Wolfgang Hohlbein Stargate Band 5
Unsichtbare Feinde
Colonel O'Neill und seine Begleiter von SG-1 entdecken, dass alle...
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Wolfgang Hohlbein Stargate Band 5
Unsichtbare Feinde
Colonel O'Neill und seine Begleiter von SG-1 entdecken, dass alle Bewohner einer fremden Welt durch eine außerirdische Bio-Waffe getötet wurden. Verantwortlich Dafür ist eine insektoide Alien-Rasse, die für das menschliche Auge unsichtbar ist. Nur ein kleines Mädchen hat den Angriff überlebt. Schon bald jedoch stellt sich heraus, dass Cassandra ein schreckliches Geheimnis birgt. Einige der unsichtbaren Aliens sind bereits in die Star-Gate-Basis gelangt, und das Mädchen ist der Schlüssel zu einer großangelegten Invasion der Erde. ISBN: 3933731674 Burgschmiet, Nürnberg Erscheinungsdatum: April 2001
CASSANDRA 1 »Tot!«, stieß Daniel Jackson hervor. Sein Gesicht war blass geworden und zeigte das Entsetzen, das er empfand. Er warf noch einen letzten Blick auf die verkrümmt vor ihm auf dem Boden liegende Gestalt, dann richtete er sich auf. »Sie sind alle tot!« Es war der fünfte Dorfbewohner, den er untersucht hatte. Samantha Carter, die zu vier weiteren, etwas abseits liegenden Personen geeilt war, kehrte zu ihnen zurück. Ihr angedeutetes Kopfschütteln und der Ausdruck ihres Gesichts verrieten Colonel Jack O'Neill genug. Offenkundig war keiner der Menschen mehr am Leben. Was, um alles in der Welt, war hier geschehen? Er hatte gleich ein mulmiges Gefühl gehabt. Wenn der Kontakt zu einem der Star-Gate-Teams plötzlich abriss, hatte dies selten etwas Gutes zu bedeuten. SG-7 war nach P8X-987, einer mittelalterlichen Welt, gereist, um dort ein provisorisches Observatorium zu errichten. Innerhalb der nächsten Tage würde es in einem benachbarten Sonnensystem eine Sternenkollision geben, von deren Beobachtung aus unmittelbarer Nähe sich die Astronomen des Star-GateProjekts wichtige Erkenntnisse erhofften. Es schien sich um eine reine Routinemission zu handeln, doch vor einigen Stunden war der Kontakt mit dem Team plötzlich abgerissen. SG-1 war nach P8X-987 geschickt worden, um herauszufinden, was passiert war. Bislang fehlte jede Spur von SG-7. Stattdessen waren sie auf dem Weg nach Hanka, dem einzigen Dorf, auf die Toten gestoßen. Die Männer und Frauen waren mit der Feldarbeit beschäftigt gewesen, und der Tod musste sie wie ein Blitz aus -2-
heiterem Himmel getroffen haben. Einige von ihnen hielten 7 noch ihre primitiven Hacken und Schaufeln in den Händen. Ihre Gesichter zeigten keinen Schmerz, nur eine grenzenlose Verblüffung, so plötzlich und warnungslos schien der Tod sie überfallen zu haben. Keine der Leichen wies äußerliche Verletzungen auf. »Gehen wir weiter«, entschied O'Neill, darum bemüht, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen und sich nicht anmerken zu lassen, welche Gefühle in seinem Inneren tobten. Im nächsten Moment überlegte er es sich jedoch wieder anders. Im Gegensatz zu Carter, die wie er eine militärische Ausbildung durchlaufen hatte, und Teal'c, der Jaffa, der als früherer Kommandant von Apophis' Leibgarde zahlreiche Greuel miterlebt hatte, war Daniel Zivilist. Seit er Mitglied bei SG-1 geworden war, war auch er vielfach mit Tod und Vernichtung konfrontiert worden und nicht mehr so empfindlich wie früher, aber die Schrecken, die sich ihm hier boten, zehrten bereits sichtlich an seinen Nerven. Falls seine schlimmsten Befürchtungen sich erfüllen sollten, war O'Neill sich nicht sicher, wie viel mögliches Grauen Daniel noch ertragen könnte. »Kommando zurück«, erklärte er. »Carter, Sie werden mit Teal'c und mir im Dorf und im Observatorium nach dem Rechten sehen. Daniel, Sie werden stattdessen zum Sternen Tor zurückkehren und General Hammond Bericht erstatten, was wir hier entdeckt haben. Wir brauchen dringend ein medizinisches Team hier. Wir müssen herausfinden, woran die Leute gestorben sind. Möglicherweise handelt es sich um eine ansteckende Krankheit, also sind Schutzanzüge absolut unerlässlich.« »Das heißt...« Daniels Gesicht wurde noch eine Spur blasser. »Glauben Sie, wir könnten uns ebenfalls bereits angesteckt haben?« »Ich bin kein Arzt. Das muss Dr. Fraiser herausfinden, und je eher sie herkommt, desto eher kann sie mit der Arbeit -3-
beginnen.« Daniel verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. Er nickte, dann drehte er sich um und eilte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, während O'Neill und die anderen ihren Weg fortsetzten. Schon bald kam das neu errichtete Observatorium in Sicht: eine silberfarbene, aus Leichtmetall-Fertigteilen bestehende Kuppel von etwa zwanzig Metern Durchmesser. Die Tür stand weit offen. Im Inneren war es deutlich dunkler als in der hellen Sonnenglut im Freien, sodass O'Neill nach dem Eintreten im ersten Moment fast blind war. Er stieß mit dem Fuß gegen ein Hindernis, stolperte und stürzte. Als seine Augen sich gleich darauf an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, erkannte er, dass es sich um einen uniformierten Toten handelte. »Jeff Miller«, stieß er gepresst hervor. Er kannte den Mann, ein Mitglied von SG-7. Seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich, als er in der Nähe des großen Teleskops im Zentrum der Halle weitere Männer in SG-Uniformen reglos auf dem Boden liegen sah. Keiner von ihnen war mehr am Leben, wie eine rasche Untersuchung ergab. Das gesamte sechsköpfige Team war umgekommen. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Carter verstört, als sie wieder ins Freie traten. »Wie kann es sein, dass sie offenbar alle gleichzeitig...« Sie sprach nicht zu Ende. »Könnte es sich um einen Angriff der Goa'uld handeln?« wandte sich O'Neill an Teal'c. »Einige der Systemlords verfügen über biologische Waffen, die in der Lage sind, einen ganzen Planeten innerhalb kurzer Zeit zu entvölkern«, entgegnete der Jaffa. »Aber ich halte es für wenig wahrscheinlich, dass dies hier die Folgen einer solchen Waffe sind.« -4-
»Und was bringt dich zu dieser Einschätzung?« »Zwei Punkte, O'Neill. Zum einen würde sich der Einsatz einer solchen Waffe hier nicht lohnen. Auf P8X-987 leben nicht einmal tausend Menschen, und alle in einem einzigen Dorf. Wenn die Goa'uld sie töten wollten, stünden ihnen wesentlich weniger aufwändige Möglichkeiten dafür zur Verfügung.« O'Neill biss die Zähne zusammen. So grausam die Logik des Jaffa auch klang, sie entsprach der Denkweise der Goa'uld. Und diese war nun einmal grausam. »Und der zweite Punkt?« »Die Opfer sind offenbar sehr schnell und schmerzlos gestorben. Auch das entspricht nicht der Art der Goa'uld. Sie würden eine solche Waffe nur einsetzen, wenn sie keine Möglichkeit sähen, die Bevölkerung eines Planeten zu unterwerfen, denn sonst würden sie sich selbst potentieller Wirte berauben. Eine solche Total- Vernichtung ergäbe nur als abschreckende Maßnahme einen Sinn. Deshalb verursachen biologische Waffen der Goa'uld stets einen äußerst qualvollen Tod«, erklärte Teal'c. Er sprach ruhig und kühl, ließ sich keinerlei Gefühlsregung anmerken. »Aber woran sollen die Menschen hier denn sonst gestorben sein?«, wandte Sam Carter ein. »Im gestrigen Bericht hat SG-7 noch nichts von irgendwelchen Krankheitsfällen oder sonst irgendwelchen besonderen Vorkommnissen gemeldet. Ich kenne keine Seuche, die so schnell...« Sie unterbrach sich und ballte die Hände zu Fäusten. »Wir sollten besser erst im Dorf nachsehen, was dort los ist, bevor wir vorschnelle Schlussfolgerungen ziehen.« Die Hoffnung, die in ihren Worten mitschwang, wurde durch den deprimierten Klang ihrer Stimme wieder zunichte gemacht. Jack O'Neill ging es ähnlich. Nachdem sie bislang nur Tote entdeckt hatten, wagte er kaum noch darauf zu hoffen, dass die Einwohner von Hanka die Seuche - oder um was auch immer es -5-
sich sonst handeln mochte - überlebt hatten. Trotzdem weigerte auch er sich, den schlimmstmöglichen Fall einfach als gegeben hinzunehmen. Seine Hoffnung währte nur so lange, bis sie wenige Minuten später die ersten Hütten erreichten.
2 Genau wie die anderen Mitglieder ihres medizinischen Teams erinnerte Dr. Fraiser in ihrem unförmigen Schutzanzug ein bisschen an ein monströses Alien aus einem SF-Film der fünfziger oder sechziger Jahre. Der Anzug behinderte sie und ließ ihre Bewegungen ruckartig und ungelenk aussehen. Die Sonne spiegelte sich in dem geschlossenen Visier, so dass das Gesicht der Ärztin nicht zu sehen war. »Tja, Sie scheinen alle Glück gehabt zu haben«, sagte sie, nachdem sie die Mitglieder von SG-1 in dem provisorisch errichteten Medizinlabor untersucht hatte. Ihre Stimme wurde durch den kleinen Lautsprecher in ihrem Helm verzerrt. »Soweit ich das beurteilen kann, sind Sie kerngesund. Ich kann keinerlei Hinweise auf eine Verseuchung oder eine Verstrahlung feststellen.« »Wenigstens etwas«, brummte O'Neill und schwang sich von der Pritsche. »Trotzdem muss ich darauf bestehen, dass Sie biologisch und chemisch dekontaminiert werden und anschließend ebenfalls Schutzanzüge anlegen, wenn Sie beabsichtigen, weiterhin auf P8X-987 zu bleiben. Und das dürfte wohl der Fall sein, wie ich Sie kenne.« »Kommen Sie, Doktor, das ist doch nicht nötig«, widersprach O'Neill. Ihn grauste bei dem Gedanken, sich ebenfalls in eine der unbequemen, schweren Monturen zwängen zu müssen. »Wenn es hier noch etwas gäbe, das uns gefährlich werden -6-
könnte, würden wir wohl ebenfalls schon längst nicht mehr leben.« »Sie haben gehört, was ich gesagt habe«, beharrte die Ärztin. »Solange wir nicht wissen, was den Tod all der Menschen verursacht hat, wird niemand mehr ohne Schutzkleidung hier herumlaufen. Vielleicht handelt es sich um eine Strahlung oder einen Virus, den wir noch nicht analysieren konnten, und der erst wirkt, wenn ma n ihm mehrere Stunden ausgesetzt ist. Entweder ziehen Sie die Anzüge an, oder Sie kehren direkt zur Basis zurück und verbringen dort die nächsten Tage in Quarantäne.« »Sie hat Recht, Colonel«, stimmte Sam Carter ihr zu. »Alles andere wäre viel zu gefährlich.« Widerwillig fügte sich O'Neill. Nacheinander traten sie durch eine Schleuse in die mittlerweile ebenfalls nach P8X-987 gebrachte Dekontaminierungskammer und legten anschließend die bereitgelegten Schutzanzüge an. Lediglich Teal'c wurde von dieser lästigen Pflicht befreit. Die Goa'uld-Larve, die er als Jaffa in sich trug, schützte ihn vor jeglicher Erkrankung. »Also gut, dann machen wir uns mal nützlich«, bestimmte O'Neill und zupfte unbehaglich an seinem Anzug herum. General Hammond hatte beschlossen, dass man die toten Bewohner Hankas nicht einfach so zurücklassen konnte. Die Menschen hatten zumindest ein Anrecht auf ein angemessenes Begräbnis. Spezialeinheiten hatten bereits damit begonnen, die Leichen im Dorf zu zentralen Punkten zu bringen, doch so wie die Arbeiter auf dem Feld gab es in der näheren Umgebung noch zahlreiche weitere Tote, die es erst einmal zu finden galt. Jack hatte beschlossen, dass sich SG-1 an der Suche nach ihnen beteiligen würde. Nach gut drei Stunden hatten sie sechs Tote nach Hanka gebracht und einen weiteren gefunden. Es handelte sich um -7-
einen jungen Mann, höchstens zwanzig Jahre alt. O'Neill bückte sich, um ihn hochzuheben, verharrte dann aber plötzlich. Deutlich hatte er aus dem fast mannshohen Schilf, das seitlich des Weges wuchs, ein Rascheln gehört, das zu laut war, als dass es nur vom Wind verursacht worden sein konnte. Als er aufblickte, nahm er nur wenige Meter entfernt inmitten der gelblichgrünen Stengel undeutlich eine Bewegung wahr. Nachdem sie bislang nur Tote gefund en hatten, war es ziemlich unwahrscheinlich, dass es sich um einen Bewohner Hankas handelte, der das Massensterben überlebt hatte. Außerdem hätte dieser keinen Grund sich zu verstecken. Die Einwohner waren an den Kontakt mit den SG-Teams gewöhnt. Ohne länger zu überlegen, sprang O'Neill blitzartig vor. Er rannte zwei Schritte und prallte dann jäh gegen ein Hindernis, das er innerhalb des Schilfs nicht gesehen hatte. Es war hart, gab aber bei dem Zusammenprall nach, und im nächsten Moment stürzte Jack der Lä nge nach unsanft zu Boden. »Was ist los?«, erkundigte sich Sam Carter und streckte ihm die Hand entgegen, um ihm wieder auf die Beine zu helfen. »Da ist jemand«, stieß O'Neill hervor. Er blickte sich hastig um, aber von dem Hindernis, mit dem er kollidiert war, war nichts zu sehen. Wahrscheinlich hatte es sich nur um ein paar besonders zähe Schilfstengel gehandelt, und er war lediglich mit dem Fuß an einer Wurzel oder etwas derartigem hängen geblieben. Dafür nahm er jedoch erneut die Bewegung wahr, die er zuvor schon entdeckt hatte. Der Unbekannte war durch seine plötzliche Reaktion erschreckt worden und ein Stück zurückgewichen, aber nicht geflohen. Für einen kurzen Moment waren inmitten des Schilfs die Umrisse eines menschlichen Körpers zu erkennen. Der Größe nach musste es sich um ein Kind handeln. »Ich glaube, es ist ein kleines Mädchen«, stellte Carter -8-
überrascht fest, die seiner Blickrichtung gefolgt war. O'Neill zog seine Pistole und richtete sie auf die Stelle, wo sich der oder die Unbekannte befand. »Komm raus!«, befahl er. »Wir haben dich entdeckt. Es ist sinnlos, dich weiterhin zu verstecken.« »Colonel, wie können Sie nur?«, empörte sich Carter. »Wenn das wirklich ein kleines Mädchen ist, das den Tod aller anderer überlebt hat...« »... dann brauchte es sich nicht vor uns zu verstecken«, fiel O'Neill ihr ins Wort. »Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass wir es vielleicht durch unsere Schutzanzüge erschrecken?« An die Unbekannte gewandt, fügte sie hinzu: »Ich weiß, dass wir mit diesen Anzügen und Helmen schrecklich aussehen, aber du brauchst keine Angst vor uns zu haben.« »Möglicherweise«, brummte Jack. An diese Möglichkeit hatte er in der Tat noch nicht gedacht. Er wandte sich zu Teal'c um. »Also gut, das scheint ein Fall für dich zu sein. Zeig der Kleinen dein Gesicht, vielleicht hilft es etwas. Aber versuch ausnahmsweise mal zu lächeln.« Er senkte die Pistole ein wenig, hielt sie aber weiterhin schussbereit in der Hand, während Teal'c langsam vortrat. Mit zum Zeichen seiner Friedfertigkeit ausgebreiteten Armen ging er auf die Stelle zu, wo sich das Mädchen im Schilf verbarg. »Hab keine Angst«, sagte er. »Wir werden dir nichts tun.« Nach einigen Sekunden richtete die Unbekannte sich langsam und zögernd auf und machte einen Schritt auf ihn zu. Nun war zu erkennen, dass es sich tatsächlich um ein Kind handelte, ein etwa zehnjähriges Mädchen. Das Gesicht der Kleinen war schmutzig, ihr langes, aschblondes Haar strähnig und verfilzt. Offenbar streifte sie schon seit Stunden durch die Wildnis. Mit großen, vor Angst und Schrecken weit aufgerissenen Augen -9-
starrte sie abwechselnd Teal'c und die anderen Mitglieder des Teams an. »Hab keine Angst«, sagte der Jaffa noch einmal. »Komm, gib mir deine Hand.« Fast eine Minute lang geschah gar nichts. Dann schließlich überwand sich das Mädchen. Langsam, wie in Zeitlupe, streckte es eine Hand aus und legte sie in die des Jaffa.
3 »Nun?«, fragte Sam Carter ungeduldig. »Was ist nun mit ihr?« Ungerührt las Dr. Fraiser weiterhin Ergebnisse von den Monitoren und Skalen der unzähligen medizinischen Geräte um sie herum ab und übertrug sie auf ein Blatt. Erst nach fast einer Minute ließ sie den Klammerblock in ihren Händen sinken und drehte sich herum. »Soweit ich feststellen kann, ist sie völlig gesund«, erklärte die Ärztin. »Keinerlei Anzeichen einer Infektion oder einer sonstigen Krankheit. Ich habe nur eine einzige Auffälligkeit feststellen können. In ihrem Körper finden sich Spuren von Naquadah.« Verblüfft starrte Carter die Ärztin einen Moment lang an. Naquadah war das Material, aus dem die Sternen-Tore erbaut waren, ein fremdartiges Erz, das es auf der Erde nicht gab. »Und was hat das zu bedeuten?« »Ich weiß es nicht.« Die Ärztin zuckte die Achseln, eine Geste, die unter ihrem dicken Schutzanzug nur andeutungsweise zu erkennen war. Sie hatten das Mädchen unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen durch das Sternen-Tor zur Erde gebracht, wo es in der Quarantänestation der medizinischen Labors genauer untersucht werden konnte, als in dem -10-
provisorischen Camp. Carter hatte sie begleitet, während die anderen Mitglieder des Teams noch auf P8X-987 zurückgeblieben waren. »Aber wir wissen immerhin, dass Naquadah keine schädlichen Auswirkungen auf den menschlichen Organismus ausübt. Möglicherweise ist dies sogar die Erklärung, warum die Kleine als einzige überlebt hat. Aber das ist nur eine vage Vermutung. Es wird noch eine Weile dauern, bis ich genaueres weiß.« Sam ließ ihren Blick zu dem schmächtigen Körper des Mädchens wandern, das vor ihnen auf einer Untersuchungsliege lag. »Nun, wenn ich sie richtig verstehe, geht von ihr zumindest keine Gefahr aus. Es spricht also nichts dagegen, wenn wir die Schutzanzüge öffnen.« Fraiser zögerte einen Moment, dann nickte sie. Carter öffnete die Verschlüsse ihres Helms und nahm ihn ab. Sie atmete tief durch und strich sich ihr blondes Haar aus dem Gesicht. Dann ging sie neben der Liege in die Hocke. »So, das ist schon viel besser.« Sie lächelte das Mädchen an. »Ich bin Samantha Carter, aber du kannst ruhig Sam zu mir sagen. Und wie heißt du?« Die Kleine starrte sie nur an, sagte aber nichts. Widerstreitende Gefühle zeichneten sich in ihrem Gesicht ab. Sie war immer noch zutiefst verstört, was sicherlich kein Wunder war, nach allem, was sie erlebt hatte. Carter zweifelte nicht daran, dass die Kleine die Toten gesehen hatte, zu denen wahrscheinlich auch ihre Freunde, Eltern und sonstigen Verwandten gehörten. Auch die fremdartige Umgebung trug sicherlich dazu bei, dass sie sich fürchtete. »Ich weiß, du hast bestimmt Schreckliches durchgemacht«, sprach Sam weiter. »Aber du bist jetzt in Sicherheit. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Doch es ist wichtig, dass du mir erzählst, was passiert ist.« -11-
Wieder bekam sie keine Antwort. Das Mädchen starrte sie nur weiterhin stumm an. Carter sah ein, dass sie im Moment nicht weiterkam. Obwohl ihr die Zeit unter den Nägeln brannte, musste sie versuchen, langsam das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen. Im Augenblick brauchte die Kleine vermutlich in erster Linie Ruhe. »Also gut, du musst nicht mit mir reden, wenn du nicht willst«, sagte sie. »Vielleicht ist es besser, wenn du erst einmal schläfst. Ich sehe später noch einmal nach dir.« Sie richtete sich auf und drehte sich um. »Cassandra«, vernahm sie ein dünnes, kaum hörbares Stimmchen hinter sich, als sie sich gerade erst einen Schritt von der Liege entfernt hatte. »Ich heiße... Cassandra.« Sie fuhr herum und beugte sich lächelnd wieder zu dem Mädchen hinunter. »Cassandra also«, sagte sie. »Das ist ein schöner Name. Ich heiße Sam, wie ich dir ja schon gesagt habe.« Das Mädchen setzte sich auf und schwang die Beine über den Rand der Liege. Dann schlug es die Hände vor das Gesicht. Es begann zu schluchzen, und Tränen rannen zwischen seinen Fingern hindurch. Fraiser warf Sam einen fragenden Blick zu, und als diese nickte, verließ die Ärztin diskret das Zimmer. Sam setzte sich neben Cassandra auf die Liege und legte ihren Arm um sie. Immer noch weinend klammerte die Kleine sich an sie. »Meine Eltern«, presste sie hervor. »Meine Freunde... sie sind alle tot... alle tot. Nur ich... bin noch am Leben.« Sam strich ihr beruhigend mit einer Hand über die Haare. »Es tut mir schrecklich Leid, was geschehen ist«, sagte sie. Sie fühlte sich hilflos wie selten zuvor. Was konnte man jemandem in dieser Situation schon sagen? Jedes Wort des Trostes musste hohl und leer klingen. Besser als vermutlich die -12-
meisten anderen Menschen konnte sie nachvollziehen, was in Cassandra vorgehen musste. Es war, als wäre das Rad der Zeit zurückgedreht worden. Sam erinnerte sich daran, wie für sie selbst, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war, kaum älter als Cassandra, eines Tages binnen weniger Minuten ihre ganze Welt zusammengebrochen war. An jenem Nachmittag hatte sie fröhlich in ihrem Zimmer mit ihren Puppen gespielt, als sich die Tür geöffnet hatte und ihr Vater, Jakob Carter, eingetreten war. Schon sein wie versteinert wirkendes Gesicht hatte ihr verraten, dass etwas Schreckliches geschehen sein musste. Er hatte sich neben sie gesetzt und den Arm um sie gelegt. Seine Stimme hatte gezittert, als er ihr mit knappen, fast kühlen Worten von dem tödlichen Unfall ihrer Mutter erzählt hatte. Anschließend hatte er sie an sich gedrückt und dann fast fluchtartig das Zimmer verlassen. Mittlerweile wusste Sam, dass er nicht anders hatte handeln können. Seine eigene Trauer war zu groß gewesen, als dass er in der Lage gewesen wäre, ihr Trost zu spenden. Er hatte ihr die Nachricht nicht einmal schonend beibringen können, weil er sonst wahrscheinlich selbst geweint hätte, und das war etwas, was er niemals vor anderen getan hätte. Damals jedoch hatte Sam es nicht verstehen können. Nur zu deutlich erinnerte sie sich noch an den Schmerz und die Verzweiflung, die sie empfunden hatte. Vor allem aber erinnerte sie sich noch an das Gefühl, plötzlich ganz allein auf der Welt zu sein. Mit einem Schlag hatte sie nicht nur ihre Mutter verloren, sondern auch ihren. Vater. Weil er ihr in diesen für sie so schweren Monaten kaum hatte beistehen können, sondern sich in seinem Schmerz vergraben hatte, hatte ihr Verhältnis einen Bruch erlitten, der sich nie ganz hatte kitten lassen. Sam verdrängte die Erinnerungen an die Vergangenheit. »Was passiert ist, ist schrecklich«, sprach sie leise auf das -13-
Mädchen ein. »Wein ruhig, wenn es dich erleichtert. Aber ich möchte, dass du eines weißt: Auc h wenn es dir vielleicht jetzt so vorkommt, du bist nicht allein. Wir werden uns um dich kümmern, und wir werden dich bestimmt nicht im Stich lassen. Niemand kann dir deine Eltern zurückgeben oder sie ersetzen, aber wenn du mich lässt, möchte ich gern deine Freundin sein.« »Meine Freunde... sind auch tot«, schluchzte Cassandra. »Warum bin nur ich noch am Leben?« »Das weiß ich nicht«, antwortete Sam ehrlich. »Aber genau das müssen wir herausfinden. Wir wissen nicht, woran die Menschen in Hanka und auch unsere Leute auf deiner Welt gestorben sind, aber wir hoffen, dass du uns helfen kannst, es in Erfahrung zu bringen.« »Aber ich... ich weiß nichts«, stammelte Cassandra. Ihr Tränenfluss versiegte allmählich. »Da war dieser dunkle Fleck am Himmel, und dann... dann...« »Ein dunkler Fleck?«, fragte Sam alarmiert. »Kannst du ihn etwas genauer beschreiben?« Cassandra schüttelte den Kopf. »Es war... irgendein schwarzes rundes Ding, und es war ganz plötzlich da. Ich habe es nur gesehen, weil ich gerade draußen gespielt habe. Nach ein paar Sekunden ist es wieder verschwunden, und kurz darauf... Sie sind einfach umgefallen, von einem Moment auf den anderen, und...« Sie brach ab und begann wieder zu weinen. Sam sprach auch weiterhin beruhigend auf das Mädchen ein, während sich die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen. Ein dunkler, runder Fleck am Himmel - auch ohne eine nähere Beschreibung war ihr klar, dass es sich nur um ein Raumschiff handeln konnte, vermutlich ein Mutterschiff der Goa'uld. Sein Auftauchen kurz vor Beginn des Massensterbens konnte nur bedeuten, dass es sich entgegen Teal'cs Behauptung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit doch um einen biologischen Angriff der Goa'uld gehandelt hatte. -14-
Sie biss die Zähne zusammen. Auf P8X-987 hatten fast tausend Menschen gelebt, harmlose Bauern und Handwerker, die keinerlei Gefahr für die Systemlords dargestellt hatten, die nicht einmal von deren Existenz gewusst hatten. Dennoch hatten die Goa'uld sie kaltblütig umgebracht, und der einzige Grund dafür konnte die Anwesenheit eines SGTeams auf P8X-987 gewesen sein. Trotz allem, was sie über die außerirdischen Despoten wusste, war diese Grausamkeit für Carter absolut unfassbar. Nur um sieben Menschen von der Erde zu töten, hatten sie die Bevölkerung eines ganzen Planeten ausgelöscht. Ein solcher Akt der Brutalität stellte alles in den Schatten, was sie von den Goa'uld erlebt hatte. Das Licht begann zu flackern. Irritiert blickte Carter auf. Gleich darauf erlosch es, um einen kurzen Moment später wieder aufzuflammen. Die riesige SG-Basis besaß eine völlig autarke Stromversorgung, die durch mehrere Atomgeneratoren sichergestellt wurde. Ein Stromausfall war unter normalen Bedingungen absolut ausgeschlossen. Nach wenigen Sekunden vernahm Sam gedämpft das Heulen der Alarmanlage, das vom Korridor bis in die Krankenstation drang. Sie schrak zusammen. Auch Cassandra war so erschrocken, dass sie sich noch fester an sie klammerte. »Es tut mir Leid, Kleines, aber ich muss dringend weg«, erklärte Sam. »Aber ich verspreche dir, dass ich so schnell wie möglich zurückkomme.« »Nein!«, stieß Cassandra mit von Panik erfüllter Stimme hervor. »Du darfst nicht gehen!« Sie drückte Sams Arm so fest, dass es fast wehtat. »Es geht nicht anders«, erwiderte Sam. Sie brauchte mehrere Minuten, bis sie Cassandra soweit beruhigt hatte, dass diese bereit war, sie gehen zu lassen, und es gelang ihr überhaupt nur, weil Dr. Fraiser zurückkehrte und versprach, solange bei dem Mädchen zu bleiben. -15-
Hastig verließ Carter die Krankenstation und eilte in den Kontrollraum des Sternen-Tores, der gleichzeitig eine Art Zentrale der gesamten Basis darstellte. Zusammen mit General Hammond, dem kleinwüchsigen, fast kahlköpfigen Oberbefehlshaber des gesamten Projekts, waren mehrere andere ranghohe Offiziere sowie einige Techniker und Programmierer dort versammelt und redeten wild aufeinander ein. »Was ist passiert?«, erkundigte Sam sich. »Gut, dass Sie da sind, Major.« General Hammond trat auf sie zu. »Wir haben einen unbefugten Zugriff auf den Computer gehabt.« »Den Computer, der das Sternen-Tor steuert? Sie meinen einen Zugriff von außen, Sir?« »Nein, auf den Zentralcomputer. Für ein paar Sekunden hat sämtliche Technik verrückt gespielt. Wir konnten bislang nicht feststellen, von wo aus der Zugriff erfolgte, aber wir vermuten, dass es irgendwo innerhalb der Basis geschah.« Sam trat auf eines der Terminals zu. Der Programmierer, der daran saß, machte ihr bereitwillig Platz. Sie war Offizier der US-Army und vor einigen Wochen erst vom Captain zum Major befördert worden, aber zugleich war sie auch eine hervorragende Wissenschaftlerin, die entscheidend daran mitgearbeitet hatte, die Bedienung des Sternen-Tores so effizient wie nur möglich zu machen. Flink ließ sie ihre Finger über die Tastatur huschen. Endlose Kolonnen von Zahlen, die den meisten Menschen absolut nichts gesagt hätten, flimmerten über den Bildschirm. Fast zehn Minuten lang wandte Sam ihr ganzes Können auf, ohne einen Hinweis auf die Art des Zugriffs, die eventuell dabei vorgenommenen Manipulationen oder auch nur den Ort, von dem aus der Hackerangriff vorgenommen worden war, zu entdecken. »Sinnlos«, sagte sie schließlich und ließ sich seufzend zurücksinken. »Alle Protokolle weisen nur eine kurze technische -16-
Störung aus. Vielleicht handelte es sich wirklich nur um eine Fehlfunktion. Falls jemand den Computer manipuliert haben sollte, dann muss es sich um einen absoluten Profi gehandelt haben. Um ganz sicher zu gehen, schlage ich vor, dass wir das gesamte System neu booten.« Hammond zögerte einen Moment, dann nickte er. »Bereiten Sie alles für einen Neustart vor«, ordnete er an.
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DER JUNGE AUS DEM NICHTS 1 Das Licht war gedämpft. Lediglich einige Monitore leuchteten hell, zudem blinkten zahlreiche Dioden und Kontrolllämpchen an den Geräten an den Wänden und dem großen Schaltpult vor der Glasscheibe, das den Kontrollraum von der ein halbes Stockwerk tiefer gelegenen Transportkammer trennte. Trotz der späten Stunde überraschte es Colonel Jack O'Neill nicht, dass er General Hammond hier vorfand. Hammond gehörte zu den Menschen, die mit extrem wenig Schlaf auskamen und praktisch keine Freizeit zu kennen schienen. Sein durchschnittlicher Arbeitstag betrug mindestens achtzehn bis zwanzig Stunden. Der General wandte sich von dem Techniker ab, mit dem er sich unterhalten hatte, und blickte Jack verwundert an. »Was machen Sie denn so spät noch hier, Colonel?« O'Neill zuckte die Achseln. Mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen trat er näher. »Ich konnte nicht schlafen«, erklärte er. »Irgendwie habe ich ein Kribbeln im Bauch, als ob etwas passieren würde.« »Sind Sie jetzt schon unter die Hellseher gegangen?« Jack antwortete nicht. Mit Hellseherei hatte das nichts zu tun, eher damit, dass er eine intuitive Auffassungsgabe und ein sehr waches Unterbewusstsein besaß, das meistens frühe r als sein Verstand irgendwelche Kleinigkeiten registrierte. Im Laufe der Jahre hatte er gelernt, das, was er als Kribbeln im Bauch bezeichnet hatte, nicht einfach zu ignorieren. Sam Carter verwandte einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit darauf, sich um Cassandra zu kümmern. Aufgrund der Aussage -18-
des Mädchens hatten sie die Umgebung von Hanka noch einmal gründlich durchsucht und schließlich die Überreste eines etwa fußballgroßen Metallbehälters entdeckt. Mittlerweile stand fest, dass es sich um die Bombe handelte, die zum Tod der zahlreichen Menschen geführt hatte. Im Labor waren Spuren einer unbekannten, extrem giftigen Substanz darin entdeckt worden, die sich bei Kontakt mit Sauerstoff als Gas ausbreitete, sich binnen weniger Stunden allerdings auch wieder vollständig zersetzte, sodass sie kaum nachzuweisen war. Seit zwei Tagen befand sich O'Neill wieder auf der Erde, und seither verspürte er dieses Kribbeln. Er war Soldat, kein Wissenschaftler, und er wusste nicht, ob es sich bei dem Störfall um einen unbefugten Zugriff oder eine technische Fehlfunktion handelte, von der man inzwischen allgemein ausging. Irgendetwas aber braute sich zusammen. Der Angriff der Goa'uld auf P8X-987 musste einen tieferen, bislang noch verborgenen Sinn haben, dem in irgendeiner Form ein Nachspiel folgen würde, davon war er überzeugt. Diese Ansicht wurde auch von Teal'c geteilt. Es ergab keinen Sinn, die Bevölkerung eines ganzen Planeten zu töten, nur um auch ein SG-Team zu erwischen. Wenn schon ein Raumschiff der Goa'uld zu dieser Welt geflogen war, hätte ein schneller, kompromisslos durchgeführter Angriff mit Todesgleitern gegen das Observatorium den gleichen Zweck erfüllt. Trotzdem war seither nichts mehr geschehen. Für O'Neills Geschmack verhielten sich die Goa'uld schon geradezu zu ruhig. Ein Beobachtungsteam war auf P8X-987 zurückgeblieben, doch es hatte keinerlei Anzeichen für weitere feindliche Aktivitäten gegeben. Ein bisschen kam es Jack vor, als ob es sich um die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm handelte. »Falls Sie beschä ftigt sind, gehe ich wieder«, sagte er. »Ich bin nur so ein bisschen umher geschlendert.« »Das ist nicht nötig. Wir haben nur gerade darüber -19-
gesprochen, wie wir...« O'Neill erfuhr nicht mehr, worüber Hammond sich mit dem Techniker unterhalten hatte, denn in diesem Moment erzitterte der Boden kaum merklich, als die riesigen Generatoren ein Stockwerk unter ihnen ansprangen, die das Sternen-Tor mit Energie versorgten. Kaum eine Sekunde später heulte eine Alarmsirene auf, ließ den General verstummen und beendete mit einem Schlag die Ruhe in der unterirdischen Militäranlage. »Nicht autorisierter Transport eingeleitet«, plärrte eine Computerstimme. »Nicht autorisierte Ankunft.« »Wer ist das?«, Hammond sprang auf und starrte durch die große Panoramaglasscheibe in den Transportraum hinunter. »SG-4 und SG-5 sind unterwegs, aber beide Teams werden erst morgen zurückerwartet«, antwortete der Techniker. »Wurde ein Erkennungscode gesendet?« »Nein, Sir.« »Worauf warten Sie dann noch? Schließen Sie endlich die Irisblende!« »Zu Befehl, Sir.« Während der Techniker einen Knopf drückte und die gewaltige Blende aus Titanium und mehrfach gehärtetem Spezialstahl vor das Sternen-Tor glitt, stürmten ein Dutzend schwer bewaffneter Soldaten in die Transportkammer und legten mit ihren Gewehren auf das Tor an. Unmittelbar hinter ihnen schloss sich das massive, fast einen halben Meter dicke Stahlschott vor der einzigen Tür zur Transportkammer. Schwere, automatische Geschütze beiderseits der Rampe und in den Wänden wurden aktiviert und ebenfalls auf das Tor ausgerichtet. O'Neill ertappte sich dabei, dass er sich an der Kante eines Pultes festklammerte. Er hatte gewusst, dass etwas passieren würde. War dies der Angriff, den er unterschwellig befürchtet hatte? Flackernder, bläulicher Lichtsche in schimmerte hinter -20-
den Rändern der Blende hervor. Das Transportfeld hatte sich aufgebaut. Im nächsten Moment glitt die Blende auseinander und gab den Blick auf die bläulichweiße Energiefläche dahinter frei, die das Innere des gewaltigen Rings ausfüllte. »Was soll das?«, blaffte Hammond zornig und fuhr zu dem Techniker herum. »Ich habe keinen Befehl gegeben, die Iris zu öffnen.« »Das war ich nicht, Sir«, verteidigte sich der Mann und hob demonstrativ die Hände. »Dann schließen Sie sie wieder!« Der Mann drückte auf einen Knopf, und erneut glitt die Blende zu, doch noch bevor sie sich ganz schließen konnte, öffnete sie sich bereits wieder. »Sie sollen Sie schließen!«, befahl General Hammond noch einmal. Eine Mischung aus Zorn, Ungeduld und auch ein klein wenig Hysterie schwang in seiner Stimme mit. »Das versuche ich ja, aber der Computer reagiert nicht richtig auf meine Eingaben.« »Was ist passiert?«, erkundigte sich Samantha Carter atemlos, die in diesem Moment zusammen mit Daniel Jackson in den Kontrollraum geeilt kam. »Irgendetwas mit der Iris«, erklärte O'Neill. Auch er begann allmählich Schrecken zu verspüren. Seit sie das Sternen- Tor entdeckt und in Betrieb genommen hatten, hatte sich die Blende als hervorragender Schutzmechanismus entpuppt. In dem nur Bruchteile von Millimetern durchmessenden Raum zwischen dem Ereignishorizont und der Titaniumplatte konnte sich keinerlei feste Materie materialisieren. Nur das hatte sie bislang davor bewahrt, von den Kampftruppen der Goa'uld überrannt zu werden. Wenn die Goa'uld nun womöglich einen Weg gefunden hatten, diesen Schutz auszuschalten... -21-
Jack wagte es nicht, weiter darüber nachzudenken. Sam Carter trat an ein freies Computerterminal, studierte einen Moment lang die Nachrichten auf dem Monitor und gab über die Tastatur blitzschnell einige Befehle ein. »Er hat Recht, Sir«, meldete sie erschrocken. »Wir haben von hier aus keinen Zugriff mehr auf die Blende. Das... Sir, jemand hat sich erneut unbefugt in den Zentralcomputer eingeklinkt und manipuliert ihn!« »Höchste Alarmstufe!«, stieß Hammond hervor. »Selbstzerstörungssequenz aktivieren und auf zwei Minuten einstellen!« Jack zuckte erschrocken zusammen. Es war nicht das erste Mal, dass Hammond diesen Befehl erteilte, den letzten, ultimativen Schutz der Erde vor einer Invasion durch das Sternen-Tor. In diesem Moment wurde irgendwo unter seinen Füßen eine Zweihundert-Megatonnen-Atombombe scharf gemacht, um in genau hundertzwanzig Sekunden diese gesamte Station zu vernichten. »Die Selbstzerstörungssequenz lässt sich nicht aktivieren« , teilte der Techniker mit fast überkippender Stimme mit. Schweiß rann über sein Gesicht. »Die Computer hier sind völlig lahmgelegt.« »Mein Gott«, keuchte Sam. In fliegender Hast ließ sie ihre Finger über die Tastatur huschen, dann schlug sie wütend mit der flachen Hand darauf. »Ich verstehe das einfach nicht. Wir sind...« Sie sprach nicht weiter, denn in diesem Augenblick trat eine Gestalt aus dem Energiefeld des Sternen-Tores heraus. Sie war kleinwüchsig wie ein Kind und trug ein kuttenähnliches Fellgewand. Ihr Gesicht war unter der hochgeschlagenen und weit nach vorne gezogenen Kapuze verborgen. Die Gestalt machte einen unbeholfenen Schritt auf die Rampe hinaus, taumelte dann und stürzte zu Boden. Regungslos blieb -22-
sie liegen. Hinter ihr erlosch das Energiefeld des Sternen-Tores.
2 Langsam und vorsichtig, das Gewehr schussbereit in den Händen, näherte sich einer der Soldaten der Wachmannschaft der regungslosen Gestalt vor dem Sternen-Tor. Unmittelbar vor ihr blieb er stehen, dann stupste er sie ein paarmal vorsichtig mit dem Gewehr an. Erst als der Fremde auch jetzt noch nicht reagierte, streifte der Soldat ihm mit dem Lauf der Waffe die Kapuze vom Kopf. Überrascht sog O'Neill die Luft ein. Die Größe des Fremden hatte nicht getrogen, es handelte sich tatsächlich um einen vielleicht zehnjährigen Jungen, dessen Schädel völlig kahl war. Der Soldat bückte sich tiefer und tastete die Kleidung des Jungen ab, dann richtete er sich wieder auf und deutete mit einer Handbewegung an, dass er keine Waffen gefunden hatte. »Was meinen Sie, Colonel?«, erkundigte sich Hammond. »Ob wir es wagen können, das Schott wieder zu öffnen?« »Sieht wie ein harmloser Junge aus«, entgegnete O'Neill. »Aber es kann sich genauso gut um einen Wirt für einen Goa'uld handeln.« Er blickte Sam an. »Ich schlage vor, dass Major Carter ihn sich genauer ansieht. Sie entdeckt vermutlich eher etwas als wir.« Vor einigen Monaten war Sam Carter selbst für kurze Zeit Wirt für einen Tok'ra gewesen, die Widerstandskämpfer innerhalb der Goa'uld, die sich gegen die Herrschaft der Systemlords auflehnten. Auch nach dem Ende dieser Symbiose vermochte sie zu spüren, ob ein Wesen von einem Goa'uld infiziert war. Hammond zögerte noch einen Moment, dann nickte er. -23-
»Also gut. Sehen wir uns den Jungen an«, entschied er. »Und schalten Sie endlich die verdammte Alarmsirene ab«, fügte er an den Techniker gewandt hinzu. »Versuchen Sie lieber herauszufinden, was mit dem Computer passiert ist. Wenn wir im Falle eines feindlichen Angriffs die Iris nicht schließen können, sind wir verloren.« Sie verließen den etwas erhöht liegenden Kontrollraum und stiegen die Treppe hinab. Vor dem Eingang zur Transportkammer tippte Hammond einen kurzen Zahlencode in ein Terminal, und das schwere Schott öffnete sich. Sie traten ein. Während der paar Sekunden, die sie für den Weg hierher gebraucht hatten, war der Junge aus seiner Ohnmacht erwacht und wieder aufgestanden. Ängstlich starrte er zu den Soldaten, die nach wie vor ihre Gewehre auf ihn gerichtet hielten. »Also dann, Major«, sagte O'Neill aufmunternd in Carters Richtung. Zögernd trat sie auf den Jungen zu und ging unmittelbar vor ihm in die Hocke, so dass sich ihre Gesichter auf gleicher Höhe befanden. »Hallo«, sagte sie zaghaft und rang sich ein Lächeln ab. Der Junge antwortete nicht. »Hast du einen Namen?«, fragte sie. Abermals erhielt sie keine Antwort, so wie es auch bei Cassandra der Fall gewesen war. So abwegig der Gedanke aufgrund der völlig anderen Situation auf den ersten Blick auch erscheinen mochte, fragte sie sich trotzdem, ob es zwischen ihr und dem Jungen einen Zusammenhang gab. Es konnte sich kaum um einen Zufall handeln, dass gleich zwei Kinder etwa im gleichen Alter binnen weniger Tage hier eintrafen. »Also gut«, fuhr sie fort. »Ich weiß nicht, ob du mich überhaupt verstehst, aber ich heiße Sam.« Sie tippte sich bei diesen Worten gegen die Brust, wiederholte ihren Namen noch einmal und legte eine kurze Pause ein, obwohl sie schon gar -24-
nicht mehr ernsthaft mit einer Antwort rechnete. Wahrscheinlich sprach der Junge ihre Sprache wirklich nicht. »Ich muss dich durchsuchen, und zwar nach Dingen, die du dir vielleicht nicht mal vorstellen kannst«, erklärte sie trotzdem. »Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Also bekomm' jetzt keinen Schreck, wenn ich dich anfasse, ja?« Sie streckte ihre Hände aus und tastete den Nacken des Jungen sorgfältig ab. Dabei versuchte sie, die Gegenwart einer fremden Präsenz in ihm festzustellen, während sie gleichzeitig nach einer Wunde suchte, durch die möglicherweise ein Goa'uld in den Körper des Fremden geschlüpft sein konnte. Sie spürte keines von beiden. Aufmunternd strich sie dem Jungen über den Kopf, ehe sie wieder zurücktrat und sich achselzuckend zu Hammond und den anderen umdrehte. »Er ist weder ein Goa'uld noch ein Jaffa«, teilte sie mit. »Soweit ich feststellen kann, ist er völlig sauber.« »Aber wer oder was ist er dann?«, erkundigte sich Hammond. »Und was will er hier?« »Ich... bin hier, um euch zu warnen«, behauptete der Junge in diesem Moment in einwandfreiem Englisch. »Ihr seid... alle in großer Gefahr.« Er begann zu zittern, machte einen zögernden Schritt in ihre Richtung und streckte wie Hilfe suchend die Hand nach ihnen aus. Sam sprang gerade noch rechtzeitig herbei, um ihn aufzufangen, als er erneut zusammenbrach. »Helft... mir«, presste der Junge hervor, dann verlor er erneut das Bewusstsein.
