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Fränzle • Markert • Wünschmann
Technische Umweltchemie Innovative Verfahren der Reinigung verschiedener Umweltkompartimente
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Fränzle • Markert • Wünschmann
Technische Umweltchemie Innovative Verfahren der Reinigung verschiedener Umweltkompartimente
WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA
Alle Bücher von Wiley-VCH werden sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren, Herausgeber und Verlag in keinem Fall, einschließlich des vorliegenden Werkes, für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler irgendeine Haftung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ¤ 2005 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche markiert sind. ISBN
978-3-527-32126-1
Vorwort Die Umweltchemie im engeren Sinne analysiert die Quellen, Transportvorgange und Senken sowie die sich daraus ergebende Verteilung von Chemikalien, ihre Reaktionen und Wirkungen in den Umweltkompartimenten Wasser, Boden (bzw. Sediment) und Luft. Damit verbunden sind Beeinflussungen von Lebewesen (Mensch, Tier, Pflanze, Mikroorganismus) und Gegenstanden (Bau- und Kunstwerke, Werkstoffe, u. a.). Auftretende Schadwirkungen sollen mit Hilfe und durch Einsatz von technischen Verfahren moglichst schon im Vorfeld vermieden oder aber moglichst gering gehalten werden. 1st ein Umweltausschnitt chemisch akut kontaminiert, miissen umwelttechnische Verfahren d a m beitragen, entsprechende Sanierungsmethoden bereitzustellen. Die Anwendung und Kombination aus ingenieurtechnologischen Verfahren und umweltchemischen Problemfeldern charakterisiert das Aufgabengebiet der Technischen Umweltchemie. Technische Umweltchemie ist somit ein hoch transdisziplinares Arbeits- und Wissenschaftsgebiet. Es zieht seine ursachlichen Grundlagen sowohl aus den Naturwissenschaften wie Chemie, Geologie, Physik, Biologie und Meteorologie, in gleichem MaBe aber aus den Ingenieurwissenschaften, die sich insbesondere auch durch ihre technisch ausgelegten Grundlagenfacher auszeichnen. Letztendlich greift Technische Umweltchemie auch immer iiber in die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, denn Sanierungstechniken und ein schonender Umgang mit der Umwelt kosten letztendlich Geld und die Gesellschaft muss in Zukunft noch vie1 mehr dariiber nachdenken und entscheiden, wie das Ziel der Nachhaltigkeit im Sinne der Ressourcenschonung und des sparsamen Umgangs mit diesen weiterhin verfolgt werden SOH.
Die chemisch-physikalische Belastung der Umwelt hat insbesondere in den letzten beiden Jahrhunderten, hervorgerufen durch eine rasante Entwicklung der Erdbevolkerung und den erheblichen Energie- und Ressourcenverbrauch, gigantische und kaum mehr beherrschbare AusmaRe angenommen. Der jahrliche Verbrauch von 9,s Mrd. t Olaquivalent entspricht 100 PWh (Petawattstunde = 1 Billion kWh) an Energie. Die Fordermenge fossiler Brennstoffe (2001/02)entspricht in etwa folgenden Kohlenstoffinhalten: Braun- und Steinkohle 4,l Gda, Erdol, Olsande usw. 2,85 Gda und Erdgas (ohne darin enthaltenes CO,) 1,3 Gda, also ca. 8,25 Gda. Ein kleiner Teil hiervon wird zu Chemikalien verarbeitet, ohne dass diese kurz- oder mittelfristig verbrannt werden. Die verbleibenden ca. 8-8,l Gt C/a entsprechen nach ihrer Verbrennung 29-30 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. ,,Netto" in die Atmosphare gelangen aber ,,nur" 6-6,5 Gt CO,/a. Ein groBer Teil (> 70 %) des Kohlendioxids wird durch Photosynthese wieder gebunden (daher die jahreszeitliche Schwankung der Konzentration), der Verbleib von 1,5-2 Gt COJa aber ist vollstandig unklar (,,Bilanzloch"). Der Eintrag an Stickoxiden kann mit etwa 100 Mio. da angesetzt werden, der von Schwefeldioxid liegt in ahnlicher GroRenordnung wie der letztere. Hinzu komrnt eine jahrliche substitutionslose Vernichtung tropischen Regenwaldes entsprechend etwa einer Flache der Schweiz. Zusammen mit dem unaufhaltsamen Bau von Megastadten und deren infrastruktureller verkehrstechnischer Vernetzung weltweit werden irreparable Schaden an natiirlicher Umwelt verursacht. Durch das Buch ,,Die Grenzen des Wachstums" von MEADOWS& MEADOWS (dt. 1972) riickten diese Fakten in das offentliche Bewusstsein. Kurz danach wurde die bis dahin als selbstverstandlich genommene
vorwort
freie, billige und quantitativ beliebige Verfugbarkeit fossiler Ressourcen erstmals (von den Hauptlieferanten) politisch gewollt in Frage gestellt (,,Olkrise" von 1973). Das so erzwungene Urndenken mundete spater in die Frage nach nachhaltigern Wirtschaften, nachdern bereits 1965 der ,,blaue Hirnmel uber der Ruhr" Bundestagswahlkarnpftherna geworden war. Von hier bis zur politischen Akzeptanz des Nachhaltigkeitsprinzips (Rio 1992) war es noch ein weiter Weg, zurnal viele inzwischen in internationale Konventionen und Regelwerke eingeflossene Einsichten damals noch gar nicht existierten: die ersten Arbeiten iiber Ozonabbau durch Photolyse von FCKW datieren von 1974175. Andere Erkenntnisse, etwa zurn Treibhauseffekt aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe (ARRHENIUS bereits 1896!), wurden zurnindest hinsichtlich ihrer quantitativen Auswirkungen in Zweifel gezogen. Dies hatte und hat zusammen rnit der Lobbytatigkeit interessierter Seiten zur Folge, dass der rnittlerweile weitgehend konsentierte urnweltpolitische Inhalt nicht oder nur verlangsarnt in praktische globalpolitisch wirkende Mafinahmen ubergeht. Ein Hindernis dabei ist die traditionelle Vorstellung einer ,,nachholenden Entwicklung" als Kopie der europaischen, nordamerikanischen und ostasiatischen Industrialisierung als Weg zu einern Wohlstandsniveau, auf das unter Gerechtigkeits- und Humanitatsaspekten jeder Mensch einen Anspruch hatte, deren Realisierung aber rnit begrenzter Ressourcennutzung und Urnweltbelastung nach derzeitigen Strategien kaum zu vereinbaren ware. Begriindet liegt diese Tatsache zunachst einmal in der vollkornrnen unsyrnmetrischen globalpolitischen Verteilung arrner und reicher Volker. Uber Urnwelt und ihre Gesundheit konnen sich erst dann ernsthafte Gedanken gemacht werden, wenn andere existenzielle Bediirfnisse wie Hunger, Arrnut und Krankheit nicht mehr im Vordergrund rnenschlicher Bediirfnisse stehen. Dies trifft fur einen Grofiteil der Welt-
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bevolkerung auch heute nicht zu. Ganze Kontinente wie Afrika sind Grofiteils vom Wohlstand der anderen abgekoppelt. Nur etwa eine von sechs Milliarden Menschen muss sich weniger Gedanken daruber machen, was sie wahrend Durreperioden oder strenger Winter an Nahrung und Verpflegung zur Verfiigung hat. Hinzu kommt, dass der immense globale Ressourcenverbrauch etwa an Erdiil und Erdgas aber gerade von diesern Wohlstand der ,,Goldenen Milliarde" hervorgerufen wird. Der tagliche Bruttoenergieverbrauch eines Durchschnittsarnerikaners iibersteigt dabei nicht selten das 5Ofache eines Schwarzafrikaners. Diese insbesondere in den letzten beiden Jahrhunderten gewachsene Situation scheint heute schier unaufloslich. Allerdings bietet gerade die informationstechnologische Zuganglichkeit von Wissen und Bildung n u n auch mehr und mehr fur bisher weniger privilegierte Staaten die Moglichkeit, ihre Ausbildungs- und Bildungsoptionen gewaltig zu erhohen, um sornit wesentlich selbststandiger Zugang zu ausreichender Ernahrung, Gesundheit und Arbeit zu erlangen.
Irn umwelttechnischen Bereich mochten wir durch unser Buch einen bescheidenen Beitrag zunachst im deutschsprachigen Raurn dazu leisten. Wir haben im ersten Abschnitt versucht, das zunachst noch junge Wissenschaftsgebiet der technischen Urnweltchernie zu definieren und in einen wissenschaftshistorischen Gesarntzusarnmenhang zu stellen, urn es trotz Transdisziplinaritat als eigenstandiges Wissenschaftsgebiet auszuweisen. Den transdisziplinaren Briickenschlag zwischen naturwissenschaftlicher Urnweltchernie und ingenieurwissenschaftlicher Technikwissenschaft haben wir dabei unter das Motto gestellt: Anthropogene Umwelteinfliisse verstehen und verandern. AnschlieiSend charakterisieren wir dann die Eigenschaften einzelner Umweltkompartimente wie Luft, Wasser und Boden urn hie-
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raus mogliche Reinigungs- und Uberwachungsoptionen ableiten zu konnen. Hierbei spielen auch ganz besonders verschiedene Gesichtspunkte moderner okotoxikologischer Betrachtungsweisen und verschiedenster chemischer Modellierungsverfahren eine Rolle, was schlussendlich zur Frage fiihrt was eigentlich ,,Abbau von Schadstoffen?" he&. Explizit werden nach Vorstellung der Umweltkornpartimente wesentlich erscheinende chemische Basiskonzepte besprochen, die neben klassischem Riistzeug wie Redoxpotenzialen, POURBAIXdiagrammen, Reaktionskinetiken, Hammett-Gleichung, Aktivierungsbarrieren, Katalyse und FlieBgleichgewichten auch Grundlagen der Photochemie bzw. Photokatalyse mit einschlieBt. Die Irnplikationen dieser chemischen Grundprinzipien fur die Prozessfiihrung umwelttechnologischer Verfahren und eine allgemeine Ubersicht iiber Verfahren der Technischen Umweltchemie runden den dritten Abschnitt ah. Im Abschnitt vier werden aus der Vielzahl von umweltchemischen Problemfeldern einige uns wesentlich erscheinende Fallstudien aufgegriffen, die dem Studenten und interessierten Leser derzeit aktuelle Sachzusammenhange problematisieren, aufarbeiten und einer moglichen umwelttechnologischen Losung zufiihren sollen. Wir mussten uns hier auf wenige Fallbeispiele beschranken und diese nahezu willkiirlich aus der Fiille der vorhandenen Problemfelder herausgreifen. Insofern diirfen diese Falle nur exemplarischen Charakter tragen. Allerdings erscheint uns der problemorientierte und anwendungsbezogene Ansatz eine fur Lehrende und Lernende entscheidende Konsequenz der Forderung nach transdisziplinarem Denken und Handeln, zu sein. Eine weitere Vertiefung und Ausweitung dieser Art des Lernens ware wiinschenswert und wir wiirden eine eigenstandige Abhandlung von ,,Weiteren Fallbeispielen aus der Technischen Umweltchemie" wiinschen.
Wir haben im gesamten Ihnen nun vorliegenden Buch tunlichst versucht, die jeweiligen Fachgebiete transdisziplinar zu behandeln, um sornit dem weitgehend zu beobachtenden Auseinander,,driften" von chemischen, umweltwissenschaftlichen und technologischen Wissenschaftsgebieten entgegenzuwirken. Dadurch ist sicherlich das Verstandnis einzelner Abschnitte bei oberflachlicher Betrachtung nicht einfacher geworden. Wir haben aber auch rnit unserer ,,Technixhen Umweltchemie" bewusst dem Leser keinen ,,einfachen", sondern vielmehr anspruchsvollen Einstieg in die Thematik geben wollen. Dies ist einfach der Tatsache geschuldet, dass die Gesamtthematik nicht simpel ist, sondern etliches an Spezialwissen aus unterschiedlichsten Teilgebieten vom Leser abfordert. Zur besseren Durchdringung des Textes haben wir a m Schluss des Buches ein Glossar eingefiigt, das weitere Erlauterungen liefert. AuRerdem sol1 eine Vielzahl von FuBnoten Wissenswertes erganzen ohne den Textfluss des Haupttextes zu beeinflussen. Bei der Lektiire konnte der Eindruck aufkommen, stoffliche Aspekte der Technischen Umweltchemie wiirden iiberwiegend von der Seite anorganischer Verbindungen, darunter wiederum vorrangig Schwermetallen, ihrer Chemie und Umlaufskontrolle betrachtet. Dies trifft insoweit zu, als dass bestimmte Konzepte und Verfahren, etwa solche, die sich auf Redoxreaktionen stiitZen, sich an deren Beispiel anschaulicher erlautern lassen als an solchen von Organika. Veranderte chemische Strukturen (Speziation) haben bei organischen und elementorganischen Verbindungen weitaus groBere toxikologische Effekte als bei Metallen. Daher bewirken geeignete chemische Reaktionen eine starker ausgepragte Entgiftung, wenn keine Metalle beteiligt sind. Das heiBt umgekehrt, dass anorganische Belastungen schwieriger zu handhaben sind.
VII
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Wir waren nicht in der Lage gewesen, dieses Lehrbuch in einern verantwortbaren Zeitrahmen zu verfassen, wenn nicht eine Vielzahl von Kollegen und Freunden uns den notigen Freiraum und die notwendige Toleranz entgegengebracht hatten, die hierzu schlichtweg notwendig waren. Hierbei denken wir zu allererst an unsere Kollegen und Studenten vom Internationalen Hochschulinstitut Zittau, die auf unsere personliehe Teilnahme in etlichen ebenso wichtig erscheinenden Veranstaltungen verzichten mussten, weil wir mit der intensiven Bearbeitung unseres Buches beschaftigt waren. Dankbar sind wir aber vor allem den vielzahligen Freunden im In- und Ausland, die uns entweder rnit wertvollem Rat und Hinweisen oder aber mit Abbildungen und Tabellen weitergeholfen haben, das Werk fertig zu stellen. Besonders zu nennen sind hier die Autoren der Fallstudie 4.5 Prof. Dr. Winfried Schroeder und Dr. Gunther Schmidt (beide HS Vechta), die Autoren der Fallstudie 4.6 Prof. Dr. Peter Schroeder (GSF Forschungszentrum Neuherberg), Prof. Dr. Grof3e (Universitat Koln), PD Dr. Tanja GschloGl (Bayrisches Landesarnt fur Wasserwirtschaft Munchen), sowie Prof. Dr.
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Otto Franzle (em. Universitat Kiel) fur kritische Anmerkungen und wesentliche Beitrage insbesondere zum Abschnitt 1 . Weitere Mitarbeiter am IHI Zittau, Frau Ina Geschke, Verlag und Redaktion taten ihr ubriges, um Qualitat, Wunsche und Vorstellungen der Autoren zu ermoglichen. Ganz besonderen Dank auch an unsere Studenten der umwelttechnisch und naturwissenschaftlich orientierten Vorlesungen, Seminare und Praktika, deren unnachgiebige Fragen uns imrner wieder gezwungen haben neu denken zu lernen, bis eben hierhin wo wir jetzt stehen. Da es auch in Zukunft genauso lebhaft weitergehen soll, fordern wir alle Leserinnen und Leser ganz herzhaft auf, uns ihre Sichtweise der hier angesprochenen Dinge uneingeschrankt weiterhin mitzuteilen und uns auf miigliche Unzulanglichkeiten und Fehler unverdrossen hinzuweisen. Wir wunschen unseren verehrten Lesern Mut und Freude beim Studieren des Buches. Zittau, im Marz 2005
Stefan Franzle, Bernd Markert und Simone Wiinschmann
Inha1tsverzeichnis 1 1.1 1.1.1 1.1.2
1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.1.5.1 1.1.5.2 1.1.5.3 1.1S.4 1.1.6 1.1.6.1 1.1.6.2 1.1.7 1.1.8 1.1.9 1.2
2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.1.1 2.2.1.2 2.2.1.3 2.2.1.4 2.2.1.5 2.2.1.6 2.2.1.7 2.2.1.8 2.2.2 2.2.2.1 2.2.2.2
Entwicklung und Aufgabenstellung der Technischen Umweltchemie ...........................
1
Geschichte der Urnweltchemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Chemie als Quelle urnweltwissenschaftlicher Erkenntnisse ..................... 2 Chemisch-physikalische Analytik. Modellbau und okotoxikologische Verfahren in den integrativen Umweltwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Stoffe und Quellen ................................................... 14 Transport und Urnwandlung von Umweltchernikalien ........................ 20 Reaktion und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Geschichte der QSAR-Ansatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Lipophilie. Anreicherung und Toxizitat: Wirkprinzip und Schadensursache bei Organozinnverbindungen ........................................... 24 Der Schwermetallbegriff und seine chemisch-toxikologischen Folgerungen ........ 25 QSAR. Pharrnakologie und umweltchemische Anwendungen der Reaktionsprinzipien ............................................... 26 Biogeochernie und Umweltwissenschaften ................................. 27 Leben als determinierender Faktor geochemischer Prozesse .................... 27 Bedingungen und Essentialitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Von der Spurenanalytik zum Prozessverstandnis ............................ 36 Kybernetische Modellkonzepte in Chemie und Okologie ...................... 38 Ausblick fur zukiinftige Lehre und Forschung in den Umweltwissenschaften . . . . . . 40 Aufgabenstellung der Technischen Umweltchemie ........................... 41
Struktur und Funktion der irdischen Umweltkompartimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
Die Erde im Vergleich zu anderen Korpern des Sonnensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Eigenschaften und Reinigungsoptionen der irdischen Umweltkompartimente . . . . . . 48 Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Reaktorkonzept und Atmosphare ....................................... 49 Struktur und Schichtung der Atrnosphare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Das Reakrorprinzip der Atmosphare: die Rolle hoch reaktiver Spezies . . . . . . . . . . . 55 Chemische Besonderheiten: saure und gut wasserlosliche Atmospharengase . . . . . . . 56 Luft als Mehrphasensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Katalytische Prozesse in der Atmosphare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Chemische Reaktivitat, Partikelwachsturn und Fallung aus der Atmosphare . . . . . . . 63 Schlussfolgerungen der Luftreinhaltung ................................... 63 Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Wasser als Medium: Dichte, optische und therrnische Eigenschaften und Einflusse auf die Biologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Chernische Eigenschaften und deren Varianz ............................... 67
IX
lnhaltsverzeichnis
2.2.2.3 2.2.2.4 2.2.2.5 2.2.2.6 2.2.3 2.2.3. I 2.2.3.2 2.2.3.3 2.2.3.4 2.2.3.5 2.2.3.6 2.2.4
3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2.1 3.2.1.2 3.2.1.3 3.2.2 3.2.3 3.2.3.1
3.2.3.2 3.2.3.3 3.2.3.4 3.2.4 3.2.4. I 3.2.4.2 3.2.4.3 3.2.5 3.2.5.1 3.2.5.2 3.2.5.3 3.2.5.4 3.2.5.5 3.3
X
Wasser als Mehrphasensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .68 SuRwasser, Meerwasser, osmotischer Druck, Redoxzustande und Biologie . . . . . . . . 6 9 Nichtgleichgewichtszustande zwischen unterschiedlichen Wasserzonen oder -schichten als Triebkraft fur Chemie, Biologie und Stoffahscheidung . . . . . . . . . . . . 72 Biogeochemische Kreislaufe in Wasser, Stochiometrische Okologie und Auslegung/Prozessfuhrung biotechnologischer Wasserreinigungssysteme . . . . . . . . . . 73 Boden und Grundwasserleiter .............................. Boden als Mehrphasensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtige chemische Eigenschaften von Boden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Boden als Bioreaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gradientenbildung im Boden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stiirungen der Bodenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Schlussfolgerungen fur die Bodensanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Vergleich der Umweltkompartimente: Phasenzusammensetzung, Mischbarkeit mit bestimmten Reaktanden oder Kontaminanten, Lichtdurchlassigkeit, biologische Aktivitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Grundlagen und Konzepte der Technischen Umweltchemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.91
. . . . . . . . .91 Was heiRt Abbau von Schadstoffen?. . . . . Chemische Basiskonzepte . . . . . . . . . . . . . Fallung, Adsorption, Immobilisierung . . . . . . . . Fallung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adsorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Immobilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Redoxpotenzial, Pourbaix-Diagramme und Speziation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Reaktionskinetik, Hammett-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen fur Beziehungen zwischen Ladungseffekten und der Reaktionskinetik ganzer Molekule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 14 Chemisehe Eigenschaften von Aromaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kinetische Modellansatze fur Reaktionen gesattigter Kohlenwasserstoffe: dieTaft-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Praxisbeispiele aus der Technischen Umweltchemie: Verteilung der Reaktionen von Aromaten und ihrer Folgeprodukte zwischen Luft und Wasser . . . . Aktivierungsbarriere und Katalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . AbstoRung zwischen Molekulen und Reaktionskinetik . . . . . . . . . . Kinetik, Katalyse, Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Homogene und heterogene Katalyse . . ... . . . . . . . . . . . . . . .125 Fliel3gleichgewicht und Prozessfuhrung ...................... Gleichgewicht, Gleichgewichtskonstante und Reaktionskinetik .... Vom Gleichgewicht zum FlieRgleichgewicht: Folgen der Stoffzu- und . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Nichtlineare Kinetik in Durchflusssystemen . Flieflgleichgewichte in der Biologie, Biomimet . . . . . . . . . . . . . . .132 Der schwere Weg zum FlieRgleichgewicht . . Implikationen der chemischen Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
lnhaltsverzeichnis Verfahren der Technischen Umweltchemie ............................... 135 Prozesse als Funktion von Redoxpotenzial und Anregungsenergie . . . . . . . . . . . . . 135 142 Reduktionsprozesse ................................................. Reduktionen mit niedrigerer Aktivierungsenergie (thermochemisch) . . . . . . . . . . . . 142 Reduktionen mit solvatisierten Elektronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Adsorptive und heterogenkatalytische Verfahren in der Rauchgasreinigung . . . . . . 143 Katalytische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Neue Wege katalytischer Denitrifizierung/Entschwefelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Katalytische Enthalogenierung mit kathodisch gebildetem Wasserstoff an Platinmetallen oder Raney-Nickel ...................................... 144 145 3.4.2.3 Reduzierende Prozesse mit hoher Aktivierungsenergie ....................... 145 3.4.3 Oxidationsvorgange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.1 Das Fenton-System: reduziertes Metallion (Fe(II),Ti(II1)Jin Kombination mit Wasserstoffperoxid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3.4.3.2 Oxidation m i t h iiberkritischem Wasserdarnpf ........................ 3.4.3.3 Elektrochemische Oxidation organischer Substrate an bestimmten Oxidelektroden (,, elektrochemische Verbrennung") und in Schlammen 147 (Abbau von Organozinnverbindungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.4 Katalytische Oxidationen durch Oxide in Kombination mit Wasserstoffperoxid oder Sauerstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3.4.4 Oxidationen mit hoher Energiezufuhr: photochemische und andere Prozesse, Advanced Oxidation Procedures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 149 3.4.4.1 AOPs mit wassrigem Ozon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3.4.4.2 Photohydrolyse von halogenierten Aromaten ............................. 3.4.4.3 Photochemische Oxidation von Schadstoffen durch [Fe(OH)I2+. . . . . . . . . . . . . . . 150 3.4.4.4 Direktphotolyse von Wasser im extremen UV ............................. 151 3.4.4.5 Glimmentladungselektrolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3.4.4.6 Photolyse bioinerter organischer Substanz nach Koordination (EDTA, Pestizide) . . 152 153 3.4.4.7 Photoelektrochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5 Reaktionen ohne Redoxprozesse ....................................... 154 154 3.4.5.1 Fallungsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5.1.1 Mitfallung und Seensanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 155 3.4.5.1.2 Suspensionsbildung und Koagulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5.1.3 Bindung an Biomasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 156 3.4.5.2 Nichtchemische elektrische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.6 Praxisbeispiele aus der Technischen Umweltchemie ......................... 156 156 3.4.6.1 Praxisbeispiel 1: Dreiwegekatalysator in Ottomotor-Kfz ..................... 159 3.4.6.2 Praxisbeispiel 2: Funktionsweise einer Klaranlage .......................... 3.4.6.3 Praxisbeispiel 3: Nutzung nichtklassischer Energiequellen in der umwelttechnischen Praxis . Sonochemische Verdichtung von Schlammen . . . . . . . . 163 3.4.6.4 Praxisbeispiel 4: Wasserreinigung durch Glimmentladungselektrolyse . . . . . . . . . . . 164
3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.2.1 3.4.2.1.1 3.4.2.1.2 3.4.2.2 3.4.2.2.1 3.4.2.2.2
4
Fallstudien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1 4.1.1
Reaktive Wande Problemstellung
.................................................... ....................................................
167 168 168
lnhaltsverzeichnis
4. I .2 4.1.2. I 4.1.1.2 4.1.2.3 4.1.3 4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 4.3.1 4.3. I . 1 4.3.1.2 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.4 4.4.1 4.4.1.1 4.4.1.2 4.4.2 4.4.2.1 4.4.2.2 4.4.2.3 4.4.2.4 4.4.2.5 4.4.2.6 4.4.2.7 4.4.2.8 4.4.2.9 4.4.3 4.4.4 4.5
4.5.1 4.5.1 . I 4.5. I .2
Wirkprinzipien und Liisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Zementation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Redoxbedingte Alkalifiillung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I 7 3 Defunktionalisierung durch Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Praxisbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit ............................................................. 178 Fernhaltung von Kohlendioxid aus der Atmosphare nach Verbrennungsprozessen . 178 Problemstellung . . . . . . . . . . . ..................................... 178 Wirkprinzipien und liisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praxisbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Ethylendiamintetraessigsaure (EDTA) - Stoffeigenschaften, Persistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ...... . .I90 Anwendungsbereiche und -mengen von EDTA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Der Stoff und seine Eigenschaften: ein Komplexbildner als iikotoxikologisches .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkprinzipien und Iikungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I94 Praxisbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Reinigung der festen Bodenphase: Bodenwasche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ., 2 0 1 Anwendungskriterien der Bodenwasche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .201 Indikationen der Bodenwasche: Emissionen aus dem Untergrund in Sicdlungshereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .202 . . . . . . . . . . . . . .203 Wirkungsprinzipieii und 1,tisungen . . . . . . . . . . . . Vergleich zwischen Boden- und Textilwasche und deren Wirkprinzipien . . . . . . . .203 Extraktion mit Tensidlosungen ....................... . . . . . . . . . . . . . .205 Extraktion mit unpolaren oder unkonventionellen Lijsungsmit . . . . . . . . . . . . .205 Extraktion metallhaltiger Fraktionen mithilfe von Komplexbildnern . . . . . . . . . . . . 207 Oxidative Bodenwasche: Abbau organischer Kontaminanten mit Reagenzien wie Wasserstoffperoxid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .207 Enzymatische/biotechnologische Reinigungsvorgange und ,,natural attenuation" . . 207 Kontrollierte Sorption in Zeolithen und Tonmineralien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 . . . . . . . . . . . . . . 208 Aufarbeitung der belasteten Waschlauge . . . . Nebenwirkungen und -reaktionen: Zerstiirung der Bodenhorizontschichtung und dadurch bedingter chemischer Gradienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,209 . . ,209 I'ra x isbe i s pi el . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Metadatenbanken und GIS als technische Unterstutzung der stofflichen Expositions. 2 I1 und Wirkungsanalyse in der Umweltbeobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .211 Raumliche Differenzierung bedingt umweltchemi ihre Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Entwicklung und offene Probleme: und Datenkoharenz ...................... . . . . . . . . . . . . . . 212
lnhaltsverzeichnis
4.6.4
Methodik und Losungsansatz ......................................... 212 Gliederung der einschlagigen Umweltwissenschaften. Art und Gewinnung der Basisdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 214 Landschaftsokologische Raumgliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erhebung und Analyse von Metadaten iiber Umweltmessnetze in Baden-Wiirttemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 218 Landschaftsreprasentanz der Messstellen ................................. 219 Geostatistische Messdatenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Praxisbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praxisbeispiel 1: Medienubergreifende Umweltbeobachtung in Baden-Wiirttemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Praxisbeispiel 2: Lokalisierung von Flachen mit hohem Metallein- und -austrag . . . 223 224 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phytoremediation - Moglichkeiten zur Entfernung von Mikroschadstoffen mit Verfahren der naturnahen Abwasserreinigung ............................. 227 227 Problemstellung .................................................... Der Bio-Park Fiihlinger See . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 230 Struktur des ,,Bi o-Park Fuhlinger See" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktion der Pilot-Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Bepflanzter Bodenfilter im Ablaufbereich der Abwasserteichanlage 234 der Gemeinde Berg, Ortsteil Morlbach .................................. Phytoremediation - Neue Aufgaben fur alte Stoffwechselvorgange . . . . . . . . . . . . . 237
5
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
241
6
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
251
4.5.2 4.5.2.1 4.5.2.2 4.5.2.3 4.5.2.4 4.5.2.5 4.5.3 4.5.3.1 4.5.3.2 4.5.4 4.6 4.6.1 4.6.2 4.6.2.1 4.6.2.2 4.6.3
Stichwortverzeichnis ................................... 253
Xlll
Aus technischen Gründen bleibt diese Seite leer
1 Entwicklung und Aufgabenstellung der Technischen Umweltchemie 1.1 Geschichte der Umweltchemie Die Umweltwissenschaften analysieren den Einfluss von Strahlung, Stoffen sowie Organismen auf die belebte Materie und den Bereich der Erdkruste, Hydro- und Atmosphare, in dem sich Leben vollzieht und selbst direkt von dessen Produktion, ihrer biologischen Aktivitat, von biogenen Gasen wie Sauerstoff oder Methan bis hin zu Korallenriffen, beeinflusst wird. Umweltchemie (engl. environmental chemistry, franz. chimie de I'environnement) als ein Kernbereich dieser Wissenschaften und disziplinhistorisch junge Teildisziplin der
Chemie befasst sich mit den chemischen Aspekten der in der Umwelt ablaufenden Prozesse. Hieraus kann folgende Definition abgeleitet werden:
Die Umweltchemie analysiert im engeren Sinne die Quellen, Transportvorgange und Senken sowie die daraus resultierenden Verteilungen von Chemikalien, ihre Reaktionen und Wirkungen in den Umweltkompartimenten Wasser, Boden (bzw. Sedimenten) und Luft sowie die daraus resultierenden Beeinflussungenvon Lebewesen (Mensch, Tier, Pflanze, Mikroorganismen) und Gegenstanden (Bau- und Kunstwerke, Werkstoffeu. a.) (s. Abb. 1).
Abb. 1: Urnweltchernie als integrierende Querschnittsdisziplinaus Stoff-, Wirkungs- und Ziel(Target)-Eigenschaften. 1
1.1 Geschichte der Umweltchemie
Manchmal wird - obwohl begrifflich einengend - ,,Umweltchemie" synonym zu ,,Okologischer Chernie" ( ,,Okochemie") verwendet und bezeichnet dann ein Forschungsgebiet, das sich mit dem Schicksal von Chemikalien in der Biosphare befasst; dazu gehoren die Anwendungen von Chemikalien und deren Einfluss auf die Umwelt, ihre Umwandlungen durch Stoffwechselvorgange, ihre Umwandlung durch Umwelteinfliisse usw. (KORTE1987). Ziel unserer Gesamtdarstellung ist es, angesichts der Fiille der Problerne und existierender Losungsansatze zunachst ein vertieftes Verstandnis der chemischen Prinzipien Grund zu legen und sodann konkret umgesetzte Methoden exemplarisch zu eriirtern. Dern grundsatzlichen chernischen Verstandnis dienende Abschnitte ( 3 . 2 ) finden ihre Konkretisierung in den Fallstudien im Abschnitt 4.
1.1.1 Chemie als Quelle umweltwissenschaftlicher Erkennt nisse' In der Umwelt existiert eine unuberschaubare Anzahl chemischer Spezies; allein in der Atmosphare wurden bisher mehr als 60 Verbindungen identifiziert und quantifiziert. Analytische Methoden zur Charakterisierung spezifischer Parameter wie pH, Redoxpotenzial etc. uberfuhren Konzepte der Chernie automatisch in die Methodik und Denkweise der Umweltwissenschaften. Eine Folge davon ist, dass seit wenigstens 150 Jahren, d. h. seit Schonbeins Pionierarbeiten zur atmospharischen Chemie sowie Liebigs Agrikulturchemie, auch Paradigmen der chemischen Wissenschaften
1 Der vorliegende Abschnitt 1 1 1 basiert auf einer alteren, starker diszipltnhistorisch ausgerichteten Arbeit (FRANZLE 8 FRANZLE 2002). 1st jedoch auch auf Grund der anderen Zteistellung grundiegend uberarbettet worden
2
in die Urnweltwissenschaften vordrangen. Beispiele sind: - die Strukturtheorie, - Ionentheorie von Elektrolyten (wichtig
fur aquatische Organismen), Radikalketten- und Ionenprozesse als Reaktionsmechanismen, - Koordinationschemie (in den Biowissenschaften als Bioanorganische Chemie). -
Auch wenn im 20. Jahrhundert nur noch Wenige der Auffassung anhingen, fur Lebewesen und die Biosphare galten Eigengesetzlichkeiten, die sich von denen der Physik und Chemie fundamental unterschieden (,,Vitalismus"), zogerten die meisten (potenziellen) Umweltwissenschaftler dennoch, Konzepte der Physik und Chemie auf biologisch gepragte Systeme zu iibertragen. Davon werden das Verstandnis von Umweltprozessen und zielgerichteter Schutz mitunter noch heute beeintrachtigt. Hinzu kommt in der Ausbildung - beginnend mit dem Schulunterricht - ein ,,Schubladendenken", in dem die ,,Fachgebiete" nicht im Kontext sondern weitgehend isoliert behandelt werden (45 Min. Chernie, dann - getrennt - 4.5 Min. Biologie, ...), was vielfach das Denken bleibend (fehl)pragt. Jede Modellvorstellung eines komplexen Systems - eines Umweltkompartiments wie der Luft, einer Biozonose, eines Okosysterns oder auch ,,nur" eines einzelnen Organismus - betont bzw. vernachlassigt bestimrnte Aspekte. Dies gilt sowohl fur rein deskriptive als auch fur operativ handlungsorientierte Beschreibungen, in unserem Falle fur die Umweltchemie wie die Technische Umweltchernie in analoger Weise. Ein Psychologe wird bei massiven Herzrhythmusstiirungen nach anderen Ursachen und Abhilfen suchen als ein klinischer Kardiologe (extrem forrnuliert: Familientherapie vs. Implantation eines Herzschrittmachers); ebenso wird der Urnweltchemiker andere Aspekte betonen und ggf.
Geschichte der Umweltchemie 1.1
korrigierend angehen als der - durchaus auch wissenschaftlich arbeitende - Vertreter von ,,Landschaftsqualitatszielen". Im einen Fall kann es sein, dass Storungen der Reizerzeugung und -1eitung im Muskel einma1 kausal (psychosomatisch) angegangen werden, zum anderen einfach eine zusatzliche Stimulation bereit gestellt wird; beides sind wichtige, u. U. lebenswichtige Teilaspekte. Landschaftsqualitatsziele konnen aber auch nicht realisiert werden, wenn die Umwelt massiver chemischer Belastung unterliegt. Es geht daher selten um ,,besser" oder ,,schlechter", sondern um Optionen aus dem eigenen wissenschaftlichen Vorverstandnis und der konkreten Problemlage heraus. Asthetische und sensorische Storungen (flachig abgestorbene Vegetation ist ,,haslich", Luft- und Wasserbelastungen mindern das korperliche und psychische Wohlbefinden) sind durchaus ein Warnsignal und ein AnstoB zur Behebung von Missstanden. Der Mensch ist allerdings (zu unserem Gluck) kein besonders sensitiver Bioindikator; schon sehr fruh allerdings wurden Wirkungen von Schadstoffen auf die Vegetation bemerkt und korrekte Beziehungen zu menschlicher, insbesondere bergbaulicher Aktivitat hergestellt. Dies sei zunachst a m Beispiel fruher Anmerkungen uber Wald- und Flechtenschaden in Bergbauregionen erlautert. Bereits in sehr fruher Zeit (PLINIUS D. A., 1. Jh., zit. n. HEINTZ & REINHARDT 1996) wurde festgestellt, dass bei der Verhiittung sulfidischer Erze Gase entstehen, die sich nachteilig auf die Vegetation der Umgebung auswirken und dass diese Schadigungen mit (der Oxidation von) Schwefel zusammenhangen. Nach heutiger Kenntnis ist der wirksame Schadstoff insbesondere SO,, daneben spielt aber auch Carbonylsulfid (COS) eine Rolle. Schon im Hochmittelalter wurden daher von einzelnen Fiirsten dahingehend rechtliche Massnahmen zum Schutze der Walder erlassen, dass
die Verhiittung nur in waldfreien Gebieten sowie entfernt von menschlichen Ansiedlungen stattfinden durfte. Auch wurden schon im fruhen 19. Jahrhundert der Riickgang und das schlieGliche Verschwinden von Flechten in Schwerindustrieregionen und Ballungsraumen wie London registriert und zu Recht als Warnsignal steigender Umweltbelastung interpretiert. Letztere war durchaus auch ein literarisches Thema, betrachtet man beispielsweise die Bedeutung des Londoner Nebels (in Wirklichkeit: Smog in schwerer Auspragungsform) in den Sherlock-Holmes-Romanen von ARTHURCONANDOYLE. Des Weiteren seien SCHONBEIN, ARRHENIUS, VERNADSKY und CHAPMAN als Autoren des 19. und friihen 20. Jahrhunderts angefuhrt, die sich nicht allein mit organisch-chemischen, physikochemischen, reaktionskinetischen, spektroskopischen oder geochemischen Fragen, sondern auch Implikationen ihrer Erkenntnisse fur die Umwelt auseinander setzten.
Christian S. Schonhein (1799-1868)
CHRISTIAN S . SCHONBEIN, der als Pionier der Atmospharenchemie angesehen werden kann, pragte auch den Begriff ,,Geochemie" (KABATA-PENDIAS 2001). Er entdeckte 1840 das Ozon, 1858 gelang ihm bei Ballonfahrten auch mittels Iodid dessen Nachweis als Spurengas in der Tropo-
3
1.1 Geschichte der Umweltchemie
sphare sowie in den darauf folgenden Jahren weiterer Photooxidantien wie Wasserstoffperoxid im Regenwasser. Des Weiteren war er auf dem Gebiet der praparativen organischen Chemie tatig, dabei wurde er u. a. Erfinder der Nitrocellulose (,,Schiefibaumwolle"); aufierdem entwickelte er parallel zu Grove die Brennstoffzelle (vgl. PEHNT2002).
massiven Umweltproblemen fuhrte, kiinftighin zu begrenzen, stiefien auf ein erhebliches offentliches Interesse. AuBerdem arbeitete ARRHENIUS iiber biochemische Fragen, vor allem Toxin-Antitoxin-Wechselwirkungen und die Chemie der Verdauung; ferner lieferte er durch die Berechnung von Aktivierungsenergien grundlegende Beitrage zur Theorie der Aktivierung chemischer Reaktionen.
Interessanter Weise wurde das durch JUNCEund HAECKEL in den 1860er Jahren in die Biologie eingefuhrte okologische Paradigma2 zunachst kaum mit chemischen Verfahren und Konzepten bearbeitet. Dies ist umso erstaunlicher, als dass relativ kurz zuvor die Arbeiten LIEBIGS das Verstandnis fur chemische Funktionen und Prozesse des Bodens erheblich vertieft und fur die Landwirtschaft nutzbar gemacht hatten. Auch die Wasserchemie war damals schon weit entwickelt, und daher hatte man erwarten konnen, dass chemische Betrachtungen etwa in Analogie zur medizinischen Physiologie - schnell in die Behandlung okologischer Fragen eingegangen waren. Dies war Svante A. Arrhenius (1859-1927) jedoch nicht der Fall. Erst rund 50 Jahre spater (ab 1910) fiihrten ALFREDLOTKA chemische ModellvorSVANTE ARRHENIUS, einer der Pioniere der und VITOVOLTERRA Infrarot-Spektroskopie, erhielt 1903 den stellungen in die Analyse der PopulationsChemienobelpreis fur die Ionentheorie der dynamik von Tieren (Rauber-Beute-BezieSalze und deren Ionenbildung als Ursache hungen) ein, andererseits versuchte VLADIVERNADSKY ab 1916 ihrer Leitfahigkeit in Losungen und MIR IVANOWITSCH Schmelzen. Ab 1896 war er mit C. HOGS- also beinahe zur gleichen Zeit - eine integrierte Sicht der chemischen Vorgange auf BOM Autor der ersten Arbeiten iiber den Treibhauseffekt der Erdatmosphare und dessen mutmaBliche anthropogene Anteile aufgrund der Kohleverbrennung; dabei ge- 2 Das okologische Paradigma, die Betrachtung einer Lebensgemeinschaft in ihren Wechselwirkungen, wurde langten sie zu infrarotspektroskopisch fun1866 am Beispiel eines Teiches entwickelt. ERNSTHAEdierten Abschatzungen der globalen ErCKEL definierte im selben Jahr die Okologie als ,,gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur warmung (,,radiative forcing") und stellten umgebenden AuOenwelt". Dies schlieOt notwendiger auch Spekulationen iiber gegenlaufig wirWeise den Stoffaustausch bei Atmungsprozessen und Ernahrung ein. HAECKELspricht von AuOenwelt, der kende klimatische Folgewirkungen, bei1909). Damit lage es Begriff ,,Urnwelt" ist junger (UEXKULL spielsweise Veranderungen der Niedernahe, nun Stoffstrome wie den Austausch von Sauerstoff schlagsmengen, an. Die aus diesen Befunbzw. Kohlendioxid zwischen Fischen und Wasserpflanzen als einen zentralen Prozess der Lebensgemeinschaft den abgeleitete Forderung, die Verbrenquantitativ-analytisch zu betrachten, doch unterblieb dies nung von Steinkohle, die ohnehin damals damals (vielleicht erahnten die Pioniere auch die dabei bereits durch Schwefeldioxidfreisetzung zu auftretenden Schwierigkeiten ...). 4
Geschichte der Umweltchemie 1.1
der Erde unter Beteiligung der Biosphare zu entwickeln. Beiden Ansatzen liegt das neue Paradigmai von Ruckkopplungssystemen mit deren zusatzlichen dynamischen Moglichkeiten, u. a. derjenigen von Oszillationen, zu Grunde.
Friedrich Jttnge (1832-1 905)
Ernst Heinrich Haeckel (1834-1919)
Alfred J Lotka
Vito Volterra (1860-1940)
(1880-1949)
3 Ruckkopplungsanalysen zeichnen em anderes Bild von Kausalbeziehungen als lineare Ursache-Wirkungs-Ketten; sie beinhalten den Aspekt der Regulation des Systemzustands, u. U. der Kompensation auBerer Veranderungen. Die der Analyse ruckgekoppelter Kausalsysteme gewidmete Wissenschaftsrichtung heiBt Kybernetik. Dieses Paradigma entstand erst urn 1950, obgleich erste auf Ruckkopplung basierende technische Regelwerke, z. B. fur den Wasserstand, bereits in der Antike erfunden wurden (vgl. auch den Drehzahlregler fur Dampfmaschinen
VLADIMIR IVANOWITSCHVERNADSKY wurde damit zum Begrunder der Biogeochemie und pragte auch diesen Begriff; von ihm und seiner Schule (Vernadsky-Institut der Sowjetischen bzw. heute Russischen Akademie der Wissenschaften) stammen fundamentale Arbeiten iiber Stoffkreislaufe unter Beteiligung von Lebewesen. VERNAIISKYS Analyse beschrankte sich freilich nicht auf einzelne Okosysteme, sondern er betrachtete von vornherein die gesamte Erde. Seine Vorstellung reichte dabei so weit, das aus belebter Materie und deren Umwelt bestehende Metasystem insgesamt als in weiterem Sinne lebendig zu betrachten. Eine einzigartige Leistung, die auch fur weitaus kleinere Territorien niemals wiederholt worden ist, bleibt dabei der ,,Atlas der biogeochemischen Provinzen der UdSSR" (ah 1943), der, von Vinogradov vollendet, dieses riesige Areal (15 % der festen Erdoberflache) bis auf Tadschikistan und die Eismeerkuste praktisch vollstandig wiedergibt. Er verknupft ,,Abweichungen" der Haufigkeit chemischer Elemente mit Erkrankungen bei Mensch und Tier (Epidemiologie) und der Verbreitung bestimmter Arten. Daraus konnen toxikologische wie auch okologische Schlussfolgerungen gezogen werden. Gerade aufgrund der etwa im Kaukasus sehr hohen Flachenauflosung ist es moglich, Effekte und Sanierungsbedarf sowie in der Folge geeignete Interventionsansatze bei Boden-, Grund- und Oberflachenwasserbelastungen zu definieren. Die biogeochemischen Provinzen konnen dabei durchaus auch von essenziellen Elementen wie Zink oder Mangan gepragt sein und entsprechend benannt werden.
[WATT17661: Zentrifugalkrafte [Rotationssteuerung] steuern das Dampfeinlassventilund damit die Laufgeschwindigkeit der direkt wirkenden WATrschen Dampfmaschine). Erste Vorstellungen von Ruckkopplung stehen biowissenschaftlich am Anfang der Okologie, doch wurde bis in die jungste Zeit eher z. B. von Nahrungsketten als von Nahrungsnetzen gesprochen, Dies pragt die Vorstellung vom Stofftransport durch ein Okosystem entsprechend. In der Breite wurden kybernetische Ansatze von den Brudern ODUMin die Umweltwissenschafteneingefiihrt.
5
1.1 Geschichte der Umweltchemie
sik und Chemie der oberen Atmosphare sowie an irdischen und kosrnischen Einfliissen auf das Erdmagnetfeld. Von ihm stammt das alteste Modell der photochemischen Dynamik der Ozonschicht, welches allein auf sauerstoffhaltige Spezies abhebt. Alle moderneren Beschreibungen kiinnen als Korrekturen und Verfeinerungen des aus der Bodenstein-Theorie der Radikalkettenprozesse hervorgegangenen Chapman-Modells (1930) gelten, die heute den Halogen getriebenen Abbau von Ozon in der Stratosphare beschreiben (CKUTZEN,MOI.INA, ROWLAND; Nobelpreis fur Chemie 199.5).
Vladiniir luanowitsch Vermdsky ( 1863-194.5)
Noch zu erwahnen sind VERNADSKYs ,,Biogeochemische Grundregeln", die den Umstand formuliercn, dass Lebewesen, indem sie sich vermehren und ausbreiten, in wachsendem Mafie Ressourceii der drei Umweltkompartimente an sich binden und durchschleusen. Die in biogeochemischen Kreislaufen einbezogenen und mobilisierten Stoffmengen sind fur die meisten Stoffe weit hiiher als ihre Fiirderung im Bergbau.
Sydney Chapman ( 1888-1 9 70)
SYDNEYCHAPMAN war urspriinglich Mathematiker, aber stark interessiert an Phy-
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Es gehiirt zu den klassischen Denkmustern der Chemie, die Erdatmosphare als photochemischen Reaktor zu betrachten (s. auch Abschnitt 2.2.1), denn die Troposphare ist durch die iiberlngernde Tropopause wie ein Reaktor durch dessen Wand fur schnelle Prozesse weitgehend abgeschlossen, d. h. nur photochemisch wie gegeniiber OHRadikalen reaktionstrage Verbindungen (FCKW, Acetonitril, einige Nitroverbindungen) gelangen in nennenswertem Umfang in die Stratosphare. Das zu CIIAIMANS Zeit vorherrschende und aus der Analyse z. R. der Chlorknallgasreaktion ( BOIXNSTEIN & LINII 1907; zit. n. LAILXEK 1970) entstandene Konzent der Radikalkettenreaktion, welches fur Besonderheiten chlorierter und bromierter Verbindungen sensibilisierte, wurde vor dem Hintergrund dieser Modellvorstellung auf die Atmosphare ubertragen. Freilich wurden damals heterogen katalysierte Prozesse, wie sic an Aerosolpartikeln ablaufen, zwar technisch bereits vielfiltig genutzt, mechanistisch nber noch kaum verstanden; im atmosphiirenchemischen Kontext wurden sie daher auch nicht diskutiert. Dies anderte sich erst Ende der 1970er Jahre, als die Bedeutung von I o nenreaktionen erkannt wurde; hinzu kamen Anstiif3e aus der Kosmochemie. Gleiches gilt fur die Theorie der Smogbildung, und zwar sowohl fur den durch Photooxidantien bestimmten Los-Angeles-Smog (Abb. 2, links) als auch fur den durch die
Geschichte der Umweltchemie 1.1
Abb. 2: Verfarbung und Triibung der Atmosphare als Folge von Verbrennungsprozessen. Linke Seite: Smogsituation in Los Angeles verursacht durch Automobilabgase. Rechte Seite: Smogbildung verursacht durch Brandrodungen in Indonesien (Siidteil der Insel Borneo). Die Farben kodieren unterschiedliche Smogdichten (Falschfarbendarstellung). Fotos: Environmental Protection Agency, Juli 1999. Bildung polymerer organischer Substanzen gepragten London-Smog. Neben technischen Verbrennungsprozessen fiihren auch natiirliche wie Waldbrande zur Aerosolund Smogbildung (Abb. 2, rechts).
n2 Chemisch-PhYsikalische
Analytik, Modellbau und okotoxikologische Verfahren in den integrativen Umweltwissenschaften
duktivitat von Okosystemen oder Okosystemkompartimenten im L m m c h e n Sinne durchgefuhrt wurden. Die Skala reicht experimentell bis hin zu Diingungsversuchen in mehrere Quadratkilometer grogen Bereichen der Meeresoberflache, um einen vermuteten Eisenmangel " im Ozeanwasser in seiner Bedeutung fur die photosynthetische Aktivitat von Algen z- priifen und zu beststigen.
Auch an besser abgrenzbaren Biotopen, z.B. einer Gruppe kleiner Seen in Ontario (Kanada), wurden ahnliche Studien durchgefiihrt, teilweise zugleich die Struktur der Seit mehreren Jahrhunderten werden che- Nahrungsketten durch Einsetzen oder mische Methoden herangezogen, um biolo(moglichst) vollstandiges Wegfangen begische Prozesse besser zu verstehen, begin- stimmter Organismen, die bestimmte tronend vielleicht mit den Arbeiten von VAN phische Niveaus reprasentieren, manipuHELMONT Mitte des 17. Jahrhunderts zur liert. Heute werden derartige Experimente photosynthetischen Biomasseproduktion. natiirlich auch ethisch hinterfragt; ihre hisIm 19. Jahrhundert begann dann LIEBIG, torische Bedeutung zur Einsicht in die gestiitzt auf anorganisch-biochemische (ele- Problematik reicht dennoch iiber das hinmentaranalytische) Untersuchungen von aus, was die Betrachtung der Folgen unbePflanzen, Konzepte zur Steigerung der land- absichtigter oder jedenfalls unkontrollierwirtschaftlichen Produktion zu entwickeln; ter Eintrage von Stickstoff- oder Phosphorinsbesondere die Mineraldungung und das verbindungen ergeben hat. Das so Minimumprinzip sind hier zu nennen. Die- entstandene Problembewusstsein anderte ser Ansatz griff vie1 spater in die Okologie mutatis mutandis nun nicht allein die akhiniiber, als Untersuchungen iiber Nahr- zeptierte bzw. bevorzugte Methodenausstoffzyklen bzw. die Limitierung der Pro- wahl, sondern ebenso die Erwartungen der
7
1.I Geschichte der Umweltchemie
Gesellschaft an chemische Verfahren und Disziplinen in der Umweltforschung: An die Stelle ,,reinen" Experimentierens trat die verstarkte Untersuchung naturnaher oder unbeabsichtigt beeinflusster oder verunreinigter Okosysteme. Dabei erlaubte es die steigende Qualitat der Messverfahren insbesondere die rapide wachsende analytische Empfindlichkeit -, die Anwesenheit und Effekte einer Vielzahl von anorganischen wie organischen Stoffen bis hinunter zur so genannten Allgegenwartskonzentration zu bestimmen. Typische Apparaturen sind hierbei z. B. das Massenspektrometer und der Gaschromatograph (s. Abb. 3 ) . Zugleich wurden auch als Folge dieser Verfnhrensfortschritte zahlreiche bis dahin nur in mehr oder weniger hoher Konzentration toxisch wirkende Schwermetalle (z. B. Vanadium [ A N K et ~ : al. 2000; RKHDEK 1991); Arsen [ ~ R ( ; O l . K :19861, Cadmium [ PRKE & MOKF.I. 1990; STRASDHT 2001 1) als essenzielle Ultraspurenelemente erkannt (s. auch MARKERT' 1996). Die solcherart weiterentwickelte Analytik gestattete nun, die Komplexitat der Pro-
zesse erst in ihrem wirklichen Ausmafi zu ermessen, wahrend die Systemwissenschaften Methoden bereitzustellen begannen, diese neu erkannte - wenngleich schon lange geahnte - Komplexitat formal handhabbar zu machen. Eine durchaus ambivalente Rolle spielten und spielen dabei elektronische Rechenanlagen: in dem MaBe, wie deren rapide steigende Rechenleistung und die flachendeckende Verfugbarkeit kleinerer, qualitatvoller Rechner als PCs in jedem Buro ermiiglichte, komplexere Systemmodelle numerisch durchzuspielen (,,number crunching"), wuchs zwar auch das Verstandnis fur bestimmte Funktionsablaufe und Kausalketten bzw. -netze auf der iikosystemaren Ebene, aber dabei wurden die Perspektiven der etablierten systemwissenschaftlichen Methoden fur kausale Beschreibungen nicht selten vernachlassigt. Scharfer ausgedruckt bedeutet dies, dass die numerische Simulation als phanomenologische Reproduktion der Ablaufe tendenziell das kausale (mechanistische) Verstandnis ersetzte. Dabei darf diese Kritik nicht dahingehend missverstanden werden, als seien numerische Verfahren nur ein Notbehelf
Abb. 3: Gebrauchliche Analysengerate in der Technischen Umweltchemie wie z. B. (links) ein Masscnspektrometer mit induktiv gekoppeltem Plasma (ICP/MS) fur die Bestimmung von Elementgehalten und (rechts) ein Gaschromatograph mit Massenspektrometer als Detektor ( G U M S ) fur die Bestimmung fliichtiger Substanzen. Fotos: Labor fur Urnweltanalytik des IHI Zittau.
a
Geschichte der Umweltchemie 1.1
Global net primary productivity
0.
Abb. 4: Globale Verteilung der Nettoprimarproduktivitat - Rio Model 1995 (korrigiert um Einfliisse der Bodenfruchtbarkeit). Erzeugt mit GIS/ARC INFO (Homepage Prof. Lieth www.usf.Uni-Osnabrueck.DE/-hlieth). oder gar ein Irrweg, auf den die Verfugbarkeit leistungsstarker Rechner gefiihrt hatte; denn wenn fur Modellgleichungen keine analytischen Losungen verfugbar sind, bleiben nur numerische Behandlungen. Ein ahnlicher Fall ist dort gegeben, wo nichtstetige Prozesse beschrieben werden mussen. GroiSe Popularitat auch auiSerhalb der Fachoffentlichkeit erlangte seit der Arbeit von ROBERT MAY(1976) in diesem Zusammenhang die Chaostheorie (WISSEL 1997). Ein Beispiel einer rechnergestutzten Uberlagerung unterschiedlicher Datenarten mit okologischer Aussagekraft sind die Nettoproduktivitatskarten der Photosynthese von LIETH(1995; Abb. 4). In ihnen spie-
geln sich ganz unterschiedliche Einflusse, klimatische (Temperatur, solarer Strahlungsfluss) ebenso wie Verfugbarkeit von Wasser (vgl. Sahara und amazonischer Regenwald auf dem gleichen Breitengrad) und von bestimmten Nahrstoffen im Meer4. Fur unsere Zwecke sind sie keineswegs nur von wissenschaftshistorischem Interesse; sie enthalten an Hand der wie oben aus ihnen extrahierbaren Einflussgrof3en Aussagen iiber die Moglichkeit, in bestimmten Regionenhtaaten der Erde etwa Kohlendioxid zu binden, wie es die An4 Dies stimmt nicht immer mit der visuellen Vegetationsdichte uberein. die Sargasso-See z B im Nordwestatlantik 1st durch ganz niedrige NPP gekennzeichnet
9
1.1 Geschichte der Umweltchemie
rechnung v o n AufforstungsmaiSnahmen nach dem Kyoto-Protokoll rnit Blick a u f eine C0,-Retention vorsieht bzw. zulasst. Augenfallig sind die geringen Nettoprimarproduktivitaten in bestimmten Regionen (einschlieRlich deren mariner Umgebung, sofern es sich um Inseln oder Halbinseln handelt), die durch sehr hohe industrielle Aktivitat/Wirtschaftsleistung mit (wenn auch nicht proportional) ahnlich hohem C0,-AusstoR gekennzeichnet sind, wie KOrea, die britischen Inseln oder der Westen Nordamerikas. Diese Gebiete werden also als Nettoproduzenten von CO, in Erscheinung treten. In der Tat zeigen genauere Modelle auch fur Europa, dessen NPPWert hiiher liegt, dass nur 7-12 % des dort gebildeten Kohlendioxids wieder von der ,,eigenen" Vegetation aufgenommen werden kiinnen. Periodische Stiirungen eines Ablaufs - sei dieser kinematischer Natur wie in der Himmelsmechanik oder chemisch wie in einigen Oszillatoren - oder einer Population fiihren dazu, dass nicht etwa die Periode der Storung derjenigen des ungestorten Prozesses einfach iiberlagert wird, sondern sich der Systemzustand rapide (exponentiell anwachsend) und weder vorhersagbar noch reproduzierbar (chaotische chemische 0 s zillatoren haben keine ,,eigentliche" Kinetik mehr) von dem des Ursprungssystems entfernt. Dabei treten unvorhersehbare, sprunghafte Schwankungen der Konzentration/Haufigkeit einzelner Spezies - auch biologischer Spezies - oder der Kinetik auf. Nicht periodische Massenvermehrungen etwa von Wanderheuschrecken oder Wiihlmausen (Lemminge) wurden ebenso in dieser Weise gedeutet wie das Versagen bestimmter chemisch-katalytischer Systeme, aber auch volkswirtschaftliche Anomalien wie Biirsencrashs. Umweltchemisch scheint Chaos (GOTZMANN & Pt.S(:HEI 2001) in elnigen der katalytischen Zyklen der Stratosphare - vielleicht unter dem zusatzlichen Einfluss der FCKW und ihrer Photolyse aufzu treten. 10
Unbeschadet dieser auch kritisch einschrankenden Anmerkung bleibt natiirlich festzuhalten, dass es eine Vielzahl unterschiedlich schwieriger - und hinsichtlich des Verhaltens bei Komplexitatsreduktion der Modelle unterschiedlich zuverlassiger Verfahren zur kausalen Prozessanalyse gibt. In jiingster Zeit haben sich solche Ansatze, gestutzt auf das allgemeine Lebensmerkmal der Reproduktion als eines - wiederum chemisch ausgedriickt - autokatalytischen Prozesses und entsprechende Modellierungsverfahren als sehr fruchtbar erwiesen (FRANZLE & MAKKERT 2000a,b). Sie ermoglichen vielfach einen einfacheren Zugang zu Erkenntnissen - auch uber mehrere Hierarchieebenen als Modell eines betrachteten offenen Systems hinweg - als die rein computerbasierten Ansatze, schlieijen diese aber keineswegs aus. Das Problem bleibt natiirlich, dass die konkreter interessierte Offentlichkeit ebenso wie beim Durchspielen unterschiedlicher Szenarien auf einem Computer auf die korrekte Anwendung der mathematisch solide fundierten Pramissen und Modellbedingungen (CLARKE 1974, 1980, 1992) vertrauen muss. Diesbeziigliche Untersuchungen mit positivem Ergebnis liegen beispielsweise aus dem Bereich der okologischen Planung vor (FKANZLF.& GROSSMANN 1998). Es ist auch heute noch schwierig, hinreichend viele Messdaten zu gewinnen, dass iiberhaupt okotoxikologische Aussagen (Kausalfeststellungen) miiglich sind: ist z.B. das Schwermetall A, das Herbizid B, die Zuwanderung/das Aussetzen des POtenziellen Fressfeindes C oder das in diesem Jahr ungiinstige Wetter ,,schuld" am Riickgang der Spezies X im Waldgebiet Y ? Vier Variable in diesem Beispiel bedingen vier unabhangige Untersuchungen, wobei idealer Weise stets nur cin Parameter variiert wird, urn ,,belastbare" (mathematisch sinnvolle) Aussagen zum Systemverhalten oder den Reaktionen einer Spezies (von sehr vielen, die in einem Okosystem interagieren!) erhalten zu kiinnen. Gleichungs-
Geschichte der Umweltchemie 1.1
systeme, die die Einfliisse quantifizieren, sind nur dann losbar, wenn wenigstens genau so viele unabhangige Gleichungen wie Variable gegeben sind. Der bloBe Nachweis z. B. einer bestimmten Konzentration von Blei in einem Sediment, wo es als Sulfid, Sulfat oder Carbonat der Biomasse entzogen sein, aber ebenso als Di- oder Triorganobleiion mit hoher Lipophilie und Neurotoxizitat vorliegen kann, hat fur sich allein genommen noch keine sonderliche Aussagekraft. Die Speziation ist ein originar chemisches Beurteilungskriterium.
Netzwerkanalyse (SNA; CLARKE 1980) allerdings noch ganz am Anfang steht.
Aus methodischen Grunden beschrankt sich der zuletzt genannte Ansatz (Stochiometrische Netzwerkanalyse) bisher auf zwei Themenbereiche: die ,,Rolle" von (nicht allein essenziellen oder stark toxischen) Metallen in der Biochemie und die vollstandige reaktionskinetische Beschreibung des Stoffwechsels von Mikroorganismen. Fur die organische Chemie gibt es reaktionskinetisch-toxikologische Analoge zur FIA-Hypothese: sie stellen eine in vitro Z. B. konnen Metallionen als solche (aqua- wie auch in vivo gut belegte Beziehung her tisiert), in Komplexen, als Oxidpartikel zwischen dem elektrophilen Charakter orund in anderen Formen auftreten. Eine Hy- ganischer Verbindungen und deren mutapothese besagt nun, dass die Toxizitat von gener bzw. karzinogener Wirkung. Bei den der Konzentration der freien Ionen be- organischen Verbindungen kann es sich stimmt wird, dass also einfache Salze oder auch um Metaboliten oder photoaktivierte hydrolytisch empfindliche Komplexe weit- Formen handeln. Die Funktion von Nukleaus toxischer sind als stabile. Sie heif3t insauren in der Vererbung bzw. dem ZeI1daher ,,Freie-Ionen-Aktivitats-Hypothese" zyklus hangt von deren Fahigkeit, Wasser(FIAH [z.B. SHAW1961; BIENVENU et al. stoffbrucken zu anderen Nukleotidbasen 1963; LEWISet al. 19981). Stabile Kom- auszubilden, ab. Auch in der Natur werden Gene ein- und aus,,geschaltet", indem plexe hatten demnach eine hohe Aktivierungsbarriere, bevor ihre Zentralionen to- diese Bruckenbildung durch Methylierung xisch wirken konnten [z. B. Hexacyano- der entsprechenden Stickstoff- oder Sauercobaltat(III)]. Wenn nicht die Liganden bio- stoffatome der Heterozyklen beeinflusst logisch genutzt oder abgebaut werden, wird. Anthropogene Methylierungsmittel wurde diese Barriere meist nicht iiber- storen diesen Prozess; ihre Wirkung ist schritten. Ein Problem des FIAH-Ansatzes umso ausgepragter je leichter sie ein Mebesteht darin, dass vielfach Redoxreaktiothylkation auf die Nukleotidbasen iibertranen auch in vivo die relative Stabilitat der gen. Daher steigt die toxische und karzinoeinzelnen Speziationsformen stark veran- gene Wirkung in etwa mit der Saurestarke dern. Naheres siehe dazu in 3.1 (,,Was der Sauren, deren Methylester als Methyheifit Abbau von Schadstoffen?"). lierungsmittel in Erscheinung treten: Essigsauremethylester ist (in dieser Hinsicht) Die Freie-Ionen-Aktivitats-Hypothese(FIAH) harmlos, ebenso Methylfluorid (CH,F), der Toxikologen beinhaltet die Vorstellung wahrend Dimethylsulfat ( ( CH,),SO,), Diaeiner das chemische und Toxizitatsverhalzomethan (CH,N25), Methyliodid (CH,I) ten bestimmenden hohen Aktivierungsbaroder Trifluormethansulfonsauremethylriere beim Austausch einer nichtlabilen Li- ester (CH,-OS0,-CF,) (,,Methyltriflat") gandenhulle (z. B. Chloro- oder hydrolysestabile Cyanokomplexe). Hinzu kommen intuitiv vollig unuberschaubare Wechselwirkungen zwischen verschiedenen chemiIrn sauren Milieu des Magens wird Diazornethan zurn schen Spezies, deren Behandlung mit Netz- 5 instabilen Methyldiazoniurnionprotoniert, das dann direkt werkverfahren wie der Stochiometrischen die Nukleinsauren in den Zellen der Magenwand angreift. 11
1.1 Geschichte der Umweltchemie
hoch karzinogene wie auch akut stark toxische Verbindungen sind. Auger direkter Methylierung (andere Alkylgruppen bzw. deren Ester sind weniger reaktiv) besteht auch die Miiglichkeit des Angriffs anderer Elektrophile; hierzu zahlen insbesondere Substanzen mit ,,gespannten", nur drei Atome umfassenden Ringen wie Oxiraneh (Epoxide [C20-Ring]), Thiirane (Episulfide [ C,S I), Aziridine (DreiringAmine [C,NJ) Abb. S ) , die entsprechenden Ammonium- oder S~lfoniumsalze~ und auch einige substituierte Cyclopropane. Oxirane werden biochemisch durch Epoxidierung von Alkenen wie auch von Aromaten gebildet; solche Aromaten, deren formale Doppelbindungen besonders reaktiv sind, z. B. Benzo(a)pyren oder Cholanthren, wirken stark karzinogen, weil sich auch die so gebildeten benzannelierten Dreiringe unter Ringiiffnung an Nukleinsauren addieren. Entsprechende Produkte, die sich nicht mehr in die DNA-Helix einbauen lassen (aus sterischen Griinden) und daher an der fraglichen Stelle das Ribosom ,,stolpern" lassen (fehlerhafte Transkription bzw. Translation), kiinnen auch durch photochemische Addition verschiedener Stoffe an Nukleinsauren entstehen; dies ist der Grund fur die Mutagenitat kurzwelliger UV-Strahlung wie auch bestimmter PAK, die ihre karzinogene Wirkung erst in Kombination mit Licht entfalten. Der elektrophile Mechanismus der Stiirung von Nukleinsaure-
(s.
6 Das einfachste Oxiran, Ethylenoxid. dient daher auch als Desinfektionsmittel u. a. im klinischen Bereich. 7 Die entsprechende Nukleinsaure zerstorende Wirkung der dreigliedrige Ringe bildenden Ammonium- und Sulfoniumsalze wird zur Zellzerstorung sowohl als Kampfstoff (Senfgas, Stickstoff-Lost) als auch als Zytostatikum verwendet. Die Alkylierungswirkung bleibt: Senfgasverletzungen neigen zur spateren Bildung von Tumoren. Die ringformigen Ammonium- und Sulfoniumsalze bilden sich erst bei Kontakt mit (Zell-)Wasser; eingesetzt werden 2chlorierte Arnine oder Thioether. 2-Chlorethylether bildet kein derartiges elektrophiles Ion und ist daher - anders als fruher vermutet - nicht karzinogen.
12
Abb. 5: Beispiele fur Verbindungen mit dreigliedrigen Kingen. Der rote Pfeil symbolisiert das Aufklappen einer Bindung des Kings, wenn ein Nukleophil (z. B. Hydroxid, Cyanid) mit solch einer Dreiringverbindung reagiert. Das Molekiil ist symmetrisch (linke und rechte Halfte gleich); daher ergiibe sich das selbe Produkt bei einem Angriff auf die ,,linke" CX-Bindung. Analog treten Additionen v o n Dreiringverbindungen an Nukleinsauren ein; daher sind diese Verbindungen sowohl karzinogen als auch cytostatisch wirksam.
funktionen kann mit reaktionskinetischenX Gleichungen beschrieben werden, analog jenen, die bei der Hammett-Beziehung (s. Abschnitt 3.2.3) diskutiert werden. Fur karzinogene oder radioaktive SubstanZen, wie Aldrin, Benzol, Benzo(a)pyren oder Plutonium, existiert weder eine essenzielle Konzentration noch ein Konzentrationsniveau, auf dem Mutationen und eine dadurch bedingte Schadwirkung ausgeschlossen werden konnen. Allenfalls ist die zusatzliche Krebshaufigkeit zu klein, urn statistisch noch erfasst werden zu konnen. Dies heifit No Observed Effect Level (NOEL). Daher wurde gefordert, die Um-
8 Das thermodynamische (UsANoviC-Gleichgewicht)dieser Alkylierungen nach R,N + R-X {R,N)tX-(R meist CH,. X = CI Br, I, CH,-COO, CH,OSO, etc ) liegt stets auf der rechten Seite Die Frage 1st allerdings, ob sie kinetisch unter physiologischen Bedingungen schnell genug (innerhalb der Verweilzeit des Xenobiotikons im Korper - zahlreiche der genannten Stoffe sind Gasel) eintreten, um Schaden zu setzen
Geschichte der Umweltchemie 1.1
weltkonzentration derartiger Stoffe unter der je aktuellen Nachweisgrenze zu halten. Diese Festlegung - die aus verschiedenen Grunden popular und auch verwaltungsrechtlich gut implementierbar ist - suggeriert, dass das gegenwartige analytische Methoden- und Nachweispotenzial irgend etwas mit den biochemischen Wirkungen der zu analysierenden Substanzen zu tun hatte (BLIEFERT 1994; HEINTZ& REINHARDT 1996) - was naturlich absurd ist. Die im Einzelnen hier nicht weiter zu entfaltende Kritik an diesem Vorgehen hat unmittelbar mit der methodischen Beziehung zwischen Chemie und Umweltwissenschaften zu tun; denn sie fuhrt zur Frage, inwieweit die aktuellen analytischen Moglichkeiten normenbildend wirken. In der Tat ist das oben wiedergegebene Argument, dass keine Beziehung besteht, insoweit ein chemisches, als kein Zusammenhang zwischen der Chemie der Bioakkumulation oder der DNA-Schadigung und derjenigen der chemischen Derivatisierung oder der Fragmentierung in der Massenspektrometrie besteht. Diese Beispiele mogen als Verweis genugen, dass viele der in anderem Zusammenhang bewahrten chemischen Analyseverfahren biologische Effekte nur bedingt abzubilden vermogen. Dies trifft insbesondere fur den Bereich der Okotoxikologie zu; dementsprechend grog ist der Forschungsbedarf. Aus Messungen physikochemischer Parameter in den Umweltkompartimenten (Konzentration bestimmter Stoffe, pHWert, UV-Strahlungsfluss) konnen deren biologische und okotoxikologische Implikationen, d. h. die Konsequenzen chemischer Veranderungen oder Normabweichungen fur Lebewesen und ganze Okosysteme nur indirekt erschlossen werden. Hierzu muss von den Erfahrungen uber optimale bzw. marginal hinreichende Lebensbedingungen von bestimmten Arten und chemische Einflusse hierauf extrapoliert werden. Dies kann zu klaren oder weniger
klaren Aussagen fuhren; die langjahrige Debatte urn die ,,neuartigen Waldschaden" und an ihrer Entstehung evtl. beteiligte Kausalketten zeigt dies deutlich. Ein Biotest folgt demgegenuber einer anderen Philosophie, kehrt die Denkweise sozusagen um: man bringt einen Testorganismus in die belastete Umwelt, bzw. in Kontakt mit einem daraus entnommenen Teilsystem (Fische, Krebse [z.B. Daphnia magna] in Kontakt mit Sedimentproben) und misst die bei ihm eintretenden physiologischen Wirkungen oder Verhaltensanderungen. Die Skala dieser Anderungen kann (z. B.) beinhalten - Tod des Testorganismus (bzw. eines Pro-
zentsatzes der exponierten Population) innerhalb eines definierten Zeitraums - Einflusse auf die Fortpflanzung (Sterilitat, gehauftes Absterben von Laich, fehlgebildete Embryonen, Veranderungen der Genitalien z. B. durch endokrin wirksame Substanzen, Reproduktionsrate von Bakterien) - Verhaltensanderungen (Schwimmgeschwindigkeit, Reaktionszeit, Aggressionsverhalten) - Farbanderungen (Ausbleichung, Bildung anomaler Pigmente, Kurzzeiteffekte [bei Tieren, die Farbanderungen als Signale verwenden, wie Fische], Schaden an einzelnen Organen (Blattoberflache, Haut), auch Tumorbildung - Absonderung von Markerstoffen, die ,,Stress" anzeigen, einschlieBlich Induktion charakteristischer Enzyme oder Faktoren wie Metallothionein oder Ethoxyresorufin-0-deethylase (EROD), einem Leberenzym in Fischen, dessen Bildung in unterschiedlichen Fischarten durch Schadstoffe wie Dioxine induziert wird. Die Induktion von EROD ist deshalb als Biomarker fur chemischen Stress geeignet, weil es kaum Stoffe gibt, die die ERODInduktion selbst chemisch unterdriicken oder hemmen (WHYTEet al. 2000). Die Nachweisgrenze des EROD-Tests liegt 13
1.1 Geschichte der Umweltchemie
daher unter derjenigen der meisten toxikologischen Standardtests. Ein Beispiel fur das Design eines Biotests, der den Tod bzw. die dauerhafte Schwimmhemmung von Daphnien als Messkriterium heranzieht (Punkt 1 der obigen Aufzahlung), gibt die Abb. 6. Man weilj dann freilich noch nicht, worin genau der biochemische oder neurophysiologische Kausalzusammenhang zwischen dem im Biotest gemessenen Effekt und der mutmaljlichen Umweltbelastung besteht, welches Enzym durch ein Schwermetallion oder eine karzinogene Substanz gehemmt oder fehlaktiviert wird, etc. Auch stellt sich die Frage nach der Aussagekraft des gemessenen Parameters sowie der Ubertragbarkeit auf andere Arten einschlieljlich des Menschen. Die Haltungsbedingungen der Testorganismen fiihren weiterhin dazu, dass aus der oben erlauterten Hierarchie der Effekte (von kleineren Verhaltens- oder biochemischen Anderungen bis zum Tod) immer eine methodisch begrundete Auswahl getroffen wird und werden muss (SCHUURMANN & MARKEKT 1998; OEHI.MANN & MARKEKT 1999). Ein Beispiel: Schwach elektrische Fische (Mormyriden, so genannte Nilhechte) wie der Elefantenfisch erzeugen hochfrequente elektrische Impulse mit Spannungen von einigen Volt. Die Frequenz dieser Impulse und die Gestalt der einzelnen Pulse andern sich bei Wasserbelastung. Dies ist in Wasserwerken gelegentlich zur automatisierbaren Kontrolle von Wasserbelastungen herangezogen worden, zuerst a b 1978 in GoppingenlBadenWiirttemberg (elektrische Signale sind weita u s leichter rechnergestiitzt zu analysicrcn als etwa Farb- oder Verhaltensanderungen!). Das Verfahren gilt als zuverlassig, obwohl sich Mormyriden bei Aquarienhaltung nicht fortpflanzen (einzelne Zuchterfolge gelten unter Aquarianern als nicht reproduzierbare Zufalle). Bereits die gewiihnliche Aquarienhaltung stellt fur Elefantenfische also einen Stress- oder Belastungsfaktor dar, der einer Reproduktionstoxizitat aquivalent 14
ist. Reproduktionstoxizitat kann also nicht im Aquarium gemessen werden, sondern ,,nur" der Tod, neurophysiologische Veranderungen wie Signalfrequenz und -gestalt oder auch chemische Stresssymptome. Die elektrischen Impulse dieser Schwarmfische dienen auch zur innerartlichen Kommunikation sowie dem Balzverhalten; um Stiireffekte auszuschliei3en (elektrisch ,,miteinander quatschende" Fische), ist f u r den Wassertest Einzelhaltung von Niiten. Biotests im Labor stellen auch in anderen Fallen Abweichungen von den belastet oder unbelastet natiirlichen Bedingungen dar, die in analoger Weise bestimmte Stiirungsrnerkmale von der Untersuchung ausschliefien kiinnen. Dennoch sind bereits uber 500 Arten in der Bioindikation verwendet worden ( MAKKERT et al. 2003). Mit der Effektfeststellung und -messung ist noch keine Kausalaussage getroffen; die Bestimmung der Ursache kann extrem schwierig sein. Dennoch hat ein Biotest den Vorteil einer in gewisser Weise direkten biologischen Aussage. Man kann Biotests und chemische Analysen daher durchaus als komplementare, einander erganzende Verfahren z u r Gewinnung von urnweltrelevanter Information betrachten. Biomonitoring verkniipft beide, indem Organismen als Trager chemisch-analytischer Daten herangezogen werden (wieviel Blei reichert sich in der Pflanze XY an, wenn die Bleibelastung des Bodens den Grcnzwert Z iiberschreitet?).
1.1.3 Stoffe und Quellen Standig gelangen Stoffe unterschiedlichster chemischer Art in die drei Umweltkompartimente; Quellen kiinnen biologische, geologische (Erosion, Vulkanismus), andere natiirliche Prozesse wie etwa Waldbrande sowie - zu einem erheblichen Anteil rnenschliche Aktivitaten (Landwirtschaft, Industrie, Verkehr etc.) sein. Die Quellen der einzclnen Spurengase - natiirliche und
Geschichte der Umweltchemie 1.1 -
Testmedium
Stamrnkultur
pH-Wert einstellen
El
/
A-A-A-A-AA 04
Anzucht der Testorganismen
16
62
25
100
Ktr
Verdunnungsreihe herstellen
le 10 Tiere
Testansatz 24/48 Stunden
Auszahlen der immobilen Tiere pH-Wert und 0,-Gehalt uberprufen
Abb. 6: Ablaufschema des Akuttoxizitatstests rnit Daphnia magna nach
FoMlN
et al. (2003):
Starnmkultur, Anzucht der Testorganismen, pH-Wert des Testmediums auf 2,5 his 3,0 einstellen, Verdunnungsreihe herstellen: 0,4/1,6/6,2/25/100 pg Cd/l (je vier Replikate), pH-Wert uberpriifen, 5 . Testsubstanz: 10 Jungtiere pro Versuchsansatz, 6. Auszahlen und Entfernen der imrnobilen Tiere nach 24 und 48 Stunden, 7 . pH-Wert und Sauerstoffgehalt am Testende uberprufen.
1. 2. 3. 4.
15
1.1 Geschichte der Umweltchemie
anthropogene - werden im Abschnitt 2.2.1 sie binden sich irreversibel an Bodenbegenauer erlautert. Bleiben die in die Um- standteile, etwa durch Komplexbildung welt eingetragenen Stoffe dort zumindest und Folgereaktionen. Ammoniak und Cyaauf kurzere Sicht chemisch ~ n v e r a n d e r t ~ , nid z. 8. werden durchaus von Organismen so werden sie transportiert und zwischen verwertet wenngleich beide Stoffe fur die den Umweltkompartimenten verteilt. Im meisten toxisch sind. NH,, aber auch SO, anderen Falle (hohe Reaktivitat, kurzlebige und CO sind in der Atmosphare z u kurzlePrimarsubstanz) geschieht das Gleiche mit big, urn global verfrachtet werden zu kiinderen (langerlebigen) Folgeprodukten. nen. Ihre Reichweite ist damit beschrankt. Eine Triebkraft fur Transport und Vertei- Schwer- und Leichtmetalle kiinnen ebenso lung chemischer Stoffe in und zwischen in alle Umweltkompartimente sowie die den Umweltkompartimenten besteht in Biomasse gelangen wie organische Verbinchemischen Gradienten - etwa pH-Unter- dungen. schieden zwischen einem Gewasser und den1 unterliegenden oder es direkt umge- Die Verteilung von Substanzen zwischen benden Sediment bei der Verteilung von den Umweltkompartimenten ausgehend sauren oder basischen Stoffen, wozu auch von dem, i n das sie emittiert wurden, ist Metallionen zahlen konnen - und in Tem- abhangig von ihren chemischen Eigenperaturunterschieden. Aber auch ohne sol- schaften: Salze lasen sich (allenfalls) in chc Gradienten stellen sich Verteilungs- Wasser sowie der Bodenfliissigkeit, kiinnen gleichgewichte ein, in deren Folge die Sub- in Luft nur als Aerosole verfrachtet werstanzen z . B . a n Partikel gebunden und in den, fliichtige organische Verbindungen dicscr Form transportiert oder abgelagert werden gut mit dem Wind transportiert, werden. Man kann die in der Tab. 1 auf- aber stark an Bodensubstanz adsorbiert, gefiihrten Stoffe grundsatzlich nach ihrer wahrend ihr Verhalten in Wasser von Wasserloslichkeit und Sorptionstendenz bestimmt wird. Quantitativ wird dies durch - Fliichtigkeit oder dem - Restreben, in andere UmweltkompartiVerteilungskoeffizienten beschrieben, z. B. mente als ihre Quellen uberzutreten, klassifizieren. Ein anderes Ordnungskriteriurn, das in der Tab. 1 berucksichtigt CIStott ,,1 HZOI} im Gleichgewicht. wurde, ist ihre - Persistenz. Drei Fiille sind zu unterscheiden: AnreicheDabei werden abbaubare und persistente rung im Sediment, eine naherungsweise organische Verbindungen sowie anorgani- Gleichverteilung und schliefilich die Exsche unterschieden; der Unterschied zwi- traktion aus dem Sediment ins freie Wasschen den beiden ersten ist naturgemaij ser. Letzteres geschieht z. B. dann wenn ein graduell und flieijend, und auch bestimmte Fluss oder ein sturmisches stehendes Geanorganische Gase und Ionen unterliegen wasser zuvor belastete Sedimente erosiv oxidativem oder biologischem Abbau oder freilegt. Irn ersten Fall ( K > 0) wird das Sediment im Wasser transportierte Stoffe binden und anreichern, zunachst durch 9 Unter ,.chemisch unverandert" werden hier auch reverAdsorption. Im Bereich der Technischen sible chemische Prozesse verstanden, etwa die DissoziUmweltchemie erfiillen z. B. Sorbentien ation von organischen Sauren in Wasser Essigsaure z B wie Aktivkoks oder das Tonmineral Bentodissoziiert zwar in Wasser. dennoch l a s t sie sich aus Wasser abdestillieren, well und indem sie in den molekunit aber auch Belebtschlamm in einer Klarlaren, verdampfbaren Zustand zuruckkehrt (reversible anlage diese Funktion, die zu einer ReiniReaktion Einstellung eines Protolyse[Saure/Base]gung des iiberstehenden Wassers fuhrt. Der Gleichgewichts) 16
Geschichte der Umweltchemie 1.1
Tab. 1: Verunreinigungen und Schadstoffe in verschiedenen Umweltkompartimenten (verandert (1995) aus MARKERT & FRIESE(2000)). nach FORSTNER Urnweltkorn- Gebundene Substanzen Beispiele partiment ~
Wasser
Boden
Luft
~
~
~
Herkunftsquelle ~
~
~~
Abbaubare organische Verbindungen
Fakalien, Tenside, Losungsmittel, Pestizide, gewerbliche Prozesschernikalien,Fette, Ole, losliche Reststoffe pflanzlichen und tierischen Ursprungs, chemische Grundstoffe, Zwischenund Endprodukte
Stadte und Dorfer, Haushalte, Landwirtschaft, Textilindustrie, rnetallverarbeitende Betriebe, Maiergeschafte, Nahrungs-/ Chemie-/Papierindustrie,Mulldeponien
Persistente organische Verbindungen
Tenside, Losungen, Pestizide, gewerbliche Prozesschemikalien, chemische Grundstoffe, Zwischen- und Endprodukte
Landwirtschaft, Textilindustrie, Metallverarbeitung, Malerbetriebe, chernische und Papierindustrie, Mulldeponien
Anorganische Verbindungen
Schwermetalle, Sake, Cyanide, Metallverarbeitung, HuttenweChromate, Dungemittel sen, Lederproduktion, Stadte und Siedlungen, Landwirtschaft, Deponien
Abbaubare organische Verbindungen
Fakalien, Pestizide, Reststoffe Landwirtschaft, Haus- und Sontierischen und pflanzlichen derrnulldeponien, EntsorgungsUrsprungs, gewerbliche Proeinrichtungen zesschernikalien, chernische Grundstoffe, Zwischen- und Endprodukte, Klarschlamrne
Persistente organische Verbindungen
Tenside, Losungsmittel, Pesti- Sonder- und Industrieabfall. zide, gewerbliche Prozessche- deponien mikalien, chemische Grundstoffe, Zwischen- und Endprodukte
Anorganische Verbindungen
Schwermetallverbindungen, Sake, Asche, Schlacke
Organische Gase
Losungsmittel, Kohlenwasser- Malerbetriebe, Raffinerien, stoffe, fluchtige Pestizide, fluch- Fischzuchtbetriebe, Landwirt. tige lndustriechernikalien schaft
Anorganische Gase
Kohlenmonoxid, Chlorwasser- Brennkammern, Verbrennungsstoff, Schwefelsaure,Stickoxide anlagen, Motoren, lndustrie (Ozon), Metalldampfe, Kohlendioxid, Arnmoniak
Staub und Rauch
Metalloxide, PAK, RuO
Mulldeponien, Verbrennungsanlagen, Metallproduktion
Metallproduktion, Mullverbrennung, Verbrennungsanlagen generell
17
1.1 Geschichte der Umweltchemie
Vertcilungskoeffizient selbst ist natiirlich von der Zusammensetzung der Festphase aber auch Eigenschaften des Wassers wie p H (Anionen von Carbonsauren, Phenolen verteilen sich anders als die neutralen Verbindungen), Ionenstarke und Anwesenheit von Tensiden (einschliefilich biogenen wie bestimmten Zellfragmenten), Komplexbildnern etc. abhangig. Dennoch kann er enipirisch zum Wasser/Oktanol-Verteilungskoeffizienten in Beziehung gesetzt werden, s o dass bei Kenntnis des Verhaltens einiger Stoffe in einem Wasser/Sediment-System auf dasjenige anderer, einschlieRlich des von ihnen miiglicherweise ausgehenden iikotoxikologischen Risikos'", extrapoliert werden kann. Manche dicser Stoffc werden ausschliefilich von Menschen freigesetzt - absichtlich wie Pestizide oder Tenside oder bei Unfallen (Mineraliilprodukte). Weitere Stoffc werden sowohl von Menschen ausgebracht wie sie a u s natiirlichen Quellen stammen (NO,, SO,, HCI, Hg- und CdO-Dampf aus Kraftwer&n und Vulkanen), bei anderen doniinieren die letzteren. Anthropogen eingebrachte Stoffe umfassen Verbrennungsnebenprodukte und solche der Hiittenindustrie (Metalloxidaerosole) ebenso wie solche des Stoffwechscls von Mensch und Haustier und gewerbliche Prozesschemikalien. Z u den Substanzen, die aus naturlichen und anthropogenen Quellen gleichermagen in die Umwelt gelangen, zahlen bestimnite anorganische und organische Gase wie HCI, CH,CI und CH,Br, aber auch Feststoffe wie einige Metalloxide (Hiittenwescn und Erosion). Ein wesentlicher Unterschied zwischen anthropogenen Immissionen und Stoffeintrii-
10 Schlammbewohnende Organismen wie der Wurm Tub/ fex spp kumulieren bestimmte Stoffe, die der Schlamm angereichert hat, welter Tubifex ihrerseits werden von Fischen und grundelnden Vogeln gefressen, die Inhaltsstoffe gelangen so zuruck ins freie Wasser sowie in terrestrische Nahrungsketten einschlieBlich des Menschen
18
gen aus naturlichen Quellen (mit Ausnahme der biogenen) ist der folgende: Menschen erzeugen und nutzen Gegensta nde un te r te i 1s e r h e b I ic h em Ma ter ia 1a u fwand und niit hoher stofflicher Komplexitat: die Anzahl cheniischer Elemente in z. B. einem Personal Computer iibersteigt die f u r irgendeinen Organismus essenziellen ( < 2.5 chem. Elemente) deutlich. Bereits bei der Produktion der Rohstoffe und Vorprodukte oder Halbzeuge wird weitaus mehr und tiefer gehend Material bewegt' I , durch Bergbau und Energieverbrauch, mehr Schwermetalle, Salze, Oxide v o n Kohlenstoff, Stickstoff und Schwefel, Staube und scdimentbefrachtete Abwasser sowie Prozesschemikalien immittiert als irgendein anderes Lebewesen z u r Bildung seiner Biomasse umsetztILoder an die Umwelt abgibt (iikologischer Rucksack) '). Wahrend der Nutzungsdauer des Produkts oder Gerats erfolgen weitere Stoffeintriige in die Umwelt, sei es durch Energieverbrauch, mechanische Abnutzung oder indem es neben dem Encrgieverbrauch selbst Chemikalien produziert oder verarbeitet. Schlussendlich werden nicht mehr brauchbare oder dem Recycling schwer zufiihrbare Komponenten auf Deponien abgelagert, offiziell oder inoffiziell. Dort kiinnen sie weitere Immissionen verursachcn. Die Ausbringung des Stoffs in die Umwelt kann sogar Ziel oder Bestandteil seiner Nutzung sein; Beispiele dafur sind Tenside, deren 11 Bergbau und Olforderung erstrecken slch bis in ca 4 kin Tiefe, Pflanzenwurzeln und tierische Hohlenbauten reichen hochstens etwa 10 m tief unter die Oberflache 12 Bei Tieren 1st dies etwa das 5-10-fache der geblldeten Biomasse, wahrend der durchschnittliche Burger eines lndustriestaates wahrend seines Lebens rund das Zehntausendfache seines Eigengewichtes allein an fossilen Energietragern verbraucht 13 Der okologische Rucksack (SCHMIDT-BLEEK1992) beschreibt das Mengenverhaltnis zwischen bergbaulich bewegter oderlund chemisch behandelter Materie einschlieOlich dazu benotigter Zusatzstoffe (Koks im Hochofen) zum genutzten Endprodukt Werden z B aus 1 t Erz 2 g Gold gewonnen betragt dieser Faktor 500 000 (+ zur Erzlaugung verwendete Chemikalien)
Geschichte der Umweltchemie 1.1
Nutzung irn Haushaltsbereich in der Ubertragung fester oder flussiger ,,Verschrnutzungen" von Oberflachen auf das Umweltkompartirnent Wasser besteht, oder Pestizide. Bei Anstrichfarben ist die Freisetzung von Losungsrnitteln - wenn es sich nicht um wasserbasierte Dispersionsfarben handelt - beirn ,,Trocknen" ebenso unabdingbarer Bestandteil ihrer Funktion, und gleichgultig o b die Nutzung in Innenraumen oder als Adenanstrich erfolgt, werden die Losungsrnittel wiederurn in die Atmosphare gelangen. Deponien endlich beeinflussen grundsatzlich - u. a. geochernisch bzw. durch Zerstorung der urnliegenden gewachsenen Bodenstruktur das Urnweltkornpartirnent Boden. Auch der Versuch, (feste, flussige oder radioaktive) Reststoffe in Deponien einzulagern, muss nicht deren dauerhaften Abschluss von den Urnweltkornpartimenten bedeuten: biologische Prozesse uberfiihren Schwerrnetalle durch Methylierung (Arsen, Selen, Antirnon, Quecksilber), Reduktion (Quecksilber) und Carbonylierung (Molybdan, Wolfram) in fluchtige Forrnen, die rnit dem Deponiegas in die Atrnosphare entweichen, wahrend Leckagen bzw. von vorneherein unzureichende Untergrundabdichtungen Stoffeintrage in den Boden und das Grundwasser nach sich ziehen. Deponiegas enthalt ca. 1 % Benzol (vergleichbar mit unbehandelten Autoabgasen!), das durch biochemische Reaktionen an aromatischen Verbindungen entsteht. Verbrennungsanlagen und Motoren beeinflussen zunachst die Luft, weil sie von dort den zur Oxidation erforderlichen Sauerstoff beziehen und die ,,Abgase" sowie Partikel bildende Nebenprodukte (Flugasche, Staub, Rug) dorthin entlassen. Die Partikel sind fest und werden uber kurz oder lang auch auf Boden und Wasseroberflachen deponiert. Fliichtige Verbindungen gelangen in die Atrnosphare, in der sie besonders schnell transportiert werden, wasserlosliche werden mit stromendern Wasser in Flussen
und Meeren bewegt. Stoffe, die weder gut wasserloslich sind noch einen hohen Darnpfdruck aufweisen, konnen dennoch in Luft und Wasser transportiert werden, und zwar an Partikel (Aerosole bzw. wassrige Schwebteilchen) gebunden. Bei nicht persistenten Stoffen ist anders als fur persistente bei der Verteilung zwischen Urnweltkornpartirnenten zu berucksichtigen, dass und in welcher Weise die ursprunglich irnrnittierte Substanz in dem Umweltkornpartirnent, in das sie zunachst gelangte, verandert wurde: Unpolare organische Substanzen werden z. B. leicht an unpolare Festphasen wie Hurninstoffe adsorbiert, nicht so sehr an polare wie Kieselgel oder Tonmineralien. Phenole, Naphthole usw. Iosen sich deutlich besser in Wasser als die nicht substituierten Aromaten (Benzole, Naphthaline), und sie sind wiederurn polar, was ihr Sorptionsverhalten wie oben dargelegt verandert. Eine Hydroxylierung nicht persistenter Verbindungen durch photo- oder biochemische Prozesse verschiebt daher deren Verteilung zwischen Wasser, Luft und Boden bzw. zwischen unterschiedlichen Bodenfraktionen. In ein Umweltkornpartiment eingetragene Stoffe konnen so in einern anderen in veranderter, nicht unbedingt weniger schadlicher Form deponiert bzw. angereichert werden. Dies gilt nicht nur fur aromatische organische Verbindungen sondern auch fur aliphatische Verbindungen wie Alkene oder fur anorganische Substanzen: Chromate in Wasser und Boden konnen zu Cr(II1) reduziert und in dieser Form ausgefallt werden, was ihre Mobilitat stark vermindert. Sehr persistente fluchtige Verbindungen verteilen sich weltweit, his sie in Bereiche gelangen, wo sie entweder ausfrieren (arktische und Hochgebirgsregionen; ,,globale Destillation") oder wo die Urnweltbedingungen derart aggressiv werden, dass sie doch noch Reaktionen eingehen (FCKW bzw. deren Photolyseprodukte in der stratospharischen Ozonschicht). 19
1.1 Geschichte der Umweltchemie
Im Umweltkornpartiment Boden ist die Mobilitat von Stoffen zurneist minimal, doch die Produktions- und Urnsetzungsrate von Stoffen in Folge biologischer Aktivitat betrachtlich. Auch der geochernische Prozess der Bodenbildung ist rnit starkem Stofftransport verbunden (Wind- und Wassererosion, Sedimentation, Redoxprozesse von der Oberflache oder rnit dern Grundwasser einsickernder Spezies). Erwahnt ist in dieser Auflistung noch eine Anzahl biogener Reststoffe, von tierischen und rnenschlichen Fakalien uber Ruckstande der Landwirtschaft und Viehhaltung (gasformig wie NH,, flussig wie Gulle oder fest [Kadaver, Pflanzenreste, Riickstande der Lebens- oder Futterrnittelproduktion]) his zu Fetten und Olen. Ihre Bedeutung wird haufig unterschatzt: bereits fast die Halfte der gesamten photosynthetischen Primarproduktion der Erde wird vorn Menschen zu seinen Zwecken entweder genutzt, organisiert (Land-, Forst- und Viehwirtschaft) oder rnit erfasst, ohne genutzt zu werden (,,Beifang" in der Fischerei). Entsprechend grog sind die anfallenden Mengen und die aus ihrem dann folgenden biologischen Abbau (der ,,Beifang" uberlebt nur selten, Stroh, Stangel, Knochen konnen nur z. T. direkt in der Landwirtschaft verwertet werden) resultierenden Stoffflusse. Losliche Reststoffe biologischen Ursprungs stellen ebenso eine Gewasserbelastung bzw. in der Klartechnik eine Anforderung an die Technische Umweltchernie dar wie nicht wasserlosliche (Fettklumpen, grobe organische Partikel): Diese werden zwar in Klaranlagen meist schon im rnechanischen Reinigungsschritt entfernt, rnussen dann aber ebenfalls entsorgt werden. Die Verbrennung biogener Reststoffe ist im Einzelfall energetisch attraktiv (Stroh- und Holzschnitzelkraftwerke), hat rneist aber eine Verlagerung der Spurenelementbelastung (alle Biomasse enthalt zumindest die fur ihren Quellorganismus essenziellen Spurenelemente) und des Sauerstoffver-
20
brauchs vom Wasser in die Atmosphare zur Folge. Beirn Versuch einer Mengenbilanz fallt das Uberwiegen ungeplanter Immissionen gegenuber gezielten Eintragen auf: viele Mrd. t CO, pro Jahr zahlen ebenso zu den ersteren wie verdampfende Losungsmittelruckstande, die wegen des Halogengehalts und ihrer meist ausgepragten Infrarotabsorption allerdings grogere Schaden verursachen konnen, weiterhin Stickoxide sowie Methan aus Land-Niehwirtschaft und Deponien (jeweils annahernd 100 Mio t/a). Gezielt ausgebracht werden pro Jahr rund 110 Mio. t Ammoniak (90 M i a t N; 2002) als Ammoniurnsalzdunger, etwa 10 Mio. t TensideI4 und unter Berucksichtigung der Forrnulierungsart ahnliche Mengen von Pestiziden (Gesamtwirkstoffrnenge [ 19951: 2,6 Mio. t). Diese Stoffe werden biologisch und anderweitig oxidiert (Ammoniak letztlich zu Nitrat); sie und ihre Zwischenprodukte unterliegen jeweils dem Transport in und der Verteilung zwischen den Umweltkompartimenten. Tenside beeinflussen diese Verteilung naturgernag merklich.
1.1.4 Transport und Umwand-
lung von Umweltchemikalien Wie aus Tahelle 2 ersichtlich ist, konnen Transport und Transfer von Chemikalien in den Urnweltkompartirnenten auf unterschiedliche Weise erfolgen, narnlich durch Advektion (Transport mit Strornungen), Diffusion oder Dispersion (,,Spreiten" auf Oberflachen); Gleiches gilt f u r Stoffe, die an Partikel gebunden vorliegen. Diffusion und Dispersion sind nicht durch hestimmte
14geschatzt auf der Basis folgender Verbrauchsdaten - geradkettige Alkylbenzolsulfonate (Grundstoff der meisten anionischen Tenside) 2,6 Mio t (2000) - Fettalkohole fur an- und nicht ionische Tenside 1,6 Mio t (2000) Anteil der petrochemisch basierten Tensidproduktion am gesarnten Erdolbedarf 0,l % (2002) und der biogenen Fette/Ole an der Tensidproduktion ca 50 %
Geschichte der Umweltchemie 1.1
Tab. 2: Verantwortliche Prozesse fur das Schicksal von Urnweltchernikalien (nach FENT 2003). Kategorie Prozess
Chernikalien
Transport
Advektion, Diffusion, ErdoI, Atrazin Dispersion Transport durch Parti- PAH kel
Transfer
Losung im Gewasser Tenside Sorption an Partikel, Schwermetalle Sediment- und Boden (Sedimentation) Verdunstung in der Tetrachlorethen Atmosphare (PER) Atmospharische Depo- Schwefel- und sition Stickoxide, PCDD
Transformation
abiotisch (Hydrolyse, Photolyse, Redoxreaktionen) biotisch (aerober und anaerober Abbau)
Pestizide (Organophosphate) Methylquecksilber, Pestizide
charakteristische Geschwindigkeiten gekennzeichnet, aus denen das Dominieren des einen oder anderen Pfades bzw. der Advektion im Stofftransport unmittelbar berechnet werden konnte. Der Grund dafur ist, dass die Diffusion geloster oder suspendierter Stoffe (Brownsche Molekularbewegung) ungerichtet erfolgt und daher die zur Uberwindung einer bestimmten Strecke notwendige Zeit mit dem Quadrat der Strecke a n ~ t e i g t ' ~Fur . die Dispersion auf Oberflachen gilt Ahnliches: kurze Strecken konnen sehr schnell bewaltigt werden, grogere erfordern lange Zeit.
15 In vielen alteren Chemie-Horsalen kann man dies sehr schon beobachten: beinahe zur Standardausrijstung unter den Schaustucken gehor(t)en glaserne Steigrohre, in denen farbige Sake (Permanganate, [CU(NH,),]~+) Diffusionsfronten ausbilden. Strecken von 1 m werden so erst nach vielen Jahren zuruckgelegt (> lo8 s), wahrend die 15 nm des Synapsenspalts diffusiv in einer Millisekunde bewaltigt sind (Reizleitung in Nerven). Diffusion ist also auch im Grundwasser nur von Bedeutung, wenn dieses zu keiner Stromung veranlasst wird. oder uber Strecken im cm-Bereich und darunter.
Unter Advektion versteht man horizontale Transportvorgange von Luft und Wasser, d. h. Wind und Stromungen. Typische Windgeschwindigkeiten sind 5-7 d s , bei Wasser kann in Flussen und Meeresstromungen (Golf- oder Humboldtstrom, Gezeiten) von 1-2 mJs ausgegangen werden. Der Transport von Luft und Wasser sowie darin suspendierten Stoffen uber kontinentale Distanzen hinweg vollzieht sirh damit innerhalb uberschaubarer Zeit. Einschlagige Befunde machen das Verhalten persistenter Stoffe in Atmos- und Hydrosphare verstandlich: die kiirzestlebigen Stoffe, die unabhangig davon, dass sie hauptsachlich in bestimmten (unterschiedlichen) Teilen der Nordhemisphare emittiert werden, uber beinahe alle Breitenkreise hinweg gleich haufig sind, sind Methan und l,l,l-Trichlorethan (Methylchloroform), deren tropospharische Lebensdauer16 etwa 5 Jahre betragt. Andere fliichtige Verbindungen mit ahnlicher oder grogerer Lebensdauer werden dem zu Folge ebenfalls global verteilt, bis sie evtl. in ,,Kiihlfallen" deponiert werden. Reaktivere Stoffe (Lebensdauer < 6 Monate) gelangen in nennenswertem Umfang weder (horizontal) durch den aquatorialen Kalmengiirtel noch (vertikal) durch die Tropopause. Atmospharische Deposition beendet den Lufttransport eines Stoffs, es kann sich ein weiterer Transport in Wasser anschliegen. Gut wasserlosliche Verbindungen unterliegen der atmospharischen Deposition mit Regen, Nebel und Schnee. Diese verkurzt die atmospharische Verweildauer auf wenige Tage, die Reichweite ihres Transports mithin auf vielleicht 1000-2000 km. Von exzessiven Schwefeldioxidemissionen eines Landes (Grogbritannien, die damalige DDR und ostliche Teile der CSSR) waren in den 1980er-Jahren daher iiberwiegend 16 Die Lebensdauer kann abgeschatzt werden durch die Reaktionsrate rnit OH-Radikalen sowie die Quantenausbeute des Photoabbaus fur Einstrahlungswellenlangen h 2 295 nm.
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1.1 Geschichte der Umweltchemie
die direkten und ubernachsten oder durch kleine Meere getrennten Nachbarn in ostlicher und nordiistlicher Richtung betroffen (Sudnorwegen, Sudfinnland, Teile Polens und WeiRrusslands). Hierzu trug bei die ,,Politik der hohen (bis zu 400 m) Schornsteine", die Abgasfahnen ohne kurzfristigen Bodenkontakt und auRerhalb der durch die Oberflachenrauhigkeit von Waldern und Siedlungsraumen bedingten Striimungsturbulenz schufen. Iler Transfer ist in Wasser in gelijster oder adsorbierter Form moglich; in der Atmosphare ist die Situation insofern etwas anders, weil Case grundsatzlich unbeschrankt miteinander mischbar sind: Beim Vermischen kommt es hochstens z u chemischer Aerosolbildung (z. B. Ammoniumsulze), wshrend keinerlei Loslichkeits-/ Mischbarkeitsgrenzen existieren. Vollig analog wie in Wasser ist die Adsorption a u s der Gasphase an feste Partikel; diese kiinnen auch in Luft iiber kontinentale Distanzen transportiert werden (Wiistenstaub, RuR von Waldbranden). Auf diese Vorgange, die - abgesehen von reversiblen chemischen Prozessen wie Protolyse - rein physikalische Prozesse sind, folgen dann Transformationen, die als chemische Reaktionen die Stoffe verandern. Dazu zahlen abiotische (Hydrolyse, Photolyse, Redoxreaktionen) ebenso wie biotische Prozesse; der aerobe und anaerobe Abbau fuhrt teilweise zu den selben Zwischenprodukten. Fur die Folgeprodukte wiederholt sich dies alles, sie unterliegen den gleichen Transport- und Transfervorgangen wie die zunachst immittierten Stoffe, nur mit dem Unterschied, dass ihre hierfur relevanten physikochemischen Parameter in der Regel von denen der ursprunglichen Substanz abweichen. Prozesse in den Umweltkompartinienten sowie in der Biomasse unterscheiden sich nicht grundsatzlich, doch ist die Vielfalt biochemischer Abbaupfade gr2iBer. Dennoch ist nicht jede Substanz biologisch abbaubar,
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auch kann die Resorption begrenzt sein. Daher dominieren biochemische Transformationen nicht in jedern Falle - auch nicht innerhalb der Untergruppe der organischen Verbindungen gegenuber Hydrolyse, Photolyse oder Redoxreaktionen. Typische Forrnen von Biotransformation sind: - Oxidation/Hydroxylierung - Hydrolyse -
Konjugation
Alle drei Reaktionsformen - beirn Wirbeltier hauptsachlich in der Leber realisiert dienen dazu, die Wasserloslichkeit organischer Verbindungen zu steigern, wodurch diese verstarkt in den Magen-Darm-Trakt ruckuberfuhrt und so fakal bzw. uber die Niere ausgeschieden werden: wiihrend z. €5. auch einfache Ester wie Ethylacetat nur begrenzt wasserloslich sind, sind die Hydrolyseprodukte Essigsaure und Ethanol in jedern Verhaltnis mit Wasser rnischbar. Hydroxylierte Verbindungen wie Alkohole oder Phenole, die aus Alkanen oder benzoiden Aromaten mithilfe von Cytochromperoxidasen gebildet werden, sind gleichfalls weit besser liislich als die Edukte; Konjugation mit Glycin, Zuckern oder Zuckersauren wie Glucuronsaure endlich fugt eine polare, hydrophile Seitenkette in das Molekul ein.
1.1.5 Reaktion und Wirkung Wirkung ist derjenige Einfluss eines Stoffes oder Prozesses auf ein System, der dessen Zustand oder Verhalteri andert. Bei chemisch bedingten Wirkungen sind Stoffe und von diesen eingeleitete Prozesse kaum voneinander trennbar: ein Stoff gelangt in das System, reagiert dort chemisch oder katalysiert eine Reaktion zwischen anderen Stoffen (Prozess), woraufhin ein Nebenprodukt anfallt, das eine Wirkung ausliist bzw. dessen Auftreten die Wirkung darstellt. Das gilt fur Systerne beliebiger chemischer und infrastruktureller Komplexi-
Geschichte der Umweltchemie 1.1
tat. Da Lebewesen chernische Systerne darstellen, sind biochernische Effekte von ,,rein chernischen" Chernikalienwirkungen kaum zu trennen: Der Auflosung von Polymeren durch Sauren oder Basen entspricht die Veratzung biologischen Materials, der Ausfallung der Calciumsalze bestirnrnter organischer Sauren die Bildung von Organsteinen oder die Genese der Gicht (Ausfallung und Abscheidung von Kristallen in Gelenken). Chernische Wirkungen konnen aber auch die Veranderung von Loslichkeitsverhaltnissen (z. B. Angriff auf Lipiddoppelschichten [Zellrnembranen] durch organische Losungsmittel) oder Bildung von Anlagerungsverbindungen wie Gashydraten oder Chinhydronen (Phenoltoxizitat) sein, die sarntlich keine ,,eigentlichen" chemischen Reaktionen darstellen. Alle korrespondieren mit biologischen Wirkungen: Beirn Angriff auf Zellrnembranen kornrnt es zu unkontrolliertem Ionendurchtritt durch eine Membran mit u.a. neurologischen Folgeeffekten, bei Anlagerungsverbindungen kann es zu einer Narkose" kornmen. Daneben gibt es in der Biologie noch zusatzliche charakteristische Wirkungsweisen bzw. Wirkorte: Mernbranen strukturieren biologische Systeme, mussen beim Stoffwechsel diffusiv oder durch aktiven Transport durchdrungen werden, und der Stoffwechsel bedingt standige chemische Reaktionen, so dass neben ,,einfache" chemische Reaktionen und darnit verknupfte Wirkungen noch Reaktions-Diffusions-Effekte treten. Solche Reaktions-Diffusions-Systerne sind haufig an
17 Gashydratbildung an oder in Mernbranen 1st das rnutrnaBliche Wirkprinzip der rneisten lnhalationsnarkotika wie Chloroform, Krypton, Ether oder Cyclopropan (vgl die Ausfuhrungen zur Sequestrierung von Kohlendioxid [Fallstudie 4 21) Unter hoheren Drucken als Norrnaldruck zeigen auch andere Gase wie Stickstoff, Argon und Neon analoge narkotische Wirkungen, was fur Taucher ein hohes Risiko birgt (,,Tiefenrausch", neurologische Hochdruckstorungen [high pressure nervous syndrome, Krarnpf und epileptische Anfalle unter rapider Drucksteigerung]), vielfach rnit todlichern Ausgang (direkt. nicht durch Ertrinken 1)
chernischer Strukturbildung (,,chernische Wellen" etc., auch in der Biologie, etwa bei der Zellteilung) erkennbar; sie reagieren ernpfindlich auf Veranderungen z. B. des Diffusionskoeffizienten durch die Membran. Die Mernbran kann auch durch oberflachliche Anlagerung von Ionen und sogar nicht reaktiven Gasen rnanipuliert werden. Ergebnis ist ein weiterer Wirkrnechanisrnus von Stoffen neben dem ,,direkt chemischen" einer (evtl. katalytischen) Urnsetzung von Stoffen oder Zerstorung existierender Strukturen. Die Schwellenkonzentrationen fur die letztere Art von Effekten sind vielfach wesentlich kleiner als bei chernischen Wirkungen. Viele Stoffe werden in den Organismus aufgenommen, dort u. U. angereichert, abgelagert (z. B. PCBs irn Fettgewebe, zahlreiche Schwermetalle in den Knochen) oder/ und chernisch rnodifiziert. Die Metabolite entfalten ggf. selbst biochemische Wirkungen; in vielen Fallen sind z. B. die (Ep)oxidierungsprodukte von polyzyklischen Aromaten wegen ihrer Fahigkeit zur Addition an Nukleinsauren (Offnung des Dreirings) weit toxischer als die Prirnarverbindung. Daraus resultierende Wirkungen konnen systemisch sein oder nur bestirnmte Zielorgane einer oder aber vieler Arten betreffen. Effekte in unterschiedlichen Organismen konnen selbstverstandlich ebenso sehr ahnlich sein (4,4'-Bipyridiniumsalze als Redoxquencher bewirken bei Tieren und Pflanzen gleicherrnagen eine Blockade der Atrnungskette indern sie Elektronen abfangen) oder sich stark voneinander unterscheiden. Eine Folge ist stark abweichende Toxizitat bestimrnter Stoffe in bestimrnten Arten (Cu und La in Algen, Ag in vielen Bakterien, wahrend Lanthanoiden und Ag fur Wirbeltiere wenig toxisch sind). Die Kornbination von chemischer Reaktion und biologischer Wirkung kann irn Zusamrnenspiel von unterschiedlichen Organismen und abiotischen Faktoren schlief5lich auch okosystemare Wirkungen (Okotoxizi-
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1.1 Geschichte der Urnweltchernie
tat) auslosen, und zwar auch dann, wenn das Wachstum bestimmter Arten an der Basis der Nahrungspyramide zunachst gefordert wird (Eutrophierung von Gewassern). Ebenso konnen umweltchemische Wirkungen zu biologischen (Schad-) effekten fiihren, wenn diese etwa das Strahlungsregime beeinflussen (,,Ozonloch"): zwischen dem Bereich der chemischen Reaktionen und den Organismen liegen vertikal 20-40 km, doch verursacht die vermehrt und his zu kiirzeren Wellenlangen herabdringende UV-Strahlung Haut-, Augen- bzw. Vegetationsschaden. Toxikologische Effekte, wie sie im Folgenden hauptsachlich betrachtet werden, beruhen demgegeniiber auf direkten Wechselwirkungen zwischen dem Reagenz und einem Testorganismus'*, in dessen biochemische Prozesse eingegriffen wird. 1.1 S.1 Geschichte der QSAR-Ansatze
Historisch reichen die Versuche, Beziehungen zwischen chemischen Strukturen und Parametern und Toxizitats- sowie anderen biologischen WirkungsgrZjBen zu finden, die im Abschnct 3.2.3 ausfuhrlich hisku: tiert werden). Voraussetzung fur ihre Entwicklung war die Durchsetzung der Strukturtheorie (um 1860-70), die postuliert, dass - es definierte Raumstrukturen von (Mole-
kiilen von) chemischen Verbindungen gibt und dass - zwischen diesen Raumstrukturen und chemischer Reaktivitat eines Stoffes ein Zusammenhang besteht. Die Quantifizierung des letzteren durch irgend eine Form von Kennzahlen" oder 18 fesforgantsrnus rneint hier nicht unbedingt das toxikologische Laborexperiment oder das aktive Biornonitoring, sondern nur, dass die Wirkung an einer bestimmten Art oder einzelnen Zelllinien davon gezielt beobachtet wird.
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empirischen Parametern stellt dann bereits eine Form von QSAR-Betrachtung dar. Die allererste einschlagige Arbeit stammt denn auch aus dieser Zeit (CRUMBROWN& FRASER 1868). Analoge Betrachtungen zur relativen Toxizitat von Metallen bedurften ungeachtet alterer Versuchsreihen (insbesondere GMEI.IN 1825) der Fundierung durch das Periodische System der Elemente. Eine hiervon (scheinbar) unabhangige Sichtweise fiihrte den Schwermetallbegriff mit dessen toxikologischen Implikationen ein (1904). Fast ebenso alt sind Versuche, Beziehungen zwischen dem Redoxpotenzial und der Toxizitat herzustellen, die in jiingerer Zeit z.B. von LEWISet al. (1998) wieder aufgegriffen wurden. Eine sehr gute Ubersicht iiber ,,rein" chemisch oder quantenchemisch basierte quantitative Struktur-Wirkungs-(Aktivitats)-Beziehungen (QSAR-Konzepte) in der Toxikologie geben SCHUURMANN & MARSMANN (1991) und SCHUUKMANN 8c SECNER (1994); fur organische Verbindungen (PAKs etc.) vgl. BOROSKY (1999) und BAI.ASUBRAMIAN 1994).
Toxizitat: Wirkprinzip und Schadensursache bei Organozinnverbindungen Mit fort schreitender Substitution von Chloroliganden durch n-Butylgruppen an Sn(1V) (Abb. 7) wachst die Lipophilie des Zinn(1V)-Komplexes; dies erhiiht insbesondere seine Neurotoxizitat. Die steigende Lipophilie fiihrt auch zu verstarkter Anreicherung in der Nahrungskette. Der OSAR-Ansatz erlaubt es. sowohl die An. reicherung als auch die Reaktivitat gegeniiber bestimmten Stoffen oder funktionellen Gruppen als Funktion des schrittweisen 19 Eingesetzt bzw. eigens fur diesen Zweck forrnuliert wurden z. B. Substituentenkonstanten nachhon HAMMETT, TAFToder EXNER, topologische Indizes, die auf die raumliche Beziehung der Atome in den Molekulen abheben, Korrelationen mit dern Redoxpotenzial oder spektroskopischen Eigenschaften und viele mehr.
Geschichte der Umweltchemie 1.1
anorganisches Zinn
I
I
Sn
MBT= Monobutylzinn
w
4
\
Sn C d
I
LD 50: 7
Abb. 7: Vergleich der Akuttoxizitat von anorganischem Zinn und zinnorganischen Verbindungen der Butylreihe in Akuttoxizitatstests mit der Ratte (aus OEHLMANN & MARKERT 1997); LD,, = Letale Dosis KG = Korpergewicht.
