William T. Connor
Vampire in New York Version: v1.0
Der Wind heulte durch die Nacht und zerrte an d...
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William T. Connor
Vampire in New York Version: v1.0
Der Wind heulte durch die Nacht und zerrte an den Trenchcoats von Laura Ferguson und Carl Turner. Die beiden fröstelten und gingen schneller. Ihre Gesichter waren gesenkt, sie achteten kaum auf ihre Umgebung. Umso erschrockener waren sie, als ihnen aus einer stockfinsteren Passage zwei Gestalten den Weg vertraten. Beinahe wären sie mit ihnen zusammengeprallt. Laura Ferguson und Carl Turner stockten jäh im Schritt. Im Licht einer Straßenlaterne waren zwei Männer zu erkennen. Ihre Gesichter waren bleich, die stechenden Augen lagen in tiefen, dunklen Höhlen, die Lider waren gerötet. Die beiden starrten das Paar mit einem geradezu hypnotischen Blick an. Sofort spürten Laura Ferguson und Carl Turner die Aura des Bösen …
Carl Turner wollte Laura Ferguson zum Marcus Garvey Park chauffieren, wo sie auf dem Straßenstrich anschaffte. Sie kamen aus ihrer gemeinsamen Wohnung in der 121. Straße und waren auf dem Weg zu Turners Auto. Abgesehen von den beiden Kerlen befand sich niemand auf dem Bürgersteig. Nur auf der anderen Straßenseite, weit von ihnen entfernt, gingen sich drei Passanten. Vereinzelte Autos fuhren vorbei, ohne von der seltsamen Begegnung Notiz zu nehmen. Laura und Carl fassten sich wieder. Fast gewaltsam rissen sie den Blick von den bleichen, unbeweglichen Gesichtern los. Sie wollten den Bürgersteig verlassen, um die beiden Männer vorbeizulassen – da trat einer der beiden schnell an Carl heran. Er packte ihn am Mantel, hob ihn ohne jede Mühe hoch und schleuderte ihn gegen die Hauswand. Carl kam nicht einmal dazu, einen erschreckten Schrei auszustoßen. Er spürte noch den furchtbaren Aufprall, als sein Kopf gegen die raue Wand knallte. Etwas explodierte vor seinen Augen und es wurde schwarz um ihn herum. Besinnungslos rutschte er an der Wand nach unten und blieb zusammengekrümmt liegen. Lauras Mund öffnete sich, aber der Schrei, der sich in ihrer Brust hoch kämpfte, blieb ihr in der Kehle stecken. Der andere der beiden Kerle hatte sie gepackt und mit einem Ruck zu sich herangezogen. Ein Knurren, ähnlich dem eines Hundes, stieg aus seiner Kehle. Als sich seine Oberlippe zurückzog, sah Laura das weiße Gebiss mit den viel zu langen, spitzen Eckzähnen. Vor Angst wie gelähmt, war Laura zu keiner Reaktion fähig. Willenlos ließ sie sich in die finstere Passage zerren. Dort fetzte ihr der Mann – war das überhaupt ein Mensch? – brutal den Mantel auseinander. Darunter trug Laura nur einen leichten Pullover mit tiefem Ausschnitt, der ihre Brustansätze zeigte. Der Kerl beugte sich über Lauras Schulter. Im nächsten Moment spürte sie, wie sich die Eckzähne in ihre Halsschlagader bohrten.
Ihre Augen weiteten sich vor Schmerz und Entsetzen, aber wieder drang nur ein stummer Schrei über ihre Lippen. Ihre Stimmbänder versagten. Der andere Vampir – denn um nichts anderes handelte es sich bei den beiden Gestalten – schleifte Carl unterdessen in die Passage, beugte sich über ihn und grub seine Zähne ebenfalls in den Hals seines Opfers. Nun war nur noch das Schmatzen der höllischen Kreaturen zu vernehmen. Gierig tranken sie das warme, sprudelnde Blut ihrer Opfer, bis auch der letzte Tropfen aus den Körpern gesaugt war. Seltsam bleich, mit aufgerissenen Mündern und Augen lagen die beiden Leblosen am Boden. Lauras Gesicht war noch im Tod von Entsetzen und Grauen geprägt. Die Vampire verwandelten sich in Fledermäuse und verschwanden mit lautlosem Flügelschlag im Dunkel der Nacht …
* Bereits eine halbe Stunde später wurden die beiden Leichen gefunden und das Police Department von dem Verbrechen informiert. Chef vom Dienst der Mordkommission war an diesem Tag Lieutenant George Randall. George war 36 Jahre alt, blond, blauäugig und von großer, durchtrainierter Gestalt. Seinen Job als Polizist versah er mit Leib und Seele. Randall brach mit einem Bereitschaftstrupp sofort zum Tatort in Harlem auf. Die Polizeifahrzeuge rasten mit rotierenden Lichtern und durchdringendem Sirenengeheul durch Manhattan. Als sie die 121. Straße erreichten, hatte sich um die Passage mit den beiden Toten bereits ein riesiger Menschenauflauf gebildet. Ihre Neugierde ließ die Rotte den Regen ebenso ignorieren wie die unangenehme
Kälte. George und seine Leute bahnten sich einen Weg durch die Schaulustigen. Handscheinwerfer flammten auf und rissen mit ihrem grellen Licht die beiden blutbesudelten Leichen aus der Dunkelheit. »O mein Gott«, flüsterte George betroffen, als er die zerfetzten Hälse sah. »Was für ein Mensch …?« Nur nach und nach gelang es ihm, seine Erschütterung in den Griff zu bekommen. »Drängen Sie zunächst einmal die Gaffer zurück«, sagte er schließlich zu einem seiner Männer. »Und fordern Sie Verstärkung an. Wir müssen das Gebiet um den Tatort absperren. Nun machen Sie schon!« Kurze Zeit später erschienen ein Staatsanwalt und mit ihm die Männer von der Spurensicherung. Schließlich traf auch ein ganzer Konvoi Einsatzfahrzeuge der City Police ein. Die Cops drängten die Neugierigen zurück und regelten den Verkehr, der beinahe zum Erliegen gekommen war. Die Spurensicherung ging ans Werk, auch die ersten Zeitungsleute und Reporter von Radio und Fernsehen trafen ein …
* Lieutenant George Randall hatte seinen Bericht verfasst, aber seine Gedanken weilten immer noch bei dem scheußlichen Verbrechen. Der Zustand der beiden Toten ließ ihn nicht mehr los. Ihr Anblick war derart albtraumhaft gewesen, dass er sich aus seinem Bewusstsein einfach nicht mehr verdrängen ließ. Die aufgerissenen Halsschlagadern, aber keine nennenswerten Blutlachen dort, wo das tote, völlig ausgeblutete Paar gelegen hatte … Das war absolut nicht normal. George Randalls Gedanken rotierten. Sollten die beiden bereits tot gewesen sein, als sie in der Passage abgelegt
wurden? Er hatte während seiner Tätigkeit bei der Mordkommission schon viele Menschen gesehen, die auf gewaltsame Art aus dem Leben verschieden waren. Man hatte sie erschlagen, erstochen, erschossen, erwürgt … Aber diese beiden? Wer oder was hat sie auf diese bestialische Weise getötet? War vielleicht ein Raubtier aus einem Zoo oder Zirkus ausgebrochen? O verdammt! Ich werde noch verrückt!, durchfuhr es George. Das kann doch nicht wahr sein. Wäre ich abergläubisch, dann würde ich jetzt an Vampire denken. Er lachte laut auf. Der einzige Vampir, den du kennst, heißt Christopher Lee und der spielt auch nur auf der Leinwand den Blutsauger. Nein, es musste ein Tier gewesen sein! Gedankenverloren starrte Randall zum Fenster seines Büros hinaus. Dort herrschte Nacht, aufgehellt von den unzähligen Lichtern der Stadt. Und irgendwo da draußen schlich auch der unheimliche Mörder herum, der das Paar so furchtbar zugerichtet hatte. Einer jähen Eingebung folgend, drückte sich George schließlich von seinem Stuhl hoch. Er verließ das Büro und ging zu Jesse, seinem Stellvertreter. »Ich fahre mal zur Pathologie, Jesse, um mir die Toten noch einmal genau ansehen«, teilte er ihm mit. »Irgendwie hab ich das Gefühl, dass da was nicht stimmt.« »Die beiden hat ein Verrückter mit einem uns noch unbekannten Mordinstrument ins Jenseits befördert«, meinte Jesse Tucker, den ein halbes Leben bei der Mordkommission abgebrüht hatte. »Vielleicht mit ‘ner Gartenkralle. Weiß der Kuckuck. Es sind Tote, Ermordete, George. Was soll da nicht stimmen?« »Das weiß ich auch nicht so genau. Sicher ist jedenfalls, dass die
