John Vornholt
Babylon 5
Tödliche Gedanken
Roman
scanned by Jamison corrected by Jez
1 »Willkommen auf dem Mars«, s...
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John Vornholt
Babylon 5
Tödliche Gedanken
Roman
scanned by Jamison corrected by Jez
1 »Willkommen auf dem Mars«, sagte die warme Computerstimme, »Die Zeit ist 24:13 Mars-Standard und die Temperatur beträgt gegenwärtig zweihundertundein Grad Celsius. Morgen werden Temperaturen von bis zu zweihundertvierundsiebzig Grad erwartet, mit leichten Staubwinden. Bitte Vorsicht beim Ausstieg, da die Gravitation des Mars nur achtunddreißig Prozent der Erdschwerkraft beträgt. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.« Ja, dachte Harriman, meine Schritte auf dem Laufband sind in der Tat leichter als gewöhnlich. Scheu und zurückhaltend, wie er war, pflegte er selten freudig von einem Fuß auf den anderen zu hüpfen. Er pfiff auch nie während der Arbeit. Sein Job als Telepath für Earthforce erforderte ein Auftreten, das sich nur wenig von dem eines Bestattungsunternehmers unterschied. Heute jedoch fühlte er sich regelrecht aufgekratzt, denn er sollte eine neue Aufgabe übernehmen als
Verbindungsoffizier von Mr. Bester. Bester war der fähigste der Psi-Polizisten; stets bekam er die schwierigsten Aufträge: die Jagd auf Wilde Telepathen. Aber er war mehr als nur ein PsiPolizist, das wußte Gray sehr wohl. Bester war einer der mächtigsten Männer im ganzen Psi-Corps, jener sorgfältig abgeschirmten Organisation zum Training und zur Kontrolle militärisch und zivil eingesetzter Telepathen. Obwohl sein Name auf keiner Liste berühmter Persönlichkeiten zu finden war, gehörte er zu den einflußreichsten Figuren in der gesamten Earth Alliance. Gray wurde von einigen Kindern abgelenkt, die ein paar Schritte vor ihren Eltern dank der niedrigen Schwerkraft auf und ab sprangen. Er war froh, selbst keinen Nachwuchs zu haben, wenngleich ihn in letzter Zeit unerklärliche väterliche Gefühle überkamen. Das liegt an Susan, dachte er. Susan Ivanova von Babylon 5. Sie hatte in ihm diese seltsamen Empfindungen wachgerufen: Und was hatte er in ihr geweckt? Haß und Abscheu. Er wagte kaum, sich selbst Mut zuzusprechen, wenn es um Susan ging, aber am Ende seines ereignisreichen Besuches auf Babylon 5 hatte er eine Spur von Sympathie, einen Hauch von Verständnis in ihrem Umgang mit ihm gespürt. Zumindest glaubte er das. Schließlich konnte man sich das Leben als Telepath nicht aussuchen. Susan Ivanova sollte das besser als alle anderen wissen. Sie hatte so unendlich viel Zuneigung für ihre Mutter, eine Wilde
Telepathin, warum nicht auch für ihn? War er so anders, nur weil er seine Gabe akzeptiert hatte und dem Corps beigetreten war, um sie trainieren und regulieren zu lassen? Was war er anderes als ein Soldat, der in einem Moment tötete und im nächsten den Frieden zu wahren hatte? Man lebte schließlich in einer Gesellschaft, die Regeln brauchte. Und diese Regeln waren zum Wohle aller da. Gut, diese Regeln waren für einige Menschen leichter zu befolgen als für andere, dachte Mr. Gray. Aber niemand wollte Anarchie - wie bei den MarsAufständen vor einigen Wochen. Die Kämpfe waren vorbei, und der größte Schaden war nicht in der Region verursacht worden, in der er sich augenblicklich aufhielt. Es würde eine Kleinigkeit sein, die Meinungsverschiedenheiten auf dem Mars beizulegen, verglichen mit dem Versuch, Susans Herz zu gewinnen. Hätte er doch nur eine Chance, noch einmal nach Babylon 5 zurückzukehren, mit ihr zu reden, sie zu überzeugen, daß er kein Ungeheuer war. In diesem Augenblick erregte eine andere Frau sein Interesse: die Sicherheitsbeamtin am Ende des Ganges. Gray isolierte ihre Stimme von den anderen, die unablässig durch seinen Kopf schwirrten, wenn er sich in einer Menschenmenge befand. Es waren nicht wirklich Stimmen, nur Gedanken, aber sein Geist übersetzte diese Gedanken in eine Art inneren Monolog. Wenn er sich konzentrierte, konnte er jede einzelne Stimme herausfiltern, verstärken und sogar
die Emotionen und Motive dahinter ertasten. Er zog seine Identitätskarte in dem Moment, als die Frau danach fragen wollte, und er spürte einen Anflug von Angst als Reaktion auf die Karte und seine PsiCorps-Abzeichen, obwohl ihr lächelndes Gesicht etwas anderes ausdrückte: »Schönen Aufenthalt, Mr. Gray.« Viele Telepathen genossen diese Angst, die sie unvermittelt bei Fremden auslösten. Sie zogen sich daran hoch und waren enttäuscht, wenn die Psyche des Gegenübers sich nicht vor ihnen beugte. Gray hingegen fand so etwas nur deprimierend. In diesem Augenblick der Unachtsamkeit traf ihn ein derart heftiger Gedanken-Scan, daß es ihn fast umwarf. Wenn ihn die geringe Schwerkraft nicht gegen eine Wand geworfen hätte, wäre er zu Boden gestürzt. »Ist alles in Ordnung?« fragte die Sicherheitsbeamtin, während sie nach seinem Ellbogen griff und ihm aufhalf. »Ja, ja,« keuchte er, während er seinen Kopf zu klären versuchte. Wer hatte ihm das angetan? Ein kleiner Mann mittleren Alters in schwarzer Uniform trat hinter einem Pfeiler hervor. Er lächelte; ein hoffnungsloser Versuch, freundlich zu wirken. Doch es ging nur Herzlosigkeit von ihm aus. »Ihr Freund wird sich um Sie kümmern,« sagte die Beamtin und überließ Gray den behandschuhten Armen des Mannes. »Ich freue mich, Sie zu treffen«, sagte Bester, ohne dabei den Mund zu öffnen.
Gray blinzelte erstaunt und antwortete telepathisch: »Ich hatte nicht erwartet, daß Sie mich persönlich abholen würden, Mr. Bester.« »Sie werden feststellen«, entgegnete Bester nun laut vernehmlich, »daß ich an der alten Weisheit festhalte: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.« Gray hätte um ein Haar gegen den GedankenScan protestiert, der ohne seine Erlaubnis und ohne Vorwarnung über ihn gekommen war. Aber er wußte, daß es sinnlos gewesen wäre. Bester stand über dem Gesetz, und anscheinend arbeitete er lieber von einer Position hinter den Pfeilern und auch hinter den Politikern aus. In einer privilegierten Gruppe war er der Privilegierteste. Harriman Gray war ein schmächtiger Mann und es beruhigte ihn, daß Bester kaum größer war als er. Wenn man die beträchtliche Menge an Haaren auf Besters Kopf abzog, war er vielleicht sogar ein wenig kleiner. Der Psi-Polizist runzelte die Stirn: »Ja, aber ich bin ein P12, und Sie sind nur ein P10.« »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten«, entschuldigte sich Gray schnell. Bester lächelte und begann, durch den Korridor zu schreiten: »Natürlich nicht. Laut einigen Studien sind kleinere Männer empfänglicher für Telepathie. Glauben Sie, daß die Evolution dadurch den Größennachteil auszugleichen versucht ?« »Ich habe die Berenger-Studie ebenfalls gelesen,« erwiderte Gray, »aber ich finde nicht, daß sie einen
Beweis erbracht hat. Schließlich hat dieselbe Studie erwiesen, daß größere Frauen empfänglich für Telepathie sind. In meinen Augen scheint es sich dabei nur um eine statistische Unstimmigkeit zu handeln.« »Genau darum wollte ich Sie selbst abholen«, bemerkte Bester zufrieden, »um mit Ihnen ein wenig zu plaudern. Sie wissen, daß dieser Auftrag nicht viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Wir bügeln einige Falten in den Konferenzdetails aus und gehen dann ins Wochenende. Aber ich bin auf der Suche nach einem neuen Assistenten.« Das überraschend offene Angebot einer Beförderung erwischte Gray völlig unvorbereitet, dennoch blockte er seine Reaktionen so gut wie möglich ab. Trotzdem spürte er den Geist Besters, der auf der Suche nach einer Reaktion in seinen Kopf drängte. Seine Methode, sich dieser Sondierung zu verweigern, schien indes effektiv. »Ich habe von der armen Miss Kelsey gehört«, sagte Gray jetzt und schüttelte betrübt den Kopf. »Eine Tragödie.« Bester zuckte die Achseln und stellte den Scan ein: »Sie kannte das Risiko. Wir erfüllten unseren Auftrag, das stand im Vordergrund. Als Sie auf Babylon 5 waren, kamen Sie auch minus einer Person wieder.« Touché, dachte Gray. »Ja, auch das war eine Tragödie«, sagte er mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit.
»Unsinn«, bellte Bester, »Ben Zayn war ein Schwächling, ein ausgebrannter Krieger, genau wie Sinclair.« Der Mann in der schwarzen Uniform schlug nun den Weg in einen anderen Gang ein und Gray folgte ihm auf dem Fuße. Abgesehen von der Leichtigkeit der Bewegungen deutete nichts darauf hin, daß sie auf dem Mars waren. Die Andockareale sahen wie in jeder anderen Installation für Sauerstoffatmer aus: Es gab die üblichen überfüllten Korridore, Souvenirläden, Floristen, Zeitungsstände, Restaurants und Geldautomaten. Man konnte nur von der Aussichtskuppel etwas von dem Roten Planeten sehen. Bester zog weiter über Babylon 5 her: »Weder Sinclair noch Ben Zayn waren für den Posten auf B5 geeignet. Und jetzt haben wir einen weiteren Kriegshelden dort - John Sheridan. Das ist das Problem mit dem Senat und dem Präsidenten: Sie hieven Kriegshelden in die Kommandopositionen, nur weil sie beliebt sind.« »Sie halten wohl nicht viel von Captain Sheridan?« fragte Gray überrascht. »In der Earthforce denkt jeder, er sei die richtige Wahl gewesen.« »Wenigstens hält er sich an die Regeln«, räumte der Psi-Polizist ein. »Ein ehrliches Arbeitstier. Aber er wird schnell merken, daß für Babylon 5 nur wenige Regeln gelten. Ich behalte mir ein Urteil vor, bis ich sehe, wie er sich in Streßsituationen verhält.«
»Wäre es Ihnen lieber, wenn jemand vom Corps B5 führen würde?« »Nein«, antwortete Bester, »wir bleiben besser im Hintergrund. Aber es wäre gut, einen Freund auf diesem Posten zu haben.« Gray räusperte sich und versuchte, das Gespräch wieder auf die Beförderung zu lenken: »Wenn Sie einen neuen Assistenten brauchen, muß er oder sie dann nicht Psi-Polizist sein?« »So denkt man gemeinhin - ein Psi-Polizist hält sich an seinesgleichen. Aber das ist nicht die offizielle Politik. In vielerlei Hinsicht ist es besser, meinen Assistenten nicht auch als meinen Ersatzmann zu betrachten. Ich finde jederzeit problemlos Psi-Polizisten, die nach den Flüchtigen fahnden, aber ein fähiger Assistent ist schwer zu ersetzen.« Nach einer weiteren Biegung fuhr Bester fort: »Mein Assistent muß Mitglied des Psi-Corps sein und einen Tiefen-Scan zulassen. Das ist Grundvoraussetzung. Abgesehen davon könnte es jeder sein.« Der ältere Telepath blieb plötzlich stehen, drehte sich um und blickte Gray fest in die Augen: »Ich habe zahlreiche Informationen über Sie eingeholt, Mr. Gray. Mir gefällt, wie Sie es schaffen, aus jedem Gefecht als Sieger hervorzugehen. Das und Ihren militärischen Background finde ich ausgesprochen positiv.«
Gray wartete auf den Stoß eines Tiefen-Scans, aber nichts geschah. Bester sah ihn nur an, einen zufriedenen Ausdruck auf dem überraschend jugendlichen Gesicht. Es war, als wollte er sagen: Ich kann in jeden Geist springen, jederzeit, aber diesmal lasse ich es gut sein. Und so nahm der junge Verbindungsoffizier das Angebot für das, was es war - eine Probezeit als Mr. Besters Vollzeitassistent. Trotzdem vergaß Gray keinen Augenblick, daß er hier war, um die Standpunkte des Militärs bei einer bevorstehenden Konferenz hochrangiger Telepathen zu vertreten. Pressemitteilungen zufolge ging es um kommerzielle Anwendungen von Telepathen. Repräsentanten aller großen Unternehmen würden zugegen sein, aber jeder wußte, wer das Corps kontrollierte. Die Militärtelepathen stritten mit denen der Konzerne um die Brotkrumen der Macht, die Bester längst besaß. Sie mochten ihre eigenen Bereiche im Griff haben, aber Bester und die PsiPolizisten kontrollierten sie alle. »Die Transportbahn ist dort hinten«, sagte Bester, »wir haben ein eigenes Abteil.« »Mein Gepäck«, warf der junge Telepath ein. Bester lächelte: »Wird schon in Ihre Suite gebracht. Ich denke, das Royal Tharsis-Hotel wird Ihnen zusagen.« In der Ruhe des abgeschlossenen Bahnabteils konnte Harriman Gray endlich entspannen und sich der Aussicht widmen, oder was in der dunklen
marsianischen Nacht davon zu sehen war. Der wütende Rote Planet sah gar nicht so wütend aus, überzogen mit einem Netz von Bahnröhren, vorgefertigten Siedlungen und geschützten Kuppeln. Er ähnelte eher einer riesigen Ansammlung von Termitenhügeln auf einem großen staubigen Parkplatz. Unter ihnen gähnte eine gigantische Schlucht, in der nur die Lichter einer wissenschaftlichen Station auf einem Felsvorsprung auszumachen waren. Gray schätzte die Schlucht sechs Kilometer tief, dreimal so tief wie der Grand Canyon. Sie verlor sich in der Distanz, ehe er noch einen genaueren Blick riskieren konnte. Mit einem Minimum an Schwerkraft und Haftung glitt die Bahn mit vierhundert Stundenkilometern über die Oberfläche des Mars. Gray wandte seinen Blick nach vorne, dem Ziel entgegen - der Tharsis-Anhöhe, ein Plateau vulkanischer Aufbrüche, das fünf Kilometer hoch in den Himmel ragte. Angestrahlt wie die Pyramiden, konnten die Lichter kaum einen Bruchteil der wahren Größe erfassen. Bei Tageslicht schien sich dieses Ungetüm in die Unendlichkeit auszudehnen, doch Gray wußte, daß es nur ungefähr dreitausend Kilometer maß. Die Tharsis-Anhöhe war eine Touristenattraktion erster Güte, das konnte niemand bestreiten. Und das Royal Tharsis war ein piekfeines Haus, so piekfein, daß sowohl der Manager als auch der Chef Centauris waren. Gut und schön, dachte Gray, aber wenn man
von den centaurischen Annehmlichkeiten einmal absieht, gibt es hier draußen nicht mehr zu sehen als plattes Gestein. Er hätte einen Konferenzort auf der Erde vorgezogen, inklusive Grünanlagen und Wasser. Nicht diesen heißen, staubigen Fels. Bester war still und nachdenklich, während er aus den gewölbten Fenstern sah. »Sie sehen hier nichts Interessantes, oder?« bemerkte er. »Das ist wahr«, antwortete Gray, »ich fand den Mythos Mars schon immer reichlich überbewertet. Hinter der Fassade all dieser grazilen Röhren ist viel Armut verborgen, Mißgunst und ... nichts. Die Menschen haben hier nach etwas gesucht, nur wenige haben was gefunden. Nun wollen sie den Schwarzen Peter dafür dem Planeten zuschieben, von dem sie kommen.« »Ja«, sagte Bester, während er zum Horizont blickte, der rosa überhaucht war. »Aber wenn man hier auf dem Mars etwas findet, ist es vielleicht unbezahlbar.« Obwohl sie ganz allein in dem Privatabteil waren, beugte sich Gray vor und flüsterte verschwörerisch: »Es gibt Gerüchte über Ereignisse auf unserem Außenposten in Syria Planum. Dürfte ich Sie fragen, Mr. Bester, was dort geschieht?« Der kleine Mann fuhr hoch: »Diese Information steht dem zu, der sie braucht. Sie brauchen sie nicht.« »Entschuldigung, Sir«, sagte Gray und setzte sich wieder gerade hin. Das Militär hatte eine ziemlich
genaue Vorstellung von dem, was im Psi-CorpsTrainingscenter vor sich ging, und man hatte ihn darüber informiert. Aber es war weder die Zeit noch der Ort, das Thema weiter zu verfolgen. Bester entspannte sich wieder ein wenig, aber er wirkte immer noch abwesend. »Sie müssen verstehen, daß wir niemandem etwas über Syria Planum sagen können, weil wir die einzigen sind, die es geheimhalten können.« »Ja«, nickte der junge Telepath. Seit die Existenz der Telepathie vor sechs Generationen wissenschaftlich nachgewiesen worden war, testete und beobachtete das Psi-Corps Telepathen. Es war von einer kleinen Unterabteilung zur bestgehaßten Organisation in der Allianz angewachsen, und die meisten Telepathen betrachteten sich als genetisch überlegen. Es war ihre Last, daß all die Gewöhnlichen, die NichtTelepathen, zu einer niederen Klasse werden mußten. Er mochte den Gedanken nicht wirklich, sah darin aber eine Art natürlicher Evolution der Gesellschaft. Wer konnte sich ihnen in den Weg stellen? »Es ist spät«, sagte Bester, »aber ich kann sofort eine Führung durch das Hotel für Sie arrangieren, wenn Sie wollen.« »Ich war schon einmal hier«, antwortete Gray, »wenn auch nur für einen Tag. Es ist eine schöne Anlage.«
»Und sicher«, ergänzte der Mann in der schwarzen Uniform. »Die Schienenbahn ist der einzige Weg hin oder zurück. Wahrend des Wochenendes können wir dafür sorgen, daß nur Teilnehmer der Konferenz und einige ausgesuchte Gäste hier absteigen.« Gray schüttelte zögernd den Kopf: »Ich bin soviel gereist, daß ich nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand bin. Machen die Separatisten uns immer noch Sorgen?« »Verdammte Idioten«, grummelte Bester, »sie haben nicht die geringste Chance. Wir werden den Mars keinem Haufen ungebildeter Minenarbeiter überlassen, glauben Sie mir.« Gray räusperte sich: »Das Militär hätte einen Konferenzort auf der Erde vorgezogen, Sparta oder vielleicht West Point.« Bester lächelte: »Haben Sie jemals marsianisches Basketball gespielt?« Gray beugte sich interessiert nach vorne: »Nein, aber ich habe davon gehört.« »Es ist wie Basketball auf der Erde«, erläuterte Bester, »aber dank der geringen Schwerkraft kann jeder punkten. Es gibt hier ein paar wundervolle Plätze, und vielleicht kann ich Sie mal zu einem morgendlichen Spiel überreden. Wir müssen die Verträge mit dem Hotel nicht bis morgen abend unterzeichnen.« »Sehr gerne«, strahlte Gray.
Der junge Mann fühlte sich bereits etwas entspannter. Sicher waren all die Geschichten über Mr. Bester nicht wahr. Er konnte das Hotel nun sehr deutlich erkennen, eine Art Deco-Monstrosität, die überhaupt nicht wie ein Hotel aussah. Nur die vorragenden Felskanten von Tharsis gaben dem Komplex Form. Da ließ eine Explosion das zerklüftete Gestein aufblitzen, und glühende Teile des Hotels schossen in alle Richtungen. Stühle, Tische und andere Objekte wurden mit Wucht in die dünne Atmosphäre katapultiert. Die Flammen erstarben sofort, während die Trümmer weiter umherflogen. Die Schockwelle rüttelte an der Schienenbahn, und wenn sie nicht angeschnallt gewesen wären, hätte es die Passagiere von den Sitzen gerissen. Die Beleuchtung flackerte kurz, und die Bahn kam vibrierend zum Stehen. Der Sauerstoff war noch nicht verbraucht, aber Gray schnappte bereits nach Luft. »Ruhig«, befahl Bester, »was immer Sie tun, öffnen Sie den Gurt nicht. Was ist mit diesem Ding los?« Er schlug gegen die Kontrolltafel über seinem Kopf und ein Dutzend Atemmasken purzelte heraus, die wie die Tentakel eines aufgeblasenen Tintenfisches von der Decke baumelten. Die Veränderung des Luftdrucks ließ Papier und Becher durch den Raum schweben.
»Setzen Sie eine Maske auf«, sagte Bester. Gray hielt bereits vier davon in seinen Händen. Sie legten die Sauerstoffmasken an und warteten im flackernden Schein der Kabinenbeleuchtung. Gray spürte, wie sich seine Kleidung spannte, und die Haare auf seinen Armen und auf seinem Nacken schienen sich aufzurichten, während die Luft immer trockener wurde. In ein paar Minuten werden wir in sauerstoffloser, zweihundert Grad heißer Atmosphäre verdorren, dachte er in Panik. Er schaute auf das gähnende Loch im Royal TharsisHotel. Immer noch flogen Überreste heraus, und manche davon sahen wie menschliche Leichen aus. Oder centaurische Leichen. Die Stimmen begannen, auf seinen Geist einzustürzen. Gray schloß die Augen und konzentrierte sich auf seine Atmung. Bester riß sich die Maske vom Gesicht und schnupperte. »Bleiben Sie sitzen«, rief er, »das ist ein Befehl. Ich werde versuchen, meine Gurte zu lösen und dieses Ding in den Rückwärtsgang zu schalten.« Gray hob seine Maske ein wenig an, um sprechen zu können: »Nein, Mr. Bester. Wenn die Luft rausgesaugt wird, fliegen Sie womöglich mit.« »Denken Sie, ich will hier sitzen und zu Tode gebacken werden?« antwortete Bester, während er bereits seine Gurte löste. Er sprang auf und riß die Abdeckung über seinem Kopf aus der Decke: »Obwohl man sagt, daß Austrocknung eine der angenehmeren Todesarten ist.«
»Das will ich gar nicht wissen!« kreischte Gray. Er schluckte und zog die Maske wieder ganz über sein Gesicht. Bester war wie besessen, er riß Paneele aus der Decke, dem Boden, den Wandkabinen und dem Waschraum. Manchmal griff er nach der Maske, um einen Zug Sauerstoff zu nehmen, aber das hielt ihn nur kurz auf. Hinter der Verschalung über dem Waschbecken fand er, wonach er gesucht hatte: ein Paar altmodisch anmutender Hebel. »Manuelle Steuerung«, erläuterte er, »eine nicht in den Handbüchern verzeichnete Sicherheitsvorkehrung. Erstaunlich, was man alles mitbekommt, wenn man den ganzen Tag die Gedanken anderer Leute liest.« Bester nahm noch einen Atemzug aus der Maske und griff nach den Hebeln, Sein normalerweise welliges Haar hing in wirren Strähnen um seinen Kopf, und Schweiß lief sein Kinn hinunter. Der PsiPolizist nahm sich zusammen und zog mit einem kräftigen Ruck an den Hebeln. Soviel Kraft erwies sich als unnötig, denn die Hebel gaben leicht nach. Es gab ein vernehmliches Krachen, und die Bahn erzitterte. Einen Augenblick darauf schoß sie so schnell rückwärts los, daß es Bester umwarf. Gray war froh, noch angeschnallt zu sein. Bester rappelte sich angeschlagen auf und kroch auf den nächst besten Sitz zu. Er schnallte sich wieder an, nahm eine Maske und inhalierte dankbar den frischen Sauerstoff.
Gray bemerkte nun, daß er selbst völlig durchgeschwitzt war. Er wollte sich zusammenreißen, doch das war angesichts des nun in völliger Finsternis liegenden Hotels und seiner klaffenden Wunde kaum möglich. Mit einem Mal wurden die Stimmen, die Schreie und die Angst lauter. Gray hielt sich die Ohren zu und versank in seinem Sitz. »Geben Sie sich ihnen nicht hin«, brummte Bester, »blocken Sie. Sie können ihnen nicht helfen.« Die deutlichen Worte beruhigten Gray ein wenig und halfen ihm, die Stimmen in den Hintergrund zu drängen. Er konzentrierte sich auf sein Zuhause in Berlin. Sein Zuhause, das war ein düsteres kleines Apartment im zweiten Stock, karg möbliert und mit einem Fenster samt Blumenkasten, das auf einen kleinen Teich sah. Er liebte es. Gray hatte das Apartment erst vor ein paar Monaten bezogen und war sehr stolz darauf, obwohl er bisher nur ein paar Nächte zwischen seinen Aufträgen dort verbracht hatte. Er wollte jemanden zum Essen in seine Wohnung einladen. Jemanden wie Susan. Er konzentrierte sich auf Susan Ivanova, bis die angstvollen Stimmen in seinem Kopf allmählich leiser wurden. Bester räusperte sich: »Nun, damit können wir das Royal Tharsis-Hotel wohl von unserer Liste streichen. Wohin könnten wir Ihrer Meinung nach die Konferenz so kurzfristig verlegen? Und schlagen
Sie jetzt bitte nicht die Erde oder das Trainingscenter auf Syria Planum vor.« »Wenn nicht die Erde«, sagte Harriman Gray, »dann vielleicht Babylon 5.« Bester nahm ein Taschentuch und wischte sich das Gesicht ab: »Hm, Sie möchten also gerne nach Babylon 5?« »Ja«, entgegnete Gray und richtete sich auf, »wir wollen doch beide sehen, wie Sheridan dort vorankommt. Die Station ist autark und relativ sicher. Ich weiß, daß Mr. Garibaldi ein Problem mit seiner Einstellung hat, aber er erledigt seine Arbeit und hat eine gute Mannschaft. Wir haben sogar eine permanente Telepathin dort, Talia Winters, die unser Verbindungsglied sein könnte.« »Verstehe ich Sie richtig«, sagte Bester. »Sie wollen auf B5 einfallen, nach kurzer Vorankündigung, mit vierhundert der höchstrangigen Telepathen des Psi-Corps?« »Ja, Sir.« Bester tippte sich mit dem Finger auf die Lippen und lächelte. »Auch wenn wir dort kein marsianisches Basketball spielen können, erscheint mir die Idee immerhin amüsant. Sie setzen sich mit Mrs. Winters in Verbindung, ich kümmere mich um meine Kanäle. Sie soll Captain Sheridan um Erlaubnis bitten, und ich will sicher sein, daß er nicht ablehnt.« Gray schluckte und begann: »Commander Ivanova ...«
»Wird wie immer Schwierigkeiten machen.« Bester schnalzte unwillig mit der Zunge. »Eine makellose Akte, bis auf diese sonderbare Ablehnung des Psi-Corps. Als wäre ihre Mutter die einzige Telepathin, die je in den Schlaf geschickt wurde.« Gray nahm sich vor, Susan nicht mehr zu erwähnen. Bester wußte nichts über sein Privatleben, auch wenn er die Schwärmerei für Susan möglicherweise bei dem unerwarteten Tiefen-Scan entdeckt hatte. Nun dachte Gray an seinen neuen Auftrag und nur daran ... Nur daran. Der junge Mann wagte noch einen letzten Blick aus dem Fenster. Das halbe Hotel auf dem Felsvorsprung war nun wieder erleuchtet, ein erfreuliches Zeichen. Die Notfallsysteme und die Luftschleusen hatten anscheinend ihre Arbeit aufgenommen. Und was das beste war: Die Stimmen waren bis auf ein leises Flüstern abgeebbt. »Glauben Sie, das waren die Mars-Separatisten?« fragte er vorsichtig. »Wer sonst?« »Ich frage mich, wieviele Menschen bei dieser Explosion umgekommen sind«, warf Gray in den Raum. Bester schloß die Augen: »Ich habe sechsundzwanzig gezählt.«
2 »Siebenundzwanzig Tote bei Attentat auf MarsHotel!« schrie die Schlagzeile der Universe Today. Talia Winters unterbrach ihren Spaziergang durch die Einkaufspassage und starrte auf die Zeitung, die in dem kleinen Geschenkladen im Schaufenster lag. Die hochgewachsene blonde Frau mußte nur die ersten Absätze lesen, um zu ahnen, daß ihr AlleSpesen-inklusive-Trip zum Mars gefährdet war. »Das Royal Tharsis-Hotel in der MarsZentralregion war am frühen Morgen Ziel eines Terroranschlags, bei dem siebenundzwanzig Menschen, die meisten davon Angestellte des Hotels, ums Leben kamen. Die Behörden haben noch keine heiße Spur, obwohl eine bislang unbekannte Terrororganisation die Verantwortung für das Attentat übernommen hat. Die Organisation nennt sich selbst >Freier Phobos< und hat ein Bekennerschreiben veröffentlicht, aus dem hervorgeht, daß das Attentat eine geplante Konferenz von Psi-Corps-Funktionären verhindern sollte. Ein Sprecher des Corps sagte, daß das Hotel
nur einer von vielen möglichen Veranstaltungsorten gewesen sei. Die Behörden gehen davon aus, daß der Angriff auf dem Landweg erfolgte, da auf der TharsisAnhöhe entsprechende Hinweise gefunden wurden.« Talia wandte sich ab und fragte sich, ob die Probleme auf dem Mars wohl jemals gelöst werden würden. Sie hatte jetzt eine Verabredung und konnte sich nicht mit ihren eigenen Sorgen befassen. Mit einem Seufzer ging sie weiter den Korridor hinunter. Wie gewöhnlich drehten sich viele Köpfe nach ihr um, doch Talia ignorierte das. Sie war eine schöne Frau mit glattem blonden Haar, einem intelligenten Gesicht und langen Beinen; die graue Kombination saß wie maßgeschneidert. Ihr P5-PsiGrad war nur Durchschnitt, aber ihre elegante Ausstrahlung war bei Treffen und Verhandlungen mindestens ebenso begehrt wie ihre telepathischen Fähigkeiten. Selbst wenn beide Seiten offen waren und sich nichts vorzumachen hatten, brachte Talia ein Gefühl der Seriösität und Ernsthaftigkeit ein. Und das wußte sie. Heute war ihr Selbstbewußtsein allerdings auf einem Tiefpunkt. Und das nicht nur wegen der voraussichtlichen Verschiebung der Konferenz, es ging auch um den mysteriösen Klienten, mit dem sie verabredet war. Talia hatte sich damit abgefunden, die Details alltäglicher Geschäfte nicht zu verstehen. Das war normal. In solchen Fällen konzentrierte sie sich auf
die gegnerische Partei, um herauszufinden, ob sie ehrlich und vertrauenswürdig war. War ein Geschäft zu beiderseitigem Vorteil erwünscht oder ging es lediglich um einen Schwindel zur persönlichen Bereicherung? In den meisten Fällen war es nicht einmal nötig, den Unterschied zwischen einer Hydro-Thermalbombe und einer »Sexbombe« zu kennen. Dieser Klient aber war anders. Sie verstand weder Botschafter Kosh und seine Verhandlungspartner, noch den Zweck der Besprechungen. Für jeden Telepathen wäre diese Wissenslücke, dieses dunkle Loch in seinem Verständnis, mehr als beunruhigend gewesen. Es war die unangenehmste Erfahrung im ganzen Universum. Sie hatte gehofft, während der Konferenz von ihren Kollegen mehr über Kosh zu erfahren, aber das war ja nun hinfällig. Keine Konferenz, dachte sie mürrisch, und keine weiteren Pläne bis auf eine nervenaufreibende Begegnung mit Botschafter Kosh. Die attraktive Telepathin stoppte bei dem kleinen Café in ROT-3. Es war ein kleines Lokal, das von den Bewohnern des Rot-Sektors häufig besucht wurde, wenn sie eine einfache und schnelle Erfrischung wollten. Sie hatte keine Ahnung, was Kosh daran gefiel. Seine Botschafter-Suite befand sich im Alien-Sektor auf der anderen Seite der Station. Sie hatte eine Theorie, warum er die Zeit mit ihr oft die »Stunde der Betriebsamkeit« nannte. Für eine
kurze Zeit zwischen den Schichten wurde das Café in Rot-3 zum »Aufreißplatz«, besonders für die umliegenden Anwohner auf ihrem Weg nach Hause. Selbst das Personal der Earthforce fühlte sich in dieser »Stunde der Betriebsamkeit« in Rot-3 wohl. Talia schlenderte hinein und hielt inne. Kosh ragte aus der Menge heraus wie eine Statue in einem Park, die man mit einer Plane abgedeckt hatte, um Vögel zu verscheuchen. Er stand an dem brusthohen Tresen. Oder besser, sein verzierter, klobiger Sehutzanzug stand dort - niemand auf der Station hatte eine Ahnung, wie er darunter aussah. Talia war überzeugt, daß er sehr stark war, sonst hätte er diesen enormen Anzug nicht tragen können. Der Anzug hatte eine Art Kragen, der aus einem phantastischen marmorartigen Gestein gemeißelt war, und dieser Kragen allein war größer als die meisten Tische in diesem Restaurant. Kostbare Stoffe flossen von dieser Halskrause dem Boden entgegen, teilweise bedeckt von einer Brustplatte, die mit Lichtern übersät war. Die Brustplatte konnte man leicht für eine eitle Verzierung halten, bis man zuweilen ein Präzisionsinstrument aus ihr hervorschießen sah, um komplizierte Arbeiten zu verrichten. Die Brustplatte barg außerdem noch Koshs Kommunikator, der sein melodisches Idiom in Standard Interlac übertrug. Talia atmete tief durch und ging zu seinem Platz: »Ich wünsche eine angenehme >Stunde der Betriebsamkeit<, Botschafter Kosh.«
»Ihnen auch, Mrs. Winters.« Der riesige Schädelaufsatz nickte. Sein Haupt wirkte wie die künstlerische Interpretation eines Schlangenkopfes, augenlos und verschlossen. Alle Öffnungen befanden sich an seinem Kragen, und sie drehten und bewegten sich und zischten ohne Unterlaß. »Wurde Ihr Gast aufgehalten?« fragte Talia und sah sich nach dem zweiten Teilnehmer des Gesprächs um. Die Melodie von Koshs Stimme klingelte, seine Lichter blinkten: »Sie ist hier«, antwortete die Übersetzereinheit. Der riesige Schädelaufsatz wies zum anderen Ende des Tresens. »Ist sie?« fragte Talia unsicher und schüttelte ihre blonden Haare. Dann seufzte sie und legte die Hand an ihre Stirn: »Sagen Sie nichts - Ihre Freundin ist unsichtbar?« Kosh nickte. Talia versuchte zu lächeln, ihre Fingernägel trommelten auf den Tresen: »Ist das nicht erstaunlich, eine unsichtbare Freundin? Herr Botschafter, ich bin eine lizensierte Telepathin, kein Begleitservice. Wenn Sie mich irgendwann einladen wollen, werden ich es Ihnen vielleicht nicht einmal auf die Rechnung setzen. Sie müssen nicht die volle Gebühr bezahlen, nur um mit mir einen Drink zu nehmen. Besonders nicht in der >Stunde der Betriebsamkeit<.«
Kosh nickte energisch zu der unbesetzten Ecke am Tresen hin: »Ihr Name ist Isabel«, sagte seine synthetische Stimme. »Die unsichtbare Isabel«, murmelte Talia. »Okay, Botschafter Kosh, das war's. Ich brauche keine weiteren Aufträge von Ihnen. Sie haben zum letzten Mal an meiner Kette gezogen.« Der Schutzanzug schien sich ein wenig in die Luft zu erheben, um dann zu verharren: »Scannen Sie sie«, befahl die Stimme. Talia schluckte. Es würde nur einen Augenblick dauern, dann könnte sie verschwinden und den Scheck einlösen. Eine imaginäre Person zu scannen konnte auch nicht schlimmer sein als mit ihr zu sprechen. Oder war da wirklich jemand? Sie hatte schon von Tarnanzügen gehört, aber sie wußte auch, daß diese in beengten Räumlichkeiten nicht gut funktionierten. Da sie bisher auch keine andere Stimme in diesem Winkel der Bar vernommen hatte, war Talia sicher, daß die unsichtbare Isabel nicht existierte. Trotzdem atmete sie tief ein und versuchte, sich auf den leeren Platz am Ende der Theke zu konzentrieren. Kosh hätte einen vorgetäuschten Scan in jedem Fall bemerkt. Die meisten Scans, die sie für Kosh durchgeführt hatte, waren absolut unnütz gewesen, wenn auch nicht ganz so sinnlos wie dieser. Etwas nicht Existentes zu scannen erwies sich als schwieriger als erwartet, und Talia mußte einige Kraft aufwenden, um zuerst alle anderen Stimmen im Raum
auszublenden. Wenn Isabel tatsächlich unsichtbar war, wäre allein ihre psychische »Stimme« wahrnehmbar. Die Ausblendung aller anderen Stimmen würde Talias Verdacht bestätigen. Und sie würde beweisen, daß Kosh verrückt war. Das zumindest glaubte Talia, als sie mit dem Scan begann. Eine Stimme nach der anderen wurde von ihr herausgepickt, isoliert, zugeordnet und dann eliminiert. Es erforderte viel Konzentration, und sie ließ ihre Augen von Person zu Person wandern. Der Narn weg, der Antareaner, der Centauri, Touristen, zwei Sicherheitsoffiziere, der Kellner, der Barkeeper - einen nach dem anderen verbannte sie aus ihrem Kopf. Am Schluß war nur noch ihre eigene, die Stimme des Botschafters und die einer weiteren Person übrig. Es gab eine weitere Stimme im Raum. Kaum hatte Talia die Stimme isoliert, war sie auch schon wieder verstummt. Die Telepathin warf Kosh einen überraschten Blick zu: »Was ist mit ihr passiert? Wo ist sie hin?« Der Vorlone schüttelte den Schädelaufsatz: »Fort.« Das hatte Talia nicht hören wollen. War da jemand gewesen oder nicht? Sie hatte jetzt einen fünfzehnminütigen Scan hinter sich und irrsinnige Kopfschmerzen, trotzdem stand sie noch immer mit leeren Händen da. Sie deutete mit ihrem manikürten Zeigefinger auf Kosh: »Ich denke daran, meine Gebühren für Sie zu erhöhen.«
»Ihre Gebühren sind nicht das Problem«, bemerkte der Vorlone. Nein, dachte sie, das ist wahr. Sie sagte: »Ich würde die >unsichtbare Isabel< gerne mal wieder treffen.« »Wenn die Zeit gekommen ist«, antwortete Kosh. »Sie werden sehr beschäftigt sein.« Talia seufzte und stützte ihre Ellbogen auf: »Wohl kaum. Ich habe mir alle Termine wegen der Mars-Konferenz freigehalten, und nun findet sie nicht statt. C'est la vie.« »Tous les jours«, erwiderte Kosh. Die junge Frau lächelte den Botschafter freundlich an: »Heute lief es besser als bei den meisten Scans, die ich für Sie vorgenommen habe, wenn ich auch nicht weiß, warum. Was ist passiert?« Die klingenden Töne schwollen etwas an, und der Vorlone verbeugte sich steif in seinem klobigen Anzug: »Unser Geschäft ist abgeschlossen.« Ohne ein weiteres Wort verließ der Berg aus Rüstung und Stoffen den Raum. Ein großer, eher schnell als langsam seine Haare verlierender Mann schlenderte aufgeräumter Stimmung durch den Korridor zum Besprechungsraum. Er begann zu pfeifen. Das Schlimmste, was er sich vorzustellen gewagt hatte, war eingetroffen, und er hatte es überstanden. Sein bester Freund, der alles riskiert hatte, um ihn zum Sicherheitschef von Babylon 5 zu machen, war fort. Aber Michael Garibaldi hatte seinen Job immer
noch. Der Sicherheitschef konnte es immer noch nicht fassen, obwohl es ihm allmählich bewußt wurde. Jeff Sinclair war fort, aber er war hier. Wenn ihm vor einem Monat jemand gesagt hätte, daß Jeff die Station verlassen und er bleiben würde, hätte er dieser Person ins Gesicht gelacht. Jeff war immer der Held gewesen, der auserwählte Retter des Babylon-Projekts, und Garibaldi war damals ein heruntergekommener Säufer, der von Job zu Job tingelte und auf dem Weg in die Gosse war. Nur dank Jeff hatte er diesen Posten überhaupt ergattert, und er war überzeugt gewesen, daß man ihn bei Jeffs Abreise an dessen Kofferraum ketten würde. Würde der neue Commander, ein Fremder, ausgerechnet ihn als Sicherheitschef behalten wollen? Nicht sehr wahrscheinlich. Aber hier war er. Sinclair wollte ihn auf Babylon 5 haben, und, Wunder über Wunder, Captain Sheridan auch. Der Captain hatte sich die Berichte angesehen und Garibaldis Vorgehensweise und Aktionen für akzeptabel erachtet. Nicht gerade hervorragend, aber akzeptabel. Laut Sheridan gab es Raum für Verbesserungen. Der Captain hatte klargemacht, daß Garibaldi nur durch sein Wohlwollen noch auf dem Posten war und jederzeit ausgewechselt werden konnte. Aber Garibaldi war schon so oft im Laufe seiner »Karriere« ausgewechselt worden, daß er sich ohnehin als lebenslanger Bewährungskandidat sah. Daß dies
auch die offizielle Auffassung war, ließ ihn unberührt. Zur Hölle, dachte Garibaldi, ich bin immer noch da. Gab es nicht ein Lied mit diesem Titel? Er versuchte, sich an den Text zu erinnern. »Mr. Garibaldi«, sprach ihn eine ernste weibliche Stimme an. Er drehte sich um und sah eine attraktive Brünette in Earthforce-Uniform, die sich beeilte, um zu ihm aufzuschließen. Er wartete auf sie. »Hi, Susan.« »Bitte«, flüsterte sie, »wir sind auf dem Weg zu einer Besprechung. Zeigen Sie ein bißchen Anstand. Nennen Sie mich Commander.« Sie hob eine Augenbraue. Ivanovas Augenbrauen waren für ihre Ausdrucksstärke berühmt und berüchtigt. Garibaldi lächelte und beugte sich herunter: »Sagen Sie mal, Commander, wie kommt das? Als einer meiner Freunde die Station leitete, war ich cool. Jetzt leitet einer Ihrer Freunde die Station, und Sie sind ganz zugeknöpft.« »Er ist nicht mein Freund«, sagte sie, »nur mein ehemaliger kommandierender Offizier. Und Sorgen mache ich mir nicht um mich, sondern um Sie.« »Nicht nötig«, sagte Garibaldi selbstbewußt, »was könnte Captain Sheridan schon sagen, um uns diesen wunderschönen Tag zu verderben? Das schlimmste Malheur ist doch schon passiert, richtig? Jeff ist weg, aber ich bin noch hier und Sie auch. Sogar die Station ist noch hier. Kein Ka-Bumm!«
»Noch nicht«, warf Ivanova finster ein. Garibaldi grinste: »Captain Sheridan hat einen heilsamen Effekt auf die anderen Rassen gehabt. Es gefällt mir, daß er sich nicht mit ihnen anfreunden oder sie verhätscheln will. Man haßt seinen Schneid, aber jeder denkt, wir beide sind klasse.« Ivanova räusperte sich, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ging auf die Tür des Besprechungsraumes zu. Als sie sich öffnete, trat sie ein, den immer noch grinsenden Garibaldi auf den Fersen. Der Captain war bereits da und studierte einen Computer-Bildschirm. Er sah so gut und stattlich wie immer aus, dachte der Sicherheitschef. Garibaldi war ungefähr im selben Alter wie Sheridan, aber er würde wohl nie so beeindruckend aussehen, selbst wenn er noch alle Haare hätte. Die beiden Offiziere salutierten, und Sheridan erwiderte den militärischen Gruß. »Commander, Chief, setzen Sie sich.« »Erwarten wir noch jemanden?« fragte Ivanova, während sie im Stuhl am Konferenztisch Platz nahm. Sheridan lächelte: »Ich glaube, ein weiterer Teilnehmer wird ziemlich bald auftauchen, aber es ging mir hauptsächlich um Sie beide. Ich habe Sie hierhergebeten, weil uns hier mehrere Computerkonsolen zur Verfügung stehen. Ich denke, wir werden bis spät in die Nacht Personalakten und Arbeitspläne durcharbeiten.«
Garibaldi setzte dazu an, irgend etwas Sarkastisches wie »Na klasse!« zu sagen. Doch dann erinnerte er sich daran, daß hier nicht Jeff Sinclair vor ihm saß. So faltete er bloß die Hände und wartete geduldig ab. »Ich habe gerade mit Senator Hidoshi gesprochen«, begann der Captain. »Eine einmalige Gelegenheit bietet sich uns. Sie haben von dem Hotelanschlag auf dem Mars gehört?« »Das ergibt doch keinen Sinn«, murmelte Garibaldi. »Wer sind diese >Freier Phobos<-Typen? Von denen habe ich noch nie gehört. Fast alle, die bei dem Attentat umgekommen sind, waren einfache Leute, die meisten sogar Marsianer.« Ivanova warf ihm ob seines Ausbruchs einen tadelnden Blick zu, und Sheridan straffte sich: »Mr. Garibaldi, Sie haben auf dem Mars gedient, richtig?« Der Chief senkte den Kopf und kratzte sich am Ohr: »Ja, ungefähr ein Jahr.« »Dann wissen Sie«, fuhr Sheridan fort, »daß die Probleme auf dem Mars überaus komplexer Natur sind. Ivanova und ich haben auf Io gedient, weitab von den gröbsten Schwierigkeiten, aber selbst da war es schlimm genug. Die Machtverhältnisse auf dem Mars sind im Moment sehr unausgewogen, einen Krieg kann man sich dort nicht leisten. Wir können nicht so einfach mit den Terroristen aufräumen, deshalb haben sie alle Vorteile auf ihrer Seite. Sie können einzelne Ziele zerstören - und das Tharsis-Hotel war ein gut gewähltes Ziel. Aber
wenn wir jetzt einen Fehler machen, kostet das Tausende von Menschenleben und verursacht ein Chaos, das nie wieder zu kontrollieren sein wird.« »Mit anderen Worten«, sagte Garibaldi, »wir könnten gewinnen, aber dann wäre nichts mehr da, was den Sieg lohnen würde.« »Exakt«, stimmte Sheridan zu, »also sollten wir uns über den Mars nicht so sehr den Kopf zerbrechen. Der Senat wird die bittere Pille schlucken und eine politische Lösung finden müssen. Aber auf unsere Art können wir dazu beitragen.« »Und wie?« fragte Ivanova. Der Captain wischte etwas Staub vom Tisch: »Ist Ihnen bekannt, daß das Psi-Corps eine Sitzung im Royal Tharsis abhalten wollte, die nun gefährdet ist?« »Und?« fragte Ivanova weiter, plötzlich voller Ingrimm. Garibaldi hütete sich kundzutun, was er von der Sache hielt. Er konnte schwerlich jemanden hassen, vor dem sogar das Corps kuschen mußte. »Wie dem auch sei«, fuhr Sheridan freudig fort, »wir haben die Chance, den Terroristen eine lange Nase zu drehen, indem wir dem Corps die Konferenz ermöglichen - hier auf Babylon 5!« Ivanova drehte sich in ihrem Stuhl um: »Über wie viele Telepathen sprechen wir, Sir?« »Nur etwa vierhundert.« Garibaldis Ellbogen rutschte vom Tisch, und fast wäre er mit dem Kiefer
auf die polierte Platte geschlagen: »Aber Sir, in ein paar Tagen - vierhundert Gäste. Ich weiß nicht, ob die Station die notwendigen...« »Die Verwaltung hat mich informiert, daß es da kein Problem gibt«, sagte Sheridan, »wir bauen BLAU-16 um, hängen uns in den nächsten achtundvierzig Stunden kräftig rein und bereiten die Räumlichkeiten vor.« Ivanovas Miene zeigte Betroffenheit: »Sprechen wir von Psi-Polizisten wie Bester? Oder geht es um kommerzielle Telepathen wie Mrs. Winters?« Sheridan verschränkte die Arme und starrte seine Untergebenen überrascht an: »Wo denken Sie hin? Wir sprechen von den vierhundert höchstrangigen Telepathen des Psi-Corps. Nein, es handelt sich nicht um Schneewittchen und die sieben Zwerge, nur um einen Haufen verdammt wichtiger Leute.« »Aber warum kommen die ausgerechnet hierher?« fragte Garibaldi mißtrauisch. Der Captain schüttelte irritiert den Kopf: »Ich dachte, Sie würden sich über diese einmalige Gelegenheit freuen. Wir können beweisen, daß B5 seine Kinderkrankheiten hinter sich hat und den passenden Schauplatz für eine wichtige Konferenz abgeben kann. Man hält die Station für einen Schwarzen Peter. Das Psi-Corps tut uns damit einen Gefallen.« Garibaldi schielte zu Ivanova hinüber, aber die Lippen des Commanders waren fest aufeinandergepreßt. Er wußte, daß sie sich für jetzt
eines Kommentares enthalten würde. Er hob den Zeigefinger: »Sir, es ist bloß, seit wir die Station eingerichtet haben, zeigt das Corps verdächtig viel Interesse an uns.« »Unsinn«, schnappte Sheridan, »das Psi-Corps zeigt verdächtig viel Interesse an allem. Aber was wollen Sie dagegen tun? Sich mit ihnen anlegen, damit sie noch aufmerksamer werden? Wenn der Senat das nächste Mal über unsere Anforderungen berät, wäre es gut, das Corps auf unserer Seite zu wissen. Außerdem sind nicht alle Telepathen aus dem gleichen Holz wie Bester geschnitzt. Unsere Mrs. Winters ist ja allgemein respektiert, wie Hunderte anderer privater Telepathen auch. Und Chief, wenn Ihr Report nicht erlogen war, hat uns Harriman Gray das Leben gerettet.« »Hat er«, gab Garibaldi zu. Er suchte Unterstützung bei Ivanova: »Wollen Sie gar nichts dazu sagen, oder möchten Sie, daß morgen Bester und vierhundert seiner Freunde hier aufkreuzen?« Der Vize-Commander der Station setzte sich aufrecht hin: »Captain«, begann sie, »darf ich frei sprechen?« Sheridan seufzte: »Mr. Garibaldi hat damit kein Problem, warum sollten Sie eins haben?« »Ich lehne das Corps ab«, erklärte sie, »aus persönlichen Gründen. Das hat meine Pflichterfüllung bisher in keiner Weise beeinträchtigt, mit der Ausnahme, daß ich unter allen Umständen einen Scan verweigere. Diese
Tatsache wird sicher eines Tages meiner Karriere schaden, aber sie wird meine Arbeit nicht beeinträchtigen.« Ivanova atmete tief durch und fuhr fort: .»Ich werde alle ihre Schiffe sicher zur Station leiten und die Psi-Corps-Konferenz nach Kräften unterstützen. Ich werde außerdem alles tun, um die Station in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Sollte allerdings einer dieser Kretins versuchen, mich zu scannen, werde ich ihm die Lungenflügel rausreißen.« Garibaldi nickte zustimmend: »Ja, dann wird man fünf Männer brauchen, um sie zurückzuhalten. Fünf weitere, um sie einzusperren, plus alle Mediziner des Krankenlabors. Wollen Sie das riskieren, Sir?« Sheridan rieb sich die Augen: »Sie haben meine Sympathie, aber wir können uns diese Chance nicht entgehen lassen. Aus diesem Grund werden Sie, Commander, sich außerhalb Ihrer Dienststunden in Ihrem Quartier aufhalten, solange die Konferenz dauert. Sie werden außerdem mit keinem Teilnehmer sprechen. Sollte das denen nicht gefallen, reden Sie exakt solange mit ihnen, bis sie wissen, wo sich mein Büro befindet.« »Äh, Sir«, warf Garibaldi hoffnungsfroh ein, »könnten wir das Ganze nicht so arrangieren, daß auch ich nicht mit den Konferenzeilnehmern reden darf?« »Leider nein, Chief. Das Corps neigt zu Paranoia, was Sicherheitsfragen angeht, besonders nach dem
Mars-Zwischenfall. Um ganz offen zu sein: Für Sie wird es ein Alptraum. Ich könnte Sicherheitskräfte von außerhalb anfordern, aber das ist mir zu riskant. Wir haben keine Ahnung, wen sie uns schicken.« »Nein, ist schon okay«, resignierte Garibaldi und ließ die Schultern hängen. »Hunderte von paranoiden Psi-Polizisten, das habe ich mir schon immer gewünscht. Vermutlich haben wir keine Chance, Ihnen diesen Rummel auszureden?« »Nun«, sagte der Captain, »wenn Sie vernünftige Argumente dagegen vorgebracht hätten, hätte ich Ihnen zugehört. Daß Sie lediglich das Corps hassen, ist weder stichhaltig noch ungewöhnlich.« Sheridan berührte den Kommunikator auf der Tischkonsole: »Captain Sheridan an Mrs. Talia Winters.« »Captain«, kam ihre überraschte Stimme über den Lautsprecher, »ich wollte Sie gerade kontaktieren. Haben Sie schon von der Konferenz gehört? Ist das nicht wunderbar?« Der Captain beobachtete die langen Gesichter von Ivanova und Garibaldi: »Oh ja, wir sind hier unten auch ganz aus dem Häuschen vor Begeisterung. Sie sollen einen offiziellen Antrag für das Psi-Corps stellen, wie man mir sagte.« »Oh, ich bin so erleichtert, daß Sie zugestimmt haben. Ich hatte diesen dummen Gedanken, daß es irgendwelche Probleme geben könnte.« »Natürlich nicht«, sagte Sheridan großmütig. »Wir sind hier gerade im Besprechungsraum.
Kommen Sie doch zu uns und wir bringen die Sache ins Rollen. Ach ja, und Mr. Garibaldi würde gerne wissen, wie viele von den Teilnehmern PsiPolizisten wie Mr. Bester sein werden.« »Ungefähr einhundert.« Garibaldi vergrub sein Gesicht in den Händen. »Thema ist die kommerzielle Anwendung«, fügte Talia hinzu, »ich bin gleich unten, um Ihnen davon zu berichten.« »Ich freue mich darauf«, antwortete Sheridan, »Ende.« Der Captain schaute finster drein, als sein Blick von Ivanova zu Garibaldi und zurück wanderte: »Eine Vorhut des Corps ist bereits auf dem Weg, um bei der Koordinierung zu helfen. Der Rest folgt in ein bis zwei Tagen. Also, für die nächsten sechs Tage lieben Sie das Psi-Corps. Ihre einzige Lebensaufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß die Besucher die beste Konferenz aller Zeiten erleben. Verstanden?« Garibaldi und Ivanova sahen sich an und seufzten: »Ja, Sir«, murmelten sie synchron.
3 »Nun«, sagte Garibaldi, während er auf einen Stapel Diagramme starrte, »wir haben den Erholungsraum in BLAU. Der geht okay, und sofern unsere Arbeitsteams nicht einschlafen, sind auch noch ein paar Gesprächsräume in BLAU fertig. Das Cafe in Sektor BLAU untersteht einem Privatpächter, aber er verspricht, bis zum Empfang offen zu haben.« »Wir sollten den Pächter einem Sicherheitscheck unterziehen«, sagte Talia Winters, »und wir werden mehr als die paar Gesprächsräume benötigen. Der Grundgedanke der Konferenz sind vertrauliche Unterredungen in kleinen Gruppen.« Garibaldi hob eine Augenbraue: »Da wette ich drauf.« Talia schürzte ihre Lippen, ließ ihm das aber durchgehen: »Was ist mit den Gesprächsräumen in GELB und ROT?« Der Sicherheitschef schnitt ein finsteres Gesicht: »Ich würde gerne alle Ihre Leute in BLAU
konzentrieren und den Sektor praktisch abriegeln. Zu ihrer eigenen Sicherheit.« Talia lächelte und schüttelte den Kopf: »Auf keinen Fall, Mr. Garibaldi. Diese Leute haben es gar nicht gerne, wenn ihnen Räume unzugänglich gemacht werden. Für sie ist kein Raum unerreichbar.« »Moment mal«, protestierte er. »Ich kann denen ja schlecht den Zugang zur ganzen Station erlauben. Sollen sie etwa auch in die Unterwelt dürfen? Oder in den Alien-Sektor? Was ist, wenn sie auf die Aasfresser treffen? Ich kann sie nicht auf jedem Quadratzentimeter Frachtraum beschützen.« »Sie werden feststellen, Mr. Garibaldi, daß die meisten Telepathen sehr gut auf sich selbst aufpassen können. Außerdem waren die meisten von ihnen noch nie auf Babylon 5. Es wäre doch schade, wenn man ihnen dieses Erlebnis empfindlich beschneiden würde.« »Wie dem auch sei«, brummte Garibaldi, »wir hatten unseren Anteil an Mord und Entführung hier, und einige der anderen Babylon-Stationen wurden in Altmetall verwandelt. Ich will wirklich kein Abenteuer für Ihre Schützlinge. Ich will, daß sie einen sicheren, langweiligen Aufenthalt haben. Ich will, daß sie in ihre Löcher zurückkriechen und sagen >Mann, Babylon 5 ist der langweiligste Ort, an dem ich je gewesen bin. Es gibt keinen Grund, je wieder dorthin zu gehen<.«
Talias eisblaue Augen bohrten sich tief in die seinen: »Dies ist nur der erste Tag unserer Planung. Mr. Garibaldi, ich erlaube Ihnen nicht, das Corps zu beleidigen. Wenn es ein Problem zwischen uns gibt, sollten wir es Captain Sheridan vortragen.« »Ich tue genau das, was der Captain verlangt«, schoß Garibaldi zurück. »Er will, daß wir einen anständigen Eindruck machen, nicht diesen Pionierquatsch. Babylon 5 soll wie ein ordentlicher Ort für ein hochklassiges Palaver aussehen, und das kann ich verstehen. Je mehr Geld wir selbst aufbringen, desto unabhängiger sind wir künftig von unseren Verbündeten und dem Senat.« Nun blickte Garibaldi fest in Talias Augen, wogegen er unter keinen Umständen irgend etwas einzuwenden hatte: »Sehen Sie, Talia, B5 ist kein Glitzerpalast wie Ihre erste Wahl. Die Sicherheitsvorkehrungen werden aufs äußerste geprüft, schon bei der Ankunft der Gäste. Wir haben es bis jetzt noch nicht publik machen können, deshalb wird sich auch der reguläre Verkehr in den Docks stapeln. Ich sage nicht, daß wir es nicht schaffen können, aber haben Sie ein Herz.« »Na schön«, lenkte Talia ein, »wir markieren bestimmte Sektionen wie die Unterwelt, die Frachtbereiche und den Alien-Sektor als >Auf eigene Gefahr< und weisen alle mit Handzetteln darauf hin, sich möglichst von dort fernzuhalten. Zufrieden?«
»Nicht ganz«, beharrte Garibaldi. Weil Talia keine Anstalten machte zurückzutreten, und ihre Nähe ihn langsam nervös machte, griff er nach einem Stuhl, um sich wieder den Diagrammen zu widmen. »Okay«, sagte er, »Sektor GRÜN hat ein Handelszentrum, das noch nicht geöffnet worden ist. Eine Menge Standardbüros und Gesprächsräume, sogar ein paar Hallen für kleinere Produktionen. Na, das ist schick: Einige Zimmer haben zwei Atmosphären. Wie auch immer, ich denke, Ihre Leute können das gesamte Handelszentrum belegen. Sie schlafen also in BLAU-16 und feiern in GRÜN 12.« Talia setzte sich auf den Tisch und schlug die Beine übereinander. Der Saum ihres engen grauen Rocks schob sich ein wenig höher. »Meist haben wir Gesprächsrunden. Ich moderiere eine Runde über Währungsumtausch und besuche zwei weitere über Minenrechte. Jeder denkt, daß Telepathen untereinander nur über Telepathie reden. Zum Teufel, das kennen wir ja schon alles. Wir müssen dasselbe Zeug büffeln, das alle Menschen kennen.« »Okay«, sagte Garibaldi, »vielleicht kommt es ja gar nicht so schlimm. Und wenn es zu langweilig wird, treiben wir sicher ein paar marsianische Terroristen auf, die Leben in die Bude bringen.« Die Telepathin rutschte mit verdüsterter Miene näher: »Das werden Sie nicht zulassen?«
Garibaldi senkte den Kopf ein paar Grad: »Sagen wir mal so: Niemand außer Ihren oder meinen Leuten betritt BLAU- 16 oder GRÜN-12. Aber dafür geben Sie den Teilnehmern gute Ratschläge bezüglich der restlichen Station.« Er runzelte die Stirn: »Dann gebe ich auch dem Rest der Station gute Ratschläge bezüglich der Konferenzteilnehmer.« »Wir verlangen allerdings noch eine weitere Räumlichkeit zur freien Verfügung«, sagte Talia, »das Casino.« »Hey, jetzt mal halblang. Telepathen dürfen nicht zocken. Warum sollten sie also da rumhängen?« Talia bestand darauf: »Wegen der heiteren und aufmunternden Atmosphäre. Würden Sie gern in langweiligen Büros eingesperrt sein? Sie haben recht, dies ist kein Luxushotel, aber das bißchen Mühe sollten wir uns machen. Das Casino gäbe ihnen die Möglichkeit, sich zu entspannen, sich unter die Leute zu mischen. Und wegen der Glücksspiele - stellen Sie sie ein.« »Die Glücksspiele einstellen?« »Außer Frage.« Talia warf ihr blondes Haar zurück und durchbohrte ihn mit festem Blick: »Garibaldi, ich habe mich auf alles eingelassen. Sie bekommen alles auf dem Präsentierteller. Sie sollten mir auch entgegenkommen. Geben Sie uns einen Platz zum Feiern, wie Sie es ausgedrückt haben. Notfalls gehe ich damit zum Captain, wenn Sie sich querstellen.«
»Nein, nein, lassen Sie den Captain da raus«, sagte Garibaldi. »Er steckt bis zum Hals in VIPs, und das sind keine VIPs, mit denen ich zu tun haben möchte.« »Ich weiß«, antwortete Talia und schob einen Handschuh ein wenig zurück, um auf ihre Uhr zu sehen: »Ich sollte mich jetzt auf den Weg machen.« Garibaldi berührte den Com-Link auf seinem Handrücken: »Com-Link, eine Notiz: Zum Schutz unserer Konferenzgäste werden den Sektoren BLAU- 16, GRÜN-12, den Docks und den Verbindungskorridoren zusätzliche Sicherheitskräfte zugeteilt. Oh, und dem Casino auch. Den Teilnehmern wird klargemacht, daß alle anderen Areale nur auf eigene Gefahr betreten werden können. Ihre Sicherheit ist dort nicht garantiert.« Er ließ seine Hand sinken und lächelte Talia an: »Ich bin der Meinung, daß man alles schwarz auf weiß haben sollte.« »Daran glaube ich auch«, stimmte Talia zu. »Deswegen sollten Sie noch erwähnen, daß Glücksspiele am Wochenende im Casino untersagt sind.« »Ja, ja«, brummte Garibaldi und sprach erneut zu seinem Handrücken: »Glücksspiele im Casino werden in zwölf Stunden eingestellt und erst auf meinen Befehl wieder aufgenommen. Notiz Ende. Dringlicher Verteiler.« Talia griff nach dem Diagramm des Handelszentrums und studierte es: »Sind diese
Räume teuer? Wenn das hier vorbei ist, könnte ich vielleicht einen mieten.« »Lady«, sagte Garibaldi, »bringen Sie mich heil durch diesen Schlamassel, und ich sorge dafür, daß Sie das schönste Büro bekommen - ganz umsonst.« Talia schenkte ihm ihr professionellstes Lächeln, mit dem sie die Gegenseite wissen ließ, daß sie verloren hatte. Garibaldi war entsprechend verwirrt. »Danke, Michael«, antwortete sie. »Es ist ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen.« Talia schlenderte zur Tür und fügte hinzu: »Ich besorge Ihnen einen Zeitplan der Gesprächsrunden.« »Danke!« rief er, als ob er daran wirklich Interesse hätte. Als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte, blickte Garibaldi gen Himmel. So scheußlich diese ganze Geschichte auch sein mochte, er sah einen Silberstreif am Horizont. Egal, was in den nächsten sechs Tagen passierte, er würde eine Menge Zeit mit Talia Winters verbringen. »Schweig still, mein Herz«, sagt er zu sich selbst und lächelte. Talia Winters war ein wenig überrascht, im Dock nur Captain Sheridan und ein halbes Dutzend Sicherheitskräfte vorzufinden. Gut, sie hatte keine Blaskapelle erwartet, aber eine Gruppe von Botschaftern oder deren Abgesandten wäre schon angebracht gewesen. »Captain«, sagte sie, »kommen noch mehr Leute?«
»Hallo, Mrs. Winter,« sagte er, die Form wahrend, obwohl sie es nicht getan hatte, »alle fahren Doppelschichten in Sektor BLAU, um rechtzeitig fertig zu sein. Mr. Bester wird sich mit mir und Ihnen zufriedengeben müssen.« »Was ist mit Botschafter Mollari?« fragte sie. »Oder Botschafter G'Kar?« »Was ist mit denen?« Talia wollte gerade erwähnen, daß Commander Sinclair die Botschafter zur Begrüßung hinzugezogen hätte, aber sie unterdrückte den Gedanken, ehe er noch über ihre Lippen kam. Seltsam, wie man manche Qualitäten eines Menschen erst erkannte, wenn er gegangen war. Oberflächlich war Sheridan ein kultivierter, charmanter Mann, darunter aber war er halsstarrig und eigensinnig, wie ein Schwert in einer weichen Lederscheide. Commander Sinclair hingegen war nach außen halsstarrig gewesen, aber in Wirklichkeit offen, sympathisch und jederzeit bereit, Risiken einzugehen. Vielleicht zu risikobereit. Der Captain schenkte ihr ein freundliches Lächeln: »Scannen Sie mich gerade?« »Nein«, sagte sie abwehrend, »ich verglich Sie nur gerade mit Commander Sinclair. Tut mir leid.« Sheridan nickte: »Das ist verständlich. Als ich herkam, war ich von der Beliebtheit meines Vorgängers überrascht. Auf der Erde hielt man ihn für einen gefährlichen Exzentriker, aber für die Leute hier ist er ein Heiliger. Vergleichen Sie das
mal mit den Ansichten über General George Armstrong Custer während der Eroberung Nordamerikas. Seine Kommandanten in Washington hielten ihn für brillant, während jeder auf dem Schlachtfeld wußte, wie verrückt er war.« »Menschen sind nicht immer, was sie scheinen«, bemerkte Talia. »Darum brauchen wir Telepathen.« »Haben Sie es nie bereut, dem Psi-Corps beigetreten zu sein?« »Nein«, entgegnete sie, von der bloßen Vorstellung überrascht. »Bereuen Sie Ihre Ausbildung? Bereut ein Komponist seine musikalischen Lehrjahre? Wir erleben die Blüte eines neuen Talents in Tausenden von Menschen, und dieses Talent muß gehegt und kanalisiert werden. Das Corps ist alles, was es sein sollte - und mehr.« »Aber das Psi-Corps ist ein Thema«, gab der Captain zu bedenken. »Menschen reden darüber, diskutieren es. Menschen wollen etwas dagegen unternehmen. Mein Vorgänger wurde auch zum Thema, und das hat ihm schwer geschadet. Darum bin ich anders. Meine Anwesenheit hier ist strikt neutral und dient nur dazu, die Station effizient zu führen. Erwarten Sie von mir also keine Alleingänge.« »Verstanden«, sagte Talia. »Ich weiß Ihre Kooperation in bezug auf die Konferenz wirklich zu schätzen. Trotzdem glaube ich, daß das Corps nicht
länger im Hintergrund bleiben kann. Wir haben eine Mission zu erfüllen, an vorderster Front.« Sheridan nickte nachdenklich: »Ich schlage vor, Sie behalten eins im Gedächtnis, Mrs. Winters: Wer in vorderster Front steht, wird zuerst erschossen.« Talia nickte und starrte durch den Gang auf die verschlossene Luftschleuse. Am Vorabend dieses bedeutenden Ereignisses wollte sie sich keine ominösen Warnungen des Stations-Commanders anhören. Andererseits war es offensichtlich, daß die Besucher nur kamen, weil das Hotel auf dem Mars ausgebombt worden war. Wollte Sheridan ihr das gleiche sagen wie zuvor Garibaldi? Halte den Ball flach. Mach keine große Sache daraus. Talia hatte das genaue Gegenteil im Sinn gehabt. Sie wollte der Welt beweisen, daß das Psi-Corps mehr war als ein paar durchgedrehte Telepathen und kontrollierte Schläfer. Das Corps stand für Handel, Diplomatie, militärische Wachsamkeit und eine effizientere Regierung. Telepathen hatten ihren Platz überall, bei allen Vorgängen. Diese Botschaft sollte die Konferenz vermitteln. Aber vielleicht hatte Sheridan recht. Talia tat oft die Abneigung gegen das Corps als simple Eifersucht der gewöhnlichen Menschen ab. Vielleicht lag das Problem tiefer - vielleicht lehnten die Menschen das Corps wirklich ab. Obwohl sie Captain Sheridan nicht zustimmte, nahm sie sich vor, seine Warnung ernstzunehmen. Die Angelegenheit würde unspektakulär, reguliert und
ohne Kontroversen über die Bühne gehen. Vielleicht würde es sogar ein wenig langweilig werden. Sheridans Com-Link meldete sich, und er hob es an den Mund: »Ja?« »Captain«, ließ sich Ivanova vernehmen, »der Transporter Freya hat soeben angedockt. Ihre Gruppe müßte jeden Augenblick rauskommen.« »Danke, Commander. Irgendein Wort von den Botschaftern bezüglich unserer Einladung?« »Nein, Sir.« »Sheridan Ende.« Er senkte seine Hand und sah Talia an: »Ich habe die Botschafter für den Empfang morgen abend eingeladen. Aber man weiß nie, wie sie reagieren. Wenn Sie wollen, sprechen ich noch einmal mit...« Talia schüttelte den Kopf und lächelte: »Nein, Captain, machen wir doch lieber keine große Sache daraus.« Er nickte: »Einverstanden.« Die Luftschleuse öffnete sich und ein Mann in einer schwarzen Uniform trat aus dem Dock auf den Gang hinaus. Er wurde begleitet von einem hageren jungen Mann, der sich neugierig umschaute, als erwarte er jemanden. Eine Handvoll anderer Passagiere folgte, von denen einige Psi-CorpsInsignien trugen. Doch nur Bester trug die schwarze Uniform der Psi-Polizei. »Captain Sheridan«, sagte Bester und zeigte seine Identicard. »Gratulation zu Ihrem neuen Kommando.«
»Danke, Mr. Bester.« Der Sicherheitsbeamte beendete sichtlich nervös seine Überprüfung und ließ ihn gehen. »Mrs. Winters«, grüßte der Psi-Polizist mit einem Nicken. Sie lächelte: »Mr. Bester.« Talia wartete darauf, daß Bester jemanden, irgend jemanden, scannen würde, weil er quasi aus dem Stand dazu in der Lage war. Es kostete ihn soviel Mühe, wie einen Fussel von seinem Jackett zu entfernen. Außerdem hatte er die Position inne, sich Informationen auf direktem Weg zu beschaffen. Das bedeutete, er durfte alles aus den Köpfen der Menschen ziehen, was er brauchte. Aber der berühmte Psi-Polizist übte sich in vornehmer Zurückhaltung; er wartete geduldig, bis die anderen Passagiere eingecheckt hatten. »Mr. Gray, wie geht es Ihnen?« Captain Sheridan sprach den jungen Mann in vertraulichem Tonfall an. Der militärische Verbindungsoffizier hörte auf, sich umzusehen, und lächelte: »Es geht mir gut, Captain, danke. Auch ich möchte Ihnen zu diesem Posten gratulieren. Im Hauptquartier drücken Ihnen alle die Daumen.« Bester sah den Telepathen mit einem amüsierten Ausdruck auf seinem alterslosen Gesicht an: »Kommen Sie, Gray, nicht alle. Sie dachten an einen bestimmten General.«
Gray antwortete widerwillig: »Eigentlich nicht. Entschuldigung, Captain, aber wo ist Commander Ivanova?« »Beschäftigt«, schnappte Sheridan. »Ich fürchte, Sie werden nicht viel von ihr zu sehen bekommen.« Talia wandte sich von dem aufgekratzten Gray ab und musterte die anderen Passagiere, die mit der Freya eingetroffen waren. Eine kleine Frau von dunkler Hautfarbe fuchtelte mit ihrer Identicard herum. Statt den Beamten zu beunruhigen, schien der Beamte sie aus der Fassung zu bringen. Hinter ihr stand geduldig ein großer Mann von autoritärer Erscheinung, die durch seinen ergrauten Spitzbart noch unterstützt wurde. Er sah älter aus als auf dem Foto, das ihr vorlag, aber die profunde Intelligenz in seinen traurigen, dunklen Augen machte eine Verwechslung unmöglich. »Mr. Malten?« fragte sie. Er lächelte entschuldigend, aber jungenhaft: »Entschuldigen Sie, aber ich habe ein entsetzlich schlechtes Namensgedächtnis, was für einen Telepathen eher peinlich ist.« »Überhaupt nicht«, entgegnete sie und reichte ihm ihre behandschuhte Hand, »wir sind einander nämlich noch nie begegnet. Ich bin Talia Winters, die ständige Telepathin auf B5.« Der Beamte fertigte Malten zügig ab, so daß dieser die ausgestreckte Hand ergreifen konnte. Der vornehme Telepath strahlte: »Ich hoffte, Sie hier zu treffen, Mrs. Winters. Darf ich Ihnen meine
Mitarbeitern Emily Crane vorstellen. Sie wird mir in dieser Woche zur Seite stehen.« Die kleine Dunkelhäutige streckte ihre ebenfalls behandschuhte Hand aus, die Talia freundlich schüttelte: »S-s-sehr erfreut, S-S-Sie kennenzulernen«, stotterte Emily. Talia lächelte: »Ganz meinerseits.« Hätte sie nicht die Psi-Corps-Abzeichen am Kragen getragen, Talia würde Emily niemals für eine Telepathin gehalten haben. Sie wirkte wie die Sorte, die nicht mal ihre Schuhe allein zubinden konnte. »Nun«, sagte Malten, »ich überlasse Emily Ihren treuen Händen. Sie ist eine Zauberin, was Nachrichten, Presseveröffentlichungen und solche Dinge angeht. Ich finde, daß eine Konferenz gleich viel besser läuft, wenn es viele Zeitungen gibt, um die Teilnehmer auf dem laufenden zu halten, Sie nicht auch?« »Oh ja«, stimmte Talia zu. Malten lächelte die kleine Frau stolz an: »Emily ist eigentlich die Chefin der Urheberrechtsabteilung unserer Firma.« Unserer Firma. Talia wiederholte diesen Ausdruck im stillen. Es war beeindruckend, wie leicht Malten vom größten und prestigeträchtigsten Konglomerat kommerzieller Telepathen sprach, das es auf der Erde gab. Der Mix, wie die Firma im ganzen Universum genannt wurde, unterhielt Büros in praktisch jeder Ecke der Allianz und einige auf den nicht angeschlossenen Welten.
