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Zum Buch Nachdem Hitlers Überfall auf die Sowjetunion im Jahre 1941 mißlungen war, besaß die deutsche Wehrmacht weder die Kraft noch die Reserven für eine erneute Offensive gleichen Ausmaßes. Daher wurde das Angriffsziel bei der Sommeroffensive 1942 auf die Ölfelder im Kaukasus begrenzt. Nachdem man sie in Blitzkriegmanier erobert hatte, wollte man nun auch Stalingrad einnehmen, das Tor zum Norden und zum Ural. Damit begann eine sechs Monate währende Schlacht, die nach anfänglichen deutschen Erfolgen zum Kessel von Stalingrad führte, in dem mehr als 250000 deutsche und verbündete Soldaten steckten, für die es kein Entkommen mehr gab. Erschöpft und halb verhungert mußten sich General Paulus und die Reste seiner Armee am 31.1.1943 ergeben. Die nun folgende Gefangenschaft überlebten die meisten nicht: Nur 5000 Soldaten sahen die Heimat wieder, die letzten von ihnen erst 1955. Geoffrey Jukes, der sich einen Namen als Ostfront-Experte gemacht hat, legt hier einen umfassenden Bericht über dieses dramatische Ringen vor.
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Stalingrad. Die Wende im Zweiten Weltkrieg Geoffrey Jukes
Moewig 3
3. Auflage Titel der Originalausgabe: Stalingrad: The Tuming Point erschienen im Verlag Pan/Ballantine, London/New York Aus dem Englischen von Wulf Bergner © 1968 by Geoffrey Jukes © 1982 der deutschen Übersetzung by Verlagsunion Pabel-Moewig KG, Rastatt Umschlagentwurf und -gestaltung: Werbeagentur Zeuner, Ettlingen Umschlagfotos: Archiv VPM Fotos im Innenteil: Archiv VPM Printed in Germany 1996 Druck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin ISBN 3-8118-7276-1 (60er-Kassette)
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Die entscheidende Schlacht Einleitung von Sir Basil Liddell Hart
Der Kampf um Stalingrad war die längste Schlacht des Zweiten Weltkriegs und erwies sich als die wichtigste. Geoffrey Jukes, der sich einen Namen als Ostfront-Experte gemacht hat, hat einen Bericht über dieses gewaltige Ringen geschrieben, der seinem Thema gerecht wird. Nachdem Hitlers Überfall auf die Sowjetunion im Jahre 1941 knapp mißlungen war, besaß die Wehrmacht weder die Kraft noch die Reserven für eine erneute Offensive des gleichen Ausmaßes wie im Vorjahr, aber Hitler wollte sich nicht damit zufriedengeben, in der Defensive zu bleiben und seine Landgewinne zu konsolidieren. Deshalb hielt er nach einer Offensivlösung Ausschau, durch die sich mit beschränkten Mitteln mehr als ein beschränktes Ergebnis erzielen ließ. Da die deutschen Kräfte nicht mehr für eine Offensive auf breiter Front ausreichten, konzentrierte er sich auf den Südabschnitt, um an das Öl im Kaukasus heranzukommen - das beide Seiten brauchten, um einen Bewegungskrieg führen zu können. Falls die Besetzung der Ölfelder gelang, konnte er seine Truppen nach Norden einschwenken und den dadurch lahmgelegten russischen Armeen vor Moskau in den Rücken fallen oder sogar gegen die hinter dem Ural aufgebaute neue sowjetische Kriegsindustrie vorstoßen lassen. Die Sommeroffensive 1942 war jedoch riskanter als die des Jahres 1941, denn durch diesen Stoß nach Süden stand eine 1500 Kilometer lange Nordflanke praktisch überall sowjetischen Gegenangriffen offen. 5
Anfangs erwies die deutsche Blitzkriegstechnik sich wieder einmal als erfolgreich - zum fünftenmal seit der Eroberung Polens im Jahre 1939. Im Abschnitt Kursk-Charkow gelang ein rascher Durchbruch, nach dem General Ewald von Kleists 1. Panzerarmee sich wie eine Flutwelle in den Korridor zwischen den Flüssen Don und Donez ergoß. Sie stieß über den unteren Don, das Tor zum Kaukasus, vor und besetzte innerhalb von sechs Wochen die westlicheren Ölfelder bei Maikop. Der russische Widerstand war unter dem Eindruck dieser Offensive zusammengebrochen, und Kleist war in den späteren Stadien seines Vorstoßes kaum noch auf Gegenwehr gestoßen. Dies war die schwächste Stunde der Sowjetunion. Ihre neuaufgestellten Armeen waren erst zum Teil kampfbereit und nur unzulänglich ausgerüstet - vor allem mit Artillerie. Zum Glück für die Russen zersplitterte Hitler seine Kräfte, indem er den Kaukasus und Stalingrad an der Wolga, das Tor zum Norden und zum Ural, angreifen ließ. Und als die ersten Angriffe von General Paulus' 6. Armee auf Stalingrad Mitte August abgewehrt wurden - allerdings nur mit knapper Not -, zog Hitler immer mehr Truppen aus dem Kaukasus ab, um sie in die Schlacht um Stalingrad zu werfen. Er konnte es nicht ertragen, vor „Stalinstadt“ zum Stehen gebracht zu werden, und steigerte sich in eine Manie hinein. Hitler dezimierte seine Truppen bei dem Versuch, die Stadt doch noch zu nehmen, und verlor sein ursprüngliches Hauptziel, die Besitznahme der wichtigen Ölfelder des Kaukasus, aus den Augen. Als Kleist von Maikop aus gegen das Ölgebiet von Baku vorstieß, traf seine Armee auf zunehmenden Widerstand einheimischer Verbände, die jetzt ihre Heimat verteidigten, und wurde zusehends geschwächt, weil sie Einheiten für Paulus' Kampf um Stalingrad abstellen mußte. In Stalingrad wurde die russische Abwehrfront unter den Hammerschlägen deutscher Angriffe zusammengeschmiedet, während die Direktheit und die damit verbundene 6
Offensichtlichkeit der feindlichen Angriffe dem sowjetischen Oberkommando ihre Abwehr erleichterten. Die deutsche Kräftekonzentration zog außerdem Reserven vom Flankenschutz ab, der bereits Mühe hatte, die übermäßig lange Front zu schützen - über 600 Kilometer von Woronesch den Don entlang bis zu dem Punkt, an dem er sich bei Stalingrad der Wolga nähert, und von dort aus ebensoweit bis zum Terek im Kaukasus. Der deutsche Generalstab erkannte die damit verbundenen Risiken und warnte Hitler im August 1942, daß es unmöglich sein werde, den Don als Verteidigungslinie zu halten - aber Hitler ignorierte diese Warnung in seiner Besessenheit, Stalingrad zu erobern. Die Lage der sowjetischen Verteidiger erschien immer gefährdeter und sogar verzweifelt, als der Belagerungsring sich schloß und die Deutschen ins Herz der Stadt vorstießen. Der kritischste Tag war der 14. Oktober 1942. Die Russen standen unterdessen so dicht an der Wolga, daß sie nicht mehr elastisch verteidigen und Gelände preisgeben konnten, um Zeit zu gewinnen. Unter der Oberfläche arbeiteten jedoch grundlegende Faktoren zugunsten der Verteidiger. Die Kampfmoral der deutschen Angreifer war durch schwere Verluste und ihre wachsende Enttäuschung angeschlagen, so daß die Gegenoffensive, zu der die Russen mit frischen Truppen gegen die von Rumänen und anderen kampfschwächeren Verbündeten gehaltenen deutschen Flanken antreten wollten, Erfolg versprach. Diese Gegenoffensive brach am 19. November in vollem Umfange los. An mehreren Stellen stießen Angriffskeile in die deutschen Flanken vor, um Paulus' 6. Armee abzuschneiden. Am 23. November vereinigten sich die beiden sowjetischen Angriffsspitzen: Damit waren über eine Viertelmillion deutscher und verbündeter Soldaten ein gekesselt. Hitler 7
gestattete keinen Rückzug, und eine Befreiungsoffensive im Dezember 1942 blieb liegen. Selbst dann verweigerte Hitler der 6. Armee die Genehmigung zum Ausbruch nach Westen, bis es dafür zu spät war, und die Versorgung des Kessels aus der Luft erwies sich als unzureichend. Das Ende kam - das Ende einer über sechsmonatigen Schlacht -, als Paulus und die Masse der Überlebenden seiner erschöpften und beinahe verhungerten Armee sich am 31. Januar 1943 ergaben, während der Nordkessel sich noch zwei Tage länger hielt. Geoffrey Jukes' Buch profitiert von seiner eingehenden Kenntnis sowjetischer Quellen - vor allem der sechsbändigen Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der UdSSR sowie der seitdem veröffentlichten Memoiren einiger sowjetischer Heerführer. Diese amtliche Darstellung enthielt sehr viel mehr Tatsachenmaterial als die rein propagandistischen Schilderungen, die während des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren veröffentlicht wurden. Sie korrigie rte die bis dahin herrschende völlig überzogene Vorstellung von Stalins dominierendem Einfluß auf die Entscheidungen des sowjetischen Oberkommandos. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß die revidierte Fassung aus der Ära Chruschtschow stammt und mit seiner Unterstützung veröffentlicht wurde, so daß sie dazu neigt, seinen Einfluß auf die Schlacht um Stalingrad zu stark herauszustellen, während sie andererseits Stalins Rolle herunterspielt. Außerdem wurde der Einfluß Marschall Schukows, der zu Stalins Zeit in den Hintergrund gedrängt, aber nach dem Tod des Diktators erneut gewürdigt worden war, von Chruschtschow und seinen Gefolgsleuten wieder unterdrückt. Nach Chruschtschows Sturz ist er seinen Verdiensten entsprechend gewürdigt worden, seitdem 1965 eine einbändige Zusammenfassung der ur8
sprünglich sechsbändigen Darstellung Inhalt und Schlußfolgerungen der früheren Ausgabe beträchtlich verändert hat. Außerdem durfte Schukow seine eigenen Me moiren schreiben - oder wurde sogar dazu ermuntert -, die bedeutsamerweise einigen Behauptungen widersprechen, die Marschall Tschuikow in seiner früheren Schilderung der Schlacht um Stalingrad aufgestellt hatte. Dieser lange Prozeß der Geschichtsklitterung und der Verdrehung geschichtlicher Tatsachen für Propagandazwecke ist beim Studium von Berichten und Darstellungen aus sowjetischen Quellen zu berücksichtigen. Er rät auch zur Vorsicht in bezug auf dort gemachte Angaben über Kräfteverhältnisse und Verluste, die allerdings eher auf Tatsachen zu basieren scheinen als die früher veröffentlichten weniger detaillierten Zahlen.
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„Warum Stalingrad?“
Die große europäische Ebene erstreckt sich von der Küste des Ärmelkanals durch die Niederlande, Deutschland, Polen und die Sowjetunion bis zu den Ausläufern des Urals. Gelegentlich verwandelt sie sich in sanft gewelltes Hügelland, als wolle sie ihren Charakter ändern, um dann stets wieder in eintönige Flachheit zurückzuverfallen. Diese im Norden durch Nord- und Ostsee und im Süden zumindest bis in die Ukraine - durch Gebirge begrenzte Ebene ist seit Jahrhunderten die Bühne gewesen, auf der zuerst die europäischen Völkerstämme, Kelten, Teutonen und Slawen, dann religiöse Fanatiker und schließlich die weniger ideologisch verhafteten, aber deshalb nicht weniger kriegerischen Armeen der Nationalstaaten, die ihnen nachfolgten, die blutigen Dramen aufgeführt haben, an denen die Geschichte Europas bedauerlicherweise so reich ist. Wegen des Fehlens beherrschender Höhen sind die wichtigsten Verteidigungsbarrieren auf dieser Ebene zwangsläufig ihre großen Flüsse: Rhein, Elbe, Oder, Weichsel, Bug, Düna, Dnjestr, Dnjepr, Don, Wolga und ihre Nebenflüsse, die dort nach Norden oder Süden fließen. Und an den Ufern des gewaltigsten dieser Ströme, der Wolga, und ihres kaum geringeren Nachbarn, des Dons, kam es Ende 1942 und Anfang 1943 zu dem großen Schlachtenkomplex, der unter dem Begriff „Stalingrad“ in die Geschichte eingegangen ist. Hier, wo die weiten Kornfelder der Ukraine in die Steilufer und Schluchten des Wolgabeckens übergehen, prallten die Armeen zweier militanter Ideologien im Kampf um eine Stadt 10
aufeinander, die ursprünglich nicht als wichtiges militärisches Ziel gegolten hatte, aber durch den Symbolgehalt ihres Namens und die Hartnäckigkeit ihrer Verteidiger zum Kristallisationspunkt der Anstrengungen beider Seiten wurde und den Traum von einem Großgermanischen Reich im Osten zum Einsturz brachte. Allerdings war dies nicht das erste Mal, daß die Rote Armee die Deutschen zum Stehen gebracht hatte. Die unaufhaltsame Flut der deutschen Eroberer hatte sich im Sommer 1941 über das europäische Rußland ergossen, wie sie sich im Vorjahr über Westeuropa ergossen hatte, und eine schlecht ausgerüstete, schlecht ausgebildete und schlecht geführte Division der Roten Armee nach der anderen hatte das Schicksal der Polen, Franzosen, Holländer, Belgier, Jugoslawen und Griechen geteilt: Einkreisung und Gefangennahme. Sie hatten zusätzlich das harte Los barbarischer Mißhandlungen in der Gefangenschaft zu ertragen, da die Sowjetunion nicht zu den Unterzeichnerstaaten der Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen gehörte und weil der Russe in der schrecklichen Rassenhierarchie der Nazis, an deren Spitze das „Herrenvolk“ der Deutschen stand, gemeinsam mit dem Juden ganz unten stand. Die deutsche Achtung vor Recht und Gesetz, die bestenfalls eine einigermaßen korrekte Behandlung der in West- und Nordeuropa gemachten Kriegsgefangenen bewirkte, führte schlimmstenfalls zu einer Tendenz, mehr auf den Buchstaben als auf den Geist des Gesetzes zu achten, was im Osten unvorstellbare Folgen haben sollte. Es gab keine legalen Barrieren, die die Sieger daran gehindert hätten, mit brutalsten Methoden gegen die hilflosen Massen russischer Kriegsgefangener vorzuge hen, die zu Hunderttausenden in den Lagern starben. Etwa 5500000 Offiziere und Mannschaften der Roten Armee gerieten während des Krieges in deutsche Gefangenschaft - drei Viertel davon im 11
Jahre 1941 -, und etwa 4000000 fanden bis Kriegsende den Tod. Die Zivilbe völkerung wurde kaum besser behandelt, vor allem nicht, nachdem die Wehrmacht weiter nach Osten vorgestoßen war und die besetzten Gebiete der Zivilverwaltung mit ihrer Gestapo, ihren Einsatzgruppen (Erschießungskommandos) und ihren Konzentrationslagern übergeben hatte. Das hatte in den besetzten Gebieten zu einer Abkühlung der Begeisterung für den Nationalsozialismus als Erlösung von den Schrecken von Stalins Herrschaft geführt und in den unbesetzten Gebieten den Widerstandswillen gestärkt, denn die drakonische Strenge des Stalinismus wurde immerhin durch die Aussicht auf eine bessere Zukunft gemildert, die sich bereits in Form der durch die Fünfjahrespläne eingeleiteten industriellen Revolution abzeichnete. Stalin strafte die Russen mit Knutenhieben, aber Hitler benützte für diesen Zweck Skorpione, und der Nationalsozialismus bot den Slawen lediglich die Aussicht auf ein Helotendasein in den deutschen Wehrdörfern, die errichtet werden sollten, um den Osten zur Kornkammer des Tausendjährigen Reiches zu mache n. Obwohl viele zur Zusammenarbeit mit den Deutschen bereit waren, weil sie einen deutschen Sieg für unvermeidbar hielten, persönlich unter dem Stalinismus gelit ten hatten, ihre Angehörigen ernähren wollten oder den Wunsch hatten, das russische Joch abzuschütteln (diese Begründung traf vor allem auf einige der nichtrussischen Minoritäten zu, aus denen über ein Drittel der sowjetischen Bevölkerung besteht), war für die meisten Russen die eigene Diktatur das erheblich kleinere der beiden möglichen Übel. Als die Kommunistische Partei geschickt Beweise für die von Nazis verübten Greueltaten veröffentlichte und Konzessionen machte, um den Patriotismus zu fördern und religiöse Gefühle für die gemeinsame Sache einzuspannen, wuchs der sowjetische Widerstand, und die 12
Bevölkerung stellte sich hinter Stalin, wie sie es in Friedenszeiten nie getan hatte. Trotz brillanter Siege im Sommer und Herbst 1941 mußten die Deutschen deshalb feststellen, daß die Rote Armee und das Stalin-Regime noch keineswegs am Ende waren, als der Winter kam. Von den drei Hauptzielen - Leningrad, Moskau und Kiew - waren die beiden ersten bei Wintereinbruch noch nicht genommen, und - noch bedrohlicher - die sowjetischen Truppen wurden merklich besser geführt, weil die alte Garde der stalinistischen Generale in den Hintergrund gedrängt und durch jüngere Männer mit moderneren Auffassungen und besserer militärischer Ausbildung ersetzt worden war. Der hervorragendste Vertreter dieser neuen Generation war zweifellos der ehemalige Generalstabschef, Armeegeneral Georgij Konstantinowitsch Schukow, der es seiner Entschlußfreudigkeit und seinem Durchsetzungsvermögen verdankte, daß er jetzt in entscheidende Positionen gelangte. Im Oktober 1941 entsandte Stalin ihn nach Leningrad, wo er in dreitägiger hektischer Aktivität Ordnung in die bis dahin chaotische Verteidigungsorganisation brachte und die Abwehr so organisierte, daß sie selbst unter anderer Führung einer über 900tägigen Belagerung standhalten konnte. Von dort aus wurde er dringend nach Moskau zurückgerufen, das sich in unmittelbarer Gefahr befand, erobert zu werden. Sein Einsatz und sein Rat als Oberbefehlshaber der sowjetischen Westfront (der Moskau verteidigenden Heeresgruppe) und Angehöriger der „Stawka“ (des sowjetischen Oberkommandos) trugen nicht nur dazu bei, den deutschen Angriff zurückzuschlagen, sondern ermöglichten sogar eine improvisierte Gegenoffensive, die das Wetter und die Erschöpfung der Deutschen ausnützte, um die Wehrmacht zurückzuwerfen, die deutsche Heeresgruppe Mitte bis an den Rand des Zerfalls zu bringen und Deutschland in diesem Krieg 13
die erste große Niederlage in einer Landschlacht zuzufügen. Danach war die Wehrmacht nie mehr imstande, wie 1941 eine strategische Offensive entlang der gesamten Ostfront zu führen. Schukows Offensive blieb jedoch wegen Mangels an Nachschub liegen, und beide Seiten legten eine Kampfpause ein, um Bilanz zu ziehen. Die deutschen Generale schienen die Bedeutung dieses Rückschlags nicht recht zu erfassen. Sie erklärten sich die Niederlage als Folge von Hitlers Schwanken in bezug auf die zu setzenden Prioritäten, des Herbstschlamms oder des strengen Winters - als ob Stalin niemals durch das Schwanken und die Fehlentscheidungen von Generalen der Roten Armee behindert worden sei, als ob Regen und Schnee nicht auf Herrenmenschen wie Untermenschen gefallen seien und als ob der Einsatz deutscher Truppen in einem Bewegungskrieg, der bei Temperaturen geführt werden sollte, die alle Schmierstoffe erstarren ließen, so daß Fahrzeuge und Geschütze bewegungsunfähig waren, nicht einen Mangel an Führungsqualitäten bewiesen habe, für den sie verantwortlich waren. Wenn die sowjetischen Truppen zweckmäßige Winterkleidung besaßen, während die Deutschen keine hatten, mußte sich irgendein Sündenbock dafür finden lassen. Man hätte glauben können, Stalin sei es mit seiner Geheimhaltungswut gelungen, nicht nur die Stärke der Reserven der Roten Armee zu tarnen, sondern auch die Strenge der russischen Winter zu verheimlichen. Aber das würde sich alles ändern, wenn die nächste Sommeroffensive anlaufen konnte. Die Schlacht um Moskau war nicht von der sowjetischen Generalität gewonnen worden - den Sieg hatte „General Winter“ davongetragen (mit Unterstützung des Führers). Unterdessen hatten die Deutschen nützliche Erfahrungen bei Abwehrkämpfen sammeln können, die ihnen ihre angriffsorientierte Ausbildung nicht vermittelt hatte. 14
Auf diese Weise beruhigt, übersahen die deutschen Generale die eigentliche Lektion des Winterfeldzugs: daß der Erfolg des gesamten Ostfeldzugs davon abhing, ob es gelang, die Rote Armee zu zerschlagen, bevor sie imstande war, schnelle Panzerverbände zu bekämpfen - was im Grunde genommen bedeutete, daß sie bis zum Winter 1941 niedergeworfen werden mußte. Es gab bereits Anzeichen dafür, daß die selbstmörderischen sowjetischen Versuche, den Deutschen standzuhalten, die zwangsläufig zur Einkesselung ganzer Armeen geführt hatten, bei durch den Menschenmangel geförderter nüchterner Überlegung aufgegeben wurden. Sobald die Russen ihre Lehren aus dem Sommerfeldzug 1941 gezogen hatten (was Schukow bereits getan hatte, wie sein Befehl zeigte, mit dem er während der sowjetischen Gegenoffensive vor Moskau kategorisch Frontalangriffe gegen Stützpunkte verbot und statt dessen Umgehungsangriffe anregte), würde die Rote Armee in der bevorstehenden Offensivperiode schwerer zu fassen sein. Die sowjetische Führung, insbesondere Stalin, überschätzte allerdings die Bedeutung der bisher kaum merklichen Veränderung des strategischen Gleichge wichts, wie die Deutschen sie ihrerseits unterschätzten, und wollte mit einer Offensive auf ganzer Frontbreite an Schukows Erfolg anknüpfen. Die Ereignisse, aus denen sich später zwangsläufig die Schlacht um Stalingrad entwickelte, begannen am 5. Januar 1942. An diesem Tag wurde Schukow aus seinem Hauptquartier an der Westfront (im sowjetischen militä rischen Sprachgebrauch bedeutet „Front“ eine Heeresgruppe) zu einer Stawka Besprechung beordert, auf der über zukünftige Operationen diskutiert wurde. Bei dieser Gelegenheit legte Stalin einen Plan für eine Generaloffensive entlang der gesamten Front zwischen Leningrad und Schwarzem Meer vor. 15
Schukow war sich darüber im klaren, daß die Deutschen trotz der schweren Niederlage, die sie im mittleren Frontabschnitt erlitten hatten, und des weniger bedeutsamen Rückschlags, den sie im Süden hatten hinnehmen müssen, nach wie vor ein starker und gefährlicher Gegner waren. Deshalb plädierte er für eine Großoffensive in der Mitte der langen Front, wo die deutsche Heeresgruppe Mitte am meisten angeschlagen war. Aber Stalins Entschluß stand fest, und nach der Besprechung erklärte Marschall Schaposchnikow, der Chef des Generalstabes, Schukow: „Sie hätten sich Ihre Gegenargumente sparen können; der Oberbefehlshaber hatte bereits entschieden. Die Befehle sind schon erteilt...“ „Aber warum hat er dann unsere Meinung hören wollen?“ „Das weiß ich auch nicht, mein Lieber, das weiß ich auch nicht“, antwortete Schaposchnikow seufzend. Er war ebenfalls gegen eine Generaloffensive. Einige Tage später begann die Offensive, die jedoch nirgends stark genug war, um einen durchschlagenden Erfolg zu erzielen. Statt dessen brachte sie an einigen Frontabschnitten katastrophale Mißerfolge, so daß die Rote Armee im kommenden Sommer um so schwächer würde antreten müssen. Noch schlimmer war die damit verbundene Stärkung der Kampfmoral des deutschen Ostheeres, das seine ersten großen Abwehrschlachten geschlagen und dabei Erfahrungen gesammelt hatte, die seine Offensivausbildung ihm ursprünglich nicht vermittelt hatte. Auf diese Weise vertat die Rote Armee ihre Chance, in der Frontmitte einen Durchbruch zu erzielen, so daß ein weiterer Sommerfeldzug auf russischem Boden unvermeidlich wurde. Beide Seiten begannen mit der Planung ihrer Offensiven, die beide im Süden der langgestreckten Front stattfinden sollten. Durch die Winterkämpfe war eine vielfach ein- und ausgebuchtete Frontlinie entstanden: Leningrad wurde belagert, 16
ein Teil der Krim befand sich noch in sowjetischer Hand, und südlich von Charkow sprang die sowjetische Front bei Barwenkowo weit vor. Deshalb beabsichtigte die Stawka, Leningrad und die belagerte Festung Sewastopol auf der Krim zu entsetzen und einen Großangriff aus dem Frontvorsprung bei Barwenkowo sowie nördlich davon zu führen. Dieser Großangriff sollte der Mittelpunkt der ganzen Sommeroffensive sein und auf die Zurückgewinnung von Charkow abzielen. Vorgesehen war der Einsatz von Kräften zweier Heeresgruppen - der Südwest- und der Südfront - unter dem Oberbefehl von Marschall S. K. Timoschenko, einem Bürgerkriegsveteran, der nach dem Debakel im Winterkrieg gegen Finnland Volkskommissar für Verteidigung geworden war und eine rücksichtslose Reorganisation der Roten Armee durchgeführt hatte. Die Offensive aus dem Frontvorsprung bei Barwenkowo sollte in Form einer Zangenbewegung durch die 6. Armee (General A. M. Gorodnjanski) stattfinden, die vom Nordrand der Ausbuchtung nach Charkow vorstoßen würde. Aus dem Gebiet um Wolschansk im Nordosten der Stadt würde ihr General D. I. Rjabischows 28. Armee mit Teilen der benachbarten 21. und 38. Armee entgegenkommen. Eine Kampfgruppe unter Befehl von Generalleutnant L. W. Bobkin würde aus dem Frontvorsprung nach Westen in Richtung Krasnograd angreifen, um der 6. Armee bei ihrem Vorstoß nach Norden den Rücken freizuhalten. Und damit die deutschen Kräfte im Süden des Frontvorsprungs nicht abgezogen werden konnten, sollten die 9. Armee (Generalleutnant F. M. Charitonow) und die 57. Armee (General K. P. Podlas) zu begrenzten Offensiven antreten, mit denen die Deutschen festgenagelt werden sollten. Dieser Angriffsplan war verhältnismäßig leicht vorausberechenbar: Er ergab sich aus dem Frontverlauf und der Tatsache, daß Charkow die zweitgrößte russische Stadt in 17
deutscher Hand sowie das deutsche Fernmelde- und Nachschubzentrum im Süden war. Trotzdem hätte der sowjetische Plan nicht unbedingt fehlschlagen müs sen; viele noch biederere Vorhaben sind unter günstigen Voraussetzungen geglückt. Der grundlegende Fehler lag woanders: Der sowjetische Angriffsplan paßte wie bestellt zu den deutschen Offensivplänen. Mit seinem Sommerfeldzug verfolgte Hitler weit ehrgeizigere Pläne als Stalin, aber bevor er an ihre Verwirklichung gehen konnte, mußte die Wehrmacht die Voraussetzungen dafür schaffen. Der sowjetische Brückenkopf auf der Krim und der Einbruch bei Barwenkowo sollten beseitigt werden. Während Timoschenko in dem Frontvorsprung Angriffskräfte zusammenzog (darunter etwa 600 Panzer, zwei Drittel seiner gesamten Panzerkräfte), konzentrierte Generalfeldmarschall Fedor von Bock, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd, die Masse seiner 6. Armee (Generaloberst Friedrich Paulus) im Norden der Ausbuchtung und stellte die 1. Panzerarmee (Generaloberst Ewald von Kleist) im Süden bei Barwenkowo auf. Das bedeutete, daß Timoschenkos beste Waffen - die mittleren Panzer des Typs T 34 und die schweren Panzer des Typs KW 1, die allen deutschen Panzern zumindest gleichwertig, wenn nicht sogar überlegen waren - nach Westen ins Leere stoßen würden, während die eigentliche Bedrohung sich hinter ihnen entwickelte: das Unternehmen „Fridericus“ zur Frontbegradigung. Keiner der beiden Oberbefehlshaber ahnte, was der andere vorhatte, aber Bock konnte von Glück sagen, daß seine Angriffsvor bereitungen nicht abgeschlossen gewesen waren, bevor Timoschenkos Panzer ins Leere stie ßen, denn sonst wäre seine Heeresgruppe Süd ernsthaft gefährdet gewesen. Tatsächlich eröffnete Timoschenko seine Offensive am 12. Mai 1942 und kam Bock damit etwa eine Woche zuvor. Anfangs 18
schien Timoschenkos südlicher Arm gut voranzukommen (obwohl der Vorstoß im Norden von Anfang an sehr schwierig war), und aus der Sicht des sowjetischen Marschalls war lediglich beunruhigend, daß seine im Süden angreifenden Panzerbrigaden auf verhältnismäßig schwachen Widerstand stießen. Wohin waren die Deutschen verschwunden? Diese Frage wurde am 17. Mai beantwortet, als Stoßtrupps, die den Auftrag hatten, Art und Stärke der an der Südflanke stehenden Kräfte aufzuklären, mit Gefangenen aus der 1. Panzerarmee zurückkamen. Timoschenko erkannte, daß er in eine Falle geraten war und daß seine Armeen mit jeder Stunde in noch größere Gefahren hineinstießen; er rief die Stawka an und bat um Erlaubnis, das Vormarschtempo drosseln zu dürfen, während er seine Kräfte umgruppierte, um dieser neuen Bedrohung entgegentreten zu können. Diese Erlaubnis wurde nicht erteilt. Charkow sollte um jeden Preis zurückerobert werden. Die sowjetische Offensive war nicht ohne Auswirkungen auf Bocks Entscheidungen geblieben. „Fridericus“ war als gewöhnliche Zangenbewegung geplant gewesen, in deren Verlauf die eingebrochenen russischen Kräfte von Norden und Süden her abgeschnitten werden sollten. Aber das war nicht mehr möglich, weil die im Norden stehende Wiener 44. Infanteriedivision unter sehr starken sowjetischen Druck geriet, dem sie kaum standhalten konnte, so daß an keinen Vorstoß von Norden her zu denken war. Bock entschied sich deshalb mit einigen Bedenken, das Unternehmen „Fridericus“ mit nur einem Angriffskeil durchzuführen: Lediglich die 1. Panzerarmee würde von Süden her in die Ausbuchtung vorstoßen und dabei von Infanterie der 17. Armee unterstützt werden. Dazu wurden zwei Panzerdivisionen, eine motorisierte Division und acht Infanteriedivisionen südlich von Barwenkowo 19
zusammengezogen und am Morgen des 17. Mai 1942 in die Schlacht geworfen - einen Tag früher, als das als Zangenbewegung geplante Unternehmen „Fridericus“ hätte beginnen sollen. Anfangs gab es Schwierigkeiten beim Durchbruch durch die russischen Stellungen, aber am Nachmittag des 22. Mai erreichte die 14. Panzerdivision das Südufer des Donez bei Bayrak und stellte dadurch die Verbindung zu der bedrängten 44. Division her. Damit war der Kessel geschlossen. Er enthielt den größten Teil von Timoschenkos Kampfgruppe, denn obwohl der Marschall am 19. Mai von der Stawka die Erlaubnis zum Abbruch der Offensive erhalten und General Kostenko, seinen Stellvertreter, nach vorn geschickt hatte, um ihn den Rückzug organisieren zu lassen, war Kleist zu rasch vorangekommen. Einzelnen sowjetischen Einheiten gelang der Durchbruch nach Osten, aber die Mehrzahl der eingekesselten Kräfte wurde zerschlagen: 29 sowjetische Divisionen waren vernichtet, viele andere schwer angeschlagen. Drei Armeen - die 6., 9. und 57. Armee waren mit ihren Oberbefehlshabern zugrundegegangen. Nur Charitonow, der Oberbefehlshaber der 9. Armee, und sein Stab waren im letzten Augenblick ausgeflogen worden. Kostenko war tot; Bobkin und seine Kampfgruppe existierten nicht mehr. Die 9. Armee, die sich unter Charitonows Oberbefehl bei den Abwehrschlachten im Herbst des Vorjahres ausgezeichnet hatte, würde bei den zweifellos bevorstehenden Abwehrkämpfen sehr fehlen. Zwei Drittel der Panzer waren verlorengegangen. Dabei war das nur ein Unternehmen zur Frontbegradigung gewesen. Die eigentliche deutsche Sommeroffensive stand erst bevor. Viele der deutschen Generale waren gegen den Überfall auf die Sowjetunion gewesen, weil sie die keineswegs besiegten 20
Engländer in ihrem Rücken fürchteten und damit rechneten, daß England eines Tages zum Ausgangspunkt einer Invasion Europas werden würde, die den von Deutschland zu vermeidenden Zweifrontenkrieg nach sich ziehen mußte. Da der ehrgeizige Feldzugsplan des Jahres 1941, der eine Offensive auf ganzer Front vorgesehen hatte, weder die erwartete Vernichtung der Roten Armee noch den Zusammenbruch von Stalins Diktatur gebracht hatte, mußten die Generalstäbler sich eingehender mit den militärischen, politischen und wirtschaftlichen Voraus setzungen des Rußlandfeldzuges befassen, um dann zu entscheiden, wo sie mit schwächeren Kräften zu einem Hauptstoß ansetzen wollten. Auch Hitler war mit politischen und wirtschaftlichen Realitäten beschäftigt, denn der 1941 wider Erwarten nicht errungene Sieg verstrickte Deutschland zwangsläufig in einen langen Krieg, in dem es jetzt drei große Industrienationen gegen sich hatte - darunter einen Koloß wie die Vereinigten Staaten. Im Sommer und Herbst 1941 hatte das Stalin-Regime Niederlagen überstanden, die alles übertrafen, was im Ersten Weltkrieg zum Sturz der Zarenherrschaft geführt hatte. Abgesehen von den bereits erwähnten Gründen war es eine Tatsache, die Hitler vielleicht klarer als seine Generale sah, daß Rußland durch die Industrialisierung kriegstüchtiger geworden war, als es unter den Zaren jemals hatte sein können. Viele der neuen Schwerindustrien der Sowjetunion - vor allem die großen Stahlwerke im Ural, zum Beispiel in Magnitogorsk - befanden sich für absehbare Zeit außerhalb des Wirkungsbereichs deutscher Waffen, und die Produktionskapazität der sowjetischen Panzerfabriken hinter dem Ural war durch aus den westlichen Gebieten gerettete Maschinen erhöht worden. Auch die sowjetische Flugzeugproduktion stieg stetig an. Nachdem der Überfall auf die Sowjetunion nicht zum Sieg geführt hatte, war es deshalb wahrscheinlich, dass der russische 21