,Cl
\
CI
LD 50: 2140 mglkg KG
LD 50: 70 mglkg KG
LD 50: 1360 mglkg KG
H3 C'\
/
C4Hs
Sn H,C,/
TBT= Tributylzinn
DBT= Dibutylzinn
Austauschs von C1 durch n-Butyl- oder andere organische Gruppen quantitativ zu beschreiben. Wahrend Sn-C1-Bindungen durch Hydrolyse ionisch gespalten werden, konnen die Sn-C-Bindungen der Alkylgruppen auch Redoxreaktionen z. B. mit Schwefelzentren eingehen und so weitgehend irreversibe120 an Proteine gebunden werden. Tributylzinnverbindungen wurden bis 2003 wegen ihrer Breitbandtoxizitat gegen aquatische Organismen dazu verwendet, als Komponente von Schiffsanstrichen deren Aufwuchs auf Schiffsrumpfen und so ein Ansteigen des Wasserwiderstands zu verhindern. Andere Anwendungsgebiete lagen in der Praparativen und Synthetischen Organischen Chemie (Tributylzinnhydrid als radikalische Wasserstoffquelle und Polymerisationsstarter) und sogar als Desinfektionsmittel (Textilappretur).
20 Die einfache koordinationschemische. einzahnige Bindung von Polyalkylzinn- oder -bleiionen an Liganden ist intrinsisch schwach und auf Halogenide, Oxospezies und Thiolate beschrankt, wahrend neutrale Liganden kaum reagieren.
\ci
~
1.1.5.3 Der Schwermetallbegriff und seine chemisch-toxikologischen Folgerungen
Bereits 1904 wurden Kovarianzen zwischen der Dichte und der Toxizitat chemischer Elemente (daher der Schwermetallbegriff in der - auch popularen - Toxikologie), spater mit dem elektrochemischen Potenzial abgeleitet. Die Toxizitat von Metallen steigt meist mit der oxidierenden Wirkung des Metallions an, wie Ag+, Hg2+, TI3+,Au3+zeigen, die wie die weit weniger stark oxidierenden Uranyl (UO12+) oder In3+hochgiftig sind; ebenso spielt die oben erwahnte Affinitat zu Schwefelbindungspositionen eine Rolle (SHAW1961). Die toxikologische Korrelation zwischen dem Oxidationspotenzial einer Form eines Elements und der Toxizitat z.B. fur Rattus norvegicus setzt eine Annahme uber die Oxidationsstufe und Bindungsform des Metalls im Organismus voraus. Ohne Kenntnisse bzw. Annahme uber die Oxidationsstufe und Bindungsform des Metalls ist kein Oxidationspotenzial des Xenobiotikons definiert und folglich die genannte 25
1.1 Geschichte der Umweltchemie
Korrelation gar nicht aufstellbar. Wahrend die so erhaltenen Oxidationspotenziale nicht frei von Willkur, die auf ihnen basierenden toxikologischen Aussagen daher durchaus kritisch zu bewerten sind, kann eine konkrete biochemische Reaktion bestimmter Schwermetallionen - darunter verschiedene Bindungsformen des Quecksilbers, Gold(1)- oder Platin(I1)-Komplexe und etliche metallorganische Verbindungen - in vitro und in vivo durchaus charaktcrisiert werden: die Keaktion mit und Spaltung von Disulfidbrucken in Proteinen (Abb. 8), die zu Thiolatokomplexen von Hg(II), Au(III), Pt(1V) etc. fiihrt. Sie zerstiirt die raumliche Struktur, teils auch die Funktion der betreffenden Proteine, insofern die katalytische (Enzym) Proteinfunktion von der Topologie (gegenseitige Anordnung in der Kette nicht benachbarter Aminosaureseitenketten) oder dem ,,Festhalten" von koordinationschemisch labilen essenziellen Metallionen innerhalb des Proteins bestirnmt wird. Daher wirken diese Schwermetalle stark und nicht artspezifisch toxisch; dies bewirkt auch eine Hemmung solcher Prozesse der Technischen Umweltchemie, die von Organismen abhangig sind: Phytoremediation hat ihre Grenzen hinsichtlich der Schwermetalltoxizitat, und biologische Klarstufen kijnnen durchaus lahm gelegt werden. Inzwischen ist es miiglich, Prozesse wie die ,,Einschiebung" von reduzierten Metallionen in Disulfideinheiten nicht nur experimentell sondern auch theoretisch-quantenchemisch zu untersuchen.
Weshalb sollte eine Beziehung zwischen der Dichte eines Metalls und dessen chemischen Eigenschaften bestehen? Alle Metalk mit Ordnungszahlen c 23 sind Leichtmetalle (p 5 6 g/cm') und bilden stabilere Fluoro- als Iodokomplexe, stabilere Ammin- als Phosphinkomplexe (Klasse A nach AHKLANIIet al. [19581); hei Z > 50 hingegen findet man nur Schwermetalle und bis auf die Lanthanoiden die umgekehrte Bindungspraferenz (Klasse B; M-I > M-F; M-PR, > M-NH,). Dieses Phanomen hat folgenden Grund: Der Atomradius wachst von Lithium oder Beryllium, den leichtesten Metallen mit Z = 3 bzw. 4, zu den schwersten nicht radioaktiven Elementen mit Z ca. 80 nicht wesentlich an, so dass die Dichte sich annahernd gleich der Atommassenzahl vergriigern sollte. Andererseits werden die auf Grund ihrer Vielzahl und des daher weitaus geringeren Abstandes gegenseitig stark beeinflussenden Elektronen vie1 leichter verschiebbar, weil bei hohen Grundquantenzahlen viele energetisch ahnliche Orbitale zur Verfiigung stehen, die Elektronen also trotz begrenzten Atomvolumens ,,ausweichen" (konnen). Daher wird im Metall wie im Ion die Elektronenhiille sehr leicht polarisierbar, ,,weich" (Klasse B) und bindet folglich bevorzugt Donoren wie Iodid, Phosphine oder Selenspezies. Die hohe Kernladung und -masse bedingt eine ausgepragte Anziehung auf die augersten Elektronen; es sind dies ab Z > 74 daher fast ausnahmslos (bis auf TI) relativ schwer oxidierbare, oft sogar Edelmetalle; die Ionen aber lassen sich aus obigem Grunde leicht deformieren, sind also weich und binden bereitwillig an Schwefel oder Selen (PEAKSON 1963). 1.1S.4 QSAR, Pharmakologie und umweltchemische Anwendungen der Reaktionsprinzipien
Abb. 8: Bedeutung von Disulfidbriicken fur die raumliche Struktur v o n Proteinen und oxidativer Angriff z.5. durch Au(1) und weitere Schwermetalle.
26
Pharmakologische Feststellungen wirkten bereits im 19. Jahrhundert auf die sich allmahlich entfaltenden Umweltwissenschaf-
Geschichte der Umweltchemie 1.1
ten zuruck: Schon seit den 1840ern waren die Konjugation mit Glycin (z. B. von Benzoesaure zur Hippursaure [N-Benzoylglycin]) und die Acetylierung als biologische Entgiftungsprinzipien bekannt ( FUHRMA" 1999). Dies bewog Pharrnazeuten, das zweite ,,Rezept" auf seinerzeit schon lange erprobte Schrnerzmittel mit bekanntermagen betrachtlichen Nebenwirkungen auszudehnen. Die Acetylierung der Salicylsaure, die starke Magenreizungen auslost, lieferte mit dern Aspirin@eines der erfolgreichsten Medikarnente aller Zeiten, fuhrte dagegen beirn Morphium mit seinern bereits hohen Suchtpotenzial zu einern katastrophalen Ergebnis (Diacetylrnorphin ist Heroin). Spater lief3en sich Umwelttechniker von bekannten Prozessen in der Leber inspirieren, beispielsweise bei der Konjugation an schwefelreiche Proteine oder der Bildung von Metallothioneinen bzw. Phytochelatinen zur Enthalogenierung bzw. Immobilisierung und damit Entgiftung von Organohalogenverbindungen. Dies gelingt durch einfache Umsetzung rnit schwer loslichen Metallsulfiden wie FeS (BUTLER& HAYES1998), teils auch als biologisch induzierter Prozess nach Sulfatreduktion in reaktiven Kompost- oder reinen Metallsulfid(Erz-)wanden. Diese Verfahren konnen somit als biornirnetisch bzw. insoweit die Sulfide durch bakterielle Sulfatreduktion bereit gestellt werden, biotechnologisch angesehen werden. Weiterhin haben die o. a. pharrnakologischen Feststellungen Irnplikationen fur das Umweltverhalten von Chemikalien und darnit auch die Technische Urnweltchemie: durch bestimmte umweltchemische Verfahren bedingte chemische Modifikationen - unterhalb der Schwelle vollstandiger Mineralisierung, die rneist nur mit Verfahrenskornbinationen erreicht wird - verandern die physiologische Wirkung von Stoffen ebenso wie ihr Anreicherungsverhalten. Auch naturliche Prozesse wie Reaktionen zwischen (insbesondere polyzyklischen) Aromaten und Stickoxiden erzeugen Substanzen, von denen QSAR-Modelle zeigen,
dass sie schwer abbaubar sind. Diese Feststellung gilt weithin auch fur den biologischen Abbau (Persistenz von Sprengstoffruckstanden und anderen polynitrierten Aromaten [Nitrornoschusverbindungen]). Umgekehrt konnen Funktionalisierungen auch die Reaktivitat erhohen. Hierin liegt ein tendenzieller Vorteil reduktiver Verfahren gegenuber den AOP-Methoden, soweit nachfolgende biologische Nachbehandlung einbezogen werden muss oder SOH.
1.1.6 Biogeochemie und Umweltwissenschaften Die Biogeochemie beschreibt die Einbindung lebendiger Organisrnen - z. B. durch Anreicherung, aber auch durch Ausfallung oxidischer, sulfidischer u. a. schwer Ioslicher Phasen und Uberfuhrung in die Atrnosphare als Folge von Methylierung - in die Kreislaufe chemischer Elemente. Dies setzt eine Interaktion zwischen den Formen dieser Elernente in den Urnweltkornpartirnenten und dem Stoffwechsel von Organismen voraus: diese Wechselwirkung kann, narnentlich fur die klassischen essenziellen Spurenelemente, Voraussetzung fur Leben (zurnindest das einiger Arten), aber auch bloRe Begleitreaktion anderer Prozesse sein (z.B. bei der Methylierung von einigen Schwerrnetallen sowie As, Sb oder Te) oder der Entgiftung dienen. Fluchtige Formen ansonsten ionisch vorliegender Elernente befordern deren gleichformige Verteilung uber grogere Gebiete, falls die Produkte nicht extrern photolabil oder besonders reaktiv gegeniiber OH-Radikalen sind. Dadurch werden Konzentrationsspitzen abgeflacht. 1.1.6.1 Leben als determinierender Faktor geochemischer Prozesse
In der Technischen Umweltchemie werden teilweise Mikroorganismen zur Abscheidung von Stoffen herangezogen. Dabei
27
1.1 Geschichte der Umweltchemie
werden Stoffgemische z. B. in Klaranlagen umgesetzt, die sich in ihrer elementaren Zusammensetzung von den verwendeten Mikroorganismen unterscheiden. Daher konnen Teile des Substrats, z.B. Phosphat, unumgesetzt zuruckbleiben oder durch Nebenreaktionen anderer Stoffe etwa Schwermetalle ausgefallt werden. Ein Beispiel ist der Faulturm einer KIaranlage: Senkt man das Redoxpotenzial des Mediums beim anaeroben Faulprozess so weit ab, dass Sulfatreduktion einsetzt, entsteht H,S, das - wie im anorganisch-chemischen Labor - zahlreiche Schwermetalle sowie Arsen als Sulfide (z. B. PbS, As2SI, CdS oder NixS) ausfallt. Im Belebtschlamm und Faulschlamm werden zugleich chemische Elemente - nicht nur Metalle - in den Zellen der dort aktiven und wachsenden Organismen u.a. auf Grund chemischer Ahnlichkeiten mit essenziellen Elementen (Cd nehen Z n ) angereichert. Die Fallung im Volumen zwischen den Zellen der Organismen des Belebtschlamms ist also kombiniert mit biologischen Anreicherungsprozessen. Der durchschnittliche (Gesamt-)konzentrationsfaktor eines Stoffes im Schlamm liegt dann zwischen dem Biokonzentrationsfaktor in den Schlammbakterien und der Anreicherung im nicht biogenen Schlammanteil. Bei einem geologisch-geochemischen Erzbildungsvorgang ist in analoger Weise die lokale biologische Aktivitat fur die geochemischen Prozesse Ausschlag gebend, zumindest soweit die Temperaturen bei der primaren Lagerstattenbildung unter etwa 100 "C bleiben. Dies gilt nicht nur fur stark reduzierende Bedingungen wie jene der Sulfidfallung; die Fallung von Fe(II1)- oder/ und Mn(1V)-Oxiden bei Sauerstoffzutritt unter Einschluss / Mitfallung / Adsorption von Phosphat, Arsenat und weiteren Ionen durch Metall oxidierende Bakterien wie Thiohacillus ferrooxidans ist analog zu sehen. Geologisch fuhrt sie zur Bildung von Raseneisenerz, umweltverfahrenstechnisch
kann sie dazu dienen, neben Eisen bzw. Mangan noch toxische Begleitkat- und -anionen auszufallen (Uran, Arsen, Chrom). In Analogie zur Bionik konnte man bei diesen letztlich biotechnologischen Verfahren von ,,Geobionik" sprechen. Daher ist das Verstandnis solcher geobiochemischen Prozesse und ihrer Auswirkungen von erheblicher praktischer Relevanz fur die Entwicklung von Wasser- und auch Bodenreinigungsverfahren. Die Verfahrensentwicklung vollzieht sich zunachst in Modellanlagen, wie der in Abbildung 9 gezeigten. Ein zweiter Aspekt in diesem Zusammenhang ist ein verfahrenstechnischer der Prozesskinetik: in technischen Reinigungsanlagen wie Klaranlagen oder Biofiltern fur Case werden Konzentrationen und Durchsatzraten der umzusetzenden Stoffe wie Ammoniumionen oder organischer Substanz erreicht, die fur Freilandiikosysteme zumindest untypisch hoch sind. Nun gilt auch hier das LIp.BIGsche Minimumprinzip: die Stoffwechsel- und damit hier Reinigungsaktivitat wird nicht durch reichliches Angebot bestimmter essenzieller Spurenelemente oder Cofaktoren bestimmt, sondern die relativ niedrigste Konzentration des Metalls oder Cofaktors in der Nahrliisungldem Boden bestimmt die Gesamtkinetik des Stoffwechsels. Wenn ein biokatalytisch aktives, in einem Metalloprotein enthaltenes Metall oder ein organischer Cofaktor wie einem Vitamin in zu geringer (metabolisch suboptimaler) Konzentration vorhanden ist, kann dies nicht durch hohe Zufuhr anderer Stoffe kompensiert werden. Nun ist ein hoher Durchsatz das Ziel; wenn z. B. mit hoher Rate Nitrat zu molekularem Stickstoff reduziert werden sol1 (Denitrifizierung),so sind dafur molybdanhaltige Enzyme notwendig. Eine gewisse zusatzliche Zufuhr von Molybdan, also Diingung, ist daher u. U. angezeigt, um die in der Technischen Umweltchemie erstrebten hohen Durchsatze pro Volumen- und Zeiteinheit zu realisieren. Da es sich auch
Geschichte der Umweltchemie 1.1
Abb. 9: Funktionsmodell einer biologischen Klarstufe. Braun: Klarschlamm; rot: losliches
Oxidationsprodukt einer unter reduzieren-
den Bedingungen persistenten heterocyklischen Modellverbindung (Chinolin aus Stein- oder Holzkohlenteer). Foto: IHI Zittau hier um biochemische Prozesse handelt, die nicht nur die Zusammensetzung des behandelten Abwassers verandern (dies ist die Grundvoraussetzung einer Reinigung) sondern ebenso physikalisch-chemische Parameter des Wassers, ist wie bei geochemischen Vorgangen auch hier wieder die Biologie mit ihren Bedurfnissen nach Spurenelementen und Cofaktoren Ausschlag gebend. Die Analogie ist mithin recht weitgehend, weil die Prozesse ahnliche Ursachen haben. Das zentrale Postulat der Biogeochemie im Sinne von VERNADSKY (LEVIT2001) wie auch nach LOVELOCK & MARGUIJS(1974) lautet, dass biologische Prozesse dominant in Stoffflusse bzw. -kreislaufe der Atmosphare, Hydrosphare und oberen Erdkruste eingreifen. In der Folge schafft sich die Biosphare ihre langfristigen geochemischen Existenzvoraussetzungen letztlich selber, auch wenn bestimmte biogene geochemische Veranderungen katastrophale Auswirkungen fur eine Vielzahl von Organismen und Spezies hatten; hier ist insbesondere an die prakambrische Sauerstoffkatastrophe zu denken. Spezialisierte wie opportunistische Organismen setzen fast alle haufigeren
Oxidationsmittel von Sauerstoff die elektrochemische Spannungsreihe hinunter bis zum Proton um, wobei die Generalisten eine Vielfalt von Oxidationsmitteln metabolisch verwerten konnen, etwa unterschiedliche Metalloxide (Eisen, Mangan, Uran) oder Sulfat, Arsenat und Nitrat. Da die thermodynamisch stabile Form von Stickstoff unter einer sauerstoffhaitigen Atmosphare nicht N,, sondern Nitrat ist (SILLEN1964), stellt sich die Frage, wodurch die Lufthiille stabilisiert wird. Moglicherweise ist diese Stabilisierung auch nur eine relative, wie die riesigen Libellen des Karbons (Meganeura) vermuten lassen; denn diese GroBinsekten waren bei Sauerstoffgehalten der Atmosphare, die grogflachige Waldbrande als Dauerphanomen verhinderten (d. h. < 26 %), nur dann flugfahig, wenn der Atmospharendruck um einiges hoher lag als heute (Abb. 10). SILLENpostulierte in diesem Zusammenhang einen wesentlichen Beitrag denitrifizierender Bakterien in anoxischen Meeresregionen zur Stabilitat der Atmosphare, wobei der Kandidatenorganismus nicht bekannt war.
29
1.1 Geschichte der Umweltchemie
- aus welchen Prozessen kann (erstmals,
zusatzlich oder noch) Stoffwechselenergie gewonnen werden, wenn sich die biogeochemischen Randbedingungen verandern?
Abb. 10: Fossile Libelle - Zeugnis der Atmosphiirendichte und Zusammensetzung vergangener Zeiten. Bei der heutigen Atmospharendichte von ca. 1,2 g/l haben die griif3ten flugfahigen Libellen Spannweiten um 2.5 cm; noch griigere konnten nicht mehr abheben. Organismen wie Meganeura waren nur bei entsprechend hiiherer Atmosphiirendichte flug- und existenzfahig. Der erhijhte Atmospharendruck entstand durch ein vermehrtes Abdampfen von N, aus geogenen Bodenschichten wahrend des Karbons. Foto: 1.RV Starnberg/rjCl+KlsTrNEFISc:HF,R
Umweltwissenschaften werden in der Regel als biologisch zentriert gesehen, aber die oben beispielhaft angefuhrten Fragestellungen waren ohne breiten Einsatz von Methoden der Chemie und Physik gar nicht formulierbar. S o zeigt sich beispielsweise eine ,,thermodynamische Strukturierung" von Okosystemen darin, dass der Export von Entropie durch Verdunstung von Wasser wesentlich fur die Stabilitat von tropischen Waldern ist (FRANZLE 1994). Unter chemischem Blickwinkel sind folgende Fragen wichtig: - welche Molekule oder anderen Substrate,
die von bestimmten Organismen benotigt werden, sind unter den biogeochemisch veranderten Umweltbedingungen noch oder erst stabil bzw. metastabil und stehen entsprechend fur den Stoffwechsel zur Verfugung ? (ausfuhrlicher diskutiert in 3.2.2)
30
Dies bedeutet nicht, dass der eigentliche Prozess ein ,,unmittelbar biochemischer" sein muss. Hierzu ein geochemisch wichtiges Beispiel: Mangandioxid ist nur bei hinreichend hohem Redoxpotenzial und neutralem bis alkalischem p H stabil. Es ist aber ein sehr effektives, kinetisch schnell wirkendes Oxidationsmittel, das Cr(II1) zu Chromat, Selen in unterschiedlichen Formen zu Se(VI), Cer(1II)zu Ce(IV), Arsen zu As(V) usw. oxidiert. Damit macht es Chrom und Selen erst effizient bioverfugbar und zugleich weit starker toxisch als deren jeweilige niedere Oxidationsstufen (vgl. Abschn. 3.1), wahrend Arsen und (organisches) Quecksilber partiell entgiftet werden. Wahrend der ,,eigentliche" katalytische Vorgang ein rein anorganischer ist, wird das Mangandioxid ( M n 0 2 ) uberwiegend von Bakterien abgeschieden. Damit greifen biologische und abiotische Prozesse wiederum direkt ineinander und werden fur die Praxis sowie die formale Beschreibung - eventuell mit Ausnahme kinetischer Faktoren - ununterscheidbar. Auch in der belebten Natur kommen zahlreiche halogen- oderhnd nitrvorganische Verbindungen vor, ebenso andere ungewohnliche und reaktive funktionelle Gruppen wie Nitrile, Isocyanide, Thiocyanate (Senfole)oder Cyclopropene (etwa in Chrysanthemen). Insbesondere marine Schwamme aber auch Pilze2' erzeugen solche Verbindungen als FrafSgifte. Ein extremes Beispiel ist die Anreicherung von 3-Chlor-4-nitrophenol in einem deshalb intensiv gelb gefarbten mitteleuropaischen Pilz. Nicht nur in der Synthese sondern auch als Folge der
21 Auch die Antibiotika wie Penicillin gehoren in diese Kategorie
Geschichte der Umweltchemie 1.1
Adaption an Abwehrrnechanismen potenzieller Nahrungsorganisrnen sind viele Organismen im Stande, derartige Verbindungen auch wieder abzubauen22.Ansonsten wird, wie die Schnelligkeit der Ausbildung von Antibiotika- und Herbizid-Ansektizid-Resistenzen zeigt, auf evolutionar extrem kurzen Zeitskalen eine chernische Umsetzungsrnoglichkeit entwickelt. Funktionelle Gruppen oder toxische Ionen wie Cyanid oder Nitrit gehen daher analog in biogeochemische Kreislaufe ein wie chemische Elemente, rnit dern Unterschied, dass sie dabei zerlegt werden konnen. Man darf vermuten, dass dies schon beinahe seit Entstehung des Lebens auf der Erde der Fall war, denn Substanzen wie Berliner Blau (Fe,{[Fe(CN),],] aq) sind niernals in Mineralien oder Sedirnenten gefunden worden.
oberflache. Die Subduktion reicht weit tiefer, wahrend die Ausgasungen aus Vulkanen rnit Leben unvereinbare Ternperaturen aufweisen. Ein Sonderfall sind die heiBen Quellen entlang der mittelozeanischen Riicken: das dort austretende Wasser selbst ist mit rund 350 "C vie1 zu heiB fur Leben jeder uns bekannten Art, mischt sich aber rnit dem kalten Tiefseewasser. Dabei treten nicht nur Loslichkeitsunterschiede auf, die zur Ausfallung von Schwermetallen wie Eisen, Kobalt, Kupfer, Zink fuhren (deren his auf Zink schwarze Sulfide den Quellen die typische Farbe und Triibung erteilen) sondern auch weitere chernische Gradienten. Von dieser Energiequelle leben die dortigen Biozonosen:
jb
Schwefelwasserstoff (H2S) und reduzierte Metallionen wie Fe(I1) in den Quellen werden rnikrobiell durch Sauerstoff - der letztBestirnrnte geologische Prozesse, darunter lich von der Meeresoberflache starnrnt13 Vulkanausbruche und die Plattentektonik zu Thiosulfat, Sulfat bzw. Fe(111) oxidiert. (Subduktion), tauschen sehr erhebliche Hohere Organisrnen (Fische, Krebse, MolStoffmengen zwischen Atmosphare bzw. lusken, aber auch Rohrenwurmer) filtrieLithosphare und augerhalb der Biosphare ren diese Bakterien aus, ernahren sich von gelegenen tieferen Krustenschichten aus. ihnen oder nutzen sie als Endosymbionten. Auch wenn in den letzten Jahren Mikroor- Biogeochemische Kreislaufe von Schwerganismen his ca. 3 km unterhalb der festen metallen wie auch Schwefel werden hierErdoberflache bzw. dern antarktischen In- durch erheblich beeinflusst; auch grogere landeis (oberhalb von Lake Vostok) ent- Minerallagerstatten sind so entstanden, deckt wurden, kann davon ausgegangen obwohl einzelne Felder Schwarzer Raucher werden, dass auch hier die therrnische kaum langer als 50 Jahre existieren konObergrenze fur jegliches Leben von 113 nen, weil der lokale Warmeabfluss durch (Pyrodictium occulturn, Pyrococcus infer- die Erdkruste weit hoher als der geotherrninalis) bis vielleicht 150 "C gilt (PRILIPP sche ,,Nachschub" ist. 2001). Selbst bei geotherrnischen Anomalien wie in Siidafrika (ca. 8 statt 30 K/krn) Generell ist gesichert, dass der Zyklus der setzt dies eine Untergrenze der Biosphare rneisten chemischen Elernente - wenn auch von hochstens 10 km unterhalb der Erd- nicht all ihrer Speziationsforrnen - maggeblich durch biologische, d. h. biochemische Prozesse beeinflusst wird. So wird die Konzentration der fur aquatische Pflanzen 22 Die Synthese von Nitroaromatenaus Phenolen (Tyrosinreste in Proteinen) und Nitrit durch Redoxenzymegelingt sogar noch nach dem Tod des Organismus (hier des Schwetns) beim Pokeln von Schinken oder anderem Schweinefleischresultiert die bekannte Rotfarbung nach Kontakt rnit Nitrit Umgekehrt kann der Mensch solche Nitroaromaten offenbar schadlos metabolisieren (im Gegensatz zu den N-Nitrosoverbindungen[Nitrosaminen], die stark hepatotoxisch und karzinogen sind)
23 Die haufig zu lesende Aussage, diese Biozonosenseien von Sonnenleht oder der Meeresoberflache unabhangig. 1st also falsch der Sauerstoff stammt wie ubltch aus der oberflachennahen Photosynthese (belegt durch seine Isotopenzusammensetzung)
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1.I Geschichte der Umweltchemie
hoch toxischen Lanthan(o)iden in Sufiwasser durch Eutrophierung indirekt drastisch vermindert, in dem das Phosphat die Lanthanoiden als (Lanthanoiden; Eisen; Aluminiurn)-Phosphat (Ln, Fe, AI)(PO,) ausfallt. Umgekehrt kann unter anoxischen Bedingungen in Folge von Eisenreduktion zu Eisen(I1) und Fallung als Eisensulfid durch Sulfatreduktion Phosphat aus Eisenphosphat freigesetzt werden. Biomethylierung wiederurn verhindert die Ausfallung von z. B. Quecksilber oder Blei als Sulfide und rnacht diese Schwermetalle zudern noch ausgepragt lipophil, gut bioakkumulierbar und obendrein stark neurotoxisch (EIXHENBROICH & SALZER1988). Ein M a g fur diese Beeinflussung ist der so genannte Technophilie-Index, welcher das Zahlenverhaltnis zwischen den anthropogen und den geologisch sowie biogeochemisch umgesetzten Mengen eines bestirnmten Stoffes in Atmosphare, Biosphare und Lithosphare zusarnmen angibt (vgl. KUMMEI. & PAPP1990). Unter ,,Lithosphare" sind hier die bergbautechnisch erreichbaren (bis ca. 4 km bei geringer geothermischer Tiefenstufe) bzw. von Vulkanen ,,beprobten" Regionen der kontinentalen und marinen Erdkruste sowie des oberen Erdmantels zu verstehen. Anders als weithin vermutet, uberwiegt in diesem Bereich der von Menschen bewirkte Stoffstrom nur fur wenige der nicht radioaktiven Elemente, etwa Blei, Cadmium und Quecksilber (ANONYMUS 1984; NKIAGU & PACYNA 1988).
aktionsgleichung und des (partiellenj Stoffkreislaufs direkt nicht nur auf die Biomasseproduktion einzelner Organisrnen bzw. Arten, sondern weitergehend auf die Transfers in Nahrungsketten ubertragen werden. Das heifit, es werden entlang trophischer Ketten - meist Phyto- und Zooplankton, teils dazu noch plankton- bzw. fischfressende Fische - die Zusammensetzungen der beteiligten Organismen auf der Ebene chemischer Elernente rnit dem Schwergewicht auf Stickstoff und Phosphor verglichen und auf mogliche Schwierigkeiten beirn Nahrstoffrecycling hin analysiert. Die klassischen Arbeiten zur Stochiometrischen Okologie beziehen sich ausschliefllich auf C, N und P, wobei in natiirlichen Sufiwassern Phosphat augerhalb lebender oder abgestorbener Biornasse langerfristig praktisch nicht vorkornmt. Abb. 11 beruht auf Daten aus STFKNEK & EIXR (2002); sie zeigt die Verschiebung der Mengenverhaltnisse C/N und N/P innerhalb einer lirnnischen Nahrungskette. ,,Uberschiissige" Kornponenten werden vom fressenden Organismus ins Wasser ausgeschieden. Die Erweiterung auf Konzentrationstrends essenzieller und anderer Metalle in Nahrungsketten ( FKANZLE& MARKERT 2002) zeigt, wodurch die Lange der trophischen Nahrungskette im Suflwasser begrenzt wird; ferner ist die oft vermutete Selektivitat der Anreicherung zu Gunsten essenzieller Elemente nicht nachweisbar ( FRANZLE & MARKERT 2002).
Hier wird also wiederurn ein chemisches Konzept (Analytik, Stoffbilanz) zur - wenn auch groben - Beurteilung von Umwelteinfliissen herangezogen, wobei die Anleihe bei der chemischen Verfahrenstechnik (Stoffstromkontrollej erfolgte. Solche Bilanzierungskonzepte wurden spater in die Okologie hinein erweitert. Ein neuer, recht erfolgreicher Ansatz zur Beschreibung von Urnweltphanomenen mit chemischen Konzepten besteht in der Stochiometrischen Okologie (ELSEK& UKABE1999; s. Abschn. 2.2.2.6), bei der die Konzepte der Re-
1.I .6.2 Bedingungen und Essentialitat
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Wahrend in der Technischen Chemie Elemente - Metalle wie Nichtmetalle - mit Ordnungszahlen iiber 30 eine sehr grofle Rolle insbesondere als Katalysatoren spielen (Molybdan, Silber, Platinrnetallej, ist dies in der Biologie anders. Die schwersten Elemente mit einer Vielzahl von Funktionen sind Kupfer und Zink; nur sechs Elemente rnit Z > 4 0 sind wahrscheinlich oder erwiesenermafien wenigstens fur einige Organisrnen essenziell. Spalte 3 von Tab. 3
Geschichte der Umweltchemie 1.1
Abb. 11: Unterschiede in der chernischen Zusamrnensetzung der vier Glieder einer lirnnischen Nahrungskette (die Zusarnrnensetzung der Algen ist vorn Nahrstoffgehalt des Gewassers abhangig). Die eingetragenen Pfeilspitzen deuten auf die jeweiligen Konsurnenten innerhalb der Nahrungskette. Bei Prozessen wie der Klaranlage oder der Abfallvergarung werden gleichfalls Substrate mit unterschiedlichem C/N- und N/P-Verhaltnis von Organismen urngesetzt. Die Biornasse (Klarschlarnrn bzw. Kompost) und das gereinigte bzw. Sickerwasser enthalten dernzufolge bestimrnte ,,iiberschussige" Anteile von C, N, P oder auch Metallen. Diese erfordern u.U. zusatzliche Klarrnafinahrnen. Als Berechnungsgrundlage dienten die Daten von STERNER & ELSER(2002).Hintergrundfoto: Fran Breidenstein/www.ta ke-it-ec.corn.
Tab. 3: Essenzielle Elernente rnit einer Ordnungszahl uber 40 ( Z ) und die Verbreitung ihrer Funktionalitat. Analytisch nachweisbar sind die in Spalte drei (betreffende Organisrnengruppe) angefiihrten sechs Elernente in fast allen Organismen, essenziell aber nur fur die genannten Organismen. Element
Ordnungs- Betreffende Organismengruppe Elementabhangige Enzyme oder zahl (2) biochemische Funktionen
Molybdan 42
fast alle Organismen
Redoxenzyme (Nitrat-Reduktase,Sulfit- und Aldehyd-Oxidasen, Nitrogenase etc.)
Cadmium 48
Ziegen, marine Algen
Carboanhydrasen
Zinn
50
vermutlich einige Sauger
?
lod
53
alle hoheren Tiere
Bestandteil von Schilddrusenhormonen
Barium
56
Desrniden (Gruppe von SuOwasseralgen)
?
Wolfram
74
Clostridien, extrem thermophile Archaebakterien
Ersetzt Molybdan in Redoxenzymen; meist kornbiniert mit Fe und Se (z. B. therrnoresistenteFormiat-Dehydrogenase)
?: Funktion oder Enzym bisher unbekannt.
33
1.1 Geschichte der Umweltchemie
100 % C
.-E C
P
0 50%
r
:z.U
Abb. 12: ldealisiertc Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen Sub-
.->
3
stratkonzcntration und
0%
Konzentrationszunahmeeiner Substanz in der Nahrlosung
Aktivitat des Organismus (nach MAKKFKT
1997).
fuhrt diejenigen Organismengruppen auf, f u r die das links in Spalte 1 genannte Element essenziell ist; Spalte 4 nennt dessen biochemische Funktion. Dies ist nicht nur eine Frage der Haufigkeit der betreffenden Elemente, die durchweg um Einiges seltener sind als die bis zum Zink; andererseits ist Blei z. B. sehr vie1 haufiger als die schwereren essenziellen Elemente Molybdan, Selen oder Iod. Die ,,Verwendung" oder ,,Nichtverwendung" hat demnach etwas mit chemischen Eigenschaften dieser Elemente zu tun; Platinmetalle durften zu selten sein, um biologische Bedeutung zu erlangen. Es lasst sich zeigen, dass fur ein sich fortpflanzendes System zusitzliche Bedingungen gelten: eine einzelne noch so gut durch eine Substanz katalysierte Funktion reicht nicht aus, damit diese im Laufe der Evolution etabliert werden und erhalten bleiben kann (drei sind erforderlich). Auch wenn Elemente bekanntermaRen essenziell sind, ist ihre Zufuhrmenge nicht beliebig, sondern es existiert ein Optimumsbereich. Unterhalb desselben treten Mangelerscheinungen auf, die auch die metabolische Verwertung anderer Elemente negativ beeinflussen. Dies ist u. a. in der Phytoremediation und Klartechnik von Bedeutung. Miigliche Verlaufe der Beziehung zwischen Zufuhrmenge essenziel-
34
ler Elemente u zeigt die Abb. 12.
Stoffwechselaktivitat
Bei biotechnologischen Reinigungsvorgangen in der Technischen Umweltchemie (Abscheidung im Klarschlamm, Phytoremediation) werden nicht nur essenzielle Elemente angereichert bzw. durch Biomasse extrahiert, sondern auch weitere (Blei, Cadmium, Thallium, Gold). Fur nicht essenzielle Elernente gilt die Einschrankung mindestens dreier Funktionen naturlich nicht; es kann jedoch an Hand der Anreicherungsfaktoren anderer Elemente systernatisch hergeleitet werden, welche Organismen besonders geeignet zur Extraktion eines Schadstoffs aus dem Wasser oder Boden sind. Hier werden Korrelationen vom QSAR-Typ verwendet. Fur die Technische Umweltchemie ist dies deshalb von Bedeutung, weil biotechnologische Prozesse anders ,,dungend" unterstiitzt werden, und andere, meist leichtere Spurenelemente bzw. Katalysatoren beniitigen als dies bei rein chemischen der Fall ware. Abgesehen vom Einsatz weniger katalytisch sehr aktiver Elemente, die f u r die meisten Mikroorganismen stark toxisch sind, etwa Silber, hat dies die praktische Konsequenz, dass chemische und biologische Prozesse in einem System, einem Reak-
Geschichte der Umweltchemie 1.1
Abb. 13: Das Biologische System der Elemente (BSE). Die Darstellung zeigt, welche Elernente fur Menscmier oder Pflanze essenziell (lebensnonvendig) und inwieweit sie in biochemische Prozesse eingebunden sind. Wahrend zunachst rein geochemische Prozesse die chernisch kornplexesten Strukturen bildeten (Tonmineralien), bestehend aus Elementen wie Ca, Al, Si und Fe, bilden sich mit Beginn der biologischen Evolution (Biogenese) aus Nichtrnetallen weitaus kompliziertere Strukturen. Darnit verschiebt sich das Schwergewicht der Prozesse im Diagramm nach links oben - oben, weil die Fahigkeit zum Aufbau komplizierter Gebilde, groBer Molekiile/Aggregate aus einem oder mehreren Elementen, tendenziell nach oben zunimrnt. Die sechs fur Leben fundamentalen Nichtmetalle C, H, 0, N, P, S sind daher in der linken oberen Ecke der Abbildung versarnmelt, biologisch wenig relevante Elemente wie die Lanthanoiden rechts oben. Wahrend in Meerwasser Elemente wie Mg, Ca und die Alkalimetalle rnengenrnagig iiber die (bio-)organkche Substanz dominieren, ist dies in Suls'wasser umgekehrt (schrager Pfeil an der linken unteren Kante des Dreiecks). Zahlreiche Elemente kiinnen nicht (H, Na) oder n u r summarisch (Ovale mit mehreren Elementsymbolen) klassifiziert werden (aus MAKKERT 1994a).
tionsgefag kombiniert werden konnen, ohne sich gegenseitig wesentlich zu storen. Ein Beispiel ware ein Biofilm auf einer Platinelektrode, der primare, elektrochemisch erzeugte Oxidations- oder Reduktionsprodukte eines Schadstoffs weiter umsetzt. Auch kann die Elektrode d a m dienen, lokal Spurenelemente bereit zu stellen oder Redoxpotenzial sowie pH-Wert kleinraumig in einer chemischen abweichenden Umgebung fur die Organismen passend zu machen, deren Stoffwechselaktivitat zum Abbau von Problemsubstanzen benotigt wird.
Auch unabhangig von einer toxischen Wirkung wechselwirken chemische Elemente, wie sie im Boden vorhanden sind oder von Menschen gewollt oder ungewollt eingebracht werden, innerhalb wie auRerhalb von Organismen miteinander. Alle stabilen chemischen Elemente werden in bestimmtem Umfang von Organismen aufgenommen, manche erheblich angereichert; eine grogere Zahl davon ist essenziell. Sowohl die (evtl. gemeinsame) Anreicherung (dann mehrerer Elemente) als auch die Essentialitat werden durch das Biologische System
35
1.1 Geschichte der Umweltchemie
der Eleniente ( MARKERT 1994a) beschrieben, wie es Abb. 13 zeigt. Entstanden aus elementaranalytischen Untersuchungen an Landpflanzen, spiegelt es allgemeine Eigenschaften und Entwicklungs,,trends" biologischer Systeme wieder. So vermittelt es auch einen Eindruck von der Langzeitdynamik, die Stoffstrome steuern kann. Aus dem Biologischen System der Elemente lasst sich fur die Praxis der Technischen U m ~ e l t c h e m i eableiten. ~~ welche Elemente gemeinsam transportiert und angereichert werden, - zwischen welchen (fur den Geltungsbereich von hoheren Pflanzen) kein (statistisch signifikanter) Zusammenhang besteht und schlieRlich - wo antagonistische Wechselwirkungen existieren (ie hoher konzentriert das eine Element in einer Serie von Pflanzen[arten] ist, desto seltener das andere). -
Die insbesondere fur das erstere Ausschlag gebenden Faktoren sind nicht leicht zu identifizieren, doch zeigen bestimmte Pflanzengruppen, etwa die Ericaceen, hohe Anreicherungen einzelner Elemente, die auch in der Phytoremediation verwendet werden kiinnen. Weitergehende Arbeiten aus unserem Arbeitskreis zeigen, dass und wie hieraus weiter gehende Aussagen m6glich sind. So wird erkennbar, welche Substanzen, die eine Pflanzenwurzel oder ein Bakterium absondert, die Anreicherung einzelner Metalle bedingen und welche Metallionen hierfur dann besonders empfanglich sind, sich durch Phytoremediation oder bacterial leaching also besonders gut abtrennen lassen. Die weitere Optimierung dieses Verhaltens einer Pflanzen- oder Bakterienart ist dann durch konventionelle Zuchtung oder evtl. gentechnologische Mafinahmen miiglich. 24 Weitere Aussagen etwa zum Verlauf der biologischen Evolution sind moglich. aber hier von geringer praktischer Bedeutung.
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1.I .7 Von der Spurenanalytik zum Prozessverstandnis Analytische Daten geben zunachst nur Konzentrationen bzw. Verteilungen der gemessenen Stoffe wieder; diese Verteilungen sind im Falle von Nahrungsketten, der Verteilung zwischen Nahrung und einzelnen Korperorganen oder der Beziehung zwischen Boden und (hiiheren) Pflanzen allerdings untereinander verknupft. Daraus lassen sich Vorstellungen gewinnen, durch welche einzelnen Prozesse (Diffusion mit oder ohne Komplexbildung, aktiver Transport unter ATP-Aufwand in Organismen, ,,leaching" durch organische Sauren und deren Ligandenaktivitat im Wurzelraum von Baumen usw.) ein Transport zwischen den betrachteten Kompartimentpaaren erfolgt. Solche Modelle sind notwendigerweise wiederum ,,chemiseher Natur", d. h. sie verwenden chemische Begriffe und Konzepte zur Beschreibung. Die Bedeutung dieses Ansatzes und Umstands fur die Umweltwissenschaften liegt nicht zuletzt in der Frage, welche Faktoren, d. h. wiederum [biogeo-lchemische Griifien, im Einzelfall den ,,gewollten" oder bedenklichen Fluss chemischer Elemente oder Verbindungen durch eine Nahrungskette oder ein Okoton steuern. Hier spannt sich erneut ein Bogen bis hin zur Sanierungstechnik und dem Betrieb von Klaranlagen. Chemische Verbindungen haben mit ihren funktionellen Gruppen - die Anzahl der haufigeren funktionellen Gruppen ubersteigt die verbreiteter chemischer Elemente und ist durch Kombination in einem Molekul fast beliebig steigerbar - eine hohere Vielfalt von Reaktionsmiiglichkeiten als anorganische Ionen einschliefilich der Oxoanionen von Metallen (Vanadium, Chrom etc.) und Nichtmetallen. Dies erschwert es, aus dem (spuren)analytischen Nachweis sowie der Charakterisierung der lokal in der Umwelt vorfindlichen chemischen Bedingungen (von denen im Extremfall die Stabilitat solcher funktioneller
Geschichte der Umweltchemie 1.1
Gruppen wie der Aldehyd- oder Nitrogruppe lirnitiert wird) herzuleiten, welche Prozesse ablaufen und welche biochernischen Folgen diese voraussichtlich haben werden. Zudern kann die Bioakkurnulation weitaus starker sein als bei anorganischen Ionen. Dies steigert zu erwartende biologische Effekte weiter. Des weiteren weisen bestirnmte organische Verbindungen von Fluor, Chlor, Phosphor, Stickstoff und anderen Nichtmetallen eine urn ZehnerpotenZen hohere Toxizitat auf als die anorganischen Forrnen (vgl. Abschn. 3.1). Verstarkte Bioakkumulation, abiotische Anreicherungsforrnen maf3ig fluchtiger Stoffe und erhohte Toxizitat kombinieren ,,positiv" rniteinander dahingehend, dass bereits die Uberfiihrung geringer Bruchteile des Elements in die fragliche organische Bindungsforrn (Dioxine bei Waldbranden oder in Miillverbrennungsanlagen) zu einer stark gesteigerten Belastung fuhren kann. Dazu weisen bestimrnte Organika Eigenschaften auf, die iiber zwei oder rnehrere Generationen hinweg wirken:
- selbst sonst harrnlose Substanzen wie das Losungsmittel Dimethylformamid konnen stark teratogen wirken, d. h. bei Ernbryonen und Feten Missbildungen verursachen, und - die Anzahl und strukturelle Vielfalt rnutagener Stoffe, deren Wirkung iiber viele Generationen nach der Exposition anhalt, ist bei den Organika sehr vie1 hoherz5 als etwa bei Schwerrnetallsalzen. Beides zusamrnen erhoht die raumzeitliche Reichweite der von diesen Stoffen ausgehenden Prozesse und Wirkungen weiter. Gemindert werden die potenziellen Effekte nur dadurch, dass organische Substanzen ~
25 Diese Feststellung bezieht sich primar auf den Menschen. Andere Wirbeltiere. sowohl Sauger wie das Meerschweinchen (fur das u. a. Berylliumsalze und TCDD erwiesenermaOen karzinogen sind) als auch etwa Amphibien (bei denen die wunderbar ausgepragten Aeparatur/Heilungsmechanismen der Schwanzlurche leicht auOer Kontrolle geraten). sind hier weit empfindlicher.
zumeist in anderer Weise abbaubar sind als anorganische Schadstoffe. Dessen ungeachtet tendieren sie zur Kumulation in Nahrungsketten. Beispiele hierfiir sind die endokrinen Effekte auf die Fortpflanzung von Eisbaren in der Arktis und Alligatoren irn Siidosten der USA, aber auch der rapide Populationsriickgang bei fleischfressenden GroBvogeln. Friiher wurde er hauptsachlich durch DDT verursacht, weil die extrern diinnen Eierschalen hierrnit iiber die Nahrungskette (Anreicherung in Beutefischen) belasteter Seeadler ein erfolgreiches Briiten nicht rnehr zulie8en. Hier sind jeweils Gipfelrauber betroffen, wahrend der aktuelle Kollaps der Geierpopulation in Pakistan und Teilen Indiens durch Nebenwirkungen des in Human- und Nutztiermedizin weithin eingesetzten Schmerzrnittels und Entziindungshernrners Diclofenac (3,S-Dichloranilinophenyl-2-essigsaure) den Verbleib von Aas und darnit Bakterienpopulationen wie auch andere Aasfresser rnafigeblich beeinflusst. Eine solche Vernichtung von Gipfelraubern - friiher meist durch exzessive Jagd - hat haufig okologisch hoch problernatische Auswirkungen auf das gesamte Okosystern. Die Prozesse bzw. Wirkungen treffen in Folge dessen rnehr und andere Spezies in einem Okosystem als bei anorganischen Substanzen: nehmen toxische oderhnd endokrine Wirkungen in Folge von Kumulation an der Spitze der Nahrungskette ein rnerkliches AusmaB an, beeinflusst dies die ,,Entnahme" aus und die Stoff- und Populationsdynarnik in allen unterhalb befindlichen Trophieebenen. Schwermetalle schaden (irn Uberma8, auch wenn sie essenziell sind [Kupfer, Zink, Mangan, etc.]) zwar auf jeder Ebene, aber in qualitativ zwischen den Trophieebenen vergleichbarer Weise, da sie - sofern nicht biornethyliert und dann zusatzlich neurotoxisch geworden - nicht merklich kumulieren. Fazit: die Spurenanalytik bedarf der Speziationsanalytik, urn iiberhaupt Aussagen
37
1.1 Geschichte der Umweltchemie
iiber die voraussichtlich eintretenden Prozesse und Konsequenzen treffen zu konnen bzw. die Prozesse als solche zu erfassen (Fallung, Biornethylierung, Sorption an geliiste organische Substanz usw.), die Prozesse ihrerseits werden von Lbslichkeitseffekten und der Affinitat zu biologischer Substanz diktiert.
Es bleibt das Problem der Kausalitat; denn Korrelationen - auch mit noch so guten Koeffizienten und Signifikanzniveaus sind selbstverstandlich niemals ein ,,Beweis" fur die Richtigkeit einer Modellvorstellung oder fur das Bestehen eines Kausalzusammenhangs iiberhaupt. Umgekehrt ist das I'oIwRsche Falsifikations-Prinzip bei Makrosystemen, die in den Umweltwissenschaften des iifteren untersucht werden, wegen ihrer Komplexitat nicht nur nicht praktikabel, sondern kommt bei Gefahr irreversibler Folgen von experimentellen Eingriffen in Struktur und Funktion derartiger Systeme auch aus ethischen Griinden nicht infrage. In manchen Fallen sollte schon der begriindete Verdacht zum korrigierenden Eingreifen in problematisch erscheinende Entwicklungen geniigen, um uniiberschaubare und irreparable Schaden zu verhindern. Einige Beispiele wurden in diesem Rcitrag bereits genannt, so der Treibhauseffekt und die FCKW-Debatte. Zu betonen ist dabei aber, dass Hypothesen iiber Wirkungen und Wirkungsweisen beabsichtigter oder hefurchteter unbeabsichtigter Eingriffe in die Umwelt dennoch so formuliert sein miissen, dass ihre Falsifikation mit realistischen Verfahren wenigstens in1 Prinzip mbglich ist. Beispielhaft waren hier die Nobelpreistrager SVANTE ARKHENIIIS, SHtKWOOD ROWIAND und M A R I OMOI.INA zu nennen; sie liegen sich von dem Gedanken leiten, bereits auf Grund chemischer und spektroskopischer Uberlegungen zu warnen, bevor jenes Mag an Evidenz erlangt war, das die heutige Diskussion bestirnmt.
38
1.1.8 Kybernetische Modellkonzepte in Chemie und Okologie In den 19SOer-Jahren entwickelte sich die heute bereits als ,,klassisch" zu bezeichnende - Kybernetik, zunachst von einfachen technischen Realisierungen von Riickkopplungssystemen (z. B. elektrische Schwingkreise) und deren Steuerungseigenschaften ausgehend (vgl. etwa DKISLI-!EL. 1972). So fanden kybernetischc oder parakybernetische Ansatze zur Betrachtung von Riickkopplungen an Stelle v o n oder erganzend zu linearkausalen Betrachtungsweisen bald auch ihren Weg in die sich entwickelnden Umweltwissenschaften (PATTEN19.59; PATTt.N & ODUM 1981 ). Wahrend in dieser Friihphase vor allem die Dimension der anthropogenen Stofffliisse betont und damit in der offentlichen Wahrnehmung mitunter relativ iibcrschatzt wurde, zeigte die Analyse biogener Transfers in die Gasphase bald deren allgemeine Bedeutung fiir Elemente wie Schwefel und Chlor, hauptsiichlich in Form ihrer Methylverbindungen, aber auch aiiderer von Algen (z.B. Chloroform (CHCI,)) und photooxidativ (Carbonylsulfid (COS)) in marinen Oberfliichenwassern gebildeter Spezies. Die Erkenntnis, dass Sulfataerosole als deren Folgeprodukte klimarelevant sind, fiihrte zusamrnen mit dem kybernetischen Paradigma zur GaiaHypothese (LOVEI.OCK & MAI<(;UI.IS 1974), das ist die Vorstellung evolutionar stabilisierter Ruckkopplungsstrukturen, durch die die Riosphare als hoch organisierter Komplex von Organismen, Arten und iikologischen Funktionen ihre Existenzbedingungen selber aufrecht erhalt. Diese Sichtweise wurde haufig als teleologisch26 miss-
26 Teleologisch heiOt aus s c h zielgerichtet (griech telos = Ziel. logem = sprechen, also ein Ziel zusprechen) Em Beispiel einer teleologischen Aussage in der Biologie ware ,,Die Evolution hat das Bestreben, intelligentes oderhnd moglichst komplexes Leben hervor zu bringen" Das Teleologische und daher formal Eedenkliche liegt hier nicht in der ,,Personalisierung" der Evolution im Sinne eines bewussten, Ziele verfolgenden Akteurs,
Geschichte der Umweltchemie 1.1
schwarze Ganseblumchen
'0
E Q
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d
James Lovelock * 1919
50 40 30 20
10
1.o
0.8
0.6
1.6
Sonneneinstrahlung ~~
~
~
~
~
Abb. 14: Gaia-Hypothese: Entwicklung von Flora und Temperatur auf einem Planeten, wenn die Strahlungsleistung der S ome stetig ansteigt. Zunachst dominieren schwarze, Strahlung stark absorbierende Gansebliimchen, die mit steigender Sonneneinstrahlung in Folge einer Uberhitzung ihrer Blatter aussterben und zunachst von grauen, dann von hellen verdrangt werden. Dadurch reflektiert der von den Gansebliimchen bewachsene Planet zunehmend mehr an Strahlung und heizt sich trotz steigender Sonneneinstrahlung kaum auf (die gestrichelte Linie in der unteren Grafik zeigt zum Vergleich den Temperaturverlauf auf einem unbelebten Planeten (nach LOVELOCK 1991; Foto rechts)).
verstanden und entsprechend massiv kritisiert, stammt aber aus einer soliden chemischen und ingenieurwissenschaftlichen Tradition. In der Person und fachlichen Biographie JAMES LOVELOCKS - Atmospharenchemiker und Biologe, der fur seine sondern in der Behauptung, es gabe ijberhaupt eine Zielrichtung. Nicht teleologisch hingegen sind Aussagen, die sich auf ein thermodynamisch optimales Verhalten von Systemen beziehen (etwa das Prinzip der Minimierung der Entropiequellrate in ungestorten, energiedurchflossenen offenen Systemen) oder solche in der Moglichkeitsform wie (dem obigen Beispiel folgend): ,.Die Entstehung intelligenten Lebens liegt im Moglichkeitsbereich der Evolution. Sie ist mit betrachtlichen Selektionsvorteilen aus der Umweltwahrnehmung und behandlung heraus verbunden und daher wahrscheinlich.
Forschungszwecke Gaschromatographen bis dahin unbekannter Nachweisempfindlichkeit und entsprechende Detektoren selber konstruieren musste - vereinen sich beide Orientierungen.
Im Ubrigen besteht eine direkte Beziehung zwischen den biogeochemischen Prinzipien im Sinne VERNADSKYS und der Gultigkeit der Gaia-Hypothese; denn nur wenn sich der biologische Einfluss auf die globalen Stoffkreislaufe im Sinne der biogeochemischen Grundprinzipien verhalt, kann die Gaia-Hypothese zutreffen. Dabei ist insbesondere an die revidierte Fassung des ersten biogeochemischen Prinzips (VERNADSKY,
39
1.1 Geschichte der Umweltchemie
zit.n. INIT 2001 ) gedacht, dernzufolge sich evolutionar erfolgreiche Arten und Lebensgemeinschaften so verhalten, dass die biochernische Energieurnsetzung ein Maximum erreicht. Da Lebewesen offene Nichtgleichgewichtssysterne darstellen und sornit unabhangig von der biochemisch genutzten Energiequelle eine naherungsweise Proportionalitat zwischen Energiedurchsatz und Stoffwechselaktivitat besteht, bedeutet dies die Maxirnierung von Populationsgrofle und Effizienz sowie anorganischern Stoffumsatz. Entsprechend ausgepragt werden dann auch biologische Einfliisse auf Albedo, Verdunstung, globale Strahlungsbilanz (vgl. Abb. 14) usw., wozu beispielsweise die Bildung organischer Schwefelverbindungen wie Dirnethylsulfid zahlt, die in die Atrnosphare gelangen und dort photolytisch in Sulfataerosole umgewandelt werden, welche Licht zuriick in den Weltraurn reflektieren oder streuen. Ubertragen auf die Technische Umweltchemie tun wir ,,wir" im Weltmafistah - heute Folgendes: wahrend die solare Strahlungsleistung stetig (wenn auch langsam) ansteigt, erhohen wir (nicht im Sichtbaren, sondern im Infrarotbereich) den Anteil ,,schwarzer Gansebliimchen" (Abb. 14), indem wir CO, iiber fossile Brennstoffe, CH, iiber Viehwirtschaft und Reisterrassen ausbreiten. In einern sich selbst uberlassenen System wiirden diese irgendwann verschwinden, aussterben, irn anthropogen beeinflussten wird alles Mogliche unternommen, um dem entgegen zu wirken - und damit das klimatische Problem weiter verscharft. Im Laufe der Entwicklung steigt die Strahlungsleistung gewohnlicher Sterne wie unserer Sonne (hier urn etwa 1 % pro 100 Mio. Jahre). Dies hatte einen rnit hoherem Leben langfristig nicht zu vereinbarenden Anstieg der globalen Mitteltemperatur zur Folge, wiirde die biologische Aktivitat dem nicht in vielfaltiger Weise entgegenwirken. Auf ihren Planeten wird folglich die Verdunstung zunehmen, wahrend die in evolutionar jiingster Zeit entwickelte effektivere Photo40
syntheseform der C,-Pflanzen der Atmosphare Kohlendioxid his auf ein Minimum ( < 10 ppm) entziehen kann. Feuchtgebietc trocknen aus, Graspflanzen und sie fressende groge Herbivoren gehen zuriick, wodurch Methan als zweites Treibhausgas seltener wird. Die biologische Aktivitat errniiglicht hoheres Leben damit noch fur vielleicht 600-800 Millionen Jahre, dann aber wird es endgultig zu heifl und die Photosynthese bricht wegen C02-Mangels oder wegen Uberhitzung zusarnmen.
1.1.9 Ausblick fur zukunftige Lehre und Forschung in den Umweltwissenschaften Die - im Einzelnen noch zu entfaltende Disziplingeschichte der Urnweltchemie wie der Urnweltwissenschaften insgesamt zeigt, dass neue Denkmuster und Paradigmen meist nur von einzelnen Umweltwissenschaftlern schnell und produktiv aufgegriffen wurden, dass aber die Mehrzahl der Fachvertreter vor dern Hintergrund tradierter einzelwissenschaftlicher Sichtweisen rnit diesem pragrnatischen Vorgehen haufig Schwierigkeiten hatten und haben. Die klassische, labormagig abstrahierende Chemie war und ist teilweise heute noch im Bewusstsein der Akteure mit der traditionell positiven Konnotation der ,,richtigen" oder ,,harten" Chemie besetzt; dies erfolgt in Abgrenzung zu ,,gruner" oder ,,sanfter" Chernie, deren Vertreter in der Vergangenheit nicht selten auch Verdachtigungen parteipolitischer ,,Abweichung" ausgesetzt wurden. Die Grenzziehung zwischen den beiden Bereichen lag - und liegt verrnutlich auch heute noch - daher rnehr in der fachdidaktischen Erziehung von Chemikern, ihrem Bewusstsein und beruflichern Selbstkonzept begriindet, weniger jedoch - zurnindest was die Grofiindustrie anbelangt in Pramissen der potenziellen Arbeitgeber.
Aufgabenstellung der Technischen Umweltchemie 1.2
Eine wachsende Anzahl von Personen, die chernische Studiengange (Chernie, ChernieVerfahrenstechnik, Biochernie, Pharrnazie) absolvierten und beruflich nutzen, tun dies heute nicht rnehr in der Absicht, eine traditionelle Chernikerkarriere einzuschlagen, sondern urn Fachwissen und Methodenkenntnis fur ganzlich andere Laufbahnen zu erwerben. Daraus ergeben sich Fragen an die Ausbildung von Urnweltwissenschaftlern und Umwelttechnikern. Methodische Anregungen gezielt facherubergreifend verfugbar zu rnachen, erfordert eine Form der akadernischen Lehre und des Studiurns, die rnit den weit reichenden disziplinaren Verschulungstendenzen an den rneisten Universitaten und Fachhochschulen kaurn oder gar nicht zu vereinbaren ist. Gerade fur die Chernie als Kernbereich der Urnweltwissenschaften liegt hier eine besondere Herausforderung, der sie nur durch die Verknupfung solider Fachausbildung rnit der Verrnittlung urnfassender inter- und transdisziplinarer Denkweisen wird entsprechen konnen. Dies gilt rnehr noch fur den Ubergang zur anwendungsorientierten Technischen Urnweltchernie, der dieses Werk gewidrnet ist. Zu solcher Integration will es beitragen.
1.2 Aufgabenstellung der Technischen Umweltchemie Wie wir sahen, zielt die Urnweltchernie darauf ab, chernische Prozesse in der Umwelt zu verstehen, sie in Begriffen chernischer Prozesse, Reaktionsweisen und evtl. Reaktionsrnechanisrnen zu interpretieren. Dabei wird das Geschehen in der Umwelt - 2.B. die Photolyse eines Schadstoffs in der Atrnosphare oder in wassriger Losung - ohne direkten Bezug zu dessen Quelle untersucht: Kohlenrnonoxid z. B. unterliegt den gleichen chernischen, photochemischen und biochernischen Prozessen, gleich
ob es aus Vulkanen, Motoren oder Kohlegruben starnrnt. Wenn man die Quelle nicht berucksichtigt, kann man zwar bedenkliche Prozesse beschreiben, sie aber nicht verhindern. Urn sie zu beeinflussen, muss man die Quellen potenzieller Schadstoffe und die in diesen Quellen ablaufenden Vorgange betrachten und auf dieser Basis Losungsstrategien implernentieren. Eine grundsatzliche Eigenschaft von Quellen ist, dass sie Stoffe abgeben. Auch technische Systerne sind zurneist offene Systerne; sie tauschen (wie Lebewesen) Materie und Energie rnit ihrer Urngebung aus: - Energie (zurneist elektrische) und Roh-
stoffe2’ bzw. Energietrager werden zugefuhrt, Abwarrne und - rnaterielle Produkte sowie Abfallel Abgase entstehen und mussen aus dern System entfernt werden. Typische Anlagen der Technischen Urnweltchernie wie Klaranlagen oder Abgas- / Rauchgasreinigungskatalysatoren sind ebenfalls offene Systerne, die wiederum anderen offenen Systernen, deren Urnweltwirkung sie rnindern sollen, nachgeschaltet sind. Ketten offener Systerne zeigen ein Verhalten, das intuitiv haufig schwer erfassbar ist. Insbesondere ergeben sich folgende Konsequenzen:
1. in einem derartigen Durchflusssystern wird kein chernisches Gleichgewicht erreicht, wie es (einzig) fur ein materiel1 geschlossenes System definiert ware. Daher muss gewahrleistet werden, dass 27 Beispiel: ein Verbrennungsmotor oder Kraftwerk nimmt Stickstoff mit der zur Verbrennung benotigten Luft sowie als Komponente des Kraft- oder Brennstoffs auf und bildet thermisch bzw. oxidativ Stickoxide, zunachst Stickstoffmonoxid (-NO). Die Freisetzung von -NO ist also dadurch bedingt, dass der Motor oder das Kraftwerk offene Systeme, Durchflusssysteme. sind, die Stickstoff in unterschiedlicher chemischer Form aufnehmen und als NO, wieder abgeben. Gleiches gilt fur alle anderen im Brennstoff und der Luft enthaltenen chemisch reaktiven Elemente.
41
1.2 Aufgabenstellung der Technischen Umweltchemie
der zur Reinhaltung der Umwelt notwendige chemische oder physikalische (z. B. adsorptive) Umsetzungsprozess wahrend der Verweilzeit des Reaktionsgutes innerhalb der Anlage weit genug voranschreitet. 2. die Kopplung mehrerer Durchflusssysteme hintereinander kann zu Instabilitaten/chemischen Schwingungen fiihren, die u.U. die Funktion der Reinigungseinheit ganzlich infrage stellen (,,AmsetZen" der Reaktion oder aber Uberhitzung und nachfolgende Zerstorung der Anlage in Folge zeitweilig allzu starker Warmeproduktion). Dies gilt gleichermaBen fur ,,rein chemische" Vorgange wie bei Beteiligung von Lebewesen, etwa in Klaranlagen, und insbesondere bei Lastwechseln, also zeitlich wechselnder Zufuhr zum Reinigungssystem. Beispiele hierfiir sind wiederum Klaranlagen mit ihren tageszeitlichen Spitzen des Materialanfalls, aber auch Kfz-Katalysatoren unter schwankender Motorleistung. Beide Problemfelder sind kinetischer Natur: zuerst muss gefragt werden, o b innerhalb eines mit dem Reaktorvolumen2* realisierbaren Zeitraums der erforderliche Prozess erfolgen kann, dann, o b er dies in einer gleichforniigen oder wenigstens verfahrenstechnisch kontrollier- und beherrschbaren Weise tut. Davon hangt nicht nur die erforderliche GroBe der Reinigungsanlage und ihre Finanzierbarkeit in Kategorien von Material- (z. B. Edelmetallkomponenten von Katalysatoren) und Energieaufwand ah, sondern auch, oh sie iiberhaupt gleichmaBig betrieben werden kann. Daher geniigt es in der Technischen Umweltchemie nicht, Verfahren zu identifizieren, die die Emission eines Schadstoffs in die
28 Unter ,,Reaktor" kann hier sowohl eine Stufe einer Klaranlage, der Abgaskatalysator eines Autos, eine Photolyseapparatur etc. als auch - z. B. bei der Extraktion von Schwermetallen aus Boden mithilfe von Pflanzen - ein Lebewesen verstanden werden.
42
Umwelt verhindern, indem sie ihn zuriickhalten oder in weniger schadliche (entgiftete, schwer liisliche etc.) Stoffe umsetzen, sondern Probleme der Kinetik sind gleichrangig: Chemische Schwingungen sind n u r ein Beispiel einer nicht linearen Kinetik; in Dreiwegekatalysatoren treten unter realen Betriebsbedingungen z. B. chemische Wellen auf, CO wird adsorbiert und in Reaktionsfronten oxidiert, nicht etwa gleichformig iiber den metallierten Keramikkorper verteilt. In diesem Fall stort das nicht, weil die Dimensionen der Wellenfronten und ihre gegenseitigen Abstande im mm-Bereich liegen und darnit vie1 kleiner sind als der Katalysator selbst. Abb. 15 zeigt den Stoffstrom und wesentliche Reaktionen im Katalysator. Die geeignete Kinetik zu beurteilen, ist nicht allein eine Aufgabe von Entwicklungsingenieuren, sondern der Aspekt der Kinetik gehort zur Einschatzung eines potenziellen, selbst konzipierten oder in der Literatur ,,agepriesenen" Reinigungsverfahrens unbedingt d a m : solche Nichtlinearitaten kiinnen durchaus verhindern, dass aus einern im Labor erfolgreichen Verfahren eine GroBanlage gemacht werden oder umgekehrt etwas, was ,,in grog" gut funktioniert, an dezentrale Bediirfnisse angepasst werden kann. Manchmal steht schon die Handhabung entsprechend groBer Stoffmengen des Reagens oder einschlagiger intensiver EnergiequellenzYeiner VergrijRerung (,,scale-up") entgegen. In Einzelfallen lassen sich Betriebsparameter so weit verandern, dass die Nichtlinearitat umgangen werden kann. Dieser Fall - die Randbedingungen chemischer Wellenfronten oder gar Oszillationen - lasst sich zwar
29 Beispiele Radionuklide mit Strahlungsleistungen im Kilowatt-Bereich zur Radiolyse chemischer Verbindungen sind aus Strahlenschutzgrunden sehr schwierig zu handhaben, Gaslaser vergleichbarer Leistung fur Photolysen werden sehr groO Im ersteren Fall 1st daran zu denken, sie durch Beschleuniger zu ersetzen, irn zweiten sind sie allenfalls durch nicht koharente Lichtquellen substituierbar
Aufgabenstellung der Technischen Urnweltchernie 1.2
Abb. 15: Der Dreiwegekatalysator uberfuhrt CO und Kohlenwasserstoffe (Verbrennungsruckstande) in CO,; Stickoxide in N,. Dazu dient eine komplexe heterogene Anordnung von Edelmetallkatalysatoren (Platin, Rhodium, Palladium) und Oxidationskatalysatoren auf Ceroxidbasis (Monolith). Foto: WOLFGANG
r
Edelstahl-Gehause
WENDT,Berlin
auch theoretisch behandeln (z. B. EISWIRTH et al. 1991a,b; 1996), doch fiihrt dies iiber den Rahmen dieser Darstellung hinaus. Einfacher ist fur die Praxis der experimentelle ZGgang in einer halbtechnisch dimensionierten Anlage (Technikum). Abb. 16 zeigt einige hierfiir verwendete Apparaturen (Bioreaktoren, Prozessleitrechner).
weiteres Kriterium ist, dass die - siehe oben - oft schwer beschreibbaren Prozesse ihrer-
Erst die Berucksichtigung solcher dynamischen, kinetischen und in der Folge verfahrenstechnischen Aspekte - die in den meisten Fallen direkt aus dem angewandten Verfahren, der gewahlten Option herleitbar sind, wie insbesondere die am Schluss dieses Werkes stehenden Fallstudien zeigen werden - macht aus der deskriptiven Umweltchemie die operative Technische Umweltchemie.
Die konkreten Losungsansatze konnen aus teilweise seit vielen Jahrzehnten etablierten Verfahren der technischen Chemie stammen - so unterscheidet sich die Hydrierung von Altreifen oder Kunststoffabfallen nur in einigen Betriebsparametern von derjenigen von Braunkohle, wie sie friiher in Deutschland (zuletzt der DDR) und in Siidafrika betrieben wurde - oder sie konnen eigens fur den Zweck der Umweltreinigung oder -reinhaltung entwickelt sein. Diese Anmerkung betrifft wohlgemerkt n u r die
Andererseits ist das Verstandnis der Einzelprozesse und ihrer Grundlagen, z.B. der Reaktionskinetik an aromatischen Verbindungen oder des Eintretens von Redoxreaktionen selbstverstandlich unabdingbare Voraussetzung um einen technischen Prozess iiberhaupt ersinnen und planen zu konnen: alle operativ nutzbaren Prozesse miissen unter vertretbarem Energie- und Materialaufwand durchfuhrbar sein. Ein
seits keine zusatzlichen Umweltschaden setzen diirfen, etwa durch Erzeugung und Freisetzung von toxischen Reaktionsnebenprodukten eines Prozesses oder durch verstarkte Dispersion30 eines der Schadstoffe oder seiner Folgeprodukte.
30 Beispiel: sowohl bei Einsatz von Chelatoren (Komplexbildnern) zur Schwermetallextraktionals auch der Phytoremediation (Pflanzen verwenden in ihrem Wurzelbereich ebenfalls Chelatoren wie Aminosauren, Citronensaure oder Hydroxamsauren) von Boden erfolgt auch eine unerwunschte Mobilisierung: Nahrstoffe konnen ausgewaschen werden oder nicht mehr bioverfugbar sein, Schadstoffe mobilisiert werden. ohne dass sie die zur Extraktion herangezogene Pflanze nachher alle bindet.
43
1.2 Aufaabenstelluna der Technischen Umweltchemie
Abb. 16:Blick in die Technikumshalle des Internationalen Hochschulinstitutes (IHI)Zittau. Aktiver Bioreaktor mit mehreren Reglereinheiten (PAK-Abbau rnithilfe hochaktiver mikrobieller Katalyse). Foto: IHI Zittau
technische Problemlosung. Uns ist, unter Einschluss der Biochemie, kein Reaktionsprinzip, kein prinzipieller Ansatz bekannt, der unmittelhar und ausschlieRlich aus dem Ziel der Umweltreinigung oder -reinhaltung heraus entdeckt, erforscht, entwickelt wurde”. Ein Grund hierfiir liegt sicher darin, dass die Fragestellung der Technischen Umweltchemie eher jiingeren Datums ist, die chemische und photochemische Grundlagenforschung ihr zeitlich vorausging.
31 Dies gilt nach Aussage ihrer Urheber selbst (ANDRE BRAUNund Mitarbetter, Engler-Bunte lnstitut Karlsruhe) sowohl fur die Photolyse geloster Xenobiotika im Vakuum-UV-Bereich (A 5 200 nm) als auch fur die Photohydrolyse halogenierter Aromaten
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2 Struktur und Funktion der irdischen Umweltkompartimente 2.1 Die Erde im Vergleich zu anderen Korpern des Sonnensystems Wir leben auf der Erde, deren Chemie und auch Oberflachengestalt von einem intensiven Wechselspiel der drei Umweltkompartimente Luft, Wasser, Boden untereinander sowie mit der Biota gepragt ist (fluviale Erosion, Walder u. v. m.). Selbst falls auf dem Mars oder dem Jupitermond Europa (den beiden ,,fuhrenden Kandidaten“ im Sonnensystem) Leben existiert, wirkt es mit Sicherheit langst nicht so pragend auf diese Himmelskorper, ihre Oberflache und chemische Beschaffenheit wie bei der Erde. Es bleibt die Frage, wie es um die drei anderen Umweltkompartimente bestellt ist, oh sie dort und auf anderen Korpern uberhaupt in irgendeiner Form existieren; dar a w lasst sich Einiges fur die Bedeutung von Leben auf der Erde fur die Beschaffenheit der Umweltkompartimente und umgekehrt sowie die Art der Wechselwirkungen in Abhangigkeit von der Temperatur und der GroRe des Objekts ersehen. Ein gutes Kriterium fur komplexere Wechselwirkungen und Austauschvorgange mit dem Boden (soweit vorhanden) oder mit Flussigkeitsreservoiren ist die Existenz von - Wolken sowie von - Gewittern, die nach Ladungstrennung an
fallenden Tropfchen Funksignale erzeugen. Wahrend Flussigkeitsbecken unter einer abschirmenden Eisschicht auch auf einem relativ kleinen, annahernd atmospharelosen Himmelskorper existieren konnen der Wasserozean auf Europa ist dafur ein
gutes Beispiel -, setzt eine Atmosphare einen gewissen Mindestdurchmesser des Himmelskorpers oder aber niedrige Temperaturenj2 in ihren oberen Schichten voraus, urn stabil zu sein und nicht zu entweichen. Daher ist die Diskussion auf die 9 Planeten, die bis auf Merkur alle Atmospharen besitzen, und die 7 Monde mit Durchmessern im planetaren Bereich (5300-2700 km) beschrankt. Dies ist keine willkurliche Abgrenzung sondern die nachstkleineren Satelliten von Planeten, die beiden Saturnmonde Rhea und Japetus sowie die grogten Uranusmonde Titania und Oberon, sind mit ca. 1500 km Durchmesser nur gut halb so grog wie Europa und der Neptunmond Triton. Sie konnen keine Atmospharen mehr festhalten. Daher beschrankt sich die Tab. 4 der Umweltkompartimente und ihres Zustands auf die 16 groRten bekanntenj3 Objekte des Sonnensystems, in der Aufzahlung nach steigendem Sonnenabstand. Bei der Aufzahlung der Komponenten sind die beiden haufigsten Gase genannt, weitere nur wenn ihr Anteil >> 1 % ist (Was-
32 Neben Substanzen, die einen klassischen Treibhauseffekt verursachen, sind in den Therrnospharen noch Spezies wichtig, die unter UV-Einstrahlung elektronische Anregungszustande bifden, die langlebig genug sind. urn die Energie spater auf StoBpartner zu ubertragen und diese oder Molekulfragrnente davon - insbesondere Wasserstoffatorne - in den interplanetaren Raum hinaus zu ,,schteRen”. Besonders ausgepragt ist dieser Effekt bei Argon, das Therrnospharen bis auf 10.000 K aufheizen kann; aber auch CO - z. 6.auf Mars und Titan - kann diese Energieubertragungbewirken. Die gleichen langlebigen Anregungszustande werden in Gaslasern genutzt. 33 Die neuesten Entdeckungen von transneptunischen Planetoiden wie Chaoar. Varuna und vor allern Sedna rnit Durchrnessern urn 1500 krn lassen verrnuten, dass einige noch nicht gefundene dieser Objekte groOer sind als Pluto, evtl. sogar groBer als Triton, die genetisch beide dern Kuiper-Gurtel zugerechnet werden rnussen.
45
2.1 Die Erde im Sonnensystem
Tab. 4: Kiirper des Sonnensystems und die auf ihnen existierenden UrnweltkorpJrtimente n i t Chemismus. Name
Merkur
Durchmesser (km aquatorial)
Zentralkorper
Atmosphare Wolken (Bodendruck in bar)
Gewitter
4.878
(Planet)
keine
Venus
12.100
(Planet)
Erde
12.756
(Planet)
90 CO,
+ N,
1,Ol N,
+ 0, + H,O
Boden, Art
Flussigkeitsbecken
keine
unbekannt
nein
ia
ia
vulkanisch
SalzschrnelZen?
ja
ia
sedirnentar, H,O, geloste biogen, cheSalze rnisch aktiv, z. T. vulkanisch
keine
Mond
3.478
Erde
keine
keine
keine
Regolith
nein
Mars
6.770
(Planet)
0,006
Cirren,
nein
Regolith, aolische und aquatische Sedirnente
(fruher Salzseen)
CO,
Jupiter lo
142.700 3.638
(Planet) Jupiter
+ N, + Ar Nebel
Gasplanet H, + He
ja
ia
nein
nein
10-9
nein
nein
vulkanisch, Schwefel und Silikate
flussiger Schwefel, geschrnolzene Salze unter der Kruste
keine
nein
nein
Wassereis
Wasser unter dunner Eiskruste
lo-"
nein
nein
Wassereis
Salzwasser unter ca. 100200 krn Eis
nein
nein
Wassereis
?
Gasplanet H, + He
ja
ia
nein
nein
1,6
ia
?
unterschiedrezent, CH,? lich, darunter Wassereis und photolytisch gebildete organische Polyrnere
ja
nein
nein
nein
7
nein
nein
so, + co,
Europa
3.070
Jupiter
Ganymed
5.262
Jupiter
0, Kallisto
4.820
Jupiter
120.700
Jupiter
lo-" 0 2
Saturn Titan
5.150
Saturn
N, + CH, + Ar
Uranus
51.000
(Planet)
Gasplanet H, + He
Neptun
50.700
(Planet)
Gasplanet ja H, + He + CH,
Die Erde im Sonnensystem 2.1
Tab. 4: Fortsetzung Name
Durchmesser (km aquatorial)
fentralkorper
Atmosphare Wolken (Bodendruck in bar)
Gewitter
Boden, Art
Triton
2.710
Neptun
1,7*10-5 ja, diffus N, Spuren von Ar und CH,
nein
Wassereis etc. ja, bilden Geysire (flussiges
Pluto
2.300
(Planet)
ca. 10-5 N, + CO + CH,
?
Wassereis, Gashydrate
?
Fliissigkeitsbecken
N,
?)
?
Anmerkung: Gasplaneten haben keinen festen oder flussigen Boden, daher ist die Angabe eines Bodendrucks der Atrnosphare nicht rnoglich. Bei Drucken von einigen 1.000-10.000 bar sind jedoch Gase nicht mehr kompressibel, und zurnindest irn Falle von Jupiter und Saturn gehen die hoch kornprirnierten Plasrnen (Temperaturen von einigen Tausend K) dann in rnetallahnliche Zustande uber. Bei Uranus und Neptun durfte sich das Methan zu Diarnant (!) und Wasserstoff zersetzen. Chemisch gesehen stellt der untere Rand der Konvektionszonen von Jupiter (> 300 bar, ca. 1.000K), Saturn (400 bar, ca. 800 K) und Neptun (> 1.000 bar, T nicht genau bekannt) das untere Ende der Atmosphare dar; die Uranusatmosphare ist nur schwach konvektiv.
serdampf und Argon auf der Erde, Argon auf Mars [1,6 ”/I werden daher nicht aufgefii hrt). Die Voraussetzungen fur die kornplexe Interaktion der Urnweltkornpartimente sind auger auf der Erde also grundsatzlich noch auf Triton und Titan, evtl. noch der Venus, 10 und fruher wohl dem Mars erfullt. Es zeigt sich, dass das Wechselspiel der Urnweltkornpartimente n u r in einer bestirnmten GroBenklasse von Hirnrnelskorpern rnoglich ist (ca. 3000-15000 km Durchrnesser). Andere Hirnrnelskorper haben keinen festen Boden (die Gasplaneten; ,,zu grog”) oder sind zwar geologisch aktiv, einschlieRlich Vulkanismus, ihre Atmosphare aber zu dunn, Ozeane von zu viel Eis bedeckt, urn einen quantitativ relevanten Stoff- und Energieaustausch zwischen den Urnweltkompartimenten zu ermoglichen ( 2 . B . Ganyrned). Triton und Titan sind aber sehr viel kalter; die Erde hat insofern eine Sonderstellung. Auf Venus und 10 herrschen regional bzw. global extrem hohe Ternperaturen, die Oberflache wird rapide vulkanisch erneuert. Kraterlandschaften wie irn obersten Bild von Abb. 17
(Merkur) sind typisch fur Himmelskiirper, die keine Atrnosphare und keine Flussigkeitsbecken besitzen, in denen der Boden als dann einziges Umweltkompartiment also keinen Wechselwirkungen unterworfen ist. Auf anderen Hirnrnelskiirpern gibt es zwar auch Krater, diese unterliegen aber der Erosion (Venus, Erde, Mars). Die Erde, Triton und Titan sind auch dadurch ausgezeichnet, dass die austauschende Flussigkeit eine Hauptkomponente einer Atrnosphare ist, die fur Wettergeschehen dicht genug ist (ca. 3-5 % bei Erde und Titan, fast 100 % bei Triton). Fliissiger Stickstoff oder Kohlenwasserstoffe losen keine Salze wie Wasser; das heiBt aber nicht, dass auf Titan und Triton keine fluviale Erosion moglich ware: in der Oberflache verrnutlich enthaltene Kohlenwasserstoffe wurden von Regen, Geysiren und resultierenden Flussen sehr wohl gelost und abtransportiert.
47
2.2 lrdische UmweltkomDartimente
Abb. 17: Die vier terrestrischen I’laneten und ihre Landschaften im Vergleich. Von oben nach unten: Merkur, Venus, Erde, Mars (fur nahere Informationen s. Tab. 4). 0 1997 CAI VIN J. HAMILTON
2.2 Eigenschaften und Reinigungsoptionen der irdischen Umweltkompartimente Vor der Diskussion der einzelnen Umweltkompartimente sei zunachst das Reaktorkonzept eingefuhrt: zwar erscheint die Vor-
48
stellung, dass die Umweltkompartimente standig an einer Vielfalt chemischer Reaktionen beteiligt sind bzw. diese in ihnen ablaufen, angesichts von Phanomenen wie Korrosion und nicht zuletzt unserer eigenen Atmung trivial, aber das Reaktorkonzept ruckt diese chemischen Reaktionen ins Zentrum der Betrachtung. Ein Reaktor ist in der chemischen oder Kerntechnik ebensowenig ein passives Volumen wie in der Ubertra-
lrdische UmweltkomDartimente 2.2
gung des Reaktorparadigrnas auf ein Umweltkornpartiment: er organisiert vielrnehr die ablaufenden Prozesse raumlich, durch innere Strukturen, und beeinflusst deren Verlauf durch Katalyse (Platinrnetalleinlagen im Dreiwege-Katalysator eines Krakfahrzeugs) oder auch Inhibition (Regelstabe eines Kernreaktors). Die Prozesse in Umweltkornpartimenten lassen sich wie technisch-chernische Reaktionen rnit [auger im Boden] photochernischer Energiezufuhr behandeln und die in ihnen ablaufenden Vorgange rnit solchen in technischen Anlagen vergleichen. Die Technische Urnweltchemie zielt deskriptiv und operativ genau auf solche Vergleiche ab, urn zu Gunsten der Umweltqualitat in das Geschehen einzugreifen; daher ist die Anwendung des Reaktorkonzeptes zur Beschreibung der Umweltkompartimente fur unsere Zwecke augerst naheliegend und heuristisch wertvoll.
2.2.1 Luft Die Atmosphare ist ein komplexes, hauptsachlich gasforrniges Gemisch haufiger und seltener, reaktiver und weniger bis gar nicht reaktiver Kornponenten (Tab. 5). Sie konnen miteinander reagieren, biologisch, photochemisch oder anderweitig gebildet werden und rniteinander sowie mit Wasser, Boden und Biota wechselwirken. Damit interagiert Luft mit allen anderen Umweltkornpartimenten. Sie weist eine differenzierte Struktur auf, die den vertikalen Transport von Gasen gegenuber der horizontalen Verdriftung erschwert (s. Abschn. 2.2.1.2); in grogen Hohen entmischt sie sich. Ihre Eigenschaften sowie die Gefahrenpotenziale, denen sie ausgesetzt ist, resultieren teilweise aus dieser Struktur sowie aus Reaktivitatsunterschieden: wenig reaktive Spezies konnen sich anreichern, weit verdriftet werden und an anderer Stelle Schaden anrichten. Neben den gelaufigen Kornponenten der Atmosphare enthalt sie bis zu hinunter zu
einem Konzentrationsniveau von ca. 0,l ppb noch etwa 30 weitere Substanzen, dazu Dutzende weiterer zwischen dieser Haufigkeit und der Nachweisgrenze, die Haupt- und Spurenkomponenten von Aerosolen nicht mitgezahlt (s. Tab. 5 ) . Es sind auch weitaus seltenere Gase als Tetrafluormethan (CF,) (70 ppt) eindeutig qualitativ und quantitativ identifiziert, doch sind sie meist kurzlebig und mit Ausnahme der freien Radikale wie *OH (0,020,03 ppt) oder Brornrnonoxid (OOBr) chemisch von untergeordneter Bedeutung. Die Schwefelverbindungen dorninieren den Kreislauf eines biologisch augerst wichtigen Elements, und Tetrafluormethan ist extrem persistent. Ein nurnerisches Kriterium ist, dass diese selteneren Gase (Dirnethylsulfid, H,SO,, CF,) eine Konzentration von etwa 10-lo derer von molekularem Stickstoff haben. 2.2.1.1 Reaktorkonzept und Atmosphare
Der Reaktor Erdatrnosphare wird gekennzeichnet und chernisch angetrieben durch zwei Faktoren, eine
- Energiequelle und eine - chemische Besonderheit, die kein anderer
terrestrischer Planet34 oder Mond des Sonnensystems in seiner Atmosphare aufweist: in der Erdatrnosphare existieren nebeneinander stark oxidierende Substanzen, insbesondere Sauerstoff, aber auch Spurengase wie Wasserstoffperoxid, Ozon oder Salpetersaure, daneben reduzierend wirkende, u. a. organische Verbindungen wie Methan oder 34 Nichtgleichgewichtsspezies findet man auch in den Atmospharen von Jupiter und Saturn, dort dadurch bedingt. dass die Konvektion der Atmospharen dieser Gasplaneten in tiefe, sehr dichte und heil3e (ca. 1100 K) Gasschichten hinunter reicht, dort entstehende Energiereiche Molekule wie Kohlenmonoxid (CO), Phosphan (PH,) oder German (GeH,) nach oben transportiert und ,,ausgefroren" werden.
49
2.2 lrdische Umweltkompartimente
Tab. 5 : Zusanimensctzung der Erdatmosph'ire (nach 1.tw1s& I'HINN
1984, crganzt).
Gas
Anteil (PPm)
Ursprung
Lebensdauer (a)
N2
781 .OOO
Vulkanismus, Denitrifizierung
16*106
0 2
209.500
biogen (Photosynthese)
3.000
Ar
9.400
Radioaktiver Zerfall (40Ar[99,60 "/4,Spuren primordial
Permanent (Edelgas)
H2O
< 40.000
Vulkanismus, Kometen
0,025 (atrnospharisch)
co2
370
Vulkanismus, anthropogen und biogen
Ca. 100
Ne
18,2
primordial
Verluste?
He
5,24
radioaktiver Zerfall (aus (Atrahlern)
Ca. 106
CH,
1 8
biogen, Landwirtschaft
4-5
Kr
1,14
primordial
Permanent (Edelgasj
H2
0,4-1
biogen, Photolyse von HCHO und HO ,
2-3
N2O
03
biogen, Landwirtschaft
170
co
0,Ol-0,2
Vulkanismus, Verbrennung
09
Xe
0,087
primordial, radioaktiver Zerfall (Iz9Xe)
Permanent (Edelgas)
03
< 0,05
photochemische Prozesse (-NO, basiertj
5*104 (wenige Minuten)
NH,
< 0,02
biogen
0,Ol-0,03
so2
< 0,02
Verbrennung, Vulkanismus
0,Ol
H2S
0,002-0,02 biogen, Vulkanisrnus, heiBe Quellen
5
0,l (typisch 0,008)
HCHO
< 0,Ol
Oxidation von Methan
0,0005 (tagsuber; Photolyse)
SF,
0,0036
anthropogen (Elektrotechnik)
3.200
*NO,
0,003
Verbrennung, auch biogen (Nitratreduktion)
0,1
*NO
0,003
wie *NO,
Ca. 0,001
HCI
0,0015
Vulkanismus, Verbrennung
Ca. 0,Ol
HNO,
0,001
Stickoxide + WasserlLuft, *NO,
H202
0,001
Photolyse von Wasser
CH,CN
0,0008
Waldbrande, weitere Quellen
Ca. 20
'86
0,00075
Verbrennung. Waldbrande, Vulkanismus
0,025
CH,CI
0,0006
marine Algen, Vulkanismus
1,s
0,0005
Photolyse organ. Substanz im Meer, Vulkanismus, z 50
cos
+ R-H
Ca. 0,02
Verbrennungsprozesse HCN
0,00010,0009
Schwelbrande organischer Substanz
Ca. 0,2 (Auswaschung)
CF2C12
0,00028 (1982)
anthropogen
Ca. 150
50
lrdische Umweltkompartimente 2.2
Tab. 5: Fortsetzung Gas
Anteil (PPm)
Ursprung
Lebensdauer (a)
CCI,
0,00012
Losungsmittel, marine Algen
50-70
CHCIF,
0,0001 1
anthropogen
12
(CH,),S
0,00010,0001 5
marine Algen
0,001 5
H,SO,
0,0001
Oxidation von Schwefeldioxid (s. dort)
0,02 (Auswaschung)'
cF'l
0,00007
Aluminiumhutten
50.000 (!)
~~
Anmerkung: Primordial bei Edelgasen (Ne, Ar, Kr, Xe) hei8t: in der vorliegenden chemischen Form seit Entstehung des Sonnensystems vorhanden und dann in Planeten eingebaut. Danach Freisetzung uber Vulkane oder andere Schmelzvorgange. Der radioaktive Zerfall ist nur bei solchen Nukliden erwahnt, deren Vorlaufer langlebig genug waren ( 2 lo7 a), dass sie zuvor in Planeten eingebaut werden und erst dort z. B. Argon oder Xenon freisetzen konnten (Kaliurn-40, lod-129 bzw. spontan spaltende Nuklide wie 238U,244Pu).Fur kein chemisch reaktives Gas plausibel, da zu kurzlebig, auch nicht bei N,. Neben HCN treten noch weitere starke Reiz- und Giftstoffe wie HCHO, CO, Benzol oder *NO, auf. Auch Ozon, so wichtig seine Anwesenheit in der Stratosphare fur uns ist, hat in der Troposphare ausgesprochenen Schadstoffcharakter. 1 In der Stratosphare (18-25 krn Hohe) existiert wie bei der Venus eine dauerhafte. allerdings sehr vie1 dunnere Schicht
von Schwefelsaurenebeln, die Junge-layer. Diese ist Klirna relevant (Strahlungsreflektion).Schwefel gelangt dorthin als Carbonylsulfid (COS) sowie rnit schweren Vulkanausbruchen.
Formaldehyd, weiterhin Kohlenmonoxid und molekularer Wasserstoff (s. Tab. 5). Diese Mischung ist nicht stabil; es konnen chemische Reaktionen unter starker Energiefreisetzung eintreten (H2 + 0, = Knallgas!). Zwar kann die Atmosphare auch bei Gewitter nicht explodieren, weil dazu die Konzentrationen zundfahiger organischer Verbindungen und von Wasserstoff um wenigstens vier Zehnerpotenzen zu klein (< 2 ppm [CH,, H,] statt mehrerer %) sind. Dennoch lauf& vielfaltige Reaktionen ab, wahrend die miteinander eigentlich nicht kompatiblen Spezies durch unterschiedliche biologische Prozesse sowie Vulkanismus stetig nachgeliefert werden. Einige dieser atmospharenchemischen Reaktionen verandern auch die Struktur und optischen Eigenschaften der Atmosphare, namlich die, die zur Bildung von festen und flussigen Schwebstoffen, den Aerosolen
und Hydrometeoren (s. u.), fiihren. Dies sind kleinste Partikel, die durch Zusammenballen/Aufkondensieren schwer fluchtiger Substanzen wie Wasser und chemische Reaktionen wachsen und sich verandern konnen. Belastungen durch solche Aerosole sind vielfach besonders kritisch fur die Gesundheit; sie konnen beim Atmen in die Lunge eindringen, dort je nach Partikelgrofle verbleiben3' und toxisch wirken. Soweit zur Aerosolbildung Substanzen beitragen, die oder deren chemische Vorlaufer vom Menschen in die Atmosphare eingebracht werden, ist dieser bedenkliche Prozess (,,Smogbildung") auch durch den Menschen beein flussbar, namlich durch Kontrolle bzw. Verbot der betreffenden Immissionen. Die Kontrolle hat auf technischem Wege zu erfolgen; Metho35 Dies gilt fur einen GroBenbereichvon ca. 0,3-5 Frn; groDere Partikel entfernt das Flirnrnerepithel aus den Bronchien. kleinere werden einfach wieder ausgeatrnet.
51
2.2 lrdische UmweltkomDartimente
den der Iaftreinhaltung sind Gegenstand spiiterer Abschnitte dieses Werkes (Abschn. 4.2). Die Energiequelle, die die Chemie der Atmosphare ,,pumpt", ist hauptsachlich Licht sowie UV-Strahlung, die auf die Atmosphare fallen, sie durchdringen und unter teilweiser Absorption chemische Reaktionen oder andere Prozesse auslosen. Dabei wird zwischen direkter und indirekter Photochemie unterschieden:
2.2.1.2 Struktur und Schichtung der Atmosphare
Die Atmosphare weist unabhangig vom geografischen Breitengrad und davon, ob man sich uber Land oder Meer befindet, eine einheitliche Grundstruktur aus mehreren Schichten auf (Abb. 18).
In Bodennahe befindet sich die Troposphare (,,benachbarte Atmosphare"). Sie reicht bis in 9 (Polargebiete)- 17 km (Tro-
- direkt sind
Prozesse, die unmittelbar durch Absorption von Lichtquanten in einem Molekiil verursacht werden (z. B. die Spaltung von Ozon 0, in 0, und ein angeregtes Sauerstoffatom), - indirekt heiRen Reaktionen mit ihrerseits photochemisch entstandenen Spezies wie dem OH-Radikal. Das OH-Radikal ist mit wenigen anderen, z. B. dem Nitrat-Radikal (neutrales .NO,)
verantwortlich fur den GroRteil der Oxidation reduzierend wirkende Stoffe in der Atmosphare. Da die Temperatur der Troposphare etwa funf- bis zehnmal niedriger ist als die brennender Gase, werden die Radikale, die die schnellen Reaktionen verursachen, nicht thermisch gebildet, sondern mussen ihrerseits durch Photoprozesse nachgeliefert werden. Daher ruhrt die Bezeichnung ,,indirekt photochemisc h " . Ebenfalls weil die Atmosphare relativ kalt ist, reagieren auch fast nur Radikale, nicht aber Molekule (Spezies gerader Elektronenanzahl) mit fur die atmospharische Stoffbilanz relevanter Geschwindigkeit: Stoffe, die weder ausregnen noch mit den genannten Radikalen reagieren, haben Lebensdauern von Jahrzehnten his Jahrmillionen. Beispiele hierfur sind Stickstoff (der biologisch I- NH,] und in Gewittern 1- *NO] aktiviert wird) oder die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW).
Abb. 18: Aufbau der Atmosphare; Foto: HtI MUT GKOLL.
52
lrdische UmweltkomDartimente 2.2
pen) Hohe und ist dadurch gekennzeichnet, dass in ihr schnelle vertikale Transportvorgange (Konvektion) ablaufen. Weil sich aufsteigende Luftrnassen abkiihlen und darin enthaltene Feuchtigkeit kondensiert, kornmt es zur Ausbildung von Wolken und von Niederschlagen. Beides beeinflusst den Strahlungs- und Warmehaushalt der Erde:
- die zurn Verdarnpfen von Wasser benotigte Energie wird bei der Kondensation, also der Wolkenbildung, wieder frei. Es komrnt damit zu einem vertikalen Warmetransport und - Wolken reflektieren Strahlung in beide Richtungen, vermindern die Energieaufnahme aus dem durchsonnten Weltraurn ebenso wie die Auskiihlung des Bodens bei Nacht. Uber der Troposphare Iiegt die Tropopause. In ihr erfolgt keine Konvektion. Dadurch wird das weitere Aufsteigen langlebiger Chemikalien vom Boden und der Troposphare aus erheblich verlangsarnt. Verbindungen, die langer als ca. 10 Jahre in der Atmosphare verbleiben, gelangen durch die Tropopause, unterhalb derer Zirkulation erfolgt, nach oben in die Stratosphare. Um sich in der Troposphare iiber beide Hernispharen annahernd gleichformig zu verteilen, brauchen sie ca. 3-5 Jahre36. Vertikale Mischungsvorgange uber mehr als 15 km (his uber die Tropopause) dauern also Ianger als ,,horizontale" (oberflachenparallele) iiber viele tausend Kilometer. Ebenso gelangen in der Stratosphare entstandene Verbindungen wie Ozon nicht leicht nach unten. Die Tropopause ist wenige Kilometer dick. Uber ihr folgt die Stratosphare, die wie ihr Name andeutet, stabil geschichtet, also 36 Die kurzest-lebigen haufigeren Verbindungen, Methan und 1,I ,I-Trichlorethan, die uber beide Hemispharen etwa gleichformig verteilt sind, haben in derTroposphare Lebensdauern von ca. 5 Jahren.
nicht konvektiv ist. Einer der Griinde dafur ist die Erwarmung in der Ozonschicht, die vie1 (uberwiegend UV-)Strahlung absorbiert, sich dadurch aufheizt und die Konvektion behindert. Die Stratosphare ist sehr trocken, was fur ihre Chemie entscheidend ist: Wasser als Quelle fur OH-Radikale fehlt weitgehend. Der warmste Bereich, die Stratopause, bildet - genau wie die Tropopause - einen vertikalen Abschluss fur Austauschvorgange in knapp 50 krn Hohe. Darauf folgt die Mesosphare. Ah etwa 82 km Hohe kornrnt es zur Entmischung der Atmosphare (Turbopause), die Volurnenanteile der ,,schweren Gase" Stickstoff, Sauerstoff und Argon nehrnen ah, leichte wie Wasserstoff und Helium sowie Ionen nehmen zu (,,Ionosphare"). In der Turbopause oder auch Mesopause erreicht die Temperatur das absolute Minimum innerhalb der gesarnten Gassaule (etwa 180 K). Die Temperatur - soweit der Begriff in diesem Fast-Vakuum noch einen Sinn macht - steigt danach wieder stark an, his auf Werte von etwa 2000 K. Zugleich wird die Atrnosphare in Hohen um 9095 krn beirn Vergliihen kleiner Meteoriten mit Metallen und einigen organischen Verbindungen, darunter Cyanwasserstoff (HCN) und Methan (CH,), angereichert, die in dieser Hohe frei werden. Etwas tiefer - urn 85 krn - bildet sich noch eine Aerosolschicht, die noch lange nach Sonnenuntergang auf dem Boden beleuchtet und zusatzlich in der unteren Ionosphare elektrisch angeregt wird, so dass Leuchtende Nachtwolken resultieren. Ihre chemische Zusammensetzung ist bislang ungeklart, aber Wassereis diirfte dominieren. Letzte Auslaufer der Atrnosphare werden durch das irdische Magnetfeld begrenzt bzw. vom Sonnenwind weggetragen (Exosphare, ah 800 krn Hohe) Als Umweltkompartiment ist die Atmosphare soweit aufzufassen, wie Transport von Stoffen und Beeinflussung der Bodenbedingungen, z. B. Strahlungsabsorption, noch die darunter befindliche Biosphare be-
53
2.2 lrdische Umweltkompartimente
Abb. 19: Polarlichter entstehen durch elektronische Anregungszustinde in der Hochatmosphiire enthaltener Molekule, Atonie und loncn; aus ihren Farbcn und Spektren kann daher auf die Zusammensctzung ohcrer Atmospharenschichten geschlossen werden. Die Ant-egung erfolgt durch Sonnenwind und durch kosmische Strahlung. Die farbgebenden Elemente sind Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff. Rote Polarlichter (rechtes oberes Bild) treten nur oberhalb 200 kin auf, da die hetreffenden Zustande des Sauerstoffatoms nur Licht ernittieren, wenn keine zwischenatomaren StiiGe inehr erfolgen. Blaue Randen (linkes oberes Bild) gehiiren z11 *N2+, die gewohnlich hellsten gruncn Banden xu atomarcrn Saucrstoff ( CIIRISTENSEN 2003). Fotos: Ol.lvk.I< E f i t ~ ,Foto Media (www.fotomediaweb.de). treffen. Dies ist his z u m oberen R a n d der Ozonschicht in ca. 4.5 k m Hohe d e r Fall. Prozesse, die in Hiihen iiber 45 k m ablaufen, fiihren weder zu Immissionen toxischer Stoffe h e r a b bis in die Riosphare noch beeinflussen sie die Strahlungsbilanz” o d e r UV-Transparenz d e r Atmosphare rnerklich. 37 Leuchtende Nachtwolken sind ein relativ seltenes Phanornen das daher weder die Strahlungsbilanz der Atrnosphare irn Allgemeinen (zusatzliche Reflektion) noch die stabile therrnische Schichtung der Stratopause und Mesosphare (die bei Abschattung la zusatzlich stabilisiert wurde) beeinflusst
54
Extrem persistente u n d k a u m kondensierbare niedermolekulare a n t h r o p o g e n e Verbindungen wie Tetrafluormethan (CF,) und Hexafluorethan (C,F,, ebenfalls aus Aluminiumhiitten s t a m m e n d ) werden im Laufe d e r niichsten J a h r h u n d e r t e u n d Jahrtausende z w a r auch diese Hiihen erreichcn, dort frei werdende Fluoratome finden a h e r mangels Staubeii ( a u g e r d e n Relikten von Mikrometeoriten), C h o n u n d Wassereis keine Reaktionspartner mehr, die die tieferen Schichten beeinflussen w u r d e n . Sie reagieren dann mit d e n Spuren Wacserstoff-
lrdische Umweltkompartimente 2.2
haltiger Verbindungen, wobei Fluorwasserstoff [HF] als stabilste H-Verbindung uberhaupt entsteht, ohne dass dieser etwa mit Stauben7# weiter reagieren oder sich an Wassereis anlagern konnte. Daher tritt H F in solchen Hohen der Atrnosphare als dort rnangels Reaktionspartnern stabile gasformige Fluorverbindung auf. Die hochsten Konzentrationen in der oberen Stratosphare werden im Bereich des antarktischen Polarwirbels (knapp innerhalb des siidlichen Polarkreises) mit etwa 1 ppb gefunden, wahrend uber der gemaBigten Nordhemisphare nur 0,l-0,2 ppb auftreten. Von der Ionosphare aufwarts tritt nicht nur Ionisation unter dem Einfluss solarer Extrem-UV-, Rontgen- und Teilchenstrahlung (Sonnenwind), sondern auch elektronische Anregung der wenigen dort noch befindlichen Atorne, Molekule und Ionen ein. Wie in einer Neonrohre resultieren dabei fur in der angeregten Schicht haufige Spezies typische Farben (Polarlicht, zwischen 100-1000 krn Hohe). Abb. 19 zeigt einige besonders schone Polarlichter. In den beiden oberen ist auch eine Schichtung erkennbar (grune Emission unten, rotviolette oben), die der Schichtung der sich oberhalb 82 krn (Turbopause) entrnischenden Atrnosphare entspricht. 2.2.1.3 Das Reaktorprinzip der Atmosphare: die Rolle hoch reaktiver Spezies
Bei den in Tabelle 6 aufgelisteten Mengenund Spurengasen handelt es sich um ganz unterschiedliche Substanzen irn Hinblick auf chernische Reaktivitat, Fliichtigkeit (von Helium [Sdp. 4,2 K] bis Schwefelsaure [Sdp. 611 K]), Bildungswege und etwaige Senken.
38 Silikatische Staube reagieren mit Fluorwasserstoff (HF) zu gasformigem Siliciumfluorid (SiF,), carbonatische zu salzartigen Fluoriden
Die Reaktionsraten aller Spezies sind nach oben begrenzt, sei es durch die
- endliche StoBhaufigkeit rnit potenziellen Reaktionspartnern oder anderen Molekulen, die dabei thermische Energie ubertragen, - den Fluss an UV-Strahlung oder einfach - die Verfugbarkeit der Reaktionspartner. Im Falle der sehr reaktiven Komponenten, die schon selbst stark zum biogeochernischen Zyklus eines Elements beitragen (z.B. SO, oder NH,), besteht mithin die Gefahr, die naturlichen, direkt oder indirekt (*OH,*NO,) photochemischen Reinigungsprozesse zu ,,uberlasten ",so dass die betreffende Substanz sich in der Atmosphare anreichert und problernatische chernische oder biologisch-toxikologische Effekte (Veratzungen, Reizungen) verursacht. Bei kleinen Umsatzraten besteht ebenso die Gefahr der Akkumulation von Stoffen; ein Beispiel hierfiir sind die FCKW - bekannt fur ihre Reaktionstragheit - die akkurnulieren, weil sie kaum zum Chlorund Kohlenstoffkreislauf beitragen. Erst unter den drastischeren Reaktionsbedingungen in der Stratosphare werden sie nennenswert photolytisch umgesetzt. Ein groRer Teil des photochemisch unter Beteiligung von Ozon oder Wasserstoffperoxid gebildeten OH-Radikals reagiert mit CO oderhnd den Kohlenwasserstoffen. Dabei wird es einerseits verbraucht, andererseits entstehen Radikale, die sich zu Polymeren und darnit Aerosolen, einschliefilich organischer Spezies, zusarnmenfinden konnen. Die Konzentrationen der sehr reaktiven Spezies sind in Tabelle 6 aufgefuhrt. Setzt man die atrnospharischen Konzentrationen in Beziehung zu den Lebensdauern, erhalt man eine Vorstellung davon, welche Prozesse rnaBgeblich fur die Stoffflusse und die biogeochemischen Zyklen der Atrnospharenkomponenten bildenden Elernente - z. B. von Stickstoff - sind. 55
2.2 lrdische Umweltkompartimente
U r s p r u n g und 1.ehensdauer atmospharenchemisch relevanter r e a k t i v e r freier Radikale.
Tab. 6: Haiifigkeit,
Gas
Anteil (PPt’)
Ursprung
-NO,
ca. 10 (nachts)
NO, + 0, HNO, + O H
-OH
0,02-0,03 HO ,
+ O’D, H,O, + + hv
Lebensdauer (sek.)
<1
hv, H O N O
01D2 variabel
Photolyse von Ozon
mehreren Milliarden Tonnen anthropogenen Zusatzeintrags pro Jahr zu tun, mit der Folge, dass entsprechende Anderungen bei mehreren p p d a liegen, auch wenn sie zu 70-80 Yo durch Photosynthese wieder kompensiert werden. In gleicher Weise wird fur andere biochemisch essenzielle und atmospharenchemisch relevante Elemente verfahren, namlich Schwefel, Chlor und Kohlenstoff. Die erhaltenen Durchsatzraten gibt Tabelle 7 wieder.
ca. lo4
(10-5-1 0-4)
-0CI
UV-Einstrahlung auf Meeresgischt
1 ppt = parts per trillion (Teile auf 10l2).1 ppt = 2,5*107 Molekule/Radikale/cm3. 2 Das ist eine spektroskopische Bezeichnung fur einen bestimmten und sehr reaktiven Anregungszustand des Sauerstoffatoms. Normaler Weise verteilen sich Elektronen auOerhalb chemischer Bindungen so, dass die hochste Zahl von Orbitalen (je einzeln) besetzt wird (HuNosche Regel); nur durch Energiezufuhr werden sie in einzelnen Orbitalen zusamrnen gefuhrt. Die Hochzahl 1 steht fur einen Singulettzustand. in dem es wie in einem stabilen Molekul gar keine ungepaarten Elektronen gibt (im Grundzustand des Sauerstoffatoms sind es zwei, was einen Triplettzustand 03P ergibt). P bzw. D bezeichnen die Quantenzahlen, die den Elektronen zugeordnet sind. Die Uberschussenergie wird wieder frei, wenn O’D auf ein anderes Atom oder Molekul trim und kann dann zur Einleitung chemischer Reaktionen dienen: mit Wasserdampf entstehen zwei OH-Radikale, in flussigem Wasser dagegen selektiv Wasserstoffperoxid.
Reaktionstrage Formen wie N, kiinnen sich zwar anreichern, doch bedeutet dies nicht, dass sie in vergleichbarer Rate (gemessen z.B. in loh t/a global) chemisch umgesetzt werden wie etwa Ammoniak, Stickoxide oder organische Verbindungen wie Acetonitril. Zum Vergleich: ein Eintrag einer Substanz von global 500.000 Jahrestonnen, ein typischer Wert fur gangige Treibgase ebenso wie Verluste gebrauchlicher Losungsmittel oder biologische Sekundareffekte (verstarkte Freisetzung von Gasen wie Methylchlorid (CH,CI) in eutrophierten Flachmeeren), entsprechen 16 kg/s. Substanzen, die in solchen Mengen frei werden, aber Durchsatzraten << 1 ppb/a aufweisen, reichern sich an. Bei CO, haben wir es mit
56
2.2.1.4 Chemische Besonderheiten: saure und gut wasserlosliche Atmospharengase
Die meisten Spurengase (CH,, N,O, H,, *NO,, Edelgase) sind ahnlich gut oder schlecht in Wasser und damit in Nebel-/Regentropfen loslich wie N, oder 0, (Mol bar-’:Skg-’) ,aber es gibt Ausnahmen: HCI, NH,, HCHO; durch Losen aller drei Gase in Wasser erhalt man ie rund 3540 %-ige Losungen (ca. 10-molar). Diese hohere Liislichkeit wirkt sich auch in der Atmosphare aus, nicht nur dahin gehend, dass sie schnell ausgewaschen werden. Die Konzentrationen dieser Gase hegen allerdings nur im ppb-Bereich, so dass auch die Loslichkeit/Konzentration im Regenoder Nebelwasser um annahernd ein Mill i a r d e n f a ~ h e sgeringer ~~ ist als unter dem reinen Gas. Obwohl Ammoniak (NH,) die relativ haufigste der genannten Substanzen ist (bis 20 ppb in grofieren Luftvolumina) und dessen wassrige Losung deutlich alkalisch reagiert, steigt der p H von luftbiirtigen Tropfen nur in unmittelbarer Nahe von Massenviehhaltungsorten (v. a. Schweinestallungen) ins Alkalische; die 39 Das Henrysche Gesetz, das die Proportionalitat zwischen Gasloslichkeit und Partialdruck des Gases in der Umwelt feststellt, gilt zwar nicht mehr, wenn Molenbruche > 0,l wie hier unter den reinen Gasen erreicht werden, doch sind die Abweichungen nicht zu gro0, urn die hier lediglich intendierte Abschatzung zu rnachen [NH,+] bleibt << 1 wmol/L in den Regentropfen
lrdische Urnweltkompartimente 2.2
Tab. 7: Konzentrationen, atmospharische Lebensdauern und mittlere Umsatzraten einschlagiger Verbindungen von Stickstoff, Kohlenstoff, Chlor und Schwefel in der Erdatmosphare. Erlauterungen siehe Text und Anmerkung. Element Stoff N
S
CI
C
Konzentration c Lebensdauer t c/t [PPbl [a1 [PPb/al
Stochiometri- Umsatzrate scher Faktor
*NO
3
0,001
3.000
1
3.000
NH,
c 20
0,01-0,03
700-2.000
1
700-2.000
N2
O8 7,81*1
16*106
49
2
98’
HNO,
1
0,02
50
1
50 30
*NO,
3
0,1
30
1
NZO
31 0
170
1,8
2
3,6
HCN
0,1-0,9
02
0345
1
0,5-4,5
SO,
< 20
0,Ol
c 2.000
1
c 2.000
HZS
2-20
5
0,Ol (0,008) ca. 200
1
ca. 200
(CH3)2S
0,09-0,15
0,0015
60-1 00
1
60-100
HZSO,
0,1
0,02
5
1
5
cos
03
> 50
c 0,Ol
1
c 0,Ol
SF,
3,6
3.200
0,001
1
0,001
HCI
150
1
150 0,4
1,s
0,Ol
CH,CI
08
1,s
04
1
CHCIF,
0,ll
12
0,009
1
0,009
CCI,
0,12
60
0,002
4
0,008
CF,C12
03
150
0,002
2
0,004
HCHO
c 10
0,0005(tags)
c 20.000
1
< 20.000
co2
3,7*105
100
3.700
1
3.700
CH.4
1.800
4,5
400
1
400
co
10-200
04
25-500
1
25-500
HCN
0,1-0,9
02
0,5-4,5
1
0,545
CH,CI
0,6
1,s
04
1
0,4
CH,CN
0,8(0,082)
20 (03)
0,04(0,16)
2
ca. 0,2
cos
0,s
> 50
c 0,Ol
1
c 0,Ol
CHCIF,
0,ll
12
0,009
1
0,009
CF2CI,
03
150
0,002
1
0,002
CCI,
0,12
60
0,002
1
0,002
1 Anthropogen liegt die Umsatzrate von Stickstoff bei ca. 500 ppb/a, und zwar bedingt durch Sbckstoffhydrierung zur Produktion von Ammoniurndungern, Spreng- und Treibstoffen (Hydrazin). Diese Versechsfachung des Urnsatzes hat bereits dazu gefuhrt, dass rund 30 % des irn Menschen und seinen Nutztieren enthaltenen Stickstoffs mindestens einrnal die Hydrierung durchlaufen hat.
57
2.2 lrdische UmweltkomDartimente
Tab. 7: Fortsotzung Anmerkung Stochiornetrischer Faktor: Er gibt an, wie viele der betreffenden Atorne in einern Molekul enthalten sind, z. B. vier Chloratorne in Tetrachlormethan (CCI,) oder zwei Stickstoffatorne in Lachgas (N,O). Fur die rnit der Rechnung in der letzten Spalte intendierte Stoffbilanz muss er berucksichtigt werden. Dabei entspricht ein Urnsatz von 1 ppb/a bei dern Stoffbudget der Erdatrnosphare von 36,l Mol/crn2(Gesarntrnasse ca. 1,033 kg/cm2, rnittlere Molrnasse 28,6 g/Mol; Druck 1013,25 rnbar) einer Reaktions-/Auswaschungsrate von 1,14'10-'6 Mol/crn"s, d. h. bei einer Erdoberflache von 510 Mill. kmz oder 5,1*10'* crn2 einem globalen Urnsatz von 580 Mol/s, fur typische Gase oder Darnpfe also einigen Zehner - 100 kg/s weltweit. Selbstverstandlich bewirken Unterschiede von Ternperatur, UV-Strahlungsfluss und Feuchtigkeit in globalern MaOstab Unterschiede der so berechneten Durchsatzraten von lokal u. U. rnehreren ZehnerpotenZen: in den kaltesten Regionen der Antarktis verbleiben selbst die Edelgase Xenon und Krypton nicht mehr in der Atrnosphare, sondern bilden feste Hydrate, in sehr feuchten Klirnaten werden Arnrnoniak oder die zudem ziernlich schwer fluchtige - Schwefelsaure beschleunigt ausgewaschen, die Photolyse von Forrnaldehyd hangt unrnittelbar vorn Nah-UV-Quantenfluss (A i 370 nrn) ab, usw. Diese Bilanz zeigt u. a., dass nur ein kleiner Teil des Schwefeldioxids als Darnpf forrnige Schwefelsaure erscheint; die betreffende oxidative Chemie spielt sich groOten Teils bereits in den Nebeltropfchen ab. Bei Stickstoff lassen sich Arnrnoniak sowie -NO (*NO,) als stark am Stoffstrorn beteiligte Spezies abgrenzen gegen N,O und die organischen Verbindungen (HCN' und Acetonitril), die kaurn zurn N-Zyklus beitragen, sowie N, und Salpetersaure (HNO,), deren Reaktionsraten dazwischen liegen. N, wird durch das Enzymsystem Nitrogenase (Stickstofffixierende symbiontische Knollchen- sowie Cyanobakterien) sowie in Gewittern aktiviert. Neben dem biogenen Dirnethylsulfid tragen nur H,S und SO, wesentlich zurn Schwefelurnlauf in der Atrnosphare bei. Wesentliche Anteile zurn Kohlenstoff kreislauf sind auf die beiden therrnodynarnisch stabilen Verbindungen Kohlendioxid, Methan sowie dessen Oxidationsprodukte Forrnaldehyd und - nach einer direkten Photolyse oder Reaktion rnit OH. - Kohlenrnonoxid beschrankt. 1 Die Zuordnung von HCN zu den organischen Verbindungen erfolgt hter nach deren Bildungsweg (Pyrolyse organischer Substanz) und dem Umstand. dass sie das Nitril der allgemein als ,,organisch" geltenden Ameisensaure 1st Das korrespondierende Anion, Cyanid, und dessen Komplexe gelten allgemein als anorganisch bzw als nicht rnetallorganlsch
Wirkung von CO, und Mineralsauren auf das Regenwasser wird also nicht uberkompensiert. Die ersten Regentropfen nach langen Trockenperioden sind zwar vielfach alkalisch, doch liegt dies am Carbonatgehalt der dann mit ausgewaschenen Staube. Unter den selteneren Gasen (Konzentrationen um ein ppb) sind Dampfe starker Sauren (Salz-, Salpeter- und Schwefelsaure). Diese kiinnen sich in Niederschlagen anreichern - in Schnee und Nebel weitaus starker als in Regenwasser - und damit Saureeintrage in Biiden und Cewasser verursachen. Weiterhin greifen diese Sauren auch Oberfliichen an, tragen damit zu Verwitterung, Korrosions- und Gebaudeschaden, auch Schadigungen biologischer Oberflachen, etwa Veratzung von Blattern und Nadeln von Pflanzen, bei. Bei ihrer Reaktion mit basischen Oberflachen (Staubpar58
tikel) und Gasen (Ammoniak) werden Schwebstoffe (Aerosole) gebildet Iz. B. Ammoniumsalze wie (NH,)HSO,I, umgewandelt (Kalk- in Gipsstaub etc.) oder feiner verteilt. Abbildung 20 zeigt daraus resultierende Schaden an einem Kirchenbau und daran angebrachten Epitaphen (Grabtafeln) in Mien. Ein Sonderfall der Anheftung an kondensierte Phasen besteht in der Auswaschung, die fur viele hydrophile Substanzen wic die genannten Sauren, Ammoniak, Cyanwasserstoff [ HCN] oder Acetonitril [CH,CN] den dominierenden Senkenpfad darstellt. Dennoch resultieren unterschiedliche Lebens-/Verweildauern in der Atmosphare (rechte Spalte der Tab. 6), weil nicht jeder Kontakt solch eines Molekuls mit einem Wasser- oder Nebeltropfchen dazu fuhrt, dass es gebunden
lrdische Umweltkompartimente 2.2
Abb. 20: Luftschadstoffwirkung am Stephansdom in Wien. Z u sehen sind Grabtafeln am Kirchenb a u . Hauptschadkomponente in diesem Fall stellt SO, dar. Unter Einwirkung von Luftsauerstoff bildet sich Schwefelsaure, die die Oxidkrusten, welche Sandstein zusammen halten, aufliisen und Kalk in den besser loslichen Gips iiberfiihren kann. Metalloberflachen werden teils ebenso zu liislichen Sulfaten korrodiert. Da Gips ein anderes (grogeres) Molvolumen aufweist als Kalkstein, brechen die Oberflachen von Plastiken wie den hier gezeigten pockenartig auf, oder sie zerbriickeln ganzlich. Foto: 0 2000 H. RIEMEKwww.vienna.cc
und in diesem gelost wird. Typischer Weise liegt die Anheftwahrscheinlichkeit selbst fur solche hydrophilen Molekiile bei wenigen Prozent. Dadurch wird die Luft mehrphasig, es treten fliissige und feste Schwebeteilchen auf. 2.2.1.5 Luft als Mehrphasensystem
Gase sind unbeschrankt mischbar, anders als Fliissigkeiten. Auch chemische Reaktionen zwischen Gasen tragen durch Bildung schwer fluchtiger Kondensate zur Aerosolfracht bei. Neben der in Bezug auf Masse und vor allem Volumen dominierenden Gasphase enthalt Luft unterschiedliche kondensierte Phasen, fliissige wie feste, die sich in ihrer Zusammensetzung und daher auch den chemischen Eigenschaften stark unterscheiden:
- Die Aerosole sind feste Partikel auger
Wasser (Schnee, Wassereis [Hagel, Graupel]), darunter RUB, Mineralstaube, biogene Partikel [Humus, Torf, Pollen, Bakterien] sowie chemische Reaktionsprodukte [etwa Ammoniumsalze]), deren TeilchengroBe von Nanometern (den so genannten AITKEN-Kernen) bis zu vielen Zentimetern (groBe HagelschloGen) reichen kann. Die Verweildauer in der Troposphare wird hiervon bestimmt und betragt Minuten bis Wochen40. Die aus 40 FeinruO und Asche von einern Waldbrandereignis in Kanada wurden innerhalb von 17 Tagen einrnal urn die Erde transportiert. Erdurnrundungenrnit Gas- oder HeiOluftballons auf ahnlichen Breitengraden (subtropische und gernaOigte nordliche Breiten) nahrnen gleichfalls 23 Wochen in Anspruch. ebenso wurden Radionuklidevon Tschernobyl ausgehend binnen zehn Tagen nach Nordosten bis zur BeringstraOe transportiert.