3 »Tja, soweit ich das beurteilen kann, ist er hundertprozentig menschlich«, erklärte Dr. Fraiser und trat einen Schritt von dem -25-
Krankenbett zurück, auf dem der Junge lag. Wer die knapp dreißigjährige, zierliche Ärztin mit dem schulterlangen rötlichblonden Haar zum ersten Mal sah, konnte sich kaum vorstellen, eine der bedeutendsten Kapazitäten auf dem Gebiet der Biologie und modernen Medizin vor sich zu haben. Ihre Leistungen sprachen jedoch für sich. Sie hatten ihn auf die Krankenstation gebracht, wo Fraiser ihn fast eine Stunde lang nach allen Regeln der Kunst untersucht hatte. Sie hatte Röntgenbilder und Ultraschallaufnahmen, ein EKG und ein EEG von ihm angefertigt, seinen Puls, seine Temperatur, seinen Blutdruck und hundert andere Dinge gemessen. Sie hatte ihm Blut abgezapft und sogar Gewebeproben von ihm entnommen und diese überprüft, aber alle Untersuchungen hatten zum gleichen Ergebnis geführt. »Meiner Meinung nach stellt er keinerlei Bedrohung für uns dar. Er ist nichts anderes als ein Junge von zehn bis zwölf Jahren. Allerdings ein sehr schwacher und kranker Junge, dazu anscheinend noch unterernährt. Ich muss das genaue Ergebnis der Untersuchungen abwarten, aber offenbar arbeiten mehrere innere Organe nicht richtig. Deshalb ist er auch ohnmächtig geworden. Ich habe ihm Infusionen gegeben, die ihn stärken.« »Können Sie ihm auch etwas geben, das ihn aufweckt?«, erkundigte sich General Hammond ungeduldig. Fraiser warf ihm einen so eisigen Blick zu, dass er ein Stück in sich zusammenzusinken schien, was bei dem General eine Seltenheit war. Fast entschuldigend fügte er hinzu: »Ich weiß, er ist Ihr Patient, Doktor, und keiner von uns will ihm Schaden zufügen. Aber wir müssen mit ihm sprechen. Können Sie ihm nun eine Spritze oder sonstirgendetwas geben, dass er aufwacht?« »Dazu brauche ich keine Spritze«, erklärte die Ärztin kühl. »Schließlich befindet er sich nicht im Koma. Er müsste ohnehin jeden Moment aufwachen.« Sie beugte sich wieder über den Jungen und rüttelte ihn sanft -26-
an der Schulter. »Wach auf«, sagte sie sanft. Der Junge schlug die Augen auf, blickte sich einen Moment verwirrt um, als wüsste er nicht mehr, wo er sich befand und was passiert war, dann richtete er seinen Oberkörper mit eine m Ruck auf, kroch so weit es ging zurück und presste sich gegen das Kopfende des Bettes. Mit unverkennbarer Furcht starrte er das halbe Dutzend Soldaten an, das mit auf ihn gerichteten Gewehren in einem Halbkreis um das Bett herum stand. Gleich darauf ließ er seinen Blick weiter durch den Raum schweifen, sah einige Sekunden lang in die am weitesten entfernte Ecke und beruhigte sich daraufhin sichtlich. O'Neill folgte seinem Blick, konnte jedoch nichts entdecken und wandte sich achselzuckend wieder dem Junge n zu. »Wie wäre es, wenn Sie ihre Wachhunde endlich zurückpfeifen würden, General?«, stieß Fraiser zornig hervor. »Sie sehen doch, dass der Junge Angst hat. Oder halten Sie dieses Kind für so gefährlich, dass Sie ihm nur mit einer Abteilung Marines im Rücken entgegenzutreten wagen?« Ihre Worte klangen fast wie ein Befehl. Von niemandem sonst, den Jack O'Neill kannte, hätte sich Hammond einen solchen Tonfall bieten lassen, geschweige denn, dass er der Aufforderung nachgekommen wäre. Doch so unscheinbar die zierliche Ärztin auch manchmal wirken mochte, konnte sie, wenn es um einen ihrer Patienten ging, doch eine natürliche Autorität zu entwickeln, die der des Generals in nichts nachstand. Das galt erst recht hier auf der Krankenstation, wo sie der unumschränkte Chef war. O'Neill traute ihr ohne weiteres zu, dass sie selbst den Präsidenten der Vereinigten Staaten, wenn dieser eines Tages herkommen sollte, aus dem Raum weisen würde, falls sie sich von ihm in ihrer Arbeit gestört fühlen sollte. Hammond zögerte einen Moment, dann bedeutete er den Marines, sich zurückzuziehen. Außer ihm selbst und Dr. Fraiser -27-
blieben nur Sam, Jack und Daniel. Sam trat zwei Schritte vor und lächelte den Jungen aufmunternd an. »Ich weiß, dass du unsere Sprache verstehst und sprichst«, sagte sie. »Willst du uns nicht erst einmal sagen, wie du heißt? Ich finde, dann können wir uns besser unterhalten.« Der Junge beachtete sie gar nicht, beugte sich sogar ein wenig vor, um an ihr vorbei sehen zu können und blickte O'Neill an. »Dein Name ist Colonel Jack O'Neill«, sagte er. Verblüfft runzelte Jack die Stirn. »Woher weißt du das?« »Meine Mutter hat es mir gesagt«, erklärte der Junge und deutete in die Ecke, in die er vorher schon einige Sekundenlang geblickt hatte. Jack ertappte sich dabei, dass er erneut genau wie alle anderen dorthin sah, aber natürlich war die Ecke ebenso leer wie zuvor, und er ärgerte sich ein wenig über sich selbst. »Deine Mutter?«, hakte er nach. Der Junge nickte bestätigend. »Mutter sagt, ich soll nur mit dir allein sprechen.« O'Neill wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Machte der Junge sich über sie lustig, oder war sein Verstand verwirrt? Jack war unschlüssig, ob er ihn bedauern oder sich über ihn ärgern sollte, aber er beschloss, zunächst einmal auf das sonderbare Spiel einzugehen, bis er mehr wusste. »Warum gerade mit mir?« wollte er wissen. Der Junge starrte einige Sekunden lang ins Leere, ehe er O'Neill wieder anblickte. »Mutter hat dich beobachtet. Du bist ihr sympathisch. Sie glaubt, dass man dir vertrauen kann. Sie hält dich für einen ehrenwerten Führer deines Volkes.« »Nun, danke schön, Ma'am«, sagte O'Neill in Richtung der leeren Ecke und wandte sich wieder dem Jungen zu. »Aber ich -28-
bin nicht der Führer meines Volkes. Außerdem sind das hier meine Freunde. Du kannst ihnen genauso vertrauen.« »Mutter besteht darauf, dass ich nur Informationen preisgebe, wenn ich mit dir allein bin«, beharrte der Junge. »Vielleicht sollten wir anderen dann mal für eine Weile auf den Flur gehen«, schlug Sam vor. Einen Moment lang schien General Hammond widersprechen zu wollen, doch dann nickte er. Sie verließen den Raum. Selbst Fraiser schloss sich ihnen nach einem letzten zögernden Blick auf ihren Patienten ohne Protest an. »Gehen Sie unbedingt weiter auf das Gerede von seiner Mutter ein«, raunte sie Jack im Hinausgehen zu. »Vielleicht ist es eine psychologische Stütze für ihn, die er unbedingt braucht.« Jack nickte und wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann schlenderte er näher zum Bett. »So, jetzt sind wir allein«, sagte er. »Willst du mir nicht erst einmal deinen Namen nennen?« Der Junge überlegte einen Moment, dann zuckte er die Achseln. »Ich habe keinen Namen.« »Aber irgendwie muss ich dich schließlich nennen. Wie nennt deine Mom dich denn?« »Sie nennt mich nur Sohn. Aber das ist kein richtiger Name, nicht wahr? Eher eine Beschreibung. Mutter sagt, du hast auch einen Sohn.« O'Neill zuckte zusammen. Die Worte des Jungen hatten eine Wunde wieder aufgerissen, die noch längst nicht verheilt war, obwohl bereits mehrere Jahre verstrichen waren, seit sich sein Sohn beim Spielen mit seiner Dienstpistole versehentlich erschossen hatte. Jack hatte die Erinnerung daran nach Kräften verdrängt; bewältigen würde er sie vielleicht nie. Der jäh aufflammende Schmerz trübte seine Gedanken für -29-
einen Moment, sodass ihm erst mit geringer Verspätung bewusst wurde, was der Junge gerade überhaupt gesagt hatte. Wie konnte er von seinem Sohn wissen? Und wie hatte er schon vorher, als sie die Krankenstation betraten, seinen Name n wissen können? »Ja«, bestätigte er schließlich widerstrebend. »Ich hatte einen Sohn. Er hieß Charlie. Aber er ist schon seit mehreren Jahren tot.« »Das tut mir Leid«, murmelte der Junge. »Charlie ist ein schöner Name. Hast du etwas dagegen, wenn ich ab jetzt auch Charlie heiße?« Für einen Moment sträubte sich alles in O'Neill dagegen, diesem außerirdischen Wesen, von dem sie noch nicht einmal wussten, ob es sich wirklich um einen Mensch handelte, den Namen seines Sohnes zu geben. Dann aber blickte er den Jungen noch einmal genauer an und spürte plötzlich einen Kloß im Hals. Es war ungewiss, welche Fähigkeiten er besaß, ob er möglicherweise sogar eine Bedrohung darstellte, aber im Moment war er in erster Linie ein Kind, das sich in einer ihm völlig fremden Welt befand. Ein sehr krankes Kind noch dazu, wie Fraiser behauptet hatte. Mit seinem kahlen Kopf sah er aus, als hätte er gerade erst eine Chemotherapie durchgemacht, und der Pyjama, in den man ihn gesteckt hatte, war ihm ein paar Nummern zu groß, sodass er darin noch hilfloser wirkte. Flehentlich blickte er Jack an, der daraufhin wiederstrebend nickte. »Sicher«, sagte er. Er konnte plötzlich besser verstehen, warum sich Carter so hingebungsvoll um Cassandra kümmerte, die mittlerweile aus der Krankenstatio n entlassen worden war und in einem anderen Trakt ein Zimmer bezogen hatte. »Wenn du das möchtest, heißt du von jetzt an Charlie. Und mich kannst du Jack nennen.« Er setzte sich neben dem Jungen auf das Bett. »Aber jetzt rnusst du mir ein paar Fragen beantworten. Zunächst einmal: Wo kommst du her?« -30-
»Unser Planet heißt Reetalia«, erwiderte Charlie. »Und was ist das für ein Planet? Ist es schön dort?« »Das war es einmal. Bis die bösen Kreaturen mit den glühenden Augen kamen und die meisten Reetou getötet haben.« O'Neill sog scharf die Luft ein. »Du sprichst von den Goa'uld?« »Ja.« Charlie nickte. »So nennen sie sich. Deshalb bin ich hier. Ich soll euch warnen.« O'Neill stand wieder von dem Bett auf und begann, unruhig im Zimmer umher zu gehen. »Das ist sicher gut gemeint«, sagte er. »Aber wir kennen die Goa'uld bereits. Wir führen seit mehreren Jahren Krieg gegen sie.« »Das meine ich nicht«, erklärte Charlie. »Ich bin nicht wegen der Goa'uld gekommen, sondern wegen der ReetouTerroristen. Sie sind es, die eure Welt vernichten wollen.« »Aber das...« O'Neill brach ab, als er sah, wie Charlie plötzlich nach Luft zu schnappen begann und die Hände auf seinen Leib presste. Schweiß perlte auf seiner Stirn, dann krümmte er sich unter einem Hustenanfall. Mit einem Satz war Jack an der Tür der Krankenstation, riss sie auf und rief nach Dr. Fraiser, aber da hatte Charlie bereits das Bewusstsein verloren.
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DIE WARNUNG 1 »Viel konnte er nicht mehr sagen, bevor er diese Krämpfe bekam und ohnmächtig wurde«, berichtete O'Neill. Zusammen mit dem Rest von SG-1 sowie Dr. Fraiser und General Hammond saß er im Konferenzraum. »Charlie behauptet, dass er...« »Moment mal, Charlie?« fiel Daniel ihm überrascht ins Wort. »Der Name gefiel ihm, und da er bislang keinen hatte, hat er mich gefragt, ob er so heißen dürfte.« O'Neill zuckte die Achseln. »Warum auch nicht?« »Aber Charlie war doch der Name Ihres...« Daniel brach verlegen ab, als ihn ein eisiger Blick O'Neills traf. »Schon gut, tut mir Leid«, murmelte er. »Vielleicht könnten Sie uns jetzt endlich berichten, was der Junge Ihnen erzählt hat, Colonel«, lenkte Hammond das Gespräch wieder auf das eigentliche Thema zurück. »Sicher.« Jack räusperte sich. »Obwohl auch das dazu gehört. So, wie er meinen Namen kannte, wusste Charlie auch, dass ich einen Sohn hatte, der tot ist, ohne dass ich ein Wort davon erwähnt habe. Ich kann mir das einfach nicht erklären.« »Ich schlage vor, dass wir das erst einmal zurückstellen«, mischte sich Fraiser ein. O'Neill schwieg einen Moment und senkte den Blick, dann straffte er sich. »Ansonsten habe ich nicht allzu viel von ihm erfahren. Charlie behauptet, er käme von einem Planeten namens Reetalia. Die Goa'uld haben auf diesem Planeten anscheinend ein Massaker angerichtet.« »Deshalb redet er- wahrscheinlich auch dauernd von seiner Mutter«, warf Fraiser ein. »Das ist ein ganz simpler -32-
psychologischer Schutzmechanismus, wie ich es vermutet habe. Wahrscheinlich ist sie bei diesem Massaker ums Leben gekommen, doch er hat es verdrängt. Er redet sich ein, dass ihr Geist oder wie immer man es nennen will, immer bei ihm wäre. Offenbar geht diese Selbsttäuschung soweit, dass er sogar glaubt, mit ihr sprechen zu können.« »Möglicherweise.« O'Neill zuckte die Achseln. »Auf jeden Fall ist der Junge nicht ohne Grund gekommen. Er sagt, er möchte uns warnen, und zwar nicht vor den Goa'uld, sondern vor einem Angriff von Reetou-Rebellen, wie er sie genannt hat. Keine Ahnung, was das für Knilche sein sollen«, fügte er rasch hinzu und hob abwehrend die Hände, als er sah, dass General Hammond etwas sagen wollte. »Ich weiß nicht mehr als Sie darüber. Teal'c, wie sieht es mit dir aus?« Der Jaffa schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie von diesen Reetou gehört.« »Das ergibt doch alles keinen Sinn«, ergriff Sam Carter das Wort. »Wir sind schließlich Feinde der Goa'uld. Wenn die Goa'uld seine Welt angegriffen haben, warum sollten diese Reetou dann vorhaben, sich an uns zu rächen?« »Um das zu erfahren, müssen wir wohl warten, bis Charlie sich erholt hat und ich das Gespräch mit ihm fortsetzen kann.« »Sie müssen ihn dazu bringen, dass er sich nicht nur mit Ihnen allein unterhält, Colonel«, sagte Hammond. »Ich möchte, dass Sie an dem nächsten Gespräch teilnehmen, Teal'c. Hören Sie sich an, was der Junge über den Überfall auf seine Welt erzählt, und dann teilen Sie mir mit, ob alles der Goa'uld-Taktik entspricht, oder ob er sich nur etwas ausgedacht hat.« »Mit Verlaub, Sir, ich sehe einige Schwierigkeiten, ausgerechnet Teal'c, einen Jaffa...«, begann O'Neill, doch Hammond ließ ihn nicht aussprechen. -33-
»Sie haben gehört, was ich angeordnet habe, Colonel. Wir müssen unbedingt herausfinden, woran wir sind. Sie werden es schon irgendwie schaffen, dem Jungen begreiflich zu machen, dass Teal'c auf unserer Seite steht.« Er ließ seinen Blick zu Dr. Fraiser wandern. »Und damit kommen wir zu Ihnen, Doktor. Was glauben Sie, wann hat sich der Junge soweit erholt, dass wir das Gespräch fortsetzen können?« »Das ist schwer zu sagen«, erklärte die Ärztin. »Er ist noch erschöpfter und kranker, als es anfangs den Anschein hatte. Viele seiner inneren Organe sind so schwach ausgeprägt, dass sie kaum arbeiten. Seine Herzklappen sind defekt, seine Nieren arbeiten nicht richtig, und ich mache mir außerdem große Sorgen um seine Lunge. Er braucht unbedingt Ruhe. Ich kann nicht einmal garantieren, dass er überleben wird. Um es ehrlich zu sagen, es grenzt an ein medizinisches Wunder, dass er überhaupt so alt geworden ist.« Ihre Worte erschreckten O'Neill mehr, als er erwartet hätte. Er hatte bislang nur ein paar Minuten mit Charlie gesprochen, und dennoch hatte er den Jungen bereits ins Herz geschlossen. »Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll«, fuhr die Ärztin fort. »Er wirkt irgendwie... unfertig. Nicht wie bei einer Fehlgeburt, bei der manche Organe auch noch nicht völlig ausgebildet sind. Sie scheinen sich eher falsch entwickelt zu haben, eine Art Mutation, als hätte die Natur bei seiner Erschaffung Fehler begangen. Ich kann wirklich nicht versprechen, dass es mir gelingt, ihn am Leben zu erhalten.« »Ich weiß, dass Sie alles tun, was in Ihren Kräften steht«, sagte Hammond. »Ich brauche Sie wohl nicht erst darauf hinzuweisen, dass unter Umständen auch unser Überleben davon abhängen kann.« »Dann entschuldigen Sie mich jetzt bitte, ich habe einen Patienten zu versorgen. Jede Minute, die ich nicht bei ihm bin, kann entscheidend sein.« Dr. Fraiser schob ihren Stuhl zurück, -34-
stand auf und ging mit raschen Schritten zur Tür. »Kommen wir zum nächsten Problem«, wechselte General Hammond das Thema, als sie den Raum verlassen hatte. Er blickte Sam an. »Haben Sie mittlerweile herausgefunden, wie es dazu kommen konnte, dass die Irisblende so ein gefährliches Eigenleben entwickelt hat, Major? Wenn anstelle des Jungen ein Kampfverband der Goa'uld aus dem Sternen-Tor getreten wäre, hätten wir jetzt ein ziemlich großes Problem.« »Ich weiß, Sir.« Sam nickte. »Wir haben den Irismechanismus gründlich überprüft. Es sieht ganz danach aus, als wäre er vom Hauptrechner aus gesteuert worden, und zwar mittels eines neuen Befehls, der eine höhere Priorität als unsere Eingaben hatte. Ganz so, als würde er noch von anderer Stelle Befehle erhalten.« »Aber wie ist das möglich?« »Das kann ich noch nicht sagen, Sir. Auf jeden Fall liegt das Problem nicht bei der Iris, sondern beim Rechner. Wir lassen ihn gerade zum wiederholten Male von Spezialisten überprüfen. Ich bin nun sicher, dass es sich schon bei der Fehlfunktion vor drei Tagen in der Tat um einen unbefugten Zugriff handelte, der in direktem Zusammenhang mit dem steht, was vorhin passiert ist.« »Ein Hackerangriff?« mutmaßte Daniel. Carter schüttelte den Kopf. »Nein, der Zugriff ist definitiv aus dem Inneren der Basis erfolgt.« »Vielleicht hat unser alter Freund Colonel Mayborne etwas damit zu tun«, warf O'Neill ein. »Ihm wäre durchaus zuzutrauen, dass es ihm erneut gelungen ist, einen Spion bei uns einzuschleusen.« Schon seit Bestehen des Star-Gate-Projekts hatte es immer wieder Spannungen mit dem Pentagon gegeben, vor allem mit -35-
Mayborne. Er vertrat die Haltung, dass die Entdeckung des Sternen-Tores verstärkt militärischen Interessen dienen müsse, koste es, was es wolle. Eine ihm unterstellte Spezialeinheit, die mittlerweile aufgelöst worden war, hatte eine Zeit lang heimlich anderen Kulturen Artefakte und technische Hilfsmittel geraubt, was fast zur Vernichtung einiger dieser Kulturen und einem Vertrauensverlust höherentwickelter Zivilisationen in die Menschheit und das Star-Gate-Projekt geführt hätte. »Zuzutrauen wäre es ihm, aber das kann ich mir in diesem Fall nicht vorstellen«, widersprach Hammond. »Colonel Mayborne konnte nicht wissen, wer durch das Sternen- Tor kommen würde, und selbst er wäre nicht so naiv, den Goa'uld den Weg zur Erde zu öffnen.« Er räusperte sich. »Nun, hoffen wir, dass wir herausfinden, was das alles zu bedeuten hat, und das möglichst schnell. Das wäre es erst einmal für den Moment.«
2 »Er ist vor etwa einer Viertelstunde aufgewacht«, erklärte Dr. Fraiser vor der Tür des Krankenzimmers, in dem Charlie lag. »Ich habe ihm ein Stärkungsmittel gespritzt. Sein Zustand ist momentan stabil, aber es ist jederzeit möglich, dass er einen erneuten Schwächeanfall erleidet.« »Schon gut, ich habe verstanden«, erwiderte O'Neill ungeduldig. »Seien Sie unbesorgt, wir werden ihn so rücksichtsvoll wie möglich behandeln. Aber wir müssen unbedingt Antworten auf einige Fragen von ihm bekommen.« Die Ärztin nickte. Sie trat einen Schritt zur Seite und gab damit die Tür frei. O'Neill öffnete sie und trat ein. Teal'c folgte ihm, wie Hammond es befohlen hatte. Charlie lag in seinem Bett. Er war so blass, dass seine Haut -36-
fast durchscheinend wirkte. Er lächelte Jack bei dessen Eintreten matt zu, doch gleich darauf gefror sein Lächeln und wurde zu einer Grimasse des Entsetzens, als sein Blick auf Teal'c fiel. »Jaffa!«, schrie er mit sich überschlagender Stimme. Voller Angst sprang er aus dem Bett und wich in die hinterste Ecke des Zimmers zurück, wo er sich zitternd gegen die Wand presste. Nackte Panik stand in seinen weit aufgerissenen Augen geschrieben. O'Neill bedeutete Teal'c, an der Tür zurückzubleiben, dann trat er auf den Jungen zu und ergriff ihn an den Armen. »He, Charlie, ist schon gut. Du brauchst keine Angst zu haben.« »Aber er ist ein Jaffa! Er will mich töten, so wie die Jaffa die Reetou getötet haben!« »Nein, nein, Charlie, das stimmt nicht. Teal'c ist zwar ein Jaffa, aber er hat sich von den Goa'uld losgesagt. Er hasst sie ebenso wie wir und kämpft jetzt auf unserer Seite gegen sie. Er hat mir schon viele Male das Leben gerettet.« »Nein, ich fürchte mich vor ihm. Er soll weggehen!« »Hm«, brummte O'Neill. Er hatte befürchtet, dass die erste Begegnung zwischen Charlie und Teal'c nicht ganz unkompliziert verlaufen würde, aber mit einer so heftigen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Ihm kam eine Idee. »Hör zu, Mom«, sagte er und blickte in eine Ecke des Zimmers. »Du hast doch gesagt, du vertraust mir. Jetzt sage ich dir, Teal'c ist in Ordnung. Alle meine Freunde hier im Stützpunkt sind vertrauenswürdig. Also kann auch Charlie ihnen vertrauen.« Der Junge musterte ihn ein paar Sekunden lang vorwurfsvoll, dann deutete er in die entgegengesetzte Ecke. »Mutter ist dort drüben«, erklärte er. Jack blickte in die angegebene Richtung, aber natürlich war -37-
die Ecke völlig leer. »Mutter sagt, dass ich dir und den anderen Mitgliedern deines Teams vertrauen soll«, fuhr der Junge fort. »Gut. Da Teal'c ein Mitglied meines Teams ist, kannst du also auch ihm vertrauen.« O'Neill winkte den Jaffa zu sich heran. »Das ist Charlie, und das ist Teal'c.« »Ist mir eine große Freude, dich kennenzulernen«, sagte Teal'c und deutete eine Verbeugung an. Charlie war einen Schritt zurückgetreten und versteckte sich halb hinter O'Neill. Nach einigen Sekunden jedoch überwand er sein Mißtrauen, trat wieder vor und streckte Teal'c die Hand entgegen. Der Jaffa ergriff sie und schüttelte sie vorsichtig. »Gut so«, kommentierte Jack. Er hob Charlie hoch und legte ihn zurück ins Bett. »Hör zu, wir müssen dir ein paar Fragen stellen, was es mit dieser Warnung auf sich hat, die du uns überbringen...« Er brach ab und wandte den Kopf, als er ein unterdrücktes Stöhnen hinter sich hörte. Teal'c hielt krampfhaft die Arme gegen seinen Leib gepresst und zitterte. Schweiß perlte auf seiner Stirn. »Es... es tut mir Leid«, stieß er hervor. »Aber ich muss sofort weg von hier.« Er drehte sich um und hastete mit taumelnden Schritten aus dem Raum. Verwirrt blickte O'Neill ihm nach. »Entschuldige mich mal kurz, Charlie«, sagte er und folgte dem Jaffa. Teal'c lehnte ein paar Meter von der Tür entfernt an der Wand des Korridors und rang nach Luft. »Was hat das zu bedeuten?«, erkund igte sich Jack. »Was ist plötzlich in dich gefahren?« »Schon als ich den Raum betrat, ist mein Symbiont sehr nervös geworden«, erklärte der Jaffa. Er sprach keuchend und abgehackt, schien sich aber allmählich wieder zu erholen. »Ich habe versucht, mir nichts anmerken zu lassen, aber schließlich konnte ich es nicht mehr ertragen.« -38-
»Hast du eine Ahnung, wieso?« »Ich kann dir nur eines sagen: In all den Jahren habe ich noch nie erlebt, dass mein Symbiont so nervös wurde. Er hatte fast ebenso große Furcht wie der Junge, als dieser mich sah. Irgendetwas an diesem Kind ist äußerst ungewöhnlich. Es ist bei weitem nicht so harmlos, wie es erscheint. Du solltest größtmögliche Vorsicht walten lassen, O'Neill.« »Sie hatten mir versprochen, ihn nicht aufzuregen«, ereiferte sich Dr. Fraiser, die sich ihnen näherte. »Nun, das hat ja ganz hervorragend geklappt. Wollen Sie den Jungen mit aller Gewalt umbringen?« »Tut mir Leid, aber das konnte...« »Noch so ein Zwischenfall, und Sie können weitere Besuche bei ihm vorerst vergessen«, fiel die Ärztin ihm scharf ins Wort. »Aber da ist noch etwas, das ich Ihnen zeigen muss.« Sie hielt O'Neill eine Tomographie-Aufnahme entgegen. »Sehen Sie sich das an. Das ist eine Aufnahme von Charlies Gehirn. Das hier ist der untere Gehirnstamm. Bei normalen Menschen liegt in diesem Bereich die Retikulärformation.« »Ich verstehe kein Wort von diesem medizinischen Kauderwelsch«, unterbrach O'Neill ihren Redefluss. »Können Sie das auch so ausdrücken, dass es ein Normalsterblicher versteht?« »Die Retikulärformation ist der Teil des Gehirns, der unsere Wachsamkeit bestimmt, unsere Wahrnehmung«, erklärte die Ärztin. »Dieser Bereich ist bei Charlie doppelt so groß ausgeprägt wie bei uns. Das könnte erklären, wieso er von Ihrem Sohn weiß, und warum er eine so starke Wirkung auf Teal'cs Symbionten ausübt.« »Sprechen Sie etwa von übersinnlichen Fähigkeiten?«, hakte Jack nach. »Läuft hier so eine telekinetische Nummer?« -39-
»Was Sie wohl meinen, ist Telepathie, Gedankenlesen. Und was Ihre Frage betrifft, so weiß ich es nicht. Ich bin sehr skeptisch, was so etwas angeht, aber immerhin entstammt der Junge einem außerirdischen Volk.« »Es würde immerhin einiges erklären«, murmelte Jack. »Ich denke, auch Hammond sollte davon erfahren.«
3 »Sam Carter und Dr. Fraiser kennst du ja bereits«, sagte O'Neill. »Und das sind Daniel Jackson und General Hammond. Wir alle zusammen bilden ein Team, du kannst ihnen also vertrauen.« Er setzte sich auf die Kante des Bettes, in dem Charlie lag. Lediglich Teal'c befand sich nicht bei ihnen. »Und jetzt erzähl uns doch einmal, warum uns die Reetou angreifen wollen.« »Es handelt sich nicht um die Zentralautorität der Reetou«, korrigierte der Junge. »Es sind die Reetou-Rebellen, die euch angreifen wollen.« »Na schön, und warum wollen uns die Rebellen angreifen?« »Weil die Monster mit den glühenden Augen uns angegriffen haben.« »Das... klingt nicht gerade logisch«, stellte O'Neill fest. Er drehte sich um und warf den anderen einen Blick zu, las in ihren Gesichtern aber ebenfalls nur Verständnis losigkeit. »Die Rebellen haben sich von den Reetou abgespalten«, erklärte Charlie. »Sie glauben, dass die Glühaugenmonster zu mächtig sind, als dass man sie direkt bekämpfen könnte. Sie glauben, man kann sie nur durch Zersetzung vernichten.« »Zersetzung?« »Mein Gott«, stieß Carter hinter ihm hervor. »Ich glaube, ich begreife, was er damit meint. Diese Rebellen wollen die Goa'uld -40-
bekämpfen, indem sie planen, alle potentiellen Wirte zu töten. Sie glauben, wenn die Goa'uld keine neuen Wirte mehr finden, werden sie eines Tages aussterben.« »Genau«, bestätigte Charlie. »Aber... das ist Wahnsinn!« ereiferte sich Carter. Sie trat vor und gestikulierte mit den Händen. »Es gibt Milliarden, wahrscheinlich sogar Billionen potentieller Wirte auf allen möglichen Planeten überall in der Galaxis.« »Und zu den Nachkommen der vor Jahrtausenden von der Erde verschleppten Menschen kommen noch zahlreiche außerirdische Völker, die sich ebenfalls als Wirte eignen«, ergänzte Teal'c. »Die Zentralautorität der Reetou teilt diese Ansicht«, erklärte Charlie. »Deshalb hat man Mutter und mich hierher geschickt.« »Ich möchte dich mal etwas fragen«, mischte sich Daniel ein. »Du sprichst von den Reetou, als ob du nicht zu ihnen gehören würdest. Bist du einer von ihnen?« »Nein.« Der Junge schüttelte den Kopf. »Ich gehöre zu eurer Art.« »Aber deine Mutter ist eine Reetou?« »Natürlich.« »Können wir sie deshalb nicht hören und sehen?« »So ist es.« »Kommen Sie, Daniel«, mischte sich O'Neill wieder ein. »Sie glauben doch nicht ernsthaft...« Daniel beachtete ihn gar nicht. »Und wieso kannst du dich mit ihr verständigen, Charlie?«, hakte er nach. Der Junge blickte ein paar Sekunden lang in eine Ecke, ehe er sich wieder Daniel zuwandte. »Mutter hat mich so erschaffen, damit ich als Vermittler diene«, behauptete er. »Deshalb bin ich so schwach. Mutter -41-
glaubte, es bliebe mehr Zeit, aber dann haben wir erfahren, dass eure Welt das Ziel für den nächsten Angriff der Rebellen ist, und Mutter musste handeln, obwohl ich noch so unvollkommen bin.« »Klonen«, murmelte Dr. Fraiser. »Jetzt begreife ich. Er muss durch eine Art von Klonon künstlich geschaffen worden sein, aber das Verfahren der Reetou weist offenbar Fehler auf. Deshalb die missgebildeten und fehlerhaft arbeitenden Organe.« »Wenn ich dich richtig verstanden habe, Charlie, dann sind die Reetou also für uns unsichtbar«, ergriff erstmal General Hammond das Wort. Er wandte sich an Carter. »Major, Sie sind unser Physikexperte. Ist es möglich, dass sich hier ein Wesen aufhält, das wir nicht wahrnehmen können?« O'Neill verdrehte die Augen. Er hielt diese Art von Mutmaßungen für völlig absurd. Dann aber erinnerte er sich plötzlich, wie er bei der Entdeckung von Cassandra gegen ein Hindernis geprallt war, das er nicht sehen konnte, weshalb er geglaubt hatte, er wäre nur über das Schilf gestolpert. Er ärgerte sich über sich selbst, dass er plötzlich begann, ernsthaft über diesen Unsinn nachzudenken, aber eine leichte Verunsicherung blieb. »Theoretisch wäre es durchaus möglich«, antwortete Carter nach kurzem Überlege n. »Nach der Quantenphysik existiert Masse sowohl in Form von Partikeln als auch in Wellen. Wenn die Reetou-Wellen um exakt hundertachtzig Grad von der Phase der unseren abweichen, bis hin in den subatomaren Bereich, dann wären ihre Licht- und Schallwellen für uns nicht wahrnehmbar.« Unbehaglich ließ O'Neill seinen Blick erneut durch den Raum schweifen. »Heißt das, wir stehen vor einem Angriff durch einen unsichtbaren Feind?«, hakte er nach. »Wenn es hier einen Reetou geben sollte, dann kam er durch das Sternen- Tor, und er hat die Macht, die Iris zu kontrollieren«, warf Teal'c ein. »Das scheint mir die größte Gefahr zu sein.« -42-
»Wie hat deine Mutter das geschafft?«, wollte Hammond von Charlie wissen. »Mutter kam zusammen mit euch von der Welt, die ihr P8X987 nennt, hierher«, teilte der Junge mit. »Die Technik der Reetou ist höher entwickelt als eure. So konnte Mutter die Iris für mich öffnen, als die Zeit gekommen war, indem sie einfach den entsprechenden Befehl in den Computer eingab.« »Demnach können die Reetou Dinge in unserer Welt berühren?«, vergewisserte sich Daniel. Charlie runzelte die Stirn. »Mutter wird langsam ungeduldig wegen eurer Engstirnigkeit«, behauptete er. Seine Stimme klang matter und leiser als zuvor, und er atmete schneller. Offenbar hatte das bisherige Gespräch ihn stark angestrengt. »Sie wird euch ihre Existenz beweisen.« Er hatte kaum ausgesprochen, als aus der Ecke des Zimmers, in die er zuvor schon mehrfach gestarrt hatte, ein bläulicher Energieblitz aufleuchtete und in den Bildschirm eines der medizinischen Überwachungsgeräte einschlug. Der Monitor zerbarst in einem Regen von Funken und Splittern. Genau wie die anderen zuckte O'Neill erschrocken zusammen und duckte sich instinktiv. Erst als nach mehreren Sekunden nichts weiter geschehe n war, wagte er es, sich wieder aufzurichten. »Mutter sagt, es tut ihr Leid, dass sie das Gerät zerstören musste, aber sie hofft, dass sie eure Zweifel damit ausgeräumt hat«, erklärte Charlie. Seine Stimme war so leise geworden, dass sie kaum noch zu verstehen war, und er konnte die Augen kaum noch offen halten. »Ich... muss euch noch so vieles sagen, aber ich bin... schrecklich müde.« »Das genügt jetzt«, bestimmte Dr. Fraiser. Auch ihr saß der Schock über das, was sie gerade erlebt hatte, sichtlich in den Knochen, doch ihre Stimme klang so forsch und autoritär wie -43-
immer. »Der Junge muss sich ausruhen. Sie können später weiter mit ihm sprechen. Gehen Sie jetzt.« »Nein«, murmelte Charlie. »Komm... etwas näher, Jack. Da ist etwas, das ihr unbedingt wissen müsst.« O'Neill beugte sich zu ihm herab, bis sich sein Ohr dicht vor dem Mund des Jungen befand. Schweigend hörte er sich an, was Charlie ihm zuflüsterte, bis der Junge nach wenigen Sätzen das Bewusstsein verlor.