Bär - falls er nicht bald erlegt wurde - auf die Dauer siegreich bleiben würde, zumal er jetzt die Industriemacht Amerika hinter sich hatte. Aber der Wirtschaftsriese Sowjetunion hatte eine eindeutige Achillesferse: Die sowjetischen Ölvorkommen lagen vor allem im Kaukasus, und von den Ölfeldern um Maikop, Grossnij und Baku aus gab es nur wenige Hauptrouten, auf denen es die Umschlagplätze erreichen und später die Rad- und Kettenfahrzeuge der Roten Armee antreiben konnte. Eine Bahnstrecke führte über Rostow. Eine weitere zweigte in Tichorezk von der ersten ab und führte nach Stalingrad; eine dritte verlief an der Westküste des Kaspischen Meeres von Baku über Grossnij nach Astrachan, wo sie Anschluß an das innerrussische Eisenbahnnetz fand. Der letzte und wichtigste Transportweg war die mächtige Wolga, auf der riesige Ölmengen direkt von Baku aus verschifft wurden. Mit der Einnahme von Rostow wäre die erste Route unterbrochen gewesen. Sobald Maikop und Grossnij, die beide nördlich des Kaukasus lagen, sich in deutscher Hand befanden, waren die zweite und dritte Eisenbahnstrecke unbenutzbar. Und wenn erst einmal deutsche Truppen an der Wolga standen, war die letzte Route gesperrt, was den Kollaps der sowjetischen Wirtschaft und den Zusammenbruch der Roten Armee bewirken mußte. Gelang es sogar, den Kaukasus zu überqueren und Baku zu nehmen, konnte Deutschland mit russischem Erdöl einen langen Krieg führen, ohne auf die rumänischen Ölfelder bei Ploesti angewiesen zu sein, die von sowjetischen Bombern von der Krim aus (solange dort noch ein sowjetischer Brückenkopf existierte) oder von englischen oder amerikanischen Langstreckenbombern aus dem Mittleren Osten angegriffen werden konnten. Allein diese Gründe hätten Hitler veranlassen müssen, das Hauptgewicht der deutschen Sommeroffensive 1942 in den 22
Süden zu legen. Aber es gab noch weitere: Deutschland hielt den Westteil des Charkower Industrie gebiets besetzt, aber der Ostteil - das Kohle - und Stahlrevier des Donbass-Gebiets befand sich nach wie vor in sowjetischer Hand. Ein Vorstoß zur Wolga würde mitten durch dieses Gebiet führen und seine Industriekapazität für Deutschland nutzbar machen. Außerdem konnte eine erfolgreiche Offensive im Süden sich politisch bezahlt machen. Unter Umständen gelang es, die Türkei zur Aufgabe ihrer Neutralität zu veranlassen, denn obwohl die amtliche türkische Politik im allgemeinen auf der Seite der Alliierten stand, war die Bevölkerung wegen der Waffenbrüderschaft im Ersten Weltkrieg sehr deutschfreundlich. Indem die Deutschen den Erbfeind der Türken besiegten, an der türkisch-russischen Grenze erschienen und die durch den Iran führende Nachschubroute von Amerika in die Sowjetunion unterbrachen, so daß der Iran nicht mehr fürchten mußte, unter die Herrschaft dieser beiden Mächte zu geraten, konnte Deutschland zu einem Machtfaktor im Mittleren Osten werden. Falls die Türken mitspielten, konnten die Deutschen die englische Position im Mittleren Osten gefährden, indem sie zu den Ölfeldern am Persischen Golf vorstießen und später den Suezkanal erreichten, um die englische 8. Armee in Nordafrika in die Zange zu nehmen. Das waren selbstverständlich langfristige Überlegungen. Anfang 1942 standen die deutschen Generalstäbler vor der bescheideneren, aber noch immer gewaltigen Aufgabe, die Positionen zu erreichen, von denen aus sie vielleicht daran gehen konnten, diese verlockenden Ideen zu verwirklichen, die ihre Existenz der zügellosen Phantasie Hitlers verdankten. Nach den Verlusten durch die Winterschlachten fiel es den Deutschen nicht leicht, die lange Ostfront zu halten. Durch einen Vorstoß nach Südosten in Richtung Kaukasus würde sich die Front noch mehr verlängern, und die dorthin entsandten Kräfte standen 23
nicht als Eingreifreserve zur Verfügung, falls der Russe in anderen Frontabschnitten Einbrüche erzielte; außerdem waren sie in Gefahr, durch einen sowjetischen Gegenstoß, der entlang des Dons in Richtung Rostow denkbar war, abgeschnitten zu werden. In diesem Fall würden die deutschen Kräfte sich hastig aus dem Kaukasus und vom Kuban zurückziehen müs sen. Deshalb mußten Nordflanke und Rücken des Angriffskeils vor dieser Bedrohung geschützt werden, wobei sich die Frage erhob, wo dieser Flankenschutz eingesetzt werden sollte. Zu berücksichtigen war dabei, daß die deutschen Truppen bereits sehr auseinandergezogen waren und daß die verhältnismäßig schlecht ausgerüsteten, unzulänglich ausgebildeten und nicht sonderlich begeisterten rumänischen, italienischen und ungarischen Truppen, die als Deutschlands Verbündete im Osten standen, für dieses Unternehmen benötigt wurden. Schon ein flüchtiger Blick auf die Karte läßt die Ideallinie erkennen. Südlich des Verkehrsknotenpunktes Woronesch biegt der Don nach Osten ab, um bei Serafimowitsch wieder nach Süden zu fließen, bis er schließlich endgültig nach Westen strömt und ins Asowsche Meer mündet. Die Wolga biegt ihrerseits zwischen ihrer Mündung bei Astrachan und Stalingrad nach Westen aus. Jede am Don verlaufende Verteidigungslinie mußte deshalb den Fluß bis zu einem Punkt östlich von Serafimowitsch vor sich haben - und von dort bis zur Wolga waren es nur etwa 70 Kilometer. Lediglich dort konnte die Rote Armee angreifen, ohne zuvor in feindlichem Feuer einen breiten Strom überschreiten zu müssen, so daß die Wolga im Bereich Stalingrad sich als Angelpunkt des Ostflügels der deutschen Flankensicherung geradezu anbot. Dort ist der Fluß etwa 1,5 Kilometer breit. Die Schiffahrt auf der Wolga konnte durch Bomben und Artilleriefeuer unterbunden werden, und etwaige sowjetische Angriffsversuche über den Fluß 24
hinweg würden durch dieses natürliche Hindernis erschwert werden. Stalingrad brauchte nicht gleich genommen zu werden: Die vom Norden abgeschnittene Stadt würde sich unmöglich lange verteidigen lassen. Deshalb existierte kein eigener Plan zur Eroberung Stalingrads. „Anfangs war Stalingrad für uns nur ein Name auf der Karte“, sagte Kleist nach dem Krieg, und wie die Stadt allmählich aus ihrer Nebenrolle in die Hauptrolle hineinwuchs, zeigt sich in Hitlers Feststellungen und Weisungen im Laufe des Jahres, in dem politische, wirtschaftliche und militärische Faktoren seinen brillanten, aber wirren Geist beschäftigten und um Vorherrschaft rangen. Der im vorigen Winter entworfene Angriffsplan des Oberkommandos des Heeres (OKH) hatte lediglich einen kleineren Vorstoß im Süden vorgesehen. Das Schwergewicht sollte im Norden liegen, wo Leningrad genommen und die Verbindung zu den Finnen hergestellt werden sollte. Dieser Plan wurde abgelehnt, aber das Unternehmen gegen Leningrad fand sich in allen späteren Entwürfen wieder, und diese Tatsache sollte sich dann auf die Kämpfe an der weit entfernten Wolga auswirken. Am 28. März 1941 legte der Chef des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Franz Halder, ein brillanter Stratege, der ungewöhnlicherweise nicht aus dem preußischen Generalstab, sondern aus der alten bayerischen Armee hervorgegangen war (und - was noch ungewöhnlicher war - schon 1938 zu den Hauptfiguren eines fehlgeschlagenen Attentatsversuchs auf Hitler gehört hatte), bei einer Besprechung in Hitlers Hauptquartier Wolfsschanze bei Rastenburg in Ostpreußen den überarbeiteten Operationsplan für die Sommeroffensive vor. Er hatte den Decknamen „Operation Blau“ erhalten (seit dem Fehlschlagen des Unternehmens „Barbarossa“ benützte der 25
Generalstab wieder Farben als Decknamen) und sah eine zweistufige Offensive vor. Die deutsche Sommeroffensive war ungewöhnlich, weil sie von einer zurückweichenden Front aus geführt werden sollte, so daß die am weitesten westlich stehenden Kräfte sich zuerst in Bewegung setzen mußten. Sie würden aus dem Raum KurskCharkow nach Südosten den Don entlang vorstoßen, Timoschenkos Armeen vom Fluß abschneiden und sich hinter sie schieben. Im richtigen Augenblick würden weitere deutsche Kräfte am Südostende der Angriffsfront aus Stellungen am Mius nach Osten angreifen, um die sowjetische Südfront nach Nordwesten abzudrängen. Die beiden Angriffskeile wür den sich westlich von Stalingrad vereinigen, die sowjetischen Fronten Südwest und Süd - einkesseln und erst nach Abschluß dieser Phase nach Süden in den Kaukasus und zu den Ölfeldern vorstoßen. Hitler akzeptierte diesen Angriffsplan, aber er war nicht mit der dafür ausgearbeiteten Weisung einverstanden, sondern bestand darauf, sie selbst zu formulieren, wobei er stärker auf Einzelheiten einging, als dies bisher üblich gewesen war. („Die Weisung hat ... Befehlscharakter, ist aber vom Befehl dadurch unterschieden, daß die Art der Ausführung der gegebenen Richtlinien den untergeordneten Dienststellen und Kommandobehör den überlassen wird“, schreibt Walther Hubatsch - aber Hitler mißtraute seinen Generalen vor alle m seit dem Winterdebakel.) Deshalb gibt uns die Weisung Nr. 41 vom 5. April 1942 einen recht guten Einblick in Hitlers Überlegungen zu diesem Zeitpunkt. Er führte darin aus, zunächst seien „alle greifbaren Kräfte zu der Hauptoperation im Süd-Abschnitt zu vereinigen mit dem Ziel, den Feind vorwärts des Dons zu vernichten, um sodann die Ölgebiete im kaukasischen Raum und den Übergang über den Kaukasus selbst zu gewinnen“. 26
An anderer Stelle hieß es: „Auf jeden Fall muß versucht werden, Stalingrad selbst zu erreichen oder es zumindest so unter die Wirkung unserer schweren Waffen zu bringen, daß es als weiteres Rüstungs- und Verkehrszentrum ausfällt.“ Damit waren die Prioritäten gesetzt. Während „alle greifbaren Kräfte“ zusammenge faßt werden sollten, um die sowjetischen Armeen im Süden zu vernichten, sollte nur „versucht werden, Stalingrad selbst zu erreichen“ oder so nahe heranzukommen, daß die Stadt beschossen werden konnte. Für diese Operation wurden Bock starke deutsche Kräfte unterstellt. Die nördlichen Umklammerungsverbände am Don bestanden aus der 4. Panzerarmee (Generaloberst Hermann Hoth) und der 6. Armee (Generaloberst Paulus); ihr südliches Gegenstück wurde aus der 1. Panzerarmee (Kleist) und der 17. Armee (Generaloberst Richard Ruoff) gebildet. Dazu würde die 11. Armee (Generaloberst Erich von Manstein) stoßen, sobald sie die Krim gesäubert und die Festung Sewastopol genommen hatte. Die der Heeresgruppe Süd unterstehenden verbündeten Verbände waren die rumänische 3. und 4., die italienische 8. und die ungarische 2. Armee, so daß Bock insgesamt über 89 Divisionen, davon neun Panzerdivisionen, verfügte. Anfang Mai 1942 unterstanden den beiden sowjetischen „Achsen“ (Hauptquartiere, denen mehr als eine Heeresgruppe unterstand) im Süden - Südwest- und Nordkaukasus - 78 Divisionen (davon 14 Kavallerie divisionen) und 17 Panzerbrigaden, die auf dem Papier für eine Verteidigung dieses Gebiets hätten ausreichen müssen. Aber diese Zahlenangaben müssen vorsichtig analy siert werden. Erstens betrug die Soll-Stärke einer sowje tischen Division nur zwei Drittel bis drei Viertel der Stärke einer Division der Achsenmächte. Zweitens waren der Rotarmist und seine Leutnante und Hauptleute den Deutschen in jeder Beziehung - nur in bezug auf persönlichen Mut nicht 27
unterlegen. Drittens war die sowjetische Taktik noch immer schematisch und umständlich. Viertens hatten die sowjetischen Panzertruppen keine Erfahrung mit tiefen Vorstößen in feindliche Gebiete; Blitzkriegstaktiken kannten sie lediglich aus Büchern, während die deutschen Kommandeure sie seit 1939 erfolgreich anwendeten, so daß ihre Erfahrungen, was Führung und Versorgung schneller Panzer- und motorisierter Infanterieverbände betraf, ihre schlechteren Panzer mehr als wettmachten. Die deutschen Panzer - hauptsächlich PzKw III und IV - waren dem schweren russischen KW 1 und vor allem dem mittleren T 34 (dem wohl erfolgreichsten Panzer des Zweiten Weltkrieges) in bezug auf Panzerung, Bewaffnung und Beweglichkeit unterlegen. Die sowjetischen Kräfte waren durch den deutschen Umfassungsangriff bei Barwenkowo im Mai weiter geschwächt worden: Dort waren 29 sowjetische Infanteriedivisionen und zwei Drittel von Timoschenkos Panzern vernichtet worden, so daß die Deutschen ihre Offensive mit etwa achtfacher Panzerüberlegenheit begannen. Weiterhin wurden bei der Eroberung der Krim fünf sowjetische Armeen mit mindestens 15 Divisionen vernichtet, so daß das Anfang Mai vorhandene relative Kräftegleichgewicht bis Ende Juni nicht mehr existierte und eine deutsche Großoffensive im Süden Erfolg versprach. Es würde zu weit führen, die Entwicklung des Kräfte gleichgewichts während der Kämpfe vor der Schlacht um Stalingrad in allen Einzelheiten zu verfolgen. Wir können uns mit der Feststellung begnügen, daß die am 12. Juli 1942 aufgestellte sowjetische „Stalingradfront“ aus 38 Divisionen bestand, von denen 14 weniger als 1000 Mann und weitere sechs weniger als 4000 Mann stark waren - bei einer Soll-Stärke von 15000 Mann.
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General Paulus in einer Stellung vor Stalingrad
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Panzer schließen den Belagerungsring (oben), in dem sich motorisierte Infanterieeinheiten bewegen (unten)
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Die 21., 28. und 30. Armee, die im Mai an der CharkowOffensive beteiligt gewesen waren, verfügten gemeinsam über 21 Divisionen, die offiziell als „Restdivisionen“ bezeichnet wurden, und die 4. Panzerarmee besaß bei ihrer Aufstellung am 22. Juli 80 Panzer, die bis zum 10. August restlos verlorengingen. Die russische Dampfwalze stand hier nicht mehr unter Dampf, und daß die Rote Armee in diese Klemme geraten war, hatte sie vor allem der mißlungenen Offensive aus dem Frontbogen bei Barwenkowo zu verdanken.
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„Der Russe ist erledigt“
Am 28. Juni 1942 griff Generalfeldmarschall von Bock mit der 4. Panzerarmee in Richtung Woronesch an, das ein wichtiger Knotenpunkt sowjetischer Querverbindungen hinter der Front war. Zwei Tage später setzte er die 6. Armee in Marsch, die nach Nordosten zu dem gleichen Ziel vorstieß, um einen Kessel bei Stari Oskol zu bilden und die sowjetische 6., 21. und 40. Armee einzuschlie ßen. Die beiden deutschen Armeen würden hinter ihnen stehen, während die ungarische 2. Armee den Weg nach Westen blockierte. Timoschenko weigerte sich jedoch, die ihm zugedachte Rolle zu spielen. Aus sowjetischen Quellen geht nicht hervor, ob er die deutschen Absichten kannte, obwohl das der Fall gewesen sein kann, weil am 19. Juni der 1. Generalstabsoffizier von der 23. Panzerdivision, Major i. G. Reichel, auf einem Flug zum benachbarten Korpshauptquartier vor den russischen Linien hatte notlanden müssen. Reichel hatte Unterlagen über die Ziele der ersten Phase der „Operation Blau“ bei sich gehabt, die nicht wieder beigebracht werden konnten. Das führte dazu, daß sein Korpskommandeur, General Stumme, und sein Divisionskommandeur, General von Boineburg-Lengsfeld, abgelöst und später wegen dieses Verstoßes gegen die Geheimhaltungsbestimmungen vor ein Kriegsgericht gestellt wurden. Reichels Unterlagen waren höchstwahrscheinlich den Russen in die Hände gefallen, womit allerdings noch keineswegs gesagt war, daß die andere Seite sie für echt hielt. Täuschungsmanöver dieser Art sind im Krieg nicht selten, und in den Jahren 1939-45 32
wurden viele solcher „Zufallsfunde“ kritisch unter die Lupe genommen. Angesichts der sowjetischen Unterlegenheit im Südabschnitt der Front und der Weigerung der Stawka, ihre Reservearmeen aus dem Mittelabschnitt abzuziehen (das sowjetische Oberkommando glaubte damals noch, die deutsche Hauptoffensive müsse unbedingt Moskau gelten), blieb Timoschenko gar nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen, sobald die deutschen Panzerdivisionen rollten. Sie hatten den Auftrag, seine Kräfte einzukesseln und zu vernichten. Hätte er nach den ersten Durchbrüchen standgehalten, hätte er damit dem Gegner in die Hände gespielt. Woronesch mußte jedoch gehalten werden, denn sein Fall hätte die sowjetischen Querverbindungen gefährdet. Noch schlimmer war, daß die Deutschen nach der Einnahme dieser Stadt die Möglichkeit gehabt hätten, hinter der Brjansk-Front nach Norden auf Moskau vorzustoßen. Die Stawka wußte nicht, daß Moskau keineswegs zu den für 1942 festgelegten deutschen Operationszielen gehörte, und die Tatsache, daß der Gegner zuerst Woronesch nehmen wollte, stärkte die Auffassung derer, die in den bei Reichel erbeuteten Dokumenten ein großangelegtes Täuschungsmanöver sahen. Deshalb wurden die sowjetischen Reserven nach Woronesch geworfen: Zwei Infanteriearmeen und eine Panzerarmee bezogen am Ostufer des Dons Stellung, während eine weitere Panzerarmee vom rechten Flügel der benachbarten BrjanskFront abgezogen und in das Gebiet südlich von Jelez verlegt wurde, um die deutsche 4. Panzerarmee von der Seite und von hinten zu fassen. Der Ausgang dieses Unternehmens stand auf Messers Schneide, denn die 4. Panzerarmee hatte schon am 2. Juli die Eisenbahnstrecke Kastornoje - Stari Oskol erreicht und schwenkte ein, um die sowjetische 40. Armee abzuschneiden, während die am 30. Juli in den Kampf geworfene 6. Armee am 33
Abend des 2. Juli nur 40 Kilometer von Stari Oskol entfernt war und zur Ein schließung der sowjetischen 21. und 28. Armee ansetzte. Zumindest diesmal reagierte die Stawka rasch. General F. I. Golikow und eine Gruppe von Stabsoffizieren richteten hastig ein neues Hauptquartier bei Woronesch ein, um den deutschen Angriff von dort aus abzuwehren, und der Chef des Generalstabs, Generaloberst A. M. Wasiljewski, flog sofort von Moskau ins Hauptquartier der Brjansk-Front. Alle Vorbereitungen konnten gerade noch rechtzeitig getroffen werden. Die Deutschen erkämpften sich am 6. Juli einen Brückenkopf jenseits des Dons, kamen aber gegen die in ausgebauten Stellungen liegenden sowjetischen Truppen nicht weiter voran und gerieten selbst in Gefahr, vor Woronesch abgeschnitten zu werden, als die Reserven der Brjansk-Front am gleichen Tag aus dem Raum südlich von Jelez zum Gegenangriff antraten. Das XXIV. Panzerkorps und drei Infanteriedivisionen mußten zur Abwehr dieser neuen Bedrohung abgestellt werden, wodurch Woronesch gerettet war. Dadurch war die deutsche Führung vor die erste schwierige Entscheidung gestellt. Die Hartnäckigkeit, mit der die Rote Armee Woronesch verteidigte, war auf die Befürchtungen der Stawka zurückzuführen, nach dem Fall der Stadt sei ein Vorstoß gegen Moskau zu erwarten, aber da die Deutschen in Wirklichkeit nicht die Absicht hatten, nach Norden vorzudringen, war die Einnahme von Woronesch weniger wichtig als die Umklammerung von Timoschenkos Armeen. Während die Divisionen der 4. Panzerarmee versuchten, die Stadt zu nehmen - eine Aufgabe, für die sie nicht geeignet waren, weil sie dabei ihre Beweglichkeit nicht ausnützen konnten -, setzten die Armeen der Südwestfront sich hinter starken Nachhuten unauffällig ab: in intakten Verbänden und mit allen schweren Waffen. 34
Hitler neigte im allgemeinen dazu, seinen Generalen Entscheidungen vorzuschreiben, aber in diesem Fall zeigte er sich ungewöhnlich gleichgültig. Als er am 3. Juli in Bocks Hauptquartier erschien, sagte er lediglich, er „bestehe nicht mehr“ auf der Einnahme von Woronesch. Bock ließ sich jedoch von der Tatsache beeinflussen, daß seine Angriffsspitzen bereits am Stadtrand standen, und führte den Angriff fort. Als weitere sowjetische Reserven an die Front geworfen wurden und der Gegner eine neue Heeresgruppe (Woronesch-Front) aufstellte, durfte der deutsche Druck nicht nachlassen, weil sonst zu befürchten war, daß die verstärkten sowjetischen Kräfte die Heeresgruppe Süd seitlich und von hinten angreifen würden. Auf diese Weise blieben große Teile der 4. Panzerarmee bis zum 13. Juli vor Woronesch eingesetzt, ohne daß es ihnen gelungen wäre, den Ostteil der Stadt zu nehmen oder die sowjetischen Nachschublinien nördlich des Dons zu unterbrechen. In der Zwischenzeit zogen Timoschenkos Armeen sich beinahe unbelästigt über die Steppe zurück. Hitler verlor schließlich die Geduld, entließ Bock und machte ihn seither für das Fehlschlagen dieser Offensive und für die ein halbes Jahr später kulminierende Katastrophe von Stalingrad verantwortlich. Schon vor Bocks Entlassung beschloß Hitler (am 6. Juli), die Heeresgruppe Süd zu teilen: Die Heeresgruppe A (List) sollte zum Kaukasus vorstoßen, während die Heeresgruppe B (Bock) auf die Wolga angesetzt werden würde. Jetzt ordnete er diese Teilung an, verlegte sein Hauptquartier von Rastenburg in die ukrainische Stadt Winniza und revidierte den gesamten Operationsplan drastisch, indem er am 23. Juli 1942 die Weisung Nr. 45 erließ. Bevor wir uns jedoch mit dieser Weisung befassen, muß die militärische Lage - wie Hitler sie sah und wie sie in Wirklichkeit war - skizziert werden. 35
Der schwache sowjetische Widerstand, auf den die 4. Panzerarmee und die 6. Armee bei ihrem Vormarsch nach Osten gestoßen waren, hatte Hitler zweifellos überrascht. Seine Truppen erreichten in den Weiten der Ukraine Tagesleistungen, die an die ersten triumphalen Wochen des Vormarsches im vergangenen Sommer erinnerten. Selbst seine Generale, die manchmal versuchten, Hitler auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, scheinen in die allgemeine Euphorie verfallen zu sein. Als Hitler seinem Generalstabschef Halder am 20. Juli 1942 erklärte: „Der Russe ist erledigt“, konnte dieser vielleicht skeptischste aller Generale nur antworten: „Ja, so sieht's aus, das muß ich zugeben.“ Niemand konnte leugnen, daß die Rote Armee sich im Süden mit geradezu panikartiger Geschwindigkeit absetzte, aber aus der Tatsache, daß sie sich standzuhalten weigerte, um nicht eingekesselt zu werden, und ihr gesamtes schweres Gerät mitnahm, war zu schließen, daß dies ein hastiger, aber organisierter Rückzug auf eine leichter zu verteidigende Linie war. General Warlimont, der stellvertretende Chef des Wehrmachtführungsstabes im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), hat später erklärt: „Wir warteten noch immer auf einen wirklich großen Sieg; wir hatten den Eindruck, der Feind sei noch immer nirgends zum Kampf gestellt worden, wie die geringe Anzahl von Gefangenen und die geringen Mengen von erbeutetem Kriegsmaterial bewiesen.“ Damit hatte er recht, aber nichts läßt erkennen, daß er oder seine Vorgesetzten - mit Ausnahme Halders - auf diese Lage anders als mit Schweigen reagiert hätten. Hitler wollte zugegebenermaßen bis lange nach Stalin grad nichts davon hören, daß die Rote Armee vielleicht doch nicht erledigt sei, und ließ den Chef der Abteilung Fremde Heere Ost (des für die Rote Armee zuständigen militärischen 36
Nachrichtendienstes) viele Monate später, als das Ende des Dritten Reiches sich bereits ankündigte, auf seinen Geisteszustand hin untersuchen, weil er in einer Ausarbeitung Zahlen genannt hatte, die der Führer für weit übertrieben hielt. Man hätte wahrscheinlich sehr mutig und wenig karrierebewußt sein müssen, um dem obersten Krie gsherrn ins Gesicht zu sagen, daß der Gegner noch nicht am Boden liege. Trotzdem erscheint es merkwürdig, daß es kaum deutsche Generale gab, die Bedenken gegen die optimistische Lagebeurteilung Hit lers und seines Stabes äußerten, denn die wahre Lage war keineswegs so rosig. Andererseits stand es auch um die Rote Armee nicht gerade zum besten. Die sowjetische Öffentlichkeit war wegen der scheinbar endlosen Rückzüge zutiefst bedrückt, und die „Rückgratlosigkeit“ der Truppen im Süden und ihrer Generale wurde offen mit dem Durchhaltewillen der Verteidiger von Leningrad und Moskau verglichen. Dadurch entstanden zwischen im Süden eingesetzten Generalen und den ihnen zugeteilten Offizieren der Stawka jahrelang anhaltende Spannungen, denn wenn Timoschenko im Mai sofort die Erlaubnis erhalten hätte, seine aussichtslos gewordene Offensive abzubrechen, hätten seine Truppen den deutschen Angriff leichter abwehren können. Stalin und die Stawka waren die eigentlichen Schurken in diesem Stück; das wußten die Generale im Süden, aber die Öffentlichkeit ahnte nichts davon. Sie und der einfache Rotarmist sahen nur, daß von Tag zu Tag größere Teile der sowjetischen Schwerindustrie, die erst vor kurzem unter schweren Opfern aufgebaut worden war, den deutschen Eroberern überlassen wurden. Die in den großen Donbogen zurückmarschierende sowjetische Infanterie war deshalb in deprimierter, unsicherer Stimmung, die sich keineswegs durch mahnende Resolutionen verbessern ließ, die von kriegswilligen zivilen Körperschaften 37
tief im Hinterland verabschiedet wurden. Die Kampfmoral hatte einen Tiefstand erreicht, und viele sowjetische Offiziere haben berichtet, wie sie in diesen schlimmen Julitagen, in denen die Schlacht um Stalingrad begann, mit der Pistole in der Hand an einer Brücke oder Straßenkreuzung stehen, Versprengte zu Adhoc-Einheiten zusammenfassen und sich ihre phantasievollen Ausreden anhören mußten, mit denen sie ihrer Erfassung zu entgehen versuchten. Trotzdem verlief der Rückzug im allgemeinen geordnet, und für seine Länge gab es eine einleuchtende Erklärung: Das am besten zu verteidigende Gebiet lag am Ostrand des großen Donbogens, und das Rückzugs tempo wurde durch die Geschwindigkeit bestimmt, mit der die Armeen der Stawka - Reserve im Süden eingesetzt werden konnten. Diese Armeen hatten bekanntlich im Mittelabschnitt gestanden, um notfalls Moskau verteidigen zu können; sie waren alle nördlich der Linie Borisoglebsk - Saratow eingesetzt und wurden erst Anfang Juli nach Süden in Marsch gesetzt. Vernünftigerweise mußten sie im Gebiet des Donbogens hinter Timoschenkos zurückgehenden Armeen aufgestellt werden - und genau dort setzte das sowjetische Oberkommando sie ein. Dramatischer wäre es gewesen, diese Armeen einzeln in den Kampf zu werfen, so schnell sie herangebracht werden konnten, aber ihre Aufstellung in vorbereiteten Positionen war militärisch vernünftiger. Und es bedeutete natürlich auch, daß sie nicht als Kampfverbände an der Front identifiziert wurden, was die Deutschen in ihrem Glauben bestätigte, die Rote Armee besitze keine operativen Reserven mehr. Die auf dieser irrigen Annahme basierenden deutschen Maßnahmen sollten sich als für die Wehrmacht katastrophal erweisen, denn der Russe war noch keineswegs „erledigt“, sondern hatte erst richtig zu kämpfen begonnen. 38
Hitler fürchtete als erstes, der unmittelbar bevorstehende Zusammenbruch der Roten Armee werde die Engländer und Amerikaner zu einem dramatischen Entlastungsangriff in Form einer Invasion in Westeuropa veranlassen. Er hatte im Mai und Juni 1942 zwölf Divisionen aus dem Westen abgezogen und zur Verstärkung der Sommeroffensive nach Rußland verlegt. Jetzt hielt er die SS-Panzergrenadierdivision „Leibstandarte Adolf Hitler“ zurück und befahl am 9. Juli ihre Verle gung in den Westen, um ihr später die motorisierte Infanteriedivision „Großdeutschland“ folgen zu lassen. Dann machte er sich Sorgen wegen eines möglichen sowjetischen Entlastungsangriffs gegen die Heeresgruppe Mitte, die er durch die 9. und 11. Panzerdivision verstärken ließ. Am 11. Juli 1942 verfügte Hitler in seiner Weisung Nr. 43: „Nach der Säuberung der Halbinsel Kertsch und der Einnahme von Sewastopol ist es die nächste Aufgabe der 11. Armee, unter Aufrechterhaltung der Sicherung der Krim, bis spätestens Mitte August alle Vorbereitungen für einen Übergang mit der Masse der Armee über die Straße von Kertsch zu treffen mit dem Ziel, beiderseits der Westausläufer des Kaukasus in südostwärtiger und ostwärtiger Richtung vorzustoßen.“ Einige Tage später widerrief er diese Anordnungen jedoch und schickte die ganze Armee mit Ausnahme eines Korps nach Norden, wo die Festungsstürmer mithelfen sollten, Leningrad zu erobern (ein Unternehmen, das schon im ersten Entwurf des Operationsplans für die Sommeroffensive enthalten und damals vernünf tig gewesen war, während es in der endgültigen Fassung fehl am Platz war, weil der Angriffsschwerpunkt sich nach Süden verlagert hatte). Um das Maß an unsinnigen Befehlen vollzumachen, wies Hitler die 4. Panzerarmee, die gegen Stalingrad vorstieß, am 13. Juli an, nach Südosten einzuschwenken und Kleists 1. Panzerarmee bei der Gewinnung von Flußübergängen über den 39
unteren Don östlich von Rostow zu unterstützen. Die 4. Panzerarmee war eben erst von ihren Aufgaben vor Woronesch entbunden worden, um ihren in der ursprünglichen Direktive genannten Auftrag durchzuführen; jetzt wurde sie erneut davon abgehalten und sollte Kleist unterstützen, dessen 1. Panzerarmee (die den südlichen Zangenarm bildete) erst vor vier Tagen zum Angriff angetreten war. Noch schlimmer wurde alles dadurch, daß Kleist gar keine Unterstützung brauchte, denn am gleichen Tag ordnete die Stawka einen allgemeinen Rückzug der Südfront über den Don an (nur bei Rostow nicht), so daß Hoths Angriff praktisch ins Leere stieß. Die Übergänge über den Don wurden fast nicht verteidigt, und auf den Zufahrtsstraßen drängten sich die Fahrzeuge von Kleists 1. Panzerarmee, die von Hoths Panzern am raschen Vormarsch in den Kaukasus gehindert wurde. Nach dem Krieg behauptete Kleist, wenn die 4. Panzerarmee nicht nach Süden abgedreht worden wäre, hätte sie Stalingrad Ende Juli kampflos nehmen können. Das ist zweifelhaft, denn Panzerdivisionen sind für die Einnahme von Großstädten wenig geeignet, und aus der Stawka - Reserve wären vermutlich starke Kräfte - vor allem die bereits im Raum Stalingrad stehende 62. und 64. Armee - freigegeben worden, wenn die Stadt von einer Panzerarmee statt von der überforderten Infanterie der 6. Armee angegriffen worden wäre. Ungeachtet des Wahrheitsgehalts von Kleists Aussage kann kein Zweifel daran bestehen, daß die 4. Panzerarmee in Kleists Operationsgebiet nicht gebraucht wurde, und mindestens ein sowjetischer Fachmann (Marschall Jeremenko) ist so weit gegangen, ihr Einschwenken als „grobe strategische Fehlkalkulation“ zu bezeichnen. Auch diesmal weist nichts darauf hin, daß deutsche Generale Einwendungen gegen die Angriffsplanung erhoben hätten - auch wenn sie später davor gewarnt haben wollten -, denn sie wußten nichts von dem 40
