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Roy Palmer
Verdammt zum Sterben
Das nächste Opfer ankerte auf der Reede vor Havanna—eine Handelsgaleon...
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Seewölfe 489 1
Roy Palmer
Verdammt zum Sterben
Das nächste Opfer ankerte auf der Reede vor Havanna—eine Handelsgaleone aus Calais. Aber Jean Ribault war nicht gewillt, einen Landsmann von Küstenwölfen überfallen und ausplündern zu lassen. Und darum warnte er den französischen Kapitän. Aber auch den Küstenwölfen legte er das schmutzige Handwerk, das sie im Auftrag des neuen Gouverneurs betrieben. Zusammen mit Roger Lutz pirschte er sich zu den zehn Sollen der Kerle, mit denen sie zu mitternächtlicher Stunde über ihre nichtsahnenden Opfer herfielen, betäubte die beiden Wachen und bohrte die Boote an. Die Löcher wurden mit Werg verstopft, aber die Boote würden Wasser ziehen, sobald die Kerle unterwegs waren. Und so geschah es auch. Dieses Mal wartete der Gouverneur vergeblich auf die Beute... Die Hauptpersonen des Romans: Alonzo de Escobedo - der Gouverneur von Kuba hat eine neue Idee, sich zu bereichern. Jussuf – kümmert sich um seine Täubchen und horcht sich in Havanna um. Miguel Cajega – der Fuhrunternehmer wird in die Residenz bestellt und einem Verhör unterzogen. Jean Ribault – tritt mit Roger Lutz einen Marsch nach Süden an, der an einem Wasserfall endet. Arne von Manteuffel – hat Vermutungen und kombiniert richtig.
1. Pablo Mendez und Jose Farina, zwei spanische Seesoldaten, waren am Vormittag des 6. Mai 1595 im Hafen von Havanna mit routinemäßigen Arbeiten an Bord einer der Wachschaluppen beschäftigt. Die einmastigen Schaluppen patrouillierten normalerweise vor der Hafeneinfahrt - jeweils acht, die im achtstündigen Turnus abgelöst wurden. Aufgabe der Besatzungen war es, einlaufende Schiffe zu kontrollieren und ausländische, also „nichtspanische“ Segler so lange auf der Reede vor dem Hafen festzuhalten, bis der Gouverneur entschieden hatte, ob die Kapitäne dieser Schiffe die Genehmigung zum Einlaufen erhielten oder nicht. Hinter dieser offensichtlichen Schikane verbarg sich ein verbrecherisches Komplott. Der Gouverneur von Kuba hatte es darauf angelegt, sich auf schnelle Weise zu bereichern. Deshalb ließ er Handelsfahrer, die nicht unter spanischer Flagge segelten, nachts ausplündern. Die Beute wurde in die Gouverneurs-Residenz
an der großen Plaza im Zentrum von Havanna gebracht. Ein Handlanger des Gouverneurs war der Teniente, der als Flottillenchef der Wachboote fungierte. Dieser Mann kontrollierte die Schiffe auf der Reede und konnte auf diese Weise ausspähen, bei welchen sich ein Fischzug lohnte und bei welchen nicht. Ferner gehörten zum Kreis der Verbündeten die Küstenwölfe, die nachts mit ihren Booten über die ahnungslosen Opfer herfielen, und die Maultiertreiber, deren Aufgabe es war, die an Land verfrachteten Beutegüter in die Residenz zu transportieren. Jetzt aber war der Teniente verschwunden. Spurlos - keiner wußte, wo er war. Auch Mendez und Farina hatten, keinen diesbezüglichen Verdacht, obwohl sie allerlei ahnten, was die geheimen Aktivitäten des Gouverneurs betraf. „Paß auf“, sagte Mendez halblaut zu Farina, während er ein Tau aufschoß, „das gibt jetzt Verdruß.“
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„Für wen denn, für uns vielleicht?“ fragte Farina, der ein wenig schwerfälliger im Denken war. „Ach wo“, erwiderte Mendez verstohlen grinsend. „Aber für den Gouverneur. Der hat sich eingebildet, so schlau und gerissen wie Don Antonio zu sein. Aber er wird noch einsehen müssen, daß er kein so großer Fuchs ist, wie er glaubt.“ „Aber wo, zur Hölle, steckt der Teniente?“ „Vielleicht hat ihm jemand das Maul gestopft“, brummte Mendez. „Für immer, meine ich. Vorstellen könnte ich es mir. Er hat seine vorlaute Klappe wieder mal zu weit aufgerissen, und irgendjemandem hat das nicht gepaßt.“ „Dem Gouverneur, meinst du?“ fragte Farina verblüfft. „Ach, ich weiß es nicht”, entgegnete Mendez. „Vielleicht ist er ja auch in der Residenz, und sie hecken gerade wieder eins ihrer krummen Geschäfte aus.“ „Und deswegen fehlt er beim Appell?“ „Frag nicht so blöd!“ zischte Mendez, dem die Bemerkungen des anderen allmählich auf den Geist gingen. „Ich bin kein Hellseher. Ich kann nur so einiges vermuten.“ Immer wieder blickten sie zum Kai. Dort stiefelten die Offiziere der Hafenwachbehörde auf und ab und warteten auf den Teniente, damit die Befehlsausgabe erfolgen konnte. Dazu gehörte auch die Einteilung der Wachtörns für die Schaluppen. Da aber der Teniente nicht erschienen war, lagen die Einmaster vorläufig noch an den Piers. Auch bei den anderen Seesoldaten herrschte Ratlosigkeit. Wo war der Teniente? Keiner wußte es - auch die Männer der Teniente-Schaluppe nicht. Sie ahnten von den Machenschaften des Tenientes sicherlich mehr als alle anderen, doch wo der Mann abgeblieben war, war auch ihnen nicht bekannt. Es wurde gemunkelt in Havanna, seit der neue Gouverneur Alonzo de Escobedo im Amt war. Es war erst knapp zwei Wochen her, seit der ehemalige Gouverneur Don Antonio de Quintanilla Havanna verlassen
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hatte. Don Antonio war an Bord einer Galeone, die zu einem großen Konvoi gehörte, zum Vaterland Spanien unterwegs - denn ihm wurde die große Würde zuteil, von Seiner Allerkatholischsten Majestät Philipp II. höchstpersönlich zum Vizekönig von Neu-Spanien und NeuGranada ernannt zu werden. Als seinen Nachfolger hatte er de Escobedo eingesetzt, der vormals Hafen- und Stadtkommandant von Havanna gewesen war. Daß Don Antonio Spanien nie erreichen würde, weil er Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, in die Hände gefallen war, wußte in Havanna niemand. Es war nicht einmal den Männern der „Goldenen Henne“ bekannt, die inzwischen - nach einigen Widrigkeiten - im Hafen eingetroffen waren. Sie hatten von Arne von Manteuffel nur erfahren, daß der dicke Don Antonio Havanna mit dem Geleitzug verlassen hätte. Alonzo de Escobedo kannte keine Skrupel, in diesem Punkt glich er Don Antonio. Nur war die Art, nach der er aus allem Kapital zu schlagen trachtete, anders. Don Antonio, der rein äußerlich schon wie der Inbegriff der Korruption wirkte, hatte es auf höchst raffinierte Weise verstanden, sich seine Pfründe zu schaffen und zu erhalten. De Escobedo war körperlich der Gegensatz des Dicken - ein hagerer Mann. In seiner Gier übertraf er seinen Vorgänger noch, doch in der Wahl der Mittel war er zu ungestüm. Don Antonio wäre es niemals eingefallen, auf der Reede ankernde Schiffe überfallen zu lassen. Pablo Mendez und Jose Farina verfolgten, wie auf dem Kai der Subteniente erschien. Er schien zu überlegen, was er tun solle. Dann fiel sein Blick auf die beiden Soldaten. „Mendez und Farina“, sagte er. „Ihr übernehmt als Schaluppenführer unverzüglich zwei Schiffe und lauft zur Reede aus. Wir dürfen keine weitere Zeit verlieren.“ Die Soldaten zeigten klar.
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„Welche Besatzung nehmen wir an Bord?“ fragte Mendez. „Ihr könnt sie selbst zusammenstellen“, erwiderte der Subteniente. „Ja, Senor“, sagte Mendez. „Und der Teniente?“ „Ich nehme an, daß der Teniente sich zur Zeit in der Residenz des Gouverneurs aufhält“, entgegnete der Subteniente. „Ich werde einen Boten hinschicken.“ Die Seesoldaten begaben sich kurz darauf an Bord der beiden Wachschaluppen. Mendez und Farina ließen alles zum Ablegen und Auslaufen vorbereiten. Insgeheim fragten sie sich, wie sie auf der Reede wohl der Kapitän der französischen Handelsgaleone begrüßen würde, die dort immer noch vor Anker lag. Der Mann würde inzwischen gewiß vor Wut toben. Aber was sollten sie dagegen unternehmen? Befehl war Befehl, und Dienst war Dienst. Der Subteniente trat unterdessen auf dem Kai auf einen anderen Soldaten zu und sagte: „Bove, du gehst sofort zur Residenz des Gouverneurs und erkundigst dich, wo der Teniente ist.“ Bove, ein stiernackiger Mensch mit rotem, vierschrötigem Gesicht, sah seinen Vorgesetzten ziemlich betroffen an. „Wen soll ich denn fragen, Senor Subteniente?“ „Den Gouverneur persönlich“, erwiderte der Subteniente. „Und wenn er nicht weiß,- wo der Teniente ist?“ „Dann kehrst du wieder hierher zurück und meldest mir das“, erwiderte der Subteniente ziemlich ungehalten. „Los, beweg dich! Lauf gefälligst!“ Bove setzte sich in Bewegung und verschwand in einer der Gassen. Er fluchte leise vor sich hin. Warum mußte er laufen und durfte sich kein Pferd nehmen? So nah war die Plaza, an der der Residenzpalast stand, nun auch wieder nicht. Wer war er denn? Ein Schnelläufer? Nein, dachte Bove aufgebracht, der letzte Dreck. Er hatte keine Lust, in der einsetzenden Wärme wie ein Verrückter durch die Stadt zu rennen. Lieber hätte er noch ein wenig am Hafen herumgelungert,
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bis um zwölf Uhr die Ablösung erfolgte. Danach hatte er vor, sich ein gutes Mittagsmahl zu genehmigen und einen ordentlichen Schluck Rotwein dazu zu trinken. Bis zur nächsten Wache hatte er dann noch genug Zeit. Juanita, seine Freundin, zu besuchen. Aber erst mal scheuchte der Subteniente ihn durch die Gegend. Und wenn der Teniente nicht in der Residenz war und man weiterhin nach ihm suchte, würde die Rennerei kaum ein Ende nehmen. Verdammter Teniente, dachte Bove, zur Hölle mit dir! Daß der Teniente dort inzwischen längst eingetroffen war, konnte er - wie alle anderen - nicht wissen. * Jean Ribault, Renke Eggens und die anderen Männer an Bord der „Goldenen Henne“ konnten sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Sie konnten alles genau verfolgen: die Ratlosigkeit und Unsicherheit der Spanier, das Auslaufen der beiden Wachschaluppen und den Einsatz des Boten, der mit zornig gerötetem Gesicht davoneilte. „Da“, sagte Ribault. „Der ist bestimmt zur Residenz unterwegs, um nachzusehen, wo der Teniente so lange bleibt.“ „Na, dann laß sie mal schön suchen“, sagte Renke Eggens. „Irgendwann wird ihnen wohl aufgehen, daß der saubere Teniente nicht mehr unter den Lebenden weilt.“ Der Teniente war von seinen eigenen Spießgesellen getötet worden - in der vergangenen Nacht, als die Kerle beschlossen hatten, „auf eigene Rechnung“ die französische Galeone zu überfallen und die Beute nicht bei de Escobedo abzuliefern. Der Teniente hatte gedroht, sie alle füsilieren zu lassen. Kaum hatte er das ausgesprochen, hatte er prompt ein Messer im Kreuz gehabt. Dann hatte die Bande den Toten in ein Boot verfrachtet und war aufgebrochen, um den „Franzmann“ zu entern. Doch sie hatten ihr Ziel nicht erreicht. Jean Ribault und Roger Lutz hatten die Boote
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heimlich angebohrt. Die Küstenwölfe waren baden gegangen - willkommene Opfer für die Haie, die sich vor dem Küstenufer herumtrieben. Mit Genugtuung beobachteten auch Arne von Manteuffel, Jörgen Bruhn und Isabella Fuentes von der Faktorei aus die Vorgänge im Hafen. „Das geschieht den Dons recht“, sagte Arne. „Und de Escobedo wird ganz hübsch ins Schwitzen geraten, schätze ich.“ „Hoffentlich“, sagte Isabella. „Dieser Widerling! Man sollte ihm das Handwerk legen!“ Sie war immer noch entrüstet darüber, wie de Escobedo sie angesehen hatte, als er am Vortag die Faktorei besucht hatte, um Schmiergeld für das Einlaufen der „Goldenen Henne“ zu kassieren. Ein richtiger Lüstling, dieser Mann! Er hatte sie sogar unter dem Kinn kitzeln wollen. Mehr noch - er hatte Arne gefragt, ob Isabella nicht als Zofe in der Residenz arbeiten könne. Arne hatte ihn jedoch darauf hingewiesen, daß Isabella gelegentlich an Wahnvorstellungen leide. Daraufhin hatte der sehr ehrenwerte Herr Gouverneur doch lieber auf das Mädchen verzichtet. „Bleib ganz ruhig“, sagte Jörgen Bruhn. „Ich glaube, Alonzo de Escobedo bricht sich noch selbst das Genick.“ „Das wünsche ich ihm von Herzen“, sagte Isabella grimmig. Jörgen grinste. „Und wer wird nach ihm Gouverneur?“ „Das steht in den Sternen“, erwiderte Arne. „Aber eins ist sicher: der ständige Wechsel von Autoritäten bekommt der Kasse des Handelshauses von Manteuffel nicht sonderlich gut.“ Richtig: am Vortag hatte Arne ein Ledersäckchen mit Goldtalern berappen müssen, um den werten Alonzo de Escobedo freundlich zu stimmen. Wenn das so weiterging, überstiegen die „Investitionen“ in den neuen Gouverneur bei weitem das Maß an Kapital, das Arne für den dicken Don Antonio hatte aufwenden müssen. Isabella und Jörgen verfolgten von einem der Fenster der Faktorei aus, was weiter
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am Hafen und insbesondere bei der Wachbehörde passierte. Arne indessen betrat den Hof und gesellte sich zu Jussuf und den Männern der „Goldenen Henne“, die damit beschäftigt waren, transportable Verschläge für die Brieftauben zu zimmern. Tom Coogan, der Schiffszimmermann, und Mel Ferrow, der Mann mit dem Haizeichen, sägten die Bretter zurecht und fügten sie entsprechend zusammen. Jussuf brachte mit einem großen Hammer die Nägel an. Einmal hieb er Mel Ferrow um ein Haar auf die Hand. „Mann, paß bloß auf“, sagte Mel Ferrow. „Hau dir lieber auf den eigenen Daumen.“ Jussuf lächelte schwach. „Selbstverständlich, mein Freund. Aber meine kleinen Lieblinge wären zu Tode erschrocken, wenn sie mich schreien hören würden.“ „Und was ist, wenn sie Mel schreien hören?“ fragte Tom Coogan. „Ach, sie kennen ihn ja nicht“, erwiderte Jussuf. Damit hatte Jussuf die Lacher wieder einmal auf seiner Seite. Auch Arne konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das war typisch Jussuf: stets zu Späßen aufgelegt. Auch in den kniffligsten und schwierigsten Situationen verlor er seinen Humor nicht. „So“, sagte Coogan. „Jetzt zimmern wir noch zwei Käfige zurecht, dann sind wir fertig.“ „Und bald können wir wieder auslaufen“, fügte Mel Ferrow hinzu. „Es wird auch Zeit, daß wir die Verbindung zwischen der Cherokee-Bucht und hier endlich herstellen. Jussuf, bist du sicher, daß deine Vögelchen die neue Lage kapieren und sich darauf einstellen?“ Jussuf zeigte sich empört. „Sicher? Ich habe nicht den geringsten Zweifel! Meine Lieblinge haben mehr Grips in ihren Köpfchen als du!“ „Langsam“, sagte Ferrow mit ziemlich drohender Miene. „Oder gleich gibt's Zunder!“ „Streitet euch nicht“, mischte Arne sich ein. „Und du, Jussuf, solltest deine Zunge im Zaum halten.“
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„Natürlich!“ stieß Jussuf mit geweiteten Augen hervor. „Aber ich verteidige doch nur meine gefiederten Schätzchen! Ist das nicht mein gutes Recht?“ „Ja, schon gut“, entgegnete Arne. „Keiner will deine Tauben beleidigen. Sie werden uns auch weiterhin nützliche Dienste erweisen, wie sie es im Pendelverkehr zwischen Havanna und der SchlangenInsel getan haben.“ Mel Ferrow nahm Jussuf den Hammer ab und trieb selbst die Nägel in das Holz. „Alles ganz schön und gut“, meinte er. „Aber wir müssen Jussufs Anwesenheit an Bord erdulden. He, Tom, was meinst du? Halten wir das bis zur Cherokee-Bucht durch?“ „Mal sehen“, erwiderte der bärtige Mann. „Wenn er zu vorlaut wird, können wir ihn ja auch in die Vorpiek der ‚Henne' stecken.“ „Das würdet ihr mir antun?“ fragte Jussuf entsetzt. „Feine Kameraden seid ihr!“ So ging es weiter. Das Gespräch der Männer begleitete die Arbeiten. Tatsächlich war es einer der Hauptgründe, warum Jean Ribault und die Crew der „Goldenen Henne“ samt Renke Eggens und fünf anderen Deutschen auf Hasards Befehl nach Havanna gesegelt waren: Jussuf und seine Tauben sollten zur Cherokee-Bucht zurücksegeln, damit die Tiere von dort aus etappenweise auf die neue Flugroute Südwesten-zum-Westen beziehungsweise Nordosten-zum-Osten, also Cherokee-Schlangen-Insel - Havanna und umgeeingetrimmt werden konnten. Die neue Position des Schlupfwinkels brachte in dieser Hinsicht einen wesentlichen Vorteil mit sich. Im Gegensatz zur früheren Flugroute Schlangeninsel-Havanna und umgekehrt betrug die neue Distanz zwischen der Cherokee-Bucht und Havanna nur etwa 400 Meilen Luftlinie. Zuvor war die Entfernung ungefähr doppelt so groß gewesen. Folglich würde sich auch die Flugzeit der Brieftauben entsprechend verringern. Sie würden in Zukunft die Route in sieben Stunden bewältigen;
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vorher waren es an die vierzehn Stunden gewesen. Diesen Vorteil konnten die Männer des Bundes der Korsaren nicht hoch genug einschätzen, zumal sich ja auch der Anmarschweg zum „Kampfgebiet” in der nördlichen Florida-Straße von Great Abaco aus ganz erheblich verkürzt hatte. Die Männer vom Bund der Korsaren hatten die Schlangen-Insel verloren, aber mit dem neuen Stützpunkt hatten sie taktische und strategische Vorteile gewonnen. Unter diesem positiven Aspekt setzten sie ihr Werk fort - und fieberten bereits neuen Aktionen entgegen. Daß Hasard, Ben Brighton und der Wikinger inzwischen den Konvoi mit der „Isabella IX.“, der „Chubasco“ und dem Schwarzen Segler angegriffen und „aufgeknackt“ hatten, wußten die Männer in Havanna noch nicht. Während auf dem Hof der Faktorei die Verschläge für die Brieftauben gezimmert wurden, waren die anderen Männer der „Goldenen Henne“ damit beschäftigt, das Schiff mit jenen Gütern zu beladen, die im neuen Stützpunkt an der Cherokee-Bucht gebraucht wurden: geschnittene Hölzer, geschmiedete Nägel in jeder Größe und Dicke, Tauwerk, Segeltuchund Stoffballen sowie auch Nähzeug, Küchengeräte, Geschirr, Stoffe und Seife für die Ladys, die eine entsprechende Liste angefertigt hatten und auf die Waren warteten. Jean Ribault beobachtete durch einen Kieker, wie die beiden Wachschaluppen den Hafen verließen und durch die Zufahrt zwischen dem Castillo de la Punta und dem Castillo del Morro auf die Reede hinaussegelten. Wieder mußte Ribault grinsen, denn er dachte daran, wie der Kapitän der französischen Handelsgaleone, Marcel Giraud, die Spanier empfangen würde. * Giraud blickte mit grimmiger Miene zu den beiden Einmastschlaluppen, die sich seinem vor Anker liegenden Schiff näherten. Kaum waren sie auf Rufweite
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heran, preite er ihre Besatzungen an: „Wahrschau! Was geht hier eigentlich vor, zur Hölle noch mal? Was ist das für eine Sauerei, einem friedlichen Handelssegler die Einfahrt in den Hafen zu verweigern?“ „Senor!“ rief Pablo Mendez, der eine der beiden Schaluppenführer, zurück. „Das ist nicht unsere Schuld!“ „Es ist mir scheißegal, wer die Schuld hat!“ brüllte Giraud. „Sagen Sie Ihrem Gouverneur und Ihren verdammten Hafenbehörden, daß ich den bürokratischen Dreck satt habe!“ Er ließ noch einige saftige Flüche vom Stapel, die seine Worte bekräftigen sollten. Mendez und Farina blickten betroffen drein, und auch ihre Besatzungen waren noch ratloser, als sie das im Hafen von Havanna gewesen waren. Sie wußten nicht, daß der Kapitän der Galeone sie bewußt „zur Schnecke machte“. Giraud bereitete es ein geradezu diebisches Vergnügen, nach den Ereignissen der Nacht jetzt die Spanier kräftig zur Brust zu nehmen. „Verfluchter Mist!“ schrie er. „Wir sind schließlich an die sechs Wochen auf See gewesen! Und da ist es eine Rücksichtslosigkeit, Mannschaft und Kapitän auf Reede warten zu lassen! Zumal wir Trinkwasser und Proviant ergänzen müssen!“ „Senor, beruhigen Sie sich!“ rief Farina. „Ich will mich aber nicht beruhigen!“ brüllte Giraud zurück. „Wir sind keine Bettler, merkt euch das, ihr spanischen Satansbraten!“ „Senor!“ schrie nun auch Mendez noch einmal, aber weiter gelangte er nicht. Giraud brüllte schon wieder. „Wir sind ehrliche Kauffahrer!“ stieß er hervor. „Und wir haben es nicht nötig, uns hier schikanieren zu lassen! Entweder läßt man uns innerhalb einer Stunde einlaufen, oder wir suchen uns für unsere Geschäfte einen anderen Hafen, wo man mehr Wert legt auf gute Handelsbeziehungen als in Havanna! Verstanden?“ Mendez und Farina tauschten einen Blick miteinander. Sie sahen ziemlich begossen aus. Recht hatte er, der Franzose, sie an seiner Stelle hätten sich wohl noch viel
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schlimmer aufgeführt. Aber das konnten sie natürlich nicht offen eingestehen. Sie suchten nach Worten. Mendez war es schließlich, der sich wieder an den Franzosen wandte. Er blickte zu dem blondbärtigen, stämmigen Mann mit den energischen Zügen hoch und sagte: „Senor, wir haben verstanden. Wir können uns nur mit der Order des Senor Gouverneurs entschuldigen.“ „Wissen Sie, was Ihr Senor Gouverneur mich kann?“ rief Giraud barsch. Mendez räusperte sich. „Ich glaube schon. Aber er hat die Order erlassen, daß fremde Schiffe nicht sofort einlaufen dürfen, und wir müssen uns danach richten.“ „Noch einmal“, sagte Giraud laut und vernehmlich. „Meine Leute und ich warten jetzt noch eine Stunde. Danach gehen wir ankerauf und laufen einen anderen Hafen an - zum Beispiel Cartagena. Dort ist man bestimmt freundlicher und gewillter, ein paar gute Geschäfte mit uns abzuschließen.“ Mendez biß sich auf die Unterlippe. Sein Bruder hatte in Havanna vor kurzem den Laden eines Schiffsausrüsters übernommen. Er konnte gar nicht genug Kunden kriegen, um das Geschäft richtig anzukurbeln, und immer, wenn jemand nach einem Ausrüster fragte, verwies auch Mendez den Betreffenden sofort an seinen Bruder. Sicherlich brauchte auch der Franzose für sein Schiff das eine oder andere Zubehör. So war einer der vom Verdienstausfall Betroffenen Mendez' Bruder, falls der Franzose den Anker lichtete und die Reede von Havanna verließ. Mendez und Farina gehörten nicht zu den Männern, die als Handlanger für den Gouverneur de Escobedo arbeiteten. Sie ahnten aber - besonders aufgrund der letzten Vorkommnisse -, daß hier auf der Reede des Nachts recht üble Dinge passierten, in die ihr verschwundener Teniente und der Gouverneur verwickelt sein mußten.