59
2.2 lrdische UmweltkomDartimente
Abb. 21: Mit anorganischer Substanz belegter Aerosolpartikel hi&gischen Ursprungs. (REM-Aufnahme mit einer Aufliisung von 7,12 nm/Pixel, 0J. HUTH,M P C h Mainz)
Wasser bestehenden Schwebstoffe und bei entsprechendern Wetter Niederschlage bildenden Teilchen heiBen in der Meteorologie Hydrorneteore: Regen, Schnee, Hagel und Graupel. Sie werden auch nicht als Aerosole betrachtet, wenn sie fest sind (DYCK& PESCHKE1995). - Gas, saure und (fast) neutrale Flussigkeitstropfchen, neutrale, s u r e und alkalische Feststoffe unterschiedlichster Zusarnmensetzung gehen weitere Reaktionen mit den Gasen in der Luft ein, wobei sie zum Teil auch katalytisch wirken. Die Art und chernischen Eigenschaften der Grenzflache bestimrnen naturgernafi die darauf moglichen bzw. katalysierten Prozesse4’. Dabei verandern stochiornetrische Reaktionen die Oberflache der (festen) Partikel chernisch dauerhaft oder tragen sie ab, wahrend (dann heterogen-)
41 Saure Gruppen [Al, Fe(lll) in Mtneralstauben, Phenole
und Carbonsauren in Humus, Aluminium in Tonmineralien, Hydrogensulfationen und Kristallsalpetersaure in fliissigen und festen Partrkelnetc.] binden basische Reagenzien wie Ammoniak und bringen sie zur Reaktion; Carbonatstaube wiederum reagieren mit Sauren wie HCI oder HNO,; die gebildeten Nitrate sind z. B. oxidativ weitaus weniger reaktiv (z. B.gegenuber PAKs) als die freie Salpetersaure. Salpetersaure uberfiihrt PAK in Nitround Nitrato-PAK, wahrend die Reaktivitat des Nitrations sehr vie1 geringer ist. Auch photochemisch wird es eher eine Hydroxylierung als eine Nitrierung bewirken.
60
katalytische Vorgange Gase oder einbettende Wassertropfchen chernisch beeinflussen, ohne bleibende Veranderungen an den Partikeln zu bedingen. Die rasterelektronenrnikroskopische Abbildung 21 zeigt ein typisches Konglomerat aus biologischen (spharische Objekte in der Mitte und rechts oben) und anorganisch/ rnineralischen (Wurfel links oben) Kornponenten in einem Aerosolpartikel. Diese Kombination ist charakteristisch fur Boden und daraus aufgewirbelte Staube. 2.2.1.6 Katalytische Prozesse in der Atmosphare
GemaB der klassischen Osrw~1.r)schenDefinition ist ein Katalysator eine Suhstanz, deren Anwesenheit chernische Umsetzungen beschleunigt oder erst einleitet, die aus jenen aber unverandert hervorgeht. Unter den Spurenkomponenten der Atrnosphare - einschliefilich des Staubes - sind eine Reihe von Substanzen, die auch bei Prozessen der Technischen Chemie als Katalysatoren herangezogen werden, etwa Eisenoxide oder NO,. Da auch einige Atmospharenkomponenten rnit Substraten der Technischen Chernie ubereinstirnmen, die katalysiert schon bei niedriger Ternperatur
lrdische Umweltkompartimente 2.2
reagieren, steht zu erwarten, dass auch in der Atmosphare katalytische Prozesse ablaufen. Fur die Stratosphare ist dies eine allgemeine Erkenntnis (Ozonabbau etc.). Dort iiberwiegen photoinduziert katalytische Reaktionen, bei denen UV-Strahlung die reaktiven Zwischenprodukte, also die Katalysatoren wie Chloratome erst aus Reservoirsubstanzen wie FCKW, Chlorwasserstoff (HC1) oder Chlor(1)saure (HOC1) erzeugt. In der Troposphare steht nur Iangerwellige UV-Strahlung in geringerer Menge zur Verfiigung. Dort ist der Anteil thermochemisch-katalytischer Vorgange auch deshalb hoher, weil durch aolische Erosion sowie menschliche Aktivitaten von der Landwirtschaft bis zum Huttenwesen - potenziell katalytisch wirksame Aerosole in weit hoherer Menge als in der Stratosphare vorkommen. Beide Prozesse seien nachfolgend an umweltchemisch wichtigen Beispielen diskutiert. W o katalysierte Reaktionen unerwunschte Folgen haben, ist es Aufgabe der Technischen Umweltchemie, die Verbreitung der betreffenden Katalysatoren einzuschranken.
Gasforrnige Katalysatoren in der Atmosphare Eine wichtige Reaktion von und zwischen Schadgasen ist die so genannte Bleikammerreaktion. Dabei wird Schwefeldioxid durch Stickoxide zu Schwefeltrioxid (SO,) bzw. Schwefelsaure aufoxidiert. Die Reaktion findet auf beliebigen Oberflachen statt und kann diese durch die Saurebildung angreifen (veratzen); dies gilt etwa fur Pflanzenblatter oder Mineralien (Kalkstein geht dabei in Gips uber). Historisch wurde sie zur Herstellung von Schwefelsaure herangezogen; man benutzte deshalb Bleikammern, weil sie gut abzudichten (kein Entweichen der Stickoxide) und bestandig gegen die gebildete Schwefelsaure waren. Es gilt folgende Reaktionsfolge (vereinfacht, katalytische Spezies fett gedruckt):
2 .NO + 0, 2 *NO, + 2 SO, 2 SO, + 2 H,O Summe: 2 SO, 2 H,SO,
--
2 *NO, 2 .NO + 2 SO, + 2 H,SO,
+ 0, + 2 H,O
{"Ox)
>
Feste Katalysatoren in der Atmosphare: RUB und Tonmineralien Auch z. B. aus Dieselmotoren, zeigt betrachtliche katalytische Reaktivitat gegenuber organischer Substanz, wobei sowohl funktionelle Gruppen iibertragen als auch Redoxprozesse ausgelost werden. Durch beide Reaktionsarten konnen weniger toxische Verbindungen in Benzol oder gleichfalls hoch toxische und karzinogene PAKs iiberfiihrt werden. Dariiber hinaus bindet rugfreie Radikale wie *OH, wobei Substanzen wie ,,Graphitsawe" entstehen, und katalysiert ihre Rekombination. In beiderlei Hinsicht ist er wahrscheinlich effektiver als Oxide wie Magnesiumoxid (MgO) oder Alumosilikate wie Tonmineralien, deren katalytische Aktivitaten gut charakterisiert sind. Tonmineralien kommen erosionsbedingt ebenfalls im atmospharischen Aerosol vor.
Gernischte katalytische Prozesse: Ozonabbau In der Stratosphare liegt heute (und auf die absehbare Zukunft hinaus) ,,zu wenig" Ozon vor, um eine effektive Abschirmung kurzerwelliger UV-Strahlung oberhalb der Biosphare zu erreichen, in der Troposphare durch Kaskaden photochemischer Prozesse hingegen ,,mehr" als der Biota zutraglich ist. Auch wenn die Ozon abbauenden Prozesse nicht vollig identisch sind - bedingt u. a. dadurch, dass die relativen Reaktions42 Eine diesbezuglich besonders reaktive Form bzw. Kornponente von RuO stellen die einfachsten Fullerene dar, C ,, und C,,. lnzwischen wird ihre Eignung als technische Katalysatoren untersucht (ihr Preis entspricht etwa dem der selteneren Platinrnetalle). Aber auch z.6.AcetylenruO zeigt eine hohe Reaktivitat.
61
2.2 lrdische UmweltkomDartimente
raten in unterschiedlichem MaRe temperaturabhangig sind und die Temperaturen in der Stratosphare weit nicdriger liegen als in Bodenniihe - ist dennoch von praktischem Interesse, technische Methoden des Abbaus von tropospharischem Ozon und dem in der Tropopause mit den dort nachteiligen Reaktionspfaden in der Stratosphare zu vergleichen. S o wird technisch iiber Fe,O, Ozon zersetzt, das mit der Umgebungsluft hoch fliegender Verkehrsflugzcuge angesaugt wird und ansonsten komprimiert in die Kabine gelangen wiirde.
1 ) *CI + 0; 2 ) *OCl + 0, 3 ) *OCIO + 0;
--
OOCI + 0, *OCIO + 0, OOCI + 2 0,-
Chloi
Chloi
Summe aus 2) und 3 ) : 2 0, ;('/o.!: 3 0, Fettdruck: katalytische Spezics
Radikalische Abbauzyklen mit Stick- und Chloroxiden (gasfiirmig, nicht an Staubpartikeloberflachen) spielen sowohl in der Troposphare als auch in der Stratosphare eine Rolle (Abb. 22). Die Chloroxide stammen in der Troposphare aus der Photolyse mit der Gischt als Aerosol suspendierten Meersalzes (hauptsachlich NaCI), in der Stratosphire aus der UV-Spaltung von Chlorfluorkohlenwasserstoffen (FCKW) wie CF,CI, und nachfolgenden Reaktionen der Chloratome. Chlor kann in verschiedenen so genannten Reservoirspezies gebunden werden, gasfiirmig als HCI und HOCI, auf Eis gebunden als Chlornitrat CI-ONO,. In der Polarnacht reichern sich diese Stoffe in Eispartikeln an, wenn die Temperatur unter 191 K liegt; mit Beginn der Sonneneinstrahlung im arktischen bzw. antarktischen Vorfruhling setzt die Photolysc wieder ein. Da die Chlor und (Chlornitrat) Stickoxide speichernden Stoffe in der festen Phase stark angereichert sind, kommt es unter der nun einsetzenden UVStrahlungseinwirkung z u massiver, schneller Bildung katalytisch Ozon abbauender 62
Abb. 22: Atmospharisches Chlor existiert nicht nur in Form der obigen Radikale, sondern auch (uberwiegend) in stabilen, abgesattigten Verbindungen wie HCI, HOCI und Chlornitrat (CIONO,). Diese klinnen sich bei sehr tiefen Temperaturen in Eispartikeln anreichern und dann wie die FCKW, aber leichter, photochemisch wieder aufgespalten werden, wobei *CI und *OCI entstehen. In Polargebieten geschieht dies schlagartig am Ende der Polarnacht. Dadurch kommt es zu einem rapiden Ozonabbau (Ozonloch). Hintergrundfoto: PROF. ZEI.I.NFR, Uni Essen.
Spezies. Die Folge ist eine schnelle Verminderung des Ozongehalts ([ant-Iarktisches Ozonloch) in der Stratosphare wahrend des lokalen Fruhlings. In der Troposphare tritt dieser Effekt nicht ein, weil auRer in Zentralantarktika die Temperaturen dort
lrdische Umweltkompartimente 2.2
durchweg vie1 zu hoch zur Bildung derartiger chlorhaltiger Eispartikel sind.
sischen" Oberflachen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit aneinander haften bleiben und grogere Partikel bilden.
Die Katalysatoren - ob sie in der Gasphase selbst als Gase oder Dampfe vorliegen oder an Partikel gebunden sind - sind Bestandteile von Reaktionszyklen; wahrend Ozon abgebaut wird, gehen sie so lange unverandert aus den Zyklen hervor, bis sie durch irgendwelche Nebenreaktionen (meist die Reaktion zweier Radikale miteinander) zerstort oder einfach ausgewaschen werden.
Ursachlich hierfiir sind sowohl Saure-Baseals auch photochemische Reaktionen: Ammoniak aus der Landwirtschaft reagiert mit Sauredampfen (s. 0.); ungesattigte Kohlenwasserstoffe - sowohl biogene wie Terpene als auch Produkte unvollstandiger Verbrennung - reagieren mit Stickoxiden, Ozon etc. zu freien Radikalen, die sich an andere ungesattigte Kohlenwasserstoffe Der bekannte Halogenoxid-Zyklus (,,Ozon- addieren. Das Produkt ist ein zusammenloch") spielt beim Ozonabbau in der Tropo- hangendes groi3eres Radikal, so dass es sphare nur eine geringe Rolle; Hydroxyl auch unter Beteiligung von Sauerstoff - zu (*OH)und Hydroperoxyl (*HO,) sind ahn- einem Kettenwachstum kommt. Es entlich haufig, Chloratome, Chlormonoxid steht auf genau dieselbe Weise ein Polymer (*OCI)und Chlordioxid hingegen vie1 selte- wie bei der technischen Produktion von ner als in der Stratosphare (LEWIS& PRINN Polymeren (,,Kunststoffen") unter Ver1984). Das Produkt der katalytischen Reak- wendung Radikale bildender Starterstoffe. tionen ist 0,. Obwohl Ozon ein tropospha- Solche Polymere tragen als Aerosole dann rischer Schadstoff ist, wird es bisher in der zum photochemischen Smog bei; sie bilden Technischen Umweltchemie nicht gezielt mit den 0.a. Photooxidantien zudem sehr abgebaut; Eisenoxide als Luftfiltermateria- reaktive, korrosive und reizend wirkende lien finden hier keine praktische Verwen- Folgeprodukte. Der photochemische, orgadung. Dem Abbau durch Stickoxide in der nische Verbindungen beinhaltende Smog nachtlichen Troposphare steht deren eigene unterscheidet sich bereits farblich von AeReiz-, Signal-43 und Giftwirkung sowie ihr rosolen, die durch Reaktionen zwischen Beitrag zur Ozonbildung bei Tage gegen- Ammoniak und Sauren gebildet wurden; uber. oxidierte organische Substanz weist einen typischen orangen bis weinroten Farbstich auf. 2.2.1.7 Chemische Reaktivitat, Partikelwachstum und Fallung aus 2.2.1.8 Schlussfolgerungen der Atmosphare der Luftreinhaltung Wenn sich durch Verwitterung oder chemische Reaktionen zwischen Ammoniak- und luftbiirtigen Sauren wie Salzsaure, Salpetersaure und Schwefelsaure kleine Partikel mit sehr hohem bzw. niedrigem pH-Wert bilden, s o werden diese sehr reaktiv sein. Besonders Teilchen mit ,,sauren" und ,,ba43 Stickstoffmonoxid .NO 1st ein biochemischer Signalstoff, dessen Zufuhr uber die Lunge damit korpereigene Regelungsvorgange erheblich beeintrachtigen kann Dies reicht bis zu neurotoxischen Effekten
Wird Luftreinhaltung in einer Art nullter Naherung als Smogverhinderung verstanden, so miissen die Immissionen kontrolliert werden, die z u derartigen Prozessen fiihren. Dies ist deshalb nicht leicht, weil ein Teil von ihnen (Ammoniak, Terpene) biogen, andere Komponenten vulkanischer Ausgasungen sind. Was aber von Menschen beeinflusst werden kann, ist der Eintrag von Schwefeldioxid, organischen Substanzen sowie von Stickoxiden; diese stammen nicht nur aus Kraftfahrzeugen und
63
2.2 lrdische Umweltkompartimente
Abb. 23: Mikro- und makroskopische Algen. Verstarkte Eintrage von NOz und dessen Folgeprodukten verschieben das Gleichgewicht zu Gunsten von Mikroalgen; daher kiinnen die artenreichen Kelpwalder nur bestehen bleiben, wenn der Eintrag von Stickoxiden (Luft) und Nitraten (Vorflut) in die Flachmeere hegrenzt wird - eine doppelte Aufgabe fur die Technische Umweltchemie. Foto: Fraunhofer-Institut, Stuttgart.
Kleinfeuerungsanlagen - bei GroRfeuerungsanlagen wird die Entstickung heute sehr gut beherrscht - sondern auch aus der Landwirtschaft: Nitrate in Dungern werden von Bodenbakterien haufig nicht vollstandig - zu Ammoniumionen bzw. N, reduziert, sondern als Stickoxide abgegeben, wenn aus deren spezifischem Blickwinkel - nicht dem des Landwirts - der Eintrag von Nitrat unangemessen hoch ist. Die Stickoxide sind freie Radikale, *NO, und *NO., zudem lichtempfindlich; beides beschleunigt den Stickstoffkreislauf in der Troposphare. Die Eutrophierung der Ostsee mit haufig ausgepragten Planktonbluten 2.B. ist weniger auf Eintrage von Nitraten a u s der Landwirtschaft uber die Vorflut als auf solche von *NO, uber die Atmosphare zuruck zu fuhren. Stickoxide sind im neutralen Wasser relativ schwer liislich, reagieren aber mit dem alkalischem Meerwasser unter Bildung von Nitrit und Nitrat (Disproportionierung), werden so bioverfugbar und wirken eutrophierend. Anderenorts ist das Wasser grun verfar64
bendes Phytoplankton (Abb. 2 3 ) mit dem Wachstum von Makroalgen kombiniert (Kelpwalder).
2.2.2 Wasser Die Sonderstellung von Wasser als Umweltkompartiment erhellt daraus, dass es nicht nur das Medium ist, das einen GroRteil der Erdoberflache bedeckt und in dem sich daher auch sehr zahlreiche Organismen bewegen, sondern es reicht anders und intensiver als die beiden anderen Umweltkompartimente in iedes Lebewesen hinein: als biologisches Liisungsmittel reflektiert seine Elektrolytzusammensetzung bestimmte Aspekte mariner Verhaltnisse, und nicht nur fur Wasserorganismen besteht ein in doppeltern Sinne flieRender Ubergang zwischen Wasser als Umwelt und Wasser als Grundlage der biotischen ,,Innenwelt": Magen und Darm sind mit wassriger Flussigkeit erfullt, und die Verdauung ist ein Losungsprozess. Das augere Wasser tragt zur Spu-
lrdische Umweltkompartimente 2.2
Abb. 24: Der grof3e Olfisch (Comophorus baicalenszs) bildet die Hauptnahrung der Baikalrobbe, und sowohl der Fisch als auch die Robbe sind am russischen Baikalsee endemisch. Das Wasservolumen dieses altesten und tiefsten Sees der Welt ist so enorm, dass er etwa ein Fiinftel des gesamten Suf3wasservorratsder Erde birgt. Olfische sind Planktonfiltrierer (Renken-Arten) und ihren Namen verdanken sie dem extrem hohen Fettgehalt des Gewebes - Speicherfunktion in einer Umwelt in der lange keine Nahrung verfiigbar ist (aus PAXTON& ESCHMEYER (2003)).Foto: RICHARD KIRBY/ Oxford Scientific Films. renelementversorgung und zur Stabilisierung der osmotischen Bedingungen bei. Es gibt Organismen, die auf das eine oder andere der anderen Umweltkompartimente Luft und Boden verzichten konnen oder sogar mussen (anaerobe Organismen) - ohne Wasser und Wasserkontakt kommt keines Bus, auch wenn Ruhestadien wie Sporen und Dauereier langere Zeit ohne fliissiges Wasser existieren konnen.
2.2.2.1 Wasser als Medium: Dichte, optische und thermische Eigenschaften und Einflusse auf die Biologie Die Dichte von Wasser entspricht etwa derer biogener organischer Su b ~ t a n zwie ~~ z.B. Fette und Proteine; dies erlaubt auch grogen darin lebenden Organismen ein passives, kaum Energie verbrauchendes Schweben (anders als beim Fliegen in Luft), so dass sie grundsatzlich alle Schichten eines Gewassers besiedeln konnen - his hin zu
Tiefseegraben. Dem stehen allerdings Anderungen des Nahrungsangebots und zum Teil hydrochemische Barrieren entgegen, so dass in extremen Tiefen der Ozeane wie groger Seen nur noch in Artenvielfalt und Individuenanzahl wenige Spezialisten existieren (z. B. die Olfische im Baikalsee, Abb. 24). Der Ruckgang des Nahrungsangebots, nur lokal durch Chemolithoautotrophier als Primarproduzenten gemildert, liegt daran, dass Wasser nur eingeschrankt und dazu noch spektral selektiv fur Licht durchlassig ist: Bereits in einem Schwimmbad lasst sich beobachten, dass a n der Oberflache rot gefarbte Gegenstande beim Absinken in nur 2 m Tiefe von oben gesehen dunkelbraun 44 Unsubstituierte Kohlenwasserstoffehaben haufig erheb-
lich geringere Dichten. halogenierte KW weit hohere Dichten als Wasser. Fur das Verhalten von Polymeren kann die Chemie und flotativeTrennung von Kunststoffen als Modell dienen: Polyethylen und Polypropylen (p = 0.90 4 , 9 4 g/cm3) steigen auf, Nylon (ein Polyamid wie alle Proteine) sinkt sehr langsam ab.
65
2.2 lrdische Umweltkompartimente
YCVCY
Vinyigruppe tVpisch fiir Chlorophyll A
Abb. 25: Chlorophyll, ein Magnesium-Komplex des Porphyrins. Er ahsorbiert rotes Licht, erscheint deshalb griin. Die dabci aufgenommene Energie wird auf andere Chemikalien iibcrtragen und ziir Bindung v o n Kohlendioxid sowie ziir Oxidation von Wasser eingesetzt (Photosynthcse).
erscheinen, in 5 m fast schwarz. Taucher kennen das Schwinden auch orangen, gelhen und griinen Lichts bis in 5-7, ca. 15 bzw. 30-40 m Tiefe. Eine im Sonnenlicht rote Eigenfarbe bietet daher Fischen u. a. Wassertieren eine gute Tarnung, Blau hingegen ist eine Signalfarbe, weshalb in neuerer Zeit blaue Neoprenanzuge und Flaschenanstriche, die etwas gegen den Farbton von Wasser abstechen, bevorzugt werden. Gelb bietet zwar einen Komplementiirkontrast, aber eben nur oberhalb 20 m Tiefe. Chlorophyll und andere photochemisch wirksame Pigniente der pflanzlichen oder bakteriellen Photosynthese sind aber mit wcnigen Ausnahmen griin his tiirkis (Pigmente von Cyanobakterien) gefarbt, ahsorbieren also hauptsiichlich rotes bzw. oran-
66
-
ges Licht (Maxima bei h 680-72.5 IChlorophyll a-dl45 bzw. 6.50 nm; Abb. 2.5). Selbst bei extrein klarem Wasser (Yukatan, Mikronesien, einige Bergseen) und senkrechter, durch keine Ufer- oder Schwimmvegetation beeintrachtigter Sonneneinstrahlung ist die Photosynthese daher schon zwischen 3 und 10 m Tiefe stark gemindert. Die Grenze in klarem Wasser liegt bei 40-100 m Tiefe. Hinzu komnit, dass
45 Die vier Chlorophylle sind durchweg Magnesiurnkornplexe eines Porphyrins rnit einer langen, periodisch verzweigten aliphatischen Seitenkette (Phytanrest), sie unterscheiden sich aber durch einzelne funktionelle Gruppen am Porphyrinring Diese beeinflussen das Absorptionsspektrurn rnerklich Da oranges und gelbes Licht vie1 tiefer in Wasser eindringen als rotes werden die Chlorophylle b bis d uberwiegend von in tieferern Wasser lebenden Algen genutzt
lrdische Umweltkompartimente 2.2
die Wasserpflanzen, darunter das Phyto- arktisches Meereis (nordliche, frei schwirnplankton, irn Verlauf der Photosynthese rnende Polarkalotte) wird nicht dicker als selbst Licht absorbieren (GROTTHUS-DRA-ca. 4-5 m, uber den Mundungsgebieten PERsches Gesetz: nur Strahlung, die absor- von in die Hocharktis strijmenden Flussen biert wird, kann in der absorbierenden wie dern Jenissei, Oirnjakon (beides RussSubstanz photochemische oder photophy- land) oder Mackenzie (Alaska) erreicht es sikalische Effekte auslosen). Daher ist die irn Spatwinter Dicken um 2 rn. Auf diesen Planktonblute in einem eutrophen Gewas- wenigen Metern wird ein Temperaturgeser auf 0 - ca. 3,5 m Tiefe begrenzt - da- falle zwischen 40 und 70 "C irn Winter aufrecht erhalten. Unter dern Eis herrschen rerunter wird es schon zu dunkel. lativ konstante Bedingungen, und seine Die hohe Warrnekapazitat von Wasser be- Klarheit (Transparenz) erlaubt auch hier grenzt tagliche und jahreszeitliche Ternpe- noch Photosynthese, was die Lebensgeraturschwankungen auf eine meist dunne meinschaft aufrecht erhalt. Oberflachenschicht. Wasser gehort neben den Metallen Gallium und Bisrnut zu den 2.2.2.2 Chemische Eigenschaften wenigen einfachen Substanzen, die sich und deren Varianz beim Erstarren ausdehnen (Tab. 8). Wahrend Luft in ihren unteren Schichten Daher schwimrnt Eis auf dern Wasser. Ge- relativ konstante chemische Bedingungenl wasser frieren nicht vollstandig durch - Eigenschaften in Bezug auf Oxidationswirwenn sie nicht extrem flach sind -, weil Eis kung aufweist, ist dies bei Wasser keineszudem eine weitaus geringere Warmeleitfa- wegs der Fall. Es konnen groRe Unterhigkeit aufweist als fliissiges Wasser. In schiede in der Wassersaule hinsichtlich pH Folge dessen wachst eine Eisschicht nur und Redoxpotenzial auftreten, geloste Iolangsarn, auch wenn steile Temperaturgra- nen kornplexiert oder wieder freigesetzt werden. Chernische Elemente im Wasserdienten existieren: Tab. 8: Physikalische Eigenschaften von fliissigem Wasser (modifiziert von SIC;(;& STLJMM 1996 nach SVERDRUP et al. (1942) und BERNER& BERNER (1987)). Eipenschaft
Vergleich mit anderen Flussigkeiten
Bedeutung fur die Umwelt
Dichte
Maximum bei 4 "C, expandiert beim Gefrieren
erschwert das Gefrieren und verursacht saisonale Stratifikation
Schmelz- und Siedepunkt
aul3erordentlich hoch
ermoglicht Wasser als Flussigkeit auf der Erdoberflache
Warmekapazitat
hochste Warrnekapazitat aller Flussigkeiten puffert gegen Extrerntemperaturen mit Ausnahme von NH,
Verdampfungs- extrem hoch warme
puffert gegen Extremtemperaturen wichtig fur Tropfenbildung in Wolken und Regen
Oberflachenspannung
hoch
Lichtabsorption
hoch im Infrarot- und UV-Bereich, weniger wichtig fur die Regulierung der biologischen Aktivitaten (Photosynthese) und die atmohoch im Sichtbaren spharische Temperatur
Eigenschaften wegen der dipolaren Eigenschaften eignet Transport geloster Substanzen im hydrologials Losungs- sich Wasser zur Auflosung von Salzen schen Kreislauf und in Biota mittel (lonen) und polaren Molekulen
67
2.2 lrdische Umweltkompartimente
korper reagieren also mit Anderungen ihrer Speziation, was wiederum die Loslichkeit von Salzen beeinflusst. In Extrernfallen kann hierdurch oder durch die Wirkung naturlicher, oft biogener Kornplexbildner die Verfiigbarkeit von essenziellen Metallionen so stark verrnindert werden, dass bestimrnte Organismen nicht langer in dern Gewasser existieren konnen. Eine andere wichtige Komponente natiirlicher Gewasser ist die geloste oder auch kolloidale organische Substanz. Dabei handelt es sowohl urn kurzlebige, mikrobiell abbaubare oder hydrolytisch instabile Stoffe als auch um Restfraktionen, die teils sehr lange in der fliissigen Phase verbleiben46, weil sie sowohl photochemisch als auch rnikrobiell inert sind, auch keine schwer Idslichen Addukte mit Fe(II1) oder anderen Metallionen bilden, daher nicht ausgefallt werden. Diese hochmolekulare organische Substanz fungiert nichts desto Trotz als Sorbens und in der Folge Transport- und Speicherrnedium f u r eine Vielzahl von Xenobiotika, von denen auch einige irreversible Bindungen an das Material erfahren. Diese bedeutet nicht imrner, dass sie zugleich ,,entgiftet" werden. 2.2.2.3 Wasser als Mehrphasensystem
Wie Luft stellt auch Wasser ein Mehrphasensystem dar, das wie diese mobil ist. Das Mehrphasensystem besteht aus - der Flussigkeit, - Schwebstoffen unterschiedlichsten Typs - von Mineralien iiber organische Sub-
stanz bis zu ganzen Organismen (Plankton) - und daneben
46 Unter rnarinen Bedingungen 1st ein betrachtlicher Tell der gelosten organischen Substanr Jahrtausende alt und befand sich verrnutlich wahrend dieser gesarnten Zeitspanne in gelostern oder nur kurzfristig adsorbiertem Zustand
68
- Gasblasen
(vor allem in eutrophen Gewassern und bei starker Wellenbewegung) sowie - u. U. nicht mischbaren fliissigen Phasen (Fett- und Oltrbpfchen). Zwischen allen diesen Phasen werden Stoffe ausgetauscht, es erfolgen chemische Reaktionen. Suspendierte Partikel konnen u. a. durch Fallungsreaktionen gebildet werden, die in Einzelfallen augerst schnell verlaufen, z. B. an Einleitungsstellen, Flusseinmiindungen u . a . Stellen, wo sich Parameter wie der pH-Wert schlagartig andern, wodurch Kolloide sich niederschlagen kiinnen (Verlust der Oberflachenladung a m isoelektrischen Punkt4'). Wahrend Partikel in Luft viel dichter sind als diese und sich auch nicht auflosen (schwerfliichtige Bestandteile) ist der Dichteunterschied in Wasser geringer, die Dispersionstendenz weitaus hoher. Daher konnen Partikel in Wasser nicht nur an Grot?e zunehmen, sondern auch durch die Ionen bildende Losungsmittelwirkung sowie photochernische Prozesse oderhnd biologischen Angriff wieder aufgelost oder in Oberflache und GroiSe rnodifiziert werden. Sedirnente werden von strornendern Wasser viel leichter wieder suspendiert und anderswo hin transportiert als von Luft. Die Loslichkeit von Ionen und Molekiilen in Wasser erlaubt es, auch schwerfliichtige Kornponenten in Wasser zu suspendieren. Dadurch werden sie wiederurn sowohl 47 lnsbesondere OxidelHydroxide und Sulfide, aber auch andere schwer losliche Sake wie (ternare) Phosphate, etwa Hydroxylapatit [Ca,(PO,),(OH)], konnen bei Kontakt rnit Wasser von unterschiedlichern pH Protonen aufnehrnen oder abgeben (hier: Phosphat als Base, Hydroxid als Satire). In der Folge laden sich die Kristall- oder Parttkeloberflachen elektrtsch auf. Da sie sich dann gegenseitig abstoflen, unterbleibt die Fallung solcher Kolloide auch dann, wenn die Substanz schwer loslich ist (Extrernbeisptel Nickelsulfid [NiS] in Wasser). Nach Aufheben der Oberflachenladung durch pH-Verschiebung zurn isoelektrischen Punkt oder Reaktionen rnit Zusatzen wie Arnrnoniurnacetat konnen die Partikel nunrnehr ungeladen - ausfallen, was rnitunter sehr rasch geschieht.
lrdische Umweltkompartimente 2.2
photochemischen Reaktionen nahe der Oberflache zuganglich als auch dern - in Luft beinahe bedeutungslosen - biologischen Angriff. 2.2.2.4 SuOwasser, Meerwasser, osmotischer Druck, Redoxzustande und Biologie Die hier zu diskutierenden chemischen Prozesse - sowohl Redoxprozesse als auch Komplexbildung sowie Fallungsreaktionen unterschiedlichen Typs - beeinflussen nicht nur - anorganische Kat- und Anionen, etwa
Phosphat, sondern ebenso - Ionen bildende (sauer oder basisch rea-
gierende) und Metalle koordinierende organische Substanz. Huminstoffe binden Metalle uber verschiedene funktionelle Gruppen (3-Ketoenolat, Phenolat, Carboxylat, Arninogruppen) und gehen ihrerseits eine Vielzahl chernischer und photochernischer Oxidationsreaktionen ein. An deren Ende stehen sauerstoffreiche polyrnere Spezies, die braun bis schwarz gefarbt und in Wasser extrern schwer loslich sind. Geloste organische Substanz (DOM, dissolved organic matter) hat insbesondere in Meerwasser oft eine sehr lange Verweildauer in partikularer Form. Bei der Herstellung von Trinkwasser werden oxidative Reinigungs- und Sterilisierungsverfahren eingesetzt, rnit Chlor, Ozon oder Chlordioxid als Wirkstoffen (Oxidationsrnittel). Dabei reagiert DOM, die auch in Quellwassern enthalten sein kann und die Sandfiltration (Uferfiltrat) bis auf Adsorptionsverluste unverandert uberdauert, rnit diesen Oxidationsrnitteln. Bei der Chlorierung von Trinkwasser entsteht daher eine Vielzahl teils toxikologisch hoch bedenklicher, weil karzinogener chlorhaltiger Organika; eines der einfachsten und haufigsten davon ist Chloroform CHCI,. Auch weitere Reaktionen und Schadstoff-
klassen erfordern eine Fallung oder Adsorption von Organika bei bestirnrnten Rohwassern oder Urnweltzustanden: Hohe Konzentrationen geloster Phenole in Schwelriickstandswassern der Braunkohlen-Carbochernie, die friiher (zurnindest in der DDR) oft in offene Kleingewasser als Auffang- und Deponiebecken eingeleitet wurden, fiihrten zu praktisch abiotischen Teichen rnit Sichttiefen von nur wenigen crn. Die Phenole lassen sich jedoch mit Fe(II1) ausfallen, wonach sich das Wasser klart und das Gewasser wieder von Lebewesen aller Trophieebenen besiedelt werden kann (,, Phenolsee" von Deuben bei Zeitz/Sachsen-Anhalt). Endokrin wirksame Substanzen konnen je nach Struktur ebenfalls betrachtlich angereichert werden; so findet man heute in der Vorflut und in oberen Grundwasserleitern fast iiberall 17Ethinylostradiol, wobei unklar ist, o b dieses und seine Reaktionsprodukte in jiingster Zeit dorthin gelangt sind oder doch zum grogeren Ted den hoch dosierten oralen Antikonzeptiva (,,Antibabypillen") der 1960er- und 1970er-Jahre entstarnrnen. Wahrend hier nur Adsorption an Aktivkohle als wirksarne Bindungsprozedur und Abhilfe zur Verfiigung steht, konnen andere endokrin wirksarne Stoffe wie Di- und Triorganozinnverbindungen auch elektrochernisch oder durch klassische oxidative Prozeduren entsorgt werden. Eine quantitativ sehr bedeutende und auch iikotoxikologisch ernsthafte Problernatik stellen Mineralolkohlenwasserstoffe dar; deren biochemisch oder photooxidativ gebildete Folgeprodukte sind einerseits besser wasserloslich und darnit bioverfiigbar als Rohol, andererseits rneist auch toxischer (Phenole, Naphthole) als diese. Ein Grund legender Unterschied besteht zwischen lirnnischen (Siifiwasser) und rnarinen Wasserkorpern, beginnend rnit Pararnetern wie p H und Ionenkonzentrationen bis hin zu geobiochernischen Zyklen und physiologisch-chernischen Merkrnalen: Fische
69
2.2 lrdische Umweltkompartimente
und andere Organismen im h y p e r t ~ n e n , ~ im Meer untersattigt, liken sich also sponSeewasser miissen erheblich andere Strate- tan auf. Hydroxide und Carbonate bleihen darnit mafigeblich. Die Fallung der Metallgien zur fracht in Klaranlagen, die nicht iiber einen Faulturm verfugen, bildet diese Vorgange - Wasserversorgung ihres eigenen Organismus und zur nach: Hydroxide der meisten Metalle - insbesondere die ternaren Spezies, die nach - Ausscheidung ionischer oder Ionen bildender (z.B. NH, unterhalb pH 9 ) Spe- Zugabe von Kalkwasser (Ca(OH),] erhalzies gegen die osmotische Druckdifferenz ten werden - sind schwer liislich,-so dass verfolgen als dies Sufiwasserorganismen eine ahnliche Abreicherung eintritt wie in Meerwasser, das ebenfalls alkalisch und moglich ist. reich a n Ca2+ ist (das Hydroxid dient bei Euryhaline (bei stark wechselnden Salzge- der Klaranlage auch zur Saurebindung im halten lebensfahige) oder Laichwanderun- geklarten Wasser). Sen zwischen SiiR- und Meer- oder konzentriertem Brackwasser (westliche Ostsee, Des weiteren sind die Bedingungen in Meerwasser weitaus konstanter als in SufiKaspisches Meer) durchfiihrende Arten ( I x h s e , Aale, Dreistachlige Stichlinge, wasser - vor allem wegen der PuffereigenStore, einige afrikanische Buntbarsche, schaften des ersteren. Stromungen (GezeiWiistenkarpflinge) mussen daher diese Teile ten, Meeresstriime) und griifiere mittlere des Verdauungsapparats praktisch doppelt Tiefe mildern auch Temperaturunterausbilden und je nach Salzgehalt des umge- schiede. Andererseits ergibt sich daraus benden Wassers kontrolliert aktivieren. auch, dass marine Organismen meist weit schlechter a n Schwankungen diescr BedinDer hiihere pH-Wert von Meerwasser gungen angepasst sind bzw. diese kaum tofuhrt aufierdem dazu, dass mit Ausnahme lerieren. Ein Beispiel sind massive Folgen der Alkali- iind Erdalkalimetalle die L i i s - einer pH-Absenkung4', ein anderes die lichkeiten der Hydroxide und damit u . U . ,,Korallenbleiche" (flachenhaftes Absterdie Bioverfiigbarkeit der Elemente gegen- hen der Korallenpolypen) bei Uberschreiiiber SuRwasser vermindert sind. So sind ten einer Grenztemperatur des marinen die Konzentrationen u. a. von Eisen, Man- Oberflachenwassers (ca. 34 " C ) . gan, Cobalt, Aluminium, aber auch Blei iind dcr Lanthanoiden im Ozean sehr vie1 Auch der Ozean ist ein (an der Oherfliche (40-1 5.000-fach) niedriger als in Referenz- photochemisch und durch photosyntheti1994b). Zwar weist sche Sauerstofffreisetzung beeinflusster) Siifiwasser (MAKKERT Meerwasser einen betrachtlichen Sulfatge- chemischer Reaktor, und die in ihm prahalt auf (9,4 mMol/kg), doch ist nur bei senten Elemerite reagieren auf AnderunBarium (und unter reduzierenden Bedin- gen/Schwankungen der Bedingungen mit gungen wie im Schwarzen Meer bei dem chemischen Reaktionen, die zu erneuter Seltenerdmetall Europium) die Bildung Gleichgewichtseinstellung fiihren. Seit schwer loslicher Metallsulfate (MSO,) li- etwa 25 Jahren ist es moglich, durch Spemitierend fur die Loslichkeit; Gips und ziationsuntersuchungen im Ultraspurenbcauch Strontiumsulfat (SrSO,), das einige reich Ergebnisse und Abfolge diescr chemiAlgen als Skelettmaterial abscheiden, sind 48 Hyperton Wasser, deren osrnotischer Druck hoher als der der Korperflussigkeit1st Sie entziehen dern Korper Wasser (daher 1st es auch sinnlos bzw gefahrlich. nach Schiffbruchen Meerwasser zu trinken, auBer in kleinen Mengen)
70
49 Fruher verursacht durch Verklappen stark (schwefel-) saurer Restlosungen der Tttanproduktion (,,Dunnsaure") z. 6. in der Nordsee, heute (versuchsweise) durch Einleiten von flussigern Kohlendioxid in tiefe Wasserschichten zwecks dessen Fernhaltung von der Atrnosphare (Fallstudie Kap. 4.2).
lrdische Umweltkompartimente 2.2
Tab. 9: Konzentrationen und Mengenverhaltnisse unterschiedlicher Oxidationsstufen einiger Elemente im nordwestlichen Pazifik. Spalte sechs gibt das Standardredoxpotenzial bei pH 0 z. B. fur das Redoxpaar Chrorn(III)/Chrornat(VI) an, Spalte sieben das sich bei pH 8,3 (Meerwasser) und dem Mengenverhaltnis ergebende Potenzial. Element Oxidationsstufe Konzentration Verhaltnis LOgverhiiltnisED (V) tngtkg) (oxidiertekeduzierteForm) Chrom
+ 111
2 210
Arsen
+ VI + 111 +V
1.200
+ IV
55
+ VI
100
iIV
0,02
+ VI
0,05
-I
4,4
+V
58.000
Selen
Tellur
lod
Eee. (PH 8,s)
105
2,02
1,350
0,58
230
2,37
0,560
0,23
13
0,26
1,151
0,68
2,s
0,40
1,02
035
13.000
4,11
1,085
0,85
("1
52
schen Reaktionen aufzuklaren. Darnit lassen sich weiter gehende Aussagen uber u. a. die Bioverfiigbarkeit chernischer Elernente unter ungestorten und ,,belasteten" rnarinen Bedingungen ableiten. An Meerwasser Iasst sich gut erkennen, wie nahe z. B. Redoxsysteme irn Meer dern chemischen Gleichgewicht kornrnen: zahlreiche Elernente, u. a. Arsen, Selen, Tellur, Iod, Chrorn, Eisen, Cer und Vanadium, existieren dort in unterschiedlichen Oxidationsstufen nebeneinander (NOZAKI 1997). Mit den Konzentrationsverhaltnissen von z. B. Iodid zu Iodat(V),dem pH-Wert (Meerwasser stellt ein auf pH 8,3 gepuffertes System dar) und den tabellierten Redoxpotenzialen kann fur jedes einzelne der genannten Redoxsysterne das effektiv herrschende Redoxpotenzial berechnet werden. Dabei stellt sich heraus, dass auger fur Arsen"O recht gut
50 Die Konzentrationvon As(lll) konnte dadurch vermindert werden, dass es das Substrat der marin schnell erfol-
ubereinstimmende Werte resultieren (der fur Tellur berechnete Wert ist angesichts seiner extrern geringen Konzentrationen unsicher). Da Kornplexe von Chrornat(V1) rnit Arninosauren oder Hurninstoffen schneller Photoreduktion unterliegen (HORVATH & STEVENSON 1992), ist der so erhaltene Wert (0,58 V) rnit Sicherheit gleichfalls zu niedrig". Die genauen Daten zeigt die Tabelle 9. Zurnindest fur oberflachennahes, also irnrnerhin auch photochernischer Einwirkung und Lufteintritt ausgesetztes Wasser des westlichen Pazifik lasst sich schlussfolgem, dass diese Elernente sich stark dern chernischen Gleichgewicht annahern. Die genden Biomethylierungtst, wahrend As(V) wahrscheinlich in Fallungsreaktioneneingeht; seine marine Konzentration ist nur urn einen Faktor 50 kleiner als die des .reaktiven Phosphats" (anorganische Bindungsformen). Das mit den Daten fur As berechnete Redoxpotenzial kann also nach beiden Richtungen verschoben sein. 51 Die Einstellung der Redoxgleichgewichte erfolgt durch Mangandioxid-Kolloide als Redoxkatalysatoren. Diese existieren zwar im Seewasser, unterliegen aber auch selbst der Photoreduktion (KIEBERet al. 1990), so dass die Aufoxidation gehemmt sein kann.
71
2.2 lrdische Umweltkompartimente
meist rnolybdanhaltigen Enzyme z. B., die Redoxprozesse an Metallionen, Nitrat usw. katalysieren, tun dies auch rnit ,,unphysiologischen" Substraten wie Arsen, Uran, 10dat etc., sind also wenig selektiv. Eine Konsequenz davon ist, dass wohl auch andere Kornponenten eine Speziation nahe dem Gleichgewicht erreichen. Damit kann rnithilfe der PouRHAlX-Diagramme (Abschn. 3.2.2) auf das Verhalten auch dieser Elernente unter marinen Bedingungen geschlossen werden. Es wird einfach die stabile Form bei pH 8,3 und E = 0,65-0,7 V aufgesucht. Sauerstoffreiches Siifiwasser kann noch hohere Potenziale aufweisen (COI.EMAN 2003). Dort werden Potenzialwerte uber 0,9 V erreicht. Ein Vergleich rnit Tabelle 9 zeigt, dass dies die Anteile der oxidierten Forrnen der hier erwahnten Elemente kaurn noch steigern kann. Anders ist die Situation bei Cer oder Vanadium, deren Liislichkeit hierdurch merklich beeinflusst werden kann; Vanadium ist ein essenzielles Spurenelernent.
dem Nichtgleichgewichtszustand zur Verfiigung stehende chernische Energie nutzen und das Gleichgewicht einstellen, - an heif3en Quellen in der Tiefsee (sowohl chemisch als auch thermisch extrern von der sonst sehr homogenen Tiefsee abweichend), - an Halo- und Thermoklinen (Sprungschichten), die die Durchmischung verschiedener Wasserschichten jahreszeitlich oder vollstandig verhindern, mit der Folge, dass auch ein Redoxpotenzialsprung resultiert, - als Folge biologischer Aktivitat (eutrophierungsbedingte Massenvermehrung von Algen - Sauerstoffuberanreicherung an der Oberflache, Transport groger Mengen reduzierend wirkender organischer Substanz in die Tiefenschichten).
- an Flussmiindungen (Sprung von p H und
Dieses Ungleichgewicht bildet dann die Triebkraft chemischer und verwandters2 Prozesse. Alle die genannten Orte k6nnen Ausgangspunkt chemischer Reaktionen sein, bei denen sich feste Phasen abscheiden oder die chemolithoautotrophe Organismen nutzen kijnnen - von Eisenbakterien in Quellen bei uns his zu (u. a.) Sulfatreduzierern in den ,,Oasen" der rnittelozeanischen Rucken. Diese Organisrnen werden dadurch als Prirnarproduzenten Ausgangspunkt der Nahrungskette in lichtlosen Biotopen (Tiefsee, wassergefullte Hohlen). Sie kiinnen aber auch Frernd- und Schadstoffe gerade durch ihren ,,exotischen" Stoffwechsel betrachtlich anreichern: Sulfatreduzierer produzieren H2S, mit der Folge, dass sich in den Fallungen und dern spater gebildeten Sediment toxische Schwerrnetalle, wie Cadmium, Quecksilber, Blei, Antimon anreichern, weil sie extrern
Salzkonzentration zwischen Fluss und Ozean), - beim zu Tage treten unterirdischen Wassers, wenn reduzierende Quellwasser irn Extremfall Schwefelsauerlinge - rnit Luft in Kontakt gelangen, wobei z. B. Eisen(I1)-oxidierende Bakterien die a u s
52 Seit Jahrzehnten wird versucht, die Differenz der lonenkonzentration zwischen S u n - und Seewasser zurn Betrieb membranbasierter osmotischer Stromerzeuger zu nutzen An ihnen baut sich ein Diffusionspotenzial auf, das als Gleichspannung abgegriffen werden kann Bislang wurden aber nur Modellanlagen rnit Leistungen von wenigen Watt realisiert
2.2.2.5 Nichtgleichgewichtszustande zwischen unterschiedlichen Wasserzonen oder -schichten als Triebkraft fur Chemie, Biologie und Stoffabscheidung Nichtgleichgewichtszustande, die ahnliche Wirkungen wie die biologisch bedingten in der Luft haben kiinnen, treten irn Wasser an unterschiedlichen Stellen als Folge von Transportprozessen sowie wiederum von biologischer Aktivitat auf:
72
lrdische Umweltkompartimente 2.2
schwer losliche Sulfide bilden. Gelangen die Sedirnente spater unter oxidierende Bedingungen, werden diese Anreicherungen wieder mobilisiert, woraus ein schubweiser Eintrag toxischer Elernente resultiert. 2.2.2.6 Biogeochemische Kreislaufe in Wasser, Stochiometrische Okologie und AuslegungfProtessfuhrung biotechnologischer Wasserreinigungssysteme
Lebende Organisrnen weisen - mit Ausnahrne von Planktonalgen - eine recht konstante elernentaranalytische chernische Zusarnrnensetzung auf. Bei biotechnologischen Reinigungsverfahren wird haufig ein Substrat (z. B. kornrnunales Abwasser) zeitlich wechselnder Zusarnrnensetzung angeboten: Dessen die Verunreinigung bildende Kornponenten wie (Verbindungeflornplexe von) C, N, P, Metallionen werden dann entweder als CO,, CH,, N, in die Gasphase uberfuhrt oder aber sie erscheinen in der Biornasse der die Reinigung bewirkenden Organismen. Dabei ist es beliebig unwahrscheinlich, dass das ,,Angebot" den stochiometrisch definierten Stoffwechselbediirfnissen der Biornasse (Klarschlamm) exakt entspricht. Eine Folge konnen Verdrangungsprozesse zu Lasten einzelner Arten sein, auch solcher, deren spezifische Funktionen, etwa die Denitrifizierung von groger Bedeutung fur den beabsichtigten Reinigungsprozess sind, wenn Mangelzustande bestehen. Rauber, deren C/N/P-Verhaltnisse von dern ihrer Beute deutlich abweichen, rnussen rnehr konsurnieren, tendenziell zu Gunsten ihres Energiestoffwechsels als besser adaptierte. Fur die Technische Urnweltchernie erlangt die Stochiornetrische Okologie imrner dann Bedeutung, wenn biotechnologische Verfahren eingesetzt werden: in einer Klaranlage laufen nicht nur einfache Reinigungsprozeduren ab, die C (differenziert gernessen als DOC, CSB,
BSB), N und P aus dern Wasser entfernen, sondern es bilden sich irn Belebtschlamrn selbst ganze Nahrungsketten aus. Auch diese unterliegen dem Kriterium der Stochiometrischen Okologie: weicht das Mengenverhaltnis zwischen C, N und P zu stark von der chernischen Zusarnrnensetzung des Belebtschlarnrnes ah, so bricht die Schlamrnbiozonose zusarnrnen und/oder es erfolgt keine befriedigende Reinigung rnehr. Daher muss ggf. organische Substanz (z. B. Methanol) ,,zugefuttert" oder restliches Phosphat rnit AI(II1) oder Fe(II1) gefallt werden. Fur die Ruckhaltung von Schwefel in Biofiltern oder die (bisher freilich irn Versuchsstadiurn verbliebene) biochernische Entschwefelung von Braunkohle oder Erdol gilt Analoges; irn letzteren Fall ist der mismatch allerdings dringend notwendig: Ziel ist nur die Extraktion von Schwefel, ein hoher Uberschuss an Kohlenstoff muss erhalten bleihen, darnit das entschwefelte Produkt noch als fossiler Energietrager verwendbar bleibt. In eine Klaranlage gelangen wasserlosliche und partikelbildende Kontarninanten uberwiegend biologischen Ursprungs, grogtenteils organische Verbindungen, nehen Fakalien auch Tenside (Wasch- und Spulrnittel, Seife) sowie Substanzen, die eigentlich nicht dern Abwasser zugefuhrt werden sollten/durfen, etwa Chernikalienruckstande ( Farben, Losungsrnittel, Salze) und rnakroskopische Frerndkorper. Auf Grund seiner chernischen Belastung durch atrnospharische Kontarninantien, die gelost oder partikular in ihrn enthalten sind, muss in Deutschland auch das in Siedlungsraurnen fallende Regenwasser der Kanalisation und darnit dern Klarprozess zugefuhrt werden; Schnee ist meist noch starker belastet. Dieses kornplexe Stoffgernisch - eine wassrige Suspension - kann analytisch durch eine bestirnrnte, aber zeitlich wechselnde elernentaranalytisch bestimmbare Zusarnrnensetzung charakterisiert werden. In der Klaranlage durchlauft
73
2.2 lrdische UmweltkomDartimente
es Prozeduren, die diese elementaranalytische Zusammensetzung schrittweise verandern: Stickstoff (als Harnstoff, organisch gebundener Stickstoff, NH,+ etc.) wird zunachst zu Nitrat oxidiert (Nitrifizierung), dann zu molekularem Stickstoff reduziert (Denitrifizierung), der in die Atmosphare entweicht. - Ein Teil des Kohlenstoffs wird zu CO, oxidiert bzw. verlasst spater als Methan (Biogas) den Faulturm. - Phosphat wird zunachst teilweise rnit Ca(OH), als Hydroxylapatit, am Ende des Prozesses mithilfe von Fe(II1) oder Aluminiumsalzen gefallt (nicht biologische Prozesse). - Biomasse bildet sich (Belebtschlarnm), die C, N, P, S und zahlreiche Metalle in dem fur die beteiligten Organismen typischen Verhaltnis enthalt. Protozoen, deren Verhaltnis C/N/P etc. von dem der Schlamm bildenden Bakterien zumeist abweicht, fressen einen Teil der letzteren. Ein Teil des aufgenommenen Kohlenstoffs wird deren Energiestoffwechsel zugefuhrt und entweicht als CO,; N und P konnen wieder mobilisiert werden. - Im Faulturm wird gelostes Sulfat reduziert und Schwefel aus der auszufaulenden Biornasse gleichfalls als Sulfid extrahiert; zugleich verwerten Sulfat reduzierende Bakterien bislang gelosten Schwefel. Die Veranderung des Verhaltnisses von S zu den anderen Elementen kann daher positiv wie auch negativ ausfallen. - Schwermetalle werden als gemischte Hydroxide/Oxide mit Ca(OH),, spater dann auch als Sulfide im Faulturrn ausgefallt. -
1st anfanglich ein bestimmtes stochiometrisches Verhaltnis C/N/P/Metalle im Rohabwasser gegeben, so wird dies nur ganz selten mit dem iibereinstimrnen, das der Klarschlamm bzw. dessen biologische Fraktion, 74
die rohe oder weiter ausgefaulte Zellmasse aufweist. Der in aeroben Prozessschritten und im Faulturm in die Gasphase verbrachte Kohlenstoff wird damit dem biologischen System ebenso entzogen wie Stickstoff bei der Denitrifizierung. Die zunachst genannten Prozesse verkleinern somit das Verhaltnis C/P bzw. N/P. Vereinfachend lasst sich folgende Reaktionsgleichung formulieren (die Anteile der Nichtmetalle relativ zueinander sind Naherungswerte, aber C dominiert, wie der hohe Brennwert trockenen Klarschlamms belegt). Die nachfolgende Gleichung enthalt wohl bekannte einfache Molekiile sowie die Bruttozusammensetzung eines Biopolymers; diese Naherungszusammensetzung resultiert aus Analysedaten von Klarschlamm. Abwasserkomponenten + a:~C,ooN,SS3P(Metalle)0.0x [Klarschlammbiornasse] + Nebenprodukte + x:>CO, + yx-CH, + z:", ,,Geht" die Gleichung ,,nicht auf", weil etwa zuwenig Kohlenstoff oder Stickstoff zur vollstandigen Inkorporation des Phosphors (in Form von Nukleinsauren und Nukleosidphosphaten wie ATP) in die Klarschlammbiomasse vorhanden ist, so werden Phosphor und evtl. Schwefel in den Nebenprodukten ubrigbleiben. Bei Sulfat ist dies relativ harmlos, bei Phosphat hingegen besteht die Gefahr der Eutrophierung der Vorflut; Gleiches gilt, wenn nach unvollstandiger Denitrifizierung gelostes Nitrat oder seine reduzierten Formen im Auslasswasser zuriickbleiben. Zahlreiche Schwermetalle werden im Klarschlamrn unabhangig vom Gehalt an N und P in diesem abgeschieden, so Cadmium, Cobalt, Chrom, Nickel und Blei (BEL.I.EHUMEUR et al. 1997),wahrend sein Kupfergehalt stark mit dem an organischem Stickstoff korreliert. Die Vermutung liegt nahe, dass Cu koordinativ an Aminosauren und hiihermolekulare N-Verbindungen koordiniert
lrdische Umweltkompartimente 2.2
vorliegt, wahrend die ubrigen Metalle, de- Vollstandigkeit anderer biotechnologischer ren Kornplexe rnit Arninosauren bis auf Ni- Reinigungsverfahren anstellen. ckel weitaus labiier sind, diese Bindungsform nicht eingehen und sich daher unabhangig von N- und P-Gehalten anreichern. 2.2.3 Boden und Die Beziehung zwischen Metallgehalten Grundwasserleiter des Rohabwassers und des Belebtschlarnrns ist nur schwach ausgepragt ( BELLEHUMEURWahrend alle Organismen direkt rnit Waset al. 1997),was darauf hinweist, dass des- ser verbunden sind, die Aerobier ebenso sen Anteile dern biologischen Bedarf der rnit Luft als zweitern UmweltkompartiSchlarnm bildenden Organismen folgen. rnent, stehen die rneisten nicht-pflanzliAuffallig ist der hohe Molybdangehalt in chen Organismen zurn Boden und GrundKlarschlamm (12,6 mg/kg; KROCMANN & wasser in einer eher indirekten Beziehung. CHIANG 2002), in dern sich die Aktivitat Ebenso wie Wasser in geeigneten Reaktorund das Stoffwechselprofil nitratreduzie- gefai3en chemischlbiochemisch auf Anderender Bakterien wiederspiegeln. Sowohl rungen von p H und Redoxpotenzial reaessenzielle als auch nicht essenzielle Me- gieren, tun sie dies auch bei der Passage durch verschiedene Bodenhorizonte. Datalle werden angereichert. her ist es rnoglich, diese Bodenhorizonte Weder Metalle noch Phosphat jedoch ge- bei gezieltern Versickern des Wassers in langen in analoger Weise in die Gasphase, ahnlicher Weise zu nutzen wie die einzelso lange sich die Klaranlage in norrnalen nen StufedBecken einer Klaranlage. SolBetriebszustanden befindet: Reduktion von che bodenbasierten WasserreinigungssysPhosphat zu Phosphan PH, gelingt nur Ar- terne bezeichnet man als Rieselfelder oder, chaonen und Clostridien bei extrern nied- wenn sie gezielt bepflanzt sind, als berigen Redoxpotenzialen, und die Biome- pflanzte Bodenfilter (,,Pflanzenklaranthylierung von Metallen wie Sb, Sn, Hg lage"). Abb. 26 zeigt - links schernatisch, oder von Arsen durch Pilze oder marine rechts a n einern realen Bodenprofil - die Organisrnen erfolgt ebenso unter Bedin- Horizontierung des Bodens. Von dieser gungen jenseits der fur die einzelnen Klar- wird Gebrauch gernacht, indem das zu reistufen geltenden Betriebspararneter. nigende Wasser in einem Bodenfilter Schichten (eben die Horizonte) mit je unDas Verhaltnis C/P oder N/P kann zum terschiedlichen Redoxpotenzialen sowie Abschluss des Verfahrensganges mit dern pH-Werten und Gehalten an organischer der Belebtschlarnrn bildenden Biomasse Substanz durchlauft. Geliiste Kornponeniibereinstimmen oder (wahrscheinlicher) ten konnen in Folge dessen an verschiedeeben nicht. Weicht es ab, mussen Emissio- nen Stellen adsorbiert oder gefallt werden, nen von N oder P entweder durch zusatz- Redoxprozessen unterzogen oder in biololiche Fallungs- oder AbscheidungsmaBnah- gische Substanz eingebaut werden. Wird men verhindert oder aber zusatzlicher durch fortgesetzte Beaufschlagung mit AbKohlenstoff beigegeben werden. Dies ge- wassern oder Klarschlarnm oder auch schieht in der Klartechnik in unterschiedli- saure Niederschlage die Chemie der obecher Form, entweder als so genannte ren Bodenschichten verandert, so reagieSchlarnrnruckfuhrung, wo ein Teil der Bio- ren auch die Bodenhorizonte hierauf rnit masse als Nahrstoff dient, oder durch Zu- Veranderungen; diese konnen schnell gabe von Methanol, Zuckerreststoffen recht tief reichen, z. B. wenn Nitrat einge(Melasse) 0. a.. Analoge Betrachtungen auf tragen wird, weil dieses keine schwer wasder Basis der Stochiornetrischen Okologie serloslichen Salze bildet und entsprechend lassen sich fur Betriebsbedingungen und rapide in tiefere Schichten gelangt, falls es
75
2.2 lrdische Umweltkompartimente
nicht reduziert wird. Zur Bodenbildung beitragende Chemolithoautotrophier, aber auch tief wurzelnde Landpflanzen werden hierdurch in ihren Lebensbedingungen beeinflusst. Entsprechend empfindlich rea-
gieren sie bereits auf Verschiebungen des Redoxpotenzials oder der Gaszusammensetzung im Boden. Die Effekte pflanzen sich dann u. U. uber die Nahrungskette hinweg fort.
A-Horizont
B-Horizont
C-Horlzont
anstehendes Gestein
Abb. 26: Typische Schichtung eines Boden. Der A-Horizont i s t ein Mineralhorizont im Oherhoden mit akkumuliertem Humus. Der B-Horizont ein solcher im Unterboden, dessen Mineralbestand durch Einlagerung aus dem Oberhoden und/oder Verwitterung verandert wurde. Charakteristisch i s t eine Farhanderung gegeniiher A und dem anstehenden Gestein (Bilder links und rechts); C schlieRlich besteht aus Lockergestein mit grabharer Feinerde, hiiufig kalkreich. Die Huminstoffe in A wirken koniplexhildend (Liganden); zwischen A und B sinkt das Redoxpotential. B i s t vielfach durch Eisenoxide verfestigt und daher im Stande, Stoffe zuriickzuhalten, die mit Fe(l1l) schwer losliche Salze hilden (Phosphate, Phenole). Fur C und Calciumsalze gilt Analoges, zusatzlich i s t dieser Horizont alkalisch, was die Mohilitat von Schwermetallen reduziert. OWissen Media Verlag, Giitersloh/Miinchen. 76
lrdische Umweltkompartimente 2.2
2.2.3.1 Boden als
Mehrphasensystem Bereits die einfachen Feldtests, die in der Bodenkunde zu seiner Charakterisierung verwendet werden, zeigen, dass Boden ein kornplexes System ist: bei ihnen wird Boden angefeuchtet, danach wird versucht, ihn von Hand zu kneten, Rollchen zu formen, diese zu biegen usw.; man sucht dabei auch nach etwaigen Ausschwernmungen. Mit diesem einfachen Verfahren lassen sich Sand/Kies, Huminstoffe und Tonrnineralien als Kornponenten erkennen und halbquantitativ bestimmen. Boden ist sornit ein Gemisch mehrerer fester Phasen mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften und stark wechselnden Anteilen. Dazu kommen noch Grundwasser und zwischen den einzelnen Partikeln des Bodens eingeschlossene Luft bzw. andere Gase, die Produkt biochernischer Umsetzungen sind. Die Bodenluft enthalt allgemein weniger 0,, mehr CO, und Wasserdampf als die freie Atrnosphare, daneben kleine Mengen von Methan [CH,], Lachgas [N,O], CO, H,S und in Carbonatboden NH,, die langsarn und stetig entweichen (SCHEFFER et al. 2002). Fehlt die Luftphase, ist der Boden also verdichtet oder staunass, setzen chemische Prozesse ein, bei denen an Stelle des nunmehr nicht rnehr verfiigbaren Sauerstoffs Nitrat oder schwachere irn Boden vorhandene Oxidationsmittel (Oxide von Eisen und Mangan, Sulfat) verwendet werden. Gleiches geschieht, wenn der Luftsauerstoff durch andere Gase, wie aus defekten Erdgasleitungen oder naturlichen Vorkornrnen eindringendes Methan, verdrangt wird. Fehlt das Wasser, sind einige Festphasen nicht mehr stabil (Tonrnineralien gehen z.T. irreversible Trocknungsreaktionen ein) oder konnen nicht rnehr
nachgebildet werden (Humus), weil der Boden keine Humus bildende Biomasse rnehr tragen und versorgen kann, wenn sie durch Erosion verloren gehen (Wiistenbildung). Die feste Phase allerdings kann man irn Gegensatz zu Gas und Grundwasser nicht wegdenken, ohne dass der Boden aufhort, Boden zu sein (auch wenn in Seebodensedimenten der Ubergang zu ,,reinern" Wasser so - in doppeltem Sinne fliei3end werden kann, dass die Sedimentoberkante nicht mehr genau bestirnrnbar ist). Die flussigen, festen und Gasphasen des Bodens bedingen einander sornit in ihrer langfristigen Existenz wie den biologischen und davon abgeleiteten, z.B. agrar- und forstwirtschaftlichen Funktionen; ein ,,produktiver" Boden muss alle drei in hinreichender Menge und Qualitat umfassen. In der Tab. 10 sind die (volumenmagig) Anteile im oberflachennahen Boden aufgezeigt. Tab. 10: Durchschnittliche Zusammensetzung von Boden. Angegeben sind Volumenanteile und Dichten der einzelnen Phasen. FraktiodPhase Volumenanteil
Dichte (s/cm3)
("/.I Luft (L)
5-40
0,001
Wasser (W)
15-30
1 ,o
Mineralstoffe, Sand Organische Festsubstanz (0)
[lo0- (L + W
ca. 5-7
+ O)]
2,6-3' 1-1,2
1 Einige in Boden auftretende Mineralphasen, etwa Fe,O, haben erheblich hohere Dichten (hier: 5,25g/cm3).
Als Durchschnittswert aus den sehr unterschiedlichen Dichten resultiert eine Bodendichte um 2 g/cm". Wie die obige Uberlegung bereits nahe legt, sind auch an den chernischen Reaktionen irn Boden sowie denen, die ihn irn Laufe der Zeit veran-
77
2.2 lrdische UmweltkomDartimente
dern5j, alle drei Phasen beteiligt: Bodenluft, Grund- und (das kaum mobile, weil adsorbierte oder gar als Kristallwasser gebundene) Porenwasser sowie die unterschiedlichen festen Komponenten. Diese seien verallgemeinernd skizziert.
der Art und Anzahl von Gruppen gegensatzlicher Ladung, an die sich die Ionen reversibel anheften kiinnen. Die Ionenaustauscherfunktion ist hauptsachlich eine solche teilweise zersetzter (oxidierterj organischer Substanz.
Bodenluft, Grundwasser und die festen Phasen unterscheiden sich nicht nur in Dichte und chemischer Zusammensetzung, sondern haben auch an den nachfolgend erlauterten Bodenfunktionen oder -eigenschaften ie charakteristischen Anted. Manche dieser Eigenschaften, z. B. die eines Ionenaustauschers, erfordern sogar das Zusammenspiel mehrerer dieser Phasen.
Die Pufferfunktion wird von Anionen wie Carbonat/Hydrogencarbonat in der Mineralfraktion, teils auch von Tonmineralien und Phosphaten, etwa Hydroxylapatit, ausgeiibt. Tonmineralien enthalten neben Wasser meist AI(II1) in einem Silikatgeriist. In diesem Puffer fungiert aquatisiertes A1 i+ als Saure, die Silikationen als Base, so dass Belastungen sowohl mit Sauren als auch mit Basen (Aufwehungen von Carbonatstauben, Eindringen von Ammoniakgas in die Bodenluft in landwirtschaftlich genutzten Flachen) in gewissen Grenzen abgefangen werden konnen, ohne dass sich der pH-Wert der Bodenfliissigkeit deutlich verandert".
2.2.3.2 Wichtige chemische Eigenschaften von Boden Boden fungieren als: - Ionenaustauscher, - Puffer, -
Reduktionsmittel und
- Reservoire fur Wasser und Mineralstoffe
vieler Art. Aus diesen Reservoiren werden Austrage an Quellwasser sowie an Pflanzen realisiert. Als Ionenaustauscher bindet und transportiert Boden rnit Regenwasser, Staub etc. eingetragene oder in ihm selbst gebildete Kat- und Anionen in kontrollierter Weise. Kontrolliert heiBt: die Transportgeschwindigkeit der Ionen mit Sickerwasser wird nicht von dessen FlieBgeschwindigkeit, sondern davon bestimmt, welche Kat- bzw. Anionen vorliegen, welche anderen Ionen in der Bodenlosung existierens4 sowie von
53 Beispiele In Sandboden rnit Eisen- oder Mangan-reichen Grundwassern, in die Luft eindringt, erfolgen Abscheidungen der Oxide Fe,O, bzw MnO,, durch welche die einzelnen Sandkorner rniteinander fest verbunden werden (Bildung von Ortstein und schlieOlich Sandstein) Kalk kann durch saure Niederschlage in Gips uberfuhrt werden der ebenfalls zuvor grobkornige Partikel und Kies rniteinander ,verklebt" Dadurch rnindert sich die Wasserdurchlassigkeit
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Als Reduktionsmittel, damit auch Energie liefernde biologische Substrate, treten u. a. organische Substanz, z. B. phenolische Funktionen von Huminstoffen, Sulfide sowie Fe(I1j in Erscheinung. Neben makroskopischer Erosion sind auch Quellen, Sickerwasser etc. zu beriicksichtigen, die u. U. gut wasserliisliche Stoffe, die die obigen Bodenfunktionen erfiillen, verstarkt austragen. Dadurch konnen zumindest der Aquifer (wasserleitender Schichtj und dessen direkte Umgebung an solchen
54 Beispiele: Casiurnionen (13'Cs aus der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl) haben 18 Jahre spater je nach Boden und dessen Salzgehalt Tiefen zwischen ca. 50 crn und 4 rn erreicht; Saureeinwirkung aus dern Regen und der Schneeschrnelze (Austausch durch Protonen) verdrangt Mg'+ oder Caz+ (fur Pflanzen essenziell) ebenso aus dern Tiefenbereich der Wurzeln wie toxische Ionen, etwa Pb2+. 55 Dennoch fuhrt eine Kalkung von Boden zwecks Saurebindung oder Calciurnzufuhr als Nebenwirkung zu Hurnusabbau und Stickstofffreisetzung. Die Pufferfunktion wird entlastet, die lonenaustauschereigenschaften werden aber ebenso beeintrachtigt.
lrdische Umweltkomnartimente 2.2
Substanzen verarrnen. Dies kann die Stabilitat des Bodens gegenuber chernischen Veranderungen verringern. Die Dungung in der Landwirtschaft dient dazu, analoge Destabilisierungseffekte durch pflanzliche Stoffentnahrnen zu kornpensieren. Der Charakter als Reservoir hangt stark von der Bodenchernie ah, ebenso die Moglichkeit, betreffende Ionen auszuwaschen. 2.2.3.3 Boden als Bioreaktor
Ein Bioreaktor ist ein System, dessen chernische Aktivitat durch die in ihm befindlichen Organisrnen dorniniert wird. Dies ist weder bei Luft noch bei der ubergrogen Mehrheit naturlicher Gewasser der Fall, wohl aber bei vielen Boden, weil hier die Massenanteile sowohl unbelebter organischer Substanz (Groi3enordnung 5-10 %) als auch von Organisrnen urn Zehnerpotenzen hoher sind als irn Wasser. Dies rnacht den Boden zum einzigen Urnweltkornpartirnent, das, weil in seinern Chernisrnus von biologischer Aktivitat dorniniert, selbst als Bioreaktor apostrophiert werden kann: Boden ist sowohl Produkt als auch Substrat und Voraussetzung biologischer Aktivitat: hohere Pflanzen entnehrnen ihrn SubstanZen, reichern seine organische Substanz rnit ihren Zerfallsprodukten an (Laubstreu etc.), darunter auch solchen, die schwer mikrobiell abbaubar sind (Lignin, in Nadelstreu enthaltene Polyphenole); zahlreiche Organisrnen ernahren sich direkt von Bodensubstanz oder verwenden Teile davon in ihrern Energiestoffwechsel (Pilze, Eisenbakterien). Wie schnell dabei pflanzliche organische Substanz in ein Boden ahnliches Material urngewandelt werden kann, auf dem wieder Pflanzenwachsturn moglich ist, zeigt jeder Komposthaufen. Normal sind allerdings Zeitraurne in der GroBenordnung von Jahren. Der biologische Einfluss auf BGden ist weit groRer als der auf die anderen Urnwelt-
kompartirnente, auch der Anteil sowohl lebender als auch toter Biomasse an Boden ist sehr vie1 hoher als diejenigen Anteile in Wasser. Mikrobiologie und auf der Oberflache wachsende Pflanzen nehrnen aufeinander Einfluss: von Pflanzenwurzeln sezernierte Chelatliganden wie Zitronensaure, Hydroxarnsauren56 und einige Arninosauren rnachen Mineralstoffe des Bodens auch fur Mikroorganisrnen besser verfiigbar, und Mikroorganisrnen bewirken jene Teiloxidationen polyrnerer organischer Substanz (insbesondere von Cellulose), die dem Boden seine Ionenaustauschereigenschaften verleihen. An derartigen, fast syrnbiontischen Kooperationsstrukturen zwischen taxonornisch recht unterschiedlichen Organisrnen sind auch Pilze beteiligt: Uber die Mykorrhiza wird neben Metallionen auch organische Substanz transportiert. 2.2.3.4 Gradientenbildung im Boden
Boden ist selbst nicht rnobil, auch die Transportgeschwindigkeiten von Grundwasser und Bodenluft sind urn viele Zehnerpotenzen geringer als in der Atmosphare bzw. in Flussen. Darnit gleichen sich chemische Unterschiede zwischen den fluiden (fliissigen oder Gas-)Phasen an unterschiedlichen Stellen innerhalb eines Bodens nicht aus, weil die potenziellen Reaktionspartner nur sehr stark gehindert und entsprechend langsarn zueinander diffundieren konnen. Auch photochernische Einflusse, die ein chernisches Gleichgewicht verschieben wurden, sind auf die obersten wenigen rnrn begrenzt. Die geringe Beweg56 Hydroxarnsaurensind formal die Oxime von Carbonsauren. d h ROH statt R
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2.2 lrdische UmweltkomDartimente
lichkeit aller Teilphasen von Boden - nicht nur der festen - fuhrt also dazu, dass chemische Unterschiede zwischen verschiedenen Punkten im Boden erhalten bleiben, auch wenn miteinander chemisch nicht kompatible Spezies im Extremfall nur wenige em voneinander entfernt sind. Es bilden sich Gradienten aus, die uber chemische Folgeprozesse wiederum den Boden selbst verandern, was eine Ruckkopplung erzeugt: die Gradienten konnen mit der Zeit steiler oder auch schwacher werden. An der Oberkante eines Bodens steht meist ein starkes Oxidationsmittel zur Verfugung: Luftsauerstoff, zusatzlich der Sauerstoff, den Vegetation (z. B. Gras) freisetzt, die dem Boden direkt aufliegt. In tieferen Schichten dagegen finden sich im Grundwasser geloste Mineralsalze teilweise reduzierenden Charakters, es existiert reichlich organische Substanz. ,,Von oben" wird ein Boden also oxidierenden, ,,von unten" reduzierend wirkenden chemischen Stoffen ausgesetzt. Nach oben, in die Atrnosphare, ist Verdunstung rnoglich, nach unten er-
folgt Versickerung von Wasser, bis ein gesattigter Horizont oder eine wasserundurchlassige Schicht erreicht sind, ein Aquifer (Grundwasserleiter), auf dessen Oberseite das Wasser dann unter dem Einfluss der Gravitation entlang flieRt, bis es irgendwo zu Tage tritt (Quelle). Damit weisen Boden sowohl Gradienten des Redoxpotenzials (der Oxidationskraft) als auch der Feuchte (des Wassergehalts) auf, soweit sie stationar sind. Als Ausnahme stellen Wanderdunen (Abb. 27) und Moranen mobile Bodenvolumina dar. Der Transportprozess bringt es allerdings mit sich, dass diese uber n u r geringe Anteile der den Boden chemisch weitgehend definierenden organischen Substanz verfugen; Moranen bestehen sogar uberwiegend aus sehr grobpartikularem Material. Dass eine Wanderdune, etwa auf der Kurischen Nehrung in Litauen, uber langere Zeit mobil, also Wanderdune bleibt, hat genau den Grund, dass die Armut an organischer Substanz, fehlende Ionenaustauscherkapazitat und minimales Wasserruckhaltungsvermii-
Abb. 27: Wanderdunen als mobile Bodenkorper bilden heute eine Ausnahme gegenuber stationaren Boden. W o wegen Trockenheit (Wustengebiete) oder Salzeintrag an Kiisten Pflanzen sich schwer ansiedeln konnen bleibt der Boden nicht nur mobil, sondern auch arm an Huminstoffen und unterliegt keiner inneren Verfestigung. Beides zusammen hemmt wiederum die Ansiedlung von Pflanzen. Die Ausbildung der typischen Schichtung stationarer Boden dauert etwa 100-200 Jahre wahrend derer der Boden in seiner Position bleiben muss. Eine Wanderdune hingegen hat in dieser Zeit hunderte von Metern zuriickgelegt und wurde dabei mehrfach vollstandig umgewalzt. Daher kiinnen hier keine chemischen und Feuchtigkeitsgradienten aufgebaut werden. Das Bild rechts gibt eincn Eindruck von der Hohe solcher Diinen. Foto links: ~ R I A NDIEHI.;Foto rechts: KIRSTENHIt.DFBRANDT.
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lrdische Umweltkompartimente 2.2
Abb. 28: Bodenbildung an Flussmundungen. In Schwemmkegeln und Deltas kommt es zu schneller Ausbildung chemischer Gradienten, da diese einerseits im unteren Teil staunass sind, andererseits bei ihrer Ablagerung reduzierend wirkendes organisches Material in das Sediment eingebettet wird. Daher herrschen in den tiefen Schichten stark reduzierende Bedingungen. Dies fuhrt zum Beispiel zu Mobilisierung toxischer Formen von Arsen in Flussdeltas in Bangladesh und in Vietnam. Foto: Blick auf den Konigssee (Bayern) mit Schwemmkegel des Eisbachs. Foto: Nationalparkverwaltung Berchtesgaden.
gen die Besiedlung durch Pflanzen erschweren. Deren Wurzeln wurden den Sandboden festhalten und so die Bewegung der Dune beenden. 2.2.3.5 Storungen der Bodenentwicklung
Wie oben schon angesprochen, setzen nun Ruckkopplungseffekte ein: die unterschiedlichen festen Phasen, die in ihrer Existenz von der Anwesenheit von Luft und Wasser im Boden abhangig sind, verandern sich chemisch selbst. Es kommt auf Zeitskalen meist einiger Jahrzehnte bis Jahrhunderte zu den typischen Schichtungen von Boden, wenn diese neu, z.B. auf Halden oder als Flusssander (Schwemmkegel) (Abb. 28), gebildet bzw. abgelagert worden waren. Diese chemisch definierten Schichtungen werden durch grabende Tiere, die Wurzel-
kanale von Pflanzen (die als Sauerstoffleiter fungieren, sobald sie abgestorben und ausgefault sind) und menschliche Aktivitaten (Pfliigen in der Landwirtschaft) ebenso gestort wie durch Erosionsprozesse oder die Bildung von Trockenrissen. Die Schichtungen sind also nicht dauerhaftes Ergebnis von Bodenbildung, sondern werden zumindest bis in ca. 1 m Tiefe haufig gestort; hinzu kommen chemische Einfliisse aus dem Regenwasser (Sauren, Photooxidantien wie Wasserstoffperoxid (H202)und Salpetersaure (HNO,), die beide auch in unbelasteten Regenwassern enthalten sind) und anthropogene Auftrage (Nitratdunger, Klarschlamm). Daher bleibt Boden auch uber lange Zeit ein dynamisches, auf seine Umwelt permanent reagierendes System. Diese Reaktionen gehen sowohl auf anorganische Festphasen zuruck - wovon Mangandioxid eine groBe Rolle als Redoxkata81
2.2 lrdische UmweltkomDartimente
lysatorq7 spielt - als auch auf biologische Aktivitaten im Boden. Daneben finden z. B. einfache Saure-Base-Reaktionen statt, wenn saure Niederschlage Carbonate und Tonmineralien angreifen, his nur noch Sulfate bzw. Quarzsand ubrig bleiben, oder wenn Schwefelbakterien H,S oder Sulfidmineralien biochemisch zu SulfatlSchwefelsa'ure oxidieren. Das Ergebnis dieser Prozesse ist die als bacterial leaching bergbaulich genutzte Mobilisierung einiger Schwermetalle, darunter Kupfer, Zinn und Uran. 2.2.3.6 Schlussfolgerungen fur die Bodensanierung
Will man einen Boden sanieren, besteht die Miiglichkeit, entweder die feste Phase z u mobilisieren (Durchmischen, Auskoffern und anderswo behandeln, vgl. Kap. 4.4) oder -die mobilen Phasen des Bodens als ,,Ubertrager" des Einflusses (der chemischen Reagenzien) zu nutzen, der zur Reinigung auf den Boden ausgeubt werden soll. In praxi ist das dann das Grundwasser (vgl. Abschn. 4.1 ); eine Reinigung der Bodenluft wird nur bei lokalen Belastungen versucht.
-
Jeder solche Transportprozess stellt einen tief greifenden Einschnitt in das System Roden dar, dessen chemische Eigenschaften ja - wie wir sahen - zum betrachtlichen Teil seiner sehr geringen Mobilitat geschuldet sind. Eine Bodenwasche z. B. bewirkt auger der Extraktion von Schadstoffen eine weitgehende Durchmischung. Wird der Boden an der Sanierungsstelle danach 57 Vgl Abschnitt 3 2 2 Mn2+oder niedere Oxide wie Mn,O, reagieren be1 neutralem oder hoherem pH mit (LuR-)sauerstoff unter Bildung von MnO, (Braunstein, Pyrolusit) Pyrolusit wiederum ubertragt Sauerstoff oxidativ auf Cr(lll) As(lll) etc , wobei Chromat bzw Arsenat entstehen Das Mangan katalyslert so dle Luftoxidation von dreiwertigern Chrom bzw Arsen die ansonsten sehr langsam verlauft
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neu ausgebracht, dauert es wiederum viele Jahre, his eine quasi naturliche Schichtung rekonstruiert ist. Grundsatzlich konnen die Kontaminationen eines Bodens noch vielfaltiger sein als bei Luft und Wasser, da sie weder fluchtig/ gasformig noch wasserloslich oder an Partikel sorbierbar sein miissen, um im Umweltkompartiment Boden verbleiben zu kiinnen. Hierzu muss der Boden nicht verlagert oder entnommen werden. Im Falle verdampfbarer und wasserloslicher Vcrunreinigungen konnen diese aus dem Bodenkiirper ausgekoppelt und wie bei der Luftbzw. Wasserreinigung behandelt/entsorgt werden. Verdampfung kann dabei durch Erhitzen des gesamten Bodenk6rpers (klassische Warmezufuhr) oder gezielte Energiezufuhr zu Flussigfraktionen (Aufheizung mittels Mikrowellen) erreicht bzw. unterstutzt werden; das Herausliisen von wasser- oder solvensliislichen Fremdstoffen kann erfolgen durch Wasser, organische Liisungsmittel, Tenside oder iiberkritische Fluide. Bestimmte andere Liisungsmittel dienen speziellen Zwecken bei der Bodenwiische. Hierzu zahlt druckverflussigter Ammoniak. Er fungiert als Reduktionsniittel, nachdem metallisches Natrium oder Calcium darin suspendiert wurden. Uberkritisches CO, erlaubt ahnlich selektive Extraktionen (Mineraldkohlenwasserstoffe, Phenole, nicht Huminstoffe, Salzc) wie bei der Produktion von coffeinfreiem Kaffee. Boden kann auch Trager makroskopischer anderer (fester) Verunreinigungen sein, vom Classplitter bis zum Autowrack. Die mechanische Abtrennung (Sieben, Eggen, Windsichten), die durchgefuhrt wird, sofern diese Grobfraktion eine Umweltgefiihrdung bedingt, zerstort allerdings die Bodenstruktur ebenfalls. Die gewachsene Struktur und Schichtung ist fur die chcmi-
lrdische Umweltkompartimente 2.2
schen Bodenfunktionen und deren Aufrechterhaltung entscheidend wichtig. Bodenwasche und erst recht Extraktionen mit druckverfliissigten bzw. uberkritischen Gasen stellen Verfahren dar, bei denen der Boden aus seinem Zusammenhang entfernt, transportiert und wieder zuriickgefuhrt werden muss; Gleiches gilt fur die ,,harteren" Methoden thermischer Bodenbehandlung, kontrollierte Pyrolyse sowie Bodenverbrennung. Im letzteren Fall werden die Kontaminanten mit der Bodeneigenen organischen Substanz zusammen verbrannt, wobei im Boden enthaltener Sand in Glas, die Tonmineralfraktion in eine steingutahnliche Keramik verwandelt wird (meist unter Hilfsbefeuerung mit Erdgas). Dabei werden diejenigen Schwermetalle, die oder deren Verbindungen nicht wie Zink, Cadmium, Quecksilber, Thallium, Blei verdampfen, in diesen Glasern oder Keramiken eingeschlossen. Thermische Bodenbehandlung bewirkt daher nicht nur ein Entweichen fluchtiger Schadstoffe aus dem Boden sondern auch den Einschluss anderer Fremdstoffe, durch Kupplungs-, Sinter- und Polymerisationsreaktionen. Die Tab. 1 1 gibt eine Ubersicht uber die Funktionen des Bodens (Ionenaustauscher, Puffer, Reduktionsmittel und Reservoir fur Wasser und Mineralstoffe) und die Einflusse, die unterschiedliche Bodensanierungsverfahren darauf haben, sei es, das sie einzelne dieser Eigenschaften nutzen, sei es, das sie sie dauerhaft verandern. Zwar hat jedes ex-situ-Verfahren das Problem der Zerstorung der Bodenstruktur, jedoch sind nicht alle Methoden in situ anwendbar. Als in-situ-Methoden bieten sich - Wasch- und
Laugungsverfahren unter Verwendung von Bakterien (bacterialleaching) fur Schwermetallextraktion und den Abbau organischer Substanz ebenso an wie die
- Phytoremediation,
bei der organische oder anorganische Verunreinigungen von zu diesem Zweck angepflanzter Vegetation aufgenommen und damit dem Boden entzogen werden.
Z u m Teil werden hier Pflanzenarten verwendet, die eine derart hohe Toleranz gegenuber bestimmten Schadstoffen, etwa Schwermetallen wie Zink oder Cadmium, aufweisen, dass sie auf belasteten Flachen keine Konkurrenz mehr haben (z.B. Galmeiflora, calamine flora; calamine = ZnCO, bzw. Zinksilicat). Der Begriff Galmei wird fur verschiedene Zinkmineralien gebraucht.
Insgesamt muss das Ziel bei Sanierungsmafinahmen sein, Schadstoffe zu entfernen oder immobil zu machen (Ausfallung etc.), ohne dabei die oben angefiihrten Bodenfunktionen zu zerstoren. Im Idealfall konnen sie bei der Reinigung sogar genutzt werden. Ein positives Beispiel ist hier die tensidfreie Bodenwasche mit uberkritischem Kohlendioxid in Hochdruckgefasen (siehe Abschn. 4.4): - weil keine Tensid(-ionen)verwendet wer-
den, wird die Ionenaustauscherfunktion nicht beeinflusst, es erfolgt nur ein geringer Saureeintrag, - auger Kohlenwasserstoffen und bestimmten Metallionen wird nichts ausgetragen, der Boden also nicht verarmt, und - Kohlendioxid, selbst ein naturlicher Bestandteil der Bodenluft, entweicht wieder bei Druckverminderung. Eine konventionelle mobile, mit Wasser und Tensiden arbeitende Bodenwaschanlage zeigt die Abb. 29. Der Unterschied zu der oben genannten Bodenwasche mit uberkritischem Kohlendioxid in Hochdruckgefasen besteht in der Mobilitat der Apparatur. Sie kann an den Schadensstandort gefahren werden. Ein Ferntransport von Boden wie auch das gleichzeitige Auskoffern groger Bodenmengen entfallen daher.
83
2.2 lrdische Umweltkompartimente
Tab. 11: Beziehung zwischen Bodenfunktionen und Reinigungsverfahren. Je nach den chemischen Eigenschaften der verwendeten Reagenzien benutzen sie bestimmte Bodenfunktionen, beeinflussen oder beseitigen sie. Dadurch konnen auch irreversible Veranderungen des Bodens eintreten. Bodenfunktion
Reinigungsverfahren
PrinzipIReagenz
Bodenfunktion wird zur Reinigung ausgenutzt
lonenaustauscher
Bodenwasche
Tenside
ja, bei ionischen Tensi- Besetzung von Austauden (Verdrangung iono- scherpositionen, wenn ionische Tenside schwer gener Schadstoffe) biologisch abbaubar
uberkritische Losungsrnittel
Elutionsbeitrag durch/ nach Bildung von HCO,
flussiges NH,/Alkalirnetalle
NH,+ entsteht, Kationen keine langfristigen (biologische Reoxidation von werden ausgetauscht Arnrnoniurnionen)
Bodenverbrennung
therrnisch; Verbrennung nein von Organika und Kerarnisierung der anorganischen Bodensubstanz
Mikrowellenheizung
gezielte Aufheizung
Bodenfunktion wird durch Reinigungsverfahren positiv oder negativ beeinflusst
nein, da keine Salzauflosung
vollstandige Zerstorung der organischen und Kerarnisierung der rneisten anorganischen (Tone) Austauscherstellen
lonen werden rnobilisiert kein Einfluss, auOer bei lang anhaltender Erhitzung (Decarboxylierung)
Kein bleibender Effekt, Phytorernedia- Extraktion und Bindung lonenaustauscherwirkung wichtig fur Nahr- evtl. Reservoirauffullung tion, bacterial von Schadstoffen an stoffversorgungNVachs- durch Dungen Biornasse leaching turn der absorbierenden Pflanzen Puffer
Bodenwasche
Tenside
bei ionischen Tensiden eher hinderlich
nicht ionische Tenside haben keinen Einfluss
uberkritische Losungsrnittel
nein
keine Wechselwirkung, evtl. Bildung von HC0,-
flussiges NH,/Alkalirnetalle
Nebenreaktionen in stark rnildert Effekt sauren Boden werden verringert
Bodenverbrennung
therrnisch; Verbrennung nein von Organika und Kerarnisierung der anorganischen Bodensubstanz
Mikrowellenheizung
gezielte Aufheizung
lnaktivierung bzw. Zerstorung organischer wie anorganischer Puffersysterne (,,verglaste" Phosphate, Silikate sind am Puffer nicht rnehr beteiiigt)
Verschiebung von Puffer- weit gehend reversibler gleichgewichten Effekt
lrdische UmweltkomDartimente 2.2
Tab. 11: Fortsetzung Bodenfunktion
Reinigungsverfahren
PrinziplReagenz
Bodenfunktion wird zur Reinigung ausgenutzt
Bodenfunktion wird durch Reinigungsverfahren positiv oder negativ beeinflusst
Phytorernedia- Extraktion und Bindung Pufferwirkung behindert Bei Phytorernediation: tion, bacterial von Schadstoffen an bakterielle Laugung kein Einfluss, bei bacterial leaching:Versauerung leaching Biornasse Reduktions- Bodenwasche mittel (tiefere Schichten)
teilweise Auslaugung niedermolekularer organischer Reduktionsrnittel; Mn(ll), Sulfide verbleiben uberwiegend im Boden
Tenside
u. U. selektive Extraktion bestimrnter organischer Reduktionsmittel sowie Mobilisierung von Sulfid
uberkritische Losungsrnittel
nein
flussiges NH,/Alkalirnetalle
(wirkt selbst stark redu- Reduktion von Bodenzierend) komponenten wie Fe(lll), daher Erhohung der Reduktionskapazitat
Bodenverbrennung
therrnisch; Verbrennung ja, dienen als Substrate nach der Verbrennung nicht rnehr vorhanden von Organika und Kera- der Verbrennung rnisierung der anorganischen Bodensubstanz
Mikrowellenheizung
gezielte Aufheizung
ja, tragt zu Reaktionen bei
wird verringert
Phytorernedia- Extraktion und Bindung Phytoremediation erfolgt kein Einfluss aus oberen, oxidierention, bacterial von Schadstoffen an leaching den Horizonten, AusBiomasse nahme: z. T. bepflanzte Bodenfilter Reservoir fur Bodenwasche Wasser und Mineralstoffe
Bodenverbrennung
Tenside
nein, Tensidlosung bringt erhohter Wassergehalt, Wasser ein wahrscheinlich Extraktion einiger Salze
uberkritische Losungsmittel
nein, kein Einfluss
flussiges NH,/Alkalimetalle
Wasser stort in grol3eren verrninderter WasserMengen, Mineralstoffe gehalt, Anreicherung werden teilweise reduziert von Arnrnoniumionen
therrnisch; Verbrennung von Organika und Kerarnisierung der anorganischen Bodensubstanz
Tonmineralien und Sand wasserfrei, Mineralstoffe sind wichtig fur Einnur noch begrenzt schluss von Schwerpflanzenverfugbar rnetallen und deren lmrnobilisierung
keine Salzextraktion
a5
2.2 lrdische Umweltkompartimente
Tab. 11: Fortsctzung Bodenfunktion
Reinigungsverfahren
PrinziplReagenz
Bodenfunktion wird zur Reinigung ausgenutzt
Bodenfunktion wird durch Reinigungsverfahren positiv oder negativ beeinflusst
Mikrowellenheizung
gezielte Aufheizung
Wasser absorbiert die keine Veranderung Strahlung, entscheidend fur Heiz- und Verfluchtigungseffekte
Phytorernedia- Extraktion und Bindung Mineralstoffe werden Mineralstoffe werden tion, bacterial von Schadstoffen an entzogen, evtl. zugleich entzogen Biornasse Bindung von Organika Ieac hing
2.2.4 Vergleich der Umweltkompartimente: Phasenzusammensetzung, Mischbarkeit mit bestimmten Reaktanden oder Kontaminanten, Lichtdurchlassigkeit, biologische Aktivitat
relativ homogen, es bestehen ausgepriigte horizontale und vertikale therniische Gradienten und sie ist thermisch sehr stabil. Dies erlaubt einen Abbau oxidierharer Beimengungen auch bei hohen Teniperaturen, mit oder ohne Katalysatoren.
h f t : Verdunstung, schnelle Verdriftung, Kondensation, Ausregnen, intensive photochemische Umsetzung. Luft ist chemisch
Wasser: I.iisung (auch von Salzen), Fallung, relativ langsame Verdriftung, photochemische Umsetzung, Hydrolyse, Sorption an Partikel; hier bestehen ausgeprigte chemische und thermische <' d'ienten. Wasser ist nach thermischer Rehandlung biologisch steril, bei Hocherhitzung jedoch selbst am Abbau organischer Substanz beteiligt (superkritisch-fluider Zustand + 0,; siehe Abschn. 3.4.3.2).
Abb. 29: Mobile Bodenwaschanlage auf einem Tieflader. Die l.iinge hetriigt ca. 14 m, das Gesaintgewicht ca. SO t.
Boden: Hydrolyse, Sorption an Partikel, Fallung/Abscheidung schwer liislicher Phasen, stationiir, keine Photochemie auger in der augersten Oberflachenschicht m2iglich. Boden ist thermisch fast homogen, zugleich bestehen starke chemische Gradienten, er reagiert empfindlich auf therniische Behandlung unter meist irreversibler Veranderung der Bodentextur und von Tonmineralien. Auch mechanische Beanspruchung hat in Boden chemische Auswirkungen: Bodenverdichtung fiihrt zu Sauerstoffzehrung, Sulfidbildung und vermindertem Wasserdurchstrom. Die chemischen Gradienten werden dadurch steiler.
Die chemischen und physikalischen Eigenschaften der drei Umweltkompartimente (Luft, Wasser, Boden) und der Bioniasse seien nachfolgend verglichen:
86
JrCi I
lrdische Umweltkompartimente 2.2
Biornasse ist zwar kein Umweltkornpartiment, an den Stoffstrornen aber in einer Weise beteiligt, die auf Stabilitat und Belastung der anderen Umweltkornpartirnente, insbesondere des Bodens, starken Einfluss nimrnt. Dies hat auch eine operative Dimension irn Sinne der Technischen Urnweltchemie (siehe Fallstudie Phytorernediation). Daher wird die Biornasse hier in Analogie zu den drei Umweltkornpartimenten betrachtet.
man fur bestimrnte Teilregionen solche Strukturen - chemisehe und andere Gradienten - identifizieren, sie urnwelttechnisch nutzen oder gar gezielt aufbauen.
Von den Urnweltkompartimenten aus gelangen Fremdstoffe vieler Art auch in die Biomasse; zugleich erfolgen Umbauprozesse, ahiotische wie biotische. Eine Besonderheit der Biornasse ist die, dass vie1 Substanz erzeugt wird, die selbst mit Xenobiotika intensiv wechselwirkt. Diese Wechselwirkung kann sowohl im aktiven Stoffwechsel, der Resorption bestehen als auch darin, dass Reste oder Stoffwechselprodukte von Organismen als Sorbentien u. a. wirken. Der letztere Fall leitet aber bereits zum Umweltkompartirnent Boden uber.
Dies sei in der obigen Reihenfolge der Umweltkompartimente naher erlautert. Die ausgepragte Turbulenz und schnelle Zirkulation von Luft erschwert die Ausbildung chemischer Gradienten. Fur therrnische Gradienten gilt dies nicht, weil sie auch bei ausgepragter vertikaler Zirkulation einfach durch adiabatische Kornpression bzw. Expansion aufgebaut werden. Chemische Gradienten dagegen entstehen durch diese konvektive Zirkulation auf der Erde nicht - irn Unterschied zur Venus und den Gasplaneten Jupiter, Saturn und Neptun - weil die Ternperaturunterschiede und auch die absoluten Ternperaturen in der Erdatrnosphare (unterhalb 100 km Hohe) zu gering fur eine wesentliche Verschiebung chernischer Gleichgewichte sind. Chemische Gradienten, die den Verbleib bzw. die Lebensdauer von Schadstoffen und anderen Spurengasen beeinflussen, bilden sich in Luft daher nur dort aus, wo entweder photochernische Prozesse innerhalb eines geringen Hohenintervalls ablaufen oder Reservoire reaktiver Substanzen in die Atrnosphare verbracht werden konnen. Das Erstere setzt Gebiete mit starker (UV-) Absorption voraus, das zweite den Kontakt zu einern anderen Medium mit hohen Konzentrationen fluchtiger oder als Aerosol dispergierbarer Vorstufen. In wie weit werden chernische Prozesse innerhalb der Kornpartimente - und in der Folge evtl. die zurnindest lokalen Bedingungen ihrer Reinigung - durch eine innere Struktur beeinflusst? Wenn z. B. eine Photoreaktion in einer Stoffschicht ablauft, welche dick genug
Eine vergleichende Betrachtung der Umweltkompartimente kann auch uber deren innere Struktur erfolgen: Solche Strukturen konnen gebildet werden z. B. durch - Mernbranen
innerhalb biologischen Materials, die - Schichtung des Bodens, - Sprungschichten und evtl. Haloklinen im Wasser. Ein allgerneines Ergebnis solcher Strukturen ist, dass der Transport eines potenziellen Schadstoffs sowie die chernischen Bedingungen, denen er ausgesetzt ist, vorn Ort abhangig werden. Dabei ist offensichtlich, dass man fur keines der drei Urnweltkornpartirnente ganzlich verallgerneinerte Aussagen treffen kann, die von Nord- bis Sudpol, von der Brandungszone bis zum Tiefseeboden usw. gelten. Dennoch kann
In Tab. 12 sind die oben beschriebenen physikalischen und chernischen Eigenschaften sowie die biologische Aktivitat der verschiedenen Urnweltkornpartirnente und der Biornasse auf einen Blick zusarnrnengestellt.
87
2.2 lrdische UmweltkomDartimente
Tab. 12: Chernische, thermische und biologische Differenzierungs- und Strukturbildungsprozesse in den Umweltkompartimenten und der Biomasse, ihr AusrnaR und die Folgen. Kompartiment
Chemische Gradientenbildung
Thermische Gradientenbildung
Mobilitat der Hauptkomponente des Umweltkompartiments
Biologische Aktivitat im Umweltkompartiment
Folgen thermischer Belastung
Luft
nur direkt uber besonnter Meeresoberflache oder in sehr trockener Luft
adiabatisch: 7-9 Wkrn
hoch (typisch 5 rn/s)
fast keine
therrnisch bis auf einige Spurengase stabil
Wasser
bilden sich durch Photosynthese (Sauerstoff reiche Oberflachenschicht) in Zusarnrnenwirken rnit Therrno- oder Haloklinen
unterschiedlich nur irn Oberfla(crn/s bis einige chenbereich (10-30 rn),dort rn/s [Flusse, bis 5 Wrn; Tiefen- Gezeiten, Meeresstrorne wie schicht rneist durch Dichternaxi- Golf- oder Kurnurn von Wasser roshiostrom]) bzw. Meerwasser definiert
Boden
ja (insbesondere nur irn Oberflabei Ubergang in chenbereich (2-5 rn), dort bis staunassen 10 Wrn; TiefenBereich) schicht = lokale Jahresrnittelternperatur
Biomasse auf allen Hierarchieebenen (Organellen, Zellen. Organe [pH irn Magen-DarrnTrakt!]) und rnit der Urngebung
gleichwarrne Organisrnen, einzelne Organe (Leber irn Saugetier)
nein
sehr hoch, bestirn- negative Wirkung mend fur Boden- auf Bodenbiota, bei hohen Ternperatugenese ren Sintern von Tonrnineralien
teilweise sehr per definitionern ausgepragt hoch (Tiere), bei anderen nicht oder passiv (Verdriftung von Bakterien, Plankton)
ist, urn weitgehende Absorption zu verursachen, fuhrt dies zur Ausbildung eines chemischen Gradienten. Dies gilt fur die Photosynthese ebenso wie fur photochemische Reaktionen in der Atmosphare unter Srnogbildung. Der Grund dafur ist, dass die verbleibende Strahlungsintensitat auf dem je nachsten Streckenabschnitt, den das Licht passiert, nicht linear sondern exponentiell abfallt (Lambert-Beersches Gesetz). Entsprechend sinken innerhalb des betrachteten nicht durchrnischten Volu-
88
hoch und vielfaltig sauerstoffzehrung, Verlust der biologischen Aktivitat; bei rnehreren Hundert "C Aktivierung von Abbaureaktionen
rneist sehr ernpfindlich
mens auch die Konzentrationen der Photolyseprodukte exponentiell ab, und konkurrierende oder alternative Reaktionen gewinnen relativ a n Bedeutung. Starke Licht- und UV-Absorption tritt im Smog ein, wodurch sich dieser selbst stabilisiert. Ein Reservoir reaktiver, in der Atrnosphare dispergierbarer Stoffe existiert in der Meeresgischt, die innerhalb weniger m uber der Oberflache photochemisch freie Halogene sowie Brornchlorid BrCl freisetzt
lrdische Umweltkompartimente 2.2
(SANDERet al. 1999). In der Gischtzone besteht somit ein steiler Gradient der Konzentration auch kinetisch hoch reaktiver Oxidationsmittel. In marinen Reinluftgebieten treten entsprechend auch andere Photooxidantien auf, z. B. Peroxyacetylnitrat PAN (das gemeinsame Anhydrid von Salpetersaure und Peroxoessigsaure mit einer N-O-O-C-C-Kettenstruktur). Chemische und thermische Gradienten lenken Kinetik bzw. Orte bestimmter chemischer Reaktionen in den Umweltkompartimenten. Biologische Aktivitat kann thermisch gehemmt werden, Licht erzeugt durch Photosynthese und photochemische Prozesse Gradienten in Wasser und Atmosphare. In den Umweltkompartimenten eingeleitete oder (insbesondere vertikal) wandernde Schadstoffe durchlaufen diese Gradienten, werden abgebaut oder (in Biomasse, Wasser und Boden) bei Auftreten von Loslichkeitsunterschieden in Teilvolumina abgefangen. Daher zielen viele Verfahren der Technischen Umweltchemie auf die Konstruktion solcher Gradienten nahe einem Schadensort ab. Bei der Durchsicht der Tab. 12 fallt auf, dass sich Wasser und Boden von der Luft durch ein hohes Mag biologischer Aktivitat unterscheiden; die Atmosphare ist kein Okosystem. Die ausgepragte biologische Aktivitat in Wasser und Boden tragt dazu bei, chemische Gradienten aufzubauen, wenn organische Materie als Reduktionsmittel zur Verfugung steht. Das ist im Boden wegen dessen Anteil an organischer Substanz unvermeidlich, setzt in Wasser die jahreszeitliche Unterbrechung der Totalzirkulation und damit der Sauerstoffzufuhr voraus (mono- und dimiktische Gewasser). Ohne Beteiligung der Biota (oder photochemische Anregung) verlaufen oxidative Reaktionen der meisten in der Umwelt verbreiteten organischen Verbindungen mit Sauerstoff oder Nitrat kinetisch derart langsam, dass die relativ dazu schnellere Diffusion der Oxidationsmittel wie auch
der Reaktionsprodukte die Ausbildung einer Reaktionsfront und damit einer Chemokline (chemische Sprungschicht) verhindern wurde. Treten aber Lebewesen auf, so werden die entsprechenden Prozesse durch deren Biokatalyse (enzymatische Aktivitat) nicht nur stark beschleunigt. Die Fortpflanzung daran beteiligter Organismen erhoht die Umsatzrate uberdies zeitlich weiter, so lange ein Nettowachstum von Biomasse erfolgt. Ein solcher, so genannter autokatalytischer Vorgang fuhrt daher haufig zur Ausbildung so genannter Reaktionsfrontens8 (chemischer Wellen). Das Resultat sind raumlich scharf definierte Gradienten in den biotisch dominierten Umweltkompartimenten. Die Konsequenz davon ist aber nicht nur die Begrenzung bestimmter Formen biologischer Aktivitat, etwa der Sulfatreduktion, auf Teilvolumina des zur Verfiigung stehenden Gesamtbereiches sondern auch eine u. U. extrem nichtlineare Kinetik. Als Folge davon ist kaum verlasslich zu prognostizieren, in welchen Bodenhorizont eine oberflachlich emittierte Chemikalie hochstens vordringt und wie schnell sie dort abgebaut wird (vorausgesetzt naturlich, dass der vertikale Verlagerungsprozess nicht durch Wasser undurchlassige Horizonte gehemmt wird). Vielfach sind Modellversuche zurn Studium des Abbaus notwendig, und in der Regel ist die Kultivierung der lokal vorfindlichen Mikrobiozonose bei verbesserter Nahrstoffversorgung fur einen Cometabolismus effektiver als der Einsatz irgendwelcher reiner Kulturstamme, die zum Abbau bestimmter Stoffe unter meist geringfugig abweichenden Bedingungen ,,optimiert" wurden. Diese auf lokale Gegebenheiten, dort existierende Xenobiotika und chemische Bedingungen abhebende, letztlich auf naturliche Adaption
58 Als solche Reaktionsfronten mit sich abrupt andernden chemischen Eigenschaften konnen z. 6. der Rand einer auf Brot oder Agar wachsenden Schimmelpilzkultur oder eine sich biogen in einem kurzlich abgelagerten (z. B. Kippen- oder Sander-)Boden ausbildende chemische Schichtung und Horizontierung aufgefasst werden.
89
2.2 lrdische Umweltkompartimente
und Selektion von Organismen basierende Strategie heiRt ,,natural attenuation". Folgerung In der Technischen Umweltchemie sind Gradienten von entscheidender Bedeutung, denn jeder Prozess, der eine bereits immittierte Substanz wieder aus einem Umweltkompartiment abtrennt, erzeugt einen Konzentrationsgradienten. Haufig ist dieser auch nur dann zu realisieren, wenn der Zustrom von Konkurrenzreagenzien (Sauerstoff statt Sulfat als biologisches Oxidationsmittel) durch eine Barriere verhindert wird. Ein Beispiel ist die Entsauerung geogen mit Schwefelsaure belasteter, meist anthropogener Seen (Restliicher des Braunkohlenbergbaus) durch Eintrag organischer Substanz unter die Thermokline (Sprungschicht), nachfolgende bakterielle Sulfatreduktion und Uberdeckung der ausgefallenen Sulfidniederschlage und Bakterienbiomasse durch Kalken des Sees, wie es etwa am Barleber See (Sachsen-Anhalt) durchgefiihrt worden ist. Offensichtlich ist die Notwendigkeit und praktische Implikation des Umgangs mit Gradienten bei all jenen Verfahren, bei denen Membranen zur Stofftrennung eingesetzt werden, etwa durch inverse Osmose (Aufkonzentration von Rohabwassern durch Druck-induzierte Teilentwasserung entgegen eines Konzentrationsgradienten [endergonischer, Energie verbrauchender Prozessj). Diese Gradienten konnen bei umwelttechnischen Verfah-
90
ren durch Einbau von Membranen in den Stofftransportpfad auch gezielt aufgebaut werden. Z. €3. weisen die einzelnen Stufen einer Klaranlage zueinander Gradienten des Redoxpotenzials auf. Die erwahnte Schwierigkeit der Vorhersage macht es noch dringlicher, beim Bodenschutz das Schwergewicht auf die Verrneidung von Immissionen z u legen, da die Flierjgeschwindigkeiten von Grundwassern um etliche Zehnerpotenzen unter denen von oberirdischen Gewassern liegen und daher die nachfolgende Reinigung sowohl von Grundwassern, austretendem Quell- oder Sickerwasser als auch des kompakten Bodenkiirpers - weitaus schwieriger ist als bei Luft und Wasser. Hinzu kommt, dass wegen der Lichtundurchlassigkeit von Boden photochemische Reinigungs- und Sanierungsmethoden auger in Brunnen nicht anwendbar sind. Vorwiegend in Bciden werden jedoch eingesetzt: Reaktive Wande (rusty walls lsiehe Abschn. 4.1]), die bestimmte Kontaminanten (Schwermetalle, einige Nichtmetalle, Halogenkohlenwasserstoffe) auf chemischern Wege zuruckhalten oder zu weniger kritischen Substanzen umsetzen, und - Extraktionsverfahren mithilfe von PflanZen, die in ihrer vertikalen Reichweite naturgemaR auf den Wurzelraum beschrankt sind (Phytoremediation).
-
3 Grundlagen und Konzepte der Technischen Umweltchemie 3.1 Was heifit Abbau von Schadstoffen? Der Ab- oder Umbau von Chemikalien findet seine Grenze bei den sie bildenden chemischen Elementen, die - bereits lange vor Entwicklung der Kerntechnik - wie folgt definiert wurden: ,,Substanzen, die sich mit chemischen Mitteln nicht weiter auftrennen lassen." Dies trifft nicht exakt zu; bei der Bildung von Kationen (Metalle) werden Atome his zu einem gewissen Grade aufgetrennt (Entzug eines oder einiger Elektronen), und kinetische Isotopeneffekte bei chemischen Reaktionen bewirken eine teilweise Auftrennung der Isotopen eines Elements. Dennoch besagt die obige Definition etwas sehr Wichtiges: gleichgultig welche chemische oder biochemische Transformation an einer Substanz durchgefuhrt wird, verschwinden doch in keinem Falle, niemals die Atome, aus denen sie aufgebaut ist. Sie werden lediglich in andere chemische Bindungszusammenhange oder evtl. den elementaren Zustand (N2, Hg ...) uberfiihrt. Diese Feststellung gilt fur alle Metalle und Nichtmetalle gleichermagen. Was bedeutet dann die Aussage, organische Schadstoffe seien (u. U.) biologisch abbaubar, Schwermetall(sa1z)e hingegen nicht? Wir werden sehen, dass damit in erster Linie gemeint ist, dass bei Metallen die Anderung des chemischen Bindungszusammenhangs, der Oxidationsstufe oder des KomDlexes zu weitaus geringeren Toxizitatsunterschieden fuhrt bei Nichtmeta1lverbindungen. Als Beispiele werden einfache Salze, Flueride, chloride, phosphate . ~. . . .oder ~i~~~~~ . . Alkalimetallen mit solchen organischen
Verbindungen verglichen, deren Toxizitat eindeutig den gleichen chemischen Elementen (F, CI, P und N ) in bestimmten organischen Bindungsformen zugeordnet werden kann. Beispiele sind hier Fluoressigsaure (F), TCDD (CI), das Ionenkanalgift Tetrodotoxin ( N ) sowie der Kampfstoff Soman (P) (Strukturformeln s. Abb. 30). Die Unterschiede zwischen der Toxizitat der vier letztgenannten Verbindungen und jener der Alkalisalze sind weitaus groger als zwischen verschiedenen Bindungsformen etwa von Quecksilber oder Chrom. Organozinnverbindungensy sind unter diesem Gesichtspunkt durchaus n i t Nichtmetallen vergleichbar. Die Nichtabbaubarkeit von Schwermetallen besteht also in einer weniger weit reichenden ,,F,ntgiftung" durch chemische Umsetzungen ihrer Verbindungen. Ahnliche Verbindungen mit anderen Halogen- oder Pnictogenatomen (Pnictogene = 5 . Hauptgruppe [N, P, As, Sb, Bi]), etwa Bromessigsaure, iodierte Dioxine oder Arsonsaureester, sind weit weniger toxisch als die genannten vier Stoffe, ebenso Substanzen mit abweichender Anzahl von Heteroatomen (Tri- oder Octachlordibenzodioxine, Difluoressigsaure).