Rückzugsbefehl des sowjetischen Oberkommandos und hofften, starke feindliche Kräfte abschneiden zu können, obwohl die bisherigen Ergebnisse enttäuschend gewesen waren. Selbst als der südliche Zangenarm (1. Panzerarmee und 17. Armee) sich in Bewegung gesetzt hatte, hatte er die Südfront lediglich vor sich hergetrieben, denn wie die Südwestfront nach Woronesch ausgewichen war, wich die Südfront nach Rostow aus, so daß ein weiterer Einkreisungsversuch fehlgeschlagen war. Das Oberkommando der Wehrmacht klammerte sich jedoch weiterhin an die Überzeugung, daß die Rote Armee erledigt sei, und Hitler erließ jetzt - am 23. Juli 1942 - seine Weisung Nr. 45 - ein angesichts der damaligen Lage überraschendes Schriftstück. Die logische Reihenfolge der ursprünglichen Planung - zuerst die Wolga, dann der Kaukasus - war aufgegeben worden; statt dessen sollten nun beide Ziele gleichzeitig genommen werden. Auch genügte es nicht mehr, Stalingrad „unter die Wirkung unserer schweren Waffen zu bringen“, sondern die Stadt sollte besetzt und die Wolga gesperrt werden. Was die kaukasischen Ölfelder betraf, genügten Maikop und Grossnij plötzlich nicht mehr, obwohl die Einnahme von Grossnij die Möglichkeit geboten hätte, die sowjetischen Öltransporte auf der Eisenbahn von Baku aus zu sperren. Nun sollten die Hauptölfelder genommen werden, obwohl dazu der Kaukasus überschritten werden mußte: ein langgestreckter Gebirgszug mit nur wenigen Pässen in über 3000 Meter Höhe und engen Schluchten, in denen einige wenige Verteidiger ganze feindliche Divisionen aufhalten konnten. Die 4. Panzerarmee stand weiterhin an den Donübergängen, und obwohl sie im Norden gebraucht wurde, verstrichen sechs Tage, bevor ihr Operationsbefehl geändert wurde. Als es Hoth am 29. Juli gelang, die ersten Panzer über den Don zu bringen, trafen neue Befehle für ihn ein. Er sollte eine Division 41
zurücklassen, die Verbindung mit Kleist halten würde, und mit der 4. Panzerarmee den Fluß Aksai überschreiten, um Stalingrad von Süden her anzugreifen. Diese Stadt begann jetzt, die Phantasie der Deutschen zu beschäftigen. Die Rote Armee hatte keineswegs untätig abgewartet, wofür die Deutschen sich als nächstes entscheiden würden, denn auch wenn Hitler und seine Generale in der Beurteilung der strategischen Bedeutung dieser Stadt schwankten, stand ihre Bedeutung aus sowjetischer Sicht nie in Zweifel. Sie war „Stalins Stadt“ - und Namen können wichtig sein. Hatte Hitler nicht das Panzerschiff Deutschland umtaufen lassen, weil er die Auswirkungen einer möglichen Versenkung auf die deutsche Kampfmoral fürchtete? Außerdem hatte Stalin im Jahre 1920 dort (damals hieß die Stadt noch Zarizyn) eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Weißen Armeen General Denikyns gespielt. In späteren Jahren war die Stadt zu einem Schaustück der Sowjetunion ausgebaut und ein Industriegigant geworden, der sich 40 Kilometer weit am Westufer der Wolga erstreckte. Stalingrad hatte 600000 Einwohner, die in zahlreichen Fabriken arbeiteten, von denen drei - das Stahlwerk „Roter Oktober“, die Rüstungsfabrik „Barrikaden“ und das Stalingrader Traktorenwerk - im Nordteil der Stadt nacheinander am Fluß lagen und mit ihren im Westen anschließenden Arbeitersiedlungen in der bevorstehenden Schlacht eine wichtige Rolle spielen würden. Obwohl Stalingrad mit Gebäuden in dem von Stalin bevorzugten Zuckerbäckerstil überladen war, die als besonderer Gunstbeweis des Diktators gelten konnten, waren seine Einwohner trotzdem stolz auf ihre Stadt mit Parks und Spazierwegen am Fluß, zahlreichen in die Wolga mündenden Wasserläufen und den großzügigen Bauten im Stadtkern, die allen eine bessere Zukunft zu verheißen schienen. In der hier 42
etwa 1,5 Kilometer breiten Wolga lagen zahlreiche Inseln; ihr Westufer war hoch und steil, hing an einigen Stellen über und enthielt dort viele Höhlen. In der Stadt selbst ragten niedrige Hügel auf - vor allem der 102 Meter hohe Mamajew Kurgan (Mamais Grabhügel), von dem aus man einen guten Blick über das Stadtzentrum hatte. Obwohl es in Stalingrad keine Wolgabrücke gab, verkehrten leistungs fähige Auto- und Eisenbahnfähren, und der bedeutende Flußhafen wurde noch wichtiger, nachdem die Deutschen am 25. Juli Rostow erobert und die dortigen Eisenbahnverbindungen abgeschnitten hatten. Daß die Rote Armee diese Stadt nicht ohne weiteres aufgeben würde, war nur logisch. Die Verteidigung des Raumes Stalingrad wurde jetzt umorganisiert. Die Südwestfront war aufgelöst und ihre Heeresgruppen waren der Stawka direkt unterstellt worden; die neue Woronesch-Front, die gebildet worden war, um Bocks Vorstoß nach Norden aufzuhalten, wurde General N. F. Watutin, früher stellvertretender Chef des Generalstabs, unterstellt, während an der Spitze der im Norden anschließenden Brjansk-Front General F. I. Golikow, ebenfalls ein früherer stellvertretender Chef des Generalstabs, stand. Beide Ernennungen waren auf Schukows Einfluß zurückzuführen, denn Watutin und Golikow waren in jüngster Vergangenheit seine Untergebenen gewesen und sollten später wichtige Rollen spielen, als Schukow immer größeren Einfluß auf die Schlacht um Stalingrad nahm. Die Einheiten der aufgelö sten Südwestfront sollten nach ihrem Rückzug in den Donbogen von der neuen Stalingrad-Front aufgenommen werden, die aus Truppen der Stawka-Reserve gebildet wurde. Die neue Front wurde am 12. Juli 1942 offiziell aufgestellt und anfangs von Timoschenko befehligt, aber es war klar, daß er würde gehen müssen - nicht wegen Unfähigkeit, denn er hatte den Rückzug zum Donbogen insgesamt geschickt und 43
umsichtig geleitet, sondern weil diese neue Front zu wichtig war, als daß sie einen Oberbefehlshaber hätte haben dürfen, dem der Geruch von Niederlagen anhing. Außerdem gehörte Timoschenko zu der älteren Generation sowjetischer Heerführer, die jetzt moderner ausgebildeten Männern Platz machen mußten. Deshalb erhielt Timoschenko am 22. Juli ein entsprechendes Kommando in dem wichtigen, aber im Augenblick weniger hektischen Nordwestsektor der langen Front; sein Nachfolger wurde Generalleutnant W. N. Gorodow, der erst vor drei Tagen den Oberbefehl über die 64. Armee übernommen hatte, die aus der Stawka-Reserve in den Donbogen entsandt worden war und jetzt dort ihre Stellungen bezog. Die deutsche Heeresgruppe B hatte für den Angriff auf Stalingrad drei Kampfgruppen gebildet und ihnen folgende Ziele gesteckt: Die aus zwei Panzerdivisionen, zwei motorisierten Divisionen und vier Infanteriedivisio nen bestehende nördliche Gruppe sollte am 23. Juli aus dem Raum Golowski-Perelasowski angreifen, um die große Donbrücke bei Kalatsch im Rücken der westlich des Dons stehenden sowjetischen Kräfte zu besetzen. Die mittlere Gruppe, eine Panzer- und zwei Infanteriedivisionen, sollte am 25. Juli aus dem Raum Obliwskaja -Werchne-Aksenowski ebenfalls gegen Kalatsch vorstoßen. Während diese beiden Gruppen die sowjetischen Kräfte im Donbogen festhielten, sollte die 6. Armee den Gegner von Westen her aufrollen, um den Weg zur Wolga freizukämpfen. Diese Gelegenheit sollte die dritte (südliche) Gruppe ausnützen, die am 21. Juli den Don bei Zimljansk überschreiten und einen großen Brückenkopf bilden würde, um dann von Süden aus nach Stalingrad vorzustoßen, während die beiden anderen Gruppen nach Durchführung ihres Auftrags am Donbogen westlich und nordwestlich von Stalingrad die Wolga erreichen sollten. 44
Für diese Aufgaben standen dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B, Generaloberst Freiherr von Weichs, Einheiten zur Verfügung, die etwa 30 Divisio nen entsprachen - allerdings weniger als zwei Drittel deutsche Verbände -, sowie über 1200 Flugzeuge, so daß die Angreifer etwa doppelt so stark wie die sowjetischen Verteidiger waren. Bei Abwehrkämpfen war dieses Verhältnis aus der Sicht der sowjetischen Kommandeure keineswegs hoffnungslos. Viel schlimmer war, daß sie hauptsächlich wegen der Verluste bei der Charkow-Offensive nur etwa die Hälfte der Panzer und Geschütze sowie ein Drittel der Flugzeuge der Deutschen besaßen. Dazu kam noch, daß fast 300 der 400 Flugzeuge ihrer 8. Luftflotte veraltete Maschinen waren, denn die besten neuen Flugzeuge - Jäger Jak 1, leichte Bomber Pe 2 und das hervorragende Schlachtflugzeug Il 2 (Sturmowik) - standen erst in geringer Zahl zur Verfügung. Das bedeutete, daß die Deutschen praktisch die absolute Luftherrschaft im Kampfgebiet besaßen. Von diesen 30 Divisionen konnte Weichs etwa 20 (darunter nur eine rumänische) gegen die sowjetischen Kräfte im Donbogen einsetzen. Später kam noch ein Korps dazu, als die italienische 8. Armee Anfang August einzutreffen begann und ihren Sektor am Don beidseits von Weschenskaja übernahm. Die sowjetischen Truppen bestanden aus der 62. und 64. Armee, der 1. Panzerarmee (die 160 Panzer besaß) und der 4. Panzerarmee (mit 80 Panzern), während in der Nordwestecke des Donbogens die 1. Gardearmee stand, der lediglich die Aufgabe zufiel, südlich des Flusses bei Kremskaja einen Brückenkopf zu halten. Alle Armeen, die den deutschen Angriff aufhalten sollten, waren jedoch Neuaufstellungen, und die beiden Panzerarmeen waren besonders unerfahren, weil sie erst seit dem 22. Juli 1942 existierten. Abgesehen von einigen Gefechten zwischen dem XIV. Panzerkorps und vorgeschobenen Einheiten der 62. 45
Schützenarmee, zu denen es ab 17. Juli entlang des Flusses Tschir kam, blieben größere Kämpfe bis zum 23. Juli aus. An diesem Tag griffen fünf deutsche Divisionen den rechten Flügel der 62. Armee nördlich von Manojlin an, während die 64. Armee am Fluß Zimla angegriffen wurde. Nach dreitägigen Kämpfen durchbrach des XIV. Panzerkorps die Stellungen der 62. Armee, stieß nach Kamensk am Don vor und umging die 62. Armee damit von Norden her. Die sowjetische 1. Panzerarmee, die hinter der 62. Schützenarmee stand, versuchte den deutschen Verband abzuschneiden, indem sie hinter ihm nach Norden vorstieß, während die sowjetische 4. Panzerarmee ihn abzudrängen versuchte, aber da beide Armeen erst seit fünf Tagen existierten, aus einer heterogenen Mischung aus Panzern und nichtmotorisierter Infanterie bestanden, unzulänglich ausgerüstet waren und unter dem Befehl von Infanterieoffizieren standen, die keine Panzerführer waren, bestand wenig Aussicht auf einen Erfolg ihrer Angriffe. Sie schlugen tatsächlich fehl, zumal sie keineswegs koordiniert abliefen, mit schwacher Artillerieunterstützung vorgetragen wurden und ohne Luftunterstützung auskommen mußten. Während dieser ungenügend vorbereitete und schlecht geführte Angriff sein unvermeidliches Ende nahm, trieb das XIV. Panzerkorps einen Keil zwischen die 62. und 64. Armee und stieß am Westufer des Dons aus Südwesten nach Kalatsch vor. Das sowjetische Oberkommando war wegen dieses Durchbruchs im Süden sehr besorgt und wies Gorodow am 28. Juli an, die südliche Verteidigungslinie im Gebiet der Landbrücke zwischen den beiden Flüssen, d. h. zwischen Logowski am Don und Raigorod an der Wolga, zu verstärken. Daraufhin ließ er am 1. August die 57. Schützenarmee und einige seiner Reserveeinheiten entlang dieser Linie in Stellung gehen und erhielt außerdem den Oberbefehl über die 51. Schützenarmee, die das Gebiet südlich des Wolgabogens halten 46
sollte: von den Sarpa-Seen bis zu der Stelle, wo die Front in der Kalmückensteppe nach Rostow hin auslief. Auf diese Weise war eine rund 700 Kilometer lange Stalingradfront entstanden, die schwer zu überblicken war, so daß beschlossen wurde, eine neue Heeresgruppe - die Südostfront - zu bilden, die die Südhälfte von Gorodows Bereich übernehmen sollte. Die Suche nach einem geeigneten Oberbefehlshaber begann sofort. Unterdessen hatte die Lage vor dem Donbogen sich etwas beruhigt, denn obwohl die schnellen deutschen Kräfte den Fluß erreicht und tiefe Einbrüche in die Stellungen der 62. Armee erzielt hatten, hatten die unerprobten Truppen aus der StawkaReserve sich gut gehalten, und weder die 6. Armee noch die 4. Panzerarmee war imstande, ohne Umgruppierung die Donfront zu durchbrechen oder die 62. Armee einzuschließen. Die Masse der deutschen 4. Panzerarmee war jetzt von ihrem zwecklosen Vorstoß zu den Donübergängen im Süden zurück, so daß Hoth am 31. Juli im Raum Zimljansk eine Offensive gegen die 51. Schützenarmee eröffnen konnte, die mit fünf schwachen Infanteriedivisionen eine 200 Kilometer lange Front von Werchne-Kurmajorskaja bis Orlowskaja zu halten versuchte. Hoth durchstieß die Verteidigungslinie der 51. Armee, die einen hastigen Rückzug zu der Eisenbahnstrecke TichorezkKrasnoarmeisk begann, so daß er am 2. August Kotelnikowo erreichte. Zwischen ihm und Stalingrad lagen jetzt nur noch 135 Kilometer mit unbedeutenden natürlichen Hindernissen, zu denen vor allem die Flüsse Aksai und Myschkowa gehörten. Bei der Stalingrad-Front hatte es inzwischen personelle Veränderungen gegeben: Die 62. Schützenarmee war von General A. I. Lopatin übernommen worden, während der stellvertretende Oberbefehlshaber der 64. Schützenarmee, General Wassili I. Tschuikow seine Armee Generalleutnant M. S. Schumilow übergeben hatte. Tschuikow meldete sich im Hauptquartier in Stalingrad, bekam Streit mit Gorodow (von 47
dessen Qualitäten als Frontbefehlshaber er nicht viel hielt) und kehrte zur 64. Armee zurück, um einen Bericht über den Rückzug einiger ihrer Verbände über den Tschir zu schreiben, für den er als Oberbefehlshaber verantwortlich gewesen war. Am Morgen des 2. August bat Schumilow ihn zu sich, berichtete ihm von Hoths Durchbruch, der die Flanke der ganzen Armee bedrohte, und schlug ihm vor, den Befehl im Südabschnitt zu übernehmen. Tschuikow, der froh war, keinen Bericht für Gorodow schreiben zu müssen, machte sich sofort auf den Weg. Im Südabschnitt entdeckte er zwei zur 51. Armee gehörende Schützendivisionen, die sich auf dem Marsch nach Stalingrad befanden, um wieder zu ihrer Armee zu stoßen, zu der die Verbindung abgerissen war. Ihnen hatten sich zwei Werferregimenter mit Katjuscha-Raketenwerfern (den berühmtberüchtigten „Stalinorgeln“) angeschlossen. Alle vier Einheiten waren durch die Verluste, die sie bei Hoths Angriffen erlitten hatten, schwer angeschlagen und besaßen keine Funkgeräte mehr. Tschuikow unterstellte sie sich, baute mit ihnen eine Verteidigungslinie hinter dem Aksai auf und stärkte ihnen mit einer Brigade Seesoldaten den Rücken. Als er die se Maßnahmen dem Fronthauptquartier meldete, erfuhr er, daß die 208. Schützendivision aus Sibirien im gleichen Raum ausgeladen werde und ihm ebenfalls unterstellt sei - wenn es ihm gelinge, ihren Stab zu finden, dessen Aufenthaltsort unbekannt sei. Nach mehrstündiger Suche stellte Tschuikow fest, daß die Truppenausladung schon am Vortag begonnen hatte, wobei vier Züge von deutschen Flugzeugen angegriffen worden waren; durch diese Angriffe waren die Überle benden zersprengt worden. Auf dem Bahnhof Tschilekow fand er mehrere weitere Züge, aus denen Teile der Division ausgeladen wurden, als plötzlich 27 deutsche Flugzeuge erschienen und den Bahnhof 48
bombardierten, wobei die Sibirier schwere Verluste erlitten. Tschuikow, dessen Funkgerät dabei zerstört wurde, fluchte auf Gorodow, weil er nicht dafür gesorgt hatte, daß die Division Luftunterstützung erhielt, sammelte Versprengte, bildete Einheiten aus ihnen und erteilte ihnen Aufträge. Mit dieser improvisierten Streitmacht organisierte er die Verteidigung am Aksai und schickte Spähtrupps aus, die bestätigten, daß die Masse von Hoths 4. Panzerarmee weit nach Osten ausbog - offenbar mit der Absicht, Stalingrad von Süden her anzugreifen. Tschuikows Divisionen am Aksai wurden am 6. August 1942 angegriffen, aber sie konnten die deutsche und rumänische Infanterie zurückschlagen und hielten ihre Stellungen, bis sie am 17. August im Zuge der allgemeinen Zurücknahme der sowjetischen Front den Rückzugsbefehl erhielten. Tschuikow hatte gelernt, wie man deutschen Angriffen standhielt, und sollte seine neuerworbenen Kenntnisse später in entscheidenden Stadien der Schlacht anwenden können. An der Hauptfront im Donbogen hatte sich die Lage für die Rote Armee nach dem mißlungenen Gegenangriff verschlechtert. Die 62. Armee hatte den größten Teil ihrer acht Schützendivisionen verloren, die sich in kleinen Gruppen durchschlugen, aber große Teile ihrer Ausrüstung zurückließen, so daß eine zeitraubende Neuaufstellung und Neuausrüstung unumgänglich war. Als Ersatz hatte die 62. Armee einige Divisionen der aufgelösten 1. Panzerarmee sowie eine nach dem deutschen Durchbruch zwischen den beiden Armeen nach Norden abgedrängte Division der 64. Armee aufgenommen. Die große Donbrücke bei Kalatsch war durch einen kühnen Handstreich deutscher Sturmpioniere unbeschädigt genommen worden, so daß deutsche Panzer jetzt auf die Landbrücke zwischen Don und Wolga vorstoßen konnten. Gorodow hatte 49
sich als Oberbefehlshaber schlecht eingeführt und würde die bisherigen Stellungen nicht mehr lange halten können. Am 16. August war der letzte Brückenkopf am Don zwischen Kamensk und Werchne-Kurmajorskaja aufgegeben worden, aber weiter im Norden, entlang des von Westen nach Osten gerichteten Flußlaufs vor dem großen Donbogen, hielten die 1. Garde- und die 21. Schützenarmee mehrere Positionen am Südufer zwischen Kletskaja und Serafimowitsch und konnten sie sogar noch ausdehnen, während die Rumänen der 3. Armee unbeirrt in der Defensive blieben. Diese „vergessenen“ Brückenköpfe, die weder OKW, OKH noch Heeresgruppe B Sorgen zu machen schienen, sollten sich als entscheidend erweisen, als die Augusthitze dem Novemberschnee gewichen war.
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Jeremenko übernimmt den Befehl
Ursprünglich ging es Stalin nicht darum, einen Ersatz für Gorodow, sondern einen Oberbefehlshaber für die neue Südostfront zu finden, aber die Verschlechterung der Lage, die eine Folge von Gorodows unbefriedigender Führung der Schlacht im Donbogen war, verlieh der Ernennung des Mannes, der die neuaufgestellte Heeresgruppe übernehmen sollte, besondere Bedeutung. Am 1. August 1942 diskutierte ein stämmiger sowjetischer General in einem Zimmer eines Moskauer Krankenhauses, in dem er sich von einer Beinverwundung erholte, mit seinem Arzt. Er versuchte, den Arzt davon zu überzeugen, daß er wieder dienstfähig sei, und nach hitziger Diskussion über die Rechte von Patienten gegenüber ihren Ärzten hatte der aufgebrachte Chefarzt den General aufgefordert, seine Fähigkeit, ohne Stock zu gehen, unter Beweis zu stellen. Nach fünf oder sechs Schritten standen ihm Schweißperlen auf der Stirn, und sein Bein wurde gefühllos. „Genug, genug!“ rief der Arzt triumphierend aus. „Jetzt steht fest, mein lieber Generaloberst, wer den Heilungsfortschritt falsch eingeschätzt hat. Ihre Verwundung muß erst ganz ausheilen.“ Der General gab verlegen zu, er habe der Stawka bereits die Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit gemeldet. „Um so schlimmer für Sie“, antwortete der Mann in Weiß. „Ohne Bestätigung des behandelnden Arztes wird Ihre Meldung nicht einmal gelesen.“ 51
Nachdem der Bluff mißglückt war, verlegte der General sich auf einen emotionalen Appell. „Sagen Sie, Professor, Hand aufs Herz, könnten Sie mit einer fast ausgeheilten Verwundung wie meiner ruhig im Hintergrund bleiben, auch wenn Sie wüßten, daß Hunderte von Menschen an ihren Wunden sterben und auf Ihre Hilfe warten - auf Ihre, Professor, die nur Sie ihnen bringen können?“ Der Professor dachte darüber nach, ohne diese Frage direkt zu beantworten. „Gut“, sagte er schließlich, „wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie sich strikt an meine Vorschriften halten, habe ich nichts gegen Ihre Entlassung einzuwenden.“ Der General verbrachte den Rest des Tages damit, das Gehen ohne Stock zu üben, während er auf einen Anruf wartete . Gegen Mitternacht rief der Sekretär des Volks kommissars für Verteidigung an. „Ihre Meldung ist vorgelegt worden. Kommen Sie sofort in den Kreml.“ Er ließ seinen Krückstock in Stalins Vorzimmer stehen und betrat langsam den Konferenzraum des Staatlic hen Verteidigungskomitees. Stalin, der eben ein Telefonge spräch beendete, warf ihm einen prüfenden Blick zu und fragte: „So, Sie fühlen sich also wieder gesund?“ „Ja, ich bin wiederhergestellt“, meldete der General. Ein anderes Komiteemitglied warf ein, daß er noch hinke, aber der General tat sein Hinken als Bagatelle ab, obwohl es ihm noch zu schaffen machte. „Gut, dann sind Sie also wieder einsatzbereit“, stellte Stalin fest. „Wir brauchen Sie gerade jetzt sehr dringend. Kommen wir gleich zur Sache. In Stalingrad hat sich die Lage so verschlechtert, daß wir Maßnahmen zur Stärkung dieses äußerst wichtigen Frontabschnitts und zur Verbesserung der dortigen Truppenführung treffen müssen. Wir haben beschlossen, die vor kurzem neugebildete Stalingradfront zu teilen. Das Staatliche 52
Verteidigungs komitee will Ihnen den Oberbefehl über eine der beiden Fronten anvertrauen. Was halten Sie davon?“ „Ich bin bereit, an jedem Platz zu kämpfen, an den Sie mich stellen“, antwortete der 39jährige Generaloberst Andrej Iwanowitsch Jeremenko. Jeremenko gehörte zu Stalins bevorzugten Nothelfern und hatte schon mehrere schwierige Aufgaben übertragen bekommen, deren Lösung nicht immer gelungen war. Aber er war strategisch begabt und ein draufgänge rischer Optimist, der an Herausforderungen wuchs. Sein Optimismus war manchmal stärker als seine nüchterne Überlegung, und Jeremenko neigte vielleicht dazu, sich als Mann des Schicksals zu sehen, aber die Situation verlangte Tatkraft, die er unzweifelhaft besaß. Jeremenko fuhr sofort zum Generalstab, um sich in die Lage im Süden einweisen zu lassen, und kam in der gleichen Nacht in Stalins Arbeitszimmer zurück. Nach längerer Diskussion über die Vorteile einer ungeteilten Front (logischerweise unter seinem statt unter Gorodows Oberbefehl) beugte er sich Stalins Entscheidung und bat um die nördlichere der beiden Fronten, Weil die lange deutsche Donfront sich sehr gut für einen Gegenangriff eigne, der seinem Temperament besser entspreche als ein Verteidigungsauftrag. „Ihr Vorschlag hat etwas für sich“, gab Stalin zu, „aber das sind Zukunftsvisionen. Im Augenblick müssen wir die deutsche Offensive zum Stehen bringen.“ Er machte eine Pause, um sich die Pfeife zu stopfen, und Jeremenko beeilte sich, ihm zuzustimmen. „Sie erfassen die Lage richtig“, fuhr Stalin fort, „deshalb schicken wir Sie zur Südostfront, um den Gegner aufzuhalten, der aus dem Raum Kotelnikowo nach Stalingrad vorstößt. Die Südostfront muß aus dem Nichts geschaffen werden - und das so schnell wie möglich. Sie haben damit Erfahrung. Sie haben die Brjansk-Front aus dem Nichts geschaffen. Gehen oder 53
vielmehr fliegen Sie morgen nach Stalingrad und stellen Sie die Südostfront auf.“ Jeremenko traf am Morgen des 4. August 1942 in Stalingrad ein und wurde von einem Wagen abgeholt, den sein „Mitglied des Militärrats“ ihm geschickt hatte. Dieser Politkommissar, der für Schulung, Kampfmoral und Betreuung der Truppe zuständig war, für reibungs lose Zusammenarbeit mit örtlichen Parteidienststellen zu sorgen hatte und auch den Oberbefehlshaber diskret auf seine Linientreue hin überwachen würde, war der Erste Parteisekretär in der Ukraine und hatte schon mit Timoschenko in gleicher Funktion zusammengearbeitet. Der Politkommissar stand im Rang eines Generals und war ein kleiner, sehr stämmiger Mann mit volkstümlicher Überschwenglichkeit, die nach dem Krieg weltweit bekannt werden sollte. Er hieß Nikita Sergejewitsch Chruschtschow. Jeremenko erhielt vier Tage Zeit zur Aufstellung der Südostfront, deren Kommando er am 9. August übernehmen sollte. Die Grenze seines Zuständigkeitsbereichs (und zugleich die Grenze von Gorodows Stalingrad-Front) folgte von Kalatsch aus dem Tal der Zariza, die mitten durch die Stadt fließt und in die Wolga mündet. Jeremenkos Hauptquartier war der erst Anfang des Jahres erbaute unterirdische ZarizynBunker. Der neue Oberbefehlshaber hatte kaum mit der Organisation seines Stabes begonnen, als seine Reaktio nen bereits auf die Probe gestellt wurden: Am 7. August stießen Hoths Panzer von Süden auf Stalingrad zu, brachen in die linke Flanke der 64. Armee ein und kamen bis auf 30 Kilometer an die Stadt heran. Jeremenko hatte keine Unterstützung von der Stalingrad-Front, die selbst in schweren Abwehrkämpfen stand, zu erwarten, und seine beiden anderen Armeen (51. und 57. Schützenarmee) verfügten nur über einen Bruchteil ihrer Sollstärke. So 54
entsprach die 51. Armee lediglich einer kompletten Division, denn ihre beiden anderen Divisionen standen mit Tschuikow am Aksai und waren zu weit entfernt, um eingreifen zu können. In Stalingrad brach eine Panik aus, so daß drakonische Maßnahmen ergriffen werden mußten, um die Zivilisten von den für den Militärverkehr benötigten Straßen fernzuhalten. Danach wurde eine improvisierte Kampfgruppe aus Panzern, Pakgeschützen und Katjuscha-Raketenwerfern aufgestellt und Hoth entgegengeworfen, um ihn bei Abganerowo aufzuhalten. Nach den ersten Gefechten am 9. August folgten tagelange Kämpfe, in denen Hoth zum Stehen gebracht wurde, so daß er den Versuch, von Süden nach Stalingrad durchzubrechen, vorerst aufgeben mußte. Damit hatte Jeremenko die erste Feuerprobe bestanden, aber ab 10. August, als die Kämpfe bei Abganerowo ihren Höhepunkt erreichten, sollte er auf noch schwerere Proben gestellt werden. An diesem Tag kam es auf dem linken Flügel der StalingradFront, dicht an Jeremenkos rechtem Flügel, zu einer ernsten Krise, als General Lopatins 62. Armee bei einem versuchten Gegenangriff mit drei ihrer Divisionen in Schwierigkeiten geriet. Obwohl sie den Deutschen einige Verluste beibrachten, wurden sie selbst auf drei Seiten eingeschlossen und konnten sich nur schwer und unter großen Verlusten aus dieser Umklammerung retten. Obwohl der deutsche Vormarsch zunächst am Westufer des Dons zum Stehen gebracht worden war, blieb die Lage kritisch, weil die logische feindliche Stoßrichtung genau entlang der Grenze zwischen den sowjetischen Heeresgruppen „Stalingrad“-(Front) und „Südost“-(Front) verlief. Das brachte Koordinierungsschwierigkeiten zwischen zwei gleichberechtigten Oberbefehlshabern mit sich - vor allem in bezug auf die Verlegung von Reserven, von denen Jeremenko damals keine besaß, so daß er auf Gorodow angewiesen war (der ebenfalls keine hatte). 55
Jeremenko meldete diese Schwierigkeiten der Stawka, was zu dem vielleicht unerwarteten Ergebnis führte, daß er am Spätabend des 13. August zum Oberbefehlshaber beider Fronten ernannt wurde - mit Gorodow als seinem Stellvertreter für die Stalingrad-Front und Golikow (zuletzt an der BrjanskFront) als seinem Stellvertreter für die Südostfront. Damit war er zum örtlichen Oberbefehlshaber aufgestiegen, und obwohl sein Hauptquartier häufig Besuch von hohen Stawka-Offizieren erhielt, wurden alle dringenden Entscheidungen von ihm getroffen. Seine Fähigkeit, blitzschnelle Entscheidungen zu treffen, mußte sich bald bewähren, denn Paulus bereitete den bisher gefährlichsten Angriff auf Stalingrad von Norden, Westen und Süden vor. Hitler wurde allmählich unruhig, weil es seinen Generalen nicht gelang, Stalingrad zu nehmen, und Paulus war eifrig bemüht, den Befehlen seines Herrn und Meisters nachzukommen. Da der für die Eroberung der Stadt gesetzte Termin - der 25. August - rasch näherkam, gab die 6. Armee am 19. August die Operationsbefehle für die Einnahme von Stalingrad heraus, nach denen der Angriff am 23. August um 4.30 Uhr beginnen sollte. In der ersten Phase sollte ein Angriffskeil aus dem XIV. und III. Panzerkorps sowie der 60. Infanteriedivision (mot.) unter Befehl von General der Panzer Hube aus Brückenköpfen beidseits von Wertjatschi über die Landbrücke zwischen Don und Wolga vorstoßen. Sobald diese Kräfte die nördlichen Vorstädte von Stalingrad (Spartakowka, Rynok und Lataschinka) erreicht hatten, würden sie nach Süden in die Stadt eindringen, während nachfolgende Einheiten den von ihnen eroberten Korridor verbreiterten. Die 4. Panzerarmee sollte von Süden nach Stalingrad vorstoßen, sobald die Stadt im Norden abgeriegelt war, und General von Seydlitz' LI. Armeekorps würde von Kalatsch aus nach Osten angreifen, im Norden Verbindung mit der Nachhut von Hubes Kampfgruppe 56
halten und versuchen, Stalingrad auf der Grenze zwischen der sowjetischen 62. und 64. Schützenarmee zu erreichen, um einen Keil zwischen sie zu treiben. Hubes Kampfgruppe trat wie geplant zum Angriff an und überrannte die gegnerischen Stellungen durch Schlagkraft, Beweglichkeit und überlegene Taktik. Weit im Südosten stiegen gewaltige Rauchwolken auf: Dort brannte Stalingrad nach den Angriffen der Luftflotte 4, die an diesem Tag bei Terrorangriffen, die an Warschau und Rotterdam erinnerten, über 2000 Einsätze flog. Am frühen Nachmittag hatten Hubes Männer die Stadt in Sicht, und gegen Abend war der improvisierte Verteidigungsring, in dem Arbeiterinnen aus der Geschützfabrik „Barrikaden“ Pakgeschütze bedienten, auf breiter Front durchbrochen, und die deutschen Panzer erreichten nördlich von Rynok das hochgelegene westliche Wolga ufer. Dort bereiteten die Panzerbesatzungen sich auf die Kämpfe des nächsten Tages vor, an dem Stalin grad bestimmt fallen würde. Aber sie konnten nicht ahnen, daß Jeremenko dabei war, ein Wunder zu vollbringen, indem er eine schon fast eroberte Stadt in eine Festung verwandelte. Jeremenko war an diesem Morgen mit der Meldung geweckt worden, daß die Deutschen an der Grenze zwischen der 62. Schützenarmee und der 4. Panzerarmee (die nur noch aus Infanterieeinheiten bestand, weil sie ihre Panzer in der Schlacht am Donbogen verloren hatte) angriffen. Bei Tagesanbruch alarmierte er deshalb Oberst Sarajow, den Kommandeur der 10. NKWD-Division, einer Polizeitruppe ohne schwere Waffen, die aber trotzdem den 50 Kilometer langen inneren Verteidigungsring um Stalingrad zu besetzen hatte, weil dafür keine regulären Truppen abgestellt werden konnten. Um 8 Uhr telefonierte Jeremenko mit dem Stab der 62. Armee und ließ sich einen Lagebericht geben, aus dem klar hervorging, daß die Deutschen schnell nach Stalingrad 57
vorstießen. Um 9 Uhr rief der Stabschef der 8. Luftflotte, General Selesnow, an und meldete: „Unsere Aufklärer berichten von schweren Kämpfen im Raum Malaja Rossoschka. Überall sind Brände zu beobachten. Die Aufklärer haben zwei Panzerkolonnen mit jeweils etwa hundert Fahrzeugen festgestellt. Dahinter folgen Massen von motorisierter Infanterie. Alles bewegt sich auf Stalingrad zu. Die Spitzen der Kolonnen haben unsere Stellungen bei Malaja Rossoschka durchbrochen. Starke feindliche Luftstreitkräfte bombardieren unsere Truppen, um den Kolonnen den Weg zu ebnen.“ Jeremenko verlor keine langen Worte. „Meine Entscheidung: Lassen Sie sofort sämtliche Flugzeuge der Stalingrad-Front starten. Führen Sie einen wuchtigen Schlag gegen die feindlichen Panzer- und Lkw-Kolonnen.“ Danach rief er Generalleutnant T. T. Chrjukin, den Kommandeur der Luftstreitkräfte der Südostfront, an und befahl ihm, sämtliche Schlachtflugzeuge gegen Hubes Panzerkolonnen einzusetzen. Als nächstes rief Jeremenko seinen Panzerkommandeur, General Schtewnow, und seinen Ia, General Ruchle, zu sich. Das Telefon klingelte erneut. Diesmal war Chruschtschow am Apparat. „Was gibt's Neues?“ „Keine erfreulichen Nachrichten.“ „Ich komme sofort ins Hauptquartier.“ Die nächste Meldung kam von Oberst Rainin, dem Kommandeur der Flakabteilungen, der berichtete, seine Horchgeräte in Bolschaja Rossoschka hätten die Geräusche von Hubes Panzern aufgenommen. Jeremenko wies ihn an, seine Batterien zur Panzer- und Flugzeugbekämpfung bereitzuhalten, weil die Stadt bestimmt bald bombardiert werde.
