Todesfracht auf der Titanic von C.W. Bach Ich quälte mich hoch. Seth-Suchos hatte mir ein Ding verpaßt, daß ich glaubte...
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Todesfracht auf der Titanic von C.W. Bach Ich quälte mich hoch. Seth-Suchos hatte mir ein Ding verpaßt, daß ich glaubte, meine Rippen wären gebrochen! Wie aus einem tiefen Schacht tauchte ich auf, als mein Bewußtsein zurückkehrte. Ich sah alles seitenverkehrt und manches doppelt. Und ich hörte ein leises, stetiges Geräusch und spürte ein sachtes Vibrieren, als ich mich an die Wand lehnte. Jetzt fiel es mir wieder ein: Ich befand mich auf einem Schiff! Meine Kleidung war aus einer anderen Zeit. Als ich auf die Armbanduhr schauen wollte, hatte ich keine. Statt dessen sah ich eine Uhrkette, die an einem Knopfloch über dem Gürtel befestigt war… Ein Steward eilte herbei, ein Tablett in der Hand. »Ist Ihnen nicht gut, Sir?« fragte er mich. An seiner Uniformjacke entdeckte ich die Aufschrift »H. M. S. Titanic«. Siedendheiß fiel mir alles wieder ein. Ich fuhr auf der »Titanic«, und es war der 14. April 1912, der Tag, an dem sie mit dem Eisberg kollidierte und dann nach zwei Stunden und vierzig Minuten sank, mit 1.523 Menschen an Bord! Und Mark Nikolaus Hellmann, geboren im Jahr 1970, vermutlich in der damaligen DDR, war live mit dabei! Blitzschnell riß ich die Uhr aus der Tasche. 23.38 Uhr die »Titanic« war etwa 1.200 Meter von dem Eisberg entfernt. Er war noch nicht gesichtet worden. Das Schiff fuhr direkt darauf zu - mit 21,5 Knoten, wobei es in der Minute ziemlich exakt 600 Meter zurücklegte. Mir blieben damit anderthalb Minuten Zeit, auf die Brücke zu gelangen und - hoffentlich! - das Furchtbare zu verhindern. 23.40 Uhr das war die historisch genaue Zeit des Zusammenstoßes. Konnte ich die Geschichte ändern? Es ging um mehr als 1.500 Menschenleben, meines und Tessa Haydens eingeschlossen. Ich mußte mein Letztes geben, um es zu versuchen, und wenn sich mir der Teufel selbst in den Weg stellte. Unter Aufbietung aller Energie schüttelte ich meine Benommenheit ab, stieß den Steward zur Seite, daß ihm die Gläser vom Tablett fielen, und rannte los. Der Steward rief empört hinter mir her. Die Gänge erschienen mir endlos lang. Im Rauchsalon der ersten Klasse, dem Cafe Parisien, im luxuriösen Lesesalon und dem A-la-carte-Restaurant erster Klasse saßen noch zahlreiche Passagiere. Sie speisten, plauderten, spielten Karten, flirteten, lachten, tanzten und vertrieben sich fröhlich die Zeit.
Die siebenköpfige Wallace-Hartley-Band spielte den Ragtime, den Modetanz dieser Zeit, als ich am Ballsaal vorbeirannte. Aus dem Augenwinkel sah ich den Multimillionär Johann Jacob Astor mit seiner blutjungen Ehefrau Madeleine auf der Tanzfläche. Die beiden strahlten sich an. Astor war siebenundvierzig, er hatte sich scheiden lassen, um die Neunzehnjährige zu heiraten, die seine ganz große Liebe war. Es war ein großer Gesellschaftsskandal gewesen. Jetzt war Madeleine im fünften Monat schwanger und schöner denn je. Benjamin Guggenheim, schwarzes Schaf der berühmten amerikanischen Bergwerksdynastie, war mit gleich zwei Geliebten irgendwo an Bord. Major Archibald Butt, Militärberater des US-Präsidenten, fuhr ebenfalls mit. Ebenso wie Millionäre aus allen Branchen, die nicht zu arbeiten brauchten, die andere für sich schuften ließen. J. Bruce Ismay, der Generaldirektor der White Star Line, für die die »Titanic« fuhr, und ihr Konstrukteur Thomas Andrews waren auch an Bord. Sie wollten sich diese Reise, die alle Rekorde brechen sollte, nicht entgehen lassen. Die Klänge des Schiffsorchesters, das bei dem Untergang, falls er stattfand, bis zuletzt spielen würde, verfolgten mich. Ich eilte, fünf Stufen auf einmal nehmend, die prachtvolle Mahagonifreitreppe von der ersten Klasse zum Bootsdeck hinauf. Eiskalt schlug mir die Luft draußen entgegen. Ich rannte zur Brücke, hellwach jetzt. Meine Beine schmerzten nach dem Knockout, den mir der Krokodilskopf verpaßt hatte. Mein magischer Ring leuchtete und schickte ein Prickeln durch meine Hand. Vorn auf dem Bootsdeck stand Tessa. Sie schaute dem Eisberg entgegen, ohne ihn jedoch zu sehen. Und mich bemerkte sie ebenfalls nicht. Spiegelglatt lag die See. Leichter Dunst über dem Wasser erschwerte zusätzlich die Sicht. Bei Windstille brachen sich keine Wellen an einem Eisberg und erschwerten es so, ihn in Nacht und Dunst zu erkennen. Und die beiden Matrosen im Ausguck hatten keine Ferngläser. Da war mal wieder am falschen Ende gespart worden. Mit einem Höllentempo von vierzig Stundenkilometern raste die »Titanic« auf den Eisberg zu! 60.000 Tonnen schwer war sie; der Eisberg wog mindestens das Tausendfache. Ich flitzte hoch auf die Brücke. Mein Puls hämmerte. Das Herz schlug hart gegen die schmerzenden Rippen. Die große Uhr auf der Brücke zeigte 23.39 Uhr. Noch konnte ich die tödliche Kollision verhindern. Auf der Brücke befanden sich der Erste Offizier Murdoch, der Sechste Offizier Moody, der Steuermann Robert Hitchens und ein Kadett als Meldegänger. Kapitän Smith hatte sich in seine Kabine zurückgezogen und war bereits zu Bett gegangen, stolz auf das prachtvolle Schiff, das ihm für sein
letztes Kommando, unmittelbar vor seiner Pensionierung, anvertraut worden war. Die Jungfernfahrt der »Titanic«, für die von Southampton nach New York sechs Tage zur Überquerung des Nordatlantiks vorgesehen waren, sollte die glanzvolle Krönung seiner Laufbahn sein. Auf der Brücke herrschte völlige Ruhe. Am Schwarzen Brett hing zwar eine Eiswarnung, aber sie beunruhigte infolge einer Fehleinschätzung der Lage niemanden. Der Steuermann hielt das Steuerrad fest in der Hand. Der Sechste Offizier stand beim Maschinentelegrafen. Die uniformierten Männer waren bei guter Stimmung, als ich die Tür aufriß. Ein Schwall kalter Luft flutete herein. William Murdoch, etwas über mittelgroß, um die Vierzig, schaute mich fragend an. Er sah natürlich, daß ich ein Passagier war, gut gekleidet, was 1912 allerdings ungewöhnlich war. »Sie wünschen, Sir?« fragte der Erste Offizier förmlich. »Das Betreten der Brücke, außer bei Führungen, ist Passagieren verboten.« »Eisberg!« wollte ich schreien. »Ändert den Kurs! Eisberg direkt voraus!« Aber ich brachte kein Wort über die Lippen. Ich schwöre, noch hatten wir Zeit. Eine halbe Minute hätte gereicht, um die »Titanic« am Eisberg vorbeizusteuern. Doch mir schnürte eine unsichtbare Faust die Kehle zu. Ich griff mir an den Hals, mein Gesicht verzerrte sich. Ich führte meinen Ring mit den Initialen M. N. an die Kehle und wollte mit aller Kraft die entscheidenden Worte hervorbringen. »Eisbeee…« Nur gutturale Laute entrangen sich meiner Kehle. Wertvolle Sekunden vertickten. Ich rang nach Luft, faßte an meinen Kehlkopf. »Sir!« rief ich Murdoch zu. »Än-dernnnnn…« Ändern Sie sofort den Kurs! hatte ich sagen wollen. Doch die übernatürliche Kraft lähmte meine Sprechwerkzeuge. Die Warnung blieb mir im Hals stecken. Zuletzt versuchte ich selbst das Steuerrad herumzureißen und den Kurs zu ändern. Ich machte zwei Schritte - und wankte. Meine Füße klebten am Boden fest, als ob sie aus Stahl und dieser stark elektromagnetisch wäre. Ich kam nicht mehr vorwärts. Der Sekundenzeiger der Uhr rückte vor. Die beiden Offiziere der »Titanic«, der Steuermann und der Meldegänger, ein sehr junger Mann, schauten mich abschätzig an. Ich wußte genau, was sie dachten; Dieser Passagier hat einen über den Durst getrunken. In diesem Moment schrillte das Telefon. Mir sträubten sich die Haare. Ich wußte, was folgen würde. Der Sechste Offizier hob ab. Der Ausguck rief an, Matrose Frederick Fleet. Ich hörte seine Stimme mit überscharfem Gehör aus dem Hörer dringen.
Zunächst James P Moody: »Hier Brücke!« Fleet: »Eisberg voraus! Wir fahren direkt darauf zu. Entfernung zirka vierhundert Meter.« Seine Stimme klang fest. Moody sagte aus reiner Gewohnheit: »Danke sehr.« Hängte den Hörer ein und schrie los: »Mr. Murdoch, Sir, Eisberg voraus!« Er wiederholte die Angaben des Ausgucks. William Murdoch erstarrte. Ihm blieb keine Zeit zum Überlegen. Aufgrund seiner seemännischen Ausbildung und zwanzigjähriger Praxis als Seeoffizier auf den Weltmeeren reagierte er sofort. »Hart Steuerbord! Maschinen stop und volle Kraft zurück!« Gleichzeitig drückte Murdoch auf den Knopf, mit dem die fünfzehn wasserdichten Türen und Schotts des Maschinen- und Kesselraums geschlossen wurden. Die Alarmglocke schrillte. Der Steuermann Hitchens drehte das Rad. Der Sechste Offizier gab sofort die Meldung in den Maschinenraum, wo die riesigen Schwungräder und Pleuel gestoppt werden mußten, um sich dann in die andere Richtung zu bewegen. Es war 23 Uhr 40 Minuten und exakt 12 Sekunden, als Fleets Eisbergwarnung erfolgte. Die »Titanic« hatte ein im Verhältnis zur Schiffsgröße kleines Ruder. Der 60.000-Tonnen-Koloß schwenkte den Bug herum, änderte den Kurs erst um einen, dann um zwei Punkte nach Backbord, was 22 Grad bedeutete. Während im Maschinenraum die Hölle losbrach und Ingenieure und Maschinisten alles taten, um den Befehl von der Brücke auszuführen, erschien die Szene auf der Brücke erstarrt. Nur der Steuermann konnte aktiv sein, und die kostbaren Sekunden vergingen. Dann sahen wir den Eisberg, und es wirkte, als ob er auf uns zufahren würde. Den Anblick werde ich nie vergessen. Eine unregelmäßig geformte Masse, wie aus dunklen Schatten und Glas zusammengesetzt, näherte sich. Ich schwöre, ich sah Mephisto auf diesem Eisberg. Hager und groß stand er da, selber ein Schatten mit glühenden Augen, Teufelshörnern und Pferdefuß. Im nächsten Moment war er schon verschwunden. Der Bug der »Titanic« verfehlte den Eisberg, dessen Masse das Bootsdeck, das oberste von allen, um ein paar Meter überragte. Der Eisberg war riesig, ein gewaltiger Brocken, von dem man über Wasser nur das oberste Zehntel sah. Er schabte an der Seite des Schiffs vorbei. Siebenunddreißig Sekunden vergingen von der Eisbergwarnung bis zu dem Moment, in dem der Zusammenstoß erfolgte, kein frontaler, sondern eine seitliche, tückisch sanfte Kollision wie mit einem tonnenschweren Rasiermesser. Nur zehn Sekunden lang schabte der Eisberg am Schiffsrumpf entlang. Wir auf der Brücke spürten überhaupt keine Erschütterung. Brocken von
dem Eisberg brachen auf und fielen aufs Vorderdeck, wo sie liegenblieben. Die beiden Männer im Ausguck atmeten auf, als der Eisberg, der ihren Ausguck um gut acht Meter überragte, die »Titanic« passiert hatte. Auf der Brücke hatte der Erste Offizier Murdoch dem Steuermann eine Kursänderung nach Backbord befohlen, um den Kontakt zwischen dem Eisberg und dem Schiffsheck zu vermeiden. Das gelang. Die Matrosen Fleet und Lee im Ausguck glaubten, der Zusammenstoß wäre vermieden worden. Als das Heck der »Titanic« den Eisberg passiert hatte, sahen die Männer im Ausguck zum ersten Mal einen weißen Schimmer in der Spitze des Bergs, der wie leuchtender Dunst wirkte. Der Eisberg geriet leicht ins Wanken, und er verschwand in der Nacht. FLeet und Lee grinsten sich an. »Das war knapp«, sagte Matrose Lee. Die Passagiere der »Titanic« ahnten nichts von der Katastrophe. Manche hörten, als es passierte, ein Schaben, zehn Sekunden lang, als ob ein riesiger Finger an der Außenhaut des Schiffs kratzen würde. Andere sagten, es sei gewesen, als ob das Schiff über riesige Murmeln fahren würde. Lawrence Beesley, Passagier der zweiten Klasse, Hochschullehrer in den USA, lag schon in seiner Koje. Er spürte eine Erschütterung seines Betts. Anderswo klingelten kurz die Kronleuchter, vibrierten die Drinks an der Bar. Bei den Heizkesseln unten allerdings sah es anders aus. Ich zitterte, was mir selten passierte. Ich wußte, der Eisberg hatte die Stahlhülle der »Titanic« auf ungefähr hundert Meter unterhalb der Wasserlinie aufgeschlitzt. Schlimmer noch, der Riß führte über mehrere Kammern des angeblich unsinkbaren Schiffs. Die »Titanic« hatte fünfzehn Kammern. Mit fünf undichten wäre sie noch schwimmfähig gewesen. Die Entscheidung fiel im Kesselraum Nr. 6, der sechsten Kammer. Durch ihre Beschädigung wurde das Schiff buglastig. Das Wasser würde ein Abteil nach dem anderen füllen und das stolze Schiff über Bug sinken lassen. Das Todesurteil für die meisten Passagiere! Von dem Moment an, als der Eisberg das Schiff berührte, noch vor dem Kapitän und dem Konstrukteur Thomas Andrews und allen anderen, wußte ich Bescheid. Um 2.20 Uhr würde das Heck des Riesenschiffes, zwei Minuten nachdem dieses auseinandergebrochen und der Bug zuerst gesunken war, untergehen. Dann würde die »Titanic«, in zwei Teile geborsten, ihre letzte Reise antreten: auf den Grund des Nordatlantiks. Bald würde alles, was ich jetzt um mich herum sah, auf dem Grund des Ozeans sein. *
Ich hatte die Katastrophe nicht verhindern können. Während der dramatischen Sekunden hatten mich die Besatzungsmitglieder auf der Brücke überhaupt nicht mehr beachtet. Danach verließ ich die Brücke, hier war nicht mein Platz. Ich hatte an Bord der sinkenden »Titanic« eine Aufgabe zu erfüllen. Eine Intrige meines Erzfeinds Mephisto hatte mich hergeführt. Ich sollte Seth-Suchos zur Strecke bringen, eine teuflische altägyptische Gottheit. Einen Superdämon von ungeheurer Kraft und so schrecklich, daß sogar Mephisto als ein Paladin der Hölle vor ihm Respekt hatte. SethSuchos war eine Konkurrenz für ihn. Ich ging auf das Vorderdeck, wo ein paar Passagiere nichtsahnend und ausgelassen Stücke von dem Eisberg umherkickten. »Kann ein Schiff denn nicht sinken, wenn es mit einem Eisberg zusammenstößt?« fragte ein clever aussehender Dreizehnjähriger seinen. Vater. Der lachte ihn aus. »Doch nicht die >Titanic<, Marcel. Dieses Schiff ist unsinkbar. Hast du vielleicht einen Krach gehört, eine schwere Erschütterung gespürt? - Na also, das war überhaupt nichts. Komm, laß uns eine Schneeballschlacht machen.« Ich ging weiter - was sollte ich dazu sagen? Ich suchte Tessa, vor weniger als fünf Minuten war sie noch auf dem Bootsdeck gewesen. In der Nähe des Bugs fand ich sie dann. Schreckensbleich schaute sie mich an. Hinter ihr stand, mehr als zwei Meter groß, mit Schuppenhaut und einem Krokodilskopf, der Dämon Seth-Suchos. Er hielt Tessa in seinen Krallenhänden. Weit riß er sein Maul auf. Ich hatte mir mit ihm schon mehr als einen harten Kampf geliefert. Meine Rippen, die er mir fast eingetreten und eingeschlagen hatte, schmerzten jedesmal, wenn ich Luft holte. Ich wußte, nur Tessa und ich sahen Seth-Suchos in seiner wahren Gestalt. Für alle anderen auf der »Titanic« tarnte er sich durch Magie mit dem Aussehen eines normalen Menschen. Jetzt öffnete er seinen Rachen und fauchte mich an. »Da bist du ja wieder! Wenn du sie wiederhaben willst, hol sie dir. Ich erwarte dich. Den Weg kennst du ja.« Mein Ring würde ihn mir zeigen. Im nächsten Augenblick verschwand der Dämon samt Tessa. Er hatte sich weggezaubert. Ich prüfte mit meinem Ring die Ausstrahlung, die er hinterließ. Über die prachtvolle Freitreppe schritt ich dann nach unten, zunächst zu den Kabinen der ersten Klasse. Wo konnten die beiden sein? Im Schwimmbad? Im Gymnastikraum? Vielleicht war Seth-Suchos mit Tessa in einer Kabine, in der Schiffsküche oder im Laderaum?
Noch ging es an Bord ungezwungen zu. Ich schaute mich um, drang tiefer ins Schiffsinnere ein, verließ die erste Klasse und nahm in der zweiten eine Notaxt, die zum Einschlagen von Kabinentüren diente, aus dem Schrank mit der Glastür. Ein weißbefrackter Steward sah es und rief: »Was tun Sie da? Sie beschädigen Eigentum der White Star Line. Ich werde Sie melden, Sir.« »Tun Sie das«, erwiderte ich und ging weiter. Er hatte noch keine Ahnung, wie sehr das Eigentum seiner Schiffahrtslinie beschädigt war, nämlich das ganze Schiff! Ich ließ ihm die Zeitspanne der Ahnungslosigkeit, die ihm noch blieb. Das Prickeln meines Rings und sein Leuchten, das zu- und abnahm, führte mich. In einer Ecke, wo ich unbeobachtet war, verwandelte ich die Axt mit dem Ring in eine magische Waffe. Soweit funktionierte der Ring, den Mephisto, dieser Satan, manipuliert hatte. Und zwar in der Weise, daß ich nicht von der »Titanic« fliehen konnte, ehe ich hier meine von ihm gestellte Aufgabe erfüllt hatte. Wenn ich es nicht schaffte, würde ich mit dem Schiff untergehen oder im eisigen Wasser sterben. Dessen war ich gewiß. Ich folgte der Dämonenfährte, die mir der Ring wies. Seth-Suchos narrte mich. Die Fährte führte wieder an Deck, vor den vierten Schornstein. Dieser, vierzehn Meter hoch, ein gewaltiger Koloß wie die anderen, war kein Schlot, sondern eine Attrappe, die der Be- und Entlüftung diente. Als ich an dem vierten Schornstein hochschaute, sah ich SethSuchos grinsenden Krokodilskopf aus einer runden Öffnung im Schornstein ragen, sechs Meter über mir. Der Dämon schaute höhnisch auf mich herab. »Dein Mädchen ist im Postraum«, sagte er. »Dort steigt schon das Wasser. Du mußt dich beeilen, wenn du sie noch retten willst.« Als ich auf meine Taschenuhr schaute, war es 23.53 Uhr. Ich sauste los und fragte ein Besatzungsmitglied, wo denn der Postraum sei. Seit dem Zusammenstoß waren dreizehn Minuten vergangen. Noch war dem Kapitän und der Besatzung nicht klar, daß die »Titanic« untergehen würde, bei einer Rettungsbootkapazität für nur die Hälfte der Menschen an Bord! Der Maat beschrieb mir in Englisch den Weg zum Postraum. Wenn dort unten schon das Wasser eindrang, sah es schlimm aus. Und es war schlimm, denn das Wasser stieg unaufhaltsam. Inzwischen hatten sich trotz der Kälte und der fortgeschrittenen Nacht zahlreiche besorgte Passagiere an Deck versammelt. Kapitän Smith hatte sofort nach dem Zusammenstoß auf der Brücke das Kommando übernommen. Er ließ die Maschinen mit halber Kraft weiterlaufen und drehte die »Titanic« nach Steuerbord. Dadurch wollte er das Heck
vor einem Aufprall schützen. Jetzt stoppten die Maschinen auf Befehl des Käptens. Die »Titanic« beschrieb einen Halbkreis und trieb dann in der einen Knoten starken südlichen Strömung. Ich spürte, wie das pochende Herz der »Titanic« schwieg. Auch andere Passagiere merkten auf. Nur zum Spaß stoppte ein Schiff auf hoher See nicht. Um mich herum wurden Vermutungen geäußert, die alle weit an der Wahrheit vorbeigingen. Eine davon war, wir hätten vielleicht eine der riesigen Schiffsschrauben verloren. Mich freute das Wissen nicht, das ich aus meiner Zeit über den weiteren Ablauf der Katastrophe mitgebracht hatte. Die Axt unterm Arm, auf die niemand sonderlich achtete, begab ich mich ins Schiffsinnere auf der Suche nach Tessa und nach Seth-Suchos. Währenddessen überlegte ich, wie alles begonnen hatte und ich zusammen mit Tessa auf die »Titanic« gelangt war. *
Gegenwart - Oktober 1998
Es fing so an: Zehnkampf besteht aus den Disziplinen 100-Meter-Lauf, Weitsprung, Kugelstoßen, Hochsprung, 400-Meter-Lauf am ersten Wettkampftag. Am zweiten geht es mit 110 Meter Hürden, Diskuswerfen, Stabhochsprung, Speerwerfen und einem 1.500-Meter-Lauf zur Sache. An diesem Oktobertag trainierte ich wieder mal im Wimaria-Stadion in Weimar bei meinem alten Verein, für den ich in meiner aktiven Zeit eine ganze Wand voller Pokale gewonnen hatte. Ich wog den Speer in der Hand, schätzte den Wind ab, konzentrierte mich, nahm Anlauf und schleuderte ihn fort. So hatte ich es zu DDR-Zeiten gelernt und fast täglich trainiert. Der Speer zischte durch die Luft. Mein alter Trainer, inzwischen zum Sportwart degradiert, ein paar Offizielle und drei Nachwuchsathleten, die mich als alten Sack beschimpft hatten, reckten die Hälse. Das Ergebnis wurde mitgeteilt. »Neunzig Meter!« rief freudestrahlend mein alter Trainer. »Das ist unser Mark, das ist meine Schule! Obwohl er nicht mehr regelmäßig trainiert, wirft er noch neunzig Meter. - Mark, wenn du damals mehr auf mich gehört hättest, wärst du in den Olympiakader aufgenommen worden. Du hättest eine Goldmedaille gewinnen können, mindestens.« »Und würde jetzt als Sportkrüppel mein Dasein fristen«, antwortete ich. »Nein, danke.« Ich wandte mich an die drei jungen Athleten. Sie strotzten nur so vor
Ehrgeiz. Für diese jungen Sportasse war ich mit meinen achtundzwanzig Jahren schon ein alter Mann. »Na, Jungs, habt ihr jetzt mal gesehen, was eine Harke ist? Soll ich euch ein paar Tips geben? Vielleicht beim Kugelstoßen?« »Du bist immer noch gut, Mark«, sagte ein weißblonder Modellathlet. »Das mit dem alten Sack nehme ich deshalb zurück.« Ich schlug ihm auf die Schulter, daß er es richtig spürte. »In Zukunft sagst du Herr Sack, und das alt läßt du weg, klar?« Wir lachten. Nachdem ich beim Kugelstoßen und Weitsprung gute Weiten erzielt hatte, ging ich zum Duschen. Ich war in Hochstimmung. Ich hielt mich fit und trainierte regelmäßig, was für meinen Job als Träger des Rings und Kämpfer gegen das Böse eine Voraussetzung ist. Mit dem Zehnkampf, in dem ich als Student zeitweise Landesmeister gewesen war, hatte ich es heutzutage jedoch weniger. Kampf- und Extremsportarten standen in der letzten Zeit meist auf dem Programm. Meine liebste Sportart war allerdings das Matratzentraining. Die Frauen waren meine große Schwäche, sehr zum Bedauern meiner Dauerfreundin Tessa, die mich doch so gerne geheiratet hätte. Okay, ich versuchte ja treu zu sein, doch es war mir nicht immer gelungen. Im Umkleideraum sprach mich mein alter Trainer auch darauf an. »Mark, wenn du nicht so viele Frauengeschichten gehabt hättest, wärst du im Sport ganz an die Spitze gekommen. Die Weiber haben dich die Goldmedaille gekostet.« »Soll ich vielleicht mit einer Goldmedaille ins Bett gehen?« fragte ich. »Außerdem habe ich mit dem Zehnkampf sowieso die falsche Sportart gewählt. Fußballer oder Tennisspieler hätte ich werden sollen. Dann hätte ich ausgesorgt.« Mein alter Trainer schüttelte bedauernd den grauen Kopf. »Dir fehlt der notwendige Ernst beim Sport, Mark. Was treibst du denn jetzt so? Reporter bist du geworden, habe ich gehört. Dabei hast du doch Völkerkunde studiert.« »War mir nicht lebendig genug.« Mit diesen Worten verabschiedete ich mich. Daß ich meine Lebensaufgabe darin gefunden hatte, die Mächte der Finsternis zu bekämpfen, brauchte mein alter Trainer Paul nicht zu wissen. Ich fuhr Richtung Zentrum, wo ich meine Freundin Tessa Hayden besuchen wollte. Ich parkte den BMW vor dem Haus, in dem sie wohnte. Im Erdgeschoß schaute eine dicke Frau, die gern alles wissen wollte, zum Fenster heraus. »Nanu«, rief die Dicke. »Sie sind doch gerade erst vor fünf Minuten mit Tessa Hayden weggefahren. Haben Sie was vergessen?« »Sind Sie sicher?« fragte ich.