beiden nicht ausgeraubt wurden und dass es keine Blutlachen dort gab, wo sie gefunden wurden. Fest steht aber auch, dass sich in ihren Körpern kein Tropfen Blut mehr befindet. Verdampft kann das Blut ja nicht sein.« »Schon gut, George. Fahr ruhig. Ich halte hier inzwischen die Stellung.« Im gerichtsmedizinischen Institut traf Randall nur einen Mann vom Security‐Dienst an. Der Wächter trug eine dunkle Uniform, seine Ausrüstung bestand in einem Schlagstock und einer Handlampe. Als George ihm sein Ansinnen vortrug, wiegte er bedenklich den Kopf, öffnete schließlich aber doch die Tür zum Obduktionsraum. Grelles Neonlicht flammte auf. Rechts an der Wand befanden sich die Stahlschübe, in denen die Leichen kühl gehalten wurden. In der Mitte des Raumes stand ein großer Obduktionstisch. Es gab einen Schreibtisch mit einer Computeranlage und einem Telefon sowie einige Schränke, in denen die Pathologen ihre Instrumente und ihre Arbeitskleidung aufbewahrten. An den belegten Schüben hingen Karten mit den Namen der Toten. George studierte diese Karten im Beisein des Wachmannes, wurde fündig und zog einen Schub auf. In seinem Inneren lag Laura Ferguson. George zog das Laken von dem toten Körper. Nackt, bleich und mit der grässlichen Wunde am Hals lag die Frau vor ihm. George starrte auf die zerfetzte Haut. Sie stammte zweifellos von ein Biss. Deutlich waren die beiden Löcher zu sehen, die scharfe Eckzähne in den Hals der Frau getrieben hatten. Dazwischen verlief ein Abdruck wie von Schneidezähnen. Die Ränder des losgerissenen Hautlappens mit den winzigen, durchtrennten Venenenden sahen aus, als hätte sie jemand ausgelutscht. George spürte, wie sein Hals trocken wurde. Er öffnete das Fach mit Carl Turners Leichnam. Das Bild, das sich
ihm bot, war ähnlich. Angesichts der Wundmerkmale der beiden Leichen gelangte George zu dem Schluss, dass die Wundstruktur dem Gebissabdruck eines Menschen entsprach. Der Security‐Mann stand schweigend etwas abseits. Er schluckte krampfhaft. George wollte die Wunden näher untersuchen. Er wandte sich ab und öffnete nacheinander die Schränke, bis er eine Schachtel mit Latex‐Handschuhen fand. Die Dinger waren eng und klebrig und George hatte Mühe, sie sich über die Hände zu ziehen. Ein gellender Aufschrei ließ George herumwirbeln. Und was er sah, ließ ihn an seinem Verstand zweifeln. Laura Ferguson saß aufrecht auf der Bahre, die Augen weit aufgerissen. Einen Schritt von ihr entfernt stand der Wachmann wie zur Salzsäule erstarrt. Seine Lippen formten tonlose Worte, nur aus seinen Augen brüllte das blanke Entsetzen. In diesem Moment ruckte auch der Oberkörper von Carl Turner hoch. Die Wunden der beiden Leichen schlossen sich und nach wenigen Augenblicken war an ihren Hälsen nur noch das eingetrocknete Blut zu sehen. Die Untoten starrten auf den Wachmann. Ihre Pupillen zogen sich zusammen wie bei Raubkatzen, das Weiß der Augen nahm eine rötliche Färbung an. Spitze Eckzähne wurden sichtbar, als die Höllenwesen ihre Oberlippen hoben und ein bedrohliches Fauchen ausstießen. Nun ging alles blitzschnell. Die Untoten sprangen von ihren Bahren und stürzten sich auf den Wachmann. Der brüllte laut auf, als ihn die Vampire niederrissen und sich auf ihn warfen. Der Schrei des entsetzten Mannes brach jäh ab, Blut spritzte empor. George überwand seine Fassungslosigkeit und zog seine Waffe. Dem Wachmann war nicht mehr zu helfen, aber vielleicht konnte er die Untoten vernichten.
Er feuerte auf die beiden Höllenwesen. Die Kugeln warfen die Vampire zu Boden. Doch sofort erhoben sie sich wieder und wandten sich ihm mit irrsinnigem Gekreische und verdrehten Augen zu. Das Blut drohte George in den Adern zu gefrieren. Er rannte zur Tür, jetzt nur mehr vom blanken Selbsterhaltungstrieb gesteuert. Bevor er den Raum verließ, fuhr er noch einmal herum. Er sah die Vampire auf sich zukommen, sah das frische Blut, das von ihren weit aufgerissenen Mäulern tropfte – das Blut des Wachmannes – und jagte seine letzten Kugeln in sie hinein. Die Wucht der Treffer stieß die Untoten erneut um. Das verschaffte George Zeit. Er hohlsterte die wertlos gewordene Waffe, schlug die Tür zu und schloss sie ab. Nachdem er sich die Handschuhe wieder abgestreift hatte, rannte er wie von Furien gehetzt den Flur entlang in Richtung des Ausganges. Sein Herz raste, seine Lungen pumpten und sein aufgewühlter Verstand fragte unablässig, ob das alles Realität oder nur ein böser Traum war. Hinter George splitterte und krachte es. Er warf einen Blick über die Schulter und sah die Tür zum Sektionsraum zu Bruch gehen. Gleich darauf schoben sich die beiden Blutsauger aus der entstandenen Öffnung. George beschleunigte noch. Lebende Gegner fürchtete er nicht. Aber die beiden, die ihn verfolgten, waren tot. Und was ihn erwartete, wenn sie ihn schnappten, hatte ihm das Ende des Wachmannes deutlich vor Augen geführt. George Randalls Sohlen schienen kaum noch die Steinfließen des Korridors zu berühren. Er erreichte den Ausgang, brachte sich mit einem Satz ins Freie. Dort raste er die Treppe hinunter, um die Ecke – und rutschte mit den glatten Sohlen auf dem schmierigen Laub aus, das der Regen auf die Betonplatten des Gehsteiges geklebt hatte. George krachte hart auf die Seite, eine Welle des Schmerzes schoss
vom Knie über den Ellenbogen bis zur Schulter durch seinen Körper. Hose und Jacke waren wahrscheinlich zerrissen, aber daran verschwendete George keinen Gedanken. Jetzt ging es nur ums nackte Überleben. Der Albtraum war noch nicht zu Ende … Am Kopf der Treppe kamen die beiden Blutsauger aus der Tür. Ihr wütendes Fauchen ging George durch Mark und Bein und trieb ihn wieder hoch. Entsetzt stellte er fest, dass sein linkes Bein ihm kaum noch gehorchen wollte. Mühsam humpelnd schleppte er sich weiter, ein Stoßgebet zum Himmel schickend. Die Verfolger näherten sich immer mehr. Schon konnte George ihr heiseres Hecheln hören, glaubte er in seinem Genick eine eiskalte Hand zu spüren. Da packte ihn tatsächlich eine kräftige Hand und schleuderte ihn zu Boden. George wälzte sich auf den Rücken und sah die bleiche Visage der Vampirin über ihm. Dämonischer Vernichtungswille flackerte in ihren Augen. Die Untote sprang George an. Der rammte ihr die Rechte ins Gesicht. Die Wucht des Schlages schleuderte die Untote zurück. Doch inzwischen war auch der zweite Vampir heran. Er warf sich auf George. Dessen Hemd zerriss und gab ein kleines, goldenes Kreuz frei, das an einer dünnen Kette von seinem Hals baumelte. Bei dem Anblick wich der Vampir kreischend zurück. George begriff sofort. Er rappelte sich auf, nahm das Kreuz mit der rechten Hand und hob es in die Höhe. Langsam ging er auf den Vampir zu. Der Untote warf sich plötzlich herum und ergriff panisch die Flucht. George wandte sich sofort der zweiten Höllenkreatur zu, die
abwehrend beide Hände vor das Gesicht hob. Er drückte das Kreuz kurzerhand auf die Hand der Vampirin. Die Haut verbrannte zischend, das dämonische Geschöpf kreischte auf. Im nächsten Moment suchte auch dieser Blutsauger sein Heil in der Flucht und verschwand in einer finsteren Gasse.