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Mendez schaute wieder zu Giraud hoch und sagte: „Senor, wir werden uns um die Einlaufgenehmigung kümmern.“ „Dann beeilen Sie sich“, sagte Giraud. „Sonst könnte es sein, daß Sie uns bei Ihrer Rückkehr nicht mehr vorfinden.“ Mendez gab seinen Männern das Zeichen, die inzwischen aufgetuchten Segel der Schaluppe wieder zu setzen. „Ich segle in den Hafen zurück“, sagte er zu Farina. „Halte du hier solange die Stellung.“ „In Ordnung“, erwiderte Farina. Etwas Besseres fiel ihm ohnehin nicht ein. Und was konnte man anderes unternehmen? Die Schaluppe von Mendez kehrte in den Hafen zurück. Farina und dessen Männer nahmen mit ihrer Schaluppe ebenfalls wieder Fahrt auf und segelten vor der Hafeneinfahrt auf und ab. Giraud wandte sich grinsend zu seinen Männern um. „Ist das nicht herrlich? Ich möchte mal das Gesicht des Gouverneurs sehen, wenn er erfährt, daß man unser Schiff nicht geentert hat und wir alle noch am Leben sind.“ „Ich würde ihm gern was reinhauen in das Gesicht“, brummte einer der Männer. „So ein Dreckskerl. Wenn wir von unserem Landsmann nicht gewarnt worden wären, hätte man uns die Gurgeln durchgeschnitten.“ Ja, der Landsmann - sie kannten zwar immer noch nicht den Namen ihres Freundes und Helfers, aber sie waren sich darüber einig, daß der Mann ein feiner Kerl war. Das einzige, was Giraud bedauerte, wenn er die Reede von Havanna doch verließ, war die Tatsache, daß er diesen Mann nicht wiedersehen würde. Jean Ribault war es gewesen, der Marcel Giraud am Vortag entsprechend unterrichtet hatte. Mit Costa, dem Fischer, war er unbemerkt auf die Reede und an Bord der französischen Galeone gelangt. Giraud hatte, als er von dem geplanten Überfall auf sein Schiff erfahren hatte, die Galeone sofort gefechtsklar machen lassen. Ribault hatte ihm empfohlen, nach Cartagena auszulaufen, doch Giraud hatte beschlossen, noch die Nacht und den
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nächsten Morgen abzuwarten. Im übrigen hatte Jean Ribault seinen Landsleuten auch berichtet, was in der Vornacht mit der portugiesischen Galeone und deren Besatzung geschehen war, Die Küstenwölfe, die die französische Galeone ausplündern wollten, waren allesamt den Haien zum Opfer gefallen. Jean Ribault und Roger Lutz hatten durch ihre Aktion die Bande vernichtet. Doch wie würde der Gouverneur reagieren? 2. Alonzo de Escobedo, seines Zeichens neuer Gouverneur von Kuba, hatte eine schlechte Nacht hinter sich. Er betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Es war grau, unter den Augen zeichneten sich Schatten ab. Er stieß eine üble Verwünschung aus und überlegte, ob er noch einen Schnaps trinken solle. Aber nein, besser nicht, er hatte während der Nacht bereits zuviel von dem scharfen Zeug verputzt. Der Kater hatte nicht auf sich warten lassen. De Escobedos Schädel schmerzte, in seinen Schläfen pochte es. Ihm war rundum elend zumute. Seine Laune, die sich nach dem erfolgreichen Beutezug der Nacht vom 4. auf den 5. Mai bis zur Euphorie gesteigert hatte, war auf den Nullpunkt gesunken. Vergeblich hatte de Escobedo in der vergangenen Nacht auf die Beute gewartet, die der Maultierzug unter der Führung des Teniente hätte bringen sollen. Was war geschehen? War etwas schief gelaufen? De Escobedo zermarterte sich das Hirn über diese Frage. Hätte er jetzt erfahren, daß der Teniente erstochen und sein Mörder, ein Pirat namens Fiarro, samt dessen Kumpanen von Haien zerfetzt worden war, dann hätte sicherlich die Flasche Schnaps, die er in seinem Arbeitszimmer bereitstehen hatte, nicht ausgereicht, den Schreck zu dämpfen. Alonzo de Escobedo hatte im Moment nur noch die eine Hoffnung - daß der Teniente aus irgendwelchen Gründen im Hafen geblieben war und die neue Beute aus der französischen Galeone irgendwo versteckt
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hatte. Aber warum erschien der Teniente nicht, um ihm alles zu melden? Die Zeit verstrich. Nichts ereignete sich. Der Gouverneur trat auf einen der Balkone des Palastes und blickte auf die Plaza. Aber das Licht war zu hell, die Sonne stach in seine Augen. Er kniff sie zusammen und zog sich fluchend wieder zurück. Als er jedoch die Balkontür schloß, bemerkte er eine Gestalt, die über die Plaza lief. Ein Soldat! War es der Teniente? Richtig konnte de Escobedo es nicht erkennen. De Escobedo knallte die Tür zu und eilte in sein Arbeitszimmer. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Auch die Kopfschmerzen nahmen zu. Verdammter Schnaps, dachte er. Aber die Aussicht, jetzt alles über die Ereignisse der vergangenen Nacht zu erfahren, verdrängte den Katzenjammer. De Escobedo setzte sich an seinen Schreibtisch und blickte erwartungsvoll zur Tür. Jemand klopfte an. ' „Herein!“ rief de Escobedo. Corda, der Sekretär, öffnete die Tür und steckte seine spitze Nase zum Spalt herein. „Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich“, sagte er. De Escobedo wollte ihn zum Teufel wünschen, bezwang sich aber. „Was gibt es, Corda?“ fragte er. „Ein Bote von der Hafenwacht wünscht Sie zu sprechen, Exzellenz.“ „Wer? Der Teniente? Endlich.“ „Es ist nicht der Teniente“, erwiderte Corda mit seinem dünnen Lächeln, das de Escobedo unerträglich fand. „Es ist ein einfacher Soldat.“ „Auch gut“, sagte der Gouverneur. „Er soll reinkommen.“ Corda zog sich zurück. Dieser Kerl! De Escobedo hätte ihn am liebsten hinausgeworfen. Aber das konnte er nicht tun. Er hatte Corda als Sekretär von Don Antonio de Quintanilla gewissermaßen übernommen. Wenn Don Antonio Vizekönig war und erfuhr, daß man seinen Mann Corda schlecht behandelt hatte, konnte das schlimme Auswirkungen haben. Vor solchen Auswirkungen wollte
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de Escobedo nach Möglichkeit bewahrt bleiben. Dennoch konnte er Corda nicht leiden, und ihr Verhältnis war ziemlich frostig und unpersönlich. De Escobedo wurde den Verdacht nicht los, daß Corda von Don Antonio den Auftrag hatte, ihn, den neuen Gouverneur, zu bespitzeln. Polternde Schritte näherten sich. Der Soldat betrat das Arbeitszimmer und salutierte. „Bove, Bote des Subteniente“, verkündete er. „Wie bitte?“ De Escobedo glaubte, sich verhört zu haben. Lag das an dem Schnaps oder an der ziemlich schlaflosen Nacht, die er hinter sich hatte? „Bove, der Bote“, sagte Bove. „Willst du mich zum Narren halten, Kerl?“ fuhr de Escobedo ihn gereizt an. Seine Nerven waren wirklich schwer strapaziert. „Nein, Senor“, erwiderte Bove. „Ich heiße so.“ Bove, Bove, dachte der Gouverneur und musterte den Soldaten in einer Mischung aus Arroganz und Spott. Wie konnte der Mensch so einen Namen haben? War das normal? Nun, eigentlich sah er ganz normal aus, wenn auch etwas schwerfällig und bieder. „Der Teniente schickt dich also“, sagte de Escobedo. „Das hätte er auch schon früher tun können. Was ist eigentlich los?“ „Es ist nicht der Teniente, der mich schickt“, berichtigte ihn der Soldat. „Sondern der Subteniente.“ De Escobedo sah ihn lauernd an. Wollte sich dieser Idiot über ihn lustig machen? Zum Teufel, war denn heute alles verdreht? „Der Sub ... was?” fragte de Escobedo leise. „Der Subteniente, jawohl.“ Bove begann unter seinem Helm zu schwitzen. Er hatte es ja geahnt. Der Auftrag des Subteniente brachte ihm nur Ärger ein. Warum war der Subteniente eigentlich nicht selbst zur Residenz marschiert? De Escobedo trommelte mit den Fingern der rechten Hand auf der Schreibtischplatte herum. „Na gut, meinetwegen. Und was
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hast du zu vermelden, Bursche? Wo steckt der Teniente?“ „Das wissen wir nicht, Senor“, entgegnete Bove, dem es immer mulmiger zumute wurde. „Er ist verschwunden.“ De Escobedo stieß einen keuchenden Laut aus. „Ist das dein Ernst? Wohin ist er denn verschwunden?“ „Das ist nicht bekannt.“ „Wie? Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!“ „Er ist weg“, sagte Bove. Was sollte er sonst sagen? Daß eine Hexe mit dem Teniente auf einem Besen davongeflogen sei? Daß es in Havanna spuke? „Weg“, murmelte de Escobedo betroffen. Jemand schien glühende Nadeln in seinen Kopf zu bohren. Ihm wurde fast übel. Seine Nerven waren wie Saiten gespannt und drohten zu reißen. Jetzt dämmerte ihm allmählich doch, daß in der letzten Nacht etwas schiefgegangen sein mußte. Benommen erhob er sich von seinem geschnitzten Gestühl. „Ist das alles?“ fragte er. „Ja, Senor“, erwiderte Bove. „Ich sollte fragen, ob der Teniente wohl hier irgendwo ist.“ „Hier?“ De Escobedo schüttelte wie in Trance den Kopf. „Unsinn, hier ist er nicht.“ Er schritt quer durch das Arbeitszimmer, riß die Tür auf und schrie: „Corda! Corda!“ Corda stand bereits neben ihm und sagte: „Exzellenz wünschen?“ De Escobedo fuhr zusammen. Wieder stieß er einen Fluch aus. Es war nicht das erste Mal, daß Corda wie aus dem Boden gewachsen neben ihm erschien, seit er das Amt des Gouverneurs übernommen hatte. Der Kerl war ein Wiesel - ein Schleicher, der seine Augen und Ohren überall hatte und sich gleichzeitig an mehreren Plätzen aufzuhalten schien. „Die Kutsche“, sagte de Escobedo schroff. „Ich brauche die Kutsche.“ „Die Karosse steht im Hof bereit, Senor“, erwiderte Corda. Konnte der Hund etwa auch Gedanken lesen? Hatte er geahnt, daß de Escobedo seine Prunkkarosse brauchen würde? De
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Escobedo hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzugrübeln. Es war nur gut, daß die Kutsche schon im Hof wartete, so verlor er keine Zeit. De Escobedo eilte auf den Hof. Ein Lakai öffnete ihm den Schlag der Prunkkarosse. De Escobedo stieg das Treppchen mit den zierlich gedrechselten Säulchen und dem verzierten Handlauf hoch und ließ sich auf der gepolsterten Bank nieder. Das Treppchen wurde entfernt, die Lakaien stiegen auf, und die Karosse rollte an. Ein anderer Lakai öffnete das Tor. Im Eiltempo verließ die Kutsche den Hof der Residenz und rollte zum Hafen. Bove war dem sehr ehrenwerten Gouverneur auf den Hof gefolgt. Er hatte gehofft, de Escobedo würde ihn mitnehmen - zumindest auf der hinteren Sitzbank der Lakaien -, doch er hatte sich getäuscht. Weg war die Karosse. „Du kannst gehen, Bove“, sagte eine Stimme hinter seinem Rücken. Der Soldat drehte sich um und blickte in Cordas listig verkniffenes Gesicht. „Zu Fuß?“ „Wie denn sonst?“ fragte Corda katzenfreundlich. Bove verließ die Residenz und lief zum Hafen zurück. Einige der Menschen, die in den Gassen unterwegs waren, drehten sich nach ihm um und schauten ihm verwundert nach. Sie hatten beobachtet, wie er auf die Plaza gestürmt war. Jetzt kehrte er wieder zurück. Was hatte das zu bedeuten? Was ging hier vor? Das fragte sich ein Pedrito, ein stadtbekannter Pennbruder und Säufer. In der Nacht, in der die Piraten die portugiesische Galeone ausgenommen und anschließend versenkt hatte, war Pedrito der Maultierkolonne zufällig begegnet. Zwar war er sturzbetrunken gewesen, doch der Teniente hatte ihn durch einen gezielten Musketenkolbenhieb zu Boden schicken und in eine Toreinfahrt schleppen lassen. Keiner durfte wissen, was sich ereignet und wer die geraubten Güter in die Residenz gebracht hatte. Nur schwach konnte sich Pedrito der Vorgänge entsinnen. Für ihn war das
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schlimmste nicht der Kolbenhieb gewesen, sondern die Tatsache, daß er die leere Flasche verloren hatte, die er bei Morales, dem dicken Wirt, mit Wein hatte auffüllen lassen wollen. Als Pedrito wieder zu sich gekommen war, war es im übrigen zu spät gewesen, noch bei Morales vorbeizuschauen. Immerhin erinnerte sich Pedrito jedoch, in seinem Rausch eine Kolonne Maultiere beobachtet zu haben. Und den Teniente hatte er ganz dicht vor sich gehabt - zum Greifen nah. Was, zur Hölle, der Teniente mit den Maultieren hatte anfangen wollen, vermochte Pedrito nicht zu erraten. Auch wußte er nach wie vor nicht, wem er die Beule an seinem Kopf zu verdanken hatte. Doch eins war sicher: den Teniente hatte er erkannt. Und eben jener Teniente war jetzt spurlos verschwunden, wie sich herumgesprochen hatte. Pedrito war von Natur aus neugierig. Er versuchte, herauszubekommen, was im Hafen vor sich ging. Er hatte ja auch sonst nichts anderes zu tun. So schlurfte er durch die Gassen, hielt mal hier und mal dort an, fand einen Gönner, der ihm einen Becher Wein ausgab, und lungerte schließlich am Hafen unweit der Wachbehörde herum. Hier tat sich inzwischen etwas. Alonzo de Escobedo, der Gouverneur, gab sich die Ehre, bei der Hafenwachbehörde einzutreffen und seine Prunkkarosse zu verlassen. Dann stolperte auch der Soldat Bove heran und meldete sich bei dem Subteniente zum Dienst zurück. Der Subteniente beachtete ihn jedoch nicht, er hatte jetzt genug mit de Escobedo zu tun. Bove war das nur recht. Er zog sich unauffällig zurück und mischte sich wieder unter seine Kameraden. Diese wollten von ihm wissen, ob der Teniente in der Residenz sei. Bove schüttelte nur den Kopf. Pedrito hockte sich auf die Stufen eines Hauseingangs und verfolgte, was sich weiter abspielte. Er registrierte die Nervosität und Unruhe des neuen Gouverneurs und die allgemeine Ratlosigkeit. All das, so befand Pedrito, war sehr, sehr interessant.
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De Escobedo ließ sich von dem Subteniente zunächst zu der Besatzung der Schaluppe führen, die von dem Teniente befehligt worden war. Die Soldaten sahen ihn fragend an -etwa so, als könnten sie seiner Miene entnehmen, was mit dem Teniente geschehen sei. Doch der Gouverneur war keine Spur klüger als sie. Nur schwante ihm einiges, und ihm wurde immer blümeranter zumute. „Wo ist der Teniente?“ fragte er barsch. „Senor Gouverneur“, erwiderte einer der Soldaten, der von seinen Kameraden als Wortführer vorgeschoben wurde. „Das wissen wir nicht.“ „Wann habt ihr ihn das letzte Mal gesehen?“ „Gestern abend.“ „Wann war das?“ Der Soldat nannte die Zeit, dann fügte er hinzu: „Und der Teniente hat die Schaluppe verlassen - wegen dienstlicher Besprechungen, wie er sagte. Bisher ist er noch nicht zurückgekehrt.“ „Das sehe ich selbst“, versetzte de Escobedo unwirsch. Welcher Art die „dienstlichen Besprechungen“ gewesen waren, wußte er selbst ja am besten. „Habt ihr in der letzten Nacht irgendwelche besonderen Vorkommnisse bemerkt?“ „Hier oder auf der Reede?“ erkundigte sich der Subteniente. „Draußen natürlich“, entgegnete der Gouverneur. Die Schaluppen versahen tagsüber den Patrouillendienst auf der Reede. Ab Einbruch der Dunkelheit bis zum Morgen riegelten sie die Einfahrt in den Hafen von Havanna ab. Falls also auf der Reede etwas vorgefallen war, dann waren die Besatzungen dieser Schaluppen die einzigen, die eventuell etwas bemerkt haben konnten. Der Subteniente begann zögernd zu berichten. Auch er gehörte nicht zum Kreis der Halunken, von denen die nichtspanischen Schiffe auf Reede ausgenommen wurden - und auch er hatte
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wie Mendez und Farina eindeutige Vermutungen, was die geheimnisvollen Vorgänge der Nacht und das Verschwinden des Teniente betraf. „Nun, das ist so“, sagte der Subteniente. „Nach Mitternacht haben wir auf See etwa in nordwestlicher Richtung für ein paar Minuten gellende Schreie gehört. Aber wegen der Dunkelheit haben wir natürlich nichts gesehen.“ „Schreie?“ ächzte Alonzo de Escobedo. Der Subteniente bestätigte es durch ein rasches Kopfnicken. „So ist es. Da wir aber vom Teniente den strikten Befehl haben, uns um nichts zu kümmern, was nachts auch immer auf der Reede passieren möge, habe ich Abstand davon genommen, auszulaufen und nach dem Rechten zu. sehen.“ De Escobedo stöhnte auf und hatte ein ganz gräßliches Schlittern in den Knien. „Gellende Schreie?“ wiederholte er noch einmal. „Etwa Todesschreie?“ „Ja, so hat es geklungen“, entgegnete der Subteniente. De Escobedo begriff. Der Angriff auf die französische Galeone war ein Reinfall geworden, eine totale Niederlage. Tot - die ganze Bande. So erklärte sich auch, warum der Teniente nicht wiederaufgetaucht war. Aber wie hatte das geschehen können? Oder irrte er, de Escobedo, sich, gaukelte die Phantasie ihm - noch vom Schnaps beeinflußt - etwas vor? In diese Situation hinein ging Mendez' Schaluppe längsseits, die von der auf der Reede ankernden französischen Galeone zurückkehrte. Mendez hatte den Gouverneur entdeckt und erkannt. Gut so, dachte er, dann kann ich ihn ja gleich nach der Genehmigung fragen. Die Schaluppe legte an und wurde vertäut. Pablo Mendez kletterte auf die Pier und trat zu de Escobedo und dem Subteniente, die nach wie vor bei der Crew der Teniente-Schaluppe standen. „Senor Gouverneur“, sagte Mendez. „Wir sind soeben draußen bei der französischen Galeone gewesen. Deren Kapitän möchte wissen, was los sei. Darum bitte ich Sie um
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die Entscheidung, ob die Galeone nun endlich einlaufen kann.“ „Aha, die Galeone“, sagte de Escobedo. Man sah ihm an, wie verwirrt er war. Es schien ihn allergrößte Mühe zu kosten, die Fassung nicht vollends zu verlieren. „Der Kapitän ist sehr ungehalten“, erklärte Mendez, „weil man ihm als einem friedlichen Handelsfahrer das Einlaufen verweigert, zumal er nach der langen Seereise knapp an Trinkwasser und Proviant ist.“ „Gut“, sagte de Escobedo. „Wie bitte, Senor Gouverneur?“ fragte Mendez. „Gut, ich will das an Ort und Stelle selbst entscheiden“, entgegnete de Escobedo. „Sie bringen mich unverzüglich zu der französischen Galeone.“ Mendez wußte zwar nicht, warum der Gouverneur eine so einfache Entscheidung nur vor Ort fällen konnte, aber ihm war alles recht. Der Subteniente begriff ebenfalls nicht ganz, welche Überlegungen Alonzo de Escobedo dazu führten, mit der Schaluppe auszulaufen, aber ihm war es egal. Es war nur recht, daß der Gouverneur die ganze Angelegenheit selbst in die Hand nahm. Vielleicht erhielt er von dem französischen Kapitän ja auch Hinweise, die die Ursache für die gellenden Todesschreie ans Licht des Tages brachten. Tatsächlich war der eigentliche Grund, warum de Escobedo zu der Galeone der Franzosen gebracht werden wollte, die Absicht, die Ausländer wegen der letzten Nacht auszuhorchen. Schließlich war es diese Galeone gewesen, die überfallen werden sollte. Was immer vorgefallen war - der Gouverneur mußte es in Erfahrung bringen. Alonzo de Escobedo stieg an Bord der Schaluppe, und der Einmaster legte sogleich wieder ab. Der Subteniente und die anderen Soldaten sahen ihr nach. Auch Pedrito, der Penner, verfolgte aufmerksam, wie sich der Einmaster mit dem sehr ehrenwerten Gast an Bord entfernte und schließlich durch die Einfahrt verschwand. Da ist doch was faul, dachte Pedrito, sogar oberfaul!
