretrix-Topos entwirft.768 Die Adoleszenz wird entscheidend durch das Erlebnis der Sexualität geprägt, in dessen Zentrum die erfolgreiche Ausbildung einer heterosexuellen Rollenidentität steht.769 Betrachtet man unter diesem Aspekt Ciceros Darstellung der Beziehung zwischen Clodia und Caelius, die mit Sicherheit bestanden hatte, 770 und berücksichtigt man zudem die Tatsache, daß Clodia zunächst mit Catull, dann mit Caelius eine Affäre unterhalten hatte und unter den iuvenes Überhaupt über eine Gefolgschaft verfügen konnte,771 die Cicero 765 Vgl. Pomeroy 1985,290. 766 SaU. bell. Cat. 25. 767 Vgl. Cic. ad Att. II, 1, 5: " ... ego illam odi consularem. ,ea est enim seditiosa, ea cum viro bellum gerit', neque solum cum Fabio, quod eos nihili esse moleste fert." Zu Ciceros Neugier am Leben Clodias und an den von ihr veranstalteten Festen, zu denen Cicero, anders als Atticus, nicht geladen wurde, vgl. Cic. ad Att. Il, 10, 2. 768 Die Diffamierung Clodias als meretri.x diente dem Mandanten Ciceros; als Essenz bleibt objektiv die Affäre zwischen einem adulescens und einer älteren Frau zuriick. 769 Vgl. S.15f. (Aufgaben der Adoleszenz) und S. 40 nebst Anm. 127 (Ablehnung der Homosexualität als griechischer Unsitte). 770 Vgl. S. 128 nebst Anm. 478. Zur Trennung von Caelius und Clodia vgl. Cic. pro Cael. 25, 61. 771 Zur Diskussion der Identität der Clodia Metelli mit der Lesbia Catulls vgl. S. 77; zur Reihenfolge der Beziehungen Clodias, der wahrscheinlichen Identifikation des Caelius mit dem "Rufus" der Gedichte Catulls und deren Rivalität untereinander vgl. Cat. carm. 77: "Rufe mihi frustra ac nequiquam credite amice/(frustra? immo magno cum pretio atque malo ),/sicine suprepsti mei, atque intestina perurens/ei misero eripuisti omnia nostra bona?/eripuisti, heu heu nostrae crudele venenum/vitae, heu heu nostrae pestis amicitiae." Und Austin 1960, 149: " ... Caelius was the younger and bad more staying power than Catullus; Clodia may well have
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anläßlich der gescheiterten Giftübergabe in den Bädern des Senia karikiert hatte, 772 dann ergibt sich in diesen Fällen ein bestimin.ter Typus-der weiblichen Objektwahl durch den adulescens, der zudem durch weitere Quellen gestützt wird:773 er konzentrierte sich auf Frauen der Oberschicht, die für römische Verhältnisse wesentlich älter, meist verheiratet und sexuell erfahren waren; eine dauerhafte Beziehung oder gar Eheschließung war nicht- beabsichti_gt. Diese Art von Beziehung stellt also das genaue Gegenteil der ehelichen Beziehung dar, in welcher der Mann meist um einiges älter war als die Frau,774 und kann als Initiation in die Welt des Sexus definiert werden. Diese Initiation kehrte die traditionelle Hierarchie zwischen Mann und Frau um und wird beispielhaft formuliert durch Catull in seiner freiwilligen Unterwerfung unter die Geliebte, dessen Darstellung seiner Beziehung zu Lesbia/Clodia als Kontrapunkt zu Ciceros Bild der Beziehung zwischen Clodia und Caelius gedeutet werden kann.775 Diese Umkehrung der Welt der Geschlechter, die sich dem modernen Betrachter auch in der Caeliana präsentiert, wenn er von Ciceros meretrix-Motiv abstrahiert, ist allerdings auf den Zeitraum der vacatio adulescentiae beschränkt und wird nur in ihm geduldet: Hierfür kann der Freispruch des Clodius im Zusammenhang mit der bona dea-Affäre 61 v. Chr. vom Vorwurf des Religionsfrevels ebenso als Indiz gewertet werden wie der des Caelius.776 Sie widerspricht auch nicht der modernen Feststellung, daß römische Männlichkeit vor allem durch den Primat der Herrschaft über andere gekennzeichnet gewesen sei. 777 Der römischen Welt fehlte anders als etwa der griechischen die sexuelle Initiation qua Päderastie - ob nun platonisch oder nicht -, die auch durch das Moment der freiwilligen Unterwerfung unter das found him more fun; he was cynical and calculating and cool: and it is highly probable that this 77th poem reflects the outcome of a rivalry between them." 772 Vgl. Cic. pro Cael. 28, 66, wo Cicero die Gefolgsleute Clodias als mulieraria manus verspottet. 773 Vgl. Cic. pro Cael. 8, 20 (Belästigung von matronae durch Caelius). 774 Zum Altersunterschied der Ehegatten.vgl. Pomeroy 1985, 250 und 260, Salier 1987, 25 und 30 sowie Deißmann-Merten 1989, 537. 775 Clodia!Lesbia ist die Seele von Catulls Werk, in dessen Zentrum die von den Elegikern noch vertiefte Vorstellung vom männlichen "Servitium amoris" steht. Catull gehörte zum Jahrgang des Caelius. Zur freiwilligen männlichen Unterwerfung unter den Willen der Geliebten vgl. S. 42f. 776 Clodius hatte versucht, sich anläßlich des nur Frauen vorbehaltenen bona dea-Festes als Frau verkleidet der Gattin Caesars zu nähern, und wurde deshalb des Religionsfrevels angeklagt und freigesprochen; die "Strafe" traf die Gattin Caesars, der sich wegen dieser Affäre von ihr scheiden ließ; vgl. Cic. ad Att. I, 12, 3; 13, 3; 14, 5; 16; de bar. resp. 44; pro Mi!. 72; pro Sest. 116; Suet. Caes. 6. 777 Vgl. S. 39f.
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Begehren des älteren Mannes gekennzeichnet ist,778 Das Rom der Republik, in dem der Primat der Heterosexualität galt, konnte dagegen nur die temporäre Unterwerfung des adulescens in einer sexuellen Beziehung zu einer älteren Frau in engen Grenzen tolerieren. Nicht geduldet werden kann dagegen eine dauernde Herrschaft der älteren Frau über adulescentes, wie sie Cicero in seiner Darstellung ·der Clodia als imperatrix779 über lauti iuvenes karikiert,780 Diese Karikatur Ciceros, die durch die totale Absenz bzw. die Umkehrung von Werten gekennzeichnet ist, die ftir den Römer genuin weiblich waren - Dezenz, Unterwerfung, Univirat -, ist möglicherweise Symptom der Krise der Geschlechter in der Späten Republik:781 Denn Clodia übt de facto Herrschaft über adulescentes aus; sie kann sie also den Nonnen der Väter entfremden. Daß Frauen wie Clodia eine Bedrohung der Herrschaft des Vaters über den Sohn darstellen, beweisen nicht allein Ciceros zahlreiche Anspielungen auf Clodias finanzielle Möglichkeiten; auch der Vorwurf der Anklage, Caelius habe es seinem Vater gegenüber an der gebotenen pielas fehlen lassen, deutet in diese Richtung. Cicero charakterisiert den Lebenswandel Clodias als promisk, unabhängig und verschwenderisch; sie lebt als libidinosa meretricio more, sie hat angeblich ein inzestuöses Verhältnis mit ihrem Bruder. Clodia verkörpert also aus Ciceros Perspektive das weibliche monstrum, die Perversion alles traditionell Weiblichen, den Primat der weiblichen Iibido, der untrennbar mit einem weiblichen Herrschaftsanspruch verknüpft ist.782 Inhärent ist beiden Faktoren dieses Bildes des Weiblichen, also der weiblichen Herrschaft und der misogynen Darstellung Clodias durch Cicero, aus moderner Perspektive die männliche Angst vor weiblicher Dominanz, angelegt in der männlichen Primärerfahrung der Abhängigkeit vom Weiblichen, die im Verlauf der Adoleszenz endgültig überwunden werden muß, da Regressionsmomente die 778 Vgl. Krolll921, 899. 779 Der imperatrix-Vorwurf traf vor dem ungleich ernsterem politischen Hintergrund des
Bürgerkrieges auch Fulvia, die dritte Frau des Marcus Antonius. Zu Fulvia vgl. Pomeroy 1985, 283ff. und Kreck 1975, 152ff. 780 Vgl. Cic. pro Cael. 28, 67. 781 Zum Zusammenhang zwischen politischen Krisen und gesellschaftlichen Veränderungen, die ihrerseits Änderungen der jeweils traditionellen Geschlechterrollen evozieren, vgl. S. 28f. 782 Die Parallelen zur Catilina-Charakteristik sind evident: Cicero hatte Catilina in seiner Charakteristik in c. 5, 12 als monstrum charakterisiert; implizit baut er Clodia als weibliches Gegenstück zu Catilina auf: beide verfügen über einen großen Einfluß auf die adulescentia, beide sind bereit, sich ihre Anhängerschaft unter den adulescentes zu erkaufen, beide sind der Iibido unterworfen und deshalb ohne Maß in allen Bereichen ihres Daseins. Zum Konnex zwischen Iibido und Herrschaft vgl. S. 112 und 133.
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männliche Entwicklung gerade während der Adoleszenz verhindern, also einen erfolgreichen Erwerb von Virilität grundsätzlich in Frage stellen können.783 In Clodia vernichtete Cicero also in effigie eine Weiblichkeit, deren Auftreten von denjenigen Zeitgenossen, die sich an den traditionellen Wertender respublica orientierten - und das dürfte die Mehrheit der Senatsaristokratie und' der vertretenenen Geschworenen gewesen sein -, als Bedrohung . der eigenen Handlungsspielräume, insbesondere in bezug auf die Dominanz der älteren Männer über die jüngeren, empfunden wurde. · Clodia unterhielt Beziehungen zu Catull und dann zu Caelius: Der Aspekt der Konkurrenz der aequales untereinander ist deutlich. Wie Atratinus und Caelius vor Gericht gegeneinander auftreten, so konkurrieren Catull und Caelius um eine einzige Frau. Die Zielsetzungen der Konkurrenten unterscheiden sich jedoch meiner Auffassung nach voneinander: Während für Catull, Altersgenosse des Caelius und politisch kaum interessiert und ambitioniert,784 das Moment der sexuellen Erfahrung und das Erlebnis des amour fou im Zentrum seiner Beschreibung der Affäre zu Clodia stand, spielte für Caelius, den Karrieristen, mit Sicherheit ein weiterer Aspekt eine wichtige Rolle: der gesellschaftliche Status Clodias, der Angehörigen einer alten patrizischen gens und der Witwe des Konsulars MeteBus Celer. Man darf vermuten, daß für den adulescens die Beziehung zu einer solchen Frau Gewinn an sozialem Prestige, zumindest unter seinen Altersgenossen, und an politischen Verbindungen bedeutete. Die Beziehung zwischen dem adulescens Caelius und der vidua Clodia dürfte also nur in zweiter Linie sexuell konnotiert gewesen sein. Primär waren für den adulescens Caelius vermutlich der politische Einfluß und Reichtum der domus Clodias, die Caelius für sich nutzen wollte,785 In eine ähnliche Richtung deutet auch die Wahl der Ehefrauen durch die adulescentes Curio und Dolabella, die mit wesentlich älteren Frauen verheiratet waren, Curio
783 Vgl. zu dieser männlichen Angst Hantover 1985, 92: "There is also a strong tradition in personality and culture studies which argues for the generation of anxiety from the contlict of primary feminine identification with a later secondary identification with males. One consequence is the repression ofthisfeminine identification and a resultantfeminine hostility (Hervorhebung von mir)." Vgl. hier auch Gilmore 1991, 29ff. zur Überwindung der während der Kindheit erlebten Mutter-Symbiose im Dienste der Mannwerdung während der Pubertät. 784 Zum Alter Catulls vgl S. 13; zu seinem politischen Desinteresse, das sicher auch Grundbedingung seiner ins Absolute gesteigerten Liebesbeziehung zu Lesbia/Ciodia war, vgl. carm. 5; 93. 785 Die Anklage hatte behauptet, Caelius habe sich das Gold von Clodia vorgeblich für die Ausrichtung von Spielen, vermutlich in seinem Heimatrnunicipium, geliehen; vgl. Cic. pro Cael. 21, 53. Caelius hätte sich in diesem Falle der finanziellen Unterstützung Clodias für ein prestigeträchtiges Objekt versichern wollen.
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mit Fulvia, der Witwe des Clodius, und Dolabella mit Tullia, der Tochter Ciceros. 786 Die Ursachen fiir die Möglichkeit einer Beziehung, wie sie zwischen Caelius und Clodia bestand, liegen wahrscheinlich in dem tiefen Riß begründet, der die .gesellschaftlich kolportierten Idealvorstellungen von den Rollen der Geschlechter von der erlebten Wirklichkeit trennte. Wie in fast allen Gesellschaften wurden auch in Rom die Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit in erster Linie durch die Rollen geprägt, die das Selbst zuerst wahrnehmen mußte, nämlich die des Vaters und die der Mutter.787 Daß die Bilder von Vater und Mutter die Auffassungen von Männlichkeit und Weiblichkeit entscheidend beeinflussen, ist evident und wird von der Geschlechterforschung allgemein akzeptiert_788 Letztendlich geht diese Annahme auf fundamentale Erkenntnisse der Psychoanalyse zurück, die sich zunächst auf die Objektwahl des Individuums konzentrierte und in der Folge auch gesellschaftliche Institutionen des Patriarchats als Stellvertreter der paterImagines interpretierte. 789 Man kann in bezug auf die römische Gesellschaft zwar von einem theoretischen Primat des paterfamilias und der mateJfamilias fiir die Rollen der Geschlechter sprechen, die erlebte Wirklichkeit muß in der Späten Republik allerdings anders ausgesehen haben. Scheidungshäufigkeit und Mehrfachehen, nicht zuletzt die Erziehung durch Sklaven der domus, dürften dem Individuum den Widerspruch zwischen Realität und theoretischem Modell schnell in aller Deutlichkeit vor Augen geführt haben.790 Die Absenz vonpatres und matres, die den römischen Idealvorstellung entsprachen, sowohl in der eigenen Familie als auch in den Familien anderer könnte die Findung einer männlichen Rollenidentität in bezug auf das andere Geschlecht gerade während der adulescentia erheblich erschwert haben. Grundsätzlich ist festzuhalten, daß auch die Beziehung zwischen Caelius und Clodia als ein Indiz für die Veränderung männlicher und weiblicher
786 Zur Ehe zwischen Curio und Fulvia vgl. Kreck 1975, 155f.; zur Ehe zwischen Dolabella, der auch vor Tullia bereits ebenfalls mit einer wesentlich älteren Frau verheiratet gewesen war, vgl. S. 233 und Gruen 1974, 353. 787 Grundlegung ist hier die psychoanalytische Auffassung; vgl. hierzu Freud 1905. 788 Vgl. Bell 1981, 306. 789 Vgl. Erdheim 1994, 202f. 790 Zur Scheidungshäufigkeit vgl. Plut. Cat. min. 24, 3 und Treggiari 1991, 473ff. Zur Rolle der Sklaven bei der Erziehung der Kinder vgl. Bradley 1985 mit Konzentration auf den Prinzipat.
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Rollenspielräume schon am Ende der Republik angeftihr:t w~rden kann.791 Für den adulescens kann dieser Typus von Beziehung als ·. hi.itiationsrnodell beschrieben werden, das gesellschaftlich gestattet war: Denn für die weitere politische Laufbahn stellte sie kein Hindernis dar. Dieses Initiatio.nsmodell verband in der Darstellung Ciceros das Moment der sexuellen Erfahrung trilt der moralischen wie gesellschaftlichen Entwertung der Frau, ·bei der sich diese . Initiation vollzog. Der Freispruch des Caelius unterschrieb diese Misogynie. ebenso wie das Initiationsmodell an sich.
791 Zur Veränderung der weiblichen Rollen am Ende der Republik vgl. Pomeroy 1985, 289 und Deißmann-Merten 1989, 560; zum Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Veränderungen und Veränderungen von Geschlechterrollen vgl. S. 28f.
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VII. CICERO IM DIALOG MIT DERADULESCENTIA "Deinde habes tecum ex iuventute optimuhl quemque . et studiosissimum humanitatis." Quinttis Cicero792
Wie gezeigt, hat sich Cicero auf allen Ebenen seines Werkes mit der adulescentia auseinandergesetzt und hier auch immer wieder die Bedeutung der adulescentes für den Erhalt der res publica betont.793 Cicero hat auch mit politisch einflußreichen adulescentes seiner Zeit - Curio, Caelius, Dolabella korrespondiert und außerdem in seinem Briefwechsel mit Brutus Rechenschaft über seine amicitia zum jungen Octavian abgelegt. Hier stellt sich also die Frage, wie Cicero seine theoretischen Vorstellungen von der adulescentia in der politischen Praxis umgesetzt hat. Die Interpretation ausgewählter Briefe an diese adulescentes - ich orientiere mich hier an der Begrifflichkeit Ciceros, der die oben genannten jungen Männer als adulescentes bezeichnet - wird also Auskunft darüber geben können, über welche politischen Handlungsspielräume adulescentes in der Späten Republik verfügen konnten, wie Cicero versuchte, adulescentes politisch zu beeinflussen und welche Bedeutung die Beispiele Pompeius und Caesar für das politische Handeln von adulescentes hatten, mit welchen Vorbildern also Cicero um die Gunst der adu/escentes zu konkurrieren hatte. 794 Letztendlich wird sich auch nochmals die Frage nach der Dauer und
792 Q. Cic. com. pet. 8, 33. 793 Vgl. meine Ausruhrungen zur Sestiana S. 60ff. sowie zur peroratio der Cae/iana S. l66f. 794 Zum Vorbildcharakter von Caesar und Pompeius vgl. Dettenhofer 1992, 135: ,.Die Ansprüche einzelner waren gestiegen. Pompeius' und Caesars exempla taten ihre Wirkung. Sie hatten in verschiedener Hinsicht neue Maßstäbe dessen gesetzt, was fiir einen einzelnen erreichbar war: Pompeius hatte, von seinen militärischen Erfolgen abgesehen, in jungen Jahren das Konsulat erreicht, ohne den cursus honontm durchlaufen zu haben. Caesar hatte, wenn es damm ging, seine persönlichen Interessen über das Gemeinwohl zu stellen, mit seinen Erfolgen zweifellos alte Normen gesprengt. Und obwohl die junge Generation die beiden Großen mit viel Energie bekämpft hatte, wollten es einige von ihnen den beiden eben doch gleichtun", insbesondere Curio; vgl. ibid., 144. Dettenhofer konstatiert in diesem Zusammenhang einen ,.Wandel der politischen Mentalität innerhalb der jüngeren Altersgruppe. Prominente und repräsentative Mitglieder orientierten ihre Ansprüche an Vorbildern und deren Beispielen, fiir die die res publica zu diesem Zeitpunkt keinen Bedarf hatte und die die grundsätzliche Solidarität der Oberschicht unterminierten. "(ibid., 136).
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dem ambiguen Status der adu/escentia in Rom stellen, die- vor dem Hintergrund der politischen Praxis abschließend beantwortet werden kann. Ich werde meine Analyse mit den Briefen Ciceros an Curlo beginnen, an einen adulescens also, der entscheidend in das politische Geschehen der ausgehenden fiinfziger Jahre der Republik eingegriffen hat. ·
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7. 1. Die Briefe an Curio: Vom adulescens zum vir C. Scribonius Curio (84. v. Chr. - 49 v. Chr.) stammte aus einer altadligen piebeisehen gens und war Altersgenosse, zeitweise auch Freund und politischer Weggefälute des Caelius. 795 Er trat zum ersten Mal · im Alter von dreiw1dzwanzig Jahren anläßtich der bona dea-Affäre öffentlich auf, und zwar als Anführer der barbatuli iuvenes, die ein Verfahren gegen Clodius wegen Religionsfrevels verhindem wollten,796 Curio agierte hier beileibe nicht als jugendlicher Unruhestifter aus eigenem Antrieb, sondern mit Rückendeckung seines Vaters, der Clodius auch erfolgreich im späteren Prozeß verteidigte.797 Bis zum Tode seines Vaters, der als Optimat im besten Sinne gaJt,798 folgte er, ciceronisch gesprochen, der Politik der boni: Er bezog 59 v. Chr. anläßlich des sogenannten ersten Triumvirats öffentlich Position gegen die Vormachtansprüche von Pompeius und Caesar und erhielt dafür im Theater Beifall.799 Er setzte sich wie sein Vater, Konsul 76 v. Chr. und entschiedener Gegner Caesars seit der Jahreswende 60/59 v. Chr., außerdem für Ciceros Rückberufung aus dem Exil ein. Vater und Sohn Curio sind nicht nur illustres Beispiel für die Erziehungpraxis der nobiles, den eigenen Solm so früh wie möglich am eigenen Vorbild zu schulen und politisch einzuführen,800 sondern auch für die gerade von Cicero konstatierte hervorragende Bedeutung des Vorbildes des pater für den adulescens nobilis.SOJ Die rasch wachsende Popularität des jüngeren Curio erweist zudem die Bedeutung der adulescentes nobiles im Spiel der Politik: Curio war für Cicero der princeps iuventutis der fünfziger Jahre, beispielhaft in seinem Einsatz für die res publica,802
795 Zu Curios politischer Biographie vgl. ibid., 34ff. und 146ff. 796 Vgl. Cic. ad Att. I, 14, 5: ,,nam cum dies venisset rogationi ex senatus consulto ferendae, concursabant barbatuli iuvenes, totus ille grex Catilinae, ducefiliola Curionis (Hervorhebung von mir), et populum, ut antiquaret, rogabant." 797 Vgl. Cic. adAtt. I, 16, lf. 798 Vgl. Cic. in Vat. 24 und Dettenhofer 1992, 35. 799 Vgl. Cic. ad Att. II, 8, 1; 18, I, 19, 3. Vgl. auch Dettenhofer 1992, 40: "Curio mußte jetzt für Caesar die Personifikation der jugendlichen Opposition darstellen." 800 Vgl. zu dieser Praxis S. 181 und Meier 1982, 78f. 801 Vgl. Cic. de off. I, 32, 116; 33, 121. 802 Vgl. Cic. in Vat. 24: "C. Curionem, perpetuum hostem improborum omnium, auctorem publici consili in libertate communi tuenda maxime liberum, cumjilio principe iuventutis cum re publica coniunctiore etiam quam ab i/la aetate postulandum fuit (Hervorhebung von mir), delere voluisti. .. "
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Im Jahre 54 v. Chr. bekleidete Curio die Quaestur und hielt sich anschließend als Proquaestor in Asia auf. Hier beginnt der Briefwechsel mit Cicero, der bis zum Jahre 51 v. Chr., also dem Jahr, in dem Curio zum Tribunen gewählt wurde, andauerte; "ingenti mercede"803 von Caesar 50 v. Chr. gekauft; wie die Quellen behaupten, unterstützte Curio zwar den Antrag des Konsuls Marcellus, daß Caesar seine Provinzen abgeben solle, forderte aber auß.erdem, daß Pompeius, den er der dominatio beschuldigte, ebenfalls sein Kommando über die spanischen Provinzen, obwohl anders als im Falle Caesars noch für mehrere Jahre gültig, niederlegen solle.S04 Dieser Antrag stellte eine offenkundige Verletzung der dignitas des Pompeius dar und markierte Curios endgültigen Übertritt zu Caesar.sos Nur scheinbar überparteilich, war Curio "zu einem der Protagonisten des politischen Geschehens vor Ausbruch des Bürgerkriegs geworden"806 und erwies sich in der Folge vor allem durch seine ständigen Angriffe auf Pompeius als Kriegstreiber.807 Caesar schätzte Curio außerordentlich und betraute ihn, nachdem dieser Rom nach Erlaß des senatus consu/tum ultimum Anfang Januar 49 v. Chr. verlassen hatte, mit militärischen Aufgaben. 808 So erhielt er, ungewöhnlich für sein Alter, ein propraetorisches Imperium für die Einnahme Siziliens und Africas.809 Curio eroberte Sizilien kampflos, fiel jedoch in Africa bei einem gewagten Manöver gegen Juba. Caesar hat Curio trotz dessen militärischen Versagens in seinem be/Zum civile eine längere Passage gewidmet, in der er Curios Scheitern auch mit dessen Alter erklärt: ,,Als dieser Plan gefaßt und gebilligt war, hörte (Curi) von etmgen Überläufern aus der Stadt, luba sei, durch einen Grenzkrieg und Händel mit den Leptitanern zurückgehalten, und nur sein Feldherr Saburra nähere sich Utica mit einer unbedeutenden Streitmacht. Dieser Nachricht 803 Zu den Schulden Curios vgl. Val. Max. fact. et dict. mem. IX, 1, 6; Veil. Pat. hist. Rom. II, 48, 4; Suet. Caes. 29, 1. 804 Vgl. Caes. b. g. VIII, 52, 4. 805 Vgl. Dettenhofer 1992, 52f. 806 Vgl. ibid., 62. 807 Vgl. Gruen 1974, 470ff.; Cic. ad fam. XVI, 13, 2 und Cic. ad fam. VIII, 10, 3 (Caelius an Cicero): "Pompeius, tamquam Caesarem non impugnet sed, quod illi aequum putet, constituat, ait Curionem quaerere discordias." 808 Vgl. zur Einschätzung Caesars Dettenhofer 1992, 144: "Offensichtlich hatte Curio Caesars Interessen bisher zu dessen Zufriedenheit vertreten. Er war demnach Caesars bester Mann und politisch versiertester Helfer. Dieser muß ihm also ungewöhnliches Vertrauen und Zutrauen entgegengebracht haben." 809 Vgl. ibid., 148.