* Noch in derselben Nacht wurde George Randall von einem weiteren Mord in Harlem informiert. Er fuhr mit seinen Leuten zum Tatort, in die Nähe des Marcus Garvey Parks. Noch immer hatte er das Erlebnis mit den Vampiren nicht richtig verarbeitet, drängten die grausigen Bilder in sein Bewusstsein. Vampire in New York!, dachte er entsetzt. Ich drehe durch, das ist es! Ich brauche einfach ein paar Tage Urlaub! George hatte mit niemandem über den Vorfall gesprochen, denn geglaubt hätte ihm sowieso kein Mensch. Seine Kollegen, die den Fall bearbeiteten, standen vor einem Rätsel. Und sein Stellvertreter, der die Untersuchung in der Pathologie geleitet hatte, sprach von einem Ritualmord. »Teufelsanbeter«, hatte er gemeint. »Sie sind in die Pathologie eingebrochen, weil sie Leichen für ihre schwarzen Messen benötigten. Dabei kam ihnen der Wachmann in die Quere.« George wusste es besser, wollte seine Kenntnisse aber vorerst für sich behalten. Noch fehlten ihm Beweise … Die Beamten kamen am Tatort an. Hier florierte der Straßenstrich, wurde gedealt auf Teufel komm raus, wagte sich nachts kein anständiger Mensch auf die Straße. Jetzt allerdings hatte sich eine Schar Neugieriger eingefunden, die die Polizei debattierend und gestikulierend bei der Arbeit behinderte.
Der Tatort wurde gesichert, George bahnte sich einen Weg durch die Menge – und blieb schließlich stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt. Der Tote, der in einer Einfahrt lag, hatte die selben Wunden wie Laura Ferguson und Carl Turner. George erschauerte. Wer oder was war hier am Werk? Die Männer von der Spurensicherung begannen unterdessen mit ihrer Arbeit. Bei dem Toten wurde ein Ausweis gefunden, der den Mann als ›Jim Brown‹ identifizierte, einem polizeibekannten Junkie. Einer der Polizisten sagte es George, aber es erreichte nur den Rand seines Bewusstsein. Ein Kollege führte einen jungen Afroamerikaner heran, der ziemlich farbenfroh gekleidet war. In den Ohrläppchen funkelten mehrere Ohrringe, über die Haare hatte er sich eine gestrickte Mütze gestülpt. »Er ist so etwas wie ein Augenzeuge«, erklärte der Kollege. »Wenn er auch nicht direkt gesehen hat, wie dem armen Kerl die Kehle zerfleischt worden war. Aber um ein Haar wäre es ihm wohl ebenso ergangen. Sein Name ist Ben Mallone.« Der Beamte entfernte sich wieder, George hatte das Gefühl, aus einer Trance zu erwachen. Er starrte den Farbigen mit dem mehr als auffälligen Outfit an und räusperte sich. Dennoch klang seine Stimme belegt, als er fragte: »Sie haben den Mörder gesehen?« »Es waren zwei, Sir«, erklärte Mallone und trat von einem Bein auf das andere. Er fühlte sich unbehaglich, denn er führte Rauschgift bei sich und hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, es rechtzeitig verschwinden zu lassen. »Dem einen stand ich Auge in Auge gegenüber. Er sah aus wie ein Zombie. Bleich wie der Tod. Und die Augen … diese Augen! Großer Gott, ich sage Ihnen, ich hab noch nie in solche leeren und kalten Augen geblickt. Und die Zähne …«
Mallone brach ab. Wenn er jetzt von Vampiren sprach, würde man ihn kurzerhand in die Klapsmühle einliefern. »Was war mit den Zähnen? Sprechen Sie schon!«, drängte George ungeduldig. Mallone druckste herum. Ihm fehlten plötzlich die Worte. Schließlich zeigte er George sein weißes Gebiss. Er beugte sich dicht an ihn heran und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Zähne. Dann raunte er: »Sie werden mich jetzt für bescheuert halten, Sir, aber der Kerl hatte Beißerchen wie … wie …« Er stockte. Es wollte ihm einfach nicht über die Lippen. »… ein Vampir?«, vollendete George. Mallone nickte heftig. »Genau das wollte ich sagen, Mann … äh … Sir. Spitze, lange Eckzähne. Mann, o Mann. Er knurrte wie ein hungriger Straßenköter. Ich schwör’s Ihnen. Mir ging der A …« »Arsch?« »Ja, Arsch! Selbiger ging mir auf Grundeis. Ich bin ja normalerweise kein ängstlicher Typ und an Geister hab ich noch nie geglaubt, aber heute …« Die verbrauchte Luft entwich aus Mallone wie der Überdruck aus einem Dampfkessel. »Warten Sie bitte hier, Mr. Mallone«, sagte Randall. Er ging zu seinem Stellvertreter. »Jesse, ich fahre mit Mallone ins Departement, um ihn zu befragen. Beendet ihr hier eure Arbeit und schafft den Leichnam dann ins gerichtsmedizinische Institut. Ruf mich an, wenn ihr ihn dort habt, ich will ihn mir noch einmal ansehen.« »In Ordnung, George. Aber weshalb interessierst du dich plötzlich so sehr für den Toten? Denkst du, der Mord hängt mit den beiden Toten zusammen, die spurlos aus der Pathologie verschwunden sind?« »Ja, das denke ich«, antwortete George und fügte in Gedanken noch hinzu: Außerdem befürchte ich, dass der Tote so wie Laura Ferguson
und Carl Turner wieder zu unseligem Leben erwacht. Und das muss ich verhindern. Er kehrte zu Mallone zurück, der sich fast in die Hosen machte, weil er noch immer im Besitz des Rauschgiftes war. »Fahren wir«, sagte George und der Schwarze zuckte zusammen, als hätte man ihn mit einem glühenden Draht berührt. In seinem Büro angekommen, forderte George Mallone auf, vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. »Wir sind unter uns, Mr. Mallone«, eröffnete er das Gespräch. »Also erzählen Sie. Ich will jedes noch so kleine Detail, jede noch so unwichtig erscheinende Beobachtung von Ihnen erfahren.« Ben Mallone, der seine Sprache wieder gefunden hatte, berichtete ausgesprochen ausschweifend. George ließ ihn gewähren. Als Mallone geendet hatte, murmelte der Kriminalbeamte: »Sie sind weder verrückt noch ein Psychopath, Mr. Mallone. Und ich weiß jetzt, dass ich es genauso wenig bin. Sieht aus, als wären wir beiden die Einzigen, die bisher Kontakt mit diesen Kreaturen hatten und noch am Leben sind.« George fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. »Es sind Vampire, Mr. Mallone, Blutsauger. Sie sind so real wie Sie und ich. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie ihre Opfer zu einem neuen, untoten Leben erwacht sind und bin ihnen selbst gerade noch entkommen.« Nach einer kurzen Pause, während der er versonnen vor sich hinstarrte, sagte er noch: »Sie können nach Hause gehen, Mr. Mallone. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
* Jim Browns Leichnam lag in einem der Stahlkästen. Drei Kästen weiter hatte man den getöteten Wachmann untergebracht. Nach der Spurensicherung war der Obduktionsraum nicht versiegelt worden.
An der den Kästen gegenüberliegenden Wandseite hatte sich George einen Stuhl aufgestellt. Auf dem saß er nun und wartete. Obwohl er die Kästen mit den beiden Toten schon vor Stunden herausgezogen hatte, schockte ihn ihr Anblick jedes Mal aufs Neue. Das Warten zerrte an den Nerven. George musste irgendetwas tun. Er erhob sich, ging zum Fenster und zog den Vorhang zur Seite. Draußen wurde es grau. Ich warte noch, bis es hell wird, dachte George. So viel ich über Vampire weiß, sind sie nur nachts aktiv. Tageslicht ist tödlich für sie. Der Morgen zog über die Stadt, nichts war geschehen. Als es hell war, verließ George schließlich die Pathologie. Er war hundemüde, trotzdem fuhr er nicht nach Hause, sondern in die Bibliothek der Fordham Universität. Dort suchte er alles zusammen, was er über Vampire fand. In einem der Bücher las er, dass man Vampire töten konnte, indem man ihnen den Kopf abschlug. Diese Erkenntnis veranlasste ihn, zu einem Antiquitätenladen zu fahren und dort ein altes Kurzschwert zu kaufen …
* Am Abend desselben Tages verabschiedete sich George mit einem Kuss von Sandy Mercer, seiner hübschen Verlobten. Sandy war 29 Jahre alt, hatte lange brünette Haare, die in weichen Locken über ihre Schultern fielen und grünbraune Augen. Beschäftigt war sie als Sekretärin in einem Software‐Entwicklungsunternehmen in Südmanhattan. Eines hatten George und sie sich zum Grundsatz gemacht: getrennte Wohnungen. Beide hatten gescheiterte Ehen hinter sich und den Zirkus mit der Haushaltsaufteilung wollten beide niemals mehr mitmachen.