4 »Was hat er Ihnen gesagt?«, wollte Daniel wissen, kaum dass sie das Krankenzimmer verlassen hatten. Er konnte seine Neugier sichtlich kaum noch zügeln. »Später«, vertröstete O'Neill ihn wortkarg. Er musste das, was er gerade erfahren und vor allem erlebt hatte, erst selbst verarbeiten. Vorher hatte es für ihn keinen Zweifel gegeben, dass der Junge sich die Gegenwart seiner Mutter nur einbildete, als Folge eines Schocks, den er bei der Invasion seiner Heimatwelt durch die Goa'uld erlitten hatte. Nun hingegen schien es keinen Zweifel mehr daran zu geben, dass sich diese Mutter wirklich bei ihm befand, obwohl es O'Neill immer noch schwer fiel, an eine unsichtbare außerirdische Lebensform zu glauben. Die Konsequenzen, die sich aus der Bedrohung durch eine solche Lebensform ergaben, waren kaum vorstellbar, und dennoch nahm die Gefahr immer konkretere Formen an. Aber noch etwas anderes machte ihm zu schaffen. Er war kein Wissenschaftler, und er wusste so gut wie nichts über das Klonen, aber immerhin hatte auch er verstanden, dass Charlie kein normal geborener Mensch war, sondern künstlich erschaffen worden war. Er mochte den Jungen, und es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, dass dieser nur das Ergebnis der -44-
Hexenküche irgendeines außerirdischen Genlabors darstellte. Nach wenigen Minuten erreichten sie das Besprechungszimmer, wo Teal'c sich bereits eingefunden hatte. Ein Soldat, der sie herbegleitet hatte, trug den ausgebrannten Bildschirm herein und stellte ihn auf dem Tisch ab, dann zog er sich wieder zurück. Mit knappen Worten berichtete O'Neill Teal'c, was passiert war, während Sam Carter den Monitor untersuchte. Gespannt wartete sie auf das Eintreffen General Hammonds, der erklärt hatte, er habe noch etwas in seinem Büro zu erledigen. »Nun, Major, zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?« erkundigte sich der General, als er kurz darauf den Raum betrat und sich setzte. »Ohne jeden Zweifel ist dies das Ergebnis einer Energiewaffe«, erklärte sie und deutete auf die Kanten des zerstörten Monitors. »Die Brandspuren sind eindeutig. Sie können nicht durch eine bloße Implosion hervorgerufen worden sein. Ich vermute, dass es sich um eine Art Plasmastrahler handelt. Wir arbeiten selbst seit geraumer Zeit an der Entwicklung einer solchen Waffe, sind aber noch weit von der Herstellung eines Prototyps entfernt. Den Reetou ist dies offenbar bereits gelungen.« »Demnach dürfte es wohl auch an der Existenz dieses Wesens, das der Junge als seine Mutter bezeichnet, keinen Zweifel mehr geben«, stellte General Hammond fest. »Und ebenso wenig daran, dass diese Reetou hier im Stützpunkt ist. Aber wer ist sie, und welche Ziele verfolgt sie? Und wer oder was ist dieser Junge, und wieso kann er sie anscheinend als einziger sehen?« »Wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann wurde er künstlich geschaffen, um mit uns zu kommunizieren«, erklärte Dr. Fraiser. »Dazu brauchten die Reetou nur menschliche oder -45-
menschenähnliche DNA. Das wäre auch eine Erklärung für die Retikulärformation von Charlies Gehirn. Eine genetische Mutation, die ihn diese Reetou nicht nur sehen und hören lässt, sondern aufgrund derer er sie auch als seine Mutter betrachtet.« »Nun, wir können sie jedenfalls nicht wahrnehmen, während diese Reetou uns offenbar durchaus sehen können«, fasste O'Neill zusammen. »Was für uns von großem strategischem Nachteil ist«, kommentierte Teal'c knapp. »Genauso geht es den Goa'uld. Deshalb wollen sie die Reetou auch eliminieren.« »So sind die Goa'uld nun einmal. Das ist ihr Job«, entgegnete O'Neill zynisch. »Und wir dürfen die Suppe nun auslöffeln, die sie uns eingebrockt haben. Damit stellt sich für uns die Frage, wie wir mit einer unsichtbaren Bedrohung umgehen.« »Nun, der naheliegendste Schritt ist, dass wir sie irgendwie sichtbar machen müssen«, antwortete Sam. »Das wäre schon mal recht hilfreich«, entgegnete O'Neill sarkastisch. »Haben Sie auch schon eine Idee, wie wir das anfangen sollen?« »Es gibt eine Möglichkeit«, erklärte Teal'c. »Mein Symbiont kann die Gegenwart eines solchen Wesens spüren.« »Das ist ein Anfang, aber viel nutzt es uns nicht«, erwiderte O'Neill. »Zum einen musst du sehr nah an einen Reetou heran, und zum anderen: Kann dein Symbiont uns auch sagen, um wieviele dieser Wesen es sich handelt und wo sie sich genau aufhalten?« »So konkret war die Wahrnehmung nicht«, gab Teal'c zu. »Aber wenn mein Symbiont diese Kreatur spüren kann, dann können die Goa'uld es auch.« »Das stimmt«, ergriff Daniel das Wort. »Sie mussten sie sehen können, um sie erfolgreich zu bekämpfen.« Einige Sekunden herrschte Schweigen. -46-
»Vielleicht können die Tok'ra uns bei diesem Problem unterstützen«, schlug Teal'c schließlich vor. »Sie verfügen ebenfalls über die meisten Technologien, die den Goa'uld zur Verfügung stehen.« »Eine hervorragende Idee. Das könnte unsere einzige Hoffnung sein«, stimmte General Hammond zu. »Major Carter, Doktor Jackson, Sie werden den Tok'ra ein Signal schicken.« »Zu Befehl, Sir.« Sam wollte sich erheben, doch mit einer Handbewegung bedeutete Hammond ihr, sitzen zu bleiben. »Da wäre noch etwas. Diese Reetou im Quartier des Jungen scheint zwar auf unserer Seite zu stehen, dennoch gefällt mir nicht, dass sie Zugriff auf unsere Computer nehmen kann. Die Iris ist unser wirkungsvollster Schutz vor einem feindlichen Angriff, und es ist nicht akzeptabel, dass ein außerirdisches Wesen sie jederzeit manipulieren kann.« »Angefangen mit dem Kontrollpult der Iris könnten wir Fingerabdruckscanner in sämtliche Terminals einbauen lassen«, schlug Sam vor. »Dann hätte nur noch ein bestimmter Personenkreis Zugriff auf die Computer. Jeder Reetou wäre aufgrund seiner Unsichtbarkeit prinzipiell davon ausgeschlossen.« »Wie lange würde das dauern?«, hakte Hammond nach. »Nicht mehr als ein bis zwei Stunden.« »Gut, dann werde ich alles Nötige veranlassen. Es gefällt mir nicht, dass sich ein unsichtbares Wesen in der Basis aufhält, von dem wir nicht wissen, wo es sich gerade befindet und was es tut. Und noch viel weniger gefällt mir die Vorstellung, dass es sich möglicherweise nicht um den einzigen Reetou handelt.« »Wie meinen Sie das, Sir?«, erkundigte sich Daniel. »Nun, eines dieser Wesen ist unbemerkt hierher gelangt. Woher sollen wir wissen, ob sich nicht auch schon einer oder mehrere dieser Reetou-Rebellen hier eingeschlichen haben? -47-
Wenn sie ebenfalls Einfluss auf unsere Computer nehmen können, sind sie nicht nur in der Lage, die Iris zu öffnen, sie können auch die gesamte Station in die Luft sprengen. Welches Unheil sie erst anrichten könnten, wenn sie die Basis verlassen, darüber wage ich kaum nachzudenken.« »Im Schutz ihrer Unsichtbarkeit könnten sie den Präsidenten ermorden, sie könnten Atomkraftwerke hochjagen oder vielleicht sogar die Kontrolle über das Atomwaffenarsenal gewinnen«, beschwor Daniel mit hörbarem Schrecken in der Stimme ein düsteres Szenario herauf. »Und noch vieles mehr«, stimmte Hammond zu. »Gibt es irgendetwas, das darauf hindeutet, dass sich weitere Reetou hier aufhalten? Irgendwelche sonstigen Unregelmäßigkeiten in Bezug auf die Computer?« »Nein, Sir«, erklärte Sam. »Aber die Gefahr ist trotzdem nicht auszuschließen. Aus diesem Grund habe ich Anweisungen gegeben, die Basis vorübergehe nd völlig von der Außenwelt abzuschirmen. Die Sicherheitsschotts nach draußen wurden geschlossen, und um sicherzugehen, dass kein Reetou sie öffnen kann, mit einer Zeitsperre von zunächst sechs Stunden versehen. Die Aktion ist mit dem Präsidenten abgestimmt; ich habe gerade mit ihm telefoniert. Wir befinden uns ab jetzt gewissermaßen unter Quarantäne. Ich kann nur hoffen, dass diese Sicherheitsmaßnahme nicht erst zu spät erfolgte.« Überraschtes Schweigen folgte seinen Worten. Dass sich Hammond zu einem so radikalen Schritt entschlossen hatte, zeigte, wie ernst er die Gefahr nahm. »Und was ist mit Ihnen Colonel O'Neill?«, fuhr der General nach einer kurzen Pause fort. »Hat der Junge Ihnen noch irgendetwas über den Zeitpunkt oder die Art des geplanten Angriffs mitteilen können?« »Ja, Sir, das hat er. Zumindest hat er es versucht, doch er -48-
sprach schon sehr undeutlich. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann hat der Angriff bereits begonnen. Wir haben uns geirrt, was P8X-987 betrifft, als wir glaubten, die Goa'uld wären für den Tod der Bewohner von Hanka verantwortlich. Wie Charlie mir mitteilte, waren es in Wahrheit die Reetou-Rebellen. Sie wollten die Menschen dort als potentielle Wirte töten, aber das war nur ein Teil ihres Plans.« O'Neill ließ seinen Blick zu Sam Carter wandern. »Es tut mir Leid, Major, aber ich fürchte, es wird Ihnen nicht gefallen, was ich noch gehört habe. Charlie hat behauptet, auch Cassandra wäre ein Teil dieses Plans, und uns würde von ihr große Gefahr drohen.« »Was?« Bestürzt blickte Sam ihn an. »Das ist... das ist doch absurd. Sie ist nur ein kleines Mädchen, das alle Angehörigen und Bekannten verloren hat. Wie sollte sie eine Gefahr für uns darstellen?« »Immerhin hat sie aus noch ungeklärten Gründen als einzige ihres Volkes den biologischen Angriff überlebt. Und ihr Blut enthält Spuren von Naquadah, wie Dr. Fraiser festgestellt hat«, erinnerte O'Neill. »Aber Genaueres kann uns nur Charlie mitteilen, wenn er wieder zu sich kommt, und das kann noch Stunden dauern, wie Fraiser erklärt ha t.« Wieder herrschte betroffenes Schweigen. »Damit ändert sich die Situation grundlegend«, stellte General Hammond nach einigen Sekunden fest. »Doktor Fraiser soll Cassandra noch einmal gründlichst untersuchen.« »Ich habe sie bereits damit beauftragt, als wir die Krankenstation verließen«, teilte O'Neill mit. »Gut.« Hammond nickte zufrieden. »Wir müssen davon ausgehen, dass der Junge die Wahrheit gesagt hat und von Cassandra wirklich eine Gefahr ausgeht. Selbst wenn Doktor Fraiser nichts entdecken sollte, werden wir das Mädchen deshalb vorläufig nach P8X-987 zurückbringen und dort weiter unter Beobachtung halten.« -49-
»Aber, Sir«, begehrte Sam auf. »Sie hat gerade erst den schlimmsten Schock überwunden und sich einigermaßen eingelebt. Wenn wir sie jetzt wegschicken...« »Ich treffe diese Anordnung nicht gerne«, entgegnete Hammond. »Aber angesichts der Umstände bleibt mir keine andere Wahl. Ich erwarte, dass Sie diesem Befehl Folge leisten. Meinetwegen bringen Sie das Mädchen selber zurück.« »Jawohl, Sir.« Sam schluckte schwer. »Dann beende ich diese Besprechung hiermit.« Hammond stand auf. »Wir haben eine Menge zu erledigen.«
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DIE BOMBE 1 »Mein Gott«, murmelte Sam Carter mit brüchiger Stimme. Fassungslos starrte sie auf die Röntgenaufnahme von Cassandras Brustkorb. Deutlich war darauf ein ovales Objekt von der Form und ungefähren Größe eines Hühnereis in unmittelbarer Nähe des Herzens zu erkennen. »Ich glaube es einfach nicht.« »Ein Fehler ist ausgeschlossen«, berichtete Dr. Fraiser. »Ich habe insgesamt vier Aufnahmen von verschiedenen Seiten gemacht. Das Objekt ist zweifelsohne da.« »Aber was ist es?« »Das kann ich noch nicht sagen. Ich weiß nur, dass es noch nicht da war, als ich Cassandra gestern untersucht und als völlig gesund aus der Krankenstation entlassen habe.« »Das ist...« Sam schüttelte den Kopf. »Ich begreife das nicht. Sie sagen, es war gestern noch nicht da, und sie hatte außer ihrer Kleidung, die wir durchsucht haben, nichts bei sich, als sie mit uns herkam. Wie also kann dieses... Ding in ihre Brust gelangt sein? Es kann schließlich nicht einfach so aus dem Nichts entstanden sein.« Dr. Fraiser zuckte die Achseln. Ihr Gesicht drückte Ratlosigkeit aus. Auch sie starrte auf die Röntgenaufnahme, als würde die Erklärung dort erscheinen, wenn sie sich nur intensiv genug darauf konzentrierte. »Aus dem Nichts sicherlich nicht«, antwortete sie mit einiger Verspätung. »Trotzdem muss es sich irgendwie in Cassandras Körper gebildet haben. Dazu passt noch ein anderes Ergebnis. Ihr Kalium-Spiegel im Blut ist in den vergangenen Stunden drastisch gesunken. Ich habe ihr bereits entsprechende Präparate verabreicht, aber sie haben diesen Zustand kaum ändern können. -51-
Offenbar wurde Kalium benötigt, um diesen Fremdkörper zu bilden.« »Auf jeden Fall hatte Charlie Recht«, murmelte Sam. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe. »Dieses Ding muss die Gefahr sein, vor der er uns gewarnt hat.« »Anscheinend sind uns die Reetou vor allem im Bereich der Gen- und Biotechnologie weit überlegen«, ergänzte Fraiser. »Das Gift, das sie auf PX8-987 freigesetzt haben, das Klonen Charlies, und auch die Bildung dieses Fremdkörpers muss auf einer biologischen Manipulation Cassandras erfolgt sein. Möglicherweise ist das Mädchen sogar ebenso wie Charlie ein künstliches Geschöpf.« »Nein!«, stieß Sam he rvor. »Das glaube ich nicht.« Sie warf einen Blick durch das Fenster neben der Leuchtscheibe in den Nebenraum, wo Cassandra lag. Sie wurde gerade für die Operation vorbereitet, mit der Dr. Fraiser hoffte, den Fremdkörper aus ihrer Brust entfernen zu können. »Nun, auf jeden Fall muss sie sich in der Hand dieser ReetouRebellen befunden haben und von ihnen entsprechend präpariert worden sein.« Einer der Ärzte, die Cassandra vorbereiteten, gab ihr ein Handzeichen, das sie mit einem Kopfnicken beantwortete. »Es ist soweit«, sagte sie. »Wir werden das Objekt jetzt untersuchen und gegebenenfalls versuchen, es zu entfernen.« Sie lächelte Sam aufmunternd zu, dann ging sie in den OPSaal hinüber. Durch das Fenster konnte Sam die Operation mitverfolgen, und eine Lautsprecheranlage übertrug die Stimmen der Ärzte. Das meiste, was gesprochen wurde, waren allerdings für sie unverständliche medizinische Fachausdrücke. Ein Endoskop wurde durch Cassandras Mund in ihren Rachen und von dort weiter bis in ihren Brustkorb eingefü hrt. Sam veränderte ihre Position ein wenig, um den Monitor besser -52-
sehen zu können, auf dem die Bilder gezeigt wurden, die die winzige Kamera an der Spitze des Schlauchs lieferte. Bislang jedoch waren darauf nur Fleisch und zuckende Muskelstränge zu erkennen. Ein weiterer Monitor zeigte Cassandras Biodaten an: Herzschlag, Atmung, Blutdruck und anderes mehr. Die Kurve, die ihren Puls wiedergab, sah fast wie die Darstellung eines futuristischen Gebirges mit steil und spitz zulaufenden Berggipfeln aus. Die Ausschläge wurden immer höher, die Berge schmaler. »Herzschlag beschleunigt sich«, teilte einer der Ärzte mit. Fraiser warf einen kurzen Blick auf den Monitor, ehe sie das Endoskop weiter einführte. Bangend verfolgte Sam, was geschah. »Pulsfrequenz beschleunigt sich weiter«, berichtete der Arzt. Auf dem anderen Monitor, der die Bilder des Endoskops abbildete, war nun eine kompakte, dunkle Masse von ovaler Form zu sehen, deren Oberfläche ein Muster aus gleichmäßigen Linien aufwies. »Da ist es«, murmelte Fraiser. »Zumindest der größte Teil davon ist eindeutig organischen Ursprungs. Ich gehe noch näher ran und versuche, eine Biopsie vorzunehmen.« »Puls steigt auf einhundertvierzig und beschleunigt sich weiter«, verkündete der Arzt, der Cassandras Lebensdaten überwachte. »Ich versuche, Proben von der Oberflächenschale der Wucherung zu entnehmen«, ertönte wieder Fraisers Stimme. »Wir müssen aufhören. Die Patientin droht zu kollabieren«, stieß der Arzt hervor. Gleichzeitig ertönte ein leiser Pfeifton. Erschrocken sah Sam, wie das rasante Auf und Ab der Linie, die Cassandras Puls anzeigte, plötzlich abbrach und sich in einen waagerechten Strich verwandelte. Sie wusste nur zu gut, -53-
was das zu bedeuten hatte. Entsetzt presste sie beide Hände gegen die Glasscheibe des Fensters. Die bisherige Ruhe im Operationssaal wich jäher Hektik. Die Stimmen schallten plötzlich durcheinander, sie waren lauter und aufgeregter als bisher. »Herzstillstand.« »Endoskop wird entfernt.« »Reanimationsmaßnahmen einleiten. Defibrilatoren vorbereiten.« Auf einem Rolltisch wurde ein Gerät herangeschoben. Fraiser packte zwei Griffe, die ein wenig an Bügeleisen erinnerten. Ein Gel wurde auf die Seiten geschmiert, durch die die Elektroladung, die Cassandras Herz wieder zum Schlagen bringen sollte, in ihren Körper gejagt werden würde. »Laden!«, befahl Fraiser. Sie presste die beiden Griffe auf den Brustkorb des Mädchens. »Warten Sie!«, rief der Assistenzarzt. Das Pfeifen verstummte, anstelle der Linie war auf dem Monitor mit Cassandras Lebensfunktionen wieder die gezackte Kurve zu sehen. »Herz schlägt wieder. Puls normalisiert sich.« Sam atmete erleichtert auf. Der Defribilator wurde wieder weggeschoben. »Wir brechen die Operation ab«, entschied Dr. Fraiser. »Ich habe einige Proben des Fremdkörpers entnehmen können, das muss für den Moment genügen.«
2 Nervös trommelte Sam Carter mit den Fingerspitzen auf die Platte des Tischs im Besprechungszimmer. Eine knappe Stunde war seit der Operation mittlerweile vergangen. Außer ihr hatten sich auch die restlichen Mitglieder von SG-1 sowie General -54-
Hammond hier versammelt. Sie warteten lediglich noch auf Dr. Fraiser. Wie Daniel berichtet hatte, hatte er das Signal an die Tok'ra auftragsgemäß bereits unmittelbar nach der letzten Berechnung abgestrahlt. Die Widerstandskämpfer innerhalb der Goa'uld, die gegen die Terrorherrschaft der Systemlords ankämpften, hatten ihnen ein entsprechendes Gerät gegeben. Es strahlte einen überlichtschnellen Impuls ab, so dass sie bei Bedarf auf diesem Weg jederzeit Kontakt mit den Tok'ra aufnehmen konnten. Vermutlich würde innerhalb der nächsten Stunden eine Delegation von ihnen durch das Sternen- Tor eintreffen. Charlie war immer noch ohne Bewusstsein, sein Zustand weiter kritisch, so dass sie von ihm keine weiteren Informationen erhalten hatten. Sam hielt es kaum noch aus, ruhig zu sitzen. Voller Ungeduld wartete sie darauf, dass Fraiser kam und berichtete, wie es Cassandra ging und was die Untersuchung der entnommenen Proben ergeben hatte. Endlich wurde die Tür geöffnet, und die Ärztin trat ein. Sie war sichtlich aufgeregt, als sie zu einem freien Platz ging und sich setzte. »Tut mir Leid, dass ich Sie warten ließ«, sagte sie. »Aber was ich entdeckt habe, ist so brisant, dass ich erst völlig sichergehen wollte, bevor ich Ihnen Bericht erstatte.« »Wie geht es Cassandra?«, platzte Sam heraus. »Den Umständen entsprechend gut. Da wir nicht wussten, ob wir den Fremdkörper wirklich operativ entfernen könnten, haben wir ihr zunächst nur eine leichte Narkose gegeben, die wir bei Bedarf verstärkt hätten. Sie wird bald aufwachen und außer etwas Halsschmerzen vermutlich keinerlei Nachwirkungen spüren.« -55-
»Und was haben Sie nun herausgefunden?«, erkundigte sich Hammond. »Nun, dieser Fremdkörper ist ein absolut unglaublicher eigener Organismus. Wie wir feststellen mussten, besitzt er sogar die Fähigkeit, Cassandras Herz vorübergehend zum Stillstand zu bringen. Wahrscheinlich eine Art Schutzfunktion, wenn er sich bedroht fühlt, wie es bei der Endoskopieuntersuchung wohl der Fall war. Wenn wir versuchen würden, ihn zu entfernen, würde das Mädchen das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht überleben.« »Und um was handelt es sich dabei nun?« »Das ist das Schreckliche. Es ist eine Art von Zeitbombe.« Sam sprang auf. »Eine Bombe?« Fassungslos starrte sie die Ärztin an. »Leider ja, Major. Dieser Fremdkörper ist in zwei Schichten unterteilt. Die eine besteht aus einer Mischung aus Eisen und Kalium. Die andere aus einer komplizierten Verbindung, die hauptsächlich Naquadah enthält. Wir haben ja schon Spuren davon in ihrem Blut gefunden, als wir sie herbrachten, aber die Konzentration war harmlos.« Sam ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken. Sie wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. »Zwischen den beiden Te ilen befindet sich eine neutralisierende Fettschicht«, berichtete Fraiser weiter. »Das Schlimme ist nur, dass sie sich langsam, aber unaufhörlich auflöst.« »Und was passiert, wenn die beiden Komponenten aufeinandertreffen?«, wollte Daniel wissen. Fraiser stand auf. Sie schaltete einen an der Stirnseite des Raums in die Wand eingelassenen Bildschirm ein und schob -56-
eine mitgebrachte Videocassette in einen bereitstehenden Rekorder. Ein kleiner, bis auf einen Metalltisch und zwei mehrgelenkige Roboterarme völlig leerer Raum erschien auf dem Bildschirm. »Dieser Raum ist speziell gepanzert und mit Blei ausgekleidet«, erklärte sie. »Ich habe nur mikroskopisch kleine Mengen der entnommenen Proben verwendet. Sehen Sie selbst, was passiert, wenn sie zusammentreffen und miteinander reagieren.« Die beiden Roboterarme bewegten sich aufeinander zu. Als sie sich berührten, gab es einen grellen Lichtblitz, dann war nur noch grauer Schnee auf dem Bildschirm zu sehen. Sam meinte spüren zu können, wie sie blass wurde. Auch auf den Gesichtern der anderen zeichnete sich Schrecken ab. »Der Raum wurde vollständig verwüstet, die Spezialkamera zerstört. Selbst die Panzerung wurde zum Teil aufgerissen«, berichtete Dr. Fraiser. »Zugleich wurde eine ungeheuer hohe Gammastrahlung freigesetzt. Wenn man die winzigen Mengen bedenkt, die ich verwendet habe, übertrifft die Wucht der Explosion bei weitem alles, was wir mit konventioneller oder auch atomarer Sprengkraft erzeugen können.« »Das Pentagon und vor allem Colonel Mayborne hätten sicherlich ihre helle Freude daran«, kommentierte O'Neill zynisch. Sam warf ihm einen bitterbösen Blick zu, erkannte aber an dem Ausdruck seines Gesichts, dass die Flucht in den Sarkasmus nur seine Art war, mit seinem eigenen Entsetzen fertig zu werden. Sie presste die Zähne zusammen. »Wenn die gesamte Masse der Bombe in Cassandras Körper explodiert, dürfte von dieser Basis und dem halben Berg kaum noch etwas übrig bleiben«, schloss Fraiser. »Das... ist unglaublich«, stieß Daniel hervor. »Was sind das bloß für Unge heuer, die ein unschuldiges kleines Mädchen für so etwas missbrauchen?« »Wesen, die auch keine Skrupel kennen, die Bevölkerung -57-
eines ganzen Planeten auszulöschen, wie sie auf P8X-987 gezeigt haben«, entgegnete O'Neill. »Und die vorhaben, das gleiche auch mit uns zu machen. Sie haben das Mädchen als eine Art trojanisches Pferd bei uns eingeschleust. Die Reetou kennen uns offenbar gut genug, dass sie wussten, wir würden Cassandra zur Erde bringen, schon um herauszufinden, wieso sie als einzige überlebt hat.« »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Doktor, dann verhindert nur diese Fettschicht zwischen den beiden Teilen der Bombe momentan die Explosion«, hakte General Hammond nach. »Wie viel Zeit bleibt uns noch, bis sie sich vollständig aufgelöst hat?« »Nur noch etwa zwölf Stunden«, erwiderte die Ärztin. »Und es gibt keine Möglichkeit, die Bombe aus Cassandras Körper zu entfernen?«, fragte Sam verzweifelt. Sie weigerte sich, den offenbar unausweichlichen Tod des Mädchens einfach so zu akzeptieren. »Ich sehe keinen Weg. Die Kleine würde nicht nur dabei sterben, wir können auch mit allergrößter Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass der Sprengsatz bei einem entsprechenden Versuch gezündet würde. Wie ich schon sagte, handelt es sich bei dieser Bombe um einen eigens tändigen Organismus, der auf eine Bedrohung selbstständig reagieren kann. Die Reetou sind uns auf diesem Gebiet um Jahrzehnte voraus.« Hammond räusperte sich. »Unter diesen Umständen bleibt mir erst recht keine andere Möglichkeit mehr, als auf der Ausführung meiner ursprünglichen Anordnung zu beharren«, sagte er. »Das Mädchen wird so schnell wie möglich nach P8X-987 zurückgebracht.« Sam wusste, dass sie unter diesen Voraussetzungen keine Chance hatte, Hammond umzustimmen. Die ursprünglich theoretische Gefahr war zu einer konkreten Bedrohung für ihr -58-
aller Leben und die Existenz des Sternen-Tores geworden. Dennoch gab sie nicht einfach auf. »Doktor Fraiser hat gesagt, dass die Bombe erst in etwa zwölf Stunden explodieren wird«, wandte sie ein. »Vielleicht rindet sie bis dahin doch noch einen Weg, sie aus Cassandras Körper zu entfernen.« »Doktor?« Fragend blickte Hammond die Ärztin an. »So Leid es mir tut, aber ich halte dies für ausgeschlossen«, entgegnete Dr. Fraiser. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas anderes mitteilen, doch hier haben wir es mit einer BioTechnologie zu tun, der wir nichts entgegenzusetzen haben. Wenn mir ein paar Monate zur Verfügung stünden, gäbe es vielleicht eine Möglichkeit, aber nicht innerhalb weniger Stunden.« »Und was ist mit den Tok'ra?«, beharrte Sam. »Vielleicht können sie Cassandra helfen. Diese Chance dürfen wir nicht einfach außer Acht lassen.« Der General zögerte einen Moment. »Doktor, wie sicher ist diese zwölfstündige Frist?« »Sie entspricht unseren Beobachtungen der letzten Stunde und einer daraus abgeleiteten Extrapolation über die Geschwindigkeit, mit der sich die Fettschicht auflöst. Bislang geschieht das mit der Präzision eines Uhrwerks. Theoretisch könnte sich das Tempo verlangsamen oder auch beschleunigen, aber das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich.« General Hammond überlegte einige Sekunden. Seinem Gesicht war nicht anzusehen, was in ihm vorging, aber die Entscheidung schien ihm nicht leicht zu fallen. Bangend wartete Sam darauf, wie sie ausfallen würde. »Ein ziemlich unwahrscheinlich reicht mir nicht«, teilte der General schließlich mit. »Dafür steht zuviel auf dem Spiel. Ich -59-
kann nicht die Sicherheit der gesamten Basis gefährden. Mein Entschluß steht fest. Ich gebe Ihnen eine Stunde, Major, damit Cassandra sic h etwas erholen und Sie sie auf ihre Rückkehr vorbereiten können, mehr kann ich Ihnen nicht zugestehen. Wie viel Sie dem Mädchen erzählen, überlasse ich Ihnen. Wir wissen nicht, wann die Tok'ra eintreffen, aber falls sie einen Weg kennen, wie sich die Bombe entschärfen lässt, können sie dies auch auf P8X-987 tun.« In niedergeschlagener Stimmung endete die Besprechung. Während sie den Raum verließen, gesellte sich O'Neill zu Sam Carter. »Ich kann verstehen, wie Ihnen zumute ist«, sagte er. »Mir würde es auch nicht anders gehen, wenn Charlie in Cassandras Situation wäre. Sagen Sie mir, wenn ich irgendetwas für Sie tun kann.« »Ich weiß, dass Sie es gut meinen«, entgegnete Sam und rang sich ein flüchtiges Lächeln ab. »Aber ich möchte jetzt nur noch zu Cassandra, um bei ihr zu sein, wenn sie aufwacht.«
3 Während der wenigen Minuten, die Sam Carter an Cassandras Bett wachte, war deren Schlaf immer unruhiger geworden. Sie stöhnte und bewegte den Kopf von einer Seite zur anderen, sie stand dicht davor, aufzuwachen. Obwohl eine Narkose normalerweise traumfrei sein sollte, huschten ihre Pupillen unter den geschlossenen Augenlidern wild hin und her. Wahrscheinlich hätte Sam nur ihren Namen zu sagen oder sie leicht zu berühren brauchen, um sie vollends erwachen zu lassen, doch sie verzichtete darauf, um die schwere Aufgabe, die auf sie wartete, noch ein wenig hinauszuzögern. Weitere ein, zwei Minuten verstrichen. »Mami«, murmelte Cassandra schließlich. »Ich will zu meiner -60-
Mami.« Sie schlug die Augen auf. Ihr Blick war vom Schlaf leicht getrübt, zeigte aber nicht die tranceähnliche Benommenheit vieler Leute, die aus einer tieferen Narkose erwachten und oft für den ganzen restlichen Tag nicht richtig zu sich kamen. Verwirrt blickte sie sich um, schien im ersten Moment nicht zu wissen, wo sie sich befand. Dann kehrte ihre Erinnerung mit einem Schlag zurück. »Sam«, rief sie. »Ja, Kleines, ich bin hier.« Carter beugte sich ein wenig vor und strich ihr ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. Es brach ihr fast das Herz. Das Mädchen wirkte unendlich verloren in dem großen Bett. Ihr Hass auf die Reetou-Rebellen, die Cassandra auf so schreckliche Weise für ihre Ziele eingespannt hatten, stieg ins Unermessliche. »Deine Mami fehlt dir wohl sehr, nicht?« Cassandra nickte langsam. »Ich habe von ihr geträumt. Aber ich weiß, dass sie nicht mehr zurückkommt.« Sam wusste, dass es keinen Sinn machte, wenn sie versuchte, sie zu belügen. Cassandra würde jede Lüge sofort durchschauen und dann das Vertrauen zu ihr verlieren. »Nein, das wird sie nicht mehr«, presste Sam deshalb hervor. »Du bist ein sehr, sehr tapferes Mädchen.« »Ich bin müde.« »Das liegt an der Narkose. Doktor Fraiser hat dir etwas gegeben, dass du dich gleich besser fühlst. Ich würde dich gerne noch etwas schlafen lassen, aber leider bleibt uns nicht mehr die Zeit dafür.« »Was ist denn los? Du guckst so ernst.« Sam schluckte und kniff die Lippen zusammen. Sie brachte es nicht über sich, Cassandra die Wahrheit zu erzählen. Wie brachte man einem Kind in ihrer Situation bei, dass sie doch -61-
nicht wie geglaubt gerettet war, sondern zum Tode verurteilt und binnen weniger Stunden sterben würde? »Das ist... schwierig zu erklären«, sagte sie. »Leider müssen wir dich auf deinen Heimatplaneten zurückbringen.« Cassandra richtete sich in ihrem Bett auf. »Aber ich will nicht dorthin zurück!« »Glaub mir, ich wünschte, es ließe sich vermeiden. Doch es ist die einzige Möglichkeit. Wenn du hierbliebest, würdest du uns alle in große Gefahr bringen.« »Aber ihr habt doch gesagt, ich wäre gesund, ich hätte die Krankheit nicht.« »Das ist richtig, nur...« »Ich werde auch sterben, nicht wahr?«, murmelte Cassandra leise. »Bei mir ging es nicht so schnell, aber ich werde trotzdem sterben.« Sam brauchte jedes bisschen Entschlossenheit und Selbstbeherrschung, das sie noch aufbringen konnte, um nicht vor dem Kind in Tränen auszubrechen. Sie hatte bereits viele Menschen sterben gesehen, und sie hatte selbst zahlreiche Gegner im Kampf getötet, doch das Schicksal dieses Mädchens rührte sie ganz besonders. Dennoch wollte sie auf keinen Fall vor ihr weinen, denn das hätte Cassandra gezeigt, dass sie sie bereits aufgegeben hatte, was nicht der Fall war. Obwohl sie wusste, wie gering die Chance auf eine Rettung in letzter Minute war, bewahrte sie die Hoffnung daran wie einen kostbaren Schatz tief in ihrem Inneren. »Es... es ist noch nicht sicher«, behauptete sie. »Wir arbeiten an einer Lösung, und wir haben Hilfe angefordert. Die Tok'ra sind uns technisch weit voraus. Vielleicht können sie dich retten. Aber solange wir nichts Genaues wissen, müssen wir dich zu unserer Sicherheit trotzdem zurückschicken.« Cassandra nickte langsam. Auch in ihren Augen glitzerten -62-
Tränen, aber sie kämpfte ebenfalls dagegen an. »Ich will nicht, dass ihr meinetwegen in Gefahr geratet«, sagte sie tapfer. »Ich werde... nach Hanka zurückgehen. Müssen wir jetzt gleich los?« »Nicht sofort. Ein bisschen Zeit bleibt uns noch, aber nicht mehr viel.« »Dann halt mich fest«, bat Cassandra und klammerte sich an Sam. »Bitte, halt mich ganz fest.«
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DIE TOK'RA 1 Sam Carter hatte das Gefühl, zu ihrer eigenen Hinrichtung zu gehen, als sie mit Cassandra an der Hand den Transportraum betrat. Mehr als eine halbe Minute hatte noch mit ihr geredet und ihr Mut zugesprochen. Dabei hatte sich das Mädchen fast als tapferer und stärker als sie selbst erwiesen. Die Transportkammer war leer. Mit Ausnahme von O'Neill, der an Charlies Krankenbett wachte, hielten sich sowohl die anderen Mitglieder von SG-1 wie auch General Hammond und Dr. Fraiser im Kontrollraum eine Etage höher auf und blickten durch die Sichtscheibe zu ihnen herab. Keiner von ihnen wollte mehr mit Cassandra zusammentreffen und dabei in die Verlegenheit geraten, mit ihr sprechen zu müssen. Ihnen allen tat es Leid, dass es keine Möglichkeit gab, das Mädchen zu retten, falls nicht noch ein Wunder geschah. »Sind Sie bereit, Major?«, drang Hammonds Stimme aus einem Lautsprecher. Carter nickte. Mit einem metallischen Scharren begann sich der mit hieroglyphenartigen Symbolen bedeckte Ring des Sternen-Tores zu drehen. Kurz darauf blieb er stehen, und eine Klammer rastete mit vernehmlichem Schnappen ein. Gleich darauf drehte er sich weiter. Der ersten Klammer folgte eine zweite. Langsam führte Sam das Mädchen auf die Rampe zu, als Cassandra plötzlich zu stöhnen begann. Gleich darauf riss sie sich aus Sams Hand los, taumelte einen unbeholfenen Schritt zur Seite und brach dann zusammen. Reglos blieb sie liegen. Ihr Gesicht war mit Schweiß bedeckt. Sofort kniete Sam neben ihr nieder. Der Atem des Mädchens ging nur schwach und kaum merklich. -64-
Nur unterbewusst nahm Sam Carter wahr, dass Hammond den Befehl gab, die Aktivierung des Sternen-Tores abzubrechen. Sie blickte zum Kontrollraum hinauf und sah, dass Dr. Fraiser gerade durch die Tür eilte, aber es schien endlose Sekunden zu dauern, bis die Ärztin in die Transportkammer gestürmt kam. Hastig untersuchte sie Cassandra. »Ihre Kreislauf ist zusammengebrochen, ihr Herz schlägt nur noch schwach und unregelmäßig«, teilte sie mit. »Sie ist in ein Koma gefallen. Wir müssen sie sofort zurück auf die Krankenstation bringen.« Begleitet von zwei Sanitätern, die eine Trage bei sich hatten, kamen Hammond, O'Neill und Daniel in die Transportkammer geeilt. »Das kann ich nicht zulassen«, stieß der General hervor. »Sie wissen, in welche Gefahr sie uns alle bringen, wenn das Mädchen noch länger hierbleibt.« »Ich weiß nur, dass sie sterben wird, wenn ich sie nicht sofort behandle«, entgegnete die Ärztin. Entschlossen funkelte sie Hammond an. »Noch ist sie meine Patientin und unterliegt allein meiner Befugnis. Und deshalb bestimme ich, dass sie unverzüglich auf die Krankenstation zurückgebracht wird.« »Mit der Verhängung der Quarantäne habe ich auch den Ausnahmezustand über die Basis verhängt.« Hammonds Gesicht lief rot an, sein Tonfall wurde mit jedem Wort lauter. »Und deshalb habe ich die alleinige...« Er verstummte und fuhr herum, als sich der Ring des SternenTores erneut zu drehen begann. »Nicht autorisierte Ankunft!«, ertönte die Stimme des diensthabenden Technikers. Gleich darauf schoss der Energiestrudel aus dem Ring und formte sich zu der bläulichsilbern schimmernden Fläche des Transportfeldes. »Iris sofort schließen!«, befahl Hammond. Dr. Fraiser nutzte -65-
seine Ablenkung, um Cassandra von den Sanitätern auf die Trage legen und aus dem Raum bringen zu lassen. »Wir empfangen ein Transpondersignal«, erklärte der Techniker. »Es sind die Tok'ra.« Nur wenige Sekunden später traten zwei in die bräunlichgrauen Uniformen der Tok'ra gekleidete Männer aus dem Energiefeld. Beide mochten um die sechzig sein und hatten graues, stark gelichtetes Haar. Ein Lächeln glitt über Sams Gesicht, als sie den vorderen der beiden Männer erblickte, und sie eilte ihm über die Rampe entgegen. »Dad!« Stürmisch umarmte sie ihn und küßte ihn auf die Wange. »Hallo, Sam«, antwortete Jakob Carter. Vor einigen Monaten war bei ihm eine unheilbare Krebserkrankung festgestellt worden, während gleichzeitig der alte Wirtskörper von Selmak, einem einflussreichen und weisen Mitglied der Tok'ra im Sterben lag. Da es seine einzige Überlebenschance darstellte und dadurch ein Bündnis zwischen ihren beiden Völkern geschlossen werden konnte, hatte Jakob Carter einer Verschmelzung mit dem außerirdischen Symbionten zugestimmt. »Wir haben da leider ein Problem, bei dem wir die Hilfe von Selmak benötigen, deshalb haben wir euch gerufen«, kam Sam direkt zum Kern der Sache. »Selmak, Selmak, Selmak«, murmelte Jakob Carter. »Und ich habe schon gedacht, du würdest nur gerne deinen alten Herrn mal wiedersehen.« »Natürlich, Dad«, entgegnete Sam verlegen. »Es ist nur so...« »In diesem Fall brauchen wir wirklich in erster Linie Ihren Symbionten, Jakob«, mischte sich General Hammond ein. Jakob Carter wandte sich ihm zu. »Ich freue mich auch, Sie wiederzusehen, George«, sagte er verschmitzt. -66-
»Entschuldigung, ich...« »Nichts für ungut, nur ein kleiner Spaß.« Jakob deutete auf seinen Begleiter. »Das ist Takaar. Soweit ich weiß, seid ihr euch noch nicht begegnet.« Er senkte kurz den Kopf. Als er ihn wieder hob, leuchteten seine Augen in der Art der Goa'uld auf. Anders als die Goa'uld, die das Bewusstsein ihrer Wirte skrupellos versklavten, lebte ein Tok'ra mit seinem Wirt in einer auf gegenseitiger Anerkennung beruhender Symbiose zusammen. »Es ist mir eine Ehre, wieder einmal euren Planeten zu besuchen, General«, grüßte er mit der verzerrten Stimme Selmaks. »Was können wir für euch tun?« »Angeblich gibt es ein Volk, das nennt sich Reetou«, erklärte Hammond. »Das ist richtig. Warum?« »Nun, wie es aussieht, haben wir einen oder sogar mehrere von ihnen hier.« Tiefempfundener Schrecken zeigte sich auf Selmaks Gesicht. Er wandte sich an seinen Begleiter und erteilte diesem einen Befehl in einer fremden Sprache. Der Mann nickte, verließ die Transportkammer und stieg in den Kontrollraum hinauf. »Bitte schickt ihn dorthin zurück, wo wir herkommen. Er wird die Koordinaten selbst in euren Computer eingeben«, sagte Selmak. Hammond nickte dem Techniker zum Zeichen, dass er einverstanden war, zu. »In der Zwischenzeit führt mich zu diesem Reetou«, bat Selmak. »Wenn er wirklich ein Wesen dieses Volkes ist, dann schwebt ihr in allergrößter Gefahr.« »Das haben wir schon gemerkt«, murmelte Sam.