Z. B. konnen organische Halogenverbindungen, auch einfache Molekiile wie Chloroform oder Fluoressigsaure, Additionsreaktionen an biogene organische Verbindungen eingehen und dadurch die Biochemie 59 Zinn ahnelt sowohl in seinen einfachen Verbindungen (Oxide, Chloride, Hydride, Oxoanionen) wie auch den organischen Derivaten weit starker den leichteren, als Nichtmetalle einzustufenden Homologen Silicium und Germanium als dem Blei. Sein metallischer Charakter ist auf die relative Nahe des Schmelzpunkts beschrankt, wiederum wie bei Si und Ge
91
3.1 Abbau von Schadstoffen
0
CH3
I
CH,-PI
F
I
O-CH-C-CH, I
I
CH3CH,
I H
Soman
Tetrodotoxin
2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin
Fluoressigsaure
OH
Abb. 30: Vier hoch toxische Bindungsformen von Nichtmetallen. Oben Soman und Tetrodotoxin als Beispiele von Pnictogenverbindungen, unten TCDD und Fluoressigsaure als Halogenverbindungen. weit starker beeinflussen als die Koordination der Anionen an Metallzentren einzelner Enzyme. Sornan (Fluor) oder TCDD60 (Chlor; bestirnrnte Organobromverbindungen sind ahnlich toxisch), stellen so gesehen nur Extremfalle dar. Diese ,,bessere" Entgiftungsfahigkeit bei Anderung der Speziation trifft allerdings nicht auf alle Nichtmetalle zu, wie die Beispiele von Bor und Schwefel in Tab. 13 zeigen. Nun zu der Art chernischer Einflusse, die uns bei der Behandlung von Verbindungen unterschiedlicher Elernente zu Gebote stehen: -
ein Redoxprozess kann irn Einzelfall die Toxizitat eines Elements betrachtlich rnindern [Chrorn(III) ist weniger toxisch und bioverfugbar als Chrornat(VI), Arsen(II1)
60 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-dioxin(Seveso-Dioxin")
92
wird urngekehrt, wie schon PAKACEI.SUS wusste, durch Oxidation (zu Arsenat(V)) detoxifiziert]; des weiteren konnen eine - Sulfid- oder Hydroxidfallung, die Bioverfugbarkeit insbesondere uber die Nahrungskette auf ein akzeptables M a g rnindern oder die Deponierung bzw. anderweitige Aufbereitung der Substanzen einleiten.
Es gibt zahlreiche Methoden, urn organische Substanz z. B. durch Halogenabspaltung zu ,,entgiften", doch sind nur wenige dieser Verfahren auf die Beseitigung von Schwermetallruckstanden anwendbar. Andererseits besteht fur die potenziell (zurnindest in einzelnen Speziationsforrnen) stark toxischen Schwermetalle zumeist die Moglichkeit, sie als Metall abzuscheiden, da sie keine sehr niedrigen Redoxpotenziale auheisen. Die Uberfuhrung in den elernentaren Zustand ist hingegen nur fur wenige Nichtmetalle (Stickstoff, Schwefel, Arsen) eine praktikable Entgiftungsoption.
Abbau von Schadstoffen 3.1
Bei allen oxidatived' Abbauversuchen mussen zwei verschiedene Ergebnisse unterschieden werden: - Abbau
der Primarsubstanz, d. h. Uberfiihrung in andere, u. U. noch selbst oxidierbare Produkte mit kovalenten Element-C-Bindungen, und - Mineralisierung, d. h. erschopfende Oxidation von C und H zu Kohlendioxid und Wasser; andere Elemente (N, Halogene) konnen durchaus in reduzierter Form (Cl-, NH,) freigesetzt werden, auch wenn drastische Oxidationsverfahren (Advanced Oxidation Procedures [Abschn. 3.4.4.11, Photoelektrochemie) benutzt wurden. Haufig wird bei Angaben uber die ,,Effizienz" eines Abbauverfahrens nicht zwischen Mineralisierung und Umbau der Primarsubstanz unterschieden. Das landlaufige Mag fur den Unterschied zwischen beiden ist die Differenzierung zwischen ,,Abbau" in % der eingebrachten Substanz und der Anderung hinsichtlich TOC (total organic carbon) einerseits und dem chemischen bzw. biologischen Sauerstoffbedarf (CSB, BSB,) andererseits. Ersteres bedeutet nur, dass die urspriingliche Substanz zu einem mehr oder weniger grogen Teil abgebaut wurde; dabei entstandene Produkte konnen noch ahnlich vie1 Sauerstoff zum Abbau benotigen wie das Edukt und durchaus toxischer sein als dieses. Dies gilt etwa fur polyzyklische Chinone, die bei der selbstsensibilisierten photochemischen Reaktion zwischen PAKs und Luftsauerstoff entstehen (BRACK2000); sie sind zwar oxidiert, wirken aber bakterizid (und auch toxisch bzw. carcinogen auf Mehrzeller). Der Unterschied zwischen Abbau von Primarsubstanz und Mineralisierung wird auch dann wichtig, wenn molekularer Sauerstoff
61 Eei Reduktionen erfolgt kein vergleichbarer Prozess; zwar werden auch hier 0 und Halogene als Wasser bzw. Hal- abgespalten, doch bleibt vielfach das C-Gerust unverandert erhalten. Stickstoffverbindungen wie Nitroaromaten konnen in ihrer Toxizitat sogar ansteigen.
als schlussendliche Elektronensenke62 nur begrenzt verfugbar ist. Sowohl biologische als auch z. B. atmospharisch-photochemische Prozesse (unter Mitwirkung von OH- oder NO,-Radikalen) konnen relativ harmlose Verbindungen wie Monofluorethan, das Losungsmittel 1,1,1Trichlorethan (Methylchloroform) oder Naphthalin in weitaus toxischere Stoffe uberfiihren, hier Fluoressigsaure, Trichloressigsaure - die insbesondere stark phytotoxisch ist und deren Ausregnen in Zentralasien zur Wiistenausbreitung beitragt - sowie Nitro- und Nitratonaphthaline (PITTSet et al. 2004). Als biocheal. 1978, SCHAUER mische Toxifizierung sind Falle anzusehen, wo Heuschrecken, Muscheln u. a. Organismen Stoffe - von Insektiziden bis hin zu Produkten des Stoffwechsels mariner Algen - aufnehmen, biochemisch umbauen und ihrerseits als Fraggifte gegen ihre Fressfeinde nutzen. Hier zeigt sich Evolution auf einer Zeitskala von wenigen Jahrzehnten. Die Gefahr solcher Prozesse besteht auch immer in den wenig definierten und zudem hochst dynamischen Populationen von Mikroorganismen in Klaranlagen. Tab. 13 gibt beispielhaft - geordnet nach steigenden Effekten - Toxizitatsunterschiede zwischen verschiedenen Speziationsformen von 13 Elementen wieder; darunter sind auch elementorganische Verbindungen, die fur Arsen6, das Minimum, 62 Werden mittels Pressluftlanzen tiefere Bodenhorizonte zur Eeschleunigung der Oxidation nur aerob abbaubarer Schadstoffe beluflet, kann dort Sulfidoxidation einsetZen. Einerseits wird der Eoden dadurch versauern, andererseits auch Schwerrnetalle in losliche und mobile Formen gebracht (vgl. bacterial leaching von Kupfer, Uran, Zinn etc.). 63 Die herrschende Meinung, die Bindung moglichst vieler organischer Gruppen wurde bei Arsen (und Antimon) allgemein auf ein Minimum der Toxizitat fuhren, wie es bei Arsenocholin und dem einfachsten quartaren Arsoniumion [As(CH,),]+ der Fall ist, trim auf anders oder zusatzlich funktionalisierte Organoarsenverbindungen in keiner Weise zu: ,,Lewisit" CH(CI)=CH-AsCI, ist so stark toxisch und Reiz erzeugend, dass es im Ersten Weltkrieg als Kampfstoff missbraucht wurde. Seine Toxizitat fur Ratten ahnelt der von As,O,.
93
3.1 Abbau von Schadstoffen
Tab. 13: Toxizitit unterschiedlicher cheinischer Verbindungen des jeweiligen gleichen F.lenients in verschiedenen Rindungsformen bei der Ratte. Die Daten beziehen sich auf die akute orale Toxizitit hei der Ratte (LDT0);die derniale Toxizitat einiger der angefuhrten Stoffe (z. R. von S o m a n ) ist deutlich hiiher. S: Schwermetall, N: Nichtrnetall. Der hier (Spalte 9) angegebene Faktor gibt an, urn wie vicl (he7,ogen) auf tnolare Stoffrnengen die ,,stark toxischc" Kindungsform (Spalte 6) toxischer, d. h. die tiidliche Menge kleiner ist als fur die ,,schwach toxische" (Spalte 3 ) . Element Klasse V
Schwach toxisch
S
VCI,
Stark toxisch
LD50
[mg/kg] [mMol/kg]
LD 50 [mg/kgl [PMOwJl
Faktor
350
NaVO,
98
0,80
23
2.100
3,8
Fe
S
Fe(lll)-Nitrat
3.250
FeIlSO,
319
Hg
S
HgzCI,
210
W(NO,),
26
80
11
B
N
Na,B,O,
2.660
NaBH,
69
1.aoo
16
S
N
K,SO,
6.600
Thioglykolsaure
73
800
47,5
Cr
S
Cr(ll1)-Nitrat
3.250
K,Cr,O,
25
170 (Cr)
48
As
N
Arsenocholin'
6.500
As203
10
100 (As)
390
F
N
KF
245
Na(F-CH,CO,)
02
22
1.900
P
N
Na,HPO,
12.930
Soman
0,4
2,4
12.000
Sn
S
SnO,
>20.000
Tetraethylzinn
16
70
> 18.500
N
N
NaNO,
1.267
Tetrodotoxin
0,005
0,04
375.000
CI
N
NaCl
3.000
TCDD
0,001
C
N
Ethanol
6.200
1 Trimethylarsonioethanol-Kation,{(CH,),As-C,H,OH)'. schieden
(CI)
Botulinustoxin 3*10-@ ca. 104(C)
4*106 2,7*10"
wird im Korper zu Arsenobetain oxidiert und in dieser Form ausge-
fur Z i n n , P h o s p h o r u n d C h l o r hingegen ein M a x i m u m d e r Toxizitat gegeniiber R a t t e n reprasentieren. Bei Quecksilber, Eisen u n d zahlreichen weiteren Elementen liegen die Organoelementverbindungen hingegen in d e r o b e r e n Mitte d e r jeweiligen Toxizitatsskala, stellen also kein E x t r e m u m d a r .
Bei d e n Nichtmetallen - zumindest ihren kornplizierten Verbindungen wie e t w a T e t rodotoxinh4 ( T a b . 13 u n d Abb. 30) - mag die Z u o r d n u n g des ,,toxischen Prinzips" z u bestimmten Elementen - d e n in d e r augersten linken Spalte aufgefuhrten - e t w a s willkiirlich erscheinen, d a h e r sei Folgendes a n gemerkt: - Die Toxizitat der Dioxine h a n g t stark
von deren Chlorgehalt u n d dern vorlie-
94
0,0125
genden Isomer a h , w o r a u s die Z u o r d n u n g von TCDD zu Chlorverbindungen folgt. - Fluoressigsaure bzw. ihr Natriumsalz ist u m Zehnerpotenzen toxischer als alle iibrigen einfach substituierten Essigsiiuren, s o w o h l verglichen mit d e n a n d e r e n Halogenessigsiiuren als a u c h z. R. mit Cyanessigsaure. 64 Tetrodotoxin (Abb. 30) ist ein zwitterionisches Molekijl ungewohnlicher Struktur, das eine stark basische und daher kationische Gruppe mit drei Stickstoff(Amin- und Imin-)funktionen sowie ein esterformig an einen Zucker gebundenes Carbonation enthalt. Es wird von Algen erzeugt, reichert sich in der Leber und anderen Organen einiger mariner Kugelfische der Gattung Tefrodo an und blockiert den Natriumionenkanal der Nervenleitung. Starke Nerven brauchen auch die Leute, die diese Kugelfische als Delikatesse (japan. fugu) zubereiten (in Japan und Taiwan nur fur akkreditierte Spezialisten) und essen.
Abbau von Schadstoffen 3.1
-Phosphor ist in Soman und anderen Nervenkampfstoffen nicht ,,aquivalent" durch andere Oxoanionen bildende Zentralatome (Schwefel, Arsen, Chrom ...) ersetzbar. - Tetrodotoxin wurde in der Tab. 1 3 als Beispiel einer hoch toxischen Stickstoffverbindung ausgewahlt und nicht ein Proteingift wie Botulin, weil die Hemmwirkung des Tetrodotoxins auf den Natriumionenkanal genau darauf beruht, dass Tetrodotoxin eine Kationen bildende funktionelle Gruppe mit drei Stickstoffatomen in recht ungewohnlicher Anordnung enthalt. In der Regel fuhrt Alkylierung eines Elements zu einer starken Steigerung seiner Toxizitat (siehe Zinn), bei Arsen hingegen (haufig) zu einer Detoxifizierung. Eine Konsequenz davon ist, dass biochemische ,,Standardprozeduren" wie die Oxidation oder Biomethylierung von Elementen je nach Substrat toxikologisch positive oder negative Konsequenzen haben konnen: bei Vanadium, Quecksilber und Chrom sind die oxidierten Formen toxischer, bei Eisen und Arsen ist es genau umgekehrt (s. u.). Die Anderung der Toxizitaten bei Schwermetallen als Funktion der Oxidationsstufe steigt in der Reihe Vanadium (111; V) < Eisen (11; 111) < Quecksilber (I; 11) < Chrom (111; VI) an. Die metallorganische Verbindung Chromhexacarbonyl [Cr(CO),l mit Chrom(0) liegt mit einer letalen Dosis von 1,05 mM/kg (230 mg/kg) etwa in der Mitte zwischen Cr(II1) und Cr(VI). Bei Chlor- oder Kohlenstoffverbindungen kann die Uberfiihrung in andere chemische Bindungsformen die Toxizitat drastisch, um sechs his elf Zehnerpotenzen, vermindern, wahrend dieser Effekt bei Schwermetallen weit weniger ausgepragt ist; z. B. betragt der Unterschied zwischen Chromat und Cr(II1)-salzen nur etwa einen Faktor 50. Man konnte vermuten, dass die fur Metalle relativ grogen Effekte bei Quecksilber und Chrom wiederum auf das Vorliegen
kovalenter Verbindungen - dem Oxoanion Chromat bzw. dem kleinen Metallcluster Diquecksilber(1)chlorid (Hg,CI,) - neben mehr oder minder ionisch aufgebauten Spezies zuriickgehen. Letzteres trifft jedoch weder auf Hg(11)-Verbindungen (in Wasser Nichtelektrolyte) noch auf Chrom(II1)Komplexe zu. Auch weisen Fluorokomplexe - selbst solche, die in vivo nicht der Hydrolyse unterliegen - meist erheblich hohere Toxizitaten auf als andere Formen des selben Elements und auch als Natriumoder Kaliumfluorid. Bei Schwermetallen wiederum iiberlagern sich Effekte der - Verdrangung physiologischer Metallionen aus Proteinen - in denen sie fast stets
relativ labil gebunden sind -, etwa von Zn durch Cadmium oder von Eisen durch Erdmetalle (Gallium, Indium) mit der - Blockierung reaktiver Zentren [Thiolatgruppen durch Schwermetalle wie Cadmium, Quecksilber oder Blei, Alkoholoder Phenolfunktionen durch Titan(IV)] sowie - speziationsbedingten Unterschieden in der Resorbierbarkeit und dem Anreicherungsort: Chromat wird als Anion mit dem Sulfationen-Carrier bis in den Zellkern geschleust (Abb. 31, nach K A I Mtk SCHWEDERSKI 1991) und kann dort Nukleinsauren oxidieren (WF,TTERHAHN & HAMILTON 1989), wobei es sich als Cr(II1) an diese anlagert, wohingegen Cr(III) selbst nur zu wenigen Prozent resorbiert wird. Ziel einer umwelttechnologischen Behandlung von Xenobiotika ist stets eine Kombination der folgenden Eigenschaftsanderungen: - Detoxifizierung in akuter Hinsicht,
- (bei organischem oder elementorganischem Material) Absenkung des CSB und BSB gegen Null, so dass unter aeroben 95
3.1 Abbau von Schadstoffen
Abb. 31: Modell der Chromat-Aufnahme und -Reduktion sowie der mutagenen Wirkung irn Zellinneren (KAIM& SCHWEDERSKI 1991).
Hintergrundfoto: Prof. BARNEKOW, Exp. Tumorbiologie, Miinster,
www.uni-muenster.de. Bedingungen auch langfristig keine bio- - Spaltung von Organohalogenverbindungen unter Bedingungen einer Schwelveroder geochemisch bedingte unkontrolbrennung lierte RemobilisierunglRetoxifizierung - Photoelektrochemie (gekoppelte oxidades Materials erfolgt, allgerneiner tive und reduktive Prozesse an einem - Erreichen langfristig umweltvertraglicher belichteten Halbleiter) sowie der Speziationsformen (ungiftig, inert oder zumindest unfahig zu Folgeprozessen, die - Hochtemperaturhydrolyse/,,fluiden Verbrennung" in iiberkritischem Wasseretwa fur das Klirna oder Atrnodarnpf. spharenchemie relevant sind). Der Vergleich anorganischer und organischer Bindungsformen von Phosphor, Fluor, Chlor oder Zinn - nicht aber Arsen - zeigt, dass die Mineralisierung, d. h. der Abbau organischer Bindungsformen bei diesen Elernenten zu einer starken Minderung der Toxizitat fiihrt: Organophosphate einschlief3lich Kampfstoffen, Fluoressigsaure, polychlorierte Dioxine oder Dibenzofurane sowie Di- und Triorganozinnverbindungen sind so vie1 giftiger als Halogenid-, Phosphationen oder Zinndioxid, dass eine Mineralisierung die gegebene Option darstellt. Miiglichkeiten dazu bestehen in: - reduktiver Dehalogenierung - elektrochemischer Oxidation, auch kata-
lytisch durch z. B. Ag+'2+ - UV-strahlungsbedingter Hydrolyse
96
Da sie im Weiteren eingehend diskutiert werden, seien die Methoden hier nur kurz skizziert:
1. Halogenidionen konnen elektrochemisch oder durch chemische Reduktionsmittel wie Natriumoxalat reduktiv abgespalten werden; 2. bei Organozinnverbindungen ist elektrochemische Oxidation zu Sn0,-Hydrat realisierbar (STICHNOTHEet al. 2005). Die katalytische Variante unter Zugabe von Silbersalzen eignet sich auch fur Karnpfstoffe, wobei anodisch Ag" erzeugt wird, das organische Substanz angreift und Halogene abfangt; 3. aromatische und einige aliphatische Halogenverbindungen unterliegen einer Hydrolyse bei UV-Einstrahlung. So spaltet Chloracetat [CI-CH,CO,-] bei Pho-
Abbau von Schadstoffen 3.1
tolyse bei einer Wellenlange von 254 nm ChIorid mit einer Quantenausbeute von 1 ab (Dosimetersubstanz [BECKERet al. 1991]), Chlor- oder Brombenzole gehen in Phenole und Halogenidionen iiber. Auch manche Nitroverbindungen zeigen analoge Reaktionen (Nitritabspaltung). Wahrend die Photohydrolyse von Chloracetat zu Glycolat eine drastische Toxizitatsminderung bewirkt, ist bei Chloroder Brombenzolen oder -toluolen, unabhangig vom Isomer, das Gegenteil der Fall: ortho-Methylphenol ist (fur Ratten) ca. 40-fach toxischer als 2Chlorbenzol. Ein weiteres Problem besteht in der Bildung halogenierter Dibenzofurane aus polychlorierten Bipheny len. 4. EbenfaHs zur Mineralisierung fuhrt die Verbrennung der Stoffe; so werden Dioxine und Dibenzofurane, ja sogar FCKW an einem gluhenden Koksbett sprich, beim Mitverfeuern in einem Steinkohlckraftwerk - quantitativ zu Alkalioder Erdalkalihalogeniden umgesetzt, wahrend die organische Komponente vollstandig in die Verbrennung eingeht. 5. Eine Kombination oxidativer und reduktiver Prozesse erlaubt die Photoelektrochemie. Demonstriert ist sowohl der Abbau organischer Kontaminanten unterschiedlichsten Typs als auch die partielle Entgiftung von As(II1) durch Oxidation sowie photoreduktive Abscheidung einiger Schwermetalle (photoelektrochemische Zementation, z. B. von Kupfer oder Silber). 6. Die ,,fluide Verbrennung" erfolgt in hoch verdichtetem iiberkritischem Wasserdampf bei Driicken um 300 bar und Temperaturen von 400-700 "C. Das fluide Medium nimmt auch organische Substanz auf, fungiert als unpolares Losungsmittel, das zugleich Hydrolysen verursacht und bei Zumischen von Sauerstoff Oxidationen befordert. Bei Mischkontaminationen mit z. B. Arsen oder von Organozinnverbindungen mit
Schwermetallen, deren Toxizitat bei Oxidation ansteigt, ist eine Nachbehandlung des Mineralisierungsprodukts notwendig. Die dabei einzuhaltenden Bedingungen zeigt wiederum das POLJRBAIX-Diagramm fur das betreffende Element (Verweis auf Abschn. 3.2.2); eine Sanierung in einem Schritt ist nur dann moglich, wenn die angezielten Speziationsformen thermodynamisch stabil koexistieren konnen: bei einer Mischbelastung mit Arsenat und Chromat, etwa in Gerbereiabwassern, muss das Redoxpotenzial so ,,eingestellt" werden, dass nur Cr(VI), nicht aber As(V) reduziert wird, es sei denn, man senke es weit genug ab, um elementares Arsen zu erhalten. Die besondere Problematik bei den auf Redoxprozesse gestutzten Verfahren (1., 2. und 5 . oben genannte Verfahren) besteht darin, dass keine lineare Beziehung zwischen dem Redoxpotenzial und der Toxizitat der gebildeten Speziationsform besteht, so dass das blofje Anstreben von Extrempotenzialen etwa an einer Elektrode oder Photoelektrode zwangslaufig zur Folge hat, dass sich zumindest zwischenzeitlich weit starker toxische Spezies bilden, deren Entweichen aus dem Reaktionsraum der Sanierung daher zwingend unterbunden werden muss. Auch wenn die Ergebnisse bei zinnorganischen Verbindungen ermutigend sind, ist dabei u.a. zu berucksichtigen, dass As-C- und andere Element-Kohlenstoff-Bindungen (Thallium, Quecksilber, Silicium) haufig sowohl toxikologisch relevant als auch sehr stabi16j sind, selbst bei extremen Potenzialwerten und dem Angriff von Reagenzien wie Salpetersaure. Sie
65 Der uber die Atmosphare verlaufende Zweig des biogeochemischen Zyklus von Arsen fuhrt trotz UV-Einstrahlung und OH-Radikalen nicht bis zu anorganischen Spezies: die in Regenwasser dominierende Form von Arsen ist Dimethylarsinsaure (,.Kakodylsaure"); das Kation [(CH,),TI]+, das wahrscheinlich auch mikrobiell aus anderen Thalliumverbindungen gebildet wird, ist gegen UV-Einstrahlung und kochende Salpetersaure (!) bestandig.
97
3.2 Chemische Basiskonzepte
Abb. 32: Abhangigkeit der relativen Toxizitaten unterschiedlicher Formen dreier Elemente (Arsen, Chrom, Stickstoff) vom Redoxpotential des BoderdGrundwassers. Eine ,,Rusty Wall'' ist befahigt, die Toxizitaten aller drei Elemente gleichzeitig zu minimieren. Hintergrundfoto: Wind River Company Crane Research Facility.
kiinnen bei mikrobiologischen Verfahren bevorzugt gebildet werden, insbesondere von Schimmelpilzen.
3.2 Chemische
Diese nicht linearen Eigenschaften der Toxizitaten seien fur einige Elemente (Stickstoff, Arsen und Chrom) beispielhaft als Schnitte durch das PouKl3Arx-Diagramm (s. Abschn. 3.3.2) bei konstantem p H (pH = 7,S) dargestellt. Es ergibt sich eine Anderung der Nagertoxizitat in (anorganischen) Bindungsformen als Funktion des Redoxpotenzials (Abb. 3 2 ) .
Zum Verstandnis der Moglichkeiten, Grenzen und Reaktionsmechanismen, die in der Technischen Umweltchemie gegeben sind, ist die Kenntnis einer Reihe chemischer Basiskonzepte notwendig. Dabei sol1 nicht auf vordergrundig triviale, wenn auch im Detailverstandnis oft schwierige Phanomene wie das der chemischen Bindung eingegangen werden sondern das
98
Basiskonzepte
Chemische Basiskonzepte 3.2
Schwergewicht liegt auf einer Behandlung quantitativer Beschreibungsansatze. Davon ausgehend ist die Dimensionierung und konstruktive Auslegung typischer, weit verbreiteter oder Beispiel gebender Anlagen der Technischen Umweltchemie zu diskutieren. Konkrete Reaktionsmechanismen werden nur in so weit betrachtet, wie aus ihnen Randbedingungen der Prozessfuhrung folgen (z. B. allgemeine Saurekatalyse). Die meisten dieser chemischen Basiskonzepte gelten sowohl fur organische als auch fur anorganische Substanzen, einzelne aber sind auf bestimmte umweltchemisch wichtige Stoffklassen wie die Aromaten beschrankt, bzw. es gibt fur andere Su bstanzklassen keine deskriptiv gleichwertigen formalen Beschreibungsansatze. Dennoch haben die betreffenden Methoden wie die einschlagigen Stoffklassen eine solche Bedeutung fur eine systematisch behandelte Technische Umweltchemie, dass ihre Vernachlassigung in diesem Kontext straflich ware: ein Ziel dieses Werkes ist schlieiSlich, zu einem quantifizierenden Verstandnis von im Zusammenhang der Umweltreinhaltung ablaufenden chemischen Prozessen zu gelangen. Einleitend werden die Voraussetzungen und Regelhaftigkeiten von Fallung, Adsorption sowie anderer Immobilisierungsmethoden diskutiert (Abschn. 3.2). Es folgen statische (thermodynamische)und dynamische (kinetische) Stabilitat bestimmter Formen von Stoffen, ausgehend vom Redoxpotenzial und der Moglichkeit von Redoxreaktionen (Abschn. 3.2.2), danach folgt die Analyse der kinetischen Stabilitat von benzoiden Aromaten und ihrer Folgeprodukte gegenuber reaktiven Stoffen in der Umwelt wie dem OH-Radikal, aber ebenso mit Blick auf biochemischen Abbau (Abschn. 3.2.3). Von dieser formalkinetischen Betrachtung ausgehend fragen wir dann nach den Phanomenen, die die Reaktionsgeschwindigkeit kontrollieren (Abschn. 3.2.4). Hierzu zahlen die Aktivierungsbarriere, die vor Eintritt einer Reaktion uberwunden werden muss, und
die Moglichkeit, diese durch einen Katalysator abzusenken (Katalyse). Dadurch lasst sich die Reaktion nicht n u r beschleunigen sondern auch eine bestimmte, erwunschte Reaktion, die katalysiert wird, gegenuber anderen moglichen Umsetzungen derselben Substanz fordern und die Reaktion dadurch produktselektiver gestalten. Die Reinigung der Umwelt von Kontaminanten setzt voraus, dass bestimmte Stoffe standig oder periodisch dem zu reinigenden Stoffgemisch entzogen werden. Dann kann sich kein chemisches Gleichgewicht mehr einstellen, sondern wir sind mit Problemen eines FlieRgleichgewichts und der Prozessfuhrung bei mitunter nicht linearer, oszillierender oder pulsierender Kinetik konfrontiert (Abschn. 3.2.5). Jeder dieser Abschnitte endet mit einem Fazit, das die Relevanz des besprochenen chemischen Phanomens fur die Technische Umweltchemie sowie auftretende Schwierigkeiten und Nebenprodukte erwahnt: Dieses Fazit dient auch einem Bruckenschlag zu den folgenden Abschnitten, die bestimmte Anwendungen dieser Prinzipien in Verfahrensbeschreibungen bzw. Fallstudien exemplarisch beleuchten.
3.2.1 Fallung, Adsorption, lmmobilisierung Eine der Hauptaufgaben der Technischen Umweltchemie besteht darin, dafur zu sorgen, dass potenziell Schaden trachtige chemische Stoffe - wenn ihre Bildung oder Freisetzung schon nicht vermieden werden kann - zumindest daran gehindert werden, sich frei in den Umweltkompartimenten zu verteilen und ggf. in der Biota anzureichern. Dazu muss man deren Beweglichkeit in der Umwelt oder in dem System, in dem sie gebildet werden, aufheben. Dies kann geschehen durch -
Abscheidung als schwer losliche Phase (Fallung),
99
3.2 Chemische Basiskonzepte
Tab. 14: Ldichkeitsprodukte und Gitterenergien von Ionenkristallen M(XO,), fur die jeweils Z ( M ) + Z ( X ) = 72 gilt. In der Reihe Casiumperchlorat [CsCIO,], Bariumsulfat [BaSO,], Lanthanphosphat [LaP0,*2H201 (Dihydrat) und Cer(1V)orthosilikat [CeSiO,] (extrem schwer liislich, Mineral Cerit). Z: Ordnungszahl; M: Metall; X: Nichtmetall im Zentrum des 0x0anions. Stoff
log Loslichkeits- Gitterenergie produkt [-I [kJIMol]
CSCIO,
2,4
BaSO,
9,96
LaPO, *2 H,O 22,3 CeSiO,
636 2.469 ca. 7.300 (GaPO, 7.381)
extrem schwer loslich
- Bindung an eine Grenzflache (Adsorp-
tion), ggf. auch innerhalb des Volumens eines porosen Materials (Absorption, etwa in Aktivkohle oder Zeolithen [Wasserenthartung]), oder - kovalente Verkniipfung mit einem schwer loslichen oderhnd polymeren Tragermaterial (Immobilisierung).
Bei dem letzteren kann es sich um Naturstoffe wie Torf, Huminsauren, aber ebenso auch sulfidische Mineralien handeln. Die Prinzipien, die den jeweiligen Bindungsprozessen zu Grunde liegen, sind teils Grenzflacheneffekte, teils chemische Reaktionen. 3.2.2.1 Fallung
Bei der Fallung reagieren zwei solvatisierte (mit Wassermolekiilen umhiillte) Ionen, z. B. Ba2+ und SO,2-, zu einer neutralen Spezies, deren Kristallgitterenergie (hier: 2.469 kJ/Mol [s.Tab. 141) so hoch ist, dass sie die Summe der Hydratationswarmen iibertrifft. Der Festkorper - hier Bariumsulfat (Schwerspat, Baryt) - stellt mithin gegeniiber den gelosten Ionen die stabilere Form dar. Wahrend bei ahnlichen Ionenradien die Hydratisierungs- oder allgemein Solvatisierungsenergie in etwa proportional zur Ionenladung ist, wachst unter diesen Umstanden die gegenseitige Anziehung der entgegengesetzt geladenen Ionen und damit die Gitterenergie des festen (kristallinen) Zu-
Abb. 33: Kristallgitter. Links schematisch, rechts Diamantkristalle. Sowohl Ionensysteme (Salze) als auch kovalente Riesenmolekule bilden ahnliche Strukturen aus; blau: Kationen, rot: Anionen. Foto li.: Hahn-Meitner-Institut, Berlin; Foto re.: U. FREIESLEBEN.
100
Chemische Basiskonzepte 3.2
standes mit dern Produkt der beiden Ionenladungen (Abb. 33). Systerne aus zwei- oder drei- oder gar vierfach geladenen Ionen sind folglich weit schlechter in wasserloslich, falls (zurnindest naherungsweise) ionisch aufgebaut, als Aggregate ahnlicher einwertiger Ionen, weil die Gitterenergie nicht rnehr iiberkompensiert werden kann.
dern hier diskutierten Einfluss der rapide ansteigenden Gitterenergie gibt es noch einen zweiten Mechanisrnus, durch den Salze in Wasser und anderen polaren Losungsrnitteln sehr schwer loslich werden konnen: die gegenseitige Polarisation groRer Katund Anionen wie I-, S2-, Ag+, Pb2+ oder Hg2+. Diese Polarisation fuhrt dam, dass anstelle harter, farbloser Salze fur MineraDie Gitterenergie von Bariurnsulfat ist also lien relativ weiche, farbige, meist halbleirund vierrnal, die von Lanthanphosphat tende (norrnale Salze sind Isolatoren) feste elfeinhalb rnal hijher als die von Casiurn- Verbindungen resultieren. Diese sind weniperchlorat. Die Differenz der Loslichkeits- ger als Ionenkristalle wie NaCl etc. denn produkte bedeutet, dass beim Zusarnrnen- vielrnehr als polymere kovalente Verbingeben einmolarer Losungen von La3+ und dungen anzusehen. Ein solches PolyrnergePhosphat ca. 113 kJ/Mol mehr frei werden rust ist weitgehend stabil gegen die Aufloals bei der Vereinigung 1 M Casiurnsalzlo- sung durch Wasser. Durch die Bildung solsungen rnit 1 M Perchlorsaure (die in Was- cher Halbleiter konnen auch einwertige ser vollstandig dissoziiert vorliegt); dieser Anionen wie Iodid mit bestirnrnten, groUnterschied entspricht etwa der halben Ren, ,,weichen" einwertigen Kationen rnolaren Bildungsenergie von Wasser aus (Cu+, Ag+, TI+) schwerlosliche Niederden Elementen! Diese Regel lasst sich zu ei- schlage bilden. Ein haufigeres Beispiel solner allgernein nutzbaren Strategie aus- cher halbleitenden Materialien sind Sulfide bauen: von zwei- oder rnehrfach positiv geladenen Kationen. Diese fallen aus, wenn in einern Hoher geladene ionische Problernstoffe las- Boden oder Faulturm unter entsprechend sen sich durch Zusatz von Gegenionen reduzierenden Bedingungen H2S (durch rnoglichst hoher Ladung fallen, wobei nur Sulfatreduktion) entsteht. Auch hierdurch Preis und Toxizitat der potenziellen Fal- werden Schwermetalle abgetrennt, im Falle lungsrnittel die Fantasie des Umwelttechni- des Faulturrns aber mit der Folge verstarkkers begrenzen. Phosphate z. B. werden in ter Schwermetallbelastung des hinterbleider Klartechnik rnit Fe(II1)oder AI(II1)aus- benden ausgefaulten Schlarnrnes. Erwahnt gefallt (La(II1)(wie oben] ware vie1 zu teuer sei schlieglich die Fallung rnit organischen und ist auRerdern fur Wasserpflanzen, ins- Anionen wie Oxalat, langkettigen Carbonbesondere Algen, augerst toxisch [COW- sauren oder Phenolat(-en). Fallungen rnit GILL 19731, nicht so fur Zooplankton und organischen Ionen wie Oxalat oder PhenoFische). Losliche Silikate stellen eine opti- lat haben urnweltchemische Bedeutung: male ,,Falle" fur alle hoher geladenen Kationen dar, nicht nur fur Ce(IV),weshalb sie Phenole - einschlieRlich niederrnolekularer u. a. zur Festlegung fissiogener Radionuk- Oligornerer, die auch als anthropogene lide verwendet werden; dabei dient ,,Was- Hurninsauren bezeichnet werden, wenn sie serglas", ein Gemisch von Natriumsilika- z. B. aus Ruckstanden der Carbochernie ten, als wasserlosliche Silikatquelle. Die so starnrnen - bilden als groRe Anionen gefallten Silikate sind d a m auch gegen Ra- schwer losliche Salze u. a. mit Fe(II1). Desdiolyse bestandig. sen Einleitung in so belastete Gewasser erlaubt die Klarung, wonach es wieder ticht Auch sauerstofffreie Anionen konnen die durchlassig und in der Folge biologisch akBildung schwer loslicher Salze erlauben, tiv werden kann. Niederschlage rnit Oxalat falls ihre Ladung hoch genug ist. Neben bilden fast alle zwei- und dreiwertigen Kat101
3.2 Chemische Basiskonzepte
ionen, was eine vollstandige Fillung komplexer Metallbelastungen erlaubt. Durch Mitfallung werden auch geringe Spuren von Metallionen erfasst. Die Oxalatfallung erfolgt auch geochemisch: Whewellit (CaC,0,:h2H20) ist eines der ganz wenigen Minerale mit organischen Anionen. Die Oxalsaure ist dabei Endprodukt des oxidativen Abbaues polymerer organischer Substanz; als Zwischenstufe sind sauerstoffreiche Braunkohlen mit sehr geringem Brennwcrt aber der ungewiihnlichen Eigenschaft, sich in bestimmten organischen Liisungsmitteln aufzukisen oder sogar pastiis-halbfliissig zu seinh6, anzusehen. Umwelttechnisch lassen sich Oxalatniederschlage leicht thermisch in Oxide uberfiihren, die sintern und dann stabile Formen der Kiickstandslagerung (auslaugungsresistente Aschen) darstellen. 3.2.1.2 Adsorption Beim wechselseitigen Kontakt zwischen Sorbens - das ist das Material, welches das Sorbat a n sich bindet, etwa Aktivkohle und Sorbat erfolgt eine Polarisation der F.lektronenhiillen beider Partner, die maggeblich zur Bindung beitragt. Die Polarisation verandert die Ladungsverteilung und Bindungsfestigkeit innerhalb der Sorbatmolekiile, es kann auch netto Ladung von diesen auf das Sorbens oder umgekehrt iibertragen werden (Physisorption). Zusatzlich kiinnen an Metallhydroxiden, Cellulose etc. Wasserstoffbriickenbindungen aufgebaut werden. Dies verstarkt die Anziehung zwischen Sorbens und Sorbat; typische Physisorptionsenergien liegen mit ca. SO k]/ Mol (0,S eV) in der Gr(iRenordnung der
66 Solch ,exotische" Braunkohlen finden sich u a im Zittauer Becken,die bis 1969 be1 Hradek nad Nisou/CSSR geforderte war eine zahe Flussigkeit, die nach Volumen vermarktet wurde und Proben aus der wenige krn nordwestlich gelegenen Altgrube Olbersdorl erwiesen sich als vollstandig loslich in Dimethylformamid (einem der wenigen Solventien neben Wasser in denen Oxal und Glyoxylsaure sowie weitere sauerstoffreiche organische Sauren loslich sind)
102
schwachsten ,,echten" kovalenten Bindungenh7. Fehlstellen in der Sorbensoberflache verstarken u. a. den Ladungsiibertrag Sorbadsorbens und die Neigung zu chemischen Bindungen (Chemisorption). Werden die genannten Effekte so stark, dass im Sorbat chemische Bindungen aufbrechen, kiinnen Fraginente des Sorbatniolekiils separat an der Oberflache fixiert bleiben, aber auch langsam voneinander weg wandern. Dann liegt Chemisorption vor, und es kann zu Neukombination der Fragmente kommen (heterogenkatalytische Reaktionen). Aber auch im einfacheren Fall der I'hysisorption kann die Verinderung s o weit reichen, die Bindung somit so fest werden, dass sie bei Raumtemperatur praktisch irreversibel wird. Dann ist das Sorbat festgelegt und den Umweltkompartimenten entzogen. Verstarkt wird diese Wirkung, wenn kleine Molekiile oder einzelne Ionen - bei griilSeren gelingt dies aus Platz(sterischen)-Griinden nicht - an Oberflachen innerhalb einer Sorbensmasse, d. h. in Poren oder Kavititen des Sorbens, adsorbiert werden. Hier spricht man von Absorption. Ein Reispiel, wo Ionen absorbiert werden, sind die Zeolithe (Abb. 34), synthetische Mineralien, die etwa MgL+,Ca2+,Srz+oder einige Ubergangsmetallionen in ihren meist dodekaedrischen Hohlraumen einlagern konnen. Das in Abb. 34 angedeutete Alumosilikatgeriist gibt zur Ladungskompensation Protonen ails Hydroxigruppcn oder sorbiertem Wasser ah, so dass Zeolithe als Ionenaustauscher fungieren. Durch die Bindung von Erdalkaliionen kiinnen Zeolithe als Wasserentharter verwendct werden, z. B. in phosphatfreien Waschmitteln: der hellgraue Riickstand, der beim Suspendieren solcher modernen Waschmittel in Wasser zuruckbleibt, sind die Zeolithe (die opti-
67 2 . 6 . Kr-F in KrF,, N-N in NO ,,
C-H im HCO-Radikal
Chemische BasiskonzeDte 3.2
Abb. 34: Zeolithstruktur. Gezeigt ist, wie die kleinen Natriumionen durch grogere Calciumionen verdrangt (ausgetauscht) werden, worauf die Wasser enthartende Wirkung des Zeoliths beruht. Andere chernische Reaktionen, etwa Polymerisationen oder die Bildung groijer Ionenpaare bzw. multipletts einschlieijlich Komplexbildung, innerhalb der Zeolithkavitat fuhren dazu, dass das einma1 eingedrungene und absorbierte Material dort (annahernd) irreversibel festgelegt wird. Solche modifizierten Zeolithe haben Bedeutung als Katalysatoren oder Photokatalysatoren.
sche Ahnlichkeit dieses Ruckstands mit Tonmineralien ist keineswegs zufallig [Alumosilikate !I). Ein Einbau von Ubergangsmetallionen verleiht ihnen katalytische Eigenschaften, die etwa in der Petrochemie, aber neuerdings auch in der Umweltchemie von Bedeutung sind.
mischer Trocknung des Aktivkokses kann der Zyklus einige Male wiederholt werden (als Nebenreaktion wird die Kohle durch die Stickoxide langsam oxidiert). 3.2.1.3 lmmobilisierung
Organische Sorbentien wie Aktivkohle bewirken zumeist weder Ionenaustausch noch Chemisorption, sind aber wegen ihrer extrem grogen spezifischen Oberflache (bis uber 1000 m2/g) hervorragend geeignet zur Bindung organischer Stoffe wie Mineralolkomponenten. Was Aktivkohle ebenfalls bereitwillig absorbiert (auch sie ist poros), sind magig polare Gase wie *NO, und SO,. Diese gelangen beim Erwarmen des beladenen Kokses zur Reaktion, Stickstoff entweicht als N,, und Schwefelsaure68 kann ausgewaschen werden (Aktivkoks-Verfahren zur gekoppelten Entschwefelung und Entstickung von Rauchgasen). Nach ther-
Bei der immobilisierenden Bindung von Stoffen an Sorbentien, mit denen sie chemisch reagieren, handelt es sich um Kupplungsreaktionen: Sulfide, etwa solche von Schwermetallen wie Eisen oder Zink, konnen durch Halogenkohlenwasserstoffe zu Thiolaten alkyliert werden, die dann gebunden bleiben, aber auch hier sind weiter gehende Reaktionen moglich: reaktionstrage Substanzen wie CCI, werden in Thiocarbonate und Chloride uberfiihrt, wobei die Thiocarbonate wiederum in der Mineralmatrix verbleiben. Ebenso zu den Immobilisierungsmethoden zahlen Fallungen in metallischem Zustand (Zementation), vgl. dazu die Fallstudie uber reaktive Wande.
68 Schwefelsaure (H,SO,) ist sehr stark polar, wird daher nur schwach an die unpolare Aktivkohle gebunden.
Biogene Materialien, wie Torf oder Braunkohle enthalten zahlreiche Gruppen, die als Liganden mit (insbesondere Schwer-)
103
3.2 Chemische BasiskonzeDte
meter charakterisiert. Daher lasst sich unter der Annahme thermodynamischen Gleichgewichts sowie ggf. unter Berucksichtigung von Komplexbildung - insbesondere in Boden, Biomasse und Meerwasser - darauf schlieRen, welche Formen (Oxidationsstufen etc.) eines Elements in der Umwelt vorliegen. Sie konnen dann auf Toxizitat, Bioverfugbarkeit bzw. Schwerloslichkeit hin betrachtet werden, d. h. letztlich im Hinblick auf ihr Gefahrdungspotenzial. Fur die Technische Umweltchemie bedeutet dies, die Bedingungen bei Rei3.2.2 Redoxpotenzial, POURBAIX-nigungsverfahren so einzustellen, dass die Gefahrdung durch die lokal mafigeblichen Diagramme und Speziation Schadstoffe miiglichst gering wird. Das Verhalten von chemischen Elementen in Losung wird durch deren Wechselwir- Chemische Elemente stehen im Wechselkungen mit ihrer Umgebung bestimmt; spiel mit ihrer Umgebung, unabhangig von deren Struktur und Aggregatzustand. Dadiese Umgebung kann variable Eigenschaften haben, woraus u. U. chemische Reakti- her gehen sie in allen drei Umweltkomparonen folgen. Die ,,Aufienseite" eines timenten sowie der Biomasse eine Vielzahl Atoms oder Ions besteht stets aus dessen chemischer Reaktionen ein. Abhangig von Elektronenhulle, und nur diese ist an che- den in den Umweltkompartimenten auftremischen Reaktionen beteiligt. Sie kann tenden chemischen und thermischen Gradurch Bindung anderer Spezies (Molekule, dienten werden die Elemente zwischen ihIonen, auch solche des Liisungsmittels) nen fraktioniert, wenn schwer fliichtige aufgefiillt werden, auch direkt durch Re- bzw. ionische Formen gebildet oder aber doxprozesse, aber auch einzelne Elektro- solche in Gase/Dampfe iiberfuhrt werden nen verlieren, wenn der ,,Gadruck" der ( 2 . B. NO,-,, N, [Luft]); parallel kommt Elektronen in der Losung zu gering zur Sta- es zu Fallungs- und Adsorptionsprozessen. bilisierung des gegenwartigen Zustandes ist. Dieser ,,Gasdruck" ist ein chemisches Deren gezielte Einleitung bzw. Ausnutzung Potenzial. Ein chemisches Potenzial gelade- ist Gegenstand/Ziel vieler Prozesse der ner Teilchen (Elektronen !) ist zugleich ein Technischen Umweltchemie. Da und insoelektrisches Potenzial. Es wird auf eine weit sie von Redoxprozessen bzw. redoxbeStandardreaktion bezogen und heif3t Re- dingter Speziation abhangig sind, ist die doxpotenzial, Abkiirzung fur Reduktiond Einstellung geeigneter Redoxpotenzial- und Oxidationspotenzial, um die im Gleichge- pH-Werte bzw. die Zugabe von Reaktionswichtszustand ablaufenden Hin- und partnern wie Liganden (Extraktion) oder bei passenden Bedingungen [Eisen als Ruckreaktionen anzudeuten. Fe(III)!, Chrom als Chromat] fallend wirBeide Faktoren - der Einfluss des Redox- kenden Gegenionen ein wichtiger Aspekt potenzials und Wirkungen des Losungs- der Konzeption, Planung und Durchfuhmittels wie Hydrolyse und Ausfallung von rung von Reinigungsverfahren. Der Einfluss Hydroxiden - lassen sich zusammen in ei- von Redoxspeziation auf die Toxizitat von nem Diagramm beschreiben ( POURBAIX- Xenobiotika wurde bereits im vorigen AbDiagramm, vgl. Abschn. 3.2.2). Auch Um- schnitt besprochen. Dieses Vorgehen ist weltkompartimente sind durch diese Para- nicht nur fur das freie Wasser sowie GrundMetallionen reagieren, wobei der polymere Charakter des Tragermaterials die Immobilisierung gewahrleistet. Hinzu kommen auch hier lonenaustauschereigenschaften. Die in Braunkohle enthaltenen Schwermetalle (Mangan, Vanadium, Nickel, Germanium, Cadmium, Quecksilber u. a,) entstammen uberwiegend solcher Retention (Austausch) aus dem Grundwasser, weniger der zu Braunkohle gewordenen Biomasse.
-
104
Chemische Basiskonzepte 3.2
wasser sondern auch auf Luft anwendbar; chemische Gradienten sind dort zwar in der Troposphare lokal begrenzt (marine Grenzschicht iiber den Wellen), konnen aber zur Bildung unerwiinschter Stoffe Anlass geben. Weiterhin beeinflusst die Speziation chemischer Elemente in der Umwelt - im Wasser wie im Boden - durch Transportvorgange und Folgeprodukte die Lebensbedingungen anderer Organismen; sind die betreffenden Stoffe fliichtig oder sonstwie gut mobil, so konnen auch benachbarte Lebensraume betroffen sein: reduzierende Bedingungen in Folge von Staunasse in tieferen Bodenschichten fiihren zur Bildung von CH, und H2S, die aufsteigen und in den Wurzelraumen von Baumen Schaden verursachen. Ebenso sind Biomethylierungsprodukte von Schimmelpilzen stabil genug, um verdriftet zu werden. Bodentiere, die wie Regenwiirmer, Fadenwiirmer oder auch Blindwiihlen eine fur die meisten Chemikalien gut durchIassige Haut besitzen, sind besonders exponiert. Das gilt auch fur Schwermetalle: der Regenwurm Lumbricus sp. reichert diese in seinem Korper an, entgiftet sie aber indem er sie als Sulfidpartikel abscheidet. Da die betreffenden Schwermetallsulfide oft intensiv farbig sind, nimmt der ansonsten blass rosa gefarbte Wurm selbst die betreffende und charakteristische Farbe an (,,don't eat yellow worms" [orangegelbes Sulfid: Cadmium oder Arsen]): eine sehr ungewohnliche Form der Bioindikation, ungewohnlich auch deshalb, weil diese in vivo-Fallung bisher nur bei einigen Hefen, nicht bei hoheren Eukaryonten beobachtet wurde. Chemische Elemente befinden sich, wenn sie nicht gerade als reines Element vorliegen, in Wechselwirkung mit einer chemisch andersartigen Umgebung, die (u. a.) durch folgende Parameter gekennzeichnet werden kann: -
E l e k t r ~ n e n d i c h t e(Redoxpotenzial) ~~
- pH-Wert (bewirkt u. U. einen Abzug von Bindungspartnern in Folge von Protonie-
rung oder Oxidfallung nach Deprotonierung) - Vorkommen chemischer Bindungspartner fur das betrachtete Element (Bildung von Komplexen oder kovalenten Verbindungen, haufig auch ionischen) Alle drei Grogen sind variabel. Die bei uns auf Erden typische und auch in der Umweltchemie bedeutsamste Umgebung chemischer Elemente oder ihrer Verbindungen ist fliissiges Wasser. Je nach Art des Elements kann dieses auf einzelne der oben angefuhrten variablen Grogen oder alle drei mit Anderungen seines chemischen Zustands reagieren, z.B. wird ein Eisen(II1)-Ion sich mit einer Hiille von Wassermolekiilen umgeben und Hexaquaeisen(1II)ion [Fe(H20),I3' bilden, wenn man sein Salz in Wasser lost. In der folgenden Diskussion werden wir diesen aquatisierten Zustand als Ausgangszustand heranziehen. Betrachten wir nun beispielhaft das Verhalten von [Fe(H20),I3+in den drei oben genannten FalledReaktionstypen (Abb. 35):
- bei erhohter ,,Elektronendichte" in der Losung, d. h. der Anwesenheit von reduzierend wirkenden Ionen oder Verbindungen wie Iodid, wird Fe(II1) ein Elektron aufnehmen und in Fe2+ iibergehen. Bei extrem geringer Elektronendichte (wobei Wasser selbst thermodynamisch nicht mehr stabil ist) und hohem p H kann [Fe(H20)6]3' noch weitere Elektronen abgeben und Ferrat(V1) [Fe0,I2(dunkelblau, strukturell mit Sulfat oder Chromat vergleichbar) bilden. - kann [Fe(H,0),I3' mit Ionen wie Chlorid oder Thiocyanat zu Komplexen wie Tetrachloroferrat(111) [FeCl,]- oder Thiocyanatoeisen(I1I)ion [Fe(SCN),,I2+ (rot) reagieren, 69 Genau genornrnen handelt es sich urn die chernische Aktivitat der Elektronen, d. h. die Energie, die bei ihrer Ubertragung auf ein Referenzsystern wie das Ag+-Ion frei wird oder aufgebracht werden muss.
105
3.2 Chemische Basiskonzepte
k
OCI(alkal.)
Cl-
53
IFeCIlz
CI(mehrfach)
(mehrfach); Poly-
I
Eisen(III)6xidhydrate
I
T
Steigende Ligandenkonzentration
Steigender pH-Wert (mehr OH-)
Abb. 3 5 : Reaktionen eines Eisen(II1)Aquaions als Folge verhnderter Umgebungsbedingungen. A bezeichnet Redoxprozesse, B Komplexbildung, C Hydrolyse und Oxidfallung. Hypochlorit OCF wirkt oxidierend (oben),Iodid reduzierend (unten),wahrend Chloridionen ohne Redoxprozess, aber unter Komplexbildung (von zuletzt [FeCI4]-}angelagert werden (rechts) und Zugabe v o n Hydroxid zur Ausfallung von Oxidhydraten fuhrt (links).
-
bei einer Steigerung des pH-Werts uber ca.
2,5 gibt [Fe(H2O),1'+ zunachst ein Proton unter Bildung des photochemisch aktiven Hydroxoeisen( II1)ions [Fe(OH)Jq]2+ah, dann fallt Eisen(II1)oxid F e-, 0 3 als Hydrat a m (Rost, roter Ocker). Alle diese Prozesse sind reversibel; es existieren Hin- und Ruckreaktionen (Hydrolyse von Kornplexen, Aufliisung von Oxidniederschlagen auf Saurezugabe), wobei das Geschwindigkeitsverhaltnis zwischen Hin- und Ruckreaktionen das ieweilige che-
M a n kann dann fur das System Elernent(ion)/Wasser/* Elektronen die betreffenden stabilen (im Gleichgewicht dominierenden) Ionen, Komplexe oder auch Oxidniederschlage, also die Speziationsformen, soweit sie thermodynamisch stabil'" sind, als Funktion von Redoxpotenzial (Abszisse) und pH-Wert (Ordinate) darstellen. Ein solches Diagramm heifit daher pH/EhDiagramm (Eh = Redoxpotenzial) oder nach seinem Erfinder, dem belgischen Geocherniker MARCEL. POURRAIX(1904-98),
v
G1eichgewicht definiert. Daher
70 Haufig hat man es auch in der Techntschen Umweltche-
sollte es rnoglich sein, die im Gleichgewicht bei Berucksichtigung der obigen Parameter - zumindest Redoxpotenzial - .und p ~ - ~ e r t - existierenden Spezies von h e n (in unse-
mle Spezies zu tun, die kein thermodynamisches Stabilitatsgebiet tm Pourbaix-Diagramm besitzen, doch von erheblicher Bedeutung als Schadstoff sind, weil sie lanqere Zeit ktnetisch bedingt ijberdauern und sich daher anreichern konnen Beisptele hierfur sind wassri-
gegebenen Verhaltnissen heilSt Speziation.
ungesattigte oder aromatische Verbindungen)
106
Chemische Basiskonzepte 3.2
POURBAIX-Diagramm. Diese Diagramme werden seit ca. 1940 insbesondere zur Charakterisierung von Korrosionsprozessen verwendet. Sie sind inzwischen fur die meisten chemischen Elemente verfugbar (COLEMAN 2003), teils auch fur unterschiedliche Temperaturen (teils bis 1000 "C) sowie, was fur unsere Zwecke wichtiger ist, unter Einschluss von Phasen, die neben dem Element, 0 und H zusatzlich C, P, S, CI etc. enthalten. Niederschlage von Carbonaten, Phosphaten oder Sulfiden konnen nicht nur das Korrosionsverhalten, sondern auch die Bioverfugbarkeit von Elementen und damit die Mikroorganismen abhangigen Abbaubedingungen von Schadstoffen beeinflussen, ebenso wie die Toxizitat von Schwermetallen. 1st die Toxizitat unterschiedlicher S p ez i at i o n ~forme n~~ eines Elements bekannt, kann aus dem POURBAIX-Diagramm erschlossen werden, welche Parameter von Redoxpotenzial und p H z. B. in der Bodenfliissigkeit oder bestimmten Schritten der Wasserbehandlung angestrebt werden sollten, um die Toxizitat zu minimieren oder Fallungsprozesse einzuleiten. Die Koexistenzfahigkeit bestimmter Formen unterschiedlicher Elemente kann gleichfalls aus einer Uberlagerung der betreffenden POURBAIX-Diagramme erschlossen werden. So Iasst sich z. B. ermitteln, o b bei irgend einem pH-Wert Chromat und Fe(I1) koexistieren (vgl. Abb. 36), d. h. o b bei neutralem p H Chrom und Eisen gleichzeitig im Grundwasser mobil sein konnen, wenn keine
71 Bezieht sich allerdings wiederum nur auf thermodynamisch stabile Speziationsformen, nicht z. B. auf Nitrit. Will man wissen, ob Nitrit oder ein anderer geloster Schadstoff ohne Stabilitatsgebiet im jeweiligen PourbaixDiagramm in einem Gemisch instabil wird und daher potenziell verschwindet, so muss man auf die tabellieret al. ten Redoxpotenziale bzw. die z.B. bei SCHEFFER (2002) aufgefuhrte Liste der Redoxvorgange in der Bodenlosung zuruckgreifen.
Komplexliganden wie Huminstoffe oder Aminosauren vorhanden sind. Hierzu verwenden Sie das zum Verstandnis einer rusty wall ( ,,Reaktive Wand" s. Fallstudie 4.1) uberlagerte (kornbinierte) Fe/CrPOURBAIX-Diagramm. Hier konnen naturlich auch ternare Phasen wie das weit verbreitete und fur Lagerstatten relevante Chromerz Chromeisenstein (Chromit FeCr,O,) auftreten, ebenso Mischphasen mit beiden Kat- und zusatzlichen Anionen, z.B. (Fe, CrJPO, ([Fe + Cr] = 1 ) . Ein anderes Beispiel fur redoxchemische Wechselwirkungen, die durch eine Uberlagerung von PouRBAIx-Diagrammen erschlossen werden konnen, geben die tragischen Vorgange um die Arsenbelastung von Brunnenwassern in BanglaDesh. Wie im Abschnitt ,,Was bedeutet Abbau von Schadstoffen?" bereits dargelegt, unterscheiden sich die in der Umwelt auftretenden Oxidationsstufen von Arsen erheblich hinsichtlich ihrer Toxizitat: As(II1) ist weitaus giftiger als Arsenat(V), letzteres bildet zudem schwer losliche Salze. Die Brunnenbohrungen in BanglaDesh erschlossen nun Tiefenschichten fluvialer Sander im gemeinsamen Mundungsdelta von Ganges und Brahmaputra; das in den Sandern abgelagerte Arsen stammt letztlich aus dem Himalaya, wurde durch den Ganges-Oberlauf von der Siidseite (Dhaulagiri-Massiv), durch den Tsangpo von der tibetischen Nordseite herangefiihrt. Insbesondere der Ganges fiihrt auch groise Mengen organischer Substanz mit sich, und das hydrologisch sehr aktive, immer wieder auch durch Sturmfluten im Golf von Bengalen (Katastrophe von 1991 mit iiber 140.000 Toten) sowie die regelmagigen Fruhjahrshochwasser umgeschichtete Material der Sander schlieist ,,Taschen" dieser organischen Substanz in Wasser fiihrenden Horizonten ein. Diese sind in groiseren Tiefen von der Luftzufuhr abgeschnitten. Zum Abbau der organischen Substanz verwerten Mikroorganismen dann schwachere Oxidationsmittel als Sauerstoff. Das Redoxsystem 107
3.2 Chemische Basiskonzepte
0
3
6
9
12
1s
pH-Wert
Abb. 36: Uberlagerung der POURBAIX-Diagramme von Eisen und Chrom zur Bestimmung mit elementarem Eisen koexistenzfahiger Phasen. Rote und vertikale orange (Fe) bzw. griine und vertikale gelbe (Cr) Linien geben die Grenzen der Stabilitatsgebiete der jeweiligen Phasen an, das pinkfarbene Feld die realen .,Betriebsbedingungen" einer auf Eisen hasierenden reaktiven Wand. Von unten (metallisches Fe bzw. Cr) nach oben (Fe3+,ChromatlDichromat) steigt die Oxidationsstufe an, von links nach rechts (steigender p H ) nimmt die Loslichkeit ah, sofern nicht Chromat(V1) vorliegt. Unterhalb der obersten griinen Linie bewirkt die Alkalibildung in der reaktiven Wand somit neben der bereits entgiftenden Reduktion von Chromat auch eine Fallung und damit Immobilisierung. Das pinkfarbene Feld ist durch die Zusarnmensetzung der reaktiven Wand (unter weitgehendem Luftausschluss korrodierendes Eisen), d. h. Fe/Fe[OH)z/pH= 11, definiert, und Chrom bzw. andere redoxaktive Schadstoffe ,,passen" sich diesen Bedingungen ,,an". Das griin bzw. nach links (Protolyse) gelb umrandete Gebiet um das pinkfarbene Feld beschreibt die hier thermodynamisch stabile Form von Chrom. Im Kontakt mit einer (aus Eisen bestehenden) reaktiven Wand fallt Chrom also als Hydroxid Cr(OH),3an; die ternare Phase FeCr,O, (Chromeisenstein, Chromit) ist nicht beriicksichtigt. Fur die Bildung von FeCr,O, bei den Modellversuchen spricht die Bildung schwarzer, nicht ferromagnetischer Kristallnadeln. Der vertikale Abstand zwischen den Linien Cr042-lCr(O H ) , (oben, g r u n ) und Eisen/Fe(OH)2(unten,rot) bei pH 11 gibt zugleich die freie Reaktionsenergie und damit die thermodynamische Triebkraft der Abscheidungsreaktion an. Chromat kann Fe(I1) weiter oxidieren; die Reaktion setzt sich bei Chromatuberschuss also zu Fe(II1) und Cr(I1I) - in Form der festen wasserhaltigen Oxide - fort. Fe(II1)-Oxidhydratwird allerdings bei Kontakt mit metallischem Eisen wieder zu Fe(I1) reduziert. Die Bruttoreaktion lautet somit: 2 Cr(V1) + 3 Fe 2 Cr(II1) + 3 Fe(II), genauer: 2 Cr0,'- + 3 Fe + 8 H,O 2 Cr(OH), + 3 Fe(OH), + 4 OH- bzw. 2 CrO,'- + 3 Fe + 4 HzO FeCr20, + 2 Fe(OH)2+ 4 OHDie gebildeten Hydroxidionen halten den alkalischen pH aufrecht und befiirdern somit die Reaktion kinetisch: die Experimente zeigten, dass Eisenfeilspane hei pH 7 fast iiberhaupt nicht, bei pH 13 n u r sehr langsam mit Chromat reagieren. Wahlt man einen pH nahe 11, wie er dem innerhalb der rusty wall entspricht, so erreicht man ca. 80 % Umsatz innerhalb von zwei Stunden.
- -
108
Chemische Basiskonzepte 3.2
As(V/III)’~liegt dabei zwischen den Potenzialbereichen fur die Reduktion von Mangan(1V; 1II)oxiden und jene von Sulfat. Die Redoxpotenzialbereiche, bei denen in Boden oder aquatischen Sedimenten bzw. Grundwassern Reduktion von Arsen(V) und von Sulfat erfolgen, iiberlappen sich teilweise. Wenn, was zum Gluck die Regel ist, Sulfat im Uberschuss vorliegt, wird gebildetes As(II1) also direkt durch das zugleich entstehende H,S ausgefallt, wobei nehen dem einfachen As(II1)-Sulfid [As,S,] noch Spezies mit As-As-Bindungen sowie ternare Thioarsenate(II1) entstehen, die als Mineralien relativ haufig und extrem schwer loslich sind. Unter diesen Bedingungen bleibt das Brunnenwasser also auch dann frei von Arsen, wenn eine Tasche organischer Substanz erbohrt wurde. In Abwesenheit von Sulfat freilich bleibt das hoch toxische As(II1) in Losung; es treten Konzentrationen his zu 3 mg/l auf! Es wird zudem durch Reispflanzen biologisch weiter angereichert. Fur die Praxis ist entscheidend, dass jede einzelne Brunnenstelle gepruft wird, da von der Oberflache aus die Anreicherung organischer Substanz (typischer Weise) 35 m tiefer nicht erkannt werden kann. Zwei Brunnen in < 10 m Abstand zueinander konnen sich um einen Faktor 50 oder mehr im Arsengehalt unterscheiden. Typische Folgen chronischer Arsenvergiftung sind zunachst Hautveranderungen an Handflachen und FuBsohlen (Abb. 37), die haufig in tief reichende maligne Tumoren iibergehen. Diese Karzinome ziehen dann
72 Eine Reihe fakultativ anaerober Mikroorganismen, z. 6. Staphylococcusaureus, verfugt seltsamer Weise uber fur die Arsenreduktion spezialisierte Redoxenzyme, die also etwa Sulfat nicht verwerten. Die Funktion dieser Enzyme ist nicht bekannt; es steht allerdings zu vermuten, dass sie der Entgiflung von Arsen durch Biornethylierung dienen. Diese erfolgt wahlweise - bei Organismen, die uber Vitamin B,, (Cobalamin) verfugen - durch Ubertragung eines Methylanions von Co auf oxidierende Spezies wie Hg’+ oder aber durch die eines Methylkations von Sulfonium- oder Selenoniumionen wie S-Adenosylmethionin auf reduzierte Formen. Das reduzierte As wird dann vermutlich durch die obige Arsenat-Reduktase bereit gestellt.
Abb. 37: Durch chronische Arsenaufnahme bedingte tumorose Hautveranderungen an den FiiBen. Foto: www.uni-karlsruhe.de/-img.
den Verlust einzelner Finger oder Zehen in ihrer Nachbarschaft nach sich oder machen gar die Amputation der Hand oder des FuBes notwendig. Auch Metastasen sind moglich. Langst nicht alle Elemente zeigen innerhalb des Intervalls von Zustanden, das in Wasser realisierbar ist, alle drei zuvor mit a), h) bzw. c) (Abb. 35) benannten Reaktionstypen: Alkalimetalle gehen uberhaupt keine dieser Reaktionen ein (bilden nur sehr instabile Komplexe), so dass die einzige in Wasser existente Form das (aquatisierte) Ion M+ ist. Betrachten wir als relativ einfaches Beispiel zunachst das Diagramm von Cadmium (Abb. 38a). Cadmium Cd2+ ist in Wasser gerade eben noch zum Metall reduzierbar73, bildet einige Komplexe; im Alkalischen fallt Cadmiumhydroxid (Cd(OH),) aus, das bei sehr hohen pH-Werten als Te73 Die Moglichkeit, in (alkalischer) wassriger Losung Cadmium kathodisch aus seinen Salzen abzuscheiden, ist die Voraussetzung fur das Funktionieren bzw. die Wiederaufladbarkeit des NickeCCadmium-Akkumulators.
109
3.2 Chemische Basiskonzepte
0
3
6
9
1
2
1
5
pH-Wert
b
SH-
I
0
I
3
I
6
I
9
1
S2-
1
2
1
I
5
.
pH-Wert
Abb. 38a und b: Zwei iibersichtliche PouRsArx-Diagramme (Cadmium und Schwefel). Obwohl die Linie Cadmium/CdjOH)2 unterhalb des Grenzpotentials fur die Reduktion von Wasser zu Wasserstoff liegt, ist die Uberspannung der Wasserstoffabscheidung auf Cd so hoch, dass Cd-Metall kinetisch stabil 1st. Beachte bei dem POURBAIX-Diagramm von Schwefel (rechts) die Uberlagerung von Redox- und Protolysereaktionen sowie die Existenz/Stabilitat elementaren Schwefels unter neutralen und sauren Bedingungen.
trahydroxocadmat [Cd(OH),I2- erneut in dem nur bei extrem hohen Potenzialen Losung geht. Nichtmetalle reagieren zwar thermodynamisch bestandigen, umweltleicht mit den Komponenten des Wassers, chemisch irrelevanten P e r o x ~ d i s u l f a t-~ ~ lagern H und OH in der Regel kovalent an, nur drei Spezies im gesamten POURBAIXwenn sie Redoxreaktionen durchlaufen. Diagramm reprasentiert sind: Sulfat, Sulfid Ein Beispiel hierfur bietet Schwefel (Abb. bzw. H,S und bei p H < 8 elementarer 38b): H-Anlagerung nach Reduktion fuhrt Schwefel (S8). Es gibt also nur drei stabile zu H,S (unten links), OH-Anlagerung und Oxidationsstufen: -11, das Element sowie Deprotonierung nach Oxidation zu Sulfat +VI (letztere gilt auch fur Peroxodisulfat). (oben Mitte). Nichtmetalle tendieren aber Viele gelaufige Stoffe wie Schwefeldioxid kaum zur Komplexbildung mit Umwelt ty- und dessen hydratisierte Formen, Thiosulpischen Liganden wie Halogeniden (diese fat, Polysulfide etc. treten gar nicht auf, noch am ehesten), Humin- oder Aminosau- weil sie eben kein thermodynamisches Staren. Andere Elemente, wie Vanadium oder bilitatsgebiet haben. Vielmehr zeigt das Plutonium, bilden unter Beteiligung aller POURBAIX-Diagramm, dass Schwefeldioxid (das eine saure Losung bildet) in Wasser in drei Prozesse eine kaum uberschaubare Vielfalt von Spezies, so dass das POURBAIXDiagramm in wortwortlich Dutzende kleiner Stabilitatsgebiete zerfallt. Hinzu kom- 74 Das dennoch kinetisch sehr stabil ist, Peroxodisulfate mit Ammonium oder organischen Gegenionen sind men bei V, Pu und auch einigen weiteren anders als die Perchlorate keine Explosivstoffe, und die Elementen Polymerisationsreaktionen. Reduktion von Peroxodisulfat durch organische SubIn Abb. 38b fallt zunachst auf, dass abgesehen von unterschiedlichen Protonierungsformen von Sulfid und Sulfat und 110
stanz bedarf der Katalyse durch Einelektronenreduktionsmittel wie Ag(l) oder Ce(lll) Peroxodisulfat 1st abgesehen von einigen Edelgasverbindungen - das starkste in Wasser kinetisch bestandige Oxidationsmittel uberhaupt
Chemische Basiskonzepte 3.2
oder Wasser auch mit Protonen zu Sulfat oder HS0,- und Schwefel ~ e r f a l l e n ~ -ionen ~ sollte (Disproportionierung); in Gegenwart - meist leicht fluchtigen, haufig thermisch von kolloidalem Selen als Katalysator tut instabilen und iiberdies wie Arsan ASH, es das auch. Thiosulfat und Polysulfide zer- vielfach hoch toxischen - Hydriden refallen beim Ansauern gleichfalls dispropor- agieren, die zweite mogliche Form der redoxinduzierten Hydrolyse (Protonierung tionierend unter Schwefelabscheidung. des Elements nach Elektronenaufnahme Die direkte Reduktion von Sulfat- zu Sul- statt Reaktion mit Hydroxidionen oder ~] fidschwefel lauft bei moderat negativen Po- Wasser nach [ m e h r f a ~ h e r ~Elektronentenzialen im Neutralen oder Alkalischen abgabe). Dies ist auch bei Schwefel der ah; sie erlaubt es, Schwermetalle durch Fal- Fall: H,S im Neutralen und Sauren, SH- in lung als Sulfide zu binden. In der Umwelt- alkalischer Losung dominiert den Bereich technik geschieht dies u.a. in Klar- niedrigen Redoxpotenzials, Sulfid tritt in schlamm. Daher ist es wichtig, mindestens Losungsmitteln, die ahnlich ,,stark" sauer einen Teil der Schwermetalle im mehrstufi- reagieren wie Wasser, nicht auf. Die Bilgen Klarprozess zuvor alkalisch auszufal- dung und Fallung von Sulfiden ist ein selen, um die Anreicherung von Cd, Hg, Pb kundarer Kondensationsprozess an Hydetc. im Klarschlamm zu begrenzen. H,S ist rogensulfiden, vergleichbar dem thermieine weitaus schwachere Saure als Schwe- schen Zerfall von Hydrogencarbonaten zu felsaure, SH- reagiert anders als HS0,- un- Carbonaten: ter normalen wassrigen Bedingungen iiberA haupt nicht mehr sauer (vgl. die gelben ver-, CaCO, + CO, + H,O tikalen Linien im POURBAIX-Diagramm). Ca(HC03), A Daher eignet sich diese Reduktion zum ,,Entsauern" von (Tiefenschichten von) 2 N a ( H C 0 , ) N a 2 C 0 , + C 0 2 + H,O bzw. Gewassern, indem man durch Zugabe orA ganischer Substanz ein entsprechend niedriges Redoxpotenzial einstellt (den Sauer- Hg(SH1, HgS + H,S stoffabschluss besorgt dabei im Sommer A = thermisch die Sprungschicht [Thermokline]), wonach bakterielle Sulfatreduktion beginnt. Die Elementarer Schwefel ist thermodynamisch Bakterien konnen dabei als Katalysator an- nur bei p H < 8 stabil, dieses Verhalten ist gesehen werden: Sulfat ist ansonsten kine- bei Nichtmetallen, die stabile Hydride biltisch sehr schwer zu reduzieren, erst bei den, weit verbreitet: in alkalischer Losung Temperaturen iiber 200 "C erfolgt Reduk- ,,disproportionieren" neben Schwefel auch tion von Sulfaten oder H,SO, mit sinnvol- die Halogene Chlor, Brom, Iod sowie (weiBer) Phosphor zu Hydriden bzw. deren Anlen Raten. ionen (Halogenid) und Oxoanionen mit Nicht- und Halbmetalle in niedrigen Oxi- hoheren Oxidationsstufen (Halogenat(V) dationsstufen konnen statt mit Hydroxid
-
+
75 Es handelt sich um eine sauer autokatalysierte Zeitreaktion rnit aus Selen und Sulfit gebildetem Selenosulfat SeSO,- als Zwischenstufe. Die Reaktion lauft unter standiger Reoxidation von H,Se durch Schwefel und SO, sich beschleunigend (Freisetzung von H,SO, und saure Katalyse) ab, bis am Ende der Disproportionierung von Schwefel(lV) ein Schwefel/Selen-Gemisch ausfallt (schlagartige Trubung; Zeitreaktion).
76 Ein- und zwetwerttge Kattonen unterliegen der Hydrolyse allenfails bet sehr hohen pH-Werten, eher kommt es zur Ausfallung der Hydroxide Dreiwertige Kationen dagegen hydrolysieren teilweise beretts in sauerer Losung, vierwerttge und hoher geladene existieren in Wasser (und ebenso in anderen Losungsmitteln) nicht mehr als M4+-lonen, sondern allenfalls als [M(OH)]3+ (Th) oder MOz+(Vanadium, Zirkonium), oft in polymerer Form Solche lonen verhalten sich dann chemisch haufig wie drei- bzw zweiwertige lonen, gehen z B ahniiche Fallungsreaktionen ein
111
3.2 Chemische Basiskonzepte
Halo3- bzw. Phosphinat H2P02-” (Halo- um die Toxizitat der Elementspezies zu minimieren. Dabei wird es kaum gelingen, gen[V] bzw. Phosphor[I]]). Im Unterschied zu derjenigen bei Schwefel verlaufen diese dies fur alle potenziellen Schadstoffe in eiReaktionen auch bei Raumtemperatur nem realen Medium zugleich zu realisieren, schnell. (Grenz-)punkte solcher Dispropor- sondern man wird sich auf die Hauptkontionierung sind im POURBAIX-Diagramm als taminanten konzentrieren miissen. Tripelpunkte (Koexistenzgrenzen dreier Phasen) erkennbar; optisch handelt es sich Die kinetischen Aspekte sind allerdings urn meist spitzwinklige Dreiecke. Analoge nicht Gegenstand von POURBAIX-Diagrammen; in der Korrosionstheorie spielen sie Reaktionen findet man auch bei Metallen, aber nicht unter Bildung kleinerer Oxidati- aber eine wiederum aus dem POURBAIXonsstufen als 0, sondern ausgehend von Diagramm her zu leitende Rolle: mittleren Oxidationsstufen: das in sauerer Losung bestandige, wenngleich stark oxi- Die Feststellung, dass bei Beryllium, Aluminium, Zirkonium, Niob oder Tantal im dierende Mn3+-Ionzerfallt bei pH-Werten > 3 in Mn2+und Braunstein (MnIVO2), falls gesamten umweltrelevanten Redox- und keine Komplexliganden anwesend sind; in pH-Parameterbereich hochstens die Oxide, sehr stark alkalischer Losung ist Manga- nicht das Metall stabil sind, bedeutet, dass nat(V1) { [Mn0,I2-, griin} bestandig, zer- die technische Verwendbarkeit dieser Metalle z. B. als Werkstoffe von der Stabilitat fallt beim Ansauern jedoch in Permanganat MnVTIO,- (violett) und wiederum Braun- der Oxidschichten auf dern Metall abhanstein. In saurer Losung kehren sich diese gig ist. In stark alkalischen Losungen losen Reaktionen um: beim Einleiten von H,S in die Metalle sich unter Bildung von Ionen eine saure Sulfitlosung entsteht Schwefel wie Tetrahydroxoberyllat(I1) [Be(OH),]’bzw. Polythionate, Vermischen von Salz- oder Hexaniobat [Nb,0,,I4- auf, in dem saure und Chloraten (WC-Reiniger) be- Bereich, wo das Stabilitatsgebiet der amwirkt schlagartige Freisetzung von Chlor photeren Oxide zu hohem pH hin endet. In stark saurer Losung stabile Oxide (Niob, (Lebensgefahr!). Dies hat also unmittelbar Sicherheitsaspekte; mithilfe der POURBAIX- Tantal, Zirconium) machen diese Metalle Diagramme und ihrer Uberlagerung kann natiirlich saurefest. geplant werden, oh stabile, z. B. schwerlosliche Salze oder Komplexe bildende For- Das POURBAIX-Diagramm von Kohlenstoff men toxischer Elemente in einem bestimm- zeigt, dass komplexer aufgebaute organiten Milieu entstehen oder wie man ggf. die- sche Substanz prinzipiell instabil ist, sei es ses Milieu verandern, manipulieren muss, gegeniiber Oxidation zu CO, oder gegeniiber Reduktion zu CH,; dies ist unter biochemischen Aspekten von groiSer Bedeutung: garende Organismen, insbesondere 77 Bei P und CI fuhrt die Disproportionierung nicht bis zur thermodynamisch stabilen oxidierten Phase (Perchlorat Clostridien, nutzen diesen Umstand dahin CI0,- bzw. Phosphonat HPO,‘-), sondern endet bei gehend, dass sie Disproportionierungen Raurntemperatur bei den nachst niedrigeren Oxidationsorganischer Substanz einleiten, und dies so stufen (Chlorat und Hypophosphit), wie oben dargestellt. GernaB seinern Pourbaix-Diagramrn konnte neben den effektiv, dass sie hiermit ihren Energiebegenannten anderen Nichtrnetallen auch Tellur dispropordarf vollstandig decken konnen. Dabei ertionieren (zu Ditellurid Te,-’ und Tellurit(lV) TeO,‘-), aber zeugen sie leider haufig hoch toxische Binur bei pH >> 14, also in hoch konzentrierten Alkalilaugen, nicht aber das mit S und Te homologe Selen. Geropolymere als Nebenprodukte, wie das manium geht in alkalischer Losung eine DisproportionieBotulinustoxin. Auch die Methanbildung rung unter Bildung einer polymeren, an der Luft selbst entzundltchen (Unterschied zu einfachen Germanen in (den Faulturmen von) Klaranlagen finGe,HZx+’) Ge(ll)-Spezies mit Ge-H-Bindungen sowie det hier ihre thermodynamische Erklavon German (GeH,) ein, indem GeO oder Ge(OH), weirung. ter reagieren. 112
Chemische Basiskonzepte 3.2
Solche Effekte haben naturlich auch Konsequenzen fur die biologische Resorption und Weiterleitung von chemischen Elernenten, z. B. den Ubergang in die Muttermilch (WUNSCHMANN et al. 2004). An Stelle der formal-chernisch ,,richtigen" Oxidationsstufe scheint hier die Ladung der rnetallhaltigen Ionen oder Kornplexe, die sich durch Hydrolyse bzw. Anlagerung von Hydroxid bilden, den Transport maggeblich zu bestimrnen. Dies gibt neben der obigen Zielstellung, potenziell toxische Stoffe in wenig toxischen oderhnd kaum loslichen Formen zu fixieren, einen Eindruck von Effekten, die sich auf die Bioverfugbarkeit von Metallen wie teilweise auch Nichtrnetallen auswirken. Die Begrenzung dieses Ansatzes fur eine Sicherheitsanalyse liegt naturgemaB stets in der notwendigen Annahme eines sich unterhalb der Zeitskala des zu kontrollierenden Prozesses einstellenden chernischen Gleichgewichts. Daher sol1 irn Folgenden von kinetischen Einflussen und aus ihnen resultierenden Korrekturen die Rede sein.
3.2.3 Reaktionskinetik, Hammett-Gleichung Bislang haben wir die Moglichkeit Umwelt-relevanter chernischer Reaktionen stets unter der irnpliziten Voraussetzung therrnodynarnischer Kontrolle behandelt: Eine Reaktion, die Energie ,,verbraucht", kann nur unter Energiezufuhr, z. B. elektrochernisch oder durch Erhitzen, Licht- bzw. UV-Einstrahlung etc. erzwungen werden; Prozesse, die rnit Abgabe freier Energie verbunden sind, konnen spontan ablaufen oder auch nicht bzw. unrnessbar langsam bzw. nur in Anwesenheit unterschiedlicher Katal ysatoren. Wie die obigen Aussagen schon andeuten, besteht keine allgemein giiltige Beziehung zwischen der freien Energie einer Reaktion und deren kinetischern Verlauf. Dennoch
bleibt denkbar, dass sich eine derartige Beziehung fur bestirnmte Stoffklassen oder/ und Typen chernischer Reaktionen aufstellen lasst. 3.2.3.1 Voraussetzungen fur Beziehungen zwischen Ladungseffekten und der Reaktionskinetikganzer Molekule
Chernische Reaktionen werden vor allem dann von Substituenten-Faktoren beeinflusst, wenn in einem komplizierteren Molekul funktionelle Gruppen unterschiedlichen Typs vergesellschaftet sind. Bestimmte Reaktionszentren reagieren dabei auch auf Anderungen 2.B. der Ladungsdichte an entfernten Stellen - bedingt durch konjugierte Systerne ungesattigter Bindungen - mit veranderter Kinetik/Reaktivitat, andere verursachen und ,,spuren" nur ortliche Effekte an ihren direkten oder ubernachsten Bindungsnachbarn. Paradoxer Weise ist der erste Fall - dass das gesarnte Molekul bzw. sein Grundgerust seine Reaktivitat durch die Wirkung einzelner Substituenten verandert - derjenige, der am iibersichtlichsten in der forrnalen Behandlung und Beschreibung ist: GroBere, ringformige reaktive Systerne grog stets in molekularen Dirnensionen betrachtet -, sind in ihrer Reaktionskinetik ernpfindlicher gegen Einflusse von funktionellen Gruppen irgendwo am Ring als kleine, stark lokalisierte Gruppen, sofern die Ladungsdichte ,,verteilt" werden kann. Delokalisierte, ringforrnige Elektronensysterne sind ein Charakteristikurn so genannter aromatischer Verbindungen. Mit ihrer Reaktionskinetik befasst sich die HAMMETT-Gleichung. Sie wurde urn 1935 zum Verstandnis der Kinetik von Reaktionen entwickelt, bei denen Aromaten Elektronen mit Reaktionspartnern austauschen, sei es reversibel (Protonierung von Anilinen und Pyridinen als Farbindikatoren [Bildung einer zusatz-
113
3.2 Chemische BasiskonzeDte
lichen kovalenten Bindung]), nach der Gleichung R-C,H,-NH2 + H' S R-C,H,-NHI+ sei es irreversibel (Halogenierung mit den Elementen unter Abspaltung von Halogenwasserstoff) nach der Gleichung R-C,H, + CI,
+
R-C,H4-CI + HCI
Dabei ist R- z.B. -NO,, -CN, -C1, -OH, CH,-CO-, -CH, oder -COOH und befindet sich in 3- oder 4- (meta- oder para-)Position zum neuen Substituenten am Benzolring. Die Bildung oder Einfiihrung des neuen Substituenten kann dabei auch ein reversibler Prozess sein; neben Carboxylierung und Sulfonierung sind hier insbesondere Protolysegleichgewichte zu nennen: AniliniumIonen reagieren weitaus langsamer am Ring mit Elektrophilen als die entsprechenden tertiaren Aniline. Durch die HAMMETT-Korrelation wurden zunachst Reaktionen aromatischer Verbindungen in sehr konzentrierten starken Sauren (geringer Wassergehalt, z. B. 95%-ige Schwefelsaure H,S04) oder in organischen Losungsmitteln (meist [reine] Essigsaure, Aceton, Methanol oder chlorierte Kohlenwasserstoffe) beschrieben. Ebenso lassen sich HAMMEIT-plots jedoch auch fur die Kinetik chemischer Prozesse in Wasser, gemischten Liisungsmitteln (HAMMETT 1973), der Gasphase (einschliefilich Luft) sowie in Festkhrpern (einschliei3lich E n ~ y m e nund ~ ~Kristallen) aufstellen. Entsprechend der oben skizzierten Uberlegung ist die Beschreibung der Kinetik von elektr ~ p h i l e n 'oder ~ auch radikalischen*" Reaktionen am (meist monozyklischen) Aroma-
78 Hierher gehoren z B enzyrnkatalysierte Umsetzungen
arornatischer Substrate etwa von Phenolen oder die Oxidationen von benzoiden Aromaten, substituierten Benzylalkoholen oder Arylalkylsulfiden zu Phenolen Benzaldehyden oder Sulfoxiden durch Enzyme wie Exoperoxidasen oder Cytochrorn P450 79 Elektrophile Freie Radikale wie Stickoxide oder OH sind atypische Elektrophile, doch l a s t sich auch ihre Reaktionskinetik durch Hammett-Plots beschreiben
114
ten durch eine einfache Gleichung bis heute weitaus die praziseste ihrer Art. Es gibt zwar ahnliche Darstellungen fur die Kinetik von Redoxreaktionen und einigen ungesattigten Verbindungen, insbesondere von Alkenen, doch ist in diesen Fallen die Vorhersagegenauigkeit weniger hoch, wahrend etwas Analoges fur die Reaktionskinetik gesattigter Verbindungen (Alkane) nicht formuliert werden konnte. Die HAMMETTGleichung stellt genau eine - empirische Beziehung her zwischen der logarithmischen Kinetik einer Reaktion an einem benzoiden Aromaten und der Anwesenheit bestimmter Substituenten. Ihre umweltchemische Bedeutung liegt nicht zuletzt in der Okotoxikologie von Aromaten und deren Rolle/Auftreten bei technischen Verbrennungsprozessen begrundet. 3.2.3.2 Chemische Eigenschaften von Aromaten
Benzoide Aromaten sind - teils Krebs erregende - Schadstoffe, die bei zahlreichen chemischen Prozessen - insbesondere Verbrennungsvorgangen - in der Umwelt freigesetzt werden. Aromaten reagieren fast nur mit Elektrophilen, weil der den Ring beiderseits einhullende ,,Wulst" aus delokalisierten n-Elektronen Spezies mit freien Valenzelektronenpaaren (Nukleophile, z. B. typische Koniplexliganden wie Ammoniak NH, oder Cyanid CN-) abstoi3t. Spezies mit Elektronenmangel - meist Kationen wie R-CO', freie Halogene und andere Oxidationsmittel oder ungesattigte Metallkomplexe - konnen hingegen mit dem delokalisierten n-Elektronensystem reagieren. Daher werden Substitutionen an
80 Die radikalische Substitution vollzieht sich analog der elektrophilen als Abfolge von Addition und Eliminierung, hier a) Addition von .OH an den Ring: C,H, + *OH *C,H,(OH), dann b) Reaktion mit Sauerstoff: -C,H,(OH) + 0, C,H,(OH) + .HO, oder in Wasser [neben b)] c) Oxidation durch Fe(ll1): *C,H,(OH) + Fe(lll) + Fe(ll) + H+ C,H,(OH)
+
Chemische Basiskonzepte 3.2
Aromaten meist durch Metallionen oder Protonen (starke Sauren) katalysiert (Beispiel: Bromierung mit Br2/FeBr3). Bei Kenntnis dieser Kinetik lasst sich abschatzen, ob sich bestimmte Stoffe in der Umwelt anreichern, sie u. U. Loslichkeitsgrenzen uberschreiten und schwer angreifbare eigene Phasen bilden (Teerklumpen 0.a.) oder aber schnell genug abgebaut werden, dass sie zumindest nicht selbst in grogeren Konzentrationen anfallen. Letzteres schlieRt die Anreicherung von Folgeprodukten, die unter den lokal gegebenen Bedingungen von Umweltkompartiment und dessen Eigenschaften (haufig viel) weniger reaktiv sind als die Ausgangssubstanz, naturlich nicht aus (s. u., insbesondere aromatische Nitroverbindungen). Ihre Persistenz - wie die der PAKs auch - ist dann abhangig einerseits - von den Haufigkeiten potenzieller Reak-
Die Reaktionen am Ring sind in der Regel irreversibe182, so dass einmal gebundene Substituenten zwar chemisch verandert, kaum aber wieder abgespalten werden kiinnen. Dies gilt auch fur die funktionellen Gruppen, die aus der Troposphare ( O H , -NO,, -0-NO,) oder belichteten Gewassern eingefiihrt werden konnen. Deren Einfluss wird durch einen so genannten Substituentenparameter (s. u.) beschrieben. Die HAMMETT-Gleichung lautet damit:
k: Geschwindigkeitskonstante p,: Reaktionskonstante (< 0) o: Substituentenparameter Wenn der Substituentenparameter positiv ist, so sinkt daher in der Regel die Reaktivitat gegeniiber Elektrophilen, ist er kleiner als Null, so steigt sie an. Der Substituent mit dem Parameter o andert die Reaktionsgeschwindigkeit von k, (gilt fur Benzol oder den jeweiligen Grundkiirper) nach k , ; die Geradensteigung in der Abb. 39 ist eine Funktion von
tionspartner wie dem *OH-RadikalX', andererseits - vom betrachteten Umweltkompartiment und vor allem - von den funktionellen Gruppen, die als Substituenten an das aromatische Ring- - betrachteter Reaktion j (hier der Reaktion mit OH-Radikalen), system gebunden sind. - Losungsmittel/Medium (Wasser, Luft, Bodenflussigkeit oder Riomasse) und - Temperatur.
81 Bei Tageslicht, Meereshohe und rnittleren Breiten sind die Konzentrationen von OH-Radikalen in der Troposphare und in oberflachennahern SuOwasser ubrigens gleich, sofern das letztere nicht sehr reich an Carbonatoder Brornidionen ist: 1 Ferntornolll (wassrige Losung) entspricht 6'1 O5 OHRadikalen/crn3 (Luft). Verstarkte UV-Einstrahlung (Bergseen), Radioaktivitat des Wassers (,.Radiurnquellen"). gelostes Wasserstoffperoxid undloder bestirnrnte Metallionen (photochernische Folgeprozesse) konnen diesen Wert erheblich steigern, wahrend er irn Meerwasser (wegen des weit hoheren Gehalts an den Reaktionspartnern Hydrogencarbonat HCO; und Brornid B r ) vie1 niedriger liegt. Der obige Urnstand erlaubt. die Reaktionsraten bei Substanzen, die sich loslichkeitsbedingt zwischen den Kornpartirnenten Luft und Wasser verteilen, direkt zu vergleichen.
Die Steigung und der Achsabschnitt der Geradengleichung werden haufig als Hinweis auf mechanistische Besonderheiten der Reaktion gedeutet. Beispiel: Gegeben sei eine Reaktion mit p = -3 0 die an Cyanobenzol (meist BenI . ."
zonitril oder Phenylcyanid genannt) ablaufen soll. oCNist ca. +0,66. Damit ergibt
82 Reversibel scnd z B die Reaktionen rnit H+ (Protonierung des Rings [etwa bei Pyridin] oder eines Substituenten), Schwefeltrioxid SO, (Sulfonierung) und CO, (Carboxylierung. erfolgt nur bei sehr reaktiven Arornaten wie Phenolen und deren Anionen)
115
3.2 Chemische BasiskonzeDte
0.1
10
1W (Gasphase)
Abb. 39: Beziehung zwischen der Reaktionsgeschwindigkeit unterschiedlich substituierter benzoider Arornaten mit OH-Radikalen und den HAMMET-Koeffizienten der Substituenten fur die Reaktion in Luft (links) und in Wasser (rechts), jeweils bei 25 "C. Die Reaktivitat steigt jeweils von Nitrobenzol (persistent) z u Anilin (reaktionsfreudig, kurzlebig) hin an, aber in sehr unterschiedlichern AusmaR.
nach bereits gebundenem Substituenten eine zweite bzw. bei Di-Substituierten Ausgangsverbindungen weitere Substitution entweder parallel in 2- und 4- (para-)Stellung (z.B. bei Alkylgruppen) oder aber seTabelle 15 zeigt den Einfluss einiger haufi- lektiv in der 3-Stellung (meta) erfolgt ger Substituenten auf die Reaktionsge- (Nitro-, Cyano-, Estersubstituenten), auch schwindigkeit rnit Elektrophilen bzw. wenn jeweils geringe Mengen des anderen freien Radikalen am Benzolring; die o- Produkts entstehen. Fur die 2-Position (orWerte fur die elektrophile Substitution tho) kann keine HAMMEn-KorreIation erstammen aus der klassischen Ubersichtsar- stellt werden, da hier direkte Wechselwirbeit von Brown & Okamoto (1958), da kungen wie sterische Hinderung, intramoleneuere Untersuchungen (z. B. EXNER1966) kulare Wasserstoffbriickenbindungen etc. die hohe Prazision dieser Werte bestatig- zwischen der bereits vorhandenen und der ten, wahrend die a-Werte fur die radikali- neu einzufuhrenden funktionellen Gruppe sche Substitution von KWOK & ATKINSON den Verlauf der Reaktion deutlich beein(1995) stammen. Letztere liegen auch dem flussen. Die Unterschiede der SubstituentenSoftwarepaket (Atmospheric Oxidation parameter fur 3- und 4-Stellung bestehen Program) zur Berechnung der atrnosphari- ebenso, sogar noch ausgepragter (NH,, schen Reaktionsraten zwischen Arornaten OCH,, CI) bei radikalischen Substitutionen (Spalten 3 und 4 von Tab. 15). Diese verund OH-Radikalen zu Grunde. laufen folglich starker regioselektiv als UmDie a-Werte fur die elektrophile und die ra- setzungen rnit Elektrophilen. Bei umweltdikalische Substitution unterscheiden sich chemischen Prozessen entsteht also aus arojeweils fur die 3- und 4-Position; LJ,,,~~- und matischen Kontaminanten kein vollig (~~,~~~-Werte sind daher ungleich und folg- unuberschaubares Gemenge von Folgeprolich separat tabelliert. Als Regel gilt, dass je dukten, solange nicht ganzlich andere Resich p,:>,oCN= -2,0. Die Reaktion wird an Benzonitril also ca. 10-2,0-fach schneller, also 100-fach langsamer ablaufen als an Benzol.
116
Chemische Basiskonzepte 3.2
Tab. 15: Elektrophile und radikalische Substituentenparameter in 3- und 4-Stellung am benzoiden Aromaten (Beispiele). Die absoluten Raten der Reaktionen benzoider Aromaten rnit Radikalen und rnit Elektrophilen unterscheiden sich insbesondere, weil Radikale von Wasser anders (vie1 geringer) solvatisiert werden als (haufig kationische) Elektrophile. Daher ergeben sich gerade bei hydrophilen Gruppen - die die Loslichkeit des Aromaten in Wasser und den elektrophilen Angriff auf diesen gleichfalls beeinflussen - deutliche Unterschiede zwischen radikalischen und elektrophilen HamrnettKoeffizienten fur die 4-Position (OH, OCH,, CI). umea: Logarithrnus der relativen Anderung der Reahonsgeschwindigkeit eines Aromaten in 3-Stellung relativ zu Benzol, dividiert durch Fur die radikalische Substitution, etwa pi; u ar : Logarithmus der relativen Anderung durch *OH, *NO, oder *NO, in der At- der &e&tionsgeschwindigkeit eines Aromaten mosphare, gelten weithin ahnliche HAM- in 4-Stellung relativ zu Benzol, dividiert durch MET-Parameter wie fur ionisch-elektrop, (Daten nach HAMMETT 1973; BROWN& OKAphile Prozesse. Auffallige Unterschiede gibt MOT0 1958; KWOK& ATKINSON 1995). es nur in 4-(para)Position bei stark Elektronen anziehenden Substituenten; fur Ester ist c ~ (radik,) ~ ~deutlich ~ ~ hoher , als fur ioniCH, 4,069 4,170 -0,066 -0,311 sche Umsetzungen, fur die Acetylgruppe 0,109 4,179 (aromatische Methylketone), Fluor, Chlor, C6H5 (Phenyl) Brom und vor allem OH sowie -OCH, (036) (0,221 (Anisole) dagegen teils erheblich geringer. CHO p, ist bekanntlich negativ. Wo also freie COOH (0,4) 0,322 0,421 Radikale wie *OH in grofieren Mengen zur COOCH, 0,39 0,31 0,368 0,489 Verfiigung stehen, werden Anisole und Ha- CO-CH, 0,376 0,502 ( O W ) (028) logenaromaten eher in Methoxiphenole CN 0,56 0,660 0,562 0,659 bzw. Halogenphenole oder andere Radikal-0,16 -1,30 additionsprodukte iiberfuhrt ( c ~ ( radik,) ~ ~ ~ NH, ~ , NH< 0) als die einfachen benzoiden Aroma(-0,16) -1,4 tens4, wahrend Ester eine verminderte Re- Phenyl aktionswege eingeschlagen werden, etwa photochemische Prozesse 3- und 4-Isomere ineinander umwandeln (vgl. Photohydrolyse). Die kinetischen Aussagen konnen dazu benutzt werden, vorher zu sagen, welche Reaktionskaskaden zur Mineralisierung durch sich beschleunigend fortsetzende Substitution ode1-83 zum Reaktionsabbruch und persistenten Produkten fuhren, wenn ein aromatisches Molekiil in einem Umweltkompartiment hauptsachlich auf bestimmte Reaktionspartner trifft (*OH- oder *N03-Radikale, hydroxylierende Enzyme, Oxidationsmittel wie Chromat).
NO, 83 Aktivierende Substituenten (o-Werte < 0) begunstigen rneist 2- und 4-Substitution, so dass schlussendlich alle Positionen substituiert werden und das irnrner hoher aktivierte Molekul auseinander brechen (Ringoffnung) kann, desaktivierende (o-Werte > 0) wie die Nitrogruppe fuhren hauptsachlich zu den schwerer weiter zu oxidierenden 3Substitutionsprodukten. Sie konnen in diesern Falle irn Boden allerdings durch Reduktion der Nitrogruppe (Bodenbakterien, reaktive Wande, bestirnrnte Sulfidphasen) biologisch und oxidativ wieder aktiviert werden. 84 Das schlieOt nicht aus, dass es irn Einzelfall andere, kinetisch noch starker begunstigte Reaktionspfade gibt: Diphenylarnine wie das bekannte Schrnerzrnittel Didofenac sollten auOerst reaktiv gegenuber Radikalen sein (a ara, rad,k) = -1,4), unterstutzt hier noch durch die Efkkte der beiden Chloratorne sowie einer Acetatgruppe, doch dorniniert irn lirnnischen Milieu die Photo-
OH OCH,
F CI Br I
0,710 0,121 0,115 0,337 0,373 0,391 0.352
0,778 437 -0,268 0,062 0,227 0,232 0,18
0,674
0,790
(0,121) 0,047 0,352 0,399 0,405 0,359
4,92 -0,778 -0,073 -0,073 0,150 0,135
isornerisierung des Diphenylarnins zurn Carbazol (Dibenzopyrrol) klar gegenuber einer Hydroxylierung. Das entstehende trisubstituierte Carbazol ist persistent und reichert sich in der Vorflut an. Solche Prozesse werden von der HAMMETr-Gleichung nicht erfasst.
117
3.2 Chemische Basiskonzepte
aktivitat aufweisen (zahlreiche Herbizide sind aromatische Ester [Carbamatej). Daraus kann ein toxikologisches Problem erwachsen, dann namlich, wenn die substituierten Verbindungen mikrobiel18' schwerer abbaubar sind. In Analogie zu Tab. 15 wurden die empirischen Reaktionsraten (Tab. 1 6 ) zwischen OH-Radikalen und einigen naphthoiden (zwei annelierte Ringe) Aromaten dazu verwendet, auf der Grundlage der HAMMETT-Gleichung p,(radik,) fur ein umweltchemisch relevantes System zu berechnen. Naphthaline sind zweikernige (zwei miteinander verschmolzene Ringe) Aromaten. Sie verhalten sich ahnlich wie benzoide Aromaten, auch gegeniiber OH-Radikalen in der Gasphase: die Reaktivitat steigt von Nitronaphthalinen iiber H- und Methylnaphthaline zu den Naphtholen betrachtlich an. Da der einzelne Substituent auf zwei Ringe mit vielen reaktiven Positionen einwirkt statt nur auf einen mit zwei Positionen, sind die Effekte relativ geringer: Naphthol ist ,,nur" rund 100-fach reaktiver als Nitronaphthaline wahrend zwischen Phenol und Nitrobenzol ein Faktor der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten von rund 180 besteht. Ziel ist die Extrapolation auf andere fluchtige Naphthalinderivate, etwa die friiher als Lijsungsmittel verwendeten Chlornaphthaline, einen wesentlichen Bestandteil der Grundwasseraltlast von Bitterfeld (KOPINKEet al. 2000). Das vorliegende Isomer (1- oder 2-Naphthalin in Tab. 1 6 ) spielt bei monosubstituierten Naphthalinen also keine Rolle (die Unterschiede der Gescbwindigkeitskons-
85 Pike htngegen erzeugen freie Radikale, darunter .OH, auOerhalb ihres Korpers und greifen dadurch stabile organische Materialien wie Lignin an. Die Aktivitat solcher, meist manganhaltiger Exoperoxidasen fuhrt hier also zu begunstigtem Abbau der funktionalisierten Materad,ki und der analoge Parameter fur rialien. Da meta-standigen Angriff fur die eingefuhrte Hydroxigruppe mit 4 , 9 1 nochmals stark negativ sind, beschleunigt sich die Reaktion in Richtung Mineralisierung weiter.
118
Tab. 16: HAMr\.IFTT-korrelierbare Reaktivitatseffekte a n Naphthalinen. oPllrd (radlk,,: hgarithmus der relativen Anderung der Reaktionsgeschwindigkeit eines Aromaten in 4-Stellung mit Radikalen relativ zu Benzol, dividiert durch p,; kOH (Luft): Reaktionsgeschwindigkeitskow stante; log krc,.: Logarithmus der Reaktionsgeschwindigkeit des substituierten Naphthalins relativ zu Naphthalin selbst.
Naphthalin
0
21,6
0
1-Methylnaphthalin -0,311
53,O
0,39
2-Methylnaphthalin -0,311
52,3
0,39
ca. 550 (!) 1,4
1-Naphthol
-0,92
1-Nitronaphthalin
+0,790
5,4
-0,60
2-Nitronaphthalin
+0,790
5,6
-0,59
tanten) sind kleiner als die experimentellen Messfehler); p betragt -1,OS. Damit lassen sich auch Reaktionsraten anderer Substanzen wie von Chlornaphthalinen (a ,l,,lCl] = +O,227) abschatzen. Entsprechencfder obigen Rechnung ergibt sich fur 1- oder 2Chlornaphthalin k,, k,, [Naphtha1inJ:. 10-0.2279~1,OS= 10-0,24S,:.21 7 6 = 12JSfi.
-
Durchlauft eine (in unserem Beispiel benzoid-aromatische) Umweltchemikalie eine Folge von chemischen Reaktionen, so werden sich sowohl neue Substituenten an den Ring binden als auch bereits eingefiihrte verandert werden. Beides hat Einfluss auf die Kinetik von Folgereaktionen, ebenso wie eine durch diese chemischen Umsetzungen verminderte Fluchtigkeit und gesteigerte Wasserloslichkeit, in Folge derer die nachsten Schritte dann in Wasser statt in der Luftphase Statt finden. Die zusatzlich eingebauten Substituenten andern dann die Steigung der Geraden. Fortgesetzter Einbau von -OH erhoht also die Reak86 Bei 1,4-Dichlornaphthalin halbiert stch die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante nochrnals und betragt (empirisch) 5,8.
Chemische Basiskonzepte 3.2
Abb. 40: Die farblich kodierten Prozesse bzw. biochemischen Umsetzungen (Skala in der Abhildung rechts) uberfiihren die funf aufgefuhrten benzoiden aromatischen Verbindungen Benzol, Nitro- und Chlorbenzol, Phenol und Anilin ineinander. Von links unten nach rechts oben steigt die Reaktivitat an, in Wasser jedoch weitaus weniger ausgepragt als in Luft. Reduktive Prozesse - die Anwendung reaktiver Wande (Eisen) gegen Chlorbenzol oder Nitrobenzol ebenso wie biochemische Reduktionen durch Bodenbakterien - steigern die Reaktivitat gegeniiber OH-Radikalen, ebenso die photochemisch induzierte Hydrolyse (Chlorbenzol-Phenol). Die Photoreaktion in Gegenwart von Stickstoffdioxid bzw. (wassrigem) Nitrat hingegen iiberfuhrt Benzol in Nitrobenzol und verringert so dessen Reaktivitat; Gleiches gilt fur Nitrotoluole oder -phew.de im Vergleich zu den Grundkiirpern, wenn Methylbenzol oder Phenol einer *NO,-abhangigen Photooxidation ausgesetzt werden. -NO,belastete Luft oder eutrophes, nitratschiissiges Wasser fuhren mithin photochernisch zur Bildung hiiher persistenter (und zudem fur Pflanzen, Wirbeltiere und andere Organismen weitaus starker toxischer) Produkte als die OH-abhangigen Reaktionen in sauberen Umweltrnedien. Das orange Feld (Warnfarbe) bezeichnet dieses Persistenzproblem, hellblau schnellen Ahbau ausschlieRlich in Luft, dunkelblau auch in Wasser. Hintergrundfoto: www.ff-nienburg.de.
tivitat des in der Umwelt reagierenden Aromaten bis zur schlussendlichen Ringoffnung, mehrfache Nitrierung senkt sie drastisch (vgl. Abb. 39). Die Abstufung der Reaktivitaten ist allerdings in Luft und Wasser unterschiedlich, so dass sich eine ungleichformige Verteilung der Reaktionsprodukte uber das Parameterfeld ergibt,
welches die Persistenz beschreibt (vgl. Abb. 40). Insgesamt kann so abgeschatzt werden, wie sich die dominierenden Reaktionen an einem benzoiden Aromaten auf dessen Persistenz auswirken, wenn z . B . die Atmosphare stark mit Stickoxiden belastet ist und sich daher vermehrt Nitroaromaten bilden. 119
3.2 Chemische Basiskonzepte
3.2.3.3 Kinetische Modellansatze fur Reaktionen gesattigter Kohlenwasserstoffe: die Taft-Gleichung
weitgehend auf Aromaten beschrankt. Fur Alkene und Alkine sind jedoch immerhin Aussagen mit begrenzter Validitat moglich.
Eine formal mit der der benzoiden und naphthoiden Aromaten vergleichbare kinetische Beschreibung existiert fur Additionsreaktionen an und Spaltungsreaktionen von Alkenen (Ozonolyse, Reaktionen mit Periodat oder Permanganat). Sie ist eingeschrankt auch fur Alkine verwendbar und heiRt TAET-Gleichung. Sie lautet:
Eine Vorhersage des Verhaltens (der Reaktionskinetik) gesattigter Verbindungen gelingt fur sehr kleine Molekule mithilfe der Quantenchemie (Bestimmung der Aktivierungsschwelle iiber die Berechnung der gesamten Potenzialhyperflache bei Annaherung der beiden Reaktionspartner), sonst nur durch Korrelationen mit den Redoxpotenzialen der Reaktionspartner. Hierfiir existiert eine detailliert ausgearbeitete Theorie (MARc:uS-Theorie), die allerdings derart viele freie bzw. empirisch anzupassende Parameter enthalt, dass ein Vergleich oder eine Vorhersage nur fur Satze untereinander sehr ahnlicher Molekule moglich ist. Im Bereich der Umweltchemie wurden daher nur wenige einschlagige Untersuchungen gemacht, etwa zur Oxidation von Phenolen (Kresole, die Aminosaure Tyrosin, Halogenphenole etc.) durch Singulett-Sauerstoff (MAKTIKE & GONZAI EZ 2000).
I = pI i L 0 , wobei p, den induktiven Effekt (Ladungstransfer zum benachbarten Kohlenstoffatom) des betreffenden Substituenten, etwa eines Chloratoms, und I die Verschiebung der Geschwindigkeitskonstanten bezeichnet. pI ist wiederum die Proportionalitatskonstante; fur die Aciditat von Essigsauren z. B. betragt sie 0,262 (HAMMETT 1973). Weder HAMMETTnoch rein induktive Parameter liefern freilich hinreichend genaue Vorhersagen fur Reaktionen wie die zwischen OH-Radikalen und gesattigten Kohlenwasserstoffe wie substituierten Methanen CH,X (X = H, CH, [mit Gewichtungsfaktoren], F, C1, Br, I, CN, -NO,, -CCI, etc.), auch wenn Aciditatskonstanten von Essigsauren XCH, COOH und eine Reihe weiterer Reaktionen durch die TAm-GIeichung adaquat beschrieben werden. Das gleiche Problem gilt fur Reaktionen mit anderen Radikalen, Ozon oder wassrigen Oxidationsmitteln. Ebenso wenig lassen sich Oxidationen von substituierten Alkoholen durch Dimethylsulfoxid (das dabei zugleich als Oxidations- und Losungsmittel fungiert) zu den entsprechenden Aldehyden analog der Hammett-Gleichung beschreihen. Hier sei betont, dass die Twr-Beziehung auf Gleichgewichtskonstanten, d. h. reversible Reaktionen abhebt, nicht auf die Kinetik einer irreversiblen Reaktion. Daher bleibt die Vorhersage umweltchemisch bedeutsamer Reaktionen mit Korrelationen der physikalischen organischen Chemie 120
3.2.3.4 Praxisbeispiele aus der Technischen Umweltchemie: Verteilung der Reaktionen von Aromaten und ihrer Folgeprodukte zwischen Luft und Wasser Benzol reagiert in der Umwelt mit OH-Radikalen, Ozon und Stickoxiden, auBerdem wird es mikrobiologisch abgebaut. Im ersten wie im letzten Falle ist die dominierende Reaktion die Hydroxylierung. Das primare Produkt ist dabei Phenol. Man kann der Hammett-Gleichung nun die Reaktivitatsanderung fur die jeweilige Folgereaktion entnehmen. Die Geradensteigung ist dabei sowohl von der Temperatur (formal handelt es sich um eine Aktivierungsenergie) als auch vom Losungsmittel (bzw. dessen Fehlen bei Gasphasenreaktionen) abhangig. Hier haben wir es mit Wasser bei 25 "C und Luft als Gasphase zu tun. Wie die Abbildung 3 9 zeigt, ist die Steige-
Chemische Basiskonzepte 3.2
rung der Reaktivitat gegeniiber OH-Radikalen durch Einfuhrung von Substituenten wie OH, OCH, oder NH, in der Gasphase sehr vie1 hoher als in Wasser. Das bedeutet, dass die Reaktivitatsanderung durch Hydroxylierung oder Redoxprozesse an funktionellen Gruppen - etwa die chemische oder biochemische Reduktion eines Nitrobenzols zum entsprechenden Anilin - die Lebensdauer des Produkts in Wasser weitaus weniger verringert als bei einer fluchtigen Verbindung in Luft. Abbildung 40 zeigt eine Auswahl der in der Umwelt zu erwartenden Umsetzungen benzoider Aromaten und ihrer einschlagigen Auswirkungen. Werden funktionelle Gruppen eingefiihrt oder so verandert, dass in dem Umweltkompartiment, in dem sich der Schadstoff befindet, die Reaktivitat erhoht ist, so wird der weitere Abbau beschleunigt, bis hin zur Offnung des aromatischen Ringsystems. Umgekehrt fuhren Nitrierungen zur Verminderung der Reaktivitat, so dass nach einem oder wenigen Schritten
Folgereaktionen so langsam werden, dass das Zwischenprodukt persistent wird. Uberlagert wird dieser Effekt angesichts der Unterschiede zwischen den Reaktivitatsanderungen in Luft, Wasser (und Biomasse) durch Anderungen der Fliichtigkeit. Diese verandern die effektive Lebensdauer von Folgeprodukten ebenfalls. Anilin reagiert in Luft 120-ma1 so schnell mit OHRadikalen wie Benzol, fast eintausend Ma1 schneller als der Vorlaufer Nitrobenzol. In Wasser ist die Reaktivitat um weniger als das Zehnfache erhoht. Fliichtigkeit und Wasserloslichkeit andern sich in Folge der Reaktionen fur die in der Tab. 17 angefiihrten sieben Verbindungen. Bei der Reduktion von Chlorbenzol zu Benzol andert sich zwar die Reaktivitat in der Gasphase nur wenig, ebenso wenig in Wasser, aber die Fliichtigkeit nimmt erheblich (um das Achtfache) zu. Daher werden Folgereaktionen an Benzol zu einem hoheren Anteil in der Luftphase stattfinden als
Tab. 17: Verteilungsrelevante Parameter und Reaktionsraten mit OH-Radikalen in Luft und Wasser bei Sattigungsbedingungen fur sieben typische benzoide Aromaten. Unter Reaktionsrate ist hier der Stoffurnsatz pro Volurneneinheit des betreffenden Umweltkornpartirnents zu verstehen, der resultiert, wenn nach Maf3gabe von Darnpfdruck und Wasserloslichkeit ein Verteilungsgleichgewicht zwischen den beiden Umweltkornpartimenten Luft und Wasser eingestellt worden ist. Stoff
Benzol Nitrobenzol
Dampf- Siededruck bei punkt 25°C ["CI WPaI
12,7
Wasserloslichkeit rmSn(g1 {mmol/kg}
kOH
(Luft)
k0" (Wasser)
Reaktionsrate Reaktionsrate mit OH in mit OH in Luft Wasser [-I {normiert [-] {normiert auf Benzol = 1)auf Benzol = 1)
80,l
800 (10,2)
1,23
7,8
156 (1,OO)
80 (1,OO)
0,030 210,7
1.900(15,4)
0,15
3,2
0,0045 (29104)
49 (0,61)
0,33
5
0,036 (2,3*1 0-3)
485 (6,l)
Benzonitril 0,110 191,l (Cyanobenzol)
10.000(97)
Chlorbenzol
1,60
131,7
300 (2,7)
0,77
43
Methylbenzol (Toluol)
3,79
110,6
500 (55)
5,96
3,O
Phenol
0,055 181,8
86.000(915)
Anilin
0,090 184,2
40.000(430) 1 1 1
26,3
16 17
1,23(0.08) 12 (0,15) 22,6(1,45)
16,5(0,21)
1,451(0,09) 13.000(163) 10.0(0,64)
7.300(91)
121
3.2 Chemische Basiskonzepte
die von Chlorbenzol. Die Hydroxylierung von Kenzol durch Organismen oder O H Radikale, bei der Phenol entsteht, vermindert den Dampfdruck um einen Faktor 230, erhoht aber die Wasserloslichkeit um rund das Hundertfache. Die Folgeprozesse werden also eher in Wasser als in Luft stattfinden. Die Reduktion von Nitrobenzol zu Anilin andert den Dampfdruck nur wenig. Die beiden letzten Spalten zeigen, wie sich die Reaktionsanteile der Aromaten zwischen Luft und Wasser unter der Kedingung verteilen, dass auf lange Sicht genugend viele *OH-Radikale in beiden Medien verfiigbar sind (man bedenke, dass die Durchschnittskonzentrationen von *OH in gemiigigter Troposphare und SURwasser nahc Meereshiihe identisch sind!). I m Vergleich mit der Referenzverbindung Renzol reagieren Anilin, Benzonitril, Nitrobenzol und Phenol fast ausschlieRlich in Wasser, auch Chlorbenzol eher i n Wasser, wahrend beim Toluol der weitere Abbau ZLI Gunsten der Luftphase verschoben wird. Die Liislichkeits- und Reaktivitatsanderungen (hzw. in Wasser das weitgehende Aushleiben der letzteren) durch Hydroxylierung gelten auch f u r substituierte benzoide Aromaten; die Phenole sind 1O-20-fach besser wasserloslich, bei wiederum rund urn das 1OO-fache vermindertem Dampfdruck. Auch hier fiihrt die Hydroxylierung mithin dazu, dass der weitere Abbau a u gerhalb der Atmosphare geschieht. Die Oxidation von z. B. als Treibstoff- oder Liisungsmitteldampfen in die Luft freigesetzten BTEX-Aromaten resultiert also in einer Gewiisserbelastung; zudem sind die entstehenden Phenole auch fur aquatische Organismen ausgesprochen toxisch. Mitunter (bei halogenierten Aromaten oder mehrfach nitrierten Ruckstanden der Sprengstoff- oder Polymerproduktionx7)ist ein Schritt der Aktivierung durch elektro87 Die technische Synthese der lsocyanatkornponentender Polyurethanproduktton erfolgt uber - selbst explosive Dinitroarornaten
122
chemische oder katalytisch-hydrierende Keduktion notwendig, uni den weiteren Abbau durch Organismen iiberhaupt moglich zu machen. Wird Nitrobenzol zu Anilin reduziert, etwa durch Bodenbakterien oder Sulfide, so werden auch die Folgereaktionen in der Wasser- oder Roden( Grundwasser-) phase, nicht in Luft ablaufen, aber relativ zu Nitroaromaten stark beschleunigt sein. Biotische wie abiotische Umsetzungen verlagern die Stoffe also zwischen den Umwcltkompartimenten in einer Weise, die sich systematisch vorhersagen lasst. Was die Biomasse anbelangt, sei hier nur kurz erwahnt, dass auch die hiologische Akkumulation aromatischer Verbindungen durch Korrelationen zwischen pHJmmctt und k, beschrieben werden kann (FRXNZI.E1993).
