K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
E. V O N B E Ö C Z Y...
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K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
E. V O N B E Ö C Z Y
TITAN METALL
DER Z U K U N F T
VERLAG SEBASTIAN
LUX
MURNAU • MÜNCHEN . INNSBRUCK . BASEL
Sturz der Titanen i V m Anfang aller Zeiten — so erzählt die altgriechische Göttersage — vermählte sich Gäa, die Erde, mit Uranos, dem Sternenhimmel. Aus diesem Bunde gingen Töchter und Söhne und Enkel hervor, die Titanen und deren Nachkommen: Okeanos, der Gebieter der Weltmeere, Helios, der Sonnengott, die silberne Mondgöttin Selene, der Riese Atlas, der die Welt auf seinen Schultern trug, Prometheus, der zu den Menschen das kulturschaffende Herdfeuer brachte, und Zeus, der den Titanen das Herrscheramt entwandt und sich zum König aller Götter erhob. Viele Titanen huldigten dem Donner- und Blitzesender, dem Wolkensammler und Stürmenden, und Zeus übertrug ihnen ehrenvolle Aufgaben, als er die Welt neu zu ordnen begann. Die Abtrünnigen aber zogen sich ins Orthrys-Gebirge in Thessalien zurück und eröffneten von dort den Kampf gegen den Olympier, den Obersten des Götterstaates. Zehn Jahre währte der Streit, der mit dem Triumph des Göttervaters beendet wurde. Zeus verbannte die unterworfenen Titanen in den Tartarus, in die Unterwelt, von wo sie noch heute die Erde gelegentlich mit ihrem Ungestüm erschüttern und ihren feurigen Atem aus den Gipfeln der Vulkane blasen. Seit jener Zeit ist Zeus Herr über die Himmels- und Menschenwelt. Die Titanen aber liehen fortan ihren Namen allem, was übermenschlich groß war: den Titaniden, den Göttinnen des römischen Dichters Ovid; Titania, der Geisterkönigin Shakespeares; dem Titanosaurus, einem der Unheimlichsten aus dem Sauriergeschlecht; dem Titanotherium, jenem Tiergiganten, der vor fünfzig Millionen Jahren in den Braunkohlenwäldern Nordamerikas gelebt hat; dem Titanen würz, der größten Blüte des Pflanzenreiches; der Titanic, dem luxuriösen Schiffsriesen, der 1912 im Nordatlantik versank; Titanus, dem größten bekannten Vertreter des Käfervolkes, und Titan, dem hellststrahlenden der Saturnmonde. Titan heißt auch eines der chemischen Elemente, das man „Metall der Zukunft" genannt hat, weil seine Eigenschaften wahrhaft titanisch erscheinen.
Pfarrer Gregor entdeckt das Titan Zu dem Pfarrherrn von Deptford in England, Reverend W i l liam Gregor, kamen die Menschen nicht nur, um seinen scelsor2
gerischen Rat zu erbitten. Die Pfarr- und Studierstube William Gregors sah manchen Besucher, dem es um viel weltlichere Dinge ging. Der Pfarrer liebte die Musik und die Malkunst, man sah ihn mit Staffelei und Palette oft draußen in der Landschaft, und immer freute es ihn, kunstfrohe Gesprächspartner als Gaste um sich zu haben. Seitdem William Gregor in Bristol Chemie-Vorlesungen gehört hatte, galt seine Neigung nicht minder der W i s senschaft von den Gesteinen. Er war im Laufe der Zeit zu einem anerkannten Kenner der Mineralien geworden. Naturfreunde sprachen bei ihm vor, brachten Gesteinsproben zu ihm, und der Pfarrer gab ihnen Auskunft über ihre Entstehung und ihre Zusammensetzung. Auch die Post trug ihm gelegentlich Mineralienproben ins Haus, und er gab sich die größte Mühe, die Anfragenden in ausführlichen Antworten zufriedenzustellen. An einem Tage des Jahres 1791 ergab sich für den Reverend Gregor ein besonders schwieriger Fall. Am Morgen war aus dem Tale Menacchan in Gornwall ein Päckchen eingetroffen, das schwarzen, mit einer schmutzig-weißen, feinkörnigen Masse durchsetzten Sand und die Anfrage enthielt, ob der Herr Pfarrer die Güte haben wolle, das Gemisch zu untersuchen. Gregor rückle der Mischung sofort mit einer Versuchsreihe zu Leibe und kam zu dem Ergebnis, daß der herausgelöste Niederschlag, ein leichtes, weißes Pulver, ein bisher nicht bekanntes metallisches Mineral sein müsse. Er gab ihm nach dem Fundort den Namen Menakanit. Der Zufall wollte es, daß ein Jahr später der deutsche Apotheker Martin Heinrich Klaproth bei der Untersuchung und Analyse eines turmalinartig aussehenden Gesteins dieselbe weiße Erde fand. Sie war ihm bisher ebenso unbekannt gewesen wie dem Deptforder Pfarrer, wie dieser stellte er fest, daß es sich um ein Element und zwar um ein leichtes Metall handelte. Klaprolh gab dem neuen Grundstoff einen Namen, er nannte ihn „Titanium", „ T i t a n " ; das war im Jahre 1795. Titan war von den über hundert Elementen das fünfunddreißigste, das der Wissenschaft bis dahin, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, bekannt wurde. Klaproth erfaßte trotz des bedeutungsvollen Namens, den er dem neuen Grundstoff gegeben hatte, noch keinesfalls, wie seiner mit seiner Benennung das Richtige getroffen hatte. Zudem hatte er, ebenso wie William Gregor, das Titan nicht in seiner chemisch reinen Form, sondern als Titanoxyd kennengelernt. Erst mehrere Jahrzehnte später sollte die chemische Darstellung w e nigstens in grober Annäherung dem berühmten schwedischen Che-
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miker Freiherrn von Berzelius gelingen- Berzelius war der erste Mensch, der den neuen Grundstoff ziemlich rein vorweisen konnte. Die völlige Reinheit erzielte erst im Jahre 1910 der Engländer Hunter. Bis zur technischen Großherstellung des reinen Titans in der Zeit nach 1946 war es aber auch dann noch ein weiter Weg.