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Mendez war im Grunde sehr froh darüber, den Gouverneur an Bord der Schaluppe zu haben. Sicherlich würde de Escobedo den „Franzmännern“ die Erlaubnis erteilen, in den Hafen einzulaufen. Sonst hätte er sich gar nicht erst dazu bequemt, den beschwerlichen Weg hinaus auf die Reede anzutreten. Folglich würden die Franzosen ihre Geschäfte also doch in Havanna und nicht anderswo betreiben, und auch Mendez' Bruder kam - mit einiger Wahrscheinlichkeit - auf seine Kosten. Unterwegs fischte Mendez persönlich zwei Bootsriemen aus dem Wasser. Er hob sie hoch und legte sie zu sieben anderen Riemen, die er vorher bereits entdeckt und geborgen hatte. „Was ist denn das?” fragte der Gouverneur. „Es sind Bootsriemen, Senor“, erwiderte Mendez. „Das sehe ich auch!“ fuhr de Escobedo ihn an. „Wie kommt es, daß die hier herumschwimmen?“ „Das weiß ich nicht“, erwiderte Mendez wahrheitsgemäß. „Aber mich wundert es auch, daß wir hier auf der Reede auf so viele Riemen stoßen. Ich kann nur vermuten, daß sie von einem gesunkenen Boot stammen. Oder von mehreren Booten.“ „Aha“, sagte der Gouverneur mit dumpfer Stimme. „Ich bin ein sparsamer Mensch“, erklärte Mendez. „Deshalb fische ich sie auf.“ De Escobedo hörte schon gar nicht mehr zu. Er war noch bleicher geworden, seine Gesichtsfarbe erinnerte an alten Talg. Seine Gedanken überschlugen sich. Riemen von gesunkenen Booten? Etwa von den Booten Fiarros? Aber warum, zur Hölle, waren die verfluchten Boote gesunken? Wie reimte sich das alles zusammen? Vorläufig ergab alles keinen Sinn. De Escobedo war entsetzt, aber er sagte sich auch, daß es nur an dem Schnaps liegen konnte, daß er sich alles mögliche
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einbildete. Noch war nichts bewiesen. Es war nur alles sehr rätselhaft, und er erhoffte sich eine Klärung des Falles von dem nun bevorstehenden Gespräch mit dem Kapitän der „fetten FranzmannGaleone“. Ja, es war eine fette Galeone - ein feines Schiff. De Escobedo lief das Wasser im Mund zusammen, als er es aus der Nähe betrachtete. Doch die Tatsache, daß es immer noch hier vor Anker lag und nicht versenkt worden war, schien die Theorie zu bestätigen, daß während der Nacht so gut wie alles schiefgelaufen sein mußte. Kurz darauf stand Alonzo de Escobedo an Deck der französischen Galeone. Er war jetzt ganz eitel Freundlichkeit und hieß Marcel Giraud in Havanna willkommen. „Willkommen ist gut“, sagte der französische Kapitän gallig. „Wir hatten eher den Eindruck, hier nicht erwünscht zu sein, Senor Gouverneur.“ „Sie sehen das falsch“, erwiderte de Escobedo. „Sie haben die Vorschriften, nach denen auch ich mich zu richten habe, mißverstanden. Aber ich kann Ihnen erklären, wie das alles zusammenhängt.“ Giraud sah es dem Spanier deutlich an, wie nervös und irritiert er war. De Escobedos Gesichtsfarbe lag in der Nuance zwischen den Tönen kalkweiß und aschfahl. Um seine Mundwinkel zuckte es. Seine Augen waren unnatürlich geweitet. Er war nicht sauber rasiert und wirkte alles in allem übernächtigt und verbiestert - kein Wunder. „Es ist eine merkwürdige Art von Bürokratie, uns hier so lange festzuhalten“, sagte Giraud. „Und ich weiß nicht, was es daran zu erklären gibt. Wir waren schon drauf und dran, wieder den Anker zu lichten und weiterzusegeln.“ „O nein, das ist nicht erforderlich“, beeilte sich de Escobedo zu versichern. „Sehen Sie - ich als Gouverneur bin verpflichtet, bei fremden Schiffen ganz besondere Vorsicht walten zu lassen.“ „Warum das?“ fragte Giraud. „Wir sind keine Galgenstricke.“ „Nein, nein, das behauptet ja auch keiner“, entgegnete- de Escobedo. „Aber es ist
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schon passiert, daß sich nach Art des Trojanischen Pferdes Piraten in den Hafen geschmuggelt haben.“ „Wann ist das geschehen?“ fragte der französische Kapitän. „Vor einiger Zeit.“ „Und seitdem haben Sie diese seltsame Bestimmung erlassen?“ „So ist es“, erwiderte der Gouverneur. „Senor Gouverneur“, sagte Giraud in fast drohendem Tonfall. „Haben Sie sich inzwischen davon überzeugt, daß wir nicht wie Piraten aussehen?“ „Selbstverständlich“, entgegnete de Escobedo. „Und natürlich können Sie jetzt einlaufen.“ „Na, das ist ja großartig“, sagte Giraud nicht ohne Spott. De Escobedo räusperte sich. Trotz allem vergaß er das Geschäft nicht. Der Teniente und die Fiarro-Bande mochten tot sein, aber das Leben ging weiter, nicht wahr? „Senor Capitan“, sagte der Gouverneur. „Da wäre nur noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Eine Formalität. Einlaufen können Sie nur, wenn Sie die übliche Zollgebühr entrichten.“ „Die Gebühr?“ „So ist es. Zehn Goldtaler - eine königliche Order, versteht sich.“ De Escobedo bemühte sich, freundlich zu sein und lächelte den Franzosen an. Allerdings wurde nur eine Grimasse daraus. „Der Ausbau und die Anlage des Hafens von Havanna wurden aus den Mitteln des Königs von Spanien bestritten, müssen Sie wissen.“ Giraud tat, als sei er erstaunt. „Ach, so ist das“, sagte er gedehnt. „Ja, ich verstehe.“ Natürlich durchschaute er das Schlitzohr de Escobedo und wußte auf Anhieb, daß der Kerl log. Die Piepen, so dachte Giraud, fließen natürlich in deine eigenen Taschen, du Hundesohn. Aber Giraud bezahlte die sogenannte Gebühr, ohne lange zu feilschen. Nach den Warnungen des ihm unbekannten Landsmanns - Jean Ribault - sagte er sich: Mal sehen, wie sich das entwickelt. Havanna war immerhin näher als das ungewisse Cartagena. Und dieser
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geldgierige Gouverneur war nach dem Fiasko der letzten Nacht vorsichtig geworden. Also, sagte sich Giraud im stillen, sind wir hier relativ sicher. De Escobedo fragte nebenbei und doch unverkennbar lauernd: „Sagen Sie mal, Senor Capitan, ist Ihnen letzte Nacht hier irgend etwas aufgefallen? Äh - besondere Vorkommnisse, meine ich?“ Giraud frohlockte innerlich und zog sofort vom Leder: „Ja, allerdings. Mein Ankerposten hat die Annäherung von einigen Booten gemeldet. Ich glaube, es waren zehn.“ „So, so“, sagte de Escobedo. „Was mögen das wohl für Boote gewesen sein?“ „Wir haben es nicht feststellen können“, erwiderte der französische Kapitän. „Die Boote sind nämlich ganz plötzlich gesunken.“ „Gesunken?“ wiederholte de Escobedo heiter. „Wieso denn das?“ „Interessiert es sie?“ „Alles, was auf der Reede vorgeht, interessiert mich“, erwiderte de Escobedo. Mühsam kämpfte er um seine Beherrschung. „Jede verdächtige Bootsund Schiffsbewegung hat man mir zu melden.“ „Dann nehmen Sie mal Ihre Soldaten ins Gebet“, sagte Giraud. „Die scheinen überhaupt nichts bemerkt zu haben. Vielleicht sind sie taub. Oder aber sie haben geschlafen, als es geschah.“ De Escobedo hustete und verschluckte sich fast. Er sehnte sich nach einem Schnaps, alles in ihm schrie danach. Aber er mußte so mit seinen Beschwerden fertig werden. Der Franzose dachte nicht daran, ihm etwas anzubieten. „Also, der Grund, warum die Boote gesunken sind, ist auch mir unerklärlich“, fuhr Giraud fort. Dabei wußte er genau, daß Ribault und Roger Lutz die Boote angebohrt hatten. „Sie sind einfach untergegangen“, sagte er. „Eins nach dem anderen.“ „Und die Besatzungen?“ fragte der Gouverneur. „Ja - die Besatzungen“, sagte Giraud. „Plötzlich waren Haie zur Stelle. Bevor ich
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Rettungsmaßnahmen einleiten konnte, war schon alles vorbei.“ „Alles?“ keuchte de Escobedo. „Alles“, bestätigte Giraud. Den Teufel hätte er getan - niemals hätte er die Schnapphähne aus dem Wasser gezogen. Sie waren Mörder und Galgenstricke. Sie hatten ihr gerechtes Ende gefunden. Mit Genuß bemerkte Giraud, wie dem Gouverneur die Schweißperlen auf der Stirn standen. Ein bißchen grün sah er jetzt auch aus, dieser Bastard, fand der Franzose. De Escobedo hatte es jetzt eilig, sich zu verabschieden. „Senor“, sagte er zu Giraud. „Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Havanna - und gute Geschäfte.“ Schnell und unauffällig hatte er den Beutel mit den zehn Goldtalern in seinem Wams verschwinden lassen. Giraud grinste den Gouverneur an. „Oh, vielen Dank. Ein frommer Wunsch, Senor Gouverneur. Aber es wird schon alles klappen, schätze ich.“ De Escobedo hüstelte ein wenig hinter der vorgehaltenen Hand. „Was nun diese von Ihnen geschilderten Vorgänge betrifft . . . Nun, ich meine, es ist wohl angebracht, darüber Stillschweigen zu bewahren.“ „Warum?“ „Um die Bürger nicht zu beunruhigen.“ „Ah, ich verstehe“, sagte Giraud. „Ja, da haben Sie natürlich recht.“ „Sicher sind die armen Opfer ehrbare Fischer gewesen“, fuhr de Escobedo fort. „Sie haben in mutigem Arbeitseifer den nächtlichen Fang betrieben, um morgens frischen Fisch anbieten zu können.“ „Fang?“ wiederholte Giraud. „Ja, gewiß, so kann man das nennen.“ „Diese Hai-Bestien müssen in die Netze geraten sein“, sagte der Gouverneur. „Nur so kann ich mir den schrecklichen Unglücksfall erklären. Sie haben die Ärmsten in die Tiefe gezogen.“ „Ja, so muß es sich zugetragen haben“, bestätigte Giraud. Er wußte es besser, hütete sich aber, den Gouverneur einzuweihen. Sollte der weiterschmoren.
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De Escobedo verabschiedete sich wortund gestenreich und kehrte an Bord der Schaluppe zurück. Mendez blickte ihn fragend an. „Alles in Ordnung“, sagte de Escobedo verstört. „Sie können einlaufen.“ Wenig später lief die Galeone der Franzosen hinter der Schaluppe in den Hafen von Havanna und vertäute hinter der „Goldenen Henne“. Giraud sah zu, wie die Schaluppe bei der Hafenwacht an der Pier festmachte, und er grinste seinen Männern verstohlen zu. „Seht mal, wie eilig der Hund es jetzt hat!“ zischte er. * Alonzo de Escobedo hatte es wirklich sehr, sehr eilig. Er verließ die Schaluppe geradezu fluchtartig und stürzte auf die Prunkkarosse seines Vorgängers Don Antonio de Quintanilla zu. Die Pferde zogen an, die Kutsche rollte davon. Die Blicke der Soldaten und der Zivilisten am Kai folgten ihr, doch eine Antwort auf die Frage, wo der Teniente war und was geschehen sei, blieb de Escobedo ihnen schuldig. De Escobedo zog sich in die Residenz zurück. Er mußte sich erholen, den Schock verdauen und gegen seine Angstzustände kämpfen. Heftig ging sein Atem. Aus, dachte er, alles aus. Die Einnahmen, die er sich von den mitternächtlichen Beutezügen auf der Reede versprochen hatte, waren zunächst wirklich geflossen und hatten entsprechenden Ertrag gebracht. Aber nun hatten sie ein jähes Ende gefunden. Ein mysteriöses Ende: der Teniente war verschwunden - wohin auch immer -, und Fiarro samt seiner Horde war ein Opfer der Haie geworden. Das letztere jedenfalls stand nach Aussage des französischen Kapitäns und nach dem Auffinden der Riemen eindeutig fest. De Escobedo brauchte keine weiteren Beweise. Die Bande existierte nicht mehr. Was immer zum Sinken der Boote geführt haben mochte, sie lagen jetzt auf dem
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Grund der See, und die Haie hatten die Piraten zerrissen und verspeist. Sollte der Teniente etwa an Bord der Boote Fiarros gewesen und damit ebenfalls von den Haien verschlungen worden sein? Das würde sein Verschwinden erklären - nicht aber, warum die Boote gesunken waren, als sie sich auf dem Wege zu der Galeone befanden. Was, in aller Welt, war da passiert? De Escobedo zermarterte sich den Kopf über die Ursachen dieses Fiaskos. Er schritt in seinem Arbeitszimmer auf und ab, faßte sich mit den Händen an die Schläfen. Die Kopfschmerzen hatten erstaunlicherweise nachgelassen. Es hätte ihm etwas bessergehen können. Aber die Gedanken und die Ungewißheit plagten ihn. Plötzlich blieb er mitten im Raum stehen. Ihm war eingefallen, daß an den gut florierenden nächtlichen Geschäften ja auch die Maultiertreiber bislang beteiligt waren, die der Teniente besorgt hatte. Von ihnen war die Beute, die man aus den geenterten Galeonen dann westlich von Havanna an den Strand gebracht hatte, übernommen und in die Residenz transportiert worden - unter der Führung des Teniente. Die Maultiertreiber! Sie waren an Ort und Stelle gewesen, als die Boote Fiarros zum „Fischzug“ auf die französische Galeone vom Strand ablegten. Diese Kerle müssen etwas wissen, dachte de, Escobedo. Hatte der Teniente nicht einmal gesagt, wie der Kerl hieß, der ihm die Maultiere samt der Treiber vermietet hatte? De Escobedo wollte der Name nicht einfallen. Er hatte ihn beinahe auf der Zunge, aber etwas hemmte seinen Geist. Enthemmend konnte da nur ein tüchtiger Schluck Branntwein wirken. De Escobedo griff nach der Flasche und füllte einen Kristallkelch. Dann leerte er fast den ganzen Kelch mit einem Zug. per scharfe Schnaps rann seine Kehle hinunter, brannte im Magen und belebte seine Sinne. Immerhin bestand das Zeug, das so weiß
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wie klares Wasser war, zur Hälfte aus reinem Alkohol, zu fünfzig Prozent also. De Escobedo ließ es sich aus Spanien mitbringen. Die meisten Kapitäne der Schiffe, die mehr oder weniger regelmäßig Havanna anliefen, kannten seinen Geschmack und händigten ihm gleich nach dem Einlaufen ein paar Flaschen aus. Schnaps war zwar nicht ölig, schmierte in diesem Fall aber trotzdem. Das Zeug wurde in bestimmten Gegenden auch Grappa oder Marc genannt. Es war aus dem Trester, den Rückständen bei der Weingewinnung, gebrannt und verströmte einen besonderen Duft. Neidlos mußte de Escobedo aber eingestehen, daß der Tropfen, der ihm im Haus von Manteuffel serviert wurde, noch besser war. Wie hieß das Zeug doch gleich? Richtig Wodka. Er, der Gouverneur, mußte zwar mächtig husten, wenn er einen doppelstöckigen Wodka verputzte, aber die anschließend einsetzende Wirkung glich das wieder aus. Dieser Wodka konnte – davon war de Escobedo überzeugt – einen toten Seemann wieder zum Leben erwecken. Doch auch mit dem Branntwein konnte man zufrieden sein. Plötzlich fiel de Escobedo der Name des Maultiervermieters wieder ein: Cajega. Miguel Cajega. Natürlich, das war der Kerl! Cajega betrieb in Havanna ein Fuhrunternehmen. Auch Don Antonio de Quintanilla, dessen Gunst de Escobedo es zu verdanken hatte, daß er jetzt auf dem Gouverneurssessel saß, pflegte sich Cajegas zu bedienen, um Transporte durchführen zu lassen. Beispielsweise hatte Don Antonio Maultierkolonnen organisiert, die Güter in die neugegründeten Ortschaften und Siedlungen längs der Küste und auch binnenwärts auf die andere Seite der Insel brachten. Schließlich mußten die Menschen, die dort lebten, versorgt werden. Von wo aus konnte dies besser und schneller geschehen als von der Hauptstadt Havanna aus, wo alle Schiffe vertäuten?
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Oh, dieser gerissene Hund Don Antonio! dachte de Escobedo. Der Dicke hatte auch an diesen Transporten verdient, mit denen die Siedlungen versorgt wurden, denen es buchstäblich an allem mangelte: Saatgut, Ackergeräte, Werkzeuge und dergleichen mehr. Das war genau der Moment, in dem Alonzo de Escobedo fast blitzartig noch etwas einfiel. Wurde nicht gemunkelt, daß etwa drei Wochen vor der Abreise Don Antonios zu nächtlicher Stunde ständig Maultiertransporte aus der Residenz nach Süden aufgebrochen seien? Rasch füllte de Escobedo den Kelch noch einmal und half seinem Geist mit einem neuen Schub Schnaps auf die Sprünge. Doch, ja: offiziell hatte Don Antonio de Quintanilla verlauten lassen, man bringe Güter nach Batabano an der Südküste von Kuba, um die ursprüngliche „Vaterstadt“ Havannas weiter auszubauen und zu sichern. Aber stimmte das? Oder hatte der Dicke sich eine hübsche Lüge einfallen lassen, um den wahren Sachverhalt zu vertuschen? Es lohnte sich, darüber einmal gründlich nachzudenken. Etwas war Alonzo de Escobedo nämlich aufgefallen, als er seinen neuen Amtssitz die Gouverneurs-Residenz an der Plaza bezogen hatte: die Prunkausstattung war erhalten geblieben. Aber er hatte bis auf wenige Kostbarkeiten keine persönlichen Schätze des Don Antonio entdecken können. Wo waren sie? Im internen Kreis um Don Antonio de Quintanilla war bekannt, daß der Dicke unermeßliche Schätze gesammelt haben sollte. Und diese Schätze hatte er bestimmt nicht alle mit auf die Reise nach Spanien genommen. Höchstens einen Teil davon, um stets „flüssig“ und für Eventualfälle gewappnet zu sein, beispielsweise für Piraten-Überfälle, bei denen er sich dann freikaufen konnte. Don Antonio, das Schlitzohr, dachte ja immer an alles, und er war auch umsichtig genug, Gefahren ganz präzise mit einzukalkulieren. Der Großteil der Schätze aber mußte auf Kuba geblieben sein - zumal Don Antonio
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ja in absehbarer Zeit als Vizekönig zurückzukehren gedachte. Die Frage war: wo hatte er die Schätze versteckt? Sicher, bei der Übergabe des Amtes hatte Don Antonio seinem Nachfolger de Escobedo im Beisein Cordas, seines Sekretärs, die üppig gefüllte, offizielle Gouverneurskasse anvertraut einschließlich der Geschäftsbücher, in denen säuberlich Steuereinnahmen, Subsidien, Zuwendungen der Staatskasse und so weiter sowie die Ausgaben eingetragen waren. Doch das waren eben staatliche Gelder, zweckbestimmt für den Ausbau Havannas, für die Instandhaltung der Befestigungsanlagen, für die Zahlungen an Sold und Gehältern, für den Werftbetrieb, für Verwaltung und dergleichen. De Escobedo hatte also auch wohl oder übel Corda als Sekretär übernommen. Daß er diesen Kerl mit dem füchsischen Gesicht und dem gezierten Gehabe aber nicht ausstehen konnte, gab er ihm deutlich zu verstehen. Corda schien es nicht zu rühren. Er erledigte seine Arbeit, gut und mit Akribie. Und er war überall. Nichts konnte seiner Aufmerksamkeit entgehen. In der Residenz schienen die Wände Ohren zu haben. De Escobedo paßte das gar nicht. Aber was sollte er tun? Er mußte Corda erdulden. Sie hatten eine Art friedliches Miteinander geschaffen und wahrten den Burgfrieden, auch wenn de Escobedo Corda manchmal am liebsten den dürren Hals umgedreht hätte. Ziemlich sicher war de Escobedo, daß Corda von Don Antonio tatsächlich den Auftrag hatte, ihn, den neuen Gouverneur, zu bespitzeln. Corda war also Don Antonios Vertrauensmann in Havanna. Das bedeutete für de Escobedo, daß er diesen Kerl unmöglich nach den Schätzen befragen konnte. Er konnte auch nicht durch das peinliche Verhör aus ihm herausholen, wohin Don Antonio seine Schäfchen ins trockene gebracht hatte. Corda würde nicht reden. Lieber starb er. De Escobedo wußte, wie
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zäh der Mann war. Es hatte keinen Sinn, ihn zu foltern. Alonzo de Escobedo mußte jedoch jetzt, da die Bande der Küstenwölfe vernichtet war, eine neue Einnahmequelle finden. Er hatte sich vorgenommen, in seinem neuen Amt so schnell Wie möglich reich zu werden. Wenn er irgendwann wieder abgesetzt wurde oder etwas anderes eintrat, das seine Karriere als Gouverneur unterbrach, mußte auch er seine Schäfchen unter einem sicheren Dach haben. Das hieß, er mußte jetzt neue Initiativen entwickeln. Im sogenannten Schatzkeller der Residenz befand sich nur die Gouverneurskasse. De Escobedo hatte sich schon überall gründlich umgeschaut. Im Palast schien es kein Versteck für die Don-AntonioReichtümer zu geben. De Escobedo hätte es gefunden. Er hatte auch die Wände abgeklopft. Doch es gab keine Geheimverstecke und keine doppelten Böden. Nichts - die Residenz war, so gesehen, völlig leer. Zu holen gab es hier nichts. Für Alonzo de Escobedo war nach allen diesen Überlegungen jetzt der Fuhrunternehmer Miguel Cajega die Schlüsselperson. Auf was wartete er noch? Der Mann mußte her, er mußte ihn unverzüglich verhören. De Escobedo gab die Order, den Mann sofort in die Residenz holen zu lassen. Allerdings wandte er sich nicht an Corda, sondern ging selbst in den Hof und erteilte einigen Soldaten seiner Garde den Befehl. Sie rückten sofort aus. Weit entfernt wohnte Miguel Cajega nicht. Es würde nicht lange dauern, ihn aufzusuchen und zur Residenz zu „komplimentieren“ – falls er überhaupt zu Hause war. Das aber würden die Männer der Garde sogleich erfahren. 4. Miguel Cajega war ein nüchterner Denker. Seine Weltanschauung war ebenso einfach wie logisch. Die Erde, so hätte er vernommen, sollte angeblich eine Kugel sein. Cajega glaubte nicht an diese
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Theorie. Für ihn war die Erde eine riesengroße Scheibe, und zwar ein Goldtaler, um den sich alles drehte. Gelang es einem Mann, sich von diesem Taler ein Stückchen abzusäbeln, dann war für ihn alles in Ordnung. Schaffte er es nicht, war er ein Versager. Die Menschheit teilte sich in zwei Kategorien auf: in jene, die den Zaster hatten, und in jene, die keinen besaßen und folglich Versager waren. Die einen teilten Hiebe aus, die anderen steckten sie ein. In der Zeit, die er nun in Havanna lebte, war es Cajega gelungen, einiges auf die hohe Kante zu legen. Er konnte sich nicht beklagen. Die Geschäfte liefen gut. Ständig gab es etwas zu befördern, und wenn Männer wie Don Antonio de Quintanilla oder Alonzo de Escobedo die Auftraggeber waren, brauchte man sich um die Bezahlung keine Sorgen zu bereiten. Sie zahlten gleich, mit klingender Münze. In der vergangenen Nacht hatte es allerdings „Unregelmäßigkeiten“ gegeben. Ein Transport hatte nicht stattgefunden, obwohl Cajega den Auftrag dazu gehabt hatte. Eine Rechnung war noch offen, sie mußte beglichen werden. Aber wo steckte der Teniente, mit dem er alles ausgehandelt und abgeschlossen hatte? Miguel Cajega hatte beschlossen, noch eine Weile abzuwarten. Es konnte taktisch klug sein, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Wenn aber am Nachmittag immer noch nichts geschehen und die Situation nicht geklärt war, mußte er etwas unternehmen. Er kontrollierte gerade in den Stallungen, ob der Bursche an diesem Morgen die Maultiere weisungsgemäß versorgt hatte, da erschienen die Soldaten. Sie marschierten schnurstracks in den Stall und verharrten bei Cajega, als dieser den rechten hinteren Huf eines seiner Tiere untersuchte. Cajega hatte die Schritte, die sich näherten, natürlich gehört. Er sah aber erst auf, als die Soldaten direkt hinter ihm standen. Daß sich Verdruß anbahnte, spürte Cajega sofort. Doch er ließ sich nichts anmerken. „Einen schönen guten Morgen“, sagte er. „Womit kann ich dienen?“
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„Der Gouverneur will dich sprechen, Cajega“, erwiderte der Anführer und Sprecher des Trupps, ein älterer Subteniente. Cajega richtete sich langsam auf. „In welcher Angelegenheit?“ „Das wird er dir selber sagen. Wir haben den Auftrag, dich abzuholen.“ „Es ist mir eine Ehre“, sagte Cajega. Dann blickte er an sich hinunter. „Aber ich muß mir erst ein paar saubere Sachen anziehen. So kann ich doch nicht vor den Gouverneur hintreten.“ „Ich wette, daß du es kannst“, sagte der Subteniente. „Der Gouverneur will dich sofort sprechen. Also haben wir keine Zeit zu verlieren. Los, beeil dich!“ Cajega sah ein, daß es keinen Sinn hatte, den Soldaten zu widersprechen. Außerdem schien ihm die Angelegenheit doch günstig zu sein, ganz gleich, was der Gouverneur von ihm wollte. Er konnte gleich das Geld kassieren, das er für die vergangene Nacht noch zu erhalten hatte. So ging er nur auf dem Hof zu dem alten Ziehbrunnen, hievte den Wasserkübel hoch und wusch sich schnell das Gesicht und die Hände. Der Stallbursche brachte ihm ein Tuch, mit dem er sich abtrocknete. Dann grinste Cajega den ungeduldig wartenden Soldaten zu, und sie marschierten los, quer durch Havanna zur Residenz des Gouverneurs. Pedrito, der Penner, war wieder unterwegs. Nachdem er ein bißchen am Hafen herumgelungert hatte, hatte er sich zur Plaza begeben, als die Karosse des Gouverneurs wieder weggefahren war. An der Plaza hatte er verfolgt, wie der kleine Trupp Soldaten ausgerückt war, und so hatte er sich ihnen an die Fersen geheftet. Jetzt beobachtete er aus einem sicheren Versteck, wie die Soldaten mit Miguel Cajega das Haus des Fuhrunternehmers verließen. Sieh mal einer an, dachte Pedrito, was wollen die denn von dem? Er hütete sich aber, seine neugierige Nase zu weit hervorzustrecken. Er wollte nicht schon wieder, daß ihm ein Musketenkolben den Kopf verbeulte.