2 Während Jack O'Neill Charlies schlafenden Körper betrachtete, der in dem großen Krankenbett hilflos und verloren -67-
wirkte, kam ihm die Duplizität der Ereignisse erst richtig zu Bewusstsein. Allzu sehr schienen sich die Reetou und die Reetou-Rebellen nicht zu unterscheiden. Beide hatten sie Kinder für ihre Zwecke eingespannt und zur Erde geschickt, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Motiven. Cassandra trug eine Bombe in sich, die die Station vernichten sollte, Charlie war gekommen, um genau davor zu warnen. Trotzdem änderte das nichts daran, dass er ebenso wie Cassandra von den Reetou mißbraucht worden war. Das Mädchen stammte vermutlich wirklich von P8X-987 und war von den Rebellen ohne es zu wissen genetisch verändert worden, wohingegen Charlie ein künstlich erzeugtes Geschöpf darstellte. Bei seiner Erschaffung waren Fehler gemacht worden, weshalb er nach Aussage von Dr. Fraiser praktisch kaum lebensfähig war und ebenso wie Cassandra wahrscheinlich schon bald sterben würde. Ohnmächtiger Zorn überkam O'Neill. Er sah sich im Zimmer um. Obwohl er die Gegenwart der Reetou nicht wie Teal'c wahrnehmen konnte, war er sicher, dass sie sich in seiner unmittelbaren Nähe befand. Er meinte ihre Blicke geradezu spüren zu können. Auch die beiden neben der Tür postierten Soldaten fühlten sich sichtlich unwohl. Ihre Anwesenheit war im Grunde sinnlos. Mehrfach waren im Verlauf der letzten Stunde Ärzte ins Zimmer gekommen und wieder hinausgegangen, und wenn sie es darauf angelegt hätte, hätte die unsichtbare Reetou bestimmt unbemerkt mit in den Korridor schlüpfen können. Dennoch hatte General Hammond auf der Wache bestanden. Am liebsten hätte O'Neill seinem Zorn Luft gemacht, Charlies Mutter vorgeworfen, welches Verbrechen sie in seinen Augen begangen hatte, als sie den Jungen erschaffen und gleichzeitig zu einem viel zu frühen Tod verurteilt hatte. Gleich darauf aber wurde ihm bewusst, dass die Sorge um Charlie seinen klaren Verstand trübte. Ein Eingriff in die Natur, wie ihn das Klonen des Jungen darstellte, mochte nach seinen -68-
ethischen Prinzipien verwerflich sein. Anderseits jedoch hatten die Reetou damit beste Absichten verfolgt. Ohne Charlie wäre ihre Existenz und die Gefahr, die der Erde von den Rebellen drohte, nicht einmal bekannt. Vermutlich wären sie alle durch die in Cassandras Körper versteckte Bombe ums Leben gekommen, wenn sie nicht gewarnt worden wären; von den Folgen, die eine Invasion unsichtbarer Wesen für die Erde hätte, ganz zu schweigen. Charlies Augenlider begannen zu flackern. Er machte einen tiefen Atemzug, dann schlug er die Augen auf. O'Neill lächelte ihm zu. »Na, alles in Ordnung? Wie fühlst du dich?«, fragte er betont optimistisch. »Erschöpft«, antwortete Charlie matt. Auch er blickte sich im Zimmer um, ehe ein beruhigter Ausdruck über sein Gesicht glitt. Offenbar hatte er seine Mutter gesehen. »Schrecklich erschöpft. Was ist... mit dem Mädchen, vor dem ich... dich gewarnt habe?« »Du hattest Recht«, berichtete O'Neill. »Wir haben sie noch einmal untersucht und dabei eine Bombe entdeckt. Leider können wir sie nicht entschärfen, deshalb bringen wir Cassandra auf ihren Heimatplaneten zurück. Sie dürfte in diesen Minuten durch das Sternen-Tor gehen.« »Nein!«, keuchte der Junge erschrocken. »Nein, das... das darf nicht geschehen.« Ein Hustenanfall schüttelte seinen Körper. »Du musst das verhindern!« »Was darf nicht geschehen?«, erkundigte sich General Hammond, der in diesem Moment die Tür öffnete und eintrat. »Das Mädchen... ihr dürft sie nicht wegschicken. Die Bombe... wird explodieren, wenn sie durch das Tor geht! So haben die Reetou-Rebellen es geplant.« Hammond wurde sichtbar blasser im Gesicht, und auch O'Neill verspürte plötzlich einen Kloß im Hals. -69-
»Keine Sorge«, versicherte der General rasch. »Cassandra wurde ohnmächtig, bevor sie durch das Tor gehen konnte. Sie befindet sich jetzt wieder hier auf der Krankenstation. Charlie, sag mir, ist deine Mutter noch hier im Zimmer?« Der Junge nickte. »Sie ist dort vorne«, sagte er und deutete in eine Ecke. »Gut. Hier ist jemand, der euch beide kennen lernen möchte.« Hammond trat einen Schritt zur Seite und gab den Eingang für einen hochgewachsenen, älteren Mann frei, der zusammen mit Sam und Daniel eintrat. Froh darüber, dass die Tok'ra so schnell reagiert hatten, wollte O'Neill Jakob Carter alias Selmak begrüßen, doch dann sah er, wie sich Charlies Gesicht vor Furcht verzerrte. Genau wie bei der ersten Begegnung mit Teal'c versuchte der Junge trotz seiner Schwäche aus dem Bett zu springen. »Ein Glühaugenmonster!«, schrie er. Reaktionsschnell hielt O'Neill ihn fest und drückte ihn mit sanfter Gewalt zurück. »Schon gut, Charlie«, redete er beruhigend auf ihn ein. »Er gehört nicht zu den Goa'uld. Er ist ein Tok'ra. Er steht auf unserer Seite und wird dir nichts tun.« Selmak trat einen weiteren Schritt ins Zimmer, dann verzerrte sich sein Gesicht, und er fasste sich an die Stirn. Gleich darauf fuhr er herum und verließ den Raum fast fluchtartig wieder. »Was ist denn los?«, fragte Sam besorgt. »Ihr hattet Recht«, keuchte Jakob Carter. Er sprach wieder mit seiner normalen Stimme, sein Symbiont hatte ihm die Kontrolle über den Körper überlassen. »Es gibt wirklich einen Reetou in diesem Zimmer. Seine Gegenwart ist schier unerträglich für Selmak.« Schwer atmend lehnte er sich gegen die Wand. Als er rasch näher kommende Schritte hörte, blickte er auf. Takaar, sein -70-
Begleiter, der durch das Sternen-Tor zurückgekehrt war, eilte herbei. In den Händen hielt er zwei merkwürdig geformte Geräte, bei denen es sich allem Anschein nach um Waffen handelte. Sie bestanden aus zwei übereinander liegenden Läufen mit einem breiten Griff. »Damit werden wir den Reetou eliminieren«, stieß er hervor. »Folgt mir.« Noch bevor Sam oder einer der anderen etwas einwenden konnte, trat er bereits wieder in Charlies Krankenzimmer. Ein roter Punkt leuchtete an dem unteren der beiden Rohre auf. Anscheinend handelte es sich nicht um einen zweiten Lauf, sondern eine Art Zielgerät. Carter schwenkte die Waffe in einem Halbkreis vor sich, so dass er das gesamte Zimmer erfasste. »Was...«, begann O'Neill. Im nächsten Moment erschien eine abgrundtiefe Scheußlichkeit in einer der hinteren Ecken des Raumes. Das Wesen war etwa mannsgroß, jedoch wesentlich kompakter. Es war unzweifelhaft insektoiden Ursprungs, und obwohl es mit grünlichem Fell bedeckt war, erinnerte es vage an eine Kreuzung zwischen einer riesigen Fliege und einer noch riesigeren Ameise. Auch der Schädel mit zwei großen Facettenaugen und mehreren vom Kopf abstehenden Fühlern ähnelte dem einer Fliege. Mit mehr als einem halben Dutzend tentakelartiger Extremitäten peitschte das Wesen die Luft. »Mein Gott!«, keuchte Daniel. Charlie sprang auf, und gebannt durch den Anblick der Monstrosität, reagierte O'Neill diesmal zu langsam, um ihn zurückzuhalten. Schützend stellte sich der Junge vor die insektoide Kreatur. »Nicht schießen!«, rief er. »Ihr dürft ihr nichts tun!« »Nicht feuern!«, befahl auch General Hammond. »Wenn es ihre Absicht wäre, hätte sie uns schon längs t etwas antun können«, erklärte Sam. Sie legte ihrem Vater die Hand auf den Arm. »Stattdessen hat sie uns gewarnt. Wir sind ihr zu Dank -71-
verpflichtet.« Jakob Carter zögerte noch einen Moment, dann senkte er die Waffe. Er stieß einen Befehl in der Sprache der Tok'ra hervor, und sein Begleiter tat es ihm gleich, wenn auch mit sichtbarem Widerwillen. Beide verließen das Zimmer. »Ich erwarte Sie in fünf Minuten im Besprechungszimmer, Colonel«, wies General Hammond O'Neill an, ehe er sich den Tok'ra zusammen mit Sam und Daniel anschloss. Mit unsicheren Schritten kehrte Charlie zum Bett zurück und legte sich wieder hin. »Ich... ich nehme an, das war deine Mutter«, sagte O'Neill stockend. Noch immer verspürte er einen Kloß im Hals. Immer wieder ließ er seinen Blick in die Ecke schweifen, wo er das Ungeheuer erblickt hatte, auch wenn dort jetzt nichts mehr zu sehen war. »Ja«, bestätigte der Junge. »Die beiden Glühaugen haben sie erschreckt. Mit Waffen, wie die Männer sie haben, sind die Reetou getötet worden.« »Sie werden deiner Mutter nichts tun«, versicherte O'Neill. »Sie sind hier, um uns zu helfen.« Charlie blickte in die Ecke hinüber. »Mutter versteht, dass ihr euch fürchtet«, erklärte er. »Sie sagt, dass sie euch nicht böse ist. Aber sie verlangt, dass die Glühaugen sich von diesem Zimmer fernhalten.« »Ich werde dafür sorgen«, erwiderte O'Neill. »Aber du musst mir umgekehrt auch einen Gefallen tun. Du musst mit deiner Mom unter allen Umständen hier im Raum bleiben, dann passiert euch nichts, das verspreche ich dir. Aber wir müssen die Basis durchsuchen, um sicher zu gehen, dass sich keine ReetouRebellen hier eingeschlichen haben, und die Tok'ra könnten auf deine Mutter schießen, wenn sie sie irgendwo anders antreffen.« »Das verstehe ich«, antwortete Charlie. »Mutter wird hier warten, wie sie es schon seit meiner Ankunft getan hat.« -72-
»Gut. Ich muss dich jetzt eine Weile verlassen, aber ich versuche, so schnell wie möglich zurückzukommen. In Ordnung?« »In Ordnung.«
3 Die anderen warteten bereits, als O'Neill das Besprechungszimmer betrat. Schweigend nahm er auf einem freien Stuhl Platz. Was er gesehen hatte, machte ihm noch immer zu schaffen. Da die meisten Völker, denen sie bei ihren Reisen durch das Sternen-Tor bislang begegnet waren, humanoid oder sogar direkte Nachkommen von Menschen waren, die einst von der Erde verschleppt wurden, hatte er sich unterbewusst auch die Reetou als eine menschenähnliche Rasse vorgestellt. Zumindest hatte er nicht mit einer solchen insektoiden Scheußlichkeit gerechnet. »Da wir nun vollzählig sind, schlage ich vor, Sie erzählen uns erst einmal, was Sie über diese Reetou wissen, Jakob«, eröffnete General Hammond die Konferenz. »Ursprünglich waren die Reetou ein friedliches Volk«, begann Jakob Carter. Er verfügte über dasselbe Wissen wie Selmak, und da er Sams Vater war und auf diese Art eine vertrauensvollere Atmosphäre geschaffen wurde, sprach er anstelle seines Symbionten mit ihnen. »Reetalia, ihr Heimatplanet, liegt in einem abgelegenen Sonnensystem, und es befindet sich dort kein Sternen-Tor. So konnten sie sich unbemerkt und deshalb auch unbehelligt von den Goa'uld weiterentwickeln. Auf wissenschaftlichem Gebiet sind sie weiter fortgeschritten als die Menschen auf der Erde, vor allem im Bereich der Gentechnologie.« »Das haben wir auch schon feststellen müssen«, warf Sam ein. »Charlie, der Junge, den du gesehen hast, wurde vermutlich -73-
geklont, um als Vermittler zwischen uns und ihnen zu dienen.« »So, wie er sich verhalten hat, dachte ich mir bereits so etwas. Aber die Reetou beherrschen nicht nur die Molekularbiologie. Sie verfügen auch über höchst wirkungsvolle Plasmagewehre, die den Energiewaffen der Goa'uld in nichts nachstehen. Vor einigen Jahrzehnten entwickelten sie die überlichtschnelle Raumfahrt. Sie begannen, andere Welten zu besiedeln, und das war der Beginn von ihres Untergangs. Auf einem dieser fremden Planeten begegneten sie den Goa'uld. Diese betrachteten ein für sie unsichtbares Volk als eine potentielle Bedrohung und starteten einen gnadenlosen Vernichtungsfeldzug. Ihre Technologie, vor allem ihre Waffentechnik, war der der Reetou weit überlegen. Unzählige Reetou starben, Reetalia ist heute nur noch ein unbewohnbarer Schlackehaufen ohne Atmosphäre.« »Aber wie konnten die Goa'uld sie vernichten?«, wollte Daniel wissen. »Um sie zu bekämpfen, mussten sie die Reetou erst einmal sehen.« Jakob nickte. »Es gelang ihnen, die Emissionen zu isolieren, die für uns spürbar sind, und dann ein Gerät zu entwickeln, dass diese Wesen sichtbar machen konnte«, erklärte er und griff nach der Waffe, die vor ihm auf dem Tisch lag. »Das ist ein TransphasenLaser-Stab, kurz TLS. Den Tok'ra ist es gelungen, einige davon in ihren Besitz zu bringen. Damit kann man die Reetou nicht nur sichtbar machen, sondern sie auch ausschalten.« »Dann tun Sie mir eine n Gefallen, und schalten Sie die Reetou, die wir vorhin gesehen haben, nicht aus«, bat O'Neill. Er zuckte die Achseln. »Ich habe es dem Jungen versprochen.« »Wir müssen davon ausgehen, dass diese Reetou auf unserer Seite steht«, ergänzte General Hammond. »Hätte sie uns nicht mit Hilfe des Jungen gewarnt, wüßten wir noch nicht einmal etwas von der Gefahr.« »Trotz ihrer unglaublichen Möglichkeiten, gelang es nicht -74-
einmal den Goa'uld, alle Reetou zu vernichten«, fuhr Jakob Carter fort und legte den TLS wieder auf den Tisch zurück. »Die Überlebenden flüchteten auf verschiedene Planeten, die uns nicht näher bekannt sind, und führen von dort aus den Kampf gegen die Goa'uld weiter. Viele von ihnen aber schlossen sich zu einer Art Untergrundarmee zusammen. Diese Reetou-Rebellen sind Terroristen, sie bilden eine Gefahr für sämtliche Völker, sogar solche, die den Goa'uld selbst feindlich gegenüberstehen, wie es hier der Fall ist. Ihr Prinzip lautet Zersetzung. Nur auf diese Art glauben sie, die Goa'uld doch noch besiegen zu können.« »Das haben wir bereits erfahren«, entgegnete O'Neill. »Charlie hat uns die Hintergründe erklärt. Wie viele dieser Rebellen gibt es?« »Das weiß ich nicht«, gab Carter zu. »Da sie insektoider Herkunft sind, können sie sich extrem schnell verme hren. So lange ihnen auf Reetalia und den wenigen Planeten, die sie mit ihrer gerade erst entwickelten überlichtschnellen Raumfahrt erreichen konnten, nur ein begrenzter Platz zur Verfügung stand, unterwarfen sie sich einer strengen Geburtenkontrolle. Jetzt jedoch legen sie es bewusst darauf an, sich möglichst schnell und zahlreich fortzupflanzen.« »Können sie unsere Iris durchdringen?«, erkundigte sich Hammond. »Das dürfte im Moment die größte Gefahr sein.« »Keine Angst, auch wenn sie nicht sichtbar sind, so sind sie dennoch materiell. Ihre Moleküle können sich so wenig remateriahsieren wie unsere. Sie können keine feste Materie durchdringen, aber jedesmal, wenn ihr das Sternen- Tor durchquert, besteht die Gefahr, dass euch unerkannt einige Reetou-Rebellen begleiten. Ihre Vorgehensweise ist meistens gleich. Normalerweise arbeiten sie in kleinen Gruppen von höchstens fünf bis zehn Suizidkämpfern. Sie schleichen sich ein, bringen an besonders brisanten Punkten Sprengladungen an und versuchen, möglichst viel Schaden anzurichten.« -75-
Daniel runzelte die Stirn. »Auf P8X-987 sind sie aber völlig anders vorgegangen. Das ist ein Planet, dessen unterentwickelte und völlig harmlose Bevölkerung mit biologischen Waffen getötet wurde. Cassandra, die einzige Überlebende, hat berichtet, dass sie ein Raumschiff gesehen hat.« »Die Reetou haben in den letzten Jahren höchst effektive biologische und bakteriologische Waffen entwickelt«, räumte Jakob Carter ein. »Allerdings können sie sie nicht durch ein Sternen-Tor schicken, ohne dass sie ihre Wirkung verlieren, da ihre Gefährlichkeit auf einem giftigen Element beruht, das durch das Transportfeld neutralisiert wird. Sie können diese Waffen nur einsetzen, wenn sie sie mit Raumschiffen zu ihrem Ziel bringen. Ihre Schiffe sind jedoch nicht besonders schnell und würden mehrere Jahrzehnte brauchen, um die Erde zu erreichen. Diese Gefahr droht euch also nicht.« »Dafür haben sie einen anderen Weg gefunden, uns in höchste Gefahr zu bringen«, sagte Sam. Sie berichtete von der Bombe, die sie in Cassandras Körper entdeckt hatten. »Das tut mir Leid, aber es passt zu diesen Bestien«, entgegnete ihr Vater, als sie geendet hatte, und legte ihr tröstend eine Hand auf den Arm. »Sie wenden diesen Trick nicht zum ersten Mal an. Vor einiger Zeit haben sie einen Boten zu den Systemlords geschickt, angeblich, um Verhandlungen zu führen. Natürlich waren diese Verhandlungen nur ein Vorwand, und als er durch das Sternen-Tor zurückkehrte, explodierte die Bombe, die er in sich trug. Mehrere Systemlords starben bei dem Anschlag. Ihr müsst dieses Mädchen sofort von hier weg in eine einsame Gegend bringen, und ihr dürft es auf keinen Fall in die Nähe des Sternen-Tores gelangen lassen.« Lähmendes Schweigen folgte seinen Worten. Durch die Geschehnisse in Charlies Krankenzimmer war die diesbezügliche Warnung des Jungen völlig untergegangen. Auch -76-
O'Neill hatte gar nicht mehr daran gedacht, und er erkannte an den Gesichtern der anderen, dass auch sie in diesem Moment erst begriffen, was sie wirklich bedeutete. »Nun, wir würden sie gern wegbringen, aber leider ist das unmöglich, wenn wir das Sternen-Tor nicht benutzen dürfen«, sprach General Hammond schließlich aus, was sie alle dachten. »Da wir nicht wissen, ob sich noch weitere Reetou in der Basis aufhalten, habe ich sämtliche Ausgänge schließen und durch eine Zeitsperre blockieren lassen.« Er blickte auf seine Uhr. »Sie können erst in knapp fünf Stunden wieder geöffnet werden.« »Aber die Zeit reicht trotzdem aus«, fügte Sam rasch hinzu. »Doktor Fraiser hat festgestellt, dass uns noch rund elf Stunden bis zur Explosion der Bombe bleiben.« »Gut«, sagte Jakob Carter und atmete erleichtert auf. »Dann sollten wir die Zeit bis dahin nutzen, um die Basis gründlich zu durchsuchen. Leider verfügen wir nur über die beiden TLS, aber sie müssen reichen.« »Können wir einen Reetou denn überhaupt mit unseren normalen Waffen töten?«, hakte O'Neill nach. »Sicher. Sie sind zwar unsichtbar, aber dennoch stofflich. Allerdings sind eure Waffen längst nicht so wirkungsvoll wie ein TLS, und außerdem ist es äußerst schwer, ein bewegliches Ziel zu treffen, das man nicht sieht. Wir...« Er brach ab, als die Tür so heftig aufgestoßen wurde, dass sie laut scheppernd gegen die Wand schlug. Aufgeregt kam Dr. Fraiser hereingestürmt. »Ich habe... Cassandras Lebensfunktionen wieder stabilisieren können«, stieß sie stockend hervor und schnappte dabei nach Luft. Anscheinend war sie den ganzen Weg von der Krankenstation zum Besprechungszimmer gelaufen. »Und dabei... habe ich etwas Schreckliches... entdeckt. Die Bo mbe... reagiert auf Naquadah. Seit Cassandra in der Nähe des SternenTores war... löst sich die schützende Mittelschicht... viel -77-
schneller als vorher auf. Uns bleibt höchstens noch... die Hälfte der ursprünglich angenommenen Zeit.« Keuchend lehnte sie sich an den Türrahmen. »Au weh«, entfuhr es O'Neill. »Das sind jetzt aber wirklich verdammt schlechte Neuigkeiten.«
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DER KRISTALLSCHÄDEL 1 »Das ist unglaublich«, stieß Daniel hervor. Mit vor Staunen weit aufgerissenen Augen starrte er auf den Monitor, der die Bilder zeigte, die von dem durch das Sternen- Tor geschickten Sondenroboter aufgenommenen wurden. »Das dürfte mit Abstand die größte Pyramide sein, die wir bislang entdeckt haben. Sie ist gigantisch.« »Mindestens tausend Meter hoch«, ergänzte Sam. Obwohl auch sie von dem Anblick beeindruckt war, sah sie die Sache wesentlich pragmatischer vom wissenschaftlichen Standpunkt aus. »Der Baustil wurde offenbar von dem der Mayas beeinflusst. Oder umgekehrt.« »Ich kenne kein Goa'uld-Bauwerk dieser Größenordnung«, erklärte Teal'c. Wie ein Rundumschwenk der Kamera zeigte, stand das Sternen-Tor auf dem Planeten, dem der Computer die Bezeichnung QRT-657 gegeben hatte, unmittelbar am Rande eines tiefen Abgrunds. Ein nur knapp einen Meter breiter und rund hundert Meter langer Steg, der so gleichmäßig war, dass er nur künstlich angelegt worden sein konnte, führte auf die Pyramide zu. »Irgendwelche Anzeichen von Leben?«, erkundigte sich General Hammond. »Nein, Sir«, antwortete der Techniker, der die Aufklärungssonde fernsteuerte und sie langsam über den schmalen Steg auf die Pyramide zurollen ließ. »Die Atmosphäre ist atembar, aber es sind keinerlei Spuren von Leben zu entdecken, nicht einmal von pflanzlichem.« -79-
»Und du bist wirklich davon überzeugt, dass wir ausgerechnet dort Hilfe finden könnten?«, wandte sich Sam skeptisch an ihren Vater. »Überzeugt nicht«, entgegnete Jakob Carter. »Aber es ist eine Chance, und so, wie die Dinge momentan liegen, könnt ihr kaum das Risiko eingehen, auf sie zu verzichten. Es ist jedem Goa'uld untersagt, diese Welt zu betreten, es ist sogar verboten, nur darüber zu sprechen. Ihre Koordinaten wurden aus allen offiziellen Sternkatalogen gestrichen.« »Dazu passt, dass sie auch in der Kartusche von Abydos nicht aufgeführt ist«, sagte Sam. »Nur in der Original-Sternenkarte, die wir durch die Antiker erhalten haben, und in der sämtliche existierende Sternen-Tore verzeichnet sind.« »Auf dieser Welt soll ein Volk leben, das als Giganten bezeichnet wird und ein Feind der Goa'uld ist«, fuhr Jakob Carter fort. »Es ist kaum etwas über dieses Volk bekannt, aber angeblich soll es in verschiedenen Phasen leben können. Wenn es euch gelingt, Kontakt mit den Giganten aufzunehmen, könnten sie euch eine große Hilfe gegen die Reetou sein.« »Wenn man von der Größe dieser Pyramide ausgeht, verstehe ich, warum man dieses Volk als Giganten bezeichnet«, stellte Daniel beeindruckt fest. Der Aufklärungsroboter hatte den weit geöffneten Eingang des Bauwerks erreicht und rollte hindurch. Anders als bei den Pyramiden der Goa'uld, bestand das Innere aus einem einzigen riesigen Raum. Es war dunkler als im Freien, doch die Sonde war mit Infrarotkameras und Restlichtverstärkern ausgestattet, die auch weiterhin gut erkennbare Bilder lieferten, auch wenn diese einen leichten Grünstich besaßen. Die Brücke setzte sich auch im Inneren weiter fort. Der Neigungswinkel der Kameras reichte nicht aus, um zu zeigen, wie tief der Abgrund neben dem schmalen Steg reichte. Alles erinnerte auf den ersten Blick an eine Tropfsteinhöhle. -80-
Unzählige zapfenartige Gebilde wuchsen wie Stalaktiten von der Decke herab, verbanden sich teilweise mit Stalagmiten, die irgendwo in der Tiefe des Abgrunds aufwuchsen, zu schmalen, hunderte von Metern hoch aufragenden Säulen. »Man könnte sämtliche Pyramiden der Erde in diese eine packen«, behauptete Daniel. »Ich möchte nicht die Rechnung über die Heizkosten bekommen«, kommentierte O'Neill. »Also schön, das Ding ist verdammt groß, aber das allein haut mich noch nicht von den Socken.« Er blickte sich Beifall heischend um, doch niemand beachtete ihn. »Das gibt es doch nicht!«, stieß Sam hervor. Sie blickte nicht auf den Monitor, der die Bilder übertrug, sondern auf einen anderen Bildschirm, der verschiedene Messdaten anzeigte. »Diese Werte sind einfach unfassbar. Wir sollten uns das unbedingt aus der Nähe ansehen.« »Bislang kann ich nichts entdecken, was für uns von sonderlichem Nutzen sein könnte«, widersprach O'Neill. »Sehen Sie sich die Bilder genauer an«, forderte Sam ihn auf. »Was Sie da sehen, das sind Eaptons.« »Ist ja nicht wahr! Echt?« Er hatte noch nie etwas von Eaptons gehört, doch wenn Sam Carter die Ironie in seinen Worten überhaupt bemerkte, so reagierte sie nicht darauf. Dafür war sie viel zu aufgeregt. »Das bedeutet, dass irgendetwas in der Pyramide sämtliche Neutrinos verlangsamt«, behauptete sie. »Wir messen eine uns völlig fremdartige Strahlung in der Pyramide, die dafür verantwortlich sein muss. Normalerweise durchdringen Neutrinos gewöhnliche Materie, ganz egal wie dicht sie ist. Wahrscheinlich sind Sie gerade jetzt im Moment von mindestens fünfhundert Milliarden Neutrinos durchdrungen -81-
worden, ohne es zu merken. Ein Prozess, der Neutrinos verlangsamt, könnte alles verändern, was wir über Physik wissen. Die Entstehung des Universums und...« »Ihr Forschungseifer in allen Ehren, Major«, bremste General Hammond ihren Redefluss. »Aber wir befinden uns zur Zeit kaum in der Situation, in der so etwas für uns eine Rolle spielt. Im Moment interessiert mich nicht die Entstehung des Universums, sondern wir benötigen Hilfe gegen die Reetou.« »Da vorne ist etwas«, unterbrach Daniel den Disput und deutete auf eine Stelle des Monitors, die das Ende des Stegs markierte. »Steuern Sie die Sonde näher heran.« »Es geht nicht, die Brücke wird zu schmal«, teilte ihm der Techniker mit. »Dann zoomen Sie heran.« In mehreren Etappen wurde der Ausschnitt des Bildes sprunghaft vergrößert, bis das ursprünglich nur als verwaschener heller Klecks sichtbare Objekt, das Daniel entdeckt hatte, deutlich in Großaufnahme zu erkennen war. Es lag auf einem steinernen Podest und sah aus wie die detailgetreue gläserne Nachbildung eines menschlichen Totenschädels. »Ein Kristallschädel«, keuchte Daniel überrascht. »Ich... ich habe so etwas schon einmal gesehen, allerdings nur auf Fotos. Dieser Schädel sieht genauso aus wie der, den Nick vor vielen Jahren in einer Pyramide in Belize entdeckt hat.« »Nick?«, hakte Hammond nach. Daniel nickte. »Der großartige Forscher und Entdecker und mein nicht ganz so großartiger Großvater Nikolas Ballard. Ich könnte mindestens ein Dutzend verschiedene Kristallschädel aufzählen, die in aller Welt gefunden wurden, aber der, den Nick entdeckte, war einzigartig. Niemand konnte erklären, wie der Schädel aus einem Stück Kristall gegen die Struktur geschnitten werden konnte, zumal sein Alter auf mindestens dreitausend Jahre datiert wurde. Er versteifte sich darauf, dass dem Schädel -82-
eine besondere magische Kraft innewohnen müsse.« O'Neill musste an das alte Sprichwort denken, wonach Genie und Wahnsinn dicht beieinander liegen. Gerade Daniel Jackson war für ihn immer ein lebender Beweis dafür gewesen, aber offenbar nahm Daniel in dieser Hinsicht keine Sonderstellung innerhalb seiner Familie ein. »Von welcher Kraft sprechen Sie?«, drängte General Hammond. »Nun lassen Sie sich doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.« »Das ist ja gerade das Verrückte. Nick hat behauptet, nachdem er intensiv in die Augen des Schädels gestarrt hatte, dieser habe ihn an einen anderen Ort versetzt und ihm die Fähigkeit verliehen, Aliens zu sehen. Das hat er jedenfalls wiederholt in seinen Vorträgen behauptet, aber er konnte keine Beweise vorlegen, da der Schädel an diesem fremden Ort zurück geblieben war. Man glaubte ihm nicht.« »Hätte ich Ihren Großvater damals getroffen, wäre es mir sicherlich genauso ergangen«, erwiderte Jakob Carter. »Aber nach allem, was ich seit der Verschmelzung mit Selmak weiß, halte ich es für gut möglich, dass er Recht hatte.« »Ihre Behauptung, dass die ägyptischen Pyramiden wesentlich älter als angenommen seien und Landeplätze für Raumschiffe darstellten, hat man Ihnen schließlich auch nicht abgenommen, Daniel«, ergänzte Sam. »Aber es passt alles zusammen. Vielleicht verleiht uns dieser Schädel wirklich die Fähigkeit, nicht nur diese geheimnisvollen Giganten, sondern auch die Reetou zu sehen.« Alle Blicke richteten sich auf General Hammond. Nach einigen Sekunden nickte er bedächtig. »Ich kann mich Ihren Argumenten nicht verschließen«, sagte er. »Es ist eine Chance, deshalb genehmige ich eine Aufklärungsmission nach QRT-657.« -83-
2 »Die Strahlung, die wir in der Pyramide gemessen haben, ist der von Tachyonen ähnlich, aber nicht damit identisch. Abgesehen von allen sonstigen Unwägbarkeiten dieses Ausflugs, wissen wir nicht, wie diese sich auf den menschlichen Organismus auswirkt«, hatte Dr. Fraiser sie vor ihrem Aufbruch gewarnt. Außerdem hatte sie noch eine Menge Fachbegriffe hinzugefügt, mit denen höchstens Sam etwas anfangen konnte, die O'Neill jedoch gar nichts sagten. »Normalerweise würde ich mich strikt gegen eine Reise dorthin aussprechen, aber angesichts unserer momentanen Situation hätte ich damit wohl wenig Erfolg. Trotzdem rate ich Ihnen, sich nicht länger als höchstens eine Viertelstunde dort aufzuhalten.« Jack O'Neill war fest entschlossen, ihren Rat zu beachten. Im Idealfall würden sie in die Pyramide eindringen, diesen Schädel holen und wieder zurückkehren, um dieses Ding erst anschließend in der Basis zu untersuchen. Er war ohnehin nicht sicher, was er von der ganzen Aktion halten sollte. Seine ursprüngliche Meinung über Daniel Jackson hatte er im Laufe der Zeit revidieren müssen. Als er ihn kennen gelernt hatte, hatte er ihn für einen vertrottelten Spinner gehalten. Diese Einschätzung galt nach wie vor in beträchtlichem Maße, doch hatte Daniel sich auch als ein brillanter Wissenschaftler erwiesen. Damit hatte er sich O'Neills Achtung und Respekt und sogar - was Jack noch vor wenigen Jahren für völlig ausgeschlossen gehalten hätte - seine Freundschaft errungen. Dennoch änderte das nichts daran, dass er des öfteren schon mal zu leichtfertig handelte und über das Ziel hinausschoss, wenn seine wissenschaftliche Neugier mit ihm durchging. Ähnlich, wenngleich nicht ganz so stark, stellte sich dieses Problem bei Sam Carter, sobald der Forschungsdrang sie packte. Vielleicht zeichnete eine gewisse Besessenheit einen wirklich -84-
guten Wissenschaftler aus, aber er war nun einmal der Leiter von SG-1, und in seinen Augen stellte das Team in erster Linie eine Militäreinheit dar. Der einzige seiner Begleiter, der diese Einstellung bedingungslos teilte, war Teal'c. O'Neill war darum bemüht, sich ganz auf die vor ihnen liegende Aufgabe zu konzentrieren, doch auch auf ihn verfehlte der Anblick der Pyramide seine Wirkung nicht völlig. Auf dem kleinen Bildschirm im Kontrollraum waren die wirklichen Dimensionen dieses Bauwerks nicht richtig zur Geltung gekommen, aber jetzt sah er es direkt vor sich. Nicht nur die Brücke war länger als zunächst angenommen, auch war die Pyramide deutlich höher, als sie geschätzt hatten. Sie hatten erst die Hälfte des Weges bis zum Eingang zurückgelegt, und dennoch musste er den Kopf weit in den Nacken zurücklegen, um noch bis zur Spitze hinaufblicken zu können. Mit jedem Schritt, den sie vorwärts machten, schien das gigantische Bauwerk vor ihnen weiter in die Höhe zu wachsen. »Falls das wie bei den Goa'uld auch eine Landeplattform ist, müssen die dazugehörigen Schiffe schon eine Größe wie in Independence Day haben«, versuchte Daniel erfolglos, die gedrückte Stimmung mit einem Scherz aufzuhellen. Die Umgebung war so deprimierend, dass sie jeden Anflug von Humor im Keim erstickte. Möglicherweise wuchsen anderswo auf QRT-657 Grünpflanzen und bunte Blumen, aber wenn, dann standen die Pyramide und das Sternen-Tor in der wohl unwirtlichsten Gegend dieser Welt. Hier gab es nichts als Grau in verschiedenen Abstufungen. Der Himmel war mit dicken grauen Wolken bedeckt, die Felsen, die Brücke und die Pyramide bestanden aus grauem Gestein. Es war windstill, und das einzige hörbare Geräusch waren ihre eigenen Schritte. Gleich nachdem sie aus dem Sternen-Tor getreten waren, hatte O'Neill einen Blick über die Kante der Brücke geworfen, -85-
doch sein Blick verlor sich in diffuser, nebelgeschwängerter Dunkelheit, deren Tiefe er nicht einmal zu schätzen wagte. Er wünschte, Selmak alias Jakob Carter hätte sie begleitet, aber das hatte der Tok'ra ebenso erschrocken wie entschieden abgelehnt, weil der Zutritt für jeden Goa'uld verboten war, und er nicht nur sich selbst, sondern womöglich auch das ganze Unternehmen in Gefahr gebracht hätte. Er hatte sogar empfohlen, dass Teal'c auf der Erde bleiben solle, doch auf seine Begleitung hatte O'Neill auf keinen Fall verzichten wollen. Endlich erreichten sie den Eingang. Wie alles hier, war er ebenfalls riesig. Zehn überemanderstehende Menschen hätten bequem hindurchgehen können. Ein paar Meter weit reichte noch das hereinfallende Licht, dahinter lastete Dunkelheit wie eine massive Wand. O 'Neill blieb auf der Schwelle stehen und warf Sam einen fragenden Blick zu. Sie studierte ein paar Sekunden lang die Daten auf ihrem tragbaren Messgerät, das sie in der Hand hielt. Es erinnerte an eine etwas zu groß geratene Fernbedienung mit einem Display im oberen Drittel. »Die Strahlenwerte sind hier etwas höher als im Freien, aber nur minimal«, erklärte sie. »Trotzdem sollten wir keine Zeit verschwenden.« O'Neill schaltete seine Taschenlampe ein und betrat als erster die Pyramide. Im Gegensatz zum Äußeren enttäuschte ihn das Innere verglichen mit den Bildern der Aufklärungssonde ein wenig. Zwar war es nicht ganz so finster, wie er zunächst geglaubt hatte, dennoch konnte er ohne Restlichtverstärker nicht weit genug sehen, um die Größe des Bauwerks richtig erkennen zu können. Daniel eilte schnurstracks über den Steg auf das Podest mit dem Kristallschädel zu, während Sam immer wieder auf ihr Messgerät blickte und O'Neill und Teal'c sich lauernd umsahen. »Das ist er«, keuchte Daniel, als er den Schädel erreicht hatte. -86-
»Vor unserem Aufbruch habe ich mir noch einmal sämtliche Fotos angesehen, die Nick damals von seinem Fund gemacht hat. Dies ist der Schädel, den er damals entdeckte, oder zumindest ein haargenaues Ebenstück.« Er streckte eine Hand aus und tippte vorsichtig mit einem Finger gegen die gläserne Stirn. Nichts passierte. »Ich schlage vor, Sie schnappen sich das Ding, und dann verschwinden wir wieder«, forderte O'Neill ihn auf. Daniel griff nach dem Schädel, konnte ihn jedoch nicht bewegen, obwohl er mit aller Kraft daran zerrte. »Es geht nicht«, stöhnte er. »Er muss irgendwie an dem Podest befestigt sein.« Er ging etwas in die Hocke, um den Schädel genauer in Augenschein zu nehmen. Wieder leuchtete O'Neill mit der Lampe in einem Kreis um sich herum. Mit jedem Moment fühlte er sich unwohler. Das lag nicht allein an der Strahlung, die er zwar nicht wahrnehmen konnte, von der er aber dennoch wusste, dass sie da war und auf seinen Körper einwirkte, und auch nicht an diesen Neutrinos, von denen Sam gesprochen hatte. Es war ein Gefühl, das er sich selbst nicht richtig erklären konnte. Er fühlte sich von unsichtbaren Augen beobachtet und meinte die Gegenwart von etwas Fremdem, Uraltem, Mächtigem zu spüren. Sie waren Eindringlinge und sollten nicht hier sein. »Sir, die Strahlung steigt rapide an«, riss Sam ihn aus seinen Gedanken. »Sie hat sich fast verdoppelt. Jetzt liegt sie sogar schon bei über zweihundert Prozent.« »Sofortiger Rückzug!«, befahl O'Neill. »Daniel, das gilt auch für Sie.« Der Wissenschaftler reagierte nicht. Er hockte immer noch vor dem Podest und blickte starr in die gläsernen Augenhöhlen des Kristallschädels. »Dreihundert Prozent und weiter steigend«, meldete Sam. -87-
Kleine leuchtende Punkte schwebten mit einem Mal wie winzige Glühwürmchen um den Schädel. In einem stetigen Strom bewegten sie sich auf Daniel zu, drangen durch seine Nase, den halb geöffneten Mund und sogar durch die Augen in seinen Kopf ein. Er schien nichts mehr von dem wahrzunehmen, was um ihn herum vorging. Sein gesamter Körper wurde mittlerweile von den Funken wie von einem leuchtenden Energiefeld eingehüllt. »Vierhundert Prozent.« Bevor O'Neill noch etwas sagen oder tun konnte, handelte Teal'c bereits. Er aktivierte seine Stablanze und feuerte einen Energiestoß auf den Kristallschädel ab. Es gab einen grellen Blitz, doch ereignete sich die Explosion in völliger Lautlosigkeit. Für einen Moment war O'Neill geblendet. Als er wieder etwas sehen konnte, war Daniel verschwunden, während der Kristallschädel unversehrt an seinem Platz lag. »Fünfhundert Prozent«, keuchte Sam. Ihre Stimme klang zittrig. O'Neill wusste nicht, ob das, was er spürte, eine Folge des Energieblitzes oder die Wirkung der Strahlung war, aber ihm war mit einem Mal schwindelig. Seine Beine schienen das Gewicht seines Körpers nicht mehr tragen zu können. Nur mit Mühe gelang es ihm, die Lampe weiterhin festzuhalten. »Rückzug!«, krächzte er noch einmal und taumelte in Richtung des Ausgangs. »Was ist mit Daniel Jackson?«, fragte Teal'c. Der Wissenschaftler war nirgendwo zu sehen. »Verschwunden«, sagte O'Neill dumpf. »Aber wie? Wir müssen...« »Sir, die Werte... sind außerhalb des Messbereichs«, stammelte Sam. »Wenn wir nicht schnellstens verschwinden, sind wir...« -88-
Sie machte einen unbeholfenen Schritt zur Seite und geriet gefährlich nahe an die Kante des Steges. Teal'c sprang hinzu und hielt sie fest. Gleich darauf verließen ihre Kräfte sie vollends, doch bevor sie stürzen konnte, warf er sie sich über eine Schulter, als ob sie nichts wiegen würde. Nachdem er sich mit einem raschen Blick davon überzeugt hatte, dass O'Neill noch aus eigener Kraft gehen konnte, eilte er mit ihr los. Sie durchquerten den Ausgang. Kaum dass er sich im Freien befand, ging es O'Neill wieder etwas besser, dennoch fiel er gegenüber Teal'c immer weiter zurück. An seinen Beinen schienen Bleigewichte zu hängen. Erst als der Jaffa vor dem runden Kontrollgerät des SternenTores stehenblieb, die mittlerweile bewusstlose Sam auf den Boden legte und die Koordinaten für die Rückkehr zu Erde eingab, holte Jack ihn ein. Mit dem bekannten Energiestrudel baute sich das Transportfeld auf. Teal'c sendete das Erkennungssignal, und mit letzter Kraft taumelte O'Neill durch das Tor. Er kam auf der Rampe in der Basis heraus, wo er erschöpft zu Boden sank und nach Luft rang. Teal'c folgte ihm und legte Sam behutsam ab. »Was ist mit Doktor Jackson?«, drang aus einem Lautsprecher die Stimme General Hammonds, der sich im Kontrollraum aufhielt. O'Neill schüttelte matt den Kopf. Er konnte nicht sprechen. Undeutlich hörte er, wie Teal'c irgendetwas sagte, verstand die Worte jedoch nicht. Während er das Bewusstsein verlor, erlosch hinter ihnen das Transportfeld.
3 Als er wieder zu sich kam, hatte O'Neill das Gefühl, sein Kopf hätte sich in ein Bergwerk verwandelt, in dem zahllose Zwerge -89-
voller boshafter Freude mit ihren Hacken und Hämmern auf die Wände einschlugen. Ein schmerzerfülltes Stöhnen kam über seine Lippen. Er schlug die Augen auf, doch zunächst nahm er nur verschwommene Schemen wahr, aus denen sich nur langsam das Gesicht Dr. Fraisers formte. »Bleiben Sie ganz ruhig liegen«, forderte die Ärztin ihn auf, als ob er vorgehabt hätte, sofort aufzuspringen und an einem Marathon-Lauf teilzunehmen. »Es wird Ihnen gleich besser gehen; ich habe Ihnen eine Spritze gegeben. Die Strahlung in der Pyramide hat Ihrem Körper zahlreiche Mineralien entzogen. Deshalb fühlen Sie sich jetzt ein bisschen wie nach einem Besäufnis.« Tatsächlich sanken die Kopfschmerzen binnen weniger Minuten auf ein erträgliches Maß und klangen beständig weiter ab. Schließlich wagte er es, sich vorsichtig aufzusetzen. Teal'c stand ein paar Schritte neben ihm. »Geht es dir besser, O'Neill?«, erkundigte er sich. »Einigermaßen«, antwortete Jack. Er wandte den Kopf zur anderen Seite. Auf der ein paar Meter entfernten Nachbarliege lag Sam Carter, die offenbar gerade erst das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Ihr Vater und Dr. Fraiser befanden sic h bei ihr. »War ein ganz schöner Hammer. Dir scheint die Strahlung nicht viel ausgemacht zu haben.« »Mein Symbiont hat mir geholfen, die Wirkung schneller zu kompensieren.« »Manchmal ist so ein Ding anscheinend wirklich ganz nützlich, aber ich kann trotzdem gut darauf verzichten. Komm, hilf mir auf.« »Doktor Fraiser hat gesagt, du sollst noch liegen bleiben.« »Ja, ja, sie sagt viel, wenn der Tag lang ist.« O'Neill schwang die Beine von der Liege und versuchte, sich in die Höhe zu stemmen, doch sein Körper spielte ihm einen -90-
Streich. Die Beine knickten unter ihm weg, und er stürzte zu Boden. »Meistens hat sie aber auch Recht mit dem, was sie sagt«, kommentierte Teal'c ungerührt, dann erst bückte er sich, hob O'Neill hoch und legte ihn auf die Liege zurück. »Konnten Sie wieder mal nicht hören?«, Kopfschüttelnd blickte die Ärztin zu ihm herüber. »Es dauert noch drei bis vier Minuten, bis das Mittel, das ich Ihnen gegeben habe, seine volle Wirkung entfaltet und Sie wieder zu Kräften kommen. Aber wer nicht hören will, muss fühlen.« »Napoleonischer Machtzwerg«, knurrte O'Neill, wohlweislich jedoch so leise, dass sie es nicht hören konnte. Ungeduldig wartete er mehrere Minuten, bis er sich erneut aufrichtete und - wesentlich vorsichtiger als beim ersten Mal vollends aufstand. Diesmal gelang es ihm. Im ersten Moment fühlte er sich noch etwas unsicher auf den Beinen, doch das Schwindelgefühl verflog rasch. Dr. Fraiser wandte sich von Sam ab und kam zu ihm herüber. »Alles wieder in Ordnung?« »Es geht.« O'Neill massierte seine Schläfen. »Wie lange war ich bewusstlos?« »Nur etwa eine Viertelstunde. Außer dem Entzug der Mineralien hat die Strahlung Ihrem Körper allem Anschein nach keinen weiteren Schaden zugefügt, und ich konnte nach Ihrer Rückkehr auch keine Reststrahlung messen. Major Carter wird sich auch rasch erholen. Aber was ist mit Doktor Jackson?« O'Neill zuckte die Achseln. »Ich wäre froh, wenn ich das selber wüßte. Er ist von diesem Kristallschädel irgendwie geistig beeinflusst worden, war wie weggetreten. Und dann ist er von einem Moment zum anderen spurlos verschwunden.« »Sein Großvater hat behauptet, er wäre von einem solchen Schädel an einen anderen Ort versetzt worden, wo er auf Aliens -91-
getroffen wäre«, erinnerte Teal'c. »Vielleicht ist mit Daniel Jackson das gleiche passiert. Der Transportvorgang könnte ausgelöst worden sein, als ich auf den Schädel geschossen habe.« »Hoffen wir, dass Daniel nichts passiert ist und er eine Möglichkeit findet, sich mit uns in Verbindung zu setzen«, murmelte O'Neill verbittert. »Ich hatte von Anfang an ein schlechtes Gefühl, was die Expedition nach QRT-657 betrifft. Sie war nicht nur ein Fehlschlag und hat uns alle in Lebensgefahr gebracht, durch Daniels Verschwinden ist sie sogar zu einem Desaster geworden. Gibt es hier irgendwelche Neuigkeiten? Wie geht es Charlie?« »Nicht besonders gut«, berichtete die Ärztin. »Er ist immer noch ohne Bewusstsein. Einige seiner Organe arbeiten so schlecht, dass es jederzeit zu einem Kollaps kommen kann.« O'Neill biss die Zähne zusammen. Auch wenn Charlie in einem Labor künstlich erschaffen worden war, so war er dennoch ein menschlicher Junge, und er wünschte, er könnte etwas tun, um ihm zu helfen. Wortlos wandte er sich ab und stapfte aus der Krankenstation. Teal'c begleitete ihn. Wahrscheinlich wartete Hammond schon ungeduldig auf einen Bericht, was genau auf QRT-657 passiert war, außerdem mussten sie darüber beraten, was sie als nächstes unternehmen sollten, nachdem sich die Hoffnung auf Hilfe durch das Volk, das den Kristallschädel erschaffen hatte, zerschlagen hatte. Immerhin gab es aber auch eine gute Nachricht, wie Teal'c mitteilte. Im Verlauf der letzten Stunde hatten Selmak und sein Begleiter nahezu die gesamte Basis durchsucht und dabei keinerlei Hinweis auf die Anwesenheit weiterer Reetou entdeckt. Sie fanden den General in seinem Büro. Wie es Hammonds geradliniger Art entsprach, war es äußerst karg eingerichtet. -92-
Mehrere gerahmte Urkunden hingen an den Wänden, außerdem gab es noch zwei Aktenschränke, einen Schreibtisch mit einem Bürosessel dahinter und zwei Besucherstühle, das war die gesamte Einrichtung. Auf eine entsprechende Aufforderung hin nahmen O'Neill und Teal'c Platz. »Wie geht es Ihnen, Colonel?«, erkundigte Hammond sich. »Doktor Fraiser sagte, Sie würden sich rasch wieder erholen.« »Damit hatte sie Recht. Inzwischen spüre ich kaum noch irgendwelche Nachwirkungen.« »Ich bin erfreut, das zu hören. Aber noch mehr würde es mich freuen, wenn ich endlich genau wüßte, was nun eigentlich auf QRT-657 passiert ist.« Mit knappen Worten berichtete O'Neill über die Expedition und wie es zu dem Verschwinden Daniel Jacksons gekommen war. »Wir wissen nicht, was genau mit Daniel geschehen ist und wo er sich jetzt befindet«, schloss er. »Falls er nicht aus eigener Kraft zurückkehren oder sich wenigstens mit uns in Verbindung setzen kann, müssen wir noch einmal nach QRT-657 reisen und versuchen, mehr herauszufinden.« »Darüber werde ich zu gegebener Zeit entscheiden.« »Aber, Sir, wir können Daniel schließlich nicht einfach im Stich lassen!«, protestierte O'Neill. »Das habe ich auch nicht gesagt«, entgegnete Hammond scharf. »Es ist nur eine Frage des Zeitpunkts. Solange wir nicht wissen, was die Reetou-Rebellen vorhaben, habe ich sämtliche weiteren Reisen durch das Sternen-Tor gestoppt, die keine konkrete Hilfe versprechen. Es kehren lediglich noch einzelne Teams von Außeneinsätzen zurück. Erst wenn die Gefahr gebannt ist, können wir uns um Doktor Jacksons Schicksal kümmern. Die Ereignisse auf P8X-987 müssen uns eine Lehre sein. Immerhin sind nicht nur die Einwohner von Hanka getötet worden, sondern auch das gesamte Team von SG-7. Außerdem -93-
schweben wir immer noch durch Cassandra in höchster Gefahr.« »Es muss doch eine Möglichkeit bestehen, die Zugänge wieder zu öffnen. Immerhin steht jetzt fest, dass sich keine Reetou in der Basis befinden. Gibt es keinen speziellen Sicherheitscode, der die Zeitsperre wieder außer Kraft setzt?« wollte O'Neill wissen. »Nein, schließlich wurde sie speziell für den Fall einer außerirdischen Invasion geschaffen. Niemand, absolut niemand soll die Möglichkeit besitzen, sie zu umgehen.« »Das heißt, uns bleibt nur eine knappe Stunde Zeit, Cassandra nach dem Öffnen der Zugänge von hier wegzubringen.« »Genau das, vorausgesetzt, die isolierende Fettschicht zwischen den beiden Komponenten der Bombe löst sich im bisherigen Tempo auf, aber alles sieht danach aus. Ich habe auch bereits eine Lösung gefunden, wohin wir sie bringen. Es gibt ein stillgelegtes Atomversuchsgelände in New Mexico. Wir können es binnen einer Dreiviertelstunde erreichen.« »Hört sich vernünftig an«, stellte O'Neill fest. Er versuchte nicht daran zu denken, dass es nicht nur um eine Bombe, sondern auch um ein Kind ging, in dessen Körper sich der Sprengsatz befand. »Allerdings ist da noch etwas, das ich nicht verstehe. Wenn die Reetou-Rebellen uns töten wollen, warum haben sie dann vor, das Sternen-Tor zu vernichten? Es stellt für sie den einzigen Zugang zur Erde dar.« »Es ist eine sinnvolle Strategie«, antwortete Teal'c anstelle des Generals. »Sie schneiden uns auf diese Art von jedem Kontakt mit den Goa'uld ab, wodurch wir als potentielle Wirte ausscheiden. Es wäre zu aufwändig für die Goa'uld, wenn sie Raumschiffe herschicken würden, solange ihnen auf anderen Welten noch genügend Wirte zur Verfügung stehen. Das verschafft den Reetou genügend Zeit, selbst ein Schiff mit biologischen Waffen herzuschicken, die wie auf P8X-987 jedes Leben auf der Erde töten.« -94-
»Zu dem gleichen Ergebnis bin ich auch gekommen«, bestätigte General Hammond. »Aber diesen Plan werden wir vereiteln.« Er blickte auf seine Uhr. »Das war es für den Moment. Ich muss in den Kontrollraum. SG-4 dürfte innerhalb der nächsten Minuten planmäßig von einer zweitägigen Expedition nach M6S-728 zurückkehren.« Gemeinsam verließen sie das Büro. O'Neill und Teal'c blieben ein Stück hinter dem General zurück. »ZumTeufel, irgendetwas muss uns einfallen«, murmelte Jack so leise, dass nur der Jaffa ihn hören konnte. »Möglicherweise befindet Daniel sich in Gefahr. Es muss einen Weg geben, mehr darüber herauszufinden, was mit ihm passiert ist.« Er blieb plötzlich stehen und schnippte mit den Fingern. »Natürlich. Er hat uns selbst den Weg gezeigt. Der Mensch, der wohl am meisten über diesen Kristallschädel wissen dürfte, ist sein Großvater. Wir müssen herausfinden, ob dieser Nick Ballard noch lebt, und was aus ihm geworden ist.«
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SCHATTENDASEIN 1 Es war ein völlig fremdartiges Gefühl. Schon wenige Sekunden, nachdem er begonnen hatte, in die leeren, gläsernen Augenhöhlen des Kristallschädels zu starren, merkte Daniel Jackson, wie alle Unsicherheit und Angst von ihm abfiel. Ein Gefühl von Ruhe und Frieden breitete sich in ihm aus. Er fühlte sich leicht und schwerelos, die Umgebung verblasste um ihn herum. Leuchtende Funken lösten sich von dem Schädel, schwebten in einem Tanz von beispielloser Harmonie um ihn herum. Erste Funken glitten auch in Daniels Richtung. Sie drangen in ihn ein und verstärkten sein Gefühl des Wohlbefindens noch. Wie aus weiter Ferne vernahm er irgendwelche störenden Stimmen, doch war er vom Tanz der Funken viel zu gebannt, als dass er sich davon ablenken ließ. Dann jedoch gab es plötzlich einen lodernd grellen Energieblitz, der den Schädel traf und den Funkenschauer auslöschte. Daniel fühlte sich von unsichtbaren Händen gepackt und zurückgeschleudert. Schwer stürzte er zu Boden. Für einige Sekunden musste er gegen eine Ohnmacht ankämpfen, dann klärte sich sein Bewusstsem wieder. Er erkannte, dass Teal'c mit seiner Stablanze auf den Kristallschädel geschossen hatte. Zwar war das so zerbrechlich aussehende Gebilde trotz der ungeheuren Gewalt des Energieblitzes nicht zerstört worden, dennoch wollte Daniel den Jaffa zornig zur Rede stellen, als er sah, dass mit seinen Begleitern etwas nicht stimmte. Sam taumelte und wäre fast in den Abgrund gestürzt, wenn Teal'c sie nicht festgehalten hätte, und auch O'Neill hielt sich nur noch sichtlich unsicher auf den Beinen. -96-
Daniel rappelte sich hoch und eilte zu ihnen. »Was ist denn los?«, fragte er. Niemand beachtete ihn. Teal'c hob Sam hoch und legte sie sich über die Schulter, dann eilte er geradewegs auf Daniel zu, ohne Anstalten zu machen, ihm auszuweichen. Auch Daniel selbst war viel zu überrascht, um noch schnell genug reagieren zu können. »Teal'c!«, stieß er hervor. Im nächsten Moment war der Jaffa heran - und rannte geradewegs durch ihn hindurch! »Was...« Es dauerte ein paar Sekunden, bis Daniel überhaupt begriff, was geschehen war, und selbst dann konnte er es noch nicht glauben. Völlig verblüfft riss er die Augen auf. Er hatte nicht einmal gespürt, dass Teal'c ihn berührt hatte, und doch war es keine Täuschung gewesen. Der Jaffa war zusammen mit Sam geradewegs durch ihn hindurch gelaufen, als ob er überhaupt nicht existieren würde. »Jack, Teal'c!«, brüllte er, doch keiner der beiden blieb stehen oder blickte sich auch nur nach ihm um. Daniel hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte, was mit ihm oder den anderen passiert war. Seine Begleiter hatten bereits fast den Ausgang der Pyramide erreicht und eilten weiter, wollten offenbar durch das Sternen-Tor zur Erde zurückkehren. Entschlossen rannte Daniel ihnen nach. O'Neill taumelte nur mühsam vorwärts, und Teal'c wurde dadurch behindert, dass er die bewusstlose Sam tragen musste. Daniel hingegen verspürte keinerlei Behinderung, und so bereitete es ihm keine Schwierigkeiten, sie einzuholen. »Jack!«, brüllte er noch einmal so laut er konnte, als er O'Neill erreicht hatte, doch auch jetzt reagierte dieser nicht. -97-
Daniel streckte einen Arm nach ihm aus. Seine Hand glitt direkt durch den Körper des Colonels hindurch, ohne dass er einen Widerstand spürte. Es war unheimlich, doch obwohl er immer noch fassungslos vor Schreck war, überwand er seine Überraschung diesmal schneller. Vielleicht hatte dieser gespenstische Prozess etwas mit der Tachyonenstrahlung oder der hier herrschenden Verlangsamung der Neutrinos zu tun. Sie würden es herausfinden, wenn sie wieder auf der Erde waren. Daniel überholte die anderen und lief ihnen voraus zu dem Kontrollpult für das Sternen-Tor. Entschlossen drückte er auf das erste der Symbole - zumindest wollte er es, doch auch durch das massive Metall drang seine Hand hindurch. Diesmal spürte er immerhin einen Widerstand, doch war dieser nur minimal, etwa so, als ob er in Wasser greifen würde. Vermutlich lag es daran, dass das Gerät eine wesentlich höhere Materiedichte besaß als ein menschlicher Körper. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, wich Daniel zurück, als Teal'c an das Kontrollgerät trat. Der Jaffa konnte problemlos die Symbole eingeben. Hilflos sah Daniel zu, wie sich das Transportfeld des Sternen-Tores aufbaute. O'Neill taumelte hindurch, und gleich darauf folgte ihm auch Teal'c mit der ohnmächtigen Sam. Erst jetzt begriff Daniel plötzlich die Gefahr, in der er schwebte. Er selbst war unfähig, das Sternen-Tor zu aktivieren, was bedeutete, dass er hier gefangen wäre, sobald es sich schloss. Ohne länger zu zögern, rannte er los und sprang in das Transportfeld, ehe es in sich zusammenbrach. Taumelnd kam er auf der Rampe in der Basis heraus, nur Sekundenbruchteile, ehe das Feld hinter ihm erlosch. »Was ist mit Doktor Jackson?« hörte er die aus einem Lautsprecher dringende Stimme General Hammonds. »Ich bin hier!«, rief Daniel, doch seine Worte verhallten ungehört. -98-
»Wir wissen es nicht. Er ist plötzlich verschwunden«, antwortete Teal'c stattdessen. Offenbar war der unerklärliche Vorgang nicht allein auf QRT657 beschränkt. Wütend darüber, dass ihn auch hier niemand wahrnehmen konnte, trat Daniel gegen den Ring des SternenTores, doch hatte er nicht daran gedacht, dass sein Körper feste Materie problemlos durchdrang, und so riss ihn sein eigener Schwung von den Beinen und ließ ihn zu Boden stürzen. Er stieß einen Fluch aus und stand wieder auf. Er hatte sich zwar weh getan und sich wahrscheinlich ein paar blaue Flecken geholt, war aber glücklicherweise nicht verletzt. Dr. Fraiser kam zusammen mit einigen Sanitätern in den Transportraum geeilt und kümmerte sich um Sam, Teal'c und O'Neill, aber da sie ihn nicht sah und hörte, hätte sie ihm auch nicht helfen können, wenn ihm etwas zugestoßen wäre. Mit einem Mal stutzte Daniel, als ihm etwas bewusst wurde, was eigentlich unmöglich war. Er trat an eine Wand und streckte einen Arm aus. Seine Hand drang auch hier mühelos in den massiven Beton ein. Erneut fühlte es sich an, als ob er in Wasser greife. Wenn er aber jede feste Materie durchdringen konnte, wie war es dann möglich, dass er sich bei dem Sturz wehgetan hatte? Wieso konnte er überhaupt normal gehen und laufen, statt bei jedem Schritt in den Boden einzusinken? Er stampfte fest mit dem Fuß auf, und wäre erneut fast gestürzt, als er diesmal tatsächlich ein Stück einsank, allerdings fühlte sich der Boden dennoch wesentlich fester an als die Wände. Offenbar handelte es sich um ein physikalisches Phänomen, für das ihm im Moment jede Erklärung fehlte. Aber schließlich konnte er sich ganz allgemein nicht erklären, was überhaupt mit ihm geschehen war. Es musste mit dem Kristallschädel zusammenhängen. Sein Großvater hatte behauptet, es handele sich um eine Art Transportsystem, aber -99-
das stimmte offensichtlich nicht. Der Schädel hatte ihn nicht an einen anderen Ort gebracht, sondern ihn in eine Art Geist verwandelt, den niemand sehen oder hören konnte. Für einen kurzen Moment wurde Daniel von der Vorstellung gequält, dass er genau das sein könnte: dass er tot wäre, nicht mehr als ein Spuk, aber er verdrängte diesen Gedanken sofort wieder. Er selbst spürte seinen Körper ganz normal, er trug noch seine Kleidung und auch seine gesamte Ausrüstung. Auch die Reetou waren unsichtbar, und dennoch waren sie lebendig. Genau deshalb war er mit den anderen schließlich nach QRT-657 gereist, angetrieben von der Hoffnung, das unbekannte Volk der Giganten könnte ihnen einen Weg zeigen, wie sie die Reetou in praktikablerer Form sichtbar machen könnten, als nur mit den TLS der Tok'ra. Immerhin sollten auch diese Giganten in verschiedenen Realitätsphasen leben. Eine ähnliche Verwandlung musste mit ihm passiert sein. Er war kein substanzloser Geist, sondern sein Körper war bis in den molekularen Bereich so verändert worden, dass er ähnlich wie die Reetou in einer für normale Menschen nicht wahrnehmbaren Phasenstruktur lebte. Wenn es doch nur einen Weg gäbe, wie er den anderen mitteilen könnte, was mit ihm geschehen war, dass er nicht an einen anderen Ort versetzte worden war, sondern sich mitten unter ihnen befand. Möglicherweise würde er sichtbar werden, wenn er direkt in den Erfassungsbereich eines TLS geriet, aber er bezweifelte es. Wie Jakob Carter erklärt hatte, isolierte ein TLS lediglich die Strahlung der Reetou, die den Symbionten Unbehagen bereitete, und machte die Wesen dadurch sichtbar. Diese Strahlung jedoch sandte er nicht aus, sonst hätte Teal'c seine Gegenwart auf QRT-657 spüren müssen. Allerdings... Ihm kam eine andere Idee. Da er feste Materie durchdringen konnte, dies den Reetou nach Aussage Selmaks aber nicht -100-
möglich war, befand er sich zwar anscheinend nicht in genau derselben Realitätsphase wie sie. Dennoch war vorstellbar, dass die Reetou, die sich bei Charlie befand, ihn sehen und hören konnte. Sam und O'Neill waren mittlerweile auf Tragen gelegt worden und wurden vom Transportraum in die Krankenstation gebracht. Lediglich Teal'c ging aus eigener Kraft. Daniel wusste nicht, was mit ihnen passiert war. Vielleicht handelte es sich um eine Nebenwirkung dessen, was mit ihm passiert war. Sie hatten weiter als er von dem Schädel entfernt gestanden, und der Prozeß war unterbrochen worden, als Teal'c auf den Schädel schoss. Deshalb waren sie nicht wie er in eine andere Phase versetzt worden, sondern die Strahlung hatte sie nur geschwächt. Daniel schloss sich ihnen an, überholte sie im Korridor und ging ihnen voraus zur Krankenstation. Geschlossene Türen stellten dabei für ihn überhaupt kein Problem dar. Beim ersten Versuch spürte er noch Unsicherheit und etwas Angst, aber das änderte sich, als er feststellte, dass er tatsächlich ohne irgendwelche Schwierigkeiten hindurchgehen konnte. Im Gegensatz zu den anderen war sein Ziel nicht das Untersuchungslabor, sondern Charlies Krankenzimmer. Auch hier trat er durch die geschlossene Tür und blickte sich rasch um. Der Junge schlief, doch etwas anderes war für ihn viel wichtiger. Sein Herz machte einen freudigen Sprung, als er wie erhofft in einer Ecke die insektoide Scheußlichkeit sehen konnte, die schon zuvor durch den TLS der Tok'ra kurz sichtbar gemacht worden war. Umgekehrt war es offenbar ebenso, und an der Art seines Eindringens erkannte die Reetou, dass mit ihm etwas nicht stimmte, denn sie gestikulierte wild mit ihren Gliedmaßen. Dazu stieß sie schrille Laute aus, die wie eine Mischung aus Zischen und Pfeifen klangen. Zum Zeichen, dass er keine bösen Absichten hegte, breitete -101-
Daniel die leeren Hände aus. »Du kannst mich sehen, also kannst du mich wahrscheinlich auch hören«, sagte er. »Die anderen Menschen hier können es nicht, da ich offenbar in eine phasenverschobene Realität versetzt worden bin. Du musst ihnen sagen, was mit mir passiert ist, denn sie glauben, ich wäre an einen anderen Ort versetzt worden.« Die Reetou hatte geschwiegen, während er sprach, demnach hörte sie ihn anscheinend wirklich. Ob sie ihn auch verstand, war eine andere Frage, zumindest war sie nicht in der Lage, ihm verständlich zu antworten. Stattdessen stieß sie erneut einige pfeifende Laute aus. Enttäuscht stellte Daniel fest, dass er so nicht weiterkam. Er trat an Charlies Bett und rüttelte den Jungen leicht an der Schulter. Dabei rief er seinen Namen, doch Charlie reagierte nicht. Er schlief nicht nur, sondern lag in tiefer Bewusstlosigkeit. Dennoch gab Daniel nicht auf, sondern rüttelte ihn noch etwas fester, bis er sich plötzlich von hinten gepackt und zurückgerissen fühlte. Die Reetou musste über ungeheure Körperkräfte verfügen, denn obwohl sie ihm nur einen fast beiläufigen Schubs mit einem ihrer Tentakel versetzte, taumelte er mehrere Meter weit und wäre fast gestürzt. In eindeutig drohender Manier stellte sie sich zwischen ihn und Charlies Bett. »Schon gut, ich habe kapiert«, sagte Daniel. Sie wollte den Jungen schützen, weil sie seinen Versuch, ihn zu wecken, entweder als Angriff missverstanden hatte, oder weil er zu schwach war, um aufzuwachen. Damit fiel seine wahrscheinlich aussichtsreichste Chance, den anderen etwas über seinen Zustand mitzuteilen, aus, zumindest vorläufig. Er konnte nur hoffen, dass der Junge nicht starb oder dauerhaft in ein Koma fiel. Falls er hingegen irgendwann aufwachte, würde Daniel durch ihn mit Dr. Fraiser oder wem auch immer kommunizieren können. -102-
Momentan jedoch konnte er hier nichts tun. Er verließ den Raum und ging zum nur wenige Zimmer entfernt liegenden Untersuchungslabor hinüber, wo er wie erwartet die anderen Mitglieder von SG-1 sowie Dr. Fraiser und auch Jakob Carter vorfand. Sam und O'Neill waren noch bewusstlos, doch Fraiser erklärte gerade, dass die Strahlung ihnen keine dauerhaften Schäden zugefügt hatte. Ein wenig erleichtert verließ Daniel das Labor wieder, da er nicht untätig herumstehen und warten wollte. Stattdessen machte er sich auf den Weg zu Hammonds Büro. Falls irgendetwas passierte, würde er es dort erfahren, denn man würde den General sicherlich als ersten benachrichtigen.