Was ist Titan? Jeder Grundstoff, jedes Element, unterscheidet sich von allen anderen Elementen in erster Linie durch sein Atomgewicht; nach den Atomgewichten haben die Elemente ihren Platz im „Periodischen System der Elemente" erhalten, das bekanntlich alle vorhandenen Grundstoffe in ein Schema einordnet. Das Titan hat seinen Platz in der vierten senkrechten Spalte, unter dem Kohlenstoff und Silizium. Alle drei, Titan, Kohlenstoff und Silizium, sind, darauf deutet die vierte Spalte hin, vierwertig; sie können vier einwertige Elemente oder zwei zweiwertige an sich binden. Besonders der zweiwertige Sauerstoff wird sowohl vom Kohlenstoff als auch vom Silizium außerordentlich gern aufgenommen, und es war zu erwarten, daß auch das Titan die gleiche Eigenschaft haben würde. Tatsächlich ist es nur sehr schwer möglich, Titan sauerstofffrei herzustellen. In der freien Natur kommt es deshalb fast stets als weißes Titanoxyd oder Titandioxyd — also mit Sauerstoff verbundenes Titan — in verschiedenen Mineralien vor. Titan ist ein Metall — das hatte schon sein Entdecker William Gregor erkannt. Äußerlich und in seinen Eigenschaften ist das reine Element dem Eisen sehr ähnlich, aber es ist nur etwa halb so schwer wie Eisen und nur wenig schwerer als das leichte Aluminium. Ein Kubikzentimeter Aluminium wiegt 2,7 Gramm; etwas schwerer, nämlich 2,8 Gramm, ist das im Flugzeugbau unentbehrliche, mit anderen Metallen gehärtete Duraluminium. Für einen Kubikzentimeter des außerordentlich festen Chromnickelstahls müssen 8 Gramm auf die Waagschale gelegt werden. Das Titan liegt mit 4,5 Gramm etwa in der Mitte. Aber trotz dieser außerordentlichen Leichtigkeit ist es noch sehr viel fester als allerbester Stahl. Legt man Gewichte auf waagrecht liegende und an den Enden aufgestützte Stäbe von bestimmter Länge und Dicke, so bricht ein Aluminiumstab bereits bei 16 kg Belastung, Duraluminium bei 25 kg und Eisen bei 30 kg. Beim Chromnickelstahl muß die Belastung bis zum Bruch schon 60 kg betragen. Titan dagegen hält
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noch eine Last von 84 kg aus und bricht erst, wenn das 85. Kilo gramm dazugelegt wird. Den Techniker interessiert nicht allein die Bruchfestigkeit; ihr kommt es auch auf die Haltbarkeit bei höheren Temperature an, und auch hier zeigt das Titan bis zu etwa 600° C Wärm geradezu erstaunliche Eigenschaften. Während Aluminiumstäbe die auf 500 Grad erhitzt sind, auch ohne jede Belastung, allei durch ihr Eigengewicht, durchbrechen, ist Chromnickelstahl viermal und Titan sogar volle achtmal fester als Eisen bei gleiche: Temperaturen. Milliarden gehen der Weltwirtschaft jährlich durch eine seh unangenehme Eigenschaft des Eisens und Stahls verloren: durcl die Rostbildung. Auch die Schutzanstriche, die immer wieder er neuert werden müssen, können die Schädigung des Eisens durch Wasser und Witterungseinflüsse nicht ganz verhindern. Rostfreie Edelstahle sind teuer und schwer zu bearbeiten und wiegen etwa ebensoviel wie gewöhnlicher Stahl. Das leichte Titan dagegen ist absolut widerstandsfähig gegen diese ,,Korrosionsgefahr", wii man die Neigung zur Verrostung nennt. Weder salzhaltiges Meer wasser noch verdünnte Schwefelsäure, noch Salz- oder Salpetersäure können dem Titan irgend etwas anhaben. Monatelang an dauernde Versuche haben nicht die geringste Rostbildung auf der Oberfläche von Titanplatten gezeigt. Nicht einmal die Edelmetalle Gold und Silber sind so korrosionsbeständig wie Titan. Schon ein Überzug aus Titan kann andere Metalle korrosionsfest machen. Einzig das seltene und teure Platin scheint noch wider standsfähiger zu sein. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtet de: Techniker den außerordentlich hoch liegenden Schmelzpunkt de Titans. Erst bei 1780 Grad C geht das feste Metall in den flüssigen Zustand über. Das sind volle 250 Grad mehr, als dei Schmelzpunkt des Eisens beträgt, und über 1100 Grad mehr als beim Aluminium, das schon bei 660 Grad C seine feste Form verliert. So wertvoll ein hoher Schmelzpunkt in vielen Fällen auch ist, so schwierig wird durch diese Besonderheit, wie wii noch sehen werden, die Verhüttung des Titanerzes. Das wirkl sich natürlich auch im Preise aus, und so kommt es, daß, wenigstens vorläufig, das Titan immer noch verhältnismäßig teuer ist Der hohe Preis hat aber auch noch eine andere Ursache.
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Die Kostenfrage Rufen wir uns ins Gedächtnis zurück, daß Titan in geschmolzenem Zustand, ja schon bei Temperaturen über 600 Grad gierig Sauerstoff an sich reißt und zu Titanoxyd wird. Es nimmt den Sauerstoff, woher es ihn auch' immer erreichen kann, im Normalfall also aus der allgegenwärtigen Luft. Selbst Spuren von Sauerstoff — und übrigens auch von Stickstoff — machen das sonst so harte Titan brüchig und spröde. Als Titanoxyd, das sich durch die Sauerstoffaufnahme gebildet hat, wird das Titan in der Erde gefunden, niemals gediegen, wie etwa das Silber oder das Gold. Umfangreiche Verhüttungsanlagen müssen gebaut werden, und enorme Energiemengen werden gebraucht, um das Titanoxyd wieder in seine Bestandteile Titan und Sauerstoff zu /erlegen und den Sauerstoff auszuscheiden. Die Verhüttung ist in den letzten Jahren etwas leichter geworden, und auch die Preise haben daher nachgelassen. Im Jahre 1950 mußte man für 1 kg Titan noch etwa 80 Mark bezahlen, 1951 etwa 50 Mark, und heute, sieben Jahre später, ist der Preis in den Vereinigten Staaten und Kanada schon auf 30 Mark gesunken. Es ist anzunehmen, daß der Preis noch weiter fallen wird. Fachleute schätzen den zukünftigen Preis auf etwa 4 bis 5 Mark für das Kilogramm. Wir wollen bei dieser Vorhersage nicht vergessen, daß noch vor 100 Jahren das Aluminium 4800 Goldmark je Kilo kostete und daß der Preis damals innerhalb von sieben Jahren auf nur 100 Mark gesunken ist. Seitdem ist Aluminium geradezu ein Volksmetall geworden. Das Kilo wird heute auf dem Weltmarkt für etwa 1,5 Mark gehandelt.
Das Titan und seine Legierungen Auch in seinem Verhalten bei Erwärmung ist Titan ein Sonderling. Meist dehnen sich Metalle unter Hitzeeinwirkung mehr oder weniger stark aus. Die starke Ausdehnungsfreude des Quecksilbers zum Beispiel wird in den Thermometern zum Messen von Tcinperaturänderungen benutzt. Aber im allgemeinen schätzt der Techniker die Ausdehnung von Metallen bei höheren Hitzegraden nicht. Den Herren der Eisenbahn hat das Wachsen der Schienen in der Sonne immer viel Kopfzerbrechen gemacht. Titan hat demgegenüber den Vorteil, daß es sich bei Erhitzung nur wenig
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ausdehnt. Es besitzt auch eine viel geringere Wärmeleitfähigkeit als andere Metalle. Aber das kann ebensosehr eine Tugend wie ein Nachteil sein. Will man bei Titan die Wärme normal a b leiten, so vermischt man es mit geeigneten anderen Metallen. Durch Beimischungen anderer Metalle läßt sich auch eine weitere Charaktereigentümlichkeit unseres Metalls verändern: seine „Kriecheigenschaft"; denn bei stetig wirkenden, wenn auch nur schwachen Belastungen verliert Titan allmählich seine u r sprüngliche Form und gewinnt sie auch nach Beendigung der Belastung nicht wieder. Sobald bestimmte Metalle zugesetzt werden, verliert sich dieser Nachteil.