Mir schwante sofort Übles. »Natürlich!« rief die Hausbewohnerin beleidigt. »Denken Sie vielleicht, daß ich Tomaten auf den Augen habe? Wo haben Sie Tessa gelassen?« »Sie wartet auf mich«, antwortete ich ausweichend und holte die Schlüssel für Tessas Wohnung aus dem Handschuhfach meines Autos. Zur Zeit vertrugen wir uns recht gut, deshalb war ich wieder im Besitz ihrer Haustürschlüssel. Ich ging also hoch. Drinnen herrschte die übliche Unordnung. Ich zuckte zusammen, als mein Ring reagierte. Vielleicht war es eine Falle. Ein starker Dämon oder irgendein Unwesen war hier gewesen. Sofort riß ich alle Türen auf und war kampfbereit. Doch ich entdeckte nur eine Nachricht an der Wand des Schlafzimmers, direkt über dem französischen Bett. Sie war mit Blut geschrieben und lautete: Ich habe Tessa entführt. Wenn du sie je lebend wiedersehen willst,
befolge meine Anweisungen. Mephisto.
Ich erschrak. Mein Erzgegner hatte meine Gestalt angenommen, ein fieser Trick, und Tessa mit sich gelockt. Einen Wagen zu hexen, der genau wie mein alter BMW aussah, war für den Teufel Mephisto keine Kunst. Vielleicht befand sich Tessa schon mit ihm in der Hölle. Ich war aufs Höchste beunruhigt und machtlos zugleich. Was sollte ich tun? Ich konnte nur abwarten. Also fuhr ich in die Florian-Geyer-Straße, wo ich in einem Mehrfamilienhaus eine Dachgeschoßwohnung gemietet hatte. Ich hatte sie mir mit viel Mühe und Aufwand nach meinem Geschmack eingerichtet, mit viel Holz, einer Stereoanlage, die sich automatisch einschaltete, wenn man eintrat, intimer Beleuchtung und hellen schwedischen Möbeln. Meine Bibliothek über Geister und Dämonen hielt sich in Grenzen. Wenn ich hier etwas brauchte, konnte ich jederzeit bei meinen Adoptivvater Ulrich Hellmann nachschlagen, der mit seiner Frau Lydia in Weimar wohnte. In der Siedlung Landfried. Er konnte mir auch über E-mail Daten und Nachrichten zuschicken, die er eingelesen hatte. Obwohl sich Ulrich Hellmann mit Händen und Füßen dagegen gesträubt hatte, hatte ich ihn soweit gebracht, daß er den größten Teil seiner umfangreichen Bibliothek einlas und auf CDs speicherte. Bei mir waren die meisten Unterlagen per EDV gespeichert. Bei meinen Einsätzen hatte ich neben meinem Einsatzkoffer auch ein Notebook dabei, um von unterwegs auf die Hellmannsche Datenbank Zugriff zu haben. Per Modem. Die Zeiten, in denen ein Geisterjäger ohne High-Tech auszukommen versuchte, waren schließlich vorbei. Auch den lockeren Ring von Verbündeten gegen die Mächte des Bösen konnte ich so weltweit ansprechen. Für mich stellte es kein Problem dar,
die Nostalgie knarrender Särge und modriger Grüfte, in denen Vampire und Ungeheuer hausten, mit der modernen Computertechnik zu bearbeiten. Wie ich argwöhnte, ging auch die Gegenseite mit der Zeit. Daß Viren übers Internet kamen, war schon ein alter Hut. Bald würden wir auch Dämonen aus dem Internet kennenlernen, und Chat-Rooms, in denen Vampire lauerten. Monstren konnten aus dem Computer kommen, oder es war möglich, die Opfer durch diesen in die virtuelle teuflische Computerwelt eines höllischen Internets hineinzuziehen. Vielleicht konnte man sogar schon die Hölle per http und Backslash direkt kontaktieren, was für mich kein Witz, sondern ein Zug der Zeit war. In der Wohnung tigerte ich hin und her. Dann rief ich Ulrich an, meinen Vater, und sprach mit ihm über Tessas Entführung. Ulrich war bestürzt, konnte mir jedoch keinen Rat geben. Anschließend wollte ich mit Pit Langenbach telefonieren, meinem besten Freund und Tessas Vorgesetztem. Er war Hauptkommissar bei der Weimarer Kripo. Als ich gerade seine Privatnummer ein tippen wollte, hörte ich an der Tür meiner Wohnung ein Kratzen und Bellen. Ich öffnete. Ein Pudel stand vor der Tür und kläffte mich an. Vielleicht, dachte ich, gehört er meiner neuen
Nachbarin, die vor vierzehn Tagen unter mir eingezogen war und seitdem zu den unmöglichsten Tages- und Nachtzeiten bohrte und hämmerte. Mein
Ring zeigte keine besondere Reaktion auf den Pudel, was allerdings kein absoluter Beweis war. Ein starker Dämon wie Mephisto konnte die Reaktion meines Rings verfälschen oder unterdrücken. Daß sich der Ring in Tessas Wohnung bemerkbar gemacht hatte, hatte Mephisto gewollt. Der schwarze Pudel lief an mir vorbei in die Wohnung. Er schnupperte und winselte. Fehlt nur noch, daß er das Bein hebt, dachte ich. Der Pudel rannte in meiner Wohnung hin und her. Er bellte und knurrte. Einer von uns beiden war in der Wohnung zuviel. Deshalb öffnete ich wieder die Wohnungstür. »Raus hier!« befahl ich. »Geh wieder zu Herrchen oder zu Frauchen.« Statt die Wohnung zu verlassen, reckte und streckte sich der Pudel. Er wurde höher und breiter, so groß wie ein Nilpferd. Rot funkelten seine Augen. Nebel hüllte ihn ein. Die Wohnungstür fiel ins Schloß. Das garstige, schwarzhaarige Ungeheuer, das aus dem Pudel entstanden war, wuchs weiter und füllte die Wohnung aus, daß mir kaum noch Platz blieb. Rasch aktivierte ich meinen Ring, indem ich ihn gegen das Hexenmal an meiner Brust hielt, den siebenzackigen Stern. Ein kurzer, laserartiger Lichtstrahl zuckte aus dem Ring. Ihn richtete ich gegen das Ungeheuer und rief mit Donnerstimme: »Dämon, fahr zurück in die Hölle! Xywoleh vay barec hat vay yomar.«
Den Schlüssel Salomonis, die stärkste Beschwörungsformel gegen Dämonen der Neuzeit sowie des Altertums, hatte ich auswendig gelernt. Ich hatte die Formel noch lange nicht beendet, als der Nebel verschwand, das angeschwollene, riesige Ungeheuer sich auflöste und ich aus der abgeteilten Schlafkammer ein Geräusch hörte. Im nächsten Moment trat da ein blaßgesichtiger junger Mann mit Nickelbrille, langem, im Nacken zu einem Schopf zusammengefaßten Haar, Jeans und buntem Webhemd hervor. Er hatte einen Packen Studienbücher zusammengeschnürt und unter den Arm geklemmt und sah genauso aus wie viele andere Studenten auch. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Ich hätte gleich daran denken können, als ich den Pudel sah. Wer vor mir stand, war Mephisto. Mit seinem skurrilen Sinn für Humor hatte er sein Erscheinen in meiner Wohnung in der Goethestadt Weimar zeitgemäß umgesetzt, wie in der Studierzimmerszene von Goethes Faust dargestellt. »Das ist des Pudels Kern«, sagte ich sarkastisch. »Du bist es, Mefir.« Mefir Tofel - auf Hebräisch Lügenverbreiter - lautete eine Namensform von Mephisto. Er mochte es aber nicht, wenn ich ihn so nannte. Der lange Student mit der schlechten Haltung verbeugte sich knapp. »Wo hast du Tessa gelassen?« fragte ich. »Was hast du ihr getan?« Ich wollte Mephisto am Kragen packen. Doch er verwandelte sich blitzschnell in eine übergroße, nach Pech und Schwefel stinkende Teufelsgestalt mit Hörnern und Schwanz und Bocksfuß. In der rechten Hand hielt er eine dreizinkige Gabel, die er gegen mich richtete. Mein Ring strahlte immer noch nicht. Mephisto unterdrückte seine Magie. Als ich den Ring gegen das Hexenmal auf meiner Brust halten und aktivieren wollte, drückte der Satan die Zinken der Gabel leicht gegen meine Brust. »Leg dich nicht mit mir an, Hellmann. Oder ich nagele dich an die Wand. Ich will mit dir reden.« »Erst gib Tessa heraus.« »Wenn hier einer Forderungen stellt, dann bin ich es. Du kannst Tessa zurückholen, aber nur, wenn du erfüllst, was ich von dir verlange.« »Wo ist sie?« fragte ich. »Auf der >Titanic< im Jahr 1912«, antwortete mir Mephisto ohne Umschweife. »Genauer gesagt, am 13. April, Sonnabend, 36 Stunden vor dem Zusammenstoß dieses Schiffs mit dem Eisberg. Ich habe sie dorthin versetzt. Tessa Hayden geht mit der >Titanic< unter, wenn du meine Forderungen nicht erfüllst.« Ich staunte. Die »Titanic« war aus verschiedenen Gründen eine Legende unseres Jahrhunderts. Nicht nur die Größe der Schiffskatastrophe, auch die
schicksalhaften Umstände, die dazu geführt hatten, bewirkten das. Ebenso die Menschen, die mit dem Schiff untergegangen waren, und ihr Verhalten. Der Untergang der »Titanic« sagte viel über die menschliche Natur aus, über die Technikgläubigkeit und über diejenigen, die glaubten, sich über die Natur stellen zu können. Auch über menschliche Größe und Mut, genau wie über die menschlichen Schwächen und Schattenseiten. »Was soll ich tun, damit du Tessa von der >Titanic< zurückholst, Mephisto?« fragte ich. Ein tiefer, schwefelstinkender Atemzug hob die Brust des Teufels. »Du sollst selbst auf die >Titanic<, Mark, und dort jemanden für mich erledigen. Ich weiß längst, daß du mit deinem Ring unter bestimmten Voraussetzungen durch die Zeit reisen kannst. Den Dienst wirst du mir erweisen.« »Wegen Tessa, verstehe«, erwiderte ich und suchte nach einer Chance, um Mephisto hinzuhalten. Doch da hatte ich schlechte Karten. Er war auf der Hut. »Ich nehme an, du hast mir bereits eine Kabine bestellt, großer Höllenfürst.« Die Ironie prallte an Mephisto ab. »Selbstverständlich«, sagte er nur. »Ich werde deinen Ring so beeinflussen, daß du nur dann wieder zurückreisen kannst, wenn du deine Aufgabe erfüllt hast. Wenn dir das nicht gelingt, vernichtet er dich - oder du gehst mit der >Titanic< unter.« In Mephistos Stimme klang tödlicher Ernst. Ich erwiderte spöttisch: »Weit ist es mit der Hölle gekommen, wenn sich ihr Paladin eines Menschen bedienen muß, um einen Feind zu erledigen. Schaffst du das denn nicht selbst?« Die Spitzen der dreizinkigen Gabel kitzelten meinen Hals. »Hüte deine Zunge, Hellmann, oder ich reiße sie dir heraus. Du kannst mir auch stumm dienen. Es gibt Gründe, weshalb ich nicht selbst aktiv werden will. Auch die Magie hat ihre Regeln und Gesetze. Das ist auch der Grund, weshalb ich dich nicht schon längst selber in Stücke gerissen habe.« »Also gut, Mefir«, erwiderte ich. »Wenn es keinen anderen Weg gibt, um Tessa zu retten, dann tue ich es. Doch es kommt darauf an, wen ich auf der >Titanic< erledigen soll. Einen normalen Menschen oder jemanden, der böse ist.« »Derjenige, den ich dich zu vernichten auffordere, ist ein teuflisches Wesen von ungeheurer Macht und Stärke. Ein Lügner und Menschenverderber, ein Ränkeschmied und ein Ausbund an Dämonie, Gemeinheit und Niedertracht.«
»Also ein Bruder von dir, Mephisto«, stellte ich fest. Der Teufel war weit davon entfernt, beleidigt zu sein. Er senkte sogar die Gabel, hielt sie jedoch bereit, um sie mir jederzeit in die Brust stechen oder damit Blitze auf mich schleudern zu können. »Ja, Seth-Suchos ist so etwas Ähnliches wie ein Bruder von mir, Menschlein. Er ist von meiner Art, nämlich ein Valusianer. Lange bevor die Urzeitsaurier die Erde bevölkerten, gab es schon Leben auf dieser Welt, teils von anderen Sternen. Die stolze Rasse der Valusianer schritt über den kochenden Schlamm und das Magma, das die Oberfläche der Erde vor Hunderten von Millionen Jahren bedeckte.« »Die Urzeit der Erde war vor 2.500 Millionen Jahren«, sagte ich. Vor zirka tausend Millionen Jahren entstanden bakterienartige Organismen.« »Was weißt du denn«, erwiderte Mephisto, »was die Zeit ist, wie sie verläuft, was war und was sein wird? Ich bin uralt, ein Dämon aus der Urzeit der Erde. Er, den ich niemals mit Namen nenne und gegen den wir rebellierten, stürzte uns aus der Ewigkeit in die Zeit. - Genug davon. SethSuchos und ich kannten uns schon, als die Saurier die Erde und das Amazonenreich Kass-Amun bevölkerten, Wolferone und Vampyroda bestanden. Im Alten Reich von Ägypten, 2.300 Jahre vor der Zeitenwende, nach eurer Rechnung, erreichte er seine größte Machtentfaltung. Damals hatte er mich ins Erdinnere verbannt, von wo ich erst später zurückkehrte. Seth war für die alten Ägypter der Teufel, wie du von deinen Studien weißt, Mensch. Seth-Suchos ist ein besonderer Teufel mit ungeheuren Kräften.« Mephisto erzählte weiter. Ich gewann den Eindruck, daß er Seth-Suchos fürchtete oder zumindest als ernstzunehmende Konkurrenz für sich und seine Verbündeten und Unterteufel betrachtete. Um 2.300, zur Zeit des Pharaos Djoser, hatte sich Seth-Suchos zum Gegenpharao ausrufen lassen. Er wurde auch der Dunkle oder der Finstere Pharao genannt. Das Alte Reich wäre verloren gewesen. Doch aus der Wüste kam Rettung, ein Eremit, in härene Felle gekleidet, der sich nur von Milch und wildem Honig ernährte. Er verfügte über übernatürliche Kräfte und hatte einen Dolch aus dem schwarzen Stein eines Meteoriten. Dieser wilde Verkünder des Sonnengottes Ra und der Isis vollbrachte das Unwahrscheinliche, daß er Seth-Suchos Wüstenstadt mit seinen Beduinenhorden überrannte. Selbst der große Pharao Djoser war an Seth-Suchos gescheitert und hätte Reich und Leben verloren, wäre der Wüstenprophet und eifernde Priester nicht gegen die Mächte der Finsternis aufgetreten. Der Eremit bannte Seth-Suchos' Zauberkraft mit seinem Meteoritendolch, schnitt ihm das Herz heraus und verbrannte es. Seth-Suchos wurde in einen Sarkophag eingeschmiedet und in einer un-
terirdischen Pyramide, von der jede Spur verwischt wurde, begraben. Eine Sphinx wurde auf sein Grab gesetzt, um seinen Todesschlaf zu bewachen. Genau diese Sphinx, so Mephisto, führte 1911 eine archäologische Expedition auf die Spur der verfluchten Pyramide. Der Sarkophag wurde gefunden. Mephisto deutete eine wilde Geschichte mit Grabräubern an, die SethSuchos krokodilköpfige Mumie in ihre Gewalt brachten. Allesamt waren sie dem Fluch zum Opfer gefallen, der sich mit dem Finsteren Pharao verband. Der Sarkophag war dann in Alexandria aufgetaucht, wo ihn ein mehr als zwielichtiger Geschäftemacher an den US-Multimillionär Owen Webster verkaufte. Webster war Sammler von ausgefallenen Altertümern. Seine Villen in Richmond, New York, Miami und Nizza strotzten davon. Auch Jihal ben Riad, der Geschäftemacher, erlag dem Fluch. Ihn biß eine Giftschlange, und er starb unter Qualen, nachdem er Seth-Suchos samt Sarkophag per Schiffsfracht mit einem Frachter nach London geschickt hatte. Das geschah, um die Spur jenes seltenen uralten Stücks zu verwischen. Grabräuberei und Schmuggel von Altertümern wurden in Ägypten streng bestraft. In London verfrachtete Owen Webster, absolut begeistert von seiner Neuerwerbung (O-Ton Mephisto), die Mumie samt Sarkophag auf die »Titanic«. »Seth-Suchos wird auferstehen«, flüsterte Mephisto, der sich tatsächlich zu fürchten schien. So hatte ich ihn noch nie erlebt. * »Du küßt ja heute so feurig, Liebster«, sagte Tessa und schmiegte sich in ihrer Wohnung an den großen Mann, der sie soeben besucht hatte. »Das weckt in mir die Leidenschaft.« Sie zog den Mann, den sie für Mark Hellmann hielt, in Richtung Schlafzimmer. Mephisto stand jedoch nicht auf Sex mit irdischen Frauen: Uma Araneae, mit der er in der Spinnenhölle in Gestalt einer riesigen Spinne verkehrt hatte, war schon eher nach seinem Geschmack. Jetzt sagte Mephisto, der Mark Hellmanns Gestalt angenommen hatte: »Ich habe eine Überraschung für dich. Komm mit!« Tessa war erst kurz zuvor vom Dienst zurückgekehrt und hatte ihr Motorrad im Hof geparkt. Als sie die Wohnung betrat, klingelte es auch schon. Der vor der Tür stehende Mann sah haargenau so aus wie Mark Hellmann. Er sprach, benahm und bewegte sich auch wie er. Arglos und erfreut ließ
ihn Tessa in die Wohnung. Die schlanke Brünette mit den reizvollen kleinen Brüsten hatte duschen wollen und stand in Slip und BH da. Der falsche Mark Hellmann umarmte sie gleich und küßte sie, daß sie schwach wurde. »Müssen wir denn sofort weg?« fragte sie jetzt. »Leider«, erwiderte Mephisto. Er küßte Tessas Hals, was ihn Überwindung kostete. »Später werde ich dich dafür entschädigen. - Beeil dich, bitte. Es ist sehr wichtig.« Tessa zog einen Schmollmund, schlüpfte jedoch widerspruchslos in ihre Lederjeans, Bluse, Jacke und Stiefel. Wie langweilig die Menschenfrauen doch sind, dachte Mephisto. Wenn diese hier wenigstens drei Brüste hätte, Vampirzähne, Krallen oder einen Monsterkopf. Er dachte sich noch andere, teils intime Details aus. Ja, dann hätte ihm vielleicht auch diese Tessa gefallen. Tessa begleitete Mephisto aus dem Haus. Im Erdgeschoß schaute die neugierige dicke Nachbarin aus dem Fenster. Sie kontrollierte jeden, der hier ein- und ausging, und klatschte und tratschte den ganzen Tag. Ihr Mann war Frührentner und verbrachte die meiste Zeit in der Kneipe, weil er es zuhause nicht mehr aushielt. Tessa stieg in den BMW. Etwa zu der Zeit fuhr der richtige Mark Hellmann gerade vom Stadion weg, um sie aufzusuchen. Tessa hatte keine Ahnung, zu wem sie sich ins gleichfalls gehexte Auto gesetzt hatte. Ihre Fragen, wohin sie fuhren, beantwortete der große Mann mit den blauen Augen und dem Modellathletenkörper hinterm Steuer nicht. Er trug Freizeitkleidung. Mark Hellmann war immer lässig und hatte stets einen coolen Spruch auf den Lippen. Das gefiel Tessa an ihm. Der falsche Mark Hellmann verließ die Goethestadt über die Ettersberger Straße und fuhr in Richtung Großer Ettersberg. Zwischen dem Galgenberg und der Teufelskrippe war es Tessa nicht ganz geheuer. Der angebliche Mark Hellmann parkte den BMW auf einem Waldweg. Tessa schnupperte. »Was riecht denn hier so nach Schwefel?« fragte sie arglos. Der blonde Mann neben ihr lächelte treuherzig. »Ich glaube, mit dem Katalysator ist etwas nicht in Ordnung. Laß uns gehen.« Sie verließen den Wagen, und er stieg mit ihr durch die Schlucht am Berghang empor. Eichen und Buchen beherrschten diesen Wald. Der Himmel war bewölkt, die Sonne bald untergegangen. Ein Eichelhäher schrie im Wald. »Das ist doch der Weg zur Teufelsgrotte«, sagte Tessa. »Was hast du dort vor, Mark? Warum tust du so geheimnisvoll?« »Ich habe etwas entdeckt, das ich dir unbedingt zeigen muß, Kätzchen.« So nannte Mark Tessa manchmal in intimen Momenten oder wenn er gut
aufgelegt war. »Frag mich nicht weiter.« Das Gittertor vor der Grotte, in der sich schon mehrere Menschen umgebracht hatten, war verschlossen. Tessa wunderte sich nicht, als der Mann, den sie für Mark Hellmann hielt, am Schloß hantierte und es sich öffnete. Quietschend wich das Tor zur Seite. Ein Haselnußstrauch stand vor dem Eingang zur Grotte. Der falsche Mark Hellmann bog die Zweige zur Seite, damit Tessa eintreten konnte. Sie schaute in die Grotte und sagte: »Es ist finster da drin.« »Kein Problem, haben wir gleich.« Der falsche Mark Hellmann griff hinter den Höhleneingang und hielt eine Stabtaschenlampe in der Hand. Tessa nahm an, sie hätte dort in einer Nische gestanden. Auf den Wink des blondes Mannes hin trat sie ein. Sie vertraute Mark Hellmann absolut. Die Teufelsgrotte war unregelmäßig geformt, dreißig Meter tief, hatte eine größte Breite von sechs Metern und war an der höchsten Stelle zirka fünf Meter hoch. Ihre Wände bestanden aus mit Moos und Flechten bewachsenen Felsen, die Nischen und Verzweigungen aufwiesen. Ein paar Baumwurzeln wuchsen in die Grotte hinein, die einem düsteren Kuppeldom glich. Durch Spalten sickerte trübes Tageslicht. Fette Spinnen hatten an der Decke der Teufelsgrotte und in den Spalten ihre Netze gewoben. Es roch muffig, nach kaltem Rauch und noch immer nach Schwefel. Tessa schnupperte wieder. »Der Schwefelgeruch ist noch nicht weg«, sagte sie. »Dann wird es mein neues Deodorant sein, das du riechst«, sagte der Mann in Freizeitkleidung hinter ihr. Der Lichtkegel der Stabtaschenlampe beleuchtete die Stümpfe von abgebrannten Fackeln, die noch im Boden steckten. Der Kadaver eines kopflosen Hahns lag da. Ein paar Kreidelinien waren noch zu erkennen, außerdem Kerzenstümpfe. Dies waren die Überbleibsel der Beschwörung, die vor ein paar Wochen vier junge Leute aus Weimar hier vorgenommen hatten. Seitdem hatte niemand mehr die Teufelsgrotte betreten. Auch der richtige Mark Hellmann wußte nicht, daß der Anlaß zu den Schreckenstagen von Weimar hier gegeben worden war. Tessa wurde es allmählich unheimlich. Ihr Herz klopfte. Die weibliche Intuition verriet ihr, daß hier etwas nicht stimmte. »Was willst du mir denn zeigen, Mark?« fragte sie. Schemenhaft sah sie den hochgewachsenen Mann mit der Stabtaschenlampe. »Warum hast du denn plötzlich so große, glühende Augen?« »Damit ich dich besser sehen kann.« »Mark, was ist denn mit deinen Händen? Sie sind ja behaart. Und du hast auch richtige Krallen.«