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Am Anfang: Sperrfeuer Die ersten Gefangenen werden gemacht
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Erbitterte Schlacht im Don-Bogen
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Inzwischen waren Schtewnow und Ruchle eingetrof fen. Jeremenko befahl Schtewnow, die Reste zweier Panzerkorps, die zur Umgruppierung und Auffrischung in die Etappe geschickt werden sollten, zusammenzukratzen und mit ihnen den deutschen Vormarsch aufzuhalten - eine vergebliche Hoffnung, denn diese beiden Korps verfügten gemeinsam über weniger als 50 Panzer, hauptsächlich veraltete T 70. Ruchle wurde angewiesen, die entsprechenden Einsatzbefehle herauszugeben. Nun war es elf Uhr, und Chruschtschow war eingetroffen, um zu berichten, die Parteiorganisationen und Arbeiterformationen seien bereit, an der Verteidigung der Stadt mitzuwirken, und warteten auf Aufträge. Das im Hauptquartier herrschende Unbehagen war fast mit Händen greifbar, und Jeremenko mußte sich zusammenreißen, um inmitten aller hektischen Aktivität ruhig und gelassen zu wirken. Das Telefon klingelte erneut. Der Nachschubführer, Generalleutnant Korschunow, meldete besorgt, ein ganzer Zug mit Munition, Verpflegung und Truppen sei von deutschen Panzern zusammengeschossen worden. „Die feindlichen Panzer stoßen nach Stalingrad vor. Was sollen wir tun?“ „Ihre Pflicht!“ antwortete Jeremenko scharf. „Drehen Sie bloß nicht durch!“ Der NKWD-Oberst Sarajow kam herein. „Die feindlichen Panzer stehen rund fünfzehn Kilometer vor Stalingrad und stoßen rasch auf den Norden der Stadt zu“, erklärte Jeremenko ihm. „Ja, ich weiß“, bestätigte Sarajow mit leiser Stimme. „Was haben Sie bisher veranlaßt?“ „In Übereinstimmung mit Ihren früheren Befehlen habe ich die beiden Regimenter im Norden und Nordwesten in Kampfbereitschaft versetzt.“ 61
Jeremenko veranlaßte außerdem, daß das Reserveregiment aus dem Vorort Minina in die Geschützfabrik „Barrikaden“ in dem gefährdeten Abschnitt verlegt wurde. Dann rief sein Stellvertreter für die Südostfront, General Golikow, mit weiteren Hiobsbotschaften an. Die deutsche 4. Panzerarmee war um sieben Uhr zum Angriff von Süden her angetreten; bis zum Mittag hatte sie den Bahnhof Tinguta und das Ausweichgleis bei Kilometer 74 genommen. Die 38. Schützendivision war teilweise eingeschlossen, aber an anderen Stellen waren die deutschen Angriffe abgewehrt worden, und ein Gegenstoß zum Bahnhof Tinguta wurde vorbereitet. „Gut, weitermachen. Die 56. Panzerbrigade aus der Südostfrontreserve soll sich zum sofortigen Eingreifen bereithalten.“ Essen wurde aufgetragen, aber Jeremenko hatte keine Minute Zeit. Aus Moskau rief der stellvertretende Chef des Generalstabs an, um sich zu erkundigen, wie die Lage sich entwickle. Während Jeremenko mit ihm sprach, meldete sich an einem anderen Apparat General Lopatin, der Oberbefehlshaber der 62. Schützenarmee. „Bis zu 250 Panzer und ungefähr 1000 Lkw mit Infanterie haben mit sehr starker Luftunterstützung ein Regiment der 87. Schützendivision vernichtet und sind nördlich von Malaja Rossoschka in die rechte Flanke der 35. GardeSchützendivision eingebrochen“, berichtete Lopatin. „Ja, ich weiß. Unternehmen Sie sofort alles, um die Einbruchstelle abzuriegeln, den Feind von der mittleren Verteidigungslinie zurückzudrängen und die Lage wie derherzustellen.“ Oberst Rainin meldete, seine Flakbatterien wehrten östlich von Orlowka Panzerangriffe ab und hätten einige Verluste erlitten, und Oberst Sarajow berichtete, das 282. Regiment der 10. NKWD-Division stehe östlich von Orlowka im Kampf mit 62
deutschen Panzern und motorisierter Infanterie. Jeremenko ging in Gedanken den Zustand seiner Reserven durch; er verfügte über einige besonders gute Einheiten, die sich bereits ausgezeichnet hatten, aber die Reserven waren nicht sonderlich stark: eine Panzerbrigade, eine Infanteriebrigade (mot.), etwas mehr als eine Panzerjägerbrigade und eine Schützenbrigade, die noch auf dem Marsch war. Das Klingeln des Telefons unterbrach seine Überlegungen. Diesmal war Malyschow, der Minister für Panzerproduktion und Vertreter des Staatlichen Verteidigungskomitees, am Apparat. Er sprach von den Stalingrader Traktorenwerken aus, in der jetzt Panzer gebaut wurden. „Von der Fabrik aus können wir Kämpfe im Norden der Stadt beobachten. Flakgeschütze wehren Panzer ab. Das Fabrikgelände ist bereits von mehreren Granaten getroffen worden. Die feindlichen Panzer stoßen nach Rynok vor. Wir haben die wichtigsten Anlagen zur Sprengung vorbereitet.“ „Sprengen Sie vorerst noch nichts. Verteidigen Sie die Fabrik mit allen Mitteln. Alarmieren Sie die Arbeiterbataillone und lassen Sie den Feind nicht ins Werk. Unterstützung ist bereits unterwegs.“ Malyschow übergab den Hörer Generalleutnant Feklenko. „Ich bin hier im Panzer-Ausbildungszentrum. Ich habe ungefähr 2000 Mann und 30 Panzer. Ich habe beschlossen, die Fabrik zu verteidigen.“ „Ein richtiger Entschluß. Ich ernenne Sie zum Abschnittskommandeur. Organisieren Sie sofort die Verteidigung der Fabrik mit Kräften des Ausbildungszentrums und den Arbeiterbataillonen. Zwei Brigaden, eine Panzer- und eine Schützenbrigade, sind zu Ihnen unterwegs.“ Dann traf der Pionierführer der Südostfront, von seinem Nachschuboffizier begleitet, ein, um stolz zu melden, daß die Pontonbrücke über die Wolga von der Traktorenfabrik aus in 63
zehn Tagen, zwei Tage früher als geplant, fertiggestellt worden sei. Die Brücke war knapp drei Kilometer lang. „Ausgezeichnet! Danken Sie den Männern, die sie gebaut, und den Offizieren, die die Arbeiten überwacht haben besonders dem Genossen Stepanow und den anderen. Was die Brücke betrifft, befehle ich ihre Zerstörung.“ Die beiden Pionieroffiziere wechselten einen Blick, aus dem zu erkennen war, daß sie an Jeremenkos Geisteszustand zweifelten. „Ja, ja, zerstören Sie sie augenblicklich!“ Er erklärte ihnen, warum diese Zerstörung notwendig war, und die beiden verließen das Hauptquartier, um seinen Befehl durchzuführen. Als sie gingen, kamen die Artilleriegenerale Degtja row und Subanow herein, um zu melden, die Deutschen stünden dicht vor den Hauptmunitionslagern. Sie erhielten den Auftrag, dafür zu sorgen, daß möglichst viel Munition an sichere Orte verlagert wurde. Dann trafen erfreulichere Meldungen ein. Oberst Gorochow meldete das Eintreffen seiner 124. Schützenbrigade auf dem jenseitigen Wolgaufer. „Schaffen Sie Ihre Brigade so rasch wie möglich herüber und marschie ren Sie zur Traktorenfabrik. Melden Sie sich dort bei Genosse Feklenko. Ihre Einsatzbefehle erhalten Sie von ihm.“ Jeremenko versuchte nochmals, endlich zu frühstüc ken (inzwischen war es fast 18 Uhr), aber das Telefon klingelte erneut. Oberst Rainin meldete: „Starke deutsche Bomberverbände aus Westen und Südwesten im Anflug auf Stalingrad. Sie werden in drei bis fünf Minuten über der Stadt sein. Fliegeralarm ist gegeben, unsere Batterien sind feuerbereit, und die Jagdflieger starten.“ „Gut, weitermachen“, sagte Jeremenko so ruhig wie möglich, obwohl sein Herz schneller schlug und ihm der Schweiß auf der Stirn stand. „Starke Verbände“ - das bedeutete Gruppen von 30 64
bis 40 Flugzeugen, jedenfalls über 100 Maschinen (tatsächlich waren es etwa sechsmal mehr, weil viele der deutschen Flugzeuge mehrere Einsätze flogen). Als die Luftwaffe angriff, stießen Hubes Panzer von Rynok aus nach Süden vor. Zuerst schlug ihnen Granatwerfer- und Flakfeuer entgegen. Wenig später kamen die Panzerjägerbataillone mit Pakgeschützen nach vorn und bezogen rasch Stellungen am Suchaja Metschetka, einem Bach etwa einen Kilometer nördlich des Traktorenwerks. Nach stundenlangen erbitterten Kämpfen zogen Hubes Panzer sich zurück, um Treibstoff und Munition für den nächsten Kampftag aufzunehmen. Gleichzeitig wurden die hartbedrängten Verteidiger des Traktorenwerks verstärkt. Jetzt konnte Jeremenko endlich frühstücken.
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Der Tod einer Stadt
Die nach den deutschen Luftangriffen ausgebrochenen Brände wüteten die ganze Nacht hindurch, und am nächsten Morgen schien die Sonne über einer verwüsteten Stadt. In den letzten zwei Monaten hatte es kaum geregnet, und die hauptsächlich aus Holz gebauten Häuser in den Vororten waren in Flammen aufgegangen, so daß dort in ganzen Straßenzügen nur noch die gemauerten Kamine wie unzählige Grabsteine standen. Im Stadtzentrum und in den Industrievierteln, in denen die Gebäude massiver waren, wirkte auf den ersten Blick vieles normaler, aber dann zeigte sich, daß hinter manchen Fassaden nur noch ausgebrannte Ruinen lagen. Mehrere Öltanks waren brennend geplatzt und hatten ihren Inhalt in die Wolga ergossen, wo das brennende Öl einen stromabwärts treibenden Teppich bildete. Die Kaianlagen und viele der dort liegenden Binnenschiffe waren in Flammen aufgegangen. Das Telefonnetz funktionierte nicht mehr, weil die hölzernen Telegraphenmasten verbrannt waren, und selbst der Asphalt der Straßendecken war in Brand geraten. Das Wasserleitungsnetz war frühzeitig durch Bombenangriffe zerstört worden, so daß die Feuerwehr in den meisten Fällen nur hilflos zusehen konnte, wie Gebäude niederbrannten. Wegen der Nähe der vorgeschobenen deutschen Feldflugplätze konnten die Bomber jeweils mehrere Einsätze fliegen, so daß Stalingrad an diesem Tag von rund 2000 Maschinen bombardiert worden war. Am Morgen des 24. August 1942 lag die Stadt in Trümmern, und Tausende von Stalingradern waren im Bombenhagel umgekommen. Obwohl 66
nach dem Krieg von vielen deutschen Autoren behauptet wurde, die Luftangriffe hätten rein militärischen Zielen gegolten, hatte es sich in erster Linie um einen Terrorangriff gehandelt. Natürlich behinderte Trümmerschutt auf den Straßen die Verle gung von Jeremenkos Reserven zu gefährdeten Frontabschnitten, und natürlich bestand theoretisch die Möglichkeit, das sowjetische Hauptquartier durch einen Bombentreffer auszuschalten, aber in Wirklichkeit standen in der Stadt nur wenige Truppen, weil die meisten in den Verteidigungsgürteln um Stalingrad eingesetzt waren. Die Erfahrungen der westlichen Alliierten bei Monte Cassino und in Caen zeigten später, daß die Zerstörung großer Gebäude einen entschlossenen Verteidiger begünstigen kann, indem sie die Angreifer behindert, und aus dieser Sicht war die deutsche Bombardierung Stalingrads ein Fehler. Man fragt sich unwillkürlich, wie der Kampf ausgegangen wäre, wenn die Luftflotte 4 statt dessen Präzisionsangriffe gegen die Einheiten der 10. NKWD-Division, Feklenkos Männer auf dem Gelände des Traktorenwerks oder Golikows Panzer, die sich bei Tinguta zum Gegenstoß sammelten, geflogen hätte. Denn als die deutschen Bodentruppen am Morgen des 24. August ihren Angriff wiederaufnahmen, stießen sie auf felsenfeste Gegenwehr und ließen sich in ihrer Enttäuschung über die offenbar verpaßte Gelegenheit dazu verleiten, immer mehr Truppen in den Kampf um Stalingrad zu werfen und die Gefahren, die ihrer Nordflanke am Don drohten, weitgehend zu ignorieren. Zu Besorgnis bestand vorläufig noch kein Anlaß, denn am 23. August hatten Hubes Einheiten ihre ursprünglichen Angriffsziele erreicht: Sie hatten die Landbrücke zwischen Don und Wolga überquert und Stellungen erreicht, von denen aus Stalingrad und die Wolga im Wirkungsbereich ihrer schweren Waffen lagen. Außerdem hatten sie einen Keil in die StalingradFront getrieben und die Bahnstrecken unterbrochen, die für die 67
Querverbindungen der Verteidiger fast unerläßlich waren. Aber der deutsche Korridor über die Landbrücke war noch immer ziemlich schmal, und Jeremenko hoffte, ihn unterbrechen zu können, um die Geschlossenheit seiner Front wiederherzustellen. Als Hube am Morgen des 24. August am Suchaja Metschetka mit Panzern und Infanterie angriff, hielten Feklenkos buntgemischte Verstärkungen von Gorochows Schützenbrigade bis hin zu Stalingrader Arbeiterbataillonen sich so gut, daß die Deutschen den ganzen Vormittag lang nicht vorankamen und am Spätnachmit tag durch einen Gegenangriff zwei Kilometer weit zurückgedrängt wurden. Unterdessen galten die meisten deutschen Luftangriffe nicht den sowjetischen Stellungen im entscheidenden Nordabschnitt, sondern dem eigentlichen Stadtge biet. Das machte Jeremenkos und Chruschtschows Aufgabe nicht leichter, denn sie mußten dafür sorgen, daß Frauen, Kinder und alte Menschen so rasch wie möglich über die Wolga evakuiert wurden. Die Unruhe und Verwirrung bei der Zivilbevölkerung veranlaßten Jeremenko am 25. August, das Kriegsrecht über Stalingrad zu verhängen; aber jede Bombe, die auf die Stadt fiel, konnte nicht auf Feklenkos Truppen nördlich des Traktorenwerks fallen, und seine Männer nutzten diesen Vorteil nach Kräften. Als der Angriff im Norden liegenblieb, versuchte die sowjetische 6. Armee jetzt, von Westen vorzustoßen. Im Schutz des Morgennebels überquerten am 25. August 25 Panzer und eine Infanteriedivision den Don südlich von Rubeschnoje, um Stalingrad-Mitte anzugreifen. Der Angriff wurde von der 169. Panzerbrigade und der 365. Garde-Schützendivision unter Befehl von Jeremenkos Stellvertreter für die Stalingrad-Front, Generalleutnant Kowalenko, zum Stehen gebracht. Die sowjetische Kampfgruppe stieß dann zu der teilweise eingeschlossenen 87. Schützendivision bei Bolschaja 68
Rossoschka vor und entsetzte sie. Eine Gruppe von 33 Soldaten der 87. Schützendivision - wie so viele der besten sowjetischen Soldaten aus Sibirien und dem Fernen Osten - hatte sich zwei Tage gegen 70 deutsche Panzer gehalten und 27 von ihnen vernichtet - viele davon mit Molotow-Cocktails, die von sowjetischen Autoren (wegen der unerwünschten Erinnerungen an den sowjetisch-finnischen Winterkrieg 1939/40) prosaisch als „Brandflaschen“ bezeichnet wurden. Obwohl die meisten Angehörigen dieser Gruppe keine Kampferfahrung besaßen, wurde lediglich ein Mann verwundet, und obwohl dies keineswegs charakteristisch für sowjetische Operationen war, die wegen der taktisch ungeschickten Führung auf unterer Ebene oft zu unnötig schweren Verlusten führten, war es ein Hinweis, wie der Kampf geführt werden sollte. Nachdem die Deutschen vorerst in den Außenbezir ken von Stalingrad zum Stehen gebracht worden waren, konzentrierte Jeremenko sich auf den Gegenangriff, den er unbedingt führen wollte. Jeremenko hatte sich vorgenommen, den Korridor des XIV. Panzerkorps zur Wolga abzuschneiden oder das Korps vielleicht sogar zu vernichten, indem er seine Nachschubwege von Norden her mit der 21. Schützenarmee und der 1. GardeArmee angriff (in der UdSSR bezeichnete das vorgesetzte Wort „Garde“ eine Formation, die sich im Kampf ausgezeichnet hatte. Sie erhielt bessere Ausrüstung, und ihre Angehörigen bekamen mehr Sold; sie bestand jedoch nicht aus eigens ausgesuchten Soldaten wie die „Garde“-Einheiten anderer Streitkräfte). Schon am 24. August hatten zwei Divisionen der 21. Armee erste Angriffe gegen die deutschen Stellungen bei Serafimowitsch und Kletskaja geführt, während Teile der 1. Garde-Armee bei Nowo-Grigorjewskaja angegriffen hatten; sie hatte ihren Brückenkopf auf dem rechten Donufer ausgeweitet, ohne jedoch Hubes Kampfgruppe abschneiden zu können. Am 69
25. August traten mehrere Divisionen der 63. Schützenarmee aus dem Raum Jelanskaja -Simowskij zum Angriff an, stie ßen nach Süden vor und eroberten einen weiteren Brückenkopf jenseits des Dons. General Kowalenkos Kampfgruppe war inzwischen durch zwei weitere Schützendivisionen und einige Panzer verstärkt worden und setzte am 26. August zu einem weiteren Gegenstoß aus dem Raum Samofalowka an, um die Deutschen von einigen beherrschenden Höhen zu vertreiben. Dieser schlecht koordinierte Angriff endete jedoch wegen fehlender Artillerieunterstützung und starker deutscher Luftangriffe mit einem völligen Mißerfolg. Dann griff General Schtewnow mit Teilen der 62. Armee bei Gorodischtsche und Gumrak an. Dadurch wurde die Gefahr eines deutschen Vorstoßes, der aus Nordwesten nach Stalingrad hätte führen können, vor erst gebannt, aber auch dieser Angriff war nur teilweise erfolgreich, so daß Jeremenko seinen Lieblingsplan eines Angriffs entlang der Nordflanke der 6. Armee wegen unzulänglicher eigener Kräfte aufgeben mußte. Erst nach dem Krieg sollte Jeremenko erfahren, wie nahe er dem Erfolg gewesen war: Der Kommandierende General des XIV. Panzerkorps, General von Wietersheim, war wegen der exponierten Lage von Hubes Abteilung am Wolgaufer, wo sie zeitweise abgeschnitten war und nur aus der Luft versorgt werden konnte, so beunruhigt, daß er um Erlaubnis bat, sie zurückziehen zu dürfen, was ihm Generaloberst von Weichs, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B, aber nicht gestattete. Nun entstand jedoch eine neue Bedrohung im Südabschnitt. Die deutsche 4. Panzerarmee hatte seit dem 19. August versucht, die sowjetische Verteidigungslinie um Stalingrad in der Südecke bei Tundutowo zu durchbrechen. Sie war jedoch kaum vorangekommen und hatte schwere Verluste erlitten - vor allem ihre 24. Panzerdivision -, weil die sowjetischen Stellungen auf den Höhenzügen zwischen Beketowka und 70
Krasnoarmeisk an der Wolga gut angelegt waren und von mehreren Divisionen der 64. Armee mit Panzerunterstützung gehalten wurden. Hoth hatte deshalb die Angriffe eingestellt, und während Jeremenko mit Gegenstößen im Norden und Nordwesten von Stalingrad beschäftigt war, wurden die Panzer und Panzergrenadiere der 4. Panzerarmee unauffällig vom Süden in den Südwesten verlegt und im Raum Abganerowo umgruppiert. Von dort aus traten sie am 29. August bei Tagesanbruch zum Angriff gegen die 126. Schützendivision der 64. Armee an. Hoth wollte einen Keil in die Mitte der 64. Armee treiben und dann hinter den sowjetischen Stellungen zwischen Beketowka und Krasnoarmeisk nach rechts schwenken, um das Wolga ufer und die Höhen südlich von Stalingrad zu gewinnen und den linken Flügel der 64. Armee abzuschneiden. Der deutsche Angriff kam jedoch besser als erwartet voran. General von Hauenschilds 24. Panzerdivision durchbrach die sowjetische Front bei Gawrilowka mit wirkungsvoller Unterstützung der Stukas der Luftflotte 4 und stieß in den Rücken der 62. und 64. Armee vor. Dadurch änderte sich die Lage schlagartig. Aus dem Versuch, den linken Flügel der 64. Armee abzuschneiden, hatte sich die Möglichkeit entwickelt, den rechten Flügel der 64. Armee und vielleicht die gesamte 62. Armee einzukesseln. Dazu mußte die deutsche 4. Panzerarmee auf die vorgesehene Schwenkung verzichten und weiter nach Norden vorstoßen, während die 6. Armee ihr nach Süden entgegenkommen mußte. Wenn dieses Manöver gelang, war der Fall Stalingrads unvermeidlich, weil keine Truppen mehr zur Verteidigung der Stadt zur Verfügung standen. Aber die Heeresgruppe B würde rasch handeln müssen, denn Jeremenko erkannte diese Gefahr ebenfalls. Generaloberst von Weichs, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B, reagierte schnell auf die veränderte Lage: Am 71
30. August mittags ließ er der 6. Armee einen Befehl übermitteln, in dem es hieß, jetzt hänge alles davon ab, daß die 6. Armee mit möglichst starken Kräften in südöstlicher Richtung angreife, um die westlich von Stalingrad stehenden feindlichen Kräfte im Zusammenwirken mit der 4. Panzerarmee zu vernichten. Am nächsten Tag drängte Weichs erneut auf eine rasche Vereinigung der beiden Angriffsspitzen, der ein Vorstoß ins Herz der Stadt folgen müsse. Aber Paulus war nicht von der Stelle zu bringen. Obwohl Jeremenkos Gegenangriffe hinter den Erwartungen des sowjetischen Oberbefehlshabers zurückge blieben waren, hatten sie Wietersheim und Paulus davon überzeugt, daß ihre Nordflanke sich in sehr prekärer Lage befinde. Die russischen Gegenangriffe hielten an, und Paulus befürchtete einen Zusammenbruch seiner Nordfront, wenn er seine schnellen Kräfte für einen Vorstoß nach Süden abstellte. Der sowjetische Druck gegen die 6. Armee ließ erst am 2. September nach; daraufhin schickte Paulus seine Panzer sofort Hoth entgegen. Am 3. September hatte auch Seydlitz' Infanterie Verbindung mit den Angriffsspitzen der 4. Panzerarmee, womit der Einschließungsring geschlossen war. Aber der Umfassungsangriff hatte einen Schönheitsfehler: Die Rote Armee war erneut aus der Umklammerung entkommen. Was war passiert? Jeremenko hatte nic ht erkannt, daß Hoth die Absicht hatte, den linken Flügel der 64. Armee abzuschneiden, und die deutschen Absichten erraten, bevor die Deutschen sich selbst zur Änderung des Angriffsziels entschlossen. Als Weichs und Hoth ihren unerwarteten Erfolg ausnützten und weiter nach Norden vorstießen, war aus dem Hauptquartier der StalingradFront bereits ein Strom von Befehlen hinausgegangen, die auf eine Räumung des äußeren Verteidigungsringes um Stalin grad hinausliefen. Der rechte Flügel der 64. Armee wurde in der 72
Nacht zum 30. August zurückgenommen und besetzte hauptsächlich den mittleren Verteidigungs ring, während die 29. und 204. Schützendivision in die Armeereserve überwiesen wurden. Die 62. Armee begann ihren Rückzug in der nächsten Nacht und bezog Stellungen in der mittleren Verteidigungszone nördlich der 64. Armee. Dieser notwendig gewordene Rückzug bedeutete allerdings, daß Stalingrad nun auf allen Seiten von den Deutschen hart bedrängt wurde. Durch eine seltsame Kombination aus voreiligem Optimismus und fast hellseherischen Fähigkeiten war es Jeremenko jedoch gelungen, die Masse seiner Kräfte zu retten. Seine Gegenangriffe waren fehlgeschlagen, aber sie hatten einen wichtigen Zweck erfüllt: Sie hatten Paulus' 6. Armee in den entscheidenden Tagen vom 30. August bis zum 2. September festgenagelt. Jeremenko hatte die deutschen Absichten ursprünglich falsch beurteilt, aber er hatte die Möglichkeiten, die sich dem Gegner boten, rascher erkannt als die Deutschen, so daß seine 62. und 64. Armee weiterkämpfen konnten. Aber wie lange noch? Diesmal waren sie nur mit knapper Not der Vernichtung entgangen, und der verstärkte deutsche Druck im Südabschnitt erzwang am 2. September den Rückzug auf die innere Verteidigungslinie. Dabei setzten die Deutschen erstmals Sturmgeschütze ein. Obwohl Jeremenko behauptete, die erhofften Ergebnisse seien ausgeblieben, forderte er sofort selbst welche an. Er machte sich offenbar Sorgen wegen der Wirkung dieser Waffen auf seine Truppen, die noch nie Sturmgeschütze gesehen hatten und deren Bewegungsraum von Tag zu Tag mehr eingeengt wurde. Stalingrad bot jetzt ein grausiges Bild der Zerstörung. Die Stadt war seit dem 23. August täglich bombardiert worden, und die Luftangriffe am 2. September waren besonders schwer 73
gewesen, so daß eine kilometerweit sichtbare Rauchwolke über Stalingrad stand. Aus militärischer Sicht noch schlimmer war jedoch die Tatsache, daß die Wolgafähren, die allen Nachschub herantransportieren mußten, ständig bombardiert und von Artillerie beschossen wurden. Nachts schossen die Deutschen Leuchtgranaten und erschwerten den Fährverkehr, der ohnehin fast nur mehr nachts abgewickelt werden konnte, durch Artilleriefeuer zusätzlich. Irgendwie gelang es trotzdem, Munition, Verpflegung und Truppen in die belagerte Stadt zu schaffen, wo sie dringend benötigt wurden: Die 62. und 64. Schützenarmee befanden sich seit Mitte Juli fast ununterbrochen im Einsatz und mußten Anfang September dringend aufge frischt werden. Außerdem stand jetzt das nächste Stadium der Schlacht - der Kampf auf der inneren Linie - bevor.