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schenkte Curio blindlings Glauben, änderte seinen Plan und beschloß, eine Entscheidungsschlacht zu wagen. Zu diesem Entschluß trugen viel seine adulescentia bei, sein hochstrebender Sinn (magnitudo animi), dazu die Erfolge der letzten Tage und sein Selbstvertrauen."810 Diese Textpassage illustriert zum einem, daß Ciceros Argumentationsmuster, die adulescimtia sei auch ein Zeitraum der Erfahrung und des ardor animi, sich gloria zu erwerben,BII von Zeitgenossen zumindest in diesem Punkt geteilt wurde, zum anderen, daß die adulescentia im Rom der Späten Republik ein äußerst dehnbarer Begriff war, deren Ende sich nicht am Beginn der Ämterlaufbahn festmachen ließ. Zum Briefwechsel zwischen Cicero und Curio: Es sind sieben Briefe aus den Jahren von 53 bis 51 v. Chr. von Cicero an Curio erhalten, die im zweiten Buch der ad familiares zusammen mit den Briefen an Caelius vorliegen. Sie alle legen Zeugnis von Ciceros intensiven Bemühungen um einen adulescens nobilis ab,B12 den er als ,,meus Curio"8l3 bezeichnete und von dem er politisches Engagement im Sinne der Optimaten erwartete. Cicero nimmt Curio gegenüber von Anfang an eine patemale Attitüde ein: "Nur wenig ist es, was meine unsägliche Liebe (meus in te incredibilis amor) mich dir nahezulegen zwingt. Man wartet sehnsüchtig auf Deine schönen· Herzens- und Geistesgaben, und so stehe ich nicht an, Dich inständig zu bitten: kehre so gefestigt zu uns zurück, daß Du den Erwartungen, die Du erweckt hast, entsprichst und sie nicht enttäuschst. Bei mir wird kein Vergessen je die Erinnerung an Deine Verdienste um mich auslöschen, und darum bitte ich auch Dich, bei allem, was Dir an Glück und Ansehen ifortunae et dignitatis) zuwachsen wird, Dich dessen zu erinnern, daß es Dir versagt geblieben wäre, wenn Du Dich nicht einst als ganz junger Mann (puer) meinen aus treuester Liebe entsprungenen Ratschlägen gefügt hättest (paruisses). So ist es Deine Pflicht, Dich 810 Caes. b. c. II, 38, lff. ("bis constitutis rebus probatisque consiliis ex perfugis quibusdam oppidanis audit Iubam revocatum finitimo bello et controversiis Leptitanorum restitisse in regno et Saburram, eius praefectum, cum mediocribus copiis missum Uticae adpropinquare. His auctoribus temere credens consilium commutat et proelio rem committere constituit. Mutturn ad hanc rem probandam adiuvat adulescentia (Hervorhebung von mir), magnitudo animi, superioris temporis proventus, fiducia rei bene gerendae. "). 811 Vgl. Cic. pro Cael.31, 76 und S. 166f. 812 Anders Dettenhofer 1992, 44, die den Tonfall des Briefwechsels als "wohlwollend, höflich, aber doch distanziert" beschreibt. 813 Vgl. Cic. ad Att. II, 10, 2.
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gegen mich so zu verhalten, daß mein sich bereits dem Ende zuneigendes Leben in Deiner Liebe, in Deiner adulescentia Ruhe findet~" 814 Curio hielt sich im Jahr 53 v. Chr. in Asia als Proquaestor auf; Ciceronutzt die Gelegenheit, Curio immer wieder mit seinen Leitidealen der adulescentia ·zu konfrontieren: In der zitierten Passage betont er, vvie auch . in den sich anschließenden Briefen, die große gesellschaftliche Erwartungshaltung, die auf Curios frühem und entschiedenem Eintreten für die Sache der boni beruht:815 Curio muß und wird sich fortunae und vor allem dignitas erwerben. dignitäs, "der zentralste Begriff der politischen und sozialen Sphäre in Rom"816, mußte für den adulescens nobilis Curio eine beherrschende Rolle spielen; sein politisches Handeln gerade als Volkstribup. erwies jedoch, daß Curio eine dignitas im Sinne Caesars anstrebte,817 Cicero spricht hier hingegen Curios Ambitionen vor dem Hintergrund der Erwartungshaltung der res publica an: der Erwerb von dignitas ist für den adulescens - man erinnere sich an die Forderungen der Sestiana _818 nur im Dienste des Gemeinwesens möglich. Was die Sestiana allgemein gefordert hatte, wird hier dem adulescens konkret vor Augen geführt. Cicero betont hier auch die enge Bindung - amor - zwischen sich und seinem Adressaten und spielt auf seinen Einfluß auf den puer Curio an, der höchstwahrscheinlich sein tirocinium fori auch unter Ciceros Obhut - Cicero 814 Cic. ad fam. II, 1, 2 ("breve est, quod me tibi praecipere meus in te incredibilis amor cogit. tanta est exspectatio vel animi vel ingenii tui, ut ego te obsecrare obtestarique non dubitem, sie ad nos conformatus revertare, ut quam exspectationem tui concitasti, hanc sustinere ac tueri possis; et, quoniam meam tuorum erga me meritorum memoriam nulla umquam delebit oblivio, te rogo, ut memineris, quantaecumque tibi accessiones fient et fortunae et dignitatis, eas te non potuisse consequi, nisi meis puer olim fidelissimis atque amantissimis consiliis paruisses. quare hoc animo in nos esse debebis, ut aetas nostra iam ingravescens in amore atque in adulescentia tua conquiescat."). Cicero spielt hier auf seine Intervention für Curio; der für die Schulden des Marcus Antonius gebürgt hatte, bei dessen Vater an; Curio wurde außerdem eine homosexuelle Beziehung zu Marcus Antonius nachgesagt; vgl. Cic. Phi!. II, 44ff.; Plut. Ant. 2, 4. 815 Vgl. S. 2llf. 816 Drexler 1966, 232. 817 Vgl. Dettenhofer 1992, 144; zu Caesars Auffassung von dignitas vgl. S. 116 und Cic. ad Att. VII, 11, I: "utrum de imperatore populi Romani an de Hannibale loquimur? 0 hominem amentem et miserum, qui ne umbram quidem umquam roÖ Kalov videritl atque haec ait -omnia facere se dignitatis causa. ubi est autem dignitas nisi ubi honestas? (Hervorhebung von mir) honestum igitur habere exercitum nullo publico consilio, occupare urbes civium, qua facilior sit aditus ad patriam?" 818 Vgl. S. 64.
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bezeichnet Curio in einem anderen Brief als "sectator, nobilissimus tarnen adulescens" - absolviert hatte.S19 Die dignitas des Jüngeren ist allerdings ·untrennbar mit dem Einfluß des Älteren verbunden: Cicero hatte zugunsten des . Curio. bei dessen· Vater, der am Lebenswandel seines Sohnes einiges auszusetzen hatte, interveniert,820 Auffallend ist hier die Scheidung zwischen puer und adulescens: Cicero intervenierte als Mentor des tirocinium fori; Curio . muß also mindestens sechzehn Jahre alt gewesen sein. Diese Textstelle legt demnach nahe, daß nicht nur das Ende der adulescentia, sondern auch ihr Anfang, gemeinhin gleichgesetzt mit dem Anlegen der toga virilis,&21 für Cicero nicht immer unbedingt mit dem Beginn der adulescentia zusammenfallen mußte. Cicero spricht in der zitierten Textpassage auch vom "parere" Curios - Curio akzeptierte also die Ratschläge Ciceros wie die eines pater. Die paterMetaphorik setzt sich im Schlußsatz des Briefes fort: Cicero fordert die Fürsorge des adulescens -"debere" meint immer eine moralische Verpflichtung J22 für den älteren Mentor entschieden ein. In einem anderen Brief aus dem Jahre 53 v. Chr., geschrieben anläßtich des Todes von Curios Vater - Curio weilte noch in Asia -, bietet sich Cicero explizit als Ersatzvater an: ,,Aber ich hoffe, unsere Freundschaft bedarf nicht der Zeugen. Dein Erbe mögen die Götter segnen, die Liebe Deines Vaters, die Freude, die er an Dir hatte, wirst Du gewiß bei mir wieder finden. "823 Ein weiteres Thema des Briefwechsels des Jahres sind die von Curio zu Ehren seines Vaters geplanten Leichenspiele, eine Gelegenheit für den adulescens Curio, die Öffentlichkeit erneut auf sich aufmerksam zu machen, die Cicero allerdings der virtus und der natura eines Curio für unangemessen hält: "Soviel jedoch laß Dir in aller Kürze sagen: Die Zustände, die Du bei Deiner Heimkehr antriffst, sind so beschaffen, daß Du mit den Vorzügen, die Dir Veranlagung, Strebsamkeit und Glück verliehen haben (quae tibi natura, studio, fortuna data sunt), alle glänzenden politischen Ziele leichter erreichen kannst als durch Leichenspiele. Über ihre Pracht
819 Ähnlich Dettenhofer 1992,35. 820 Vgl. S. 214, Anm. 814. 821 Vgl. S. 174f. 822 Vgl. H. Menge, Repititorium der lateinischen Syntax und Stilistik, Dannstadt 1979, 286.
823 Cic. ad fam. II, 2 ("sed spero nostram amicitiam non egere testibus. tibi patrimonium dei fortunent; me certe habebis, cui et carus aeque sis et iucundus ac fuisti patri.") ..
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wundert sich kein Mensch, denn das geht den Beutel an, nicht den Mann (est enim copiarum, non virtutis), und alle Welt ist nachgerade übersättigt. "824 Cicero weiß, wie groß die Versuchung für Curio ist, sich durch prächtige Spiele ins Gespräch zu bringen und sich deshalb zu verschulden~ was Cuno im übrigen auch tun sollte,825 Die Schulden Curios wurden später von Caesar beglichen, vermutlich um den Preis des Frontenwechsels. Cicero hält Curio die veränderte politische Situation vor Augen, in der gerade adulescentes nobiles unter bestimmten Voraussetzungen rasch avancieren können. facultas und munera sind bloß äußerlich; auf ihnen kann keine politische Karriere aufgebaut werden. Ausschlaggebend sind vielmehr die natura, also der Charakter, das studium, also die Ausbildung, und die fortuna, die bereits vom Vater bzw. der gens erworbene gesellschaftliche und wirtschaftliche Position. Gerade die fortuna Curios dürfte eine maßgebende Rolle gespielt haben: Denn er übernahm mit dem Tod des Vaters dessen Klientel und hatte deshalb ungleich bessere Startvoraussetzungen als etwa der adulescens Caelius. 826 Cicero bleibt dieser Argumentation, die er bereits in der Caeliana formuliert hatte, auch in den Folgebriefen treu und erweitert sie noch wie auch schon zuvor in der Caeliana um den Aspekt der Verteidigung der res publica: "Nur eines weiß ich nicht recht: ob ich Dir gratulieren soll oder mich ängstigen muß, daß man Deine Heimkehr mit so riesiger Spannung erwartet. Nicht als ob ich befürchtete, Deine virtus könnte den Erwartungen der Leute nicht entsprechen! Weiß Gott nicht! Aber alles ist gelähmt, ja, beinahe schon erloschen, daß Du, wenn Du hier bist, kaum noch ein Betätigungsfeld finden wirst... Aber magst Du noch ein wenig Hoffuung für den Staat haben oder verzweifeln - bereite das vor, erwäge das, bedenke das, was in dem Manne und Bürger vorhanden sein muß (quae esse in eo civi ac viro debent), der berufen ist, den durch die 824 Cic. ad fam. II, 3, 1 ("brevi tarnen sie habeto, in eum statum temporum tuum reditum incidere, ut iis bonis, quae tibi natura, studio, fortuna data sunt, facilius omnia, quae sunt amplissima in re publica, consequi possis quam muneribus. quorum neque facultatem quisquam admiratur - est enim copiarum, non virtutis - , neque quisquam est, quin satietate iam defessus sit."). 825 Zu Curios prächtiger Ausrichtung der Leichenspiele vgl. Plin. nat. bist. XXXVI, 116 -120. ·826 Vgl. Dettenhofer 1992, 45: "Jedenfalls stellte Curio einen wichtigen politischen Faktor dar, denn zusätzlich zu seinem eigenen politischen Profil war er schließlieb auch der politische Erbe seines Vaters, d. h. er übernahm zu dessen Vermögen auch dessen Klientelund die dürfte beträchtlich und weit verzweigt gewesen sein."
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Unbilden der Zeit und die Verderbnis der Sitten zeniitteten und niedergebeugten Staat zur alten Würde und Freiheit zurückzufiihren."827 Im Widerspruch zu der oben zitierten Äußerung, daß ein adulescens Curio in Rom alles vermöge, beklagt Cicero hier die Zeitläufte, die keinen Platz mehr für wahre virtus lassen. Curio, dem adulescens, wird virtus, hier explizit Virilität, zugesprochen. Der Zwitterstatus des adulescens kann kaum deutlicher formuliert werden: einerseits hat er sich als junger Mann den Normen der Älteren zu fügen, andererseits hat er als virtus- Träger zu agieren, also als erwachsener Mann. Cicero konfrontiert Curio hier auch fast formelhaft wieder mit den Ansprüchen der res publica an die jungen Männer, bereits fonnuliert in der Sestiana. Die von ihm konstatierte schwere Krise der Republik erfordert den Einsatz der adulescentes als cives und viri- eine Formel, mit der Cicero seine Vorstellung von Virilität mehrfach umschrieben hat -828, obwohl sie noch adulescentes sind. Diese Forderung kann als deutliches Indiz für das Verschwimmen fester männlicher Altersgrenzen gewertet werden. Der vorletzte Brief an Curio, der Milos Konsulatsbewerbung zwn Thema hat, spricht einen Punkt an, der für das Funktionieren der Männerbünde in Rom wesentlich war, den Austausch von beneficia und das Erstatten von gratia.829 Cicero will die Bewerbung Milos mit allen Mitteln forcieren und bittet Curio um die entsprechende Unterstützung, mehr noch, der adulescens Curio soll dux der geplanten Kampagne sein. Er ist nahtlos in den Austausch der Dienstleistungen und Gunstbezeugungen eingebunden, die so typisch für den Verkehr der männlichen Oberschicht miteinander ist: "Gäbe es nur meine Verdienste um Dich, Curio- und sie wiegen doch kaum so schwer, wie du es hinzustellen beliebst -, dann würde ich, wenn ich mit einer großen Bitte an Dich herantreten müßte, mein Verlangen nur schüchtern vorbringen, ist es ja doch peinlich für einen feinfühligen 827 Cic. ad fam. II, 5, 2 ("unum illud nescio, gratuleme tibi an timeam, quod mirabilis est exspectatio reditus tui, non quo verear, ne tua virtus opinioni hominum non respondeat, sed mercule ne, cum veneris, hon habeas iam, quod eures; ita sunt omnia debilitata et iam prope exstincta. ... Tu tarnen, sives habes aliquam spem de re publica sive desperas, ea para, meditare, cogita, quae esse in eo civi ac viro debent, qui sit rem publicam adflictam et oppressam rniseris ternporibus ac perditis moribus in veterem dignitatem et Iibertatern vindicaturus. "). 828 Zu der Identität von bomts vir und bonus civis vgl. S. 229 und Santoro I'Hoir 1992,1 Of. 829 Vgl. hierzu Cic. de off. I, 15, 48: "Nam cum duo genera liberalitatis sint, unum dandi beneficii, alterum reddendi, demus necne in nostra potestate est, non reddere viro bono non licet, modo id facere possit sine iniuria."
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Mann, denjenigen um etwas Großes zu bitten, um den. er sich verdient gemacht zu haben glaubt, um nicht den Eindruck zu erweckfm, er forderte mehr, als daß er bäte, und betrachte die Erfüllung seiner Bitte mehr als Entgelt denn als Entgegenkommen. "830 Der adulescens Curio, der gerade mal die Quaestur bekleidet, allerdings berei~s politisch dezidiert Position bezogen hatte und über eine Klientel verfügen konnte, steht hier auf der gleichen Ebene wie der Konsular Cicero, der sich um beneficia zugunsten Milos, für den auch Caelius im folgenden Jahr eintreten sollte,831 bemüht. Ciceros Bemühungen um Curio beschreibt Cicero als officia, Dienste also, die Cicero der eigenen Auffassung nach zu leisten hatte.832 Cicero selbst bittet dagegen um beneficia, also fakultative Hilfeleistungen, die allerdings von viri boni zu leisten sind,833 Diese Zirkulation von Leistungen, die letztendlich auf einer fast unbedingten Großzügigkeit und der freiwilligen Erstattung von Gegenleistungen beruht, ist typisch für präindustrielle, patriarchalisch geprägte Gesellschaften, in denen sich der Männlichkeitsstatus vor allem über die Möglichkeit, anderen geben zu können, ohne auf eine sofortige Gegenleistung angewiesen zu sein, defmiert,S34 Der letzte erhaltene Brief Ciceros an Curio datiert aus dem Jahr 51 v. Chr., in dem Curio zum Volkstribunen gewählt wurde. Cicero nutzt diesen Anlaß unter anderem dazu, Curio wie schon Caelius darum zu bitten, daß seine Statthalterschaft in Kilikien nicht verlängert werde: "Dich, mein Curio, bitte ich im Namen unserer _gegenseitigen unvergleichlichen Hochachtung (pro tua incredibili in me benevolentia meaque item in te singulari) inständig, nicht zu dulden, daß mir diese 830 Cic. ad fam. II, 6, 1 ("ego, si mea in te essent officia solum, Curio, tanta, quanta magis a te ipso praedicari quam a me ponderari solent, verecundius a te, si quae magna res mihi petenda esset, contenderem; grave est enim homini pudenti petere aliquid magnum ab eo, de quo se bene meritum putet, ne id, quod petat, exigere magis quam rogare et in mercedis potius quam beneficii loco numerare videatur."). 831 Vgl. S. 83. 832 Zur Bedeutung der officia vgl. Cic. de off. I, 2, 4: "Nulla enim vitae pars neque publicis neque privatis neque forensibus neque domesticis in rebus, neque si tecum agas quid, neque si cum altero contrahas, vacare officio potest in eoque et colendo sita vitae est honestas omnis et neglegendo turpitudo." 833 Vgl. Cic. de off. I, 17, 56: "Magna etiam illa communitas est, quae conficitur ex beneficiis ultro et citro datis acceptis, quae et mutua et grata dum sunt, inter quos ea sunt firma devinciuntur societate." 834 Vgl Gilmore 1991, 113f., 146 und 195; in bezugauf Rom vgl. Rilinger 1991, 84.
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leidige Statthalterschaft auch nur um einen Augenblick verlängert wird. Ich habe schon persönlich mit Dir darober gesprochen, als ich noch nicht ahnte, daß Du it1 diesem Jahre Volkstribun werden würdest, und ebenso . habe ich Dich brietlieh mehrfach gebeten; aber da warst Du gleichsam nur mein Schüler, wenn auch ein hochadliger einflußreicher junger Mann; jetzt wende ich mich an· den Volkstribunen, den Tribunen Curio ... (itemque petivi saepe per litteras, sed tum quasi a sectatore, nobilissimo tamen adulescente et gratiosissimo, nunc a tr. pl. et a Curione tribuno ... ) "835 Auch hier bestimmt benevolentia die Beziehung, benevolentia, die letztendlich im tirocinium fori Curios, das er vielleicht sogar gemeinsam mit Caelius unter Ciceros Ägide abgeleistet hatte, begrundet gewesen zu sein scheint. Das tirocinium fori könnte auch die enge Bindung zwischen Caelius und Curio erklären, adulescentes verschiedener gesellschaftlicher Schichten, verbunden jedoch durch die gemeinsame Schulungß36 Auffallend ist Ciceros Trennung zwischen dem sectator und adulescens, der Curio ftir Cicero als Proquaestor noch war, und dem Volkstribunen Cmio: Für den sectator existiert immer noch eine Rangordnung, die die Vorherrschaft des älteren Mannes impliziert, mit dem Volkstribun dagegen spricht Cicero von Mann zu Mann. Meines Erachtens begrundete dieses Amt, ganz abgesehen von seinem möglichen politischen Potential - das Volkstribunat in der Nachfolge der Gracchen ist auch als politisches Instrument der zornigen jungen Männer charakterisiert worden -837, vor allem den "Beginn" einer gesellschaftlich akzeptierten und mit umfassenden Vollmachten ausgestatteten Virilität. Die Bekleidung dieses Amtes beendete also aus Sicht Ciceros letztendlich die adulescentia und nicht der Eintritt in den cursus honorum an sich.838 Ciceros letzter Brief an Curio, von dem er sich noch im selben Jahre entfremden sollte, legt außerdem nochmals Zeugnis von dem Einfluß ab, den ein nach römischer Auffassung noch junger Mann im politischen Leben ausüben konnte. Wie der Quaestor Curio eine Konsulatskampagne führen kmmte, so kann sich
835 Cic. ad farn. II, 7, 4 ("Te, rni Curio, pro tua incredibili in rne benevolentia rneaque itern in te singulari rogo atque oro, ne patiare quicquarn rnihi ad hanc provincialern rnolestiarn ternporis prorogari. praesens tecurn egi, curn te tr. pl. isto anno fore non putarern, iternque petivi saepe per litteras, sed turn quasi a sectatore, nobilissirno tarnen adulescente et gratiosissirno, nunc a tr. pl. et a Curione triburto ... "). 836 Zur Freundschaft zwischen Caelius und Curio vgl. S. 84. 837 Vgl. Plescia 1976, S. 159ff. 838 Dieser Aspekt ist weder von Eyben 1977 noch von Kleijwegt 1991 gesehen worden.
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der Volkstribun Curio für die Rückberufung eines Konsulars erfolgreich einsetzen. Die Rangordnung impliziert also nicht . zwangsläufig eine Unterordnung, sondern wird durch das horizontal verlaufende Netz der beneficia gekreuzt. Derselbe Brief legt, unter dem theoretischen Aspekt des Begriffes adulescenÜa betrachtet, auch wieder Zeugnis für Ciceros erzieherische Ambitionen ab. De~ Cicero weiß um die Schlüsselstellung des Tribunates, gerade im Falle des· politisch äußerst ehrgeizigen Curio: "Also ich beglückwünsche Dich, wünsche von Herzen, daß Dir Dein Tribunat zu ewigem Ruhme gereichen möge, und rate Dir, Dich in allem von Deiner Klugheit lenken und leiten zu lassen, damit Dich nicht Ratschläge von anderer Seite vom rechten Wege abbringen. Niemand könnte Dir weiseren Rat erteilen als Dein eigenes Ich, nie wirst Du straucheln, wenn Du aufDich hörst. Ich sage das nicht so daher; ich weiß, wem ich es sage, kenne Deinen Charakter, kenne Deine Besonnenheit und brauche mir keine Sorgen darüber zu machen, Du könntest etwas aus Angst oder Torheit unternehmen, wenn Du das vertrittst, was Du selbst als recht empfindest. Wie gespannt die politische Lage ist, in die Du nicht hineingestolpert, sondern mit vollem Bewußtsein eingetreten bist, darüber bist Du Dir natürlich klar, denn wohlüberlegt, nicht zufällig hast Du Dir den entscheidenden Zeitpunkt für Dein Tribunat ausgesucht (iudicio enim tuo, non casu in ipsum discrimen rerum contulisti tribunaturn tuum). Welchen Einfluß auf die Politik die Zeitumstände, die bunt wechselnden Ereignisse haben, wie ungewiß die Ergebnisse sind, wie unbeständig die Stimmungen der Leute, welche Rolle im Leben Hinterlist und eitles Gerede spielen, dessen bist Du Dir zweifellos bewußt. Aber ich bitte Dich, sorge und sinne - nichts Neues, bleib bei dem, was ich Dir oben gesagt habe: sprich mit Dir, geh mit Dir zu Rate, höre auf Dich, gehorche Dir (tecum loquere, te adhibe in consilium, te audi, tibi obtempera)l Schwerlich fände man jemanden, der einem andern besser zu raten wüßte als Du; Dir selbst vollends wird gewiß niemand besser raten können. Mein Gott! Warum bin ich nicht dabei als Augenzeuge Deiner Ruhmestaten, als Teilhaber, Genosse und Helfer Deiner Entschlüsse (vel particeps vel socius vel minister consiliorum)l Freilich, an Einsicht gebricht es Dir keinesfalls; immerhin würde meine große, starke Liebe mich befähigen, Dir mit gutem Rat zur Seite zu stehen."839 839 Cic. ad fam. li, 7, 2 ("sed tibi et gratulor et, ut sempitemae laudi tibi sit iste tribunatus, exopto teque hortor, ut onmia gubemes et moderere prudentia tua, ne te auferant aliorum
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Curio sollte Ciceros Erwartungen im Krisenjahr 50 v. Chr., in dem der Senat von der erbitterten Diskussion um das Ende der Statthalterschaft Caesars in all ihren Konsequenzen beherrscht wurde, nicht erfiillen: Er schlug sich als Tribun auf die Seite Caesius.S40. In der Tat hatte Curio allerdings einen Ratschlag Ciceros befolgt: er hatte allein auf sich selbst gehört. Auc11 wenn Cicero Curios politische Zuverlässigkeit überschätzt hatte, unterschätzte er keineswegs den neuen Typus des adulescens, den die Späte Republik geschaffen hatte und den Curio wie Caelius repräsentierten. Die zitierte Passage kann als Quintessenz der Haltung Ciceros gegenüber den ungebärdigen adulescentes seiner Zeit gewertet werden. So schätzt er vor allem die Bedeutung des Volkstribunates richtig ein: Während des Volkstribunates entschied sich die politische Ausrichtung des adulescens, der den Zeitpunkt, wie Cicero zu Curio bemerkt, genau kalkulierte. Das Volkstribunat, nicht die Quaestur war das Sprungbrett in die Welt der Politik. Cicero versucht Curio anläßtich seines Glückwunsches immer wieder durch das Postulat des "te audire" zu verpflichten. Hier zeichnet sich Ciceros Versuch ab, sokratische Selbsterkenntnis mit politischen Anforderungen zu verbinden und gerade der neuen Generation von Politikern, die sich aus adulescentes rekrutierte, nahezubringen. Das "te audire", das "tibi obtemperare" kann auch als Infragestellung des traditionellen römischen Erziehungsprinzips, die adulescentes im Geiste der Vorfahren der gens zu erziehen und orientieren, gewertet werden. Kaum zufällig formuliert es der homo novus Cicero, dem die Selbstbestimmung des einzelnen besonders am Herzen liegen mußte. Im Grunde präsentiert sich hier auch ein Ergebnis von Ciceros Auffassung von virtus, die letztendlich immer Ergebnis der Anstrengung eines einzelnen Mannes ist und aufunbedingter Treue zu sich selbst beruhen muß,84I In Ciceros Ratschlägen an
consila. nemo est, qui tibi sapientius suadere possit te ipso; numquam labere, si te audies. non scribo hoc temere; cui scribam, video; novi animum, novi consi\ium tuum; non vereor, ne quid timide, ne quid stu\te facias, si ea defendes, quae ipse recta esse senties. quod in rei publicae tempus non incideris, sed veneris - iudicio enim tuo, non casu in ipsum discrimen rerum contulisti tribunaturn tuum -, profecto vides; quanta vis in re publica temporum sit, quanta varietas rerum, quam incerti exitus, quam flexibiles hominum voluntates, quid insidiarum, quid vanitatis in vita non dubito, quin cogites. sed, amabo te, cura et cogita- nihil novi, sed illud idem, quod initio scripsi: tecum \oquere, te adhibe in consilium, te audi, tibi obtempera. alteri qui melius consilium dare possit quam tu, non facile inveniri potest; tibi vero ipsi certe nemo melius dabit. di immortales! cur ego absum vel spectator laudum tuarum vel particeps ve\ socius ve\ minister consiliorum? tametsi hoc minime tibi deest; sed tarnen efficeret magnitudo et vis amoris mei, consilio te ut possem adiuvare."). 840 Zum Tribunat Curios vgl. S. 212 und Dettenhofer 1992, 45ff. 841 Vgl. S. 59.