»Damit ich dich besser packen kann.« »Hör auf, mich zu veralbern. Was redest du mit mir wie der Wolf in dem Märchen vom Rotkäppchen? Du weißt, daß ich solche Scherze nicht mag. Warum hast du mich hergebracht?« Der Blonde, den Tessa die ganze Zeit für Mark Hellmann gehalten hatte, antwortete nicht. Statt dessen wuchs er in die Höhe und in die Breite. Sein Gesicht wurde zu einer Teufelsfratze, mit ziegenbockähnlichem, gehörnten Schädel, Kinnbart und langen, spitzen Ohren. Die Freizeitkleidung verschwand von dem haarigen Körper mit Klauenhänden und Pferdefüßen. Der Schwefelgeruch wurde noch stärker. Die Stabtaschenlampe erlosch. Düsteres Glühen erleuchtete jetzt die Höhle. »Du bist nicht Mark Hellmann! Du bist Mephisto!« »Genau!« rief der Teufel, packte die aufschreiende Tessa und fuhr mit Donner und Schwefelgestank mit ihr in die Erde hinein. Die Fahnderin wußte nicht, wie ihr geschah. In sausender Fahrt ging es durch irgendwelche Grüfte, dann hoch durch die Luft und über einen Abgrund hinweg. Tessa verging Hören und Sehen. Es war ein Gefühl, als ob sie Achterbahn fahren würde. Dämonen und scheußliche Wesen griffen nach ihr. Endlich, wieviel Zeit verstrichen war, wußte sie nicht, stand sie plötzlich wieder in der Teufelsgrotte. Mephisto, dessen ungeheuren Kräften und Teufelszauber sie nichts hatte entgegensetzen können, und ein zweiter Teufel standen bei ihr. »Mark!« rief Tessa gellend. »Zu Hilfe!« »Mark Hellmann kann dir nicht helfen«, erklärte ihr Mephisto, immer noch in der Teufelsgestalt, höhnisch lachend. »Du bleibst hier in Gewahrsam, unter Bewachung meines Unterteufels Samiel. Bald wirst du erfahren, wie es weitergeht.« Mit Gebrause fuhr Mephisto durch die Höhlendecke, die sich für ihn öffnete und hinter ihm wieder schloß. Das düstere Glühen blieb. Tessa schaute Samiel an. Dieser Teufel hatte die Gestalt eines mittelgroßen, gebückt gehenden Mannes mit dünnen, schwarzen Haarsträhnen, die auf seinem Kopf klebten. Zwei kleine Hörner wuchsen ihm aus dem Schädel. Sein Gesicht war grünlich und fahl wie das einer Wasserleiche. Er rollte oft mit den Augen, schnitt Grimassen, und ein Tic verzerrte sein Gesicht. Samiel hatte einen leichten Buckel und Krallenhände. Er bewegte sich ungelenk, konnte jedoch blitzschnell sein, und er hatte eine widerliche, schleimige Art. Jetzt rieb er sich raschelnd die Krallenhände. »Zu Diensten, schöne junge Frau«, sagte der Widerling, der übel nach faulen Eiern und nach Verwesung stank. Er trug einen blauen Frack und grüne Hosen. Seine Augen glühten und leuchteten manchmal stärker und
manchmal schwächer. »Es ist mir eyne große Ähre und eyn Vergniegen. Darf ich Ihnen eyne Gefälligkeit erweisen? Mechten Sie eynen kleynen Imbiß?« Tessa wußte nicht, was sie davon halten sollte. Zweifelnd schaute sie Samiel an. Sein rechter Arm verlängerte sich. Schwupp, schwupp, schwupp pflückte er drei fette Kreuzspinnen aus ihren Netzen an der Decke und hielt sie der aufschreienden Tessa hin. »Mechten Sie essen? Natierliches Fastfood fier den kleynen Hunger zwischendurch, hähähä. - Neyn, mechten Sie nicht essen? Weyß Sie nicht, was Sie will. Esse ich selber.« Schmatzend verschlang er die Kreuzspinnen, kaute und schluckte. Tessa drehte sich schon vom Zusehen fast der Magen um. Samiel wollte sich ausschütten vor Lachen, als er ihr entsetztes Gesicht sah. »Kann ich euch Kröten herbeyhexen, wenn Sie diese mag fressen. Ist die Dame verwehnt, oioioi? Haben wir schon schlechte Zeiten in Helle gehabt; haben die Teufel die Fliejen jefressen. Ist sich Lucifuge Rofocale gekommen, das Höllenkaiser, hat sich meyne Fliejen noch wegjefressen. Was soll kleyner Unterteufel Samiel machen? - Oioioi, soll ich dir Helle zeyjen? Kann ich dich foltern mit glühende Stock, setzen dich in die kochende Wasser. Das wird fein, nicht fier dich, aber fier Samiel, wo jern die verdammten Seelen von scheene junge Weibchen schreien heert. - Joijoijoi, soll ich dir Kopf abbeißen und damit Fußball spielen? Kann man wieder ankleben später, merkt sich keyn Mensch, wenn ist richtig herum.« Samiels Hals fuhr teleskopartig aus. Sein Rachen weitete sich und war doppelt so groß wie der eines Löwen. Schreiend wich Tessa zurück. Als sie mit dem Rücken an die Wand stieß, faßte sie sich und zeigte Haltung. Samiel wollte wohl mit ihrem Entsetzen Scherze treiben. »Du wirst es nicht wagen, mir den Kopf abzubeißen. Du bist der Diener Mephistos, ein Unterteufel, und hast den Auftrag, mich zu bewachen. Du darfst mir kein Haar krümmen. Oder Mephistos Strafe trifft dich, und Mark Hellmann wird dich erwischen und mit dir abrechnen, elendes Scheusal.« Samiels Kopf fuhr wieder in die normale Lage zurück und gewann seine normale Größe. Der Unterteufel hüpfte im Kreis herum. »Oioioi, ist sie frech zu mir, dieses Mensch!« rief er in seinem eigenartigen Deutsch. »Das wird sie noch bereuen, die Pritsche. Ziehe ich dir Haut von Kerper, reibe ich Salz hinein, werde ich glühender Wurm, krieche in dich und fresse dich innerlich auf! Du sollst Samiel kennenlernen!« So ging es in einer Tour. Hohn und Spott prasselten nur so auf Tessa nieder. Mephisto mochte mitunter grausam sein. Er hatte jedoch einen gewissen Stil. Samiel dagegen war einfach widerlich, ein Kriecher, der es liebte, Wehrlose und Schwache in Angst und Schrecken zu versetzen. Tes-
sa wußte sich keinen anderen Rat, als das Scheusal zu ignorieren. Sie setzte sich in die Ecke, schlang die Arme um ihre angezogenen Knie und schaute betont an Samiel vorbei. Eine Zeitlang führte er noch seine Kapriolen aus. Dann wurde es ihm zu langweilig, und er ließ von ihr ab. »Bist du bald in Helle«, sagte er noch. »Fressen die Ratten dich auf bei dein lebendijem Leib.« »Halt endlich die Klappe, du Teufelskot!« entfuhr es der couragierten Tessa. Soviel hatte sie gemerkt, daß Samiel nicht ernsthaft Hand an sie legen durfte. »Mark Hellmann ist sicher schon unterwegs, um mich zu befreien. Dann kriegst du was auf die Hörner.« Samiel kreischte und ging auf Tessa los. Er hielt jedoch inne, kurz bevor er sie berührte. Murrend und knurrend ging er von ihr weg an das andere Ende der Teufelsgrotte. »Macht sich keyn Spaß, wenn sich nicht fierchtet das Hurenmensch«, brabbelte er. »Reyß ich sie in Sticke, quäle sie fierchterlich, wenn Mephisto mich läßt, joijoijoi.« Mit dieser makabren Hoffnung tröstete er sich. Draußen war es inzwischen völlig dunkel. Es war kurz vor Mitternacht. Tessa schaute auf ihre Uhr, als ein lautes Brausen ertönte. Mephisto erschien, wieder in Teufelsgestalt. »Nun?« fragte er Tessa höhnisch. »Hat dir mein Diener angenehm die Zeit vertrieben?« Tessa schnitt eine Grimasse. Wieder packte Mephisto sie. Samiel fuhr ihnen hinterher, als sie durch die Höhlendecke zum Galgenberg zischten. Die Wolkendecke war stellenweise aufgerissen. Manchmal sah man den bleichen Vollmond. Im Südosten entdeckte Tessa die Lichter von Weimar, im Osten die Scheinwerfer vorbeifahrender Autos. Mephisto hielt Tessa mit eiserner Kraft fest. Der Flugwind zerrte an ihren Haaren und Kleidern. Mephisto, der die Fledermausschwingen ausgebreitet hatte, und der wie eine Rakete hinter ihm herfliegende Samiel gelangten durch die Lüfte zu einer Lichtung im Wald auf dem Galgenberg. * Die drei landeten auf der Lichtung. Tessa fror nach dem Flug durch die kühle Nachtluft. Auf der Lichtung brannte ein Feuer. Bei diesem standen drei splitternackte Hexen. Tessa war erstaunt, als sie eine junge Frau aus Weimar darunter erkannte, eine hübsche Rothaarige Anfang Zwanzig. Tessa fiel sogar ihr Name ein: Dorotee Geißler. Sie hatte eine Boutique, abseits von der Kulturmeile von Weimar.
Die rothaarige Dorotee verkaufte Esoterisches in ihrem Laden, Liebestränke, einschlägige Literatur und allerlei Mittel. Sie warb gern für den Hexenkult. Daß sie allerdings soweit gehen, sich mit dem Teufel verschwören und an Hexensabbaten teilnehmen würde, hätte Tessa nicht gedacht. Sie hatte Dorotee Geißlers Faible für die Hexerei für eine Marotte gehalten. Im Hintergrund ragten die Überreste eines Galgens auf. Nur die beiden Stützbalken und der Querbalken waren davon noch vorhanden. Auf diesem Galgen saß traurig das Skelett des Henkers, der zuletzt 1738 eine dreifache Hinrichtung vollzogen hatte: an einer Dienstmagd, die abgetrieben hatte, einer Zigeunerin, die ein Huhn gestohlen hatte, und einem Bauern, der es gewagt hatte, dem Großherzog ein grobes Wort zu geben und ihm mit der Faust zu drohen, als der bei der Jagd über die Felder des Bauern und diese zuschanden ritt. Der Henker zog einen Henkersstrick durch die Knochenfinger. Er war dafür bekannt gewesen, daß ihm die Hinrichtungen immer großen Spaß bereitet hatten. Er hatte sogar absichtlich welche von seinen Opfern so aufgehängt, daß sie möglichst lange zappelten, ehe sie ihr Leben aushauchten. Die beiden Teufel und Tessa standen direkt vor den drei nackten Hexen. Die rothaarige Dorotee war aufreizend gebaut, mit prallen Brüsten und Hüften und langen, strammen Schenkeln. Von den beiden anderen Hexen war die eine dick und aufgeschwemmt, die andere alt und runzlig. Die schlaffen Hängebrüste baumelten ihr bis zum Nabel. Die drei Hexen hatten sich bereits mit der Hexensalbe eingeschmiert, die unter anderem Bilsenkraut enthielt, das Halluzinationen erzeugte. Die Hexen hüpften herum und kreischten und lachten. Sie begrüßten Mephisto als ihren Herrn und Meister und verbeugten sich auch vor Samiel. Tessa betrachteten sie mit Mißtrauen. Die rothaarige Dorotee fragte sie skeptisch: »Was willst du hier, du Bulle?« Eine weibliche Form dieses Worts für die Polizei, eine Bullin, das gab es ja nicht. Ehe Tessa antworten konnte, sagte Mephisto: »Sie gehört zu euch. Sie ist eingeweiht. Also behandelt sie mit Respekt.« Sofort verbeugten sich alle drei und küßten Tessa die Hände und die Füße. Mephisto deutete jetzt auf Tessa. »Zieh dich aus und reib dich mit der Hexensalbe ein!« befahl er. »Du wirst am Sabbat teilnehmen.« Tessa weigerte sich. Der Teufel zeigte mit der flachen Handfläche auf sie. Ein Blitz sprang daraus hervor und traf Tessa. Die schlanke Brünette schrie auf. Ihr Körper zuckte heftig, von immer neuen Stromstößen durchgerüttelt.
Samiel hüpfte umher und rieb sich begeistert die Hände. »Ja, brat er sie!« rief er. »Soll er sie umbringen, verbrennen, soll sie sterben wie auf den elektrischen Stuhl.« Die Schmerzen waren so schlimm, das Tessa zusammenbrach und schluchzte, als Mephisto den Hochspannungsblitz endlich einstellte. Dennoch waren zwei weitere Behandlungen nötig, bis Tessa, die immer starrköpfig gewesen war, ihre Kleider ablegte. Die drei Hexen rieben sie überall am Körper mit der Hexensalbe ein. Zuerst spürte Tessa ein Brennen. Ein paar Momente glaubte sie, bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Nun wurde ihr kühl, und dann setzte die Wirkung ein. Wie bei einem Drogenrausch hatte Tessa Halluzinationen. Ihre Sinne waren gereizt und geschärft. Sie verspürte angenehme Gefühle und einen starken sexuellen Reiz. Mephisto erschien ihr als Krone der Schöpfung. Sogar der niederträchtige Samiel gefiel ihr plötzlich. Die drei anderen Hexen rieben sich an den beiden, bis Mephisto sie streng zur Ordnung rief. Der Sabbat begann. Die Hexen, zu denen sich Tessa gesellt hatte, tanzten nackt um das hochlodernde Feuer und sprangen durch den Wald. Tessa glaubte, glühende Wolf saugen zu sehen. Sie wußte nicht, ob es sich dabei um eine Halluzination handelte oder ob Mephisto Wölfe herbeigezaubert hatte. Tessa dachte nicht mehr an Mark Hellmann. Die Hexensalbe verschaffte ihr ein Hochgefühl und Lust. Am Galgen lehnten drei Hexenbesen, zu denen Mephisto einen vierten hinzuzauberte. Tessa stieg nun, wie es ihr die drei anderen Hexen vorführten, auf einen Reiserbesen. Der Besen hatte ein Eigenleben. Tessa spürte, wie er sich heftig zwischen ihren Schenkeln bewegte. Die rothaarige Dorotee und die beiden anderen jagten empor in die Lüfte. Tessa versuchte es, und tatsächlich, es klappte, als sich Mephisto hinter sie setzte und sie im Gebrauch des Hexenbesens unterwies. Durch Gewichtsverlagerung und indem sie den Besenstiel mit beiden Händen umklammerte und in die gewünschte Richtung lenkte, konnte sie ihren Flug bestimmen. Plötzlich war Mephisto verschwunden. Er hatte sich weggezaubert. Tessa saß allein auf dem Besen. Die Hexensalbe verhinderte, daß sie Angst hatte. Zunächst hatte Tessa Probleme. Sie flog so knapp über die Baumspitzen, daß Äste sie peitschten und ihr Striemen zufügten. Doch dann kriegte sie den Besen mehr und mehr in den Griff. Loopings fliegen und sonstige komplizierte Kunstflugfiguren vollführen wie die erfahreneren Hexen konnte sie jedoch noch nicht. Dazu fehlte ihr die Übung. Manchmal machte der Besen, was er wollte, und sie hatte Probleme, ihn in die gewünschte Richtung zu dirigieren. Einmal flog sie plötzlich mit dem Kopf nach unten und geriet ins Trudeln.
Sie fürchtete schon, abzustürzen. Aber die rothaarige Dorotee griff ein, drehte sie und half ihr, den Besenflug wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es war ein tolles Gefühl, durch die Luft zu fliegen, im Vollmond über den Galgenberg, den großen Ettersberg und über Weimar hinweg. Die Hexen, auch Tessa, juchzten und schrien. Es waren tolle Gefühle. Nach längerer Zeit ging es wieder auf die Lichtung hinunter. Der Nachtwind pfiff Tessa um die Ohren. Sie verspürte ein wundervolles Gefühl der Freiheit. Ihre Haut war gerötet, und sie hatte eine Erfahrung gemacht, die sie niemals vergessen würde. Schnell atmend stellte Tessa den Besen zu den anderen an den Galgen. Immer noch saß das Skelett des Henkers auf dem Querholz und spielte mit seinem Henkersstrick. Mephisto hob nun seine Arme. Die drei Hexen, Tessa schwieg, intonierten Gesänge und versicherten dem Teufel ihre Ergebenheit. »Du bist unser Meister!« riefen Dorotee und die beiden anderen. »Dein sind wir für immer. All unser Sinnen und Trachten gehört dir.« Mephistos Augen glühten viel stärker als zuvor. »Gebt mir den Hexenkuß!« befahl er. Er drehte sich um, und die drei Hexen knieten nieder und küßten sein Hinterteil. Das war eine alte drastische Sitte bei Hexensabbaten. Die alten Kulte waren nicht untergegangen, im Gegenteil, sie erstarkten. Als die Reihe an Tessa kam, den Hintern des Teufels zu küssen, weigerte sie sich strikt. Die drei Hexen reagierten erbost und stürzten sich auf sie. Sie zerrten sie hin und her und rissen sie an den Haaren. »Willst du wohl? Du bist auf dem Besen geritten, also mußt du auch den Hintern des Teufels küssen. Wer A gesagt hat, der muß auch B sagen. Du willst doch eine Hexe sein, oder?« »Nein!« rief Tessa, bei der die Wirkung der Hexensalbe nachließ. »Ich will nicht zu euch gehören. Laßt mich in Ruhe!« Mephisto lächelte böse. Die Saat war gelegt, sie mußte aufgehen, besonders, wenn er das förderte. Ich kann Tessa Hayden auf meine Seite bringen, dachte der Teufel. Doch zunächst hatte er andere Sorgen. »Laßt sie!« befahl er. »Sie wird sich schon noch besinnen. Wir führen den Sabbat zu Ende. Dann werde ich mich um Tessa Hayden kümmern.« Tessa trat zur Seite. Völlig erschöpft sank sie ins taufeuchte Gras. Die Hexen intonierten weitere Gesänge. Mephisto zog mit ihnen in den nahen Wald, aus dem bald ihr Kreischen herübertönte. Nach einiger Zeit kehrten sie wieder zurück. Die rothaarige Dorotee hielt besitzergreifend die Klauenhand des Satans. Ihre Augen glänzten. Mephisto schob sie zur Seite. Er wandte sich an Tessa. Riesengroß überragte sie der Satan.
»Du willst zu Mark Hellmann?« fragte Mephisto. »Du sollst ihn wiedersehen. Doch nicht hier in Weimar, sondern auf einem Schiff. Ich werde dich hinversetzen. - Mach dich bereit!« Was soll ich tun, wollte Tessa fragen? Doch es war schon zu spät. Ein Blitz zuckte aus Mephistos Augen. Er hob die Rechte. In seiner Handfläche entstand ein magisches Zeichen. Es wurde zu einer sich verjüngenden Spirale, die sich immer schneller drehte. Tessa wurde von dieser Spirale magisch angezogen, zunächst ihr Blick, dann die gesamte Person. Die Öffnung der Spirale wurde immer größer. Sie sog Tessa auf. Die Neunundzwanzigjährige stürzte hinein. Sie hörte seltsame, verworrene Laute. Licht explodierte. Sphärenklänge ertönten. Leuchtende Sterne, die zu Strichen wurden, rasten an Tessa vorbei. Sie wußte, daß sie sich durch Zeit und Raum bewegte. Da waren Spektralfarben, wallende, bunte Nebel, Planeten mit Monden, einer mit Ringen umgeben, und ferne Galaxien. Ein finsterer Abgrund klaffte tief unter Tessa. Klagen und Heulen ertönten daraus. Hoch über ihr war ein strahlendes Licht, das seine Position zu verändern schien, als sie herumwirbelte. Wie lange die Reise dauerte, wußte Tessa nicht. Plötzlich spürte sie einen ziehenden Schmerz, als sie wieder in die Normalzeit und Materie eintrat, oder, wie ein Physiker es genannt hätte, ins Einsteinsche Raum-ZeitKontinuum. Tessa fand sich in einer Kabine wieder. Durch ein großes Bullauge sah sie das Meer. Sie setzte sich auf das große Bett. An der anderen Wand standen zwei Betten übereinander. Die Kabine war mit viel Prunk und wohnlich eingerichtet, jedoch mit viel Holz und Schnitzereien. Tessa fragte sich, wo sie war. Auf einem Schiff, das war klar, doch auf welchem, und wohin fuhr es? Die Kabine schien ein Teil einer Suite zu sein. Kinderspielsachen lagen auf den Etagenbetten. Jetzt hörte Tessa Kinderlachen und Kinderstimmen. Ein sechsjähriger Junge im Matrosenanzug und ein vierjähriges, blondes Mädel im blauen Kleid stürmten herein. »Mammy, Mammy!« riefen sie. »Dürfen wir morgen wieder mit Celia ins Schwimmbad? Es war wundervoll dort. Ach bitte, bitte.« Tessa wollte sagen: Das muß bitte ein Irrtum sein. Ich bin nicht eure Mutter. Aber der braunhaarige Junge und das Mädel mit Zöpfen hängten sich bereits an sie, lachten sie an und taten sehr vertraut mit ihr. Jetzt trat ein Kindermädchen mit weißer Bluse, dunkelblauem Rock und weißer Haube ein. Das mußte Celia sein. Sie war Mitte Zwanzig, eine etwas kräftige Person mit Stupsnase, energischem Kinn, braunen Haaren und braunen Augen. Sie wird die Kinder auf
ihren Irrtum hinweisen und mich fragen, wer ich bin und was ich hier zu
suchen habe, dachte Tessa.