Wo das Titan vorkommt Nun sollte man annehmen, daß ein so wertvolles Metall verhältnismäßig selten auf der Erde zu finden sei, so selten etwa wie Gold und Silber. Trotzdem ist Titan keineswegs selten. Im Gegenteil, es gehört zu den verbreitetsten Grundstoffen der festen Erdrinde. Nach Sauerstoff, Silizium und den Metallen Aluminium, Eisen, Kalzium, Natrium und Kalium steht es in der Häufigkeitsfolge an achter Stelle. Mehr als 0,6 Prozent der Erdkruste besteht aus Titan. Es ist viermal so häufig zu finden wie Phosphor, fünfundzwanzigmal häufiger als Kohlenstoff und hundertmal öfter anzutreffen als Kupfer, Zink oder Blei. Der zukünftige Bedarf, und wäre er noch so hoch, scheint damit für alle Zeiten gedeckt zu sein. Leider kommt Titan bzw. Titanoxyd nie allein für sich vor,' sondern ist stets mit anderen Stoffen gemischt. Vor dem Abbau isi also zu prüfen, ob der Gehalt an Titan innerhalb des Minerals der Fundstelle auch groß genug ist, daß sich die außerordentlich teure Verhüttung lohnt. Zwei Mineralien vor allem sind es, in denen das Titan vorkommt, der Ilmenit und der Rutil. In beiden ist das Titanoxyd mit Eisenoxyden vergesellschaftet. Am Strande der Meeresbucht von Maravala Kurichi in Indien zeigt der helle Seesand dort, wo die Strandkrabben ihre Schlupflöcher gegraben haben, dunkle Stellen. Wer hier mit der Hand nur wenige Zentimeter tief gräbt, stößt auf eine schwarze, sandähnliche Erde, die sich bis in große Tiefen und viele Quadratkilometer weit erstreckt. Es ist eine der reichsten Titanlagerstätten der Welt. Noch während des Zweiten Weltkrieges betrug die jährliche Fördermenge an dieser Stelle 8
Ein Asbestanzug schützt den Vorarbeiter, der mit einem optischen Thermometer die Temperatur mißt
mehr als 100 000 Tonnen Ilmenit. Weitere große Ilmenitlager finden sich in Sogndal in Norwegen, in Caldiwell auf den Nordkarolinen, an vereinzelten Stellen in Brasilien und in den „schwarzen Sanden" von Ägypten und der Elfenbeinküste, sowie im Senegalgebiet. Das Mineral Rutil wird vornehmlich auf der norwegischen Insel Kragerö, in Afrika im Kamerungebiet und in Amerika im Staate Virginia, in letzter Zeit auch in Australien abgebaut. Im Gemisch mit Eisenerzen wird das Titanmineral in den Vereinigten Staaten in den Mount Adirondacks im Staate New York in Form von Erzbrocken geschürft. Bis etwa zum Ausgang des Zweiten Weltkrieges sind das die Hauptfundstätten gewesen, x
Wozu Titan bisher benutzt wurde Obwohl es auf der Erde genügende Mengen von Titanverbindungen gibt, hielt sich bis vor kurzem die technische Anwendung 9
des Metalls in bescheidenen Grenzen. Jährlich wurden etwa 800 000 Tonnen Titanmineralien verarbeitet, in der Hauptsache zu dem sogenannten Titanweiß, einer Malerfarbe, die im Gegensatz zum Bleiweiß ungiftig und noch leuchtender und deckfähiger ist. Titanverbindungen wurden und werden auch in der Porzellanmalerei verwendet, um ein strahlendes Gelb zu erzielen. Gerbsaures Titan dient als Aquarellfarbe, Titanchloride und Titansäure verwertet man in der Färberei, besonders bei Lederfärbungen. Emaillierungen bleiben mit Titanoxydzusätzen besonders haftfähig und geschmeidig. Geringe Titanzusätze dienen dazu, Stahl zu veredeln oder Papier besonders weiß zu machen. Zu den Abnehmern der Titanoxydwerke gehören auch Betriebe der Linoleum-, Wachstuch- und Kautschukindustrie, und auch in der Schönheitspflege ist Titanweiß nicht unbekannt; hier findet man es in Schminken und Pudern. Damit war bis vor wenigen Jahren die technische Verwertbarkeit des Titans, oder richtiger der Titanverbindungen, erschöpft. In den Lehrbüchern fand man das Metall an mehr oder weniger versteckter Stelle und nahm nur so nebenbei und oberflächlich von seiner Existenz Kenntnis. In der großen chemischen und technischen Praxis aber schlief es einen mehr als hundertjährigen Dornröschenschlaf und verdiente eigentlich kaum seinen titanischen Namen. Eines Tages aber änderte sich das mit einem Schlag, fast von heute auf morgen. Bald nach dem Abschluß des Zweiten Weltkrieges wurde das Titan zu höheren Aufgaben berufen. Der Anstoß hierzu kam von der Fliegerei.
Auch Metalle können „müde" werden Immer rascher war die Technik in den letzten Jahrzehnten fortgeschritten. Immer schneller wurden die Flugzeuge, immer leistungsfähiger ihre Motoren. Von J a h r zu Jahr kam man der „Schallmauer" näher, jener Geschwindigkeitsgrenze, an der die Schnelligkeit des Schalls — 333 Meter in der Sekunde oder 1200 Kilometer in der Stunde — erreicht sein würde. Die bisher zum Antrieb dienenden Propeller mußten hier versagen; auch die Kolbenmotoren reichten nicht mehr aus, wenn die Flugzeuge mit Schallgeschwindigkeit fliegen oder sie überbieten sollten. Bückstoßmotoren, Strahlturbinen nach dem Raketenprinzip, traten allmählich an die Stelle der alten Motoren. Auch die Flughöhe ver10
änderte sich; denn die Strahlturbinen arbeiten am besten und wirtschaftlichsten in dünnerer Luft. Die dünne Luft in großen Höhen hat zudem den Vorteil der geringeren Reibung des Flugzeugs an der Luft selbst, was wieder der Geschwindigkeit zugute kommt. Wenn heute bei entsprechender Konstruktion ein bestimmtes Flugzeug am günstigsten in 12 000 Meter Höhe fliegt, so würde es beim Fliegen in 8000 Meter acht Prozent Brennstoff mehr verbrauchen. Eine ,,DC 8" müßte bei dieser niedrigen Flughöhe bei einem einzigen Transatlantikflug auf etwa 40 zahlende Passagiere verzichten. Um rentabel zu bleiben, empfahl es sich also, die Luftwege in der Stratosphäre zu suchen. Stratosphärenflüge aber haben einen großen Nachteil: Dort oben ist die Luft so dünn, daß ein Mensch ungeschützt da nicht mehr leben kann. Der Sauerstoff reicht zum Atmen nicht mehr aus, und der Luftdruck ist so gering, daß es schon innerhalb von Sekunden zu schwersten körperlichen Schäden käme. In der ersten Zeit wurden deshalb die Piloten und Fluggäste mit Sauerstoffgeräten ausgerüstet, die auf die Dauer aber recht störend waren. Man begann das ganze Flugzeug luftdicht abzuschließen und die für den menschlichen Aufenthalt bestimmten Räume soweit unter Überdruck zu halten, als ob sich die Insassen zu ebener Erde befänden. Der Überdruck im Innern verlangt viel stärkere Kabinenwände, die Maschinen hätten viel schwerer werden müssen. Es ergab sich für die Konstrukteure die Aufgabe, trotz der steigenden Geschwindigkeiten und Flughöhen das Gewicht der Flugzeuge möglichst niedrig zu halten. Im Jahre 1950 überraschten die de Havilland-Flugzeugwerke die Welt mit einem Passagiergroßflugzeug, das mit seinen vier Rolls-Royce-Ra-26-Avon-Strahlturbinen in 12 000 Meter Höhe Geschwindigkeiten erzielte, wie sie bisher noch von keinem anderen Modell erzielt worden waren. Der Typ erhielt die Bezeichnung Comet 1. Dann aber ereigneten sich immer häufiger jene alarmierenden Unglücksfälle mit strahlgetriebenen Flugzeugen, und ihre Hersteller wurden vor ein scheinbar unlösbares Rätsel gestellt. Im Koreafeldzug stürzten mindestens neun Düsenjäger ohne jede erkennbare Ursache ab, ein Jagdbomber explodierte schon nach einem halben Dutzend Flügen in der Luft, mehrere englische Maschinen platzten in großer Höhe. Der zivile Luftverkehr blieb von ähnlichen Katastrophen keineswegs verschont; die schnell fliegende Comet wurde das erste zivile Opfer. Vier dieser G r o ß flugzeuge verunglückten innerhalb von vier Jahren nach der I n 11