2 Als Daniel das Büro betrat, war Hammond in einige Akten vertieft, in denen er von Zeit zu Zeit Vermerke machte. Daniel trat direkt hinter ihn und warf ebenfalls einen Blick in die Papiere, doch es handelte sich nur um irgendwelche nebensächlichen Verwaltungsformalitäten. Auch der General war offenkundig nicht richtig bei der Sache, denn wie Daniel feststellte, unterliefen ihm mehrere Flüchtigkeitsfehler. Außerdem blickte er immer wieder auf und ließ seinen Blick gedankenverloren ins Nichts schweifen. Wahrscheinlich hatte er sich die Akten nur vorgenommen, um sich mit irgendetwas zu beschäftigen und sich von den aktuellen Problemen abzulenken. Als er das Herumstehen satt hatte, setzte Daniel sich auf einen der Besucherstühle. Halb befürchtete er, durch die gepolsterte Sitzfläche zu rutschen, doch das geschah nicht. Er konnte sitzen, obwohl er sicher war, dass er durch den Stuhl greifen oder hindurchgehen könnte, wenn er dies versuchte. Es war verrückt. Er war in den Sog unbegreiflicher Phänome ne geraten und zu ihrem Spielball geworden. -103-
Nach einigen Minuten klingelte das Telefon. Hammond nahm den Hörer ab und meldete sich. Zu Daniels Enttäuschung handelte es sich jedoch um einen rein privaten Anruf von Hammonds neunjähriger Enkelin. »Nein, mein Schatz, ich habe deine Schulaufführung morgen Abend nicht vergessen«, beteuerte der General. »Aber ich werde vermutlich trotzdem nicht hinkommen können, so Leid es mir auch tut. Wir haben zur Zeit sehr viel Arbeit hier. Ich weiß, dass du enttäuscht bist, aber es geht wirklich nicht. Weißt du, ein Freund von mir ist verschwunden, ein sehr guter Freund, und wir müssen alles daransetzen, ihn zu finden. Ja, mein Schatz, ich habe dich auch lieb. Gib deiner Mami einen KUSS von mir.« Es war Daniel ein wenig peinlich das private Gespräch mit anzuhören, und noch peinlicher war es ihm zu sehen, wie der General sich eine Träne aus den Augenwinkeln rieb, nachdem er aufgelegt hatte. Zudem berührte es ihn zutiefst, von Hammond als Freund bezeichnet worden zu sein, gerade weil dieser sich gewöhnlich so schroff und militärisch diszipliniert zeigte und seine Gefühle verbarg. Weitere Minuten verstrichen, bis schließlich O'Neill in Begleitung von Teal'c das Büro betrat. Hastig stand Daniel auf, bevor der Jaffa sich auf ihn setzen konnte. Sie würden sich zwar gegenseitig nicht spüren, dennoch bereitete ihm der Gedanke, am gleichen Ort wie jemand anders zu sein, Unbehagen. In ohnmächtiger Hilflosigkeit musste er mitanhören, wie O'Neill von seinem Verschwinden auf QRT-657 berichtete und die Vermutung äußerte, der Kristallschädel hätte ihn an einen anderen Ort transportiert. Am liebsten hätte er ihnen zugebrüllt, dass er hier sei, direkt bei ihnen. Warum auch hatte er ihnen Nicks blödsinnige Behauptungen über eine Ortsversetzung erzählt? Damit hatte er sie auf eine falsche Fährte gelockt, denn an eine Phasenverschiebung, wegen der sie eigentlich nach QRT-657 gereist waren, dachte nun keiner mehr. Schlimmer noch, zumindest vorläufig würden nicht einmal irgendwelche -104-
Anstrengungen unternommen werden, um nach ihm zu suchen. Zornig starrte er General Hammond an, als dieser verkündete, dieses Problem müsse zunächst einmal zurückstehen. Handelte es sich hier wirklich um denselben Mann, der ihn vor wenigen Minuten seiner Enkelin gegenüber noch als Freund bezeichnet hatte? Daniel seufzte. Er würde also wirklich warten müssen, bis Charlie wieder zu sich kam. Das Gespräch wandte sich den Reetou und der Bombe in Cassandras Körper zu. Daniel runzelte die Stirn, als die Frage aufkam, was die Reetou damit überhaupt erreichen wollten. Darüber hatte er bislang selbst noch nicht nachgedacht. Es schien auf der Hand zu liegen, dass sie möglichst viel Schaden anrichten wollten, wenn sie vorhatten, die Menschheit auszurotten, und dass dabei die einzige Verbindung der Erde zu anderen Welten ein bevorzugtes Ziel darstellte. Auch Teal'cs Erklärung, dass sie anschließend die Zeit hätten, mit einem Raumschiff voller biologischer Waffen zur Erde zu fliegen, selbst wenn sie dafür jahrelang unterwegs wären, klang recht einleuchtend, dennoch störte Daniel etwas daran. Er hatte das Gefühl, dass sie alle etwas Wesentliches übersahen, und dass die wahre Erklärung zum Greifen nahe lag. Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er nur am Rande wahrnahm, wie O'Neill, Teal'c und General Hammond das Büro verließen. Zwar wäre den Reetou-Rebellen tatsächlich ein bedeutender Schlag gelungen, wenn sie die Erde durch die Zerstörung des Sternen-Tores von jeglichem Kontakt mit anderen Zivilisationen abschnitten. Allerdings versperrten sie auf diese Art auch sich selbst jeden Zutritt. Den gleichen Effekt hätten sie erreichen können, wenn sie durch das Tor einen geballten Angriff gegen die Basis geführt hätten. Unbemerkt hätten sie hier eindringen können, und da sie durch ihre Unsichtbarkeit kaum zu -105-
bekämpfen waren, wäre es ihnen wahrscheinlich gelungen, die Basis binnen kürzester Zeit in ihre Gewalt zu bringen. Anschließend hätten sie eine regelrechte Invasion der Erde durchführen können, die ebenfalls weitgehend unbemerkt geblieben wäre. Daniel zweifelte nicht daran, dass es ihnen gelungen wäre, die Kontrolle über das amerikanische Atomwaffenarsenal zu erlangen, ebenso wie über das anderer Nationen. So hätten sie einen nuklearen Völkermord auslösen können, und ihr Ziel, die Auslöschung der Menschheit, damit erreicht. So wäre er anstelle der Reetou-Rebellen vorgegangen. Warum aber hatten sie auf diese naheliegende Möglichkeit verzichtet? Lag es nur daran, dass sie eine völlig andere Art zu denken hatten, oder verfolgten sie einen anderen, noch heimtückischeren Plan? Der zentrale Punkt ihres Vorgehens war die Zerstörung des Sternen-Tores durch die Bombe, und damit... Daniel zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag bekommen. Wie elektrisiert ging er im Zimmer auf und ab. Er wusste jetzt, was sie alle bislang übersehen hatten. Sie waren davon ausgegangen, dass die Reetou sich selbst jeden Zugang zur Erde veschließen würden, wenn sie die Basis und damit das Sternen-Tor zerstörten. In Wahrheit jedoch mussten sie sich wesentlich besser mit den Gegebenheiten hier auskennen, als bislang geglaubt, denn es gab noch ein zweites Sternen-Tor auf der Erde, und davon mussten sie wissen. Durch Zufall hatte SG-1 es vor geraumer Zeit bei einer missglückten Rückkehr von einer Mission entdeckt. Durch eine Überlastung war das Tor in der Basis vorübergehend ausgefallen, weshalb der Transport sie zum zweiten Tor geführt hatte, das sich im ewigen Eis der Antarktis befunden hatte. Wenn nun die Basis zerstört wurde, würde auch jeder weitere Transport automatisch zum zweiten Sternen-Tor umgeleitet -106-
werden. Allerdings stand es mittlerweile nicht mehr in der Antarktis, sondern war in einen geheimen militärischen Stützpunkt in Arizona gebracht worden. Dort hatte man es auf Anordnung des Präsidenten in seine Einzelteile zerlegt und hielt es unter Verschluss. Nachdem Colonel Mayborne versucht hatte, es für seine eigenen Zwecke zu benutzen, hatte General Hammond zusammen mit SG-1 persönlich der Demontage beigewohnt. Deshalb wusste Daniel, wo es sich befand und wo genau der Stützpunkt lag. Um das zweite Sternen-Tor benutzen zu können, mussten die Reetou es zunächst in einen funktionsfähigen Zustand zurückversetzen, doch war es deutlich weniger gesichert, als die Basis, weil man dort keinen Angriff Außerirdischer erwartete. Dadurch stellte es ein noch wesentlich idealeres Sprungbrett für eine Invasion dar. Daniel lief es eiskalt über den Rücken. Es gab für ihn keinen Zweifel, dass bereits mindestens ein Terrorkommando der Reetou-Rebellen zu dem Stützpunkt in Arizona unterwegs war, um das dortige Sternen-Tor in ihre Gewalt zu bringen und es zusammenzubauen. Niemand außer ihm schien diese Gefahr bislang erkannt zu haben, und er besaß keine Möglichkeit, jemanden darauf aufmerksam zu machen. Ihm blieb nur eine einzige Möglichkeit: Er musste selbst nach Arizona reisen und im Alleingang versuchen, die Reetou an der Ausführung ihres Vorhabens zu hindern.
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KAMPF UM DIE BASIS 1 »SG-4 ist jetzt genau fünf Minuten über die verabredete Zeit«, teilte der diensthabende Techniker mit. »Das gefällt mir nicht.« Durch das Panoramafenster des Kontrollraums starrte General Hammond den Ring des SternenTores so intensiv an, als könne er ihn auf diese Art dazu zwingen, das Transportfeld aufzubauen. »Major Campbell ist ein äußerst zuverlässiger Mann. Er verspätet sich nicht so einfach ohne triftigen Grund.« »Ich weiß. Hinter seinem Rücken werden über seine Pedanterie des öfteren Witze gerissen«, ergänzte O'Neill. »Glauben Sie, dass dem Team etwas zugestoßen ist?« »Ich will es nicht hoffen, aber möglich ist alles. Im Moment bin ich ziemlich nervös.« Er hatte kaum ausgesprochen, als die Generatoren des unterirdischen Kraftfelds ansprangen. »Hereinkommender Transport«, kommentierte der Techniker und schloss die Iris, ohne dass es eines weiteren Befehls bedurfte. Anders als zuvor genügte dazu kein einfacher Knopfdruck, sondern er musste mit der ganzen Hand auf eine gut zwanzig Zentimter durchmessende Taste drücken. Hier, am empfindlichsten Punkt der gesamten Basis, war zuallererst einer der Fingerabdruckscanner eingebaut worden. Gleich darauf erstrahlte hinter der Blende bläuliches Licht. »Das dürften sie wohl sein«, murmelte Hammond, doch er klang noch nicht restlos überzeugt. »Ich empfange das Transpondersignal von SG-4«, meldete der Techniker. »Iris öffnen!« Die Erleichterung in Hammonds Stimme war -108-
unverkennbar. Die Blende glitt auseinander. Nur wenige Sekunden später traten fünf Männer aus dem Transportfeld heraus. Zwei von ihnen stützten einen weiteren, dessen Schienbein bandagiert war. »SG-4 meldet sich zurück.« Major Campbell, der als erster durch das Sternen- Tor gekommen war, salutierte übertrieben zackig in Richtung des Generals. Er war ein großer, kräftiger Mann Anfang Vierzig mit einem kantigen Gesicht und strohblondem Haar. Bei seinem Anblick fühlte O'Neill sich immer an den Quarterback seiner FootballMannschaft auf dem College erinnert. Während der Techniker ein Sanitätsteam zum Sternen-Tor bestellte, folgte O'Neill dem General in den Transportraum hinunter. »Willkommen zurück«, begrüßte Hammond die Männer. »Sie haben sich verspätet, Major, und Bensley ist augenscheinlich verletzt. Was ist geschehen?« »Nichts von Bedeutung, Sir.« Campbell wirkte leicht verlegen. »Auf dem Rückweg zum Sternen- Tor ist Bensley gestürzt und hat sich das Bein an einem Felsbrocken aufgeschlagen. Deshalb brauchten wir ein wenig länger.« »Sonst hatten Sie keine Schwierigkeiten?« »Nein, Sir. Es war eine simple Routineexpedition. Allerdings habe ich eine gute Nachricht. Es gibt auf M6S-728 definitiv Naquadah. Die Proben, die die Sonde aufgespürt hat, waren kein Zufallstreffer. Wir haben mehrere unterirdische Adern anpeilen können, doch wie reichhaltig sie sind, darüber kann ich nichts sagen. Ansonsten haben wir die Umgebung des Sternen-Tores weiträumig erkundet, ohne auf irgendwelche Spuren von Leben zu stoßen. Die Wüste scheint sich in jede Richtung Hunderte von Kilometern weit auszubreiten. Es dürfte also kein Problem sein, das Naquadah dort abzubauen, ohne in einen eventuellen -109-
Konflikt mit Bewohnern des Planeten zu geraten.« Er zögerte einen Moment, dann fügte er hinzu: »Gibt es einen besonderen Grund für Ihre Besorgnis, Sir?« »Den gibt es«, bestätigte General Hammond. »Seit gestern ist hier einiges passiert, aber darüber werde ich Sie später informieren. Ihre Leute sollen sich frisch machen, wir treffen uns zu einer offiziellen Besprechung in...« Er kam nicht dazu auszusprechen, denn in diesem Moment zerbarst ein Dutzend Meter hinter ihm das als unzerstörbar geltende Panoramafenster aus zollstarkem, speziell gehärtetem Glas des Kontrollraums in einer donnernden Explosion.
2 Nachdem O'Neill und General Hammond den Kontrollraum verlassen hatten, war sich Teal'c unschlüssig, was er als nächstes tun sollte. Die Strahlung auf QRT-657 war auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen. Sein Symbiont hatte zwar seinen Körper geschützt, doch hatte es ihn viel seiner eigenen Kraft gekostet. Medikamente oder Stärkungsmittel, wie Dr. Fraiser sie verabreichte, konnten ihm nicht helfen, deshalb hatte er ihr gegenüber nichts davon erwähnt. Die Goa'uld-Larve war einfach nur erschöpft. Eine spezielle Meditation würden diese Schwäche beseitigen, dennoch zögerte Teal'c, sich in sein Quartier zu begeben. Die Meditation würde mehrere Stunden dauern, in denen er nicht einsatzfähig wäre. Sollte in dieser Zeit etwas geschehen, das es nötig machte, ihn aus seiner Trance zu wecken, würde sich die Wirkung ins Gegenteil verkehren, und er wäre noch mehr geschwächt. Während er noch überlegte, betrat Takaar, der Tok'ra, der mit Selmak zusammen zur Erde gekommen war, den Kontrollraum und blickte sich suchend um. »Wo finde ich General Hammond?«, erkundigte er sich -110-
knapp. Von seinem Platz an der Tür aus, konnte er nicht in den Transportraum hinunterblicken. »Ich habe jetzt die gesamte Basis durchsucht und keinen Hinweis auf die Anwesenheit weiterer Reetou...« Er brach ab, und ein überraschter Ausdruck glitt über sein Gesicht. Im gleichen Moment fühlte auch Teal'c Unbehagen in sich aufsteigen, und er spürte, wie sein Symbiont plötzlich nervös wurde. »Eine dieser Kreaturen befindet sich hier im Raum!«, stieß Takaar hervor. Er zog seinen TLS aus dem Gürtel, aktivierte ihn und schwenkte den Suchstrahl langsam durch den Raum. In einer Ecke wurde das Ungeheuer für Bruchteile von Sekunden sichtbar, doch noch bevor Takaar abdrücken konnte, schoss eine Art bläulicher Kugelblitz aus der Waffe des Reetou hervor. Die Plasmaladung streifte den Kopf des Technikers, dann traf sie den Tok'ra in die Brust, durchschlug seinen Körper und ließ die Panzerglasscheibe des Panoramafensters explodieren. Takaars Körper wurde inmitten des Scherbenregens in den Transportraum geschleudert, wo er einige Meter tiefer auf dem Boden aufschlug. Reaktionsschnell ging Teal'c hinter einem Kontrollpult in Deckung. Er war waffenlos, aber der TLS war dem sterbenden Tok'ra aus der Hand geglitten und lag etwa vier Meter entfernt auf dem Boden. Mit bloßen Händen war er gegen die Energiewaffe des Reetou hilflos, zumal er nicht einmal sah, wo sich die Kreatur im Moment befand. Er brauchte den TLS, wenn er überhaupt noch eine Chance haben wollte. Teal'c zögerte nicht länger, sondern sprang mit einem Satz hinter seiner Deckung hervor. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt. Er blockte seine Gedanken ab, ließ sich ganz von seinen Instinkten leiten, wie es ihm sein früherer Lehrmeister Bra-Tac im Training beigebracht hatte. Ein weiterer Plasmaschuss verfehlte ihn nur knapp und riss -111-
hinter ihm ein Loch in die Wand. Teal'c rollte sich über die Schulter ab. Mit der rechten Hand bekam er den TLS zu packen. Noch in der Bewegung richtete er ihn auf die Stelle, von wo der Plasmaschuss gekommen war. Der Transphasen-Laser riss den Reetou aus dem Schutz der Unsichtbarkeit. Teal'c drückte den Abzug. Ein Energiestoß traf das Ungeheuer und ließ es regelrecht explodieren, als ob es von einer Handgranate zerrissen worden wäre. Mit einem raschen Rundumschwenk des TLS vergewisserte Teal'c sich, dass sich keine weiteren Reetou in seiner Nähe befanden, dann erst richtete er sich keuchend auf. Alles hatte nicht länger als zwei, höchstens drei Sekunden gedauert, und der Schreck saß ihm noch in den Gliedern, doch er ließ nicht zu, dass sein Handlungsvermögen dadurch beeinträchtigt wurde. Mit der Hand hieb er auf den Alarmknopf. Ein an- und abschwellender Sirenenton hallte durch die Basis. Der Techniker war über seinem Pult zusammengebrochen. Teal'c untersuchte ihn rasch, konnte aber nichts mehr für ihn tun. Der Mann war tot, seine rechte Kopfhälfte, wo ihn die Plasmaladung gestreift hatte, nur noch eine verschmorte Wunde. Kurz darauf stürmten O'Neill und General Hammond in den Kontrollraum. »Was ist passiert?«, fragte der General aufgeregt. »Ein Reetou«, berichtete Teal'c. Zumindest nach außen hin wirkte er wieder so ruhig, als wäre nichts passiert. »Die Kreatur hat anscheinend versucht, sich hier vor Takaar zu verstecken. Als der Tok'ra den Raum betrat, musste sie zurückweichen, aber sie war uns so nah, dass unsere Symbionten sie gespürt haben. Der Reetou hat Takaar und den Techniker mit einer Plasmawaffe getötet, bis ich schließlich das Ungeheuer mit dem TLS vernichten konnte.« »Demnach hat die Durchsuchung der Basis nicht viel genützt. Es ist möglich, dass sich noch weitere Reetou hier versteckt halten«, stellte Hammond mit deutlichem Entsetzen fest. Er trat -112-
an ein Kontrollpult und tippte einen Zahle ncode ein. Das Heulen der Alarmsirene verstummte. »Na dann prost Mahlzeit«, kommentierte O'Neill. Unsicher blickte er sich um. »Ist keine angenehme Vorstellung, dass aus dem Nichts heraus urplötzlich ein unsichtbares Wesen auf einen schießen könnte.« Zusammen mit einigen Sicherheitsleuten kamen Sam und Jakob Carter in den Kontrollraum geeilt. Teal'c wiederholte noch einmal, was sich zugetragen hatte. Jakob reagierte vor allem auf den Tod Takaars zutiefst betroffen. Durch das zerstörte Fenster warf er einen Blick in die Tiefe. In Brust und Unterleib des Toten klaffte ein fast fußballgroßes Loch. Auch der Symbiont hatte keine Chance gehabt, seinen Wirt zu überleben. »Es ist unwahrscheinlich, dass es sich nur um einen einzelnen Reetou gehandelt hat«, sagte er. »Sie agieren immer in Grüppchen aus fünf bis zehn Terroristen. Wir müssen die Basis noch einmal durchsuchen, um die anderen zu finden.« »Und das ziemlich schnell«, ergänzte O'Neill. »Ich erinnere mich da eine Bombe, die in ein paar Stunden hier alles in die Luft jagt.« »Wir können Cassandra erst wegbringen, wenn wir mit absoluter Sicherheit wissen, dass sich keine Reetou mehr hier aufhalten, die auf diese Art ins Freie gelangen könnten«, bestätigte Hammond. »Selbst wenn die Zeitsperre abgelaufen ist, werde ich die Sicherheitsschotts nicht öffnen lassen, solange die Gefahr besteht, dass sich hier noch einige dieser Kreaturen herumtreiben. Die möglichen Folgen wären einfach zu schrecklich.« »Auch wenn es Ihren Tod und den Ihrer Leute bedeuten würde?«, hakte Carter nach. »Ich hoffe, dass es gar nicht soweit kommt«, erklärte Hammond ausweichend. »Zur Not könnten wir immer noch kurz -113-
vor der Explosion durch das Sternen-Tor auf eine andere Welt flüchten.« »Sie wären bei den Tok'ra jederzeit willkommen«, bot Carter an. »Aber Sie haben Recht; hoffen wir, dass eine Evakuierung nicht nötig sein wird. Sagen Sie mir eins, George: Ist seit der Expedition von SG-1 nach QRT-657 das Sternen-Tor noch einmal aktiviert worden?« »SG-4 ist vor wenigen Minuten von einer zweitägigen Routinemission zur Basis zurückgekehrt«, bestätigte der General. »Das habe ich befürchtet. Gab es während dieser Mission irgendwelche Probleme?« »Außer dass ein Mann gestürzt ist und sich das Schienbein aufgeschlagen hat, nicht. M6S-728 scheint unbewohnt zu sein, zumindest gibt es in der Nähe des Sternen-Tores kein Leben. Major Campbell, der Kommandant von SG-4, kann Ihnen genauere Auskünfte geben, wenn Sie es wünschen. Warum fragen Sie, Jakob? Sie glauben doch nicht...« Er ließ den Rest des Satzes unausgesprochen. »Ich glaube gar nichts«, entgegnete Jakob Carter. »Aber Takaar war bei allem stets äußerst gewissenhaft, und ich frage mich, wie ein Reetou ausgerechnet hier, im Kernbereich der Basis, seiner Suche entgehen konnte. Es sei denn, der Reetou ist erst hergekommen, nachdem er diese Sektion durchsucht hat. Zeigen Sie mir die Koordinaten der Welt, auf der sich SG-4 aufgehalten hat.« Sam trat an eines der Terminals und suchte aus der Datenbank die entsprechenden Informationen heraus. Das Gesicht ihres Vaters verhärtete sich, während er die Symbole musterte. »M6S-728 liegt nur wenige Dutzend Lichtjahre vom Kernbereich des Reetou-Territoriums entfernt«, teilte er mit. »Das muss nichts zu bedeuten haben, da die Reetou durch das Sternen-Tor jede beliebige Welt erreichen können, aber es -114-
bestärkt mich auf jeden Fall noch in meinem Verdacht. Ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass die Reetou von dort gekommen sind, für recht hoch. Vielleicht haben sie erfahren, dass wir gewarnt worden sind, und sind gekommen, um sicherzustellen, dass ihre Bombe auch wirklich explodiert.« »Mein Gott«, murmelte General Hammond. Er wurde eine Spur blasser im Gesicht. »Wir hoffen, auf M6S-728 Naquadah abbauen zu können. Deshalb haben wir das Sternen-Tor dorthin mehrfach in den letzten Ta gen geöffnet und minutenlang offen gehalten, da wir einiges an Material hinschaffen mussten. Wenn Sie Recht haben, Jakob, dann könnten in dieser Zeit bereits unzählige Reetou unbemerkt hierher gelangt sein, und zwar schon bevor ich die Sicherheitsschotts habe schließen lassen.« »Wir sollten uns mal mit den TLS dort umsehen«, schlug O'Neill vor. »Wenn sich herausstellt, dass diese Biester wirklich von dort kommen, waren sämtliche Sicherheitsvorkehrungen umsonst, und wir müssen davon ausgehen, dass einige Reetou bereits irgendwo da draußen herumlaufen und Terroranschläge vorbereiten.« »Malen Sie den Teufel nicht an die Wand.« Harnmond biss die Zähne zusammen. »Wir werden zunächst die Basis noch einmal gründlich durchsuchen, um sicherzustellen, dass sich keine weiteren Reetou hier befinden. Erst anschließend werden Sie mit einem Aufklärungstrupp die Lage auf M6S-728 erkunden.«
3 General Hammond hatte die höchste Alarmstufe über die Basis verhängt. Das gesamte Personal war aufgefordert worden, in den Quartieren beziehungsweise am jeweiligen Arbeitsplatz zu bleiben und alle Türen zu verschließen. Jakob Carter hatte erklärt, dass er in der Kürze der Zeit -115-
bedauerlicherweise keine weiteren TLS herbeischaffen könne, so dass sie mit den beiden Waffen auskommen mussten, die er mit zur Erde gebracht hatte. Da es sich um die einzigen Geräte handelte, mit denen die Reetou sichtbar gemacht werden konnten, und der Kampf gegen einen unsichtbaren Feind ein schier aussichtsloses Unterfangen darstellen würde, waren auch nur zwei Suchtrupps gebildet worden. O'Neill befehligte den ersten von ihnen. Bei ihm befanden sich noch Teal'c sowie zwei schwerbewaffnete Eiitesoldaten von den Marines. Jakob Carter hatte es sich nicht nehmen lassen, den zweiten Trupp persönlich anzuführen, allerdings hatte er die Kontrolle über seinen Körper Selmak überlassen, da der Goa'uld schneller und kompromissloser zu handeln verstand und mit der Gefahr besser vertraut war. Darüber hinaus besaß er die Fähigkeit, die Gegenwart eines Reetou frühzeitig zu spüren. Außer von Sam wurde auch er von zwei weiteren Marines begleitet. Nicht nur die massiven Schotts an den Ausgängen blieben versperrt, sondern auch sämtliche Sicherheitsschotts zwischen den einzelnen Abteilungen und Stockwerken der Basis waren geschlossen worden. So konnten die Trupps eine Sektion nach der anderen durchkämmen, ohne dass die Reetou die Möglichkeit besaßen, vor ihnen in einen anderen Bereich auszuweichen. Selmak vertrat die Ansicht, dass sich nur ein Trupp Reetou in der Basis aufhielt, höchstens zwei. Anderenfalls würden sie sich nicht versteckt halten, sondern hätten bereits offen zugeschlagen, um möglichst viel Schaden zu verursachen. Demzufolge hatten sie es also entweder nur noch mit fünf oder höchstens zehn der Kreaturen zu tun, von dene n eine bereits von Teal'c getötet worden war. Nur noch, wiederholte O'Neill in Gedanken. Nur höchstens neun Feinde, die ihnen waffentechnisch, an Schnelligkeit und auch an bloßer Kraft überlegen waren und zudem noch -116-
unsichtbar. Hinter jedem Hindernis, hinter jeder Gangbiegung konnte eines dieser Biester lauern. Er konnte den TLS nicht auf jede Stelle zugleich richten, und die Vorstellung, dass jeden Moment eine der Kreaturen mit ihrer Waffe auf ihn zielen konnte, ohne dass er es auch nur wusste, war alles andere als angenehm. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Als sie sich einer Gangbiegung näherten, krümmte Teal'c sich plötzlich zusammen. »Vorsicht! Reetou sind in der Nähe«, schrie er. O'Neill bedeutete den anderen, hinter ihm zurückzubleiben, und spähte selbst vorsichtig um die Ecke. Als er den TLS in den Gang dahinter richtete, wurden wie aus dem Nichts zwei der Kreaturen sichtbar, die den Korridor entlang auf ihn zugestürmt kamen. Auch sie hatten ihn entdeckt. Einer von ihnen feuerte seine Plasmawaffe ab. Hastig zog O'Neill seinen Kopf wieder zurück. Das bläuliche Energiegeschoss raste an ihm vorbei und zerfetzte einige Meter hinter ihm die Wandverkleidung. Er beugte sich wieder vor, zielte mit dem TLS auf den vordersten Reetou und drückte ab. Die Kreatur wurde auseinandergerissen, regelrecht atomisiert. »Wow«, machte O'Neill, beeindruckt von der starken Wirkung der Waffe. Er schwenkte sie etwas herum, um auf den zweiten Reetou zu zielen, doch ehe er abdrücken konnte, wich das Ungeheuer in einen Seitengang aus. »Los, vorwärts!«, befahl er. Als sie die Abzweigung erreichten, war im Gang dahinter von dem Reetou nichts mehr zu entdecken. Sie schraken zusammen, als das Licht plötzlich erlosch. Allerdings wurde es nicht völlig dunkel, da der von der Mündung auseinanderfächernde Strahl des TLS ein mattes rotes Licht verbreitete. Gleich darauf sprang die von einem unabhängigen Generator gespeiste Notbeleuchtung an, die weitaus gedämpfter als das normale Licht war. -117-
»Wenn die Biester glauben, dass sie uns im Dunkeln stehenlassen können, haben sie sich getäuscht«, brummte O'Neill. »Im Grunde haben sie uns unfreiwillig sogar einen Gefallen getan«, ergänzte Teal'c. »So sind sie im Strahl des TLS noch weitaus besser zu erkennen.« Vorsichtig näherten sie sich der Ab zweigung. Der Gang dahinter war leer, beschrieb aber nach etwa zehn Metern einen Knick. Als sie gerade erst einige Schritte in den Korridor gemacht hatten, tauchte der Reetou am anderen Ende hinter der Biegung auf und begann sofort zu feuern. O'Neill warf sich zur Seite, und auch Teal'c und einer der Soldaten taten es ihm gleich. Der zweite Soldat war um den Bruchteil einer Sekunde langsamer. Die Plasmaladung traf ihn in die Brust. Er war schon tot, ehe er zurückgeschleudert wurde und auf dem Boden aufschlug. Durch die hastige Bewegung hatte O'Neill den TLS nicht mehr auf den Reetou gerichtet halten können, und das Ungeheuer wurde wieder unsichtbar. Dennoch feuerte Teal'c seine Stablanze auf die Stelle ab, wo es sich gerade befunden hatte. Der Energieblitz schien mitten im Nichts zu explodieren, ein sicheres Zeichen, dass er getroffen hatte. Dies bestätigte sich, als O'Neill den TLS wieder auf das Ende des Ganges richtete. Der Reetou war zusammengebrochen. Eine Salve aus dem Gewehr des zweiten Soldaten hämmerte in den Körper des Wesens und tötete es endgültig. Ein Stück hinter der Biegung des Ganges war ein Sicherheitsschott herabgelassen und hatte dem Reetou den weiteren Fluchtweg versperrt, weshalb ihm nichts anderes übrig geblieben war, als umzukehren und sich ihnen zu stellen. O'Neill griff nach seinem Funkgerät und schaltete es ein. »Sektion C-3 gesichert«, berichtete er. »Parker ist tot, aber wir haben zwei Reetou erwischt. Schott 79 kann geöffnet werden.« -118-
Er wartete nicht auf eine Bestätigung, sondern schaltete direkt wieder ab. Aus Sicherheitsgründen war die manuelle Bedienung sämtlicher Schotts blockiert worden; sie konnten nur noch von der Zentrale aus geöffnet werden. Langsam hob sich das schwere Schott vor ihnen. Sie traten in die Sektion, in der sic h auch die Krankenstation befand.