Aber das Kindermädchen sagte zu ihr: »Ich habe darauf geachtet, daß beide ihre Haare richtig trocknen, Mrs. Manderley. Das versprochene Eis habe ich ihnen im Restaurant gekauft, wie Sie mir sagten.« Sie nannte den Preis für das Eis. Tessa wußte nicht, was sie sagen sollte. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Sie schaute auf ihre Hände. An den Fingern trug sie wertvolle Ringe, die sie noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte. Die Hände, auf die sie blickte, waren nicht die der Tessa Hayden im Jahr 1998. Ein entsetzlicher Verdacht stieg in Tessa auf. Sie bat die Kinder, sie einen Moment loszulassen. Dann ging sie zum nächsten Spiegel. Als sie hineinschaute, sah sie das ihr völlig fremde Gesicht einer jungen, blonden Frau. Tessa trug ein hochgeschlossenes Kleid aus der Zeit um 1910. Ihre Frisur entsprach der Mode jener Epoche. Die Frau im Spiegel war schön. Nebenan fand Tessa einen Garderobenspiegel, in dem sie sich betrachtete. Sie oder vielmehr die Frau, die sie sah, war groß .und vollbusig. Sie war viel weiblicher als Tessa. Wo bin ich, dachte Tessa wieder. Wer ist diese Frau, und wie komme ich in ihren Körper? Was soll ich jetzt machen? Nur eine Frage davon konnte sich Tessa selbst beantworten, nämlich, wie sie hierherkam. Mephisto hatte sie von dem Hexensabbat weggezaubert. Hatte er sie absichtlich auf dieses Schiff versetzt, oder war etwas schiefgelaufen bei seiner Zeitmagie? Tessa befürchtete es fast. Was sie jetzt anfangen sollte, war die am schwierigsten zu beantwortende Frage. Ihre Hände zitterten. Sie war schwer geschockt, wollte sich aufregen, zwang sich jedoch zur Ruhe. Die innere Unruhe blieb. Nur nicht hysterisch werden! ermahnte sich Tessa. Als Fahnderin hatte sie schon schwierige Streßsituationen durchlebt und bisher immer gemeistert. Sie ging wieder nach nebenan und sagte den Kindern, sie sollten spielen. Die Kinder waren für Tessa ein Problem, weil sie nicht wußte, wie sie mit ihnen umgehen sollte. Selbst hatte sie keine Kinder. Und sie kannte nicht mal die Namen der beiden. Sie konnte schlecht fragen: Kinder, wie heißt ihr denn, wie alt seid ihr? Wer ist euer Vater? Das war auch ein Problem. Womöglich reiste auch noch der Ehemann der blonden, schönen jungen Frau mit, und was sollte Tessa dann machen? Sie wandte sich zunächst an das Kindermädchen. »Celia, auf ein Wort, kommen Sie bitte nach nebenan.« Es war peinlich, daß Tessa, die sich nicht auskannte, statt die Tür zum Nebenzimmer jene zu Bad und Toilette öffnete. Celia schaute verwundert. Tessa fand dann die richtige Tür. Sie und Celia gelangten in einen noblen Salon. Das ist eine Erster-Klasse-Prunksuite auf einem Luxusliner, dachte
Tessa. Arm konnte die Frau, in deren Körper es sie verschlagen hatte, jedenfalls nicht sein. »Celia, bitte, beantworten Sie mir, was ich wissen will und stellen Sie mir keine Fragen. Ich erkläre Ihnen alles später. Wollen Sie mir das versprechen?« Celia nickte. »Nennen Sie mir bitte meinen vollen Namen und erzählen Sie mir, wer ich bin, wie alt ich bin, wer mein Mann ist, was ich im Leben mache und wohin wir auf diesem Schiff fahren.« Celia war sehr verwundert, antwortete jedoch, wie sie es versprochen hatte. »Sie heißen Lady Lorena Manderley, sind vierundzwanzig und die Gattin von Lord Peter Manderley. Sie sind eine Lady und leben standesgemäß. Zur Zeit unternehmen Sie mit Ihren beiden Kindern Tommy und Margaret eine Schiffsreise in die USA, von Southampton nach New York. Sie wollen - aber das wissen Sie selbst, es steht mir auch nicht zu, über die privaten Angelegenheiten meiner Herrschaft zu sprechen.« »Was will ich? Sagen Sie es mir, bitte.« »Ich - hm, Sie wollen Ihren Mann verlassen und England den Rücken kehren, bis die Scheidung durch ist, die einen beträchtlichen gesellschaftlichen Skandal verursachen wird. Sie haben die Absicht, diese schwierige Zeit bei Ihrer besten Freundin zu verbringen, Sarah Fowler, geborene Wilkes, die Zweitälteste Tochter des Earl of Wilkes. Mrs. Fowler ist ein Jahr älter als sie, Sie kennen sie schon sehr lange. Mrs. Fowler ist mit einem Stahlmagnaten verheiratet, lebt überwiegend in den USA und hat Ihnen ihren Beistand zugesichert. Sie fliehen vor Ihrem Mann, der ein fürchterlich aufbrausender Mensch ist.« Es war allerhand, was Tessa da zu verdauen hatte. Sie schluckte. »Zwei Fragen noch, Celia. Wie heißt das Schiff, auf dem wir fahren, und welches Datum schreiben wir heute?« »Lady Lorena, es ist die >Titanic<, und wir schreiben den 13. April 1912.« Tessa taumelte. Sie war wie vor den Kopf geschlagen. Was sie zuletzt gehört hatte, war entschieden zuviel. Auf der Wanduhr sah sie, daß es 11.38 Uhr Ortszeit war. Am 14. April, um 23.40 Uhr, würde die »Titanic« mit einem Eisberg zusammenstoßen und untergehen. Bis dahin waren es noch etwa sechsunddreißig Stunden. Tessa holte tief Luft. Sie entschied sich für den einfachsten und direktesten Weg. »So, die >Titanic<. Ich weiß über dieses Schiff sehr genau Bescheides ist die Jungfernfahrt der >Titanic<, ja. Sie ist das berühmteste, größte, beste
und stolzeste Schiff ihrer Zeit. Aber sie wird…« »Was, bitte?« fragte Celia. »Wie meinen Sie, Lady Lorena?« »Die >Titanic< wird…« »Nächste Woche Dienstag in New York sein, wollten Sie sagen?« fragte Celia höflich lächelnd. »Aber sie wird New York…« Nie erreichen, wollte Tessa sagen. Doch die Worte kamen ihr nicht über die Lippen. »Ja«, sprach sie statt dessen. Sie wollte von einem Eisberg berichten. Es gelang ihr jedoch nicht. Me-
phisto hat mich mit einem Zauber belegt, daß ich niemanden vor der drohenden Katastrophe warnen soll, dachte Tessa aufgebracht. Was für ein Erzteufel und Schuft! Sie nahm ein Blatt Papier und wollte die Warnung niederschreiben. Auch das war nicht möglich. Tessa brachte die Worte mit dem Füllfederhalter nicht zu Papier. Sie schickte Celia, die sie schon seltsam anschaute, nach nebenan zu den Kindern, setzte sich hin und überlegte. Panik stieg in ihr auf. Durch Mephistos Magie und eine Geistreise, wie man das nannte, war sie in den Körper einer anderen Frau gelangt, von der sie kaum mehr wußte, als ihr das Kindermädchen gerade erzählt hatte. Tessa überlegte, ob der Geist von Lorena Manderley jetzt vielleicht in ihrem Körper war, in dessen Umgebung er sich genausowenig zurechtfinden würde wie sie momentan. Schlechter noch, Lorena Manderley war für ein Leben im Jahr 1998, sechsundachtzig Jahre nach ihrer Zeit, nicht gewappnet. Oder ob Lorena Manderleys Geist stillgelegt oder betäubt war, in einer anderen Dimension, wo auch immer? Jedenfalls erhielt Tessa keinen Kontakt zum Geist von Lorena Manderley, als sie es versuchte. Sie hatte einen Sack voller Probleme. Sie fuhr 1912 auf dem größten Schiff der Welt, das als unsinkbar galt und in Kürze mit 2.227 Menschen an Bord untergehen würde. Sie hatte für zwei Kinder zu sorgen, die nicht ihre waren, aber für die sie eine Verantwortung fühlte, weil sich ihr Geist im Körper von deren Mutter befand. Schließlich konnte sie schlecht zu den Kindern sagen: »Ich bin nicht eure Mutter. Ich sehe zwar genauso aus, aber ich bin in Wirklichkeit Tessa Hayden, komme aus der Zukunft und habe mit euch nichts am Hut.« Das brachte Tessa nicht fertig. Sie war außer sich. Das hatte ihr Mephisto eingebrockt. Wie sollte sie je wieder in ihre Zeit zurück? * »Wann soll ich denn zur >Titanic« fragte ich Mephisto. »Jetzt. Hier. Sofort.«
Kein Zweifel, der Bursche wollte keine Zeit verlieren. Ich sollte nicht noch mit anderen sprechen und sie persönlich oder telefonisch informieren können. Andererseits hatte ich keine Lust, Mephisto vorzuführen, wie ich mit meinem Ring die Zeitreisen unternahm. Er schielte sowieso schon begehrlich darauf. Magische Gesetze hinderten ihn daran, ihn mir einfach wegzunehmen. Daß er mich nicht auf der Stelle umbrachte, hatte ebenfalls seine Gründe, im Moment den, daß er mich dringend brauchte. Bei anderen Gelegenheiten waren es Regeln, an die er sich im Wirken ungeheurer kosmischer Kräfte halten mußte. »Hinterlaß hier dein Sigill und verschwinde«, grollte ich. »Dann begebe ich mich auf die >Titanic<. Wie soll ich Tessa dort finden?« »Das wirst du schon sehen. Sie hat eine andere Identität und ein anderes Aussehen. Auch dir habe ich eine andere Identität gegeben, du behältst jedoch dein Aussehen.« »Welche Gewißheit habe ich, daß du dein Wort hältst, Mephisto, und Tessa wieder zurück in die Gegenwart holst, wenn ich meine Aufgabe erfülle? Schließlich heißt du nicht umsonst Mefir, Lügenverbreiter.« »Auch der Teufel hat eine Ehre.« Mephisto legte die Hand aufs Herz, wenn man davon ausging, daß er eins hatte. »Ich würde dich nie enttäuschen.« Davon war ich nicht überzeugt, mußte es jedoch darauf ankommen lassen. »Jetzt gib mir deinen Ring«, verlangte Mephisto. Das tat ich ungern. Doch er hatte Tessa in seiner Gewalt, und ich mußte mich beugen. Deshalb nahm ich den Ring vom Finger und gab ihn dem Teufel. Als sich Mephisto umdrehen und den Ring mit seinem Körper verdecken wollte, packte ich ihn bei der Schulter und hinderte ihn. »Halt, so haben wir nicht gewettet. Ich will alles sehen, was du tust, sonst vertauschst du mir den Ring am Ende noch.« Mephisto ließ mich beobachten. Er zeichnete mit der Kralle an seinem rechten Mittelfinger ein Zeichen in die Luft. Es fing an zu glühen und blieb selbständig leuchtend schweben. Mephisto murmelte eine Beschwörung in einer Sprache, die mir unbekannt war. Dann kratzte er mit seiner Kralle über den Ring. Mich juckte es, ihm auf die Finger zu hauen. Der Ring glühte stark und sandte intervallartig ein Leuchten aus. Er wehrte sich gegen Mephisto und fügte ihm sichtlich Qualen zu. Es stank nach verbrannten Haaren und Horn. Mephisto verbrannte sich an meinem magischen Ring regelrecht die Finger. Doch er hielt ihn fest. Nachdem er seine Arbeit ausgeführt und sein Ziel erreicht hatte, legte er den Ring rasch auf den Tisch. Er schlenkerte seine
rechte Hand hin und her und blies sich auf den Mittelfinger. Dabei verzog er das Gesicht. Wenn du dir nur deine Pfote abgebrannt hättest, dachte ich. Als ich den Ring anfaßte, war er kühl. Wie von selbst glitt er mir auf den Ringfinger. Mir fehlte etwas, wenn ich diesen Ring nicht trug. »Du kannst nur zurückkehren, wenn du Seth-Suchos getötet hast«, sagte Mephisto. »Anders nicht.« »Kannst du mir einen Tip geben, wie ich das schaffen soll?« fragte ich. Schließlich hatte Mephisto das größte Interesse daran. »Hat er eine verwundbare Stelle? Gibt es eine bestimmte Beschwörung oder eine magische Waffe, gegen die er besonders empfindlich reagiert?« »Das mußt du selber herausfinden. Ich werde dir verschiedene Mittel dazu geben. Ich habe ihn immer mit Blitzen bekämpft, wenn wir miteinander stritten. Wir hatten mehrere Handgemenge. Einmal hat er einen Berg auf mich geworfen.« »Einen Berg?« fragte ich ungläubig. »Ja, einen Berg. Der Wüstenrufer hat ihn mit einem Dolch aus dem Stein eines außerirdischen Meteoriten durchbohrt und gebannt. Er schnitt ihm das Herz aus der Brust, für das Seth-Suchos jetzt ein Wachstäfelchen mit diversen Symbolen darin hat. Vielleicht nutzt es, wenn du die Wachstafel zerdrückst.« Dazu mußte ich sie erst einmal aus der Brust des Dämons heraus haben. Ein Meteoritendolch würde sich nicht unter den Waffen befinden, die er mir an Bord der »Titanic« liefern wollte, erklärte Mephisto. Das wäre leider nicht möglich. Jener Dolch des Wüstenrufers sei ein einmaliges Exemplar gewesen. Vielleicht konnte ich mir mit meinem Ring noch weitere Waffen schaffen. Ich hoffte, daß Mephisto meinen Ring mit seiner Manipulation nicht nachhaltig beschädigt hatte, setzte jedoch ein gesundes Vertrauen in die Kraft meines Rings. Er war das einzige gewesen, was ich am Körper getragen hatte, als ich im Alter von zehn Jahren nackt und blutbeschmiert, ohne Gedächtnis, am 1. Mai, nach der Walpurgisnacht, in der Weimarer Altstadt aufgegriffen worden war. Ulrich Hellmann, damals noch Kripobeamter, und seine Frau Lydia hatten mich adoptiert und großgezogen. Nach den Initialen M. und N. hatten sie meine Vornamen Markus (Mark) Nikolaus gewählt, den Nachnamen hatte ich von ihnen. Welche besonderen Kräfte mein Siegelring hatte, der mir von meinem Adoptivvater übergeben wurde, als ich zwanzig gewesen war, wußte ich seit ein paar Wochen. Ich mußte mich wohl oder übel auf Mephisto verlassen. Falls er seine Zusage nicht einhielt, konnte ich nach erledigter Aufgabe versuchen, Tessa
von der »Titanic« mit ins Jahr 1998 zu nehmen. Natürlich mit Hilfe des Rings. Ein paar Fragen hatte ich noch an den Teufel. »Wie sieht Seth-Suchos eigentlich aus, und was sind seine besonderen Kräfte?« Mephisto beschrieb mir ein fürchterliches Ungeheuer. »Seine Kräfte sind fürchterlich«, sagte er. »Wenn er erwacht und erstarkt, hast du keine Chance gegen ihn. Zur Zeit befindet er sich in einem Dämmerschlaf, der schon über viertausend Jahre dauert. So lange hatte ich ihn vom Hals.« Er zitierte: »Das ist nicht tot, was ewig liegt, bis daß die Zeit den Tod besiegt. Jetzt tritt deine Reise an.« Mein Ring leuchtete auf, ich spürte ein starkes Prickeln bis in den Unterarm. Bisher hatte Mephisto die Fähigkeit meines Rings, dämonische Kräfte anzuzeigen, unterdrückt. Jetzt löste er diese Sperre. Der Ring reagierte stärker als je zuvor. In dem Moment klopfte es an der Tür. »Herr Hellmann, machen Sie auf!« ertönte die Stimme meines Hauswirts. Ich schaute Mephisto an. Er nickte, schrumpfte ein wenig zusammen und verschwand im Bad. Ich öffnete, von außen befand sich nur ein Rundknopf an der Tür. Der Hausbesitzer, mit dem ich in ständiger Fehde lag, trat mit strengem Blick und mit mürrischer Miene ein. Er hieß mit Vornamen Arthur, war Anfang Fünfzig und stammte aus Sachsen. Wie meistens trug er Hosenträger, um seine Hose oben zu halten. Er hatte einen Schnauzbart. Die wenigen Haare am Schädeldach verteilte er jeweils mit Brillantine über die Glatze, damit sie ein wenig deckten. Arthur, der kleine Sachse, von Natur aus ein Pessimist, Haustyrann und ein Kleinigkeitskrämer, trauerte gerne vergangenen Zeiten nach. »Unter dem Sozialismus war alles besser«, lautete seine ständige Redensart. Oder: »Unter Ulbricht oder Honecker hätte es das nicht gegeben.« Er schlurfte also in Hausschuhen herein und pfiff mich gleich an: »Herr Hellmann, Sie wissen genau, daß in diesem Haus Haustiere verboten sind. Trotzdem haben Sie einen Hund in der Wohnung. Leugnen Sie nicht, man hat ihn im Haus bellen gehört. Also, schaffen Sie den Köter ab!« »Sehen Sie hier vielleicht einen Hund?« fragte ich mürrisch, denn ich hatte anderes im Sinn, als mit ihm seinen üblichen Zirkus durchzudiskutieren. Der Hausbesitzer schnupperte. »Was stinkt denn da so nach Schwefel? Was haben Sie jetzt wieder angestellt?« Er schaute auf meinen leuchtenden Ring. »Was für ein Jahrmarktsschmuck ist das denn? In welcher Billigbude haben Sie den aufgetrieben? Wissen Sie nicht, daß dieses fluoreszierende Zeugs gesundheitsschädlich ist? Unter Honecker hat es das nicht gegeben. Solchen Dreck und Kitsch hat uns die Wende ins Land gebracht.«
Da bellte es im Bad. Mephisto spielte mir wieder mal einen Streich. »Wer ist da im Bad?« fragte der Sachse. »Mephisto«, antwortete ich ehrlich. »Aha, der Hund heißt Mephisto. Gehört er einem Besucher, oder haben Sie etwa die Frechheit besessen, sich einen Hund zuzulegen, im Widerspruch zur hiesigen Hausordnung? Wohl nicht genug, daß Sie beim Treppenhausputzen schlampen?« »Meine Putzfrau war krank, ich war verreist. Das habe ich schon gesagt.« »Ständig gehen hier Frauen ein und aus und manches andere mehr. Schmuggeln Sie jetzt auch noch einen Hund hier rein?« »Nein, aber schauen Sie doch selber nach.« Jetzt ertönte im Bad ein Knurren wie von einem Löwen. Dann bellte es abermals. Anschließend war ein dumpfes Rumoren zu hören. »Wer ist da im Bad?« fragte der kleine Sachse. Ich machte mit dem Kopf eine Bewegung zur Badezimmertür. Arthur ging hin, drückte die Klinke nieder und riß die Tür auf. Ich schaute ihm über die Schulter. Vor uns stand vor der Sitzbadewanne ein riesiger Pudel mit rotglühenden Augen. Auf dem WC saß eine große, hagere Teufelsgestalt mit einer dreizinkigen Gabel in der Hand. Der Hausbesitzer schrie auf. Schreckensbleich wankte er zurück. Noch bevor er sich gefaßt hatte, erschien Mephisto. Der Pudel lief vor ihm her. Mit einem gellenden Angstschrei rannte der Hausbesitzer sofort aus meiner Wohnung und flüchtete hinunter ins Erdgeschoß. Der riesige Pudel verschmolz mit der Teufelsgestalt. Mephisto winkte mir mit der dreizinkigen Gabel. »Reise endlich ab!«, sagte er. »Wir sehen uns auf der >Titanic<.« Ich nickte. Seine dämonische Ausstrahlung war mehr als stark genug, damit ich die Zeitreise antreten konnte. Mephisto würde sie lenken. Ich wandte mich ab und betrat die Küche. Dort schrieb ich mit dem magischen Strahl, den mein Ring ausschickte, die Runenbuchstaben für das keltische Wort »Reise« an die Wand und konzentrierte mich auf die »Titanic«. Vor meinem geistigen Auge sah ich das riesige Schiff mit den vier Schornsteinen durch den Nordatlantik pflügen, dem Schicksal und einem Eisberg entgegen, der ihm den Todesstoß versetzen sollte… * Der Hausbesitzer war so erschrocken, daß er einen Pantoffel auf der Treppe verlor. Im Erdgeschoß stürmte er in seine Wohnung und rief gellend nach seiner Frau.
»Mathilde, Mathilde!« . Seine bessere Hälfte, wesentlich kräftiger als er, trat ihm aus der Küche entgegen. Sie rührte mit dem Quirl in einer Schüssel. Ihre Hände waren mit Mehl bestaubt. »Was schreist du so, Arthur? Hat es mit Hellmann Probleme gegeben? Hast du ihn wegen dem Hund zur Rede gestellt?« »Ja, Hellmann war ganz manierlich. Aber stell dir vor…« Der Hausbesitzer erzählte seiner Frau, von deren Mitteln aus einer WestErbschaft das Haus nach der Wende erbaut worden war, was ihm widerfahren war. Als er zu der Stelle gelangte, wo der Teufel auf dem WC gesessen und ein riesiger knurrender Pudel oben im Bad gestanden hatte, legte ihm die Gattin die Hand auf die Stirn. »Fieber hast du keins, Arthur.« Sie schnupperte an seinem Atem. »Aber gesoffen hast du wieder. Arthur, bleib von dem Kirschwasser weg! Du siehst, welche Formen das bei dir annimmt. Du leidest an Halluzinationen.« »Aber Mathilde, ich habe nur ein Gläschen getrunken, für meine Verdauung. Mehr nicht.« »Das kannst du mir nicht erzählen. Bei meinem Onkel Fritz hat es auch so angefangen. Danach hat er weiße Mäuse gesehen. Jetzt sitzt er schon viele Jahre lang in der Geschlossenen Abteilung der Nervenheilanstalt und spielt mit Teddybären. Ich werde den Hausarzt anrufen«, sagte die resolute Mathilde. »Vielleicht sollte man dich für ein paar Tage zur Beobachtung in die Psychiatrie stecken.« »Nein, Mathilde, bitte! Tu mir das nicht an.« Seine bessere Hälfte musterte den Hauswirt skeptisch. »Na gut, aber ab sofort trinkst du mir keinen Tropfen Alkohol mehr, Arthur. Auch die abendliche Flasche Bier beim Fernsehen ist für dich gestrichen. Wenn ich dich noch einmal mit Alkohol erwische, landest du wirklich in der Psychiatrie.« »Mathilde, bitte!« »Arthur, geh mir aus den Augen! Es graust mir vor dir. Erzähl mir nie wieder von diesem Unfug, und laß die Finger vom Alkohol!« Tieferschüttert schlurfte der Hauswirt hinaus und suchte seinen auf der Treppe verlorenen Pantoffel. Er wagte sich nicht mal in die Nähe von Mark Hellmanns Dachgeschoßwohnung. *
Vergangenheit, 13. April 1912
Licht explodierte in meinen Kopf wie ein Feuerball. Ich hörte Sphärenklänge und sah einen hellen, pulsierenden Schacht, in den ich hineinfiel. Spektralfarben wirbelten, Sterne rasten an mir vorbei. Unter mir war ein
Abgrund, in dem es von scheußlichen Wesen nur so wimmelte, deren Beschreibung sich jeder menschlichen Phantasie entzog. Plötzlich sah ich Gegenstände um mich herum und fiel auf den Boden. Es war kein Sturz aus einer Höhe, ich landete vielmehr sanft und fiel nur hin, weil ich das Gleichgewicht nicht gleich wiederfand. Mein Kopf schmerzte, und es zog und stach in all meinen Gliedern. Mein Körper hatte sich nach der Zeitreise rematerialisiert. Sämtliche Moleküle nahmen den gleichen Platz ein wie zuvor. Die Rematerialisation forderte ihren Tribut. Für ein paar Minuten war ich benommen, spürte Übelkeit, hatte Schmerzen und konnte nicht viel mehr, als still dazusitzen und zu warten, bis sich mein Zustand besserte. Ich war splitternackt. Nur den silbernen Ring hatte ich am Finger. Sonst konnte ich bei der Zeitreise nichts mitnehmen. Daß es möglich war, einen Menschen durch Zeit und Raum zu transportieren, das wußte ich. Pit, mein Freund, hatte mich dabei sogar schon begleitet. Nach drei oder vier Minuten ging es mir wieder gut. Ich erhob mich aus meiner zusammengekauerten Haltung und fühlte mich frisch und stark wie ein junger Gott. Auch das war ein Effekt der Zeitreise. Zudem heilte sie sogar tödliche Wunden, die ich jeweils nicht in die andere Zeit mitnahm. Um die Zeitreise anzutreten, brauchte ich eine dämonische Ausstrahlung. Darauf sprach mein Ring an. Diese Ausstrahlung im bildlichen Sinn als ein Sprungbrett benutzend konnte ich in die Zeit gelangen, aus der ihr Verursacher stammte. Oder, was die zweite Methode war, die ich soeben ausprobiert hatte, Mephisto konnte meine Zeitreise beeinflussen und mich schicken. Einmal war es allerdings schiefgegangen (Siehe MH Band 10: Ich war Störtebekers Maat). Da war ich woanders gelandet, als Mephisto es wollte, der wohl der aktivste und agilste von allen Teufeln war. Lucifuge Rofocale, der Höllenkaiser, kümmerte sich mehr um die inneren Angelegenheiten der Hölle. Die Menschen waren ihm ziemlich egal. Doch auch ein Mephisto hatte Widersacher und Feinde. Jetzt fürchtete er den Seth-Suchos als Konkurrenz. Ich befand mich in einer luxuriös eingerichteten geräumigen Schiffskabine mit eigenem Badezimmer. Das suchte ich auf, um mich zu erfrischen. Im goldgerahmten Spiegel sah ich mich, wie ich immer war: hochgewachsen, mit blonden Haaren, athletisch mit Muskelpaketen, die jedoch nicht zu übertrieben waren. In der Kabine hörte ich ein Geräusch. Splitternackt schaute ich nach. Mephisto, in Teufelsgestalt, stand da. Er schien, soweit das bei einem Teufel möglich war, nervös zu sein. Er war durchscheinend. Ich sah das Kabinen-
bett hinter ihm schwach durch seinen Körper. Er hatte eine Projektion hergeschickt. »Ich spüre Seth-Suchos' Ausstrahlung«, sprach Mephisto. »Es kann nur einen von uns geben. Wir kämpfen um die Macht. Mit dem Untergang des anderen wird derjenige, der übrigbleibt, gewaltig erstarken. Das ist mir mit anderen Valusianern schon oft geschehen.« Hier gab es ein dämonisches Ausleseverfahren, von dem ich erstmalig hörte. Mephisto knirschte hörbar mit den Zähnen, was bei seiner Projektion möglich war. »Fahr in den Abgrund, Seth-Suchos. Ich bin der einzige, ich bin der Sieger.« Das sagte er, um sich selber zu motivieren. Jetzt wandte er sich an mich. »Du findest deine Fahrkarte und Ausweispapiere in dem Sekretär dort. Dein Name ist Brad Mortimer, und du bist ein Erfinder. Du hast als Chemiker mehrere Patente angemeldet. Alles weitere mußt du dir selbst überlegen. Enttäusche mich nicht. Tessa Hayden…« Die Projektion flackerte. Mephisto faßte sich an den Hals. »Ich muß fort. Seth-Suchos' Nähe ertrage ich nicht. Auf diesem Schiff ist nur für einen von uns Platz…« Mit diesen Worten war er verschwunden. Ich rief seinen Namen, doch er zeigte sich nicht wieder. Verstimmt ging ich zu dem Sekretär, den er erwähnt hatte, und schaute nach. Die Fahrkarte und die Ausweispapiere lagen am Platz. Im Schrank hingen Kleider, die mir genau paßten. In einer Schublade fand ich mehr Geld, als ich brauchte. Soweit stimmte alles. Doch wegen Tessa hatte es eine Panne gegeben. Ich wußte nicht, wie sie auf der »Titanic« hieß, noch war ich sicher, daß sie genauso wie im Jahr 1998 ausschaute. Dafür fiel mir jedoch eine Lösung ein. Ich schaute meinen Ring an. Momentan zeigte er keine magische Reaktion. Also zog ich mich an und überlegte. 1.320 Passagiere und 908 Besatzungsmitglieder waren an Bord. Die Passagiere teilten sich die vielen Decks. Die »Titanic« war riesig, Gesamtlänge 269 Meter, größte Breite 28,20 Meter, wovon der Rumpf eine größte Breite von 27,75 Meter erreichte. 18 Meter Tiefgang und 52.310 Tonnen Wasserverdrängung. Vom Kiel bis zur Schornsteinspitze betrug die Höhe 56 Meter. Bis zum Bootsdeck mit den 16 Rettungsbooten und vier Notbooten mit einer Kapazität für 1.178 Personen waren es 24 Meter, darüber ragten noch die Brücke und die vier riesigen, viele Tonnen schweren Schornsteine 34 Meter hoch über das Bootsdeck auf. 46.000 PS Schubkraft hatte die »Titanic«, wobei eine Kombination von Kolbendampfmaschine und Parsons Niederdruckturbine diese erzeugte. Für das Jahr 1912 war der Antrieb des turbinenbetriebenen Drei-Schrauben-
