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Christoph Reisner, Michael Dihlmann
[Wahl]Arzt in Österreich Überlebensstrategien im Gesundheitssystem von morgen
SpringerWienNewYork
Dr. Christoph Reisner Oberarzt am Krankenhaus Wr. Neustadt/Niederösterreich Wahlarzt in Neunkirchen/Niederösterreich 1. Vizepräsident der Ärztekammer für Niederösterreich Präsident „Wahlärzte Österreich“ Obmann „Wahlärzte und Mittelbau Niederösterreich“ Geschäftsführender Gesellschafter der Reisner & Sinzinger Med. Software G.m.b.H.
Michael Dihlmann Ressortleiter für „Praxis und Wirtschaft“ bei der Ärztewoche in Wien Mitarbeiter der Steuerberatungskanzlei „Die Ärzteberater“ in Trofaiach/Steiermark
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ISBN-10 ISBN-13
3-211-33619-2 Springer-Verlag Wien New York 978-3-211-33619-9 Springer-Verlag Wien New York
Vorwort und Einleitung
Österreich im Sommer 2006: Wenn man sich in der Ärzteschaft umhört, hat man den Eindruck, dass das Gesundheitssystem kurz vor dem Kollaps steht. In der Tat stöhnen immer mehr Ärzte, die von öffentlicher Hand bzw. dem Sozialsystem bezahlt werden, unter den sich ständig verschlechternden Arbeits- und Einkommensverhältnissen. Das System wird aus mehreren Töpfen gespeist, wodurch leicht einmal der Blick auf das Ganze versperrt wird.
Im Niedergelassenen Bereich regiert der Rotstift, Ärzte werden durch Bürokratismus blockiert, damit dem Patienten der Zugang zu Medizin erschwert wird. In einem System der Pflichtversicherung kommen die „Versicherungsgesellschaften“ offenbar ihren Verpflichtungen nicht mehr oder immer weniger nach. Die Patienten „wehren sich mit Füßen“, was den Boom bei Wahlärzten erklärt, die offenbar besser als die im Korsett der Sozialversicherungen gefesselten Erfüllungsgehilfen eines staatlich gelenkten Systems in der Lage sind, die Bedürfnisse der Patienten zu befriedigen. Wir sparen in diesem Buch nicht mit Kritik am System, wohlwissend dass sich in Österreich solche über Jahrzehnte gewachsene und unüberschaubar verflochtene Systeme nicht oder nur schwer grundlegend reformieren lassen. Allerdings haben wir auch Detailansätze parat, die sich ökonomisch
vertretbar zum Wohle der Patienten problemlos umsetzen ließen. Der niedergelassene Arzt der Zukunft, und zwar ganz egal ob Kassenarzt, Wahlarzt oder Arzt einer derzeit noch unbekannten Kategorie, wird sich aus organisatorischer Sicht früher oder später umstellen müssen, um keinen wirtschaftlichen Schiffbruch zu erleiden. Wir skizzieren mit Hilfe unseres Expertenteams die wichtigsten Ansätze zeitgemäßer Praxisführung. Auf geschlechtsneutrale Schreibweise wurde im Sinne der Lesbarkeit verzichtet. Die Meinung der Autoren der Gastbeiträge stimmt nicht zwangsläufig mit unserer Meinung überein.
Christoph Reisner und Michael Dihlmann im Juni 2006
Die Autoren Dr. Christoph Reisner Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie; Oberarzt am Krankenhaus Wr. Neustadt/Niederösterreich; Wahlarzt in Neunkirchen/Niederösterreich; 1. Vizepräsident der Ärztekammer für Niederösterreich; Präsident „Wahlärzte Österreich“ (www.wahlarzt.net); Obmann „Wahlärzte und Mittelbau Niederösterreich“ (www.wahlarzt.net); Geschäftsführender Gesellschafter der Reisner & Sinzinger Med. Software G.m.b.H. (www.wahlarzt.com); Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger;
[email protected]; www.wahlarzt.at
Michael Dihlmann Ressortleiter für „Praxis und Wirtschaft“ bei der Ärztewoche in Wien; Mitarbeiter der Steuerberatungskanzlei „Die Ärzteberater“ in Trofaiach/Steiermark
[email protected] www.dihlmann.at, www.aerztewoche.at, www.aerzteberater.at
Wir danken folgenden Personen für die Mitarbeit bei der Konzeption und Ausarbeitung dieses Buches: Dr. Gerald Bachinger, Patientenanwalt, St. Pölten, Niederösterreich;
[email protected], www.patientenanwalt.com
Mag. Manfred Kenda, Steuerberater, Klagenfurt, Kärnten;
[email protected], www.medtax.at
Fritz Bauer, Unternehmens- und Vermögensberater, Trofaiach, Steiermark; offi
[email protected], www.aerzteberater.at
Prof. Dr. Walter Krämer, Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik, Universität Dortmund;
[email protected]
Dr. Karl Braunschmid, Steuerberater, Linz, Oberösterreich
[email protected], www.medtax.at Dr. Wolfgang Geppert, Präsident des Niederösterreichischen Hausärzteverbandes, Wilfersdorf, Niederösterreich;
[email protected] Viktoria Hausegger, Agentur „mehr.wert. für ärzte und apotheker – marketing, das gezielt bewegt“, Wien; offi
[email protected], www.mehrwertmarketing.at Mag.a Monika Herbstrith, Management Consultant, Trainerin und Coach, „Impuls & Wirkung“, Wien;
[email protected], www.impuls.at Dr. Thomas Hopferwieser, Kassenarzt für innere Medizin, Innsbruck, Tirol;
[email protected], www.internist-hopferwieser.at Horst Jünger, Steuerberater, Innsbruck, Tirol
[email protected], www.medtax.at
Mag. Wolfgang Leonhart, Steuerberater, Wien
[email protected], www.medtax.at Dr. Karin Prutsch, Rechtsanwältin, Graz, Steiermark; offi
[email protected], www.fritschpartner.at, www.medizinrecht.co.at Harald Reigl, MAS, Regionalleiter Niederösterreich der Ärztebank, Wien;
[email protected], www.aerztebank.at Dr. Gottfried Scholler, Steuerberater, Wien/St. Pölten
[email protected], www.medtax.at Dr. Wilfried Tschiggerl, Wahlarzt für Allgemeinmedizin, Klagenfurt, Kärnten;
[email protected] Wilhelm Zieger, Basler Ärztedienst, Graz, Steiermark
[email protected], www.basler.co.at
Wir danken folgenden Institutionen und deren Mitarbeitern für die umfassende Unterstützung durch ärztespezifisches Know-How und Datenmaterial: Basler Ärztedienst als Kompetenzzentrum für Ärzte Der Ärztedienst der Basler Versicherung wurde neu strukturiert, um eine intensive Beschäftigung mit den mannigfaltigen wirtschaftlichen und rechtlichen Problemen der Ärzteschaft zu ermöglichen. Derzeit werden im Rahmen des Basler Ärztedienst vier Beratungsschwerpunkte angeboten. Versicherungsberatung ist das eigentliche Ursprungsgeschäft, 2004 wurde der Dienstleistungsbereich bankenunabhängige Finanzierungen eingeführt. 2005 wurde eine umfassende Standortanalyse entwickelt.
Ein Hauptbestandteil des Dienstleistungsangebotes des Basler Ärztedienstes ist das Praxis & Wirtschaft Gründungsseminar mit Planspiel, welches in Zusammenarbeit mit der Ärztewoche bereits für mehr als tausend Teilnehmer in allen Regionen Österreichs in den vergangenen Jahren durchgeführt wurde. Dieses Seminar hat sich mittlerweile zum größten Wirtschaftsseminar für Ärzte entwickelt.
MEDTAX, Dachverband österr. Ärztesteuerberater Hochspezialisierte Beratung setzt Kommunikation und fachlichen Austausch mit Spezialisten des gleichen Standes voraus. Fünf der führenden Ärztespezialisten Österreichs haben sich zu diesem Zweck zusammengefunden. Die renommierten Kanzleien Ärztetreuhand Dr. Braunschmid aus Linz, Steuerberatungskanzlei Jünger aus Innsbruck, Dr. Scholler & Partner Wirtschaftstreuhand aus Wien/St. Pölten, „Die Steuerberater Kenda & Lebersorger“ aus Klagenfurt und nicht zuletzt Leonhart und Leonhart Wirtschaftstreuhand aus Wien sind an dieser Kooperation beteiligt, die ungeahnte Synergien letztendlich zum Nutzen der Klienten ermöglicht. In Summe werden von den MEDTAX-Steuerberatern mit mehr als 5.000 Ärzten fast fünfzehn Prozent der Ärzteschaft betreut.
Die Ärztebank Als Spezialbank aus dem Volksbanken-Sektor konzentriert sich die Ärztebank auf Finanzdienstleistungen für die Ärzteschaft. Das garantiert höchste Kompetenz, umfassendes Know-How, ausgereifte Produkte, Finanzkraft und Seriosität. Die Ärztebank ist als Beraterbank für maßgeschneiderte Lösungen und Konzepte konzipiert. Mit ausgereiften Leistungspaketen, die der Betreuer persönlich auf den Arzt abstimmt, wird man den besonderen Ansprüchen der Ärzteschaft gerecht. Langjährige Erfahrung und umfassendes Finanz Know-how garantieren speziell für die Ärzteschaft konzipierte Angebote und flexible Konditionen. Schlanke Teams mit kurzen Entscheidungswegen bieten individuelle Lösungen an. Mit kompetenten Partnern kann auf Wunsch auch für die Rundum-Betreuung einer Praxis gesorgt werden.
MED
TAX
D I E Ä RZTE S P E Z I A L I STE N DAC H V E R BA N D Ö STE R R . Ä RZTE STE U E R B E R ATE R
MEDTAX Dachverband österr. Ärztesteuerberater Landstraße 38; 4020 Linz 0732/770036 www.medtax.at; offi
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Basler Versicherungen
BaslerÄrztedienst Zentrale Graz Kaiserfeldgasse 29, 8010 Graz 0316/32 50 55 www.basler.co.at
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Die Ärztebank Bank für Ärzte und Freie Berufe AG Zieglergasse 5; 1072 Wien 01/52107
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Inhalt 1
Aktuelle Situation der Kassenärzte in Österreich
51
2
Einbahnstraße Honorarsystem
55
Kassenarzt
2
59
Wahlarzt
2
Der Wahlarzt im Spannungsfeld zwischen Medizin und Ökonomie
Privatarzt
3
Grundlagen Definitionen
Freier Beruf Wahlarzt!
59
Honorargestaltung nach wirtschaftlichen Kriterien
60
Mathematik in der Gebietskrankenkasse
60
Wohnsitzarzt
3
Historische Entwicklung
4
Kassensystem
4
Wahlarztsystem
5
Krankenkassendorado Österreich
5
Dutzende Krankenkassen – dutzende Abrechnungssysteme
5
Warum ich (gerne) Wahlarzt bin
68
Das Wirtschaftlichkeitsgebot bei Kassenärzten
12
Visionen als Zukunftsperspektiven
71
Kurzfristige Budgetsanierung oder gesundheitspolitischer Weitblick?
Sichtweise der Patienten
79
15
Qualität
79 82
Wie viele Wahlärzte verträgt der Markt?
62
Standpunkte und Perspektiven
65
Österreich im Umbruch
65
Warum ich gerne Kassenarzt bin
65
Ausgewählte Lebenslügen der modernen Gesundheitspolitik
17
Der Wahlarzt aus Sicht des fachkundigen Patienten – gelebte Patientenorientierung
Ärztekammern in der Sackgasse?
26
Umsatz – Gewinn – Einkommen
85
Kammerstruktur
26
Medizin zwischen Ethik und Monetik
89
Wettbewerb innerhalb der Ärztekammer – Jeder gegen Jeden
31
Was ist Medizin wert? Ökonomischer Zwang versus Ärztegesetz – Dokumentation und Aufklärung
90
98
96
Spaltpilz im Vormarsch – die Zähne sind gezogen
33
Der Mythos vom Gott in Weiß
34
Die Mär von den goldenen Türklinken
34
Von der (Ohn)Macht der Kammern im Zwiespalt unterschiedlicher Interessen
Helfersyndrom als Berufung
36
Der verordnete Solidarfonds
99
Situationsbeschreibung
39
Chefarztpflicht und Bürokratie
99
Neun Bundesländer – Neun Wege zum Kassenvertrag
40
Erstattungskodex
100
Kammerbeschlüsse und Legislative
100
Niederlassungsrichtlinien, Übergabemodalitäten, Ordinationsbewertung
40
Hygieneverordnung
101
Was ist eine Ordination eigentlich wert?
40
Zusammenschluss von Versicherungen
101
Qualitätssicherung
101
Vorsorgeuntersuchung neu
101
Ärztliche Hausapotheken
101
Weitere Gedanken zur Ordinationsbewertung
45
Übergabepraxis in Niederösterreich – ein schlechtes Beispiel
46
Fazit
48
Arbeitsgesetz
102
Freier Beruf Kassenarzt?
50
Gesundheitspolitik auf dem Holzweg
102
Wahlarztaktivitäten im Spannungsfeld der Ärztekammer
105
Praxismarketing
134
Die häufigsten Irrtümer
134
Festlegen der Ziele
135
Erfahrungen eines engagierten Wahlärztevertreters
106
Informationsbeschaffung
135
Wahlarztreferat der Österreichischen Ärztekammer
106
Strategien planen
135
Verein Wahlärzte Österreich
106
Produktpolitik – Dienstleistungen sind Produkte
136
Pressekonferenz
107
Preispolitik
136
Die Zeit der Vorwürfe
107
Distributionspolitik – Absatzwege und Marketinglogistik
137
Software Wahlarzt
108
137
Der Gipfel der Kontroverse
108
Kommunikationspolitik – Werbung und PR im Zentrum der Kommunikation
Deutschland ruft
109
Aktivitäten des Wahlarztreferates der Ärztekammer für Niederösterreich
109
Soziale Absicherung als Kriterium
137
Patientenbefragung
109
Ärztekammerbeitrag berücksichtigen
138
Wahlarztratgeber
110
Die wertfreie Berechnung
139
Niederlassungsseminare
111
Alle Komponenten abwägen
139
Standortanalyse – Entscheidungshilfe für Praxisgründer
112
Wahlarztformulare
112
Anstellung von Ärzten bei Ärzten Honorarnote und Honorargestaltung
139 140
Ordinationsbörse
112
Honorarnote
140
Niederlassungsberatung
112
Zahlungsmodelle
142
Wahlarzt – CD
113
Honorarmodelle
143
Kommunikationsseminare
113
Informationsveranstaltungen
113
Benchmarking in der Ordination
113
Zuweisungen – Überweisungen
113
e-Card für Wahlärzte
114
Wahlarztbefragung in Niederösterreich
115
Professionelle Umsetzung
137
Anstellung oder Werkvertrag
137
Kostenrückerstattung
147
Richtwerte
149
Persönlichkeit des Arztes Organisation
149 149
Möglichkeiten der EDV nutzen
149
Terminmanagement
154
Serviceleistungen
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination
117 Fachgebiet
Standortwahl
118
Bei der Standortwahl nichts dem Zufall überlassen
118
Partnerschaften
120
Lehrpraxis
120
Gruppenpraxen
122
Kassenverträge für Gruppenpraxen in Wien
122
Kassenverträge für Gruppenpraxen in Oberösterreich
124
Ärztliche Kooperationsformen jenseits der Gruppenpraxis
130
X
155
155
Miete – Kauf, Investition in Praxisräumlichkeiten Goldene Regeln für wirtschaftliche Praxisführung
157
Resümee Epilog
163 169
Drei Jahre in der „Kammer des Schreckens“ Albträume von Gesprächen, die nie stattgefunden haben
170
160
172
Grundlagen
Definitionen Kassenarzt Kassenärzte haben einen Vertrag mit den Krankenkassen. Dabei handelt es sich um Einzelverträge im Rahmen eines Gesamtvertrages der jeweiligen Landesärztekammer mit den jeweiligen Sozialversicherungsträgern. Die Verrechnung der Leistungen erfolgt direkt zwischen Arzt und Sozialversicherungsträger, für den Patienten ist die ärztliche Leistung scheinbar kostenlos. Bei einigen Sozialversicherungsträgern wird dem Patienten nachträglich ein Selbstbehalt in Rechnung gestellt. Die Leistungen und die entsprechende Honorierung werden im Gesamtvertrag zwischen Landesärztekammer und Krankenkasse geregelt sowie jährlich angepasst.
Derzeit werden Einzelverträge nur als Gesamtpaket vergeben, also mit der jeweiligen Gebietskrankenkasse gemeinsam mit den so genannten „kleinen Kassen“. Zu den „kleinen Kassen“ zählen die BVA (Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter), die SVA (Versicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft), die VAEB (Versicherungsanstalt der Eisenbahnen und Bergbau) und die SVB (Versicherungsanstalt der Bauern). Die Zahl der Kassenärzte ist in den letzten 15 Jahren um etwa 10 Prozent gestiegen.
Wahlarzt Wahlärzte sind Ärzte ohne Kassenvertrag. Die Verrechnung des Honorars erfolgt direkt zwischen Arzt und Patient. Der Patient hat die Möglichkeit, die Honorarnote bei seinem Sozialversicherungsträger einzurei-
E N T W I C K LU N G D E R N I E D E R G E L A S S E N E N Ä R Z T E I N Ö S T E R R E I C H §2-Klasse
Wahlarzt + kleine Kasse
Wahlärzte
8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000
A B B. 1
0 1990
1993
1996
(Quelle: Österreichische Ärztekammer 2006)
2
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006-03
Grundlagen V E R T E I LU N G D E R WA H L Ä R Z T E Allgemeinmediziner
Fachärzte
2500 2000 1500 1000 500
A B B. 2
0
Manche Wahlärzte haben als Relikt aus der Vergangenheit Verträge mit einzelnen Krankenkassen (oft mit den „kleinen Kassen“) und sind somit nur Wahlärzte für Patienten der Gebietskrankenkassen.
Privatarzt W
NÖ
OÖ
ST
S
T
K
V
B
Verteilung der Wahlärzte auf die Bundesländer (Quelle: Österreichische Ärztekammer 2006)
chen. Grundsätzlich hat er Anspruch auf Rückerstattung von 80 Prozent jenes Tarifs, den ein Arzt mit Kassenverträgen für dieselbe Leistung erhält. Zahlreiche Ausnahmen führen jedoch dazu, dass der tatsächliche Rückerstattungstarif oft nur 20 oder 30 Prozent des Kassentarifs ausmacht. Der oft verwendete Begriff „Wahlarzt aller Kassen“ drückt aus, dass der Patient das Recht auf Honorarrückerstattung bei jeder Krankenkasse hat. Wahlärzte artikulieren mit dieser Bezeichnung auch, dass Honorarnoten mit den jeweiligen Positionen der Krankenkassen ausgestellt werden. Die Zahl der Wahlärzte hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt, ist also um 100 Prozent gestiegen (Abb. 1). Abbildung 2 zeigt, dass von den derzeit 7.442 Wahlärzten (Stand 2/2006) die Hälfte in den Bundesländern Wien und Niederösterreich niedergelassen sind.
Viele Privatärzte bezeichnen sich als solche und sind eigentlich Wahlärzte. Genau genommen besteht bei Privatärzten kein Recht auf Kostenrückerstattung. Dies sind also Ärzte mit Kassenvertrag, die zusätzlich eine „Privatordination“ betreiben. Diese kann räumlich getrennt von der Kassenordination oder in denselben Räumlichkeiten etabliert sein. Für die privat erbrachten Leistungen besteht jedenfalls kein Anspruch auf Kostenrückerstattung, auch wenn es sich dabei um Leistungen im Sinne der Krankenkassen handelt. Als Privatärzte sehen wir auch jene Ärzte, die zwar die formalen Ansprüche des „Wahlarztes“ erfüllen, jedoch ihre Honorarnoten nicht im Sinne der Leistungen der Krankenkassen aufschlüsseln. Dies führt dazu, dass die Rückerstattung bei einer allfälligen Einreichung beim Kostenträger nur für die Position „Ordination“ erfolgt und daher entsprechend niedrig ausfällt.
Wohnsitzarzt Der Wohnsitzarzt ist im §47 des Ärztegesetzes definiert. Es handelt sich dabei um Ärzte, die zur selbständigen Berufsausü3
bung berechtigt sind, jedoch ausschließlich solche ärztlichen Tätigkeiten ausüben, die weder eine Ordination erfordern noch mit einem Anstellungsverhältnis verknüpft sind. Typischerweise handelt es sich dabei um Ärzte, die entweder ausschließlich Ordinationsvertretungen durchführen oder gutachterlich tätig sind. Ebenso fallen ausschließlich als Arbeitsmediziner tätige Ärzte auf Werkvertragsbasis in diese Gruppe. Auch pensionierte Ärzte, die in irgendeiner Form – jedoch nicht in der Ordination – regelmäßig tätig sind, können sich mit deutlich ermäßigten Kammerbeiträgen als Wohnsitzärzte melden. In Zukunft wird es notwendig sein, diese Regelmäßigkeit der Berufsausübung auch zu überprüfen, um zu vermeiden, dass pensionierte Ärzte aktiv in die Kammerpolitik eingreifen.
Hilfsvereinen und Ärzten. Erst gegen 1890 wurde die Krankenversicherung gesetzlich geregelt. Damit verbunden war auch der Übergang vom Geldleistungs- zum Sachleistungsprinzip. Das war der Anfang vom im Prinzip heute noch bestehenden Pflichtversicherungssystem mit Kassenärzten. Jeder Versicherte hatte seither Anspruch auf kostenlose Behandlung bei einem Kassenarzt. Die Eingliederung in diese Pflichtversicherung verlief rasch. Im damaligen Reichsgebiet war bereits 1910 etwa die Hälfte der Bevölkerung im Rahmen dieses Systems pflichtversichert.
Kassensystem
Seit dieser Zeit wuchs auch der Einfluss der Ärztekammern. Anfangs wurden die Tarife noch zwischen Arzt und Krankenversicherung einzeln ausverhandelt, was bereits in dieser Zeit zu einer ständigen „Entwertung“ des Realeinkommens führte. Erst 1917 erfolgte durch eine Novelle des Kassenarztrechts die Einführung eines Kassenvertrages im heutigen Sinn.
Der Ursprung der Krankenversicherung liegt nicht in der Bezahlung von Krankenbehandlungen, sondern in der Absicherung von Lohnausfällen im Krankheitsfall. Die Vorläufer der gesetzlichen Krankenversicherungen Mitte des 19. Jahrhunderts waren eigentlich Hilfsvereine, der Bezug im Versicherungsfall war eine Geldleistung. Somit bestand in der Anfangsphase auch keine Vertragsbeziehung zwischen den
Nach den Wirren des Ersten und Zweiten Weltkrieges galt zunächst provisorisch das deutsche Kassenarztrecht. 1949 trat das neue Ärztegesetz in Kraft. Ärzte hatten ein Wahlrecht und konnten sich für oder gegen eine Fixanstellung bei den Krankenkassen entscheiden. 90 Prozent haben damals die Möglichkeit der freien Niederlassung gewählt.
Historische Entwicklung
4
Grundlagen Wahlarztsystem Das Allgemeine Sozial-Versicherungs-Gesetz (ASVG) ist 1965 in Kraft getreten. Darin tauchte das erste Mal der Begriff Wahlärzte auf. In diesem Gesetz ist definiert, dass der Anspruchsberechtigte auch Sachleistungen bei Wahlärzten in Anspruch nehmen darf und dafür den Kostenersatz in Höhe jenes Betrages bekommt, der bei Inanspruchnahme eines Vertragspartners entstanden wäre. Die Kostenträger gingen in den 1990er Jahren dazu über, lediglich 80 Prozent des Kassentarifs rückzuerstatten. Begründet wurde diese verminderte Rückerstattung mit dem erhöhten Verwaltungsaufwand im Vergleich zur Abrechnung für Vertragsärzte. In einem Urteil des Obersten Gerichtshofes im Jahr 1996 wurde die Rechtmäßigkeit dieser Vorgangsweise bestätigt. Der Verfassungsgerichtshof zementierte im Jahr 2000 diese Rechtsansicht. Der Europäische Gerichtshof wurde mit dieser Sachlage bisher nicht befasst.
Krankenkassendorado Österreich Dutzende Krankenkassen – dutzende Abrechnungssysteme Antiquierte Leistungskataloge Die Leistungskataloge sind historisch gewachsen und entsprechen in mehreren Bereichen nicht mehr den aktuellen betriebs-
wirtschaftlichen Anforderungen bzw. dem derzeitigen medizinischen Wissensstand. Weiters stimmen sie in einigen Teilen nicht mit den Bedürfnissen der Patienten überein.
Es lebe die Unterschiedlichkeit Abgesehen von der Aktualität des Gebotenen, existieren für die verschiedenen Krankenkassen auch unterschiedliche Leistungskataloge. So hat etwa jede Gebietskrankenkasse ihren eigenen Leistungskatalog, ebenso haben BVA und VAEB sowie SVA eigene Kataloge. Unterschiedlich sind nicht nur die jeweils zugeordneten Positionsnummern, sondern auch die entsprechenden Leistungen. Die Zweckmäßigkeit der Unterschiedlichkeit wird von uns in Frage gestellt. Im Sinne einer besseren, bundesländerübergreifenden Vergleichbarkeit ist ein einheitlicher Leistungskatalog für ganz Österreich zu fordern. Weiters sollten die Leistungen neu definiert und von der fallweise kleinkrämerischen Honorierung von Minimalleistungen zu teilpauschalierten Leistungen übergegangen werden.
Limitierte Leistungen Die Limitierung von Leistungen (wie „einmal pro Quartal“, „nur in zehn Prozent der Fälle“) stellt einen ökonomischen Steuerungsmechanismus dar. Einerseits könnten Ärzte dazu animiert werden, das Limit tatsächlich 5
auszuschöpfen, womöglich aber unabhängig von der medizinischen Sinnhaftigkeit. Andererseits könnten Ärzte davon abgehalten werden, medizinisch notwendige Leistungen zu erbringen, wenn keine Honorierung dafür vorgesehen ist, da das Limit bereits ausgeschöpft wurde. Tatsächlich erbringt ein nicht unbeträchtlicher Teil der Vertragsärzte auch Leistungen, die nicht honoriert werden und fördert so die „finanziell kranken Kassen“ oder Krankenkassen. Welcher Wirtschaftsbetrieb würde Leistungen oder Produkte verkaufen, wenn er dafür keine Bezahlung erhielte? Wahlarzt-Patienten erhalten für erbrachte limitierte Leistungen eine Rückerstattung, auch wenn die Leistung öfter als bei der kassenärztlichen Regelung erbracht wird; es gibt sozusagen keine Limits. Der Rückerstattungstarif beträgt jedoch für limitierte Leistungen nicht 80 Prozent des Kassentarifs, sondern – abhängig vom jeweiligen Bundesland – meist deutlich weniger. Oft sind es nur 15 bis 20 Prozent des Kassentarifs, da sich dieser aus der jeweiligen Limitüberschreitung der Kassenärzte im Vorjahr errechnet. Jährlich werden diese Fixtarife für Kostenrückersatz bei Wahlärzten neu errechnet und angepasst. In den Bundesländern Vorarlberg und Wien macht die jeweilige Gebietskrankenkasse von dieser Möglichkeit der Degression bei der Kostenrückerstattung 6
nicht Gebrauch, die Rückerstattung erfolgt dort in Höhe von 80 Prozent des Kassentarifs auch für limitierte Leistungen. Wir lehnen eine Limitierung von Leistungen strikt ab. Dies ist weder im Sinne der Patienten noch im Sinne der Ärzte. Nachfolgend werden am Beispiel Niederösterreich einige Leistungen herausgegriffen, welche die Dringlichkeit von Veränderungen anschaulich machen:
Ausführliche diagnostisch-therapeutische Aussprache Die „Ausführliche diagnostisch-therapeutische Aussprache“ hat im Allgemeinen zwischen 10 und 15 Minuten zu dauern. Eine zusätzliche Verrechnung der Position Ordination am gleichen Tag ist nicht möglich, es sei denn, die Leistungen werden zu unzusammenhängenden Zeiten erbracht (die Angabe der Uhrzeit ist deshalb unbedingt erforderlich). Diese Regelung wird jedoch nicht umgesetzt. Das Honorar für diese Leistung beträgt je nach Bundesland zwischen 12 und 15 Euro. Sie kann nur einmal pro Quartal verrechnet werden und höchstens in 18 Prozent der Behandlungsfälle. Das ärztliche Gespräch ist jedoch – unabhängig vom Fachgebiet – ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung. Eine gute Information des Patienten stellt eine bedeutende Grundlage für eine gute Compliance dar.
Grundlagen Eigenblutinjektion Medizinische Indikationen für eine Eigenblutinjektion konnten wir bei den Recherchen nicht finden.
Ordination mit eingeschränktem Leistungsumfang (Position 9) Auch diese Leistung ist im Leistungskatalog der Gebietskrankenkassen enthalten. Es handelt sich dabei um eine Ordination ohne Arzt-Patient-Kontakt. Bei der Gebietskrankenkasse für Niederösterreich beispielsweise gelten Limit-Bestimmungen pro Arzt für Allgemeinmedizin und Quartal in der Form, dass das Verhältnis der Position 9 (Ordination mit eingeschränktem Leistungsumfang) zu Position 12 (Ordination) maximal 30:70 betragen darf. Übersteigt die Anzahl der Position 12 diese Relation, erfolgt eine Umwandlung derart, dass zwischen den Positionen 9 und 12 das Verhältnis 30:70 hergestellt ist. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf: Warum ist ein Ordinationsbesuch ohne Arzt-Patient-Kontakt überhaupt erforderlich? Sollte hier nicht über Alternativen im Gesamtsystem dringend nachgedacht werden?
Vorsorgeuntersuchung Die unterschiedlichen Leistungskataloge haben zur Folge, dass in manchen Bundesländern kurative Leistungen besser bezahlt werden als Leistungen im Rahmen der Vor-
sorgeuntersuchung. Dies führt dazu, dass die Leistung „Vorsorgeuntersuchung“ oft nicht erbracht und stattdessen das „Paket der Vorsorgeuntersuchung“ als kurative Leistung abgerechnet wird. Dies hat zwar zunächst keine direkten Auswirkungen auf den Patienten, verfälscht aber die Statistik der Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen. Andererseits wird die Colonoskopie im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung zwar massiv beworben, in sechs Bundesländern aber nicht honoriert.
Operative Leistungen in der Ordination Die Honorierung von operativen Leistungen in Ordinationen ist teilweise derart schlecht, dass eine ökonomische Durchführung nur unter Missachtung grundlegender Hygienebedingungen möglich ist. Als „Ausweg“ aus dieser Situation werden mitunter Zuzahlungen von Patienten verlangt, was ebenfalls nicht gesetzeskonform ist. Die beispielhafte Durchrechnung der Situation bei einer häufigen orthopädischen Operation des Hallux valgus (= Fehlstellung der Großzehe, im Volksmund auch „Frostballen“ genannt) soll zeigen, wie reformbedürftig die Leistungskataloge wirklich sind (siehe Tabelle 1). Die Rechnung zeigt auch eindeutig, dass Leistungen im Krankenhaus deutlich besser honoriert werden, also wesentlich höhere Kosten verursachen als in der Ordination. Dies wird umso dra7
VERGLEICH VON KOSTEN Personal Arzt diplomiertes Pflegepersonal nicht diplomiertes Pflegepersonal
235,38
Ambulante Operation
59,33
Leistungskomponente
156,81 13,68
2.319,32
Leistungskomponente
1.414,04
Transport
3,70
Tageskomponente
Sonstiges
1,86
Aufnahme für zwei Tage
905,28 2.528,16 815,12
Tageskomponente
1.713,04
Material
85,07
Aufnahme für drei Tage
2.828,08
Medikamente
10,00
Leistungskomponente
Wäsche
29,17
Einmalwäsche
45,90
Geräte Gemeinkosten Med. Ver/Entsorgung Nicht med. Ver/Entsorgung Energie Verwaltung Gesamtkosten
Tageskomponente
815,12 2.012,96
B. Honorar Hallux-valgus-Operation in einem Krankenhaus in Niederösterreich, Berechnung nach LKF-Punkten (Werte aus 2005)
1,24 355,04
NGKK
192,36
73,13
VAEB
239,53
SVA GW
294,80
BVA
269,42
136,07 5,92 139,92 676,73
A. Betriebswirtschaftliche Analyse der Kosten einer Hallux-valgus-Operation im Krankenhaus (in Euro)
TA B E L L E 1
815,12
Aufnahme für einen Tag
Leistungskomponente
Vergleich von Kosten und Honorierung einer Hallux-valgus-Operation
8
815,12
C. Honorar Hallux-valgus-Operation in der Ordination (NGKK = Niederösterreichische Gebietskrankenkasse; VAEB = Versicherungsanstalt der Eisenbahnen und Bergbau; SVA GW = Versicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft; BVA = Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter)
Operative Leistung
595,00
D. Zum Vergleich: Privatwirtschaftliche Kalkulation einer Hallux-valgus-Operation in der (Einzel)Ordination Durch geeignete Kooperationsformen und damit bessere Geräte- und Raumauslastung ließe sich dieser Kalkulationswert noch optimieren.
Grundlagen matischer, als die durchschnittliche empfohlene Verweildauer im Krankenhaus laut LKF-Katalog (= Leistungsorientierte Krankenhaus-Finanzierung) bei drei bis acht Tagen liegt; als optimale Dauer werden drei Tage angesetzt. Betrachtet man die Kostenkalkulation im Krankenhaus, so fällt der hohe Verwaltungskostenanteil von über 20 Prozent auf. Eine betriebswirtschaftliche Kalkulation der Kosten in der Ordination zeigt einerseits, dass die Honorare sämtlicher Krankenkassen zu niedrig sind, andererseits wäre diese Leistung bei korrekter Honorierung in der Ordination immer noch deutlich kostengünstiger zu erbringen als im stationären Bereich.
Vaginosonographie Die Vaginosonographie ist mittlerweile eine gynäkologische Standarduntersuchung. Trotzdem darf sie von Fachärzten für Gynäkologie und Geburtshilfe nur in zehn Prozent der Fälle bei Versicherten der Gebietskrankenkasse abgerechnet werden. Tatsächlich wird dieses Limit von den Kassenärzten massiv überschritten, das heißt, Ärzte mit Kassenvertrag erbringen kostenlose Leistungen an den Versicherten. Dies führt dazu, dass etwa bei Versicherten der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse der Wahlarztrückerstattungstarif bei 20 Prozent des Kassentarifs liegt. Der für diese Leistung vorgesehene Kassentarif beträgt
in Niederösterreich derzeit 24,50 Euro, der Rückerstattungstarif für Wahlarztpatienten 5,57 Euro.
Befundbericht Der Befundbericht eines Facharztes an den zuweisenden Hausarzt kann von einem Vertragsarzt nur einmal pro Quartal verrechnet werden, die Information des Patienten – etwa durch einen Patientenbrief – stellt keine Leistung im Kassensinn dar. Der Informationsfluss vom behandelnden Facharzt zum Hausarzt ist allerdings von größter Bedeutung, noch bedeutender ist jedoch die Information des Patienten. Studien haben gezeigt, dass sich ein Gesprächspartner von einem Gespräch nur einen Bruchteil dauerhaft merkt. Umgelegt auf ein ärztliches Gespräch in der Ordination bedeutet dies einen enormen Verlust an Information bereits zu dem Zeitpunkt, wo der Patient die Ordination Richtung Wartezimmer verlassen hat. Dazu kommt noch, dass es nicht im Einfluss des Arztes liegt, jenen Teil, der im Gedächtnis des Patienten bewahrt wird, zu bestimmen. Der Patient merkt sich unter Umständen unwichtige Details und vergisst das Wesentliche. Die schriftliche Information des Patienten über wesentliche Gesprächsinhalte während eines Ordinationsbesuches in Form eines Patientenbriefes sollte unserer Meinung 9
Vergleichbare Leistungen – Unterschiedliche Kosten
PAT I E N T E N B R I E F
A B B. 3
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
79
16 Wichtig
Nicht so wichtig
Wichtigkeit eines Patientenbriefes aus Patientensicht (Quelle: Umfrage der Ärztekammer für Niederösterreich 2003)
nach Standard sein. Viele Wahlärzte bieten den Patientenbrief als Serviceleistung an, im Bereich der Kassenvertragsärzte sind Befundberichte an den Hausarzt selten wenn er nicht zugewiesen wurde, Patientenbriefe noch seltener. Eine Umfrage der Ärztekammer für Niederösterreich im Herbst 2003 bestätigt die Bedeutung der Information auch aus Patientensicht (Abb. 3). Im allgemeinmedizinischen Kassenbereich kommen Patientenbriefe überhaupt nicht vor, zunehmend haben jedoch Wahlärzte für Allgemeinmedizin dieses Bedürfnis der Patienten wahrgenommen. Abgesehen von der medizinischen Sinnhaftigkeit der schriftlichen Information des Patienten hat der Patientenbrief auch einen hohen Stellenwert im Ordinationsmarketing, da der Patient nachhaltig an den Ordinationsbesuch erinnert wird. 10
Um zu überprüfen, inwieweit die Kassenverträge im Hinblick auf Ausformulierung und Honorierung kompatibel sind, haben wir Ärzte für Allgemeinmedizin aus allen Bundesländern gebeten, für zwei fiktive Behandlungsverläufe innerhalb eines Quartals die Erstattung der jeweiligen Gebietskrankenkasse zu errechnen: Bei Fall 1 handelt es sich um einen 63-jährigen Patienten: Diabetes mellitus II levis, Hypertonie essentiell, wegen Vorhofflimmern antikoaguliert. Er kommt in einem Quartal dreimal in die Ordination, wo jeweils Blutabnahme sowie Bestimmung von Thromboplastinzeit und Blutzucker erfolgen. Fall 2 ist ein fünfjähriges Kind. Es kommt (samt Elternteil) mit rezidivierender obstruktiver Bronchitis in einem Quartal fünfmal in die Ordination. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind aus mehrerlei Hinsicht erstaunlich. Einerseits was die Komplexität und Realitätsferne einiger Berechnungsmethoden angeht, andererseits was die Ergebnisse an sich betrifft. Es ist bekannt, dass es im Bereich der Kassenverträge „schlechtere“ und „bessere“ Bundesländer gibt. Wir möchten daher ganz bewusst nur Vergleichszahlen nennen und keinen Bundeslandvergleich anstellen. Welches Honorar bringen also die Behandlungen (Tab. 2)? In keinem einzigen
Grundlagen Des weiteren fällt auch auf, dass die Honorierung durch die „kleinen Kassen“ in relativ einheitlicher Größenordnung stattfindet. Bei Fall 1 ist nur ein Unterschied von 5,6 Prozent vom geringsten zum höchsten Honorar für diese Behandlung zu verzeichnen. Anders bei den Gebietskrankenkassen. Dort liegt man zwischen bestem und schlechtestem Tarif mit 260 Prozent Unterschied bei Fall 1 beispielsweise deutlich auseinander. Diese Unterschiede gleichen sich natürlich über die möglichen Behandlungen aus; der
Fall war das Ergebnis der „schlechtesten“ Kleinen Kasse schlechter als das Ergebnis der „besten“ Gebietskrankenkasse. Dies gilt ohne Einarbeitung von Limitierungen bei Positionsgruppen und Einzelpositionen, Deckelungen, Punkte-Fallbegrenzungen oder Punktewert-Staffelungen, wie sie in den meisten Bundesländen an der Tagesordnung sind und das Ergebnis um bis zu mehr als 90 Prozent schmälern. Aber das sind noch keine neuen Erkenntnisse.
HONORARVERGLEICHE Fall 1 (63 Jahre)
Fall 2 (Kind)
84,00
65,92
Schnitt „kleine Kassen“ Minimalwert
81,50
63,35
Maximalwert
86,06
69,11
2,50
3,19
TA B E L L E 2
größte Abweichung vom Schnitt Differenz Min zu Max absolut
4,56
5,76
Differenz Min zu Max relativ
5,6%
9,1%
Schnitt Gebietskrankenkassen
41,84
35,49
Minimalwert
21,26
24,02
Maximalwert
76,34
46,42
größte Abweichung vom Schnitt
34,50
11,47
Differenz Min zu Max absolut
55,08
22,40
259,1%
93,3%
Differenz Min zu Max relativ Honorarvergleiche ausgewählter Behandlungen (in Euro)
11
Scheinwert der Bundesländer gibt darüber Auskunft. Mit Ausnahme von Wien (28 Prozent darunter) liegt keine Gebietskrankenkasse mehr als 15 Prozent unter dem Scheinwert des besten Bundeslandes. Aber trotzdem: Unsere Fälle sind Stichproben und sollen die Komplexität und Undurchschaubarkeit des Kassensystems aufzeigen.
Das Wirtschaftlichkeitsgebot bei Kassenärzten Von Karin Prutsch
Der Arzt schuldet dem Patienten aus dem Behandlungsvertrag eine fachgerechte Behandlung, die dem objektiven Standard des jeweiligen Faches entspricht. Der Patient hat einen Anspruch darauf, nach den allgemein anerkannten Regeln der Heilkunst (lege artis) behandelt zu werden, jedoch keinen Anspruch auf den medizinisch bestmöglichen Standard (Goldstandard). Ebenso schuldet der Arzt gegenüber dem Patienten nicht einen bestimmten Erfolg, insbesondere eine Heilung, sondern die medizinische Betreuung hat „nur gewissenhaft“ und nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung zu erfolgen. Somit hat niemand in Österreich einen gesetzlichen Anspruch auf den bestmöglichen Standard der ärztlichen Versorgung. Es besteht lediglich ein Anspruch des Patienten aus dem Behandlungsvertrag auf Anwendung der nach dem Stand der Wissenschaft zu fordernden sichersten Maßnahme zur 12
möglichsten Ausschaltung bzw. Einschränkung bekannter Operationsgefahren. Daraus ergibt sich eine behandlungsvertragliche Verpflichtung zur Vornahme all dessen, was nach den anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft geboten erscheint. Bei der Gewährung der ärztlichen Behandlung muss das Gebot der wirtschaftlichen Behandlungsweise beachtet werden. So ist das Krankenversicherungsrecht einerseits zwar bestrebt, die ärztliche Behandlungsfreiheit weitgehend zu respektieren, andererseits wird jedoch auch Fällen von „Überarztung“ vorgebeugt. Der Wahlarzt kann seine Honorarforderungen nach eigenem Gutdünken gestalten und Behandlungs- wie auch Diagnosemethoden beliebig oft durchführen und wiederholen, auch wenn dies aus medizinischen Gründen nicht mehr zweckmäßig erscheint. Er kann das Maß des Notwendigen überschreiten, wenn er es persönlich für notwendig erachtet. Dem gegenüber ist der Vertragsarzt an die gesetzlich vorgesehenen Grundsätze der Krankenbehandlung gebunden. Seine Leistungserbringung hat ausreichend und zweckmäßig zu sein, darf jedoch gemäß §133 Abs. 2 ASVG (Allgemeines SozialVersicherungs-Gesetz) das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Somit erfüllt die Krankenbehandlung diese Grundsätze schon dann, wenn sie geeignet ist, einen ausreichenden therapeutischen und dia-
Grundlagen gnostischen Nutzen zu erzielen und die Kosten im Verhältnis zum Erfolg der Maßnahme möglichst gering gehalten werden. Der Krankenversicherungsträger hat jedenfalls seiner Verpflichtung zur Sachleistungsvorsorge entsprochen. Somit besteht kein Anspruch auf eine medizinisch gleichwertige, allenfalls auch aufwändigere Therapieform, solange vom Krankenversicherungsträger eine zweckmäßige und ausreichende Krankenbehandlung zur Verfügung gestellt wird. Damit entfällt auch ein Rechtsanspruch auf die jeweils beste medizinische Versorgung, zumal ein solcher die Gefahr in sich bergen würde, Kostenentwicklungen ohne jede Möglichkeit einer einschränkenden Regulierung ausgesetzt zu sein, wodurch unter Umständen eine ausreichende medizinische Versorgung beeinträchtigt werden könnte. Die Behandlung muss aber jedenfalls dem jeweiligen medizinischen Standard in Österreich entsprechen. Wie bereits dargelegt, muss die Behandlung im Leistungsumfang der Krankenversicherung ausreichend und zweckmäßig sein und darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Dabei gibt es im Sozialversicherungsrecht keine Festlegung auf die Schulmedizin. Somit bestehen im Rahmen der Anwendung von Therapiemethoden, die außerhalb der Schulmedizin liegen (Alternativ- oder Komplementärmedizin), erhebliche Unsicherheiten, ob und in welchem
Umfang eine Kostenträgerschaft der Kassen entsteht. Jedenfalls muss der behandelnde Arzt dem Patienten darüber Auskunft geben, ob eine Leistung von der Krankenkasse übernommen wird oder nicht. Unter Zugrundelegung der Patientenautonomie und des Selbstbestimmungsrechts des Patienten besteht eine erweitere Aufklärungspflicht des Arztes darüber, dass (unter Umständen alternative) Behandlungsmethoden zur Anwendung kommen, die von den Kassen nicht getragen werden. Das gesetzlich festgelegte Ökonomiegebot wird in den Richtlinien des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger (RÖK) sowie der Judikatur näher konkretisiert. Demnach ist bei mehreren, gleich zweckmäßigen Behandlungsmethoden diejenige zu wählen, bei der die Relation der Kosten zum Heilerfolg am günstigsten ist. Seit der 50. ASVG-Novelle 1992 kann das Gebot der wirtschaftlichen Betrachtungsweise durch eine Richtlinie des Hauptverbandes nach §31 Abs. 5 Z 10 ASVG konkretisiert werden. Demnach ist es zulässig, besondere Behandlungs- und Untersuchungsmethoden wie etwa Röntgenaufnahmen oder kosmetische Behandlungen an die vorherige Zustimmung des Krankenanstaltenversicherungsträgers (Chefarzt) zu binden. Der Hauptverband hat gemäß §31 Abs. 5 Z 10 ASVG unter Beachtung von §133 Abs. 2 ASVG die „Richtlinien über die Berücksich13
tigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung“ (RÖK) aufzustellen. Der Zweck der Krankenbehandlung darf durch die RÖK nicht gefährdet werden. Beim Ökonomiegebot und den Richtlinien handelt es sich um Verordnungen, weshalb – wie sich auch aus dem Ausdruck „Richtlinien“ ergibt – hier keine allgemeine Normwirkung intendiert ist. Die RÖK gelten gemäß §31 Abs. 5 Z 10 ASVG für die Vertragspartner und sind über diesen Umweg daher für die einzelnen Kassenärzte verbindlich. Nicht verbindlich sind sie jedoch für die Versicherten und für die Wahlärzte. In ihrer Rechtsqualität stehen das Ökonomiegebot und die Richtlinien unter dem Gesetz, sie können daher die Ansprüche des Versicherten nicht begrenzen, allenfalls jedoch konkretisieren. Die Richtlinien beinhalten ökonomische Grundsätze, nach denen die ärztliche Hilfe, die dieser gleichgestellten Leistungen, die Abgabe von Heilbehelfen durch andere Vertragspartner als Apotheker und Hausapotheken führende Ärzte als ausreichend, zweckmäßig und das Maß des Notwendigen nicht übersteigend zu beurteilen sind, sowie die Maßnahmen, welche die Einhaltung dieser Grundsätze sicherstellen sollen. Die RÖK zählen jene Leistungen auf, die entweder allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen erst nach einer chefkontrollärztlichen Bewilligung auf Rechnung des Krankenanstaltenversicherungsträgers 14
vom Vertragspartner angewendet werden dürfen. Gemäß §3 Abs. 2 Satz 2 RÖK wird eine Krankenbehandlung nach dem jeweils aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft gefordert. Garantiert wird, dass die jeweils neuesten Behandlungsmethoden Anwendung finden müssen. Es können jedoch alle erforderlichen Einschränkungen über die Kriterien der Zweckmäßigkeit und des Ökonomiegebots hergestellt werden. Die Anwendung des Ökonomiegebotes eines Vertragsarztes kann unter Umständen zu haftungsrechtlichen Problemen führen. So ist für den Fall, dass beim Patienten eine Spezialbehandlung angezeigt scheint, eine Weiterverweisung oder jedenfalls eine Aufklärung über diesen Umstand erforderlich. In diesem Sinne hat auch der Oberste Gerichtshof im Jahr 1990 (OGH 12.9.1990, 1 Ob 651/90, JBl 1991, 455) entschieden: Ein Allgemeinchirurg führte eine kosmetische Operation durch. Für diesen operativen Eingriff gab es zum damaligen Zeitpunkt in Österreich maximal 50 Fachkräfte. Mangels einer ausreichenden Aufklärung der Patientin auch über die alternativen Möglichkeiten der plastischen Chirurgie ging der Oberste Gerichtshof davon aus, dass keine rechtswirksame Einwilligung zur Vornahme der Operation durch die Patientin vorlag. Insgesamt besteht eine Regelungsmöglichkeit in der Sozialversicherung durch die Richtlinien. Diese wenden sich an die Gesamtvertragsparteien und müssen ge-
Grundlagen setzeskonform sein, was bedeutet, dass sie nur das bestehende Ökonomiegebot korrekt konkretisieren können und somit nicht den Wahlbehandlerbereich erfassen. Gesamtverträge können das Leistungsrecht weder verbessern noch verschlechtern, sondern transformieren lediglich die gesetzlichen Ansprüche in die Umsetzungsinstrumente der Gesamt- und Einzelverträge. Die Bescheide der Sozialversicherungsträger müssen sich dabei selbstverständlich an das vorhandene gesetzliche oder in der Satzung nach Ermächtigung des Gesetzes festgelegte Leistungsrecht halten. Eine unterschiedliche Leistungserbringung der Sozialversicherungsträger in den Bundesländern ist meines Erachtens nicht verfassungswidrig. Allenfalls können Bescheide der Sozialversicherungsträger bekämpft werden, welche sich an das vorhandene gesetzliche oder in der Satzung nach Ermächtigung des Gesetzes festgelegte Leistungsrecht halten müssen. Jedenfalls besteht sehr wohl die Möglichkeit, dass der Dachverband der Sozialversicherungen eine bundesweit einheitliche Regelung über die Richtlinienkompetenz trifft. Für den einzelnen Vertragsarzt besteht jedenfalls gegenüber dem Patienten eine Verpflichtung, darüber aufzuklären, dass er unter Umständen gewisse Leistungen nicht erbringen kann und der Patient die Möglichkeit hat, sich für die Inanspruchnahme solcher Leistungen an einen Wahlarzt zu
wenden. Anderenfalls könnten unter Umständen haftungsrechtliche Probleme im Sinne einer Aufklärungspflichtverletzung drohen. Sollte sich der Patient dennoch für die durch das Vertragsarztsystem sichergestellte Leistung entscheiden, dann ist der Vertragsarzt jedenfalls gut beraten, diesen Umstand einer vorangegangenen Aufklärung über die zu erbringenden medizinischen Maßnahmen zu dokumentieren.
Kurzfristige Budgetsanierung oder gesundheitspolitischer Weitblick? In der Tat fühlen sich viele Bürger dieses Landes durch die gelebte Gesundheitspolitik verunsichert. Während in fast allen Lebensbereichen vom Allheilmittel Privatisierung gesprochen wird, scheinen im Gesundheitswesen andere Gesetze zu gelten. Ein staatliches Unternehmen mit öffentlichem Versorgungsauftrag nach dem anderen wird privatisiert, man wolle die Synergien durch private Führung und effiziente Verwaltung nutzen, heißt es. Beispiele dafür sind Post oder Bahn. Warum geht das im staatlichen Gesundheitssystem nicht? Wesentliche grundlegende Versorgungselemente wie „Ernährung“ lassen sich doch nachweislich privat wesentlich besser organisieren? Die Antwort ist für uns ganz klar. Bei Post oder Bahn hat der Kunde sehr wohl eine Wahlmöglichkeit – nämlich auf die angebotene Dienstleistung 15
überhaupt zu verzichten. Diese Möglichkeit besteht im staatlichen Gesundheitssystem nicht. Die meisten in Österreich lebenden Personen unterliegen einer Pflichtversicherung (im Gegensatz zu einer etwaigen Versicherungspflicht). Der „Kunde“ hat keine Chance zu entkommen und lässt sich mittlerweile – offenbar noch sehr geduldig – einige Einschränkungen gefallen, die unseres Erachtens verfassungsrechtlich bedenklich sind und sich still und leise während einiger Jahrzehnte eingeschlichen haben. Bei einer Öffnung des Marktes für „Pflichtversicherung“ würde wahrscheinlich der Großteil der Arbeitgeber auf wettbewerbsfähige Anbieter ausweichen, so wie das in anderen Ländern mit dieser Möglichkeit beobachtet werden kann. Damit könnten – in Abhängigkeit von der Versicherungsprämie – entsprechend mehr oder weniger Leistungen angeboten werden. Der Patient hätte die Wahl der Krankenversicherung, was auch zu einem wirtschaftlichen Wettbewerb in dieser Branche führen würde. Der Bedarf an medizinischer Betreuung wird im bestehenden System unseres Erachtens nicht danach beurteilt, wie er sich tatsächlich darstellt, sondern von den Kassen anhand irrationaler Ersatzkriterien geschätzt. Basis ist nicht die Notwendigkeit der Dienstleistung, sondern etwa das kurzfristige Budget. Wie kommt es ansonsten 16
zustande, dass für ärztliche Leistungen in den Bundesländern höchst unterschiedliche Tarife festgelegt sind und die Ärzte menschenverachtenden Limitierungen unterliegen? Bei der Gebarung der Sozialversicherungen geht es schon lange nicht mehr um die optimale Versorgung der Bevölkerung oder um den optimalen Einsatz bestehender finanzieller Mittel zur Erreichung dieses Ziels. In diesem bereits zu Tode verwalteten System geht es nur noch um das Finden eines möglichst eleganten Wegs, dem Patienten notwenige medizinische Dienstleistung vorzuenthalten. In einem dem Kommunismus gleichenden System stehen kurzfristige Budgetsanierung sowie das Sichern von Pfründen im Vordergrund. Unzählige Systeme mit komplett unvergleichbaren Modalitäten werden von einem an einen „Wasserkopf“ erinnernden Hauptverband verwaltet. Intramural und extramural sind komplett voneinander abgekoppelt, auch was die Budgets betrifft – und das in einem Land, wo die Sozialversicherungsbeiträge halbwegs vereinheitlicht sind. Patienten können trotz e–Card hemmungslos Gesundheitsdienstleistungen konsumieren, ohne dass die eine Hand von der anderen weiß. Kassenärzte sind die Schärgen dieses Systems, die sich durch ihre eigene Interessenvertretung schon seit langem in eine ausweglose Situation haben hinein manövrieren lassen.
Grundlagen Ein gutes Beispiel für „Weitblick“ sind öffentliche Apotheken. Das klassische Berufsbild des Apothekers hat sich in den vergangenen Jahrzehnten antiquiert, ähnlich wie das eines Wagenschmiedes oder Fassbinders. Letztere haben aufgrund der technischen Entwicklung und des allgemeinen Fortschritts in der breiten Öffentlichkeit kaum mehr Möglichkeiten, ihre Dienstleistung erfolgreich anzubieten.
führen. Auf deren Bedürfnisse und Interessen wird immer weniger eingegangen. Änderungen in naher Zukunft zeichnen sich nicht ab, da es offenbar politisch möglich ist, einzig bei Ärzten und Patienten Abstriche bei den bestehenden Ansprüchen einzufordern. Vom Antasten der Pfründe aller anderen am System Beteiligten ist nie die Rede.
Anders die Apotheker: Sie werden im öffentlichen Gesundheitswesen eigentlich nicht mehr gebraucht, verteidigen aber erfolgreich ihren Gebietsschutz und bekommen von den Kassen für Medikamente mehr bezahlt als dies beispielsweise bei einem allgemeinen Dispensierrecht für Ärzte der Fall wäre. Apotheken haben nämlich einen anderen, unschätzbaren Wert für die Verwalter dieses Krankenbehandlungssystems ohne gesundheitspolitischen Weitblick: Sie sind Handlanger der Selbstmedikationswelle, die so manchen Patienten von einer Arztpraxis oder Ambulanz fernhält, und tragen somit zur Schonung der Staatsfinanzen bei. Das ist offenbar das Zugeständnis überhöhter Verkaufsspannen wert. Die politisch Verantwortlichen vergessen jedenfalls konsequent, dass nicht sie es sind, die das Gesundheitssystem bezahlen. Sie verwalten nur auf höchst uneffiziente Weise jenes Geld, das Firmen und Arbeitnehmer, also die Beitragszahler, verdienen und ab-
Ausgewählte Lebenslügen der modernen Gesundheitspolitik Von Walter Krämer
Viele Wahrheiten des Gesundheitssystems kommen nicht zu Tage, da die handelnden Personen teilweise durch Betriebsblindheit geschützt sind. Dies führt dazu, dass manche Fakten übersehen oder aber bewusst nicht gesehen werden. Das Gesundheitswesen ist eines der besten Anschauungsfelder, wenn es um das Verdrängen unangenehmer Wahrheiten geht. Ich habe sogar den Eindruck, je höher die intellektuellen Fähigkeiten, desto ausgefeilter sind auch die mentalen Selbstbetrugsmanöver, mit denen man ein lieb gewordenes Weltbild vor allen möglichen Attacken schützt.