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Vorsichtig schloß sich Pedrito der Gruppe an. Er reimte sich einiges zusammen. Fast nüchtern war er ja auch, denn er hatte an diesem Morgen nur zwei Becher Wein getrunken. Folglich vermochte er in ziemlich klaren Bahnen zu denken. Cajega war der Obermaultiertreiber von Havanna. Seine Tiere mußten es gewesen sein, denen Pedrito in der Vornacht begegnet war. Also: Cajega hatte mit dem Fall des verschwundenen Teniente etwas zu tun. Er wußte möglicherweise, wo der Teniente steckte, beziehungsweise, konnte bestätigen, was bereits überall gemunkelt wurde - daß der Teniente tot war. Von Haien zerrissen. Der Gouverneur wollte jetzt von Miguel Cajega erfahren, was dieser wußte. Der kleine Trupp marschierte über die Plaza und verschwand in der Residenz. Pedrito bezog in einem schattigen Hauseingang Posten. Irgendwie, so fand er, wurde die ganze Angelegenheit immer spannender. Und er langweilte sich heute überhaupt nicht, wie es manchmal leider der Fall war. Aber schließlich verschwanden ja auch nicht jeden Tag - oder jede Nacht irgendwelche Tenientes. Die Sache war noch nicht zu Ende. Pedrito war sicher, daß es noch weitere Überraschungen geben würde. Er ließ die Residenz nicht aus den Augen. * Eine knappe Stunde war vergangen, seit Alonzo de Escobedo den Soldaten den Befehl gegeben hatte, Miguel Cajega zu ihm zu bringen. Jetzt stand der Mann vor ihm, und sie taxierten sich gegenseitig mit ihren Blicken. Cajega war ein stämmiger Mann mit harten schnellen Augen in einem Nußknackergesicht, das trotz seiner Kantigkeit eine gehörige Portion Schlitzohrigkeit verriet. Doch de Escobedo war kein allzu guter Menschenkenner, im Gegensatz zu Don Antonio, der jeden Mann mit einem einzigen Blick richtig einzustufen wußte.
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De Escobedo ahnte nur, daß bei diesem Miguel Cajega eine Portion Vorsicht geboten war. Wenn er wirklich aus ihm herauskriegen wollte, wo die Schätze Don Antonios versteckt waren, mußte er sehr geschickt vorgehen. Na, dachte er, vielleicht kann ich ihn ja einwickeln. Zunächst examinierte de Escobedo den Fuhrunternehmer. „Ist Ihnen bekannt, daß Ihre Treiber mit den entsprechenden Maultieren für den Teniente der Hafenpolizei tätig gewesen sind?“ fragte er. Cajega lächelte. „Ja, natürlich ist mir das bekannt“, erwiderte er gelassen. „Schließlich hat der Teniente ja bei mir die Treiber und die Maultiere gemietet - auch in der letzten Nacht.“ „Auch in der letzten Nacht“, murmelte de Escobedo, und wieder hatte er ein gräßliches Bild vor Augen, das ihn nicht in Ruhe ließ: die Szene, wie die Schnapphähne von den Haien zerfleischt wurden. „Allerdings ist das völlig umsonst gewesen“, sagte Cajega. Sofort korrigierte er sich: „Nutzlos, will ich sagen.“ Umsonst - dieses Wörtchen konnte der Gouverneur als „gratis“ auslegen. Und das war nicht im Sinne des Fuhrunternehmers. Er wollte Geld. Wenn der Teniente nicht zahlen konnte, weil er spurlos verschwunden war, mußte eben der sehr ehrenwerte und durchlauchte Senor Gouverneur seine Kasse öffnen. „Drücken Sie sich gefälligst genauer aus“, sagte de Escobedo. „Was ist Ihnen über die Vorfälle bekannt?“ „Nun, ich weiß, daß der Maultierzug zwar an der angeordneten Stelle zur Übernahme gewisser Güter bereit gestanden hat“, entgegnete Cajega. „Aber eine Übernahme hat nicht stattgefunden.“ „Waren Sie dabei?“ fragte de Escobedo sofort. „Nein“, erwiderte der Fuhrunternehmer. „Aber Sie wissen, daß etwas passiert sein muß“, sagte der Gouverneur. „Ihre Treiber waren Zeugen.“
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Cajega grinste verschlagen. „Sicher weiß ich etwas. Zum Beispiel, . daß ich für einen Transport noch nicht bezahlt worden bin.“ „Eine Übernahme der Güter hat es nicht gegeben, also hat auch der Transport nicht stattgefunden“, sagte de Escobedo. Cajegas Augen verengten sich. „Aber schließlich sind meine Treiber samt der Maultiere für einige Nachtstunden beschäftigt worden“, erklärte er. „Und es ist ja wohl nicht deren Schuld, wenn die Übernahme der Ladung ausbleibt.“ De Escobedo überlegte, ob er den Kerl fortjagen sollte. Aber das wäre taktisch unklug gewesen. Schließlich sollte er ihm ja verraten, was mit Don Antonios Schätzen geschehen war. Viel vernünftiger war es, ein wenig mit diesem Cajega herumzufeilschen und ihm etwas für den Ausfall der letzten Nacht zu zahlen. „Was verlangen Sie also?“ fragte de Escobedo, obwohl kein Scharfsinn dazu gehörte, es zu erraten. Er hatte sich lediglich vorgenommen, den Fuhrunternehmer noch ein bißchen zappeln zu lassen. „Ich muß darauf bestehen, daß ich bezahlt werde“, sagte Cajega. „Ich muß ja auch meine Treiber für die Nachtstunden entlohnen.“ De Escobedo tat, als überlege er. Er rieb sich das Kinn und fragte: „Wieviel?“ „Zwölf Goldtaler“, erwiderte Cajega wie aus der Pistole geschossen. „Das ist der übliche Preis?“ „Jawohl, Senor Gouverneur.“ Cajega hatte zwar ein wenig nach oben abgerundet, aber das schien dem Gouverneur, dem die derzeit gültigen Frachttarife wohl nicht geläufig waren, nicht aufgefallen zu sein. De Escobedo trat hinter seinen Schreibtisch und öffnete eine der Schubladen. Er nahm eine Schatulle heraus, stellte sie auf die Platte und öffnete ihren Deckel. Goldmünzen lachten ihn an. Schweren Herzens griff er hinein und zählte zwölf Taler ab. Cajegas Augen richteten sich dabei natürlich gierig auf seine Hände. Aber de Escobedo tat so, als bemerke er es nicht.
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Im übrigen hatte de Escobedo natürlich begriffen, daß dieser schlitzohrige Kerl nicht für seine Treiber und die Maultiere bezahlt werden wollte, sondern in erster Linie für seine Aussage. Entschlossen packte der Gouverneur noch drei Goldtaler zu dem Dutzend drauf und schob dem Fuhrunternehmer die Münzen zu. „Hier, das ist für Sie“, sagte er. „Und nun erzählen Sie mal, was los gewesen ist.“ Cajega trat an den Schreibtisch, strich schnell, mit geübter Geste, die Münzen ein und ließ sie in seiner Hosentasche verschwinden. Sicher war sicher. Ehe der Gouverneur sich das eventuell anders überlegte, war es besser, daß das Geld nicht mehr zu sehen war. De Escobedo schloß die Schatulle und versenkte sie wieder in der Schublade. Abwartend sah er sein Gegenüber an. Cajega begann, lückenlos von den Ereignissen der Nacht zu berichten. „Das war so“, begann er. „Am Ufer, wo die Boote lagen, gab es Streit. Zwei Kerle hatten ja bei den Booten Wache gehalten. Als Fiarro mit dem Rest der Mannschaft anrückte, wurden die beiden Kerle rabiat und warfen zwei anderen, Pablo und Zombie, vor, sie hätten, sie überrascht und niedergeschlagen.“ „Warum sollten dieser Pablo und Zombie das getan haben?“ fragte de Escobedo verständnislos. „Ganz einfach, um ihre beiden Kumpane auszurauben. Diese warfen Pablo und Zombie vor, daß sie vermummt angerückt wären und ihnen was auf die Schädel gedonnert hätten“, fuhr Cajega in seinem Bericht fort. „Und so schien es auch zu sein. Die zwei Wachposten wurden ausgeplündert. Man nahm ihnen ihre Mäuse ab - und man knebelte sie und verband ihnen die Augen.“ „Und als sie wieder zu sich kamen, was war da?“ fragte de Escobedo. „Da waren die Übeltäter natürlich weg“, entgegnete Cajega. „Aber die beiden Bootswachen waren sicher, Pablo und Zombie erkannt zu haben.“ „Obwohl die maskiert waren?“
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„Ja. Die beiden Beklauten verlangten die Herausgabe ihrer Mäuse und eine Bestrafung der beiden Schurken Pablo und Zombie“, entgegnete Cajega. „Aber Pablo und Zombie glotzten nur dumm und hatten keine Ahnung, was überhaupt los war. Das reizte die beiden anderen noch mehr. Aber da mischte sich der Teniente ein.“ „Endlich“, sagte de Escobedo aufatmend. „Das wurde aber auch Zeit.“ „Wie bitte?“ Miguel Cajega grinste breit. „Ja, richtig. Aber er wußte nicht, was er sich einhandelte, der Senor Teniente.“ „Er wußte es nicht?“ wiederholte de Escobedo verblüfft. „Wirklich nicht“, erwiderte Cajega. „Aber ich will es Ihnen zusammenhängend berichten. Also, der Teniente erfuhr nun, was sich abgespielt hatte. Daraufhin erlitt er einen Wutanfall, aber nicht, weil Pablo und Zombie geklaut hatten.“ Er lachte leise. „Das interessierte ihn einen Dreck. Ihm ging es darum, daß die beiden Beklauten, die die Boote bewachen sollten, gepennt hatten. Der Beweis dafür war, daß es den beiden anderen gelungen war, sie zu überrumpeln. Das war eine Sauerei in den Augen des Teniente. Aber die Kerle nahmen seine Beschimpfungen nicht so einfach hin. Schließlich sind – oder waren – sie ja keine Soldaten, nicht?“ „Sind oder waren sie es nicht?“ wollte de Escobedo wissen. „Ja, es hat sie alle erwischt“, erwiderte Cajega. „Auch den Teniente?“ „Auch den.“ Alonzo de Escobedo stöhnte auf und verdrehte die Augen. Jetzt, da er die Gewißheit hatte, daß der Raid der Nacht schiefgelaufen war, brauchte er noch einen Schnaps. Er füllte zwei Gläser und bot auch Cajega davon an. Sie tranken und nickten sich wie Verschwörer zu, dann setzte der Fuhrunternehmer seinen Bericht fort. * „Also, der Teniente kriegte jetzt allerlei zu hören“, sagte Miguel Cajega.
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„Von wegen, er sei ein Oberarsch und solle lieber die Schnauze halten, sonst kriege er was drauf. Und überhaupt, er habe nichts zu melden. Er stehe ja bloß rum und warte auf die Beute, während sie, die Kerle, ihre Knochen hinhielten. Und der Gouverneur stecke dann die dicken Gewinne ein, mit ihm, dem Teniente, zusammen.“ „So haben sie sich ausgedrückt?“ fragte de Escobedo. „Ja.“ „Diese Narren.“ „Das finde ich allerdings auch, daß die Hunde sich wie Narren benommen haben“, bekräftigte Cajega die Worte des Gouverneurs. „Sie hätten friedlich bleiben sollen, dann hätten sie auch weiterhin abgesahnt. Aber so weit reichte ihr Grips nun mal nicht. Sie motzten nur herum - und einer schlug sogar vor, die Beute dieses Mal selbst zu behalten und einem gewissen Händler anzubieten, der gute Preise zahlt. Vom Gouverneur, fügte dieser Kerl noch hinzu, werde man ja doch nur beschissen.“ „So, sagte er das?“ „Das waren seine Worte“, erwiderte Cajega. „Jedenfalls haben meine Leute mir das so erzählt.“ „Unfaßbar“, sagte der Gouverneur. „Ungeheuerlich. Diese Kanaillen!“ „Na ja“, sagte Cajega. „Sie müssen ganz schön in Fahrt gewesen sein. Da ergab eben ein Wort das andere. Und der Teniente wurde immer wütender. Er trumpfte auf und drohte damit, alle füsilieren zu lassen. Aber das war sein Fehler, meine ich.“ „Wie reagierten die Kerle?“ fragte de Escobedo. „Fiarro jagte dem Teniente ein Messer ins Kreuz“, entgegnete der Fuhrunternehmer. De Escobedo erschauerte unwillkürlich. Das also war das Ende des Teniente gewesen, seines wichtigen Mittelmannes und Vertrauten. Aber warum hatte sich der Narr auch so aggressiv verhalten? Eigentlich hatte er selber schuld, daß die Strolche ihn abgemurkst hatten. Er hatte sie provoziert.
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„Ja, und dann luden sie den toten Teniente einfach in eins der Boote“, fuhr Cajega fort. „Sie wollten mit ihm draußen die Haie füttern, sagten sie. Richtig, und Fiarro stellte auch die Sache mit Pablo und Zombie noch klar. Er konnte beweisen, daß sie es nicht gewesen waren, die die beiden Kumpane ausgeplündert hatten. Pablo und Zombie waren nämlich mit ihm zusammen bei gewissen Huren gewesen, die ganze Zeit über. Die Missetäter waren wohl irgendwelche anderen Schnapphähne. Die Konkurrenz. Die Kerle soffen einen, und damit war der Fall erledigt, sie versöhnten sich wieder.“ „Und wie ging es weiter?“ fragte der Gouverneur. „Nach Mitternacht schoben die Kerle ihre Boote ins Wasser“, erwiderte Cajega. „Sie wollten sich die französische Galeone vornehmen, die auf der Reede ankerte. Daß es nicht geklappt hat, können Sie sich wohl vorstellen, Senor Gouverneur. Der Franzmann ist ja inzwischen in den Hafen eingelaufen.“ „Ja, schon gut, das weiß ich“, sagte de Escobedo unbeherrscht. „Weiter!“ „Wie ich schon sagte, pullten die Kerle auf die Galeone zu. Die Leiche des Tenienten wurde dann von den Booten aus einfach ins Wasser gekippt.“ „Furchtbar“, murmelte Alonzo de Escobedo. Sollte er noch einen Schnaps trinken? Nein, lieber nicht. Dann mußte er ja auch dem Fuhrunternehmer ein Glas anbieten, und das ging seiner Ansicht nach zu weit. „So wurde der Teniente ein Opfer der Haie“, sagte Cajega. Irgendwie klang das genüßlich, aber de Escobedo überhörte es. Cajega hatte den Teniente nicht leiden können. Der Teniente hatte zwar Aufträge für den Fuhrunternehmer gebracht, aber im Prinzip fand Cajega es doch nicht schlecht, daß es den arroganten Mann erwischt hatte. „Aber wieso griffen die Kerle das Schiff nicht an?“ wollte der Gouverneur wissen. „Na ja, ihnen passierte ungefähr das gleiche wie dem Teniente, der allerdings nichts mehr merkte, weil er ja schon tot war“, erwiderte Cajega. Er drückte sich
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absichtlich etwas umständlich aus. Mit Vergnügen bemerkte er, daß der Gouverneur immer ungeduldiger und nervöser wurde. Er hatte ihn, Cajega, wegen des Geldes zappeln lassen, also sollte er jetzt auch ruhig ein bißchen zappeln. „Ganz plötzlich sanken die Boote“, erklärte Cajega. „Und die Schnapphähne hatten keine Chance mehr. Sie landeten im Wasser und wurden von den Haien vertilgt. Einige haben wohl ziemlich laut geschrien, aber die Franzmänner rührten keinen Finger, um sie zu retten. Die trauten dem Braten wohl nicht. Nun, die Piraten wurden also von den Haien zerrissen. Keiner blieb am Leben.“ „Aber warum sanken die Boote?“ fragte de Escobedo. „Über die Ursache des Sinkens ist mir nichts bekannt“, erwiderte der Fuhrunternehmer. „Auch die Treiber haben dafür keine Erklärung. Das ist alles, was ich über diese Sache weiß.“ Alonzo de Escobedo war wieder ins Schwitzen geraten. Er stand vor einem Rätsel. Wie hatte das geschehen können? Welcher Umstand, welcher Schaden an den Booten hatte zu diesem Unglück, dieser blutigen Tragödie geführt? De Escobedo hakte nach: „Diese beiden Vermummten gehörten also nicht zu Fiarro?“ „Meine Treiber haben mir erzählt, das habe sich als Irrtum herausgestellt“, entgegnete der Fuhrunternehmer. „Wie ich eben schon sagte, es müssen wohl Fremde gewesen sein.“ Der Gouverneur überlegte: diese beiden Vermummten, deren Identität bisher noch keiner kannte - sie wären wohl eine Spur gewesen. Aber diese Spur verlief im Sand, weil es niemanden mehr gab, der die beiden Kerle beschreiben konnte. Jedenfalls stand das eine fest: die beiden Maskierten hatten die beiden Posten bei den Booten niedergeschlagen und beraubt, das waren die Fakten. Die Frage für de Escobedo war, ob sie auch die Boote angebohrt hatten. Schließlich versinken Boote nicht so ohne weiteres. Und
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natürlich hatten nicht die Haie die Boote in die Tiefe gezerrt, wie de Escobedo es dem französischen Kapitän hatte weismachen wollen, um den wahren Sachverhalt zu vertuschen. Daß die Boote vorher intakt gewesen waren, war auch sicher. Schließlich waren sie noch eine Nacht zuvor auf der Reede gewesen, als Fiarros Kerle die portugiesische Galeone überfielen und ausplünderten. An diesem Punkt seiner Überlegungen wurde Alonzo de Escobedo klar, daß es bezüglich der nächtlichen Aktionen auf Reede Mitwisser gab. Ihm blieb nichts anderes übrig, als diese Aktionen vorerst einzustellen. Das Ganze wurde zu gefährlich. Und der Teniente, der in seinem Auftrag die Sache organisiert hatte, fehlte. Ebenso existierten Fiarro und dessen Meute nicht mehr. In gewisser Weise war das sogar gut, denn die Fiarro-Halunken hätten ihn, de Escobedo, eines Tages erpressen können. Auch der Teniente war ein windiges Bürschchen gewesen. Nicht in allem hatte man ihm trauen können. Zum ersten Male begriff Alonzo de Escobedo, wie schmal der Grat ist, wenn man jenseits der Legalität wandert. Es sei denn, man hat seine Leute derart fest am Zügel, daß sie nicht ausbrechen können. Nachdenklich betrachtete der Gouverneur den Fuhrunternehmer. Konnte er diesen stämmigen Mann wirklich für seine Zwecke ausnutzen? Er mußte es zumindest versuchen. Die Reede mit den ankernden Schiffen als Beute lockte nicht mehr, de Escobedo konnte sie vergessen. Andere Ziele mußten gewählt werden - und Don Antonios Schätze versprachen einen viel schnelleren Reichtum als all das Zeug, das man aus den Laderäumen der geplünderten Schiffe geholt hatte. 5. Ganz nebenbei, wie zufällig fragte de Escobedo den Fuhrunternehmer: „Sagen Sie mal, haben Sie eigentlich gut mit Don
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Antonio de Quintanilla, meinem Vorgänger, zusammengearbeitet?“ „Hat das mit den Vorgängen der letzten Nacht zu tun?“ fragte Cajega überrascht zurück. „Nein, natürlich nicht“, sagte de Escobedo. „Es interessiert mich nur.“ „Ein bißchen oder sehr?“ erkundigte sich der Fuhrunternehmer lauernd. „Ich habe Ihnen eine Frage gestellt“, sagte der Gouverneur schroff, „und erwarte von Ihnen, daß Sie sie beantworten.“ „In Ordnung“, erwiderte Cajega. „Also, ich habe mit Don Antonio sehr gut zusammengearbeitet.“ Sein Blick schien etwas getrübt zu sein, Mißtrauen stieg in ihm auf. Doch es verschwand ebenso schnell wieder, wie es gekommen war. De Escobedo beschloß, einfach auf den Busch zu klopfen. Es hatte keinen Sinn, um den heißen Brei herumzureden. „Es freut mich, das zu hören“, sagte er mit schmeichelndem Lächeln. „Auch ich habe mich stets mit Don Antonio gut verstanden und bedaure eigentlich, daß er nicht mehr in Havanna ist.“ „Aber dadurch sind Sie Gouverneur geworden.“ „Sicherlich“, entgegnete de Escobedo. „Doch es ist schade, daß ein Mann, der sich so um Kuba verdient gemacht hat wie Don Antonio, nun für mehrere Wochen abwesend ist.“ „Er kehrt ja als Vizekönig zurück, nicht wahr?“ „Ja.“ „Und Sie bleiben Gouverneur?“ erkundigte sich der Fuhrunternehmer. De Escobedo entblößte seine Zähne. „Natürlich. In diesem Zusammenhang interessiert mich, was Don Antonio vor seiner Abreise nach Süden transportieren ließ.“ „Nach Süden?“ fragte Cajega verdutzt. „Sie wissen schon, was ich meine“, sagte de Escobedo. „Don Antonio hat es Ihnen nicht anvertraut?“ „Wir hatten keine Zeit mehr, darüber zu sprechen“, erwiderte der Gouverneur ziemlich ungehalten.