Schiffs das modernste Gerät überhaupt. Sein Erbauer Thomas Andrews und die White-Star-Line, der es gehörte, konnten stolz auf dieses Schiff der Superlative sein. Die Höchstgeschwindigkeit wurde auf maximal 45 Stundenkilometer geschätzt. 340 Mann Maschinenpersonal und Heizer waren für die Bedienung der Maschinen notwendig, die meisten davon Hilfsarbeiter oder Kulis der Meere, die ihren dumpfen, stickigen, heißen Arbeitsplatz so gut wie nie verließen. 495 Besatzungsmitglieder waren für die Verpflegung und das Wohl der Passagiere zuständig. Dazu gehörten Stewards, Köche und was man in meiner Zeit Animateure nennen würde. Sogar Liftboys gab es für die damals noch recht ungewöhnlichen Aufzüge. Die Mannschaftsstärke war gewaltig, das seemännische Personal bestens qualifiziert. Die »Titanic« war ein Mikrokosmos für sich, ein Mythos und eine Legende. Ich staunte über all diese Zahlen, die ich plötzlich im Kopf hatte. Bis mir aufging, daß sie von Mephisto stammten. Den Gefallen hatte er mir jedenfalls erwiesen, mich gründlich zu informieren. Als ich auf die Uhr schaute, war es 12.05 Uhr. Nun mußte ich Tessa finden. Dann war SethSuchos aufzutreiben und zu vernichten. Vor allem aber wollte ich alles versuchen, um den Untergang der »Titanic« zu verhindern. * Mark Hellmann war von Mephisto im Jahr 1998 zu einem früheren Zeitpunkt in die Vergangenheit geschickt worden als Tessa Hayden. Mark reiste um 18.03 Uhr, Tessa erst am folgenden Morgen um 4.38 Uhr. Am 13. April 1912 befanden sie sich in derselben Zeit, ein interessanter Vorgang. Tessa saß in der Gestalt von Lorena Manderley in ihrer neunzig Quadratmeter großen, prunkvoll im Louis-Quinze-Stil eingerichteten Luxus-Suite und hatte eine Menge Probleme. Sie überlegte, ob Mark Hellmann tatsächlich an Bord war oder ob Mephisto sie vielleicht angelogen hatte, als es an der Tür klopfte. Tessa öffnete. Sie hatte die Kinder mit dem Kindermädchen Celia Worth zum Mittagessen in den prunkvollen Erster-Klasse-Speisesaal geschickt. Tessa mußte erst einmal ihre Gedanken ordnen und sich mit der Situation vertraut machen. Sie brauchte Ruhe. Jetzt wurde diese gestört. Ein großer, schlanker, elegant gekleideter Mann mit Schnurrbart, schmalem Gesicht, wasserblauen Augen und dunkelblondem Haar stand vor ihr. Hinter ihm bemerkte Tessa, die in Lorena Manderleys Körper versetzt worden war, eine vierschrötige Erscheinung im dunklen Anzug. Dieser
Mann hatte ein Nußknackerkinn, war ziemlich groß und wirkte keineswegs freundlich. Tessa hielt ihn mit dem geschulten Blick der Kripobeamtin für einen Butler und Leibwächter in einer Person. Er war zirka achtunddreißig; sein Arbeitgeber, für den Tessa den Schlanken hielt, um die Dreißig. Lorena Manderley war, wie Tessa in ihrem Ausweis gesehen hatte, erst fünfundzwanzig. Sie mußte sehr jung geheiratet haben. »Sie wünschen?« fragte Tessa. Der gutaussehende, schlanke Mann ging an ihr vorbei in die Kabine. Der Vierschrötige folgte ihm. Auf Tessas Frage, was das zu bedeuten hätte, antwortete ihr der Schlanke: »Ich bezahle diese Suite für die Überfahrt, also werde ich sie wohl auch betreten dürfen. Ich wünsche eine Aussprache mit dir, Lorena.« Er sprach Oxford-Englisch. Tessa hatte ein Problem. Sie war nämlich auf ihre eigenen Sprachkenntnisse angewiesen. Sie hatte Jahrzehnte später in der DDR Englisch gelernt, jedoch nicht allzu gut. Das Kindermädchen und auch Lorenas Kinder hatten sie schon merkwürdig angesehen, weil sie zwar mit Lorenas Stimme, jedoch mit ganz anderer Wortwahl und Klangfärbung sprach. Mit der Aussprache haperte es nämlich, das DDR-Englisch klang anders als das Lorena Manderleys, deren Muttersprache Englisch war. »Wer sind Sie denn?« fragte Tessa. »Verlassen Sie sofort meine Suite, oder ich klingele dem Steward und lasse Sie beide hinauswerfen!« Ihr Verdacht, wen sie vor sich hatte, bestätigte sich bei der Antwort des Schlanken: »Unterlaß diesen Unsinn, Lorena, mir steht nicht der Sinn nach Scherzen. Ich bin dein Mann, wie du sehr gut weißt. Francis Destry, meinen Butler und Mann fürs Grobe, kennst du ebenfalls. Was soll das bedeuten, daß du dich, ohne vorher mit mir zu sprechen, mit den Kindern auf der >Titanic< eingeschifft hast?« »Kannst du dir das denn nicht denken? Laß uns unter vier Augen weitersprechen.« Lord Peter Manderley ging mit Tessa in der Gestalt seiner Frau Lady Lorena Manderley in den anderen Raum. Die Suite hatte zwei Schlafzimmer, einen Wohnraum sowie Garderobe und Bad. Der Butler blieb in dem Wohnraum. Tessa überlegte, wie sie weiter vorgehen sollte. »Ich wußte nicht, daß du an Bord bist, Peter«, sagte sie. Den Namen von Lorenas Gatten kannte sie von dem Kindermädchen. Peter Manderley war ein Lord. Tessa wußte vom Kindermädchen, daß Lorenas Mann ein beträchtliches Vermögen mit der Fabrikation von Kriegswaffen verdient hatte. Die Fahnderin wußte nichts über Peter Manderleys Geschäfte. Doch sie erkannte intuitiv, daß sie einen äußerst skrupellosen und gefährlichen Mann
vor sich hatte. Peter Manderleys Blicke verrieten es ihr. Das war ein Mann, der über Leichen ging. Peter Manderley packte Tessa bei dem Armen. »Ich habe nur noch eine Zweite-Klasse-Kabine erhalten«, bemerkte er, als ob das eine persönliche Beleidigung sei. Den Zutritt zur ersten Klasse hatte er sich erkauft. Er war mit seinem Butler in Queenstown, Irland, zugestiegen. »Ich wollte dir Gelegenheit geben, deinen Entschluß noch einmal zu überdenken«, sagte er vorwurfsvoll. »Du weißt also, daß ich dich verlassen will?« fragte Tessa. »Dein Brief ist mir früher zugestellt worden, als du dachtest«, erwiderte Lorenas Mann. »Deshalb konnte ich mit Francis Destry die >Titanic< noch erreichen. Lorena, du bist meine Frau, und das wirst du bleiben.« Tessa lief die Galle über. »Du kannst mich nicht zwingen, bei dir zu bleiben«, fauchte sie Lord Peter an. »Dann nehme ich dir die Kinder weg!« »Das wirst du nicht schaffen. Laß mich gefälligst in Ruhe, und geh aus meiner Suite!« »Dir werde ich es zeigen, du Weibsstück!« Peter Manderley packte die bildhübsche Frau und warf sie aufs Bett. Er zwängte ein Bein zwischen Tessas Schenkel und zerrte an ihren Kleidern. Entsetzt erkannte die Kripobeamtin, daß Peter Manderley seine Ehefrau erniedrigen wollte. Vielleicht, weil er nicht richtig im Kopf oder besonders rücksichtslos und brutal war. Vielleicht in der verworrenen Vorstellung, ihr damit seinen Willen aufzuzwingen und zu zeigen, wo ihr Platz war. »Gleich kriegst du es!« Tessas Kleid zerriß. Sie kannte Lorena Manderleys Scheidungsgründe bisher nicht. Doch bei dem, was sie jetzt erlebte, konnte sie sich gut vorstellen, daß diese gerechtfertigt waren. Das hier war nicht Peters erster Übergriff. Der war so veranlagt. Bei dem konnte es keine Frau aushalten! Der dunkelblonde Mann rang mit Tessa. Bei der Fahnderin jedoch war er an die Falsche geraten. Tessa war in Selbstverteidigung ausgebildet worden. Vor allem aber verfügte Tessa über ein Kämpferherz und das kämpferische Selbstbewußtsein. Sie stieß Lorenas Mann, der sich mit Gewalt das nehmen wollte, was er für seine ehelichen Rechte hielt, die Finger in den Unterbauch. Er zuckte zusammen. Tessa wand sich unter ihm hervor. Manderley sprang auf sie zu. Die blonde Frau bewegte sich blitzschnell. Mit einem Fußfeger säbelte sie Peter Manderley die Beine unterm Leib weg und stellte ihn fast auf den Kopf. Hart krachte er auf den Kabinenboden. Obwohl er sich weh getan hatte, stand er wieder auf. Jetzt war er vor-
sichtiger geworden, doch wieder stürmte er auf Tessa zu. »Was ist los mit dir?« fragte er. »Du sprichst auch ganz anders? Was bedeutet diese Verwandlung?« Tessa beantwortete diese Fragen nicht. Wieder wirbelte sie Manderley, als er sie packen wollte, mit einem Judogriff durch die Luft. Diesmal krachte er gegen die Bettkante und blieb stöhnend liegen. Der vierschrötige Butler, der das Gepolter gehört hatte, blieb vor der Tür draußen. Er glaubte etwas ganz anderes, als tatsächlich vorging. Tessa läutete vom Schlafzimmer aus nach dem Steward. Sie klingelte Sturm. Als es schon nach kurzer Zeit an der Tür der Suite klopfte, lag Peter Manderley noch immer stöhnend da. Tessa rannte an dem Bodyguard-Butler vorbei und riß die Tür der Suite auf. Gleich zwei Stewards in der weißen Uniform der White-Star-Line standen draußen. Der vierschrötige Destry, den Tessa vom Aussehen her mit einem Totengräber verglich, faßte unter die Jacke. Tessa sah den Kolben der verchromten Pistole in seiner Schulterhalter. »Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte ein Steward. »Ich werde belästigt«, antwortete Tessa. »Bitte begleiten Sie die beiden Gentlemen aus meiner Suite.« Die beiden Stewards wechselten einen Blick. Das Kleid der blonden Frau vor ihnen war eingerissen, ihre Haare zerrauft. Der Butler Destry ließ seine Pistole stecken. Schmaläugig wartete er ab. Dann ging er, als er im Schlafraum nebenan ein Stöhnen hörte, dorthin. Er half seinem Arbeitgeber beim Aufstehen, stützte ihn und führte ihn in den Wohnraum. Die zwei Stewards waren eingetreten. »Hat man versucht, Ihnen Gewalt anzutun, Lady Manderley?« fragte der eine Steward. »Unsinn, ich bin ihr Mann«, antwortete Lord Peter trotz seiner Schmerzen energisch. »Gehen Sie, Sie sind überflüssig hier. Ich habe die Passage bezahlt, ich bin der Ehemann, also habe ich auch ein Recht, mich in dieser Suite aufzuhalten.« Tessa richtete sich stolz auf. »Ich besitze eigenes Vermögen«, sagte sie, obwohl sie nicht wußte, ob das stimmte. »Die Transatlantikpassage wurde von mir bezahlt. Und überhaupt spielt das keine Rolle. Die Tickets sind auf meinen Namen, die meiner beiden Kinder und den des Kindermädchens ausgestellt. Von Sir Peter Manderley und seinem Butler steht nichts darin. Die beiden haben eine Zweiter-Klasse-Passage. Dort sollen sie gefälligst auch bleiben. -Jetzt verständigen Sie den Ersten Offizier und den Zahlmeister, daß dieser Fall klar geregelt wird. Oder ich wende mich sofort an den Kapitän. Ich beabsichtige, mich von meinem Mann zu trennen. Er ist grausam, ein Macho und ein Sadist. Das Zusammenleben mit ihm ist unerträg-
lich.« »Was, bitte, ist denn ein Macho?« fragte der eine Steward. »Ein Mann, der Frauen unterdrückt«, erklärte Tessa vereinfachend. »Walten Sie Ihres Amtes. Ich frage beim Ersten Offizier und beim Zahlmeister nach, ob Sie meiner Aufforderung nachgekommen sind. Außerdem beantrage ich Personenschutz. Mein Mann, der er leider noch ist, soll sich mir nicht mehr nähern können.« Sie fügte hinzu: »Wenn Sie es genau wissen wollen, er ist vorhin wie ein Tier über mich hergefallen. Er versuchte mich zu vergewaltigen.« Die Stewards schauten geschockt. Derart freizügige Worte von einer Lady waren sie nicht gewöhnt. Es war halt eine andere Zeit. Viele Frauen wurden noch unterdrückt. Von Gleichberechtigung keine Spur. »Wenn er nicht ausgerutscht und unglücklich gefallen wäre, wäre ihm sein Vorhaben auch gelungen«, fuhr Tessa fort. Lord Peter und seinem Butler verschlug es die Sprache. Lord Peter hatte seine Gattin immer als sanftes, duldendes Lamm erlebt. Selbst daß sie ihn verlassen wollte, war so geschehen, daß sie sich klammheimlich davonschlich, als er auf Geschäftsreise war. Lorena Manderley hatte immer vor ihrem Mann gezittert. Jetzt sah er sich einem ganz anderen Charakter und Frauentyp gegenüber. Das Lamm war eine Löwin geworden! »Schaffen Sie ihn mir aus den Augen«, forderte Tessa die Steward auf, »und seinen Butler dazu.« Lord Peter sperrte den Mund auf vor Verwunderung. Seinem Butler fiel das Nußknackerkinn herunter. Die beiden Stewards schauten sich nochmals an, packten Lord Peter und seinen Butler dann am Arm und führten sie aus der Suite. »Zurück in die zweite Klasse!« sagte einer der Stewards. Auch das war ein Affront für den aufgeblasenen, arroganten Lord. Seine Frau wollte ihn verlassen, sie hatte ihn, was er ihr nie zugetraut hätte, auf ihm völlig unerklärliche Weise durch die Luft gewirbelt und auf den Boden geworfen. Jetzt wurde er aus der Suite geworfen, die seiner Meinung nach von seinem Geld bezahlt worden war, und in die zweite Klasse mußte er ebenfalls zurück. Lorena Manderley hätte sich so etwas nicht getraut, entnahm Tessa dem fassungslosen Blick des Selbstherrlichen. »Das wirst du bereuen!« rief Lord Peter, schon in der Tür zum Korridor, und drohte ihr mit der Faust. »Ich lasse dir die Kinder wegnehmen. - Damit kommst du nicht durch. Du bist ja von Sinnen.« Endlich fiel die Tür hinter den beiden und den Stewards ins Schloß. Die Szene hatte ein Ende. Erleichtert schenkte sich Tessa aus der Karaffe am
Tisch einen Sherry ein. Da bin ich ja in einen schönen Schlamassel hineingeraten, dachte sie. Diesem Peter Manderley traute sie alles zu. Sie schaute auf die tickende Uhr auf dem Tisch. Es war kurz nach dreizehn Uhr, keine fünfunddreißig Stunden mehr, bis die »Titanic« mit dem Eisberg zusammenstieß! Tessa verwünschte Mephisto, der sie in diese Situation gebracht hatte. Er hatte ihr nicht gesagt, was Mark Hellmann, den sie auf der »Titanic« treffen sollte, dort zu erledigen hatte. Treffpunkt »Titanic«, dachte Tessa mit bitterer Ironie. Das wird mal ein Rendezvous mit Mark Hellmann. Sie mußte ihn erst einmal finden. Tessa hatte den mit elf Oscars ausgezeichneten Film »Titanic« zweimal gesehen und jedesmal vor lauter Rührung am Schluß bitterlich geweint. Doch jetzt konnte sie live erleben, wie es auf der »Titanic« zuging. Tessa überlegte kurz, wie sie, da sie ein anderes Aussehen und einen anderen Namen hatte, mit Mark Hellmann, wenn er an Bord war, Kontakt aufnehmen sollte. Sie wußte nicht mal, in welcher Klasse er fuhr, noch wie er aussah und wie er hieß. Das spielte jedoch keine besondere Rolle. In jeder Klasse gab es ein Schwarzes Brett, an dem die Bekanntmachungen ausgehängt wurden. Tessa brauchte nur dorthin zu gehen und ihre Nachricht anbringen. * Auf die Idee mit dem Schwarzen Brett war ich auch gekommen. Gerade hatte ich meinen Aushang befestigt, mit dem Text: Tessa Hayden bitte bei Mr. Brad Mortimer, Kabine 22, melden. Kennwort: Mark Hellmann. Da kam eine bildhübsche Blondine im enggeschnürten, weißen Kleid auf mich zu. »Mark!« rief sie, reckte sich auf die Zehenspitzen und umarmte und küßte mich. »Endlich habe ich dich gefunden.« »Mit wem habe ich das Vergnügen?« »Ich bin Tessa«, flüsterte mir die Blondine ins Ohr, die schätzungsweise Oberweite 105 hatte. »Mephisto hat mich in den Körper einer anderen Frau versetzt, Lorena Manderley. Aber du sprichst mit mir. Es sind mein Geist und meine Gefühle.« Sie boxte mich leicht in den Magen. »Du läßt dich aber von jeder küssen.« »Das weckt Appetit auf mehr. Gehen wir in meine Kabine, um uns in Ruhe zu unterhalten?« Tessa in ihrer neuen Figur, die blonden Haare mit einer Innenwelle frisiert, ergriff meine Hand. Mit schwingenden Hüften ging sie neben mir her. Wie sie jetzt aussah, gab es allerhand, was schwingen konnte, vom Busen
bis hin zum Po. Mit der superschlanken Figur der Tessa Hayden, die ich kannte, war es kein Vergleich. Meine Augen glänzten. Für Sekunden vergaß ich Seth-Suchos, von dem ich auf der »Titanic« noch keine Spur entdeckt hatte, und alles andere. Hand in Hand begab ich mich mit Tessa zu meiner Kabine. Meinen Aushang hatte ich wieder eingesteckt. Im meiner Kabine tranken wir erst einmal einen Brandy. Dann berichteten wir einander, was wir erlebt hatten. Tessa erzählte vom Hexensabbat, davon, daß Lorena Manderley, in deren Körper sie sich befand, verheiratet war und zwei Kinder hatte. Sowie von Lord Peter Manderley, seinem abscheulichen Benehmen und seinem gemeingefährlichen Butler mit dem Nußknackerkinn. Ich berichtete von Mephistos Erpressung, die mich auf die »Titanic« geführt hatte. »Wir müssen Seth-Suchos finden und unschädlich machen«, sagte ich und spielte mit meinem Ring. »Und die >Titanic< vor dem Untergang bewahren.« Ich schaute auf meine Taschenuhr. »Aber ein wenig Zeit für uns haben wir noch.« Damit küßte ich Tessa voller Leidenschaft, streichelte sie und fing an, sie zu entkleiden. Es war Tessa, aber im Körper einer anderen Frau, und das reizte mich wahnsinnig. »Mark«, jauchzte Tessa, »denkst du denn immer nur an das eine? Sogar auf der >Titanic« »Was gibt es denn noch, woran man denken kann?« fragte ich und trug sie zum Bett. Wir liebten uns intensiv. Mehrmals hintereinander; ach, eigentlich ging alles ineinander über. Tessa war zunächst pikiert, weil ich auf ihre Riesenbrüste abfuhr und gar nicht genug davon kriegen konnte. Ich saugte an ihnen, spielte damit und rieb mich daran. Sie waren so weich, so warm, und sie liebten es, wie ich mit ihnen umging. Das war deutlich zu sehen und zu spüren. »Liebst du jetzt mich oder die Blondine Lorena Manderley?« fragte sie mit zitternder Stimme. »Spürst du das nicht?« fragte ich, und das war eine gute Antwort. Tessa stöhnte und seufzte. Später badeten wir und zogen uns an. Während ich noch einige Vorbereitungen treffen wollte, ehe ich Owen Webster aufsuchte, den US-Millionär und Sammler, der Seth-Suchos Mumie gekauft hatte, wollte Tessa zu ihrer Suite. Lorena Manderleys Kinder warteten nach dem Dinner bestimmt schon mit der Zofe zusammen auf sie. Tessa fühlte sich für die Kinder verantwortlich. »Ich weiß nicht, was mit ihrer Mutter ist«, sagte sie. Auch ich konnte darüber nur Vermutungen anstellen. »Aber solange ich in Lorena Manderleys Körper bin, kümmere ich mich um ihre Kinder. Ihr Vater ist ein solcher
Kotzbrocken, daß man ihm die Kinder nicht überlassen kann.« Mit einem zärtlichen Kuß verabschiedete sich Tessa. Vor sich hinträllernd und mit gekonntem Hüftschwung, der ihr mit Lorena Manderleys Hüften prima gelang, verließ sie meine Erster-Klasse-Kabine. Von der Tür aus warf sie mir noch eine Kußhand zu. Der Sex war ihr gut bekommen, auch in Lorenas Körper. Ich hatte einen braunen Cordsamtanzug angezogen und trug ein Hemd ohne Krawatte. Die Mode der Zeit um 1912 erweckte in mir Nostalgie. Aber ich wußte, wenn es mich auf der »Titanic« erwischte, entweder durch Seth-Suchos oder den Schiffsuntergang, würde das nicht nostalgisch sein, sondern bitterer Ernst. Mephisto hatte an alles gedacht, stellte ich fest, als ich die Reisekoffer mit den Initialen B. M. - Brad Mortimer - durchsuchte. Ich fand eine große Zeichnung von Seth-Suchos, Beschwörungsformeln aus der Zeit des ägyptischen Alten Reichs, das von 3.000 bis 2.155 vor Christus dauerte. Menes, der erste Pharao der Ersten Dynastie, Djoser, Snofru, der gewaltige Pyramidenerbauer Cheops, Neuser-Re sowie Pepi I. und Pepi II. waren seine größten Pharaonen gewesen. Aus vorgeschichtlichen Stammesgebieten und Kulturen war um 3.000 vor Christus von Oberägypten ausgehend der geschichtliche straff organisierte Beamtenstaat zusammengewachsen. Es hatte eine zentrale Lenkung von Feldbau und Versorgung gegeben. Die Schrift und der Kalender waren erfunden worden, Memphis wurde während der 3. Pharaonen-Dynastie die Hauptstadt des Pharaonenreichs, das an Macht und Prunk seinesgleichen suchte. Während der 6. Dynastie um 2.320 bis 2.160 vor Christus begann ein Zerfall der Regierungsgewalt. Unter Hungersnöten und sozialen Unruhen ging das Alte Reich zugrunde und zerfiel für neunzig Jahre. Danach wurde es von dem Pharao Mentuhotep II. zum Mittleren Reich geeinigt. Aus meinem Studienfächern Völkerkunde, Geschichte und Vorgeschichte wußte ich über die Pharaonenreiche gut Bescheid. Mephisto hatte mir außer den Beschwörungsformeln auch eine Auflistung altägyptischer Götter und Dämonen geliefert, von Isis, der obersten Göttin und den Schöpfer- und Sonnengott Re oder Ra über den falkenköpfigen Horus bis hin zu dem bösen Seth-Suchos, ein Krokodilgott, wurde in Städten verehrt, die vom Wasser abhängig waren. Ihm wurden alljährlich zu Zeiten der Nilüberschwemmung Menschenopfer dargebracht, denn er war ein grausamer Gott. Die Göttin der Liebe, des Glücks, des Tanzes und der Musik hieß Hathor. Seth-Suchos, der Gottdämon, den ich vernichten sollte, war eine Verschmelzung des bösen Seth mit dem Krokodilgott Suchos, wobei man sich vorstellen konnte, daß dabei
nichts Gutes entstand. Erstaunt las ich, daß in manchen Nilstädten und altägyptischen Orten ein Gott namens Mephisto verehrt wurde, auf dessen spitzbärtigem Kopf neben der hohen Tiara zwei Hörner hervorragten. Mephisto hatte mir außer den Informationen ein paar praktische Waffen gegen Seth-Suchos gegeben: ein Bronzeschwert, einen Bronzedolch sowie zwei Skarabäen - Mistkäfer - aus Jade, die im alten Ägypten als heilige Tiere gegolten hatten. Ferner eine Papyrusrolle, auf der zur Erläuterung der darauf stehenden Hieroglyphen »Totenbuch« stand. Fasziniert las ich darin. Sowohl die ursprünglichen Hieroglyphen als auch die englische Übersetzung standen fein säuberlich da. Es handelte sich um eine authentische Ausgabe des »Altägyptischen Totenbuchs«, das grauenvolle Riten enthielt. Damit konnten Tote beschworen und zum Leben erweckt, Menschen getötet, in den Wahnsinn getrieben oder zu Osiris in die Unterwelt versetzt werden. Man konnte damit Dämonen und Götter beschwören. Ich steckte das »Totenbuch« ein. Das Bronzeschwert und den Dolch konnte ich gut unter meiner Kleidung verbergen. Ich schaute mir meine Ausrüstung an. Mephisto meinte es gut mit mir oder vielmehr mit sich. Er wollte unbedingt, daß ich Seth-Suchos tötete. Im »Totenbuch« stand, um einen Gottdämon von Seth-Suchos' Macht umzubringen, könne man ihm magische Skarabäen in den Mund setzen, die ihn von innen her auffressen würden. Vielleicht würde ich das bald feststellen können, vertraute jedoch lieber auf meine Findigkeit, meine Körperkräfte und meinen Ring, anstatt mich auf Mephisto zu verlassen. Inzwischen war es Abend geworden. Durch das große Bullauge sah ich rot die Sonne im Meer versinken. Und wir fuhren weiter dem Eisberg entgegen. Mit dem Bronzeschwert und dem Dolch im Hosenbund unterm Jackett sowie dem »Totenbuch« in der Tasche verließ ich die Kabine. Ich war hungrig und wollte zunächst einmal in den Speisesaal der ersten Klasse. Danach hatte ich vor, Tessa Hayden und den Kindern Lorena Manderleys einen Besuch abzustatten. Schließlich mußte ich zu Owen Webster und versuchen, ihn auf meine Seite zu bringen. Der Gang lag leer vor mir. Die Passagiere waren um die Zeit entweder beim Essen oder in ihren Kabinen. Kaum war ich ein paar Schritte gegangen, als ich hinter mir das Rascheln von Stoff und ein Zischen in der Luft hörte. Instinktiv riß ich den Kopf zur Seite. Der Hieb traf also nicht voll meinen Hinterkopf, was tödlich hätte sein können. Er streifte mich nur, war aber immer noch fest genug, um mich in die Knie brechen zu lassen. Benommen versuchte ich, mich zu wehren. Es war aber zwecklos; meine
Glieder wollten mir einfach nicht gehorchen. Ich sah mit verschwimmendem Blick schwarze Schuhe und Hosenbeine neben mir. Den Mann, der mich hinterrücks niedergeschlagen hatte und der jetzt abermals ausholte, vermochte ich nur bis zur Hüfte zu sehen. »Verpaß ihm noch einen Hieb«, sagte hinter mir eine Männerstimme. »Dann schleifen wir ihn an Deck und werfen ihn über Bord. Die Gelegenheit ist günstig. Schon beim Aufprall aufs Wasser wird sich der Hund alle Knochen brechen. Und dann wird er jämmerlich ersaufen. Das soll ihn lehren, meine Frau in seine Kabine zu locken.« Abermals hörte ich das Sausen in der Luft. Diesmal hatte ich keine Chance, um dem Hieb auszuweichen. Ehe der Totschläger meinen Schädel traf, schoß es mir noch durch den Kopf, wem ich den heimtückischen Überfall verdankte. Nämlich Sir Peter Manderley und dem Killer-Butler Destry. Tessa hatte mir von ihnen erzählt und mir die beiden beschrieben. Eifersüchtig, wie Manderley war, wollte er mich umbringen, weil er mich für den Liebhaber seiner Frau hielt. Knochenhart explodierte der Schlag an meinem Schädel. Der Schmerz schoß mir bis in die Zehenspitzen. Ich sah einen grellen Blitz und wirbelnde Sterne, dann wurde es dunkel um mich. Eisige Luft brachte mich wieder zu mir. Zwei Männer hielten mich an den Armen und unter den Achseln gepackt und schleppten mich übers Deck. Meine Beine schleiften hinterher. Schon waren wir an der Reling. Tief unter mir hörte ich das Rauschen des Wassers, das von den drei Heckschrauben aufgewühlt wurde. Ich spürte das Vibrieren, das sich durch den stählernen Leib fortpflanzte. Verzweifelt versuchte ich, mich zur Wehr zu setzen, wenigstens zu sträuben. Es gelang mir jedoch nicht. Die Schläge auf den Kopf hatten mich gelähmt. »Hauruck«, sagte Lord Peter. »Über Bord mit dem Schurken!« Sein Killer-Butler fügte einen derben Witz hinzu, den es schon damals gegeben hatte. »Wer vögeln kann, kann auch fliegen, hähähä.« Die beiden wuchteten meinen Oberkörper über die Reling. Das Bronzeschwert und der Dolch rutschten mir aus dem Hosenbund, fielen ins schäumende Kielwasser. Das »Totenbuch«, das Destry mir aus der Tasche fledderte, folgte. Es flatterte in den Ozean, ein unersetzliches Stück, das zu erhalten mancher Ägyptologe seinen rechten Arm geopfert hätte. Ich klammerte mich an der Reling fest. Destry zog seine schwere Pistole und donnerte mir den Griff ins Genick. Benommen und schmerzgelähmt ließ ich los. Die beiden Männer wuchteten mich hoch. Die Schrauben der »Titanic« waren riesig. Das Wasser, das sie aufwirbelten, hatte eine ungeheure Gewalt.