LÜGE NUMMER 1: Das Gesundheitswesen dient vor allem den Patienten. 17
Natürlich dient jedes Gesundheitssystem auch den Patienten. Aber es dient auch jenen Personen, die darin ihr Geld verdienen. Wenn es nämlich nicht möglich wäre, damit Geld zu verdienen, dann gäbe es das moderne Gesundheitswesen, so wie wir es heute kennen, nicht.
zugleich auch dem Gemeinwohl dient. Ein Gesundheitssystem, das nur funktioniert, wenn alle Ärzte und Patienten und auch die Pharmaindustrie Engel wären, ist immer zum Scheitern verurteilt. Wie uns die Entwicklung im ehemaligen Ostblock zeigt, ist es auch gescheitert, da es Engel nicht auf dieser Erde gibt.
Nach Adam Smith, Moralphilosoph, Soziologe und Begründer der modernen Nationalökonomie, sorgt in einer idealen Gesellschaft eine unsichtbare Hand dafür, dass das Streben nach dem eigenen Nutzen
LÜGE NUMMER 2: Die Ausgabenexplosion im Gesundheitswesen ist ein Preisproblem
PREISVERGLEICH GESUNDHEITSGÜTER Calciparin – 10 Ampullen Zahn ziehen (einwurzlig)
TA B E L L E 3
2005
Steigerungsrate
42,17
31,38
–26%
4,95
3,94
–20%
16,60
15,24
–8%
Yxin Augentropfen (10 ml)
2,47
2,87
12%
Einfache Beratung (Arzt)
2,31
4,66
103%
Mischbrot (dunkel 1 kg)
1,04
2,14
106%
Standardbrief (Inland)
0,26
0,55
112%
Adalat (10 mg, 50 St.)
Superbenzin (1l, bleifrei)
0,46
1,24
170%
1 Stunde Tennisunterricht
11,38
33,00
190%
Kotflügel lackieren
55,61
80,00
224%
8,03
43,00
435%
Frisör Damen (Haare färben) Preisvergleich Gesundheitsgüter in Deutschland (DM-Preise 1975 in Euro umgerechnet)
18
1975
Grundlagen G R O S S G E R ÄT E U N D O R G A N T R A N S P L A N TAT I O N E N 1989
1993
1999
2003
Computertomograph (CT)
64
130
208
219
Kernspin Tomograph (MRI)
8
9
68
108
Positronenemissionstomograph (PET)
0
0
3
12
TA B E L L E 4
A. Medizinische Großgeräte in Österreich
1965
1975
1985
1995
2005
Niere
3
165
1274
2128
2189
Herz
0
1
66
498
396
Leber
0
0
52
595
804
Lunge
0
0
10
84
262
Bauchspeicheldrüse
0
0
11
63
172
B. Organtransplantationen in der Bundesrepublik Deutschland
Zunahme bei Großgeräten und Organtransplantationen
Eine häufige Lebenslüge ist die Illusion, dass ein Preisstopp im Gesundheitswesen die Finanzierbarkeit garantieren könnte. Betrachtet man die Zahlen der Sozialversicherungsträger, sehen wir uns mit steigenden Arzneimittelkosten konfrontiert. Im Regelfall wird aber verschwiegen, dass Ausgaben immer das Produkt von zwei Faktoren darstellen, nämlich dem Einzelpreis und der Menge. Betrachtet man die Kostenentwicklung der letzten 50 Jahre, so kann man feststellen,
dass nicht die Preise, sondern ganz klar die Mengen der Hauptmotor für die Kostenexplosion gewesen sind. Dies ist für die Arzneimittel genauso zutreffend wie für den ganzen Rest des Medizinbetriebs. Die Preise von Gesundheitsgütern steigen in aller Regel langsamer und nicht schneller als andere Preise, teilweise sind sie sogar gesunken (Tabelle 3). Wenn also im Gesundheitswesen die Gesamtausgaben steigen, dann in erster Linie der Mengen und nicht der Preise wegen. Geradezu dramatisch ist 19
die Mengenausweitung bei Großgeräten und Organtransplantationen (Tabelle 4). Das Prinzip ist also einfach, denn was nicht existiert, kann auch keine Kosten verursachen. Das beginnt mit der Einführung der Antibiotika und hört bei der Kernspintomographie auf. Dieser Punkt unterscheidet die Medizin wesentlich von der EDV, die ja auch in den letzten Jahrzehnten einen rasanten Fortschritt zu verzeichnen hatte. Aber anders als in der Medizin hat dieser Fortschritt das Angebot nicht verteuert, sondern sogar enorm verbilligt. Der Grund dafür ist, dass der Fortschritt in der EDV vor allem so genannte „Ersatztechnologien“ produziert, also Verfahren, womit eine bekannte Leistung, das Lösen eines (bereits lösbaren) Problems oder die Administration von Arbeitsabläufen effizienter möglich und damit auch billiger durchzuführen ist. Solche Ersatztechnologien gibt es auch in der Medizin, etwa in der Arzneimitteltherapie. So ist die Zahl der Magenoperationen durch den Einsatz endoskopischer Techniken und die Entwicklung neuer Medikamente massiv zurückgegangen. Dieses Beispiel stellt aber ganz klar eine Ausnahme dar. In der modernen Medizin dominieren eindeutig die so genannten „Zusatztechnologien“, also Verfahren, die bisher Unmögliches auf einmal möglich machen. Zusatztechnologien, wie Organtransplantationen oder Operationen am offenen Her20
zen, erzeugen erst einen Bedarf, der vorher allenfalls latent vorhanden war. Die meisten medizinischen Fortschritte sind genau von diesem Typ. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen, die Nanotechnologie steht beispielsweise erst am Beginn einer völlig neuen Ära.
LÜGE NUMMER 3: Die Ausgabenexplosion im Gesundheitswesen ist eine Folge der Überalterung der Bevölkerung Diese Aussage ist eindeutig falsch. Die mit Abstand höchsten Aufwendungen für Gesundheit gibt es im Regelfall im letzten Jahr bzw. sogar in den letzten zwei Wochen vor dem Tod. Dabei ist unerheblich, ob man mit 50, 60, 70 oder 80 stirbt. Die höchsten „Kosten des Sterbens“ verursachen die 50bis 60-Jährigen. Das heißt in dem Umfang, wie diese „Kosten des Sterbens“ mit wachsendem Lebensalter abnehmen, wird unser Gesundheitswesen durch das Älterwerden der Bevölkerung sogar billiger!
LÜGE NUMMER 4: Prävention ist Kosten senkend Zweifellos sind Vorsorgeuntersuchungen und Prävention von Krankheiten positiv zu bewerten. Der Selbstbetrug beginnt jedoch,
Grundlagen wenn man glaubt, dass Prävention dazu beitragen kann, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Das liegt daran, dass das statistische Grundproblem im Gesundheitswesen immer bestehen wird: Niemand ist unsterblich, die Sterberate der Patienten liegt bei 100 Prozent. Natürlich leben Nichtraucher statistisch gesehen länger als Raucher, doch auch Nichtraucher müssen sterben, genauso wie Anti-Alkoholiker, Müsli-Freunde und sportlich aktive Menschen. Die Prävention einer Erkrankung macht Platz für eine andere Erkrankung. Stirbt man nicht an Krebs, weil man vorsorgt, ereilt uns ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall. Ob eine erfolgreiche Prävention das Gesundheitsbudget entlastet oder nicht, hängt also davon ab, was billiger ist: die verhinderte Krankheit, oder die, die man statt dieser bekommt. Ich denke hier an die berühmte Untersuchung von Leu und Schaub von der Universität Basel/Schweiz zu Rauchen und Gesundheitskosten im Jahr 1983: „Does Smoking Increase Medical Care Expenditure?“ Unter anderem kamen die Autoren darin zu dem Resultat, dass die Schweiz langfristig eher mehr statt weniger für die Gesundheit ausgeben müsste, wenn es dort seit 100 Jahren keine Raucher gäbe. So paradox das auf den ersten Blick auch klingt, aber das Gesundheitswesen würde durch ein
totales Rauchverbot nicht billiger, sondern langfristig nur noch teurer, weil nämlich die Kosten, die in den Extra-Lebensjahren des Nichtrauchers entstehen, die vorher gesparten Ausgaben mehr als aufwiegen. Wenn man also ernst nimmt, was man immer wieder zu Bonus-Malus beim Krankenkassenbeitrag liest, müssten Raucher keinen Malus, sondern einen Bonus auf ihren Beitrag eingeräumt erhalten. Das wäre – nebenbei bemerkt – auch die beste Methode, sie von diesem Laster ein für allemal zu heilen. Unter reinen Kostenaspekten – und lassen Sie mich hier betonen, dass es auch noch andere Aspekte als die Kosten gibt – ist Prävention in der Regel ein Verlustgeschäft. Ich habe überhaupt nichts gegen gesundes Leben und freiwillige Prävention. Auch wenn Prävention keine Kosten spart, kann sie ja trotzdem sinnvoll sein, und in der Regel ist sie das ja auch. Bedenken habe ich daher auch weniger zum „ob“, sondern mehr zum „wie“ der Prävention. Prävention verlangt nämlich nach Zwang. Freiwillig hat sie auf dieser schönen Erde noch niemals lange funktioniert, so dass hinter dem Zuckerbrot, mit dem man uns gesundes Leben schmackhaft machen will, meist eine große Peitsche droht. Darüber kann auch die bekannte Kundenfänger-Kampagne mit dem Motto „Prävention 21
macht Spaß“ in Deutschland nicht hinwegtäuschen. Prävention macht nämlich durchwegs keinen Spaß – mir jedenfalls nicht. Ich muss mich zum Zähneputzen genauso zwingen wie zur Frühgymnastik oder zum Verzicht auf ein weiteres Glas Wein, wenn es mir gerade besonders gut schmeckt. Bestimmte Zwangsmaßnahmen halte ich jedoch durchaus für sinnvoll. Das ist etwa dann der Fall, wenn Prävention so genannte „externe Effekte“ hat, wie das im Fachjargon der Ökonomen heißt. Ein Paradebeispiel sind Schutzimpfungen, denn hier schützt man durch Prävention nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Hier ist die Frage „Prävention ja oder nein?“ eben nicht jedermanns eigenes Bier, hier ist meiner Ansicht nach Zwang durchaus erlaubt. Aber ich habe auch schon Schlagzeilen gelesen wie: „Krebsärzte fordern: Vorsorge als Pflicht“ – und das geht mir eindeutig zu weit. Mit Krebs hat sich schließlich meines Wissens noch nie jemand angesteckt. Karl der Große soll zu seinen Ärzten gesagt haben, als diese ihm gebratenes Fleisch verboten, an dessen Stelle er gekochtes essen könne, sie sollten „sich zum Teufel scheren“. Was Karl dem Großen Recht war, sollte uns billig sein. Eine wirklich freie Gesellschaft sollte sich im Zweifelsfall dazu durchringen, ihre Bürger nach eigener Fasson leben, aber auch nach eigener Fasson krank werden und sterben zu lassen. 22
LÜGE NUMMER 5: Je besser die Medizin, desto zufriedener die Kranken Halten wir vorläufig fest: Wäre die moderne Medizin heute nicht so leistungsfähig, dann wäre sie auch nicht so teuer, und außerdem hätten die Menschen weniger Angst davor. Das Gesundheitswesen als medizinisch-technischer Reparaturbetrieb wird zwar immer effizienter, aber die Kunden alias Patienten werden nicht notwendigerweise zufriedener. Heute sind doch Elektronik und Chemie, nicht Anteilnahme oder Mitgefühl, fast die wichtigsten Zutaten des Heilerfolgs. Das ärztliche Gespräch und die Zeit, die ein Arzt mit dem Patienten verbringt, finden in keinem Honorarkatalog einer Krankenkasse eine adäquate Bewertung. War früher Mitgefühl fast noch das Einzige, was Ärzte ihren Patienten anbieten konnten, so lenkt es heute oft nur von der Arbeit ab. Der Medizin-Nobelpreis wird mittlerweile auch an Physiker und Ingenieure verliehen, z.B. 1979 an Godfrey Hounslow und Allan Cormack für die Entwicklung der Computertomographie, und sogar im Operationssaal werden Menschen heute schon durch Roboter ersetzt. Das Dumme ist nur: Wer liebt schon einen Roboter?
Grundlagen LÜGE NUMMER 6: Ein medizinisch effizienteres Gesundheitssystem macht die Bevölkerung gesünder Die moderne Medizin ist aber noch in einem weiteren Sinn zum Opfer ihres eigenen Erfolges geworden, was häufig übersehen wird – wahrscheinlich, weil wir es nicht sehen wollen: Erstens macht die modern Medizin das Gesundheitswesen nicht billiger, sondern teurer. Zweitens macht sie die Patienten nicht zufriedener, sondern zusehends rebellisch. Und drittens macht sie die Menschen im Durchschnitt nicht gesünder, sondern eher kränker. Ich meine damit Folgendes, das am besten durch ein Zitat eines alten Klinkers deutlich wird, den ich auf einer Tagung einmal habe sagen hören: „Früher hatten wir es einfach. Da war der Patient nach einer Woche entweder gesund oder tot.“ Das ist heute anders. Heute ist der typische Patient nach einer Woche weder gesund noch tot. Heute hält die Medizin im Gegensatz zu früher ein großes Arsenal von Abwehrwaffen vor, aber diese sind zu einem großen Teil, wie die Amerikaner sagen, nur „halfway-technologies“: Sie halten uns zwar am Leben, machen uns aber nicht komplett gesund. Das ist zwar kein hundertprozentiger, aber trotzdem ein Erfolg. Ohne die moderne Medizin wären viele Leser dieses Buches schon lange tot, die Überlebenden dafür aber im
Durchschnitt – ich betone: im Durchschnitt – eher gesünder. Nehmen wir als Beispiel das Nierenversagen. Wir haben in Deutschland und Österreich mit die höchsten Raten an Nierenkranken in der ganzen Welt, aber doch nicht, weil unsere Medizin so schlecht ist, sondern weil sie so gut ist. Hätten wir nicht die weltweit vorbildlichen Möglichkeiten der künstlichen Blutwäsche für alle, die sie brauchen, gäbe es heute bei uns sehr viele Nierenkranke weniger. In England beispielsweise gibt es kaum 600 Nierenkranke pro Million Einwohner, verglichen mit mehr als 1.000 in der Bundesrepublik Deutschland. Der Grund dafür ist nicht, dass diese Krankheit in England seltener auftritt, sondern weil dort – viel öfter als bei uns – ein Nierenkranker seinen 60. Geburtstag nicht überlebt. Ohne medizinischen Fortschritt wäre der Durchschnitt der Überlebenden heute gesünder. Der moderne Arzt ist also weniger ein weißer Engel, der uns die Tür zum ewigen Leben aufschließt, als vielmehr ein neuer Sisyphus, dessen Mühen und Sorgen mit jedem Erfolg nur immer größer werden. Der einzelne Patient wird natürlich durch die Medizin gesünder, aber der Durchschnitt der Überlebenden wird dadurch kränker. Die große Gleichung „mehr Geld = mehr Gesundheit“ ist ganz eindeutig falsch. Genauso könnten Sie versuchen, einen Brand zu löschen, indem Sie Benzin hineinschütten. 23
Je mehr die Medizin sich anstrengt, desto kränker werden wir. Die moderne Medizin sitzt ein für allemal in einer großen Fortschrittsfalle fest.
LÜGE NUMMER 7: Der freie Markt ist die Lösung aller Probleme Mehr Markt wäre sicher ein großer Schritt in die richtige Richtung, wie die steigende Zahl der Wahlärzte in Österreich eindeutig zeigt. Auch kann ich es überhaupt nicht nachvollziehen, warum Menschen, die mehrere 10.000 Euro für ein neues Auto oder tausende von Euro für teure Urlaubsreisen ausgeben, nicht auch ein paar Tausend Euro für Gesundheitsgüter wie Kuren oder sonstige Befindlichkeitsverbesserungen, die auch einen hohen Konsumgutanteil haben, ausgeben können. Heute ist es doch fast selbstverständlich, dass man etwa Brillen großteils selbst bezahlt, und das ließe sich ohne großen Volksaufstand auch noch auf das eine oder andere zusätzliche Heil- und Hilfsmittel übertragen. Leider ist aber dieses Wundermittel Marktwirtschaft nicht auf alle Teile unseres Medizinbetriebes anzuwenden. Geht es um Leben oder Tod, ist Rationierung durch den Markt, wie elegant und effizient auch immer, selbst im Weltbild eines extremen Wirtschaftsliberalen nicht mehr unter einen Hut zu bringen. 24
LÜGE NUMMER 8: Rationalisierung verhindert Rationierung Die mit Abstand am heftigsten verteidigte Lebenslüge ist die von der Vermeidbarkeit der Rationierung. An einer Rationierung im Gesundheitswesen führt kein Weg vorbei, die Frage ist nur „Wie?“ bzw. „Geht das überhaupt?“ Eine ganz wichtige Klarstellung vorweg: Ich fälle hier keine Werturteile, sondern konstatiere zunächst einmal nur Fakten. Ich sage nicht: „Die Medizin soll rationiert werden“, sondern: „Die Medizin wird rationiert werden“ – und das ist ein großer Unterschied. Das eine ist ein Wunsch oder ein Werturteil, das andere die völlig wertneutrale Feststellung einer Tatsache, für die ich als Statistiker genauso wenig verantwortlich bin wie Klimaforscher für das Ozonloch. Tatsache ist: In der modernen Medizin gibt es ein Bedarfsloch, einen Überhang des theoretisch Machbaren über das praktisch Finanzierbare. Wenn also nicht Rationierung durch den Markt, wie dann? Dabei wären unter anderem die folgenden Prinzipien denkbar (von denen mir eines so suspekt ist wie das andere): 1 Wir verteilen wie auf der Titanic die Rettungsboote nur noch an die Erste Klasse. In den USA zum Beispiel haben jemand ohne dickes Bankkonto kaum eine Chance auf ein neues Herz.
Grundlagen 2 Der „soziale Wert“ bestimmt, wer leben darf und wer sterben muss. Ein arbeitsloser Junggeselle zieht dann gegen einen seriösen Familienvater mit acht Kindern eventuell den Kürzeren. 3 Keine Herzverpflanzungen oder andere teuren Therapien für Patienten ab einem bestimmten Lebensalter, was heute in durchaus zivilisierten Ländern wie Großbritannien oder Schweden schon standardmäßig praktiziert wird. Ich glaube, hier sind wir uns wieder alle einig: Solche Methoden wollen wir in Deutschland und sicher auch in Österreich nicht. Und wir brauchen sie auch nicht. Das Stichwort zur Lösung heißt dabei „Statistische versus individuelle Menschenleben“. Lassen Sie mich an einem Beispiel verdeutlichen, was ich damit meine. Angenommen, ein Schiff ist in Seenot. Keine Frage, dass zur Rettung der bedrohten Besatzung alles Menschenmögliche zu unternehmen ist. Meinetwegen mag dafür die gesamte Seenotrettungsflotte auslaufen. Bei einem individuellen, konkreten Menschenleben haben Kosten-Nutzen-Analysen keinen Platz. Ein konkretes Menschenleben ist kein ökonomisches Gut und hat daher auch keinen Preis. Punkt. Daran ist nicht zu rütteln. Das heißt aber nicht, dass wir in jedem Nordseehafen zehn Seenotrettungskreuzer stationieren müssen. Dieses Prinzip gilt
auch im Gesundheitswesen. Auch hier sind zur Rettung konkreter Menschen keine Kosten und Mühen zu scheuen, Kostendämpfung hin oder her. Das heißt aber nicht, dass wir nicht vor Eintreten des Eventualfalls die Kapazitäten beschränken dürften, denn das trifft keine konkreten Patienten, sondern nur die Wahrscheinlichkeit eines frühzeitigen Todesfalls nähme für alle Bundesbürger zu. Und das ist ein ganz großer und zentraler Unterschied. So also könnte eine humane Rationierung im Gesundheitswesen idealer weise aussehen: weg von der Mikroebene, weg von der Front, hin auf eine möglichst hohe, abstrakte Planungsebene, wo es nur um Wahrscheinlichkeiten und nicht um individuelle Menschenleben geht. Es sollte auch in Zukunft kein Patient das Gefühl haben müssen: „Bei mir wird gespart, weil ich weniger wert bin als andere.“ Und das lässt sich den Menschen auch problemlos vermitteln. Denn mit Risiken, mit Überlebenswahrscheinlichkeiten hantieren wir jeden Tag, und nehmen für ein paar Euro gern in Kauf, dass wir deshalb vielleicht früher sterben müssen. Wussten Sie, dass mehrere hundert von den 5.000 Verkehrstoten in Deutschland letztes Jahr heute noch leben könnten, wenn sie in einem Daimler-Benz gesessen hätten? Aber trotzdem gibt es dieses Auto nicht auf Kosten der Krankenkasse, und niemand hat sich bis jetzt deshalb beschwert. 25
Wie auch immer wir die knappen Gesundheitsgüter verteilen, ob per Versteigerung an den Meistbietenden, ob über Warteschlangen, ob über staatliche Zuteilung oder, wie ich hier vorgeschlagen habe, durch Sparen auf der Planungsebene, eines steht fest: Es muss rationiert werden. Durch die enormen Erfolge der Vergangenheit hat die moderne Medizin sich selbst und die Gesellschaft als ganzes in eine regelrecht tragische Situation geführt, in der es, wie in einer griechischen Tragödie, nur sehr schwer einen ehrenvollen Ausweg gibt. Diese Diagnose ist nicht neu, sie ist etwas über 200 Jahre alt. Lassen Sie mich deshalb schließen mit einem Satz von Goethe, den dieser schon 1798 aus Italien an Frau von Stein geschrieben hat: „Ich halte es für wahr, dass die Humanität endlich siegen wird, nur fürchte ich, dass die Welt ein großes Hospital und einer des anderen humaner Krankenwärter werden wird.“ Das ist die Situation, wie ich sie sehe. Machen wir das Beste draus.
Ärztekammern in der Sackgasse? Die Ärztekammer hat als Standesvertretung die Interessen aller Mitglieder zu wahren, unter Berücksichtigung der einzelnen Bedürfnisse der verschiedenen Fachgebiete und Gruppierungen. Neun Landesärztekammern und eine Bundesärztekammer nehmen diese Interessensvertretung wahr. Bis 31. 26
Dezember 2005 wurden auch die Interessen der Zahnärzte durch die Ärztekammer wahrgenommen, seit 1. Jänner 2006 gibt es die eigenständige Zahnärztekammer. Die Ärztekammer sollte keinesfalls dazu dienen, persönliche Interessen unter dem Vorwand von Allgemeininteresse in den Vordergrund zu stellen.
Kammerstruktur Das Ausscheiden der Zahnärzte aus der Ärztekammer hat auch Strukturänderungen innerhalb der Standesvertretung zur Folge, die teilweise erst in der nächsten Funktionsperiode nach der Kammerwahl 2007 umgesetzt werden. Die derzeit gültigen Strukturen sehen wie folgt aus:
Präsident Der Präsident vertritt die Ärztekammer nach außen. Zu seinen Aufgaben gehört, die Einheit des Ärztestandes zu wahren. Ihm obliegt die Durchführung der Beschlüsse der Organe der Kammer, soweit sie nicht dem Kammervorstand vorbehalten sind. Der Präsident leitet die Geschäfte der Kammer und fertigt alle Geschäftsstücke, welche die Kammer verlassen.
Vizepräsident Der Präsident wird im Falle seiner Verhinderung von einem der Vizepräsidenten vertreten. Wurden bei einer Ärztekammer zwei oder drei Vizepräsidenten gewählt, so
Grundlagen erfolgt die Vertretung in der durch die Wahl festgelegten Reihenfolge. Ab der nächsten Funktionsperiode (Frühjahr 2007) sind die Kurienobmänner automatisch Vizepräsidenten. Zusätzlich obliegt es der Vollversammlung, allenfalls die Position eines zusätzlichen Vizepräsidenten einzurichten.
Vollversammlung Alle gewählten Mandatare einer Landesärztekammer (Kammerräte) bilden die Vollversammlung. Die Zahl der Kammerräte in einem Bundesland wird jeweils in der der einer Kammerwahl vorausgehenden Vollversammlung festgelegt. Die Vollversammlung wird im Regelfall zweimal jährlich einberufen. In den Aufgabenbereich der Vollversammlung fallen weiters die Wahl des Präsidenten und des oder der Vizepräsidenten, die Festsetzung der Zahl der weiteren Vorstandsmitglieder, die Wahl des Verwaltungsausschusses, des Beschwerdeausschusses und des Überprüfungsausschusses des Wohlfahrtsfonds. Weitere Aufgaben dieses Gremiums sind die Beschlussfassung über den Jahresvoranschlag und den Rechnungsabschluss, die Erlassung einer Umlagenordnung, die Erlassung einer Wohlfahrtsfondsbeitragsordnung sowie einer Satzung des Wohlfahrtsfonds. Auch die Festsetzung einer Diäten- und Reisegebührenordnung, aber auch die Festlegung der Aufwandsentschädigungen, Sit-
zungsgelder und Bearbeitungsgebühren für Funktionäre und Referenten der Ärztekammer ist Aufgabe der Vollversammlung. Dazu kommen die Erlassung der Satzung, der Geschäftsordnung und der Dienstordnung für das Personal der Ärztekammer. Beschlussfassungen in allen Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit des Vorstandes fallen und deren Entscheidung sich die Vollversammlung vorbehalten hat, fallen ebenso in den Kompetenzbereich dieses Gremiums wie Entscheidungen, die der Kammervorstand auf Grund ihrer besonderen Wichtigkeit der Vollversammlung vorlegt.
Kammervorstand Der Kammervorstand ist zur Wahrung der gemeinsamen Belange der Ärzteschaft berufen. Er besteht aus dem Präsidenten, den Vizepräsidenten, den Kurienobmännern und ihren Stellvertretern, dem Finanzreferenten, dem Wohlfahrtsfondsvorsitzenden und den weiteren Kammerräten, die in der Vollversammlung gewählt wurden. Diesem Gremium obliegt die Bestellung des Finanzreferenten, des stellvertretenden Finanzreferenten sowie allfälliger weiterer Referenten für bestimmte Aufgaben. Aufgabe des Kammervorstandes ist die Durchführung jener Aufgaben, die der Ärztekammer übertragen sind, soweit diese nach dem Ärztegesetz nicht ausdrücklich anderen Organen zugewiesen sind. 27
Der Kammervorstand verwaltet das Vermögen der Ärztekammer mit Ausnahme des Vermögens des Wohlfahrtsfonds sowie des aus den Kurienumlagen gebildeten Vermögens. Im Zuge der Kammerreform wurde beschlossen, den Vorstand in der nächsten Funktionsperiode paritätisch zu besetzen. Das heißt, dass aus beiden Kurien gleich viele Kammerräte im Kammervorstand vertreten sind. Es ist uns völlig unklar, warum die Bundeskurie der angestellten Ärzte einer solchen Lösung zugestimmt hat, da dies eine Schwächung der Interessen der angestellten Ärzteschaft zur Folge hat. Insbesondere im Hinblick auf das bei allen Wahlen in die unterschiedlichen Gremien zur Anwendung gebrachte d’Hondtsche Wahlrecht entsteht der Anschein, dass diese Neuregelung Ausdruck der Angst vor einem Machtverlust der niedergelassenen Kassenärzte ist. In jener Zeit, als die Zahnärzte noch im Schoß einer gemeinsamen Kammervertretung weilten, wäre nie und nimmer ein Kammerfunktionär auf die Idee gekommen, eine Besetzung des Kammervorstandes zu gleichen Teilen aus allen (damals eben noch drei) Kurien in die Wege zu leiten, da dies eine ungerechte Stimmenverteilung zu Gunsten der Zahnärzte bedeutet hätte. Da nun die niedergelassenen (Kassen)Ärzte von der Neuregelung profitieren, konnte diese Lösung offensichtlich eine Mehrheit finden. 28
Das Wahlrecht nach d’Hondt Die Wahlkommission ermittelt getrennt für die Wahlkörper des Vertretungsbereiches die auf die einzelnen Wahlvorschläge entfallenden Mandate. Die Wahlkörper sind in der Kurie der Angestellten Ärzte die Fachärzte und die Ärzte in Ausbildung (Turnusärzte), in der Kurie der Niedergelassenen Ärzte die Fachärzte und die Ärzte für Allgemeinmedizin. Die Zuteilung der Stimmen und die Verteilung der Mandate erfolgt durch Ermittlung der Wahlzahl (siehe Tabelle 5), die für jeden Wahlkörper getrennt ermittelt wird. Die Wahlzahl wird gefunden, indem die für die einzelnen Wahlvorschläge abgegebenen gültigen Summen, nach ihrer Größe geordnet, nebeneinander geschrieben werden. Unter jeder Summe wird die Hälfte, darunter das Drittel, das Viertel und nach Bedarf noch weiterfolgende Teilzahlen geschrieben. Als Wahlzahl gilt bei bloß einem zu vergebenden Mandat die größte, bei zwei zu vergebenden Mandaten die zweitgrößte, bei drei die drittgrößte Zahl (usw.) der so angeschriebenen Zahlen. Die Wahlzahl ist auf die erforderliche Anzahl von Dezimalen zu berechnen. Die Gesamtanzahl der Mandate wird in der Vollversammlung festgelegt und sollte tunlichst eine ungerade Zahl sein, um jedenfalls klare Entscheidungen zu ermögli-
Grundlagen Präsidialausschuss
chen. Die Zahl der Mandate in den einzelnen Wahlkörpern ergibt sich durch die Zahl der Wahlberechtigten. Je geringer die Wahlbeteiligung in einem Wahlkörper ist, umso geringer ist die Wahlzahl.
Dieses Gremium besteht aus dem Präsidenten, den Vizepräsidenten, den Kurienobmännern und dem Finanzreferenten. Ihm obliegt die Entscheidung in dringenden Angelegenheiten der Vollversammlung oder des Vorstandes sowie die Koordinierung im Falle eines Präsidentenvetos.
Die gewonnene zehntgrößte Zahl ist 73,3 und somit die Wahlzahl. Die Fraktion A erhält daher sechs Mandate, Fraktion B drei Mandate und Fraktion C ein Mandat. Die Zuteilung erfolgt getrennt für jeden Wahlkörper. Jede Wählergruppe erhält so viele Mandate, als die Wahlzahl in ihrer Stimmensumme enthalten ist. Wenn nach dieser Berechnung zwei Wählergruppen auf ein Mandat den gleichen Anspruch haben, entscheidet das Los.
Aufgabe dieses Ausschusses ist auch die Koordinierung von Kurienangelegenheiten, sofern diese die Interessen von mehr als einer Kurie wesentlich berühren. Beschlussfassungen in Personalangelegenheiten werden ebenfalls vom Präsidialausschuss wahrgenommen, sowohl in dienstrechtlichen als auch in Besoldungsangelegenheiten.
TA B E L L E 5
WA H L R E C H T N A C H D ‘ H O N D T Wahlkörper 1
Mandatszahl: 10
gültige Stimmen: 822
Fraktion A
Fraktion B
Fraktion C
500 (1)
220 (3)
102 (7)
250 (2)
110 (6)
51
166,7 (4)
73,3 (10)
125 (5)
55
100 (8) 83,3 (9) 71,4 Wahlrecht nach d’Hondt
29
Kurien Nach Etablierung des Kuriensystems in den Ärztekammern gab es bis Ende 2005 drei Kurien, um die Interessen der einzelnen Gruppen innerhalb der Ärzteschaft effizient vertreten zu können: die Kurie der niedergelassenen Ärzte, die Kurie der angestellten Ärzte und die Kurie der Zahnärzte. Nach dem Ausscheiden der Zahnärzte in eine eigene Zahnärztekammer mit 1. Jänner 2006 sind zwei Kurien übriggeblieben. Der Kurienobmann ist ab der Funktionsperiode 2007 automatisch Vizepräsident der Ärztekammer. Er leitet die Kurienversammlung und übernimmt gemeinsam mit seinem Stellvertreter die Durchführung der kurienspezifischen Beschlüsse. Dem Finanzreferenten obliegt die kurienspezifische Gebarung. Alle Funktionen werden durch Wahl in der Kurienversammlung besetzt. Aufgabe der Kurien ist die Bestellung von Referenten für bestimmte Kurienaufgaben. Um die kurienspezifischen Maßnahmen umsetzen zu können, liegt die Festsetzung einer Kurienumlage im Ermessensbereich der Kurie. Maßnahmen zur Qualitätssicherung fallen ebenfalls in die Kompetenz der jeweiligen Kurie, sofern keine durch die Österreichische Ärztekammer erlassenen bundeseinheitlichen Richtlinien bestehen. Die Begutachtung einschlägiger Gesetzes- und 30
Verordnungsentwürfe sowie die Erstattung von Berichten und Vorschlägen an die gemeinsamen Organe der Ärztekammer sind ebenfalls Aufgaben der jeweiligen Kurie.
Kurienzuordnung Angestellte Ärzte sind automatisch der Kurie der angestellten Ärzte zugeordnet, Ärzte, die ausschließlich in einer Ordination tätig sind, der Kurie der niedergelassenen Ärzte. Ärzte mit einem Anstellungsverhältnis und einer zusätzlichen Ordination (meist einer Wahlarztordination) haben die Wahlmöglichkeit der Kurienzuordnung.
Kurie der niedergelassenen Ärzte Die Kurienversammlung der niedergelassenen Ärzte besteht aus jenen Kammerräten, die dieser Kurie angehören. Dieser Kurie obliegt die Wahrnehmung und Förderung der gemeinsamen beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der niedergelassenen Ärzte mit Kassenvertrag, aber auch der Wahlärzte. In den meisten Bundesländern vertreten die Kurien überwiegend die Interessen der Ärzte mit Kassenvertrag, da derzeit nur wenige Wahlärzte in entscheidenden Kammerpositionen etabliert sind. Aus demokratiepolitischen Gründen sollte es das Ziel der Ärzte sein, dass in der Kurie der niedergelassenen Ärzte Wahlärzte und Kassenärzte entsprechend ihrer tatsächlichen
Grundlagen Zahl vertreten sind. Angestellten Ärzten mit zusätzlicher Wahlarztordination ist daher dringend zu empfehlen, in der Kurie der niedergelassenen Ärzte zu wählen. Nur so wird in Zukunft eine Interessensvertretung der Wahlärzte auf Kurienebene erfolgen. Weitere Aufgaben sind die Vertretung der Arbeitgeberinteressen der kurienangehörigen Ärzte, insbesondere der Abschluss von Kollektivverträgen. Einen wesentlichen Aufgabenbereich stellen der Abschluss und die Lösung von Gesamtverträgen mit den Trägern der Sozialversicherung dar, einschließlich Vereinbarungen über die Zahl und Verteilung der Vertragsärzte (Erstellung eines Stellenplanes). Die Interessensvertretung der Hausapotheken führenden Ärzte sowie die Erlassung von Honorarrichtlinien für privatärztliche Leistungen fallen ebenfalls in die Kurienkompetenz der niedergelassenen Ärzte. Die Schaffung von Einrichtungen zur Schulung des ärztlichen Hilfspersonals und die Einrichtung eines ärztlichen Notdienstes runden den Aufgabenbereich ab.
Kurie der angestellten Ärzte Der Kurienversammlung der angestellten Ärzte obliegt die Wahrnehmung und Förderung der gemeinsamen beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der an-
gestellten Ärzte, wobei Verhandlungs- und Abschlussbefugnisse der jeweiligen freiwilligen Berufsvereinigung der Arbeitnehmer sowie der Organe der Arbeitnehmerschaft und der Personalvertretungen unberührt bleiben. Die Beratung der angestellten Ärzte in arbeits-, dienst- und sozialrechtlichen Belangen fällt ebenfalls in die Kompetenz dieser Kurie.
Kurienvorstand In jeder Kurie ist ein Kurienvorstand eingerichtet. Dieses Gremium dient vor allem dazu, Kurienangelegenheiten in einem kleineren Rahmen rasch und effizient umzusetzen oder eine Meinungsbildung für die Kurienversammlung vorzubereiten.
Wettbewerb innerhalb der Ärztekammer – Jeder gegen Jeden Zu unterscheiden ist, dass dieser interne Wettbewerb auf mehreren Ebenen stattfindet. Zu einen ist das in der ärztlichen Praxis der Fall, wo die Zusammenarbeit im Regelfall gut funktioniert. Dies betrifft sowohl die Zusammenarbeit zwischen Wahlärzten und Kassenärzten wie auch zwischen Allgemeinmedizinern und Fachärzten. Auf Kammerebene ist die Situation eine andere - und das ist auch gut so. Nur Meinungsvielfalt führt dazu, dass sich Dinge verändern und Strukturen in Bewegung kommen. 31
Allgemeinmediziner gegen Fachärzte
Wahlärzte gegen Kassenärzte
Jeder Vertreter seiner Gruppe muss die jeweiligen Interessen vertreten. Die Kunst liegt schließlich in einer gemeinsamen Meinungsfindung und sollte ein Kompromiss sein, mit dem alle Gruppen leben können. Wir halten die Position des Allgemeinmediziners als Hausarzt im eigentlichen Sinn für bedeutend. Diese Aufgabe ist jedoch auch schwierig und höchst verantwortungsvoll, eine entsprechend gute Ausbildung im Turnus ist Grundvoraussetzung dafür. Nur dann wird es möglich sein, den Hausarzt tatsächlich als „Lotsen“ durch unser Gesundheitssystem zu etablieren. Hausärzte, die „verhindern,“ dass Patienten einen Facharzt aufsuchen und „böse“ sind, wenn der mündige Patient das trotzdem tut, kommen in der Praxis leider vor und schaden diesem Gedankenmodell.
In Niederösterreich sind derzeit mehr als 1.600 Wahlärzte tätig bei lediglich knapp über 1.200 Ärzten mit Kassenvertrag (Abb. 4). Obwohl derzeit österreichweit bereits etwa die Hälfte aller niedergelassenen Ärzte Wahlärzte sind, ist diese einstige Randgruppierung auf Kammerebene immer noch massiv unterrepräsentiert. Dies liegt offensichtlich im Interesse der derzeit etablierten Gruppierungen in der Kammer. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Situation bei den nächsten Kammerwahlen 2007 so verändert, dass alle Gruppen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, damit gewährleistet ist, dass tatsächlich die Interessen ALLER ärztlichen Berufsgruppen vertreten werden.
V E R T E I LU N G D E R WA H L Ä R Z T E
Angestellte Ärzte gegen niedergelassene Ärzte
1800
Das Kuriensystem der Ärztekammern sieht für jede Gruppe jeweils eine Kurie vor, die mit den entsprechenden Kompetenzen ausgestattet ist. Bei kurienübergreifenden Belangen sind Kommunikation und gemeinsame Problembewältigung gefragt, was in der Praxis oft nicht funktioniert. In Zukunft wird es nötig sein, die Kooperation und den interkuriellen Informationsfluss zu verbessern, um allfällige Alleingänge einer einzelnen Kurie zu vermeiden.
1400
32
1600
1200 1000
Fachärzte Allgemeinmedizin
800 600 400 200 Kassenärzte
Wahlärzte
Ärzteverteilung in Niederösterreich (Quelle: Ärztekammer NÖ 2006)
A B B. 4
0
Grundlagen Turnusärzte gegen das System Die Interessen der Turnusärzte werden derzeit österreichweit mehr oder weniger ignoriert. Etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit verbringen Turnusärzte mit arztfremder Tätigkeit wie Administration (=Sekretariatsarbeiten) oder Arbeit, die auch von diplomiertem Pflegepersonal erledigt werden könnte. Für Ausbildung im eigentlichen Sinn ist meist wenig Zeit. Oft bildet ein Turnusarzt den anderen aus, fallweise übernimmt auch das Pflegepersonal diese Aufgabe. Der Turnusarzt als schwächstes Glied in der Abteilungsstruktur von Krankenhäusern muss in Zukunft aufgewertet und sein Recht auf Ausbildung umgesetzt werden.
Spaltpilz im Vormarsch – Die Zähne sind gezogen Mit 1. Jänner 2006 haben die Zahnärzte die Ärztekammern verlassen und eine eigene Zahnärztekammer gegründet. Diese politische Entwicklung hat sich seit etwa 15 Jahren abgezeichnet. Die „neuen“ Zahnärzte absolvieren jetzt ein eigenes Studium und sind somit nicht mehr „Ärzte“ im eigentlichen Sinn. Eine Integration der Zahnärzte in die bisherigen Ärztekammern wäre zwar möglich gewesen, wurde aber von einigen Interessensvertretern der Zahnärzteschaft nicht gewünscht. Möglicherweise haben auch Eigeninteressen mancher handelnder Personen eine Rolle bei der Entscheidungsfindung gespielt.
In einer Urbefragung der österreichischen Zahnärzte im Jahr 2005 entfielen 52,5 Prozent der abgegebenen Stimmen auf die Gründung einer eigenen Zahnärztekammer, 47,5 Prozent votierten für einen Verbleib in einer gemeinsamen Kammerstruktur. Die Art der Fragestellung und insbesondere eine eindeutig tendenzielle Berichterstattung sowie „Information“ der Zahnärzte, ausgehend von Wien, sind wohl für dieses Ergebnis mitentscheidend. Die Zahnärzte hatten seit der Etablierung des Kuriensystems eine bevorzugte Stellung innerhalb der Ärzteschaft, nämlich eine Kurie für ein einzelnes Fachgebiet. Trotzdem gab es aus bestimmten Richtungen immer wieder Forderungen nach mehr Autonomie, mehr Entscheidungsfreiheit, auch nach mehr Rechten. Eine Benachteiligung der Zahnärzte in der Vergangenheit können die Autoren nicht erkennen. Unser Nachbarland Deutschland hat die Trennung bereits vor einiger Zeit hinter sich gebracht, dort werden mittlerweile allerdings schon wieder erste Überlegungen angestellt, wie man die beiden Kammern wieder zusammenführen könnte. Wie werden die weiteren Entwicklungen aussehen? Ist der „Auszug“ der Zahnärzte ein erster Schritt, um die Macht der Ärzteschaft zu schwächen und den politischen Einfluss der Ärztekammer weiter zu reduzieren? Werden weitere Abtrennungen, z.B. eine Kammer für angestellte Ärzte, eine für 33
Vertragsärzte und eine Kammer für Wahlärzte, folgen? Die Ärzteschaft wird in Zukunft im politischen Alltag nur dann ihre Interessen durchsetzen können, wenn eine entsprechend große Mitgliederzahl dahinter steht. Eine weitere Zergliederung würde wohl mehr den Begriff „Kämmerlein“ als Kammer verdienen, was für manche Landeszahnärztekammern schon jetzt zutrifft.
anschlägen und einer ersten Besprechung mit dem Steuerberater kann der Finanzierungsbedarf ermittelt werden. Jetzt kommt eine entscheidende Frage nach dem Eigenkapital: Hat man erspartes, frei verfügbares Vermögen zur Verfügung oder muss man sich Fremdkapital ausborgen? Rein betriebswirtschaftlich wäre der Einsatz von 25 bis 40 Prozent Eigenkapital sinnvoll, die geltende Steuergesetzgebung bevorzugt hingegen Fremdkapital.
Der Mythos vom Gott in Weiß
Nach Kontrolle der Planrechnungen, des schriftlichen Konzepts und einer gefestigten Vorstellung des Ordinationsstandortes sowie der Betreiberform schreitet man nunmehr zur Hausbank oder noch besser zu einem Bankinstitut, das über entsprechende Erfahrung bei Ärztefinanzierungen verfügt. Hier sollte man hinsichtlich der wichtigsten gängigen Finanzierungsformen Bescheid wissen. Ein Reizthema für die Österreichische Nationalbank ist die steigende Verschuldung der heimischen Haushalte in Fremdwährung. In manchen Banken werden schon bis zu 80 Prozent der Kredite in Franken vergeben. Was ist daher so reizvoll am Fremdwährungskredit, wo angeblich so viele schon so gut „verdient“ haben? Der echte Vorteil ist die Tatsache, dass das Zinsgefüge der Fremdwährung niedriger liegt als jenes des Euro. So zahlt man bei gleichen Aufschlägen für den Franken durchschnittlich 1,25
Die Mär von den goldenen Türklinken Von Harald Reigl
Bei den meisten Ärzten beginnt spätestens nach dem fünften oder sechsten Nachtdienst pro Monat der Gedanke an eigene Ordination zu reifen. Viele verwerfen diesen Gedanken aber gleich wieder, weil die momentanen Chancen laut Veröffentlichungen in den Kammerzeitungen und die Erfahrungsberichte älterer Kollegen wenig Gutes verheißen. Gerade dieser Zeitpunkt kann aber für den Beginn der Überlegungen zur Niederlassung in einer eigenen Ordination wertvoll und dienlich sein. Die Beschäftigung mit den auftretenden Fragen noch ohne Druck und oft auch der spielerische, träumerische Umgang – diese Chance sollte man nutzen. Nach gründlicher Überlegung des Investitionsvorhabens, Einholung von Kostenvor34
Grundlagen bis 1,5 Prozentpunkte pro Jahr weniger als bei einem Eurokredit. Für den betrieblich genutzten Kredit in einer gut gehenden Ordination erspart man sich für den Gegenwert von 100.000 Euro somit pro Jahr rund 750 Euro nach Steuern (bei einem Grenzsteuersatz von 50 Prozent). Sollte es dann auch noch zu einem Kursgewinn kommen, ist dieser zu versteuern. Ärzte sind aufgrund ihrer Anzahl und der damit verbundenen bewegten Geldmenge unheimlich beliebt bei Finanzberatern aller Art. In diesem Zusammenhang sollte man sich bei Versicherungen als Tilgungsträger immer den garantierten und den voraussichtlichen Auszahlungsbetrag zum Ende der Laufzeit berechnen und schriftlich geben lassen. Bei Fondspolizzen oder Wertpapiersparplänen sollte die Berechnung auf Basis einer vierprozentigen Performance (Wertsteigerung) erfolgen. In diesem Anlagebereich gab es in den letzten Jahren auffallend unseriöse Gepflogenheiten. Wertsteigerungen von sechs bis neun Prozent pro Jahr auf 20 oder 25 Jahre hinweg wurden angenommen, was natürlich als viel zu hoch gegriffen zu beurteilen ist. Was kann dann im schlimmsten Fall passieren? Wenn die Rendite zu hoch angesetzt war, wurde die monatliche Einzahlung zu gering berechnet. Dies führt wiederum dazu, dass das erhoffte Ziel am Ende der Laufzeit – nämlich die Rückzahlung des Kredites aus dem angesparten Kapital – mangels zu
geringer Rendite nicht zur Gänze erfolgen kann. Daher sollte man zur Sicherheit eine Überdeckung von zehn Prozent bei einem Rechenzinssatz von vier Prozent als zusätzliche Reserve einplanen. Nach der ersten Besprechung hinsichtlich Kreditwunsch, der zu tätigenden Investitionen und einer Rückzahlungsrechnung wird zum Ende des Kreditgespräches die Rede auf von der Bank gewünschte Sicherheiten kommen. Der Wunsch nach Sicherheiten wird bei einer Bank durch mehrere Faktoren wechselseitig beeinflusst. Einerseits ist die absolute Kredithöhe ausschlaggebend, weiters die Plausibilität der Rückzahlungsrechnung, die schon bestehenden (privaten und betrieblichen) Verbindlichkeiten und die vorab angebotenen Sicherheiten. Der Weg in eine geordnete Finanzierung scheint auch aufgrund der Verdienstmöglichkeiten im Ärztebereich geebnet. Dennoch hat etwa ein Viertel aller Praxen in Österreich mehr oder minder finanzielle Probleme, wobei die Ursachen wie auch die Auswirkungen mannigfaltig sind. Im Laufe eines Ordinationslebens gibt es einige Klassiker. Häufig beginnt es in der Praxisgründungsphase mit überhöhten Ablösezahlungen bei der Übernahme einer Ordination mit Kassenvertrag. Bei vielen Praxen wird die Umsatzerwartung einfach zu hoch angesetzt, wobei es an einer gründlichen Planung mangelt. Seriöse Berater und Banker entwickeln mit jedem Praxis35
gründer oder Übernehmer gemeinsam neben der normalen Planrechnung auch ein „worst-case“-Szenario, also zusätzlich ein eher pessimistisches Szenario. Die Kontrolle erfolgt dann jeweils in Form eines Soll-Ist-Vergleichs. Bei manchen Praxen ist es schon vorgekommen, dass das erste ausführliche Gespräch mit dem Steuerberater erst im Jahr nach der Niederlassung geführt wurde. Ich hatte selbst sogar schon Fälle, wo man wegen einer Finanzierung erst zu mir kam, als die Geräte schon längst bestellt waren und der Mietvertrag unterschrieben vorlag. Gerade bei Praxisgründern und Problemfällen stehen die notwendigen betrieblichen Zahlen erst ein Jahr nach Ablauf des Geschäftsjahres zur Verfügung. Unter solchen Umständen kann man keine betriebswirtschaftlichen Entscheidungen für die Folgejahre treffen. Ein weiteres Problem ist die Anschaffung von privaten Immobilien. Kostenüberschreitungen von 100 Prozent sind bei ärztlichen Bauvorhaben keine Seltenheit. Leider gibt es immer noch die „Ärztesteuer“, mit der so mancher Handwerker zuschlägt. Der Arzt sollte nicht vergessen, dass er Mediziner und kein Baumeister ist. Goldene Türklinken sind zwar schön, haben aber im Budget eines gut verdienenden Arztes möglicherweise keinen Platz. Gerade im Alter um das 55. Lebensjahr kann man bei Ärzten zunehmende Fi36
nanzprobleme feststellen. Die Umsätze der Praxen sind oft stagnierend, Geräte und Einrichtungen abgeschrieben, der Privatverbrauch steigt durch studierende Kinder und die Kredite von früheren Anschaffungen, insbesondere bei endfälligen Finanzierungsmodellen, sind immer noch offen. So entstehen Problemfälle, die ohne Schuldennachlass nicht mehr zu lösen sind. Banken dürfen bei diesem Thema nicht ausgenommen werden. Ärzte sind fast als einzige Zielgruppe in der Lage, Kreditvergaben ohne Eigenmittel und fallweise immer noch ohne dingliche Sicherheiten durchzusetzen. Durch diese Vorgangsweise und die Tatsache, dass der Begriff der „Hausbank“ immer mehr schwindet, entstehen Finanzierungsvolumina, die einfach nicht mehr bedienbar sind. Die Beratung durch Ärztekammer und Banken sollte daher zusätzlich und weiter in der Phase des Gutverdienens einsetzen, da dort die Weichen für die Versorgung im Ruhestand gestellt werden können. Viele Ärzte verlassen sich zu sehr auf Ablöseerwartungen und gehen daher ohne zusätzliche private finanzielle Absicherung in den Ruhestand.
Helfersyndrom als Berufung Insbesondere Wahlärzte sind häufig mit einem Helfer-Syndrom konfrontiert, da kein Arzt während seiner medizinischen Ausbil-
Grundlagen dung gelernt hat, dass eine medizinische Leistung einen Wert hat, der sich in einer Geldwährung ausdrücken muss. Im Unterschied zum Kassenarzt MUSS der Wahlarzt tatsächlich Geld von seinem Patienten verlangen.
Gewissenskonflikte Viele Wahlärzte berichten vor allem zu Beginn der Ordinationstätigkeit über Gewissenskonflikte. Fragen wie: „Habe ich zuviel verrechnet?“; „Wie gehe ich bei ausbleibendem Behandlungserfolg oder gar bei einer Verschlechterung des Beschwerdebildes vor?“, treten genauso auf wie das Problem, wie man telefonische Beratungen handhaben soll oder kurze Befundbesprechungen. Lösungsansätze dazu bieten wir in einem späteren Kapitel.
Der Patient erwartet weder beim Arzt mit Kassenverträgen noch beim Wahlarzt eine Erfolgsgarantie auf die Behandlung. Er erwartet vielmehr, dass der Arzt ihm seine Zeit und sein Wissen zur Verfügung stellt, um mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit einen Behandlungserfolg zu erzielen. Bei Wahlärzten ist der selbst auferlegte Erfolgsdruck meist sehr hoch, da sich der Patient bewusst entschieden hat, für die medizinische Leistung Geld auszugeben und nicht das „kostenlose“ Gesundheitssystem zu beanspruchen. Zwar stehen Kassenärzte genauso unter einem gewissen Druck, einen Behandlungserfolg zu erzielen, da die Kassenleistung für den Patienten aber „gratis“ ist und die Verrechnung mit dem jeweiligen Kostenträger erfolgt, ist dieser Druck wesentlich geringer.
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Situationsbeschreibung
Neun Bundesländer – Neun Wege zum Kassenvertrag Niederlassungsrichtlinien, Übergabemodalitäten, Ordinationsbewertung Mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 11. Juli 2001 wurde der Ärztekammer für Niederösterreich unter anderem die Anwendung der Punktevergabe für die privatrechtliche Einigung mit dem Praxisvorgänger bzw. die Bereitschaftserklärung zur Leistung des von der Kommission festgestellten Bewertungsbetrages an den bisherigen Praxisinhaber im Rahmen der „Invertragnahme“ für eine Kassenvertragsstelle verboten. Eine neuerliche Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 5. September 2003 (7 Ob 165/03 w) zur Frage der Ordinationsübernahme betrifft primär die Ermittlung eines objektiven Schätzwertes des Betriebes „Ordination“. Eine dazu wesentliche Klarstellung: „Ein bestehender Kassenvertrag ist keine Handelsware und für den Kaufpreis nicht relevant.“ Zwischenzeitlich hat das Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen die Reihungskriterien-Verordnung erlassen. Diese schreibt verpflichtend einen Rahmen für die Reihungskriterien der ärztlichen Bewerber um Einzelverträge mit den Krankenversicherungsträgern vor, beinhaltet aber kein Kriterium für eine Ablöseregelung oder 40
Ordinationsübernahme. Bis längstens 31. Dezember 2005 waren alle Niederlassungsrichtlinien der Landesärztekammern diesen Vorgaben anzupassen, was inzwischen auch umgesetzt wurde. Trotz bundesweit einheitlicher Kriterien für die Vergabe von Kassenverträgen gibt es – wie könnte es anders sein – in allen Bundesländern verschiede Detaillösungen. Jede einzelne Variante hat ihre Stärken und Schwächen, keine einzige ist jedoch „vollkommen“ oder „ausgereift“. In dieser Angelegenheit ist es nämlich außergewöhnlich schwer, Recht und Sinnhaftigkeit geschickt miteinander zu koppeln. Ein Beispiel: Bei Überbewertung des Faktors „Bewerbungszeitpunkt“ bzw. Unterbewertung der anderen Faktoren entsteht eine „Überalterung“. „Jungärzte“ sind dann schon über 50 Jahre alt, was unter derzeitigen Bedingungen den rentablen Betrieb einer Arztpraxis fast schon unmöglich macht.
Was ist eine Ordination eigentlich wert? Von Gottfried Scholler
Im seinem Leben als Unternehmer wird der Arzt ununterbrochen vor kleine, aber auch größere Entscheidungen betreffend sein unternehmerisches Handeln gestellt. Viele Entscheidungen sind von untergeordneter Bedeutung und werden aus dem Bauch heraus getroffen, für andere wiederum bilden Erfahrungswerte die Grundlage oder Berater werden zu Hilfe gezogen.