Talia drehte sich zu Emily um: »Ich habe über telepathische Urheberrechte gelesen. Wie geht das vor sich?« »Nun«, antwortete Emily, »sagen wir mal, der Kunde hat eine Anzeigenkampagne im Kopf, kann s-s-sie aber nicht in Worte fassen. Oder er h-h-hat nur eine grobe Vorstellung. Wir s-s-scannen ihn. Wir stellen fest, was er wirklich will, auch wenn er es selbst noch nicht weiß.« Sie lächelte, offensichtlich froh darüber, diese Ansprache hinter sich zu haben. »Zuerst«, sagte Malten, »dachten wir daran, solche Kampagnen in hausinternen Büros erstellen zu lassen. Aber es hat sich als kosteneffektiver erwiesen, unsere Dienste direkt den Agenturen zur Verfügung zu stellen. Zum Ende des Jahres werden wir sieben Ableger haben, die sich um nichts anderes kümmern werden.« »Sie s-s-sollten zu meiner Gesprächsrunde kommen«, ergänzte Emily, »wir h-h-haben eine Demonstration vorbereitet.« Malten schob beide Frauen sanft den Gang entlang: »Scheint, als ob wir den Anschluß verlieren.« Talia drehte sich um und sah Captain Sheridan, Mr. Bester und Mr. Gray fünfzig Meter weiter vorne flott den Gang entlangschreiten. Plötzlich schienen ihr die drei Männer nicht mehr so wichtig. Sie hatte einen Mann neben sich, der den Einzug der Telepathie in das alltägliche Leben vorantrieb.
»Sie wollen sich bloß die Sicherheitsvorkehrungen und so ansehen«, sagte Talia, »aber ich kenne einen Ort, an dem wir den besten Jovianischen Sonnenfleck bekommen können.« Arthur Malten lachte: »Ich denke, unser Gepäck können wir auch noch später vom Zoll abholen. Bringen Sie uns hin!« Weil er die Computerkonsolen brauchte, verwandelte Garibaldi den Besprechungsraum in sein vorläufiges Hauptquartier. Zum x-ten Mal rieb er sich die Augen und blinzelte auf den Schirm: »Kommen Sie, Baker. Wollen Sie mir weismachen, daß Sie rund um die Uhr vier Leute brauchen, nur um einen lausigen Zugang zu sichern?« »Es ist der Hauptzugang für GRÜN-12«, antwortete Baker. »Wenn wir den abriegeln sollen, ohne den VIPs den Durchgang zu verwehren, benötigen wir eine Menge Augen.« »Ich gebe Ihnen zwei Leute«, grummelte Garibaldi, »und das auch nur, weil einer davon vielleicht mal aufs Klo muß.« Als er das niedergeschlagene Gesicht der jungen Frau sah, fügte er hinzu: »Wenn wir diese ganzen Witzbolde durch Ankunft und Zoll geschleust haben, werden wieder ein paar Leute frei. Sie bekommen so bald wie möglich Unterstützung.« Baker lächelte: »Danke, Sir.« »Noch was«, sagte Garibaldi, »es ist ein strategisch wichtiger Punkt, und Ihre Leute dürfen
ihn auf keinen Fall verlassen. Es ist mir egal, ob ihnen die Suppe an den Beinen herunterläuft oder glubschäugige Monster unschuldige Passanten fressen, sie bleiben auf Posten.« Baker schluckte aufgeregt: »Ist es wahr, daß sie uns Dinge sehen lassen können, die gar nicht da sind? Daß sie uns Sachen in den Kopf projizieren können?« Garibaldi nickte grimmig: »Ich schätze schon. Wir können diesen Leuten bei ihrer Party nicht über die Schulter schauen. Wir müssen nur dafür sorgen, daß niemand ohne Einladung reinkommt. Wenn jemand vom Corps ausflippt und seine ganzen Kumpel in die Luft jagen will, haben wir jede Menge Ärger am Hals.« Dieser Gedanke war ernüchternd genug, um alle Gespräche im Raum verstummen zu lassen. Nach einem kurzen Augenblick winkte Garibaldi müde ab und sagte seinem halben Dutzend Untergebenen, die noch im Raum waren: »Geht ins Bett. Das ist ein Befehl.« »Gute Nacht, Chief. Nacht«, murmelten sie, während sie zügig den Raum verließen. Der Sicherheitschef hätte den ganzen Abend so im Stuhl sitzen können, regungslos, sorgenvoll, zu müde zum Schlafen. Aber der Mangel an Sauerstoff und Schlaf ließ ihn gähnen. Er stand auf, streckte sich und griff nach seiner Jacke. Gerade als er die Flucht in sein eigenes Quartier antreten wollte,
meldete sich sein Com-Link. »Sicherheit«, murmelte er zu seinem Handrücken. »Mr. Garibaldi«, sagte eine Stimme, »hier ist Talia.« Grundgütiger, dachte der Chief, die Eiskönigin: »Was kann ich für Sie tun?« »Ich bin hier unten in ROT-3 mit ein paar Freunden. Wir haben uns gefragt, ob Sie uns wohl eine kleine Führung durch den Alien-Sektor gewähren. Und eventuell auch durch die Unterwelt.« »Was?« schnaubte Garibaldi, »hatten wir uns nicht erst heute darauf geeinigt, daß Ihre Freunde dort nichts zu suchen haben?« »Kommen Sie«, sagte Talia, »die Konferenz hat doch noch gar nicht angefangen, und bei meinen Freunden handelt es sich um wirkliche VIPs.« Ohne Scheiß. VIPs. Garibaldi ahnte schon, daß ihm diese Leier sehr bald auf den Geist gehen würde. Auf der anderen Seite: Talia war dabei. Später Abend, Partystimmung. Vielleicht hatte er Glück. »ROT-3, sagen Sie?« Er gähnte und checkte die PPG-Handfeuerwaffe, die an seinem Gürtel angeclippt war. »Bestellen Sie mir einen Kaffee, ich bin gleich da.« Das ist erst der Anfang, dachte Garibaldi, während er sein Jackett zuknöpfte und aus der Tür schlurfte.
4 »Das war's für mich«, sagte Ivanova mit einem Seufzer. »Die Station gehört Ihnen, Major Atambe.« Ihre Ablösung nickte und übernahm den Kommandoposten vor dem Hauptschirm des Kommando- und Kontrollcenters. Die Docks lagen still; nur zwei Schiffe bereiteten sich auf den Abflug und den Eintritt ins Sprungtor vor. Die Station war gesichert. Ivanova verharrte kurz an der Tür und drehte sich noch einmal um. »Wann kommt der nächste Transport von der Erde?« Major Atambe rief die relevanten Register auf: »07:00«, antwortete er. Sie nickte: »Dann bin ich wieder da. Wir wollen doch keine von unseren VIPs verlieren, oder?« Ivanova ging durch die Tür und zum Lift, der sie zu ihrem bescheidenen Quartier bringen sollte. Sie dachte an ihr Bett, den wertvollsten Besitz im ganzen Universum. Es war kein besonderes Bett nur ein Standard-Einzelbett, extra hart, aber es war ihre Zuflucht, ihr Sanktuarium. Egal, welches Chaos
um sie herum ausbrach, Ivanova konnte immer in das Bett fallen und Frieden im sofortigen Schlummer finden. Ivanova dachte wieder an den Traumurlaub, den sie antreten wollte, sobald er ihr bewilligt würde. In diesem Traumurlaub würde sie soviel wie möglich im Bett liegen. Der Com-Link, der Computer, der Wecker und alles andere, was sie eventuell aus dem Schlaf reißen könnte, würde in der untersten Sockenlade verschwinden. Vielleicht würde ein Bote auf ihr Gesuch hin erscheinen, der ihr Bonbons und andere Snacks brachte, aber ansonsten würde sie nur schlafen. Jedesmal beim Erwachen wäre da diese unendliche Zufriedenheit, die sie sofort wieder dazu bewegen würde, sich umzudrehen und weiterzuschlafen. Sie kicherte. Was hatte ihr Großvater immer gesagt? »Eine jüdische Frau kann im Bett alles - außer aufwachen.« Ihre Großmutter hatte in dreiundsechzig Jahren Ehe nicht gelernt, richtige Matzen zu machen. Sie hatte das auch nie gekonnt. Und dummerweise gab es niemanden, der Matzen für sie machte. »Susan«, sagte eine Stimme. Sie blieb abrupt in dem verlassenen Korridor stehen, ein Gefühl der Furcht kroch ihre Wirbelsäule hinauf. Eine Person trat aus dem Schatten, kam aber nicht näher. »Hallo, Susan«, sagte Mr. Gray, ein dünnes Lächeln auf den Lippen.
»Gray«, entfuhr es ihr. Sie drückte sich an ihm vorbei. Er folgte ihr: »Susan, bitte, ich möchte nur mit Ihnen sprechen!« »Ich darf nicht mit Ihnen reden. Befehl des Captains.« Sie drückte den Knopf und wartete auf den Lift. Gray fuchtelte hilflos mit den Händen: »Susan, ich will Ihnen doch nichts Böses, wirklich.« »Dann gehen Sie.« Wo blieb der blöde Lift? Die Tür öffnete sich, und sie trat ein. Zu ihrem Ärger folgte Gray ihr. Nun waren sie allein in der engen Kabine. »Deck acht«, sagte Ivanova, dann hob sie den Com-Link an den Mund: »Wenn Sie mich weiter belästigen, rufe ich den Sicherheitsdienst.« »Sie belästigen?« stammelte Gray. »Aber ich habe doch nur Hallo gesagt.« Er starrte auf die Tür, als wollte er jetzt kein weiteres Wort mit ihr wechseln. »Hallo«, sagte sie ärgerlich. »Ich wollte Ihnen von meinem neuen Apartment erzählen«, sagte Gray, »in Berlin.« Ivanova sah ihn an: »Berlin. Ich bin beeindruckt. Ich hätte Sie nicht für einen Schickimicki gehalten.« »Sie kennen mich nicht sehr gut, wie?« fragte Gray. »Glauben Sie, daß alle Telepathen in mittelalterlichen Verliesen leben?« »Ja.«
Gray kicherte: »Oh, einige tatsächlich. Die meisten von uns leben aus dem Koffer, in Armeekasernen oder Metallkisten wie dieser.« Die Tür des Fahrstuhls öffnete sich, und Gray wartete gespannt. Ivanova trat heraus, hielt inne und hob mit einem Seufzen die Schultern. . »Bitte, Susan«, bat Gray, »sehen Sie in mir keinen Feind. Sie wissen doch, daß ich mir dies nicht ausgesucht habe - ich wollte Soldat sein. Nun habe ich diese Laufbahn eingeschlagen; ich versuche nur, etwas zu werden, genau wie Sie. Und ich bin allein, genau wie Sie.« Der junge Telepath ließ den Kopf hängen: »Vielleicht war es ein Fehler, Sie sehen zu wollen. Es tut mir leid, wenn ich Sie belästigt habe.« Er drehte sich um und wollte gehen. Ivanova strecke ihre Hand nach ihm aus, brachte es aber nicht über sich, ihn zu berühren. »Ihre Wohnung in Berlin«, fragte sie, »liegt sie in der Nähe der Freien Universität?« Aufgeregt drehte sich Gray um: »Ja, genau. Sie ist nur zehn Straßen entfernt, man kann die U-Bahn nehmen. Und sogar dorthin laufen. Ich spaziere gerne durch Berlin. Viele Leute halten die Stadt für deprimierend, weil sie wie ein gigantisches Monument für die Vernichtungskraft des Krieges aussieht. Aber ich bin nun mal ein Kriegs-Fan.« Ivanova schüttelte sich: »Jedem das Seine. Ich war auf Studienreise dort, um mehr über die Dadaisten zu lernen.«
»Eine faszinierende Epoche«, gab er zu, »obwohl die Dadaisten für meinen Geschmack immer etwas zu extrem waren. Es gibt interessante Parallelen zwischen den Dadaisten und den PerformanceKünstlern des späten zwanzigsten Jahrhunderts, finden Sie nicht?« Ivanova legte die Stirn in Falten: »Da bin ich mir nicht sicher. In beiden Fällen war das Ziel die Verunsicherung der Bourgeoisie und des Establishments. Aber die Dada-Bewegung war ein kollektives Unterfangen, während die PerformanceKunst doch individuell orientiert war. Ich habe mal von einer Frau gelesen, die eine Flasche Zima nahm und ...« Gray verzog plötzlich das Gesicht und legte die Hände an den Kopf. »Was haben Sie?« Er taumelte gegen eine Wand und deutete ihr an, hinter sich zu blicken. Ivanova drehte sich um und entdeckte einen kleinen Mann in einer schwarzen Uniform am Ende des Ganges. Er lächelte und kam auf sie zu. »Ich wußte, daß ich Sie hier finden würde, Mr. Gray«, sagte Bester. »Mit dem Lieutenant Commander.« »Stoppen Sie den Scan«, befahl Ivanova. Aber Gray erlangte bereits seine Fassung wieder: »Es ist in Ordnung«, sagte er heiser. »Es ist nicht in Ordnung«, schnappte Ivanova. Die wütende Offizierin starrte Bester an: »Nichts, was Sie tun, ist in Ordnung. Sie tun so, als seien die Telepathen ein gigantischer Fortschritt der
Evolution, aber Ihre Methoden sind immer noch der gleiche alte Mist. Kontrolle. Darum geht es doch. Wo ich herkomme, haben wir die Zaren erlebt, die Bolschewiken und die Geheimpolizei... Wir wissen alles über Leute wie Sie. Sie wollen nur die Kontrolle über das Leben anderer Menschen, und wenn diese sich wehren, zur Hölle mit ihnen.« Bester atmete tief durch und blinzelte sie an. Ivanova bereitete sich auf einen Scan vor, aber Harriman Gray trat dazwischen. »Das ist genug, Mr. Bester«, sagte Gray, zitternd, aber bestimmt. »Von jetzt an betrachten Sie mich bitte nicht mehr als Ihren Assistenten. Ich mag Ihre Art nicht. Von unangemeldeten Scans war nie die Rede.« »Mein Junge«, sagte Bester wie ein gutmütiger Onkel, »nehmen Sie das nicht persönlich. Es ist nur eine Art, die Kommunikationswege abzukürzen. Statt mich über Ihren Aufenthaltsort zu informieren, schaue ich halt selber kurz nach. Ich hätte nicht gedacht, daß Telepathen in militärischen Diensten so empfindlich sind.« Der Psi-Polizist blickte Ivanova an und lächelte wie eine Kobra: »Außerdem sehe ich, daß Sie hier persönlichen Angelegenheiten nachgehen. Sie haben noch genug Zeit, um über die andere Sache nachzudenken. Ich hoffe, Sie werden eine angenehme Unterhaltung haben. Gute Nacht.« Bester drehte sich auf dem Absatz um und ging zügig den Korridor hinunter.
»Abkürzen«, zischte Ivanova, »aber nur in eine Richtung.« Gray wirbelte herum und starrte sie an. Er war offensichtlich ziemlich fertig, trotzdem preßte er heraus: »Sie waren ziemlich beeindruckend.« Ivanova fühlte sich zu ausgelaugt, um überhaupt noch etwas aufzunehmen: »Es tut mir leid, Mr. Gray, aber ich brauche jetzt etwas Schlaf. Und Ihre drei Minuten sind längst um.« »Bitte«, bettelte er, »tun Sie mir einen Gefallen. Nennen Sie mich Harriman, und erlauben Sie mir, Sie Susan zu nennen.« Sie sah ihn erstaunt an, entspannte sich dann aber und nickte: »Gut, aber nur, wenn wir allein sind. Im Beisein anderer bleiben wir formell.« Gray strahlte über das ganze Gesicht: »Heißt das, daß wir Freunde sind?« »Lehnen Sie sich nicht zu weit aus dem Fenster«, sagte sie. Sie wollte gehen, drehte sich aber noch einmal um: »Es freut mich, daß Sie nicht mehr für diesen Kriecher arbeiten. Gute Nacht.« »Gute Nacht, Susan«, sagte er sanft. »Für Menschen«, sagte Garibaldi, während er die Atemmasken verteilte, »ist der Alien-Sektor meistens eine Enttäuschung. Man kann nichts sehen, und wenn man etwas sehen könnte, würde man es nicht sehen wollen. Wir arbeiten daran, aber es soll nicht wie ein Zoo aussehen. Wenn also eine Reihe verschlossener Türen hinter giftigem Nebel Ihrer
Vorstellung von Spaß entspricht, sind Sie hier richtig.« »Sicher gibt es doch wohl ein weniger mehr als das«, sagte der große Mr. Malten. Garibaldi schüttelte den Kopf: »Eigentlich nicht. Die meisten Wesen hier unten brauchen spezielle Einrichtungen, um zu essen, zu trinken und zu atmen. Sie kommen also nicht viel herum. Mrs. Winters kann Ihnen mehr darüber erzählen, Sie hat hier einen Klienten.« »Ja«, sagte Talia stolz, »Botschafter Kosh von den Vorlonen. Wir haben ihn morgen abend zum Empfang eingeladen und hoffen auf sein Erscheinen.« Garibaldi ergänzte: »Man sieht ihn allerdings nie ohne seinen Schutzanzug. Sie können gerne ein wenig herumlaufen, aber Sie kriegen nur etwas zu sehen, wenn wir an die Türen hämmern.« »Daran habe ich gar nicht gedacht«, sagte Talia, »ich komme immer nur hierher, wenn ich einen Termin habe.« Die kleine Telepathin Emily Crane sah den hochaufgeschossenen Mr. Malten an: »Ich m-mmöchte die Bewohner nicht stören.« »Ich auch nicht«, antwortete Malten und legte seine Atemmaske zurück ins Regal. »Hoffentlich vermiest man uns nicht auch noch die Tour in die Unterwelt.« »Natürlich nicht«, versicherte Garibaldi, »was möchten Sie sehen? Wir hätten Schmuggel, die
Zerlegung gestohlener Güter, einen Haufen Zurückgebliebener, die nur rumhängen. Was immer Sie wollen.« »Alles.« Malten lächelte. Talia zuckte zurück und Emily schloß die Augen, als sich ein haarloser Koloß eine kleine Kreatur schnappte und sie in einem hohen Bogen über die Frachtgüter warf, wo sie in eine geplünderte und verrottete Regalwand krachte. Unter den begeisterten, zustimmenden Grunzrufen der umstehenden Menge ging das haarlose Vieh sofort wieder auf seinen Gegner los. Das Wettgemurmel der Menge war unerträglich und schwoll zu einem schmerzenden Rauschen in Talias Kopf an. Sie wäre gerne weitergegangen, wenn den Männern das Schauspiel nicht so sehr gefallen hätte. »Worum wird gewettet?« fragte Malten. »Um so ziemlich alles«, rief Garibaldi gegen den Lärm an, »Credits, Ziegen, Drogen, eine Fahrkarte weg von hier. Eine Fahrkarte weg von hier bezahlt so ziemlich alle Schulden.« »I-i-ich kann mir das nicht ansehen«, murmelte Emily über Talias Schulter, »es ist barbarisch.« »Stimmt«, antwortete Talia, »wir müssen diesen Ort sofort verlassen.« Plötzlich gab es ein knackendes Geräusch, welches von der Menge mit Enttäuschung und Freude gleichermaßen aufgenommen wurde. Talia vermied es, genau hinzusehen, sie blickte statt
dessen in Garibaldis Richtung. Es war angenehmer, ihn anzuschauen. Eigentlich fand sie, daß Garibaldi mehr nach Verbrecher aussah als die meisten hier, rauh, wild, wölfisch, jemand, der eher schlich als ging. Manchmal sagte er komische Dinge, aber wesentlich seltener, als er selbst wahrscheinlich glaubte. Es wäre verrückt, zu nett zu ihm zu sein, obwohl sie ihm augenscheinlich gefiel. Es fiel ihr schwer, einen Mann zu hassen, der bei ihrem Anblick zu sabbern anfing. Der Tumult hatte sich etwas gelegt, deshalb konnte sie seine Worte verstehen: »Eigentlich ist das hier gar kein so übler Platz. Für die Unterwelt ist es hier sogar ganz nett. Man sieht sich einen Kampf an, bekommt etwas Frostschutz serviert und wird um sein Geld gebracht. Was kann man sonst noch wollen?« Er rieb sich das Kinn und lächelte: »Ach stimmt, ihr Jungs dürft ja gar nicht spielen.« »Ist das nicht eine dumme Einschränkung?« fragte Malten. »Auch wir hätten keine Möglichkeit, den Ausgang dieses brutalen Sports vorherzusagen, was spricht also gegen eine Wette?« »Es wäre falsch«, warf Emily ein. Malten lächelte: »Vermutlich. Aber wir wissen doch über viele dieser Rassen gar nichts. Sie könnten telepathisch viel begabter sein als wir, trotzdem wird ihnen das Glücksspiel nicht untersagt. Ich denke, das ist eine lächerliche Regel. Jeder weiß
um unser Talent und würde deshalb in vollem Bewußtsein darum mit uns spielen.« Garibaldi runzelte die Stirn: »Können Sie für solche Sprüche keinen Ärger mit Mr. Bester bekommen?« Der private Telepath lachte kurz auf: »Ich sage solche Sachen schon seit langer Zeit, aber es hört niemand zu. Ich arbeite seit dreißig Jahren daran, Telepathen als ganz normale Berufstätige wie Ärzte und Piloten anerkennen zu lassen. Das wird mir auch Mr. Bester nicht kaputtmachen.« Talia versuchte, das Thema zu wechseln: »Diese Faustkämpfe - sie können doch unmöglich legal sein.« »Nein«, sagte Garibaldi, »wir könnten den Laden hier sofort dichtmachen, aber in zehn Minuten würde es anderswo weitergehen. Wir haben nicht genug Leute, um jede Ecke der Station zu kontrollieren. Während ihres Baues wurde die Unterwelt sehr stark genutzt. Dann ging das Geld aus, und dieser Teil blieb im Rohbau stecken. Reisende, die auf B5 hängenbleiben, vom Schiff geworfen oder einfach hier angeschwemmt werden, haben sonst keine Zuflucht.« Er schüttelte den Kopf: »Ich verstehe ja auch nicht, was das soll, aber einige Sozialarbeiter auf der Station sagen, das sei völlig normal. Wäre dieser Ort nicht durch die Fehlplanung auf natürliche Weise entstanden, hätten wir ihn extra anlegen müssen.
Wenn man Ordnung will, muß man auch dem Chaos ein wenig Platz einräumen.« Der Chief sah Talia bedeutungsschwer an: »Erscheint Ihnen das vernünftig?« »Ich denke, Chaos kann vermieden werden«, antwortete sie nachdenklich. »Mir erscheint es sehr vernünftig«, sagte Malten, »Ich würde gerne mehr sehen.« Garibaldi führte sie durch einen verdreckten Korridor und hielt die Nase in die Luft: »Wenn ich mich nicht irre, leben dort hinten die Müllplünderer. Weiß der Teufel, wie sie den hierher umleiten, aber sie tun es.« Emily kräuselte ihre Nase: »S-s-sie stehlen Müll?« »Ja«, gab Garibaldi zurück, »aber sie behalten nicht alles, nur die Leckerbissen.« »Ich denke, darauf können wir verzichten«, sagte Mr. Malten. »Was befindet sich am Ende dieses Ganges?« »Eine Barackensiedlung. Wollen Sie sie sehen?« »Ja«, antwortete Malten bestimmt. Talia fiel ein wenig zurück, während Garibaldi die Gruppe durch eine gleichermaßen abschreckende wie faszinierende Szenerie führte. Aliens jeder Sorte - mit spitzen Kiefern, Flossen, Gliedmaßen, haariger Lederhaut oder Prismenaugen - mischten sich hier unter die Menschen. Erwachsene, Kinder, Alte ihnen allen stand ein gehetzter Ausdruck in die Gesichter geschrieben. Und sie alle starrten die
Besucher an. Ihre Baracken waren aus alten Kisten, Kontrollpulten, Metallplatten und Regalbrettern zusammengezimmert. »Wir versorgen sie mit frischem Sauerstoff«, erklärte Garibaldi. »Aber das ist auch schon alles. Die Minbari leiten eine Suppenküche. Dort können wir als nächstes hingehen.« Talia wußte nicht, was schlimmer war: der Geruch der Verzweiflung oder der Gestank dieses Ortes. Zu ihrer Überraschung waren die Stimmen in ihrem Kopf nicht fordernd, bettelnd oder aufdringlich. Einige waren resigniert und hilflos, andere ärgerlich wegen ihres Zustandes und wegen der gutgekleideten Besucher. Ein paar waren offensichtlich verrückt. Es war eine Mischung wie bei jeder größeren Gruppe. Einige würden es aus der Unterwelt herausschaffen, andere würden noch tiefer sinken, bis keine Spur mehr von ihnen zu finden sein würde. Eine Frau trat vor Mr. Malten und sah ihn an: »Hey, Kumpel, hast du was Kaugummi dabei?« »Nein«, erwiderte Malten verunsichert. Sie schneuzte: »Willst du welchen kaufen?« »Hau ab, Martha«, schnauzte Garibaldi, »du weißt, daß Kaugummi auf der Station illegal ist.« Er trieb die kleine Gruppe weiter. »Beste Qualität!« rief ihnen die Frau nach, »echter Zucker!« »Das bezweifle ich«, sagte Talia.
Emily Crane schlurfte neben ihr her und hielt sich ein Taschentuch vor die Nase: »Ich würde jetzt gerne gehen.« »Ich auch«, stimmte Talia ihr zu. »Wir werden die Teilnehmer ganz bestimmt nicht hier unten rumlaufen lassen, soviel ist sicher.« »Ein Grund mehr, sich hier genau umzusehen. Noch ein oder zwei Sehenswürdigkeiten.« »Es ist Ihr Spiel«, sagte Garibaldi. Er blieb vor einem langen, schlecht beleuchteten Tunnel stehen: »Dies ist eine Abkürzung zur Suppenküche der Minbari.« Talia sah ihn zweifelnd an: »Ein dunkler, verlassener Tunnel?« »Er ist nicht verlassen«, sagte Garibaldi. »Da drin bewegt sich was. Und gegen den Diebstahl der Lichtplanken können wir nichts ausrichten.« Talia starrte in die Dunkelheit. Einige vage Umrisse bewegten sich in der Tunnelröhre. Sie wünschte, sie hätte Garibaldi nie um diese VIP-Tour gebeten, aber nun mußte sie sich auf ihre Instinkte verlassen. »Kommt«, sagte Malten und ging voran. »Wir sind zu viert und Mr. Garibaldi ist bewaffnet. Außerdem können wir uns jederzeit telepathisch verteidigen.« »Aber nur gegen Menschen«, warf Talia ein. Das Quartett ging langsam in die Dunkelheit hinein. Garibaldi und Malten mußten sich hin und wieder ducken, wenn größere Röhren von der Decke
herabhingen. Aus den Schächten strömte faulige Flüssigkeit, und Talia bemühte sich, schnell daran vorbeizukommen. Sie stolperte und ihre Hände glitten über die glitschigen Wände. Sie war für die Handschuhe dankbar, die sie gewöhnlich nur trug, um Hautkontakt mit anderen Menschen zu vermeiden. Als sie Emily Crane jetzt etwas ruppig voranschob, rief sie sich selbst zur Ordnung. Sie waren schließlich immer noch auf Babylon 5, ihrer Heimstatt. Es war halt nur ein unbekannter Teil davon. Trotzdem hatte Garibaldis Gerede vom Chaos sie nervös gemacht. Sie verabscheute den Gedanken an Unordnung, und Mr. Malten ging es bestimmt ähnlich, wenn es drauf ankam. Aus genau diesem Grund war die Kontrolle des Psi-Corps so wichtig. Sie würde Ordnung in das Chaos bringen. Das hoffte sie zumindest. Talia bemerkte jetzt, daß die vagen Umrisse jetzt nicht mehr vage waren und sich auch nicht am Ende des Tunnels befanden. Sie entpuppten sich als drei große, maskierte Wesen, die schnell auf die kleine Gruppe zukamen. Es würde zu einer Konfrontation kommen, das konnte Talia spüren. Allein schon deshalb, weil sie in der engen Röhre kaum aneinander vorbeikommen konnten. Sie wollte nicht in ihre Köpfe sehen, aber sie mußte wissen, was die Fremden vorhatten. Sie konnte sie jetzt deutlich erkennen, trotz der Dunkelheit, und langsam isolierte sie ihre Stimmen.
Talia keuchte. Ihre Geister waren kalt und fremd. Es waren keine Menschen. »Ich weiß«, sagte Malten, der die stummen Alarmsirenen in Talias Kopf schrillen hörte. »Achtet gar nicht auf sie«, empfahl Garibaldi, aber er klang nicht so zuversichtlich wie sonst. Talia sah, daß seine Hand schon auf der PPG lag. Der Sicherheitschef beschleunigte seine Schritte, um der Gruppe voranzugehen. Er winkte fröhlich dem ersten maskierten Wesen, das sich vor ihm aufbaute: »Wunderschöner Tag heute«, rief er. Der Alien hielt nicht einmal kurz inne, bevor er Garibaldi mit seiner mächtigen Schulter rammte und ihn gegen die Tunnelwand warf. Ein großes Messer blitzte auf, und Emily kreischte. Die anderen Maskierten stürzten sich nun auf die Telepathen. Sie hielten alle glitzernde Klingen in ihren behandschuhten Fäusten.
5 »Laßt ihn los!« schrie Malten. Mit einem Grunzen verpaßte ein maskiertes Alien dem Telepathen einen rechten Haken auf den Kiefer. Malten fiel auf den schmierigen Boden des Tunnels. Emily warf sich schützend über ihn. Sie kreischte immer noch. Talia tat genau, was man ihr im Selbstverteidigungskurs beigebracht hatte: Sie attackierte die Weichteile. Ein harter Tritt in den Unterleib des nächstbesten Angreifers brach ihr fast den Zeh, als er gegen einen Schutzpanzer prallte. Auch Garibaldi wehrte sich verbissen. Er hatte die Messerhand seines Gegner ergriffen und hielt ihn auf Distanz. »Zugangstunnel!« brüllte er, »zehn Meter weiter hinten. Er wird euch nach oben bringen.« Der Strolch drückte sein Messer gegen Garibaldis Hals, aber der Chief stieß ihn mit einem Ruck zurück und kam wieder auf die Füße. Es kam zu einem Handgemenge und Talia sah, wie Garibaldi sich einen Hieb in den Magen einfing. Er ging in die Knie. Die Telepathin war noch auf den Beinen und
daher auch als erste auf dem Weg zum Zugangstunnel. Zehn Meter, er war genau dort, wo Garibaldi gesagt hatte, in Bodenhöhe. Sie drehte an der Verriegelung. Vielleicht lag es an dem Adrenalinausstoß, aber die Schleuse sprang wie von selbst auf, einen einladenden Fluchtweg freigebend. »Hierher«, rief sie. Die Angreifer bedrohten Malten und Emily immer noch, trotzdem gelang es den beiden, in Richtung Zugangstunnel zu gelangen. Talia schob sie in die Röhre und das Duo kroch wie Maulwürfe in die Dunkelheit. Sie drehte sich noch einmal zu Garibaldi um. Ein maskierter Alien hatte ihn bei der Kehle gepackt und schüttelte ihn wie ein Hund sein Spielzeug. Die anderen zwei näherten sich mit ihren Messern. »Ich kümmere mich um die«, krächzte Garibaldi und griff nach seiner PPG. Talia schüttelte sich und floh. Die Schleuse schlug hinter ihr zu und eines der Aliens verriegelte sie darauf hinter den flüchtenden Telepathen. Der Angreifer, der Garibaldi festhielt, ließ ihn plötzlich fallen und verfiel in ein herzliches weibliches Gelächter. Sie schob die Maske zurück und ließ einen gepunkteten Schädel, einen eckigen Kiefer und einen muskulösen Nacken sehen. NaToth lachte: »Das sind die Typen, vor denen alle so viel Angst haben?« Garibaldi erhob sich stöhnend und rieb sich den Kiefer: »Hey, Na'Toth, das war gegen die
Abmachung. Nachdem ihr uns Angst eingejagt habt, sollte Talia mir in die Arme fallen, während ich euch mit der PPG vertreibe. Niemand hat euch gesagt, daß ihr mich vermöbeln dürft.« Na'Toth verstummte, während ihre beiden NarnHelf er an ihre Seite traten: »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich, »aber ich nehme es mit solchen Gefälligkeiten immer sehr genau. Ausgezeichnetes Training, danke für Ihren Anruf.« »Ich schulde Ihnen was«, gab der Chief zu. Er wischte sich die blutige Lippe an seinem Ärmel ab: »Glauben Sie, daß diese Aktion die übrigen Witzbolde von hier fernhält?« »Ja«, antwortete die Narn, »die haben nicht den Mut, es mit Stärkeren aufzunehmen. Oh, Botschafter G'Kar und ich werden an dem Empfang teilnehmen. Informieren Sie bitte den Captain.« »Werde ich«, knurrte Garibaldi. »Nun mache ich mich mal auf den Weg und berichte Talia, wie ich mir hier den Weg freigeschossen habe.« »Sie ist attraktiv«, meinte Na'Toth mit einem Anflug femininer Eifersucht. »Talia?« grinste Garibaldi. »Die ist verrückt nach mir.« »Das ist unübersehbar«, antwortete die Narn. Garibaldi rieb sich den verlängerten Rücken: »Ich denke, die Röhre spare ich mir. Ich nehme denselben Weg zurück, den wir gekommen sind. Vielleicht gibt es noch einen Kampf zu sehen.«
»Es war der richtige Ort, um uns das Zeichen zu geben«, bemerkte Na'Toth. »Ich sehe Sie dann in ein paar Stunden.« Garibaldi humpelte in den Tunnel und winkte: »Danke.« Als der Sicherheitschef den Haupttunnel erreicht hatte, wollte er nichts anderes mehr als ins Bett. Er schaltete seinen Com-Link ein: »Garibaldi an das im Dienst befindliche Personal: Sollte mich jemand als vermißt melden, teilen Sie ihm oder ihr mit, daß alles klar ist. Ich bin noch in der Unterwelt, aber die Situation ist unter Kontrolle. Garibaldi Ende.« Der Sicherheitschef schlenderte gerade an der improvisierten Kampfarena vorbei und befühlte seine immer noch geschwollenen Lippen, als eine kleine Gestalt ihn anrempelte. Der Stoß traf eine seiner geprellten Rippen, Garibaldi stöhnte auf und packte den kleinen Kerl. »Ratso, was ist denn in dich gefahren?« Das schäbige Wrack sah sich hektisch um und wimmerte: »Lassen Sie mich gehen, Chief. Ich hab's eilig.« Garibaldis Faust krallte sich noch ein bißchen fester in den Kragen des Mannes: »Wenn du es so eilig hast, dann steckt immer jemand in Schwierigkeiten. Also, was geht ab, Ratso?« Der kleine Mann schmollte: »Das sage ich Ihnen nicht.« »Hör zu, Kleiner, leg dich nicht mit mir an. Ich bin gerade gar nicht gut drauf. Wer hat Ärger?«
Der Kleine flüsterte: »Ich habe Ärger. Deuce ist wieder auf der Station.« »Deuce«, murmelte Garibaldi. Das war schlecht. Besonders, da sich gerade haufenweise Mitglieder des Psi-Corps hier herumtrieben. »Bist du sicher?« »Betreiben Ratten Geburtenkontrolle? Natürlich bin ich sicher.« »Warum gerade jetzt?« erkundigte sich Garibaldi. »Weiß er nicht, daß wir einen Haftbefehl für ihn haben? Warum sollte er das riskieren?« Ratso wand sich, vielleicht zuckte er auch, das war schwer zu sagen: »Sie sind doch alle hier versammelt, oder? Als wäre das hier das Zentrum des Universums. Wenn Sie einer von diesen verrückten Marsianern wären...« Garibaldi hob den kleinen Mann fast von den Füßen: »Deuce arbeitet für die Terroristen?« »Pssst. Pssst«, mahnte der Herumtreiber und preßte die schmutzigen Finger auf seine Lippen. »Ich habe Ihnen schon zuviel erzählt. Ich muß mich schützen. Deuce will vielleicht ein paar alte Rechnungen begleichen.« »Wie ist er reingekommen? Eine gefälschte Identicard?« Der zerlumpte Mann entglitt seinem Griff und schoß in einen Gang, wobei er sich gehetzt umsah. Garibaldi knirschte mit den Zähnen. Die Ankunft der Teilnehmer stand bevor, und die meisten seiner Leute nahmen noch eine letzte Mütze Schlaf. Er hatte keine Ahnung, wen er herunterbeordern
konnte, um nach Deuce zu sehen. Garibaldi hätte es gerne selbst gemacht, aber er konnte sich nicht einmal selbst entbehren. Marsianische Terroristen und der Verbrecherkönig der Unterwelt - eine üble Mischung. Er versuchte dahinterzukommen, wozu die Terroristen Deuce brauchten. Deuce war ein Schmuggelexperte, der alles in die Station hinein und wieder herausbringen konnte, auf die unterschiedlichsten Arten. Seine Kreditwuchereien hatten ihm eine Reihe von verzweifelten Kurieren eingetragen, die alles tun würden, um ein paar Credits von ihren Schulden erlassen zu bekommen. Wozu brauchten die Terroristen Deuce? Was konnte nur er auf die Station schmuggeln? Eine Bombe. Nicht solche Bomben, welche die früheren Babylon-Stationen in die Luft gejagt hatten, dachte der Chief, nicht diese Ka-Bumm-Dinger, über die Ivanova immer zu scherzen pflegte. Deuce würde seinen Spielplatz nicht verlieren wollen. Die Terroristen würden vermutlich ein Attentat bevorzugen, das mehr symbolischen Charakter hatte und nur wenig Chaos verursachte. Aber mit vierhundert Psi-Freaks in der Umgebung war Chaos schwer zu vermeiden. Mit Deuce und seinem Netz von Handlangern brauchten die Terroristen nicht einmal selbst in Erscheinung zu treten. Sie konnten irgendwo den Knopf drücken. Die Sicherheitskräfte mußten jede
einzelne Person auf der Station überprüfen, nicht bloß Telepathen und Neuankömmlinge, sondern auch den alltäglichen Menschenmüll. Der Chief erlangte langsam seine Fassung wieder und bemerkte, daß mehrere Unterweltbewohner ihn anstarrten. Sie wandten sich schnell ab, aber das machte ihre Neugier nicht weniger unangenehm. Sie wußten Bescheid. Wie jedermann in der Allianz hatte die Truppe von Unzufriedenen und Nutzlosen nichts für das Psi-Corps übrig. Zum Teufel, einige von ihnen konnten sogar Wilde Telepathen sein, die sich hier versteckt hielten. Seine Aufgabe war der Schutz des Corps, und damit stand er praktisch allein gegen den Rest des Universums. Soviel also zu der Idee, schlafen zu gehen. Der Captain hatte recht gehabt - es war ein Alptraum. »Kommen Sie rein«, sagte Captain Sheridan und wischte sich ein paar Krümel mit einer Serviette von der Oberlippe. Die Tür seines Quartiers öffnete sich und ein zerknitterter Garibaldi schlich herein: »Guten Morgen, Sir.« »Guten Morgen, Mr. Garibaldi. Frühstück?« »Nein danke, Sir. Ich frühstücke ungern, bevor ich im Bett war.« Er warf einen Blick auf das üppige Angebot: »Na ja, vielleicht ein Stück Toast.« Sheridan stand auf und knöpfte sein Jackett zu: »Essen Sie ruhig auf, Mr. Garibaldi. Die Melone ist wirklich gut. Ich bekam letzte Nacht eine dringende Meldung von Mrs. Winters, die mir mitteilte, daß Sie in der Unterwelt in Schwierigkeiten steckten.
Als ich das überprüfte, fand ich keinen Hinweis auf einen Zwischenfall, nur diese seltsame Notiz von Ihnen. Und heute morgen war kein Report in meiner Datenbank.« Garibaldi kicherte: »Nun Sir, wenn jemand um eine Besichtigung bittet, gestaltet man diese so interessant wie möglich. Wenn zum Beispiel eine Fahrt mit einer Postkutsche gewünscht wird, organisiert man einen kleinen Banditenüberfall.« Sheridan runzelte die Stirn: »Ich wußte nicht, daß Sie auch solche Dienste anbieten. Ich hatte auch keine Ahnung, daß Sie der Vergnügungsdirektor der Station sind. Wenn Sie es aber gerne wären, könnte ich das vielleicht arrangieren.« Garibaldi schob sich eine Erdbeere in den Mund und überdachte das Angebot einen Augenblick: »Führen Sie mich nicht in Versuchung, Sir.« Der Captain schüttelte den Kopf: »Ich weiß, daß Ihnen die Konferenz Probleme bereitet, aber wir müssen das so gut es eben geht nach den Regeln durchziehen. Ich bin überzeugt, daß es eine Verordnung gegen tätliche Angriffe auf hochrangige Besucher gibt.« Garibaldi wischte sich den Mund mit der Serviette des Captains ab: »Captain, haben Sie zufällig die Aufzeichnung des ersten KonferenzMitteilungsblattes gelesen?« Sheridan rollte mit den Augen: »Habe ich.« »Emily Crane hat ein großartiges Editorial geschrieben, finden Sie nicht? Sie warnte Ihre
Freunde recht deutlich davor, die Unterwelt oder den Alien-Sektor zu besuchen, weil dort mit telepathischen Kräften nichts auszurichten ist, wenn man in Schwierigkeiten gerät. Das hat sogar mir angst gemacht.« »Zugegeben«, sagte Sheridan, »Ihre kleine Show hat wirklich etwas gebracht, aber lassen wir das. Man hat ein wachsames Auge auf uns, darauf, wie wir uns hier schlagen. Also halten wir uns ab jetzt an die Spielregeln, klar?« Garibaldi streckte sich: »Ja, Sir, verstanden. Ich wollte dem Corps nur demonstrieren, daß gewisse Teile der Station sich ihrer Kontrolle entziehen. Wir haben allerdings ein erhebliches Problem in der Unterwelt.« »Und das wäre?« »Sie haben sicher den Namen Deuce in einigen der Berichte gelesen.« »Selbstverständlich«, sagte Sheridan, »ich habe das Strafregister des Schiedsmannes über ihn gelesen. Mord, Raub, Schmuggel, Gefährdung der Station - ein mieser Typ. Und ein Flüchtling.« »Er ist wieder da. Darüber mache ich mir keine Sorgen, denn daß er früher oder später aufkreuzen würde, um nach seinen Geschäften zu sehen, war absehbar. Aber warum gerade jetzt? Geht es dabei um die Konferenz? Glauben Sie mir, Deuce hätte bestimmt nichts gegen einen Gehaltsscheck von den Terroristen einzuwenden.«
»Sind Sie sicher, daß er wieder da ist?« fragte Sheridan. »Ein Passagier eines zweifelhaften Frachters ist verschwunden, nachdem er gestern von Bord ging.« »Können Sie ihn auftreiben?« fragte der Captain. »Wie? All meine Leute sind für die Konferenz abgestellt. Und Deuce ist ein großes Tier in der Unterwelt. Selbst wenn wir die Konferenz nicht im Nacken hätten, würden wir vielleicht ewig nach ihm suchen.« Garibaldi rieb sich die Augen: »Im Augenblick suche ich nichts anderes als mein Bett.« Der Com-Link des Captains ließ sich vernehmen, und er hob die Hand: »Sheridan hier.« »Ivanova hier«, kam die bekannte Stimme. »Die Glenn dockt in Hangar sechs an. Die Papiere kündigen dreiundfünfzig Psi-Corps-Mitglieder an, und Mr. Bester wünscht eine persönliche Begrüßung. Er hätte auch Mr. Garibaldi gerne dabei, um Fragen zur Sicherheit zu erörtern.« Garibaldi stöhnte und griff sich das letzte Stück Toast. »Ich werde es Mr. Garibaldi ausrichten«, sagte der Captain. »Wir sind schon unterwegs.« »Oh«, sagte Ivanova, »ein weiterer Transport mit siebenundzwanzig VIPs kommt um 8:40 an und noch einer mit achtundreißig VIPs um 9:21. Ein schwerer Kreuzer mit neunzehn militärischen Telepathen wird für 10:58 erwartet, und zwei Transporter...«
»Ich werde im Dockbereich bleiben«, versicherte Sheridan. »Haben die Arbeitsteams BLAU-16 geräumt?« »Ja, Sir. Die Farbe ist allerdings noch nicht trocken.« Sheridan nickte nüchtern: »Wir können sie ja für ein paar Stunden ins Casino bringen und dort essen lassen.« Er sah Garibaldi an und lächelte ihm aufmunternd zu: »Gute Idee, die Glücksspiele dort zu verbieten. Wir schaffen das schon, Leute. Und denkt daran: Ihr liebt das Psi-Corps!« »Wir lieben das Psi-Corps«, sagte Garibaldi wenig überzeugend. Talia Winters nahm ihr Frühstück im neu eröffneten Cafe in BLAU- 16 ein. Malten saß ihr gegenüber, elegant in einem karierten Anzug mit Flicken auf den Ellbogen. Passend zur Umgebung war die Einrichtung größtenteils blau mit ein wenig Zimt. Nicht mal schlecht, dachte Talia, bis auf den Geruch frischer Farbe. »Ich fühle mich so schuldig«, sagte Talia, »Emily einfach mit der vielen Arbeit allein zu lassen. Sind Sie sicher, daß wir die Neuankömmlinge nicht begrüßen sollten?« »Und Mr. Bester den Spaß verderben?« Malten lächelte und goß noch etwas Kaffee nach: »Wir werden bei dem Empfang und das ganze Wochenende über noch viel Zeit für solchen Schnickschnack haben.«
»Außerdem«, sagte er aufmunternd, »ist das vielleicht die letzte Gelegenheit, Sie näher kennenzulernen, bevor ich zu Geschäftsessen und wichtigen Verhandlungen weggerufen werde.« »Ich hingegen«, entgegnete Talia und rührte in ihrem Kaffee, »habe zwar viele Gesprächsrunden vor mir, aber keine wichtigen Verhandlungen.« »Das ist schade«, antwortete Malten und strich sich über den Spitzbart. »Babylon 5 ist ein totes Gleis. Das ist mir nach dem unschönen Zwischenfall gestern nacht klargeworden. Sie könnten viel mehr erreichen.« Talia seufzte: »Mr. Malten ...« »Bitte nennen Sie mich Arthur.« »Arthur, Sie sollten wissen, daß ich nur ein P 5 bin. Ich kann froh sein, diesen Job zu haben.« »Unsinn«, warf Malten verärgert ein, »Ihr Erfolg auf B5 hat doch gezeigt, daß die Psi-Quote völlig irrelevant ist, wenn es um die Qualifikation für eine Aufgabe geht.« Er senkte seine Stimme: »Darum bin ich ja auch dagegen, soviel Macht an Telepathen zu geben, die nichts weiter vorzuweisen haben als einen P11 oder P12-Grad. P12 bedeutet nicht, daß man sich anpassen kann, gesunden Menschenverstand besitzt oder umgänglich ist. In den meisten Fällen heißt das doch nur, daß man ziemlich gestört ist.« Talia wand sich in ihrem Stuhl. Die Richtung des Gesprächs bereitete ihr Unbehagen. Malten konnte leicht so reden. Er war selber ein P10 und hatte die
größte private Vereinigung von Telepathen in der Earth Alliance gegründet. Obwohl der Mix auch unter das Sicherheitsgesetz 2156 fiel und damit technisch gesehen dem Corps unterstand, war er doch relativ unabhängig: Niemand mußte sich dort beim Corps einschleimen, um bestimmte Aufgaben zugewiesen zu bekommen. Malten lächelte entschuldigend: »Ich weiß, was Sie denken. Es stimmt, ich habe mir meine eigene kleine Nische geschaffen. Aber in der Geschäftswelt geht es weniger darum, wer die großen Profite einfährt. Uns geht es um langfristige Resultate. Talia, Sie haben erwiesenermaßen großes Talent im Umgang mit fremden Spezies. Das könnten wir im Mix brauchen.« Die junge Frau blinzelte ihn erstaunt an. Das hatte sie nicht erwartet. Babylon 5 war schon ein Traumjob gewesen, und an eine weitere Stufe auf der Karriereleiter hatte sie noch gar nicht gedacht. Und diese Stufe führte direkt an die Spitze. Es war zu schön, um wahr zu sein. Es mußte einen Haken geben. »Ich ... ich weiß nicht, was ich sagen soll«, gab sie offen zu. »Ich weiß nicht, was das Psi-Corps davon halten wird.« Der gelehrte Telepath tätschelte ihre Hand. Es war nur Leder auf Leder, aber die Berührung elektrisierte für einen Augenblick ihre Haut: »Überlassen Sie das Psi-Corps ruhig mir«, versicherte er. »Vor uns liegen viele Chancen. Wir
tragen die Telepathie in jeden Winkel des Universums. Nicht als Gegenstand von Furcht und Macht, sondern als begehrenswerte Dienstleistung. Wir werden sagen: >Laßt die Telepathie für euch arbeiten, und nicht gegen euch.<« »Das klingt wundervoll«, sagte Talia wahrheitsgemäß. Aber sie spürte einen Stich bei dem Gedanken, Babylon 5 so schnell wieder zu verlassen. Sie war kaum ein Jahr hier, und endlich hatte sie sich eingewöhnt. Trotz ihrer Loyalität zum Corps war sie gerne ihr eigener Herr, eine unabhängige Einheit. Ähnlich wie Garibaldi. Sie konnte sich nur schwer vorstellen, einer von Tausenden Telepathen in einer gigantischen Firma mit Hunderten von Filialen zu sein. »In der Zwischenzeit«, sagte Malten und griff in seine Tasche, »würde ich Ihre Anwesenheit bei einer der wichtigen Verhandlungen begrüßen, von denen ich eben sprach. Es geht um eine geheime Budgetbesprechung.« Er legte einen Datenkristall auf den Tisch: »Mrs. Crane hat ein paar Informationen über das Budget zusammengestellt. Ich verlasse mich sehr auf sie, obwohl sie strenggenommen nur eine Sekretärin ist. Debatten sind nicht gerade ihre starke Seite, und diese könnte hitzig werden. Sie und ich werden die Bedürfnisse der zivilen Abteilungen gegen Mr. Bester und das Militär verteidigen müssen. Kann ich auf Sie zählen?«
Talia fürchtete, daß ihr die Kinnlade auf den Tisch klappen würde. War das Jobangebot schon ein Schlag gewesen, dann war die Einladung zu der Verhandlung eine Serie von rechten Haken. »Warum ich?« fragte sie. »Ich kann über diese Dinge nicht so gut reden wie Sie. Ich weiß ja nicht einmal, ob wir einer Meinung sind.« Malten lächelte: »Wollen Sie darauf eine ehrliche Antwort?« Sie nickte. »Sie sind attraktiv und somit eine hervorragende Ablenkung.« Er deutete auf den Kristall: »Ich erwarte von Ihnen, daß Sie sich damit beschäftigen und die Statistiken besser kennen als ich. Außerdem sind Sie der lebende Beweis für das, wovon ich spreche. Wenn man in diesem Alien-Zoo erfolgreich arbeiten kann, zeigt das doch, daß die kommerzielle Nutzung überall erfolgreich sein kann.« Talia atmete tief durch und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie fühlte sich, als hätten einige der rechten Haken gut getroffen. Trotzdem nahm sie den Datenkristall und verstaute ihn in ihrer Handtasche. »Ich werde da sein«, versprach sie. Zur gleichen Zeit legte eine Hand in einem schmutzigen Handschuh mit abgeschnittenen Fingern einen ähnlichen Datenkristall auf einen verbeulten Aktenschrank. Eine Katze sprang aus
einer der Schubladen, und durch den Ruck fiel der Kristall fast zu Boden. Vorsicht, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Wenn wir das verlieren, verlieren wir alles. »Wir werden es nicht verlieren«, schnurrte Deuce mit schrägem Akzent. »Ich wollte es Ihnen bloß zeigen: Geschäft ist Geschäft.« Das sieht wie ein ganz gewöhnlicher Kristall aus, sagte die Stimme. Deuce hob den Kristall auf Augenhöhe und sah ihn genau an: »Das ist das Schöne daran, oder? Einzigartig. Wo wir gerade von Kristallen reden, haben Sie die Diamanten?« Die Stimme antwortete Ja, und Deuce erblickte auf dem Boden des schlecht beleuchteten Lagerraums einen schwarzen Koffer. Kaum hatte er den Kristall wieder auf den Aktenschrank gelegt, griff die Hand in dem Handschuh danach. »Das werden Sie auch noch brauchen«, sagte Deuce und zog ein kleines Gerät aus der Manteltasche. »Wissen Sie, wie man damit umgeht?« Ja.
6 Garibaldi war es immer noch nicht gelungen, sich aus dem Dockbereich zu verdrücken. Er wurde von allen Seiten bedrängt: »Entschuldigen Sie, Mr. Garibaldi«, schnarrte eine leichenblasse Frau in einer schwarzen Uniform, »diese Vorkehrungen sind inakzeptabel. Ich kann doch nicht das Badezimmer mit jemandem teilen!« »Die Person nebenan ist ebenfalls eine Frau«, erklärte Garibaldi, während er die Angaben und Raumpläne auf einem tragbaren Computer überprüfte. »Sehen Sie, BLAU-16 ist ein Mannschaftsquartier, und es stehen uns weder unbegrenzt Wasser noch unbegrenzt Raum zur Verfügung. Der einzige Zugang zum Bad befindet sich in Ihren Zimmern. Wenn Sie es also benutzen wollen, verriegeln Sie einfach die Tür.« Er machte eine ausladende Geste: »Stellen Sie sich einfach vor, Sie sind in einem Ferienlager.« Die ältliche Psi-Polizistin klapperte mit den Wimpern: »Ich bin um meine Sicherheit besorgt. Falls Sie es nicht wissen, junger Mann: Auf dem
Mars gelte ich als VIP. Die Terroristen sind auf meinen Kopf aus.« Ein Dutzend gehässiger Retourkutschen bat in seinem Kopf um den Einsatzbefehl, aber er hielt sich zurück: »Lady«, sagte er langsam, »hier ist jeder ein VIP. Für einen VIP und einen halben Credit kriegen Sie einen Kaffee. Wir haben diesen Rummel in zwei Tagen organisiert, und wir sind nicht das RitzCarlton - sie könnten wenigstens dankbar sein und dort schlafen, wo wir sie ablegen.« Die Psi-Polizistin erschrak: »Ich sehe, daß Sie nur um unsere Sicherheit besorgt sind, das sollte ausreichen. Wer wird meine Badezimmergenossin sein, wenn ich fragen darf?« Garibaldi checkte seinen Minibildschirm: »Das wäre Trixie Lee.« Er sah den Namen gedankenverloren an: »War sie nicht mal eine Stripperin?« »Ja richtig. Ich freue mich, sie wiederzusehen.« Die Frau lächelte verschmitzt: »Ich war auch mal Stripperin. Es ist ein gutes Training für einen PsiPolizisten. Die Geister, mit denen man da konfrontiert wird, sind meistenteils ziemlich leer, und deswegen...« Garibaldi lachte nervös: »Nun ja, genießen Sie Ihren Aufenthalt. Wir servieren Erfrischungen im Casino. Folgen Sie den Schildern.« »Casino?« fragte die Frau überrascht. »Sie haben doch sicher das Glücksspielverbot nicht gebrochen?«
»Natürlich nicht«, antwortete Garibaldi. »Die Spiele sind vorläufig eingestellt.« Die Frau hob eine Augenbraue: »Mr. Garibaldi, gehört Strip-Poker für Sie zu den verbotenen Glücksspielen?« »Ja«, gab er knapp zurück und schob sie weiter. »Der nächste?« Bevor er etwas dagegen tun konnte, hatte Garibaldi Mr. Bester am Hals, freundlich wie ein Kellner: »Mr. Garibaldi, dies ist mein Kollege Mr. Becvar. Er will eine Sicherheitsfrage mit Ihnen diskutieren, und es wäre mir recht, wenn Sie sich persönlich darum kümmern könnten.« Garibaldi lächelte unterwürfig: »Was immer Sie wünschen.« Damit überließ ihm Bester den gutaussehenden, dunkelhaarigen Mann mit dem spanischen Akzent: »Mr. Garibaldi«, sagte er und senkte die Stimme, »haben Sie schon von den Shedraks gehört?« »Shedraks?« wiederholte Garibaldi kopfschüttelnd, »tut mir leid, ist mir kein Begriff.« Mr. Becvar deutete auf einen Luftschacht: »Sie kommen durch die Luftschächte und erwürgen einen im Schlaf. Ich habe sie beleidigt, als ich auf Tyrol 3 war, und seitdem sind sie hinter mir her. Sie warten nur darauf, mich allein zu erwischen.« Er packte Garibaldi am Kragen: »Ich denke mir das nicht aus!« »Nein, selbstverständlich nicht«, sagte der Sicherheitschef, während er vorsichtig die Hände
von seinem Kragen nahm. »Wie werden wir diese ... diese Shedraks denn los?« »Die Luftschächte«, antwortete der Mann, »man muß sie verstopfen.« Der Chief betrachtete seinen Raumbelegungsplan: »Lassen Sie mich mal sehen, wo Sie untergebracht sind, Mr. Becvar.« Er hielt einen Augenblick inne: »Oh, das ist ja wunderbar. Sie haben Zimmer dreihundertneunzehn, das liegt in den Quartieren, die mit Klappen in den Luftschächten versehen sind. Wir können sie vom Kontrollraum aus verschließen.« Mr. Becvar seufzte erleichtert: »Oh, da bin ich aber froh.« »Außerdem lasse ich meine Leute hier in den Docks nach den Shedraks Ausschau halten«, versicherte ihm Garibaldi, »macht es Ihnen etwas aus, ihr Badezimmer zu teilen?« Der Mann hob die Schultern: »Nicht, wenn es dort keine Luftschächte gibt.« »Die werden wir auch verschließen.« Garibaldi tat so, als machte er sich eine Notiz. »Folgen Sie den Schildern zum Casino und genießen Sie den Aufenthalt, Mr. Becvar.« Der gutaussehende Mann nickte und ging davon, ängstlich zu den Luftschächten hinaufschielend. Bester gesellte sich zu Garibaldi: »Danke, Mr. Garibaldi. Mr. Becvar hatte vor einigen Jahren einen eher unglücklich verlaufenen Auftrag, und seither leidet er an gewissen Nachwirkungen. Glauben Sie
es oder nicht, aber er ist ein brillanter Trainer für Blocking-Techniken. Er arbeitet in unserem Center bei Syria Planum. Ich gehe davon aus, daß Sie davon gehört haben?« »Hat das nicht jeder?« fragte Garibaldi scheinheilig. Besters Gesicht verdüsterte sich: »Nein, nicht jeder. Ich würde auch darum bitten, daß das so bleibt.« »Ich verstehe nicht, warum um ein Trainingscenter auf dem Mars soviel Aufhebens gemacht wird.« Bester wurde wütend: »Alles, was mit dem Mars zu tun hat, ist eminent wichtig. Ich bitte Sie, das zu berücksichtigen.« »Okay«, sagte Garibaldi, »ich werde kein Wort mehr darüber verlieren.« Bester nickte freundlich: »Das ist eine weise Entscheidung. Hallo, Mr. Pekoe. Willkommen zur Konferenz.« Garibaldi ließ geräuschvoll Luft ab, als Bester endlich von ihm abrückte, um eine Delegation asiatischer Telepathen zu begrüßen, Captain Sheridan trat neben ihn und lächelte: »Wie läuft es, Chief?« »Ich liebe das Psi-Corps.« »Hat man etwas von Ihnen verlangt, womit Sie nicht klargekommen sind?« Garibaldi dachte einen Augenblick über die Frage nach: »Man hat, allerdings werde ich denen nicht den Gefallen tun, es auch zu zeigen.«
Sheridan klopfte ihm auf den Rücken: »Sie machen Ihren Job sehr gut, Garibaldi. Die Freigabe des Casinos war ein Geniestreich. Ich denke, das ist der Schlüssel zum Erfolg: sie zu beschäftigen.« »Das Casino war Mrs. Winters Idee«, gab Garibaldi zu. »Ich frage mich, wo sie steckt?« »Ich hoffe, sie hat einigermaßen Spaß«, bemerkte Sheridan. »Sie ist schließlich eine Teilnehmerin der Konferenz, vergessen Sie das nicht. Wir sind nur Hilfskräfte.« Talia hob das Kinn, um Malten zu küssen, während sie vor dem Quartier von Emily Crane die Zeit vertrödelten. Sie vermied dabei seinen Spitzbart und seinen Schnäuzer, und sie hoffte, daß der Kuß ihr Interesse unterstreichen würde. Nicht zuviel Interesse. Malten war geschieden, das wußte sie, und er konnte mehr für ihre Karriere tun als jeder andere Mann vorher. Trotzdem, sie wollte es langsam angehen. Talia zog sich wieder zurück, bevor ihrer beider Gedanken sich zu verbinden begannen, und sie schob ihn sanft von sich weg. Sie blockte ihn so gut wie möglich ab, und er tat dasselbe. Das war gut so. Es zeugte von einem gesunden Mißtrauen auf beiden Seiten. Sie war nicht sicher, ob sie mit einer erneuten Beziehung mit einem Telepathen umgehen konnte. Die letzte hatte sie fast in Stücke gerissen.
»Ich muß zur Arbeit«, sagte sie. »Mußt du nicht zu einer deiner wichtigen Verhandlungen?« Er lächelte jungenhaft: »Ich sollte wohl besser ins Casino, um dort ein paar Freunde zu treffen. Wirst du nachkommen ?« »Das habe ich vor«, antwortete sie, »nachdem ich die Arrangements in GRÜN-12 überprüft habe. Wenn ich es nicht schaffe, sehen wir uns bei dem Empfang.« »Schön.« Malten beugte sich vor, um sie noch einmal zu küssen, als die Tür aufging und Emily Crane herauslugte. Sie zog ein schockiertes und angewidertes Gesicht. »Entschuldigung«, sagte sie und wollte die Tür wieder schließen. Sie fingerte an der ihr nicht vertrauten Kontrollkonsole herum, um den entsprechenden Knopf zu finden. »Schon gut«, versicherte Talia der Frau, »ich wollte Ihnen gerade zu Hilfe kommen. Tut mir leid, daß das Frühstück etwas länger gedauert hat.« »Schrecklicher Service«, stimmte Malten zu, »ich werde mit dem Captain darüber sprechen müssen. Ich sehe Sie beide ja dann später.« Der elegante Telepath wandte sich bereits zum Gehen, drehte sich aber noch einmal um: »Oh, Mrs. Crane, ich werde Sie für das Budgetgespräch morgen nicht brauchen. Mrs. Winters wird mich begleiten. Das gibt Ihnen Zeit, sich auf die Mitteilungsblätter und ähnliche Dinge zu konzentrieren. Vielen Dank.«
Er ging mit federnden Schritten davon, und Talia konnte Emilys Augen in ihrem Rücken spüren. »Das g-g-ging aber schnell«, sagte die kleine Frau. Talia betrat Emilys Quartier, in dem der Geruch der Farbe noch sehr stark war, und schloß die Tür. »Hey«, begann sie, »wenn es irgend etwas zwischen Arthur und Ihnen gibt, erzählen Sie mir davon. Erzählen Sie mir alles, was Sie mir über ihn erzählen wollen.« Emily Crane ging zu ihrem Bett zurück, auf dem eine Menge Folien lagen. Sie sortierte sie in verschiedene Stapel mit Namen, Anzeigen und Raumbeschreibungen, immer auf der Suche nach Unkorrektheiten. Sie schluckte und deutete auf einen der Stapel: »Der Moderator für die Runde über Schlafentzug hat a-a-abgesagt«, sagte sie, »er behauptet, man habe sein Material gestohlen. Fällt Ihnen da jemand ein?« Talia verschränkte die Arme: »Ist das alles, worüber Sie reden wollen?« Emily senkte den Kopf und sah plötzlich verbittert und einsam aus: »Ich liebe Arthur. Er denkt nicht über mich ... auf diese Weise nach. Als ich hörte, daß wir gemeinsam herkommen würden, hatte ich gehofft... wenn er mal aus dem Büro raus ist...« Sie schluckte, unfähig, den Gedanken zu beenden. Talia wollte den Arm um die junge Frau legen, aber dafür kannte sie sie nicht gut genug.
Außerdem war da ja offensichtlich gar nichts. Eine unerwartete Beziehung auf einmal war mehr als genug. »Kommen Sie«, sagte Talia und nahmen einen der Stapel der Folien an sich, »wir haben eine Show zu organisieren. Bei dieser Art von Konferenz geht es nicht nur um Steuergesetze oder Strafrecht - es gibt eine sexuelle Strömung, die schwer zu vermeiden ist.« Talia betrachtete sich selbst im Spiegel über dem Waschtisch, und sie sah eine attraktive Frau, die von ihrer eigenen Macht über Menschen verblüfft war. Stimmt, sie war nur eine P5 unter lauter P10s und P12s, aber sie war besser angepaßt und sah besser aus als die anderen. »Es geht um Kontrolle«, sagte Talia, während sie ihr Haar richtete. »Und was ist eine bessere Kontrolle als Sex? Sie wollten es drauf ankommen lassen, oder? Ich mag Arthur, aber ich denke zweimal darüber nach, bevor ich mich mit einem Telepathen einlasse.« »Ich habe mich bereits eingelassen«, sagte Emily. »An Ihrer Stelle würde ich mir das aus dem Kopf schlagen«, schlug Talia vor, »wenn ich mich nicht völlig irre, geht er seine eigenen Wege.« »Werden Sie zu der Budgetbesprechung mit ihm kommen?« »Ja, vielleicht treffe ich alle diese Menschen nie wieder. Arthur nennt B5 ein totes Gleis, und
vielleicht hat er recht, was diese Sorte von wichtigen Unternehmen angeht. Darum will ich so viele Leute kennenlernen wie möglich, so lange sie hier sind.« Die kleine Frau schenkte ihr ein Lächeln: »Passen Sie auf sich auf.« »Diese Minbari«, sagte ein untersetzter Telepath vom Militär, »müssen wir von der Station entfernen. Sofort!« Er sah sich auf dem belebten Dock um und senkte die Stimme: »Sie könnten Spione sein.« Garibaldi sah sich ebenfalls um und senkte seine Stimme: »Einige von denen sind sicher Spione.« »Warum entfernen Sie sie dann nicht?« empörte sich der Telepath. Der Chief zuckte die Achseln: »Zuerst einmal führen wir keinen Krieg gegen die Minbari.« »Im Augenblick«, spottete der Militärtelepath, »wenn die Windschwerter und die Himmelsreiter und die anderen Kriegerkasten die Oberhand gewinnen, ist das nur noch eine Frage der Zeit. Ich bin ein Experte für die Geheimdienstaktivitäten der Minbari, und ich sage Ihnen, wir müssen uns ihrer entledigen. Sie sind gefährlich. Sie wollen uns töten.« Garibaldi starrte den beleibten Mann an und hoffte, daß er in einer vergleichbaren Verfassung nicht ähnlich aussah: »Dies ist ein gewöhnlicher Freihafen«, erklärte er, »unsere Satzung verpflichtet uns zur Diplomatie - wir akzeptieren jeden. Sogar das Corps. Die Minbari haben geholfen, Babylon 5
zu finanzieren, und dies ist ihre wichtigste diplomatische Unternehmung zusammen mit der Earth Alliance. Wir können sie nicht einfach von der Station werfen.« Der Telepath knurrte: »Ein dummer Ort, um so eine Konferenz abzuhalten.« »Darauf trinke ich«, stimmte Garibaldi zu. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« Der militärische Verbindungsoffizier rempelte den Sicherheitschef mit seinem Wanst an und glotzte ihm schweinsäugig ins Gesicht: »Ich meine das ernst, Mr. Garibaldi. Ich bleibe nicht auf einer Station zusammen mit den Minbari. Da ist mein Leben keinen Pfifferling mehr wert.« Garibaldi sah sich verzweifelt um und erblickte seine Rettung: »Lennier! Lennier!« rief er. Der freundliche Minbari in der raschelnden Satinrobe schlenderte herüber. Er verschränkte die Arme und lächelte engelsgleich, die muschelartigen Kränze auf seinem Kopf glichen einem Heiligenschein. »Lennier, wollen Sie Mr. Wie-hießen-Sie-dochgleich umbringen?« »Barker«, sagte der geschockte Mann. »Nun, natürlich nicht«, entgegnete Lennier. »Ich kenne Mr. Barker ja gar nicht, und wenn ich ihn kennen würde, würde ich sicher mein Leben für ihn geben.« »Daran habe ich keinen Zweifel«, antwortete Garibaldi. »Mr. Barker, darf ich Ihnen Lennier
vorstellen, den Attache von Botschafter Delenn. Ein Mitglied der Glaubens-, nicht der Kriegerkaste.« Lennier lächelte seligmachend: »Hocherfreut, Sie kennenzulernen.« Der Telepath stierte den Minbari an: »Ich hatte Mr. Garibaldi gerade gesagt, daß man alle Minbari von der Station deportieren sollte.« »Was für eine ungewöhnliche Idee«, antwortete Lennier nachdenklich. »Wenn dies eine Art von bezahltem Urlaub wäre, könnte man darüber reden. Sollen wir ins Casino gehen und die Einzelheiten besprechen? Wohin würden Sie uns gerne deportieren? Acapulco? Io?« Mr. Barker sah Garibaldi hilflos an, während Lennier ihn den Gang hinunterführte. Der Sicherheitschef zuckte mit den Schultern: »Der schafft ihn mit Freundlichkeit.« Der Chief unterdrückte ein Gähnen und versuchte, die Augen offenzuhalten. Wenn er nicht bald etwas Schlaf bekäme, würde er noch etwas sagen oder tun, was einen Krieg zur Folge haben könnte. Er reichte seinen tragbaren Computer an einen Untergebenen weiter: »Versprechen Sie denen, was sie haben wollen, und erklären Sie es mir in einer Stunde. Wenn es nicht zu unvernünftig ist, sollen sie's kriegen. Aber melden Sie sich auf keinen Fall bei mir, bevor die Stunde rum ist.« »Ja, Sir«, antwortete der Offizier.