Ihr Liebesleben war ausgeglichen. Mal kam Sandy zu George und schlief bei ihm, dann nächtigte George wieder bei ihr. Und wollten sie sich einmal nicht sehen, nun – dann blieb eben jeder in seinen eigenen vier Wänden. Obwohl die beiden sonst über alles sprachen, hatte George seiner Verlobten nichts von den Erlebnissen mit den Vampiren erzählt. Sandy war zu sehr Realistin, als dass sie die Existenz von finsteren Mächten auch nur in Erwägung gezogen hätte. Schon die ernsthafte Erwähnung von Vampiren hätte Sandy an seinem Verstand zweifeln lassen. »Gib auf dich Acht«, sagte Sandy ohne besonderen Hintergrund, als George sich von ihr verabschiedete, um in den Dienst zu fahren. »Natürlich.« George lächelte. »Was tätest du denn ohne mich? Du wärst verloren im Big Apple.« »Denkst du?«, konterte sie. »Es gibt mindestens zehn ganz passable Burschen, die auf Anhieb deinen Platz einnehmen würden.« »Und du würdest jeden an mir messen und maßlos enttäuscht sein«, gab George mit einem Grinsen zurück. Er küsste sie noch einmal und verließ die Wohnung in der 27. Straße West, Midtown South.
* Als George beim gerichtsmedizinischen Institut ankam, war es kurz vor zehn Uhr. Das Gebäude lag in absoluter Dunkelheit. Hinter den Fenstern war nicht der kleinste Lichtschimmer zu erkennen. George stellte den Wagen ab und griff nach hinten, wo eine Decke auf dem Rücksitz lag. Er zog das zweischneidige Kurzschwert darunter hervor. Die Klinge war von Rostflecken übersät, der Ledergriff war brüchig. Aber die beiden Schneiden wiesen keine
Scharten auf und waren scharf. George hatte sie sorgfältig mit einem Wetzstein abgezogen. Dort, wo er ihn geschliffen hatte, schimmerte der Stahl silbrig. George stieg aus dem Auto, betätigte die Zentralverriegelung und schob das Kurzschwert in seinen Hosengurt unter den offenen Trenchcoat. An der rechten Seite trug George seine SIG Sauer P226, die Dienstwaffe aller New Yorker Polizisten. Er betrat das Gebäude, wies sich gegenüber dem Mann vom Security‐Dienst als Lieutenant der Mordkommission aus und schickte ihn nach Hause. Anschließend ging er in den Obduktionsraum. Das Licht flammte auf, George Randalls nervöser Blick huschte durch den Raum. Noch konnte er nichts Beunruhigendes feststellen. Die beiden Fledermäuse, die in einer Ecke des Raumes an der Decke hingen, sah George nicht … Er zog die Kästen mit den Leichen des Wachmannes und Jim Browns auf. Vorerst war an den beiden Toten keine Änderung festzustellen. Die grässlichen Bisswunden waren schwarz gerändert, das Blut eingetrocknet. Unwillkürlich tastete George nach seinem Kurzschwert. Ganz sicher war er nicht, ob es sich bei den Leichen um Opfern von Vampiren handelte. Vampirismus war eine Erscheinung, die er nicht einordnen konnte. Diejenigen, die schlaue Bücher über Vampirismus und seine Bekämpfung verfassten, hatten sicherlich mit echten Vampiren noch nie etwas zu tun gehabt. Es waren rein theoretische Abhandlungen. George setzte sich, fuhr aber einen Augenblick später wieder hoch. Das Blut drohte ihm in den Adern zu gefrieren. Zwei Fledermäuse waren auf dem Sektionstisch gelandet und sahen ihn aus tückischen Augen an. George hatte seine Überraschung noch nicht überwunden, da verwandelten sich die Fledermäuse in menschliche Gestalten. Die Augen der Kerle waren
rot gerändert, ihre Gesichter bleich, fast weiß. Die Vampire sprangen vom Obduktionstisch. Ihre Lippen hoben sich über die Oberzähne, ein Fauchen stieg aus ihren Kehlen und steigerte sich zum höllischen Crescendo. George zog das Schwert. Das Kreischen der Vampire verstärkte sich. Sie erschraken angesichts der Waffe in der Faust des Menschen und stockten im Schritt. George hatte das Schwert in die Linke genommen und mit der Rechten die SIG gezogen. Langsam, leicht geduckt, glitt er auf die Vampire zu. Diese wichen zurück, kreischten und geiferten und stießen immer wieder mit ihren krallenartigen Fingern nach ihm. Der Polizist sprang vor, das Schwert durchschnitt die Luft und trennte den Arm eines Vampirs ab. Der abgetrennte Körperteil fiel zu Boden und wurde augenblicklich zu Staub. Der andere Blutsauger warf sich mit höllischem Gebrüll auf George. Der wirbelte herum und rammte ihm das Schwert in den Leib. Ein schreckliches Lachen erklang, der Vampir sprang zurück. Die Klinge war kaum aus seinem Körper geglitten, als sich die Wunde wieder schloss. Du musst ihm den Kopf abschlagen, nur so kannst du ihn vernichten!, durchfuhr es George. Aus den Augenwinkeln sah er, dass in den toten Wachmann und den ebenso toten Junkie plötzlich Leben kam. Sie hatten sich aufgerichtet, spitze Eckzähne ragten aus ihren geöffneten Mäulern. Auch aus ihren Kehlen stieg ein drohendes Fauchen. George widmete seine Aufmerksamkeit wieder den beiden Vampiren, die eben erst ihre menschliche Gestalt angenommen hatten. Er ließ die Klinge wirbeln, gleichzeitig feuerte er mit der SIG. Im
Donnerknall der Detonationen ging das Kreischen der Vampire unter. Sie wurden von den Projektilen herumgestoßen und geschüttelt – aber nicht getötet. George ließ das Schwert durch die Luft sausen und traf. Der Kopf eines Vampirs wurde vom Rumpf getrennt und krachte auf den Boden, wo er zur Seite rollte. Der leblose Körper brach zusammen und wurde ebenso zu Staub wie der abgeschlagene Kopf. Noch bevor es so weit war, wandte sich Randall dem anderen Vampir zu. Wieso hat der schon wieder zwei Arme? Das Schwert zuckte aus der Rückhand heraus schräg in die Höhe. Die Klinge schnitt dem Untoten tief in die Hals, sofort sprudelte schwarzes Blut aus der Wunde. Der Vampir wich röchelnd zurück und griff sich mit beiden Händen an die Kehle. George setzte nach, jetzt zischte die Klinge von der Seite her gegen den Hals des Vampirs – und mit diesem Hieb köpfte er ihn. Der Schädel krachte auf den Boden, die Lippen formten tonlose Schreie, dann verging der Vampir. Sein Körper zerbröselte zu Staub, noch ehe er den Boden berührte. George blieb keine Zeit zum Verschnaufen. Der Wachmann sprang kreischend von der Bahre, auch der andere Untote kam hoch. Randall stellte sich zuerst dem Wachmann. Er schwang das Schwert, der Vampir wich kreischend zurück – und verwandelte sich plötzlich in eine Fledermaus, die mit kräftigen Flügelstößen aus der offenen Tür flog. Georges nächster Schwerthieb ging ins Leere. Er wirbelte herum – gerade noch im letzten Moment. Der Untote, der einst Jim Brown gewesen war, sprang ihn an. George stieß ihn zurück, setzte nach und trat ihm mit einem Fußfeger die Beine weg. Der Vampir stürzte, das Schwert grub sich tief in seinen Nacken.
Ein zweiter Schlag trennte den Kopf endgültig vom Hals und der Vampir zerfiel zu Staub. Sofort schwang George herum. Vom letzten seiner dämonischen Gegner war nichts mehr zu sehen. Er hatte drei Vampire getötet, einer war entkommen. Nur langsam beruhigten sich Georges Herzschlag und Atmung. Er hohlsterte die Pistole, dann untersuchte er die Klinge des Schwertes nach Blut. Aber da war nichts. Nur am Fußboden lagen einige Staubhäufchen sowie Geschosse herum, die er auf die Vampire abgefeuert hatte …
* Nach dem Kampf mit den Vampiren fuhr George in die 27th Straße zurück zu Sandys Wohnung. Er versteckte das Schwert wieder im Auto und ging in die Wohnung die in der ersten Etage lag. George ahnte nicht, dass ein höllischer Gegner über jeden seiner Schritte Bescheid wusste. Der Vampir, der ihm in der Pathologie entkommen war, war ihm gefolgt, hatte menschliche Gestalt angenommen und beobachtete nun das Haus. Der Untote sah hinter einem der Fenster Licht angehen und kurz darauf einen Mann, der die Vorhänge zuzog. Nun konnte der Vampir die Gestalt nur noch als Schatten hinter der Gardine wahrnehmen. Ein zweiter Schemen gesellte sich zum ersten. Die beiden umarmten sich, schienen ineinander zu verschmelzen … Der Vampir leckte sich über die Lippen.