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Curio reflektiert sich auch die widerspruchsvolle politische Situation der Späten Republik, die, gekennzeichnet durch die Auflösung gerade der traditionellen Strukturen im Bereich des cursus honorum,842 das hehre Prinzip der maiores von der Herrschaft eines Kollektivs von . boni viri . untemiinieren und eigenwilligen Karrieren Raum geben mußte. Hier offenbart ·sich auch einmal mehr die Flexibilität Ciceronianisehen Denkens in bezug auf die. adulescentes seiner Zeit. Um sie an sich zu binden, versuchte er, traditionelle Erziehungsvorstellungen zu unterlaufen, um sie dann auf seine politische Linie, die auf Erhalt bzw. Restauration der res publica libera hinauslief,843 einzuschwören. Deutlich tritt dies hervor, wenn Cicero es bedauert, Curio nicht als "particeps vel socius vel minister consiliorum" zur Seite stehen zu können. Cicero hat in seinem Brutus, in dem er auch die außerordentliche rednerische Begabung Curios würdigte,844 die politische Entfremdung zwischen seinem Schüler und sich bedauert, der, "wenn er auf mich hätte hören wollen, wie er es anfangs getan hatte, lieber Ehren als Macht hätte erlangen wollen."845 Honor kann für Cicero nicht ohne virtus existieren: Curio hat seinen Anspruch auf beide verspielt, als er sich auf die Seite Caesars schlug und wie Caesar Herrschaft gegen den Willen der Bürgerschaft ausüben wollte:846 "Wenn er das hätte hören wollen, dann wäre er zu höchstem Ruhm und Ansehen und zur höchsten gesellschaftlichen Bedeutung gelangt, Stufe für Stufe die Ämterlaufbahn beschreitend, wie es sein Vater getan hatte, wie die übrigen hervorragenden Männer."847
842 Die Aufweichung des cursus honorum, dessen Verlauf eigentlich durch die Iex Villia annalis von 180 v. Chr. festgeschrieben war, in bezug auf Mindestalter, Abstand zwischen den Ämtern, die Voraussetzung, ein Amt nach dem anderen bekleiden zu müssen, das Prinzip der Iteration und im Falle des Konsulats die Kollegialität manifestiert sich in der Lautbahn eines Pompeius genauso wie in der eines Dolabella und Octavian. Zur Iex Villia annalis vgl. Liv. XL, 44, I; zu Pompeius vgl. S. 188, zu Dolabella vgl. S. 233ff., zu Octavian vgl. S. 245ff. Zu den Gründen, die diese lrregularitäten ermöglichten, vgl. Crawford 1990, 176ff. 843 Zu Ciceros politischer Haltung, die letztendlich auf einer anachronistischen Utopie basierte, vgl. S. 67. 844 Vgl. Cic. Brut. 280. 845 Vgl. Cic. Brut. 280: "qui si me audire voluisset, ut coeperat, (Hervorhebung von mir) honores quam opes consequi maluisset." .846 Vgl. Cic. Brut. 281. 847 Cic. Brut. 281 ("quae si ille audire voluisset (Hervorhebung von mir), maxima cum gratia et gloria ad summam amplitudinem pervenisset, ascendens gradibus magistratuum, ut pater eius fecerat, ut reliqui clariores viri. ").
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Der adulescens Curio wollte wie Caesar letztendlich außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung, wie Cicero sie verstand, avancierenß48 Er wählte aus drei möglichen Vörbildem - Cicero, Pompeius, Caesar- das letzte Ciceros Versuchen zum Trotz, ihn im Sinne der boni zu schulen. Obwohl Cicero das politische Potential dieses adulescens und die Bedeutung von dessen Volkstribunat richtig eingeschätzt hatte, scheiterte er am jungen Curio, der weder die Lehren seines tirocinium fori befolgte noch Ciceros Forderung des ,.te audire" im Sinne seines einstigen Lehrers umsetzte.
848 Zu den Parallelen zwischen Curio und Caesar vgl. Meyer 1974, 259f.
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7. 2. Die Briefe an Caelius: Männerunter sich Die Briefe an Curio sind in den Handschriften gemeinsam mit den Brieft
849 Vgl. S. 95f. 850 Vgl. ibid. 851 Cic. ad fam. ll, 10, 1. 852 Cic. ad fam. n, 16, 7 (,,Extremum illud erit: nihili nos turbulenter, nihil temere faciemus; te tarnen oramus, quibuscumque erimus in terris, ut nos liberosque nostros ita tueare, ut amicitia nostra et tua fides postulabit. ").
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Daß Cicero gerade dem Caelius ein profundes politisches Verständnis bescheinigt hat, ist bereits angesprochen worden,S53 Cicero insistierte wiederholt auf der politischen Weitsicht des Jüngeren: "Was die Politik angeht, so erwarte ich, aus Deinen Briefen, wie ich Dir neulich schrieb, den gegenwärtigen Stand und besonders die Aussichten für die Zukunft zu erfahren, und ich bitte Dich somit dringend, mir alles haarklein zu berichten. "854 Auch dem Curio hatte Cicero politischen Sachverstand bescheinigt,855 Der
homo novus Caelius war aber auf politischen Spürsinn ungleich mehr angewiesen als der homo nobilis Curio, der sich auf den Einfluß von Vater und gens stützen konnte. Beide versuchte Cicero allerdings, für seine Zwecke zu instrumentalisieren, wenn er auch Caelius dringlich um den Einsatz für Ciceros pünktliche Abberufung aus Kilikien bat. Cicero ließ im übrigen in seiner Eile, nach Rom zu kommen, den Quaestor Coelius als vorläufigen Stellvertreter zurück, ein Entschluß, der von Caelius und auch von Atticus kritisiert wurde:856 "Bei meinem Weggange aus der Provinz habe ich den Quaestor Coelius mit der Verwaltung beauftragt. ,Dieses Kind?' sagst Du (,puernm?' inquis). Ja, aber er ist immerhin Quaestor, ein junger Mann von Adel (nobi/em adulescentem), und fast alle anderen machen es ebenso. Auch fand sich keiner in höherem Range, den ich hätte einsetzen können ... Übrigens ist es weniger mein eigener Gedanke als das Vorbild zweier mächtiger Männer, die all die Cassier und Antonier an sich gezogen haben, das mich bewogen hat, den jungen Mann wenn nicht gerade anzulocken, so doch jedenfalls nicht vor den Kopf zu stoßen. Mit diesem meinem Entschluß mußt Du Dich wohl oder übel abfinden; zu ändern ist nichts mehr daran."857 853 Vgl. S. 86f. 854 Cic. ad fam. II, 10, 4 ("De re pubtica ex tuis 1itteris, ut antea tibi scripsi, cum praesentia turn etiam futura magis exspecto. quare, ut ad me omnia quam diligentissime perscribas, te vehementer rogo. "). 855 Vgl. Cic. ad fam. II, 4, 1: "quid est, quod possit graviter a Cicerone scribi ad Curionem nisi de re publica?" 856 Vgl. Cic. ad Att. VI, 7, 3: "Nos provinciae praefecimus Coelium. ,puerum' inquies ,et fortasse fatuum et non gravem et non continentem!' adsentior; fieri non potuit aliter." Zu Coelius vgl. Mamojee 1998, 28, Anm. 22. 857 Cic. ad fam. II, 15, 4 (.,Ego de provincia decedens quaestorem Coelium praeposui provinciae. ,puerum?' inquis. at quaestorem, at nobilem adu1escentem, at omnium fere
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Diese Stelle wirft zunächst em Licht auf die -relativ ·willkürliche Amtsverwaltungspraxis, in der adulescentes, die wenigstens die· Quaestur bekleidet hatten, ein Reservoir für die Verwaltung darstellten. Cicero verweist auf Caesar und Pompeius als Beispiele. Dieses Verfahren scheintallerdings nur · für die Späte Republik typisch zu sein: Cicero hätte sich sonst nicht gegen die Kritik des Caelius verteidigen müssen, indem er die Kriterien "quaestor" und "adulescens nobilis" als ausreichend für die stellvertretende Verwaltung einer Provinz erachtet, er allerdings selbst auch betont, daß er den Vorbildern Caesar und Pompeius folge. Die zitierte Passage stützt zudem ebenfalls meine Beobachtung, daß die adulescentia eben nicht bereits mit der Quaestur endet - Caelius charakterisiert den Coelius ja trotz Quaestur als "puer" und gibt damit sicher die herrschende Meinung wieder, während Cicero von einem adulescens spricht- , sondern erst das Volkstribunat einen entscheidenden Einschnitt darstellt, wie nicht nur Ciceros Äußerungen an Curio nahelegen, den er als Proquaestor noch als adulescens bezeichnet hatte, sondern auch Caelius' Auftreten und politischer Einfluß während seines eigenen Tribunats.858 Curio wurde anläßlich seiner Wahl zum Volkstribunen mit guten Ratschlägen überschüttet; Caelius' Wahl zum Aedilen 51 v. Chr. wird dagegen von Cicero ironisch-witzig kommentiert. Caelius hatte sich seine politischen Sporen als Volkstribun bereits verdient und damals mit seinem Eintreten ftir Milo und seiner Weigerung, weder für Pompeius noch für Caesar außerordentliche Vollmachten bewilligen zu lassen, durchaus Politik im Sinne Ciceros betrieben. Caelius konnte also aus Sicht Ciceros auf gute Ratschläge verzichten: "Wie es sich gehört, gratuliere ich Dir zunächst einmal und freue mich über Deinen gegenwärtigen wie über den verhofften Rang; ziemlich spät, aber nicht, weil ich saumselig bin, sondern weil ich von nichts etwas wußte ... Also ich beglückwünsche Dich; für meinen Dank an Dich finde ich aber wirklich nicht die rechten Worte, daß Du uns mit Deiner Wahl, wie Du Dich ausdrückst, ,ein Objekt verschafft hast, über das wir dauernd lachen können'. So bin ich denn, sobald ich davon hörte, selbst in seine exemplo. neque erat superiore honore usus, quem praeficerem... postremo non tarn mea sponte quam potentissimorum duorum exemplo, qui omnis Cassios Antoniosque complexi sunt, hominem adulescentem non tarn allicere volui quam alienare nolui. hoc tu meum consilium Iaudes necessest, mutari enim non potest."). 858 Zum Volkstribunat des Caelius vgl. S. 83f. Anders als im Falle Curios hatte der Volkstribun Caelius auf seinen alten Lehrer gehört und seinen Widerstand gegen einen Dispens für Caesar aufgegeben.; vgl. Cic. ad Att. VII, I, 4: "nam ut illi hoc liceret, adiuvi rogatus ab ipso Ravennae de Caelio tribuno plebis."
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Haut gekrochen - Du weißt, wen ich meine (gemeint ist Caelius' Mitbewerber Hirrus, d. V.)- und habe mich in die Rolle all der jungen Männer versetzt, mit denen er herumprahlt."859 Diese Stelle illustriert gut den Tonfall,. der den Briefwechsel zwischen Caelius und Cicero mit Ausnahme der letzten Briefe bestimmt: weltmännisch, ironisch, ein Code zwischen Gleichen. Sie zeigt außerdem die Verknüpfung von dignitas und erworbenen Ämtern. Der adulescens gewinnt für Cicero durch Absolvierung der Ämterlaufbahn an Dignität, die ihn letztendlich Schlitt für Schritt der Welt der Männerangehören läßt.s6o Der Verweis auf die Anhänger des Hirrus, wohl vor allem adulescentes, verdeutlicht außerdem einmal mehr die Bedeutung, die adulescentes in ihrer Gesamtheit in der politischen Welt der Späten Republik in bezug auf Wahlen hatten.86I Cicero verfolgt mit seinem Glückwunsch aber auch ganz deutlich eigene Interessen: "Du aber bist ein Prachtmensch, mein Rufus, den mir das Schicksal als Förderer meiner Würde, als Rächer an meinen Feinden und Neidet'n geschenkt hat! Sie sollen Ihre Verbrechen, ihre Albernheiten noch bereuen! "862 Hier wird die Verpflichtung zur gegenseitigen Hilfeleistung unter Männern deutlich formulieti.863 Diese Verpflichtung erstreckt sich nicht nur wie hier auf das unbedingte Eintreten für die dignitas des anderen, sondern auch auf die Unterstützung der jeweiligen amici. So bittet Cicero Caelius in bezug auf seinen Freund M. Fabius in einem anderen Brief:
859 Cic. ad fam. II, 9, 1 {.,Primum tibi, ut debeo, gratulor laetorque cum praesenti turn etiam sperata tua dignitate, serius non neglegentia mea, sed ignoratione rerum omnium... et cum gratulor turn vero, quibus verbis tibi gratias agam, non reperio, quod ita factus sis, ut dederis nobis, quem ad modum scripseras ad me, quem semper ridere possemus. itaque, cum primum audivi, ego ille factus sum - scis quem dicam - egique omnis illos adulescentes, quos ille iactitat."). 860 Vgl. S. 222. 861 Zur Bedeutung insbesondere der adulescentes nobiles bei Wahlen vgl. Q. Cic. comm. pet. 8, 33 und Meier 1980, 177 (adulescentes als Wahlwerber). Der Appell an die adulescentes in der Sestiana hatte also handfeste politische Gründe. 862 Cic. ad fam. li, 9, 3 (.,te vero, mi Rufe, diligo, quem mihi fortuna dedit amplificatorem dignitatis meae, ultorem non modo inimicorum sed etiam invidorum meorum, ut eos partim seelerum suorum, partim etiam ineptiarum paeniteret."). 863 Zu diesem Prinzip vgl. S. 218.
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"Nimm Dich seiner Angelegenheit an, als ob .es sich um meine Belange handelte. Ich kenne Euch großschnauzigen Patrone: man muß ersteinen. Menschen totschlagen, wenn man euch bemühen will. Aber bei. diesem·. ·. Manne lasse ich keine Ausrede gelten. Laß bitte alles ·im Stiche, Wenn . Fabius Deine Hilfe benötigt."864 ·. · ·· · Dieser Weg, Dienste für einen anderen Mann einzufordern, ist typisch (nicht nur) für Cicero, der seine Klienten zu deren Gunsten als Perpetuierung der eigenen Person charakterisiert. Diese Stelle beweist zudem, daß Caelius als Aedil bereits als patronus agieren konnte. Das Erklimmen der Ämterlautbahn ging mit der Vergrößerung der eigenen Klientel also Hand in Hand. Ciceros ironische Äußerung legt indessen nahe, daß die adulescentes der ausgehenden Republik wenig vom traditionellen Klientelwesen, in dem es letztlich um die Verknüpfung von Männem auf vertikaler gesellschaftlicher Ebene, verbunden durch fides,865 handelte, hielten. Sie orientierten sich vor allem an den Mächtigen ihrer Zeit und ergriffen für sie Partei, waren jedoch nicht mehr immer bereit, selbst als patroni zu agieren. Caelius entschloß sich letztendlich für Caesar, auch wenn Cicero ihn auf die Seite des Pompeius zu ziehen versuchte: "Es ist ja nichts passiert, was Du besser hättest voraussehen können als jeder andere und vornehmlich ich selbst, der ich mich mehrere Tage lang mit Pompeius über nichts anderes als über die politische L_age unterhalten habe. Davon kann ich und darf ich nicht schreiben; nur soviel laß Dir gesagt sein: Pompeius ist ein großartiger Mann, bereit, mit Herz und Hand alle Maßnahmen zu ergreifen, die die politische Entwicklung erfordert. Darum schließ Dich ihm an; glaub' mir, er wird Dich mit offenen Armen aufnehmen! Nachgerade hält er dieselben Leute für gute öder schlechte Staatsbürger wie wir beide zumeist."866
864 Cic. ad fam. ll, 11 ("eius negotium sie velim suscipias, ut si esset res mea. novi ego vos magnos patronos: hominem occidat oportet, qui vestra opera uti velit. sed in hoc homine nullam accipio excusationem. ornnia relinques, si me amabis, cum tua opera Fabius uti volet."). 865 Zur fides zwischen patronus und cliens vgl. Heinze 1929, 150ff. 866 Cic. ad fam. II, 8, 2 ("neque enim fuit, quod tu plus providere posses quam quivis nostrum in primisque ego, qui cum Pompeio complures dies nullis in aliis nisi de re publica sermonibus versatus sum; quae nec possunt scribi nec scribenda sunt; tantumque habeto, civem egregium esse Pompeium et ad omnia, quae providenda sunt in re publica, et animo et
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Um Caelius an Pompeius zu binden, rekurriert Cicero hier auf seine Vorstellung vom bonus civis, der immer auch ein bonus vir ist und für Cicero trotz aller Kritik867 immer noch am reinsten im Pompeius verkörpert war,868 Er setzt also bei .seinem über· dreißig Jahre jüngeren Zögling dieselben politischen . Vorstellung_en voraus, obwohl Caelius wie Curio Pompeius gegenüber eine konsequent ablehnende Haltung einnahm,869 Der Versuch, Caelius auf die politische Theorie Ciceros einzuschwören und ihn an das Lager der Optimaten zu binden, ist hier deutlich. Eine .politische Betätigung außerhalb Roms ist für Cicero fast undenkbar. Deshalb rät er Caelius: "Die Stadt, mein Rufus, die Stadt halte hoch und freue Dich Deines Lebens in ihrem Glanze! Alles Leben in der Fremde- die Erfahrung habe ich von Jugend auf gemacht- ist dunkel und bedrückend für jeden, der in Rom glänzen kann. Das wußte ich ganz genau; ach, wäre ich doch nicht von meiner Überzeugung abgegangen! Ein einziger kleiner Spaziergang, ein Schwatz mit Dir wiegt weiß Gott schwerer als alle Erfolge meiner Provinzialverwaltung. "870
consilio paratum. quare da te homini; complectetur, mihi crede. iam idem illi et boni et mali cives videntur qui nobis videri so\ent."). 867 Zu Ciceros Verhältnis zu Pompeius vgl. Cic. ad Att. VII, 22, 1 und S. 189. 868 Zu Ciceros Verehrung des Pompeius vgl. ibid., Cic. ad fam. Ill, 10, 10; ad Att. Il, 21, 3f.; IX, 11, 2f. und VII, 8, 4: " ... levabar cura virum fortem et peritum et plurimum auctoritate valentem audiens tco).mKcÖq de pacis simulatae periculis disserentem." und Cic. de off. li, 6, 20 ("summus et singularis vir") sowie dessen Darstellung als Verkörperung der virtus in Cic. de imp. Cn. Pomp. 36; 49; 50; 64. Zur Diskussion, inwieweit Cicero Pompeius im idealen Staatsmann in de re publica abgebildet hat, vgl. Strasburger 1968, 27. Zur Identität von bonus vir und bonus civis vgl. Cic. de rep. I, 29, 45. Da wahre virtus sich nur im Dienst an der res publica erweisen kann, ist diese Einheit von Virilität und Civität logisch; vgl. hier auch S. 56f. 869 Vgl. Cic. ad fam. VIll, 1, 3. 870 Cic. ad fam. II, 14, 2 ("Urbem, urbem, mi Rufe, co\e et in ista luce vive; omnis peregrinatio, quod ego ab adulescentia iudicavi, obscura et sordidast iis, quorum industria Romae potest inlustris esse. quod cum probe scirem, utinam in sententia permansissem! cum una mercule ambulatiuncula atque uno sermone nostro omnis fructus provinciae non confero. "). Zu Ciceros Gleichsetzung von Rom und res publica vgl. auch S. 264 (Kritik des Brutus).
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Auch wenn Cicero in der Caeliana noch die Einflihrung des .adulescens in die Provinzverwaltung als Institut der maiores gerühmt hatte,871 tut er sie hier in aller Offenheit als absolut sekundär ab. Politik wird in Rom gemacht, der adulescens kann sich hier und nirgendwo anders seine politischen. Sporen . verdienen. Deshalb versuchte auch Caelius, sich zu Beginn seiner Ädilitätdurch Spiele, für die er bei Cicero in Kilikien wiederholt Panther einforderte,872 zum Gespräch zu machen. Ironischerweise lieferte Curio, damals Proquaestor in Kleinasien, letztendlich die erforderlichen Panther und verpflichtete sich so Caelius. Die zitierte Passage illustriert nochmals das enge persönliche Band zwischen Cicero und Caelius und wirft ein Schlaglicht auf ihre enge Verbindung in Rom. Caelius scheint flir Cicero in der Tat absolut gleichberechtigter Freund und enger Vertrauter gewesen zu sein. Die patemale Attitüde, die Cicero Curio gegenüber an den Tag legte, fehlt in den Briefen an Caelius völlig. Mit Caelius verkehrt Cicero von Mann zu Mann: Kennzeichen dieses Verkehrs ist absolute persönliche Offenheit. Diese Rede von Mann zu Mann offenbart sich auch in Ciceros offenen Äußerungen zu den eigenen familiären Sorgen, insbesondere zu der Eheschließung zwischen Tullia und Dolabella, und vor allem in den Eingeständnissen der eigenen tiefen Verzweiflung angesichts der für Cicero aussichtlos erscheinenden politischen Situation des Jahres 49 v. Chr. Caelius hatte Ciceros Depressionen scharf kritisiert,873 Cicero appelliert zu seiner Verteidigung im Gegenzug an das Einfühlungsvermögen des Caelius, von dem er glaubt, daß er mit seiner Kritik letztendlich nur Wahrung der dignatio des Älteren im Blick habe:874 "Worin besteht also mein ,beklagenswerter Entschluß'? Daß ich mich vielleicht an irgendeinen einsamen Ort zurückziehe. Du weißt doch, wie es mir hochkommt - Dir ging es ja einst ähnlich - bei dem niederträchtigen Benehmen dieser überheblichen Gesellschaft, wie meine Augen sich davor ekeln. "875
871 Vgl. Cic. pro Cael. 30, 73. 872 Vgl. Cic. ad fam. VIII, 6, 3. Caelius' Wunsch kritisiert Cic. ad Att. VI, 1, 23.
873 Vgl. Cic. ad fam. VIII, 16. 874 Vgl. Cic. ad Att. X, l 0, 2: "nec quicquam nisi de dignatione laborat." in Hinsicht auf den Brief des Caelius ad fam. VIII, 16. 875 Cic. ad fam. ll, 16, 2 ("Quod est igitur meum ,triste consilium'? ut discederem fortassein aliquas solitudines. nosti enim non modo stomachi mei, cuius tu similem quondam habebas, sed etiam oculorum in hominum insolentium indignitate fastidium.").
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Cicero spielt hier auf Caelius' Klagen über die Gefolgschaft Caesars an,S76 Beiden ist klar, daß es sich bei jener kaum um die "boni cives ac viri" handelt, . die als Leitbilder für Cicero so wichtig sind. Cicero, der noch ein Jahr zuvor das Loblied auf Rom· gesungen hatte, sehnt sich jetzt nach den Segnungen der Einsamkeit Immer noch geht er davon aus, daß Caelius und er ähnlich auf einen Fall der tes publica reagieren werden, wie eine weitere Stelle dieses Briefes verdeutlicht: . "So warte ich denn weder die augenblicklichen Vorgänge in Spanien ab ... noch hege ich irgendwelche hinterhältigen Gedanken. Wenn es einmal wieder ein Gemeinwesen gibt, wird sich darin sicherlich auch ein Platz für mich finden; wenn nicht, dann wirst Du dich wahrscheinlich ebenso in die Einsamkeit zuriickziehen, wie Du es alsdann von mir hören wirst. Mag sein, daß ich ein Schwarzseher bin und daß dies alles besser ausgehen wird. Ich erinnere mich, wie verzweifelt in meiner Jugend die Alten waren. Vielleicht mache ich es jetzt ebenso wie sie und verfalle in die Fehler des Alters. Wirre es doch so! Aber trotzdem... "877 Die Annahme einer identischen Reaktion, nämlich das Ausscheiden aus der Politik und der Rückzug in die Einsamkeit, charakterisiert hier Caelius als ein alter ego Ciceros bzw. als dessen jüngeres Pendant Cicero vertraut auf seine Erziehung des Caelius, auf die von ihm vermittelten staatstheoretischen Vorstellungen. Daß er zum Teil Erfolg hatte, beweist der letzte Brief des Caelius an Cicero, in dem er sich der Senatsopposition als "alterum Catonem" anbot,S78 Cicero, selbst ein Kind des sullanischen Bürgerkrieges, erinnert sich an die damalige Verzweiflung der Älteren. Implizit belegt der Hinweis auf die eigene adulescentia ein für die adulescntia typisches Charakteristikum: Den Ehrgeiz, selbst besser und erfolgreicher agieren können als die Alten,S79 Nun befindet sich Caelius angesichts des drohenden Bürgerkrieges in derselben 876 Vgl. S. 85. 877 Cic. ad fam. II, 16, 6 ("Itaque neque ego Hispaniensem casum exspecto ... neque quicquam astute cogito. si quando erit civitas, erit profecto nobis locus; sin autem non erit, in easdem solitudines tu ipse, ut arbitror, venies, in quibus nos consedisse audies. sed ego fortasse vaticinoret haec omnia meliores habebunt exitus. recordor enim desperationes eorum, qui senes erant adulescente me. eos ego fortasse nunc imitor et utor aetatis vitio. velim ita sit; sed tarnen ..."). 878 Vgl. S. 88. Zur Vorbildfunktion Catos vgl. außerdem Cic. de dom. 21: "Dices: Quem virum! Sanctissimum, prudentissimum, fortitissimum, amicissimum rei publicae, virtute, consilio, ratione vitae mirabi\i ad laudem et prope singulari!" 879 Vgl. Erdheim 1994, 197.