3.2.4 A ktivierungsbarriere und Katalyse Nicht alle chemischen Reaktionen, bei denen Energie frei wird, laufen mit einer praktisch relevanten Geschwindigkeit ab. Dies ist einerseits unser Gliick: ware es anders, gabe es kein Leben mehr auf der Erde seitdem sich die Atmosphare mit Sauerstoff angereichert hat, weil nicht n u r Holz brennbar ist, sondern auch andere biogene Materialien ,,im Prinzip" (d. h. thermodynamisch gesehen) unter erheblicher Energiefreisetzung durch Sauerstoff oxidiert werden. Fur die Technische Umweltchemie relevant ist der Umstand, dass ,,an sich" reaktionsfahige Substanzen sich wegen dieser Reaktionstragheit anreichern bzw. schwerer beseitigt werden konnen. Woher kommt die besagte Reaktionstragheit und wie l a s t sic sich ggf. Ciberwinden? 3.2.4.1 AbstoOung zwischen
Molekulen und Reaktionskinetik Im vorigen Abschnitt (Hammett-Kinetik) wurde bereits erwahnt, dass ,,aromati-
Chemische Basiskonzepte 3.2
sche" Verbindungen bestimmte Reaktionen deshalb nicht eingehen weil das Elektronensystem im Ring andere Elektronen, namentlich die freien Elektronenpaare von Nukleophilen, abstoBt. Natiirlich gilt ganz allgemein, dass sich gleichnamige elektrische Ladungen abstoRen. Nun besteht die ,,Auf3enhaut" jedes Molekiils oder Ions mit Ausnahme des in kondensierter Materie niemals frei auftretenden Protons - aus Elektronen, d. h. einer Schicht negativer Ladung. Ein kosmochemisch wichtiges Beispiel einer Reaktion ohne Aktivierungsbarriere zwischen Neutralspezies ist die Bildung des im interstellaren Gas relativ haufigen Formaldehyds [HCHO] durch StoB zwischen Sauerstoffatomen und Methylradikalen:
*CH, + 0
-
HCHO + *H
mit 1)der geeigneten raumlichen Orientierung der Molekiile zueinander und 2) der hochsten kinetischen Energie - zur Reaktion. Dies wird formal durch die Arrhenius-Gleichung beschrieben: k = A:I.~-(AG#/RT)
= Geschwindigkeitskonstante, = Stobfrequenz zwischen den Reaktionspartnern, AG# = Aktivierungsenergie und R = (molare) kinetische Gaskonstante, d. h. die durchschnittliche Energie eines Mots Gas bei I Kx8. Sie betragt 8,314 Jl(Mo1"K). k A
Die Verlangsamung durch die Aktivierungsbarriere kann soweit gehen, dass die Reaktion bei Raumtemperatur oder gar wenn die Reaktanden stabil genug sind und die chemische Gleichgewichtslage dem nicht entgegen steht - selbst bei Rotglut nicht mit messbarer Geschwindigkeit erfolgt. Typische Aktivierungsbarrieren betragen AG# = SO-100 kJ/Mol, RT betragt bei Raumtemperatur 2,s kJ/Mol. Nur einer von 2 e20 4 ; b l O x Std3en fiihrt dann zur Reaktion, die StoBrate betragt in einfachen Gasen bei Normaldruck ca. 1Ol0/s, wovon nur ein Teil die ,,passende" Orientierung der Molekiile aufweist. Reaktionen mit AG# = SO kJ/Mol laufen bei 25 "C in der Gasphase also typisch innerhalb einiger Sekunden ab.
Diese sehr leicht verlaufende Reaktion ist auch von umweltchemischer Bedeutung: die Antiklopfmittel in Kraftstoffen - friiher Bleialkylverbindungen, heute u. a. Ether wie Methyl-tert-butylether (MTBE) - setZen bei der Pyrolyse im Motoreninneren Alkylradikale frei, und Sauerstoffatome werden bei den gleichen Reaktionskaskaden gebildet. Sie reagieren also auch in der Abkiihlungsphase (Kolbenbewegung nach unten) schnell zu Aldehyden, die, weil dabei ,,ausgefroren", ohne weitere Reaktion iiberdauern und dadurch ins Abgas gelangen. Eine analoge Reaktion zwischen chemisorbiertem und dissoziiertem Sauerstoff mit Alkylradikalen - diesmal heterogen an der Platinmetalloberflache - bewirkt auch der Dreiwegekat: man kann leicht zeigen, dass er den AusstoB an Aldehyden sogar deutlich erhoht. Aldehyde sind Reizstoffe, teils auch karzinogen und stellen wichtige Komponenten des Sommersmogs dar.
Eine Abhilfe gegen ,,zu langsame" Kinetik, also hohe Werte von AG#, bildet das Phanomen der Katalyse: ein Stoff (der so genannte Katalysator) wird dem Reaktionsgemisch zugesetzt und greift in die Reaktion ein, ohne dabei selbst verbraucht oder
In allen anderen Fallen fiihrt nur ein (meist extrem) kleiner Bruchteil der StoBe zwischen den Reaktionspartnern - die StoRe
88 Bei 1 K weist einzig Helium noch einen nennenswerten Dampfdruck auf.
3.2.4.2 Kinetik, Katalyse, Gleichgewicht
123
3.2 Chemische Basiskonzepte
umgesetzt zu werden. Er bleibt also erhalten und fiirdert, sprich beschleunigt die Umsetzung. Ein Beispiel: Wasserstoff und Sauerstoff konnen bei Raumtemperatur gemischt werden, ohne dass es zur Knallgasexplosion kommt; halt man jedoch ein Stuck Platinschwamm in das Gemisch, so explodiert Letzteres sofort. Katalyse fuhrt hier also zu einer drastischen Absenkung der Zundtemperatur, in vielen anderen Fallen .,einfach" zu Reaktionsbeschleunigung. Ein Katalysator verandert wohlgemerkt nicht die Lage des chemischen Gleichgewichts, es stellt sich nur vie1 schneller ein. Nach Durchlaufen des katalytischen Zyklus wird das Reaktionsprodukt dann wieder vom Katalysator abgesvalten. Zumindest die meisten etwas grogeren Molekule, aber auch viele atomare Ionen und niedermolekulare Schadstoffe wie *NO, konnen jeweils eine Vielzahl von Reaktionen eingehen. Dies gilt nicht nur bei Variation der Umgebungsbedingungen sondern auch wenn diese konstant und die gleichen Reaktionspartner zugegen sind. Diese Vielfalt von Reaktionen uberfuhrt dann einen einzelnen Schadstoff u. U. in ein komplexes Gemisch von Folgeprodukten, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht stoff oder Kohlenwasserstoffe nicht nur zu N, (dem ,,optimalen" Produkt) sondern auch zu N,O, NH, und stickstofforganischen Produkten wie Oximen und Nitrilen umgesetzt werden; Ammoniak und Nitrile sind toxisch, N,O ein Treibhausgas. Jeder dieser Reaktionspfade, z. B.
2 *NO, + 3 H,
-
N,O + 3 H,O
hat eine Aktivierungsbarriere, lauft daher mit definierter Geschwindigkeit und ein bestimmter Katalysator bindet die entstehenden Produkte je unterschiedlich fest an seiner Oberflache. Sie werden daher unterschiedlich schnell wieder abgegeben 124
(desorbiert), und es resultieren unterschiedliche Umsatzraten bzw. eine Produktverteilung, weil der katalytische Kreislauf in solchen Fallen kinetisch meist von der Produktdesorption bestimmt wird. Dies gilt umso mehr je reaktiver die betreffenden Produkte sind, aber auch z.B. Kohlendioxid wird nicht von jeder Grenzflache leicht desorbiert. Durch geeignete Wahl des Katalysators, der Reaktionstemperatur und evtl. Zusatze zum Katalysator kann die Umsetzung von z. B. *NO, in eine bestimmte Richtung gelenkt werden, so dass eine Reaktion und ein einzelnes Produkt dominieren. Mit Platin/Rh~dium-Legierungen~~ z. B. werden Stickoxid-Gemische und auch Ammoniak selektiv in * N O uberfuhrt. das dann an einem anderen Kontakt innerhalb des heterogen aufgebauten Dreiwegekatalysators mit CO zu N, und CO, weiter reagiert9". Die selektive Umsetzung anderer Stoffe mithilfe bestimmter Katalysatoren folgt denselben Prinzipien; hier sei nur die gekoppelte Oxidation von Alkenen und Ammoniak zu Nitrilen (Arnmonoxidation) an Mo-haltigem Bi,O, erwahnt. Auch in Enzymen bewirkt die relativ schwachere Bindune. des Produkts neben sterischen EffekY
von Ammoniak mit Luftsauerstoff eingesetzt. Die Selektivitat resultiert bei Oxidation (,,Ammoniakverbrennung" nach OSWALD)und Reduktion von *NO, (Rauchgasreinigung, Dreiwegekatalysator) einfach daraus, dass *NO auf PffRh anders als auf Kupfer oder gar Ruthenium (wo es bis zu einer etwaigen weiteren Reduktion praktisch irreversibel adsorbiert wird) nur sehr locker sorbiert. .NO lost sich daher von dieser Oberflache und wird weiteren Reaktionen zuganglich, wahrend an Ru die Reduktion durch CO. Wasserstoff oder Kohlenwasserstoffe bis zu NH, weiter geht. Daher ist Ruthenium im DreiwegeKatalysator nicht zu gebrauchen, obwohl es unverbrannte oder de novo entstandene Kohlenwasserstoffe in einmaliger Weise aktiviert. 90 Die stark exotherme Reaktion 2 *NO + 2 CO N, + 2 CO, lauft bei Temperaturen von einigen Hundert "C an unterschiedlichsten Oberflachen ab, einschlieBlich Kohle; sie bildet die hauptsachliche Triebkraft bei der Reaktion von Schwarzpulver und bewirkt dessen Explosion oder Verwendbarkeit in Raketen durch rapide Gasentwicklung (*NO stammt dabei aus Kaliumnitrat, CO aus der teilweisen Verbrennung von Holzkohle). +
Chemische Basiskonzepte 3.2
ten (,,molekulare Erkennung") die entsprechende, oft sehr hohe Selektivitat. Dadurch wird ein kornpliziertes Nebeneinander von rnoglichen Reaktionen zu einem selektiven Verlauf gebracht. Der Extremfall ist hier die Biochemie: groBe Biornolekiile konnen oft an Hunderten von Stellen reagieren. Enzyme - als biologische/biochemische Katalysatoren - greifen nun (rneistens) spezifisch an einer dieser Stellen an, bewirken damit eine einzige der vielen denkbaren Reaktionen des Substrates. Nicht immer ist eine selektive Umsetzung erwiinscht: in Brennstoffzellen mochte man idealer Weise Benzin oder ahnlich komplizierte Stoffgemische elektrochemisch vollstandig zu Kohlendioxid und Wasser umsetzen (Katalysator ist dann Ruthenium); Ahnliches gilt haufig in der Abgasreinigung. Eine Vorbedingung fur ein solches Eingreifen und darnit katalytische Wirkung ist natiirlich, dass die Substanz eine gewisse Mindestreaktivitat zumindest an ihrer Oberflache aufweist: die Platinrnetalle Palladium und Platin, die sich u. a. in Konigswasser Iosen, sind katalytisch weit vielfaltiger aktiv als das reaktionstragere Osmium oder Iridium. Auch Gold, das sich als einziges Metall an der Luft nicht rnit einem noch so diinnen Oxidfilrn iiberzieht, ist ein schlechterer Katalysator. 3.2.4.3 Homogene und heterogene Katalyse Man unterscheidet grundsatzlich zwei Arten der Katalyse, je nachdern wie der Katalysator irn Reaktionsgemisch prasent ist: die homogene und die heterogene Katalyse. Dies ist kein chernischer sondern ein Phasenunterschied. Bei homogener Katalyse ist der Katalysator in die reagierende Phase (fliissig oder fest) eingebettet (gelost bzw. gasformig), bei heterogener stellt er eine davon abgegrenzte, in aller Regel feste Phase dar, und die katalysierte Reakrion vollzieht sich an der Grenzflachesl beider
Phasen. Dabei sind drei Effekte zu unterscheiden, die zur katalytischen Wirkung eines Sorbens beitragen (konnen):
- die Konzentration einer gasformigen oder gelosten Substanz wird durch Adsorption an der Grenzflache erhoht; statt Konzentrationen von wenigen Millimol/l in Losung oder Gasphase entstehen kompakte Filme (eine bis wenige Atomlagen dick) mit bis zu 30 Mol/l. Dies steigert im Prinzip die Reaktivitat, indern StoBe zwischen den Reaktionspartnern durch deren hier hohe Konzentration wahrscheinlicher werden. Dabei ist allerdings zu beriicksichtigen, dass das adsorbierte Molekiil nicht mehr frei um drei Achsen beweglich ist und auBerdem gegen einen reaktiven Stoi3 teilweise raumlich abgeschirmt wird. Andererseits kann die Sorption einen potenziellen Reaktionspartner auch innerhalb des Molekiils polarisieren und dadurch fur Reaktionen mit Nukleophilen oder Oxidationsmitteln zuganglicher machen. Dies leitet iiber zur Aktivierungsform: - das Sorbens (der Heterogenkatalysator) entzieht den zur Reaktion zu bringenden adsorbierten Molekiilen Ladungsdichte, die gegenseitige AbstoBung der Elektronenhiillen der Reaktionspartner wird hierdurch vermindert. Wahrend normaler Weise Aromaten nicht unter Addition an den Ring reagieren, entzieht die Sorption an Platin oder Ruthenium oder Nickel, auf denen sie ,,flach" aufliegen, den Ringsysternen so vie1 an Ladungsdichte, dass eine Hydrierung von Benzol zu Cyclohexan oder von Phenol zu Cyclohexanon + Cyclohexanol erfolgen kann. Der Grund dafiir, dass Ladungsdichte durch Edeloder Halbedelmetalle abgezogen wird, liegt in deren hoher Elektronenaustrittsar-
91 Daher werden in der Technischen Chemie Heterogenkatalysatoren meist als Kontakte bezeichnet.
125
3.2 Chemische BasiskonzeDte
Abb. 41a-c: Von links nach rechts zeigen die drei Bilder a ) acht Sauerstoffmolekiile auf Platin in unterschicdlichen Stadien der Chemisorption (die beiden Atompaare rechts sind bereits deutlich getrennt, das obcrste ansatzweise), 17) eine geschlossene Schicht v o n CO-Molekiilen ebcnfalls auf Platin, und c ) das, was geschieht, wenn man z u solch einer Schicht Saucrstoff hinzutrcten Iiisst: ,,l,ochfraR" iind langsame Platzwechsel der verhleibenden CO-Molekiile unter fortschreitcnder Universitiit Miinchen Desorption v o n CO,. Fotos: Prof. WINTTFRLIN,
beit: man beniitigt 5,5-6 eVy2, um Elektronen aus einer Platin-, Iridium- oder Goldoberflache heraus zu schlagen. Feste, kristalline organische Verbindungen werden vicl leichter ionisiert, bereits mit (UVPhotonen von) zirka 4 e V . Bringt man zwei Materialien unterschiedlicher Elektronenaustrittsarbeit miteinander in Kontakt, so liidt sich das mit der hoheren ncgativ a u f (Konta ktpotenzial). Die hierzu benijtigten Elektronen werden dem anderen entzogen (Prinzip u.a. des thermoelektrischen Elements); in einem System aus Platin und adsorbiertem Aromat wird also Ladung aus den n-Elektronensystemen der Ringe entnommen. Dadurch wcrden dicse fur Additionsreaktionen mit Wasserstoff oder Chlor (Synthese des Insektizids Lindan [y-Hexachlorcyclohexanl) angreifbar, wiihrend die vom Platin aufgenommene negative Ladung in elektrochemischen Prozessen genutzt werden
92 Der genaue Wert der Elektronenaustrittsarbeit hangt von der Schnittrichtung durch einen Einkristall des Edelmetalls. also der kristallografischen Flache ab Entsprechend sind Angaben uber heterogenkatalytische Aktivitat (mono-)kristalliner Sorbentien nur dann sinnvoll, wenn diese kristallografische Flache mit angegeben wird
126
kann (katalytische Oxidation, Brennstoffzelle). Fur an Platin adsorbiertes Kohlenmonoxid gilt Ahnliches; es wird vie1 leichter oxidiert als in der Gasphase. - Die Bindung an eine Oberflache kann so fest werden, dass Molekule in Fragmente zerfallen (Chemisorption). Diese Fragmente kijnnen dann untereinander neu kombiniert werden. Haufig werden dabei C-C-Bindungsgeruste abgebaut. Im Einzelfall ist es sowohl spektroskopisch als auch mit quantenchemischen Rechnungen nicht immer leicht zu bestimmen, welcher der genannten drei Effekte bei einer bestimmten Reaktion an einer gegebenen Katalysatorgrenzflache, etwa Kieselgel, uberwiegt oder Ausschlag gebend ist. Sehr eindrucksvoll hingegen ist die Moglichkeit, mithilfe der Rastertunnelmikroskopie Oberflachen - einschlieljlich solcher von Katalysatoren - mit atomarer Auflosung abzubilden (Abb. 41 a-c). Dies hat unsere Vorstellung von heterogenkatalytischen Prozessen nachgerade revolutioniert, zumal das Verfahren zusatzliche Informationen uber die lokale Ladungsverteilung liefert. Als Beispiel sei der Verlauf der Oxidation von CO durch Sauerstoff auf Platin dargestellt, eine Teilreaktion der Funktion des Dreiwegekatalysators:
Chemische BasiskonzeDte 3.2
C O bildet nach langerer Einwirkung schon unter extrem geringem Druck (45 min bei 6,7 pPa [ca. 1,6*109 CO-Molekiile/cm3]) eine geschlossene monomolekulare Schicht auf Platin, wobei die C-0-Bindungsachsen fast parallel zur Platinoberflache orientiert sind und die CO-Liganden jeweils zwei Platinatome miteinander verbrucken. Wahrend Sauerstoff fur sich allein auf Platin chemisorbiert wird (2. Bild) und dabei die 0,-Molekiile langsam dissoziieren, durchdringt er die Monoschicht von CO auf Platin nicht sondern reagiert ,,von a d e n " , indem er bereits adsorbiertes C O zu CO, oxidiert. Das Kohlendioxid wird nur schwach sorbiert und spaltet sich daher von der Oberflache ab. Das Resultat sind ,,Lijcher" von der Groge einzelner adsorbierter CO-Molekiile, die sich in der Chemisorbatschicht bilden und durch neues C O geschlossen werden (das Bild ist eines aus einem ganzen Videofilm von rastertunnelmikroskopischen Aufnahmen, der auf der Website www. cup.uni-muenchen.de/ pc/wintterlin der Universitat Munchen betrachtet werden kann). Diese Reaktion lauft auf Platin schon bei sehr niedrigen Temperaturen ab, wahrend in der Gasphase ein CO/O,-Gemisch erst bei ca. 500 "C ziindet; diese Temperaturabsenkung ist ein Teilaspekt der Katalyse.
Beispiel ist die Bleikammerreaktion, die katalytische Oxidation von Schwefeldioxid durch ein Gemisch von Stickoxiden. In der Biologie erfolgen fast nur heterogenkatalytische Prozesse an Proteinen oder RNA (Ribozyme), in den Umweltkompartimenten treten beide Formen der Katalyse nebeneinander auf. Haufige Homogenkatalysatoren sind in Luft Stickoxide, in Wasser geloste Metallionen aber auch Huminstoffe, als Heterogenkatalysatoren fungieren u.a. Tonmineralien und - f u r geochemische Redoxprozesse auflerst wichtig Mangandioxid. Typische und grog- bzw. umwelttechnisch relevante Anwendungen der Heterogenkatalyse umfassen z. B. die Synthese von Ammoniak aus den Elementen, den Dreiwegekatalysator in Kraftfahrzeugen oder den Einsatz von C u m - bzw. Cu/Mn-Oxiden in der Rauchgasentstickung. Homogene Katalyse wird praktisch weniger gern eingesetzt, weil dabei stets das Problem des Austrags des Katalysators mit das Reaktionsvolumen durchstromenden fluiden Medien (z. B. zu reinigendem Gas) besteht. Einen Grenzfall stellt der Belebtschlamm in einer Klaranlage dar: Die Mikroorganismen sind zwar ,,fest", treten in kleinen Konzentrationen aber als katalytisch aktives Plankton in Erscheinung (homogen), nur bei hohen Konzentrationen scheidet sich der Schlamm a b bzw. wird filtrierbar (heterogen).
Zusatzlich ist es moglich, in der Heterogenkatalyse den aktivierten Oberflachenfilm zusatzlichen elektrisch polarisierenden Effekten auszusetzen und damit zu weiteren Reaktionen zu veranlassen. Dies kann durch Anlegen einer Spannung aber auch durch optische oder radiolytische Ladungstrennungsprozesse in einem Halbleiter geschehen. Im ersteren Fall haben wir es mit Elektrochemie und deren Abhangigkeit vom verwendeten E l e k t r ~ d e n m a t e r i a l ~ ~93 , im zweiren mit Photoelektrochemie bzw. radiochemisch aktivierter Heterogenkatalyse (SPITZYN)zu tun. Die homogene Katalyse beruht auf Kreisprozessen in einphasigen Systemen. Ein
Wahrend viele anorganische Redoxsysterne mit fast beliebigen Elektrodenrnaterialien realisiert werden konnen, sofern diese bei dern zu verwendenden Medium und Redoxpotenzial stabil sind, gelingen organische Redoxprozesse, also organisch-elektrochernische Urnsetzungen meist nur an wenigen ausgewahlten Katho& WEINBERG den- oder Anodenmaterialien (WEINBERG 1968; KYRIACOU 1994). Dabei musses sich nicht um Platin handeln: Blei, Nickel oder Cobalt bedingen haufig hohere Selektivitaten.
127
3.2 Chemische Basiskonzepte
3.2.5 Fliefigleichgewicht und Prozessfuhrung 3.2.5.1 Gleichgewicht, Gleichgewichtskonstante und Reaktionskinetik Wenn man chcmische Gleichgewichte bestimmt, lasst man dem System (nahezu) beliebig vie1 Zeit fur die Einstellung des Gleichgewichts und m i s t hinterher
der bei Kenntnis der Temperatur die Gleichgewichtskonstante berechnet werdcn kann (SI<;<;und STUMM1996) - oder - analysiert direkt die Zusammensetzung des Gleichgewichtsgemischs. - die freigesetzte Warmemenge - aus
Letzteres ist n u r praktikabel fur Gleichgewichtskonstanten K, die nicht sehr weit (nach beiden Seiten) von 1 abweichen, etwa die Systeme Alkohol + (Carbon)saure/Ester oder Wasserstoff + Iodflodwasserstoff (hierbei handelt es sich schon aus historischen Griinden um die typischen Lehrbuchbeispiele); ersteres dagegen gelingt urn so besser, je mehr Energie bei der Reaktion frei wird, d. h. je weiter das Gleichgewicht auf einer Seite liegt (K >> 1 oder K << 1). Die Reaktionskinetik definiert das Gleichgewicht durch den Quotienten der Geschwindigkeiten von Hin- und Ruckreaktiony4innerhalb eines geschlossenen Systems: K = k,/k_, Wie hoch diese Geschwindigkeiten bei den Versuchsbedingungen absolut sind, spielt 94 Wenn keine Ruckreaktion existiert etwa beim (oft expiosiv verlaufenden) thermischen Zerfall von Aziden R-N, bzw M(N,),, besteht keine Gleichgewichtskonstante obwohl man sie aus der Energiefreisetzung der Reaktion selbstverstandlich formal berechnen kann Die reale Reversibilitat einer Reaktion lasst sich z B anhand von fortschreitendem lsotopenaustausch in einem Gleichgewichtssystem nachweisen Ameisensaure (H13COOH) und %-Ameisensaureethylester (H”C0OEt) tauschen in Anwesenheit von Sauren als Katalysator die Kohlenstoffisotopen aus
128
Abb. 42: Verlauf einer exothermen Reaktion (die Energie des Edukts liegt hoher als die des Produkts). Bevor die Reaktion ablauft, muss das Edukt uber die Energieschwelle EA (Aktivierungsenergie) gefiihrt werden; dies kann z. €3. thermisch oder photochemisch geschehen. Hintergrundfoto: www.800dpi.com
fur die Theorie zunachst keine Rolle; auch Katalysatoren verschieben das Gleichgewicht nicht, sondern erhohen die Raten beider Prozesse (Hin- wie Ruckreaktion), so dass sich deren Quotient K nicht verandert. Die Reaktionsrate hangt a b von der Aktivierungsschwelle (s. Abb. 42) und von der Teilchendichte (z. B. Gasdruck). 3.2.5.2 Vom Gleichgewicht zum FlieBgleichgewicht: Folgen der Stoffzu- und -abfuhr In der umweltchemischen Praxis, z. B. bei der Durchfuhrung von Reinigungsverfahren, spielt die Kinetik eine entscheidende Rolle, weil das System nicht geschlossen ist: Rauchgase aus Grofifeuerungsanlagen z. B. durchstromen die Filter, Entstickungs- und Entschwefelungsanlagen mit Geschwindigkeiten um 30 m l s , d. h. die Gasstromung kommt in Geschwindigkeit und Staudruck einem Orkan nahe. 1st z. B. eine im freien Gasstrom installierte Entstickungsanlage
Chemische Basiskonzepte 3.2
6 m lang, so stehen fur die (irgendwelche) chemischen Prozesse nur 0,2 s zur Verfugung. Wichtiger als die bloRe Kinetik ist aber folgendes: wenn stetig Stoffe zu- und abgefiihrt werden, liegt nicht Ianger ein Gleichgewichtssystem vor. An die Stelle des chemischen Gleichgewichts tritt ein FlieRgleichgewicht oder bei irreversiblen Reaktionen mit langsamer Kinetik ein Pseudoglei~hgewicht~~. Ein chemisches Gleichgewicht wird nicht erreicht, wenn Produkte (0.a. Komponenten, z. B. Zwischenprodukte) ausgekoppelt werden, aber der Fortgang der Reaktion kann dadurch gunstig beeinflusst werden, dass sie andere, z. B. separate feste Phasen bilden oder dass die Reaktion irreversibel ist. Bei standigem Entzug von Produkten - durch Ausfallung, wobei sie dem Losungsgleichgewicht entzogen werden mussen, oder durch Abtrennung aus einem Fluidvolumen uber selektiv Gas durchlassige Membranen - kann auch eine Energie verbrauchende Reaktion zur vollstandigen Umsetzung gefiihrt werden. Voraussetzung dafiir, dass dies gelingt, ist zu verhindern, dass sich nachgelagerte Gleichgewichte einstellen: ein gefallter Niederschlag darf sich nicht teilweise wieder losen konnen, sondern muss mit Schwebstofffiltern, Schlammpumpen etc. fortlaufend aus der Losung entfernt werden (mit derartigen Trennprozeduren - mechanischen oder chemischen - bringt man einen Teil der ,,fehlenden" Energie auf). Die Folge einer Produktauskopplung ist eine Gleichgewichtsverschiebung nach rechts, auf die Seite der Produkte, die entnommen werden. Dies sei am Beispiel der Veresterung erlautert, fur das gilt:
-
[Ester]*[H20]/([Alkohol]~~[Saure]) =K 1 Die Ester (Produkte) sind vie1 leichter f l i i ~ h t i gals ~ ~die Alkohole oder Carbonsauren, weil nicht durch Wasserstoffbriicken verknupft, obwohl sie groRere und schwerere Molekiile als die beiden Edukte sind. Daher kann etwa der Aromastoff (Arrak-Aroma) Ameisensaureethylester durch fortgesetztes Destillieren bei 50-60 "C standig dem Gleichgewicht entzogen und so ein Ameisensaure/Ethanol-Gemisch beinahe9' vollstandig zum Ester umgesetzt werden. Irreversible Reaktionen wirken ahnlich, haben aber kein kinetisch definiertes Gleichgewicht. Ein Beispiel fur eine Abscheidung fester Phasen ist die von Gips bei der Rauchgasentschwefelung, fur eine irreversible Reaktion, die daher keiner Einschrankung durch Gleichgewichtskonstanten unterliegt, die Bildung molekularen Stickstoffs bei der Entstickung. Sie erfolgt mittels Ammoniak oder Harnstoff am Cu/Mn- oder CuN-Kontakt nach
8 N H 3 + 6 *NO, 7 N, + 12 H,O
KOtOl,\C,}
(keiner der beiden Katalysatoren befordert die Ammoniaksynthese, was die Ruckreaktion selbst bei Anwesenheit von Wasserstoff ausschliegt), also
N, + 3 H,
f,
2 NH,
Die dritte mit Sauerstoff denkbare Konkurrenz- bzw. Riickreaktion N,
95 Dem entspricht bei elektrochemischen Reaktionen ein Pseudopotenzial: was man z. B. im System Mn0,-lreduzierte Form von MnlPt-Ableitelektrode gegen eine Referenzelektrode misst (ca. 1,s V gegen NHE bei pH 0), hat mit einem durch eine Gleichgewichtsreaktiondefinierten und ein chemisches Gleichgewicht elektrochemisch abbildenden Standardpotenzial nichts zu tun. Der gemessene Wert ist zwar nicht einfach zufallig, beschreibt aber hauptsachlich die Polarisation der konkreten Elektrode und ist daher kaum reDroduzierbar.
'
+ x 0,
+
2 *NO oder *NO,
96 Sdp. von Ameisensaure HCOOH 102"C, von Ethanol 78 "C, von Ameisensaureethylester HCOOC,H, ca. 47 "C. 97 Ein Teil des Esters bleibt gelost, und Ameisensaure zersetzt sich beim Erhitzen teilweise in Wasser (Produktseite der Veresterung !) und CO.
129
3.2 Chemische Basiskonzepte
ist bei niedrigen Temperaturen stark endotherm und kann daher nicht effektiv katalysiert werden. 3.2.5.3 Nichtlineare Kinetik
in Durchflusssystemen Insbesondere katalysierte Reaktionen ktinncn unter Durchflussbedingungen ein sehr ungewiihnliches, auch als ,,exotisch" bezeichnetes Verhalten zeigen: Reaktionsfronten und chemische Wellen treten auf, es kann sogar zu O ~ z i l l a t i o n e nund ~ ~ chemischem Chaos kommen. Chemische Oszillationen sind Prozesse, wahrend derer sich im Fortgang der Reaktion die Konzentration cines Zwischenprodukts - haufig von elementarem Iod - oder auch pH-Wert oder/ und Redoxpotenzial periodisch oder (selten) chaotisch zwischen zwei Grenzwerten verindert. Dies macht sich dann vielfach als wiederholt - bis zu einigen Hundert Ma1 erfolgender - Farbwechsel zwischen zwei oder drei Zustanden bemerkbar. Durchfluss abhangige Oszillationen sind hiiufiger iind erfolgen in weitaus breiteren Parameterfeldern von Temperatur, Druck, Konzentrationen, pH iisw. als solche in geschlossenen Reaktionskammern. Die Gleichgewichtslage ist allerdings kein Problem bei den meisten Umweltreinigiingsprozessen, weil diese mit Ausnahme von Anreicherung entgegen einem Konzentrationsgradienten (umgekehrte Osmose u.ii.) exotherm sind. In der Regel geht es 'ilso ,,nur" darum, eine thermodynamisch ohne weiteres miigliche Reaktion z u hinrei-
98 Man (EISWIRTH et a1 1991 a und b) klassifiziert Oszillatoren sogar danach. ob sie nur bei Durchflusssysternen. also in FlieOgleichgewichtszustanden,oder aber (nicht auch, sondern meist alternativ) in einem ublichen ReaktionsgefaO (batch-Bedingungen) erfolgen Bestimrnte biochemische (enzymatische) Systeme zeigen unter batch-Bedingungen gleichfalls Oszillationen, nicht aber in biologischen FlieOsystemen (das Gros der biochemischen Prozesse sollte auf Grund der ArYStruktur ihrer chemischen Ruckkopplungen [nur/allenfalls] unter batch-Bedingungen zu Oszillationen befahigt sein & MARKERT 2003)) [FRANZLE
130
chend schnellem Verlauf zu bringen (Katalysator, Erhitzung etc.) und dafiir zu sorgen, dass die oben zitierten nicht linearen Effekte untcr Kontrolle gehalten werden k6nnen. 3.2.5.4 FlieBgleichgewichte
in der Biologie, Biomimetik FlieBgleichgewichte spielen, bedingt durch die relative Kontinuitat von Ausatem- und Ausscheidungsvorgangen, die Unmiiglichkeit, alle thermodynamisch mtiglichen Abund Umbauprozesse a n der Nahrung enzymatisch zu katalysieren, sowie die Existenz zahlreicher Membranen, die Diffusionsu. a. Transportvorgange kontrollieren, auch in der Biologie eine zentrale und allgemeine Rolle. Auch biologische Prozesse sind selektiv, auch sie erfolgen unter Flieflgleichgewichtsbedingungen: Organismen sind die ,,klassischen" offenen Systeme. Daher liegt es nahe, im Sinne biomimetischer'" Prozesse die umwelttechnische Prozessflihrung am Vorbild des biologischen Stoffwechsels zu orientieren. Beispielhaft fur dieses Vorgehen sind Verfahren, die semipermeable Membranen nutzen. Menibranreaktoren sind in vieler Hinsicht der Niere vergleichbar. Membranen und selektive Katalysatoren steuern die Dynamik voii Prozessen allerdings in einer Weise, deren theoretisches Verstandnis aulSerst komplex ist und weit uber den Rahmen dieser Darstellung hinaiis fuhrt; Interessierte seien auf die Arbeiten von NK:OI.IS & PRI(;O(;INI< ( 1977) verwiesen. Von EK WIRTH et al. (1996) stammt eine Analyse verfahrenstechnisch kritischer Oszillatio-
99 Biomimetisch heifit (wortlich) das Leben nachahmend Die ,,Kopie biologischer Prozesse und Strukturen kann sich dabei sowohl auf chemische Strukturen (Polyamide/ Proteine) und Prozesse (Cu-katalysierte Ringoffnung von Aromaten) als auch auf Funktionen (Fortbewegung mit Beinen, Flossen oder Schlagflugeln an Stelle rotierender Bauelemente) oder konstruktive Raumstrukturen (KrantragerlRohrenknochen) beziehen Im letzteren Fall spricht man auch von Bionik
Chemische Basiskonzepte 3.2
nen in einern Durchflusssystern (einem vereinfachten Modell des Dreiwege-Katalysators [CO + * N O auf reinem Platin]). Fur die Praxis stellt sich die Frage nach der Stabilitat von (urnwelt-)technixhen Reinigungssysternen, die durch selektive Diffusion und Katalyse in ein nicht lineares Reaktionsregirne gedrangt werden. Ansatzpunkte mangelnder Stabilitat sind auch hier wieder die Mernbranen selbst und das Katalysatorrnaterial, die z. B. exzessiver lokaler Warrnebelastung, Druckaufbau durch Siedevorgange etc. anheim fallen konnen. Ein instruktives Beispiel eines biologischen Membransysterns, das als Filter fungiert,
ist die Niere (Abb. 43). Sie stellt einen Mernbranreaktor dar, in dern die Aufkonzentration von Schadstoffen in einern zur Entsorgung bestirnrnten wassrigen Teilvolumen durch chernische Energiezufuhr (aktiven Transport) erreicht wird. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich von den technischen Methoden zur Flussigkeitsreinigung. In der Technischen Urnweltchernie wird eher auf Losungsrnittelextraktion oder bei Einsatz von Membranverfahren auf die inverse Osmose, also die Zufuhr rnechanischer Energie (Anlegen eines Uberdrucks) zuruckgegriffen. Beide Methoden stehen
Nlerer
I
I
Abb. 43: Aufbau eines Filtrationsorgans (Niere)im Langsschnitt. Der hier rot urnrandete Glomerulus G (Nierenkorperchen) enthalt eine spiralig aufgewickelte dreischichtige Filtermemhran, ahnlich einem technischen Membranfilter. Im angrenzenden Tubulus (Beginn ganz unten irn rechten Bild) werden Ionen und organische Verbindungen riickresorbiert, die der Prirnarfiltration entgingen. Der Ionentransport erfolgt unter Energieaufwand wobei der osmotische Druck des Endharns hiiher sein & MAKKEKT 1997). kann als der des Blutes, analog zur Umkehrosmose (verandert nach OEHLMANN
131
3.3 lmdikationen der chemischen PrinziDien
der Biologie nicht zur Verfugung; sehr hoher Blutdruck gefahrdet vielmehr die Nierenfunktion erheblich. Der biochemische aktive Transport kann dennoch mit der inversen Osmose verglichen werden. Der Rohurin wird durch Ruckentwasserung etwa um das Hundertfache aufkonzentriert. Bei diesem Konzentrationsprozess gelangt man in die Nahe der Loslichkeitsgrenzen von bestimmten Salzen mit biochemisch relevanten Komponenten (Calciumoxalat [Whewellit], Cips) und einigen im Stoffwechsel gebildeten organischen Verbindungen wie Harnsaure. Bei einseitiger Ernahrung oder Nierenfunktionsstorungen konnen diese Stoffe dementsprechend kristallin als Nierensteine anfallen. Dieser Effekt ahnelt dann der Kristallabscheidung auf der Reinigung dienender technischer Membranen, die letztere schnell verstopfen und funktionsuntuchtig machen kann. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht in der Moglichkeit, dass die Membran selbst chemisch angegriffen wird, in der Biologie durch zahlreiche Nierengifte, darunter CdL+-Ionen,nach deren Dauereinwirkung die Nierenmembran sogar f u r so groiSe Molekule wie Proteine durchlassig wird (toxische Proteinurie). 3.2.5.5 Der schwere Weg zum FlieOgleichgewicht
Bislang setzten wir voraus, dass eine mogliche Reaktion, die ein Produkt dem Gleichgewicht entzieht, quasi sofort den Gleichgewichtszustand erreicht. Dies gilt allerdings gerade f u r Fallungen nicht: - es konnen sich metastabile, ubersattigte
Zustande bilden, selbst bei sehr schwer loslichen Salzen wie Bariumsulfat (BaSO,); - Niederschlage konnen dadurch verhindert werden, dass bei entsprechendem pH die Suspensionspartikel gleichnamige Ladungen aufnehmen und sich gegenseitig abstot3en; bei pH-Anderungen (Einmundungen, Einleitungen, Astu-
132
are) erfolgt dann mitunter schlagartige Fallung; - Wenn mehrere Kristallstrukturen der gleichen Substanz moglich sind, scheidet sich zuerst die energiereichere, weniger stabile, besser losliche'OOForm ah, die erst spater (vielfach auf geologischen Zeitskalen) in die thermodynamisch stabilste ubergeht (OSTWALDsche Stufenregel). Gerade in Durchflusssystemen treten durch diese Effekte haufig Erschwernisse ein, die diejenigen ,,zu langsamer" Annaherung an das so nicht erreichbare Gleichgewicht durchaus iibertreffen kiinnen.
3.3 Implikationen der chemischen Prinzipien Die im Abschnitt 3.2 dargelegten chemischen Basiskonzepte definieren Bedingungen und Crenzen fur alle uberhaupt moglichen chemischen Prozesse und folglich auch Perspektiven und Chancen fur deren Anwendung im Kontext der Technischen Umweltchemie. Zwischen den zuvor aus didaktischen Grunden einzeln dargestellten chemischen Basiskonzepten und durch diese erfassten Phanomenen bestehen vielfaltige Beziehungen, deren Auswirkungen sich in heterogenen Systemen besonders gut nutzen lassen. Chemische Gradienten in wassrigen oder Bodensystemen gestatten es etwa, die Abscheidung oder Umwandlung anorganischer und organischer
100 Die Loslichkeitsprodukte unterscheiden sich tells sehr erheblich voneinander: zuerst ausfallendes violettes Chrom(lll)phosphat (CrPO,) hat pK, = 17,0, das stabile Will man also nach Reduktion grune CrPO, pK, = 22,6. chromhaltige Abwasser rnit Phosphat fallen, wird die Chromkonzentration im ablaufenden geklarten Wasser be1 festgelegter Phosphatkonzentration irn Extremfall 400.000 (!)-fach hoher sein als be1 der Bildung von grunern CrPO, veranschlagt (in praxi 1st der Effekt geringer, well meist eine Mischphase {Eisen, Aluminium, Chrom}PO, ausfallen wird. die aber auch der OSIWALOschen Stufenregel unterliegt).
ImDlikationen der chemischen PrinziDien 3.3
Substanzen an definierten Stellen zu bewerkstelligen; Gleiches gilt auf der Basis der Adsorption fur die Heterogenkatalyse einschlieBlich des Einsatzes von Oberflachen, auf denen Ladungsaustausch mit den Sorbaten chemische Folgereaktionen herbei fuhrt (Elektrochemie, Photoelektrochemie). Die gleichen chemischen Prinzipien (mit Ausnahme der reinen Grenzflacheneffekte) gelten selbstverstandlich auch in homogenen Systemen. Grenzflachenphanomene kommen ins Spiel wenn zwischen Ionen oder Kolloidteilchen Flockungs- und Fallungsreaktionen einsetzen. Die chemische Thermodynamik definiert die Randbedingungen fur alle diese Prozesse; eine zusammen fassende Beschreibung fur Redoxreaktionen in wassrigem Medium bieten die POURBAIX-Diagramme. Mit ihnen kann zum Beispiel festgestellt werden, unter welchen Bedingungen von p H und Redoxpotenzial bestimmte Ionen oder Festphasen katalytisch besonders aktiv sind, d. h. welche Reaktionen sie optimal katalysieren, wobei hier auftretende Festphasen redoxaktive Grenzflachen darstellen. So genannte Breitbandkatalysatoren wie Platin und die (noch) selteneren Platinmetalle, insbesondere Ruthenium, verdanken diese Eigenschaft einer ausgepragten Oberflachenreaktivitat (die man bei diesen Edelmetallen nicht erwarten wurde) und einer Vielzahl sich dabei bildender koexistenter Multielementphasen lo'. POURBAIX-Diagramme beschreiben aber auch homogene Redox- und Saurel Base-Systeme. Chemische Bedingungen sind allerdings vielfach umgekehrt durch den zu beseitigenden Schad- oder Reststoff sowie dessen 101 Dies sind zweidimensionale Komplex- oder Verbindungsfilme, die an ihrer ,,Oberseite" mit Gas- oder Losungskomponenten (Stickoxide, organische Substanzen) weiter reagieren oder im Randbereich zwischen unterschiedlich belegten Oberflachenfeldern chemische Wellenfronten ausbilden. Stoffe. die kaum Oberflachenfilme bilden, wie Iridium und vor allem Gold, sind weitaus weniger katalytisch aktiv.
chemische Umgebung vorgegeben (das zu klarende Wasser hat einen bestimmten pHWert); Prozesse, zu deren Durchfiihrung ein Abwasser etwa extrem angesauert oder alkalinisiert werden musste, sind von Nachteil, da nachher (vor einer Abgabe an die Vorflut) eine Neutralisation unter weiterem Stoffverbrauch durchzufuhren ware. Daher stellt sich zumeist weniger die Frage, ob eine gegebene Substanz Katalysator oder stochiometrisches Reagenz in bestimmten Prozessen der Technischen Umweltchemie sein kandkonnte als vielmehr die Aufgabe, fur bestimmte Zwecke geeignete Reagenzien oder Katalysatoren auszuwahlen. Nicht nur unter Aspekten katalytischer Aktivitat sondern auch im nicht katalysierten System tritt neben andere Probleme wie die Moglichkeit zusatzlicher Umweltbelastungen durch das Verfahren immer auch die Frage der Reaktionskinetik. Sie kann ebenso entscheidend fur die Realisierbarkeit eines geplanten umweltchemischen Prozesses oder Verfahrens sein wie die Thermodynamik. Die HAMMETT-Gleichung beschreibt diese Reaktionskinetik fur einen elektrophilen oder radikalischen Angriff an Aromaten einschlieBlich von Metallverbindungen vermittelter Redoxprozesse (z. B. die Oxidation unterschiedlicher Phenole und Aniline durch Chromat); ahnliche kinetische Beschreibungen gibt es fur ungesattigte aliphatische Verbindungen, hauptsachlich Alkene, doch sind diese weniger exakt. Festphasen oder geloste Ionen, die als Redoxkatalysatoren fungieren, sind besonders aktiv in denjenigen Bereichen des POURBAIX-Diagramms, in denen drei unterschiedliche Stabilitatsgebiete aneinander grenzen; der katalytische Prozess stellt dann in seinen Einzelschritten einen Umlauf um diesen Tripelpunkt des Diagramms dar. Bei einer katalysierten Redoxreaktion nahe diesem Tripelpunkt uberfuhrt ein Reduktionsmittel zunachst die Phase A der Katalysatorgrenzflache (ein Teilgebiet des POURBAIX-Diagramms,
133
3.3 lmplikationender chemischen Prinzipien
Mangandioxid M n 0 2 ’ 0 2 j in eine render Strahlung. Bei der praktischen ProPhase B (etwa Mangan(II1)Oxid M n , 0 3 ) , zessfuhrung und der Hochskalierung ZLI wonach Saurebildung durch die Oxidation technischen Verfahren treten haufig Dides Reduktionsmittels zu oberflachlichen mensionierungsprobleme der Anlagen auf, Filmen einer Phase C (Mn2+j fuhrt. meist bedingt durch Schwierigkeiten bei der 1.uftsauerstoff regeneriert dann unter Fal- kontrollierten Energiezu- und -abfuhr lung der sorbierten Mn(II)-Ionen die Phase (Kiihlung bei irn GroRmaBstab durchgeA = M n 0 2 , wodurch der katalytische Zyk- fiihrten exothermen Prozessen, Handhabung der Photolyse in dicken Schichten lus geschlossen ist. Ein praktisches Beispiel ist die 1)isproportionierung von Stickoxi- oder grogen Reaktoren, Dimensionierung den ZLI Stickstoff und Nitrat. Dabei kiin- und Oberflachengestaltung von Elektroden nen auch zwei oder mehr Redoxpaare zu- oder Festbettkatalysatoren). Erschwert sammen wirken, etwa Kupfer-Mangan- wird ebenso die kontrollierte Stofffuhrung oder Kupfer-Vanadium-Oxid-Katalysato- (Ruhren oder Tensideinsatz bei mehrphasircn in der Kauchgasentstickung. Auch gen fliissigen oder Suspensionssystemen i n diese Katalysatorsysteme sind durch die groRen Volumina), f u r die nur teilweise ch c m i sch e The r mod y n a m i k IOi i denti f i zi er - gangige, fertig iibertragbare Liisungen a u s bar (optische Uberlagerung der POUKBAIX- der chemischen Verfahrenstechnik oder der Lagerstattentechnologie vorliegen (Tenside Diagramme wie in Abb. 36). in der Olfiirderung, bacterial leaching etc.). Die Kinetik kann auger durch Katalysato- Nichtklassische Methoden sind zwar haufig ren auch dadurch beeinflusst werden, dass zumindest im Labormagstab effektiv, doch man die umzusetzende Substanz in elektro- gerade im hier geforderten Sinne bisher nische Anregungsziistande uberfuhrt, wel- meist wenig verstanden. Forschungsbedarf che meist nicht nur vie1 reaktiver sind (Ki- richtet sich daher u. E. hier zurzeit weniger netikj, sondern auch zusiitzliche Reaktions- auf die Problemlijsung im Einzelfall - etwa pfade eingehen konnen (Thermodynamik). den Einsatz von Mikrowellen in der thermiHierfur bietet sich die Photochemie an, schen Bodenbehandlung - als vielmehr aber auch nichtklassische Verfahren wie die einstweilen auf ein genaueres Verstehen der Einwirkung von Ultraschall oder ionisie- Prozesse. Ein scale-up ohne eine zLivor ahgeschlossene Grundlagenforschung birgt das Risiko biiser Uberraschungen, wie gerade die Geschichte der Umweltchemie dcs 102 In diesem vereinfachten Beispiel wird von daltoniden Verbtndungen ohne nennenswerte Phasenbrede ausiifteren gezeigt hat: toxikologisch und korgegangen Die gleichen Abgrenzungen liegen dem rosionschemisch ist gegen FCKW absolut PoumAix-Diagramm zu Grunde FlieOende Ubergange nichts einzuwenden aber ihre I’ersistenz in nicht stochiometrischen bertholliden Phasen erfullen aber die gleiche Funktion, auch wenn ihre Funktionsund photochemische Reaktivitat wurden optima nicht ohne weiteres dem Pouwnix-Diagramm seiner Zeit nicht berucksichtigt. Fur die Imentnommen werden konnen Auch MnO, weist eine erhebliche Phasenbreite hin zu Sauerstoffunterschuss plementation von Innovationen und Ver(bis hinab zu ca MnO, Mineral Birnessit) auf fahrcn der Technischen Umweltchemie gilt 103 Formal ware hier die theoretische Behandlung der damit grundsatzlich dasselbe wie fur die Reaktionskinetik anorganischer Redoxsysteme bei Kenntnis der Dimensionen, Bindungslangen usw und Chemikalienprufung und die Technikfolder Differenz der Redoxpotenziale, d h der frei wergenahschatzung in anderen Rereichen, nur denden Energie, durch die MARCUS-Gleichung zu realidass auBerhalb genau definierter Laborsyssieren Diese enthalt aber so viele schwer bestimmbare Terme dass fur Redoxprozesse zwischen groOeren teme (wozu auch Prozesschemikalien und lonen oder Molekulen etwa das erwahnte Phenol/ Losungsmittel in den Reaktoren der chemiChromat-System eine Vorhersage nach Anpassung der betreffenden Terme zwar moglich ist, bei Reaktioschen und pharmazeutischen Industrie genen vonlmit Aromaten die Genauigkeit aber keinesfalls horen) die Anzahl und damit Wechselwirdie der klassischen Behandlung nach HAMMETT uberkungsmoglichkeiten zwischen Chemikalien steigt
z. B.
134
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
weitaus vielfaltiger ausfallen, von ,,Stormgen" wie biologischen und photochemischen Einflussen noch gar nicht zu reden. Stofftransfer und Diffusionsphanomene bewirken Selbstorganisationserscheinungen, die nicht immer erwunscht sind. Membranen eignen sich zwar hervorragend fur Trennprozesse, wie sie bei jeder Reinigung durchgefuhrt werden mussen, und ebenso zur Organisation elektro- und photoelektrochemischer Prozesse, doch bedingt ihre Anwesenheit in Verknupfung mit chemischen Umsetzungen - die hier unumganglich, ja sogar Ziel der Prozedur sind - eine zusatzliche Instabilitat, namlich die Ausbildung von Reaktions-Diffusions-Strukturen; die Umsatzrate pro Flachen- und Zeiteinheit ist dann nicht mehr exakt planbar. Gleiches gilt grundsatzlich bei biotechnologischen Verfahren, da jeder hier einzusetzende Organismus selbst durch Membranen von seiner zu reinigenden Au#enwelt abgegrenzt und auch seine innere Struktur hiervon gepragt ist. In biotischen Systemen bilden sich augerdem - wenn nicht, was schon aus Kosten- aber auch aus Effizienzgrunden (Handhabung von Kontaminantengernischen !) in aller Regel vermieden wird - reine Kulturen eingesetzt werden, Konkurrenzbeziehungen, ja sogar trophische Ketten aus (Amoben u. a. Protozoen fressen Bakterien in Klaranlagen, Hyperakkurnulatorpflanzen werden trotz ihrer hohen Belastung von bestimmten Tieren gefressen). Als Konsequenz ergibt sich, dass die einzelnen Aspekte einer Reinigungsoperation auf der Ebene chemischer Basiskonzepte genau und in deren Vernetzung analysiert werden mussen, eine in beinahe jedem Falle einer Verfahrensentwicklung aufwandige Aufgabe. Dabei kann auch nicht pauschal gesagt werden, biotechnologische Reinigungsverfahren - von der Klaranlage uber die Phytorernediation bis zur radikalischen Oxidation persistenter organischer Verbindungen mithilfe von Pilzenzymen - seien
,,besser" oder ,,schlechter" als chemische, in Sonderheit nichtklassische Methoden. Beim gegenwartigen Kenntnisstand der Biochemie gilt dieser Einwand ebenso und insbesondere bei einem Einsatz okosystemfremder oder transgener Organismen. Bei der Reinigung von Freilandsystemen ist hier groBte Vorsicht geboten.
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4.1 Prozesse als Funktion von Redoxpotenzial und Anregungsenergie Nachdem wir die Umweltkompartimente, ihre Wechselwirkungen untereinander sowie die grundsatzlichen physikochemischen Phanomene und Kontrollparameter der Umweltchemie kennen gelernt und gesehen haben, welche Verfahren in welchem Umweltkompartiment prinzipiell (nicht) realisierbar sind, ist eine integrative Betrachtung angezeigt (vgl. Tab. 18).Wie bereits zur Anwendbarkeit unterschiedlicher Methoden in den verschiedenen Umweltkompartimenten dargelegt, bedingen und begrenzen Eigenheiten der chemischen Prozesse ihre Anwendbarkeit in bestimmten Medien. Weil die nicht klassisch aktivierten Methoden (etwa Mikrowellen oder Ultraschall basierte Redoxprozesse) sich nicht durch einheitliche Reaktionsprinzipien sondern nur durch lokal sehr intensive/dichte Energiezufuhr auszeichnen, lassen sie sich nicht bruchlos in dieses Schema einordnen. Diese energetischen Faktoren, quantifiziert in Parametern wie Redoxpotenzial und Aktivierungsenergie bestimmen jedoch gerade das O h und die GeschwindigkeitfEffektivitat eines im weitesten Sinne chemischen Geschehens in der Umwelt bzw. zu deren Reinigung bestimmter Ap135
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie -
paraturen, weitaus starker als die zu Grunde liegenden Reaktionsmechanismen. Dabei wird in der Gliederung dennoch nach reduzierenden, oxidierenden und Nicht-Redoxverfahren (z. B. Adsorption) unterschieden. Da die Aktivierungsenergie auch eine Funktion etwaiger Katalysatoren wie Metallen (komplexbildende Ionen, Katalysator- oder Elektrodenoberflachen) ist, werden einschlagige Prozesse getrennt besprochen. Reduktive und Fallungsprozesse in Wasser, die Bindung an Biornasse (in Gestalt der Phytoremediation) sowie photochemische Reinigungsmethoden, auch katalysiert durch Halbleiter, werden im Rahmen der Falistudien naher diskutiert, daher an dieser Stelle nur verkurzt behandelt. Der Abschnitt 3.4 schlieflt mit vier Praxisbeispielen. Chernisch gesehen versteht sich von selbst, dass reduktive Verfahren und Fallungsprozesse in Luft wegen derem Sauerstoffgehalt und Gascharakter ausscheiden, ebenso wie in Biiden schnellen Transport erfordernde Prozesse nicht durchgefuhrt werden kiinnen, es sei denn, als ex-situ-Verfahren. Bestimrnte Phanornene und Methoden wie Adsorption und Heterogenkatalyse sind dagegen uberall realisierbar, photochemische Verfahren nur in Luft und Wasser; dort gelingt auch eine effiziente photochemische Sensibilisierung, die in Luft nicht auf Urnwelt vertragliche Weise zu erreichen ware. In Abbildung 44 werden die beiden Parameter - Redoxpotenzial der wirksamen reaktiven Spezies - vorn solvatisierten Elek-
tron bis zum angeregten Sauerstoffatom (aus Ozon) oder *OH-Radikal, vom Leitungsbandelektron in S i c bis zu Valenzbandliichern in z. B. TiO, oder W 0 , 3-, also ca. -2,5 bis + 3,2 V gegen NHE, und - zugefuhrte Aktivierungsenergie (von 0,2 eV bei Physisorption bis etwa 50 eV1 Teilchen bei der Radiochemie)
136
gegeneinander aufgetragen; sie stellt damit zusammen mit Tabelle 18 die geraffte Darstellung dieses Abschnitts dar. Es dominieren Prozesse mit den Komponenten des Wassers. Chemische Hochenergieprozesse wie Radiochemie und Glimrnentladungselektrolyse fiihren dabei dem einzelnen Teilchen etwa anderthalb bis zwei Zehnerpotenzen mehr an Energie zu als bei thermischer Aktivierung (Erhitzung, Mikrowellen) ubertragen werden kannIo4, photochemische Prozesse liegen mit Quantenenergien von etwa 2-7 eV irn Bereich dazwischen. Adsorption als Prozess findet bei noch niedrigeren Energien statt sofern keine Chemisorption auf diese folgt. Als ReduktionsmittelIO' treten in der Technischen Umweltchemie hauptsachlich in Erscheinung: - Kohlenstoff (Aktivkoksverfahren), Eisen,
Sulfidionen (reaktive Wande), das Elektron in flussigem Amrnoniak, Wasserstoffatome, organische Substanz (Abbau von Halogenkohlenwasserstoffen und FCKW in Oxalatschmelzen), Elektronen in Halbleitern, als Oxidationsmittel
H, oder *OH), Fe(II1); Wasserstoffperoxid, zweiatomiger Sauerstoff, Ozon, Ligandenradikale (photoinduzierte Oxidationsprozesse mit Metallkomplexen wie [Fe(0H)l2+)oder an Elektroden anodisch gebildete oxidierte
- Wasser (bildet
104 Hier sind ,,normale" thermische Prozesse gemeint, nicht die Temperaturspitzen in Verbrennungsmotoren und Plasmaentladungen Bei annahernd 3000 K kommt es ja auch schon zu elektronischer Anregung von molekularern Stickstoff rnit der Folge von Reaktionen rnit 0, und Kohlenwasserstoffen. bei denen u.a. *NO en1steht. Dessen niedrigster Anregungszustand liegt bei ca. 3,7 eV (die Emissionswellenlange eines Stickstofflasers betragt entsprechend 337 nm). Typische thermochemisch zufuhrbare Anregungsenergien sind < 2 eV. 105 Die Auflistung folgt nicht streng dem Schema steigenden elektrochemischen Standardpotenzials oder der praktischen Bedeutung sondern es wurde hier ein Kompromiss beider Ordnungskriterien versucht.
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
1
0 1 6
I
I
0
I
-3
I
I
2
I
I
I
I
I
I
-2
-1
0
+I
+2
+3
Redoxpotential im Grundzustaod [V gg.
+
NHE]
Abb. 44: Auftragung der mit den Verfahren der Technischen Umweltchemie bei Redoxprozessen realisierten Aktivierungsenergien gegen das Redoxpotenzial im Grundzustand der reaktiven Spezies. Bei Reaktionen unter Beteiligung von Wasser wird das Standardpotenzial der Reduktion zu Wasserstoff zu Grunde gelegt, bei Wasserstoffperoxid und Ozon analog die Potenziale der Reduktion zu Wasser bzw. 0, + Wasser. Bei photochemischen Prozessen entspricht die hier angegebene Aktivierungsenergie der jeweiligen Licht- oder UV-Quantenenergie. Bei 1 1 ) und 12) treten Energieintervalle auf, da es sich um unterschiedliche reaktive Spezies handelt, bei 7a) und 7b) liegen physikalisch gekoppelte Prozesse an den beiden Bandern desselben Halbleiters vor. Genau genommen ist die Situation fur die Wasserphoto- [4)], -sono- [ l o ) ] oder -radiolyse ahnlich, doch wird hier nach den experimentellen Daten vom Uberwiegen oxidativer Prozesspfade ausgegangen. 1) reaktive Wand aus Eisen 2) solvatisierte Elektronen in flussigem Ammoniak 3 ) Glimmentladungselektrolyse in Wasser 4) Direktphotolyse von Wasser ( hs 190 nm) 5) Hydrolyse in iiberkritischem Wasserlfluide Verbrennung 6 ) Wassrige Photooxidation mittels [Fe(0H)l2+(A = 350 nm) 7) a ) Oxidation durch Valenzbandlocher und b) Reduktion durch Leitungsbandelektronen in belichtetem TiO, (Rutil) bei h < 380 nm 8) H,O,lhw (A = 220 nrn) 9) Ozonlhu ( h = 313 nm) 10) Sonolyse von Wasser (Ultraschall) 1 1 ) Elektrooxidative Erzeugung reaktiver Metallionen [Ag(II), Co(III),Mn(lII),Ir(V) etc.) in Wasser 12) durch den Halbleiter Bi,O, katalysierte Photooxidation organischer Substanz mithilfe von Ligandenradikalen (System [6] + Heterogenkatalysator; h > 420 nm) 13) Photooxidation von Aminosauren (EDTA) oder Phosphonsauren, wenn koordiniert an Fe(II1) 14) Reduktion von Schwefelsaure a d i n Aktivkoks (BergbauforschungRJhde-Verfahren) 15) Reduktion von Organohalogenverbindungen an Sulfidmineralien bzw. Kompost (als reaktive Wand) 16) Direkter Elektronenstrahl
137
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie
Metallspezies wie Mn(III), Co(III), Ag(II), Ir(IV/V),Valenzbandlocher in Halbleitern etc. Alle diese Stoffe besitzen gut definierte Standardpotenziale, die einschlagigen Tabellen entnommen werden konnen. Wir gliedern somit wie folgt in fiinf Kategorien: Kategorie 1: niedrig aktivierte Prozesse unter reduzierenden Bedingungen Dies sind in erster Linie spontan verlaufende therrnochemische Reaktionen mit Reduktionsmitteln, etwa in reaktiven Wanden. Kategorie I I: hoch aktivierte Prozesse unter reduzierenden Bedingungen Photo- und sonochemische Prozesse fallen in diese Kategorie, wenn Wasser gespalten wird, aber eine Senke fur *OH-Radikale vorhanden ist oder/und durch Zugabe geeigneter Katalysatoren oder pH-Werterhohung ins Alkalische dafur gesorgt wird, dass die parallel entstehenden Wasserstoffatome in aquatisierte Elektronen ubergehen bzw. katalytisch beschleunigt reagieren. Ein praktisches Beispiel hierfiir ist die Sonochemie in Gegenwart eines Nickelkolloids. Sie erlaubt eine schnelle hydrierende Spaltung von chlorierten Aromaten und Aliphaten. Photoelektrochemische Prozesse zahlen hierzu, wenn p-Halbleiter relativ groBer Bandliicke (direkte Anregung des Halbleiters) verwendet werden. Kategorie I1 I: niedrig aktivierte Prozesse unter oxidierenden Bedingungen Hierzu zahlen u. a. elektroinduziert katalytische Prozesse an Anoden: zwar sind die erreichbaren Potenziale hoch genug, um auch schwer oxidierbare hoch toxische Substanzen wie Triorganozinnverbindungen (STICHNOTHE et al. 2005) oder phosphororganische Kampfstoffe zu mineralisieren, doch konnen so nur relativ flache Aktivierungsschwellen iiberwunden werden: Uberspannungen betragen selten mehr als 1 V (ein Problem bei der anodischen Oxidation von Nitroverbindungen oder 138
Aliphaten in einem notwendiger Weise wassrigen Medium), thermochemische Folgeschritte wie Reaktionen zwischen Ag2+ und Phosphonatestern (z. B. Sarin) erfolgen nur dann rnit brauchbaren Raten, wenn die Aktivierungsschwelle wenig hoher als 0,5 eV (- 50 kJ/mol) ist. Ebenfalls zu dieser Kategorie zahlt die ,,fluide Verbrennung": Oxidation organischer Substanz durch Luftsauerstoff in uberkritischem Wasser bei ca. 400 "C. Kategorie I i: hoch aktivierte Prozesse unter oxidierenden Bedingungen Dies sind insbesondere photo- und sonochemische Prozesse in Gegenwart von Oxidationsmitteln; photoelektrochemische Prozesse zahlen hierzu, wenn n-Halbleiter (direkte Anregung des Halbleiters) oder aber Kombinationen von adsorbierten Komplexen und p-Halbleitern verwendet werden. Hier sollen nur die wichtigsten Prozesse erlautert werden. Kategorie V: Nichtredoxprozesse unterschiedlicher Aktivierungsenergie Diese Kategorie sammelt nicht etwa ,,sonstige Effekte" minderer Bedeutung sondern sie enthalt Prozesse von groger praktischer Tragweite, so die ganze Vielfalt sorptiver Reinigungsverfahren und die Bindung a n Biomasse: Sie werden von den Kategorien I-1V abgegrenzt, weil ihr Funktionieren eben nicht primar auf Redoxprozessen beruht; an der Anreicherung von Schwermetallen oder organischen Verbindungen in Biomasse (z. B. Phytoremediation) sind Redoxprozesse hochstens untergeordnet beteiligt, obgleich der Energiestoffwechsel fast aller Lebewesen (mit Ausnahme bestimmter Methanbildner), auch der der zur Phytoremediation verwendeten Pflanzen, auf Redoxreaktionen basiert. Grundlage der Phytoremediation sind vielmehr Verteilungsgleichgewichte, die mit dem Wasser-Oktanol-Koeffizienten beschrieben werden konnen, bzw. bei den Metallen die Komplexbildung im
Halogenkohlenwasserstoffe (reagieren mit Sulfiden nukleophil, nicht Redox); Schwermetalle (als Sulfide oder Hydroxide)
Reaktive Wand (Fe oder Kompost); Halogenkohlenwasserstoffe
Phosphatfallung mit Fe(lll) oder AI(II1) in Klaranlagen
GroOtechnisch realisiert
Rauchgasentschwe- SO,; GroOtechnik felung in wassriger (ubliches Verfahren) Dispersion; Gipsbildung unter Oxidation von SO,
Fallungsprozesse
-
Einbringen von Ton- Stand der Technik, mineralien, Torf und meist im kleinem MaOKoks als Sorbentien in stab durchgefuhrt Chemikalienbelastete Boden, auch: Umkleiden von Deponien und Altlasten (Barrieretechnologie)
Halogenierte Kohlenwasserstoffe, auch aus der Trinkwasserchlorierung; GroBtechnik
Trink- und Abwasserreinigung durch Sorbentien wie Aktivkohle, Tonmineralien, Wasseraufbereitung mit Zeolithen
NO,, SO, Quecksilber; Braunkohlenkraftwerk BayreuthArzberg; 950.000 m3/h Rauchgas 30.000 t/a Schwefelsaure
Rauchgasreinigung (NO, + SO,) an Aktivkoks; nach SO,-Bindung fungiert C als Reduktionsmittel
Sorptive Verfahren
Reaktive Wand Metallsalze. haloge(Eisen). Bodenwanierte Kohlenwassersche mit Alkalimetal- stoffe. Reaktive len in flussigem Wande. weltweit einige Ammoniak Hundert kleinere bis groOe Anlagen: reduktive Bodenwasche eirizelne Anbieterfirmen
Nitrat (Eutrophierung): GroOtechnik In Seen: Schwefelsaure (Versuchsstadium). Metallsalze. halogenierte Kohlenwasserstoffe mit reaktiven Abflussgraben an Teichen. einzelne Anwendungen im GroOmaOstab Elektrohydrierung: Versuchsstadium
Denitrifizierung (Klaranlage) Reaktionsgraben mit Eisen und reduktive Seenentsauerung, Pilotanlagen (hydrierende) elektrochemische Reduktion von Halogen- und Nit roorganika
Radiochemische Reduzierbare organiReduktion (Elektrosche Substanz. Pilotnenstrahl mit Wasser- anlagen stoff- oder Erdgas im Gemisch)
Reduktive Vertahren
Schadstoff(e), Praxisbeispiel, Groknordnung
Umweltkompartiment Boden
Schadstoff(e), Praxisbeispiel, Groknordnung
Umweltkompartiment Wasser
Schadstoff(e), Praxisbeispiel, Groknordnung
Umweltkompartiment Luft
Methode
Tab 18: Methoden der Technischen Umweltchemie und deren Anwendungsbereiche in den Umweltkompartimenten (Schadstoffspektrum, Methode, Anwendungsmagstab). Farbwiedergebungen vgl. Kategorien ( K ) im Text: \ i o l c t l ch 11; r o t Ih 11); grun ( K 111); ~ I J I I Ih I\'); schwarz (K V).
A
P 0
Umweltkompartiment Luft
Schadstoff(e), Praxisbeispiel, GroOenordnung Fentons Reagenz zahlreiche kleinere Anwendungen fur Farb- und Sprengstoffruckstande;
Anodische Oxidation von Wasserinhaltsstoffen (Phosphonatester) katalysiert durch AS*+; Fluide Verbrennung (Oxidationen in uberkritischen Wasser); Oxidation mit Fe(ll)/ HO , , (Fentons Reagenz); Elektrochernische Glirnrnentladung fluide Verbrennung, anodische Oxidation, Kleinanlagen
Glimrnentladung Pilotanlagen auch zur Wassersterilisierung;
Schadstoff(e), Praxisbeispiel, GroOenordnung
Umweltkompartiment Wasser
Bindung an Biowascher fur Biomasse Abgase, Losungsmitteldampfe usw.
v. a. organische Darnpfe aber auch Stickoxide
Biologische Klarstufe: Nitrifizierungl Denitrifizierung, Faulturrn
Photooxidation komplexbildender Schadstoffe (Liganden wie EDTA. Glyphosatr mit Fe(I 11)
Schadstoff(e), Praxisbeispiel, GroOenordnung
Essentielle Elernente Phytorernediation (Stickstoff, Phosphor), Schwerrnetalle; GroOtechnik
Organische Kontarninanten, Schwerrnetalle wie Cd, Ni, Cu, Zn, TI; in die Technik eingefuhrt
Anodische Oxidation Oraanozinnverbin" von Schlarnrninhalts- dungen; Pilotanlage in Brernerhaven stoffen
Umweltkompartiment Boden
Photo-Fenton- tino Pilotanlagen in techni- (undurchfuhrbar) Photolytische Gas-/ Photoch CO, Nichtrnethanschem MaBstab (Texmische Ver- Kohlenwasserstoffe, Luftreinigung an TiO,, U V Peroxon-MeVersuchsstandorte irn thoae. Photolysen 8.1 til- und Autornobilfahren .NO,, Biofilrne StraOenverkehr. Rei- TiO, Direklphotolyse industrie) nigung von Dach(-zie- VGR Wassei Photohygel)flachen rnit glei- drolyse halogenorgacher Methode nische Verbindungen;
Weitere oxidative Verfahren
Methode
Tab. 18: Fortsetzung
Schadstoff(e), Praxisbeispiel, Grobnordnung
Staube aller Art; GroOtechnik
Meerwasserentsalzung durch inverse Osrnose
Staub; GroOtechnik
Elektrokoagulation
Elektrochemisch induDreiwegekatalysator CO, Nichtmethan(kornbinierte Redox- Kohlenwasserstoffe zierte katalytische prozesse an Schad- (auch arornatische), Hydrierung .NO,; irn Ottornotorstoffen) fahrzeug allgemein ublich
Nichtche- Elektrostaubfilter, mische Koronaentladung elektrische Verfahren
Mehrstufige katalytische Methoden
MechaniMechanische Luftsche und filterung (invers-) osmotische Filterprozesse
Extraktionsmethoden
(keine SchadstoffElektrokinetik entfernung, nur Schlamrnverdichtung)
Halogen- und Nitroaromaten, Sprengstoffproduktionsruckstande; LaborrnaDstab
Salze, ionogene Chemikalien; GroOtechnik
Wasser (Bodenverfestigung), geloste ionische und nichtionische Schadstoffe; haufig angewandt
Bodenwasche rnit Stand der Technik a) Tensiden oder organische Kontamib) uberkritischem CO, nanten bzw. bei Tensideinsatz auch Schwermetalle
SO, und =NO,; Pilot- Klarschlamrnbehand- Pharrnaruckstande, Therrnische Boden- Fluchtige Kohlenanlagen, Versuche in lung rnit Ultraschall Schwerrnetalle; in die behandlung rnit Mikro- wasserstoffe; einzelne Technik eingefuhrt wellen technische AnwenGroOkraftwerken dungen
Umweltkompartiment Boden
SO,- und *NO,Abscheidung sowie Entstaubung durch Elektronenstrahl (Radiochemie)
Schadstoff(e), Praxisbeispiel, GroBenordnung
Nichtklassisch aktivierte Verfahren
Umweltkompartirnent Wasser
Schadstoff(e), Praxisbeispiel, GroDenordnung
Umweltkompartiment Luft
Methode
Tab. 18: Fortsetzung
5
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CD
5
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3
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3 0 3 .;
4
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3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie
Wurzelraum. Bei Adsorptionsvorgangen erfolgt ein begrenzter Ubertrag von Ladung; Chemisorption kann formal ein Redoxprozess sein (etwa die Bildung oberflachlicher Oxide, Nitride und Hydride aus 0,, *NO,, H, oder Kohlenwasserstoffen) - daher die Formulierung ,,nicht primar [ein Redoxvorgang]". Ahnliches gilt fur die elektrophysikalischen Reinigungs- und Transportprozesse, die der Kategorie V zugeordnet wurden: elektrochemische Prozesse in der Gasphase sind Vorbedingung der Wirksamkeit eines Elektrofilters, werden im weiteren Reaktionsverlauf an Staubpartikel und Anode aber wieder ruckgangig gemacht. Bei elektrokinetischen Verfahren (Wassertransport im Boden) sind elektrochemische Begleitprozesse sogar eindeutig storend. Dies sind fast durchweg unter milden Bedingungen eintretende thermisch aktivierte Prozesse; hohe Aktivierungsenergien werden nur bei der Chemisorption erreicht (vgl. das Phanomen der Tribolumineszenz), daher erfolgt hier keine derjenigen bei den Redoxprozessen analoge Unterteilung nach Nieder- und Hochenergieprozessen.
3.4.2 Reduktionsprozesse 3.4.2.1 Reduktionen mit niedrigerer Aktivierungsenergie (thermochemisch)
Die Reduktionen, die im Folgenden beschrieben werden, sind gewijhnliche thermochemische Prozesse: Es werden zwar teils hoch reaktive Teilchen erzeugt, mitunter in nicht konventionellen Medien wie fliissigem Ammoniak, aber es wird weder mit sehr hohen Temperaturen gearbeitet noch einzelnen chernischen Bindungen vie1 Energie zugefiihrt (dass die schmelzflusselektrolytische Produktion des zur Gewinnung solvatisierter Elektronen benutzten metallischen Natriums vie1 elektrische Energie erfordert, ist kein Widerspruch zu dieser Aussage). 3.4.2.1.1 Reduktionen mit solvatisierten Elektronen
Bis vor kurzem eine reine Labormethode, ist die Reduktion mit solvatisierten Elektronen in fliissigem Ammoniak oder in Aminen wie Morpholin inzwischen zu einem technischen Verfahren der Bodenwasche gediehen; es wird ex-situ wegen des zur
Modellreaktionen
Im Labor- und Technikumsversuch wird die Effizienz unterschiedlicher Verfahren gegen bestimmte umweltrelevante Stoffklassen meist mithilfe von Modellsubstanzen untersucht. Gangige Modellstoffe zum Vergleich von Effizienz und Produktverteilung zwischen verschiedenen Verfahren sind etwa 4-Chlorphenol, Phenol selbst, 2,4-Dimethylanilin sowie einfache PAKs wie Anthracen. (Reduzierende) Enthalogenierungsreaktionen werden meist modellhaft an Tri- und Tetrachlorethen, Chloroform und Halogenbenzolen untersucht. Dies erlaubt einen Vergleich nicht nur der Produktverteilung sondern auch der Energieeffizienz und des anderweitigen Aufwands zwischen verschiedenen Methoden. 142
Abb. 45: Auflosung von Natriummetall in flussigem Ammoniak. Die zunachst entstehende verdiinnte Losung ist dunkelblau (links), die (weniger dichte) konzentrierte bronzefarben (rechts). Wasserstoff wird nicht frei; die Eigenfarben sind die solvatisierter Elektronen (blau) bzw. Elektronenpaare.
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
NH3-Verflussigung notwendigen Drucks (rund 6 bar) und zur vorherigen weitgehenden Entwasserung durchgefuhrt. Losungen solvatisierter Elektronen in Amrnoniak (Abb. 45) und Aminen entstehen in den meisten dieser Losungsmittel spontan bei Zusatz fester unedler Metalle wie der Alkalimetalle (technisch wird fast immer Natrium verwendet), der Erdalkalien von Calcium aufwarts oder bestimmter Lanthanoiden. Anders als in Wasser konnen sie dort uber Monate hinweg gelagert werden. Diese je nach Konzentration dunkelblauen bzw. bronzefarbenen Losungen spalten einerseits funktionelle Gruppen reduktiv ab, bewirken andererseits eine Reduktion von Aromaten zu weniger toxischen Stoffen (Birch-Hydrierung). Nach der Bodenwasche wird das nach Druckentlastung auf 1 bar verbliebene Ammoniak mit Wasser ausgewaschen und der Boden kann mikrobiell wieder besiedelt werden. Besonders gut zu entfernen sind Nitroverbindungen, etwa Sprengstoff- oder Herbizidruckstande und halogenorganische Verbindungen; Schwermetalle wie Blei, Nickel, Kupfer und Quecksilber werden zu den Elementen reduziert und so immobilisiert. 3.4.2.1.2 Adsorptive und heterogenkatalytische Verfahren in der Rauchgasreinigung
Ein Beispiel fur reversible Physisorption, einen niederenergetischen Prozess fast ohne eigene Aktivierungsbarriere, bietet die Bindung von Schwefeldioxid an Aktivkoks, das so aus Rauchgas abgetrennt wird. Der Aktivkoks wird erhitzt, regeneriert, kann neu ,,beladen" werden, wahrend das SO, zu Schwefelsaure, Gips oder anderen Chemiegrundstoffen verarbeitet wird. Dabei erfolgt Reduktion von Stickoxiden durch zunachst SO, (im adsorbierten Zustand), dann (bei Erhitzung des Aktivkokses) der gebildeten und adsorbiert verbliebenen Schwefelsaure durch elementaren Kohlenstoff. Chemisorption spielt
u.a. bei der Zerlegung von Stickoxiden in die Elemente eine Rolle, formal die Reduktion von N106. Beispiele fur das Zusammenspiel rein adsorptiver mit heterogenkatalytischen Prozessen bei der Luftreinigung sind die Folgenden: Stickoxide *NO, werden auf Metallen chemisorbiert; *NO, ubertragt zusatzlich Sauerstoff auf diese sowie auf Ceroxide. Die Entstickung von Rauchgasen oder Dieselabgasen gelingt dann mit verschiedenen Katalysatoren ( u . a. Platinmetallen) und terminalen Sauerstoffakzeptoren (im Abgas enthaltenen chernischen Reduktionsmitteln). Die seit langerem etablierten Desonox- u.a. Verfahren sind chemisch als Varianten der Bleikammerreaktion (durch Stickoxide katalysierte Luftoxidation von Schwefeldioxid) aufzufassen. 3.4.2.2 Katalytische Reduktion
Hohere Aktivierungszustande als die einfachen thermischen Reduktionen stellen katalytische Verfahren dar, da diese es gestatten, Energiebarrieren uber den sonst ublichen mit technisch sinnvoller Rate zu uberwinden, auch ohne elektromagnetische Strahlung 0.a. einzusetzen. Auf den Dreiwegekatalysator als ein komplexeres System wird als Praxisbeispiel 1 (Abschnitt 3.4.6.1) eingegangen. 3.4.2.2.1 Neue Wege katalytischer Denitrifizierung/EntschwefeIung
Vorteilhaft fur die Rauchgasreinigung ist, dass die Selektivitat in beiderlei Hinsicht (N2-Bildung und NO,-Reduktion) genau dann ansteigt, wenn ein typischer zweiter Kontaminant, namlich Schwefeldioxid, zugegen ist. Als Katalysator dient hier auf 106 Dieser Prozess kann grundsatzlich spontan und ohne Reduktionsrnittel ablaufen. da alle urnweltrelevanten Stickoxide endotherme Verbindungen sind und daher unter Energiefreisetzung in die Elernente zerfallen konnen ohne dass weitere Reduktionsmittel von Noten waren
143
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie
Kieselgel in Form relativ groRer Partikel dispergiertes 1ridiumlo7 (0,02 YO) (YosHINARI et al. 2001). Die besondere Wirksamkeit von Iridium diirfte darauf zuruckgehen, dass es an der Oberflache aus Stickoxiden in Gegenwart von SO, und Sauerstoff die seit langem ( DELEPINE 1906) bekannten dreikernigen Nitrido- oder Oxo-sulfatokomplexe wie [Ir3(p3-N)(SOJpI2-als Zwischenprodukte bilden kann. Hinzu tretende Kohlenwasserstoffe oder C O regenerieren die Metalloberflache, ohne dass einmal gebildetes Sulfat riickreduziert wurde. Sauerstoff und * N O oxidieren Iridium oberflachlich schnell, wobei ein sehr stabiler und Saure unloslicher, aber nicht alkalibestandiger Oberflachenfilrn entsteht, der Iridium zum a m schwersten korrodierbaren Metall uberhaupt macht, obwohl sein Oxidationspotenzial erheblich niedriger liegt als die von Platin oder Gold. So resultiert ein kinetisch schnell durchlaufener katalytischer Zyklus der kombinierten Entschwefelung zu Sulfat(-losung)und Entstickung (zu N2). Bemerkenswert ist, dass das Yoshinari-System ohne zusatzliche keramische Sauerstoffiibertrager wie Cerdioxid auskommt; hierin spiegelt sich vermutlich die relativ gunstige Stabilitat oberflachlich gebildeter Iridiumoxide, u.a. IrO,. Erst bei Sauerstoffanteilen uber vier Prozent im Restgas (also t 1,2) kommt die StickstoffmonoxidReduktion durch H, zu Gunsten derjenigen von 0, (also der alleinigen Wasserbildung) zum Erliegen; die Funktionsgrenzen des Dreiwege-Katalysators sind verglichen hiermit weitaus enger (< 1 YO0,).
107 Auch wenn derzeit der globale lridiumverbrauch bei nur ca 3 tla liegt (uberwiegend anorganisch-chemische Forschung, Zundkerzen- und Fullfederspitzen [EMSLEY 20011) wurde eine Aufskalierung zu einem technischen Prozess in Kraftwerken oder Dieselfahrzeugen nicht an der mangelnden Verfugbarkelt von Ir scheitern Iridium neigt auOerdem weniger zu partikularem Austrag als das relativ weiche Platin oder Rhodium, von Palladium ganz zu schweigen Damit sollte das Recycling der Katalysatoren effizienter hinsichtlich des Edelmetalls werden
144
3.4.2.2.2 Katalytische Enthalogenierung mit kathodisch gebildetem Wasserstoff an Platinmetallen oder Raney-Nickel Aromatische Halogenverbindungen, insbesondere solche, die noch zusatzliche Akzeptorgruppen wie Nitro-, Cyano-, Esteroder Sulfongruppen enthalten, sind kathodisch zu Radikalanionen Ar-Hal-. reduzierbar. Diese bilden unter Verlust eines Halogenidions Arylradikale, welche durch Sauerstoff angreifbar sind sowie Wasserstoff von zugesetzten Substanzen wie Huminsauren, Zuckern, Alkoholen etc. abstrahieren konnen. Die Halogenabspaltung verbessert auch die mikrobiologische Abbaubarkeit. Das kathodische Reduktionspotenzial fallt dabei aber soweit ah, dass in Wasser eine vollstandige Enthalogenierung nicht moglich ist, sondern die Reaktionsfolge bei Monohalogenbenzolen endet. Dieses, z. B. Ph-CI, kann dann oxidativ weiter umgesetzt werden; als Reduktionsmethoden kommen die rusty wall (Fallstudie 4.1) oder katalytische Hydrierung (Wasserstoff entwickelt sich an einer Kathode aus Ni, Ru, Pd oder Pt, die ihn dann auch auf organische Substrate ubertragt) in Betracht (KOPINKEet al. 2000). Einfache oder verbriickte PCBs lassen sich hydrierend ebenso wenig zu halogenfreiem Biphenyl bzw. Fluoren umsetzen, sondern ein bis zwei Chlor- oder Bromsubstituenten bleiben am Ringsystem gebunden. Die Elektroreduktion von Nitroaromaten fiihrt zu teilweiser Abspaltung von Nitrit, wobei sowohl einfache Arene als auch Phenole gebildet werden. Neben diesen Reaktionen kommt es zur Bildung von Anilinen und Stoffen mit diversen anderen Oxidationsstufen des a m Aromaten gebundenen Stickstoffs; die resultierenden Produktgemische sind meist karzinogen, das Verfahren mithin problematisch. Aliphatische Halogenverbindungen sind so in der Regel gar nicht reduzierbar.
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
3.4.2.3 Reduzierende Prozesse mit hoher Aktivierungsenergie Dazu gehoren Methoden, die bisher eher als Laborverfahren anzusprechen sind. Eine Aufskalierung in Versuchsanlagen ist fur einzelne Verfahren erreicht worden; sie seien daher kurz angesprochen:
Sonochemische Reduktion in Gegenwart von Katalysatoren wie Raney-Nickel, die aus dem Wasser oder zugesetzter organischer Substanz (z. B. Methanol oder Klarschlamm) durch die Ultraschalleinwirkung erzeugten Wasserstoff auf Schadstoffe ubertragen und Reduktion von Stickoxiden und halogenreichen Kohlenwasserstoffen im Elektronenstrahl oder in einer Plasmaentladung, wobei dem Gasstrom Reduktionsmittel wie Wasserstoff oder Erdgas zugesetzt werden. Bei der Sonolyse von Wasser erfolgt eine Zerlegung in Wasserstoff und H,02. Beide Produkte sind in dem Rahmen, den die Sonolyse selbst setztlo8, selektiv katalytisch aktivierbar. Ein organisches Substrat kann dann u. U. zunachst an Ni oder Pt hydriert werden, wonach es sonochemischer Oxidation unterliegt. Das - erwunschte Ergebnis ist die weitgehende Mineralisierung. Selbst polymere Stoffe konnen so gespalten werden. Klarschlamm als sonochemische Wasserstoffquelle reduziert darin enthaltene Halogen- oder Nitroverbindungen, ohne dass diese erst isoliert werden mussten.
108 Das heiOt insbesondere. dass nur neutrale Reagenzien, keine lonen und auch keine sehr polaren Stoffe in der Kavitationsblase zur Reaktion gelangen konnen. Die katalytische Hydrierung vollzieht sich daher bevorzugt im Flussigkeitsvolumen zwischen den Blasen; die Katalysatoren sind relativ bestandig gegen sonolytischen Angriff. werden aber feiner dispergiert und dadurch zusatzlich aktiviert. Dies kann freilich Probleme bei ihrer Rijckhaltung im ReaktionsgefaO zeitigen (Inversosmose erforderlich).
Bei der Elektronenstrahl- oder Plasmabehandlung organischer Substanz mit Erdgas fuhrt der Gehalt der zu reinigenden Substanz an Stickstoff in der Regel zur Bildung von HCN. Liegt in einem tendenziell redoxneutralen Rauchgas C nur noch als CO, mit Spuren anderer Komponenten vor, verlauft die Reduktion von *NO, mit Wasserstoff relativ sauber. Das aus Wasserstoff bzw. Erdgas und den im Elektronenstrahl oder Plasma gebildeten Reaktionsprodukten bestehende Gasgemisch wird energetisch verwertet, wobei auch H C N vollstandig abreagiert.
3.4.3 Oxidationsvorgange Auch hier sollen zunachst wieder Reaktionen niedriger Aktivierungsenergie, d. h. ohne Einfluss elektromagnetischer oder ionisierender Strahlung betrachtet werden. Es sind dies wiederum thermochemische Prozesse, die oft bereits bei Raumtemperatur ablaufen.
3.4.3.1 Das Fenton-System: reduziertes Metallion [Fe(ll), Ti(lll)] in Kombination rnit Wasserstoffperoxid Die FENTON-Reaktion dient dazu, besonders problematische Abwasser oxidativ zu behandeln, mit oder ohne zusatzliche photochemische Aktivierung (letzterer Fall leitet iiber zur Kategorie IV: AOPs mit hoher Energiezufuhr). Zur Fenton-Reaktion wird ein Gemisch von Fe(I1) oder anderen reduzierenden Metallionen und Wasserstoffperoxid benutzt. Die Reaktion von H202 mit reduzierten Metallionen ergibt entweder OH-Radikale nach
Ti3++ H,O, (langsam!)
-
Ti02++ H' + *OH
oder fiihrt auf ,,exotische" hohe Oxidationsstufen, etwa Fe(IV) als Ferryl(1V)-Kation [FeOI2+,die dann auch reaktionstrage 145
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie -
Substrate wie Alkane angreifen. Die Reaktionsprodukte v o n Anilinen, deren Reaktion mit * O H bekanntermaflen nicht z u r Ringiiffnung fuhrt, zeigen den Beitrag von [FeO12+ 'OY; aus dem Ring entsteht hauptsachlich Oxalsaure: FeL++ H,O,
-
[Fe'VO]2++ OH- + H +
Die Keaktivitat der Ferrylspecies gegeniiber Alkanen, selbst gegeniiber Anilinen, die auch in Wasser schnell mit * O H reagieren (vgl. Abschnitt 3.2.3), ist soviel hiiher als die von *OH, dass nur wenig an Hydroxyladditionsprodukten anfallt. Die FentonReaktion und mehr noch deren photochemische Variante bewirken daher einen sehr effektiven Abbau. Da das mit Eisensalz/ H,02 entstehende Ferryl(1V)Ion eine erheblich hiihere Reaktivitat als das OH-Radikal in Wasser aufweist, werden auch andere persistente Stoffe wie PCBs recht gut a hge ha ut. Eine solche Oxidation verhindert gerade bei Pharmazieabwassern deren meist ausgepriigten negativen Einfluss auf die Klarschlammbiologie und Mikroorganismen in der Vorflut, eine Folge der bei vielen Medikarnenten intendierten bioziden Wirkung. Ehenfalls wichtig ist dies im Hinblick auf endokrin wirksame Stoffe, von denen der Hauptwirkstoff der ,,Pille", 17Ethinyliistradiol, als persistent einzustufen ist. Eine andere endokrin wirksame (Oehlmann ct al. 2000) Industriechemikalie ist der Kunststoffbaustein (Polycarbonat-Polymere) Risphenol A. Er Iasst sich in einem elektrochcmisch assistierten Fenton-Prozess gut abbauen (Gozmen et al. 2003). Dies ist eine biomimetische Reaktion, vgl. die Funktionsweise von Cytochrom P 4.50 und verwandter Enzyme (KAIM& S c t n w -
109 Wahrscheinlich 1st die erstgenannte Reaktion, die mit Fe(ll) weitaus langsarner als bei Titan(ll1) u a Reduktionsrnttteln verlauft irn Eisensystern in Wirklichkeit Ergebnts einer Folgereaktion zwischen Eisen(lV) und Fe3++ .OH + OH Wasser [Fe'"Oj2++ H,O
-
146
1991), bei denen allerdings Sauerstoff und nicht H,O, als 0-Quelle verwendet wird. I)ERSKI
3.4.3.2 Oxidation mit/in uberkritischem Wasserdampf
Bei Temperaturen und Drucken oberhalb der kritischen Daten (374 "C, 22,l MPa) verhalt sich hochkomprimierter Wasserdampf (sc-H,O) wie ein unpolares, daher auch fur zahlreiche Organika geeignetes, doch stark oxidierendes Liisungsmittel (alle Gase sind miteinander mischbar); die Unpolaritat verringert aber die Liislichkeit von Salzen wie NaCl stark. Man erreicht weitgehende Mineralisierung organischer Verbindungen, so zerfallen hiihere, insbesondere verzweigte Aminosauren innerhalb von Minuten bis ZLI Glycin, Acetat, CO, was fur die Entsorgung synthetischer, mikrobiologisch nicht abbaubarer Vertreter wie EDTA u. a. organischer Schadstoffe relevant ist. Die Oxidationswirkung kann naturlich durch Zumischen von Sauerstoff und bestimmter Oxidationskatalysatoren wie Metalloxiden gesteigert werden. Eine Beimischung von Sauerstoff zum superkritischen Fluid schafft verbrennungsahnliche Bedingungen und Prozesse. O b hijherer Druck oder hiihere Wasser(dampf)dichte die Umsetzung eher hemmen oder beschleunigen, hangt stark vom konkreten Schadstoff ab; die Hydrolyse a I i p h a tisc he r Ha 1ogenve r hi n d u ngen w ie CH,CI, erfolgt schneller unter knapp unterkritischen Bedingungen (320-340 "C/ ca. 15 MPa), unter denen Wasser noch H-Briicken ausbildet, als in sc-H,O. Die also notwendige Einzclfal1optimie;ung ist bei komplizierten Stoffgemischen kaum moglich, wie sonst meist auch eine Nachbehandlung erforderlich, wenn nicht sehr einheitliche Reststofffraktionen vorliegen. Ein Nachteil der Oxidation in uberkritischem Wasserdampf ist die hohe Korrosionswirkung des Mediums: gangige Metalle
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
und Glas"" werden rapide angegriffen, Kunststoffe sind als Reaktionsbehalter iiberhaupt nicht verwendbar, am giinstigsten, aber aufwandig, ist Tantal. Fur eine grohechnische Anwendung sind Warmetauschersysterne vorzusehen, wobei bei stark belasteten Wassern die frei werdende Reaktionswarrne rnit genutzt werden kann. 3.4.3.3 Elektrochemische Oxidation organischer Substrate an bestimmten Oxidelektroden (,,elektrochemische Verbrennung") und in Schlammen (Abbau von Organozinnverbindungen) Zahlreiche organische Verbindungen verhalten sich elektrochemisch insofern ahnlich wie reduzierte Metallsalzspezies, als dass sie anodisch zu Radikalkationen oxidiert werden konnen (u.U."' auch in wassrigern Milieu). Wiederum ahnlich wie Metallionen werden die Radikalkationen dann mit verschiedensten starken Nukleophilen (Wasser, Cyanid, Acetat, Thiolaten) weiter reagieren, konnen aber auch dirnerisieren. Die Einfuhrung von Hydroxigruppen in Aromaten nach ArH - e-
-
ArH+*
2 ArH+* + 3 H,O + ArH + A r ( 0 H ) (Phenol) + 2 H,O+ (Disproportionierung und Hydrolyse des Radikalkations ArH'),
d. h. deren Uberfuhrung in Phenole, Naphthole etc. erleichtert den rnikrobiologischen Abbau. Ein Problem stellt die Poten110 Analoges geschieht auch geochemisch: Bergkristalle bilden sich bei Druckentlastung von Losungen von Quarz (Sand, Silikatgesteine) in uberkritischem Wasser im oberen Erdmantel bzw. vulkanisch aufgeheizten Gebieten. 111 Die obere Grenze des anwendbaren Potenzials (und damit auch die Gruppe der Verbindungen, die in Wasser direkt anodisch oxidiert werden konnen) bildet das relativ kleine anodische Potenzialfenster von Wasser selbst, d. h. die Freisetzung von Sauerstoff nach Ma& gabe des Elektrodenmaterials an Stelle einer Substratoxidation.
ziallage dar: in Wasser sind nur Phenole, Aniline, tertiare Arnine, bestimmte PAKs und einige urnweltchemisch weniger bedeutende Stoffklassen glatt anodisch oxidierbar. Die entstehenden freien Radikale reagieren auch rnit gelostern Sauerstoff und werden so weiter oxidiert. Die ,,elektrochernische Verbrennung" von Chlorarornaten erfordert Potenziale uber + 2 V gegen NHE (Bunce et al. 1997), daher werden Elektroden mit hohen Uberspannungen fur die Sauerstofffreisetzung gebraucht, z. B. IrO, auf halbleitenden Oxiden groBer Bandlueke wie Ta20,; wegen der Beteiligung von Sauerstoff resultiert in gunstigen Fallen eine iiber-FARADAYsche Stromausbeute der Oxidation (,,Verbrennung"). Besonders geeignet fur die vollstandige Oxidation von Benzol oder Phenol zu CO, ohne nachweisbare Zwischenprodukte wie Chinone, Malein- oder Oxalsaure ist Zinn-mitandioxid auf einem Titantrager(-blech). Anodisch konnen Spezies, die ihrerseits dann organische Substanzen angreifen, wie Ag2+ ( + 1,99 V), Coi+ (ca. + 1,s V) oder Mn3+im Sauren ( + 1,51 V)II2 erzeugt werden. So fuhrt ein durch Ag2+ vermittelter anodischer Abbau von Kampfstoffen wie Sarin zu nicht mehr toxischen Produkten (Emsley 2001); dabei entsteht aus chlorierten Verbindungen (in fester Form ausfallendes) AgCI. Ob Elektronentransfer oder rnit einer Koordination von Chloroliganden simultane Urnsetzung erfolgen, ist ungeklart, auch sind die organischen Restprodukte nicht beschrieben. Von STICHNOTHF,et al. (2005) wurde ein rnit Organozinnverbindungen belastetes Sediment unrnittelbar anodisch behandelt. Als einzige definierte Produkte der elektrochemischen Oxidation von Trihutylzinn112 Als Alternative zur indirekten Elektrochemie mit Mangan(ll1) 1st dessen Erzeugung durch Ham-Peroxidasen zu sehen, die sich aus Holz-zersetzenden Pilzen isolieren lassen, also eine biotechnologische an Stelle einer elektrochemischen Vorgehensweise Als Elektronenakzeptor dient hier Luftsauerstoff (SACKet al 1997)
147
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie
kationen werden Zinndioxidgel und Butano1 genannt. Butanol wird leicht mikrobiell oxidiert. Auch Tetraorganozinnverbindungen werden auf diese Weise oxidiert, Dioder Monoorganozinnverbindungen als logische Zwischenprodukte treten im Reaktionsgemisch nicht auf. Auger bei limnischen Sedimenten mit ihrem sehr hohen Wassergehalt (hier handelte es sich um Dockschlamme aus der Weser [Bremerhaven] mit Organozinngehalten von Dutzenden ppm) ist die Beweglichkeit der Substrate und Reagenzien in dem der Elektrolyse unterworfenen Sediment allerdings kritisch. 3.4.3.4 Katalytische Oxidationen durch Oxide in Kombination rnit Wasserstoffperoxid oder Sauerstoff Mangandioxid ist ein potenter Redoxkatalysator sowohl fur anorganische als auch fur organische Systeme; das erstere verursacht haufig Probleme in Folge einer Mobilisierung und Toxifizierung von Chrom, Vanadium, Quecksilber oder Selen in der Umwelt, das zweite wird in der praparativen organischen Chemie zur selektiven Oxidation ungesattigter Alkohole und von Phenolen genutzt. Da MnOz eine haufige Bodenkomponente ist, haben diese Reaktionen fur Mobilitat und Verbleib von Schadstoffen groge Bedeutung, zumal bei p H > 7 schnelle Regeneration durch in den Bodenkorper eindringenden Luftsauerstoff erfolgt. Dabei entstehen ungesattigte Aldehyde bzw. chinoide Verbindungen, die polymerisieren, fest an unterschiedlichste Stoffe adsorbieren oder an andere Stoffe addieren (2. B. Huminsauren) und hierdurch dauerhaft festgelegt werden. Analoge Reaktionen, bei denen Sauerstoff von einem Metalloxid aufgenommen und dann heterogen auf organische Substanz ubertragen wird, lassen sich auch mit anderen Oxiden realisieren und werden in diesem Werk noch verschiedentlich erwahnt; prominente Beispiele sind Ceroxide (CeOz)im 148
Dreiwegekatalysator und Iridiumdioxid bei der ,,elektrochemischen Verbrennung" auf mit Ir belegten Anoden unter Sauerstoff- und Wasserzutritt.
3.4.4 Oxidationen rnit hoher Energiezufuhr: photochemische und andere Prozesse, Advanced Oxidation Procedures Zu den oxidativen Verfahren mit hohem energetischem Aktivierungsgrad zahlen die so genannten Advanced Oxidation Procedures (AOPs) mit Oxidantien wie Wasserstoffperoxid und Ozon, soweit diese zusatzlich photochemisch aktiviert werden. Fur die praktische Niitzlichkeit geniigt es, dass eine Oxidation erfolgt (Minderung des CSB, BSB), und zwar ohne Bildung problematischer Ruckstande oder Nebenprodukte. Weil zur Mineralisierung ohnehin in aller Regel eine zweckmafiige Kombination unterschiedlicher chemischer und mikrobiologischer Verfahren benotigt wird (um den Reaktanden- und Energieaufwand zu begrenzen), so ist das jeweilige AOP nach drei Kriterien auszuwahlen, wenn die biologische Abwasserbehandlung nachgeschaltet wird: - Energie- und Materialaufwand pro kg
Substrat; - Biologische Abbaubarkeit der dabei ge-
bildeten Primarprodukte (Benzol [aus der Enthalogenierung von Halogenbenzolen], Oxalsaure oder Maleinsaure [entstanden nach Ringoffnung von Aromaten] sind gunstiger als Phenole bzw. Halogenessigsauren); - Nebenprodukte (Art und Umweltvertraglichkeit). Die genannte Reihenfolge (biologische Behandlung als Schlussschritt vor der Abgabe an die Vorflut) ist die bei grofitechnischen Anlagen iibliche, etwa in der riesigen Zentralklaranlage von Bayer in Leverkusen
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
(1,8 Mio. Einwohnergleichwerte). Abwasser aus Farbereien oder Explosivstoffwerken sind dabei anders zu beurteilen und zu behandeln als etwa solche der Polyrnerindustrie, weil eben andere Zwischen- und Nebenprodukte rnit stark unterschiedlichen biochernischen Substratqualitaten entstehen; hierauf ist das gewahlte Verfahren in jedern Falle abzustirnmen. 3.4.4.1 AOPs mit wassrigem Ozon
Durch photochernische Spaltung der labilsten Bindungen (0-0)werden in Wasser aus O ~ o n "bzw. ~ Wasserstoffperoxid reaktive Spezies erzeugt. Obwohl bei der Photolyse von 0, in reinern flussigem Wasser nur Wasserstoffperoxid entsteht, nicht wie in der Gasphase angeregte Sauerstoffatorne ( O l D ) oder durch deren Folgereaktion rnit Wasser entstehende OH-Radikale, unterscheiden sich Abbaukinetik und Produktspektrurn von OzodWasserlUV von den mit H,O,/Wasser/UV erhaltenen. Ein vollstandiger Abbau, also die Mineralisierung, wird wahrscheinlicher, wenn beide Oxidationsrnittel, ggf. noch rnit Eisen(II1) kornbiniert werden. Anders als bei Oxidationen rnit Ozon bzw. Wasserstoffperoxid alleine oder einern dieser Reagenzien rnit Fe(111) und ggf. UV-Einstrahlung reagieren Ozon und Wasserstoffperoxid irn Mischsystem H,02/0, rniteinander zu Wasserstofftrioxid H?0,ll4. H,O, ist formal das Dihydroxyderivat des Wassers, das aufgrund der sehr schwachen kovalenten Bin-
113 Vermutlich konnen in Gegenwart oxidierbarer SubstanZen noch weitere Zwischenprodukte gebildet werden, insbesondere Ozonid (*O,-), das im Sauren .OH bildet, sowie Hyperoxid *02-. 114 Das bedeutet, dass Wasserstofftrioxid auch bei der Photolyse einer reinen wassrigen Ozonlosung entsteht, wenn spektral selektiv so eingestrahlt wird, dass dessen Photolyse langsamer als die bereits im Sichtbaren einsetzende (flussiges oder festes Ozon ist dunkelblau bzw. schwarzviolett gefarbt) von Ozon verlauft.
dungen in der O-O-O-Kette"S rnit OHRadikalen und Hyperoxid irn Gleichgewicht steht:
OH + 0,- + H30+
* H203+ H,O
Analoge Gleichgewichte zwischen sehr schwachen Element-Element-Bindungen (N-N; CI-CI etc.) und freien Radikalen findet man bei Raurnternperatur auch bei Oxiden und Fluoriden von Stickstoff oder Chlor und einigen organischen Verbindungen (Radikalfo-rrnen sind hier z. B. *NO,, *NF,, *C102, OCPh,). 3.4.4.2 Photohydrolyse von halogenierten Aromaten
Wahrend arornatische Verbindungen rnit Nukleophilen wie Hydroxid, Cyanid usw. sonst nur unter drastischen Bedingungen (Erhitzen auf rnehrere Hundert "C, vorgeschaltete elektrochernische Oxidation zurn Radikalkation etc.) reagieren, bewirkt die bei Photolyse in Wasser erfolgende elektronische Anregung116 weitgehenden Halogenaustausch gegen OH z. B. an Chlorbenzol. Die sich bildenden Phenole sind relativ gut bioabbaubar, fur Wirbeltiere freilich weit toxischer als die Halogenaromaten selbst. Gleiches gilt irn PCB/Hydroxybiphenyl-System, selbst wenn ausgehend von rnehrfach halogenierten Verbindungen Chlorphenole bzw. chlorierte Hydroxybiphenyle als Zwischenprodukte erhalten werden; zwar entstehen bei der Photohydrolyse soweit bekannt keine Dioxine, doch
115 Einige Derivate des H,O, mit sehr effektiv Elektronen anziehenden Gruppen, wie (CF,),O, oder (TeF,),O,. sowie das Schwefelanalogon H,S, (Trisulfan) sind bei Raumtemperatur bestandig. 116 Der Grund hierfur ist, dass die elektronisch angeregten oder oxidierten Formen kein vollstandiges, Aromatizitat begrundendes 6-oder 10- oder 14- usw. n-Elektronensystem mehr aufweisen, dessen aul3en am Ringsystem konzentrierte negative Ladung Nukleophile rnit deren freien Elektronen, oft auch anionischer Ladung relativ stark abstol3t. Ahnlich wirken sich Nitro-, Cyano- oder Estergruppen aus.
149
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie
ist von PCBs ausgehend mit Dibenzofuranen zu rechnen: 2-R-Biphenyle (R = OH, NH,, NHR, CH,) photoisomerisieren I unter- UV-Bestrahlung allgcmein mit hoher Ausbeute zu Furanen ( R = OH) bzw. Carbazolen ( R = Amin) bzw. Fluorenen (jeweils durch HVerschiebung und SchlieBung eines dritten Ringes). A u f diese Weise kcinnten aus PCBs wie 2,2',4,4',5,5'-Hexachlorliphenyl, einer der vordem u. a. als Transformatorole g e b r a u c h I i c h ste n Ar oc I or cc- Ve r bind unge n be i w a ss r i ge r P h ot o1y se ha I ogen i er te Dibenzofurane gebildet werden; die Toxizitat von 2,3,S,7,8-Pentachlorodibenzofuran kommt derjenigen des beruchtigten TCDD (,,Seveso-Dioxin") nahe. Fur Carbazole ist diese auch zur Synthese der Carbazole aus Diphenylaminen benutzte Photoreaktion gleichfalls umweltrelevant: medizinisch genutzte Diphenylamine wie das Schmerzmittel Diclofenac photoisomerisieren auf diese Weise im Vorfluter und konnen dort in tcils nennenswertcr Konzentration als Carbazole nachgewiesen werden; die Carhazole sind persistent. Photohydrolytisch werden in Hexachlorbenzol u. 3. Stoffe allerdings auch andere Nukleophile als Wasser, wie Cyanid, Methanol, Schwefelverbindungen oder Halogenide glatt eingebaut, was ein Problem bei der Photolyse salzbefrachteter Abwasser bedingt: cin Austausch von Halogenen durcheinander erhoht bei Einbau von Fluor die I'ersistenz der Produkte, bei demjenigen von Krom meist deren Toxizitat. AuRerdem werden als Zwischenprodukte Valenziso-
117 Diese einen dritten Ring schliefiende Reaktion wird gemeinhin als (Photo)isomerisierung bezeichnet Genau genommen handelt es sich um eine im letzten Schritl durch geloslen Sauerstoff bewtrkte Oxidation um 2 H, zunachst entsteht em bizyklischer Dihydroaromat (Arylcyclohexadienderivat), das analog den Synthesen anderer Heterooligozyklen wie von Chinolinen dann unter letcht erfolgendem oxidativem Ringschluss rearomatisiert
150
mere v o n Benzol1I8gebildet, die sich in Isomere der ursprunglichen Verbindungen umlagern: die Photolyse von 4-Chlorphenol ergibt deshalb nicht nur Hydrochinon (und Chinon), sondern auch das biologisch weit schwerer abbaubare 3-Chlorphenol. Die Photohydrolyse aromatischer Verbindungen ist daher eher ein Problem als ein potenzielles Reinigungsverfahren; die gut und mit hohen Quantenausbeuten zugiinglichen (Quecksilberdampflampen) We1len liingen von 254 bzw. (PCBs) 313 nm sind bei entsprechenden Photoreinigungsvor~," ran bTen zu meiden. 3.4.4.3 Photochemische Oxidation von Schadstoffen durch [Fe(0H)l2+ Einwirkung von langwelliger UV-Strahlung oder sichtbarem Licht auf Komplexe, die aus anionischen Liganden (auRer Fluorid) und oxidierend wirkenden Metallionen aufgebaut sind, verursacht fur wenige Nanosekundcn die Ubertragung eines Elektrons vom Liganden auf das Metallion. Dabei resultieren ein freies, nunmehr haufig selhst oxidierend wirkendes Ligandenradikal (*OH, *SCN, *CN, *(:I,- LISW.), und ein unvollstiindiger Restkomflex mit reduziertem Metallzentrum. Das Ligandenradikal kann weitere Oxidationen 311sliisen, auch solche von organischer Substanz. Dies gilt natiirlich insbesondere dann, wenn die organische Substanz selbst als Ligand fungiert (Phenolate, Aminooder Hydroxisauren, bestimmte Herbioder Fungizide [ 1,3,5-Triazine wie Atrazin, die Amino-phosphonosaure Glyphosat (N-(Methanphosphonato)glycin}] oder wenn das entstandene Ligandcnrndikal selbst mit Sauerstoff weiter reagiert. I.etzteres bcschleunigt den Abbau betrichtlich (MACHANOVA et al. 1997). Halbleiterkollo-
118 Andere Anordnungen von sechs (CH)-Einheiten mtt rneist zwei Ringen, die energiereicher sind als Benzol und teils rapide in dieses zerfallen, z B Dewar-Benzol (2.2.0-Bicyclohexadien metastabil), Benzvalen (Explosivstoff) Prisman oder 1-Cyclopropenylcyclopropen
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
ide konnen als elektronenleitende Katalysatoren solche Metallkomplex abhangigen Photoprozesse sowohl zur Wasserreinigung (PAKs, Phenole) als auch zur Oxidation bestimmter Fraktionen organischer Substanz unterstutzen (FRANZLE1996; F R A N Z Iet. ~al. 2003). Selbst wenn die Substrate nicht koordinativ gebunden werden, konnen OH-Radikale, die im Siiflwasser insbesondere von Eisen(III), im Meerwasser von Molybdat erzeugt werden, dennoch zur Oxidation beitragen. Die unter blofler Sonneneinstrahlung im Suflwasser resultierenden Flieflgleichwichtskonzentrationen von OHRadikalen liegen bei ca. 1 Femtomol/L (MILL1989), im Meerwasser wegen rapider Parallelreaktionen mit Bromid und Carbonat weitaus niedriger. Mit gezielt zugesetztem Fe(II1) lassen sich naturlich urn viele Zehnerpotenzen hohere Flieflgleichgewichtskonzentrationen aufbauen. Da Eisen(II1) wenig toxisch ist und sogar zur Fallung von Phosphat in der Trinkwasserbereitung eingesetzt wird, ist es ein ideales Reagens. Es ist allerdings zu berucksichtigen, dass nur [Fe(0H)l2+und dessen hydroxoverbriicktes Dimer, nicht jedoch das stark saure [pKa = 2,2, vergleichbar mit Phosphorsaure oder HS0,-] Hexaquoion [ Fe(H20)J3+oder weiter hydrolysierte Formen wie (Fe(OH)2]+photooxidativ wirksam sind; daher ist Photooxidation nur in einem bestimmten pH-Interval1 moglich. Nach oben wird es durch die Fallung des Hydroxids bei p H > 4,5 limitiert (haufig wird bei Eisen(II)[-Verbindungen oder Komplexen] auch eine Photofallung von Fe(1II)Aquoxiden oder dem Phosphat beobachtet). Aufler bei sehr schwach gepufferten, sehr ,,weichen" Siiflwassern, die unter der Photooxidation stark sauer werden, wird daher ein Ansauern vor der Photolyse erforderlich sein. Aus dem POURBAIX-Diagramm von Eisen ergibt sich, dass Werte zwischen p H 2,3-4,5 sowie Redoxpotenzialen oberhalb von 0,7 V gg. NHE einzuhalten sind. Da die Oxidationen unweiger-
-
lich Protonen freisetzen, und zwar bei Anwesenheit von Halogenen als Halogenwasserstoffsauren, muss ein langerfristig funktionsfahiges System gepuffert sein, ohne dass durch die zuzugebenden Reaktanden Eisen ausgefallt' l 9 werden darf. 3.4.4.4 Direktphotolyse von Wasser im extremen UV Wasser selbst absorbiert Strahlung bei Wellenlangen unter 200 nmI2O. Die Produkte bei sauerstoffhaltigem Wasser sind *H, *H02,*OH, evtl. auch Sauerstoffatome in unterschiedlichen Anregungsniveaus. Dann treten die iiblichen Folgereaktionen geloster anorganischer und organischer Substanzen mit H-Atomen sowie OH-Radikalen ein. Derart kurze Wellenlangen werden von Strahlungsquellen wie Excimerlampen oder -1asern (Edelgas, Edelgashalogenid lz. B. *Ar2", 193 nm; ArF" 172 nm]) oder Xenon-Niederdrucklampen (A u. a. 185 nm, aber geringere Quantenausbeute) geliefert. Die Photolyse ist bei Wellenlangen < 200 nm extrem anisotrop, da solch kurzwellige Strahlung von Wasser auf < 0,l mm WegIange absorbiert wird, s o dass Fallfilmoder Tauchlampenreaktorsysteme verwendet werden miissen. Weil die entstehenden Zwischenprodukte hoch reaktiv sind, wird die Bildung Licht absorbierender Polymerfilme auf der Lampenauflenwand (,,VerharZen") verhindert, weshalb das System langer ohne Wartung funktionstuchtig bleiben sol1 als andere, die bei groReren Wellenlangen (z.B. 230 nrn) arbeiten. Dennoch ist mit hohen Lampen- (begrenzte Standzeit) und Stromkosten zu rechnen. 119 Dies schlieBt die gangigen, gegenuber Photooxidation stabilen anorganischen Puffersysteme auf Phosphatoder Boratbasis aus Organische Puffer wie Glycinat werden dagegen selbst oxidiert Besser l a s t sich der pH-Wert elektrochemisch (Alkalinisierung an einer Kathode) oder durch lonenaustausch einstellen 120 Nachteilig ist, dass Wasser mit dasjenige Losungsmittel mit der weitesten Transparenz ins ferne UV hinein 1st Erst moderne Strahlungsquellen wie Excimerlampen haben diesen Ansatz im Prinzip praktikabel gemacht
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3.4 Verfahren der Technischen Urnweltchernie
3.4.4.5 Glirnrnentladungselektrolyse Die Glimmentladungselektrolyse zahlt zu den Methoden der Hochenergiechemie (TRIKUTSCH 1983; STIl.I.EK 1987).Wird eine der beidenI2' Elektroden einer Elektrolysezelle his zu 1 cm weit aus der Losung herausgezogen, fliefSt der Strom bei hinreichend hoher Spannung (ca. 450-700 V) weiter; dabei ziindet ein (meist charakteristisch rotviolett gefarbter) Lichtbogen. Hund OH-Radikale bilden sich in dem kalten (nichtthermischen) Bogenplasma und a n der Lbsungsoberflache mit hoher Ausbeute, auch die Gesamtumsatze betragen oft ein Vielfaches der FARA1)AY'22schen Theorie. Voraussetzung hierfiir ist, dass der Druck iiber der Losung hinreichend gering ist (hiichstens einige kPa), was allerdings auch den Leistungsdurchsatz und die erreichbare Ionendichte (- 1OI0/cm') limitiert. Die aus der Hochspannung stammende Energie wird analog strahlenchemischen Reaktionskaskaden schrittweise chemisch dissipiert, wahrend gewohnliche elektrochemische Effekte nur geringen Anteil haben. Wie bei der Massenspektroskopie entstehen reaktive und unter Molekulzerlegung leicht stabile Gruppen abspaltende Radikalkationen; radikalische Zerfallsprodukte des Losungsmittels (*OH in Wasser) iiberwiegen quantitativ und reagieren mit den Solvaten oder suspendierten Komponenten weiter: in Wasser oxidiert *OH beinahe alle organischen Substanzen; Aromaten und halogenierte Verbindungen reagieren dariiber hinaus direkt mit emittierten Elektronen, H121 Der ggf an der Kathode entstehende Wasserstoff rea-
giert unter den GDE-Bedingungen nicht weiter, so dass irn Allgernetnen anodische Prozesse gefahren werden Als Anodenrnaterialien kornrnen Kohlenstoff, Platin, Iridium etc in Betracht 122 MICHAEL FARADAY (1791-1 867) war der Begrunder der theoretischen Elektrochemie er stellte die heute nach ihrn benannten Regeln fur die rnaxirnale Ausbeute (Stoffurnsatz) bei elektrochernischen Reaktionen auf AuOerdern Pionier der Elektrophysik (Erfinder des Dynamos sowie einer Vorforrn des Elektrornotors) und der chemischen Analytik von Kohle und Steinkohlenteer (1825 gelang ihrn darin die Entdeckung des BenZOlS)
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Atornen oder (im Alkalischen) mit hydratisierten Elektronen (das H-Atom 1st eine schwache Saure, das hydratisierte Elektron die korrespondierende Base). Nitrile spalten Cyanid ab, das dann mit Fe(I1)abgefangen oder direkt anodisch oxidiert wird (Entgiftungsprozess). Im Kathodenfall (wenn die Kathode aus der Lijsung gezogen wurde) entstehen hauptsachlich Wasserstoff und CO (neben CH, und kleinen Mengen kurzkettiger Kohlenwasserstoffe); auch der Umsatz relativ inerter Substanzen wie Lignin u. a. kolloidaler Substrate sowie synthetischer Polymerer ist miiglich. Auch gegenuber *OH wenig reaktive, aber fliichtige Verbindungen werden gut abgebaut. Zugabe von Sauerstoff erhoht den Ausbeuteuberschuss gegenuber der FmAnAvschen Theorie weiter, funktionelle Gruppen werden vollstandig abgebaut, der Abbau von C-Ketten erfolgt schrittweise. Nachteilig ist je nach Substrat (hohe Konzentrationen halogenierter Verbindungen, bei deren Abbau dann Chlorid frei wird) und Medium (Meerwasser, salzbelastete Abwasser) der Umstand, dass bereits geringe Konzentrationen von Chloridionen (0,02 MA) die Ausbeuten der Oxidation anorganischer (Hexacyanoferrat (II), Ce", Fe2+, Wasser selbst) wie auch organischer Substrate drastisch vermindern; elementares Chlor wird hierbei nicht frei gesetzt (DENAKO & HICKLING 1958). Auch sehr widerstandsfahige Mikroorganismen werden zerstort. 3.4.4.6 Photolyse bioinerter organischer Substanz nach Koordination (EDTA, Pestizide) Bestimmte Stoffe sind biologisch schwer abbaubar, dariiber hinaus diesseits der tropospharischen Absorptionskante'23 selbst
123 Beispielsweise chlorierte oder fluorierte Aliphaten, die erst unterhalb 230 bzw 190 nrn absorbieren (siehe
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
wenig lichtempfindlich oder reagieren kaurn mit *OH-Radikalen, bilden aber rnit in der Urnwelt vorkornrnenden Metallionen, etwa Eisen(III), leicht intensiv farbige Kornplexe. Beispiele hierfiir sind synthetische rnehrzahnige Aminosauren wie EDTA, P h e n ~ l e l , oder ~ als Herbizide genutzte Substanzen wie Glyphosat. In diesen Kornplexen konnen sie dann erheblich leichter photooxidiert werden (abhangig von der Art der Donoratome in der organischen Substanz und der Wellenlange). Zurn sensibilisierten Abbau von EDTA, NTA u.a. Arninosauren siehe Naheres in der Fallstudie 4.3. Produkte ihres weiteren Abbaus urnfassen u. a. Glyoxylsaure HCOCOOH, Oxal- und Oxamidsaure, Glycin, Cyanat, Nitrat, Amrnoniurnionen und die Ethylendiaminoligoessigsauren ( n = 1-3), aber nicht Ethylendiarnin selbst; dieses wiirde rapide zu Glycin oder Oxarnid oxidiert. Cyanat entsteht sicherlich aus Oxamid.
ter Decarboxylierung elirniniert. C0,-Abspaltung ist typisch, sie kann vollstandig verlaufen (so ergibt Zitronensaure CO, und Aceton), teilweise auch unter C-C-Kettenbruch an anderer Stelle (Bildung von Ameisensaure H C O O H aus Weinsaure). Unter bestimrnten Bedingungen bilden Dicarbonsauren allerdings auch Lactone oder -Hydroxisauren oder deren Polymere. Die Enthalogenierung ist bei diesen teils ausgepragt okotoxischen Halogenaliphaten (z. B. Trichlor- oder Trifluoressigsaure) anders als bei Arornaten eindeutig als Entgiftung aufzufassen. 3.4.4.7 Photoelektrochemie
Die Photoelektrochemie wird anderen Orts in diesem Werk sehr ausfuhrlich, mechanistisch wie hinsichtlich Perspektiven und Grenzen ihrer Anwendung, beleuchtet. Hier daher nur so viel:
Wahrend EDTA als tertiares Amin therrnodynarnisch noch recht leicht oxidierbar ist, gilt dies kaurn fur halogenierte Carbonsauren, deren Oxidationspotenziale noch iiber den iiblichen hohen Werten fur die KolbeOxidation (2,3-2,6 V gegen NHE) liegen. Weil z. B. Dichloracetat noch als Ligand an Fe(II1) fungiert (MARUTHAMUTHU & HUE 1995), kann es rnit Wellenlangen > 300 nm photolytisch in sauerstoffhaltiger Losung abgebaut werden. Trichlor- oder Trifluoracetat, die gegeniiber OH in wassriger Losung inert sind, reagieren auch, allerdings recht langsam, die weniger halogenbefrachteten Essigsauren werden schnell un-
Oxidativ gelingt ein vollstandiger Abbau sehr unterschiedlicher organischer Substrate praktisch nur mit TiO, (Anatas),aber Niobate, Nb,O, u. a. wurden bisher nicht untersucht. Die Austauschstromdichte von Wasserstoff/H,O+ an TiO, ist noch betrachtlich kleiner a k auf Quecksilber oder Cadmium; einmal freigesetzter Wasserstoff wird daher photochernisch nicht reoxidiert. Dies fuhrt zur beinahe quantitativen Abspaltung von Wasserstoff aus zahlreichen organischen Substraten (selbst aus Polyrneren, Fakalien, Fleischabfallen oder Huminstoffen; KUWAI& SAKATA 1980); Chlor fallt als CI-, Stickstoff rneist als NH, an, d. h. weder C1 noch N werden oxidiert.