*
Am nächsten Tag versah George wieder seinen Dienst im Police Departement. Er war voll ausgelastet. Zwei Tote bei einer Schießerei zwischen verfeindeten Streetgangs in der Lower Eastside; ein Toter nach einer Messerstecherei in der Subwaystation am Astor Place; eine tote Frau, der der Rasierapparat ihres Gatten ins Badewasser gefallen war … George bat seine Kollegen, ihn über jeden Toten zu unterrichten, der in der vergangenen Nacht gewaltsam ums Leben gekommen war. Er erwartete weitere Vampiropfer. Die entsprechenden Meldungen blieben aus. In einer Pause zwischen zwei Einsätzen suchte George einen Waffenhändler auf, bei dem er eine Luftdruckpistole erstand. Anschließend fuhr er zu einer Schreinerei und ließ sich dort einige Dutzend Bolzen aus Eichenholz für die Luftdruckpistole anfertigen. Mit der Drechselmaschine ging das im Handumdrehen. Wieder in seiner Wohnung angekommen, spitzte George die Bolzen mit einem scharfen Messer zu. Kurz darauf lud er die Pistole, spannte sie und jagte den Bolzen aus zwei Meter Entfernung in ein Sofakissen. Federn flogen, der Bolzen durchschlug das Kissen und verschwand in der Rückenlehne der Couch. »Mist«, murmelte Randall, der einen derart ›durchschlagenden‹ Erfolg nicht erwartet hatte. Er rief Sandy an und teilte ihr mit, dass er am Abend dienstlich verhindert sei und wohl erst nach Mitternacht bei ihr erscheinen werde. Sandy schmollte ein wenig und riet ihm, sich einen anderen Job zu suchen. Schließlich zeigte sie sich jedoch wieder versöhnlich und gab ihm durchs Telefon sogar einen Kuss. Mit Einbruch der Abenddämmerung fuhr George los. Sein Ziel war Harlem, weil dort die Vampire bereits zweimal zugeschlagen
hatten. Als er den Stadtteil erreichte, war es bereits dunkel. George fuhr zunächst in die Nähe des Marcus Garvey Park und umrundete ihn im Schritttempo. Hier und dort standen Mädchen im Schein einer Straßenlaterne und warteten auf Freier …
* Lucy und Annie waren jung, hübsch und knackig. Die beiden schwarzen Girls standen am Rand des Marcus Garvey Parks, wo sie auf Kunden warteten. Östlich von ihnen sickerte der Motorenlärm von der Fifth Avenue heran, zweihundert Meter weiter links dröhnte die Musik aus einem Nachtclub, sobald die Tür geöffnet wurde. Die beiden Bordsteinschwalben froren erbärmlich, trotzdem waren sie berufsbedingt nur spärlich bekleidet. Ihre Röcke waren kurz, die großzügigen Ausschnitte gaben viel von den prallen, festen Brüsten preis und die bauchfreien Tops brachten ihre gertenschlanken Taillen voll zur Geltung. Lucy und Annie mussten hier stehen. Ihre Zuhälter kannten keine Gnade. Die Kerle wollten Kohle sehen, ansonsten gab es Saures. Heute allerdings wollte das Geschäft nicht in Gang kommen. Die Autofahrer hielten einfach nicht an. Die beiden Mädchen stöckelten auf dem Gehsteig hin und her, schwangen ihre Täschchen und versuchten so die Kälte aus ihren Gliedern zu vertreiben. »Arschkalt«, verkündete Lucy und erzählte Annie damit nichts Neues. »Und diese Flachwichser in ihren warmen Autos fahren vorbei, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Nächstenliebe unter den Menschen ist auch nicht mehr das, was sie mal war.« Plötzlich näherten sich ihnen zwei Kerle. Mittelgroße, schmächtige Gestalten in dunklen Anzügen.
»Wetten, dass die beiden was wollen«, murrte Lucy. »Das heißt, wir können uns mit den Pissern im Park an einen Baum stellen und uns erst recht einen abfrieren.« »Willst du lieber von Bill ein paar in die Fresse bekommen, wenn du ohne einen rostigen Cent nach Hause kommst?«, fragte Annie sarkastisch. Die beiden Kerle waren bis auf zwei Schritte herangekommen. Nun blieben sie stehen und starrten die Mädchen an. »Hallo, ihr zwei Süßen«, flötete Lucy mit vor Kälte vibrierender Stimme. »Wollt ihr mit uns auf Wolke sieben schweben? Wir sind allererste Sahne und ihr seht aus, als …« Sie verstummte, als die beiden Kerle ihre Münder aufrissen und gefährlich fauchten. Im fahlen Licht einer Straßenlaterne blitzten spitze, scharfe Eckzähne. »Nichts wie weg!«, schrie Annie. Sie hatte zwar keine Ahnung, was das für Irre waren. Doch sie begriff, dass sie und Lucy in höchster Gefahr schwebten. Schnell schüttelte sie sich die Stöckelschuhe von den Füßen und spurtete los. Lucy reagierte nicht so schnell. Sie starrte wie gebannt auf die fauchenden Bestien, schien von einer Woge des Entsetzens überrollt zu werden. Schließlich brach ein Schrei über ihre Lippen, gellend, schrill und voller Panik. Einer der beiden Männer nahm die Verfolgung von Annie auf. Die schwarzen Netzstrümpfe des Girls waren bereits bis zu den Knöcheln zerfetzt, aufgerissen von dem rauen Beton des Pflasters. Etwas stach schmerzhaft in Annies Ferse und sie konnte ihre Flucht nur noch humpelnd fortsetzen. Ein zweiter schriller Schrei schnitt durch die Nacht. Er war von Lucy ausgestoßen worden, als sich das andere Monster auf sie stürzte. Sehnige Arme hielten das Mädchen fest, das sich wand, den Kopf in den Nacken warf und all seine Angst hinauskreischte. Da spürte Lucy das scharfe Gebiss an ihrem Hals. Stechender
Schmerz zuckte bis unter ihre Hirnschale, als sich die spitzen Eckzähne tief in ihr Fleisch gruben. Lucy verlor die Besinnung und spürte nicht mehr, wie ihr Herz das warme Blut aus den Bisswunden pumpte. Der Vampir schluckte und schmatzte, war wie von Sinnen. Der süßliche Geschmack berauschte ihn derart, dass er nichts mehr von dem mitbekam, was um ihn herum geschah. Er achtete nicht auf den verzweifelten Aufschrei ganz in seiner Nähe, als sein Gefährte Annie einholte und zu Boden riss. Er hörte nicht das Röcheln des Girls, als sich auch ihr das scharfe Gebiss in den Hals bohrte. Und er vernahm nicht das Schwirren in der Luft, das sich ihm mit rasender Geschwindigkeit näherte. Erst den brutalen Schlag gegen sein Genick spürte er – und das war auch die letzte Wahrnehmung in seinem unseligen Leben. Sein Kopf kippte von den Schultern und prallte auf den Boden. Für den Bruchteil eines Augenblicks umklammerte der kopflose Vampir noch das tote Girl und es war ein geradezu makabrer Anblick. Schließlich brachen beide zusammen und bei dem Blutsauger setzte der unaufhaltsame, blitzartige Verwesungsprozess ein. Er verging innerhalb weniger Sekunden. George, der den tödlichen Eichenbolzen abgeschossen hatte, rannte los. In seiner Rechten lag die Luftdruckpistole, seine Linke umklammerte den Schwertgriff. Der Vampir, der Annie aussaugte, hörte die raschen Schritte und ließ von seinem Opfer ab. Er warf sich herum, Geifer und frisches Blut tropften von seinem Maul. Als er die blitzende Klinge des Kurzschwertes sah, duckte er sich instinktiv zusammen. Sein Gefährte war spurlos verschwunden und der Vampir ahnte sofort, was mit ihm geschehen war. Aufheulend wich er zurück. George holte ihn mit zwei langen Schritten ein. Nur eine Armlänge trennte ihn jetzt noch von der Kreatur. George hob die