Situationsbeschreibung Bei einer der wichtigsten Entscheidungen ist aber guter Rat oft teuer. Dann nämlich, wenn es entweder am Beginn der Selbständigkeit um den Kauf einer Ordination geht oder am Ende der Unternehmerlaufbahn um den Verkauf derselben. Hier stellt sich dann die Kernfrage, ob die Ordination, die es zu erwerben oder zu verkaufen gilt, überhaupt einen Wert hat und wie hoch dieser Wert gegebenenfalls ist. Natürlich ist eine Differenzierung zwischen Kassenordination und Wahlarztordination erforderlich. Schwer zu bewerten sind weiters Faktoren wie der Standort, zukünftige Umsatzentwicklungen oder die zukünftige Bevölkerungsstruktur. Etwas einfacher stellt sich hingegen die Bewertung der Ordinationsausstattung, der Einrichtung und der medizinischen Geräte dar. Trotz dieser Schwierigkeiten, alle wesentlichen Aspekte für die Bewertung von Ordinationen unter einen Hut zu bringen, haben sich in den verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Bewertungsrichtlinien für Ordinationen entwickelt. Im Folgenden soll versucht werden, einige Bewertungsmethoden kurz vorzustellen und grobe Anhaltspunkte für den Wert einer Ordination zu geben. Es sei aber darauf hingewiesen, dass im Einzelfall durch spezielle Umstände durchaus gravierende Abweichungen von diesen Bewertungsmethoden vorkommen können. Eine sehr schnelle und daher weit verbreitete Methode der Bewertung ist das Her-
anziehen der Umsatzzahlen der Ordination und der daraus folgende Ansatz eines Prozentsatzes als Unternehmenswert. In Wien etwa wird der Durchschnittswert des Umsatzes der letzten drei Jahre als Basis genommen. Dann wird je nach Fachrichtung ein gewisser Prozentsatz dieses Mittelwertes genommen und eventuell zusätzlich noch ein Wert für das Inventar (medizinische Geräte, Einrichtung, EDV etc.) angesetzt. Der Prozentsatz des Umsatzes bewegt sich meist zwischen 30 Prozent bei Ordinationen für Allgemeinmedizin und bis 100 Prozent für Zahnarztordinationen. Die Werte für die meisten Fachordinationen liegen in Wien etwa bei 50 Prozent. Zusätzlich ist dann noch der Zeitwert des Inventars zu ermitteln. Dies führt sehr häufig nur zu geringen Erhöhungen, da die Ordinationen meist nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik sind und nicht nur die Einrichtung, sondern oft auch das medizinische Equipment nur mehr Nostalgiewert besitzt. Der Vorteil dieser Methode liegt in der Einfachheit und der damit verbundenen Möglichkeit einer äußerst raschen Bewertung. Der Schwachpunkt dieses Ansatzes liegt darin, dass nur die Einnahmenseite und nicht die Ausgabenstruktur in die Überlegungen miteinbezogen wird. In vielen Fällen wird die Umsatzmethode einen ähnlichen Wert wie andere Unternehmensbewertungsverfahren liefern; allerdings kann es durchaus gravie41
rende Abweichungen geben, wenn die Ausgabenstruktur einer Ordination über- oder unterdurchschnittlich stark ausgeprägt ist. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, sei das so genannte Übergewinnverfahren vorgestellt, das etwa von der Ärztekammer für Niederösterreich für die Bewertung von Ordinationen herangezogen wird. Hierbei setzt sich der Wert einer Ordination aus zwei wesentlichen Komponenten zusammen: einerseits aus dem Substanzwert, wie bei der Umsatzmethode, und andererseits aus dem zu erwartenden Ertragswert der Ordination. Der wesentlich einfachere Teil der Ermittlung ist der Substanzwert. Hier wird – ausgehend vom Anlageverzeichnis der Ordination – versucht, einen „aktuellen“ Wert aller Einrichtungsgegenstände, der medizinischen Geräte und der EDV zu finden. Meist wird dabei vom derzeitigen Restbuchwert des Anlagegutes laut Anlageverzeichnis ausgegangen, wobei es durch erhöhte Abnutzung, technische Neuerungen oder einen erhöhten Nutzen für die jeweilige Ordination zu Aboder Zuschlägen kommen kann. Unter Umständen kann bei einem noch entsprechend hohen Wert auch das Beiziehen eines Gutachters Sinn machen, der durchaus aus dem Bereich der Ausstatter kommen kann. Beim Ertragswert wird – ausgehend von den Ergebnissen der letzten drei Jahre – ein mögliches Zukunftsergebnis für den Käufer ermittelt. Dazu müssen die Einnahmen/Ausgabenrechnungen der letzten drei Jahre ad42
aptiert werden, um ein objektives Ergebnis prognostizieren zu können. Grundsätzlich erfolgt dies durch Senkung oder Erhöhung von Ausgabenpositionen. Möglicherweise können überdurchschnittlich hohe Sozialversicherungszahlungen oder Kammerbeiträge den Käufer der Ordination nicht im selben Ausmaß wie den Verkäufer treffen, so dass auch hier eine „Korrektur“ zu erfolgen hat. Weitere Adaptierungen würden durch zu hohe Personalkosten, zu hohe Aufwendungen für Kraftfahrzeuge oder zu niedrige Mietkosten notwendig. Zudem ist auch der Zinsaufwand, den ein möglicher Käufer durch Fremdfinanzierung des Kaufpreises zu leisten hat, in der adaptierten Einnahmen/Ausgaben-Rechnung zu berücksichtigen. Selbstverständlich ist bei diesen Adaptierungen ein gewisser Spielraum gegeben, aber trotzdem ergibt diese Methode noch am ehesten ein „realistisches Abbild“ einer Ordination. Aus diesen adaptierten Einnahmen/Ausgabenrechnungen von drei Jahren wird dann ein Durchschnittswert gebildet. Von diesem Ergebnis sind dann noch ein Unternehmehrlohn, der sich etwa zwischen 40.000 und 100.000 Euro bewegen kann, und die Verzinsung des Substanzwertes abzuziehen. Die Höhe des Unternehmerlohns orientiert sich daran, welche Einkünfte der Käufer je nach Fach und Position in einer Anstellung verdienen könnte. Die Verzinsung des Substanzwertes wird mit einem am Markt realis-
Situationsbeschreibung tisch zu erzielenden Zinssatz angenommen. Diese Abzüge erfolgen deswegen, weil nur jener Wert als Übergewinn anzusetzen ist, der über ein durchschnittliches Einkommen im Spital und eine mögliche Verzinsung des eingesetzten Kapitals in den Substanzwert erzielt werden könnte, wenn der potenzielle Käufer die Ordination nicht übernehmen, sondern seine Zukunft etwa im Spital sehen würde. Umstritten ist bei dieser Methode, ob noch ein Abzug der Einkommensteuer vorzunehmen ist. Dieser erscheint allerdings gerechtfertigt, da bei einem objektiven Unternehmenswert nicht berücksichtigt werden kann, welche steuerliche Auswirkung die Abschreibung des Kaufpreises beim potenziellen Käufer haben wird. Dieser so ermittelte „Zukunftserfolg“ wird dann für die nächsten drei Jahre (in manchen Fächern mit hoher Zuweisung auch für die nächsten fünf bis sieben Jahre) angesetzt, wobei die Übergewinne der zukünftigen Jahre abzuzinsen sind. Für die Ermittlung des Zinssatzes wird ein Kapitalisierungszinssatz, der sich am Kapitalmarkt orientiert und durch Risikozuschläge adaptiert wird, zu Hilfe genommen. Durch Zusammenzählen von Substanzwert und Ertragswert sollte sich nun ein einigermaßen objektiver Wert der Ordination ergeben. „Einigermaßen“ deswegen, weil der Wert der Ordination in der Regel für den Verkäufer immer höher und für den Käufer
immer niedriger sein soll. Ein Treffen von Käufer und Verkäufer beim „richtigen Preis“ ist daher meist nur unter Einbeziehung von Steuer- und Unternehmensberatern sowie der Ärztekammer möglich. Von der Kammer der Wirtschaftstreuhänder wird in einem neuen Gutachten das Ertragswertverfahren bevorzugt. Die Schwierigkeit hierbei liegt sicherlich darin, dass der Substanzwert nicht so plakativ in die Bewertung eingeht wie bei den beiden zuerst erwähnten Ansätzen. Grundsätzlich muss man sich aber unabhängig von Bewertungsmethoden die Frage stellen, was eine Ordination eigentlich wert ist und wofür überhaupt bezahlt wird? Einen Betrag für mitverkaufte medizinische Geräte, die EDV-Anlage, Einrichtungsgegenstände oder die Ordinationsräumlichkeiten anzusetzen, erscheint einleuchtend. Wie sieht es aber mit den Zahlungen für den Patientenstock aus, die meist einen wesentlich höheren Anteil am Gesamtkaufpreis ausmachen? Wie in den meisten Dienstleistungsunternehmen ist der „Kundenstock“ das essentielle Asset. Ist dieser Patientenstock etwas, für das es sich zu zahlen lohnt? Wer garantiert dem jungen übernehmenden Arzt, dass ihm diese Patienten, für die er im Vorhinein unter Umständen viel Geld ausgibt, auch erhalten bleiben und nicht den nächstgelegenen Kollegen „aufsuchen“? Für einen jungen Arzt ist es sicher einfacher, in die Niederlassung zu starten, wenn 43
er bereits auf einen bestehenden Patientenstock aufbauen kann und nicht bei Null starten muss. Bereits von Anfang an tragen dann die Einnahmen der Patienten dazu bei, die laufenden Kosten zu decken. Vielleicht hat der neue Jungunternehmer sogar schon nach einiger Zeit die Möglichkeit, Entnahmen für die Lebenshaltungskosten zu tätigen. Im Gegensatz dazu muss ein Arzt, der ohne bestehenden Patientenstock in das Abenteuer Niederlassung startet, versuchen, die ersten Monate mit Nebenverdiensten oder sogar mit einer Fremdfinanzierung zu überbrücken, da sich das zum erfolgreichen Wirtschaften notwendige Patientenaufkommen erst langsam entwickeln muss. Aus diesen Überlegungen erscheint ein gewisser Preis für einen Patientenstock durchaus gerechtfertigt. Der übergebende Arzt hat wahrscheinlich über einige Jahrzehnte ein „Unternehmen“ aufgebaut, das einen gewissen „Kundenstock“ besitzt und im besten Fall wirtschaftlich gesund dasteht. Der Arzt, der jetzt in den verdienten Ruhestand gehen möchte, sieht „sein Lebenswerk“, in das er seine Energie und sein wirtschaftliches Geschick investiert hat, vor sich und möchte für dieses einen angemessenen Preis vom Übernehmer erhalten. Vielleicht hat er auch selbst vor vielen Jahren einen Preis für die Ordination gezahlt und möchte diesen jetzt „zurückbekommen“. Im Wirtschaftleben ist es üblich, dass man sein Unternehmen verkauft. Auch diese Überle44
gungen rechtfertigen einen Preisansatz für den Patientenstock. Bei diesen Argumenten führt allerdings kein Weg an einer Unterscheidung zwischen Wahlarzt- und Kassenordinationen vorbei. Bei beiden sollte sich bei der Bewertung des Inventars zwar ein gleicher Wert ergeben, aber bei der Bewertung eines Patientenstocks gibt es natürlich gravierende Unterschiede. In der Wahlarztordination hängt das Patientenaufkommen mehr an der Person des Arztes, bei der Kassenordination steht etwas mehr das Unternehmen, das eine gewisse Grundversorgung erfüllen muss, im Vordergrund. Dabei darf natürlich nicht übersehen werden, dass der eine Arzt seine Kassenordination sehr wirtschaftlich und erfolgreich führen kann, während ein anderer gerade so über die Runden kommt. Ein Übernehmer einer Kassenordination sollte es normalerweise schaffen, den Großteil des Patientenstocks an Kassenpatienten als zukünftige Patienten zu halten. Doch stellt sich die immer wieder diskutierte Frage, ob eine Kassenordination nicht ohnehin ein gewisses Patientenaufkommen garantiert, unabhängig von den Leistungen eines Vorgängers. Dabei scheint eine Unterscheidung von Ordinationen in Ballungszentren bzw. in abgelegenen Regionen notwendig. Hingegen könnten Privatpatienten in einer Kassenordination bzw. die Patienten in einer Wahlarztordination schon eher zu einem Kollegen wechseln oder im ei-
Situationsbeschreibung nen oder anderen Fall vielleicht sogar vom übergebenden Arzt weiter betreut werden. Im Extremfall zahlt der übernehmende Arzt einen gewissen Preis für das Patientengut und erlebt dann eine Abwanderung dieser Patienten in andere Ordinationen. Bei diesen Aspekten erscheint der Ansatz eines Kaufpreises für einen Patientenstock in Arztordinationen zwar diskussionswürdig, doch sollte jeder Fall einer Ordinationsübergabe individuell beurteilt werden. In der Praxis wird jeder übernehmende Arzt nach einer vernünftigen Beurteilung und unter Einbeziehung des Standortes, seiner eigenen Situation und seiner eigenen Fähigkeiten entscheiden, welchen Wert für ihn der Patientenstock der zu übernehmenden Ordination hat. Zusammenfassend können wir aus unserer Erfahrung feststellen, dass es üblicherweise in einigen wenigen Jahren möglich ist, den Kaufpreis für das Inventar und den Patientenstock einer Kassenpraxis wieder zu verdienen. Hingegen ist es beim Kauf von Wahlarztordinationen bzw. Privatordinationen nicht gesichert, dass der bezahlte Kaufpreis über die Einnahmen schnell wieder finanziert werden kann.
Weitere Gedanken zur Ordinationsbewertung Die Übernahme einer vorhandenen Patientenkartei kann grundsätzlich als Vorteil betrachtet werden. Voraussetzung dafür ist
aber, dass die Karteiführung in der Vergangenheit auch tatsächlich stattgefunden hat und für den Übernehmer lesbar ist. Uns sind Kollegen bekannt, die für die Übernahme einer Kartei Ablöse bezahlt haben, der Informationsgehalt ist jedoch über eine Diagnosenauflistung und Leistungsdokumentation nicht hinausgegangen. Darüber hinaus wird allzu oft vergessen, dass das Ärztegesetz für den Fall der Übernahme eines Kassenvertrages die Weitergabe der Kartei an den Übernehmer als verpflichtend vorsieht. Wozu also eine Ablöse zahlen, wenn diese Übergabe der Kartei ohnehin gesetzlich geregelt ist? Ausgehend von der Annahme, dass eine Übergabe des Kassenvertrages erfolgt und der Nachfolger die Ordination in den Räumlichkeiten des Vorgängers weiterführt, halten wir eine Ablöse durchaus für gerechtfertigt. Schließlich werden in diesem Fall tatsächlich Mobiliar, Geräte und auch Infrastruktur des Vorgängers übernommen. Die Ordination kann daher ohne großen organisatorischen Aufwand weitergeführt werden. Anders sehen wir die Situation, wenn etwa ein Wahlarzt, der bereits im selben Ort eine Ordination führt, den Kassenvertrag erhält oder auch, wenn die Ordination in anderen Räumlichkeiten weitergeführt wird. Dieser Arzt verfügt bereits über eine Infrastruktur samt Geräten und Räumlichkeiten oder schafft diese neu an. Wofür also Ablöse 45
zahlen, wenn einerseits der Kassenvertrag kein handelbares Gut ist und das Ärztegesetz eine Übergabe der Kartei ohnedies vorsieht? Ein weiterer Aspekt ergibt sich aus der Betrachtung des Marktes. Der Gesundheitsmarkt ist kein freier Markt hinsichtlich Leistungen aus dem kassenärztlichen Bereich – und das ist gut so. Diese Sichtweise sollte aber auch bei der betriebswirtschaftlichen Bewertung von Kassenordinationen bedacht werden. Stellt man sich eine Region vor, wo der Stellenplan eine Anzahl von zwei Kassenordinationen vorsieht, wird sich die Zahl der Patienten mehr oder weniger gleich auf diese Ärzte verteilen, einige werden in Nachbarregionen abwandern. Schließt nun der eine Arzt seine Ordination und folgt ein anderer Arzt diesem mit dem gleichen Leistungsangebot (das ja durch den Kassenvertrag definiert ist) nach, so kann man davon ausgehen, dass sich diese statistische Verteilung nicht ändert. Dabei ist es für den Patienten vergleichsweise unerheblich, ob die Nachfolge durch Bezahlung einer Ablöse erfolgte. Wozu also eine Ablöse bezahlen? Alle diese Überlegungen gehen davon aus, dass der übergebende Arzt seine Tätigkeit auch tatsächlich bis zum Ende der Laufzeit seines Kassenvertrages ausübt. Insbesondere bei Ordinationen, wo der Übergeber etwa krankheitshalber längere Zeit die Praxis schließen musste, kann es vorkommen, 46
dass sich der Patientenstock verläuft und zum Zeitpunkt der Übernahme des Kassenvertrages durch eine Neubesetzung ein statistisches Ungleichgewicht, aber auch eine massive Überlastung zu Gunsten der einen in der Region zur Verfügung stehenden Ordination besteht. In diesem Fall wird der Übernehmer des Kassenvertrages eine gewisse Anlaufzeit in Kauf nehmen müssen, bis sich das statistische Gleichgewicht wieder eingestellt hat. Manche derzeit noch tätigen Vertragsärzte schließen Vorverträge mit potenziellen Ordinationsnachfolgern ab, um im Fall einer Ordinationsübernahme eine Ablöse – wofür auch immer – zu erhalten. Manche Vertragsärzte drohen auch (wem?), die Ordination auf ein Mindestmaß „herunterzufahren“, um so dem Nachfolger den Start in den „freien“ Beruf zu erschweren. Dies sind jedoch bedauerliche Einzelfälle. Letztlich muss jeder übernehmende Arzt für sich die Entscheidung treffen, welche „Leistung“ eine allfällige Ablösesumme beinhaltet. Die alleinige Übergabe des Kassenvertrages und der Kartei ist aus Sicht der Autoren zu wenig.
Übergabepraxis in Niederösterreich – ein schlechtes Beispiel Ende Juni 2006 wurde in Niederösterreich ein Modell der Übergabepraxis etabliert, das eine versteckte verpflichtende Ablöse beinhaltet. Das Modell wurde im Rahmen
Situationsbeschreibung einer Änderung des Gesamtvertrages mit der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse verhandelt und daher von der Kurie der niedergelassen Ärzte als Kurienangelegenheit angesehen. Diese Sichtweise teilten weder das Wahlarztreferat noch die Kurie der angestellten Ärzte, die in einem einstimmigen Beschluss diesen Kurienalleingang ablehnten. Die mit dem Modell verbundenen Absichten und Ziele sind wie folgt festgelegt: Einerseits soll damit eine optimale Versorgung und kontinuierliche Betreuung der Patienten gewährleistet werden, was durchaus nachvollziehbar ist. Andererseits sei für Vertragsärzte „faktische und rechtliche Sicherheit“ gegeben, wobei aus dieser vagen Formulierung nicht klar hervor geht, was genau damit gemeint ist. Interessant ist auch die Tatsache, dass die Vertreter der kassenärztlichen Interessen weder den Vertretern der angestellten Ärzte noch den Wahlärztevertretern das Modell schmackhaft machen konnten. Der Praxisübergeber verpflichtet sich, zur Vorbereitung einer privatrechtlichen Vereinbarung einer möglichen Ordinationsübergabe die für eine Bewertung der ärztlichen Ordination erforderlichen Unterlagen einmal jährlich dem potenziellen Nachfolger zur Verfügung zu stellen. Dieser Satz impliziert, dass es zu einer finanziellen Einigung zwischen Übergeber und Übernehmer kommen MUSS.
Dies widerspricht unserer Meinung eindeutig der derzeitigen Rechtslage in Bezug auf die zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes. Aus unserer Sicht wird mit dieser Form der Übergabepraxis die Verordnung des Ministeriums unterlaufen. In den von der Vollversammlung der Ärztekammer für Niederösterreich gemeinsam mit der Gebietskrankenkasse beschlossenen Niederlassungsrichtlinien erfolgt die Ermittlung des „bestgeeigneten“ Bewerbers durch Vergabe von Punkten. Liegen mehrere Bewerber innerhalb von fünf Prozent der Punktezahl des Bestgereihten, findet ein Hearing statt, in dem der am besten geeignete Kandidat ermittelt wird. Laut Niederlassungsrichtlinien erhält dieser Kandidat den Kassenvertrag. Auch diese Regelung wird nun durch eine kurienspezifische Vereinbarung unterlaufen. Zwar wird der am besten geeignete Arzt wie beschrieben ermittelt, er ist jedoch nur potenzieller Nachfolger und erhält nicht zwingend den Kassenvertrag. Somit sind aus unserer Sicht die Niederlassungsrichtlinien als „höheres Rechtsgut“ anzusehen, sodass mit dieser Fragestellung jedenfalls die Vollversammlung der niederösterreichischen Ärztekammer zu befassen wäre. Mit dem Argument der Integration dieser Vereinbarung in den Gesamtvertrag, der eindeutig Kurienkompetenz ist, wird versucht, die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens 47
zu begründen. Kommende Verfahren werden zweifellos Klarheit bringen, wie unsere Höchstgerichte diese Fakten beurteilen. Innerhalb eines Zeitraumes von zwölf Monaten müssen sich die Kooperationspartner einigen, ob die Kooperation fortgesetzt wird, wobei die Kooperation einseitig von beiden Seiten gekündigt werden kann. Klarer ausgedrückt: Der übergebende Kassenarzt kann die Invertragnahme des „bestgeeigneten“ Kandidaten verhindern, wenn keine (finanzielle) Einigung zustande kommt, was einem Vetorecht des Vertragsarztes gleichkommt. In diesem Fall wird die Stelle neuerlich ausgeschrieben, wobei die Übergangsfrist nicht neu zu laufen beginnt. Der Übergeber hat zweimal die Möglichkeit, eine Kooperation nach diesem Modell einzugehen. Das Modell hat noch einen weiteren maßgeblichen Gesichtspunkt. Es könnte in Zukunft nötig sein, eine Bewerbungsstrategie zu entwickeln. So kann es für einen Bewerber mit hoher Punkteanzahl unter Umständen günstiger sein, sich zunächst für eine ausgeschriebene Übergabepraxis nicht zu bewerben, sondern darauf zu warten, dass sich der erste potenzielle Nachfolger mit dem Übergeber nicht einigt. Aus unserer Sicht hat ein strategischer Poker bei der Versorgung der Bevölkerung mit Vertragsärzten allerdings nichts verloren. Grundsätzlich ist die Einrichtung einer vernünftigen Nachfolgeregelung zu begrüßen. Wir sind eindeutig FÜR ein geregeltes 48
Modell einer Praxisübergabe. Das nun in Niederösterreich etablierte Modell ist jedoch ganz klar abzulehnen, und es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis sich Gerichte mit dieser Situation auseinander zu setzen haben. Einen solchen Beschluss jedoch gegen den Widerstand der Kurienführung der angestellten Ärzte zu fassen, ist unklug und dient nicht dem Wohl der Gesamtkammer. Es wäre Aufgabe des Präsidenten gewesen, im Vorfeld einen Ausgleich zwischen den Kurien herzustellen. Die Einrichtung eines kurienübergreifenden Ausschusses NACH Vertragsabschluss wird die Wogen wohl nicht glätten können.
Fazit Kann es sein, dass eine heruntergefahrene, abgewirtschaftete Kassenordination ohne Substanzwert einen Verkaufserlös erzielt? Kann es sein, dass eine florierende, mit vernünftigem Substanzwert aufgrund regelmäßiger Investitionen ausgestattete Kassenordination keinen Verkaufserlös erzielt? Es kann sein. Beide Konstellationen sind in Österreich derzeit möglich, und zwar aufgrund unterschiedlicher Vergaberichtlinien der Kassenverträge. Da gibt es ein Bundesland, wo de facto aufgrund der Richtlinien nahezu ausschließlich über den Bewerbungszeitpunkt für eine Stelle entschieden wird. In diesem Bundesland sind die zehn Erstgereihten nahezu je-
Situationsbeschreibung der Kassenstelle bereits über 50 Jahre alt. Auch die Nachgereihten wissen nichts Verbindliches über die Pläne der Vorgereihten. So wird die Vergabe zum Zufallstreffer, was auch die meisten Übergeber wissen. Ordinationen werden daher aus vernünftiger, betriebswirtschaftlicher Sicht „heruntergefahren“. Man rettet sich bis zum Übergabezeitpunkt; wohl wissend, dass man ohnehin nichts für die Ordination bekommen wird. Die Verantwortlichen in diesem Bundesland sind stolz auf ihr System, das „an Gerechtigkeit nicht zu überbieten ist“. Doch macht Gerechtigkeit in diesem Fall auch für alle Sinn? In einem anderen Bundesland gibt es aufgrund der Details der Vergaberichtlinien schon immer die Möglichkeit, dass der Übergeber auf seinen Übernehmer Einfluss nimmt. Das kräftigt selbstverständlich auch die Handhabe, für die Übergabe der Ordination (Kassenvertrag) Geld zu verlangen. Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass eine Ordination Geld wert ist und dass es auch eine Ablöse dafür gibt. Allerdings lassen sich die Berechnungsmodalitäten auch zugunsten des Übergebers dehnen, was in der Praxis durchaus häufig dazu führt, dass Ordinationen (Kassenverträge) zu überhöhten Preisen über den Ladentisch gehen. Das geschickte „Herunterfahren“ einer Ordination kann auch durchaus rein rechnerisch einen höheren Praxiswert erzeugen. Wie im vorher beschriebenen Bundesland
ist wieder der Patient benachteiligt, diesmal auch potenziell der Übernehmer. Wir stehen dazu, dass sich der Wert einer Kassenordination aus der Erfahrung und dem Know-how des übergebenden Arztes sowie dem Substanzwert zusammensetzen sollte. Der Kassenvertrag selbst darf und sollte nichts wert sein. Daher kann eine Ordinationsübergabe, die nicht über einen gemeinsamen Übergabezeitraum durchgeführt wird, auch nicht mehr wert sein als der Substanzwert der Anlagegüter, der in vielen Ordinationen nur wenige Euro beträgt. Wie in einigen Bundesländern schon angedacht oder etabliert, müssen im Sinne von Übergeber, Übernehmer und vor allem der Patienten Übergabemodelle geschaffen werden, die folgende Kriterien erfüllen müssen: 1 Übergeber und Übernehmer einigen sich VOR dem Beginn des Übergabezeitraums. 2 Ausstiegsszenarien werden definiert, wobei einseitige Kündigungen ohne Begründung inakzeptabel sind. 3 Das Ausmaß des Arbeitseinsatzes sowie die finanzielle Aufteilung in der Übergabephase werden definiert. 4 Durch den Juniorpartner darf es zu keiner signifikanten Ausweitung der Leistungen und Honorierung in der Ordination kommen. 5 Die Übergabepraxis muss jenseits der Offenen Erwerbs-Gesellschaft (OEG) etabliert werden. 49
6 Der Ordinationswert ergibt sich daher nur aus der Bewertung des Anlagevermögens, in die Marktwert sowie buchhalterischer Restwert einfließen. 7 Die Bewertung der „Übergabedienstleistung“ erfolgt indirekt: Der Übergeber führt den Übernehmer behutsam ein, sein Stundeneinsatz reduziert sich in größerem Ausmaß als die Ertragsreduktion. Der Übergeber verdient daher in der Übergabephase mehr als die adäquate Arbeitsleistung. Ähnlich wie beim „Vorweggewinn“ in Steuerberaterkreisen zahlt der Übernehmer dann tatsächlich den wertvollsten Teil der Übergabe durch Gewinnverzicht zugunsten des Übergebers während der Übergabephase. 8 Der Kassenvertrag befindet sich nicht im Eigentum des Übergebers, kann daher nicht verkauft werden und ist auch nichts wert. Modelle mit diesen Spezifikationen bieten die Chance auf eine faire Übergabe, von der alle Parteien profitieren. Der Patient bekommt eine geregelte Übergabe ohne Grobschnitt. Der Übergeber kann sich schrittweise in Richtung Ruhestand begeben und bekommt einen fairen Preis für sein Lebenswerk. Der Übernehmer hat die Chance, einen ansonsten schwer finanzierbaren Übergabepreis teilweise durch Gewinnverzicht aufzubringen. Beim Gruppenpraxismodell in Oberösterreich sind diese Gedanken ansatzweise eingearbeitet. 50
Freier Beruf Kassenarzt? Wesentliche Kennzeichen eines freien Berufes sind die freie Gestaltung der Öffnungszeiten, die Erstellung eines Leistungsangebotes entsprechend der Nachfrage auf dem Markt sowie die betriebswirtschaftliche Kalkulation der angebotenen Leistungen. Der Arzt mit Kassenvertrag kann seine Öffnungszeiten im Rahmen der vertraglichen Verpflichtungen und Mindestöffnungszeiten frei gestalten. Der verrechenbare Leistungskatalog ist dem Kassenarzt vorgegeben, eine Anpassung des Leistungsangebotes an die Bedürfnisse der Patienten (=Kunden) ist nicht möglich, da übergeordnete Stellen den „Bedarf“ vorgeben. Insbesondere die Limitierung von Leistungen schränkt die Behandlungsfreiheit des Kassenarztes erheblich ein. Ein weiteres Kriterium eines freien Berufes ist das Recht, den Standort des Betriebes frei zu wählen. Durch den Stellenplan ist die Zahl der Kassenverträge beschränkt, eine leicht steigende Tendenz in den letzten 15 Jahren ist erkennbar. Aus unserer Sicht muss der Beruf des Kassenarztes wieder „freier“ werden. Limits betreffend die Zahl der Behandlungen haben in einem „freien Beruf“ nichts verloren. Wie würde wohl die Apothekerkammer reagieren, wenn die Abgabe von Medikamenten
Situationsbeschreibung pro Region oder pro Patient limitiert wäre? Es wird höchste Zeit, dass aus dem „Kuschelkurs“ der Ärztekammern ein geradliniger Weg mit einer klaren Zielsetzung ohne faule Kompromisse wird.
Aktuelle Situation der Kassenärzte in Österreich Von Wolfgang Geppert
Die Autoren führten zur Situation der Kassenärzte ein Gespräch mit Dr. Wolfgang Geppert, Präsident des Niederösterreichischen Hausärzteverbandes und Landarzt im niederösterreichischen Weinviertel. Seine Einschätzung der Situation haben wir nachfolgend zusammengefasst.
Zur aktuellen Honorarsituation der Kassenärzte Solange für die Niedergelassenen nicht zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung stehen, ist jeder Versuch, die Honorierung der Ärzte sinnvoll zu reformieren, zum Scheitern verurteilt. Jede Form dieser internen Umschichtung kann nur die bereits bestehenden Spannungen zwischen den Arztgruppen verstärken. Wir reiben uns damit – zur Freude der Sparpolitiker – nur gegenseitig auf. Wenn die Verantwortlichen nicht bereit sind, mehr Geld in den niedergelassenen Bereich zu lenken, dann enden wir in ähnlich desolaten Verhältnissen wie unsere deutschen Kollegen.
Zur Situation eines vertragslosen Zustandes Bei Kassenverhandlungen gehört es zur guten Tradition etablierter Kammerpolitiker, auch eine Kündigung des Vertrages in den Raum zu stellen. Gleich darauf beginnt in schöner Regelmäßigkeit das große Zittern. Doch nicht, wie von Außenstehenden angenommen, bei den Kassenbossen oder Patienten, sondern bei den Standesvertretern selbst, welche die Worte „drohende Kündigung“ gerade noch auf den Lippen tragen. Schuld daran ist angeblich die erdrückende Mehrheit der Kollegen, die einen vertragslosen Zustand mehr fürchten als der Teufel das Weihwasser. Motto: „Wir Funktionäre wären zur Kündigung bereit, doch dem Fußvolk fehle es an Solidarität!“ Ich kann mich noch gut an ein Gespräch mit dem niederösterreichischen Kurienobmann Anfang 2005 erinnern, in dem dieser die Kündigung der Paragraph-2-Verträge (Gebietskrankenkasse mit kleinen Betriebskrankenkassen) für unabdingbar hielt, um den bürokratischen Mehrbelastungen und der Fremdbestimmung zu entkommen. Am Ende dieses Kalenderjahres 2005 war alles wieder vergessen. Die Mehrheit der Basis, so der niederösterreichische Kurienchef, wäre für eine Vertragsauflösung nicht zu haben. Anfang März 2006 kündigten die Verantwortlichen der Österreichischen Ärztekammer in scharf gehaltenen Worten an, die Verträge mit der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA) und 51
der Sozialversicherung der Bauern (SVB) zu kündigen. Grund dafür war die Absicht der Volkspartei-nahen Kassenbosse, bei der kommenden Fusion zu einer gemeinsamen Kasse (Sozialversicherung der Selbstständigen) die Arzthonorare um 35 Prozent zu senken. Wenige Tage später vernahmen die Kammermitglieder in der Österreichischen Ärztezeitung schon wieder ganz andere Worte. Man werde einen Konsens finden. Die Gründe für diesen Schwenk werden wir wohl nie erfahren. Die Palette der inoffiziellen Erklärungen für dieses Einlenken reichte von „unsere Drohgebärden haben Wirkung gezeigt“ bis zu „die VP-Politiker Donabauer und Leitl wollen vor der Nationalratswahl keine Auseinandersetzungen dieser Art“. Selbst ein so massiver Kahlschlag im Honorierungsbereich, wie ihn die SVA angedroht hat, ist kein Garant für die Solidarisierung aller Vertragsärzte. Angeblich hätten unter anderem die Wiener Laborfachärzte, von denen viele mit hohem Fremdkapital belastet sind, den Ausfall der SVA-Zuweisungen im Rahmen eines vertragslosen Zustandes gefürchtet. Wie das Amen im Gebet kommt in vergleichbaren Situationen das Argument der Überschuldung vieler Praxen. Schon das Ausbleiben der Vorauszahlungen von der Gebietskrankenkasse könne für diese das wirtschaftliche Ende bedeuten. Die52
se Hemmnisse sind den Kassenbossen gut bekannt. Einschlägige Ankündigungen der Standesvertreter entlocken ihnen daher nur ein müdes Lächeln und die Bemerkung: „Die Ärzte trauen sich eh nicht!“
Zur derzeitigen Vertretung der Interessen der Hausärzte durch die niederösterreichische Kurienführung Die Wenderegierung hat sämtliche Versprechungen hinsichtlich einer Aufwertung des Hausarztes gebrochen. Von der Lotsenfunktion des Allgemeinmediziners sind wir weiter entfernt als je zuvor. Die bürokratische Mehrbelastung nimmt uns wertvolle Zeit der Patientenversorgung. Diese Fehlentwicklungen mit Vehemenz an die Öffentlichkeit zu tragen, wäre die Aufgabe unserer Kurienführung in der zu Ende gehenden Kammerperiode gewesen. Ansätze dazu gab es, doch leider waren sie zu wenig beherzt. Die wiederholten Aufforderungen des Niederösterreichischen Hausärzteverbandes, die Verursacher beim Namen zu nennen, sind unbeachtet geblieben. So konnten Kollegen, die seit 25 oder mehr Jahren ihrer Gemeinde dienen, blitzartig ihrer über die Kommune gewährten Krankenversicherung beraubt werden, ohne dass darüber die Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt worden wäre. Die ihrer Sozialversicherung Entledigten blieben als Bittsteller in den Gemeindestuben zurück und waren auf das Wohlwollen des Gemeinderates
Situationsbeschreibung angewiesen, durch Höhereinstufung auch weiterhin über die Beamten-Versicherung (BVA) versichert zu sein.
Zur Situation der ärztlichen Hausapotheken Hausapothekenstandorte konnten klammheimlich, ohne Information der betroffenen Bürgermeister, ausradiert werden. Und das alles von Politikern, die auf ihre Fahne geschrieben haben, das Leben auf dem Lande attraktiver zu gestalten. All die Diskussionen haben uns gezeigt, dass unsere Kammerstrukturen den aktuellen Anfeindungen gegen die Ärzteschaft nicht mehr gewachsen sind. Widersprüchliche Aussagen von Länder- und Bundeskammer, die derzeit auf der Tagesordnung stehen, müssen ein Ende haben.
Zum Verhältnis Wahlarzt/Kassenarzt in der täglichen Praxis Bisher diente jede neue Wahlarztordination einer Verbesserung der Patientenversorgung. Gebiete, welche die Kassenmedizin nicht abdecken konnte, übernahmen Kollegen mit ihren Wahlarztpraxen. Die Auslagerung von Gastroskopie und Coloskopie wäre gescheitert, hätten nicht Wahlärzte einen gewissen Prozentsatz dieser Untersuchungen übernommen. Doch die Sättigung an Einzelordinationen ist meiner Ansicht nach erreicht. In einigen Fachbereichen gibt es bereits ein Überange-
bot. Der Verdrängungswettbewerb hat voll eingesetzt. Die Leidtragenden sind nicht nur die Neueinsteiger, die jetzt bei Eröffnung einer Wahlarztordination ein beträchtliches wirtschaftliches Risiko eingehen, sondern auch unsere gemeinsamen Patienten. Ein Spruch, den ich bei einer Ärzterunde zu dieser Thematik zu Gehör bekommen habe, beginnt mehr und mehr an Bedeutung zu gewinnen: „Wo mehr Ärzte sind, da gibt es auch mehr Krankheiten!“ Unter dem Druck der Neueinsteiger, die wegen des geringen Patientenzustroms trachten, jeden einzelnen „Kunden“ möglichst fest an sich zu binden, leidet der Informationsaustausch unter den behandelnden Ärzten. Hausärzte verlieren ihre Lotsenfunktion, und damit wird der Erstellung von Doppel- und Mehrfachbefunden Tür und Tor geöffnet. In meinem Bereich, Bezirk Mistelbach, klappt die Zusammenarbeit zwischen Kollegen mit und ohne Kassen im Großen und Ganzen konfliktfrei. Direktzuweisungen zu Wahlärzten sind kein Tabu mehr.
Zur Situation Wahlarzt/Kassenarzt in der Kammerpolitik In der niedergelassenen Ärzteschaft geraten die Kollegen mit Verträgen in die Defensive. Das löst bei den Kassenärzten Unruhe aus. Sie befürchten, nicht nur numerisch ins Hintertreffen zu geraten. Eng damit verknüpft 53
ist die Ansicht einiger Kammerfunktionäre, Wahlärzte könnten bei Vertragskündigung als Streikbrecher fungieren. Sie müssen als Ausrede dafür herhalten, wenn Kammerfunktionäre von unseren Vertragspartnern „über den Tisch gezogen werden“. Die Wahlärzte wären also die Kugel am Bein, wenn es darum geht, konsequent gegen Drohgebärden der Kasse Stellung zu nehmen. Einheitlicher Tenor der Ängstlichen: „Wenn wir Kassenärzte da nicht nachgeben, dann springen die Wahlärzte ein.“ Im März 2006 trat der niederösterreichische Patientenanwalt HR Dr. Gerald Bachinger mit der Bitte an mich heran, die Hausärzte mögen die Komplettierung der Patientenverfügungen um 70 Euro pro Fall durchführen. Ich gab zu bedenken, dass die Ärzte mit solchen Attestierungen große Verantwortung auf sich nähmen und daher das in Aussicht gestellte Honorar zu gering wäre. Die Wahlärzte, so Bachingers Reaktion, hätten bereits konkretes Interesse daran. Schlagen wir das Angebot aus, dann bekämen eben sie den Zuschlag. (Anmerkung der Autoren: Der Wahlärztevertreter hat inzwischen zu dieser Thematik ebenfalls ein Gespräch mit dem niederösterreichischen Patientenanwalt geführt. Tatsächlich ist die Aufgabe der Aufklärung im Rahmen der Patientenverfügung ein verantwortungsreiches Betätigungsfeld, dem 54
sich die Wahlärzte keinesfalls verschließen werden. Eine adäquate Honorierung ist den Wahlärzten aber wichtig, und daher wird ein Honorar von mindestens 150 Euro für eine solche Aufklärung für angemessen gehalten.)
Wie viele Wahlärzte verträgt der Markt? Das ist und bleibt eine rein theoretische Frage. Niemand und nichts wird jene Kollegen aufhalten können, die ab nun zusätzlich in die Praxis drängen. Sie werden die bittere Erfahrung machen müssen, dass bis auf wenige Sparten die Vollsättigung an Einzelpraxen in ganz Österreich bereits erreicht ist.
Wie würden Sie das Gesundheitssystem gestalten, wenn Sie freie Hand hätten? Die großen gesundheitspolitischen Fehlentwicklungen sind leider nicht mehr reversibel. Über Jahrzehnte wurde der Zusammenschluss der Ärzte im Kassenbereich blockiert. Das Ergebnis sind tausende Einzelordinationen, die mit den aufgeblähten Spitalsambulanzen nicht Schritt halten können. Trotz allem würde ich, bei fiktiv angenommener Kompetenz, versuchen zu retten, was zu retten ist: Spitalsambulanzen auf Leistungen reduzieren, die nur in Krankenhäusern erbracht werden können. Gleichzeitig alle Formen der Zusammenarbeit im niedergelassenen Bereich, auch die Anstellung von Ärzten bei Ärzten, freigeben und gezielt finanziell fördern.
Situationsbeschreibung Einbahnstraße Honorarsystem Auf Kriegsfuß mit der Inflationsrate Die Inflation hat sich bedauerlicherweise nicht so entwickelt, wie von EU-Befürwortern vor etwa zehn Jahren vorausgesagt. Für die Einen ist es ein deutliches Zeichen wirtschaftlichen Vorankommens, da es als Indiz für Wachstum interpretiert wird. Für die Anderen ist es vor allem nur lästig, weil das real verfügbare Einkommen von Jahr zu Jahr weniger wird. Trotz guter Lohnabschlüsse in den meisten Branchen trifft es im Angestelltenbereich vor allem die Besserverdiener. Noch dramatischer sieht es bei Selbständigen aus, die auch ihre Arbeitsbehelfe selbst finanzieren müssen und dadurch quasi doppelt der Inflation unterliegen. Zusätzlich belastend sind die von Jahr zu Jahr größer werdenden Verwaltungsanforderungen an den Arzt, z.B. 2005 die e-Card. Niedergelassene Ärzte mit Kassenvertrag können daher wie üblich nur hoffen, dass allfällige Honoraranpassungen im notwendigen Rahmen durchgeführt werden. Doch welche Größenordnung ist realistisch? Gehen wir einmal von einem Arzt aus, der 2005 mit einem Nettoeinkommen von 4.000 Euro pro Monat auskommen muss, also 48.000 Euro pro Jahr auf zwölf Monate gerechnet. Das entspricht einem kleinen bis mittleren Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag. Um im Jahr 2006 den
gleichen Konsum tätigen zu können, ist bei einer nicht unrealistischen Inflationsrate von 2,5 Prozent ein Nettobetrag von 49.200 Euro notwendig (siehe Tabelle 6). Dies entspricht einer Ausweitung des (Brutto)Gewinns von 79.500 Euro (2005) auf 81.900 Euro (2006) und damit einer Ausweitung um knapp drei Prozent. Schuld daran ist die „kalte Progression“. Während die Höchstbemessungsgrundlage für die Sozialversicherung jedes Jahr gnadenlos nach oben gedreht wird, finden nur „Ministeuerreförmchen“ mit angeblichen Wunderauswirkungen für Steuerzahler statt, aber die Grenzen der Progressionsstufen bleiben unangetastet. Es muss also ein höherer Gewinn her – und das bei Betriebskosten, die ebenfalls nicht weniger der Inflation unterliegen als die Privatausgaben. Gerade im betrieblichen Bereich mit Personal- samt Nebenkosten, Energie sowie persönlicher Sozialversicherung ist möglicherweise sogar ein höherer Wert maßgebend. Mit 2,5 Prozent gerechnet, ergibt sich bei einer Kostensituation von 80.000 Euro im Jahr 2005 ein Bedarf von 82.000 Euro für das Jahr 2006. Der für eine Valorisierung notwendige Umsatz müsste somit um 2,76 Prozent von 159.500 Euro auf 163.900 gesteigert werden. In diese Berechnung nicht einbezogen sind die Zusatzkosten für Verwaltungsaufwand. Unter der Annahme, dass nur die Mehrkos55
ten für die e-Card (pessimistisch geschätzt 7.000 Euro pro Jahr) abgegolten werden sollten, erhöht sich der notwendige Umsatz 2006 auf 170.900 Euro, was einer Erhöhung um 7,15 Prozent entspricht. Mit anderen Worten: Um beim niedergelassenen Kassenarzt einen Ausgleich von Inflation und Verwaltungsaufwand herbei-
zuführen, wäre eine Anpassung der Kassenhonorare 2005 auf 2006 um mehr als 7 Prozent notwendig gewesen. Sämtliche Abschlüsse darunter bedeuten einen Verlust an Nettoeinkommen in ungefährer Größenordnung der rechnerischen Differenz. Das Jahr 2006 ist jedoch kein einzelnes schlechtes Jahr. Es beleuchtet nur die gene-
I N F L AT I O N S A B G E LT U N G Inflationsrate
2,50%
Notwendige Anpassung ohne Verwaltungsabgeltung 2005
2006
Umsatz
159.500,-
163.900,-
2,76%
Kosten
80.000,-
82.000,-
2,50%
Gewinn
79.500,-
81.900,-
3,02%
Steuer rund
31.500,-
32.700,-
3,81%
Nettoeinkommen
48.000,-
49.200,-
2,50%
Notwendige Anpassung mit Verwaltungsabgeltung 2005
2006
159.500,-
170.900,-
7,15%
Kosten inkl. e-Card
80.000,-
89.000,-
11,25%
Gewinn
79.500,-
81.900,-
3,02%
Steuer rund
31.500,-
32.700,-
3,81%
Nettoeinkommen
48.000,-
49.200,-
2,50%
TA B E L L E 6
Umsatz
Vergleichsberechnung Inflationsabgeltung
56
Situationsbeschreibung relle Einbahnstraße im Honorarsystem der Sozialversicherungen aus Sicht der Ärzte. Die Inflationsrate liegt im Jahresschnitt der vergangenen Jahre bei über zwei Prozent. In den meisten Branchen werden die Gehälter automatisch angepasst, auch die der Politiker und Kassenverwaltungsangestellten. Selbstbehalte im Gesundheitswesen wie die Rezeptgebühr werden großzügig angehoben, genauso wie die jährliche Steigerung der Höchstbemessungsgrundlage. Für den Vertragspartner Kassenarzt sind jedoch keine automatischen Honoraranpassungen vorgesehen. Nach zähem Ringen werden fast ausnahmslos Abschlüsse erreicht, die unter der Inflationsrate liegen und daher Jahr für Jahr einen Verlust an Einkommen nach sich ziehen. Wir fordern daher die Koppelung der Erhöhung der Ärztehonorare an die Gehaltsanpassungen von Gesundheitspolitikern und Kassenangestellten.
Einkommensentwicklung bei Kassenärzten Im Jahr 2004 war aufgrund einer Meldung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger allen Medien etwa Folgendes zu entnehmen: Das Einkommen von Vertragsärzten der Paragraph-2-Kassen (Gebietskrankenkasse mit kleinen Betriebskrankenkassen) hätte sich von 1990 bis 2002 um etwa 65 Prozent erhöht, was einer Steigerung von wesentlich mehr als der Inflationsrate entspricht.
In der Tat, die Statistik des Hauptverbandes weist das so aus – natürlich in Summe für alle Ärzte Österreichs. Ein genauerer Blick bringt jedoch die Erkenntnis, dass sich diese Steigerung mit etwa fünf Prozentpunkten auf die Zunahme der Ärzte, mit etwa zehn Prozentpunkten auf die durchschnittliche Zunahme der Fälle sowie zu etwas mehr als 50 Prozentpunkten auf die Zunahme des Scheinwertes zuordnen lässt. In der Realität haben sich aber die Honoraranpassungen im Bereich um 15 Prozent abgespielt, die verbleibenden 35 Prozent der Zunahme des Scheinwertes spielen sich auf Basis einer Mehrleistung des Arztes ab. Die Ärzteumsätze sind daher um 60 Prozent angestiegen, wobei der Großteil (45 Prozentpunkte) auf Mehrarbeit zurückzuführen ist. Was hat sich im Beobachtungszeitraum sonst noch getan? Die Inflation im Beobachtungszeitraum liegt bei 30 Prozent, die Teuerungsrate des Faktors Arbeit bei etwa 40 Prozent. Um die Auswirkungen auf eine Ordination herauszufinden, versetzen wir uns in die Lage eines durchschnittlichen Allgemeinmediziners mit Kassenvertrag ohne Hausapotheke irgendwo in Österreich. Zum Kassenumsatz: Mit einer Steigerung von 104.000 Euro auf 166.000 Euro entspräche dieser Beispielarzt exakt dem Schnitt. Aber zum Einkommen gehören auch die Betriebsausgaben. Bei einer Mehrleistung der Ordination von 45 Prozent und einer Teuerungsrate des Faktors Arbeit von 57
40 Prozent ist es schlüssig, dass seine Personalkosten im betrachteten Zeitraum von 25.000 auf 50.000 Euro gestiegen sind. Ähnliches gilt für viele andere Betriebsausgaben. Die allgemeine Inflation und der Wegfall der unechten Umsatzsteuerbefreiung sorgen schon von Haus aus für einen Anstieg der meisten Ausgaben um 50 Prozent. Variable Kosten wie Raumkosten oder Praxisbedarf unterliegen einer zusätzlichen Steigerung durch die Erhöhung der Patientenfrequenz. Doch nicht alles ist im Vergleichszeitraum teurer geworden. Die Zinsen für Betriebskredite sind massiv gesunken, auch im Bereich Telekommunikation sind Einsparungen zu erkennen. Manche Kostenpositionen orientieren sich an der Steigerung von Umsatz, Gewinn und Erhöhung der Höchstbemessungsgrundlage. Daher sind für betriebliche Versicherungen, Sozialversicherung und Kammerbeiträge Steigerungen in Größenordnung der Inflationsrate zu vermerken. Ein Blick auf die Investitionen: Gleiche Ausstattung kostet 1990 in etwa gleich viel wie 2002. Die Preise für Einrichtung sind konstant, Medizintechnik wurde billiger, allerdings sorgt auch hier die unechte Umsatzsteuerbefreiung für einen Ausgleich. Daher sind die Kosten und Folgekosten von Investitionen als identisch zu bewerten. Ein Blick auf das Gesamtergebnis zeigt, dass der stolze Umsatzzuwachs von 60 Prozent nur 58
zu einer Steigerung des Betriebsergebnisses von 35 Prozent geführt hat. In Zahlen bedeutet dies 75.000 Euro im Jahre 2002 zu 55.000 Euro in 1990. Doch das ist noch nicht alles. Das Steuersystem sorgt für die volle Besteuerung des Einkommenszuwachses mit dem Spitzensteuersatz. So ist die Einkommensteuerlast unseres Arztes um 50 Prozent gestiegen. Beim Nettoeinkommen kommt eine Steigerung von 36.000 Euro auf 45.000 zustande, also eine Anpassung um 25 Prozent. Damit liegt man also sowohl unter der allgemeinen Teuerungsrate als auch unter der Wertsteigerung des Faktors Arbeit. Dies bedeutet, dass trotz Honorarzuwachs ein Verlust des realen Nettoeinkommens zu verzeichnen ist – und das trotz Mehrarbeit von 45 Prozent. Hätte unser Beispielarzt die Mehrarbeit kompensiert, hätte sich sein Nettoeinkommen im Vergleichszeitraum sogar um etwa 10 Prozent gesenkt, überwiegend durch die überproportional angewachsenen Betriebskosten. Von Einkommensanstieg kann also keine Rede sein, ganz im Gegenteil. Es wird trotz von außen aufgezwungener Mehrarbeit nicht einmal die allgemeine Teuerungsrate erreicht, die für einen Ärztehaushalt maßgebend ist. Das ist eine Situation, die sich in tausenden von Arztpraxen widerspiegelt. Die restriktive Vergabepolitik der Kassenverträge sorgt für Ordinationen, die das vernünftige Maß an Größe oft schon
Situationsbeschreibung überschritten haben und sich den Mehrumsatz durch überproportionalen Einsatz an Infrastruktur teuer erkaufen müssen. Andererseits sorgt das brutale Preisdiktat der Sozialversicherungen mit dafür, dass ohne Stundenhöchstleistung des Ordinationsinhabers die Kaufkraft der Familie Arzt immer weniger erhalten werden kann.
Hamsterrad Minutenmedizin Die bisherigen Ausführungen über das Honorarsystem der Gebietskrankenkassen lassen den Trend der letzten Jahre deutlich erkennen. Die ärztlichen Leistungen sind schlecht honoriert, teilweise sogar unter den echten Selbstkosten, und unterliegen einer ständigen Abwertung durch den Nichtausgleich von Inflationsraten. Viele „Quersubventionierungen“ wurden in den vergangenen Jahren gestrichen, in den kommenden Jahren werden die letzten wohl auch noch dem Rotstift findiger Gesundheitspolitiker zum Opfer fallen. Leidtragende sind die etablierten Kassenärzte, die eine Infrastruktur aufrechterhalten müssen, die sie für die Versorgung ihrer Region etabliert haben. Als Dank dafür werden die Honorare derart nach und nach gedrückt, dass sich der Arzt – „einem Hamster gleich“ – auf alles stürzen muss, was nur irgendwie Umsatz bringt; auch wenn es beispielsweise durch Degressionen nicht mehr bezahlt wird.
Logische Folge ist die Sicht der Kasse, die für weitere Planstellen so gut wie nie einen Bedarf sieht. Der Kassenarzt dient ja als Erfüllungsgehilfe für einen ständigen Ausbau der medizinischen Leistung bei gleichzeitiger Honorarreduktion, da sich ohne Hamsterrad so manche Ordination nicht mehr finanzieren ließe. Der Patient lässt sich allerdings die Minutenmedizin immer weniger gefallen, und stimmt „mit den Füßen ab“: Er geht zum Wahlarzt.
Der Wahlarzt im Spannungsfeld zwischen Medizin und Ökonomie Freier Beruf Wahlarzt! Wahlärzte sind in jeder Hinsicht frei, sowohl was die Standortwahl betrifft wie auch die Honorargestaltung, aber auch die Festlegung des Leistungsspektrums, das in der Wahlarztordination angeboten wird. Diese Freiheit erkauft sich der Wahlarzt allerdings mit der enormen Herausforderung, Teil eines wirklich freien Marktes zu sein – mit allen Gesetzen der wirtschaftlichen Konkurrenz und der freien Marktwirtschaft. Während Kassenärzte den statistisch errechneten Bedarf an medizinischer Versorgung abdecken, also das finanziell für die öffentliche Hand leistbare, können Wahlärzte auf die medizinischen Bedürfnisse des einzelnen Patienten eingehen. Die Zahl der Wahlärzte hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt. 59
Honorargestaltung nach wirtschaftlichen Kriterien Ein Arzt mit Kassenvertrag kann die finanzielle Bewertung seiner Leistungen nicht beeinflussen. Er erhält für eine erbrachte Leistung jenen Betrag, der laut gültigem Leistungskatalog dafür vorgesehen ist. Eine Steuerung des Honorars ist nur über die Patientenfrequenz in der Zeiteinheit möglich. Ein Wahlarzt ist in seiner Honorargestaltung völlig frei. Verschiedene Faktoren müssen die Höhe des Honorars beeinflussen: Laufende Fixkosten wie Miete, Personalkosten, aber auch der Standort und die Situation von Mitbewerbern haben Einfluss auf die marktüblichen Honorare. Seit der Reform der Werberichtlinien für Ärzte im Jahr 2004 ist das öffentliche Nennen von Preisen erlaubt. Wahlärzte informieren ihre Patienten zunehmend auf einer vorhandenen Website oder auf Schilder in der Ordination über die jeweiligen Tarife. Wer als Wahlarzt seine Honorargrößenordnung kalkuliert, muss mit den gleichen Hilfsmitteln vorgehen wie ein Kassenarzt, der zusätzliche Privatleistungen in seiner Ordination anbieten will. Beide haben eine Einkommensvorstellung einerseits und eine Ordinationsinfrastruktur andererseits. Auf diese Daten ist bei der Kalkulation immer Rücksicht zu nehmen. Typische „Engpässe“ sind Zusatzinvestitionen oder zusätzlicher Raumbedarf, die für bestimmte Leistun60
gen benötigt werden. Arbeitszeit von Assistenzpersonal muss berücksichtigt werden, Hauptengpassfaktor ist jedoch die Arbeitszeit des Arztes. So ergibt sich im Regelfall die Tatsache, dass stark arztbezogene Leistungen (Wahlarzt wie Kassenarzt) am Markt eher schwierig anzubieten sind, wenn sie auch eine gute Rendite bringen sollen. Kann der Zeitaufwand des Arztes durch Personaleinsatz kompensiert werden, lässt sich in aller Regel aufgrund des wesentlich geringeren Stundensatzes oft eine gute Rendite erzielen. Wenn sich die Auslastung im Normalbereich und Investitionen sowie zusätzlicher Raumbedarf in üblicher Größenordnung befinden, spielt das für die Kalkulation eine untergeordnete Rolle. Hauptkriterium ist die Zeit des Arztes.