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Situation. Allerdings haben sich die Prämissen geändert: .Der Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla hatte die Staatsidee der res pubÜca aus Sicht Ciceros nie in Frage gestellt und mündete in die SuBanisehe Restauration der Senatsherrschaft, während in Ciceros Augen ein Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeins nichts von der civitas übrig lassen würde. Cicero glaubt deshalb .· kaum noch an mögliche Erfolge der jungen Generation - man denke an den Seitenwechsel Curios- in bezug auf die Rettung des Gemeinwesens. Caelius, erzogen und politisch beeinflußt durch Cicero, saß gleichsam zwischen zwei Stühlen: den republikanischen Prinzipien seines Lehrers und engeil Freundes und dem Charisma eines Caesar.88o Daß diese beiden Gegenpole seine vita bestimmten, ist bereits an seiner Biographie deutlich geworden.881 Caelius plagten noch republikanische Skrupel und Ideale - ganz anders präsentiert sich Ciceros dritter Schwiegersohn P. Comelius Dolabella, dessen Beziehung zu Cicero deshalb eine eigene Würdigung verdient.
880 Vgl. Dettenhofer 1992, 164, die vor allem Caelius' Prägung durch Cicero und seine Enttäuschung über das Versagen der von Cicero vermittelten Werte in der Tagespolitik betont. 881 Vgl. S. 88f.
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7. 3. Der adulescens als Konsul: Cicero und Dolabella P. Cornelius Dolabella (69 v. Chr. - 43 v. Chr.)882 darf als das enfant terrible seiner Epoche gelten. Seine Karriere und sein Lebenswandel waren spektakulär und stellen ein illustres Beipiel dafür dar, was ein aditlescens in der Umbruchszeit der Späten Republik erreichen konnte. Mit achtzehn Jahren bekleidete er das Amt eines XVvir sacris faciundis, nachdem er bei der Wahl einen Praetor aus dem Feld geschlagen hatte,883 und hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Ehe und zwei Kapitalprozesse, in denen Cicero ihn verteidigt hatte, hinter sich,884 50 v. Chr. beendete er sein tirocinium fori mit einer erfolglosen Anklage de maiestate des Appius Claudius Pulcher, Bruder des Tribunen und während seiner Censur erbitterter Gegner der politisch ehrgeizigen adulescentes Caelius, Curio und Dolabella, die er von der Senatsliste streichen lassen wollte,885 und heiratete, ohne Ciceros Einverständnis abzuwarten, dessen Tochter Tullia (79 v. Chr.- 45 v. Chr.), die zehn Jahre älter war als er und von der er sich bereits 46 v. Chr. auf Betreiben Ciceros wieder scheiden ließ,886 Cicero scheint ebenso wie Caelius Dolabella, von kurzen Verstimmungen
882 Ich folge hier der Aussage Appians, nach der Dolabella im Jahre 44 v. Chr. fünfundzwanzig Jahre alt gewesen sei; vgl. App. b. c. II, 129. Anders in Anlehnung an Wegehaupt 1880, 4f., der das Zahlzeichen von 25 auf 35 emendierte, Syme 1980, 432 und Dettenhofer 1992, 19, die Dolabellas Geburtsjahr dementsprechend später datieren. M. E. trifft Gotter 1996, 268 z.T. den Kern, wenn er formuliert: "Natürlich würde eine derart gewaltsame Karriere bereits in jungen Jahren nicht schlecht zu seiner Aufführung im Jahre 44/43 passen. So ist eine Entscheidung dieser Frage vornehmlich Geschmackssache. In jedem Fall aber war Dolabella 44 v. Chr. für das höchste römische Staatsamt zu jung." 883 Vgl. Cic. ad fam. VIII, 5, 1 (Caelius an Cicero). 884 Die genauen Anklagen ebenso wie die Ankläger sind unbekannt. Zur Sache vgl. Cic. ad fam. III, 10, 5 (Cicero an Appius Claudius) und VI, 11, 1 (Cicero an Trebanius). 885 Zur geplanten Streichung von der Senatsliste vgl. Cic. ad fam. VIII, 13, I (Caelius an Cicero) und Gruen 1974, 354f.; zur Anklage de maiestate vg!. Cic. ad fam. VIII, 9, I (Caelius an Cicero). Dolabella ließ dieser Anklage eine weiterede ambitu folgen; vgl. Cic. ad fam. III, 10 (Cicero an Appius). Cicero beklagt hier die temeritas seines unverhofften Schwiegersohns, der es gewagt habe, sich mit Appius anzulegen. 886 Zur Eheschließung vgl. Cic. ad Att. VI, 7, 1; zur Scheidung vgl. Cic. ad Att. XI, 22, 3.
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abgesehen, bis zu dessen Konsulat geschätzt zu haben,887 Beide vermittelten zwischen ihm und Caesar ab 49 v. Chr,888 Für Dolabellas Anschluß an Caesar waren zwei Motive verantwortlich: die Feindschaft zu Appius Claudius und hohe Schulden,S89 Als · Caesarianer brüskierte er seinen Schwiegervater Cicero in jeder EinsiCht: Er begleitete Caesar 48 v. Chr. nach Pharsalos und ließ sich, wie vor ihm schon Clodius, im seihen Jahr von einem Plebeier adrogieren, um im Jahre 47 v. Chr. das Volkstribunat bekleiden zu können,890 Als Volkstribun agierte er vehement popular mit dem üblichen Programm eines Schulden- und Mieterlasses utid mußte vom magister equitum Marcus Antonius, mit dessen Frau ihm ein Verhältnis nachgesagt wurde, zur Räson gebracht werden. Cicero ließ die Scheidung seiner Tochter einleiten, als Dolabella eine Statue für P. Clodius aufzustellen plante, blieb jedoch weiterhin mit ihm in Verbindung,891 Dolabella genoß die Gunst des Diktators und begleitete Caesar auf seinen Feldzügen nach Africa und Spanien und wurde von Caesar zum Suffektkonsul für 44 v. Chr. bestimmt, ohne überhaupt die Praetur bekleidet zu haben,892 Nach der Ermordung Caesars schlug er sich während seines Konsulats seinem Kollegen Marcus Antonius zum Trotz zunächst offen auf die Seite der Caesarmörder. Er ließ die Bildsäule Caesars, die an der Stätte der Leichenverbrennung errichtet worden war, zerstören und verbot dort den Kult für den vergöttlichen Caesar; Zuwiderhandlungen bestrafte er äußerst streng 887 Zu Caelius' positiver Einstellung Dolabella gegenüber vgl. Cic. ad fam VIII, 12, 1 ("deinde, quod maximum est, ego illum valde amo.") und VIII, 16, 2 (;,vir optimus, gener tuus"); zu Ciceros Wertschätzung, der sogar eine Schrift für Dolabella plante, vgl. Cic. ad Att. XIII, 21; 25. 888 Vgl. Cic. ad Att. VII, 18, 3; 22, 3. 889 Vgl. Dettenhofer 1992, 122: "Bei Dolabella wird es besonders deutlich, wie persönliche Feindschaft zu wenigstens einem der herrschenden boni und hohe Verschuldung zur Parteinahme für Caesar führen konnten." Zu den Schulden Dolabellas vgl. Cic. ad fam. ID, 10, 5 (an Appius) und ll, 16, 5 (an Caelius). Diese Motive ähneln denen des Caelius, der seinen Übertritt zu Caesar allerdings nicht mit der Kompromißlosigkeit Dolabellas vollzog; vgl. S. 85f. 890 Zur Adrogation vgl. Cass. Dio XLII, 29, 1; zu Dolabellas Programm der tabulae novae, das nahtlos an Caelius' Initiativen als praetor urbanus anschloß, vgl. Cic. ad Att. XI, 22, 3: "aliquid fecissemus ut viri vel tabulamm novarum nomine vel noctumarum expugnationum vel Metellae vel omnium malorum ... " 891 Vgl. Cic. adAtt. XI, 22, 3. 892 Zur Wertschätzung Dolabellas durch Caesar vgl. Cic. ad Att. IX, 19, 3 (Caesar an Cicero): ,,Dolabella tuo nihil scito mihi esse iucundius. Hanc adeo habebo gratiam iiii, neque enim aliter facere poterit; tanta eius humanitas, is sensus, ea in me est benevolentia." und ibid., XIII, 57, 2.
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durch Hinrichhmgen:893 Cicero begrüßte ihn deshalb euphorisch in den Reihen der boni. Im Oktober 44 v. Chr. ging er, mit einem imperium proconsulare ftir fünf Jahre ausgestattet, als Prokonsul nach Syrien, um erneut eine dreiste . politische Volte zu schlagen: Im Januar 43 v. Chr. ließ er den Statthalter von Asia C. Trebonius ermorden und versuchte, sich in den Besitz der östlichen Provinzen zu setzen,894 Vom Semit im Febmar zum hostis erklärt, wurde er von Cassius in Laodicea eingeschlossen urid ließ sich von einem Getreuen den Tod geben,895 Er war zum Zeitpunkt seines Todes sechundzwanzig Jahre alt. Octavian, seit Mitte August des Jahres 43 v. Chr. Konsul, hob die hostisErklämng im übrigen wieder auf,896 Die Persönlichkeit Dolabellas illustriert wie kaum eine andere vor ihm die Möglichkeiten, die einem adu/escens der Oberschicht gerade in politischer Hinsicht offenstanden. Dolabella nutzte diese Möglichkeiten bis in die letzte Konsequenz, kaum noch behindert durch die Altersvorschriften des cursus honorum oder die traditionellen gesellschaftlichen Vorstellungen, die auf dem maiores-Kodex gründeten. Ein Dolabella konnte nur als Ergebnis eben der Aufweichung der traditionellen Initiations- und Herrschaftsstmkturen (tirocinium fori, Altersgrenzen gekoppelt an die Bekleidung von Ämtern, absolute Herrschaft einer Gerontokratie, i. e. des Senats) entstehen. Der Briefwechsel zwischen Cicero und Dolabella umfaßt sechs Briefe aus den Jahren 48 bis 44 v. Chr. und wird mit einem BriefDolabellas aus dem Feldlager bei Dyrrachium eröffnet, in dem er Cicero den Seitenwechsel zu Caesar nahelegt, wenn er politisch weiterhin eine Rolle spielen wolle: "Um eines aber bitte ich Dich: falls (Pompeius) der augenblicklichen Gefahr noch einmal entrinnt und sich auf seine Flotte zurückzieht, dann denke an Dich und sei endlich einmal mehr Dein als sonst jemandes Freund! Du hast nachgerade Deiner Pflicht oder meinetwegen Freundschaft (ve/ officio vel familiaritati) Genüge getan, Genüge getan auch der Partei und Staatsform, die Du ftir die einzig richtige hieltest; es
893 Zu den Geschehnissen vgl. Cic. ad Att. XIV, 15, 1; 16, 2; ad fam. IX, 14, 7 (Cicero an Dolabella). 894 Zum imperium proconsulare vgl. Cic. ad Att. XIV, 14, 4; App. b. c. III, 6f.; zur Ermordung des Trebonius vgl. Cic. Phi!. XI, 5; 7f. 895 Zur hostis-Erk1änmg vgl. Cic. Phi!. XI, 29ff.; zu Kriegsverlaufund Selbstmord vgl. Gotter 1996, 199ff. 896 Zur Aufhebung der hostis-Erklärung vgl. App. b. c. III, 95.
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bleibt uns nur, lieber dort zu stehen, wo jetzt der Staat ist, als uns an jenen · alten zu klammem und keinen zu besitzen. "897 Diese Passage ist in ihrer Offenheit bemerkenswert: Hier spricht eiri adulescens_; der Ciceros geliebte res publica kaltschnäuzig zu den Akten gelegt ·hat: Für Cicero zentrale Werte des römischen Staates- amicÜia, officium, jamiliaritas..,... sind für Dolabella irrelevant. Er predigt das Recht des Individualinteresses: Cicero solle vor allem sich selbst Freund sein, denn der Staat sei jetzt da, wo Caesar kämpfe. Hier offenbart sich in aller Deutlichkeit der starke Einfluß Caesars auf die politisch ambitionierten adulescentes, die sich im Lager Caesars versammelt hatten und von Cicero bösartig als "perdita iuventus" charakterisiert worden waren,898 Singulär dürfte indessen die Ehrlichkeit Dolabellas sein, der anders als ein Curio oder Caelius gar nicht mehr vorgab, Ciceros traditionelle Vorstellungen einer res publica noch ernst zu nehmen, sondern die Person Caesars mit der res publica gleichsetzte,899 Auffallend ist außerdem der gönnerhafte Tonfall des gerade mal Zwanzigjährigen einem Konsular gegenüber: Während Caelius und Cicero auf einer Ebene der Gleichen miteinander verkehrten - dies schon signifikant -, kehrt Dolabella das traditionelle Altersgefälle sogar einfach um. Cicero selbst scheint den Einfluß des adulescens als hoch eingeschätzt und diese Umkehrung des Altersgefälles streckenweise akzeptiert zu haben, wenn er beispielsweise Dolabella fast unterwürfig um die Schonung spanischer Freunde bittet:
897 Cic. ad fam. IX, 9, 2f. ("illud autem te peto, ut, si iam ille evitaverit hoc periculum et se abdiderit in classem, tu tuis rebus consulas et aliquando tibi potius quam cuivis sis amicus. satis factum est iam a te vel officio vel familiaritati, satis factum etiam partibus et ei rei p., quam tu probabas; relicum est, ubi nunc est res p., ibi simus potius quam, dum illam veterem sequamur, simus in nulla."). 898 Vgl. Cic. ad Att. VII, 7, 6: "nunc Iegiones XI, equitatus tantus, quantum volet, Transpadani, plebes urbana, tot tribuni pl., tam perdita iuventus (Hervorhebung von mir), tanta auctoritate dux, tanta audacia, cum hoc aut depugnandum est aut habenda e lege ratio." Zu Caesars großer Anhängerschaft unter denjungen Männem vgl. auch Cic. ad Att. VII, 3, 5: "verum tarnen haec video, cum homine audacissimo paratissimoque negotium esse, ornnes darnnatos, ornnes ignominia adfectos, ornnes darnnatione ignominiaque dignos illac facere, omnem fere iuventutem (Hervorhebung von mir), omnem illam urbanam ac perditam plebem, tribunos valentes ... , omnes, qui aere alieno premantur... " Auch hier wird iuventus in negativem Kontext gesetzt. 899 Vgl. Meier 1982,463.
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"Ich bitte Dich also oder - wenn Du gestattest - beschwöre Dich, diese armen Menschen, die das Schicksal, dem sich niemand entziehen kann, mehr als eigenes Verschulden ins Unglück gebracht hat, unversehrt zu . erhalten und mir dazu zu verhelfen, den mir befreundeten Leuten, der Stadt Cales, mit der ich mich eng verbunden fühle, wie auch Lepta, den ich über alles schätze, durch Deine Vermittlung diese kleine Gefalligkeit zukommen zu lassen. "900 Cicero formuliert hier seine Bitte ganz anders als er es etwa gegenüber einem Caelius getan hätte:90I Dolabella gegenüber ist von einem munus, nicht einem officium die Rede, um das ausdrücklich mit einem fast unterwürfigen "orare" gebeten wird. Die Umkehr der Hierarchie ist evident. Wie oben bereits angesprochen, wandte sich Dolabella nach dem Tode Caesars zunächst der Partei der Caesarmörder zu; deshalb wurde sein Konsulat von Cicero begeistert begrüßt. Cicero meint sogar, in Dolabella einen Schüler seiner eigenen Staatsidee erkennen zu können,902 und behauptet in dem Brief, in dem er seine Beziehung zu Dolabella einer Standortbestimmung unterzieht, dies sei ihm gerade von seinen Freunden nahegelegt worden: "Sie meinen nämlich, zweifellos seien es meine Lehren und Ratschläge, durch deren Befolgung Du Dich als trefflicher Staatsbürger und hervorragender Konsul erwiesest. Denen kann ich ja nun allerdings ganz der Wahrheit gemäß versichern, was Du tätest, das tätest Du unbeeindruckt und ganz aus eigenem Antrieb und bedürftest niemandes Rat dazu. Immerhin, wenn sie der Meinung Ausdruck geben, Du verdanktest Deinen Ruhm ganz meinen Ratschlägen, so lasse ich das zwar nicht ohne weiteres gelten, um Deinen Verdienst nicht zu verkleinern, weise es freilich auch nicht so ganz von der Hand. Ich bin ja nun einmal ein wenig ruhmsüchtiger, als ich eigentlich sollte, und schließlich setzt es Dich doch nicht in Deiner Würde herab, was selbst 900 Cic. ad fam. IX, 11, 3 ("Peto igitur a te vel, si pateris, oro, ut homines miseros et fortuna, quam vitare nemo potest, magis quam culpa calamitosos conserves incolumis velisque per te me hoc muneris cum ipsis amicis hominibus, cum municipio Caleno, quocum mihi magna necessitudo est, turn Leptae, quem omnibus antepono, dare."). 901 Vgl. S. 228. 902 Vgl. hier auch Cic. ad Att. XIV, 16, 2: "Sed ad rem ut veniam, o Dolabellae nostri magnam ap1urdav! ... equidem laudare eum et lwrtari non desisto (Hervorhebung von mir). Recte tu omnibus epistulis significas, quid de re, quid de viro (Hervorhebung von mir) sentias." Atticus tadelte im übrigen die Lobreden, mit denen Cicero Dolabella überschüttete; vgl. Cic. adAtt.XIV, 18, 5; 19, I.
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Agamemnon, König der Könige, sich zur Ehre anrechnete: bei seinen Entschließungen einen Nestor zur Seite zu haben; mir aber erscheint es überaus ruhmvoll, daß Du als Konsul (iuvenem consulem) in so jungen Jahren gleichsam als Zögling meiner Schule reichen Ruhm erntest (quasi alumnum disciplinae meae) ... (L. Caesar) sprach eingehend übetdas. Geschehnis und Deine Heldentat; etwas Großartigeres,. Herrlicheres, .für · das Vaterland Heilsameres sei noch nie geschehen. Und so sprechen alle; es herrscht nur eine Stimme. "903 Die Großtat Dolabellas hatte darin bestanden, einen dem Caesar geweihten Altar auf dem Forum niederreißen und die deshalb entstehenden Unruhen mit Gewalt niederschlagen zu lassen.904 Cicero sah hierin eine Entscheidung Dolabellas für die Sache der Optimaten, da die antiantonianische Stoßrichtung, erklärtes Ziel der Politik Ciceros nach den Iden des März,9°5 unverkennbar war und von Dolabella zunächst beibehalten wurde,9o6 und sprach ihm die Führungsqualitäten eines dux der boni zu.9o7 Dolabella, der im Sommer des Jahres 46 v. Chr. bei Cicero Rhetorikunterricht genommen hatte,908 avanciert hier zum alumnus, zum Schüler, der es vor allem durch Ciceros Schulung bereits im Alter von fünfundzwanzig Jahren bis zum Konsulat gebracht hat. Tatsächlich stand noch Caesar hinter dieser Ernennung; deshalb betont Cicero, daß seine Lehren vor allem die Taten Dolabellas während des Konsulats bestimmen. Diese partielle Inanspruchnahme der Erfolge des Jüngeren durch
903 Cic. ad fam. IX, 14, 2f. ("negant enim se dubitare, quin tu meis praeceptis et consiliis obtemperans praestantissimum te civem et singularem consulem praebeas. quibus ego quamquam verissime possum respondere te, quae facias, tuo iudicio et tua sponte facere nec cuiusquam egere consilio, tarnen neque plane adsentior, ne imminuam tuam laudem, si omnis a meis consiliis profecta videatur, neque valde nego; sum enim avidior etiam, quam satis est, gloriae, et tarnen non alienum dignitate tua, quod ipsi Agamemnoni, regum regi, fuit honestum, habere aliquem in consiliis capiendis Nestorem, mihi vero gloriosum te iuvenem consulem florere laudibus quasi alumnum disciplinae meae ... (L. Caesar dixit) multa de facto ac de re gesta tua; nihil magnificentius, nihil praeclarius actum umquam, nihil rei p. salutarius. atque haec una vox omnium est. "). 904 Vgl. S. 234f. 905 Vgl. S. 246f. und Gotter 1996, 134ff. 906 Zu Ciceros Feindschaft zu Antonius, die ihren beredsten Ausdruck in den ersten beiden Philippischen Reden gefunden hat, vgl. Gotter 1996, 127ff. 907 Vgl. Cic. ad Att. XIV, 20, 4: "Dolabellae et prima illa actio et haec contra Antonium contio mihi profecisse permutturn videtur. Prorsus ibat res; nunc autem videmur habituri ducem (Hervorhebung von mir}, quod unum municipia bonique desiderant." 908 Vgl. Cic. ad fam. VII, 33, 2; IX, 4, 2; 16, 7.
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den Älteren weist Parallelen zum Briefwechsel mit Curio auf, vor allem auch in den Ratschlägen zur Führung des Amtes: "Warum soll ich Dich noch ermahnen, immer Deine Würde und Deinen Ruhm im Auge zu behalten (ut dignitati et gloriae servias)? Dir das Beispiel berühmter Männer vorhalten, wie die Mahner· zu tun pflegen? Ich Wüßte keinen, der so berühmt wäre wie Du. Du brauchst nur Dich selbst zum Vorbild zu nehmen, nur mit Dir selbst in Wettstreit zu treten . . Du kannst gar nicht anders, nach solchen Taten mußt Du Dir selbst treu bleiben (ne licet quidem tibi iam tantis rebus gestis non tui similem esse) ... Hättest Du diesen Erfolg etwa nur einer glücklichen Fügung zu danken, ich Würde Dich wegen Deines Glückes beglückWünschen; aber so ist es nicht: Deinen hervorragenden geistigen und charakterlichen Anlagen, Deiner Klugheit verdankst Du ihn (sed contigit magnitudine cum animi tum etiam ingenii atque consilii). "909 Cicero vermeidet hier bewußt die Rolle des hortator und das Bemühen von männlichen Vorbildem. Seiner homo-novus-Identität getreu stellt er Dolabella selbst als Maßstab des eigenen Erfolges hin.910 Die Ziele für den iuvenis consul bleiben dignitas und gloria genauso wie für die adulescentes Curio und Caelius.911 Der Weg dorthin erfordert auch hier animus, ingenium und consilium.912 Cicero bleibt also seiner Nomenklatur des Erfolges treu, egal, ob es wie bei Curio um das Tribunat oder bei Dolabella um das Konsulat geht. Oberstes Postulat ist der Wettstreit mit sich selbst, der allein Erfolg garantieren kann.913 Das Credo des "sui similem esse" kann sicherlich auch als Reaktion auf die veränderte gesellschaftliche Situation der ausgehenden Republik gewertet werden: Ein adulescens, der bereits mit fünfundzwanzig Jahren das Konsulat erreichte, konnte in der Tat kaum auf Vorbilder rekurrieren. Cicero scheut sich in diesem Brief nicht, Dolabella an die Seite des Brutus zu stellen, den jungen Karrieristen, der Cicero als Schwiegersohn noch zutiefst brüskiert hatte, an die Seite des Caesarmörders, der zwar auch von Caesar 909 Cic. ad fam. IX, 14, 6f. ("Quare quid est, quod ego te harter, ut dignitati et gloriae servias? proponam tibi claros viros, quod facere so1ent, qui hortantur? neminem habeo clariorem quam te ipsum; te imitere oportet, tecum ipse certes; ne licet quidem tibi iam tantis rebus gestis non tui similem esse... hoc si tibi fortuna quadam contigisset, gratularer felicitati tuae; sed contigit magnitudine cum animiturn etiam ingenii atque consilii."). 910 Zur homo-novus-Identität Ciceros vgl. S. 54f. 911 Zu diesen Zielsetzungen vgl. S. 66f., S. 137 und S. 214. 912 Vgl. S. 55 und S. 184. 913 Vgl. S. 221.