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Das Ringen um die Behauptung der Stadt
Unterdessen war es nicht mehr richtig, den Nordteil von Jeremenkos Befehlsbereich als „Stalingrad-Front“ zu bezeichnen, denn er war - außer der 62. Schützenarmee - von der Stadt abgeschnitten. Diese Armee wurde deshalb der Südostfront unterstellt, so daß eine Heeresgruppe nördlich des deutschen Einbruchs stand - die etwa 400 Kilometer lange Stalingrad-Front zwischen Babka am Don und Jersowka an der Wolga, die fünf Armeen umfaßte: 1. Garde-Armee und 21., 24., 63. und 66. Schützenarmee - während eine zweite Heeresgruppe südlich davon eingesetzt war. Diese Südostfront bestand aus vier Armeen, der Stalingrad verteidigenden 62. Schützenarmee, der 64. und 57. Schützenarmee südlich davon und der noch weiter im Süden stehenden 51. Schützenarmee, die den verhältnismäßig ruhigen Abschnitt hinter den Zaza-, Barmanzak- und Sarpa-Seen zu halten hatte, wo die Front in der Kalmückensteppe auslief, in die nur gelegentlich Spähtrupps beider Seiten vorstießen. Da es sich als unmöglich und vielleicht auch unklug erwies, eine ganze Heeresgruppe aus einem unterirdischen Bunker in der Zariza-Schlucht nur wenige Kilometer hinter der Front führen zu wollen, überquerten Jeremenko und Chruschtschow unauffällig die Wolga, fuhren etwa 40 Kilometer nach Norden und kehrten aufs Westufer zurück, wo sie ihr neues Hauptquartier in dem Dorf Malaja Iwanowka errichteten. Dort erhielten sie Anfang September hohen Besuch: Armeegeneral Schukow und Generaloberst Wasiljewski erschienen als Vertreter der Stawka, des sowjetischen Oberkommandos. Sie stellten Fragen, holten 75
Auskünfte ein, besuchten die Front und begutachteten sogar die Brückenköpfe jenseits des Dons, ohne jedoch - nicht einmal Jeremenko - zu verraten, wozu sie das alles taten. Schukow und Wasiljewski waren in Stalins Auftrag unterwegs, um die Eignung der Brückenköpfe als Aus gangspunkte für eine große Gegenoffensive zu erkunden, und durften mit niemand über ihren Auftrag sprechen. Im Jahre 1920 war die Weiße Armee General Denikyns hier durch einen ähnlichen Angriff vernichtet worden, an dessen Planung Stalin maßgeblich beteiligt gewesen war, so daß alte Erinnerungen wach wurden, wenn er auf den Lagekarten Paulus' gefährlich lange Nordflanke betrachtete. Aber als er die Lage am 2. September 1942 eingezeichnet sah, verflog der Gedanke an einen gewaltigen Handstreich zumindest vorläufig. Für dieses Unternehmen waren zeitraubende Vorbereitungen nötig, und die gegenwärtige Lage ließ befürchten, Stalingrad werde sich nicht lange genug halten können, um auf diese Weise entsetzt zu werden. Deshalb funkte Stalin an Schukow in Malaja Iwanowka: „Die Lage in Stalingrad verschlechtert sich. Der Feind steht drei Werst (etwa drei Kilometer) vor Stalingrad. Stalingrad kann heute oder morgen fallen, wenn die nördliche Kräftegruppe nicht sofort Hilfe bringt. Veranlassen Sie die Kommandeure der nördlich und nordöstlich von Stalingrad stehenden Einheiten, den Feind sofort anzugreifen und den Stalingradern zur Hilfe zu eilen. Es darf kein Zögern geben. Zögern kommt jetzt einem Verbrechen gleich. Werfen Sie alle Flugzeuge in den Kampf, um Stalingrad zu helfen. In Stalingrad selbst gibt es nur noch sehr wenige Flugzeuge. Bestätigen Sie sofort den Empfang (dieses Funkspruchs) und melden Sie die ergriffenen Maßnahmen. J. Stalin“ Stalins Marschälle und Generale konnten oft mit ihm über einzelne Befehle diskutieren, aber diesmal gab es keine 76
Widerrede; Stalin wollte, daß die 24. und 66. Schützenarmee, die soeben aus der Stawka-Reserve im Raum SamofalowkaJersowka-Losnoje eingetroffen waren, sofort in den Kampf geworfen wurden. Gewiß, sie waren noch nicht voll ausgebildet und bestanden hauptsächlich aus älteren Reservisten (die Verschwendung sowjetischer Soldaten im Jahre 1941 und bei Unternehmen wie der Charkow-Offensive des Jahres 1942 zeigte noch immer Nachwirkungen), aber sie waren bisher kaum eingesetzt worden und ihrer Soll-Stärke deshalb viel näher als die südlich von ihnen stehenden Armeen. Deshalb griffen sie am 5. September an und sollten erneut versuchen, den deutschen Korridor zwischen Don und Wolga zu durchstoßen. Das gelang nicht, aber die Deutschen mußten einen Teil ihrer Kräfte im Norden einsetzen, um diese Angriffe abzuwehren. Dadurch verringerte sich der Druck auf die 62. und 64. Armee, die an den Stadtgrenzen von Stalingrad eine neue Verteidigungslinie aufzubauen versuchten. Die „innere Verteidigungslinie“ klang gut, aber sie war an vielen Stellen nicht viel mehr als ein Strich auf Jeremenkos Karte. Dort mußten erst Drahthindernisse angelegt, Minen verlegt und Schützengräben und Stellungen ausgehoben werden. Aber dafür standen nicht unbegrenzt viele Arbeitskräfte zur Verfügung, denn viele der Schützendivisionen entsprachen kaum noch kriegsstarken Kompanien: Die 87. Division hatte noch 180 Mann, bei der 112. Division waren es 150, und die 99. Panzerbrigade bestand aus 120 Mann ohne Panzer. Dieser Krise war General Lopatin, der Oberbefehlshaber der 62. Schützenarmee, schließlich nicht mehr gewachsen. Er war im Laufe der Schlacht immer pessimistischer geworden, obwohl er sich bisher gut gehalten hatte, aber als er jetzt die Wolga im Rücken und überlegene feindliche Kräfte vor sich hatte, ließ sein Durchhaltewillen nach. Lopatin kam zu dem Schluß, 77
Stalingrad sei nicht länger zu halten, und nahm Teile seiner Einheiten ohne Befehl von oben zurück, so daß er abgelöst werden mußte. Generalleutnant N. I. Krylow, der Chef seines Stabes, vertrat ihn zunächst, aber da gute Stabschefs fast so schwer zu finden sind wie gute Armeeoberbefehlshaber, konnte das nur eine vorläufige Lösung sein, und Jeremenko sah sich nach einem Nachfolger für Lopatin um. Im Hauptquartier der 64. Schützenarmee gab es keine Führungskrise. Generalleutnant M. S. Schumilow, der den Oberbefehl am 30. Juli 1942 übernommen hatte, war ein fähiger, ruhiger Mann, der keine optimistischen oder pessimistischen Exzesse kannte. Sein Stellvertreter war General Wassili Iwanowitsch Tschuikow, der Oberbefehlshaber der 64. Armee ge wesen war, als sie im Raum Tula aufgestellt und ausgebildet worden war, und sie vor Stalingrad befehligt hatte, bis Schumilow ihn abgelöst hatte. Er war keineswegs das „fünfte Rad am Wagen“, aber da Schumilow ein sehr fähiger Oberbefehlshaber war, war Tschuikow entbehrlich. Auf diese Weise wurde Tschuikow der Oberbefehlshaber der 62. Schützenarmee und rückte damit in den Augen der sowjetischen Öffentlichkeit in die vorderste Reihe der Verteidiger von Stalingrad auf. Tschuikow war damals 42. Er war bei Kriegsausbruch sowjetischer Militärattaché in China gewesen und erst im März 1942 in die Heimat zurückgekehrt, wo er sich seit Juli an der Front bewährt hatte. Tschuikow war entschlußfreudig, gewissenhaft und ein Optimist. Stalin mußte seine Ernennung selbstverständlich genehmigen, aber er fragte Jeremenko lediglich: „Kennen Sie ihn gut genug?“ Als Jeremenko antwortete, er kenne Tschuikow als einen Offizier, auf den man sich verlassen könne, war Stalin damit einverstanden, ihm die 62. Armee zu geben, die Tschuikow dann am 12. September übernahm. 78
Tschuikow hatte sich nach eigener Aussage in seinen wenigen Wochen an der Front intensiv mit der Kampfweise der Deutschen auf dem Schlachtfeld auseinandergesetzt. Obwohl er Respekt vor ihren koordinierten Angriffen mit Flugzeugen, Panzern und Infanterie hatte, hielt er sie oft für zu langsam und zu unentschlossen. Da er eine Armee übernahm, die bald rechts und links abgeschnitten sein und einen breiten Fluß im Rücken haben würde, und da Jeremenko unmöglich jede seiner Entscheidungen kontrollieren konnte, besaß Tschuikow weit mehr Handlungsfreiheit als andere sowjetische Armeeoberbefehlshaber, so daß seine Ansichten über die richtige Kampfweise seiner Armee doch sehr wichtig waren. Er war der Ansicht, die deutschen Erfolge seien vor allem auf das erstklassig koordinierte Zusammenwirken von Elementen Flugzeuge, Panzer und Infanterie - zurückzuführen, die jeweils gar nicht qualitativ überragend seien. In den Kämpfen an Don und Aksai war ihm aufgefallen, daß die Panzer erst angriffen, wenn die Luftwaffe über den sowjetischen Stellungen war, und daß die Infanterie erst folgte, wenn die Panzer ihre Ziele erreicht hatten. Nach Tschuikows Überzeugung kam es deshalb darauf an, diesen Handlungsablauf mit irgendwelchen Mitteln zu durchbrechen. Außerdem glaubte er, eine gewisse Abneigung der deutschen Infanteristen gegen Nahkämpfe entdeckt zu haben, weil sie oft schon aus 700 bis 800 Meter Entfernung das Feuer eröffneten. Aus diesen beiden Faktoren - der Abhängigke it von Koordination und der Abneigung gegen Nahkämpfe - zog Tschuikow den Schluß, es sei am besten, mit den eigenen Truppen immer dicht am Feind zu bleiben. Auf diese Weise konnte die Luftwaffe nicht angreifen, ohne die eigenen Kräfte zu gefährden, und der sonst übliche Handlungsablauf war durchbrochen, so daß die deutsche Infanterie im Nahkampf gegen einen Gegner antreten mußte, der nicht schon durch 79
Bomber und Panzer angeschlagen war. Oder wie Tschuikow es später einmal ausdrückte:. „Jeder deutsche Soldat muß das Gefühl haben, von der Mündung einer russischen Waffe bedroht zu sein.“ Der neue Oberbefehlshaber hatte den Eindruck, diese Taktik müsse sich in der Stadt leicht verwirklichen lassen, wodurch die Deutschen ihren Trumpf - die Luftwaffe - eingebüßt hätten, falls die 62. Schützenarmee willens und imstande sei, die Angreifer in Nahkämpfe zu verstricken. Tschuikow übernahm seine neue Armee unter wenig verheißungsvollen Umständen, die sein Vertrauen in die Durchführbarkeit seiner Ideen keineswegs stärkten. In Stalingrad wußte niemand, wo sich das Hauptquartier der 62. Armee befand. Jeremenko vermutete es in dem Bunker in der Zarizyn-Schlucht, in dem er bis vor kurzem mit seinem Frontstab untergebracht gewesen war, aber dort war es nicht, so daß Tschuikow durch die Stadt irrte, über die provisorischen Straßensperren staunte, die keinen Lkw und erst recht keinen Panzer aufhalten konnten, und schließlich einen Offizier fand, der ihm sagen konnte, wo sein Hauptquartier zu finden war. Er führte Tschuikow zum Fuß des Mamajew Kurgan, und der neue Oberbefehlshaber stieg den Hügel zu Krylows Gefechtsstand hinauf, wo der Stabschef dem Kommandeur einer Panzereinheit einen telefonischen Anpfiff verpaßte, weil er ohne Befehl von Höhe 107 ans Wolgaufer zurückgegangen war, so daß sein Gefechtsstand jetzt hinter dem Armeehauptquartier lag. Solche selbständigen Absetzbewegungen hätten das Ende von Tschuikows Vorhaben bedeutet, die Deutschen in Nahkämpfen zum Stehen zu bringen. Deshalb wurde der betreffende General herbeizitiert, und Tschuikow beschuldigte ihn persönlicher Feigheit, erklärte ihm, jeder zukünftige Befehl dieser Art werde als Verrat und Desertion geahndet, und gab ihm bis vier Uhr Zeit, seinen Gefechtsstand wieder auf Höhe 80
107 einzurichten. Als General Golikow, der stellvertretende Frontbefehls haber, eintraf, bekam der Panzerkommandeur seinen dritten Anpfiff, womit aller guten Dinge drei waren. Tschuikow bat Golikow aus mehreren Gründen als erstes um einige zusätzliche Divisionen. Ihm standen nach sowjetischen Erkenntnissen zwischen elf und 14 verstärkte deutsche Divisionen gegenüber, die von etwa 1000 Flugzeugen der Luftflotte 4 unterstützt wurden. Die 62. Schützenarmee bestand aus wenig kampfkräftigen Einheiten, darunter drei Panzerbrigaden, die gemeinsam nur einen Panzer besaßen (die beiden panzerlosen wurden wenig später über die Wolga zurückge führt, um neu ausgerüstet zu werden), mehrere Infanteriedivisionen in Bataillonsstärke, Oberst Sarajows 10. NKWDDivision (ohne schwere Waffen) und zwei vollständigen Schützenbrigaden. Die deutsche Luftflotte 4 besaß die völlige Luftherrschaft über Stalingrad, und die Lage im Armeehauptquartier wurde dadurch erschwert, daß General Lopatiri, der völlig gebrochene ehemalige Oberbefehlshaber, noch immer dort herumlungerte und seine früheren Untergebenen mit seinem Pessimismus ansteckte. Tschuikow brachte ihn dazu, Stalingrad zu verlassen, aber der Schaden war bereits angerichtet, denn die Artillerie -, Panzer- und Pionierführer im Stab der 62. Armee meldeten sich wenig später krank und verschwanden über die Wolga. Durch intensive Agitation der Kommissare und Generale sowie einen mitreißenden Tagesbefehl Jeremenkos und Chruschtschows gelang es, die gesunkene Kampfmoral wieder einigermaßen zu heben, aber das allein genügte nicht. Golikows Fürsprache hatte Erfolg, denn nun trafen erhebliche Verstärkungen ein: Ab 13. September sollten innerhalb von 14 Tagen nicht weniger als zehn Schützendivisionen, zwei Panzerkorps und acht Panzerbrigaden aus der Stawka-Reserve eintreffen, und die 62. Armee würde mindestens die Hälfte der Infanterie erhalten. 81
Tatsächlich wurden ihr innerhalb von drei Tagen 10000 Mann und 1000 Tonnen Nachschub zugeführt. Damit diese Verstärkungen die Stadt erreichen konnten, mußten die Wolgakais geschützt werden, die im Augenblick in Schußweite deutscher Artillerie lagen, weil der von der 62. Armee gehaltene Brückenkopf an der schmalsten Stelle nur etwa fünf Kilometer breit war. Außerdem kam ein Gegenangriff Tschuikows Absichten entgegen, weil er seine Truppe in engen Kontakt mit den Deutschen bringen und Einsätze der feindlichen Luftwaffe erschweren würde. Nach Tschuikows Auffassung sollte das Niemandsland nicht breiter sein, als man eine Handgranate werfen konnte. Er blieb mit Krylow bis zwei Uhr auf, um den Angriffsplan auszuarbeiten. Die Armee würde sich auf beiden Flügeln aktiv verteidigen und in der Mitte angreifen, um den Bahnhof Rasguljajewka zurückzuge winnen und entlang der nach Südwesten führenden Bahnstrecke bis zu der scharfen Biegung bei Gumrak vorzustoßen, wo sie den Bahndamm als Panzerhindernis neben sich hatte, während sie in Richtung Gorodischtsche und Alexandrowka angriff. Die notwendigen Umgruppierungen sollten sofort vorgenommen werden, damit der Angriff am nächsten Tag, dem 14. September, beginnen konnte. Tschuikow ging mit dem Bewußtsein ins Bett, gute Arbeit geleistet zu haben. Um 6.30 Uhr wachte er durch Bombendetonationen und Artilleriefeuer auf. Die Deutschen waren ihm zuvorgekommen. Seydlitz' LI. Armeekorps stieß mit zwei Angriffskeilen gegen die Stadtmitte vor: Zwei Panzerdivisionen, eine motorisierte Division und drei Infanteriedivisionen grif fen von Gorodischtsche nach Südosten und von Pestschanka nach Nordosten an. Am Nachmittag waren die vorgeschobenen sowjetischen Stellungen überrannt, und die Deutschen hatten 82
die Maschinen-Traktoren-Station, ihre Arbeitersiedlung und die Siedlung am Flugplatz erobert, während der südliche Angriffskeil mit großer Mühe vor Kuporosnoje und dem Wolgaufer zum Stehen gebracht worden war. Noch schlimmer war, daß Tschuikow nur eine ungefähre Vorstellung vom Verlauf der Kämpfe hatte, weil sein Gefechtsstand auf dem Mamajew Kurgan den ganzen Tag von deutschen Geschützen und Granatwerfern beschossen wurde, so daß nahezu sämtliche Nachrichtenverbindungen ausfielen und der Oberbefehlshaber um 16 Uhr fast keine Verbindung mehr zu seinen Truppen hatte. Selbst Tschuikow, der in seiner Berichterstattung bewußt nüchtern bleibt, schildert diese Lage als „etwas beunruhigend“. Tatsächlich wurden die Angreifer am Westrand der Geschützfabrik „Barrikaden“ und des metallurgischen Werks „Roter Oktober“ aufgehalten, aber das wußte Tuschuikow nicht. Er wußte nur, daß es unmöglich war, den Kampf von diesem Gefechtsstand aus zu le iten, deshalb arbeitete er mit seinem Stab hastig einen begrenzten Angriffsplan für den nächsten Morgen aus und verließ mit seinen hungrigen Untergebenen (das Frühstück war einer Bombe zum Opfer gefallen; das Mittagessen hatte einen Granatwerfer-Volltreffer erhalten) die Höhe 102, um in den Zarizyn-Bunker umzuzie hen. Dort konnten sie jedoch nur drei Tage bleiben, was bedauerlich war, denn der zehn Meter unter der Erde liegende Bunker war viel sicherer als die Unterstände auf dem Mamajew Kurgan und bot erheblich mehr Platz. Das waren wichtige Überlegungen, denn diese Schlacht konnte nicht aus der Ferne dirigiert werden. Der Brückenkopf war so klein, daß die Reaktion auf feindliche Vorstöße rasch erfolgen mußte, was vom anderen Wolgaufer aus nicht möglic h gewesen wäre. Außerdem besaß die Rote Armee kein Unterwasserkabel, um Telefonleitungen durch die Wolga legen 83
zu können. Statt dessen verwendeten die Fernsprechbautrupps gewöhnliche Kabel, die alle paar Tage erneuert werden mußten. Es erwies sich schon als schwierig genug, die Verbindungen zwischen Tschuikows Gefechtsstand, dem Fronthauptquartier und den jenseits der Wolga stehenden Teilen der 62. Armee (Artillerie, Flugzeuge und Nachschubeinheiten) zu halten, so daß das überla stete Fernmeldenetz vermutlich zusammengebrochen wäre, wenn das Hauptquartier der 62. Armee ebenfalls aufs Ostufer des Flusses verlegt worden wäre. Natürlich konnte auch über Funk geführt werden, aber der Funkverkehr konnte gestört oder von dem ausgezeichneten deutschen Horchauswertedienst mitgehört werden. Außerdem waren Funkgeräte fast so schwer zu bekommen wie Unterwasserkabel - die meisten sowjetischen Panzer kämpften noch ohne Funk. Im übrigen war für einen General von Tschuikows Charakter der persönliche Kontakt zur Truppe wichtig, deshalb behielt er seinen Gefechtsstand in der Kampfzone bei - wie Schukow bei der Verteidigung von Moskau -, um die Kampfmoral der Truppe nicht durch den Anblick eines in die Etappe zurückgehenden Generals zu schwächen. Der Armeestab erreichte den Bunker kurz vor drei Uhr am 14. September 1942. Um drei Uhr begann die Armeeartillerie mit der Beschießung der deutschen Stellungen; eine halbe Stunde später traten Teile der 62. Schützenarmee zum Gegenangriff an. Tschuikow telefonierte mit Jeremenko, um ihm diese Tatsache mitzuteilen und ihn um Luftunterstützung ab Tagesanbruch zu bitten. Der Frontoberbefehlshaber sagte sie ihm zu und konnte Tschuikow die erfreuliche Mitteilung machen, daß Verstärkungen nach Stalingrad unterwegs waren: Generalle utnant Rodimzows 13. Garde-Schützendivision würde im Laufe des Tages auf dem Ostufer bei dem Fährhafen Krasnaja Sloboda eintreffen. Tschuikow setzte sofort mehrere 84
Stabsoffiziere zum Empfang dieser Division in Marsch, bevor Krylow und er sich wieder ihrer unmittelbaren Aufgabe zuwandten - dem Gegenangriff. Von der Front liefen schlechte Nachrichten ein. Der Gegenangriff war liegengeblieben, und die Deutschen stießen ihrerseits in Richtung Hauptbahnhof vor. Falls sie ihn erreichten, bestand die Gefahr, daß sie einen Keil durch die 62. Armee treiben und den Fährhafen besetzen würden, bevor Rodimzows Division über die Wolga gelangen konnte. Stalingrads Schicksal hing erneut an einem seidenen Faden, während die Deutschen hinter ihren Panzerspitzen lastwagenweise Infanterie ins Stadtzentrum schafften. Tatsächlich schienen viele der Deutschen zu glauben, die Stadt sei schon so gut wie erobert, und Tschuikows Männer sahen „betrunkene Deutsche, die von ihren Lastwagen sprangen, Mundharmonika spielten, wie verrückt durcheinanderbrüllten und auf der Straße tanzten“. Die Front war bis auf etwa einen Kilometer an Tschuikows Bunker herangerückt, und der Fährhafen war ernstlich gefährdet. Tschuikows letzte Reserve aus 19 Panzern stand am südlichen Stadtrand. Er beorderte ein Bataillon - neun Panzer zu seinem Gefechtsstand, und während es unterwegs war, stellte Krylow aus Stabsoffizieren und der Stabswache zwei Stoßtrupps auf. Als die Panzer nach zwei Stunden eintrafen, wurden sechs von ihnen mit dem ersten Stoßtrupp in Marsch gesetzt, um die Straßen zwischen Hauptbahnhof und Fährhafen zu sperren. Die drei anderen Panzer und der zweite Stoßtrupp sollten die sogenannten „Spezialisten-Häuser“ (eine Werkssiedlung) zurückerobern, wo die Deutschen schwere MGs in Stellung gebracht hatten, mit denen sie den Fährhafen und den Fluß beherrschten. Um 14 Uhr traf Rodimzow nach gefährlicher Fahrt durch die Stadt ein, um sich zu melden und seine Befehle 85
entgegenzunehmen. Seine 13. Garde-Schützendivision erreichte mit rund 10000 Mann fast ihre Soll-Stärke, aber ihr fehlten Waffen und Munition. Über 1000 Mann hatten keine Gewehre, und obwohl Golikow den Auftrag hatte, die fehlenden Waffen bis zum Abend zum Fährhafen Krasnaja Sloboda bringen zu lassen, konnte niemand dafür garantieren, daß sie tatsächlich eintreffen würden, bevor die Division nach Stalingrad übersetzte. Tschuikow befahl sofort, die Waffen der auf dem Ostufer eingesetzten Nachschubeinheiten der 62. Armee seien zu sammeln und Rodimzows Gardeschützen zu übergeben. Der Divisionskommandeur erhielt den Auftrag, seine Pakgeschütze und Granatwerfer über die Wolga zu schaffen und seine restliche Artillerie auf dem Ostufer zurückzulassen, wo sie weniger gefährdet war. Ihr Feuer würde dann durch in Stalingrad eingesetzte Artilleriebeobachter geleitet werden. Rodimzow wurde der Frontabschnitt zwischen Höhe 102 im Süden und dem Fluß Zariza im Norden zugewie sen. Zwei seiner Regimenter sollten die Deutschen aus der Stadtmitte, der Werkssiedlung und dem Hauptbahnhof zurückwerfen; ein drittes Regiment sollte den Mamajew Kurgan (Höhe 102) halten, und ein Infanteriebataillon würde als Reserve in der Nähe des Gefechtsstandes bleiben. Tschuikow wies Rodimzow an, seinen Befehlsstand in bereits existierenden Unterständen am Wolgaufer einzurichten. Als der Divisionskommandeur einwandte, er wolle seinen Gefechtsstand nicht hinter dem der Armee haben, versicherte Tschuikow ihm gelassen, sobald er seinen Auftrag ausgeführt habe, könne er mit nach vorn gehen. Rodimzow fuhr über die Wolga zurück, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Seine Division würde in der Abenddämmerung nach Stalingrad übersetzen, in etwa fünf Stunden. Es war jetzt 16 Uhr, und Tschuikows angeschlagene Divisionen würden ihre Stellungen weitere zehn bis zwölf Stunden halten müssen. Reserven gab es keine mehr - selbst die 86
Stabsoffiziere und die Stabswache kämpften an der Front. Noch in die Schlacht geworfen werden konnten lediglich Teile von Oberst Sarajows 10. NKWD-Division; sie war jedoch keine Heereseinheit, und Sarajow und der Armeeoberbefehlshaber konnten sich nicht leiden. Einerseits äußerte Tschuikow sich verächtlich über die „Befestigungen“ - Bunker und Barrikaden -, die Sarajow als „Kommandeur der Garnison Stalingrad“ hatte errichten lassen; andererseits neigte Sarajow dazu, sich als gleichberechtigt zu betrachten, bis Tschuikow schließlich seinen höheren Dienstgrad herauskehren mußte. „Ihre Division ist in die 62. Armee eingegliedert worden, verstanden? Sie haben den Anordnungen des Militärrats der Armee widerspruchslos zu gehorchen. Soll ich beim Fronthauptquartier anrufen, um die Situation zu klären?“ Sarajow gab sich geschlagen. „Ich betrachte mich als Soldat der 62. Armee“, antwortete er. Dieser Punkt war also geklärt, aber damit war das Problem der fehlenden Reserven noch längst nicht gelöst. Die NKWDEinheiten waren dafür nicht entbehrlich, aber Sarajow hatte auch bewaffnete Polizisten, Feuerwehrmänner und Fabrikarbeiter unter seinem Befehl. Sie waren unzulänglich bewaffnet, aber immerhin etwa 1500 Mann. Tschuikow wies Sarajow an, einige massive Gebäude - vor allem im Stadtkern mit jeweils 50 bis 100 Mann zu besetzen und bis zur letzten Patrone verteidigen zu lassen. Waffen und Nachschub würden sie aus Beständen der 62. Schützenarmee erhalten. Von der Front gingen nur spärliche Meldungen ein, und der Kampfverlauf ließ sich oft am besten beurteilen, wenn man am Bunkerausgang Puschkinstraße ins Freie horchte. Dazu brauchte man keine sonderlich guten Ohren, denn die deutsche 71. Infanteriedivision war bis auf 500 Meter an den Bunker herangekommen. Die Front schien jetzt zu halten - allerdings nur mit knapper Not. Einer von Tschuikows 87
Regimentskommandeuren galt seit vormittags als vermißt, aber die Kampfmoral der Verteidiger war so angeschlagen, daß niemand sicher wußte, ob er nicht einfach seine Männer im Stich gelassen hatte. Gegen Abend traf Major Chopko ein, um zu melden, daß sein letzter Panzer in der Nähe des Hauptbahnhofs abgeschossen worden sei. Tschuikow schickte ihn umgehend mit dem Befehl zurück, seine Stellung mit den etwa 100 Mann, die ihm noch geblieben waren, und dem Panzer - der nicht mehr fahren, aber noch schießen konnte - zu verteidigen, bis sie von Rodimzows Männern abgelöst wurden. In der Abenddämmerung ließen die Kämpfe nach, so daß Tschuikow und sein Stab eine erste Bilanz ziehen konnten. Die Deutschen waren bis zum Mamajew Kurgan und zur Bahnlinie vorgedrungen und hatten den Hauptbahnhof erreicht, der sich allerdings noch in sowjetischer Hand befand. Sie hatten zahlreiche Gebäude im Stadtzentrum besetzt, die in der Mitte der 62. Armee eingesetzten Einheiten fast völlig vernichtet und den Beobachtungsposten auf Höhe 102 zerstört. Im Südabschnitt waren sie aufgehalten worden, aber alles deutete darauf hin, daß sie einen erneuten Angriff vorbereiteten. Trotz aller Anstrengungen erwies es sich als unmöglich, die ganze 13. Garde-Schützendivision nachts über die Wolga zu transportieren. Reichlich zwei Drittel wurden jedoch nach Stalingrad gebracht und bezogen dort sofort die vorgesehenen Stellungen. Sie kamen gerade rechtzeitig, denn am nächsten Morgen gingen die deutschen Angriffe weiter: Teile der 71., 76. und 295. Infanteriedivision stießen gegen Hauptbahnhof und Mamajew Kurgan vor, während im Südabschnitt der erwartete deutsche Angriff losbrach, der von Einheiten der 14. und 24. Panzerdivision und der 94. Infanteriedivision geführt wurde. Die Luftwaffe unterstützte diese Angriffe sehr aktiv, und Rodimzows Gardeschützen standen in schweren 88
Erstes Eindringen in die Stadt
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Artillerie zum Feuerschutz Infanterie rückt in die Stadt vor
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Ausgebrannter Hangar; der Flughafen ist schnell in deutscher Hand Der Rückweg ist weit
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Der Vormarsch ist gestoppt, erstmals müssen Stellungen bezogen werden
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Abwehrkämpfen, bevor sie Zeit gehabt hatten, sich richtig zu orientieren. Der Hauptbahnhof wechselte tagsüber viermal den Besitzer und befand sich abends wieder in russischer Hand, während an anderen Stellen die Deutschen erfolgreicher waren. Sie hielten trotz wütender Angriffe durch Rodimzows 34. Regiment, das dabei von Panzern unterstützt wurde, weiterhin die Werkssiedlung, von der aus sie den Fährhafen weiterhin unter Feuer nehmen konnten. Außerdem fügten sie Oberst Batrakows Infanteriebrigade schwere Verluste zu und drängten sie - sowie Teile der NKWD-Division - zur Baumschule zurück, während Dubjanskis Garde-Schützendivision an den Westrand der Stadt südlich der Zariza abgedrängt wurde. Der Kampf um den Mamajew Kurgau ging den ganzen Tag mit wechselndem Erfolg weiter. Dieser in deutschen und sowjetischen Generalstabskarten als Höhe 102 eingetragene Hügel beherrschte das gesamte Stadtzentrum, so daß beide Seiten ihn unbedingt in ihren Besitz bringen wollten. Die Höhe 102 blieb bis zum Ende der Schlacht um Stalingrad so erbittert umkämpft, daß sie den ganzen Winter lang schneefrei war - der Schnee schmolz in der Hitze detonierender Bomben und Granaten. Den ganzen 15. September lang verteidigten Rodimzows Gardeschütten die Höhe 102 verbissen gegen Teile dreier deutscher Divisionen (22. Panzerdivision, 71. und 295. Infanteriedivision). Gegen Abend bestand die Gefahr, daß sie ihre Stellungen nicht mehr würden halten können, deshalb ließ Tschuikow nachts auch das letzte Regiment (das 46. GardeSchützenregiment) der Division über die Wolga transportieren. Zu den Problemen, mit denen der Oberbefehlshaber zu kämpfen hatte, kamen jetzt noch physische Erschwernisse, weil deutsche MG-Schützen an der Zariza lagen und das Armeehauptquartier beschießen konnten, so daß es gefährlich war, den Bunker zu verlassen. Die Stabswache kämpfte jetzt in 93