Mathematik in der Gebietskrankenkasse So könnte ein Vergleich von Kassen- und Wahlarzt bei Otto Normalpatient ausfallen: „Was habe ich mich heute wieder geärgert! Zur Vorsorgeuntersuchung beim Hautarzt bereits vor drei Monaten angemeldet, habe ich trotz Termin mehr als zwei Stunden im überfüllten Wartezimmer gewartet. Natürlich in meiner Freizeit, das geht nicht mehr so leicht wie früher während der Arbeitszeit. Nicht einmal interessante Zeitschriften waren da. Die Untersuchung war auch ein Witz. Er hat meine Muttermale innerhalb von zwei Minuten beurteilt. Würde mich schon
Situationsbeschreibung interessieren, was dieser ohnehin wohlhabende Arzt dafür bezahlt bekommt?! Vielleicht sollte ich es einmal so machen wie mein Bekannter. Der geht zum Wahlarzt und ist sehr zufrieden. Dort wird er ordentlich wie ein Kunde behandelt, die Termine werden eingehalten. Das Wartezimmer soll auch angenehm sein. Während der kurzen Wartezeit in angenehmer Atmosphäre bekommt er sogar einen Kaffee. Das Honorar für die Untersuchung ist allerdings nicht zu verachten. Etwa 40 Euro werden dort für die Muttermalkontrolle verlangt. Er hat mir erzählt, dass er das letzte Mal die Rechnung bei der Gebietskrankenkasse eingereicht hat. Von dieser Rechnung hat er dann Monate später ohne Abrechnung acht Euro und 32 Cent zurückbekommen. Würde mich wirklich interessieren, ob das tatsächlich so ein teurer Wahlarzt ist! Immerhin würde das nach dem angeblich bestehenden Aufteilungsschlüssel einem Kassenhonorar von zehn Euro entsprechen. Also hat er das Vierfache verlangt! Andererseits hat sich der Wahlarzt auch 20 Minuten mit ihm befasst und schickt einige Proben ins Labor. Wenn ich das Honorar mit meinem Automechaniker und den Tarifen für Ölwechsel vergleiche, ist das gar nicht so teuer. Wer verdient jetzt was und wie schaut die Abrechnung aus? Eigentlich sollte doch die Kasse für meine Gesundheitskosten aufkommen?“
Diese Gedanken von Otto Normalpatient sind nichts Außergewöhnliches. Die Antwort auf all diese Fragen gestaltet sich jedoch einfach. Der Wahlarzt kalkuliert sein Honorar nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen. Für ihn ist nicht unbedingt wesentlich, wie viel der Patient von seiner Kasse zurückbekommt. Dem Patienten ist das offenbar auch relativ egal, da er seine Wahl nicht über Geld, sondern über ein Ersatzkriterium von medizinischer Qualität trifft. Manche Kassenärzte nutzen das allerdings immer noch mehrheitlich vorhandene Abhängigkeitsverhältnis des Patienten zu seinem Versicherungsträger schamlos aus und legen keinerlei Wert auf Qualität, Service oder Patientenorientierung. In fast allen Kassenverträgen sind zusätzlich leistungsfeindliche Limitierungen, Deckelungen oder Degressionen vorhanden, die dem Arzt bei Überschreitung einen finanziellen Einschnitt bringen. Wenn der Arzt das erkennt, ist er natürlich versucht, die Leistung zu verweigern. Leider sind rein statistisch gesehen Abweichungen beispielsweise vom Österreichoder Bundeslanddurchschnitt in einzelnen Ordinationen nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich bis sicher. Es müsste an Zufall grenzen, wenn sich in einer Arztpraxis das durchschnittliche Krankheitsbild einer Gesellschaft spiegeln würde. Der Arzt bekommt aber in aller Regel Abweichun61
gen davon schlicht und einfach nicht oder schlechter bezahlt und kann sich in Einzelfällen in amikalen Gesprächen mit der zuständigen Sozialversicherung rechtfertigen. Als Beispiel kann der Vergleich mit Autoversicherungen dienen. Nehmen wir einmal an, der durchschnittliche Anteil kaputter Stoßstangen bei Parkschäden in Österreich wäre zehn Prozent. Jede Vertragswerkstätte würde in einem mit dem Kassensystem vergleichbaren Konstrukt nun nur bei zehn Prozent aller Reparaturen pro Monat die erneuerte Stoßstange ersetzt bekommen. Bei 20 Reparaturen pro Monat wären das zwei Stoßstangen. Statistisch gesehen ist es sehr wahrscheinlich, dass es Monate gibt, wo bei drei oder mehr Schäden die Stoßstange defekt ist. Die Werkstatt würde aber nun ab dem dritten Fall die Leistung nicht mehr ersetzt bekommen und den Kunden abweisen. Das ist in einem marktwirtschaftlichen System undenkbar, außerdem werden dadurch die Vertragsbedingungen gebrochen. In einem totalitären, kommunistisch anmutenden System sind solche Gedankengänge offenbar durchaus möglich. Der Wahlarztpatient muss das verstärkt ausbaden. Er bekommt nur bis zu 80 Prozent des adäquaten Kassentarifs ersetzt, der ohnehin meist geringer ist als der betriebswirtschaftlich kalkulierte Tarif des Wahlarztes. In diese 80 Prozent wird noch dazu die bestehende Limitierung oder Degression des Kassenvertrages eingerechnet. Und 62
schließlich werden in jedem Bundesland die limitierten Leistungen der Gebietskrankenkassen anders gehandhabt.
Wie viele Wahlärzte verträgt der Markt? Die Entwicklung der Ärztezahlen und vor allem des Verhältnisses zwischen Kassen-, Wahl-, Privat- und Klinikärzten sind nichts Erstaunliches, sondern eine logische Folge der Veränderungen im medizinischen, ökonomischen und sozialen Bereich sowie der Ignoranz und Untätigkeit der verantwortlichen Politiker der vergangenen Jahrzehnte. Es stellt sich lediglich die Frage, wie die Entwicklung weitergeht. Einige Tatsachen sind jedenfalls nicht wegzudiskutieren. Der Bedarf an Medizin steigt ständig an. Das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) rechnet vor, dass derzeit etwa 25.000 vollzeitäquivalente Mediziner in Österreich tätig sind und dieser Bedarf bis 2025 noch um rund 15 Prozent steigen wird. Die Entwicklung der Ärztezahlen wurde bisher vor allem von einer Verdopplung der Wahlärzteschaft in den vergangenen zehn Jahren geprägt. Doch wie geht es weiter? Das Ausbildungssystem für Ärzte produziert weiterhin wie bisher einen Überschuss. Jährlich werden einige hundert Mediziner zuviel ausgebildet. Diese drängen in den Markt, nur einige wenige davon finden in anderen Branchen eine adäquate Beschäftigung. Der Niederlassungswille in Richtung
Situationsbeschreibung Wahlarztpraxis ist daher auch oft nicht ganz freiwillig vorhanden. Die Tatsache, dass die Zahl der Wahlärzte explodiert, zeigt aber ganz deutlich, dass die Politik und deren ausführende Organe beharrlich einen bestehenden Bedarf ignorieren. Wozu sollte ein Pflichtversicherter denn eine Leistung gegen Bezahlung in Anspruch nehmen, die er eigentlich „kostenlos“ bekommen könnte? Wahlärzte befriedigen eindeutig Bedürfnisse von Patienten, die Kassenärzte offenbar nicht befriedigen können. Doch wie kommt das zustande? Einerseits wird seitens der Kassen nicht wirklich der Bedarf geprüft, sondern anhand budgettechnischer Notwendigkeiten von Nichtmedizinern definiert. Ein Beweis dafür sind beispielsweise übliche Wartezeiten auf Termine bei einem Facharzt von bis zu mehreren Monaten. Andererseits lassen sich Kassenärzte seit Jahrzehnten immer mehr in die Zwickmühle zwischen Patientenanspruch, Stateof-the-Art-Medizin, Vorgaben von Kassen und anderen staatlichen Institutionen und ständiger Geldentwertung durch permanente Honoraranpassungen unter der Inflationsrate treiben. Logische Folge davon ist die derzeitige Situation vieler Kassenärzte, dass sie den Patienten nicht mehr so behandeln dürfen, wie sie es als Mediziner gelernt haben und gerne tun würden. Außerdem bekommen sie für die Behandlungen kein kostendeckendes Honorar mehr und müssen
die Zeit am Patienten reglementieren. So sehen immer mehr Patienten in der Wahlarztkonsultation den für sie einzigen Ausweg in Richtung bedarfsorientierte Medizin. Diese Situation kommt den Kassen aber auch entgegen. Logische Folge des Finanzdrucks ist nämlich, dass Kassenärzte zur Existenzsicherung für weniger Geld immer mehr leisten müssen und so automatisch ohne Ausweitung des Stellenplans und ohne Produktion von Mehrkosten einen Teil der Bedarfsentwicklung kompensieren. Der andere Teil lässt sich aus deren Sicht problemlos auf die Wahlärzteschaft auslagern, da dieser aufgrund des unrealistisch hohen „Selbstbehalts“ des Kassenpatienten der für die Kasse deutlich billigere Behandler im Vergleich zum Vertragspartner Kassenarzt ist. Auch viele Klinikärzte sind frustriert. So findet mancher Im Wahlarztdasein ein „medizinisches Hobby“ als wirksame Burn-outVorbeugung – auf Teilzeitbasis natürlich. Derzeit findet auch hier ein Umbruch statt. Immer mehr Klinikärzten wird es nämlich erlaubt, neben der Arbeit im Spital einer Zusatztätigkeit, beispielsweise als Wahlarzt, nachzukommen. Bei Jungärzten reift außerdem eine andere Lebenseinstellung heran. Wozu soll man sich bei einer doppelten Arbeitszeit im Vergleich zum Normalbürger unterbezahlt und mit überwiegender Verwaltungstätigkeit belastet totarbeiten? Auch die Scheidungsrate der Ärzte in den vergangenen Jahrzehnten 63
passt in diese Entwicklung. Herkömmliche, bisher verwendete Arbeitszeitmodelle sowohl im staatlichen Klinik- als auch im staatlichen Niederlassungsbereich sind familienfeindlich und auch der eigenen Gesundheit abträglich. Auch das System der staatlichen und anderen „erzwungenen“ Abgaben ist nicht auf Vollzeitarbeit ausgerichtet. Wer in der Größenordnung um die Höchstbemessungsgrundlage der Sozialversicherungsbeiträge verdient, wird mit mehr als zwei Drittel seines Einkommens in Form von Steuern, Sozialabgaben und Kammerbeiträgen gegeißelt. Teilt man diese Arbeitslast beispielsweise auf zwei Teilzeitverdiener auf, ist die Belastung deutlich geringer. Im Zuge des Gruppenpraxengesetzes wurde die Chance verabsäumt, diesen Entwicklungen ohne Mehrkosten für die Sozialversicherungsträger im Sinne der Ärzte- und Patientenschaft Rechnung zu tragen. Jahre nach dem Gesetzesbeschluss bestehen nämlich kaum wesentliche, praktikable Regelungen in Sachen Gruppenpraxis. Zurück zu den Zahlen: Derzeit sind knapp 30 Prozent der Ärzte in Österreich Wahlärzte. Laut ÖBIG arbeitet ein Arzt im Schnitt zu zwei Drittel eines „Vollzeitäquivalents“. Knapp 4.000 Vollzeitstellen werden laut ÖBIG im Gesundheitssystem der kommenden Jahrzehnte noch gebraucht. Das entspricht 6.000 Ärzten mit dem durchschnittlichen Vollzeitäquivalent. 64
Wo sollen diese Ärzte herkommen, vorausgesetzt die Schätzung des ÖBIG stimmt? Wir persönlich haben keinerlei Hoffnung, dass die Pfründe aller (außer den Ärzten) im Gesundheitssystem beteiligten Personen wie Politiker und vor allem einer Heerschar an Verwaltungsbeamten angetastet werden, egal was die politische Zukunft bringt. Aus Budgetgründen wird daher weder eine Ausweitung des Kassensystems noch des Spitalsystems möglich sein. Bereits heute werden eher Arbeitszeitgesetze ignoriert, als fehlendes Personal eingestellt. Wachsende Begehrlichkeit der Patienten und steigender Bedarf wird daher aus unserer Sicht nur durch eine weiter wachsende Wahlärzteschaft zu befriedigen sein. Das Zwei-Drittel-Vollzeitäquivalent im Schnitt der Wahlärzte ist jedoch unrealistisch. Die Wahlarztwelt wird wohl zunehmend von Teilzeit- und Halbtagswahlärzten dominiert werden, die sich entweder mit dem Lebenspartner die Familienarbeit und das Geldverdienen gleichmäßig aufteilen und/oder den Wahlarztjob als Ergänzung zur Klinik betrachten. Der zunehmende Frauenanteil unter den Ärzten wird sicherlich seinen Teil dazu beitragen. Diese Entwicklung dürfte in Zukunft allerdings auch vor Kassenstellen nicht halt machen. Mit einer der Gründe, warum die Medizin zunehmend „verweiblicht“, ist die immer größere Schwierigkeit, eine Familie mit der ärztlichen Tätigkeit als Allein-
Situationsbeschreibung verdiener zu ernähren. Ärztinnen sind zu mindestens in 90 Prozent entweder familiär ungebunden oder haben einen Partner, der außerhalb der Ordination zum Familieneinkommen mit beiträgt. Der Anteil der Ärztinnen im Kassenbereich wird nach unserer Schätzung jedenfalls zunehmen. Viele davon werden keine Notwendigkeit verspüren, in ihrer Freizeit jenseits der Kassenlimits fast gratis zu ordinieren. Nämlich weil sie weniger vom Umsatz und damit vom Einkommen abhängig sein werden als ihre männlichen Kollegen. Unserer Schätzung nach ist in Österreich mittelfristig Platz für 10.000 zusätzliche Wahlärzte, wenn das System nicht wirklich reformiert wird. Wanderbewegungen der Ärzte innerhalb der EU lassen sich nicht seriös abschätzen. Der Kassen- und Spitalsbereich in Österreich wird sich aus Budgetgründen – wenn überhaupt – nur marginal vergrößern. Berücksichtigt man nun die „Doppelbeschäftigung“, dann wird der Anteil jener Ärzte, die „mindestens eine Wahlarzttätigkeit“ aufweisen, bald die 50Prozent-Marke überschritten haben.
Standpunkte und Perspektiven Österreich im Umbruch Ziel unserer Analyse der Entwicklungen ist keinesfalls, einen Keil zwischen verschiedene Ärztegruppen (insbesondere Wahlärzte
und Kassenärzte) zu treiben. Eine PatientenUmfrage des Wahlärztereferates der Ärztekammer für Niederösterreich (siehe Abb. 5 und Seite 80 ff) hat teils heftige Reaktionen von Kassenärzten bewirkt. Zur Interpretation der Ergebnisse ist daher Folgendes zu sagen: Wahlärzte und Kassenärzte haben dieselbe Ausbildung, das medizinische Wissen kann daher nicht unterschiedlich sein (ausgenommen natürlich persönliches Engagement, das aber beiden Gruppen offen steht). Ein Patient kann die medizinische Qualität einer Behandlung nur bedingt beurteilen. Er kann zwar feststellen, ob es ihm nach der Behandlung besser geht oder nicht, er kann auch den Krankheitsverlauf in der Länge messen, aber er kann nur in den seltensten Fällen wirklich beurteilen, ob die Behandlung nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft erfolgt ist.
Warum ich gerne Kassenarzt bin Von Thomas Hopferwieser
Mir macht es einfach Spaß, mit Menschen zu tun zu haben und Menschen zu beraten. Das Kassensystem bietet eine niedrige Schwelle für Patienten, ich kann so auch die „kleinen Leute“ behandeln und ihnen helfen. Das System der Krankenkassen bietet zweifellos Sicherheit und einen gewissen Schutz. Es ist ständig eine Herausforderung, als Kassenarzt mit limitierter Zeit und limi65
66
mehr möglich. Mit den leitenden Chefärzten hatte ich bisher immer ein gutes Einvernehmen, individuelle Regelungen waren meist möglich. Ich sehe mich nicht als Gegner der Krankenkasse, sondern als deren Mitstreiter, das bisschen Geld möglichst nutzbringend zu verwenden. Aufgrund der Limitierungen und Deckelungen und meines eigenen Anspruches kann ich leider gewisse Leistungen wir Echokardiographie oder Langzeit-EKG nicht anbieten. Eine Konzentration derartiger Leistungen (mit höherer Bezahlung) bei einigen wenigen Kollegen konnte nicht durchgesetzt werden. Aufgaben, Funktionen und Notwendigkeit des Hauptverbandes sind mir völlig unklar, noch dazu bei jetzt im Zuge der Gesundheitsreform eingerichteten Gesund-
WA H L A R Z T B E S U C H 2003 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
35 19 Bessere Qualität
Mehr Zeit für mich
15
8
Rascherer Wartezeit in Termin Ordination geringer
Hauptgrund für Wahlarztbesuch anstelle eines Kassenarztes (in Prozent) (Quelle: Umfrage der Ärztekammer für Niederösterreich 2003)
A B B. 5
tiertem Budget gute Leistungen, also leistbare Medizin, zu erbringen. Ich habe große Freude an der Dienstleistung, bei mir steht der Servicegedanke im Vordergrund. Ich verlange von mir selbst, alle angebotenen Leistungen auch gut zu beherrschen, ich bin nicht dazu ausgebildet worden, „Alibileistungen“ zu bringen. Ein Kassenarzt braucht einige Vorraussetzungen, um trotz niedriger Einzelleistungsentlohnung gut leben zu können. Sehr wichtig sind sehr gute Mitarbeiter, die sich am Patienten orientieren, Spaß an (Dienst-) Leistung haben sowie durch ständige Ausund Fortbildung gutes fachliches Wissen aufweisen. Ein guter Steuerberater, der auch von Medizin etwas versteht, kann Investitionsvorhaben hinterfragen und mitsteuern. Zeitnahe Verlaufskontrolle sowie ständiges Benchmarking sind heutzutage Voraussetzungen für Erfolg im Dienstleistungsbereich. Ich lege Wert auf eine gute Kommunikation mit allen Kunden (Patienten, Zuweiser, Kassen, Lieferanten) und habe aus meiner Sicht eine sehr gute Organisation mit überwiegend standardisierten Abläufen. Die Praxis wurde 1996 ISO-zertifiziert. Es gibt allerdings auch aus meiner Sicht Kritikpunkte am Kassensystem. Die Chefarztpflicht ist etwas unglücklich gelöst, da die Kontrolle von Kollegen ausgeübt werden soll, die ein medizinisches Universalwissen haben müssten. Das ist heutzutage nicht
Situationsbeschreibung heitsagenturen. Aus meiner Sicht wäre eine Reduktion oder Abschaffung der vielen kleinen Krankenkassen dringend nötig. Gespart werden muss überall, auch bei den Medikamentenkosten. Ich bin für eine Aut-idem-Regelung (Apotheker ersetzt ein verschriebenes Medikament gegen ein wirkstoffgleiches, aber billigeres Produkt) oder die Möglichkeit für Patienten zur Aufzahlung auf ein Originalpräparat. Meine Beziehung zur Gebietskrankenkasse bewerte ich wie eine Partnerschaft. Ich brauche sie, sie brauchen mich, und gemeinsam haben wir für andere etwas zu leisten. Das Verhältnis sollte halbwegs symmetrisch sein, einseitige Dominanz weckt nur Trotzreaktionen, während ein Zusammenarbeiten das optimale Ergebnis liefern könnte. Eine vernünftige Führung der Ärztekammer und der Kassen können diese Beziehung verstärken. In Tirol haben wir von unten bis zur höchsten Spitze Menschen, mit denen man reden kann und die an einem Konsens interessiert sind. Sooft ich bei der Gebietskrankenkasse war, habe ich mich nie als Gegner oder Feind gefühlt, auch wenn unsere Auffassungsunterscheide oft ziemlich weit auseinander lagen. Letztlich müssen auch die Entscheidungen der Krankenkassen rechtlich gedeckt sein. Andererseits können die Mitarbeiter der Krankenkassen gar nicht wissen, wie viel wir in der Praxis für die Kassen und für Einsparungen sowie
vernünftigen Umgang mit den Ressourcen sprechen. Die Linien werden von der Politik vorgegeben, derzeit geht es immer mehr Richtung minimaler Grundversorgung statt individueller Bedürfnisse und Spitzenmedizin. Im niedergelassenen Bereich ist die eingeschlagene Richtung Staatsmedizin, wobei von oben vorgegeben wird, was wie gemacht werden muss – mit einem Übermaß an Misstrauen und Kontrolle. Rechtfertigen müssen sich allerdings immer die Ärzte. Immer mehr Regulierungen, Behandlungspfade, Formulare und Dokumentationen sind zu beachten, erledigen und auszufüllen. Ob derartige Normen zu einer besseren und kostengünstigeren Medizin führen, zweifle ich stark an. Die Regulierungs- und Überwachungswut würde vermutlich drastisch zurückgehen, wenn die verlangten Leistungen von denen bezahlt werden müssen, die sie verlangen. Aus dem Qualitätsmanagement ist bekannt, dass nur aufgezeichnet werden soll, was relevant und sinnvoll ist. Ich frage mich auch, ob es im Gesundheitsministerium ausreichend Ärzte als Berater gibt, die den Praxisalltag wirklich kennen? Wo bleibt denn eigentlich der Patient mit seinen Wünschen, Bedürfnissen und Anliegen? Müsste nicht eigentlich er im Vordergrund aller Vorstöße in Richtung Qualitätssicherung stehen? Bestimmt nicht der Kunde den Markt? Wurde er gefragt, inwieweit er bereit ist, für her67
vorragende Spitzenmedizin etwas mehr zu bezahlen? Warum traut man ihm nicht zu, bei diesen Fragen mitzubestimmen? Einer meiner Lehrer, Prof. Dr. Wolfgang Wesiack, pflegte zu sagen, dass die Ärzte die Watte aus den Ohren nehmen und sich in den Mund stecken sollen. Wäre nicht eine „Zuhörmedizin“ im Gegensatz zur sprechenden und apparativen Medizin nötig? Ist nicht gute Kommunikation, die beispielsweise in Balintgruppen erlernt werden kann, der richtige Weg zum Patienten? Soll man ihn zur Massenware und zum Versuchskaninchen degradieren, indem man durch „disease management“ eindeutige Behandlungspfade festlegt? Obwohl ich das Gefühl habe, dass der Arztberuf mehr als alle anderen freien Berufe durch Regelungen und Vorschriften zum Nachteil der Patienten eingeengt wird, genieße ich meine Tätigkeit als Kassenarzt und sehe der Zukunft interessiert entgegen.
Warum ich (gerne) Wahlarzt bin Von Wilfried Tschiggerl
Schlosser hätte ich werden können oder einen anderen Beruf ergreifen, nur abwechslungsreich sollte dieser sein. Ich war nicht darauf angewiesen, den ärztlichen Beruf ausüben zu müssen, denn Verschiedenstes hatte ich während meiner Studienzeit in die Hand genommen. Es ergab sich zufällig, dass ich trotz damals langer Wartezeiten auf einen Ausbildungsplatz gleich nach 68
der Promotion mit dem Turnus beginnen konnte. Also wandte ich mich der „ärztlichen Kunst“ zu, von der ich nach dem von Theorie dominierten Studiengang nur vage Vorstellungen hatte. Dem Helfer-Syndrom meine ich nie erlegen zu sein, eine soziale Einstellung scheint mir aber Voraussetzung dafür, den Hippokratischen Eid zu schwören. Im Krankenhaus merkte ich bald, dass mich der Weg in die Selbständigkeit führen würde. Einerseits sind durch Mangel an Facharztausbildungsstellen die Möglichkeiten stark eingeschränkt, zum anderen ist „Arzt als freier Beruf“ eine wichtige Devise – sicher nicht nur für mich. Weisungsgebundenheit oder Zwänge, die mir in leitender Position begegnet wären, stehen dem entgegen. Eine Ausbildungsstelle als Internist oder Kinderfacharzt wäre mir gelegen gekommen, beides Fächer, die, wie die Allgemeinmedizin, den ganzheitlichen Aspekt offen lassen. Das Angebot einer Ausbildungsstelle zum Anästhesisten lehnte ich damals ab, weil es damit keine Garantie mehr für das ius practicandi gegeben hätte. So führte mich der Weg zur Unabhängigkeit in die allgemeinmedizinische Praxis. Gleich mit allen Kassen in die Praxis zu gehen, ist ja nicht möglich. Eine hohe Zahl auf der Warteliste lässt dann zum Wahlarzt auch keine Alternative offen, ausgenommen in einer anderen Sparte. Um aber als
Situationsbeschreibung freiberuflich Gewerbetreibender in der medizinischen Branche überhaupt eine Chance zu haben, sah ich eine Spezialisierung als Voraussetzung. Also erlernte ich das Handwerk der Chirotherapie (Manualtherapie). Später ergab sich noch eine intensivere Auseinandersetzung mit Geriatrie und Palliativmedizin. Das zunehmende Auftreten von funktionellen Beschwerden am Bewegungsapparat sowie die künftige Entwicklung der Alterspyramide zeigen, dass der Bedarf in diesen Bereichen gegeben ist. Die Nachfrage sollte es also ermöglichen, in der freien Wirtschaft zu bestehen. Die Patientenfrequenz in den meisten Praxen hauptberuflicher Wahlärzte ist aber zu gering, um mit dem Erwirtschafteten eine Familie ernähren zu können. Eine kleine Anstellung daneben gäbe eine gewisse soziale Absicherung. Aber so etwas ist rar. Es bleiben dann noch diverse Jobs, die man annimmt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das Kassensystem unterbindet den freien Wettbewerb. Wahlärzte sind nämlich nicht für alle zugänglich. So zeigt sich ein Gesicht der Zweiklassenmedizin darin, dass es vielen Patienten ihre finanzielle Situation nicht erlaubt, einen Wahlarzt ihres Vertrauens zu konsultieren. Auch weiß die Bevölkerung zu wenig über die Kosten in unserem Gesundheitssystem. Daraus ergeben sich Probleme
bei der Honorargestaltung. Zu groß ist die Schere zwischen Empfehlungstarif für Privathonorare und dem Dumpingpreis der Gebietskrankenkassen. Was ist marktüblich? Was ist sozial verträglich? Die Zeit des niedergelassenen Arztes wird nicht leistungsadäquat honoriert. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen verkaufen wir Ärzte unsere Leistungen meist weit unter einem betriebswirtschaftlich kalkulierten Preis. Dies führt auch zur Überlastung der Kassenpraktiker, die als selbständige Unternehmer kalkulieren müssen. Bei diesen Tarifen bleiben dann rechnerisch drei bis sechs Minuten Zeit pro Patient. Dazu kommt der „administrative Wahnsinn“ in der Kassenmedizin, der dazu führt, sagt ein Kollege, dass er seine Patienten „nur mehr verwaltet, nicht mehr behandelt“. Zu wenig Zeit bleibt für die Patienten, zuwenig Zeit für sich selbst, zu viele Leistungen bleiben aufgrund der Limitierungen unbezahlt. Im Bereitschaftsdienst und bei vielen Leistungen, die in den Tarifkatalogen der Krankenversicherungsträger aufscheinen, komme auch ich als Wahlarzt dem Versorgungsauftrag nach. Dieser ergibt sich aus der Geschichte: Im Lazarett ging es darum, die Kampfbereitschaft wiederherzustellen, heute gilt die Aufmerksamkeit der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit. Aber unsere Gesellschaft braucht mehr. Und die moderne Medizin kann auch mehr. 69
Warum ich gerne Wahlarzt bin Arzt als freier Beruf ermöglicht ein weites medizinisches Angebot im niedergelassenen Bereich. Nicht nur Alternativ- und Komplementärmedizin meine ich hier, sondern besonders auch die Errungenschaften der medizinischen Wissenschaft. Für die qualitativ hochwertige State-of-the-Art-Medizin will die soziale Krankenversicherung zusehends weniger aufkommen. Diese Qualität kann ich als Wahlarzt anbieten, unabhängig von dem Diktat des Hauptverbandes. Dies gilt insbesondere in Hinblick auf die WHO-Definition der Gesundheit: völliges körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden.
Auch könnten alle angeforderten Visiten in vollem Umfang angenommen werden, ohne Frustration durch Überlastung hervorzurufen. Das ginge aber nur mit leistungsadäquater Honorargestaltung. Solange es diese aber nicht gibt, hat ein Kassenarzt den Vorteil, keine Honorarnoten schreiben zu müssen. Für mich als Freiberufler ist das aber selbstverständlich. Auch wird ein Kassenpraktiker oft ein besseres Feedback seiner Arbeit an der Basis bekommen, wenn die Patienten regelmäßiger erscheinen, weil dort keine finanzielle Barriere besteht.
Bin ich gerne Wahlarzt? Zeit als wesentlicher ärztlicher Faktor wird damit wieder möglich. Zeit für die Patienten, nicht Wartezeit, und auch Zeit für mich selbst. Das könnte Lebensqualität bedeuten, müsste man nicht auf vielen Hochzeiten tanzen, was den organisatorischen Aufwand enorm steigert. Um gut arbeiten zu können, brauche ich Zeit für den Patienten. Gäbe es die freie Niederlassung, die Qualität der ärztlichen Versorgung würde steigen. Jeder Arzt müsste sich soviel Zeit nehmen, wie notwendig ist – für die Arzt-PatientBeziehung. In so einem System würde eine derzeit große Kassenpraxis wahrscheinlich nicht so frequentiert werden. Terminvereinbarungen wären überall selbstverständlich, viel Wartezeit würde vermieden. 70
Derzeit entlasten wir Wahlärzte das Kassensystem und stützen es auch noch. Vieles an nicht rückerstattetem Wahlarzthonorar bleibt im Budget der Sozialversicherung. Wenn die Wartezeiten für die Patienten unzumutbar lang sind und nicht mehr Stellen geschaffen werden, sind Wahlärzte da, aber – wie gesagt – nicht für jeden. Wenn wir Vertretungen und Bereitschaftsdienste machen, um unser Einkommen zu sichern, so ermöglichen wir den Kassenärzten, ihren Vertrag zu erfüllen und ihre Lebensqualität durch etwas Freizeit zu steigern. Gäbe es keine Wahlärzte, würde die Erfüllung des Vertrages als Full-time-Job zum Burn-out so manchen Kassenarztes führen.
Situationsbeschreibung Der Stress ist eben der Preis für die geschützte Arbeitswelt. Dass es dort auch immer schlechter wird, verdanken wir nicht nur unserer Gesundheitspolitik, sondern auch denjenigen Standesvertretern – sie repräsentieren die Mehrheit der Kassenärzte –, die bisher die Erhaltung des Vertrages um jeden Preis dem unternehmerischen Risiko vorgezogen haben. Wahlärzte helfen also im derzeitigen System mit, die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Es wird aber für die jetzt im Turnus tätigen Kolleginnen und Kollegen auch immer schwieriger, sich als Wahlarzt niederzulassen. Die Gesundheitspolitik, wie sie derzeit in unserem Land betrieben wird, macht mir keine guten Hoffnungen. Vielleicht gibt es bald keine Wahlärzte mehr, wenn alles intramural passiert. Solange ich aber noch außerhalb von Mauern arbeiten darf, werde ich den freien Beruf frei ausüben – zum Wohle meiner Patienten. Die Gesellschaft braucht uns Wahlärzte. Solange die übermäßige Belastung der Kassenärzte vorliegt, wird unser Engagement honoriert, wenn auch oft nur auf der menschlichen und weniger auf der pekuniären Ebene. Im Alter von 50 werde ich keine Kassenstelle mehr antreten, wenn sich da nichts ändert. Da leiste ich mir weiterhin den Lu-
xus des Wahlarztdaseins. Und auf den Gemüsegarten und meine Imkerei werde ich nicht verzichten!
Visionen als Zukunftsperspektiven Von Gerald Bachinger
Die Diskussionen rund um den Bürokratiewahnsinn und die aus Sicht der Ärzte ständig mangelhafte Honoraranpassung ist aus meiner Sicht durchaus seltsam und verwunderlich. In Pressekonferenzen wird die angeblich katastrophale Situation der Ärzte ausgebreitet. Beklagt werden Pattsituationen zwischen den Krankenkassen und den Ärztekammern. Man darf sich jedoch durchaus die Frage stellen, warum das System derzeit lahm gelegt zu sein scheint. Meine Antwort darauf: Man verhandelt schon seit Jahrzehnten und stellt im Nachhinein immer katastrophale Situationen zu seinen Ungunsten fest. Wenn ich etwas ausmache, muss ich aber auch damit leben können. Dieser Schluss aus Patientensicht ist logisch. Die derzeitige Situation hat sich nicht von heute auf morgen ergeben, die Ärztekammer hat möglicherweise die Entwicklung an den Wünschen der Basis und der Patienten vorbei seit Jahren verschlafen. Ich stelle mir die Frage, ob das bestehende Vertragspartnersystem jetzt wie in den kommenden Jahren überhaupt noch geeignet ist, den Anforderungen an moderne Gesundheitsdienstleistungen gerecht zu wer71
den. Die Ärztekammern betreiben in vielen Fällen „Kindesweglegung“, indem sie Dinge anprangern, die sie selbst mit aus verhandelt haben. Ein gutes Beispiel ist die (bereits nach einigen Monaten vergessene) Debatte rund um den Entfall des Diskriminierungsverbotes (= das Verbot, Privatpatienten innerhalb der Ordinationszeiten für Kassenpatienten zu behandeln). Hier hat offenbar die Monetik vor der viel besungenen Ethik wieder einmal obsiegt. Ein anderes Beispiel aus jüngster Zeit sind die ärztlichen Hausapotheken. Man einigt sich auf einen Kompromiss, der dann im Nachhinein nach dem Motto: „So war das aber nicht gemeint“, in Frage gestellt wird. Die Ärztekammer, die ja eigentlich nur eine dienstleistende Gruppe von vielen im Gesundheitswesen tätigen Gesundheitsberufen vertritt, ist nach wie vor stark und wesentlich besser repräsentiert als beispielsweise sämtliche Patientenvertretungen. Trotzdem gelingt es offenbar nicht, bestimmte gute Ansätze im Sinne des Patienten durchzusetzen. Beispiel Coloskopie: Das wäre für die Vorsorge zweifelsohne wichtig, kann jedoch außer durch Einzellösungen nicht integriert werden, weil man sich nicht über Vergütungen einigen kann. Den leitenden Funktionären müsste eigentlich die Frage gestellt werden, was die Ärztekammer in den vergangenen Jahren dafür getan hat, dass Ärzte ausreichend gut 72
leben können. Gemeinsam mit den Ärztekammern wurde das System auf eine Quantifizierung der Leistungen ausgelegt. Dann darf man sich auch nicht wundern, dass es Limitierungen und Deckelungen gibt. Wenn nach Qualität bezahlt wird, kann es keine Deckelung geben. Wissen die Funktionäre eigentlich, was sie tun? Wenn die Ärztekammer so wie bisher weitermacht, könnte es sein, dass sie sich ihr eigenes Grab schaufelt.
Zukunft des Allgemeinmediziners Die Arbeit im Bereich der Schnittstellen der Gesundheitseinrichtungen ist ein im Gesundheitswesen seit langem diskutiertes, untersuchtes und auch jüngst gesundheitspolitisch erkanntes und wahrgenommenes Problem. Die Umsetzung von konkreten und flächendeckenden Optimierungsschritten ist allerdings noch nicht erkennbar. Die ganzheitliche und integrierte Sicht des Gesundheitswesens ist noch weit entfernt. Die betriebswirtschaftliche Optimierung auf Kosten der volkswirtschaftlichen Sichtweise ist heutzutage noch immer feststellbar. Die Erwartungen an die Gesundheitsplattformen der Länder sind groß, dieses Problem des österreichischen Gesundheitswesens zu mildern oder größtmöglich zu beseitigen. Besser als von „Schnittstelle“ ist es, von „Nahtstellen“, noch besser von „Nahtflächen“ zu sprechen. Das Wort „Stelle“ legt
Situationsbeschreibung nahe, dass es ausschließliche Zuständigkeiten gibt, das Wort Fläche zeigt aber, dass es übergreifender Schnittstellenverantwortung bedarf. Schnittstellen, die nicht als Nahtflächen organisiert sind, führen nicht nur zu unnötigen ökonomischen Verlusten, sondern auch zu suboptimalen Behandlungen (Mehrfachuntersuchungen, Wartezeiten von Patienten), aber auch zu feststellbaren medizinischen Behandlungsfehlern. Wichtig ist, diese Defizite zu erkennen, zu benennen und zu beschreiben sowie Lösungen anzubieten. Der Allgemeinmediziner als Hausarzt wird hier eine zentrale Rolle übernehmen müssen, wenn es diese Form der ärztlichen Berufsausübung im zukünftigen Gesundheitswesen weiterhin geben soll. Vorweg möchte ich festhalten, dass die Erfahrungen zeigen, dass die Qualität und das Engagement der weitaus überwiegenden Zahl der niedergelassenen Ärzte hervorragend ist, dies trotz der ungünstigen Rahmenbedingungen.
Derzeitiges Modell in der Krise Das traditionelle Modell „Hausarzt“ ist aber offenbar in der Krise und nicht geeignet, die zukünftigen Herausforderungen unter den gegeben Verhältnissen zu bewältigen. Diese Krise zeigt sich einerseits in vielen Statements der betroffenen Ärzte selbst und andererseits in den Wahrnehmungen der Patienten, die immer wieder die Exemplare
Einzelkämpfer und Krankenscheinsammler beklagen, der zu wenig Zeit hat und eine Dreiminutenmedizin betreibt, bei langen Wartezeiten auf Termin, langen Wartezeiten in der Ordination und unkoordiniertem Dahinwerken. Aktuelle Fragen nach der Qualität und nach Qualitätsmanagement im niedergelassenen Bereich sind vollkommen berechtigt und werden auch schon öffentlich diskutiert. Es zeigt sich aber wenig Bereitschaft der Österreichischen Ärztekammer, einen offensiven Kurs einzuschlagen (siehe auch nächstes Kapitel zum Thema „Qualität im niedergelassenen Bereich“). Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass immer mehr Patienten bereit sind, zusätzliche Kosten in Kauf zu nehmen und wahlärztliche Leistungen in Anspruch nehmen. So ist die Zahl der Wahlärzte in Niederösterreich von unter 500 im Jahr 1993 auf über 1.600 im Jahr 2006 gestiegen. Damit gibt es bereits jetzt etwa 400 Wahlärzte mehr als Kassenärzte. Weitere Steigerungen sind noch zu erwarten. Die Argumente der Patienten, einen Wahlarzt in Anspruch zu nehmen, sind bessere Qualität, mehr Zeit, rascherer Termin sowie geringe Wartezeiten in der Ordination.
Der „Hausarzt neu“ als Gesundheitscoach Es bedarf einer Einrichtung, die als Koordinations- und Gesundheitsdrehscheibe den Patienten durchgehend betreut (nicht 73
behandelt) und durch den „Dschungel“ des Gesundheitswesens leitet und begleitet. Bei neuen Modellen wird dem Patienten eine Schlüsselrolle zukommen müssen. Das Bild des Hausarztes als „Lotsen“ für den Patienten lehne ich ab, weil dies einer Abgabe von eigentlicher Patientenverantwortung und damit einer neuen Form des fremdbestimmten Paternalismus gleichkommt. An einen Lotsen wird das Steuer und damit die Gesamtverantwortung abgegeben, das darf aber nicht das Leitbild einer gleichberechtigten Partnerschaft sein. Ein Coach hingegen unterstützt den Patienten mit seinem Expertenwissen und unterstützt ihn dabei, seine eigene Entscheidung zu finden. Dass die meisten Patienten ein Modell der gleichberechtigten Beteiligung an medizinischen Entscheidungen bevorzugen, zeigt sich in einigen wissenschaftlichen Studien.
arbeitet, wird das Modell der integrierten Versorgung nicht funktionieren können. Der Hausarzt neu (mit Kassenvertrag) wird eine bestimmte vorgegebene Funktion, welche die Gesundheitspolitik zu definieren hat, zu übernehmen haben. Wer sich diesen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen nicht einordnen will, hat selbstverständlich die Möglichkeit, als Privatarzt oder Wahlarzt im freien Wirtschaftsleben zu praktizieren. Im Mittelpunkt steht die Koordinierungsund Drehscheibenfunktion. Der bisherige Hausarzt als Einzelkämpfer, der ausschließlich die Diagnose und Therapie übernimmt, wird vom neuen Hausarzt ersetzt werden, der den Patienten schwerpunktmäßig begleitet, informiert und unterstützt. Die Koordinations- und Organisationsaufgaben werden einen wichtigeren Stellenwert als heute einnehmen. Die weiterführende Therapie wird vom Facharzt oder Krankenhaus übernommen werden.
Elementare Bausteine des Hausarztes neu Der Hausarzt neu muss sich als Bestandteil des Gesamtsystems verstehen, der sich diesem System einordnen und unterordnen muss. Er hat eine koordinierende und begleitende Funktion in diesem Gesamtsystem zu übernehmen. Solange das Leitbild des freien Berufes und Wirtschaftsunternehmens besteht, das im „freien Markt“ im Kräftefeld von Angebot und Nachfrage für sein optimales wirtschaftliches Fortkommen 74
Wer Quantität sät, wird Quantität ernten Das System ist derzeit auf Krankenscheinsammeln (nunmehr e-Card) und damit nur auf Mengenoptimierung ausgelegt. Eine grundsätzliche Abkehr ist erforderlich. Ungenügend sind Forderungen nach bloßer Erhöhung der Tarife unter Belassung der bisherigen Struktur. Geradezu lachhaft ist es, zusätzliche Mittel für die Finanzierung des ärztlichen Gespräches zu fordern
Situationsbeschreibung und dann zu glauben, dass dafür plötzlich in den Ordinationen mehr Zeit vorhanden sein wird. Mit solchen Ansätzen wird nur erreicht, dass die Drei-Minuten-Medizin besser bezahlt wird als früher, die Patienten werden allerdings keine Verbesserungen bemerken. Neue Modelle, die Anreize für Qualität setzen, müssen eingeführt werden, etwa die Vergütung entsprechend der Ergebnisqualität. Die neuen Anforderungen benötigen einen ausgebildeten Gesundheitsmanager im niedergelassenen Bereich, der zusätzliche (bisher nicht erforderliche) Kompetenzen und Fähigkeiten, ergänzend zu seiner medizinischen Ausbildung, hat. Ohne massiven Einsatz von Informationstechnologie und einem möglichst schnellen und reibungslosen Informationsfluss der Gesundheitsdaten kann ein Schnittstellenmanager seine Aufgaben nicht erledigen. Eine wichtige Voraussetzung ist der elektronische Gesundheitsakt, der den Patienten durch alle Versorgungsformen des Gesundheitswesens begleitet. Die Aufwertung bzw. das „Fit machen des Hausarztes“ wird nicht ohne grundsätzliche Systemumstellungen möglich sein. Bei solchen Umbrüchen wird es nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer und damit auch massiven Widerstand der beharrenden Kräfte geben. Wenn aber das Ziel der Patientenorientierung und der bestmöglichen Wahrnehmung der Patientenbedürfnisse
nicht bloß ein Lippenbekenntnis ist, muss die Gesundheitspolitik diese Widerstände im Interesse der aktuell und potenziell betroffenen Patienten überwinden.
Qualität quo vadis? Ist Patientenorientierung eine Selbstverständlichkeit? Ein wichtiges und richtiges gesundheitspolitisches Ziel ist die Ausrichtung des gesamten Gesundheitswesens nach den Prinzipien der Patientenorientierung. Patientenorientierung bedeutet, sich im Rahmen eines therapiekonformen Betreuungsprozesses zu bemühen, die Erwartungen und Bedürfnisse der Patienten kennen zu lernen und zu erfüllen. Die Leistungen des Gesundheitswesens sind also auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Patienten auszurichten. Voraussetzung dafür ist, die Perspektive des Patienten wahrzunehmen, zu erfassen und zu beurteilen. Dies bedeutet nicht, dass die viel beschworene Begehrlichkeit der Patienten gefördert wird und unbegrenzbare, individuelle Wunscherfüllung ohne Berücksichtigung der beschränkten Ressourcen angestrebt wird. Sondern es bedeutet eine Einbeziehung der Bedürfnisse in größtmöglichem Umfang unter Berücksichtigung des gesamten Gesundheitssystems und der begrenzten Ressourcen. 75
Bedürfnisse und Wünsche der Patienten sind tendenziell unbegrenzt und nehmen meist (das ist nur natürlich, wenn es um die eigene Gesundheit oder das Leben geht) keine Rücksicht auf die nachhaltige Weiterfunktion des Gesamtsystems. Es stellt sich daher die Frage, was brauchen die Patienten wirklich bzw. worauf besteht ein rechtlicher Anspruch.
Qualität im niedergelassenen Bereich oder: Die Götterdämmerung für die ärztlichen Künstler bricht an! Die meisten Patienten haben bisher wenig Interesse an Strukturen oder Prozessen. Sie wollen vor allem eines – ein gutes Ergebnis als Resultat der Behandlung oder Betreuung. Qualität bedeutet fachliche Qualität und menschlich/kommunikative Qualität. Wie kann ein Beitrag für bestmögliche Qualität geleistet werden? Die modernen Methoden und Maßnahmen des Qualitätsmanagements scheinen ein wertvoller und Erfolg versprechender Ansatz zu mehr nachvollziehbarer und transparenter Qualität in der Zukunft zu sein. Besonders viel versprechend sind die neuen Möglichkeiten zur Erarbeitung von Qualitätsstandards (Leitlinien), die den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben und damit eine valide Grundlage eröffnen, was qualitätsvolle Therapie am neuesten Stand bedeutet. 76
Gesundheitsqualitätsgesetz Das Gesundheitsqualitätsgesetz (GQG), das selbstverständlich auch für den niedergelassenen Bereich der Ärzte gilt und mit 1. Jänner 2005 in Kraft getreten ist, versucht einen in Österreich vollkommen neuen und umfassenden Ansatz zum Thema Qualität zu erreichen. Das neue GQG möchte ein gesamtösterreichisches Qualitätssystem erzielen. Freiwillige Qualitätsarbeit wird damit zu verbindlicher Qualitätsarbeit. Qualitätsarbeit soll Bundesländer-, Sektoren- und berufsübergreifend gemacht werden. Deshalb wird an die Leistungen des Gesundheitswesens und nicht an Organisationsformen bzw. ausübende Berufe angeknüpft. Struktur-Prozess und auch die aus Patientensicht besonders wichtige Ergebnisqualität sind mit umfasst. Ergebnisqualität ist definiert als: Zielerreichungsgrad des professionell eingeschätzten Ergebnisses der Gesundheitsleistung unter Berücksichtigung der subjektiven Zufriedenheit der Patienten und der durch die Leistung gewonnenen Lebensqualität. Qualität ist definiert als: Der Grad der Erfüllung der Merkmale von patientinnenund patientenorientierter, transparenter, effektiver und effizienter Erbringung der Gesundheitsleistung. Die zentralen Anliegen in diesem Zusammenhang sind die Optimierung von Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität.
Situationsbeschreibung Bundesinstitut für Qualität Ein Bundesinstitut für Qualität soll eingerichtet werden. Folgende Aufgaben sind vorgesehen: 1 Mitwirkung bei der Erstellung von allgemeinen Vorgaben und Grundsätzen für die Standardentwicklung im Bereich Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität für die Dokumentation zur Qualitätsberichterstattung und für die Qualitätsberichterstattung, für Fördermaßnahmen und Anreizmechanismen. 2 Überprüfung, Empfehlung sowie Erarbeitung von Qualitätsstandards, die von der Bundesministerin bzw. Bundesminister für Gesundheit und Frauen erlassen (Bundesqualitätsrichtlinien) oder als Orientierungshilfe (Bundesqualitätsleitlinie) empfohlen werden können. 3 Erstellung des jährlichen Qualitätsberichtes. 4 Durchführung von bzw. Mitwirkung bei der Setzung von Fördermaßnahmen und Anreizmechanismen. 5 Durchführung der bzw. Mitwirkung an der Kontrolle der Einhaltung der Bestimmungen dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen oder sonstiger Vorgaben. 6 Unterstützung des Bundesministers für Gesundheit und Frauen bei der bundesweiten Koordinierung von Qualitätsmaßnahmen zum Zweck der nationalen und internationalen Vergleichbarkeit von Ge-
sundheitsleistungen. Dabei sollen die Patientinnen systematisch einbezogen werden.
Leitlinien Leitlinien sind im GQG definiert als „Bundesqualitätsleitlinien: Von der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen als Orientierungshilfe empfohlene Standards.“ Damit ist eindeutig klargestellt, dass Leitlinien keine direkte rechtliche Verbindlichkeit haben und an die Nichtbefolgung derselben auch keine direkten rechtlichen Sanktionen geknüpft sind. Freilich ist ein Abgehen von einer validen Leitlinie, die den Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergibt, zu begründen. Österreich liegt etwa ein Jahrzehnt hinter den Entwicklungen und Erfahrungen in Deutschland. Bis vor kurzem war das Thema Leitlinien und EbM (Evidence based Medicine) in Österreich ein „Tabubereich“, der (in einigen ärztlichen Kreisen) absolut negativ besetzt war und noch immer ist und vor allem als Einschränkung der so genannten „Therapiefreiheit“ des Arztes und als Angriff auf die ärztliche „Kunst“ gesehen wird.
Exkurs Qalitätssicherungs Verordnung Diese nach wie vor weit verbreiteten Ansichten haben sich vor allem in der Diskussion um neue Qualitätskriterien für den niedergelassenen Bereich (Verordnung für Qualitätssicherung) gezeigt. Die dort ge77
führten Diskussionen um Leitlinien und EbM können aus meiner Sicht nur als Absurditäten bewertet werden. Als sehr problematisch hat sich auch die Übergabe dieser Aufgaben der Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle an eine (von der Österreichischen Ärztekammer vollkommen abhängige) Gesellschaft für Qualitätssicherung (ÖQMed) herausgestellt. Die direkte und alleinige Abhängigkeit zur Österreichischen Ärztekammer als gesetzliche Interessenvertretung der Ärzteschaft führt zu Interessenkollisionen. Außerdem hat sich bis jetzt immer noch die Interessenvertretung der Ärzteschaft als stärker erwiesen als das Interesse an offensiven Qualitätsanliegen.
Entwicklungen in Deutschland In Deutschland sieht man den Stellenwert von Qualität und die Werkzeuge zum Erreichen von Qualität bereits seit längerer Zeit etwas anders. Dort wird der Sinn und Zweck etwa von Leitlinien folgendermaßen definiert: „Leitlinien dienen vorwiegend zur Sicherung und Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung. Sie sollen zu wissenschaftlich begründeter und ökonomisch angemessener ärztlicher Vorgehensweise motivieren. Außerdem können mittels Leitlinien unnötige Maßnahmen und Kosten sowie unerwünschte Qualitätsschwankungen vermieden werden.“ 78
Oder zum Stellenwert von Leitlinien für das Patient-Arzt-Verhältnis: „Gute Medizin wiederum ist jene, die der Patient brauche, die der Arzt beherrsche, und jene, die er wissen könnte. Leitlinien sind daher notwendig, damit der Arzt erkennen kann, was das Richtige für seinen Patienten ist. Aus all den existierenden wissenschaftlichen Informationen müssen die Informationen herausgefiltert werden, die sinnvolle von fragwürdiger Medizin unterscheiden.“
Funktion und Benefit von Leitlinien Leitlinien sollten also systematisch entwickelte Entscheidungshilfen sein, entwickelt von Ärzten und Patienten (-vertretern) für Leistungserbringer und Patienten über angemessene Vorgehensweise bei speziellen Gesundheitsproblemen. Die Einbeziehung der Patienten (-vertreter) erfolgt also gleichberechtigt. In dieser Einbeziehung wird in manchen Nachbarländern keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung für das Gesundheitswesen gesehen. Leitlinien zielen also auf: Qualitätsförderung Transparenz in der Medizin Wissenschaftlich begründete Vorgehensweise Vorgehensweisen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Einstellungen der Patienten Ökonomisch angemessene Vorgehensweise der Medizin
Situationsbeschreibung Empowerment der Patienten, informierte Entscheidungen zu treffen (shared decision making)
verlieren wird. Der Faktor Zeit wird nach unserer Ansicht in der Kassenmedizin völlig unterbewertet und zu wenig honoriert.
Sichtweise der Patienten
Qualität
„Wer zahlt, schafft an“ hat ein niederösterreichischer Politiker öffentlich über die Finanzierung im österreichischen Gesundheitssystem artikuliert. Das provoziert die Fragen: Sind es nicht die Patienten, die über ihre Beiträge zur Krankenversicherung die „Zahler“ sind? Müssten nicht sie bestimmen, welchen Weg unser Gesundheitssystem geht? Sind nicht die Krankenkassen lediglich die Verwalter und Verteiler der Beiträge?
Die Definition von Qualität ist laut „Duden“ neutral und bedeutet: Beschaffenheit, Eigenschaft. Die Internationale Norm ISO 9000:2000 definiert Qualität als „die Gesamtheit von inhärenten Merkmalen eines Produktes, Systems oder Prozesses zur Erfüllung von Forderungen von Kunden und anderen interessierten Parteien“. Die Forderungen können vorausgesetzt oder vorgeschrieben sein und von verschiedenen interessierten Personengruppen aufgestellt werden.
Der Kassenarzt aus Patientensicht Es gibt durchaus Kassenärzte, die sich viel Zeit für die Patienten nehmen, genauso wie es wahrscheinlich Wahlärzte gibt, die sich wenig Zeit nehmen. Die Bevölkerung verbindet den Begriff Kassenarzt jedoch mit den Begriffen „wenig Zeit“, „lange Wartezeit“, „viele Patienten“, „überlastet“.
Der Wahlarzt aus Patientensicht Der Begriff Wahlarzt wird aus Sicht der Patienten mit den Begriffen „Qualität“ und „viel Zeit“ verbunden. Ein Wahlarzt, der sich für Patienten nicht ausreichend Zeit nimmt, wird binnen kurzer Zeit keine Patienten mehr haben, während ein Kassenarzt, der Patienten durchschleust, kaum einen
Die produktbezogene Sichtweise Eine gute Orientierung, welche Perspektiven bei der Definition und Beurteilung von Qualität angenommen werden können, bietet die Unterscheidung von Garvin (1984): Die produktbezogene Sichtweise bezieht sich vor allem auf Dienstleistungen mit hohem materiellen Anteil (beispielsweise die Implantation künstlicher Gelenke) oder hohem Maß an Standardisierung (zum Beispiel Hygienestandards).
Die kundenorientierte Sichtweise Die kundenorientierte Sichtweise setzt Qualität gleich mit der Erfüllung von Kundenanforderungen. Insbesondere im Bereich 79
Die herstellungsorientierte Sichtweise Die herstellungsorientierte Sichtweise betont die Einhaltung von Vorgaben und Spezifikationen, die aus dem jeweils anerkannten Erkenntnisstand abgeleitet werden. Im Extremfall wird diese Qualität vom Leistungsanbieter definiert, ohne die Bedürfnisse der Kunden (Patienten) zu berücksichtigen (zum Beispiel: dringliche Operationsindikation).
Die wertorientierte Sichtweise Die wertorientierte Sichtweise setzt die Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung in Relation zum Preis. Unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Ressourcen soll eine optimale Leistungsqualität angeboten werden. In jedem System bzw. jeder Organisation kommen in verschiedenen Ausprägungen alle vier Ansätze zum Tragen. Die Einführung von Qualitätsmanagement ist zwingend verbunden mit der Bereitstellung von Ressourcen (Zeit und Geld). Diese Grundregel gilt auch für das Gesundheitssystem. Kostendeckelungen, die Limitierung von Leistungen und eine Reduktion der ärztlichen Honorare – alles Dinge, die derzeit 80
WA H L A R Z T B E S U C H 2003 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
35 33 Bessere Qualität
19 23 Mehr Zeit für mich
1999
15 15
8
Rascherer Wartezeit in Termin Ordination geringer
Hauptgrund für Wahlarztbesuch an Stelle eines Kassenarztes (Quelle: Umfrage der Ärztekammer für Niederösterreich 1999 und 2003)
im öffentlichen Gesundheitssystem stattfinden – müssen daher mittelfristig eine Reduktion der Qualität nach sich ziehen. Anders ausgedrückt: Es muss mehr Geld in das Gesundheitssystem fließen.
Qualität und Zeit Die Ärztekammer für Niederösterreich hat auf Initiative des Wahlarztreferates die Patienten im Oktober 2003 gefragt, warum anstelle eines Kassenarztes ein Wahlarzt aufgesucht wird. Die Antwort war eindeutig – zwei Faktoren spielen eine wesentliche Rolle: Qualität und Zeit (Abb. 6). Verglichen mit den Zahlen aus dem Jahr 1999 haben sich keine wesentlichen Änderungen dieser Einschätzung ergeben. Das Ergebnis dieser Umfrage hat weiters gezeigt, dass sich vor allem Frauen, höher
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medizinischer und sozialer Dienstleistungen liegen die Schwierigkeiten einerseits in der begrenzten Beurteilungsmöglichkeit der Qualität durch die Patienten, andererseits in der Darstellung der Ergebnisqualität medizinischer Leistungen.