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profitiert, jedoch nie auch vor dem Diktator sein republikanisches Engagement verleugnet hatte: · ,,Du hast es gewiß selbst empfunden, daß ich schon immer sehr viel von< Dir hielt; jetzt hast Du mich durch diese Deine Tat zu einer Begeisterung: entflammt, wie sie glühender kaum gedacht.· werden ·kann. Denn · wahrhaftig, nicht ist schöner, nichts herrlicher als eine echte Mannestat (nihil est enim, mihi crede, virtute formosius, nihil pulchrius, nihi/ amabilius). M. Brutus habe ich, Du weißt es, immer geliebt wegen seiner hohen Begabung, seines angenehmen Charakters, seiner einzigartigen Rechtschaffenheit und Beständigkeit; trotzdem ist durch die Iden des März meine Liebe zu ihm noch größer geworden, so daß ich nur staunte, wie das noch eine Steigerung erfahren konnte, was mir schon längst in reichstem Maße vorhanden zu sein schien. Und wer hätte für möglich gehalten, daß die Zuneigung, die ich schon für Dich hegte, noch wachsen könne? Und doch ist sie so gewachsen, daß ich jetzt erst Dich recht von Herzen zu lieben, vorher Dich mehr aus Hochachtung geschätzt zu haben meine (ut mihi nunc denique amare videar, antea dilexisse)."914 Der Erwerb von virtus wird hier deutlich mit dem Zuwachs des "amare" verbunden. Virtus offenbart sich für Cicero also tagespolitisch in der Gegnerschaft zu Caesars politischen Erben. Männliches Verhalten ist also gleichbedeutend mit dem Eintreten für die libera res publica. Dieses Eintreten verbindet Brutus mit dem iuvenis consul Dolabella. Ciceros Verhältnis zu Dolabella verschlechterte sich nach Dolabellas Schulterschluß mit Antonius rapide: Cicero kam sich von seinem Schüler verraten vor.915 Der Briefwechsel mit Dolabella wirft also nur ein Schlaglicht auf einen Teil der Beziehung, und zwar auf den Teil, in dem Cicero 914 Cic. ad fam. IX, 14, 5 ("nam cum te semper tantum dilexerim, quantum tu intellegere potuisti, turn bis tuis factis sie incensus sum, ut nibil umquam in amore fuerit ardentius. nibil est enim, mibi crede, virtute formosius, nibil pulcbrius, nibil amabilius. semper amavi, ut scis, M. Brutum propter eius summum ingenium, suavissimos mores, singularem probitatem atque constantiam; tarnen ldibus Martiis tantum accessit ad amorem, ut mirarer locum fuisse augendi in eo, quod mihi iam pridem cumulatum etiam videbatur. quis erat, qui putaret ad eum amorem, quem erga te babebam, posse aliquid accedere? tantum accessit, ut mibi nunc denique amare videar, antea dilexisse. "). ·915 Vgl. Cic. ad Att. XVI, 17, 1: " ... idque prae me feram, et quidem me facere et mea et rei publicae causa ut illum oderirn, quod, cum eam me auctore defendere coepisset (Hervorbebung von mir), non deseruerit emptus pecunia, sed etiam, quantum in ipso fuerit, everterit. ").
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unermüdlich versuchte, Dolabella im Sinne seiner politischen Idee zu einflussen. Cicero bleibt bei diesem Versuch wie schon bei Curio den eigenen Maximen im Umgang zu der adulescentia treu: Verpflichtung auf das ciceronianisehe Ideal von virtus, dignitas und gloria, ftir Cicero die zentralen Ziele des adulescens, zu erreichen nur durch den Einsatz für die res publica, und das "sui similem esse" als Maßstab ftir das Handeln des adtilescens.
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7. 4. Zusammenfassung: Das Ende der adulescentia Betrachtet man Ciceros Briefwechsel mit den adulescentes Curio, Ca'elius· und Dolabella vor dem Hintergrund seiner Vorstellungen :zUr aduiescentia, formuliert in der Sestiana, Caeliana, im Cato maior und im Laelius, so fallt zunächst die Überstimmung mit den dort formulierten Thesen auf. Cicero betont gegenüber seinen Briefpartnern deren politische Bedeutung und fordert von ihnen ein Engagement im Dienste der res publica.916 Der Appell an die adulescentes in der Sestiana wird hier also genauso konkret umgesetzt wie Ciceros Aussage in der Caeliana, daß der adulescens einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der res publica leisten könne.917 Auch der Freundschaftsbegriff, später formuliert im Laelius, der amicitia als weitgehend unabhängig von Standes- oder Altersunterschieden definiert,918 wird in Ciceros Briefwechsel bereits umgesetzt: Trotz Alters- und Rangunterschied bewegt sich Ciceros schriflicher Dialog mit den adulescentes in den Grenzen seiner Vorstellung von amicitia, die von einem grundsätzlichen Gleichheitsanspruch ausgeht, also auch eine persönliche Selbständigkeit voraussetzt, und Freunde durch den Austausch von beneficia und den politischen Konsens verbindet. Flankiert wird diese amicitia zwischen dem Älteren und den Jüngeren durch den Anspruch Ciceros, politischer Lehrer dieser jungen Männer zu sein.91'> In der modernen Forschung wird das Ende der adulescentia zum Teil mit dem Eintritt in den cursus honorum gleichgesetzt.920 Die Begrifflichkeit Ciceros und seiner Adressaten, die mit Sicherheit auch die ihrer Zeit reflektiert,921 spricht in diesem Punkt eine ganz andere Sprache. So wird der Quaestor Coelius noch als puer charakterisiert, während Cicero in dem Brief, den er Curio anläßlich von dessen Wahl zum Volkstribun schreibt, zwischen dem adulescens nobilissimus, der noch Schüler Ciceros war, und dem Volkstribun Curio genau unterscheidet. In diesem Falle hätte sich die gesellschaftliche Position und Wahrnehmung des jungen Mannes mit der Bekleidung des Volkstribunats verschoben und nicht die Quaestur, sondern das Volkstribunat hätte das Ende der adulescentia 916 Zu Caelius vgl. S.l68, zu Curio vgl. S. 216f., zu Dolabella vgl. S. 237f. 917 Vgl. S. 168. 918 Vgl. S. 92f. 919 Hierbei handelt es sich nicht um einen Widerspruch zum Prinzip der amicitia unter 'Gleichen, da wahre amicitia eine temporäre Unterordnung durchaus einschließen kann; vgl. S. 94f. und Cic. de off. I, 4, 13. 920 Vgl. Eyben 1977, 33. 921 Zur Repräsentativität ciceronischen Denkens vgl. S. 76f.
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markiert.922 Da gerade das Volkstribunat der Späten Republik Männem die Möglichkeit bot, spektakulär politisch Position zu beziehen und in der Nachfolge des Clodius qua Gesetzesinitiativen (ius agendi cum p/ebe) und Interzessionsrec:ht ·zum Machtfaktor zu werden, kann es als hervorragende Plattform für römische Virilität charakterisiert werden. Die zunehmende . Emanzipation dieses Amtes vom Senat im Verlaufe der Späten Republik, in dem der Widerstand gegen die Senatsgerontokratie geradezu institutionalisiert war,923 bot es hierfür in einzigartiger Weise an. Cicero weist in seinen staatstheoretischen Schriften dem Volkstribunat eine Schlüsselstellung zur Bewältigung innenpolitischer Konflikte und schreibt dessen Etabliemng deshalb der Weisheit der maiores zu.924 Angesiedelt zwischen regulativer Funktion und institutionell etabliertem Widerstand verlangte also vor allem das Volkstribunat seinen Amtsinhabem männliches Agieren ab, das sich im selbstbewußten Streben nach laus, gloriaund dignitas manifestierte.925 Das Ende der adulescentia mit Bekleiden des Volkstribunats, das sich implizit auch für Caelius nachweisen läßt,926 kollidiert auf den ersten Blick mit der Begrifflichkeit im Falle Dolabellas, des iuvenis consul. Allerdings wies Dolabellas cursus honorum anders als der von Curio oder Caelius von Anfang an zahlreiche Unregelmäßigkeiten auf;927 und die Bekleidung des Konsulats mit fünfundzwanzig Jahren war nichts weniger als spektakulär. In Ciceros Formuliemng, die die Jugend Dolabellas hervorhebt, zeichnet sich demnach das Ende der traditionellen Nomenklatur der Altersstufen ab. Die adulescentia geht als Altersstufe hier deutlich in der Virilität auf, wenn Cicero Dolabella virtus zuschreibt.928 Cicero hat immer wieder auf die Bedeutung von älteren Vorbildem für die adulescentes hingewiesen und seinen hervorragenden Anteil an der Schulung von Caelius, Curio und Dolabella, also seine eigene Vorbildfunktion betont. Auch wenn sich diese adulescentes letztendlich alle für das Vorbild Caesars entschieden, darf Ciceros Einfluß auf sie nicht unterschätzt werden. Denn sie 922 Daß der Quaestor noch als adulescens wahrgenommen wurde, belegen auch Cic. rep. I, 12, 18 ("doctos adulescentes, iam aetate quaestorios") und Phi!. XIII, 13, 28. 923 Vgl. Martin 1965, 213f. und Bleicken 1981, lOOf.; anders Thommen 1989, 249f., der die Systemtreue der Mehrheit der Volkstribunen betont. · 924 Vgl. Cic. de leg. III, 23-26; de rep. Il, 57-59. 925 Zu diesen Zielen römischer Virilität vgl. S. 115f. (dignitas); S. 66 und S. 171 (laus, gloria, dignitas); S. 143 (laus, gratia, dignitas); S. 163 (honor, gloria, dignitas); S. 195 (gloria). 926 Vgl. S. 226. 927 Curio und Caelius bekleideten das Volkstribunat suo anno, Caelius außerdem auch die Ädilität. Zu Dolabellas Laufbahn vgl. S. 233f. 928 Vgl. S. 240.
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alle ergriffen zeitweise aus Ciceros Perspektive die Partei der boni; Ciceros Konzeption der Erziehung während der adulescentia, na,ch der qua Unitation älterer boni der adulescens zum Dienst an der res jmblica angeleitet werden sollte,929 war also zum Teil erfolgreich. Anders verhielt es sicli im Falle Octavians: Cicero sollte in seinem Versuch gänzlich . versagen,· ·diesen adulescens politisch zu erziehen und einzubinden, der als Erbe Caesars über eiQ politisches Potential verfügte, das das eines Curio, Caelius oder Dolabella weit in den Schatten stellte.
929 Zur imitatio vgl. S. 65f., S. 163f.und S. 179f.
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VIII. EPILOG: DAS URTEIL DER MÄNNER ÜBER DEN ADULESCENS OCTAVIAN- VIRILITÄT IM UMBRUCH "Ich verspreche, ·gelobe und verbürge mich dafür, Patres Conscripti, daß C. Caesar stets ein solcher Bürger bleiben wird, wie er es heute ist, und wie wir ihn von Herzen wünschen und wollen müssen." Cicero über Octavian930
Der Briefwechsel mit Brutus ist in der Forschung bislang vor allem unter zwei Gesichtspunkten diskutiert worden, dem der Echtheit insbesondere der Briefe XXIV und XXV und dem der genuin historischen Frage nach Sinn bzw. Sinnlosigkeit der von Cicero eingeschlagenen Politik, den Caesarerben Octavian öffentlich entschieden zu favorisieren.931 Eng verknüpft mit der historischen Einschätzung des Bündnisses zwischen Cicero und Octavian ist hier die Diskussion der negativen Bewertung dieser Politik durch Brutus, die entweder als illusorisch oder ganz im Gegenteil als der historischen Situation und der politischen Lage des Brutus als angemessen bewertet wurde.932 In der Frage der Echtheit der Briefe XXIV und XXV, in denen Brutus hart mit Cicero ins Gericht geht, schließe ich mich der Argumentation Ulrich Gotters an, der überzeugend für ihre Verwendbarkeit für die historische Analyse plädiert hat.933 Die Beantwortung der Frage nach Sinn bzw. Sinnlosigkeit der von Cicero und 930 Cic. Phi!. V, 18, 51 (.,promitto, recipio, spondeo, patres conscripti, C. Caesarem talem semper fore civem, qualis hodie est, qualemque eum maxime velle esse et optare debemus. ") Den Übersetzungen aus den Philippischen Reden liegt die Übertragung von Kasten 1977 zugrunde. 931 Zur .,Verblendung" Ciceros Octavian gegenüber vgl. Bengtson 1970, 32 und Gelzer 1969, 399: .,(Octavian) muß es wunderbar verstanden haben, in dem alten Herrn den Wahn wachzuhalten, daß er trotz aller Mißverständnisse in unwandelbarer Ehrfurcht seinen Ratschlägen lausche." Zur positiven Bewertung der Politik Ciceros vgl. Christ 1979, 430f. und Ortmann 1988, 391f. 932 Zur Brutus' Kritik an Cicero, die "rein destruktiver Natur" gewesen sei, vgl. ibid., 393. Anders bewertet Gotter die Politik des Brutus als dem Politikverständnis seiner Zeit angemessen; Brutus sei "weder ein unpolitischer Schwächling noch ein idealistischer Doktrinär" gewesen; vgl. Gotter 1996,212. 933 Vgl. ibid., 286ff. mit Referat und Diskussion des Forschungsstandes.
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Brutus verfolgten politischen Strategien, . die in ihrem Ziel, die libera res publica zu erhalten, immerhin kongruent waren, härtgt letztiich von -dem Standpunkt des modernen Betrachters ab und wird kaum eindeutig entschieden werden können. Ich werde in meiner Untersuchung der Brutlis-Briefe einen< anderen Schwerpunkt setzen und sie als Rede(n) von Männeni, die für ihreZeit des historischen Umbruchs jeder auf seine Weise gesellschaftliche Repräsentativität beanspruchen konnten,934 über einen adulescens von überragender politischer Bedeutung interpretieren, strebe also vor allem eine Nachzeichung dieses Dialogs mit Konzentration auf die Begrifflichkeit(en) ari. Die Reden dieser Männer werden ebenso von Vorstellungen von Virilität sprechen wie von den Räumen des adulescens und ein letztes Schlaglicht auf die adulescentia in der Zeit der Krise werfen. Der Briefwechsel mit Brutus aus dem Jahre 43 v. Chr. kreist vor allem um die Person des adulescens Octavian, der zum Zeitpunkt des Briefwechsels neunzehn Jahre alt war. Brutus befand sich zu jenem Zeitpunkt in Makedonien, ausgestattet mit einem imperium maius für den gesamten Osten des Reiches.935 Ciceros Sohn befand sich bei ihm im Feldlager. Der Sohn Ciceros bleibt Randthema des Briefwechsels, von Brutus in traditionellen Floskeln gelobt, von Cicero in traditionellen Floskeln anempfohlen.936 Octavian war zu Beginn des Jahres 43 v. Chr., nachdem er ein Heer aus eigenen Mitteln finanziert und gegen Rom geführt hatte vor allem auf Initiative Ciceros vom Senat mit Vorrechten und Vollmachten ausgestattet worden, die kein adulescens vor ihm je hatte beanspruchen können: Ohne je die Ämterlaufbahn regulär begonnen zu haben, erhielt er ein propraetorisches _Imperium, die Senatorenwürde, das Stimmrecht eines Konsulars sowie das Recht, alle Ämter zehn Jahre vor den gesetzlichen Altersgrenzen bekleiden zu dürfen, mit der Begründung, daß Octavian aus eigener Initiative die res publica vor dem drohenden Dominat eines Marcus Antonius bewahrt habe.937 Cicero, der
934 Von Ciceros Repräsentativität ist bereits die Rede gewesen; vgl. S. 76f.; zu Brutus als typischem nobilis vgl. Gotter 1996, 213ff. 935 Vgl. Christ 1979,431. 936 Vgl. Cic. ad Brut. III, 6; V, 6. 937 Zu den von Cicero für Octavian beantragten außerordentlichen Vollmachten vgl. Cic. Phi!. V, 16, 45f.; Cicero begründet diese mit der virtus Octavians, die für sein Alter außergewöhnlich sei: "Legibus enim annalibus cum grandiorem aetatem ad consulatum constituebant, adulescentiae temeritatem verebantur: C. Caesare ineunte aetate docuit ab excellenti eximiaque virtute progressum aetatis exspectari non oportere." (Cic. Phi!. V, 17, 47). Vgl. zu den Ehrungen auch Aug. res gest. I, 2; App. b. c. Ill, 209f. Zu deren Begründung vgl. Cic. Phi!. V, 16, 43 mit dem Vergleich zwischen Pompeius, der in der Tat gerade in
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Octavian als Gegenpol zu Antonius betrachtete, den es für die Zwecke der res publica zu instrumentalisieren und in den Widerstand gegen Antonius einzubinden galt - die Ehrungen für Octavian waren sicher außergewöhnlich, · legalisierten jedoch vor allem den Status quo und integriet1en Octavian in die von Cicero. forcierte Allianz gegen Marcus Antonius -,938 gab Octavian öffentlich als seinen Schützling aus und engagierte sich hier und in der Folgezeit ungleich stärker für den Caesarerben als dessen eigener Stiefvater.939 Octavian hatte Cicero im übrigen von der ersten Begegnung an Ehrerbietung entgegengebracht, während Cicero Atticus gegenüber zunächst Alter und Ratgeber des Caesarerben beargwöhnte.940 Cicero versucht, in seinen Briefen an Brutus seine entschiedene Parteinahme für Octavian und dessen Ehrungen ohne Beispiel wie in den Philippischen Reden mit dem Einsatz des adulescens für die res publica zu rechtfertigen, die ohne den Einsatz Octavians Antonius nicht hätte standhalten können,941 während
bezug auf die Heeresmobilisierung ohne imperium als Präzedenzfall gelten konnte, und Octavian. 938 Man denke hier an das Cicero zugeschriebene Bonmot: "laudandum adulescentem, ornandum, tollendum" (Cic. ad fam. XI, 18, 1). Gotter 1996, 290 spricht davon, daß Cicero "den Knaben als gleichsam legitimes Element der zeitgenössischen Politik" akzeptiert habe. Zur von Cicero offen fiir Octavian geforderten Legalisierung des Status quo vgl. Cic. Phil. III, 2, 5: " ... Tribuenda est auctoritas; ut rem publicam non modo a se susceptam, sed etiam a nobis commendatam possit defendere." sowie V, 16, 45: "Demus igitur imperium Caesari, sine quo res militaris administrari, teneri exercitus, bellum geri non potest; sit pro praetore eo iure, quo qui optimo." und XI, 8, 20. Zur Einbindung Octavians gerade durch diese außergewöhnlichen Ehrungen in die Allianz gegen Antonius vgl. Gotter 1996, 136: "Dieser Senatsbeschluß bedeutete fiir Oktavian jedoch nicht nur die befriedigendste Indemnität, sondern auch den Verlust seiner Eigenständigkeit. Als Prätor war er in die römische Ämterhierarchie eingebunden, im Feld würden er und seine Armee den senatsergebenen Konsuln unterstehen." 939 Vgl. Cic. Phil. V, 23: "Atque ille (sc. Antonius) furens infesta iam patriae signa a Brundisio inferebat; cum C. Caesar deorum immortalium beneflcio, divina animi, ingeni, consilii magnitudine, quamquam sua sponte eximiaque virtute, tam'en approbatione auctoritatis meae (Hervorhebung von mir) colonias patris adiit, veteranos milites convocavit, paucis diebus exercitum fecit, incitatos latronum impetus retardavit." Vgl. hier auch Phil. V, 50: "lta enim (Caesar) ad rem publicam accessit ut eam conflrmaret, non ut everteret. Omtlis habeo cognitos sensus adulescentis (Hervorhebung von mir). Nihil est illi re publica carius, nihil vestra auctoritate gravius, nihil bonorum virorum iudicio optatius, nihil vera gloria dulcius." Zu Octavians Stiefvater Philippus vgl. Gotter 1996, 295. 940 Vgl. Cic. ad Att. XIV, 11, 2 ("(Octavius) mihi totus deditus"); 12, 2: "Nobiscum hic perhonoriflce et peramice Octavius ... quem nego posse esse bonum civem; ita multi circumstant, qui quidem nostris mortem minitantur, negant haec ferri posse." 941 Vgl. Cic. Phil. Ill, 2, 3; 11, 27; 15, 38; V, 8, 23; VIII, 2, Sf.; XIII, 20, 47.
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Brutus Ciceros Einschätzung des Caesarerben scharf kritisiert A~ders als etwa Caelius oder Curio war Brutus kein Schüler Ciceros, sondern hatte ihn erst 52 v. Chr. durch die Vermittlung des Atticus kennengelemt.942 Brutus, Schüler seines Onkels Cato Uticensis, war Aristokrat, Republikaner und Legalist reinsten Wassers. Er hatte den cursus honorum regulär absolviert, die Paitei ·des Pompeius, obwohl Pompeius für die Ermordung seines Vaters verantwortlich gewesen war, ergriffen und war nach Philippi von Caesar begnadigt und mehrfach ausgezeichnet worden. Das Attentat auf Caesar galt ihm letztendlich "als Akt legitimistischer Notwehr"943, da Caesar die Diktatur auf Lebenszeit angestrebt hatte. Brutus verkörperte für seine Zeitgenossen und ganz besonders für Cicero also die beste republikanische Tradition. Der Briefwechsel zwischen Cicero, der von sich behauptete, den adulescens Octavian ganz im Sinne seiner Vorstellung von der adulescentia qua honores und gloria leiten zu können,944 und Brutus, der Octavian anders als Cicero stets als puer abklassifizierte, konzentriert sich letztendlich auf die Frage, wie mit einem adulescens mit der politischen Macht eines Octavian, der "aus eigenem Entschluß und aus eigenen Mitteln"945 ein Heer aus Caesars Veteranen aufgeboten hatte, seit dem Januar 43 v. Chr über weitreichende politische Vollmachten946 verfügte und Marcus Antonius in der Schlacht bei Mutina hatte Paroli bieten können, umzugehen sei. Cicero mutmaßt Brutus gegenüber eine göttliche Sendung Octavians, der ja in der Schlacht bei Mutina Italien vor Marcus Antonius gerettet habe - ähnlich argumentiert Cicero auch in den Philippicae -941, und maßt sich im gleichen Atemzuge einen großen Einfluß auf ihn an: ,,Der Knabe Caesar aber offenbart eine erstaunliche Veranlagung von virtus (indoles virtutis). Wenn wir ihn nur, da er in Ehre und Ansehen steht, ebenso leicht lenken und leiten können wie wir ihn bisher gelenkt haben (utinam tam facile eum florentern et honoribus etgratia regere ac 942 Vgl. hier und zu den folgenden Details Gatter 1996, 207ff. 943 Gatter 1996, 226. 944 So begreift Cicero in der Caeliana die gloria als wesentlichen Ansporn für die adu/escentes, der Sache der res pub/ica zu dienen; vgl. S. 165f.; zu den honores vgl. S. 185. 945 Aug. res gest. 1, 1 ("Annos undeviginti natus exercitum privato consilio et privata impensa comparavi ... "). 946 Vgl. S. 246. 947 Vgl. Cic. Phi!. Xlli, 20, 47: "quo maior adulescens Caesar maioreque deorum immorta/ium beneficio rei publicae natus est (Hervorhebung von mir), qui nulla specie patemi nominis nec pietate abductus umquam est et intellegit maximam pietatem conservatione patriae contineri." Vgl. auch ibid., V, 16, 43.
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tenere possimus quam facile adhuc tenuimus)! Das wird gewiß nicht leicht fallen, aber ich sehe keinen Grund zur Verzweiflung. Der junge Mann ist nämlich fest davon überzeugt - und das ist hauptsächlich mein Werk-, daß seine Anstrengung uns gerettet hat, und das stimmt ja auch, . denn hätte er Antonius nicht von der Stadt abgezogen, dann wäre der Untergang da gewesen."948 Diese Passage macht deutlich, daß Cicero, als princeps senatus selbst auf der Höhe seiner Popularität, Octavian ganz im Sinne seiner adulescentia-Theorie zu leiten versucht. Er bindet den adulescens durch honores und gratia, wobei er von der indoles virtutis ausgeht, die sich aus Sicht Ciceros in dessen bedingungslosem Einsatz für die res publica manifestiert. Außerdem geht Cicero hier davon aus, daß der adulescens unfähig zur Verheimlichung seiner wahren Interessen sei, also ganz im Sinne eines "sui similem esse"949 agiere, obwohl er sich an anderer Stelle durchaus über die Gefahr der Täuschung bewußt ist: So schreibt er an anderer Stelle an Brutus: " ... ich glaube, Du weißt das, leichtfertig für jemand die Hand ins Feuer legen - das ist ein Risiko, denn die Menschen verbergen ihre wahren Ansichten, und ihr Charakter schillert in vielen Farben."950 Brutus kritisiert die adulescentia- Vorstellungen Ciceros und wirft ihm auch im Hinblick auf die Person des C. Antonius, Bruder des Marcus Antonius, der von Brutus in ehrenhafter Gefangenschaft gehalten wurde,951 während Cicero dessen Hinrichtung forderte, zudem vor, mit zweierlei Maß zu messen: "Was der Senat nämlich noch nicht beschlossen und das römische Volk noch nicht angeordnet hat, darüber maße ich mir keine Vorentscheidung an, und ich urteile darüber nicht nach meinem eigenen Gutdünken ... Mir 948 Cic. ad Brut. IX, 1 ("Caesaris vero pueri mirifica indoles virtutis. utinam tarn facile eum florentern et honoribus et gratia regere ac tenere possimus quam facile adhuc tenuimus! est omnino illud difficilius, sed tarnen non diffidimus; persuasum est enim adulescenti, et maxime per me, eius opera nos esse salvos; et certe, nisi is Antonium ab urbe avertisset, perissent omnia."). Dieser und den folgenden Übersetzungen aus den Briefen an Brutus liegt die Übertragung von Giebel 1982 zugrunde. 949 Zu diesem Postulat vgl. S. 59 und S. 239. 950 Cic. ad Brut. VI, l (" ... quod tibi notum esse arbitror, temere adfirmare de altero (est enim periculosum propter occultas hominum voluntates multiplicisque naturas)"). 951 Brutus scheint C. Antonius als mögliches Unterpfand flir etwaige Verhandlungen mit M. Antonius betrachtet zu haben; vgl. Gotter 1996, 228f.