der Nähe des Bunkers, in den Verwundete gebracht wurden. Die dort herrschende drangvolle Enge wurde dadurch verstärkt, daß gegen Abend zahlreiche Offiziere und Mannschaften mit angeblich „dringenden Aufträgen“ hereinkamen, um Schutz vor den unaufhörlichen Luftangriffen und den Feuerüberfällen der deutschen Artillerie zu finden. Da der Bunker keine wirksame Lüftung besaß, war die Luft bald zum Schneiden, so daß Tschuikow die Einrichtung eines weiteren Gefechtsstandes am Wolgaufer gegenüber der Südspitze der Insel Saitewski befahl, um von dort aus auch den Kampf des rechten Armeeflügels im Norden von Stalingrad leiten zu können. Auch in dieser Nacht flauten die Kämpfe ab. Das 42. Regiment kam über die Wolga und bezog am Fuß der Höhe 102 Stellungen neben den Männern der jetzt sehr stark dezimierten 112. Schützendivision. Bei Tagesanbruch beschoß sowjetische Artillerie zehn Minuten lang die deutschen Stellungen, bevor das 42. Garde-Schützenregiment und ein Regiment der 112. Division in einem Hagel aus Bomben und Werfergranaten zum Sturm auf den Mamajew Kurgan antraten. Nach erbitterten Nahkämpfen blieben die Russen Sieger und gruben sich erneut auf dem Hügel ein, aber dieser Sieg hatte schwere Opfer gekostet: Von den 30 Mann des vordersten Infanteriezuges hatten nur sechs die Höhe 102 erreicht, und die dahinter folgenden Einheiten hatten kaum geringere Verluste erlitten. Trotzdem gelang es ihnen, den fast augenblicklich vorgetragenen deutschen Gegenstoß abzuwehren und die wichtige Höhe zu behaupten. Der Schwerpunkt der Kämpfe verlagerte sich jetzt zum Stalingrader Hauptbahnhof. Dort lag ein Bataillon von Rodimzows 13. GardeSchützendivision in Stellung, seitdem es in der Nacht zum 15. September über die Wolga gekommen war. Am Morgen des 17. September wurde es von starken deutschen Infanteriekräften 94
mit etwa 20 Panzern angegriffen und aus dem Bahnhof sowie den umliegenden Gebäuden vertrieben. Die Russen gruppierten um, traten zum Gegenstoß an und eroberten den Hauptbahnhof zurück - um ihn anschließend wieder zu verlieren. So ging es im Laufe des Tages viermal hin und her, aber bei Anbruch der Dunkelheit befand das Bahnhofsgelände mit den ausgebrannten Panzern und Hunderten von Gefallenen sich wieder in sowjetischer Hand. Die Erschöpfung beider Seiten und die hereinbrechende Nacht erzwangen zunächst eine Kampfpause. In dieser Nacht verließ Tschuikow den Zarizyn-Bunker, dessen Ausgänge unter dem Störfeuer deutscher MG-Schützen der 71. Infanteriedivision lagen, um den neuen Gefechtsstand zu beziehen. Der Marsch durch die Stadt, in der deutsche MGNester und Panzer lauerten, wäre zu gefährlich gewesen. Tschuikow und sein Stab überquerten deshalb die Wolga nach Krasnaja Sloboda, fuhren zur Fähre 62 und wollten mit einem gepanzerten Motorboot zu dem neuen Gefechtsstand übersetzen. Unterwegs schlug der Politkommissar Gurow vor, sie sollten essen und ein Bad nehmen, aber während der Armeeoberbefehlshaber noch ein Glas Tee trank, ging die Nacht zu Ende - und damit ihre Chance, ans andere Ufer zurückzukommen, weil die Fähren nur nachts verkehrten. Nun folgte eine wilde Jagd zum Landungs steg, und Tschuikow gelang es, mit einem Sprung die letzte Fähre zu erreichen, die schon abgelegt hatte. Im neuen Gefechtsstand mußte er allerdings feststellen, daß mehrere seiner Stabsoffiziere auf dem Ostufer „verschwunden“ waren. So schlecht war es damals noch um die russische Kampfmoral bestellt. Der neue Gefechtsstand lag unter dem überhängenden Wolgaufer unterhalb mehrerer Öltanks. Vor ihm lagen im seichten Wasser mehrere halbversunkene Schleppkähne, auf denen Tschuikows Stab sich einrichtete, während Politkommissar und Stabschef in der Nähe in offenen Gräben 95
unterkamen. Vorerst mußten alle im Freien arbeiten, bis die von Pionieren in Angriff genommenen Unterstände fertig waren, und niemand wußte, ob die Öltanks voll oder leer waren. Im Vergleich zu dem zweckmäßig eingerichteten Zarizyn-Bunker war dies ein deutlicher Abstieg, aber der Bunker war nicht mehr „sicher“ gewesen, falls man das überhaupt von irgendeinem Punkt des Brückenkopfes sagen konnte, und der neue Gefechtsstand war zumindest zwei Kilometer von der Front entfernt. Bei Tagesanbruch griff die deutsche Luftwaffe wieder an, und die Kämpfe flammten erneut auf, aber um acht Uhr verschwanden von Richthofens Flugzeuge von der Bildfläche. Die Stalingrad-Front hatte nördlich der Stadt mit einem Erkundungsvorstoß begonnen, der jedoch bald festlief, und um 14 Uhr griffen die deutschen Flugzeuge wieder in Massen an. In der Pause zwischen den Luftangriffen bauten die Verteidiger auf dem rechten Flügel der Armee ihre Stellungen aus, und ihre Kameraden auf der Höhe 102 kamen gute 100 Meter voran. In der Frontmitte verschlechterte sich die Lage etwas: Der Hauptbahnhof, der in fünf Tagen 15mal geräumt und wiedererobert worden war, blieb am Abend des 18. September in deutscher Hand, und Tschuikow konnte keine Reserven zusammenkratzen, um ihn zurückzuerobern, denn General Rodimzows stolze 13. Garde-Schützendivision war zerschlagen. Aber sie war nicht vergebens geopfert worden; sie hatte Stalingrad am 14. September zweifellos gerettet, und noch jetzt kämpften ihre Überlebenden einzeln oder in kleinen Gruppen in den Trümmern der Stadt weiter. Durch ihren Tag und Nacht erbittert geführten Kampf veränderten sie allmählich den Charakter dieser Schlacht und verwirklichten Tschuikows Forderung, jeder deutsche Soldat müsse „das Gefühl haben, von der Mündung einer russischen Waffe bedroht zu werden“. Aber als Infanteriegroßverband existierte die 13. Garde-Schüt96
zendivision seit ihren in den ersten Kampftagen erlitte nen schwersten Verlusten nicht mehr. Südlich von Stalingrad fiel Kuporosnoje, so daß die Deutschen das Wolgaufer an einer weiteren Stelle erreichten. Dadurch war die 62. Armee noch enger eingeschlossen. Gleichzeitig wurde der Fährverkehr noch mehr behindert, und den Artillerie - und Nachschubeinheiten auf dem Ostufer drohten neue Gefahren. Die dortigen Batteriestellungen waren besonders wichtig, weil der verkleinerte Brückenkopf nicht mehr genügend Platz für Feldartillerie - und Haubitzenbataillone bot. Jeremenko mußte deshalb die zur Auffrischung aus Stalingrad herausgezogenen Einheiten auf dem Ostufer zusammenziehen, um sie im Raum Sredne-Pogromnoje und bei Gromki das Wolgaufer gegenüber den von den Deutschen besetzten Uferabschnitten verteidigen zu lassen. Die Lage der 62. Schützenarmee erschien jetzt verzweifelt, so daß Jeremenko am 19. September einen großangelegten Entlastungsvorstoß unternahm, mit dem die deutschen Stellungen im Raum Gumrak-Gorodischtsche durchbrochen und eine Verbindung zur 62. Armee hergestellt werden sollte. Tschuikows 62. Armee sollte sich mit drei Infanteriedivisionen und einer Panzerbrigade, die nach Nordwesten und Westen in Richtung Rynok und Orlowka vorstoßen sollten, an diesem Entlastungsangriff beteiligen. Der Angriff schlug fehl, Tschuikow äußerte sich später sehr kritisch über Jeremenkos Befehlsgebung: Er behauptete, das Unternehmen sei überhastet geplant worden, die beteiligten Kräfte schlecht ausgebildet und falsch verteilt gewesen, der Vorstoß sei zum falschen Zeitpunkt und gegen die noch ausgeruhte Masse der deutschen 6. Armee geführt worden und Jeremenko habe trotz der deutschen Luftüberlegenheit tagsüber angreifen lassen. Obwohl Tschuikow für die meisten Fehlentscheidungen General Gorodow, den ehemaligen Frontkommandeur, 97
verantwortlich machte, galten seine Vorwürfe auch Gorodows Vorgesetztem Jeremenko. Unbestreitbar ist, daß Tschuikow und Jeremenko viel von dem Primadonnenhaften an sich hatten, das bei erfolgreichen Generalen häufig anzutreffen ist, und daß Jeremenkos autobio graphische Schilderungen von mehreren anderen Generalen angezweifelt worden sind, aber in diesem Fall dürfte es schwierig sein, die volle Berechtigung von Tschuikows Kritik nachzuweisen. Er gibt selbst zu, daß Paulus noch nicht die ganze 6. Armee in den Kampf um Stalingrad geworfen hatte, und deutet an, der Gegenangriff der StalingradFront hätte bis dahin aufgeschoben werden müssen. Zieht man Tschuikows eigene Angaben über die Stärke seiner 62. Armee am 19. September 1942 heran, erscheint es zweifelhaft, ob sie einem Frontalangriff der 6. Armee so lange hätte widerstehen können, daß die Stalingrad-Front zu einem Gegenangriff hätte antreten können. Trotzdem steht fest, daß der Gegenangriff liegenblieb, ohne daß die 6. Armee Einheiten aus der Front vor der 62. Armee - mit Ausnahme von Flugzeugen - hätte abziehen müssen. Das beweist jedoch nur, daß der Angriff schlecht geführt wurde, denn über seine Notwendigkeit ist damit kein Urteil gefällt, und die beiden eigens für den Gegenangriff zugeführten Divisio nen (Gorischnijs und Batjuks) sollten sich als ebenso wertvoll wie zuvor Rodimzows erweisen. Die Stalingrad-Front griff am 20. September erneut an, und am 21. September um 2 Uhr teilte Jeremenko Tschuikow telefonisch mit, eine Panzerbrigade habe soeben die deutschen Stellungen durchbrochen und werde sich im Raum Orlowka mit der 62. Armee vereinigen. Der Stab der 62. Armee wartete die ganze Nacht auf diese Erfolgsmeldung, aber Jeremenkos Optimismus erwies sich als verfrüht - um vier Monate und fünf Tage. Der Südteil der Stadt befand sich jetzt zum größten Teil in deutscher Hand, aber am südlichen Stadtrand erhob sich ein 98
riesiges Gebäude: der Getreidesilo, der von etwa 30 Gardeschützen und 18 Mann „Marineinfanterie“ (nicht Seesoldaten, sondern Seeleute, die zum Wehrdienst gepreßt worden waren, als das sowjetische Oberkommando dringend Soldaten brauchte) verteidigt wurde. Die Seeleute erkämpften sich überall, wo sie eingesetzt wurden, einen hervorragenden Ruf, und die im Getreidesilo kämpfenden waren besonders zähe Kerle aus dem Eismeer, die am Abend des 17. September dorthin entsandt wurden, um die aus Gardeschützen bestehende Besatzung zu verstärken. Der Getreidesilo wurde von einem deutschen Bataillon angegriffen, und der Kampf wogte fünf Tage hin und her. Schließlich waren Teile dreier deutscher Divisionen (24. Infanteriedivision (mot.), 14. Panzerdivision, 94. Infanterie division) eingesetzt, aber der Getreidesilo wurde erst am 22. September, als kaum noch ein Verteidiger lebte und die Überlebenden kein Wasser und keine Munition mehr hatten, von den Angreifern gestürmt. Dieses Gefecht zeigte in kleinerem Maßstab, wie starke Kräfte die Deutschen würden aufwenden müssen, um ganz Stalingrad zu erobern, wenn die Stadt nur entschlossen verteidigt wurde. Aber die Erstürmung des Getreidesilos bedeutete, daß nun praktisch der ganze Südteil von Stalingrad in deutscher Hand war, obwohl auf dem Bahnhofsgelände kleinere Gruppen russischer Soldaten im Rücken der Deutschen weiterkämpften. In der Stadtmitte war die Lage kritisch. Am 21. September versuchten deutsche Truppen mit Panzerunterstützung das linke Zariza-Ufer zu gewinnen, was ihnen auch gelungen wäre, wenn die sowjetische Artille rie auf dem Ostufer der Wolga nicht schweres Sperrfeuer geschossen hätte, und am 22. September mußten Rodimzows Männer den Fährhafen auf dem Westufer räumen. Fast alle rückwärtigen Verbindungen der 62. Armee 99
waren jetzt dem deutschen Feuer ausgesetzt, und die Fähren konnten nur noch im Norden der Stadt anlegen - und auch das nur nachts. Batjuks frische Division erhielt den Auftrag, die deutschen Kräfte im Bereich des mittleren Fährhafens zu vernichten und das Zariza-Tal unter ihre Kontrolle zu bringen. Tschuikow ließ Batjuk zu sich kommen und wies ihn in die Verwendung kleiner Kampfgruppen ein, weil er nicht wußte, ob Batjuk etwa versuchen würde, wie in Friedenszeiten erheblich größere geschlossene Einheiten in den Kampf zu schicken. Aber Batjuk, der sich schon mit den Eigentümlichkeiten des Straßenkampfes in Stalingrad vertraut gemacht hatte, bevor seine Division die Wolga überschritten hatte, beruhigte seinen Oberbefehlshaber mit der Versicherung: „Ich bin hergekommen, um zu kämpfen, nicht um zu paradieren. In meinen Regimentern stehen Sibirier...“ Daraufhin ließ Tschuikow ihn gehen, damit er seinen Auftrag ausführen konnte. Innerhalb einer Stunde - am 23. September um zehn Uhr wurden Batjuks Männer in den Kampf geworfen und griffen am Wolgaufer entlang vorstoßend den Fährhafen an, während Rodimzow mit 2000 Mann Verstärkung nach Norden vorzustoßen versuchte. Aber die Deutschen waren zu gut eingegraben und konnten ihre Stellungen in zweitägigen erbitterten Kämpfen behaupten. Trotzdem konnte Paulus' 6. Armee nicht weiter in die Stadt eindringen, und am Abend des 24. September flauten die Kämpfe allmählich ab. Die 62. Armee war durch einen deutschen Keil in zwei Hälften gespalten worden, aber sie war noch längst nicht vernichtet.
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Hitler wechselt seine Mannschaft aus
Während in den Ruinen von Stalingrad um den Besitz der Stadt gekämpft wurde, hatten sich im Führerhauptquartier dramatische Ereignisse abgespielt. Auch die Offensive gegen die kaukasischen Ölfelder hatte sich kurz vor dem Ziel festgelaufen, und Hitler, der seinen Generalen nie recht traute, war auf der Suche nach Sündenböcken. Er entsandte einen der wenigen Generale, denen er vertraute, Generaloberst Jodl, den Chef des Wehrmachtsführungsstabes im OKW, ins Hauptquartier der Heeresgruppe A, um ihn feststellen zu lassen, weshalb Generalfeldmarschall List, ihr Oberbefehlshaber, nicht besser vorankam. Jodl berichtete nach seiner Rückkehr, List habe sich genau an Hit lers Befehle gehalten, aber Geländeschwierigkeiten und starker russischer Widerstand hätten seinen Vormarsch entscheidend behindert. Hitler bekam einen seiner Wutanfälle und befahl die Ablösung Jodls, aber Jodl, der der Überzeugung war, „ein Diktator dürfe aus psychologischer Notwendigkeit heraus niemals an seine eigenen Fehler erinnert werden, um sein Selbstbewußtsein zu erhalten“, verstieß nie mehr gegen sein eigenes Gebot und wurde nicht abgelöst. Aber List mußte am 10. September 1942 gehen. Ebenfalls abgelöst wurde General von Wietersheim, der Kommandeur des XIV. Panzerkorps, dem General von Schwedler, der Kommandeur des IV. Panzerkorps folgte - Wietersheim, weil er dagegen protestiert hatte, daß seine Panzer den Korridor über die Landbrücke zwischen Don und Wolga offenhalten sollten, obwohl das eine Aufgabe für die Infanterie gewesen wäre; Schwedler wegen der „defätistischen“ 101
Feststellung, die Konzentration so starker Kräfte am Ende eines Korridors mit langen, verwundbaren Flanken könne sich als sehr gefährlich für die 6. Armee erweisen. Diese Entlassungen standen jedoch im Schatten der Verabschiedung des Chefs des Generalstabs des Heeres, Generaloberst Halder, die am 24. September erfolgte. Im Generalstab des Heeres machte man sich bereits Gedanken über den bevorstehenden Winter und versuchte vorherzusagen, wo die Rote Armee zu ihrer Winteroffensive antreten würde. Da sie nach allgemeiner Überzeugung in der Frontmitte stattfinden würde, bemühten Halder und Generalfeldmarschall von Kluge, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte, sich um Verstärkungen, die jedoch wegen der sich abzeichnenden Krise im Süden nicht zur Verfügung standen. Vor der Front der Heeresgruppe Mitte wurden fast täglich neue sowjetische Divisionen festgestellt, die jeweils nur einige Tage lang eingesetzt waren und dann nach Kluges und Halders Überzeugung in der Reserve hinter der Frontmitte verschwanden. Die persönlichen Beziehungen zwischen Hitler und Halder hatten sich seit Monaten verschlechtert, und eine an sich unbedeutende Auseinandersetzung wegen dieser verschwindenden sowjetischen Divisionen eskalierte ins Maßlose, so daß Halder am 24. September 1942 abgelöst wurde. Sein Nachfolger, General der Infanterie Zeitzler, wurde vielen. besseren und ranghöheren Generalen vorgezogen; seine Stärke war Transport- und Nachschubplanung. Hitler brauchte einen Mann, der Truppen und Material dorthin bringen konnte, wo er - Hitler - sie haben wollte, und Zeitzler war der richtige Mann dafür. So schloß er sich der Clique geschmeidiger Jasager an, die allmählich OKW und OKH beherrschte, und Hitler konnte von nun an einen viel direkteren Einfluß auf die 102
Operationen des Heeres ausüben, als Halder ihm jemals gestattet hatte. Hitlers Chefadjutant, General Schmundt, wurde zum Chef des Heerespersonalamts befördert, wozu Paulus (der sich in seiner ganzen Karriere als ebensoguter Höfling wie Soldat erwies) ihm in einem Glückwunschschreiben gratulierte. Auch das sollte ungeahnt große Auswirkungen auf den Lauf der Schlacht um Stalingrad haben, denn Schmundt vertraute ihm daraufhin an, er sei als Kandidat für die Nachfolge von Jodl als Chef des Wehrmachtführungsstabes im Gespräch. Paulus wurde zu verstehen gegeben, die rasche Einnahme von Stalin grad könnte seine Chancen erheblich verbessern, so daß er sich gedrängt fühlte, über die Ruinen von Stalingrad ins Zentrum der Macht um Hitler zurückzukehren, wo er sich zweifellos wohler gefühlt hätte, weil er eher zum Stabsoffizier als zum Heerführer taugte. Die Auseinandersetzung wegen der verschwindenden sowjetischen Divisionen hatte mehr mit Stalingrad zu tun, als die Deutschen damals ahnten. Obwohl Stalins Hof durchaus so byzantinisch sein konnte wie Hitlers, herrschte in der Stawka im allgemeinen nicht die von Intrigen geschwängerte fieberhafte Atmosphäre des Führerhauptquartiers. Das manchmal erschreckend langsam reagierende sowjetische Oberkommando wurde eher durch zielbewußte Gedankenarbeit als durch hektische Aktivität charakterisiert, und Stalin mischte sich weniger als Hitler in die Operationsführung ein. Die Stawka interessierte sich, was die Berechtigung der Befürchtungen General von Schwedlers bewies, für die lange, nur ungenügend geschützte Donflanke der Deutschen, und Armeegeneral Schukow und Generaloberst Wasiljewski hatten als Vertreter des sowjetischen Oberkommandos Anfang September die russischen Brückenköpfe jenseits des Dons besucht. 103
Nach ihrer Rückkehr nach Moskau trugen sie ihre Beobachtungen auf einer Besprechung vor, bei der ein vorläufiger Plan für eine Gegenoffensive erarbeitet wurde. Im Zusammenhang mit diesem Plan tauchten dann neue sowjetische Divisionen im mittleren Frontabschnitt auf, um danach gleich wieder zu verschwinden. Sie erhielten ihre „Feuertaufe“ in verhältnismäßig ruhigen Abschnitten, um dann in die Reserve zurückgezogen zu werden, wie die Deutschen ganz richtig vermuteten. Aber diese Reserve wurde nicht im Mittelabschnitt gebildet. Statt dessen wurden die neuen Divisionen in den Raum Stalingrad verlegt, wo ein großer Umfassungsangriff geplant war, durch den die 6. Armee, die 4. Panzerarmee und möglichst große Teile der verbündeten Armeen eingekesselt und vernichtet werden sollten. Die Aufmerksamkeit der Deutschen mußte weiterhin auf Stalingrad konzentriert bleiben, was voraussetzte, daß die Stadt gehalten wurde. Stalingrad als großen Fleischwolf zu betrachten, wie es die Deutschen 1916 im Fall Verdun getan hatten und wozu Paulus bereit zu sein schien, war weder eine elegante noch angesichts des Menschenmangels der Roten Armee mögliche Lösung. Außerdem war der Brückenkopf Stalingrad jetzt so klein, daß die Versorgung starker sowjetischer Kräfte fast unlösbare Nachschubprobleme aufgeworfen hätte, und die zusammengedrängten Massen wären durch die feindliche Luftwaffe und die deutsche Infanterie, deren Kampfkraft trotz aller Schwächen ihrer oberen Führung sehr beachtlich war, entscheidend dezimiert worden. Der Entschluß, keinen Abnützungskampf zu führen, wurde deshalb nicht ganz freiwillig gefaßt, aber diese Kampfweise wäre auch auf den erbitterten Widerstand Schukows gestoßen, der im Vorjahr vor Moskau gezeigt hatte, wie man einen überlegenen Gegner in die Flucht schlagen konnte - und der dabei Frontalangriffe gegen feindliche Stützpunkte kategorisch 104
verboten hatte. Deshalb erhielt die 62. Schützenarmee nur soviel Ersatz, wie sie brauchte, um ihre Stellungen zu halten. Die große Mehrzahl der vom 1. September bis 1. November 1942 aus der Stawka -Reserve nach Süden verlegten Divisio nen kam nicht nach Stalingrad, sondern wurde in Aufmarschräumen nördlich des Donbogens bereitgestellt. Tschuikow forderte viel Ersatz an und erhielt rund zehn Divisionen, aber fast dreimal so viele - 27 Divisionen - standen in den Aufmarschräumen hinter der Stalingrad-Front bereit. Auch die Befehlsverhältnisse mußten neu geregelt werden. Jeremenko wurde von seiner Doppelaufgabe entbunden, und die Fronten erhielten verwirrende neue Bezeichnungen: Die Stalingrad-Front wurde zur Don-Front und unterstand Generalleutnant K. K. Rokossowski, während die Südostfront zur Stalingrad-Front wurde, deren Oberbefehlshaber Jeremenko blieb. Gleichzeitig wurde eine neue Heeresgruppe, die Südwestfront, unter Generalleutnant Watutin aufgestellt. Sie sollte später rechts neben Rokossowskis Don-Front eingesetzt werden, aber ihre Existenz wurde vorläufig noch geheimgehalten, während ihre Einheiten in den Bereitstellungsräumen ausgerüstet wurden und die Offensive übten. Der Erfolg des sowjetischen Plans hing von zwei Faktoren ab: Erstens mußte sich die Einschätzung der Stawka, der deutsche Angriffsschwung sei jetzt gebrochen und die Deutschen verfügten über keine strategischen Reserven, die einer russischen Offensive entge gengeworfen werden könnten, als richtig erweisen; zweitens mußten die 62. und 64. Schützenarmee weiterhin starke deutsche Verbände im Raum Stalingrad fesseln können. Das hing wiederum davon ab, ob es der 62. Armee gelang, die Stadt zu halten, denn sobald Stalingrad gefallen war, konnte die 6. Armee eigene Kräfte und 105
die Panzer der 4. Panzerarmee zum Schutz ihrer langen Nordflanke abstellen. Der russische Brückenkopf auf dem Westufer der Wolga umfaßte jetzt nur noch den Nordteil von Stalin grad mit dem Traktorenwerk, der Geschützfabrik „Barrikaden“, dem metallurgischen Werk „Roter Oktober“ und einigen kleineren Fabriken, die nördlich der Höhe 102 (Mamajew Kurgan) am Wolgaufer aufgereiht waren, und den unmittelbar westlich davon liegenden Arbeitersiedlungen. Aus zwei Motiven heraus - Hoffnung auf Beförderung und Angst vor dem bevorstehenden Winter, der sich bereits ankündigte - begann Paulus am 4. Oktober seinen bisher schwersten Angriff. Obwohl die Stimmung bei der Masse der 62. Schützenarmee gut war, gab es in einzelnen Fällen noch immer Schwierigkeiten mit der Kampfmoral der Truppe. Ende September erschienen Tschuikow die über Funk eingehenden Meldungen zweier Brigaden verdächtig, die von der Armee abgeschnitten waren und selbständig südlich der Zariza kämpften. Nachforschungen zeigten, daß Kommandeur und Stab dieses Verbandes ihre Truppe im Stich gelassen und sich auf der Wolgainsel Golodnij eingerichtet hatten, wo sie gefälschte Kampfberichte fabrizierten und ans Armeehauptquartier funkten. Tschuikow verschweigt, welche Strafe er damals für angemessen hielt, aber man kann vermuten, daß die Beteiligten an die Wand gestellt wurden. Tschuikows Eingreifen kam jedoch zu spät, denn am 26. September räumte eine der im Stich gelassenen Brigaden ihre Stellungen, forderte Fähren an und ging über die Wolga zurück. Die zweite Brigade wurde zurückgezogen, bevor sie diesem Beispiel folgen konnte, und nach Norden in den Fabrikbezirk verlegt, wo sie sich unter Führung neuer Offiziere bewährte. Durch diesen Rückzug waren jedoch deutsche Kräfte vor dem linken Flügel der 62. Armee frei geworden, die nun einen 106
erneuten Angriff auf den Mamajew Kurgan, den Angelpunkt des Südabschnitts vorbereiteten. Die Zuversicht der Deutschen erreichte jetzt ihren Höhepunkt - zumindest bei der kämpfenden Truppe. Die deutsche Luftüberlegenheit war nach wie vor erdrückend, denn obwohl weiter nördlich zwei neue sowjetische Luftflotten aufgestellt wurden, blieben diese neuen Verbände für die Gegenoffensive reserviert und wurden nicht eingesetzt, um den Gegner nicht vorzeitig zu warnen. Für den letzten entscheidenden Ansturm wurden aus Deutschland Verstärkungen herangeführt - vor allem Spezialeinheiten wie Pionier- und Flammenwerfertrupps -, und die Belagerer machten sich kaum die Mühe, die beabsichtigten neuen Angriffe zu tarnen. Manche deutsche Soldaten, vor allem die bisher noch nicht eingesetzten Einheiten, waren so selbstbewußt, daß sie zu den russischen Stellungen (die sich oft auf der gegenüberliegenden Straßenseite oder im benachbarten Gebäude befanden) hinüberriefen: „Iwan! Morgen peng-peng!“ Auf diese Weise warnten sie den bedrängten Gegner, der dann seine Abwehr organisieren konnte. Der russische Brückenkopf war jetzt so zusammengedrängt, daß fast jeder Winkel mit Handfeuerwaffen bestrichen werden konnte, so daß Bewegungen im Freien tagsüber beinahe selbstmörderisch waren. Geländegewinne und -verluste bei den Straßenkämpfen wurden in Metern gemessen, und die wirkungsvollsten Formationen waren der einzelne Scharfschütze und die Sturmgruppe mit Maschinenpistolen, Handgranaten, Molotow-Cocktails, MGs und Panzerbüchsen oder einem leichten Pakgeschütz. Da der Aufenthalt im Freien zu gefährlich gewesen wäre, gab es in Stalingrad eigentlich keine Straßenkämpfe, denn meistens wurde in den Ruinen gekämpft. Die Sturmgruppen bestanden wiederum aus Sturmtrupps mit jeweils sechs bis acht Mann. Sie 107
brachen in Gebäude ein und waren leicht mit Sturmgewehren, Handgranaten, Dolchen und Spaten bewaffnet. Sie wurden von einer Verstärkungsgruppe unterstützt, die der Sturmgruppe nach dem Eindringen Feuerschutz gab und verhinderte, daß der Gegner Verstärkungen heranführte. Zu diesem Zweck waren die Verstärkungsgruppen schwerer bewaffnet - mit schweren MGs, Granatwerfern, Panzerbüchsen oder Pakgeschützen, Brechstangen, Pickeln und Sprengladungen. Außerdem wurde eine Reservegruppe eingesetzt, um die Sturmgruppen zu unterstützen, die Flanken gegen feindliche Angriffe zu sichern und notfalls den Rückzug der Sturmund Verstärkungsgruppen zu decken. Diese hochspezia lisierten Gruppen kämpften sehr erfolgreich, und die geringe Größe der Grundeinheit, des Sturmtrupps, ermöglichte die Bildung unterschiedlich großer und wechselnd zusammengesetzter Sturmgruppen je nach Art und Umfang des Angriffsziels. In der Verteidigung wurden die Sturmgruppen so eingesetzt, daß die Panzerabwehrmittel im Erdgeschoß konzentriert waren; die MGs standen in den oberen Stockwerken, und die Infanterie hielt alle Ebenen - auch den Keller - besetzt. Dank ihrer speziellen Struktur und Taktik erwies die 62. Armee sich auch bei zahlenmäßiger Unterlegenheit im Nahkampf als überlegen, und Paulus' Vernachlässigung des Bedürfnisses nach Entwicklung solcher Methoden zeigte erneut, mit welchem Mangel an Einfallsreichtum die deutsche Führung an die Schlacht um Stalingrad heranging. Die geschickte und listige Kampfweise von Tschuikows Truppen beantworteten die Deutschen lediglich damit, daß sie immer mehr Kräfte am Ende des Korridors über die Landbrücke zwischen Don und Wolga zusammenzogen - genau dort, wo Schukow sie haben wollte. Tschuikow war es gelungen, die 62. Schützenarmee in ein Heer erstklassiger Häuserkämpfer zu verwandeln, und seine 108
Taktik, möglichst nah am Feind zu bleiben, machte sich bezahlt. In vielen der am heftigsten umkämpften Abschnitte mußte die deutsche Luftwaffe hilflos zusehen oder riskieren, bei ihren Angriffen auch eigene Truppen zu bombardieren. Aber jetzt deutete vieles darauf hin, daß ein deutscher Großangriff bevorstand. Die 62. Armee würde all ihre Geschicklichkeit und all ihren Kampfwillen benötigen. Sowjetische Aufklärungstätigkeit und die mangelhafte Tarnung der deutschen Angriffsabsichten ließen spätestens am 26. September erkennen, daß Paulus aus dem Raum Gorodischtsche-Rasguljajewka angreifen wollte, um durch die Arbeitersiedlungen der Fabriken „Barrikaden“ und „Roter Oktober“ und durch die Fabriken selbst bis zur Wolga vorzustoßen. Da Tschuikow sich darüber im klaren war, daß jeder deutsche Angriff seinen ohnehin schon beschränkten Bewegungsraum weiter einengen würde, und weil er wußte, daß Verstärkungen nach Stalingrad unterwegs waren (General Smechotworows 193. Schützendivision würde den Fluß am Abend des 27. September überqueren; am 30. September sollte General Gurtiews 308. Schützendivision eintreffen; am 3. Oktober würde General Scholudows 37. Garde Schützendivision folgen), wollte er versuchen, Paulus' Angriffsvorbereitungen zu stören. Zu diesem Zweck ließ er seine auf dem Ostufer der Wolga stehende Artillerie Sperrfeuer schießen und verstärkte seine Truppen im Nordabschnitt, wo im Augenblick nur die abgekämpfte 112. Schützendivision und eine sehr dezimierte Panzerbrigade standen. Auch die Lage am Mamajew Kurgan war wieder besorgniserregend, denn die Deutschen waren von Westen und Süden bis auf knapp 100 Meter an die Höhe 102 herangekommen. Ein energischer Gegenstoß konnte dort die Lage klären; unter Umständen brachte er sogar Paulus' Angriffsplan gegen die Fabriken durcheinander, indem die 109