4 Sams Nerven und die ihrer Begleiter waren ebenfalls zum Zerreißen gespannt, während sie Raum um Raum, Korridor um Korridor absuchten. Sie befanden sich nicht allzu weit von O'Neill und seinem Team entfernt. Da die Reetou vermutlich erst vor wenigen Minuten durch das Sternen-Tor gekommen waren, suchten die beiden Gruppen zunächst die Umgebung der Transportkammer ab. Von hier aus würden sie sich in die weiter entfernten Bereiche der Basis vorarbeiten. Aufgrund der überall geschlossenen Sicherheitsschotts war die Bewegungsfreiheit der Reetou-Rebellen stark eingeschränkt. Keiner von ihnen würde bei der systematischen Suche unentdeckt bleiben. Auch Sam hörte die Funkmeldung von O'Neill mit, dass seine Sektion gesichert sei und sie zwei Reetou aufgespürt und getötet hätten. Ihr Team hingegen hatte bislang noch keine Feindberührung gehabt. In ihrer Sektion hatten sich keine Reetou aufgehalten. Über Funk gab sie dieses Ergebnis bekannt und verlangte die Öffnung des Sicherheitsschotts zur angrenzenden Sektion. Das Scharren von Metall ertönte, als es in seiner Laufschiene in die Höhe glitt. »Vorsicht!«, keuchte Selmak plötzlich und krümmte sich zusammen. »Reetou!« Seine Warnung kam zu spät. Das Schott war noch nicht einmal einen halben Meter geöffnet, als ein bläulicher -119-
Energieblitz darunter hervorschoss und die Beine eines der beiden Soldaten traf. Der Mann schrie auf. »Zurück!«, brüllte Sam. Sie zog ihren Vater mit sich, dem die jähe Konfrontation mit dem Reetou so zu schaffen macht e, dass er nur verlangsamt reagierte. Sie brachten sich links von dem Schott in Sicherheit, während der zweite Soldat mit einem Satz rechts davon Deckung suchte. Der Marine, dem das Plasmageschoss die Beine weggerissen hatte, brach zusammen. Ein weiterer Plasmaschuss tötete ihn, noch ehe er auf dem Boden aufschlug. Entsetzt starrte Sam auf den grässlich verbrannten Toten. Selmak beugte sich ein wenig vor und blickte um die Ecke. Ein Plasmageschoss, das dicht neben der Kante in die Wand schlug, zwang ihn, den Kopf rasch wieder zurückzuziehen. »Der Reetou befindet sich am Ende des Korridors«, berichtete er. »Dort gabelt sich der Gang, es gibt je eine Abzweigung nach rechts und nach links.« Er streckte die Hand mit dem TLS vor und gab mehrere ungezielte Schüsse in den Gang ab. Anschließend blickte er noch einmal um die Ecke. »Er ist weg«, teilte er mit. Vorsichtig drangen sie weiter vor. Die ganze Zeit über hielt Selmak den TLS auf das Ende des Korridors gerichtet, um sofort schießen zu können, falls sich der Reetou zeigte, doch unbehelligt erreichten sie die Gabelung. Da sie nicht wussten, in welche Richtung der Reetou geflüchtet war, war die Situation hier besonders kritisch. Selmak bedeutete Sam und dem Soldaten, hinter ihm zurückzubleiben, dann näherte er sic h der rechten Ecke und spähte um sie herum. Der Gang setzte sich noch etwa zehn Meter weit fort und endete dann vor der geschlossenen Tür eines Lifts. Von dem Reetou war nichts zu entdecken, und die Fahrstühle waren alle außer Betrieb gesetzt worden. Sofort richtete Selmak den TLS in die andere Richtung. Hier -120-
erstreckte der Korridor sich ebenfalls etwa zehn Meter weit, ehe er eine Biegung nach rechts machte, und es gab auf beiden Seiten zwei Türen. Von dem Reetou war auch hier nichts zu sehen. »Er muss in diese Richtung gelaufen sein und sich bereits hinter der Biegung befinden«, erklärte Selmak. »Wir hätten es gehört, wenn er eine der Türen geöffnet hätte.« Sie wandten sich nach links und hatten gerade zwei Schritte in den Korridor gemacht, als sich hinter ihnen mit einem leisen Scharren die Türen des Fahrstuhls öffneten. Noch bevor sie sich halb herumgedreht hatten, streifte ein Plasmaschuss Selmaks Schulter, traf dann den Oberkörper des Marine und tötete ihn. Sam riss ihren Vater in die Deckung einer Türnische und hörte, wie sich die Türen des Lifts wieder schlossen. Der TLS war Selmaks Hand entglitten und lag etwa zwei Meter entfernt auf dem Boden. Ohne die Waffe hatte sie keine Möglichkeit herauszufinden, wo sich der Reetou befand. Sie setzte alles auf eine Karte. Flach hechtete sie über den Boden, packte den TLS und warf sich wieder in die Deckung zurück, ohne dass auf sie geschossen wurde. Offenbar befand sich der Reetou noch im Lift. Zwar war der Fahrstuhl blockiert, doch sie hatten vergessen, dass das nicht für die Türen galt. Diese ließen sich trotzdem öffnen und schließen, und sie waren auch nicht mit Fingerabdruckscannern ausgerüstet, sodass ein einfacher Druck auf einen Knopf genügte. Ein Fehler, der sich nun bitter gerächt hatte. »Schnapp ihn dir!«, stieß Jakob Carter mit seiner eigenen Stimme hervor. Sein Symbiont hatte sich zurückgezogen und ihm die Kontrolle über den Körper überlassen, vermutlich eine Reaktion auf die Verletzung. »Erledige diese Bestie!« »Was ist mit dir?« -121-
»Nur ein Streifschuss. Selmak bringt das schon wieder in Ordnung.« Sam wusste, welche starken Heilkräfte ein Symbiont auf den Körper seines Wirtes ausüben konnte. Sie nickte ihrem Vater aufmunternd zu und wartete, bis sich die Fahrstuhltüren erneut öffneten. Mit dem TLS gab sie blindlings zwei Schüsse in Richtung des Lifts ab, um zu verhindern, dass der Reetou herauskam, und kaum hatten die Türen sich wieder geschlossen, sprintete sie los. Sie hatte mitgezählt und wusste, dass etwa drei Sekunden vergingen, bis die Türen sich öffneten oder schlossen. Während dieser Zeit überwand sie fast die Hälfte der Distanz. Kaum waren die Türen weit genug auseinandergeglitten, schoss der Reetou wieder auf sie, doch mit einem weiten Sprung warf Sam sich hinter einer Seitenstrebe des Korridors in Deckung. Das Plasmageschoss verfehlte sie und schlug weit hinter ihr in den Fußboden. Sie erwiderte das Feuer, doch der Reetou fand seitlich neben dem Eingang des Lifts genügend Deckung. Sie befanden sich in einer klassischen Pattsituation. Falls nicht einer von ihnen einen Glückstreffer landete, konnten sie sich noch geraume Zeit gegenseitig belauern, ohne dass einer von ihnen einen Vorteil erlangte. Ihr kam eine andere Idee, wie sie das Problem wesentlich radikaler lösen konnte. Als sich die Türen wieder öffneten und der Reetou einen Schuss auf sie abgab, der wohl nur dazu diente, sie in Deckung zu halten, hakte Sam eine Handgranate von ihrem Gürtel los und zog den Sicherungsstift. Sie zählte bis drei, dann beugte sie sich vor und schleuderte die Granate zwischen den bereits wieder halb geschlossenen Türhälften hindurch in den Lift. Die Explosion entfaltete in der engen Kabine eine furchtbare Wirkung. Die Türen wurden von der Druckwelle nach außen -122-
gepresst und aus ihrer Verankerung gerissen. Vorsichtig richtete sich Sam hinter der Strebe auf und näherte sich dem Fahrstuhl. Der TLS zeigte ihr, dass der Reetou regungslos auf dem Boden lag. Gelbliches Blut quoll aus zahlreichen Wunden in seinem Leib; mehrere seiner Gliedmaßen waren abgerissen. Dennoch lebte das Wesen noch. Als Sam es fast erreicht hatte, hob es langsam und mit größter Anstrengung seine Waffe und versuchte, diese auf Sam zu richten. Ehe es dem Alien gelang, tötete Sam es mit einem Schuss aus dem TLS endgültig.
5 Den Raum, in dem sich Cassandra befand, hatten sie bereits durchsucht, ohne auf einen Reetou zu stoßen. Als nächstes stand Charlies Zimmer an, und O'Neills Spannung stieg, je näher sie diesem kamen. Erst als sie die Krankenstation erreicht hatten, war ihm bewusst geworden, dass gerade der Junge und seine »Mutter« ein vordringliches Ziel für die Rebellen darstellen mussten. Im Gegensatz zu ihm hatte General Hammond jedoch sehr wohl daran gedacht und speziell die Tür dieses Zimmers elektronisch verriegeln lassen. Wie es aussah, war diese Sicherheitsvorkehrung allerdings unnötig gewesen. In der Sektion, in der sich die Krankenstation befand, hatten sie bislang noch keinen Reetou entdeckt. Dafür hatte er über Funk erfahren, dass es dem Team um Sam und Jakob Carter gelungen war, eine der Bestien zu töten, auch wenn der Kampf die beiden Soldaten in ihrer Begleitung das Leben gekostet hatte. Falls es sich nur um ein einzelnes Terrorkommando handelte, war also vermutlich nur noch ein einziger Reetou übrig. Sie erreichten Charlies Krankenzimmer. Über Funk erteilte -123-
O'Neill die Anweisung, die Verriegelung der Tür zu lösen, und sie traten ein. Dr. Fraiser kümmerte sich um den Jungen, der aus seiner Ohnmacht erwacht war. Als er O 'Neill erblickte, stahl sich der Anflug eines freudigen Lächelns auf sein ausgemergeltes Gesicht. O'Neill ließ den Strahl des TLS durch das Zimmer wandern, bis die »Mutter« des Jungen in einer Ecke sichtbar wurde. Kaum hatte er sie entdeckt, begann sie wild mit ihren Armen zu fuchteln und griff nach ihrem Plasmagewehr. Im gleiche n Moment schrie Charlie auf. Verwirrt wandte O'Neill sich wieder ihm zu. Das Gesicht des Jungen war vor Schreck verzerrt, doch es dauerte einen Sekundenbruchteil, bis O'Neill erkannte, dass dieser Schrecken nicht ihm und dem TLS oder Teal'c galt, und er begriff. »In Deckung!«, brüllte er und warf sich selbst zu Boden. Vom Eingang her raste scheinbar aus dem Nichts kommend ein Plasmageschoss durch den Raum, traf die Reetou in der Ecke und zerfetzte sie. »Mutter!«, schrie Charlie. Er wollte aufspringen, doch Fraiser, die sich auf O'Neills Zuruf hin neben sein Bett geduckt hatte, hielt ihn fest. Teal'c gab aus seiner Stablanze einen Schuss in Richtung Eingang ab, doch der Energieblitz fuhr durch die geöffnete Tür und schlug in die Korridorwand ein. Auf dem Boden liegend wälzte O'Neill sich herum. Der TLS riss den dicht neben der Tür stehenden Reetou aus dem Schutz der Unsichtbarkeit. Er musste versteckt in der Nähe gewartet haben und unbemerkt zusammen mit ihnen hereingekommen sein. O'Neill sah, wie die Kreatur ihre Waffe in seine Richtung schwenkte, doch er war schneller und drückte ab. Die Energieentladung des TLS tötete den Alien. Aufatmend erhob sich O'Neill und eilte an Charlies Bett, wo -124-
er den wimmernden und weinenden Jungen an sich drückte. Beruhigend redete er auf ihn ein und versuchte ihn zu trösten, doch konnte er sich nicht allzu lange um den Jungen kümmern. Noch konnten sie nicht sicher sein, dass die Gefahr wirklich gebannt war. Sie benötigten mehr als eine weitere Stunde, um die Suche abzuschließen, ehe sie sicher sein konnten, dass sich kein weiterer Reetou mehr im Star-Gate-Center aufhielt. »Und jetzt«, knurrte O'Neill, während er sich zusammen mit Teal'c auf den Rückweg zu General Hammond machte, »werden wir herausfinden, was sich auf M6S-728 tut, und ob die Reetou wirklich von dort kamen.«
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DAS ZWEITE TOR 1 Je länger er darüber nachdachte, desto verrückter erschien Daniel Jackson sein Vorhaben. Er hatte nur zwei Vorteile auf seiner Seite. Das war zum einen die Tatsache, dass er die Reetou mit bloßem Auge sehen konnte, zum anderen seine Fähigkeit, durch massive Wände zu gehen. Diesen zwei Vorteilen standen jedoch unzählige Nachteile gegenüber. Zwar konnte er die Basis trotz der geschlossenen Sicherheitsschotts verlassen, indem er einfach hindurchging, doch gleichzeitig stellte seine Phasenverschiebung auch ein gewaltiges Handikap dar. Er konnte sich nicht einfach einen Wagen nehmen und damit nach Arizona fahren, geschweige denn, sich von einem Militärhubschrauber hinbringen lassen. Er war nicht einmal in der Lage, jemanden zu bitten, ihn dort hinzubringen. Außerdem musste er davon ausgehen, dass er es mit einer deutlichen Übermacht an Reetou zu tun bekommen würde, und die einzige Ausrüstung, auf die er zurückgreifen konnte, war die, die er bei der Expedition nach QRT-657 bei sich gehabt hatte. An Waffen waren dies nur sein Automatikgewehr und seine Pistole. Für beide Waffen besaß er lediglich ein Ersatzmagazin. Wenn er die Munition verschossen hatte, gab es für ihn keine Möglichkeit, sich Nachschub zu besorgen. Er verdrängte die Gedanken daran. Zunächst einmal musste er die Militärbasis in Arizona erreichen, dann konnte er weitersehen. Das größte Problem dabei stellte die knappe Zeit dar, die ihm voraussichtlich nur zur Verfügung stand. Immerhin schien das Glück auf seiner Seite zu sein, zumindest, was das erste Stück seines Weges betraf. Dadurch, dass General Hammond die SG-Basis unter Quarantäne gestellt -126-
und die Gefahr einer Invasion nicht völlig ausgeschlossen hatte, war am Ausgang des Cheyenne Mountain Komplexes eine Menge Militär zusammengezogen worden. Auch einige ranghohe Offiziere verschafften sich vor Ort ein Bild von der Lage, blieben jedoch nicht lange. Daniel sah, wie ein General, den er zuvor schon zwei-, dreimal gesehen hatte, dessen Namen er jedoch vergessen hatte, zu einem Jeep ging, in dem bereits ein Soldat auf dem Fahrersitz wartete. Bevor der Wagen anfuhr, schwang sich Daniel auf den Rücksitz. Wie er gehofft hatte, führte die Fahrt nach Denver. Dort angekommen, bestieg er einen Bus und fuhr quer durch die Stadt zum Stapleton International Airport. Auch hier blieb ihm das Glück hold. Er musste nicht einmal eine Stunde warten, bis eine Maschine nach Phoenix, Arizona startete, die dem Stützpunkt nächstgelegene Stadt. Ohne bemerkt zu werden, ging er an Bord. Es waren noch genügend Plätze frei, von denen er sich einen aussuchte. Immerhin eine Annehmlichkeit seines gegenwärtigen Zustands, dachte er voller Galgenhumor. Er konnte soviel reisen, wie er wollte, ohne ein Ticket lösen zu müssen. Allerdings musste er im Gegenzug auch auf die Annehmlichkeiten des Bordservices verzichten. Dieser Gedanke machte ihm ein weiteres Problem bewusst. Ihm blieb nicht besonders viel Zeit, wieder in seine normale Relitätsphase zurückzukehren. Da er aufgrund der Quantenverschiebung nichts berühren konnte, konnte er auch keine Nahrung zu sich nehmen. Bislang verspürte er weder Hunger noch Durst, doch das würde sich sicherlich bald ändern. Nun, je nachdem, was ihn in den nächsten Stunden erwartete, würde er sich über dieses Problem vielleicht gar keine Sorgen mehr zu machen brauchen. Der Flug verlief ohne irgendwelche Zwischenfälle. Die Maschine landete auf dem Phoenix Sky -127-
Harbor International Airport. Daniel musste zugeben, dass er angesichts der Umstände binnen kurzer Zeit ziemlich weit gekommen war, aber das restliche Wegstück stellte ihn vor wesentlich größere Schwierigkeiten. Der Militärstützpunkt lag noch immer gut fünfzig Meilen entfernt. Das war deutlich zu weit, um die Strecke zu Fuß zurückzulegen, und es war nicht anzunehmen, dass er zufällig auf jemanden treffen würde, der dorthin fuhr. Zumindest jedoch gab es eine Möglichkeit, dem Stützpunkt deutlich näher zu kommen. Die nach Norden in Richtung Flagstaff führende Interstate 17 verlief nur wenige Meilen von dem Areal entfernt, was ihm jedoch nicht allzu viel nützte. Ganz abgesehen davon, dass er in Kampfuniform und mit einem Automatik-Gewehr um die Schulter sicherlich nicht allzu vertrauenerweckend gewirkt hätte, konnte er sich nicht an den Straßenrand stellen und sein Glück als Anhalter versuchen, da ihn niemand sah. Ebenso wenig konnte er einfach in ein die Interstate entlangrasendes Auto springen und es an seinem Ziel auf die gleiche Art wieder verlassen, ohne sich sämtliche Knochen zu brechen - womit er noch glimpflich davonkäme. Es sei denn... Ein Blick auf die Uhr verlieh Daniel neue Hoffnung. Mit einem Pendelbus fuhr er vom Flughafen in Richtung Stadtzentrum und stieg nur eine halbe Meile von der Stelle entfernt aus, an der die Interstate 17 von der Interstate 10 abzweigte. Die restliche Strecke legte er im Dauerlauf zurück. Es herrschte Feierabendverkehr, und wie er es erhofft hatte, waren besonders die Zubringer zwischen den Interstates und von der Stadt dorthin davon betroffen. Eine Menge Leute, die in Phoenix arbeiteten, wohnten in den umliegenden kleineren Ortschaften und drängten um diese Zeit aus der Stadt hinaus. Direkt vor der Zufahrt rollte der Verkehr nur im Schritttempo vorwärts, sodass es keine Schwierigkeit für ihn war, in eines der Autos einzusteigen. -128-
Aber in welches? Es nutzte ihm nicht viel, wenn er in einem Wagen saß, dessen Fahrer entweder nur einige wenige Meilen weit fuhr, oder aber - was noch schlimmer wäre - viel zu weit, eventuell bis nach Flagstaff oder sogar darüber hinaus. Daniel hätte keine Möglichkeit, den Fahrer zum Anhalten zu bewegen und wäre weiter als jetzt von seinem Ziel entfernt. Da es nicht so aussah, als ob sich an der Verkehrssituation innerhalb der nächsten Stunde etwas ändern würde, ließ er sich trotz seiner Eile Zeit mit der Auswahl, und seine Geduld wurde belohnt. Er entdeckte einen blauen Ford, an dessen Heck der Aufkleber eines Sportvereins in Cave Creek prangte. Cave Creek war die dem Stützpunkt nächstgelegene Stadt, so dass er es kaum besser treffen konnte. Natürlich bot auch der Aufkleber keine Sicherheit, dass der Fahrer wirklich dorthin fuhr, aber die Chancen standen zumindest ziemlich gut. Daniel zwängte sich zwischen den anderen Fahrzeugen auf den Ford zu und stieg ein, indem er einfach durch die Karosserie drang und sich auf dem Rücksitz niederließ. Der Fahrer, ein junger Mann Mitte Zwanzig, bemerkte nichts davon. Nachdem sie sich einmal auf der Interstate 17 befanden, löste sich das Verkehrschaos, und sie kamen zügig voran. Etwa dreißig Meilen weit fuhren sie in nördlicher Richtung, dann bog der Fahrer wie erhofft bei Sun City von der Interstate auf die Landstraße nach Cave Creek ab. Nach knapp weiteren zehn Meilen erreichten sie die Stadt. Als der Wagen an einer roten Ampel hielt, stieg Daniel wieder aus. Vor ihm lagen nun noch etwa fünf Meilen Weg durch den Tonto National Forrest. Ein Katzensprung verglichen mit der Strecke, die er bisher zurückgelegt hatte, doch immer noch eine beträchtliche Entfernung, um sie zu Fuß zurückzulegen. Entschlossen machte er sich auf den Weg.
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2 Früher war Daniel ein regelrechter Bücherwurm gewesen. Schon während seiner Schulzeit hatte er sich lieber in Museen herumgetrieben und sich mit Büchern über das alte Ägypten beschäftigt, als Sport zu treiben oder irgendwelchen sonstigen Vergnügungen nachzugehen, die bei seinen Altersgenossen hoch im Kurs standen. Dementsprechend war er von den anderen stets geschnitten und als Bücherwurm abgestempelt worden, wenn sie ihn nicht verspottet oder ihre fragwürdigen Streiche auf seine Kosten mit ihm getrieben hatten. Während seines Studiums hatte sich das noch verstärkt. Sein winziges Appartement war vor Büchern fast aus allen Nähten geplatzt. Er schlief und aß zwischen Bergen von Büchern, musste sogar stets einige Stapel aus dem Badezimmer räumen, wenn er duschen wollte. Manchmal hatte er regelrecht vergessen, dass er im zwanzigsten Jahrhundert lebte. Der Lohn seiner Bemühungen war, dass er nach Abschluss seines Studiums von anderen, konservativ eingestellten Gelehrten aufgrund seiner gewagten Thesen ausgelacht wurde und dass man ihm die Mitarbeit am Star-Gate-Projekt anbot. Mehrere Jahre lag das nun zurück, und seither hatte sich sein Leben grundlegend geändert. Wenn er jetzt noch zum Lesen kam, dann handelte es sich hauptsächlich um Recherchen über Spuren, die die Goa'uld in Gestalt der alten Götter in der Frühgeschichte der Menschheit hinterlassen hatten. SG-1 war eine militärische Einheit, die auch oft genug in Kampfeinsätze verwickelt wurde. Zwar war er Zivilist geblieben und verabscheute nach wie vor jegliche Gewalt, dennoch hatte er sich einer militärischen Ausbildung unterziehen müssen. Anderenfalls hätte er schon die ersten Missionen kaum lebend überstanden. Mittlerweile hielt er sich regelmäßig fit. Er war nicht gerade muskulös, aber sein Körper war durchtrainiert und drahtig. Aus -130-
diesem Grund bereitete es ihm kaum Schwierigkeiten, die knapp sechs Meilen bis zum Stützpunkt mit nur einer einzigen Pause im Dauerlauf zurückzulegen. Zwar geriet er ins Schwitzen, er keuchte, und sein Puls beschleunigte sich, doch verkraftete er die Anstrengung mühelos. Er bekam nicht einmal Seitenstiche, während er früher schon nach wenigen hundert Metern zusammengebrochen wäre. Er wusste nicht, wann die Reetou auf die Erde gekommen waren, doch lag dies bestimmt noch nicht länger als höchstens zwei, drei Tage zurück. Auch sie mussten vom Sternen-Tor erst einmal zu dem Stützpunkt gelangen, und da sie sich auf der Erde vermutlich nicht besonders gut auskannten, würden sie im Gegensatz zu ihm kaum öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Es war also noch längst nicht gesagt, ob sie ihr Ziel überhaupt schon erreicht hatten. Dennoch beeilte er sich. Eine schmale, mit Schlaglöchern übersäte Straße führte zu dem Stützpunkt. Rechts und links davon erhob sich Laubwald. Ganz offensichtlich wurde die Straße nur selten benutzt. Auf der Militärbasis gab es kaum noch Personal. Es wurden dort hauptsächlich noch logistische Berechnungen für die Streitkräfte im Südwesten angestellt und Verwaltungsangelegenheiten geregelt. Ein paarmal war schon erwogen worden, sie völlig aufzugeben, doch war dieses Vorhaben nie in die Tat umgesetzt worden. Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, als endlich der mehrfach hintereinander gestaffelte und jeweils mit Stacheldraht gekrönte Zaun des Stützp unktes vor Daniel auftauchte. Ein Schild am geschlossenen Tor verkündete, dass dies militärisches Sperrgebiet sei. Unbefugten sei der Zutritt und das Fotografieren verboten. Bei Missachtung dieses Verbots werde von der Schusswaffe Gebrauch gemacht. Daniel war davon überzeugt, dass sich die Reetou-Rebellen von der Warnung nicht sonderlich beeindruckt zeigen würden. Ihm selbst erging es nicht anders. Ohne zu zögern, trat er durch -131-
das Tor hindurch. Der Stützpunkt war nicht besonders groß und so unbedeutend, dass die Gefahr der Spionage hier verschwindend gering war. Gerade deshalb hatte man das zerlegte Sternen-Tor hierher gebracht. Die Besatzung des Stützpunkts, die nur aus knapp zwanzig Mann bestand, wusste nicht einmal, was sich in den versiegelten Kisten befand, die vor einigen Monaten hier angeliefert worden waren. Daniel blickte sich wachsam um. Es gab auf dem Gelände lediglich einige Lagerschuppen, ein großes Verwaltungsgebäude, Mannschaftsunterkünfte, einen seit Jahren leer stehenden Flugzeughangar und einen Schießplatz, der vermutlich ebenfalls seit einer Ewigkeit nicht mehr benutzt wurde. Die Gebäude machten einen leicht verwahrlosten Eindruck, doch wirkte alles friedlich. Allerdings fiel Daniel auf, dass das Wachhäuschen neben dem Tor unbesetzt war, und er konnte sich nicht vorstellen, dass die Besatzung des Stützpunktes ihren Dienst so übermäßig schlampig verrichtete. Als er das Häuschen betrat, sah er seine Befürchtungen bestätigt. Die beiden Wachen waren tot; ihre schrecklich zugerichteten Leichen ha tte man so hingelegt, dass sie von außen nicht zu entdecken waren. Er stieß einen leisen Fluch aus. Seine Vermutung, was das Vorhaben der Reetou betraf, stimmte offensichtlich, und sie waren bereits hier eingetroffen. Vermutlich hatten sie die gesamte Besatzung des Stützpunktes umgebracht, was ihnen aufgrund ihrer Unsichtbarkeit nicht schwer gefallen sein dürfte. Er untersuchte die Leichen flüchtig und kam zu dem Schluss, dass sie erst seit etwa zwei Stunden tot waren. Lange waren die Reetou also noch nicht hier. Vielleicht aber hatten sie sich auch nur verborgen gehalten und erst jetzt zugeschlagen, kurze Zeit, bevor die Bombe in der Basis explodieren würde. -132-
Hastig verdrängte Daniel den Gedanken daran. Er konnte nur hoffen, dass die anderen doch noch eine Möglichkeit gefunden hatten, sie zu entschärfen, und Cassandras Leben zu retten, oder dass sie sie zumindest rechtzeitig genug an einen sicheren Ort bringen würden. Er nahm sein Gewehr von der Schulter und verließ die Wachbaracke wieder. Nirgendwo war etwas von den Reetou zu entdecken. Vermutlich waren sie damit beschäftigt, das SternenTor zusammenzubauen. Sie schienen sich ihrer Sache sehr sicher zu sein, dass sie keine Wache aufgestellt hatten. Allerdings war auch kaum zu erwarten, dass ausgerechnet jetzt jemand den Stützpunkt besuchen würde. Daniel eilte zu dem nächstgelegenen Lagerhaus hinüber. Er streckte den Kopf durch die Wand und blickte ins Innere. Die Phasenverschiebung, der er zum Opfer gefallen war, bot durchaus auch Vorteile. Wenn er jetzt noch eine Möglichkeit hätte, sich bei Bedarf wieder in seinen alten Zustand zurückzuversetzen und mit anderen zu reden, wäre er der ideale Spion, schoss es ihm durch den Kopf. Viel gab es hier jedoch nicht auszuspionieren. Alles, was er entdeckte, waren aufgestapelte Kisten. Nicht anders erging es ihm bei dem zweiten Lagerhaus, in dem hauptsächlich Uniformen, Munition und andere kleinere Teile gelagert wurden. Beide Baracken waren so vollgestopft, dass hier überhaupt kein Platz gewesen wäre, das Sternen- Tor aufzubauen. Daniels Blick glitt zu dem Flugzeughangar. Die Halle wäre auf jeden Fall groß genug und bot sich geradezu für die Montage eines so großen Objekts, wie es das Sternen-Tor darstellte, an. Auch gab es dort vermutlich noch Wartungseinrichtungen für die Flugzeuge, die früher einmal auf dem Stützpunkt gelandet waren. Kranzüge und dergleichen mehr würden den Zusammenbau und vor allem das Aufrichten des Tores erheblich erleichtern. -133-
Die Sonne war längst schon hinter dem Horizont versunken, und es wurde zusehends dunkler. In wenigen Minuten würde die Nacht hereinbrechen. Die Dunkelheit konnte sich als wertvoller Verbündeter für ihn erweisen. Er näherte sich dem Hangar. Als er ihn erreichte, vernahm er aus dem Inneren gedämpfte Geräusche, die wie das Scharren von Metall auf Stein klangen. Seine Vermutung war also richtig. Kurz spielte Daniel mit dem Gedanken, zunächst die anderen Gebäude zu durchsuchen, um sicherzugehen, dass sich nicht noch anderswo Reetou befanden, die ihm in den Rücken fallen konnten, doch er verwarf diesen Plan sofort wieder. Es gab keinen Grund für sie, sich zu verstecken, um das Gelände zu beobachten, da sie für Menschen ohnehin unsichtbar waren und nicht damit rechnen konnten, dass jemand wie er hier auftauchte, der ebenfalls in einer anderen Quantenphase existierte. Wenn sie keine Wache am Eingang aufgestellt hatten, bedeutete das mit allergrößter Sicherheit, dass sich alle Reetou in dem Hangar aufhielten. Daniel atmete noch einmal tief durch, dann streckte er den Kopf durch die Wellblechwand.
3 Insgesamt fünf Reetou hielten sich in dem Hangar auf. Wie Daniel vermutet hatte, waren sie mit der Montage des zerlegten Sternen-Tores beschäftigt und dabei bereits ziemlich weit gekommen. Der Ring lag bereits fast vollständig zusammengefügt auf dem Boden. Er schätzte, dass sie höchstens noch eine Stunde brauchen würden, um das Tor zu vollenden. Natürlich gab es hier kein Kontrollelement und auch keine aufwändige Computeranlage, wie sie in der Basis das SternenTor aktivierte, aber das war auch nicht nötig. Schließlich brauchten die Reetou kein Ziel anzuwählen, sondern das Tor nur -134-
in einen funktionsfähigen Zustand zu versetzen. Angewählt und damit aktiviert würde es nach der geplanten Zerstörung der Basis von einer Welt der Reetou-Rebellen aus. Daniel zog den Kopf zurück. Für den Moment hatte er genug gesehen. Er musste handeln. Das Sternen-Tor hier würde den Reetou nichts nutzen, wenn es General Hammond und den anderen gelang, die Zerstörung des Basis und des dortigen Tores zu verhindern, da es sich hier nur um eine Art »Zweitempfänger« handelte, wie Sam es einmal genannt hatte. Sollte das Haupttor jedoch zerstört oder auch nur beschädigt werden, was nicht nur durch die Bombe, sondern auch durch eine andere Form von Sabotage möglich war, sah die Sache anders aus. Sobald es in diesem Fall den ReetouRebellen gelang, das Tor fertigzustellen, konnten sie fast unbegrenzt Verstärkung bekommen. Schon jetzt war das Zahlenverhältnis ungünstig genug, aber gegen Dutzende oder gar Hunderte Reetou stünde er auf völlig verlorenem Posten. Aber auch so gab es noch zahlreiche Unsicherheitsfaktoren. Zwar konnte er die Reetou sehen, doch das galt umgekehrt ebenso, wie Daniel an Charlies Krankenbett festgestellt hatte. Im Gegensatz zu den Reetou konnte er feste Materie durchdringen, da er sich in einer etwas anderen Phasenrealität befand. Möglicherweise würden deshalb seine Kugeln einfach durch ihre Körper dringen, ohne ihnen zu schaden. Das alles waren Unwägbarkeiten, die sich erst in dem Moment klären würden, wenn es darauf ankam. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Probe aufs Exempel zu machen. Daniel stellte sein Gewehr auf Dauerfeuer und ging ein paar Schritte nach rechts. Als er anschließend geduckt durch die Hangarwand trat, befand er sich im Sichtschutz eines Kistenstapels, den er zuvor entdeckt hatte. Er spähte um die Kante des Stapels. Die Reetou waren so sehr -135-
mit dem Sternen-Tor beschäftigt, dass keiner von ihnen in seine Richtung blickte und ihn entdeckte, sodass er sich Zeit zum Zielen nehmen konnte. Entschlo ssen drückte Daniel ab. Eine Feuergarbe zuckte aus dem Lauf des Gewehrs, traf einen der Reetou und schleuderte ihn zurück. Seine Kugeln vermochten den Biestern also durchaus etwas anzuhaben, stellte Daniel mit grimmiger Zufriedenheit fest. Allerdings waren sie auch äußerst hart im Nehmen, wahrscheinlich ein Erbe ihrer insektoiden Abstammung. Bei Dauerfeuer verschoss das Gewehr pro Salve zehn Kugeln, die den Reetou alle getroffen hatten. Dennoch war er nicht tot, hielt sich sogar weiterhin auf den Beinen. Daniel musste noch eine weitere Salve auf ihn abfeuern, dann endlich brach die Kreatur zusammen. Für einen kurzen Moment waren die übrigen Reetou über den unerwarteten Angriff geschockt, doch überwanden sie ihren Schrecken rasch. Mit unglaublicher Geschwindigkeit griffen sie zu ihren Waffen. Daniel kam nicht mehr dazu, auf einen weiteren von ihnen zu schießen, sondern musste sich zurückziehen. Eine Plasmaladung riss den Kistenstapel regelrecht in Fetzen und hätte zweifellos auch ihn getötet, wenn er sich nicht bereits mehrere Schritte davon entfernt hätte. Dennoch war schon die bloße Druckwelle noch stark genug, ihn zurück und durch die Wand ins Freie zu schleudern. Noch bevor er sich aufrappeln konnte, riss ein weiteres Plasmageschoss ein mehrere Meter durchmessendes Loch in die Wand. Daniel sprang auf. Er war hier draußen völlig ungeschützt. Verzweifelt blickte er sich nach einer Deckung um. Wenige Meter entfernt gab es eine Buschgruppe. Er hastete hin und warf sich mit einem weiten Hechtsprung mitten hinein, kaum einen Sekundenbruchteil, bevor die ersten beiden Reetou in dem Loch in der Hangarwand erschienen. Das feste, knorrige Strauchwerk, an dem er sich bei einem solchen Sprung -136-
normalerweise vermutlich erhebliche Verletzungen zugezogen hätte, konnte ihm nichts anhaben; er fiel glatt hindurch. Erst die weiche Erde dämpfte seinen Sturz. Verwirrt blickten die Reetou sich um. Daniel war sich bewusst, dass es nur Sekunden dauern konnte, bis sie begriffen, wo er sich befand, da das Gebüsch die einzige in der kurzen Zeit erreichbare Deckung bot. Deshalb blieb er nicht liegen, sondern kroch hastig auf das hintere Ende der Buschgruppe zu und in ihrem Sichtschutz weiter. Sein Ziel war einer der Lagerschuppen, der sich etwa ein Dutzend Meter entfernt erhob. Die Dunkelheit verlieh ihm zusätzliche Deckung, doch wie er befürchtet hatte, zogen die Reetou schnell die richtigen Schlüsse. Ein Schuss traf das Gebüsch und ließ es wie eine überdimensionale Fackel auflodern. Daniel fühlte die Hitze wie eine glühende Hand über seinen Rücken streichen. Er wartete noch einen Moment, bis die Druckwelle über ihn hinweggestrichen war, dann sprang er auf und rannte los. Zumindest für einige Augenblicke würde das Feuer ihm neuen Sichtschutz verleihen. Der Augenblick erwies sich jedoch als kürzer, als er gehofft hatte. Das Plasmageschoss bewirkte zwar eine Stichflamme, doch ließ es das Buschwerk wie Zunder auflodern. Das Feuer brannte so heiß, dass die Sträucher binnen kaum einer Sekunde zu Asche zerfielen, und es wieder erlosch, als Daniel erst zwei Drittel der Strecke zum Lagerhaus zurückgelegt hatte. Er wich im Laufen nach links aus. Ein Plasmageschoss verfehlte ihn nur knapp und schlug weit von ihm entfernt in den Boden ein. Haken schlagend rannte er weiter. Ein weiteres Geschoss zischte an ihm vorbei und schlug ebenfalls ein gutes Stück entfernt ein, dann hatte er das Lagerhaus erreicht und stürmte durch die Tür. Auch jetzt gönnte Daniel sich keine Pause, sondern lief in unverändertem Tempo weiter. Er wusste, dass er nur einen -137-
kurzen Aufschub gewonnen hatte. Das kleine Lagerhaus konnte ihm kaum Schutz bieten. Er musste das Verwaltungsgebäude erreichen. Es kündete noch von besseren Zeiten des Stützpunktes. Auch wenn es mittlerweile zum größten Teil leer stand, war es riesig. Es erstreckte sich über drei Stockwerke, und da es für ihn anders als für die Reetou keine Hindernisse gab, bot es ideale Voraussetzungen für einen Mini- Guerillakrieg, wie er ihn nur führen konnte. Wie ein riesenhafter, finsterer Moloch ragte es in der Dunkelheit vor ihm auf. Nur in der Mitte des Gebäudes, direkt über dem Hauptportal, wo sich vermutlich auch das Treppenhaus befand, waren einige Fenster erleuchtet, die Daniel wie glühende Augen anzustarren schienen. Unter allen Umständen musste er das Gebäude erreichen, dann hatte er eine gute Chance, diese Auseinandersetzung nicht nur lebend, sondern auch siegreich zu überstehen. Ein Plasmaschuss traf die Tür des Lagerschuppens hinter ihm und zerfetzte sie mitsamt einem Stück des Mauerwerks, in das sie eingefügt war. Ein Teil der Einrichtung fing Feuer, doch da hatte Daniel den Schuppen auf der Rückseite bereits wieder verlassen. Dieser bot ihm gute Deckung auf seinem Weg zum Hauptgebäude. In gerader Linie lief er los, wobei er immer wieder über die Schulter zurückblickte. Er hatte schon mehr als die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als der erste Reetou hinter dem brennenden Schuppen auftauchte. Daniel wich nach links aus, wodurch er eine weitere etwa mannshohe Buschgruppe zwischen sich und die Reetou brachte, die ihm zumindest kurzfristig neue Deckung bot. Ein Plasmageschoss ließ das Strauchwerk auch diesmal in einer Stichflamme auflodern, die rasch wieder in sich zusammenfiel, doch verschaffte der Sichtschutz des Feuers Daniel den entscheidenden Vorteil, den er benötigte, um das -138-
Verwaltungsgebäude zu erreichen. Mit einem Sprung durch die Außenmauer drang er ins Innere ein.
4 Auch das Innere des Verwaltungsgebäudes bot keine wirkliche Sicherheit, wie Daniel rasch feststellen musste. Kaum eine Sekunde, nachdem er hineingestürmt war, erschütterte eine Explosion das Haus. Das Plasmageschoss vermochte die aus massivem Stein errichtete Außenwand nicht zu durchdringen, sondern verursachte lediglich einige Risse im Mauerwerk und ließ Putz herabbröckeln. Gleich darauf jedoch durchschlug ein weiterer bläulicher Energieblitz das Fenster und detonierte im Inneren des leerstehenden Raumes, in dem er sich befand. Daniel wurde mit einem Hagel von Holz- und Glassplittern überschüttet, die normalerweise lebensgefährliche Geschosse gebildet hä tten, jetzt aber durch seinen Körper glitten, ohne ihm etwas anhaben zu können. Dafür riss ihn die Druckwelle der Explosion von den Füßen, die im Inneren des kleinen Zimmers eine noch weitaus größere Wirkung als im Freien entfaltete. In der Wand zum Korridor klaffte ein gut kopfgroßes Loch. Daniel blieb direkt auf dem Boden und kroch auf Händen und Knien ins Nebenzimmer hinüber. Erst dort wagte er es, sich aufzurichten. Er warf einen Blick aus dem Fenster. In der Dunkelheit war er selbst nicht zu sehen, während es im Freien etwas heller war, obwohl der Mond hinter einer dichten Wolkendecke verborgen war. Die Reetou kamen nur zögernd näher. Sie hatten gesehen, wie er direkt durch die Wand gesprungen war, als ob sie gar nicht existieren würde, und das verunsic herte sie offenbar. Ihnen musste bewusst sein, wie gefährlich ein Kampf gegen einen -139-
Gegner mit solchen Fähigkeiten sein würde. Daniel lächelte grimmig. Er durchquerte einige weitere Räume, bis er sich in der Nähe des Haupteingangs befand, auf den auch die Reetou zusteuerten. Als sie sich diesem bis auf knapp zehn Meter genähert hatten, streckte er den Oberkörper durch die Wand, zielte blitzschnell und drückte ab. Seine Salve traf den Kopf einer der Kreaturen und ließ ihn regelrecht auseinanderplatzen. Sofort zog Daniel sich wieder zurück. Diesmal schossen die Reetou erst gar nicht auf ihn; anscheinend hatten sie begriffen, dass sie ihm von außen nichts anhaben konnten. Stattdessen gaben sie ihr bisheriges Zögern auf und stürmten vor, wie er durch das Fenster beobachten konnte. Sie liefen dabei auf gleich vier ihrer Gliedmaßen, was ihren Bewegungen ein bizarres, unheimliches Aussehen, aber auch eine ungeheure Geschwindigkeit verlieh. Als sie die zweiflügelige Eingangstür erreichten, verzichteten sie darauf, sie zu öffnen, sondern stürmten geradewegs hindurch, wie ein lauter Knall und das Splittern von Holz verkündeten. Daniel wartete nicht länger. Sein größter Vorteil in dem ungleichen Kampf war seine Fähigkeit, überraschend irgendwo aufzutauchen, zuzuschlagen und sofort wieder zu verschwinden, aber um sie auszuspielen, musste er ständig in Bewegung bleiben und vor allem schnell sein. Er entfernte sich auf dem gleichen Weg, auf dem er gekommen war, hastete sogar noch durch das verwüstete Zimmer hindurch, wo er das Gebäude betreten hatte. Erst mehrere Räume dahinter blickte er vorsichtig in den Korridor hinaus. Anders als in den Zimmern brannte im Gang Licht. Daniel entdeckte die Leichen zweier Männer, die ein Stück voneinander entfernt im Korridor lagen. Die Reetou hatten sie einfach achtlos so liegengelassen, wie sie sie getötet hatten, bevor sie mit dem Zusammenbau des Sternen-Tores begonnen hatten. -140-
Eines der Aliens öffnete gerade eine der vorderen Türen und blickte in den dahinterliegenden Raum. Von den anderen war zu Daniels Leidwesen nichts zu sehen. Er hatte gehofft, dass sie zusammenbleiben würden, so dass er sie alle gleichzeitig beobachten und in einem geeigneten Moment zuschlagen konnte. Da sie sich jedoch getrennt hatten, wusste er von zweien nicht, wo sie sich befanden, was die Gefahr für ihn erheblich erhöhte. Er war Jäger und Gejagter zugleich, das durfte er keinen Moment vergessen. Da der Reetou gerade in eine andere Richtung blickte, nutzte Daniel die günstige Gelegenheit, um den Korridor zu überqueren. Solange er nur auf der einen Seite des Gebäudeflügels blieb, schränkte er sich selbst zu sehr ein und würde rasch entdeckt werden. Erst einen Sekundenbruchteil zu spät bemerkte er die Falle. Er hatte nur auf die Richtung geachtet, in der das Hauptportal lag, durch das die Kreaturen hereingekommen waren, und wo sich auch der Reetou befand, der die Zimmer kontrollierte. Ein leises Geräusch von der entgegengesetzten Seite warnte ihn. Instinktiv ließ er sich fallen, statt erst Zeit damit zu verschwenden, sich umzublicken. Diese Reaktion rettete ihm das Leben. Ein Plasmageschoss raste dicht über ihn hinweg und schlug einige Meter von ihm entfernt ein Loch in die Wand. Er hatte die Schnelligkeit und Heimtücke der Reetou unterschätzt, was ihm fast zum Verhängnis geworden wäre. Einer von ihnen hatte bereits den gesamten Korridor durchquert und überwachte ihn vom hinteren Ende aus. Die damit verbundene Absicht war klar, sie wollten ihn daran hindern, diese Zimmerflucht zu verlassen. Einer bewachte den Gang, der zweite wartete vermutlich draußen, um zu verhindern, dass Daniel das Gebäude wieder verließ, und der dritte kontrollierte die Räume. Diese Gedanken schossen Daniel blitzschnell durch den Kopf. -141-
Es gelang ihm, sich über die Schulter abzurollen und seinem Sturz dadurch die schlimmste Wucht zu nehmen. Zum Aufstehen blieb ihm keine Zeit. Auch der Reetou an der Vorderseite des Korridors war auf ihn aufmerksam geworden und feuerte nun auf ihn. Das Plasmageschoss schlug zielsicher dort ein, wo er sich gerade noch befunden hatte, doch tat der Reetou ihm damit ungewollt sogar einen Gefallen. Die Druckwelle verlieh Daniel zusätzlichen Schwung und schleuderte ihn nach vorne, direkt in eines der Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite, wo er für den Moment geschützt war. Der Schreck saß ihm in allen Gliedern, und er verfluchte sich selbst für seine Leichtfertigkeit. Er zitterte am ganzen Körper, außerdem hatte er sich schmerzhaft die Schulter geprellt. Dennoch gönnte Daniel sich keine Ruhepause. Da sie nun wussten, wo er sich befand, konnte es bei ihrer übermenschlichen Schnelligkeit nur Sekunden dauern, bis die Reetou hier auftauchten. Er quälte sich auf die Beine und taumelte durch die hintere Wand in ein anderes Zimmer. Es gab keine Verbindungstür zwischen den beiden Räumen, sondern das Zimmer konnte nur von einem parallel verlaufenden Korridor betreten werden, wodurch er kostbare Zeit gewann. Aber auch hier verharrte Daniel noch nicht, sondern eilte weiter. Erst als er sich gut fünfzig Meter vom Schauplatz des Kampfes entfernt hatte und sich in einem rechtwinklig vom Haupttrakt abzweigenden Flügel befand, blieb er keuchend in einem leeren Raum stehen. Es würde eine Weile dauern, bis die Reetou ihn hier aufspürten, doch war er entschlossen, ihnen diese Zeit nicht zu geben. Wie sich gezeigt hatte, durfte er sich nicht in die Defensive drängen lassen, sondern musste selbst das Geschehen bestimmen. Nur dann hatte er eine Chance, anderenfalls würden die Reetou ihn nur hetzen und früher oder später auch erwischen. -142-
Daniel wartete nur solange, bis er wieder zu Atem gekommen war und er aufgehört hatte, am ganzen Körper zu zittern. Auch sein rasender Pulsschlag normalisierte sich wieder, nachdem das Panikgefühl verflog, das kurzzeitig von ihm Besitz ergriffen hatte. Er kehrte in den Haupttrakt zurück, wobei er an zwei weiteren Leichen vorbeikam. Er blickte erst gar nicht genauer hin. Sein größtes Problem war, dass er nicht wusste, wo sich die Reetou gegenwärtig aufhielten, doch löste sich dieses rasch von selbst. So vorsichtig er auch war, wäre er einem von ihnen dennoch beinahe direkt in die Arme gelaufen. Als er in einen Korridor spähte, befand sich der Reetou kaum zwei Schritte von ihm entfernt. Die Kreatur war allein und bewegte sich glücklicherweise in die andere Richtung, weg von ihm, sodass sie ihn auch nicht entdeckte. Wenn er nur ein oder zwei Sekunden früher hier gewesen wäre... Schaudernd verdrängte Daniel den Gedanken rasch wieder. Die Gelegenheit war so günstig, dass er sie nutzen musste. Ohne zu überlegen, riss er sein Gewehr hoch, brachte es dann aber doch nicht fertig, abzudrücken. Er verspürte Gewissensbisse, einen Feind einfach so von hinten zu erschießen, selbst wenn es sich um eine Bestie wie den Reetou handelte, dem solche Skrupel sicherlich völlig fremd gewesen wären. Das hatte die Ermordung der Einwohner von P8X-987 und des Stützpunktpersonals hier gezeigt. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Ein Instinkt schien den Reetou zu warnen, denn er fuhr urplötzlich mit schussbereitem Plasmawerfer herum. Daniel drückte ab, jagte ihm aus kaum drei Metern Entfernung eine Salve in den häßlichen Insektenschädel, der offenbar die empfindlichste Stelle der Monstren war. Drei der fünf Reetou waren tot, womit sich das Kräfteverhältnis deutlich zu seinen Gunsten verschoben hatte. -143-
Er konnte mit seiner bisherigen Leistung zufrieden sein, doch das war trotzdem kein Grund, übermütig zu werden. Noch immer waren zwei der Bestien am Leben, beide nur von dem Gedanken besessen, ihn umzubringen, um ihren Plan zur Ausrottung der gesamten Menschheit weiter verfolgen zu können. Jede von ihnen war eine tödliche Kampfmaschine, gegen die er ohne die Verwandlung durch den Kristallschädel kaum eine Chance gehabt hätte. Systematisch setzte er die Durchsuchung des Gebäudes fort. Im Erdgeschoss schien sich keine der Bestien mehr aufzuhalten, sodass er in den ersten Stock hinaufstieg. Dort stieß er auf einen weiteren Reetou, doch war die Entdeckung diesmal wesentlich weniger dramatisch als zuvor. Als Daniel die Treppe so weit hinaufgestiegen war, dass er über die oberste Stufe blicken konnte, entdeckte er die Kreatur in einem der von der Treppenhalle abgehenden Korridore, wo sie von Tür zu Tür eilte und auf der Suche nach ihm in die darunterliegenden Räume blickte. Daniel überlegte kurz, wie er den Reetou am risikolosesten ausschalten konnte. Wahrscheinlich würde die Kreatur auch auf dem Rückweg noch einmal in die Räume blicken, um sicherzustellen, dass er sich nicht nach der ersten Kontrolle in scheinbarer Sicherheit dort versteckte, doch würde ihre Aufmerksamkeit dabei vermutlich immer weiter abnehmen, je näher sie der Halle mit der Treppe kam, ohne etwas zu entdecken. Jedenfalls hoffte er, dass es so sein würde. Daniel beschloss, im dritten Zimmer auf der linken Seite auf den Reetou zu warten. Er stellte sich direkt neben dem Eingang an die Wand. Noch mehrfach hörte er, wie eine Tür geöffnet wurde, dann herrschte plötzlich Stille. Der Reetou musste das Ende des Korridors erreicht haben und befand sich jetzt wohl auf dem Rückweg. Daniels Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, was aber wohl in erster Linie an seiner Anspannung lag, durch die ihm -144-
jede Sekunde wie eine halbe Ewigkeit vorkam. Kein Geräusch war zu hören, der Reetou bewegte sich völlig lautlos. Immer wieder war Daniel versucht, in den Korridor zu blicken, um herauszufinden, wo die Kreatur sich gerade befand, doch er beherrschte sich mühsam. Wenn er zu früh entdeckt wurde, war sein ganzer Plan hinfällig. Als der Reetou schließlich auf der Türschwelle auftauchte, war Daniel selbst so überrascht, dass er fast zu spät reagiert hätte. Nahezu zeitgleich entdeckten er und der Außerirdische einander. Der Reetou riss seine Waffe hoch, aber Daniel drückte um den Bruchteil einer Sekunde eher ab. Der Kopf des Reetou flog auseinander, das Wesen stürzte tot zu Boden. Daniels Zuversicht stieg. Nun war nur noch eine der Bestien übrig, und er war entschlossen, ihr auch noch den Garaus zu machen. Siegessicher trat er in den Korridor hinaus - und prallte fast mit dem Reetou zusammen, der ihn aus seinen funkelnden Facettenaugen anstarrte. Reaktionsschnell drückte Daniel ab, doch nur ein Klicken war zu vernehmen. Entweder war das Magazin leer, oder das Gewehr hatte Ladehemmung, es spielte keine Rolle. Er war hilflos, und auch wenn er versuchte, sich mit einem Sprung rückwärts durch die Wand aus der Schusslinie zu bringen, wäre er zu langsam. Das Insektenmaul des Reetou verzerrte sich zu der Karikatur eines menschlichen Grinsens. Er krümmte eine Kralle um den Abzug seines Plasmagewehrs. Daniel schloss mit dem Leben ab.