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Cajega hüstelte in die vorgehaltene Hand. „Ich bedaure“, sagte er dann. „Aber ich kann darüber keine Auskunft geben, Senor Gouverneur. Ich bin dem ehrenwerten Don Antonio gegenüber zu strengstem Stillschweigen verpflichtet. Diese Zusage habe ich ihm geben müssen.“ „Mir können Sie alles erzählen, mein Freund“, versetzte de Escobedo. „Schließlich bin ich jetzt der Gouverneur.“ „Ich darf es nicht, Senor Gouverneur.“ „Und wenn ich es Ihnen befehle, Cajega?“ „Auch dann muß ich schweigen“, erwiderte der Fuhrunternehmer. „Schließlich habe ich dem künftigen Vizekönig von Neu-Spanien und NeuGranada das Wort gegeben, und der Vizekönig Don Antonio de Quintanilla verfügt über eine uneingeschränkte Macht, wenn er zurückkehrt.“ De Escobedo lächelte, obwohl er dem Kerl am liebsten an die Gurgel gesprungen wäre. „Und wenn er nicht zurückkehrt?“ fragte er lauernd. „Das muß man wohl abwarten“, meinte Miguel Cajega ausweichend. „Oh, man könnte aber auch vollendete Tatsachen schaffen“, sagte de Escobedo vieldeutig. Cajega schwieg und betrachtete seine Schuhspitzen. Wartete er darauf, daß de Escobedo die Katze aus dem Sack ließ? „Was immer es ist, das nach Süden gebracht wurde“, sagte Alonzo de Escobedo. „Wir könnten uns den Ertrag teilen.“ Cajega schaute wieder auf und nickte. „Richtig, Senor Gouverneur. So weit, so gut. Und welche Sicherheit habe ich dann?“ De Escobedo erwiderte vorsichtig: „Vielleicht die Sicherheit, daß der sehr ehrenwerte Don Antonio ganz plötzlich eines natürlichen Todes stirbt. Was bedeuten würde, daß niemand Klage erheben könnte - und auch niemand wüßte, ob der Verblichene ein persönliches Erbe hinter lassen hat. Wo nichts ist, kann man schließlich auch nichts holen, nicht wahr?“ „Da haben Sie schon recht ...“
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„Also, wie lautet Ihre Meinung, Cajega?“ Miguel Cajega wußte sehr genau, von was hier die Rede war und auf was der neue Gouverneur erpicht war. Tatsächlich war er, Cajega, der einzige, der außer Don Antonio de Quintanilla wußte, wo sich das Schatzversteck befand. Die acht Fuhrknechte, die es ebenfalls gewußt hatten, waren in einem Sumpf versunken tot, versteht sich. Don Antonio hatte sie schnell und schmerzlos mit einem Trunk Wein vergiftet. Cajega hatte ebenfalls um sein Leben gebangt. Aber Don Antonio hatte ihn beruhigt, als sie allein miteinander gewesen waren. Einen Mann brauchte der Dicke, einer mußte ab und zu ein waches Auge auf das Versteck werfen, solange er, Don Antonio, in Spanien weilte. So hatte Don Antonio Miguel Cajega verschont, obwohl er auch ihn mühelos hätte beseitigen können. Und milde lächelnd hatte der Dicke noch gesagt: „Du kannst mich in meiner Abwesenheit natürlich beklauen, mein lieber, guter Miguel, und alles abräumen, das ist mir völlig klar. Aber wohin du auch flüchtest, ich werde dich finden.“ „Daran zweifle ich nicht“, hatte Cajega erwidert. „Ich finde dich“, hatte Don Antonio wiederholt. „Und wenn ich zweihundert Jäger auf deine Spur setzen muß, oder dreihundert, wie's beliebt. Ein Vizekönig kann das.“ „O ja, sicher, davon bin ich überzeugt“, hatte Cajega gesagt, und der Schweiß war ihm dabei übers Gesicht gelaufen. Don Antonio hatte wieder gelächelt. „Aber ich vertraue dir, mein Bester, und ich werde dich königlich entlohnen.“ „Danke.“ „Wir sind uns also einig?“ „Völlig einig“, hatte Cajega seinem Auftraggeber versichert. „Ich werde über alles schweigen wie ein Grab, Senor Vizekönig.“ Don Antonio fühlte sich geschmeichelt. „Langsam, langsam, noch hin ich es ja nicht.“
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So war er abgereist - und Miguel Cajega war mit genauen Anweisungen in Havanna zurückgeblieben. Er hatte vor, diese Order zu befolgen, komme, was wolle. Aber jetzt stand er dem neuen Gouverneur gegenüber, und der setzte ihn unter Druck. Wer ist mächtiger, dachte Cajega, ein Vizekönig oder ein Gouverneur? Nun, da fiel die Antwort nicht schwer. Don Antonio war der künftige starke Mann in der Neuen Welt, das stand fest. Außerdem: dieser ehemalige Hafen- und spätere Stadtkommandant Alonzo de Escobedo war eine taube Nuß gegen den ausgekochten und mit allen Wassern gewaschenen Don Antonio de Quintanilla. „Sie überlegen zu lange!“ fuhr de Escobedo in Miguel Cajegas Gedanken. „Wie, zum Teufel, haben Sie sich entschieden, Cajega?“ „Ich muß mein Wort halten“, entgegnete der Fuhrunternehmer. „Jedenfalls solange Don Antonio lebt.“ „Dann wollen Sie selbst abstauben, wie?“ höhnte de Escobedo. „Aber das könnte Ihnen so passen!“ „Senor, Sie können mich nicht daran hindern, meine Pflicht gegenüber dem künftigen Vizekönig zu tun!” stieß Cajega aus. Er war jetzt verärgert. Zum Teufel mit diesem Narren de Escobedo! Er, Cajega, hatte sein Geld erhalten. Der Rest war ihm gleichgültig. Sollte de Escobedo ihn ruhig verwünschen, ihn störte das nicht. De Escobedo zog rasch an einer Kordel, die mit einer Glocke verbunden war. Die Glocke ertönte, Schritte näherten sich trappelnd über den Flur, der sich vor dem Arbeitszimmer des Gouverneurs befand. „Was haben Sie vor?“ rief Cajega entsetzt. „Das werden Sie gleich sehen!“ schrie de Escobedo. „Sie können nicht ...“ „Ich kann alles!“ unterbrach ihn der Gouverneur. „Aber noch können Sie es sich überlegen, Cajega! Verraten Sie mir, was ich wissen will!“ „Niemals!“ Die Tür wurde aufgerissen, zwei Gardisten stürmten herein. Alonzo de Escobedo
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richtete seinen Zeigefinger auf den Fuhrunternehmer. „Den Mann festnehmen!“ brüllte er. „Warum?“ schrie Cajega. „Ich habe nichts getan!“ Die Gardisten packten ihn und hielten ihn fest. De Escobedo betrachtete seinen Gefangenen in einer Mischung aus Hohn und Schadenfreude. „Das hast du jetzt davon, du verdammter Hund. Fesseln!“ Die Soldaten fesselten Cajega im Handumdrehen. Cajega war völlig überrumpelt. Er hatte nicht damit gerechnet, daß de Escobedo soweit gehen würde. „Abführen!“ befahl de Escobedo. „Und einsperren!“ „Sie haben keine Anklage gegen mich!“ brüllte Cajega verzweifelt. „Den Kerl zum Schweigen bringen!“ rief der Gouverneur. Die Gardisten schlugen mit ihren Fäusten zu, und der Fuhrunternehmer verstummte. Er krümmte sich ein wenig. Ein Hieb hatte ihn in den Magen getroffen. Dreckskerle, dachte er, das zahle ich euch heim! „Die Anklage lautet auf Verdacht der Schmuggelei von Diebesgut“, sagte de Escobedo schneidend. „Weg mit dem Kerl jetzt!“ „Das ist ein Witz!“ stieß der Fuhrunternehmer aus „Von wegen“, erwiderte de Escobedo hämisch. „Du wirst noch am eigenen Leib spüren, wie ernst deine Lage ist, wenn du nicht gestehst, was du getan hast.“ „Ich habe nichts verbrochen!“ De Escobedo seufzte. „Das sagen alle Galgenstricke, du bist nicht der erste.“ Cajega hätte heulen können vor Wut. Aber er konnte seinen Kopf nicht aus der Schlinge ziehen. Er war dem Gouverneur ausgeliefert - auf Gedeih und Verderb. Die Soldaten schleppten ihn weg. Cajega hatte nicht die geringste Chance, die Residenz wieder zu verlassen. Er saß in der Falle. Alonzo de Escobedo lächelte überlegen. Den Kerl hatte er jetzt in der Gewalt. Auskneifen konnte Miguel Cajega nicht mehr. Und er, de Escobedo, würde diesen Hund schon zum Sprechen bringen.
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Corda steckte seinen Kopf zur offenen Tür herein, als sich de Escobedo noch ein Glas Schnaps genehmigte. „Sie haben gerufen, Exzellenz?“ Feindselig blickte de Escobedo ihn an. „Nein.“ „Dann habe ich mich wohl getäuscht.“ „Ja. Verschwinde.“ Corda zog sich zurück. De Escobedo rammte die Tür zu. Er überlegte, ob Corda wohl etwas von seiner Unterredung mit dem Fuhrunternehmer mitbekommen hatte. Aber nein - dieses Mal hatte sich Corda nicht in der Nähe befunden. Der Gouverneur schob den Gedanken weit von sich. Zur Hölle mit Corda! Es ging jetzt darum, so schnell wie möglich aus Cajega herauszupressen, wo sich das Schatzversteck befand. Darauf konzentrierten sich de Escobedos Überlegungen. * Das lange Ausharren vor der Residenz des Gouverneurs hatte Pedrito durstig werden lassen. Die Stunden vergingen. Nichts geschah mehr. Die einzige Tatsache, die Pedrito verzeichnete, war, daß der Fuhrunternehmer Miguel Cajega nicht mehr erschien. Pedrito dachte sich seinen Teil dabei. Daß Alonzo de Escobedo Cajega zu einem mehrstündigen Plausch und vielleicht auch noch zum Mittagessen eingeladen hatte, konnte er sich kaum vorstellen. Der Sachverhalt lag anders - sehr bedenklich für Miguel Cajega, wie Pedrito sich im stillen ausmalte. Pedrito erhob sich. Eigentlich war es aber kein richtiges Schreiten, sondern eher ein Dahinschleppen, mit dem er sich vorwärtsbewegte. Er brauchte dringend eine Erfrischung. Hunger hatte er auch. Die Beobachtertätigkeit war anstrengend, eine Arbeit, die an Körper und Geist zehrte. Richtig schwindlig war ihm schon. Es gab nur einen Retter in der Not: Morales. Morales, der dicke Wirt, hatte Pedrito schon oft mit Wein versorgt. Auch dann, wenn Pedrito -was meistens der Fall
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war - nicht bezahlen konnte. Hin und wieder gab ihm Morales auch einen Teller Suppe zu essen, denn mit seiner Mittagsküche versorgte er ja ohnehin die hungrigen Seeleute, die bei ihm einkehrten. In Morales' Spelunke war es gerammelt voll. An den Tischen und an der Theke drängten sich die Kerle, und in einer Ecke becherten ein paar wild aussehende Männer mit zwei kichernden, kreischenden Huren. Laut ging es zu, und heiß war es. Pedrito gelang es kaum, sich einen Weg durch das Gewühl zu bahnen und bis zu Morales vorzudringen. Die Luft war zum Schneiden dick. Es roch nach Gazpacho, spanischer Gemüsesuppe, Wein, Eier, Rum und Schweiß. Die Kneipe war nicht sonderlich groß. Morales bediente meistens alle Gäste selbst, nur zur Mittagszeit half ein Schankknecht mit aus. Die Kundschaft bestand zum Teil aus dem übelsten Gelichter, aber wenn es Ärger oder Streit gab, griff Morales sofort energisch ein und sorgte für Ordnung. Bei ihm gab es zwar öfter mal Krach, aber noch nie hatte die Stadtgarde erscheinen müssen, um randalierende Zecher abzuführen. Das erledigte Morales selbst. Nachmittags war die Spelunke geschlossen, sie öffnete erst wieder abends um acht. Dann aber war bis zum Morgen Betrieb, und der dicke Wirt war der letzte, der im Hafenviertel von Havanna die Tür seiner Kneipe schloß. Pedrito kämpfte sich bis zur Theke vor. Er war jetzt völlig erschöpft und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. „Wo ist Morales?“ rief er dem Schankknecht zu. Der deutete mit dem Daumen über die Schulter nach hinten. „In der Küche!“ Pedrito arbeitete sich an der Theke entlang und wollte auf die Küchentür zusteuern, doch er geriet mit den Beinen eines Zechers ins Gehege, stolperte und stürzte. Die Kerle um ihn herum lachten. Pedrito fluchte, rappelte sich wieder auf und taumelte auf die Tür zu, die ihn wie ein großes Maul unter einem bräunlichen,
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ehemals weiß getünchten Rundbogen angähnte. Die Tür flog auf, als Pedrito sie eben erreicht hatte. Die Kante knallte dem Pennbruder gegen die Stirn. Mit einem Stöhnen ging Pedrito erneut zu Boden. Ihm schwanden die Sinne. Wie durch einen Schleier gewahrte er nur noch, wie Morales, ein Berg von Mensch, mit Essensnäpfen an ihm vorbeimarschierte. Der Duft von Gazpacho strömte aus der Küche und umfächelte Pedrito. Aber Pedrito war ohnmächtig. Morales jonglierte mit sechs Näpfen, von denen er drei auf jeder Hand balancierte, zu den Tischen und knallte sie seinen Gästen hin. Dabei spritzte etwas heißer Gazpacho hoch, aber die Kerle quittierten es mit begeistertem Grölen. Schlürfend löffelten sie die Suppe. Einer verbrannte sich die Zunge und heulte auf, die anderen wieherten vor Lachen. Morales blickte den Heuler drohend an. Hatte er etwas zu beanstanden? Nein, er erhob keinen Protest. Mit einem dumpfen Laut, der wie ein Grunzen klang, wandte der dicke Wirt sich wieder ab und kehrte in die Küche zurück. Dabei stolperte er fast über Pedrito, der reglos am Boden lag. Erst jetzt wurde Morales auf ihn aufmerksam. Er blieb stehen, bückte sich und zog Pedrito zu sich hoch. Pedrito kam wieder zu sich und murmelte etwas Unverständliches. „Was ist denn mit dir los?“ fragte Morales. Pedrito versuchte zu grinsen. „Ach, nichts. Gar nichts. Mir geht's ganz gut.“ „So siehst du aber nicht aus“, meinte der Wirt und ließ den Pennbruder wieder los. Pedrito wankte und drohte zum dritten Male hinzufallen. Aber dann hielt er sich doch an der Tür fest und schaffte es, sein Gleichgewicht wiederherzustellen - wenn es ihm auch schwerfiel. „Also, spuck's aus“, brummte Morales. „Was willst du?“ „Hab' Hunger und Durst“, erwiderte Pedrito ein wenig undeutlich. Morales hob die rechte Hand und bewegte reibend Daumen und Zeigefinger. „Wie sieht es mit der Bezahlung aus?“
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Traurig hob Pedrito die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Mies. Ich hab' keinen Heller.“ „Dann hau ab“, sagte Morales barsch. „Du hast bei mir schon oft genug geschnorrt. Mir reicht's jetzt.“ „Mach doch noch einmal eine Ausnahme!“ flehte Pedrito ihn an. „Mir geht es dreckig! Ich sterbe, wenn ich nicht wenigstens einen Kanten Brot zwischen die Zähne kriege.“ Morales musterte Pedrito mit grimmiger Miene von oben bis unten. Erst wollte er den Kerl wirklich vor die Tür setzen. Dann aber bewies er, daß in seiner rauhen Schale doch ein weicher Kern steckte. Er murmelte einen Fluch und sagte: „Na schön, von mir aus. Komm rein. Du kannst in der Küche futtern. Aber nachher spülst du das Geschirr ab, du Hundesohn.“ „Ja, natürlich, selbstverständlich“, sagte Pedrito hastig. Er folgte seinem Gönner und nahm in der kleinen Küche an einem wackligen alten Holztisch Platz. Aus geweiteten, gierigen Augen verfolgte er, wie Morales mit einer Kelle den Gazpacho aus einem riesigen, dampfenden Kessel fischte und einen Napf damit füllte. Er knallte den Napf vor Pedrito auf den Tisch und packte noch ein Stück hartes Brot dazu. „Da, hau rein“, brummte er. „Danke“, sagte Pedrito. Er brach das Brot, tunkte es ein und stopfte sich die Bissen in den Mund. Dann löffelte er die Suppe, zunächst vorsichtig, weil sie so heiß war, dann immer schneller. Morales versorgte wieder ein paar Gäste mit Gazpacho, dann kehrte er in die Küche zurück. Er hatte einen Humpen Bier mitgebracht und stellte diesen vor Pedrito hin. „Prost“, sagte er. Pedrito löffelte den Napf mit der Gemüsesuppe leer. Mit strahlender Miene griff er nach dem Humpen und trank das Bier mit großen, glucksenden Schlucken aus. Er setzte den Humpen wieder ab und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. „Ah, das war gut!“ Morales grinste ihn an. „Vergiß das Geschirr nicht.“
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„Ehrenwort, ich vergesse es nicht“, erwiderte Pedrito. „Arbeit ist zwar was Furchtbares, aber was ich versprochen habe, das halte ich.“ „Na, du siehst schon wieder ein bißchen besser aus“, sagte der Wirt. „Aber was ist das für eine dicke Beule an deinem Kopf? Hast du dich mit jemandem geprügelt?“ „Das nicht, aber ich bin geschlagen worden“, erklärte der Pennbruder. „Und zwar mit einem Musketenkolben, scheint mir.“ „Was heißt hier, scheint mir?“ fragte Morales. „Entweder weißt du es, oder du weißt es nicht.“ „Ich war blau“, sagte Pedrito. „Aber doch nicht so blau, um nicht doch einiges begriffen zu haben.“ Er schilderte dem Dicken, was sich in der Nacht zugetragen hatte, in der er der Maultierkolonne begegnet war. „Sieh mal an“, brummte Morales. „Das ist interessant. Na, ich hab' mir schon immer so meine Gedanken gemacht. De Escobedo ist ein krummer Hund. Und der Teniente war keine Spur besser als er. Na, jetzt hat er sein Fett. Er plündert keine Schiffe mehr aus, die nachts auf der Reede ankern.“ „Das hat er getan?“ fragte Pedrito. „Was denn sonst“, sagte Morales. „Ich habe es von meinem Schwager erfahren, der ist Stallmeister bei Cajega. Er hat es wiederum von den Maultiertreibern gehört. Der Teniente hat das Zeug, was seine Handlanger nachts geklaut haben, immer von Cajegas Maultieren in die Residenz bringen lassen.“ Pedrito stieß einen leisen Pfiff aus. „Und der Teniente ist tot, wie gemunkelt wird?” „Klar ist er tot. Erstochen von Fiarro, dem Schnapphahn, und anschließend von Haien gefressen“, erwiderte Morales. „Fiarro und die Bande sind auch von den Haien zerfetzt worden. Ich weiß es, aber ich behalte es für mich. Ich vertraue dir das nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit an. Wehe, wenn du es ausplauderst.“ „Das tue ich nicht“, sagte Pedrito. „Dein Schwager, der Stallmeister, heißt Rolandez, nicht wahr?“
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„Ja. Anton Rolandez.“ „Natürlich kenne ich ihn“, sagte Pedrito. „Aber wie kann es angehen, daß Fiarro und seine Kerle von den Haien angegriffen worden sind?“ „Jemand hat ihre Boote angebohrt.“ „Wirklich?“ „Beweise habe ich nicht dafür“, erwiderte Morales. „Anton vermutet es auch nur. Aber es sollen irgendwelche Feinde von Fiarros Bande im Spiel gewesen sein, die das alles ausgeheckt und durchgeführt haben.“ „Wußtest du auch, daß der Patron, der Chef deines Schwagers, heute früh zum Gouverneur in die Residenz gerufen worden ist?“ fragte Pedrito. „Nein, keine Ahnung.“ „Cajega ist noch nicht wieder erschienen“, sagte Pedrito. „Ich schätze, de Escobedo hält ihn aus irgendeinem Grund fest. Sicher wegen der ganzen Geschichte.“ Morales stieß einen Fluch aus und löste den Knoten seiner riesigen Schürze. „Wenn das so ist, muß Anton sofort davon erfahren. Er sorgt sich bestimmt schon. Ich sage ihm Bescheid.“ „Das kann ich auch übernehmen“, sagte Pedrito hastig. Morales grinste schief. „Das könnte dir so passen. Du bleibst hier und fängst mit dem Geschirrspülen an.“ „Jawohl. Aber kann ich vorher noch ein Bier haben?“ „Meinetwegen“, erwiderte der dicke Wirt. „Ich sage dem Schankknecht Bescheid, er soll es dir abzapfen.“ Drohend richtete er den Finger auf den Pennbruder. „Aber versuche nicht, abzuhauen: Wenn du mich reinlegst, ist es aus mit dem Schnorren.“ „Vertraust du etwa nicht auf mein Ehrenwort?“ fragte Pedrito mit gespielter Entrüstung. „Und ob“, erwiderte Morales. „Wenn ich zurück bin, will ich hier alles funkeln sehen.“ Er warf die Schürze auf einen Tisch und verließ die Küche. Im Schankraum wechselte er noch ein paar Worte mit seinem Helfer hinter der Theke, dann trat er ins Freie und begab sich auf den Weg zum Fuhrunternehmen Cajega.