Deutschen Truppen in die Stadtmitte umdirigieren mußten wobei diese Verstärkungen auf der Straße Gumrak-Stalingrad ins Feuer der sowje tischen Artillerie geraten würden. Andererseits mußte die Masse der 62. Armee in ihren Stellungen bleiben, um den Großangriff der 6. Armee abzuwehren, so daß schließlich nur die angeschlagenen Divisionen der Generale Gorischnij, Batjuk und Rodimzow eingesetzt werden konnten. Tschuikow fürchtete noch immer, seine Untergebenen könnten zu der in Friedenszeiten geübten Taktik des Angriffs mit geschlossenen Formationen zurückkehren, und hielt deshalb in seinem Angriffsbefehl (Armeebefehl Nr. 166 vom 26. September 1942) fest: „Ich warne alle Einheits- und Verbandskommandeure nochmals davor, Kampfhandlungen mit geschlossenen Formationen wie Kompanien und Bataillonen durchzuführen. Die Offensive muß in der Hauptsache mit kleinen Gruppen organisiert werden, die mit Schnellfeuerwaffen, Handgranaten, Brandflaschen und Panzerbüchsen ausgerüstet sind...“ Nach einstündiger Artillerievorbereitung trat die Infanterie am 27. September um sechs Uhr zum Sturm an, aber nach anfänglichen Erfolgen blieb der Angriff gegen acht Uhr nach Stuka-Angriffen liegen. Um 10.30 Uhr begann ein deutscher Großangriff gegen den Mamajew Kurgan und die Werkssiedlung des metallurgischen Werks „Roter Oktober“. Beteiligt waren daran drei deutsche Divisionen, die 24. Panzerdivision, die 100. Infanteriedivision und die 389. Infanteriedivision, von denen die 100. neu und die 389. aufgefrischt war. Tschuikow war Paulus nur um viereinhalb Stunden zuvorgekommen, und für die 62. Armee hatte die kritischste Phase begonnen. Die deutsche Luftwaffe bombardierte den gesamten Brückenkopf und vernichtete den Stützpunkt von Gorischnijs 110
95. Division auf dem Mamajew Kurgan. Das Armeehauptquartier unter dem überhängenden Wolga ufer war den ganzen Tag Luftangriffen ausgesetzt, und das offene Ölreservoir neben den Öltanks über Tschuikows Hauptquartier begann zu brennen und verfinsterte die Sonne mit beißend schwarzen Rauchwolken. Gegen Mittag funktionierten die Feldtelefone nur noch sporadisch, und die Funkverbindungen rissen ab. An der Front war offenbar eine Krise entstanden, aber vom Hauptquartier aus ließ sich nicht feststellen, wie schwer sie war. Die Führungsspitze der 62. Armee machte sich deshalb selbst auf den Weg, um Erkundungen einzuholen: Tschuikow bei Batjuks Division, Krylow bei Gorischnijs und Gurow bei der Panzerbrigade. Als sie zurückkamen, mußten sie feststellen, daß viele ihrer Stabsoffiziere das Hauptquartier verlassen hatten, so daß sie darauf angewiesen waren, selbst eine Lagebeurteilung zu erstellen. Aber es dauerte bis in die Nacht hinein, bevor sie sich ein vollständiges Bild von der Lage machen konnten. Im Norden hatten die Deutschen die Minenfelder überwunden, die Vorposten der 112. Schützendivision überrannt, die Verteidiger an einigen Stellen fast zwei Kilometer weit zurückgedrängt und die Werkssiedlung der Geschützfabrik „Barrikaden“ erreicht. Im Mittelabschnitt war Gorischnijs Division unter schweren Verlusten vom Mamajew Kurgan zurückgeworfen worden, und ihre Überreste hielten sich mit knapper Not auf den Nordosthängen. Noch ein Großkampftag dieser Art, dachte Tschuikow, dann liegen wir in der Wolga. Chruschtschow rief aus dem Fronthauptquartier an, und Tschuikow erklärte ihm, trotz aller Verteidigungsanstrengungen der 62. Armee gewinne die deutsche Übermacht an Menschen und Material allmählich die Oberhand, aber sein Militärrat sei dabei, einen Plan zur Vernichtung der aus dem Raum 111
Rasguljajewka nach Stalingrad vorstoßenden feindlichen Kräftegruppe auszuarbeiten und in die Tat umzusetzen. „Welche Unterstützung brauchen Sie?“ fragte Chruschtschow. „Ich will mich nicht über unsere Luftwaffe beschweren, die heldenhaft kämpft, aber der Gegner besitzt die Luftherrschaft. Die Luftwaffe ist bei diesem Angriff seine Trumpfkarte. Deshalb bitte ich um mehr Unterstützung auf diesem Gebiet!“ Chruschtschow erklärte ihm, die Front tue bereits ihr Bestes, aber er versprach Tschuikow, sich um verstärkte Luftunterstützung zu bemühen. In der Nacht zum 28. September wurden die Einheitsführer und Politkommissare in die Unterstände, Bunker und Schützengräben geschickt, um den Kampfwillen ihrer Truppe zu stärken, während zwei von Smechotworows Regimentern über die Wolga gebracht und in Stellungen am Westrand der Arbeitersiedlung des metallurgischen Werks „Roter Oktober“ eingewiesen wurden. Die russische Artillerie beschoß den Mamajew Kurgan die ganze Nacht lang, damit die Deutschen sich nicht auf Höhe 102 eingraben konnten, und für den kommenden Tag wurde ein Gegenangriff vorbereitet, den Batjuks Division und die Reste von Gorischnijs Division führen sollten. Am 28. September bei Tagesanbruch kamen die deutschen Bomber wieder und warfen alles ab, was sich nur einigermaßen dazu eignete (unter den abgeworfenen Gegenständen befand sich anscheinend keine Küchenspüle, aber mit den Bomben regnete es Eisenstücke, Pflüge, Traktorenräder und leere Kanister auf Tschuikows Männer herab). Die Luftwaffe flog pausenlos Angriffe auf russische Stellungen, die Wolgafähren und das Armeehauptquartier. Fünf der sechs für Nachschubtransporte eingesetzten Fähren wurden außer Gefecht gesetzt, das brennende Öl aus den Lagertanks erreichte den Unterstand 112
des Militärrates, und Tschuikows Koch Glinka wurde in dem Granattrichter verwundet, der ihm als Küche diente. Trotzdem glaubte Tschuikow, einen Hoffnungsschimmer entdecken zu können. Er hatte den Eindruck, die deutschen Angriffe seien schlecht koordiniert und weniger wuchtig als früher. Außerdem hatte Chruschtschow sich wie versprochen für bessere Luftunterstützung eingesetzt, und der Luftflottenchef, Generalleutnant Chrjukin, sorgte dafür, daß die 62. Armee besser als je zuvor unterstützt wurde, so daß der Gegenangriff zur Wiedergewinnung des Mamajew Kurgan mit einiger Aussicht auf Erfolg geführt werden konnte. Die Höhe 102 konnte nicht zurückgewonnen werden, aber auch die Deutschen konnten sich dort nicht halten, so daß der umkämpfte Hügel vorläufig zu einem von beiden Seiten mit Artillerie beschossenen Niemandsland wurde. Die 62. Schützenarmee hatte sich in den Kämpfen am 28. September achtbar gehalten, aber ihre Position war noch immer sehr gefährdet, so daß die Stawka von ihrem früheren Beschluß abrückte, die 62. Armee möglichst wenig zu verstärken, zumal ein Angriff auf Kuporosnoje, den die 64. Armee am 27. September geführt hatte, fehlgeschlagen war, so daß die 62. Armee weiterhin isoliert blieb. Jetzt wurden zusätzliche Truppen nach Stalingrad geworfen - allerdings keine Schützenoder Panzerdivisionen für die 62. oder 64. Armee. Statt dessen kamen vor allem MG-Bataillone und „Festungstruppen“ (nicht für den Bewegungskrieg geeignete Einheiten, die hauptsächlich aus älteren Männern bestanden), die allerdings nicht für die Stadt vorgesehen waren. Das sowjetische Oberkommando hatte befohlen, die Inseln in der Wolga und das Ostufer des Flusses zwischen SrednePogromnoje und Gromki zu befestigen. Die Artillerie auf dem Ostufer wurde umgruppiert und in die Verteidigung einbezogen; sie unterstützte jedoch weiterhin die in Stalingrad 113
kämpfende Truppe. Aus der Stawka-Reserve wurden neun MGBataillone und eine Schützendivision zum Ostufer in Marsch gesetzt. Dort entstand das Befestigte Gebiet Nr. 159 mit zwölf MG- und Artilleriebataillonen und anderen Formationen, darunter der 43. Pionierbrigade, die sofort mit der Verminung des Ostufers begann. Falls den Deutschen hier ein Durchbruch gelang, so daß sie auf dem Ostufer nach Norden vorstoßen konnten, waren die sowjetischen Divisionen in ihren Aufstellungs räumen westlich der Wolga und nördlich des Dons gefährdet. Der großartige Plan einer Einschließungsoperation wäre damit gescheitert: Die Jäger wären zu Gejagten geworden. Deshalb mußte eine Riegelstellung hinter der 62. Armee eingerichtet werden. Da die meisten Fähren außer Gefecht gesetzt waren, war es jetzt schwieriger, Soldaten und Munition über die Wolga nach Stalingrad zu schaffen, wo noch viele Verwundete lagen, die nachts nicht hatten evakuiert werden können. Auf der anderen Seite brachten die Deutschen frische Infanterie - und Panzerkräfte heran, um die Siedlung des Werks „Roter Oktober“ endlich zu nehmen, und im „OrlowkaFrontvorsprung“ auf dem rechten Flügel der 62. Armee entwickelte sich die Lage kritisch. Dieser Frontvorsprung reichte nördlich von Stalingrad sieben bis acht Kilometer weit in das deutsch besetzte Gebiet hinein und erreichte unmittelbar östlich von Orlowka seine größte Breite von etwa zwei Kilometern. Die dort eingesetzten deutschen Truppen (Teile der 16. Panzerdivision, der 60. Infanteriedivision (mot.) sowie der 100. und 389. Infanteriedivision) beschränkten sich darauf, die Nordflanke der 6. Armee gegen einen Durchbruchsversuch Jeremenkos zu sichern. Solange die Russen in dem Frontvorsprung sich ruhig verhielten, machten die Deutschen sich ihretwegen keine allzu großen Sorgen. Andererseits konnte Tschuikow keine Kräfte für 114
dramatische Aktionen in einem verhältnismä ßig abgelegenen Frontsektor einsetzen, vermied es deshalb, den Gegner dort zu provozieren, und beschränkte sich darauf, den Frontvorsprung verhältnismäßig schwach zu besetzen. Trotzdem sah Paulus in seinem Weiterbestehen eine gewisse Gefahr. Falls Jeremenko ein Durchbruch gelang, war der deutsche linke Flügel bei Lataschanka an der Wolga abgeschnitten, und falls Tschuikow eine seiner neuen Divisionen in den Frontvorsprung verlegte, war die Flanke der die Fabriken angreifenden deutschen Truppen gefährdet. Mit Beginn der Angriffe auf den Nordteil der Stadt, in dem die Fabriken lagen, wurde es Zeit für Paulus, den Frontvorsprung bei Orlowka beseitigen zu lassen. Die dort stehenden schwachen russischen Kräfte waren rasch überrannt, und angesichts von Meldungen über Konzentrationen von Panzern und Infanterie der deutschen 14. Panzerdivision und der 94. Infanteriedivision, die auf erneute Angriffe auf das Traktorenwerk und die Geschützfabrik schließen ließen, gelangte Tschuikow zu der Ansicht, die vorgeschobenen Stellungen seien nicht länger zu halten. Er zog deshalb den größten Teil von Andrjusenkos Infanteriebrigade ab, verstärkte sie durch ein Panzerjägerregiment und zwei Kompanien aus Gorochows Brigade und traf Vorbereitungen für einen Gegenangriff, der in drei Tagen gegen die Werkssiedlung der Geschützfabrik „Barrikaden“ geführt werden sollte. Gurjows 39. Garde-Schützendivision überquerte die Wolga in der Nacht zum 1. Oktober 1942. Sie besaß nur die Hälfte ihren Soll-Stärke, aber sie erwies sich als so kampfstark, daß Tschuikow sich dafür entschied, sie zwischen der Silikatfabrik und der Sujowskaja -Straße einzusetzen, um sie für den Gegenangriff auf die Werkssiedlung zur Verfügung zu haben. Am nächsten Tag kam es bei Smechotworows Division, ihrem linken Nachbar, zu einem tiefen Feindeinbruch, so daß Gefahr 115
bestand, daß die Deutschen in das metallurgische Werk „Roter Oktober“ durchbrechen würden. Deshalb wurden die Gardeschützen hinter Smechotworows Division eingesetzt, um die Fabrikgebäude in Festungen zu verwandeln. Am 1. Oktober wurde Andrjusenkos 3. Bataillon, das als einziges nicht zurückgezogen worden war, im Orlowka-Frontabschnitt eingeschlossen. Das Bataillon besaß nur 200 Schuß Gewehrmunition pro Mann und Verpflegung für zwei Tage. Trotzdem hielt es sich fünf Tage lang, und am 7. Oktober schlugen sich 120 Überlebende, die 380 Gefallene und Verwundete zurückließen, wieder zur 62. Armee durch. Die Lage der 62. Schützenarmee verschlechterte sich jetzt rasch. Smechotworows Division hatte seit ihrem Eintreffen Pech gehabt. Schon am ersten Tag hatte sie drei Regiments- und drei Bataillonskommandeure verloren und war in kaum einer Woche auf weniger als 2000 Mann zusammengeschrumpft. Zum Glück traf jenseits der Wolga bereits eine weitere Division für Stalingrad ein: Oberst Gurtjows 308. Schützendivision, die hauptsächlich aus Sibiriern bestand. In Batjuks und Rodimzows Abschnitten im Stadtzentrum konnten die stärker werdenden deutschen Angriffe gerade noch abgewehrt werden. Ein deutsches Bataillon hatte in russischen Uniformen versucht, durch eine Schlucht zur Wolga vorzustoßen, war jedoch entdeckt und vernichtet worden. Smechotworows Division wurde zurückgedrängt, die Deutschen kamen näher an das metallurgische Werk „Roter Oktober“ heran, und Tschuikows Hauptquartier wurde erneut angegriffen. Seitdem das Ölreservoir oberhalb des Armeehauptquartiers vor über einer Woche in Brand geraten war, hatte der Stab unter einer ölig-schwarzen Rauchwolke leben und arbeiten müssen, die das Hauptquartier jedoch immerhin vor deutschen Flugzeugen tarnte. 116
Am 2. Oktober beschoß und bombardierte der Gegner Tschuikows Hauptquartier energisch, wobei die Öltanks getroffen wurden, so daß sich brennendes Öl über das Armeehauptquartier, die auf Grund liegenden Schleppkähne und in die Wolga ergoß. Die Telefonleitungen gingen in Flammen auf, und die Funkgeräte arbeiteten nicht mehr einwandfrei. Da es keine Ausweichmöglichkeit gab, ließ Krylow den Stab die noch intakten Unterstände beziehen und versuchte, die Verbindung zur Truppe über Funk aufrechtzuerhalten. Die Ölbrände wüteten noch tagelang, und die Beschießung ging weiter, so daß nicht an Schlaf zu denken war, aber nach Tschuikows Darstellung empfanden er und seine Mitarbeiter vor allem General G. F. Sacharows Schikanen als störend: Jeremenkos Stabschef stellte ständig über Funk Fragen, die lediglich beweisen sollten, ob das Armeehauptquartier noch existierte. Von nun an verstärkte der deutsche Druck sich stetig. Im Norden der Stadt wurde die sowjetische Front langsam zurückgedrängt, und das metallurgische Werk „Roter Oktober, war das Ziel direkter deutscher Angriffe. Bisher hielten Tschuikows Männer sich noch, aber am 4. Oktober zeichnete sich eine neue Bedrohung ab, als russische Spähtrupps feststellten, daß hinter der fünf Kilometer langen Front zwischen der Metschetka und der nördlich davon gelegenen Höhe 107 drei deutsche Infanteriedivisionen und zwei Panzerdivisionen bereitgestellt wurden. Am Vortag hatte Tschuikow die Nachricht erhalten, daß die 37. Garde-Schützendivision (Generalleutnant Scholudow) in der kommenden Nacht mit dem Übersetzen nach Stalingrad beginnen werde. Wegen der Knappheit an Transportraum mußte sie ohne ihre Pakgeschütze über die Wolga kommen, und da der Divisionsstab aus ungeklärten Gründen nicht in dieser ersten Nacht mitfahren konnte, wurden die Regimenter dem 117
Armeehauptquartier direkt unterstellt und rechts neben Gurtjows Männern eingesetzt, um die Traktorenfabrik verteidigen zu helfen. In der nächsten Nacht wurden sie durch die leichten Panzer der 84. Panzerbrigade verstärkt - die mittelschweren Panzer konnten nicht über den Fluß gebracht werden. Da diese leichten Panzer keine Chance gegen die deutschen Pzkw III und IV hatten, wurden sie eingegraben und gaben den Verteidigern durch ihr Feuer Rückhalt. Die Verstärkungen waren gerade noch rechtzeitig eingetroffen, denn sie hatten eben erst ihre Stellungen bezogen, als am 4. Oktober der deutsche Großangriff auf die Traktorenfabrik begann, der von Teilen der 14. Panzerdivision, der 60. Infanteriedivision (mot.) und der 389. Infanteriedivision geführt wurde. Die 37. Garde-Schützendivision verteidigte sich so geschickt, daß der deutsche Angriff liegenblieb. Am 6. Oktober trat eine Kampfpause ein, weil die Deutschen ihre Truppen umgruppierten. Jeremenko, der daraus schloß, die Angreifer seien erschöpft, drängte Tschuikow, am nächsten Tag mit der 37. Garde-Schützendivision einen Gegenangriff zu führen, zu dem es jedoch nicht kam, weil die Deutschen erneut mit zwei Infanteriedivisionen und zahlreichen Panzern angriffen. Die Gardeschützen wurden langsam zurückgedrängt, aber sie ließen sich jeden Meter Raumgewinn blutig bezahlen, so daß die Angreifer an diesem Tag lediglich einen einzigen Häuserblock in der Arbeitersiedlung der Traktorenfabrik erobern konnten. Um 18 Uhr erzielten die KatjuschaRaketenwerfer mit einem Zufallstreffer einen unerwarteten Erfolg, als ein ganzes deutsches Bataillon westlich der über die Metschetka führenden Eisenbahnbrücke durch eine einzige Salve vernichtet wurde. Damit betrugen die deutschen Verluste an diesem Tag fast vier Bataillone - ein hoher Preis für einen Wohnblock. 118
Danach trat eine viertägige Kampfpause ein; aber beide Seiten waren sich darüber im klaren, daß in Zukunft noch erbitterter gekämpft werden würde. Die 62. Armee traf alle Vorbereitungen, um weitere deutsche Angriffe auf die Traktorenfabrik abwehren zu können. Jeremenko befahl einen Gegenangriff am Westrand der Arbeitersiedlung, der am 12. Oktober von der 37. Garde-Schützendivision und einem Regiment von Gorischnijs Division geführt wurde. Bezeichnend für die Spannungen zwischen den beiden wichtigsten sowjetischen Protagonisten ist es, daß Tschuikow schreibt: „Wir erwarteten keine großen Erfolge von dem Gegenangriff, hatten aber den Ein druck, daß der Frontoberbefehlshaber diesmal nicht von der 62. Armee zwecklose Angriffsoperationen verlange“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Und weshalb hielt er Jeremenkos Befehl „diesmal“ für vernünftig? Tschuikow hatte die Mitteilung erhalten, daß die 62. Armee demnächst mit gekürzten Munitionsmengen werde auskommen müssen - für einen sowjetischen General stets ein untrügliches Zeichen, daß anderswo eine Großoffensive bevorstand. Die geplante Gegenoffensive wurde streng geheimgehalten - auch Jeremenko hatte erst vor knapp zwei Wochen von dem „Plan Uranus“ erfahren -, aber dieser Hinweis war unverkennbar. Nach Stalingrader Maßstäben war der Gegenangriff recht erfolgreich, denn Scholudows Männer kamen über 300 Meter weit voran, während Gorischnijs etwa 200 Meter dazugewannen - aber dann kam ihr Angriff zum Stehen. Sie kämpften den ganzen 13. Oktober lang, ohne einen Schritt weiterzukommen, und am 14. Oktober ließ Paulus fünf Divisionen, darunter zwei Panzerdivisionen, zum Sturm auf das Traktorenwerk und die Geschützfabrik antreten. Der 14. Oktober brachte die schwerste Krise der 62. Schützenarmee. 119
Der Angreifer...
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... und der Verteidiger
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Am 27. September bombardiert die Luftwaffe das offene Ölreservoir am Wolga Ufer Die Fabriken stehen jetzt im Mittelpunkt des Angriffs
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Starke T-34-Panzerverbände werden in Zangen-Stellung gebracht. Letzter Versuch, die Stadt zu erobern: deutscher Infanterie-Angriff
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Die deutsche Luftwaffe flog fast 3000 Einsätze, während die 14. und 24. Panzerdivision, die 60. Infanteriedivision (mot.) und die 100. und 389. Infanteriedivision gegen Scholudows, Gorischnijs und Gurtjows Divisionen und die 84. Panzerbrigade anstürmten. Kurz vor Mittag gelang es den Deutschen, in Scholu dows Frontabschnitt einzubrechen: Etwa 180 Panzer ergossen sich durch die Lücke; ein Teil von ihnen griff die Traktorenfabrik an, der Rest stieß entlang der Metschetka vor, um der benachbarten 112. Schützendivision in den Rücken zu fallen. Der Kampf wogte den ganzen Tag lang unübersichtlich hin und her, aber gegen Mitternacht hatten die Deutschen die Traktorenfabrik von drei Seiten eingeschlossen und kämpften in den Werkshallen. In der näheren Umgebung der Fabrik la gen etwa 3000 deutsche Gefallene - Ostpreußen der 24. Panzerdivision und Hessen der 389. Infanteriedivision - sowie Hunderte von Scholudows Gardeschützen. In dieser Nacht evakuierten die Wolgafähren 3500 russische Verwundete - die höchste Zahl, die an irgendeinem Tag der Schlacht um Stalingrad transportiert werden mußte. Der deutsche Angriff ging am nächsten Tag weiter. Paulus warf nun auch die 305. Infanteriedivision in die Schlacht, um seine Geländegewinne am Wolgaufer nach Norden und Süden ausweiten zu können. Er war dem Erfolg sehr nahe: Die 62. Schützenarmee war durch einen Keil gespalten worden, die 24. Panzerdivision hatte am Nordrand der Traktorenfabrik das Wolgaufer erreicht, und Tschuikows Nordgruppe (drei Infanterie brigaden und die wenigen Überlebenden der 112. Division) war in dem Vorort Spartakowka eingeschlossen. Scholudows 37. Garde-Schützendivision war aus der Traktorenfabrik abgedrängt worden und kämpfte in kleinen und kleinsten Gruppen in der dazugehörigen Arbeitersiedlung weiter. 124
Auch Gorischnijs Division hatte schwere Verluste erlitten, und die deutschen Angriffsspitzen standen nur noch 350 Meter von Tschuikows Hauptquartier entfernt. Die Telefonleitungen brannten nicht nur dort, sondern auch in dem Ausweichgefechtsstand jenseits des Flusses, so daß ein völliger Ausfall der Verbindungen zur Armee und Frontartillerie auf dem Ostufer drohte. Tschuikow mußte mit der Möglichkeit rechnen, daß sein Hauptquartier diesmal zerstört werden würde, und bat Jeremenko um Erlaubnis, mehrere Abteilungen seines Stabes aufs Ostufer verlegen zu dürfen, wobei er sich verpflichtete, mit Gurow und Krylow in Stalingrad zu bleiben. Aber Jeremenko stimmte nicht zu. Das Bild des - wenn auch nur teilweise - über die Wolga zurückgehenden Armeehauptquartie rs hätte die Truppe in diesem entscheidenden Augenblick demoralisiert. Tschuikow und sein Stab blieben also, wo sie waren, und die deutschen Angriffe wurden in der Nacht zum 17. Oktober erneut zum Stehen gebracht. Scholudows und Gorischnijs Divisionen hatten am 15. Oktober 75 Prozent ihrer Stärke verloren, aber die Verluste der Angreifer waren ebenfalls so hoch, daß Paulus' Offensive sich festlief. Die 6. Armee hatte Mühe, ihre Verluste zu ersetzen: Paulus hatte bereits von der Heeresgruppe B, die selbst kaum über Reserven verfügte, und sogar beim Ersatzheer in der Heimat Ersatz anfordern müssen und konnte nun nicht mit weiteren Verstärkungen rechnen, während die Russen ihre Menschenreserven noch nicht völlig ausgeschöpft hatten. Ein Regiment von General Ljudnikows 138. Schützendivision war bereits über die Wolga nach Stalingrad gekommen. Die beiden anderen überschritten den Fluß in der Nacht zum 17. Oktober und wurden sofort als Verstärkung in den von Scholudows und Gorischnijs Divisionen gehaltenen Frontabschnitten eingesetzt. 125
Tschuikow war sich darüber im klaren, daß er keinen Frontabschnitt für längere Zeit vernachlässigen durfte. Die Deutschen zogen starke Kräfte für einen Angriff auf das metallurgische Werk „Roter Oktober“ zusammen, so daß die 62. Armee sich auf Abwehrkämpfe vorbereiten mußte. Weiterhin vermutete Tschuikow, daß Paulus beabsichtige, in dem ruhigeren Abschnitt südlich der Fabriken zur Wolga durchzubrechen, während die Masse der sowjetischen Truppen in den Fabriken kämpfe, aber in diesem Fall scheint er seinem deutschen Gegenspieler allzu viel Raffinesse zugetraut zu haben. Jeremenko hatte am 15. Oktober nicht selbst mit Tschuikow gesprochen, und da er befürchtete (er gibt keinen Grund für diese Befürchtung an, aber vermutlich basierte sie auf dem Ersuchen, Teile des Armeehauptquartiers über die Wolga zurücknehmen zu dürfen), Tschuikow sei in niedergeschlagener Stimmung (alles andere wäre ein Wunder gewesen, aber Jeremenkos - oft unangebrachter - Optimismus war berüchtigt), beschloß er, ihm einen Besuch abzustatten. Tschuikow war davon nicht sonderlich begeistert, weil er Besuche von Vorgesetzten für lästig und störend hielt, aber das Gespräch verlief in kameradschaftlicher Atmosphäre, und als Jeremenko bei Tagesanbruch abfuhr, versprach er, mehr Soldaten und Munition zu schicken. Tschuikows Laune besserte sich jedoch keineswegs, als er am nächsten Tag eine Mitteilung über eine Munitionszuteilung erhielt, die lediglich für einen einzigen Großkampftag ausreichte. Als die Zuteilung auch nach energischen Protesten nur geringfügig erhöht wurde, stand fest, daß eine wirkliche Großoffensive bevorstand. In der Nacht zum 18. Oktober verlegte die 62. Schützenarmee ihr Hauptquartier erneut - diesmal ans Wolgaufer etwa einen Kilometer südlich der Bannij-Schlucht und gleichweit vom Mamajew Kurgan entfernt. Dort blieb es 126
bis zum Ende der Schlacht um Stalingrad. Die Deutschen stießen weiter in Richtung auf das metallurgische Werk „Roter Oktober“ vor und überrannten am Spätvormittag des 18. Oktober Smechotworows rechten Flügel, so daß einige Einheiten der benachbarten Divisionen Gurtjows in Gefahr gerieten, abgeschnitten zu werden. Um das zu verhindern, befahl Tschuikow einen Rückzug um 200 bis 300 Meter, womit er zum erstenmal seit der Übernahme des Armeeoberbefehls einen Rückzugsbefehl erteilt hatte. Der 19. und 20. Oktober waren nach Stalingrader Maßstäben verhältnismäßig ruhige Tage. Die Deutschen griffen weiterhin die isolierte sowjetische Nordgruppe bei Spartakowka an und hielten ihren Druck auf die Fabriken aufrecht, ohne jedoch sichtbare Erfolge zu erzielen. Paulus erhielt keinen Ersatz mehr, konnte aber Truppen aus ruhigeren Frontabschnitten der 6. Armee in den Kampf schicken, während die 62. Armee erheblich größere Schwierigkeiten zu überwinden hatte, um Verstärkungen an die Front bringen zu können. Als durch sowjetische Aufklärung neue deutsche Truppenkonzentrationen in der Arbeitersiedlung der Geschützfabrik „Barrikaden“ festgestellt wurden, mußten die Nachschubeinheiten der 62. Armee ausgekämmt werden. Die Beschlagschmiede, Schneider, Schuhma cher, Mechaniker und Kammerunteroffiziere wurden zu Infanteriekompanien zusammengefaßt und über die Wolga nach Stalingrad geworfen. Am 21. Oktober griffen die Deutschen erneut die Geschützfabrik „Barrikaden“, das metallurgische Werk „Roter Oktober“ und die letzten Fähren der 62. Armee an, ohne jedoch erwähnenswerte Erfolge zu erzielen. Am nächsten Tag nahm die Wucht ihrer Angriffe jedoch zu, als Paulus die 79. Infanteriedivision mit Panzerunterstützung in den Kampf schickte. Gegen Abend war die russische Front bei der Geschützfabrik durchstoßen: Die Deutschen drangen über den 127
Gleisanschluß in die Fabrik ein, und eine mit Sturmgewehren ausgerüstete Kompanie der 79. Infanteriedivision hatte die Nordwestecke des Stahlwerks „Roter Oktober“ erreicht. Am nächsten Morgen wurde der Druck nochmals verstärkt, und am Spätnachmittag befanden sich zwei Drittel der Geschützfabrik in deutscher Hand, während kleine Gruppen von Angreifern mit Maschinenpistolen in die Hallen der Fabrik eingedrungen waren. Die Kräfte beider Seiten ließen rasch nach. Paulus mußte damit rechnen, alle fünf Tage eine Division zu verlieren - im Kampf um die Fabriken waren die Verluste sogar noch höher -, und konnte diesen starken Druck nicht unbegrenzt lange aufrechthalten. Andererseits war ein Keil zwischen die Verteidiger getrieben worden, die Traktorenwerke und der größte Teil der Geschützfabrik befanden sich in deutscher Hand, und um das metallurgische Werk „Roter Oktober“ wurde gekämpft, während die 37. Garde-Schützendivision und die 308. und 193. Schützendivision der 62. Armee fast nicht mehr existierten, weil sie gemeinsam nur noch wenige hundert Mann stark waren. Am 25. Oktober gingen die Angriffe gegen die Nordgruppe in Spartakowka weiter. Die Ortsmitte mußte aufgegeben werden, und Gorochows Truppen wichen an den Fluß zurück. Aber nach zweitägigen Kämpfen, in denen die Geschütze der Wolgaflotte der sowjetischen Kriegsmarine ein Blutbad unter den Angreifern anrichteten, wurde die 6. Armee zurückgedrängt. Weiter südlich sah es aus Tschuikows Sicht schlimm aus, denn Teile der deutschen 79. Division stießen zum metallurgischen Werk „Roter Oktober“ vor und erreichten den Gefechtsstand von Gurjows 39. Garde-Schützendivision, in den sie Handgranaten warfen. Tschuikow entsandte rasch eine Kompanie seiner Stabswache, die die Lage bereinigte, aber nicht ins Armeehauptquartier zurückkonnte und bei Gurjows 128
Division verbleiben mußte. Noch schlimmer war, daß am gleichen Tag, dem 27. Oktober, deutsche MG-Schützen zwischen den Fabriken „Barrikaden“ und „Roter Oktober“ auf weniger als 350 Meter an die Wolga herankamen, so daß der letzte Landungssteg, den die Fähren der 62. Armee benützen konnten, im Feuer der Deutschen lag. Zum Glück hatte eine weitere sowjetische Division Sokolows 45. Schützendivision - in der vorigen Nacht begonnen, die Wolga zu überqueren, und zwei ihrer Bataillone waren bis zum Morgen des 27. Oktober nach Stalingrad gelangt. Sie wurden zwischen den beiden Fabriken eingesetzt und hatten den Auftrag, die Deutschen vom Fluß fernzuhalten, was ihnen bis zum Abend gelang, bevor sie auf dem linken Flügel etwa 100 Meter zurückgedrückt wurden. An diesem einen Tag hatte die 45. Division die Hälfte ihrer beiden ersten Bataillone verloren, und die Anlandung ihrer restlichen Einheiten erwies sich als sehr schwierig und langwierig; sie würde noch zwei bis drei Tage dauern. Aber konnte die 62. Schützenarmee sich noch so lange behaupten? Paulus hielt jetzt neun Zehntel von Stalingrad, und jeder Quadratmeter des russischen Zehntels lag unter deutschem Feuer. Tschuikows Männer hielten lediglich den Mamajew Kurgan, einige Fabrikgebäude und einen schmalen Uferstreifen, der zwar mehrere Kilometer lang, aber nur wenige hundert Meter breit war. Unglaublicherweise konnten sie sich nicht nur behaupten, sondern sogar einen kleinen Gegenangriff mit drei zusammengeflickten Panzern führen. Die Kämpfe hielten bis zum 30. Oktober an, aber die deutschen Angriffe wurden immer schwächer. Die 62. Armee hatte sich doch als standfester erwiesen.