Pistole, über Kimme und Korn visierte sein kaltes Auge die Brust des Blutsaugers an. Der Luftdruck trieb den Bolzen aus dem Lauf. Er durchschlug Jacke und Hemd des Vampirs und bohrte sich in den Körper, der sich jäh versteifte. Grenzenlose Todesangst stand plötzlich in den Augen des Blutsaugers. Das Glimmen in den Augenhöhlen verlosch, das Gesichtsfleisch löste sich und fiel von den Knochen. Sekundenlang sah George den Totenschädel, der plötzlich zu Staub zerfiel. Dieser Prozess setzte sich rasend schnell nach unten fort, bis nur noch ein Häufchen Staub und der Eichenbolzen auf dem Bürgersteig an den vernichteten Vampir erinnerten. Schließlich wehte eine Windböe auch das Häufchen auseinander. George Randalls Hals war trocken wie Sandpapier, als er zu dem leblosen Mädchen ging. »Gottverdammt«, murmelte er. »Ausgesaugt – und tot.« Gleich darauf stutzte er. War das Girl für immer tot? George hatte keine Ahnung, welcher Voraussetzungen es für eine Auferstehung als Vampir bedurfte. Aber er musste ausschließen, dass ein solcher Fall möglicherweise eintrat. Für das, was er jetzt tun musste, hasste sich George selbst. Trotzdem blieb ihm keine andere Wahl. Er setzte Annie die Pistole auf die Brust, dort, wo sich das Herz befand und drückte ab. Der Luftdruck jagte den Bolzen in den Körper des Girls. Nichts geschah. George begriff, dass das Mädchen nicht mit dem Vampirkeim verseucht war. Nichtsdestotrotz jagte er auch der zweiten Toten einen Eichenbolzen ins Herz. Anschließend holte er sein Handy aus der Tasche und verständigte anonym seine Kollegen von der
Mordkommission …
* Mitternacht war lange vorbei, als der Vampir das Haus in der 27th Street in Midtown South betrat. In der Wohnung in der ersten Etage, die sein Ziel war, brannte kein Licht. Per Bewegungsmelder schaltete sich das Licht im Treppenhaus ein. Der Vampir war einen Moment geblendet, aber künstliches Licht konnte ihm im Gegensatz zu Sonnenlicht nichts anhaben. Im Haus war es ruhig wie in einer Gruft. Der Vampir stieg die Treppe hinauf und stand einen Moment später vor der Tür des Appartements. Auf dem Klingelschild stand der Name: Sandra Mercer. Der Untote drückte die Tür einfach auf. Das Schloss brach aus der Fassung, die Verankerung der Sicherheitskette wurde aus dem Holz gerissen. Der Vampir betrat die Wohnung und lauschte. Durch eine geschlossene Tür erklang eine verschlafene Stimme: »George, bist du das?« Der Untote folgte dem Klang und betrat Sandys Schlafzimmer. Finsternis umfing ihn, nur das hellere Rechteck des Fensters hob sich klar aus der Dunkelheit ab. »George, weshalb machst du solchen Krach? Hast du getrunken?« Der Tonfall der Frau war jetzt ärgerlich. Licht flammte auf, als sie die Nachttischlampe anknipste. Der Anblick des fremden Mannes in ihrem Schlafzimmer traf Sandy wie ein Schlag. Sie richtete sich mit einem Ruck in ihrem Bett auf, der Schreck pulsierte in heißen Wogen durch ihre Blutbahn. »Was …? Was …?« Jetzt schrie sie. »Hilfe! Hi …«
Mit einem langen Schritt war der Untote bei Sandy. Seine Hand legte sich auf ihren Mund, ihr Schrei erstickte. Die Augen der Frau weiteten sich vor Angst und Entsetzen. Der Vampir setzte sich auf die Bettkante, zog Sandy mit unwiderstehlicher Gewalt auf seinen Schoß. Sie war zu keiner Reaktion fähig, zitterte nur wie unter einem Kälteschauer. Die Fingerkuppen des Vampirs strichen fast zärtlich über Sandys schlanken Hals, fühlten das erregte Pochen der Schlagader. Seine Oberlippe hob sich, spitze Eckzähne kamen zum Vorschein. Er konnte den Duft des Blutes bereits riechen und die Angst seines Opfers erregte ihn noch zusätzlich. Das Gesicht des Untoten beugte sich über Sandys Hals. Sie spürte zuerst die Berührung seiner Lippen, gefolgt von zwei feinen Stichen. Im selben Moment erfasste Sandy ein Hochgefühl, wie sie es sonst nur vor dem sexuellen Gipfelsturm erlebte. Sie spürte keinen Schmerz, nur dieses wohltuende Gefühl einer berauschenden Ekstase. Sandy stöhnte hingebungsvoll, während der Vampir ihren roten Lebenssaft schlürfte. Plötzlich knarrte die Korridortür. Hastigen Schritten folgte ein Ausruf des Erschreckens. Im nächsten Augenblick flog die halb geöffnete Schlafzimmertür vollends auf. Das Licht der Nachttischlampe umfloss die Gestalt von George Randall. Im ersten Moment hatte er an Einbrecher gedacht, aber jetzt wurde er jäh eines Besseren belehrt. Sein Blick und der des Vampirs kreuzten sich wie Degenklingen. Sofort erkannte George den ehemaligen Wachmann, der ihm im gerichtsmedizinischen Institut entkommen war. »Du elender Bastard!«, brach es über Randalls Lippen. Mit diesen Worten stürzte er sich auf den Vampir.
Der Untote stieß die Frau zur Seite. Wie eine Marionette, deren Schnüre man durchtrennt hatte, fiel sie auf den Boden. Die Fäuste des Vampirs krachten George vor die Brust und schleuderten ihn gegen die Wand. Der Untote schnellte hoch. Er hatte seinen Blutdurst nicht vollends stillen können und das machte ihn zusätzlich gereizt. George schnappte nach Luft. Doch kaum hatte er sich etwas erholt, warf er sich mit ausgebreiteten Armen auf den Vampir. Dieser wurde von dem Anprall auf das Bett geschleudert. Er rollte sich ab und stand plötzlich auf der anderen Seite der Liegestatt. Der Untote fletschte die Zähne, ein leises Fauchen drang aus seiner Kehle. Geduckt, die Arme angewinkelt, die Hände geöffnet, stand er da. »Du elender Blutsauger!« brüllte George, zu dessen Füßen Sandy lag. Blut sickerte aus den beiden Wunden an ihrem Hals. George sah es und sein Gesicht wurde grau wie verwittertes Gestein. Innerhalb einer Nacht schien sein bisheriges Leben brutal zerstört worden zu sein! Sandy!, hallte es in seinem Bewusstsein. Warum ausgerechnet sie? Plötzlich spürte George etwas, das stärker war als alle anderen Empfindungen, die ihn hinwegzuspülen drohten: grenzenlosen, verzehrenden Hass! Er wühlte in seinem Inneren und zerfraß seinen Verstand. George riss die SIG aus dem Hohlster, die einzige Waffe, die er bei sich trug. Das Kurzschwert lag ebenso im Kofferraum seines Wagens wie die Luftdruckpistole. Er lud durch, entsicherte und richtete die Pistole auf den Vampir, dessen Fauchen sich noch verstärkt hatte. Im nächsten Moment jagte George Schuss um Schuss aus dem Lauf.
Er verschwendete keinen Gedanken daran, dass die Kugeln den Blutsauger nicht umbringen konnten. Er war nur von dem Gedanken besessen, Sandy zu rächen. Sein Hass brauchte ein Ventil und dieses Ventil waren die Schüsse, die ineinander verschmolzen und den Raum förmlich zu sprengen drohten. Beißender Pulverdampf breitete sich aus und zog durch das Zimmer. Die Treffer schüttelten den Vampir durch und trieben ihn zurück. Er prallte mit dem Rücken gegen das Fenster, das klirrend zerbrach. Scherben regneten in die Tiefe. Immer wieder schlugen die Projektile in die Brust des Blutsaugers. Sein Oberkörper wurde zurückgeworfen. Der Vampir ruderte mit den Armen – und verlor plötzlich das Gleichgewicht. Quer auf der Fensterbank liegend, hingen seine Beine in der Luft. Zackige, scharfe Scherben bohrten sich ihm in den Rücken. Im nächsten Moment stürzte er in die Tiefe. Er überschlug sich in der Luft, ehe er ungebremst auf dem harten Asphalt landete. Oben beugte sich George aus dem Fenster, ringsum in den Häusern gingen die Lichter an. Fenster flogen auf, Menschen lehnten sich nach draußen. Jemand brüllte aufgeregt nach der Polizei. Der Vampir rappelte sich auf und schleppte sich über die Straße. Schwarzes Blut sickerte aus den Wunden, die ihm die Kugeln und die Glasscherben gerissen hatten – doch all diese Verletzungen konnten ihn nicht töten. Der Untote verschwand in der Finsternis zwischen den Häusern. George starrte hinter dem Vampir her, bis ihn die Dunkelheit verschluckt hatte. Die Flamme des Hasses in ihm war heruntergebrannt, verdrängt von der Sorge um Sandy. War sie infiziert? Würde auch sie sich in einen Vampir verwandeln? Bei dem Gedanken daran drohte George den Verstand zu verlieren. Er wandte sich um, griff unter den zarten Körper seiner Verlobten und hob ihn aufs Bett.