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Anton Rolandez, der Stallmeister, befand sich in Verlegenheit. Ein spanischer Handelsherr war auf dem Hof des Unternehmens erschienen und verlangte Cajega zu sprechen. Aber kein Mensch wußte, wo Cajega steckte, weder der Stallbursche noch die Fuhrknechte noch die Maultiertreiber. Als Cajega die Stallungen kontrolliert hatte, waren sie alle gerade beim Frühstück gewesen. Später, nachdem jeder an seine Arbeit zurückgekehrt war, hatte sich der Chef nicht mehr gezeigt. Der Handelsherr war sehr aufgebracht. „Ich habe eine Verabredung!“ rief er und fuchtelte mit seinem Stock herum. „Ich warte schon seit einer Stunde! Was ist das für eine Art? Ich will diesem Cajega einen Auftrag erteilen, und er bequemt sich nicht mal, pünktlich zu sein!“ „Ich weiß selbst nicht, wo er ist, Senor“, versuchte Rolandez den Mann zu beruhigen. „Dann lassen Sie ihn suchen!“ „Wo soll ich suchen?“ stieß Rolandez verzweifelt aus. „Das ist Ihr Problem, nicht meins!“ Wieder betrat ein Kunde den Hof des Unternehmens - ein spanischer Kapitän, der einen Pferdewagen zum Hafen bestellt hatte, um einen Teil seiner Schiffsladung zu einem Abnehmer am südlichen Rand der Stadt bringen zu lassen. „Wo, zum Teufel, bleibt der verdammte Karren?“ brüllte er. „Kann man sich denn auf niemanden mehr verlassen?“ „Senor“, sagte Rolandez. „Ich kann mir das alles selbst nicht erklären. Mein Patron ist sonst ein sehr präziser und ordentlicher Mensch.“ „Das merke ich“, sagte der Handelsherr wütend. „Ich will den Chef sofort sprechen!“ schrie der Kapitän. Morales tauchte auf und schritt von den Stallungen aus auf seinen Schwager und die beiden verärgerten Kunden zu.
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„Was geht denn hier vor?“ fragte er drohend. Der Kaufherr und der Kapitän schrien durcheinander, Rolandez indessen warf seinem Verwandten einen Blick zu, in dem sich Ratlosigkeit und Verzweiflung miteinander verbanden. Rolandez zuckte mit den Schultern. Was sollte er tun? Er wußte es nicht. „Das ist vielleicht ein Ding!“ brüllte der Kapitän. „Hier verschwinden dauernd Leute! Erst verschwindet ein Teniente, dann dieser Cajega! Geht es hier vielleicht nicht mit rechten Dingen zu?“ Morales trat dicht vor ihn hin und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Was immer auch geschieht, mein Schwager hier, der Stallmeister, kann nichts dafür, klar?“ Der Kapitän war einen Kopf kleiner als Morales. Morales war nicht nur sehr dick, er war auch sehr groß und sehr kräftig. Im übrigen war sein Gesicht etwas verzerrt, und in seinen Augen glomm es gefährlich. Der Kapitän zog es vor, den Tonfall zu wechseln. „Klar“, sagte er. „Eigentlich wollte ich ja auch nur fragen, warum der Wagen noch nicht am Kai erschienen ist.“ „Ich bin kein Hellseher“, erwiderte Morales. „Wenn mein Schwager es nicht weiß, wer soll es dann wissen? Aber keine Sorge, Sie werden bedient, Senor.“ Der Wirt sah zu dem Handelsherrn und fügte hinzu: „Wir lassen jetzt nach Cajega suchen. Selbst wenn er nicht auftaucht, werden Ihre Wünsche erfüllt.“ Er drehte sich zu Rolandez um. „Anton, schick einen Boten zur Residenz. De Escobedo hat Cajega zu sich rufen lassen. Das Gespräch hat sich wohl etwas in die Länge gezogen. Aber wenn Cajega daran erinnert wird, daß er hier gebraucht wird, kehrt er sicherlich gleich zurück.“ Der Handelsherr und der Kapitän verließen den Hof. Rolandez schickte einen Boten los, der schon nach kurzer Zeit wieder zurückkehrte und verstört meldete: „Der Chef ist verhaftet worden!“ „Wie bitte?“ stieß Rolandez betroffen hervor. „De muß ein Irrtum sein!“
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„Ist es aber nicht“, erwiderte der Bote. „Man hat ihn wegen Schmuggelei von Diebesgut festgenommen.“ Morales stieß einen saftigen Fluch aus. „De Escobedo! Das sieht ihm ähnlich!“ „Aber das ist - verrückt“, sagte sein Schwager. Morales legte ihm die Hand auf die Schulter. Rolandez stand jetzt ein wenig schief da, aber er beklagte sich nicht. Er war ja froh, daß der Dicke erschienen war und ihm mit Rat und Tat zur Seite stand. „Anton“, sagte der dicke Wirt. „Mach dir jetzt keine Sorgen deswegen. Am besten ist es, wenn du Cajega vertrittst. Schick einen Wagen zum Hafen und verhandle mit diesem Kaufherrn. Das geht erst mal vor. Alles andere wird sich schon aufklären.“ „Wäre es nicht besser, zum Gouverneur zu gehen?“ fragte Rolandez. „Der Gouverneur ist für keinen zu sprechen“, sagte der Bote. „Es wird niemand vorgelassen, haben die Wachen am Eingang gesagt. Von ihnen habe ich auch erfahren, daß man den Patron eingesperrt hat.“ „Mein Gott, wie schrecklich das ist“, sagte Rolandez. „De Escobedo ist zu allem fähig. Vielleicht schiebt er Cajega die Schuld an den nächtlichen Vorkommnissen in die Schuhe, um sich selbst reinzuwaschen.“ „Ach, das bildest du dir nur ein“, sagte Morales. Er wußte aber nur zu gut, wie recht sein Schwager hatte. Und da war noch ein anderer Punkt. Miguel Cajega wußte, wo Don Antonio seine Schätze versteckt hatte, ehe er Havanna verlassen hatte. Wollte der neue Gouverneur darüber möglicherweise etwas von ihm erfahren, nachdem es jetzt auf der Reede von Havanna nichts mehr zu holen gab? Später, als Morales zu seiner Spelunke zurückkehrte, dachte er darüber nach. Er betrat die Küche, nahm aber Pedrito, der alles auf Hochglanz gescheuert und geschrubbt hatte, gar nicht richtig wahr. „Na?“ fragte der Pennbruder mit stolzem Gesicht. „Was sagst du jetzt?“ Morales blickte ihn an. „Ich sage, daß ich für Miguel Cajegas Leben keinen
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Pfifferling mehr geben würde. Er steckt höllisch in der Klemme.“ Nachdenklich musterte er Pedritos beifallheischende Miene und sah sich in der Küche um. „Ja, schon gut. Ich gebe dir noch ein Bier aus. Aber in Cajegas Haut möchte ich nicht stecken, verflucht noch mal.“ * Jussufs Dienste als Beobachter und Informant waren praktisch unbezahlbar. Das sollte Arne von Manteuffel auch an diesem Abend wieder einmal feststellen. Jussuf sah ur 4 hörte sich ein wenig im Hafenviertel um. Dabei führte ihn sein Weg in eine der Kaschemmen. Hier trank er ein Glas Milch. Alkohol rührte er nicht an. Er war ein gläubiger Muselman und richtete sich nach den Gesetzen und Geboten des Korans. Am Nebentisch saßen zwei Männer und unterhielten sich bei einem Krug Wein. Sie hatten den Krug schon fast geleert und bestellten Nachschub, als sie ihre Becher erneut füllen wollten und nur noch ein paar Tropfen im Krug waren. Jussuf behielt die beiden im Auge, und er konnte auch verstehen, was sie sagten. Sie waren Spanier. Jussuf konnte sich entsinnen, sie bereits in der Stadt gesehen zu haben. Ihm fiel ein, wo sie arbeiteten: Bei Cajega, dem Fuhrunternehmer. Der eine Mann - er hieß Francisco - war Fuhrknecht, der andere Maultiertreiber. Wie lautete sein Name? Jussuf sann darüber nach, konnte sich aber nicht erinnern. Doch dann war es Francisco, der ihm auf die Sprünge half. Ein Schankknecht brachte den vollen Krug, und Francisco übernahm es, die Becher wieder zu füllen. „Da, trink, Lope“, sagte er mit bereits etwas schwerer Zunge. „So jung treffen wir uns nicht wieder. Die Feste muß man feiern, wie sie fallen.“ „Da hast du recht, Mann“, pflichtete der andere ihm bei. „Und wenn ich so richtig über alles nachdenke, was passiert ist heiliger Strohsack, wir können froh sein,
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daß wir mit heiler Haut davongekommen sind.“ „Und ob wir das können!“ „Stell dir vor, die beiden Vermummten hätten uns überfallen“, sagte Lope. „Na, da hätten wir ziemlich schnell ein Messer zwischen die Rippen kriegen können.“ „Wir haben Schwein gehabt“, sagte Francisco, dann leerte er seinen Becher in einem Zug. „Ganz verdammt sogar.“ „Fiarro hat immer das große Wort gehabt.“ „Jetzt hat es ihn erwischt.“ „Hättest du das gedacht?“ brummte Lope. „Daß er mal mit seinem Boot absäuft und von Haien verschlungen wird?“ Francisco schüttelte sich unwillkürlich vor Grauen. Rasch goß er wieder Wein in seinen Becher und trank, um die Erinnerung an die Ereignisse der Nacht herunterzuspülen. „Nein“, erwiderte er, „wirklich nicht. Und wie die Kerle geschrien haben. Hölle, das werde ich nie vergessen.“ „Und wie der Teniente plötzlich Fiarros Messer im Leib stecken hatte“, sagte Lope. „Das werde ich auch nicht vergessen.“ „Hör auf.“ „Ja. Gib mir lieber noch 'nen Schluck Wein.“ Lope hielt dem Kollegen den Becher hin, und Francisco füllte ihn. Lope trank den schweren dunkelroten Wein. Die Umgebung leuchtete in den schönsten Farben, und alles, was in der vergangenen Nacht passiert war, schien mit einemmal nicht mehr ganz so schlimm zu sein. Jussuf spitzte die Ohren. Interessant, interessant, dachte er. Er hatte das untrügliche Gefühl, noch einiges mehr zu erfahren. „Cajega ist jetzt auch arm dran“, brummte Francisco. „Aber keiner kann was für ihn tun. Nicht mal Rolanden, und der ist der Stallmeister.“ „Ja, er sitzt ganz schön in der Patsche, unser Chef“, meinte auch Lope. „Und was ist, wenn de Escobedo ihn nicht mehr freiläßt?“ „Frag mich das nicht, ich weiß es nicht“, entgegnete Francisco. „Ist es denn ganz sicher, daß es der Gouverneur persönlich gewesen ist, der
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Cajega in die Residenz bestellt hat?“ fragte Lope, der Maultiertreiber. „Wer soll es denn sonst gewesen sein?“ „Na, der Sekretär vielleicht. Corda.“ „Ach, Unsinn“, entgegnete Francisco. „Rolandez hat Bruno als Boten zur Residenz geschickt, und der hat mit den Wachen gesprochen. Sie haben es ihm klipp und klar gesagt. Unser Patron ist verhaftet worden. Wegen Schmuggelei von Diebesgut.“ „Aber de Escobedo hat die Schmuggelei doch selber angeordnet“, sagte Lope aufgebracht. „Schscht!“ zischte Francisco. „Nicht so laut! Willst du, daß man es hört?“ „Ist mir doch egal, wer es hört“, sagte Lope. „Wenn de Escobedo davon erfährt, locht er dich auch ein“, gab Francisco zu bedenken. Das überzeugte den Maultiertreiber doch, obwohl er mittlerweile derart betrunken war, daß er mit dem Oberkörper zu schwanken begann. Er senkte seine Stimme, und beide schauten sich nach allen Seiten um, ob sie belauscht worden waren. Jussuf blickte schnell weg und tat so, als forsche er in seinem Becher Milch nach irgendetwas Unergründlichem. Der Fuhrknecht und der Maultiertreiber setzten ihre Unterhaltung fort. „Cajega sitzt im Kerker“, brummte Fransicso. „Und daß er bis heute abend nicht zurückgekehrt ist, das ist ein verdammt schlechtes Zeichen.“ „De Escobedo is' ve-verrückt“, begann Lope zu lallen. „Da-das kann er doch nich' tun.“ „Was er damit bezweckt, ist mir auch unklar“, sagte Francisco, der ebenfalls Mühe hatte, die Worte richtig zu artikulieren. „Aber er wird's schon wissen.“ „Da-dabei wird er drinnend, äh -dringend wegen der K-Kundschaft gebraucht!“ „Das muß Rolandez selbst' entscheiden“, sagte Francisco, „was mit den Kunden geschehen soll.“ „Was soll sch-schon g'schehn? Die Kunden werden bedient“, lallte Lope.
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„Und Cajega wird auch bed-dient“, lallte Francisco nach einem weiteren Becher Wein. „De Escobedo wird ihn f-foltern.“ „Wegen was?“ „Wegen der Schmuggel-lei.“ „Wegen w-weil der Teniente abgemurks' worden is'?“ „Nehm' ich doch an“, lallte Francisco. „Was'n sonst?“ Bald lagen sie unter dem Tisch. Francisco lallte weiterhin - mittlerweile völlig unverständlich - vor sich hin, Lope schlief ein und stimmte einen schnarchenden Monolog an. Jussuf grinste. Er hatte genug gehört, und mehr würde er auch nicht erfahren, jedenfalls nicht von diesen beiden. Jussuf bezahlte seinen Becher Milch, erhob sich und ging. Er hatte es jetzt eilig, zum Handelshaus von Manteuffel zurückzukehren. * Aufmerksam lauschte Arne von Manteuffel im Kantor der Faktorei dem Bericht seines Gehilfen. Er unterbrach Jussuf kein einziges Mal. Zwischendurch, als er vernahm, daß Miguel Cajega dem peinlichen Verhör unterzogen werden sollte, hob er nur die Augenbrauen an. „Wegen Schmuggelei von Diebesgut festgenommen“, sagte Jussuf noch einmal, als er geendet hatte. „Ist das nicht absurd?“ „Es ist aberwitzig, Jussuf.“ „Wußtest du, daß Cajega auch für Don Antonio tätig gewesen ist?“ „Ja, aber es ist gut, daß du mich daran erinnerst“, erwiderte Arne. „Cajega ist also ein wichtiger Mann. Und eine Vertrauensperson, nicht wahr?“ „Ja, das nehme ich an.“ „Und de Escobedo hat ihn natürlich nicht wegen der nächtlichen Überfälle eingesperrt.“ Arne fiel es mit seinem wachen und raschen Verstand nicht schwer, sofort logische Schlüsse zu ziehen. „Die Beschuldigung der Schmuggelei stimmt zwar, ist aber trotzdem dummes Zeug, weil der Gouverneur ja selbst der Initiator dieser Unternehmungen ist. Wenn
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Cajega jetzt gefoltert wird, steckt was anderes dahinter.“ Jussuf grinste. „Na, was denn wohl?“ „Das weißt du doch selbst schon, du altes Schlitzohr!“ stieß Arne lachend hervor. Die Tür wurde geöffnet. Jörgen Bruhn steckte seinen Kopf herein. „Was ist denn los?“ Arne setzte ihm kurz auseinander, was Jussuf berichtet hatte. Jörgen trat ein und stieß einen leisen Pfiff aus. „Das ist ja hochinteressant. Vielleicht hat Cajega mit Don Antonio ein bißchen gekungelt, ehe dieser i Havanna verlassen hat.“ „Das glaube ich eben auch“, entgegnete Arne. „Und so könnte es durchaus sein, daß der Fuhrunternehmer Don Antonios Raffbeute irgendwohin gekarrt hat.“ „Klar“, pflichtete Jörgen ihm bei. „Da wurde ja vor einigen Wochen allerlei gemunkelt.“ Jussuf seufzte. „Aber das schienen alles nur Gerüchte zu sein. Nichts Konkretes. Nur Allah weiß, wo die Schätze des Dicken sind.“ „Nicht nur Allah, sondern auch Cajega“, sagte Arne grinsend. „Und darum nimmt de Escobedo Cajega jetzt in die Zange, um ihn ein bißchen auszuquetschen.“ „Ich glaube, das sollten wir gleich unseren Freunden mitteilen“, sagte Jörgen. „Ganz meine Meinung“, sagte Arne. „Hol bitte Jean, Renke und Karl.“ Jörgen verschwand. Arne sah Jussuf an und grübelte weiter herum. „Ich zahle einen Heller für deine wertvollen Gedanken“, sagte Jussuf. „Zu teuer. Versuche doch, sie zu erraten.“ „Wenn Cajega auspackt, was er weiß, wird er de Escobedo das Schatzversteck auch zeigen müssen“, sagte Jussuf. „Richtig? Aber nehmen wir an, er singt nicht.“ „Don Antonio bediente sich des peinlichen Verhörs“, sagte Arne. „Er hat, soweit mir bekannt ist, noch jeden Kerl zum Reden gebracht. Wie sich das bei de Escobedo verhält, weiß ich nicht. Aber brutal genug ist er, und Skrupel kennt er sicherlich nicht.“ Jörgen kehrte mit Jean Ribault, Renke Eggens und Karl von Hutten zurück. Arne
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erzählte ihnen von dem, was Jussuf in der Kneipe am Hafen erlauscht hatte. Dann berichtete er auch von seinen „Denkübungen“. „Mein Resümee lautet also folgendermaßen“, schloß er. „Wenn Cajega unter der Folter aussagt vorausgesetzt, es besteht tatsächlich eine Beziehung zwischen Don Antonio und Cajega -, dann ist anzuraten, daß wir uns ein wenig um die Geschichte kümmern.“ „Aber sicher doch“, sagte Ribault. „Das bedeutet, daß wir ab sofort heimlich den Südausgang der Stadt überwachen. Nach Süden sind doch die Maultiertransporte Cajegas im Auftrag Don Antonios vor dessen Abreise gegangen, nicht wahr?“ „Ja“, bestätigte Arne. „Angeblich, um Batabano an der Südküste mit Gütern für den Hafenausbau zu versorgen.“ Plötzlich lächelte er, und in seinen Augen schienen tausend winzige Teufel zu tanzen. So ganz im Stil seines Vetters Hasard, stellte Jean Ribault insgeheim fest, man merkt, wie sehr sie sich ähneln. „Angenommen, diese Batabano-Transporte dienten einem ganz anderen Zweck“, fuhr Arne fort. „Nämlich der Verfrachtung von Schatzgütern des verehrten Don Antonio was dann?“ „Das liegt doch auf der Hand“, sagte Karl von Hutten. „Diese Chance sollten wir wahrnehmen“, sagte Jean Ribault. „Richtig!“ stimmte Renke Eggens zu. „Wir lassen uns zu dem Schatzversteck führen. Das ist doch eine einmalige Gelegenheit!“ „Ihr scheint euch ja schon einig zu sein“, sagte Arne. „Hat denn keiner einen Widerspruch anzumelden?“ „Nicht die Bohne“, erwiderte Ribault lachend. „Meinst du im Ernst, wir würden uns das durch die Lappen gehen lassen?“ „Nein, ich habe es nur im Spaß angenommen“, sagte Arne und lachte ebenfalls. „Darauf sollten wir einen trinken“, schlug Ribault vor. „Wie wäre es mit einem Glas Wasser?“ fragte Jussuf.
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Jörgen Bruhn musterte ihn drohend. „Manchmal kannst du einem ganz schön auf die Nerven gehen, alter Freund. Aber du hast Glück, ich verzeihe dir, weil du die Sache mit Cajega ausspioniert hast.“ Jussuf grinste spitzbübisch. „Ich glaube, Allah wird Alonzo de Escobedo für seinen Wahnwitz, Don Antonio zu hintergehen, noch mächtig strafen. Irgendwie habe ich das Ge-. fühl, daß de Escobedo nicht der richtige Mann für den Posten eines Gouverneurs ist.“ „Na, dann sind wir uns ja mal wieder einig“, sagte Jörgen. Kurz darauf erschien Isabella mit einem Tablett, auf dem Gläser und eine Flasche Wein standen. Arne servierte den Wein selbst. Dann stießen sie miteinander an und tranken auf ein gutes Gelingen ihres Plans. 7. Jean Ribault und sein bewährter Landsmann Roger Lutz waren es, die die Ausführung des Plans übernahmen. In der Dunkelheit holten sie sich Waffen von der „Goldenen Henne“. Dann trafen sie sich hinter der Faktorei mit Jussuf. „Es kann losgehen“, raunte Ribault Jussuf zu. Jussuf hatte sich in einen dunklen Umhang gehüllt. „Folgt mir. Aber haltet die Augen offen. Wenn wir einer Patrouille begegnen, müssen wir uns verdrücken.“ „Allah wird uns schon helfen“, flüsterte Roger Lutz grinsend. Die drei Männer setzten sich in Bewegung und schlichen durch das nächtliche Havanna. Jussuf führte die beiden Franzosen in südlicher Richtung durch die Gassen und Gänge, er kannte sich überall bestens aus. Die Plaza berührten sie bei ihrem Marsch nicht. Sie waren sich darüber einig, daß es nicht klug gewesen wäre, sich dort zu zeigen. Im Hafen und auf der Plaza waren um diese Zeit immer noch Menschen unterwegs. Jussuf benutzte Schleichwege, wie sie selbst die Einheimischen nicht besser kannten. So begegneten sie keinem Menschen. Nur einmal mußten sie sich in
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eine Toreinfahrt zurückziehen, als in einer Gasse eine Gruppe Gardisten vorbeimarschierte. Doch die Soldaten bemerkten die drei Männer nicht. Am südlichen Rand der Stadt gewahrte Jean Ribault eine halb verfallene Hütte, vor der sich eine wankende Gestalt bewegte. „Achtung!“ zischte er. Sofort duckte er sich, und auch Roger Lutz und Jussuf gingen in Deckung. Die Gestalt verschwand in der Hütte. Leise Flüche ertönten, dann ein Gluckern und ein Seufzer, schließlich waren keine Laute mehr zu vernehmen. Jussuf grinste. „Das ist Pedrito, ein Herumtreiber. Er ist glücklich, wenn er sich so richtig vollaufen lassen kann. Hin und wieder habe ich von ihm schon mal einen brauchbaren Tip erhalten. Er ist neugierig und geschwätzig wie eine Drossel.“ „Ich glaube, den Burschen kenne ich auch“, sagte Ribault. Er pirschte auf die Hütte zu und warf einen Blick hinein. Pedrito lag in dem unvorstellbaren Durcheinander von Gerümpel und schnarchte zufrieden. Neben ihm war im eindringenden Mondlicht eine leere Flasche zu erkennen. Morales hatte ihn für die getane Arbeit entlohnt, und wieder einmal ging für Pedrito ein Tag mit einem Vollrausch zu Ende. Vergessen waren die Residenz, der Gouverneur und Miguel Cajega, der in der Residenz verschwunden war. Ribault erkannte in Pedrito den Mann wieder, der in der Nacht, in der die portugiesische Galeone ausgeplündert und versenkt worden war, von den Männern des Teniente einen Musketenhieb empfangen hatte. Ribault hatte die Maultierkolonne verfolgt und beobachtet, wie sie im Hof der Residenz verschwunden war. Pedrito war allerdings nicht der einzige gewesen, der Prügel bezogen hatte. Auch ein untreuer Ehemann war auf diese Weise „abgeräumt“ worden. Ihm hatte Jean Ribault sogar noch einen guten Tip gegeben, was die Heimkehr ins eheliche Bett betraf.