Garibaldi sah sich kurz nach Captain Sheridan um. Als er ihn in der wimmelnden Masse aus Gästen, vervierfachtem Sicherheitspersonal und regulärem Verkehr nicht ausmachen konnte, gab er auf und machte sich aus dem Staub. Schon der sich vergrößernde Abstand zu den Typen mit den schwarzen Uniformen und ihren diversen Empfindlichkeiten verzehnfachte seine Stimmung. Einfach einen Moment ausruhen, ein paar alte Cartoons, das Psi-Corps vergessen - vielleicht unmöglich, aber der Versuch lohnte auf jeden Fall. Er hatte getan, was er konnte, hatte alle zu den richtigen Orten geschickt und sie auf alle Eventualitäten vorbereitet. Klar, es konnte immer noch jede Menge schiefgehen - und auf B5 tat es das für gewöhnlich auch, aber ein völliger Zusammenbruch im Sicherheitsbereich war unwahrscheinlich. Mit ein wenig Kooperation und viel Glück würde schon alles gutgehen. Dann würde Sheridan ihm was schulden. Ziemlich viel sogar. Es gab zwischen ihnen immer noch einen Mangel an Vertrauen, weil sie sich erst seit so kurzer Zeit kannten. Dies hier würde helfen. Garibaldi fühlte sich gut, als er aus der Transportröhre trat und in die Zielgerade zu seiner Unterkunft einbog. Er hörte die stampfenden Schritte hinter sich erst, als es zu spät war. Ein bärenartiger Körper wirbelte ihn an den Schultern herum und schüttelte ihn durch. Durch seinen verschwommenen Blick sah er ein über zwei Meter
großes scharlachrotes Monster. Garibaldi versuchte es mit einem Karateschlag, aber ein brokatgeschmückter Vorderarm schlug seine Hand beiseite und hielt seine Arme fest. Das Wesen spuckte, während es sprach: »Wie, im Namen von Centauri Prime, konnten Sie das Glücksspiel einstellen? Was ist mit Ihnen los? Sie nennen sich Freund?« Garibaldi konzentrierte sich auf den stacheligen Haarkranz, die hohe Stirn und die spitzen Zähne, die ihn anblitzten. »Londo«, brummte er, »wenn Sie wüßten, was ich hinter mir habe, hätten Sie Mitleid.« »Und was für einen Tag hatte ich Ihrer Meinung nach?« entgegnete Botschafter Mollari in seinem eigentümlich blumigen Akzent: »Zuerst bin ich ganz nahe dran, am Würfeltisch zu gewinnen, als meine, äh, Begleiterin müde wird und ins Bett gebracht werden muß. Dann gehe ich zurück ins Casino, will meine Gewinnchancen erhöhen, und was muß ich feststellen? Die Spieltische sind zugedeckt, direkte Order von Mr. Großes Tier Garibaldi.« Der Centauri hackte mit seinem Stummelfinger auf Garibaldis Brust ein: »Man will mir nicht einmal meinen Gewinn auszahlen, solange Sie - Sie persönlich - die Tische nicht freigeben. Also was soll das? Ist das eine Verschwörung? Steckt G'Kar dahinter?«
»Bitte«, flehte Garibaldi, »geben Sie uns die paar Tage ohne Glücksspiele. Wir haben lauter Telepathen an Bord, die nicht spielen dürfen.« »Nun«, schnaufte Londo, »wenn sie nicht spielen wollen, müssen sie auch nicht spielen. Sollen sie doch Blindekuh, Flaschendrehen oder sonstwas treiben, was man im Corps bevorzugt. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Ich gehöre nicht zum Corps. Ich trage auch nicht diese drögen, traurigen Kostüme. Ich will mich vergnügen. Ich wünsche zu spielen. Ich wünsche, all das zu tun, was ich tat, bevor die hier waren.« »Amen«, kommentierte der Chief. »Aber es geht nur um vier Tage. Ich werde veranlassen, daß man Ihnen Ihre Gewinne auszahlt, und vielleicht kann man die Tische für ein paar Stunden freigeben, während die Telepathen bei ihren Seminaren sind.« Londo grinste und machte schmale Augen: »Wissen Sie, Garibaldi, wenn diese Corps-Typen nicht spielen dürfen - und sie dürfen ja sonst praktisch alles -, dann werden sie genau das unbedingt tun wollen. Warum arrangieren Sie nicht etwas, und wir machen ein paar kompromittierende Aufnahmen. Eine ideale Gelegenheit, um ein bißchen Hintertreppenpolitik zu betreiben.« »Ich bin zu müde, um irgend jemanden zu erpressen«, gähnte Garibaldi und wandte sich zur Tür. »Aber danke für den Vorschlag.« »Ich würde das gerne für Sie übernehmen«, bot Londo an, »es wäre bestimmt amüsant.«
»Legen Sie sich mit denen nicht an«, warnte Garibaldi. »Nehmen Sie das als Befehl und als guten Rat. Menschen, die nur sich selbst sehen, sollte man meiden.« Der Centauri legte die Stirn in Falten: »Was soll das denn wieder heißen: >Die nur sich selbst sehen« Garibaldi zückte seine Identicard: »Nun, das sind Wichtigtuer, die davon überzeugt sind, daß sich das Universum nur um sie dreht, die halten sich für besser als alle anderen und wollen ständig Extrawürste.« Er schob die Karte in den Schlitz und die Tür öffnete sich. »Also, die sind wie niemand, den Sie kennen.« »Das will ich doch schwer hoffen« sagte Londo mit gespielter Empörung. Bevor Garibaldi sich in seine dunkle Höhle zurückziehen konnte, meldete sich sein Com-Link wieder. Er rollte mit den Augen, kämpfte einen Augenblick mit sich selbst, antwortete dann aber doch: »Garibaldi.« »Chief, es tut mir leid, aber hier im Casino gibt es gerade ziemlichen Ärger.« »Wo? Warum?« bellte Garibaldi. »Es ist G'Kar. Er vermöbelt gerade einen von den Telepathen. Captain Sheridan will eben dazwischengehen.« Londo legte ihm auf dem Weg zum Lift den Arm um die Schultern: »Sagen Sie dem Telepathen, daß ich ihm zu Hilfe kommen werde.«
7 Der muskulöse Narn hob einen sich windenden, schwarzuniformierten Psi-Polizist über seinen Kopf und warf ihn über die Bar. Er prallte gegen ein Glasregal und riß eine ganze Batterie von Flaschen mit sich. »Jetzt reicht es!« bellte John Sheridan, baute sich vor G'Kar auf und stieß ihn zurück. »Lassen Sie mich«, knurrte der Außerirdische, während sich auf seiner gefleckten Kopfplatte pulsierende Venen zeigten. »Nein«, sagte Sheridan. »Dies ist ein öffentlicher Ort, und wir haben Gäste auf der Station. Wenn Sie sich unbedingt schlagen wollen, können wir zwei ja mal vor die Tür gehen.« »Warten Sie, Sir«, rief Garibaldi, als er in das totenstille Casino kam. Er kämpfte sich seinen Weg durch die neugierige Menge. »G'Kar, was ist los mit Ihnen?« wollte er wissen. Londo schielte über die Bar nach dem blutverschmierten Psi-Polizisten und deutete dann
auf G'Kar: »Ich werde Ihnen helfen, Anklage gegen diesen Rüpel zu erheben, wenn Sie es wünschen.« Der Narn schüttelte den Kopf und wurde sauer: »Nun, ich hatte ... das übermächtige Gefühl, daß er mich umbringen wollte.« »Sie hatten das Gefühl?« staunte Sheridan. »Es war eine klare Bedrohung«, antwortete G'Kar. Der Sicherheitschef schnippte mit den Fingern und deutete auf seine Leute: »Besorgt ein MedTeam für den Mann.« »Bereits unterwegs«, gab der Offizier zurück. Garibaldi sah in die ausdruckslosen Gesichter der Telepathen um ihn herum: »War irgend jemand von Ihnen mit dem verwundeten Mann zusammen, als das hier losging?« Eine junge Psi-Polizistin, der Schwarz sehr gut stand, trat vor: »Hoffman hatte mit uns gewettet, daß er einem Narn einen Gedanken einpflanzen könne. Es sollte so eine Art Experiment sein. Ich weiß nicht, was er genau damit angerichtet hat, aber der Narn sprang plötzlich auf und begann, ihn zu verprügeln.« Das Med-Team unter der Leitung von Dr. Stephen Franklin eilte in das Casino, und die dadurch hervorgerufene Aufregung machte jede weitere Befragung vorerst unmöglich. Captain Sheridan lehnte sich über die Bar und sah, daß der Psi-Polizist zwar blutverschmiert, aber bei
Bewußtsein war. Er wehrte sich sogar gegen die Pfleger, die ihm Riechsalz unter die Nase hielten. Der Captain sah den Narn scharf an. Er war immer noch wütend, daß G'Kar diesen Kampf angefangen hatte. Oder hatte er das gar nicht? »Zuhören, ihr Hitzköpfe«, rief Garibaldi, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Selbst euch eingerechnet, sind die Menschen hier auf der Station in der Minderheit. Wir hatte letzte Nacht schon einen Zwischenfall, also seht euch ein bißchen vor.« »Seien Sie versichert, dieser Mann wird bestraft werden«, schallte eine Stimme aus der Menge. Einige drehten sich um, als sich Mr. Bester seinen Weg durch die Menschen bahnte. Er lugte kurz über die Bar und fuhr dann fort: »Man wird ihn all seiner Rechte und Pflichten entheben.« Er lächelte. »Nach einem ausführlichen Verhör.« Der Psi-Polizist wandte sich großmütig an G'Kar: »Mein lieber Botschafter, lassen Sie sich durch diesen Zwischenfall bitte nicht den Abend verderben. Selbst Telepathen vergessen mitunter, daß ihre Gabe auch einen Preis hat. Der Preis ist Verantwortung und Disziplin. Spielen, Machtmißbrauch - das sind Dinge, die wir nicht tolerieren.« Bester verbeugte sich und schlug die Hacken zusammen: »Bitte akzeptieren Sie meine aufrichtige Entschuldigung, Botschafter G'Kar.« Londo lehnte sich gegen die Bar und murmelte: »Oh je.« Aber G'Kar verbeugte sich ebenfalls und
lächelte, als wollte er Bester nachahmen: »Entschuldigung akzeptiert. Verständigung ist unser größtes Problem, wie ich immer zu sagen pflege.« »Ich hoffe, Sie werden uns heute abend beim Empfang mit Ihrer Anwesenheit beehren«, sagte Bester. »Selbstverständlich werde ich das.« Dr. Franklin stand hinter der Bar auf und unterrichtete Sheridan: »Er steht jetzt unter Betäubung. Er hat ein gebrochenes Handgelenk und ein paar Schnitte. Scheint nichts Ernstes zu sein.« »Werfen Sie ihn in eine Zelle«, schlug Bester vor. Franklin verzog das Gesicht: »Ich halte die Krankenabteilung für angebrachter.« »Dann ins Krankenlager«, befahl Sheridan, »angegurtet und mit einer Wache vor der Tür.« Der Doktor nickte, und der bewußtlose PsiPolizist wurde auf eine Trage gehoben. Sheridan hatte nun die Gelegenheit, sich ein wenig unter den Umstehenden umzusehen. Garibaldi sah erschöpft und verärgert aus; Londo hörte neugierig der Schilderung eines Barmannes über den Kampf zu; und Bester und G'Kar benahmen sich wie alte Schulfreunde. Am bemerkenswertesten fand der Captain allerdings, daß er sich in einem Raum mit lauter Menschen befand, die seltsamer und undurchschaubarer waren als sämtliche Außerirdischen auf der Station. Sheridan dämmerte langsam, daß er verrückt gewesen war, diese Konferenz auf B5 zuzulassen. Je
länger sie andauerte, desto wahrscheinlicher war es, daß etwas Furchtbares passieren würde. Es gab zuviel Schießpulver, und überall lagen Streichhölzer herum. Er hörte eine Stimme in seinem Kopf, jene leise Stimme, die einen Captain warnt, bevor sein Schiff mit einem Eisberg oder einem Asteroiden kollidiert. Die Gefahr, flüsterte die Stimme, lauert knapp unter der Oberfläche und wartet nur darauf, euch alle in Stücke zu reißen. Garibaldi und Ivanova haben versucht, mich zu warnen, dachte der Captain, aber das hilft jetzt auch nichts mehr. Er hatte sich kopfüber in diese Sache gestürzt und damit dem Psi-Corps, seiner Konferenz und all dem damit verbundenen Ballast einladend die Tür geöffnet. Der erste Tagungsort war ausgebombt worden, als ob das nicht schon Warnung genug gewesen wäre. Trotz aller Bemühungen und trotz der harten Arbeit war B5 schon von der Konzeption her ein Freilaufgehege, ein Zoo ohne Gitter. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Nun, jetzt mußte er Zugeständnisse machen und konnte nicht mehr alle Probleme auf seine Leute abschieben. »Garibaldi!« rief er. »Ja, Sir?« Der Sicherheitschef machte sich nicht einmal mehr die Mühe, ordnungsgemäß zu salutieren. »Gehen Sie in Ihr Quartier und schlafen Sie, bis es Zeit ist, sich für den Empfang umzuziehen. Das müßte Ihnen ungefähr drei Stunden geben.«
»Aber Sir«, gab Garibaldi zu bedenken, »hier ist im Augenblick so viel los ...« Sheridan hob abwehrend die Hand: »Com-Link, alle Anfragen für Mr. Garibaldi werden bis 23:00 automatisch an den Offizier Lou Welch weitergeleitet. Er wird solange Garibaldis Aufgaben übernehmen. Captain Sheridan Ende.« Er sah Garibaldi fest in die Augen: »Bevor Sie gehen: Ist in BLAU-16 alles für den Empfang vorbereitet?« »Wir schließen das Cafe in einer Stunde und werden es kurz darauf unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen wieder aufmachen.« »Gut«, antwortete Sheridan. »Ab morgen wird jeder durchsucht, der in die Konferenzräume hineingeht oder aus ihnen herauskommt.« Garibaldi blickte nachdenklich drein: »Wir wollten einen Hand-Scan bei allen Personen durchführen, die GRÜN-12 betreten. Außerdem wollten wir nach Psi-Corps-Insignien Ausschau halten. Möchten Sie es etwas genauer?« »Es müssen nicht gerade Leibesvisitationen sein«, meinte Sheridan, »aber sehen Sie in Handtaschen, Aktenkoffer, Reisetaschen, alles Tragbare. Leeren Sie es aus, falls nötig.« »Das paßt mir sehr gut«, stimmte Garibaldi zu. »Ich wollte es schon vorschlagen, aber ich dachte, Sie hätten was dagegen.« »So lange alles im Rahmen der Verordnungen bleibt«, sagte Sheridan, »nutzen wir alle unsere Möglichkeiten. Das hält sie vielleicht davon ab,
ständig aus GRÜN-12 reinund rauszumarschieren.« »Wonach suchen wir eigentlich, Sir?« Der Captain lächelte: »Nach Ruhe und Frieden. Aber die werden wir wohl erst finden, wenn die Telepathen weg sind.« Er haßte es, in den Korridoren herumzulungern, aber er wußte nicht, wie er Susan sonst treffen sollte. Und es sollte wie ein Zufall wirken. Glücklicherweise gehörte Harriman Gray zu den Menschen, die nicht sonderlich auffielen. Er fiel eher auf, wenn er den hartgesottenen Telepathen gab, der den Geist einer Person durchblättern konnte wie ein neugieriger Besucher, der im Bücherschrank seines Gastgebers herumschnüffelt. Aber in jeder Menschenmenge fiel es ihm leicht, nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Je länger er hier weilte, desto mehr mochte Gray die fremden Stimmen und den Puls von Babylon 5. Er fühlte sich fast »normal«, hier, wo er die Gedanken der meisten anderen Wesen nicht lesen konnte. Für sie war er nur irgendein Fremder. So durchkreuzte er die Korridore, die auf ihrem Weg lagen, immer darauf bedacht, sie nicht zu verpassen, falls sie hinter ihm auftauchen würde. Vielleicht würde sie ja zwischendurch einen Happen in ihrem Lieblingsrestaurant nehmen. Er war sicher, daß sie in Doppelschichten arbeiten würde, bis alle Teilnehmer der Konferenz sicher an Bord waren. Dann wären sie das Problem von jemand anderem.
Das war Susans Art; sie war stets darum besorgt, ihre Zeit optimal zu nutzen. Sie haßte alle Telepathen mit Leidenschaft, würde aber deren Schiffe sicher zur Station geleiten, als ob ihre eigene Mutter an Bord wäre. Der Gedanke an Susans Mutter traf Gray ganz unvermittelt. Sie war der Grund für ihren Haß auf das Psi-Corps. Konnte er etwas dagegen ausrichten? Hatte es Sinn, sich dafür zu entschuldigen? Oder Susan zu erklären, wie unangenehm es ihm war, mit dem gleichen Maß wie die Psi-Polizei gemessen zu werden? Gab es irgend etwas, das sie die Jahre des Schmerzes und des Hasses vergessen lassen würde? Nein. Nicht, solange er die Insignien des Corps trug. Warum tat er das überhaupt? Warum konnte er sich nicht auf seinen gesunden Menschenverstand besinnen und Susan vergessen? Es gab so viele Frauen, denen er als Mann mit Prestige und Aufstiegsmöglichkeiten willkommen sein würde. Frauen, die ihn für eine gute Partie hielten. Vielleicht. Das Problem war, daß Harriman Gray immer die falschen Dinge wollte, nämlich die, die er nicht haben konnte. Er hatte Soldat werden wollen, bevor seine Psi-Fähigkeiten offenbar geworden waren. Nachdem ihm diese Möglichkeit genommen worden war, hatte er dem Militär als Verbindungsoffizier dienen wollen, der jeden Abend in sein sauberes Apartment heimkehrt. Statt dessen wurde er von einem hochrangigen Auftrag zum nächsten geschoben, jeder schräger als der vorige.
Jetzt liebte er eine Frau, die ihn haßte. Hey, dachte Gray, langsam bist du schon neurotischer als Bester. Er war gerade soweit, seine Suche abzubrechen und sich zu den Kollegen im Casino zu gesellen, als er eine Gestalt in grauer Uniform in Richtung Süßigkeitenladen gehen sah. Seine Beine sprangen seinem Herzen hinterher, als er ihr nacheilte. »Ich nehme eines davon«, sagte Ivanova und deutete auf dunkles Gebäck. »Susan«, sagte er. Ihr Rücken versteifte sich und sie drehte sich nicht um: »Verfolgen Sie mich?« »Ja«, gab er zu. »Ich schätze, Sie werden wohl nicht zum Empfang kommen.« »Nein.« »Darum mußte ich Sie verfolgen.« Susan seufzte und wandte sich nun doch um. Sie sah ihn mit dem Ausdruck seiner großen Schwester an, den diese immer dann aufsetzte, wenn er ihr auf die Nerven ging. »Sie müssen wissen, Harriman, laut Order des Captains darf ich eigentlich weder mit Ihnen noch mit einem Ihrer Kollegen sprechen.« »Ich weiß«, sagte Gray, »ich habe alle Reisehinweise gelesen: >Besuchen Sie nicht die Unterwelt oder den Alien-Sektor. Reisen Sie nicht allein. Sprechen Sie nicht mit Commander Ivanova.<« Sie lächelte immerhin: »Ich hoffe, darauf steht wenigstens eine anständige Strafe.«
»Wo wir gerade von Strafe sprechen«, berichtete Gray aufgeregt, »haben Sie schon gehört, daß G'Kar einen aufmüpfigen Psi-Polizisten namens Hoffman vor allen Leuten fürchterlich verprügelt hat?« Ivanova lächelte: »Nein, davon hatte ich noch nicht gehört. Aber jeder tut, was er kann, um diese Konferenz zu einem netten Erlebnis zu machen.« Sie nahm ihr Gebäck entgegen und wartete darauf, daß Gray ihr aus dem Weg gehen würde: »Entschuldigen Sie mich, aber ich habe nur noch fünf Minuten, bis der nächste Transport eintrifft.« »Bitte essen Sie«, insistierte Gray. Er zog einen Stuhl heran und bedeutete ihr, sich zu setzen: »Es ist schon okay, ich übernehme das Reden.« Ivanova seufzte resigniert und stellte ihren Snack auf dem Tisch ab: »Ich kann mir den Stuhl selber zurechtrücken.« »Selbstverständlich«, sagte Gray, der ihr gegenübersaß. »Ich wollte Ihnen nur erzählen, daß ich daran denke, meinen Job als militärischer Verbindungsoffizier aufzugeben und in den privaten Dienst zu wechseln.« »Das ist gut«, bemerkte Ivanova, den Mund voller Kuchen. »Ja, vielleicht kann ich sogar nach Babylon 5 versetzt werden.« Die Offizierin sah ihn erstaunt an und schluckte: »Wir haben doch schon eine ständige Telepathin.« »Oh«, sagte Gray, »Mrs. Winters verläßt B5 vielleicht bald.«
Ivanova runzelte die Stirn: »Wirklich? Ich lerne sie gerade erst richtig kennen. Warum sollte sie gehen?« »Ein besseres Angebot.« »Woher wissen Sie das?« erkundigte sie sich mißtrauisch. Gray lächelte: »Lassen Sie es mich so sagen: Eine Zusammenkunft von Telepathen ist nicht gerade der beste Ort, um Geheimnisse zu hüten.« Ivanova legte ihre Gabel auf den Teller und starrte ihn an: »Harriman, wenn Sie auf Babylon 5 arbeiten wollen, nur um in meiner Nähe zu sein, dann verschwenden Sie Ihre Zeit. Eine bemühte Konversation dann und wann ist alles, was Sie erwarten können.« Er senkte seinen Blick wie ein verwundetes Tier: »Das ist ziemlich hart, finden Sie nicht?« »Ja«, gab sie zu und stand auf. »Tut mir leid, aber ich will Ihnen nichts vormachen.« Gray hielt dagegen: »Es ist nicht nur das. Ich mag Babylon 5. Ich fühle mich hier wohl, wie ein normaler Mensch. Hier bin ich nicht nur ein Freak oder ein Schnüffler.« Susan öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, schüttelte aber dann doch nur den Kopf und ging davon. Als sie fort war, ließ Gray seine Faust auf den Tisch fallen. Trotz der Härte und der Endgültigkeit ihrer Worte sagte ihm eine Stimme, daß sie trotzdem die richtige
Frau für ihn war. Worauf sollte er hören, wenn nicht auf sein Herz? Wenn nicht auf diese Stimme ? »Susan«, murmelte er mehr zu sich selbst, »wenn eine bemühte Konversation dann und wann alles ist, was ich erwarten kann, dann nehme ich es.« Talia Winters wandte sich vom Bildschirm ab und rieb sich die Augen. Sie hatte sich alles auf dem Datenkristall ungefähr zehnmal angesehen, und es ergab immer noch keinen Sinn. Ein Haufen windiger Zahlen, die nicht zusammenpaßten, viele Statistiken über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Telepathen, die offensichtlich den kommerziellen Sektor favorisierten, ein paar Diagramme, die die Ausgaben des Militärs attackierten und eine Anfrage bezüglich eines neuen Forschungsund Entwicklungscenters. Sie hatte keine Ahnung, wie sich das alles zu einem schlagkräftigen Argument für den Einsatz kommerzieller Telepathen zusammenfügen ließ. Natürlich, sagte sie zu sich selbst, sind das nur nackte Daten. Die mußten sein, denn manchmal reichte Logik alleine nicht aus man mußte Zahlen einfließen lassen und Diagramme aus dem Ärmel zaubern können. Das stärkste Argument war in ihren Augen sowieso die Tatsache, daß die kommerziellen Telepathen die einzige Abteilung im ganzen Psi-Corps waren, die sich selbst unterhielt. Bester und seine hochgeheimen Budgets waren ein Faß ohne Boden, genau wie die Forschung nach Psychowaffen, die das Militär
betrieb. Allerdings bezweifelte sie, daß irgendeine dieser Parteien gerne daran erinnert werden würde. Außerdem sprach kein Diagramm und keine Statistik das eigentliche Problem an - daß Mr. Bester und seinesgleichen bestimmten, wer im Corps was bekam. Welches Argument vermochte diese Hürde zu überwinden? Es klopfte an der Tür und Talia sah überrascht auf. Indem sie den Knopf drückte, rief sie: »Herein.« Emily Crane stolperte in den Raum. Sie trug hochhackige Schuhe und ein pfirsichfarbenes Abendkleid mit nur einem Träger. Sieht gar nicht mal so schlecht aus, dachte Talia. Wenn sie noch etwas selbstsicherer wäre, könnte sie durchaus etwas hermachen. »Was t-t-tun Sie da?« fragte Emily vorwurfsvoll, »Sie sollten sich für den Empfang fertigmachen.« »Oh, tut mir leid«, sagte Talia und warf einen Blick auf die Uhr über ihrem Bildschirm. »Ich habe mir den Datenkristall über das Budget angesehen, den Sie zusammengestellt haben. Irgendwie wäre es mir lieber, wenn Sie hingehen würden, denn ich glaube nicht, daß ich bis morgen früh alles intus haben werde.« »Ja glauben Sie denn, ich?« fragte Emily. »Sie wissen, was Sie zu sagen haben. Wir können das ja später noch durch ein Memo untermauern.« »Na gut«, seufzte Talia. »Ich denke, heute abend schaffe ich es sowieso nicht, noch mehr von diesem Kristall aufzunehmen.«
»Dann g-g-geben Sie ihn mir«, sagte Emily und wandte sich dem Bildschirm zu. »Ich habe ein paar Updates für einige der Diagramme. Ich glaube nicht, daß Sie etwas vorzeigen müssen, aber t-t-trotzdem bekommen Sie ihn rechtzeitig zum Meeting wieder.« Sie nahm den Kristall aus dem Computer und schob ihn in ihren Ausschnitt: »Wir wollen unbedingt dieses Forschungszentrum. Der Rest sind Scheingefechte.« »Danke«, sagte Talia. »Ich ziehe mich jetzt wohl besser um.« Emily nickte und stöckelte aus dem Zimmer. Nachdem sie fort war, zog Talia gedankenverloren die Handschuhe aus. Es fühlte sich gut an, die Finger frei zu spüren. Sie zog den Reißverschluß ihres Kleides herunter und ließ es zu Boden gleiten. Sie streckte die Finger und schob ihre Haare zurück, während sie ermattet in Richtung Dusche tappte. Garibaldi hatte einen wunderbaren Traum. Er stand unter der Dusche, das Wasser prasselte auf ihn herunter. Er war offensichtlich nicht auf Babylon 5, denn dort tröpfelte das Wasser in aller Regel nur. Trotzdem, er stand unter der Dusche, er schrubbte sich ab, und wenn er hinaustreten würde, so wußte er, würden alle vierhundert Telepathen des PsiCorps verschwunden sein. Nur der übliche Abschaum von zweihundertfünfzigtausend Menschen und Außerirdischen wäre dann noch da. Er konnte es kaum erwarten. Er drehte die Dusche ab und sprang heraus, schon fast trocken. Er mochte
die Dusche. Langsam schritt er durch eine Traumwelt lachender, begeisterter Leute, die ihm zuprosteteten und ihn hochleben ließen, weil er den Horror der Psi-Corps-Konferenz beendet hatte. Londo war auch da und grinste auf seine bissige Art. »Ich habe ihn auf Band«, verkündete der Centauri und hob sein Glas. »Exzellent«, sagte Garibaldi mit einem breiten Grinsen. »Gut gemacht, Mr. Garibaldi«, sagte Captain Sheridan und klopfte ihm auf den Rücken, »Sie sind eine echte Bereicherung für die Station.« »Bereicherung«, murmelte Garibaldi, als wäre es eine Beleidigung. Dann sah er Talia, und sie war genauso angezogen wie er, nämlich gar nicht: »Ich dusche gerade«, sagte sie, während ihr nackter Körper vorbeischwebte. Er wollte ihr folgen, aber immer mehr Menschen zogen ihn mit und hoben ihre Gläser. Plötzlich stieß er mit jemandem zusammen, den er gerne in der wirklichen Welt treffen wollte, nicht aber in diesem Traum. Es war Deuce, der miese Gangsterboß aus der Unterwelt. »Hey, Garibaldi«, schnarrte Deuce, »Sie hätten sich ihrer nicht entledigen müssen. Ich hätte das schon besorgt.« Er lachte und verschwand wieder in den Schatten.
Dann kam Lennier, unterwürfig wie immer. Der friedfertige Minbari hielt ein Bündel Geldscheine in die Höhe: »Wir haben uns geeinigt«, sagte er. Ivanova war plötzlich neben ihm, tief in Gedanken versunken. »Könnten Sie einen Telepathen lieben?« wollte sie wissen. »Ich meine, einen von denen?« »Ich liebe das Psi-Corps!« antwortete er, weil ihm das die angemessene Antwort zu sein schien. Alle lächelten ihn an. Der letzte am Ende der Reihe war Kosh, der vorionische Botschafter. Der Berg aus Marmor und Stoffen stellte sich ihm direkt in den Weg. »Wo sind all die Marsianer hin?« fragte der Vorlone in seiner seltsamen Mischung aus Singtönen und synthetischer Stimme. Kosh sah Garibaldi durch ein röhrenförmiges Teleskop an, das aus seinem Bauch herausgefahren kam und fügte dann hinzu: »Viel Zeit ist vergangen.« »Sie sind alle weg«, rief Captain Sheridan und hob sein Glas: »Auf Mr. Garibaldi und seine bemerkenswerte Lösung für das Psi-CorpsProblem!« Da nun alle ihre Gläser hoben und ihn ansahen, tat Garibaldi dasselbe. Nur hielt er kein Glas in der Hand - es war eine Apparatur mit einem Haufen schmutziger Drähte. Und der Zünder tickte bedrohlich. Garibaldi keuchte und wollte die Bombe wegwerfen. Kaum hatte sie seine Hand verlassen,
verwandelte sie sich in ein grelles weißes Licht und ein monströses KABUMM! Das letzte, was Garibaldi sah, war ein hysterisch lachender Bester, dann wachte er gnädigerweise auf, die schweißnassen Hände in die Decke verkrallt. Sein Com-Link plärrte, und sein Computer-Terminal schien auch etwas zu wollen. »Okay, okay«, brummte er, »ich bin ja schon wach.« »20:00«, informierte ihn der Computer. Er berührte seinen Com-Link, und die Stimme des Captains war zu hören: »Garibaldi, hier Sheridan. Alles unter Kontrolle. Ich wollte nur sichergehen, daß Sie nicht verschlafen.« »Keine Gefahr«, krächzte Garibaldi und schmatzte ein wenig, um den seltsamen Geschmack aus dem Mund zu verbannen. Sheridan antwortete: »Freut mich zu hören. Ich bin gerade in BLAU-16, und es wird langsam voll. Wir hatten einige Möchtegern-Spielverderber, aber die einzigen Nichtteilnehmer, die zugelassen sind, sind die Botschafter mit ihren Attaches. Dadurch ist es relativ einfach, den Zugang zu kontrollieren.« Garibaldi hatte es gar nicht gern, wenn der Captain sich so nervös anhörte, vor allem nach dem Traum, aus dem er gerade erwacht war: »Fünfzehn Minuten«, versprach er. »Danke für die Ruhepause, Captain. Ich fühle mich wie neu.«
»Wir können ein paar neue Männer gebrauchen«, sagte Sheridan mürrisch. »Entschuldigen Sie, Bester kommt gerade.« Talia Winters nahm einen Schluck von ihrem centaurischen Wein und lächelte Botschafterin Delenn an. Die Minbari-Frau sah klein und zerbrechlich wie eine Porzellanpuppe aus, aber Talia wußte, daß unter dem spröden Äußeren eine harte und abgebrühte Politikerin steckte. Als Mitglied des Grauen Konzils und frühe Förderin von Babylon 5 erkannte Delenn die Notwendigkeit der Station wie nur wenige. »Mein Attache und Mr. Barker scheinen sich gefunden zu haben«, bemerkte Delenn und sah zufrieden zu Lennier und einem untersetzten Militär hinüber. Die beiden standen sehr eng beieinander und waren offensichtlich in ein lebhaftes Gespräch vertieft, das alle anderen Beteiligten ausschloß. »Kein Wunder«, bemerkte Talia, »beide hassen Ihre Kriegerkasten.« Delenns Lächeln milderte sich nur wenig, als sie zu der größeren Frau aufsah: »Sie wirken heute etwas abwesend, Mrs. Winters. Beschäftigt Sie etwas?« Talia strich sich eine Strähne blonder Haare aus dem Gesicht, die perfekt mit ihrem schwarzen Abendkleid harmonierten. Ihre weißen Schultern strahlten wie Sonnenlicht über dem schwarzen Ausschnitt. »Sie haben recht«, gab sie zu. »Ich quäle mich mit einer Entscheidung. Wenn man es genau
nimmt, gehört gleich ein ganzes Bündel von Entscheidungen dazu.« Delenn bog den Kopf ein wenig zur Seite: »Man sollte eine Entscheidung nie eilfertig treffen. Oder allein. Ich halte nicht viel von gesellschaftlichem Beisammensein und würde Ihnen gerne meine volle Aufmerksamkeit schenken.« Talia schluckte: »Na schön. Man hat mir eine neue Aufgabe angeboten, eventuell auf der Erde, bei einer großen Firma. Man sagt, es gehe hauptsächlich um meine Erfahrungen im Umgang mit fremden Wesen. Aber diese Erfahrungen habe ich erst hier gemacht. Mit anderen Worten: Ich würde die Gelegenheit gern beim Schopf ergreifen, aber ich will Babylon 5 nicht verlassen. Ergibt das einen Sinn?« »Absolut«, antwortete Delenn und nippte an ihrem Tee. »Wenn es die Firma ist, die ich dahinter vermute, gibt es vielleicht sogar eine Lösung. Warum machen Sie nicht eine Filiale hier auf Babylon 5 auf? Dann könnten Sie den Auftrag annehmen und trotzdem hierbleiben.« Talia kicherte, wurde aber schnell wieder ernst: »Daran habe ich auch schon gedacht. Unglücklicherweise ist meine Präsenz für einige Aspekte des Angebots unabkömmlich.« Delenn lächelte. »Wie so oft. Obwohl Sie es sind, die die Entscheidung fällen muß, denke ich doch, daß Babylon 5 der vorteilhafteste Ausgangspunkt für Ihre Karriere ist.«
Talia sah in ihr Glas. Die grünliche Flüssigkeit schien ihre trüben Gedanken zu spiegeln, und sie hatte den Drang, es auszugießen und sich einen neuen Drink zu holen. In diesem Augenblick berührte sie ein Gedanke, ein sehr angenehmer, und als sie aufblickte, erkannte sie Arthur Malten, der nun einen sehr konservativen blauen Anzug trug. Selbst seine Augen schienen zu lächeln. »Sie sehen wunderbar aus, Talia«, sagte er. Dann wandte er sich Delenn zu und verbeugte sich: »Habe ich das Vergnügen mit Botschafterin Delenn?« »Haben Sie«, antwortete sie. »Arthur Malten«, stellte er sich vor. »Vom Mix. Ich habe schon mit vielen Ihrer Kollegen gesprochen.« »Ja«, sagte Delenn, »und wir sollten uns über die Filiale unterhalten, die Sie auf Minbar eröffnen wollen.« Sie lächelte Talia zu: »Aber nicht heute.« »Ja«, sagte Malten nur und ergriff Talias Hände, die in Seidenhandschuhen steckten. »Ich fürchte, ich muß Mrs. Winters für einen Augenblick entführen. Mr. Bester ist hier, und er ist guter Laune. Er verteilt Gefälligkeiten in jede Richtung.« »Gerade jetzt?« fragte Talia zögernd. »Keine Zeit ist günstiger als die Gegenwart«, antwortete Malten. »Zumindest sagt man das im allgemeinen.« »Hast bringt Last«, entgegnete Delenn. »Sagt man das nicht auch bei Ihnen?«
Malten musterte die Minbari: »Ich bin ein sehr entschlossener Mensch«, erklärte er. »Wenn ich etwas sehe, das ich will, versuche ich auch, es zu bekommen. Und ich bin geduldig, wenn es die Situation erfordert.« »Eine bewundernswerte Eigenschaft«, sagte Delenn. »Es ist leicht, entschlossen zu sein, aber schwer, geduldig zu warten.« Doch Malten zog Talia bereits weg.
8 Talia streckte sich widerwillig, während sie das BLAU-16-Cafe durchquerte. Das lag teilweise an der Berührung von Arthur Mähens bloßer Hand an ihrem Gelenk. Warum trug er keine Handschuhe? fragte sie sich. Vermutlich war das ein weiteres Indiz für seine bekannte Neigung zu rebellischem Verhalten. Sie wollte Arthur mitteilen, daß sie sich noch nicht entschieden hatte - aber sie war verwirrt von den Lichtern, dem Lärm und den Stimmen der einflußreichen Telepathen. Viele von ihnen drehten sich zu ihr und Malten um, und diese Aufmerksamkeit hatte ihren ganz eigenen Reiz. Wollte sie sich wirklich auf einer Station begraben lassen, auf der sich alles um Außerirdische und außerirdische Probleme drehte? Oder gehörte sie hierher- zu ihresgleichen, inmitten der wichtigen Entscheidungen, die die gesamte Earth Alliance betrafen? Hier waren die Leute, nach deren Pfeife der Senat und die Earthforce tanzten, die von der Natur ausersehen waren zu führen.
Sie setzte ihr gelassenstes Lächeln auf, als Arthur sie auf Mr. Bester zuschob. Er war wie immer von seiner schwarzgekleideten Bande von Speichelleckern umgeben, und eine Handvoll kommerzieller und militärischer Telepathen stand auch dabei. Als Malten und Talia sich ihm näherten, lächelte er erwartungsvoll, wie ein Skorpion beim Anblick eines anfliegenden Käfers. »Guten Abend, Mr. Bester«, sagte Talia. »Guten Abend, Mrs. Winters, Sie sehen großartig aus.« Er streifte ihre Begleitung nur mit einem desinteressierten Blick: »Hallo, Malten.« »Hallo, Mr. Bester«, erwiderte der große Mann den Gruß. Er deutete auf das auffallend bunt dekorierte Cafe, das mittlerweile mit Gästen vollgestopft war. »Schulden wir Mrs. Winters nicht unseren Dank für diese einmalige Leistung?« »Sicher«, stimmte Bester zu. Talia schüttelte höflich den Kopf: »Captain Sheridan, Mr. Garibaldi und dem gesamte Stab von Babylon 5 gebührt diese Ehre. Ich habe lediglich darum bitten müssen.« Bester lächelte: »Unterschätzen Sie nicht die Macht der Überzeugung, Mrs. Winters.« Er sah Malten an: »Ich weiß, wovon ich spreche.« Malten zeigte sich darüber ein wenig ungehalten, gleichwohl verzog sich das höfliche Lächeln nicht von seinem Gesicht: »Ich denke, wir kennen den Wert von Mrs. Winters. Obwohl Babylon 5 ein
wichtiger Außenposten ist, liegt er doch eher fernab vom Geschehen. Viele von uns glauben, daß Mrs. Winters hier ihr Talent verschwendet und dem Corps besser an anderer Stelle dienen könnte. In Erdnähe.« Bester zuckte die Achseln: »Sie würde eine hervorragende Jägerin abgeben, aber bei B5 ist da wohl wenig zu machen.« Einige der Psi-Polizisten kicherten. »Wir könnten Sie im Mix sehr gut gebrauchen.« bemerkte Malten. Bester lächelte noch immer, jetzt aber eher gefährlich als freundlich, während er den Unternehmer anblickte: »Man könnte glatt den Eindruck gewinnen, daß Sie ein Monopol auf kommerzielle Telepathen anstreben.« Seine Augen wurden schmal: »Werden Sie nur nicht zu gierig.« O-oh, dachte Talia, diese Unterhaltung geht den Bach runter. »Ich sehe dort hinten Botschafter G'Kar«, sagte sie, »und ich würde gerne seine Version des Zwischenfalls hören, den ich leider verpaßt habe. Wenn Sie mich entschuldigen würden.« Bei ihrem Abgang hörte sie noch, wie Malten Bester zuzischte: »Das war völlig unnötig.« Talia atmete tief ein und entschied sich, G'Kar doch lieber in Ruhe zu lassen. Er konnte etwas ausufernd sein, und ihr stand der Sinn nicht nach einer Schlag-für-Schlag-Beschreibung einer Kneipenschlägerei. Trotz der munteren Musik stand Mr. Gray allein an der Bar. Sie gesellte sich zu ihm.
»Hallo, Mr. Gray«, sagte sie und griff sich einen Stuhl. Sozusagen als Nachschlag fügte sie hinzu: »Macht es Ihnen was aus, wenn ich mich setze?« Er blinzelte sie wie aus großer Distanz an: »Überhaupt nicht, bitte. Amüsieren Sie sich?« Angewidert stellte sie ihr Glas Wein auf die Bar: »Ich besorge mir besser einen neuen Drink.« Gray knetete nervös seine Hände: »Mrs. Winters, Sie haben mehr Zeit unter Außerirdischen und auch normalen Menschen verbracht als ich. Kann ich Sie etwas fragen?« Sie lächelte ihn an: »Sicher.« »Können sich ein Telepath und ein NichtTelepath lieben?« Talia lächelte und dachte dabei an Garibaldi: »Ich bin sicher, daß das immer wieder vorkommt, auf oberflächlichem Niveau. Ob ein Telepath und eine Gewöhnliche sechzig Jahre zusammenbleiben und ihre Enkelkinder aufwachsen sehen können, weiß ich nicht. Ich schätze nicht. Aber andererseits habe ich auch nur wenig nichttelepathische Paare kennengelernt, die dazu in der Lage waren.« Sie sah sich im Raum um: »Ist es nicht seltsam, wie viele von uns geschieden oder noch ledig sind? Irgendwie sind wir einsame Wölfe.« »Ja«, sagte Gray sorgenvoll. Er nahm sich jetzt ebenfalls einen Stuhl und senkte seine Stimme: »Als ich mich für das Psi-Corps einschrieb, hatte ich keine Ahnung, daß das jedes Privatleben ausschließt.
Man sagte mir, man würde meine Fähigkeiten ausbilden. Niemand hat gesagt, daß damit alles andere vorbei sein würde.« Er ließ die Schultern hängen: »Ich schätze, solange einer von beiden Telepath ist, gibt es immer Mißtrauen.« »Und wenn beide Telepathen sind«, setzte Talia hinzu, »ist es zu intensiv, um lange zu dauern.« »So haben wir nur uns selbst«, sagte Gray, »darin liegt nur wenig Trost.« »Gar kein Trost«, antwortete Talia. Sie sah Arthur Malten mit einem verärgerten Gesichtsausdruck auf sie zukommen. Sie schnappte sich Grays Hand: »Möchten Sie tanzen?« Überrascht hellte sich seine Miene auf: »Danke, sehr gerne.« Sie entkamen in dem Moment auf die Tanzfläche, da Malten die Bar erreicht hatte. Talia sah ihn schmollend am Tresen stehen. Sie vermutete, daß Bester den Antrag auf ihre Versetzung abgelehnt hatte. Mit ihrem angeborenen Optimismus im Schlepptau fragte sie sich, ob es so nicht besser sei. Die Konferenz hatte gerade erst begonnen, und schon stritt man sich um sie. Das war vermutlich schmeichelhaft, doch sie fand es ein bißchen vulgär. Mr. Gray entpuppte sich als ausgezeichneter Tänzer: Er trat ihr nicht auf die Füße und hielt den korrekten Abstand. Talia nutzte die rotierende Tanzfläche, um die anderen Teilnehmer des Empfangs zu beobachten.
Captain Sheridan und Garibaldi schauten beide sehr wachsam drein, auch wenn sie sich hin und wieder zu einem höflichen Lachen hinreißen ließen, nur um sogleich wieder in nüchterne Aufmerksamkeit zurückzufallen. Von den Botschaftern zog G'Kar das größte Gefolge nach sich, welches hauptsächlich aus militärischen Telepathen bestand. Offensichtlich sorgte der tätliche Angriff auf einen Psi-Polizisten beim Militär für Beliebtheit. Londo hatte eine attraktive Centauri mitgebracht, und ein Rattenschwanz von Telepathen folgte ihnen von einem Vorspeisentisch zum nächsten. Die Psi-Polizisten hielten sich an Bester, während die kommerziellen Telepathen Grüppchen gebildet hatten oder paarweise herumstanden. Hm, dachte Talia, wenn ich Emily Crane ausfindig machen könnte, würde ich sie mit Mr. Gray bekanntmachen. Aber die kleine Frau im pfirsichfarbenen Kleid war nicht in Sichtweite. Bei der zweiten Umdrehung der Tanzfläche konnte Talia erfreulicherweise erkennen, daß sich Arthur Malten mit Botschafterin Delenn unterhielt. Die Minbari würde eine gute Ablenkung abgeben und ihn auf andere Gedanken bringen. Andere Gedanken waren genau das, was jetzt vonnöten war. »Vielen Dank, daß Sie gekommen sind«, sagte Captain Sheridan. »Es war uns ein Vergnügen. Es hat uns sehr gefreut, Sie hier zu begrüßen. Denken Sie an uns bei den Bewilligungen. Haben Sie eine angenehme Konferenz.«
Zu seiner Verteidigung muß man sagen, dachte Talia, daß er hundertmal dasselbe sagen konnte, ohne wie eine kaputte Tonspur zu klingen. Sie war nur noch ein einfaches Lächeln für die Konferenzteilnehmer, die den Empfang in BLAU-16 verließen. Der Raum sollte geschlossen werden, zur vorgesehenen Zeit. 23:00. Bis auf Botschafterin Delenn war praktisch keiner früher gegangen, und der Besitzer der Bar lächelte, als er die Abrechnung sah. »Abteilung zwei,« sagte Garibaldi, »eskortiert so viele von den Teilnehmern wie möglich zu ihren Quartieren. Wir möchten doch nicht, das sie sich in die falschen Bereiche der Station verirren.« »Sie könnten durchaus zum Casino gehen«, sagte Talia. Garibaldi war mürrisch: »Unternehmt alles, bis auf die Sache mit der Gutenachtgeschichte,« befahl er seinen Leuten. »Ich will die Bande im Bett haben.« Der Sicherheitschef und seine Leute folgten einem Pulk von Gästen, die in einem Korridor angehalten hatten, um ihre Schlüsselkarten zu checken. Bald war den meisten geholfen, und im Cafe hielt sich bis auf die Reinigungsmannschaft niemand mehr auf. Talia gähnte und Captain Sheridan warf ihr einen freundschaftlichen Blick zu. »Mir geht's genauso«, bekannte er. »Dieses Konferenzgeschäft ist nichts für mich - zu viele
Unterhaltungen. Aber ich denke, es lief bisher ganz gut.« Talia nickte: »Captain, die Teilnehmer haben eine wunderbare Zeit. Für ihre Verhältnisse haben sie vor Freude auf dem Kopf gestanden. Viele von ihnen fühlen sich sonst nirgendwo willkommen, und bei Ihnen durften sie heimisch werden. Nach ein paar Unstimmigkeiten klappt es sogar mit den Botschaftern ganz gut. Obwohl ich Botschafter Kosh vermißt habe.« Der Captain hob die Schultern: »Sie kennen Kosh.« Talia schüttelte den Kopf und lachte. Beide wußten, wie dumm diese Bemerkung war. »Ich muß jetzt ins Bett«, sagte Sheridan. »In meinem Kopf dreht sich alles. Das passiert wohl, wenn man ein paar hundert Telepathen an Bord hat. Gute Nacht.« »Gute Nacht, Captain.« Talia sah den Captain gehen und fühlte sich gut. Gut, weil sie diesen Raum als letzte verließ. Gut, weil sie diejenige war, die das Licht ausmachte. Trotz ein paar persönlicher Konflikte war die Konferenz bisher ein voller Erfolg. Natürlich war das hier erst die erste offizielle Veranstaltung von insgesamt zweihundertsechzehn Gesprächsrunden, Essen, Vorträgen und Diskussionen gewesen. Es gab also noch Gelegenheiten zur Genüge, etwas schiefgehen zu sehen. Aber jeder Tag ohne Zwischenfall war ein Orden an ihrem Revers. Nun
wußte das Psi-Corps, wer sie war und in was für einem Umfeld sie arbeitete. Und Babylon 5 war nicht länger nur ein Name für das Corps. Sie ging auf den Gang hinab und langsam auf den Ausgang zu. Alles in allem war es gut zu wissen, daß sie auf dem kommerziellen Sektor Aufstiegschancen hatte. Aber welchen Preis hatte dieser Weg? Nicht nur die üblichen Stolpersteine machten ihr Sorgen. Es waren auch die versteckten Fallen, die Fallen, die installiert worden waren, als sich Bester und Malten hinter ihrem Rücken unterhalten hatten. Und was wollte man überhaupt mit ihrer Erfahrung im Umgang mit Außerirdischen? Es gab zwar genügend kommerzielle Verwendungszwecke, aber auch militärische. Sie wollte kein fehlgeschlagenes Experiment werden wie der einzige Mann, den sie jemals geliebt hatte. Sie wollte auch kein Spion bei den Aliens werden, zum Beispiel den Minbari. Sie mußte sehr vorsichtig sein, alles beobachten, alles notieren. Talia war nicht sonderlich überrascht, als sie seine Präsenz hinter der nächsten Ecke des Korridors spürte. Er wartete auf sie, nun wieder freundlich, um Entschuldigung bittend. Er würde es wiedergutmachen, versprach er, all die unangenehmen Augenblicke. Es war seine Schuld, wie er versicherte. Talia lächelte und wollte ihn gerade wissen lassen, daß sie jetzt müde war und er sich einen Platz für die Nacht suchen müsse.
»Arthur«, begann sie, als sie um die Ecke bog. Doch es war nicht Malten. Es war Mr. Bester. Sie sah ihn nur an, und er lächelte: »Das ist zwar anatomisch unmöglich«, sagte er, »aber ein recht häufiger Gedanke.« Talia stammelte: »Sie ... Sie haben vorgetäuscht...« »Ja, ich weiß«, gab Bester zu. »Es ist sehr schwer, besonders um eine Ecke herum. Das Signal ist dann sehr schwach, aber es geht, wenn ich die Person kenne. Der Vorteil ist, daß man sich für eine andere Person ausgeben kann.« »Mir gefällt das nicht«, sagte Talia. Besters Lächeln verschwand: »Jetzt klingen Sie schon wie Ihr Freund, der beklagt sich auch immer. Sie beide wollen in der Oberliga spielen, da dürfen Sie keine Angst vor dem Ball haben.« Er lächelte sie wieder an: »Habe ich mich klar ausgedrückt?« Talia schluckte: »Okay, was verlangen Sie, damit Sie meine Versetzung zum Mix genehmigen? Falls ich es überhaupt will.« Bester leckte sich die Lippen: »Wir sollten darüber nicht hier auf dem Korridor diskutieren. Mein Zimmer ist gleich da drüben.« Talia lächelte: »Ich weiß genau, wo Ihr Zimmer ist, und ein Ruheraum liegt noch näher. Ideal für ein Gespräch oder eine Partie Ping-Pong.« »Natürlich«, sagte Bester mit einem verärgerten Ausdruck auf dem Gesicht, »zeigen Sie mir den Weg. Ich kann etwas Ruhe gebrauchen.«
Der Raum war leer, und Talia strich mit der Hand über die Kontrolltafel, um das Licht zu aktivieren. Gemäß ihrer Anweisungen lagen auf dem PingPong-Tisch vier neue Schläger und eine Schachtel Bälle. Auf einem der Tische stand ein Schachbrett, auf den anderen lagen Kartenspiele. In der Ecke war eine kleine Hantelbank mit einem Bildschirm zur Unterweisung. »Wie gut sind Sie beim Ping-Pong?« fragte sie. »Ich reagiere sehr schnell«, antwortete Bester. »Ich war mal wirklich gut. Aber das ist nicht die Sorte Spiel, die ich gern spielen würde.« Talia setzte sich an einen der Tische und nahm einen Stapel Karten: »Ist es nicht seltsam, überall wird man zum Spielen animiert. Man sollte meinen, daß Mitglieder des Psi-Corps über solche Versuchungen erhaben sind, aber es reizt uns genauso wie jeden anderen Menschen auch.« »Es ist die Verweigerung, die uns stark macht«, antwortete Bester und ballte die Faust, als wollte er die Aussage damit bekräftigen. Er setzte sich ihr gegenüber und lächelte: »Und wie gesagt, es ist nicht diese Sorte Spiel, die ich gern spielen würde.« »Was ist der Preis, um für den Mix arbeiten zu dürfen?« fragte Talia. »Und lassen Sie Mr. Malten dabei aus dem Spiel.« »Es ist klug, ihn aus dem Spiel zu lassen«, sagte Bester zustimmend. »Er hat den Mix gegründet, aber nun ist er ihm über den Kopf gewachsen. Der Mix würde auch ohne ihn zurechtkommen.«
Talia sah dem Psi-Polizisten direkt in die Augen: »Also geht es um einen Preis, den ich selber aufbringen kann. Was ist es?« Bester beugte sich vor und flüsterte heiser: »Wie sehr wollen Sie diese Versetzung?« Talia lächelte: »Nicht so sehr.« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück: »Gibt es auch ein Sonderangebot?« Bester lachte: »Sie haben immer noch nicht verstanden, welches Spiel ich spielen will. Es geht um Wahrheit und Pflicht.« »Wie spielt man das?« fragte Talia mißtrauisch. »Sehr einfach«, entgegnete Bester und griff in seine Tasche, »ich zeige Ihnen ein Foto Ihres Onkels Ted, besser gesagt Theodore Hamilton, und es ist Ihre Pflicht, mir die Wahrheit zu sagen: Wo ist er?« Bester warf das Foto eines wild aussehenden jungen Mannes mit langen blonden Haaren auf den Tisch. Talia war von dem krassen äußerlichen Gegensatz ihres Onkels zu Mr. Bester überrascht. Der eine war ein Tunichtgut, und der andere war, na ja, Mr. Bester. Sie lachte erleichtert und gleichzeitig erstaunt. »Ich komme zum Mix, wenn ich Ihnen etwas über meinen Onkel Ted erzähle?« »Sie müssen uns gar nichts über ihn sagen, außer, wo er sich aufhält.« Talia sah den Psi-Polizisten hilflos an: »Ich glaube, als ich ihn zuletzt gesehen habe, war ich ungefähr vierzehn. Er war auf dem Weg zum Mars.«
Sie blinzelte Bester an. »Oh, es hat also etwas mit dem Mars zu tun.« »Sie haben also wirklich keine Ahnung, was er die letzten zwei Jahre getrieben hat?« Sie schüttelte den Kopf: »Ich hatte nicht viel Kontakt mit dem Mars.« Talia wollte noch sagen, daß ihr Onkel sich niemals den marsianischen Revolutionären anschließen würde, aber das wäre eine Lüge gewesen. Genau das hätte dem alten Romantiker ähnlich gesehen, besonders, wenn Frauen mit von der Partie waren. »Ich schätze mal, er hat ein paar Sachen auf dem Mars hochgehen lassen«, sagte sie. »Schlimmer als das, Mrs. Winters. Ihr Onkel Ted hat sich klar zur separatistischen Bewegung bekannt, und die Menschen hören ihm zu. Er ist beliebt und die Kolonisten verstecken ihn. Wir suchen ihn jetzt schon seit zwei Jahren.« Bester lehnte sich angespannt über den Tisch: »Wir wollen ihn haben.« »Ich habe keine Ahnung, wo er sich aufhält«, antwortete sie kopfschüttelnd. »Und warum wollen Sie ihn unbedingt? Er ist doch kein Wilder Telepath oder etwas Ähnliches.« »Diese Information steht dem zu, der sie braucht. Sie brauchen sie nicht. Aber jetzt kennen Sie den Preis, zum Mix versetzt zu werden - zu Ihren Bedingungen, ohne Mr. Maltens Hilfe. Wenn Sie einmal dabei sind, können Sie ihn ausnutzen, wenn Sie wollen. Ich denke, diesen Preis können Sie
zahlen, ohne Ihre hohen Ideale zu verletzen, Mrs. Winters.« »Mr. Bester«, protestierte Talia, »ich habe meinen Onkel seit fünfzehn Jahren nicht gesehen. Wie kann ich Ihnen helfen?« »Kommen Sie, Sie gehören doch zur Familie. Sie können zur Erde oder zum Mars reisen, Fragen stellen, sich besorgt zeigen. Sagen Sie, daß Sie Ihrem Onkel noch mal Hallo sagen wollen, bevor die bösen Jungs ihn kriegen. Umarmen Sie ihn noch einmal um der alten Zeiten willen.« Bester blinzelte: »Sicher haben Sie schon vor langer Zeit gelernt, die Gedanken Ihrer Mutter zu lesen, ohne daß sie es gemerkt hat. Hier reden wir über Ihren Bruder. Finden Sie heraus, wo er ist.« Talia versuchte, sich nicht zu übergeben, aber sie kaute auf der Idee herum, Familienmitglieder ohne deren Wissen zu scannen. Zitternd erhob sie sich vom Tisch und schluckte den Kloß herunter, der ihr in der Kehle saß: »Ich fühle mich nicht sehr gut, Mr. Bester. Ich glaube, Ihnen bei der Suche nach Ted Hamilton keine Hilfe sein zu können. Gute Nacht.« »Dieses Angebot liegt nicht ewig auf dem Tisch«, warnte Bester. »Gute Nacht.« Talia Winters schlug die Tür hinter sich zu und lehnte sich an die Wand. Wieso fühlte sie sich immer schmutzig, wenn sie mit Mr. Bester sprach? Sie konnte ihm nicht aus dem Weg gehen, vor allem angesichts der Budgetgespräche in zehn Stunden,
aber sie wollte sich davor hüten, Angelegenheiten persönlicher Natur mit ihm zu besprechen. Andererseits hatte sie es darauf angelegt. Ansprüche und Erwartungen hatten ihren Preis. Selbst in der alltäglichen Welt der Gewöhnlichen war das so. Talia hatte sich in dieses wahnsinnige Spiel hineinziehen lassen, und nun durfte sie sich nicht über die hohen Einsätze wundern. Sie konnte jederzeit aussteigen. Und das würde sie auch. Morgen, gleich nach den Budgetgesprächen. Dann würde sie wieder nur die einzige zugelassene Telepathin auf Babylon 5 sein. Und das wäre gut so. Sie machte sich auf den Weg zum Kontrollpunkt und war erleichtert, dort Garibaldi und zwei seiner Leute herumstehen zu sehen. Sie sahen jetzt etwas entspannter aus als vorhin. »Guten Abend«, sagte sie. »Hallo, Mrs. Winters«, sagte der jüngere der Männer. Garibaldi lächelte: »Wir haben abgestimmt - wir stehen auf ihren Look. Ich wollte nicht, daß Sie glauben, nur ich sei dieser Meinung.« »Danke«, sagte sie müde. »Mir mangelt es leider an einer witzigen Entgegnung. Gute Nacht.« »Ich könnte Sie zu Ihrem Quartier bringen«, bot Garibaldi an. »Nicht nötig«, sagte sie und verließ BLAU-16. Dann drehte sie sich noch einmal um: »Wie sind Sie eigentlich letzte Nacht den Aliens entkommen?«
»Oh, das«, antwortete Garibaldi beiläufig. »Einen habe ich in den Fuß geschossen, der andere hat eins vor den Latz bekommen. Dann bin ich weggerannt.« »Es waren drei«, sagte Talia. Garibaldi rieb sich nachdenklich die Nasenflügel: »Tja, der dritte ist Ihnen hinterhergelaufen, aber Sie haben ziemlich Gas gegeben.« »Ja«, sagte die Telepathin. »Ich gebe in letzter Zeit viel Gas. Gute Nacht.« »Gute Nacht.« Garibaldi lag in seinem Bett und dachte immer noch über seinen seltsamen Traum nach. Sein Pflichtbewußtsein stachelte ihn an, in die Unterwelt zu gehen und dort jede Matratze und jede Mülltonne umzudrehen, bis er Deuce fand. Aber dafür würde er Glück brauchen oder einen Deuce, der gefunden werden wollte. Mit vierhundert Telepathen auf der Station glaubte Garibaldi nicht an sein Glück, und gefunden werden wollte Deuce sicher auch nicht. Außerdem hielt Deuce still. Es hatte keine Berichte von Schlägereien oder Morden gegeben, keine Drohungen oder Raubüberfalle. Niemand war bisher mit Hehlerware oder Diebesgut erwischt worden. Und laut der Informanten, die Garibaldi belieferten, war Deuce auch noch in keinem seiner üblichen Schlupfwinkel gesichtet worden. Was immer Deuce nach Babylon 5 zurückgeführt hatte, er wollte es unspektakulär. Genauso unspektakulär wie die Konferenz. Unglücklicherweise machte Deuce seinen Job bisher bedeutend besser.
Er wälzte sich im Bett herum und versuchte, eine bequeme Schlafstellung zu finden. Es hatte keinen Zweck. Es schwirrten zu viele Dinge herum, die nicht miteinander in Berührung kommen durften Deuce, Bester, marsianische Terroristen, Aliens, denen das Psi-Corps völlig egal war und Telepathen, denen die Aliens völlig egal waren. Selbst Captain Sheridan und Talia Winters wirkten von dem Streß mitgenommen, und wenn es denen zu schaffen machte, machte es jedem zu schaffen. Genau betrachtet, sahen auch Bester und Gray nicht allzu gut aus. Ein Gefühl der Paranoia nagte an jedem einzelnen. Und dabei fing die Konferenz morgen erst richtig an. Er zog sich das Kissen über den Kopf und versuchte erneut einzuschlafen.
9 »Jawohl, meine Dame«, sagte Garibaldi freundlich, »wir müssen Ihre Aktentasche öffnen und hineinsehen.« »Ich w-w-wüßte nicht, warum«, sagte die kleine dunkelhäutige Frau. Trotzdem legte sie die Tasche ab. Garibaldi nahm sie vorsichtig entgegen und plazierte sie auf dem Tisch. Weil der Inhalt größtenteils aus Folienmappen, Broschüren und Geschäftskarten bestand, leerte er die Tasche nicht in einen der bereitstehenden Container aus. Sicherheitshalber tastete er allerdings den Boden ab und zog vier kleinere Gegenstände heraus: ihre Identicard, einen Kreditchip, ein Diktaphon und einen Datenkristall. Er hielt den Datenkristall hoch: »Was ist das?« Die Frau stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn verwirrt an: »Sie wollen behaupten, daß Sie nicht wissen, was das ist?« »Nein«, sagte Garibaldi und legte den Kristall zusammen mit den anderen Gegenstände in die
Tasche zurück. »Ich wollte nur sichergehen, daß er Ihnen gehört. Officer Baker wird Sie nun abtasten.« Die Frau stampfte verärgert weiter, und eine weibliche Sicherheitsbeamtin nahm sich ihrer an. Garibaldi seufzte und sah plötzlich der leichenblassen Psi-Polizistin in die Augen. »Oh, guten Morgen«, sagte er zaghaft, »hatten Sie einen angenehmen Abend?« Sie grinste böse: »Ja. Trixie und ich sind die ganze Nacht aufgeblieben und haben über alte Zeiten geplaudert. Ich habe schon ewig nicht mehr so gelacht.« Sie blinzelte ihn an: »Damals haben wir ziemlich viel ausprobiert.« »Darauf wette ich«, pflichtete ihr Garibaldi bei. Er deutete auf ihren Beutel. »Können Sie den bitte mal aufmachen?« »Gerne.« Ohne zu zögern öffnete die Schwarzuniformierte ihren Beutel. »Sie machen Ihren Job sehr gut, Mr. Garibaldi. Wenn etwas passiert, ist das sicher nicht Ihre Schuld.« Als er die Tasche durchsuchte, flüsterte er: »Was glauben Sie denn, was passieren wird?« Sie hielt ihr spitzes Kinn hoch und schnüffelte: »Irgend etwas liegt in der Luft, oder?« »Nein, das ist bloß frische Farbe«, sagte Garibaldi. »Danke.« »Sie werden mich doch wohl hoffentlich persönlich abtasten, oder?« Er zwinkerte ihr zu: »Vielleicht am letzten Tag.«
Mit einem kehligen Lachen ging die Frau weiter. Garibaldi ging diese Prozedur noch mit Dutzenden von Telepathen durch. Einige machten mehr, andere weniger Schwierigkeiten. Einige schienen ihren Ärger allerdings nur vorzutäuschen: Insgeheim freuten sie sich über die offene Zurschaustellung der Sicherheitsvorkehrungen, selbst wenn das bedeutete, daß das Psi-Corps nicht mal seinen eigenen Mitgliedern vollkommen vertraute. Garibaldi hatte gerade einen guten Rhythmus gefunden und fertigte die Teilnehmer am Eingang zu GRÜN-12 zügig ab. Da sah er Bester. Der Psi-Polizist lächelte und hob die Hände: »Keine Tasche und kein Koffer.« Er tippte an seine Stirn. »Alles, was ich brauche, bewahre ich hier auf.« »Wie praktisch«, sagte Garibaldi. »Ich werde Sie durchwinken. Keine Leibesvisitation.« »Wie enttäuschend«, sagte Bester und blickte zu Officer Baker hinüber. »Ist Konferenzraum neun abgesichert?« »Wir haben ihn zweimal durchsucht«, antwortete der Sicherheitschef. »Das Schloß öffnet sich nur für die Teilnehmer auf meiner Liste.« Er zeigte Bester eine Aufstellung der geladenen Gäste für das Gespräch um zehn. »Hm«, zeigte der Psi-Polizist Interesse. »Mrs. Winters kommt auch. Was für eine angenehme Überraschung.«
Garibaldi verzog die Mundwinkel und nickte: »Ich muß mich hier um einen Haufen Leute kümmern, entschuldigen Sie.« »Machen Sie nur, machen Sie nur«, sagte Bester und winkte. Er schlenderte in den GRÜN-Sektor, grüßte die Menschen, die zwischen den Topfpflanzen, den Tischen und den einladenden Türen herumstanden. Garibaldi seufzte und wandte sich dem nächsten Telepathen zu. »Entschuldigen Sie, aber ich muß Ihre Aktentasche öffnen.« »Auf wessen Anweisung?« grummelte der schwarzgekleidete Psi-Polizist. Der Chief lächelte: »Sicherheitsbestimmung 13, Absatz 4, Paragraph B, Sondergenehmigung 2.« Talia hob die Arme und brachte die Abtastung schnellstmöglich hinter sich. Es war peinlich. Machte Garibaldi das nur, um zu beweisen, daß er hier das Sagen hatte? Sie hatte nun wirklich Besseres zu tun, als sich über seine sonderbaren Spielchen Gedanken zu machen. Sie hatte absichtlich einen Lieferantenlift genommen, in der Hoffnung, so die Sicherheitsvorkehrungen umgehen zu können. Pech gehabt. »Entschuldigen Sie, Mrs. Winters«, sagte die junge Sicherheitsbeamtin und gab ihr die Mappe zurück. »Ich befolge nur Befehle.« Sie nickte und versuchte zu lächeln: »Wie nehmen es die Teilnehmer auf?«
»Ganz gut, zumindest die meisten.« Der Lift öffnete sich erneut, und die Offizierin wurde abgelenkt: »Entschuldigen Sie, Sir, ich muß das durchsuchen.« Talia schüttelte den Kopf und ging weiter. Diese übereifrigen Durchsuchungen waren ein klares Zeichen, und vielleicht waren sie auch das richtige. Trotz des erfolgreichen Empfangs vom Abend zuvor lag ein Schatten über der Konferenz. Das war natürlich hauptsächlich dem Attentat auf den ursprünglichen Tagungsort zu verdanken, das symptomatisch für die Zustände auf dem Mars war. Jeder dachte über den Mars nach, aber niemand sprach davon. Mr. Bester hatte erst heute morgen angerufen, um zwei Seminare zum Thema Mars abzusagen. Es war immer noch genug los. Eigentlich sogar zuviel. Sie sah kurz auf die Uhr, um sicherzustellen, daß sie nicht zu spät für den Termin war, der für sie der wichtigste der ganzen Konferenz sein sollte. »Da bist du ja«, hörte sie eine warme Stimme, und plötzlich stand Arthur Malten neben ihr. Er hatte an diesem Morgen einen konservativen grauen Anzug an. Es sah fast wie eine Earthforce-Uniform aus, abgesehen davon, daß nur ein Abzeichen den Stoff schmückte, das des Psi-Corps. Das wichtigste. »Arthur«, sagte sie unverbindlich und berührte kaum seine ausgestreckte Hand.