Situationsbeschreibung gebildete sowie jüngere Patienten und auch Patienten, die häufiger einen Arzt aufsuchen, vermehrt für einen Wahlarzt entscheiden und somit bereit sind, Geld für Gesundheit auszugeben. Auch in der Auswahl der Ordinationszeiten (Abb. 7) artikulierte die Bevölkerung klar ihre Bedürfnisse: ältere Patienten, die bereits in Pension sind, bevorzugen den Vormittag, Berufstätige den Nachmittag und Abend. Es besteht ein eindeutiger Trend, den Arztbesuch außerhalb der Arbeitszeit zu erledigen. Samstag-Ordinationen sind bei den Patienten wenig beliebt. Alle Finanzierungssysteme im Gesundheitssystem sind nach wie vor leistungsorientiert, die Faktoren Zeit oder Qualität werden nicht oder nur unzureichend bewertet. Es obliegt jedem einzelnen Arzt, kundenorientiert zu (be)handeln. Es liegt aber auch
O R D I N AT I O N S Z E I T E N 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
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Vormittags
22
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Nachmittags
Abends
4 Samstag Vormittag
Welche Ordinationszeiten wünscht sich der Patient? (Quelle: Umfrage der Ärztekammer für Niederösterreich 2003)
an der Ärzteschaft und wird zunehmend eine der zentralen Aufgaben der Ärztekammern sein, auf die Dringlichkeit eines nötigen Umdenkprozesses hinzuweisen. Für uns steht außer Zweifel, dass es nur mit ausreichendem Zeitaufwand möglich ist, Qualität (nicht nur in der Medizin) nachvollziehbar zu dokumentieren und dass die Begriffe Zeit und Qualität untrennbar miteinander verbunden sind. Dokumentation ist die Grundlage für Qualitätsmanagement. Der Weg Richtung Zertifizierung ist zwar mit hohem Aufwand verbunden, der Nutzen für Mitarbeiter und Patienten steht jedoch außer Zweifel. Schon durch die Notwendigkeit, Prozesse und Abläufe berufsgruppenübergreifend zu diskutieren und Standards festzulegen, ist eine Verbesserung der Kommunikation zu erwarten. Die nun in Österreich durch die Gesellschaft für Qualitätssicherung (ÖQMed) etablierte Selbstevaluierung der ärztlichen Ordinationen ist ein erster Schritt in Richtung Qualitätssicherung, die Qualitätspolitik der Österreichischen Ärztekammer war für uns nicht immer nachvollziehbar. Zu bedenken ist bei der Etablierung von Vorschriften auch, dass der erhöhte Dokumentationsaufwand in der Pflege an einigen Abteilungen dazu geführt hat, dass zwar eifrig dokumentiert, die Pflege aber vernachlässigt wird. Folge davon sind eine scheinbare Qualitätsverbesserung und eine perfekte Doku81
B E H A N D LU N G S M E T H O D E N 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
76 21 Wichtig
Nicht so wichtig
Bedeutung alternativer Behandlungsmethoden für die Patienten (Quelle: Umfrage der Ärztekammer für Niederösterreich 2003)
als Allgemeinmediziner niederlassen, von entscheidender Bedeutung ist (Abb. 8). Laut anderen Studien besprechen nur 20 Prozent jener Patienten, die tatsächlich alternative Behandlungsmethoden anwenden, diese auch mit ihrem Hausarzt. Dies bedeutet, dass für alternative Behandlungsmethoden offensichtlich ein Markt außerhalb des Kassensystems besteht.
Der Wahlarzt aus Sicht des fachkundigen Patienten – gelebte Patientenorientierung Von Monika Herbstrith
Was wollen die Patienten Alternative Behandlungsmethoden Die Wertigkeit der Komplementärmedizin wird von der Bevölkerung sehr hoch eingestuft, was vor allem für Wahlärzte, die sich 82
Zunächst war Fitness angesagt. Im Mittelpunkt stand die körperliche Ertüchtigung, die Stählung des Körpers. Dieser Trend wurde abgelöst vom Wellnessboom. Die genüssliche Entspannung und das Verwöhnt werden sollen helfen, in einer immer an-
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mentation, aber auch ein schlecht betreuter Patient, der auf der Strecke bleibt. Durch Anwendung eines adäquaten EDVSystems ist es möglich, die Dokumentation möglichst einfach zu gestalten und Doppelgleisigkeiten zu vermeiden. Neben der Richtigkeit der Informationen steht die Nutzenorientierung im Vordergrund. „Wer braucht die Aufzeichnungen wofür?“ lautet die zentrale Frage. Fällt ihnen auf die Frage nach dem Nutzen einer Aufzeichnung keine Antwort ein, sollten sie die Kontrollfrage stellen: „Was geht verloren, wenn wir diese Information nicht mehr dokumentieren? Werden damit rechtliche Grundlagen verletzt?“ Die Sinnhaftigkeit einer Aufgabe ist nach wie vor einer der stärksten Motivationsfaktoren. Die Norm ISO 9001:2000 ist „prozessorientiert“. Dies bedeutet für Personen im Gesundheitswesen auch, dass eine Ausrichtung am „natürlichen“ Weg des Patienten in und quer durch unsere Gesundheitseinrichtungen stattfindet. Leistungen werden nicht durch Improvisation und Engagement und viele Überstunden erbracht, sondern nach festgeschriebenen Standards.
Situationsbeschreibung spruchvolleren Leistungsgesellschaft Ausgleich zu finden. Vor uns liegt jetzt das Zeitalter des Selfness: Beginnend mit dem Nomadentum über die Zeit der Ackerbauern, das Industriezeitalter bis zur Informationsgesellschaft war der Mensch bisher vor allem damit beschäftigt, sich mit der Umwelt auseinander zu setzen. Jetzt gilt es, dass er Innenschau hält, Eigenverantwortung übernimmt für sein Wohlbefinden von Körper, Geist und Seele, wie die WHO Gesundheit definiert. Alle Trendforscher sind sich einig, dass Gesundheit einer der Megatrends unserer Gesellschaft ist. Die Bereitschaft, Zeit und Geld in das eigene Wohlbefinden zu investieren, steigt. Gleichzeitig ändern sich damit die Erwartungen der Patienten an den Arzt. Unerwünschte Symptome mit „starken Mitteln“ zu bekämpfen, ist vordergründig eine einfache, rasche Lösung. Mehr und mehr gewinnt aber der Anspruch an Boden, dass Ärzte vor allem die Patienten unterstützend begleitende Vertrauenspersonen sein sollen, die zu nachhaltiger Gesundheit und nicht nur zur akuten Symptombereinigung beitragen. Die Gespräche zwischen Arzt und Patient gewinnen an Bedeutung. Sie sind unerlässlich, damit sich der Arzt ein umfassendes Bild von den die Gesundheit beeinflussenden Lebensaspekten verschaffen kann. Patienten wollen in die Entscheidungen der Diagnostik und Therapie eingebunden werden.
Neben der fachlichen Richtigkeit geht es um die Verständlichkeit und die Aussagekraft der Informationen für die Patienten. Dass sich der Arzt Zeit nimmt für die Anliegen der Patienten, dass er für die gesundheitlichen Probleme ein offenes Ohr und Verständnis bietet, dass er respektvoll und wertschätzend auf den Patienten zugeht, das alles sind zentrale Qualitätskriterien für Ärzte als Gesundheits-Dienstleister. Das deutsche Wort „Dienst-Leistung“ bringt es auf den Punkt: Die ärztlichen Leistungen, das Fachwissen, die Expertise ist nur eine Seite der Medaille. Was es vor allem auch noch braucht, ist die Bereitschaft und die Demut des Dienens. Und dabei gilt der Grundsatz „die Kunden sind kundig“ – für ihre Empfindungen und die von ihnen wahrgenommene Qualität, z.B.: „Mein Arzt hat Verständnis für mich und meine gesundheitlichen Belange“ – „Ich fühle mich von meinem Arzt ernst genommen, er wahrt meine Intimsphäre“ – „Ich vertraue meinem Arzt in gesundheitlichen Belangen“ – „Ich fühle mich gut ärztlich betreut“ – „Ich kann den Arzt weiterempfehlen, auch wenn ich für die ärztlichen Leistungen zahlen oder sie vorfinanzieren muss“. Diese subjektiven Sichtweisen der Patienten sind letztlich ausschlaggebend für das Image der Ärzte. Auch für ärztliche Leistungen gilt zunehmend, dass man sich auf einem Gesundheits-Kundenmarkt behaupten muss. Während früher in einem Anbietermarkt 83
Patienten dankbar waren, überhaupt beim Arzt einen Termin zu bekommen, ist es zunehmend so, dass Patienten von ihren Wahlmöglichkeiten Gebrauch machen. Betriebswirtschaftlicher Erfolg ist für Arztpraxen nicht mehr selbstverständlich. Gerade Wahlärzte müssen sich den Fragen stellen: „Warum bin ich für meine Patienten der beste Partner?“ – „Worin besteht der (Mehr-)Wert meiner Leistungen?“ – „Warum ist es für die Patienten eine sinnvolle Investition, mich für meine gesundheitlichen Beratungen zu bezahlen?“ Eine Spezialisierung der Arztpraxis und zusätzliche, ergänzende Leistungen inklusive der erforderlichen Marketingaktivitäten können betriebswirtschaftlich überlebenswichtig werden. Neben ärztlicher Expertise und engagiertem Idealismus braucht es zunehmend auch unternehmerische Klugheit und strategische Weitsicht, um den Erfolg der Praxis nachhaltig zu sichern. Neben der Qualität der ärztlichen Leistungen im engeren Sinn nehmen Patienten aber auch die Struktur- und Prozessqualität wahr. Zunehmend informieren sich Gesundheitsinteressierte und Krankheitsgeplagte im Internet über Angebote. Der Webauftritt kann da der erste vertrauensstiftende Meilenstein sein. Zeit ist gerade bei der Zielgruppe der Wahlärzte ganz ausschlaggebend. Da schätzt man das unkomplizierte Service der Terminvereinbarung per Web oder Mail. 84
Will man sich aber telefonisch informieren, kommt der Sprechstundenhilfe große Bedeutung zu: Es gibt nur eine Chance für einen ersten Eindruck. Kranke Menschen befinden sich in einer Ausnahmesituation, und das ist mit Stress verbunden. Die Atmosphäre im Empfang und im Wartezimmer ist daher umso wichtiger. Flexibilität bei der Terminvereinbarung ist gefragt. Unzumutbare Wartezeiten trotz vereinbarter Termine gehören zu den größten Unmutserregern bei Patienten. Sie sind noch dazu nicht gerade entspannungs- und gesundheitsförderlich! Daraus folgt, dass neben der fachlichen und Kommunikations-Qualität vor allem auch die Führungs- und OrganisationsQualitäten für Wahlärzte entscheidend sind. Der Patient nimmt das gesamte Team in der Arztpraxis wahr, Spannungen zwischen den Mitarbeitern wirken dabei höchst störend. Der Leitsatz: „Schau Dir an, wie Du mit Deinen Mitarbeitern sprichst, dann weißt Du, wie sie mit Deinen Patienten sprechen werden“, hat durchaus einen tieferen Sinn. Internationale Studien belegen eindeutig: Je persönlicher Dienstleistungen sind, desto enger korrelieren Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit. Wenn ich Wert auf einen würdevollen Umgang mit Patienten lege, ist ein würdevoller Umgang mit den Mitarbeitern dafür die beste Voraussetzung. Eine wohl-durchdachte, möglichst reibungsfreie Organisation hilft, Wartezeiten zu minimieren. Außerdem sind effiziente
Situationsbeschreibung organisatorische Abläufe die beste Voraussetzung, dass der Arzt die Zeit für das Wesentliche aufbringen kann: für seine Patienten.
Umsatz – Gewinn – Einkommen Von Fritz Bauer
Eine üblicherweise zu Vergleichszwecken aller Art verwendete Größenordnung ist eine Kassenpraxis mit 800 bis 1.000 Scheinen. Diese Größenordnung entspricht nicht nur in etwa dem tatsächlichen Schnitt in Österreich über alle Fächer (Ausnahme technische Fächer), sondern auch jener Ordinationsgröße, die sich ohne Kooperationsmodelle am leichtesten wirtschaftlich rentabel betreiben lässt (selbstverständlich weichen einzelne Fächer nach oben oder unten ab). Warum ist das so? Bei kleineren Ordinationen (kleine Kassenordinationen oder Wahlarztordinationen) schlägt sich schnell die geringere Auslastung der Infrastruktur durch. Bei großen Ordinationen wächst der Verwaltungsaufwand leicht einmal überproportional schnell, ganz abgesehen von möglichen Limitierungen im Kassenbereich. In diesem Normbereich kann man von etwa 200.000 Euro Umsatz im Durchschnitt beispielsweise beim Allgemeinmediziner inklusive Kleiner Kassen und Privatleistungen ausgehen. Eine Ausnahme ist Wien, wo es eine historisch gewachsene Übermacht von Kleinordinationen gibt. Nach Abzug
der Kosten von 50 Prozent verbleibt durchschnittlich ein steuerlicher Gewinn von 100.000 Euro (optimale Praxisführung vorausgesetzt). Nach Abzug der Einkommensteuer ergibt sich somit in gut geführten Ordinationen ein Nettoeinkommen von rund 60.000 Euro pro Jahr, also knapp über 4.000 Euro pro Monat (14-mal). Die meisten zahlenmäßig großen Fächer liegen hinsichtlich Scheinzahl und -schnitt etwa 20 Prozent über dem Kassenumsatz beim Allgemeinmediziner. Über die Möglichkeiten von Zusatzverdiensten im Privatbereich kann keine generelle Aussage getroffen werden. Hier haben etwa Kinderärzte weniger Möglichkeiten als beispielsweise Gynäkologen. Die Häufigkeit dieser Fächer und der wirtschaftliche Erfolg in Wahlarztordinationen sind hierfür ein guter Indikator. Auch hier gelten trotzdem die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Größere Ordinationen erfordern mehr Infrastruktur und mehr Personal, Facharztordinationen sind üblicherweise auch mit mehr Investitionsbedarf behaftet. Diese „Zwickmühle“ zeigt sich beim Wahlarzt, der ohne Kooperationsmodelle ganz einfach eine gewisse Größenordnung an Umsatz braucht, um erst einmal seine Fixkosten decken zu können. Realistische Umsatzgrößenordnungen für eine Vollerwerbswahlarztpraxis liegen zwischen 150.000 und 200.000 Euro, wobei zu bemerken ist, dass in der Praxis in allen Fä85
chern und sogar bei Allgemeinmedizinern deutliche Abweichungen nach oben und nach unten vorhanden sind. Das Umsatzspektrum im Wahlärztebereich ist wesentlich größer als beim Kassenarzt, wobei Abweichungen nach unten eher realistisch sind. Wahlärzte haben tendenziell einen etwas höheren Investitionsbedarf als adäquate Kassenärzte. Die Wahlarztleistung impliziert nämlich schönere Einrichtung und modernere Geräte. Dafür lässt sich der Faktor Personal überschaubarer gestalten, da der Wahlarztpatient Zeit beim Arzt kauft und damit das Personal eine überwiegende Administrationsfunktion hat. Beim Kassenarzt geht es darum, dem Personal soviel Arbeit wie möglich zuzuteilen, um den Arzt zu entlasten. Die Größenordnung des Verdienens beginnt daher beim hauptberuflichen Vollzeitwahlarzt (25 bis 30 verkaufte Stunden pro Woche) erst bei 100.000 Euro Umsatz aufwärts. Es sein denn – und das kann gar nicht oft genug betont werden –, es werden geeignete Kooperationsmodelle gefunden. In dieser Angelegenheit hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan, die Wahlärzte sind den Kassenärzten auf diesem Gebiet bereits weit überlegen.
Warum Ärzte überschuldet sind Die Fronten sind also klar erkennbar. Jeder Arzt hat ein aufgrund seiner Ordinationsstruktur und seines Umfeldes (egal ob als 86
Kassen- oder Wahlarzt) eine Umsatzerwartung und ist angehalten, die betriebswirtschaftlichen Räder so zu drehen, dass ein optimales Einkommen erzielt wird. Dieses Einkommen lässt sich in wenigen Minuten ermitteln. Nun sollte man annehmen, dass jeder Arzt sein Einkommen kennt, respektiert und seine Lebensplanung danach richtet. Doch weit gefehlt. Der typische niedergelassene Arzt „fühlt“ sein Einkommen über seinen Kontostand. Ähnlich wie beim Wetter, kann dieses Gefühl jedoch von der tatsächlichen Größenordnung abweichen. Schuld daran ist einerseits die Steuergesetzgebung, die Fremdkapital im betrieblichen Bereich Eigenkapital vorzieht. Das führt zur Tendenz, über Verschuldung gar nicht mehr nachzudenken, sondern diese als selbstverständlich vorauszusetzen. Das Steuersystem sorgt andererseits dafür, dass speziell im höheren Einkommensbereich ein Vorteil durch längerfristige, endfällige Kredite erzielt werden kann. Daran ist grundsätzlich nichts Schlechtes zu finden, allerdings hat man genau durch diese Maßnahme das Gefühl, mehr zu verdienen als rein rechnerisch der Fall ist. Das Problem liegt nun darin, dass sich Ärzte gerne bis an den Rand des Machbaren strapazieren bzw. sich von Beratern aller Art strapazieren lassen. Wohin führt das? Irgendwann sind die Investitionsgüter abgeschrieben und ergeben
Situationsbeschreibung keinen Steuervorteil mehr. Der Kredit ist aber nach wie vor aushaftend. Das erzeugt einen Liquiditätsengpass, der behoben werden will. Leider schrecken immer noch viele „Wald-und-Wiesen-Steuerberater“ nicht davor zurück, zu diesem Zeitpunkt zur Steueroptimierung zu Neuinvestitionen zu raten. Dies natürlich rein steuertechnisch, da so manche Wirtschaftsgüter aus betriebswirtschaftlicher Sicht durchaus noch zu gebrauchen wären. Neben großzügigem Investitionsverhalten im Privatbereich kommen oft noch familiäre Angelegenheiten wie studierende Kinder oder Partnerschaftsprobleme genau zu diesem Zeitpunkt dazu.
Der Bankensektor war in den vergangenen Jahren sehr freizügig bei der Kreditvergabe. Der „liebste“ Kunde für eine Bank ist zu etwa 30 Prozent überschuldet, denn damit ist er an die Bank gebunden und hat auch bei den Konditionen keinen Verhandlungsspielraum. In Zeiten wie diesen kann der Ärzteschaft genauso wie allen anderen Bürgern nur empfohlen werden, sich in jedem Fall auf schlechtere Zeiten einzustellen. Reservenbildung ist daher dringend angesagt. Ausgehend vom Nettoeinkommen, sollten mindestens zehn Prozent für Eventualitäten in der Zukunft zur Verfügung stehen.
87
Medizin zwischen Ethik und Monetik
Was ist Medizin wert? Im benachbarten Deutschland gehen derzeit die Wogen hoch. Neben vielen anderen Missständen wird von den Ärzten vor allem die angeblich miserable Bezahlung angeführt. Im niedergelassenen Bereich gibt es schon Gebiete, für die sich kein Arzt finden lässt. Die angestellte Ärzteschaft ist zu Protesten auf der Straße, Einkommensanpassungen von 30 Prozent und mehr werden gefordert. Wie aber ist die Einkommenssituation der Ärzte in Österreich? Das lässt sich, wie üblich, nicht generell sagen. Klinikärzte vom Oberarzt aufwärts kommen – abhängig vom Dienstgeber und von der Berufserfahrung, aber auch von der Anzahl der Dienste bzw. der Überstunden und vom Volumen der Klassegelder – auf durchschnittliche Einkommensbereiche zwischen 2.000 und 5.000 Euro netto 14-mal pro Jahr. Auffällig sind dabei massive Unterschiede in Abhängigkeit vom Bundesland. Demgegenüber attestiert die Ermittlung eines großen österreichischen Wirtschaftsmagazins allen österreichischen Führungskräften im Schnitt ein Nettoeinkommen von immerhin 14-mal 5.900 Euro pro Jahr. Dieser Wert gilt auch für Nicht-Akademiker. Im Vergleich sind daher – aus unserer Sicht – für einen Arzt für Allgemeinmedizin mit Kassenpraxis 5.000 Euro pro Monat als Untergrenze für eine gerechte Bezah90
lung anzusetzen. Für dieses angenommene Beispiel lässt sich eine Berechnung der finanziellen Notwendigkeiten vornehmen. Somit geht es um ein Nettoeinkommen von 70.000 Euro pro Jahr. Unsere Begründung: Die Ausbildung ist mit angestellten Ärzten vergleichbar, die Verantwortung für den Patienten ebenfalls. Beim Spitalsarzt fallen wirtschaftliche Verantwortung weg, die soziale Absicherung, etwa bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit, ist deutlich besser. Auch die Bezeichnung als Führungskraft ist durchaus angemessen. Nachdem das Steuersystem in Österreich progressiv gestaltet ist, muss man in dieser Einkommenskategorie zwar den Spitzensteuersatz von 50 Prozent leisten, durch die niedrigeren Progressionsstufen spart man sich aber auf dem Weg dorthin etwa 8.000 Euro. Die „Milchmädchenformel“ für die Steuerberechnung lautet daher: Gewinn geteilt durch zwei minus 8.000 Euro. Das ergibt rein rechnerisch den Zusammenhang, dass bei einem Einkommen von 70.000 Euro netto jährlich 54.000 Euro an Steuer zu zahlen sind (70.000 minus 16.000). Der notwendige Gewinn ergibt sich aus 70.000 Euro Nettoeinkommen plus 54.000 Euro Steuer (124.000 Euro). Um ein mit einem Spitalsarzt vergleichbares Einkommen zu erzielen, muss von einem Arzt mit Praxis also ein steuerlicher Gewinn von 124.000 Euro erwirtschaftet werden.
Medizin zwischen Ethik und Monetik Dieser Gewinn ist jedoch nur jenes Ergebnis, das „ganz zum Schluss übrig bleibt“. Vom Umsatz (Überweisungen der Gebietskrankenkasse, der „kleinen Kassen“ und Privatpatienten) müssen vorher noch die Betriebskosten bedient werden: Zinsen und Abschreibungen der Investitionskosten, Ärztekammer, Wohlfahrtsfonds und Sozialversicherung und etwa 20 Prozent (des Umsatzes) an Personalkosten. Dazu kommen noch Kosten für EDV, Wartung und Telekomprovider für die e-Card. Summa summarum kann man bei einem Allgemeinmediziner von einer „gut geführten Ordination“ sprechen, wenn vom Umsatz die Hälfte als Gewinn übrig bleibt. So wäre bei unserem Rechenbeispiel ein bereits stolzer Umsatz von 248.000 Euro notwendig. Ein durchschnittlicher Kassenarzt bleibt hier deutlich darunter. Wer bei einem Scheinschnitt von 45 Euro und 1.000 Scheinen pro Quartal hält, erreicht bei Zurechnung von etwa zehn Prozent Umsatz pauschal aus den „kleinen Kassen“ und Privatpatienten eine Umsatzgrößenordnung von etwa 200.000 Euro. Das geht sich dann für knapp 4.100 Euro Nettoeinkommen aus (siehe Tabelle 7). Bleibt noch die Berechnung der Relation Umsatz bzw. Einkommen zu Arbeitszeit. Pro Jahr stehen 52 Arbeitswochen zur Verfügung. Bei „normaler“ Gebarung in Sachen Urlaube, Fortbildung, Feiertage und Krankenstand bleiben 40 Arbeitswochen übrig.
Zieht man von den deutlich mehr als 50 Wochenstunden die Zeit für interne Verwaltung, unbezahlte Administrationszeit für die Sozialversicherungen, Abrechnung und unternehmerische Tätigkeit wie Personal- und Investitionsentscheidung oder unbezahlte Bereitschaftszeit ab, bleiben etwa 35 Stunden „bezahlte Tätigkeit am Patienten“. So ergeben sich 1.400 „verkaufbare“ Arbeitsstunden pro Jahr. Um damit ein monatliches Nettoeinkommen von 5.000 Euro zu erwirtschaften, müssen pro Stunde etwa 175 Euro Umsatz getätigt werden. Für einen durchschnittlichen Monatslohn von 4.100 Euro sind beim gleichen Zeitaufwand 140 Euro pro Stunde notwendig. Fazit: Um ein Mindestmaß an Einkommen unter Berücksichtigung von Ausbildung, Verantwortung und zeitlicher Arbeitsleistung eines Allgemeinmediziners mit Kassenvertrag zu erreichen und die immer umfangreicher werdenden unbezahlten Verwaltungs- und Administrationstätigkeiten abzugelten, ist ein Stundenumsatz von 175 Euro in einer Kassenpraxis notwendig. Uns stehen leider keine detaillierten Österreich weiten Informationen zur Verfügung, wie viele Patientenkontakte pro Schein im Schnitt bearbeitet werden. Nach den Erfahrungen unserer Informanten in der Ärzteschaft sind es beim Allgemeinmediziner etwa 2,8 bis 3,0. Die durchschnittliche Zahl der Patientenkontakte bei Versicherten der niederösterrei91
KASSENPRAXEN Netto pro Monat, 14-mal (laut Beispiel)
5.000
Daher netto pro Jahr
70.000
Steuer
54.000
Daher notwendiger Gewinn
124.000
Notwendiger Umsatz bei normaler Kostenstruktur
248.000
Durchschnittlicher Schweinwert
45
(durchschnittliche Scheinzahl: 1.000) Ergibt Umsatz §-2-Kassen*
180.000
Umsatz „kleine Kassen“, privat
20.000
Summe durchschnittlicher Umsatz
200.000
Gewinn bei durchschnittlicher Kostenstruktur
100.000
Steuer
42.000
Netto pro Jahr
58.000
Netto pro Monat
4.100
Tatsächliche Arbeitswochen pro Jahr
40
„Verkaufbare” Stunden pro Woche
35
TA B E L L E 7
Ergibt Jahresstunden
1.400
Stundensatz bei 5.000 Euro netto pro Monat
175
Stundensatz bei 4.100 Euro netto pro Monat
140
Einige Kennzahlen für Kassenpraxen Allgemeinmedizin (in Euro) * §-2-Kassen sind Gebietskrankenkassen mit kleinen Betriebskrankenkassen
chischen Gebietskrankenkasse beträgt beim Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe 1,38, beim Facharzt für Orthopädie und 92
orthopädische Chirurgie 2,55. Der durchschnittliche Fallwert bei Gynäkologen beträgt in Niederösterreich 40,80 Euro, bei Or-
Medizin zwischen Ethik und Monetik PAT I E N T E N K O N TA K T Z E I T Scheine pro Quartal Scheine pro Quartal „kleine Kassen“ Scheinschnitt Kassenumsatz (gerundet)
TA B E L L E 8
„Verkaufbare” Stunden
Arzt (netto 4.100)
Arzt (netto 5.000)
1.000
1.200
100
120
45
45
200.000
240.000
1.400
1.400
Kontakte pro Schein
3,00
3,00
Kontakte in Summe
13.200
15.840
Kontakte pro Stunde
9,4
11,3
Minuten pro Kontakt
6,4
5,3
Vergleich Patientenkontaktzeit verschiedener Einkommenskategorien bei 50 Arbeitsstunden pro Woche
thopäden 79,57 Euro. Dies entspricht einem Umsatz pro Patientenkontakt von 29,65 Euro beim Facharzt für Gynäkologie und 31,19 Euro beim Facharzt für Orthopädie. Der Scheinschnitt von 45 Euro dürfte im Jahr 2006 in einigen Bundesländern unter Miteinbeziehung der „kleinen Kassen“ erreicht werden. Bei drei Kontakten pro Schein wäre das ein Umsatz von 15 Euro pro Kontakt. So kommt unser erster Beispielarzt mit einem Nettoeinkommen von 4.100 Euro pro Monat (14-mal) und 50 Wochenstunden Arbeit auf 13.200 Patientenkontakte pro Jahr (Tabelle 8). Das entspricht 9,4 Kontakten pro Stunde bzw. 6,4 Minuten, die pro
Kontakt zur Verfügung stehen. Der zweite Arzt, aus unserer Sicht „Normalverdiener“ mit 5.000 Euro netto pro Monat (14-mal), muss sich beim gleichen Zeiteinsatz schon sehr bemühen. Er braucht 15.800 Patientenkontakte pro Jahr, also 11,3 pro Stunde. Damit hat er pro Patientenkontakt 5,3 Minuten Zeit für eine wirtschaftlich rentable Arbeitsweise zur Verfügung. Um jedoch zu überprüfen, ob wirtschaftlich rentabel auch medizinisch vertretbar ist, haben wir Ärzte gebeten, für die fiktiven Behandlungsfälle aus dem Kapitel „Krankenkassendorado Österreich“ (siehe Seite 5), unabhängig voneinander anzugeben, wie lange man realistisch für die Durchführung 93
der jeweiligen Behandlung inklusive Besprechung mit dem Patienten bzw. seinen Angehörigen braucht. Zur Erinnerung: Bei Fall 1 handelt es sich um einen 63-jährigen Patienten: Diabetes mellitus II levis, Hypertonie essentiell, wegen Vorhofflimmern antikoaguliert. Er kommt in einem Quartal dreimal in die Ordination und bekommt dort jeweils Blutabnahme, Thromboplastinzeit und Blutzucker. Fall 2 ist ein 5-jähriges Kind. Dieses kommt (samt Elternteil) mit rezidivierender obstruktiver Bronchitis in einem Quartal fünfmal in die Ordination. Nachdem die Arbeitsstile und Delegationsmodalitäten von Ordination zu Ordination unterschiedlich sind, haben wir geringe Differenzen bei den notwendigen Behandlungszeiten als Ergebnis erhalten. Mit 30 Minuten für Fall 1 und 40 Minuten für Fall 2 in Summe dürfte eine realistische Größenordnung gegeben sein. Nicht inbegriffen sind Vor- und Nachbereitungszeit wie Karteistudium und Dokumentation; diese Arbeiten fallen unter „nicht verkaufbare Zeit“ (Tabelle 9).
Bei Fall 2 schaut es eher schlecht aus. Selbst bei den „kleinen Kassen“ beträgt der Stundensatz nur 100 Euro, was hochgerechnet immerhin ein Nettoeinkommen von monatlich 3.100 Euro bedeuten würde – vorausgesetzt, dass nur Behandlungen in dieser finanziellen Größenordnung durchgeführt werden.
Fall 1 ergibt ein zufriedenstellendes Honorar bezogen auf den für unser Wunscheinkommen benötigten Stundensatz. Knapp 170 Euro pro Stunde entsprechen den Vorgaben – allerdings nur, wenn der Patient nicht bei einer der Gebietskrankenkassen versichert ist.
Als Schluss aus diesen Berechnungen bleibt nur der Weg über die Zeit – und das ist genau das, was Patienten am Kassenarzt immer mehr kritisieren. Sollte das Honorar für Fall 2 bei der „schlechtesten“ Gebietskrankenkasse kostendeckend ausfallen, hätte der Arzt für die komplette Behandlung
94
Viel schlechter ist das Ergebnis bei den Gebietskrankenkassen. Behandlungen zum Durchschnittshonorar von Fall 2 würden bei vollem Zeiteinsatz ein Honorarvolumen von 70.000 Euro pro Jahr einspielen. Das reicht nicht einmal zur Deckung der Fixkosten, geschweige denn für einen Gewinn. Selbst bei ordentlicher Behandlung von Fall 1 würde das durchschnittliche Honorar der Gebietskrankenkassen kein vertretbares Einkommen ergeben. Über das errechnete Stundenhonorar der jeweils „schlechtesten“ Kasse wird an dieser Stelle kein Wort verloren. Unser Fazit: Die Behandlungen dürften aus wirtschaftlicher Sicht für alle Gebietskrankenkassen eigentlich nicht durchgeführt werden.
Medizin zwischen Ethik und Monetik nicht 40 Minuten, sondern nur 8 Minuten und 14 Sekunden Zeit. Der Stundensatz von 36 Euro sorgt für ein Zeitfenster pro Patien-
tenkontakt von 1 Minute und 39 Sekunden. Damit lässt sich keine Behandlung medizinisch korrekt durchführen.
R E N TA B I L I TÄT S V E R G L E I C H
Behandlungszeit (Minuten)
Fall 2 (Kind)
30
40
Schnitt „kleine Kassen“
84,00
65,92
Minimalwert
81,50
63,35
Maximalwert
86,06
69,11
2,50
3,19
Größte Abweichung vom Schnitt
TA B E L L E 9
Fall 1 (63 Jahre)
Differenz Min zu Max absolut
4,56
5,76
Differenz Min zu Max relativ
5,6%
9,1%
Schnitt §-2-Kassen
41,84
35,49
Minimalwert
21,26
24,02
Maximalwert
76,34
46,42
Größte Abweichung vom Schnitt
34,50
11,47
Differenz Min zu Max absolut
55,08
22,40
Differenz Min zu Max relativ
259,1%
93,3%
Stundensatz Schnitt „kleine Kassen“
168,00
98,88
Stundensatz Schnitt §-2-Kassen
83,68
53,23
Stundensatz schlechteste §-2-Kasse
42,52
36,03
Rentabilitätsvergleich verschiedener Behandlungen (in Euro)
95
Ökonomischer Zwang versus Ärztegesetz – Dokumentation und Aufklärung Die Dokumentationspflicht für ärztliche Tätigkeiten ist im Ärztegesetz geregelt (§ 51 Ärztegesetz 1998 i.d.F. BGBL. I Nr. 91/2002 (1)): Dokumentationspflicht und Auskunftserteilung Der Arzt ist verpflichtet, Aufzeichnungen über jede zur Beratung oder Behandlung übernommene Person, insbesondere über den Zustand der Person bei Übernahme der Beratung oder Behandlung, die Vorgeschichte einer Erkrankung, die Diagnose, den Krankheitsverlauf sowie über Art und Umfang der beratenden, diagnostischen oder therapeutischen Leistungen einschließlich der Anwendung von Arzneispezialitäten und der zur Identifizierung dieser Arzneispezialitäten und der jeweiligen Chargen im Sinne des §26 Abs. 8 des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 158/1983, erforderlichen Daten zu führen und hierüber der beratenen oder behandelten oder zu ihrer gesetzlichen Vertretung befugten Person alle Auskünfte zu erteilen. Dokumentation wird von der Ärzteschaft oft als mühsames und lästiges Anhängsel der „eigentlichen Kerntätigkeit“ angesehen. Die Tätigkeit des Autors Christoph 96
Reisner als Sachverständiger hat deutlich gemacht, wie stiefmütterlich die Dokumentation häufig abläuft. Dies führt gerade bei unzufriedenen Patienten oder fraglichen Behandlungsfehlern zu großen Nachteilen für die betroffene Abteilung oder den betroffenen Arzt in der Praxis, die nur durch die mangelhafte Dokumentation bedingt sind. Häufig sind behandelnde Ärzte davon betroffen, da Patienten wegen vermeintlicher Behandlungsfehler die Patientenanwaltschaft oder direkt die Gerichte befassen. In der Realität sind Behandlungsfehler die Ausnahme. Gründe für Schadenersatzzahlungen an Patienten sind sehr häufig mangelnde Aufklärung, mangelnde Dokumentation der Aufklärung oder mangelnde Dokumentation des Krankheitsbildes, sodass die Indikation zur nachfolgenden Behandlung nicht eindeutig nachvollziehbar ist. Während sich in Krankenhäusern zunehmend die Verwendung von standardisierten Aufklärungsbögen durchgesetzt hat, wird davon in Ordinationen (nicht zuletzt aus Zeitmangel) kaum Gebrauch gemacht. Die Aufklärungsverpflichtung ergibt sich direkt aus dem Behandlungsvertrag, den der Patient mit dem behandelnden Arzt oder dem Krankenhaus(träger) abschließt. Den Arzt trifft als Teil der Heilbehandlung die Pflicht, den Patienten über Art und Schwere sowie über die möglichen Gefahren und Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlas-
Medizin zwischen Ethik und Monetik sung aufzuklären. Er muss den Patienten auch darüber unterrichten, dass daneben auch noch andere, weniger gefährliche, wenngleich vielleicht länger dauernde Behandlungsmethoden Erfolgsaussichten haben. Aufklärungspflicht besteht nicht nur dann, wenn die Einwilligung des Patienten zur Durchführung einer ärztlichen Heilbehandlung erreicht werden soll, sondern auch dann, wenn dem Patienten eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen ist, ob er eine ärztliche Behandlung unterlassen kann. In der Praxis stellt sich die Frage, wie weit denn die Aufklärung gehen muss. Generell kann hiezu gesagt werden, dass einerseits das Recht des Patienten auf Selbstbestimmung als auch auf sein Wohl gewahrt bleiben muss. Andererseits muss die vom Arzt zu erwartende Aufklärung erbringbar bleiben. Hierbei werden der Grad der Verständigkeit des Patienten und seine seelische Verfassung, die Art der Erkrankung und der vorgesehenen Behandlung, mögliche Risiken und Komplikationen, aber auch mögliche alternative Behandlungsmethoden ausschlaggebend sein. Nach der geltenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat sich der Arzt in erster Linie am Wohl des Patienten zu orientieren und erst in zweiter Linie auf dessen Selbstbestimmungsrecht Bedacht zu nehmen. Bei der Aufklärungsverpflich-
tung sind Risikohäufigkeit, Dringlichkeit des Eingriffs und Persönlichkeitsstruktur des Patienten zu beachten. Die Aufklärung kann daher umso weniger umfassend zu sein, je dringlicher der Eingriff bzw. die Behandlung für die Erhaltung oder Wiedererlangung Gesundheit des Patienten ist. Selbst wenn der Patient seine schriftliche Zustimmung zu einem Eingriff oder einer Behandlung gibt, ersetzt diese Unterschrift nicht die nötige persönliche Aufklärung durch den Arzt. Die alleinige Unterschrift des Patienten führt genauso wenig zu einem Haftungsausschluss des Arztes. Die Aufklärung des Patienten sollte grundsätzlich nach einem mehrstufigen Prinzip erfolgen: Zunächst die Erklärung der beim Patienten gestellten Diagnose (Diagnoseaufklärung), dann die Aufklärung über die geplanten/bevorstehenden Behandlungsschritte bzw. über alternative Behandlungsmethoden (Behandlungsaufklärung), schließlich die Verlaufsaufklärung (Aufklärung über den geplanten bzw. möglichen Verlauf der Behandlung bzw. des Krankheitsgeschehens) und zuletzt die Risikoaufklärung. Letztere muss wiederum eine Aufklärung über eingriffsspezifische Risiken, über patientenspezifische Risiken und über behandlungsspezifische Risiken beinhalten. All diese Fakten müssen auch nachvollziehbar dokumentiert werden. Aus diesem letzten Absatz ergibt sich eine Verpflichtung für alle Ärzte, die selbst bei 97
Wahlärzten, die meist mehr Zeit für ihre Patienten haben, in der Praxis kaum erfüllbar ist. Wie kann ein Arzt mit Krankenkassenverträgen, der für die Position „Ordination“ ein Honorar von etwa 7 bis 10 Euro erhält, diese gesetzlichen Anforderungen erfüllen und gleichzeitig wirtschaftlich überleben? Eine ausführliche Dokumentation aller Handlungen und Gespräche mit dem Patienten ist die einzige Chance, im Falle eines Verfahrens zu beweisen, dass etwa ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat. Im Verfahrensfall trifft die Beweislast den Arzt und nicht den Patienten! Die Erfahrung hat gezeigt, dass es die „perfekte Aufklärung“ nicht gibt, da sich der Arzt auch davon überzeugen muss, dass der Patient die Aufklärung verstanden hat. Eines steht jedoch eindeutig fest: In einem Verfahren gilt eine Aufklärung nur dann als tatsächlich durchgeführt, wenn es auch eine Dokumentation darüber gibt.
gesetzlichen Rahmenbedingungen ab, wir schätzen, dass lediglich 40 bis 50 Prozent der Ärzte ein Röntgenarchiv für ihre Patienten haben.
Das Ärztegesetz regelt auch die Verpflichtung zur Aufbewahrung der Dokumentation. Insbesondere wenn kein direkter Rechtsnachfolger existiert, ist der Arzt verpflichtet, die Dokumentation noch zehn Jahre nach Schließung der Ordination aufzubewahren. Werden externe Untersuchungen angefordert, etwa Röntgenaufnahmen, dann ist laut Gesetz der anfordernde Arzt zur Aufbewahrung der Röntgenbilder verpflichtet. Die Realität weicht von den
Von der (Ohn)Macht der Kammern im Zwiespalt unterschiedlicher Interessen
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Der Patient hat übrigens Anspruch auf eine „Abschrift“ der Patientenkartei, wobei ihm dafür nur die „Kopierkosten“ in Rechnung gestellt werden dürfen. Bundländerspezifisch gibt es Empfehlungstarife, die pro A4 Seite knapp unter einem Euro liegen. Für die Autoren sind die gängige Rechtssprechung und die zunehmende Begehrlichkeit der Patienten Grund genug sind, die derzeitigen Honorarkataloge der Krankenkassen, insbesondere die Positionen „Ordination“ und „ärztliches Gespräch“, dringend neu zu überdenken und entsprechend den betriebswirtschaftlichen Erfordernissen im Hinblick auf die legistischen Rahmenbedingungen anzupassen.
Der Einfluss der Ärztekammer auf die Gesundheitspolitik ist in den letzten zehn Jahren massiv zurückgegangen. Zunehmend werden Gesetze beschlossen oder Verordnungen erlassen, die mit der Österreichischen Ärztekammer entweder gar nicht
Medizin zwischen Ethik und Monetik besprochen wurden oder wo die Meinung der Kammer zwar eingeholt, jedoch in keiner Weise berücksichtigt wurde.
Der verordnete Solidarfonds Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit ist die verpflichtende Einführung eines Solidarfonds. Im §118 Abs. 3a des Ärztegesetzes heißt es nun: „Die Österreichische Ärztekammer hat zum Zweck der finanziellen Unterstützung und Entlastung von Patienten, die durch schuldhaftes widerrechtliches ärztliches Handeln durch freiberuflich tätige Ärzte einschließlich Gesellschafter von Gruppenpraxen einen Schaden erlitten haben und für die keine Aussicht besteht, in angemessener Zeit eine anderweitige angemessene Entschädigung, insbesondere aus der Berufshaftpflichtversicherung des Arztes, zu erhalten, einen Solidarfonds einzurichten. Hat die Österreichische Ärztekammer Leistungen aus dem Solidarfonds erbracht und stehen dem Patienten aufgrund des erlittenen Schadens Schadensersatzansprüche gegen einen Dritten zu, so gehen diese Ansprüche bis zur Höhe des der Österreichischen Ärztekammer erwachsenden Aufwands auf die Österreichischen Ärztekammer über. Näheres hat die Österreichische Ärztekammer in der Satzung oder in einer gesonderten Verordnung zu regeln, in der auch festzulegen ist, dass für vor dem In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes BGBL. 1 Neurochirurgie Rudolfstif-
tung. **/2006 erlittene Schäden Leistungen aus dem Solidarfonds zu erbringen sind.“ Klarer ausgedrückt bedeutet dies, dass die Österreichische Ärztekammer für den Fall eines rechtsbrüchigen niedergelassenen Kollegen eine finanzielle Entschädigung zu leisten hat. Behandlungsfehler oder Kunstfehler sind ja durch die jeweilige Haftpflichtversicherung des Arztes gedeckt. Für strafbare Handlungen eines Arztes – auch in die Vergangenheit reichend(!) – muss sich die Ärzteschaft nun „solidarisch“ erklären. Der Gesetzesentwurf wurde übrigens von Dr. med. Erwin Rasinger (ÖVP) und Herrn Elmar Lichtenegger (BZÖ) eingebracht. Dieses Beispiel zeigt klar, wie die Politik mit der Österreichischen Ärztekammer umgeht und wie (ohn)mächtig die Kammer tatsächlich ist. Wir sind nicht grundsätzlich gegen die Einrichtung einer Art Solidarfond, sondern dagegen, dass diese – obwohl die Kostendimension durch die rückwirkende In-Kraft-Setzung nicht abschätzbar ist – ohne Mitwirkung und Mitgestaltung der Kammer Gesetz wurde.
Chefarztpflicht und Bürokratie In der Vergangenheit konnten Patienten jubeln: Ende der Chefarztpflicht wurde mehrfach publiziert. Tatsache ist, dass es die Chefärzte nach wie vor gibt, die Bewilligungspflicht jedoch an die Kassenärzte übertragen wurde. Eine „Erziehungsmaßnahme“, um Ärzte von der Verschreibung 99
chefarztpflichtiger Medikamente abzuhalten? Eine mögliche Machtdemonstration der Chefärzte (wessen Chef sind sie eigentlich?)? Massive Probleme treten insbesondere dann auf, wenn Patienten mit chefarztpflichtigen Medikationen aus einer stationären Behandlung entlassen werden und die Medikation fortgesetzt werden soll. Hier haben Ärzte, insbesondere die Hausärzte, mit Bürokratismen zu kämpfen, müssen für ihre Patienten „betteln“, damit die empfohlenen Medikamente weiterverschrieben werden. Die Website www.buerokratiestopp. at bietet Beispiele aus der Praxis. Ein besonderes „Zuckerl“ bei Kassenärzten ist die erweiterte Dokumentationspflicht bei der Verordnung von Medikamenten aus der „gelben Box“ des Erstattungskodex des Hauptverbandes der Sozialversicherungen. Stellt sich nachträglich bei einer Kontrolle durch die Krankenkasse heraus, dass keine Indikation (aus Sicht der Krankenkasse) zur Verschreibung bestand, muss der Arzt die Mehrkosten aus seinem Privatvermögen bezahlen. Es ist müßig zu erwähnen, dass der so genannte Chefarzt Entscheidungen über Patienten trifft, ohne diese je gesehen oder gar untersucht zu haben. Uns sind bisher auch keinerlei Maßnahmen der Qualitätssicherung oder der Dokumentationspflicht bei Chefärzten bekannt. Dies zu fordern, haben die Ärztekammern bisher verabsäumt, 100
weiters die Forderung nach einem „Oberchefarzt“, der die Chefärzte kontrolliert und über allfällige Gehaltsabzüge für Fehlentscheidungen der Chefärzte verfügen kann. So kann es passieren, dass bewilligungspflichtige Untersuchungen bei Besuch einer Stelle der Krankenkasse durch den Patienten ohne jede Kontrolle des Chefarztes von der Sekretärin abgestempelt und damit bewilligt werden.
Erstattungskodex Seit Jänner 2005 ersetzt der Erstattungskodex das bisherige Heilmittelverzeichnis. In den letzten 18 Monaten wurden bereits 17 Änderungen durchgeführt, halbjährlich erscheint eine Neuauflage in Druckform. Sinn ist es, unter dem Vorwand der Ökonomie dem Patienten den Zugang zu einer State-of-the-Art-Medizin zu erschweren. Änderungen sind für den Arzt kaum noch erfassbar, die ständige Integration der Änderungen in Softwarelösungen ist mit zusätzlichen Kosten verbunden.
Kammerbeschlüsse und Legislative In der Sommervollversammlung 2005 der Österreichischen Ärztekammer wurde der Beschluss gefasst, Primarärzten keine Sonderstellung innerhalb der Kammerstrukturen einzuräumen, da sie als angestellte Ärzte bereits durch die Kurie vertreten sind. Dennoch wurde ein Gesetz beschlossen und damit festgelegt, dass mindestens der zweite
Medizin zwischen Ethik und Monetik Kurienobmannvertreter aus der Gruppe der Primarärzte kommen muss.
Hygieneverordnung Die geplante Hygieneverordnung macht in der Zukunft der ambulanten Chirurgie oder Wundversorgung in den Landpraxen den Garaus. Es wird sich zeigen, ob sich hier ärztliche Interessen durchsetzen können. Wird hier eine Qualitätsverbesserung bewusst dazu missbraucht, um das Leistungsangebot in Ordinationen einzuengen?
Qualitätssicherung Die Österreichische Gesellschaft für Qualitätssicherung in der Medizin (ÖQMed) führt derzeit die Selbstevaluierung in allen Ordinationen durch. Trotzdem haben die eingerichteten Gesundheitsplattformen das Recht, im niedergelassenen Bereich Vorschriften zur Qualitätssicherung zu erlassen. Wir sind keinesfalls gegen qualitätssichernde Maßnahmen im Gesundheitssystem, Doppelgleisigkeiten und Qualitätssicherung als „Druckmittel“ auf die „freien“ Ärzte sind jedoch nicht zweckmäßig.
Zusammenschluss von Versicherungen Die VAEB (Versicherungsanstalt der Eisenbahner und des Bergbaus) als neues Versicherungskonstrukt führte zu deutlichen Honorarreduktionen für die Kassenärzte. Bei der Gestaltung der ärztlichen Honorare ist auf die finanzielle Situation der Krankenkasse Rücksicht zu nehmen. Von einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation der Honorare ist keine Rede. Ein Zusammenschluss der Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVB) und der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) zu einer gemeinsamen Selbständigenversicherung (SVS) konnte vorerst verhindert werden. Wer die Vergangenheit analysiert, kann leicht in die Zukunft blicken. Ob die Kammern auch in diesem Fall eine Honorarreduktion als Verhandlungserfolg publizieren können, wird sich zeigen.
Vorsorgeuntersuchung neu Ein typisches Beispiel für das schizophrene Verhalten der Ärztekammer ist die 2006 eingeführte neue Vorsorgeuntersuchung. Vor deren Einführung unternahm die Kurienführung der niedergelassen Ärzte in Niederösterreich alles Mögliche, um dieses Modell zu etablieren. Nun – einige Zeit nach deren Einführung – schaltet die Kammer bezahlte(!) Inserate in diversen Printmedien, in denen diverse Details der Vorsorgeuntersuchung neu angeprangert werden.
Ärztliche Hausapotheken Ärztliche Hausapotheken stehen dieses Jahr besonders unter Beschuss. Sie sind zwar unbestritten die kostengünstigste, patientenfreundlichste und gleichzeitig sicherste Distributionsform für Medikamente auf dem Land, kommen aber absurderweise von al101
len Seiten immer mehr unter Druck. Gesetzgeber, Richter und Apotheker tun alles für deren „Ausrottung“, obwohl aufgrund der schlechten Ärztehonorare viele Hausärzte ohne Hausapotheke ihr Leistungsspektrum nicht auf Dauer werden anbieten können. Öffentlichen Landapotheken in Hobbygrößenordnung werden hingegen die Türen geöffnet – wohl wissend, dass diese aufgrund ihrer Größe den gesetzlichen Verpflichtungen gar nicht nachkommen können. Angezeigte Verstöße werden nicht geahndet und sogar totgeschwiegen. Naturalrabatte werden den Ärzten verboten, die bisher legale Rabattpraxis wird öffentlich angeprangert. Über die in öffentlichen Apotheken und Anstaltsapotheken üblichen Rabattierungssysteme wird hingegen kein Wort verloren, obwohl dort Abschläge in weitaus umfangreicherer Größenordnung an der Tagesordnung sind. Die Ärztekammer schweigt, als würde sie das Thema nichts angehen. Es wäre in diesem Zusammenhang auch dringend an der Zeit, die Rolle der öffentlichen Apotheken in unserem Gesundheitssystem einmal kritisch und ohne Tabus zu hinterfragen. Wir sehen kein Argument und keine Gründe, die gegen den Verkauf von Medikamenten in ALLEN Ordinationen sprechen.
Arbeitszeitgesetz Dieses zahnlose Gesetz ist seit 1995 in Kraft, fehlende Sanktionen für öffentliche Rechts102
träger verhindern die Einhaltung und zwingen Spitalsärzte zu regelmäßigen Übertretungen. Ein Kavaliersdelikt?
Gesundheitspolitik auf dem Holzweg Ein typisches Beispiel für fragwürdige Entwicklungen ist die Situation der Krankenhäuser in Niederösterreich. Mittlerweile wurden alle Krankenanstalten bis auf fünf von der Niederösterreichischen Landeskliniken Holding übernommen, die eine Standortgarantie für alle bestehenden Häuser abgab. Weitere Übernahmen sind in absehbarer Zeit sehr wahrscheinlich. Das erklärte politische Ziel ist: Jeder Patient muss innerhalb von 30 Minuten ein Krankenhaus erreichen können. Dieser Wunsch ist angesichts des gut funktionierenden Notarztsystems durch keinerlei Studien medizinisch begründbar. Anstatt „ehrliche“ Gesundheitspolitik zu machen, wird dem Wähler (=dem Patienten) suggeriert, dass in Umbauten und Neubauten 700 Millionen Euro investiert werden. Das Thermenklinikum soll – um ein Beispiel zu nennen – an den Standorten Mödling UND Baden jeweils mit einem Neubau beglückt werden, die Städte sind etwa 15 Kilometer voneinander entfernt. Verschwiegen wird, dass dies vor allem der Bauwirtschaft dient. Denn gleichzeitig werden an der Basis mas-
Medizin zwischen Ethik und Monetik sive Reduktionen und Sparmaßnahmen eingeführt. Rufbereitschaft wird zunehmend an einzelnen Spitalsabteilungen etabliert. Dies bedeutet, dass an einer Fachabteilung außerhalb der Kernarbeitszeit, die zwischen 7 und 8 Uhr morgens beginnt und zwischen 13 und 14 Uhr endet, KEIN Facharzt anwesend ist, sondern im Bedarfsfall erst einer von zu Hause anreisen muss. Sind Krankenhäuser ohne Ärzte die mittelfristige Strategie? Nicht erwähnt wird, dass für die Ausbildung der Turnusärzte und für die in Ausbildung zum Facharzt stehenden Ärzte immer wenig Zeit zur Verfügung steht und „Diensträder“ gestrichen werden. Dies hat zur Folge, dass Turnusärzte teilweise im Nachtdienst auf Fachabteilungen gerufen werden, an denen sie im Laufe ihrer Ausbildung noch nicht tätig waren. Ärztliche Dienstposten, die doch zweifellos die Kernkompetenz im Gesundheitswesen haben, werden nicht ausgeweitet, so dass in vie-
len Krankenanstalten das Arbeitszeitgesetz nicht eingehalten werden kann. Verschwiegen wird, dass die künstliche Aufrechterhaltung von allen Standorten in Niederösterreich lediglich politischer Wille ohne jeglichen ökonomischen Hintergrund ist. Würde man diese Unsummen von Millionen Euro in die Verbesserung der wohnortnahen Gesundheitsversorgung investieren und zusätzliche Planstellen schaffen, wäre dies ökonomischer, aus medizinischer Sicht sinnvoller und außerdem patientenfreundlicher. Aber es ist natürlich ein Unterschied, ob sich ein Politiker die Möglichkeit schafft, ein neues Krankenhaus zu eröffnen oder eine zusätzliche Ordination. Ehrlicher wäre es jedenfalls, die Zahl der Standorte für Krankenhäuser auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen und zu hinterfragen, welche Berechtigung zwei Krankenanstalten im Abstand von 15 km haben. Ehrlicher wäre es auch, die Zahl der Krankenhäuser in Niederösterreich um 5 bis 10 zu reduzieren.
103
Wahlarztaktivitäten im Spannungsfeld der Ärztekammer
Wenn die Entwicklung der vergangenen Jahre anhält, wird es österreichweit bald deutlich mehr Wahlärzte als Kassenärzte geben. In einigen Bundesländern hat diese Trendumkehr bereits stattgefunden. Trotzdem werden Wahlärzte oft als „eigenwillige Spezies“ betrachtet, die etablierte Kammerfunktionäre aus dem Bereich der Kassenmedizin jeweils unterschiedlich sehen. Einerseits könnten sich Wahlärzte „die Rosinen herauspicken“, andererseits hätte ein Wahlarzt mit einem Anstellungsverhältnis überhaupt kein Risiko. Manchmal wird man als Wahlarzt auch als Arzt zweiter Klasse betrachtet (= der Arme, der keinen Kassenvertrag bekommen konnte). Umso mehr hat es für Verwirrung gesorgt, dass sich diese Spezies nun in einem Spannungsfeld zwischen angestellten Ärzten und Kassenärzten zu organisieren beginnt.
Erfahrungen eines engagierten Wahlärztevertreters Von Christoph Reisner
Die vielen positiven Rückmeldungen über meine Aktivitäten innerhalb und außerhalb der Ärztekammer für die Wahlärzteschaft bestärken mich, das begonnene Werk auch in Zukunft fortzusetzen. Auch weiterhin werden viele der Ideen, die teilweise noch unausgegoren in meinem Kopf schwirren, für die Zukunft zu ordnen und zu realisieren sein. 106
Wahlarztreferat der Österreichischen Ärztekammer Eine besondere Enttäuschung war für mich die Konzeptlosigkeit und Untätigkeit des Wahlarztreferates der Österreichischen Ärztekammer. Etwa zweimal pro Jahr fanden Sitzungen statt, wo die jeweiligen Länderaktivitäten und Probleme besprochen wurden. Eine zu Beginn der Funktionsperiode ins Leben gerufene Arbeitsgruppe mit dem Ziel, den Begriff Wahlarzt öffentlich zu transportieren, hat ihre Tätigkeit nie aufgenommen. Die logische Konsequenz für mich war, eine Struktur auf die Beine zu stellen, die österreichweit außerhalb der Kammer agieren konnte.