dienststellung, und jedesmal kamen Menschen ums Leben. Einige Maschinen blieben völlig verschollen, und man wußte nicht einmal, wo sie von dem Verhängnis betroffen worden waren. Am 10. Januar 1954 ereignete sich ein neuer schwerer Unfall. Eine Comet 1 startete an diesem Tage von Rom in Richtung London. Zwanzig Minuten nach dem Aufstieg versuchte der Pilot auf dem Funkweg eine Positionsmeldung an seinen Abflughafen durchzugehen. Aber schon nach dem dritten Wort der Meldung schwieg der Empfangsapparat. Das Flugzeug kam nie in London an. Aus der Zeit, die zwischen dem Abflug und dem Empfang der Funkmeldung vergangen war, ließ sich errechnen, daß sich die Maschine in der Gegend über der Insel Elba befunden haben mußte. Nachforschungen auf Elba ergaben, daß ein Fischer einen lauten Explosionsknall gehört und bald darauf einen brennenden Gegenstand wie einen Kometen ins Meer hatte stürzen sehen. Weitere Nachforschungen blieben ohne Ergebnis. Als aber ein Vierteljahr später wieder eine Comet, diesmal in der Nähe von Neapel, verschwand, konnten es die Fluggesellschaften nicht mehr länger verantworten, die Cometmaschinen weiterhin im Verkehr zu lassen; sie wurden zurückgezogen und durch andere Typen ersetzt. Wenn man die Comet und andere strahlgetriebene Maschinen weiterverwenden wollte, mußte zunächst einmal die Ursache all dieser Katastrophen geklärt werden. Die Tatsache, daß alle Unfälle urplötzlich eingetreten waren, so plötzlich, daß nicht einmal mehr ein Funkspruch durchgegeben werden konnte, erschwerte die Nachforschungen. Nur in einem einzigen Fall kannte man ungefähr den Ort der Explosion, es war die Unfallstelle in der Nähe der Insel Elba. Schiffe wurden an Ort und Stelle entsandt, um die Trümmer der Unglücksmaschine im Meere zu suchen, sie zu heben und an Land zu bringen. Das Meer ist an dieser Stelle 120 Meter tief. Taucher mußten in dieser Tiefe versagen, zumal ein Gebiet von zehn mal zehn Kilometern abzusuchen war. Eine neue Erfindung sollte hier weiterhelfen, eine Unterwasserfernsehanlage. Das Fernsehgerät wurde mit Scheinwerfern gekoppelt und auf eine Art Schlitten montiert. Dann ließ man die Anlage bis auf den Meeresgrund hinab, und das englische Suchschiff „Wakeful" schleppte sie in langsamster Fahrt Streifen für Streifen über den Meeresboden. An Bord des Schiffes saßen die Ingenieure vor dem Fernsehschirm und beobachteten auf der Glasscheibe den 120 Meter unter dem Schiffskiel vorbeigleitenden Meeresboden. Tatsächlich 12
Blick tn die großzügig ausgestattete Halle mit den Schmelzöfen
entdeckte man die weit auseinanderliegenden Teile des Flugzeugwracks. Man holte sie mit Netzen und Greifern, die mit Hilfe der Fernsehapparatur von oben her gesteuert wurden, in mühevoller Arbeit an Deck. Zuletzt waren zwei Drittel aller Flugzeugteile auf diese Weise in monatelanger Arbeit vom Meeresgrund geborgen. Kurze Zeit später begann in den Fabrikräumen der de HavillandWerke in England der Zusammenbau der Bruchstücke. Mehrere Monate suchte ein Kommission von Fachleuten aus dem Zustand der Flugzeugüberreste den Hergang der Katastrophe zu erschließen. Sie entdeckten, daß die Außenhaut des Rumpfes ziemlich dicht hinter den Pilotensitzen im oberen Teil geplatzt war. In Sekundenschnelle mußten die jetzt freibeweglichen Seitenteile durch den gewaltigen Luftzug nach hinten gegen die Tragflächen geschleudert worden sein. Die Tragflächen brachen, das Leitwerk zerbarst und Brennstoffbehälter wurden leck geschlagen. * Das Benzin geriet in Brand, und das Feuer erfaßte das Mittelteil mit 13
dem Fahrwerk. Dann stürzte alles wie ein glühender Ball 13 000 Meter tief auf die Meeresoberfläche nieder und versank. Es gab keinen Zweifel, so mußte sich das Unglück ereignet haben. Aber wie konnte es geschehen, daß die festgefügten Duraluminiumplatten der Außenhaut zerplatzten, ohne daß ein Eingriff von außen erfolgt war? Mit einem Gesamtkostenaufwand von mehr als zwei Millionen Pfund Sterling ging die Kommission an die Erforschung der eigentlichen und letzten Katastrophenursache. Eine der noch vorhandenen Maschinen wurde in ein riesiges Wasserbassin getaucht, Teil um Teil prüfte man die Druckverhältnisse zwischen dem Flugzeuginnenraum und der Umgebung, die aus Wasser bestand. Modellversuche im Windkanal folgten. Alle nur denkbaren Möglichkeiten des Unfalls wurden mit äußerster Gewissenhaftigkeit und in sorgfältiger Kleinarbeit gewissenhaft untersucht. Eine Ursache nach der anderen schied aus dem Kreis der Betrachtungen aus. Schließlich blieb nur eine Möglichkeit übrig, ja sie wurde zur Gewißheit. Niemand hatte bisher daran denken können: Das Duraluminium war durch „Übermüdung" zerrissen worden. Wird ein Metallgegenstand ständig wiederkehrenden, wenn auch nur schwachen Belastungen ausgesetzt, so vermindert sich allmählich seine Widerstandskraft. Auch die ursprünglichen Metalleigenschaften, Härte, Dehnbarkeit, Druck- und Zugfestigkeit, verändern sich. Geringfügige Ursachen genügen dann, um einen völligen Bruch herbeizuführen. Biegen wir ein Eisenblech genügend oft hin und her, so halten wir schließlich zwei Teile mit faserigen ßruchrändern in den Händen. Die letzten Ursachen einer solchen Metallermüdung sind wohl noch nicht restlos erforscht. Daß es aber überhaupt ein solches „Müdewerden" gibt, daran zweifelt .heute niemand mehr. Man erinnert sich der gefürchteten Zinnpest, des Schreckens der Museumsdirektoren, einer Erscheinung, bei der ohne ersichtlichen Grund wertvolle alte Zinnfiguren, Zinnkrüge oder Zinnteller wie Zunder zu bröckeln beginnen oder bei der geringsten Erschütterung zu Staub zerfallen; lag nicht auch beim Zinn eine solche Ermüdungserscheinung vor? Und wenn schon im ruhenden Zustand so verheerende Veränderungen an einem Metall vorkommen — wieviel mehr mußte mit ihnen gerechnet werden, wenn ein Metallblech im unvorstellbar scharfen Fahrwind eines modernen Überschallflugzeugs wie eine flatternde Fahne ständig Schwingungen ausgesetzt ist, auch wenn sie noch so klein und für das Auge kaum wahrnehmbar sind! Tritt dann noch ein Überdruck im Flugzeugrumpf von mehr als 14
einer halben Atmosphäre und die Vibration der starken Antriebswerke hinzu, so kann man verstehen, daß bei der geringsten zusätzlichen Belastung die Grenze der Haltbarkeit plötzlich überschritten wird und Risse auftreten, die bei der hohen Fluggeschwindigkeit in Bruchteilen von Sekunden das Ende herbeiführen müssen. Wie konnte ein solches Ereignis in Zukunft verhütet werden? Es lag nahe, alle Metallteile, die derartigen Beanspruchungen ausgesetzt waren, also die gesamte Außenhaut des Flugzeugrumpfes und der Tragflächen, erheblich zu verstärken. Dickere Bleche aber vergrößern das Gewicht einer Maschine, die Nutzlast verringert sich entsprechend, und die Rentabilität der Flugzeuge wird in Frage gestellt. Und doch — mußte man diese Nachteile nicht in Kauf nehmen, da über allen anderen Gesichtspunkten die Zuverlässigkeit und Sicherheit des Verkehrs steht?