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erscheint es weitaus ehrenhafter- und auch eher zulässig_für den Staat, die Geschlagenen nicht noch in ihrem Unglück zu verfolgen, als denen, die auf der Höhe des Erfolges stehen, Ehren im Übermaß zuteil werden zti · lassen. Dadurch kann ihre Begehrlichkeit und Anmaßung nur noch. gesteigert werden (Multo equidem honestius iudico ·· magisque t;.udd -· concedere possit res publica miserorum fortunam non insectari quarrt infinite tribuere potentibus quae cupiditatem et adrogantiam incendere possint). Du bist solch ein tüchtiger, tatkräftiger Mann, Cicero, und mir mit Recht um meinet- und des Staates willen teuer, aber Du scheinst mir allzu sehr von Deinen eigenen Vorstellungen eingenommen. Sobald jemand irgendeine rechte Tat vorzuweisen hat, kann er alles von Dir haben, und Du siehst ihm alles nach (nimis credere videris spei tuae, statimque, ut quisque aliquid recte fecerit, omnia dare ac permittere). Als ob ein durch übermäßige Auszeichnungen verdorbener Charakter nicht auf Abwege geraten könnte!"952 Zentrale Begriffe sind hier adrogantia und cupiditas, Stigmata der adulescentia, die Cicero in der Caeliana in ardor animi und voluptas positiv umgedeutet hatte.953 Die Quintessenz der Darstellung des adulescens Caelius war gerade der Umstand gewesen, daß Caelius die Freiräume seiner aetas nicht genutzt hatte, also adulescens war, ohne die negativen Eigenschaften dieser aetas aufzuweisen.954 Genauso argumentiert Cicero gerade in seinen Philippischen Reden und auch gegenüber Brutus in bezug auf Octavian, den er immer positiv als adulescens bezeichnet.955 Octavian ist in der Zeichnung Ciceros wie vor ihm schon Caelius ein junger Mann, der über das notwendige Maß verfügt, also im Grunde ein adulescens seni/is956, So fragt Cicero in denPhilippicae:
952 Cic. ad Brut. II, 2f. ("quod enim nondum senatus censuit nec popu!us Romanus iussit, id adroganter non praeiudico neque revoco ad arbitrium meum... Multo equidem honestius iudico magisque quod concedere possit res publica miserorum fortunam non insectari quam infinite tribuere potentibus quae cupiditatem et adrogantiam incendere possint. Qua in re, Cicero, vir optime ac fortissime mihique merito et meo nomine et rei pub!icae carissime, nimis credere videris spei tuae, statimque, ut quisque aliquid recte fecerit, omnia dare ac pennittere, quasi non liceat traduci ad mala consilia corruptum !argitionibus animum. "). 953 Vgl. S. 133 (voluptas) und S. 165 f. (ardor animi). 954 Vgl. S. 143f. 955 Vgl. z. B. Cic. Phi!. III, 2, 3; 3, 7; 11, 27. 956 Zum adulescenslpuer senilis/senex vgl. S. 72.
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"Wer ist denn reiner als dieser adulescens, wer bescheidener? Welches leuchtendere Beispiel finden wir in unserer Jugend für die alte Sittenreinheit?"957 Brutus kritisiert dieses grenzenlose Vertrauen in einen adulescens ("spes"; "omnia dare ac petmittere") auch vor dem Hintergmnd · seiner absolut legalistischen Prinzipientreue958; Ein adulescens hat die Traditionen und Vorschriften der res publica, verkörpert in der Herrschaft des Senats, zu respektieren und sich mit den bereits eingeräumten Vollmachten zu bescheiden. Die bereits erteilten Vollmachten bergen zudem die Gefahr des Präzedenzfalles: "Du verfügst ja über eine ungeheure Autorität, und Senat und Volk von Rom haben Dir diese nicht nur zugestanden, sie wünschen sie sogar: das höchste Maß an Autorität, das in einem freien Staatswesen für einen einzelnen Mann nur denkbar ist. Diese Autorität mußt Du nicht nur durch eine gutgemeinte, sondern vielmehr durch eine kluge Politik wahren. Von der Klugheit, die Dir so reichlich zu Gebote steht, vermißt man nichts bei Dir, außer Mäßigung, wenn es um die Erteilung von Vollmachten geht. Alles übrige findet sich bei Dir in solch reichem Maße, daß Du Dich in Deinen staatsmännischen Tugenden mit jedem Großen der Vergangenheit messen. kannst. Nur das eine wünscht man sich,... daß Du nämlich bei Deiner Freigebigkeit mehr Vorsicht und Mäßigung walten läßt. Der Senat darf nämlich niemandem etwas zugestehen, das staatsfeindlich Gesinnte als Präzedenzfall auslegen oder zu ihrem Vorteil ausnützen könnten. Daher meine Befürchtungen wegen des Konsulats: Dein Caesar könnte sich einbilden, er sei durch Deine Beschlüsse zu hoch emporgestiegen, als daß er wieder an einen Abstieg zu denken brauche, wenn er erst einmal Konsul sei... Aus diesem Grunde werde ich Deine Politik erst dann als erfolgreich und weitblickend loben, wenn ich zu der Überzeugung gelangen konnte, daß sich Caesar mit den außerordentlichen Ehrungen, die er empfangen hat, zufriedengibt ,Also wiiist Du mich für die Schuld eines anderen verantwortlich machen', wirst Du sagen. Ja, auch für fremde Schuld, wenn diese sich durch Voraussicht hätte vermeiden
957 Cic. Phil.III, 6, 15 ("quis enim hoc adulescente castior, quis modestior? Quod in iuventute habemus inlustrius exemplum veteris sanctitatis?").
958 Zum Legalismus des Brutus vgl. Ortmann 1988, 365 und Gotter 1996,212.
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lassen. Könntest Du nur einen Blick in mein Inneres werfen: ·was ich von diesemjungen Mann fürchte!"959 Aus Brutus' Worten wird zunächst deutlich, über welch immense auctor.itas Cicero als unangefochtener princeps senatus nach den ·Idet;~. des März: verfiigte.960 Dieser Cicero hatte alles auf seinen Schützling Octavian gesetzt und ihm letztendlich durch sein öffentliches, entschiedenes· Eintreten für die Verleihung der außerordentlichen Vollmachten sogar den Weg zum Konsulat geebnet, ohne gerade Letzteres intendiert zu haben.96t Der Umgang mit dem adulescens wird hier zur Kernfrage politischen Überlebens: Der adulescens braucht ein modus; ein Zuviel an liberalitas birgt die Gefahr der Maßlosigkeit des politischen Anspruchs. Modus und liberalitas hatte Cicero in seiner Theorie zum Umgang mit adulescentes gepredigt: das Maß, das den adulescens vor der Schädigung des sozialen Gefüges haltmachen lassen muß, aber auch die liberalitas der Älteren, wenn keine Schädigungen zu erwarten sind.962 Vor diesem Hintergrund versuchte Cicero, Octavian durch Ehren im Maß zu halten, um ihn auf die Sache der libera res publica zu verpflichten. So verwahrt er sich in den Phitippischen Reden gegen den Einwand, daß die Ehrungen Octavians jenem zu Kopf steigen könnten: "Denn wenn diejenigen, die Caesar beneiden, vorgeben, als fürchteten sie, daß er sich nicht in der Gewalt haben könne, sich nicht mäßigen
959 Cic. ad Brut. Xß, 2f. ("... cuius tantam auctoritatem senatus ac populus Romanus non solum esse patitur sed etiam cupit quanta maxima in libera civitate unius esse potest; quam tu non solum bene sentiendo sed etiam prudenter tueri debes. Prudentia porro, quae tibi superest, nulla abs te desideratur nisi modus in tribuendis honoribus. Alia omnia sie adsunt ut cum quolibet antiquorum comparari possint tuae virtutes: unum hoc ... cautiorem ac moderatiorem liberalitatem, desiderant; nihil enim senatus cuiquam dare debet quod male cogitantibus exemplum aut praesidio sit. Itaque timeo de consulatu ne Caesar tuus altius se ascendisse putet decretis tuis quam inde, si consul factus sit, descensurum... qua re turn et felicitatem et providentiam laudabo tuam cum exploratum habere coepero Caesarem honoribus quos acceperit extraordinariis fore contentum. ,Aiienae igitur' inquies ,culpae me reum subicies?~ Prorsus alienae, si provideri potuit ne exsisteret! Quod utinam inspectare possis timorem de illo meum!"). 960 Zur Definition von auetorilas vgl. Cic. Cat. mai. 27, 60f. : "apex est autem senectutis auctoritas ... quirl de Paulo aut Africano loquar, aut ut iam ante de Maximo 7 quorum non sententia solum sed etiam in nutu residebat auetorilas (Hervorhebung von mir)." und Heinze 1925a, 349, Anm. 1 (auetoritas Ergebnis eines hohen Grades von dignitas) sowie 356 (auetoritas des einen impliziert diefreiwillige Unterordnung der anderen). 961 Zu Ciceros Haltung einem Konsulat Octavians gegenüber vgl. S. 254. 962 Vgl. S. 124 (Toleranz der Älteren) und S. l39f. (Maß des aduleseens).
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könne, daß er, emporgehoben durch unsere Ehrungen, seine Macht allzu unbesonnen gebrauchen werde, so besteht hier keinerlei Anlaß zur Sorge ... er ist bei jedermann, vor allem auch bei Guten beliebt. Auf ihm · beruht die Hoffnung auf Freiheit, er hat uns schon Heil gebracht... Ich kenne alle Gedanken des jungen Mannes. Nichts ist ihm wertvoller als der Staat, nichts gewichtiger als euer Ansehen, nichts erwünschter als die gute Meinung der Guten, nichts süßer als wahrer Ruhm."96J Brutus' Kritik schlägt genau in diese Kerbe, wenn er betont, daß ein adulescens mit dem politischen und militärischen Potential eines Octavian kaum dazu in der Lage sein wird, Selbstbeschränkung zu üben. Deshalb nimmt Brutus Cicero im Briefwechsel ausdrücklich in die Pflicht: Denn es ist Cicero, der sich öffentlich zum Bürgen des Octavian gemacht hat,964 der also auch letztendlich die Schuld für ein Versagen seiner Parteinahme zu tragen hat. Brutus macht auch deutlich, daß es ihm kaum um Maß und Freizügigkeit gegenüber einem adulescens vor dem Hintergrund stabiler politischer Verhältnisse geht, sondern vor dem Hintergrund der politischen Krise, die die Ermordung Caesars ausgelöst hatte.965 Und der adulescens Octavian, der im Namen der pietas angetreten war, das politische Erbe seines Adaptivvaters anzutreten und ihn zu rächen, war nicht Opfer, sondern aktiver Protagonist dieser Krise. Fast prophetisch gesteht Brutus seine Furcht vor dem jungen Mann ein, der ein Jahr später sein Haupt vor der Statue Caesars niederlegen würde.966 Drastischer als durch dieses Eingeständnis der Furcht könnte kaum die Instabilität der Hierarchie der Männer unter sich illustriert werden, die die Krise der Republik hervorgerufen hatte. Die "Revolutionäre" der Späten Republik waren seit den Gracchen Männer gewesen, die die Ämterlaufbahn bis zu einem gewissen Grade regulär bekleidet hatten, und als viri ihrer Schicht akzeptiert worden waren. Deren Befehdung durch andere Männer spielte sich also auf der gleichen hierarchischen Ebene ab. Erst mit Octavian betrat der politisch mächtige
963 Cic. Phil. V, 18, 48f. (.,Nam quod ii, qui Caesari invident, simulant se timere, ne verendum quidem est, ut tenere se possit, ut moderari, ne honoribus nostris elatus intemperantius suis opibus utatur... qui cum omnibus est, turn optimo cuique carissimus. in hoc spes libertatis posita est, ab hoc accepta iam salus... omnis habeo cognitos sensus adulescentis. nihil est illi re publica carius, nihil vestra auctoritate gravius, nihil bonorum virorum iudicio optatius, nihil vera gloria dulcius."). 964 Vgl. Cic. Phil. V, 18, 51. 965 Zu der Krise, die Caesars Ermordung ausgelöst hatte, und zu den wechselnden politischen Konstellationen, die sie zur Folge hatte, vgl. Gotter 1996, pass. 966 Vgl. Suet. Aug. 13, I.
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adulescens die Bühne:967 Die traditionelle Rangordnung_ der Männer war ins Wanken geraten. Vor diesem Hintergrund erstaunt es_ kaum, das der spätere princeps Augustus anderen adulescentes nicht dieselben Möglichkeiten des politischen Aufstiegs einräumen wollte und deshalb .die ·Stationen der adulescentia streng reglementierte, indem er für sie eine Quasi-Ämterlalifuahn vorschrieb. Deren Ansätze waren zwar bereits in der Republik vorhand~n, wurden aber anders als im Prinzipat großzügig gehandhabt.968 Das Verhältnis zwischen Cicero und Octavian war im übrigen keineswegs ungetrübt.969 Nach dem Sieg bei Mutina über Antonius forderte Octavian mit aller Entschiedenheit das Konsulat, das ihm von Cicero und dem Senat verweigert wurde.970 Cicero begründet dieses Beharren Octavians mit dessen falschen Ratgebern:
"Caesar, der sich bisher von meinen Ratschlägen leiten ließ (meis consiliis adhuc gubernatum ), besitzt zwar glänzende Gaben und eine bewundernswerte Charakterfestigkeit, aber er hat sich von gewissen Leuten mit ihrem unverantwortlichen Geschreibe, von bösen Zungen als Zuträgern aufhetzen lassen, sich feste Hoffnungen auf das Konsulat machen zu lassen. Sobald ich das hörte, habe ich ihm draußen beim Heer immer wieder brieflich ins Gewissen geredet und an seine Freunde hier appelliert, da sie ihn ganz offensichtlich in seinen hochfliegenden Plänen bestärken. "971 Hier wird Ciceros erzieherisches Prinzip, wie er es in Cato maior formuliert hatte, deutlich: das gubernare durch consilia des Älteren, um die cupiditas des jungen Mannes zu zügeln.972 Außerdem legt diese Äußerung nahe, daß Cicero implizit das Scheitern seiner Erziehungsversuche eingesteht und sich aus der 967 Die anderen hier vorgestellten adulescentes wollten anders als Octavian zunächst irnm~ innerhalb der bestehenden Ordnung avancieren. Die lrregularitäten ihrer Laufbahn waren Ergebnis der Protektion Caesars. 968 Vgl. S. 176f. 969 Vgl. S. 247, Anm. 938. 970 Vgl. Gelzer 1969, 400f.; anders Ortmann 1988, 397ff., die einen geplanten gemeinsamen Konsulat von Cicero und Octavian annimmt. 971 Cic. ad Brut. XVIII, 3 ("sed Caesarem, meis consiliis adhuc gubernatum, praeclara ipsum indole admirabilique constantia, improbissimis litteris quidam fallacibusque interpretibus ac ·nuntiis impulerunt in spem certissimam consulatus. Quod simul atque sensi, neque ego illum absentem litteris monere destiti nec accusare praesentis eius necessarios qui eius cupiditati suffragari videbantur... "). 972 Vgl. S. 72f.
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Verantwortung stehlen will, was Bmtus ihm auf keinen Fall durchgehen lassen würde. Explizit fordert Cicero jetzt deshalb den Einsatz des Brutus: "Ich machte mich dennoch auf den Weg und kam nach Rom. Ohne irgendwelche Rückendeckung erschütterte ich die Machtposition des Antonius, gegen seinen verbrecherischen Angriff wußte ich das Bollwerk der Abwehr, das Caesar uns bot, mit Rat und Tat zu sichern (contraque eius arma nefanda praesidia quae oblata sunt Caesaris consilio et auctoritate firmavi). Bleibt er standhaft und zuverlässig und hört auf mich, dann sind wir, meine ich, genügend gesichert. Sind aber die Unredlichen mit ihren Vorstellungen stärker als ich, oder zeigt sich die Schwäche seines jugendlichen Alters dem Ernst der Lage nicht gewachsen (aut imbecillitas aetatis non potuerit gravitatem rerum sustinere), dann ruht alle Hoffnung auf Dir. Deshalb eile herbei, ich beschwöre Dich, und rette das Vaterland, dem Du eher durch Heldenmut und hochherzige Gesinnung als durch einen glücklichen Ausgang der Dinge den Weg zur Freiheit gewiesen hast (quam virtute atque animi magnitudine magis quam eventis rentm liberavisti), rette es nun mit einem Heer! Alles wird sich um Dich scharen."973 Diese Passage verdeutlicht Ciceros Ringen um Anerkennung: Antonius hat er allein durch seine Rednergabe bezwungen und erneut den Beweis dafür geliefert, daß die domesticae fortitudines den militares fortitudines nicht unterlegen sind,974 Octavian hat er im Sinne seiner Erziehungsvorstellungen durch consilium und auetorilas beeinflußt. Cicero macht den Erhalt des Staates nunmehr nur noch vom Agieren einzelner Männer abhängig, vor allem vom Gehorsam Octavians, der letztendlich die freiwillige Unterordnung des adulescens unter die auetorilas des Älteren sein muß.975 Sollte dieser Gehorsam ausbleiben, ist die imbecillitas aetatis - Charakteristikum der adulescentia und 973 Cic. ad Brut. XVIII, 4 ("perrexi tarnen Romamque perveni nulloque praesidio quatefeci Antonium contraque eius arma nefanda praesidia quae oblata sunt Caesaris consilio et auctoritate firmavi. Qui si steterit fide mihique paruerit, satis videmur habituri praesidi; sin autem impiorum consilia plus valuerint quam nostra aut imbecillitas aetatis non potuerit gravitatem rerum sustinere, spes omnis est in te. Quam ob rem advola, obsecro, atque eam rem publicam, quam virtute atque animi magnitudine magis quam eventis rerum liberavisti, exercitu libera; omnis omnium concursus ad te futurus est."). 974 Vgl. S. 57. 975 Vgl. S. 73 und Cic. de off. I, 34, 122: "Est igitur adulescentis maiores natu vereri exque iis deligere optimos et probatissimos, quorum consilio atque auctoritate nitatur; ineuntis enim aetatis inscitia senum constituenda et regen da prudentia est."
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von Cicero in der Caeliana noch mit beredten Worten verteidigt -976 verantwortlich zu machen. Gegenpol zum ungehorsamen adule;cens Octavian, der Ciceros Vorgaben für die adulescentia nicht folgen will und. trotz bereits erhaltener umfangreicher Vollmachten nach dem Konsulat strebt, ist Bf!ltus; ausgestattet mit virtus und animi magnitudo, also Mann im.besten Sinne des Wortes. In diesem Brief skizziert Cicero auch die Umwertung aller Werte, die der Bürgerkrieg nach sich gezogen und die zur Erschütterung auch des Verhältnisses der jungen und alten Männerunter sich mit Sicherheit beigetragen hatte: "Wir werden ja zum Narren gehalten, Brutus: von den Soldaten mit ihren unverschämten Forderungen und von den Feldherrn mit ihrer Anmaßung (imperatorum insolentia). Jeder fordert soviel Macht im Staat, wie es seiner militärischen Stärke entspricht. Da gelten weder Vernunft noch Maß, weder Gesetz, Herkommen, Pflichtgefühl, kein Gedanke an die gute Meinung, die Anerkennung bei den Mitbürgern oder die Scheu vor dem Urteil der Nachwelt (non ratio, non modus, non Iex, non mos, non officium valet, non iudicium, non existimatio civium, non posteritatis verecundia ). "977 Prägnanter könnte kaum der Werteverfall angesichts der Bürgerkriegssituation skizziert werden, in der die Heere, nicht der Senat die Politik bestimmen. Die Haltung Ciceros gegenüber Octavian muß gerade vor dem Hintergrund dieser Analyse geradezu als schizophren charakterisiert werden, da gerade er es war, der Octavian immer mit Hinweis auf dessen militärisches Potential, das jener anscheinend bereit gewesen war, zum Schutze der res publica einzusetzen, außerordentliche Vollmachten verschafft hatte.978 Zwar erkennt er die imperatorum insolentia, versucht jedoch dennoch, die insolentia Octavians, die auf das Konsulat abzielt, ganz im Sinne seiner Erziehungsvorstellungen zu bagatellisieren. Cicero prangert auch den Verlust von ratio, modus, Iex und
976 Vgl. S. 113f. und Cic. de off. I, 32, 117: " ... adulescentia, curn est rnaxima inbecillitas consilii...". 977 Cic. ad Brut. XVIII, 3 ("lnludirnur enirn, Brute, turn rniliturn deliciis, turn imperatorurn
insolentia; tantum quisque se in re publica posse postulat quantum habet viriurn; non ratio, non rnodus, non Iex, non rnos, non officium valet, non iudicium, non existimatio civium, non posteritatis verecundia. "). 978 Vgl. S. 246.
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officium an, die Grundlagen seines Umgangs mit der adu/escentia sind,979 um gleichzeitig immer wieder die Verstöße seines Schützlings gerade gegen die Prinzipien von modus und Iex zu verharmlosen. Dies wird besonders in einem späteren Brief deutlich, dessen zentrale Themen die. honore$ für Octavian und die von Cicero scharf kritisierte clementia des Brutus sind. Cicero rechtfertigt. die honores des Octavian wieder damit, daß jener allein für den Erhalt des Staates verantwortlich gewesen sei:980
"Nur soviel will ich sagen: Dieser junge Caesar- ihm verdanken wir es, daß wir noch da sind, wenn wir einmal ehrlich sein wollen! - er ist meinem Haupte entsprungen. Er hat durch mich Vollmachten erhalten, aber keine unverdienten, Brutus, keine, die über das erforderliche Maß hinausgingen. Als wir nämlich den ersten Versuch unternahmen, uns die Freiheit wieder zu eigen zu machen ... und unser einziger Rückhalt der Knabe war (ut enim primum libertatem revocare coepimus ... atque omne praesidium esset in puero ), der uns den Antonius vom Halse geschafft hatte, welche Vollmacht sollten wir ihm da nicht erteilen? Ja, damals habe ich mich lobend über ihn ausgesprochen, aber maßvoll, ich habe auch das militärische Kommando für ihn beantragt. Das mag zwar bei seinem jugendlichen Alter als glänzende Auszeichnung erscheinen, aber es war nur zwangsläufig, denn schließlich hatte er ein Heer, und was ist ein Heer ohne Befehlsgewalt? Die Ehrenstatue hat Philippus beantragt, die vorzeitige Bewerbung um die Ämter als erster Servius, dann, mit noch größeren Freiheiten, Servilius. Unter damaligen Umständen wirkte nichts davon übertrieben. "981 Cicero gibt hier Octavian als sein ganz eigenes Geschöpf aus, als Ergebnis seiner consilia. Er meint also den adulescens ganz nach seinen eigenen Wünschen geformt zu haben und ihn deshalb im Zaume halten zu können. Die 979 Vgl. die Regeln zum Verhalten der adulescentia S. 139f. 980 Zu dieser Argumentation Ciceros vgl. auch S. 247f. 981 Cic. ad Brut. XXIII, 6f. ("tantum dico, Caesarem hunc adulescentem, per quem adhuc sumus (si verum fateri volumus), fluxisse ex fonte consiliorum meorum. Huic habiti a me honores nulli quidem, Brute, nisi debiti, nulli nisi necessarii. Ut enim primum Iibertatem revocare coepimus ... atque omne praesidium esset in puero qui a cervicibus nostris avertisset Antonium, quis honos ei non fuit decernendus? Quamquam ego illi turn verborum laudem tribui eamque modicam, decrevi etiam imperium; quod quamquam videbatur illi aetati honorificum, tamen erat exercitum habenti necessarium; quid enim est sine imperio exercitus? Statuam Philippus decrevit, celeritatem petitionis primo Servius, post maiorem etiam Servilius; nihil turn nimium videbatur.").