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Ribault grinste, als Roger Lutz und Jussuf bei ihm eintrafen. „Ein feines Kerlchen“, sagte er und deutete auf Pedrito. „Irgendwie ist er mir sympathisch.“ Er berichtete ihnen gedämpft, wie Pedrito dem Teniente vor die Füße gestolpert war und welche Konsequenzen sich für den Pennbruder daraus ergeben hatten. Die beiden lachten leise. Dann setzten sie ihren Marsch fort. Bald erreichten sie den Fahrweg, der von Havanna aus ins südliche Landesinnere führte. Hier verharrten sie in einem Gebüsch und setzten ihr Gepäck auf dem Boden ab. „Du brauchst nicht länger zu bleiben“, sagte Ribault zu Jussuf. „Dein Auftrag ist erledigt. Besten Dank, du hast deine Sache wirklich gut gemacht.“ Jussuf deutete eine Verbeugung an. „Es war mir eine Ehre, Senor. Hoffentlich müßt ihr nicht zu lange hier draußen warten.“ Ribault wies auf das Gepäck. „Wir haben ja alles, was das Herz begehrt. Proviant und Trinkwasser.“ „Und ein Fläschen Rum habe ich mir auch erlaubt mitzunehmen“, fügte Roger Lutz grinsend hinzu. „Dann kann ja nichts passieren“, sagte Jussuf. „Also - ich wünsche euch viel Erfolg.“ „Es wird schon schiefgehen“, erwiderte Ribault leise. „Wenn heute nacht nichts passiert, haben wir vielleicht in der nächsten Nacht Erfolg.“ Jussuf entfernte sich, die Dunkelheit verschluckte die Umrisse seiner Gestalt. Jean Ribault und Roger Lutz ließen sich in dem Gebüsch nieder. „Na, dann wollen wir uns mal so gemütlich wie möglich einrichten“, sagte Ribault. „Hast du eben was von einer Flasche Rum gesagt, oder habe ich mich verhört?“ „Verhört. Fläschchen habe ich gesagt, nicht Flasche“, erwiderte Roger Lutz. „Wir wollen doch keine Haarspalterei betreiben. Rück schon heraus damit.“
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„Wie find' ich denn das? Wir sind doch im Dienst“, widersprach Roger. „Da ist Schnaps untersagt.“ „Aber ich bin dein Kapitän, und ich befehle dir, der Crew eine Extraration Rum auszugeben. Die Crew, das sind in diesem Fall wir beiden.“ Roger griff unter das Wams und holte die kleine Flasche heraus. „Du hast gewonnen. Hier, bitte.“ „Nein, du hast das Vorrecht auf den ersten Schluck.“ Roger entkorkte das Fläschchen und trank. Er reichte es weiter an Jean Ribault, und auch dieser genehmigte sich ein Schlückchen. „So“, sagte er dann. „Es soll aber nicht ausarten.“ Roger Lutz steckte die kleine Flasche wieder weg. Die beiden Männer schwiegen und beobachteten den Fahrweg. Nichts geschah, auch in der – nächsten Stunde nicht. Sie wußten, daß sie sehr viel Geduld aufbringen mußten. Es war nicht sicher, ob Cajega unter der Folter etwas preisgeben würde. Und wenn er es tat, war der Zeitpunkt seines „Geständnisses“ ungewiß. Doch kurz vor Mitternacht näherten sich aus Richtung der Stadt verhaltene Geräusche. Jean Ribault berührte Roger Lutz' Unterarm. „Hufschlag“, raunte er ihm zu. Tatsächlich war es ein Pferd, das sich ihnen auf dem Fahrweg näherte. Das Pferd trug einen Reiter, und der Reiter trieb einen zweiten Mann, der sich auf Schusters Rappen bewegte, vor sich her. Im fahlen Mondlicht konnten die beiden Beobachter den Mann hoch zu Roß erkennen: es handelte sich um Alonzo de Escobedo, den Gouverneur von Kuba. * „Das ist er!“ zischte Jean Ribault Roger Lutz zu. „Der Gouverneur!“ „Bist du sicher?“ „Ganz sicher.“ „Dann ist der andere bestimmt Miguel Cajega“, flüsterte Roger Lutz.
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De Escobedo war schwer bewaffnet. Der Mann, der vor ihm herstolperte, hatte eine Fangleine um den Hals, die der Gouverneur führte. Die Hände waren dem Gefangenen auf den Rücken gefesselt. Es war nur logisch, daß dieser arme Teufel Cajega sein mußte. Die Folter hatte Cajegas Widerstand gebrochen, er dachte nicht mehr an Don Antonio de Quintanilla und dessen mögliche Rache, wenn er als Vizekönig zurückkehrte und feststellte, daß ihn sein Vertrauensmann betrogen hatte. De Escobedo hatte es geschafft. Und er hatte sich nicht geirrt. Cajega hatte zugegeben, die Schätze des Don Antonio vor dessen Abreise aus der Stadt transportiert zu haben. Er hatte auch gesagt, daß Don Antonio ihm gedroht hätte, was passieren würde, wenn er während der Abwesenheit des Dicken die Reichtümer anrührte. De Escobedo hatte darüber nur gelacht. „Gar nichts wird er tun, der Hund! Er wird eines natürlichen Todes sterben, das versichere ich dir, du Narr!“ Cajega war es egal. Er litt Qualen und wäre am liebsten gestorben. Aber de Escobedo dachte nicht daran, ihm den Gnadenstoß zu versetzen. „Ich brauche dich noch, Freundchen“, hatte er höhnisch gesagt. „Die Beschreibung des Verstecks genügt mir nicht. Du wirst mich hinführen.“ „Das schaffe ich nicht“, hatte Cajega gestöhnt. „Du schaffst es“, versicherte ihm der Gouverneur. De Escobedo trieb seinen Gefangenen mit der Peitsche vor sich her. Cajega wankte und stolperte und drohte, jeden Augenblick zusammenzubrechen. Aber wie durch ein Wunder hielt er sich auf den Beinen. Wenn hinter seinem Rücken die Peitsche knallte, zuckte er zusammen und zog den Kopf ein. Der geflochtene Lederriemen der Peitsche traf seinen Rücken und zeichnete ein neues Mal auf seine blutig verschrammte Haut. Jean Ribault und Roger Lutz verharrten völlig reglos in ihrem Versteck. De Escobedo und Cajega zogen in nicht allzu
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großer Entfernung an ihnen vorbei. Weder der Gouverneur noch der Fuhrunternehmer bemerkten die beiden Beobachter, die sie mit ihren Blicken verfolgten. Wieder knallte die Peitsche und traf Cajegas Rücken. Cajega keuchte und stöhnte. Er schien in den Knien einzuknicken, richtete sich aber wieder auf und taumelte weiter. „Schneller!“ rief de Escobedo. „Vorwärts! Nicht so lahm!“ „Ja“, stöhnte der Fuhrunternehmer. „Glaubst du, ich will hier draußen meine Zeit vergeuden? Schneller!“ Cajega versuchte, seine Schritte zu beschleunigen. Die Fangleine um seinen Hals spannte sich und würgte ihn. Er hustete und keuchte. De Escobedo lachte und trieb sein Pferd mit den Stiefelhacken etwas an. Das Tier schritt schneller aus, die Fangleine lockerte sich wieder. Reiter und Gefangener hielten auf die schwarze Wand des Urwalds zu. Sie entfernten sich wieder von den beiden Franzosen. „Dieser Dreckskerl“, murmelte Roger Lutz. „Er bringt den Mann um.“ „Aber Cajega muß ihn zu dem Schatzversteck führen“, raunte Jean Ribault. „Bricht Cajega zusammen, erfährt de Escobedo nie, wo die Beute zu holen ist. Nein, er läßt den Mann am Leben. Er will nur verhindern, daß Cajega an Flucht denkt.“ „Der läuft keine zehn Schritte weit, wenn es ihm gelingt, sich loszureißen“, brummte Roger Lutz. „Er ist viel zu schwach.“ Sie warteten, bis der Abstand zwischen de Escobedo und ihnen groß genug war, dann nahmen sie die Verfolgung auf. Sie schulterten das Gepäck und folgten dem Verlauf des Fahrweges, wobei sie darauf achteten, daß die Entfernung zwischen ihnen und dem Gouverneur gebührend groß blieb. De Escobedo und Cajega tauchten im Urwald unter und waren jetzt nicht mehr zu sehen. Wohl aber konnten Jean Ribault und Roger Lutz sie hören. Der Gouverneur stieß immer wieder höhnische Rufe aus und ließ die Peitsche knallen. Cajega
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stöhnte und ächzte. So setzten sie ihren Marsch fort - immer weiter weg vom Rand der Stadt in südliche Richtung. Nachtvögel schrien im Dschungel. Frösche quakten, Zikaden zirpten. Doch nie waren die spöttischen Bemerkungen des Gouverneurs zu überhören, und auch die klagenden Laute des gemarterten Gefangenen wurden von den übrigen Geräuschen nicht übertönt. Ribault und Roger Lutz marschierten über den Trampelpfad, der sich als Schneise durch den Busch zog. Das Gepäck lastete ein wenig auf ihren Schultern. Einmal blieben sie stehen und nahmen zur Stärkung noch einen Schluck Rum zu sich. Dann wanderten sie Weiter. „Ich bin gespannt, wie weit es bis zu dem Versteck ist“, murmelte Roger Lutz. „Sicherlich ein paar Meilen“, entgegnete Ribault gedämpft. „Ein paar Stunden wird der Marsch wohl dauern.“ „Ich frage mich, wie Cajega das durchhält.“ „Ja, das frage ich mich inzwischen auch“, flüsterte Ribault. Wieder knallte die Peitsche des Gouverneurs in der Nacht. „Vorwärts, du fauler Hund!“ schrie de Escobedo. „Willst du wohl laufen? Warte, ich mache dir Beine!“ Miguel Cajega schrie auf. Es nutzte ihm nichts. Brutal und gnadenlos hieb de Escobedo auf ihn ein. Cajega stolperte und stürzte zu Boden, rappelte sich unter neuerlichen Schlägen aber wieder auf. Er wankte weiter, tiefer in den Urwald hinein und seinem unabwendbaren Ende entgegen. * Etwa gegen drei Uhr morgens brach Miguel Cajega auf dem Pfad zusammen. Mit einem dumpfen Laut schlug sein Körper auf dem Boden auf. Völlig reglos lag er da. Doch er war nicht bewußtlos. Es dröhnte und hämmerte in seinem Schädel, sein Körper war eine einzige höllisch brennende Wunde, doch sein Haß war stärker als alle Schmerzen und die
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Verzweiflung, die von ihm Besitz ergriffen hatte. De Escobedo stieß einen üblen Fluch aus und schwang die Peitsche. „Weiter! Willst du wohl aufstehen, du Bastard? He, so haben wir nicht gewettet!“ Cajega rührte sich nicht. Wie tot lag er da. Die Peitsche pfiff durch die Luft und klatschte auf seinen Rücken, doch auch jetzt geschah nichts. Er zuckte nicht einmal mehr. Noch zwei-, dreimal traf ihn der geflochtene Riemen, aber auch das trieb ihn nicht wieder hoch. „Du Strolch“, sagte de Escobedo voll Wut. „Na warte, dir helfe ich schon wieder auf.“ Er saß fluchend ab und schritt in drohender Haltung auf seinen Gefangenen zu. Dort verharrte er, stemmte die Fäuste in die Seiten und blickte Cajega an. „Glaub nur nicht, daß du damit bei mir durchkommst!“ zischte de Escobedo. „Mich kannst du nicht täuschen!“ Er holte mit dem rechten Fuß aus und trat dem Gefangenen kräftig in die Seite. Cajega rührte sich immer noch nicht. Plötzlich durchfuhr es de Escobedo siedendheiß. War der Kerl etwa tot? Verdammt, dann wäre alles umsonst gewesen. Die klagenden, und kreischenden Laute der Urwaldtiere klangen plötzlich wie Hohn. Verspotteten sie den Gouverneur? Zornig sah er sich um. Der Schweiß lief ihm übers Gesicht. Es war feucht und stickig, kein Lufthauch rührte die Schwüle auf. De Escobedo beugte sich über Cajega, griff nach dessen Schultern und schüttelte ihn. „He! Wach auf!“ Cajega bewegte sich nicht. Wieder durchzuckte den Gouverneur der Schreck. Hatte er es doch zu weit getrieben? Hatte er zu heftig auf den Kerl eingeschlagen? Nein - Cajegas Brust hob und senkte sich noch. De Escobedo registrierte es und atmete auf. Also doch nur bewußtlos, dachte er erleichtert. Dabei ging es ihm keineswegs um Cajega, sondern ausschließlich um die Tatsache, daß der Fuhrunternehmer der einzige war, der ihn zu dem Schatzversteck führen konnte. Starb der Kerl vorzeitig, war die Chance,
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sich Don Antonios Reichtümer heimlich anzueignen, verspielt. De Escobedo bückte sich und griff dem Besinnungslosen unter die Achseln. Er schleppte ihn fluchend zu einem Baum. Hier wollte er ihn an den Stamm fesseln, damit Cajega nicht weglaufen konnte, sobald er das Bewußtsein wiedererlangte. Der Gouverneur ließ seinen Gefangenen vor dem Baum zu Boden sinken und richtete sich auf, um ihn festzubinden. Doch genau in diesem Moment stellte sich heraus, daß Cajega sich doch eines Tricks bedient hatte. Cajegas Knie zuckte hoch - de Escobedo empfing einen fürchterlichen Tritt in den Unterleib. Er krümmte sich, stöhnte und preßte die Hände an den Leib. „So, du Hund!“ stieß Cajega gequetscht hervor. „Jetzt bist du dran!“ Er wollte sich auf den Gouverneur stürzen. Doch der reagierte trotz seiner Schmerzen. Er warf sich zur Seite und griff nach seiner Pistole. Cajega war mit einem Satz über ihm, doch de Escobedo hatte die Radschloßpistole bereits gezückt. Mit voller Wucht zog er Cajega den Griff über den Schädel. Cajega versuchte zwar noch, auszuweichen, doch er handelte nicht schnell genug. Die Folgen der Folter machten sich bemerkbar. Er befand sich in einem Zustand dumpfer Benommenheit. Seine Geistesgegenwart hatte gelitten, obwohl er es geschafft hatte, de Escobedo zu überrumpeln. Etwas schien auf Cajegas Hinterkopf zu explodieren. Glühende Nägel durchbohrten seinen Schädel, so fühlte es sich an. Dann aber spürte Cajega nichts mehr, denn nun schwanden ihm wirklich die Sinne. Mit einem leisen Stöhnen brach er vor dem Baumstamm zusammen. De Escobedo hockte auf dem Boden und wimmerte vor sich hin. Entsetzliche Schmerzen wühlten in seinem Leib. War er innerlich verletzt? O Gott, dieses Schwein, dachte er immer wieder entsetzt, dieses elende Schwein! In einem Anfall jäher Wut war de Escobedo versucht, Cajega mit einem
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Schuß zu töten. Doch er bezwang sich im letzten Moment. Was hätte denn alles, was er bisher getan hatte, genützt, wenn er den Kerl jetzt aus dem Weg räumte? Die ganze Mühe, alles wäre vergeblich. Nein, Cajega mußte noch am Leben bleiben. Die Schmerzen ließen allmählich nach. De Escobedos Atem ging wieder langsamer und regelmäßig. Er hörte auf zu jammern und überlegte, was er tun solle. Das Wichtigste war zunächst einmal, Cajega an den Stamm des Baumes zu fesseln. De Escobedo kroch auf seinen Gefangenen zu. Ehe er aber etwas unternahm, vergewisserte er sich, ob der Fuhrunternehmer auch wirklich besinnungslos war. Als er sicher war, daß ihn Cajega dieses Mal nicht täuschte, richtete de Escobedo ihn an dem Baumstamm auf, bis der Bewußtlose eine sitzende Haltung einnahm. Mit einem Strick, den er sich von seinem Pferd holte, band er ihn an dem Baum fest. „So“, sagte er leise. „Jetzt kannst du mir nicht mehr entwischen, du Ratte. Und wehe, du versuchst noch einmal, mich zu hintergehen!“ Plötzlich wurde de Escobedo schwindlig. Verblüfft schaute er sich um. Was war los? Alles drehte sich um ihn, und die Laute der Nachtvögel klangen grell in seinen Ohren. Er sank nach rechts und fiel zu Boden, aber er spürte schon nicht mehr, wie er mit der Schulter aufprallte. Seine Arme sanken schlaff zu den Seiten. Er streckte die Beine weit von sich. „Jetzt ist er selbst zusammengesackt“, raunte Jean Ribault im Dickicht Roger Lutz zu. Sie hielten sich nur wenige Yards vom Schauplatz des Geschehens Versteckt und hatten alles verfolgen können. „Das geschieht ihm recht.“ „Was unternehmen wir?“ wollte Roger Lutz wissen. „Wir warten ab.“ „Bis de Escobedo wieder zu sich kommt?“ „Genau das“, erwiderte Ribault. „Wir haben keine andere Alternative. Es würde uns wenig einbringen, de Escobedo zum Beispiel gefangen zu nehmen. Er scheint ja
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selbst noch nicht zu wissen, wo sich das Schatzversteck befindet.“ „Aber wir könnten Cajega losbinden“, flüsterte Roger Lutz. „Aus Dankbarkeit, daß wir ihn am Leben lassen, beziehungsweise den Klauen des Gouverneurs entrissen haben, zeigt er uns das Versteck.“ „Ich glaube nicht, daß er das tun würde“, entgegnete Ribault. „Er kennt uns nicht und weiß nicht, was er von uns zu erwarten hat. Vielleicht stirbt er lieber, statt uns diesen Gefallen zu tun. Nein, so geht es nicht, Roger. Wir können hier nur ausharren und abwarten.“ Das sah auch Roger Lutz ein. Sie tranken beide noch einen Schluck Rum, dann einigten sie sich auf eine Wacheinteilung. Erst sollte Jean Ribault schlafen, und Roger Lutz wachte. Nach zwei Stunden übernahm Jean Ribault die Rolle des Aufpassers, und Roger Lutz konnte ruhen. So hatten sie die Möglichkeit, doch ein wenig zu schlafen und sich nicht die ganze Nacht um die Ohren schlagen zu müssen. Jean Ribault schlief tief und fest ein. Als Roger Lutz zwei Stunden später seine Schulter berührte, wachte er aber sofort auf und hob den Kopf, „Und?“ flüsterte er. „Wie sieht es aus?“ „Sie sind immer noch beide bewußtlos“, raunte Roger Lutz. „Ich frage mich schon, wann sie endlich wieder zu sich kommen.“ „Geduld“, murmelte Ribault. Roger Lutz packte sich auf das Lager, das sie im Gebüsch improvisiert hatten. Eine Weile lauschte er noch den Lauten des Dschungels. Dann schlummerte auch er ein. Ribault verließ das Dickicht und pirschte zu den beiden Spaniern. Er untersuchte sie eingehend und stellte fest, daß sie wirklich nur bewußtlos waren. Aber bei Cajega bestand die Möglichkeit, daß er den Folgen der Folter erlag. Doch der Fuhrunternehmer schien trotz allem sehr widerstandsfähig zu sein. Er hatte leise zu schnarchen begonnen. Die Ohnmacht ging in tiefen Schlaf über. Umso besser, dachte Ribault. Dann kehrte er in das Versteck zurück, hockte sich hin
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und wartete ab, was weiter geschehen würde. 8. Alonzo de Escobedo wußte, als er die Augen aufschlug, im ersten Moment nicht, wo er sich befand. Lag er nicht in seinem Prunkbett im Schlafzimmer der Residenz? Aber warum, zum Teufel, roch es nach Moos? Und wo war die Kordel, an der er ziehen konnte, um seine Lakaien zu rufen? Allmählich begriff er. Der Urwald Miguel Cajega! Wo steckte der Hund? Mit einer Verwünschung drehte sich de Escobedo auf dem Boden und spähte aus schmalen, schläfrigen Augen zunächst nach rechts, dann nach links. Jetzt sah er seinen Gefangenen. Cajega hatte ebenfalls das Bewußtsein wiedererlangt und fixierte ihn aus haßfunkelnden Augen. „Na los, auf was wartest du?“ zischte er. „Warum erschießt du mich nicht?“ De Escobedo war jetzt hellwach. Er riß die Augen auf. Im selben Moment registrierte er, daß es hell geworden war. Wie spät mochte es sein? Vielleicht sechs, vielleicht schon sieben Uhr. Er fluchte. Zeit hatte er verloren. Aber wenigstens hatten die Schmerzen in seinem Unterleib aufgehört. Schwerfällig richtete sich de Escobedo vom Boden auf. Dann trat er vor seinen Gefangenen hin, nahm die Peitsche vom Gurt und rollte sie auseinander. „Das könnte dir so passen“, sagte er kalt. „Für dich wären alle Probleme beseitigt, und du brauchtest nicht mehr durch die Gegend zu traben, was?“ „So ist es.“ „Von wegen“, sagte de Escobedo. „Ich binde dich jetzt los. Wir setzen unseren Marsch fort.“„Nehmen wir mal an, ich habe es mir anders überlegt“, sagte der Fuhrunternehmer. „Ich führe dich nicht zu Don Antonios Versteck.“ De Escobedo holte aus und hieb ohne Vorwarnung mit der Peitsche zu. Der Schlag traf Cajega mitten ins Gesicht.