Flugzeuge brauchen Titan Gab es wirklich keinen anderen Ausweg aus diesen Schwierigkeiten?, so fragten sich die Konstrukteure der neuen Comet und mit ihnen die Flugzeughersteller in aller Welt. Sollte es nicht vielleicht doch ein anderes Metall oder eine Legierung geben, die weniger unter Ermüdungserscheinungen zu leiden hat als das Duraluminium und seine Abarten, die man bisher verwendet hatte? Suchend ließ man die Blicke über die Tabellen der bekannten Metalle und über die Spalten des „Periodischen Systems der Elemente" gleiten und verglich die Eigenschaften der in Betracht kommenden Elemente untereinander. Sicherheit bot natürlich Stahl; Stahl war jedoch für ein Flugzeug viel zu schwer! Aber da fand man in der Tabelle noch ein Element aufgeführt, das bisher von den Flugzeugkonstrukteuren wenig beachtet worden war: das Titan. Voller Energie beschäftigten sich die Fachleute mit seinen Eigenschaften, und es erwies sich, daß die Prüfung doch eigentlich recht günstig ausfiel. Sollte das Titan berufen sein, aus seinem Dornröschenschlaf zu erwachen und endlich seinem titanischen Namen Ehre zu machen? Seit langem wußte man, daß dieses Element nur halb so schwer war wie Stahl, daß seine Haltbarkeit mindestens ebenso groß war und Stahl in heißem Zustand sogar übertraf, daß Titan nur wenig schwerer war als Aluminium, aber unvergleichbar fester, daß es ebensowenig rostete wie Edelstahl und eine ganze Reihe 15
weiterer beachtenswerter Vorzüge besaß. Versuche mußten weiterhelfen, Versuche, die auf die Beständigkeit des Titans gegen Ermüdungserscheinungen zielten. Erstaunt erkannte man, daß dieses ebenso altbekannte wie neue Element nicht nur dem Aluminium, sondern selbst dem allerbesten Stahl an Beständigkeit bei weitem überlegen war. Es vereinigte in sich alle für den Flugzeugbau wünschenswerten Eigenschaften, es besaß die Vorzüge des festen Stahles und des leichten Aluminiums. Es schien geradezu darauf gewartet zu haben, daß es für Flugmaschinen aller Art eingesetzt würde. Und nicht geringer schienen seine Vorteile für den Schiffs- und Turbinenbau und den Bau von Kraftfahrzeugen, Eisenbahnwagen oder Eisenbahnschienen zu sein. Die Versuchsergebnisse blieben nicht auf dem Papier stehen. Im Jahre 1952 verließen erstmals aus Titan hergestellte Teile von Flugzeugen die Fabriken. Aber schon dachte man weiter. Mußte es überhaupt reines Titan sein, das man verwendete? Hatte man nicht die Erfahrung gemacht, daß man durch Vereinigung verschiedener Metalle, durch ihre Legierung, noch bessere Eigenschaften erreichen konnte, als sie das reine Metall selber besaß? Schon seit Jahren hatte man aus Eisen oder Aluminium durch geringe Zusätze anderer Metalle Werkstoffe geschaffen, die das Reinmetall an Qualität bei weitem übertrafen. Das große Experimentieren mit Titanlegierungen setzte ein. Heute ist ihre Erforschung voll im Gange, und es besteht begründete Hoffnung, auf diesem Wege einen Werkstoff zu gewinnen, der in der Zukunft bahnbrechend werden kann, zumal man inzwischen auch im Abbau und in der Verarbeitung von Titan ein gutes Stück vorangekommen ist. ' _
Amerika und das Eisenerz Der Zweite Weltkrieg hatte auch in den Vereinigten Staaten gewaltig an den Eisenerzlagern gezehrt. In absehbarer Zeit mußte mit der Erschöpfung der bisherigen Fundstellen gerechnet werden. Erzlager, auf die man an sich hätte zurückgreifen können, lagen viel zu weit von den Zentren der Hüttenindustrie entfernt. Man begann nach Eisenerzlagerstätten Ausschau zu halten, die günstiger gelegen waren und die mit möglichst geringem Transportaufwand ausgebeutet werden konnten. Bis kurz vor dem Zweiten Weltkriege befanden sich in den Vereinigten Staaten die Haupterzfundstellen, in denen Eisenerz und 16
Aus (lern Sauerstoff-Titan (Titanoxyd) wird durch Entzug des Sauerstoffs reines Titan in Gestalt von Titanschwamm. Das Schmelzen des Schwamms geschieht mit Hilfe eines Lichtbogens unter Luft-, d. h. Sauerstoffabschluß. Statt Luft enthält der Schmelzkessel das Edelgas Argon
auch Titanerz gefunden werden, in den Mounts Adirondacks im Norden des Staates New York, südlich des St. Lorenzstromes. Das herausgesprengte Mineral wurde hier nur grob zerkleinert und gemahlen und gelangte dann auf dem gewaltigen Strom zu den Hüttenwerken. Aber das alles reichte für die immer hungrigen Hochöfen der Stahlindustrie bei weitem nicht mehr aus, und die Hütten in Buffalo, Pittsburg, Gleveland, Detroit, Toledo und Chikago verlangten immer • heftiger nach neuen Erzquellen. Da erinnerten sich die Geologen an die Erzfunde, die schon um die Jahrhundertwende am Allard-See in der Provinz Quebec gemacht worden waren, und vor allem an die Funde, die im Jahre 1936 durch Zufall zutage gekommen waren, und zwar in einer der 17
gottverlassensten Gegenden der Welt, im äußersten Nordosten von Kanada, in Labrador.
Das Land, das Gott dem Kain gab Die Halbinsel Labrador ist,' wie man heute weiß, jener Teil Nordamerikas, der als erster Landstrich der Neuen Welt von Europäern entdeckt worden ist. Es ist bekannt, daß vor etwa 1000 Jahren die in Grönland siedelnden Wikinger aus Mangel an Bauholz nach Westen gesegelt und an der Küste des heutigen Kanada an Land gegangen sind. Hier fanden sie das gesuchte Holz in Hülle und Fülle und dazu große Mengen von Fischen und Pelztieren; aber die Ureinwohner des Landes, Indianer und Eskimos, töteten die wagemutigen Seefahrer bis auf den letzten Mann. Als 600 Jahre später, in der Zeit nach Kolumbus, große Teile der nordamerikanischen Küste entdeckt waren, begann die Suche nach einem Seeweg, der quer durch den Kontinent nach Indien, China und den Gewürzinseln führen sollte. Im Jahre 1535 glaubte der französische Seefahrer Jacques Cartier in dem gewaltigen St. Lorenzstrom diese Durchfahrt gefunden zu haben und fuhr in die golfbreite Mündung des Flusses ein. Zu seiner Rechten lag eine felsige, zerrissene und mit dunklem Urwald bestandene Küste, die er pflichtgemäß für Frankreich in Besitz nahm, von der er aber zugleich an seinen König schrieb, daß sie wohl das Land darstelle, das „Gott dem K a i n " gegeben habe. Auch die nachfolgenden Expeditionen interessierten sich nicht sonderlich für das neue Land, das den Namen Labrador erhalten hatte. Erst viel später siedelten sich die ersten Weißen hier an, blieben aber an der Küste und überließen das Innere des Landes den Pelzjägern, den Rothäuten und Eskimos. Sehr groß wurde das Interesse an der Halbinsel auch später nicht. Ihre Umrisse hatte man allmählich erforscht; und es stellte sich heraus, daß Labrador so groß wie halb Europa war. Das Land, auf die Karte Europas übertragen, würde von Stockholm bis nach Venedig und Genua und in der Ostwestrichtung von Paris bis weit hinter Warschau reichen. Das Innere blieb bis in die neueste Zeit fast unbekannt, es gab keine zuverlässigen Karten. Labrador gehörte zwar politisch zu Kanada, doch wußten bis vor fünfzehn Jahren nur die wenigsten Kanadier, daß diese große Halbinsel ein Teil ihres eigenen Landes sei. 18
Im Herzen des Nichts Es war im Jahre 1936, als einer der wenigen Indianerhäuptlinge, die an der Südküste von Labrador ansässig waren, Mathieu Andre, eine Jagdexpedition in das Innere des Landes unternahm. Bei seiner Rückkehr brachte er neben einer reichen Ausbeute an Fellen aller Art einen sonderbar aussehenden schweren Stein mit. Aut vielen Umwegen gelangte der Stein in die Hände eines Geologen, der den Fund chemisch analysieren ließ. Das Ergebnis wirkte im wahrsten Sinne des Wortes alarmierend. Der Stein enthielt über 60 Prozent reines Eisen, der Rest bestand größtenteils aus dem Titanmineral Ilmenit. Aber wen interessierte damals schon Titan? Die Eisenprobe allein veranlaßte die Regierung, eine Gruppe von Geologen an die Fundstelle zu entsenden. Bereitwillig führte Andre die Wissenschaftler dorthin. Es war ein mühsamer Fußmarsch über 600 Kilometer unwegsamsten Geländes bis an den Nordrand des hochstämmigen Waldes, wo die spärlich bewachsene Tundra und die Arktis beginnen. Hier im tiefsten Inneren der Halbinsel Labrador, in einer Gegend, die von den Indianern treffend „Mitte des Nichts" genannt wird, standen die Männer fassungslos vor einem Erzberg, der nach einer ersten groben Schätzung mindestens 500 Millionen Tonnen Eisenerz enthielt. Das Erz lag offen zutage, hier und dort lediglich von einer dünnen Moosschicht bedeckt. Keinerlei Tiefbohrung, kein Untertagebau war erforderlich, um das Erz zu gewinnen, man brauchte es nur abzusprengen und abzufahren. Die Ausdehnung dieses einen Blocks erstreckte sich über zwanzig mal zwanzig Kilometer. Man entdeckte weitere Fundstellen, zum Teil Hunderte von Kilometern hinauf nach Norden, bis an die nördlichste Küste der Halbinsel. Die Menge des lagernden Eisens ließ sich überhaupt nicht mehr abschätzen. Und immer wieder zeigten die Erzproben, daß auch das Titanerz Ilmenit hier zu finden war. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte zunächst die Ausnützung der Schätze. Lediglich die Bauxitvorkommen am Lake St. John nördlich von Quebec wurden für den Aluminiumbedarf der Flugzeugwerke erschlossen.