Verein Wahlärzte Österreich Ausgehend von Niederösterreich wurde 2004 der Verein Wahlärzte Österreich ins Leben gerufen, dem sich innerhalb von kurzer Zeit mehr als 10 Prozent der Wahlärzte Österreichs anschlossen. Ziel des Vereins ist, den Begriff Wahlarzt in der Öffentlichkeit bekannter zu machen und so die Bevölkerung zu informieren, dass ein Wahlarztbesuch durchaus eine leistbare Behandlungsalternative zum Kassensystem darstellt. Andererseits ist es ein Ziel, Gruppierungen in den einzelnen Bundesländern Hilfestellung bei der Gründung einer Interessens-
Wahlarztaktivitäten im Spannungsfeld der Ärztekammer vertretung der Wahlärzte auf Landesebene zu geben. Die bereits seit 1999 bestehenden Salzburger Wahlärzte schlossen sich an, in den Bundesländern Wien und der Steiermark haben sich mittlerweile Vereine konstituiert, in Öberösterreich und auch im Burgenland sind Vereinsgründungen geplant. Diese neue Situation – organisierte Wahlärzte – wird bei der nächsten Kammerwahl 2007 sicher für Spannung sorgen.
Pressekonferenz Der Verein wurde Anfang 2005 der Öffentlichkeit vorgestellt. In bestimmten Kammerkreisen tauchten Äußerungen auf: „Warum machst du das? Du bist doch schon Vizepräsident!“, „Der Reisner will was erreichen!“ (Wollen das nicht alle politisch aktiven Menschen? Ist es tatsächlich ungewöhnlich, dass sich eine Person für eine Sache oder eine Idee einsetzt, ohne daraus sofort einen direkten Nutzen zu ziehen?). Übersehen wurde völlig, dass die Interessen der Wahlärzte bis 2003 kaum vertreten wurden. Weiters wurde mir öfters vorgeworfen, die Ärzteschaft zu spalten, was ich nie im Sinn hatte und auch nicht habe. Es war jedoch offensichtlich für die Vertreter von Kassenärzten ungewöhnlich, dass eine Gruppe, die mittlerweile größer ist als die der Kassenärzte, sich zu formieren beginnt und ihre Wünsche, Bedürfnisse und Ziele artikuliert. Auch auf österreichischer Kammerebene wurde (inoffiziell) besprochen, was es wohl
für Auswirkungen hätte, wenn sich in jedem Bundesland die Wahlärzte organisiert der Wahl stellen würden. Das Wahljahr 2007 wird zeigen, wie sehr sich die Gruppe der Wahlärzte vertreten fühlt, und ob die derzeit etablierten Fraktionen tatsächlich die Interessen der breiten Ärzteschaft vertreten.
Die Zeit der Vorwürfe Frühjahr und Sommer 2005 waren geprägt von Vorwürfen der Kurie der niedergelassenen Ärzte, die ja – bezogen auf Vorstand und Führungsebene – kassenarztdominiert ist. Diese Kurie, in der unser Koalitionspartner ÜPAV sogar die absolute Mehrheit hält, kritisierte, dass mein Engagement zu einer Polarisierung der Ärzteschaft führe. Weiters wurde meine Forderung nach einem bundeseinheitlichen Leistungskatalog kritisiert. Dieser bundeseinheitliche Leistungskatalog – zu dem ich nach wie vor stehe – wurde in einer Klausurtagung der niederösterreichischen Ärztekammer im Herbst 2003 im Beisein aller Kurien als sinnvoll erachtet. Ich habe zu diesem Thema also eine absolut kammerkonforme Linie vertreten. Die Wahlarztberatungen, die zu dieser Zeit bereits gut angelaufen waren und von den Ärzten extrem gut angenommen wurden, stießen ebenfalls auf Kritik, da damit angeblich zu viele Kammerressourcen verbraucht würden. Bei genaueren Recherchen konnte ich jedoch klar machen, dass 107
unstrukturierte Einzelberatungen, wie sie in der Vergangenheit stattgefunden haben, wesentlich zeitintensiver und zudem noch ineffizienter sind. Ich „durfte“ daher meine Arbeit weitermachen. Dennoch fiel mein Engagement für die Wahlärzte so manchen Funktionären unangenehm auf. Es sei zwar grundsätzlich lobenswert, wurde mir mitgeteilt, aber nachdem sich nicht alle Funktionäre in einem solchen Ausmaß wie ich engagieren können (oder wollen?), solle ich mein Engagement „auf das übliche Maß“ zurückschrauben.
Software Wahlarzt Mit dem Start meiner Ordinationstätigkeit im November 1997 begann ich, gemeinsam mit einem Programmierer, mit der Entwicklung einer Softwarelösung für die Zielgruppe der Wahlärzte. Eine Übersicht über den damaligen Markt hatte nämlich gezeigt, dass es für Wahlärzte keine Lösungen gab, welche die Bedürfnisse in Wahlarztordinationen erfüllen konnten. Wesentliche Grundanforderungen, die in meiner Softwarelösung realisiert wurden, sind: automatische Brieferstellung, einfache Dokumentation durch Verwendung von selbst definierbaren Standards, die Möglichkeit alle Eventualitäten der Verrechnung abzudecken, insbesondere die Verrechnungsmöglichkeit von Pauschalbeträgen, sowie eine überschaubare Kostenstruktur. 108
Nach längerer Überlegung entschlossen wir uns, die Software als Mietvariante anzubieten. Eine wertgesicherte Miete garantiert eine überschaubare Kostenstruktur für die Zukunft, eine monatliche Kündigungsfrist ohne Mindestdauer garantiert auch bei Schließung der Ordination oder Umstieg auf eine Ordination mit Kassenvertrag niedrige Kosten. Detaillierte Informationen dazu bietet das Internet unter www.wahlarzt.com.
Der Gipfel der Kontroverse In Niederösterreich ist, wie in fünf anderen Bundesländern auch, das Wahlarztreferat als „kurienübergreifendes“ Referat geführt. Das macht Sinn, da etwa die Hälfte der Wahlärzte in Österreich zusätzlich zur Wahlarztordination über ein Angestelltenverhältnis verfügen. Doch die Kurienführung der niedergelassenen Ärzte leitete massive Bestrebungen ein, das kurienübergreifende Referat „abzuschaffen“ (wegen zu starker Aktivitäten?) und ein kurieneigenes Referat zu installieren. In persönlichen Gesprächen wurde mir nahe gelegt, dieser Umstrukturierung zuzustimmen. Mit Rückendeckung der Kurie der angestellten Ärzte konnte die Abschaffung des kurienübergreifenden Referates verhindert werden. Die Kurie der niedergelassenen Ärzte etablierte hierauf zusätzlich ein kurieneigenes Wahlarztreferat, das seine Tätigkeit jedoch nie aufnahm und nach einiger Zeit „still gelegt“ wurde.
Wahlarztaktivitäten im Spannungsfeld der Ärztekammer In dieser Phase wurde ich zu einer Kurienvorstandssitzung der niedergelassenen Ärzte eingeladen, besser gesagt vorgeladen. Die Stimmung war schlimmer als bei Gericht – und ich habe als Sachverständiger viel Gerichtserfahrung. Meine Meinung wurde nicht wirklich gehört (im Gegensatz zur Situation bei Gericht), meine Antworten wurden unterbrochen. Vor der Kammervollversammlung im Juni 2005 wurden auch intensive Gespräche geführt, wie man „den Reisner loswerden könnte“. Ein Misstrauensantrag in der Vollversammlung wurde überlegt und die Position des Vizepräsidenten, die ich innehabe, von meinem „Koalitionspartner“ Mandataren anderer Fraktionen angeboten. In dieser Zeit habe ich allerdings erfahren, dass es auch Kammerpolitiker mit positiven Charaktereigenschaften gibt, die sich nicht durch Machtgier und Positionen in ihren Entscheidungen beeinflussen lassen. In vielen persönlichen Gesprächen mit Vertretern aus ALLEN Fraktionslagern wurde ich in meiner Handlungsweise bestärkt und konnte dadurch Kraft für die Zukunft schöpfen. Im Sommer 2005 trat schließlich wieder Ruhe in der „Sache Reisner“ ein. (Siehe dazu auch Epilog: Drei Jahre in der „Kammer des Schreckens“ auf Seite 169)
massiven Umbruch, die Probleme sind mit denen in Österreich durchaus vergleichbar. Die kassenärztlichen Vereinigungen Deutschlands blicken auf die Nachbarländer und luden mich mittlerweile einmal nach Frankfurt und zweimal nach Berlin ein, um Vor- und Nachteile sowie die Systematik des Wahlarztsystems in Österreich vorzustellen und in Fachkreisen zu diskutieren. Diese Einladungen sind für mich eine Bestätigung, dass es gelungen ist, die Anliegen der Wahlärzte auch in der Öffentlichkeit zu transportieren. Auch Printmedien und der ORF melden sich mittlerweile bei mir, wenn es um Fragen geht, die das Wahlarztsystem betreffen. Einige Kammerfunktionäre in Niederösterreich halten es dennoch nicht erforderlich, regelmäßig mit mir über Fakten aus der Kurie der niedergelassenen Ärzte zu konferieren, die Wahlarztagenden betreffen. So dürfte wohl das „Schicksal des Propheten im eigenen Land“ zu verstehen sein?!
Aktivitäten des Wahlarztreferates der Ärztekammer für Niederösterreich Von Christoph Reisner
Deutschland ruft
Patientenbefragung
Das Gesundheitswesen in unserem Nachbarland Deutschland befindet sich in einem
Über das Marktforschungsinstitut OGM wurden 500 Patientinnen und Patienten 109
in Niederösterreich zum Thema „Wahlarzt“ befragt. Der Begriff „Wahlarzt“ erfreut sich zwar zunehmender Bekanntheit, etwa 40 Prozent der Befragten konnten 2003 aber immer noch wenig mit diesem Begriff verbinden (Abb. 9 a und b). Viele Patienten kennen ihr Recht auf Honorarrückerstattung (Abb. 10). Aus mehre-
WA H L A R Z T
ren Gründen werden aber Honorarnoten oft nicht eingereicht (Abb. 11 a und b). Hier helfen Patienten den Krankenkassen sparen. Das Ergebnis der Umfrage wurde in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit näher gebracht, sämtliche Medien nahmen sich der Thematik der Wahlärzte an. Die Steigerung der Zahlen zwischen 1999 und 2003 entspricht auch der zahlenmäßigen Steigerung der Wahlärzte.
20
27
Privatarzt
Wahlarzt
13
5
Arzt ohne Kassenvertrag
Anderes
Spontane Bekanntheit Begriff „Wahlarzt“ (Quelle: Umfrage der Ärztekammer für Niederösterreich 2003)
WA H L A R Z T
K O S T E N R Ü C K E R S TAT T U N G
A B B. 9 B
2003
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
62
50 Klar
2003
1999
34
50
Nicht so klar
Gestützte Bekanntheit Begriff „Wahlarzt“ (Quelle: Umfrage der Ärztekammer für Niederösterreich 2003)
110
Die Herausgabe des „Wahlarztratgebers“ war ein durchschlagender Erfolg. Der Untertitel (WAHLARZT – „Eine Entscheidung zwischen Zweifel & Euphorie“) beschreibt genau die Problematik, die jeder Wahlarzt während der Planungsphase seiner Ordination erlebt. Der Ratgeber enthält alle nötigen Informationen, die der Wahlarzt braucht, aber
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
1999
79 55 44 Ja
21 Nein
Wissen über Kostenrückerstattung (Quelle: Umfrage der Ärztekammer für Niederösterreich 2003)
A B B. 10
A B B. 9 A
Wahlarztratgeber 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
Wahlarztaktivitäten im Spannungsfeld der Ärztekammer im Studium und in der Ausbildung zum Facharzt oder Allgemeinmediziner nicht gelernt hat. Er behandelt die Problematik bei Planung der Wahlarztpraxis, alle Facetten der Honorargestaltung, Marketing für die Wahlarztpraxis, den breiten Themenkreis Steuern und Versicherungen, Tipps für EDV-Ausstattung, Tipps und Tricks aus eigener Erfahrung, häufige Patientenfragen sowie Gesetzliche Informationen und Rahmenbedingungen. Der Wahlarztratgeber ist auf der Homepage der Ärztekammer Niederösterreich (www. arztnoe.at) kostenlos als Gesamtwerk oder
Die bisher bereits sehr erfolgreichen Niederlassungsseminare der Ärztekammer für Niederösterreich wurden um eine Diskussionsrunde mit mehreren erfahrenen Wahlärzten erweitert. Bei dieser werden einerseits Erfahrungen weitergeben, andererseits eigene Fehler bei der Ordinationseröffnung erklärt, aber vor allem wertvolle Tipps aus eigener Erfahrung gegeben.
1999
2003
90
90
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1999
60 50
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40 30
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46
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30 20
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10
10
0
0 Ja
Nein
Einreichung der Honorarnote (Quelle: Umfrage der Ärztekammer für Niederösterreich 2003)
45 31
28
25 15
Nicht gewußt
Lohnt sich nicht
22 Aufwand zu groß
Gründe für nicht Einreichung der Honorarnote (Quelle: Umfrage der Ärztekammer für Niederösterreich 2003)
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A B B. 11 B
50
A B B. 11 A
Niederlassungsseminare
HONORARNOTE
HONORARNOTE 2003
kapitelweise downloadbar. Das Werk erfreut sich nicht nur in Niederösterreich, sondern auch in den anderen Bundesländern großer Beliebtheit.
Standortanalyse – Entscheidungshilfe für Praxisgründer Oft werden Ordinationen aus emotionalen Überlegungen heraus eröffnet, weil man sich in einer Gegend besonders wohl fühlt, weil man dort aufgewachsen ist, weil man Leute kennt oder weil man sich gerade in einem bestimmten Gebiet besondere wirtschaftliche Vorteile erhofft. Tatsächlich können diese Faktoren aber auch falsch eingeschätzt werden, da objektivierbare Daten fehlen und die Entscheidung „aus dem Bauch“ getroffen wird. Auf Initiative des Wahlarztreferates hat die Ärztekammer für Niederösterreich ein eigenes Tool entwickelt, mit dem die Auswahl des Ordinationsstandortes durch objektivierbare Daten unterstützt werden kann. Insbesondere wenn mehrere Standorte für eine Ordination in Niederösterreich zur Auswahl stehen, kann das Risiko minimiert werden. Die Standortanalyse bietet eine Entscheidungshilfe an, wo welche Infrastruktur an einem möglichen zukünftigen Ordinationsstandort vorzufinden ist. Eine Garantie für eine erfolgreiche Ordinationsführung an dem ausgewählten Standort kann natürlich nicht abgegeben werden. Eine Standortanalyse für ganz Österreich wird vom Basler Ärztedienst in sehr hoher Qualität angeboten (siehe auch Seite 118) 112
Wahlarztformulare Auf der Website der Ärztekammer für Niederösterreich (www.arztnoe.at) stehen im Intranet, auf das alle Kammermitglieder Zugriff haben, Rezeptformulare, Zuweisungen und Verordnungsscheine als pdf-Downloads zur Verfügung.
Ordinationsbörse Die Ordinationsbörse bietet die Möglichkeit, dass Ärzte online ihre Wünsche bzw. ihre Einmietmöglichkeiten offerieren. Viele Ärzte sind bereit, ihre Ordination an einem freien Tag zu vermieten, Wahlärzte suchen oft nur tageweise eine Möglichkeit, zu ordinieren, und können so kostengünstiger Ordinationsräumlichkeiten anmieten. Die Ordinationsbörse wurde von der gesamten Ärzteschaft gut angenommen.
Niederlassungsberatung Für zukünftige Wahlärzte wird eine monatliche Beratung in Kleingruppen angeboten. Diese Nachmittagstermine stellen eine gute Basis für eine Ordinationseröffnung dar, können aber ausführliche, eineinhalbtägige Seminare, wie sie beispielsweise von der Ärztekammer Niederösterreich oder vom Basler Ärztedienst (teilweise in Kooperation mit anderen Landesärztekammern) österreichweit angeboten werden, nicht ersetzen. Behandelt werden sämtliche relevanten Themen in Impulsreferaten zu je 30 Minuten. Bisher nahmen etwa 250 zukünftige
Wahlarztaktivitäten im Spannungsfeld der Ärztekammer Wahlärzte dieses Service des Wahlarztreferates in Anspruch.
Wahlarzt-CD Die Wahlarzt-CD enthält neben dem Wahlarztratgeber und Informationsmaterial über den Wohlfahrtsfonds der niederösterreichischen Ärztekammer auch die Honorarkataloge wichtiger Krankenkassen, unter anderen der Wiener und der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse, der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA) und der Versicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA). Die CD kann ebenfalls über das Wahlarztreferat angefordert werden. Mittlerweile stehen durch Aktivitäten im Wahlarztreferat der Österreichischen Ärztekammer die Honorarkataloge für ganz Österreich zur Verfügung.
Kommunikationsseminare Gute Kommunikation ist Basis die der erfolgreichen Führung einer (Wahlarzt)Ordination. Aus diesem Grund hat das Referat unter der Leitung des erfahrenen Psychologen und Kommunikationswissenschaftlers DDDr. Karl Isak eine Seminarreihe zu diesem Thema angeboten.
Informationsveranstaltungen Zu drei aktuellen Themen informierte das Referat mehrmals im Laufe des Jahres 2005 und 2006: e-Card, Vorsorgeuntersuchung NEU, Chefarztpflicht NEU. Knapp über 150
Teilnehmer zeigten, dass die gewählten Themen von großem allgemeinem Interesse waren. Seit Oktober 2005 ist die Vorsorgeuntersuchung NEU in Kraft getreten. Die Durchführung und Abrechnung von Vorsorgeuntersuchungen ist nur dann möglich, wenn eine entsprechende Einschulungsveranstaltung besucht wurde. Da das Referat für Vorsorgemedizin keine entsprechenden Veranstaltungen anbot, jedoch erheblicher Bedarf bestand, wurde auch über das Wahlarztreferat eine Einschulung angeboten.
Benchmarking in der Ordination In Kooperation mit Harald Reigl von der Ärztebank wurde eine Veranstaltung abgehalten, bei der die Teilnehmer die Möglichkeit hatten, ihre persönlichen wirtschaftlichen Eckdaten der Ordination mit Durchschnittswerten von Wahlärzten und Kassenärzten zu vergleichen. Insbesondere Wahlärzte mit überdurchschnittlich ausgeprägtem Wirtschaftsbewusstsein nahmen daran teil.
Zuweisungen – Überweisungen Bis Ende 2005 waren Zuweisungen und Überweisungen vom Wahlarzt zum Kassenarzt bewilligungspflichtig und mussten formal einer Kassenzuweisung gleichgestellt werden. Für den Patienten war dies mit einem zusätzlichen Aufwand verbunden, um die Zuweisung tatsächlich in An113
spruch nehmen zu können. Viele Ärzte mit Kassenvertrag haben in der Vergangenheit als Serviceleistung für ihre Patienten diesen Formalweg erledigt, flächendeckend war dies in Niederösterreich aber nicht gegeben. Viele Patienten mussten daher zusätzliche Wege in Kauf nehmen, wenn nach einem Besuch eines Wahlarztes zur weiteren Abklärung zusätzliche Untersuchungen notwendig waren. Die Einführung der e-Card hat die ersten positiven Folgen für die Wahlärzte und Wahlarztpatienten in Niederösterreich. Seit 1. Jänner 2006 sind alle Ordinationen mit Kassenverträgen mit der e-Card-Infrastruktur ausgestattet. Das Wahlarztreferat war der Meinung, dass in Zukunft der Kassenarzt, der die entsprechende Leistung nach Zuweisung eines Wahlarztes erbringt, über die e-Card den Versicherungsstatus und damit die Anspruchsberechtigung des Patienten überprüfen kann. Sowohl die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse wie auch alle Kleinen Kassen haben sich dieser Meinung angeschlossen. Seit März 2006 müssen daher Zuweisungen bzw. Überweisungen von Wahlärzten zu Kassenärzten nicht mehr bewilligt oder bestätigt werden. Der Kassenarzt muss die Wahlarztzuweisung bzw. -überweisung wie die Zuweisung/Überweisung eines Kassenarztes behandeln. Grundsätzlich bewilligungspflichtige Leistungen, für die auch im Kassenbereich eine 114
Bewilligungspflicht gilt, z.B. Magnetresonanz-Untersuchungen, sind von dieser Regelung selbstverständlich ausgenommen und müssen bewilligt werden.
e-Card für Wahlärzte Das Thema e-Card hat bisher nur die Kassenärzte beschäftigt. Seit 2006 ist die Installation auch bei Wahlärzten möglich. Derzeit ist die Einrichtung der e-Card-Infrastruktur nur für eine kleine Gruppe von Wahlärzten sinnvoll, nämlich bei einer entsprechenden Anzahl von Vorsorgeuntersuchungen. Mit Einführung des „elektronischen Rezeptes“, der „elektronischen Zuweisung“ und des „ABS“ (= Arzneimittel-Bewilligungs-Service) über die e-Card wird diese auch für Wahlärzte an Bedeutung gewinnen. Wann diese Zusatzfunktionen tatsächlich umgesetzt werden, kann derzeit nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Derzeit liegt ein Angebot des Hauptverbandes der Sozialversicherungen vor, das ausschließlich die Einbindung von Wahlärzten mit Rezepturbefugnis vorsieht. Die geplanten Kosten sind fast doppelt so hoch wie die derzeitigen monatlichen Kosten der Vertragsärzte. Aufgabe des Wahlarztreferates wird sein, technische Varianten für Wahlärzte auszuarbeiten, die den Bedürfnissen der Wahlärzteschaft entsprechen, und die auch für Wahlarztordinationen mit geringer Patientenfrequenz leistbar sind.
Wahlarztaktivitäten im Spannungsfeld der Ärztekammer Eine einheitliche Handhabung von Rezepten und Überweisungen in ganz Österreich wäre sowohl für Patienten wie auch für Ärzte vor allem in Bundesländergrenzbereichen erstrebenswert.
Wahlarztbefragung in Niederösterreich Im Juni 2006 wurde vom Wahlarztreferat eine Befragung unter den Wahlärzten Niederösterreichs mit Fragebogen durchgeführt. Die Rücklaufquote war repräsentativ. Ziel war es, die Bedürfnisse der Wahlärzteschaft zu erheben, aber auch die Befindlichkeit sowohl persönlicher Art wie auch aus wirtschaftlicher Sicht zu erfassen. Die angegebenen Prozentwerte beziehen sich jeweils auf die Antworten der Rückläufe. Ordination: 70 Prozent haben eigene Ordinationsräumlichkeiten, 12 Prozent führen die Ordination im Rahmen einer Ordinationsgemeinschaft und 20 Prozent sind in einer Fremdordination eingemietet. Aus unserer Sicht bietet dies ein enormes Potential zur vermehrten Kooperation mit zukünf-
tigen Wahlärzten, da die „eigenen“ Ordinationsräumlichkeiten sicher nicht in vollem Ausmaß ausgelastet sind. 60 Prozent haben nämlich ein Anstellungsverhältnis. Honorare und Verrechnung: 74 Prozent verrechnen Honorare, die sich nicht am Kassentarif orientieren, nur 3 Prozent bewegen sich unter dem Kassentarif. Etwa die Hälfte verrechnet sofort in bar, eine Bankomatkasse haben 8,4 Prozent installiert. 23 Prozent bieten als Serviceleistung die Übermittlung der Honorarnote an die Krankenkasse an. Zufriedenheit: Erfreulich ist, dass 93 Prozent mit ihrer Tätigkeit zufrieden sind. Trotzdem streben 13 Prozent einen Kassenvertrag an. Kooperationen: 67 Prozent geben an, dass es keine Zusammenarbeit mit Kassenärzten gibt. Bei 17 Prozent besteht eine funktionierende Kooperation, 14 Prozent machten keine Angaben zu dieser Thematik. Wahlarztreferat: 63 Prozent kennen das Angebot des Wahlarztratgebers. 40 Prozent haben davon Gebrauch gemacht, 54 Prozent kennen die monatlichen Beratungstermine.
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Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination
Die wesentlichen Erfolgsfaktoren für die Wahlarztordination sind rasch zusammen gefasst: Fixkosten der Ordination minimieren, Organisationsstruktur optimieren und Zeit für den Patienten maximieren.
Standortwahl Die Standortwahl ist ein wesentlicher Faktor, der oft nicht berücksichtigt wird und entscheidend für den Erfolg einer Wahlarztordination sein kann. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es keine eindeutigen Vor- oder Nachteile für Stadt oder Land als Ordinationsstandort gibt. Fest steht jedoch, dass der Vorteil der Großstadt (viele potenzielle Patienten) mit dem Nachteil der geringeren Kommunikation in der Bevölkerung erkauft wird. Insbesondere bei Fachärzten ist die Entfernung des Arztes vom Wohnort nicht von so hohem Stellenwert, wie dies vielfach vermutet wird. Ein Patient ist durchaus bereit, weitere Strecken mit dem Auto zurückzulegen, um den Arzt seines Vertrauens aufzusuchen.
Bei der Standortwahl nichts dem Zufall überlassen Von Wilhelm Zieger
Dr. Christian K. wunderte sich. Genauer gesagt, sorgte er sich. Da hatte er vor knapp einem Jahr eine schmucke Praxis als Allgemeinmediziner eröffnet, natürlich als Wahlarzt. An eine Kassenstelle war nicht zu den118
ken, und im Krankenhaus konnte er auch nicht mehr bleiben. Alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche freiberufliche Tätigkeit waren seiner Ansicht nach gegeben. Er hatte in seinem Heimatort von seinen Eltern eine Wohnung geerbt, die ohne hohen finanziellen Aufwand zu einer idealen Praxis umgebaut werden konnte. Man kannte ihn seit Kindheit, er war durchaus beliebt und hielt sich auch für einen guten und engagierten Arzt. Allein die Patienten blieben aus. Die wenigen, die kamen, waren allerdings sehr zufrieden. Aber der Großteil der Bevölkerung blieb doch bei den Kassenärzten im Ort. Und obwohl unser Dr. K. mit Ernährungsberatung, Akupunktur und Homöopathie Leistungen anbot, die seine Kollegen in ihren überfüllten Kassenpraxen nicht erbringen konnten, wollte die Praxis nicht so recht in Schwung kommen. Und was Dr. Christian K. noch mehr wunderte: Die Praxis eines Kollegen boomte. Dieser hatte sich nur ca. 30 Kilometer entfernt in einem Ort etwa der selben Größe niedergelassen, natürlich auch als Wahlarzt. Und dieser hatte ebenso wie er zwei Kassenärzte als Kollegen. Was war die Ursache?
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Nun, unser Dr. K. hatte eine ganz elementare Regel bei seiner Niederlassung übersehen. Seine Rechnungen würden in Zukunft seine Kunden, sprich seine Patienten bezahlen. Seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie würden seine Patienten bestreiten. Also wäre es nur logisch gewesen, sich vor der Wahl des Praxisstandortes zu fragen, wo denn nun diese Patienten (Kunden) sind, welche seiner Leistungen sie in Anspruch nehmen würden bzw. wie sehr sie imstande und willens sind, diese auch zu bezahlen. Unser Dr. K. hatte seine Standortwahl aber nach überwiegend emotionalen Gesichtspunkten (Heimatort, Elternwohnung) getroffen. Er hatte nicht berücksichtigt, dass in „seinem“ Ort die Arbeitslosigkeit hoch, die Kaufkraft dementsprechend niedrig und die Möglichkeit und Bereitschaft, für eine ärztliche Leistung eine Honorarnote zu bezahlen, natürlich gering war. Und eine hohe Abwanderungsrate ließ auch für die Zukunft keine Besserung erwarten. Ist Standortanalyse nun eine Modeerscheinung, ein Schlagwort oder unter Umständen doch eine existenzielle Notwendigkeit? In der freien Marktwirtschaft ist es seit Jahren gang und gäbe, Produkte und Leistungen dort anzubieten, wo voraussichtlich die Abnehmer sitzen. Zielgruppenmarketing, Kaufkraftanalysen und dergleichen sind betriebswirtschaftliche Begriffe, mit denen sich auch Ärzte immer mehr werden auseinandersetzen müssen.
Die Wahlärzte werden sich in Zukunft einem stärker werdenden Konkurrenzdruck und einem heftiger wehenden wirtschaftlichen Gegenwind gegenübersehen. Umso wichtiger wird es für jeden Einzelnen, den Standort seiner Praxis emotionslos nach ausschließlich wirtschaftlichen Fakten auszuwählen. Flexibilität bei der Standortwahl wird wichtiger denn je. Informationen – je mehr, desto besser – über die Bevölkerung am geplanten Standort sind eine „conditio sine qua non“. Anzahl der Einwohner, Geschlechteraufteilung, Altersstrukturen nach Geschlecht, Schulbildung, Kaufkraft, Mitgliedschaften zu Sozialversicherungen, Pendleranzahl, Zu- und Abwanderungsraten sind Basisdaten, die für die Entscheidung über den Praxisstandort vorliegen müssen. Erfolg mit seiner Praxis wird jener Arzt haben, der Kenntnisse über die wirtschaftlichen Strukturen des gewählten Bezirkes hat, der über die Kollegen der näheren und weiteren Umgebung und ihre Arbeitskreise Bescheid weiß. Genauso muss er erkennen, wo für sein Fach und seine Vorstellungen, Medizin zu betreiben, das richtige Kundenpotenzial liegt. Natürlich ist es für den einzelnen Arzt unmöglich, alle diese Daten einzuholen und sie vor allem miteinander zu einem sinnvollen Ergebnis zu verknüpfen. Es gibt schon professionelle Anbieter von Standortanalysen, 119
wobei es natürlich nur Sinn macht, sich an Firmen zu wenden, die sich ausschließlich mit Ärzten und deren wirtschaftlichem Umfeld beschäftigen. Ärzte, die in Zukunft in die Praxis gehen, werden einsehen müssen, dass sie Medizin studiert haben und keine Unternehmensoder Steuerberater, Finanzierungsfachleute oder Versicherungsprofis sind. Sie werden Leistungen zukaufen, sie werden Aufgaben auslagern müssen. Und wer hier am falschen Fleck spart und meint, alles selbst bewältigen zu können, handelt sich eine größere Wahrscheinlichkeit des Scheiterns ein. Zusammenarbeit mit Profis ist gefragt. Wobei das Problem zu bewältigen ist, einen Profi als solchen zu erkennen. Wenn nun eine aussagekräftige Standortanalyse vorliegt, liegt dann auch die Bereitschaft vor, größere Ortsveränderungen zu akzeptieren? Wäre unser anfangs erwähnter Dr. Christian K. gewillt gewesen, seinen Heimatort, die Stadt, in der er studiert hat, oder gar sein Bundesland zu verlassen, wenn das Ergebnis der Standortanalyse woanders bessere Entwicklungschancen für seine Praxis aufgezeigt hätte? Jeder Arzt wird gut beraten sein, wenn er akzeptiert, dass man auch außerhalb der engeren Heimat einen Freundeskreis aufbauen kann, dass sich Kinder auch an eine neue Schule und an neue Freunde gewöhnen können. Beim Start in die Niederlassung muss vor allem gewährleistet sein, dass 120
in einer wirtschaftlich schwieriger werdenden Zeit eine Praxis auf einer soliden Basis gegründet wird. Hätte sich unser Dr. Christian K. nach diesen Grundsätzen orientiert, müsste er sich heute nicht wundern – oder vielmehr um seine Existenz sorgen.
Partnerschaften Aus Sicht der Autoren ist die Zeit der Einzelkämpfer vorbei. Man stelle sich einen Wirtschaftsbetrieb vor, der nur 20 Stunden in der Woche geöffnet hat und in der übrigen Zeit ungenützt leer steht. In zahlreichen Arztpraxen ist das der übliche Alltag. Insbesondere für Wahlarztordinationen bieten sich Kooperationsmodelle verschiedener Art an.
Lehrpraxis Laut EU-Richtlinie ist die Ausbildung in der Lehrpraxis verpflichtender Bestandteil der Ausbildung zum Allgemeinmediziner. Es besteht allerdings die Möglichkeit, diese Lehrpraxis auch in den Erstversorgungsambulanzen der Krankenhäuser zu absolvieren. Organisatorische Schwierigkeiten, geringe Motivation der Praxisinhaber sowie eine niedrige Bezahlung von rund 1.300 Euro brutto pro Monat führten in der Vergangenheit dazu, dass sich viele Jungmediziner für eine durchgehende Turnusausbildung im Krankenhaus entschieden.
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Aus den genannten Gründen existieren derzeit nur knapp 100 Lehrpraxisplätze für interessierte Jungmediziner in Ordinationen für Allgemeinmedizin. Dabei könnte die Lehrpraxis einen wertvollen Beitrag zu besserem Schnittstellenmanagement bringen. Nur wer sowohl die extra- als auch die intramurale Seite kennt, kann sich mit den Problemen, aber auch mit den Chancen auseinandersetzen. Der Betrieb von Lehrpraxen bringt jedoch nicht nur etwas für das System. Lehrpraktikanten können sich in der Lehrpraxis Kompetenz und Professionalität für eine eventuelle Praxisgründung erarbeiten und mit Startschwierigkeiten vor allem im organisatorischen Bereich besser umgehen. Dies betrifft auch die Gesundheitsökonomie wie Verschreibung von Medikamenten, Therapien und Heilbehelfen, Praxisorganisation sowie die Zusammenarbeit mit anderen Ärzten innerhalb und außerhalb des Spitals. Auch die Inhaber von Lehrpraxen profitieren von der Anwesenheit junger Kollegen durch gemeinsames Reflektieren sowie die Möglichkeit der Einholung von Zweitmeinungen. Zudem kann ein Jungarzt sicherlich auch neue Ideen und Ansätze in eine Ordination einbringen – alles Vorteile, von denen letztlich der Patient profitiert. 11 Millionen Euro jährlich sollen ab Herbst 2006 aus dem Reformpool des Gesundheitsministeriums zur Verfügung
gestellt werden, um die Ausbildung in Lehrpraxen für 750 Jungmediziner zu finanzieren. Vorgesehen ist, dass der „Facharzt für Allgemeinmedizin“ insgesamt 18 Monate in der Lehrpraxis verbringen soll, einen Teil davon nach einem Jahr Turnus und den anderen nach Abschluss desselben. So wird der Effekt verstärkt, dass sowohl Abläufe und Realität im Spital als auch im niedergelassenen Bereich hautnah erfahrbar werden. Für in der Lehrpraxis Tätige ist ein monatliches Bruttogehalt von 2.200 Euro vorgesehen. Der Leiter der Lehrpraxis soll für sechs Monate insgesamt 1.500 Euro für seinen Aufwand und die persönliche Betreuung bekommen. Aus unserer Sicht zeigt sich bei diesen Ansätzen die Problematik moderner Gesundheitspolitik ganz genau. Man bekundet Reformwillen und legt auch Projekte mit Zahlen auf den Tisch. Leider hat die Vergangenheit aber gezeigt, dass solche begrüßenswerten Initiativen dann doch gerne an der Finanzierbarkeit scheitern. Wir sind jetzt schon gespannt, wo der Schuldige gesucht werden wird, wenn die ersten Projektverantwortlichen dahinter kommen, dass der budgetierte Betrag statt für 750 nur für 235 Lehrpraxen pro Jahr reicht. Aus unserer Sicht sollte es selbstverständlich sein, dass Geld für Lehrpraxen beim Allgemeinmediziner ohne bürokratischen 121
Bewerbungs- und Anmeldewahnsinn von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt wird. Ebenso sollten interessante Tarife für beide Beteiligten und ohne zahlenmäßige Limitierung außer Diskussion stehen.
Gruppenpraxen Kassenverträge für Gruppenpraxen in Wien Von Wolfgang Leonhart
Aufgrund der Gebietskrankenkassen-Vertragssituation in Wien sind drei Varianten vorgesehen, wie eine Gruppenpraxis unter Vertrag genommen werden kann. Der Gruppenpraxis- Gesamtvertrag in Wien sieht allerdings ausschließlich Gruppenpraxen zwischen fachgleichen Ärzten vor. Für Zahnärzte gibt es keinen Gruppenpraxenvertrag mit der Gebietskrankenkasse (GKK).
MODELL 1: Zusammenschluss von zwei Vertragsärzten mit Einzelverträgen Im Gruppenpraxis–Gesamtvertrag ist vorgesehen, dass in allen Fachgebieten zwei Vertragsärzte, die zusammen eine Gruppenpraxis bilden möchten, dies nur der Ärztekammer und der GKK anzeigen müssen. Nach der Anzeige kann durch Ärztekammer und GKK binnen vier Wochen gegen die Gründung der Gruppenpraxis Einspruch 122
erhoben werden. Im Falle des Einspruches entscheidet die paritätische Schiedskommission. Die Anzeige erfolgt formfrei vor Gründung der eigentlichen OEG (= Offene Erwerbs-Gesellschaft). Ist einmal eine Gruppenpraxis in Vertrag genommen, besteht kein Rechtsanspruch auf die Rückkehr in den Einzelvertrag. Nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters ist von Ärztekammer, GKK und verbleibendem Gesellschafter zu entscheiden, ob die Stelle des zweiten Gesellschafters auszuschreiben ist. Findet sich nach Ausschreibung kein entsprechender Kandidat oder wird auf die Ausschreibung verzichtet, hat der verbleibende Gesellschafter das Recht auf Abschluss eines Einzelvertrages.
MODELL 2: Ausschreibung einer neuen Kassenplanstelle für eine Gruppenpraxis Nach Ausschreibung einer Gruppenpraxis-Planstelle können sich alle Ärzte – nicht einzeln, sondern als Team – bewerben. Die Bewerbung darf nur in Teams erfolgen. Im Falle einer Zuschlagserteilung ist das Team verpflichtet, binnen sechs Monaten eine OEG zu gründen. Die Bewertung des Teams erfolgt nach den Reihungskriterien für Einzelpraxen (Punktesystem), wobei für jeden Bewerber im Team der Punktewert ermittelt wird und die Teams nach der Gesamt-
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination punkteanzahl gereiht werden. Bei Zerfall der OEG und beim Ausscheiden des Gesellschafters ist dieser nicht mehr in die Kassenversorgung involviert.
MODELL 3: Umwandlung einer Vertragsarztpraxis in eine Vertragsgruppenpraxis Der Vertragsarzt muss die Umwandlung seiner Planstelle in eine GruppenpraxisPlanstelle beantragen. Nach erfolgter Ausschreibung können sich alle Vertragsärzte der ausgeschriebenen Fachsparte bewerben (Reihung nach Punktesystem). Dabei werden der Erstgereihte und dessen Punkteanzahl sowie all jene Bewerber ermittelt, die mindestens 80 Prozent der Punkteanzahl des Erstgereihten erreicht haben. Alle so ermittelten Bewerber werden dem Vertragsarzt bekannt gegeben. Will der Vertragsarzt mit einem dieser Bewerber eine Gruppenpraxis gründen, so wird diese von der GKK als Vertragsgruppenpraxis in Vertrag genommen. Kommt es zu keiner Einigung, ist eine neuerliche Ausschreibung mittels Antrag nach Ablauf eines vollen Kalenderjahres möglich.
Die Strukturreserve Da für die Gründung einer Gruppenpraxis nach dem geschilderten 2. und 3. Modell eine entsprechende Planstellen frei sein
müssen, wurde eine so genannte Strukturreserve geschaffen. Diese kommt zum Tragen, wenn bei einer freiwilligen Rücklegung des Kassenvertrages oder bei Tod eines Vertragsarztes individuell geprüft wird, ob diese Stelle unbedingt versorgungsnotwendig ist. Stellt man fest – insbesondere bei Praxen mit wenig Krankenscheinen –, dass diese Stelle aus versorgungspolitischen Gründen nicht nachbesetzt werden muss, bezahlt die GKK dem rücklegungswilligen Arzt oder den Erben eine Niederlegungsprämie. Die Stelle wandert dann in den Topf der Strukturreserve und kann für die Gründung einer Gruppenpraxis verwendet werden.
Gesellschafterwechsel bei Gruppenpraxen Die Gestaltung des OEG-Vertrages wird von Ärztekammer und GKK nicht überprüft. Nur die ärzterechtlich normierten Eckpunkte sind zu beachten. Bei Ausscheiden eines Gesellschafters aus der Gruppenpraxis ist Einvernehmen mit Ärztekammer und GKK über die allfällige Ausschreibung zu finden. Nach erfolgter Ausschreibung ist die Reihung der einzelnen Bewerber nach den Reihungskriterien für Einzelpraxen (Punktesystem) vorzunehmen. Es werden der Erstgereihte und jene Bewerber, die mindestens 80 Prozent der Punkteanzahl des Erstgereihten erreichen, den Gesellschaftern der Gruppenpraxis bekannt gegeben, damit Einvernehmen über den Eintritt in die Gesellschaft mit einem der Bewerber gefunden werden kann. 123
Sonstige Details Gruppenpraxen müssen einen behindertengerechten Zugang haben, wobei die entsprechenden Maßnahmen rechtlich möglich sein müssen. Weiters müssen Gruppenpraxen ganzjährig offen halten, mindestens 30 Stunden pro Woche, ab drei Ärzten mindestens 40 Stunden pro Woche. Der Gesamtvertrag für Gruppenpraxen in Wien ist ein ganz normaler Gesamtvertrag, der dieselben Einigungsregelungen des Gesamtvertrages für Einzelpraxen enthält. Gruppenpraxen haben idente Honorartarife wie Einzelpraxen.
Kassenverträge für Gruppenpraxen in Oberösterreich Von Karl Braunschmid
Allgemeines Mit dem Inkrafttreten der 2. Ärztegesetznovelle 2001 wurde die Gruppenpraxis als neue Zusammenarbeitsform für Ärzte eingeführt. Ärzte, die sich zu einer Gruppenpraxis zusammenschließen wollen, steht dafür ausschließlich die Rechtsform der OEG (Offene Erwerbs-Gesellschaft) zur Verfügung. Das Ärztegesetz versteht unter dem Begriff Gruppenpraxis einen Zusammenschluss zweier oder mehrerer selbständig berufsbefugter Ärzte zu einer OEG zum Zwecke der gemeinsamen, nach außen hin als Gesellschaft in Erscheinung tretenden Berufsausübung. Die Gruppenpraxis hat einen eige124
nen Namen (Firmenwortlaut) und wird in das Firmenbuch eingetragen. Als Vertragsgruppenpraxis wird eine Gruppenpraxis bezeichnet, die mit zumindest einem gesetzlichen Krankenversicherungsträger einen Einzelvertrag abgeschlossen hat. Während in Einzelordinationen die Berufsausübung durch den Ordinationsinhaber erfolgt, liegt der Zweck der Gruppenpraxis in der gemeinschaftlichen Berufsausübung, der Behandlungsvertrag kommt zwischen dem Patienten und der Gruppenpraxis zustande. Das unterscheidet die Gruppenpraxis auch wesentlich von anderen ärztlichen Kooperationsformen (Ordinations- oder Apparategemeinschaften). Nachdem bei der Gruppenpraxis der Behandlungsvertrag zwischen der OEG und dem Patienten abgeschlossen wird, trifft eine allfällige Haftung die Gesellschaft und nicht den behandelnden Arzt. Dabei ist zu beachten, dass die Gesellschafter gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft unbeschränkt, unmittelbar, solidarisch (auch mit ihrem Privatvermögen) haften. Somit besteht in Fällen, in denen die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten nicht bedienen kann, ein Durchgriff auf die Gesellschafter. Das Bundesland Oberösterreich hat nach der Ärztegesetznovelle 2001 als erstes Bundesland bereits ab Herbst 2002 Vertragsgruppenpraxen auch mit der Gebietskrankenkasse ermöglicht. Insgesamt stehen vier Modelle zur Auswahl.
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination MODELL 1: Zusammenlegung Beim „Zusammenlegungsmodell“ schließen sich zwei bestehende Vertragsarztstellen zu einer Vertragsgruppenpraxis zusammen. Nachdem bereits Einzelverträge bestehen, entfällt hier ein Auswahlverfahren. Bei diesem Modell können die Gesellschafter die Beteiligungsverhältnisse ohne Zustimmung von Kammer und Kasse selbst wählen. Für eine „Zusammenlegung“ gelten zahlreiche Auflagen in Zusammenhang mit Öffnungszeiten. Die Abrechnung erfolgt nach der für Einzelordinationen geltenden Honorarordnung, allerdings mit einem Honorarabzug – jeweils vom Umsatz – von 8,5 Prozent bei Allgemeinmedizinern, 9,5 Prozent bei Fachärzten, bei Radiologen 12,9 Prozent und 11,4 Prozent bei Laborgruppenpraxen. Die Begründung für diese Einnahmenkürzung sehen Kasse und Kammer im Kosteneinsparungspotenzial einer Gruppenpraxis.
MODELL 2: Bruchstelle Wenn in einem Versorgungsgebiet ein Zusatzbedarf für eine Kassenstelle im Ausmaß zwischen 0,3 bis 0,7 Stellen besteht, kann eine bestehende, volle Kassenpraxis für einen bestimmten Zeitraum um das so genannte „Bruchstellenausmaß“ erweitert
und als Gruppenpraxis geführt werden. Der Einzelvertrag ruht während der Dauer der Gruppenpraxis. Dem hinzukommenden „Juniorpartner“ muss der Kassenvertragsarzt einen Gesellschaftsanteil von mindestens 30 Prozent zukommen lassen. Der „Junior“ ist aus den vier bestgereihten Bewerbern auszuwählen. Wenn sich der Ehepartner bewirbt, kann dieser auch gewählt werden, wenn er nicht unter den ersten vier gereiht ist. Der wirtschaftliche Erfolg und der Anteil an der Gesellschaft sind im Ausmaß des vereinbarten Arbeitsanteiles zu gewähren. Die Bewertung der Praxis wurde von Kammer und Kasse geregelt, der Seniorpartner erhält nur eine anteilige Substanzablöse. Dieser Wert darf keinesfalls überschritten werden. Für die Honorierung gilt das gleiche wie beim ersten Modell. Wird jedoch die über die für die Bruchstelle errechnete Patientenzahl überschritten, erfolgt für darüber hinausgehende Behandlungsfälle ein Abzug vom Gesamthonorar mit dem individuellen Durchschnittsfallwert.
MODELL 3: Job-Sharing Das „Job-Sharing-Modell“ als dritte Variante findet Anwendung, wenn ein Kassenstelleninhaber seine Vertragsarztstelle 125
mit einem anderen Arzt teilen möchte. Die Patientenzahl wird bei diesem Job-SharingModell auf die bisherige Scheinzahl (vor Gründung der Gruppenpraxis) eingefroren, eine Anpassung erfolgt nur kalenderjährlich entsprechend der Scheinzahländerung der jeweiligen gesamten Fachgruppe. Dem Juniorpartner muss ein Gesellschaftsanteil von mindestens 30 Prozent erteilt werden. Mit Festlegung des Gesellschaftsanteils ist auch zwingend das Ausmaß der Verteilung der Arbeitsleistung sowie des Gewinns festgelegt. Eine Änderung des gewählten Gesellschaftsanteils ist frühestens drei Jahre nach Beginn der Gruppenpraxis zulässig. Die Laufzeit der Gruppenpraxis nach Modell 3 muss bereits bei der Ausschreibung angegeben werden. Nach Ablauf dieses Zeitraums verliert die Gruppenpraxis ihren Kassenvertrag und der Einzelvertrag des Seniorpartners lebt automatisch wieder auf. Mit dem Modell 3 kann der Kassenvertrag an den Juniorpartner nicht übergeben werden. Eine Verlängerung der Gruppenpraxis über den in der Ausschreibung angegebenen Zeitraum ist nicht möglich. Die Gruppenpraxis endet automatisch mit Vollendung des 65. Lebensjahres des Seniorpartners. Soll der Juniorpartner nach Beendigung der Gruppenpraxis nach Modell 3 den Einzelkassenvertrag erhalten, so ist die Über126
tragung möglich, indem spätestens zwölf Monate vor Beendigung der Gruppenpraxis nach Modell 3 ein Modell 4 (Übergabemodell) ausgeschrieben wird. Ist bei dieser Ausschreibung der bisherige Juniorpartner Erstgereihter, kann die bestehende Gruppenpraxis als Modell 4 weitergeführt werden. Für Wahlärzte ist wichtig, dass für die Mitarbeit in der Gruppenpraxis nach Modell 3 der Juniorpartner Bewertungspunkte erwirbt, sodass die Erstreihung bei der Ausschreibung des Nachfolgemodells 4 wahrscheinlich ist. Diese Punkte stehen dem Ehegatten dann nicht zu, wenn dieser nicht unter den 4 bestgereihten Bewerbern für die Gruppenpraxis nach Modell 3 war. Spätestens vier Wochen vor dem geplanten Beginn der Gruppenpraxis muss der Ärztekammer sowie der Gebietskrankenkasse eine Kopie des Firmenbuchauszugs der gegründeten OEG sowie eine Kopie des Gesellschaftsvertrages übermittelt werden. Zu diesem Zeitpunkt müssen also bereits alle vertraglichen Punkte geklärt und die OEG gegründet sein. Aufgrund der erheblichen Vorlaufzeit (Antragstellung, Praxisbewertung, Ausschreibung, mögliches Hearing) muss der Antrag auf die Gruppenpraxis rechtzeitig gestellt werden. Aus Erfahrung empfiehlt sich eine Antragstellung spätestens ein halbes Jahr vor geplantem Beginn der Gruppenpraxis.
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Die Verrechnungsberechtigungen, die dem bisherigen Einzelvertragsarzt zugestanden sind, gehen automatisch auf die Gruppenpraxis über. Natürlich dürfen Erbringung und Abrechnung der konkreten Leistung nur durch jene Gesellschafter im Namen der OEG erfolgen, die die Voraussetzungen für die Abrechnungsberechtigungen erfüllen. Bei der Gruppenpraxis nach Modell 3 ist kein Honorarabschlag vorgesehen. Bei Gründung einer Gruppenpraxis hat der Seniorpartner Anspruch auf eine Ablöse der Substanz sowie des Firmenwerts, jeweils im Ausmaß des durch den Juniorpartner übernommenen Gesellschaftsanteils. Zur Berechnung der Substanz- und Firmenablöse ist ein zwingend von Kammer und Kasse vorgeschriebenes Bewertungsschema anzuwenden. Sollten in diesem Bewertungsschema nicht vorgesehene Zusatzzahlungen geleistet werden, droht der Verlust des Kassenvertrags.
MODELL 4: Nachfolge Beim „Nachfolge-Modell“ kann ein Kassenarzt auf begrenzte Dauer seine Praxis mit einem Juniorpartner als Gruppenpraxis führen. Ziel ist die Übergabe der Praxis an den Juniorpartner nach Ablauf der vereinbarten Zeit. Dieses Modell kann für die Dauer zwischen drei und 36 Monaten abgeschlossen werden. Der Seniorpartner
muss gleichzeitig mit seinem Antrag auf Gruppenpraxis seinen Einzelvertrag kündigen und zustimmen, dass dieser während der Dauer der Gruppenpraxis ruht. Gründet der Seniorpartner nach der Ausschreibung keine Gruppenpraxis, verliert er für immer diese Möglichkeit. Die Fortführung als Einzelpraxis wie bisher ist möglich. Die Gesellschafter der „Nachfolgepraxis“ müssen jeweils 50 Prozent der in der Gruppenpraxis anfallenden Arbeit übernehmen. Der Juniorpartner erhält dabei mindestens zehn Prozent des Kassenumsatzes bei Allgemeinpraxen, 12 Prozent beim Facharzt. Die Gruppenpraxis bekommt eine Subvention von rund 23.000 Euro pro Jahr, die bei kürzerer Dauer aliquotiert wird. Bereits bei Antragstellung auf Gründung der Gruppenpraxis nach Modell 4 ist die geplante Dauer der Gruppenpraxis anzugeben. Dieser Zeitraum muss zwischen drei und 36 Monaten liegen. Die Gruppenpraxis muss spätestens mit jenem Quartal beendet werden, in dem der Seniorpartner das 65. Lebensjahr vollendet. Spätestens vier Wochen vor Beginn der Gruppenpraxis muss ein Firmenbuchauszug und der Gesellschaftsvertrag der Ärztekammer und der Gebietskrankenkasse vorgelegt werden. Grundsätzlich hat der nach der Ausschreibung erstgereihte Bewerber (nach der gültigen Punkteliste) Anspruch auf Aufnahme in die Gruppenpraxis. Sollte der erstgereihte Bewerber durch den Kassenstelleninhaber 127
nicht ausgewählt werden, geht das Recht auf Gründung einer Gruppenpraxis nach Modell 4 für den Kassenstelleninhaber verloren, wenn nicht schwerwiegende Ablehnungsgründe, z.B. eine gerichtliche Auseinandersetzung, vorliegen. Der Seniorpartner hat also kein Wahlrecht bei der Auswahl seines Partners, dennoch trifft ihn über die Rechtsform der OEG die volle Haftung – auch mit dem Privatvermögen. Auch beim Modell 4 muss der Juniorpartner dem Seniorpartner eine Ablöse für den übernommenen Substanz- und Firmenwert leisten. Die Berechnungsmethode ist ident wie bei Modell 3. Bei Missachtung dieses Bewertungsschemas bzw. unerlaubten Zuzahlungen droht der Verlust des Kassenvertrags. Beim Nachfolgemodell besteht hinsichtlich des Firmenwertes die Besonderheit, dass für jeden Monat der Dauer der Gruppenpraxis ein Prozent des Firmenwertes abzuziehen ist. Die gesamte Ablöse ist bei Beendigung der Gruppenpraxis zu begleichen. Investitionen sind während der Laufzeit der Gruppenpraxis durch den Seniorpartner zu tätigen, bedürfen jedoch der Zustimmung des Juniorpartners, wenn der nach den Abwertungsbestimmungen gemäß Gruppenpraxis-Gesamtvertrag auf den Zeitpunkt der Beendigung der Gruppenpraxis berechnete Substanzwert 2.000 Euro überschreitet. Die 128
Scheinzahl ist – wie bei Modell 3 – auf die Anzahl der Scheine vor Gründung der OEG eingefroren.
Gewinnverteilung bei Modell 4 Wenn der Seniorpartner nach Ausscheiden aus der Gruppenpraxis sofort in Pension geht, erhält die Gruppenpraxis eine Subvention von 23.255,31 Euro jährlich von der Gebietskrankenkasse. Wenn der Seniorpartner nach Ausscheiden aus der Gruppenpraxis keine Pensionsleistung in Anspruch nimmt, wird die Subvention nicht gewährt. Dieser Teil des Gewinnanteils ist vom Seniorpartner an den Juniorpartner in diesem Fall aus eigenen Mitteln zu erbringen. Dem Juniorpartner stehen bei Vertragsgruppenpraxen mit Ärzten für Allgemeinmedizin als Gewinnanteil mindestens 10 Prozent des Umsatzes der Nachfolgepraxis für vertragliche Leistungen an Versicherte der Gebietskrankenkasse(n) und der „kleinen Kassen“ zu. Bei Nachfolgepraxen unter Fachärzten beträgt der Mindestgewinnanteil 12 Prozent dieser Umsätze. Weiters stehen dem Juniorpartner 50 Prozent des Mehrumsatzes aus Vorsorgeuntersuchungen zu (verglichen mit dem Durchschnitt der letzten acht Quartale vor Gründung der Gruppenpraxis). Sofern eine Hausapotheke besteht, hat der Juniorpartner auch Anspruch auf einen Anteil in Höhe von 10 Prozent des Rohgewinns aus der
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Hausapotheke (Umsatz mit allen Versicherungsträgern). Nachdem der Juniorgesellschafter die Ablöse erst nach Beendigung der Gruppenpraxis zu leisten hat und laufende Investitionen durch den Seniorgesellschafter zu tragen sind, hat der Juniorgesellschafter in der Gruppenpraxis OEG die Stellung eines reinen Arbeitsgesellschafters. An der Substanz der Gesellschaft und an den stillen Reserven ist der Juniorgesellschafter nicht beteiligt – die Substanz ist dem Seniorgesellschafter nach wie vor zu 100 Prozent zuzurechnen.