Er senkte seine Stimme: »Es tut mir leid, daß wir gestern abend nicht mehr zusammengekommen sind. Aber ich bin an Bester klebengeblieben.« »Das ist in Ordnung«, sagte sie gutgelaunt. »Es gab sowieso nichts zu reden. Eigentlich möchte ich auch jetzt nicht darüber sprechen.« Sie wollte weggehen, aber Malten blieb ihr auf den Fersen: »Nun sei doch nicht gleich entmutigt. Das war doch erst der Auftakt. Ich dachte, wir könnten es ihm im Vorbeigehen unterschieben, aber er erkennt deine Bedeutung. Er will eine Gegenleistung von mir, das ist jetzt klar. Aber es gibt noch andere Wege. Und wir werden einen finden.« Talia fragte sich, ob sie Malten nicht eröffnen sollte, daß sie an einem Weggang von Babylon 5 nicht länger interessiert war. Nein, entschied sie, dies ist weder die Zeit noch der Ort, die Stimmung zu verderben. Du mußt dich auf deine momentane Aufgabe konzentrieren, ermahnte sie sich. Malten rieb sich die Hände: »Wie auch immer, es ist jetzt klar, daß er an dir und deiner Karriere interessiert ist. Das ist schon mal gut zu wissen.« Dann fügte er noch schnell hinzu: »Für dich.« »Natürlich«, stimmte sie zu und dachte dabei an die beunruhigende Konversation mit Bester letzte Nacht. Im Augenblick wollte sie nur das Budgetgespräch hinter sich bringen und sich dann den angenehmeren Aspekten der Konferenz widmen.
»Wie sollen wir vorgehen?« fragte sie. »Greif Bester oder die Psi-Polizisten nicht direkt an«, antwortete Malten. »Aber es ist in Ordnung, das Militär über dem offenen Feuer zu rösten. Ich denke, wir sollten auf die positiven Aspekte hinweisen, unsere Erfolge herausstellen.« Er führte sie den Korridor hinunter, der in beiden Richtungen von Konferenzteilnehmern auf der Suche nach der richtigen Tür bevölkert war. Garibaldis Sicherheitspersonal war immer zur Stelle, um den Weg zu weisen und ein kritisches Auge auf die Vorgänge zu werfen. Das Auf und Ab beruhigte ihre Nerven etwas und machte ihr klar, daß sie, Bester und Malten nicht die einzigen Menschen an diesem Ort waren. So sehr sie auch glauben mochten, das Universum kreise nur um sie, sie waren im Irrtum. In drei Tagen würden Bester, Malten und ihre anderen überheblichen Gäste wieder fort sein. Sie würden in ihre Schlupflöcher zurückkriechen, wie es Garibaldi so schön ausdrückte. Und sie würde sich wieder dem ruhigen Leben als Telepathin auf B5 zuwenden, und das war's. Warum war sie nur so nervös? Emily Crane stieß sie fast um: »Oh, entschuldigen Sie«, sagte die kleine Frau verschüchtert. »Hallo«, sagte Talia. Sie sah über ihre Schulter, aber Malten wurde von ein paar kommerziellen
Telepathen aufgehalten, die ihm noch einige Instruktionen geben wollten. »Wie geht es Ihnen heute morgen?« fragte Talia. Emily verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern: »I-I-ich fürchte, die meisten Seminare und Gesprächsrunden werden unkontrollierte Massenveranstaltungen sein. Aber was kann ich dagegen tun?« »Genau«, bestätigte die hochgewachsene blonde Telepathin. »Das wird ab jetzt auch meine Einstellung sein. Was kann ich dagegen tun?« »Oh«, sagte Emily und fischte in ihrer Tasche herum, »hier i-i-ist der Datenkristall. Niemand hat die Zeit, sich Statistiken anzusehen, aber wir können zumindest behaupten, sie parat zu haben.« »Danke«, sagte Talia. Sie steckte den Kristall in ihre schmale Mappe und seufzte. Sie mußte es jetzt jemandem erzählen: »Emily, ich glaube nicht, daß ich in der nächsten Zeit dem Mix beitreten werde.« Die kleine Frau lächelte: »Nun, vielleicht liegt das nicht jedem.« »Aber«, sagte Talia, »ich würde gern mit jemandem über eine Filiale hier auf Babylon 5 reden.« Emily suchte in ihrer Tasche nach einem Programm: »Z-z-zu diesem Thema gibt es eine Gesprächsrunde, g-g-gleich morgen mittag. Dumme Zeit, nicht?« »Ich werde kommen«, versprach Talia. »Danke für alles.«
»Sie waren ebenfalls eine große Hilfe«, versicherte ihr Emily. »Mr. Malten würde Sie niemals darum bitten, aber vielleicht sollten Sie möglichst nahe bei Mr. Bester sitzen.« »Werde ich«, erwiderte Talia. »Wenn ich mich schon mit den Details nicht auskenne, so will ich doch wenigstens als Ablenkung meinen Teil beitragen.« »Wiedersehen«, sagte Emily. Sie berührte ihre Uhr: »Ich m-m-muß noch eine Demonstration vorbereiten.« »Bis später.« Die kleine Frau schritt zügig durch den Korridor und bog um die Ecke. Jeder außer Talia schien in Eile zu sein; sie hafte das Gefühl, als würden ihre Füße in Schlamm stecken, und ihrem Kopf ging es auch nicht besser. Die Entscheidung, Bester nicht unter Druck zu setzen, ihm nicht die Beförderung abzuringen, hatte sie etwas ruhiger gestimmt, aber sie fühlte sich ziemlich ausgepumpt. Das Adrenalin und die starken Gefühle, die ihren Körper den ganzen gestrigen Tag überflutet hatten, waren nun ohne hinreichenden Ersatz verflogen. Es würde nicht viel bringen, Präsentationen abzuhalten, wenn sie augenblicklich nicht einmal eine Zweijährige zu scannen vermochte. Plötzlich spürte Talia das intensive Abbild von Botschafter Kosh in ihrem Kopf. Ein Echo dieses merkwürdigen Scans der »unsichtbaren Isabel« drei Tage zuvor. Sie konnte die mysteriöse Gestalt des
Vorlonen sehen, die herausstechenden beweglichen Teile, die Luft ansaugenden Röhren. Die Stimme, die gar keine war... Eine Explosion erschütterte ihren Kopf, und sie schwankte einen Moment lang. Sie taumelte zuerst gegen die Wand, dann stürzte sie zu Boden. Malten eilte sofort herbei, um sie aufzuheben. »Bist du in Ordnung?« fragte er besorgt. »Oh ja«, log sie, »ich habe nur das Gleichgewicht verloren. Wieviel Zeit haben wir noch?« Malten sah auf seine Uhr: »Ungefähr zehn Minuten, aber du kannst ja schon mal hineingehen und dich hinsetzen.« Er sah besorgt aus. »Du hast doch keine Angst vor Bester?« »Nein«, log sie weiter. »Die Macht, die er über mich hat, ist nur die Macht, die ich ihn haben lasse.« »Das ist eine gesunde Einstellung«, stimmte Malten mit einem Lächeln zu. »Der kommerzielle Sektor war im letzten Jahr so führend, daß er uns Zugeständnisse schuldet. Jetzt müssen wir freundlich sein und dranbleiben.« »Dranbleiben«, wiederholte Talia und hielt sich den Kopf. Sie sah sich um: »Ich denke, ich werde mich doch erst mal hinsetzen. Nummer neun, oder?« »Ja«, sagte Malten und spähte über ihre Schulter. »Ich sehe dich dann in ein paar Minuten. Ich habe da draußen noch ein paar Zweifler, die überzeugt werden wollen.« Talia quälte sich ein Lächeln ab: »Nur zu. Ich kann schon auf mich aufpassen.«
Sie trat vor die Tür des Konferenzraums in der Erwartung, daß diese sich öffnen würde. Dann fielen ihr wieder die Sicherheitsvorkehrungen ein, und sie zog ihre Identicard. Als sie die Karte in den Schlitz schob, öffnete sich die Tür zu ihrer Erleichterung mit einem leisen Zischen. Talia schlüpfte in den gut vorbereiteten Konferenzraum, der leer sein sollte. Doch er war es nicht. Der Stuhl am Ende des bernsteinfarbenen Tisches drehte sich und Mr. Bester lächelte ihr entgegen. Er legte seine Fingerspitzen zusammen, so daß seine Hände ein Dreieck formten. Talia versuchte, nicht zu überrascht auszusehen. Sie wollte ihre Mappe bereits am anderen Ende des Tisches ablegen, als sie sich die Worte von Emily Crane ins Gedächtnis rief. Sie ging langsam zum Kopf des Tisches und nahm auf dem Stuhl direkt rechts neben Bester Platz. Ihre Mappe legte sie auf dem Boden ab. Der Psi-Polizist nickte befriedigt: »Ich hatte mir schon gedacht, daß Sie eine pünktliche Person sind, Mrs. Winters.« »Ich versuche es«, gab sie zurück. »Wissen Sie«, sagte Bester, »bevor es Telepathen gab, studierten die Menschen Gesten und Verhaltensweisen, um herauszufinden, was andere Menschen dachten. Zum Beispiel gab es viele Studien zu der Frage, wie sich Menschen in einem Raum verteilen, wenn man ihnen die freie Platzwahl läßt.« Er lächelte: »Es sagt einiges aus, daß Sie
neben mir Platz nehmen, obwohl alle anderen Stühle unbesetzt sind.« »Was sagt das aus, außer der Tatsache, daß ich nicht quer durch den Raum schreien will?« »Es sagt aus«, antwortete Bester, »daß Sie nahe am Thron der Macht sitzen wollen. Wir werden ja sehen, ob Ihr Kollege Mr. Malten am Fuß des Tisches Platz nehmen wird, um die Gegensätzlichkeit unserer Standpunkte zu betonen. Das würde auch zeigen, daß er Abstand halten will.« Der Psi-Polizist zeigte auf die umliegenden Stühle: »Das Militär wird sich zusammenrotten und sich um mich herum gruppieren. Sie hätten auch Ihren Sitz belegt, darum danke ich Ihnen, daß Sie vor ihnen hier erschienen sind. Meine eigenen Leute werden rechts von mir sitzen, wie auch zwei Mitglieder der Corps-Verwaltung. Sie und Malten repräsentieren die einzige gewinnbringende Seite der Angelegenheit. Sie müssen wissen, Malten hätte durchaus mehr Leute zu diesem Treffen mitbringen können, aber er macht alles gern allein. Um ehrlich zu sein, Mrs. Winters: Ihre Anwesenheit hier ist nur ein Vorwand.« Wenn das nicht unter die Gürtellinie gegangen wäre, dachte Talia, dann hätte ich gar keine. Darum fragte sie ihn geradeheraus: »Wissen Sie schon, wie dieses Treffen ausgehen wird? Ich meine, gibt es überhaupt noch etwas zu besprechen, oder ist alles nur Fassade?«
Besters Augen verengten sich: »Ich habe wie Sie keine Ahnung, was hier passieren wird. Ich bin immer auf das Unvorhergesehene vorbereitet.« Die Tür öffnete sich und drei militärische Telepathen traten ein. Sie sahen sehr ernst, finster und kampfbereit aus. Einer setzte sich neben Talia, die anderen nahmen auf der gegenüberliegenden Seite Platz. Damit saßen sie möglichst nahe bei Bester. Der Psi-Polizist sah sie an und lächelte. Mr. Malten hatte sich nicht ans andere Ende des Tisches begeben. Er saß links von Bester, an vierter Stelle. Niemand saß Bester direkt gegenüber. Trotz seiner unspektakulären Positionierung übernahm Malten einen großen Teil der Konversation am Anfang des Gesprächs. »Sie wollen etwas Langfristiges?« fragte er. »Dann sehen Sie sich an, was wir geleistet haben. Wir haben mehr Städte und Planeten infiltriert, als sich das Militär je träumen lassen würde. Bester, während Sie auf geradezu peinliche Weise Ihre Ränkespiele auf dem Mars geheimhalten wollen, habe ich bereits ein Dutzend Büros dort. Ich habe fast so viele Leute wie Sie zur Verfügung. Weil wir offen operieren können, sind wir immer im Vorteil.« Malten beugte sich vor: »Kommerzielle Telepathen arbeiten mit den Menschen, die keine Angst vor uns haben. Wenn sie das erste Mal unter nicht bedrohlichen Umständen zu kommerziellen Zwecken gescannt werden, und es nicht schmerzt,
dann verstehen sie wesentlich besser, was wir für sie tun können. Wir helfen damit auch dem Psi-Corps. Wir wollen nur einen größeren Prozentsatz von unseren Einnahmen behalten, so einfach ist das. Wir ziehen den Karren, werden aber nicht anständig entlohnt.« Einer der militärischen Verbindungsoffiziere begann zu prusten, aber Bester hob die Hand. Der Psi-Polizist schien nicht ärgerlich, dachte Talia; irgenwie genoß er den Disput mit Malten. »Zugegeben«, bemerkte er, »unsere Dienste sind nicht ganz so beliebt wie die Ihren. Aber wessen Dienste sind wichtiger für die Sicherheit und den Schutz der Allianz? Wenn Telepathen durchdrehen, kann sie niemand außer uns aus dem Verkehr ziehen. Was sollen wir denn sonst tun - an den Straßenecken stehen und den Hut rumgehen lassen?« Die anderen Psi-Polizisten am Tisch lachten, aber Talia spürte plötzlich wieder den weißen Blitz in ihrem Hirn. Sie schloß die Augen, um gegen die Kopfschmerzen und den Schwindel anzukämpfen. Zum Glück achtete gerade niemand auf sie, denn Bester sprach immer noch: »Wenn man wie wir im geheimen arbeitet, Mr. Malten, kann man keine Unterstützung durch die Öffentlichkeit erwarten. Sie und ich sind wie zwei verschiedene Wahrsager. Einer verspricht dem Kunden eine strahlende Zukunft, der andere hat eher düstere Prognosen parat. Sie werden gut bezahlt, während wir nur
Schmach und Schande ernten. Mißgönnen Sie uns nicht unser Stück vom Kuchen.« »Mir kommen die Tränen«, spottete Malten. »Wenn Ihr Budget zu gering ist, dann sehen Sie sich doch einmal den gigantischen Forschungs- und Entwicklungsschmiergeldfonds des Militärs an.« »Einen Moment«, krähte nun ein Verbindungsoffizier, »wir müssen immer auf einen Krieg vorbereitet sein und auf die marsianischen Separatisten, dazu auf ein oder zwei neue Gefahrenherde. Wenn einer dieser kalten Kriege sich aufheizt, könnten Psi-Waffen das Schicksal zu unseren Gunsten wenden. Alle unsere Gegner benutzen sie schon.« Talia setzte sich aufrecht hin und kniff die Augen zusammen, um den Schmerz zu verdrängen. Verdammt, sie hatte keine Ahnung, was mit ihr los war, aber ihr Kopf fühlte sich an, als würde er sich von ihrem Körper lösen. Sie mußte immer wieder an Botschafter Kosh denken und die mysteriösen Scans, die sie für ihn durchgeführt hatte. Verschwunden wie der eingelegte Hering, kamen Koshs Worte zu ihr zurück. Malten attackierte nun die Militärs: »Während Sie sich mit immer mehr fremden Rassen anlegen, sogar den Minbari, eröffne ich auf Minbari ein Büro. Wer also ist in der besseren Position, geheimdienstliche Aufgaben auszuführen, Sie oder ich?«
Bester trommelte mit den Fingern auf dem Tisch und fragte: »Sie würden mit Ihren Leuten für den Geheimdienst arbeiten?« Malten lächelte zweideutig: »Warten wir erst mal ab, wieviel von dem Budget für uns drin ist. Wenn Sie es sich mal genau durch den Kopf gehen lassen, werden Sie feststellen, wie nützlich der kommerzielle Sektor sein kann. Wir haben die bodenständige Organisation, die Ihnen fehlt. Wir sind überall, selbst auf Babylon 5. Hätten wir die richtige Unterstützung und die richtigen Möglichkeiten, könnten Sie alle zur Tarnung in kommerziellen Bereichen arbeiten, und trotzdem Ihren bisherigen Tätigkeiten nachgehen.« Während Bester und die Militärs dieses Argument diskutierten, stand Talia Winters ruckartig auf. Der Konferenzraum erschien ihr unerträglich drückend; sie mußte raus. Sie schien ganz ruhig, als sie sagte: »Entschuldigung, aber ich muß kurz zum Waschraum.« Bester sah sie nachdenklich an. »Ja«, stimmte er zu, »Sie sollten etwas gegen Ihre Kopfschmerzen unternehmen.« »Danke«, murmelte sie, aber Bester hatte sich bereits wieder Malten zugewandt. »Das habe ich schon einmal gehört«, sagte der Psi-Polizist, »vage Versprechungen, daß Ihre Leute für den Geheimdienst arbeiten würden. Aber wenn
wir diese Versprechen einlösen wollen, haben Sie zuviel mit Ihren alltäglichen Jobs zu tun. Lassen Sie mich Ihnen versichern ...« Talia stolperte zur Tür und drückte die Kontrolffläche, um sie zu öffnen. Sie konnte nicht schnell genug aus dem Raum fliehen, darum schlug sie mit der flachen Hand gegen die Tür. Dann drückte sie sich nach draußen, ehe noch die beiden Hälften komplett zur Seite geglitten waren. Obwohl im Korridor dieselbe aufbereitete Luft zirkulierte wie in dem Raum, den sie gerade verlassen hatte, fühlte sie sich so viel besser, daß sie vor Erleichterung fast in die Luft gesprungen wäre. Vielleicht war es eine allergische Reaktion auf die frische Farbe, dämmerte es ihr plötzlich. Das war es wahrscheinlich. So etwas konnte ihre Aktivitäten bei der Konferenz beträchtlich einschränken. Gerade als sie stehenbleiben und tief durchatmen wollte, zerriß eine gewaltige Explosion die Stille, riß den Türrahmen des Konferenzraums aus den Angeln und sie von den Füßen. Der Korridor füllte sich mit ätzendem Rauch, Alarm ertönte, die Menschen schrien. Die Gänge wurden zum Tollhaus; herumirrende Konferenzteilnehmer trampelten sie fast nieder. Es war ein Sicherheitsoffizier, der sie aus der Gefahrenzone zog und gegen eine Wand lehnte. »Medizinischer Notfall«, schrie er in seinen ComLink, »Explosion in GRÜN-12, Konferenzraum
neun. Verletzte, vielleicht Tote. Wir brauchen MedTeams. Die Bomben-Einheit.« »Die Außenhülle ist intakt«, rief jemand. »Bleiben Sie ruhig. Es war nur eine lokale Explosion.« Leute mit Feuerlöschern kamen angerannt und schossen Schaumstrahlen in die rauchenden Überreste von Konferenzraum neun. Talia sah an ihrem Revers herunter und bemerkte Blut, obwohl sie nicht blutete. Blut von jemand anderem. Der Gestank drang in ihre Nase, die Sirenen und die Stimmen der Toten und Sterbenden drohten ihre Sinne zu zerreißen. Talia hielt sich die Ohren zu und schrie. Aber der Schrei war mehr, als ihr Geist ertragen konnte, und er verweigerte sich. Die Stimmen verklangen, und sie fiel in die ewige Nacht.
10 Talia Winters erwachte in ihrem eigenen Quartier, in ihrem eigenen Bett. Sie trug sogar das dicke Flanellnachthemd, das sie bevorzugte, wenn ihr kalt war oder ihr nicht wohl war. Mit großer Erleichterung stellte sie fest, daß alles nur ein Traum gewesen war. Konferenzraum neun war nicht in Flammen aufgegangen, und niemand war gestorben. Es war ein seltsamer Traum gewesen, dachte sie, mit Kosh, den maskierten Außerirdischen, und vielen Beteiligten, die sie gar nicht kannte. Aber wieviel davon war wirklich nur ein Traum? War Babylon 5 wirklich voll mit Telepathen, oder war sie der einzige Telepath? Wie spät war es? Wo sollte sie jetzt sein? Während sie sich in ihrem sauberen Apartment umsah, beschlich sie das ungute Gefühl, langsam wieder in den Alptraum zurückzutreiben. Einerseits hing an der Schranktür noch das Kleid, das sie am Abend des Empfangs getragen hatte. Und wenn der wirklich stattgefunden hatte, dann war vielleicht auch die Budgetdiskussion in GRÜN-12 kein Traum gewesen. Und wenn das kein Traum
gewesen war ... nein, das konnte nicht sein, das war ein zu schrecklicher Gedanke. Es war eines von den Dingen, die sich ihr fiebriges Gehirn ausdachte, wenn ein besonders streßreicher Tag bevorstand. Sie war womöglich schon spät dran für die Diskussionsrunden. Talia erhob sich aus dem Bett und entdeckte eine weitere Person im Raum. Ihr stockte der Atem. Völlig regungslos stand Commander Ivanova neben der geschlossenen Tür. »Kaum zu glauben«, flüsterte Ivanova. »Ich wollte gerade gehen.« Sie hob den Com-Link. »Warten Sie«, forderte Talia. Sie setzte sich hin und strich sich wirre Strähnen blonden Haares aus dem Gesicht: »Was ist passiert? Was machen Sie in meinem Quartier?« Ivanova ging im Zimmer auf und ab und setzte sich dann neben sie. Sie flüsterte: »Sprechen Sie leise. Vor der Tür stehen zwei Psi-Polizisten, die sie sicher mit Vergnügen beseitigen würden. Glücklicherweise stehen zwei von Garibaldis Leuten daneben, um aufzupassen. Alle vier haben natürlich die Aufgabe, zu verhindern, daß Sie sich aus dem Staub machen.« Talia rieb sich die Augen und versuchte, das gerade Gehörte zu verstehen. Sie beschloß, die Frage so oft zu wiederholen, bis sie eine befriedigende Antwort bekam: »Ivanova«, preßte sie zwischen den Zähnen hervor, »was machen Sie in meinem Quartier?«
Ivanova warf den Kopf zurück: »Ich habe mich freiwillig gemeldet, um auf Sie aufzupassen. Ich wollte die Frau sehen, die angeblich vier PsiPolizisten und einen militärischen Verbindungsoffizier ermordet hat.« Nun barg Talia ihr Gesicht in den Händen und begann zu weinen. Sie wollte aufwachen, den Alptraum beiseite schieben ... Aber es gelang ihr nicht, sich Erinnerungen oder Bilder ins Gedächtnis zu rufen, die sie von dieser entsetzlichen Szene abzulenken vermochten. Sie war hier gefangen, daran gab es nichts zu rütteln. Ivanova aktivierte jetzt ihren Com-Link: »Ivanova an Med-Lab. Mrs. Winters ist gerade aufgewacht.« »Danke«, sagte Dr. Franklin, »ich werde gleich da sein.« »Ich habe niemanden ermordet!« flüsterte Talia. »Seien Sie vorsichtig, was Sie sagen«, warnte die Offizierin. »Sie sollten sich vielleicht beraten lassen, bevor Sie mit mir sprechen. Ich muß Mr. Garibaldi Bericht erstatten.« »Aber ich habe niemanden ermordet«, wiederholte Talia nachdrücklich. Jemand hämmerte gegen die Tür und forderte mit energisch donnernder Stimme: »Wir wollen die Gefangene sehen.« Ivanova schüttelte skeptisch den Kopf: »Sie haben einen ganzen Haufen Probleme.«
Die Telepathin schlug mit der Faust auf das Bett und murmelte erneut: »Ich habe niemanden ermordet. Niemanden.« Ihre Augen blickten verschwommen: »Die Toten ... war Mr. Malten darunter?« Ivanova schüttelte den Kopf: »Malten ist noch mal davongekommen. Bomben sind komisch. Alle auf der rechten Seite von Bester hat's erwischt. Sie wären auch dran gewesen, wenn Sie nicht vorher den Raum verlassen hätten.« »Das ist doch absurd«, stöhnte Talia, »ich habe keine Bombe in den Raum geschmuggelt!« Das Hämmern an der Tür wurde fordernder, aber Ivanova achtete dessen nicht: »Alle Beweise deuten darauf hin, daß Sie die Bombe in das Zimmer gebracht haben. Sie befand sich in Ihrer kleinen Aktentasche.« »Nein!« schrie Talia. Die Tür ging auf, und Dr. Franklin kämpfte sich an zwei schwarzuniformierten Psi-Polizisten vorbei. »Zurückbleiben!« befahl er. »Ich bin hier für die Behandlung zuständig.« Einem der Psi-Polizisten gelang es, sich mit Franklin in den Raum zu zwängen. Er war noch jung, sehr muskulös und hatte Pickel im Gesicht. Er grunzte haßerfüllt: »Warum haben Sie sie getötet? Warum?« »Machen Sie, daß Sie rauskommen!« bellte der Doktor.
Der Psi-Polizist zeigte mit seinem behandschuhten Zeigefinger auf Talia: »Wir werden einen Tiefen-Scan durchführen. Wir werden es herausfinden. Sie wissen, was wir mit Wilden Telepathen machen.« »Raus!« befahl Franklin und ballte die Faust. Der junge Psi-Polizist schlug auf ein Kontrollfeld und tauchte in einem Gewühl ärgerlichen Gemurmels vor der Tür unter. Talia hielt sich die Ohren zu und versuchte, die Stimmen abzublocken, aber sie verschwanden nicht, ehe die Tür geschlossen war. Dr. Franklin ging vor der verängstigten Frau in die Knie und leuchtete ihr mit einem kleinen Strahler in die Augen. Sie drehte sich weg, immer noch orientierungslos und verwirrt. Endlich nahm sie sich zusammen und sagte sich, daß sie ruhig bleiben und sich der Sache stellen mußte. Sie packte den Kragen von Franklins Kittel und hielt sich an ihm fest. »Ich habe die Bombe nicht hochgehen lassen«, sagte sie dem Arzt. »Wissen Sie was?« antwortete er. »Es ist nicht mein Job zu entscheiden, was Sie getan haben oder nicht. Es ist mein Job, dafür zu sorgen, daß sie wieder auf die Beine kommen. Nach dem Anschlag standen Sie unter Schock, darum haben wir sie mit Betäubungsmitteln behandelt. Physisch scheinen Sie in Ordnung zu sein. Sagen Sie mir, wenn Ihnen irgend etwas weh tut. Ansonsten benötigen Sie
möglichst viel Ruhe. Oder so viel, wie man Ihnen gewährt.« Franklin stand auf und zuckte die Achseln: »MedLab ist im Augenblick völlig überlastet, darum habe ich Sie hierher bringen lassen. Sie können gerne ins Med-Lab verlegt werden, aber ich denke, hier ist es bequemer für Sie.« Talia rieb sich die Hände und sah von Ivanova zum Doktor: »Stehe ich unter Arrest?« Franklin blickte zur Tür und runzelte die Stirn: »Ich würde an Ihrer Stelle nicht damit rechnen, irgendwohin gehen zu dürfen.« Er sah wieder Talia an und wurde freundlicher. »Ruhen Sie sich aus, essen Sie etwas, und wir untersuchen Sie später noch einmal gründlich. Ich tue, was ich kann, damit man Sie soweit wie möglich in Frieden läßt. Die Reporter kann ich Ihnen wahrscheinlich vom Hals halten, aber bei dem Rest bin ich mir nicht so sicher.« Franklin griff nach seiner Tasche: »Ich muß zu meinem Edelpatienten zurück.« »Wer ist das?« erkundigte sich Talia. »Bester. Eins steht fest - er kommt durch. Mit ihm als Patienten kann ich dasselbe allerdings nicht für meinen Stab garantieren.« Franklin ging in Richtung Tür: »Viel Glück, Mrs. Winters. Für uns war es die Hölle, aber das ist in ein paar Tagen vorbei. Für Sie fängt die Hölle erst an, fürchte ich.«
Die wütenden Stimmen hoben wieder an, als er die Tür öffnete und nach draußen trat. Talia widerstand mühsam der Versuchung, ihnen mit einem Urschrei zu antworten. »Ihr irrt euch«, murmelte sie, »ihr irrt euch alle.« Ivanova setzte sich wieder auf das Bett und schüttelte verwundert den Kopf: »Ich kenne Sie ja nicht besonders gut, Talia, aber ich hätte nie gedacht, daß Sie eine marsianische Terroristin sind.« Talia wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, so absurd erschien ihr die ganze Geschichte: »Sagt man das von mir? Ich mag den Mars nicht einmal - ein staubiger alter Planet mit Kaninchenbauten statt Städten. Alles sehr gewöhnlich, keine anständigen Restaurants.« Die Telepathin klang mit einem Mal sehr nüchtern: »Hören Sie, ich muß mit dem Captain oder Garibaldi sprechen und ihnen sagen, daß ich unschuldig bin. Ich muß das klären.« »Sie müssen sich einen Rechtsbeistand besorgen«, sagte Ivanova trocken. »Sie brauchen jemanden, der für Sie spricht, Sie berät. Es geht hier um Anklagen wegen Massenmord, Terrorismus und Verrat. Abgesehen davon könnten die Psi-Polizisten immer noch auf die Idee verfallen, Sie seien eine Wilde Telepathin. Wenn man Sie denen überstellt...« Sie erschauerte bei dem bloßen Gedanken. Talia wollte nach Ivanovas Händen greifen, als ihr auffiel, daß sie beide keine Handschuhe trugen: »Helfen Sie mir«, bat sie. »Seien Sie mein Beistand.
Kommando-Offiziere haben in Notfällen das Recht dazu.« Ivanova sprang auf die Füße. »Ich denke nicht, daß ich das tun kann. Ich wünsche Ihnen alles Gute, aber ich werde nicht Wochen damit verbringen, mit denen zu sprechen. Außerdem könnte Ihre Verteidigung angesichts der Anklagen leicht zu einem Dauerjob ausarten.« »Bitte«, flehte Talia, »nur bis wir wissen, wie sich die Sache entwickelt.« »Warum ich?« fragte Ivanova. »Ich brauche jemanden, vor dem die keine Angst haben.« Da wurde energisch an die Tür geklopft, und die Frauen sahen überrascht auf. »Hier ist Captain Sheridan«, vernahmen sie eine vertraute Stimme, »und Mr. Garibaldi.« Talia rieb sich die Augen und deutete auf den Schrank: »Da ist ein Kostüm drin. Und meine Handschuhe.« Bevor sie das Kostüm und die Handschuhe holte, hängte Ivanova noch das Abendkleid der letzten Nacht weg. Sie scheinen ein ganzes Leben lang her zu sein, diese paar Stunden, dachte die Telepathin. Wie schnell einem doch das eigene Leben zu einem Häufchen Staub unter den Händen zerfallen kann. Ivanova gab Talia ihre Sachen mit einem tapferen Lächeln: »Bleiben Sie einfach bei der Wahrheit.« »Das ist alles, was ich habe«, antwortete Talia und streifte die Handschuhe über. Sie stand auf und
zog das Nachthemd aus. Für einen Augenblick war sie nackt, aber Ivanova drehte sich nicht weg. Talia zog das Kostüm an und knöpfte es zu. Dann sah sie Ivanova an und wartete darauf, daß die Offizierin die Tür öffnete. Captain Sheridan und Mr. Garibaldi traten ein. Beide sahen aus, als hätten sie gerade ihre eigenen Alpträume hinter sich. Talia konnte wieder das Gewimmel vor der Tür erkennen. Ein Mann in einer schwarzen Uniform hob drohend die Faust. Garibaldi knurrte: »Ihr werdet eure Chance schon noch bekommen.« »Garibaldi«, pfiff ihn der Captain zurück. Gnädigerweise schloß sich die Tür und ließ die wütenden Rufe draußen. Sheridan und Garibaldi atmeten tief durch, um sich ein wenig zu beruhigen, aber ihre Unsicherheit jagte Talia mehr Angst ein als die lächerlichen Vorwürfe gegen sie. »Danke, daß Sie gekommen sind«, sagte sie grundlos. Sie sind kaum hier, um mich zu retten, dachte sie. Sheridan versuchte, seiner Stimme einen sachlichen Ton zu geben: »Mrs. Winters, verstehen Sie, was passiert ist?« »Ich war es nicht«, stieß sie hervor. »Ich habe keine Bombe in den Raum gebracht.« »Nun«, sagte Garibaldi, »in dem Fall muß Ihnen jemand die Bombe untergeschoben haben. Meine Leute von der Spurensicherung schwören jeden Eid
darauf. Wir haben Überreste ihrer Tasche praktisch überall gefunden.« »Und«, warf Sheridan ein, »Sie haben den Raum kurz vor der Explosion verlassen.« Ivanova schaltete sich ein: »Entschuldigen Sie, Captain, ist das ein Verhör oder eine Verhandlung? Sie müssen ihr die Möglichkeit geben, ihre Sicht der Dinge zu schildern.« »Da gibt es nichts zu schildern«, rief Talia. »Ich bin von der Detonation genauso überrascht worden wie alle anderen.« »Warum haben Sie den Raum verlassen?« wollte Sheridan wissen. »Ich fühlte mich nicht gut.« Talia verzog das Gesicht, denn sie wußte, wie das klang. »Es ist die Wahrheit.« »Was hatten Sie in Ihrer Tasche?« fragte Garibaldi. Talia schüttelte verzweifelt ihren Kopf: »Nur einige Notizen und Karten, ein Programm, einen Datenkristall - nichts Ungewöhnliches.« »Eine Bombe ist höchst ungewöhnlich«, sagte der Captain. »Aber ich wußte doch nichts davon.« Garibaldi hob die Hände in dem Versuch, die Gemüter zu beruhigen und einen klaren Kopf zu behalten: »Hier sind einige Sachen oberfaul«, erklärte er. »Zuerst einmal war es ein sehr kleiner, hochentwickelter Zünder. Wir denken, daß er nicht von Menschenhand geschaffen wurde, denn uns ist
kein so kleiner Mechanismus bekannt, der soviel Schaden anrichtet und trotzdem praktisch keine Spuren hinterläßt. Zweitens«, fuhr er fort, »kurz nach der Explosion bekannte sich die Gruppe >Freier Phobos< auf dem Mars zu dem Anschlag. Dabei hatten wir noch gar keine Meldung rausgeschickt. Trotzdem führten sich diese Witzbolde auf dem Mars auf, als hätten sie gerade die Weltmeisterschaft gewonnen. Dieselbe Gruppe, die vor einer Woche den Anschlag auf das Hotel verübt haben soll. Sie müssen davon gewußt haben, aber woher?« »Ich bin keine Terroristin«, beharrte Talia. »Ich habe keinerlei Verbindungen zum Mars.« Sheridan hob warnend einen Finger: »Das ist nicht ganz richtig. Während er bei Bewußtsein war, gab uns Mr. Bester Informationen über Ted Hamilton, Ihren Onkel.« »Nein!« Die Telepathin ballte die Fäuste und ließ sich auf das Bett zurückfallen. Ganz gleich, was sie sagte, das Schicksal oder eine andere schreckliche Macht hatte sie an ein Kreuz genagelt, an dem sie für jeden schuldig aussehen mußte. »Bitte«, sagte Ivanova, »ganz so einfach können Sie es sich nicht machen. Wenn sie bei der Explosion ums Leben gekommen wäre, hätten Sie automatisch ihre Unschuld angenommen. Nur weil sie das Pech hatte zu überleben, muß sie auch schuldig sein?« Die Erste Offizierin fuhr sehr gelassen fort: »Die meisten von uns haben jetzt über
ein Jahr mit Mrs. Winters zusammengearbeitet. Hat Sie je den Eindruck erweckt, das Psi-Corps so sehr zu hassen, daß sie einen Raum mit dessen Mitgliedern in die Luft sprengen würde? Wenn man dagegen Garibaldi oder mich nimmt...« Sheridan sah sie strafend an. »Bitte, Commander, die wohlbekannte Abneigung meines Stabes gegen das Corps steht hier nicht zur Debatte.« »Aber sie hat recht, Captain«, mischte sich Garibaldi ein. »Wenn Mrs. Winters einen Onkel beim Widerstand auf dem Mars hat, dann hätte sie doch von ihm erzählt. Ich habe sie nie über den Mars sprechen hören.« Er lächelte Talia an: »Mit einer Ausnahme: als ich sie einmal um einen Gefallen gebeten habe.« Sheridan brummte: »Sie würde die Tatsache, daß ihr Onkel ein Terrorist ist, wohl kaum an die große Glocke hängen.« »Gut«, räumte Garibaldi ein, »aber noch etwas anderes ist seltsam. Wir haben den Konferenzraum hundertmal gecheckt, aber keine Überreste einer Zeitschaltuhr oder einer automatischen Zündungsvorrichtung gefunden. Es muß also eine winzige Sicherung im Zünder eingebaut gewesen sein, die per Fernsteuerung ausgelöst wurde. Aber Mrs. Winters war gerade mal fünf Meter entfernt, und sie hatte keine Fernsteuerung bei sich. Wenn Sie also den Knopf gedrückt hat, dann bleibt die Frage: Wo ist der Knopf?« »Ich habe keinen Knopf gedrückt!« stöhnte Talia.
Sheridan hob resignierend die Schultern: »Wenn ich der Ankläger wäre, könnte ich jede dieser Fragen beantworten. Die Tatsache, daß die marsianische Organisation bereits von dem Anschlag wußte, beweist, daß sie Komplizen hatte. Sie schmuggelte die Bombe rein, jemand anderer zündete sie. Oder sie hat sie selbst gezündet, und ein Komplize hat die Fernsteuerung an sich genommen, während sie noch im Korridor lag.« »Ich bin es nicht gewesen«, sagte Talia fest. Aber niemand hörte ihr zu. Man redete über sie, als sei sie gar nicht da. Als sei sie bereits tot. Fünf Menschen waren gestorben, Telepathen wie sie. Eigentlich sollte sie draußen auf dem Gang sein und die Köpfe der Schuldigen verlangen, statt hier darauf zu warten, daß ihr eigener Kopf gefordert wurde. Man war nicht nur dabei, sie fälschlicherweise anzuklagen und zu verurteilen, man ließ die wahren Schuldigen auch noch davonkommen. Sie sprang auf die Füße. »Wir müssen sie stoppen!« »Wen?« fragte Sheridan. »Wer immer die Telepathen getötet hat!« »Okay, Mrs. Winters«, sagte Sheridan ruhig. »Ich habe das deutliche Gefühl, daß Sie auf >Nicht schuldig< plädieren werden. Meinetwegen.« Talia hob das Kinn: »Werden Sie mich verhaften?«
»Wir müssen«, entgegnete der Captain. »Jeder will in diesem Fall die Zuständigkeit an sich reißen. Wenn ich Sie nicht verhafte und den Fall an die Schiedsmänner weiterleite, wird sich Bester, die Earthforce oder irgend jemand anderer Ihrer annehmen. Wenn Sie glauben, daß die sanfter mit Ihnen umspringen ...« »Nein«, warf Ivanova ein. »Wenn das Psi-Corps sie zur Wilden Telepathin erklärt, können sie mit ihr machen, was sie wollen - ohne Gerichtsverfahren. Das können wir unmöglich zulassen.« Talia fühlte sich wacklig auf den Beinen und setzte sich wieder hin. Mehr als alles andere wollte sie unter die Bettdecke kriechen und wieder einschlafen. Es mußte einen Ausweg aus diesem Alptraum geben. Sie mußte ihn nur finden. Wenn sie sich bloß an irgend etwas erinnern könnte. Aber alles war so verschwommen. Sie hatte sich an diesem Morgen nicht wohl gefühlt, kaum zehn Worte mit anderen Leuten gewechselt. Ihre Anwesenheit bei dem Treffen war überflüssig gewesen, ganz wie Bester gesagt hatte. Nein, er hatte sie sogar als störend empfunden. Offensichtlich war sie störender gewesen, als irgend jemand ahnen konnte. Das war also der wirkliche Preis für ihre Ambitionen, für den Versuch, sich mit den Großen zu messen. Man hatte sie benutzt. Nun schien ihr niemand helfen zu wollen - nicht ihre Kollegen vom Corps, und auch nicht ihre Nachbarn von Babylon 5. Sie hatten ihre
Indizien und deswegen sollte sie ans Messer geliefert werden. Irgend jemand mußte ja dran glauben; Talia mußte weg von Babylon 5, das wurde ihr in diesem Augenblick klar. Sie mußte den wahren Schuldigen finden. »Nun gut, dann sind wir uns einig«, sagte Garibaldi. »Wir werden Sie verhaften müssen, Mrs. Winters. Aber wir suchen weiter. Ich will diesen Zünder. Ich will wissen, wer auf der Station vom Mars kommt, und außerdem will ich mir alle meine Leute, die Dienst in GRÜN- 12 hatten, zur Brust nehmen. Vielleicht hatten Sie ja einen Komplizen, ohne es zu wissen.« Er sah sich in ihrem engen Quartier um: »Es tut mir leid, aber wir können es nicht bei Hausarrest belassen. Besters Leute sind eh schon sauer, außerdem locken sie draußen im Gang die Fliegen an. Sie müssen also in eine Arrestzelle, wo wir die Situation besser unter Kontrolle haben. Ich gebe Ihnen fünf Minuten, um sich umzuziehen und ein paar Sachen zu packen.« »Sie kriegt eine Anhörung vor dem Schiedsmann, bevor Sie sie dauerhaft unter Arrest nehmen können«, sagte Ivanova. »Ich kümmere mich darum«, antwortete Sheridan. »Sie klingen wie ihr Rechtsbeistand.« Ivanova nickte: »Das bin ich auch. Bis ich jemand besseren für diesen Job finde.« Sheridan verdrehte mutlos die Augen: »Wenn Sie jetzt hören wollen, daß die Genehmigung der
Konferenz ein Fehler war, bitte: Es war ein Fehler. Der blödeste Fehler, den ich je gemacht habe.« Ivanova sah Garibaldi an und sagte: »Ich weiß. Trotzdem bleibe ich ihr Rechtsbeistand.« Der Captain sah die blonde Frau an: »Ist das okay für Sie?« Talia nickte benommen. »Kommen Sie, Ivanova«, sagte der Captain, »machen wir uns an den Papierkram.« Sie öffneten die Tür, dann kämpften sich Ivanova und Sheridan ihren Weg durch den aufgebrachten Mob nach draußen. Fliegende Videokameras versuchten, ein paar Bilder aus dem Quartier zu erhaschen. Garibaldi starrte in die Linsen, bis die Tür sich wieder geschlossen hatte. Seine Nackenmuskeln waren angespannt. »Oh, Mann«, protestierte er, »nun hat uns auch noch die Presse aufgespürt. Talia, was, zum Geier, ist hier eigentlich los? Was ist passiert?« Sie zuckte die Achseln und sah ihn erschöpft an. »Mit wem haben Sie sich angelegt?« fragte er. »Gehen Sie«, sagte sie mit heiserer Stimme, »ich traue keinem von Ihnen. Sie wissen, daß ich es nicht gewesen bin, trotzdem wollen Sie mich vor Gericht zerren.« »Damit wollen wir Sie doch nur auf der Station halten, bis die Angelegenheit geklärt ist.« Sie schniefte und begann, ihr Kostüm aufzuknöpfen: »Sagen Sie mir das noch mal, wenn ich wegen fünffachen Mordes verurteilt worden bin.
Oder sagen Sie es mir, wenn Sie mich Bester ausliefern. Vielleicht glauben Sie ja, daß ich den Rest meines Lebens als die bekannteste Gefangene von Babylon 5 verbringen will. Dann können Sie Eintrittskarten verkaufen. Hereinspaziert, hier sehen Sie die Psi-Polizistenmörderin.« Garibaldi zeigte mit dem Finger auf sie: »Ich finde heraus, wer das gewesen ist. Darauf können Sie wetten.« »Verschwinden Sie endlich, damit ich mich anziehen kann.« Die blonde Frau stand auf und fing an, ihr Kostüm auszuziehen. Garibaldi sah zu, daß er wegkam. »Doktor!« schrie der kleine Mann im Rehabilitationsraum des überfüllten Med-Labs. Er warf sich in seinem Bett hin und her, keuchend und stöhnend vor Schmerzen. »Doktor«, preßte er durch zusammengebissene Zähne. Gray, der in der Ecke gedöst hatte, kam jetzt auf die Beine und eilte an Besters Seite: »Beruhigen Sie sich, Mr. Bester. Es ist schön, Sie so ... munter zu sehen, aber denken Sie an Ihre Verwundungen.« Er ordnete die Schläuche und Decken, unter denen Bester fast völlig verschwand. Der Psi-Polizist sank wieder ins Bett zurück. »Schön«, sagte Gray. »Ihr verlängerter Rücken hat böse was abbekommen, und die Verbrennungen an den Armen und Beinen - ziemlich unangenehm. Aber im großen und ganzen hatten Sie Glück.« »Ich fühle mich aber nicht so«, stöhnte Bester.
Gray schluckte: »Mag sein, aber denken Sie an die Alternativen.« Bester lachte säuerlich: »So leicht kriegen die mich nicht. Hat man Talia Winters schon festgenommen?« »Ja«, antwortete Gray, »ich habe mitbekommen, daß man sie in eine Arrestzelle gesperrt hat. Ich hätte Sie nie für eine gewalttätige Person gehalten. Sie schien mir eher auf dem Karrieretrip zu sein. Ich frage mich, ob sie wirklich ...« »Fragen Sie sich nicht«, unterbrach ihn Bester, gefolgt von einem Hustenanfall. »Sie brachte die Bombe in den Raum, das weiß ich. Und es war kein Zufall, daß sie rechtzeitig gegangen ist. Aber wer hat sie dazu angestiftet? Das weiß ich nicht.« »Die Gruppe >Freier Phobos< hat sich zu dem Anschlag bekannt.« »Ich weiß«, knurrte Bester. »Aber wer sind die?« Gray blickte betreten zu Boden: »Die Konferenz ist offiziell abgesagt worden. Die meisten der Teilnehmer werden bereits von der Station gebracht.« »Verdammt«, murmelte Bester, »dann entkommen sie uns.« »Dann entkommt uns wer?« »Wer auch immer Mrs. Winters angestiftet hat«, schnauzte der Psi-Polizist. »Sie kann es nicht allein geplant haben. Wer ist >Freier Phobos<, und warum will man mich aus dem Weg räumen?«
Gray räusperte sich. Er würde jetzt bestimmt nicht äußern, was er gerade dachte: daß die Zahl derer, die Bester aus dem Weg räumen wollten, zu groß war, um den Täterkreis auch nur ansatzweise einzuengen. »Sie haben nie von >Freier Phobos< gehört?« fragte der junge Telepath. »Nicht vor dem ersten Attentat. Und danach nicht mehr bis zum zweiten. Ich habe eine ganze Menge Leute auf sie angesetzt.« Bester verzog das Gesicht vor Schmerzen und versuchte, etwas bequemer zu liegen. »Kann ich etwas für Sie tun?« fragte Gray besorgt. Bester zischte die Antwort durch die Zähne: »Ja. Finden Sie die Bastarde, die mir das angetan haben. Die unsere Leute getötet haben. Sie unterstehen immer noch meiner Abteilung - das ist ein Befehl.« »Sir«, sagte Gray zurückhaltend, »was ist mit Ihren Psi-Polizisten?« Bester lächelte zufrieden: »Wir haben die Winters. Zumindest fast. Sie ist unsere schmutzige Wäsche, und die werden wir selber waschen. Wir werden alles aus ihr rausquetschen. Aber es gibt sicher noch andere Spuren. Folgen Sie ihnen, Gray. Gehen Sie der Sache auf den Grund.« Der junge Telepath spürte einen festen Griff an seinem Unterarm und sah verbrannte Finger in Mull, die Blut auf sein Jackett schmierten. »Versprechen Sie es«, röchelte Bester.
»Ich werde sie finden«, versprach Harriman Gray und befreite seinen Arm. Garibaldi öffnete die Tür wie in Zeitlupe, aber die Lichter und die Stimmen trafen Talia wie ein Stakkato von Schlägen. Garibaldi schnappte sich ihren Arm und zog sie aus dem Quartier, weil sie selber nicht vorankam. Talia hatte das Gefühl, vor einem herannahenden Zug zu stehen, so intensiv waren die Empfindungen der Menschen. Die Lichter blendeten sie, Hände betatschten sie, während Garibaldis Leute versuchten, einen Korridor freizuhalten. Die Schwarzuniformierten standen auf Zehenspitzen und schüttelten die Fäuste. Sie schrien: »Mörderin! Verräterin!« »Zurück!« brüllte Garibaldi wie ein Löwenbändiger. Sie konnte ein Dreieck aus grauen Uniformrücken sehen, das einen Keil in die Menge trieb. Garibaldi legte seine Arme wie einen Schutzpanzer um sie und führte sie direkt in das Fahrwasser des Keils. Die Menschen standen in den Türrahmen und preßten sich an die Wände, um einen Blick auf Talia zu erhaschen. Dieselben Leute hatten sie tags zuvor kaum eines Blickes gewürdigt. Der vorwärtstreibende Keil bahnte ihr einen Weg durch ein Schott und dann eine Rampe hinunter. Endlich blieb die Menge zurück. Sie war überrascht, nur Garibaldi und die graugekleideten Sicherheitsleute zu sehen. Weil sie jetzt nicht mehr als Speerspitze
gebraucht wurden ließen sich die Offiziere etwas zurückfallen und bildeten die Nachhut. Bald gab es nur noch sie, Garibaldi und einen Mann mit einem PPG-Gewehr. Einen irrationalen Augenblick lang dachte sie: Kann ich mir dieses Gewehr aneignen? Aber wo sollte sie hin? Wie hätte sie von der Station flüchten sollen? Talia mußte nachdenken - gründlich nachdenken. Ihre innere Stimme riet ihr zu flüchten. Das wäre nicht richtig oder falsch, nicht einmal logisch, aber sie mußte auf die Stimme hören. Es gab nur eins, was Talia genau wußte - sie mußte weg von Babylon 5, weg von diesem Alptraum. Garibaldi schlug die Fäuste gegeneinander und musterte die Leute seiner Sicherheitsabteilung. Fast alle hatten am Morgen in GRÜN-12 Dienst gehabt. Er ging im Besprechungsraum auf und ab und sah in die mürrischen Gesichter. »Ich weiß, daß wir gerade nicht gut drauf sind«, sagte Garibaldi, »aber der alte Auftrag hat sich erledigt, jetzt kommt der nächste. Es geht darum herauszufinden, wer etwas mit dem Anschlag zu tun hatte. Also, wer von euch hat Mrs. Winters durchsucht, als sie am Morgen GRÜN-12 betreten hat?« »Ich, Sir«, meldete sich Molly Tunder, eine junge Frau asiatischer Herkunft. »Was haben Sie in ihrer Tasche gefunden?«
Tunder hob die Schultern: »Nichts Ungewöhnliches. Karten, ein Programm, Notizen auf einer Projektionsfolie.« »Und einen Datenkristall«, ergänzte Garibaldi. Die junge Frau schüttelte den Kopf: »Nein Sir, an einen Datehkristall kann ich mich nicht erinnern.« »Aber sie hat doch gesagt, sie habe einen gehabt«, beharrte der Chief. »Vielleicht«, sagte die Offizierin, »hat sie ihn ja in der Hand gehalten.« »Was für einen Eindruck machte sie?« fragte Garibaldi. »Etwas daneben, verwirrt. Aber sie war ja auch im Streß - die Leibesvisitationen und Abtastungen. Ich hatte auch nicht viel Zeit für sie.« Garibaldi kannte das Gefühl. Er wäre jetzt auch lieber in der Arrestzelle gewesen, um mit Talia zu sprechen. Aber er konnte nicht Händchen halten und gleichzeitig nach den Schuldigen fahnden. Er wollte eine Million Dinge gleichzeitig unternehmen, aber er mußte alles ruhig und der Reihe nach abhandeln. »Abteilung eins, ihr übernehmt die erste Schicht«, sagte er. »Wenn wir hier fertig sind, geht ihr in die Unterwelt und schüttelt dort ein paar Bäume. Seht nach, was runterfällt und ob jemand was weiß. Versucht Deuce aufzuspüren, obwohl ich glaube, daß er die Station schon wieder verlassen hat. Er hat einen Riecher, wann es Zeit ist, sich zu verabschieden.«
Sein Com-Link piepte, und der Chief antwortete knapp: »Garibaldi.« »Hier ist Rüpel aus dem Gefängnistrakt. Mrs. Winters hat einen Besucher, den sie unbedingt sehen will.« »Wer ist es?« »Botschafter Kosh«, kam die Antwort. »Kosh«, murmelte Garibaldi. Beziehungen zwischen Menschen und Aliens waren schwer zu erklären, aber er wußte, daß eine zwischen Talia und Kosh bestand. Vielleicht konnte der Botschafter ihr einen guten Rechtsbeistand verschaffen. Andererseits lebte er gewöhnlich nach seinen eigenen Regeln, und wer wußte schon, welche Regeln das waren? »Das geht okay«, sagte er. »Aber postieren Sie jemanden in der Zelle. Ich werde in ein paar Minuten unten sein, um mit Mrs. Winters zu reden. Ende.« Er stellte seinen Com-Link ab und sah in die erwartungsvollen Gesichter. Garibaldi wurde klar, daß selbst die professionellen Beobachter nichts gesehen hatten. Sie waren genauso verstört, wütend und von Schuldgefühlen geplagt wie er selbst. »Okay«, schloß er. »Ihr kennt eure Aufgaben. Wir sehen nach den Marsianern, ein Team der Spurensicherung untersucht den Tatort und ein paar von euch tun sich in der Unterwelt um. Das Gute daran ist, daß fast alle Psi-Corps-Telepathen mit Ausnahme der Cops die Station verlassen haben
oder noch werden. Es bleiben noch ungefähr fünfzig. Geht denen aus dem Weg. Streitet euch nicht über Formalitäten. Wenn die irgendwas provozieren wollen, schickt sie direkt zu Captain Sheridan.« Garibaldi nickte jedem einzelnen mürrisch zu: »Wegtreten.« Knast, dachte Talia Winters, ist nur ein anderes Wort für Hundezwinger. So kam es ihr jedenfalls vor - ein zugiger, nackter und nüchterner Käfig, der ungefähr soviel Charme ausstrahlte wie ein Quader Beton. Sie hatte jede Menge Privatsphäre, was daran lag, daß außer ihr niemand in dem vernachlässigten Zellentrakt der Station untergebracht war. Wenn ein Dutzend der Zellen belegt gewesen wäre ... Talia mochte gar nicht daran denken. Der Lärm, die Stimmen. Talia wanderte auf und ab wie ein Panther, ständig in Bewegung, vorsichtig, zum Sprung bereit. Zum Sprung auf was? Die Zelle war durch ein doppeltes Kartenschloß gesichert, mechanische Schlösser versperrten jede Tür, und ein mit Codeverriegelung verbarrikadierter Gang sollte jeden unbefugten Besucher fernhalten. Sie wußte nicht, wie viele Wachen draußen aufpaßten, aber es mußten mehrere sein. Plötzlich wurde die Tür aufgesperrt und eine massige Gestalt schob sich herein. Talias Herz schlug heftig vor Hoffnung, wenngleich die unförmige Gestalt überhaupt nicht in das Schema eines Retters paßte. Ein Haufen exotischer Stoffe
und Panzerplatten, glatt wie Porzellan, glitt in den Trakt und stoppte ein paar Meter vor ihrer Zelle. Das Kopfteil nickte, kleine Röhren und Mündungen stießen Luft aus. »Es ist die Stunde des Verlangens«, sagte Koshs klingelnde, synthetische Stimme. Talia konnte sich ein höhnisches Lachen nicht verkneifen: »Da haben Sie recht, Botschafter.« Sie schüttelte den Kopf. »Alles läuft gut, und plötzlich fällt der Hammer. Aber ich bin trotzdem froh, Sie zu sehen. Ich habe ein paarmal an Sie gedacht, unter anderem kurz bevor die Bombe hochging.« Sie konnte sehen, wie der Wächter näher kam, um das Gespräch zu hören. »Entschuldigen Sie«, sagte sie, »könnten wir ein wenig Privatsphäre haben?« »Leider nein«, antwortete der Wachbeamte freundlich. »Befehl von Mr. Garibaldi.« »Oh, ist das wahr?« schnarrte sie, »Gesegnet sei Mr. Garibaldis Talent, eine durchgeknallte Terroristin nicht aus den Augen zu lassen!« »Wut ist ein blauer Ozean«, sagte Kosh. Talia starrte ihn an und machte sich klar, daß sie versuchen mußte, mit Kosh in seiner kryptischen Sprache der Symbole und Bilder zu kommunizieren ... Wenn sie ihn verstehen würde. Andererseits war dieser Moment dafür so günstig wie jeder andere. »Der eingelegte Hering würde gerne wieder zu den anderen«, begann sie.
Kosh beugte sich vor: »Die Flügel flattern um Mitternacht.« »Ich möchte die Weltmeisterschaft sehen«, bemerkte Talia. Der Wächter schielte herüber und rückte neugierig ein Stück weiter in ihre Richtung. »Apfelkuchen«, sagte Kosh, »und Welpen.« »Inna Babylon, kennen Sie Babylon?« fragte sie mit einem schweren jamaikanischen Akzent. »Vergangenheit, wie der eingelegte Hering.« »Der Adler fliegt am Freitag.« »Die >unsichtbare Isabel<«, antwortete Kosh. Er wandte sich dem Wächter zu und verbeugte sich: »Unser Geschäft ist abgeschlossen.« Der Beamte kratzte sich verständnislos den Kopf, brachte Kosh dann aber zum Eingang und schloß ihm auf. Der Botschafter verließ den Trakt in Würde und Anstand. Der Wächter warf Talia einen verwirrten Blick zu und sagte: »Ich habe keine Ahnung, was das sollte, aber Mr. Garibaldi ist auf dem Weg hier herunter. Er will mit Ihnen reden.« »Ich weigere mich, ihn zu sehen«, sagte sie. »Sagen Sie ihm das selbst«, beschied ihr der Wächter. »Sagen Sie mir was?« fragte Garibaldi und marschierte in den Zellentrakt. »Ich werde nicht mit Ihnen reden, solange mein Rechtsbeistand nicht hier ist«, verkündete Talia.
»Selbst dann nicht, wenn es darum geht, Ihre Weste wieder reinzuwaschen?« fragte er skeptisch. Sie kreuzte ihre Arme vor der Brust und schaute ihn müde an: »Wenn das nicht stimmt, mache ich sofort dicht. Ich bin es leid, zu reden, wenn niemand mir zuhört. Also, was ist?« »Sie haben mir erzählt, daß Sie einen Datenkristall in der Tasche hatten. Korrekt?« Sie seufzte: »Ja.« »War es ein echter Kristall, hatten Sie ihn schon einmal benutzt?« »Ja, hatte ich«, antwortete Talia. »Statistiken für die Diskussionsrunde, die ich am Tag davor bereits durchgesehen hatte.« Garibaldi verzog das Gesicht, als wäre das nicht die Antwort, die er zu hören gehofft hatte. Er fuhr fort: »Die Offizierin, die Sie reingelassen hat, erinnert sich nicht an einen Datenkristall in Ihrer Tasche. War er in Ihrer Hand oder in einer Tasche Ihres Kostüms?« Jetzt verzog Talia das Gesicht bei dem Versuch, die Puzzleteile dieses schrecklichen Morgens zusammenzufügen. »Oh ja«, antwortete sie langsam, »jemand hatte ihn ausgeliehen und mir später zurückgegeben.« Garibaldi kam näher: »Wer?« Talia wollte antworten, schwieg dann aber. Nach allem, was sie durchgemacht hatte, wollte sie nicht so einfach Emily Cranes Namen in die Runde werfen. Sie wollte die kleine Frau nicht vorschnell
dieser Hexenjagd aussetzen. Außerdem war sie sicher, daß Emily Crane keine Terroristin war. Schließlich hatte die Explosion um ein Haar ihren geliebten Arthur Malten getötet, und das schloß Emilys Verwicklung in den Fall praktisch aus. »Darf ich Sie daran erinnern«, sagte Garibaldi, »daß die betreffende Person auch Ihren Tod eingeplant hatte?« Talia schloß die Augen und versuchte, sich zu konzentrieren. »Sind Sie sicher, daß der Kristall die Bombe war?« fragte sie. »Nein«, gab der Chief zu. »Aber er wurde Ihnen nachweislich untergeschoben. Und da Sie genau darauf immer beharren ...« »Es ist so gewesen«, gab sie zurück. »Meinetwegen«, sagte Garibaldi. »Es geht hier um Informationen für Ihre Verteidigung.« »Hören Sie«, sagte Talia, »ich werde mich hüten, Bester, seine Leute und die halbe Earthforce auf diese arme Frau loszulassen. Ich glaube, daß sie nichts damit zu tun hat.« »Vielleicht«, gab Garibaldi zu bedenken. »Wir denken dasselbe auch von Ihnen, dennoch...« Er ließ den Gedanken im Raum stehen. Talia nickte verbittert: »Aus diesem Grund werde ich nicht dulden, daß man mit dieser Frau dasselbe wie mit mir macht.« »Kommen Sie«, bat Garibaldi. »Ich verspreche Ihnen, mich persönlich um sie zu kümmern. Außerdem werden Sie für Ihre Verteidigung sowieso
mit ihr sprechen müssen. Ich werde den Namen nicht preisgeben, bevor ich eigene Ermittlungen angestellt habe.« »Versprechen Sie das?« wollte Talia wissen. »Wenn ich sie in der Zelle nebenan wiedersehe, obwohl wir beide unschuldig sind, bekommen Sie es mit mir zu tun.« »Versprochen«, sagte Garibaldi mit einem schiefen Lächeln. Heiser fuhr die blonde Frau fort: »Ihr Name ist Emily Crane. Soweit ich weiß, arbeitet sie für Mr. Malten und den Mix.« Garibaldi tippte seinen Com-Link an: »Ivanova, ich bin's. Können Sie feststellen, ob Emily Crane die Station schon verlassen hat? Sie gehörte zu den Gästen, eine kommerzielle Telepathin.« »Augenblick«, sagte die Commandeurin. Einige lange Sekunden verstrichen, bevor sie sich wieder meldete: »Sie hat den ersten Transporter genommen. Ihr Boß, Mr. Malten, war wohl ziemlich mitgenommen. Sie hat ihn nach Hause begleitet.« »Und wo ist das?« fragte Garibaldi. »Das Ziel des Transporters ist die Erde. Genauer haben wir es leider auch nicht. Sie müßten morgen ankommen.« »Danke. Ende.« Garibaldi schüttelte den Kopf: »Erde. Leider ist die Chance gering, daß ich da in nächster Zeit hinkomme.« Talia lachte nervös: »Das gilt wohl auch für mich.«
»Ich schau mir mal ihr Zimmer an«, sagte Garibaldi. Er lehnte sich gegen die Gitter der Zelle und schaute wie ein trauriger Basset drein: »Ich würde Sie gerne hier herausholen, aber wir stecken schon knietief in der Tinte. Außerdem sind Sie hier halbwegs sicher. Kann ich Ihnen irgendwas besorgen?« »Eine Feile.« Garibaldi sah den Schmerz in ihrem Gesicht: »Wie wäre es mit etwas zum Lesen?« Sie ließ sich auf ihre Pritsche fallen und gähnte: »Nicht heute nacht, okay? Ich hatte mein Essen, jetzt würde ich gerne schlafen.« »Dann bringe ich Ihnen morgen ein paar Bücher«, versprach der Chief und wollte gehen. Er drehte sich noch einmal um: »Das tut mir alles sehr leid. Wir werden einen Weg finden, Ihr Leben wieder auf die Schienen zu setzen.« »Oder auf das, was man für Schienen hält«, sagte Talia. Sie streckte sich auf der dünnen Matratze aus, die auf einem an der Decke festgeschweißten Metallgestell lag. »Wieviel Uhr ist es?« fragte sie. Garibaldi checkte seinen Com-Link: »Mal sehen. 23:40.« »Danke.« »Hatten Sie ein nettes Gespräch mit Botschafter Kosh?« »Gute Nacht.«
Sie drehte sich demonstrativ von ihm weg. Ihre Augen huschten gehetzt umher, während sie darauf wartete, daß er ging. Endlich hörte sie die Tür zufallen. Sie setzte sich auf und blickte um sich. In jeder Ecke des Raumes hing eine Überwachungskamera, ansonsten war sie allein. War sie das überhaupt? Was hatte es mit Koshs »unsichtbarer Isabel« auf sich? Ein Spiel, oder? Ein Streich. Es gab keine unsichtbaren Menschen. Aber wie genau kannte man schon die fortgeschrittene vorionische Kultur? Sie wußte, daß sie in Rot-3 eine Stimme aufgefangen hatte, nachdem sie alle sichtbaren Menschen im Lokal ausgeblendet hatte. Was es auch gewesen war, Kosh hatte davon gewußt. Ihr blieben nur noch zwanzig Minuten, bevor Kosh handeln würde. Aber was würde er tun? Und was war ihre Rolle dabei? Wie konnte sie von der Station entkommen, selbst mit der Hilfe des Vorlonen? Du mußt dich beruhigen, redete sich Talia ein, und keine Fragen mehr stellen, auf die du keine Antwort weißt. Wenn Kosh tatsächlich angekündigt hatte, ihr binnen zwanzig Minuten bei ihrem Ausbruch zu helfen, würde er das auch tun. Wenn sie seine Signale mißverstanden hatte - nun, schlimmer konnte es ja kaum noch kommen. Entweder war sie dann eine Flüchtige oder eine Gefangene mit der Aussicht auf eine medienwirksame Gerichtsverhandlung.
Sie hatte fast erwartet, daß eine ruhige Stimme der Vernunft sie beiseite nehmen und ihr den Fluchtversuch als dumme Idee ausreden würde. Vor allem, weil ihr der Ausbruch als Schuldeingeständnis ausgelegt würde. Selbst diejenigen, die sie jetzt noch verteidigten, würden sie aufgeben, sie vielleicht sogar verfolgen. Doch aus irgendeinem unerklärlichen Grund wußte Talia, daß sie Babylon 5 verlassen sollte, verlassen mußte, wenn sie am Leben bleiben wollte. Es war klar: Sie mußte zur Erde, wenn sie diese Angelegenheit aufklären wollte. Es war verrückt, aber der einzige Weg. Im grellen Licht dieses Irrsinns begann sie erneut, über Emily Crane nachzudenken. Was wußte sie wirklich über die kleine stotternde Frau? Sie war eine lizensierte Telepathin mit dem Fachgebiet Werbung, aber vielleicht unterhielt sie Verbindungen zum Mars und zur Separatistenbewegung. Vielleicht hatte die dunkelhäutige Frau ja tatsächlich versucht, sie zu töten. Und Bester. Und Malten. Und die Unglücklichen, bei denen der Anschlag blutigen Erfolg gehabt hatte. Wie lautete doch dieser altmodische Ausdruck? »Die Banalität des Bösen«. Mrs. Crane war sicher eine banale Person, ein kleines Licht in den Sonnenstrahlen des Psi-Corps. Vielleicht war sie genau jene Art von Mensch, der Terroristen die schmutzigsten Arbeiten anvertrauen.
Talia rieb sich die Augen und blickte auf den weißen Hosenanzug und die Handschuhe, die sie trug. Die Kleidung war ihr am praktischsten erschienen, als sie sich für die Zelle angezogen hatte, doch für den weiten Weg zur Erde war sie zu dünn und nicht widerstandsfähig genug. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Ohne die genaue Uhrzeit zu kennen, sah Talia plötzlich auf. Sie wußte, daß gleich etwas passieren würde. Wenn es wirklich eine »unsichtbare lsabel« in der Arrestabteilung gab, was würde sie tun? Ganz einfach - sie würde die Zellentüre aufschließen. Der Schließmechanismus befand sich in einer kleinen Box zwei Meter entfernt auf der anderen Seite der Zellentür und wurde per Codekarte bedient. Zusätzlich zu den elektronischen Systemen blockierte noch ein schwerer Riegel die Tür. Obwohl sie kein Schlosser war, hatte ihr SpionageTraining beim Psi-Corps auch Einbruch und ein paar andere Spezialitäten beinhaltet. Sie wußte, wie ein Schloß von innen aussah und wie es arbeitete. Sie konnte dazu ihre Hände nicht benutzen - aber das war okay, die »Unsichtbare« war ja da. Irgendwie hatte sie das Gefühl, daß lsabel mit den telekinetischen Kräften verbunden war, die sie von Ironheart bekommen hatte. Talia konzentrierte sich und stellte sich vor, eine unsichtbare Person zu sein, die in die Konstruktion hineinkroch und die kleinen Schieber verbog. Sie sah ihre Hände über den winzigen Mechanismus
gleiten, die elektronischen Elemente ignorierend. Wenn die Schieber gleich standen, würde der Riegel nachgeben. Bewege die Regler, zieh den Bolzen, befahl sie sich, genau wie du deinen Glückspenny bewegst. Sie beachtete den Schweiß nicht, der über ihr Gesicht rann und blonde Strähnen an ihre Wangen klebte. Talia dachte nur an die »unsichtbare Isabel« und ihre winzigen behenden Finger. Sie ist real, dachte die Telepathin. Sie ist real und kann die winzigen Regler bewegen. Sie kann, sie kann... Als es klickte, kam es Talia vor, als erwache sie aus einem Traum. Sie hörte die Zellentür aufspringen, noch bevor ihre Augen sich auf die Konstruktion eingestellt hatten. Sie stieß die Tür ganz auf. Trotzdem wollte sich kein Gefühl der Befreiung einstellen. Sie hatte nur furchtbare Angst vor dem, was zu werden sie im Begriff war. Ihr ganzes Leben lang hatte sie diese Grenze niemals überschritten, immer das Richtige getan - sie war eine gute Tochter, eine gute Studentin, eine willige Rekrutin des Corps und eine fleißige Arbeiterin gewesen. Es hatte ein oder zwei romantische Fehltritte gegeben, aber die waren ein Zugeständnis an die Jugend. Seither war sie den Weg geradeaus und aufrecht gegangen. Sie machte sich klar, daß sie bereits als Mörderin, Verräterin und Terroristin angesehen wurde. Nun kam auch noch der Ausbruch dazu. Wahrscheinlich würde man sie zur Wilden Telepathin stempeln. Von
allen Vorwürfen war das der schlimmste. Von den anderen Anklagepunkten konnte sie sich vielleicht wieder reinwaschen, aber Wilde Telepathin ... Talia war mittlerweile bei der äußeren Tür angekommen und fragte sich, ob sie die auf dieselbe Art zu öffnen vermochte. Durch ein kleines Fenster konnte eine Wache sie kommen sehen. Der Mann sah sie überrascht an, und sie gab sich keine Mühe, sich zu verstecken. Warum auch? Der Wächter stürzte zu seinem Schreibtisch und griff nach seiner PPG und dem Codeschlüssel. Plötzlich aber begann er, sich wie jemand zu bewegen, der schwerelos war und nicht wußte, wie er die Beine auf die Erde bekommen sollte. Einige Sekunden später fiel er vornüber zu Boden. Talia preßte ihr Gesicht gegen das kleine Fenster und sah zwei weitere bewußtlose Wachen im angrenzenden Raum liegen. Instinktiv warf sie einen Blick zu den Luftschächten - wenn es Gas gewesen war, war es unsichtbar wie ihr Freund. Die Sekunden schienen sich auszudehnen, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als dazustehen und auf den nächsten Akt in diesem bizarren Drama zu warten. Einen Augenblick später öffnete sich die gegenüberliegende Tür des Vorraums, die Tür zur Freiheit. Botschafter Kosh glitt lautlos herein. Ob der Anblick der drei bewußtlosen Wachen den Vorlonen überraschte, war an seinen Bewegungen nicht zu erkennen. Er bewegte sich geradewegs auf den Schreibtisch zu. Als er angekommen war, griff
eine kleine mechanische Kralle aus seiner Robe nach dem Codeschlüssel. Dann schob sie sich noch einen Meter weiter vor und steckte die Karte in den entsprechenden Schlitz. Die Tür, bei der Talia wartete, öffnete sich. Sie betrat den Vorraum. Als sie nicht bewußtlos wurde, war klar, daß das Gas sich schon wieder verflüchtigt hatte. Sie blickte Kosh an und fragte sich, was er als nächstes tun würde. Die Robe des Vorlonen teilte sich und gab den Blick auf eine kleine Platte frei. Auf der Platte lagen eine Minbari-Kutte und eine Minbari-Kopfbedeckung. Sie nahm die Kopfbedeckung und stülpte sie über. Dadurch war nicht nur ihr Gesicht unkenntlich, auch das Fehlen des typischen Minbari-Kranzes und ihre sehr menschliche Frisur würden nicht auffallen. »Für eine Minbari bin ich ein bißchen groß«, bemerkte sie mit einem humorlosen Lächeln. Mr. Bester saß in seinem Bett. Er sieht immer noch furchtbar aus, dachte Gray, und um seine Stimmung steht es noch schlechter. Er empfand beinahe Mitgefühl mit dem Mann, der vor dem Bett stand und sich abkanzeln lassen mußte. »Captain Sheridan«, fauchte Bester, »wie können Sie es wagen! Sie werden den Gang der Dinge nicht ewig aufhalten können. Ich will diese Frau in meiner Verwahrung - das ist endgültig. Sollten Sie mir das weiterhin verweigern, bedeutet dies das Ende Ihrer Karriere. Nach dem jämmerlichen Versagen Ihrer
Sicherheitskräfte würde es mich nicht wundern, wenn der Senat schon in diesem Augenblick nach einem Nachfolger Ausschau hält. Und wenn Sie sich mir und dem Willen des Senats widersetzen und Talia Winters dem Zugriff der Justiz entziehen, kann Ihnen niemand in der Earth Alliance mehr helfen.« Sheridan preßte die Lippen aufeinander: »Sind Sie fertig?« »Nein!« kreischte Bester. »Ich fange gerade erst an. Morgen früh werden meine Leute mit den Senatoren des Justizausschusses reden. Wir werden Ihnen die Zuständigkeit für diese Angelegenheit schneller aus den Händen nehmen, als Sie ahnen.« »Ich habe bereits mit einigen Senatoren gesprochen«, entgegnete Sheridan. »Man setzt mich stark unter Druck, auch die Earthforce. Aber ich habe denen dasselbe gesagt wie Ihnen: Dieses Verbrechen wurde auf Babylon 5 begangen, und hier werden wir es auch zur Anklage bringen. Allerdings werden wir nichts überstürzen. Unsere Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, und Mrs. Winters verdient die bestmögliche Rechtsberatung. Das kann Wochen, aber auch Monate dauern.« Bester krümmte sich vor Zorn und stieß ein gepeinigtes Heulen aus. Dr. Franklin, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatte, trat dazu. »Captain Sheridan«, sagte der Arzt, »dieser Mann bekommt in einer Stunde künstliche Haut transplantiert. Wenn Sie nicht mit ihm reden können, ohne ihn aufzuregen, muß ich Sie bitten zu gehen.«
»Aber er hat mich zu sich zitiert«, protestierte Sheridan. »Das ist nicht das Problem«, sagte Franklin. »Er ist der Patient, und er braucht Ruhe.« Bester krächzte: »Es ist gut, wirklich. Ich bin okay. Sheridan steht auf verlorenem Posten, und das weiß er. Wenn er kämpfend untergehen will, ist das seine Sache. Ich werde ihn mit Freuden zur Strecke bringen.« Es entstand ein kleiner Tumult auf der anderen Seite des Med-Labs, und Gray sah hinüber. Garibaldi und ein weiterer Sicherheitsbeamter stürmten herein. Garibaldi hatte die letzten Tage schon schlecht ausgesehen, aber Gray fand, daß er jetzt übler aussah als Bester. »Captain«, sagte der Chief, »wir haben ein Problem im Sicherheitsbereich.« Sheridan wurde sichtlich blaß: »Was ist denn nun schon wieder?« Garibaldi seufzte und blickte Bester an: »Ich schätze, wir werden es sowieso nicht geheimhalten können.« Er drehte sich zu dem Beamten um, der ihn begleitet hatte. »Sagen Sie, was passiert ist, Rüpel.« Der Wächter schüttelte den Kopf, als sei er selbst nicht sicher: »Es war alles friedlich im Zellentrakt. Plötzlich sah ich Mrs. Winters am Fenster der Tür, außerhalb der Zelle.« »Was haben Sie getan?« fragte Sheridan.