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Die Erforschung Labradors Erst nach Beendigung des Krieges konnte an eine Auswertung, der Erze Labradors gedacht werden. Man hatte sie beinahe schon wieder vergessen. Als aber die Erzverknappung einsetzte, erinnerte man sich wieder an Labrador und sein Erz. Die Hauptfundstellen lagen am Knob Lake. Für den Transport durch diese sechshundert Kilometer Wildnis, die bisher kaum ein Weißer betreten hatte, konnte nur die Eisenbahn in Frage kommen. Aber wie und wo sollte man sie bauen? Man wußte es nicht, es gab noch immer keine brauchbaren Karten des Landes. Ein großes Aufgebot von Landmessern übernahm es, von der ganzen Halbinsel in kürzester Zeit zuverlässige Karten anzufertigen. Nach dem Verfahren der Photogrammetrie entstanden Photoaufnahmen aus der Luft. Wochenlang flogen die Maschinen Stück um Stück das große Land ab, bis man die Gesamtheit L a bradors lückenlos erfaßt hatte. Wo die Luftaufnahmen nicht ausreichten, wurden von Flugzeugen Geometer abgesetzt, um Festpunkte auf der Erde zu vermessen und sie mit dem Luftbild in Einklang zu bringen. Auf den Meßflügen entdeckten die Piloten große Flüsse, die vorher unbekannt gewesen waren. Vor allem überraschte der Hamilton River, ein Fluß, der aus den Menihik-Seen in der Nähe des Knob-Sees entspringt; nach wenigen hundert Kilometern ergießt er sich in einer engen Schlucht in einen Wasserfall, der mit 95 Meter Fallhöhe mehr als doppelt so hoch ist wie der Niagarafall. Die „Grand Falls" boten einen überwältigenden Anblick, ihre Wasserkraft wurde auf 5 Millionen PS geschätzt. Die Kundschafter entdeckten noch drei weitere Fälle des Hamilton mit einer errechneten Gewalt von 1,5 Millionen PS. Man triumphierte: Dieser eine Fluß allein konnte ganz Kanada nach seinem heutigen Verbrauch mit elektrischer Energie versorgen, sofern es gelänge, die Wasserkräfte auszubauen. Ein weiteres Ergebnis der ersten kartographischen und geologischen Durchforschung Labradors fand kaum weniger Beachtung. Fünfzig Kilometer von der Küste entfernt waren besonders reichhaltige Ilmenitlagerstätten gefunden worden, und auch hier lag das Erz offen zutage und wartete nur auf den Abtransport. Da den Fachleuten seit 1940 bereits ein vorteilhaftes Verhüttungsverfahren vertraut war, wurde gleich nach Beendigung der Vermessung Labradors eine Eisenbahnlinie bis zur Fundstelle gebaut. Die anderen Ilmenitlagerstätten lagen zu weit im Landes20
Die Titanbahn zwischen St. Pierre am St.-Lorenz-Golf und dem Tio-See befördert nicht nur Erz und Hergbaugeräte, sondern auch Lastwagen, die im Landesinnern gebraucht werden
innern, als daß man vorerst an einen Eisenbahnbau dorthin denken konnte; zu dem Eisenerzlager am Knobsee mit seinen großen Vorräten an Ilmenit waren es ja immerhin 600 Kilometer! Man hielt sich zunächst also an das küstennächste Lager, zumal es besonders konzentriertes Titanerz versprach. Hier lagen neben einem See, der nach der chemischen Bezeichnung des Titanoxyds den INamen Tio-See erhielt, mindestens 200 Millionen Tonnen Erz. Ausgangspunkt der Bahn war das Fischerdörfchen St. Pierre. Von dort zog sich der Schienenstrang durch schwierigstes Gelände landein, durchbrach in einem kühnen Tunnelbau ein Bergmassiv und überquerte mit großen Brücken reißende Flüsse und tiefe Schluchten. In St. Pierre kippte man das Erz in die großen Frachtschiffe, die es den St. Lorenzstrom aufwärts 21
bis nach Sorel, zwischen Quebec und Montreal, brachten. Dort war noch während des Eisenbahnbaus ein Titanhüttenwerk uus dem Boden gewachsen, dessen Bau 140 Millionen Mark verschlungen hatte. 1950 begann das W e r k mit der Arbeit. Am Tio-See schürften die Bagger und surrten die Bohrmaschinen. Wo Jahrmillionen lang nur der W i n d in den Kronen der Urwaldbäume gerauscht hatte, zerrissen die Explosionen der Dynamitpatronen die Ruhe der abgeschiedenen Landschaft. Unter dem Knattern der Motoren und dem Fauchen der Eisenbahn verfrachtete man das wertvolle Gut an die Küste, wo aus dem kleinen Fischerdorf St. Pierre allmählich eine Stadt wurde, mit einer großzügigen Hafenanlage für die Erzschiffe. Im ersten Jahr des Betriebes produzierte das Hüttenwerk von Sorel nur 7200 Tonnen Titanoxyd, zwei Jahre später war die Produktion bereits auf 250 000 Tonnen angewachsen; als Nebengewinn fielen 150 000 Tonnen Eisen an.
Eine Erzbahn über 600 Kilometer Das Eisen von Sorel wanderte weiter in die Hochöfen von Pittsburg und der anderen Hüttenwerke — ein Brosamen, gemessen am Bedarf der nordamerikanischen Stahlindustrie. So entschloß man sich, auch die zweite Eisenbahnlinie Labradors in Angriff zu nehmen, mit der Endstation am Knobsee, im Herzen des Nichts. Nach den Karten, die nun vorlagen, und nach örtlichen Erkundungen wurde die Bahnlinie im Gelände festgelegt. Die Amerikaner gingen mit einem ungeheuren Tempo auch an den Bau dieses Schienenweges. Im Frühjahr 1951 erlebte das Fischerdorf Seven Islands an der Südküste von Labrador eine wahre Invasion von Geologen, Ingenieuren, Technikern, Arbeitern. Hier sollte die künftige Erzbahn beginnen. Unwegsamstes Gelände, Urwald, Moore, Felsen und tief eingeschnittene Flußtäler, war zu überwinden. Flugzeuge setzten irgendwo unterwegs Vermessungstrupps und Arbeiterkolonnen in der Wildnis ab. Wo immer ein See oder ein Fluß Landemöglichkeiten für Wasserflugzeuge bot, entstanden längs der geplanten Bahnlinie Zeltdörfer und wenig später Block-* haussiedlungen. Am Zielpunkt der Strecke, am Knobsee, erbauten sich die Bergleute, die den Erzabbau vorzubereiten hatten, eine neue Stadt, Burnt Creek. Als die letzten Häuser bezogen werden 22
sollten, entdeckte man, daß die Stadt auf einer für den Abbau besonders günstigen Stelle stand. Die Verwaltung besann sich nicht lange, hob die Häuser auf Schlittenkufen, fuhr ganz Burnt Creek einige Kilometer weiter und stellte alles wieder neu auf. An sieben Stellen zur gleichen Zeit setzte der Bahnhau ein. Wo der Urwald ebenes Gelände bildete, rodete und planierte man Landeschneisen, damit kleinere Flugzeuge zunächst einmal Menschen, Lebensmittel, Zelte und Werkzeug heranschaffen konnten. Die Landeschneisen weiteten sich zu Flugplätzen. Luftbrücken, wie sie die Welt bisher noch nicht erlebt hatte, schlugen ihre Bögen von den Häfen in den Urwald. Alles Material bis zum letzten Nagel wanderte durch die Luft zu den Baustellen. Gigantische Lastflugzeuge trugen Motorsägen, Planierraupen, Kipplastwagen, Sprengstoffe und Feldbahnen heran. Aus den gelandeten Luftfrachtern rollten riesige Baumaschinen, Bagger und Dieselmotorschaufeln. Was zum Transport zu groß war, wurde in Einzelteilen an die Arbeitsstätten geflogen, Stahl und Zement für den Bahnbau folgten. In jedem J a h r standen nur die vier kurzen Sommermonate zur Verfügung; in den langen arktischen Dunkelmonaten fiel alles in Winterschlaf. Und doch konnten nach drei Jahren die Schlußschwellen der 600-km-Strecke verlegt werden. Die Kosten betrugen 210 Millionen Mark für den Bahnbau und ebensoviel für den Lokomotiven- und Wagenpark. Im Herbst 1953 rollte der erste Zug von Seven Islands nach Burnt Creek, und seit dem Frühjahr 1954 laufen ununterbrochen die Erztransportc nach der Küste. Im Hafen von Seven Islands warten stündlich die Transportschiffe, die von den Hüttenwerken an den Ufern des Lorenzstromes und an den Gestaden der großen mittelamerikanischen Seenplatte kommen. Noch zwingen die Niagarafälle und Stromschnellen dazu, die Fracht noch einmal umzuladen, aber der Ausbau des Großschiffahrtsweges Ozean—Große Seen ist schon weit fortgeschritten. Drei Milliarden Mark sind in dieses gewaltige Unternehmen gesteckt, das es ermöglichen wird, mit Ozeanschiffen bis ins Herz des amerikani-i sehen Kontinents zu gelangen. Da das Eisenerz von Labrador Ilmenit enthält, das Ausgangsmateriat für die Titangewinnung, gelangte jetzt das verarbeitungswürdige Titanerz in die Werke der Industrie, wo das Kilogramm Ilmenit mit 30 Pfennig bezahlt wurde. Wenn trotzdem das Kilo reines Metall zur Zeit mehr als das Hundertfache kostet, so zeigt dieser Preisunterschied am deutlichsten an, mit welchen Unkosten die Verarbeitung des Titan23