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DER AUFMARSCH 1 O'Neills Nerven waren angespannt wie bei kaum einer Expedition zuvor, als er sich dem Sternen-Tor näherte. In seiner Begleitung befanden sich nicht nur Sam und Jakob Carter mit seinem TLS, sondern noch ein Dutzend Elitesoldaten der zum Schutz der Basis abgestellten Marines, doch ihre Gegenwart vermochte seine Nervosität nicht zu dämpfen. Weitere Männer waren beiderseits der Rampe stationiert. Teal'c würde mit dem zweiten TLS zurückbleiben. Aus dem Hintergrund der Halle hielt er den aktivierten Transphasen-Laser direkt auf das Sternen-Tor gerichtet. Falls noch ein Reetou versuchen sollte, auf diesem Weg in die Basis zu gelangen, würde dieser sofort sichtbar und von den Soldaten getötet werden. Jakob Carters Schulterwunde war durch seinen Symbionten bereits weitgehend geheilt und außerdem von Dr. Fraiser verbunden worden. Sam hatte ihn zu überreden versucht, in der Basis zu bleiben, doch er hatte darauf bestanden, sie zu begleiten, auch wenn er überzeugt war, dass die Expedition keine neuen Erkenntnisse bringen würde. O'Neill blickte sich noch einmal kurz um, dann trat er in das Transportfeld. Er verspürte den vertrauten Sog, als er durch eine Art Energietunnel binnen weniger Bruchteile von Sekunden durch eine übergeordnete Dimension zu seinem Tausende von Lichtjahren entfernten Ziel transportiert wurde. Neben ihm traten die beiden Carters aus dem Sternen-Tor, ihnen folgten gleich darauf die Marines. Hinter ihnen erlosch das Transportfeld. Während die Soldaten sofort ausschwärmten, hinter irgend welchen Hindernissen in Deckung gingen und das Tor in jede Richtung sicherten, drehte sich Jakob Carter mit dem -146-
TLS langsam einmal um die eigene Achse. Ihre Vorsicht erwies sich als unnötig. Nirgendwo war ein Reetou zu entdecken; hier schien es nur Hügel, Sand und Felsgestein zu geben. »Ich habe es Ihnen gleich gesagt, Jack«, kommentierte er. »Diese Mission ist sinnlos. Den Reetou- Trupp im StarGateCenter, der höchstwahrscheinlich von hier kam, haben wir eliminiert, und für den Fall, dass sich noch ein weiterer Trupp hier aufhält, bringen wir uns höchstens in Gefahr.« »Dann wissen wir wenigstens sicher, ob diese Kreaturen wirklich von hier kamen, und dass sich vermutlich noch weitere auf der Erde aufhalten.« entgegnete Sam. »Also los, sehen wir uns etwas um, uns bleibt nicht viel Zeit«, ordnete O'Neill an. Sie hatten ausdrücklichen Befehl, sich nur kurz auf M6S-728 umzusehen und so schnell wie möglich zurückzukehren. »Eine Richtung dürfte so gut wie die andere sein. Überprüfen wir erst einmal, was hinter den Hügeln da vorne liegt.« Sie stapften auf eine wenige Meter hohe Hügelkette zu, die sich etwa zweihundert Meter nördlich von ihnen erstreckte. Immer wieder schwenkte Jakob Carter den TLS in alle Richtungen, damit sie einen sich nähernden Reetou rechtzeitig entdeckten. Als sie nur noch wenige Schritte vom Fuß der Hügelkette entfernt waren, blieb er plötzlich stehen, klammerte die Arme um seinen Leib und krümmte sich zusammen. »Was ist los, Dad?« fragte Sam alarmiert. »Reetou«, antwortete er mit verzerrter Goa'uld-Stimme, und seine Augen begannen von innen zu glühen. Selmak hatte die Kontrolle über den gemeinsamen Körper übernommen. »Es sind wirklich Reetou hier, ich kann sie spüren. Sie müssen sich hinter den Hügeln befinden.« »Wie viele sind es?«, erkundigte sich O'Neill. -147-
»Das weiß ich nicht.« »Dann werden wir es herausfinden müssen. Also weiter.« Geduckt stiegen sie den sanften Hang hinauf und spähten vorsichtig über die Hügelkuppe. Selmak richtete den TLS auf die dahintergelegene Ebene. O'Neill stockte fast der Atem. Das Bild, das sich ihnen bot, hätte geradewegs aus dem Film »Starship Troopers« stammen können. Aus der Ferne betrachtet, hatten die Reetou aufgrund ihrer überlangen Gliedmaßen tatsächlich eine beträchtliche Ähnlichkeit mit den Bugs, den ebenfalls insektoiden Ungeheuern des Films. »Verdammt, das glaube ich einfach nicht«, keuchte Sam leise. O'Neill brauchte einen Moment länger, um seinen Schreck zu verdauen. »Kleine Gruppen von fünf, höchstens zehn, wie?«, stieß er hervor. Wie meistens, wenn er besonders angespannt war, flüchtete er sich in Sarkasmus. »Ich war zwar nie besonders gut in Mathematik, aber ich könnte schwören, dass das ein paar mehr sind.« Hunderte, wenn nicht Tausende der Kreaturen tummelten sich auf der Ebene, und jedesmal, wenn Selmak den TLS ein Stück zur Seite schwang, wurden weitere von ihnen durch den Transphasen-Laser sichtbar gemacht. »Ich verstehe das nicht. Es widerspricht völlig dem bisherigen Vorgehen der Reetou-Rebellen«, erwiderte Selmak. Auf seiner Stirn glänzte Schweiß. Die Nähe der zahllosen Ungeheuer musste für ihn fast unerträglich sein. »Dann haben sie ihre Taktik offenbar geändert«, stellte O'Neill fest. »Das da unten sieht für mich jedenfalls verdammt nach einer Invasionsarmee aus. Wenn der gute Campbell wüßte, was sich da die ganze Zeit in der unmittelbaren Nähe von SG-4 aufgehalten hat... Es muss den verdammten Biestern ziemlich schwer gefallen sein, die Männer ungeschoren zu lassen.« Er -148-
räusperte sich. »Also gut, wir haben erfahren, was wir wissen wollten, auch wenn es mir ganz und gar nicht gefällt. Machen wir uns auf den Heimweg.« So vorsichtig, wie sie heraufgestiegen waren, krochen sie den Hügel wieder hinunter und kehrten zum Sternen-Tor zurück. Sam gab die Koordinaten der Erde in das Kontrollelement ein. Die Marines traten als erste in das Transportfeld. Sam und O'Neill warteten bei Selmak, der mit dem TLS die Umgebung kontrollierte. Das Kullern eines Steins ließ sie zusammenschrecken. Sie hatten fast nur die Richtung beachtet, aus der sie kamen, und wo sie die Reetou entdeckt hatten. Das Geräusch jedoch war hinter ihnen aufgeklungen. Als Selmak herumfuhr, ließ der TLS fünf Reetou sichtbar werden, die mit ungeheurer Geschwindigkeit aus der entgegengesetzten Richtung auf sie zugestürmt kamen. Sie befanden sich nur noch wenige Meter vom Sternen- Tor entfernt. Reaktionsschnell betätigte Selmak den Abzug. Gleich zwei der Ungeheuer wurden in einer lautlosen Explosion zerrissen. Der Tok'ra warf sich zur Seite und entging dadurch nur haarscharf einem Plasmageschoss. Sofort sprang er wieder auf und rannte gemeinsam mit Sam und O'Neill auf das Sternen- Tor zu. Mit einem weiten Satz sprangen sie in das Transportfeld. »Sofort Iris schließen!«, brüllte O'Neill, während er Sam und Selmak mit sich zu Boden riss. Die Blende glitt zu, aber nicht schnell genug. Einem der Ungeheuer gelang es, durch die Öffnung zu ihnen hereinzuschlüpfen, wie im Wirkungsfeld von Teal'cs auf das Sternen-Tor gerichtetem TLS zu erkennen war. Die Automatikwaffen der an der Rampe stationierten Soldaten hämmerten los. Dutzende von Kugeln trafen die Kreatur und wirbelten sie in einem bizarren Tanz hin und her. Teal'c wagte es offenbar nicht, ebenfalls auf den Reetou zu schießen, solange -149-
dieser sich so nahe bei ihnen befand. An seiner Stelle feuerte Selmak, nachdem er sich auf den Rücken gewälzt hatte. Das Ungeheuer verging in einem grellen Energiestoß. Zwei Schläge trafen die mittlerweile geschlossene Iris. Auch die beiden verbliebenen Reetou hatten versucht, durch das Sternen-Tor zur Erde zu gelangen, doch die Blende verhinderte, dass sie sich materialisieren konnten. O'Neill richtete sich auf und trat auf General Hammond zu. »Leider gibt es schlechte Nachrichten, Sir«, erklärte er. »Die Gefahr ist noch weitaus größer, als wir bisher geglaubt haben.«
2 Die Beratungen hatten nur kurze Zeit gedauert, da niemand Einwände gegen den von Sam entwickelten Plan vorzubringen hatte. General Hammond hatte sich telefonisch mit dem Präsidenten in Verbindung gesetzt, und auch dieser hatte sein Einverständnis gegeben. Die Vorbereitungen hatten nur eine knappe Stunde in Anspruch genommen. Damit blieb noch etwa eine weitere Stunde, bis das Zeitschloss die Verriegelung der Außenschotts wieder freigeben würde. Nach den aktuellsten Berechnungen von Dr. Fraiser hatten sie dann noch vierundfünfzig Minuten Zeit, Cassandra zu dem ehemaligen Atomtestgelände zu bringen, ehe die Bombe in ihr explodierte. Zunächst aber ging es um eine ganz andere Bombe. Die beim Kampf gegen den Reetou zerstörte Panoramaglasscheibe war ersetzt worden, und vom Kontrollraum aus blickte O'Neill mit gemischten Gefühlen in die Transportkammer hinunter. Dort stand ein kleines Gefährt vor der Rampe; eine umgebaute und um alle hierbei nicht benötigten Geräte erleichterte Version des Aufklärungsroboters. Anstelle der zahlreichen Messgeräte war sie dafür mit zwei Atomsprengköpfen bestückt worden. »Bis auf einige dringend benötigte Proben, haben wir -150-
sämtliches verfügbare Naquadah mit auf die Sonde gepackt«, berichtete ein Experte. »Es wird die Sprengwirkung um ein Vielfaches verstärken. Unsere Berechnungen haben ergeben, dass die Reaktion auch auf das von SG-4 im Boden auf M6S728 entdeckte Naquadah- Erz übergreifen und eine weitere Vervielfachung bewirken wird.« »Aber wird es ausreichen, auch wirklich sämtliche Reetou zu töten?«, vergewisserte sich General Hammond. »Wir gehen davon aus, dass schon Sekundenbruchteile nach der Explosion sämtliches Leben im Umkreis von rund fünfzig Kilometern ausgelöscht wird. Selbst wenn einzelne Reetou die Explosion überleben sollten, und selbst wenn das Sternen- Tor nicht zerstört werden sollte, so wird der Boden in weitem Umkreis verflüssigt, und es wird unter Tonnen anschließend wieder erstarrten Gesteins begraben.« »Ein ziemlich heftiges Feuerwerk«, kommentierte O'Neill. Er verspürte keinerlei Gewissensbisse bei dem Gedanken, die Reetou auf diese Art zu töten. Diese hatten ihre Skrupellosigkeit bewiesen, als sie die gesamte Bevölkerung von Hanka ausgelöscht hatten, und mit der Vernichtung der ReetouRebellen auf M6S-728 retteten sie vielleicht zahlreiche andere Welten vor dem gleichen Schicksal. Hammond gab einige Anweisungen. Neben zahlreichen Marines hatten sich Teal'c und Selmak mit den TLS in der Transportkammer postiert, um sicherzustellen, dass nach der Öffnung des Tores keine weiteren Reetou in die Basis eindringen würden. Lediglich Sam, von der der Plan ursprünglich stammte, hatte darauf verzichtet, seiner Ausführung beizuwohnen. Stattdessen kümmerte sie sich um Cassandra. Der Ring des Sternen-Tores bewegte sich, nacheinander rasteten die Klammern ein. Mit dem charakteristischen Wirbel baute sich das Transportfeld auf. Mittels Fernsteuerung setzte -151-
ein Techniker den bombenbestückten Roboter in Bewegung. Das Gefährt rollte die Rampe hinauf und drang durch das Feld. Es gab keine Versuc he von Reetou-Rebellen, es von der anderen Seite aus zu durchdringen. »Zeitzünder aktiviert«, teilte der Techniker mit. »Countdown läuft. Noch zehn Sekunden, neun, acht...« Eine Sekunde vor dem Ablauf des Countdowns erlosch das Transportfeld, damit nicht auch die Basis selbst von den Auswirkungen der Explosion in Mitleidenschaft gezogen werden konnte. »Bumm!«, machte O'Neill mit verbissenem Gesicht. Die Bedrohung durch die auf M6S-728 lauernden ReetouRebellen existierte nicht mehr. Aber er wusste auch, dass sie zwar eine wichtige Schlacht gegen den unsichtbaren Feind gewonnen hatten, nicht aber den gesamten Krieg.
3 »Ich habe Angst«, murmelte Cassandra. Sie saß auf Sam Carters Schoß auf einer dem beiden unbequemen Sitze im hinteren Teil des Transporthubschraubers, der sie zu dem stillgelegten Atomwaffentestgelände bringen würde, und drückte sich an sie. Ihre Worte waren über den Lärm der Rotoren kaum zu verstehen. »Wohin bringt ihr mich?« Ihre Stimme klang schläfrig, eine Wirkung des starken Beruhigungsmittels, das Dr. Fraiser ihr gegeben hatte. Zunächst hatte Sam gezögert, ihre Zustimmung dazu zu geben. Sie war sich nicht sicher, ob sie das Recht hatten, Cassandra auch noch die letzten Minuten ihres Lebens zu rauben, denn ursprünglich hatte Fraiser vorgeschlagen, sie völlig zu betäuben. Das jedoch hatte Sam völlig abgelehnt und schließlich diesem Kompromiss zugestimmt. Vielleicht war es besser, wenn das Mädchen sich in einem Dämmerzustand befand und gar nicht erst richtig -152-
mitbekam, was mit ihr geschah. Es war ohnehin schrecklich genug. »Wir müssen dich an einen anderen Ort bringen, weil du eine Gefahr für uns alle darstellst«, wiederholte Sam. Sie hatte es nicht fertig gebracht, Cassandra die ganze grausame Wahrheit zu sagen. »Aber... ich...« Cassandra brach ab. Sie war eingeschlafen, und obwohl Sam sich zuvor gegen eine Betäubung ausgesprochen hatte, hoffte sie jetzt fast schon, dass Cassandra erst gar nicht mehr aufwachte. Die Verzweiflung und Angst des Mädchens war für sie kaum noch zu ertragen, und wahrscheinlich wäre dies für alle die gnädigste Lösung. Sam nahm eine Hand von Cassandras Rücken und ergriff die ihres Vaters, der neben ihr saß. Seinem Gesicht war anzusehen, wie nah auch ihm das alles ging. Ihr gegenüber saßen O'Neill und Teal'c. Ihre Gesichter waren unbewegt, doch Sam wusste, dass auch sie mit ihr litten. Außerdem befanden sich noch zwei Soldaten, die früher auf dem Testgelände stationiert gewesen waren und sich dementsprechend gut dort auskannten, bei ihnen. Bis zuletzt hatten Sam und Dr. Fraiser geforscht und gehofft, dass sie doch noch herausfinden würden, wie sich der Tod des Mädchens verhindern ließ. Hauptsächlich hatten Sams Hoffnungen auf der fortgeschrittenen Technologie der Tok'ra geruht, doch schon nachdem Jakob ihr gesagt hatte, dass auch sie keinen Weg kennen würden, die Bombe zu entschärfen, hatte sie gewusst, dass höchstens noch ein Wunder Cassandra retten konnte. Dieses Wunder war ausgeblieben. Nach Ablauf der Sperrfrist waren die Ausgänge des SGCenters geöffnet worden. Sie hatten Cassandra aus der Basis und in den bereits wartenden Hubschrauber gebracht, der sofort losgeflogen war. Nun hatten sie ihr Ziel fast erreicht, die Maschine sank bereits tiefer. Sam blickte auf ihre Uhr. Ihnen -153-
blieb noch eine knappe Viertelstunde. Mit einem leichten Ruck landete der Hubschrauber kurz darauf. Sie stiegen aus. Da das Testgelände stillgelegt war, wurde es auch nicht beleuchtet. Nur ein flaches, langgezogenes Gebäude war in der beginnenden Dämmerung zu sehen. Der größte Teil der Anlage befand sich ohnehin unter der Erdoberfläche. Sie hasteten auf das Gebäude zu, wobei Sam Cassandra auch weiterhin trug. Einer der Soldaten öffnete mit einem Spezialschlüssel den Haupteingang. Der zweite drang mit einer Taschenlampe in das Gebäude ein und machte sich an einem Sicherungskasten zu schaffen. Wenige Sekunden später flammten grelle Neonröhren an der Decke auf. »Dort entlang«, sagte er. Sie eilten durch mehrere Gänge, bis sie einen Aufzug erreichten. »Soll ich jetzt übernehmen?«, erkundigte sich O'Neill, doch Sam schüttelte den Kopf. »Danke, Sir. Ich kann das schon.« »Dieser Aufzug fährt dreißig Stockwerke durch massiven Felsen in die Tiefe«, erklärte einer der Soldaten. »Es dauert drei Minuten, bis er unten ankommt. Sie müssen in spätestens vier Minuten vo n jetzt an wieder hochfahren, sonst schaffen wir es nicht mehr, rechtzeitig zu starten und uns weit genug zu entfernen.« »Wenn dort unten eine mittelschwere Atombombe gezündet würde, würden wir hier oben kaum etwas merken, wie man mir versichert hat«, ergä nzte O'Neill. »Aber wir können nur mutmaßen, welche Wirkung diese Bombe entfaltet. Es ist also besser, wenn wir möglichst weit weg sind.« Sam nickte. Wortlos trat sie mit der schlafenden Cassandra auf den Armen in die Kabine und drückte den untersten Knopf -154-
der Schalttafel. Die Türen schlossen sich, dann setzte sich der Lift in Bewegung. Jetzt, als sie mit Cassandra allein war, zerbrach die Maske aus Beherrschtheit, die sie bislang aufrecht erhalten hatte. Sie begann zu schluchzen, und einzelne Tränen rannen ihr aus den Augen. Fest drückte sie das Mädchen an sich, das plötzlich die Augen aufschlug. »Wo... wo sind wir?«, erkundigte sich Cassandra. Sam konnte nicht antworten. Sie wusste, dass sie sich gar nicht mehr beherrschen könnte und wahrscheinlich in einen richtigen Weinkrampf ausbrechen würde, wenn sie zu sprechen versuchte. »Weinst du?«, fragte das Mädchen. Sam bemühte sich, die Tränen zu unterdrücken und schüttelte den Kopf. Sie stellte Cassandra auf den Boden. Kurz darauf kam der Aufzug zum Stillstand, und die Türen öffneten sich wieder. Ein etwa zehn Meter langer Gang mit einem massiven Sicherheitsschott am Ende lag vor ihnen. Mit einem Knopfdruck ließ Sam das aus einer meterdicken Speziallegierung bestehende Schott aufgleiten. Ein großer, kahler Raum erstreckte sich dahinter. »Ich muss... dich jetzt allein lassen«, brachte Sam stockend heraus. »Ich kann... nicht bei dir bleiben, sondern muss... noch einmal nach oben.« Cassandra sagte nichts, sondern blickte sie nur voller Entsetzen und Verzweiflung an. »Aber du brauchst... keine Angst zu haben. Ich komme wieder«, versprach Sam, obwohl sie wusste, dass es eine Lüge war. Aber sie konnte das Mädchen nicht ohne wenigstens diesen falschen Trost zurücklassen. »Ich komme wieder, hörst du?« Cassandra blickte sie weiterhin nur schweigend an, doch in ihren Augen schien etwas zu erlöschen. Sie hatte erkannt, dass -155-
es sich um eine Lüge handelte. »Du bist... sehr tapfer, das weißt du«, sagte Sam. Sie drückte Cassandra noch einmal an sich und strich ihr über die Haare, dann richtete sie sich auf und wandte sich abrupt ab. Sie hätte den vorwurfsvollen Blick keine Sekunde länger ertragen. Mit raschen Schritten verließ sie den Raum. »Ich werde sehr tapfer sein«, hörte sie das Mädchen hinter sich sagen, dann hatte sie das Schott passiert und schloss es hinter sich. So schnell sie konnte, rannte sie zum Aufzug. Als sie die Kabine erreicht hatte und den Knopf für das Erdgeschcss gedrückt hatte, brachen die Tränen wie ein Wasserfall aus ihr hervor. Sie schlug und trat wieder und wieder gegen die stählernen Wände, um dem in ihr wütenden Schmerz ein Ventil zu verschaffen, bis plötzlich alle Kräfte sie zu verlassen schien und sie sich wie ein Häufchen Elend in eine Ecke sinken ließ, die Beine anzog und ihre Arme um die Knie schlang. Ihr Blick war auf die digitale Anzeige über der Kabinentür geöffnet. Der Lift schien sich nur quälend langsam zu bewegen. Drei Minuten bis zur Oberfläche, alle sechs Sekunden ein Stockwerk. Aber die Ziffern nahm sie nur am Rande wahr. Noch immer glaubte sie Cassandras von Verzweiflung und Leid gezeichnetes Gesicht vor sich zu sehen, und sie hörte sich selbst lügen, als sie versprach, sie würde zurückkommen. Diese Erinnerungen würde sie niemals abschütteln können, sie würden sie für den Rest ihres Lebens verfolgen. Und mit einem Mal wurde Sam klar, dass sie nicht damit fertig werden, dass sie daran zerbrechen würde. Sie würde so nicht weiterleben können. Es gab nur eines, was sie tun konnte. Wie in Trance erhob sie sich und trat an die Schalttafel. Sie betätigte den Knopf, mit dem man den Lift anhalten konnte, wartete, bis er mit einem Ruck zum Stillstand gekommen war, und drückte dann erneut den untersten Knopf. Der Aufzug glitt wieder in die Tiefe. -156-
Was sie vorhatte, war Wahnsinn, und doch wusste sie, dass es das Richtige war. Als sie Cassandra zur Erde gebracht hatte, hatte sie ihr versprochen, sich um sie zu kümmern, sie nie im Stich zu lassen. Nun war es an der Zeit, dieses Versprechen einzulösen, auch wenn es sie das Leben kosten würde. Das Funkgerät in einer Tasche ihrer Uniform begann zu piepen. Auch O'Neill und die anderen konnten an einer Anzeige erkennen, dass der Aufzug wieder nach unten glitt. Sie holte das Funkgerät heraus und schaltete es ein. »Verdammt, Carter, was hat das zu bedeuten?«, drang O'Neills besorgte Stimme aus dem Lautsprecher. »Was ist da unten los?« »Colonel, ich bleibe hier«, teilte Sam ihm mit brüchiger Stimme mit. »Was? Sind Sie völlig verrückt geworden? In ein paar Minuten fliegt diese ganze Anlage in die Luft.« »Es tut mir Leid, aber ich kann Cassandra nicht allein lassen.« »Hören Sie, Major, ich erteile Ihnen den ausdrücklichen Befehl, sofort nach oben zu kommen, haben Sie mich verstanden?« »Stellen Sie mich sonst vor ein Kriegsgericht? Leben Sie wohl, Jack. Die Zeit mit Ihnen und den anderen hat mir viel bedeutet, aber jetzt...« »Sam?«, ertönte die aufgeregte Stimme ihres Vaters. »Sam, hör mir zu! Du kannst nicht...« »Ich liebe dich, Dad. Aber ich kann nicht anders handeln. Ihr solltet jetzt lieber zusehen, dass ihr von hier wegkommt. Ich...« Die Stimme versagte ihr. Sie schaltete das Funkgerät aus. Als es sofort wieder zu piepsen begann, schaltete sie den Ton stumm. Der Lift hatte die unterste Etage wieder erreicht. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis sich die Türen öffneten, und noch länger dauerte es, bis das Schott endlich aufgeglitten war. -157-
»Sam!«, Cassandra kam auf sie zugestürmt. Sam drückte auf den Knopf, der das Schott hinter ihr wieder schloss, dann fing sie das Mädchen auf. »Du bist zurückgekommen, du bist wirklich zurückgekommen!« »Ich habe es... dir doch versprochen«, stieß sie mühsam hervor, hob Cassandra hoch und drückte sie an sich. Dabei warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Noch zehn Sekunden bis zur Explosion. Fünf. Sam schloss die Augen und strich Cassandra mit der Hand über den Rücken. Noch vier Sekunden. Drei. Zwei. Noch eine Sekunde. Nichts geschah.
4 »Major?« Mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen wippte O'Neill auf den Füßen vor und zurück und hüstelte dezent. Widerstrebend riss Sam sich von ihrem Vater los. In unregelmäßiger Reihenfolge hatte er sie in den letzten Minuten wieder und wieder wegen ihrer Entscheidung, bei Cassandra zu bleiben, gescholten, ihren Mut gelobt und sie an sich gedrückt. Sie drehte sich zu O'Neill um. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals so froh sein würde, dass Sie Gelegenheit bekommen, mich vor ein Kriegsgericht zu stellen«, sagte sie lächelnd. »Nun, auch wenn Sie sich meinem ausdrücklichen Befehl widersetzt haben, denke ich, dass wir die Angelegenheit mit einem disziplinarischen Tadel auf sich beruhen lassen können. Also, fühlen Sie sich getadelt. Und jetzt erklären Sie uns endlich, woher, zum Teufel, Sie gewusst haben, dass die Bombe -158-
nicht explodieren würde, und warum Sie das nicht früher gesagt haben. Dann hätten wir uns nämlich nicht nur den Ausflug hierher, sondern auch ein paar graue Haare sparen können.« Zur Sicherheit, falls es sich nur um einen Fehler in Dr. Fraisers Berechnungen gehandelt hätte, hatten Sam und Cassandra noch eine halbe Stunde in dem unterirdischen Bunker gewartet, erst dann waren sie zur Oberfläche zurückgekehrt. Die anderen hatten sie bereits am Aufzug erwartet. »Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen, Sir«, antwortete Sam. »Ich wusste es nicht.« »Sie meinen, Sie haben...« »Ich hatte lediglich eine vage Hoffnung, und auch diese Idee kam mir erst, nachdem ich mich entschlossen hatte, zu Cassandra zurückzukehren. Zwei Faktoren gaben mir zu denken. Wir haben festgestellt, dass die Steuerung der Bombe intelligent genug war, auf äußere Einflüsse wie beispielsweise den operativen Eingriff zu reagieren. Außerdem reagierte sie auf die Nähe des Sternen-Tores. Als Cassandra sich ihm näherte, wurde der Countdown abrupt beschleunigt. Ich konnte nur hoffen, dass umgekehrt der gegenteilige Effekt eintreten würde, und ich hatte Recht.« Unwillkürlich wich O'Neill einen Schritt zurück und warf einen Blick zu Cassandra hinüber. Teal'c hielt sie auf seinen Armen. Während des Wartens war sie erneut eingeschlafen, eine Nachwirkung der starken Beruhigungsmittel. »Soll das heißen, dieses Ding in ihr tickt noch immer, nur langsamer?« »Nein, ich bin überzeugt, dass diese Gefahr gebannt ist. Die Reetou wollten das Sternen-Tor vernichten. Als sich Cassandra nach Ablauf der Frist weit genug davon entfernt befand, gab es keinen Grund mehr für eine Explosion. Ich bin überzeugt davon, dass sich der Sprengsatz wieder in seine molekularen Grundbestandteile aufgelöst hat. Das werden die -159-
Untersuchungen ergeben. Die Gefahr ist endgültig gebannt.« Erleichtert atmete O'Neill auf. »Das bedeutet, dass wir auf ganzer Linie erfolgreich waren.« »Vergisst du dabei nicht etwas, O'Neill?«, mischte sich Teal'c ein. »Was ist mit Daniel Jackson?« »Keine Sorge, das habe ich nicht vergessen. Diesem Problem werden wir uns als nächstes mit aller Kraft widmen. Wir werden schon herausfinden, wo er geblieben ist. Aber jetzt schlage ich vor, wir verschwinden erst einmal von hier. Diese Umgebung schlägt mir auf den Magen.« »Da gibt es noch einen Punkt, der mir nicht einleuchtet«, ergriff Jakob Carter wieder das Wort, während sie sich dem Ausgang näherten. »Ich frage mich schon die ganze Zeit, was dieser Massenaufmarsch der Reetou auf M6S-728 zu bedeuten hat. Er ergibt überhaupt keinen Sinn.« »Oh,für mich ergibt das verdammt viel Sinn«, widersprach O'Neill. »Ich erkenne eine Invasionsarmee, wenn ich sie sehe. Wir können nur froh sein, dass wir diesen Bastarden zuvorgekommen sind und ihnen kräftig in den Hintern getreten haben.« »Ich stimme Ihnen zu, dass es sich offenbar um eine Invasionsarmee gehandelt hat«, sagte Jakob Carter. »Nur frage ich mich, wie sie zur Erde hätte gelangen wollen.« »Wie schon? Durch das Sternen-Tor natürlich, das ist doch...« O'Neill brach ab und blieb abrupt stehen. Auch Sam begriff plötzlich, worauf ihr Vater hinaus wollte. »Aber das Sternen-Tor wollten sie mit der Bombe in Cassandra sprengen. Sie hätten es also nicht benutzen können.« »Eine Invasionsarmee, die die Brücke über den Fluß zerstört, den sie überqueren will, handelt strategisch unlogisch«, warf Teal'c ein. »Es sei denn, es gibt noch eine weitere Brücke, die sie...«, -160-
begann O'Neill, wurde jedoch von Sam unterbrochen. »Das zweite Tor!«, platzte sie heraus, erschrocken über diese Erkenntnis, die ihr urplötzlich gekommen war. »Wenn die Reetou es geschafft hätten, das SG-Center und damit unser Haupttor zu vernichten, würde jeder Transport zu dem zweiten Tor umgeleitet werden.« »Es gibt ein zweites Sternen-Tor auf der Erde?«, hakte ihr Vater fassungslos nach. »Warum habt ihr mich nicht früher davon erzählt? Dann wäre mir alles schon viel früher klargeworden.« »Wir haben es vor einiger Zeit durch einen Zufall entdeckt«, berichtete O'Neill. »Aber die Reetou hätten keine Chance, es zu benutzen. Es ist in seine Einzelteile zerlegt worden und lagert sicher bewacht in einem Militärstützpunkt in Arizona.« »Dann ist damit zu rechnen, dass genau dieses Tor das Ziel für ein Terrorkommando der Reetou-Rebellen ist«, behauptete Jakob Carter. »Wahrscheinlich haben sie das Tor längst zusammengebaut, und da es keine Irisblende besitzt, hätte die auf M6S-728 zusammengezogene Armee auf diesem Weg ungehindert nach der Vernichtung des SG-Centers auf die Erde gelangen können. Wir müssen sofort zu diesem Stützpunkt. Vielleicht können wir sie dort noch abfangen, bevor sie vom Scheitern ihres Planes erfahren und an anderer Stelle Terroranschläge unternehmen.« O'Neill brauchte nicht lange zu überlegen. So sehr auch Jakob Carter von seinem Verdacht überzeugt schien, so konnte man doch eine Menge Einwände dagegen finden. So müssten die Reetou zunächst einmal überhaupt von dem zweiten Tor wissen, sie müssten herausgefunden haben, wo es sich befand, und sie müssten dorthin gelangen, um es zusammenzubauen. Möglicherweise hatte es sich bei dem Reetou-Kommando, das sie im SG-Center getötet hatten, sogar um das Team gehandelt, das genau diese Aufgabe gehabt hatte, sodass sie diese Gefahr -161-
bereits beseitigt hatten, ohne es überhaupt zu wissen. Dennoch waren Jakobs Befürchtungen zu gravierend, als dass O'Neill sie einfach ignorieren konnte. »Fliegen wir hin und sehen wir zumindest einmal nach dem Rechten«, entschied er.
5 Natürlich war auch General Hammond sehr erfreut, als sie ihm über Funk mitteilten, dass Cassandra noch am Leben und die Bombe entschärft war. Sams Verhalten verschwieg O'Neill in seinem Bericht und kam stattdessen rasch auf Jakobs Verdacht zu sprechen. Hammond zeigte sich sehr besorgt darüber und war sofort damit einverstanden, dass sie sich auf dem Stützpunkt, in dem das zweite Sternen-Tor gelagert wurde, umsahen. Er versprach, sich sofort mit dem wachhabenden Kommandanten und den zuständigen Stellen im Pentagon in Verbindung zu setzen. Nur wenige Minuten später meldete er sich wieder und teilte ihnen mit, dass in dem Stützpunkt niemand zu erreichen gewesen sei. Hatte O'Neill Jakobs Vermutung anfangs noch für wenig wahrscheinlich gehalten, so änderte diese Nachricht einiges. Es war praktisch ausgeschlossen, dass in einem Militärstützpunkt niemand telefonisch erreichbar war, wenn nicht etwas Gravierendes passiert war, was das unmöglich machte. Von diesem Moment an rechnete auch O'Neill mit dem Schlimmsten und änderte sein geplantes Vorgehen. Er wies den Piloten an, einen geeigneten Landeplatz in der Nähe zu suchen, statt direkt auf dem Stützpunkt niederzugehen. Falls sich dort wirklich Reetou-Rebellen aufhielten, wollte er sie nicht vorzeitig warnen, sondern sich das Überraschungsmoment als Vorteil bewahren. Es behagte ihm nicht, dass sich Cassandra bei -162-
ihnen befand, da er sie nicht in neuerliche Gefahr bringen wollte, doch hätte es einen Riesenumweg bedeutet, wenn sie erst zum SG-Center zurückgeflogen wären, um sie dort abzusetzen. Auch deshalb war es günstiger, dass der Hubschrauber etwas abseits des Militärgeländes landete. Zusammen mit dem Piloten und Co-Piloten blieb das schlafende Mädchen in der Maschine zurück. Sie erreichten die Einfahrt zürn Stützpunkt. Das Wachhäuschen war leer, und als sie die Tür aufbrachen, entdeckten sie im Inneren die beiden Toten. Sam untersuchte sie hastig. »Sie sind eindeutig von Plasmawaffen getötet worden«, berichtete sie. »Das ist wohl der endgültige Beweis, dass sich wirklich Reetou hier aufhalten.« Noch vorsichtiger als bisher drangen sie weiter vor. Als erstes Gebäude untersuchten sie den ehemaligen Hangar. Das Innere war hell erleuchtet, das Tor stand offen. Mit dem Suc hstrahl der TLS leuchteten sie den gesamten Hangar aus, doch es waren keine Reetou zu entdecken. Dafür aber sahen sie das SternenTor. Die Einzelteile waren aus den Kisten geholt, der Ring bereits fast vollständig zusammengebaut worden. Irgendetwas schien die Reetou dann aber davon abgehalten zu haben, ihr Werk zu vollenden. »Sehen wir uns weiter um«, entschied O'Neill. Sie näherten sich dem großen Hauptgebäude. Dabei entdeckten sie eine Menge Kampfspuren, die in der Dunkelheit zunächst nicht sichtbar gewesen waren. Es gab große verbrannte Stellen im Boden, wo sich anscheinend vorher Busch- oder Baumgruppen befunden hatten. Auch ein Lagerschuppen war völlig niedergebrannt. Die Eingangstür des Verwaltungsgebäudes war aus den Angeln gerissen worden. Auch im Inneren gab es Kampfspuren. Direkt im ersten Korridor entdeckten sie nicht nur zwei Tote, -163-
sondern auch mehrere Plasmaeinschläge im Boden und den Wänden. »Sollen wir uns aufteilen?«, erkundigte sich Sam. O'Neill überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. »Hier ist die Situation völlig anders als im SG-Center. Wir kennen uns hier nicht aus, außerdem wissen wir nicht, mit wie vielen Gegnern wir es zu tun haben. Es ist besser, wenn wir zusammenbleiben, zumal wir ohnehin nur die zwei TLS haben.« Schnell, aber dennoch vorsichtig durchsuchten sie das Erdgeschoss. Sie fanden weitere Tote, begegneten aber keinem einzigen Reetou. Das änderte sich, als sie die Treppe zum ersten Stock hinaufstiegen. O'Neill ging voraus, während Selmak, der wieder die Kontrolle über Jakob Carters Körper übernommen hatte, sie mit seinem TLS nach hinten absicherte. Schon im ersten Gang, in den O'Neill blickte, ließ der TLS eines der Aliens sichtbar werden. Glücklicherweise entdeckte es ihn nicht, sondern schaute gerade in eines der Zimmer. Das Plasmagewehr hielt es schussbereit im Anschlag. O'Neill zielte und drückte ab. Die Energieentladung des TLS tötete den Reetou. »Einer weniger«, kommentierte er zufrieden. Sie setzten die Durchsuchung des Verwaltungsgebäudes fort. Dabei entdeckten sie zahlreiche Tote, vor allem in der Kantine. Offenbar war die gesamte Besatzung des Stützpunktes von den Invasoren getötet worden. Auf weitere Reetou stießen sie jedoch nicht, obwohl sie sämtliche Gebäude mehrfach absuchten. Wie Selmak erklärte, war dies mehr als ungewöhnlich, da die Reetou nie als Einzelkämpfer sondern stets in kleinen Gruppen arbeiteten, doch hier waren sie offenbar anders vorgegangen. Die vielen Toten, die auf das Konto nur eines einzigen der Außerirdischen gingen, unterstrich noch einmal eindringlich, wie ungeheuer gefährlich sie waren. Schließlich rief O'Neill im SG-Center an und erstattete -164-
General Hammond einen knappen Bericht. Dieser ordnete an, dass sie zur Basis zurückkehren sollten. Alles weitere wäre nun Angelegenheit des Pentagons. Sie verließen den Stützpunkt und machten sich auf den Rückweg zum Hubschrauber.
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DIE GIGANTEN 1 Vor Überraschung war Daniel nicht in der Lage, sich zu bewegen. Er konnte nicht glauben, was er sah. Gerade noch hatte er dem sicheren Tod ins Auge geblickt und mit seinem Leben abgeschlossen. Stattdessen jedoch lebte er noch, während der Reetou tot war. Nur langsam begriff er, was geschehen war. Es kam ihm wie ein völlig unbegreifliches Wunder vor. Fassungslos blickte er zu den anderen Mitgliedern von SG-1 hinüber, die zusammen mit Jakob Carter und zwei Soldaten am Ende des Korridors aufgetaucht waren und langsam näher kamen. Nein, nicht Carter, verbesserte er sich gleich darauf, als er die Augen des Mannes leuchten sah. Selmak besaß momentan die Kontrolle über den Körper. O'Neill und der Tok'ra hielten je einen TLS in den Händen, dank derer sie den Reetou entdeckt hatten. Daniel wusste nicht, wer von beiden geschossen und die Kreatur getötet hatte, aber es spielte auch keine Rolle. Wichtig war nur, dass der Reetou tot und die Gefahr damit gebannt war, da es sich um den letzten Terroristen hier im Stützpunkt handelte. Offenbar hatte doch noch jemand außer ihm die richtigen Schlußfolgerungen aus dem Vorgehen der Aliens gezogen und ihren Plan durchschaut, und das ge rade rechtzeitig, um ihm das Leben zu retten, auch wenn das noch keiner der anderen wusste. Aufatmend lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Wand, ohne daran zu denken, dass diese für ihn nicht materiell war. Haltlos glitt er hindurch, taumelte nach hinten und wäre beinahe gestürzt. Nur mit knapper Not hielt er sich auf den Beinen und trat wieder auf den Korridor hinaus. Niemand hatte sein Mißgeschick bemerkt. Am Verhalten der -166-
anderen konnte er erkennen, dass er wie vermutet trotz ihrer TLS für sie unsichtbar blieb, sonst hätte sicherlich schon einer von ihnen auf das unverhoffte Wiedersehen mit ihm reagiert. Stattdessen rückten sie jedoch nur langsam und mit größter Vorsicht weiter vor, jederzeit auf einen Angriff gefasst. »Danke!«, stieß Daniel hervor, auch wenn er wusste, dass sie ihn nicht hören konnten. »Leute, ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich euch bin. Ich wünschte nur, ihr könntet mich sehen und hören, dann könntet ihr euch entspannen und aufhören, hier Wildwest zu spielen. Den größten Teil der Drecksarbeit habe ich nämlich schon erledigt.« Natürlich reagierte niemand auf seine Worte. Jack O'Neill sicherte mit seinem TLS den Gang vor ihnen, während Selmak sicherstellte, dass niemand sich ihnen von hinten näherte. Gewissenhaft überprüften sie jeden Raum, an dem sie vorbeikamen. Gelegentlich erteilte O'Neill einen leisen Befehl. Die Erleichterung über seine Rettung und den Sieg über die Reetou versetzte Daniel in eine Euphorie. Da er wusste, dass sich keine Aliens mehr hier aufhielten, wirkte das Vorgehen der Einsatzgruppe völlig übertrieben, fast schon lächerlich auf ihn. Er verspürte keine Lust, die Gruppe durch das gesamte Gebäude zu begleiten, außerdem war er nach den Strapazen und der Aufregung erschöpft und müde. Es war anzunehmen, dass sie mit einem Helikopter hergeflogen waren, sonst hätten sie nicht schon so rasch hier sein können. Da er die Maschine nicht landen gehört hatte, musste sie ein Stück entfernt heruntergegangen sein, wohl um die Reetou nicht vorzeitig zu warnen. Er erinnerte sich daran, dass er auf dem Weg hierher etwa eine halbe Meile von dem Stützpunkt entfernt an einer großen Lichtung vorbeigekommen war, und machte sich auf den Weg dorthin. Wie erhofft, entdeckte er dort einen Transporthubschrauber der Army, der auf der Lichtung gelandet war. Der Pilot und ein weiterer Mann standen ein paar Schritte davon entfernt, rauchten -167-
und unterhielten sich leise. Daniel stieg in die Maschine ein. Zu seiner großen Überraschung entdeckte er Cassandra schlafend auf einer der Sitzbänke. Den Berechnungen von Dr. Fraiser zufolge hätte die Bombe in ihrem Körper längst explodieren müssen. Offenbar war es gelungen, den Sprengsatz doch noch irgendwie zu entschärfen. Nun, er würde schon noch eine Erklärung dafür bekommen. Im Moment war Daniel viel zu müde, um sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Er machte es sich auf der freien Sitzbank halbwegs gemütlich. Wenigstens brauchte er sich keine Gedanken mehr darüber zu machen, wie er zur Basis zurückkam. Keine zwei Minuten später war er eingeschlafen.