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Widersprüche seiner Rechtfertigung Brutus gegenüber .entgehen ihri1 selbst, obwohl sie deutlich sind: da ist die libertas auf das praesidium eines puer angewiesen, da wird dem gleichen puer ein imperium verliehen aufgrund des Tatbestandes, daß er bereits ein Heer kommandiert, was also de facti:rBrucP. des geltenden Rechts ist.982 Ursache dieser Argumentation ist CiCeros Bebamin auf seinem Primat der Erziehung des Octavian, der aus Sicht Ciceros den Staat nur Cicero zuliebe geschützt und das Heer nur eingesetzt habe, um Ciceros ärgsten Widersacher Antonius zu vernichten. Sie verdeutlicht Ciceros Insistieren auf seiner adulescentia- Vorstellung, in der sich die adulescentes willig von den älteren Männern leiten lassen, sofern ihnen Freiräume gestattet sind, und zugleich deren plötzliche politische Brisanz.983 Cicero hatte seine adulescentiaTheorie vor dem Hintergrund zwar unruhiger, jedoch immer noch funktionierender politischer Verhältnisse entwickelt, in denen die männlichen Hierarchien auch von den adulescentes noch weitgehend respektiert wurden, und die vacatio adulescentiae auf den sexuellen Bereich begrenzt.984 Politisch ehrgeizige adulescentes wie Caelius oder Curio wollten zunächst immer noch innerhalb des bestehenden gesellschaftlichen Systems avancieren und agieren,985 während der Erbe Caesars aufgrund ganz anderer finanzieller und militärischer Möglichkeiten selbst die von Cicero gestatteten Freiräume für adulescentes gänzlich überzog, indem er für sich gerade mal neunzehnjährig das Konsulat forderte. Verantwortlich hierfür waren die Risse im System, die Cicero zwar konstatierte, jedoch unfähig war, mit Octavian in Verbindung zu bringen: "In sämtlichen Bürgerkriegen in unserem Staat, an die ich zurückdenken kann, wäre doch, ganz gleich, welche Seite den Sieg errungen hätte, wenigstens in Umrissen ein Staatsgebilde erhalten geblieben. In diesem Krieg aber kann ich für den Fall unseres Sieges kaum eine Voraussage machen, wie der Staat künftig aussehen wird. Unterliegen wir aber, dann gibt es jedenfalls überhaupt keinen mehr."986 982 Vgl. hierzu Gatter 1996, 135f. 983 Zu der Leitung durch die Älteren vgl. S. 72f. und S. 177. 984 Vgl. S. 200f. 985 Zur Lautbahn des Caelius vgl. S. 79ff., zu der des Curio vgl. S. 211f. Die späteren Irregularitäten in deren Lautbahnen waren wie auch im Falle Da labellas letztendlich Ergebnis der Protektion Caesars, ihrerseits Resultat der amicitia zwischen Caesar und diesen ·adulescentes einerseits und der Bürgerkriegssituation, die Raum fiir außergewöhnliche Karrieren schuf, andererseits. 986 Cic. Ad Brut. XXIII, 10 ("Nullum enim bellum civile fuit in nostra re publica omnium quae memoria mea fuerunt, in qua bello non, utracumque pars vicisset, tarnen aliqua forma
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Brutus konnte Ciceros Haltung gegenüber Octavian trotz aller Erklärungsversuche des Redners kaum nachvollziehen, zumal Cicero so weit ging, dem adulescens das Leben der Caesarmörder anzuempfehlen, der Männer also, die Cicero fret1etisch als Retter der res publica gefeiert hatte.987 Der Brief, in dem sich. Brutus über diese Taktik Ciceros mit bitteren Worten äußert, kann als Fundamentalkritik an Ciceros Haltung der adulescentia gegenüber gelesen werden. Mehr noch: Er ist Versuch einer männlichen Standortbestimmung und einer Definition männlichen Verhaltensangesichts der Krise. Anlaß des Briefes ist ein Abschnitt eines Briefes Ciceros an Octavian, dessen Kopie Atticus an Brutus gesandt hatte. Brutus beklagt sich nun bei Cicero über dessen Tenor: ,,Aber schmerzliche, nahezu unerträgliche Empörung erfüllt mich über das, was Du da in diesem Brief an Octavius über mich schreibst. Auf solche Weise sprichst Du ihm im Namen des Staates Dank aus, so unterwürfig und demütig- ich bringe die Worte kaum zu Papier, welche Schande für meinen Rang und Namen! - aber Du sollst es schwarz auf weiß haben: Du empfiehlst ihm mein Leben und meine Existenz: Ist das nicht schlimmer als der schlimmste Tod? Damit erklärst Du doch ganz offen, daß man nicht die Tyrannis besiegt, sondern nur den Tyrannen gewechselt hat. Lies Dir Deine Worte noch einmal durch und wage dann abzustreiten, daß das die demütigen Bitten eines Sklaven sind, die er an einen Despoten richtet Nur das eine fordere und erwarte man von ihm, schreibst Du: Er möge den Mitbürgern, die bei allen guten Männem und beim römischen Volk in Ehren gehalten werden, ihr Leben garantieren. Und wenn er nun nicht mag? Ist es dann mit uns vorbei? Aber lieber das Leben verlieren als leben von seiner Gnade. Ich karu1 es wahrhaftig nicht glauben: Ist Rom derart von allen Göttern verlassen, daß man einen Octavius anflehen muß, irgendeinen Bürger zu verschonen, ich will nicht sagen, die Befreier des ganzen Erdkreises!"988 esset futura rei publicae: hoc bello victores quam rem publicam simus habituri non facile adfrrrnarirn, victis certe nulla urnquarn erit. "). 987 Vgl. Cic. ad Att. XIV, 4, 2; II, 1; ad fam. VI, 15; Phil. I, 4, 9; 13, 32f. 988 Cic. ad Brut. XXIV, 1f. ("At dolore quantum rnaximum capere animo possum eadem illa pars epistulae scripta ad Octavium de nobis adfecit. Sie enirn illi gratias agis de re publica, tarn suppliciter ac demisse - quid scribam? pudet condicionis ac fortunae, sed tarnen scribendum est: cornrnendas nostrarn salutern illi, quae morte qua non perniciosior? ut prorsus prae te feras non sublatam dorninationem sed dorninum comrnutatam esse. Verba tua recognosce et aude negare servientis adversus regern istas esse preces. Unurn ais esse quod ab eo postuletur et exspectetur, ut eos civis de quibus viri boni populusque Romanus bene existiment salvos velit. Quid si nolit? non erimus? atqui non esse quam esse per illurn
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Dieser Brief ist der letzte erhaltene und vermutlich auch der letzte Brief überhaupt des Brutus an Cicero. Brutus rechnet hier in aller Ausführlichkeit mit Ciceros Haltung gegenüber Octavian ab. Die Eingangspassage thematisiert die verkehrte Welt der Männer Roms: Die Retter des Erdkreises, Mä:rlrter, die den römischen Kriterien für Virilität vollauf Genüge getragen haben, müssen artf die Gnade des politisch allmächtigen adulescens hoffen, die zudem vom princeps senatus Cicero demütig erfleht wird. Im Sommer 43 v. Chr. existiert. kein Konsens der Männer mehr: Selbst Männer wie Brutus, die von ihresgleichen, den viri boni, geschätzt werden und sich dignitas durch die Rettung des Staates erworben haben, sollen auf Gedeih und Verderb dem neunzehnjährigen Octavian ausgeliefert werden. Handlanger des adulescens ist Cicero, eine Tatsache, die Brutus mit Scham erfüllt, denn Cicero wird so aus Sicht des Brutus letztendlich zum Initiator der Tyrannis, die Brutus hatte verhindem wollen.989 Der Gegensatz zwischen den echten viri, die machtlos sind, und dem puer, der alle Macht für sich in Anspruch nehmen kann, wird in der Folge noch deutlicher formuliert: "Soweit geht also die Macht des Octavius, das gibst Du zu, Cicero, und dann bist Du sein Freund? Oder - wenn Dir wirklich etwas an mir liegt, willst Du mich in der Tat in Rom sehen, wenn man mich vorher erst dem Knaben anempfehlen muß, damit ich überhaupt dort sein kann (cum ibi esse possem commendandus puero illi fuerim)? Wofür dankst Du ihm eigentlich, wenn Du glaubst, ihn erst bitten zu müssen, er möge uns gütig am Leben lassen? Oder soll das eine dankenswerte Tat sein, daß er es zuwege gebracht hat, daß man an ihn statt an Antonius diese Bitten richtet? Das ist diese nachgiebige Schwäche und Verzweiflungsstimmung (ista vero imbecillitas et desperatio), der Du Dich ebenso schuldig gemacht hast wie alle anderen. Dadurch wurde schon Caesar verleitet, seine begehrlichen Wünsche auf die Alleinherrschaft zu richten (et Caesarem in cupiditatem regni impulit), und Antonius kam auf den Gedanken, nach Caesars Tod dessen Nachfolge anzustreben. Und jetzt hat sich dieser Knabe da dadurch in praestat. Ego medius fidius non existimo tarn omnis deos aversos esse a salute populi Romani ut Octavius orandus sit pro salute cuiusquam civis, non dicam pro Iiberatoribus orbis terrarum ... "). 989 Die Denkmuster von Cicero und Brutus in bezug auf den Begriff der Tyrannis sind identisch; vgl. etwa Cic. ad Att. XIV, 6, 2 und 9, 2: "vivit tyrannis, tyrannus occidit." Cicero bezieht ihn jedoch auf den Primat des Marcus Antonius, während Brutus in seinen Briefen die Entwicklungslinie von Caesar über Marcus Antonius hin zu Octavian zieht, dem fiir ihn eigentlichen Vollstrecker Caesars; vgl. Ortmann 1988, 419ff.
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solche Höhen erhoben: Von ihm - das ist Deine Überzeugung! - muß man das Heil erflehen für solche Männer, wie wir es sind, und nur durch den Gnadenerweis dieses einen, der noch kaum ein Mann zu nennen ist, sollen wir gesichert sein, oder überhaupt nicht (et nunc puerum istwn extu/ft, ut tu iudicares precibus esse impetrandam salutem talibus viris inisericordiaque unius etiam nunc viri tutos fore nos aut nulla alia re). Würden wir nur daran denken, daß wir Römer sind, dann würden diese nichtswürdigen Kerle beim Griff nach der Macht nicht mehr Kühnheit . entwickeln als wir bei der Abwehr (Quod si Romanos esse meminissemus, non audacius dominari cuperent postremi homines quam id nos prohiberemus). Und Antonius wäre eher durch Caesars Tod abgeschreckt als durch sein Regiment angereizt worden"990 Brutus spricht hier zunächst pointiert von der amicitia zwischen Cicero und Octavian: aus Ciceros Sicht- man denke an seine Vorstellungen zur amicitia991 mag diese Freundschaft möglich sein; ftir Brutus dagegen impliziert sie ein Verhältnis, das der römischen Vorstellung diametral entgegengesetzt ist: denn der Konsular unterwirft sich der Macht des puer. Diese amicitia ist für Brutus mitnichten eine Beziehung unter Gleichen, sondern basiert auf imbecillitas und desperatio, also unmännlichem Verhalten, und ist der fortitudo animi992, die ja gerade auch für Cicero integraler Bestandteil von virtus ist, diametral entgegengesetzt. Diese Schwäche evozierte zunächst die cupiditas regni eines Caesar und eines Mare Anton, die immerhin noch als Männer gelten konnten. Octavians Machtbesessenheit dagegen illustriert die totale Pervertierung männlicher Hierarchien: der puer, der kaum als Mann zu bezeichnen ist ("vix vir"), besitzt die Macht, beneficia zu verteilen und über die salus richtiger Männer ("tales viri") zu entscheiden. Er besitzt also Vollmachten, die seiner 990 Cic. ad Brut. XXIV, 2f. ("Hoc tu, Cicero, posse fateris Octavium et illi amicus es? aut, si me carum habes, vis Romae videri, cum ut ibi esse possem commendandus puero illi fuerim? Cui quid agis gratias, si ut nos salvos esse velit et patiatur rogandum putas? an hoc pro beneficium habendum est, quod se quam Antonium esse maluerit a quo ista petenda essent? ... ista vero imbecillitas et desperatio, cuius culpa non magis in te residet quam in omnibus aliis, et Caesarem in cupiditatem regni impulit et Antonio post interitum illius persuasit ut interfecti locum occupare conaretur et nunc puerum istum extulit, ut tu iudicares precibus esse impetrandam salutem talibus viris misericordiaque unius vix etiam nunc viri tutos fore nos aut nulla alia re. Quod si Romanos esse meminissemus, non audacius dominan cuperent postremi homines quam id nos prohiberemus, neque magis inritatus esset Antonius regno Caesarisquam ob eiusdem mortem deterritus."). 991 Vgl. S. 9lf.
992 Vgl. s. S6f.
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Altersstufe und seiner Erfahrung kaum angemessen sind. Daß Männlichkeit und Römerturn für Brutus deckungsgleich sind, belegt sein DiktUm· "Quod si Romanos nos esse meminissemus": Der römische· Mann hätte sich gegen die postremi homines - auch hier homo in depravierendem Sinne gebraücht ~9,93 zu wehren gewußt und die korrekten männlichen Hierarchien wiederhergestellt. · Brutus unterstellt Cicero in der Folge außerdem, daß · dessen vehemente Unterstützung Octavians keineswegs auf der Sorge um den Erhalt der res publica basiere, sondern Ergebnis eines rein persönlichen Hasses auf Mare Anton sei, der als möglicher Tyrann immer noch vorzuziehen sei.994 BrutUs billigt Octavian noch nicht einmal die Reife eines adulescens zu und lehnt es anders als Cicero ab, sich des Beistandes eines puer zu versichern, um seine Existenz zu erhalten: "Dieser Knabe (Hic ipse puer), den anscheinend der Name Caesar gegen Caesars Mörder aufbringt, was ist es ihm wert, wenn wir uns einmal auf einen Handel einlassen wollen, wenn er mit unserer Erlaubnis die Macht ausübt, die er ohnehin besitzt? Wir wollen ja doch nichts weiter, als unser Leben fristen, unser Vermögen behalten und uns Konsulare titulieren lassen! Und dazu kommt noch, daß Caesar ganz umsonst umgebracht worden ist .. . Mir soll jedoch der Himmel alles eher rauben als diese meine Überzeugung: Ich kann dem Erben des Mannes, den ich getötet habe, das nicht zugestehen, was ich bei diesem für untragbar hielt - und das würde ebenso für meinen eigenen Vater gelten, wenn er von den Toten auferstünde: nämlich zu dulden, daß er sich über Gesetz und Senat erhebt (sed ne patri quidem meo, si reviviscat, ut patiente me plus legibus ac senatu possit) ... Du bittest ihn, er möge uns unsere Sicherheit garantieren. Du glaubst also, daß wir unsere volle Existenz erhalten, wenn wir nur unser Leben fristen dürfen? Wie können wir das aber, wenn wir vorher Verzicht leisten müßten aufunsere Würde und unsere Freiheit (quam, si prius dimittimus dignitatem et libertatem, qui possumus accipere)?"995 993 Zu diesem Sprachgebrauch vgl. S. 50, Anm. 166.
994 Vgl. Cic. ad Brut. XXN, 4: "Atqui non solum bono domino Antonio potuimus tolerare nostram fortunam sed etiam beneficiis atque honoribus ut participes fiui quantis vellemus; quid enim negaret iis quarum patientiam videret maximum dominationis suae praesidium esse?" ·995 Cic. ad Brut. XXIV, 5 ("Hic ipse puer, quem Caesaris nomen incitare videtur in Caesaris interfectores, quanti aestimet, si sit commercio locus, posse nobis auctoribus tantum quantum profecto poterit, quoniam vivere et pecunias habere et dici consulares volumus! Ceterum nequiquam perierit ille ... Sed mihi prius omnia di deaeque eripuerint quam illud iudicium,
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Ciceros Strategie zielt in den Augen des Bmtus lediglich auf die Erhaltung des persönlichen Status quo, also die Bewahrung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Existenz auf Gnaden des puer. Diese Existenz kann nicht mehr als männliche gelten, da sie den Verlust von dignitas und libertas, also Grundwerten der männlicher Identität,996 und von Ieges und Primat des Senats, also der res publica, billigend in Kauf nimmt und die dignitas eines Mannes von der Gnade eines puer abhängig macht. Bmtus führt hier zum Vergleich das Bild des eigenen Vaters an: lieber zum parricida werden als der Männlichkeit, die sich für Brutus hier letztendlich nur über den Dienst an der res publica und in dem Widerstand gegen jede Form des regnum definieren kann, zu entraten. Brutus polemisiert in der Folge weiter gegen Ciceros demütiges Gebaren gegenüber Octavian und diffamiert dessen Liebedienerei als Feigheit und nackte Existenzangst. Er vermutet außerdem, daß Cicero sich lediglich einen "amiciorem dominum"997 auserkoren habe, daß also Ciceros Favorisierung Octavians nichts mit dessen möglichen Fähigkeiten zu tun habe, sondern lediglich Resultat der Angst vor einem dominus Mare Anton sei. Brutus verkennt hier mit Sicherheit Ciceros erzieherischen und politischen Impetus, der letztlich immer darauf abzielte, als Mentor den mächtigen adulescens an sich zu binden und in den Abwehrkampf gegen Marcus Antonius, der für Cicero die hervorragende Gefahr für die res publica darstellte, zu integrieren.998 Brutus verwechselt Ciceros Politik, die eine Politik der Personen war lmd von dem Versuch der Instrumentalisierung des Octavian gegen Antonius lebte, deren Ziel aber immer die Restauration der Senatsherrschaft war,999 mit bloßer Liebedienerei und distanziert sich mit aller Entschiedenheit von ihr:
quo non modo heredi eius quem occidi non concesserim quod in illo non tuli, sed ne patri quidem meo, si reviviscat, ut patiente me plus legibus ac senatu possit ... Rogas enim velit nos salvos esse; videmur ergo tibi salutem accepturi cum vitam acceperimus? quam, si prius dimittimus dignitatem et libertatem, qui possumus accipere?"). 996 Zur dignitas vgl. S. 64 nebst Anm. 229 sowie zur Iiberias als Charakteristikum römischer Virilität Alston 1999, 208f. 997 Cic. ad Brut. XXIV, 7. 998 Vgl. S. 246f. Daß Brutus gerade Ciceros politische Zielsetzungen in bezugauf Octavian gänzlich mißverstanden hat, vermutet auch Ortmann 1988, 532. Vgl. auch Cic. Phi I. III, 2, 3 und 3, 5: "qua peste privato consilio rem publicam - neque potuit fieri aliter - Caesar liberavit. qui nisi in hac re publica natus esset, rem publicam scelere Antoni nullam haberemus. sie enim perspicio, sie iudico, nisi unus adulescens illius furentis impetus cmdelissimosque conatus cohibuisset, rem publicam funditus interituram fuisse." 999 Vgl. Gotter 1996, 131 f. zu Ciceros Front gegen Antonius, in dem sich für ihn "die zeitgemäße Verkörperung des Staatsfeindlichen schlechthin" (1 32) manifestiert habe.
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"Ich aber, um wieder darauf zurückzukonunen, ich denke nicht daran, mich jemandem zu Füßen zu werfen, ja mehr noch, ich will aUch die in Schranken weisen, die andren solche Demütigungen zumuten. Oder ich werde eine weite Entfernung zwischen mich und die Sklavemieelen legen und erklären, daß Rom für mich dort ist, wo man fn::i leben kann (inihique esse iudicabo Romam ubicumque liberum esse licebit). Und Euch werde ich bemitleiden, da Euch weder das Alter (aetas) noch Euer hoher Rang (honores) noch das Beispiel der virtus der andren im behaglichen Lebensgenuß stören kann."IOOO Zwei Auffassungen männlichen Seins werden hier formuliert: einerseits die Existenz in Rom, die flir Cicero gerade durch die Erfahrung des Exils die einzig mögliche war,IOOt andererseits Rom als Idee, die vor allem die libertas des einzelnen Mannes bedeutet. Rom als Idee umfaßt auch einen bestinunten männlichen Verhaltenskodex: sich als Mann seiner aetas, also seiner Reife gemäß zu verhalten, den erworbenen honores, also Ehrungen durch Gemeinschaft, gerecht zu werden und dem Postulat der virtus zu gehorchen, vor allem, wenn sie durch andere vorgelebt wird. Am Ende seines Briefes versucht Brutus energisch, Cicero gerade auf seine Vorstellung männlichen Handeins einzuschwören: ,,Deine tapfere und freiheitsliebende Gesinnung, die Du als Konsul und nun als Konsular dem Gemeinwesen gegenüber bewährt hast, ist nutzlos, wenn ihr die Standhaftigkeit und politisches Augenmaß fehlen (sine constantia et aequabilitate), glaub mir das. Ich gebe zu, daß man sich schwerer tut, wenn man erst einmal seine Männlichkeit bewiesen hat, als vorher (Fateor enim duriorem esse condicionem spectatae virtutis quam incognitae): Rechte Taten glaubt man wie Schulden einfordern zu können. Konunt es einmal anders, hält die Welt sich für betrogen und tadelt erbarmungslos. Wenn nun Cicero dem Antonius Widerpart bietet; so ist das zwar allen Lobes wert, aber es reißt niemanden zu bewunderndem Beifall hin: Es scheint nur recht und billig, daß der Konsular von heute dem Konsul von damals entspricht. Aber wenn der gleiche Cicero andren gegenüber von seinem geraden Kurs abweicht, den 1000 Cic. ad Brut. XXIV, 8 ("Ego vero, ut istuc revertar, is sum qui non modo non supplicem sed etiam coerceam postulantis ut sibi supplicetur; aut longe a servientibus abero mihique esse iudicabo Romam ubicumque liberum esse licebit, ac vestri miserebar quibus nec aetas neque honores nec virtus aliena dulcedinem vivendi minuere potuerit."). 1001 Vgl. S. 229.
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er mit soviel großartiger Standfestigkeit (tanta firmitate ac magnitudine) bei der Ausschaltung des Antonius beibehalten hat, dann geht ihm nicht nur der künftige Ruhm verloren, er bringt zwangsläufig auch den Ruhm vergangeuer Tage um seinen Glanz (non modo reliqui temporis gloriam eripue.rit sibi sed praeterita evanescere coget): alles erhält ja seine Größe nur durch die Beurteilung, die es erfährt."I002 Zentral ist hier der Begriff der Standhaftigkeit; mit Ciceros Worten könnte man vom Postulat des sui similem esse als Gradmesser virilen Verhaltens sprechen,I003 Wie schon bei Cicero sind auch bei Brutus constantia und aequabilitas bzw. firmitas und magnitudo eng mit dem Erwerb von virtus und gloria, bei der vor allem der Nachruhm von Bedeutung ist, verknüpft, die männlichen Denkmuster also identisch. 1004 Brutus konstatiert allerdings in Ciceros Favorisierung Octavians einen Bruch in Ciceros Biographie und ermahnt ihn deshalb, gerade den traditonellen Anforderungen an virtus zu genügen, also seine Unterwerfung unter einen adulescens aufzugeben. Der Briefwechsel mit Brutus enthält auch einen Brief des Brutus an Atticus, der etwa zur seihen Zeit wie Brutus' harsche Kritik an Cicero abgefaßt worden ist. Brutus äußert sich hier in aller Offenheit zu Ciceros politischer Strategie und liefert eine genaue psychologische Analyse der Gründe für Ciceros Verhalten. Anlaß des Briefes ist Ciceros Überraschung, daß sich Brutus niemals ausdrücklich zu dessen Politik der antiantonianischen Koalition äußere. Brutus nimmt dies zum Anlaß, Atticus gegenüber Ciceros Motive näher zu durchleuchten: " ... in manchem scheint es mir- wie soll ich sagen? -, daß dieser klügste Mann von allen unbedacht oder von Ehrgeiz getrieben gehandelt hat (imperite vir omnium prudentissimus an ambitiose fecisse). Dabei hat er doch kein Bedenken getragen, sich im Interesse des Staates den 1002 Cic. ad Brut. XXIV, lOf. ("Fortem et liberum animum, quo et consul et nunc consularis rem publicam vindicasti, sine constantia et aequabilitate nullum esse putaris. Fateor enim duriorem esse condicionem spectatae virtutis quam incognitae; bene facta pro debitis exigimus; quae aliter eveniunt, ut decepti ab iis, infesto animo reprehendimus. ltaque resistere Antonio Ciceronem, etsi maxima laude dignum est, tarnen quia ille consul hunc consularem merito praestare videtur, nemo admiratur; idem Cicero, si flexerit adversus alios iudicium, quod tanta firmitate ac magnitudine direxit in exturbando Antonio, non modo reliqui temporis gloriam eripuerit sibi sed praeterita evanescere coget (nihil enim per se amplum est nisi in quo iudici ratio exstat) ... "). 1003 Zum Postulat des sui similemesse vgl. S. 59. 1004 Vgl. S. 66.
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übermächtigen Antonius zum Erzfeind zu machen.- Ich kann Dir nur das eine sagen: Die Begehrlichkeit und Anmaßung des Knaberi sind von Cicero eher entflammt als gedämpft worden (pueri et cupiditatem et /icentiam potius esse inritatam quam repressam a Cicerone). Und .eJ: geht in seiner Nachsicht soweit (tantumque eum tribu,ere huic ,indulgentiäe), daß er nicht vor Schmähungen zurückschreckt, Schmähungen, die freilich in doppeltem Sinne auf ihn zurückfallen. Er hat ja mehr als den einen ·zu Tode gebracht und müßte zuerst sich selbst einen Mörder nennen (quod et pluris occidit uno seque prius oportetfateatur sicarium) ... Weil ich niCht dauernd rühmend die Iden des März erwähne, so wie er immer die Nonen des Dezember im Munde führt, hat er womöglich mehr das Recht, an unserer Heldentat (pulcherrimumfactum) herumzumäkeln, als Bestia und Clodius, die ständig über sein Konsulat herzogen."l005 Brutus analysiert hier fast zynisch Ciceros Verhalten anderen Männem gegenüber: die Verbindung des Begriffes "vir" mit den Adverben "imperite" und "ambitiose" trägt ironische Untertöne, denn die Aussage des Substantivs und der Adjektive kollidieren miteinander. Ciceros erzieherische Bemühungen gegenüber Octavian werden von Brutus als indulgentia abqualifiziert: Ciceros Erziehung hat gerade die cupiditas und licentia, Stigmata der adulescentia auch für Cicero,I006 provoziert, und zwar auf politischer Ebene vor dem Hintergrund der existentiellen Krise der res publica nach der Ermordung Caesars. In Ciceros Selbstdarstellung spielte die Niederschlagung der Verschwörung Catilinas die beherrschende Rolle: Sie galt ihm als hervorragendes Zeugnis seiner virtus.1007 Brutus gibt dagegen eine Meinung wieder, die trotz Ciceros Selbstbeweihrächerung seit Clodius populär war und vor allem die Illegitimität der Hinrichtung der Catilinarier ohne Gerichtsbeschluß kritisierte.toos Vor allem betont Brutus, daß die Ermordung Caesars anders als Ciceros Handeln an den 1005 Cic. ad Brut. XXV, 1 ("... quaedam mihi videtur- quid dicam? - imperite vir omnium prudentissimus an ambitiose fecisse, qui valentissimum Antonium suscipere pro re publica non dubitarit inimicum. Nescio quid scribam tibi nisi unum, pueri et cupiditatem et licentiam potius esse inritatam quam repressam a Cicerone, tantumque eum tribuere huic indulgentiae ut se maledictis non abstineat iis quidem quae in ipsum dupliciter recidunt, quod et pluris occidit uno seque prius oportet fateatur sicarium... An quia non omnibus horis iactamus Idus Martias similiter atque ille Nonas decembris suas in ore habet, eo meliore condicione Cicero pulcherrimum factum vituperabit quam Bestia et Clodius reprehendere illius consulatum soliti sunt?"). 1006Vgl. S. 250. 1007 Vgl. Meier 1968. 1008 Vgl. Cic. de dom. 92f. sowie Gelzer 1969, 103f. mit weiteren Belegen.