Schrauben und Wasser würden mich glatt zermahlen. Damit war meine Laufbahn als Träger des Rings dann beendet, bevor ich Seth-Suchos nur von weitem gesehen hatte. Mephisto konnte sich aufregen. Ganz normale Menschen und männliche Eifersucht brachten mich um. Ich kippte über die Reling. * In den Laderäumen der »Titanic«, tief im Innern des Schiffs, befanden sich fast sechshundert Tonnen Fracht, sechstausend Tonnen Kohle sowie der Sarkophag des Seth-Suchos. Er bestand aus drei Schichten einer aus Holz, einer aus Lapislazuli und einer aus purem Gold. Der Sarkophag war zweieinhalb Meter lang und einsdreißig hoch, mit einer Ausbuchtung am oberen Teil, in die die Krokodilsschnauze des Gottdämons paßte. Stockfinster war es im Laderaum. Ratten, die es auf der »Titanic« wie auf jedem Schiff gab, huschten durch die Dunkelheit. Beim Verladen war der Sarkophag beschädigt worden, was noch niemand bemerkt hatte. Der Deckel klaffte auf einer Seite auf. Durch die Witterung aus dem Sarkophag angelockt, huschten drei Ratten herbei. Fiepend setzten sie sich auf die Hinterpfoten und schnupperten. Eine Ratte, der Anführer, quiekte. Er zwängte sich zuerst in den Sarkophag. Seine beiden Artgenossen folgten. Als der Anführer, die größte Ratte, die modrigen Binden anfressen wollte, die den Körper des Wesens im Sarkophag umgaben, begannen dessen Augen zu glühen. Es war ein unheimlicher Vorgang. In der jahrtausendealten Mumie steckte dämonisches Leben. Der Angriff der Ratten, ihre Nähe und ihre Lebensimpulse weckten es. Die Augen des Gottdämons glühten stärker. Die größte Ratte hatte gerade erst ein paar Stücke aus den Binden gebissen, als der Blick der Mumie sie lähmte. Die Ratte lief im Sarkophag zu dem Krokodilsrachen, der aufklaffte und sie verschlang. Das Quieken der Ratte verstummte. Blut tropfte von den Krokodilskiefern, an denen ein paar Fellfetzen hingen. Die beiden anderen Ratten teilten das Schicksal der ersten, wurden jedoch nur totgebissen und ausgespien. Sie fielen in den Laderaum. Mehrere Stunden vergingen. Dann betrat ein Matrose bei einem Kontrollgang den Laderaum. Er leuchtete mit der Stabtaschenlampe, in deren Lichtkegel er die beiden toten Ratten bemerkte. Außerdem fiel ihm das schwache rötliche Glühen auf, das aus dem Kopfteil des einen Spaltbreit geöffneten Sarkophags drang.
Der kurzbärtige Matrose trat näher. Er leuchtete die toten Ratten an und betrachtete sie genau. Sie waren völlig zerquetscht. Er konnte sich nicht erklären, was sie so zugerichtet hatte. Dann wandte sich der Matrose dem Sarkophag zu. Das rötliche Glühen gefiel ihm nicht. An diesem Tag, dem 13. April, war um 13.00 Uhr im Kohlebunker VI ein Schwelbrand entdeckt und gelöscht worden. Das rötliche Glühen hielt der Matrose für feuergefährlich. Er bemerkte, daß der Sarkophag beschädigt war. Der Matrose fragte sich, was der Sarkophag wohl enthielt, und er spähte hinein, um die Ursache des roten Glühens festzustellen. Im nächsten Moment stieß er einen gellenden Schrei aus. Er wollte die Hände vor die Augen schlagen, doch er schaffte es nicht. Eine unbekannte Kraft lähmte ihn. Er hing wie die Nadel am Magneten, konnte weder die Augen schließen noch den Blick abwenden. Sein Schrei wurde zu einem Röcheln. Erst nach zwei Minuten brach der Matrose zusammen. Er sah schrecklich aus. Seine Augen waren gekocht wie die eines Schellfischs, das Gehirn durch Hitze völlig zersetzt. Blut rann dem Opfer aus den Augenhöhlen, Mund, Ohren und Nase. Kein Funken Leben wohnte mehr in ihm. Im Sarkophag rumorte es. Es knackte mehrmals, als Halterungen zersprangen, die, mit magischen Hieroglyphen versehen, jahrtausendelang ihren Dienst getan hatten. Der dreifache Sarkophagdeckel sprang auf. Der mittlere Deckel aus Lapislazuli zerbrach dabei in tausend Stücke. In dem blauen Splitterregen stieg Seth-Suchos aus dem aufklaffenden Sarkophag wie aus einer geöffneten Muschel. Die Augen des Dämonengottes waren es, die dank seiner wiedergewonnenen Lebensenergie rot glühten. Damit hatte er dem Matrosen die Augen und das Gehirn vernichtet und gleichzeitig alles Wissen dieses Mannes aufgesogen wie ein Schwamm. Außerdem konnte er die Gestalt des Matrosen bis aufs letzte Körperhaar und die Bekleidung nachahmen. Seth-Suchos mußte sich erst einmal orientieren. Er war größer als jeder Mensch und hatte einen gefährlich wirkenden Krokodilsschädel. Auf dem Kopf trug er eine Tiara aus der Zeit des Alten Reichs, mit zwei hohen Erhebungen und niederen, von Stäben gehaltenen Kugeln. Er hatte eine Art Rastafrisur, lange, geflochtene Locken, die ihm weit über die Schultern fielen. Brustschild, ein Rock aus Metallitzen und Armbänder vervollständigten seine Aufmachung. Sein Körper war der eines muskelstrotzenden, athletischen Mannes. Teils geplatzte, modrige Binden umhüllten ihn, die SethSuchos nun abriß und wegwarf. Der Dämonengott kannte keine Gnade und kein Erbarmen. Machtlüstern war er und ungeheuer stark.
Mephisto - Mephisto in seiner Zeit -, sein Gegenspieler, hatte ihn im 23. Jahrhundert vor Christus mit List und Tücke ausgetrickst. Er war es, der sich scheinbar ergeben und Seth-Suchos in Sicherheit gewiegt hatte. Dabei hatte er heimlich den Wüstenrufer, jenen wilden Propheten, gefunden. So hatte er ihm die Macht über das hunderttorige Theben und das Nildelta entrissen. Im 20. Jahrhundert mußte sich Seth-Suchos erst einmal orientieren. Die Kenntnisse, die ihm der Matrose vermittelte, waren beschränkt. Seth-Suchos brauchte weitere. Er mußte seine Opfer nicht unbedingt töten, um sich ihr Wissen anzueignen, samt dem, was sie bereits wieder vergessen hatten und was bei ihnen ins Unterbewußtsein abgesackt war. Früher hatte Seth-Suchos jede beliebige »Gestalt« annehmen können, von einem ganzen Haus bis hin zu der eines spielenden Kindes oder sogar einer Maus. Diese Fähigkeit wollte er wieder trainieren. Der Jahrtausendschlaf hatte ihn geschwächt und machte ihn noch benommen. Doch er regenerierte sich rasch. Seth-Suchos erkannte, daß er sich auf einem Schiff befand, das viel größer und von ganz anderen Energien angetrieben wurde als die Schiffe des Roten Meers und die Nilbarken, die er kannte. Die Welt war völlig anders geworden, die Reiche von Khemet, wie das alte Ägypten in der Landessprache hieß, längst zerfallen. Aber Seth-Suchos war noch immer ein Gott und bereit, den ihm zustehenden Platz einzunehmen. Mit seinem neunten Sinn, einer Art geistigem Radar, das übernatürliche Kräfte und Dämonen weltweit anzeigte, forschte er. Und spürte, daß Mephisto, sein Gegenspieler von damals, lebte und vor nicht allzu langer Zeit seine Projektion auf die »Titanic« geschickt hatte. Wen wirst du diesmal gegen mich schicken, Lügner und Täuscher? dachte Seth-Suchos. Nur einer von uns kann überleben. Wir gehören mit zu den Letzten der Valusianer, und demjenigen, der von uns übrigbleibt, gehört die Welt. Wen schickst du diesmal, Mephisto? Selber bist du mir nicht gewachsen, das warst du nie, und das wirst du nie sein! * Die Todesangst vertrieb meine Schwäche und Benommenheit. Ich hielt mich mit beiden Händen an der Reling fest. Sie war so kalt, daß fast meine Haut daran kleben blieb. »Willst du wohl abstürzen, du Halunke?« fragte der Butler Destry und versuchte, mir ins Gesicht zu treten. Das gelang nicht, die Querstangen der Reling waren ihm im Weg. Dafür versuchte der Butler nun, mit den Absätzen meine Finger zu treffen, damit
sie sich lösten und ich in die Tiefe stürzte. Für die riesige Dreifachschraube der »Titanic« würde ich nicht viel mehr sein als ein Insekt. Ich hatte keine Waffen mehr, die ich gegen die beiden Mörder einsetzen konnte. Um Hilfe zu rufen, hätte nicht viel genutzt. Das Kielwasser rauschte, und außer Lord Peter und seinem Butler befand sich kein Mensch auf dem Achterdeck. An der Stelle, wo ich um mein Leben kämpfte, war es ziemlich dunkel. Es half nichts, ich zog mich an der Reling hoch. Destry prügelte auf mich ein. Ich steckte ein paar Schläge ein, als ich über die oberste Strebe der Reling schaute. Dennoch konnte ich meine Füße auf die Bordwand stellen und gewann so einen besseren Halt. Destry zog seinen zusammenschiebbaren Totschläger aus der Tasche. Der Killer-Butler verlor im Fahrtwind seinen Bowlerhut, der davonwehte. Destry war fast kahlköpfig. Eine Haarsträhne fiel ihm übers Gesicht. Der Fahrtwind der »Titanic« ließ mein Haar flattern. Als der Killer-Butler mit dem Totschläger ausholte, verpaßte ich ihm einen Hieb mit der Karatefaust. Ich traf ihn da, wo ich wollte. Er klappte zusammen wie ein Taschenmesser. Ich wollte gerade über die Reling klettern, als Lord Peter angriff. Der dunkelblonde, geschniegelte und elegante Lord hatte einen Gehstock mit Silberknauf bei sich, der sich als ein Stockdegen entpuppte. Damit sprang der Lord auf mich los, um mich aufzuspießen. Ich hatte ein Bein über der Reling. Mit dem rechten Fuß trat ich den Stockdegen zur Seite. Und damit Lord Peter merkte, was Sache war, verpaßte ich ihm gleich noch eine linke Gerade, die ihn ins Taumeln brachte. Ich konnte an Bord, rutschte aus und fiel neben dem Butler zu Boden, der unter die Jacke griff und seine Pistole zog. Der Lord mit dem Stockdegen und der Butler mit der Pistole waren zwei harte Brocken. Ich sprang auf. Lord Peter verletzte mich mit dem Stockdegen leicht am linken Oberarm. Der Lord war drahtig und schnell und tödlich wie eine Viper. Ich verdrehte ihm den Arm mit dem Stockdegen, brachte ihn als Deckung vor mich und warf ihn auf seinen Butler, als der die Pistole hob. Es gelang mir, Destry gegen die Pistolenhand zu treten. Ein Schuß löste sich krachend. Lord Peters Stockdegen war aufs Deck gefallen. Ich verpaßte dem Lord, der halb über seinem Butler lag und diesen behinderte, ein paar Faust- und Handkantenschläge. Das mag sich brutal anhören, doch Schonung war hier nicht angebracht. Ich konnte Destry die verchromte Colt Government entreißen. Rasch trat ich zwei Schritte zurück, hob den Stockdegen auf und bedrohte die beiden vor mir kauernden Männer mit der Waffe.
»Auf die Füße, ihr beiden Halunken! Ich hätte gute Lust, euch über Bord springen zu lassen. Heimtückisch habt ihr mich überfallen.« Lord Peter hob seine Hände in Schulterhöhe. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Mister«, sagte er. »Aber wir springen nicht. Sie müssen uns schon erschießen.« Aus einiger Entfernung hörte ich Rufe und die Schritte herbeieilender Männer. Es waren Besatzungsmitglieder der »Titanic«. Der Schuß war gehört worden. Rasch steckte ich die Pistole weg und wandte mich in die andere Richtung am Achterdeck, über das bis zum Bootsdeck mit der Brücke noch drei weitere Decks aufragten. »Wenn ihr mir noch einmal in die Quere kommt, werdet ihr es bereuen«, warnte ich Lord Peter und seinen Butler. Damit verschwand ich auf der Backbordseite um die Ecke und ging durch die nächste Tür ins Schiffsinnere. Hinter mir tauchten drei Matrosen und ein Bootsmann der »Titanic« bei Lord Peter und seinem Butler auf, die sich aufgerappelt hatten. »Was war hier los?« fragte der Bootsmann mit dem Schnurrbart. »Wer von Ihnen hat geschossen?« »Ich«, log der Butler. »Ich wollte Lord Peter meine neue Pistole zeigen. Dabei ist sie mir aus Hand gerutscht; ein Schuß löste sich. Ich bitte um Entschuldigung.« »Wo ist die Waffe jetzt?« fragte der Bootsmann streng. »Über Bord gefallen, Sir.« Der Bootsmann und die Matrosen durchsuchten die beiden ZweiterKlasse-Passagiere. Da Francis Destry eine leere Pistolenhalfter hatte, sie jedoch keine Waffe bei ihm fanden, mußten der Bootsmann und die Matrosen die Geschichte wohl oder übel glauben. Den zusammengeschobenen Totschläger in seiner Lederhülle, den Destry wieder in seiner Tasche trug, erkannte der Bootsmann nicht als Waffe. Er sah eine Schwellung im Gesicht des Butlers und Lord Peters zerraufte Kleidung. Er fragte jedoch nicht weiter. Hier war keine Gefahr im Verzug, und die Privatangelegenheiten der Passagiere gingen ihn nichts an. Der Bootsmann empfahl den beiden Gentlemen, von weiteren Schüssen, die sich aus Versehen lösten, abzusehen und verabschiedete sich. Lord Peter und sein Butler suchten sich ein windgeschütztes Plätzchen, um sich über die weitere Sachlage zu unterhalten. »Mit dem blonden Bastard bin ich noch nicht fertig«, sagte Lord Peter. »Er hat mit meiner Frau geschlafen. Sie war lange in seiner Kabine, und ich sah ihr Gesicht, als sie sie verließ. Ich kenne dieses Leuchten in ihren Augen aus der Anfangszeit unserer Ehe. Lorena werde ich schon noch bändigen, oder, falls sie von mir geschieden wird, nehme ich ihr die Kinder weg.
Ich werde Margaret und Tommy standesgemäß erziehen lassen. Der Blonde ist ihr Liebhaber. Seinetwegen hat sie mich verlassen.« In seiner Eifersucht und Überheblichkeit übersah Lord Peter die wahren Gründe für das Verhalten seiner Frau. »Wenn der Blonde weg ist, wird Lorena viel eher vernünftig«, mutmaßte er. »Auch wenn er jetzt die Pistole und den Stockdegen hat, wir müssen ihn erwischen!« »Ein Messer für mich wird sich schon irgendwo auftreiben lassen, Sir«, sagte der vierschrötige Butler, den seine Niederlage gegen den Blonden wurmte. »Sie nehmen das hier.« Er drückte Lord Peter den Totschläger in die Hand. »Einer von uns kommt von vorn, der andere von hinten. Dann werden wir es dem langhaarigen Affen schon besorgen. Ich weiß auch schon, wo wir ihm auflauern werden.« Zweifelnd betrachtete Lord Peter den Totschläger. »Damit zu arbeiten, dann noch von hinten, ist an sich nicht mein Stil.« »Was ist Ihnen wichtiger, die Etikette oder den Blonden auszuschalten?« fragte der Butler. »Sind Sie so vornehm, daß Sie ihm bei Ihrer Frau freie Bahn lassen wollen?« Lord Peter schüttelte den Kopf. Auch er ging mit seinem Butler ins Schiffsinnere. Ich hatte nicht gehört, was die beiden besprachen, Herr und Diener, die beide Halunken waren. Doch ich dachte mir, daß ich weiter vor ihnen auf der Hut sein mußte. Zunächst brachte ich die Pistole und den Stockdegen, die ich unter meiner Kleidung verbarg, in meine Kabine und deponierte sie dort. Im Spiegel betrachtete ich mich, zupfte meine Jacke zurecht und kämmte mir die Haare. Anschließend verließ ich die Kabine und fragte den erstbesten Steward, der mir über den Weg lief, nach der Kabine von Owen Webster. Er schickte mich in den Dienstraum der Stewards vom B-Deck, wo man es mir sagte, nachdem ich als triftigen Grund angegeben hatte, ich wäre ein alter Freund Websters und hätte soeben erst erfahren, daß er an Bord sei. Kurz darauf klopfte ich an der Tür von Websters Erster-Klasse-Kabine. Ich hatte Glück, er war anwesend. Ein ungeheuer fetter Mann mittleren Alters öffnete mir. Er war im Smoking und trug eine weiße Nelke im Knopfloch; er wollte zu einem Bordfest gehen. Webster reiste allein, wie ich erfahren hatte. Er war mittelgroß, kahlköpfig, mit einem enormen Doppelkinn und buschigen Augenbrauen. Gefährlich wirkte er auf mich nicht. Sondern wie ein sehr reicher Mann, der für sein Geld nicht mehr zu arbeiten brauchte und sich mit allerlei Liebhabereien die Zeit vertrieb. Dazu paßte sein Sammlertick, der ihn dazu gebracht hatte, die Mumie von Seth-Suchos zu erwerben. »Sie wünschen, Sir?« fragte er.