2 Nach der Rückkehr zur Basis erwarteten O'Neill unangenehme Neuigkeiten. Charlies Gesundheitszustand hatte sich rapide verschlechtert, es bestand akute Lebensgefahr. »Er wird sterben«, präzisierte Dr. Fraiser, als O'Neill sofort in die Krankenstation eilte. »Spätestens morgen, falls er die Nacht überhaupt überlebt. Es tut mir sehr Leid, dass ich keine besseren Nachrichten für Sie habe. Ich habe alles versucht, aber mehrere seiner Organe haben bereits versagt. Mit unseren medizinischen Kenntnissen können wir seinen Tod nur noch ein wenig hinauszögern, nicht aber verhindern.« Wütend schlug O'Neill mit der Faust gegen die Wand. Das alles kam ihm so ungerecht vor. Entgegen aller Erwartungen hatte Cassandra überlebt, aber als wolle der Tod auf sein sicher geglaubte Opfer nicht verzichten, schickte er sich nun an, Charlie als Ersatz zu holen. »Muss er sehr leiden?«, erkundigte er sich. -168-
»Nein.« Fraiser schüttelte den Kopf. »Ich habe ihm starke Schmerz und Beruhigungsmittel gegeben. Er schläft. Es ist bestimmt das Beste für ihn.« Niedergeschlagen nickte O'Neill. Er wäre gerne zu Charlie gegangen und bei ihm geblieben, doch General Hammond erwartete ihn zusammen mit den anderen zu Bericht über die Vorfälle in dem Stützpunkt. So beschränkte er sich darauf, nur kurz nach dem Jungen zu sehen, ehe er sich auf den Weg ins Besprechungszimmer machte. Die wichtigsten Informationen, die er Hammond schon telefonisch geliefert hatte, hatte dieser bereits an seine zuständigen vorgesetzten Stellen weitergeleitet. Das Pentagon würde dafür sorgen, dass die Wahrheit nicht an die Öffentlichkeit gelangte. Man würde sich um alles kümmern und irgendeine Ausrede erfinden, um die Toten zu erklären. O'Neill hielt sich bei der Besprechung zurück und überließ es hauptsächlich Sam, alles zu berichten. Nur gelegentlich ergänzte er ihre Schilderungen, ansonsten war er in Gedanken die meiste Zeit bei Charlie. Dr. Fraiser untersuchte in der Zwischenzeit Cassandra und konnte schließlich mitteilen, dass sich der Sprengsatz, der sich ja erst nach dem Passieren des Sternen-Tores in ihrem Körper gebildet hatte, wie erhofft auf gleichermaßen unbegreifliche Art wieder aufgelöst hatte. Die Mineralien, aus denen er bestanden hatte, waren von ihrem Organismus entweder bereits absorbiert worden, oder würden - was vor allem das Naquadah betraf - in den nächsten Tagen ausgeschieden werden. »Dann bleibt nur noch die Frage, was mit ihr nun geschehen soll«, stellte General Hammond fest. »Ich möchte sie nach Möglichkeit nicht unter die Fürsorge des Geheimdienstes oder des Militärs stellen. Anderseits können wir sie auch nicht in ein ganz normales Waisenhaus stecken. Mit ihrem Wissen über das Sternen-Tor und dieses Projekt stellt sie eine zu große Gefahr -169-
für die Geheimhaltung dar.« »Sie ist nur ein Kind«, gab O'Neill zu bedenken. »Man würde es ihrer Phantasie zuschreiben, wenn sie von Reisen zu anderen Welten zu erzählen anfinge.« »Trotzdem ist das Risiko zu groß, dass sie irgendetwas erzählt, was an die falschen Ohren gelangt, wenn wir sie völlig aus entsprechender Aufsicht entlassen. Meine Vorgesetzten werden das sicherlich genauso sehen.« »Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass irgendwelche Geheimdienste Cassandra für den Rest ihres Lebens wegschließen!«, stieß Sam impulsiv hervor. »Wir müssen eine andere Lösung finden«, bekräftigte Hammond. Keiner von ihnen hatte Zweifel, dass es Cassandra am liebsten wäre, wenn Sam zukünftig für sie verantwortlich wäre. Immerhin hatte sie zu ihr das engste Vertrauensverhältnis aufgebaut. Auch Sam würde diese Aufgabe liebend gerne übernehmen, doch gab es gewichtige Gründe, die dagegen sprachen. Durch ihre Arbeit bei SG-1 war sie sehr häufig unterwegs, meistens für mehrere Tage oder auch schon mal Wochen, sodass sie ein denkbar schlechter Mutterersatz wäre. »Ich... könnte mir vorstellen, diese Aufgabe zu übernehmen«, meldete sich schließlich Dr. Fraiser mit ungewohnter Verlegenheit zu Wort. Einen Moment lang blickten sie alle überrascht an, da niemand mit einem solchen Angebot von ihrer Seite aus gerechnet hatte. Fraiser lebte allein, sie war quasi mit ihren Beruf verheiratet. Auch O'Neill ertappte sich dabei, dass er sie bislang fast nur in ihrer Funktion als Ärztin wahrgenommen hatte, bestenfalls noch als eine Art Kumpel, aber kaum als Frau. Rasch wurde aber allen bewusst, dass sie für diese Aufgabe hervorragend geeignet war. Sie konnte sehr gut mit Kindern umgehen, das hatte sie bereits oft unter Beweis gestellt, und sie -170-
war für Cassandra keine Unbekannte. Auch die beiden verstanden sich gut. Wie sie gestand, wollte sie ohnehin Kinder und hatte schon häufiger über eine eigene Familie nachgedacht, nur bislang noch nicht den richtigen Mann gefunden. Die Lösung erschien optimal, und selbst Sam konnte sich schnell dafür erwärmen. Hammond rechnete zwar damit, dass der Geheimdienst zunächst auf einer Isolierung Cassandras bestehen würde, doch zeigte er sich zuversichtlich, diesen Widerstand überwinden zu können und dafür zu sorgen, dass das Mädchen in Dr. Fraisers Obhut gegeben wurde. Er versprach, sich um alles zu kümmern. »Nun, bei Charlie wird sich dieses Problem ja wohl erst gar nicht stellen«, sagte O'Neill bitter, nachdem dieser Punkt geklärt war. »Es gäbe auch für ihn eine Rettung«, ergriff Jakob Carter das Wort. Es dauerte einen Augenblick, bis O'Neill begriff, was er damit meinte. »Aber... ist er nicht noch zu jung, um Wirt zu werden?«, wandte er ein. »Er ist jung, das steht außer Frage, aber ein zu jung gibt es nicht«, erwiderte Carter. »Wir würden natürlich einen ebenfalls noch jungen Symbionten für ihn auswählen. Die letztendliche Entscheidung liegt freilich bei dem Jungen selbst, aber wie ich gehört habe, ist es die einzige Alternative zu seinem sicheren Tod.« »So ist es«, bestätigte Dr. Fraiser. »Aber was auch immer Sie tun, tun Sie es schnell, sonst wird er nicht einmal den Transport überleben.« Kaum eine Minute später machte sie sich bereits zusammen mit O'Neill und Jakob Carter auf den Weg zur Krankenstation, wo sie Charlie aufweckte. Der Junge freute sich, O'Neill zu sehen, doch war er extrem geschwächt und zudem von den Medikamenten so benommen, dass es ihm schwerfiel, zu -171-
verstehen, was sie von ihm wollten. Fast eine Stunde sprachen die beiden Männer mit ihm, berichteten ihm, was genau die Tok'ra waren und was es bedeutete, Wirt für einen Symbionten zu werden. Erst dann hatte O'Neill den Eindruck, dass der Junge wirklich verstanden hatte, um was es ging. Charlie entschied sich dafür, mit Jakob zu gehen. O'Neill nahm die Entscheidung mit gemischten Gefühlen auf. Er wusste mittlerweile, dass die Verschmelzung mit einem Tok'ra etwas gänzlich anderes als die mit einem Goa'uld war, da es sich um eine gleichberechtigte Symbiose handelte, während die Goa'uld das Bewusstsein eines Wirtes völlig unterdrückten. Dennoch war ihm persönlich die Vorstellung, einen Parasiten eingesetzt zu bekommen und seinen Körper fortan mit einem anderen Bewusstsein teilen zu müssen, absolut zuwider. Zugleich aber freute er sich natürlich, dass Charlie auf diese Art am Leben bleiben würde. Angesichts der drängenden Zeit wurde der Junge sofort für den Transport vorbereitet. Dr. Fraiser nahm noch eine abschließende Untersuchung vor und spritzte ihm eine stärkendes Mittel. Da Charlie nicht mehr aus eigener Kraft gehen konnte, wurde er mit einer Rolltrage in die Transportkammer gebracht. Während Sam sich von ihrem Vater verabschiedete, der versicherte, dass sie auch weiterhin auf die Hilfe der Tok'ra zählen könnten, wenn sie noch einmal Probleme mit den Reetou-Rebellen bekämen, nahm O'Neill von Charlie Abschied. Das Transportfeld des Sternen-Tores baute sich auf. Jakob schob die Rollbahre die Rampe hinauf. Er blieb noch einmal kurz stehen und lächelte ihnen zu. Gleich darauf waren beide verschwunden. Das Transportfeld erlosch wieder. O'Neill räusperte sich, um den Kloß loszuwerden, der in seinem Hals zu stecken schien. -172-
»So, und jetzt kümmern wir uns endlich darum, wo Daniel steckt«, sagte er.
3 »Und Sie glauben wirklich, dieser Nick Ballard könnte uns helfen?«, meinte Sam skeptisch und ließ den Blick über die Fassade des Sanatoriums vor ihnen gleiten, zu dem sie und O'Neill sich direkt am nächsten Morgen auf den Weg gemacht hatten. Sie trugen beide Zivil. Teal'c war in der Basis zurückgeblieben. Da sie Zugang zu zahlreichen staatlichen Datenbanken besaßen, war es nicht weiter schwer gewesen, herauszufinden, dass Daniels Großvater noch am Leben war und wo er sich befand. Allerdings hatte die Information O'Neill nicht besonders gefallen und auch seinem Optimismus einen gehörigen Dämpfer versetzt. Es hatte sich herausgestellt, dass sich Nick Ballard bereits seit fast zehn Jahren in einem privaten Sanatorium in der Nähe von Portland, Oregon, befand, was nur eine etwas freundlichere Umschreibung für eine psychiatrische Nervenheilanstalt war. Eine Klapsmühle, wie O'Neill sie in einer ersten Reaktion bezeichnet hatte. Immerhin war Ballard nicht dort eingeliefert worden, sondern hielt sich freiwillig dort auf. Es hieß, dass seine Erlebnisse mit dem Kristallschädel einen schweren mentalen Zusammenbruch verursacht hätten, von dem er sich niemals ganz erholte. Daniel hatte ihn mehrfach dort besucht, seit seinem Einstieg bei SG-1 aber kaum noch Zeit dafür gefunden. »Nun, wir sind einmal hier, da können wir auch mit dem alten Knaben sprechen,« erwiderte O'Neill. »Ich möchte nur wissen, warum Daniel uns nichts davon erzählt hat, dass Ballard verrückt ist.« »Würden Sie es jedem bereitwillig auf die Nase binden, wenn -173-
Ihr Großvater in einer Nervenheilanstalt säße?«, konterte Sam. »Außerdem gilt er nicht als verrückt, sondern lediglich als psychisch labil, mit einem Hang zu Zwangsvorstellungen von Außerirdischen, die...« »Hören Sie schon auf, Carter, verschonen Sie mich mit diesen Haarspaltereien«, fiel O'Neill ihr genervt ins Wort. »Wenn jemand in einer Klapse sitzt, dann hat er irgendwie einen Sprung in der Schüssel, zumindest tickt er nicht me hr ganz normal. Richtig?« »Man könnte es so umschreiben«, gab Sam widerstrebend zu. Sie betraten das Sanatorium und stellten sich am Empfang vor. Telefonisch hatten sie ihr Kommen bereits angekündigt, und Ballard hatte erklären lassen, Freunde von Daniel wären ihm als Besuch stets willkommen. Ein Pfleger führte sie über schier endlos erscheinende Flure bis er sie bat, in einem Besuchszimmer Platz zu nehmen. Bis auf einen Tisch, ein paar Stühle und einige Bilder an den Wänden war es völlig kahl. Wenig später wurde Nick Ballard zu ihnen hereingeführt. Er war einundsiebzig Jahre alt, wie sie wussten, machte aber noch einen sehr rüstigen Eindruck. Sein Haar war grau und schütter geworden, sein Gesicht faltig, doch in seinen Augen blitzte noch das Feuer der Jugend. Es war schwer vorstellbar, dass er sich schon seit mehr als zehn Jahren zusammen mit wirklich Geistesgestörten, von denen ihnen auf den Fluren einige begegnet waren, in einer Nervenheilanstalt befand. »Sie sind Freunde von Daniel?«, begrüßte er sie und setzte sich ebenfalls. »Ja.« O'Neill stellte sich und Sam vor. »Wir arbeiten mit ihm zusammen.« »Wie geht es Daniel? Früher kam er mich besuchen, aber in letzter Zeit nicht mehr. Warum ist er jetzt nicht mitgekommen?« »Das ist eine komplizierte Geschichte.« O'Neill zögerte kurz. Er musste aufpassen, dass er nicht zu viele geheime -174-
Informationen preisgab, anderseits musste er Ballard zumindest ein paar Brocken hinwerfen. »Daniel steckt in Schwierigkeiten. Sie haben etwas mit einem Kristallschädel zu tun, ähnlich dem, den Sie damals in Belize entdeckt haben«, kam er direkt zum Kern der Sache. »Oh. Deshalb also sind Sie hier.« Ballards Gesicht wurde eine Spur abweisender. Es war offenkundig, dass er sich nicht gern daran erinnern und noch weniger gern darüber sprechen wollte. »Sie würden uns und vor allem Daniel sehr helfen, wenn Sie uns schildern würden, was genau damals passierte«, richtete Sam das Wort an ihn. »Sie können sicher sein, dass wir Ihrem Bericht sehr viel aufgeschlossener gegenüberstehen als Ihre damaligen Kollegen.« Ballard ließ seinen Blick ein paarmal zwischen ihnen hin und her wandern. Schließlich seufzte er. »Daniel ist in meine Fußstapfen getreten«, sagte er. »Ja, Sie können stolz auf ihn sein«, behauptete O'Neill, doch Ballard schüttelte den Kopf. »Er hat sich ebenfalls zum Narren gemacht«, sprach er verächtlich weiter. »Er hat eine hervorragende akademische Ausbildung für die Behauptung aufgegeben, dass die großen ägyptischen Pyramiden von Außerirdischen erbaut worden seien. Wie kann man nur so verblendet sein? Er hat seine Wohnung verloren, seinen Forschungsauftrag... Seit Jahren hat er schon nichts mehr veröffentlicht. Er sollte an meiner Stelle hier sitzen.« Es hatte eine Zeit gegeben, wo O'Neill ihm zumindest in letzterem Punkt völlig zugestimmt hätte, wenn auch aus anderen Gründen. Das Tragische war, dass Daniel gerade mit dem, weshalb sein Großvater ihn für verrückt hielt, Recht gehabt hatte. Allerdings machte auch Ballard selbst absolut nicht den Eindruck, geistig gestört oder auch nur verwirrt zu sein. »Bitte, Mister Ballard, können Sie uns sagen, was damals -175-
passiert ist?«, drängte Sam. »Es ist wirklich sehr wichtig. Wie Colonel O'Neill schon angedeutet hat, haben wir einen weiteren Schädel entdeckt. Vielleicht ist er sogar identisch mit dem, den Sie damals fanden.« »Das ist ausgeschlossen«, stieß Ballard hervor. »Der Schädel, den ich fand, hat mich an einen Ort versetzt, von dem ich überzeugt bin, dass er nicht auf dieser Welt...« Er brach ab. »Vergessen Sie, was ich gesagt habe. Jeder, mit dem ich darüber gesprochen habe, hielt mich bislang für verrückt.« Sam wechselte einen Blick mit O'Neill, und als dieser nickte, nahm sie einige Fotos aus ihrer Tasche und reichte sie Ballard. Es waren Ausdrucke der Bilder, die die Erkundungssonde von dem Schädel auf QRT-657 geliefert hatte. »Das... das ist er!«, keuchte Ballard überrascht. »Das ist mein Schädel! Und das ist auch der Ort, an den er mich damals gebracht hat! Wo ist er? Wo haben Sie den Schädel entdeckt?« »Sind Sie jetzt bereit, mit uns darüber zu sprechen?«, fragte O'Neill. Ballard antwortete nicht sofort. »Haben Sie die Außerirdischen getroffen?«, erkundigte er sich dann. »Nein«, erwiderte Sam. »Keine Außerirdischen.« »Dann lassen Sie mich raten, was passiert ist. Der Schädel begann zu leuchten. Dieses Leuchten erfasste auch Daniel, und dann verschwand er plötzlich.« »Woher wissen Sie das?«, fragte O'Neill perplex. »Weil es genau das ist, was damals mit mir geschah. Auf diese Art gelangte ich an diesen Ort. Dann sprach einer der Außerirdischen zu mir. Kurz darauf befand ich mich plötzlich wieder in meinem Labor.« O'Neill wechselte erneut einen Blick mit Sam. Möglicherweise wäre auch Daniel unbeschadet zu ihnen zurückgekehrt, wenn Teal'c nicht auf den Schädel geschossen -176-
hätte. Dadurch war der Prozess unterbrochen worden. »Also habe ich Recht«, fuhr Ballard fort, dem ihre Blicke nicht entgangen waren. »Was hat dieser Außerirdische zu ihnen gesagt?«, hakte O'Neill nach. »Nein, so läuft das nicht.« Ballard schüttelte den Kopf. »Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag. Zeigen Sie mir den Schädel. Bringen Sie mich zu dieser Pyramide, wo immer sie sich auch befinden mag.« »Das geht leider nicht«, lehnte O'Neill ab. »Bitte verstehen Sie das, dieses Projekt unterliegt absoluter Geheimhaltung.« »Dann müssen Sie auch verstehen, dass ich nichts mehr weiter sagen werde.« Ballard erhob sich. »Damit ist dieses Gespräch beendet.« »Bitte, Mister Ballard, es geht um das Schicksal Ihres Enkels«, appellierte Sam noch einmal an ihn. »Und Ihres Freundes. Sie kenne n meine Bedingung.« Er wandte sich zur Tür. »Warten Sie«, rief O'Neill hastig. Er beugte sich zu Sam hinüber und wechselte leise ein paar Worte mit ihr. Hammond würde alles andere als begeistert sein, aber, verdammt, hier ging es um Daniel. Selbst wenn Ballard nach seiner Rückkehr irgendjemandem vom SG-Projekt erzählen würde - immerhin war er der Mann, der schon seit mehr als einem Jahrzehnt behauptete, mit Außerirdischen gesprochen zu haben, und seither in einer Nervenheilanstalt saß. Niemand würde seine Worte ernst nehmen. »Also gut«, erklärte O'Neill. »Wir bringen Sie hin. Ich fürchte nur, dass es mit Ihrer Entlassung ein paar Schwierigkeiten geben wird.« »Nein, bestimmt nicht.« Ballard lächelte zufrieden, und seine Augen leuchteten vor Freude. Sein Verha lten war verständlich, -177-
sah er doch eine Chance, sich nun vor all denen, die ihn verspottet hatten, zu rehabilitieren. »Ich bin freiwillig hier, deshalb kann ich auch jederzeit gehen, wenn ich es will.« »Dann sollten wir keine Zeit mehr verschwenden«, sagte Sam.
4 Erst zu spät hatte Daniel mitbekommen, was Sam und O'Neill vorhatten. Als er es erfuhr, waren sie bereits aufgebrochen. Zwar rechnete er nicht damit, dass das Gespräch mit Nick etwas bringen würde, trotzdem wäre er gerne nach Portland mitgeflogen. Zu lange schon hatte er seinen Großvater nicht mehr besucht, auch wenn dieser ihn so wenig wie alle anderen wahrnehmen könnte. Ihr Verhältnis war nie besonders gut gewesen. Vielleicht lag es daran, dass sie sich einfach zu ähnlich waren. Nick war stets Forscher aus Leidenschaft gewesen. Nach der Entdeckung des Kristallschädels hatte er versucht, alle davon zu überzeugen, dass es die Außerirdischen wirklich gäbe, doch niemand hatte ihm geglaubt, und daran war er schließlich zerbrochen. Daniel bildete in die sem Punkt keine Ausnahme. Er hatte seinen Großvater ebenfalls lange Zeit für verrückt gehalten. Erst jetzt zeichnete sich ab, dass Nick vermutlich gar nicht gesponnen hatte, dass der Kristallschädel ihn möglicherweise wirklich in Kontakt mit Außerirdischen gebracht hatte. Auch für Daniel waren seine Forschungen über das alte Ägypten lange Zeit sein hauptsächlicher Lebensinhalt gewesen, und auch er war dabei zu Ergebnissen gekommen, für die seine konservativen Kollegen ihn ausgelacht und verhöhnt hatten. Dann aber hatte man ihm das Angebot unterbreitet, beim StarGate-Projekt mitzuarbeiten. Er hatte herausgefunden, dass seine Theorien stimmten, dass die Wirklichkeit sogar noch sehr viel -178-
phantastischer war, als er je vermutet hätte. Die breite Öffentlichkeit erfuhr nichts davon, aber es gab genügend Menschen, die seine Erkenntnisse mit ihm teilten, und von denen ihm genug Anerkennung zuteil wurde, dass ihm seine öffentliche Reputation egal sein konnte. Der Tag verstrich in quälender Langeweile, da er praktisch nichts tun konnte. In der Basis nahm alles allmählich wieder seinen gewohnten Gang. Hauptsächlich wurden die beim Kampf gegen die eingedrungenen Reetou entstandenen Schäden beseitigt. Am frühen Nachmittag kehrten Sam Carter und Jack O'Neill zurück, doch sie waren nicht allein. Zu Daniels Überraschung befand sich Nick bei ihnen. Nicht nur er war deshalb überrascht. General Hammond traf fast der Schlag, als die beiden mit Nick in sein Büro spazierten. Unbemerkt war Daniel Zeuge der Begegnung. Nachdem sie einander vorgestellt worden waren, bat Hammond Nick freundlich, draußen zu warten, und anschließend brach ein Donnerwetter über seine beiden Mitarbeiter herein, dass die Wände wackelten. Schließlich jedoch gelang es O'Neill, ihn einigermaßen zu beruhigen. Die Argumente, dass niemand Nick glauben würde, wenn er etwas von dem Besuch hier erzählte, und dass es immerhin um Daniels Leben ging, verfehlten ihre Wirkung nicht. Hammond ließ Nick wieder hereinbitten. Da es nur zwei Besucherstühle gab, stand Sam sofort auf und bot ihm ihren Platz an. »Also, Mister Ballard, wie ich gehört habe, haben Sie uns einiges zu erzählen«, begann Hammond das Gespräch. »Das hätte ich unter gewissen Umständen«, entgegnete Nick gedehnt. »Aber ich habe es zur Voraussetzung für die Preisgabe meines Wissens gemacht, dass man mich zu dem Schädel bringt, nicht in irgendeinen Militärstützpunkt.« Gerissener alter Fuchs, dachte Daniel. -179-
»Und ich habe Ihnen schon auf dem Weg hierher erklärt, dass nur der General diese Entscheidung treffen kann«, erinnerte O'Neill. »Aber er wird eine weitere Expedition an den Ort, wo sich der Schädel befindet, nur genehmigen, wenn Sie Ihr Wissen mit uns teilen und wir eine berechtigte Chance sehen, dass wir mit Daniel Kontakt aufnehmen und ihn retten können.« »Es herrscht eine gefährliche Strahlung dort«, ergänzte Sam. »Und der Schädel selbst ist auch nicht harmlos. Wir haben bereits unseren Freund dort verloren. Sie müssten uns also schon gute Argumente liefern, warum wir noch einmal dorthin gehen sollten.« »Ich habe den Schädel in Belize entdeckt, in Mittelamerika. Aber so, wie Sie reden, hört es sich an, als sprächen Sie nicht über eine Expedition um die halbe Welt, sondern um einen kurzen Spaziergang. Befindet sich diese Höhle etwa hier in der Nähe?« Daniel schüttelte den Kopf. Nick war geistig immer noch völlig auf der Höhe, das bewies sein Scharfsinn. Es war eine Schande, dass ein solcher Mann sein Leben in einer Nervenheilanstalt fristete. »Darüber kann ich Ihnen nichts sagen, es unterliegt der Geheimhaltung«, erklärte Hammond steif. »Dann fürchte ich, dass das, was ich über diesen Schädel weiß, ebenfalls der Geheimhaltung unterliegt.« Nick lächelte und massierte sich die Schläfen. »Hören Sie, die Reise hierher war anstrengend«, sagte er. »Es gab ziemlich viele neue Eindrücke für einen alten Mann, der seit zehn Jahren nur die vertraute Umgebung seines Sanatoriums kennt. Ich würde mich gerne irgendwo eine Weile ausruhen. In der Zwischenzeit können Sie in Ruhe über mein Angebot nachdenken.« »Also gut«, seufzte Hammond. »Major Carter, wären Sie so freundlich, Mister Ballard zu einem unserer Gästequartiere zu bringen?« -180-
»Natürlich, Sir.« Daniel schloss sich den beiden an und trat ebenfalls in das karg eingerichtete Quartier. Nachdem Sam die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog Nick seine Jacke aus und setzte sich aufs Bett. »Es tut mir Leid«, murmelte er vor sich hin. »Was denn?«, rutschte es Daniel heraus. »Dass ich dich nicht adoptiert habe, als deine Eltern starben.« »Du warst doch ständig nur unterwegs. Ich war erst acht Jahre alt, u...« Daniel brach abrupt ab, als ihm bewusst wurde, dass sein Großvater nicht einfach nur mit sich selbst sprach. Verwirrt trat er einen Schritt vor. »Kannst du mich etwa sehen und hören?« »Natürlich kann ich dich sehen.« »Aber... warum hast du den anderen dann nichts davon gesagt?« »Weil wir schließlich beide wissen, dass du nicht wirklich existierst. Du bist nur eine Einbildung. Ich habe dich durch eine geschlossene Tür kommen sehen, und da wusste ich, dass ich mir nur etwas einbilde. Im Sanatorium hat man mir zehn Jahre lang ausführlich erklärt, was Wahnvorstellungen sind.« »Aber nein! Nein, Nick, du täuschst dich.« Aufgeregt ging Daniel vor ihm in die Hocke. »Ich bin wirklich hier. Ich bin keine Erscheinung.« »Ja, das sagen Erscheinungen immer.« »Nein, Nick, ich bin wirklich! Es liegt alles an diesem Schädel. Er hat mich verwandelt. Ich bin in einer anderen Phase gefangen, einer anderen Dimension, wie du es ausdrücken willst. Niemand außer dir kann mich sehen oder hören, und ich kann sogar durch Wände gehen. Aber ich bin keine Erscheinung. Ich bin wirklich hier bei dir, du musst mir glauben! Du bist -181-
meine einzige Hoffnung, mich mit den anderen zu verständigen und einen Weg zu finden, wie ich wieder normal werden kann.« Fast eine Minute lang herrschte Schweigen, dann nickte Nick Ballard nachdenklich. »Angenommen, du bist tatsächlich keine Wahnvorstellung. Was schlägst du vor, was wir tun sollen?« fragte er.
5 »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Mister Ballard, dann behaupten Sie also, ihr Enkel wäre gar nicht verschollen, sondern nur unsichtbar, und er wäre jetzt hier im Zimmer?«, fragte General Hammond voller Skepsis. Jack O'Neill schnitt eine Grimasse, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Sprich mir einfach nach und sag ihnen, ich stünde direkt neben dir«, bat Daniel. »Er steht direkt neben mir«, bestätigte Nick. »Dann hat Daniel... ziemlich abgenommen«, stellte O'Neill fest. Es war klar, dass er alles nur für ein Hirngespinst hielt, doch gerade von ihm hatte Daniel nichts anderes erwartet. »Quatschen Sie nicht so einen Unsinn, Jack«, sagte er. »Quatschen Sie nicht so einen Unsinn, Jack«, wiederholte Nick. Das Grinsen auf O'Neills Gesicht erlosch. »Und Ihnen, General, soll ich sagen, dass wir alles vermutlich so schnell hinter uns bringen können, dass Sie die Schulaufführung ihrer Enkelin heute Abend doch noch besuchen können.« »Woher...« Fassungslos starrte Hammond ihn an. »Daniel hat mir aufgetragen, das zu sagen. Er war Zeuge des Telefongesprächs.« »Sag ihnen, dass ich schon die ganze Zeit bei ihnen bin«, verlangte Daniel. »Und ich bin auch zuerst auf die Idee gekommen, dass die Reetou es auf das zweite Tor abgesehen -182-
hatten. Vier von ihnen habe ich getötet, deshalb haben sie keine weiteren entdeckt. Der fünfte allerdings hätte mich fast erwischt. Ohne es zu wissen, haben sie mich im letzten Moment gerettet. Ach ja, und sie sollen gar nicht erst versuchen, mich mit den TLS sichtbar zu machen. Die Dinger funktionieren nur bei den Reetou.« Obwohl Nick kaum etwas verstand, wiederholte er Daniels Worte auftragsgemäß. Kaum hatte er geendet, als Sam und O'Neill zeitgleich von ihren Stühlen aufsprangen. Nick konnte unmöglich von der Aktion in Arizona wissen. »Daniel?«, vergewisserte sich O'Neill ungläubig. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass er neben mir steht, auch wenn ich ihn anscheinend als einziger hören und sehen kann. Ich nehme an, es liegt daran, dass ich ebenfalls schon mit dem Kristallschädel in Kontakt gekommen bin.« »Das wäre durchaus vorstellbar«, meinte Sam und ließ sich auf ihren Stuhl zurücksinken. »Schließlich haben wir uns genau so etwas erhofft, als wir nach QRT-657 gegangen sind. Nur wollten wir nicht auch selbst unsichtbar werden.« »Das wäre auch nicht passiert, wenn Teal'c nicht auf den Schädel geschossen hätte«, wiederholt e Nick, was Daniel ihm vorsprach. »Sie sollen sich nicht grämen, Mister Teal'c, Daniel hegt deshalb keinen Ärger gegen Sie. Aber der Prozess wurde durch den Energieschock unterbrochen.« »Und was sollen wir nun unternehmen, um die Sache wieder ins Lot zu bringen - Daniel?«, erkundigte sich O'Neill. Selbst er schien sich mit der Vorstellung abgefunden zu haben, dass Daniel sich bei ihnen befand, ohne dass sie ihn sehen konnten. Immerhin waren sie in den vergangenen Tagen ausreichend mit dem Thema Unsichtbarkeit konfrontiert worden. »Daniel hat mir von dem Sternen-Tor erzählt, wir können also ganz offen miteinander reden«, erklärte Nick. »Er ist der Meinung, dass wir auf diesen Planeten zurück müssen und den -183-
Vorgang wiederholen. Auf diese Art werden wir Kontakt mit den Außerirdischen bekommen und anschließend wieder in die normale Realität zurückkehren.« »Ist das nur eine Vermutung, oder besteht die Gefahr, dass sich das Schicksal Daniels wiederholt?«, wollte Hammond wissen. »Du musst ihnen vertrauen. Erzähle ihnen, was damals mit dir passiert ist, dann werden Sie einsehen, dass uns keine andere Wahl bleibt«, bat Daniel. »Mein Enkel sagt, dass es jetzt an der Zeit wäre, meine Karten auf den Tisch zu legen«, teilte Nick mit. »Also gut, ich werde Ihnen erzählen, was damals mit mir passierte. Sie wissen ja, dass ich den Schädel in einem Tempel in Belize entdeckte. Als ich ihn näher betrachtete, lösten sich leuchtende Funken daraus und hüllten mich ein. Ein Feld von Energie umgab mich, und dann befand ich mich plötzlich an einem anderen Ort. Mittlerweile weiß ich, dass es diese gewaltige Pyramide war, in der auch Sie gewesen sind, doch damals hielt ich sie für eine Höhle. Und dann sind sie gekommen.« »Sie?«, hakte Sam nach. »Die Außerirdischen. Einer von ihnen richtete das Wort an mich. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Wer ist dein Feind? wollte er in der Sprache der Mayas von mir wissen. Ich wusste nicht, was er meinte. Er wiederholte seine Frage, doch konnte ich sie ihm nicht beantworten. Im nächsten Moment befand ich mich wieder in dem Tempel. Meine Begleiter berichteten, das Leuchten des Schädels hätte mich einige Sekunden lang eingehüllt, dann wäre es erloschen. Von Außerirdischen hatten sie nichts bemerkt und konnten meine Behauptungen deshalb nicht bestätigen. Mysteriös war für sie nur das spurlose Verschwinden des Schädels.« Nick machte eine kurze Pause. »Ich bin davon überzeugt, dass diese Außerirdischen nichts Böses im Schilde führten, obwohl sie -184-
wahrhaft riesig waren. Der Schädel ist nur ein Instrument, über das wir mit ihnen in Kontakt treten können. Wie man an meinem Beispiel sieht, lassen sie einen Besucher anschließend in seine eigene Realität zurückkehren.« Einige Sekunden andächtiger Stille folgten seinen Worten. »Wir wollten mit den Außerirdische n in Kontakt treten, weil wir uns von ihnen Hilfe gegen die Reetou erhofft hatten«, sagte Sam schließlich an General Hammond gewandt. »Zwar haben wir diese Gefahr vorerst aus eigener Kraft gebannt, aber ganz abgesehen davon, dass wir Daniel auf diese Art wieder sichtbar machen können, sollten wir uns diese Chance nicht entgehen lassen. Sie könnten sich auch als wichtige Verbündete gegen die Goa'uld erweisen.« »Ich denke, das Risiko lässt sich vertreten«, fällte Hammond seine Entscheidung. »SG-1, machen Sie sich zum Aufbruch bereit!«
6 »Und mit so einem Ding reist ihr zu anderen Welten?« Staunend betrachtete Nick das bereits aktivierte Sternen-Tor. »Das ist phantastischer als sämtliche utopischen Romane, die ich früher gelesen habe.« Er klopfte Daniel auf die Schulter. »Ich fürchte, ich muss alles zurücknehmen, was ich in den letzten Jahren über dich und deine Karriere gesagt habe. Du hast es wesentlich weiter gebracht, als ich geglaubt habe.« Daniel antwortete nicht. Obwohl er ihn verstehen konnte, war er ein wenig sauer auf seinen Großvater. Nick hatte in seinem angeblichen Auftrag behauptet, es sei unbedingt nötig, dass er sie begleite, etwas, das Daniel nie gesagt hatte. Dennoch hatte Hammond sich einverstanden erklärt. »Sie brauchen keine Angst zu haben, Mister Ballard«, sagte Sam. »Machen Sie einfach einen Schritt in das Feld hinein.« -185-
Nick zögerte einen Moment, dann machte er einen entschlossenen Schritt nach vorn. Die anderen folgten ihm. Auf dem Steg vor der Pyramide traten sie wieder aus dem dortigen Sternen-Tor heraus. »Das... das ist unglaublich«, stammelte Nick, als er das gewaltige Bauwerk zum ersten Mal von außen erblickte. »Ich meine, ich war schon da drin und wusste, dass es riesig ist, aber trotzdem...« Langsam gingen sie weiter, bis sie den Eingang passiert hatten. »Ja!«, stieß Nick hervor. »Ja, das ist der Ort, an dem ich schon einmal war. Genau hier leben sie!« Als er den Schädel erblickte, eilte er so schnell ihn seine altersschwachen Beine trugen, darauf zu. »Er ist es, er ist es wirklich!« Fast andächtig betrachtete er das kristallene Gebilde. »Jetzt müssen wir nur noch auf die Aliens warten.« Der Schädel begann von innen zu glühen. Leuchtpunkte lösten sich daraus und begannen Daniel zu umkreisen, genau wie beim ersten Mal, als er sich ihm genähert hatte. Nach einigen Sekunden dehnte sich der Radius der zahlenmäßig rapide zunehmenden Leuchtfunken aus. Sie bewegten sich auf Nick zu und hüllten auch ihn ein, drangen weiter bis zu Daniel, Sam und O'Neill, der instinktiv zurückweichen wollte, dann aber doch stehenblieb. Nur Teal'c ließen sie aus, aber damit hatte Daniel gerechnet. Über Nick hatte er den Jaffa gebeten, nichts zu unternehmen, wenn die anderen plötzlich verschwinden sollten. Erst wenn sie länger als eine halbe Stunde fortblieben, sollte er durch das Sternen-Tor zurückkehren und General Hammond Bericht erstatten. Von einem Augenblick auf den anderen verschwanden die Leuchtpunkte. »Daniel!«, rief Sam. -186-
Er wandte sich zu ihr um. »Sie können mich wieder sehen?« fragte er hoffnungsvoll. »Wir alle können Sie sehen«, erklärte O'Neill. Er klopfte Daniel auf die Schulter. »Sie können zwar manchmal eine ziemliche Nervensäge sein, aber es ist trotzdem schön, Sie wieder bei uns zu haben.« »O'Neill!«, hörten sie Teal'cs Ruf. »Ich kann dich und die anderen nicht mehr sehen.« »Kennt ihr schon meinen neuesten Zaubertrick?«, fragte Daniel grinsend. Er strich mit einem Arm direkt durch den Körper des Jaffa hindurch. »Ziemlich beeindruckend, nicht? Aber mit der Zeit wird es öde.« Ein dumpfes Brummen hob an, steigerte sich rasch zu einem lauten Dröhnen. So etwas wie milchiger Nebel stieg aus den undurchdringlichen Tiefen rund um das Plateau und den Steg auf. Der Nebel ballte sich zusammen, gewann an Kontur. Er formte sich zu einer geschlechtslosen humanoiden Gestalt mit menschenähnlichen Gesichtszügen. Sie war unvorstellbar groß. Wie lang ihre Beine waren, konnten sie nicht einmal erahnen, der Kopf befand sich in einer Höhe von gut fünf Metern über ihnen. Nun konnte Daniel nur zu gut verstehen, wieso die Tok'ra dieses Volk als Giganten bezeichneten. »Das ist einer von ihnen«, keuchte Nick. »Ich wusste, dass sie noch hier sein würden.« Der Außerirdische öffnete seinen Mund. Seine Worte dröhnten wie ein Donnerhall durch die Pyramide, als er ihnen dieselbe Frage stellte, die er auch schon Nick bei dessen erstem Besuch gestellt hatte. »Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Wer ist euer Feind?« Darüber hatte Daniel bereits ausgiebig nachgedacht. Selmak -187-
hatte erklärt, der Planet sei für die Goa'uld und auch die Tok'ra verboten, außerdem war Teal'c als einziger von ihnen nicht in ihre gegenwärtige Realitätsphase versetzt worden, was er als eine Bestätigung seiner Theorie wertete. »Wir sind Feinde der Goa'uld!«, rief er laut. »Dann seid ihr willkommen«, entgegnete der Gigant und machte eine weit ausholende Geste mit den Armen. »Der Feind meines Feindes ist mein Freund.« »Wir sind Forscher auf der Suche nach Freundschaft«, sprach Daniel weiter. »Wir möchten euch kennen lernen und unser Wissen und unsere Kultur mit euc h austauschen.« Einige Sekunden herrschte Stille. »Wir akzeptieren euren Vorschlag«, sagte der Nebelriese dann. »Auch wir möchten euch kennen lernen, aber wir wissen nicht, ob wir euch wirklich trauen können. In eurer Begleitung befand sich einer der Feinde.« »Oh, daran solltet ihr euch nicht stören«, antwortete O'Neill. Er hatte endlich seine Sprache wiedergefunden und verfiel prompt in seine gewohnt flapsige Art. »Teal'c ist jetzt einer von den Guten. Er mag die Goa'uld so wenig wie wir.« Wieder herrschte Stille, wesentlich länger diesmal. Der Gigant schien zu überlegen. »Unser Angebot steht«, erklärte der Außerirdische schließlich. »Wir laden einen von euch ein, bei uns zu bleiben, damit wir ihn kennen lernen können. Anschließend werden wir ein Urteil fällen, ob wir engeren Kontakt zu euch aufnehmen und unser Wissen mit euch teilen. Der Auserwählte wird dann als Mittler zwischen euch und uns dienen.« Er machte eine kurze Pause, dann deutete er mit einem seiner riesigen Nebelarme auf Nick Ballard. »Unsere Wahl ist auf dich gefallen.« -188-
»Auf mich?«, wiederholte Nick fassungslos. »Es ist nicht das erste Mal, dass du hier bist«, fuhr der Außerirdische fort. »Du... du hast mich nicht vergessen?« Nick konnte es kaum glauben. »Ausgerechnet Opa. Ich fasse es nicht«, brummte O'Neill. Auch Daniel war über die Wahl nicht gerade glücklich. »Bitte, wir würden lieber andere von unserer Welt als Botschafter schicken, die geeigneter für diese Aufgabe sind«, wandte er ein. »Nein, Daniel, bitte, tu mir das nicht an«, bat Nick flehentlich. »Das ist meine große Chance. Das ist praktisch mein Lebenswerk. Seit vielen Jahren habe ich auf eine Gelegenheit wie diese gewartet. Außerdem wird niemand einen verrückten alten Mann wie mich vermissen. Na ja, abgesehen vielleicht von Colonel Harris, mit dem ich im Sanatorium immer Karten gespielt habe.« »Unsere Entscheidung ist gefallen«, wiederholte der Gigant. »Es liegt an euch, ob ihr wirklich Freundschaft mit uns wünscht.« »Hört sich an, als hätten wir nicht viele Auswahlmöglichkeiten«, stellte O'Neill fest. »Ich mag es nicht, wenn man mir die Pistole auf die Brust setzt.« »Mein Entschluss steht fest«, verkündete Nick. »Ich werde hierbleiben. Sie müssten mich schon mit Gewalt zurückschleppen, Colonel.« »Lassen Sie ihn, Jack, wenn es sein Wunsch ist«, stellte sich Daniel hinter seinen Großvater. »Ich bin überzeugt, dass er unser Volk würdig vertreten wird.« »Aber er hat mehr als zehn Jahre in einer Klapsmühle gesessen, und er ist...« begann O'Neill, doch Sam fiel ihm ins Wort. -189-
»... und er ist ein großartiger alter Mann«, sagte sie. »Ich bin überzeugt, dass wir niemanden finden würden, der für diese Aufgabe besser geeignet wäre.« O'Neill zögerte kurz, dann nickte er widerstrebend. »Also gut«, brummte er. »Sieht so aus, als stünde ich mit meiner Meinung ziemlich allein da.« Er trat zu Nick und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Beweisen Sie mir, dass ich mich irre, und erledigen Sie Ihren Job gut, okay?« »Das werde ich tun, Colonel, ich verspreche es.« Daniel umarmte seinen Großvater. »Versprich mir, dass du mir alles genau erzählst«, bat er. »Das werde ich. Wir werden uns schon bald wiedersehen, Junge, und dann wirst du so stolz auf mich sein können, wie ich es auf dich bin«, sagte Nick. Auch Sam umarmte den alten Mann kurz und wünschte ihm alles Gute. Im nächsten Moment wurden sie erneut von den Leuchtfunken umgeben, dann waren Nick Ballard und auch der Außerirdische verschwunden. »O'Neill!«, sagte Teal'c mit unverkennbarer Erleichterung in der Stimme. »Carter, Daniel, ihr seid zurück. Aber was ist mit Daniels Großvater?« »Er bleibt erst einmal hier und wird diesen Giganten beibringen, wie das Leben auf der Erde so läuft«, erwiderte O'Neill. »Du weißt schon, Hamburger, Nachtbars, nervige Wissenschaftler, Sternen-Tore, SG-Projekte... Der ganze Kram.« »Verstehe«, behauptete Teal'c, obwohl er offenkundig gar nichts verstand. »Ihr glaubt gar nicht, wie schön es ist, wieder normal zu sein, wieder gesehen und gehört zu werden«, stieß Daniel hervor. »Das waren ein paar turbulente Tage, aber doch recht erfolgreiche. Immerhin konnten wir die Invasion der ReetouRebellen verhindern und haben Kontakt zu einem bislang -190-
unbekannten Volk aufgenommen, das sich im Kampf gegen die Goa'uld als wichtiger Verbündeter erweisen könnte. Ich brenne schon darauf, mit genaueren Untersuchungen über die exakte Natur dieser PhasenverSchiebungen zu beginnen und...« O'Neill verdrehte die Augen. Wenn er es sich recht überlegte, war die Zeit, in der er Daniels Gequassel nicht hatte hören müssen, eigentlich eine ganz nette gewesen. ENDE
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