Sandy war bleich, sah aber aus, als schliefe sie friedlich. Ihre Brust hob und senkte sich unter regelmäßigen Atemzügen. Die kleinen Wunden an ihrem Hals bluteten nicht mehr. George lief in die Küche, holte ein feuchtes Tuch und wischte die Blutspuren weg. Die Ränder der beiden Einstiche waren nur leicht angeschwollen. In der Ferne waren rasch lauter werdende Sirenen zu vernehmen. George zog die Decke über Sandy. Er strich ihr kurz sanft über die Wange und verließ immer noch aufgewühlt die Wohnung, um auf die Polizei zu warten. Drei Einsatzfahrzeuge rasten heran. Rote und blaue Lichtreflexe glitten über den Asphalt und die Häuserfronten. Die Sirenen verstummten, die Cops sprangen aus den Fahrzeugen. »Haben Sie uns verständigt?«, fragte einer der Uniformierten George, der vor der Haustür auf dem Bürgersteig stand. Randall zeigte dem Mann den Ausweis und murmelte mit schwacher Stimme: »Es war ein Einbrecher. Ich habe ihn vertrieben. Er ist geflohen.« »War es Ihre Wohnung, in die eingebrochen wurde, Lieutenant?«, fragte der Einsatzleiter. »Nein, die Wohnung meiner Verlobten. Ich kam dazu, als er …« George brach ab, suchte für Sekunden nach einer plausiblen Erklärung. »Als er gerade eine Schublade durchwühlte, wahrscheinlich auf der Suche nach Geld oder Schmuck. Er ist durch das Fenster getürmt. Auf meinen Warnschüsse reagierte er nicht.« »Ihre Verlobte? Ist sie in Ordnung?« George nickte. »Abgesehen von dem Schrecken ist sie wohlauf.« »Gut, dann werde ich sofort die Fahndung nach dem Einbrecher einleiten. Wie ist er geflohen?« »Zu Fuß. Er ist zwischen den Häusern verschwunden.« Der Polizist zuckte mit den Schultern. »Wird schwer sein, ihn zu
finden. Nun, hier werden wir wohl kaum noch gebraucht. Sie haben alles im Griff, wie mir scheint.« »Sicher«, murmelte George. Der Einsatzleiter klemmte sich hinter das Funkgerät seines Wagens und gab die notwendigen Anweisungen an die Funkleitstelle durch. Anschließend winkte er George grüßend zu und die Fahrzeuge rollten davon. Die Blinklichter verloschen. Ringsum wurden die Fenster geschlossen, in den Wohnungen gingen die Lichter wieder aus. George ging zu seinem Wagen und holte die Luftdruckpistole aus dem Kofferraum. Ein Bolzen befand sich bereits im Lauf. In seinem Magen formte sich ein eisiger Klumpen, als er die Waffe spannte …
* Sandy ächzte. Ihre Lider flatterten. Die Lippen der jungen Frau bewegten sich, als formten sie tonlose Worte. George hatte ihr die Pistole auf die Herzgegend gesetzt. Sein Zeigefinger lag hart um den Abzug der Waffe, aber er brachte es einfach nicht fertig abzudrücken. Nein, nein und nochmals nein!, hämmerte es durch seinen Kopf. Ich kann es nicht. Ich liebe sie und kann sie nicht töten. Sie darf nicht sterben! Eine andere Stimme in ihm aber mahnte: Wenn sie sich verwandelt, musst du sie töten, George. Du darfst nicht zulassen, dass sie als Vampir weiterlebt. Sie wäre dann eine Verfluchte, ewig auf der Suche nach Menschenblut, die nächtlichen Straßen unsicher machend. Du musst sie töten, sobald der Verwandlungsprozess bei ihr einsetzt … Hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Zweifel saß George am Rand des Bettes und starrte in Sandys Gesicht. Von der Bisswunde waren nur noch zwei kleine, unscheinbare Punkte zu sehen. Sandys Kehlkopf bewegte sich. Plötzlich hoben sich die Lider
und ihre grünbraunen Augen blickten George verständnislos an. »Sandy«, flüsterte er heiser. »George, du? Was ist geschehen? Ich erinnere mich an einen fremden Mann. Ja, da war jemand. Aber … Unsinn! George, ich muss schlecht geträumt haben. Wann bist du gekommen? Eben erst?« »Ja. Eben erst.« Seine Stimmbänder kratzten. »Ein … ein Einbrecher war in der Wohnung.« Er musste es ihr sagen, denn die zerstörte Tür und das zerbrochene Fenster würden Fragen aufwerten. »Ich hab ihn vertrieben. Wie … wie geht es dir?« »Ich fühle mich matt, mir ist schwindlig. Aber das kenne ich, mein Blutdruck spielt verrückt. Aber besser einen niedrigen als einen hohen Blutdruck, meint mein Arzt.« »Sonst bist du okay?«, fragte George zweifelnd. Bei der Erwähnung des Wortes ›Blutdruck‹ musste er unwillkürlich wieder an den Vampir denken. Er beobachtete Sandy, sah sich jeden Zug ihres Gesichts genau an. Als sie matt lächelte, starrte er auf ihre Zähne – ebenmäßig weiße Zähne, wie er sie kannte. Ohne jede Veränderung. George Randalls Hoffnung, dass sich Sandy nicht in einen Vampir verwandelte, wuchs. Immer aber noch war auch die Angst in ihm, dass das Gegenteil eintraf. »Der Einbrecher … Mein Gott, George, hast du die Polizei alarmiert?« Ihr Geist arbeitet noch etwas träge, sagte er sich. Aber das ist vermutlich auf die Betäubung zurückzuführen, in die sie der Biss versetzt hat. »Es ist alles in Ordnung, Darling. Die Fahndung nach dem Schuft läuft auf Hochtouren.« George ließ die Luftdruckpistole unauffällig unter seiner Jacke verschwinden. »Bleib liegen. Ich repariere notdürftig die Korridortür und das Fenster.« Er grinste verkrampft.
»Muss ja nicht jeder reinspazieren können, während wir schlafen.« George drückte sich hoch. »Hat … hat der Kerl mich besinnungslos geschlagen, George? So tief kann ich doch nicht geschlafen haben, dass ich nichts, aber auch gar nichts mitbekommen habe.« »Er hat dich betäubt«, murmelte George. »Wahrscheinlich mit Chloroform. Es ist alles gut, Darling. Ich repariere jetzt das Schloss.« Er verließ das Zimmer. Das Metall der Pflockpistole, die in seinem Hosenbund steckte, drückte hart gegen seinen Leib. George schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass er sie nicht gegen Sandy einsetzen musste …
* Der Tag brach an, der Morgenwind bewegte die Vorhänge vor dem zerbrochenen Fenster. George hatte in der Nacht nur eine Plane davor nageln können. Randall hatte kein Auge zugemacht. Neben ihm schlief Sandy tief und fest, immer noch geschwächt vom Blutverlust. Ansonsten hatte sie sich nicht verändert. Die Luftdruckpistole hatte George vorsichtshalber unter seinem Kopfkissen deponiert. Als die rot leuchtenden Ziffern des Radioweckers sechs Uhr zeigten, stand er auf. Er schlug die Decke zurück, schwang die Beine aus dem Bett und hockte sich nach vorne gekrümmt auf die Bettkante. War Sandy der Preis dafür, dass er den Kampf gegen die blutgierigen Bestien der Nacht aufgenommen hatte? George trat zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Das Morgenlicht flutete in das Schlafzimmer und glitt über die
schlafende Frau hinweg. Sandy zeigte keine Reaktion. George ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Während das heiße Wasser durch den Filter rann, schaute er wieder kurz nach Sandy. Draußen wandelte sich das Grau der Morgendämmerung allmählich zu Tageslicht. Er ging unter die Dusche. Er musste heute nicht ins Departement, weil er zwei Tage frei hatte. Das war der Ausgleich für eine Woche Bereitschaft. Als er eine Stunde später mit Sandy angekleidet beim Frühstück saß, war es draußen taghell. In der Küche war kein Licht mehr nötig. George atmete erleichtert auf. So viel glaubte er vom Vampirismus zu wissen: Tagsüber fand keine Verwandlung statt. Allerdings fürchtete er die kommende Nacht … Sandy wirkte zwar noch etwas bleich und matt, ansonsten war an ihr aber keine Besonderheit festzustellen. Dennoch rief George in ihrer Firma an und entschuldigte sie. Nach dem Frühstück nötigte er sie mit sanfter Gewalt zurück ins Bett. Anschließend telefonierte er mit der Hausverwaltung wegen der kaputten Korridortür und des zerbrochenen Fensters.