»Ich möchte mit Ihnen über Ihr ausgefallenstes Sammlerstück sprechen, den Sarkophag und die Mumie des Seth-Suchos.« Webster lachte. »Bedaure, die Stücke sind unverkäuflich. Sie brauchen sich keine Mühe zu geben.« »Ich will Seth-Suchos nicht kaufen. Ich komme, um Sie zu warnen. Ich weiß einiges über die Geschichte der Mumie, auch wer sie zu Lebzeiten war und welche Kräfte sie hatte. Da haben Sie sich etwas zugelegt, das Sie teuer zu stehen kommen kann, Mr. Webster. Auf dieser Mumie liegt nämlich ein Fluch.« Irgendwie mußte ich sein Interesse erwecken. Das gelang mir. Webster bat mich in die Kabine. Sie war ähnlich eingerichtet wie meine, nur in einem anderen Stil. »Sie meinen, dieses krokodilköpfige Wesen hat ein besonderes Geheimnis?« fragte der Multimillionär. »Mit ihm hat es eine ähnliche Bewandtnis wie mit dem Fluch des Pharaos?« Ich nickte. »Erzählen Sie mal«, forderte mich Webster auf. »Ich habe nie recht verstanden, wer dieser Krokodilskopf war. Kein Mensch, kein Tier, auch keine Steinstatue. Es muß eine künstliche Schöpfung sein, eine Art Golem. Doch zu welchem Zweck wurde er hergestellt? Sollte er jemals belebt gewesen sein?« »Sie sehen das falsch, Mr. Webster. Was Sie sich da eingekauft haben, um es Ihrer Sammlung einzuverleiben, ist ein Dämon und Teufel. Er wurde mumifiziert, doch er ist nicht endgültig tot. Ich versichere Ihnen, SethSuchos kann wieder zum Leben erwachen und eine große Gefahr werden, für Sie, für mich, für dieses Schiff, vielleicht für einen Teil von der Welt.« Ich sprach sehr ernst. Owen Webster starrte mich an. Dann lachte er laut. »Nein, Sir, das ist zu komisch. Die Mumie soll wieder lebendig werden? Das gibt es nur in Schauergeschichten. - Wie war noch gleich Ihr Name? Brad Mortimer? Sie sollten Schriftsteller werden, so wie Edgar Rice Burroughs, der diesen Affenmenschen erfand. Tarzan. Sie haben eine ausschweifende Phantasie. Köstlich, wenn ich mir vorstelle, daß meine Krokodilkopfmumie durch die Gegend tappt. Meine Gäste werden entzückt sein, wenn sie das sehen.« Er nahm mich nicht ernst und die Angelegenheit auf die leichte Schulter. Während er noch lachte, fing mein Ring an zu leuchten und zu prickeln. Im nächsten Moment ragte hinter Webster zuerst eine kräftige, bronzefarbene Männerhand durch die Kabinenwand. Ein Arm und ein nackter Fuß folgten, dann der gesamte Körper des Dämonengottes mit Krokodilsschnauze, Tiara und Metallitzenrock. Seth-Suchos erschien, übergroß. Gegen diese monumentale Erscheinung
kam ich mir vor wie ein Konfirmand. Seth-Suchos' Augen glühten uns an. Webster drehte sich um und wurde leichenblaß. »Was ist das?« stammelte er. »Ihr Sammlerstück, das Sie an Realitätsgehalt und Gefährlichkeit mit Tarzan verglichen. Sie können ihm gleich die Hand schütteln, aber passen Sie auf, daß danach Ihr Arm nicht zersplittert ist. Gehen Sie weg von ihm! Raus aus der Kabine, rennen Sie um Ihr Leben! Das ist Seth-Suchos, der Teufel vom Nil!« Webster raste zur Tür, viel schneller, als man es ihm bei seiner tonnenförmigen Gestalt zugetraut hätte. Seth-Suchos schaute mich an. Wie eine glühende Lanze war sein Blick. Ich spürte einen Stich im Gehirn. * Tessa Hayden war in die Suite von Lorena Manderley zurückgekehrt und beschäftigte sich dort mit deren Kindern. Die vierjährige Margaret und der sechsjährige Tommy spürten, daß dies nicht ihre Mutter war. Sie hatten Angst vor Tessa und weigerten sich, sie Mutter zu nennen. Celia Worth, das Kindermädchen, konnte ihnen zureden, soviel sie wollte, es nutzte nichts. Tessa hatte ein weiteres Problem. Irgendwie mußte sie mit den Kindern Lorenas, in deren Körper sie sich befand, umgehen. Sie beschloß, erst einmal abzuwarten und den Kindern Zeit zu lassen, statt sie zu bedrängen. Deshalb ließ sie die Kinder im Wohnraum spielen. Währenddessen versuchte sie, eine erste Warnung vor dem drohenden Zusammenstoß mit dem Eisberg anzubringen. Aber sie brachte bei Celia Worth nicht mal das Wort Eisberg über die Lippen. Als sie aufschreiben wollte, daß die »Titanic« untergehen würde, wenn man nicht aufpaßte und am Abend des nächsten Tages drastisch die Geschwindigkeit und den Kurs änderte, gelang auch dieses nicht. Tessa war erschüttert. Ihr Hauptbestreben war es, die »Titanic« und die Passagiere vor dem Untergang zu retten. Mit Seth-Suchos mochte sich Mark Hellmann herumschlagen. Tessa wartete auf Nachricht von Mark. Seine Küsse brannten ihr noch auf den Lippen, und seine Zärtlichkeiten, die sie empfangen hatte, ließen das Blut schneller in ihren Adern kreisen. Sie empfand mit dem Körper von Lorena Manderley, zu deren Geist sie noch immer keinen Kontakt hatte. *
Mein Ring bildete eine magische Barriere, die verhinderte, daß SethSuchos' Blick mir die Augen ausglühte und mein Gehirn vernichtete. Ich spürte, daß ich in dieser Gefahr war. Durch die Kräfte des Rings, der hell aufstrahlte, spürte ich nur kurz heftige Kopfschmerzen, die gleich wichen. Der Dämonengott schaute verwundert. »Wer bist du?« grollte er. Ich verstand seine Worte auf geistigem Weg, ohne daß ich hätte sagen können, welcher Sprache er sich bediente. »Mark Hellmann«, nannte ich ihm meinen richtigen Namen. »Träger des Rings. Ich bin dein Gegner.« »Ah. Mephisto hat dich geschickt. Ich verstehe. - Stirb, Dreckfressender Hund!« Damit stürzte sich Seth-Suchos auf mich. Sein Krokodilsrachen klaffte auf. Er war groß genug, mir den Kopf abzubeißen. Ich unterlief den Dämon, der sich noch etwas langsam und ungelenk bewegte. Hinter ihm stehend, schmetterte ich ihm die verschränkten Fäuste, dabei die Faust mit dem Ring, ins Genick. Der Schmerz schoß mir bis in die Schultergelenke. Seth-Suchos war wie aus Erz. Ich begriff gleich, daß ich im waffenlosen Kampf gegen ihn unterlegen war. Die Flucht zu ergreifen, war hier besser als Tapferkeit. In dem Fall mußte ich flitzen, so schnell ich konnte, um mir erst einmal Waffen zu beschaffen, mit denen ich diesen Teufel erledigen konnte. Das Bronzeschwert, den Dolch und das Totenbuch war ich wegen Lord Peter und seinem Butler los. Den Stockdegen und die Pistole hatte ich in meine Kabine gebracht, statt sie in magische Waffen zu verwandeln. Das konnte ich ja noch nachholen. Als Seth-Suchos wieder auf mich losging, ein stampfendes, riesiges Monster, warf ich ihm einen Stuhl vor die Füße. Er zertrat ihn glatt und strauchelte kaum. Um ein Haar hätte er mich erwischt und mir dann glatt den Kopf abgebissen. Noch einmal tauchte ich unter seinen Armen weg, entwischte ins Badezimmer und sperrte die Tür ab. Im nächsten Moment krachte es. Seth-Suchos kam durch die Tür und riß sie glatt aus dem Rahmen. Die Tür zerbrach in zwei Hälften. Damit hatte ich gerechnet, deshalb das WC-Becken herausgerissen - und knallte es ihm nun vor den Schädel. Porzellanbrocken flogen umher. Seth-Suchos schüttelte sich nur einmal. Ich versetzte ihm einen Tritt, so fest ich konnte. Das warf ihn nicht um. Sein Hieb fegte mich über die Badewanne. Der Dämon stürzte vor, seine Krokodilskiefer klappten zu. Im letzten Moment wälzte ich mich zur Seite und sah, wie seine Zähne glatt durch die emaillierte Metallbadewanne bissen. Es knirschte entsetzlich. Ein
Gruselschauer lief mir über den Rücken. Der Kerl hatte es in sich, kein Wunder, daß sogar Mephisto ihn fürchtete. Ich entwischte aus dem Bad. Seth-Suchos kam wieder an. Vor der Kabinentür drehte ich mich um, ergriff einen Tisch und warf ihm den entgegen. Er fegte ihn glatt zur Seite. »Das nützt nichts, du Wurm!« fauchte er. Selbst mein Ring, mit dem ich ihn geschlagen hatte, verletzte ihn nicht. Ich nahm, weil er doch ein wenig wankte, einen kurzen Anlauf und sprang ihm, mit den Füßen voran, gegen die breite Brust. Während ich auf den Rücken fiel, um sofort wieder federnd auf die Füße zu gelangen, fiel SethSuchos mit einem Heidenkrach um. Er landete dumpf polternd. Wenn er es wollte, konnte er durch die Wand gehen. Jetzt wollte er nicht, der Boden hielt also, auf den er krachte. Er spuckte mir nun eine Feuerzunge entgegen, die mein Ring mit seiner unsichtbaren Barriere abwehrte. Langsam stand er dann auf. Seine Hände fingen an zu glühen. Der Krokodilsrachen klapperte, als ob zwei harte Bretter aufeinander schlagen würden. Ich wartete nicht ab, bis er mich in Reichweite hatte, sondern donnerte ihm einen Beschwörungs- und Bannspruch entgegen, den ich aus dem »Totenbuch« auswendig gelernt hatte. Es war ein sehr kurzer Spruch. Er beeindruckte Seth-Suchos nicht mehr, als wenn ich ihm »Guten Morgen« gesagt hätte. Deshalb sah ich zu, daß ich schleunigst aus der Kabine kam. Ich knallte die Tür hinter mir zu. Ich lief ein Stück den Gang hinunter und schaute mich um. Seth-Suchos ließ sich nicht blicken. Von Owen Webster, der vor mir aus der Kabine geflüchtet war, sah ich ebenfalls nichts. Wohin er gelaufen war, wußte ich nicht. Aus einer anderen Kabine kam nun ein Matrose in blauer Uniform. Er hatte einen gestutzten blonden Bart und lächelte mich freundlich und vertrauenerweckend an. Mein Ring strahlte jedoch grell und prickelte. Da wußte ich, daß ich Seth-Suchos vor mir hatte, der die Gestalt des Matrosen angenommen hatte. Mephisto konnte ebenfalls irgendwelche Gestalten annehmen. Er brachte es auch fertig, die Warnsignale meines Rings zu unterdrücken. Seth-Suchos konnte das entweder nicht, oder er hatte es noch nicht gelernt, weil er über keine Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügte. Ich ging eilig weiter. Der Teufel vom Nil folgte mir in einigem Abstand in der Gestalt des Matrosen. Es war ein seltsames Gefühl, als ich am Rauchsalon der ersten Klasse vorbeikam, wo fast ausschließlich Gentlemen Brandy tranken, ihre Zigarren oder Zigaretten rauchten und am Marmorkamin vor den als Fenstern illuminierten Bullaugen plauderten. Hauptsächlich über Geschäfte, ohne zu
wissen, daß die meisten von ihnen eine Lebenserwartung von nicht viel mehr als dreißig Stunden hatten. Sie debattierten über den Profit und wären besser beraten gewesen, ihr Testament zu machen. Ich legte einen Zahn zu, als ich um die Ecke bog, und bestieg den nächsten Fahrstuhl. Rasch ging es nach unten. Dort stieg ich aus, lief ein Stück, fuhr mit einem anderen Fahrstuhl wieder hoch und suchte meine Kabine auf. Seth-Suchos hatte ich abgehängt. Statt dessen sah ich mich, kaum daß ich eingetreten war und das Licht angeknipst hatte, zwei anderen Feinden gegenüber: Lord Peter Manderley und sein Killer-Butler Destry waren mit einem Dietrich oder Sperrhaken in meine Kabine eingedrungen. Dort hatten sie sich umgeschaut und die von mir versteckte Pistole Destrys sowie den Stockdegen gefunden. Der vierschrötige Destry zielte mit der Pistole auf mich. Lord Peter Manderley hielt den Stockdegen in der Faust. »So sieht man sich wieder, Mr. Mortimer«, sagte er. »Diesmal entkommen Sie nicht.« Der Killer-Butler mit dem Nußknackerkinn und dem schütteren Haar hatte lässig die Beine übereinandergeschlagen. Die Colt Government ACP zielte auf meinen Magen. Ich wußte, es war ein Kaliber, mit dem man ein Nashorn umlegen konnte. Peter Manderley schritt auf mich zu. Mit dem Stockdegen berührte er mich unterm Kinn. »Du hast mit meiner Frau geschlafen«, sagte er voller Eifersucht. »Dafür schneide ich dir die Kehle durch.« »Ist das die englische Fairneß und die Art eines Lords?« fragte ich. Wehrlos wollte ich mich nicht abschlachten lassen. Trotz auf mich gerichteter Pistole und rasiermesserscharfem Stockdegen lauerte ich auf eine Gelegenheit, mich meiner Haut zu wehren. Das blitzartige Verengen der Pupille kündigt bei einem Kampf an, daß der Gegner gleich zuschlägt oder auch eine tödliche Attacke ausführt. Ich beobachtete Peter Manderley scharf. Er zögerte. So leicht konnte er den ihm anerzogenen Ehrenkodex eines Gentleman nicht abstreifen und zum kaltblütigen Mörder werden. Während er noch mit sich kämpfte, klopfte es an der Tür. »Bist du da drin, Mark?« fragte Tessa mit Lorena Manderleys Stimme durch die Tür. Lord Peter setzte mir den Stockdegen an die Gurgel, daß ich lieber keinen Ton von mir gab, und winkte mich zur Seite. Butler Destry riß die Kabinentür auf, packte Tessa und zog sie herein. Er schloß die Tür gleich wieder. »Ha!« rief Lord Peter. »Hast du zu deinem Liebhaber gewollt, du Luder? Das soll dir vergehen. Ich prügele dich windelweich, sobald ich mit ihm abgerechnet habe.«
Weshalb Tessa den Namen Mark genannt hatte, danach fragte niemand. Gleich würde Peter Manderley zustechen. Ich war bereit, auszuweichen und den Kampf aufzunehmen, ob er nun Aussicht auf Erfolg hatte oder nicht. Da rief Tessa: »Halt, Sir Peter, das ist ein Irrtum. Ich bin nicht Ihre Frau, sondern ich heiße Tessa Hayden, bin eine Deutsche und komme aus der Zukunft. Durch eine Geistreise bin ich in den Körper Ihrer Frau Lorena geraten. Der Mann da heißt in Wirklichkeit Mark Hellmann und kommt wie ich aus dem Jahr 1998.« »Was soll dieser Nonsens?« fragte Lord Peter. »Als Junge habe ich H. G. Wells Roman >Die Zeitmaschine< mit Begeisterung gelesen.« Der Roman war 1895 erschienen, Peter Manderley damals dreizehn Jahre alt gewesen. »Das heißt aber noch lange nicht, daß ich an solche Dinge glaube. Du solltest mich besser kennen.« »Aber es ist wahr!« rief Tessa. »Ich schwöre es. Ich kann Ihnen geschichtliche Daten aus der Zukunft nennen. In zwei Jahren, 1914, wird es einen großen Krieg geben, an dem der größte Teil der Welt teilnimmt. Deutschland und England werden Todfeinde sein. Der liberale Politiker Lloyd George wird diesen Krieg für England gewinnen. Die USA und sogar Australien werden Soldaten nach Europa entsenden…« Peter Manderley unterbrach die Blondine, die er für seine Frau hielt. »Lächerlich. Jetzt weiß ich, daß du Unsinn redest. Ausgerechnet Lloyd George, der Liberale, dieser hinterwäldlerische Rechtsanwalt, soll sich als Kriegspremier erweisen? Dabei weiß jeder, daß Winston Churchill, unser Marineminister, der kommende Mann ist. Lloyd George versteht vom Kriegführen überhaupt nichts. Churchill ist ein Krieger und Taktiker von hohen Graden, Lloyd George bloß ein Demagoge. Wenn es Krieg gibt, wird Churchill an der Spitze der englischen Politik stehen.« Das dachte damals jeder, einschließlich der beiden Betroffenen David Lloyd George und Winston Churchill. Doch es würde, wie so oft im Leben, ganz anders kommen. Churchill würde gestürzt und Lloyd George, der ihn fallenlassen mußte, in die Rolle des Kriegspremiers kommen, die er wider Erwarten gut ausfüllte. Erst im Zweiten Weltkrieg, mit fünfundsechzig, würde Churchill der entscheidende Mann für die Weltgeschichte sein. Tessa hatte sich ein schlechtes Beispiel ausgesucht und konnte nicht überzeugen. Das war auch schwierig, wenn es um Dinge ging, die in der Zukunft lagen und die man jemandem entweder glauben konnte oder nicht. Wieder befürchtete ich, Lord Peter wollte zustechen. Doch da leuchtete mein Ring auf. Es prickelte stark. Das konnte nur eins bedeuten: SethSuchos näherte sich. Lord Peter und sein Butler schauten den Ring an, der Strahlen ausschickte und fluoreszierte.
»Was ist das?« fragte der dunkelblonde, elegant gekleidete Lord. »Ein magischer Ring«, antwortete ich. »Ein Dämon steht vor der Tür.« »Pah!« rief der Lord. »Idioten.« Damit meinte er mich und Tessa in der Gestalt seiner Frau Lorena. »Es ist absonderlich, zu welchen Kapriolen die Todesangst die Phantasie mancher Menschen treibt.« Da sprang die Tür auf! Natürlich war es der Dämonengott Seth-Suchos, der eintrat. Doch auch ich erlebte eine gewaltige Überraschung. Er hatte nämlich exakt meine Gestalt angenommen und sogar meine Kleidung bis ins letzte Detail nachgeahmt. Nur die Frisur war ein wenig anders. Mir fiel eine Haarsträhne ins Gesicht, ihm nicht. Mark Hellmann und Mark Hellmann starrten sich an. * »Wer ist jetzt der Richtige?« fragte Destry. Sein Blick irrte von einem zum anderen. »Ich bin es«, sagten Seth-Suchos und ich gleichzeitig. »Ich bin Brad Mortimer.« Ich deutete auf Seth-Suchos. »Erschieß ihn!« forderte ich Destry auf. Das gleiche verlangte mein Doppelgänger. Destrys Pistolenlauf schwankte hin und her. Dann wollte er auf Seth-Suchos schießen. Aber die Waffe versagte. Bei der Colt Government geschah das äußerst selten. Es mußte übernatürliche Gründe haben. Seth-Suchos hatte das Schießeisen durch einen Zauber blockiert. Während Destry an dem klemmenden Schlitten der Pistole riß, um sie nochmals durchzuladen, schaute ihm Seth-Suchos direkt in die Augen. Der Blick des Butlers wurde glasig. Innerhalb einer Sekunde war er hypnotisiert. Lord Peter stach mit dem Stockdegen nach mir. Blitzschnell wehrte ich die Klinge zur Seite ab, packte den Lord unter den Armen und warf ihn gegen meinen Doppelgänger. Der fing ihn auf. Rot glühten mich die Augen des Dämonengottes an. Wieder war es mein Ring, der mich davor rettete, daß meine Augen und mein Gehirn gekocht wurden. Auch hypnotisieren konnte mich der Teufel vom Nil nicht. Der Ring verhütete es. Lord Peter strampelte in dem eisernen Griff des Dämons. Sein Stockdegen fiel auf den Boden. Mir blieb keine Zeit, ihn mit dem Ring in eine magische Waffe zu verwandeln. Ich sprang vor, zielte auf das linke glühende Auge meines Doppelgängers und stach zu. Seth-Suchos senkte den Kopf. Mein Vorhaben, den Kampf blitzschnell zu entscheiden und meine Mission auf der »Titanic« zu erfüllen, mißlang. Die
Degenklinge schrammte an der Stirn meines Doppelgängers entlang und riß sie auf. Blut floß übers Gesicht und in die blonden Haare. Es war ein seltsames Gefühl, quasi sich selbst bluten zu sehen. Seth-Suchos schrie auf. Mit einem Sprung war ich bei dem hypnotisierten Butler, entriß ihm die schwere Pistole, steckte sie in den Hosenbund und knallte Destry eine Rechte genau auf den Punkt. Damit schickte ich den Butler schlafen, für alle Fälle, bevor er mich, von Seth-Suchos hypnotisiert, angriff. Destry stürzte zu Boden und riß dabei den Tisch und zwei Stühle in der Kabine um. »Raus aus der Kabine, Tessa!« rief ich. Seth-Suchos warf Lord Peter gegen die Wand wie ein Strohbündel. Der Engländer blieb reglos liegen. Der Teufel vom Nil tappte auf mich zu. Er verwandelte sich. Tessa, die schon halb aus der Tür war, schaute zurück und schrie auf. Auf meinem Körper im braunen Cordsamtanzug saß jetzt nämlich Seth-Suchos' häßlicher Krokodilsschädel und riß weit seinen Rachen mit den mörderischen Zähnen auf. In der einen Hand hielt der Krokodilsköpfige einen Insignienstab mit einem gegabelten unteren Ende und einem etwas abgekrümmten, T-förmigen am oberen. In der anderen hatte er eine Art Reichsapfel mit einem Kreuz darauf, wobei das Kreuz lange vor dem Christentum schon das Zeichen des Schöpfergotts Ra oder des Ammon gewesen war, der zuerst Stadtgott von Theben gewesen war. Der Gabelstab und der goldene Apfel mit dem Kreuz waren Machtsymbole der ägyptischen Gottheiten. Diese Symbole hatte ich bei Seth-Suchos zuvor nicht gesehen. Sie waren ein Zeichen, daß seine Kräfte zunahmen. Mit dem Stockdegen, ohne daß er mit dem Ring einer Sonderbehandlung unterzogen worden war, konnte ich Seth-Suchos nicht töten. Die Coltpistole taugte im Moment nur zum Werfen. Ich riß also mein Hemd auf und hielt den Ring gegen das Hexenmal an meiner Brust. Daraufhin sandte er einen kurzen, laserartigen Strahl aus. Damit zeichnete ich das Hieroglyphenzeichen für »Tod« auf die häßliche Krokodilsschnauze des Teufels vom Nil. Dann das Symbol für den Sonnengott Ra oder Re, von dem ich mir dachte, daß er als Sonnen- und Schöpfergott ein erklärter Gegner des bösen und dunklen Seth war, von dem Seth-Suchos einen Teil seines Namens und einige Eigenschaften hatte. Brüllend riß er den Rachen auf, als ich ihn mit dem Strahl meines Rings zeichnete. Um Haaresbreite entging ich dem zuklappenden Rachen, aus dessen Nüstern schwarzes Blut schoß. Seth-Suchos schlug mit seinem Insignienstab nach mir. Der Stab pfiff durch die Luft. Zweifellos hätte er mir die Knochen zertrümmert.
Ich sprang hoch. Der Teufel vom Nil hatte auf meine Knie gezielt. Der Stab pfiff mir unter den Füßen hindurch. Im Sprung zog ich den Strahl meines Rings über die glühenden Augen des Krokodilskopfes, der bisher keine Verletzungen aufwies. Grelles Feuer entstand. Seth-Suchos brüllte. Er taumelte geblendet. Ich landete auf beiden Füßen, wechselte den Stockdegen von der Rechten in die Linke und stach dem Dämon in die Magengegend. Wie ich es mir gedacht hatte, drang die Klinge nicht in den ehernen Körper ein. Sie bog sich und prallte ab. Ich versuchte erst gar nicht weiter, Seth-Suchos zu töten, sondern rannte zur Tür. Tessa hielt sie mir auf. Der brüllende Dämon warf seinen Reichsapfel mit dem Kreuz. Wir knallten die Tür zu. Zweifellos würde sich der Reichsapfel in einen riesigen, giftigen Skorpion oder ein ähnliches Biest verwandeln. Neben Tessa lief ich den Gang entlang und rückte die Pistole im Hosenbund zurecht. Ich verbarg sie unterm Jackett. Ein weißgekleideter Steward und ein paar Passagiere begegneten uns. Man grüßte uns freundlich, wir grüßten zurück. Das war hier so Sitte. Wer auf der »Titanic« in der ersten Klasse fuhr, gehörte zur Elite der Gesellschaft. Was sich hinter uns in meiner Kabine abgespielt hatte und verbarg, wußten die Mitreisenden nicht. Für Tessa und mich war es ein jäher Stimmungswechsel, die lockere Atmosphäre und den Prunk und die Pracht in den Erster-Klasse-Räumen der »Titanic« zu erleben. Passagiere und Besatzung waren völlig ahnungslos was den Dämon betraf, der sich auf dem Schiff befand, und was die auf sie zukommende Katastrophe mit dem Eisberg anging. Bis dahin waren es noch 26 Stunden und 32 Minuten. * Wir suchten Owen Websters Kabine auf und fanden den schwergewichtigen Millionär im hypnotischen Bann des Seth-Suchos vor. Webster öffnete auf mein Klopfen, war aber nicht ansprechbar. Ich nahm sicher an, daß Seth-Suchos das Wissen, unter welchem Namen ich auf der »Titanic« reiste und welche Kabine ich hatte, von ihm hatte. Das hatte ich Webster gesagt. Ich behandelte ihn mit dem Ring, dem ich nicht zuviel zumuten durfte. Sonst erschöpften sich seine Kräfte, und es dauerte Stunden, bis er sich wieder regeneriert hatte. Die Hypnose wich bereits, als ich Webster den Ring zwischen die Augen preßte. Der US-Millionär und Sammler schaute sich verblüfft um. »Was ist geschehen?« fragte er. »Ich bin aus der Kabine geflohen. Wes-
halb, weiß ich nicht mehr. Dann bin ich umgekehrt, danach… Mir fehlt die Erinnerung.« Er schaute mich an. »Sie haben mir erzählt, daß die von mir gekaufte Mumie ein Dämon und durchaus noch lebendig sei?« Ich nickte. Noch einmal mochte ich ihm nicht alles erzählen. Webster begrüßte Tessa galant mit einem Handkuß als Lady Lorena Manderley. Er hatte diese während der Reise, die bisher drei Tage währte, bereits kennengelernt. Ich fragte Webster, in welchem Laderaum und wo der Sarkophag zu finden sei, in dem die Mumie gelegen hatte. Das konnte er mir nicht beantworten. Webster setzte soviel Vertrauen in die White-Star-Linie, daß er sich darüber nicht erkundigt hatte. Erst in New York wollte er sein Sammlerstück nach dem Ausladen wieder in Empfang nehmen. Wir warnten ihn eindringlich vor Seth-Suchos, ernteten dafür jedoch erstaunte Blicke und die halbherzige Zusage, er würde schon aufpassen. Webster war nicht überzeugt, daß Seth-Suchos tatsächlich zum Leben erwacht war und eine Gefahr bildete. Viel konnten wir nicht für ihn tun. Was ließ sich auch gegen einen Dämon ausrichten, der durch Wände gehen, Türen aufsprengen und fast jede Gestalt annehmen konnte? Ziemlich besorgt suchten wir, nachdem wir uns von Webster verabschiedet hatten, Tessas Suite oder vielmehr die von Lorena Manderley auf. Die Kinder Margaret und Tommy waren noch wach. Celia Worth, das Kindermädchen, hatte ihnen vorgelesen. Das blonde Mädchen und der dunkelhaarige kleine Junge betrachteten Tessa skeptisch. Sie spürten, daß das nicht ihre richtige Mutter war, obwohl sie genauso ausschaute. Kinder hatten einen natürlichen Instinkt, dem sie vertrauten; sie ließen sich nicht von der sogenannten Logik in die Irre führen wie die Erwachsenen. Als die Kinder betreten und fast verängstigt reagierten und sich abwandten, ging Tessa mit mir in den anderen Raum. »Was soll ich bloß machen?« fragte sie. »Wie soll ich mit den Kindern zurechtkommen? Wenn ich bloß einen Kontakt mit ihrer Mutter hätte.« Noch einmal mußte ich den Ring strapazieren. Mit dem leuchtenden Strahl zeichnete ich Linien und Runen auf Tessas Stirn. »Verbindung«, schrieb ich in keltischer Sprache mit Futhark-Runen und bat Tessa, sich auf Lorena Manderley zu konzentrieren. Im nächsten Moment, noch ehe der kurze Strahl erlosch, den mein Ring aussandte, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. »Wer sind Sie?« fragte sie. »Was suchen Sie denn in meiner Suite? Geben Sie mir sofort eine zufriedenstellende Erklärung, oder ich rufe den Steward und lasse sie festnehmen.«
* Owen Webster erfreute sich nicht lange seiner Freiheit vom hypnotischen Bann des Seth-Suchos. Es klopfte an seiner Kabinentür. Als er fragte, wer da sei, hörte er die Stimme des blonden Mannes, den er unter dem Namen Brad Mortimer kennengelernt hatte. Webster spähte hinaus. Im Nu hypnotisierte ihn der »Mark Hellmann«-Doppelgänger wieder. Seth-Suchos, gefolgt von Lord Peter Manderley und dessen Butler Destry, traten ein. Der Teufel vom Nil hatte alle drei Männer in seiner Gewalt und Mark Hellmann eine tödliche Falle gestellt. Seth-Suchos ließ die drei ihrer Wege gehen. Er konnte sie jederzeit auf gedanklichem Weg rufen, wenn er sie brauchte. Der Dämon in Mark Hellmanns Gestalt schaute sich seinerseits auf der »Titanic« um. Die Einrichtungen bereits der dritten und der zweiten Klasse hatten Maßstäbe gesetzt und konnten sich sehen lassen. Der Prunk und Pomp in der ersten Klasse übertraf jedoch alles, was bisher auf den Weltmeeren zu finden gewesen war. Die beiden Erster-Klasse-Suiten auf dem B-Deck waren die schönsten, fünfzehn Meter lang und mit privaten Promenadendecks verbunden, die mit Edelholz getäfelt waren. Für die erste und zweite Klasse waren Fahrstühle vorhanden, die mit Klingelsignalen herbeigerufen wurden. Es gab einen Gymnastikraum mit den neuesten Fitneßgeräten, ein luxuriöses türkisches Bad, ein großes Schwimmbad und vieles andere mehr. Die große Freitreppe des Schiffs mit ihrem geschwungenen Aufgang von der ersten Klasse an Deck war besonders interessant. Die Pracht der Ausstattung suchte ihresgleichen. Seth-Suchos stieg auch hinab zu den Heizern und Maschinisten. Von den Feuerungsanlagen und besonders den riesigen Maschinen, deren Wirkungsweise er nicht verstand, war er sehr beeindruckt. Der Dämon nahm jeweils eine Gestalt an, die ihm zweckmäßig erschien. Manchmal ging er durch eine feste Wand. Als Geist schaute er sich das Innere eines Feuerungskessels an und fühlte sich durchaus wohl in den ihn umgebenden Flammen. Danach griff er sich im Maschinenraum einen Ingenieur, hypnotisierte ihn und eignete sich sein technisches Wissen an. Es fiel ihm schwer, dieses einzuordnen. Schließlich hatte er zuletzt im Jahr 2.300 vor Christus gelebt. Die Technik war seither ungeheuer fortgeschritten. Die Zahl der Menschen auf der Welt hatte sich vervielfacht. Das konnte Seth-Suchos nur recht sein. Er konnte Sklaven gebrauchen. Er war in eine ganz andere Zeit versetzt, in der er erst einmal Fuß fassen mußte.