Der Mann schüttelte wieder den Kopf: »Ich wollte nach meiner Waffe und dem Codeschlüssel greifen und ... dann erinnere ich mich an nichts mehr. Das nächste, was ich weiß, ... ich liege auf dem Boden, meine beiden Kollegen sind auch weggetreten. Sie ist einfach abgehauen.« Entsetzt sah Gray, daß Bester sich vor Wut wand, aber unerklärlicherweise trotzdem lächelte. Die schockierten Gesichter der Umstehenden schienen ihm zu gefallen. »Vielen Dank, Mr. Garibaldi«, sagte Bester. »Ihre Inkompetenz hat uns eine Menge unnötiger Diskussionen erspart. Ein Telepath, der sich seiner Verurteilung entzieht, wird automatisch als Wilder Telepath klassifiziert.« Bester lächelte ob der Ironie der Situation: »Nun, da Talia Winters eine Wilde Telepathin ist, benötigen wir keine Erlaubnis mehr, um sie zu jagen. Mr. Gray, rufen Sie meine Untergebenen herein. Wir müssen eine Wilde zur Strecke bringen.«
11 »Sir«, sagte Garibaldi verzweifelt, »lassen Sie mich nach ihr suchen.« Captain Sheridan und der Sicherheitschef sahen einander mit einer Mischung aus Vertrauen und Unsicherheit an. Sie arbeiteten erst seit kurzer Zeit zusammen, aber die Situation hatte sie in einem Maße zusammengeschweißt, das sonst nur alten Freunden vorbehalten war. Trotz allem, was bisher schiefgegangen war, dachte Garibaldi, mußte es einen Weg aus diesem Dilemma geben. Der Captain mußte ihm vertrauen. »Woher wissen Sie, daß sie die Station verlassen hat?« »Wir suchen überall«, erklärte Garibaldi. »Meine Leute sind an den Docks präsent. Aber wegen der Konferenz und der Evakuierung nach dem Anschlag verläßt alle fünf Minuten ein Transporter die Station. Wir haben ein Auge auf jeden, aber bei dem Ansturm kann uns durchaus etwas entgehen. Vielleicht ist es schon passiert.« Garibaldi rieb sich das Kinn: »Bei dieser Flucht muß sie Hilfe gehabt haben. Und ich ahne, wer das
gewesen sein könnte und wo sie hin will. Es gibt eine Spur, die nur sie und ich kennen - vielleicht ist das der Schlüssel.« Bester beugte sich in seinem Krankenbett weit vor: »Ich glaube sehr stark an Ahnungen, Mr. Garibaldi. Sagen Sie mir, wo sie hin will?« Er legte den Kopf zurück, als wollte er lauschen, dann lächelte er wieder: »Nicht nötig. Es ist die Erde.« Der Chief starrte den Psi-Cop angewidert an: »Ihre Leute haben sie dazu gebracht. Sie tragen die Verantwortung für ihre Flucht.« »Da stimme ich Ihnen nicht zu«, sagte Bester. »Ihre Angst hat sie flüchten lassen. Aber ich glaube auch, daß sie Hilfe hatte. Sie hatte von Anfang an Hilfe, und genau wie Sie möchte ich gerne wissen, wer dahintersteckt. Schließen wir ein Abkommen.« Bester verzog das Gesicht, während er sich im Bett zurechtsetzte, Um größer zu wirken: »Ich lege meine Psi-Polizisten noch ein paar Tage an die Kette. Statt dessen schicken wir Mr. Garibaldi und Mr. Gray zur Erde, um Mrs. Winters und ihre Komplizen aufzuspüren.« Garibaldi drehte sich zu dem leichenblassen Gray um. »Ich will ihn nicht dabeihaben.« »Okay, Mr. Gray«, sagte Bester, »verständigen Sie meine Leute auf der Erde. Sie sollen sie erledigen, sobald sie aus dem Transporter steigt.« »Warten Sie«, sagte Sheridan und hob beschwörend die Hand. »Mr. Bester hat in einem Punkt recht - sobald die Psi-Polizei sich der Sache
annimmt, wird es eine Exekution. Die örtliche Polizei wird auch hinter ihr her sein. Wenn wir irgend etwas herausfinden wollen, müssen wir an ihr dranbleiben. Wir müssen jeder Spur folgen. Garibaldi, wenn Sie wirklich wissen, wo Mrs. Winters hin will, dann setzen Sie sich auf ihre Fährte. Und nehmen Sie Mr. Gray mit.« Garibaldi schüttelte fassungslos den Kopf: »Ich arbeite viel besser allein.« Bester lächelte: »Ich denke, Sie werden mit Mr. Gray denkbar wenig Schwierigkeiten haben. Außerdem ist er kein Psi-Polizist; er ist nicht berechtigt, sie zu erledigen. Er ist nur ein Ermittler, genau wie Sie.« Garibaldi blickte wieder zu Gray, der ihn tapfer, aber ein wenig nervös anlächelte. Er will nicht wirklich mit, dachte Garibaldi. Er will nur weg von Bester, und das kann man ihm nicht mal verübeln. Der Chief entschied sich, den Telepathen vorerst an seiner Seite zu dulden, um ihn bei der ersten Gelegenheit abzuhängen. Er knurrte Gray an: »Na denn. Der letzte Transporter Richtung Erde legt in einer Stunde ab, Dock fünf. Den müssen wir nehmen.« »Selbstverständlich«, stimmte Gray zu. »Ich habe einige eigene Vermutungen in dieser Angelegenheit.« Garibaldi wollte ihm sagen, wohin er sich diese Vermutungen stecken konnte, aber das hatte auch Zeit bis nach dem Start.
Captain Sheridan atmete tief ein und drehte sich zu Dr. Franklin um: »Warum stellen Sie Ihren Patienten nicht ruhig?« »Gute Idee«, sagte Franklin. »Schwester, Spritze.« »Moment mal«, protestierte Bester und warf sich in seinem Bett hin und her. »Ich muß mich melden. Ich muß dem Präsidenten Bescheid geben!« Franklin verabreichte ihm die Injektion. Immer noch wütend, fiel Bester in seine Kissen zurück. »Erledigen Sie Ihren Job«, murmelte er. »Sie wollen doch nicht, daß ich aus diesem Bett raus muß, um Ihnen nachzufliegen...« Seine Stimme wurde leiser, während er in den Schlaf glitt. »Mr. Garibaldi«, sagte der Doktor, »bevor Sie gehen: Wir könnten zusätzliche Sicherheitsbeamte vor der Tür brauchen.« »Geht klar«, brummte der Chief, »aber zusätzliche Kräfte haben uns bisher nicht viel gebracht.« »Wir müssen wie diese Terroristen denken«, schlug Harriman Gray vor. »Ich habe eine eigene Spur, die ich gern verfolgen würde. Ich werde Ihnen unterwegs davon erzählen. Bis später, Mr. Garibaldi.« Der hagere Telepath machte sich auf den Weg, während Garibaldi gegenüber Sheridan die Augen verdrehte: »Entschuldigen Sie, Sir, aber warum muß ich den mitnehmen?«
»Wie Sie gerade gesagt haben«, antwortete Sheridan, »wir haben bisher wenig zustande gebracht. Wenn wir die Sache mit vereinten Kräften anpacken, hilft das vielleicht. Ich weiß es nicht. Was ich noch sagen will: Ich weiß, was Sie für Mrs. Winters empfinden, aber sie ist eine Flüchtige. Sie müssen Sie ausliefern, wenn Sie die Chance dazu haben.« »Das werde ich«, versprach Garibaldi. Er sprach jetzt ein wenig leiser. »Ich glaube, daß Botschafter Kosh ihr geholfen hat. Ich habe keine Beweise, aber er hat sie eine halbe Stunde vor ihrem Ausbruch besucht. Rüpel hat das Gespräch mit angehört und kein Wort verstanden. Und Rüpel ist Linguist.« »Na schön«, schloß Sheridan grimmig, »überlassen Sie Kosh mir.« Talia saß in totaler Finsternis und fragte sich, was sie erwartete - der Tod, die Freiheit, oder der Wahnsinn. Auf Koshs Anordnung und gegen jede Vernunft hatte sie die Minbari-Kutte abgelegt und sich in einen Frachtcontainer gezwängt. Und dort hatte sie jetzt schon fast eine Stunde verbracht. Kosh hatte ihr keine weiteren Anweisungen gegeben, er hatte lediglich erklärt, wie man die Stifte zum Öffnen der Kiste von innen löste. Niemand hatte sich von ihr verabschiedet. Wie auch? Sie war in diese Box eingeschweißt. Obwohl sie wußte, wie sie wieder herauskommen würde, hatte sie keine Ahnung, wo das sein würde. Sie vermutete, daß sie auf einem Schiff war und daß ihre Retter Babylon
verlassen hatten, denn ein paar Mal war sie von starken Fliehkräften herumgewirbelt worden. Vielleicht hatte aber auch bloß jemand die Kiste eine Treppe hinuntergestoßen. Was sollte sie nun unternehmen, ohne Anweisungen oder Orientierungshilfen? Sollte sie auf ewig in dem Container bleiben? Oder nur solange, bis er vom Zoll als »nicht abgeholtes Frachtgut« versteigert wurde? Sie hörte scharrende Geräusche in - ja, wo auch immer sie war. Die Geräusche waren für Ratten zu deutlich, aber das half ihr jetzt auch nicht weiter. Schob jemand den Container herum? Oder ging draußen nur eine schwere Gestalt herum? Sie hörte keine Stimmen, und aus irgendeinem Grund schloß sie daraus, daß es sich nicht um Mitglieder der Crew handelte. Aber wenn es nicht die Crew war, wer dann? Sie hatte nun die Grenzen der Erträglichkeit für stickige Luft, seltsame Geräusche und unbequeme Sitzpositionen erreicht. Sie mußte wissen, wo sie war, oder sie würde durchdrehen. Talia griff nach den Stiften, die den Kasten von innen verschlossen hielten. Sie wußte, daß diese leicht herauszuschieben waren, weil sie im Laufe der letzten Stunde immer wieder damit herumgespielt hatte. Sie sammelte alle Stifte ein. Nun lagen die Gurte nur noch lose auf der Kiste. Ein kleiner Stoß würde genügen, um der drückenden Dunkelheit zu entkommen. Aber einmal draußen, wäre das Geheimnis der Box gelüftet. Und
ein »Geheimnis«, das einmal aus der Box gekrochen war, konnte nicht mehr zurück, soviel war klar. Wer immer da rumschlurfte, er würde sie möglicherweise als blinden Passagier ansehen und töten. Oder vielleicht kannte er Mr. Bester, der sicher auf der Suche nach ihr war. Es war ein Spiel mit dem Unbekannten, das wußte Talia, aber sie zog es vor, mit Licht in den Augen, Luft in den Lungen und in aufrechter Haltung zu sterben. Sie stieß gegen den Deckel und richtete sich auf. Ein Wesen in Lumpen schreckte vor ihr zurück und fiel über eine ähnliche Kiste. Talia sprang aus dem Container und ging dahinter in Deckung. Sie starrten einander furchtsam und neugierig an. Der Zerlumpte hatte lange, verfilzte Haare und einen verfilzten Bart, aber er war ein Mensch. Sie wollte ihn schon mit einem breiten Lächeln beruhigen, als sie sah, wie seine Hand mit einer PPG hinter der Kiste hervorkam. »Ich schätze, Sie sollten jetzt mal besser die Hände hoch nehmen«, sagte er mit einem starken Südstaatenakzent. »Ich hab gar nicht gewußt, daß ich Gesellschaft habe.« »Ich auch nicht«, schluckte Talia und hob die Hände. Plötzlich hatte sie Angst, daß Bester oder irgendwelche Aliens ein besserer Umgang gewesen wären als dieser schäbige Typ. Sie wollte ihn nicht durch einen Scan aus der Fassung bringen, denn es
kam ihr so vor, als wäre er schon mal gescannt worden und davor auf der Hut. Sie wollte wenigsten einen Überblick über den Ort gewinnen, an dem sie vielleicht sterben würde, also sah sie sich um. Zu ihrer Verblüffung befanden sie sich in einem zweiten, wesentlich größeren Container, der mit außerirdischen Schriftzeichen übersät war. Er erinnerte sie ein wenig an den Müllbehälter, in dem sie als Kind immer gespielt hatte. Aber wenigstens gab es eine nackte Glühbirne und eine Art Ventilationssystem, das Sauerstoff hereinschaufelte. »Ich hab Sie doch schon mal gesehen«, meinte der Mann mißtrauisch. Sie versuchte zu lächeln: »Nun, anscheinend hängen wir gerne in denselben In-Lokalen herum.« »Hände oben lassen«, schnarrte er. Er fuchtelte nicht mit der Waffe wie ein Verrückter. Er hielt sie sehr ruhig, wie eine Verlängerung seines Arms. Talia sah sich noch einmal um, ob es vielleicht einen offensichtlichen Weg aus dem Container gab. Es schien eine Art Klappe zu geben, und da war auch eine Schalterbox mit außerirdischer Beschriftung, aber sie machte sich wenig Hoffnungen. Gesprächig bemerkte sie: »Wir haben wohl mehr Gemeinsamkeiten als die meisten Leute, die sich erst so kurz kennen.« Der Mann grinste sie schief an: »Nun, wir haben vielleicht ein paar gemeinsame Freunde. Die Frage
ist bloß: Sind Sie wegen mir hier, oder bin ich wegen Ihnen hier?« Er kratzte sich das Stoppelkinn: »Da ich weiß, weswegen ich hier bin, sind Sie wohl wegen mir da.« Er hob die Waffe und zielte auf ihr Brustbein. »Ich bin auf der Flucht!« schrie sie. »Ich bin eine entlaufene Strafgefangene.« Sie hielt sich die Hände vors Gesicht, für den Fall, daß er trotzdem schoß. Doch er senkte die Waffe und lächelte: »Klar, jetzt weiß ich's: Sie sind die B5-Telepathin. Man sucht Sie wegen des Bombenanschlags.« Er brüllte vor Lachen, und für einen Augenblick dachte sie daran, sich seiner Waffe zu bemächtigen. Dann wurde ihr klar, daß dieser Augenblick ihr letzter sein könnte. Er lachte so sehr, daß er sich die Augen mit dem schmutzigen Hemdsärmel wischen mußte: »Ich schätze, Sie stecken so tief in der Scheiße, daß Sie niemanden festnehmen können. Mein Name ist Deuce.« »Deuce«, keuchte sie. »Der Deuce aus der Unterwelt?« Er verbeugte sich galant: »Der einzige und wahre. Ich sehe, mein Ruf eilt mir voraus bis in die heiligen Hallen des Psi-Corps.« »Ich habe mit dem Anschlag nichts zu tun«, beteuerte sie einmal mehr, als ob das für ihn einen Unterschied machen würde.
»Ich weiß«, sagte er, indem er sich wieder die Augen rieb. »Sie waren bloß zur falschen Zeit am falschen Ort.« »Sie wissen, wer es war?« fragte sie fassungslos. Deuce hob wieder die Waffe: »Lady, Sie waren gestern am falschen Ort, und heute sind Sie es wieder. Fragen Sie nicht, dann muß ich Ihnen auch keine Lügen auftischen.« Talia war ziemlich sicher, daß er sie umbringen würde, wenn er sie nicht mehr amüsant fand. Aber sie waren nicht allein - wo immer sie auch waren. Irgend jemand steuerte dieses Schiff, und irgend jemand hatte mit Kosh einen Deal gemacht, sie aufzunehmen und irgendwohin zu bringen. Sie und Deuce befanden sich nicht in einem Vakuum. Ohne besonderen Grund griff Talia nach der Schalterbox, um die Klappe zu öffnen. Deuce sprang hinzu und stieß sie brutal zu Boden. »Blöde Schlampe«, knurrte er. »Haben Sie keinen Schimmer, was diese Zeichen bedeuten?« Talia lag zusammengekrümmt zwischen zwei Kisten und hielt sich die schmerzende Schulter. Sie starrte ihn an und wartete, ob er sie nun töten würde. »Schätze nicht«, fuhr er fort und deutete mit dem Daumen auf die verschnörkelten Buchstaben. »Dies ist ein Schiff von Methanatmern. Wir stecken in einem autarken Frachtcontainer mit eigener Atmosphäre. In diesem Fall ist es eine Sauerstoff/Kohlendioxid-Mischung. Wenn Sie die Klappe aufgemacht hätten, würden wir uns jetzt mit
Glubschaugen auf dem Boden wälzen und wären in einer Minute erstickt.« »Tut mir leid«, sagte Talia und setzte sich auf. »Ich war noch nie auf der Flucht. Mir fehlt wohl noch die Übung.« Deuce schüttelte den Kopf, als könne er nicht begreifen, wie er sich auf so etwas einlassen konnte. Er nahm auf der Kante einer Kiste Platz und sah sie nur an. »Lady, das Problem ist, daß Sie nichts für mich tun können und ich nichts für Sie. Sie sind Gift für mich.« »Das ist nicht wahr«, entgegnete Talia und wandte sich ihm zu. »Ich werde Sie nicht mehr wegen des Anschlags fragen - es ist mir egal, ob Sie etwas damit zu tun hatten. Aber ich weiß, daß Sie mir eine falsche Identicard, einen neuen Namen und Kleidung besorgen können. Vielleicht hat mich mein Freund deswegen hier mit Ihnen zusammengebracht.« Deuce rieb sich wieder die Stoppeln am Kinn: »Ihr Freund muß aber gut informiert sein, wenn er weiß, wo ich bin und was ich kann. Klar, ich könnte Ihnen helfen.« Er lächelte sie an: »Und was können Sie für mich tun?« Talia wischte sich mit dem Unterarm übers Gesicht und dachte nach. »Haben Sie keine Verwendung für eine Telepathin?« Der Gauner lehnte sich zurück und dachte über das Angebot nach: »Vielleicht. Aber das ändert
nichts daran, daß Sie Gift für mich sind. In diesem Augenblick sucht das Corps, die Force, alle Bullen und jeder Schülerlotse nach Ihnen. Verglichen damit bin ich ein kleiner Fisch.« »Okay«, versprach sie, »ich werde mich aus dem Staub machen, wann immer Sie wollen.« Sie konnte kaum glauben, daß sie einem ausgekochten Gangster derartige Versprechungen machte, der wahrscheinlich sogar für das Attentat verantwortlich war. Was konnte sie von ihm erfahren? Sie mochte gar nicht daran denken, was erforderlich war, um sein Vertrauen zu gewinnen. »Ich werde es wohl bereuen, wenn ich Ihnen jetzt nicht helfe«, sagte Deuce humorlos. »Commander?« sagte der Kommunikationsoffizier am Kommandopult. »Ein Mr. Gray wünscht Sie zu sprechen. Er sagt, es sei das letzte Mal, und es würde nur eine Minute dauern.« Ivanova blickte mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck von ihrer Station herunter. Da sie jedoch in den nächsten dreißig Sekunden nichts Wichtigeres zu tun hatte, nahm sie ein Kopfhörer/Mikrofon-Set und setzte es auf. »Stellen Sie ihn durch«, befahl sie. »Ist da Susan?« fragte eine unsichere Stimme. »Ja, Harriman. Was wollen Sie?« »Auf Wiedersehen sagen. Ich nehme zusammen mit Mr. Garibaldi in fünfzehn Minuten den Transporter zur Erde.«
»Davon habe ich gehört«, erwiderte Ivanova. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen Glück wünschen soll. Ich glaube nicht, daß Talia schuldig ist.« Gray antwortete nüchtern: »Schuldig oder nicht, es ist auf jeden Fall besser, wir finden sie statt Bester. Die Flucht sieht natürlich nicht gut aus, aber wir wissen alle, daß mehr hinter der Sache steckt, als es den Anschein hat. Garibaldi und ich werden der Sache auf den Grund gehen. Und, Susan ...« »Ja?« »Ich bin fest entschlossen, etwas zu tun, was sie beeindruckt.« Endlich lächelte Ivanova: »Na, da bin ich ja mal gespannt. Passen Sie gut auf sich und Mr. Garibaldi auf.« »Danke, Susan. Wiedersehen.« Ivanova nahm die Kommunikationseinheit wieder ab und legte sie auf die Konsole. Garibaldi und Gray waren ein so seltsames Paar, daß sie vielleicht tatsächlich etwas erreichen konnten. So wie die Dinge lagen, konnte ja auch nicht mehr viel schiefgehen. »Tut mir leid«, teilte die künstliche Stimme mit, »Botschafter Kosh ist nicht erreichbar.« »Machen Sie ihn erreichbar, und zwar sofort!« knurrte Captain Sheridan bedrohlich. »Tut mir leid«, sagte die Stimme erneut, »Botschafter Kosh ist nicht erreichbar. Versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt.«
Sheridan hieb mit der Faust auf das Interkom vor den Türen des Alien-Sektors und fluchte. Eine Computerstimme anzubrüllen macht wenig Sinn, ermahnte er sich, und in Koshs innersten Zirkel einzubrechen machte noch weniger Sinn. Er hatte keine Lust, die krakenförmigen Kriegsschiffe der Vorlonen aus dem Sprungtor kommen zu sehen, nur damit sie Babylon in Staub verwandelten. Man hatte ihn gewarnt, daß Kosh nach seinen eigenen Regeln vorzugehen pflegte. Man hatte ihm aber auch gesagt, daß der Kontakt mit den hochentwickelten Vorlonen ein gelegentliches Mißverständnis wert war. Einige von Koshs Verhaltensweisen waren allerdings ganz und gar nicht mißzuverstehen. Es waren klare Verstöße gegen die Konventionen. Klar, Konventionen waren sehr menschlich, und Kosh war eben nicht sehr menschlich. Er war so »alien«, wie es der Begriff zuließ. Er wandte sich zum Gehen und wäre fast mit Lennier zusammengestoßen. Der Minbari sprang zur Seite. »Entschuldigen Sie, Mr. Lennier«, sagte Sheridan, »ich bin Ihnen doch nicht auf den Fuß getreten?« »Ist schon okay«, sagte der Attache von Delenn, »ich vergesse manchmal, daß das menschliche Gehör nicht sehr gut entwickelt ist. Ich sollte mich stets räuspern, wenn ich mich einem Menschen nähere.«
»Nun, falls Sie Kosh sehen wollen: Er empfängt keine Besucher.« »Nein«, antwortete der Minbari, »ich war auf dem Weg zu Ihnen, Captain Sheridan.« Der Captain hob die Schultern: »Ich habe ein paar Minuten Zeit. Aber ich warne Sie: Es war keine gute Woche. Deshalb hoffe ich, daß Sie oder die Botschafterin kein allzu gravierendes Problem haben.« Sie gingen den Korridor entlang, und Lennier entgegnete: »Wir haben keine Beschwerden, sind uns aber Ihres Problems bewußt. Die Neigung zur Gewalt ist sehr bedauerlich.« Sheridan wurde leicht wütend, denn er verstand den Seitenhieb. Er hatte die Minbari im Krieg erlebt, aus nächster Nähe. Er wußte, daß sie genauso gewalttätig sein konnten wie jede andere Rasse. »Können Sie zur Sache kommen?« fragte er offen. Lennier verharrte und sah ihn an: »Ich habe vielleicht Informationen für Sie.« »Wenn es um den Anschlag geht«, sagte Sheridan, »bin ich ganz Ohr.« Lennier grinste unangenehm berührt: »Ich habe mich recht gut mit einem der Teilnehmer bekannt gemacht, einem Mr. Barker. Soweit ich weiß, ein hochrangiger militärischer Verbindungsoffizier.« Der Minbari lächelte. »Er betrachtet sich selbst als Experten für Minbari-Angelegenheiten, und tatsächlich verfügt er über einige erstaunliche
Kenntnisse. Die meisten sind ungefähr seit zehn Jahren veraltet.« Sheridan wartete geduldig. Er hatte ein paar Dinge in seinem Leben gelernt, und eins davon war, daß man einen Minbari nicht drängen durfte. Ob man ihnen zuhörte oder einen Schlachtplan gegen sie vorbereitete, sie nahmen sich immer viel Zeit für alles, was sie gerade taten. »Beim Empfang«, sagte Lennier, »nahm Mr. Barker eine erstaunliche Menge an Getränken zu sich und zog mich dann in sein Vertrauen. Zu jenem Zeitpunkt schienen mir seine Aussagen eher abwegig, aber angesichts der gestrigen Ereignisse erschienen mir seine Bemerkungen beunruhigend hellsichtig.« »Was hat er gesagt?« Sheridan hätte die Frage fast herausgeschrien. »Er sagte, daß er sich keine Sorgen um Mr. Bester und die Psi-Polizisten mache, weil diese bald aus dem Rennen seien. Das waren seine Worte: >aus dem Rennen<. Ich fragte ihn, wer ihren Platz in der Ruhmeshalle des Psi-Corps einnehmen würde. Er antwortete, daß der private Sektor wegen seiner monetären Möglichkeiten wohl an die Spitze streben würde. Mr. Barker war darüber nicht sehr glücklich, müssen Sie wissen. In seinen Augen würde das Militär so oder so den kürzeren ziehen.« Lennier legte den Kopf zurück und runzelte die Stirn: »Er sagte, Mr. Bester wäre nur noch eine Erinnerung, was zu diesem Zeitpunkt wie
Wunschdenken klang. Aber am nächsten Tag wäre Mr. Bester ja fast nur noch eine Erinnerung gewesen, oder nicht? Und die Hauptverdächtige stammt aus dem kommerziellen Sektor.« »Stimmt«, sagte Sheridan nachdenklich. »Alle Welt will es den marsianischen Terroristen anhängen, aber was haben die mit Babylon 5 zu schaffen? Das beschäftigt mich schon die ganze Zeit. Danke, Mr. Lennier, Sie haben mir Stoff zum Nachdenken gegeben.« »Darf ich um einen Gegengefallen bitten?« »Sicher«, sagte der Captain und fürchtete bereits das Schlimmste. »Könnten Sie mir erklären, was das bedeutet: den kürzeren ziehen? Was wird gezogen und wie viele Möglichkeiten gibt es?« Sheridan seufzte: »Eigentlich meint man damit Strohhalme, glaube ich. Gehen wir doch in mein Büro und klären das.« Garibaldi grinste angestrengt und deutete auf die Schleuse: »Nach Ihnen, Mr. Gray.« Der schlanke Telepath nickte und warf sich seine Flugtasche über die Schulter. Garibaldi folgte ihm mit ein paar Schritten Abstand durch die Luftschleuse in den Transporter Starfish. Es war ein typischer Spätflug: Die meisten Sitze waren unbelegt, und die paar Passagiere würden bald schon friedlich vor sich hin dösen. Die einzigen, die hellwach wirkten, waren sechs Psi-Polizisten in der ersten Reihe. Sie starrten Garibaldi mit offener
Feindseligkeit an, als er mit Gray an ihnen vorbeiging, und er wich ihren Blicken aus. Der Telepath stoppte in der Mitte der Passagierkabine und fragte: »Ist es hier recht?« »Nein«, sagte Garibaldi, »bis nach hinten durch.« Er hätte gern gewußt, ob Gray unbedingt neben ihm sitzen mußte, aber das wäre angesichts der nur halb besetzten Reihen ungehobelt gewesen. Später würde er behaupten, müde zu sein, und sich auf die Suche nach etwas Privatsphäre und Ellbogenfreiheit begeben. Sie setzten sich in die vorletzte Reihe. Hinter ihnen saß ein Centauri, der bereits schnarchte. Seine Haare standen wie bei einem Stachelschwein über dem Kissen in die Höhe. Gray öffnete seine Tasche und entnahm ihr einen Stapel Papiere, Dossiers und Fotografien. Garibaldi konnte es sich nicht verkneifen, den Telepathen zu beobachten, wie der die Materialien sorgfältig ordnete. Dann sah ihn der Telepath erwartungsvoll an und fragte: »Was haben Sie herausgefunden?« Der Chief grinste überheblich: »Ich habe keinen Stapel Akten, aber dafür einen Namen. Das sollte reichen.« Gray spitzte die Lippen: »Und der Name lautet?« Garibaldi lächelte: »Erst sagen Sie mir, was Sie haben.« »Alle diese Akten«, verkündete Gray stolz, »beschäftigen sich mit dem Anschlag auf das Royal Tharsis-Hotel auf dem Mars.«
»Mars?« stutzte Garibaldi. »Ich dachte, wir sollen den Anschlag auf B5 aufklären?« »Die hängen aber zusammen. Die Gruppe >Freier Phobos< bekennt sich zu beiden Attentaten. Außerdem waren Mr. Bester und ich beide Male zugegen.« »Sie haben den Anschlag auf dem Mars miterlebt?« »Glücklicherweise nur aus der Entfernung«, antwortete Gray. »Wenn Mr. Bester allerdings nicht so schnell reagiert hätte, wären wir wahrscheinlich doch unter den Opfern gewesen. Verstehen Sie nun meine These, daß beide Anschläge zusammenhängen?« »Klar«, sagte Garibaldi nachdenklich, »vielleicht ging es beide Male nur gegen die Orte. Angenommen, jemand hat etwas gegen den Mars und gegen Babylon 5. Darum hat man diese Orte als Konferenzorte ausgewählt - um dort Chaos zu verursachen. Was ich damit sagen will: Welcher Idiot auch immer die Tagungsorte ausgewählt hat, ist vielleicht auch in die Anschläge verwickelt.« »Nein«, warf Gray kichernd ein, »das war ich. Ich habe Babylon 5 vorgeschlagen.« Garibaldi richtete sich in seinem Stuhl auf: »Sie haben die also hier angeschleppt.« Seine Hände griffen bereits nach Grays Hals, als sich eine weibliche Computerstimme vernehmen ließ: »Willkommen auf dem Erdtransporter Starfish auf der Route Babylon 5, Erde, Centauri Prime. Der
erste Teil dieser Reise, Babylon 5 - Erde, wird achtundvierzig Standardstunden dauern. Bitte lehnen Sie sich zurück und entspannen Sie sich. Ein elektronischer Erfrischungswagen wird Ihnen nach dem Start im Mittelgang Speisen und Getränke anbieten; der Wagen läßt sich durch Druck auf den Knopf an Ihrer Armlehne anfordern. Credits werden akzeptiert. Genießen Sie den Flug.« Immer noch sauer ließ sich Garibaldi in seinen Sitz zurücksinken. Achtundvierzig Stunden neben einer Leiche waren eine verdammt lange Zeit, und damit verabschiedete er sich von dem verlockenden Gedanken, Gray einfach zu erwürgen. Der kleine Mann setzte eine beschämte Miene auf: »Rückblickend war es vielleicht ein Fehler, die Konferenz nach Babylon 5 zu verlegen. Zu jenem Zeitpunkt schien es aber die folgerichtige Entscheidung zu sein. Weit weg vom Mars, gute Sicherheitsvorkehrungen, ein neues Erlebnis für die meisten von uns. Ich war sehr überrascht, daß uns die Gewalt vom Mars auf die Station gefolgt ist. Das stärkt meine Überzeugung, daß die Attentate mehr gemein haben als die Bekenntnisse einer ominösen Gruppe. Ich glaube nicht, daß wir den zweiten Anschlag zufriedenstellend aufklären können, ohne uns mit dem ersten zu befassen.« Garibaldi murmelte: »Aber Talia Winters war nicht mal in der Nähe des Royal Tharsis-Hotels, als es hochging.«
»Exakt«, antwortete Gray. »Das ist ein Zeichen ihrer Unschuld, oder dafür, daß jemand sie als Sündenbock mißbraucht hat. Nun müssen Sie mir aber von Ihrer Spur erzählen.« Garibaldi lächelte und schloß die Augen: »Wenn Sie mir etwas wirklich Interessantes erzählen, dann vielleicht.« »Bereit zum Start Richtung Erde«, säuselte die künstliche Stimme.
12 Talia schrie in Oktaven, die sie sich gar nicht zugetraut hätte, als das Gefühl von Schwerelosigkeit sie überfiel. Zuerst glaubte sie, das Schiff hätte seine Fahrt gestoppt, aber dann vernahm sie überall das Heulen des Windes. Deuce fluchte wie der Teufel, aber ihre Stimmen gingen in dem infernalischen Brausen unter. Sie waren nicht bloß schwerelos - sie stürzten in die Atmosphäre eines Planeten. Die starken Fliehkräfte setzten ihnen so zu, daß sie gegen die Decke gepreßt wurden. Die Glühbirne zerbarst und überrieselte sie mit feinen Glassplittern. Auch die Ventilation fiel aus. Nun schrien beide. Talia merkte kaum, wie die Frachtkisten gegen sie stießen und sie fast erdrückten. Sie wirbelte in der Dunkelheit umher wie ein Gummiball, der von Wand zu Wand hüpfte und Deuce und die Kisten streifte. Als ihr klar wurde, daß ihr Gekreische nichts brachte, legte Talia die Arme an den Kopf, zog die Beine an den Bauch und versuchte, ihr wild hämmerndes Herz zu beruhigen. Dann stürzte
plötzlich der Boden wieder auf sie zu und nahm sie unsanft auf. Sie lag ausgestreckt da und japste nach Luft. Dann hörte sie ein Knirschen und Knarzen der seltsameren Art. Die Luft rund um das Vehikel sang und heulte. »Verdammt«, murmelte Deuce in unbestimmte Finsternis, »ich wünschte, die hätten uns vorgewarnt, bevor sie uns abwerfen.« Immer noch nach Luft schnappend, keuchte Talia: »Sie haben das erwartet?« »Alter Schmugglertrick. Sie berechnen ihren Einstiegswinkeln die Atmosphäre so, daß der Landeanflug genau über die Wüste führt. Dann bremsen sie leicht ab und schmeißen einen an einem Fallschirm raus. Nicht sehr punktgenau, aber die Behörden haben keinen Schimmer, was passiert.« Talia hörte aufgeregt dem Pfeifen des Windes zu. Ihr erster Fallschirmabsprung. Gut, sie befand sich in einer Kiste und war voller Kratzer und Beulen, aber immerhin. Blut von einer bösen Schnittwunde verklebte ihr Haar. »Hat sich der Schirm geöffnet?« krächzte sie. »Das will ich hoffen«, meinte Deuce, »sonst sind wir gleich Kojotenfutter. Man würde unsere Leichen nie finden. Wir wären Legenden. Alle würden glauben, wir wären zusammen durchgebrannt, um auf Beteigeuze 6 ein tolles Leben zu führen.« »Ja«, sagte Talia. »Wo sind wir eigentlich?« Nach ihrem Dafürhalten konnte das tatsächlich Beteigeuze 6 sein.
»Das werden Sie früh genug sehen«, antwortete Deuce. »Halten Sie sich fest. Ich höre, wie sich die Windgeräusche ändern.« Sie hatte nur eine Sekunde oder zwei, um sich wieder zu einem Ball zusammenzurollen, bevor die Kiste in etwas sehr Solides krachte. Sie schnappte nach Luft und wähnte sich schon sicher gelandet, als der Container wieder durchgeschüttelt wurde. Er fiel auf die Seite und rutschte einen Abhang hinunter wie ein Haus bei einem Erdbeben. Sie wollte schreien, aber ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Sie starrte nur in die Dunkelheit und spürte die Stöße gegen die Unterseite des Containers. Ein weiterer Ruck, dann standen sie endlich still. Talia atmete tief durch. »Leben wir noch?« brachte sie hervor. »Ja«, antwortete Deuce. »Kopf einziehen - ich schieße uns hier raus. Manchmal ist das Metall verbogen oder angeschmolzen.« Sie kannte Deuce nicht sehr gut, aber sie hatte schon gelernt, auf seine Warnungen zu hören. Also rollte sich Talia zusammen. Trotzdem hielt sie die Augen auf, um nichts zu verpassen. Sie schluckte, als mehrere Plasmastöße die Dunkelheit zerrissen und Löcher in die Klappe schlugen. Mit dem einfallenden Licht als Orientierung schoß Deuce aus mehreren kleinen Löchern ein gezacktes großes Loch von einem halben Meter Durchmesser. Eine kleine Person konnte da leicht durchklettern.
Talia kniff die Augen zusammen, weil sie blendendes Sonnenlicht erwartete. Statt dessen fiel weiches Nachtlicht durch die Öffnung. Ein Meer von Sternen stand am Himmel. Als Stadtmensch war ihr nicht ganz klar, was das bedeutete. »Wo sind wir?« fragte sie. »Ich hab Ihnen doch gesagt, daß Sie auf der Stelle sterben, wenn Sie nicht aufhören, Fragen zu stellen«, knurrte Deuce. »Wenn Sie sich nützlich machen wollen, parieren Sie. Das ist alles.« »Tut mir leid«,- antwortete sie. Talia wußte, daß ihr mit ihren Scan-Fähigkeiten eine Geheimwaffe zur Verfügung stand, aber vermutlich war Deuce schon mal gescannt worden und hätte es bemerkt. Hinter seiner rauhen Schale verbarg sich ein komplexer und kalter Verstand, und sie war überzeugt, daß Deuce genauso rücksichtslos und brutal war, wie er vorgab. Er würde sie wegen der geringsten Provokation töten. Also zog sie es vor zu lügen und weiter auf den richtigen Zeitpunkt zu warten, um ihn zu scannen. Die Chance würde sich sicherlich nur einmal bieten. Im fahlen Licht der Sterne sah sie Deuce in der Kiste rumwühlen, in der er an Bord des Methanatmer-Schiffes gelangt war. Nach einer Weile kramte er eine schwarze Aktentasche und einen schmutzigen Beutel hervor. Er öffnete den Beutel und nahm eine Brechstange heraus, mit der er die scharfen Zacken des Loches, das er in den Container geschossen hatte, zur Seite hämmerte. Die
Schläge verwandelten das Behältnis in eine lärmende Blechtrommel, und Talia mußte sich die Ohren zuhalten. Endlich war Deuce fertig und zog eine Taschenlampe aus dem Beutel, um sein Werk zu begutachten. »So«, sagte er, »jetzt haben wir wenigstens frische Luft. Wollen Sie raus und sich umsehen?« Talia schüttelte besorgt den Kopf. Sie hatte wieder dieses schreckliche Gefühl. Dieses Gefühl, das sie am Morgen nach dem Attentat gehabt hatte der Schock, die Orientierungslosigkeit, die Angst, in einem Alptraum gefangen zu sein. Genaugenommen, dachte sie, bin ich tatsächlich in einem Alptraum der übelsten Sorte gefangen - der Wirklichkeit. Sie konnte nicht aufwachen, also konnte sie sich auch den Tatsachen stellen. Sie saß in einem zerschossenen Frachtcontainer irgendwo in einer Wüste fest. Sie wurde verfolgt und befand sich in der Gesellschaft eines Mörders. Wo auch immer sie waren, vorläufig war sie von diesem Verbrecher abhängig. Und es würde wahrscheinlich noch schlimmer kommen, ehe es besser würde. Eines wußte Talia genau: Sie würde nie wieder abfällig über ihr Leben urteilen. Im Augenblick erschien ihr die Perspektive, der einzige Telepath in einem gottverlassenen Depot für Außerirdische zu sein, als ein wahrer Traumjob. Sie würde ihn nie wieder aufgeben oder nach Höherem streben. Und wenn sie zu diesem Leben zurückkehrte, würde sie auf ewig dankbar sein. Derzeit schien es ihr
allerdings unwahrscheinlich, überhaupt noch etwas von der vergangenen Beschaulichkeit retten zu können. Während sie grübelnd im Schein des Sternenmeeres saß, schaltete Deuce wieder seine Taschenlampe ein, um in seinem Beutel nach etwas zu suchen. Er zog ein kleines elektronisches Gerät hervor, prüfte es kurz und zog dann eine Antenne heraus. Er drückte einen Knopf, woraufhin ein rotes Lämpchen zu blinken begann. Talia wollte ihn fragen, was das war, aber dann erinnerte sie sich: keine weiteren Fragen. Vielleicht sollte sie das Reden ganz einstellen. Es hatte ihr in den vergangenen zwei Tagen nichts als Ärger eingetragen, gesellig, charmant und mitteilsam zu sein. Und als es wirklich drauf angekommen war, als sie die Wahrheit gesagt hatte, da wollte ihr niemand zuhören. Vielleicht sollte sie sich die Regel von Deuce zu eigen machen: Stelle keine Fragen, und ich tische dir keine Lügen auf. Wenn sie gar nichts mehr sagte, würde sie auch nichts Falsches sagen. Sie wurde von einem Gepolter aufgeschreckt, als Deuce eine Kiste am anderen Ende des Containers umwarf. Er erklomm sie und lugte aus dem Loch in der Klappe. Er pfiff leise. »Wir sind hier echt am Arsch der Welt. Ich hoffe, meine Jungs haben ordentliche Koordinaten.« Talia hob an zu fragen, ob sie wirklich auf der Erde waren, dann verkniff sie es sich. Keine Fragen. Das Gerät war ein Peilsender, klar, also war da
draußen auch jemand, der nach ihnen Ausschau hielt. Sie hatte plötzlich den starken Drang, nach draußen zu kommen, und zupfte an Deuce's Bein. »Hey«, rief er von oben. »Was soll das?« Sie befahl ihm versuchsweise telepathisch, von der Kiste herunterzusteigen. Deuce blinzelte und lächelte: »Sie hätten bloß fragen brauchen.« Deuce kam herunter, und Talia kletterte an seiner Stelle hinauf. Auf Zehenspitzen konnte sie ihren Kopf, ihre Schultern und einen Arm gerade so aus dem Loch zwängen. Ihre Behausung hatte sich schräg in ein ausgetrocknetes Flußbett gebohrt und war halb von Sand bedeckt. Die Wüste schien sich in alle Himmelsrichtungen zu erstrecken. Hinter ihr flatterte der lebensrettende Fallschirm wie ein zerfetzter Brautschleier im Wind. Er war schmutzig und zerrissen von der Rutschpartie durch das Flußbett. Im blauen Sternenlicht konnte sie nicht weit sehen, aber sie erkannte verkrüppelte Bäume am Hang über dem Flußbett und andere geisterhafte Silhouetten. Joshuas, Ginstersträucher, Yuccapalmen, Kakteen - sie versuchte, sich an all die seltsamen, kurios geformten Pflanzen zu erinnern, die an Orten wie diesem wuchsen. Sie war froh, daß die Wüste ein wenig Vegetation zu bieten hatte und nicht nur aus Sanddünen bestand, selbst wenn die Pflanzen ausgedörrt und verformt aussahen. Sie hatte mit einem Mal das unwiderstehliche Bedürfnis, auf festem Boden zu
stehen. Nach den alptraumhaften Erlebnissen der letzten Tage wollte sie endlich wieder soliden Grund unter ihren Füßen spüren. Sie begann, sich durch das Loch zu zwängen, und Deuce drückte von unten gegen ihre Füße, um den notwendigen Druck zu erzeugen, damit sie ihre Hüften durch die Öffnung zwängen konnte. Talia schrie, als sie die Schlagseite des Containers herunterrutschte und in den Sand plumpste. Die Körner gerieten in ihren Mund und in ihr Haar, aber das rauhe Gefühl war wunderbar real, und die Luft erschien ihr im Vergleich zu dem stickigen Container wie Parfüm. Nach ihrem Schrei lag die Wüste still, nach ein paar Minuten setzte das Zwitschern und Zirpen wieder ein. Sie hörte ein entferntes Heulen. Unverständlicherweise fühlte sich Talia das erste Mal seit dem fürchterlichen Morgen der Konferenz entspannt und angstfrei. Die Telepathin war überrascht, als kurz darauf die schwarze Aktentasche neben ihr in den Sand fiel. Sie griff danach und versuchte, sie zu öffnen, aber die Schnallen waren verschlossen. Das war Qualitätsarbeit. Sie legte die Tasche wieder beiseite und duckte sich, als auch der Beutel einen Moment später aus dem Loch geflogen kam. Ihm folgte Deuce selbst. Genau wie Kosh ein unerwarteter Retter, dachte sie, und wenn ich diesen Alptraum beenden und mein normales Leben zurückhaben will, brauche ich ihn. Sie würde ihm sogar sein
Blutgeld in der Aktentasche lassen. Er hatte es sich vermutlich verdient. Sie rollte aus dem Weg, als Deuce sich anschickte, den Container herunterzurutschen. Er stieß sich geschickt von der Kante ab und landete auf beiden Füßen, ohne seine PPG-Waffe loszulassen. »Ah«, sagte Deuce, »schon besser. Wenn wir bis Mittag nicht gefunden werden, wird es uns leid tun, da rausgekrochen zu sein. Aber vielleicht können wir ja auch unter dem Ding Schatten finden.« Er ließ sich in den Sand fallen und fischte einen Hut aus dem Beutel. »So«, sagte er gedehnt, »kennen Sie ein paar gute Witze?« Sie sah ihn ein paar Sekunden lang schweigend an, dann nickte er: »Sie sprechen wohl nicht mehr, was? Leiden Sie an so einer Art Trauma?« Talia nickte. Irgendwie war es die Wahrheit. »Wenn dann also meine Freunde kommen, sind Sie stumm, ja? Und keine Telepathin.« Talia nickte erneut. »Keine schlechte Tarnung«, stimmte Deuce zu. »Sie können ja immer noch mit bestimmten Leuten kommunizieren, wenn Sie wollen. Ist mir nicht neu. Ich habe Erfahrung mit Telepathen.« Talia nickte schon wieder. Das wiegte sie in Sicherheit. Obwohl er sich vorgenommen hatte, den Telepathen zu ignorieren, konnte Garibaldi nicht verhindern, daß er hin und wieder über Grays
Schulter peilte, um einen Blick auf dessen Unterlagen zu werfen. Während die Starfish langsam auf die Erde zuflog, begann Gray, die Dokumente in einer geschäftsmäßigen Art und Weise zu erläutern, mit der Garibaldi leben konnte. »Dies sind Fotos und Dossiers aller Personen, die bei dem Anschlag auf das Hotel ums Leben gekommen sind. Insgesamt siebenundzwanzig, obwohl nicht alle Leichen geborgen werden konnten.« »Das ist auf dem Mars nicht ungewöhnlich«, kommentierte Garibaldi. »In dieser Atmosphäre wird ein ungeschützter Körper schnell ausgedörrt. Die Winde sind stark genug, um ihn dann auseinanderzupusten. Oder er fällt in eine Schlucht und ward nie mehr gesehen. Von den Schwierigkeiten, eine korrekte Suchaktion abzuhalten, mal ganz abgesehen.« »In jedem Fall«, sagte Gray, »hat die Polizei diese Fälle nicht allzu gründlich untersucht; sie wurden als Opfer zu den Akten gelegt. Man hat außerdem Spuren außerhalb des Hotels gefunden und ist deshalb von einem Eindringling ausgegangen, der über den Landweg gekommen ist. Das entspricht dem Klischee des marsianischen Terroristen: ein Irrer, der in der Wildnis lebt und in zivilisierter Gesellschaft sofort auffallen würde. Aber was, wenn es ein Insider war, wie bei dem Anschlag auf B5 ?«
»Sie meinen, der Bombenleger war einer der vermißten Angestellten?« fragte Garibaldi zweifelnd. »Das klingt ein bißchen weit hergeholt, so ganz ohne Beweise.« »Ich habe welche. Bedenken Sie, daß Mr. Bester und ich in der Nähe waren, als es passierte. Wenn ein Mensch ein starkes psychisches Trauma durchlebt, sendet sein Geist eine Art von SOS, das ein Telepath über Kilometer auffangen kann. Diese Personen starben, als sie aus dem Loch in der Flanke des Hotels herausgerissen wurden. Wir konnten ihre Hilfeschreie so deutlich hören, wie ich jetzt Ihre Stimme. Mr. Bester sagte, er habe sechsundzwanzig Stimmen gezählt, und ich gebe ihm recht. Aber die Berichte sprechen von siebenundzwanzig Toten Toten und Vermißten. Ich vertraue auf Mr. Besters Begabung, und ich denke, daß einer überlebt hat.« Gray beugte sich in seinem Sitz nach vorne, er sprach immer erregter: »Man brauchte doch bloß einen Schutzanzug und eine Atemmaske zu tragen, um nach der Explosion einfach hinauszuspazieren. Dann hinterläßt man ein paar Spuren in die eine oder andere Richtung, um die Polizei zu täuschen. In der Dunkelheit wartet ein Rover, und schon ist man verschwunden.« Garibaldi rieb sich nachdenklich das Kinn. »Die Vorteile liegen auf der Hand«, gab er zu. »Man hat Einblick, genügend Zeit zur Planung, schmuggelt die Bombe rein, zündet sie. Es gibt nicht einmal eine
Untersuchung, weil man zu den Opfern gezählt wird.« »Es gibt sogar einen Modus operandi«, sagte Gray. »Mrs. Winters wäre auch unter den Opfern gewesen, wenn sie nicht rechtzeitig den Raum verlassen hätte. Außerdem nahm nach dem MarsAnschlag jeder diese Gruppe >Freier Phobos< ernst, von der vorher nie jemand gehört hatte. Die perfekte Vorbereitung des Babylon-5-Attentats.« Garibaldi lächelte und fragte: »Kann ich mir mal die Fotos dieser Hotelangestellten ansehen?« »Sicher«, sagte Gray und sah sehr zufrieden mit sich aus. Er reichte einen Stapel farbiger Dokumente herüber, und Garibaldi studierte sie eingehend. Die meisten Personen sahen wie gewöhnliche Köche, Kellner und Träger aus: jung, benachteiligt, mit dem blassen und bärbeißigen Ausdruck, der Marsgeborene auszeichnete. Es war ein rauher Ort, und viele Marsianer weigerten sich, für ein paar Credits vor wohlhabenden Touristen zu buckeln. Keines der Gesichter blickte fröhlich. Beim zweiten Durchgang durch die Fotos stutzte Garibaldi. Eine dunkelhäutige junge Frau mit einem Haarnetz, eine Küchenhilfe. Er sah sich ihre Augen an. Sie blickten nicht träge wie die der anderen Angestellten, sondern wachsam, als hätten sie die Absicht, nichts preiszugeben. Doch vergeblich; Garibaldi war sicher, sie schon einmal gesehen zu haben. Außerdem war da die Tatsache, daß diese
Frau nur eine Woche im Royal Tharsis gearbeitet hatte, bevor die Bombe hochging. »Das ist doch was«, sagte Garibaldi. »Kennen Sie diese Frau?« Gray drehte das Foto um und um: »Ich bin nicht sicher, aber sie hat Ähnlichkeit mit der Frau, die ich auf dem Weg nach Babylon 5 kennengelernt habe. Sie begleitete Mr. Malten.« »Kennen Sie ihren Namen?« Gray schüttelte den Kopf: »Sie war eher der unscheinbare Typ - von so einer bleibt nichts hängen.« Garibaldi beugte sich vor und flüsterte: »Wenn Sie mit ihm zur Station kam, ist sie vermutlich auch wieder mit ihm abgereist. Ihr Name ist Emily Crane, glaube ich.« Gray sah ihn von der Seite an: »Ist das der Name, den Sie mir nicht sagen wollten?« Garibaldi nickte: »Ja. Sie hat sich den Datenkristall von Talia Winters ausgeborgt und am Morgen des Anschlags zurückgegeben.« »Weiß noch jemand etwas davon?« Der Sicherheitschef schüttelte den Kopf: »Niemand.« »Oh-oh«, sagte Gray und machte große Augen. »Wir können sie finden«, sagte Garibaldi. »Ich habe Talia versprochen, daß wir es versuchen. Außerdem wollen wir doch nicht, daß die Polizei oder die Psis sie erschießen oder verschrecken, bevor sie unsere Hauptverdächtige entlasten kann.«
»Das meinte ich gar nicht«, sagte Gray und deutete auf den Mittelgang des Transporters. Garibaldi folgte dem ausgestreckten Finger und sah sechs Psi-Polizisten auf sie zukommen. In ihren schwarzen Uniformen sahen sie wie eine Motorradgang aus dem zwanzigsten Jahrhundert aus. Garibaldi hatte mal Bilder von solchen Typen gesehen. Bevor er seinen Gurt lösen konnte, beugten sich die sechs bereits über ihn und Gray. »Unsere Leute mußten sterben«, knurrte einer, »und ihr habt diese Drecksschlampe entkommen lassen.« »Lassen Sie Mr. Garibaldi in Frieden«, forderte Gray zornig. »Er tat sein Bestes.« »Klappe, du Kriecher«, raunzte ein anderer. »Wir glauben nicht, daß er sein Bestes gegeben hat. Wenn du weißt, was für dich gut ist, hältst du dich hier raus.« Einer von ihnen packte Garibaldi beim Kragen und wollte ihn aus dem Sitz ziehen, doch der Gurt hinderte ihn daran. Da schlug er dem Chief ins Gesicht. Garibaldi rieb sich die pochende Wange: »Braucht ihr sechs Leute, um mich zusammenzuschlagen?« »Ja«, antwortete einer. Er trat auf Garibaldis Zehen, als wollte er sie in den Boden stampfen. Diesmal jaulte der Chief vor Schmerzen auf und zog seinen Fuß zurück. Gray starrte ihn an und fragte sich, was er als nächstes tun würde.
»Finger weg vom Gurt«, flüsterte er Gray zu. »Halten Sie ihre Papiere fest.« Der hagere Mann tat, wie ihm geheißen war. »Auf deinem Gebiet magst du eine große Nummer sein«, sagte einer der Psi-Polizisten, »aber hier bist du ein Niemand. Eine Null.« »Falsch«, sagte Garibaldi. »Ich bin clever. Wußtet ihr zum Beispiel, daß sich unter den Sitzen solcher Transporter ein Alarmknopf verbirgt? Falls nicht: Es steht auch in der Flugbroschüre.« Sie hörten ihm gar nicht zu. Ein grobschlächtiger Psi-Polizist griff wieder nach seinem Kragen: »Jetzt geht es ab ins Med-Lab.« Garibaldi langte unter den Sitz und drückte den Knopf. Augenblicklich ertönten die Alarmsirenen in der Kabine. Und noch etwas geschah: Das Schiff wurde abgebremst. Ohne die Schubkräfte fiel auch die künstlich erzeugte Schwerkraft aus. Die sechs Psi-Polizisten und alle anderen Passagiere, die nicht angeschnallt waren, hoben sanft ab und begannen zu schweben. »Hilfe!« schrie einer, während er an Garibaldi vorbeitrieb, der sicher in seinem Gurt saß. »Gerne«, sagte Garibaldi. Er griff sich den hilflos umhergleitenden Mann und schlug ihm die Faust auf die Nase. Blut in Form schwereloser Blasen kam zum Vorschein. Gray, der sich an seine Dokumente klammerte, sah fasziniert zu. Als sich der Mann wehren wollte und bedrohlich die Fäuste schwang, versetzte ihm Garibaldi einen
leichten Schubs, der ihn gegen die Kabinenwand trieb. Es gab einen dumpfen Stoß, als der Kopf auf das Metall traf. Der Chief griff sofort nach dem Bein eines weiteren Psi-Polizisten. Er zog ihn gerade nahe genug heran, um ihn an einer besonders empfindlichen Stelle zu treffen. Der Mann heulte vor Schmerz, und Garibaldi schickte ihn in Richtung Decke. Mittlerweile versuchten die anderen PsiPolizisten verzweifelt, von Garibaldi wegzukommen, aber sie trudelten nur hilflos umher. Die Stimme der Pilotin über das Intercom rettete sie. »Was ist da hinten los?« fragte sie. »Wer hat den Notstop veranlaßt?« »Das war ich. Michael Garibaldi, Sicherheitschef von Babylon 5 «, meldete er sich. »Es gab einen kleinen Streit, und das war der einfachste Weg, ihn zu beenden.« »Ich hoffe, Sie sind fertig«, bemerkte die Pilotin. »Der Spaß hat uns mindestens eine halbe Stunde gekostet. Diese Zeit werden wir brauchen, um wieder auf Reisegeschwindigkeit zu kommen. Bis dahin werden alle herumschwebenden Personen leider weiterschweben müssen.« »So was Dummes«, sagte Garibaldi. Ein PsiPolizist trieb vorbei, und Garibaldi verpaßte ihm einen Hieb in die Magengrube. Der Psi-Polizist stöhnte auf und drehte sich.
Der Chief lächelte Mr. Gray an: »Haben Sie gut aufgepaßt? Man sollte nie zu sehr von sich überzeugt sein.« »Das bin ich nie«, antwortete Gray nüchtern. Die ersten Strahlen des Sonnenlichts erweckten die schieferfarbenen Wolken zum Leben, und sie sahen wie die Bäuche einer Herde Büffel aus, die gemächlich über den Himmel trottete. Talia konnte die wolligen Köpfe sehen, die massiven Hörner, die Hufe und den Dampf, der aus den Nüstern drang. Die Bergkette im Norden war wie der Zaun, der sie aufhielt, während die Sonne sie von hinten vorantrieb. Talia sah fasziniert zu, wie der feurige Sonnenball über der Wüste aufging. Die unendliche Ödnis war gleichzeitig furchteinflößend und beruhigend. Irgendwie erinnerte es sie an ihr eigenes Leben - leer und ausgelaugt, aber mit einem Silberstreif am Horizont, der neue Hoffnung versprach. Deuce schlief mit der PPG und seiner Aktentasche an die Brust gepreßt im Sand des ausgetrockneten Flußbeckens. Sie hätte ihm beides mit Leichtigkeit abnehmen können, aber was dann? Wohin hätte sie ohne Deuce und seine Freunde gehen können, wer immer die auch waren? Sie hatte allerdings ein paar Schluck Wasser aus einer Feldflasche gestohlen, auf die sie in seinem Beutel gestoßen war. Dank seines ausgeprägten Selbsterhaltungstriebs hatte er es nicht für nötig
befunden, ihr zu sagen, daß er Wasser mit sich herumtrug. Talia kletterte aus dem Flußbett und sah, wie die Sonne den Tau von den Blättern und Zweigen der kargen Pflanzen brannte. Es war lange her, daß sie einen Sonnenaufgang auf der Erde gesehen hatte, und sie fühlte sich traurig und verlassen. Sie kämpfte mit der Versuchung, zu ihren Eltern zu gehen. Die wurden bestimmt beobachtet. Polizei, Presse und alle Sensationsgeier würden sie erwarten. Ihre Familie ging gerade durch die Hölle, was ein Grund mehr war, den wahren Täter zu finden. Die entfernten Berge schimmerten jetzt rötlich, und sie wurde wieder an die Flüsse, Seen und Wälder dieses wunderbaren Planeten erinnert. Talia hatte sich gefragt, ob sie diese Schönheit jemals wiedersehen würde. Sie hatte auf einem künstlichen Gebilde im tiefsten Weltraum überlebt, also würde sie überall überleben, auch ohne Familie und Freunde. Vielleicht lag eine Zukunft als Verbannte vor ihr. Sie wollte am liebsten mit den Wolken ziehen, als nebulöse Gestalt über den Himmel treiben, keinen Gedanken an Menschen, den Tod oder Gefängnistrakte verschwenden. Sie wußte nicht, wie lange sie so gestanden und ihren Gedanken nachgehangen hatte, bevor sie ihr aufgefallen waren. Zuerst schienen sie nur wieder die Umrisse von knorrigen Bäumen in der Ferne zu sein. Aber die schwarzen Punkte kamen näher. Ihr Marsch schnurstracks durch die Ödnis überzeugte
Talia, daß dies die Fremden sein mußten, die wegen ihr und Deuce kamen. Aber wer waren sie? Oder was waren sie? Als die Punkte größer wurden, erkannte Talia, daß es Luftkissenfahrzeuge waren. Diese Vehikel waren ideal für eine solche Umgebung, die tückisch, aber größtenteils flach war. Sie vernahm Schritte im Sand, und kurz darauf stand Deuce an ihrer Seite. Er nahm einen Schluck aus der Feldflasche und reichte sie dann kommentarlos weiter. Diesmal nahm Talia einen kräftigen Schluck. Sie waren gerettet, und nun gab es für Deuce keinen Grund mehr, sein Wasser zu rationieren. Talia blickte den Verbrecher an, der darauf den Kopf schüttelte: »Nein, die sind nicht wie ich. Die sind auch nicht - wie Sie. Und wenn man nicht zufällig vor fünfhundert Jahren hier gelebt hat, kann man auch nicht wie die sein. Dies ist ihr Zuhause. Machen Sie darüber keine Witzchen, klar?« Talia schüttelte den Kopf. Sie war kaum in der Position, sich über jemanden lustig zu machen, ganz besonders über Leute, die diese Wildnis ihr Zuhause nannten. Zögernd streifte sie ihre weißen Leinenhandschuhe ab und schob sie gefaltet in die Tasche ihres Hosenanzugs.
13 Deuce holte ein arg lädiertes, aber sehr gutes Fernglas aus seinem Beutel und reichte es Talia. Sie nickte dankbar, hob es an die Augen, um die herannahende Gruppe zu studieren. Die vier Luftkissenfahrzeuge näherten sich rasch und zogen riesige Staubwolken hinter sich her. Erstaunt stellte Talia fest, daß die Piloten allesamt Frauen waren. Aber als sie genauer hinsah, erkannte Talia, daß die Piloten Männer mit langen Mähnen waren, die ihm Wind flatterten. Zwei von ihnen trugen keine Hemden, und Talia konnte durch das Gegenlicht der Sonne ihre bronzenen Brustkörbe leuchten sehen. Doch erst als sie den stilisierten Adler am Bug der Luftkissenfahrzeuge und die wehenden Federn an der Karosserie sah, wußte sie, wen sie da vor sich hatte. In dieser Wildnis kein Wunder. »Indianer.« Deuce kicherte: »Nun, das sehen die echten Indianer wohl ein bißchen anders. Die hier nennen sich Bilagaani. Weiße Indianer.« Talia nickte. Sie hatte von den Weißen Indianern gehört. Es waren Menschen, die ihre eigene Kultur
abgelegt hatten, um einer anderen zu huldigen, die vor fünfhundert Jahren ihren Höhepunkt gehabt hatte. Von den echten Ureinwohnern Amerikas, denen ihr Erbe noch etwas bedeutete, wurden sie als Heuchler verlacht. Viele Indianerstämme hatten es jedoch um die Jahrtausendwende mit Glücksspielpalästen zu Reichtum und Wohlstand gebracht und es versäumt, ihr Leben den Traditionen zu widmen. Da waren die Weißen Indianer eingesprungen. Oft hatten sie sogar verlassene indianische Siedlungen wieder aufgebaut. »Machen Sie sich keine Illusionen«, sagte Deuce. »Das ist für die kein Spiel. Die nehmen das total ernst, besonders die religiösen Aspekte. Einige wurden hineingeboren und kennen gar nichts anderes. Andere sind erst später dazugestoßen und haben ihre Großstadttalente mitgebracht.« Er lächelte. »Das sind die, die ich besonders mag.« Der schmuddelige Kriminelle deutete auf die riesige Wüste. »Die leben hier, wo niemand sonst leben will, und niemand schert sich um sie. Ab und an erweisen sie Menschen wie mir einen Gefallen.« Er lächelte Talia an: »Ich sollte wohl sagen: Menschen wie uns. Sie sind ja sogar noch gefährlicher als ich.« Ihre Augen blitzten, und der Mann lachte. »Ich werde ihnen nicht sagen, wer Sie sind. Allerdings dürfte eine ziemlich große Belohnung auf Ihren Kopf ausgesetzt sein. Seien Sie vorsichtig.«
Talia nickte nüchtern. Nach weiteren zwanzig Minuten schossen die Luftkissenfahrzeuge aus einer Senke und schlitterten über den verkrusteten Sand. Sie konnte das Sausen der mächtigen Propeller hören. Anders als Fortbewegungsmittel mit Rädern, dachte Talia, stören diese hier das Ökosystem nur wenig. Sie blasen nur ein bißchen Sand in die Gegend. Die Luftkissenfahrzeuge sahen wie stupsnasige Rennwagen aus, hatten Überrollbügel und eine Spoiler-Solaranlage am hinteren Ende. Die kunstvollen Adler und Kojoten, die auf jedes Fahrzeug gemalt waren, sollten wohl authentisch wirken, aber das war völlig mißlungen. Die Bilagaani hielten an und stellten die Propeller ab. Langsam sanken die Fahrzeuge zu Boden. Nacheinander stiegen die Fahrer aus und vertraten sich die Beine. Keine Begrüßungsrufe, kein Handschlag für Deuce und Talia. Sie schienen absichtlich auf Abstand zu halten, als wäre ein offenes Willkommen irgendwie unstatthaft. Die Haare, verwirrt vom Fahrtwind, reichten ihnen bis zu den Hüften. Sie trugen Mokassins und dicke Flanellhosen, die an den Seiten geschnürt wurden. Zwei von ihnen trugen grob zusammengenähte Hemden aus demselben Stoff. An ihren Hälsen hingen Lederbeutel, und an ihren Armen waren kleine Messer festgeschnallt. Einer der Bilagaani war ein großer, muskulöser Mann mit kastanienbraunen Haaren. Er war der Typ, den es nach Talias Vorstellung nur in Romanen gab
- romantisch, gutaussehend, trotz Dreck und Schweiß. Der andere hemdlose Bilagaani war eine braunhaarige Frau mittleren Alters. Ihre Brüste waren so sonnengebräunt wie der Rest ihres Körpers. Der dritte war ein älterer Mann mit weißem Haar, während der vierte wie ein Junge aussah. Endlich kam der ältere Mann mit dem faltigen Gesicht näher und hob die Hand zum Gruß. »Bruder Deuce«, begann er. »Ich hoffe, es geht dir gut.« »Bruder Sky«, erwiderte der Gangster. »Es ist gut, dich wiederzusehen.« Talia spürte, wie sie angestarrt wurde, also starrte sie zurück. Nach den Abenteuern der vergangenen Tage sah sie genauso verkommen und wüst aus wie die übrigen. Sie fühlte das eingetrocknete Blut in ihren Haaren und auf ihrer Stirn. Ohne ihre Handschuhe kam sie sich entblößt vor. »Wie ist dein Name, Kind?« wollte Bruder Sky wissen. Deuce hob die Schultern. »Sie spricht nicht, und ich habe keine Ahnung, wie sie heißt. Aber ich will für ihr Weiterkommen sorgen.« Sky lächelte gütig und entblößte dabei mehrere Zahnlücken: »Das wird den Preis verdoppeln.« »Was?« Deuce war empört. »Ihr mußtet doch sowieso hier rauskommen. Wieso gleich das Doppelte?« »Nun gut«, sagte Sky, »wir können sie auch hierlassen, als Futter für Bruder Kojote.«
»Na schön«, murmelte der Gangster, »aber sie braucht alles, was ich bekomme: neue Identicard, Transport gen Osten.« Sky hob die Hände als Zeichen des Friedens: »Der Schöpfer wird es richten.« Er drehte sich zu dem gutaussehenden Mann um. »Schließe Frieden mit dem Land für die Störung.« Der junge Indianer sprang in das Flußbecken und ging mit großen Schritten auf den halb in der Erde vergrabenen Container zu. Ehrfurchtsvoll nahm er den Beutel von seinem Hals, öffnete ihn und wandte sich in Richtung Osten. Während er Worte in einer Talia unverständlichen Sprache murmelte, streute er getrocknete Beeren in den Wind. Die gesamte Gruppe sah schweigend zu, wie er diese Prozedur auch noch Richtung Westen, Süden und Norden wiederholte. Dann hängte er sich den Beutel wieder um und stieg aus dem Flußbecken. »Vater«, sagte er, »wir sollten hierher zurückkehren und den Container zerlegen. Einige Teile können wir brauchen.« Sky nickte. »Ja, mein Sohn. Das ist gut.« Der alte Mann ging auf sein Luftkissenfahrzeug zu. »Deuce, du wirst mit dem Jungen fahren, denn er ist nicht schwer. Deine Freundin kommt mit mir.« Der alte Bilagaani musterte Talia einen Moment lang. »Du wirst einen Namen brauchen, solange du bei uns bist. Da du vom Himmel gefallen bist, werde ich dich Rain nennen, wie den Regen.« Talia nickte und lächelte. Rain gefiel ihr.