erzes verbunden ist. Nicht nur die Maschinen und Apparate, die zur Verhüttung benötigt werden, verschlingen hohe Summen, sondern auch die enormen Mengen von elektrischem Strom, ohne die eine Verarbeitung von Ilmenit zu reinem Titan nicht möglich ist. Noch sind die riesigen Wasserkräfte Labradors nicht ausgenutzt. Ein einziges Kraftwerk zu 12 000 PS steht an den Ufern des Knobsees, aber sein Strom reicht gerade für die Bergwerkstadt Burnt Creek aus. Sollten die „Grand Falls" einmal zu modernen Großkraftwerken ausgebaut werden, dann könnte der Ilmenit fast am Ort der Stromerzeugung verhüttet werden, und der Preis des Titans würde soweit herabgesetzt, daß das W u n dermetall sich ebenso die Welt eroberte, wie es das Eisen und das Aluminium bisher getan haben. Noch ist es nicht so weit: denn allzu kompliziert ist immer noch der Weg vom Ilmenit und auch den anderen Erzarten zum Titan.
Vom Ilmenit zum Titan Gewiß hatte Hunter schon im Jahre 1910 reines Titanmetall hergestellt; aber es waren kleine Mengen; bei der Verhüttung im Großen steht der Hüttenmann vor ganz anderen Problemen. Es sind ähnliche Schwierigkeiten, wie sie sein Kollege vor genau 100 Jahren bei der Verhüttung von Bauxit zu Aluminium zu überwinden hatte. Aus dem Bauxit gewann man zunächst auf chemischem Wege reines Aluminiumoxyd. Diese Verbindung von Aluminium und Sauerstoff mußte man mit Kohlenstoff in einer Chlorgasatmosphäre erhitzen. Die Kohle riß den Sauerstoff des Aluminiumoxyds an sich und wurde zu Kohlenoxydgas, zugleich verband sich das Chlor mit dem Aluminium zu Aluminiumchlorid. Das Aluminiumchlorid behandelte man mit metallischem Natrium, das Natrium verband sich mit dem Chlor zu Kochsalz, ü b r i g blieb das Aluminium. Nicht weniger umständlich ist die moderne Gewinnung von Titan aus seinen Erzen, sie ist ein wahres Hexenkunststück. Das Patent des deutschen Chemikers Kroll aus dem Jahre 1939 liegt ihm zugrunde. Nach Kroll, der im Jahre 1940 in die Vereinigten Staaten emigrieren mußte, ist auch die am meisten benutzte Titangewinnungsanlage benannt. Schon die ersten Titanwerke der Welt arbeiteten nach diesem Krollschen Verfahren. Der eisenfarbige bis braunschwarze Ilmenit ist eine Verbin24
über Nacht wuchs am
St.-Lorenz-Strom die Hafenstadt Endpunkt der Labradorbahn
S
Pierre
auf,
düng von Titandioxyd und Eisenerz. Nicht dem Eisenerz eilt das vornehmliche Interesse des Titan-Hüttenfachmanns, sondern den, Titandioxyd, das für ihn die erste Stufe zur Gewinnung von reinem Titan darstellt. Zuerst muß also das Eisen entfern? werden. Diese Aufgabe übernimmt Schwefelsäure. Zerkleinert und ITe l ° d T d e f Bn-Tl[n, Sr°ße K e s s e l m i t ScheelnZ'Jt l A T, a " S - lch b l n d e t u n d d a s Titandioxvd übriglaßt Wie bei der Alumimumherstellung hilft nun reiner Kohlenstoff weiter, der dem Titandioxyd zugesetzt wird, über das Gemisch wird ein Strom von Chlorgas geblasen und das Ganze im elektrischen Ofen auf sehr hohe Temperaturen erhitzt. In diesem Zustand reißt der Kohlenstoff den Sauerstoff des Titandioxyds an sich. So wäre also das Ziel, reines Titan, erreicht? Nein „och ist es nicht so weit; denn das Chlorgas hat die GeÄ t r a c S r ^ r b Z i r
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Und hier setzt der geniale Gedanke Krolls ein. Wenn nämlich die weitere Behandlung des Titantetrachlorids nicht mit äußerster Sorgfalt vor sich geht, so wird das Titan bei noch höheren Hitzegraden gierig bestrebt sein, Sauerstoff seiner Umgebung, vor allem natürlich aus der Luft, wieder an sich zu binden, und man müßte wieder von vorn beginnen. Aber im allseits umschlossenen Krollofen, in dem alles Weitere vor sich geht, gibt es keinen Sauerstoff mehr; die Luft im Ofen ist durch das Edelgas Argon ersetzt worden, das als Edelgas keine chemischen Verbindungen eingeht. Unbehelligt vom Lviftsauerstoff wird dem Titantetrachlorid das Chlor entzogen, und was übrig bleibt ist endlich reines Titan. Beines Titan, gewiß — aber doch noch immer nicht so, wie man es braucht. Das Titan, das aus dem Ofen kommt, ist eine koksartige Masse, sogenannter Titanschwamm, den man nicht ohne weiteres glühendflüssig schmelzen und dann zu den gewünschten Formen erstarren lassen kann. Beim Schmelzen — bei 178Ü Grad — würde das Titan, das eben erst den Sauerstoff losgeworden ist, sich wieder mit Sauerstoff verbinden. Auch beim Schmelzen des Titanschwamms muß alles, was nach Sauerstoff aussieht, ferngehalten werden. Als Kroll den Titan-Prozeß so weit gebracht hatte, sah er sich mit einemmal vor einer neuen Schwierigkeit. Es gab nur wenige Stoffe, aus denen ein Schmelztiegel hergestellt werden konnte, der einer Schmelztemperatur von 1780 Grad gewachsen gewesen wäre. Man konnte an Molybdän denken, an Wolfram oder Platin, die alle einen höheren Schmelzpunkt als das Titan haben, und Tigel daraus ließen sich wohl herstellen. Aber alle diese Metalle hätten das schmelzende Titan verunreinigt und es damit seiner besten Eigenschaften beraubt. Es blieb nichts anderes übrig, als den Schmelztiegel kühl zu halten und den Erhitzungsvorgang durch einen elektrischen Lichtbogen vorzunehmen. Als Schmelzgefäß waren nun keine seltenen und teuren Metalle mehr erforderlich, sondern es genügte ein einfacher Kupferkessel mit doppelten Wänden. In den äußeren Hohlräumen läuft das Kühlwasser um. In den Kesselinnenraum wird der Titanschwamm eingefüllt und das Gefäß dicht verschlossen. Statt der Luft befindet sich wieder Argon in dem Behälter. Innen schmilzt ein Lichtbogen den Schwamm. Es ist tatsächlich reines, metallisches Titan, was man erhält. Das Krollsche Schmelzgefäß hat mindestens vier Kühlwasserstutzen, zwei elektrische Anschlußkabel, einen Nachfüllbehälter 26
für den Titanschwamm, einen durch Edelgas geschützten Ausfluß für das geschmolzene Titan, ferner Schaugläser und zahllose Reguiiervorrichtungen — es ist verständlich, daß ein derartiger Schmelzofen außerordenttlich kompliziert und daher auch sehr kostspielig ist. Es gibt noch eine zweite Möglichkeit, den koksartigen Titanschwamm in metallisches Titan zu überführen: durch sehr hohen Druck und gleichzeitig wirkende sehr hohe Temperaturen. Auch hier muß die Luft restlos aus dem Material und dem Arbeitsgefäß entfernt sein, eine Edelgaszuführung ist bei diesem Gerät nicht erforderlich. Der Titanschwamm wird einem starken Druck ausgesetzt, ein hydraulisch getriebener Stempel drückt mit einem Gewicht von 5 bis 10 Tonnen auf den Quadratzentimeter Oberfläche. Gleichzeitig wird das Ganze elektrisch auf ungefähr 1000 Grad erhitzt; dabei verschweißen die Metallkörner zu einem festen Metallblock, der nach der Abkühlung wie Eisenbarren weiterverarbeitet werden kann. Diese Methode wird vor allem in England verwendet, während das Verfahren nach Kroll in Amerika heimisch wurde. Beide Anlagen fressen unheimliche Mengen von elektrischem Strom, weil fast jeder der beschriebenen Verhüttungsvorgänge Elektrizität in überreichem Maße benötigt. Eine Verhüttung ist deshalb nur rentabel, wenn billiger Strom in genügender Menge zur Verfügung steht.