Mephistos Zeitmagie beherrschte er nicht. Seth-Suchos hatte verschiedene Möglichkeiten, befristet in die Zukunft zu schauen. Er spürte, daß dem riesigen Schiff, auf dem er fuhr, in Kürze eine große Gefahr drohte, daß es mit größter Wahrscheinlichkeit, so sah er es, untergehen würde. Und daß dabei zahlreiche Menschen ihr Leben verlieren würden. Der Dämon hatte nicht die geringste Absicht, das zu verhindern. Im Gegenteil, aus Qualen, Angst und Tod würde er Kraft schöpfen. Er schaute sich die dritte Klasse an, den Laderaum, wo er die Leiche des von ihm umgebrachten Matrosen versteckt hatte, den Postraum mit den vielen Postsäcken und Paketen, den Funkraum, und dann ging er auf die Brücke. Hier erschien er in der Gestalt eines dienstfreien Offiziers, der eben mal durchschlenderte. Seth-Suchos las die Gedanken der Menschen um ihn herum. Er ging über die Decks und klomm, indem er durch Mimikry die Färbung des Untergrunds annahm, an einem der mächtigen Schornsteine hoch. Von oben hielt er dann Ausschau. Die Technik, die er auf der »Titanic« kennenlernte, erschien ihm ungeheuerlich. Doch sie erschreckte ihn nicht. Mit seinen Zauberkräften konnte er die Menschen beherrschen, die sich dieser Technik bedienten. Er würde immer der Herr und der Meister sein. So war es in Khemet gewesen, zur Zeit des Alten Reichs, und so würde es immer sein. Seth-Suchos, wieder in anderer Gestalt, schlenderte durch die Gesellschaftssäle. Pharaonen gab es schon lange nicht mehr, dafür andere Herrscher. Die menschliche Natur, fand Seth-Suchos, hatte sich nicht verändert. Es gab immer noch Laster und Schwächen, Geilheit und Gier, den Stolz, die Unmäßigkeit, Zorn, Faulheit und andere Sünden. Seth-Suchos zog sich in die Dunkelheit des Laderaums und in seinen Sarkophag zurück, um auszuruhen und seine neugewonnenen Eindrücke zu verarbeiten. Seine Augen hatten sich längst von der Blendung durch den Ring des Blonden erholt. Der Blonde war der Kämpfer Mephistos. Sein Leben sollte noch in dieser Nacht enden. Mephisto, wie Seth-Suchos ihn in fremdartiger Aussprache nannte, würde ebenfalls bald daran glauben müssen. * Tessa Hayden meldete sich. Sie hatte Kontakt mit Lorena Manderley, deren Geist geruht hatte. Die beiden konnten Zwiesprache halten, wobei Tessa behutsam vorging, um Lorena keinen Schock zuzufügen. Die beiden Frauen verständigten sich. Lorena reagierte erstaunlich gelassen und aufgeschlossen. Als Tessa ihr wieder die Kontrolle überließ und sie mich ansprach, geschah das freundlich.
Lorena suchte dann ihre Kinder auf und sprach und spielte mit ihnen. Beide erkannten ihre richtige Mutter, wie sie sie gewöhnt waren. Tessa traf mit Lorena eine Vereinbarung, daß diese sich um die Kinder kümmerte und ansonsten sie - Tessa - die Kontrolle hatte. Wegen ihres Verhältnisses mit mir unterhielt sich Tessa mit Lady Lorena. Dann teilte mir Tessa im Wohnraum der Suite mit: »Lorena findet dich sehr attraktiv. Sie meinte, ich könnte sie ruhig einmal mit dir Zusammensein lassen, was ich jedoch ablehnte. Ich glaube, abgesehen von ein paar Küssen, lassen wir die Intimitäten ganz. Ich hätte mich überhaupt nicht hinreißen lassen sollen, im Körper einer anderen Frau mit dir Sex zu haben.« Kurz vor dem Untergang der »Titanic«, den wir noch immer hofften, verhindern zu können, und mit Seth-Suchos im Nacken hatte ich andere Interessen als Sex. Es ging jetzt ums Überleben! Bei Lady Lorena wußte ich nicht, ob ich sie nun gehabt hatte oder nicht. Ganz unbegründet war Peter Manderleys Eifersucht nicht. Ich verabschiedete mich - von Tessa, von den beiden, von Lorena? - mit einem Kuß. Die Kräfte meines Rings reichten gerade noch aus, um die Coltpistole und den Stockdegen in magische Waffen zu verwandeln. Damit ging ich zu meiner Kabine. Mein Ring flackerte einmal kurz. Dann reagierte er nicht mehr. Vorsichtig öffnete ich die Kabinentür, knipste das Licht an und spähte hinein. Mein Instinkt warnte mich. Trotzdem wollte ich rein. Also sprang ich, den Stockdegen in der Faust, in die Kabine. Das hätte ich fast nicht überlebt. Möbel verwandelten sich in zischende Schlangen und klaffende Rachen, in Nilkrokodile und Löwen. Ich stach mit dem Stockdegen um mich, der in bläulichem Licht fluoreszierte, und schlug mit dem Pistolengriff drein. Das fauchte und zischte und brüllte um mich herum. Wie ich es schaffte, meine Haut zu retten und der Todesfalle zu entrinnen, in die Seth-Suchos meine Kabine verwandelt hatte, wußte ich hinterher nicht mehr. Jedenfalls stand ich nach kurzer Zeit im Kabinengang, zerrauft und zerzaust. Vorbeikommende Passagiere musterten mich kritisch. Den Stockdegen hatte ich hinterm Rücken und verbarg ihn später im Hosenbein. Die Pistole fand Platz unter der Jacke. Ich richtete mich her, so gut es ging, und suchte wieder Tessas Suite auf. Dort brauchte ich zuerst mal einen Schluck Wasser. Anschließend schauten wir uns die »Titanic« an. Tessa meinte, der Film, den sie zweimal gesehen hatte, würde das Schiff ziemlich authentisch wiedergeben. Kleinere Fehler kamen natürlich vor. In den Gesellschaftsräumen trafen wir interessante Leute. Dank dem Wissen, das mir Mephisto gegeben hatte, erkannte ich sie.
Ich sah Isaac und Ida Straus im A-la-carte-Restaurant der ersten Klasse. Wenn alles so lief, wie die Geschichte lehrte, würde Mrs. Straus mit ihrem Mann untergehen, weil sie sich weigerte, ihn zu verlassen und ein Rettungsboot zu besteigen. Benjamin Guggenheim saß am Spieltisch. Er legte die Rettungsweste ab, als es keine Aussicht auf Rettung mehr gab, und zog mit seinem Diener zusammen Abendkleidung an. »Wir wollen wie Gentlemen mit diesem Schiff untergehen«, sagte er. John Jacob Astor turtelte in einem Salon zärtlich mit seiner bildschönen und blutjungen Frau, die ihre Schwangerschaft im fünften Monat mit einem weiten Kleid zu verheimlichen suchte. Sie würde den Schiffsuntergang überleben, er nicht. »Frauen und Kinder zuerst in die Boote«, würde es heißen und durchgesetzt werden. Was das bei einer Rettungsbootkapazität für nur die Hälfte der Menschen an Bord bedeutete, war leicht abzusehen. Wir sahen J. Bruce Ismay, den Generaldirektor der White-Star-Line, im Rauchsalon im Gespräch mit dem Erbauer der »Titanic«, Thomas Andrews. Andrews ging mit dem Schiff unter, das sein Lebenstraum gewesen war. Ismay würde sein Leben retten, indem er einen freien Platz in einem Rettungsboot einnahm. Die Presse würde deshalb über ihn herfallen und ihn einen Feigling nennen. Die Kommission des Amerikanischen Senats, die vom 19. April bis zum 25. Mai eine Untersuchung der »Titanic«Katastrophe durchführte, beurteilte ihn gnädiger. Der Platz war frei - die Rettungsboote wurden nur zum Teil besetzt, weil man zuerst fürchtete, sie würden durchbrechen. 708 Menschen saßen in den Booten, die 1.178 gefaßt hätten, und nur ein Boot von zwanzig kehrte um, um im eiskalten Wasser Schwimmende aufzunehmen. Hätte Ismay den Platz nicht eingenommen, hätte es einen weiteren freien Platz und einen zusätzlichen Namen auf der Todesliste gegeben. Major Butt, der US-Präsidentenberater und persönliche Freund des früheren US-Präsidenten Theodore Roosevelt, begegnete uns. Er sollte mit drei seiner Freunde im Rauchsalon scheinbar ungerührt an einem Tisch sitzen, bis zum bitteren Ende. Wir sahen Kapitän Smith, den weißbärtigen, erfahrenen Seemann, dem die White-Star-Line das Kommando über die »Titanic« anvertraut hatte. Ich hätte zu diesem Mann, der unerschütterliche Ruhe, Selbstsicherheit und Autorität ausstrahlte, ebenfalls Vertrauen gehabt. Smith war kein Idiot, der blindlings ins Eisfeld brauste. Eine schicksalhafte Verkettung unglücklicher Umstände, auch die Überheblichkeit des Menschen, der allzusehr seiner Technik und dem Riesenschiff vertraute, hatten ihn um sein Schiff gebracht, mit dem er unterging. Vorher hatte er die schwere Aufgabe gehabt, das Bestmögliche für die Rettung der Menschen an Bord zu tun, wohl wissend, daß es zuwenig Rettungsboote gab. Laut Marinevorschrift reichten sie aus, übertrafen die Zahl
der veralteten Vorschrift, als Schiffe viel kleiner gewesen waren, sogar noch. Das leitende Gremium der White-Star-Linie hatte mehrheitlich abgestimmt und entschieden, daß bei einem unsinkbaren Schiff, wie es hieß, nicht noch mehr Rettungsboote erforderlich seien. Es waren tapfere Menschen, die wir an Bord der »Titanic« erlebten, jedenfalls die allermeisten. Sie waren mit einer Haltung in den Tod gegangen, die mir Achtung abnötigte. Für uns war es gespenstisch, sie lebend zu sehen, guter Dinge und ahnungslos. Wir konnten niemandem mitteilen, was wir aus der Zukunft wußten. Das Schicksal ließ nicht mit sich handeln. Tessa und ich staunten über die Größe und den Luxus der »Titanic«, die wir uns gründlich anschauten, mit Gefühlen, als ob wir ein besonderes Denkmal besuchen würden. Später lagen wir in der Manderley-Suite nebeneinander, ohne Sex. Tessa weinte bitterlich. »Sie tun mir so leid«, schluchzte sie. »Es bricht mir das Herz, diese prachtvollen Menschen zu sehen, voller Idealismus und Pläne, voller Energie. Und bald sind die meisten tot.« Sie konnte nicht weitersprechen. Ich hielt ihre Hand. »Ich werde alles versuchen, um den Untergang der >Titanic< doch noch zu verhindern«, flüsterte ich in der Dunkelheit. »Sobald sich mein Ring regeneriert hat, will ich damit den Bann lösen, der uns hindert, die Leute an Bord zu warnen.« So kam der nächste Tag. Er verlief ruhig. Seth-Suchos zeigte sich nicht und war auch mit meinem wiedererstarkten Ring nicht aufzuspüren. Peter Manderley, sein Butler und Owen Webster blieben verschwunden. Wir schauten uns auf dem Schiff um. Ich sah den Ersten Offizier Murdoch, der nur wenige Sekunden Zeit gehabt hatte, nach der Eisberg-Meldung die folgenschwerste Entscheidung seiner seemännischen Laufbahn zu treffen. Hinterher meinten Experten, bei einem Frontalzusammenstoß wäre die »Titanic« schwimmfähig geblieben. Doch das hätte Tote und Verletzte an Bord gegeben, einen Rattenschwanz von Klagen gegen die Reederei. Und völliges Unverständnis von allen Seiten, weshalb der Erste Offizier frontal auf den Eisberg gefahren war, statt ihm auszuweichen. Mit dieser verheerenden Beschädigung an der Schiffsflanke hatte Murdoch nicht gerechnet. Auch er war mit der »Titanic« untergegangen, nachdem er bis zuletzt auf der Steuerbordseite das Besetzen und Ausfieren der Rettungsboote beaufsichtigt hatte. Von den Schiffsoffizieren hatten nur zwei überlebt, der Zweite Offizier Lightoller und der Fünfte Offizier Löwe. Er kehrte mit einem Rettungsboot um, um im eisigen Wasser Treibende zu retten, was alle anderen nicht taten. Nur sechs hatte er in sein Boot genommen, sechs von über fünfzehnhun-
dert. Ich brachte es nicht fertig, die Fitneßeinrichtungen an Bord zu benutzen, was ich unter anderen Umständen sicher getan hätte. Also Gymnastikraum, Schwimmbad oder Türkisches Bad. Es wäre mir pietätlos erschienen, mit Menschen herumzuturnen, Sport zu treiben, zu lachen, zu reden, von denen die meisten bald darauf tot sein würden. Aus der ersten Klasse starb nur ein Kind, von der zweiten und dritten kamen viele Frauen und Kinder ums Leben. Es war schlimm für mich, diese Menschen zu sehen. Etwas sperrte sich in mir, die Hoffnung aufzugeben, sie doch noch zu retten. Doch in meinem Innersten wußte ich zu dem Zeitpunkt bereits, daß ich nichts würde ändern können. Die Geschichte ließ sich nicht umschreiben. Die »Titanic« würde untergehen. * 14. April 1912, 23.00 Uhr. Seth-Suchos erwischte mich aus dem Hinterhalt. Ich war mit Tessa im Lesesalon der ersten Klasse gewesen, einem gemütlich und prachtvoll eingerichteten Aufenthaltsraum. Tessa begab sich nun in die Suite zurück. Nach einer Weile folgte ich ihr. Plötzlich, als der Korridor menschenleer war, ergriffen mich stahlharte Klauen und rissen mich durch die Wand. Seth-Suchos hatte mich gepackt. Für mich war die Wand durch seinen Zauber durchgängiges Material wie für ihn. Ich fand mich in einem verlassenen Teil der riesigen Bordküche wieder. Der Krokodilköpfige ließ mir keine Chance, den Stockdegen oder die Pistole einzusetzen, die ich beide bei mir trug. An dem Tag war ich noch einmal in meiner Kabine gewesen, hatte dort keine Gefahr mehr vorgefunden und die Scheide des Stockdegens von Peter Manderley an mich genommen. Sie hatte am Boden gelegen. Die Pistole trug ich in einer Halfter unter der linken Achsel. Stockdegen und Pistole waren magische Waffen. Unter einem Hagel von Schlägen und Tritten Seth-Suchos' verlor ich das Bewußtsein. Mit entschwindenden Sinnen hörte ich noch, wie der Teufel vom Nil sagte: »Das ist nur ein Vorgeschmack. So einen leichten Tod gönne ich dir nicht. Du sollst verzweifeln und furchtbar leiden, bevor ich dich endgültig in die Hölle schicke, Mark Hellmann.« Seth-Suchos hatte viel gelernt, seit er aus seinem Jahrtausendschlaf aufgewacht war. Er kannte sogar meinen richtigen Namen. Als ich dann wieder zu mir kam, nach mehr als einer halben Stunde, war ich die Pistole und den Stockdegen natürlich los. Ich quälte mich hoch und eilte zur Brücke. Meinen magischen Ring hatte ich noch. Anscheinend war Seth-Suchos nicht
in der Lage gewesen, ihn mir vom Finger zu ziehen. Oder er wollte mir zeigen, daß mir auch der Ring gegen ihn nichts nützte. Schließlich hätte er mir den Finger samt Ring abbeißen können. An dem Tag hatte ich mit dem Ring einiges angestellt, um den Bann zu brechen, der Tessa und mich hinderte, die Menschen auf der »Titanic« zu warnen. Wider besseres Wissen, daß man die Geschichte nicht verändern konnte, gab ich bis zuletzt die Hoffnung nicht auf. Seth-Suchos kidnappte Tessa nach der Kollision vom Vorderdeck und führte mich quer durch das Schiff in die Irre. Unterwegs nahm ich eine Notaxt an mich, die in einem Glaskasten in einem Kabinengang der zweiten Klasse an der Wand hing und zum Einschlagen von Türen diente. Mit dem Ring verwandelte ich sie in eine magische Waffe. Kurz darauf zeigte sich mir Seth-Suchos und bestellte mich in den Postraum. Bevor ich diesen aufsuchte, ging ich noch einmal in meine Kabine und nahm die beiden Skarabäen an mich, die mir Mephisto gegeben hatte. Außerdem holte ich ein großes Fleischmesser aus der Schiffsküche. Auch die Skarabäen und das Messer behandelte ich mit meinem Ring. Dann, endlich, ging ich zum Postraum, der, wie ich glaubte, entscheidenden Auseinandersetzung entgegen. Inzwischen war der 15. April angebrochen. Die Katastrophe schritt voran. Der Postraum nahm soviel Wasser auf, daß die Postsäcke das Schwimmen lernten. Kapitän Smith und Thomas Andrews, der Konstrukteur und Erbauer der »Titanic«, hatten den durch den Eisberg verursachten Schaden besichtigt. Andrews berechnete, daß sich das Schiff nur noch eine Stunde über Wasser halten konnte. Sie hielt sich dann zwei Stunden und zwanzig Minuten. Kapitän Smith befahl, den Notruf CQD - Come Quick Danger -, später auch SOS abzusetzen. Die Funker der »Titanic«, die bis zuletzt ihre Pflicht taten, sendeten: »Sinken über Bug. CQD. CQD. H. M. S. >Titanic<, Position 41 Grad 46 Minuten Nord, 50 Grad 14 Minuten West.« An diesem Tag waren verschiedene Eiswarnungen erfolgt, die wichtigste jedoch wegen Überlastung der Funker mit nebensächlichen Dingen in der Funkkabine liegengeblieben. Kapitän Smith hatte bis zuletzt geglaubt, am Feld mit den Eisbergen vorbeizufahren, nicht mitten hineinzusteuern. Auch war es zu jener Zeit üblich, mit Volldampf zu fahren, außer im Fall einer erkannten Gefahr. Und der Ausguck hatte ja nichts gemeldet. Der Stolz der britischen Handelsmarine, riesig und hell beleuchtet, donnerte mit Musik an Bord ins Verderben. Die Maschinen wurden gestoppt. Riesige Dampfwölken entwichen mit lautem Getöse aus den Schornsteinen, als der Druck aus den Kesseln abgelassen wurde. Der Kapitän war sich des Ernstes der Lage bewußt und be-
fahl, die Rettungsboote klarzumachen. »Frauen und Kinder zuerst in die Boote!« hieß es. Das hörte ich noch auf dem Weg zum Postraum. Stewards liefen durchs Schiff und trommelten die zweiter und dritter Klasse Passagiere zusammen, die sich noch unter Deck befanden. Im Postraum sah ich ein Chaos. Fünf Beamte der US- und der englischen Post hatten sich vergeblich bemüht, die ihnen anvertrauten Postsäcke und Pakete in Sicherheit zu bringen. Als sie einen Teil davon im Sortierraum hatten, drang auch dort schon das Wasser ein. »Sie können nicht mehr in den Postraum!« rief ein uniformierter Postbeamter und fuchtelte mit den Händen. »Dort steht alles unter Wasser.« »Ich muß hinein!« Mit diesen Worten drängte ich ihn zur Seite und watete weiter. Erstaunt schaute er auf die Axt, das Messer und den strahlenden Ring an meiner rechten Hand an, hatte jedoch andere Dinge zu tun, als mich danach zu fragen. »Laßt diesen Verrückten«, sagte er zu seinen Kollegen und den Stewards. »Raus mit der Post, weiter nach oben!« Im Postraum, den ich nun betrat, schwappte bis über die halbe Höhe das Wasser. Es war saukalt, um den Gefrierpunkt. Das Licht an der Decke brannte. Ich sah Tessa, die im Hintergrund an ein Regal gefesselt war. Pakete und einige Postsäcke schwammen im Wasser. »Mark!« rief die blonde Frau, der das Wasser schon bis an die Brust stand. »Rette mich!« Als ich auf sie zuschwamm, packten mich lange Tentakel. Ein riesiger Krake tauchte links von mir auf. Seine Fangarme umklammerten mich. Sein Papageienschnabel, mit dem er die Beute zerteilte, öffnete sich. Eine krähende Stimme drang heraus. »Ich bin Destry, der Butler. Seth-Suchos hat mich verwandelt.« »Hier ist Seth-Suchos!« ertönte hinter mir eine Stimme, die wie von Erz klang. »Wer kann dem Sohn Seths widerstehen?« In der Gestalt eines riesigen Nilkrokodils schwamm der Teufel vom Nil heran. Ich hatte noch einen Arm frei. Als Seth-Suchos den Rachen aufsperrte, um mich zu verschlingen, warf ich ihm die beiden Skarabäen in den Rachen. Bläulich leuchtend verschwanden sie in dem Krokodilsrachen. Das Riesenkrokodil bäumte sich auf, krümmte sich und peitschte mit dem Schwanz das Wasser. Ich kämpfte mit der Riesenkrake, schlug dem verwandelten Destry die Axt in den Papageienschnabel, hackte auf ihn ein und schnitt ihm mit dem Messer einen Tentakel ab. Er spuckte schwarze Tinte und entfloh irgendwohin, wo ich ihn nicht mehr sehen konnte. Die bläulich leuchtende Axt steckte in seinem Rumpf
und fügte ihm wahnsinnige Schmerzen zu. Seth-Suchos spie schwarzgrüne Schleimklumpen aus und die zwei Skarabäen. Das Riesenkrokodil, gut sieben Meter lang, griff mich wieder an. Pfeilschnell jagte der Teufel vom Nil durch das Wasser. Ich wich seinem Rachen aus, sah seine Vorderbeine und klammerte mich an die Unterseite. Ein gräßlicher Kampf begann. Grell strahlte mein Ring. Immer wieder stieß ich das mit ihm zur übernatürlichen Waffe verwandelte Messer in SethSuchos weiche Unterseite. Mehrmals zischte sein horniger Krokodilsschwanz über Tessa hinweg und hätte sie fast erschlagen. Das Wasser stieg. Ich wußte nicht mehr, wo oben und unten war. Mir verging Hören und Sehen. Doch dann tauchte ich auf, atmete mühsam. Seth-Suchos schwamm in Krokodilsgestalt zwischen Paketen und Postsäcken mit dem fahlen Bauch im Wasser, der zerfetzt und zerschnitten war. Das Messer steckte in seinen Gedärmen. Er war tot. Rasch schwamm ich zu Tessa. Es gab keine Zeit zu verlieren. Sie war mit Stricken gefesselt, und ich holte mir das von schwarzem Blut befleckte Messer aus dem Bauch des Dämonengotts, der sich nicht mehr regte. Mit dem Messer durchschnitt ich Tessas Fesseln. Sie umarmte mich. Wir zögerten, überlegten, was wir nun tun sollten. Lorena Manderleys Kinder waren zu retten! Insgesamt fanden 705 Menschen in die Rettungsboote. Zeitpunkt des Untergang: 15. April 1912, 2.18 Uhr Vorderschiff. Das Schiff würde in Höhe des dritten Schornsteins durchbrechen, das Heck sich noch zwei grausige Minuten senkrecht im Wasser halten, bevor es seine letzte Fahrt antrat. Auf den Meeresboden in fast viertausend Metern Tiefe. Wenn ich per Zeitreise mit Tessa fliehen wollte, was hoffentlich ging, da nur ihr Geist im Jahr 1912 war, mußte ich mich beeilen. Ich brauchte einen dämonischen Einfluß, um die Zeitreisemagie meines Rings einzusetzen, brauchte den toten Körper Seth-Suchos. Was sollte ich noch an Bord? Trotzdem hinderte mich Pflichtgefühl, mich aus der Katastrophe davonzustehlen. Da erschien, als im Postraum das Wasser schon fast bis zur Decke stand, Mephisto. Als ein Delphin schwamm er umher und sprach mit menschlicher Stimme. »Gut gemacht, Mark Hellmann. Seth-Suchos ist tot. Du hast mir einen großen Gefallen erwiesen und kannst wieder in deine Zeit zurück. Nimm Tessa mit, sie wird frei an deiner Seite sein, wenn du im Jahr 1998 landest. Hier ist für alles gesorgt. Lorena Manderley und ihre Kinder werden gerettet. Ihr Mann, Owen Webster, die Dämonenkrake Destry und Seth-Suchos Leiche gehen mit der >Titanic< unter. - Reise, beeil dich!« Er wollte mir eine Flosse geben. Ich zog meine Hand weg. Schließlich war er der Teufel, ein Mörder und Lügner. Dem gab ich nicht meine Hand. Ich
aktivierte den Ring, nahm Tessa bei der Hand, in der Gestalt, die sie war. Der Delphin tauchte weg. Mit dem Strahl meines Rings schrieb ich die Futhark-Runenbuchstaben für das keltische Worte »Reise« neben SethSuchos Krokodilsleiche ins Wasser. Die Zeitreise begann. Ich stürzte in einen hellen, pulsierenden Schacht. Mein Körper löste sich auf, seine Atome wurden versetzt. Ich konnte jedoch denken und fühlen. Es gab mich. Ich spürte, obwohl ich sie nicht sah, Tessa an meiner Seite. So verließen wir die sinkende »Titanic«, auf der noch die Bordkapelle Ragtime und andere fröhliche Weisen spielte, um eine Panik unter den Passagieren zu vermeiden. Unsere Herzen waren voll Trauer um die Opfer von der »Titanic«, um dieses stolze und schöne Schiff und jene, die auf seiner Jungfernfahrt, die nur fünf Tage währte, mit ihm gereist waren. Bitter hatte sich die Überheblichkeit der Erbauer gerächt, und mit diesem Riesenschiff war in vielen Menschen der Glaube an die Allmacht der Technik untergegangen.
ENDE Drei Proben hatte ich bestehen müssen, um in Störtebekers Mannschaft aufgenommen zu werden. Eine weitere stand an, wollte ich Störtebekers Schatz finden. Und ich wollte. Also machte ich mich auf die Suche nach dem versunkenen Schiff, dem Schwert und dem Tor des Schreckens.
Ich fand Störtebeckers Schatz heißt der 15. Hellmann von C.W. Bach. Und er unterhält seine Leser mit spannender Abenteuer-Grusel-Atmosphäre. - DM 2,30!