* George Randall folgte einer inneren Stimme. Es war eine fremde Macht, die seinen Verstand beeinflusste und ihn führte. Die Kreaturen der Nacht wollten sich an ihm rächen, weil er einige von ihnen getötet hatte. Er wusste, dass er in eine tödliche Falle gelockt werden sollte, dennoch konnte er nichts dagegen tun. Er fuhr durch Brooklyn, genauer gesagt durch das Wohngebiet,
das sich bis zu den Piers beim Bay Ridge Channel erstreckt. Schließlich hielt er vor einem abbruchreifen Haus und stellte den Motor ab. Die Ruine stand auf einem Areal, das von einem Drahtgeflechtzaun eingegrenzt wurde. Das Ziegeldach war stellenweise eingebrochen, der Putz großflächig abgefallen. Leere Fensterhöhlen gähnten düster. Die verwitterte Haustür war geschlossen. An dem Zaun waren Warnschilder befestigt. Ein Tor, aus Eisenrohren zusammengeschweißt und ebenfalls mit Drahtgeflecht bespannt, führte auf das Grundstück, wo überall hüfthohes Unkraut wucherte. Offenbar wurde das Areal von vorbeigehenden Passanten als Müllhalde betrachtet, denn alte Zeitungen und leere Fastfood‐ Packungen lagen überall herum. George beobachtete das Gebäude vom Auto aus. Nichts rührte sich. Schließlich stieg George aus. Er holte seine Waffen aus dem Kofferraum, verbarg sie unter seinem Mantel und sperrte den Wagen ab. Unbeachtet von den Passanten, ging er zu dem Tor, das nur angelehnt war. Die Angeln knarrten durchdringend, als George das Tor aufschwang. Mit klopfendem Herzen bahnte sich Randall einen Weg durch das Unkraut. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete und war angespannt bis in die Nervenenden. Er betrat das Gebäude. Im Treppenhaus war es düster. George zog das Schwert und die Luftdruckpistole. Abgetretene Steinstufen führten in den Keller. Randall folgte der Treppe und gelangte in einen schmalen Korridor. Es roch nach Fäulnis, Moder und Schimmelpilz. Georges schweißnasse Hände verkrampften sich um die Waffen, sein Blick bohrte sich in die Dunkelheit. Er rechnete jeden Moment mit einem Angriff seiner
dämonischen Gegner. Da verfing sich etwas Klebriges in seinem Gesicht. Er zuckte zusammen, schlug mit der Linken, die die Luftdruckpistole hielt, um sich. Doch er war nur in ein Spinnennetz gerannt … Vorsichtig schlich er weiter. Zu seiner Rechten zweigte eine Tür ab. George stieß sie auf und betrat den dahinter liegenden Raum. In schräger Bahn fiel Tageslicht durch ein zerschlagenes Kellerfenster und zeichnete ein helles Rechteck auf den Boden. Staubpartikel tanzten in der Lichtbahn. Eine Ratte floh fiepend in einen Gully, dessen Gitter fehlte. Ansonsten war der Raum leer. George kehrte zurück auf den Gang. Im selben Moment trat aus einem der anderen Räume ein Mann – ein Vampir! Mit einem schrillen Schrei ging er sofort zum Angriff über. Randall sprang auf den sich ihm nähernden Blutsauger zu. Er stieß ihm das Schwert in den Leib und zog es sofort wieder heraus. Der Vampir krümmte sich mit einem gurgelnden Laut nach vorn. Die Klinge zischte erneut durch die Luft und vollendete ihr Werk. Der Blutsauger stürzte und verging. Um George herum flatterten plötzlich sechs Fledermäuse, glitzernde Mordgier in den kleinen, tückischen Augen. Die schlagenden Flügel streiften sein Gesicht, trafen seine Schultern und Arme. Helles Pfeifen erfüllte den Keller. George schlug wild um sich. Ein Fledermauskopf fiel zu Boden, der Leib zerbröselte noch in der Luft zu Staub. Zwei der Fledermäuse verwandelten sich in menschliche Gestalten und griffen mit entblößten Zähnen an. Es waren Laura Ferguson und Carl Turner, die beiden ersten Opfer des dämonischen Treibens, die ihn damals in der Pathologie beinahe geschnappt
hätten. Sie kreischten, geiferten, spuckten Gift und Galle. Einem Untoten jagte George einen Holzbolzen ins Herz, den anderen enthauptete er mit einem blitzschnellen Streich. Noch drei Gegner! Zum Nachladen blieb George keine Zeit. Noch im Flug verwandelte sich eine Fledermaus unmittelbar vor ihm in einen Menschen – in den ehemaligen Wachmann, der in Sandys Wohnung eingedrungen war! Seine zahlreichen Wunden waren längst verheilt. Der Vampir sprang George an. Dieser rammte ihm die wertlos gewordene Pistole mitten ins Gesicht. Der Blutsauger taumelte zurück, schwarzes Blut sickerte aus einer Platzwunde. Den Rest erledigte das Schwert. Die beiden letzten Fledermäuse suchten ihr Heil in der Flucht. Sie flatterten, erregt mit den Schwingen schlagend, den Kellerflur entlang und die Treppe hinauf. Dort fand ihre Flucht ein jähes Ende. Durch die offen stehende Haustür fiel Tageslicht in den Korridor und bildete eine für die Blutsauger unüberwindbare Barriere. George folgte den Vampiren mit einem entschlossenen Ausdruck in den Augen. Die Fledermäuse fürchteten das Schwert, das schon zwei ihrer Artgenossen den Tod gebracht hatte. Erregt flatternd wichen sie zurück – und gerieten dabei in die Lichtbahn. Rauch stieg plötzlich aus den Schwingen, es roch nach verbranntem Horn. Der Flügelschlag erlahmte. Helles, entsetztes Pfeifen drang aus den weit aufgerissenen Mäulern. Plötzlich nahmen die Tiere menschliche Formen an, vergrößerten sich mit rasender Geschwindigkeit, aus dem Pfeifen wurde schrilles Geschrei. An verschiedenen Stellen platzten Flammen aus den Körpern. Die Untoten wanden sich, warfen sich herum und kreischten wie von
Sinnen. Immer mehr Flammen stießen aus ihren Körpern, züngelten nun auch aus ihren Augen und Mäulern. Ihre Leiber rissen auf, rötliche Lohen zuckten in die Höhe. Das Blut der Vampire kochte förmlich. Ihre Gesichter wurden schwarz, die Bewegungen der beiden Untoten erlahmten, bis sie schließlich zu Boden stürzten. Dort vollendete sich der Prozess, der ihr dämonisches Leben ein für allemal auslöschte. Nur noch Asche, die den Konturen zweier Menschen entsprechend in der Lichtbahn lag, zeugte von der einstigen Existenz der Vampire. George lud die Pflockpistole. In jeder Hand eine Waffe, inspizierte er sämtliche Kellerräume. Er traf keinen Vampir mehr an. Das Nest der teuflischen Brut war ausgehoben …
* Voll Sorge fuhr er nach Hause, wo ihn Sandy bereits erwartete. Die Narben an ihrem Hals waren verschwunden. George wusste nicht, warum seine Verlobte nicht mit dem magischen Keim infiziert worden war. Lag es daran, dass der Vampir sie nicht zur Gänze ausgesaugt hatte? Oder war sie verschont geblieben, weil er die dämonische Brut endgültig ausgerottet hatte? Egal. Seine Verlobte lebte und war wohlauf und nur das zählte! Sandy lächelte, dann küsste sie ihn und George Randall spürte ein warmes Gefühl in sich aufsteigen … ENDE