Der neue Werkstoff Endlich liegt das Titanmetall in fester Form vor. Die weitere Bearbeitung macht keinerlei Schwierigkeiten mehr, vorausgesetzt, daß das Titan keinen Temperaturen über 600 Grad ausgesetzt wird, weil es dann sofort wieder Sauerstoff aufnehmen würde. Man kann das Titan wie Eisen mit spanabhebenden Maschinen bearbeiten, kann es bohren, drehen und fräsen, walzen und ziehen und bei nicht zu hoher Erhitzung auch schmieden. Will man zwei Titanstücke miteinander verschweißen, so muß das in einer Argonatmosphäre unter Luftabschluß geschehen. In einer großen Trommel wird die Luft abgesaugt und durch Argongas ersetzt. In die Seitenwand der Trommel sind armlange Gummihandschuhe luftdicht eingearbeitet. Durch diese Handschuhe bringt der Schweißer seine Hände in das Trommelinnere und kann hier die elek27
Das zermalüene Ilmeniterz durchläuft, bevor es In den Schmelzofen wandert, große röhrenartige Trockner
trische Schweißung ausführen. Der Arbeiter überwacht von oben her durch Schaugläser den Schweißvorgang. Als Werkstoff erfreut sich das Titan in den letzten Jahren steigender Beliebtheit. Es kann aber auch zur Verbesserung der Eigenschaften anderer Metalle verwendet werden. Gibt man es in wohlberechneten Mengen in flüssigen Stahl, so reißt es den Sauerstoff, der sich noch in der Stahlschmelze befindet, an sich und schwimmt als Schlacke auf der Stahlschmelze. Schon IImenit genügt für diesen Zweck. Durch diese Methode erhält man einen blasenfreien Stahlguß von sehr großer Festigkeit. Bei Aluminium- und Magnesiumlegierungen bewirkt ein Titanzusatz eine beträchtliche Kornverfeinerung. Titanzusätze werden auch bei der Fabrikation von Edelstahlen verwendet, da sie mithelfen, die letzten Reste von Kohlenstoff daraus zu entfernen. Titan ist nämlich nicht nur sehr begierig 28
Amerikanisches Gasturninenauto: Teile der Turbinen und die Außenverkleidung sind aus Titan hergestellt
auf Sauerstoff, sondern ebenso sehr auf Kohlenstoff, der die Rostbeständigkeit eines Metalls verringert. Die so veredelten rostfreien Stähle behalten für alle Zeiten ihre wertvollen Eigenschaften. Die Kohlenstoffbegierigkeit des Titans — seine große „Affinität zum Kohlenstoff" — konnte auch in einer anderen Richtung ausgenützt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen verbindet sich Kohlenstoff mit fast allen Metallen und auch einigen Nichtmetallen, z. B. Silizium, zu den sogenannten Karbiden. Karbide sind viel härter als jeder der beiden Ausgangsstoffe für sich allein. Neben dem zur Fahrradbeleuchtung früher häufig verwendeten Calziumkarbid, das mit Wasser das brennbare Gas Azetylen liefert, sind vor allem die Wolframkarbide bekannt. Bohrer, die aus Wolframkarbid hergestellt werden, halten vierhundertmal länger als Stahlbohrer, sie sind so die geeigneten W e r k zeuge für den Abbau von Erzlagern oder als Gesteinsbohrer für Tunnelbauten. Noch härter aber ist Titankarbid. Es hält Temperaturen von weit über 1000 Grad aus, ohne seine guten Eigen29
Schäften zu verlieren, und es ist zudem um zwei Drittel leichter als Wolframkarbid. Titankarbid scheint das gegebene Material für Turbinenschaufeln in den modernen Düsenmotoren zu sein, deren Leistung erhöht werden könnte, wenn man, wie die Amerikaner es jetzt versuchen, Titankarbide hierfür verwendet. ,,Karbostähle", die vor allem aus einer Verbindung von Titan und Kohlenstoff bestehen, werden meist in Form kleiner Blättchen verwendet, die in die Schneidkanten von Werkzeugen eingelassen werden. Man stellt sie nicht durch Schmelzen her, sondern durch Versinterung — Verbacken der Körner bei hohen Temperaturen und starken Drücken.
Metall der Zukunft In neuester Zeit hat Titan auch in der Elektrotechnik Eingang gefunden, und hier hat es eine große Zukunft vor sich. Sein elektrischer Widerstand ist ebenso groß wie der des rostfreien Chromnickelstahles und ist dreiundzwanzigmal größer als bei einer Aluminium-Kupfer-Magnesium-Legierung. Gewisse Titanverbindungen stellen geradezu ideale Baustoffe für Kondensatoren dar, die bei gleicher Leistung etwa hundertmal kleiner gehalten werden können als die bisher üblichen Glimmerkondensatoren. Dieser Vorzug dürfte besonders in der Nachrichtentechnik einmal eine große Bedeutung erlangen. Konnten bisher schon vielfach die Elektronenröhren durch die nur wenige Millimeter großen Transistoren ersetzt werden, so zeichnen sich durch die Verwendung von Titan in anderen Apparateteilen und die damit verbundene Platz- und Gewichtsverringerung für die Zukunft geradezu revolutionierende Möglichkeiten ab. W i r können nicht auf all die zahlreichen anderen Anwendungsgebiete des Titans und seiner Legierungen eingehen; eine Eigenschaft des Titans soll aber noch erwähnt werden, die sich erst in letzter Zeit in der Atomtechnik ergeben hat. Wie das Metall Zirkon spielt es beim Bau von Kernreaktoren eine große Rolle, weil es ihre Leistungsfähigkeit erhöht. Titanatome erfahren selbst durch starken Neutronenbeschuß keine nennenswerten Veränderungen und behalten ihre metallischen und neutronenabstoßenden Eigenschaften sehr lange Zeit. Apparatteile aus Titan brauchen nicht so häufig ausgewechselt zu werden, der Betrieb der Kernreaktoren wird billiger. 30
Titan ist das Metall der Zukunft. Zwar ist es immer mißlieh, irgend etwas vorauszusagen. Beim Titan aber darf die Prophezeiung wohl gewagt werden, daß die Einführung dieses altbekannten und trotzdem neuen Metalls den Fortschritt der Technik mit hoher Wahrscheinlichkeit in noch ungeahnter Weise beflügeln wird.
Uinschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Feature, Zeichnungen nach Vorlagen des Verfassers: Hellmut Fuchs
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