Direktphotolyse von Wasser). Meist wird als untere Spektralgrenze des Sonnenlichts 290 nm angegeben, das Realspektrum zeigt aber schon unterhalb 296-297 nm einen uberexponentiellen Abfall, weshalb z. B. Ethanal tropospharisch stabil gegen direkte Photolyse ist. Der Ozonruckgang hat hieran wenig geandert. 124 In der qualitativen organischen Analytik wird die Bildung eines intensiv orangerot gefarbten Komplexes mit Fe(lll) als Nachweisverfahren fur Phenole bzw. deren Anionen (oder fur stabilisierte Enolate) benutzt, vorausgesetzt, dass keine Thiocyanationen anwesend sind.
Dass Stickstoff irn hochstmoglich reduzierten Zustand verbleibt, liegt wahrscheinlich an der schnellen Hydrolyse von Iminen oder Irnrnoniurnionen, die bei Lochoxidation von Aminen zunachst entstehen; das abgespaltene NH, wird protoniert und wird hierdurch oxidativern Angriff weitgehend entzogen: Amrnoniurnperoxodisulfat und Ammoniurnperchlorat sind analog nur
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3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie
dann Explosivstoffe, wenn sie Zusatze oder Verunreinigungen enthalten.
3.4.5 Reaktionen ohne Redoxprozesse Wie bereits in der Auflistung in Abschnitt 3.2 hervorgehoben, existieren groBe Klassen umweltchemisch wichtiger Reaktionen und Phanomene, die ohne quantitativ bedeutenden Elektronenaustausch oder photochemische Anregung verlaufen. Neben Reduktionen und Oxidationen sind daher auch wcitere Prozesse von Bedeutung; sie sollen den Abschluss dieses Abschnitts bilden. Zu ihncn gehiiren Fallung, Adsorption, die Stoffbindung an Biomasse sowie elektroinduzierte Prozesse jenseits der Elektrochemie.
dingungen auch As(V) mit Eisenphosphat als Fe(P, As)O, oder Chromat neben/okkludiert in Erdalkalisulfaten wie Gips als Ca(S, Cr)O, gefallt. Diese Methode erlaubt einen fast quantitativen Einschluss von toxischen Ionen auch dann, wenn ihre Konzentration und das betreffende Loslichkeitsprodukt die Abscheidung binarer Phasen wie reinem Calciumchromat CaCrO, nicht zulassen wiirden. Da auch Phenole und Carbonsauren schwer losliche Niederschlage bilden (Kalkseifen !), ist die Methode ebenso auf Ionen bildende organische Schadstoffe wie halogeniertc Carbonsauren oder Nitrophenole anwendbar.
Biochemisch und okologisch von groBer Bedeutung sind Fallungsverfahren in Seen; bei diesen gelangt der absinkende gebildete Niederschlag unter die Thermokline (Sprungschicht), wo wahrend der Som3.4.5.1 Fallungsreaktionen merstagnation reduzierende Redingungen Auf Liislichkeitsfragen und damit ver- herrschen, falls die Seen mindestens etwa knupftc Fallungsprozesse wird an verschie10 m tief sind. Dort, unterhalb der Therdenen Stellen dieses Werkes im Detail ein- inokline wird kein Sauerstoff konvektiv gegangen, z. B. im Kontext der POURKAIX- eingemischt, und fur Photosynthese ist es Diagramme (Abschnitt 3.2.2); hier seien in eutrophen Seen (starke Lichtabsorption nur folgende Phanomene wegen ihrer um- nahe der Oberflache) dort bereits zu dunweltverfahrenstechnischen Bedeutung na- kel. Folglich kann nach Sauerstoff- und Nitratzehrung sowie Fc(I11)-Reduktion’2’ her erwahnt: unterhalb der Sprungschicht im Somrner und Herbst Sulfat zu H,S reduziert wera ) die Mitfallung und b) die (Elektro-)koagulation von Nieder- den. H,S bzw. Metallsu-lfide legen dann die mitgefallten Halogencarbonsauren schlagen oder Oxoionen von Schwermetallen bzw. Arsen reduktiv als Thiocarboxylate, Ar3.4.5.1.1 Mitfallung und Seensanierung sen- oder Schwermetallsulfide bzw. Bei der Mitfallung bilden sich Mischpha- Cr(OH), fest. In grogem Magstab dient sen, die den abzuscheidenden Schadstoff dieser Ansatz auch der Entsauerung von nur als Beimengung neben anderen, che- Seen, die durch saure Niederschlage belasmisch, aber nicht toxikologisch ahnlichen tet sind: die Sulfatreduktion wird durch Komponenten enthalten. Beispiele sind gezielten Eintrag organischer Substanz die Abscheidung von Chrom oder anderen toxischen dreiwertigen Ionen bei der Phosphatfallung mithilfe von Fe(111) oder 125 Gemessen am Oxidationsaquivalent, d h der Menge Al(111) in Klaranlagen (siehe Praxisbeispiel potenziell aufzunehrnender Elektronen pro L Wasser, 2), die zu Mischphasen {Fe, Al, CrlPO, 1st in ublichen SuOwassern unserer Breiten Nitrat am fuhrt; analog wird unter oxidierenden Bewichtigsten unter den starkeren Oxidationsmitteln 154
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
(Stroh etc.) in das nicht konvektiv durchmischte Tiefenwasser ausgelost, so im Barlebersee in der Altmark (Sachsen-Anhalt). Problematisch ist hier freilich die bei einer Reduktion von FeP04-haltigen Phasen eintretende Remobilisierung von Phosphat. 3.4.5.1.2 Suspensionsbildung und Koagulation
An Stelle einer Fallung durch Bildung einer schwer loslichen Phase kann es zur Bildung stabiler Emulsionen oder Suspensionen kommen. Der Grund hierfur ist meist, dass die einzelnen Partikel durch Adsorption von Ionen oder Protolyseprozesse Ladungen tragen und sich daher gegenseitig abstoBen. In diesem Falle gibt es zwei Abhilfemoglichkeiten: - man kann Salze zugeben, von denen das
Gegenion kosorbiert wird, was die suspendierten Partikel neutralisiert und in der Folge ihr Zusammenheften (Koagulation) erlaubt oder - sie konnen elektrochemisch entladen werden. Mitunter werden beide Methoden kombiniert angewandt; der elektrische Energiebedarf fur die Koagulation eines Kubikmeters Klarschlamm betragt nur etwa eine Kilowattstunde, bei einer Spannung von knapp 2 V (SMOCZYNSKI et al. 2004). Als Fallungssalz wird Ammoniumacetat angewandt, das bis auf seinen Geruch auch durchaus umweltvertraglich ist, aber als Stickstoffdiinger fungiert (Eutrophierung !). Die Koagulation fuhrt zu einer Schlammverdichtung, er ist dann als wasserarmer Festkorper besser hantierbar. Da im Falle von Ammoniumacetat Kat- und Anion biologischem Abbau unterliegen, kommt es auch nicht zu einer Bodenversalzung, wenn das so niedergeschlagene Schlammmaterial hernach auf Felder ausgebracht wird. Eine analoge Schlammverdichtung und -koagulation kann auch durch Einwirkung von
Ultraschall erreicht werden, doch sind die hier mitwirkenden mutmaglich sonochemischen Prozesse im Einzelnen nicht verstanden. 3.4.5.1.3 Bindung an Biornasse
Biomasse ist befahigt, (insbesondere unpolare) organische und bestimmte anorganische Stoffe aus Boden oder Gewassern heraus anzureichern; leitet man Gase durch biologisches Material (Kompostrotteschichten), lasst sich dieses Prinzip auch auf die Reinigung des dritten Umweltkompartiments Luft ausdehnen (Luftbiowascher). In der Regel wird eine biologische Boden- und Wasserreinigung mithilfe von hoheren Pflanzen durchgefuhrt. Die Bindung an pflanzliche Biomasse (Phytoremediation) ist eine im Einzelnen schwer durchschaubare Kombination mehrerer Effekte, an deren Anfang jedenfalls die Bildung von Metalle bindender organischer Substanz durch Photosynthese und pflanzlichen Stoffwechsel steht, wiederum eine Redoxreaktion. Eine Bindung an tote, sich zersetzende oder fossile (Torf, Braunkohle, gemahlene Chitinpanzer von Krebsen oder Insekten) Biomasse, auch etwa in Form einer (komposthaltigen)reaktiven Wand, beinhaltet Beitrage nicht nur der Adsorption: wenn etwa H,S gebildet wird, treten Fallungsreaktionen sowie kovalente Verknupfung mit der Folge irreversibler Festlegung des Fremdstoffs an der Matrix auf (Alkylierung von Sulfidionen durch Halogenkohlenwasserstoffverbindungen), ferner koordinationschemische Reaktionen von Schwer- und Leichtmetallen. Die belastete Biomasse muss dann entsprechend gesammelt und behandelt werden, um anderweitige Sekundarstorungen zu verhindern.
155
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie
3.4.5.2 Nichtchemische elektrische Veda hren
Nichtchemische elektrische Verfahren dienen dazu, Stoffe abzuscheiden oder zu transportieren, ohne dass es dabei zu elektrochemischen Prozessen kommt. Hierher gehort die Staubabscheidung durch Elektrofilter, bei der Staubpartikel elektrisch aufgeladen und an einer Gegenelektrode abgeschieden werden. Dabei erzwingen Spannungen von einigen Zehner Kilovolt einen Elektronenaustritt aus Metallspitzen; die Elektronen reagieren dann mit Luftkomponenten und bilden Anionen, die sich schliefilich an Staubpartikel anlagern, welche dabei negativ aufgeladen werden126 (Ladungserhaltung). Ein weiteres, weniger auf Extraktion einzelner Komponenten als auf Stofftransport abzielendes Verfahren stellt die Elektrokinetik dar: (geringfiigig salzhaltiges) Grundwasser wird relativ zu einern Sediment bewegt indem man an den Boden eine elektrische Gleichspannung anlegt'2'. Auf diese Weise kann eine Grundwasserstromung beschleunigt werden, z. B. urn kontaminiertes Grundwasser durch eine reaktive Wand oder einen Sorbenskorper zu treiben, aber auch, um ein Bodenvolumen teilweise zu entwassern und so zu verfestigen. Bei Plasmaentladungen und der Einwirkung von Elektronenstrahlen hingegen kommt es sehr wohl zu chemischen Reak-
126 In die gleiche Kategorie elektrischer Reinigungsverfahren fallen Koronaentladungen, wie sie an Hochspannungsfreileitungen gut horbar sind. Auch hier kornrnt es zur Bildung von Anlonen und Staubausfallung, weshalb in unrnittelbarer Nahe (einige rn irn Urnkreis) der Leitungskabel die Luft deutlich arrner an Staub und Stickoxiden ist als in der weiteren Umgebung. 127 Dieser elektrokinetische Purnpeffekt ist die Umkehrung des Stromungspotenzials: rinnt eine ionenhaltige leitende Losung uber eine feste Phase, so adsorbiert diese bevorzugt eine lonensorte und ladt sich dern entsprechend auf. Die Gegenionen verbleiben in der folglich umgekehrt polarisierten Losung, so dass rnit der FlussigkeitsstrornungLadungstrennung eintritt und sich in Richtung der Strornung eine Gleichspannung aufbaut - das Strornungs- oder Zetapotenzial.
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tionen. Beispielsweise reagieren Stick- und Schwefeloxide in Rauchgasen unter Einfluss eines Elektronenstrahls untereinander sowie mit Staubbestandteilen zu festen Sulfaten und Nitraten der Erdalkali- und Alkalimetalle, die mit Wasser ausgewaschen werden konnen. Die elektrochemische Glimmentladung gehort zu den Verfahren der Hochenergiechemie und weist viele Parallelen zur Radiochemie auf.
3.4.6 Praxisbeispiele aus der Technischen Umweltchemie Nach der Klassifikation und ubersichtshaft-schematischen Darstellung grundsatzlicher Verfahren der Technischen Umweltchemie als Funktion ihrer energetischen Verhaltnisse seien wegen derer Instruktivitat und besonderen praktischen Bedeutung noch je ein katalytisches Gasreinigungsverfahren, eine Kombination von chemischer Fallung und biotechnologischen Methoden und schliei3lich eine wassrig-oxidative Methode besprochen. Dabei handelt es sich urn den Dreiwegekatalysator, die Klaranlage sowie die Entfarbung von Abwassern mithilfe von Wasserstoffperoxid/Eisen(II)Salzen (Fentons Reagenz). Sie stehen exernplarisch fur die Notwendigkeit von Methodenkombinationen und die Vielfalt zu verwendender und in ihren Nebenwirkungenl Randbedingungen zu berhcksichtigender Effekte, ohne dabei den Fallstudien vorzugreifen. 3.4.6.1 Praxisbeispiel 1 : Dreiwegekatalysator in Ottomotor-Kfz
Der Dreiwegekatalysator (meist kurz ,,Kat" genannt) ist eine mehrstufige Apparatur zur Reinigung der Abgase von Verbrennungsmotoren (Otto- und Wankelmotoren), sowohl von oxidierenden (*NO,) als auch reduzierenden (CO, Kohlenwasserstoffe wie Benzol) Kontaminanten. Diese werden dazu auf Platinmetalloberflachen (Pt, Pd, Rh und Legierungen daraus) zu schrittwei-
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
ser Reaktion gebracht. Palladium und Rhodium katalysieren insbesondere die Reduktion von Stickoxiden zu N, durch C O sowie durch im Motor freigesetzten molekularen Wasserstoff, wahrend Platin ahnlich wie in einer Brennstoffzelle - Kohlenwasserstoffe aktiviert. Eine vollstandige Umsetzung erfordert, dass einander stochiometrisch entsprechende (Schad)stoffmengen miteinander zur Reaktion gebracht werden. Unvollstandig oxidierte Verbindungen wie CO und Kohlenwasserstoffe entstehen bei Sauerstoffmangel, verglichen mit Bedingungen theoretisch idealer, vollstandiger Verbrennung, Stickoxide hingegen hauptsachlich bei Sauerstoffiiberschuss. Auch der als Reduktionsmittel wichtige Wasserstoff entsteht zwar durch thermische Spaltungs (Crack)reaktionen von Kohlenwasserstoffen bei beliebigen Brennstoff/SauerstoffVerhaltnissen, bleibt aber nur dann erhalten wenn kein Sauerstoffiiberschussim Motor vorhanden ist. Die obige Bedingung ,,perfekter" Abgasreinigung erfordert mithin, dass bei der Verbrennung im Motor weder Sauerstoffmangel noch Sauerstoffiiberschuss besteht. Dies wird erreicht indem man den Sauerstoffgehalt des Abgases misst und hiernach die Luftzufuhr zum Einspritzmotor regelt, das Brennstoffhauerstoff-Mischungsverhaltnis also nicht den Zufalligkeiten eines klassischen Vergasermotors iiberlasst. Die Messung des Sauerstoffgehalts im Abgasstrom ist die Funktion der so genannten Lambda-Sonde, wobei h das obige BrennstofWSauerstoff-Mischungsverhaltnis bezeichnet und h = 1 das bei idealer stochiometrischer Verbrennung angibt, z.B. ein Verhaltnis 1:s bei einem mit Propan betriebenen Fliissiggasmotor:
C,H, + 5 0,
-
3 CO, + 4 H,O
Kommen z. B. nur 20 Volumenteile Luft = 4,2 Volumenteile Sauerstoff auf ein Volumenteil Propangas, so resultiert ein h von 4,215 = 0,84. In diesem Bereich ( h = 0,80,85) hatte man zwar die hochste erreichbare Motorleistung und auch kaum Stick-
oxide, aber betrachtliche CO- und Kohlenwasserstoffriickstande. Die Betriebsbedingung fur den Dreiwegekatalysator ist ein hWert von 0,99-1,007 bei einer Innentemperatur des Katalysators zwischen 300500 "C. Die Bildung unerwiinschter *NO,-Reduktionsprodukte wie N,O (Treibhausgas, tropospharisch sehr langlebig, fungiert selbst als stratospharische *NO,-Quelle), Ammoniak (besonders bei Ru) oder u. U. sogar H C N (auf Pt), also die unzureichende Selektivitat hinsichtlich der Reduktion zu N, stellt ein gemeinsames Problem aller effizienten Katalysatoren dar. Daher ist der Dreiwege-Katalysator (s. Abb. 15) im Automobil aus mehreren unterschiedlichen Teilen aufgebaut, die das Abgas nacheinander durchstromt, wobei an Palladium gebildete unerwiinschte Primarprodukte nachher weiter umgesetzt werden. Die mogliche Bildung von Ammoniak ist auch der Grund dafiir, dass hier kein Ruthenium eingesetzt wird. Als terminale Sauerstoffakzeptoren (Sauerstoff aus *NO, oder 0,) stehen hier zur Verfiigung:
CO, Wasserstoff, der durch teilweises thermisches Cracken128von Kohlenwasserstoffen bei deren unvollstandiger Verbrennung freigesetzt wird und selbst bemerkenswerterweise nicht so schnell vollstandig ver128 Thermisches Cracken ist die Spaltung der Kohlenstoffketten sowie Abspaltung von Wasserstoff aus den dem Motor zugefuhrten organischen Verbindungen. Hierdurch gelangen Spezies ins Rohabgas, die betrachtlich kleinere CIH-Verhaltnisse aufweisen als der Treibstoff selbst. insbesondere Ethin und sein Trimer Benzol. Der Abbau der Kohlenwasserstoffmolekule erfolgt dabei schrittweise: z. B. 31 kovalente Bindungen in Decan und dessen Isomeren konnen nicht synchron gespalten werden. gleichgultig wie vie1 Energie man dem Molekul zufuhrt. Sogar die weit hoheren Energieeintrage der Massenspektrometrie bewirken voraussagbare schrittweise Prozesse des Molekulzerfalls. und fur die Aeaktion stehen nur wenige Millisekundenzur Verfugung, bevor das Gemisch durch adiabatische Expansion (Kolbenbewegung nach unten) ..ausgefroren" wird. Bei diesem Abkuhlvorgang erfolgen Neusynthesen wasserstoffarmer organischer Verbindungen, insbesondere von PAKs.
157
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie
hrennt und die noch vorhandenen (Benzol) oder ini Motor neu gebildeten Kohlenwasserstoffe. Sie reduzieren *NOy.
die Reaktionen zwischen Sauerstoffatomen und Alkylradikalen wie
0 + *CH, Mechanismus der RuObildung
Bei den Verbrennungsvorgangen in Motoren - gleichgultig ob es sich um Otto-, Dieseloder Wankelmotoren handelt (letztere folgen weitgehend dem Otto-Prinzip) - entstehen nicht nur gasformige sondern auch partikuliire Schadstoffe. AuRer bei der quantitativ scltenen motorischen Nutzung von Erdgas (CH,), Flussiggas (Propan) oder Wasserstoff handelt es sich bei den Treibstoffen - Benzin, Diesel61 oder Schwerol stets u m langkettige, verzweigte oder ringftirniige Kohlenwasserstoffverbindungen. Bei einer ,,Drehzahl“ von 6000/min z.B. dauert der gesamte Viertaktzyklus 10 ms, die eigentliche Hochtemperaturverbrennungsphase weniger als 3 ms. Danach erfolgt im Arbeitstakt eine rapide adiabatische Abkuhlung des Gasgemisches uber dem Kolhen. Die Kohlenwasserstoffe werden mithin nur s o kurzzeitig extremen Bedingungen ausgesetzt, dass eine vollstiindige Verbrennung zu Kohlendioxid unmiiglich ist (bei Iiingerer Reaktionszeit und T = 3.000 K in der Spitze wurde der Ausstolli an thermischen Stickoxiden drastisch ansteigen, wie es in den langsam laufenden Schiffsdieselmotorcn tatsiichlich der Fall ist; der Schiffsverkehr ist daher eine dominante NOx-Quelle in globalem Mallistab). Noch vorhandene freie Radikale oder Atome gehen dann - kurz vor dem AusstoR der Verbrennungsprodukte in den1 sich rapide abkuhlenden Gemisch niir noch Reaktionen ein, deren Aktivierungsbarriere relativ niedrig ist, so dass sie auch dann binnen ca. 1 ms ablaufen. So gelangen z.B. Aldehyde in das AbgasIzy, weil
129 Ein Tell der Aldehyde fragmentiert sekundar zu Alkanen und CO Zusatzliche Aldehyde bilden sich durch die Kat-Wirkung deren Anreicherung irn Abgas bei sich erwarrnendern Katalysator kann bereits rnit einem Drager-Rohrchen gezeigt werden
158
-
HCHO + *H
fast ohne Aktivierungsschwelle ablaufen. Ahnlich leicht zu aktivierende Reaktionen sind die zwischen Alkinylradikalen und Alkinen, ini einfachsten Fall
*C,H - + C,H,
-+
C,H,
+ *H
die z u r Bildung von Polyinen in Flainmen fuhrt. Diese sind Ausgangsstoffe fur die RuGbildung, da sie wegen der Anhiiufung von Dreifachbindungen hoch ungesittigt, entsprechend reaktiv und mit einem sehr hohen C/H-Verhaltnis ausgezeichnet sind. Wie aber entstehen Ethin, die Kadikale und die Polyine? Die Kohlenwasserstoffketten werden im Verbrennungsmotor einer ganz kurzzeitigen Schockpyrolyse unter oxidierenden Bedingungen ausgesetzt. Ilabei gebildete ungcsattigte Fragmente mit niehrfachen und daher stabileren C-C-Bindungen wie Ethin oder *HC, gehen untereinander Folgereaktionen ein. Es entstehen sowohl aromatische Kohlenwasserstoffe als auch (nahezu) wasserstofffreie Produkte mit zahlreichen C-Atomen (Rug). Die Bildung von Partikeln ist also bei nicht isothermen1 10 Verbrennungsvorgangen, wie sie in Kolbenmotoren jeder Art ablaufen, unvermeidlich. Interessant ist, dass ihre ,,Ausbeute“ bei hohem Luftuberschuss im Verbrennungsgasgemisch, wie es bei Dieselmotoren ublich ist und bei Otto- oder Wankelmotorenl.” nicht realisierbar ware, besonders hoch ist. Problematisch an diesen Partikeln ist insbesondere zweierlei:
130 Stirlingrnotoren, Strahltriebwerke (obwohl sie rul3en konnen) und Erennstoffzellen sind wegen isotherrner Verbrennungsfuhrung davon weit weniger betroffen 131 Die Schwierigkeiten, bei einern eine Ovalflache uberstreichenden Trochoidenkreiskolben ( .abgerundetes” Dreieck) die Teilvolumina der Erennkolben vollstandig abzudichten, fuhrt beirn Wankelmotor (Viertaktprinzip) ahnlich wie beirn Zweitakter zu erhohtem AusstoO unverbrannter und neu gebildeter Kohlenwasserstoffe
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
- Sie enthalten erhebliche Mengen der Zwi-
schenprodukte ihrer Bildung in adsorbiertem Zustand, also der vielfach stark karzinogenen PAKs und - sie gelangen auf Grund ihrer Partikelgroge bis in die Tiefenbereiche der Lungen. Beides macht die Riickhaltung von Rug bei Dieselmotorfahrzeugen mithilfe von Filtersystemen notwendig; der gegeniiber anderen Verbrennungsmotoren hohere Wirkungsgrad des Dieselmotors ist demgegenuber unter Aspekten der Ressourcenschonung und der Begrenzung des Treibhauseffekts generell zu begrugen. 3.4.6.2 Praxisbeispiel 2: Funktionsweise einer Klaranlage
Zweck einer Klaranlage ist es, Abwasser so weit zu reinigen, dass sie unbedenklich in die Vorflut, meist einen FIUSS,abgegeben werden konnen. Sie verarbeitet dabei kommunale, gewerbliche und industrielle Abwasser, die mit komplexen Gemischen unterschiedlicher Schadstoffe und biogener organischer Substanz belastet sind. Die Reinigungsaufgabe hat damit mehrere Dimensionen:
- Abbau organischer Schadstoffe (DDT etc.), Biozide; Regenwasser muss heute uber Kanalisation gesammelt und klartechnisch behandelt werden.
- Auch
Die Hauptfracht kommunaler Abwasser aber ist biogenes Material (Fakalien, Lebensmittelreste), das mit einer Vielfalt anderer Stoffe vermengt ist, die wie Kunststoffteile, Hygieneartikel, Lackreste und andere Chemikalien vielfach auch gar nicht fur die Kanalisation bestimmt sind. Die organische Substanz benotigt zu ihrem Abbau Oxidationsmittel; pro Einwohner rechnet man mit 60 g Sauerstoffbedarf (BSB,) pro taglichem Eintrag (Einwohnergleichwert, EGW). Die anaeroben Prozessteile unter Reduktion von Nitrat bzw. Sulfat vermindern diesen Bedarf nicht, weil Nitrat und Sulfat zuvor aus reduzierten Formen von Stickstoff und Schwefel in organischer Substanz durch aeroben Abbau erzeugt wurden (Nitrifikation), abgesehen von gelosten Sulfationen, deren Konzentration im Abwasser meist gering ist. Die groBte europaische Klaranlage im Ballungsraum KolnlLeverkusen/Neuss mit fast zwei Millionen EGW benotigt demnach 110-120 t Luft~ a u e r s t o f f pro ' ~ ~ Tag.
- Oxidation oder Vergasung (Entfernung
aus dem Wasser) organischen Materials mit dem Ziel, den biologischen oder chemischen Sauerstoffbedarf des geklarten Wassers zu minimieren; - Fallung oder Beseitigung von unerwunschten Nahrstoffen wie Phosphat, Nitrat und von toxischen Schwermetallen; - Abbau solcher Stoffe, die die mikrobiologische Aktivitat der spateren Klarstufen und der Vorflut beeintrachtigen konnen, etwa Antibiotika oder Sulfonamide;'32 132 Dabei sind nicht nur bzw. zum kleineren Teil als Medikamente vorgesehene Sulfonamide zu berucksichtigen; eine Klaranlage potenziell beeinflussende Effekte gehen auch von SuOstoffen (Saccharin und Cyclamat sind ebenfalls Sulfonamide) und Farbstoffen der gleichen Struktur aus.
133 Bezuglich des EGW von 60 g/d oder - bei 150 I/d Prokopf-Verbrauch von Trinkwasser in Deutschland - 400 mg/l kann man im Ubrigen sowohl von einem hohen als auch von einem niedrigen Sauerstoffbedarf sprechen: einerseits sind 400 mgll etwa das Funfzigfache dessen was an Sauerstoff gewohnlich in Wasser gelost ist, andererseits bedingt der technische Sauerstoffverbrauch des einzelnen Burgers von etwa 800 W (elektrisch) bei uberwiegend fossiler Bereitstellung einen sehr vie1 hoheren Sauerstoffverbrauch.60 g O,/d (1,88Mol) ergaben in einem Steinkohlenkraftwerk eine thermische Energie von ca. 705 kJ oder - bei 50 % Wirkungsgrad - uber 24 Stunden eine elektrische Leistung von 4,l W. Daraus folgt, dass die energetische Nutzung in Klaranlagen anfallenden Biogases auch dann nur gering zur Energieversorgung einer Kommune beitragen kann, wenn man dessen Ausbeute wie im Text beschrieben optimiert.
159
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie
Abb. 46: Klarprozess.
CaM.0, Mechanische Klarstufe
Chemtsche Kliirstufe
HioloFiwhc Klirrtufc Nitrifizierung Denitrifizie(aerob) rung (anaerob)
Grobe Teilchen werden durch mechanische Filterung (Sieb-Rechen) und Abscheider entfernt, die das Klarmedium zirkulieren lassen. Durch Umwalzung (seitliches Aufsteigenlassen eines Luftstroms) sammeln sich der feste oder Wasser unlosliche Unrat, Kunststoff, Holz, Metallteile sowie Sand in bestimmten Ecken oder Randbereichen des Primarbeckens an und werden dort abgeschopft. Brocken organischer 160
Metallsulfide Faulturm (Sul- Nachfallung fatreduktion von Phosphat
Dabei symbolisieren nach unten gerichtete Pfeile Fallungen bzw. das Absetzen fester Biomasse (Klarschlamm), nach oben gerichtete das Entweichen von C und N in gasfermigen Verbindungen. Letzteres mindert ebenfalls sowohl den biologischen und chemischen Sauerstoffbedarf des Klarmediums als auch das von ihm ausgehende Eutrophierungspotenzial in der Vorflut. Bild oben: Klaranlage Delmenhorst (Niedersachsen). CaMxO, symbolisiert ein Calcium-MetallMischoxid.
Substanz werden dann in Riihrwerken zerkleinert. Neben Fakalien zahlen hierzu etwa Fettklumpen und bestimmte Lebensmittelreste, die sodann als Substrat fur Bakterien fungieren. Die mechanische Klarstufe wird von einer chemischen Fallung gefolgt; die Bakterien kommen in der dritten, daher als biologische bezeichneten Klarstufe zum Einsatz.
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
Dort setzen diese Bakterien organische Substanz um, indem sie diese oxidieren. Dazu nutzen sie entweder molekularen Sauerstoff oder in dessen Abwesenheit schwachere Oxidationsmittel. Dabei werden Stickstoff und Phosphor aus ihren biochemischen Bindungszusammenhangen (Aminosauren, Harnstoff, Nukleosidphosphate, Nukleinsauren) gelost und gehen als Ammoniumion bzw. Phosphat in Losung. Den Verbleib von Kohlenstoff, Stickstoff, Phosphor und Metallionen in den unterschiedlichen Schritten des Klarprozesses verdeutlicht die Abbildung 46. Die chemische Klarstufe umfasst folgende Prozesse: Der Klarsuspension wird Kalkwasser (Calciumhydroxidlosung) zugesetzt. Dabei fallt ein Teil des Phosphats als Hydroxylapatit Ca,(PO,),(OH), Leichtund Schwermetalle als gemischte Hydroxide oder Oxidhydrate wie Fe203, Perowskit CaTiO:, oder Grossit CaAI,O, aus, jeweils ir, Mischphasen, von denen hier nur die dominierenden Kationen angegeben sind. Die Ca-Salze haben gegenuber Alkalisalzen den Vorteil, dass auch amphotere Elemente, die sich wie Al, Zn, Cd im Alkalischen wieder unter Bildung von Hydroxoionen auflosen, in der festen Phase verbleiben, weil die Calciumsalze schwer 16slich sind, anders als die Alkalisalze. Auch Cadmium, Blei und andere toxische Metalle werden uberwiegend so abgeschieden, wobei sie einen Teil des Calciums im Hydroxylapatit ersetzen. Ein kleinerer Teil der Schwermetalle bleibt allerdings in Losung und belastet nach seiner Abscheidung als Sulfid den Klarschlamm. Die aus Harnstoff, der Oxidation von Aminosauren und Hydrolyse von N-Heterozyklen stammenden Ammoniumionen werden in der biologischen Klarstufe unter Luftzutritt von spezialisierten Bakterien (Nitrosomonas, Nitrobacter u. a.) iiber Zwischenstufen zu Nitrat oxidiert (Nitrifizierung): Das noch in Losung verbliebene Phosphat bleibt einstweilen un-
verandert; es erfolgt hochstens eine teilweise Hydrolyse von organischem sowie von Polyphosphat. Die Tiefenschichten der Klarbecken sind sauerstofffrei, wenn nicht durchluftet wird, so dass dort Bakterien die reichlich vorhandene organische Substanz mithilfe des nachstschwacheren Oxidationsmittels, also von Nitrat oxidieren. Dabei entsteht molekularer, elementarer Stickstoff, der aus der Klarsuspension als Gas entweicht und daher nicht mehr eutrophierend wirken kann. Dieser Vorgang heiRt entsprechend Denitrifizierung; Kohlenstoff- und Phosphorverbindungen dagegen verbleiben in der Klaranlage, abgesehen von etwas CO,, das bei der Nitratreduktion entsteht und entweicht. Zur Effizienzsteigerung werden Anordnungen verwendet, bei denen das Klarmedium ein Becken durchlauft, in dem entlang der FlieBrichtung bestimmte Abschnitte durchluftet, breitere dazwischen und a m Ende hingegen nicht durchliiftet werden. Die Folge davon ist, dass in den aeroben Bereichen noch vorhandene reduzierte Stickstoffverbindungen (Aminosauren, Harnstoff, Heterozyklen wie Harnsaure) in groBerem Umfang zu Nitrat oxidiert werden, das neu anfallende Nitrat dann jeweils zu N2 reduziert wird. Der Reststickstoffgehalt wird bei diesem alternierenden Vorgehen also deutlich vermindert. Der Kohlenstoff hat uber die Einzelschritte hinweg eine partielle Oxidation erfahren, der restliche chemische und biologische Sauerstoffbedarf vermindert sich demgemag. Ziel ist die Verminderung des BSB von anfangs etwa 400 mg/L Suspension auf zuletzt 30 mg/L, also um mehr als 90 %. Ein Teil des potenziell oxidierbaren Kohlenstoffs wird in fester Form als Biomasse (Faulschlamm)abgeschieden, braucht dann also nicht mehr in der wassrigen Phase oxidiert zu werden. Dabei werden zugleich gewisse Mengen der anderen essenziellen und als potenziell eutrophierend wirkende Nahrstoffe anzusehenden Elemente Stick161
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie
stoff und Phosphor' 14 fixiert. Das Ziel einer uber 90 94-igen Reduktion dcs BSBj-Wertes wird auch bei der im Faulturm nachfolgenden Nutzung von Sulfat als Oxidationsmittel nicht durch fortschreitende C-Oxidation erreicht, sondern ein anderer Weg beschritten: Im Faultiirrn wird ein erheblicher Teil des noch verfugbaren Kohlenstoffs zu Acetat oxidiert. Auch dieses ist zwar noch biologisch oxidierbar, bei den extrem niedrigen Potenzialen im Faulturm erfolgt jedoch keine Oxidation mehr, statt dessen zerlegen Bakterien die Acetationen in Methan iind Kohlendioxid. Beides sind Gase, die in Wasser schlecht ICislich sind und als Hauptkomponenten des Riogases aus dem Faultiirm abgefuhrt werden. Damit fallen sie nicht mehr Linter die f u r die CSB/BSB-Bilanz relevanten Komponenten. Gleiches gilt fur das biologische Produkt der biologischen Stoffumsetzung: den frischen und ausgefaulten Bclebtschlamm. Er stellt eine pastiise his feste Substanz dar, die von der wiissrigen Phase abgetrennt werden kann und daher ebenfalls nicht mehr oxidiert werden braucht. Es bleibt noch das Phosphat. Dieses wird niit Fe(II1) oder AI(II1) ausgefillt bevor das geklarte Wasser in die Vorflut eingeleitet wird. Der Belebtschlamm fungiert teilweise selbst als Reduktionsmittel bei der Denitrifizierung (Schlanimruckfuhrung), zum anderen Teil dient er als Impfkultur fur den kontinuierlichen l'rozess. Der Uberschussschlamm wird teilweise getrocknet und anderer Verwertung zugefiihrt: bisher war es statthaft, ihn als Diinger auf Feldern auszubringen, doch ist dies in der EU seit 200.5 wegen des Schwermetallgehalts und damit fortschreitend ansteigender Belastung von Agrarflachen nicht mehr zulassig. Daher 134 Daher 1st be1 der Fallung mil Calciumhydroxidlosung darauf zu achten dass das Phosphat nicht vollstandig gefallt wird. urn ein Wachstum von Biornasse weiterhin zu erlauben (alle lebende Substanz enthalt Phosphor)
162
spielt die Verbrennung - es handelt sich immerhin um noch gut oxidierbare organische Substanz mit relativ hohem Brennwert - eine steigende Rolle. Die Schlammmenge kann auch dadurch reduziert werden, dass der Schlamm durch Ultraschallbehandlung zerkleinert, seine Uberfiihrung in Biogas hierdurch effektiver gestaltet wird. Das Biogas kann energetisch genutzt werden, und als Alternative zur Verbrennung des Restschlammes wird auch dessen Hydricrung un ter s uc h t : Ahnlich wie bci Braunkohle oder anderer bio- und geochemisch anaerob oder teilaerob gealterter organischer Substanz fuhrt die Hydrierung von Klarschlamm zu Kohlenwasserstoffen und Alkoholen als Folgeprodukten, die analog zu Rohstoffen und Zwischenprodukten der Petrochemie eingesetzt werden kiinnen. Auch hei der Pyrolyse entstehcn iihnliche Produkte, insbesondere niedcre Kohlenwasserstoffe. Die Schwermetallriickstande werden ebenfalls konditioniert: - hei der Hydrierung verhleiben sie mit
stark erhiihter Konzentration im Riickstand, - bei der Pyrolyse werden sie teils in der inkohlten Ruckstandsmatrix eingeschlossen, teils verfluchtigt (Cd, Hg, Pb) und mit den1 ohnehin z u reinigenden Pyrolysegas abtransportiert. In beiden Fiillen sind die Schwermetalle nachher weitaus schlechter hiovcrfiigbar als im ,,rohen" bzw. ausgefaultcn, aber nicht thermisch oder mit Wasserstoff chemisch konditionierten Schlamm. Zusiitzlich wird die organische Substanz nochmals minimiert, auch wenn Hydrierung wie auch Pyrolyse von Klarschlamm nicht C02-neutral sind ( M O Z A ~ F A R& I A ZWART N 2002). Die Restmasse ist kohlenstoffreich und kann wie Aktivkoks als Sorbens dienen, halt noch vorhandenc Schwermetalle sowohl dadurch als auch in Folge des Einbaus in die organische Matrix wirksam zuriick.
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
3.4.6.3 Praxisbeispiel 3: Nutzung nichtklassischer Energiequellen in der umwelttechnischen Praxis. Sonochemische Verdichtung von Schlammen Technische Anwendung findet die Sonochemie u.a. in der Verdichtung von Schlammen. Mitte 2002 wurden Ultraschallanlagen bereits in elf deutschen Klaranlagen zur Schlammkonditionierung in unterschiedlichen Phasen des Klarprozesses im Routinebetrieb herangezogen.
75-40 % ihrer vorherigen GroRe verkleinert. Die Zerkleinerung der einzelnen Schlammteilchen vergrogert zudem deren Oberflache so, dass sie in Faulturmen schneller und mit hoherer Ausbeute an Biogas ausgefault werden konnen. Fakalcoliforme Bakterien sind so nach kurzer Zeit ebenfalls nur noch in akzeptablen Mengen (< 1.OOO/l) vorhanden.
rusts; dadurch werden die Ladungstrager frei beweglich und die Kolloidstruktur bricht zusammen (Partikelzerkleinerung, schnell), daneben als sonochemische Vorgange - Abspaltung Ionen bildender (saurer, basischer, Metallionen adsorbierender) funktioneller Gruppen wie Carhoxylatoder Aminogruppen durch sonochemische Prozesse (OH-Radikale oxidieren Aminogruppen und spalten Carboxylat als HC0,- ab); - Sonochemisch bedingte pH-Anderung, die zu Koagulation fuhren kann.
Weiterhin konnen einzelne gut wasserlosliche aber nur minimal mikrobiologisch abbaubare Stoffe wie Methyl-tert-butylether (bleifreies Antiklopfmittel in Vergaserkraftstoffen) sonochemisch in Wasser und Schlamm abgebaut werden (LIFKAet al. 2002). Ebenso werden im Schlamm enthaltene Ruckstande wie Phenole oder Pflanzenbehandlungsmittel sonochemisch so weit umgesetzt, dass ihre Folgeprodukte mikrobiologisch abgebaut werden konnen. Dies ist keine sonochemische Vollmineralisierung sondern nur die Aktivierung durch Abspalten einiger die Mikrobiologie hemmender funktioneller Gruppen. Fur die Schlammbehandlung liegt die optimale UItraschallfrequenz bei 360 kHz, also im selben Bereich wie bei der reinen wassrigen Sonochemie (vgl. LICKIS 2000). Unter der Bedingung, dass die Schallgeschwindigkeit mit der in reinem Wasser uberein stimmt, entspricht dies einer Schallwellenlange von 4 mm. Diese ist also erheblich griiger sowohl als die Kavitationsblasen, auf welchen die Sonochemie basiert (5 150 pm [SUXICK et al. 1999]), als auch die Schlammpartikel. Hohere Frequenzen wie 1 MHz (1,4 mm Wellenlange) sind deutlich weniger effektiv.
Neben der Austreibung eines betrachtlichen Teils des Wassers aus dem Schlamm werden bestimmte Kontaminanten oxidiert (organische Verbindungen) oder mobilisiert (Schwermetalle), so dass letztere durch Fallungs- und Bindungsprozesse a u s dem nun uberstehenden Wasser entfernt werden konnen. Innerhalb von zehn Sekunden werden die Schlammpartikel auf
Eine sonochemische Schlammbehandlung kann auch statt direkt vor dem anaeroben Ausfaulungsprozess bereits vor der Denitrifizierung erfolgen. Dann gestaltet sich das C/N-Verhaltnis gunstiger fur die Denitrifizierung, da der sonochemisch partiell zersetzte Schlarnm in diesem anaeroben Prozess besser als Kohlenstoffquelle (Reduktionsmittel) fungieren kann. Es steht zu
Folgende Eigenschaften und Effekte werden dabei ausgenutzt: Die einzelnen Kolloidpartikel eines Schlamms weisen haufig eine elektrische Ladung auf, die zu gegenseitiger AbstoRung fuhrt. Das Ergebnis ist eine stabile Suspension. Bei Einwirkung von Ultraschall kiinnen nun unterschiedliche Prozesse eintreten: - Mechanische Austreibung von Wasser
und von Garungsgasen aus der Struktur - Sonochemischer Abbau eines Polymerge-
163
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie
vermuten, dass auch die Stickstoff tragenden funktionellen Gruppen in einfachere chemische Bindungszusammenhange iiberfuhrt werden (sonochemische Hydrolyse von Biopolymeren) und dadurch nachher schneller zu N, umsetzbar sind. Eine im Prozess erwahnte Nebenwirkung ist auch die Entgasung von Schlamm (vgl. die Funktion von Ultraschallbadern zur Losungsmittelentgasung). Wahrend der sich haufig bildende Blah- und Schwimmschlamm notwendiger Weise an der Oberflache bleibt und die anaerobe Bedingungen erfordernde Denitrifizierung erschwert ist, weil sich die Nitratreduzierer und das zur Reduktion benutzte organische Material an unterschiedlichen Stellen befinden, sinkt der Schlamm nach dem Austreiben von Gargasen a b und kann seine Funktion am anaeroben Boden eines Klarbeckens erfiillen (Fa. Telsonic Ultrasonicshchweiz). Eine weitere Anwendung von Ultraschall ist die Sterilisierung von Trinkwasser: die Zellen im Wasser befindlicher Mikroorganismen (Plankton, Mikroplankton) werden nach nur 20 s langer Ultraschalleinwirkung zerstort und ihre Inhaltsstoffe konnen an einem Filter zu 90 % gebunden werden. Dieses Planktonproblem tritt immer dann auf, wenn Oberflachenwasser zur Trinkwassergewinnung dienen, etwa in Talsperren, und ist von der Jahreszeit abhangig. Im nativen Zustand lasst sich eine Planktonbliite durch Flockung oder Filterung nur schwierig entfernen, auch weil Zooplankton in der Lage ist vor den Filtereinrichtungen in das ,,freie, ruhige" Wasservolumen hinein zu fliehen. Ein Praxisbeispiel fur solchen Ultraschalleinsatz ist die Trinkwassergewinnung aus der Wahnbachtalsperre bei Siegburg (VDI Nachrichten 2002). Hier wird nicht nur der Chemikalieneinsatz vermieden sondern es bestehen auch Kostenvorteile.
164
3.4.6.4 Praxisbeispiel 4: Wasserreinigung durch Glimmentladungselektrolyse Die Fahigkeit der Glimmentladungselektrolyse, sowohl einfache geloste Verbindungen als auch polymere organische Substanz zu spalten und in molekularen Wasserstoff zu uberfiihren ( DENARO& HICK1,lNG 1958), sofern keine hohen Salzkonzentrationen anwesend sind, wird seit einigen Jahren in technischem Magstab genutzt. Mit modularen Einheiten behandelt man mit mikrobiell schwer oder nicht abbaubaren Stoffen belastetes Wasser. Eine typische Konstruktion fur die technische Anwendung (Reinigungsraten von 50-100 mi Wassermag) ist der in Abbildung 4 7 dargestellte Fallfilmreaktor, bei dem das Reinigungsgut eine planare, senkrecht angeordnete Elektrode hinabrinnt, wahrend es eine ganze Serie von Lichtbogenplasmen passiert. Das Fiillgas der Apparatur ist Argon; hinzu kommt Wasserdampf in von der erreichten Temperatur' j' abhangigen Menge. Wie Abb. 4 7 zeigt, erstreckt sich der modulare Aufbau auch auf die innere Struktur des Reaktors. Der Grund hierfiir ist, dass elektrochemische Glimmentladungen wie andere Lichtbogen genauer Regelung, zumindest aber eines Vorwiderstands bediirfen, um einen lawinenartig ansteigenden Stromfluss durch das Lichtbogenplasma zu verhindern. Eine Aufteilung auf mehrere getrennte Entladungszonen begrenzt nicht nur den Stromfluss sondern auch die lokale Erhitzung, so dass der unter Erwarmung schnell ansteigende Dampfdruck von Wasser nicht den auf geringe Gesamtdrucke angewiesenen Entladungsprozess behindern. 135 Es 1st ein nicht thermisches Plasma, ein so genanntes kaltes Plasma, in dem also anders als in Sternatmospharen oder induktiv gekoppelten Plasmaentladungen die lonen nicht durch extreme Erhitzung des Mediums erzeugt werden Sie werden vielmehr mit dem elektrischen Feld aus der Losung heraus gezogen. weitere entstehen durch StoOprozesse zwischen den lonen und Wasserdampf bzw Argon in dem elektrischen Feld
Verfahren der Technischen Umweltchemie 3.4
Abb. 47: Das Bild links zeigt den Glimmentladungsreaktor. Das zu reinigende Wasser rinnt die dunkelgraue Platte hinunter, die zugleich eine der Elektroden darstellt. Die dieser Platte gegeniiber (davor und dahinter) angeordneten Stabe bilden die Gegenelektrode, und unter einer Spannung von einigen Hundert Volt zundet ein rotvioletter Lichtbogen (Bild rechts) zwischen jedem Stab des Elektrodenbusses und der Platte. Der Fliissigkeitsfilm wird daher nicht nur einmal dem stark fokussierten Energieeintrag der elektrochemischen Glimmentladung ausgesetzt, sondern insgesamt zwolf Ma1 und dabei etwaige Zwischenprodukte weiter abgebaut. Die Verweildauer in der Reaktionszone ist dann zwar kurz (jeweils 0,l s oder weniger), aber die Aufheizung und damit der Dampfdruck des Wassers an der Oberflache bleiben gering, was den Betrieb der Entladung erleichtert und auch die Stoffumsetzung chemisch effizienter macht. Zwischen den Staben und der Platte brennen keine ganzflachigen Entladungen sondern es bilden sich einzelne Plasmakanale (Bild rechts), weil der in ihm flief3ende Strom das Plasma selbst fokussiert. Auch deshalb ist es notwendig, mehrere Entladungszonen hintereinander zu schalten, damit kein Wasser zwischen den Entladungspunkten ungereinigt hindurch rinnen kann.
Es wird sowohl effektive Wasserentkeimung auch gegenuber robusten Organismen ( Cryptosporidia-Oozytenstadien und Giardia-Zysten) als auch der Abbau Chlorhaltiger organischer Verbindungen erreicht. Letztere entstehen bei der Trinkwasserchlorierung aus unterschiedlichen Vorstufen (geloste organische Substanz) bzw. wurden his vor kurzem auch als Losungsmittel verwendet (u. a. Chloroform; 1,2-Dichlorethan). Der Energiebedarf wird bei elektrochemischen Reinigungsverfahren iiblicher Weise in kWh pro m3 um 90 % gereinigtem Wasser angegeben; eine weitere Faktor-lOReinigung erfordert naherungsweise den gleichen Energieaufwand. Er betragt fur
Chloroform 4,2, fur 1,2-Dichlorethan etwa 3,l kWh pro m3, wobei der Primarstrombedarf gemeint ist (der Lichtbogen der Glimmentladung arbeitet naturgemafl mit Gleichspannung). Die Kosten fur die >90 %-ige Reinigung eines massiv (mit 40 ppm) Pentachlorphenol belasteten Wassers werden mit 1-2 US-$/lo00 Gallonen, entsprechend 0,21-0,41 a m 3 , angegeben (Jahr 2000). Dies ware nur ein Bruchteil der inzwischen in Deutschland iiblichen Abwasserkosten, und dies bei einem hoch problematischen Sonderabfall im Wasser. Eine Limitierung besteht allerdings in der Empfindlichkeit gegeniiber gelosten Salzen; einerseits nehmen diese am Redoxprozess in 165
3.4 Verfahren der Technischen Umweltchemie
der Glimmentladungselektrolyse teil, andererseits vermindern sie den uber-Faradayschen Wirkungsgrad der Oxidation in der
166
GDE und fuhren zu erheblichen Korrosionsproblemen.
4 Fallstudien Fallstudien zur Technischen Umweltchemie dienen dazu, die Briicke zur Praxis zu schlagen: bestimmte Stoffe, z. B.
- Komplexbildner, die Schwermetalle aus Sedimenten extrahieren und dadurch bioverfugbar machen konnten, - Substanzen, die bei Verbrennung oder technischen Prozessen Schadstoffe bilden oder zu deren Bildung beitragen (Schwefel in Brenn- und Treibstoffen, Vorstufen von Photooxidantien), oder - Phanomene, die zur Schadstoffbildung fiihren (z.B. Bildung von Ozon und Stickoxiden in elektrischen Entladungen), werden in mehr oder minder groBem Umfang bei Verfahren eingesetzt, bei denen die Stoffe oder Folgeprodukte in die Umwelt gelangen und dort negative Effekte auslosen konnen. Hier wird das Verstandnis der einzelnen Effekte und Reaktionsmoglichkeiten von Chemikalien (Abschnitt 3.2) sowie der Methoden (Abschnitt 3.4), sie zur Reaktion zu veranlassen, sehr konkret: Technische Umweltchemie, Technischer Umweltschutz zielen darauf ab, die identifizierten Effekte zu kontrollieren. Das im vorherigen Abschnitt dieses Werkes Grund gelegte Verstandnis miisste allerdings weithin abstrakt, ja oberflachlich und ohne Bezug zu realen Problemen bleiben, wiirden die auftretenden Anforderungen und Schwierigkeiten nicht zumindest beispielhaft an einzelnen Stoffen und ihren Wirkungen ,,durchgespielt". Auch langjahrig erfahrenen Chemikern fallt es namlich schwer, sich die Konsequenzen eines Phanomens wie der Fallung, Komplexbildung, redoxchemischer Umsetzungen oder von solchen Einfliissen auf die Reaktionsgeschwindigkeit, wie sie die Hammett-Gleichung beschreibt, in einem konkreten Um-
weltmedium - d. h. in einer Umgebung, die durch eine hohe strukturelle und stoffliche Komplexitat gekennzeichnet ist - vorzustellen, wenn sie dies nicht an Hand konkreter Stoffe und ihres (auch quantifizierbaren) Verhaltens tun. Wir vermuten, dass diese Schwierigkeit fur den Studierenden der Umweltwissenschaften noch in weit hoherem MaBe gilt. Dieser Umstand lenkt den Blick auf die konkrete Substanz und ihre nicht immer augenfalligen Eigenschaften, augenfallig oft auch nicht hinsichtlich der Umweltfolgen ihrer Emission; daher ist das Ziel der Fallstudien der Schritt vom abstrakten Reaktionsmechanismus, der Einzelreaktion hin zur Betrachtung und ggf. ,,Beseitigung" von solchen Stoffen, die den Umweltzustand unmittelbar beeinflussen. Dies wirft sofort die Frage auf, wie die jeweils diskutierten tendenziell negativen Effekte zu vermeiden sind. Neben der Zerstorung des Schadstoffes kann dies auch bedeuten, ihn erst gar nicht in die Umwelt gelangen zu lassen oder aber ihn durch andere Materialien oder Energietrager zu substituieren. In einigen Fallen, z. B. der C02-Sequestrierung bieten sich alle genannten Moglichkeiten, und zwar jeweils im Wettstreit unterschiedlicher physikalischer, chemischer und biotechnologischer Ansatze. Diese unterschiedlichen Methoden und ihre Grundlagen werden dann im Vergleich diskutiert; in manchen Fallen kann zurzeit noch nicht gesagt werden, welches Verfahren das Optimum darstellt, und technische Fortschritte in dem einen oder anderen Bereich konnen das Bild schnell andern. Daher werden auch fallweise Verfahren angesprochen, die den Sprung in die GroBtechnik noch nicht geschafft haben, die nach unserer Meinung allerdings das Potenzial dazu haben, bestehende Probleme effektiv zu bewaltigen. 167
4.1 Reaktive Wande
Dementsprechend spannt sich der Bogen der Fallstudien jeweils v o n der Definition des Problems unter Umweltaspekten uber die Reaktionsmechanismen, die ,,Schwachstellen" (Reaktivitatsmaxima) des Stoffes, die ganz bestimmte chemische Umsetzungen zu seiner Beseitigung oder Extraktion nahe legen, bis hin z u dem oder den praktisch angewandten Verfahren, der Frage, wie grog und auch wie aufwandig in Erstellung und Betrieb eine effiziente Anlage ist oder sein wiirde. Die Fallstudie schlieBt jeweils mit einem kurzen ,,Fazit", das verfahrenstechnische Praferenzen und noch ungeliiste Probleme aus heutiger Sicht beleuchtet.
4.1 Reaktive Wande 4.1 -1 Problemstellung Im Grundwasser werden haufig geliiste anorganische (Schwermetalle) oder organische Schadstoffe (Halogen-KW, Herbizide unterschiedlicher Struktur, Nitroverbindungen) transportiert. Sie konnen z. B. aus der Landwirtschaft, industriellen Altlasten, dem Bergbau, Unfallen beim Chemikalientransport oder geochemischen Prozessen stammen. Damit besteht eine Gefahrdung sowohl des Trinkwassers, das uberwiegend a u s Grundwasser gewonnen wird, als auch der Lebewesen in Vorflutern sowie - etwa nach Fischfang und -verzehr - des Menschen. Eine denkbare und auch des iifteren praktizierte Reinigungsmethode besteht darin, das belastete Grundwasser in einem Brunnen hochzupumpen, zu reinigen (z. B. durch Adsorption) und dann dem Grundwasser wieder zuzufiihren (pump and treat). Hierbei gibt es mindestens zwei Schwierigkeiten: - eine
massive lokale Grundwasserentnahme iiber die hierfur errichteten Brunnen fuhrt zu Rissen und Senkungen im Kodenkorper, die einerseits die Standsi-
168
cherheit darauf ruhender Bauwerke beeintrachtigen kiinnen, andererseits neue Wege iiffnen, durch die helastetes Grundwasser sich schnell ausbreited bewegen und auch der Reinigung in einem Teilvolumen entgehen kann - fur die Reinigung groBer Grundwasservolumina (z. B. Chlorbenzol belastete Grundwasserblase' ih in Bitterfeld, Sachsen-Anhalt) ist diese Methode nicht anwendbar. Eine Alternative zu diesen ex-situ-Reinigungsverfahren stellen seit kurzerem (- 1992) Reaktive Wande dar, die als Wasser durchlassige Barrieren in den freien oder kanalisierten Grundwasserstrom eingebracht werden (s. Abb. 48). Konkret handelt es sich um quer zur Grundwasserfliegrichtung orientierte Graben, die bis zur Unterkante des Aquifers reichen und mit einem Material gefiillt sind, das Wasser hindurch l a s t , aber mit den (einigen/ bestimmten) Fremd- oder Schadstoffen darin chemisch reagiert oder u m Drainagerinnen, in denen sich der Reaktnnd als Fullmaterial befindet.
4.1.2 Wirkprinzipien und Losungen Es gibt drei Wirkprinzipien: - Metallionen mit relativ hohem Redoxpo-
tenzial werden als Metalle abgeschieden (Zementation, s. u.). - In der reaktiven Zone stellt sich ein alkalischer pH-Wert ein, der zur Ausfallung von (auch unedlen bzw. unter Feldbedingungen redox-inerten) Metallen, z. B. den Lanthanoiden als Hydroxiden oder Oxidhydraten fiihrt.
136 Die Grundwasserblase in Bitterfeld hat ein Volumen von ca 200 Millionen Kubikrnetern Darnit 1st sie vergleichbar rnit einigen der groOen norddeutschen Seen wie dem Selenter See oder dern Ratzeburger See Sie enthalt etwa 10 000 1 Chlorbenzol
Reaktive Wande 4.1
Abb. 48: Die in dieser Abbildung skizzierte Mischkontamination mit halogenierten organischen Liisungsmitteln (Beispiel C,CI,) und mit Chromat ist typisch fur Galvanik- u. a. metallverarbeitende Betriehe. Das belastete Grundwasser ist rot dargestellt, das gereinigte, nach Passieren der rostfarben symbolisierten (eisernen) rusty wall, blau. Im Gegensatz zu C2CI, sind die Produkte der Enthalogenierunghtgiftung der organischen Substanz (CZH4;C,H,CI) gasformig und entweichen daher nach oben aus der Reaktiven Wand (hellblau), wahrend die als Nebenprodukt anfallenden Chloridionen mit dem Grundwasserstrom (grun) nach rechts transportiert werden. Die Alkalibildung in der Wand fiihrt d a m , dass Chromat (der Fluss von selbst gelb gefarbtem Cr04,- ist durch den gelben Pfeil gekennzeichnet) nicht nur zu dreiwertigem Chrom reduziert, sondern dieses als Hydroxid ausgefallt wird. Es bleibt daher innerhalb der Wand zuruck, gleich so, als prallte es gegen eine starre Barriere (senkrechter schwarzer Strich). Die Abhildung ist nicht maflstablich, die Reaktive Wand muss aber in jedem Falle bis unter die Unterkante der staunassen Grundwasserzone, also in die Tonschicht hinein, reichen, damit das belastete Wasser nicht einfach ungereinigt unter der Barriere hindurchstriimt. - Aus organischen Schadstoffen werden
Halogene reduktiv abgespalten, Nitround einige weitere funktionelle Gruppen reduziert. 4.1.2.1 Zementation
,,edlere" Metalle aus Losungen ihrer Salze als metallische Oberflachenfilme auf Fe bzw. Z n niederschlagen. Die Zementation lauft spontan ab; taucht man z. B. einen eisernen Schliissel in eine Kupfersalzlosung, wird er ohne weiteres Zutun v e r k ~ p f e r t ' ~ ~ .
Als Zementation bezeichnet man einen Redoxprozess auf der Oberflache eines reDie~Abscheidung von Schichten unedler Metalle auf ~ ~wie ~ oder~ Zink.l D ~ -l 137 edleren (z. B. Verzinken von Stahl, Chrornauflage auf bei gehen aus der Metalloberflache Ionen Kupferrohren) muss dagegen unter Energieaufwand, etwa elektrochernisch.durch Aufdarnpfen (Feuerverzinin Losung (Fe2+bzw. Zn2+),wahrend sich ken) oder in Tauchbadern (Metallschrnelzen) erfolgen.
169
4.1 Reaktive Wande
Abb. 49 a-c: Zementation von Kupfer an Eisen in einer Sulfatlosung. Zwischen der linken (unniittelhar nach Mischen der Reagenzien) und der rechten (oben) Abbildung liegen ca. YO sek.; links: frisch gereinigtes und mit Kupfer belegtes Eisen. Fotos: IHI Zittau.
Abbildung 49 zeigt ,,frische" (zuvor mit Aceton gereinigte) Eisenfeilspane und solche (rechts), die sich nach Kontakt mit Cu(I1)-Salzen mit metallischem Kupfer uberzogen haben (Zementation). Diese Reaktion Iauft im Unterschied zu jener mit Chromat iiuch bei pH 7 binnen einer Minute fast vollstandig ab. Die anfangs blaue Cu(1I)-Sulfatliisung (Abb. 49a) entfarbt sich dabei fast vollstiindig (AM. 49b); die danach uberstehende FeS0,-Losung ist beinahe farblos.
voraus, dass die Fullmaterialien einer Reaktiven Wand - fur die es im iibrigen recht unterschiedliche technische Auslegungen gibt - hinreichend stark reduzierend wirken, damit die Reaktion thermodynamisch moglich ist und ggf. noch Aktivierungsbarrieren (in der Elektrochemie als Uberspannungen bezeichnet) uberwunden werden konnen. Auf der anderen Seite fiihren allzu starke Reduktionsmittel miiglicherweise zu Nebenreak tionen: - die Abscheidung von Wasserstoff, der
Die drei oben genannten FormedNebenwirkungen von Reduktionen setzen jeweils 170
dann ohne weitere Wirkung entweicht (falls nicht z. B. katalytisch aktive Metall-
Reaktive Wande 4.1
Tab. 19: Redoxpotenziale unterschiedlicher Systerne bei pH = 0 und 11.
Potenzial bei pH 0 Potenzial bei pH 11 (Standardpotenzial) (reaktive Wand)
Redoxsystem FelFe2+
0.45
05
H2S/S0,z- (Kompostwand)
0,30
435
PhCllPhH + CI-
1,04 (berechnet)
0,39
Nitrobenzol/Anilin
1,22 (berechnet)
0,57
4,40
ca. 4 6
Cd/Cd2+ Cd2++ SO, 2-/CdS (Kompostwand)
1,06 (berechnet)
HCr0,-/Cr(OH),
1,35
0,17
HASO,~-/AS
0,37
4,46
-0,61
-1,26
AsIAsH, (unerwunschte Reaktion)
flachen wie Nickel oder Platinmetalle zugegen sind), und - unerwunschte (uberschiefiende oder selbst problematische Produkte ergebende) Reduktionen. AuRerdem ist zu beriicksichtigen, dass die Metalle oder auch organischen Reduktionsmittel bei ihrer Oxidation nicht einfach ,,verschwinden", sondern Kationen bzw. oxidierte organische Materie als Oxidationsprodukte hinterlassen. Diese Oxidationsprodukte durfen selbst weder ausgepragr toxisch sein noch die Bodenchemie zu sehr beeinflussen. Dadurch werden die fur eine Reaktive Wand potenziell verwendbaren Materialien deutlich eingeschrankt. Die eingangs formulierten drei Reaktionen unterscheiden sich hinsichtlich des zu realisierenden Potenzials, wobei sowohl die Zementation oder Abscheidung reduzierter Formen als binare oder gemischte Oxide Stoff abhangig unterschiedliche Anforderungen stellt wie auch die R e d u k t i o a n t halogenierung organischen Materials. Orientierungswerte zeigt die Tabelle 19. Beide Wandsysteme (Eisen oder Kompost) erlauben die Reduktion von Chromat zu Cr(II1) oder Arsenit, Arsenat zu Arsen, ebenso diejenige des Nitrobenzols zu Anilin oder von Chlorbenzol zu Benzol nicht aber die Bildung von Arsan ASH,.
Ein drittes Kriterium neben ,,passendem" Redoxpotenzial und geringer Toxizitat 10slicher Formen ist naturlich auch der Preis. Dennoch konnten Magnesium, Aluminium oder Zink ebenso verwendet werden wie Eisen (1-2 €/kg, bei Roheisen 300 €/t). Anstelle von Metallen kann auch Kompost, Sagespane u.a. eingesetzt werden; dies ergibt eine organische Reaktive Wand, in der Sulfatreduktion statt findet, wonach an die Sulfide sowohl Metallionen als auch Halogenkohlenwasserstoffe - aliphatische wie auch aromatische - gebunden werden konnen. In praxi werden nur Eisen oder Kompost verwendet. Der Grund, die oben genannten Metalle Zn, A1 oder Mg zu meiden, ist, dass diese Metalle eben zu stark reduzierend wirken: Arsen z. B. wurde bei Kontakt mit Zink oder Aluminium oder Magnesium in Arsan (Arsenwasserstoff [ASH,]), ein hoch toxisches Gas iiberfuhrt und dieses mit dem aufsteigenden Wasserstoff aus einer Reaktiven Wand entweichen. Brunnenfassungen aus Aluminium haben bereits zu einschlagigen Gasunfallen gefuhrt. Die Moglichkeit der ASH,-Bildung ist auch aus dem PoURBAlX-Diagramm ersichtlich; sie gilt ebenso fur Zink (MARsHsche13xProbe!) und selbstverstand-
138 Die MARSHSChe Probe (1836) wurde fruher in der Gerichtsrnedizin zur Feststellung von Arsenspuren in
171
4.1 Reaktive Wande
+ 1,s
f
+I
+05
_I\I
H,AsO;
0
- 0,s
-I
1 I
ASH,
I
I
I
1 .I
0
3
6
9
I 12
1s
pH-Wert
Abb. SO: P ~ ~ ~ ~ ~ ~ - D i a von g r Arsen. a m r nWozu ein in der Bodenflussigkeit enthaltenes Oxoanion von z. B. Arsen, Chrom oder Technetium bei Kontakt mit eingehrachten Metallen, also Reaktiven Wiinden oder auch Brunnenfassungen, reduziert wird, bestimmt das POUR13AlX-Diagramm des betreffenden Elements (hier As), soweit kinetische Barrieren keine Rolle spielen (fur die Reaktionen stehen Tage his Wochen zur Verfugung). Unterscbiedliche Metalle, die toxikologisch und preislich gesehen in einen Grundwasserleiter eingebaut werden kiinnten (Fe, Zn, Al) tind ihre Redoxpaare sind beispielhaft angefuhrt (grune Punkte). Unter dem Einfluss solcher Reduktionsmittel stellt sich im Einzugsbereich der reaktiven Wand stets ein alkalischer pH-Wert von en. 1 1 ein, daher die Lage der Punkte rechts in der Abbildung. Im Falle von Eisen ist die stabil koexistente Form von Arsen das Element (das Redoxpaar Fe/Fe(OH)? liegt innerhalb von dessen Stabilitatsgebiet), bei Aluminium ist es Arsan ASH,; Zink liegt ,,dazwischen"; anders als im Sauren (MARsHsche Probe) wird bei Kontakt mit Z n nicht vollstandig Arsan gehildet, aber dennoch in toxikologisch relevanten Mengen. Z n und Al iiberfiihrcn auch z. B. durch Biomethylierung entstandene Organoarsenverbindungen in hoch toxische und zugleich leicht fluchtige primare oder sekundare Arsine. Da Arsan sehr vie1 toxischer ist als das Element, ja selbst als As(III), scheiden Zn, Al und ahnlich stark reduzierende Metallc (Mn, M g ) fiir Reaktive W i n d e zumindest dann aus, wenn der Grundwasserkiirper - geogen oder kontaminationsbcdingt - Arcen cnthiilr.
lich auch fiir das noch starker reduzierende Magnesium. Die einschlagigen Standardbiologischern Material (Leichenteile, Mageninhalt) verwendet und gelingt auch rnit bestirnrnten Organoarsenverbindungen sowie Ruckstanden von Sb, Ge, Se und Te. Sie beruht auf der Erzeugung fluchtiger Elernenthydride durch ZinWHCI und deren therrnischer Zersetzung oder Nachweis rnittels AAS.
172
potenziale (A1 -1,70 V, Zn -0,76 und Mg -2,36 V ) liegen weit unter dem Rildungspotenzial von Arsan (-0,61 V, s. 0.) Wahrend die Reduktion von Halogenaromaten und die Zementation als HauDtanwendungsgebiete ~ ~ w a n d e ~;it k len genannten Wandfullmaterialien reali-
Reaktive Wande 4.1
Nun zu den beiden anderen Wirkprinzipien einer Reaktiven Wand:
talls in der wassrigen Losung oder im Bodenwasser mithilfe einer Reaktiven Wand in niedere Oxidationsstufen iiberfiihrt, so wird der pH-Wert der Fliissigkeit durch Verminderung der Starken beider Arten von Sauren ansteigen. Als typische Anionen bzw. Metallzentren derartiger Sauren in belasteten Boden konnen Nitrat, Chromat, Fe(II1) gelten; auch durch Reaktive Wande behandlungsfahige Halogenaromaten und d i p h a ten zeigen ahnliche Effekte: Phenol ist weit weniger sauer als Pentachlorphenol, Essigsaure weniger acid als Chloressigsaure. Praktisch stellen sich pH-Werte nahe 1 1 ein, bestimmt von den Hauptkomponenten der Reaktiven Wand und ihrer unmittelbaren Umgebung. Das hat zwei Konsequenzen:
4.1.1.2 Redoxbedingte Alkalifallung
- die meisten Metalle fallen als Hydroxide
siert werden konnten, zeigt die Abbildung 50 auch die Problematik von Nebenreaktionen, die zu vielfach hoch toxischen Nebenprodukten fiihren, etwa Elementhydriden wie ASH,, SbH, oder Metallalkylen wie Tetramethylblei (AHMADet al. 1980). A1 greift in alkalischer Umgebung auch Blei unter Bildung von fliichtigen, wiederum hoch giftigen Bleialkylen an, wenn Bromoder Iodorganika anwesend sind. Daher bleibt man bei metallischem Eisen oder verwendet Sulfid bildende organische Wandmaterialien. Auch diese setzen Halogenaliphaten wie CCI, um.
Eine Zufuhr von Elektronen zu einem wassrigen System fiihrt tendenziell zu einem pH-Anstieg; im einfachsten Fall werden ProtonenlOxoniumionen durch Reduktion zu H, dem Protolysegleichgewicht des Wassers entzogen:
2 H,O+ + 2 e-
-
H, + 2 H,O
Als zweite Ursache des pH-Anstiegs ist zu beriicksichtigen, dass die Aciditat sowohl von Oxosauren der N i ~ h t m e t a l l e l ~als~ auch von Aquaionen der Metalle mit der Oxidationsstufe ansteigt. Quantitativ wird dies durch die Bellsche Regel beschrieben: pro zusatzlichem Sauerstoffatom in einer Oxosaure, d. h. bei Erhohung der Oxidationsstufe um zwei Einheiten sinkt der pKaWert um ca. 5-6 Einheiten, die Aciditat steigt also stark an. Wird eine Oxosaure oder das Aquaion eines reduzierbaren Me139 Beispielwerte:HOCl7,53; HCIO, 1,95; HCIO, - 2,7 und HCIO, ca. -93, HS0,- 7,18und HS0,- 1,99,H,AsO, 9.29 und H,AsO, 2.24 (MIZERSKI1997).Fur Aquaionen redoxaktiver Metalle seien folgende Werte genannt: V(III) 2,3;Cr(ll) Fe(ll) pKa = 9,4, Fe (Ill)2,18; V(II) 6,5, 8 2 ,Cr(lll) = 4.26, Cr(VI) < 0 (starke Saure). Die Effekte sind also noch etwas groBer als bei Nichtrnetallen (Differenz hier rneist nur eine Oxidationsstufe).
oder Oxidhydrate aus, wenn sie nicht reduziert werden, und - bestimmte Reduktionen verandern massiv ihre Kinetik. Wahrend z. B. Chromat Cr042- in neutraler Losung kaum mit auch zuvor gereinigten und entfetteten Eisenfeilspanen reagiert, im Sauren Reduktion erst bei lebhafter Auflosung des Eisens, d. h. Freigabe von Fe2+-Ionen erfolgt, verlauft die Reaktion im Modellversuch bei p H 11 binnen weniger Stunden fast quantitativ. Die Ruckhaltung/ Reduktion von Chromat in Bodenlosungen ist in der Tat eines der Hauptanwendungsgebiete reaktiver Wande. Eisen selbst ist im Unterschied zu den oben als Alternativen diskutierten Leichtmetallen iibrigens bestandig gegeniiber Alkalikorrosion; wahrend sich Al und Zn in basischen Losungen schnell auflosen, bleibt die Oxidschicht auf Fe ungelost und schiitzt dieses. Diese Reduktion an einer Eisenoberflache hat also keinen autokatalytischen Charakter,14" sondern verlauft mit gut definierter 140 Auf anderen Metallen, die sich losen oder stabile, basische Kornplexe bilden. verlauft die oxidative Auflosung tatsachlichautokatalytisch,rnit allen bekannten Folgen Ausbildung von Mustern und Reaktionsfrontenauf dern
173
4.1 Reaktive Wande
und konstanter Geschwindigkeit. Metalle, die nicht der Zementation unterliegen, weil sie zu schwer (nicht durch Fe bzw. gar nicht in wassrigem Medium) zum Element zu reduzieren sind, etwa Cr oder Al, wurden zum Teil in der nunmehr alkalischen Umgebung unter Bildung von Hydroxoanionen wieder aufgelost bzw. erst gar nicht ausfallen. Gewiihnliche Boden enthalten allerdings hinreichend hohe Konzentrationen von Mg"- und Ca2+-Ionen, die mit den erwahnten (M(OH)4]--Ionen schwer losliche Salze bilden, so dass dieses Problem praktisch nicht auftritt. 4.1.2.3 Defunktionalisierung durch Reduktion
Trichlortrifluorethan), wahrend halogenfreie benzoide Aromaten, also die BTEXLosungsmittel weitgehend fehlen. Quellen der Kontamination sind in diesem Fall Vorratstanks der genannten Losungsmittel sowie eine nicht heutigen Kriterien entsprechende Auffang- oder Ruckfuhrungstechnologie bei deren Einsatz zu Reinigungszwecken. Eine ganz ahnliche militarische Altlast (Standort von Uniformwascherei und Maschinenreinigungsplatz der Gruppe der Sowjetischen Streitkrafte in Deutschland [CSSD]),die ebenfalls mit einer Reaktiven Wand behandelt wird, findet sich iibrigens in Bernau bei Berlin.
Da Moffett Field aber der ,,klassische" Standort einer groflen Fe-basierten ReaktiDie Vorgange in/an einer reaktiven Wand ven Wand ist und auch sehr intensive Unahneln wiederum jenen in der Technischen tersuchungen durchgefuhrt wurden, sei Organischen Chemie dahin gehend, dass dieses Beispiel weiter verfolgt. Die dortigen auch dort Eisen zur Reduktion von Nitro- Arbeiten begannen mit Laboruntersuchunverbindungen zu Anilinen verwendet, Sul- gen, welche der auf dem Markt befindlifide und neutrale Amine (organische chen Sorten granulierten Roheisens die [ Kompost-]wand) mit Halogenaromaten wirksamste und schnellste Reduktion der oder -aliphaten zu Sulfonium- oder Ammo- betreffenden Schadstoffe erzielte. Man entschied sich fur ein Korngroflengemisch des niumionen alkyliert werden. Anbieters Peerless Metal Powders. Bei Tests lagen die Halbwertszeiten der reduktiv abzubauenden chlorierten Losungsmit4.1.3 Praxisbeispiel tel zwischen 20-50 Minuten (PerchlorethyNachdem das Konzept der Reaktiven len) und zehn Stunden (Dichlorethan). Der Wande Ende der 1980er-Jahre von CII.I.- fast vollstandige Abbau von Frigen-113 war eine Uberraschung, die sich erst bei der HAM entwickelt worden war, kam es Mitte der 1990er-Jahre auf dem Luftwaffenstiitz- Groflanlage ergab. Die Reaktive Wand hat punkt Moffett Field in Kalifornien zur In- hier folgende Konstruktion: stallation einer ersten griifleren Anlage dieses Typs. Dort dominieren organische Kon- Oberhalb der den Aquifer nach unten betaminanten, und zwar die seinerzeit als grenzenden Schicht in 7 m Tiefe wurde eine Losungsmittel iiblichen chlorierten Kohlen- Betonplatte als Sockel der Konstruktion wasserstoffe wie 1,l- und cis-l,2-Dichlor- eingelassen, also ein sehr massiver Eingriff ethen, Tri- und Tetrachlorethen, 1,l-Di- in die Boden- und Gelandestruktur vorchlorethan und das bekanntlich als FCKW genommen. In GrundwasserflieRrichtung oxidativ augerst stabile Frigen-113 (1,1,2- ,,vorn" und ,,hinten" schliei3t ein grofler Behalter aus Geotextilien, ahnlich einem uberdimensionalen Jutesack, gefullt mit Feinkies, das reaktive Volumen gegen den korrodierenden Metall (Cobalt oder Chrorn), ,,DurchgeBodenkorper ah. Dessen Fullmasse ist nicht hen" der Reaktion (explosionsartige Auflosung von Kalium, Rubidium und Casiurn in Wasser) reines Eisengranulat, weil dieses bereits mit 174
Reaktive Wande 4.1
Beginn der Korrosion/Reduktion zu einern kornpakten EisedRost-Korper ohne verbleibende Wasserdurchlassigkeit und aktive Oberflachen verklumpen wurde, sondern ein Gernisch aus Eisengranulat unterschiedlicher Kornung (0,2-1 rnm) und Feinkies. Es reicht von der Betonplatte his hinauf zu ca. 1,70 m unter Flur; daruber befindet sich als Abdeckung der zuvor ausgekofferte Boden. Nun muss noch sicher gestellt werden, dass das Wasser auch wirklich das Reinigungsvolurnen durchstromt. Hierzu gibt es rnehrere Moglichkeiten: - Vollstandiges Umringen der Kontarnina-
tionsstelle mit der Reaktiven Wand bis hinunter zu einer Wasser undurchlassigen Schicht; - Ausnutzen naturlicher Fliegrichtungen des Grundwassers, etwa an Hangen; - Schluckbrunnen/Dranagegraben; - Antreiben des Grundwasserstrorns durch Elektrokinetik. Am Standort Moffett Field werden Schluckbrunnen eingesetzt. Diese dienen zugleich zur Probenahrne zwecks Kontrolle des Reinigungsergebnisses. Wahrend sich bei der Reduktion einfacher chlorierter Kohlenwasserstoffe die irn Laborversuch erzielten Ergebnisse im Wesentlichen bestatigten, auch Vinylchlorid nur zu Beginn des Betriebs angefallen ist, zeigte sich uberraschend eine Reduktion auch von 1,1,2-Trichlortrifluorethan. Auch wurde l , l - D i c h l ~ r e t h a n schneller '~~ urnge141 Allgemein reagieren 1.2-Dihalogenalkane und -alkene bei Reduktionen an Metallen schneller als ihre 1,l-lsorneren. Auch wenn Halogenalkane nur schlechte Liganden sind (es sind einige isolierbare Komplexe von Dichlorrnethan bekannt). tritt offenbar irn Zuge der ChloridabspaltendenReduktion eine Art Chelatisierung ein, die nur bei 12-Dihalogenalkanen moglich ist und die Redoxreaktion beschleunigt (Eisen schiebt sich nicht wie reaktivere Metalle (Al, Mg, Zn, in Einzelfallen auch Cd] in C-Halogen-Bindungen ein). Bei den Halogenalkenen ist zu erwarten. dass sich n-Komplexe zwischen Fen+und der C=C-Doppelbindung bilden. Entsprechend geringer sind hier die ReaktivitatsdifferenZen zwischen den Isomeren, wobei die cis-lsomeren dennoch leichter reagieren.
setzt als im Laborsystem. Der dortige Erfolg gab Anlass zur Verwendung Reaktiver Wande bei der Behebung von zahlreichen anderen Kontaminationen. Hier seien einerseits Bodenbelastungen rnit loslichen Chrornaten erwahnt, wie sie unsere Modellversuche in der Abbildung 51 wiedergeben, andererseits auch radioaktive Reststoffe der zivilen und rnilitarischen Kerntechnik. Hier bewahrt sich besonders, dass Zementation und Hydroxidfallung unselektiv auf eine Vielzahl chernischer Elernente in kornplexen Stoffgemischen zusammen rnit Salpetersaure und organischen Extraktionsreagenzien, wie sie etwa bei Kernspaltung und Wiederaufarbeitung anfallen, anwendbar sind. Weltweit wurden bzw. werden bisher ca. 200 Reaktive Wande, grokenteils auf der Basis von Eisen oder Schrott, eingesetzt, in Deutschland deren sieben. Bei Einsatz sulfidbildender Wande entsteht rnikrobiell bedingt hauptsachlich rnolekularer Stickstoff; die Reduktion an Metallen - Eisen ebenso wie Zink - Iauft bei hohen pH-Werten weiter, bis hin zu NH,, als irn Sauren, wo Stickoxide entstehen. Tief reichende Verunreinigungen werden rnit Reaktiven Wanden nicht durch Anlegen von Graben behandelt sondern indern man das Eisengranulat in Wasser aufschlarnrnt und diesen Schlarnrn unter hohern Druck in das Sediment hinein verpresst. Dabei ergibt sich die fur einen Langzeitbetrieb der reaktiven Wand notwendige Mischung von Eisen und Sand/Kies von selbst. Ergebnisse/Produkte der Reduktionen: Eisen ist billig, wenig toxisch und wirkt stark genug reduzierend, dass die in Betracht kornmenden Schadstoffe chernisch reduktiv verandert werden. Tabelle 20 nennt die resultierenden Produkte. Tabelle 20 enthalt nur solche anorganischen Kontarninanten, deren Ruckhaltung durch Reaktive Wande auf Eisenbasis be175
4.1 Reaktive Wande
Tab. 20: Speziation und Abscheidung von Metall- und Nichtmetallverbindungen an einer Reaktiven Wand auf Eisenbasis. Ziel ist die Erzeugung Wasser unliislicher sowie (wenn miiglich) nicht toxischer Formen der Elemente; angegeben ist die bei pH 11 neben Fe/Fe(OH)2 thermodynamisch stabile Form der Elemente. Schadstoff
Stabile Form Produktform in der ,,Reakti- wasserloslich? ven Wand"
Zn
WOW,
nein
Cd
Cdo
nein
Hg
HgO
minimal
Cr
Cr(OH),
nein
Mo
MOO, oder FeMoO,
nein
co
coo
nein
cu
cuo
nein
Pb
Pbo
nein
Ni
NiO
nein
Tc
Tco
nein
U
"0,
nein
NO,-
NH,
ia
HPO,*-
FePO,
nein
As
Aso, FeAsO,
nein
Se
Seo (FeSe ?)
nein
Ago
nein
Auo
nein
au
reits erfolgreich demonstriert wurde. Die Ruckhaltung von Arsen wird durch Zugabe von Sulfat (1O-s Wl) deutlich positiv beeinflusst, ohne dass rnikrobiologische Effekte wie Sulfatreduktion rnit nachfolgender (Arsen-)Sulfidabscheidung (z. B. As2S3; As,S4) beteiligt sind (NKOIAILIIS et al. (0.J.)). Es handelt sich dabei urn einen Laborversuch. Die meisten der abzutrennenden Elemente fallen bei Kontakt mit elementaren Eisen dernnach als Metalle a n (Zernentation); bis 176
auf Quecksilber gehen sie alle Legierungen mit Eisen ein, wodurch die Ruckhaltewirkung weiter erhiiht wird. Nur Ammoniak fallt in wasserliislicher Form an, die anderen Elemente sind in jedem Fall aus dem Grundwasserstrorn entfernt. Die Abscheidung von Edelrnetallen auger Quecksilber auf rusty walls hat allerdings den Nachteil, dass der durch Zementation gebildete Silber-, Gold- oder Platinrnetallfilm die Reaktive Wand sozusagen kurzschlieRt. Die U b e r ~ p a n n u n g fur ' ~ ~die Abscheidung von Wasserstoff wird stark vermindert, so dass die reduktive Wirkung des Eisens fortan hauptsachlich zur Freisetzung von Wasserstoff dient14'. Dies ist zwar dann von Vorteil wenn halogenierte oder nitrierte organische Verbindungen hydriert werden sollen, f u r die begleitende Abscheidung weniger edler Metalle wie Chrorn (Chromat irn Grundwasser unter Gerbereien, Galvanikanstalten u. a.) dagegen ein schwer wiegender Nachteil. Weil die an einer realen aktiven Wand auftretenden Reaktionen optisch nicht darstellbar sind wurden analog zu Abbildung 49 weitere Modellversuche, diesmal zur Reduktion von Chromat, durchgefuhrt. Das Ergebnis zeigt Abbildung 51. Die Alkalinitat des Grundwassers im Bereich der Reaktiven Wand resultiert auch
142 Die Uberspannung ist eine thermodynarnische Aktivierungsbarriere fur die Freisetzung von Wasserstoff. Aufgrund ihrer sind Eisen, Zink und Cadmium in Wasser leidlich stabil, obgleich ihre Redoxpotenziale deutlich im Negativen liegen. 143 Der selbe Effekt begrenzt die Lebensdauer (Anzahl von Ladezyklen) eines Bleiakkumulators: die Kathode (irn entladenen Zustand wie die Anode aus Bleisulfat (Pb(S0,)) bestehend] kann nicht mehr zu Bleimetall reduziert werden, wenn keine Uberspannung mehr vorhanden ist. Naturliches Blei enthalt stets geringe Mengen von Silber, die im Zuge der Ladezyklen an die Kathodenoberflache wandern; sobald sie dort einen Film gebildet haben, kann der Akkumulator nicht mehr geladen werden, weil sich nur Wasserstoff, nicht Blei im Kathodenbereich abscheidet.
Reaktive Wande 4.1
Abb. 51: Abscheidung von Dichromat als Chrom(II1)auf Eisen in alkalischer Losung. Die mittlere Probe zeigt die Farbaufhellung, die durch Hydrolyse von Dichromat zu Chromat unter alkalischen Bedingungen (pH = 11)
eintritt, die rechte die zusatzliche Verdiinnung durch Chromatreduktion und CrAbscheidung als (Fe; Cr),O,. In einer neutralen Losung erfolgt keine Reduktion. Foto: IHI Zittau. aus der Reduktionswirkung der Reaktiven Wand: Protonen werden dem Protolysegleichgewicht des Wassers
*
2 H,O H,O+ + OH-; 2 H,O+ + 2 e- 5 H, + 2 H,O entzogen, indem sie zu Wasserstoff reduziert werden, die Hydroxidionen bleiben iibrig. Letztere reichern sich an, wodurch die unmittelbare Umgebung der rusty wall (wie auch jeder Kathode) alkalisch wird; in ihrem Bereich herrschen pH-Werte um 11, die daher auch der Tabelle 20 zu Grunde gelegt wurden. Der in einer Reaktiven Wand gebildete Wasserstoff kann auch dazu dienen, organische Substanzen mit Schadstoffpotenzial wie Organohalogenoder Nitroverbindungen zu reduzieren. Dies gelingt insbesondere d a m , wenn nicht Roheisen, sondern Stahlschrott verwendet wird, der in aller Regel einige Prozent Nickel enthalt. Aus Organohalogenverbindungen wie Tri- oder Tetrachlorethylen oder Chlorbenzol wird das Halogen abgespalten, teils die zuriickbleibende organische Verbindung auch noch weiter hydriert144, Nitroverbindungen gehen in die entsprechenden, weniger toxischen und mikrobiologisch leicht umsetzbaren Amine
uber. Bei Einsatz reaktiver Barrieren, die organische Substanz enthalten (Torf, Kompost etc.), verrottet dieses Material unter Luftabschluss, wobei H,S frei wird (Schwefel reduzierende Bakterien). Dabei bildet sich in einem solchen Bioreaktor ein betrachtlicher vertikaler Redoxgradient aus, zugleich steigt wie in einer Eisen basierten Reaktiven Wand der pH-Wert an. Als Sulfide werden dabei nur Zn, Cd und Cu zuruck gehalten, nicht As (!), Fe, M n oder Al. Obwohl auch Fe und Mn (allerdings nicht ganz so) schwer losliche Sulfide bilden, werden sie wie die beiden anderen Elemente (As, Al) in Form ternarer Hydroxidehalze oder direkt in der verrottenden Biomasse zuriickgehalten. Voraussetzung des Verfahrens ist natiirlich eine nennenswerte FlieBgeschwindigkeit des Grundwassers (einige Zehner &a); diese kann aber auch elektrokinetisch erzeugt werden, indem man das Wasser durch Anlegen einer Gleichspannung an
144 Z . B. entstehen aus 4-Chlorphenol neben einfachern Phenol noch Cyclohexanon sowie Cyclohexanol (Produkte der katalytischen Hydrierungdes Phenolrings an Festkorpern); rnikrobiologisch leichter abbaubar als Phenol.
177
4.2 Fernhaltung von Kohlendioxid aus der Atmosphare
den Boden zum Fliefien veranlasst (elektrokinetische Pumpverfahren). Als Pfropfen kiinnen Reaktive Wande auch in den Sickerbereich zum Schutz von einzelnen Brunnen eingebracht werden. Es ware denkbar - und Modellversuche hierzu gibt es bereits - so z. B. die Arsenbelastung zahlreicher Brunnen in Bangladesh zu bewaltigen.
Die Effektivitat wird dadurch erhiiht, dass die reaktive Wand einen pH-Wert, der fur Hydroxidfallungen einerseits und fur die Reduktion z. B. von Chromat andererseits beinahe optimal geeignet ist, selber einstellt (ca. 11). Einige Reaktive Wande wurden bereits iiber ca. zehn Jahre hinweg betrieben. Die Langzeitstabilitat ist also gut, bei Grundwasserfliefigeschwindigkeiten von einiger Zehner m/a konnen dem zu Folge auch grograumige Kontaminationen (Industriegelande, Deponien) saniert werden.
4.1.4 Fazit Reaktive Wande eignen sich zur Sanierung einer Vielzahl von Boden- und Grundwasserkontaminanten. Vor- und Nachteile des Verfahrens nennt Tabelle 21. Die Technologic ist ebenso auch auf oberirdische Gewiisser oder Sickerwasser anwendbar. Dabei wird nicht eine ,,Wand" in den Boden eingezogen sondern die reaktive Fiillung in einen Dranage- oder Abflussgraben eingebracht, wo das zu reinigende Medium diese durchfliefh. Auch ansonsten oxidativ inerte und reduktiv schwer angreifbare Substrate wie Frigene oder Nitroverbindungen erfahren reduktive Defunktionalisierung.
4.2 Fernhaltung von Kohlendioxid aus der Atmosphare nach Verbrennungsprozessen 4.2.1 Problemstellung Kohlendioxid entsteht immer dann, wenn kohlenstoffhaltige Substanzen verbrannt werden, sei es zur Entsorgung oder zum
Tab. 21: Pro und Contra des Einsatzes Reaktiver Wiindc. PRO -
-
- Einbringen von Fremdstoffen in den Boden, lokal
Einfache, leicht zu implementierende Technologie, relativ Kosten gunstig (je nach Verfahren der Wandkonstruktion)
-
Entweichen von toxischen oder brennbaren Gasen (Wasserstoff, Vinylchlorid, Organofluorverbindungen, NH,, bei organischen Barrieren auch CH, und H,S)
-
Permanente Retention durch Hydroxidfallung abgeschiedener Metalle bei Verbleib der Barriere im Boden unsicher, da pH sich nach Beendigung der Reaktion wieder in Richtung des Sauren andern kann (Ausnahme: Mergelboden)
- Kaum Flachenverbrauch
-
Konstruktion ist langzeitstabil, uber viele Jahre hinweg wartungsfrei aktionsfahig
- In-situ-Verfahren, adaptierbar -
CONTRA
GroOe Bandbreite von Schadstoffen, die auf die Methode ansprechen
Perrnanente Retention durch Zernentation abgeschiedener Metalle bei Verbleib der Barriere im Boden wahrscheinlich
178
durch pH-Sprung starke Anderung der Bodenchemie (Mikrobiologie in Umgebung der Barriere ?)
Fernhaltung von Kohlendioxid aus der Atmosphare 4.2
Zwecke der Energiegewinnung (Kraft- und Brennstoffe). Zusatzlich fallen Produkte unvollstiindiger Verbrennung wie CO, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe sowie Rug an. Kohlendioxid ist zwar nicht nennenswert giftig'4F, aber es tragt mit ca. 50 % zum Treibhauseffekt und damit moglicherweise zu Klimaanderungen mit schwer wiegenden Folgen bei. Stein- und Braunkohle sowie E r d d sind biogene fossile Energietrager, deren Paragenese sich unter Luftabschluss vollzog, ohne dass diese standigem Grundwasserstrom ausgesetzt waren. Die Ausgangsmaterialien enthalten folglich zumindest alle Elemente, die fur Leben allgemein essenziell sind. Die hierher stammenden Metalle wie Mg, Ca, Fe, Zn, Mn (sowie weitere, die durch Komplexbildung mit Porphyrinen oder Sorption an Kohle aufgenommen wurden, wie V, Ni, Ge) nehmen an der V e r b r e n n ~ n g nicht '~~ Teil und werden Bestandteil der Asche, aus der einige (wie Ge) sogar technisch gewonnen werden. Der Metallgehalt von 01 ist niedriger als bei Kohle, obgleich Heterozyklen wie Chinolin, Pyridine, Thiophene sowie die a u s Chlorophyll und Ham stam-
145 Da es dichter als Luft ist. verdrangt es diese allerdings aus Senken oder Hohlen, weshalb Menschen und Tiere, die in derartige Bereiche hineingeraten, dort schnell ersticken. Ein bekanntes Beispiel ist die Grotta dei cane (Hundsgrotte) bei Neapellltalien, in die Kohlendioxid vulkanischen Ursprungs eindringt; in der Nahe liegen die Phlegraischen Felder. Es steht dort ca. 60-70 crn hoch, weshalb sie zwar von (erwachsenen) Menschen gefahrlos besucht werden kann (sie sollten sich aber keinesfalls dort hinlegen oder niederkauern). wahrend Hunde in ihr ersticken. 146 Bezieht sich hauptsachlich auf Kohle; bei der Erdolparagenese komrnt es zu Entmischungsvorgangen, da die Metallverbindungen (Oxide, Halogenide, Oxosalze wie Sulfate, Phosphate) nicht in Erdol als einem Kohlenwasserstoffgernisch loslich sind. Ein Teil der Metalle wird folglich Bestandteil des Sedirnentes, in dem das 01 (und uberstehendes Erdgas) eingebettet sind. €in intensiv roter, leicht extrahierbarer Vanadium-Porphyrin-Kornplex ist dabei so charakteristisch fur 01, dass er als TREiESSCheS Geoporphyrin bekannt wurde. Die Extraktion metallhaltiger Komponenten im Raffinationsprozess ist auch notwendig, da fluchtige Metalloxide bei der Verbrennung ungereinigten 01s in Kesseln oder Schiffsmotoren erhebliche Korrosionsprobleme verursachen wurden (Legierungsbildung u. a,).
menden Porphyrine als Liganden Metallionen in Lijsung halten kijnnen. Ziel der Verbrennung der genannten fossilen Energietrager ist die Energiegewinnung; der Hauptteil der freisetzbaren Energie ist dabei der Hauptkomponente, also dem Kohlenstoff zuzuordnen. Die Nichtmetalle, die ebenfalls essenziell sind, wie N, S, P, bilden ebenfalls Bestandteile der fossilen Rrennstoffe, z.T. chemisch gebunden in Heterozyklen. Diese unterliegen gleichfalls der thermischen Luftoxidation, tragen aber wenig oder gar nichts (die Bildung von Stickoxiden aus N-Heterozyklen oder dem Luftstickstoff ist endotherm) zur Energiefreisetzung bei. Ihre Reaktionsprodukte (NOx,SO,, HCI) mussen durch Methoden der Rauchgasreinigung entsorgt, zu Stickstoff reduziert bzw. an feste Phasen gebunden werden, wahrend das Kohlendioxid einerseits unausweichliches Produkt der Energiefreisetzung ist, andererseits in weit griiReren Mengen als die Oxide der Begleitelemente anfallt (Braunkohle z.B. enthalt etwa 2 (Yo S, einige Promille N und > 90 % C). Daher lassen sich bestimmte Technologien der Rauchgasreinisung nicht ohne weiteres auf die Retention von C oder dessen Uberfiihrung in einen fur das Klima nicht relevanten Zustand ubertragen. Vielmehr muss das CO, entweder als solches (fest [Trockeneis, Gashydrate], Druck verfliissigt oder gasfijrmig) in abgeschlossenen Bereichen deponiert oder aber durch andere Energiequellen als chemische in einen akzeptablen anderen chemischen Zustand gebracht werden (vgl. Gips stadaus SO,). Die Oxidation des Kohlenstoffs kann nicht vermieden werden, da erst sie die Energie liefert, und bei unvollstandiger Oxidation entstehen obendrein Produkte, die stark toxisch oderhnd karzinogen sind, namlich CO, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und Rug. Die frei werdenden Energiemengen (Standardbildungsenergien)von Kohlenstoff (GrafitI4', als Modell fur Kohle) betragen: 147 Grafit 1st die unter Norrnalbedingungen therrnodynamisch stabile Allotrope des Kohlenstoffs; Diamant und
179
4.2 Fernhaltung von Kohlendioxid a u s der Atmosphare
Grafit: 0 kJ/mol (per definitionem) CO: -137,lS kJ/mol CO,: -394,37 kJ/mol Bei der Bildung von C O werden also erst
35 % der Energie frei, die man bei der Kohlenstoffverbrennung insgesamt gewinnen kann, und PAK sowie ahnliche Zwischenprodukte der Oxidation sind ausgesprochen energiereiche, teils sogar e n d ~ t h e r m eVer'~~ bindungen. Die vollstandige Oxidation von Kohle, CO, PAK ist daher sowohl aus toxikologischen Griinden als auch wegen einer effektiven energetischen Nutzung erforderlich, Kohlendioxid daher das unvermeidliche Hauptprodukt. Will man dieses nicht als solches oder in Carbonaten gebunden deponieren, muss man die zur Reduktion, d. h. der Umkehrung des Energie liefernden Verbrennungsprozesses nunmehr erforderliche (Energieerhaltungssatz !) Energie aus einer anderen Quelle beziehen. Andere Quelle heist hier: unabhangig von der Verbrennung fossiler Energietrager; sonst wurde weiteres CO,, und zwar mehr freigesetzt, um das betreffende Quantum an CO, zu binden. Hier kommen theoretisch u. a. Kernenergie, Sonnenenergie oder von dieser abgeleitete Energieformen (Wind, Wasserkraft) infrage. Solche Energieformen, die als Substitut fur fossile Energietrager bei der Stromerzeugung dienen (Wind, Kernenergie), zur elektrochemischen oder anderweitigen Reduktion von CO, aus fossil befeuerten Kraftwerken zu verwenden, ist offenkundig sinnlos, da der energetische Wirkungsgrad dieser Verfahren weit unter 100 %, liegt. Die Natur die Fullerene wie C ,,, C,,, C7* usw. sind (erheblich) energiereicher als Grafit wenn auch kinetisch stabil. Zudern stellt Grafit das Endglied der dehydrierenden Kondensation arornatischer Kohlenwasserstoffe in einer Ebene.,uber die PAK hinweg dar. Darnit besteht eine groOe Ahnlichkeit rnit Prozessen der Kohle- und Erdolparagenese und dabei resultierenden chernischen Strukturen (Steinkohlenteer als Crackprodukt!). 148 Eenzol, Toluol. Naphthalin, Biphenyl und alle andere heteroatornfreien Arornaten sind therrnodynarnisch instabil sowohl gegen einen Zerfall in die Elernente als auch den in Kohlenstoff + CH,. Eei ihrer Verbrennung wird also noch rnehr Energie frei als bei der von Kohle selbst.
180
macht uns aber die COL-Reduktionmit Sonnenenergie in Form der pflanzlichen und bakteriellen Photosynthese vor, und inzwischen wurden auch Halbleiter basierte technische Prozesse zu diesem Zweck beschriehen. Dabei wird Kohlendioxid in wassriger Losung an belichtetem TiO, (unter Zugabe von Kupferspanen als ableitender Redoxelektrode) oder an CdS photochemisch reduziert, wobei Methan bzw. Carbonsauren entstehen. Kompensatorisch als Elektronenquelle photooxidiert wird im letzteren Falle Sulfit (SO,,-), das bei der Rauchgaswasche gleichfalls anfiele, allerdings in geringeren Mengen. Sowohl die Photosynthese (Plantagen, die das Kohlendioxid sequestrieren) als auch photoelektrochemische Methoden wiirden also die Bedingung erfiillen, aus einer Fossilbrennstoff unabhangigen Quelle Energie zur Riickreduktion von CO, bereit zu stellen. Bei nachfolgender Nutzung des Methans (Photoelektrochemie an TiO,/Cu) und der Gewinnung von Kraftstoffen aus solchen Sequestrierungsplantagen besteht die Moglichkeit, den Stoffkreislauf zu schlieflen. Hierbei resultiert eine neutrale Kohlenstoffbilanz; Kohlenstoff wird als Energietrager durch einen geschlossenen Prozess gefiihrt, ohne zwingend langfristig als CO, in der Atmosphare zu verbleiben. Die Photosynthese hat einen niedrigen Flachenwirkungsgrad: Die hochsten agrarisch realisierbaren Wirkungsgrade von 3,s4 %, etwa bei Maisfeldern, erfordern massiven Einsatz von Mineraldungern und somit wiederum fossiler Energietrager; bei extensiver Landwirtschaft sind << 1 % realistisch. Polykristalline Solarzellen ,,brim gen" heute ca. 13-14 %, photoelektrochemische Reduktionen von CO, um 1 %. Zwar wird die Effizienz der Photosynthese dadurch begrenzt und gemindert, dass CO, nur eine Spurenkomponente der Atmosphare ist, doch steigt die Photosyntheseausbeute nicht proportional zum C0,-
Fernhaltung von Kohlendioxid aus der Atmosphare 4.2
Gehalt. Dies macht es fur die Biota grundsatzlich schwierig, einen C0,-Anstieg - sei er anthropogen, vulkanisch oder durch Veranderungen von Geochemie und Erosionsraten bedingt - vollstandig abzufangen. Auch von daher stellt sich die Frage, ob Sonnen- und hiervon abgeleitete Energieformen nicht besser direkt als fossile Energietrager substituierende Strom- und Warmequellen eingesetzt werden sollten, anstatt die Effekte der letzteren einzugrenZen. Dann konnte man zudem die fossilen Ressourcen fur andere Zwecke schonen, doch wird dieses Umsteuern noch einige Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Einstweilen zeigt die Entwicklung des KohlendioxidGehaltes der Atmosphare im jahrlichen Verlauf, dass Photosynthese durchaus einen Beitrag zur Losung des Problems liefert:
70-80 % des (nord-)winterlichen Anstiegs an Kohlendioxidgehalt in der Atmosphare (ACO, 5 ppm im Winterhalbjahr, also 1,4 % des Gesamtinventars von fast 380 ppm) werden im nachfolgenden Nordsommer photosynthetisch wieder fixiert. Beide Prozesse (Verbrennung, insbesondere zu Heizzwecken und Photosynthese) sind hauptsachlich auf der Nordhemisphare der Erde lokalisiert. Entsprechend sieht das Kyoto-Protokoll (1997) auch eine Anrechnung von Aufforstungsmahahmen beim ,,Klimaschutz" vor.
-
Zwei wichtige Aspekte sind die Sicherheit der Endlagerung sowie, o b das nutzbare Lagervolumen oder die Verfahrenskapazitatmachfrage nach etwaigen Produkten zur Aufnahme des zu bindenden Kohlendioxids ausreicht (wie verhalt sich z.B. das Volumen von CO,-Hydrat zu dem von Erdol + Gas, die zuvor in der Lagerstatte waren?). Zur Sicherheit: Ein Ausbrechen von Kohlendioxid, das sowohl in flussiger Form (unter 31 "C [kritische Temperatur]) als auch in der stabileren des Gashydrates 8 C0,*46 H,O unter erheblichem Druck
steht, muss wegen seiner erstickenden Wirkung unbedingt vermieden werden. Daher ist eine Ablagerung von Gashydraten dort nicht akzeptabel, wo eine Erwarmung zum Ausbruch fuhren kann (geothermische Effekte, potenziell vulkanisch aktive Regionen wie Eifel oder Rheingraben) oder die Saurewirkung von feuchtem Kohlendioxid Carbonatgesteine angreifen kann (Bildungsweise von Tropfsteinhohlen! [Abb. 521). Auch Salzstocke gelten als nicht sicher, wenngleich in ihnen mitunter unter hoherem Druck (200-400 bar) das sehr leicht entziindliche Methan gespeichert wird (z. B. bei Kiel). Bevorzugt werden fur eine permanente CO,-Einlagerung hingegen sehr tief liegende, Salzwasser fuhrende Grundwasserleiter, Kohlefloze oder leer geforderte 0 1 und Gasfelder, z.T. im offshore-Bereich gelegen wie das bekannte Sleipner-Feld in der nordwestlichen Nordsee. Flussiges CO, bzw. C02-Hydrat konnen in alten Gaslagern theoretisch weitgehend untergebracht werden, doch sind diese haufig sehr weit vom Verbraucher/C02-Produzenten entfernt (Sibirien, Turkmenistan, Mittlerer Osten usw.).
4.2.2 Wirkprinzipien und Losungen Welche Arten chemischer oder quasichemischer Reaktionen bewirken nun die Ruckhaltung von Kohlendioxid? Folgende Reaktionspfade sind moglich: a ) Die Bildung von Gashydraten (Verklappen in der Tiefsee) b) Die Reaktion von Kohlendioxid mit alkalischen Reaktionspartnern (Oxide, Silikate) unter Bildung von Carbonaten oder c) mit organischen Basen (Monoethanolamin) und thermischer Freisetzung mit nachfolgender Deponierung des Kohlendioxids, die 181
4.2 Fernhaltung von Kohlendioxid aus der Atmosphare
Abb. 5 2 : Tropfstcine in Hiihlcn. Dcr Angriff von
in Wnsser geliistem (:02auf Kalkstcin { ( h ( C O:)]fiilirt m r Bildung des losliclicn Hydrogencarhonats. Steigt die Tempcratur o d e r fiillt der ~ : O L - P a r t i a l d r u cin k dcr Umgcbung, so kelirt sich die Reaktion Liin iind Kalkstcin wird erncur ,ihgeschieden (Bildung v o n K Isrein Itlicrmiscli] Ixw. Tropfstcineni-riihrcheii). Versuchc, druckvcrfliisaigtes (:02 in K a l k - o d e r K~ilksandsteinforinationeiix u Ligern, wiiren dahcr auGerst g e h h r lich, dn cin Zutrirt ~ ~W ai s cir (in1 I'rinzip gcniigen katnlytischc Mengen) k a u m sicher ausgeschloss e n werden k a n n . l)ann kiimc es m r Aushildung v o n Ihcliern nnch aul3en iind cvtl. (;asaiishrucIien.
Foto: C\iw\V.sho~vC;ives.coni.
d j Adsorption an Kohle (natiirliche Kohlevorkomnienj, einc ej Reduktion v o n Kohlendioxid auf cheiiiischem, therniochcniischem odcr photochemischem Weg, die f j Photochemische Reduktion durch grune Pflnnzen. Weiter sind miiglich ein gj Auskoppeln des Kohlcnstoffs aus dem Stoffstrotn eines fossil befeuerten Kraftwerks durch vorgeschaltete Kohlevergasung (IG<:C-Technologie, s. weiter iintenj; verbrannt wird niir noch Wasserstoff sowie allgemcin die h) Untertiigige Flussigdeponicrung in alten poriisen Gesteinskiirpern, namentlich leer gefiirderten Gas- iind Ollagerstatten.
h ) ist die derzeit tneist vcrfolgte Option. N u n Niiheres zum Verstiindnis der einzelnen Methoden:
182
Zu a): Gashydrate hilden sich, weil die Wasserstoffbriickenbindungen der Wassermolekiile eine Art ,,Spinnennetz" urn Edelgasatome oder kleinc Molekiile bilden (Abb. 53). Diese Hydrate haben linter entsprechendem I h c k hiihere Schmelzpunktc als Wassereis; Einleiten v o n Kohlendioxid, Krypton, (:hloroform, Brom usw. in kaltes fliissiges Wasser fiihrt daher zur hhscheidung fester Hydratphascn. Typische Hydratbildner sind nehcn den schweren Edelgasen (Argon, K r y p t o n , Xenon) 11. a . CO,, Cl,, Rr2, CH,, hiihere Alkane sowl'e C:HC13. Das unter Wasser natiirlich vorkommende Methanhydrat kiinnte als fossile Brennstoffressource genutzt werden, die Hydratbildung hvherer Kohlcnwasserstoffe fiihrt iifter zur Verstopfung von Gaspipelines durch feiichtes Erdgas. Wassereis hat eine geringere Dichte als fliissiges Was-
Fernhaltung von Kohlendioxid aus der Atmosphare 4.2
s a ~ e rsind, l ~ ~ware das Hydrat stabil, doch gibt es wenige hinreichend tiefe Seen oder Stauseen (> 400 m), in Europa nur den Lago Maggiore und den Comer See.
Zu b): Oxide binden Kohlendioxid durch ihre Basizitat, etwa Calciumoxid:
Wasser molekiil
C a O + COz S CaCO,
Gasmolekule
Abb. 53: Struktur eines typischen Gashydrates. Das Netzwerk der Wasserstoffbruckenbindungen urn die ,,grogen", Edelgasatome oder kleine Molekiile umschlie8enden Kavitaten bildet einen Pentagon-Dodekaeder.
Foto: www.gashydrat.de
ser, weil die durch die H-Brucken bedingte Kristallstruktur Hohlraume zwischen den Wassermolekiilen erzeugt. Diese Hohlraume konnen aufgeweitet und von den obigen Molekulen besetzt werden. Leitet man verfliissigtes Kohlendioxid in tiefe Wasserschichten, die den Druck gewahrleisten, ein, so fallt C02-Gashydrat aus. Dies ist im Meer aber nicht stabil, weil Meerwasser alkalisch reagiert und sich Hydrogencarbonat bildet:
Das Problem besteht allerdings darin, dass diese Oxide durch Thermolyse der Carbonate hergestellt werden, wobei ebenso vie1 Kohlendioxid produziert wird und deponiert werden musste wie man nachher binden kann (was man bisher nicht tut; das ,,Brennen" von Kalk f u r die Zementproduktion tragt etliche %, zum anthropogenen C02-Aufkommen hei). Eine Ausnahme bildet moglicherweise die Bindung von Kohlendioxid atddurch natiirliche Magnesiumsilikate, analog dem UKEY-Gleichgewicht der entsprechenden Calciumverbindungen (Wollastonit CaSiO, und Kalk sowie amorphes Siliciumdioxid SiO,), das die Dynamik von CO, und Silikatschmelzen bei Vulkanausbruchen steuert: MgSiO, + CO,
MgCO, + SiO,
Die Magnesiumsilikate brauchen nicht unter Energieaufwand hergestellt zu werden, anders als die Alkali- oder Erdalkalioxide oder -hydroxide.
8 C0,*46 H,O + 8 CO,z- S 16 HC0,- + 38 H,O In der Umgebung werden samtliche tierische Organismen durch den pH-Abfall getotet. Noch kritischer ist angesichts der Labilitat und Nahrstoffarmut der Tiefseeokosysteme eine oft diskutierte Deposition im Hadal (marinen Tiefseegraben wie dem Marianen- oder dem Caymangraben) zu beurteilen. Der Eingriff ware chemisch/ okologisch wohl noch schwerer wiegend als die Forderung von Manganknollen. In Suflgewassern, die vielfach schwach
149 Die grol3en ost- und sudostafrikanischen Seen sind stark alkalisch (pH z 9, also deutlich mehr als Meerwasser), C0,-Hydrat also noch weniger stabil als im Ozean. Der Baikal und der ihm benachbarte Chovs Go1 (Mongolei) sind leicht saure, hinreichend tiefe Grabenbruchseen, unter denen allerdings jederzeit massiv geothermische Energie frei werden konnte: im Baikal befindet sich eine grol3ere vulkanische Insel. Warel wurde dort C0,-Hydra1 deponiert, hatte dies einen katastrophalen C0,-Ausbruch wie am vulkanischen Kratersee Lake Nyos (Kamerun) 1986 zur Folge, bei dem 1700 Menschen und Zehntausende Nutztiere erstickten.