Boston ist schon eine seltsame Stadt, dachte Garibaldi, während er und Gray in einem Autotaxi durch das Bankenviertel kurvten. Zwischen den Wolkenkratzern mit ihren spiegelnden Fassaden gibt es immer noch alte graue Häuser mit Erkerfenstern und Oberlichtern. Das Autotaxi rollte einen steilen Hügel hinauf, und man konnte einen Blick auf das Meer und einen eleganten Ozeandampfer werfen. Dann hatten sie den Scheitelpunkt überquert und kamen in einen düsteren Tunnel, der aussah, als sei er zu Anbeginn der Zeiten angelegt worden. Die ganze Stadt scheint ein Widerspruch, dachte Garibaldi, modern und altmodisch, sauber und dreckig, und mit dem charakteristischen Merkmal jeder Großstadt: zu vielen Menschen. Sie tauchten wieder aus dem Tunnel auf, und das automatisch gesteuerte Auto ging in eine scharfe Kurve. Durch die Fliehkraft wurde Gray gegen Garibaldi geworfen. »Entschuldigen Sie«, sagte der Telepath und setzte sich wieder gerade hin. »Warum?« fragte der Sicherheitschef. »Sie sitzen ja schließlich nicht am Steuer. Wir haben diesem Ding ja gesagt, es soll einen Zahn zulegen.« Gray seufzte und aktivierte den Bildschirm auf dem Armaturenbrett. Er zappte sich durch die Kanäle, bis er auf Nachrichten stieß. Garibaldi war nicht überrascht, ein Bild von Talia Winters zu sehen.
»... deren Aufenthaltsort noch immer ungeklärt ist«, kommentierte der Nachrichtensprecher gerade. »Die kommerzielle Telepathin wird im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Babylon 5 gesucht. Vor drei Tagen gelang ihr die Flucht; seither fehlt von ihr jede Spur. Ergänzend zur Fahndung der Behörden wurde Talia Winters von der zuständigen Aufsicht des Psi-Corps zur Wilden Telepathin erklärt.« »Was?« knurrte Garibaldi. »Ich dachte, Bester wollte uns für ein paar Tage den Rücken freihalten!« Gray zuckte mit den Achseln: »Vielleicht ist er schlecht gelaunt aus der Narkose erwacht.« »Wenn Sie Hinweise zum Aufenthaltsort von Talia Winters geben können, melden Sie sich bitte bei Ihrer zuständigen Psi-Corps-Abteilung.« Garibaldi schaltete den Bildschirm aus. »Schhh ... eibenkleister«, murmelte er. »Ein Wunder, wenn sie das durchsteht.« »Ich glaube nicht, daß unsere Chancen, sie zu finden, besonders gut sind.« »Ja, aber wir sind die einzigen, die wissen, daß sie vielleicht Emily Crane aufsuchen wird. Es ist nur eine Vermutung, aber wir müssen es versuchen.« Der Wagen blieb vor einem gigantischen Wolkenkratzer stehen. Gray und Garibaldi sahen sich an und warteten, wer von ihnen zuerst den Creditchip zog. »Ihr Spesenkonto ist sicher großzügiger als meins«, vermutete Garibaldi.
Der Telepath seufzte und zog seine Karte durch den Schlitz. »Danke«, sagte eine synthetische Stimme. Die Türen öffneten sich, und sie stiegen aus. »Achtunddreißigster Stock«, sagte Garibaldi, während er auf sein elektronisches Adressbuch sah. Garibaldis Earthforce-Uniform und Grays PsiPolizei-Insignien brachten sie auch ohne Einladung an den Wachen vorbei, die in der Lobby postiert waren. Die beiden Männer waren übereingekommen, Emily Crane nicht durch eine Anmeldung vorzuwarnen. Sie wollten sie überraschen und dann ihre Reaktion beobachten. Auch wenn der Rest des Universums Talia Winters für schuldig hielt, Garibaldi würde das Gegenteil beweisen. Er hoffte nur, daß ihm Bester und seine Schergen dabei nicht in die Quere kommen würden. Am Empfang des Mix im achtunddreißigsten Stock saß ein mürrisch dreinblickender älterer Mann. Zumindest machte er ein langes Gesicht, als die beiden Uniformierten auf sein Pult zukamen. Sein Namensschild wies ihn als »Ronald Trishman« aus. »Guten Tag, meine Herren Offiziere, was kann ich für Sie tun?« fragte er und griff hastig nach einer Computertafel, um beschäftigt zu wirken. Garibaldi gab sich freundlich, aber offiziell: »Arbeitet Emily Crane hier?« »Wer sind Sie bitte?«
»Mein Name ist Michael Garibaldi, Sicherheitschef von Babylon 5, und das ist Mr. Gray, militärischer Verbindungsoffizier, derzeit unter dem Kommando von Mr. Bester. Von dem haben Sie doch schon gehört, oder? Wir würden gerne Mrs. Crane sprechen.« »Sind Sie angemeldet?« fragte Ronald Trishman, sichtlich unerfreut. »Nein.« »Ich fürchte, Sie brauchen einen Termin.« »Netter Versuch«, sagte Garibaldi. »Sagen Sie ihr, daß sie mit uns oder den Psi-Cops sprechen kann. Es liegt an ihr.« Der Mann von der Rezeption schluckte und berührte eine Com-Link-Leiste auf seinem Tisch. »Mrs. Crane, zwei Herren möchten Sie sprechen. Einer ist der Sicherheitschef von Babylon 5, und der andere ein Telepath im Dienst von Mr. Bester. Sie sagen, daß Sie die Wahl hätten zwischen ihnen und der Psi-Polizei.« »Schicken Sie sie r-r-rein«, kam die Antwort. »Raum zwei-zwölf«, sagte der Mann. Er berührte den Summer für den Eingang zum inneren Zirkel. Garibaldi war mit zwei Schritten drin, Gray folgte ihm rasch. Als sie Raum zweihundertzwölf gefunden hatten, erwartete sie Emily Crane mit sorgenvoller Miene auf dem Gang. Sie trug eine braune Kombination, der für ihre Größe zu lang war und nicht gerade ihre Figur betonte.
»Hallo«, sagte sie knapp. »Kommen Sie herein.« Sie führte die Männer in ein Büro, das im krassen Kontrast zu ihrer Erscheinung stand. Es war im Stile Frank Lloyd Wrights möbliert, mit bizarren Ornamenten am Schreibtisch, dem Konferenztisch und den Schränken. Emily Crane bot ihnen bequeme Sessel an, die mit einem Mayamuster in blutrotem Farbton verziert waren. Gray gelang ein Lächeln, und er ergriff zuerst das Wort: »Es tut uns leid, das wir stören müssen, aber es gibt da eine wichtige Angelegenheit zu klären.« Garibaldi schlug die Beine übereinander und lächelte still vor sich hin, Sie hatten ausgemacht, daß Gray die Befragung durchführen sollte, weil er Telepath war. Ihm gegenüber würde sie vielleicht offener sein. Wenn er damit nicht durchkäme, würde sich Garibaldi einmischen und das Guter Polizist/Böser Polizist-Spiel einläuten. Er freute sich schon darauf, die Rolle des bösen Polizisten spielen zu dürfen. Mrs. Crane schwieg und hörte Gray geduldig zu. Garibaldi wurde klar, daß Konversation nicht zu ihren Stärken gehörte und sie deshalb nur das Notwendigste sagen würde. »Ich bin Mr. Bester unterstellt«, sagte Gray, »und er ist davon überzeugt, daß Talia Winters den Anschlag auf Babylon 5 zu verantworten hat. Sie erinnert sich an bestimmte Gegenstände in ihrer Tasche, aber ihre Aussagen stimmen nicht mit denen
der Sicherheitsbeamtin überein, die sie überprüft hat.« Gray lächelte jetzt charmant: »Es mag Ihnen belanglos erscheinen, aber wir brauchen diese Information über den Inhalt der Tasche der Vollständigkeit halber. Haben Sie Mrs. Winters an diesem Morgen einen Datenkristall übergeben?« »An welchem Morgen?« fragte Emily Crane. »Wir haben den Datenkristall ständig ausgetauscht ich, M -M-Mr. Malten und Mrs. Winters. Es w-wwaren zwei sehr hektische Tage.« Gut ausgewichen, dachte Garibaldi. Es wird nicht leicht, Emily Crane auf etwas festzunageln, vor allem, solange Talia auf der Flucht ist, sich nicht verteidigen kann und von Minute zu Minute schuldiger erscheint. Er mußte sich daran erinnern, daß Talia nur ihm von Emily Crane erzählt hatte. »Wir sprechen vom Morgen des Attentats«, sagte Gray, »nachdem Sie durch den Sicherheitscheck gegangen waren.« Garibaldi setzte sich plötzlich mit einem Ruck auf. Jetzt wußte er wieder, wo er Emily Crane das erste Mal begegnet war. Natürlich. Er selbst hatte sie an jenem Morgen überprüft. Er hatte die Bombe also in der Hand gehalten. Sogar zweimal, wenn man den Traum mitrechnete. Als er sich wieder umdrehte, sah ihn Emily mit einem sonderbaren Gesichtsausdruck an. Sie scannte ihn.
»Lassen Sie das« bellte er. »Antworten Sie nur auf die Frage. Haben Sie ihr den Datenkristall gegeben, den Sie bei mir durch den Check gebracht haben?« »Nein«, antwortete sie überheblich. »Wenn Sie das beweisen wollen, viel Vergnügen.« Bei Garibaldi hakte etwas aus, und er sprang auf die Füße. Über ihren Tisch gelehnt schrie er Emily Crane an: »Sie haben fünf von Ihrer Sorte umgebracht. Und jetzt wollen Sie eine unschuldige Frau dafür ans Messer liefern. Ich dachte, ich hätte jede Art von Monster im Corps gesehen, aber Sie, Schwester, sind der Gipfel.« Gray hielt Garibaldi an der Schulter zurück, doch das war eher symbolischer Natur. »Wir werden sie schon kriegen«, sagte er mit einem Seitenblick auf Mrs. Crane. »Bedenken Sie, wir können sie auch noch mit dem Hotel-Attentat in Verbindung bringen. Wenn wir sie wegen B5 nicht kriegen, dann deswegen.« Nun war Emily Crane an der Reihe aufzuspringen, sie deutete auf die Tür. »Hinaus!« befahl sie. Da er schon über ihren Tisch gebeugt stand, konnte Garibaldi auch gleich alles studieren, was darauf lag. Unter den Abrechnungen, elektronischen Gerätschaften und Ausdrucken befand sich etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte - ein Schreiben von der Art, die sich nach kurzer Zeit selbst vernichteten. Es trug das Logo des Senats und
verschiedene Geheimhaltungshinweise. Es schien direkt vom Vorsitzenden des Komitees der Streitkräfte zu kommen und war deshalb im Büro eines kommerziellen Telepathen völlig fehl am Platze. Die Zeit reichte gerade noch aus, um sich die Nummer eines Gesetzes einzuprägen, das anscheinend zur Debatte anstand. »Raus«, wiederholte Emily Crane, »oder ich rufe meinen Anwalt.« Garibaldi hielt ihr seinen Zeigefinger unter die Nase. »Rufen Sie ihn, Sie werden ihn brauchen.« »Kommen Sie«, sagte Gray und schob ihn zur Tür hinaus. Wieder auf der Straße, atmete Garibaldi erstmal tief durch und sah dann einen sehr wütenden Mr. Gray an. Er fühlte sich ziemlich mies, als hätten sie das Verhör verpatzt, aber er hatte keinen anderen Weg gesehen. Garibaldi hob die Schultern: »Hey, wenigstens wissen wir jetzt, wer der Attentäter ist.« »Aber nur wir wissen es«, beschwerte sich Gray. »Alle anderen suchen nach der falschen Person. Wir könnten es natürlich Mr. Bester sagen, der das Leben der Crane zur Hölle machen würde, aber das scheint mir nicht die beste Lösung zu sein.« »Das wäre auch nur der letzte Ausweg«, nickte Garibaldi. »Was glauben Sie, wird die Crane jetzt tun? Abhauen?« »Solange Mrs. Winters flüchtig ist, ist Mrs. Crane praktisch sicher. Wenn Mrs. Winters getötet wird,
und das scheint wahrscheinlich, braucht sich Mrs. Crane keine Sorgen mehr zu machen.« Garibaldi knirschte mit den Zähnen: »Wir wissen, wer es war, aber nicht, warum. Auf wen hatte sie es wirklich abgesehen? Bester? Malten? Schlecht gelaufen, denn beide leben noch.« »Wenn es nichts Persönliches ist«, sagte Gray, »dann hängt es vielleicht mit der marsianischen Revolution zusammen.« »Hören Sie, kennen Sie jemanden im Senat?« »Einen Senator?« fragte Gray zweifelnd. »Es muß nicht unbedingt ein Senator sein. Ein Sekretär, ein Lobbyist oder ein Berater tut's auch. Jemand, der sich auskennt. Ich habe ein vertrauliches Memo auf ihrem Schreibtisch gesehen, vom Senat. Ich glaube, es ging dabei um ein anstehendes Gesetz. Vielleicht ist das die Verbindung zum Mars.« Der Telepath schmollte ein wenig: »Eigentlich würde ich lieber meiner Spur bezüglich des TharsisAttentats nachgehen.« »Denken Sie nach, Gray. Dafür müßten Sie zum Mars fliegen. Dort müßten Sie alle persönlichen Angaben überprüfen, die Emily Crane gemacht hat, während sie im Hotel gearbeitet hat. Wenn uns die Geschichte zum Mars führt, fliegen wir hin. Versprochen.« Garibaldi klopfte dem Telepath auf den Rücken: »Wir sind hier in der Metropole der Ostküste. Sehen wir erstmal, was es hier für uns gibt. Außerdem
müssen wir sie im Auge behalten, für den Fall, daß sie abhauen will. Sie haben mich wirklich überrascht, Gray. Sie machen Ihren Job ausgezeichnet. Wir sind unterschiedliche Wege gegangen, und trotzdem sind wir beide bei Emily Crane gelandet.« Gray nickte grimmig und ballte eine Hand zur Faust: »Wir arbeiten gut zusammen. Lassen Sie uns den oder die Schuldigen schnappen.« Die verschachtelte Ansammlung würfelförmiger Ziegelhütten sah wie eine Fata Morgana aus, die in der Wüstenhitze flirrte, wie ein Brotlaib, der in der Sonne aufging. Nach der langen Fahrt mit dem Luftkissenfahrzeug durch die rauhe Landschaft, die nichts außer niederschmetternder Leere zu bieten hatte, glichen selbst diese bescheidenen Unterkünfte einem Wunder. Talia rieb sich die Augen, um den Sand loszuwerden und einen klareren Blick zu bekommen. Es war eine Art Dorf, Zivilisation auf niedrigem Niveau, und Talia fand es wunderschön. »Das Bilagaani-Pueblo!« rief der alte Mann in den Wind, der ihm die Worte von den Lippen wehte. Talia nickte und umklammerte den Überrollbügel fester. Das Gefühl des Metalls in ihrer nackten Hand war ungewohnt. Es gab keinen richtigen Sitzplatz für sie in dem kleinen Gefährt, darum hielt sie sich fest, so gut es eben ging. Als sie näher herankamen, erschienen ihr die Hütten wie aufeinandergestapelte Bauklötze. Ein größerer Stein bildete die Basis, und darauf wurde
dann ein kleinerer plaziert, um ein primitives Obergeschoß abzugeben. Diese »Obergeschosse« waren mit Leitern untereinander verbunden, um möglichst viele Wege und Zugänge zu schaffen. Runde Holzbalken standen in unregelmäßigen Abständen aus dem Mauerwerk heraus, und aus der obersten Ebene ragte ein Kamin, aus dem feiner Rauch kräuselte. Um das Dorf herum waren Gehege für die Nutztiere angelegt, wobei Ziegen und Hühner augenscheinlich dominierten. Es gab auch einige niedrige Wigwams, kaum mehr als einen Meter hoch. Manche aus Metall, andere aus Zweigen, die mit farbigen Stoffbändern drapiert waren. Nahezu jedes Wigwam besaß eine Feuerstelle, die mit grauen Steinen angefüllt war. Talia fragte sich, wozu so viele Feuerstellen notwendig waren. Bunte Federn und handgemachte Fähnchen schmückten die Holzpfähle im ganzen Dorf. Zuerst kamen die Hunde angelaufen, um die Luftkissenfahrzeuge zu begrüßen. Sie hechelten und wedelten freudig mit den Schwänzen. Danach kamen die Kinder, nicht weniger lärmend. Unerschrocken schwenkten sie klappernde Instrumente über ihren Köpfen, worauf das Federvieh panisch das Weite suchte. Nun traten auch Erwachsene aus den Hütten, doch sie zeigten nur mäßiges Interesse an den Neuankömmlingen. Talia sah nun, daß die Hüttenansammlung an ein kleines Bergplateau herangebaut war, das kaum über
das höchste Dach hinausreichte und genau dieselbe Farbe hatte. Vom Boden aus war das Dorf so kaum auszumachen. Oben auf dem Plateau war eine unpassende Ansammlung von Solaranlagen, Mikrowellenempfängern und Satellitenschüsseln zu erkennen, während in der Nähe weiße Windräder standen, die sich träge drehten. Talia konnte sich vorstellen, daß die Solarzellen und die Windräder allen Strom lieferten, den das Pueblo benötigte. Vielleicht ist heute abend ja ein heißes Bad drin, dachte sie erfreut. Dann sah sie den schlammigen Wasserlauf, kaum einen Meter breit, der sich zwischen dem Plateau und dem Dorf hindurchschlängelte, als wollte er allem aus dem Weg gehen. Andere Anzeichen von Wasser gab es nicht, und ihre Hoffnungen schwanden. Die seltsame Karawane schlitterte neben andere geparkte Luftkissenfahrzeuge, und die Fahrer stellten die Maschinen ab. Sie schluckte, als das Gefährt plötzlich zu Boden sackte. Einen Moment später bot ihr Bruder Sky seine Hand zum Ausstieg. »Komm, Schwester Rain«, sagte er. »Möchtest du essen?« Sie nickte und stieg vom Luftkissenfahrzeug. Die Hunde schnüffelten an ihr, und die Kinder sprangen um sie herum und lachten. Talia blickte über ihre Schulter und sah Deuce, wie er aus dem Gefährt des Jungen stieg. Der Gangster grüßte diverse Bekannte,
während er die Aktentasche fest an seine Brust preßte. Der Beutel hing lose über seiner Schulter. Sie drehte sich wieder um und sah den attraktiven Mann mit dem kastanienbraunen Haar, wie er ganz allein sein Luftkissenfahrzeug zu den anderen schob, wo er sie alle mit einer Stahlkette zu einem Ring zusammenschloß. Er schaute sie kurz an und lächelte. Talia blickte peinlich berührt weg und merkte, daß die Frau sie anstarrte. Dann grinste sie zahnlos und ging fort. Die Telepathin sah Hautverfärbungen und Abschürfungen auf ihren nackten Schultern. Die Bewohner des Pueblos sahen gesund aus, zeigten aber die üblichen Merkmale eines primitiven Lebensstils: schlechte Haut, schlechte Zähne, Knochenverformungen, Verletzungen, Grauer Star. In einer Stadt oder einer Raumstation hätte man diese Leiden über ein Wochenende auskurieren können. Diejenigen, die nicht nackt waren, trugen schmutzige Kleidung und hüftlanges, verfilztes Haar. Es war beunruhigend, so viele Menschen unter so unwürdigen Bedingungen leben zu sehen. Talia war froh, als Sky sie in eine der Hütten brachte. Sie mußte sich ducken, um durch den niedrigen Eingang zu gehen. Zu ihrer Überraschung war der Raum mit einer Bodenbeleuchtung ausgestattet, die angenehm indirektes Licht spendete. Und weiter hinten stand ein Tisch, auf dem eine ausladende Maschine Platz fand. Viele Spulen deuteten auf ein verarbeitendes Gerät hin. Die Luft schmeckte zum
einen nach industriellen Schmierölen, zum anderen nach Gewürzen und Zwiebeln. »Ich bin gleich zurück«, sagte Sky. Er verschwand in den nächsten Raum, in dem Talia die Küche erkannte. In diesem Raum befanden sich jedenfalls keine Küchengeräte. Kurz darauf betrat Deuce die Hütte und ließ sich auf eine Matte auf dem Boden fallen. Er zog seine Stiefel aus und schnaufte erleichtert. Seine Füße verströmten ein ganz eigenes Aroma, das sich jetzt mit dem des Raums vermischte. »Haben Sie so was schon mal gesehen?« fragte er. Talia schüttelte den Kopf. Deuce grinste: »Sie brechen ein paar Gesetze, aber es sind gute Leute. Immer am Rande der Gesellschaft, genau wie wir zwei.« Talia nickte. Leider konnte sie unter den gegebenen Umständen nichts gegen diese Verallgemeinerung vorbringen. Der junge Mann mit dem kastanienbraunen Haar trat ein. Er trug einen zerknitterten Notizblock, einen stummeligen Stift und ein Maßband. »Steh auf, Bruder Deuce«, sagte er und ging auf ihn zu. Deuce erhob sich, und der junge Mann maß seine Größe, als ob er ihm einen Anzug anpassen wollte. Als er fertig war, schrieb er seine Erkenntnisse auf den Notizblock.
»Dein Gewicht werde ich schätzen«, sagte er. »Unsere Waage ist kaputt. Aber ich bin ziemlich gut in so etwas.« Er tippte sich mit dem Bleistift auf das Kinn, bis er sich entschieden hatte, dann schrieb er wieder auf den Block. »Schwester Rain«, sagte er, »du bist dran.« Sie sah ihn an und setzte eine fragende Miene auf. »Du willst meinen Namen wissen?« fragte er. »Lizard.« Sie mußte überrascht ausgesehen haben, denn der Indianer lachte: »Es ist Brauch, das Kind nach der ersten Sache zu benennen, die der Vater nach der Geburt sieht. Manchmal ist das gut, manchmal weniger. Aber wir preisen unsere Großeltern und den Schöpfer für das Leben, und die Namen nehmen wir mit ihrem Segen an. Dreh dich um.« Sie drehte sich um, und Lizard legte das Maßband an ihrem Kopf an, um es dann bis zu ihren Hacken hinunterzuziehen. Dabei berührten seine Finger die Haut an ihrem Nacken, und es durchfuhr sie wie ein Stromstoß. In diesem Augenblick sah sie in seinen Geist. Sein Leben war einsam, sehr einsam, doch er konnte hier nicht fort. »Gut«, sagte er und notierte ihre Maße. »Du wiegst ungefähr soviel wie meine Schwester, das hilft mir weiter. Danke. Ich gehe jetzt in mein Haus und fahre die Mikrowellenverbindung hoch. In einer Stunde dürfte ich passende Daten für die Identicards haben. Wirkliche Fälschungen sind praktisch
unmöglich, deshalb werde ich eure Maße mit denen einer anderen Person abgleichen und deren Daten einladen. Ihr wollt doch bloß ein wenig damit rumreisen, oder? Ihr werdet euch doch nicht um einen Job bewerben oder einen Sicherheitscheck durchlaufen?« Deuce lachte heiser: »Wohl kaum.« Talia schüttelte den Kopf. Lizard warf das zottelige Haar zurück und faßte es in einem Pferdeschwanz zusammen. Er winkte ihnen zu und ging dann. Talia ertappte sich, wie sie seine breiten Schultern und seinen wohlgeformten Rücken betrachtete. Deuce grinste: »Sie kennen doch das Gesetz, daß man nicht mit der Tochter des Häuptlings rummachen darf? Er ist der Sohn des Häuptlings. Selbe Regel.« Talias Augen funkelten ihn an, aber er ignorierte das. Trotzdem, ermahnte sie sich, ist das ein guter Rat. Sie konnte sich schlecht hier in der Wildnis niederlassen, mit einem Haufen Abtrünniger, die sich eine Kultur geklaut hatten. Was wußte sie überhaupt über diese Leute? Sie konnte eines Morgens aufwachen und den Psi-Polizisten in die Augen starren, während Lizard und Sky schon die Belohnung zählten. Nein, sie glich jetzt einem Hai und mußte immer in Bewegung bleiben. Sie mußte nach Beute Ausschau halten, nach denen, die sie zur Beute hatten machen wollen. Der Gedanke trug sie zu Emily Crane zurück. Seit Garibaldi den Namen
aus ihr herausgepreßt hatte, fragte sie sich, ob die Frau tatsächlich etwas mit dem Attentat zu tun hatte. Wenn die Bombe tatsächlich in dem Datenkristall gewesen war, was ja noch nicht bewiesen war, dann hatte Emily nicht nur versucht, Bester, Malten und sie selbst zu töten, sondern sie hatte auch das Leben von fünf Telepathen auf dem Gewissen. Und schließlich hatte sie den Verdacht auf eine Unschuldige gelenkt. Mit anderen Worten: Emily Crane war extrem gefährlich und skrupellos. Sie mußte aufgehalten werden. Talia setzte sich auf den Boden und zog die Beine an. Eine Identicard würde ihr Reisen ermöglichen, aber es würde trotzdem nicht ungefährlich für sie sein. Aber ungefährlich war im Grunde gar nichts mehr. Sky kam mit einer handgearbeiteten Keramikschüssel in den Raum zurück. Der Inhalt war wohlriechend, und Talia setzte sich erwartungsvoll auf. Der Alte setzte die Schüssel in ihrem Schoß ab, gab ihr aber keinen Löffel. Sie versuchte, die merkwürdige Konsistenz des Mahls zu ignorieren. Am Boden klebte eine Art Schleim, es gab etwas Gemüse, das nach Kaktus aussah, ein wenig Fleisch und irgendwelche schwarzen Dinger. Talia blickte zu Sky, der ihr aufmunternd zulächelte: »Nur zu. Alles für dich.« Einen Löffel gab es wohl nicht, also tauchte sie ihren Finger in die Mischung und leckte ihn ab. Nachdem die Hemmschwelle überwunden war,
schleckte die erschöpfte Telepathin bald begeistert die Schüssel bis zum Boden leer. »Es freut mich, daß es dir schmeckt«, sagte Sky grinsend. »Möchtest du auch etwas, Bruder Deuce?« »Nein, danke«, sagte der schäbige Unterweltler und streckte sich auf der Matte aus. »Aber ich könnte etwas Schlaf gebrauchen.« Er legte sich die Aktentasche als Kopfkissen unter. »Fühle dich wie zu Hause«, sagte Sky. »Ich muß mich um die Felder kümmern.« Er verließ die Hütte durch den niedrigen Eingang und ließ Talia allein mit Deuce zurück, der bald schnarchte. Talia nahm sich an ihm ein Beispiel und ließ sich ebenfalls auf dem festgetretenen Boden nieder. Sie war sicher, unter diesen Umständen kein Auge zuzukriegen. Innerhalb von Sekunden war sie eingeschlafen.
14 Garibaldi stand auf dem Vorplatz des Bostoner Reisecenters und starrte auf einen leeren Bildschirm. Während er auf die Verbindung mit Babylon 5 wartete, hasteten Hunderte von Pendlern zu den Eilzügen, die sie die Südküste rauf- und runterbringen würden. Gray stand nervös zappelnd neben ihm. Endlich ertönte das Klingeln, und John Sheridans gutaussehendes Gesicht erschien auf dem Schirm. Garibaldi seufzte erleichtert. »Captain, ich war nicht sicher, ob der Ruf zu Ihnen durchkommt, aber ich dachte, ich erstatte besser Bericht.« »Das ist erfreulich«, antwortete der Captain. »Haben Sie etwas herausgefunden?« Garibaldi sah sich um, ob jemand außer Gray mithörte: »Ja, ich denke, wir haben die Attentäterin. Aber ohne Talia Winters Aussage werden wir sie nur schwer festnageln können. Ihr Name ist Emily Crane, und sie arbeitet für den Mix in Boston. Sie hat Talia den Datenkristall gegeben, bevor sie den Konferenzraum betrat.«
»Interessant«, murmelte Sheridan. »Sie ist eine kommerzielle Telepathin. Das paßt zu den Informationen, die Mr. Lennier mir gegeben hat. Beim Empfang hat er sich mit einem militärischen Verbindungsoffizier namens Barker unterhalten.« Gray mischte sich ein: »Ein ziemlich hohes Tier.« »Das dachte ich mir«, sagte Sheridan. »Er sagte, daß Bester bald nur noch eine Erinnerung sein würde und der kommerzielle Sektor nach der Macht im Psi-Corps greife. Ich weiß zwar nicht, wie das gehen soll, aber bis dahin paßt alles zusammen.« Garibaldi runzelte die Stirn: »Leider entlastet das Talia nicht, denn sie gehört auch dem kommerziellen Sektor an. Aber es engt den Kreis der Verdächtigen ein.« Der Com-Link des Captain piepte, und er hob die Hand, um zu antworten: »Einen Moment«. Über die Langstreckenleitung konnte Garibaldi nicht jedes Wort des Captains verstehen, aber der Name Bester fiel mehrfach. »Ende«, sagte Sheridan. Er wandte sich wieder dem Bildschirm zu und schüttelte den Kopf. »Ich muß los. Unser Edelpatient macht wieder Ärger. Nun will er seinen eigenen Arzt eingeflogen haben. Dr. Franklin will alles hinschmeißen. Halten Sie mich auf dem laufenden.« »Klar, Sir.« Garibaldi unterbrach die Verbindung und nickte Gray zu: »Zeit, Ihren Freund anzurufen.« »Aber er ist nur Sekretär im Senat«, protestierte Gray.
»Das reicht völlig. Die Jungs machen die ganze Arbeit und wissen alles. Rufen Sie ihn an und fragen Sie nach der Senatsinitiative 22991.« Zögernd zog Gray seinen Creditchip durch den Schlitz und wählte einige Ziffern auf dem ComLink. Nach einigen Augenblicken erschien ein frisch rasierter, eifrig dreinschauender Mann in Grays Alter auf dem Schirm. »Hier Senator Donaldson's Büro.« »Marion, ich bin's - Harriman. Wie geht's?« »Harriman, was für eine Überraschung. Meine Güte, wie lange ist das her? War es beim Klassentreffen in Montreal, daß wir uns zuletzt gesehen haben?« »Ich glaube«, antwortete Gray. »Du bist ja nun schon ein alter Hase - fünf Jahre im Dienst des Senators.« »Gut schaust du aus«, gab Marion zurück. »Wo lebst du denn jetzt?« Garibaldi seufzte und bedeutete Gray, sich zu beeilen. »Berlin«, erwiderte Gray. »Hör zu, Marion. Ich brauche Informationen über eine Senatsinitiative. Ich nehme an, sie steckt noch in den Ausschüssen.« Marion lächelte hilfsbereit: »Was immer du willst.« »Ich denke, die Initiative hat etwas mit den Telepathen zu tun. Die Nummer ist zwei-zwei-neunneun-eins.«
Ein Schatten fiel über Marions Gesicht, und er sah aus, als habe ihn plötzlich eine Gastritis überfallen. Er senkte seine Stimme und sah sich nervös um: »Woher weißt du denn davon? Ich darf darüber nicht sprechen.« Garibaldi trat nun in den Blickwinkel des Schirms. »Oh, Marion, natürlich können Sie. Sonst müßten wir nämlich im Büro des Senators aufkreuzen und jeden fragen, der rein- oder rausgeht, bis uns jemand Rede und Antwort steht.« »Wer sind Sie?« Gray rollte peinlich berührt mit den Augen: »Das ist Michael Garibaldi, Sicherheitschef von Babylon 5. Wir arbeiten zusammen an dem Fall.« »Meint der ernst, was er sagt?« »Ja«, antwortete Gray mit einem Seitenblick auf Garibaldi. »Er ist ungeduldig, rüde und hat wenig Taktgefühl.« »Überhaupt keins«, ergänzte Garibaldi. Der Sekretär des Senators war immer noch verwirrt: »Ich kann über ein öffentliches Com-Link nicht sprechen. Hast du noch meine Adresse? Sie hat sich seit Washington nicht geändert.« »Ja«, sagte Gray, während er schon in seinem elektronischen Notizbuch nachschlug. »Ich bin ab sechs zu Hause. Triff mich dort. Und rede mit niemandem. Ich werde dir erzählen, was ich weiß.« »Großartig«, sagte Garibaldi, »wir bringen was zu futtern mit.«
Mürrisch unterbrach Marion die Verbindung. »Gut gemacht«, sagte der Chief und schlug Gray auf den Rücken. »Sie können mir noch einen Happen ausgeben, bevor wir uns auf die Schienen nach Washington begeben.« Talia Winters spürte, wie jemand mit ihren Haaren spielte. Sie wachte auf und sah ein junges Mädchen, das über sie gebeugt war. Das Mädchen sprang zurück. »Entschuldigen Sie«, sagte es, »aber Sie haben so wunderschöne Haare. Wir dürfen unsere nicht kurz tragen. Leider.« Talia setzte sich noch etwas benommen auf und sah sich in der bescheidenen Hütte mit der seltsamen Maschine in der Ecke um. Aus dem Nebenraum drangen Küchendüfte herein. Schon wieder dachte sie daran, daß ihr Leben einen so seltsamen Verlauf genommen hatte, daß ihre Träume im Vergleich dazu geradezu normal schienen. Im Traum war sie wieder auf Babylon 5 gewesen und hatte mit einem tentakelbewehrten Alien verhandelt. Jetzt war sie wieder eine Flüchtige, eine Wilde Telepathin, dazu verdammt, mit einer Gruppe Neoprimitiver in der Wüste zu hausen. »Mein Name ist Rain«, sagte das Mädchen und streichelte sein honigblondes Haar über den nackten Schultern. Talia hätte dem Mädchen fast geantwortet, daß sie auch Rain hieß. Aber das war gar nicht nötig. Das Mädchen lachte glockenhell.
»Ja, ich weiß, du bist auch Rain. Wenn Bruder Sky die Mädchen tauft, nennt er sie fast immer so. Manche sehen darin einen tieferen Sinn, andere halten ihn für einen Frauenfeind. Ich glaube, er kann sich bloß keine Namen merken.« Der Teenager strich sich wieder übers Haar, die grünen Augen bohrten sich in die von Talia: »Ich denke, wir sollten dich bei deinem wirklichen Namen nennen. Er paßt viel besser.« Talia hätte um ein Haar aufgeschrien, aber sie schluckte den Aufschrei runter und starrte weiter in die Augen des Mädchens. »Winters«, sagte Rain. »Schwester Winters, das klingt so vollkommen.« Die Telepathin unterdrückte die Fragen, die ihr auf der Zunge lagen. Sie schüttelte energisch den Kopf, und die junge Rain nickte überraschend verständnisvoll. »Ja, ich weiß. Du mußt Rain sein, wie wir alle, auch wenn Winters viel besser wäre. Es ist nicht fair. Tut mir leid.« Sie hob die Schultern und stand auf. Als sie aus der Tür ging, flüsterte sie noch: »Ich sehe dich später.« Talia unterdrückte den Impuls, aus dem Pueblo zu flüchten und nur noch zu rennen. Wo sollte sie hin? Es war kein Wunder, daß die Bilagaani ihre wahre Identität kannten. Mit der Batterie von Antennen und Schüsseln auf dem Plateau waren sie nicht so abgeschnitten, wie man zunächst glauben mochte. Immerhin war Lizard gerade da draußen
und stahl Daten aus einem Sicherheitssystem. Kein Grund zur Panik, beruhigte sich Talia, wenn auch nicht mehr viel dazu fehlte. Die junge Rain war so unschuldig und doch so bedrohlich gewesen, als sie Talias richtigen Namen enthüllt hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß man ihr etwas Böses wollte. Hätte man einer Heranwachsenden erlaubt, dieses Geheimnis preiszugeben, wenn man sie den Behörden ausliefern wollte? Die Bilagaani wußten einfach, wer sie war, und es war ihnen egal, daß sie das wußte. Diese Leute brechen selbst einen Haufen Gesetze, rief sie sich in Erinnerung. Die wollten keine Psi-Polizisten auf ihrem Land. Durch ihre Flucht war sie zwangsläufig mit Menschen wie Deuce und diesen Ablegern des Untergrunds zusammengekommen. Solche Leute lebten in den Ritzen im Asphalt, an Orten wie der Unterwelt von Babylon 5. Ob es ihr gefiel oder nicht, sie war jetzt ein Teil dieser Welt. Wenn es ihr nicht gelang, ihren Namen reinzuwaschen, mußte sie womöglich für den Rest ihres Lebens in den Ritzen umherkriechen. Nein. Das würde sie niemals zulassen. Talia wollte ihr wirkliches Leben zurück, und sie beschloß erneut, den Mund zu halten, auf der Hut zu sein und in Bewegung zu bleiben. Sie würde sich auf nichts einlassen. Allerdings mußte sie ihre Haare färben oder eine Perücke organisieren, die zu ihrer neuen Identicard paßte. Teufel auch, diese Leute hatten
genug Haare, um tausend Perücken herzustellen. Sie fragte sich, ob sie wohl eine Perücke oder Färbemittel für Schwester Winters zur Verfügung stellen würden. Talia sah nach der Matte, auf der Deuce geschlafen hatte, und fragte sich, wo er wohl im Augenblick war. Sie hätte gerne gewußt, für wann die Abreise aus dem Pueblo geplant war und wie das vor sich gehen sollte. Sie dachte daran, ihre eigenen Reisepläne zu schmieden, weil ihr die von Deuce zu gefährlich erschienen. Natürlich hatte sie kein Geld. Emily Cranes Geschäftsadresse konnte sie an jedem öffentlichen Terminal abfragen, damit wäre dann ein Ziel abgehakt. Doch immer schön der Reihe nach wo steckte Deuce? Sie stand auf und trat langsam vor den Eingang. Das Sonnenlicht brannte grell auf den Hof herab, der zur Hälfte von den Hütten begrenzt wurde und wie eine alte Münze aussah: braun und schmutzig. Niemand war zu sehen, selbst die Hühner und Ziegen schliefen unter Dächern aus Strohmatten. Es war heiß, und es war jene trockene Hitze, die einen nicht schwitzen ließ, sondern nur allmählich ausdörrte. Talia schlich um die Ecke von Skys Behausung und sah eine Leiter zum nächsten Abschnitt. Von oben drangen gedämpfte Stimmen an ihr Ohr. Sie ließ es darauf ankommen. Andernfalls würde sie nur rumsitzen und langsam durchdrehen.
Die primitive Leiter knirschte unter ihrem Gewicht, aber es war nur das Leder, das sich dehnte. Keine Gefahr. Sie kletterte flink zum nächsten Stockwerk auf dem Dach von Skys Haus. Dort sah sie Spielzeug herumliegen - Wägelchen, Holzklötze und Rasseln. Durch eine offene Tür konnte sie drei Kinder erkennen, die so tief schliefen, wie sie es eben noch getan hatte. Es war Siesta, die heißteste Zeit des Tages. Jeder vernünftige Mensch würde jetzt schlafen. Es war erstaunlich, wie kühl es in den Hütten trotz der Hitze noch war. »Wir bauen die Hüttenwände mit Kernen aus Strohballen«, sagte Lizard. Sie wirbelte herum und sah den gutaussehenden Bilagaani, wie er seinen Kopf aus einem nahegelegenen Eingang steckte. Das kastanienbraune Haar hing lockig um sein verschwitztes Gesicht. »Du hast dich gefragt, wie es drinnen so kühl sein kann«, erklärte er. »Jeder fragt sich das. Komm rein, bevor du geröstet wirst.« Ist Lizard ein Wilder Telepath? fragte sich Talia. Das hier wäre ein gutes Versteck für einen Wilden Telepathen, wenn es denn so etwas überhaupt geben konnte. Sie duckte sich und trat in die Hütte ein. Ein Schwall kühler Luft von einem großen Ventilator traf sie und blies ihre Haare und ihre Kleidung durch. Sie fröstelte. Lizard zog sie herein. »Das hält den Staub draußen«, sagte er, während er sich den Weg durch eine Ansammlung
elektronischer Geräte bahnte, die in keiner für sie erkennbaren Ordnung überall herumstanden. Er nahm wieder an seinem Tisch Platz und blickte auf einen von vier Bildschirmen, der jede Menge Daten zeigte. »Könntest du zweiunddreißig Jahre alt sein?« fragte er. »Ich finde, du siehst jünger aus, aber genauer geht es nicht. Größe, Gewicht, Genealogie ...« Sie zog an ihren blonden Haaren. Er nickte. »Du willst deine Haare färben? Dunkler vielleicht? Das dachte ich mir. Dann habe ich noch etwas, das besser zu dir paßt. Ich formatiere die Daten und lasse unten auf der Maschine eine Identicard ausstellen. Diese Karte ist ungefähr eine Woche oder für vier Checks brauchbar, danach«, er blickte auf den Schirm, »sollte Frieda Nelson sich zur Ruhe setzen. Du mußt dann wieder eine neue Identität annehmen, denn das System wird recht bald merken, daß Frieda nicht an zwei Orten gleichzeitig sein kann.« Er verschränkte die muskulösen Arme und starrte auf den Schirm: »Sie ist siebenundzwanzig und kommt aus Eugene in Oregon. Denk dran: Wenn du die Karte öfter als viermal benutzt, geht das auf eigenes Risiko.« Talia nickte und versuchte es mit einem ermutigenden Lächeln. Es war schade, daß sie nicht bleiben und mit diesem exotischen jungen Mann
Konversation machen konnte, aber sie mußte Vorbereitungen treffen. Sie mußte weg von hier irgend etwas kam immer näher, wenn es auch nur ihre Paranoia war, die ihr das sagte. Talia hielt zwei Finger hoch und zuckte fragend die Achseln. »Deuce?« fragte Lizard. Sie nickte heftig und hob wieder die Schultern, als wollte sie fragen, wo er war. Lizard kicherte und wandte sich wieder den Bildschirmen zu: »Den möchtest du im Augenblick sicher nicht sehen. Er ist bei einer der Frauen des Stammes, Schwester Morning. Sie ist die, die bei uns war, als wir euch abholten.« Talia blinzelte ihn an und wünschte sich, nicht gefragt zu haben. »Morning ist Witwe, und sie hat sich seit seinem letzten Besuch für Deuce interessiert. Sie hofft, daß sie ihn zum Bleiben überreden kann, aber da habe ich meine Zweifel. Deuce lebt nach einem schnelleren Rhythmus als wir hier im Bilagaani Pueblo.« Talia sah sich verzweifelt in dem kleinen Raum mit dem großen Ventilator um, und ihre Augen leuchteten auf, als sie endlich Lizards Block und den stummeligen Stift entdeckte. Sie nahm beides, schlug eine neue Seite auf und begann zu schreiben. Lizard sah ihr aufmerksam zu, ein schelmisches Funkeln in den blauen Augen. Nach ein paar Sekunden reichte sie ihm das Blatt, auf das sie die Worte gekritzelt hatte: »Ich brauche
die Adresse von Emily Crane. Sie arbeitet für den Mix.« Lizard rieb sich sein kantiges Kinn: »Der Mix? Dann ist sie eine Telepathin, richtig? Bist du sicher, daß du weißt, was du tust? Du mußt nicht sofort abreisen. Du könntest noch bleiben. Es gibt schlimmere Orte, und außerdem könnten wir uns näher kennenlernen.« Talia fragte sich, ob sie dieselben Aufnahmeverfahren wie Deuce zu absolvieren hätte. Es mußte ja irgendeinen überzeugenden Grund geben, hier draußen in der Wildnis zu leben, und so etwas mochte für andere genügen. Aber Talia hat keine Lust auf ein Leben, das nur aus Sand, Dreck und Lizard bestand. Sie hatte bereits ein Leben, das ihr gefiel und zu dem sie zurück wollte. Die Telepathin deutete steif auf das Papier mit Emilys Namen. »Okay«, sagte der Bilagaani und drückte ein paar Tasten. »Ihre Geschäftsadresse habe ich in ein paar Sekunden.« Talia schritt das überfüllte Büro ab. Sie wußte nicht, warum sie so wütend war, nur weil Deuce die lokalen Entspannungsmöglichkeiten nutzte. Wie dumm von ihr zu glauben, seine Gefolgschaft oder gar seine Loyalität gewonnen zu haben. Er war ein Halsabschneider, ganz einfach, und er würde ihr so lange helfen, wie es ihn nichts kostete. Genau wie bei der Feldflasche. Deuce stand bei sich selbst
immer an erster Stelle. Er hatte sie hierher gebracht, aber den Rest des Weges mußte sie allein gehen. »Hört sich Boston glaubwürdig an, was Emily Crane angeht?« fragte Lizard. Sie nickte, und der junge Mann druckte Emily Cranes Adresse auf eine Blankokarte. Als er sie ihr geben wollte, berührten sich ihre Hände und damit ihre Gedanken. Es ist mir gleich, wer du bist, ließ er sie wissen. Sie nahm seine Hand und antwortete ebenfalls telepathisch: Ist es nicht. Ich bin eine gesuchte Terroristin und werde euch alle in den Abgrund reißen, wenn ich bleibe. Ich habe ein Leben, ein Ziel. Nur der Tod kann mich hindern, meinen Namen reinzuwaschen. Talia zupfte die Karte aus seiner Hand und studierte sie genau. Sie merkte sich jedes Detail, sogar das Stockwerk. Dann faltete sie die Karte und steckte sie in eine Reißverschlußtasche ihrer Kombination. »Na gut«, resignierte Lizard. »Du brauchst eine Verkleidung. Komm mit mir.« Er zog sie hinaus in das gleißende Sonnenlicht. Trotz der Hitze kletterten sie die Leiter hinunter und gingen um das gesamte Pueblo herum zum Plateau. Talia wollte fragen, wohin er sie führte, traute sich aber nicht. Sie entdeckte die Felder, von denen Sky gesprochen hatte - ordentliche Reihen von Kürbis, Mais und verschiedenen Getreidesorten, die sie nicht auseinanderzuhalten vermochte. Die Anpflanzungen
wurden von dem schlammigen Strom gewässert, den sie bereits gesehen hatte. Bunte Stoffstücke und winzige Windräder waren an Stangen befestigt, die wiederum in den Boden gerammt worden waren vermutlich, um Vögel abzuhalten. Sie sah auch moderne Gerätschaften, die mit einem Betonbau verbunden waren. Aus den zahllosen Kabeln zu den Windrädern und Solaranlagen schloß Talia, daß es sich hierbei um das Generatorenhaus für die Stromwandlung handelte. Es war ein ziemlich beeindruckender Anblick. Auch wenn die Bilagaani nach dem Stand des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts primitiv lebten, so waren sie doch keine Mönche oder Nomaden, die ein Armutsgelübde abgelegt hatten. Sie konnten nicht einfach packen und weiterziehen. Sie fragte sich, warum das Dorf nie überfallen wurde. Bestochen sie die Menschen? Vielleicht mit Informationen? Bevor sie sich darüber weitere Gedanken machen konnte, wurde ihre Aufmerksamkeit auf die außerordentliche Verwitterung des Plateaus gelenkt. Aus der Nähe sah es gar nicht mehr wie das leuchtend rot schimmernde Monument aus, das sie aus der Ferne gesehen hatte: Risse und kleine Krater überzogen die Fläche. Selbst Lizard sah daneben weniger eindrucksvoll aus, als habe er den Berg bereits vor Millionen von Jahren gekannt, zu einer Zeit, da er noch groß und unüberwindlich gewesen war. Nun
war er ein Schatten seiner selbst, eine Erinnerung früherer Größe, eher bedrückend als schön. Seinem Namen alle Ehre machend, schoß Lizard zwischen den Einschüssen hin und her und war plötzlich verschwunden. Talia eilte ihm nach und hätte sich fast verraten, in dem sie seinen Namen rufen wollte. Als sie den kaum einen Meter hohen Höhleneingang entdeckte, blieb sie stehen. Schon seit ihrer Kindheit hatte sie Angst vor Höhlen. Gott sei dank hatte sie bisher wenig Anlaß gehabt, in solchen Schlünden herumzuklettern, da sie in der Stadt aufgewachsen war. Aber nun war sie hier. Die Höhle hatte Lizard verschluckt und lockte nun sie. Wartet er da drin, um mich zu erschrecken? dachte sie verärgert. Wenn er einer von der Sorte war, würde sie es ihm schon zeigen. Offensichtlich gab es da drin etwas, das er ihr zeigen wollte. Und warten wollte er ebenso offensichtlich auch nicht. Talia kniete sich auf dem festgebackenen Sand hin und kroch in das Loch. Die Telepathin war überrascht, einen Lichtschimmer zu sehen, wollte aber nicht aufstehen, bevor sie erkennen konnte, wie hoch die Decke war. Sie bog um eine Ecke und sah Lizard. Er stand aufrecht und hielt eine alte Lampe, deren Licht von irgendeiner Flüssigkeit gespeist wurde. Talia konnte nicht sehen, wie, aber die Lampe spendete erstaunlich viel Licht. Wenn der Bilagaani stehen konnte, würde es für sie auch reichen.
Während sie auf ihn zuging, sah sie im Hintergrund bemerkenswerte Schätze. Dutzende von Koffern, Taschen und Kartons, die vor Kleidung, Hüten, Mänteln, Gürteln, Regenschirmen und anderen Accessoires überquollen. Sie wanderte neugierig von Kiste zu Kiste und sah antike Stücke wie Fuchsstolas und Brokatjäckchen. Sie erinnerte sich, daß diese Dinge vor Dutzenden von Jahren in Mode gewesen waren. Diese Höhle war ein Museum für altertümliche Kleidung. »Die Wüste bewacht diese Dinge«, erklärte Lizard. »Wenn die Menschen zu uns kommen, bringen sie alles mit, was sie nicht mehr brauchen, und wir lagern es dann hier. Manchmal wollen wir alles verbrennen, aber dann erweist sich wieder etwas als nützlich. Du darfst dir nehmen, was du brauchst.« Talia nickte dankbar, wenngleich sie schier überwältigt war. Eigentlich wollte sie unauffällige zivile Kleidung, nicht diese verstaubten, exotischen Fummel. »Dort drüben ist ein Spiegel«, sagte Lizard und deutete auf etwas, das wie ein schmaler Duchgang aussah, hinter dem weitere Menschen und eine Lampe standen. Talia schreckte zurück, bis ihr klar wurde, daß es nur ihr Spiegelbild war. »Ich mache deine Identicard fertig«, sagte der muskulöse junge Mann. »Du hast Zeit.« Talia nickt noch einmal und widmete sich dann kritisch den Koffern mit den staubigen Kleidern.
Mr. Gray beugte sich im Autotaxi nach vorne. »Das ist er«, sagte er und deutete auf einen schlanken Mann auf dem Bürgersteig. »Er ist spät dran«, murmelte Garibaldi. »Marion hat einen verantwortungsvollen Posten«, entgegnete Gray. Er zog seinen Creditchip durch einen Schlitz am Armaturenbrett und beglich so die Rechnung für die automatische Droschke. Die Türen öffneten sich. Als sie den Bürgersteig erreicht hatten, sah Marion sie zwar kurz an, machte aber keine Anstalten, die Männer zu begrüßen. Wie bei einem Räuber- und Gendarmspiel, fand Garibaldi, während sie Marion durch ein gußeisernes Tor in den Hof eines Apartmenthauses folgten. Einer dieser pseudoromanischen Plätze, dachte Garibaldi, mit künstlichen Säulen und Arkaden. Im Kontrast dazu der beleuchtete Swimmingpool, dessen Boden ein kitschiges Mosaik von Neptun zierte. Wortlos folgten sie Marion zu seinem Apartment im ersten Stock. Garibaldi blickte sich um, während Marion die Tür aufschloß. Wenn jetzt jemand käme, würde er vermuten, daß der junge Mann gerade überfallen wurde. Doch der unsichere Moment ging vorüber, und kurz darauf befanden sie sich in der schützenden Umgebung des Apartments. Marion und Harriman Gray umarmten einander wie die zwei alten Freunde, die sie waren. »Danke, daß du dir die Zeit nimmst«, sagte Gray. Marion blickte verärgert zu Garibaldi hinüber: »Ihr
habt mir ja keine große Wahl gelassen, oder? Wie habt ihr das mit der Gesetzesvorlage 22991 rausbekommen?« »Das hängt mit dem Attentat auf Babylon 5 zusammen«, erklärte Garibaldi. »Erzählen Sie uns mehr.« Der Chief setzte sich auf das mit Seide bezogene Sofa, schlug die Beine übereinander und wartete. Der Sekretär seufzte und ging zu seiner gut bestückten Bar: »Ich brauche erst eine Stärkung. Noch jemand?« »Gerne«, sagte Gray. »Ich habe solchen Stärkungen abgeschworen«, lehnte Garibaldi ab. Marion sammelte sich ein wenig, während er die Drinks mixte. Er wirkte sehr ernst, als er Gray sein Glas reichte und neben Garibaldi Platz nahm. »Es ist so«, fing er an, »eine Menge Leute hassen das Psi-Corps.« »Das ist nun nicht gerade eine Sensationsmeldung«, sagte Garibaldi. »Ja, aber man haßt sie, besonders die Psi-Polizei und die Geheimdienstabteilungen. Man traut sich nur nicht, etwas zu sagen. Wir reden hier über Senatoren. Sie sollten mal erleben, was das Corps mit denen macht: Erpressung, Einschüchterung, Drohungen. Es ist schauderhaft.« Marion nahm einen Schluck. Garibaldi roch einen Martini. Einen starken. Der Sekretär fuhr fort: »Es ist eine bislang geheime Eingabe, aber es handelt
sich um ein Gesetz zur Privatisierung des Corps. Unter dem Vorwand der Kostensenkung wird das Corps dem Militär, von dem es sowieso nicht effektiv kontrolliert wird, entzogen und einer privaten Führung unterstellt. Das gesamte telepathische Personal wird dieser Führung untergeordnet.« Er nahm einen weiteren Schluck und fuhr fort: »Obwohl noch immer viele von der alten Garde mitmischen würden, hofft der Senat, so die Verflechtungen aufzulösen, die geheimen Treffen zu unterbinden und das Corps zur Neutralität zu zwingen. Alle wünschenswerten Funktionen werden von der zivilen Körperschaft ausgeführt, die dem Senat Rechenschaft ablegen muß. Für die Öffentlichkeit ändert sich nicht viel: Aus dem Corps wird eine private an Stelle einer militärischen Organisation. Aber intern ändert sich alles.« Gray warf eine Frage ein: »Das klingt nach jemandes Glückstag. Wer würde das Psi-Corps im Falle einer Privatisierung übernehmen?« Marion zuckte die Achseln: »Wer schon? Die einzige private Telepathen-Organisation, die groß genug ist - der Mix.« Garibaldi und Gray sahen einander an. Man mußte kein Genie sein, um sich an den Auftraggeber von Emily Crane zu erinnern - den Mix. »Weiß Arthur Malten Bescheid?« erkundigte sich Garibaldi.
»Machen Sie Witze?« schnaubte Marion. »Er hat die Aktion jahrelang vorbereitet, die vom Corps schikanierten Senatoren auf seine Seite gebracht und heimliche Abkommen geschlossen. Wenn er genug Stimmen beisammen hat, und das wird bald der Fall sein, taucht die Vorlage aus dem Nichts auf, geht in die Lesung und wird über Nacht angenommen. Ohne eine Chance für das Psi-Corps, rechtzeitig zu intervenieren. Der Präsident wird seine Unterschrift noch im Schlafanzug darunter setzen. Wenn das Corps am Morgen danach aufwacht, hält Malten das Zepter in der Hand.« »Soll das heißen, daß Malten einer von den Guten ist?« fragte Garibaldi. Marion lachte bitter: »Zum Teufel, nein. Er macht es wegen des Geldes. Mit dem Psi-Corps-Budget unter seiner Kontrolle kann er ein Vermögen machen. Das ist zwar riskant, aber der Mix ist jetzt so groß, wie er unter der Aufsicht des Psi-Corps werden kann. Malten hat nun Gelegenheit, sich alles unter den Nagel zu reißen.« Der junge Sekretär leerte seinen Martini. Gray räusperte sich und fragte: »Wenn man damit durchkommen will, ist es dann eine gute Idee, Bester zu ermorden?« »Nun«, antwortete Marion, »man sagt, der einzige Weg, eine Klapperschlange zu töten, ist, ihr den Kopf abzuschneiden. Solange Bester und seine Psi-Polizisten beim Umgang mit Telepathen freie Hand haben, haben sie auch die Macht.«
Der Sekretär stand auf und ging zur Bar. »Harriman, noch einen?« »Danke«, winkte der niedergeschlagene Telepath ab. Er tat Garibaldi leid. Niemand hörte gerne von Vernichtungskämpfen in den eigenen Reihen. Telepathen, die Telepathen ermordeten, nur der Macht und der persönlichen Bereicherung wegen. Für Garibaldi wäre das in Ordnung gewesen, wenn nicht unschuldige Menschen dabei ins Kreuzfeuer geraten wären - wie die sechsundzwanzig Opfer im Royal Tharsis-Hotel. Darüber hinaus lastete man die Attentate den Mars-Separatisten an, die schon genug Ärger hatten. Gray wandte sich verwirrt an Garibaldi: »Aber Mr. Malten war doch ebenfalls am Ort des Attentats.« »Vielleicht hat er einen Körperpanzer getragen. Wenn ich mich recht erinnere, hat er keinen Kratzer abbekommen, mußte aber wegen des Schocks Babylon 5 sofort verlassen.« Entschlossen stand Harriman Gray auf: »Es tut mir leid, Marion. Wir würden gerne noch bleiben, aber wir müssen so bald wie möglich mit Mr. Malten sprechen.« »Kein Grund zur Eile«, sagte der Sekretär. »Malten ist auf dem Mars.« »Woher wissen Sie das?« fragte Garibaldi. »Er hat dem Senator am Nachmittag eine Nachricht zukommen lassen. Das macht er jetzt immer, wenn wegen der Privatisierung Eile geboten
ist. Diese Anschläge machen viele Leute nervös, und das ist ihm ganz recht so. Es wird befürchtet, daß Bester eine Hexenjagd veranstaltet, sobald er wieder auf den Beinen ist. Sie glauben doch nicht wirklich, daß Malten hinter den Attentaten steckt?« »Zerbrich dir darüber nicht den Kopf«, riet Gray. »Wir verfolgen bloß eine Spur, das ist alles.« »Aber ich dachte, der Täter sei längst gefaßt. Diese Blonde, von der in den Nachrichten die Rede war. Ihr Onkel ist ein Terrorist.« Garibaldi schüttelte frustriert den Kopf. Es gab jetzt keinen Mangel an Verdächtigen mehr, aber immer noch einen Mangel an Beweisen, und einen noch größeren Mangel an offizieller Unterstützung. Wenn sich Talia bloß nicht abgesetzt hätte. Vielleicht hätte man mit den Indizien eine Verteidigung aufbauen können. Wo bist du, Talia? fragte er sich. Was unternimmst du, um aus diesem Schlamassel rauszukommen?
15 Talia Winters jauchzte vor Freude, als sie eine gelockte braune Perücke aus einer der Hutschachteln zog. Hastig blickte sie sich im flackernden Schein der Lampe um, um sich zu vergewissern, daß niemand sie gehört hatte. Es war eine gute Perücke aus hochwertigem synthetischen Haar, das in der Schachtel kaum gelitten hatte. Sie setzte sie auf, schob die blonden Strähnen darunter und betrachtete sich im Spiegel. Sie sah die langen Locken über ihren Rücken fließen; die Länge war genau richtig. Um das Bild abzurunden, setzte sie sich außerdem eine Baskenmütze auf. Das hielt nicht nur die Perücke am Platz, sondern verlieh ihr auch die Aura einer Lebenskünstlerin, was zu ihrer wilden Frisur und den alten Kleidern paßte. Talia hatte sich das teuerste Outfit ausgesucht, obwohl es schon zehn Jahre alt war. Nach ihrer Auffassung offenbarten nur kostspielige Kleidungsstücke nach dieser Zeit noch ihren Wert. Es war besser, wenn andere Reisende glauben würden, daß sie zumindest einmal Geld gehabt hatte,
auch wenn es jetzt dahin war. Sie trug jetzt eine Designer-Kombination in marineblau, dazu ein passendes schwarzes Jackett. Um zu sehen, wie das Ensemble zu ihrer neuen Frisur paßte, zog sie sich aus und probierte die neuen Kleider an. Der Effekt war erstaunlich. Sie sah nicht mehr elegant und weltgewandt aus, sondern eher wie ... Emily Crane. Mausgrau und unauffällig. Hatte Emily so ihre Umgebung getäuscht, mit unpassendem Haarschnitt und Kleidern, die Nachlässigkeit signalisierten? Es deprimierte Talia, daß sie sich so leicht hatte täuschen lassen, aber je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr war sie überzeugt, daß es keine andere Erklärung für die Bombe in ihrer Tasche geben konnte. Garibaldi hatte recht - Emily war die einzige, die ihr den Sprengsatz zugesteckt haben konnte. Sie konnte Deuce nach Emily fragen, aber der konnte sie schon für die Frage erschießen. Talia würde Emily wohl selbst fragen müssen. Verdammt, wenn Boston bloß nicht so weit weg wäre. Die Telepathin fragte sich, wer wohl Frieda Nelson aus Eugene In Oregon war. So wie sie jetzt aussah, war Frieda vermutlich eine Künstlerin, die Stücke schrieb, Bilder malte oder extravagante Häuser aus Holz und Stoff entwarf. Vielleicht war sie sogar die Sorte Mensch, die gerne in BilagaaniPueblos herumhing und sich mit Leuten unterhielt, die Rain und Lizard hießen. Sie war nicht Talia Winters, soviel war sicher.
»Klopf, klopf«, ertönte eine Stimme. »Sind Sie angezogen?« Sie sagte nichts und wartete, bis Deuce in die Höhle gekrochen kam. Er trug wie immer die Aktentasche und seinen Beutel. Plötzlich brach er in schallendes Gelächter aus. »Tut mir leid«, sagt er. »Sie sehen genau wie eine Lehrerin aus, die ich mal hatte. Hab ihr einen Kracher in den Papierkorb gesteckt. Das war meine letzte Begegnung mit dem Bildungssystem.« Weil Talia immer noch schwieg, langte er in seine Tasche und zog eine Identicard heraus. »Hier ist Ihre«, sagte er. »Die hat mich einen Diamanten von einem Karat gekostet. Ich weiß nicht, wann sie mir das zurückzahlen wollen, aber ich vergesse nie einen Schuldner. Und ich bestehe immer auf meinen Zinsen.« Sie nahm die Karte, versprach aber nichts. Jetzt wußte sie wenigstens, was er in der Aktentasche hatte und warum er sie so sorgfältig behütete. »Lizard sagte mir, daß er Ihnen alles über die Karten erklärt hat. Wir können sie nur ein paar Mal einsetzen, danach wird's kritisch. Wir machen uns um Mitternacht aus dem Staub, direkt nach der Schwitzerei.« Sie sah ihn fragend an. »Die Schwitzbuden«, erklärte er. »Diese kleinen Hütten da draußen. Sie heizen ein paar Steine auf, schlagen die Trommeln, singen Lieder, loben die
Vorväter. Und schwitzen. Wir wären sicher auch willkommen.« Talia schüttelte den Kopf. »Deuce! Rain!« ließ sich eine verängstigte Stimme vernehmen. Sie wandten sich rasch um und sahen Rain, den Teenager mit den grünen Augen, in die Höhle kriechen. Rain sah besorgt aus und deutete zum Himmel. »Ein schwarzes Shuttle ist gerade über uns hinweggeflogen«, keuchte sie. »Ganz weit oben. Bruder Sky sagt, es waren die Psi-Polizisten.« Talia war, als hätte ihr jemand ein Messer zwischen die Rippen gestoßen. Panik überfiel sie. Deuce hingegen verzog nur angewidert das Gesicht. »Die Bastarde können einem auch alles versauen«, murmelte er. »Wenn die den Frachtcontainer in der Wüste finden, sind wir geliefert.« Talia wurde klar, daß sie kaum noch einmal die Kleidung würde wechseln können. Sie würde in einem Aufzug wie Aschenputtel beim großen Ball fliehen. Aber wohin? Wie? Stimmen ertönten aus dem Tunnel, und sie war gespannt, wer jetzt erscheinen würde. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sky trat ein, Lizard folgte ihm auf dem Fuße. Beide Männer sahen mißmutig aus. »Wir haben sie gesehen«, sagte der Alte. »Die Bussarde kreisen bereits. Ihr müßt sofort gehen.«
»Wie denn?« fragte Deuce. »Sollen wir vielleicht laufen?« »Wir verkaufen euch ein Luftkissenfahrzeug«, sagte der alte Mann. »Zwei Steine.« »Mann!« spuckte Deuce aus. »Das ist ja Wegelagerei. Wozu, zum Teufel, brauche ich ein Luftkissenfahrzeug? Bringt mich in eine Stadt, und alles ist okay.« Er deutete mürrisch auf Talia. »Was schert es mich, was mit ihr passiert.« Lizard trat wütend vor, die Muskeln seines Oberkörpers spannten sich, als er Deuce am Kragen packte und durchschüttelte. »Du bist mit ihr gekommen, also wirst du auch auf sie aufpassen. Wir könnten genauso gut alle Diamanten nehmen und den Polizisten zeigen, wo wir dich verbrannt haben. Das würde als Beweis reichen.« Deuce griff nach seiner PPG, aber der alte Häuptling war schneller und umklammerte sein Handgelenk. Talia wirbelte herum und verpaßte dem Gangster einen Schlag in die Magengrube. »Okay, okay«, krächzte Deuce. »Zwei Steine. Geht klar.« Die Bilagaani ließen ihn auf den Boden der Höhle fallen. Er packte seine Aktentasche. »Ich will das schnellste Vehikel, und ich werde es selber aussuchen.« Seine Umgebung im Auge behaltend, zog Deuce zwei Diamanten aus der Tasche und gab sie Bruder Sky. Der alte Mann deutete auf den Höhlenausgang und stieß ihn in diese Richtung.
Talia wollte ihm nach, doch sie spürte, wie Lizard ihren Arm festhielt. Sie befreite sich aus seinem Griff und sah ihn verärgert an. In diesem Augenblick hatte sie keine Lust, freundlich zu sein, besonders nicht zu jemandem, der sie in der Gluthitze des Tages in die Wüste schicken wollte, während die Psi-Polizisten über ihr kreisten. Sie betrachtete noch einmal die Kleiderkammer, die ihr plötzlich wie eine Gruft erschien. Lizard hob hilflos die Schultern: »Wir müssen euch aus dem Pueblo bringen. Das Leben zu vieler Menschen ist in Gefahr. Ich selbst hätte dich gerne hierbehalten.« Sie nickte und entspannte sich ein wenig. Es war nicht seine Schuld oder die Schuld des Stammes, daß sie auf der Flucht war. Es lag an ihren Ambitionen und an ihrer eigenen Dummheit. Sie legte ihre Hand für einen kurzen, flüchtigen Moment auf Lizards Brust, bevor sie die Höhle verließ. Vielleicht würde das eine Erinnerung für ihn sein. Die Sonne brannte gnadenlos und backte das Pueblo und das Plateau zu einer harten braunen Masse zusammen. Aber sie war schon deutlich gen Westen gewandert, woraus Talia schließen konnte, daß es ungefähr vier Uhr am Nachmittag sein mußte. Sie wußte nicht viel über die Wüste und wann man sie am besten durchquerte, aber der Abend schien ihr günstig. In ein paar Stunden würde es dunkel sein, bis dahin konnten sie sich vielleicht verstecken. Auf
ihr Glück wollte sie sich dabei nicht verlassen, das hatte sie in letzter Zeit schmählich im Stich gelassen. Talia wußte nicht, ob Deuce wirklich das schnellste Luftkissenfahrzeug ausgewählt hatte, jedenfalls aber das auffälligste mit den grellsten Bemalungen. Darin lag eine gewisse Logik: Von oben betrachtet würde man sie für Bilagaani halten. Sie war froh, dank der langen Haare einer Bilagaani ähnlich zu sehen. Deuce hatte die Maschine bereits bestiegen, und sie folgte ihm wortlos. Der Stamm versammelte sich zum Abschied, doch die Menschen waren still und teilnahmslos. Morning, die Frau, die Deuce zu sich genommen hatte, weinte. Was für ein seltsamer Ort, dieses Fleckchen in Nordamerika, dachte Talia, seltsamer als alles, was ich bisher auf Babylon 5 gesehen habe. »Sie flogen nach Westen«, sagte Bruder Sky und deutete zum Himmel. »Wenn ihr euch nordöstlich haltet, werdet ihr auf die Stadt Clement stoßen. Paßt auf die Salzseen auf.« »Danke«, sagte Deuce. Es hörte sich unaufrichtig an. Lizard reichte Talia noch einen Wasserschlauch, den sie umschlang. »Friede«, sagte er leise. Sie nickte und versuchte zu lächeln. Deuce startete die Maschine. Die solargetriebene Turbine war erstaunlich leise. Das Luftkissenfahrzeug wurde einige Zentimeter in die Luft gehoben und spuckte Sand auf Lizard, Sky und die anderen, die trotzdem
stur verharrten. Einige hoben die Hand zum Abschied. Talia griff nach dem Überrollbügel, als sie aus dem Fahrzeugpark herausschössen und auf die Berge im Nordosten zurasten. Die Krabbenchips und die Rinderlende hatten gut geschmeckt, lagen Garibaldi jedoch schwer im Magen. Er dachte an all die Dinge, die er erledigen mußte, und an die Orte, die er aufzusuchen hatte. Das stille Washingtoner Restaurant bot kaum ausreichend Ablenkung. Die Gespräche von Marion und Harriman halfen ebensowenig, schwelgten die beiden doch unausgesetzt in Erinnerungen an alte Schülerstreiche und an Reisen nach Fort Lauderdale. Dann verstieg sich Gray in die Beschreibung seines Apartments, und Augenblicke später diskutierten die beiden Männer verschiedene Stilrichtungen zeitgenössischer Innenarchitektur. Garibaldi hätte die Wände hochgehen können. »Entschuldigen Sie mich«, sagte er und stand vom Tisch auf. »Ich muß ein paar Schritte gehen. So zünftiges Essen gibt es auf Babylon 5 nicht, und meine Innereien proben den Aufstand. Vielleicht finde ich ein Com-Link, um mich mit Sheridan kurzzuschließen.« Gray sah ihm besorgt nach, während Marion sich überhaupt nicht ablenken ließ, als der Sicherheitschef sich entfernte. Er ging durch die Schwingtüren und fand sich in einem kleinen Innenhof wieder. Er nahm ein paar Stufen hinunter zu einem zierlichen Garten.