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Nonen des Dezember ein "pulcherrimum factum" gewesen sei, also ein Akt männlicher Selbstbehauptung anders als die Tat Ciceros, die ihn in die Nähe von ,;sicarii", also bloßen Mördern, rücke. Letztendlich, fährt Brutus fort, sei timor Ciceros Hauptantrieb gewesen, sich gegen Antonius zu wehren und für Octavian einzutreten. Angst aber sei eines Konsulars unwürdig; sie ist der Kontrapunkt römischer Virilität, die gerade auch nach Ciceros Definition von der fortitudo animi lebt 1009: "Wer wird denn einen niedergeworfenen Feind so sehr fürchten, ohne daran zu denken, daß die Macht eines siegreichen Heerführers. und die verwegene Anmaßung des Knaben ebenfalls Anlaß zu Besorgnis bieten (ut neque potentiam eius qui exercitum victorem habeat neque temeritatem pueri putet extimescendam esse)! ... Oh, wie töricht macht doch die Angst (o magnam stultitiam timoris): Man trifft Vorsichtsmaßnahmen gegen das, was man fürchtet, und beschwört damit das Übel, das sonst vielleicht vermeidbar gewesen wäre, erst herauf1 Wir fürchten uns gar zu sehr vor Tod, Verbannung und Mittellosigkeit. Das sind für Cicero die schlimmsten Übel, will mir scheinen. Solange er nur jemanden hat, von dem er bekommt, was er will, und von dem er hofiert und gelobt wird, solange lehnt er sich nicht gegen die Knechtschaft auf, wenn sie nur Ehre einbringt (servitutem, honorificam modo, non aspernatur)- sofern man in der äußersten, erbärmlichsten Erniedrigung überhaupt von Ehre sprechen kann. Mag Octavius also Cicero Vater nennen (Licet ergo patrem appellet Octavius Ciceronem ), mag er ihn in allem um Rat fragen, ihn ständig loben und preisen, es wird sich doch zeigen, daß die Worte und die Taten nicht übereinstimmen. Denn widerspricht das nicht jedem menschlichen Geftihl, jemanden, der nicht einmal als freier Mann zu betrachten ist, als Vater anzusehen (quid enim tam alienum ab humanis sensibus est quam eum patris habere loco qui ne liberi quidem hominis numero sit)?"IOIO
1009 Vgl. S. 57. 1010 Cic. ad Brut. XXV, 4f. ("Quisquam ergo ita timet profligaturn ut neque potentiam eius qui exercitum victorem habeat neque temeritatem pueri putet extimescendam esse? ... o magnam stultitiam timoris, id ipsum quod verearis ita cavere ut, cum vitare fortasse potueris, ultro accersas et attrahas. Nimium timemus mortem et exsilium et paupertatem; haec mihi videntur Ciceroni ultima esse in malis et dum habeat a quibus impetret quae velit et a quibus colatur ac laudetur, servitutem, honorificam modo, non aspematur, si quicquam in extrema ac miserrima contumelia potest honorificum esse. Licet ergo patrem appellet Octavius Ciceronem, referat omnia, laudet, gratias agat, tarnen illud apparebit, verba rebus esse
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Brutus argumentiert hier auf zwei Ebenen, um Ciceros .Verhalten gegenüber Octavian zu erklären: Zum einem verweist er auf die Fun;ht Ciceros vor Tod, Exil und Armut, zum anderen auf das besondere Verhältnis zwischen Cicero und Octavian, das er verspottet. In der Tat scheint Cicero sein Prinzip_ des< Umgangs mit adulescentes auch auf Octavian angewandt zu haben. Dies wird trotz der ironischen Brechung durch die Sicht des Brutus deutlich:. Cicero str~bt eine quasi-väterliche Autorität an: Und Octavian nennt Cicero "pater", verhalt sich dem Anschein nach ganz wie sein Schüler und gehorcht den Regeln des Umgangs mit dem älteren Manne, indem er sich freiwillig unterordnet,lOII Daß diese Erziehung angesichts der temeritas pueri, der zudem noch Heerführer ist, zum Scheitern verdammt sein muß, kann Brutus mit Verweis auf die libertas, die Cicero eingebüßt habe und die eigentliches Signum des pater sei, konstatieren. Cicero hingegen verhält sich Octavian gegenüber gemäß seiner eigenen Auffassung von der adulescentia, während das Motiv des timor kaum eine Rolle gespielt haben dürfte, auch wenn es ihm von Brutus, der ja gerade Ciceros tapferes Eintreten gegen Antonius hervorgehoben hatte, unterstellt wird. Brutus klagt außerdem die freiwillige servitus Ciceros an und macht deutlich, daß im Umgang mit Octavian zwei Vorstellungswelten männlichen Verhaltens aufeinandertreffen: Cicero steht für die indulgentia gegenüber dem adulescens und vertritt konsequent sein Erziehungsprinzip, während Brutus hier nur von servitus sprechen kann, also von der Umkehr der tradierten männlichen Hierarchien, beispielhaft thematisiert am Konnex zwischen der pater-lmago und dem Prinzip der libertas, diebeidefür die traditionelle ViriUtät stehen.tOt2 Ciceros letzter Brief an Brutus, der letzte erhaltene Brief Ciceros überhaupt, ist als politische Bankrotterklärung des Redners gewertet worden.tot3 In ihm nimmt Cicero nochmals und abschließend Stellung zu seiner Haltung Octavian gegenüber: ,,Das aber bedrückt mich, während ich dies schreibe, am schwersten: Der Staat hat mich als Bürgen angenommen für diesen jungen Mann, der fast noch ein Knabe ist (cum me pro adulescentulo ac paene puero res publica accepisset vadem), und nun sehe ich kaum, wie ich für mein contraria; quid enim tarn alienum ab humanis sensibus est quam eum patris habere loco qui ne liberi quidem hominis numero sit?"). 1011 Zu dieser quasi-väterlichen Autorität, die Cicero gegenüber adu/escentes auszuüben versuchte, vgl. S. 63 und S. 110. 1012 Zur pater-Tmago vgl. S. 33ff.; zum Prinzip der libertas vgl. S. 47. 1013 Vgl. Bengtson 1970, 33.
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Versprechen einstehen kann ... wenn man dem Staat gegenüber für jemanden eine Sicherheit geleistet hat, wie will man die einlösen, wenn der Betreffende, ftir den man gebürgt hat, es darauf anlegt, daß man · zahlen muß? Freilich hoffe ich ihn trotz vieler Widerstände auf unserer Seite. halten zu können; er hat doch ganz offensichtlich gute Anlagen, aber er ist in seinem jugendlichen Alter so leicht zu beeinflussen, und es stehen viele bereit, die ihn verderben wollen (videtur enim esse indoles, sed jle.xibilis aetas multique ad depravandum parati). Diese trauen sich zu, durch die Vorspiegelung falscher Ehren die Reinheit seines Charakters (aciem boni ingeni) trüben zu können. So kommt denn für mich zu all den anderen Mühen noch diese hinzu: Ich muß alle Hebel in Bewegung setzen, um den jungen Mann bei der Stange zu halten, um nicht als verantwortungslos dazustehen. Freilich, worin sollte diese Verantwortungslosigkeit bestehen. In stärkerem Maße habe ich doch ihn, für den ich Bürgschaft geleistet habe, zu Leistung verpflichtet als mich. Denn das Vaterland kann es im Grunde nicht bedauern, daß ich mich für ihn verbürgt habe, hat er sich doch bei seinen bisherigen Taten seinem eigenen Charakter wie auch meiner Garantie entsprechend recht standfest gezeigt. "1014 Cicero versucht sich hier in gewundenen Formulierungen aus der Verantwortung für Octavian zu stehlen: während er in den Briefen zuvor Octavian immer als adulescens bezeichnet hatte, verwendet er hier die Nomenklatur des Brutus, wenn er von dem "adulescentulus ac paene puer" spricht. Er betont also indirekt die Unmöglichkeit, einen derart jungen Mann beeinflussen zu können, übernimmt also für den Augenblick die Perspektive des Brutus. Trotzdem versucht Cicero auch immer noch, im Rahmen seiner adulescentia- Theorie zu argumentieren. So kann der "vades" mit dem Mentor des tirocinium fori verglichen werden, der die "flexibilis aetas" seines Schützlings, sofern er indoles und bonum ingenium besitzt - Cicero setzt diese 1014 Cic. ad Brut. XXVI, 3f. ("Maximo autem, cum haec scribebam, adficiebar dolore quod, cum me pro adulescentulo ac paene puero res publica accepisset vadem, vix videbar quod promiseram praestare posse ... rei publicae quod spoponderis quem ad modum solvas, si is dependi facile patitur pro spoponderis? Quamquam et hunc, ut spero, tenebo multis repugnantibus; videtur enim esse indoles, sed flexibilis aetas multique ad depravandum parati; qui splendore falsi honoris obiecto aciem boni ingeni praestringi posse confidunt. ltaque ad reliquos hic quoque Iabor mihi accessit, ut ornnis adhibeam machinas ad tenendum adulescentem, ne famam subeam temeritatis.Quamquam quae temeritas est? Magis enim illum pro quo spopondi quam me ipsum obligavi; nec vero paenitere potest rem publicam me pro eo spopondisse qui fuit in rebus gerundis cum suo ingenio turn mea promissione constantior.").
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ja bei Octavian immer noch voraus -, zu formen hat,IOI5 Dieses Szenario entspricht ganz dem der Caeliana, die im Zentrum dieser Arbeit stand. Letztendlich blieb Cicero also seiner Auffassung von der adu/escentia, wie er sie in der Caeliana formuliert hatte, auch in seinem Umgang mit Octavian_ treu~ Doch die Hintergründe und Voraussetzungen waren andere: Caelius war eques und homo novus, Octavian der legitime Erbe Caesars. Caelius ging es um die Fortsetzung seiner Karriere, die eine Verurteilung ernsthaft bedroht hätte, Octavian um Rache für Caesar und den Primat in der res publica. Die Zielsetzungen eines Caelius stellten die res publica an sich nicht in Frage, in der er ja avancieren wollte, die eines Octavian, der im Besitze eines Heeres für sich, den "adulescentulus ac paene puer", das Konsulat forderte, mußten sie gefährden. An Octavian scheiterte Cicero nicht nur politisch, auch seine Theorie von der adulescentia, die die eigentliche Grundlage seiner nach außen hin immer wieder formulierten optimistischen Haltung Octavian gegenüber gewesen war und im Grunde auf dem Funktionieren der männlichen Hierarchien, verknüpft durch die freiwillige Unterordnung der Jüngeren unter die Älteren vor dem Hintergrund eines immer noch intakten Staatswesens, basierte,to16 hatte angesichts des politisch mächtigen adulescens versagt, der diese männlichen Hierarchien nicht mehr akzepieren wollte.
I 015 Zum Rolle des Mentors vgl. S. 179f. 1016 Zur optimistischen Haltung Ciceros Octavian gegenüber vgl. S. 247f. ; zur freiwilligen
Unterordnung vgl. S. 73 und S. 94f.
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IX. SCHLUßBETRACHTUNG: CICERO UND DIE ADULESCENTIA Meine Arbeit hatte es sich zum Ziel gesetzt, unter Zugnmdelegung ausgewählter Werke Ciceros und hier mit Schwerpunkt auf Ciceros Rede ftir Caelius die adulescentia als Schule der Virilität im Rom der Späten Republik zu beschreiben. Ich spreche bewußt von "adulescentia", da Ciceros Sprachgebrauch in den von mir ausgewählten Quellen sehr präzise ist. Mit "adulescentia" umschreibt Cicero, anders als mit "iuventus", die Jugend der Männer in positiver Hinsicht, i. e. in bezug auf ihre Bedeutung für den Erhalt der res publica.1017 Diese Zielsetzung erforderte zunächst eine Einbettung meines Themas in zweierlei Hinsicht: in Hinsicht auf die theoretischen Konzeptionen von Adoleszenz/adu/escentia einerseits, in Hinsicht auf die Geschichte der Männlichkeit, deren Teilaspekt immer auch die Adoleszenz, also das Heranwachsen zum Mann, ist, andererseits. Zunächst zu den modemen Definitionen von Adoleszenz: Während klassische Psychologie und Soziologie dazu tendieren, das Moment der Kontinuität im Verlaufe der Adoleszenz zu betonen, sie also als Vorbereitung des männlichen Erwachsen-Seins und als Medium der Wertevennittlung definieren, hebt insbesondere die Psychoanalyse das Element der Diskontinuität, der Rebellion und der Verweigerung der Aneignung der gesellschaftlichen Nonnen im Verlaufe der Adoleszenz hervor,I018 Diesen beiden Ansätzen zufolge karu1 der Lebensabschnitt der Adoleszenz demnach entweder als Übergangsphase oder als eigenständige Lebensphase mit eigenen Gesetzen, Normen und Ritualen beschrieben werden. 1019 Diese Definitionen spiegeln sich auch in den wesentlichen althistorischen Arbeiten zur adulescentia, denen Eybens und Kleijwegts.1o2o Eyben definiert die Phase der adulescentia als durch das Anlegen der toga virilis bzw. durch den Eintritt in den cursus honorum klar abgegrenzt und schreibt ihr spezifische Rituale und Verhaltensweisen zu, während Kleijwegt die adulescentia als Übergangsphase zum Status des erwachsenen Mannes begreift, den Eintritt in den cursus honorum also nicht als Ende der "Jugend" gelten läßt und dementsprechend die frühe Einbindung des jungen Mannes in die Welt der Erwachsenen insbesondere durch die Bekleidung von magistratus minores betont.1021 Für mein Vorhaben mußte sich deshalb auch die Frage 1017 Zur dezidierten Begrifflichkeit Ciceros gerade in der Caeliana vgl. S. 170f. 1018 Vgl. S. 15ff. 1019Vgl. s. 19. 1020 Vgl. S. 20ff. 1021 Zu Eyben vgl. S. 20f.; zu Kleijwegt vgl. S. 22f.
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stellen, inwieweit sich die Äußerungen Ciceros zur adulescentia einer dieser Definitionen zuordnen lassen. Sicher begreift Cicero die adulescentes .seiner Zeit als gesellschaftlich wie politisch relevante Gruppe, bei der er allerdings dieselben Zielsetzungen wie die seiner Generation voraussetzt. Dies. zeigt. die_ Sestiana in ihrem Bemühen, gerade adulescentes. in. den consensus omnium bonorum zu integrieren, genauso wie Ciceros Briefwechsel mit politisch relevanten adulescentes seiner Zeit, Caelius, Curio, Dolabella, bzw. seine Bemühungen um Octavian, die immer darauf abzielten, diese jungen Männer im Sinne seiner Vorstellung von der res publica zu prägen,I022 Hat Cicero diese Männer auch als Vertreter einer eigenen Generation wahrgenommen, die ihren eigenen Regeln gehorchte und eine Rebellion gegen die herrschende Ordnung anstrebte, wie von der Forschung mehrfach vermutet worden ist?I023 Ich denke, diese Frage muß letztendlich verneint werden. Cicero selbst beschreibt in seinem Cato maior die Interaktion zwischen jungen und alten Männem im Idealzustand, der auf der freiwilligen Unterordnung der jungen Männerunter die alten basierte, die diese ihrerseits nach ihren Vorstellungen erziehen und nahtlos integrieren sollten.1024 In der Caeliana geht er noch einen Schritt weiter, wenn er konlaete Verhaltensregeln für die adulescentes formuliert.I025 Die von mir in dieser Arbeit vorgestellten adulescentes gehorchten dieser Einordnung insofern, als sie zunächst durchaus systemkonforme Ziele, also das Avancement innerhalb des cursus honorum und den Erfolg als Redner und Militär suchten,I026 Sie begriffen sich selbst weder als eigene Generation bzw. als separate gesellschaftliche Gruppe noch formulierten sie altersspezisehe Proteste gegen die Generation der Alten noch verbanden sie sich, .um gemeinsame politische und vor allem altersspezifische Ziele durchzusetzen.to27 Sie stellten weder ihren Platz in der Welt der Männer noch die Werte der Senatsgerontolaatie an sich in Frage: Ihre Kritik richtete sich gegen einzelne
1022 Zur Sestiana vgl. S. 60ff., zum Briefwechsel mit Curio, Caelius und Dolabella vgl. S. 209ft'., zu Cicero und Octavian vgl. S. 245ft'. 1023 Zur These, daß die Geschichte der Späten Republik auch die Geschichte eines Konfliktes der Generationen gewesen sei, vgl. S. 18, S. 53 und S. 140 nebst Anm. 528. 1024 Zu Ciceros Cato maior vgl. S. 70ff. 1025Vgl. S. 139f. und S. 17lf. 1026 Vgl. hier die biographische Skizze zu Caelius S. 79ff. sowie die kurzen biographischen Abrisse zu Curio und Dolabella S. 2llf. bzw. S. 233f. 1027 Diese Charakteristika müßte eine generationsspezifische Rebellion aufweisen; vgl. Erdheim 1994, 19lff. und Kastner 1985, 14ft' und 70ft'. Man denke hier etwa an die gesellschaftliche Fundamentalkritik der Elegiker, die sicher als generationsspezifisch interpretiert werden kann. Zu den Elegikern vgl. S. 42f.
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Exponenten des Systems, nicht gegen das System an sich.1 028 In diese Richtung deutet etwa das Vorgehen des Caelius als Praetor, der mit popularen Mitteln den Bestand einer res publica der Senatsgerontokratie gegen die Ansprüche Caesars sicht;rn wollte.I029 Im . Falle Octavians handelte es sich dagegen um die lnfragestell~mg der fiir das Konsulat festgelegten Altersgrenze, der allerdings die bereitwillige Verleihung von außerordentlichen Vollmachten durch das Gremium des Senats den Weg geebnet hatte. Diese Infragestellung kann jedoch nicht als generationsspezifischer Protest interpretiert werden, sondern resultierte letztendlich aus einer Aufweichung des regulären cursus, die ihren Beginn bereits mit Pompeius genommen hatte, von der Senatsoligarchie in letzter Konsequenz ratifiziert und gebilligt worden war und ihre Spuren auch in den Laufbahnen eines Caelius oder Dolabella, deren Ernennung zum Praetor peregrinus bzw. zum Konsul nicht ihrer eigenen Initiative, sondern der Caesars zuzuschreiben war, hinterlassen hatte.J030 Meiner Auffassung nach kann nur ein Zeugnis, das Ciceros in der Caeliana, in der er die adulescentia auch als Phase des Iudus aetatis charakterisiert, dafiir augefuhrt werden, daß Cicero die adulescentia auch als Lebensabschnitt mit eigenen, spezifischen Rechten und Regeln begriffen hat, und zwar ausschließlich in bezug auf die sexuelle Beziehung des adulescens zu älteren Frauen.1031 Diese Beziehung gestattet Cicero ausdrücklich am Beispiel der Beziehung zwischen Clodia und Caelius im Rahmen seiner Theorie vom Iudus aetatis, wemi. sie bestimmten Regeln gehorcht: Die Frau muß Charakter und Status einer meretrix aufweisen, der adulescens darf dagegen eine derartige Beziehung nur zur sexuellen Befriedigung eingehen und muß sie sofort beeenden, wenn sein Ruf in Gefahr zu geraten droht. Denn in letzter Konsequenz kann sich die Einordnung des adulescens in die Welt der Virilität nur über den Agon der Männer vollziehen. Die Adoleszenzladulescentia ist der Zeitraum im Leben eines Mannes, in dem männliches Agieren und männliche Werte erlernt werden müssen. Aus Ciceros Sicht umfaßt dies auf der Ebene des Hauses die Wahrung der pudicitia, also den Verzicht auf homosexuelle und ehebrecherische Beziehungen, und des väterlichen Besitzes sowie auf der Ebene des Politischen der Verzicht auf die
1028 Vgl. S. 83f. zur Kritik und Opposition beispielsweise des Caelius gegenüber Pompeius und Caesar. 1029 Vgl. S. 88f. 1030 Letztendlich ging die Aufweichung der Altersgrenzen des cursus honorum mit der Bewilligung außerordentlicher Kommandos Hand in Hand; vgl. Crawford 1990, 176ff. 1031 Vgl. hier und zum Folgenden S. 200ff.
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Beteiligung an staatsgefährdenden Unternehmungen anderer,1032 Positiv gesprochen, mußte der adulescens lernen, Sorge für eine ·eigene domus zu übernehmen und gerade, wenn er eine forensische Laufbahn anstrebte, zum Schutze der res publica zu agieren: Erfüllte er diese moralischen · und gesellschaftlichen Postulate, konnte er als Mann gelten uhd sich· durch ·den Erwerb von dignitas, gloria und laus letztendlich auch virtus, also vollendete · Männlichkeit, aneignen.1033 Als verpflichtendes Leitbild für Männlichkeit in Rom galt sicher die paterImago, eine pater-Imago allerdings, die neben der severitas auch das Eiemimt der cura aufweisen mußte, wie es gerade dieneuere Forschung gezeigt hat,l034 Cicero hat sich in seinem Umgang mit adulescentes seiner Zeit eben als pater dieser Prägung präsentiert insbesondere in seiner Rolle als Wahlvater des tirocinium fori, der Institution, die meiner Auffassung nach entscheidend für Eingliederung und Erziehung des adulescens durch die Wertevermittlung des älteren Mentors war. Das tirocinium fori, das mit dem Anlegen der toga virilis begann und mit der ersten öffentlichen Rede des adulescens endete, lebte von der Beziehung zwischen Wahlvater und Wahlsohn und basierte auf der freiwilligen Unterordnung des adulescens unter die Regeln und Vorgaben des älteren Mannes.1035 Ciceros Beziehung zu Caelius darf hier als typisch gelten: Gegründet auf dem Prinzip der ciceronianischen Idee der amicitia,I036 die ähnliche Charaktere ungeachtet von Alters- und Standesunterschieden miteinander verbinden kann und die gegen die von der Forschung auch vertretene These spricht, daß Männlichkeit in Rom sich vor allem über die dauerhafte Herrschaft über andere definierte,IOJ7 verband Ciqero und Caelius eine lebenslange Freundschaft, die politische Unterstützung einschloß, und die letztendlich auf das tirocinium fori, das Caelius unter der Ägide Ciceros abgeleistet hatte, zurückging. Die Dauer des tirocinium fori wird von der Forschung, die hier auf eine Äußerung Ciceros in der Caeliana Bezug nimmt, bislang mit einem Jahr angegeben.I038 Ich denke, diese Auffassung läßt sich nicht weiter halten, wenn man die Zeiträume zwischen Anlegen der toga virilis und erster öffentlicher Rede näher betrachtet. So beendete Caelius beispielsweise sein tirociniumfori erst im Alter von dreiundzwanzig Jahren mit 1032 Vgl. S. 139f. I033 Zur virtus vgl. S. 49ff. 1034 Zurpater-Imago vgl. S. 33ff. 1035 Zum tirocinium fori vgl. S. 173 ff. 1036 Zu Ciceros Begriff der amicitia vgl. S. 91ff. 1037 Zu dieser These vgl. S. 39f. 1038 Vgl. S. 178 und S. 191f.
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der Anklage des C. Antonius.JOJ9 Und er ist nicht das einzige Beispiel dafür, daß das tirociniumfori länger als ein Jahr dauem konnte,I040 seine Beendigung also auch mit im Ennessen des Adepten lag, die Dauer des tirociniumfori selbst also eine. gründliche, fast gemächliche Einführung des adulescens in die Welt der Männer, die für Cicero immer die Welt der Rede war, ermöglichte. Das tirocinium fori wurde durch die erste öffentliche Anklagerede des adulescens beendet.I 041 Die Herausforderung eines Älteren durch einen Jüngeren vor den Augen der Öffentlichkeit des Forum wies meiner Auffassung nach Parallelen zum Duell der Neuzeit auf, da sie wie jenes im Dienste der männlichen Selbstvergewisserung und Standortbestimmung stand. I042 Wesentlich war diesem Ritual allerdings nicht der Sieg, sondem der Auftritt an sich. Die Redekunst im Rom der Späten Republik war integraler Bestandteil des politischen Diskurses und gerade für homines novi wie Cicero und Caelius deshalb das Sprungbrett in die Welt der Politik. Ciceros Bildungsanspruch zielte konsequenterweise gerade in bezug auf Caelius auf den Erwerb der Kunst der Rede ab, die Cicero den militärischen Tugenden als unbedingt gleichrangig erachtete. In Ciceros Bildungsprogramm offenbaren sich demnach auch Spuren eines neuen Ideals von Virilität, das des orator,I043 Cicero stellt dem Ideal des imperator das des orator an die Seite und betont die hervorragende Bedeutung des letzteren für den Erhalt der res publica. Dieser Entwurf, Ergebnis der persönlichen Erfahrung des homo novus Cicero, gerade während der Bekämpfung Catilinas, darf meinem Dafürhalten nach als neu für die Späte Republik gelten, in der gerade Imperatoren wie Pompeins und Caesar Vorstellungen von Virilität bestinunten und Vorbildfunktion für adulescentes besaßen. Cicero konterkariert dieses Bild von Männlichkeit nicht nur durch den Entwurf des Ideals vom orator, sondem auch in Hinsicht auf den Begriff der virtus, der vollendeten Männlichkeit in Rom, deren Erwerb Ziel der adulescentes sein mußte. Zwar ist die fortitudo ftir Cicero immer noch Bestandteil der virtus, ihre Essenz offenbart sich jedoch vor allem im Postulat des "sui similem esse", also der Treue sich selbst und anderen gegenüber im friedlichen Dienst an der res publica.t044 Das Ende der adulescentia wird in der Forschung gemeinhin mit dem Eintritt in den cursus honorum gleichgesetzt. Geht man indessen von Ciceros 1039 Vgl. S. 189f. 1040 Zu weiteren Beispielen vgl. S. 19lf. 1041 Vgl. S. 188ft: 1042 Vgl. S. 192f. 1043 Zum Ideal des orator vgl. S. 195. 1044 Zur vi~tus vgl. S. 49ff.
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Sprachgebrauch in seinen Briefen an adu/escentes aus,- so muß als Ende der adulescentia die Bekleidung des Volkstribunates gelten, da Ckero seinen Briefpartnern gegenüber genau zwischen der adulescentia, die bis :Zui:ri Volkstribunat reicht, und der Virilität, die gerade dieses Amt seinen Inhabern zuspricht, unterscheidet. Diese Unterscheidung läßt sich sicher m1t ·der politischen Bedeutung des Volkstribunates begründen, das viel mehr als .die Quaestur jungen Männern die Möglichkeit gewährte, aktiv in den politischen Entscheidungsprozeß einzugreifen und Position zu beziehen.I045 Ciceros Bild von der adulescentia, das er theoretisch in seinen kleinen philosophischen Schriften und vor allem in seinem Plädoyer für Caelius entwickelte und praktisch als Erzieher von jungen Männern von Caelius bis Octavian umzusetzen versuchte, beruht letztendlich entscheidend auf der homonovus-Identität Ciceros. Als überaus erfolgreicher Aufsteiger hatte er die Werte der Senatsoligarchie stärker internalisiert als die nobiles alter gentes, war aber auch dazu in der Lage, diese Werte gleichsam von außen zu betrachten und neu zu formulieren.I046 Dies gilt genauso für seine Vorstellung von virtus wie für seinen Umgang mit politisch einflußreichen jungen Männern seiner Zeit. Er benutzte die Vorstellung vom pater, um sich selbst als pater freier Wahl zu präsentieren, als pater, dessen hervorragende Charakteristika die Toleranz und der unbedingte Glaube, durch Erziehung im Sinne seiner Vorstellung von virtus die adulescentes zu Männern im Dienste der res pub/ica libera bilden zu können, waren.
1045 Zum Volkstribunat als möglichem Ende der adulescentia vgl. S. 242f. 1046 Zur homo-novus-Mentalität Ciceros vgl. S. 54f.
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