183
4.2 Fernhaltung von Kohlendioxid aus der Atmosphare
Zu c): Feuchtes Ethanolamin (2-Hydroxyethylamin'"') reagiert als relativ schwache Base mit Kohlendioxid zu (2-Hydroxyethyl-)ammoniumhydrogencarbonat, das ausfallt. Es wird isoliert und thermisch zersetzt, das CO, dann deponiert, worauf das Ethanolamin in den Reinigungskreislauf zuriickkehrt. Es muss lediglich regelmagig (teilweise) entwassert werden. Zu d): Stein- und Braunkohle haben eine komplexe innere Struktur und daher Sorptionseigenschaften, die denen von Aktivkohle nahe kommen. Der so genannte Aktivkoks entsteht durch Erhitzen von Kohle bis zu dem Punkt, wo die Sorptionsstellen freigemacht werden. Im bergfeuchten Rohzustand enthalt Kohle meist Gase, typischer Weise Methan oderhnd CO, die bei ihrer Bildung oder nachfolgenden biochemischen Umsetzungen absorbiert wurden. Hierin liegt ein erhebliches Risiko des Kohlebergbaues: Bei bergmannischer Tatigkeit gelangen andere potenzielle Sorbate mit der Kohle in Beriihrung (der Bruchvorgang selbst ist von geringerer Bedeutung, da er zusatzliche Sorptionsflachen eroffnet); dadurch konnen CH,, CO, H,S u. a. sorbierte Gase frei werden und in die Stollen gelangen. Methan ist dann Ursache von Schlagwetterexplosionen, CO oder H,S konnen die Kumpel vergiften, sind aber auch brennbar (,,Grubengase"). Untertagiger Steinkohlenbergbau ist in der EU nicht mehr rentabel, schon gar nicht, wenn es um tief liegende (ca. 2000 m ) Kohlevorkommen geht. Da Kohlendioxid starker an Kohle sorbiert wird als die genannten Gase, kann es diese, unter Druck verpresst oder fliissig eingeleitet, verdrangen. Es ist dann fest gebunden. Nebenher wird dadurch aus einem okonomisch nicht verwertbaren Kohlefloz u. U. noch eine ergiebige Erdgasquelle. 150 Farblose, viskose, mit Wasser, nicht aber mit Ether oder Kohlenwasserstoffen mischbare Flussigkeit. Fp. = +10.5 "C, Kp. = 171 "C.
184
Zu e): Es sind zahlreiche Kreisprozesse bekannt, die Kohlendioxid mit dem Ziel der (Sonnen-)energiespeicherung thermisch spalten, die meisten unter Verwendung von Cerverbindungen, doch hat keiner davon hier praktische Bedeutung. Als Industrierohstoff (,,C,-Baustein") spielt Kohlendioxid hingegen eine gewisse Rolle: Das Losungsmittel Dimethylformamid z. B. wird durch Reduktion von CO, mit H, in Gegenwart von Dimethylamin hergestellt. Weitere Beispiele einer chemischen Reduktion von Kohlendioxid in technischem Magstab sind dessen Reaktionen mit Wasserstoff, Alkalihydriden M H [ergibt das entsprechende Formiat M ( H C 0 0 ) ] ,Magnesium oder Alkalimetallen: Na-Oxalat wird z. T. durch Einleiten von CO, in flussiges Natrium hergestellt. Auch elektrochemische Prozesse an und mit CO, sind technisch relevant: nach kathodischer Reduktion fallen (je nach Elektrodenmaterial und Liisungsmittel) Oxalat C,O,,-, Glyoxylat HCO-COO-, Methan oder Methanol an; es lasst sich auch kathodisch an Alkene koppeln, wobei Carbonsauren entstehen. Allen diesen unter e) aufgelisteten Prozessen ist gemeinsam, dass mehrIs1 Primarenergie benotigt wird, als durch die Verbrennung, deren Abprodukt Kohlendioxid ja beseitigt werden soll, freigesetzt wiirde. Mithin kann die Kohlendioxid bildende Reaktion nicht einfach durch Reduktion umgekehrt werden, es sei denn, man nutzt nicht fossile, regenerierbare Energietrager als Strom- oder Wasserstoffquelle (photovoltaische Elektrolyse etc.). Nach gegenwartigen Schatzungen konnen ohnehin nur wenige % des anfallenden Kohlendioxids als Industrierohstoff
151 lnsbesondere die elektrochemischen Methoden zur Kohlendioxid-Reduktion weisen betrachtliche Aktivierungsbarrieren auf die durch Aufbringen einer so genannten Uberspannung uberwunden werden mussen Zusatzlich gelingt die Umwandlung thermischer in elektrische Energie und deren nachfolgende Gleichrichtung nur jeweils mit Wirkungsgraden von ca 45 bzw < 80 %
Fernhaltung von Kohlendioxid aus der Atrnosphare 4.2
Abb. 54: Einfluss von C02-Partialdruck und Temperatur auf die photosynthetische Produktivitat von C,- und C4-Pflanzen. C3-Pflanzen (Graser, Moose) in der zurzeit vom Temperaturanstieg besonders stark betroffenen arktischen Tundra zeigen kaum Aktivitatserhohungen bei den dort auRer wahrend ganz weniger Hochsommerwochen zumeist noch niedrigen Temperaturen, aber groRe Effekte (steiler Anstieg) bei C0,-Gehalten oberhalb von 400 ppm. Sie werden also erst kiinftig deutlich als C0,-Puffer in Erscheinung treten, kompensiert freilich wahrscheinlich durch ansteigende Ausgasungen aus den dortigen Moorflachen. C,-Pflanzen wie Mais reagieren eher auf hohe Temperaturen; das vorhandene CO, ist fur sie mehr als genug zu effizienter Photosynthese. Eine Strategie der pflanzlichen Sequestrierung von Kohlendioxid muss daher nicht nur wachstumsbedingt klimatische Effekte berucksichtigen (aus EHLERINCER & CERLING 2001; Hintergrundfoto: Syngenta).
dienen, weil den ca. 7 Mrd. Tonnen anthropogen freigesetztem CO, pro Jahr (ohne Brandrodung) nur ein Weltbedarf von einiger Zehner Millionen Jahrestonnen an den genannten Produkten insgesamt gegeniiber steht. Ahnliches gilt fur Polymere, deren Erzeugung aus CO, auch after diskutiert wird: global werden ca. 55 Mio. t ,,Kunststoff" pro Jahr erzeugt und verbraucht. Sowohl aus energetischen als auch aus Mengengrunden liegt folglich das Schwergewicht auf der Deponierung von CO, [d), h)] oder f) der Photosynthese. Hier ist das Problem, dass Pflanzen nicht proportional zum CO,-Gehalt der Atmosphare oder eines Treibhauses Photosynthese betreiben, sondern der Produktivitatsanstieg flacher verlauft (Abb. 54).
Daher ist eine vollstandige Kompensation/ Bindung zusatzlichen Kohlendioxidanfalls nicht iiber die freie Atmosphare, sondern allenfalls in treibhausartigen abgegrenzten Systemen moglich.
Zu g): Kohle reagiert mit heiflem Wasserdampf (- 1.000 "C) unter Bildung von C O und Wasserstoff (Synthesegas; Kohlevergasung), auch C O entzieht bei tieferen Temperaturen Wasserdampf den Sauerstoff, so dass Kohle als Brennmaterial schlussendlich in reinen Wasserstoff iiberfiihrt wird, den man leicht von CO, trennen und umsetzen kann: C + H,O 5 CO+H, C,H,, + x H,O + x CO + (x + n ) H, 185
4.2 Fernhaltuna von Kohlendioxid aus der Atmowhare
sowie C O + H,O
+ CO, + H,
Diese Vorbehandlung wird als IGCC (= Integrated Gasification Combined Cycle) bezeichnet. Bei kombinierten Zyklen wird ein gas- oder dampfformiger Brennstoff in einer Turbine verbrannt - ahnlich dem Strahltriebwerk eines Flugzeugs -, wobei dann noch sehr heiBes Abgas anfallt. Mit diesem Abgas wird dann Wasserdampf erzeugt, welcher eine zweite Dampfturbine antreibt. Dieser zweistufige Prozess steigert den Wirkungsgrad auf uber SO %. Zusatzlich kann das zu verbrennende Gas durch Reaktionen zwischen flussigen (Mineralole) oder festen (Kohle, Braunkohle, Torf, Olschiefer) kohlenstoffhaltigen Brennstoffen und Wasserdampf bei ca. 1000 "C erzeugt werden. Der heiRe Wasserdampf kann hier im Primarprozess bereit gestellt werden. Nach dem zweiten Schritt kann das Kohlendixid abgetrennt werden, bevor es uberhaupt in eine Brennkammer gelangt, was seine Deponierung oder sonstige Nutzung erleichtert. Die Methode hat historische Vorlaufer: Bereits im 19. Jh. wurde mit der Kohlevergasung fur Brennstoffzellen experimentiert, ab den 20er Jahren des 20. Jh. dann war sie Voraussetzung der synthesechemischen Braunkohlenutzung, bei der die Primarprodukte C O und Wasserstoff danach einer Kondensation zu Methanol und fliissigen Kohlenwasserstoffen unterzogen wurden (FrsCHER-TRoPsCH-Reaktionen zur 01 unabhangigen Benzinproduktion). Spater wurde dann sogar versucht, Kleinanlagen in Strahlflugzeuge einzubauen, um diese nach Versiegen der Olversorgung mit Kohle betreiben zu konnen: IGCC ist, wie auch moderne Hochtemperatur-Brennstoffzellensysteme zeigen, auch dezentral in Kleinanlagen realisierbar (GroBenordnung 1 M W elektrische Leistung). Das Kohlendioxid wird Druck verflussigt und deponiert. 186
Ergebnisse/Produkte der Prozesse: a), c) und g) hinterlassen keine Nebenprodukte, bergen als reversible Prozesse aber das Risiko, dass die Riickhaltung z.B. bei Warmezufuhr versagt. B), e) und f ) erzeugen je charakteristische Reaktionsprodukte, wobei Pflanzen (Fall f ) ) hernach als Nahrungs- oder Futtermittel oder Holzquelle genutzt werden kiinnen. H) ergibt u. U. Erdgas als Koppelprodukt, ebenso wie d). Bei e) fallen unterschiedliche Chemikalien, meist feste, Komplex bildende Sauren oder aber Losungsmittel (Methanol, Dimethylformamid) an. Konstruktion eines Ruckhaltesystems: Die Konstruktion des Riickhaltesystems hangt vom angewandten Prinzip ab; im einfachsten Fall f ) handelt es sich urn das Anlegen eines extensiv, ohne direkten oder indirekten (Mineraldiingeranwendung) Einsatz fossiler Energietrager, bewirtschafteten Feldes.
4.2.3 Praxisbeispiel Einstweilen gehen angedachte oder in Pilotanlagen realisierte MaBnahmen (Schema: Abb. 5.5) noch eher in die Richtung einer Deposition von Kohlendioxid auBerhalb der Biosphare, d.h. unter Trennung von den die Atmosphare einbeziehenden Stoffkreislaufen: wurde CO, - sofort oder nach Jahrhunderten - in die Atmosphare gelangen, wiirde es wieder zum Treibhauseffekt beitragen. Hierzu seien zwei Beispiele betrachtet: - die Deposition in der Tiefsee sowie -
in entleerten alten 01- und Erdgaslagerstatten.
Die letztere hat eine grokechnische Dimension angenommen, so dass der schwedische Energieversorger Vattenfall - auch in Deutschland stark wirtschaftlich engagiert - konkret plant, bis 2009 ein fossil befeuertes Kraftwerk zu errichten, dessen gesam-
Fernhaltung von Kohlendioxid aus der Atmosphare 4.2
ibb. 55: Ablaufschema von der Fiirderung von Kohle iiber die klassische Rauchgasreinigung Abtrennung von NO,, SO, und rnetallhaltigern Flugstaub - his zur Entsorgung. Das Restgas, das groRenteils aus C 0 2 besteht, wird so weit abgekiihlt (T < 31 "C), dass es verfliissigt werden kann (Unterschreiten der kritischen Ternperatur). Ohne Fraktionierung wiirden die stark korrosiven Nichtmetalloxide *NO, und SO, bzw. daraus gebildete Sauren das Deckgestein der Gaslagerstatte weitaus starker angreifen als reines CO,, wodurch die gesarnte Einlagerung bzw. zumindest deren Langzeitsicherheit infrage gestellt werden kiinnte. Daher erfolgt eine Einleitung in Kavernen unterhalb des Meereshodens, wie sie bei der 01- und Gasforderung in der Nordsee oder irn Kaspischen Meer ausgeraumt worden sind. Erdgas enthalt oft griiRere Mengen von Kohlendioxid, das abgetrennt und rnitunter direkt in die Lagerstatte zuriick gepurnpt wird. In der Fordertechnik bei gernischten Ol/Gasvorkornrnen fungiert fliissiges bzw. iiberkritisches CO, als viillig unpolares Losungsrnittel und erleichtert die Ausschwemmung von Erdiil aus einer Lagerstatte (ohne Einsatz davon oder von Tensiden konnen rneist nur 25-30 %I des gesarnten Vorkornrnens gefiirdert werden). Der Verbleib von Erdgas in der Lagerstatte heweist deren Dichtigkeit. Darnit fungiert das (friihere) Fossilbrennstoffvorkornrnen nicht mehr als Quelle, soildern als Senke fur CO,. Das Molvolumen von verfliissigtem Kohlendioxid ist allerdings um einiges groger (ca. 35 crn3/Mol) als das vorher dort befindlicher fliissiger Kohlenwasserstoffe (5 16 crnV Mol C), das Volumen des uberliegenden Gases wird also gebraucht, urn den gesamten fossilen Kohlenstoff in seine Lagerstatte zuruck zu bringen. Grundsatzlich ware eine Lagerung in alten Fossilbrennstoffvorkornmen an Land aber ebenso rnoglich. Hintergrundfoto: Windwandler. 187
4.2 Fernhaltuna von Kohlendioxid aus der Atmosphare
ter FZ Kohlendioxid-Ausstofl in eine Altlagerstatte fossiler Energietrager verpresst wird. Bisher wurde behauptet, die Folgekosten fur ein solches Vorgehen pro verkaufter Energieeinheit seien ebenso hoch wie die klassischen Gestehungskosten fossiler Elektroenergie bei Kohle- oder Gaskraftwerken, so dass sich der Strompreis bei diesem Vorgehen verdoppeln wiirde. Inzwischen sind aber wirtschaftlichere Liisungen gefunden worden, die in dieser Fallstudie vorgestellt werden sollen. Gut charakterisierte Beispiele fur die Optionen a ) und h) [Gashydrate im Meer bzw. Flussigdeponierung unter Tage] geben Pilotanlagen in Kalifornien und der Nordsee. In beiden Fallen wurde zunachst das Rauchgas eines fossil befeuerten Kraftwerkes nach den ublichen Reinigungsprozeduren getrocknet und weiter herunter gekuhlt, durch Anlegen eines Druckes von etwa 100 bar das Kohlendioxid verfliissigt und in die Senken verbracht (Abb. 55). In der San Francisco Bay erfolgte eine Einleitung der Flussigkeit auf ca. 600 m Meerestiefe (Umgebungsdruck gut 60 bar). Dort schieden sich auch sofort nach dem Vermischen mit Ozeanwasser Klumpen von Kohlendioxid-Hydrat (weiB) ab, doch losten sie sich wegen der Basizitat von Meerwasser (pH ca. 8,3) schnell wieder auf und erwiesen sich als fur marines Leben unvertraglich: was nicht wie Fische und Kraken schnellstens floh, starb ab. Das zweite Praxisbeispiel war ein kleines Kraftwerk in Westnorwegen. Der erste Prozessschritt war ebenso wie in Kalifornien, doch wurde das verfliissigte Kohlendioxid statt im offenen Meer (wofur die 152 Als kohlendioxidemissionsfrei gelten dabei Kraftwerke, die < 100 g COdkWh (elektrisch) in die Atmosphare entlassen Ohne RuckhaltemaOnahmen sind es bei Kohlekraftwerken t 700 g COdkWh (elektrtsch), das Kriterium entspricht also einer Ruckhaltung von 2 85 '10 des Kohlendioxids Als technisch zu akzeptablen Kosten (1&20 6R CO,) realisierbar gelten Ruckhaltequoten bis 90 %
188
Nordsee ohnehin zu flach ware) in ein altes, entleertes Gasvorkommen des Sleipner Vest-Feldes verpresst. Die bisherigen Erfahrungen sind gut. Randbedingungen und Anwendungsbereiche: Das hauptsachliche Problem hei der Realisierung solcher Verfahren ist heute der Kostenwettbewerb bei der Energieproduktion im liberalisierten Strommarkt. National sind Finanzierungslosungen auf der Basis des Emissionshandels vorstellbar. Es ist zu fragen, wo ggf. zuerst solche Mai3nahmen, die das Kyoto-Protokoll nahe legt, ergriffen werden miissten bzw. der Akzent zunachst noch auf Effizienzsteigerung durch Ersatz alter fossil befeuerter Kraftwerke durch neue bzw. durch regenerierbare Energiequellen gelegt werden kann. Pfad e) ist fur Volkswirtschaften mit relativ geringem Energieverbrauch und umfangreicher chemischer Industrie interessant, etwa die Schweiz, Pfad f ) [Photosynthese] stellt klimatische und iikologische Anforderungen nehen dem Platzbedarf, weil nur in der Regel junge Pflanzenbestande, deren Biomasse zunimmt, geeignet sind zur Bindung von Kohlendioxid, nicht Urwald ahnliche Klimaxbiozonosen. Fazit: Die Ruckhaltung von Kohlendioxid aus der grokechnischen Verbrennung fossiler Energietrager ist zu Kosten von ca. 11,5 EU-Ct./kWh (elektrisch) mit einer Mehrzahl von Methoden realisierbar; dabei scheint Methode h) derzeit die Variante der Wahl zu sein. Auch Vattenfall verfolgt diese Strategie. Kleine Anmerkung Zuni Schluss: Kiinnte Kernenergie das C02-Problem eingrenzen (Abwarmeproblem)? Wenn man nun fossil befeuerte Kraftwerke durch Kernkraftwerke ersetzen wurde, wie dies auch in einigen EU-Staaten, etwa Finnland, neuerdings (wieder) geschieht, so tritt an die Stelle dezentraler, global verteilter Abwarmewirkung durch radiative forcing (Treib-
Fernhaltung von Kohlendioxid aus der Atmosphare 4.2
hauseffekt) eine betrachtlich grogere Menge lokal anfallender Abwarme: wahrend Kohlenkraftwerke heute Wirkungsgrade um 46 % aufweisen, GasturbinenDampfkraftwerke (GuD) nahe 55 %, liegt er bei Kernkraftwerken kaum iiber 30 %. Der Grund dafur ist, dass bisherige kerntechnische Installationen - von den Brennstabhiillen (Zirkonium) bis zum Primarkiihlkreislauf - nicht fur derart hohe Betriebstemperaturen (> 1300 "C) ausgelegt werden konnen wie die Feuerkessel und Turbinen konventioneller Kraftwerke. Dadurch wird die Temperaturdifferenz zwischen Reaktorkern und Kiihlbereich geringer, wodurch nach CARNOTder Wirkungsgrad sinkt. Ein Kraftwerk mit 1300 M W elektrischer Leistung (typische GroRe eines Kernkraftwerks) erzeugt mithin folgende Abwarmeleistungen: - Gasturbinen-Dampfkraftwerke ca.
1050 M W - Steinkohlenkraftwerk 1500 M W - Braunkohlenkraftwerk (neu) 1700 M W - Braunkohlenkraftwerk (alt) > 2000 M W - Kernkraftwerk fast 3000 M W
Diese Abwarme wird direkt an die Umwelt, meist Flusse, abgegeben und erzeugt dann lokal erhebliche Belastungen fur Wasserlebewesen (Sauerstoffzehrung bei gleichzeitig gesteigerter Stoffwechselintensitat); es kann his zum ,,Urnkippen" von Fliissen im Sommer kommen. Ein unzulassiger Anstieg der Zuflusswassertemperatur (ein Kraftwerk hinter dem anderen an groReren Fliissen) machte im Sommer 2003 auch die Abschaltung mitteleuropaischer Kernkraftwerke von Frankreich his Litauen notwendig, auch ein Aspekt der Betriebs- und Versorgungssicherheit. Uberspitzt konnte man sagen: Kernkraftwerke sind vom Treibhauseffekt durch Nutzung fossiler Energietrager oder periodische Anderungen der Solarkonstante negativ mit betroffen, wahrend Windenergieanlagen davon profitieren (grogere
Temperaturunterschiede = steigende mittlere WindgeschwindigkeitIS3).
4.2.4 Fazit Durch Photosynthese alleine gelingt es nicht, den zusatzlichen Anfall von Kohlendioxid in Folge menschlicher (Verbrennungs-)aktivitat vollstandig zu kompensieren, wie der Verlauf der Keeling-Kurve belegt. Daher miissen vor dem global sehr kurzfristig nicht zu realisierenden Ubergang auf C02-aufkommensneutrale Energiequellen noch iiber einen Zeitraum von einigen Jahrzehnten hinweg MaBnahmen ergriffen werden, die es erlauben, fossile Energiequellen so zu nutzen, dass das bei ihrer Oxidation anfallende Kohlendioxid nicht in die Atmosphare gelangt. Es bestehen unrerschiedliche Optionen und Verfahren zur Abtrennung von C im Vorfeld der Verbrennung sowie zur untertagigen Deposition. Kurz- bis mittelfristig kann auch gezielt produzierte Vegetation einen Puffer schaffen. Die Kapazitat, das gesamte potenziell noch aus fossilen Energietragern emittierbare Kohlendioxid zu binden, besitzen jedoch einzig die Adsorption an Kohlelagerstatten und die Gashydratfallung in tief liegenden salzigen Aquiferen; weder die Vegetation noch Restkavernen der Fossilbrennstoffforderung reichen hierzu aus. Die Kosten solcher Deposition bewegen sich in einem realistischen Bereich; neben legislativen AnstoRen - auch 153 Der durch anthropogene Einleitung von Treibhausgasen bedingte Strahlungsrijckhaltungseffekt (,,radiative forcing") wird auf 1 5 W/m2 geschatzt, das entspricht uber die gesamte kontinentale und marine Erdoberflache etwa 750 TW. Als zusatzliche Windenergie stehen dann rechnerisch 20-30 TW zur Verfugung. Die aktuell installierte elektrische Kraftwerksleistung betragt global etwa 2 Nv Da die gesamte fossile Energie letztltch bis auf den elektrochemisch genutzten Anteil - als Warme aufscheint, ist von ca. 10 TW direkter anthropogener Warmeproduktion auszugehen. Der indirekte lnfrarotretentionseffekt ist also etwa 75-ma1 grofler, aber global verteilt, wahrend die Warmeimmissionen in Flijsse raumlich engst begrenzt und linienformig erfolgen.
189
4.3 EDTA
auf viilkcrrechtlicher Ebene wie niit dem Kyoto-Protokoll - gibt es auch Interessen vom Kliniawandel iikonomisch Betroffener, die eine Implementierung solcher Marinahmen fiirdern und beschleunigen kijnnen. Hier sind insbesondere die grogen Riickversicherungsunternehmen zu nennen.
4.3 Ethylendiamintetraessigsaure (EDTA) Stoffeigenschaften, Persistenz und Beseitigung
flusst EDTA die Umwelt, wird 2. B. eine Mobilisierung von Schwermetallen atis aquatischen Sedimenten iikotoxikologisch relevant, und unter welchen Kedingungen (Ionenfracht dcs Wassers, Belichtung, Phosphat ctc.) ist dies evtl. der Fall? - Wie kann diese relativ stabile und insbesondere mikrobiell inerte Substanz abgebaut werden, ohne selbst schadliche Folgeprodukte oder -wirkungen z u zeitigen? - Substitution von EDTA durch andere Wirkstoffe?
4.3.1.1 Anwendungsbereiche und -mengen von EDTA
4.3.1 Problemstellung Als Komplexbildner, der (neben zahlreichen andcren) insbesondere die haufigeren Metallionen, die wie Ca, Mg, Fe und Al in Wasser schwer liisliche Stoffe bilden kijnnen, zu koordinieren vermag, wird Ethylendiamintetraessigsiiure EDTA haufig in der privaten (Waschmittel) und techn i sc h en ( 0be r f 1iich en be h a nd I u ng , Ba u stoffchemie) Wasserbehandlung eingesetzt, ebenso auch zur Kontrolle der Konzentration und Reaktionspfade der genannten Metallionen. EDTA ist sehr gut wasserliislich, mikrobiell kaum abbau-bar und gelangt damit iiber die Prozesswasser und auch durch etwaige Klaranlagen h i n durch in die Umwelt. Die gleichen chemischen Eigenschaften, die in geschlossenen Systemen technisch genutzt wer- den (Persistenz, Komplexbildung), werfen dann iikotoxikologische Probleme auf, deren Umfang teilweisc noch Gegenstand von Diskussionen ist. Dessen ungeachtet werden sehr grofle Mengen verbraucht, von denen wahrscheinlich nur der in der Zeme n ti nd ustr i e e i ngese tz te An tei 1 d a ue r ha ft von der Hydrosphare und Biosphare abgeschlossen bleibt. Die Problernatik gliedert sich mithin in drei Fragenkomplexe: ~
190
- wodurch und in wclchem Umfang heein-
Ethylendiamintetraessigsiiure (EDTA, Abb. .56)li4 und ihre Alkalisalze werden in der heutigen EU in Mengen von ca. 60.000 Jahrestonnen verbraucht, davon ca. 40 '% in der Papier- und Zellstoffindustrie in Skandinavicn. Friiher, als EDTA noch uneingeschrankt an Stelle von (Po1y)phosphatenn i r Enthartung von Wasser in Waschmitteln verwendet wurde, lag der Verbrauch zcitweilig hiiher. Dabei komplexiert EDTA z. B. Calcium- und Magnesiumionen, was die Abscheidung von Carbonatniedcrschlagen aus ,,harten" (erdalkaliionenreichen) Wassern im Waschprozess und in der Waschmaschine verhindert. In dieser Funktion kann EDTA Polyphosphate ersetzen, was die Eutrophierung der Vorflut vermindert, aber die biogeochemischen Metallkreislaufe u. U. massiv beeinflusst, wie im Folgenden noch naher erlautert wird; EDTA ist daher iikotoxikologisch ambivalent und seine Verwendung kompliziert bzw. von vielfaltigen Randbedingungen abhangig zu beurteilen. Auch heute noch entfallen ca. ein Drittel der Verbrauchsmengen an EDTA und ihren SalZen auf nicht niiher spezifizierte (rneist industrielle) Iletergentienanwendungen.
154 Hier wird der Einfachheit halber die freie Saure (genauer also H,(edta)) stets als EDTA bezeichnet
EDTA 4.3
EDTA HOOC, HOOC
/\
N
/\/N\/
'
COOH
HOOC /'
Abb. 56: Struktur von Ethylendiamintetraessigsaure. Es handelt sich um eine symmetrische, daher nicht chirale tertiare Aminosiiure (drei Substitucnten a n jedein Stickstoffatom).
Eine andere Anwendung macht verstandlich, weshalb EDTA - nicht aber manche ihrer Komplexe - mikrobiell so schwer abbaubar ist: EDTA wurde - wie andere Chelatoren - auch als Komponente s o genannter Deostifte oder -roller verwendet. EDTA ist zwar eine a-Aminosaure, kann aber wegen ihrer verzweigten Struktur nicht so wie die proteinogenen a-Aminosauren und viele weitere unter oxidativer Desaminierung abgebaut werdenlii. Der menschliche SchweiR enthalt Leichtund Schwermetallionen (Magnesium, Eisen, Zink); Bakterien, welche die Haut besiedeln, nutzen den Schweig zugleich als ihre Spurenelementressource. Die fur den Baustoffwechsel dieser heterotrophen Bakterien notwendige Kohlenstoffquelle ist ebenfalls im Schweis enthalten: eines von deren Oxidationsprodukten ist But-
155 Bei der oxidativen Desaminierung wird mit Vitamin B,
(Pyridoxalphosphat) als Kofaktor Aminstickstoff oxidativ auf 2-Ketoglutarat (bildet Glutamat) bzw. in Pflanzen auf Glyoxylat (bildet Glycin) ubertragen; das ursprungliche Amin oder die Aminosaure bildet dann einen Aldehyd, ein Keton bzw. eine 2-Ketosaure. Am Stickstoff muss hier noch ein Proton gebunden sein. urn die Kondensation des Substrats mil Pyridoxamin und nachfolgende Oxidation zu erlauben; so konnen zwar neben primaren auch sekundare Amine und Aminosauren wie die proteinogenen Prolin und Hydroxiprolin oxidativ desaminiert werden, nicht aber tertiare wie EDTA oder gar quartare Amrnoniumsalze.
tersaure (Butansaure), die den typischen unangenehmen Geruch von abgestandenem Schweif3 verursacht. Da die obigen Metalle Magnesium, Eisen, Z i n k fur die Bakterien ebenso essenziell sind wie fur jedes andere irdische Lebewesen, entzieht die Komplexierung dieser Metallionen durch EDTA den Bakterien die Lebensgrundlage: keine bioverfugbaren Metallion en, k ei n Ba k te r i enw ac h st u m , k ei n Schweiggeruch. Die Hemmwirkung von EDTA, die auf den Entzug essenzieller Metallionen aus Metalloproteinen wie aus der freien Umwelt zuruckgeht (eine Bioakkumulation von EDTA erfolgt nicht), hat, wie das einfache Beispiel der Deostifte zeigt, negative Auswirkungen auf die Mineralisierung anderer organischer Substanz. Besonders stark sollten die heninienden Effekte bei Prozessen sein, die auf stabile EDTAKomplexe bildende Metallionen zuriickgreifen, welche ihrerseits in den Enzymen nicht allzu fest gebunden sind. Dies gilt etwa fur Exoperoxidasen (Mangan + Eisen), Monoaminoxidasen (Kupfer), Hydrolasen (Zink) oder Cytochromoxidasen (Kupfer + Eisen). Hier ist mit starker Beeintrichtigung des jeweiligen aeroben Abbaus zu rechnen, falls EDTA nicht durch Magnesium, Calcium etc. ,,blockiert" wurde. In der Technik werden mithilfe von EDTA auch Reaktionen mit Metallionen kontrolliert, indem der Ligand als Reservoir fur Metallionen fungiert: ein Komplex [ M(edta)1"- setzt stetig begrenzte, gut definierte Konzentrationen der Metallionen in ein Stoffgemisch frei, wo sie dann in Folgereaktionen eingehen, z. B. elektrochemisch abgeschieden werden (Galvanikindustrie). Dadurch kann der Verlauf von Fallungsreaktionen gelenkt werden; derartige Fallungsreaktionen sind z. B. Ausschlag gebend fur das Ausharten von Zement. EDTA als Betonkomponente beeinflusst daher das Wachstum einzelner 191
4.3 EDTA
Kristalle's6 im hiirtenden Beton. MengenmaRig ist dies in jungster Zeit eine der Hauptanwendungen von EDTA geworden. Andere Anwendungen zielen auf die Entmetallierung roher Stoffgemische, um Verfarbungen oder katalytische Nebenreaktionen zu verhindern, so im Photobereich (Entwicklerflussigkeit), in der Textilund in stark zunehmendem MaRe in der Zellstoffindustrie in Skandinavien (kraft pulp; Sulfitlaugung [das Verfahren zur Zellstoffproduktion ist wegen Wassergefahrdung in Deutschland verboten]). 4.3.1.2 Der Stoff und seine Eigenschaften: ein Komplexbildner als okotoxikologisches Problem Im nicht metallbeladenen Zustand bindet EDTA Metalle so stark, dass es diese auch aus Metalloproteinen entfernen kann. Die Folge hiervon ist, dass EDTA nach der Resorption auch Metalloproteine inaktiviert, mithin seinen eigenen potenziellen Abbau hemmt. Dies gilt dann nicht, wenn EDTA bereits als Metallkomplex vorliegt; dann ist es nicht nur in gewissem Umfang mikrobiell abbaubar, sondern sogar EU-weit als Lebensmittelzusatz zugelassen [E 385 = NalCa( EDTA)1. Die Komplexhildungseigenschaften kijnnen grundsatzlich auch iikotoxikologische Probleme zeitigen, und zwar dann, wenn
156 Von den hauptsachlichen ,,Kationen" in Zement (Calcium, Aluminium, Silicium) bilden die beiden ersteren eine kristalline Phase (Grossit CaAI,O,) in Gestalt langer Kristallnadeln. wenn Zement aushartet. Diese Nadelbuschel bilden - vielfach ineinander verfilzt und teils auch verwachsen - ein Netzwerk, das die Scherfestigkeit von Beton begrundet. Sowohl Calcium- als auch Aluminiumionen werden durch EDTA komplexiert, die Konzentrationen der freien lonen folglich betrachtlich reduziert. lnfolge dessen wachsen die Grossitkristalle langsamer, aber auch besser geordnet, wodurch die Konsistenz des Betons gleichmaOiger und ge-schmeidiger wird. Das Ausharten solch eines Betons dauert naturlich Ianger, was bei hohen Umgebungstemperaturen oder kornplizierten Gussforrnvorgaben auch von Vorteil sein kann.
192
toxische Schwermetalle durch Chelatisierung'"' aus Boden oder Sedimenten mobilisiert und so bioverfugbar gemacht werden. Wenn EDTA - begiinstigt durch seine Polaritat und die Persistenz - in die Vorflut gelangt, konnen in Folge der Stabilitat ihrer Komplexe a u s limnischen"* Sedimenten Schwermetalle extrahiert und mobilisiert werden. Ein Problem geht von EDTA potenziell insbesondere in weichen, Metallarmen (s. u.) SuRgewassern aus. EDTA, Ethylendiamintriacetat, Nitrilotriacetat NTA und Diethylentriaminpentaacetat bilden unter diesen Umstanden mit ggf. aus dem Sediment extrahierten Schwermetallen sowohl photochemisch aktive als auch inaktive Komplexe (siehe auch Reaktionsprinzipien der Entsorgung). Die Folgereaktionen sind genau voneinander zu unterscheiden: Fe(III), Co(III), Mn(lll), Ce(IV) u. a. photochemisch reduzierbare Ionen fordern den Abbau von EDTA, werden aber u.U. bei ihrer Photoreduktion zu weniger stabilen [Mred(EDTrA)1-komplexen15y selbst als freie Ionen in den Wasserkorper abgegeben und so verstarkt bioverfugbar, also auch potenziell toxisch relevantl6O.
157 Chelat von griechisch chele = Krebsschere. Wie die ,,Zange" eines Krebstieres umgreifl ein Chelatligand ein Metallion, in dem er sich uber mehrere Atome - nicht nur eines - an dieses Ion bindet. Solche Komplexe sind nicht nur stabiler als die mit einzahnigen Liganden wie Chlorid, Cyanid oder Ammoniak, sondern haben auch eine starrere Raumstruktur. Der Chelator 1st haufig nicht leicht wieder zu verdrangen. 158 Unter rnarinen Bedingungen ist die Konzentration von Erdalkaliionen derart hoch - das 200-300-fache derer in SuOwasser fur Magnesium, Calcium und auch Strontium -, dass EDTA nur mit Metallionen ,,beladen" vorliegt. 159 Mred= reduziertes Metallion, hier also Cu(l). Mn(ll) bzw. Ce(ll1); EDTrA = Ethylendiamintriacetat (primares Photooxidationsprodukt von EDTA). 160 Hier sei an die Regel erinnert, dass bei Schwermetallen die Jreien" Aquaionen die - abgesehen von Fluorokomplexen und bestimmten metallorganischen Spezies - mit Abstand hochste Toxizitat aufweisen. Dies 1st Grundlage des Free Ion Activity Model (FIAM) derToxtkologen.
EDTA 4.3
Andere Ionen wie Cd(II), Pb(II) werden gleichfalls aus dem Sediment extrahiert und bilden stabile, aber photochemisch inaktive Komplexe. Da EDTA sechs Koordinationsstellen besetzt, umschliegt es ein Metallion in der Regel vollstandig. Die so gebildeten Komplexe ,,speichern" das Metallion. In der mit EDTA komplexierten Form kann es von Pflanzen aufgenommen und angereichert werden, weil es leichter uber den Wurzelraum hinaus in die Pflanze vordringt (bei EDTA-Belastung von Boden). Die vollstandige Komplexierung (Koordinationszahl 6 ) bedeutet, dass keinI6' weiteres Metallion - etwa ein photooxidierend wirkendes - zusatzlich an den Liganden EDTA gebunden werden kann. Daher sind die Komplexe der obigen toxischen Schwermetalle persistent. Als Lebensdauer von EDTA in durchlufteten Sedimenten werden 200-300 Tage genannt, unabhangig von etwa gebundenen Metallionen. Bei anoxischen Boden ist nach sieben Wochen noch keinerlei Abbau erkennbar. Den Beobachtungen in Labormesokosmen (Abb. 57) und Testteichen zu Folge werden nur dann Schwermetallionen aus einem Unterwassersediment extrahiert, wenn die Konzentration von EDTA uber derjenigen der Schwermetalle in der uber dem Sediment befindlichen Wassersaule liegt. Das bedeutet, dass ein Teil der EDTA in Metall-freier Form gelost vorliegen muss.
161 Bei noch kornplizierteren Kornplexbildern wie dern irn Text erwahnten Diethylentriarninpentaacetat (DTPA) besteht durchaus die Moglichkeit,an denselben Liganden sowohl ein haufiges Erdalkaliion wie Ca2+als auch ein photochemisch aktivierendes Schwermetallion wie Fe(lll) zu binden. In diesern Falle wird der Teil des Liganden, der das Schwerrnetallion fixiert hatte, der Photooxidation und Abspaltung unterworfen, und es hinterbleibt der Calciurnkomplex des Fragments, der selbst photochernisch inaktiv, aber sehr begrenzt rnikrobiell abbaubar ist.
Abb. 57: Mesokosmosanlage an der TU Munchen. Mesokosmosanlagen dienen zur Untersuchung biologischer Systeme (Okosystemmodelle) mittlerer GroRe, etwa zum Studium des Einflusses von Umweltchemikalien auf eine vergesellschaftete Mehrzahl von Tier- und Pflanzenarten. Von ihrer Auslegung her kann es sich dabei urn Teiche (wie auf dem Bild), Aquarien, Lysimeter, Treibhauser u.a. handeln. Sie konnen mit der freien Umwelt in Kontakt stehen oder geschlossen sein. Foto: Technische Universitat Miinchen, Wissenschaftszentrum Weihenstephan fur Ernahrung, Landnutzung und ,Urnwelt, Department fur Okologie, Fachgebiet Okotoxikologie.
Wie die Reference-Fresh-Water(RFW)'62Daten zeigen ( s . Tab. 22), hangt die Mobilisierung von Elementen wie Cadmium, Blei etc. folglich in der Hauptsache vom Eisengehalt der uberstehenden Wasserphase ab. Bei stark oxidierenden Bedingungen und hoherem p H kann dieser weit unter den RFW-Wert fallen (Ausfallung von Fe203-Hydraten). Im Bereich von Klaranlagenauslassen werden 300-800 pgA EDTA (1-2,7 pMol/kg) gefunden, bei einem biologischen Abbaugrad von hochstens 15-20 %, in deutschen Flussen ca. 30 pg/l (0,1 pMol/kg). Sinkt also die Eisen-
162 RFW = reference fresh water (Referenz-SuOwasser [MARKERT1994b]),ein gewichtetes Mittel aus Analysendaten unbelasteter SuOgewasser von verschiedenen Kontinenten und Klirnazonen.Zu den Daten vergleiche Tabelle 22.
193
4.3 EDTA
Tab. 22: Koii/.entratioiieii von Metallionen in Rcteren/.-Sul;wasaer (reference fresh water (RFW) nach MAI
log C ,,
[nMollkg]
-log
komple-
kdiss[EDTA]
xiel??
At
7.400 -5,12
15,9
+
Ba
75 -7,12
78
(+I
Be
11 -7,96
8,7
(+)
Ca Co(ll)
50.000 -4,3
9 -8,04
Co(lll) Fe(ll)
9.000 -5,04
Fe(lll)
108
+
16,3
+
41.1
+
14,2
+ +
25,2
ten St~ibilit,;tsuberhringc relativ zu ihren RFW-Konzentrationcn auf (s. It. Tab. 22); deren Betrage sind untereinander ihnlich. Daher wird die Verteilung dieser Metallionen uber die verfugharen EDTA-Liganden ihrer Verteilung in der Iiisung ahneln, sie einander ggf. verdriingen'"-3, wenn EDTA gegenuher Eisen im (Jberschuss vorhanden ist. M n ( l l ) und Calcium sind weniger stark gebunden. Dies hat Konsequenzen fur die photochemische Umsetzbarkeit und etwaigc Hcmmungen des biologischen Abbaues, wie sic bei INi(F.1lTA)j in Bijden festgestellt wurden (NOERI'EM,IKN 1999). Wird Eisen, etwa durch starke Phosphateintriige, aus der I i s u n g sowie dem EDTA-Komplex entfernt (als FePO, gefiillt), so kiinnen als toxische Schwermetalle ti. a. Blei und NiS Sediment mobilisiert werdcn. ckel ~ L I den1 Wcnn dann nicht vie1 Mangan anwesend ist, konimt auch die Metall induzierte Photolyse von EDTA Zuni Erliegen, was Persistenz, Konzentration und in der Folge die potenzielle Extraktionswirkung fur Mei, Nickel etc. a m dem Sediment erhiiht. Iliese Zusammenhiinge mit den Reaktions- und Stoffzyklen zeigt Abhildung 58.
164.000 -3,79
8.7
5 -8,30
18,7
Mn(ll)
90 -7,04
14,O
+ + +
Pb
14 -7,851
18.0
+
4.3.2 Wirkprinzipien
Zll -
80 -7,lO
16,6
+
und Losunaen -.
Mg
Ni
Infrage kommen hier konzcntration auf s 2 pMol/kg bzw. unter 0, I pMol/kg, ohne dass sehr hohc Mcngen von Mg oder (:a anwesend sind, kann es tatsiichlich zur F,xtraktion von Schwermetallen ails den1 Sediment kommen. Die ,,norniale" (Referenz-Sii~wnsser) Eisenkonzentration betriigt dagegen 9 pMol/l. Die EDTA-Komplexe der meisten Schwernietalle sowie von Al sind derart stabil, dass die in der Natur vorkornmenden Metallionkonzentrationen - etwa lo-" Mol/l fur Eiscn - ausreichcn, um die Bildung der Komplexe sicher ZLI stellen. Eisen lgenauer Fe(111) 1, Aluminium, Blei, Kobalt, Nickel und Zink wcisen die grog194
a)
k robiel le r A bha u Bed ingu ngen in i
LIn te r
o x i d i e ren d e t i
b) der Einsatz oxidierender Radikal bildender Systeme wie der Fenton-Reaktion, weiterhin die c ) Photooxidation in Gegenwart v o n (koordinierten) Metallionen, d ) Sonochemischer Abbau (Ultraschall) sowie evtl. 163 Diese Austauschprozesse verlaufen rnit EDTA als Liganden kinetisch schnell genug. urn fur die Urnwell relevant zu sein Dies zeigen die klassischen kornplexometrischen Titrationen rnit EDTA, bei denen z B Mgz+ binnen Sekunden durch Znz+ ersetzt wird, unter Farbwechsel der Losung
EDTA 4.3
Fe(lI1)
7
ii_ "e-41
Abb. 58: EDTA-beeinflusste Stoffkreislaufe. EDTA kann wegen seiner minimalen biologischen Abbaubarkeit toxische Schwermetalle aus limnischen Sedimenten mobilisieren. In einem See ist mit folgenden Inputs zu rechnen: 1) EDTA aus unterschiedlichen (aber durchweg anthropogenen) Quellen, 2) Phosphat aus Diingemitteln, das mit biologisch gebundenem Phosphat wie ATP und Nukleinsauren im Stoffaustausch steht. Das letztere Phosphat bewirkt keine Fallungen von FePO,, AIPO, oder von Hydroxylapatit Ca,(PO,),(OH). Aus reduzierend wirkenden Schichten des Sediments wird wiederum Phosphat mobilisiert, indem FePO, zu FeS, reduziert und in dieser Form gefallt wird (unten rechts im Bild, schwarzer Zyklus). Die beiden Kreislaufe von Phosphat und von EDTA als den konkurrierenden Bindungspartnern hangen also von der Konzentration von Fe(ll1) bzw. Al(111) und damit empfindlich vom pH ab. Nur wenn so vie1 (anorganisches) Phosphat bzw. so wenig Fe(III), Aluminium und Erdalkalien vorhanden sind (sehr ,,weiches" Wasser), liegt EDTA in freier Form vor, weil die betreffenden, sonst EDTA-Komplexe bildenden Ionen als Phosphate oder (Ca) basische Phosphate (Hydroxylapatit)ausfallen. Dann konnen Schwermetalle durch EDTA aus dem Sediment extrahiert und so bioverfhgbar werden (Unterbrechung des griinen Zyklus). Die Dominanz von biologisch fixiertem Phosphat in SiiiSgewassern macht eine Fallung von FeP04 etc. weniger wahrscheinlich, wodurch EDTA komplexiert und folglich ,,blockiert" bleibt (die Stabilitatskonstanten der EDTA-Komplexe toxischer zweiwertiger Ionen wie Cu(II), Ni(II), Cd(11) oder Pb(I1) liegen weit unter jener des Fe(II1)-Komplexes). Nur wenn mangelnde Verfhgbarkeit anderer Nahrstoffe, insbesondere von Stickstoff (Nitrat) oder niedrige Wassertemperatur das Wachstum von Phytoplankton hemmt, bleibt nennenswert freies Phosphat erhalten. In stark eutrophierten Gewassern hingegen dominiert Phosphat; hier ist also mit freier EDTA und nachfolgender Mobilisierung zweiwertiger Schwermetalle aus dem Sediment zu rechnen. Auch hier besteht also ein Mobilisierungsrisiko. Um die toxische Gefahrdung anzudeuten, sind die Schwermetallionen rot dargestellt. Weil das so ggf. mobilisierte Cu(I1) das Algenwachstum und damit Fixierung von Phosphat in biologischer Form hemmt, resultiert eine positive Riickkopplung. Werden durch EDTA umgekehrt essentielle Mangelsubstanzen bioverfiigbar gemacht, steigt das Algenwachstum, wonach wiederum Fe das EDTA ,,blockiert", so lange his die Algen absterben, und FePO, im Sediment zersetzt wird. Da EDTA persistent und photochemisch inert ist, kann es in stehenden Gewassern als Konstante behandelt werden (Durchschnittskonzentration in Seen 10-fach hijher als in Fliefigewassern).
195
4.3 EDTA
e ) mikrobieller Abbau unter reduzierenden Bedingungen
Zu a) Mikrobieller Abbau unter oxidierenden Bedingungen Der biologische Abbau von freier EDTA ist stark erschwert, ahnlich wie derjenige anderer starker Komplexbildner, die Metallionen vollstandig einzuhullen befahigt sind. Dies liegt daran, dass diese Reagenzien ihrerseits essenzielle Metallionen wie Zn2+ aus Proteinen entziehen, wodurch diese ihre Funktion, z. B. in der Verdauung (Zn-haltige Hydrolasen und Peptidasen), nicht mehr erfiillen konnen (s. o., Deostifte). Ein mikrobieller Abbau gelingt im Laborsystem jedoch, wenn die Komplexbildnerwirkung von EDTA bereits genutzt wurde, indem man einen Uberschuss von Erdalkalimetall- o. a. Ionen zusetzt. Allerdings muss dieser Zusatz nach einem etwa erfolgreichen Abbau von EDTA wieder ausgefallt werden, um eine zu starke Metallionenbelastung der Vorflut zu verhindern. Die letztere Fallung aber erfolgt nur dann, wenn die Chelatoren (sowohl EDTA selbst als auch deren erste Folgeprodukte) vorher vollstandig mineralisiert wurden. Daher ist fur den EDTA-Abbau auf die Optionen b) bis d ) verwiesen.
Zu b) Oxidierende radikalische Systeme (Fenton’s Reagenz etc.) Hierunter fallen die Advanced Oxidation Procedures (AOP),d. h. Kombinationen von Wasserstoffperoxid oderhnd Ozon mit Fe(II/III) und ggf. UV-Einstrahlung sowie Prozesse, die bei der Trinkwasserproduktion erfolgen, ohne dass sie im Einzelnen chemisch und toxikologisch beabsichtigt sind, d. h. Reaktionen mit Chlor oder Ozon. Die Chlorierung EDTA-haltiger Rohwasser fiihrt zu Produkten, von denen einige stark toxisch sind, z. B. chlorierte N-Heterozyklen nach Ringschluss- und Kondensa196
tionsreaktionen (Eliminierung von HC1 und Wasser aus chlorierten Diketopiperazinen). Hinzu kommt aber ein Effekt, den Sie aus dem Schwimmbad kennen: Menschen geben sowohl Harnstoff als auch mit der Hautoberflache Aminosauren an das Wasser ab. Harnstoff ebenso wie Aminosauren reagieren dann mit Chlor unter Bildung chlorierter Amine mit N-CI-Bindungen, die einen ganz typischen Geruch aufweisen, eben den unangenehmen von belastetem Schwimmbadwasser. Zudem wirken Chloramine mit N-C1-Bindungen auch stark bakterizid und unterbinden dadurch auch einen sonst moglichen Abbau anderer Stoffe als EDTA. Einige dieser Verb i n d ~ n g e n toten ’ ~ ~ auch grogere Wasserorganismen wie Fischparasiten. Als Beispiel eines AOP-Verfahrens wurde fur den EDTA-Abbau die Photolyse von Wasserstoffperoxid bei Abwesenheit von Metallionen untersucht, die hauptsachlich OH-Radikale ergibt. Auch hierdurch gelingt der Abbau von EDTA. Die Produktverteilung ist anders als bei Mitwirkung von z. B. Fe(1II) (SORENSEN & FKIMMEL. 1995), s. u.
Zu c) Photooxidation in Gegenwart von Metallionen EDTA selbst ist nicht Licht empfindlich, wohl aber bestimmte ihrer Metallkomplexe. Sie zeigen die typische Reaktivitat von Aminosaurekomplexen oxidierender Metallionen (Cu(II), Fe(III), Mn(III), Co(III), Ir(lV), V(IV), Ce(1V) etc.): Durch sichtbares oder (haufiger) UV-Licht wird ein Elektron vom Ligandenanion zum zentralen Metallion des Komplexes verschoben und dieses dabei zu Mn(II), Fe(II), Co(11) usf. reduziert. Die photochemische Reaktion sei hier fur den einfachsten Fall von Glycinatokomplexen wie [Cu(glyc),] 164 Technisch genutzt wird in der Fisch- und Teichwirtschaft fur diesen Zweck ,,Chloramin-T” (N-Chlor-4-ToluolsuIfonarnidat; Na-Salz).
EDTA 4.3
COOH
COOH
N-CHZ-CH2-N
Fe(II1)hv; + H,O
rcoo
HN-CHZ-CH2-N
COOH
(
NH2
Fe(III)/hv; + H,O - HCHO, - CO,
L C O O H Fe(III)/hv; + H,O - HCHO, - CO,
I C O O H
"=\ /"
H,O/H+; hydrolytische Ringofiung
COOH
Abb. 59: Photochemischer Abbaupfad des Fe(lI1)-Komplexesvon EDTA. Die biologisch abbaubaren, schwachere Komplexe bildenden Spatstadien sind farblich von mikrobiell inertem Edukt und Primarprodukt unterschieden. Neben den Photoprozessen erfolgt noch eine hydrolytische Ringiiffnung (von Diketopiperazindiacetat zu IDA).
formuliert (glyc = Glycinat) (DAS et al. 1984): [Cufglyc),] + hv + H,O +. Cu(1) + H C H O + NH, bzw. [Cu(glyc),] + hv + H,O + 0, +. Cu(I1) (nicht komplexiert] + H C H O + NH, +
H202
Bei EDTA-Komplexen vollzieht sich die schnellste Photoreaktion mit Fe(111) (Abb. 59); Co(II1)-und Mn(II1)-EDTA-Komplexe werden 10-20-fach Iangsamer photooxidiert (CEFIC 2002); andere umweltrelevante Metallkomplexe von EDTA sind
nicht photoabbaubar. Das Ligandenanion
- hier also das einer synthetischen, nicht proteinogenen Aminosaure - verliert ein Elektron und geht in ein Radikal R,NCH,-COO* uber, das sehr schnell (innerhalb weniger Pikosekunden) Kohlendioxid abspaltet. Das zuriick bleibende Dialkylaminomethylradikal ist ein sehr starkes Reduktionsmittel, weshalb es auf den oxidierend wirkenden Eduktkomplex, gelosten Sauerstoff u. a. Akzeptoren rapide ein Elektron ubertragt. Das so gebildete Kation (R,N-CH,)' hydrolysiert unter Abspaltung eines Aldehyds (hier von Formaldehyd HCHO); dabei entsteht eine um eine Acetateinheit ,,verkleinerte" Aminosaure, 197
4.3 EDTA
d. h. zunachst Ethylendiamintriacetat EDTrA. Es folgt ein Ringschluss (siehe unten) zu Diketopiperazindiacetat'6F DKPDA. Obwohl zahlreiche Diketopiperazine wie andere, grogere ringformige Oligopeptide physiologisch und pharniazeutisch hoch aktive Suhstanzen sind, ist Diketopiperazindiacctat fur die ,,Test typischen" Wasserorganismen his hin zu sehr hohen Konzentrationen nicht erkennbar toxisch ( > 100 mg/l; d. h. das 30-fache der maximalen in industriellen Abwassern auftretenden EDTA-Konzentrationen). Im weiteren Verlauf der Metallion vermittelten Photolyse wird auch die beide Stickstoffatome verbruckende (1,-Einheit gespalten, wodurch als weitere Folgeprodukte Iminodiacetat IDA und Glycin anfallen. Diese sind beide biologisch abbaubar. Das Ziel der Reseitigung der (ikotoxikologisch problematischen Eigenschaften von EDTA (und EDTrA) wird also erreicht. Das Wasserstoffperoxid kann an weiteren Photooxidationen teilnehmen (vgl. 3.4.4: AOP), das nicht mehr komplcxierte Cu(I1) weitere Aminosauren binden und diese damit fiir die photochemische Umsetzung aktivieren. Die erforderliche Wellenlange betriigt hicr 230 nm 5 A. 5 300 nm. Bei dem entsprechenden Eisen(111)-Komplex IFell1(EDTA)1- tragt das Eiscn auch zum photokatalytischeii Abbau von Wasserstoffperoxid bei (I,IJNAK & VFIWK-SISKA1983). EDTA-Komplcxe von Ubergangsmetallionen sind derart stabil, dass die in Fliissen in Deutschland iiblichen Konzentrationen von 30 pg/l (100 nanoMol/kg) ausreichen, Schwermetallionen z u binden. Nach Reoxidation durch Luftsauerstoff, Nitrat, etc. steigt die Stabilitat der Komplexe weiter an und sic werden lichtempfindlich. Es resul165 Diketopiperazine sind ringforrnige Kondensate zweier Arninosauren rnit Peptid(Saurearn1d)-Bindungen, d h die einfachsten denkbaren zu einern Ring geschlossenen Peptide (Dipeptide)
198
tiert mithin ein photokatalytischer Zyklus (Abb. 60), wenn hinreichende Mengen dieser Metallionen anwesend sind und Sauerstoff eingeleitet wird. Zu d ) Sonochemischer Abbau
Der sonochemische Abbau von EDTA wird dadurch beeinflusst, dass es sich um eine Saure, und zwar fur organische Sauren eine relativ starke, handelt ( P K , , ~= 2,00; pK = 2,69; P K , , ~= 6,13; pK,, = 10,l). In Sudwasser liegt also das Di- oder (meist) Trianion von EDTA vor. EDTA kann bei ublichen limnischen pH-Werten von 5-8,5, d. h. als Anion gar nicht in die Kavitationsblase gelangen und dort den extreinen Druck- und Temperaturspitzen ausgesetzt werden, die die eigentliche Reaktionsfolge uber thermische Decarboxylierung, .OHRadikale u. a. Spezies auslosen. Der Abbau von EDTA zu Glycin als Endprodukt sowic von komplexcren Chelatoren ist jedoch beschrieben. Daher ist davon auszugehen, dass - wie in natiirlichen bzw. belasteten Gewassern iiblich - nicht eigentlich EDTA, sondern deren neutrale Metallkomplexe mit Mg2+,Ca2+, Al;+ etc. zur sonochemischen Reaktion gebracht wurden. Dies bedcutet aber kein praktisches Hindernis. Zu e) Mikrobieller Abbau unter reduzierenden Bedingungen
Eine reduktive Spaltung von EDTA oder anderen Aminosauren gelingt nicht; in anoxischen Bodenschichten wird kein Abbau festgestellt. Thermodynamisch ware eine Oxidation der Acetatseitenketten durch Sulfat (in Sulfat reduzicrenden Bakterien) durchaus moglich, doch gilt hier das oben fur die Wirkung von Pyridoxal Gesagte: die verzweigte Struktur, die tertiare Aminfunktion macht die oxidative Transaminierung unmoglich. Es blieben nur I'rozesse, bei denen EDTA radikalisch oder durch Ferrylgruppen [Eisen(IV)] angegriffen wiirde. Auch die photo- und sonochemischen Prozesse sind aerob zu fiihren; sonst
EDTA 4.3
Abb. 60: Einfluss von Photochemie, Beladung mit Metallionen (Mg, Ca, Al, Mn, Z n ) und Redoxprozessen [Fe] auf die Mobilisierung von Schwermetallen aus dem Sediment niithilfe von EDTA (EDTA = H,edta). Die Mobilisierung geschieht nur unter bestimmten Bedingungen in weichen Wassern. Gelangt EDTA als freie Saure in die Vorflut, reagiert es als Komplexligand mit vorhandenen Metallionen. Welches Gemisch von [M(edta)]-Komplexen resultiert, hangt nicht nur von der Zusammensetzung des SuBwassers ah, sondern auch vom Redoxpotential und UV-Einstrahlung': unter Bedingungen der Sulfatreduktion fallen die Eisenionen wie die der meisten anderen Schwermetalle als Sulfide aus; dann ist [Ca(edta)]Z-die stabilste Spezies, die sich mit einem noch haufigen Metallion bilden kann. Wed [Ca(edta)]z- dennoch auch kinetisch weitaus labiler als die Eisenkomplexe ist, konnen unter Sauerstoffzehrung prinzipiell solche Schwermetalle, die keine schwer loslichen Sulfide bilden, durch [Ca(edta)lZ-aus dem Sediment entfernt werden (Mn, Lanthanoiden). Unter oxischen Bedingungen entstehen EDTA-Komplexe von Fe(II1) u.a. Ionen wie Cu(11), die betrachtlich stabiler sind als die von Cd, Pb etc.. Daher konnen bei oxidierenden Bedingungen und nur schwacher UV-Einstrahlung bis auf H g (s. u.) keine toxischen Schwermetalle mobilisiert werden. Die Komplexbildung durch Huminstoffe z. B. im Fall sehr weicher tropischer Schwarzwasser ist relativ schwach; diese wiirden durch EDTA quantitativ demetalliert. Allerdings konnte Hgz+durch EDTA mobilisiert werden, weil dessen Komplex beinahe ebenso fest gebunden ist wie der von Fe(II1). Hintergrundfoto: www.state.me.us.
1 Tagsuber dominiert Fe(ll) sogar in Sauerstoff reichen. flachen, stark durchlufteten Gewassern wie Bergbachen, wenn
diese der UV-Strahlung ausgesetzt sind, weil die Photoreduktion von Fe(lll)-Spezies mit z. B. Huminsauren so effirient verlauft.
199
4.3 EDTA
wird der photochemische Zyklus nicht ge- einer Ausnahme zwar bislang nicht naher schlossen, weil das Metallion nur nach er- charakterisiert, wirken aber nicht mehr chelatisierend. Dem zu Folge ist ihre Komneuter eigener Oxidation wieder Photooxidationen verursachen kann. Das Schwer- plexbildungsfahigkeit zumindest nicht hogewicht liegt, wie die Erfahrungen in her als diejenige von Glycin(at). Bei der Klaranlagen zeigen, eindeutig auf nicht Oxidation mit UV-Strahlung/HL02 (A = biologischen Abbaumethoden, wobei die 254 nm) entstehen keine toxischeii Produkte (SORENSEN& FRIMMEL. 1995); in1 AOPs weniger effektiv sind als photochemische Verfahren. Hoch belastete industri- Einzelnen werden als organische Produkte elle Abwasser (Zellstoffproduktion, foto- Iminodiacetat, Glycinat, Oxamidat, Glyografische Entwicklerfliissigkeit) diirften xylat, Oxalat sowie Formiat aufgefuhrt, als anorganische Spezies CO,, NH, und die photochemisch schwieriger zu behandeln sein, so dass hier Oxidation und Sonoche- Ionen Nitrat, Nitrit sowie Cyanat (OCN-). mie eine griigere Rolle spielen sollten. Bei Die Reaktion verlauft schnell, also mit hoher Quantenausbeute. einer Photolyse muss Eisen(111) zugesetzt werden, bei Versuchen der mikrobiologischen Behandlung ein Uberschuss an MgL+. Beim Abbau mit Ultraschall entstehen (bei Ultraschallfrequenzen In allen Fallen miissen oxidierende Ver- unterschiedlichen von 40 und 130 kHz sowie sehr hohen haltnisse eingehalten werden. EDTA-Konzentrationen) Produkte, die ebenfalls keine chelatbildenden Eigenschaften mehr aufweisen, cheniisch aber 4.3.3 Praxisbeispiel nicht naher charakterisiert sind. Der cheDie Photooxidation in Gegenwart von Me- mische Sauerstoffbedarf (CSB)-Wert geht tallionen wie Fe(II1) erfolgt so, dass einzelne als Folge der Sonolyse zuriick, so dass von Acetatgruppen abgespalten werden. Da- einer Oxidation des EDTA-Molekulgeriists durch wird aus dem zunachst sechszahni- und der Spaltung der Aminosaureeinheiten gen Liganden EDTA, der entsprechend vie1 ausgegangen werden kann. festere, stabilere Komplexe bildet als gewohnliche ein-, zwei- oder hiichstens dreizahnige Donoren, eine Serie weniger fest 4.3.4 Fazit komplexierender Liganden. Der Metall induzierte photochemische Abbau bricht E i n e tech n i sch -c h e m i sc h e N ach be h a n d dann ab, wenn der Komplex unter Umwelt- lung EDTA-belasteter Abwasser ist in jebedingungen nicht mehr bestandig ist, d. h. dem Falle notwendig. An die Stelle des sehr die Konzentration dieses I-iganden geringer schwierigen biochemischen Abbaues kann ist als die Rildungskonstante eines Komple- grundsatzlich der photochemische Abbau xes mit im betrachteten Wasser auftreten- sowie ein Angriff durch OH-Radikale treden Mctallionen. Zugleich steigt die biolo- ten. Die durch Fe(II1) unterstiitzte Photogische Abbaufahigkeit der photolytisch ent- oxidation (vgl. 3.4.4.3) lauft zwar nur bestandenen Sekundarliganden wie Glycin grenzt unter gewohnlichen Umweltbedinoder Oxalsaure. Dadurch wird ihre durch- gungen ab, doch kann sie in einem schnittliche Konzentration nochmals gerin- Reinigungssystem hinreichend gefiirdert ger. Beim metallfreien Photoabbau existiert werden, analog dem photooxidativen Abdiese Begrenzung nicht; hier wird zunachst bau anderer organischer Substanzen mit Ligandeneigenschaften. die Ethylenbriicke gespalten (s. u.). Die Fenton- und Photo-Fenton-Produkte (aus AOP-Oxidationsverfahren) sind mit
200
EDTA ist nur einer von einer grogeren Zahl von Stoffen, deren Komplexbildungs-
Bodenwasche 4.4
verhalten die bei ihrem Abbau moglichen Pfade erheblich beeinflusst. Gleiches gilt etwa fur Diethylentriaminpentaacetat (DTPA), dessen Chelatkomplexe auch medizinisch eingesetzt werden'66, und das Herbizid G l y p h o ~ a t ' ~( RoundupTM). ' Beide zeigen ahnliche Persistenzprobleme; Glyphosat ist zudem wirbeltiertoxisch. Der mikrobiologische Abbau erfolgt auch in einer biologischen Klarstufe nur in untergeordnetem Ausmafi. Der Photoabbau ist leicht moglich, bedarf aber zusatzlicher stabilisierender Bedingungen, z. B. darf kein Phosphat anwesend sein, was bei gewohnlichen kommunalen Abwassern ein eher ungewohnlicher Fall ware. Andere Metallionen als Fe werfen eigene Probleme auf, wenn man sie mit dem Ziel der verstarkten Photolyse von Liganden dem Wasser zusetzt.
4.4 Reinigung der festen Bodenphase: Bodenwasche 4.4.1 Problemstellung Schadstoffe konnen ebenso in den Boden gelangen wie in die beiden anderen Umweltkompartimente; dabei sind Eintrage uber den Luftpfad, mit Niederschlagen (gelost oder partikular) oder durch Resublimation, ebenso moglich wie solche mit belasteten Flussigkeiten oder durch unsachgema-
166 Als achtzahniger Ligand bindet DTPA insbesondere solche Metallionen, deren Komplexe in Koordinationszahlen uber 6 stabiler sind, wie die Lanthanoiden (,,Seltene Erden").€in DTPA-Komplex von Gadolinium(lll) wird als Kontrastmittel in der Magnetresonanztomografie(MRT), einem Bild gebenden Verfahren der modernen Medizin verwendet und nach seiner intravenosen Zufuhrung uber die Nieren abgegeben. Seit der Einfuhrung dieses Reagenz sind die Gd-Konzentrationen in kommunalen Abwassern - nicht nur jenen der Kliniken selbst betrachtlichangestiegen. Der Gadoliniumkomplex bleibt & HELMERS 2000). im Abwasser stabil (KUMMERER 167 N-Methanphosphonatoglycinat
i3eslillegales Vergraben von Stoffen. In der Bodensubstanz werden die Schad- oder Frerndstoffe adsorbiert oder anderweitig fixiert, gehen - vielfach auch unter Beteiligung von Mikroorganismen - chemische Reaktionen ein, die Einfluss auf deren Loslichkeit, Fliichtigkeit und folglich Mobilitat haben, ohne freilich stets dabei das toxische Potenzial zu mindern. Bei Chemikalienunfallen, insbesondere bei deren Transport (Tankerunfalle 0.a.) schliefilich gelangen Stoffe direkt oder uber oberirdische Gewasser in den Boden. Dies macht Reinigungsmafinahmen notwendig, fur die Boden ein besonders komplexes Substrat darstellt. 4.4.1.1 Anwendungskriterien der Bodenwasche
Boden besteht aus unterschiedlichen Phasen, von denen Bodenluft und Grundwasser zwar mobil sind, aber nur jeweils einen kleineren Teil der Masse beinhalten (< 0,l bzw. 10-20 % [- Trocknungsverlust]); 80-90 % entfallen somit auf die gewohnlich nicht mobilen Festphasen. Eine Reinigung des Bodens unter Verwendung seiner rnobilen Phasen - sei es ex situ, z.B. iiber pump-and-treat-Methoden (Schluckbrunnen etc.) oder in situ durch Reaktive Wande - setzt daher voraus, dass die aus dem Boden zu entfernende Substanz entweder fluchtig oder in Wasser Ioslich ist und zudern nicht zu fest an eine der festen Phasen (Huminstoffe, Schluff, Ton etc.) adsorbiert wird. In solchem Fall kann das stromende Grundwasser als Kontakt- oder Transportmedium dienen (vgl. Fallstudie 4.1 [Reaktive Wande]); ansonsten ist eine Bodenwasche in Betracht zu ziehen.
Zu den Kontaminanten, die weder fliichtig noch mehr als minimal wasserloslich sind, zahlen polyzyklische Aromaten aus Teerablagerungen oder Olverschmutzungen; zudem adsorbieren diese Stoffe sehr gut an Sand, Huminstoffe und Ton. Sie werden daher wirksam ebenso an die ortsfest verbleibenden Festphasen fixiert wie etwa
201
4.4 Bodenwasche
Schwermetallsalze, die mit Gegenionen wie Phosphat oder Carbonat schwer losliche Salze bilden. Diese sind unterhalb mindestens SO0 "C nicht fluchtig, und mit reinem Wasser wegen der Schwerloslichkeit nicht extrahierbar. Abgesehen von Haldenverfahren, bei denen eine Waschlauge den ortlich unveranderten Boden in-situ durchstromtlhx,impliziert die Bodenwasche Abtragung und zumindest einen Kurzstreckentransport des zu reinigenden Materials. Dies st& vor allem dann auf Schwierigkeiten, wenn auf oder direkt neben dem Sanierungsbereich Gebaude stehen und erhalten werden sollen. 4.4.1.2 lndikationender Bodenwasche: Emissionen aus dem Untergrund in Siedlungsbereiche
Die blol3e Uberschreitung von Grenzwerten impliziert weder theoretisch noch verwaltungs- und in der Folge umweltsanierungstechnisch ein massives Handeln, wie es ein Bodenaustausch oder eine Bodenwasche sein wurden, sondern die Anwendungsindikation ist eine konkrete Exposition von Menschen. Falle wie Kinderspielplatze, wo auf erkannte Kontaminationen routinemagig mit dem Austausch der betroffenen Sandmasse (von Bodensubstanz kann hier kaum gesprochen werden) reagiert wird, sind weit weniger typisch f u r das einschlagige Handeln als solche Bodenflachen, auf denen z.B. Gebaude stehen und erhalten bleiben sollen, was die Moglichkeiten einschrankt. Haufig ist eine Bodenwasche unumganglich, selbst wenn ein Teil der Schadstoffe fluchtig ist und daher mit der Bodenluft abgezogen werden kann. Typisch fur diese Situation sind alte, nach heutigem Verstandnis unsachgerecht angelegte und betriebene Mulldeponien, die toxische oderhnd geruchsintensive Gase/Dampfe
168 Dies setzt entweder eine Hangneigung oder aber elektrokinetisches Purnpen voraus
202
ahgeben und von denen wegen rnangelhafter Grundabdichtung zugleich eine komplexe und sich relativ schnell ausbreitende Belastung der fliissigen und festen Bodenphasen ausgeht. Bei einer Mischbelastung typisch f u r eine Altdeponie - bietet zuweilen schon der Ausdampfvorgang oder das Auffinden bestimmter Chemikalien (etwa Dioxinen) in Sickerwassern Anlass, eine nahe gelegene oder direkt uberstehende Wohnbebauung aufzugeben, was dann die Bodensanierung vereinfacht. Vie1 hoher aber ist die Anzahl von Gewerbe(a1t)standorten, die einer Sanierung bedurfen, weil geochemische'hy Folgeprozesse perspektivisch zu Belastungen des Grundwassers und der Vorflut fiihren werden. Generell wird die Anzahl durchzufuhrender Bodenreinigungsmagnahmen heute langst nicht durch den Bedarf begrenzt, sondern durch die finanzielle Machbarkeit sowie vor allem dadurch, dass von den allein in Deutschland wahrscheinlich mehreren Hunderttausend sanierungsbedurftigen Bodenschadflachen der Groflteil uberhaupt nicht er- und bekannt ist. Das Problem der Bodensanierung - sei es durch eine Bodenwasche oder mithilfe Reaktiver Wande bzw. Versiegelungen (einfacher Austausch mit Deponierung des Aushubes, evtl. sogar in Sonderdeponien ist nicht mehr vertretbar) - besteht somit aus mindestens drei Teilen: - Prospektion der Altlast: da Boden nicht
mobil ist und auch Grundwasser, sofern es einen Aussage fiihigen Anteil der Altlastchemikalien lost, nur langsani strijmt, sind Schaden relativ ortsfest und die Anwesenheit, Position und Zusammensetzung von Schadstoffen anders als in Luft oder Oberflachenwasser auch nicht ohne weiteres ersichtlich. Die Undurch~
169 Dtese Folgeprozesse sind rneist rnikrobtell bedingt und werden von aeroben oder nitratverwertenden Organismen ausgetost Sie betreffen sowohl Metallverbindungen (Sulfidoxidation) als auch organische Substanz (die oxidative Hydroxylierung aliphatlscher und arornatischer Verbindungen fuhrt zu stets weit besser wasserloslichen Produkten)
Bodenwasche 4.4
sichtigkeit von Boden rnacht indirekte, elektrische oder rnagnetische Prospektionsrnethoden notwendig, dann erst kann und muss durch Proben - festgestellt werden, welcher Art die Schadstoffe sind und oh sie sich uber die wassrige Phase, also 2.B. rnit Schluckbrunnen oder unter Einsatz Reaktiver Wande (siehe Abschnitt 4.1 ) beseitigen lassen. 1st dies wegen fehlender Wasserloslichkeit nicht der Fall, muss - die Reinigung der Festphase(n), also eine Bodenwasche, in Betracht gezogen werden.
nerter Beton aus Gebauden oder Stragenbelagen. Das im Recycling gereinigte Material dient spater z. B. als Unterbett fur StraBen. Die Wasche ist hier primar deshalb erforderlich, weil Sickerwasser aus solchern Bauschutt extrern alkalisch sind (pH 2 12), zu alkalisch, um eine rnikrobiell-biotechnologische Entsorgung anhaftender organischer Problemsubstanz (Bitumen, PCBs) zu gestatten: heterotrophe, die kontarninierende organische Substanz verwertende Mikrohen wurden in diesern Wasser nicht nur absterben sondern sich einfach auflosen (alkalischer Angriff auf die Zellwand).
Da Reaktive Wande anderweitig diskutiert werden, ist dies der Fall, dern hier unser Interesse gilt.
Neben rnolekulardispersen Verunreinigungen (Olfilrn auf Hurnuspartikel) existieren solche in Partikelforrn, etwa Teerklurnpen oder Metall(-oxid)staube, deren Auflosung wahrend der Reinigungsprozedur unzweckrnagig ist. Sie werden besser durch Flotation oder andere Methoden gravitativer Fraktionierung abgetrennt, indern man Dichteunterschiede nutzt: Teer ist ,,leichter“ als die Bodenmasse, Metalle und Metalloxide weisen meist erheblich hohere Dichten als 2,5 g/crn3 auf. Hierzu ist eine Aufschlarnrnung durchzufuhren. Uber die Dichteklassifikation hinaus werden aber auch aus der Textilwasche bekannte Methoden zur Bodenwasche herangezogen. Die Analogien zwischen Boden- und hauslicher Kleiderwasche reichen dabei weit:
4.4.2 Wirkungsprinzipien und Losungen 4.4.2.1 Vergleich zwischen Boden- und Textilwasche und deren Wirkprinzipien
Ziel einer Bodenwasche ist, die Verunreinigung in Wasser oder einern anderen Solvens zu dispergieren und als Waschlauge vorn Boden zu trennen. Bei direkter Reinigung der Festphase wird der Boden aktiv ,,gewaschen“, anstatt nur auf Bodenluft oder wasser zuzugreifen und hernach von diesen mitgefuhrte Frernd- oder potenzielle Schadstoffe abzutrennen. Verfahrenstechnisch ahnelt die Bodenwasche Methoden des Bergbaus von Erzen und deren Weiterverarbeitung (ERERHARD 2003). Wichtige und gangige Schritte sind daher die Klassifikation nach KorngroBen und gravitative Trennung (Flotation), weil Kontarninanten hauptsachlich an Hurninstoffe und Tone des Bodens sorbiert vorliegen, Mineralole z. B. bevorzugt an die ultrafeine Fraktion binden. Gegenstand der Bodenwasche sind nicht nur Boden irn pedologischen Sinne, sondern auch Bauschutt, darunter zerklei-
Die organische Fraktion des Bodens besteht ebenso uberwiegend aus (allerdings oxidativ ~ e r a n d e r t e r ” ~Cellulose ) wie etwa ein T-shirt, und auch die Sorbenseigenschaften von Textilien sind rnit jenen von Hurninstoffen durchaus vergleichbar. Rost-, Farbstoff- oder Olflecken auf Kleidung entsprechen vollig einigen der oben genannten Kategorien von sanierungsbedurftigen Bo-
170 Oxidative Modifikation bedeutet insbesondere. dass -CH,OH-Seitenketten zu Carbonsauregruppen oxidiert werden. Diese polymerfixierten Carboxylateinheiten bedingen zusammen rnit Tonmineralien dann die Kationenaustauschereigenschaftendes Bodens.
203
4.4 Bodenwasche
denverunreinigungen, was den Ansatz nahe legt, auf die Reinigung des Bodens die gleichen Methoden und Wirkungsprinzipien anzuwenden, die bei der Textilwasche herangezogen werden. Diese der Boden- und der Textilwasche gemeinsamen Prinzipien und Methoden sind im einzelnen a ) die Aufliisung von organischen Verunreinigungen mit Tensiden (Seife, Spiilmittel, nicht ionische Tenside, wie sie auch in der Olfiirderung angewandt werden), b) die chemische Reinigung mit unpolaren oder unkonventionellen Liisungsmitteln (,,Waschbenzin", chlorierte Solventien, hier: hiihere Alkohole, uberkritisches Kohlendioxid, fliissiger Ammoniak), c ) die Extraktion metallhaltiger Fraktionen mithilfe von Komplexbildnern (vgl. Fallstudie EDTA), d ) Oxidationen organischer Kontaminanten mit Reagenzien wie Wasserstoffperoxid (,,Bleichen" der Wasche), e) deren Abbau durch bestimmte Enzyme in den Waschmitteln und schlieBlich f ) die kontrollierte Sorption von Ionen wie auch Organika in Zeolithen (Phosphatersatz in Waschmitteln) oder Tonmineralien, die dem Boden zugefiigt werden. Die Bodenreinigung unterscheidet sich bei allen Parallelen dennoch in einigen Punkten von der Textilreinigung: - Es kiinnen hiihere Temperaturen ange-
wandt werden, weil die bei der Textilreinigung wichtige Form- und GroBenkonstanz der faserig-organischen Fraktion (kein ,,Einlaufen") bei einer Bodenwasche nicht beriicksichtigt werden braucht; durch die also zulassige starkere Erhitzung lassen sich zahlreiche Schadstoffe verfliichtigen (ausdampfen) und/oder durch Luftsauerstoff oxidieren (eine Nebenwirkung ist dabei allerdings die mikrobielle Sterilisierung des behandelten Bodens). - Bei ex-sitwverfahren lassen sich auch unkonventionelle Losungsmittel und 204
Hilfsreagenzien einsetzen, etwa iiberkritische Fluide wie sc-C02 oder fliissiges Ammoniak, die fur die hausliche Waschmaschine schon mangels eines Druckgefasses nicht in Betracht kommen; allergene Eigenschaften von Tensiden (z. B. mehrzahniger Amine) kiinnen ebenso weitgehend ignoriert werden. - Die oxidierende Bodenwasche kann mit Reagenzien ausgefuhrt werden, die Textilfarbstoffe zerstiiren oder aber bei ihrer Reduktion selbst farbige Ruckstande hinterlassen wiirden (z. 8. entsteht schwarzbraunes M n O z hei einer oxidativen Bodenbehandlung mit Permanganat). - Als ,,Hintergrund" der sorbensaktiven Fraktionen besteht meist eine Vielfalt z.T. makroskopisch verfestigter anorganisch-mineralischer Phasen. Diese wechselwirken mit der Waschliisung ebenfalls. - In Analogie zum Enzymeinsatz in modernen Waschmitteln kann biologische Selbstreinigung (,,natural attenuation") herangezogen werden; die einschlagige Prozesstemperatur ist mit typisch ca. 10 "C deutlich niedriger, die zur Verfugung stehende Zeit allerdings um Zehnerpotenzen langer als hei norinalen Textil- oder Bodenwaschvorgangen (Jahre statt ca. einer Stunde). Die zunachst genannten vier Unterschiede zur Textilwasche beinhalten allerdings durchweg dasselbe Problem: hiihere Temperatur, langere Zeitdauer, unvollstandige Durchmischung des Reinigungsgutes, die Existenz auslaugbarer wie auch sorptionsaktiver Hintergrundphasen fuhren alle dazu, dass die Selektivitat der Extraktion gemindert wird, selbst wenn keine ,,exotischen" Liisungsmittel wie uberkritisches CO, zum Einsatz kommen. Dabei ist einma1 mit unvollstandiger Extraktion zu rechnen, weil der Waschprozess seinerseits zur Sorption an andere Phasen und damit einer bloBen Umverteilung fuhren kann, andererseits damit, dass neben den Zielverbindungen auch noch zahlreiche andere Stoffe, etwa Huminstoffe, bzw. Struktur
Bodenwasche 4.4
bildende Metallionen wie Ca und Al, die fur die Bodenfunktionen (vgl. Abschnitt 2.2.3.2) von groRer Bedeutung sind, extrahiert werden. Der Boden verarmt dadurch nicht nur an Nahrwert fur die Pflanzen, sondern der Waschruckstand wird schwieriger zu handhaben; die Verbrennung eines Mineralol-Tensid-Gemisches ist kein Problem, dies andert sich allerdings wenn noch groRe Mengen Metallsalze oder Boden eigene organische Substanz anwesend sind. Letzteres ist genau eine Folge allzu intensiver Extraktion. Kriterium in zahlreichen hoch entwickelten Landern ist heute die Nullemission aus dem Prozesswasser, d. h. die vollstandige sekundare Ruckhaltung oder Mineralisierung der Schadstoffe nach der Bodenwasche (EHERH A R D 2003). Bodenwaschverfahren mussen daher folgende Bedingungen erfiillen: - Effizienz
(hinreichend vollstandige Extraktion der Zielverbindungen bei moglichst nur einmaligem Waschen), - Selektivitat (nur die Schadstoffe werden extra hiert), - Umweltvertraglichkeit der Extraktionsmittel bzw. - soweit sie nicht vollstandig zuruck gewonnen werden konnen bzw. wie be; uberkritischen Losungsmitteln das System bei der Aufarbeitung spontan verlassen - ihrer Metabolite im Boden. Dazu gehort nicht nur, dass sie nicht toxisch auf die Bodenflora und -fauna wirken sollten, sondern auch die bestehende Bodenstruktur und -textur moglichst wenig verandern. Mit einfachen Losungsmitteln oder Tensiden ist dies nur bedingt zu erreichen. Daher werden vielfach Stoffkombinationen oder mehrstufige Verfahren fur die Bodenwasche eingesetzt. Diese beginnen mit einem Windsichten der nach KorngroRen getrennten Boden-/Bauschutt-Fraktionen oder einfacher Flotation. Betrachten wir nun die folgenden Bodenreinigungsverfahren im einzelnen.
4.4.2.2 Extraktion mit Tensidlosungen
Bei der Extraktion mit Tensiden, also der klassischen Bodenwasche kann von einem eigentlichen Reaktionsmechanismus nicht gesprochen werden, da es sich hier nur um Solvatisierungsvorgange handelt. Tenside als oberflachenaktive Substanzen sind Molekule oder Ionen, die langgestreckt sind und deren eines Molekulende eine hohe Affinitat zu Wasser, das andere zu unpolaren Substanzen aufweist. Das hydrophile Ende kann ionisch (Carboxylat, Sulfonat, Phenolat, Alkylammoniumion) sein oder nur starke Wasserstoffbriickenbindungen ausbilden (Ethylenoxid-Polymere, Polyethylenglykole), wahrend es sich bei dem unpolaren zumeist um eine lange Alkyl- oder Aralkylkette handelt. Durch diese Struktur ,,taucht" ein Tensidmolekul oder -ion in die Grenzflache zweier wegen ihres Polaritatsunterschieds oder/und fehlender intermolekularer Wasserstoffbriickenbindungen nicht mischbarer Flussigkeiten - hier also von Wasser und Mineralolkohlenwasserstoffen - ,,ein" und stellt eine molekulare Briicke zwischen diesen her; dies steigert die Loslichkeit der beiden Phasen ineinander. Die resultierende Losung kann homogen sein, weist aber in der Regel eine Nanostruktur (Mizellen, Vesikeln) auf, was dem mischungsfordernden Effekt aber nicht entgegen steht. Die Steigerung der Liislichkeit in Wasser bedeutet, dass sich das Verteilungsgleichgewicht zwischen der Festphase, an der z. B. ein Mineralolkohlenwasserstoff im Boden oder an einem Textil adsorbiert vorliegt, und der flussigen Phase (Grundwasser, Waschlauge) zu Gunsten der letzteren verschoben wird. Dadurch erfolgt eine zumindest teilweise Desorption von der Festphase: die Basis des Waschvorgangs. 4.4.2.3 Extraktion mit unpolaren oder unkonventionellen Losungsmitteln
Auch hier dominieren Losungseffekte, bei Einsatz von flussigem Ammoniak be-
205
4.4 Bodenwasche
stimmt jedoch die Komplexbildung, also eine chemische Reaktion sowohl die Effizienz als auch die Selektivitat der Reinigungsprozedur. Die Extraktion mit iiberkritischen Medien wurde anderen Orts in diesem Werk bereits diskutiert, die reduktive Bodenwasche mit flussigem Ammoniak unter Zugabe von Natrium (0.a. Alkali- oder Erdalkalimetallen) bedarf genauerer Anmerkungen. Ammoniak (Siedepunkt - 33,4 "C bei Normaldruck, 25 "C bei 8,6 bar) ist ein Losungsmittel mit einer geradezu einmaligen Kombination von Eigenschaften, weil es sowohl Salze als auch unpolare organische V e r b i n d ~ n g e n ' ~sehr ' gut lost. Ammoniak bietet mit drei N-HBindungen mehr Miiglichkeiten fur die Knupfung von Wasserstoffbriicken als Methanol, der fliissigem Ammoniak von der Polaritat her ahnlich ist, und als ausgezeichneter Komplexligand erleichtert es die Auflosung von S c h ~ e r m e t a l l s a l z e n 'in~~ dem die Kationen in Amminkomplexe iiberfuhrt werden. Die Dielektrizitatskonstante von fliissigem NH, entspricht mit ca. 18 bei Raumtemperatur ( 2 3 beim Standardsiedepunkt von -33,4 "C) sehr genau der der meisten Mineralphasen wie Sand und Tonen; daher treten keine Oberflachenladungen (Kontaktpotenziale) zwischen Feststoff und Losungsmittel auf und Kohlenwasserstoffe konnen ebenso wie Salzionen leicht abgelost werden.
Belastung des Grundwassers beseitigt. Carbonate und Sulfate losen sich nicht (nicht einmal die Ammonium- oder Lithiumsalze), so dass der Grogteil der mineralischen Bodensubstanz a n seinem Ort bleibt. Die Loslichkeit von Phenolen wirkt auf Huminstoffe. Eine weitere ungewohnlicbe Eigenschaft verbessert die aus beiden Griinden gute Eignung von fliissigem NH, als Bodenwaschreagenz zur Extraktion komplexer Verunreinigungsgemische zusatzlich. In fliissigem NH, sind solvatisierte Elektronen (vgl. 3.4.2.1.1, blaue Losung) lange Zeit bestandig; die betreffende Losung von Alkalimetallen legt als extrem starkes Reduktionsmittel Metallionen in elementarer Form fest und baut reduktiv bestimmte organische Kontaminanten wie Halogenund Nitroverbindungen ab. Die Schwermetalle, die durch die solvatisierten Elektronen fixiert werden, wie Blei oder Kupfer, werden in der dabei anfallenden metallisch-feindispersen Form auch nach Zusatz von Chelatbildnern oder Oxidationsmitteln kaum wieder mobilisiert.
Fur Bodenwaschen mit organischen Losungsmitteln gilt weithin das hinsichtlich sc-C02 und fliissigem Ammoniak Angemerkte, auger dass die Polaritat geringer ist und die Extraktionsmittel (wie iibrigens auch sc-C02) nur eingeschrankt mit WasErwahnt sei wegen ihrer Folgen fur die Bo- ser/Grundwasser mischbar sind. Bei dieser denreinigung auch die hervorragende Los- chemischen Reinigung mit unpolaren Lolichkeit von u. a. Alkali- und Erdalkalinit- sungsmitteln handelt es sich wiederum um raten in fliissigem NH3I7j, die ein Eutro- einen einfachen Losungsvorgang ohne Rephierungspotenzial bzw. eine kiinftige aktionsmechanismus; man nutzt - gemalS dem alten Prinzip ,,simila similibus solvuntur" (Ahnliches wird vom Ahnlichen ge171 Gesattigte aliphatische Kohlenwasserstoffe und Ether lost) - die Fahigkeit von Kohlenwasserstoflosen sich allerdings kaum; Aromaten, Amine, Alkofen, andere Kohlenwasserstoffe zu losen. hole, Phenole und Ester hingegen sind sehr gut loslich bzw. in beliebigem Verhaltnis mischbar (WAOOINGTON Die Selektivitat der Reinigungsprozedur re1972). sultiert also aus der Auswahl des Liisungs172 Dies gilt allerdings nicht fur alle potenziell Boden belasmittels; es werden 0 1 - oder Teerriickstande tenden Schwermetalle: Cu, Ni. Ag bilden sehr stabile Arnminkomplexe, Pb oder Cd nicht. gelost. Kohlenwasserstoffe haben den 173 NaNO, 976 g/kg (1 1,5 M). KNO, 104 g/kg (1,03M). Nachteil, sich nicht mit dem Grundwasser Ba(NO,), 972,2 glkg (3,7 M), AgNO, 860,4 glkg zu mischen: anstelle der notwendigen Be(5,l M; Komplexbildung!) usw. (WADOINGTON 1972).
206
Bodenwasche 4.4
netzung feuchter Bodenpartikel kann es auch bei intensiven Ruhrvorgangen zur Abtrennung diskreter Phasen und damit unvollstandiger Reinigung kommen. 4.4.2.4 Extraktion metallhaltiger Fraktionen mithilfe von Komplexbildnern
Schwer Iosliche Metallverbindungen brauchen nicht in jedem Falle mobilisiert zu werden, konnen aber nicht in einem Boden verbleiben, wenn die Bevolkerung z. 8. durch Staubverwehung und Inhalation gefahrdet sein konnte oder geochemische Prozesse nach einer Luftexposition schwer losliche Formen, etwa Sulfide, in leichter losliche (hier: Sulfate) uberfuhren und diese mit Sickerwassern oder in die Vorflut ausgetragen werden konnen. Als Chelatliganden konnen biologisch gut abbaubare Stoffe wie Zitronensaure eingesetzt werden. Andere denkbare Komplexbildner wie Polyphosphorsaure uberdiingen den Boden dagegen. Aus der Extraktionslosung, d. h. den Citratokomplexen werden Metalle wie Pb oder Cu elektrochemisch (Kathode) oder durch Zementation abgeschieden. 4.4.2.5 Oxidative Bodenwasche: Abbau organischer Kontaminanten mit Reagenzien wie Wasserstoffperoxid
Diese dem ,,Bleichen“ der W a ~ c h e ”ent~ sprechende Methode beruht darauf, insbesondere ungesiittigte Verbindungen zu oxygenieren und in hydrolytisch und mikrobiell leichter abbaubare Folgeprodukte zu uberfuhren bzw. sie vollstandig zu Kohlendioxid, Wasser und Folgeprodukten der Heteroatome wie N, S, CI zu oxidieren. Da fast alle Boden nennenswerte Mengen Eisen enthalten, in staunassen Zonen meist
174 Auch im Textilbereich wird seit langem Wasserstoffperoxid verwendet; das so genannte Perborat, dem Persil seinen Namen verdankt (PehoratlSlkat) ist ein einfaches Natriumborat (Borax) mit Wasserstoffperoxtd als Kristallsolvat.
als Fe(II), ist bei Anwendung von Wasserstoffperoxid auch mit dem Eintreten der Fenton-Reaktion zu rechnen. Diese ist zwar recht effektiv auch in der Oxidation organischer Xenobiotika, doch stehen diese in einem Realboden in Konkurrenz zur organischen Bodensubstanz selbst, die ihrerseits vielfach leicht oxidierbare Komponenten wie Polyphenole enthalt. Nur ein (u. U. kleiner) Teil des eingebrachten Oxidationsmittels wird dann also die Fremdsubstanz zerstoren, der Hauptteil - was im Hinblick auf die ErhaltungNViederherstellung der in Tabelle 11 diskutierten Bodenfunktionen nicht erwunscht sein kann hingegen den Boden selbst oxidieren. Das Gleiche gilt - wenn auch ggf. mit abweichender Selektivitat und Reaktionskinetik - fur andere Oxidationsmittel wie Permanganat. Im Falle von Wasserstoffperoxid sinkt die Ausbeute dadurch weiter, dass Fe und M n in Boden dessen Disproportionierung zu Wasser und Sauerstoff katalysieren. Reduktive Bindungsmethoden haben in dieser Hinsicht eine hiihere Selektivitat, leider aber auch dahin gehend, dass sie zahlreiche Schadstoffklassen gar nicht urnsetzen. 4.4.2.6 Enzymatische/biotechnologische Reinigungsvorgange und ,,natural attenuation”
Enzyme in Waschmitteln haben die Funktion, (hauptsachlich durch Hydrolysereaktionen) schwer losliche biogene Flecken wie Fett, Protein oder Blut leichter Wasserloslich zu machen. Die genannten Stoffe auger Blut - entsprechen weitgehend den Substraten der Bodenbildung selbst; hier ware kein menschliches Eingreifen notig. Dies andert sich wenn Stoffe im Boden anwesend sind, die sich der normalen Pedogenese entziehen, auch wenn sie bestimmte geochemische und geobiochemische Umsetzungen erfahren, etwa Mineraliilkohlenwasserstoffe. Enzyme geeigneter Bodenorganismen bzw. diese selbst erlauben hier
207
4.4 Bodenwasche
dennoch einen Abbau. Von besonderem Interesse sind hier Pilzmyzelien, Hefen und bestimmte Anaerobier. Diese vermogen z. T. fossile Energietrager in Protein zu verwandeln, das dann als Nahrstoff von Bodenorganismen in die Bodenbildung eingeht.
In der Praxis ist es allerdings schwierig, reine Zuchtlinien der genannten Organismen mit langfristiger Wirkung aufhn einem belasteten Boden anzusiedeln. Die eingebrachten Schadstoffe iiben vielrnehr in aller Regel einen Selektions- oder zumindest Adaptionsdruck auf die Bodenbiota wie auf extern zugefiihrte Lebewesen aus. Unter diesem Selektionsdruck werden Organismen dominieren - o b Bakterien, Pilze, hohere Pflanzen oder Angehorige unterschiedlicher Tierstamme (Insekten, Oligochaeten, Nematoden u.a.) - die, wo nicht dazu im Stande, diese Substanzen als Nahrstoffe zu nutzen, sie zumindest fur ~ i c h " entgiften ~ konnen (,,natural attenuation" = natiirliche Verdiinnung). Dies setzt voraus, dass Stoffwechselprozesse bestehen oder durch genetische Induktion ,,abgerufen" werden konnen, die die Schadstoffe zumindest chemisch modifizieren. Die solcher Art selektierte Bodenbiota verandert also die Zusammensetzung der Xenobiotika, und mit fortschreitender Zeit ist eine bessere Adaption auch (oder gerade) ohne externes Beimpfen zu erwarten. Diese Strategie der (letztlich darwinistisch inspirierten) Nutzung Boden eigener Ressourcen wird daher mitunter (leicht spottisch) als ,,intelligentes Nichtstun" bezeichnet; von wirklichem Nichtstun unterscheidet sie sich dadurch, dass die Lebensbedingungen der Mikroben, Pilze, Regenwurmer etc. auf kornetabolischem Wege, d. h. durch Zugabe weiterer Nahrstoffe, verbessert werden (konnen). Dies geschieht durch Einarbeiten z. B. von Pflanzensubstanz wie Heu o. a. Ernteabfal175 Die Toxizitat der Metaboliten fur andere Organismen
kann hingegen drastisch ansteigen, etwa die gegenuber Wirbeltieren bei den meisten Biomethylierungen
208
len in den zu reinigenden Boden. Ein Sonderfall der Haldenlaugung (Schwermetallextraktion ohne Auskoffern des Bodens) besteht im Einsatz chemolithoautotropher Bakterien wie Thiohacillus ferrooxidans, die etwa durch Sulfidoxidation Saure produzieren und so Schwerrnetalle aus dem Boden laugen. Dies stellt allerdings eine schwer wiegende Veranderung der Geochemie und damit beschriebener Bodenparameter dar. 4.4.2.7 Kontrollierte Sorption in Zeolithen und Tonmineralien Zeolithe fungieren als Ionenaustauscher, sind aber mit denselben ,,Hohlraumen" im Kristallgitter auch in der Lage, kleinere Molekule zu binden. Tonmineralien fungieren ebenfalls sowohl als Sorbentien wie auch als Ionenaustauscher. Sie werden als Aufschlammung rings um die Schadensstelle in den Boden verpresst (Drucklanzen). Es handelt sich hier nicht um einen Abbau sondern einzig um eine Immobilisierung der Schadstoffe. Die Adsorption kann danach auch einen biologischen Abbau beeinflussen. Andere Sorbentien wie Braunkohle spielen nur lokal eine Rolle und werden nicht gezielt als Schadstoffbarriere eingebracht, auch wenn es einschlagige Versuche mit Aschen-(insbesondere Braunkoh1enasche)horizonten in Kippenboden gegeben hat; Ziel war hier, auslaugbare Schwermetallionen und Organika nicht aus dem geochemisch stark gestorten und daher hoch aktiven Kippenrnaterial heraus gelangen zu lassen. 4.4.2.8 Aufarbeitung der belasteten Waschlauge Die schadstoffbefrachtete Waschlauge stellt ihrerseits einen Problemabfall dar; sie kann aber z. B. durch inverse Osmose aufkonzentriert werden. Danach folgen die z. B. elektrochemische Abscheidung von Schwerrnetallen wie Blei oder Kupfer bzw. der bakterielle Abbau der organischen
Bodenwasche 4.4
Stoffe oder deren Verbrennung. Bei geeigneter Auswahl erstreckt die Biodegradation sich auch auf die Tenside. Besonders leicht erfolgt sie bei den nichtionischen Tensiden auf Polyethylenglykolbasis, die auch bei der Erdolforderung angewandt werden und die Forderrate von sonst hochstens 25-30 Yo des Olinventars einer Lagerstatte auf 60-70 YO zu steigern erlaubt haben. Ionische Tenside, falls es sich nicht um einfache Carbonsaureanionen handelt, sind bedeutend schwerer abbaubar; Carboxylate andererseits eignen sich kaum fur die Bodenextraktion, da sie mit den im Boden sehr haufigen Erdalkalien Mg und Ca (sowie Sr, Ba) schwer losliche Salze bilden (,,Kalkseifen" 4.4.2.9 Nebenwirkungen und -reamionen: Zerstorung der Bodenhorizontschichtungund dadurch bedingter chemischer Gradienten
Druckabhangige Verfahren miissen ex-situ durchgefiihrt werden. Das Problem jeder ex-situ durchgefuhrten Bodenwasche besteht darin, dass sie die Bodenstruktur zerstort; die Bodenschichtung mit ihren chemischen Gradienten wird aufgelost. Zwar ist der Boden danach gereinigt, aber das Passageverhalten von redoxaktiven Schwermetallen oder von beliebigen anorganischen oder organischen Spezies, die im Boden typischen pH-Bereichsintervall Protolyse zeigen, d. h. als Sauren oder Basen fungieren, hat sich wesentlich verandert, auch wenn der Boden nach der Wasche an seinen alten Standort zuriickgebracht wurde. Die Porositat hat in aller Regel zugenommen, und pH- sowie Redoxgradienten fehlen einstweilen und meist fur die nachsten Jahrzehnte. Stoffe, die durch Protolyse oder 176 Solche Mg- und Ca-Carboxylate sind die breiig-kristallinen Niederschlage, die beim Waschen mit gewohnlicher Seife in hartem Wasser im Waschbecken zuruckbleiben.
Redoxprozesse/Redoxfallung normalerweise zwischen zwei Bodenhorizonten von der weiteren Passage ins Grundwasser ausgeschlossen oder darin zumindest gehemmt wiirden, ,,fallen" nun kaum gehemmt durch den gereinigten Boden. Die gesteigerte Fliissigkeitsdurchlassigkeit und/sowie Aufhebung als interne Barriere fungierender chemischer Gradienten wird in ihren Folgen gemindert, indem man die Bodenwasche in-situ durchfiihrt. Hierzu kann das Waschdetergens oberflachlich aufgebracht oder mit Drucklanzen in der Belastungszone verpresst werden, um die Schadstoff beladene Losung nach Passage des betroffenen Bodenvolumens passiv mit Schluckbrunnen oder Dranagegraben oder aktiv durch elektrokinetisches Pumpen wieder aus dem Boden herauszufiihren; oberflachliche Aufbringung entspricht einer Haldenlaugungstechnik. Zunehmend kritisch werden Versuche einer Bodenwasche an Meereskiisten nach Tankerunfallen oder Schaden an off-shoreOlfordereinrichtungen beurteilt; die notwendiger Weise mit dem Waschvorgang verbundene Dispergierung des 01s fiihrt d a m , dass die ausgepragt Wirbeltier toxischen PAKs in weit hoherer Konzentration in das Wasser gelangen und so sekundare Umweltschaden setzen. Zudem unterliegen sie in dieser gelosten Form oberflachennaher Photooxidation, die sie haufig in weit starker toxische Stoffe uberfiihrt. Daher wird die Boden- respektive Kustensandwasche meist durch das einfache Abtragen ersetzt. Dies schlieRt eine spatere Reinigung ex-situ, gefolgt von einem Wieder-Vorspiilen des Sandes, freilich nicht aus.
4.4.3 Praxisbeispiel Die klassische Bodenwasche kann zwar nur ex-situ aber auch ohne Transportaufwand mithilfe mobiler Anlagen, wie sie Abb. 29 zeigt, durchgefiihrt werden. Gro-
209
4.4 Bodenwasche
fiere Bodenwaschanlagen sind stationar, das Reinigungsgut wird dorthin transportiert, behandelt und (haufig) zum Entnahmeort zuruckgebracht, um dort als Kippenboden zu fungieren. Je nach Ausmag der Extraktion fur die Bodenfunktion wichtiger Substanzen werden davor noch Humus oder andere Komponenten zugesetzt, um eine Neubesiedlung durch Bodenorganismen sowie hiihere Pflanzen zu beschleunigen. Die meisten publizierten Fallstudien zur Bodenwasche beziehen sich auf nur zwei Stoffklassen, namlich Schwermetalle - mit einem deutlichen Fokus auf Blei - und PAKs his hin zu Teerkomponenten. Die Erfahrungen bei der Schwermetailextraktion entsprechen denen bei der geochemischen Bodenanalyse: unterschiedliche Waschlosungen, namentlich solche, die mit Komplexbildnern oder Sauren beladen sind, extrahieren verschiedene Fraktionen der Schwermetalle (“citratliisliches Eisen” ). In der Technik spielt die Entfernung von Mineraliilen, ihren Destillations- oder Zersetzungsprodukten die griiflte Rolle. Dabei werden meist die auch zur Auflosung von schwerem, viskosem 01 in der Olfiirdertechnik dienenden nicht ionischen Tenside verwendet. Eine sehr grot3e Bodenreinigungsanlage betreibt die Fa. Eberhard Recycling in Kloten nahe Zurich (Schweiz). Die eigentliche Wasche, die das Problem der Handhabung und Behandlung hoch belasteter Folgewasser nach sich zieht, ist erst der zweite Schritt der Reinigung. Der erste besteht in Methoden, die auf eine Anwendung von 1,iisungsmitteln verzichten, wie Windsichten u. 3 . gravitativen Trennverfahren. Mit einer solchen zweistufigen Bodenwasche behandelbare Belastungen kiinnen ganz unterschiedlicher Natur sein: aliphatische iind polyzyklisch-aromatische Kohlenwasserstoffe, Schwermetalle wie Cu, Zn, Pb, Cd, Cr, Hg, Co, Ni, Sn, Pestizide, Organohalogenverbindungen, wie sie friiher hau210
fig als Losungsmittel verwendet wurden, u. a. PCBs, weiter Phenole und toxische anionische anorganische Spezies wie Cyanide oder Arsenverbindungen.
4.4.4 Fazit Die Bodenwasche stellt ein recht stark eingreifendes Verfahren dar; sie ist aber in vielen Fallen notwendig, um die Folgen uber Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte auRerst sorglosen Umgangs mit dem Boden bzw. seines Missbrauchs als Abfall- und Chemikaliensenke so weit einzugrenzen, dass in den dicht bevolkerten Staaten Mitteleuropas die uns subjektiv (beinahe noch) selbstverstandlich erscheinende diversifizierte Landnutzung auch f u r Wohn- und Erholungszwecke weithin moglich bleibt. Bei gezieltem Vorgehen lassen sich auch extreme Altlastenstandorte wie im Leipziger Sudraum, wo der Boden u.a. mit den Schwelruckstanden der Carbochemie belastet ist, in einen Zustand versetzen, der sicheres Wohnen erlaubt. Derzeit ist aber eindeutig die ausstehende Flachen deckende Prospektion der Altlastenvielfalt der limitierende Faktor. Eine Vielfalt an unterschiedliche geochemische und belastungschemische Gegebenheiten sowie Landnutzungsziele adaptierter Methoden ist vorhanden, kann aber erst nach Abschluss dieser Prospektionen wirkungsvoll eingesetzt werden.
Metadatenbanken und GIS 4.5
4.5 Metadatenbanken und GIS als technische Unterstutzung der stofflichen Expositions- und Wirkungsanalyse in der Umweltbeobachtung WINI-RIkD SCHRODFR, GUNTHEK s
Hochschule Vechta Die vorliegende Fallstudie unterscheidet sich insofern von den ubrigen, als dass in ihrem Zentrurn weder ein Verfahren - wie die Bodenwasche - noch ein Schadstoff oder dessen Vorstufe - wie bei EDTA oder CO, - steht, sondern die Methodik der Erfassung des Umweltzustands. Diese Erfassung und Beschreibung erstreckt sich bis zur Identifikation geochernischer Prozesse, die z. B. als Folge einer Belastung mit Saurebildnern eintreten und zur Verlagerung potenziell toxischer Substanzen in andere Urnweltkornpartimente fuhren. Dies alles sind raurnliche oder Raum bezogene Prozesse, die uber chemische Reaktionen Verbindungen zwischen den Urnweltkompartimenten schaffen oder verandern. Diese Raurn bezogenen Prozesse gilt es in einer Weise zu beschreiben, dass Wirkungsschwerpunkte und Handlungsoptionen definiert werden konnen. Dafiir gibt es keine chemisch-technischen, wohl aber rnathernatische Verfahren.
177 Stark gekurzte, kommentierte und strukturell den ubrigen Fallstudien nachgestaltete Fassung, von Herrn autorisiert am 03.03.05. Prof. W. SCHRODER
4.5.1 Problemstellung 4.5.1.1 Raumliche Differenzierung bedingt umweltchemische Effekte und erschwert ihre Analyse Bei der Analyse von Urnweltprozessen ist die Feststellung raumlicher Beziehungen zwischen dern Eintrag von Schadstoffen, ihrem Transport zwischen den Umweltkompartimenten und manifesten Schaden an Biornasse (Fische, Wald) notwendig. Neben Veranderungen umweltchemischer KenngroISen miissen im Rahmen der Urnweltbeobachtung auch Kausalzusarnrnenhange untersucht bzw. getestet werden. Beispiel: Der Eintrag eines Schadstoffs in Luft oder Vorflut verandert den Bodenzustand, und von hier aus konnen Schadstoffe und Sekundarprodukte in die Vorflut - zunachst lokale kleine FlieiSgewasser - gelangen (WIKKE und WILKF. 2004). Diese Vorgange hangen auch von der Landnutzung ah, weil Pflanzen ihre Umgebung sowie aufgenommene Substanzen chemisch verandern konnen (Saurebildung in Nadelstreu etc.). Die so zu erarbeitende Verknupfung zwischen Umweltpararnetern - differenziert nach Urnweltkompartimenten -, raumlichen Gegebenheiten und Transportprozessen, Landnutzung, Topografie und Verteilung von Stoffen wie Schwefel- und Stickstoffoxiden, luftbiirtigen Schwermetallen usw. ist schliefllich in Karten zusamrnenzufassen. Ahnlich wie in den anderen Fallstudien chemische Prinzipien/Reaktionsmechanisrnen - soweit nicht bereits an anderer Stelle diskutiert - behandelt werden, geht auch hier der beispielhaften Diskussion einiger in Baden-Wurttemberg gewonnener Ergebnisse, die die drei Umweltkornpartimente Atmosphare, Boden und Grundwasser und deren Belastung ubergreifen und in Beziehung setZen, die Diskussion der Methode voraus (4.5.2).An die Stelle von Chemikalien und physikalischen Effekten bei den ubrigen 21 1
4.5 Metadatenbanken und GIS
Fallstudien treten hier - wichtig fur die handlungsleitende Umweltbeobachtung allgemein - Messdaten, welche dann in Beziehung zueinander gesetzt werden: Wie sonst Stoffe ,,reagieren" hier Daten miteinander, und die Prozessinformation, die dabei erhalten wird, bildet chemische und biochemische Effekte von Schadstoffen ah. 4.5.1.2 Historische Entwicklung und offene Probleme: mangelnde Koordination und Datenkoharenz
Nach Modellvorhaben zur Okologischen Umweltbeobachtung in den 1990er-Jahren wie beispielsweise dem Projekt ,,Okologisch orientierte Planung auf der Grundlage regionalisierender Umweltbeobachtung" ( FKANZI t. et al. 1992) wurde die Umweltbeobachtung 2003 in S 12 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG)als Aufgabe von Bund und Landern geregelt. Dem Ziel flachendeckender Gultigkeit steht die Differenzierung der Monitoringnetze nach Zustandigkeiten und Okosystemkompartimenten entgegen. Die Umweltbeobachtung wird iiberwiegend von den einzelnen Bundeslandern und in ihnen von mehreren Behorden oft ohne gegenseitige Abstimmung geplant, betrieben und ausgewertet. Die Messnetze entstanden nicht aus einem ubergreifenden okotoxikologischen Konzept, sondern einfach in der zeitlichen Abfolge der Reaktion der Okosystemkompartimente auf anthropogene Belastungen und ihrer Wahrnehmung in Gesellschaft und Politik: Zunachst bemerkte man Veranderungen der Luft in den Stadten, die dann zum Gegenstand der Luftqualitatsuberwachung wurden. Die stoffliche Belastung der Fliisse und Seen zog das Gewassermonitoring nach sich. Nachdem schlieRlich die Waldschaden als Problem erkannt und u.a. auf die Bodenversauerung zuruckgefuhrt wurden, entstanden das Bodenmonitoring sowie zunehmend auch das okologische Wirkungsmonitoring. 212
Zur Ermittlung der geographischen Fehlstellen in der Umweltdatenerhebung dient eine rnulti~ariat~~~-statistische Raurngliederung, und die flachendeckende Gultigkeit der Umweltbeobachtungsdaten wird mit geostatistischen Verfahren untersucht. Raumgliederung und geostatistische Verfahren werden wie die Metadatenbank mit einem CIS fur integrative Analysen verkniipft.
4.5.2 Methodik und Losungsansatz 4.5.2.1 Gliederung der einschlagigen Umweltwissenschaften, Art und Gewinnung der Basisdaten
Zunachst sei erlautert, welche Teilgebiete der Umweltwissenschaften in die Gewinnung der Basisdaten einfliei3en. Die Integration der anhand von Metadaten (Abschn. 4.5.2.3) u. a. hinsichtlich der Erhebungsmethoden beschriebenen Basisdaten erlaubt dann die so genannte medienubergreifende Umweltbeobachtung, a u s der geografisch aufgeschlusselte komplexe Informationen gewonnen werden konnen. Die einzelnen Zweige der Umweltwissenschaften tragen seit etwa 15 Jahren hierzu jeweils wichtige Teile bei: Die Umweltchemie beschreibt, erklart und prognostiziert das Verhalten von Stoffen in Boden, Wasser und Luft. Umwelttoxikologie und Okotoxikologie erforschen die stofflichen Wirkungen, die bei Menschen bzw. be; Okosystemen oder einzelnen Tierund Pflanzenarten auftreten oder zu erwarten sind (KI.EIN und DEW$1997; SLHUTTMANN und AUKAND 1997). Die Okotoxikologie als jungste der drei genannten Disziplinen (der Begriff wurde erst wahrend der 178 Multivariat unter gleichzeitiger oder sequenzieller Einbeziehung mehrerer Variabler, also uber lineare Regression hinausgehend
Metadatenbanken und GIS 4.5
1970er-Jahre gepragt) bedarf der Einbettung in ein Urnweltinforrnationssystern rnit folgenden drei aufeinander bezogenen Kornponenten:
1. Okosysternforschung zur Analyse von Okosysternfunktionen und -strukturen, 2. Urnweltprobenbank fur retrospektives Monitoring, Trendbeobachtungen und Sicherung von Referenzproben sowie 3 . Okologische Urnweltbeobachtung. Diese sollte die raurnliche Verteilung von okotoxikologisch relevanten Noxen (Stoffe, Strahlen etc.) rnessen (Expositionsrnonitoring), den Zustand von Okosysternen erfassen (Wirkungsrnonitoring) sowie auch diejenigen Randbedingungen berucksichtigen, welche wie z. B. Klirna und Boden die Verteilung und Wirkung der Noxen beeinflussen (Faktorenkataster) (ELLENBERG et al. 1978). Die gernessenen bzw. geschatzten Daten uber die Umweltkonzentration von Stoffen (Predicted Environmental Concentration, PEC) sind fur eine Risikobewertung rnit okotoxikologischen Wirkungsdaten (Predicted N o Effect Concentration, PNEC) zu verkniipfen (FRANZLE et al. 1995). Vor dieser Verknupfung werden Flachen bezogene Informationen (Messwerte) kurnuliert. Die Basisdaten entstamrnen den Urnweltwissenschaften wie oben. Die heute ohnehin fast irnrner digital erstellten und vorliegenden Kartenwerke lassen sich dann untereinander uberlagern, soweit sie dieselbe Flache betreffen: Hierdurch werden Inforrnationen uber Wechselwirkungen, Transport- und Urnwandlungsvorgange von Stoffen erzeugt. Da einer digitalen Karte nurnerische oder in Zahlen kodierbare (Bodentyp B, bewachsen rnit Pflanzenart C ) Informationen (fur einen Punkt A: x rn iiber N N gelegen, y mg/m2*a Nitrateintrag, Bodenlosungs-pH = z usw.) zu Grunde liegen, ist sie hierfur optimal geeignet:
- Zwischen numerischen Daten konnen statistische Korrelationen erstellt werden, auch wenn sie unterschiedlichen Merkrnalskategorien entstamrnen. Diese Korrelationen liefern weitere Inforrnationen bzw. erlauben die Uberpriifung von Hypothesen, hier etwa irn Kontext der neuartigen Waldschaden (welcher Faktor bewirkt was?) - Nuinerische Daten konnen in fast beliebiger Menge automatisiert, rnithilfe von Cornputern, verarbeitet und bildlich - in Merakarten - dargestellt werden. Die nurnerische Datenstruktur und -haltung kornrnt darnit neuzeitlichen Inforrnations- und Wissenschaftsstrukturen entgegen. Das gesarnte Verfahren heist Kartenuberlagerung rnithilfe geografischer Inforrnationssysterne (GIs). Die irn Titel dieser Fallstudie erwahnten Metadatenbanken sind ein zentrales Hilfsmittel der praktischen Realisierung.