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„Wie war das? Habe ich eben richtig gehört?“ „Du gemeiner, dreckiger Hund!“ stöhnte Cajega. „Noch einen Schlag?“ fragte de Escobedo. „Nein - bitte nicht!“ „Das hört sich schon besser an“, sagte der Gouverneur. „Du hast es dir also doch nicht anders überlegt?“ „Nein, nein.“ „Gut“, sagte de Escobedo. „Ich binde dich los. Wenn du jedoch versuchen solltest, abzuhauen, schieße ich dir eine Kugel in den Arm. Du glaubst nicht, wie weh das tut. Alles, was du bisher gespürt hast, war nichts dagegen.“ Cajega schwieg. Als de Escobedo vor ihm stand und den Knoten der Stricke löste, hätte der Fuhrunternehmer ihm am liebsten ins Gesicht gespuckt. Doch er beherrschte sich. Er hatte Angst vor weiteren Peitschenhieben. „Gouverneur“, flüsterte er nur. „Was passiert mit mir, wenn wir das Versteck erreicht haben?“ „Das habe ich dir bereits gesagt. Ich lasse dich laufen. Das einzige Problem für dich wird sein, zu Fuß nach Havanna zurückzukehren. Aber du verstehst, ich kann dich nicht mitnehmen. Man darf uns nicht zusammen sehen.“ „Ja, natürlich. Du wirst mich also nicht töten?“ „Du hast mein Ehrenwort“, erklärte de Escobedo. „Und das bricht ein Mann wie ich nicht. Außerdem wäscht eine Hand die andere. Du tust mir einen Gefallen, und ich revanchiere mich, indem ich dir die Freiheit schenke.“ Der Strick löste sich. De Escobedo griff nach der Fangleine und ging zu seinem Pferd, das friedlich grasend auf dem Dschungelpfad stand. De Escobedo saß auf und zerrte ein wenig an der Leine. „Los!“ rief er. „Aufstehen! Es geht weiter!“ Nur mühsam erhob sich Miguel Cajega. Er spürte jeden Knochen im Körper. Seine Haut brannte wie Feuer. In seinem Kopf dröhnte und pochte es. Aber er mußte
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wieder laufen - vor de Escobedo her nach Süden, immer weiter, Batabano entgegen. * Jean Ribault und Roger Lutz schritten nebeneinander durch das tiefgrüne, dampfende Dickicht. Es war heiß geworden. Der Schweiß lief ihnen in Bächen über den Körper. Das Gepäck lastete schwer auf ihren Schultern, der Marsch wurde allmählich zur Qual. „Also doch nicht nur ein paar Stunden“, sagte Roger Lutz. „Ich habe den Eindruck, wir traben bis nach Batabano.“ „Das Gefühl habe ich inzwischen auch“, bestätigte Ribault. „Der Teufel soll Don Antonio holen. Warum mußte er seine ergaunerten Schätze bis in den Süden der Insel schleppen?“ Roger stieß einen leisen Fluch aus. „Er wird schon gewußt haben, warum. Wahrscheinlich gibt es an der Südküste die besten Möglichkeiten, eine Anzahl von Truhen und Kisten verschwinden zu lassen, ohne daß ein Unbefugter sie auch nur durch Zufall entdeckt.“ „Ja, so muß es wohl sein“, brummte Jean Ribault. Sie unterhielten sich wie üblich sehr leise miteinander. Alonzo de Escobedo und Miguel Cajega konnten sie unmöglich hören. Die befanden sich gut fünfzig Schritte vor ihnen. Hin und wieder knallte die Peitsche, und der Fuhrunternehmer stöhnte auf. Dann lachte de Escobedo. Er stieß höhnische, verächtliche Bemerkungen aus wie: „Kannst du nicht mehr? Ach, das glaube ich nicht! Du tust nur so! Vorwärts!“ Oder er sagte: „Nur Mut! Vor den Lohn hat der Herrgott den Schweiß gesetzt!“ So ging es weiter - quer durch den Urwald von Kuba von Norden nach Süden. Wohin führte der Weg? De Escobedo wußte es so wenig wie die beiden Verfolger. Es sollten noch Stunden verstreichen, bis die Männer endlich wußten, woran sie waren. Am Nachmittag dieses Tages wehte bereits die Salzluft der See in den Urwald. Die Küste konnte nicht mehr weit entfernt sein,
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höchstens noch zwei, drei Meilen. Da aber trat eine Wende ein. Cajega, der sich jetzt nur noch dahinschleppte, bog unvermittelt nach rechts, also nach Westen ab. „Was ist los?“ schrie de Escobedo. „Was soll das?“ „Flußtal“, sagte Cajega heiser und kaum verständlich. Seine Lippen waren ausgetrocknet und aufgeplatzt, in seinem Gaumen schien sich ein pelziger Klumpen zu befinden. Er hatte gräßlichen Durst, aber de Escobedo dachte nicht daran, ihn aus der Wasserflasche trinken zu lassen, die er aus der Residenz mitgenommen hatte. Cajegas Gesicht war verzerrt, seine Augen unnatürlich geweitet. Er litt, aber der Gouverneur zeigte auch jetzt nicht die geringste Spur von Mitleid. „Du willst mich zum Narren halten!“ schrie de Escobedo seinen Gefangenen an. Cajega fiel auf die Knie, richtete sich wieder auf und wankte weiter. Er schüttelte den Kopf ein paarmal hin und her. „Nein, nein.“ Schlaff hob er die Hand und wies auf das Tal, das sich zu ihrer Rechten öffnete. Dann ließ er die Hand wieder sinken. Seine Arme baumelten herunter, er schien keinen Funken Kraft mehr zu haben. Tatsächlich öffnete sich vor ihnen ein Flußtal. Es stieg allmählich zu ihnen hin an, sie befanden sich also auf einem erhöhten Platz und konnten, als der Urwald sich öffnete, in das Tal und bis zum Meer hinunterblicken, das sich im Süden ausdehnte. Der Fluß verlief in seiner Grundrichtung parallel zur Küste. De Escobedo hielt sich, seinem Gefangenen folgend, an seinem nördlichen Ufer. Miguel Cajega torkelte wie ein Betrunkener vorwärts. Woher er die Energie nahm, sich immer noch auf den Beinen zu halten, wußte er selbst nicht. Aber er taumelte weiter und gab nicht auf. Denn in seiner Verzweiflung hoffte er nun doch, daß der Gouverneur ihn am Leben lassen würde, wenn das Schatzversteck endlich erreicht war. Mit mißtrauischem Gesicht blickte sich de Escobedo nach allen Seiten um. Was hatte Cajega vor? Wollte er ihn in die Irre
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führen? Ihn in einen Hinterhalt locken? O nein, wenn er glaubte, daß ihm das gelang, täuschte er sich. Er, de Escobedo, würde sich nicht noch einmal an der Nase herumführen lassen. Der Tritt in den Unterleib hatte ihm genügt. Noch jetzt glaubte er die Schmerzen sofort wieder zu spüren, wenn er nur daran dachte, wie hundsgemein dieser Bastard ihn angegriffen hatte. Wie gemein und brutal er selbst war, bedachte de Escobedo nicht. Aber schließlich war er der Gouverneur, und es war seine Pflicht von Amts wegen, Kerle wie Cajega einzusperren und zu verhören, weil sie gegen die auf Kuba geltenden Gesetze verstießen. Cajega war ein Schmuggler. Ein übler Strolch, der mit dem Teniente gemeinsame Sache gemacht hatte. Der Teniente war bereits bestraft worden, aber Miguel Cajega sollte spüren, was es hieß, hinter dem Rücken des Gouverneurs faule Geschäfte zu betreiben. So hatte sich de Escobedo seine Rechtfertigung für alles geschaffen. Er hatte mit der Schmuggelei nichts zu tun gehabt, es war alles ein Komplott zwischen dem Teniente, Fiarro und Cajega gewesen. Oder? Nun, da sollte ihm mal jemand das Gegenteil beweisen! Wieder verging die Zeit. Der Weg, der noch vor ihnen lag, schien unendlich zu sein. Hin und wieder spähte de Escobedo nach links und nach rechts und auch nach hinten, doch er vermochte nichts zu sehen, das sein Mißtrauen steigerte. Nirgendwo schien Gefahr zu lauern. Vielleicht war der Fuhrunternehmer ja doch aufrichtig in seinem Bestreben, ihn jetzt endlich zu dem geheimen Platz zu führen. Was blieb ihm letztlich anderes übrig? Er hatte nichts mehr zu verlieren und alles zu gewinnen. Folglich mußte sein Bestreben sein, de Escobedo zufriedenzustellen. Die beiden Männer, die ihnen folgten, bemerkte der Gouverneur auch dieses Mal nicht. Jean Ribault und Roger Lutz nutzten jeden Strauch als Deckung aus. Sie hatten genug Übung in der Kunst, sich zu tarnen und zu verbergen, es war nicht das erste Mal, daß sie an Land jemanden
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beschatteten. Allerdings fragten auch sie sich inzwischen, wohin der Weg eigentlich führte. Die Antwort auf diese Frage erhielten sie etwa gegen sechs Uhr nachmittags. Das Flußtal endete vor einer felsigen Steilwand, an der ein mächtiger Wasserfall hinunterbrauste. Schon von weitem konnte man das Tosen des Wasserfalles vernehmen, und hinter einer Biegung des Flusses öffnete sich dem Auge dann dieses Bild, das gigantisch und faszinierend zugleich anmutete. Eine einzigartige Idylle - die Wärme wich, die Frische des brausenden Wassers wirkte belebend und ermunternd. Cajega torkelte zum Fluß und ließ sich nur etwa fünfzehn bis zwanzig Yards von dem Wasserfall entfernt auf den Ufersand sinken. Er kippte vornüber, breitete die Arme aus und trank gierig von dem klaren, frischen Naß. De Escobedo begann jedoch mörderisch zu fluchen. „Du elender Bastard! Verdammter Lügner!“ brüllte er. Für die Idylle hatte er überhaupt keinen Blick. Ihn ließ die Schönheit der Natur kalt. Ihm ging es um Gold, Silber und Juwelen, und davon war hier nichts zu sehen. Mit einem Satz war de Escobedo aus dem Sattel und zerrte an der Fangleine. Er riß Cajega vom Wasser fort und schwang die Peitsche. Die Leine schnürte Cajega die Kehle zusammen. Er würgte, hustete und keuchte. „Bist du wahnsinnig?“ schrie der Gouverneur ihn an. „Was wollen wir hier?“ Cajega spuckte in den Sand, ihm wurde übel. De Escobedo trat angewidert zurück und hieb gleichzeitig mit der Peitsche zu. Cajega stöhnte und hob die eine Hand. „Bitte“, flüsterte er. „Nicht mehr schlagen.“ Und doch hieb de Escobedo immer wieder zu. „Du Lumpenhund! Glaubst du, ich durchschaue dich nicht?“ schrie er dabei. „Mich legst du nicht rein!“
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Cajega deutete auf den Wasserfall - und Alonzo de Escobedo drosch wie ein Besessener auf ihn ein. „Ein Wasserfall - na und?“ brüllte der Gouverneur außer sich vor Wut und Enttäuschung. „Du Bastard hast mich in die Irre geführt!“ Cajega schüttelte nur schwach den Kopf. „Nein, nein. Das Versteck - ist hier.“ „Wo?“ schrie ihn der Gouverneur an. Cajega sank in sich zusammen und blieb reglos auf dem Sand liegen. Wieder war er bewußtlos geworden. De Escobedo schlug und trat ihn, aber es hatte keine Wirkung. Er packte den Mann, drehte ihn auf den Rücken und mußte feststellen, daß dieser wirklich die Besinnung verloren hatte. Wütend kehrte de Escobedo zu seinem Pferd zurück. Dabei blickte er jedoch aus den Augenwinkeln zu Cajega. Wenn der Kerl sich einbildete, er könne ihn doch durch einen Trick überlisten, dann hatte er sich geirrt. Aber Miguel Cajega blieb dort liegen, wo er zusammengebrochen war. Er war mehr tot als lebendig. Das Wasser vermochte seinen Durst nicht zu löschen. Der Hunger nagte an ihm, die Schmerzen brachten ihn um. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst, seit er auf das Geheiß des Gouverneurs hin den Soldaten in die Residenz gefolgt war. De Escobedo löste eine Segeltuchpütz, die er vorsichtshalber mitgenommen hatte, vom Sattelzeug, ging damit zum Fluß und füllte sie mit Wasser. Dann goß er den Schwall über Cajegas Kopf aus. Cajega rührte sich immer noch nicht. De Escobedo stieß eine lästerliche Verwünschung aus und trat den Bewußtlosen. Dann füllte er die Pütz noch einmal mit Wasser. Bei diesem zweiten Versuch, als das Wasser wieder auf Cajegas Kopf klatschte, geschah etwas. Cajega bewegte sich. Er brummelte Unverständliches, versuchte, sich aufzurichten, sank aber gleich wieder auf den Sand zurück. De Escobedo ließ die Peitsche knallen. Da schlug Cajega die Augen auf und sah ihn starr an.
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„Nicht mehr schlagen, Gouverneur“, sagte er. „Wo ist das Versteck?“ Cajega wies mit der Hand noch einmal auf den Wasserfall, selbst auf die Gefahr hin, geprügelt zu werden. „Oben - dort! Ein Sims!“ Er krächzte nur noch beim Sprechen. Er hustete und schluckte, aber seine Stimme besserte sich dadurch nicht. De Escobedo richtete seinen Blick auf die Felswand und erkannte, daß sich rechts des rauschenden Wasserfalles tatsächlich ein Gesteinssims befand, der unter den nassen Vorhang zu führen schien. Der Sims lag etwa zwei bis drei Yards über dem Erdboden. „Dort?“ schrie de Escobedo. „Ja, dort“, flüsterte Miguel Cajega. Der Gouverneur packte ihn und riß ihn vom Boden hoch. Er versetzte ihm einen Stoß und trieb ihn mit der Peitsche vor sich her auf die Felswand zu. Cajega stolperte voran und prallte gegen die Wand. Er keuchte und stöhnte, aber dann begann er unter den neuerlichen Hieben, mit denen de Escobedo ihn eindeckte, an der Wand hochzuklettern. Einmal rutschte er ab und schrammte sich beim Sturz die Brust auf. Aber er mußte es wieder versuchen. Schließlich stand er oben auf dem Sims. Und nun kletterte auch der Gouverneur zu ihm hoch. * Roger Lutz glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Jean Ribault hätte fast einen leisen Pfiff ausgestoßen. Er hätte es tun können, das Rauschen des Wasserfalls hätte es übertönt. Und doch bezwang er sich. Fast hatte er das Gefühl, als könne ein winziger Fehler doch noch alles zerstören. „Donnerwetter“, murmelte er nur. „Don Antonio, dieses Schlitzohr, hat das Versteck richtig ausgewählt.“ „Was meinst du?“ fragte Roger Lutz grinsend. „Ob sich hinter dem Wasserfall wohl eine Höhle befindet?“ „Dreimal darfst du raten“, erwiderte Ribault. „Mann, Mann, da haben wir also des Rätsels Lösung gefunden.“
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Sie beobachteten, wie Alonzo de Escobedo zu seinem Gefangenen hochstieg. Schließlich standen beide Männer auf dem Gesteinssims. Ihre Gesichter waren zur Steilwand gerichtet. De Escobedo befand sich ungefähr vier Schritte von Cajega entfernt und hielt dessen Halsfangleine in der linken Hand. Jetzt schoben sie sich beide auf dem Sims nach links. Es sah so aus, als würde Cajega jeden Moment abstürzen. Und doch gelang es ihm, die Balance zu halten. „Er sieht furchtbar aus“, murmelte Roger Lutz. „Ich frage mich, wie er es schafft, aufrecht zu stehen.“ „Auf jeden Fall ist er am Ende seiner Kräfte“, sagte Jean Ribault. „Was glaubst du, ob de Escobedo sein Versprechen hält?“ „Ich kann es nur hoffen“, erwiderte Roger Lutz leise. Cajega und de Escobedo verschwanden unter dem Wasserfall. Ihre Gestalten waren nicht mehr zu sehen, die Fluten schienen sie verschluckt zu haben. Und doch gelangten sie trockenen Fußes an ihr Ziel. Alonzo de Escobedo sah, daß Cajega ihn doch nicht angeschwindelt hatte. In der Grotte, die sie betraten, befand sich der Schatz des Don Antonio de Quintanilla. Cajega fiel hin. Er stand nicht wieder auf, drehte sich nur auf den Rücken und blieb schwer atmend liegen. De Escobedo beachtete ihn überhaupt nicht mehr. Er hatte nur Augen für den Schatz. „Sehr gut“, sagte er. „Du hast also doch nicht versteht, mich zu hintergehen, mein Freund. Das rechne ich dir hoch an.“ „Ja“, sagte der Fuhrunternehmer heiser. „Danke.“ „Natürlich werde auch ich mein Ehrenwort nicht brechen.“ Cajega nickte nur. Er brachte kein Wort mehr hervor. „Siehst du“, sagte de Escobedo. „So ist das im Leben. Eine Sache geht schief, die andere glückt. Manche Leute haben Pech, die anderen sind vom Glück regelrecht verfolgt. Ich glaube, daß ich zu den Glückspilzen gehöre.“
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Miguel Cajega beobachtete den anderen aus schmalen Augen. Hatte de Escobedo angesichts dieses immensen Schatzes den Verstand verloren? Nein, das konnte nicht sein. Er hatte ganz einfach nur zu spinnen begonnen, weil das, was er sah, ihn überwältigte. „Der Teniente hingegen hatte Pech“, fuhr de Escobedo fort. „Es war aber auch dumm und ungeschickt von ihm, diese Drohungen gegen Fiarro und dessen Kerle auszustoßen. Einer allein gegen eine ganze Horde. Nein, das konnte nicht gut gehen. Der Teniente hat selbst schuld gehabt, daß Fiarro ihm das Messer zwischen die Rippen gesteckt hat. Pech hingegen war es, daß die Haie den Teniente gefressen haben.“ Er kicherte leise. Es ging in dem Rauschen des Wasserfalles unter. Dann sprach er weiter. Es klang hohl und irgendwie fremd. „Weißt du, was ich glaube, Cajega?“ „Nein.“ „Daß die Haie sich an dem Teniente den Magen verdorben haben.“ De Escobedo begann zu lachen. „Er war doch ungenießbar, nicht wahr?“ „Ja“, murmelte Cajega, und dann mußte auch er grinsen, aber es wurde eher eine Fratze daraus. „Ungenießbar!“ stieß de Escobedo prustend hervor, dann brach er in ein wieherndes Gelächter aus. Cajega konnte nicht anders, er mußte mitlachen. Klar, der Gouverneur war ein bißchen übergeschnappt. Aber war das nicht gut für ihn, Miguel Cajega? Die Fangleine lag jetzt am Boden. De Escobedo hatte sie losgelassen. Die Fesseln, die seine Hände auf dem Rücken zusammenhielten, hatte Cajega auch schon ein wenig lockern können. Bald würde er sich aus eigener Kraft befreien, und de Escobedo würde nichts dagegen haben. Cajega konnte nach Havanna zurückkehren, de Escobedo ließ ihn laufen. Oder sollte er versuchen, de Escobedo zu überwältigen und den Schatz für sich zu vereinnahmen? Nein – er hatte nicht die Kraft dazu.
Verdammt zum Sterben
„Fiarro war auch ein Pechvogel“, sagte de Escobedo und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. „Daß er absaufen mußte so was! Na, aber die Haie haben sich an ihm und seinen Kumpanen auch den Magen verrenkt!“ Wieder lachten die beiden, und de Escobedo schlug sich dabei mit der Hand auf den Oberschenkel. Er schien sich prächtig zu amüsieren. Plötzlich aber hielt der Gouverneur mit dem Lachen inne. Er sah Cajega an und sagte: „Weißt du, was ich finde?“ Seine Mundwinkel sanken herunter. Cajega begriff nicht, auf was der Gouverneur hinauswollte. „Nein.“ „Daß du auch ein Pechvogel bist.“ „Ich?“ Cajega kicherte und musste husten. „Jetzt nicht mehr.“ „Du bist es aber doch.“ De Escobedo schnitt ein trauriges Gesicht, griff nach seiner Radschloßpistole und zog sie aus dem Gurt. „Du hast es nur noch nicht begriffen.“ Cajega sah, wie der Mann den Hahn der Waffe spannte. Das metallische Knacken, das dabei entstand, ging im Rauschen des herunterdonnernden Wassers unter. Cajega glaubte, daß sich de Escobedo einen Scherz mit ihm erlauben wollte. Er hob abwehrend die Hand. „Nein, nein!“ rief er. „Ich will keinen Anteil! Ich verzichte darauf!“ „Ja.“ „Ich kann gehen?“ „Du kannst gehen“, erwiderte de Escobedo und ließ die feuerbereite Radschloßpistole wieder sinken. Miguel Cajega rappelte sich von dem harten Steinboden auf, grinste de Escobedo schief zu und schritt auf den Sims zu, um die Grotte wieder zu verlassen. „Danke”, sagte er heiser. „Gern geschehen“, erwiderte der Gouverneur. „Aber laß dir ja nicht einfallen, mein Pferd zu benutzen, Cajega.“ „N-nein!“ „Ehrenwort?“ „Mein Ehrenwort“, erwiderte der Fuhrunternehmer.
Roy Palmer
Seewölfe 489 44
„In Ordnung“, sagte de Escobedo, und es hatte den Anschein, als wolle er sich wieder der Betrachtung der Schätze widmen. Miguel Cajega war bereits auf dem Sims, da ließ ihn die Stimme des Gouverneurs noch einmal herumfahren. : „Cajega?“ Der Fuhrunternehmer drehte sich noch einmal um. De Escobedo hatte ebenfalls den Kopf gewandt und musterte ihn, als begegne er ihm eben zum ersten Male. „Ich habe noch was vergessen“, sagte de Escobedo. „Was denn?“ fragte Cajega. „Das!“ De Escobedo hob die Pistole und drückte ab. Der Schuß krachte, die Kugel raste auf Cajega zu und traf ihn voll. Cajega war viel zu überrascht, um noch reagieren zu können. Er verdrehte die Augen, stürzte von dem Sims und verschwand in den tosenden Fluten des Wasserfalles. „Verdammter Narr“, sagte de Escobedo hämisch. Dann steckte er die leergeschossene Pistole weg und befaßte sich mit seinem Fund, dem Schatz des Don Antonio. Jean Ribault und Roger Lutz hatten trotz des rauschenden Wassers den Pistolenschuß vernommen. Jetzt flog ein Mann im Wasserfall nach unten und schlug auf einem Felsstück auf.
Verdammt zum Sterben
„Mein Gott“, sagte Ribault, „das ist Cajega.“ Der Fluß nahm den Leichnam des Mannes nach Osten mit. Bald war die Gestalt im Wasser verschwunden. Nichts regte sich. Am Ufer stand de Escobedos Pferd. Es hatte den Kopf sinken lassen und trank von dem klaren Naß. Nach einer Weile tauchte der Gouverneur wieder auf. Er balancierte grinsend auf dem Gesteinssims entlang, rieb sich die Hände und schien bester Laune zu sein. Er hatte das Schatzversteck gefunden - und hatte gemordet. Aber es ließ ihn kalt. „Sieh in dir an“, flüsterte Jean Ribault. „Zur Zeit etwas irre, schätze ich“, raunte Roger Lutz. „Er kichert nur noch.“ „Trotzdem würde ich ihn nicht unterschätzen.“ „Was tun wir?“ „Wir warten ab“, erwiderte Jean Ribault. An einer geschützten Stelle schlug Alonzo de Escobedo sein Biwak auf. Etwas später entdeckten Jean Ribault und Roger Lutz am Nordhang des Flußtales eine kleine Höhle, die ihnen Schutz für die Nacht bot. Die Höhle hatte noch einen weiteren Vorteil: Von hier aus konnten sie in guter Deckung den Mörder Alonzo de Escobedo im Auge behalten. Das taten sie, und wieder ging ein Tag, der 7. Mai 1595, zur Neige...
ENDE