Die Außenluft roch wunderbar, und augenblicklich fühlte er sich wohler. Es gab auch Gärten und offene Plätze auf Babylon 5, aber die mußte man suchen. Dafür hatte er selten Zeit. Die Luft auf Babylon war die beste, die man für Geld kaufen konnte, aber sie konnte dem Vergleich mit dem Kieferngeruch und dem Duft des frisch gemähten Grases nicht standhalten. Es fragte sich wieder einmal, wie er es auf einer Station aushallen konnte, die sich um einen unheimlichen, fast toten Planeten drehte, wenn es wunderbare Orte wie diesen gab, der für die Menschen erschaffen worden war. Er dachte daran, daß er heute abend noch nach Boston zurück mußte. Spätestens morgen früh. Da wußte er plötzlich wieder, was Babylon 5 so angenehm machte. Es war eine in sich geschlossene Welt. Man mußte nicht mit komischen kleinen Fahrzeugen durch die Gegend kutschieren, um Menschen zu treffen. Jedermann war zwanzig Minuten Fußweg oder weniger entfernt. Und eine Viertelmillion Lebewesen war wesentlich einfacher zu handhaben als vier Milliarden. Ja, die Luft der Erde schmeckte gut, aber hier war nicht sein Zuhause. Nachdem er noch ein paar Mal geschnuppert hatte, ging Garibaldi um das restaurierte Herrenhaus herum. Er erinnerte sich an ein öffentliches ComLink nahe den Waschräumen. Ja, da war es. Das Com-Link war nicht besetzt, also zog er seinen
Creditchip durch und tippte die Nummer ein. Dann lehnte er sich gegen die Mauer. Der Vorgang konnte ein paar Minuten dauern. Einige sehr elegante Frauen trafen mit ihren Begleitern ein. Einige von ihnen erinnerten ihn an Talia - rassig, smart, schnell, klasse. Er wußte nicht, ob er Talia jemals wiedersehen würde. Der Gedanke deprimierte ihn. Nicht, daß sie ihm jemals mehr als die unabdingbare Aufmerksamkeit geschenkt hätte, aber sie war immer so selbstsicher, zielstrebig und stolz auf ihre Leistung gewesen. Es schmerzte ihn zu wissen, daß sie nun nur noch ein gehetztes Tier war, das sich vor jedem Schatten fürchtete. Er hatte keine Ahnung, wie er Talia vor den anderen finden sollte, aber er mußte es versuchen. Es gab immer noch die Möglichkeit, daß sie gar nicht zu Erde geflohen war, sondern ein Schiff zu den entferntesten Winkeln der Galaxie bestiegen hatte. Aber er war sicher, daß sie auf der Erde war. Nicht nur, weil Emily Crane hier war. Die Erde war für Talia vertrautes Territorium. Menschen flüchteten gemeinhin vom Fremden zum Vertrauten, nicht umgekehrt. Garibaldi hatte schon oft daran gedacht, zum Mars zurückzugehen, wenn es für ihn mal eng würde. Talia hingegen würde hierher gehen. Die Erde war noch aus einem anderen Grund die folgerichtigste Wahl - wenn ein Mensch untertauchen wollte, tat er das nicht an einem Ort, wo Menschen in der Minderheit waren. Das machte
seinen Job nicht gerade einfacher, und ihre einzige Chance war jetzt, daß er sie rechtzeitig aufspürte. Eine synthetische Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. »Die Verbindung zu Babylon 5 steht.« »Bin schon da, bin schon da«, versicherte er dem Computer Ein leerer Sessel erschien auf dem Schirm, in den sich kurz darauf Sheridan fallen ließ. »Garibaldi«, sagte der Captain mit einem Stirnrunzeln, »hier liegt einiges im argen.« »Ja, Sir.« »Mr. Bester ist seinem Käfig entronnen. Sein angeblicher Privatarzt ist eingetrudelt und hat sich als Psi-Polizist entpuppt. Man hat ihn heimlich weggebracht. Wir haben zwar keinen Doktor zu Gesicht bekommen, aber einige Formulare, die den Vorgang absegnen. Dr. Franklin weiß nicht, ob er sauer oder erleichtert sein soll.« »Wie fit ist Bester?« fragte Garbaldi. »Nicht sehr. Franklin meint, er könne in ein paar Tagen mit Krücken laufen. Weil er alle Medikamente verweigert hat, dürfte seine Laune auf dem Nullpunkt sein.« »Was glauben Sie, hat er jetzt vor?« »Er will Mrs. Winters«, entgegnete der Captain. »Er hat nur davon geredet. Wie kommen Sie voran?« Garibaldi sah sich um und senkte die Stimme: »Wir haben klare Spuren, die zu Emily Crane und
Arthur Malten führen. Das ist schon viel, aber ohne Talias Aussage stehen wir mit leeren Händen da.« »Das ist ein Problem«, räumte Sheridan ein. »Einige hier sind sehr froh, daß niemand mehr vom Psi-Corps auf der Station ist, aber alle vermissen Mrs. Winters. Ich wünschte, es hätte einen anderen Weg gegeben. Aber was passiert ist, ist passiert.« »Setzen Sie Ihr Geld nicht gegen mich«, erklärte Garibaldi. »Ich bringe sie zurück, frei und lebend. Bis dann, Sir.« »Viel Glück. Sheridan Ende.« Garibaldi schaltete ab und lief ein paar Sekunden lang im Foyer herum. Er mußte etwas unternehmen. Er brauchte einen Ortswechsel. Schließlich hatten sie in Washington alle notwendigen Informationen bekommen. Vielleicht wäre es besser, gleich jetzt nach Boston zu fahren und sich vor Emily Cranes Büro auf die Lauer zu legen. War die Frau vom Mix so von sich überzeugt, daß sie nicht einmal untertauchen würde? Sie und Malten hatten so naheliegende Motive für die Anschläge gehabt, daß sie jetzt vielleicht eine Dummheit begehen würden. Garibaldi versuchte, sich ein Psi-Corps ohne die militärischen Winkelzüge, die Drohungen und die allgemein verbreitete Hinterlist vorzustellen. Der Gedanke gefiel ihm. Sehr sogar. Dadurch wurde ihm klar, daß er, philosophisch gesehen, auf der Seite der Attentäter stand. Verdammt, warum konnte das Leben nicht schwarz und weiß sein, die Guten gegen die Bösen?
Er konnte jetzt nicht mehr hier rumhängen und über Berlin, Debütantenbälle und Studentenschwof reden. Er mußte Gray abhängen. Der Telepath hatte sich als erstaunlich nützlich erwiesen, indem er den Zusammenhang zwischen den Anschlägen auf dem Mars und auf B5 erkannt hatte. Sie hatten durch seinen Kontakt zu Marion eine Menge Zeit gespart, aber damit war sein Nutzwert erschöpft. Sie wußten jetzt alles, was sie herausfinden konnten, ohne Emily Crane oder Arthur Malten zu beschatten. Und dafür brauchte man einen Bluthund wie Garibaldi. Wenn es hart auf hart kam, würde Gray nur im Wege sein. Garibaldi verließ das Restaurant durch die Vordertür und wollte gerade zu einem Sprint ansetzen, um ein Autotaxi abzufangen, als er hinter sich ein vernehmliches Räuspern hörte. Er drehte sich um und sah Gray mit verschränkten Armen im Schatten stehen. »Ich habe mich schon gefragt, wann Sie sich absetzen werden«, sagte der Telepath vorwurfsvoll. Garibaldi zuckte die Achseln: »Hören Sie, ich habe gerade erfahren, daß ihr Boß Bester wieder auf der Piste ist. Ich dachte, Sie würden jetzt Verbindung mit ihm aufnehmen wollen.« »Ich dachte, wir wären ein Team«, maulte Gray, sichtlich enttäuscht. »Mein Befehl lautet, dieser Sache auf den Grund zu gehen. Zusammen sind wir diesem Grund schon ziemlich nahegekommen. Es tut mir leid, daß Sie unsere Partnerschaft nicht ebenso fruchtbar finden.«
»Hören Sie«, sagte Garibaldi lächelnd, »ich bin halt ein bißchen aufgedreht. Ich muß was tun. Machen wir es so: Morgen früh um 09:00 treffe ich Sie vor Emily Cranes Büro. Und nun beenden Sie schön brav das Essen mit Ihrem Freund.« »Wir treffen uns dann morgen?« fragte Gray zweifelnd. »Habe ich das nicht gerade gesagt?« »Nun gut«, sagte Gray. »Im Ernst, wir sind die einzigen, die eingeweiht sind. Wir müssen uns gegenseitig decken.« »Ja, ja«, murmelte Garibaldi und ging davon. »Ich sehe Sie morgen.« »Was ist mit Ihrem Anteil an der Rechnung?« »Danke!« rief Garibaldi noch und verschwand in einer Seitenstraße. Talia Winters suchte mit Deuces Fernglas vom Luftkissenfahrzeug aus den Himmel ab. Würde sie das Shuttle schneller entdecken, als das Shuttle sie? Höchstwahrscheinlich nicht. Selbst wenn, war das nur die halbe Miete, denn dann würden sie ein Versteck suchen müssen. Im Augenblick fuhren sie am Rande einer alten Erdbebenspalte entlang, die im Notfall auch nicht von Nutzen sein würde. Hier in der Wüste glichen sie Tontauben. »Dieser Trip sollte mich nur einen Diamanten kosten!« beschwerte sich Deuce. »Nun bin ich schon vier los.« Bis dahin hatte er diese besondere Ungerechtigkeit schon ungefähr hundert Mal Talia
mitgeteilt, darum schwieg sie und richtete ihre Perücke samt Kappe. Nach ihrem Gefühl kamen sie mit diesem primitiven Vehikel gut voran, auch wenn sie allmählich eine Sandkruste bekam. Es ärgerte sie nur, daß sie keine Ahnung hatte, wohin die Reise ging. Clement? Nie gehört. Da mußten sie sich auf Bruder Skys Angaben verlassen. »Vielleicht haben diese Ratten ja gar nichts gesehen«, dröhnte Deuce. »Sie haben doch kein Shuttle gesehen, oder? Ich auch nicht.« Auf diesen Gedanken war Talia noch gar nicht gekommen, und sie sah den Gangster an: »Sie meinen, man hat uns etwas vorgemacht, um uns loszuwerden?« »Klar, vielleicht behaupten die jetzt gerade, wir hätten ihr Luftkissenfahrzeug geklaut. Wir werden kaum die Gelegenheit bekommen, das auszudiskutieren.« Talia schlug ihm auf die Schulter und schrie: »Halten Sie dieses Ding an. Halten Sie an!« Deuce nahm langsam das Gas zurück, und das Luftkissenfahrzeug stoppte. Er wischte sich den Sand aus dem Gesicht und fragte: »Was, zum Teufel, ist denn mit Ihnen los?« Talia sprang aus dem Vehikel und streckte ihre Beine aus. »Denken Sie doch mal nach«, rief sie. »Die haben uns aus dem Dorf vertrieben, weil sie wußten, daß so oder so jemand nach uns suchen würde. Ob sie das Corps rufen, ob es uns aufspürt, ob es einen Funkspruch auffängt, ist doch völlig
egal. Das Corps weiß, daß wir da sind. Keine Chance, bei Tageslicht unentdeckt durch diese Wüste zu kommen. Also sollten wir uns tarnen und bis zum Einbruch der Nacht warten.« Deuce starrte zuerst sie, dann die unbarmherzige Sonne im Westen an. Er grinste dümmlich und kratzte sein Stoppelkinn. »Vielleicht haben wir das falsch angepackt«, sagte er gedehnt. »Warum sollen wir in einem armseligen Luftkissenfahrzeug rumkutschieren, wenn die Leute vom Corps Shuttles haben? Warum sollen wir überhaupt flüchten? Wir stellen denen eine Falle. Wie viele können sie schon sein?« »Nun«, sagte Talia und zupfte sich die Perücke grade, »wenn es wirklich Psi-Polizisten sind, die mich verfolgen, dann werden sie nicht die Behörden verständigen. Sie schnappen Wilde Telepathen gerne selbst, ohne Einmischung von außen. Vermutlich haben sie mehrere Zweimann-Shuttles über die gesamte Gegend ausschwärmen lassen.« Deuce packte die Stoßstange des Luftkissenfahrzeugs und begann, das Gefährt hochzuwuchten. »Kommen Sie. Helfen Sie mir, das Ding umzukippen.« »Warum?« fragte Talia, während sie ihm bereits zur Hand ging. »Es muß wie ein Unfall aussehen.«
16 Talia Winters beobachtete einen Skorpion, der in einem Meter Entfernung von ihrem Gesicht über den Sand huschte. Das dunkle Tier war auf der Oberfläche kaum zu erkennen. Sein tödlicher Schwanz tanzte auf und ab, und sein Stachel schien nach einem geeigneten Ziel zu suchen. Sie hatte die furchtbare Angst, daß ihre Nase für den Skorpion eine Delikatesse darstellte, aber sie traute sich weder zu schreien, noch sich zu bewegen. Sie mußte den Stich hinnehmen und dann zusehen, wie sie mit dem Gift fertig wurde, denn kaum einen Kilometer entfernt zog das schwarze Shuttle seine Kreise und setzte zur Landung an. Talia schloß die Augen, als die Landedüsen des Shuttles tonnenweise Sand über sie bliesen. Nach dieser Odyssee durch die Wüste würde sie nie mehr wirklich sauber werden. Sie hielt den Atem an und wartete darauf, daß der Skorpion mit seinem Stachel voran in ihr Gesicht geflogen kam. Als nichts geschah, preßte sie sich weiter gegen den Boden und stellte sich tot.
Sie konnte sich vorstellen, wie die Szene vom Shuttle ausgesehen haben mußte: ein umgestürztes Luftkissenfahrzeug, das zu nah an die Erdspalte gekommen war, der Körper einer Frau regungslos daneben in der Gluthitze des Nachmittags. Nicht besonders furchteinflößend, wie sie hoffte. Talia hörte, wie sich die Luke des Shuttles öffnete, dann knirschten Stiefel im Sand. Wie sie vermutet hatte, waren die Psis nur zu zweit. Sie spürte, wie beide versuchten, sie zu sondieren. Obwohl es sich um P12s handelte und sie nur eine magere P5 war, hatte sie etwas während ihrer Kontakte mit außerirdischen Rassen gelernt, was ihr jetzt zugute kam: das Blockieren eines gewöhnlichen Scans mit bizarren Bildern. Sie dachte wieder an Kosh und die »unsichtbare Isabel«. Damit würden die Polizisten nichts anfangen können. »Sie lebt noch«, sagte einer von ihnen, »ist aber nicht bei Bewußtsein.« »Ist das die Wilde Telepathin?« fragte der andere. »Die soll doch blond sein.« »Die Haarfarbe hat nichts zu sagen«, erwiderte darauf der erste. »Außerdem stirbt sie, wenn wir sie hier liegenlassen. Tragen wir sie rein.« Mit geschlossenen Augen konnte Talia nicht erkennen, ob sie ihre PPGs wieder in die Holster zurückgesteckt hatten. Aber mit den Waffen in der Hand würden sie sie schlecht heben können. Sie lauschte auf die sich nähernden Schritte und gab das verabredete Zeichen.
Sie stöhnte laut auf. Das erregte ihre Aufmerksamkeit, und keiner von beiden bemerkte Deuce, der hinter ihnen aus dem Sand aufstieg. Mit seiner PPG schoß er dem ersten Psi-Polizisten in den Arm, der daraufhin in die Knie ging. Nummer zwei griff nach seiner Waffe. »Na los.« Deuce grinste. »Ich habe der Lady versprochen, euch nicht zu töten, aber ich halte nur wenige Versprechen.« Talia rappelte sich auf und nahm die PPG aus dem Holster des verletzten Psi-Polizisten. Dann entwaffnete sie auch seinen Kollegen sehr vorsichtig. »Damit kommen Sie nicht durch«, sagte der schwarzuniformierte Telepath. »Wir erwischen Sie.« Talia sagte nichts und begann, den Wasserschlauch, die Aktentasche und den Beutel aus dem Luftkissenfahrzeug zu holen. Dann überlegte sie kurz und legte den Wasserschlauch zurück. »Oh bitte, lassen Sie mich die beiden umbringen«, bettelte Deuce. »Wer würde die schon vermissen? Vermutlich nicht einmal ihre Mütter.« Talia warf ihm einen wütenden Blick zu, woraufhin Deuce enttäuscht das Gesicht verzog und sich rückwärts auf das Shuttle zubewegte. »Meine Herren«, sagte er, »wir machen Ihnen heute ein echtes Top-Angebot: dieses hervorragend erhaltene Luftkissenfahrzeug im Austausch gegen dieses heruntergekommene Shuttle. Wenn Sie immer nach Nordosten fahren, kommen Sie zurück in die
Zivilisation. Die andere Richtung würde ich nicht einschlagen, weil wir dieses Gefährt ein paar Leuten geklaut haben, die vielleicht zuerst schießen und dann erst fragen.« Talia sprang in das Shuttle und legte die Hand auf den Verriegelungsmechanismus, um die Tür hinter Deuce zu schließen. »Haben Sie meine Aktentasche?« fragte der Gangster. »Ja.« Er nickte und sprang hinein. Talia schloß die Tür und sie zwängten sich in die beiden Sitze im Cockpit. »Wissen Sie, wie man so ein Ding fliegt?« fragte Talia. Deuce lachte: »Denken Sie, ich habe noch nie ein Shuttle geklaut? Ist ein Hobby von mir.« Ehe sie noch den Gurt anlegen konnte, gab er bereits vollen Schub. Der kleine Transporter schwankte und zitterte. Es war nicht gerade ein weicher Start, aber schon bald waren sie in der Luft. Staub und Sand gaben die Sicht frei. Talia seufzte und sank in ihren Sitz. »Keine Panik«, sagte Deuce, »aber Sie haben einen, äh, Skorpion im Haar.« Talia verlor die Nerven; sie schrie und riß sich die Perücke vom Kopf. Der verirrte Skorpion wollte sich verstecken, war aber in dem Metallbau des Shuttles außerhalb seines Elements. Talia nahm einen Schuh, um nach ihm zu werfen.
»Töten Sie ihn nicht«, sagte Deuce. »Ich will ihn mit nach Guadalajara nehmen.« »Guadalajara?« wiederholte Talia. »Ich muß nach Boston.« »Dann trennen sich hier wohl unsere Wege.« Um seine Entschlossenheit zu unterstreichen, zog Deuce seine PPG und zielte auf sie. »Können Sie mich irgendwo absetzen? In einer Stadt, meine ich.« »Ich kann höchstens in einem Randgebiet landen. Sie müssen von da laufen.« Talia antwortete mit einem Achselzucken. Sie war zu fertig, um zu fragen, was das Schicksal als nächstes mit ihr vorhatte. »Ich habe kein Geld«, fügte sie hinzu. »Verdammt«, murmelte Deuce, »sehe ich wie ein Geldautomat aus? Dieser ganze Trip sollte mich eigentlich nur einen Diamanten kosten, und jetzt bin ich schon ...« »... vier Diamanten los«, beendete sie seinen Satz. »Aber Sie haben das Shuttle, und das nur dank meiner Hilfe.« »Richtig«, gab Deuce zu und legte seine Waffe weg. »Ich schätze, das ist ein Ausgleich. Geben Sie mir die Aktentasche.« Sie gab ihm die Aktentasche, und er stellte das Shuttle auf Autopilot, um darin herumkramen zu können. »Hier ist ein Einkaräter«, sagte er. »Der sollte Sie überall hinbringen. Sie hätten mich die Psi
Polizisten töten lassen sollen. Sobald die ein ComLink erreichen, weiß der gesamte Globus Bescheid.« »Ich weiß«, entgegnete Talia mürrisch. Sie nahm ihm den Diamanten ab und versuchte zu lächeln. »Danke.« »Sie sind ein harter Knochen«, bemerkte Deuce bewundernd. »Wenn wir uns je wiedersehen, zum Beispiel bei meiner Hinrichtung, würden Sie dann bestätigen, daß ich nicht ganz verdorben war? Daß ich auch mal jemandem einen Gefallen getan habe und sogar zwei Psi-Polizisten am Leben ließ?« Talia lächelte jetzt wirklich. »Mache ich. Mir hat mal jemand auf Babylon 5 gesagt, daß niemand der ist, für den er gehalten wird. Ich hatte keine Ahnung, was das heißt - bis jetzt. Jeder von uns hat viele Seiten. Gut, böse, richtig, falsch, alles vermischt sich. Ich werde nicht vergessen, daß Sie mir geholfen haben, Deuce.« Er lächelte jungenhaft, und für einen Augenblick sah sie den Jungen, der einen Kracher in den Papierkorb seiner Lehrerin gesteckt hatte. War das der Augenblick, als er zum schlechten Menschen wurde? Hätte sich dieser Vorfall nie ereignet, oder das Attentat, wären sie dann beide unbescholtene Bürger statt flüchtige Kriminelle? Sie wußte es nicht. Sie würde es nie wissen. »Phoenix voraus«, sagte Deuce. Es war fast dunkel, als Deuce das Shuttle hinter einem Getreidesilo am Rande der riesigen Stadt landete.
»Keine Zeit für lange Abschiede«, sagte er und öffnete die Tür. »Hier gibt es viel Verkehr im Luftraum.« Talia rückte ihre Perücke und die Mütze zurecht und sah noch mal nach ihren einzigen Besitztümern, dem Diamanten und der Adresse von Emily Crane. Sie hatte kurz daran gedacht, eine der PPGs mitzunehmen, aber eine Schießerei mit der Obrigkeit war nicht ihr Stil. Sie verharrte im Türrahmen: »Ciao.« »Viel Glück«, sagte Deuce knapp. »Sie werden es brauchen.« Talia sprang aus dem Shuttle und rannte in Deckung, während er bereits wieder vollen Schub gab. Eine Sekunde später waren Deuce und das Gefährt verschwunden. Sie war wieder allein, umgeben von Dunkelheit und ein paar Grillen. Es fühlte sich gut an, als wäre die Dunkelheit ein Gefährte in dieser traurigen Zeit. Sie sah die entfernten Lichter der Stadt, fand eine halb überwucherte Straße und marschierte los. Michael Garibaldi stand allein auf der Brücke und sah die Lichter des Hafens, die auf dem Wasser tanzten. Er war nach Boston zurückgekehrt, und warum? Seine Versuche, Emily Cranes Privatadresse herauszufinden, waren gescheitert, und bei der Bostoner Polizei kannte er niemanden, der ihm helfen würde. Kommerzielle Telepathien, die sich als marsianische Terroristen ausgaben, um PsiPolizisten auf einer Lichtjahre entfernten
Weltraumstation in die Luft zu jagen - das wollte er keinem gewöhnlichen Cop erklären müssen. Das mußte man miterlebt haben. Außerdem würden die ihn tagelang festhalten, immer wieder verhören, immer wieder überprüfen. Mit Malten auf dem Mars blieb ihm Emily Crane als einzige heiße Spur. Entgegen Grays Meinung, daß sie nicht fliehen würde, war Garibaldi da nicht so sicher. Solange Talia flüchtig war, konnten sie nichts gegen die Crane unternehmen, aber damit war sie noch nicht aus der Sache raus. Wenn Talia wieder auftauchte, beschützt würde und mit den richtigen Leuten sprach, wäre Emily Crane in Schwierigkeiten. Wenn er nur die Möglichkeit gehabt hätte, ihre Wohnung zu beobachten, dann hätte er ihr vielleicht soviel Angst einjagen können, daß sie ein Geständnis ablegte. Aber wie sollte er an ihre nicht aufgeführte Adresse herankommen? Er schnippte mit den Fingern, während eine Barkasse ihre Ankunft im Hafen mit einem langen Heulton ankündigte. Vielleicht konnte ihm der Mann an der Rezeption des Mix weiterhelfen. Wie war doch gleich der Name gewesen ? Auf dem Namensschild hatte gestanden Ronald Trishman. Ein Rezeptionist, selbst ein so mürrischer wie dieser, hatte doch sicher eine Liste der Privatadressen. Garibaldi lief zum Ende der Brücke und betrat eine Bar am Ufer. Der Geruch des Alkohols war einladend - wie immer, und angesichts der vielen halbseidenen Typen und Herumtreiber fühlte sich Garibaldi gleich
wie zu Hause. Heute abend führte ihn jedoch nicht Heimweh hierher. Er ging zu einem Bildschirm und wartete, bis ein großer Kerl mit Tätowierungen auf beiden Armen das Gespräch mit seinen Kindern irgendwo in Australien beendet hatte. Dann schnappte er sich den Com-Link, bevor sich jemand vordrängen konnte. Er rief den Informationsindex auf und wählte Ronald Trishmans Namen. Es gab zwei Ronald Trishmans, aber das war für eine Stadt von der Größe Bostons gar nicht so schlecht. Der Sicherheitschef trug beide Nummern in sein elektronisches Notizbuch ein. 22:00 war nicht sehr spät, also wollte er beiden Ronald Trishmans einen Besuch gönnen. Einer von ihnen mußte wissen, wo Emily Crane lebte. Er wußte, daß er beim ersten Trishman falsch lag, als er bei Flag Hill aus dem Autotaxi stieg. Diese Gegend war zu schnieke, eine Ansammlung von Stadthäusern, die altmodisch aussahen, aber ungeheuer elegant waren und mit Erkerfenstern im Neokolonialstil angaben. Nun ja, dachte Garibaldi, vielleicht macht Ronald seinen Job an der Rezeption ja besonders gut. Er drückte die Klingel an der Pforte, und die schläfrige Stimme einer Frau antwortete: »Ja?« »Entschuldigung«, sagte Garibaldi, »ich müßte mal kurz mit Ronald sprechen.« »Er nimmt gerade eine Bad. Worum geht's? Wer sind Sie?« »Ich arbeite mit ihm beim Mix.«
»Mix?« fragte sie. »Mein Mann ist Arzt.« Sie schaltete ab. Als Garibaldi wieder auf die Straße trat, sah er nur noch die Rücklichter seines Autotaxis. Nun, schätzte er, da habe ich wohl nicht genug Trinkgeld gegeben. Er sah sich in dem Labyrinth von Straßen und Häusern um, das von einem Lichterkranz umflort war. Im Vergleich zur drückenden Enge von Babylon 5 erschien Boston wie ein riesiger Naturpark, zu groß für irgendeinen geordneten Sinn und Zweck, angefüllt mit exotischen Menschen. Er fragte sich, was das wohl über sein Leben aussagte daß er Londo, G'Kar und ihre außerirdischen Spießgesellen für normal hielt. Der Sicherheitschef hatte einen ziemlich gut entwickelten Orientierungssinn, und die Nacht war wunderschön, also beschloß er, zu Fuß zu gehen. Er wußte, daß der zweite Ronald Trishman in einer Straße mit dem Namen Beacon lebte. Das war nicht weit. Er konnte ja nach dem Weg fragen. Nach drei Blocks wurden Bäume immer seltener, und die Wohnhäuser wichen Bürogebäuden und Geschäften. Er war nicht mehr der einzige Fußgänger. Die anderen sahen wohlhabend und gut angezogen aus, so daß er sich in seiner Uniform wie ein Soldat beim Heimaturlaub vorkam. Als er sich einem Kasino näherte, wurde seine Aufmerksamkeit auf eine Reihe von Bildschirmen in einem Schaufenster gelenkt. Er sah wieder Talia Winters Gesicht. Ein sehr telegenes Gesicht - schmal und selbstbewußt, mit
wunderschönen Augen. Er verstand, warum sie es so gerne zeigten. Dieses Mal verwendeten sie eine Computersimulation, um die glatten blonden Haare in wilde braune Locken zu verwandeln. Er konnte den Ton nicht hören, darum trat er ein. »Nach der Beschreibung der Beamten«, sagte der Nachrichtensprecher, »trug Talia Winters eine neue Frisur, vermutlich eine Perücke. Sie war in Begleitung eines Mannes. Zuletzt wurde sie in Arizona gesehen, mittlerweile aber könnte sie sich woanders aufhalten. Sie und ihr Begleiter sind im Besitz eines Shuttles ...« In Begleitung eines Mannes, dachte Garibaldi. Sie hat einen Beschützer gefunden. Das sollte ich sein, dachte er. Nun, er unternahm alles, um die wahren Schuldigen zu fassen. Trotzdem fühlte er sich schuldig, nicht mehr Möglichkeiten zu haben, Talia zu finden. Er konnte nur das Büro von Emily Crane im Auge behalten, in der Hoffnung, daß sie dort auftauchen würde. Aber was, wenn sie nur auf der Flucht war und gar nicht nach Emily suchte? Wie auch immer, sie befand sich definitiv auf der Erde, wie er vermutet hatte. Sie würde Glück brauchen, den Planeten wieder lebend zu verlassen, bevor die Psi-Polizisten sie erwischten. Er konnte nicht darauf zählen, daß sie fähig sein würde, für sich auszusagen, deshalb mußte er die wirklich Schuldigen finden. Obwohl er kein Telepath war, versuchte er, ihr eine Nachricht zu schicken: Halte durch, Talia.
»Ich habe einen Diamanten«, sagte die große Frau mit den lockigen braunen Haaren. Sie klapperte mit den Wimpern und hoffte, daß dem Pfandleiher nicht auffiel, wie schmutzig sie war. Fast hätte sie ihre Zunge verschluckt, als sie ihr Bild auf einem Bildschirm hinter ihm sah. Ein Pressefoto, das letztes Jahr für eine Broschüre aufgenommen worden war. Sie klammerte sich fester an ihre Mütze und blickte starr auf den Boden. Jeden Augenblick würde der Pfandleiher die Polizei benachrichtigen. »Ja?« fragte er. »Einen Diamanten?« Er hatte mit einem anderen Kunden gesprochen, als sie eingetreten war. Vielleicht hatte er die Nachrichten gar nicht gesehen. Sie seufzte und nahm den Diamanten aus ihrer Jackentasche. Mit einem hoffnungsvollen Lächeln reichte sie ihn über die Ladentheke, und der Mann legte ihn auf ein Seidentuch. »Ein Karat«, sagte sie, »Brillantklasse.« »Das werden wir sehen«, antwortete der Pfandleiher und griff nach seinem Scanner. Er hielt den Diamanten für ein paar Augenblicke unter den Lichtstrahl, las die Werte ab und nickte. »Ja, TopQualität. So etwas gibt es hier auf der Erde gar nicht mehr. Wo haben Sie den her?« »Wollen Sie ihn oder nicht?« »Achthundert Credits.« Sie versuchte, ruhig zu bleiben. »Ich will ihn verkaufen, nicht vermieten.«
»Der Preis bleibt der gleiche.« »Ich denke, er ist weit mehr wert«, sagte sie langsam. »Dann gehen Sie woanders hin.« Sie nahm den Stein vom Seidentuch, doch er machte ein weiteres Angebot, bevor sie ihn wieder in die Tasche stecken konnte. »Achthundertfünfzig, nicht mehr.« Sie sah ihn an und dachte daran, wie müde und schmutzig sie war. Mit dem Geld konnte sie sich wenigstens ein Bad leisten. Es war Betrug, aber wenigstens würde sie mit Geld in der Tasche geschnappt werden oder sterben. »Okay«, sagte sie. »Achthundertfünfzig.« »Na denn«, sagte der Mann. »Wenn Sie mir ihren Creditchip geben, überweise ich den Betrag auf ihr Konto.« Sie schüttelte den Kopf und blickte zu Boden. »Ich habe keine Credits. Darum verkaufe ich den Diamanten.« »Schön«, sagte der Mann, der den Handel unbedingt über die Bühne bringen wollte. »Geben Sie mir Ihre Identicard, dann mache ich Ihnen einen Creditchip. Ist unser Service. Kostet nur ein Prozent des Kaufpreises.« Noch ein Betrug, aber in der Not fraß der Teufel Fliegen. Wenigstens hatte sie eine Identicard. Sie händigte sie dem Mann aus, der mit der Karte und dem Diamanten verschwand.
Sie sah sich in der Pfandleihe um. Sie war noch nie in einem solchen Laden gewesen. Die hatten sich in Hunderten von Jahren wohl nicht verändert. Es gab Schmuckstücke, Sammlerstücke, kleine Apparate, Musikinstrumente, alles, was leicht zu tragen war und ein paar Credits wert schien. Es gab vier große Schrifttafeln, die verschiedene Gelddienstleistungen anboten. »Da wären wir, Mrs. Nelson«, sagte er und gab ihr die Identicard und einen neuen Creditchip. »Danke für Ihren Besuch.« Sie atmete tief durch und sah die Karten an. Für einen Moment schien sie wieder eine reale Person zu sein, auch wenn es nicht ihre eigene Identität war. »Danke«, sagte sie. »Wenn ich einen Schnellzug oder ein Shuttle zur Ostküste brauche, wo finde ich so etwas?« »Da gibt es eine U-Linie an der Ecke, die Sie direkt zum Fernreisebahnhof bringt. Die Züge fahren regelmäßig, das dürfte am schnellsten gehen.« »Danke«, sagte sie und ging leicht benommen aus dem Laden. Sie hätte sich gerne auf dem Bürgersteig schlafen gelegt. Nein, sagte sie zu sich selbst, du bist ein Hai. Immer in Bewegung bleiben. Immer in Bewegung bleiben. Das sieht schon besser aus, dachte Garibaldi, während er den anonymen Wolkenkratzer betrachtete. Es war eine silbern schimmernde Monstrosität, die tausend Familien beherbergte, und sie erschien ihm gleich viel vertrauter als die ganze
offene Landschaft um ihn herum. Der Eingang hatte ein Sicherheitsschloß, aber es gingen so viele Menschen aus und ein, daß man leicht mit einem der Mieter durchschlüpfen konnte. Genau das tat Garibaldi auch, als er sich einer Sikh-Familie mit Turbanen und weißen Roben anschloß. »Heimaturlaub?« fragte der Patriarch. »Ja«, erwiderte Garibaldi. »Ich besuche meinen Dad, Ronald Trishman. Kennen Sie ihn?« Die Familie schüttelte einhellig die Köpfe und begab sich zum Lift. Garibaldi checkte sein Notizbuch, als suchte er nach der Nummer des Apartments. Kaum waren die Sikhs außer Sichtweite, rief er den Index auf und fand Ronald Trishmans Apartment im sechsundvierzigsten Stockwerk aufgeführt, Westflügel. Er nahm eine Reihe von Hochgeschwindigkeitsaufzügen, um dorthin zu gelangen. Er stoppte vor der entsprechenden Tür, fand Trishmans Namen unter der Klingel und drückte den Knopf. Ein kleiner Bildschirm in der Tür fing an zu blinken, die Sicherheitsanlage der Wohnung wurde aktiviert. Er klingelte noch einmal. Vermutlich würden bewaffnete Sicherheitsbeamte herzitiert, wenn er hier noch lange herumstand. Endlich erschien ein verwirrtes Gesicht auf dem Bildschirm und blinzelte ihn an: »Wer, zur Hölle, ist da?« Er senkte entschuldigend den Kopf. »Es tut mir sehr leid, Sie zu stören. Ich bin Michael Garibaldi,
der Sicherheitschef von Babylon 5. Wir haben heute miteinander gesprochen.« »Grundgütiger, was wollen Sie um diese Uhrzeit?« »Wir haben Grund zu der Annahme, daß sich Emily Crane in großer psychischer und physischer Gefahr befindet.« »Was?«, murmelte der ältere Mann. »Weswegen kommen Sie dann hierher? Oh, ich lasse sie besser erst mal rein. Sonst wecken Sie mir die ganzen Nachbarn auf.« Er hörte klickende Geräusche, dann glitt die Tür auf. Garibaldi lächelte zufrieden und trat ein. Trishman trug einen teuren Bademantel und Schlappen; fehlte bloß noch die Pfeife. »Hören Sie«, sagte der Rezeptionist eifrig, »wenn wir ein Gespräch führen, sollte ich wohl besser Tee machen. Mögen Sie welchen?« »Nein, danke«, sagte Garibaldi, »für mich nicht. Ich habe Tee nie sehr gemocht.« Er hörte Ronald in der Küche lärmen. Der alte Mann ist nervös, dachte Garibaldi, vielleicht weiß er etwas über die großen Pläne des Mix. Er nahm auf dem Sofa Platz und bewunderte die Ausmaße des Wohnzimmers, das geschmackvoll ganz in Weiß eingerichtet war. Auf jemanden, der ein Jahr auf Babylon 5 gelebt hatte, wirkte selbst die kleinste Klitsche enorm beeindruckend. Dieser Raum hatte sogar ein Panoramafenster, das zwischen zwei ähnlichen Wohntürmen einen Blick auf den Ozean
gewährte. Kein toller Anblick, dachte Garibaldi, aber besser als die Aussicht auf ein Ladedeck. Nach ein paar Minuten kam Trishman mit einem Tablett, einer Teekanne und zwei Tassen zurück, als hoffte er immer noch, Garibaldi würde seine Meinung ändern. »Ich habe genug für vier Leute gemacht«, sagte er, »also bedienen Sie sich, wenn Ihnen danach ist.« Trishman beugte sich jetzt neugierig nach vorne. »Nun, was hat das mit Emily Crane zu bedeuten?« »Wir wollen nur sicher gehen, daß alles in Ordnung ist, können sie aber nicht finden.« »Ist sie nicht zu Hause?« fragte Trishman. Während Garibaldi noch nach einem Weg suchte, eine Antwort auf diese Frage zu umgehen, schnippte Trishman mit den Fingern. »Nein, natürlich ist sie nicht zu Hause. Sie ist auf dem Weg zum Mars, oder vielleicht schon da.« »Mars«, wiederholte Garibaldi ohne sonderliche Überraschung. Das paßte. »Sind Sie sicher?« Achselzuckend entgegnete der ältere Mann: »Das ist mein Job. Als Rezeptionist weiß man, wer in der Stadt ist und wer nicht.« Okay, dachte Garibaldi, ich weiß jetzt alles, was ich wissen wollte. Alles Weitere ist Bonus. »Wissen Sie etwas von einer Vorlage im Senat, die dem Mix die Kontrolle über das Psi-Corps überträgt?« Die Augen des Mannes leuchteten auf. »Nein. Erzählen Sie.«
Garibaldi setzte zu einer Erklärung an, machte sich dann aber klar, daß er Fragen stellen und nicht beantworten wollte. Sollte sich dieser Typ ruhig mal wichtig fühlen. »Ist Mr. Malten oft im Büro?« Trishman schüttelte den Kopf. »Nicht besonders. Vielleicht sechsmal im Jahr. Sie glauben doch nicht, daß er etwas Böses getan hat.« »Nun«, sagte Garibaldi, »dem Senat eine Gesetzesvorlage einreichen ist nichts Böses. Das Corps umzukrempeln wäre ja auch keine schlechte Idee.« »Dann stehen Sie also auf unserer Seite«, bemerkte Trishman zufrieden. »Moment«, sagte der Sicherheitschef. »Wir reden hier nicht von politischen Debatten, sondern von zwei Bombenanschlägen. Wenn Sie irgend etwas darüber wissen, müssen Sie es mir sagen.« »Ich weiß wohl so viel wie Sie«, sagte der alte Mann und trug seine Tasse in die Küche. »Wollen Sie über Nacht bleiben?« »Was?« fragte Garibaldi. »Es ist schon spät, Mr. Garibaldi. Sie können jetzt schlecht von Haus zu Haus laufen. Gibt es dort, wo Sie herkommen, keine Nacht?« »Ist das eine rhetorische Frage?« wollte der Chief wissen. Er gähnte. Er mußte sich morgen mit Gray treffen und vermutlich zum Mars fliegen. Nein, ein Hotelzimmer hatte er nicht gebucht. Das hatte er schlicht vergessen. Aber konnte er diesem Kerl vertrauen?
»Wohl kaum«, sagte er und stand auf. »Sind Sie dafür, daß der Mix das Psi-Corps übernimmt?« »Im Gegensatz zum Status quo?« fragte Trishman. »Wer wäre das nicht? Das soll nicht bedeuten, daß ich etwas von dieser Übernahme weiß. Ich weiß nichts.« »Nun, das ist beruhigend«, meinte Garibaldi. »Wissen Sie denn, wo auf dem Mars sich Mrs. Crane aufhält?« Trishman lächelte. »Leider nein. Sie können die Couch nehmen. Ich gehe jedenfalls wieder ins Bett.« Garibaldi kam sich hinauskomplimentiert vor, also ging er zur Tür und drückte die Taste für den Öffner. Er wollte sich noch einmal umdrehen, um sich zu verabschieden, als ihn starke Hände an den Armen und Schultern packten und in den Raum zurückzogen. Er wehrte sich, aber sie waren zu dritt. Sie hatten ihn überrascht und sprühten jetzt ein Zeug in sein Gesicht, das ihn benommen machte. Garibaldi stolperte rückwärts, konnte aber noch einen Treffer in der Magengrube eines Angreifers landen, der zu Boden ging. Ein anderer sprühte ihm noch mehr Betäubungsgas ins Gesicht. Garibaldi ließ die Fäuste kreisen, doch es hatte keinen Sinn. Er rutschte aus und fiel in eine endlose Nacht.
17 Der Gedanke an eine sofortige Abreise nach Boston war verlockend, aber nichts im Vergleich zu dem Gedanken an ein Bett und eine Dusche. Als Talia auf dem Weg zum Bahnhof an einem gemütlichen altmodischen Hotel vorbeikam, gab sie der Versuchung nach und drückte den Summer an der Rezeption. Es war mitten in der Nacht, aber sie hoffte, daß noch ein Zimmer frei war. Eine liebenswürdige ältere Dame erschien. »Was können wir für Sie tun, Miss?« »Einzelzimmer«, sagte sie. »Haben Sie noch eins?« »Ja, meine Liebe, nur sechzig Credits. Interessiert?« Talia fühlte, daß sie nickte, noch bevor sie darüber nachgedacht hatte. »Fein. Dann brauchte ich Ihren Creditchip und Ihre Identicard.« Talia reichte beides hinüber und dachte daran, daß sie die Identicard schon zum zweiten Mal benutzte. Jetzt blieben ihr nur noch zwei weitere
Male. Aber so schmutzig und müde, wie sie war, würde sie es mit einer Million Psi-Polizisten aufnehmen, um sich zu waschen und auszuschlafen. Morgen habe ich alle Zeit der Welt, sagte sie sich. Zeit, nach Boston zu fahren; Zeit, Emily Crane aufzusuchen; Zeit, meine Unschuld zu beweisen; Zeit, mein Leben zurückzugewinnen. Sie schleppte sich in das Hotelzimmer und riß sich die schmutzigen Kleider und die Perücke vom Leib. Sie hatte gute Lust, das ganze Zeug einfach wegzuwerfen, aber nackt würde sie wohl nicht weit kommen. In der Dusche ließ sie das lauwarme Wasser über ihre Haare und ihren Körper laufen und beobachtete, wie der Sand über ihre Füße rann und in den Ausguß gespült wurde. Sie war sogar zu müde, das Wasser heißer zu stellen. Es gelang ihr gerade noch, Shampoo in die Haare zu reiben. Sie wankte aus der Dusche und ließ sich auf das durchgelegene Bett fallen, obwohl sie noch naß war. Sie schlief augenblicklich so tief ein, daß kein Traum sie erreichen konnte. Garibaldi hingegen hatte einen Traum. Einen Alptraum, um genau zu sein. In diesem Traum band man ihm die Hände hinter dem Rücken zusammen, fesselte seine Füße und steckte ihm einen Knebel in den Mund. Er wollte aufwachen, konnte aber seine Augen nicht öffnen. Erst als er sich gegen die Fesseln wehrte, wurde der Traum wirklich übel. Jemand schlug ihn und stieß ihn zu Boden. Jetzt konnte er seine Augen aufmachen, aber das beendete
den Traum immer noch nicht; er blieb gefesselt und geknebelt. Er befand sich immer noch in Trishmans weißem Wohnzimmer, aber der ältere Mann war nirgends zu sehen. Statt dessen standen zwei kräftige junge Männer in Anzügen vor ihm. Einer lehnte über Garibaldi und starrte ihn an. Ah ja, dachte er, das ist der Typ, den ich in den Bauch geboxt habe. Warum regt der sich so auf? Schließlich war es der Chief, der verschnürt und mit einem Narkosekater auf dem Boden lag. Der Mann sah aus, als wollte er wieder zuschlagen, aber eine weibliche Stimme mischte sich ein: »Wag es ja nicht.« Garibaldi reckte den Hals, um zu sehen, wer aus dem Schlafzimmer gekommen war. Sieh an, Emily Crane. Diesmal trug sie allerdings nicht ihre übliche nachlässige Kleidung, sondern einen grauen Hosenanzug. Ihr Haar war sorgfältig zurückgesteckt. Er wollte sie fragen, wie die Reise zum Mars gewesen war, konnte aber nur nuscheln. »Legt ihn wieder auf die Couch«, befahl die Frau. Ihre zwei Handlanger parierten und setzten ihn halbwegs bequem auf die Polster. »Mr. Garibaldi«, sagte sie, »wenn Sie versprechen, nicht zu schreien, werde ich den Knebel entfernen.« Er nickte. Schreierei war sowieso nicht sein Stil. Er freute sich allerdings darauf, diesen Heinis bei nächstbester Gelegenheit kräftig aufs Maul zu
hauen. Sie schnippte mit den Fingern, und der Knebel wurde rausgenommen. »Das war aber eine kurze Reise zum Mars«, krächzte er. »Machen Sie Ronald keine Vorwürfe«, sagte sie und setzte sich neben ihn auf die Couch. »Er mußte uns anrufen. Wir haben nur noch vierundzwanzig Stunden, bevor wir mit einem unblutigen Handstreich das Corps übernehmen. Wollen Sie nicht auch Bester und seine Schergen loswerden?« »Schwester, Ihre Schergen sind mir im Augenblick auch nicht sympathischer.« Einer der Handlanger kam näher, und Garibaldi zuckte in Erwartung eines Schlages zurück. Emily Crane hielt den Mann zurück und wandte sich wieder Garibaldi zu. »Verstehen Sie, warum wir uns jetzt vierundzwanzig Stunden lang ruhig verhalten müssen, bis das Gesetz den Senat passiert hat ? Ihre detektivische Kleinarbeit ist bewundernswert, aber wir können Jahre der Planung nicht wegen einer einzelnen Telepathin ruinieren lassen.« Sie lächelte freundlich. »Ich hoffe, daß Sie unseren Standpunkt verstehen. In Tagesfrist werden Sie sehen, was wir erreicht haben, dann vergessen Sie Ihre Ermittlungen. Die Öffentlichkeit gibt sich mit den marsianischen Terroristen als Sündenbocke zufrieden - warum auch nicht?« Garibaldi wollte nicht mit ihr diskutieren, denn die Alternative zu seiner Zustimmung war wahrscheinlich die Verklappung als Fischfutter im
Hafen von Boston. »Was haben Sie mit mir vor?« fragte er. Emily erhob sich, ging zum Aussichtsfenster und sah auf die schlafende Stadt hinunter. »Vielleicht sollten wir Mr. Garibaldi wegbringen, bevor der Tag anbricht. Wenn ihm hier etwas zustößt, wirft das ein schlechtes Licht auf Mr. Trishman. Knebelt ihn, macht seine Füße los, und drückt ihm eine PPG in den Rücken.« Die Schläger lösten die Fesseln an seinen Beinen und stellten ihn auf die Füße. Sie schoben ihm wieder den übelriechenden Lappen zwischen die Zähne, aber das war im Austausch gegen die Beinfreiheit halb so wild. Seine Hände mochten zusammengebunden sein, aber er konnte treten. Und er konnte rennen. Er sah, wie einer der Handlanger eine PPG aus der Jacke zog und ihm in den Rücken stieß. Nun, vielleicht ist das mit dem Treten und dem Rennen doch keine so gute Idee, dachte Garibaldi. Emily Crane öffnete die Tür und überprüfte den Korridor. Er war menschenleer. Sie bedeutete der kleinen Gruppe, ihr zu folgen. Garibaldi wurde von den zwei Männern in die Mitte genommen. Die lassen mich nur selbst laufen, dachte er, damit sie meine Leiche nicht schleppen müssen. Trotzdem sah er keine Möglichkeit zu entkommen, also verhielt er sich auf dem Weg nach unten ruhig. Auf der Straße würde vielleicht jemand die offensichtliche Entführung bemerken. Leider war in diesen toten Stunden vor dem Sonnenaufgang niemand mehr
unterwegs. Nur ein paar Elektrofahrzeuge standen herum. Er dachte darüber nach, wie weit er kommen würde, wenn er durchstartete, bevor ihn einer der Typen mit der PGG erwischte: drei Meter, vielleicht vier. Plötzlich hörte er eine seltsame Stimme in seinem Kopf, die ihm befahl, sich zu ducken. Garibaldi hatte nichts zu verlieren, also gab er vor zu stolpern. Er stürzte in dem Augenblick auf den Asphalt, als ein PPG-Schuß dem Mann hinter ihm den Kopf von den Schultern riß. Der andere Typ griff gerade nach seiner Waffe, als Schüsse aus drei verschiedenen Richtungen ihn in Bauchhöhe zerlegten. Zweigeteilt fiel er zu Boden. Emily Crane versuchte zu entkommen. Dank ihrer Körpergröße konnte sie den ersten Schüssen ausweichen. Dann kamen zwei Schwarzuniformierte aus den Büschen und exekutierten die um Gnade flehende Frau. Starke Arme hoben Garibaldi auf und brachten ihn zu einem schwarzen Shuttle, das in der Nähe auf einem Parkplatz wartete. Sie warfen ihn wie einen Sack Kartoffeln hinein. Kaum war die Tür zu, heulten die Schubdüsen auf und das Gefährt hob ab in die Nacht.
»Halten Sie still«, sagte eine bekannte Stimme, und jemand entfernte die Fesseln in seinem Rücken.
Als seine Hände frei waren, zog er den Knebel aus seinem Mund und drehte sich zu seinen Rettern um. Zuerst sah er das erleichterte Lächeln von Harriman Gray. Hinter ihm, eingepackt in Mullbinden und auf einen Stock gestützt, saß Mr. Bester. Die einzige weitere Person im Shuttle war die Pilotin, die genug damit zu tun hatte, das Schiff sicher durch die Wolkenkratzer Bostons zu steuern. »Es wäre ein Gebot der Höflichkeit, sich zu bedanken«, schlug Bester vor. »Ja, danke«, würgte Garibaldi hervor. »Sie ... Sie haben sie einfach umgepustet. Verdammt, Emily Crane war die einzige, die Talia Winters entlasten konnte!« »Wilde Telepathen«, sagte Bester. »Alles ganz legal, obwohl wir uns wohl kaum dazu bekennen werden. Eigentlich verdanken Sie Ihr Leben unserem Mr. Gray hier. Er hatte sich schon Sorgen um Sie gemacht und mein Büro kontaktiert. Als wir uns trafen, berichtete er mir von Emily Crane und dem Mix. Wir konnte sie gerade noch finden, bevor sie sich mit ihren Leuten auf den Weg zu Trishman machte. Wir haben schon ziemlich lange darauf gewartet, daß Sie endlich rauskommen.« Garibaldi berührte den Arm seines Partners. »Danke, Gray.« Der junge Telepath schaute ein wenig schüchtern drein. »Ich wollte Mr. Bester nicht alles erzählen, aber ich habe mir Sorgen um Sie gemacht.«
Der Sicherheitschef sah aus dem Cockpitfenster auf die verblassenden Lichter der Stadt. »Haben Sie mir gesagt, ich solle mich ducken?« fragte er. Gray nickte, und Garibaldi schluckte den Kloß in seinem Hals runter, als er darüber nachdachte, was passiert wäre, wenn er nicht darauf gehört hätte. Er hob die Hand. Sie zitterte immer noch. »Wir nehmen die Leichen nicht mit«, sagte Bester zufrieden. »Ich sage immer, wenn du jemanden nicht erreichen kannst, dann hinterlasse wenigstens eine Nachricht.« Garibaldi rieb sich die trockenen Lippen und blickte weiter aus dem Fenster. Er wollte nicht undankbar sein, denn man hatte sein Leben gerettet, aber die kaltblütigen Hinrichtungen nagten an ihm. Genausogut hätte Talia dort auf der Straße liegen können. »Die Person, die Sie suchen, ist Malten«, sagte er heiser. »Ganz richtig«, stimmte Bester zu. »Ich möchte Ihnen beiden danken, sie haben hervorragend gearbeitet, weit über meine Erwartungen hinaus. Sie haben uns direkt zum Wespennest geführt.« Garibaldi ging es um etwas anderes. »Dann lassen Sie Talia Winters also gehen, richtig?« Mr. Bester runzelte die Stirn. »Da ist ein Problem. Wenn wir sie gehen lassen, müssen wir unseren Irrtum eingestehen. Unsere schmutzige Wäsche waschen wir nicht gerne in der Öffentlichkeit. Außerdem wollen wir den Mix
erhalten, etwas stärker unter Kontrolle und ohne Malten natürlich. Von der Gruppe >Freier Phobos< wird man nie wieder hören. Sie ist als Sündenbock ideal.« »Talia Winters«, bellte Garibaldi. »Lesen Sie es von meinen Lippen. Sie ist unschuldig, und Sie wissen das.« Bester schluckte und sah an ihm vorbei. »Ich habe für Ihren Transport zurück nach Babylon 5 gesorgt. Mr. Gray wird wieder nach Berlin fliegen. Ich werde Sie beide in meinem Bericht lobend erwähnen.« »Mr. Bester«, beharrte Gray. »Das ist absolut unfair. Sie wissen genau, daß sie unschuldig ist.« Der Psi-Polizist schüttelte erstaunt den Kopf. »Haben Sie eine Ahnung, wie viele Geheimdienste hinter ihr her sind? Ich könnte die nicht einmal zurückpfeifen, wenn ich es wollte. Wenn sie sich ergibt und an die richtigen Leute gerät, hat sie vielleicht eine Chance.« »Dann werde ich sie weiter suchen«, schwor Garibaldi. »Das ist nicht mehr Ihre Sache«, sagte Bester zornbebend. Er stöhnte vor Schmerz auf und wand sich in seinem Sitz. »Falsch«, sagte Garibaldi. »Ich bringe einen Sträfling, der von Babylon 5 geflohen ist, zurück auf die Station. Das ist mein Recht und meine Pflicht. Landen Sie das Shuttle. Ich will hier raus.« »Ich auch«, sagte Gray und hob trotzig das Kinn.
»Also gut«, sagte Bester. »Landen Sie.« »Ist Miami genehm?« fragte die Pilotin. »Das ist die nächste größere Stadt.« »Okay«, antworteten Garibaldi und Gray unisono. Der Sicherheitschef nickte seinem Partner zu und blickte wieder aus dem Fenster. Er sah, daß sie im Weltraum waren, und beim Wiedereintritt konnte er den halben Globus im Licht eines neuen Tages schimmern sehen. »Noch etwas«, preßte Bester zwischen den Zähnen hervor. »Ja?« »Halten Sie sich vom Mars fern.« Garibaldi kicherte und sah den Psi-Polizisten an. »Sie reden da von meinen alten Jagdgründen. Ist Malten wirklich dort? Warum schnappen Sie ihn sich nicht?« »Wir wissen nur, daß er auf dem Mars ist, aber nicht, wo genau er sich aufhält. Wenn Sie es herausfinden, rufen Sie uns an. Wir kümmern uns darum.« »Sicher«, sagte Garibaldi, »und wenn Sie Talia finden, rufen Sie mich an. Ich kümmere mich darum.« Sie spürten, wie die Schubdüsen des Shuttles ansprangen, was den Lärmpegel erheblich steigerte. Sie legten für den Anflug auf Miami die Sicherheitsgurte an. Talia lag in dem breiten Bett und beobachtete die Sonnenstrahlen, die durch die schmutzigen
Spitzengardinen des alten Hotels fielen. Es war nicht die Sorte Haus, in dem sie noch vor einer Woche freiwillig ein Zimmer gebucht hätte, aber jetzt erschien es ihr so freundlich und warm, daß sie nie mehr auschecken wollte. Sie wußte, daß sie aufstehen und weiterziehen mußte, aber ihr Körper verlangte etwas anderes. Er knirschte an allen Ecken und Enden, als sie ihn aus dem Bett zwang. Sie kam am Bildschirm vorbei und überlegte, ob sie die Nachrichten einschalten sollte. Sie konnte ihren Anblick mit dieser Perücke nicht mehr ertragen, weder auf der Computerretusche noch in Wirklichkeit, deshalb hatte sie sich entschieden, ihr echtes Haar etwas zu stutzen und komplett unter die Mütze zu streichen. Obwohl sie den Gedanken an ihr Fahndungsfoto kaum ertragen konnte, gab sie dem masochistischen Impuls nach und schaltete den Bildschirm ein. Sie wählte die Nachrichten, in der Hoffnung, daß sich etwas Positives ereignet hatte, während sie schlief. Dankenswerterweise erwischte sie das Ende einer Reportage über sich, die noch einmal kurz zusammenfaßte, daß sie noch immer auf freiem Fuß war. Das ist nun wirklich beruhigend, dachte sie, ich hatte das Hotel schon für ein raffiniert getarntes Gefängnis gehalten. Auf freiem Fuß. Was für ein seltsamer Ausdruck. Es klang, als hüpfe sie völlig unbehindert von allen Belastungen der Zivilisation heiter durch die Gegend.
Sie wollte schon wieder abschalten, als der Sprecher den Namen Emily Crane erwähnte. Talia wich einen Schritt zurück, als hätte jemand nach ihr geschlagen, und betrachtete das Bild auf dem Schirm. Ja, das war Emily Crane, die Frau, die sie zur flüchtigen Kriminellen gemacht hatte. Nur war sie jetzt tot, und das PR-Foto wurde von einem anderen abgelöst, das eine Leiche auf einem Bürgersteig zeigte. Talia konzentrierte sich auf die Worte des Sprechers: »Es gibt keine Verdächtigen, und die Polizei bittet jeden, der Informationen über die Ermordung von Emily Crane, Michael Graham und Barry Strump hat, sich zu melden. Wir wiederholen: Heute morgen um fünf Uhr wurden drei kommerzielle Telepathen brutal ermordet. Es gibt keine Anzeichen eines Raubes oder für ein Motiv. Zum Sport: Es gibt einen neuen FeldhockeyChampion ...« Talia schaltete ab und fiel wieder aufs Bett. Was konnte sie jetzt noch tun? Die einzige Person, die sie entlasten konnte, war tot. Sie wollte sich wieder in dem ausgeleierten Bett zusammenrollen, bis ihr Geld aufgebraucht war oder die Psi-Polizisten sie aufspürten. Doch nach kurzer Zeit richtete sich Talia wieder auf und wischte sich die Augen. Sie starrte einen Augenblick in das Morgenlicht, das durch ihr Fenster hereinströmte, und wußte, was sie zu tun hatte. Sie würde weglaufen, aber diesmal richtig. Keine Suche nach etwas mehr, sondern nur noch
Flucht vor etwas. Die einzige Person, die ihr hätte helfen können, war tot, ihre letzten Chancen dahin. Wohin sollte sie sich wenden? An allen exotischen Orten, die ihr einfielen, wie Minbar, würde sie zu sehr auffallen. Die Erde war zu gefährlich, außerdem konnte sie auf keinen Fall dorthin, wohin sie wirklich wollte - in ihr altes Baumhaus. Sie bedurfte einer chaotischen Zuflucht, an der es eine Halb- und eine Unterwelt gab, denn zu diesen Kreisen gehörte sie jetzt. Ihr fiel nur ein Ort ein. Mars. Mit Onkel Ted hatten ihre Probleme angefangen, deshalb sollte er ihr jetzt ruhig helfen. Außerdem war es einfach, zum Mars zu gelangen. Sie zog sich rasch an und verbarg ihr Haar unter der Kappe. Ein Blick in den Spiegel zeigte, daß sie zu sehr wie sie selbst aussah, aber sie beschloß, sich erst später darum zu kümmern. Zu allererst mußte sie Onkel Ted wissen lassen, daß sie unterwegs war. Sie zog ihren Creditchip durch den Schlitz und tippte die Adresse ihrer Mutter ein. Dann gab sie ihre E-Mail ein: »Hoho, Ohked.« Das ist eine Botschaft, die Kosh gefallen würde, dachte sie mit einem grimmigen Lächeln. Talia war überzeugt, daß ihre Mutter es begreifen würde, denn »Hoho, Ohked« war ihr Babyausdruck für »Hallo, Onkel Ted« gewesen. Sie hatte sich die Worte oft genug auf alten Aufnahmen brabbeln hören. Eigentlich wollte sie noch viel mehr sagen, zum
Beispiel »Hallo Mom, ich bin unschuldig«, aber das hätte den Absender verraten. Sie hoffte, daß die kryptische Nachricht von jedem, der die Post ihrer Mutter las, für unverständlichen Unsinn gehalten werden würde. Bevor sie das Hotel verließ, nahm Talia die Karte mit Emilys Adresse aus der Tasche und zerriß sie. »Das Shuttle 1312 zum Clarke-Raumflughafen ist zum Einstieg bereit«, verkündete der Computer. Gray und Garibaldi warteten bereits in der Schlange für den Trip zu dem Raumdock, von dem aus sie den Flug zum Mars antreten wollten. Garibaldi sah sich auf dem Interstellaren Flughafen Miamis um und bewunderte die ausgefallene Auswahl der Farben. Er hatte noch nie eine türkisfarbene Abfertigungshalle gesehen. Naja, vielleicht hatten die einen Rabatt auf diese Farbe bekommen. Wie auch immer, der Pastellton ließ einige der harten Kerle in der Schlange gleich viel weicher aussehen. Er drehte sich zu Gray um und sagte: »Sie hätten wirklich nicht mitkommen müssen. Sie könnten jetzt ein paar ruhige Tage in Berlin verbringen.« »Nein«, entgegnete der Telepath, »wir sind ein Team. Ich war froh, heute morgen zur Stelle gewesen zu sein, als Sie mich brauchten.« »Es gibt etwas, das ich Bester nicht gesagte habe«, bemerkte Garibaldi und senkte seine Stimme. »Emily Crane hatte einen Plan, der in den nächsten vierundzwanzig Stunden in Kraft treten sollte. Wenn
Bester Malten also nicht bis heute abend findet, könnte Malten morgen sein Boß sein.« Sie rückten ein paar Schritte auf, dann antwortete Gray: »Das wäre angemessen ironisch, aber Mr. Bester wird heute beim Senat die Daumenschrauben ansetzen. Sein Problem ist, wie er Malten ausschalten kann, ohne gleich den ganzen Mix zu gefährden.« Die beiden Männer schlenderten die Rampe zum Shuttle hinunter. Es war ein mittelgroßes Schiff und bot ungefähr vierzig Passagieren Platz. Gray blieb in der Mitte der Kabine stehen, als er zwei leere Plätze sah, besann sich dann aber. »Hinten, richtig?« Garibaldi nickte, und sie fanden wieder zwei Plätze in der vorletzten Reihe. »Von hinten kann man jeden sehen«, bemerkte er. »Weshalb glauben Sie, daß Talia Winters zum Mars fliegen wird?« wollte Gray wissen. Der Chief zuckte mit den Achseln und sah aus dem Fenster. »Keine Ahnung. Es ist nicht zu weit weg, und ich würde dorthin gehen, wenn ich auf der Flucht wäre. Sie braucht eine entwickelte Unterwelt, die sie aufnehmen kann, und so etwas gibt es auf dem Mars reichlich. Es ist ein guter Heuhaufen, wenn man eine Nadel ist.« »Sie könnte den marsianischen Separatisten sehr nützlich sein«, sagte Gray. »Sie ist eine Telepathin mit fundiertem Wissen über das Psi-Corps. Außerdem hat sie Erfahrung mit Aliens. Ich habe mich oft gefragt, was wir tun würden, wenn sich die
marsianischen Separatisten mit einer fremden Macht verbünden.« »Denken wir lieber nicht an so etwas«, sagte Garibaldi. »Mars ist ein Sauhaufen. Wir haben uns zu lange nicht darum gekümmert, und nun wissen wir nicht, wer dort aufräumen soll. Man könnte sich fragen, warum die Earth Alliance so sehr am Mars festhält.« »Wohl wahr«, bemerkte Gray trocken. Im Souvenirladen des Sky Harbor-Reisezentrums kaufte Talia einen teuren bedruckten Schal, den sie um ihre Kappe band. Nun sah es nicht mehr so aus, als wollte sie ihre Haare verstecken. Sie kaufte außerdem eine Sonnenbrille, die so leicht getönt war, daß sie sie auch im Raumhafen tragen konnte. Im Spiegel sah sie jetzt wieder Frieda Nelson, die exzentrische Künstlerin aus Eugene, Oregon. Die echte Frieda war vermutlich eine mausgraue Beamtin, und Talia hoffte, daß sie ihren Ruf nicht unwiderruflich schädigte. »Letzter Aufruf für das Shuttle 512 zum ClarkeRaumhafen«, schnarrte die Computer stimme. Sie warf einen Blick auf das Ticket - ja, damit war sie gemeint. Sie hatte die komplette Reise zum Mars gebucht und fragte sich nun, wie oft sie ihre Identicard würde vorzeigen müssen. Es gab einen Check-In im Clarke-Raumhafen, denn die Raumstationen wollten Passagiere, die nicht nur herumhingen. Auch bei der Ankunft auf dem Mars mußte die Karte vorgelegt werden.
Talia zog den Schal enger und ging auf das Tor zu. Sie ging zügig, um den Eindruck zu erwecken, daß sie eine geschäftige Frau und keine flüchtige Verbrecherin war. Sie war jetzt ein bißchen optimistischer und glaubte, daß auch andere Menschen sie von dem Verdacht befreien konnten. Deuce zum Beispiel. Außerdem hatte Emily Crane sicher Komplizen gehabt. Einige von denen waren vielleicht noch auf dem Mars, also würde sie Augen und Ohren offenhalten. Sie zwängte sich wichtigtuerisch zwischen zwei Polizisten hindurch. Die Beamten sahen sie zwar an, verfolgten sie aber nicht. Wenn sie es bis zum Mars schaffte, ohne geschnappt zu werden, konnte sie sich vielleicht eine Ruhepause gönnen. Leider wurde ihr langsam klar, wer Emily Crane ermordet hatte. Das war eindeutig die Handschrift der Psi-Cops gewesen. Die ließen die Leichen Wilder Telepathen gerne als Warnung auf den Straßen zurück. Talia schauderte, sie schüttelte den Anflug von Panik ab und betrat die Rampe, die zum Shuttle führte.
18 »Ihre Identicard, bitte.« Talia atmete tief durch und händigte dem Sicherheitsbeamten an der Schleuse ihre Karte aus. Wenn man sie hier oben auf dem Clarke-Raumhafen stellen würde, gäbe es keine Fluchtmöglichkeit mehr. Sie rückte ihre Sonnenbrille zurecht, während er die Karte durch seinen Scanner zog. »Danke, Mrs. Nelson«, sagte er und gab die Karte zurück. »Werden Sie länger bleiben?« »Ich habe den nächsten Flug zum Mars gebucht«, antwortete sie. »Danke«, wiederholte er automatenhaft. »Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt.« Talia ging wie ein Zombie an ihm vorbei. Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich die Zeit auf dem Raumhafen vertreiben sollte. Eine Reihe von Bildschirmen brachte Nachrichten, und sie wandte sich schnell ab. Nie wieder wollte sie ihr Gesicht in den Nachrichten sehen. Von nun an würde sie in stiller Unauffälligkeit leben. Ungefähr fünfzig Credits waren noch auf ihrem Creditchip, und Essen
schien ihr die logischste Wahl, sie auszugeben. Wenn das Psi-Corps sie hier erledigte, würde sie wenigstens mit vollem Magen enden. Sie betrat das Restaurant in dem Augenblick, als Garibaldi und Gray draußen vorbeigingen. »Vielleicht reist sie mit einem Begleiter«, sagte Garibaldi gerade. »Das haben zumindest die Nachrichten gesagt.« »Vielleicht ist sie auch ganz woanders hin«, überlegte Gray. »Schließlich ist der Mars eine Bastion der Psi-Polizei. Ich würde ganz bestimmt nicht dorthin fliehen.« Garibaldi grinste. »Das werde ich mir merken, für den Fall, daß ich Sie eines Tages suchen muß.« Er blickte zum Restaurant zurück, das sie gerade passiert hatten. »Möchten Sie was essen?« »Nein, danke«, antwortete Gray mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck. »Mein Magen spielt nicht mit. Zuviel Aufregung, zu viele Starts und Landungen. Aber gehen wir ruhig. Ich würde gerne noch etwas sitzen, bis unser Flug aufgerufen wird.« Garibaldi wollte gerade umdrehen, als er etwas entdeckte. Er packte Grays Arm und deutete in die entsprechende Richtung. »Was machen die da?« Ungefähr dreißig Meter entfernt hatte ein Team aus vier schwarzuniformierten Psi-Polizisten eine junge Frau mit blonden Haaren aufgehalten, um ihre Identicard zu prüfen. Sie protestierte, aber ohne Erfolg.