Substanzablöse bei Modell 3 (Job-Sharing) und Modell 4 (Nachfolge) Die Substanzablöse ist für die übernommenen Anlagengegenstände sowie für ein möglicherweise übernommenes Hausapothekenlager zu entrichten. Übernommenes Mobiliar ist, ausgehend von den Anschaffungskosten pro begonnenem Jahr mit 10 Prozent abzuwerten. Übernommene EDVInvestitionen sind pro begonnenem Jahr mit 20 Prozent abzuwerten. Investitionen in fremden Gebäuden (Mieterinvestitionen) sind mit Beginn jedes Jahres um 5 Prozent abzuwerten. Übrige Investitionen mit Anschaffungskosten bis 5.000 Euro werden pro begonnenem Jahr mit 20 Prozent, ausgehend von den Anschaffungskosten, abgewertet. Investitionen mit Anschaffungskosten zwi-
schen 5.000 und 10.000 Euro werden ebenfalls pro Jahr mit 20 Prozent abgewertet, behalten aber ab dem fünften Jahr bis zum zehnten Jahr 20 Prozent ihres Anschaffungswerts. Ab dem elften Jahr sind diese mit Null zu bewerten. Investitionen über 10.000 Euro sind mit jedem begonnenen Jahr um 10 Prozent abzuwerten. Aufgrund dieser Abwertungsvorschriften kann es – verglichen mit betriebswirtschaftlichen Werten – zu Unterbewertungen von Anlagengütern kommen. Die Firmenwertablöse (ideelle Ablöse) hängt vom bisherigen Umsatz ab. Zuerst wird der Durchschnitt der gesamten Sachleistungsumsätze aller Versicherungsträger der letzten beiden Jahre sowie – bei Übernahme von Hausapotheken – der Durchschnitt der Hausapothekenumsätze abzüglich der Medikamenteneinstandspreise der letzten beiden Jahre errechnet. Der Umsatz aus Tätigkeiten, die nicht fortgeführt werden können, ist außer Ansatz zu lassen. Die Firmenwertablöse beträgt 25 Prozent dieses durchschnittlichen Jahresumsatzes. Wenn in einer Gemeinde auch andere Ärzte gleicher Fachrichtung ansässig sind, beträgt die Ablöse 30 Prozent dieses durchschnittlichen Jahresumsatzes. Für Fachärzte für Radiologie und Labormedizin gelten eigene Ablöseberechnungen. Die Firmenwertablöse wird dabei in Anlehnung an die so genannte Übergewinnmethode berechnet. 129
Ausblick In der Praxis werden die Modelle 1 und 2 kaum verwirklicht, nicht zuletzt aufgrund der damit verbundenen Honorarabschläge. Modell 3 (Jobsharing) erfreut sich einer zufriedenstellenden Beliebtheit, oft auch im familiären Bereich. Modell 4 kommt bei Pensionierungen häufig zum Einsatz, in der Regel allerdings nur mit der kürzestmöglichen Dauer von drei Monaten; wahrscheinlich eine Folge davon, dass der Seniorpartner keine Partner-Wahlmöglichkeit hat. Dadurch kommen die nicht unbeachtlichen Gesamtkosten der OEG-Gründung (von der Entscheidung zur Gruppenpraxis bis zu deren Auflösung) häufig in ein Missverhältnis zur Dauer der Gruppenpraxis. Die Intention der gleitenden Übergabe über einen längeren Zeitraum wird in der Praxis nicht erreicht. Oberösterreich hat als erstes Bundesland Vertragsgruppenpraxen ermöglicht. Wie bei jeder Pionierarbeit ergeben sich auch in diesem Fall – aus der Praxis in Oberösterreich einerseits sowie den aufgrund von Modellen in anderen Bundesländern andererseits – Erfahrungen, die eine Überarbeitung der Rahmenbedingungen (Honorarabschläge, Partnerwahlmöglichkeiten, Bewertungsvorschriften, Reglementierungen, Auflagen, Ausmaß von Vertragsfreiheiten) überlegenswert erscheinen lassen. Sinn dieser Anpassungen ist, den ursprünglichen Intentionen der Gruppenpraxis stets zeitgemäße 130
Verwirklichungschancen zu geben bzw. diese zu erhalten.
Ärztliche Kooperationsformen jenseits der Gruppenpraxis Von Horst Jünger
Die Zusammenarbeit von freiberuflich tätigen Ärzten kann bei Wahrung der Eigenverantwortlichkeit eines jeden Arztes auch in der gemeinsamen Nutzung von Ordinationsräumen als Ordinationsgemeinschaft und/oder von medizinischen Geräten als Apparategemeinschaft bestehen. Ordinations- und Apparategemeinschaften dürfen nur zwischen Ärzten begründet werden. Jeder einzelne Arzt muss im Rahmen der Gemeinschaft freiberuflich im Sinne des §49 Abs. 2 Ärztegesetz tätig werden. Das sind in Kurzfassung die Regelungen des Ärztegesetzes zum vorliegenden Thema. Diese Regelungen galten schon lange vor der gesetzlichen Festschreibung der Gruppenpraxen (ab 2001), und sie gelten weiterhin neben diesen. Dass ein entsprechender Bedarf besteht, zeigt einerseits der Umstand, dass es über das Bundesgebiet verteilt eine erhebliche Anzahl derartiger Kooperationen zwischen Ärzten gibt, andererseits zählt man – von Wien und Oberösterreich abgesehen – kaum eine nennenswerte Anzahl von Gruppenpraxen. Bei den Motiven für die Zusammenarbeit zwischen Ärzten zählen vorerst einmal
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination die wirtschaftlichen Gründe. Es liegt auf der Hand, dass durch die gemeinsame Nutzung von Räumen und Ausstattung ein Rationalisierungseffekt eintritt. In Zeiten der stagnierenden Honorare, steigender Ärztedichte und galoppierenden Kosten liegt in Kooperationen also eine Möglichkeit, einem massiven Einkommensverlust entgegenzuwirken. Neben den Kosten tritt auch ein Teilungseffekt bei den wirtschaftlichen Risiken ein. Ein weiteres Motiv liegt in der möglichen Qualitätssteigerung und –sicherung, sei es durch verbesserte Fortbildungsmöglichkeit, fachliche Abstimmung und Ergänzung, Entlastung von administrativen Aufgaben oder einfach durch ein umfangreicheres Behandlungsangebot und/oder erweitertes Ordinationszeitenangebot an die Patienten. Eine gesundheitspolitische Dimension kann dann gegeben sein, wenn es durch Stärkung des ambulanten Sektors zu einer Spitalsentlastung kommt. Schließlich geht es – durchaus notwendig und berechtigt – auch um die Verbesserung der Lebensqualität für Ärzte. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass durch ärztliche Kooperationen eine Win-win-win-Situation herstellbar ist. Das heißt, es gewinnen die beteiligten Ärzte, es gewinnen die Patienten und das Gesundheitssystem wird entlastet. Kernpunkt der berufsrechtlichen Aspekte ist die Aufrechterhaltung der individuellen Arzt-Patient-Beziehung und der freien
Arztwahl für den Patienten. Dies muss auch nach außen hin erkennbar sein. Das bedeutet, dass ein gemeinsames Auftreten der Ärzte wie bei einer Gruppenpraxis gegenüber den Patienten nicht zulässig ist, wohl aber gegenüber Lieferanten und Dienstleistern. Wie bereits beschrieben, müssen die beteiligten Ärzte gegenüber den Patienten als selbständige freiberuflich tätige „Einzelunternehmer“ in Erscheinung treten. Der Behandlungsvertrag wird zwischen einem Arzt und dem Patienten, nie aber mit einer Gemeinschaft geschlossen. Nichts desto trotz ist es aber durchaus zulässig, die Praxis- bzw. Apparategemeinschaft in Form einer Einkaufs-, Mieter- oder sonstigen formlosen Gemeinschaft, aber auch in Form von Personengesellschaften (beispielsweise Erwerbgesellschaften) oder sogar in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) zu führen. Dabei spielen neben steuerlichen Aspekten (beispielsweise Vorsteuerlukrierung über eine GmbH) auch andere Argumente eine Rolle, die gut durch überlegt sein müssen. Dienstgeber der Praxismitarbeiter können sowohl die einzelnen beteiligten Ärzte, aber auch die Gemeinschaft sein. Auch eine Konstellation, wo einzelne Dienstnehmer von der Gemeinschaft und andere von beteiligten Ärzten beschäftigt werden ist möglich. In vielen Praxisgemeinschaften sind flexible Konstellationen denkbar, die 131
sowohl für die Mitarbeiter wie auch die Ärzte vorteilhaft gegenüber Einzelpraxen sind. Kommt es im Zuge der Bildung einer Praxisgemeinschaft zu einer Vergesellschaftung, so ist besonderes Augenmerk auf die Frage zu legen, ob Dienstverträge neu zu laufen beginnen oder allenfalls nach gesetzlichen Regelungen unter Wahrung der bisherigen Ansprüche adäquat zu übernehmen sind. Allfällige Ansprüche aus Abfertigungen (altes System) sind dabei ebenso zu beachten wie bestimmte, vom Dienstalter abhängige soziale und arbeitsrechtliche Ansprüche (Beispiel Urlaubsausmaß). Vor Begründung einer Gemeinschaft wird zu klären sein, inwieweit eine Änderung des bestehenden Mietvertrages notwendig oder ob im Mietvertrag allenfalls eine Nutzung der Räumlichkeiten durch Dritte untersagt ist. Sollte es zu einem Wechsel des Mieters (beispielsweise Gemeinschaft anstelle bisher Einzelarzt) kommen, so ist zu prüfen, ob das Mietverhältnis nach dem Mietrechtsgesetz (§12a) übergeht und dem Vermieter dieser Übergang lediglich anzuzeigen ist oder ob allenfalls ein neuer Vertrag geschlossen werden muss. Im Gegensatz zur Gruppenpraxis (zumindest in Wien und Oberösterreich) können bei der Praxis- und Apparategemeinschaft jedenfalls nur die einzelnen Ärzte Inhaber von Kassenverträgen sein. Abgesehen vom Vertretungsfall ist auch eine Leistungser132
bringung unter dem Kassenvertrag von anderen Ärzten der Gemeinschaft nicht zulässig. Dies bedeutet die Unerfüllbarkeit der Hoffnung mancher Ärzte, dass unter einem einzigen Kassenvertrag durch mehrere Ärzte kassenärztliche Leistungen erbracht werden können. Das Finanzministerium hat sich bereits 1984 und danach bei bestimmten Anlässen mehrfach zur steuerlichen Behandlung von Ärztegemeinschaften geäußert. Das hat den Vorteil, dass weitestgehend Rechtssicherheit bei der steuerlichen Behandlung besteht. Die seit dem 1. Jänner 1997 bestehende unechte Steuerfreiheit ärztlicher Leistungen gilt nicht nur für die ärztlichen Leistungen der beteiligten Ärzte, sondern auch für die Kostenverrechnung innerhalb der Gemeinschaften. Darunter fällt auch die Gestellung von Personal, Laborleistungen, medizinisch–technischen Leistungen zwischen den Ärzten und der Gemeinschaft und zwischen den einzelnen Ärzten. Allerdings ist strikt darauf zu achten, dass nur die genaue Erstattung der anteiligen Kosten umsatzsteuerbefreit ist. Wird eine Gewinnkomponente von einem Arzt an einen anderen verrechnet, so wären die weiterverrechneten Beträge nicht mehr umsatzsteuerfrei, was schwerwiegend nachteilige Folgen haben kann. Werden neben umsatzsteuerfreien auch umsatzsteuerpflichtige Umsätze erbracht (Beispiel Gutachten, Anwendungsbeobach-
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination tungen, Vorträge), so hat der bei der Leistungserbringung nach außen auftretende Arzt diese Umsätze zu versteuern. Dies gilt auch, wenn im Innenverhältnis eine davon abweichende Verteilung der Einnahmen erfolgt. Eine Erleichterung bieten die Erlässe des Ministeriums in der Frage, wer zur Geltendmachung einer allfälligen Vorsteuer berechtigt ist. Ungeachtet dessen, auf wen die einzelnen Rechnungen lauten (Gemeinschaft oder einzelne Ärzte), können Vorsteuern nach dem Gewinnverteilungsschlüssel aufgeteilt werden. In Sachen Einkommensteuer ist grundsätzlich festzuhalten, dass eine Ärztegemeinschaft – vom Fall einer GmbH abgesehen – nicht selbst steuerpflichtig ist, sondern die Ertragsbesteuerung bei den Beteiligten erfolgt. Darüber, wer die im Rahmen einer Gemeinschaft erzielten Einkünfte in welcher Höhe erhält und auch versteuert, entscheiden im Grunde die Beteiligten selbst. Denkbar ist, dass die Einnahmen einzeln zugerechnet werden – je nachdem, wer die Leistung erbringt). Die Ausgaben können in solche geteilt werden, die individuell zurechenbar sind (Beispiel Kammerbeiträge, Autokosten) und solche, die nach einem Schlüssel aufgeteilt werden (etwa Investitionskosten, Raumkosten, Personalkosten). Genauso möglich ist, dass Einnahmen und Ausgaben „in einen Topf fließen“ und nach einem Schlüssel ge-
teilt werden. Letzteres ist eher nur bei Gemeinschaften zwischen sich nahe stehenden Personen üblich. Dabei muss aber beachtet werden, dass die Finanz strenge Maßstäbe unter dem Gesichtspunkt der Fremdüblichkeit ansetzt, wenn etwa Eheleute oder Lebenspartner die Beteiligten einer Gemeinschaft sind. Eine willkürliche, wenn auch unter steueroptimalen Gesichtspunkten erfolgende Zurechnung anerkennt der Fiskus jedenfalls nicht. Nicht übersehen darf man, dass ein Eintritt von Ärzten in eine Gemeinschaft oder ein Zusammenschluss von zwei oder mehreren Ärzten zu einer Gemeinschaft steuerlich gravierende Folgen haben kann, wenn nämlich eine Teilbetriebsveräußerung beim bisherigen Praxisalleininhaber vorliegt. Hier bietet das Umgründungssteuergesetz Möglichkeiten, die Steuerlasten erheblich zu mildern. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sowohl das Ärztegesetz in berufsrechtlicher Hinsicht wie auch die steuerlichen Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit von Ärzten durchaus einen beträchtlichen Spielraum bieten. Solange in den meisten Bundesländern keine Kassenverträge für Gruppenpraxen zustande kommen, wird weiterhin in den meisten Fällen eine Zusammenarbeit in Form einer Ordinations- oder Apparategemeinschaft für die beteiligten Ärzte eine flexiblere und attraktivere Alternative zur Gruppenpraxis-OEG bleiben. 133
Praxismarketing Von Viktoria Hausegger
Für die meisten Ärzte ist Praxismanagement ein selbstverständlicher Begriff, dem Leistungen der Führung, Planung, Organisation, Administration und Kontrolle zugeordnet werden. Neben diesen und den rein fachlichen Aufgaben gibt es jedoch eine Reihe weiterer Aufgaben, die bisher meistens weniger professionell wahrgenommen werden. Diese Art von Aufgaben lässt sich unter dem Oberbegriff „Praxismarketing“ zusammenfassen. Ich will im Folgenden nicht darauf eingehen, warum Marketing im Gesundheitswesen notwendig ist. Mittlerweile ist hinreichend bekannt, dass der Wandel im Gesundheitswesen, steigender Wettbewerb und verändertes Patientenverhalten immer mehr verlangen. Diese Veränderungen betreffen Krankenhäuser ebenso wie Arztpraxen. Auch folgen keine der so beliebten Standard-Tipps wie Logo, Broschüren oder Patienten-Wartebereich auszusehen haben. Denn Standard-Tipps sind fehl am Platz, wenn es um die Planung des nachhaltigen Erfolgs, des Images und der Einzigartigkeit geht.
Die häufigsten Irrtümer Marketing ist nicht Promotion, sondern ein strategischer Prozess, der die gesamte Ordinationsstrategie bestimmen sollte. Es ist 134
die Aufgabe des Marketings, neue Möglichkeiten für das Unternehmen Arztpraxis ausfindig zu machen und Segmentierung (gewünschte Patientengruppen, Zielgruppen, Multiplikatoren), Targeting (Festlegen von realistischen Zielsetzungen) sowie Positionierung (Abgrenzung zum Mitbewerb oder: Warum sollte ein Patient ausgerechnet zu Ihnen in die Praxis kommen?) sorgfältig durchzuführen, um die „Unternehmungen“ auf den richtigen Kurz zu bringen. Oft wird Marketing auch als synonym für „Absatz“ verstanden. Dies wird dem Basisgedanken des Marketings aber nicht gerecht. Für den „Absatz“ gilt ebenso wie für das „Marketing“: Neben den ökonomischen Aspekten sind auch soziologische, psychologische und verhaltenswissenschaftliche Überlegungen von großer Bedeutung. Gerade auf dem Gesundheitsmarkt ist es unbefriedigend, nur die rein ökonomische Seite zu betrachten. Marketingdefinitionen gibt es inzwischen viele, zu viele. Dies führt dazu, dass die Unklarheit zunimmt und jeder seine eigene Marketingdefinition pflegt. Was ist also „Marketing“? Holen wir den Begriff Marketing in den Bereich des Gesundheitswesens, so kann man folgende Beschreibung etablieren: Medizinmarketing ist ein Prozess im Gesundheitsmarkt, der auf die Erkennung und erfolgreiche Befriedigung von Patientenbedürfnissen ausgerichtet ist.
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Was muss eine Arztpraxis tun, um erfolgreiches Marketing zu betreiben? Zunächst muss die Ausgangssituation betrachtet werden. Marketing befasst sich mit folgenden Fragen: Wo stehe ich heute? Wo will ich hin? Wie kann ich das erreichen? Einfach ausgedrückt: Wer nicht weiß, wo er hin will, wir sich wundern, wo er ankommt. Der Ablauf einer Marketingplanung lässt sich in einige Grundelemente spalten: 1 Festlegen der Ziele 2 Informationsbeschaffung 3 Strategien planen 4 Einsatz absatzpolitischer Elemente zum Erreichen der Ziele und Umsetzen der Strategien Betrachten wir diese Grundelemente nun genauer:
Festlegen der Ziele Ziele können beispielsweise eine Erweiterung/Änderung des Dienstleistungsangebotes, Patientenstammens oder die Etablierung einer neuen Diagnostik sein. Ziele müssen konkret formuliert werden, so lassen sich die geeigneten Strategien für eine erfolgreiche Umsetzung leichter finden.
Informationsbeschaffung ist wichtig; nur so können alle Ressourcen richtig eingesetzt werden. Dazu ein Fallbeispiel: Eine Wahlarztpraxis wurde eröffnet. Im Rahmen des Marketingkonzeptes wurde ein strategischer Plan erstellt. Dieser basierte auf folgenden Fragen: Konkurrenzanalyse: Welche Mitbewerber befinden sich im Einzugsgebiet und besitzen ähnliche Fachbereiche? Kundenanalyse: Welche Patienten sind aus dem Einzugsgebiet und welche neuen Patienten sollen gewonnen werden? Welche Merkmale haben diese Patientengruppen? Dienstleistungsangebot: Welche Leistungen sollen Bestandteil des Angebotes sein? Sollen neue Fachbereiche mit aufgenommen werden? Welche Zusatzleistungen ergänzen das „Angebot“ sinnvoll? Welcher Service kann die Patienten begeistern? Trend- und Zukunftsanalyse: Welche Trends und Änderungen im Gesundheitssystem werden Patienten und Angebot beeinflussen? Dieses Fallbeispiel zeigt, dass viele Aspekte beachtet werden müssen, um ein wirkungsvolles Marketingkonzept erstellen zu können.
Informationsbeschaffung Um seine Ziele zu erreichen, benötigt man Informationen, z.B. über die Konkurrenz oder den Bedarf an Dienstleistungen bei den Patienten. Eine korrekt durchgeführte
Strategien planen Aufbauend auf den nun vorliegenden Informationen kann die Praxis eine Strategie entwickeln. Es können beispielsweise wenig 135
lukrative Therapien gestrichen und neue in das Angebot aufgenommen werden. Hat sich ein Arzt für eine neue Therapie entschieden, so muss diese neue Behandlung Patienten und Multiplikatoren bekannt gemacht werden. Dass dabei auch viele juristische Aspekte zu beachten sind, ist unvermeidlich.
tungen sind stark personell gebunden. Viele Patienten kommen in eine Arztpraxis, weil dort ein bestimmter Arzt tätig ist. Das gilt es zu berücksichtigen.
Der Marketing-Mix: Gezielter Einsatz absatzpolitischer Instrumente Sind die Ziele definiert und alle notwendigen Informationen eingeholt, so müssen die richtigen Werkzeuge zur Zielerreichung eingesetzt werden. In der Marketinglehre nennt man diese Werkzeuge die „5 P`s“: Produkt (Leistungsangebot) Price Place (Distribution – oder wie wo oder mit wem „vertreiben“ Sie die Leistung) Promotion (aha!, endlich die Werbung, also „nur“ ein Teil des Marketing) Personnel (die Mitarbeiter – in der Dienstleistung einer der wichtigsten Bausteine)
Überlegungen zu Qualitätssicherung Behandlungen werden gestrichen, neue integriert Servicerufnummern für Ärzte und Patienten eingerichtet Nachsorgeprogramme entwickelt, und vieles mehr
Die richtige Zusammenstellung dieser Werkzeuge ist bekannt als “Marketing-Mix“. Alle „Werkzeuge“ können parallel eingesetzt werden.
Produktpolitik – Dienstleistungen sind Produkte Arztpraxen bieten keine „greifbaren“ Produkte, sondern Dienstleistungen. Dienstleis136
Der Produktpolitik kommt im Marketing ein hoher Stellenwert zu. Einige Aspekte dazu sind:
Das mag nun aus Sicht des Arztes alles sehr „verkaufsorientiert“ klingen und die Frage provozieren: Kann es Sinn der Medizin sein, nur Dienstleistungen zu verkaufen? Sicherlich nicht! Es sind aber Situationen denkbar, in denen eine „Manipulation“ des Patienten sinnvoll ist. Denken Sie beispielsweise an die Wahrnehmung präventiver Maßnahmen. Hier könnten für das gesamte Gesundheitssystem Kosten eingespart werden.
Preispolitik Die Preispolitik hat in der Medizin eine Sonderstellung. Ärzten wird oft kein großer Spielraum für Preiskalkulationen gegeben. Im Selbstzahlerbereich bestehen diesbezüglich aber durchaus Möglichkeiten.
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Distributionspolitik – Absatzwege und Marketinglogistik Für den Arzt gilt hier beispielsweise die Überlegung, in welchem Umfeld die gewünschten Patienten gewonnen werden können. Meinungsbildner, Multiplikatoren und Kooperationspartner spielen dabei eine wichtige Rolle. So wird es für einen Dermatologen beispielsweise sinnvoll sein, mit einem Wellness-Institut zu kooperieren.
Kommunikationspolitik – Werbung und PR im Zentrum der Kommunikation Dieser Teil des Marketing-Mix beschäftigt sich mit den Fragen: Welche Art der Werbung ist für die Erreichung der gesetzten Ziele effektiv? Welche Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit (PR) ist am sinnvollsten? Arztpraxen, die auf Dauer erfolgreich sein wollen, müssen Beziehungen nach außen pflegen. Die logische Konsequenz davon ist: Noch nie war Kommunikation so wichtig wie heute. Trotz eingeschränkter Möglichkeiten bieten sich Arztpraxen durch geeignete Maßnahmen neue Chancen.
Professionelle Umsetzung Wenn Sie sich nun alle Bereiche der Marketingplanung vor Augen halten, wird klar: Marketingmaßnahmen müssen professionell geplant und umgesetzt werden. Beginnen Sie nicht mit einfach mit Einzelmaßnahmen. Ihre Ziele und Möglichkeiten müssen zuvor definiert, bewertet, ausgelotet und
abgestimmt werden, damit der richtige Maßnahmen-Mix Ihren Erfolg nachhaltig sichern kann. Bleiben die Patienten erst einmal aus, ist es schwer und zeitintensiv, diese wieder zurück zu gewinnen. Es kommt darauf an, rechtzeitig Maßnahmen zur Patientenbindung zu ergreifen. Das heißt für Arztpraxen: Marketingstrategien und -maßnahmen sollten sofort geplant werden, nur so lassen sich rechtzeitig die Weichen für die Zukunft stellen.
Anstellung oder Werkvertrag Von Manfred Kenda
Speziell im Bereich der Arbeitsmedizin wird regelmäßig die Frage gestellt, ob es besser für den Arzt ist, ein Dienstverhältnis einzugehen oder auf Werkvertragsbasis für einen Arbeitgeber tätig zu sein. Dazu ist vorauszuschicken, dass dies oft nicht im Ermessen des Arztes liegt, denn von vielen Instituten für Arbeitsmedizin werden ausschließlich Dienstverträge angeboten. Dabei gibt es eine Menge Kriterien, die eine Entscheidung bezüglich der optimalen Form des Beschäftigungsverhältnisses beeinflussen.
Soziale Absicherung als Kriterium Im Rahmen eines Dienstvertrages ist der Arzt selbstverständlich kranken- und pensionsversichert. Einen Teil dieser Versicherung trägt der Arzt, den anderen Teil der 137
Dienstgeber. Der Dienstgeber hat darüber hinaus weitere Lohnnebenkosten zu tragen. Die Beiträge werden im Rahmen der Lohnverrechnung abgezogen. Bei einem Werkvertrag muss man selbst alle Kranken- und Pensionsversicherungsbeiträge bezahlen. Wer noch über keine Krankenversicherung verfügt, ist im Regelfall verpflichtet, diese entweder über die Ärztekammer, über die Gebietskrankenkasse oder über die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA) abzuschließen. Als Pensionsversicherungsbeitrag werden 20 Prozent (im Falle eines Wohnsitzarztes 15 Prozent) vom steuerlichen Gewinn von der SVA vorgeschrieben. Sowohl die Kranken- als auch die Pensionsversicherung sind Betriebsausgaben, die den steuerlichen Gewinn kürzen. Ein großer Vorteil eines Anstellungsverhältnisses ist die Arbeitslosenversicherung, die vom Dienstgeber bezahlt wird. Darüber hinaus verfügt ein Arbeitnehmer auch über den gesetzlichen Kündigungsschutz. Bei einem Werkvertrag hat der Arzt das Risiko der Arbeitslosigkeit selbst zu tragen, außerdem kann der Vertrag im Regelfall sehr kurzfristig gelöst werden. Um die Abfertigung muss man sich beim Dienstvertrag keine Sorgen machen. Der Dienstgeber zahlt laufend 1,53 Prozent des Gehalts in eine Mitarbeitervorsorgekasse ein. Dieses Geld gehört dem Arbeitnehmer und wird spätestens bei Pensionsantritt ausbezahlt. 138
Ein Dienstnehmer hat weiters die Möglichkeit, einen Krankenstand zu konsumieren; sein Gehalt wird weiterbezahlt. Der Werkvertragnehmer hingegen bekommt nur jene Stunden ausbezahlt, die auch tatsächlich geleistet wurden. Wer krank ist, kann die Stunden einarbeiten oder verzichtet auf sein Honorar. Hier kommt es allerdings auch auf das Verhandlungsgeschick im einzelnen Fall an.
Ärztekammerbeitrag berücksichtigen Der angestellte Arzt hat bei der Berechnung der Kammerbeiträge einen anderen Status als der selbständige Arzt. Wer den Werkvertrag im Rahmen seiner Ordination ausführt, wird als niedergelassener Arzt (Wahlarzt, Kassenarzt) geführt. Wer ausschließlich im Werkvertrag tätig ist, wird als Wohnsitzarzt geführt werden. Hier gibt es Beitragsunterschiede, die man nicht außer Acht lassen sollte. Die Höhe des Honorars im Werkvertrag spielt eine wesentliche Rolle. Die Extrempositionen liegen im unteren Bereich bei unter 50 Euro und im oberen Bereich bei 110 Euro pro Stunde. In einem Dienstverhältnis wird im Regelfall ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt. Wird das Auto auch privat genutzt, muss dafür zusätzlich ein so genannter „Sachbezug“ versteuert und dafür Sozialversicherungsbeiträge bezahlt werden. Dieser Sach-
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination bezug beträgt 1,5 Prozent des Neuwertes des Fahrzeuges pro Monat. Der Werkvertragnehmer bezahlt normalerweise alle Kraftfahrzeug-Kosten selbst. Auch hier besteht natürlich Verhandlungsspielraum. Die Kosten für das Auto sind Betriebsausgaben und mindern den Gewinn. Ist man angestellt, werden die Fahrten zu den Betrieben als Dienstzeit angerechnet. Beim Werkvertrag werden meist ausschließlich für die geleisteten Stunden in den Betrieben Honorare gezahlt, nicht auch für die Anfahrtszeit.
Die wertfreie Berechnung Das Hauptvergleichskriterium ist der Lohn bzw. das Stundenhonorar. Beim Dienstverhältnis gehen wir davon aus, dass ein Arbeitsmediziner mit 25 Stunden und einem Bruttogehalt in Höhe von Euro 2.100 angestellt ist. Daraus resultiert ein monatliches Nettogehalt in Höhe von 1.400 Euro, inklusive 13. und 14. Gehalt ergibt das netto ca. 20.000 Euro pro Jahr. Die Gesamtkosten pro Jahr für den Unternehmer liegen hier bei 38.000 Euro. Nun zum Werkvertrag: Wenn man ein Stundenhonorar von 50 Euro erhält und tatsächlich 44 Wochen im Jahr arbeitet, ergibt das einen Jahresumsatz von 55.000 Euro. Das Auto muss man selbst zahlen, ebenso die Wegzeiten. Nach Abzug der Kranken- und Pensionsversicherung sowie eines der Kraftfahrzeugkosten und der Ein-
kommensteuer kommt man auf ein Nettoeinkommen von 25.000 bis 26.000 Euro. Die Gesamtkosten für den Arbeitgeber liegen bei 55.000 Euro.
Alle Komponenten abwägen Das vorliegende Beispiel macht klar, dass es auf Grund des Nettoeinkommens günstiger für den Arzt wäre, im Rahmen eines Werkvertrages tätig zu sein. Trotzdem stellt sich die Frage, ob dem auch wirklich so ist. Spätestens jetzt sind alle jene Elemente zu beachten, die eingangs erwähnt wurden. Welche Variante die günstigere ist, lässt sich nicht generell beantworten, das hängt von vielen Faktoren ab. Im speziellen Fall kann es sogar besser sein, im Rahmen des Dienstvertrages tätig zu werden, obwohl das Nettoeinkommen geringer ist.
Anstellung von Ärzten bei Ärzten Die Ärzteschaft artikuliert sich derzeit relativ geschlossen für die gesetzliche Möglichkeit einer Anstellung von Ärzten bei Ärzten. Genau das belegt die oft vorhandene Vermengung oder Verwechslung von Fachbegriffen, die leider bei gesundheitspolitischen Fragestellungen an der Tagesordnung ist. Anstellungen von Ärzten bei Ärzten sind möglich, genauso wie die Gruppenpraxis im Rahmen der Gesetzgebung eine mögliche Organisationsform für eine Ordination ist. 139
So wie es in den Bundesländern weitestgehend keine Gruppenpraxenlösung im Rahmen der Kassenverträge (Ausnahme Oberösterreich und Wien) gibt, besteht derzeit auch keine offizielle „Mitarbeitsmöglichkeit“ von Ärzten bei Ärzten im Rahmen der Kassenverträge – was im Übrigen einer Gruppenpraxislösung gleichkäme oder zumindest ähnlich wäre. Daher ist es notwendig, die Wünsche der niedergelassenen Ärzteschaft aus unserer Sicht zu übersetzen. Niedergelassene Ärzte sind Kleinbetriebe, die sich ausnahmslos – wie andere Kleinbetriebe – an Gesetze und Vorschriften zu halten haben. Sie müssen Steuern und Sozialabgaben in nicht unbeträchtlicher Größenordnung aufbringen, durch ihre Unternehmensgewinne den Lebensunterhalt für die eigene Familie bestreiten und schließlich die Gehälter der unzähligen Angestellten in Arztpraxen erwirtschaften. Aus unserer Sicht sollten den niedergelassenen Ärzten daher selbstverständlich alle Rechte zur Verfügung stehen, die für vergleichbare Kleinbetriebe gelten. Jeder Handwerker kann eine GmbH gründen, wenn er das für steuerlich sinnvoll hält. Ärzten wird das derzeit nicht gestattet. Jeder „normale“ Betrieb kann, ja muss sogar auf seine Einkaufskonditionen achten, Hausapothekern ist das beispielsweise mittlerweile gesetzlich verboten. 140
So gehört auch selbstverständlich dazu, die „Anstellung von Ärzten bei Ärzten“ zu ermöglichen. Wobei bei diesem Begriff wohl eher immer die Mitarbeit mehrerer Ärzte im Rahmen eines Kassenvertrages gemeint ist, unabhängig von der „rein technischen Frage“ ob Anstellung oder Werkvertrag die bessere Form wäre (siehe Kapitel „Anstellung oder Werkvertrag?“).
Honorarnoten und Honorargestaltung Während Kassenärzte im Korsett der Leistungskataloge der Krankenkassen mit vorgegebenem Leistungsangebot zu einem vorgegebenen Preis arbeiten müssen, können Wahlärzte ihr Honorar frei bestimmen. Die Verrechnung erfolgt direkt zwischen Arzt und Patient. Merksatz für Wahlärzte: Patienten suchen einen Wahlarzt auf, um behandelt oder beraten zu werden, nicht um möglichst viel Honorarrückerstattung zu erhalten.
Honorarnote Formale Anforderungen Eine rückerstattungsfähige Honorarnote muss mehrere formale Kriterien erfüllen, damit sie der Wahlarztpatient bei der Krankenkasse einreichen kann. Alle Daten des
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Arztes (Name, Adresse, Fachgebiet) und des Patienten (Name, Versicherungsnummer, Geburtsdatum, Adresse, Krankenkasse) müssen auf der Honorarnote angeführt sein. Wenn der Patient nicht selbst versichert ist, sind auch die Daten des Versicherten anzugeben. Der Wahlarzt muss alle festgestellten Diagnosen anführen und auch die erbrachten Leistungen. Um ein möglichst hohes Maß an Kostenerstattung für den Wahlarztpatienten zu ermöglichen, sollte nicht nur die Leistung (laut Leistungskatalog der jeweiligen Krankenkasse), sondern auch die jeweilige Positionsnummer angeführt werden. Dies vermeidet Missverständnisse beim Sachbearbeiter der Krankenkasse. Die Honorarnote muss weiters das Ordinationsdatum, das Zahlungsdatum sowie eine Saldierung enthalten. Eine Nummerierung der Honorarnote ist im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen nicht erforderlich, erleichtert aber oft die Zuordnung von Banküberweisungen.
Ausstellung der Honorarnote Grundsätzlich steht es dem Wahlarzt frei, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann er seine Honorarnote ausstellt bzw. für welches Abrechnungsmodell er sich entscheidet. Aus Sicht der Autoren sind vor allem wirtschaftliche Faktoren für die Empfehlung ausschlaggebend, jede Ordination sofort zu verrechnen und das Honorar sofort in bar einzuheben.
Abrechnung pro Monat oder pro Quartal Bei dieser Abrechnungsweise erhält der Patient seine Honorarnote immer am Monatsende oder am Quartalsende, egal wie oft er in der Ordination war. Da nicht vorhersehbar ist, wann der Patient wieder in die Ordination kommt, ergibt sich im Regelfall die Notwendigkeit, die Honorarnote per Post mit einem Zahlschein zu versenden. Daraus ergibt sich, dass bei diesem Abrechnungsmodell für die Administration die Freizeit außerhalb der Ordinationszeiten verwendet werden muss. Selbst bei Nutzung eines adäquaten EDV-Systems wird ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand anfallen, da das Ausstellen von Sammelhonorarnoten meist zwar einfach ist, als Zahlungsart aber ausschließlich der Erlagschein in Frage kommt.
Abrechnung pro Behandlungsserie Bei geplanten Behandlungsserien oder Folgeordinationen erfolgt die Verrechnung nach der letzten Behandlung. Im Vergleich zum vorher beschriebenen Modell fällt im Regelfall die Zusendung der Honorarnote weg, alle Möglichkeiten des Zahlungsverkehrs stehen offen. Sollte der Patient zum letzten geplanten Termin nicht erscheinen, muss er in eine Liste der offenen Forderungen aufgenommen werden. Ein Problem sämtlicher Sammelhonorarnoten ist die Höhe des Rechnungsbetrages, der bei Zusammenfassung vieler Ordinationen subjektiv hoch erscheinen kann. 141
Abrechnung pro Ordination Nach jeder Ordination wird eine Honorarnote ausgestellt. Dies stellt einen hohen Bezug zwischen Leistung und Bezahlung her, eine zusätzliche Zeit für Abrechnung entfällt, Portogebühren fallen nicht an. Insbesondere bei Verwendung eines EDVSystems ist die Ausstellung sehr einfach und sollte nicht länger als 20 Sekunden dauern. Wird die Honorarnote manuell ausgefertigt, können Vorlagen mit einer Leistungsauswahl erstellt werden, sodass nur mehr die entsprechenden Positionen angehakt werden müssen.
Zahlungsmodelle Barzahlung Die Barzahlung ist eine unkomplizierte Verrechnungsmöglichkeit. Unmittelbar nach erbrachter Leistung erfolgt die Zahlung durch den Patienten. Die Honorarnote kann sofort eingereicht werden. Viele Wahlarztordinationen bieten als Serviceleistung die Einreichung der Honorarnote bei der Krankenkasse an. Nach einer entsprechenden Anlaufzeit spricht es sich unter den Patienten herum, wie hoch Honorare sind und wie der jeweilige Verrechnungsmodus aussieht. Die Autoren favorisieren dieses Modell, da die Etablierung eines Mahnwesens überflüssig ist und der Ordinationsbetrieb nicht durch 142
zusätzliche administrative Tätigkeiten belastet wird. Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Barzahlung sollte bereits bei der telefonischen Anmeldung des Patienten erfolgen, damit ist auch eine hohe Akzeptanz bei den Patienten zu erreichen.
Bankomatkarte Von der Wertigkeit ist die Zahlung mit Bankomatkarte der Barzahlung gleichzusetzen. Der Nachteil liegt in den Kosten für den Wahlarzt, der für die Installation der Hardware und die laufenden Kosten aufkommen muss und außerdem pro Transaktion ein Disagio abführen muss. Wahlärzte mit Bankomatkassa berichten, dass diese Zahlungsmöglichkeit von einem Großteil der Patienten genutzt wird. Bankomatkassen eignen sich besonders für hauptberufliche Wahlärzte sowie für Ordinationen, in denen hohe Honorare anfallen (Zahnärzte, chirurgische Leistungen in den Ordinationsräumlichkeiten). Wenn sich der Arzt zu einem strikten Barzahlungsmodell nicht durchringen kann, ist die Installation einer Bankomatkassa jedenfalls besser als die Variante der Verrechnung mittels Zahlscheinen. Offene Forderungen können vermieden werden, Honorare werden sofort auf dem Konto gutgeschrieben. Auch Sicherheitsgründe sprechen für die Bankomatkassa.
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Harald Reigl von der Ärztebank hat die laufenden Kosten nachkalkuliert und diese mit durchschnittlich etwa 0,70 bis 0,80 Euro pro Buchung beziffert. Bei einem kalkulierten Honoraraufschlag von einem Euro finanziert sich diese Einrichtung von selbst. Die Bankomatkassa kann seit einiger Zeit auch auf mehrere Konten buchen, so dass auch in Gemeinschaftsordinationen nur die Installation eines einzigen Terminals notwendig ist.
Kreditkarte Die Bewertung kann jener der Bankomatkarte gleichgesetzt werden, wobei die Kosten für den Wahlarzt bei Zahlung mit Kreditkarte deutlich höher sind.
Zahlschein Folge aller Abrechnungsmodelle mit Zahlschein sind ständige Honoraraußenstände, verbunden mit einem entsprechenden Zinsverlust. Unbezahlte Honorarnoten sind als offene Posten zu führen, was bei Verwendung einer entsprechenden Softwarelösung automatisch erfolgt. Weiters sind die Portogebühren zu kalkulieren sowie die Zeit, die für den Abgleich der Zahlungseingänge auf dem Konto erforderlich ist. Schließlich ist die Liste der offenen Posten mit den Zahlungseingängen abzugleichen, was immer nur manuell erfolgen kann. Um zahlungssäumige Patienten zur Zahlung zu bewegen, ist ein entsprechendes Mahnsystem zu etablieren.
Einziehungsauftrag Eine Einziehungsermächtigung vom Konto des Patienten auf das Ordinationskonto stellt eine weitere Möglichkeit im Zahlungsverkehr dar. Der Erklärungsbedarf ist jedoch ein hoher, weshalb dieses Modell kaum von Wahlärzten genutzt wird.
Honorarmodelle Mehrere Honorarmodelle stehen grundsätzlich zur Verfügung, wobei die Autoren eindeutig einem Modell mit einer Loslösung von den Tarifen der Krankenkassen den Vorzug geben. Vorangestellt sei weiters eine wesentliche Erfahrung der Autoren, die jeder Wahlarzt als Grundregel anwenden kann: Der Patient sucht einen Wahlarzt auf, um von ihm behandelt zu werden. Er sucht ihn nicht auf, um möglichst viel des bezahlten Honorars wieder rückerstattet zu bekommen. Der Behandlungswunsch steht eindeutig im Vordergrund. Um dem Patienten eine Kalkulation und Bewertung der Leistbarkeit des ersten Ordinationsbesuches und allfälliger weiterer Ordinationsbesuche zu ermöglichen, sollte ein Honorarmodell gewählt werden, das für den Wahlarztpatienten leicht verständlich, gut durchschaubar und schnell erklärbar ist.
Leistungsabhängiges Honorarmodell, kassentariforientiert Das typische Beispiel dafür sind die Leistungskataloge der Krankenkassen. Abhängig 143
von der Anzahl der erbrachten Leistungen ergibt sich das Honorar aus der Summe der Einzelleistungen. Für ein und dieselbe Leistung wird bei verschiedenen Patienten ein unterschiedlicher Betrag verrechnet. Dies kann zu Verwunderung bei den Patienten führen, wenn nicht eine entsprechende Aufklärung vorangeht. Weder Wahlarzt noch Wahlarztpatient wissen vor Beginn der Behandlung, welche Kosten ein Ordinationsbesuch verursachen wird. Da sich Wahlärzte im Regelfall mehr Zeit für Patienten nehmen können als Kassenärzte, ist es nicht möglich, eine Wahlarztordination zu Kassentarifen wirtschaftlich erfolgreich zu führen. Dieses Modell kann daher keinesfalls empfohlen werden. Ein Sondermodell dieser Art von Honorargestaltung ist die Verrechnung von 80 Prozent des Kassentarifes, um dem Patienten eine Kostenrückerstattung von 100 Prozent des bezahlten Honorars zu ermöglichen. Abgesehen davon, dass auf Grund fehlender Wirtschaftlichkeit dringend von diesem Modell abgeraten werden muss, führen zahlreiche Ausnahmen, insbesondere die für Kassenärzte limitierten Leistungen, dazu, dass auch in diesem Fall eine vollständige Kostenrückerstattung nur in Einzelfällen erfolgt. Eine weitere Möglichkeit wäre es, zu den Kassentarifen einen Fixzuschlag pro Ordinationsbesuch zu verrechnen. Damit kann 144
der vermehrte Zeitaufwand des Wahlarztes honoriert werden. Jedenfalls bleibt bei allen Varianten dieses Modells der Nachteil, dass die Frage nach den Kosten eines Ordinationsbesuches nie exakt beantwortet werden kann – und häufig stellen zukünftige Wahlarztpatienten diese Frage.
Leistungsabhängiges Honorarmodell, nicht kassentariforientiert Der Wahlarzt ordnet jeder Leistung aus dem Katalog der Krankenkassen einen persönlichen, betriebswirtschaftlich kalkulierten Tarif zu und bringt diesen für alle Patienten zur Anwendung. Dieses Modell ist zwar wirtschaftlich erfolgreich, führt jedoch zu einer erschwerten Planbarkeit der Honorarhöhe für die Patienten. Eine Variante dieses Modells wäre auch die Anwendung eines Leistungskataloges, etwa des Tarifmodells der Beamtenversicherung, für alle Patienten. Eine grundsätzliche Gefahr aller leistungsabhängigen Modelle besteht in einer sehr menschlichen Eigenschaft: Im Unterbewusstsein wird jeder Wahlarzt geneigt sein, möglichst viele Leistungen bei einem Patienten unterzubringen, da dies ja sein Honorar steigert. Kassenärzte sind gezwungen, tagtäglich mit diesem Zwiespalt zu leben. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum sich Wahlärzte freiwillig dieses mögliche Konfliktpotential einhandeln sollten.
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Leistungsunabhängiges Honorarmodell Dieses Honorarmodell wird von sehr vielen Wahlärzten angewandt. Unabhängig von der erbrachten Leistung wird ein Pauschalbetrag verrechnet. Meist kommen Abstufungen zur Anwendung, da im Regelfall für einen Erstbesuch in der Ordination oder bei der Erstkonsultation mit einem neuen Krankheitsbild mehr Zeit benötigt wird als für einen Ordinationsbesuch. Viele Wahlärzte unterscheiden daher einen Fixtarif für eine Erstordination und einen geringeren Tarif für eine Folgeordination. Ein großer Vorteil dieses Modells liegt in der Planbarkeit der Honorarhöhe sowohl für den Wahlarzt wie auch für den Patienten. Übliche Honorare sind – abhängig vom Standort der Ordination und vom Fachgebiet – für einen Erstbesuch 60 bis 100 Euro, für eine weitere Ordination 40 bis 60 Euro bei Fachärzten. Die Position des Wahlarztes für Allgemeinmedizin ist bedeutend schwieriger, da die Bereitschaft der Bevölkerung, diesen aufzusuchen, bedeutend niedriger ist. Dies spiegelt sich auch in den üblichen Honoraren wieder: 40 bis 60 Euro für eine Erstordination, nur 20 bis 40 Euro für eine Folgeordination. Denkbar sind auch Pauschalsummen für besonders kurze Ordinationen, wie sie etwa bei ausschließlicher Rezeptausstellung oder bei Injektionskuren vorkommen können.
Viele Wahlärzte verrechnen auch für Kinder etwas niedrigere Tarife. Dieses Honorarmodell wird von den Autoren empfohlen, da es vor allem für die Patienten einfach zu durchschauen ist. Für Fachgebiete, die fallweise besonders aufwändige Einzelleistungen erbringen, wie Operationen, Gastroskopie oder Ergometrie, ist dieses System nur mit Modifikationen geeignet. In der Praxis verwenden Fachärzte für Orthopädie, Unfallchirurgie, Gynäkologie aber auch Neurologen und Urologen dieses Modell.
Leistungsunabhängiges, zeitabhängiges Honorarmodell Die Verrechnung erfolgt nach einem Zeitraster. Nach betriebswirtschaftlicher Durchleuchtung der Ordination wird beispielsweise ein notwendiger Umsatz von 130 Euro errechnet. Dauert der Ordinationsbesuch eine Stunde, kommt dieser Betrag zur Verrechnung. Für Teile einer Stunde kommt der jeweilige Anteil dieser Summe zur Verrechnung, wobei es nötig ist, die Zeitverluste durch den Patientenwechsel mit einer Aufrundung der Honorare auszugleichen. In unserem Beispiel würde somit die halbe Stunde 70 Euro kosten, die Viertelstunde etwa 40 Euro. Aus ökonomischer Sicht handelt es sich um ein brauchbares System. Es birgt allerdings die Gefahr, dass der Patient das Ge145
fühl haben könnte, der Arzt versuche die Ordination bewusst möglichst zeitintensiv zu gestalten. Zur Anwendung kommt dieses System oft bei Allgemeinmedizinern, die ihren Schwerpunkt auf komplementäre Behandlungsmethoden wie Homöopathie gelegt haben.
Mischmodell aus Pauschalbetrag mit Einzelleistungszuschlag Für einen vorher definierten Leistungsumfang wird eine Pauschalsumme verrechnet. Aufwändige Zusatzleistungen wie Operationen, Langzeit-EKG oder endoskopische Untersuchungen werden zusätzlich verrechnet. Dieses Modell ist vor allem für Fachärzte für Innere Medizin, aber auch für Chirurgen oder Dermatologen gut anwendbar. Auch bei den Wahlarztpatienten findet es eine hohe Akzeptanz, da die Zusatzleistungen in den seltensten Fällen im Rahmen einer Erstordination zur Anwendung kommen und so eine Kostenaufklärung direkt in der Ordination erfolgen kann.
Weitere Überlegungen zur Honorargestaltung Die Höhe des marktüblichen Honorars hängt auch vom jeweiligen Fachgebiet ab. So ist ein Patient, der einen Plastischen Chirurgen einmal im Leben auf Grund eines kosmetischen Problems konsultiert, durchaus bereit, ein höheres Honorar zu zahlen 146
als beim Kinderarzt, der oft mehrmals pro Monat aufgesucht werden muss. Weitere Faktoren, welche die Höhe des Honorars beeinflussen müssen, sind die Zahl der Mitbewerber und deren Leistungsspektrum, der Standort der Ordination (im großstädtischen Bereich haben sich höhere Honorare etabliert als im ländlichen Bereich), aber auch die Bevölkerungsstruktur und die lokale Infrastruktur. Auch die monatlichen Fixkosten wie Miete, Gehälter für Angestellte, Versicherungen, Kreditrückzahlungen beeinflussen die Honorargestaltung maßgeblich. Die Erstellung einer wirtschaftlichen Planrechnung ist Grundvoraussetzung für die Kalkulation der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben. Nicht zuletzt hängt die Höhe Ihres Honorars auch von Ihrer Selbsteinschätzung ab. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es nicht sinnvoll ist, als „neuer Wahlarzt“ mit Dumpingpreisen die Honorare etablierter Ärzte zu unterbieten. Einerseits weil man dem ökonomischen Druck auf Dauer nicht wird Stand halten können, andererseits weil für Patienten die Höhe des Honorars keinesfalls ein Hauptentscheidungskriterium für die Auswahl eines bestimmten Wahlarztes darstellt. Die Honorare bereits niedergelassener Wahlärzte in der Region können als Maßstab herangezogen werden, da hier mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Akzeptanz in
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination der Bevölkerung gegeben ist. Die Autoren warnen alle Wahlärzte davor, Leistungen wie Befundbesprechungen oder Kontrollen kostenlos zu erbringen. Damit bringt der Wahlarzt dem Patienten gegenüber zum Ausdruck, dass diese Leistung „wertlos“ ist.
Kostenrückerstattung Der Wahlarztpatient hat grundsätzlich Anspruch auf Rückerstattung von 80 Prozent des Tarifs, den ein Arzt mit Kassenvertrag für diese Leistung erhält. Bei Besuch eines Facharztes ohne Zuweisung durch einen Arzt für Allgemeinmedizin ist die Position „Arztbrief oder Behandlungsbericht“ nicht rückerstattungsfähig. Wenn ein Wahlarzt 80 Prozent des Kassentarifs als sein Honorar verrechnet – wovon Wahlärzten aus wirtschaftlichen Gründen dringend abzuraten ist –, dann erhält der Patient (theoretisch) die Gesamtkosten des Ordinationsbesuches rückerstattet. Viele Ausnahmen, insbesondere die limitierten Leistungen, führen dazu, dass die Kostenrückerstattung für einzelne Leistungen nur etwa 20 Prozent betragen kann. Die Rückerstattung kann das Wahlarzthonorar nicht überschreiten.
Positive Ausnahmen Die KFA (Krankenfürsorgeanstalt der Bediensteten der Stadt Wien) ersetzt 100 Prozent des Kassentarifs, auch bei Mutter-KindPass-Untersuchungen werden 100 Prozent
des Kassentarifs rückerstattet. Bei Notfällen werden sogar bis zu 200 Prozent des Kassentarifs rückerstattet, wobei der „Notfall“ aus der Diagnose ersichtlich sein muss.
Limitierte Leistungen Limitierte Leistungen sind Leistungen der Gebietskrankenkassen, die Kassenärzte nur eingeschränkt verrechnen dürfen. Diese können beispielsweise einmal pro Quartal oder nur bei einer bestimmten Anzahl der Patienten, etwa bei 10 oder 20 Prozent, verrechnet werden. Bei Wahlarztpatienten erfolgt die Rückerstattung mit Fixbeträgen, die zwar (teilweise deutlich) unter dem Kassentarif liegen, jedoch bei allen Patienten rückerstattet werden. Die Tarife werden jährlich angepasst und errechnen sich aus der jeweiligen Überschreitung der Limits bei den Kassenärzten. Je stärker Kassenärzte diese Limits überschritten haben, desto geringer ist der Rückerstattungstarif für Wahlarztpatienten. Weitere Ausnahmen reduzieren die Höhe der Kostenrückerstattung: Bei Versicherten der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse ist die Position 19 (Ausführliche diagnostisch-therapeutische Aussprache – also das ärztliche Gespräch) nicht gemeinsam mit der Position 12 (Ordination) rückerstattungsfähig. Wenn beide Leistungen erbracht werden, kann der Wahlarzt zwar beide Leistungen auf der Honorarnote anführen, die 147
Rückerstattung erfolgt jedoch nur für eine Leistung, und zwar die teurere. In allen Bundesländern erhält ein Kassenarzt für einen Erstbesuch im Quartal einen Fixtarif, der jedoch in der Höhe völlig unterschiedlich ist. Bei Wahlarztpatienten erfolgt die Rückerstattung in der Form, dass beim ersten Besuch zwei Fünftel, beim zweiten Besuch ebenfalls zwei Fünftel und erst beim dritten Ordinationsbesuch das letzte Fünftel rückerstattet wird.
Wie kommt der Patient zu seinem Geld? Für die Kostenrückerstattung muss die Honorarnote vom Patienten beim jeweiligen Kostenträger eingereicht werden. Eine Abtretung dieses Rechts an den Arzt oder an eine sonstige Person ist nicht möglich. Es ist nur möglich, saldierte und bereits bezahlte Honorarnoten bei der Krankenkasse einzureichen. Bei Zahlungen mittels Erlagschein muss der Patient den Zahlscheinabschnitt gemeinsam mit der Honorarnote einreichen.
Kein Kostenersatz Bei Konsultation eines Vertragsarztes desselben Fachgebietes im selben Abrechnungszeitraum wird kein Kostenersatz geleistet. Die Abrechnung erfolgt bei den Gebietskrankenkassen quartalsweise, bei den so genannten „kleinen Kassen“ monatlich. Werden zwei oder mehrere Wahlärzte desselben Fachgebietes innerhalb eines Abrechnungszeitraums in Anspruch genommen, so werden nur die Kosten für die Inanspruchnahme jenes Wahlarztes ersetzt, dessen Honorarnote als erste bei der Kasse einlangt. Der Patient hat das Recht, von der Krankenkasse eine Aufschlüsselung der Rückerstattung zu beantragen. Er hat auch das Recht auf eine bescheidmäßige Ausfertigung dieser Aufschlüsselung. Gegen diesen Bescheid sind bei Bedarf Rechtsmittel möglich. Der Wahlarzt hat diesbezüglich KEINE Rechte. 148
Viele Wahlärzte bieten als Serviceleistung an, die Honorarnote an die jeweils zuständigen Kostenträger zu schicken. Das heißt, die Honorarnote wird ausgestellt und bezahlt, der Patient unterschreibt das Ansuchen um Rückerstattung (das oft direkt auf der Honorarnote enthalten ist) und lässt dieses in der Ordination. Die Honorarnoten werden dann vom Wahlarzt gesammelt an die jeweiligen Krankenkassen geschickt. Diese Serviceleistung wird von vielen Patienten gerne in Anspruch genommen und auch von vielen Wahlärzten angeboten.
Zusammenfassung Jeder Wahlarzt muss für sich ein schlüssiges System finden. Ein einfaches, transparentes Schema erhöht die Akzeptanz in der Bevölkerung. Das öffentliche Ankündigen von Honoraren ist zu empfehlen (zumindest mit einem Aushang in der Ordination),
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination da Patienten oft Hemmungen haben, nach den Kosten zu fragen. Die Autoren warnen davor, kostenlose Leistungen anzubieten, z.B. Befundbesprechungen, Ausstellen von Rezepten, Kontrolluntersuchungen etc. Damit artikuliert der Arzt, dass diese Leistung „wertlos“ ist.
muss sich bewusst sein, dass er für medizinische Leistungen Geld verlangen muss, was manchen Ärzten schwer fällt. Ein zu stark ausgeprägtes Helfer-Syndrom macht den wirtschaftlichen Erfolg einer Ordination unmöglich.
Richtwerte
Organisation
Nach der Erfahrung der Autoren und erfahrener Steuerberater ist pro Stunde ein durchschnittlicher Mindestumsatz von etwa 130 Euro erforderlich, um eine Ordination wirtschaftlich erfolgreich zu führen. Dies stellt jedoch keine Empfehlung dar, sondern ist das unterste Limit. Um wirtschaftlich auf festen und sicheren Beinen zu stehen, sind Umsätze von etwa 160 bis 200 Euro pro Stunde notwendig.
Die Organisation der Wahlarztordination kann vom Wahlarzt selbst sehr gut beeinflusst werden. Je besser die Organisationsstruktur einer Praxis, umso mehr Zeit bleibt für die Patientenbetreuung übrig. Damit ist auch eine Steigerung der Patientenzufriedenheit zu erwarten.