Irn Einzehen lassen sich (in unseren Praxisbeispielen) z. B. folgende Prozesse nachzeichnen oder iiberprufen:
SO,, *NO, und partikularen Schwerrnetallen, - Mobilisierung von A13+ in Bodenwasser und Vorflut als Folge von Saureeintragen, - biologische Veranderungen (Laub- und Nadelbaurne sowie die Bachforelle als Bioindikatoren) in Folge der beiden oben genannten Effekte sowie jeweils - zeitliche Veranderungen irn Untersuchungsgebiet. - Eintrage von
Von der Datenerhebung uber deren ,,Verwaltung" his hin zum Kartenwerk sind folgende Schritte zu durchlaufen:
1. Erarbeitung einer landschaftsokologisch fundierten Raurngliederung, 2. Erhebung von Metadaten uber Umweltrnessnetze und deren Analyse,
213
4.5 Metadatenbanken und GIS
3 . Priifung der Messstellen und Daten hinsichtlich Suffizienz, Effizienz und Landschaftsreprasentanz sowie 4. geostatistische Messdatenanalyse (z. B. durch Kriging). Diese sollen nachfolgend diskutiert werden. Ein wichtiges Ziel ist dabei, sinnvoll z u interpolieren, d. h. die mehr oder rninder weitmaschigen Netze der Probenentnahmestellen in formal befriedigender Weise miteinander zu verkniipfen, so dass ein verlasslich realistisches Gesarntbild des Umweltzustands resultiert. Die Zulassigkeit einer solchen raumlichen Interpolation f u r den gegebenen Einzelfall (ein begrenztes flachenhaftes Untersuchungsgebiet) wird irn vierten Schritt, der Messdate n a n a 1y se, an h a nd de r A u to k o r rela t ion gepruft. 4.5.2.2 Landschaftsokologische Raumgliederung I
'
Urnweltbeobachtung ohne ,,geographische Fehlstellen" (Abschn. 4.5.1.2) meint, dass die Umweltbeobachtungsmessnetze die riiumliche Struktur von wichtigen, zu Landschaftseinheiten aggregierten physisch-geographischen Merkrnalen terrestrischer Okosysteme flachenreprasentativ abdecken. Das gilt auf allen raumlichen Skalen bis hin zum Iadschaftsmarjstab. Landschaftsstrukturen bilden als Komplexindikatoren stoffliche und energetische Randbedingungen ab, unter denen Okosysterne funktionieren. Deshalb sollten die raumliche Struktur von Umweltrnessnetzen an den Landschaftsstrukturen orientiert und die Daten der Umweltbeobachtung mit den landschaftsiikologischen Rasisdaten verkniipft werden. Fur diese beiden Aspekte wird eine aus flachendeckenden Daten zu riiumlichen Strukturen landschaftsokologischer Merkmale statistisch abgeleitete Raumgliederung beniitigt, die in einem GIS mit Messdaten und dazu gehtirenden Metadaten verkniipft werden kann. 214
Die Berechnungen zur landschaftsiikologischen Raumgliederung erfolgen mit dem Cart-Modul 1 Classification and Regression Trees (Cart) (BRHMANN et a]. 1984)l des Statistik-Prograrnms SplusIhf.Jede der (im Beispielfalle 48) Eingangskarten wird als ArcInfo""-Grid mit einer Aufliisung von 1 x 1 km (flachentreue Albers-Projektion) im GIs verwaltet. Das iikologische Standortpotenzial korrespondiert mit einer potenziell naturlichen Vegetation (PnV), nach Mal3gabe der Klimaelemente Niederschlag, Globalstrahlung, Lufttemperatur und Verdunstung sowie orographischer Hiihe und Bodenarten, die digital rniteinander verkniipft werden. In Bezug auf die 48 iikologischen Eigcnschaften ihnliche Raumeinheiten werden zii landschaftsiikologischen Klassen zusarnmengefasst und als Raumklassen kartografisch abgebildet (Abb. 61). Die iikologische Raumgliederung dicnt zur Analyse, Planung und Optimierung von Umweltmessnetzen. Eine Verschneidung der Raumklassen mit den Messnetzgeoriietrien zeigt die 1,andschaftsreprasentanz v o n Umweltmessnetzen und ggf. vorhandene geographische Lucken. Die als raumliche Stichprobe erhobenen Messdaten werden geostatistisch zu Flachendaten transformiert und als solche mit der Raunigliederung fur eine landschaftsiikologisch differenzierte Auswertung verknupft. Die statistische Beschreibung der iikologischen Eigenschaften der Raurnklassen unterstutzt die Interpretation von Daten iibcr die Umweltkonzentration (PEC-Daten) von Stoffen. So werden u. a. die Messdaten der Umweltbeobachtung und die daraus geostatistisch geschatzten Flachendaten im (;IS mit denjenigen Gebieten der landschaftsiikologischen Raumklassen verkniipft, in denen die Schwermetallbindungsfahigkeit in den Biiden gering und die Wahrscheinlichkeit ihres Ubertritts in das Grundwasser hoch ist. Diese Abschatzung lasst sich anhand der Messungen einschlagiger Umweltbeobachtungsnetze empirisch validieren, wobei
Metadatenbanken und GIS 4.5
Abb. 61: Okologische Raumgliederung Baden-Wiirttembergs (20 Klassen).
deren Identifizierung und Lokalisierung mit der an das GIs gekoppelten Metadatenbank erfolgt.
I
4.5.2.3 Erhebung und Analyse von Metadaten uber Umweltmessnetze in Baden-Wurttemberg
Fur die statistische Analyse der in GIS gefiihrten Daten sowie ihre okologische Interpretation ist die Beantwortung u. a. folgender Fragen wichtig: 215
4.5 Metadatenbanken und GIS
- Wo werden die Daten erhoben? - Welche Zielsetzung hat die Daten-
erhebung? - Welche Messgrogen werden erfasst? - Mit welchen Methoden erfolgt die
Datenerfassung ? Wie wird die Qualitat der Daten besc hr ie ben ? - W o werden die Daten gehalten, und in welcher Form sind sie verfiigbar? -
Urn diese Fragen beantworten zu konnen, benotigt man Daten iiber die Umweltdatenerhebung. Solche Daten iiber Messdaten heiflen Metadaten. Weil der Urnweltdatenkatalog der Lander (UDK) zuwenig differenziert fur eine iiberprufbar koharente, medienubergreifende und flachendeckende Beschreibung des Urnweltzustands ist, wurden die UDK-Inhalte durch eine bis auf jede einzelne Messstelle ausdifferenzierte Metadatenerhebung (Allgemeine Angaben, Boden, Wasser, Luft und Bioindikation) zu rund 800 Fragen in enger Abstimrnung rnit Bundesfachbehorden und der Landesanstalt fur Umweltschutz (LfU) erganzt (SCHRODER et al. 2002; SCHRODER und SCHMIDT2003). Ferner lasst sich priifen, ob sich die Messdaten nach fachlichen und statistischen Kriterien zu einer umfassenden okologischen Analyse und Bewertung des Umweltzustands zusamrnenfiihren lassen. Schliefllich sollen die erhobenen Messnetz-Metadaten rnit dem Kerndatensatz der okosystemaren Urnweltbeobachtung (KDS) (BAYSTMLUund UBA 2003) abgeglichen werden. Die Metadaten werden in eine dbase-Datenbank transforrniert, die mit dem Geographischen Informationssystern verkniipft werden kann und sowohl raumliche Abfragen als auch SchlagwortRecherchen errnoglicht. Umweltdatenerhebungen auf Bodendauerbeobachtungsflachen (BDF) werden in der Metadatenbank u. a. durch folgende Kategorien beschrieben:
1. Kriterien und Datengrundlage der Standortauswahl, 2. Reprasentanzkriterien sowie Sonderstandorte, 3 . Datengrundlagen und Operationalisierung der Reprasentanzkriterien, 4. Bedeutung regionaler Verwaltungseinheiten und bestehender Messnetze, 5. langfristige Verfugbarkeit und gleichbleibende Nutzung, 6. Groge, Form und Abgrenzung der Flachen, 7. bodenkundliche Kartierungen, 8. Kennzeichnung der BDF-Standorte vor Ort, 9. Standort- und Profilbeschreibung, 10. Schlagdatei, Bewirtschaftungsmaflnahmen, Standort- und Bestandsdaten fur forstlich genutzte BDF, 11. Methodik der Beprobung, horizontale und vertikale Anordnung der Probenentnahmen, 12. bodenphysikalische und -chernische Messgrogen, 13. Anorganische und organische Stoffe, Radionuklide, 14. Bodenrnikrobiologie und Bodenzoologie, 15. Analysenverfahren und Beprobungsintervalle (Ersterfassung,Wiederholung), 16. Eintrags- und Austragsrnessungen, 17. Vegetationsaufnahme, 18. Untersuchung zur Wasser- und Winderosion sowie zur Deposition, 19. Diingereintrage und Pflanzeninhaltsstoffe, 20. Bodenwasser und schliefilich - auf der Ebene der Datenhaltung und -gewinnung 21. Qualitatskontrolle / Qualitatssicherung, Beriicksichtigung von Richtlinien zur Qualitatskontrolle bei Probenentnahrneund Probenaufbereitung, Daten- und Probenarchivierung, Lagerung der Proben, Digitale Archivierung und Auswertung der Daten. Die Analyse der BDF-Metadaten ergab: Die naturraumliche Gliederung nach MEY-
216
Metadatenbanken und GIS 4.5
et al. (1953, 1962) sowie die Bodenubersichtskarte im Magstab 1 : 200.000 (BUK 200) waren maggeblich bei der Ausweisung der Bodendauerbeobachtungsflachen, ohne Auswahl nach Verwaltungseinheiten. Die langfristige Verfiigbarkeit und gleich bleibende Nutzung spielten bei der Ausweisung der BDF auch eine Rolle. Fur Standorte des Intensivmessnetzes war eine immissionsnahe Lage entscheidend. NEN
Die BDF sind in ein Grundmessnetz und ein Intensivmessnetz gegliedert. Das Grundund das Basismessnetz umfassen jeweils sowohl Waldstandorte als auch Acker- und Grunlandflachen. Die Reduzierung der BDF konnte sich auf die Landschaftsreprasentanz auswirken. Weitere Bodenuntersuchungen auf Wald- und Grunlanddauerbeobachtungsflachen dienen nicht der landesweiten Bodendauerbeobachtung, sondern der abiotischen Charakterisierung der Standorte (Fragenkomplex WaldKategorie Bioindikation). Die eigentliche Dauerbeobachtung erfolgt dort durch biotische Untersuchungen an Bodenlebewesen als Reaktions- und Akkumulationsindikatoren (Kategorie Bioindikation). Ferner betreibt das LfU-Referat GrundwasserBaggerseen ein Messnetz zur quantitativen Erfassung des Bodenwasserstroms (Kategorie Wasser). Unter den im KDS als obligatorisch eingestuften Messgrogen zur Deposition fehlen Gesamt-Stickstoff bzw. Gesamt-Phosphor. Die umweltrelevanten Schwermetalle werden komplett in der Deposition an den Standorten der Intensivmessstellen bestimmt. Blatt- bzw. Nadelanalysen sowie Untersuchungen zu Inhaltsstoffen in Erntepflanzen werden routinemagig nicht durchgefiihrt. Die Bodenlosung und deren Inhaltsstoffe (fast alle Vorschlage des KDS) werden ebenfalls an vier Standorten des Intensivmessnetzes erfasst. Organische und anorganische Schadstoffe werden in der Bodenlosung ebenso untersucht wie wichtige
Nahrstoffe auger Phosphor. Eisen, Mangan und Aluminium finden keine Beriicksichtigung bei der Analyse. Erganzende Informationen uber die Zusammensetzung der Vegetation werden nicht erhoben. Landesinterne Ringversuche sichern die Qualitat der Probenanalysen. Die luftgetrockneten Riickstellproben werden in einer Bodenprobenbank gelagert. Die Messdaten werden in einer zentralen Bodendatenbank abgelegt. Ein Bodeninformationssystem ist bislang nicht aufgebaut. Um Informationen iiber Immissionen und Depositionen zu erhalten, wurden u. a. folgende Kategorien abgefragt: Aufgaben des Messnetzes und Verfahren, Stationsanzahl und -auswahl, Messhaufigkeit, Probenentnahmeort und -dauer, Messgrogen (gasformige Verbindungen, Organika, partikelformige Verbindungen), Qualitatssicherung, biologische Verfahren, Niederschlagsmessungen (Registrierung, Instrumente, Inhaltsanalyse und Datenhaltung). Das Immissionsmessnetz, auch mit temporaren Messstationen, uberwacht im Wesentlichen die Einhaltung von Grenzwerten, zeitliche Trends und den Transport von atmospharischen Fremdstoffen. Ferner sind eine Erfolgskontrolle von Luftreinhaltemagnahmen und eine Emittenten-Analyse angestrebt. An hochfrequentierten Verkehrswegen werden zusatzliche Immissionsmessungen, etwa zum Ozongehalt, durchgefuhrt. Die partikelgebundenen Schadstoffe Blei und Cadmium werden im Immissionsmessnetz nicht durch den Staubniederschlag, sondern nur durch Ermittlung des Schwebstaubs in der Luft erfasst. Nicht berucksichtigt werden die im KDS als obligatorisch aufgefuhrten Messgrogen Nitrat und Sulfat im Schwebstaub. Zur Qualitatskontrolle der Messergebnisse werden Ringversuche durchgefiihrt. Biologische Luftqualitatstests wie z. B. die Tabakexposition oder standardisierte Graskultur sind nicht Bestandteil des Immissi217
4.5 Metadatenbanken und GIS
onsrnessnetzes. Niederschlagsmessungen des Immissionsmessnetzes beschranken sich auf die quantitative Bestimrnung des Niederschlages. Eine chemische Analyse der aufgefangenen Niederschlage wird nicht durchgefiihrt.
rnessnetz sollte auf extensiv bewirtschafteten ernittentenfernen Flachen (vor allern Halbtrockenrasen sowie Streu- und Bergwiesen) konzentriert werden, benachbart dazu das 30 Standorte umfassende Klonfichtenmonitoring. Auch hier wurde auf die Entfernung zu mijglichen ErnissionsVon den gasfiirmigen Verbindungen irn quellen Wert gelegt. Das Messnetz zur KDS wird im baden-wurttembergischen Fliefigewasserversauerung ist an BachoberLuftmessprogramrn weder die Amrnoniak- laufe gebunden, die von land- oder forst(KDS-Parameter) noch die PAN179-Kon- wirtschaftlichen Abwassern unbeeinflusst zentration der Luft gemessen. Die Konzen- sind. Zur Indikation der Gewasserversauetrationen von Schwefelsaure, Fluorid, rung dient die Bachforelle. Schwefelwasserstoff und Chlor sowie der organischen Verbindungen Amine, Forrnal- Im Messnetz Grunlanddauerbeobachtung dehyd, Phenole und Vinylchlorid sind nicht werden folgende AkkumulationsindikatoTeil des Messprograrnrns. Alle weiteren irn ren erfasst: Craser und Krauter, BoKDS aufgefiihrten MessgriiRen werden denfauna und Heuschrecken. Die Walddurch die Messnetze zumindest teilweise er- dauerbeobachtung erfolgt irn Okologifasst. schen Wirkungskataster seit 1984 an 60 Standorten gemaR der naturraumlichen Die Metadatenerfassung zu den Bioindika- Cliederung. Untersucht werden Irnmissitionsmessnetzen erfolgte u. a. in folgenden onswirkungen anhand geeigneter ReaktiFragenkomplexen: Aufgaben des Messnet- onsindikatoren (Baumschicht und Krautzes und Verfahren, landesweites Messras- schicht) und Akkurnulationsindikatoren ter, Standorte und eingesetzte Bioindikato- (Baum- und Krautschicht, Bodenfauna, ren, reprisentative Dauerbeobachtungssta- Vogeleier, Moose und Flechten) sowie die tionen, Standorte und eingesetzte aktive Gehalte bestirnrnter Bodennahrstoffe und und passive Bioindikatoren, Biomonitoring Schadstoffe in der Bodenfestphase und -loin Waldiikosysternen, Bioindikatoren, pas- sung. Die Beobachtung des Kronenzustansive und aktive Bioindikationsprogramme des erfolgt in Anlehnung an die Arbeitsan(Bioindikatoren, Methoden, Zielgrofien), weisung zur Terrestrischen WaldschadensWald, Vorgehen bei Dauerbeobachtung, inventur (TWI) in Baden-Wiirttemberg. Probeneritnahme, Laboruntersuchungen Die Beobachter miissen zuvor eine Schuund Auswertungen. lung an der Forstlichen Versuchsanstalt absolviert haben. Folgende Bioindikationsmessnetze, bestehend aus Dauerbeobachtungsmessstellen, 4.5.2.4 Landschaftsreprasentanz bilden das Okologische Wirkungskataster: der Messstellen Walddauerbeobachtung, Griinlanddauerbeobachtung, Dauerbeobachtung von Nach 12 BNatSchC sol1 die UmweltbeoFliefigewasserversauerung und Klonfich- bachtung fachlich suffizient (hinreichend) tenrnessnetz. Die Standorte der Walddau- und praktisch effizient sein. Die Suffizienz erbeobachtung sollten miiglichst in natur- wird anhand des Metadaten gestiitzten Abnahen Waldbestanden und emittentenfern gleichs mit dem KDS gepriift, die Effizienz liegen. Das Grunlanddauerbeobachtungs- ist dann erfullt, wenn (1) die Messstationen in haufigkeitsstatistisch und raurnstrukturell reprasentativen Raumeinheiten vertreten sind und ( 2 )die einpirischen Daten die179 PAN = Peroxyacetylnitrat
s
218
Metadatenbanken und GIS 4.5
ser Messstationen geostatistisch valide sind. Die geostatistische Priifung setzt voraus, dass die Daten mit Methoden gleicher Aussagemoglichkeit gewonnen wurden und die Umweltbeobachtung ohne ,,geographische Lucken" erfolgt. Zu diesem Zweck wird durch Verschneidung der Messnetzkarten mit einer okologischen Raumgliederung ermittelt, in wie weit die jeweiligen Raumklassen mit Umweltbeobachtungsstandorten belegt sind. Liegen z u wenige Standorte vor, ist diese Raumklasse proportional unterbelegt, zu viele Standorte dagegen kennzeichnen in diesem Sinne eine uberproportionale Standortbelegung. Die Landschaftsreprasentanz als nur relatives M a g lasst keine Angaben zu uber die absolute Messstellenzahl, die eine geostatistische Schatzung (Extrapolation) der punktuell gewonnenen Messergebnisse in die Flache ermoglicht. Diese Extrapolation bzw. deren Machbarkeit wird im Folgenden anhand der Messwerte fur Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid sowie Blei im Schwebstaub und in Moosen untersucht. Diese Messgrogen sind keine direkten Angaben zu dem Stofftransfer aus der Atmosphare in den Boden (Deposition; SCHLEYEK 2004), aber sie begrunden die
--Modellkurve
Annahme, dass die Eintrage mit ihnen korrelieren. 4.5.2.5 Geostatistische Messdatenanalyse
Die nachfolgende statistische Messwertanalyse erfolgt in den Umweltwissenschaften zunehmend tnit geostatistischen Verfahren, die auf der Theorie regionalisierter Variabler (MATHERON 1971) fuBen, Variogramm-Analyse und Kriging, die erstmals in Deutschland von FRANZII & KII.I.ISCH (1980) fur die Analyse von Immissionsmessnetzen eingesetzt wurden. Mit den genannten geostatistischen Methoden lasst sich die Ubertragbarkeit punktueller Messdaten in die Flache prufen. Dabei wird durch Auftragen der Messwertvarianzen gegen ihre Entfernung zueinander gepruft, ob eine entfernungsabhangige Autokorrelation der Messwerte untereinander vorliegt. Sind die Messdaten autokorreliert, werden sie mit Hilfe des Kriging-Verfahrens flachenhaft geschatzt und aus dem Variogramm die maximale Reichweite (range) des Einflusses benachbarter Standorte aufeinander abgelesen. Jenseits dieses Maximalabstandes liegt keine Autokorrelation vor, weshalb solche Messwerte nicht
Variogramm SO2-lmmissionen,Mittehvert 1997
.
1
l2 10
Abb. 62: Variogramm den S02-lmmissionen in Baden-Wiirttemberg im Jahr 1997.
zii
04
0
25.000
50.000
75.000
100.000
125.000
Distanz [m]
219
4.5 Metadatenbanken und GIS
in die Kriging-Interpolation fur die folgende Schatzung eingehen. Abb. 62 zeigt das Variogramm der Schwefeldioxid-Immission aus dem Jahr 1997. Die mit dieser Variogramm-Funktion berechnete KrigingInterpolation erzielt durch Minimierung der Schatzvarianz ein optimales Schatzergebnis. Regionen mangelnder Informationsdichte kiinnen aufgrund ihrer hohen Schatzvarianz identifiziert werden ( WERSTFR and OLIVER 2001). Auf diese Weise lassen sich Messwerte aus nicht-kongruenten Monitoring-Messnetzen (aus von einander abweichenden Probenentnahmeorten) fur die mit der iikolo-
gischen Umweltbeobachtung angestrebte medienubergreifende Auswertung und Interpretation statistisch miteinander verkniipfen.
4.5.3 Praxisbeispiele 4.5.3.1 Praxisbeispiel 1: Medienubergreifende Umweltbeobachtung in Baden-Wurttemberg Der Praxis in den anderen Fallstudien folgend sollen diese Ergebnisse fur BadenWiirttemberg als teils naturnahe, teils stark
Abb. 63: N02-Belast u n g in BadenWurttemberg von 1992-2000.
220
Metadatenbanken und GIS 4.5
industrielh-ban gepragte Grogregion relativ kurz und ubersichtlich dargestellt werden. Auf die Wiedergabe von Wertetabellen wird entsprechend zugunsten verbaler Trendaussagen verzichtet. Die Variograrnm-Analysen ergeben, dass alle in der Methodendarstellung aufgefuhrten untersuchten MessgroBen fur eine anschliegende Kriging-Interpolation hinreichend autokorreliert sind. Die Reichweite der Autokorrelation schwankt je nach MessgroBe und Jahr zwischen 50 und 80 krn. Messwerte von Standorten jenseits dieser Entfernung werden zur Berechnung der interpolierten Schatzwerte nicht rnehr beriicksichtigt. Die Messwerte der SO,Konzentration sind rucklaufig: Von 1992 irn Mittel rd. 11 pg/rn (Maximum bei 34 pg/rn in KehVHafen) verringern sich die Gehalte kontinuierlich bis 2000 urn 54 % auf irn Mittel 5 pg/m. Die hochsten Konzentrationen werden an den Stationen in den Ballungszentren des Oberrheintalgrabens (Kehl bis Mannheim) sowie im Stuttgarter Raurn gemessen. Die *NO,-Konzentrationen fur den Zeitraum von 1992 bis 2000 variieren nicht sehr stark, gehen aber insgesarnt etwas zuruck. Die hochsten Werte werden in den urbanen Ballungsgebieten gernessen (Stuttgart bis zu 72 pg/rn, Karlsruhe bis zu 54 pg/rn, Mannheirn bis zu 50 pg/rn). Da Kriging optimal mit normalverteilten Daten arbeitet, treten hochste Abweichungen bei der Schatzung von Extremwerten auf. Die Abweichungen (3-7 %) sind aber irnrner noch so gering, dass sie im Bereich der Messungenauigkeit der Analysegerate liegen durften. Wie in den Kriging-Karten zu erkennen ist (Abb. 63), nehrnen die *NO, -Konzentrationen in den dunn besiedelten Raumen iiber die Jahre etwas ab, wahrend sie im Urnkreis der Grogstadte unvermindert hoch bleiben, sich aber irn Laufe des Darstellungszeitraurns starker auf die Siedlungszentren konzentrieren. So werden beispielsweise auf der Schwabischen Alb (Erpfingen) 7 bis 8 pg/m, in Freudenstadt irn
Niederen Schwarzwald Gehalte von 1 4 bis 17 pg/m gernessen. Die Pb-Konzentrationen irn Schwebstaub gehen von 1992 bis 1998 urn 70 % zuruck (Abb. 64). Die hochsten Pb-Werte im Schwebstaub wurden 1992 in den urbanen Raurnen gernessen (Stuttgart bis zu 77 ng/ m, Karlsruhe bis zu 134 ng/m, Esslingen bis zu 111 ng/rn), 1998 lagen die Werte bei 25 ng/m. Ahnliche Konzentrationen werden im dunn besiedelten Hinterland bereits 1992 gemessen: Freudenstadt 23 ng/m und Villingen 39 ng/m. Moose sind passive Akkumulationsindikatoren fur Schwerrnetalle (MARKERT et al. 2003). Aus Abb. 65 geht eine landesweit riicklaufige Pb-Akkurnulation in den Moosen Baden-Wiirttembergs hervor. Derngegenuber steigt die Pb-Anreicherung, vor allern im Schwarzwald und im Welzheirner Wald. In der Raumklasse BW 22 (Nordlicher Oberrheintalgraben) sind sowohl 1995 als auch 2000 die SO,-Konzentrationen fast doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. Dies geht offensichtlich auf die Konzentration vieler Industriestandorte und hohe Siedlungs- und Verkehrsdichte in dieser urban gepragten Region zuruck, in der sich entlang des Rheins die Stadte Kehl, Karlsruhe und Mannheim befinden. Der Riickgang um 60 bis 70 % von Beginn der 1990er-Jahre bis in die Gegenwart fur die Luftschadstoffe Schwefeldioxid sowie Blei irn Schwebstaub ist ein Erfolg der Irnrnissionsschutzrnagnahrnen in Anlehnung an und zur Umsetzung von EU-Recht. Entschwefelungsanlagen in Kraftwerken und der Verzicht auf die Verbrennung schwefelreicher Braunkohle haben zu einer deutlichen Verminderung des SchwefeldioxidAusstoges gefuhrt, weitere Erfolge sind hier durch das EU-weite Verbot schwefelhaltigen Kraftstoffes a b 2006 zu erwarten. Der gleiche Erfolg kann durch das Verbot bleihaltigen Benzins beobachtet werden, das ebenfalls zu einer Reduzierung der Irn-
221
4.5 Metadatenbanken und G I s
8wrnscmno.ouolWnlq
m
10 20 20
M
30 40
m m m
-70 40 50
50 60
-- 60
--
60 70
missionen in Form von Schwcbstaub gefiihrt hat.
90
1w
80 90
1w 120
bleihaltigeni
Anders dagegen fallt die Entwicklung der Stickoxidkonzentration in der Atmospharc a m . Hier ist kein Trend hin zu einer Abnahme der Stickoxidimmissionen ZLI heobachten. 1.ediglich in dunn bcsiedelten Riiumen werden moderate Stickoxidkonzcntrationen registriert, an Vcrkehrswegen im Innenstadtbereich von gr6Reren Stadten ist die Stickoxidkonzentration hoch geblieben.
222
Abb. 64: Bclxtung durch Blei im Schwebstauh in RadcnWilrtteniherg in dcn J,ihrcn 1992-1998.
In weiteren Auswertungen wurde zum einen anhand der Waldschadenserhebuii~ iiberpruft, o b niit Daten der Wald-Dauerbeobachtung sowie anderer Umweltmessnetze iibergreifende Aussagen z u r Uniweltqualitat sowie zum Wirkungspfad Atniosphare-Boden-Pflanze abgeleitet werden k6nnen. Zum anderen wurde beispielhaft die Gewasserqualitat baden-wurttenibergischer FlieBgewiisser anhand von Untersuchungen a n Bachforellen und c',ewassermessgriigen ausgewertet ( SCHRODERet al. 2002; SCHRODFKund SCHMIDT2003).
Metadatenbanken und GIS 4.5
Abb. 65: Bleigehalte in Moosen BadenWiirttembergs in den Jahren 1995 und 2000.
4.5.3.2 Praxisbeispiel 2: Lokalisierung von Flachen mit hohem Metallein- und -austrag In dem Pilotprojekt zur medienubergreifenden Umweltbeobachtung sollten weiterhin Flachen Baden-Wiirttembergs mit hohen Metalleintragen aus der Atmosphare und geringer Speicherkapazitat fur Metalle sowie folglich erhohter Wahrscheinlichkeit einer Schwermetallverlagerung in das Grundwasser lokalisiert werden. Weiterhin wird gepriift, ob diese Fla-
chen mit Stationen von Umweitmessnetzen besetzt sind. Flachendaten werden dazu in Form von kombinierten Abfragen mit dem GIs-Tool Map Calculator (Arcview'") miteinander verschnitten. Diese Karten beschreiben die raumliche Differenzierung der potenziellen Metallretention. Sie werden mit flachenhaften Daten zur Belastung iiberlagert. Ein erhohter Eintrag von Schwermetallen aus der Atmosphare uber den Boden in das Grundwasser kann durch flachenhafte Da-
223
4.5 Metadatenbanken und GIS
ten iiber die Korngriige der Biiden, die Pufferkapazitiit des Bodens gegenuber Sauren, Landnutzung, und Niederschlagshijhe sowie anhand von Daten uber folgende Messgrogen der baden-wiirttembergischen Umweltbeobachtung abgeschatzt werden: Schwefeldioxidkonzentration 199.5 und 2000, Stickoxidkonzentration 199.5 und 2000, Blei im Schwebstaub 199.5 sowie Akkumulation von Blei in Moosen 199.5 und 2000. Die Korngrogenverteilung bestimmt iiber die hydraulische Durchlassigkeit des Substrats sowohl physikalische als auch chemische Bodeneigenschaften und damit die Verweildauer und die Versickerungsgeschwindigkeit eingebrachter und im anschliegend im Sickerwasser geliister Substanzen. Besonders grobkornige Boden mit geringen Anteilen an Schluffen und Tonen weisen aufgrund des hohen nutzbaren Porenvolumens eine ausgepragte hydraulische Leitfahigkeit und einen vermehrten Stofftransport ins Grundwasser auf. Die Schluff- und Tonfraktion sowie die organische Substanz steuern die Austauschkapazitat: Je hoher ihr Gehalt im Boden ist, desto mehr Kationen werden reversibel an den Matrix-Oberflachen sorbiert. Durch eine Erniedrigung des pH-Wertes kiinnen diese Kationen remobilisiert und in das Grundwasser ausgewaschen werden. Die Bestimmung von Flachen erhiihter Metall- und Saureexposition und geringer Metallretention wurde mit Hilfe einer kombinierten Abfrage von CIS-Rasterkarten durchgefiihrt. Das dazu verwendete, im CIS Arcview"" vorliegende AnalyseWerkzeug Map Calculator erlaubt, vorliegende Flachendaten unter Angabe definierter Kriterien zusammenfassend zu untersuchen. Abb. 66 zeigt die Flachen, auf denen wegen der vorherrschenden Boden- und Klimaverhaltnisse der Ubergang von Schwermetallen ins Grundwasser besonders wahrscheinlich ist. O h diese gefahrdeten Flachen auch gegeniiber SO,, .NO,
224
und Staubniederschlagen besonders ausgesetzt sind, wurde in einem zweiten Schritt durch die Verkniipfung mit den KrigingKarten (Abschn. 4.5.2.5) untersucht. Die Staubeintrage mit Blei fur 199.5 liegen wie im Landesdurchschnitt bei etwa 30 ppm (Abb. 67). Ganz anders verhalt sich die Bleibelastung von Moosen, die zwar von 1995 his 2000 um mehr als SO % verringert werden konnte, allerdings auf den gefahrdeten Flachen deutlich hiiher ausfiillt (19 vs. 10 ppm, 1995 bzw. 1 0 vs. 6 ppm, 2000) (Abb. 68). Offensichtlich besteht keine direkte Beziehung zwischen Blei in Schwebstauben und der Akkumulation von Metallen in Moosen. Eine flachenhafte Korrelation beider Messgrogen ergibt fur alle Walddauerbeobachtungsflachen einen Wert von -0,06. Im letzten Schritt der Analyse wurde auf den als gefahrdet ausgewiesenen Flachen anhand der Metaddatenbank nach Umweltmonitoring-Standorten gesucht, deren Messdaten eine empirische Verifikation des Gefahrdungsszenarios gestatten. Im Einzelnen sind dies die Bodendauerbeobachtungsflachen (BDF), das Depositionsund Immissionsmessnetz, das Bioindikationsmessnetz sowie das Grundwassermessnetz.
4.5.4 Fazit Die alleinige Messung von Luftinhaltsstoffen reicht zur Indikation und Bewertung stofflicher Umweltbelastungen nicht aus. Bodendauerbeobachtung und okologische Wirkungskataster sind deshalb unverzichtbar fur eine Zikologische Umweltzustandserfassung und -bewertung. Die Flieggewasser-Dauerbeobachtung des iikologischen Wirkungskatasters liefert wichtige Informationen iiber den Zustand der Versauerung von Flieggewassern. Die pH-Wert-Anhebung, die auf die nachlassende atmogene Zufuhr des Hauptsaure-
Metadatenbanken und GIS 4.5
'mnsfemenarioW e n -Wiirttemberg ~hwennetall-Mobilisienmg: btenziell gefiihndete FMichen
HoCIIBChYIe VBCIIla
In51 I UmrelmlLSenlCnalle" M t Lenhchanrdkologe
Prof Dr Winhled Schrdder
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Abb. 66: Transferszenario: Potenziell
gefahrdete Flachen fur einen Stoffaustrag- ins
Grundwasser.
bildners Schwefeldioxid zuruckzufuhren ist, fiihrte zur Erholung der Fischbestande. Dennoch muss gerade irn Hinblick auf den Eintrag und die Wirkungen von Stickoxiden eine weitere Reduzierung der Luftbelastung angestrebt werden. An den 60 Wald-Dauerbeobachtungsrnessstellen wurden 1996 durchschnittliche Blatt-/Nadelverluste von 25 % errnittelt.
Der Vergleich rnit unterschiedlichen Eintrags- und Konzentrationsrnessungen in mehreren Okosysternkornpartirnenten hat fur die rneisten Messgrogen keinen statistischen Zusarnrnenhang zur Baurnschadigung erbracht. Andererseits lassen sich diese Stoffkonzentrationen irn Boden oder im Schwebstaub z.T. gut mit den in den Nadeln oder in der Krautschicht gefundenen Konzentrationen korrelieren. Darnit werden Er-
225
4.5 Metadatenbanken und GIS
Abb. 67: Transferszenario: Belastung durch Blei im Schwebstaub in BadenWurttemberg in dcn Jahren 1995 und 2000. gebnisse statistischer Auswertungen von bundesweiten Wald- und Bodenzustandsinventuren bestatigt ( WEI.I.HROC:K et al. 2002). Die im iikologischen Wirkungskataster durchgefuhrten Untersuchungen konnten genutzt werden, um die zeitliche und raum-
liche Entwicklung der iikologischen Situation der Flieflgewasser aufzuzeigen. Die stofflichen Belastungen und die Belastbarkeit der Flieflgewasser-Okosysteme werden durch punkthafte Messdaten des Immissions-/Depositionsmonitorings und der Wald-Dauerbeobachtung sowie durch Fla-
Abb. 68: Transferszenario: Bleigehalte in Moosen BadenWiirttembergs in den Jahren 199.5 und 2000.
226
Phytoremediation 4.6 chendaten der Bodenkartierung (BUK 200) und der Landnutzungskartierung beschriehen. Die raumliche Differenzierung des pH-Wertes des Grundwassers zeigt enge raumliche Zusammenhange mit dem Versauerungsgrad der FlieBgewasser. Dieser Zusammenhang scheint auch fur die Belastung des Wassers mit Aluminium gegeben zu sein, wie der raumzeitliche Vergleich der Aluminiumgehalte von FlieB- und Grundwasser zeigt. Durch die Metadatenerhebung konnten die Messgrogen und -methoden in den Messnetzen zur Umweltuberwachung zum uberwiegenden Teil erfasst werden. Der Metadatenkatalog leistet damit eine wichtige Aufgabe zur okologischen Umweltbeobachtung des Landes Baden-Wurttemberg. Der Abgleich mit dem sog. Kerndatensatz der okosystemaren Umweltbeobachtung zeigte fur die Messnetze aus den Bereichen Boden, Luft und Bioindikation eine hohe Kongruenz. Die Erfassung der Struktur von FlieBgewassern und stehenden Gewassern, die im KDS festgelegt sind, sind nicht Bestandteil des Metadatenkataloges und sollten erganzt werden. Die Erhebung und Analyse der MessnetzMetadaten ist geeignet, nach 12 BNatSchC methodische Harmonisierung, inhaltliche Stimmigkeit und Vollstandigkeit (Suffizienz) der Umweltbeobachtung zu prufen. Die geographischen Koordinaten der Umweltbeobachtungsstandorte sind Bestandteil der Metadaten und ermoglichen in Kombination mit der Raumgliederung die Uberprufung der Landschaftsreprasentanz der Messstellen.
s
Die Komplexitat okologischer Prozesse legt nahe, dass etwa die Erfassung von Luftinhaltsstoffen allein zur Indikation und Bewertung stofflicher Umweltbelastungen nicht ausreicht. Bodendauerbeobachtung und okologische Wirkungskataster als Okosystemkompartimente ubergreifende Umweltbeobachtungsmessnetze sind
deshalb unverzichtbar fur eine okologische Umweltzustandserfassung und -hewertung. Solange diese neben mehreren sektoralen, auf jeweils nur ein Okosystemkompartiment ausgerichteten Umweltbeobachtungsmessnetzen betrieben werden, sollte uberpruft werden, oh eine gleichzeitige Datenerhebung verwirklicht werden kann, um eine bessere statistische Verknupfbarkeit und Interpretation der an diesen Messstellen erhobenen Messdaten zu gewahrleisten.
4.6 Phytoremediation Moglichkeiten zur Entfernung von Mikroschadstoffen mit Verfahren der naturnahen Abwasserreinigung PETERSCHRODER, WOLFGANG GRO~E und TANJA GSCHLO~L Abteilung Rhizospharenbiologie, Institut fur Bodenokologie, GSF Forschungszentrum Neuherberg, Botanisches lnstitut der Universitat Koln und Bayerisches Landesamt fur Wasserwirtschaft, Munchen
4.6.1 Problemstellung Obwohl die Resource Trinkwasser mit das kostbarste Gut darstellt, das wir auf der Erde besitzen, miissen wir erkennen, dass in einigen Landern Europas Oberflachengewasser und Grundwasservorkommen durch organische und anorganische Verbindungen verunreinigt sind. Dasselbe gilt f u r zahlreiche terrestrische Flachen, die vor allem durch organische Schadstoffe aus industriellen Prozessen, Verklappung oder Unfallen belastet worden sind. Viele der Schadstoffe besitzen hohe Stabilitat und Rekalzitranz. 227
4.6 Phvtoremediation
In Deutschland sind mehr als 70.000 stark verunreinigte Flachen identifiziert worden (FRANZIUS 1994), ahnliches gilt fur die Vereinigten Staaten (BOWERet al. 1994). Wie gefahrlich ein Stoff fur das Grundwasser werden kann, hangt v o r allem von seiner Giftigkeit, seinem Abbauverhalten und seiner Mobilitat im Boden ah. Wassergefahrdende Stoffe werden in Deutschland in Wassergefahrdungsklassen von 1 (schwach wassergefahrdend) bis 3 (stark wassergefahrdend) eingestuft. Stark wassergefahrdend sind z. B. die meisten Chlorkohlenwasserstoffe (CKW). Sie sind z.T. stark giftig, in der Urnwelt schwer abbaubar und im Untergrund mobil. Sie durchdringen muhe10s selbst meterdicken Beton und wasserundurchlassige Schichten irn Untergrund. Dank jahrelanger Bemuhungen konnte der Einsatz wassergefahrdender Stoffe (Tab. 23) in vielen Bereichen reduziert werden. Probleme bereiten aber nach wie vor die Altlasten sowie akute Unfalle, die in der unmittelbaren Umgebung zu starken Gewasserbelastungen fuhren konnen. Irn 19. Jahrhundert nahmen die Umweltschaden im Zuge der Industrialisierung deutlich zu. Die Mehrzahl unserer heutigen Altlasten stamrnt jedoch aus der Zeit nach 1950. Zwei Beispiele von vielen: Eisenbahnschwellen wurden gegen Witterungseinflusse in Quecksilbersalzlosung oder Teerijl getaucht und danach zum Trocknen im Freien gestapelt. Produktionsruckstande und Hausmiill kamen damals noch nicht auf sorgfaltig abgedichtete Mullkippen. Erst ah 1972 wurden die ungeordneten gerneindlichen Mullplatze geschlossen und in zentrale Hausrnulldeponien umgewandelt. Diese erfullen heute hohe Umweltstandards und verhindern durch Abdichtungen die Verunreinigung des Grundwassers ( BAYEK. LANDESAMT FUR WASSERWIRTSCHAFT 2004a). Nachdern die Besorgnis uber Umweltverschmutzung in den 1990er-Jahren stetig 228
Tab. 23: Wichtige Schadstoffe in Gruntf- und Oherflachenwasser. Stoff klasse
Quelle
Polyzyklische Arornati- Raffinerien und Gaswerke sche Kohlenwasserstoffe Benzol, Toluol, Xylol (,,BTX")
Autornobilindustrie
Polychlorierte Biphenyle Schwerindustrie (PCB) Chlorierte Kohlenwasserstoffe (CKW) Schwerrnetalle
Munitionsbestandteile
Trinitrotoluol, Sprengstoffe Losungsmittel: BTX, Anthrachinone
Textilindustrie
Stickstoff, Phosphat
Landwirtschaft
gestiegen war, wurden seitens der Europaischen Union (EU) erste politische Reaktionen deutlich. So sieht die Europaische Wasserrahrnenrichtlinie (WRRL) einen einheitlichen und nachhaltigen Gewasserschutz in europaischer Dimension vor. Die Staaten Europas iibernehmen damit erstmals eine gerneinsame grenzuberschreitende Verantwortung f u r alle ihre Gewasser, fur das Grundwasser, die Seen und die FlieRgewasser - von den Quellen bis zur Mundung ins Meer. Das Leitbild der WRRI. fur die Gewasser ist der naturliche Zustand. Unter diesem Leitbild fordert sie, einen iikologisch vertraglichen und nachhaltigen Umgang rnit den Gewassern bei allen Nutzungen mit ihren Okosystemen und Wasserressourcen zu erhalten und zu verbessern (BAYER.LANDESAMT FUR WASSERWIRTSCHAFT 2004b). Eckpunkte der Europaischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) -
Es sol1 ein guter Zustand aller europaischen Gewasser erreicht werden;
Phytoremediation 4.6
- die Gewasserqualitat wird nach einern ein-
heitlichen Bewertungsverfahren beurteilt; - gemeinsarne Norrnen und Strategien verhindern Gewasserverschrnutzungen; - internationale Bewirtschaftungsplane fur ganze Flussgebiete werden aufgestellt; - bis 2015 miissen die Urnweltziele erreicht sein. Die WRRL strebt an, bis 2015 alle europaischen Gewasser in einen biologisch, physikalisch, chernisch und rnorphologisch ,,guten Zustand" zu uberfuhren. Die Umsetzung legt besonderes Gewicht auf offentliche Zustimrnung und Mitverantwortung der Burger. Technische Losungen fur die Bereinigung von Urnweltverschrnutzung sind vorhanden, basieren zurneist auf dern Ausbaggern von Boden rnit anschliei3ender Behandlung als Sonderrnull oder Hochternperaturverbrennung. Diese Losungen sind zielfuhrend in Fallen schwerster Kontamination z. B. nach Unfallen. Sie greifen dann am besten, wenn die Schadstoffquelle punktformig, leicht einzugrenzen und relativ jung ist, da dann sichergestellt werden kann, dass die Entfernung des verseuchten Bodens ein ansonsten intaktes Urnfeld hinterlasst. Problernatischer ist hingegen die Behandlung ,,alter Verseuchung", wie sie etwa an aufgelassenen Industriestandorten, in rnilitarischen Ubungsgelanden, Schrottplatzen oder Bergbaurestseen anzutreffen ist. Hier wurde zurn einen rnehr oder weniger kontinuierlich Schadstofffracht zugefuhrt, zurneist in Gernischen rnit wechselnden Bestandteilen, zurn anderen hatten die Schadstoffe Zeit, sich in Urnweltkornpartirnenten anzureichern und dort zu altern, was ihre Extrahierbarkeit negativ beeinflusst. Technische Losungen fur Bodenentseuchung und Wasserreinigung - Pump and treat: Durchstrornen eines
Bodenkorpers oder einer Wasserres-
source rnit Wasser, abgepurnptes Wasser wird extern gereinigt (Klaranlage, UVBestrahlung, Ionenaustausch, Ultrafiltration). - Bodenwasche: Ausgekofferter Boden wird gesiebt, Grobbestandteile rnit geringer Belastung bleiben am O r t zuruck, Feinbestandteile werden aufgeschlarnrnt. Nach Herauslosung der Schadstoffe werden diese verbrannt oder deponiert. - Hochtemperaturverbrennung: Ausgekofferter Boden wird ohne weitere Behandlung der Hochternperaturverbrennung in speziellen Ofen zugefuhrt. Es wird sichergestellt, dass keine Sekundarschadstoffe entstehen. Aschen gelangen auf Deponien. Dabei kann man unter anderern deutliche Gradienten der Umweltverschmutzung detektieren, die es schwer rnachen, aufgrund der Grogflachigkeit die genannten technischen Losungen anzuwenden. Gleiches gilt fur Gewasser und Sedirnente. Fur solche Falle bieten sich alternative Losungen an, die auf dern Potenzial von bestirnrnten Pflanzen und den mit ihnen assoziierten Mikroorganismen beruhen, Nahr- und Schadstoffe aufzunehrnen, anzureichern und abzubauen. 4.6.2 Der Bio-Park Fuhlinger See
Der Fuhlinger See ist eine intensiv genutzte Sport- und Freizeitanlage irn Kolner Norden. Durch die Ausrichtung der Ruderweltmeisterschaft 1998 hat er international Bedeutung erlangt. Neben seiner Bedeutung als Naherholungsgebiet bietet er Lebensraum fur Wassertiere und -pflanzen und fordert im Verbund der aquatischen Okosysteme entlang der Rheinschiene die genetische Vielfalt. Er hat Pufferfunktion bei der Trinkwassergewinnung und wirkt als Ruckstaubecken fur Grundwasser. Der Fiihlinger See besteht aus sieben zusarnmenhangenden Einzelseen von je 24 ha Flache und maximal 16 m Tiefe ent-
229
4.6 Phytoremediation
lang der Regattastrecke. Wie alle grundwassergespeisten Baggerseen unterliegt er durch die inzwischen vorherrschende Mischnutzung einem charakteristischen Eutrophierungsprozess. Der Zustrom sauerstoffarmen Grundwassers fuhrt zu Sauerstoffdefizit im Sediment, was Nahrstoffruckliisung und Faulnisprozesse hervorruft.
zur Behandlung von hypolimnischem Wasser (Abb. 69).
Neben einem mit Schilf (Phragmites australis L.) bewachsenen Bodenfilter mit horizontaler Wasserfuhrung ist eine als ZweiBecken-System mit vertikaledinvers-vertikalem Flut3 betriebene Pilot-Anlage die maggebliche Komponente zur Behandlung Um das Sauerstoffdefizit und die Nahr- von hypolimnischem Wasser. Diese Anlage stoffrucklosung zu verringern, wurde im ist ursprunglich f u r die Dekontaminierung Jahre 1999 im nordwestlich gelegenen von belasteten Oberflachenwassern in EntStartbereich der Regattastrecke der ,,Bio- wicklungslandern entwickelt worden und Park Fuhlinger See" angelegt (GKOBF weist gute Reinigungsleistungen fur 1999/2000). Als Komponente des ,,Oko- Schwermetalle (CHENG et al. 2002a; GROGE pfades" (LEIJWEII 3 999/2000) hat er einen & CHENG 2003) und Xenobiotika ((:HEN<; wertvollen Beitrag zur ,,oecolonia - die et al. 2002b) auf, kann aber auch zum Expo 2000 in K61n" geleistet, dem exter- Schutz und zur Sanierung von Okosystenen Demonstrationsprojekt bei der Expo men eingesetzt werden. 2000 in Hannover. Das Modul hat eine wirksame Flache von 250 m (fur technische Daten siehe GKORF. 4.6.2.1 Struktur des ,,Bio-Park 1999/2000), die auf zwei Becken verteilt Fuhlinger See" mit den einheimischen Pflanzen-Arten Der ,,Bio-Park" umfasst eine durch Photo- Grofler Schwaden (Glyceria maxima H O IMR.) im ersten Becken und voltaik mit Elektroenergie versorgte Kom- (HARTM.) pressorenstation zum diffusiven Eintrag Sumpf-Binse (Schoenoplectus lacustris von Sauerstoff in das Sediment (vergl. (L.) PALLA)im zweiten Becken bepflanzt GKoi
Abb. 69: Friihjahrsaspekt des ,,Bio-Park Fiihlingcr See" init den Modulen zur Behandlung von Tiefenwasser iind einer Purnpstation im hinteren Teil des eingezaunten Areals. (Foto: W. GKOKI 2002)
230
Im ersten, von oben intermittierend durch siphongesteuerte Schwallbeschickung (15 min/Std; 24x/Tag; 7 T a g e N o c h e ) beaufschlagten, Becken durchstriimt das Wasser die Filterschicht vertikal, im zweiten invers-vertikal. Die Filterschicht beider Becken besteht aus gewaschenem Sand mit runder 0/8 (0/4 mit 20 % Uberkorn nach DIN) Kornung in einer Machtigkeit von SO em (Becken 1 ) bzw. 35 ern (Becken 2).
Phytoremediation 4.6
Die Dranage erfolgt uber ein Sammelrohr, das an der dem Teilsee 2 zugewandten Langsseite in die Oberflache des zweiten Beckens eingesenkt ist. In der Phase zwischen zwei Beschickungen stellt sich der Wasserspiegel in den beiden, am Boden miteinander verbundenen Becken wie in kommunizierenden Rohren auf die Hohe des Dranrohres ein, uber das gereinigtes Wasser aus dem Sammelrohr in den Rezipienten ausflieBt. 4.6.2.2 Funktion der Pilot-Anlage
Werden nahrstoffreiche Abwasser aus landwirtschaftlichen Betrieben, Molkereien, Schlachthtifen und Brauereien in kunstlichen Feuchtgebieten bisheriger Typen geklart, verlasst in der Regel Wasser mit erhohtem Nitratgehalt das System. Dadurch droht dem Rezipienten die Gefahr der Eutrophierung. Sol1 dieses Wasser fur die Gewinnung von Trinkwasser verwendet werden, muss dies unbedingt vermieden werden. Bei der Entwicklung des vorliegenden kunstlichen Feuchtgebietes wurde deshalb das Ziel verfolgt, drei aufeinander folgende, sich in ihrer Funktion erganzende Reaktionsraume zu schaffen, die das beaufschlagte Abwasser oder die kontaminierten Oberflachenwasser im Laufe des Reinigungsprozesses nacheinander passieren, wobei der letzte Reaktionsraum dem Nitratentzug dient. Wie im Funktionsschema dargestellt (Abb. 70),sickert das als Schwall aus dem Verteilerschacht auf der Oberflache des ersten Beckens aufgebrachte Wasser bis zum Niveau des Dranrohres im zweiten Becken. Dabei wird gleichzeitig ein entsprechendes Volumen an Wasser uber das Dranrohr in den Rezipienten ubergeben. Beim Passieren der ungesattigten Zone der Filterschicht des ersten Beckens (Abb. 70: Abbauzone), werden polymere Schwebstoffe aus dem Wasser ausgefiltert und unter Sauerstoffverbrauch abgebaut. Dieser oxidative AbbauprozeB
wird dadurch begunstigt, dass sich in dieser Schicht die Poren in der Interphase, d. h. in der Periode zwischen den aufeinander folgenden Schwallbeschickungen, mit neuer, sauerstoffreicher Luft fullen.
I
Berechnung der mittleren Verweilzeit Als Verweilzeit bezeichnet man die Zeitspanne, die das zu behandelnde Wasser im jeweiligen Kompartiment der Anlage verbleibt und in der die entsprechende Reinigungsleistung erfolgt. Bei einer Beschickung des ersten Beckens mit 800 mm/d::.m, d. h. mit einer hydraulischen Fracht von 400 mm/d bei einer Flache von 2 >: 125 m, betragt die rechnerische Verweilzeit des zu behandelnden Wassers hezogen auf das gesamte Porenvolumen 22 (m3)/0,4 (m3/ mx-d)/250 (m) = 0,22 Tage oder 5 Std. 17 Min.
Die im Wasser geltisten organischen Verbindungen werden in der darunter liegenden gesattigten Zone der Filterschicht, der sog. Mineralisierungszone, zu ihren mineralischen Grundkomponenten Nitrat, Phosphat und Sulfat aufoxidiert. Dabei wird der mit dem Wasser eingetragene Sauerstoff restlos aufgebraucht. Das jetzt vorliegende nahrsalzreiche, anoxische Wasser wird bei weiteren Schwallbeschickungen durch ein Netz von Drinagerohren in den unteren Bereich der Filterschicht des zweiten Beckens iiberfuhrt. In dieser wassergesattigten Redu ktionszone liegen optimale Lebensbedingungen fur anaerobe Bakterienstamme vor, die durch Wurzelexsudate mit lebenswichtigen Kohlenstoffverbindungen versorgt werden und zur Deckung ihres Energiebedarfs u. a. den Sauerstoff im Nitrat nutzen. Im Zuge dieses Denitrifizierungsprozesses wird Nitrat schrittweise uber Nitrit und Lachgas (N,O) zu Stickstoff (N,) reduziert, der als
231
4.6 Phytoremediation
Abb. 70: Funktionsschema der Pilot-Anlage ,,Bio-Park Fiihlinger See". Pfeile geben die FlieBrichtung a n . Probenahme: regelmaRig werden vom Zu- und Ablauf je eine Wasserprobe entnommen und die Parameter DOC, TOC, UV-Extinktion (254 nm), Sulfat, Gesamt-Phosphat, ortho-Phosphat, Ammonium, Nitrit, Nitrat, Calcium, Magnesium, Mangan und Gesamt-Eisen sowie Ag, Al, As, B, Ba, Cd, Cr, Cu, Hg, Ni, Pb, Sb, Se, Zn und die fur eine sanitare Bewertung relevanten Bakterien bestimrnt.
Gas die Anlage in die Atmosphare verlafit. Dadurch wird mit Hilfe der in der Reduktionszone aktiven Denitrifikanten dem Wasser das schadliche Nitrat entzogen und der Rezipient vor Eutrophierung geschutzt. Stickstoffverbindungen kommt eine besondere Bedeutung an der Eutrophierung eines Gewassers zu. Im Hypolimnion steigen wahrend der Sommerstagnation die Konzentrationen des giftigen Ammoniums (Werte von 3-4 mg/L) (Abb. 71, unten). Der Anstieg dieser Stickstoffverbindung im Tiefenwasser und das Vorkommen von Nitrit und Nitrat deuten eine Nahrstoffrucklosung aus dem Sediment an. Ammonium wird im Zuge des Reinigungsprozesses gut abgebaut. Im Ablauf feststellbare Restmengen von 0,l mg/L Ammonium-N, 0,03 mg/L Nitrit und <8 mg/L Nitrat sind unkritisch. Auch der Bakteriengehalt im Ablauf der Pilot-Anlage halt die von der Badegewasserverordnung vorgegebenen Werte gut ein. Vor allern fakalcoliforme Bakterien werden vollstandig und koloniebildende Einheiten von fakalen Streptokokken bei der Passage durch das kunstliche Feuchtgebiet auf etwa die Halfte reduziert.
232
Reinigungsleistung: Bei der Bewertung der wichtigsten Parameter zeigt sich, dass organisch gebundener Kohlenstoff (TOC) unabhangig von der im Zulauf vorhandenen Menge auf eine geringe Restmenge a n schwer abbaubaren Huminstoffen reduziert wird. Die Abbaukapazitat fur zyklische Kohlenstoffverbindungen wird unter den vorliegenden Bedingungen nicht ausgeschopft (Abb. 71, oben). Der Anstieg der UV-Extinktion ist ein Hinweis auf aromatische Abbauprodukte im hypolimnischen Wasser. Sie werden in der Anlage unabhangig von ihrer ursprunglichen Menge bis auf Spuren entfernt. Auch Phosphat (Abb. 71, Mitte) wird gut absorbiert. Der Eisengehalt im hypolimnischen Wasser von etwa 0,2 mg/I. fiirdert die Bindigkeit der Filterschicht fur Phosphat. Bewertung: M i t einem Durchsatz von ca. 8000 m i Wasser/Monat behandelt der ,,Bio-Park Fuhlinger See" in 6,5 Monaten ein Wasservolumen von 52.000 m3. Dem Wasserkorper werden grofle Mengen a n Nahrstoffen entzogen und der typische Geruch nach reduzierten Schwefelverbindungen minimiert. Gradientenmessungen zeigen auch in der sommerlichen Stagnations-
Phytoremediation 4.6
~~
25 20 15 I
10 5
0
6 ab
Abb. 71: Veranderungen stofflicher Komponenten im Zulauf W uber 3 Vegetationsperioden und im Ablauf als MaB fur die Reinigungsleistung der PilotAnlage. Oben: UVExtinktion (MaB fur organische Verbindungen); Mitte: Gehalt an Gesamtphosphat; unten: Arnmoniumkonzentration.
6 b a
-
-
c 0
0 N
N
8
b a
8
6 c
8
0
N
0
b
a
0 N c
8
233
4.6 Phytoremediation
Tab. 24: Qualitiit des in der Pilot-Anlage behandelten Wassers in1 Vergleich Badegewasserrichtlitiien ( G = 1,eitwert; I = zwingender Wert). Pilot-Anlage Zulauf
Ablauf
Mikrobiologische Parameter [ MPN/100 ml bzw.
EC
(1996)
(1998)
Badegewasser EC
NRW
(1998)
(2000)
G
I
C/mll 100
93
0
100 so0 10.000
4,3
2,3
0
4.400
2.500
9
0
Col ifor me K e ime
93
Fikalstreptokok ken 1
'1
WHO
und
0
Esi-herii-bin c-oli
Kolonicbildendc Einheiten
Trinkwasser-Richtlinien
ZLI Trinkwasser-
0
100 2.000
100
-
Schwermetalle I pg/L I
cd
<0,000 I <0,0001
3
5
Pb
0,0005 <0,0005
10
10
Chemische Parameter [mg/LI Ammon iuni-N
0,9
0,1
Nitrate
<8
<8
0,06
0,03
Nitrit
phase iiber den1 Sediment i n der untersten Wasserschicht noch einen geringen Gehalt an Sauerstoff, der einen oxidativen Ahhau des absinkenden Detritus ermiiglicht und eine weitere Anreicherung von organischem Material im Sediment verhindert. Die Pilot-Anlage besitzt eine gute Reinigungsleistung und kann deshalb zur Verringerung des Eutrophierungsgrades im Epilimnion verwendet werden. Das behandelte Wasser besitzt Badegewasserqualitat (BAI)E(;EwVO2000). Mit Hilfe des a u s den1 kiinstlichen Feuchtgebiet ausstr6menden Wassers, das nach UV-Bestrahlung soga r a n nii her nd T r i n k wa sserq ua l i t i t er h a l t (vergl. Abb. 24 zur Qualitiit des Wassers), kann a n flachen Badestranden eine ablandige Striimung erzeugt werden, um der im Sommer an Badeseen hiiufig beobachteten Radedermatitis entgegenzuwirken.
234
1, 5
50
3
Kiinstliche Feuchtgebiete sind leistungsfahig genug, um hohe organische Frachten zit bewaltigen. Die Anlage kann deshalb in Auijenbereichen zur Entsorgung der Abwisser aus stationaren Toiletten verwendet werden, die nicht an Ahwasserkaniile angeschlossen sind. Durch die Bereitstellung solcher Toilettenanlagen liisst sich der haufig beobachtete, durch menschliche Exkremente hervorgerufene Eintrag von Niihrstoffen in die Seen von Erholungsgebieten n a c h h a 1ti g ve r r i n ge r n .
4.6.3 Bepflanzter Bodenfilter im Ablaufbereich der Abwasserteichanlage der Gemeinde Berg, Ortsteil Morlbach Zahlreiche Studien belegen, dass Schadstoffe aus Haushalten und menschlichen Ausscheidungen nach der biologischen Reinigung in konimunalen Kliiranlagen in sig-
Phvtoremediation 4.6
Abb 72a, b: a ) Bepflanzter Ablauffilter auf der Klaranlage Morlbach, b) schematische Darstellung des naturlich belufteten Abwasserteiches in Morlbach (Foto: TANJA GSCHLOBL).
nifikanten Konzentrationen in die Gewasser gelangen und fur Mensch und Tier ein erhebliches Gefahrenpotenzial darstellen ( A m - D V W K 2003). Mit innovativen Technologien der weitergehenden Abwasserreinigung, wie Membranfiltration und UV-Bestrahlung, konnen die meisten der bisher bekannten Mikroschadstoffe zu einem hohen Prozentsatz eliminiert werden. Der Einsatzbereich dieser Technologien beschrankt sich jedoch aus wirtschaftlichen Grunden auf grof3e technische Klaranlagen (SPENGIER2001). Fur die zahlreichen kleinen, naturnahen Klaranlagen, wie Abwasserteiche, die dezentral im landlichen Raum betrieben werden, gibt es bisher keine Erfolg versprechenden Losungsansatze. Naturlich beluftete Abwasserteichanlagen (Abb. 72a) bestehen aus einer mechanischen Vorklarung, in der Feststoffe sedimentiert werden und ein bis mehreren Abwasserteichen (spezifische Flache: 1215 m2/Einwohnerwert (EW); Tiefe t = ca. 1 m), in denen die biologische Reinigung des Abwassers stattfindet (Abb. 72b). Die
biologische Reinigung erfolgt durch einund mehrzellige Mikroorganismen (z. B. Bakterien, GeiiSeltiere, Wimpertiere, Radertiere), die in der Wasserphase suspendiert sind oder in den obersten Schichten des Bodenschlammes in Biofilmen festgelegt sind. Mithilfe des physikalisch uber die Oberflache eingetragenen Sauerstoffes werden organische Abwasserinhaltsstoffe (u. a. Proteine, Zucker) zu anorganischen Endprodukten, wie Kohlendioxid und Wasser, oxidiert. Durch Nitrifikation und Denitrifikation werden im wesentlichen anorganische Stickstoffverbindungen oxidiert und als molekularer Stickstoff in die Atmosphare entlassen. Die Mikroorganismen bilden dort eine Biozonose, die in einem biologischen Gleichgewicht steht. Daneben spielen chemisch-physikalische Prozesse, wie Adsorption oder Ionenaustausch, im Schlamm eine wichtige Rolle u. a. bei der Elimination von Phosphorverbindungen. Durch das Zusammenspiel von Nahrstoffen (P und N) im Abwasser, Licht und Temperatur entwickeln sich insbeson-
235
4.6 Phvtoremediation
dere im Fruhling und Herbst ,,Algenbluten", die f u r das aufnehmende Gewasser eine Sekundarbelastung darstellen. Dies bedeutet, dass Algenbiomasse aus dem Abwasserteich im Gewasser von Bakterien unter Sauerstoffverbrauch rnetabolisiert wird, wobei es z u fur Fische und Kleinlebewesen gefahrlichen Sauerstoffmangelsituationen kommen kann. Die Gemeinde Berg liegt im grundwassersensiblen Einzugsgebiet des Starnberger Sees im Suden Bayerns. Im Ortsteil Morlbach betreibt die Gemeinde eine naturnahe Klaranlage (ca. 300 Einwohner, Baujahr 1973), die aus einer rnechanischen Vorklarung und einem naturlich belufteten Abwasserteich besteht. Zum Schutz des aufnehmenden Gewassers wurde 1997, nach mehrfacher starker Algenentwicklung irn Abwasserteich, im Rahmen eines mehrjahrigen F&E-Vorhabens mit der TU Munchen, Limnologische Station Iffeldorf, im Ablaufbereich der Klaranlage ein Bodenfilter von ca. 40 m Lange und 40 cm Tiefe gebaut und rnit Phvagmites australis und Typha spp. bepflanzt. Als Substrat wurde Mittelsand bis Feinkies gewahlt. Der Bodenfilter ist nach unten und zur Seite mit Folie abgedichtet (Abb. 73). Die Ergebnisse belegten eine Restreinigungkapazitat bis zu 7.5% hinsichtlich der organischen Abwasserparameter, einen
Ruckhalt von Algenbiomasse bis zu 95%, sowie eine Pufferung der teilweise hohen pH-Werte irn Ablauf der Klaranlage, die auf die photosynthetische Aktivitat der AlORI et al. gen zuruckzufuhren ist (GSCHI 1998). Besonderes Augenmerk wird auf die Reinigungskapazitat fur organische Mikroschadstoffe gelegt. Sie konnen, wenn sie durch Klaranlagen durchbrechen, die Okologie von Vorflutern oder Sickerwasserzonen negativ beeinflussen und zur Belastung des Grundwassers beitragen. Neben organischen Losungsmitteln handelt es sich dabei um Agrarchemikalien, Pharmazeutika und endokrin wirksamen Substanzen. Die Mikroben der Abwasserteiche und Biofilme sind nicht in der Lage, solche Kontaminationen zufriedenstellend abzubauen. Mit Helophyten bepflanzte Bodenfilter, die einem naturlich belufteten Abwasserteich nachgeschaltet sind, haben sich inzwischen zum Ruckhalt dieser Sekundarbelastungen und einigen zweiwertigen Metallkationen auch nach mehrjahrigem Betrieb in Deutschland bewahrt. Offenbar spielen neben der Verweilzeit irn Bodenfilter auch spezifische Bakterienpopulationen, die sich auf den urnfangreichen Wurzelsysternen ansiedeln und durch Wurzelexsudate genahrt werden, eine Rolle. Nicht zu unterschatzen ist auch die Aufnahme und Metabolisierung der Fremdstoffe durch die Pflanzen selbst, also die Phytoremediation im eigentlichen Sinne.
Abb. 73: Schematischer Querschnitt durch den bepflanzten Ablauffilter.
Phytoremediation 4.6
Voraussetzung fur einen langfristig erfolgreichen Betrieb ist die Einhaltung einfacher Bernessungs- und Betriebsvorgaben fur Bodenrnaterial und Bepflanzung sowie regelrnaBige Wartung.
4.6.4 Phytoremediation Neue Aufgaben fur alte Stoffwechselvorgange Die Fahigkeit von Pflanzen zur Aufnahme von im Gewasser eutrophierend wirkenden Nahrstoffen ist lange bekannt und wird auch heute noch in Siideuropa vielerorts in der Landwirtschaft verwendet, urn Stickstoff oder Phosphat aus Bewasserungsgrahen zu entfernen. Vornehrnlich werden hierzu Schilf und Rohrkolben verwendet, die sich stellenweise auch spontan in solchen Bewasserungsgraben ansiedeln. Dabei wird die Biomasse geerntet und als stickstoff- und phosphatreicher Grundiinger zuruck auf die Felder gebracht. Diese Anwendungen greift die rnoderne Phytorernediation auf, um gezielt Nahr- und/oder Schadstoffe aus Gewassern und Bodenkorpern zu entfernen. Pflanzen konnen hier in verschiedener Weise eingesetzt und genutzt werden (SCHNOORet al. 1995). Definitionen - Phytoakkurnulation - Aufnahrne und
Speicherung der Schadstoffe in der Pflanze, in rnanchen Fallen (Schwerrnetalle) his zurn 1000fachen der Bodenkonzentration. - Phytorernediation - Aufnahme der Schadstoffe durch die Pflanze, Beteiligung pflanzlicher Entgiftungsenzyrne an der Metabolisierung der Schadstoffe, Festlegung der Schadstoffe in Form von gebundenen Ruckstanden oder Volatilisierung. - Phytostabilisierung - durch hohe Transpirationsraten und darnit geringe Sickerwasserbewegung werden Schadstoffe
daran gehindert, in tiefere Bodenzonen zu perkolieren; die Durchwurzelung fordert Bodenbakterien und Pilze, Schadstoffe altern in der gewunschten Zone. Der RCF beschreibt das Potenzial eines gegebenen Schadstoffes, irn Innern der Pflanzenwurzel anzureichern, jedoch ohne Differenzierung zwischen Oberflachenakkumulation und echter Aufnahrne ins Wurzelgewebe. Da der RCF stark vom Log KO, einer Substanz abhangt, ist er eine erste Annaherung an die reale Aufnahrne. RCF = conc(Wurze1) / conc (Bodenlosung)
BRIGGSet al. (1983) haben fur Gerstenwurzeln den folgenden Zusamrnenhang ermittelt: Log (RCF - 0,82) = 0,77 log KO, - 1,52 Substanzen mit einern niedrigen K,,, (i.e. < 1) konnen nicht durch die Wurzelepidernis dringen, da sie die pflanzlichen Membranen und den suberinhaltigen CAsPAw-Streifen nicht passieren konnen. Substanzen rnit log K,,, > 3 werden zunehmend in lipophilen Zonen der Wurzelrinde zuriickgehalten. Die Aufnahrne ins hydraulische System der Pflanze und darnit der Zutritt zu den lebenden Zellen des Korrnus kann rnit dern Transpirationsstrom-Faktor, TSCF, abgeschatzt werden. TSCF = conc (Xylem) / conc (Bodenwasser) Hier sind Substanzen rnittlerer Loslichkeit, rnilde Sauren und Arnphiphile pradestiniert.
-
2 werden daSubstanzen rnit log K,,, bei alleine im Transpirationsstrorn transportiert, wahrend solche mit log KO, 1 sowohl phloem- als auch xylernrnobil sind. CI
237
4.6 Phytorernediation
- Phytovolatilisation - Pflanzen mit aus-
gedehnten Aerenchymen (Luftraumen) werden gezielt verwendet, um die Volatilisierung leichtfliichtiger Komponenten aus dem Boden oder Wasser zu erleichtern. Aufnahme und Transport - Nicht alle Schadstoffe kijnnen mittels Phytoremediation aus der Umwelt entfernt werden, denn eines der Hauptkriterien ist die Aufnahme der Substanz in die Pflanze. Nur wenn gewahrleistet ist, dass die schadlichen Stoffe mit den lebenden Zellen der Pflanzen in Kontakt kommen, ist eine echte Entgiftung miiglich. Sind die Schadstoffe beispielsweise tief im Boden oder Sediment an Mineralien oder Huminstoffe angelagert, muss die Pflanze der Wahl auch in der Lage sein, his zu dieser Ticfe mit ihren Wurzeln vorzudringen. Weiterhin ist es essenziell, dass sie die Rhizospharenchemie soweit beeinflusst, dass die gewiinschten Stoffe in Liisung gehen und aufnehmbar sind. Und zu guter Letzt ist es notwendig, dass die Schadstoffe in der Pflanze niobil sind.
duktion des Fremdstoffes erfolgen in dicser ersten Phase, zumeist katalysiert von P450 Monooxygenasen oder Peroxidasen. Auf die Phase der Aktivierung folgt die echte Entgiftung in Phase 11. Hier werden Biomolekiile wie Zucker, Aminosauren oder Peptide wie das bekannte Glutathion an das aktivierte Fremdstoffmolekiil angehangt, das durch diese Kopplung seine chemischen Eigenschaften verandert und z.B. von nun an Membranen nicht mehr durchdringen kann (LAMOUKEIJX & RIJSNFSS 1989; SCHRODEK 200 1). Im Tier folgt der Um- und Abbau dieser entgifteten Molekule und ihre abschliegende Ausscheidung durch Urin oder Faeces. Diese Moglichkeit ist der Pflanze nicht gegeben, und so sind Endprodukte der pflanzlichen Entgiftung liisliche Metaboliten in der Vakuole (WOLFet al. 1996) oder gebundene Ruckstande in der Zellwand ( L,AN(;EHARTH.S & HARMS 1986; SC;HKOINX 1997). Im Idealfall werden die Fremdstoffe s o weir abgebaut, dass naturidentische Metaboliten entstehen.
Induzierbare Entgiftung - Der Frerndstoffmetabolismus in Pflanzen ist sehr anpassungsfahig (SCHKODFR2001). Bereits geDazu sind nur Stoffe in der Lage, deren ringe Storungen durch Pathogene, Fressfeinde, UV-Strahlung oder Temperatur Oktanol / Wasser-Verteilungskoeffizient zwischen 0 und 3 liegt, bzw. deren Disso- fuhren zu merklichen Veranderungen in der ziationskonstante zwischen 0 und 6 liegt Enzymaktivitat und der Abwehrleistung. (BRIGGS et al. 1983; BEHRENI)and BKUGGE- Besonders bemerkenswert ist die Steigerung der Entgiftungsleistung durch Chemikalien, M A N N 1993; RIGITANO and BRIMS 1986). Herbizide und Herbizid-Antidote ( S(:HROEntgiftungsvorgange - Die Entgiftung or- DF,R et al. 1993; S<:Hl
238
Phytoremediation 4.6
Molekulare Methoden - Beim heutigen Stand der molekularbiologischen Technik ist es ebenfalls moglich, die Entgiftungskapazitat von Pflanzen in der Phytoremediation durch Genmanipulation zu steigern. Dabei konnen sowohl die Gehalte pflanzeneigener Entgiftungsenzyme kunstlich erhoht und auf hohem Niveau stabilisiert werden, als auch bakterielle oder tierische Fremdgene in die Pflanzen eingebracht werden, die fur Entgiftungsenzyme codieren, die nicht naturlich in der betreffenden Pflanze vorkommen. Die heutige Rechtslage verbietet die Ausbringung und den Einsatz solcher Superpflanzen, doch es stellt sich die Frage, o b zukunftig der Einsatz der existierenden Technologien moglich wird. Speziell erzeugte Pflanzen, die in der Lage sind, hohe Schadstofffrachten zu entgiften und zu ungefahrlichen Metaboliten abzubauen, und die dann, z. B. durch den selbst verursachten Schadstoffmangel absterben, waren denkbare Konstrukte. Mit Blick auf die Schadstoffproblematik sollte man solche Losungen nicht ausschliegen, jedoch ist eine umfassende Sicherheitsforschung zu fordern. Designer-Rhizospharen: Model1 fur die Zukunft? - Das Zusammenspiel von Pflan-
Zen und Rhizobakterien in den Sedimenten von Uferzonen und Klaranlagen ist weitgehend unerforscht. Bekannt ist lediglich, dass Wurzelexsudate der Pflanzen die bakterielle Aktivitat stark erhohen und damit Abbauleistungen der Mikroben erst moglich machen. Neue Konzepte fur gelenkte Rhizospharen, sei es durch Inokulation der Wurzelzonen mit pflanzenwachstumsfordernden Bakterien (PGPR, plant growth promoting rhizobacteria), die ihrerseits durch die Pflanzen ernahrt wurden, werden heute diskutiert. Im Zusammenspiel zwischen solchen Bakterien, ausgewahlten Pflanzenarten und gezielt in die Wurzelzone inokulierten Abbauern ergeben sich interessante Perspektiven fur ein Bioklaranlagen-Management, das ohne Gentechnik und Zugabe von chemischen Hilfsmitteln auskommt. Die angewandte biologische Forschung, insbesondere gestutzt durch Europaische Initiativen zur Forderung des Wissensaustauschs, wie z. B. die COST-Aktionen, erarbeitet interdisziplinar solche Konzepte, die uns helfen werden, unsere Umwelt von Altlasten zu befreien und nachhaltig mit unseren Ressourcen, vor allem dem sauberen Wasser, umzugehen.
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5 AHMADI, CHAUYK, WONCPT, CARTYAJ, TAYLOR L (1980) Chemical alkylation of lead(1I)salts to tetraalkyllead(1V) in aqueous solution. Nature 287, 716-17.
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6 Glossar Aktivierungsenergie: diejenige Energie, die zur Einleitung einer chernischen Reaktion erforderlich ist. Die rnehr oder weniger (rneta-)stabilen Ausgangsstoffe einer Reaktion reagieren erst dann, wenn die Aktivierungsbarriere durch Zufuhr der A. uberwunden wurde; der dabei erreichte energetisch hochstliegende Zwischenzustand ist der Sattelpunkt der Reaktionskoordinate. Die Aktivierungsenergie kann z. B. therrnisch (Ternperaturabhangigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit), photochernisch (optische Anregung) oder elektrochemisch (+ Uberspannung) aufgebracht werden. Ames-Test: Methode zur Bestirnmung der mutagenen Wirkung von Chernikalien. Verwendet werden Bakterienkulturen (Salmonella typhimurium), die durch bestirnrnte Arten von Mutationen die Fahigkeit verloren haben, die Arninosaure Histidin zurn Eigenbedarf zu bilden. Wachsen nach Behandlung rnit einem potenziellen Mutagen (einzelne dieser) Kulturen aber wieder auf einern histidinfreien Medium, so ist eine Mutation erfolgt. Da die Korrektur- und Reparaturrnechanismen der Nukleinsauren in Vielzellern sich erheblich von denen in Bakterien unterscheiden, bedeutet ein positiver ArnesTest nicht zwingend rnutagenekarzinogene Aktivitat eines Stoffes irn Menschen. Augerdern sind Mutationen denkbar, die die Histidinsynthese nicht wieder errnoglichen. Amphotere: Substanzen, die sowohl als Saure (Protonenquelle) wie auch als Base (Protonenakzeptor) fungieren konnen; ihre Losungen haben daher Puffereigenschaften. Beispiele: Wasser, Hydrogenphosphat HP0,2-, Glycin (Arninoessigsaure) und die anderen Arnino(carbon)sauren. Synonym: Ampholyte. AOP: Advanced Oxidation Procedure(s). Sarnrnelbegriff fur Methoden zur Oxida-
tion organischer, aber auch anorganischer Schadstoffe in Wasser mit Wasserstoffperoxid, Ozon oderhnd unkonventionellen Energiequellen (extreme UV-Strahlung, Ultraschall, belichtete Halbleiter) sowie Katalysatoren. Aquifere: die von Grundwasser durchflossenen Bodenschicht(en). Aromatische Verbindungen: ringforrnige organische und heteroorganische Verbindungen besonders hoher Stabilitat (Benzol, Pyridin, Phenanthren u.a). Obwohl formal ungesattigt (vgl. Benzol C,H, rnit Cyclohexan C,H,,), gehen sie nur unter drastischen Reaktionsbedingungen Additionsreaktionen ein; andere Ring- oder offenkettige Systerne wandeln sich haufig unter Wasserstoffabspaltung in Arornaten urn, so bei Heterozyklensynthesen und der Entstehung von Kohle und Erdol. ARwENIuS-Gleichung: gilt streng genornmen nur fur bi- und die selteneren trirnolekularen Reaktionen (DreierstoR). Dennoch kann auch fur rnonomolekulare Prozesse wie den Zerfall Energie reicher Molekule eine Aktivierungsenergie nach ARKHENIUS angegeben werden, da dieser unirnolekulare Zerfall in aller Regel durch StoRe zwischen den Molekulen oder mit heiRen Oberflachen ausgelost wird, etwa in fliissigen Explosivstoffen wie Methylnitrat (Salpetersaurernethylester) oder in Gasen (Zersetzung von Acetondarnpf zu Methan und Keten C H 2 = C 0 an einern Gliihdraht [,,Ketenlarnpe"]); s. auch Aktivierungsenergie. +-
Autokatalyse: eine Reaktion, bei der als Haupt- oder Nebenprodukt deren eigener Katalysator entsteht. Dies bewirkt rnit der dadurch steigenden Konzentration des Katalysators eine fortschreitende Beschleunigung der Reaktion, sofern der Autokataly25 1
6
Glossar
sator nicht vollstandig in Nebenreaktionen verbraucht wird; dies kann zu einer Explosion fiihren. Autokatalytische Anteile sind etwa fur die Parmeterfelder (Druck, Zusammensetzung, Temperatur) Ausschlag gebend, in denen Ethin/Sauerstoff- oder Wasserstoffhauerstoff-Gemische explodieren und nicht einfach verbrennen. Haufiger sind freilich Saure katalysierte Oxidationen, bei denen ein Saureuberschuss anfallt, etwa solche von schwefliger Saure, As(OH) oder Hydroxylammoniumsalzen (bilden Schwefelsaure, Arsensaure bzw. * N O + 4 H+).Autokatalyse kann zu chemischen Wellen (Reaktionsfronten im Raurn) oder sogar Oszillationen (periodischer Wiederholung unterschiedlicher Zustande) als charakteristischen ,,exotischen" Erscheinungen fiihren.
Bioindikatoren: Organismen oder Organismengemeinschaften, deren Gehalte a n bestimmten Elementen bzw. Verbindungen undhder ihre morphologische, histologische oder zellulare Struktur, ihre stoffwechselphysiologisch-biochemischen AbIaufe, ihr Verhalten oder ihre Populationsstruktur(en) sowie Veranderungen dieser Parameter Informationen iiber die Qualitat der Umwelt(veranderungen) ergeben. biomimetisch: in Nachahmung biologischer Stoffumsetzungen. Dazu zahlen Oxidationen mit Fe-Salzen und Wasserstoffperoxid (Analogie: Cytochrom C 450), die Ferryl(1V)-Verbindungen als reaktive Intermediate bilden, aber auch katalytische Prozesse, die denen in Enzymen ahnlich bzw. ,,nachgebaut" sind, etwa der Abbau von aromatischen Aminen durch Cu(I1) und Luftsauerstoff unter Ringspaltung. Biomonitore: Organismen oder Organismengemeinschaften, deren Gehalte an bestimmten Elementen bzw. Verbindungen und/oder ihre morphologische, histologische oder zellulare Struktur, ihre stoffwechselphysiologisch-biochemischen Ablaufe, ihr Verhalten oder ihre Populations252
struktur(en) sowie Veranderungen dieser Parameter Informationen iiber die Quantitat der Qualitat der Umwelt(veranderungen) ergeben.
BODENSTEIN-Theorie: Theorie nach leichter Anregung schnell verlaufender Reaktionen in der Gasphase. MAX BODENSTEIN (1871-1942) fuhrte diese um 1910 auf Radikalkettenprozesse wie C1, + hv *CI + H,
*H + CI,
-
2 *C1
111
+ *H,
1-21
HCI + *C1
131
HCI
usw. zuriick. Die einander abwechselnden beiden Schritte 2) und 3) werden als Kettenfortpflanzung, der photochemische Schritt 1) als Kettenstart bezeichnet. Bei Chlorknallgas (dieses Beispiel) wiederholt sich das Wechselspiel von 2) und 3) Hunderttausende von Malen, bevor eine Nebenreaktion die Kette abbricht.
BSB: biologischer Sauerstoffbedarf, d. i. die Sauerstoffmenge, die die in 1 1 Prufwasser gelosten Stoffe zu ihrer vollstandigen biologischen Oxidation benotigen. Biologisch nicht oxidierbare Substanzen tragen nicht zum BSB bei. Ubertrifft der BSB die Loslichkeit von Luftsauerstoff in Wasser (ca. 10 mg/l) erheblich, so ist das Wasser stark belastet und ohne zusatzlichen Gaseintrag (Beliiftung, Photosynthese) nicht mehr zur vollstandigen Selbstreinigung befa higt. CARNOTscher Wirkungsgrad: maximaler Wirkungsgrad einer Warmekraftmaschine nach SADI CAKNOT (2796-1832). Der C. berechnet sich aus der Temperatur T, des heisen Reservoirs und der Temperaturdifferenz zum kalten Reservoir T, nach qCarnot = (Th-Tk)/T,,z. B. fur T, = 1.000 K und T, = 300 K ist qcarn(,r = (1000 - 300)/1.000 = 0,70 = 70 %. In der Praxis wird selten mehr a k 50-60 % des CARNOT-Wirkungs-
Glossar 6
grads erreicht, allenfalls bei GroRfeuerungsanlagen. Chemisches Gleichgewicht: Endzustand einer chernischen Reaktion, bei welcher Hinund Riickreaktion gleich schnell verlaufen. Auch wenn nach auRen nichts mehr zu geschehen scheint, zeigt etwa der Isotopenaustausch, dass die Reaktionen auch nach Erreichen des Gleichgewichts weitergehen. Chemo1ithofauto)trophier sind Organismen, die ,,rnineralische" Stoffe fur zentrale biologische Redoxprozesse verwenden. Dies konnen Metalloxide (Eisen, Mangan, Uran etc.) ebenso wie Oxoanionen von Nichtmetallen (Nitrat, Arsenat, Sulfat) sein, die als Elektronenakzeptoren genutzt werden. Sie konnen aber H,, H,S, Fe(II), CO etc. oxidieren und so Stoffwechselenergie aus Reaktionen anorganischer Substanz gewinnen (z. B. viele Eisenbakterien aber auch Tbiobacillus ferrooxidans). Autotrophe Organisrnen sind dabei irn Stande, mit der bei diesen Redoxprozessen, z. B. der Oxidation von Methan durch Sulfat, gewonnenen Energie Kohlendioxid zu biologischer organischer Substanz zu reduzieren, wahrend andere Lithotrophier als heterotrophe Organisrnen ebenso wie Tiere und Pilze auf die auRere Zufuhr organischer Substanz als Nahrstoff angewiesen sind. Diese wird dann teils urngebaut, teils ohne Zuhilfenahme von Sauerstoff zwecks Energiegewinnung oxidiert. Nur Chernolithoautotrophier konnen als Prirnarproduzenten fungieren; sie tun dies vielfach in Hohlen (Eisenbakterien im Hohlenlehrn). Eisenbakterien sind Beispiele Sauerstoff verwertender Chernolithoautotrophier.
Cometabolismus: Urnsetzung wenig reaktiver Stoffwechselsubstrate, z. B. persistenter Urnweltchernikalien bei Zugabe leicht zu verwertender anderer Stoffe (gemeinsam rnit diesen).
CSB: Chernischer Sauerstoffbedarf, d. i. die Sauerstoffrnenge, die die in 1 Liter Priif-
wasser gelosten Stoffe zu ihrer vollstandigen chemischen Oxidation benotigen wurden. Er wird urngerechnet aus der Menge zur Oxidation unter Norrnbedingungen verbrauchten Dichromats. Der CSB erfasst 95-97 % der iiberhaupt oxidierbaren organischen Substanz. Dimer: Produkt der chemischen Zusamrnenlagerung zweier gleichartiger Molekiile oder Atome (2.B. C1,; H-verbruckte Dimere von Carbonsauren irn Dampf oder gelost in Kohlenwasserstoffen). Disproportionierung: Zerfall einer Substanz mittlerer Oxidationsstufe in zwei Produkte rnit hoherer und niedrigerer Oxidationsstufe als die Ausgangssubstanz, rneist in alkalischer Losung, z. B.
- -
C1, + 2 OH- C1- + OC1- + H,O (Cl(0) CI(1) + C1(- I)) oder 3 NO,- + 2 H,O+ 2 *NO + NO,- + 3 H,O "(111) N(I1) + N(V)] Disproportionierungen sind auch bei Metallverbindungen rnoglich und haufig. Einwohnergleichwert (EGW): rechnerischer BSB der von einern Durchschnittsburger uber Fakalien, Lebensrnittelabfalle, Wasch- und Reinigungsmittelruckstande usw. an die Kanalisation abgegebenen organischen Substanz. Der EGW wird rnit 60 g Sauerstoff(-bedarf) pro Kopf und Tag angesetzt. Elektrophile: reaktive Teilchen, die sich unter Knupfung einer kovalenten Bindung an Elektronen bzw. (haufiger) freie Elektronenpaare von Nukleophilen anlagern. Die Ubergange zu Redoxprozessen sind allerdings flieRend, insbesondere in stark elektrophilen Medien wie Supersauren. Das einfachste Elektrophil ist das Proton, das sich z.B. an Ammoniak mit einem freien Elektronenpaar als Nukleophil bindet, wobei ein Amrnoniurnion NH,' ent-
253
6 Glossar
steht. Ebenfalls als Elektrophile z. B. gegeniiber Ammoniak fungieren Metallionen bei der Komplexbildung oder bestimmte Kationen, die mit den n-Elektronen aromatischer Ringsysteme (Benzol, PAKs) reagieren, wie Acetylkationen CH,-CO+ oder Nitryliumionen NO,' (bei der Nitrierung). Emergenz: Entstehung grundsatzlich neuer Eigenschaften bei wachsender Komplexitat des Systems. Beispiele: Ferromagnetismus (Fernordnung von Elektronenspins), Lebensentstehung. Eutrophierung: wortlich Uberdungung. E. bezeichnet die verstarkte Zufuhr von Pflanzennahrstoffen (insbesondereheistens Phosphat oderhnd Nitrat, aber auch Spurenmetalle wie Mg oder Fe) in ein Gewasser, auf die die Pflanzen - hauptsachlich Planktonalgen - mit gesteigertem Wachstum reagieren. Als Folge davon kann nach einiger Zeit absterbende Pflanzensubstanz nicht mehr mithilfe der gelost zu haltenden Sauerstoffmenge abgebaut werden, sinkt zu Boden und induziert unter Wasser Sauerstoffzehrung und anaerobe Abbauprozesse (Sulfatreduktion, H,S-BiIdung), erkennbar u. a. an massenhaftem Fischsterben. Man spricht dann vom ,,Urnkippen" eines Gewassers, was auch bei GroRgewassern wie der Ostsee moglich ist. FARADAY'sche Theorie: wird ein auch thermochemisch verlaufender Redoxprozess als elektrochemische Reaktion gefiihrt, etwa in einer Brennstoffzelle, so entspricht dem Umsatz eines Mols Reagenz (z.B. 1 Mol H,) der Transport einer bestimmten Ladungsmenge, abhangig von der Redoxreaktion (hier 2 Mol Elektronen = 193 Kilocoulomb). Diese Proportionalitat benennt die FAKAoAYsche Theorie der Ladungsausbeute. Sie erlaubt z. B. bei bekannten chemischen Eigenschaften eines Elements (Oxidationsstufe etc.) dessen Atomgewichtsbestimmung durch elektrochemische Prozesse. Bei der elektrochemischen Glimmentladung GDE wird mehr 254
Substanz umgesetzt a k der FARADAYschen Theorie fur die elektrochemische Oxidation entspricht (radiochemische Prozesse mit hoch beschleunigten Radikalionen), bei schlecht funktionierenden Batterien oder Brennstoffzellen deutlich weniger (thermische Verlust- und Nebenreaktionen ohne Stromfluss). Im ersteren Falle der GDE spricht man von Uber-FARADAYscher Stromausbeute (> 100 Yo), im zweiten ist sie < 100 %. FENTON-Reaktion: Oxidationsreaktionen, die ein Gemisch von Eisen(1I) und Wasserstoffperoxid - nicht aber eine der Komponenten allein - verursacht. Reaktive Spezies ist (FeOI2+,nicht das *OH-Radikal. katalysierte Reaktionen, bei denen aus CO (seltener CO,) und elementarem Wasserstoff organische Verbindungen - im einfachsten Falle Methan oder Methanol, aber auch langkettige Kohlenwasserstoffe - gebildet werden, z.B. nach CO + 3 H, CH, + H,O. Als Katalysatoren konnen Metalle wie Eisen, Cobalt, Chrom, Nickel oder die Platinmetalle, Legierungen zwischen ihnen, Metalloxide wie Magnetit Fe,O,,,ja sogar Tonmineralien fungieren; daher finden FT-Reaktionen auch in der Natur statt. Die thermodynamische Triebkraft der Reaktion ist die groRe negative Bildungsenthalpie des Nebenproduktes Wasser. Sind weitere Elemente neben CO und Wasserstoff anwesend, etwa Stickstoff als NH,, konnen sie bei FT-Prozessen mit eingebaut werden, wobei in diesem Falle Aminosauren, Nitrile wie CH,CN und N-Heterozyklen entstehen.
FIsCHER-TRoPsCH-Reaktion:
-
Gaia-Hypothese: die Vermutung, das Leben, die Biosphare insgesamt, verandere die klimatischen und geochemischen Bedingungen an der Erdoberflache so, dass es/sie moglichst lange erhalten bleibt, obwohl die solare Strahlungsleistung stetig ansteigt. Dies geschieht u. a. durch Emission solcher Gase, die Aerosole bilden, wie Schwefelverbindungen.
Glossar 6
HAMMETT-Gleichung: eine Beziehung zwischen den Reaktionsgeschwindigkeiten substituierter aromatischer Verbindungen C,H R mit einem bestimmten Reagenz unter definierten Bedingungen {z. B. Nitrierungen durch (NO,)BF, in Acetonitril bei 60 "C) und der Art des Substituenten R. Den R (z.B. -CH,, -CN, -C(O)OCH,, -OH) wird dabei (jeweils) eine Substituentenkonstante fur Reaktionen in 3- bzw. 4Stellung zugeordnet, mit log ki - log k, = piq, wobei cri die Substituentenkonstante, log k, die Geschwindigkeit der betreffenden Reaktion am Benzol (R = H; oi = 0) und p, die Reaktionskonstante bezeichnen. Letztere hangt von der Art der Reaktion, dem Solvens und der Ternperatur (in unserem Beispiel also Nitrierung in Acetonitril bei 60 "C) ab. In der Regel ist pi negativ, wahrend oi Werte zwischen etwa -1,4 und +0,9 annehmen kann. Die H. ist benannt nach LOUISPLACKHAMMETT (1894-1987).
Metalldeuteride. Zwischen H und D ist der k.1. extrem ausgepragt, rneist ein Faktor 5 bei der Reaktionsgeschwindigkeit, wahrend er zwischen anderen Isotopen ( l 6 0 / I*O, 32S/34Soder 12C/13C)meist nur wenige % betragt, in der Grogenordnung des relativen Massenunterschiedes. Der k.1. kann zur Isotopentrennung verwendet werden (Produktion von Schwerem Wasser). KOLBE-Oxidation: ist eine meist an Platinelektroden durchgefuhrte decarboxylierende Bildung von Alkyl- oder Arylradikalen aus Carboxylaten; die Radikale reagieren dann untereinander unter Dimerisierung oder Disproportionierung. Aus Propionat entsteht so z. B. ein Gemisch von Butan (Radikaldimer), Ethan und Ethen, neben CO,.
Konjugierte Systeme: Systeme, in denen sich C-C-Ein- und Mehrfach (Doppeloder Dreifach-)Bindungen regelmagig abHAMMETT-Plot: Auftragung der (logarith- wechseln. Ringformige konjugierte Sysmischen) Reaktionsgeschwindigkeiten ei- teme sind meist aromatisch. Ausgedehnte, nes Satzes aromatischer Stoffe bei gleichen viele Doppelbindungen umfassende k. S. Bedingungen (Reaktionspartner, Tempera- sind elektronisch leicht anregbar und dafur, Losungsmittel) gegen die HAMMETT- her farbig (z. B. Carotinoide, Merocyaninsche Substituentenkonstante. Es resultiert farbstoffe). eine Geradengleichung, die die Geschwindigkeit weiterer analoger Reaktionen (ben- Konvektion: spontan einsetzende Umwalzoider Aromaten) unter den gleichen Be- zung (Zirkulation) von Fluiden durch dingungen vorherzusagen erlaubt. Energiezufuhr von einer Seite her. K. tritt ein, wenn der Energiefluss die WarmeleitKavitationsblasen: kleine Dampfblasen, fahigkeit ubersteigt. Es handelt sich um ein die hochenergetischer Ultraschall in Was- Selbstorganisationsphanomen der irreverser und anderen Flussigkeiten erzeugt. Un- siblen Thermodynamik. ter den Schall bedingten Druckschwankungen kollabieren die Blaschen (< 0,2 mm KUIPER-Gurtel: Gurtel kleinerer, meist Durchmesser), wobei sehr hohe Drucke hauptsachlich aus Eis bestehenden Planetound Temperaturen erreicht und chemische iden augerhalb der Neptunbahn, d. h. weit Reaktionen ausgelost werden ( s . a. Sono- augen im Sonnensystem. chemie). MARCUS-Gleichung: die Marcus-Gleichung Kinetischer Isotopeneffekt: Unterschied gibt den Zusammenhang zwischen der Reaktionsgeschwindigkeit zwischen verschiedenen Isotopen desselben Ele- a) der bei einer Redoxreaktion frei werdenments, z. B. Reduktion durch Alkohole den Energiernenge, also der Potenzialdifoder Hydride und deuterierte Alkohole/ ferenz der Reaktionspartner,
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6 Glossar
b) dern rninirnalen Abstand der beteiligten Partner, also der Atorne, zwischen denen Elektronen ausgetauscht werden, und c) der Reaktionsgeschwindigkeit an. Ein praktisch Aussage fahiger Vergleich ist allerdings nur zwischen untereinander recht ahnlichen Redoxsystemen rnoglich; er wurde z.B. (MARTIRE& GONZALEZ 2000) fur die Oxidation von Phenolen durch Sauerstoff in Wasser durchgefiihrt. Die M. ist benannt nach RUDOLPH A. MARCUS (geb. 1923; Chemie-Nobelpreis 1992). Metallcluster: chernische Verbindungen, in deren Struktur Metallatorne direkt durch kovalente Bindungen aneinander gekniipft sind, rneist in niedrigen Oxidationsstufen. Beispiele: Hg22+, (Dreieck aus Metallatomen), Ir,(C0),2 (Tetraeder). Mono- und dimiktische Gewasser: Gewasser die einrnal bzw. zweirnal pro Jahr konvektiv vollstandig durchrnischt werden. Dies hangt vorn lokalen Klima und der Wassertiefe ah, weil Wasser ein Dichternaximum nahe 4 "C aufweist. Nachhaltigkeit (sustainability):Form und Leitlinie der Ressourcenbewirtschaftung, die daran orientiert ist, den irreversiblen Verbrauch von Ressourcen zu rninimieren (Kreislaufwirtschaft, regenerierbare Energiequellen) oder zumindest so z u wirtschaften, dass kiinftige Generationen gleiche Chancen einer auskommlichen Lebensfiihrung erhalten wie die heutige. Das bezieht sich auf das Vorhandenbleiben von Ressourcen wie auch Fragen des (globalen und lokalen) Umweltzustands. NHE: Norrnalwasserstoffelektrode (H = hydrogen), bestehend aus rnit reinem Wasserstoff umspiiltem Platin in einer Losung mit p H 0. Hat definitionsgemafi das Potenzial Null bei 25 "C und 1,013 bar und ist daher Bezugselektrode der konventionellen Redoxpotenzialskala.
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Nukleophile: siehe Elektrophile. Reaktionspartner von Elektrophilen; Stoffe, die Elektronenpaare an Elektrophile iibertragen. Beispiele: Ammoniak, Cyanid, Thiolate, CO. Reagieren sie mit H+, so fungieren N. als Bronsted-Basen, gegenuber Metall(ion)en als Liganden. N. konnen in Losungen und Salzschmelzen auftreten. Os-rwALD'sche Stufenregel: zahlreiche Substanzen kiinnen in unterschiedlichen Kristallstrukturen auftreten (z. B. CaCO, als Vaterit, Aragonit [aus dern Muschelschalen bestehen] und Calcit [,,Kalk"J). Bringt man nun Calcium- und Carbonationen zusarnrnen, so entsteht zunachst Vaterit mit relativ geringer Dichte, dessen Kristalle sich spater zu Aragonit und erst dann zu Calcit umlagern, in der Reihenfolge steigender therrnodynarnischer Stabilitat und damit zugleich stark sinkender Wasserloslichkeit. Dieses Verhalten ist weit verbreitet und wird daher als Stufenregel von W I L HELM OSTWAI.D (1853-1932) bezeichnet, aber kein allgemein giiltiges Gesetz. Wegen der O.S. irn genannten Beispiel werden fossile Muschelschalen nicht als solche sondern nur als Abdriicke im Sediment gefunden; bei der langsarnen Urnwandlung der Schalen von Aragonit in Calcit verlieren sie Struktur und Zusarnrnenhalt, gehen in ein mikrokristallines Pulver iiber. Phasen: abgrenzbare Teilvolurnina gleicher oder unterschiedlicher chemischer Zusamrnensetzung. Sie konnen identische Aggregatzustande haben, etwa untereinander nicht rnischbare Flussigkeiten, aber auch als Festkorper neben Fliissigkeiten und Gasen in einem Umweltkompartirnent koexistieren (Wasser und Eis; die Phasen, aus denen ein Boden zusamrnengesetzt ist). Die Anzahl koexistierender Phasen ist durch die Gls~sschePhasenregel begrenzt. Photoinduzierte katalytische Reaktionen: Photoinduziert katalytische Reaktionen iiberfuhren eine Vorstufe durch eine Photoreaktion in den eigentlichen, dann zeit-
Glossar 6
lich (kein Anregungszustand!) und therrnisch stabilen Katalysator, der seinerseits eine energetisch rnogliche, aber in Abwesenheit des Katalysators beliebig langsam verlaufende Reaktion katalysiert. Weil diese Reaktion unter Energiefreisetzung ablauft, kann ein einzelnes Lichtquant, das den Katalysator bildet, im katalytischen Zyklus hernach sehr viele Elernentarreaktionen auslosen (Quantenausbeute >> 1). Dies ist etwa bei der Fotografie der Fall: Silberpartikel katalysieren die Reduktion von Silberhalogeniden durch Gelatine, nachdern sie selbst durch Photolyse von AgCl oder AgBr gebildet worden waren & REHOREK 1988). (vgl. HENNIC
+
Plasma: vierter Aggregatzustand der Materie. Es handelt sich dabei um Case, die ganzlich oder teilweise ionisiert und daher elektrisch leitfahig sind (Ionen enthaltende Fliissigkeiten, etwa Salz- oder Saurelosungen, sind keine Plasmen). Plasmen werden therrnisch, durch ionisierende Strahlung, Stofiwellen oder Entladungen erzeugt (Mikrowellen, Funken, Lichtbogen, induktiv). POppERsches Falsifikationsprinzip: Das P., Kern der neopositivistischen Erkenntnistheorie, stellt folgende Forderung an eine wissenschaftliche Hypothese: ganz gleich worauf sie sich bezieht und auf welcher Datenlage sie beruht, muss sie so gefasst und formuliert sein, dass sie grundsatzlich experimentell falsifizierbar ist. Es muss also rnoglich sein, anzugeben, wie die Hypothese widerlegt werden kann. Aussagen, bei denen das ihrer Forrnulierung oder ihrer Art nach grundsatzlich undurchfuhrbar ist, sind keine wissenschaftlichen Aussagen. Eine zentrale Folgerung aus dern Falsikationsprinzip ist, dass urngekehrt keine den Anspruch der Wissenschaftlichkeit erhebende Hypothese oder Beschreibung nicht einrnal ein Naturgesetz - je bewiesen werden kann: man muss die getroffene Aussage auch nach noch so vielen Experirnenten mit gleichlautend positivem Ausgang letztlich einfach glauben. Der spate
Sir KARLR. POPPER(1902-1994) hat iibrigens formal bewiesen, dass eine solche probabilistische Aussage inhaltlich durchaus verschieden von einer aus rnathematischen Theorernen logisch hergeleiteten sein kann (damit sind auch ,,Richtigkeit" sowie [beinahe noch wichtiger] die Vollstandigkeit der axiomatischen Quantenmechanik [Kopenhagener Interpretation] mogliche Gegenstande eines Tests unter dem Popperschen Falsifikationsprinzip). PouRBAIx-Diagramm: Auftragung der Speziationsforrnen eines chemischen Elements in wassriger Losung in Abhangigkeit von pH-Wert und Redoxpotenzial. Aus dern P. kann also abgelesen werden, in welcher Form z. B. Mangan, kornbiniert rnit H und 0, bei p H 9 und dern Potenzial+O,6 V vorliegt (als MnO,). P. sind auch unter Einschluss von Phasen, die weiterelandere Elemente (P, S, C1, C usw.) enthalten und fur nicht wassrige Systeme forrnulierbar; sie geben stets den therrnodynarnischen Gleichgewichtszustand an. In- oder rnetastabile Stoffe wie *NO, oder SO, sind daher in den P. von Stickstoff bzw. Schwefel nicht zu finden. Hieraus ist urngekehrt erkennbar, dass die betreffenden Speziationsformen (Rauchgas !) mehr oder weniger leicht zu stabilen Produkten urngesetzt werden konnen. Reaktive Wand: ein durchstrombares System, bei dem ein Reduktionsrnittel in Boden bzw. Grundwasser eingebracht wird, urn darin geloste Schadstoffe durch Reduktion zu fallen, zu binden oder zu entgiften. Das reaktive Material ist meist Eisen(-granulat oder -schrott), seltener Kornpost. Reaktive Wande wirken gegen eine Vielzahl von Kontarninanten, von SchwerrnetallsalZen bis zu organischen Halogen- und Nitrover bindung en. Schwermetalle: Metallische Elemente mit Dichten uber 6 g/crn3. S. werden haufig auch pauschal bestirnmte (ausgepragte) toxische Eigenschaften zugeschrieben, dies
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6 Glossar
ist aber nur partiell richtig: es gibt relativ harmlose Schwermetalle wie die Lanthanoiden und hoch toxische Leichtmetalle wie Beryllium. Die hier getroffene Abgrenzung bei 6 d c m 3 (es werden auch niedrigere Werte zur Abgrenzung genannt) hat chemische Griinde. Alle Ubergangsmetalle, Lanthanoiden und Actinoiden auger Scandium, Yttrium, Titan und Europium sind Schwermetalle, von den Hauptgruppenmetallen nur Zinn, Blei, Indium, Thallium und Bismut (Sb und At sind keine Metalle). Die Eigenschaft ,,Schwermetall" und eine relativ leicht erfolgende Reduktion zum Element hangen zusammen, weil sich die Elektronenhiillen von Atomen durch hohe Kernladungen und relativistische Effekte zusammen ziehen.
SNA: Stiichiometrische Netzwerkanalyse. Verfahren, um innerhalb eines Netzwerks chemischer Reaktionen autokatalytische Prozesse zu erkennen. Daher auch geeignet zur Beschreibung von Prozessrisiken innerhalb technisch-chemischer Verfahren (zahlreiche Explosionen beruhen auf Autokatalyse). +
Sonnenwind: ein Teilchenstrom, der von der Sonne ausgeht, ein Plasma mit einer ,,Dichte" von typisch 5-8 Atomen/cm3 (griiBten Teils Wasserstoff und Helium), das aber auch Staub und schwere Ionen transportiert und sich mit Geschwindigkeiten von 300-SO0 km/s von der Sonne entfernt. Der Sonnenwind ist die abstromende obere Sonnenatmosphare: kein normaler Himmelskiirper kann seine Atmosphare vollstandig daran hindern, in den interplanetaren bzw. interstellaren Raum abzuflieRen, zumal die Hochatmosphare der Sonne extrem erhitzt ist (auf > lo6 K ) , weshalb sich die Sonnenwindpartikel mit gut einem Tausendstel der Lichtgeschwindigkeit bewegen und ohne Weiteres entweichen. Sie haben kinetische Energien von einigen Kiloelektronenvolt; treffen sie auf die Atmosphare eines Himmelskorpers wie der Erde, so kommt es dort zu StoBionisation und
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Anregung von Gasmolekiilen, ganz ahnlich wie in einer Neonrijhre. Die Folgen sind Polarlichter, nicht nur auf der Erde, sondern z.B. auch dem Jupiter. Dass sie bei diesen beiden Planeten auf die Umgebung der magnetischen Pole (die jeweils weitab der Rotationsachse liegen) heschriinkt sind, liegt daran, dass eben die planetaren Magnetfelder den Plasmastrom des Sonnenwinds umlenken.
Sonochemie: chemische Umsetzung unter Einwirkung von Ultraschall (meist: Oxidation). Sie geht auf Kavitationsblasen (siehe dort) zuruck. Speziation: Verteilung eines chemischen Elements auf unterschiedliche chemische Bindungszustande oderlund Oxidationsstufen, z. B. in einem Umweltkompartiment. Soweit thermodynamisch kontrolliert, kann die Speziation durch PourbnixDiagramme beschrieben werden, hinzu kommen aber haufig noch thermodynamisch instabile (SO,, Stickoxide) und elementorganische (meist biogene) Bindungsformen. Haufig werden im Laborjargon wie auch der Fachliteratur die Begriffe Speziation und Speziationsanalytik miteinander verwechselt: Speziation bezeichnet den chemischen oder biochemischen Vorgang, der ein chemisches Element in eine bestimmte Form uberfiihrt, Speziationsanalytik hingegen die Identifikation der - z. B. in Meerwasser - vorliegenden Form(en) und deren Quantifizierung (GOSS1.F.R 2004). Spin trap: ungesattigte Verbindung, a n die sich freie Radikale anlagern, wobei ein griifieres und langlebigeres Radikal entsteht; das langlebige Radikal kann dann spektroskopisch detektiert und auf das Ursprungsradikal ruckgeschlossen werden. Typische spin traps sind Nitrone u. a. ungesattigte Stickstoffverbindungen.
Glossar 6
Thermodynamik: Lehre von der Energetik chemischer und physikalischer Prozesse. Thermodynamisch kann sowohl ein Gleichgewicht beschriebedberechnet werden als auch Ordnungsprozesse, die eine stetige Energiezufuhr bedingen (irreversible Thermodynamik). Thermokinetik: Lehre von den Einflussen der Temperatur auf die Kinetik (Geschwindigkeit) von Prozessen (etwa chemischen Reaktionen). Thermokinetische Parameter sind + Aktivierungsenergie und -entropie. Toxin: Giftstoff. Ein Toxin kann sowohl einzelne biochemische Funktionen oder Enzyme hemmen, systemisch wirken als auch etwa die Reproduktion behindern. Biochemisch existieren unterschiedliche Wirkungsmechanismen, u. a. die Reaktion mit dem funktionellen Zentrum eines Enzyms (kovalente Bindung, Metallaustausch) oder einem Rezeptor (haufig bei endokriner Wirkung), Angriff auf Nervenmembranen oder die Signalleitung. Triplettzustand: gewohnliche Molekule haben eine gerade Anzahl von Elektronen in den oberen, chemische Bindungen bildenden Energiezustanden, und diese Elektronen sind jeweils paarweise in einem Orbital vereint. Daher gibt es keine ungepaarten Elektronen, keine frei hervortretenden Elektronenspins, das Molekul ist diamagnetisch (Singulettzustand). Durch elektronische Anregung, am einfachsten mithilfe elektromagnetischer Strahlung (meist im UV-Bereich) kann ein Eiektron in einen hoheren Energiezustand verschoben werden. Damit resultieren zwei ungepaarte Elektronen: das angeregte und das bislang mit ihm in einem Orbital verpaarte. Ein solcher Zu-
stand, meist der energetisch niedrigste Anregungszustand, wird als Triplettzustand bezeichnet. Uberspannung: elektrochemische Prozesse sind durch ein Redoxpotenzial gekennzeichnet. Ihre Umkehrung, d. h. das Herbeifuhren der Umkehrreaktion unter Energiezufuhr (Aufladen eines Akkumulators, Elektrolyse von Wasser) erfordert das Anlegen starker positiver bzw. negativer Potenziale als dem durch das Redoxpotenzial definierten Gleichgewicht entspricht, z. B. wird an einer Bleielektrode Wasserstoff nicht bei 0 V (siehe NHE) sondern erst bei ca. - 0,5 V abgeschieden. Die Uberspannung ist eine fur mehrere an der Elektrode ablaufende Prozesse aufsummierte Aktivierungsenergie (Durchtritts- und Diffusionsiiberspannung) und vom Elektrodenmaterial sowie der elektrochemisch erzwungenen Reaktion abhangig Urey-Gleichgewicht: Gleichgewicht zwischen Calziumcarbonat (Calcit), Calziumsilikat (Wollastonit), CO, (Gas) und SiO, (Quarz): C a C 0 , + SiO, CaSiO, + CO,. Das Urey-Gleichgewicht spielt u. a. bei der Gasbildung in Vulkanen eine Rolle, d. h. fur deren Eruption. Xenobiotika: wortl. lebensfremde Substanzen. Stoffe, die in die Umwelt gelangen und mit der Biosphare wechselwirken, aber in der Natur nicht vorkommen. X. konnen bei der Wechselwirkung mit Organismen toxisch sein oder erhalten bleiben (persistent), miissen dies aber keineswegs, weil zahlreiche Stoffwechselenzyme recht unselektiv Chemikalien angreifen und abbauen.
259
7 St ichwortverzeichnis A
Ahbau von Schadstoffen 91ff Adsorption 99, 102, 235 Advanced Oxidation Procedure (AOP) 148ff, 251 Aerosol 59, 60 Aktivierungsbarriere 122 Aktivierungsenergie 123, 137, 145, 251 Alkalifaliung 173 Ames-Test 2 5 1 Amphotere 25 1 Aquifere 2.51 Aromaten 114 ARKHENIUS4 ARRHEN111S-Gleichung 122, 2.5 1 Arsenvergiftung 109 Atmosphare (s. auch Luft) 49ff - chemische Reaktivitat 63ff - Case 56 - katalytische Prozesse 60ff - Mehrphasensystem 59 - Reaktorprinzip 55 - Struktur und Schichtung 52-55 Autokatalyse 251
B
Basiskonzepte, chemische 98 Biogeochemie 2 7 Rioindikator 2.52 Biologischer Sauerstoffbedarf (BSB) 252 Riologisches System der Elemente (BSE) 35, 36 Biomimetik 130 Riomonitor 252 Biotest 13 Boden 75ff - Bioreaktor 79 - Bodensanierung 82 - Bodenwasche 83, 86, 201ff, 229 - Eigenschaften 78 - Gradientenbildung 79 - Mehrphasensystem 77 - Reinigungsverfahren 84, 85, 86 - Schichtung 76 - Stiirungen der Bodenentwicklung 8 1 - Wanderdunen 80 - Zusanimensetzung 77 BODENsTm+Theorie 252
260
C
CHAPMAN 6 Chelat 192 Cheniischer Sauerstoffbedarf (CSB) 253 Chemisorption 126 Chlor 57, 62 Chlorophyll 66 Chromataufnahme 96
D
Diffusion 131 Diffusionskoeffizient 23 Direktphotolyse 151 Disproportionierung 253 Disulfidbrucke 26 Dosis-Wirkungs-Beziehung 4 3 Dreiwegekatalysator 42, 43, 156ff
E
Eisen(II1)Aquaion 106 Elektronen - solvatisiert 142, 143 Elektrophile 2.53 Erdatmosphare, Zusammensetzung 50, 5 1 Essentialitat 32ff Ethoxyresorufin-0-deethylase (EROD) 13 Ethylendiamintetraessigsaure (EDTA)190ff - Metallkreislauf 199 - Phosphatkreislauf 195 - Photoabbau 197 Eutrophierung 254
F
Fallung 99 Fenton-System 145, 254 FlieRgleichgewicht 128, 130 Fluoressigsaure 9 2 Freie-Ionen-Aktivitats-Hypothese (FIAH) 1 1
G
Gaia-Hypothese 39, 2.54 Gashydrat 183 Geographisches Informationssystem 21 1 Geostatistische Messdatenanalyse 21 9 Gitterenergie I00
Stichwortverzeichnis 7
Gleichgewicht 123, 128, 252, 253 Gleichgewichtskonstante 128 Glimmentladungselektrolyse 152, 164 Glimmentladungsreaktor 165 Grundwasserleiter 75
H
HAECKEL 5 HAMMETT-Gleichung 113, 254 Himmelskorper 4 7
I Immobilisierung 99, 103
J JUNCE5
K
Katalysator 60, 61 Katalyse 122, 123 - heterogen 125 - homogen 125 Katalytische 143 - Reduktion 143 - Enthalogenierung 144 Klaranlage 159ff - pflanzlich 235 Kohlendioxid 178ff Kohlenstoff 57 Komplexbildner 192 Konjugierte Systeme 255 Konvektion 255 Kristallgitter 100 Kybernetik 38ff
L Landschaftsokologische Raumgliederung 214 Landschaftsreprasentanz 218 Lipophilie 24 Loslichkeitsprodukte 100, 132 LOTKA5 Luft (s. auch Atmosphare) 49ff
M Membranfilter 131 - Niere 131
Mesokosmosanlage 193 Metadatenbanken 21 Iff
N
Nachhaltigkeit 256 Natural attenuation 2 0 7 Nettoprimarproduktivitat/Rio Modell 9 Nukleophile 256
0
Offene Systeme 41, 42 Organozinnverbindungen 24 Osmose 131 Oxidation - katalytisch 148 - elektrochemisch 147 - photochemisch 150 Oxidationsvorgange 145 Oxirane 12 Ozonabbau 61-63 Ozonloch 62, 63
P
Paradigma - okologisches 4 - neues 5 Pharmakologie 26, 27 Phasen - fest 256 - fliissig 256 - gasformig 256 Photoelektrochemie 153 Photohydrolyse 149 Photolyse 152 Phytoakkumulation 237 Phytoremediation 227 Phytostabilisierung 237 Phytovolatilisation 237 Plasma 257 Polarlichter 54, 55 POURBAIX-Diagramm 104, 2 5 7 - Arsen 172 - Cadmium 110 -Chrom 108 - Eisen 108 - Schwefel 110 Prozesskinetik 28
Q
QSAR 2 4 , 2 6 , 2 7
26 1
7 Stichwortverzeichnis
R
Radikale S6 Rauchgasreinigung 143 Reaktion 22 Reaktions-Diffusions-System 23 Reaktionskinetik 113, 122, 128 Reaktionskonstante I 1 S Reaktive Wand 168ff, 257 Reaktorkonzept 48ff Redoxpotenzial 104, 135, 136, 137, 171 Reduktionsprozesse 142 Referenzsiifiwasser I94 Rhizosphiire 237 Rhizosphiirenchemie 2.37 Ruckkopplungsanalysen 5
S 3 Schwefel 57 Schwermetall 25, 257 Smog 6, 7, 6 3 Soman 92 Sonnensystem 45ff Sonochemie 163, 2.58 Speziation 104, 258 Spurenanalytik 36 Spurengase 56 Stickstoff 57 Stiichiometrische Okologie 73ff Stachiometrischer Faktor 58 Substituentenparameter 115, 117 SCt10NHFIN
T Taft-Gleichung I20 Testorganismus I3 Tetrachlordibenzodioxin (TCDD) 92 Tetrodotoxin 92 Thermodynamik 258 Toxin 259 Toxizitat 24, 25, 94 Transfer 21 Transformation 2 1 Transport 21
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U Umweltbeobachtung 21 I Umweltchemie 1 Umweltkompartitnente (s. auch Boden, Wasser, Atmosphare, Sonnensystem) 4Sff, 48ff, 139ff Umweltmessnetze 2 1.5
V VEKNADSKY 5 Verteilungskoeffizient 18, 2.38 VOLTERRA5
W
Wasser 64ff - Biologie 69ff - Biomasse 74
Kohlenstoff 74 Meerwasser 69ff - Mehrphasensystem 68 - Nichtgleichgewichtszustande 72 - osmotischer Druck 69ff -Phosphat 74 - physikalische Eigenschaften 6 7 - Redoxzustinde 69ff - Schwefel7 4 - Schwermetalle 7 4 - Stickstoff 74 - SiiBwasser 69ff Wasserdampf - iiberkritisch 146 Wassergefahrdungsklassen 228 Wirkung 22 -
X Xenobiotika 2.59
z Zementation 169ff Zeolith 103, 208