»Stichproben«, sagte Gray. »Sie suchen immer noch nach ihr.« Garibaldi preßte den nächsten Satz zwischen den Zähnen hervor: »Obwohl sie wissen, daß Talia unschuldig ist.« »Diese vier Männer wissen das nicht. Nur Bester ist informiert, und für ihn ist es günstiger, wenn sie weiter als Schuldige gilt. Wenn wir Malten haben, können wir ihn vielleicht dazu bringen, für sie auszusagen.« »Wenn er noch lebt«, fügte Garibaldi hinzu. Die Psi-Polizisten verbeugten sich höflich und baten die Frau um Entschuldigung, die darauf möglichst schnell das Weite suchte. Sie patrouillierten weiter durch die Halle, vier Mann, und nahmen jede Frau genau in Augenschein. »Mir ist der Appetit vergangen«, brummte Garibaldi. »Gehen wir zum Gate und sehen zu, daß wir ausnahmsweise mal die ersten sind.« An der Theke des Restaurants hatte Talia gerade angefangen, ihr Thunfisch-Sandwich zu essen, als sie die vier Psi-Polizisten zur Tür hereinkommen sah. Sie sprachen eine junge Frau an, die nahe beim Eingang saß. Talia senkte den Kopf und wickelte das Sandwich in eine Serviette. Als die Polizisten herankamen, eilte sie in Richtung der Waschräume. Hoffentlich macht mich mein hektischer Abgang nicht verdächtig, dachte sie. Glücklicherweise war dies eins von den Restaurants, in denen Leute in Eile kaum auffielen. Sie stieß die Tür zu den
Waschräumen auf und verschwand in der Damentoilette. Talia suchte in einer der kleinen Kabinen Zuflucht und setzte sich auf den Klodeckel. Sie packte das zermatschte Sandwich aus und versuchte, es zu essen. Doch nach ein paar Bissen brach sie in Tränen aus. War das ihr zukünftiges Leben? Mußte sie vor jeder Uniform davonlaufen und ihre Essen in einer Toilettenkabine herunterwürgen? Es war so armselig. Vielleicht sollte sie sich den Psi-Polizisten stellen. Man konnte sie nur einmal ermorden, jetzt starb sie jede Minute aufs neue. Die Telepathin hatte gar nicht gemerkt, wie laut sie schluchzte, bis jemand an die Tür klopfte. »Sind Sie in Ordnung?« fragte eine freundliche Stimme. Sie griff nach dem Toilettenpapier und tupfte sich die Augen ab. »Ja, ja«, log sie, »ich bin in Ordnung.« »Kann ich Ihnen helfen?« Es war lächerlich, sich durch die geschlossene Tür zu verständigen. »Einen Moment«, rief sie. Talia stand auf und warf die Reste ihres Sandwichs in die Toilette und spülte ab. Als sie aus der Kabine trat, stand eine freundliche ältere Dame vor ihr, die sie hinreißend anlächelte. »Was ist Ihr Problem, mein Kind?« Während Talia noch über eine glaubwürdige Antwort nachdachte, meldete sich die computerisierte Ansage: »Transporter Bradley zum Mars zum Einstieg bereit. Dock drei. Ich
wiederhole: Transporter Bradley ist zum Einstieg bereit. Dock drei.« »Es... es ist mein Freund. Er schlägt mich«, stieß Talia hervor. »Ich wollte weg, aber er verfolgt mich.« Die alte Lady runzelte die Stirn. »Dieser Mistkerl. Schicken wir ihm die Polizei auf den Hals.« »Nein«, sagte Talia. »Dann habe ich bloß einen Haufen rechtliche Schwierigkeiten auf dem Hals. Ich habe ein Ticket für den Flug zum Mars, und wenn ich den erwische, bin ich ihn los. Ich habe Familie dort, die wird mich beschützen.« »Ist er jetzt da draußen?« erkundigte sich die alte Dame und deutete auf die Tür zum Restaurant. »Ja«, stieß Talia hervor. »Wenn er abgelenkt wäre, könnte ich vielleicht an ihm vorbeikommen.« Die Frau nickte nachdenklich. »Sie meinen eine alte Frau, die kreischt, daß ein Mann sich vor ihr entblößt hat?« »Ja, das wäre gut«, sagte Talia. »Ziehen Sie alle Aufmerksamkeit auf den hinteren Teil des Restaurants. Ich renne vorne raus. Vielen, vielen Dank.« »Gern geschehen«, sagte die Dame und brachte ihr Haar durcheinander. »Ich bin gern Schauspielerin.« Sie verließ ruhig den Waschraum und begab sich zum hinteren Teil des Lokals. Dort fing sie an zu schreien: »Hilfe! Hilfe! Er hat sich entblößt. Er ist nackt. Er ist dort hinaus.«
Talia drückte sich aus der Tür und schlich an der Wand entlang. Die vier Psi-Polizisten waren so abgelenkt, daß sie ihre Befragungen unterbrachen. Zwei von ihnen gingen auf die alte Dame zu. »Er hatte keine Hose an«, zeterte sie. Niemand bemerkte, wie Talia aus dem Restaurant schlüpfte. Am Gate sah sie eine lange Schlange und am Ende der Schlange zwei weitere Psi-Polizisten, die eine junge Frau und ihren Begleiter befragten. Talia hätte fast auf dem Absatz kehrtgemacht, aber ihr gesunder Menschenverstand hielt sie zurück. Es sind Psi-Teams über den gesamten Raumhafen verteilt, erinnerte sie ihr Selbsterhaltungstrieb. Noch länger zu bleiben wäre Selbstmord. Sie nahm ihr Ticket aus der Tasche und drängte sich zur Spitze der Schlange vor. »Harold, Harold«, rief sie und schwenkte das Ticket. »Ju-huu. Warte auf mich.« Sie blieb vor einem Paar mittleren Alters stehen, das gerade abgefertig wurde, und stampfte mit dem Fuß auf. »Oh, dieser Kerl. Hat er denn meine Nachricht nicht erhalten?« »Gehen Sie ruhig vor«, sagte der Mann und machte ihr Platz. »Danke«, sagte sie kokett. Sie stand jetzt vor dem Schalterbeamten und reichte ihm ihr Ticket. »Ich muß auch Ihre Identicard sehen«, sagte der junge Mann seufzend.
»Oh«, antwortete sie und versuchte, unbekümmert zu wirken. »Ich wußte nicht, daß man sie hier noch mal vorzeigen muß.« »Nur heute. Besondere Sicherheitsvorkehrungen. Darum die lange Schlange.« Er nahm ihre Identicard und checkte. Er nannte sie zwar nicht Nelson, winkte sie aber durch. Zwanzig Meter weiter hinten in der Schlange schnalzte Gray mit der Zunge. »Haben Sie die Frau gesehen, die sich gerade vorgepfuscht hat? Manche Leute haben keine Erziehung.« »Hm«, machte Garibaldi. Er hatte gesehen, wie die Psi-Polizisten alle jungen Frauen überprüften. Toller Job. Ob einer von denen wohl zum Hinrichtungskommando von Emily Crane gehört hatte? Ihre Geduld wurde endlich belohnt, Garibaldi und Gray konnten an Bord der Bradley gehen. Es war ein großer Transporter, voll belegt, denn die Route zum Mars war sehr beliebt. Garibaldi ließ seinen Blick über die Gesichter der Passagiere wandern, als er durch den Gang trottete. Gray stellte die Sitzordnung nicht in Frage, und diesmal bekamen sie sogar einen Platz in der letzten Reihe. Garibaldi konnte seine langen Beine in den Gang ausstrecken, ohne jemanden zu stören. Talia betrachtete nachdenklich ihre Identicard. War sie immer noch die Fahrkarte zur Freiheit oder schon ein unterzeichnetes Todesurteil? Sie hatte sie bereits viermal benutzt, und auf dem Mars erwartete
sie eine weitere Kontrolle. Sie besaß keine andere Karte, und ohne Check würde man sie nicht von Bord lassen - sie mußte also wohl oder übel einen fünften Einsatz riskieren. Es war sinnlos, den Rest des Fluges vor Angst zu zittern, aber so lagen die Dinge. Sie sah zwei Psi-Polizisten einsteigen und die Kabine betreten. Talia sank in ihren Sitz, froh, einen Platz im letzten Drittel der Kabine gewählt zu haben. Sie saß ganz außen, stützte nun ihr Kinn auf die Hand und wandte sich ab, um möglichst wenig von ihrem Gesicht sehen zu lassen. Aber die Psi-Polizisten suchten gar nicht nach ihr; sie waren Passagiere auf dem Weg zum Mars. Sie hatten Probleme, noch zwei freie Plätze zu finden. Großartig, dachte Talia, zwei Psi-Cops ein paar Reihen vor mir, und eine falsche Identicard, die vermutlich unbenutzbar war. Sie biß auf ihrem Daumennagel herum und fragte sich, was noch schiefgehen würde. »Das Schiff ist voll besetzt«, bemerkte Mr. Gray. »Und da sind auch noch zwei Psi-Polizisten«, murmelte Garibaldi. »Langsam gehen die mir wirklich auf die Nerven. Für wen halten die sich?« »Für Psi-Polizisten, die einen Wilden Telepathen jagen«, sagte Gray. »Sie denken, wir sind immer nur hart gegenüber normalen Menschen. Falsch. Wir sind sehr viel strenger mit uns selbst. Durch ihre Flucht hat sich Mrs. Winters alles selbst eingebrockt.«
»Wir werden sie zuerst finden«, schwor Garibaldi, obwohl er keine Ahnung hatte, wie das gehen sollte, wenn ein ganzer Planet voll Polizisten und eine Hundertschaft Psi-Cops keinen Erfolg gehabt hatten. Vielleicht taugte ihr männlicher Begleiter ja was und hatte sie aus dem Schlamassel rausgebracht. Schließlich war der Weltraum groß, es gab ein paar prima Ecken für jeden. Garibaldi wünschte ihr Glück, falls es wirklich so war, aber er würde sie vermissen. »Bitte bereiten Sie sich auf den Start vor«, sagte eine Computerstimme. »Schließen Sie die Sicherheitsgurte. Sichern sie alle Dokumente und Ihr Handgepäck.« Ein paar Meter weiter vorne entspannte sich Talia in ihrem Sitz. Sie war jetzt sicher: Wenn man sie verhaften würde, dann auf dem Mars. Natürlich wäre das Wasser auf die Mühlen der Propaganda, die ihr Verbindungen zum marsianischen Untergrund unterstellte. Da konnte man nichts machen. Dieser Alptraum folgte einer inneren Logik, der sie sich nicht zu entziehen vermochte. Garibaldi lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und schloß die Augen. »Wecken Sie mich, wenn wir da sind.« Nachdem etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt war, wurde Garibaldi von einem Mann angestoßen und geweckt, der auf der anderen Seite des Ganges aufgestanden war, um sich die Beine zu vertreten. Rechts von ihm hörte er Grays leises
Schnarchen. Die Lichter in der Kabine waren gedämpft worden. Die meisten Passagiere schliefen, ein paar standen im Gang oder liefen auf und ab. Er wollte gerade wieder einnicken, als er die geschmeidige Figur einer Frau ungefähr sieben Reihen vor ihm bemerkte. Genau sein Typ, kultiviert und elegant, der Hosenanzug unterstrich ihre schlanken Formen. Sie trug einen Schal und eine dunkle Brille, und Garibaldi fragte sich, ob sie älter war, als er dachte. Ach was, auch für achtzig sah sie noch verdammt gut aus. Hör auf, sie anzustarren, du Schwein, rief er sich zur Ordnung. Die Frau hatte sich schon fast durch ihre gesamte Sitzreihe gekämpft und würde nun bald auf den Gang hinaustreten. Er wollte die Gelegenheit nicht verpassen, auch ihre Rückseite zu begutachten. Garibaldi wurde nicht enttäuscht: Das war der knackigste Hintern, den er seit langem gesehen hatte. Er schien ihm fast vertraut. Er richtete sich auf und musterte den Hintern der Frau, die von ihm wegging. Dann packte er Grays Arm. »Wachen Sie auf«, zischte er. »Wachen Sie auf!« »Was ist? Was ist los?« murmelte Gray. Er rutschte so dicht an Gray heran, daß man annehmen konnte, er wollte ihn küssen. »Sie ist hier. Im selben Transporter mit uns«, flüsterte er. »Talia.« »Sie haben Sie gesehen? Und absolut sicher identifiziert?« »Na ja«, gab Garibaldi zu, »ich habe nur ihren Hintern gesehen, aber das reicht völlig.«
Gray rümpfte die Nase. »Wirklich, Garibaldi, das ist ekelhaft. Sie sehen das Hinterteil einer Frau und glauben allen Ernstes, Talia Winters zu erkennen? Ich hatte keine Ahnung, daß sie sie so gut kennen.« »Vertrauen Sie mir«, behauptete Garibaldi. »Ich habe ihren Hintern seit einem Jahr genau im Auge behalten. Ich kenne ihn praktisch auswendig. Aber wenn sie ihre Identität selbst prüfen wollen: Wenn die Frau zurückkommt, werden wir ihr Gesicht sehen.« »Ich brauche sie nicht anzustarren«, sagte Gray angewidert. »Ich brauche sie bloß zu scannen.« »Tun Sie das nicht. Es sind zwei Psi-Polizisten an Bord, die ich nicht aufschrecken will. Wenn sie gescannt wird, glaubt sie, von den Polizisten; dann dreht sie uns durch. Am besten, wir warten, bis die Typen ausgestiegen sind und wir eine Chance haben, unbemerkt mit ihr zu reden.« Gray schüttelte den Kopf. »Was tue ich da? Ich rede selbst schon, als könnten Sie eine Frau von hinten erkennen!« »Sehen Sie sie einfach an, wenn sie zurückkommt, einverstanden?« Gray schüttelte noch einmal ungläubig den Kopf und schloß die Augen. Das ging nicht lange gut, denn Garibaldi stieß ihn in die Rippen. »Da ist sie«, flüsterte er. Mit einem ablehnenden Ausdruck auf dem Gesicht lugte Gray zwischen den Sitzreihen hindurch. Garibaldi hielt sich die Broschüre mit den
Flughinweisen vor das Gesicht, für den Fall, daß sie in seine Richtung sah. Die Frau in dem blauen Hosenanzug trat forsch in ihre Sitzreihe zurück. Sie sah nur einmal kurz auf, und Garibaldi konnte ihr fein gezeichnetes Gesicht erkennen. Sie sah etwas schmaler aus, und die stolzen Augen hinter den getönten Gläsern schauten müde. Eine verängstigte Frau auf der Flucht, und er mußte den Impuls unterdrücken, aus seinem Sitz zu springen und sie zu umarmen. Halte durch, Talia, dachte er, halte durch! Sie sah noch einmal auf, verwirrt diesmal, während sie sich an den Knien der Passagiere vorbeischob. Dann fiel sie in den Sitz und wurde eins mit den Schatten der Bordwand. »Also gut«, gab Gray zu. »Das ist entweder Talia Winters oder eine ziemlich gute Kopie. In Zukunft werde ich etwas mehr auf die Hintern der Frauen achten.« »Tun Sie das«, flüsterte Garibaldi. »Was machen wir jetzt?« »Wie Sie schon gesagt haben, in der vollen Kabine wäre jeder Versuch, Kontakt aufzunehmen, zu auffällig. Wir haben wohl keine andere Wahl, als bis nach der Landung zu warten. Wenn sie es so weit geschafft hat, besitzt sie sicher eine gefälschte Identicard.« »Können Sie sehen, ob jemand bei ihr ist?« fragte Garibaldi. »Jemand sitzt neben ihr. Aber das heißt nichts, die Maschine ist ja ausgebucht.«
Der Mann von der anderen Seite des Gangs kam zurück. Garibaldi lächelte ihn freundlich an. Damit war die offene Konversation mit Gray beendet. Es gab ohnehin nichts mehr zu bereden. Sie konnten nur noch dasitzen und warten, bis sie Talia alleine erwischten. Aber wenigstens hatten sie sie gefunden. Sie war immer noch in Schwierigkeiten, aber nun waren Freunde in ihrer Nähe. Talia drehte sich unsicher um und dachte an die sonderbare Empfindung, die sie gerade überkommen hatte, Sie hatte sich so sehr darauf konzentriert, ihre Gedanken gegenüber den zwei Psi-Polizisten abzublocken, daß die Gefühle aus einer ganz anderen Richtung sie völlig unvorbereitet getroffen hatten. Sie hatte sie nicht zuordnen können, weil sie zu sehr mit dem Blocken beschäftigt gewesen war, aber es beunruhigte sie, daß anscheinend noch jemand an sie dachte. Und sie blieb wachsam. Sie wollte sich die Gesichter der Passagiere ansehen, aber ihr fehlte der Mut. Was, wenn sie immer noch beobachtet wurde? War da wirklich jemand? Vielleicht stierte sie ja auch bloß jemand an, wie Garibaldi das auf B5 immer getan hatte. Was tue ich mir selbst an, dachte sie, wenn ich mich so von der Paranoia auffressen lasse? Hatte sie es nicht ohne größere Schwierigkeiten bis hierher geschafft? Sie würde es auch noch weiter schaffen. Das schlimmste an einer Flucht war, das die Paranoia niemals nachließ. Sie wurde nur noch schlimmer.
Talia versuchte zu schlafen, obwohl sie wußte, daß das unmöglich war. Garibaldi war während des Eintritts in die dünne Marsatmosphäre nervös. Aufgrund der geringen Schwerkraft war der Transporter in der Lage, direkt auf dem Planeten anzudocken. Das ersparte ihnen den Transfer von einem Dock im All. Als die lange Reise zu Ende ging, wurden die Menschen unruhig, rutschten in ihren Sitzen hin und her und unterhielten sich aufgeregt. Alle wollten endlich aus der vollen Maschine raus. Garibaldi nicht. Die überschaubaren Räumlichkeiten des Transporters waren genau richtig gewesen; jetzt mußten sie sich dem Chaos des Mars stellen. Soweit er das abschätzen konnte, hielt Talia ihn für einen Feind, also würde sie bei seinem Anblick vielleicht ausrasten. Er spürte, wie auch Gray immer angespannter wurde. Ihr Timing mußte perfekt sein. Möglicherweise warteten am Dock schon die PsiPolizisten und überprüften jede in Frage kommende junge Frau. Vielleicht würde sie jemanden treffen. Vielleicht den Mann, mit dem sie gesehen worden war. Oder dieser Mann war irgendwo in der Maschine, um zu verbergen, daß sie zusammen reisten. Nein, entschied er, es ist besser, Talia allein durch die Sicherheitskontrolle gehen zu lassen und sie danach abzufangen. Aber sie mußten darauf eingestellt sein, schnell zu handeln, falls etwas
schiefging. Eventuell würde es einen Kampf um die Rechtshoheit geben. Obwohl er ihr so nahe war, fühlte er sich meilenweit weg von Talia. Wie war ihr psychischer Zustand nach dem Attentat, den Anschuldigungen und der Flucht? Wahrscheinlich nicht sehr gut. »Hier hat alles angefangen«, sinnierte Gray. »Vor ungefähr anderthalb Wochen bin ich aus dem Schiff gestiegen, und Mr. Bester hat mich erwartet.« »Dann wollen wir hoffen, daß sich die Geschichte nicht wiederholt«, bemerkte Garibaldi. Es gab ein lautes Krachen und einen dumpfen Stoß, als der Mechanismus der Luftschleuse an die Außenhülle des Schiffs dockte. Alle Passagiere hörten das Geräusch und erhoben sich, um so schnell wie möglich von Bord zu gehen. »Willkommen auf dem Mars«, sagte die Computerstimme. »Die Zeit ist 13:11 Mars-Standard und die Temperatur beträgt gegenwärtig dreihundertneunundsiebzig Grad Celsius. Es ist heiß und trocken. Bitte Vorsicht beim Ausstieg, da die Gravitation des Mars nur achtunddreißig Prozent der Erdschwerkraft beträgt.« Die Leute in Talias Reihe setzten sich zuerst in Bewegung, doch sie zögerte furchtsam. Sie wußte, daß sie wegen ihrer Identicard verhaftet werden würde, und das würde sie nicht noch einmal durchstehen. Keine grellen Lichter, keine Beschuldigungen, keine erhobenen Fäuste, keine wütenden Drohungen. Talias Herz pochte wie wild,
und ihre Beine wollten ihr den Dienst versagen. Sie fühlte sich krank, physisch krank. Nun komm schon, sagte sie zu sich, du fühlst dich schon seit Tagen krank. Wenn hier Feierabend ist, na wenn schon. Nimm es wie eine Frau. Für einen Augenblick hoffte Garibaldi, daß Talia lange genug in der Kabine bleiben würde, um ihm und Gray die Kontaktaufnahme zu ermöglichen. Doch plötzlich setzte sie einen entschlossenen Gesichtsausdruck auf, sprang auf und drängte sich in das Heer der Passagiere, das dem Ausstieg zuströmte. Mit zwanzig Leuten zwischen ihnen und ihr, mußten Garibaldi und Gray gewaltig drängeln, um Schritt zu halten. Trotzdem kam Talias schlanke Gestalt in der Menge schneller voran. »Sie entwischt uns«, flüsterte Garibaldi. »Ich kann ihr eine Nachricht schicken«, sagte Gray, »solange sie in Sichtweite ist.« »Keinesfalls«, befahl Garibaldi. Wenigstens waren die zwei Psi-Polizisten schon ausgestiegen. Talia hoffte, daß die beiden beim Check-In einfach durchgewunken worden waren, aber das erwies sich als Trugschluß. Als sie das Gate erreichte, konnte sie die Männer geduldig am Schalter stehen sehen, wo sie ihre Identicards den Sicherheitsbeamten zeigten. Zwei weitere PsiPolizisten standen hinter den Absperrungen und warteten auf ihre Kollegen. Schon wieder wäre Talia am liebsten losgerannt, aber wohin? Sie betrachtete ihre Identicard und
hoffte inständig, daß Bruder Lizard sich selbst übertroffen hatte, als er Frieda Nelson ausgesucht hatte. Vielleicht war Frieda ja der häusliche Typ, der wenig umherreiste und deshalb nie seine Karte vorzeigen mußte. Vielleicht hatte das System noch gar nicht gemerkt, daß es augenblicklich zwei Frieda Nelsons gab. Klar, dachte sie verbittert, und vielleicht erlebe ich ja auch noch meinen nächsten Geburtstag. Hinter ihr drängten sich zwei Männer vor und reckten die Hälse, um mitzubekommen, was geschah. So nah und doch so fern, dachte Garibaldi. Ein paar Schritte nur, und er konnte sie anfassen und sie damit völlig aus der Fassung bringen. Ihre Schultern waren gebeugt, als wäre sie zehn Jahre gealtert. Mehr als alles andere wollte er sie in die Arme schließen und ihr sagen, daß alles in Ordnung war. Es würde ein Happy End geben. Er hoffte, daß er damit recht hatte. Die zwei Psi-Polizisten trafen jetzt auf ihre Kollegen, und es gab ein herzliches Händeschütteln von vielen Handschuhen. Zu aller Beruhigung machten sie sich danach auf den Weg, anscheinend nicht im Dienst und wenig an den übrigen Passagieren interessiert. Talia schluckte den letzten Speichel in ihrem Mund herunter. Sie würde das durchstehen - ganz sicher. Die Karte würde noch einmal funktionieren. Vor ihr schmolz die Gruppe der Ankömmlinge immer mehr zusammen, und bald glitt sie in der
geringen Schwerkraft auf einen Sicherheitsbeamten zu, dem sie selbstsicher die Karte hinhielt. Der Dockbereich sah dem von Babylon 5 so ähnlich, daß sie sich fast wie zu Hause fühlte. Zu Hause, dachte sie wehmütig. Nirgendwo ist es schöner als zu Hause, es sei denn, man nimmt dir dieses Zuhause weg. »Danke«, sagte der Sicherheitsbeamte und nahm die Karte aus ihrer zitternden Hand. »Geht es Ihnen gut, Miss?« Sie schniefte und hielt sich den Bauch. »Ja, ich bin nur ein bißchen raumkrank.« »Das habe ich auch manchmal«, bemerkte der Beamte mitfühlend. Er zog ihre Karte durch den Schlitz des Scanners, während ihr Herz und ihr Atem einen Augenblick lang aussetzten. »Hm«, machte er verwirrt. »Sie sind Mrs. Frieda Nelson?« »Ja«, stieß sie hervor. »Aus Eugene, Oregon?« »Soweit ich weiß.« Sie wollte hochmütig klingen, aber sie hatte das Gefühl, jeden Moment eine Herzattacke zu bekommen. »Könnten Sie einen Augenblick zur Seite treten, bis ich die anderen Passagiere abgefertigt habe ?« Sein Ton war jetzt nicht mehr so freundlich, aber auch nicht direkt unangenehm. »Es gibt da ein Problem mit der Karte. Das kommt vor.« Um sicherzugehen, daß sie nicht weglief, ließ er die Karte in seiner Tasche verschwinden.
Talia trat wie geheißen zur Seite; sie überlegte, ob sie ihm telepathisch einreden sollte, daß die Karte in Ordnung war. Bester vermochte so etwas mit Leichtigkeit. Leider fühlte sie sich so erschöpft und verwirrt, daß sie keine Ahnung hatte, ob sie überhaupt die nötige Konzentration aufbringen konnte. Naja, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Als sie gerade allen Mut zusammengerafft hatte, um dem Beamten die Nachricht zu übermitteln, ertönte eine äußere Stimme in ihrem Kopf. Sehr deutlich raunte sie: »Sie sind unter Freunden. Keine Angst.« In diesem Moment erschütterte eine gewaltige Explosion das Gebäude.
19 Talia und hundert andere schrien, und sie stürzte zu Boden. Sie sah einen Erfrischungswagen, brennend und in schwarzen Rauch gehüllt, den Gang herunterrollen. Der Sicherheitsbeamte versuchte, die aufgeregte Menge zurückzuhalten, während er in seinen Com-Link brüllte. Er war abgelenkt. Sie sprang auf und rannte durch den dichten Qualm. Sie prallte hart gegen einen Mann, der seine Arme um sie schlang. Sie kreischte angesichts seiner bizarren Erscheinung, bis ihr klar wurde, daß er eine Schutzbrille und eine Atemmaske trug. Sie sah genauer hin und erkannte eine blonde Löwenmähne sowie ein verwegenes Lächeln unter der Maske. »Hey, Talia«, sagte er, durch die Filter gedämpft. »Onkel Ted«, keuchte sie und begann zu husten. »Dieses Gas hält nicht lange vor«, warnte er, ergriff ihren Arm und zog sie in den Korridor. Sie stolperte hinter ihm her, ihre Sinne verwirrt vom Rauch, den Stimmen und dem Lärm. Da drängte sich eine weitere Stimme in ihren Kopf.
»Talia!« rief die Stimme. Es war eine echte Stimme, erzeugt von echten Stimmbändern. Und sie übertönte alle anderen Schreie. »Warten Sie.« Sie riß sich von Onkel Ted los und wirbelte herum. Eine telepathische Stimme verschaffte sich Zugang zu ihrem Geist und sagte: »Keine Panik, Talia. Garibaldi mit einem Freund.« Ihr Onkel packte ihren Arm erneut und wollte sie mit sich fortziehen. »Was ist los mit dir?« wollte er wissen. »Stop!« rief sie. »Ich bin nicht allein.« Zwei Männer tauchten aus dem Rauch auf. Sie hielten sich die Hände vor den Mund und husteten. Ein Psi-Polizist kam aus der anderen Richtung und fuchtelte mit seiner PPG herum. Onkel Ted zog seine eigene Handfeuerwaffe; es sah einen Augenblick lang so aus, als wollte er Garibaldi und Gray erschießen. »Nicht«, sagte sie und fiel ihm in den Arm. »Warte.« »Ich will sie nicht erschießen.« Er zerrte an ihrem Arm, doch in diesem Augenblick war Garibaldi da und faßte ihre freie Hand. Der bloße Kontakt sandte eine Schockwelle intimster Gedanken durch ihren Kopf. Es war nicht die Zeit für Begrüßungen oder Erklärungen. Sie befreite ihre Hand und sah in Garibaldis Augen die Fassungslosigkeit über den geistigen Kontakt. »Wir müssen mit meinem Onkel gehen.« sagte sie. »Sagen Sie nichts, folgen Sie uns.«
»Aber...« Ihr Onkel zog sie weiter und ließ ihr kaum Gelegenheit, sich zu vergewissern, daß Garibaldi und Gray mitkamen. Doch sie folgten auf dem Fuße. Als sie und Ted den Rauch endlich hinter sich gelassen hatten, nahm er die Maske und die Brille ab und verstaute beides in den Taschen seines langen Mantels. Wie immer, dachte sie überrascht, macht er eine erstaunlich gute Figur. Selbst in seinen Sechzigern strahlte er noch immer diesen jungenhaften Charme aus, der ihm immer nur Ärger gebracht hatte. Sie hoffte, auch so altern zu können. Im Augenblick schien es ihr allerdings, als würden die Jahre schneller an ihr vorbeirasen. Onkel Ted zückte eine Codekarte und schob sie in eine Tür mit der Aufschrift »Nur für Personal«. Talia stoppte, um die Tür für Garibaldi und Gray offenzuhalten. Als beide Männer etwas sagen wollten, legte sie die Finger auf ihre Lippen und sah sie stumm an. Die telepathische Botschaft, die sie für sie hatte, war wenig subtil: Kommt mit oder laßt es, aber ihr werdet Ted und mich nicht aufhalten. Garibaldi folgte sofort, während Gray sich umsah, als würde er auf Anfeuerungsrufe warten. Aber weil die anderen sich entfernten, kam auch er in die Gänge und holte auf. Die seltsame Karawane aus einem Helden, einer Verzweifelten und zwei Verwirrten jagte durch eine dampfende Küche, in der Doughnuts gemacht wurden. Die Bäcker
blickten nur mäßig interessiert auf, als seien sie dergleichen längst gewohnt. Nachdem sie eine weitere Tür passiert hatten, gelangten sie in einen grauen, nicht ausgebauten Korridor, angefüllt mit Rohren und Schächten für die Klimaanlage und die Lebenserhaltungssysteme. Onkel Ted zog seine PPG und richtete sie geradewegs auf Garibaldi. »Kleines, ich habe nicht erwartet, daß du Freunde von der Earthforce mitbringst.« Garibaldi versuchte, ihn zu ignorieren. »Hören Sie, Talia. Wir haben den Attentäter. Wir wissen, daß Sie unschuldig sind.« Talia lachte bitter. »Das ging aber fix. Interessant zu sehen, was passiert, wenn Sie jemanden schnappen. Er bleibt als Leiche auf dem Bürgersteig liegen.« Selbstsicher streifte sie wieder ihre Handschuhe über. Garibaldis Augen folgten der Aktion fasziniert. Sie wandte sich an Gray. »Ist die Psi-Polizei immer noch hinter mir her?« »Ja«, gab der Telepath zu. »Dann bin ich immer noch auf der Flucht.« »Bitte, wir müssen reden«, bat Garibaldi. »Lassen Sie uns mitkommen.« »Kommt nicht in Frage«, erklärte Onkel Ted. »Wenn Sie mitkommen«, sagte Talia, »müssen Sie schwören, uns nicht zu verraten.« »Schon geschworen«, antwortete Garibaldi. »Außerdem habe ich Ihren Onkel Ted schon kennengelernt.«
Der Mann starrte ihn an. »Wo?« »Hier. Das muß vor fast zwei Jahren gewesen sein. Ich habe Sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet, erinnern Sie sich? Sie hatten eine Rede gegen das neue Einwanderungsgesetz gehalten. Tolle Ansprache war das. Ich sollte Sie ein wenig aufmischen, habe Sie dann aber mit einer Verwarnung davonkommen lassen.« »Ja, stimmt. Vielen Dank,« strahlte Onkel Ted. Dann verfinsterte sich sein Gesicht wieder. »Damals konnte man noch halbwegs frei sprechen. Gehören Sie jetzt zur Bewegung?« »Nicht ganz«, entgegnete Garibaldi. »Aber ich werde Ihre Nichte nicht mehr aus den Augen lassen. Wir müssen dringend unsere nächsten Schritte besprechen, und dafür scheint mir Ihr Versteck gerade richtig. Stimmt's, Gray?« Man sah Gray an, daß er von dem Gedanken an eine weitere Etappe mit dieser hochgradig gefährlichen Truppe nicht begeistert war, aber er sagte nichts. Onkel Ted bedeutete ihnen, ihm zu folgen; er lief den spärlich beleuchteten Gang entlang. Talia konnte nur noch die rauschende Luft in den Schächten und ihre schnellen Schritte hören, die von den Wanden widerhallten. Onkel Ted hielt bei einer großen Schleuse, die im Boden eingelassen war. Er winkte Garibaldi herbei. »Helfen Sie mir mal.« Der Sicherheitschef ging ihm zur Hand, und beiden Männern gelang es, das Schwungrad gerade
weit genug zu drehen, um die Schleuse zu öffnen. Onkel Ted zog eine kleine Taschenlampe hervor, schaltete sie ein und blinkte dreimal in das Loch. Drei Lichtsignale kamen als Antwort. Sie spiegelten sich in etwas, das wie ein Fluß aus Kaffee am Boden des Schachtes aussah. Talia lehnte sich weiter über den Rand und blickte hinunter. Sie sah den Strahl einer Lampe über das Wasser tanzen, gefolgt vom Geräusch dreier aufblasbarer Flöße, die in ihr Blickfeld kamen. Im ersten Floß saß eine junge Frau und hielt die anderen beiden fest. »Mit zwei Leuten pro Floß«, sagte Onkel Ted, »könnte es ganz schön naß werden. Aber keine Sorge: Das Wasser ist sauber. Jedenfalls so sauber, wie wiederaufbereitetes Wasser auf dem Mars üblicherweise ist.« Eine Leiter aus Metall führte die Röhre hinab zum Kanal. Onkel Ted trat als erster den Abstieg an. Die Frau bugsierte eines der Flöße genau unter ihn. Er ließ sich fallen und verursachte kaum ein Geräusch beim Aufprall. Er bedeutete Talia, ihm zu folgen, was sie ohne Widerrede tat. Was bedeutete schon ihre Furcht vor Höhlen und Schächten, wenn Hundertschaften von Psi-Cops hinter ihr her waren? Sie war nicht ganz so geschickt wie Ted, als sie sich auf das Floß fallen ließ; das Wasser schwappte über den Rand und näßte ihren Hosenboden ein. Angenehmerweise war das Wasser warm, fast wie Badewasser, obwohl es stark nach Chemikalien
roch. Garibaldi kam als nächster, und die junge Frau rangierte das dritte Floß wieder perfekt unter ihn. Er bewies, wie fit er war, das Floß schwankte nur wenig. Er packte ein Paddel und richtete das Floß für Gray aus. »Sie«, rief Onkel Ted Gray zu. »Schließen Sie die Luke, bevor Sie runterkommen. Verriegeln ist nicht nötig.« Gray tat, wie ihm geheißen war, und die Luke ließ sich problemlos schließen. Er kletterte die Leiter vorsichtig hinunter, aber Garibaldi hatte sich ein wenig verschätzt. Gray landete halb auf dem Luftkissen und halb im Wasser, und nach ein paar mißglückten Versuchen, sich zu drehen, glitt er ganz ins Wasser. Er schwamm auf der Stelle, bis Garibaldi ihm ein Ruder hinhielt und ihn an Bord zog. Dabei schwankte das Floß heftig, und sie wurden beide naß. »Erdlinge«, murmelte Onkel Ted. Die junge Frau lachte herzlich und sagte: »Ihr habt Glück. Viele Marsianer wissen gar nicht, wie man schwimmt.« »Nicht so laut«, befahl Onkel Ted, während er ein Ruder nahm und das Floß in den Strom drehte. Mit kraftvollen Zügen paddelte er los, die anderen hinterdrein, während schwankende Lichtstrahlen ihnen den Weg wiesen. Nach einer Stunde intensiven Paddelns wurde es extrem warm in dem Kanal, die Luft war trocken und dünn.
»Keine Angst«, beruhigte Ted die Fremden. »Wir kommen aus dem Aquädukt heraus, bevor der Sauerstoff ausgeht.« »Sehr beruhigend«, sagte Garibaldi. »Führt dieses Aquädukt ins Freie?« »Ja«, antwortete Ted. »Es ist nur ein kleines Stück, und gut isoliert. Sonst würden wir gebacken. Kurz vor den Turbinen biegen wir ab.« »Haben Sie da oben eine richtige Bombe gezündet?« fragte Gray vorsichtig. »Keine richtige«, erwiderte Onkel Ted. »Nur viel Lärm und ein bißchen Qualm. Wir haben lediglich eine Zündkapsel benutzt. Ich habe es nicht mehr so mit Gewalt wie früher.« »Onkel Ted«, sagte Talia, »ich will, daß du weißt, daß ich mit dem Anschlag auf Babylon 5 nichts zu tun habe.« »Natürlich hast du damit nichts zu tun, Kleines«, antwortete der geborene Führer und warf seine Mähne zurück. »Ich habe auch keine Volksverhetzung betrieben oder die ewige Verdammnis heraufbeschworen, wie man mir diese Woche mal wieder weismachen will. Aber das ist unwichtig. Es herrscht Bedarf an präsentablen Schurken.« Er tauchte das Ruder ins Wasser und fuhr fort: »Ich bekenne mich schuldig, den Mars von der Knechtschaft der irdischen Regierung und ihrer Gier befreien zu wollen. Wer sind die überhaupt? Kennen sie uns? Sorgen sie sich um uns? Oder wollen sie
bloß alles an sich raffen, was dieser Boden durch Schweiß und Blut hergibt?« Onkel Ted kicherte plötzlich: »Unterbrecht mich, falls ich große Reden schwinge. Ich bin ein Jainist und glaube an die Lehren Gandhis. Deshalb habe ich der Gewalt abgeschworen. Gandhi ist praktisch schon Altertum, deshalb wißt ihr jungen Leute vielleicht nicht mal, wer das war.« »Ich weiß es«, sagte Gray. »Wenn Sie sich wirklichen den Prinzipien Gandhis verschrieben haben, beglückwünsche ich Sie. Viele marsianische Revolutionäre denken da anders.« »Ja, ich weiß«, murmelte Ted. »Aber wir können einen Krieg gegen Earthforce nicht gewinnen. Das kostet Menschenleben und unsere moralische Überlegenheit. Ich sage meinen Anhängern, sie sollen gewaltlose Proteste organisieren und passiven Widerstand leisten. Aber es ist schwer, passiv zu bleiben, wenn einen die Gegenseite umbringen will.« Er drehte sich um und lächelte seine Nichte an. »Süße, ich weiß, wie es ist, wenn man sich verstecken muß und Angst vor jedem Schatten hat. Du und ich werden niemals frei sein, aber auf dem Mars ist sowieso keiner frei. Vielleicht werden du, ich und alle Marsianer irgendwann als freie Bürger unter einem freien Himmel leben.« Seine Freundin reckte die Faust und rief: »Alle Macht dem Mars!«
»Das ist Moira«, sagte Onkel Ted. »Sie hält mich bei Laune.« »Was wissen Sie über die Bewegung >Freier Phobos« erkundigte sich Garibaldi. »Nichts«, brummte Ted. »Ich habe noch nie von denen gehört. Aber diese beiden Attentate haben uns ziemlich viele Razzien und böse Berichte in der Presse beschert. Bevor diese Typen einen dritten Anschlag verüben, würde ich gerne ein Wörtchen mit ihnen reden.« »Ein dritter Anschlag?« fragte Garibaldi. »Ja, >Freier Phobos< hat heute morgen eine Stellungnahme veröffentlicht, nach der sie einen dritten Anschlag planen.« Er lachte. »Ich muß gestehen, daß die Androhung einer dritten Bombe meinen kleinen Rauchwerfer noch wirkungsvoller gemacht hat.« »Wir wissen, wer hinter >Freier Phobos< steckt«, erklärte Garibaldi. »Wenn wir den richtigen Mann hinter Gitter bringen, ist Talia aus allem raus.« »Klar«, entgegnete Ted sarkastisch. Er richtete seine Lampe auf ein Gitter, das eine große Pumpanlage auf der Seite des Aquädukts absperrte. Irgendwo in der Finsternis vor ihnen konnten sie einen Wasserfall und das Mahlen der Turbinen hören. Onkel Ted steuerte sein Floß auf die Pumpanlage zu. »Bindet sie an dem Gitter fest«, befahl er. »Es gibt einen schmalen Fußweg. Folgt mir einfach. Wir müssen die Flöße rausziehen und die Luft
rauslassen, also aufgepaßt, daß sie nicht wegtreiben. Wir dürfen nichts zurücklassen, was uns verraten könnte.« »Talia«, sagte Garibaldi, »Arthur Malten steckt hinter der ganzen Sache. Wir müssen ihn finden, um Sie zu entlasten.« Sie sah ihn überrascht und verletzt an. Vielleicht wollte sie nicht hören, daß Malten ihren Tod einkalkuliert hatte, aber er konnte ihr diese Wahrheit nicht ersparen. Talia senkte den Kopf; sie schien über das Gehörte nachzudenken. Nach allem, was sie durchgemacht hatte, konnte sie eigentlich nichts mehr überraschen. »Es ist schön, Sie zu sehen«, gab sie zur Antwort. »Ganz meinerseits«, bekannte er. Onkel Ted griff nach dem Gitter und zog sich daran bis zu einem kleinen Vorsprung hoch. Er machte sein Floß fest und half Talia beim Aussteigen. Dann befestigte er die anderen Flöße. Nachdem alle sicher auf dem Vorsprung waren und sich mit den Fingerspitzen an das Gitter klammerten, zogen Moira und Ted die Flöße aus dem Wasser und ließen die Luft raus. Sehr vorsichtig arbeitete er sich auf dem Vorsprung voran. Durch die Sohlen seiner Schuhe konnte Garibaldi die Hitze des Metalls spüren. Sie zwängten sich durch ein in das Gitter geschnittenes Loch und liefen dann vorsichtig an den Pumpen vorbei, die dumpf vor sich hin brummten. Endlich
kamen sie an eine Tür, in die Onkel Ted eine weitere Codekarte steckte. Sie öffnete sich lautlos. Sie fanden sich in einem Lagerraum wieder, in dessen Regalen Rohre, Endstücke, T-Stücke und Werkzeuge gestapelt waren. Eine Wendeltreppe führte steil nach oben. Die Luft und die Temperatur in diesem Raum waren normal, oder so normal, wie man es auf dem Mars erwarten durfte. »Jetzt heißt es für mich: Bis hierher und nicht weiter«, sagte Onkel Ted. »Sie können jetzt mit Talia reden.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zog er seine Waffe aus der Tasche. Er betrachtete sie einen Augenblick lang, dann gab er sie Moira. »Ich bin Pazifist, aber ich würde für meine Talia kämpfen, nach allem, was man ihr angetan hat.« »Glauben Sie mir«, sagte Garibaldi, »wir sind nur hier, um ihr zu helfen. Aber dafür müssen wir Arthur Malten finden. Er ist der Schlüssel zu >Freier Phobos< und allem anderen. Hat irgend jemand eine Idee?« Gray strich sich nachdenklich über das Kinn. »Können Ihre Leute Pressemitteilungen an die Medien rausgeben?« »Selbstverständlich«, antwortete Ted. »Das ist heutzutage die einzige Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen.« »Dann entlarven wir ihn. Geben Sie bekannt, daß Arthur Malten vom Mix hinter >Freier Phobos< und den Bombenanschlägen steckt. Sie gelten als
glaubwürdig; die Presse wird es bringen. Und zufällig ist es ja auch wahr.« Ein Lächeln huschte über Garibaldis Gesicht. »Das wird Mr. Bester aber gar nicht freuen. Er wollte das geheimhalten.« »Nun«, antwortete Gray, »dann machen wir eben beide unglücklich. Wenn Mr. Malten entlarvt ist, hat Bester keine Chance mehr, Talia und den Separatisten die Schuld in die Schuhe zu schieben. Und Malten muß kein drittes Attentat mehr verüben, um seiner geschmierten Terrortruppe Glaubwürdigkeit zu verleihen.« »Worum geht es hier eigentlich?« fragte Talia ermattet. Garibaldi erzählte ihr, Ted und Moira von Maltens Plänen, das Corps zu privatisieren und sich selbst die Leitung zu übertragen. Sie lauschten gespannt, wie er über die geheime Vorlage beim Senat, das Schicksal von Emily Crane und den fast schon gelungenen Coup im Corps sprach. »Eigentlich«, sagte Garibaldi, »kann er immer noch damit durchkommen, wenn wir uns nicht beeilen. Ich würde das Corps gerne ganz außer Dienst sehen, nicht unter der Kontrolle eines neuen Tyrannen.« »Zum Teufel«, rief Onkel Ted. »Ich muß diese scheußliche Geschichte sofort weitergeben. Ich würde vorschlagen, daß Talia bei mir bleibt, bis sie offiziell rehabilitiert worden ist.«
»Gut«, nickte Garibaldi und wandte sich zu der blonden Frau mit der schmutzigen Kappe um. »Ich wollte nur nach Ihnen sehen und Sie wissen lassen, daß wir versuchen, Ihnen zu helfen.« Talia erhob sich und umarmte ihn dankbar. Für einen Augenblick lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. Das lohnte Garibaldi die ganze Mühe. »Geben Sie uns fünf Minuten«, sagte Onkel Ted und ging zu der Wendeltreppe. »Dann folgen Sie uns. Dort oben kommen Sie in eine Fabrik. Ignorieren Sie die Arbeiter und klettern Sie einfach weiter, bis sie auf eine Einschienenbahn stoßen.« »Okay«, sagte der Sicherheitschef. »Machen Sie denen Dampf.« Und Ted führte Talia und Moira die Stufen hinauf. Die erschöpfte Telepathin warf einen letzten Blick zurück, um Garibaldi noch einmal zuzulächeln. Er sah ihr nach und winkte, bis sie außer Sicht war. »Was muß sie hinter sich haben«, sagte Gray besorgt. »Sie kann kaum noch sprechen.« »Sie braucht nichts zu sagen«, antwortete Garibaldi. »Für sie würde ich zu Fuß den Mars umrunden.« »Ich weiß, was Sie meinen.« Gray seufzte. »Nun, wohin sollen wir gehen, um auf Mr. Besters Anruf zu warten? Er wird nicht sehr erfreut sein.« Die beiden Männer grinsten einander an. Weil sie kein bestimmtes Ziel hatten, zogen sich Garibaldi und Gray in ein kleines Lokal für
Angehörige der Earthforce zurück. Sie kamen rechtzeitig zu den Nachrichten. Der Nachrichtensprecher hob eine Augenbraue, als er den Report verlas, blieb aber größtenteils bei den Fakten. »Dramatische Entwicklung im Fall der Psi-Corps-Attentate: Der berüchtigte marsianische Revolutionär Theodore Hamilton behauptet, daß die Gruppe >Freier Phobos< nur aus einem Mann besteht, aus Arthur Malten, dem Gründer des Mix. Laut Hamilton hatte Malten die Absicht, über ein Privatisierungsgesetz die Leitung des Corps an sich zu reißen. Details der Gesetzesvorlage wurden von unterschiedlichen Quellen im Senat bestätigt. Nach Aussagen von Theodore Hamilton, einem Onkel der flüchtigen Talia Winters, war der Anschlag auf Babylon 5 ein Versuch Mähens, seine politischen Gegner im Psi-Corps auszuschalten.« Überraschtes Gemurmel und ein paar zustimmende Kommentare wurden in der Kantine laut. Alle legten ihre Tischtennisschläger und Billardqueues beiseite, um die grausigen Einzelheiten nicht zu verpassen: zwei Anschläge, Dutzende von Toten, der Mord an Emily Crane. Garibaldi runzelte die Stirn, denn der Report nannte zwar die Schuldigen, aber das half Talia wenig. Weil Ted ihr Onkel war, würde man glauben, daß die Informationen von ihr kamen. Sie würde in der öffentlichen Meinung immer noch als Mitwisserin gelten.
Er sah Gray an und fragte: »Sind Sie sicher, daß Bester weiß, wo wir sind?« »Ich habe keinen Zweifel daran gelassen«, antwortete der Telepath. Ein Com-Link an der Wand summte, und der am nächsten stehende Offizier nahm ab. Nach einer Weile rief er in den Raum: »Ist jemand namens Gray hier?« »Das bin ich«, meldete sich der Telepath. »Ein Shuttle ist unterwegs«, sagte der Mann und wandte sich wieder den Nachrichten zu. Gray und Garibaldi grinsten. Wegen der dünnen Atmosphäre auf dem Mars mußten alle Shuttles direkt über eine Luftschleuse andocken. Meist war dafür eine Luke im Boden des Schiffes vorgesehen. Aus diesem Grund mußten Garibaldi und Gray eine Leiter erklimmen, um in das Innere des schwarzen Shuttles zu gelangen. Mr. Bester schien nicht überrascht, Garibaldi zu sehen, und Garibaldi war ebensowenig überrascht, dem PsiPolizisten zu begegnen. »Ich hoffe, Sie beide sind stolz auf sich«, begrüßte er sie. »Ich sollte Sie wegen Kollaboration festnehmen lassen.« »Wovon reden Sie?« fragte Garibaldi. Er und Gray sahen einander mit Unschuldsmienen an. »Dank Ihrer Einmischung haben wir jetzt keine Möglichkeit mehr, die Angelegenheit in aller Stille zu erledigen. Die gesamte Allianz ...«
»... weiß jetzt, daß Sie einen Fehler gemacht haben«, ergänzte Gray. »Sie sind nicht unfehlbar.« »Nein«, sagte der Psi-Polizist. »Das Psi-Corps ist nicht unfehlbar, es ist sehr verletzbar, wenn es um Angriffe von innen geht. Die fürchten wir am meisten. Und darum sind die Psi-Polizisten auch so unverzichtbar für das Corps.« »Vergessen Sie da nicht eine Kleinigkeit?« fragte Garibaldi. »Wenn ich und Gray nicht gewesen wären, hätten Sie morgen keinen Job mehr. Darüber würde ich mal einen Augenblick nachdenken.« Besters Augen wurden schmal. »Ich weiß, was Sie wollen, aber das ist ausgeschlossen. Mrs. Winters ist und bleibt eine Verdächtige und eine Wilde Telepathin. Ich denke, sie wird bald auf die Liste der gesuchten marsianischen Terroristen gesetzt.« Garibaldi wäre fast aus dem Sitz gefahren, um diesen miesen Wichtigtuer zu erwürgen, aber eine innere Stimme hielt ihn zurück. Dieser Mann war der einzige, der das schlimmste Stigma von Talia nehmen konnte: das der Wilden Telepathin. »Ich werde zu Mrs. Winters Gunsten aussagen«, gelobte Gray. »Und wenn wir Malten finden, wird er ebenfalls aussagen.« Bester lachte humorlos. »Denken Sie, ich würde zulassen, daß Arthur Malten vor Gericht aussagt? Sein Prozeß wäre ein Prozeß gegen das Psi-Corps, und in seinem Verlauf würde der Mix zerschlagen.
Um uns diese Peinlichkeit zu ersparen, verhandeln wir mit Arthur Malten.« Garibaldi richtete sich auf. »Sie wissen, wo er sich aufhält? Warum schnappen Sie ihn dann nicht?« »Ja, schnappen Sie ihn«, unterstützte ihn Gray. »Nun, wir wissen nicht genau, wo er ist. Der Mars ist ein ziemlich großer Planet, und Malten ist schlau. Der Mix hat eigene Kommunikationssysteme im Untergrund, über die wir mit ihm sprechen können. Wir haben also nur eine vage Vorstellung davon, wo er sich aufhält.« Gray stammelte vor Wut: »Wie ... wie können Sie nur mit Malten verhandeln? Er wollte Sie umbringen; er hat zwei Dutzend Menschen auf dem Gewissen!« Bester kratzte sich die Nase. »Das ist die eine Seite; andererseits wollen wir etwas von Mr. Malten. Er soll ein Geständnis unterschreiben, das wir dank Ihrer Einmischung dringend benötigen. Es ist sorgfältig formuliert und läßt nur ihn, Emily Crane und ihre beiden Handlanger als die Schuldigen an der leidigen Angelegenheit erscheinen. Der Mix bleibt sauber. Seine Sympathisanten im Senat werden ihn offiziell verurteilen. Dann wird sich Malten an die Angestellten wenden, ihnen Mut zusprechen und einen Nachfolger ernennen. Wir haben bereits ein paar geeignete Kandidaten im Auge.« Der Psi-Polizist hielt einen Augenblick inne. »Im Austausch für die Rettung des Mix wird ein
mildes Urteil ergehen. Man wird ihn auf einen entlegenen Planeten abschieben.« »Und dort werden Sie ihn töten lassen«, sagte Gray. Bester lächelte, widersprach aber nicht. »Was wird aus Talia?« verlangte Garibaldi zu wissen. Bester wurde von der Pilotin abgelenkt, obwohl sie kein Wort gesagt oder sich bewegt hatte. »Was gibt es?« »Finch meldet, daß Malten die Verhandlungen abgebrochen hat. Er scheint sich absetzen zu wollen. Dank einen Echos der letzten Übertragung konnten wir sein Versteck ausfindig machen. Ich habe die Koordinaten. Wir können in fünfzehn Minuten da sein.« »Los!«
20 Garibaldi starrte links aus dem Fenster des Shuttles und sah die öden Weiten des Mars unter sich vorbeiziehen. Der Mars sieht von oben irgenwie unwirklich aus, dachte er, mit all den leblosen kantigen Hügeln, die nur hier und da von staubigen Wohnsiedlungen, Einschienenbahnen oder Fabrikkuppeln unterbrochen wurden. Mars durfte es eigentlich gar nicht geben, aber er war da, ein Denkmal der menschlichen Entschlossenheit, Leben auf einem toten Planeten zu erhalten. Doch ganz gleich, wie viele Gebäude man baute, die Ergebnisse wirkten immer ein wenig verzweifelt, wie Efeu, das an einer Metalltür hochrankt. Er erinnerte sich, daß die Gegend vom Boden aus auch nicht viel wirklicher aussah. Aus dieser Perspektive schienen die Berge, Felsen und Schluchten viel zu gewaltig und mächtig, um echt zu sein. Sie ragten aus dem vernarbten, rötlichen Boden wie Kristalle aus einer Steinstruktur. Die Berge glichen Sandburgen, die jeder Windstoß verwehen konnte.
»Ich hasse diesen Ort«, bemerkte Gray neben ihm. »Ja, der Mars ist Geschmackssache«, stimmte Garibaldi zu. Er sah Bester an. »Offensichtlich hat das Corps damit keine Probleme.« Bester ignorierte sie augenscheinlich; er beugte sich nach vorne. »Status?« »Ich bin auf Sonar«, berichtete die Pilotin. »Die Werte deuten an, daß es an der Stelle, an der wir das Echo aufgefangen haben, ein Gebäude gibt. Es hat die Form und die Größe eines Bunkers.« »Unterirdisch?« fragte Bester. »Ja, aber nicht sehr tief. Ich kann drüber wegfliegen und die Schubdüsen hochfeuern. Das könnte Teile der Tarnung wegpusten.« »Tun Sie das«, befahl Bester. Garibaldi hielt sich fest, während die Pilotin das Shuttle über eine Rampe zwischen zwei Bergen steuerte. Sie war verdammt gut in ihrem Job. Die Rampe sah wie eine Skipiste aus, und er hatte schon Hunderte davon gesehen, die vom Druck der Lavamassen gebildet worden waren. Die Pilotin ging so tief runter, daß sie hätte landen können, dann gab sie vollen Schub. Das Shuttle schoß wieder nach oben und wurde durchgeschüttelt, bis sie die Kontrolle wieder erlangt hatte. Dann flog sie das Schiff zwischen den Bergspitzen hindurch und beschrieb einen Kreis, um den Blick auf die Rampe freizugeben.
Wie sie versprochen hatte, sah man nun ein sternförmiges Loch in der künstlichen Oberfläche der Rampe. Unter der angesengten Abdeckung schimmerte graues Metall in der Sonne. »Können Sie jemanden da drin erreichen?« fragte Bester. »Ich hab's versucht«, antwortete sie. »Mr. Finch auch. Malten ist entweder ausgeflogen, oder er verhält sich ruhig.« »Verdammt«, murmelte Bester. »Wenn er sich aus dem Staub gemacht hat, ist es aus mit den Verhandlungen.« »Ich kann auf der Anhöhe landen«, bot die Pilotin an. »Vielleicht können wir uns einen Einstieg schneiden, oder es gibt eine Luke.« »Wenn Sie einen Anzug haben«, sagte Garibaldi, »gehe ich raus und schaue nach.« »Die sind im Schrank ganz hinten«, antwortete Bester. »Rechts neben der Luftschleuse. Dort können Sie auch raus.« Garibaldi stand auf, hielt aber mitten in der Bewegung inne. »Ihr werdet mich doch nicht hier draußen lassen, oder?« Bester lachte bitter. »Sie und Malten, am besten noch mit einem Stapel Geheimakten? Nicht allzu wahrscheinlich.« Garibaldi fand vier Schutzanzüge im Schrank. Er war froh, daß sie groß und für die Benutzung auf dem Mars angepaßt waren. Wegen der geringen Schwerkraft brauchte sich niemand über zu große
Traglasten Gedanken zu machen, deshalb konnten die Anzüge voll isoliert und mit einem kompletten Kühl- und Lüftungssystem ausgestattet sein. Er schälte sich aus seiner Uniform, ohne dem Rest der Besatzung Beachtung zu schenken. Die Pilotin hatte sicher schon einmal einen halbnackten Mann gesehen. Dann stieg er in den Anzug. Er stülpte den Helm über und verriegelte ihn. Er winkte der Pilotin, die ihn auf dem Dach des getarnten Bunkers absetzte. Sie war sehr vorsichtig, trotzdem hörte man Metall auf Metall. Plötzlich knirschte etwas und das Schiff begann sich zu neigen, aber es verharrte in einem Winkel, der nicht allzu gefährlich war. Garibaldi vermutete, daß ein paar Teile der Verkleidung unter dem Gewicht des Shuttles weggebrochen waren. Er drückte den Knopf, um die Druckkammer zu öffnen. Er zwängte sich in den kleinen Raum und betätigte den Schalter, der die Schleuse nach draußen öffnete. Die grellen Farben der marsianischen Landschaft blendeten ihn, und er blickte zum dunklen Himmel hinauf, damit sich seine Augen daran gewöhnen konnten. Ein paar Sekunden später trottete er wie eine mumifizierte Bergziege über das Dach des Bunkers und suchte nach einem Einstieg. Mit dem Fuß trat er weitere Teile aus der sandfarbige Abdeckung, bis er eine Andockschleuse fand. Er aktivierte das Funksystem in seinem Helm und winkte der Pilotin des Shuttles. »Ich habe eine
Andockschleuse entdeckt. Soll ich reingehen, oder wollen Sie herfliegen und selber andocken?« Garibaldi wartete einige Sekunden, dann antwortete die Pilotin: »Machen Sie Platz. Wir docken an.« Er ging in die Knie und stieß sich ab. Nach zwanzig Metern landete er so weich auf dem Boden, daß er seinen Schwung mit ein paar Ausfallschritten auffangen mußte. In diesem Augenblick entdeckte er die frischen Spuren eines Rover im roten Staub. Die Reifenspuren waren kein gutes Zeichen. Er wußte nicht warum, aber irgendwie glaubte er nicht, daß Malten der Typ war, der über Land flüchten würde. Dazu brauchte es echte Überlebenskünstler. Aber es war zu spät, zur Vorsicht zu raten, denn in diesem Moment stieg das Shuttle wieder auf, um punktgenau über der von ihm entdeckten Luke aufzusetzen. Was auch immer die schlechten Angewohnheiten von Bester sein mögen, dachte Garibaldi, er hat sich eine verdammt gute Pilotin geangelt. Als die Düsen abgeschaltet waren, sprang Garibaldi wieder mühelos auf den Bunker. Er lugte unter das Shuttle, wo die automatische DockingVorrichtung die Luke abtastete, bis sie die entsprechenden Verbindungselemente lokalisiert hatte. Dann klinkte sie sich mit einem dumpfen Ruck ein. Er funkte erneut zum Shuttle. »Gibt es im Bunker eine atembare Atmosphäre?«
»Positiv«, entgegnete die Pilotin. »Kommen Sie wieder rein. Mr. Bester öffnet jetzt die Luke.« Garibaldi machte sich so schnell wie möglich auf den Weg zu der Luftschleuse am Ende des Shuttles. Als er die Druckkammer hinter sich hatte und aus dem Anzug kroch, war Bester schon halb durch die Luke. Der Psi-Polizist stöhnte bei jedem Schritt vor Schmerz und stieß ständig mit dem Knauf seines Gehstocks an das Metall der Leiter. Gray sah Garibaldi an und schüttelte den Kopf. »Er bestand darauf.« Der Chief wechselte wieder in seine Uniform. »Seien Sie vorsichtig. Ich habe die Spuren von einem Rover da draußen gefunden.« Besters Kopf verschwand. Gray kletterte ihm nach, und Garibaldi wartete so geduldig, wie es ihm möglich war. Er schaute sich nach der jungen Pilotin um. »Lassen Sie die Maschine laufen«, sagte er. Dann hörte er einen Schrei. »Oh, mein Gott. Zurückbleiben!« Garibaldi war so wild darauf, zu sehen, was vor sich ging, daß er die letzten Meter der Leiter einfach ausließ und auf den blauen Teppich hinuntersprang. Er war erstaunt, eine riesige Ansammlung von Bildschirmen, Computern und Schneidevorrichtungen zu sehen. Das hier war ein voll ausgestattetes Kommunikationszentrum. Außer einer Werkbank und ein paar Stühlen gab es
praktisch keine Möbel. Einen dieser Stühle starrten Gray und Bester an. Arthur Malten, hellwach, aber ausgemergelt, war an den Stuhl gefesselt. An seinem Kopf war ein Sprengsatz befestigt. Der Telepath versuchte, völlig bewegungslos zu sitzen, der Schweiß rann ihm in Bächen über das Gesicht. An seine Brust war eine Nachricht geheftet: »Grüße von den wahren Revolutionären.« »Sie sind hier reingestürmt«, keuchte er. »Marsianer. Ich habe sie nicht gesehen!« Garibaldi trat vor. »Können wir das Ding entschärfen?« »Nein, nein!« schrie Arthur Malten. »Es hat einen Bewegungssensor. Wenn Sie mir zu nahe kommen - Bummmmm! Wenn ich mich zu sehr bewege - Bummmm! Das haben sie mir haarklein erklärt. Sie haben außerdem eine Fernsteuerung.« Die letzte Bemerkung brachte Bester dazu, hastig auf die Leiter zuzuhoppeln. »Hören Sie, Malten, wir sind keine Bombenexperten. Aber wir schicken Ihnen welche.« »Bester!« kreischte der verzweifelte Telepath. »Ich hab das nicht persönlich gemeint. Verstehen Sie, das war rein politisch.« »Natürlich«, sagte der Psi-Cop. »Es war ein verdammt guter Versuch. Sie haben mich überrascht und wären fast damit durchgekommen. Ich werde mir das merken.«
»Der Mix«, krächzte Arthur Malten. »Retten Sie ihn.« »Werden wir. Kommen Sie, meine Herren.« »Aber wir können ihn doch nicht so einfach hierlassen«, protestierte Gray. »Garibaldi, tun Sie etwas.« Der Sicherheitschef rieb sich die Hände und dachte nach. »Wir brauchen ein paar Clipper. Allerdings, da wir ihm nicht zu nahe kommen dürfen ...« »Mr. Bester«, rief die Pilotin von oben. »Ein unidentifizierter Mann hat gemeldet, daß uns noch exakt dreißig Sekunden bleiben, sonst...« »Ich bedaure das wegen Talia Winters«, jammerte Malten auf seinem Stuhl. »Und wegen Emily.« Er begann zu schluchzen, und sein Kopf zuckte, worauf Bester noch einen Zahn zulegte. »Das ist das Geständnis eines Toten«, sagte Garibaldi und schob Gray die Leiter hinauf. »Nichts wie raus hier.« »Können wir denn gar nichts tun?« fragte der Telepath. »Nicht ohne fremde Hilfe. Los jetzt.« Die geringe Schwerkraft machte es möglich, mehrere Sprossen der Leiter mit einem Satz zu nehmen. Mähens Schluchzer wurden lauter und mitleiderregender. Als sie die Kabine des Shuttles erreicht hatten, war Bester bereits angeschnallt. Die Pilotin ging noch die Checkliste für Notfallstarts durch. Gray
stolperte in seinen Sitz, während Garibaldi die Luke schloß. Er fiel auf den Rücken, als die automatische Docking-Vorrichtung ausklinkte und eingefahren wurde. »Fünf Sekunden«, rief die Pilotin. Sie hörten ein dumpfes Grollen von unten, und Garibaldi brüllte: »Jetzt!« Die Pilotin drückte den Schubregler in dem Moment, da ein Feuerball samt Druckwelle das Shuttle erwischte und durchschüttelte. Garibaldi wurde herumgeworfen und rollte auf die Beine von Bester, der vor Schmerz und Panik aufheulte. Die Pilotin beugte sich vor, alles daransetzend, das Schiff wieder unter Kontrolle zu bringen. Die zerklüftete Gebirgskette kam immer näher. Garibaldi richtete sich auf den Aufprall ein, aber die Pilotin gab erneut Schub und drehte das Shuttle von den Bergen weg. Sie erhöhte die Geschwindigkeit, so gut sie konnte, und alle reckten ihre Hälse, um nach unten zu sehen. Alles, was von Arthur Maltens Bunker übrig war, war ein schwarzer Krater, aus dessen Mitte ein paar Funken schlugen. Trümmer und kleinere Metallteile lagen über einen halben Kilometer verstreut. »Oh Mann«, murmelte Gray und sank in seinen Sitz zurück. Bester machte ein nachdenkliches Gesicht. »Vielleicht hat es so kommen müssen. Geben Sie an die Medien, daß er bei der Konstruktion einer Bombe umkam.«
Garibaldi schnaufte und schüttelte den Kopf. »Sie werden nie die richtigen Leute für ihre Taten zur Verantwortung ziehen, nicht wahr? Die Revolutionäre haben ihn zuerst gefunden, und offenbar waren sie nicht in der Stimmung für Verhandlungen. Sehen Sie es ein, Bester: Sie sind bei dieser ganzen Geschichte immer einen Schritt zu spät gekommen.« Der Psi-Polizist zürnte. »Ich werde Talia Winters und ihren Onkel trotzdem kriegen.« »Nein, werden Sie nicht«, sagte Garibaldi zuversichtlich. »Ich wollte das wirklich nicht, aber Sie lassen mir keine andere Wahl. Erinnern Sie sich an den Empfang auf Babylon 5, am ersten Abend der Konferenz ? Das einzig gelungene Ereignis.« »Ja, was ist damit?« fragte Bester müde. »In dieser Nacht habe ich Aufzeichnungen von einigen Ihrer Psi-Polizisten beim illegalen Glücksspiel gemacht. Sieht so aus, als habe ihnen der gute Botschafter Mollari in seinem Quartier Drei-Karten-Monte beigebracht.« Mr. Bester wurde bleich, dennoch lächelte er. »Das ist nicht wahr. Sie bluffen.« »Wirklich?« entgegnete Garibaldi. »Fragen Sie Botschafter Mollari. Er ist, oder besser, er war mein Komplize.« Besters Lippen wurden schmal, und er starrte Garibaldi an. Harriman Gray ging dazwischen und warnte den kleinen Mann: »Scannen Sie ihn nicht, Mr. Bester. Ich werde ihm helfen, jeden Versuch
abzublocken. Natürlich hat er mich über die kompromittierenden Aufnahmen informiert. Ich hatte ihn gebeten, sie nicht zu verwenden.« Gray sah Garibaldi angewidert an. »Er glaubt wohl, keine andere Wahl mehr zu haben.« Der Sicherheitschef puhlte etwas marsianischen Dreck aus seinen Fingernägeln. »Sie werden alle Anklagen gegen Talia Winters fallenlassen, die Ächtung als Wilde Telepathin wird sofort aufgegeben. Sie haben nur wenig Zeit, sonst sehen Sie Ihre zockenden Kollegen bald überall in den Nachrichten. Das wäre den Medien nach dem Skandal mit dem Mix gerade recht. Vielleicht schmeißt Sie der Senat dann doch noch raus.« »Ich glaube immer noch nicht, daß Sie das getan haben«, murmelte Bester, »aber Botschafter Mollari ist so etwas zuzutrauen.« Er wandte sich an die Pilotin. »Stellen Sie eine Verbindung zum Hauptquartier her.« »Ja, Sir. Sie können sprechen.« »Mr. Bester mit einem abschließenden Bericht zum Anschlag auf Babylon 5. Arthur Malten hat gestanden, gemeinsam mit Emily Crane, Barry Strump und Michael Graham eine terroristische Vereinigung namens >Freier Phobos< gegründet zu haben. Sie waren Sympathisanten der marsianischen Separatistenbewegung. Malten kam heute nachmittag bei einer Explosion ums Leben. Angesichts dieser Fakten werden alle Anklagen gegen Talia Winters fallengelassen. Sie wird von der
Liste der Wilden Telepathen mit sofortiger Wirkung gestrichen und ab sofort wieder in all ihre Rechte und Pflichten als Mitglied des Psi-Corps eingesetzt. Bester Ende.« Garibaldi nickte, lehnte sich zufrieden zurück und schloß die Augen. Am Clarke-Raumhafen standen zwei Männer in der Menge und reichten sich die Hände. Der eine trug Handschuhe, der andere nicht. Der eine wollte ein zügiges Shuttle nach Berlin erwischen, für den anderen ging es in die entgegengesetzte Richtung zum zweitägigen Transport nach Babylon 5. »Sind Sie sicher, daß Sie nicht mit mir zurückfliegen wollen?« fragte Garibaldi. »Wenn Sie Ihr Spesenkonto ausgereizt haben, können Sie bei mir auf der Couch schlafen.« Gray lachte. »Ich habe mein Spesenkonto ausgereizt, wegen Ihnen. Aber das hat damit nichts zu tun. Ich will nicht nach B5 zurück, bloß um Susan wiederzusehen. Ich würde ihr nur zur Last fallen. Ich werde eines Tages wieder geschäftlich dort zu tun haben. Ich freue mich darauf, Sie alle dann wiederzusehen.« »Bringen Sie aber Bester nicht mit.« Die beiden Männer lachten, und Gray senkte den Kopf. »Ich habe eine Bitte. Sagen Sie Susan, daß ich etwas Nützliches getan habe. Etwas, daß ihr gefallen würde.« »Darauf können Sie wetten«, entgegnete Garibaldi. »Aus dieser Sache werde ich haufenweise
Einladungen zum Essen schinden; ich werde diese Geschichte wahrscheinlich wieder und wieder erzählen müssen. Den Teil, wo Sie ins Wasser gefallen sind, lasse ich aus.« »Das war Ihre Schuld«, bemerkte Gray. »Deswegen lasse ich den Teil ja aus.« »Und wie geht es Mrs. Winters?« »Sie ist noch ein bißchen wacklig«, antwortete Garibaldi. »Ich denke, sie bleibt noch ein paar Tage bei ihren Eltern, bevor sie zurückfliegt. Sie wird wohl auch ein paar wüste Stories zu erzählen haben.« Er seufzte. »Das sind Klassefrauen, von denen wir da reden, dagegen sind wir bloß Hornochsen. Wahrscheinlich werden wir bei denen nie auf einen grünen Zweig kommen.« »Ich weiß«, sagte Gray. Eine künstliche Stimme unterbrach sie: »Der Transporter Starfish steht zum Einstieg bereit.« »Das ist meiner«, sagte Garibaldi. Er ging los, drehte sich dann aber noch mal um und winkte. »Sie sind in Ordnung, Gray.« »Sie auch.« Zweihundert Kilometer unter ihnen stand eine junge Frau mit blonden Haaren auf der Veranda ihrer Eltern und schaute zu den Sternen hinauf. Der Alptraum war endlich vorbei, aber sie wollte noch nicht darüber reden. Ihr war noch so vieles von dem, was sich in den letzten Tagen ereignet hatte, völlig unklar. Talia mußte sich das alles erst im Laufe der
Zeit auseinanderdividieren, um abschätzen zu können, was die Erinnerung lohnte. Als sie so zu den Sternen aufblickte, staunte sie einmal mehr darüber, daß sie dort oben lebte. Talia hatte vom Mars und von der Erde für eine Weile genug. Sie freute sich auf die kühle Schwärze des Alls. Sie wollte Aliens sehen, die weniger voreingenommen waren und weniger unbedacht handelten als die Angehörigen ihrer eigenen Rasse. Unter Aliens konnte man sein, wer man war; unter Menschen mußte man der sein, den die anderen sehen wollten. Und niemand war, was er zu sein schien. Aus all diesen Erfahrungen der Janusköpfigkeit, der Guten, die wie die Bösen schienen, und der Bösen, die wie die Guten schienen, hatte sie ein Mosaiksteinchen zurückbehalten, das sie unbedingt verstehen wollte: die »unsichtbare Isabel«. Sie wollte so bald wie möglich mit Botschafter Kosh reden, aber der würde nur wieder Rätsel präsentieren und jede Erklärung schuldig bleiben. Kosh wollte, daß sie es selbst herausfand. Ein Teil des Unsichtbaren, den sie erkennen konnte, waren ihre freiwerdenden telekinetischen Fähigkeiten, das Geschenk eines alten Freundes. Aber Isabels Stimme war ihr unbekannt. Die Stimme war zuversichtlich und unabhängig, und sie half ihr aus allen widrigen Umständen. Sie konnte sie nicht
immer hören, aber sie hörte sie gerne. Und sie wollte sie öfter hören. »Talia, Schatz, es gibt Eiskrem.« rief ihre Mutter. Sie hörte sich genau wie ihr Onkel Ted an. Sein Alptraum dauerte noch an, aber wenigstens hatte er ihn sich selbst ausgesucht. Und was war mit der Beharrlichkeit von Garibaldi? Da war etwas. Sie mußte darüber nachdenken. Aber nicht heute abend. Heute abend würde sie Eiskrem essen und sich Geschichten über die Familie und die Freunde der Eltern anhören. Und dann würde sie heimkehren. Nach Babylon 5.