Möglichkeiten der EDV nutzen
Persönlichkeit des Arztes Einen wesentlichen Erfolgsfaktor, der im Regelfall nicht beeinflussbar ist, stellt die jeweilige Persönlichkeit des Arztes dar. Diese ist beim Wahlarzt von größerer Bedeutung als beim Kassenarzt, weil hier der Patient die Entscheidung, welchen Arzt er aufsucht, wesentlich bewusster trifft. Um als Wahlarzt bestehen zu können, ist zusätzlich zur medizinischen Kompetenz auch ein wirtschaftliches Verständnis Grundvoraussetzung. Insbesondere der Wahlarzt
Während sich die Verwendung von EDVSystemen bei Ärzten mit Kassenverträgen bereits durchgesetzt hat und mittlerweile für die Abrechnung sogar verpflichtend ist, arbeiten Wahlärzte häufig noch mit einem handschriftlichen Dokumentationssystem. Sämtliche modernen EDV-Systeme bieten die Möglichkeit, die Dokumentation zu systematisieren und somit die Umsetzung in der Praxis mit erheblich weniger bürokratischem Aufwand zu betreiben, als dies mit herkömmlichen Karteikarten der Fall ist. Man muss die Möglichkeiten der Technik nur ausnützen. 149
Insbesondere durch den Einzug der e-Card in die Ordinationen der Kassenärzte ist der Prozentsatz der EDV-Anwender massiv angestiegen. Wenn auch die e-Card für Wahlarztordinationen derzeit nur in Ausnahmefällen eine sinnvolle Bereicherung darstellt, wird sich mittelfristig daraus dennoch ein Nutzen ergeben (elektronisches Rezept, elektronische Bewilligungen, elektronische Zuweisung). Dies wird auch den Stellenwert der EDV in Wahlarztordinationen heben. Diese Ausführungen sollen zeigen, dass auch bei ein- bis zweimaliger wöchentlicher Ordinationstätigkeit als nebenberuflicher Wahlarzt eine EDV-gestützte Kartei- und Patientenverwaltung wesentliche Vorteile bringt. Gerade in Wahlarztordinationen ist es besonders wichtig, das wirtschaftliche Risiko zu senken und die Anschaffungsund Erhaltungskosten des EDV-Systems zu minimieren.
Kosten Die Kosten für Karteikarten sind gering, allerdings werden Lagerungsschränke benötigt. Die Kosten für ein EDV-System sind demgegenüber beträchtlich höher. Die einfachste Variante ist das Einplatzsystem, allerdings mit dem Nachteil, dass Stammdaten vom Arzt selbst erhoben werden müssen. Die häufigste Form der EDV-Ausstattung in Wahlarztordinationen ist ein Zweip150
latzsystem. Die Kosten für Hardware betragen etwa 3.000 Euro für „no name“-Geräte, für Markengeräte entsprechend mehr. Die Kosten für eine Ordinationssoftware liegen bei 2.500 Euro bis jenseits von 10.000 Euro. Zusätzlich kommen meist monatliche Kosten für Wartung bzw. Softwareupdates hinzu. Alternativ dazu bieten einige Softwareanbieter eine Mietvariante an. Hier muss man mit Kosten von 75 bis 150 Euro pro Monat rechnen. Detaillierte Informationen zu einer wahlarztspezifischen Softwarelösung finden Sie unter www.wahlarzt.com. Die Einschulung für eine Software ist mit 150 bis 500 Euro zu veranschlagen, abhängig vom notwendigen Zeitaufwand.
Betriebssicherheit Der Zugriff auf Karteikarten ist jederzeit möglich. Insbesondere nach längerer Ordinationstätigkeit mit vielen Patienten steigt jedoch die Gefahr, dass Karteikarten durch Verreihung nicht aufgefunden werden können. Für das Funktionieren Ihrer EDV sind eine zuverlässige Hardware und eine Stromversorgung erforderlich. Schutz gegen kurze Stromausfälle bietet eine so genannte USVAnlage (unterbrechungsfreie Strom-Versorgung), die eine Verwendung des Computers für 5 bis 20 Minuten ohne Strom möglich macht.
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Arbeitskomfort für Arzt und Ordinationshilfe Karteikarten sind leere Blätter und bieten keinen Arbeitskomfort. Doppelte Schreibarbeit ist nötig, wenn Dokumente aus der Hand gegeben werden sollen, da zusätzlich die Vermerke in der Kartei erforderlich sind. EDV-gestützte Karteiführung ermöglicht die automatische Erstellung aller notwendigen Drucksorten, wenn die Grunddaten erfasst wurden. Stammdaten müssen nur einmal eingegeben werden und können für sämtliche Formulare (Rezepte, Zuweisungen, Verordnungen, Briefe, Honorarnoten usw.) ohne zusätzlichen Zeitaufwand verwendet werden. Die gesamte Honorarverwaltung läuft im Hintergrund, die Verwaltung von offenen Forderungen oder die Etablierung eines Mahnwesens ist relativ einfach.
Platzbedarf, Zugriff auf Patientendaten Der Platzbedarf ist langfristig bei jedem EDV-System geringer, bei Zunahme der Patientenzahl muss keine Erweiterung vorgenommen werden. Insbesondere bei hohen Patientenzahlen kann der Aufruf eines Patienten in der EDV sehr rasch erfolgen, während die Karteikarte manuell gesucht werden muss.
Datensicherheit, Sicherung Da jede Karteikarte nur einmal vorhanden ist, sind Aufzeichnungen unwiederbring-
lich verloren, wenn die Karteikarte abhanden kommt oder verreiht ist. Voraussetzung für ein hohes Maß an Datensicherheit bei Verwendung von EDV ist eine regelmäßige Datensicherung. Grundsätzlich sollte nach jeder Ordination gesichert werden. Mehrere Datensicherungskonzepte sind sehr wichtig. Das Sichern sollte möglichst einfach in der Handhabung sein, bei großen Datenmengen und damit verbundenen langen Sicherungszeiten empfiehlt sich die Installation einer automatischen Sicherungsroutine in den Nachtstunden. Man kann mobile und stationäre Sicherungsmedien unterscheiden. Zu empfehlen sind mindestens ein mobiles und ein stationäres Konzept. So ist es möglich, die Daten auch beispielsweise bei einem Brand oder nach einem Hochwasser auf einem neuen PC ohne Datenverlust neu zu installieren. Folgende Medien bieten sich an (beispielhaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Wechselfestplatte (mobil) CD-Brenner (mobil, bei großen Datenmengen zu empfehlen) DAT-Streamer, Streamerband (mobil, für sehr große Datenmengen) Zip-Drive (mobil, 100 MB bis 750 MB) Jazz-Drive (mobil) USB-Memory-Stick (mobil, bis 512 MB) Sicherung auf zweiten PC (stationär) Sicherung auf denselben PC (stationär, nicht sehr „sicher“) 151
Alle bisher genannten Medien ermöglichen die Datensicherung erst jeweils nach Ende der Ordination. Das heißt, dass bei einem Festplattenschaden, der während der Ordination auftritt, der betroffene Ordinationstag verloren geht. Plattenspiegelung (stationär): Bei einer Plattenspiegelung werden sämtliche Daten gleichzeitig auf zwei Festplatten geschrieben. Bei Crash einer Festplatte arbeitet die andere ohne Datenverlust weiter. Das Teilen einer Festplatte in verschiedene Partitionen ermöglicht KEINE Plattenspiegelung. Eine solche erfordert ein Betriebssystem, das diese Möglichkeit bietet (XP Professional). Das persönliche Datensicherungskonzept sollte mit ihrem Softwareanbieter besprochen werden, der je nach Größe der Datenbank entsprechende Vorschläge machen wird.
Patientenfreundlichkeit Schriftstücke wie Arztbriefe, Patientenbriefe und Honorarnoten können EDV-gestützt automatisiert erstellt und somit dem Patienten sofort mitgegeben werden. Dies erhöht den Servicecharakter einer Ordination.
Organisation in der (Wahlarzt)Ordination In der optimalen (Wahlarzt)Ordination sollte die Zeit für Verwaltungsaufwand (bei guter Dokumentationsqualität!) minimiert werden, die Zeit für die Patienten hingegen maximiert. Gutes Zeitmanagement sowie das Anbieten von Serviceleistungen (Arztbrief, Patientenbrief, Einsendung der Honorarnote bei der Krankenkasse usw.) runden den Servicecharakter ab. Weiters sollten patientenbezogene Arbeiten abgeschlossen sein, wenn der Patient die Ordination verlässt, sodass keine „Nach(t)arbeit“ erforderlich ist.
Qualität der Dokumentation Die Begehrlichkeit der Patienten hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die ärztliche Dokumentation ist die einzige Möglichkeit, den Nachweis zu erbringen, dass eine Behandlung indiziert war und auch korrekt durchgeführt wurde. Hier kann die EDV wertvolle Dienste leisten und dafür sorgen, dass die Dokumentation systematisch und standardisiert, aber trotzdem rasch und einfach erfolgt. Eine leere Karteikarte motiviert oft nicht zu einer ausführlichen Dokumentation. 152
Hardware Prinzipiell ist zu sagen, dass bei einem PC nicht nur die Taktfrequenz und der Prozessor die Leistung beeinflussen, sondern die Gesamtkonfiguration entscheidend ist (Arbeitsspeicher, Grafikkarte etc.). Von „Superbilligangeboten“ ist deshalb dringend abzuraten! Für die Hardware sollte unbedingt ein Ansprechpartner vorhanden sein, der bei Ausfall des PC wegen Hardwaredefekt die Störung rasch beheben kann. Der Kauf von
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Hardware in Großmärkten kann dieser Anforderung nicht gerecht werden. Manche Softwareanbieter offerieren zusätzlich auch Hardwarelösungen. Dabei ist zu bedenken, dass Hardware und Software ungefähr genauso viele Gemeinsamkeiten haben wie Orthopädie und Gynäkologie. In diesen Fällen ist jedenfalls darauf zu achten, ob die angebotenen Preise marktkonform sind. Tatsache ist, dass Hardware bereits innerhalb von wenigen Monaten massiv an Wert verliert. Es ist daher sinnlos, sich einige Monate nach der Anschaffung zu ärgern, dass dasselbe Gerät nun deutlich billiger angeboten wird. Durch die rasche Entwicklung im Hardwarebereich steigt die Leistung der Geräte ständig, sodass „alte“ Bauteile rasch im Preis sinken. Hardware „lebt“ im Regelfall 3 bis 5 Jahre, deshalb ist es auch möglich, Hardwareinvestitionen steuerlich auf drei Jahre abzuschreiben.
Software Die Software sollte einfach und intuitiv zu bedienen sein, ein Maß dafür ist die nötige Einschulungszeit. Viele Möglichkeiten erschweren oft die Anwendung. Wahlärzte müssen bedenken, dass es nur ganz wenige Softwarelösungen gibt, die für die Bedürfnisse dieser Ärztegruppe maßgeschneidert sind. Ein gutes EDV-System für Kassenordinationen muss nicht in gleichem Maß für
Wahlärzte geeignet sein, da andere Anforderungen und Bedürfnisse vorliegen. Zu empfehlen ist, beim Testen eines Programms einen Ordinationsablauf zu simulieren. Die Software sollte die Ordinationsabläufe entsprechend abbilden und helfen, rasch, einfach und trotzdem ausführlich zu dokumentieren. Besuche oder Rückfragen bei Anwendern der Software, die angeschafft werden soll, sind ebenfalls empfehlenswert. Wahlärzte sollten bedenken, dass sie bei Rezeptformularen, Verordnungen und Zuweisungen nicht auf die Formulare der Krankenkassen zurückgreifen können. Es gibt bereits EDV-Programme, die diese Formulare selbst generieren. Damit können Anschaffungskosten sowie Lagerplatz für Drucksorten eingespart werden. Die Integration des Briefkopfes samt persönlichem Logo sollte ebenso selbstverständlich sein wie die Einbindung des Stempels mitsamt Logo. Die „persönliche Note“ ist vor allem in der Wahlarztordination von großer Bedeutung. Bei der Honorarverwaltung ist darauf zu achten, ob sich diese ausschließlich an den Kassenhonoraren orientiert oder ob eine völlig freie Honorargestaltung möglich ist. Insbesondere ist es wichtig, dass alle Möglichkeiten der Honorargestaltung umgesetzt werden können (Pauschalverrechnung, 153
krankenkassenunabhängige und krankenkassenabhängige Einzeltarife).
gerungen finden. Eine typische Patientenreaktion aus der Praxis: „Ich warte doch erst fünf Minuten.“
Terminmanagement Im Regelfall arbeiten Wahlärzte ausschließlich nach Voranmeldung. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Mehrzahl der Patienten 10 bis 15 Minuten vor ihrem geplanten Termin die Ordination aufsuchen. Diese Tatsache muss man insbesondere bei der Planung des ersten Patienten berücksichtigen, um zu gewährleisten, dass die Ordination bereits geöffnet ist.
Wartezeit auf einen Termin Wir empfehlen jedenfalls die Einrichtung eines Vormerksystems. Vor allem in Fachgebieten mit möglichen akuten Erkrankungen ist zu empfehlen, dass zeitnah Terminfenster für dringliche Ordinationen freigehalten werden.
Wartezeit in der Ordination Wahlarztpatienten schätzen die Termintreue in Ordinationen. In der Realität sind Terminverzögerungen jedoch oft unvermeidlich. Es ist jedenfalls empfehlenswert, offensiv mit Terminverschiebungen umzugehen und bereits bei Terminüberschreitungen von fünf Minuten den wartenden Patienten auf den Grund der Wartezeit aufmerksam zu machen. Damit artikuliert man dem Patienten gegenüber den Wert seiner Zeit und wird ein hohes Maß an Verständnis für Verzö154
Zeit für Arzt-Patient-Kontakt Durch gute Organisation sollte die Zeit für den Patientenkontakt maximiert werden. Es ist nicht möglich, Regeln aufzustellen, wie lange eine Erstordination bzw. eine Kontrolluntersuchung dauern muss oder soll, da dies vor allem vom jeweiligen Fachgebiet abhängig ist. Im Durchschnitt dauert eine Erstordination beim Wahlarzt zwischen 15 und 45 Minuten, eine Kontrolluntersuchung etwa 10 bis 20 Minuten. Homöopathische Erstgespräche und psychotherapeutische Gespräche überschreiten meist diese Zeiten. Bei Ärzten für Allgemeinmedizin sind Patientenfrequenzen von 150 bis 200 pro Arbeitstag keine Seltenheit. Auch wenn man davon ausgehen muss, dass der Arzt nicht alle Patienten sieht (warum wird er dann eigentlich aufgesucht?), kann sich jeder auch rechnerisch Minderbegabte vorstellen, wie viele Sekunden pro Patient zur Verfügung stehen.
Ordinationshilfe Die Ordinationshilfe ist im zeitlichen Ablauf eines Ordinationsbesuches die erste und auch die letzte Person, mit der ein Patient Kontakt hat. Ihr kommt somit eine zentrale Rolle zu. Studien haben gezeigt, dass die Unzufriedenheit des Patienten mit der Ordi-
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination nationshilfe den häufigsten Grund für einen Arztwechsel darstellt. Gerade in „kleinen“ Ordinationen stellt sich oft die Frage, ob überhaupt eine Ordinationshilfe angestellt werden soll. Unsere klare Empfehlung lautet: JA. Eine Ordination ohne Angestellte kann den Eindruck von Unprofessionalität vermitteln. Der Patient betritt ein Wartezimmer oder eine Anmeldung – und wird von niemandem begrüßt. Die Ordinationshilfe nimmt dem Arzt vor allem organisatorische Arbeiten ab, um nicht wertvolle Arztzeit zu blockieren. Dies beginnt mit der Erfassung der Stammdaten, geht über die Erklärung der Honorarrückerstattung durch die Krankenkasse bis hin zum Umgang mit Geld. Weiters muss sie Anrufe entgegennehmen. Jeder Anruf stört die persönliche Atmosphäre in einem Beratungsgespräch mit dem Arzt ganz massiv.
Serviceleistungen
gemeinmedizin ihren Patienten Briefe mit, was im Bereich der Kassenmedizin praktisch nie vorkommt. Als Facharzt sollte man den Hausarzt ebenfalls über eine durchgeführte Behandlung informieren. Obwohl der Arztbrief in allen Honorarkatalogen der Krankenkassen integriert ist, wird diese Position äußerst selten verrechnet. Das heißt, es ist eher die Ausnahme, dass Kassenärzte Briefe ausstellen. Dies stellt einen wichtigen Punkt dar, wo sich der Wahlarzt am Markt positionieren kann. Sowohl Patientenbrief als auch Arztbrief stellen ein wichtiges Marketinginstrument dar, um bei der Zielgruppe Ärzte (als potenzielle Zuweiser) und Patienten die Ordination positiv in Erinnerung zu rufen.
Einreichung der Honorarnote Formal muss der Patient die Honorarnote bei seinem Kostenträger einreichen. Viele Wahlärzte bieten als Serviceleistung an, diesen Postweg dem Patienten abzunehmen.
Patientenbrief – Arztbrief Information ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Wahlarztordination. Der Brief an den Patienten hat die Aufgabe, Behandlungsempfehlungen nachweislich an den Patienten weiterzugeben und gibt diesem die Möglichkeit, auch zu Hause nachzulesen, was in der Ordination besprochen wurde. Zunehmend geben auch Wahlärzte für All-
Fachgebiet Eine Umfrage des Wahlarztreferates der Ärztekammer für Niederösterreich hat die Fachgebiete ermittelt, in denen die Bevölkerung eher bereit ist, einen Wahlarzt an Stelle eines Kassenarztes aufzusuchen (Abb. 12). 155
INANSPRUCHNAHME Kassenarzt Chirurgie 38
Frauenheilkunde
47 45 55
36
Innere Medizin
57 34
Neurologie
58
31
Physikalische Medizin
60
30
Orthopädie
63
26
Hautkrankheiten
68
24
Augenheilkunde
71
24
Kinderheilkunde
57
18
HNO
77
5
Allgemeinmedizin
A B B. 12
Wahlarzt
0
91 10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Potenzielle Inanspruchnahme von Wahlärzten, abhängig vom Fachgebiet (Quelle: Umfrage der Ärztekammer für Niederösterreich 2003)
Die hohe Bewertung des Fachgebietes „Chirurgie“ entsteht durch Unschärfen in der Bevölkerung, die auch die chirurgische Tätigkeit anderer Fachgebiete dem Fachgebiet Chirurgie zugeordnet hat. Die Erfahrung, dass Wahlärzte für Allgemeinmedizin sehr oft ohne zusätzliche Einkommensquellen nicht bestehen können, wird in der Umfrage bestätigt. Alternative oder komplementäre Behandlungsmethoden sehen wir als Chance für 156
die allgemeinmedizinischen Wahlärzte. Bei Inanspruchnahme solcher Behandlungen geht der Trend eindeutig zum Wahlarzt für Allgemeinmedizin. Wenngleich uns mehrere Wahlärzte für Allgemeinmedizin bekannt sind, die sehr erfolgreich auch die Funktion des „Hausarztes“ als primärer Ansprechpartner für ihre Patienten erfüllen, so gelingt dies – gemessen an der großen Zahl der Wahlärzte für Allgemeinmedizin – dennoch nur sehr wenigen.
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Miete – Kauf, Investition in Praxisräumlichkeiten Von Fritz Bauer
Kauf oder Miete ist eine Frage der Wertsteigerung einer Immobilie. Auch im Bereich von Praxisimmobilien stellt sich immer häufiger die Frage nach der idealen Form: Soll eine Ordination besser gekauft oder gemietet werden? Nachdem bei Einzelordinationen diese Fragestellung immer etwas mühevoll zu beantworten war, hat man im Zuge von boomenden Ärztezentren immer öfter eine direkte Auswahlmöglichkeit, kann also anhand von echten Daten eine rechnerische Grundlage herbeiführen. Ob Kauf oder Miete rentabel ist, lässt sich am besten grob beurteilen, indem man sich in die Rolle eines Investors begibt, der das Kaufobjekt weiter vermieten würde. Wenn beispielsweise eine Ordination mit 100.000 Euro zu kaufen wäre, rentiert sich das aus der Sicht eines Investors ab einer Jahresmiete von 5.000 Euro oder etwa 420 Euro monatlich, was einer Bruttorendite von 5 Prozent vor Steuer entspricht. Bleiben wir bei diesem Beispiel: Ein Kauf würde bei einem Fremdfinanzierungszinssatz eine Monatsbelastung von 662 Euro erzeugen, im Vergleich zu knapp 420 Euro bei Miete. Wenn gekauft wird, gehört das Objekt nach 20 Jahren schuldenfrei dem Käufer. Bei Miete lässt sich der Differenzbetrag ansparen (245 Euro pro Monat), das er-
gibt ebenfalls den Betrag von 100.000 Euro nach 20 Jahren. Ohne Berücksichtigung von Indexanpassungen, Wertsteigerungen oder den steuerlichen Gesichtspunkten ist diese Situation daher ausgeglichen. Wesentlich höhere Mieten in Relation zum Kaufpreis sprechen natürlich für einen Kauf und umgekehrt. Mieten als solches ist sicherlich flexibler, jedoch ständig mit einer Indexanpassung verknüpft, die wahrscheinlich höher ist als die Wertsteigerung der Immobilie. Nun weg von der Milchmädchenrechnung zu einem realistischen, am Markt erhältlichen Beispiel: Ein Errichter eines Ärztehauses bietet als Alternative eine Miete um 825 Euro pro Monat oder einen Kauf des Objekts um 200.000 Euro an, inklusive Grundanteil und Nebenkosten von je etwa 10 Prozent (Tabelle 10). Die Kosten einer Miete sind leicht errechnet: Unter Berücksichtigung einer Indexierung von 1,5 Prozent pro Jahr im Schnitt beträgt die durchschnittliche Miete rund 970 Euro pro Jahr über eine angenommene Beobachtungsperiode von 20 Jahren. Das summiert sich auf 232.000 Euro, voll steuerlich abzugsfähig. So müssen für den Beobachtungszeitraum netto rund 116.000 Euro an Miete disponiert werden. Kauf ist ungleich komplizierter: Voll fremdfinanziert, beträgt die Summe der notwendigen Kreditraten etwas über 290.000 Euro bei einem Zinssatz von vier Prozent. 157
Davon sind lediglich die Zinsen in Höhe von 90.000 Euro steuerlich abzugsfähig, ebenso wie die gesamte Abschreibung von 72.000 Euro über den Zeitraum. Allerdings hat in diesem Fall die Immobilie nach 20 Jahren einen Wert für den Arzt. Wir kalkulieren mit einer Steigerung von jährlich einem Prozent, somit bleiben 220.000 Euro unter Berücksichtigung der Nebengebühren. Bliebe nur noch die Steuer im Falle eines Verkaufs nach 20 Jahren. Diese müssen wir berechnen, um eine Vergleichsgrundlage zu bekommen. Versteuert werden muss der Verkaufspreis abzüglich Restbuchwert. Diese Größe ist identisch mit dem Wertzuwachs zuzüglich der gesamten bisherigen Abschreibung. Egal, wie man es rechnet, 95.000 Euro müssen im Extremfall zusätzlich mit dem Höchststeuersatz versteuert werden. Was bleibt, ist ein Nettoaufwand von 256.000 Euro für den Kauf, der mit einem Immobilienwert von 220.000 Euro belohnt wird. Die Differenz stellt also den wahren Aufwand dar. Mit knapp 36.000 Euro ist man dabei – ein deutlicher Vorteil zugunsten des Kaufs. Wer daher diese Alternative hat – und es sich auch leisten kann –, sollte die Kaufvariante wählen. Die Entscheidung ist jedoch maßgeblich von der Verwertbarkeit einer Immobilie abhängig. Im Gegensatz zu einem Privathaus. das für eine Familie in jedem Fall einen 158
Wert darstellt, kann eine Ordination für den Arzt einmal nutzlos werden, spätestens wenn er in Pension geht. Dann ist sie möglicherweise auch schwieriger an den Mann zu bringen. Bei kombinierten Häusern ist die Gefahr groß, dass sich überhaupt kein Interessent findet. Der Eigentümer muss seinen Besitz spätestens zu Pensionsbeginn versteuern, er gehört ihm dann auch, stellt aber keinen echten Gegenwert dar. Diese Gefahr ist dann weniger gegeben, wenn man entweder im vorhinein auf eine andere Verwertbarkeit schaut oder sich beispielsweise durch eine Beteiligung bei einem Ärztezentrum von Anfang an einen guten Wiederverkaufswert sichert. Ein Ordinationskauf lässt sich natürlich auch innerhalb einer Familie arrangieren, beispielsweise indem der Partner des Arztes die Immobilie kauft und dann an den Arzt vermietet. Die Vorteile sind aus finanzieller Sicht unschlagbar: Vorsteuerstundung durch Absetzmöglichkeit seitens des Partners, Steuerverschiebung durch Verlagerung eines Teils des Unternehmensgewinns an den Partner mit besserer Progression sowie Steuerfreiheit bei Verkauf (zumindest aus derzeitiger Sicht und nach 10 Jahren Spekulationsfrist). Solche Modelle sind jedoch beispielsweise bei Ehescheidungen zum Zerbrechen verdammt und auch aufgrund einiger the-
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination KAUFEN ODER MIETEN? Investitionsvolumen inkl. Grund und Gebühren
200.000,00
Alternative Monatsmiete
825,00
Wertentwicklung Immobilie pro Jahr
1,00%
Anpassung Miete pro Jahr
1,50%
Beobachtungszeitraum (Jahre)
20
Miete Miete pro Monat Schnitt
968,08
Miete gesamt
232.000,00
Steuerersparnis
116.000,00
Aufwand für Miete netto
116.000,00
Kauf Kreditrückzahlung pro Monat Kreditrückzahlung gesamt davon Zinsen (bei 4%) AfA per annum (2%, Grundanteil 10%) AfA gesamt Steuerersparnis Immobilienwert Ende Steuer bei Verkauf Ende
TA B E L L E 10
Steuer (angenommen voller Satz)
1.216,00 291.840,00 91.840,00 3.600,00 72.000,00 81.920,00 220.000,00 92.000,00 46.000,00
Aufwand für Kauf
255.920,00
abzüglich Wert Immobilie
220.000,00
Nettoaufwand Kauf
35.920,00
Kaufen oder Mieten? (in Euro)
159
oretischer „Angriffsmöglichkeiten“ nicht Jedermanns Sache. Deshalb empfehlen sich derartige Unternehmungen ohnehin nur in Zusammenarbeit mit einem auf Ärzte spezialisierten Steuerberater.
Goldene Regeln für wirtschaftliche Praxisführung Von Wilhelm Zieger
Zehn goldene Regeln für wirtschaftlich erfolgreiche Praxisgründung und –führung: 1 Eine Wahl des Praxisstandortes ist ausschließlich nach wirtschaftlichen Fakten zu treffen. Eine professionelle Standortanalyse und vor allem die Bereitschaft, entsprechend des Ergebnisses der Standortanalyse flexibel genug zu sein, um auch eine größere Ortsveränderung zu akzeptieren, sind der erste Schritt zu wirtschaftlichem Erfolg. 2 Der Arzt ist in erster Linie Mediziner – kein Steuerberater, kein Bankfachmann und kein Versicherungsprofi. Die Berufsgruppe muss diese Tatsache als solche akzeptieren und die Notwendigkeit erkennen, spezielle Leistungen zuzukaufen. Hier zu sparen, kann teuer werden. 3 Es empfiehlt sich die Kooperation mit Profis, die ausreichend Erfahrung mit Ärzten haben. Ein Steuerberater mit Schwerpunkt Gastronomie wird vielleicht bei einer Finanzprüfung bei einem Arzt ebenso über160
fordert sein wie ein Versicherungsspezialist für Landwirtschaften bei einem Ärztehaftpflichtschaden. 4 Bei der Finanzierung der Praxis ist darauf zu achten, kein wie immer geartetes Risiko einzugehen. Auch hier ist die fachspezifische Erfahrung des Beraters von Bedeutung, die Zahl der Finanzierungen von Ordinationsgründungen ist ein guter Maßstab dafür. Gewagte Kreditkonstruktionen, gepaart mit absoluter Unkenntnis über die Entwicklungsmöglichkeiten einzelner Fachrichtungen und dem Versprechen niedriger Kosten durch hohe Renditen sind der sicherste Weg in die Katastrophe. 5 Private Beziehungen und geschäftliche Belange sind streng voneinander zu trennen. Der „Onkel“ in der Bank, der „Bruder“ bei der Versicherung und der „Tennisfreund“ als Steuerberater hemmen Ihre Bewegungsfreiheit, wenn die Versprechen doch nicht so eingehalten werden können. 6 Der Arzt muss sich als Dienstleistungsunternehmer sehen und seine Patienten als Kunden. Jeder Kunde der Praxis beteiligt sich an der Rückzahlung der Kredite und finanziert den nächsten Urlaub des Arztes. Es empfiehlt sich daher, den Patienten wie den besten Freund zu behandeln. 7 Die Öffnungszeiten der Praxis sind nach den Bedürfnissen der Zielgruppen einzurichten. Der Vormittag am Samstag für Pendler und die Abendordination für Berufstätige dürfen kein Thema sein. Auskunft über die
Mögliche Gegenstrategien – Erfolgskriterien in der Wahlarztordination Bevölkerungsstruktur gibt die Standortanalyse. 8 Kollegen sollten Kollegen bleiben. Konkurrenzkampf bis auf das Messer bringt nicht wirklich Vorteile – Miteinander ist oft mehr. 9 Der erste Eindruck, den der Patient von der Ordination gewinnt, wird nicht durch die Person des Arztes bestimmt. Niemals kann ein unfreundlicher Empfang oder ein grobes Telefonat wettgemacht werden, da es meist hinter Ihrem Rücken passiert. Auf die Besetzung der Anmeldung ist größtes Augenmerk zu legen. 10 Geben Sie Ihren Patienten das Wertvollste – Zeit. Jede Minute mehr, die Sie Ihren Kunden widmen, bringt neue Kunden. Ein zufriedener Patient erzählt es anderen, ein unzufriedener vergrämt andere. Zehn goldene Regeln für wirtschaftlich erfolgreiche Praxisführung (etablierte Ärzte) 1 Die Ordination ist ein Dienstleistungsunternehmen, die Handlungsweise des Arztes muss sich an diesem Grundsatz orientieren. Die Zeit der Götter im weißen Mantel ist endgültig vorbei, auch wenn es zu Beginn der freiberuflichen Tätigkeit möglicherweise noch Reste davon gab. 2 Konkurrenz belebt das Geschäft. Junge Kollegen, die im Einzugsgebiet eines etablierten Arztes ihre Praxen eröffnen, müssen nicht zwangsläufig als lästige Mitbewerbergesehen werden, die vom Kuchen naschen wollen, sondern können auch Anstoß sein,
die eigene Qualität wieder einmal zu überdenken. 3 Der Arzt sollte wissen was seine Patienten wollen? Patientenumfragen sind „in“ – und auch durchaus sinnvoll, wenn sie anonym erfolgen und zum Beispiel dazu führen, dass Ordinationszeiten dem Bedürfnis der Patienten besser angepasst werden. 4 Berufliche Weiterbildung – eine lästige Verpflichtung? Jungen Kollegen starten vollgepfropft mit Wissen in ihre Tätigkeit. Auch der bereits etablierter Arzt muss sich trotz des täglichen Arbeitsdrucks um Weiterbildung kümmern, um die Entwicklungen der Medizin nicht zu verschlafen. Die Patienten merken Defizite spätestens dann, wenn sie zum ersten Mal einen „neuen“ Kollegen aufsuchen. 5 Eine Bank ein Leben lang? Hausbanken neigen dazu, sich der Treue ihrer Kunden allzu sicher zu sein. Die Kosten der Bankverbindung sollten von Zeit zu Zeit einem Vergleich unterzogen werden, gegebenenfalls sollte man sich nicht scheuen, die Bank zu wechseln. 6 Steuerberater oder Buchhalter? Wie oft pro Jahr nimmt sich der Steuerberater für eine Besprechung Zeit? Wie viele Ärzte betreut er, wie oft überrascht er den Arzt mit konstruktiven Vorschlägen – oder fungiert er lediglich als Buchhalter? Es kann nie schaden, regelmäßig die Zusammenarbeit mit allen Partnern einer Überprüfung zu unterziehen. 161
7 Versichern beruhigt? Wrongful birth, Long tail, Ereignistheorie, reine Vermögensschäden – haben Sie als Arzt diese Begriffe schon einmal gehört? Wenn nicht – sollte der Versicherungsberater gewechselt werden. 8 Der erste Eindruck entscheidet. Bei vielen Betrieben – auch in Ordinationen– schleicht sich im Laufe der Jahre eine gewisse Betriebsblindheit ein. Es kann nie schaden, einmal zu überprüfen, ob die Empfangsdamen die Patienten so behandelt, wie der Arzt selbst gerne behandelt werden möchte. Der Anruf eines Freundes oder eine Patientenbefragung kann Einblick in Bereiche geben, die durch Betriebsblindheit für den Arzt oft im Dunkeln liegen.
162
9 Der Arzt als Hans-Dampf-in-allen-Gassen? Mitarbeit in der Standesvertretung, standespolitisches Engagement, Mitgliedschaft in Verbänden und Vereinen – alles wichtige Verpflichtungen, die Zeit beanspruchen. Aber: Je öfter eine Praxis geschlossen oder durch einen Vertreter besetzt ist, desto häufiger werden die Patienten einen Arzt aufsuchen, der „da“ ist. 10 Personal ist zwar der größte Kostenfaktor in einer Arztpraxis, aber auch der größte Erfolgsfaktor. Beginnend beim ersten Eindruck der Rezeption wird bereits entschieden, ob der Patient bleibt. Motiviertes und gut ausgebildetes Personal schont vor allem die Engpassressource „Arbeitszeit Arzt“.
Resümee
Das österreichische „Krankenbehandlungssystem“ ist schwer defizitär. Ein Privatunternehmen in vergleichbarer Größe wäre bereits nach kurzer Zeit insolvent und vom Markt verschwunden. Bei diesem System handelt es sich allerdings um ein staatliches „Monopolunternehmen“, daher kann keine marktwirtschaftliche Bereinigung stattfinden. Die Gründe für die ausweglos scheinende Situation sind klar: Aus verschiedenen Budgettöpfen gespeist, weiß die „rechte Hand“ nur in geringem Ausmaß, was die „linke Hand“ macht. Die verschiedenen Bereiche werden sogar teilweise bewusst gegeneinander ausgespielt. Im niedergelassenen Bereich dominieren zahllose autarke Systeme, die allesamt „das Rad immer wieder neu erfinden“. Der Leistungsbereich wird ausschließlich von „Ökonomie“ geprägt, zumindest von dem, was Gesundheitspolitiker unter Ökonomie verstehen. Ökonomie bedeutet hier nicht, die vorhandenen Ressourcen bestmöglich zum Wohle der Versicherten einzusetzen. Ökonomie bedeutet für die Verantwortlichen, die bürokratischen und verwaltungstechnischen Hürden so anzulegen, dass dem Patienten möglichst elegant der Zugang zu jenen medizinischen Leistungen, die er braucht, erschwert wird. Die Entwicklung der Wahlärztezahl beweist das. Das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) behauptet zwar, dass diese Entwicklung wohl nur am Ausbildungsüberhang beim Medizinstudium liege. Durch zu viele Mediziner werden aber keine Wahlärzte erzeugt. Verantwort164
lich für deren steigende Zahl ist ausschließlich die Tatsache, dass immer mehr Pflichtversicherte mit einer von der Kasse zur Gänze finanzierten Leistung nicht zufrieden sind und sich am freien Markt unter Zuzahlung eine Ersatzleistung beschaffen. Ein Zeichen, dass die Sozialversicherungsträger offensichtlich ihren Aufgaben immer weniger nachkommen. Der Reformbedarf vom Krankenbehandlungssystem hin zu einem Gesundheitssystem wäre enorm. Reformen werden jedoch wahrscheinlich auch in der Zukunft an einer Unzahl an Lobbys scheitern, welche die erworbenen Pfründe absichern wollen und kaum den Blick für das Gemeinwohl haben. Wir haben daher keine Hoffnung, dass sich an der derzeit bestehenden Situation etwas verbessern wird, obwohl wir zahlreiche, zum Teil sogar leicht umsetzbare Vorschläge anbieten können. Somit bleibt also den Patienten und Ärzten nichts anders übrig, als sich an die Gegebenheiten anzupassen. Dem Patienten bleibt nur übrig, den Weg zum Wahlarzt anzutreten. Hier bekommt er das, was er benötigt und was sich in erster Linie mit Zeit definieren lässt – und das gleich vier Mal: Das erste Mal, wenn er bemerkt,
Resümee dass sein Bedarf mit der Abschätzung der zuständigen Gebietskrankenkasse nicht im Einklang steht. Dort wird ein Stellenplan in einer Weise vorgegeben, der an die Systeme der bereits untergegangenen Diktaturen im ehemaligen Ostblock erinnert, nämlich insofern, dass ganze Bezirke ohne Fachärzte bestimmter Fachrichtungen existieren und der Patient eine Unmenge an Zeit mit Fahrten in die umliegenden Bezirke verbraucht. Der Wahlärztemarkt reguliert sich diesbezüglich von selbst. Das zweite (Zeit-)Problem sind Wartezeiten auf Termine. Wo für Facharztbesuche bis zu einem Jahr für eine Terminvereinbarung gewartet werden muss oder Vertragsärzte keine neuen Patienten aufnehmen können, kann der Bedarf nicht gedeckt sein. Das ist Augenauswischerei zu ungunsten des Versicherten, der das System finanziert. Der dritte Faktor ist die Wartezeit beim Arzt. Es ist vollkommen unverständlich, dass Patienten selbst in Terminpraxen oft stundenlang warten müssen, bis sie zum Arzt kommen. Der Wahlarztpatient würde sich als Selbstzahler einen anderen Arzt suchen, Kassenpatienten lassen sich die durch nichts zu begründende Unverschämtheit leider noch allzu oft bieten. Wartezeiten in Terminpraxen sind (bis auf Ausnahmen, beispielsweise bei Notfällen) nämlich nur durch schlechte Organisation oder Böswilligkeit zu rechtfertigen.
Hauptfaktor für die Wahlarzt-Wahl ist die Behandlungszeit als vierter Zeitaspekt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Im Rahmen des Kassenvertrages ist für die Betreuung der Patienten nachweislich kein ausreichender Zeitrahmen vorgesehen. Kassenärzte sind in einer ausweglosen Situation. Es ist nicht zu erwarten, dass sich die Systematik der Verträge grundlegend ändert. Das bedeutet weiterhin unsinnige Limits und Degressionen, übertriebenen Verwaltungsaufwand und Honorargrößenordnungen, die eine legale Behandlung zumindest erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen. Eine inflationsbedingte Honorarautomatik wie bei Gehältern von Politikern oder Kassenverwaltungsangestellten ist auch in Zukunft nicht zu erwarten. Einziger Ausweg wäre eine Kündigung der Gesamtverträge, wie derzeit (Stand Juni 2006) in Kärnten. Ärzte erwarten dort jedoch – wie es bisher immer der Fall war – eine rechtzeitige Einlenkung ohne wesentliche Ergebnisse. Die Kündigung eines einzelnen Arztes bringt nichts, für die gesamtvertragliche Kündigung sind die Ärzte nicht homogen genug. Dass wissen auch die Gebietskrankenkassen, daher werden die Daumenschrauben weiter angezogen werden, obwohl die Schmerzgrenze längst überschritten ist. So bleibt nur die Alternative, die betriebswirtschaftlichen Agenden – wie in unserem Buch beschrieben – so gut wie möglich für 165
sich auszunutzen. Ein Blick auf die Wahlärzteschaft kann hier helfen. Viele Wahlärzte haben bereits gelernt, etwa Kooperationen sinnvoll anzugehen und mit modernen Marketingmethoden den Patienten an sich zu binden. Außerdem tut eine Vorbereitung Not, denn: Sollte sich wider erwarten doch etwas als Reform zu bezeichnendes tun, wird das sicher nicht zum Vorteil der derzeitigen Kassenärzte sein. Der Markt für Wahlärzte ist hingegen offen. Bedarf und Bedürfnisse im Gesundheitsbereich werden steigen, keine einzige Studie weist das Gegenteil nach. Die Kassen werden immer restriktiver. Immer mehr Mittel werden für Verwaltung statt für Behandlung aufgewendet. Patienten werden mündiger und lernen auch, dass Gesundheit etwas wert ist und daher auch etwas kosten darf. Wir schätzen, dass der Markt in Österreich etwa 10.000 zusätzliche Wahlärzte in den kommenden Jahrzehnten verträgt. Zusammengefasst unsere Vorstellungen von einem modernen, zukünftigen Gesundheitssystem
Wir stehen für die konsequente Einhaltung bestehender Gesetze, Beispiel Arbeitszeitgesetz eine Vereinheitlichung der Leistungskataloge im niedergelassenen Bereich 166
eine neue Definition der Leistungen auf Basis des derzeitigen medizinischen Wissensstandes den Wegfall von wie auch immer gearteten Limitierungen ärztlicher Leistungen – auch bei Wahlärzten, also ausschließlich „echte“ 80 Prozent-Regel eine Kalkulation der Ärztehonorare nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen eine Anpassung der extramuralen und intramuralen Finanzierungssysteme und Finanzierung aus einer Hand eine bessere Lenkung der medizinischen Leistungen in eine Richtung, wo sie sozial und ökonomisch Sinn machen den Abbau von Bürokratismus in den Ordinationen den Abbau von Bürokratismus in der Systemverwaltung; drei Hierarchieebenen zwischen Gesundheitspolitik und Ärzteschaft sind mindestens eine zuviel die Einführung von Dispensierrecht (Recht zur Medikamentenabgabe) für alle Ärzte den zeitlich unlimitierten Schutz der ärztlichen Hausapotheken mit Rechtssicherheit als beste und kostengünstigste Form der Medikamentenversorgung in Gebieten mit schwacher Infrastruktur den gleichen Zugang niedergelassener Ärzte zu alternativen Gesellschaftsformen wie für andere Kleinbetriebe die rechtliche Gleichstellung niedergelassener Ärzte mit anderen Unternehmern
Resümee einen vernünftigen Ausbau ärztlicher Kooperationsmodelle die Etablierung fairer Übergabemodelle mit nachvollziehbarer, gerechter und leistbarer Ablöse/Honorierung für Inventar und Betreuung während der Übergabephase die Etablierung von nachvollziehbaren, gerechten und trotzdem sinnvollen Nachfolgerichtlinien
das Recht auf freie Niederlassung in der Wahlarztordination für alle angestellten Ärzte ohne Einspruchsmöglichkeit durch den Rechtsträger „Lenkende“ Selbstbehalte in sinnvoller Größenordnung statt pauschale Geldbeschaffung ohne Lenkungsfunktion Keine Betragserhöhung ohne vorherige Optimierung der Gesundheitsverwaltung
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Epilog Von Christoph Reisner
Drei Jahre in der „Kammer des Schreckens“
Wie bei Harry Potter: Härtetest in einer neuen Umgebung
Dieses Kapitel enthält sehr persönliche und subjektive Eindrücke, die ich in meiner Funktion als hoher Kammerfunktionär (1. Vizepräsident der Ärztekammer für Niederösterreich) gewonnen habe. Es kommen aber auch Tatsachen und Fakten zur Sprache, die zeigen, dass eine aktive Kammerpolitik positive Auswirkung auf die Ärzteschaft hat.
Mein Einstieg in das Leben als Kammerfunktionär begann ohne konkrete Vorstellungen: Wie Harry Potter wusste ich nicht genau, was mich in der neuen Umgebung erwartet. Doch auch ich habe dort – wie schon andere vor mir – in einer bestimmten Phase die „Kammer des Schreckens“ gefunden und musste gegen das mächtige Ungeheuer kämpfen. Anfangs hörte ich Stimmen, die ich nicht zuordnen konnte. Man versuchte mich – so wie auch den Zauberlehrling – von hilfreichen Freunden zu isolieren. In dieser Situation hätte ich den unsichtbar machenden Tarnumhang oder seinen Zauberstab gut gebrauchen können, um wirkliche Freunde rascher von falschen unterscheiden zu können.
Die Kammerführung der Zukunft muss endlich wieder die Führungskompetenz, die den Ärzten auf Grund ihrer Fachkompetenz in Gesundheitsfragen zusteht, für sich in Anspruch nehmen und diesen Anspruch mit Vehemenz nach außen vertreten.
K A M M E R WA H L 2 0 0 3 ARGUS – Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Spitalsärzte
8 Mandate
Hausärzteverband
6 Mandate
Spitalsärzte NÖ
5 Mandate
Standesliste Zahnärzte
6 Mandate
TA B E L L E 11
Überparteilicher Ärzteverein (ÜPAV)
23 Mandate
Vereinigte Ärzte
5 Mandate
Wahlärzte und Mittelbau NÖ
6 Mandate
Kammerwahl 2003
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Epilog Aber so wie Harry Potter, habe auch ich überlebt. Er konnte sich bewähren und ich konnte meine Vorstellungen im Sinne der Ärzteschaft im Rahmen meiner Möglichkeiten verwirklichen und werde dies auch in Zukunft tun.
Nach der Kammerwahl 2003 in Niederösterreich Nach der Kammerwahl 2003 folgten die Koalitionsverhandlungen aller in der Kammer vertretenen Fraktionen. Die Ausgangssituation war folgende: Der ÜPAV stellt seit über 20 Jahren den Präsidenten und seit Etablierung des Kuriensystems den Kurienobmann in der Kurie der niedergelassenen Ärzte. Bereits in der Funktionsperiode 1999 bis 2003 wurden Versuche unternommen, diese Vormachtstellung und Machtkonzentration durch die Bildung einer breiten Koalition zu unterbinden. Damals war dieses Vorhaben jedoch gescheitert, da es dem ÜPAV gelungen war, einen einzelnen Mandatar zu einem Wechsel seines Stimmverhaltens NACH erfolgter Wahl zu bewegen. Dieser Mandatar hat übrigens seit 1999 eine lukrative Aufgabe in der Kurie der niedergelassenen Ärzte inne – ein Zufall?
Trotz Warnungen die Koalition gewagt Ich entschloss mich 2003 – gemeinsam mit meiner Fraktion Wahlärzte und Mittelbau NÖ – trotz Warnung einiger erfahrener Funkti-
onäre zu einer Koalition mit dem ÜPAV, da mir die Argumente der Führung dieser Fraktion glaubwürdig erschienen. Dies sicherte dem ÜPAV die Position des Präsidenten. Im Gegenzug erhielt unsere Fraktion die Position des 1. Vizepräsidenten. In dieser Phase kam ein Gründungsmitglied unserer Fraktion auf den Gedanken, dass nicht mir als Obmann des Vereins, sondern ihm die Position des 1. Vizepräsidenten zustehen würde. Diese Person erhob diesen Anspruch, obwohl sie sich in der Vorwahlzeit kaum mit Vereinsagenden oder Wahlzielen beschäftigt hatte. Rückblickend war es aus meiner Sicht so, dass dies bereits der erste von außen gesteuerte Versuch – von wem auch immer – war, unsere Fraktion und damit die Position der Wahlärzte in der Kammer zu schwächen. Wen würde es wundern, wenn diese Person ein Naheverhältnis zu einem langjährigen Kammerfunktionär mit Vorsitzfunktion und ÜPAV-Mitglied hätte? Um für die Zukunft Meinungsverschiedenheiten auszuschließen und eine Chancengleichheit bei der Besetzung herzustellen, wurde innerhalb unserer Fraktion die zu vergebende Position des 1. Vizepräsidenten durch Münzwurf entschieden, der zu meinen Gunsten ausfiel. Trotzdem folgten ständige Diskussionen, die schließlich dazu führten, dass die persona non grata unsere Fraktion verließ und nach Einhaltung einer entsprechenden Trauerzeit eine neue Heimat im ÜPAV fand. 171
Das erste Halbjahr und eine Umfrage, die für Unmut sorgte Im Juni 2003 übernahm ich also als 1. Vizepräsident der Ärztekammer für Niederösterreich mit vielen neuen Ideen die Leitung des Wahlarztreferates. Zwei Großprojekte prägten das erste halbe Jahr der Tätigkeit im Referat: eine Patientenbefragung und die Herausgabe des Wahlarztratgebers (siehe Seite 110). Die nächste Überraschung kam dann mit der Patientenbefragung. Bei Einlangen der Umfrageergebnisse in der Ärztekammer löste eine Antwort besonderen Unmut bei den kassenarztdominierten Fraktionen aus: Auf die Frage, warum Patienten einen Wahlarzt anstelle eines Kassenarztes aufsuchen, gaben 35 Prozent der Befragten an, dass „die bessere Qualität“ beim Wahlarzt für diese Entscheidung ausschlaggebend sei. Die erste Reaktion einiger Funktionäre war: „Das darf man nicht veröffentlichen.“ Das Ergebnis wurde schließlich doch präsentiert, wobei der Begriff „bessere“ weggelassen werden musste. Für mich überraschend und enttäuschend war, dass die Vertreter der Kassenärzte dieses Ergebnis nicht als Argument dafür nutzten, die Honorierung des Faktors „Zeit“ in entsprechender Form von den Krankenkassen einzufordern. Erst in den letzten Monaten fließt dieses Gedankengut auch in mediale Äußerungen von Kammerfunktionären ein. 172
Albträume von Gesprächen, die nie stattgefunden haben Meine Tätigkeit als Vizepräsident der Ärztekammer für Niederösterreich und Leiter des Wahlarztreferates belastet zuweilen auch meinen Schlaf. In manchen Nächten kann es vorkommen, dass dieser durch heftige Träume gestört wird. Da tauchen Gespräche auf, die ich vermeintlich geführt habe, die aber nicht durch Zeugen zu belegen und somit meiner Traumwelt zuzuordnen sind. Da ist einmal der Traum von Ausbildungszeugnissen. Es ist an und für sich ja nicht ungewöhnlich, dass Primarärzte Zeugnisse über Ausbildungszeiten ausstellen. In meinem Traum wurden aber Zeugnisse vorgelegt, in denen Ausbildungszeiten bestätigt wurden, obwohl der Auszubildende in dieser Zeit nicht einmal in einem Dienstverhältnis zu diesem Krankenhaus stand. Ich wachte auf und schlief dann wieder unruhig weiter. In meinem nächsten Traum wurden Ausbildungszeiten im Gegenfach bestätigt, obwohl die Anwesenheit des Kollegen an der jeweiligen Abteilung gerade einmal knapp 10 Prozent der vorgeschriebenen Zeit erreicht hatte. Ein übliches Vorgehen? Ein Kavaliersdelikt? Der Tatbestand der Dokumentenfälschung? Ich wachte auf, träumte aber gleichzeitig weiter und erzählte diese Träume einem hohen Kammerfunktionär. Dieser erklärte mir in einem Gespräch, das
Epilog nie stattgefunden hat, ich solle keinen Aufruhr machen wegen eines Gegenfaches. Ich konnte den Traum nicht zu Ende träumen, da mich die Wirklichkeit einholte und ich bemerkte, dass ich wach war. Dann war da der Traum von Medikamentenmustern: Ärztemuster von Medikamenten sind oft sehr hilfreich. Der Patient erhält das verschriebene Medikament sofort als Muster und kann mit der Einnahme gleich beginnen. Außerdem ist es ein Service, über das sich manche Patienten freuen. Ich träumte von manchen Ordinationen – und hier handelt es sich mit Sicherheit um Ausnahmen –, in denen Ärztemuster verkauft werden, obwohl darauf „unverkäufliches Ärztemuster“ klar und deutlich zu lesen ist. Ein solches Verhalten schadet dem Image der Ärzteschaft nachhaltig. Im Traum übernahm die Ärztekammer die Aufgabe, solchen Einzelfällen nachzugehen und diese Missstände abzustellen. Ich träumte auch von Vertretungsärzten: Gerade in Urlaubszeiten ist es oft sinnvoll, sich durch eine Kollegin oder einen Kollegen in der Ordination vertreten zu lassen. Im Duden steht unter „vertreten“ unter anderem zu lesen: „An die Stelle des anderen treten“. In meinem Traum erlebte ich einen Kollegen, der einen enormen Patientenzustrom hatte. Um sich nicht hoffnungslos zu überarbeiten und „auszubrennen“, entschloss er sich, einen Vertreter zu nehmen. Allerdings nicht um zeitweise statt ihm,
sondern ständig und zeitgleich mit ihm in der Ordination tätig zu werden. Eine äußerst sinnvolle Sache, träumte ich weiter. Die Möglichkeit der Anstellung von Ärzten bei Ärzten ist endlich legal ... Zu diesem Thema führte ich dann ein Gespräch mit einem hohen Kammerfunktionär. Dieser teilte mir mit, dass dies durchaus üblich sei und auch von der Krankenkasse (inoffiziell) gebilligt werde und außerdem ja niemand daraus Schaden erleide. Ich wusste nun tatsächlich nicht, ob ich wach war oder träumte, da ein solches Vorgehen eindeutig gegen die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen verstößt. Als ich erwachte, kamen mir folgende Überlegungen in den Sinn: Diese „österreichischen“ Lösungen, indem man Missstände, die man kennt, einfach totschweigt und denkt, dass sie deshalb nicht bestehen, sind nicht angetan, das Fremdbild der Ärztekammer positiv zu gestalten. Klare Regeln und die Einhaltung derselben ohne Wenn und Aber müssen in Zukunft an die Stelle eines weichen Zick-Zack-Kurses treten. In einem anderen Traum wollte ein Facharzt an Donnerstagen gerne ordentlich ausschlafen und sich der Familie widmen. Ein durchaus menschliches Bedürfnis. Da dies jedoch ein Tag war, wo die Ordination offen zu halten war, musste ein Vertreter gefunden werden. Es gestaltete sich jedoch äußerst schwierig, einen Facharzt für diese Aufgabe aufzutreiben. Aus dieser Not 173
heraus reifte der Entschluss, sich an diesen Tagen nicht von einem Facharzt, sondern einem in Ausbildung stehenden Arzt vertreten zu lassen. Dieser Facharzt wies bei Gelegenheit in einer Fachgruppensitzung auf die „hohe Qualität“ in seiner Ordination hin. Da sich hier offensichtlich Traum und Wirklichkeit vermischten, wurde ich mit Klage bedroht. Der Fall endete mit der Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des vertretenden Arztes, der in einem Schreiben klarstellte, dass er tatsächlich als Nicht-Facharzt Patienten in der Facharztordination behandelt hatte. Eine Klage gegen mich wurde bis jetzt nicht eingebracht. Im Traum führte ich zahlreiche Gespräche mit hohen Kammerfunktionären zu diesem Thema. Doch alle wollten auf mich einwirken, meine „Anschuldigung“ zurück zu ziehen. „Wir wissen doch, dass das oft passiert, aber reden wir doch nicht darüber“ – „Du als Vizepräsident musst doch hinter der Ärzteschaft stehen“ oder „… er kennt den ... gut…“ waren Argumente, die mich nicht wirklich überzeugen konnte. Manche nannten mich daher „Sturkopf“, ich bin aber froh, dass ich diesem Sturkopf noch ohne das Gefühl von Übelkeit in sein Spiegelbild schauen kann. Der Traum von der Zuzahlung zu Kassenleistungen: In diesem Traum war ich selbst Patient und suchte einen Fachkollegen auf. 174
Ich entschloss mich für einen Kassenarzt, da ich etwas knapp bei Kasse war. Ich gab meinen Krankenschein ab (damals gab es ihn noch), wurde gut beraten, alle meine Probleme schienen gelöst. Dann hörte ich die Stimme des Arztes: „Die Beratung kostet 100 Euro.“ Leider weiß ich nicht mehr, wie dieser Traum geendet hat. Träume dieser Art verfolgten mich eine Zeit lang gerade zu. So musste ich als Patient aufgrund einer geplanten Operation in einer Ordination einen Zuschlag für die Operationsaufklärung bezahlen, in einem anderen Fall einen Zuschlag für die Operation selbst. Manchmal höre ich ein Läuten an der Tür – ich wache schweißgebadet auf und sehe mich um, bemerke, ich sitze im Wohnzimmer und frage mich. War alles ein Traum? War es Realität? War es eine Mischung aus Traum und Wirklichkeit? Die ärztliche Hilfe gegen meine schrecklichen Träume kam von einem netten Freund. „Schreib alles auf!“ riet er mir, „du wirst sehen, es geht dir dann besser.“ Das habe ich getan. Hin und wieder gehe ich die Zeilen durch. Nur: Ich schlafe immer noch unruhig und träume schlecht. Es geht mir nicht besser und ich hoffe, dass diese Träume Einzelfälle sind und nicht wiederkehren. Für allfällige weitere ärztliche oder therapeutische Ratschläge aus dem Kreise der Leserschaft würde ich mich wirklich freuen.