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„Auch auf unserer Straße wird gefeiert werden“
Die 6. Armee griff noch mehrmals an, und Tschuikow mußte noch mehrere Krisen meistern - aber keine war mehr so schlimm wie die, die seine Armee bereits überstanden hatte. Nun stand fest, daß die deutsche Offensive ihre im Frühjahr gesteckten Ziele nicht erreichen würde; der Winter würde bald einsetzen, und die Wehrmacht war durch den im Sommer geführten Abnützungskrieg schlecht auf ihn vorbereitet. Die Soldaten der 62. Schützenarmee konnten nicht wissen, daß Hitler schon am 14. Oktober die Einstellung sämtlicher Angriffsoperationen mit Ausnahme von Sta lingrad und einem kleinen Abschnitt der Kaukasus-Front befohlen hatte. Aber sie wußten - nicht offiziell, denn die Vorbereitungen für die Gegenoffensive wurden streng geheimgehalten, sondern aus „Latrinenparolen“ -, daß ein Großunternehmen bevorstand. Weitere Hinweise lieferten die gekürzten Munitionszuteilungen, die häufigen Besuche von Stawka-Beauftragten und Stalins Rede am 7. November, dem 25. Jahrestag der Oktoberrevolution, mit der geheimnisvollen Feststellung: „Auch auf unserer Straße wird gefeiert werden.“ Jeremenko teilte Tschuikow mit, die Deutschen seien dabei, ihre Offensive gegen die 62. Armee einzustellen und Truppen aus der Stadt auf die Flügel und in rückwärtige Gebiete zu verlegen. Das taten sie im Augenblick noch nicht, aber Tschuikow deutete diese Mitteilung als Aufforderung, die 6. Armee durch Störangriffe in Stalingrad festzuhalten. Schumilow trat mit seiner 64. Armee im Süden bei Beketowka 130
zu einer begrenzten Offensive an, die scheinbar dazu dienen sollte, die 62. Armee zu entsetzen, während sie in Wirklichkeit den Zweck hatte, die Aufmerksamkeit der Deutschen von den Ereignissen nördlich des Dons abzulenken. Was nördlich des Dons vorging, durfte dem Gegner allerdings nach Möglichkeit nicht bekannt werden. Die StawkaAbgesandten - Armeegeneral Schukow und Generaloberst Wasiljewski - waren Anfang November erneut im Hauptquartier der Don-Front erschienen und hatten einen neuen Besucher mitgebracht: Generaloberst N. N. Woronow, den Artillerieführer der Roten Armee. Am 3. November 1942 begann Schukow die letzte Runde von Kommandeursbesprechungen bis hinunter zu den Divisionskommandeuren - zuerst im Hauptquartier der 5. Panzerarmee der neuen Südwestfront, dann für die Kommandeure der Don-Front und schließlich für die Kommandeure des südlichen Umfassungsarms im Hauptquartier der Stalingrad-Front. Die Rote Armee plante eine Großoffensive und hatte entsprechend starke Verbände dafür bereitgestellt. Von Westen nach Osten standen am Don zwischen Weschenskaja und dem großen Donbogen sowie von dort bis Jersowka an der Wolga fünf Armeen - die 5. Panzer- und 21. Schützenarmee der Südwestfront und die 65., 24. und 66. Schützenarmee der DonFront. Im Süden hatten die verstärkte 57. und 51. Schützenarmee der Stalingrad-Front bereits die schmalen Landbrücken zwischen den dortigen Seen besetzt. Insgesamt bestanden die Offensivkräfte aus über einer Million Mann mit 13541 Geschützen und Granatwerfern, 894 Panzern und 1115 Flugzeugen. Daß die Deutschen bis zuletzt kaum etwas von ihrer Existenz wußten und die Stoßrichtung dieser Kräfte zu spät erkannten, spricht für die wirksame Geheimhaltung innerhalb der Roten Armee und die geschickten 131
Täuschungsmanöver der Russen, aber auch gegen das Urteilsvermögen der Abteilung Fremde Heere Ost im OKH, auf deren Feindlagebeurteilungen Hitler und seine Generale bauten. Diese gewaltige Streitmacht war keineswegs zu groß für den beabsichtigten Zweck. Zahlenmäßig war sie den im Angriffsraum stehenden deutschen und verbündeten Armeen sogar leicht unterlegen, denn diese Kräfte bestanden ebenfalls aus etwas über einer Million Mann mit rund 10000 Geschützen und Granatwerfern, 675 Panzern und etwa 1200 Flugzeugen, so daß die Rote Armee nur in bezug auf Artillerie und Panzer klar überlegen war. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache und um den Gegner an seiner schwächsten Stelle zu treffen, wollten Schukow und die anderen Stawka-Generale ihre Panzer, Geschütze und Flugzeuge zum Angriff gegen die rumänischen Verbände rechts und links der 6. Armee und der 4. Panzerarmee konzentrie ren - gegen die rumänische 3. Armee am Don und die rumänische 4. Armee westlich der Seen im Süden von Stalingrad. Von den beiden rumänischen Armeen war bekannt, daß sie schlecht ausgerüstet, unzufrieden (nur wenige Rumänen begriffen, was sie tief in Rußland zu suchen hatten) und oft mit den Deutschen zerstritten waren. Außerdem hatte Hitler sich wegen des Mangels an deutschen Truppen, der eine rumänische Beteiligung am Rußlandfeldzug wünschenswert gemacht hatte, der Forderung des rumänischen Staatschefs, Marschall Antonescu, beugen und die rumänischen Verbände geschlos sen einsetzen müssen - gegen den Rat seiner Generale, die ihnen „Korsettstangen“ aus deutschen Truppen einziehen wollten. Die Ausrüstung der Rumänen war beklagenswert schlecht, vor allem in bezug auf Panzer und Panzerbekämpfungsmittel, und die italienische 8. Armee, die unmittelbar westlich der rumänischen 3. Armee stand, befand sich in kaum besserer Verfassung, so daß auf wenig Unterstützung vom Flügel her zu 132
hoffen war, falls dem Feind ein Einbruch bei den Rumänen gelang. Wegen ihrer unzulänglichen Ausrüstung und ihres Mangels an Begeisterung für die gemeinsame Sache hatten die Rumänen nichts gegen die russischen Brückenköpfe auf dem westlichen Donufer bei Serafimowitsch und Kletskaja unternommen, aber sie hatten sie sorgenvoll beobachtet, wobei ihnen trotz aller sowjetischen Tarnungsversuche nicht entgangen war, daß die dort liegenden Truppen verstärkt wurden. Der rumänische Oberbefehlshaber, Generaloberst Dumitrescu, hatte mehrmals vor der von diesen Brückenköpfen ausgehenden Gefahr gewarnt, und obwohl er sich nicht dazu hatte hinreißen lassen, seine Truppen für ihre Beseitigung anzubieten, hatte er deutsche Panzer und Panzerjäger für den Frontabschnitt seiner 3. Armee angefordert. Hitler hielt die Brückenköpfe der Roten Armee westlich des Dons für nicht weiter gefährlich. Sein normaler Drang, die Russen abzuschreiben, bevor die Ereignisse diesen Schluß erlaubten, wurde durch eine im September erstellte Feindlagebeurteilung bekräftigt, die der Roten Armee „keine nennenswerten operativen Reserven“ mehr zuschrieb. Aus unserer Sicht erscheint dieses Urteil vermessen, aber als es gefällt wurde, lebten in den deutschen besetzten Gebieten der UdSSR etwa 40 Prozent der sowjetischen Gesamtbevölkerung, die Verluste der Roten Armee waren bereits höher als ihre Stärke bei Kriegsausbruch, und die Einziehung älterer Reservisten, Seeleute und sibirischer Arbeiter lieferte Grund zu der Annahme, der „russischen Dampfwalze“ gehe der Dampf aus. Trotzdem wirft die Art und Weise, wie diese Einschätzung, die auf unzulänglichen Quellen basierte und durch Vermutungen angereichert worden war, von Hitler und dem OKH zu einem Glaubensartikel erhoben wurde, ein 133
bezeichnendes Licht auf die Arbeitsmethoden im Führerhauptquartier. Obwohl Hitler die rumänischen Befürchtungen nicht sonderlich ernst nahm, erklärte er sich bereit, die angeforderten Panzer- und Panzerjägerverbände zur Verfügung zu stellen, und entsandte das XLVIII. Panzerkorps am 10. November in den Frontabschnitt der rumänischen 3. Armee. Der erste Schnee dieses Winters war bereits gefallen, als das zeitweilig aus der 4. Panzerarmee herausgelöste Korps mit Teilen der 14. Panzerdivision nach Serafimowitsch in Marsch gesetzt wurde. Das Panzerkorps bestand aus der deutschen 22. Panzerdivision und einer rumänischen Panzerdivision, die beide nicht sonderlich kampfkräftig waren. Es verfügte über zahlreiche veraltete tschechische Panzer, aber nur wenige der besseren deutschen Pzkw III und IV; sein Panzergrenadierregiment war vor einigen Monaten abkommandiert worden, und sein Sturmpionierbataillon kämpfte in Stalingrad. Das XLVIII. Panzerkorps hatte seit September untätig hinter der italienischen 8. Armee gelegen, und weil Sprit knapp war, waren viele der Panzermotoren seit zwei Monaten nicht mehr angelassen worden. Außerdem waren die Panzer eingegraben und mit Stroh und Schilf getarnt und vor Frost geschützt worden. Als die deutsche Division ihren Marschbefehl erhielt, sprangen 65 ihrer 104 Panzer nicht an, und selbst nach intensiven Bemühungen waren nur 42 zum Laufen zu bringen. Die Erklärung dafür war einfach: Das Stroh hatte Mäuse angelockt, die auch ins Innere der Fahrzeuge gelangt waren und die Isolierung der Elektrokabel angenagt hatten, so daß beim Anlassen Kurzschlüsse entstanden, die mehrere Panzer in Brand setzten. Die andere Einheit - die rumänische 1. Panzerdivision hatte nicht mit diesem Problem zu kämpfen, aber von ihren 108 134
Panzern waren 98 veraltete Pzkw 38 (t), die den sowjetischen T 34 oder KW 1 nicht standhalten konnten. Als das XLVIII. Panzerkorps von Ausfällen geplagt in den zugewiesenen Frontabschnitt einrückte, betrachteten wohl nur wenige seiner schwitzenden Soldaten diese Episode als gutes Vorzeichen für die bevorstehende Schlacht, und ihre Stimmung hätte sich erst recht nicht gebessert, wenn sie gewußt hätten, daß diese Ansammlung maroder Vehikel genau in Angriffsrichtung der sowjetischen Panzerspitzen postiert wurde: vor General P. L. Romanenkos 5. Panzerarmee, einem kampfstarken Verband mit Hunderten von T 34, dem damals besten mittelschweren Panzer der Welt. Der November 1942 begann schlecht für die Deutschen. Am 4. November begann Rommels Afrikakorps seinen langen Rückzug nach Tripolis, und am 8. November landeten die Anglo-Amerikaner in Französisch-Nordafrika. Hitler hie lt es für erforderlich, Restfrankreich zu besetzen, wofür Truppen benötigt wurden, die notfalls an der Ostfront, an die noch so viele deutsche Divisionen aus Westeuropa verlegt werden sollten, hätten eingesetzt werden können. Auf dem Höhepunkt der dadurch entstandenen Krise und während die Heeresgruppe B allmählich erfaßte, in welcher Gefahr sie schwebte, verließ Hitler das Führerhauptquartier in Winniza, um am 8. November, dem Vorabend des Jahrestages des Bürgerbräu-Putsches vom 9. November 1923, im Münchner Bürgerbräukeller zu sprechen. Was waren die Katastrophe in Nordafrika und die kritische Lage an der Ostfront im Vergleich mit der Gelegenheit, alte Erinnerungen aufzuwärmen und eine irreführende Rede über die deutschen Erfolge unter seiner Führung zu halten, in der er den Alten Kämpfern verkünden konnte, Stalingrad sei „fest in deutscher Hand“? In Stalingrad stand Tschuikow unterdessen vor einem neuen Problem - dem Eisgang auf der Wolga. Da der Strom dort schon 135
sehr breit ist und zudem verhältnismäßig weit südlich liegt, kann es Wochen oder gar Monate dauern, bis er zufriert. Sobald die Temperaturen auf -15 Grad Celsius fallen, treiben gewaltige Eismassen die Wolga hinunter und machen sie völlig unpassierbar; erst wenn die Temperaturen noch weiter sinken, frieren die Eisschollen zu einer geschlossenen Eisdecke zusammen, über die dann sogar Kraftfahrzeuge fahren können. Das Eis war jetzt in Bewegung, und Tschuikow fürchtete, Paulus könnte zu einer weiteren Offensive antreten, solange die Nachschubtransporte der 62. Armee auf diese Weise behindert seien. Deshalb hatte er sein Möglichstes getan, um die letzten Tage, in denen die Wolga schiffbar war, auszunützen und bescheidene Vorräte anzulegen. Für diese Transporte hatte Tschuikow strikte Prioritäten festgelegt: zuerst Soldaten und Munition, dann Verpflegung und zuletzt Winterbekleidung. Irgendwie gelang es Tschuikow jedoch nicht, dem Nachschubdienst klarzumachen, daß ein frierender, hungriger Soldat mit Munition besser war als ein warm gekle ideter, gutgenährter Soldat ohne Munition. Der stellvertretende Nachschubführer der Roten Armee, General Winogradow, der die Versorgung vom Ostufer aus leitete, setzte eigene Prioritäten und überschwemmte die 62. Armee mit Wintermützen und Filzstiefeln, bis ihre Lager von Bekleidung und Verpflegung überquollen. Tschuikow mußte sich schließlich hilfesuchend an Chruschtschow wenden, damit Winogradow abgelöst wurde, und die 62. Armee machte sich daran, möglichst viel Munition zu erbetteln, zu entleihen oder zu stehlen. Ehemalige Seeleute und Fischer aus ihren Reihen bauten Boote und Flöße, mit denen die herkömmlichen Transportmittel ergänzt wurden, solange die Wolga schiffbar blieb. Auch Verpflegung wurde nach Stalingrad gebracht, und Tschuikow sammelte einen Notvorrat von zwölf Tonnen 136
Schokolade an, von dem seine Armee notfalls ein bis zwei Wochen leben konnte. Spähtrupps bestätigten, daß Paulus seine Verbände erneut umgruppierte, um Stalingrad mit einer letzten Kraftanstrengung doch noch zu nehmen. Dazu brachte er die letzte bisher noch nicht eingesetzte Division der 6. Armee - die 44. Infanteriedivision - in die Stadt. Die deutsche Offensive stand allem Anschein nach unmittelbar bevor, und Tschuikows Befürchtung, daß Paulus losschlagen würde, sobald die Schiffahrt auf der Wolga eingestellt werden mußte, erwies sich als völlig gerechtfertigt. Am 11. November 1942 um 6.30 Uhr trat die 6. Armee zu ihrem letzten Sturm auf Stalingrad an. Paulus setzte dafür sieben Divisionen (14. und 24. Panzerdivision, 100. Jägerdivision und 44., 79., 305. und 389. Infanteriedivision) sowie Teile der 161. und 294. Infanteriedivision ein, die mit Flugzeugen aus Rossosch und Millerowo herantransportiert worden waren. Sie griffen auf einer fünf Kilometer breiten Front zwischen Wolchowstrojewskaja -Straße und BannijSchlucht an und bewiesen erstaunlichen Elan, wenn man berücksichtigte, daß sie alle in den Kämpfen der vergangenen Wochen hohe Verluste erlitten hatten. Tschuikows 62. Armee verteidigte sich offensiv, und die abgeschnittene Nordgruppe unter Befehl von Oberst Gorochow versuchte, den deutschen Angriffsdruck durch einen Gegenstoß von der Eisenbahnbrücke über die Metschetka-Mündung in Richtung Traktorenfabrik zu vermindern. Nach fünfstündigen erbitterten Nahkämpfen, die in Stalingrad die Regel geworden waren, setzte Paulus seine taktische Reserve ein, überrannte den rechten Flügel von Gorischnijs 95. Division und erreichte auf dem Gelände der Geschützfabrik „Roter Oktober“ auf einem gut einen halben Kilometer breiten Streifen die Wolga. Ljudnikows 138. 137
Schützendivision war jetzt von der 62. Armee abgeschnitten, die dadurch in drei Teile aufgespalten war: Gorochows Nordgruppe in Spartakowka, Ljudnikows Division an der Wolga nördlich der Geschützfabrik und die Masse der Armee südlich der Einbruchstelle bis zum Mamajew Kurgan. Aber diesmal fehlte die Spannung, die sonst an kritischen Tagen die 62. Armee beherrscht hatte, denn die Verteidiger wußten, daß dies Paulus' letzte Kraftanstrengung war, und obwohl es zu schweren Kämpfen kam, war die Unterstützung der Angreifer durch ihre Luftwaffe nicht mehr so wirkungsvoll wie im Oktober, weil Richthofens Piloten statt 3000 Einsätzen pro Tag nur noch etwa ein Drittel dieser Zahl flogen. In den Kämpfen am 11. und 12. November waren die sowjetischen Verluste sehr hoch (das 118. GardeSchützenregiment war bei Angriffsbeginn 250 Mann stark und verlor in den ersten fünfeinhalb Stunden 244 Mann), aber diesmal wußten alle, daß die Wende unmittelbar bevorstand. Tatsächlich lief der deutsche Angriff sich am Abend des 12. November fest, obwohl nach wie vor erbittert gekämpft wurde und die Lage von Ljudnikows Division äußerst kritisch blieb. Tschuikow verlegte sich darauf, ihm über Funk mitzuteilen, daß Verstärkungen in Marsch gesetzt seien. Das war ein reiner Bluff, der für die deutschen Horchstellen bestimmt war, denn Tschuikow konnte im Augenblick keinen Mann entbehren, und Ljudnikows Division würde sich selbst retten müssen, indem sie von Gebäude zu Gebäude zurückging, bis die eigenen Linien wieder erreicht waren. Nun setzten überall in Stalingrad Gegenangriffe der 62. Schützenarmee ein: Block für Block, Haus für Haus, Zimmer für Zimmer. Dabei wendete sich das Blatt fast unmerklich. Am Abend des 18. November waren Tschuikow und seine Stabsoffiziere zu einer ziemlich trübseligen Besprechung in ihrem Unterstand versammelt. Sie machten sich Sorgen wegen 138
der schwindenden Mannschaftsstärken, weil Jeremenko sein Versprechen, der 62. Armee frisch eingezogene Truppen zur Verfügung zu stellen, nicht gehalten hatte. Das Telefon klingelte. Das Fronthauptquartier rief an: „In Kürze wird ein Befehl durchgegeben. Halten Sie sich zum Mitschreiben bereit.“ Sie sahen sich fragend an. Um welchen Befehl konnte es sich handeln? Plötzlich schlug Gurow, das politische „Mitglied des Militärrats“, sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich hab's! Das ist der Befehl für die große Gegenoffensive!“ Er hatte recht. Die Südwest- und die Don-Front würden am kommenden Morgen aus dem Raum Kletskaja angreifen und zu der großen Donbrücke bei Kalatsch vorstoßen. Die StalingradFront sollte am 20. November aus dem Raum Raigorod zum Angriff in Richtung Kalatsch antreten, und die 62. Armee erhielt den Auftrag, die deutschen Kräfte in Stalingrad durch Gegenangriffe zu binden, damit sie nicht in gefährdete Frontabschnitte verlegt werden konnten. Schukow hatte seine Falle geschickt aufgebaut. Jetzt war er dabei, sie zuschnappen zu lassen.
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Schukows Falle schnappt zu
Für die Deutschen der 6. Armee und der 4. Panzerarmee begann der 19. November 1942 wie viele andere Tage in letzter Zeit. Vor ihnen lag die mit großen Eisschollen bedeckte Wolga, und hinter ihnen ragten die stehengebliebenen Kamine der Stalingrader Vorstädte wie ankla gend erhobene Finger zum Himmel auf. Als es hell wurde, kam es zu den gewohnten Schußwechseln. Der Morgen war neblig, so daß weder die eigene noch die sowjetische Luftwaffe in die Kämpfe eingriffen. Am Tag zuvor hatten sie erneut angegriffen, aber der Schwung der Vorwoche war dahin. Es sah so aus, als würden sie den ganzen Winter damit verbringen, sich Zentimeter für Zentimeter gegen die zähen Iwans in Tschuikows Sturmgruppen voranzukämpfen ein stumpfsinniges Geschäft im Vergleich zu dem Bewegungskrieg im vergangenen Sommer. Sie konnten nicht ahnen, daß der Bewegungskrieg 110 Kilometer nordwestlich von ihnen erneut begonnen hatte. Ab 7.30 Uhr beschossen Woronows Geschütze und Granatwerfer insgesamt 3500 Rohre - 80 Minuten lang die Stellungen der rumänischen 3. Armee. Dann wurde das Feuer nach hinten verlegt, und aus dem Nebel stürmte sowjetische Infanterie in mehreren Angriffswellen gegen die verwirrten Rumänen an und wurde dabei von über 200 T 34 der 5. Panzerarmee begleitet, die den linken Flügel der Rumänen durchstießen, während das 4. Panzerkorps von Tschistjakows 21. Schützenarmee den rechten Flügel angriff. Anfangs schienen die Rumänen ihre Stellungen halten zu können, aber die T 34 brachen bald durch. 140
Gemischte Panzer- und Kavallerieverbände stießen ins rückwärtige Gebiet der 3. Armee vor, zerschossen Stabsquartiere, zersprengten Reserveeinheiten, bevor sie nach vorn gebracht werden konnten, und verhinderten einen geordneten Rückzug der in vorderster Front kämpfenden Truppen. Der rumänische Widerstand brach zusammen. Die Divisionen lösten sich auf und fluteten in panischer Flucht nach hinten. Die sowjetische Infanterie marschierte unbeirrbar weiter und brachte mitleiderregende Gruppen rumänischer Gefangener ein, während die Panzerkräfte sich sammelten, um ihre nächsten Aufträge auszuführen. Das 1. Panzerkorps sollte nach Südosten zum Don vorstoßen, Angriffsziel für das 26. Panzerkorps war Kalatsch mit der großen Donbrücke, und das 4. Panzerkorps würde in Richtung Golubinski angreifen. Ihre Stoßrichtung führte in den Rücken der 6. Armee, und zwischen ihnen und ihren Angriffszielen stand lediglich das unzulänglich ausgerüstete XLVIII. Panzerkorps mit seinen von Mäusen angeknabberten Panzern. Es wurde anfangs nach Nordosten in Marsch gesetzt, um das russische 4. Panzerkorps aufzuhalten, erhielt dann aber den Befehl, umzukehren und nach Nordwesten zu marschieren, denn von dort griff eine viel größere und gefährlichere Streitmacht an: das 1. und 26. Panzerkorps der 5. Panzerarmee. Das XLVIII. Panzerkorps tat sein Bestes, aber die Mäuse hatten zu gründliche Arbeit geleistet, und die deutschen Panzerbesatzungen hatten mit einer weiteren Schwierigkeit zu kämpfen: Sie hatten keine Schneestollen an ihren Panzerketten, so daß die bewegungsfähigen Fahrzeuge fast unlenkbar über die verschneite Steppe rutschten. Trotzdem gelang es ihnen, sich Romanenkos Panzern in den Weg zu stellen und einige von ihnen abzuschießen, aber die 5. Panzerarmee war ihnen zehnfach überlegen und hatte es eilig. Sie wich nach rechts und links 141
um das Hindernis aus, nahm den Verlust von zehn Prozent ihrer Panzer als unvermeidbar hin und rasselte nach Südosten davon, ohne sich aufhalten zu lassen. Am 20. November bei Tagesanbruch erreichte das 26. Panzerkorps das Dorf Perelasowski und zerstörte das Hauptquartier des rumänischen V. Armeekorps. Die 5. Panzerarmee hatte vier Tage Zeit für den Vorstoß nach Kalatsch - und hatte bereits über ein Drittel der Strecke dorthin zurückgelegt. Bei Tagesanbruch am 20. November sollte auch Jeremenkos Vorstoß beginnen: aus Süden in Richtung Kalatsch mit der 51. Armee und aus Südosten in den Rücken der in Stalingrad stehenden deutschen 6. Armee mit der 57. Armee. Auch hier würden die sowjetischen Angriffsspitzen in die von Rumänen gehaltenen Frontabschnitte hineinstoßen. Jeremenko befehligte die kleinere Streitmacht - zwei Armeen im Gegensatz zu den im Norden eingesetzten fünf Armeen - und hatte nicht den Oberbefehl über die nördliche Heeresgruppe erhalten, von dem er in Moskau geträumt hatte, aber er befehligte immerhin eine Großoffensive, und wie er später schrieb, „gab es nichts Angenehmeres für alle, die die Bitterkeit des Rückzuges und die blutigen Mühen einer viele Monate dauernden Verteidigung kennengelernt hatten“. Jeremenkos Offensive wurde ebenfalls von zwei Angriffsspitzen vorgetragen. Auf dem rechten Flügel sollten Teile der 64. und 57. Schützenarmee mit sechs Divisionen in die Flanke der 6. Armee hineinstoßen; sobald ihnen der Einbruch gelungen war, würde das 13. Schnelle Korps zu dem Fluß Tscherwlenaja vorstoßen, um die in Stalingrad eingesetzten deutschen Truppen abzuschneiden. Auf dem linken Flügel sollte die 51. Schützenarmee eine Lücke freikämpfen, durch die das 4. Schnelle Korps und das 4. Kavalleriekorps nach Sowetski und Kalatsch vorstoßen konnten, um den Einschlie ßungsring um die Masse der Heeresgruppe B zu schlie ßen. Jeremenko gegenüber lag das Vl. 142
Armeekorps der rumänischen 4. Armee: vier Infanterie - und Kavallerie divisionen, die durch die deutsche 24. Infanteriedivision (mot.) verstärkt wurden. Auch hier herrschte dichter Nebel, und der für acht Uhr vorgesehene Angriff mußte zunächst auf neun Uhr und später auf zehn Uhr verschoben werden. Dann löste sich der Nebel auf, und um zehn Uhr gaben Katjuscha-Salven das Signa l zur Artillerievorbereitung der Offensive. Bis 15 Uhr waren die rumänisch-deutschen Stellungen auf ganzer Linie durchbrochen, und die Schnellen Truppen verschwanden mit Höchstgeschwindigkeit am Horizont. Der Schlüssel zum Erfolg der Operation lag natürlich in dem Vorstoß der sowjetischen Panzer- und Kavalleriekorps nach Kalatsch. Aber mit diesen Kräften ließ sich der Einschließungsring nur provisorisch schließen; wirklich einkesseln konnten den Gegner nur starke Infanterieverbände. Aus diesem Grund sah der sowjetische Angriffsplan im Nordsektor, wo Schukow persönlich den Oberbefehl übernommen hatte, eine Anzahl von Sekundärangriffen vor, mit denen die Verteidiger weiter aufgesplittert werden sollten, während andere dazu dienten, eine „äußere Einschließungsfront“ zu schaffen, die deutsche Entsatzversuche abwehren konnte. Während Romanenkos Panzerkorps nach Südosten in Richtung Kalatsch vorstießen, marschierte seine Infanterie nach Südwesten und Süden, um das Ostufer des Flusses Tschir zu erreichen. Gleichzeitig nagelten die 65. und 24. Armee von Rokossowskis Don-Front die deutschen Divisionen im kleinen Donbogen fest, während die verbleibende 66. Armee die Nordflanke der 6. Armee auf der Landbrücke zwischen Don und Wolga angriff. Die deutsche Heeresgruppe B hatte geahnt, daß sich entlang ihrer Nordflanke etwas zusammenbraute, aber Jeremenkos Angriff südlich von Stalingrad war eine völlige Überraschung. 143
Der einzige größere deutsche Verband im Südraum war die 29. Infanteriedivision (mot.) unter Befehl von Generalmajor Leyser. Sie litt anfangs wie das XLVIII. Panzerkorps im Norden unter widersprüchlichen Befehlen und wurde von zurückge henden Rumänen behindert, aber in ihre Panzer waren zumindest keine Mäuse gekommen. Am Morgen des 20. November entsandte Generaloberst Hoth, der Oberbefehlshaber der 4. Panzerarmee, die Division nach Norden, um sie den Einbruch von Teilen der sowjetischen 57. und 64. Armee abriegeln zu lassen. Tatsächlich gelang es ihr, das sowjetische 13. Schnelle Korps aufzuhalten und zurückzuschlagen, so daß der feindliche Vormarsch vorläufig zum Stehen kam. Während dieser Kämpfe erhielt Hoth die Nachricht, die rumänische Front sei weiter südlich von der sowjetischen 51. Armee durchbrochen worden, und traf Vorbereitungen, die Division dorthin zu entsenden, um sie auch diesen Einbruch abriegeln zu lassen. Inzwischen hatte der kommandierende General des sowjetischen 4. Schnellen Korps von dem schweren Rückschlag erfahren, den die eigenen Kräfte weiter nördlich erlitten hatten, und machte im Raum Seti halt, weil er glaubte, dort zur Verteidigung übergehen zu müssen. Da sein Korps den südlichen der nach Kalatsch zielenden Umfassungsarme bildete, bestand die Gefahr, daß die ganze Offensive liegenblieb. Tatsächlich wurde die 24. Infanteriedivision (mot.) jedoch in den Raum Stalingrad zurückbeordert, um die dortige Südflanke verteidigen zu helfen, weil die russische Offensive trotz des zeitweiligen Rückschlags, den das 13. Schnelle Korps erlitten hatte, wieder in Gang gekommen war. Jeremenko stand jetzt nur noch vor dem Problem, das 4. Schnelle Korps wieder voranzubringen. Er löste es, indem er einen Stabsoffizier mit dem Flugzeug zu General Wolski, dem Korpskommandeur, schickte und ihm die „kategorische Forderung“ überbringen ließ, seinen Auftrag auszuführen. 144
Wolski gehorchte und machte keine Schwierigkeiten mehr: Er setzte seinen Vormarsch am 22. November fort und erreichte Kalatsch 24 Stunden später. Sein Korps hielt sich so gut, daß es zum „Garde“-Panzerkorps aufstieg. Die langsame Reaktion der Deutschen auf diese Umwälzungen an den Flanken der 6. Armee verlangt eine Erklärung, denn das deutsche Heer war zu Recht auf seine hervorragende Stabsarbeit und seine rasche Reaktionsfähigkeit in Krisensituationen stolz. Den ganzen Herbst über hatte die 6. Armee leichtsinnigerweise einen immer größeren Teil ihrer Kräfte in Stalingrad konzentriert und die sowjetische Fähigkeit, diese Tatsache auszunützen, unterschätzt. Da das Dritte Reich in diesem Monat bereits auf anderen Kriegsschauplätzen Krisen erlebt hatte, hätten seine Führer eigentlich auf ihren Posten sein und Tag und Nacht arbeiten müssen, um Lösungen für alle diese plötzlich aufgetauchten Probleme zu finden. Aber dort waren sie keineswegs! Hitler war nach der Münchner Jahresfeier auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden gefahren. Das Wehrmachtsführungsamt war dort in provisorischen Unterkünften am Ortsrand untergebracht, und die Operationsabteilung des OKW stand mit ihrem Sonderzug auf dem nahe gelegenen Salzburger Hauptbahnhof, während das Oberkommando des Heeres (OKH) sich weit über 1000 Kilometer entfernt in den ostpreußischen Wäldern bei Angerburg befand. Auch das Oberkommando der Luftwaffe (OKL) befand sich dort, obwohl wie üblich niemand genau wußte, wo der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Reichsmarschall Hermann Göring, steckte (wie sich dann herausstellte, war er gerade in Paris). Noch schwieriger wurde alles durch die Tatsache, daß auch das Hauptquartier der 6. Armee sich auf dem Umzug befand. Bis zur Eröffnung der sowjetischen Gegenoffensive war es in Golubinski, westlich des Dons, untergebracht gewesen, aber es sollte in feste Gebäude in 145
Nischne-Tschirskaja umziehen - etwa 65 Kilometer flußabwärts, wo der Tschir in den Don mündet. Die neuen Gebäude sollten das Hauptquartier der 6. Armee im kommenden Winter aufnehmen und verfügten über ausgezeichnete Fernmeldeverbindungen zur Heeresgruppe B sowie zu OKH und OKW. Als das Hauptquartier in Golubinski durch das Vordringen von Romanenkos Panzern und noch mehr durch den Vormarsch des vor Tschistjakows 21. Armee operierenden 4. Panzerkorps gefährdet war, wurde es deshalb am 21. November hastig geräumt. Die wilde Flucht durch die Nacht endete am Morgen des 22. November mit der Ankunft in Nischne-Tschir skaja. Paulus behauptete, er sei nach Nischne-Tschirskaja ausgewichen, um die dortigen ausgezeichneten Fernmeldeverbindungen zu nützen und sich ein Bild von der Lage zu verschaffen, bevor er sein Hauptquartier in den entstehenden Kessel zurückverlegte, aber Hitler vermutete, er wolle seine Armee im Stich lassen, und wies ihn an, sein Hauptquartier sofort auf den Flugplatz von Gumrak am Nordwestrand von Stalingrad zu verlegen. Unabhängig von dem Wahrheitsgehalt solcher Vermutungen wurde die 6. Armee in den entscheidenden Tagen vom 21. bis 23. November unzulänglich geführt, während die russischen Kräfte schnell und unaufhaltsam vorstießen, um die 200 Kilometer breite Lücke zwischen den Fronten Romanenkos und Jeremenkos zu schließen. Zu einem Zeitpunkt, an dem Geschwindigkeit und Koordination lebenswichtig waren, wenn aus der drohenden Katastrophe noch etwas gerettet werden sollte, fuhren Paulus und sein Stab auf vereisten Straßen durch die Donsteppe. Es berührt eigenartig, daß Paulus seinen ganzen Stab nach Nischne-Tschirskaja mitgenommen hatte, obwohl er dort nur ein paar Telefongespräche führen wollte, aber jeder Kommandeur hat eben seine eigenen Methoden. 146
Allerdings war Paulus nicht völlig untätig gewesen. In Stalingrad hatte er auf Befehl der Heeresgruppe B alle Angriffe eingestellt und Teile der 14., 16. und 24. Panzerdivision aus der Stadt herausgezogen, um sie am Don gegen die Umfassungsarme der sowjetischen Südwest- und Don-Front einzusetzen. Am Nachmittag des 22. November flogen Paulus und der Chef seines Stabes, Generalmajor Arthur Schmidt, nach Gumrak ins neue Hauptquartier der 6. Armee. Die Ereignisse überschlugen sich jetzt fast. Die rumänische Front war überall durchbrochen, und die sowjetischen Angriffsspitzen stießen durch schneebedeckte Weiten rasch zum Don vor. Um den Einschließungsring wirklich zu schließen, mußte eine der beiden Spitzen den Fluß überqueren, denn das Eis auf dem Don war noch nicht dick genug, um Panzer und schwere Geschütze zu tragen. Es gab nur eine große Donbrücke - die bei Kalatsch -, aber die Frage war, ob sie genommen werden konnte, bevor die Deutschen sie sprengten. Ein herkömmlicher Angriff wäre sinnlos gewesen, denn die Sprengladungen waren bereits angebracht. Aussicht auf Erfolg hatte lediglich ein Handstreich, durch den die Brückenwache überrumpelt wurde. Generalleutnant Rodins 26. Panzerkorps besetzte in der Nacht zum 22. November das Dorf Ostrow. Von dort aus war Kalatsch mit Panzern in etwa drei Stunden zu erreichen, falls die Kolonne durchfahren konnte, ohne Verdacht zu erwecken. Rodin wollte wenigstens den Versuch wagen und stellte eine Kampfgruppe aus fünf Panzern, zwei Kompanien Infanterie auf Lkw's und einem Panzerspähwagen zusammen. Führer dieser Kampfgruppe war der Kommandeur der 14. Panzergrenadierbrigade, Oberstleutnant G. N. Filippow. Um drei Uhr stand die Kolonne auf der Straße Ostrow-Kalatsch marschbereit, und Filippow kletterte ins erste Fahrzeug. „Lichter an!“ befahl er. Sie wollten sich als Deutsche ausgeben. 147
Die Brückenwache würde wohl nicht damit rechnen, daß eine sowjetische Kolonne offen und mit eingeschalteten Scheinwerfern auf die Brücke zurollen könnte. Die nächsten drei Stunden waren fast unerträglich spannend, während Rodins Panzerkorps sich marschbereit machte und auf eine Meldung von Filippow wartete. Kurz vor sechs Uhr erreichte die Kampfgruppe die Brücke und teilte sich: Der zurückbleibende Teil sollte das diesseitige Ufer besetzen, sobald das Zeichen dazu gegeben wurde, während der andere Teil über die Brücke rollte und in der Dunkelheit verschwand. Wenige Minuten später stieg auf dem anderen Ufer eine Leuchtkugel hoch. Filippow und seine Männer hatten es geschafft: Die Brücke befand sich unbeschädigt in russischer Hand. Die Kampfgruppe gab sich jedoch nicht damit zufrie den, sondern versuchte auch noch, Kalatsch zu nehmen - aber das war ein zu ehrgeiziges Vorhaben für zwei Kompanien Infanterie und fünf Panzer. Die aufgeschreckten Deutschen drängten die Angreifer zurück, schlossen sie ein und bemühten sich, die Donbrücke zurückzuerobern. Filippows kleine Kampfgruppe stand stundenlang unter schwerem Druck, bis Rodins 26. Panzerkorps eintraf, um sie zu entsetzen und die Stadt zu nehmen. Während die Panzerkorps als Angriffsspitzen vorstie ßen, um den Einschließungsring zu schließen, drängte sowjetische Infanterie die im Norden eingekesselten Rumänen immer weiter zusammen. Das rumänische IV. und V. Korps - beide bei dem Dorf Raspopinskaja eingeschlossen - stellten die ersten größeren Kriegsgefangenenschübe, als der kommandierende General, Brigadegeneral Stanescu am Abend des 23. November einen Parlamentär mit weißer Fahne zu den Russen schickte, um Übergabeverhandlungen anzubieten. Nachdem zufriedenstellende Bedingungen 148
ausgehandelt waren, kapitulierten seine fünf Divisionen, und 27000 Offiziere und Mannschaften marschierten in die Gefangenschaft. Am Nachmittag des 23. November ereignete sich auch etwas viel Bedeutenderes als die Kapitulation der beiden bei Raspopinskaja eingeschlossenen rumänischen Korps, so bedeutsam dieser Erfolg den beteiligten sowjetischen Kräften auch erscheinen mochte. Um 16 Uhr sichteten die Angriffsspitzen von Wolskis 4. Schnellem Korps, die eben die Kolchosengebäude von Sowetski besetzt hatten, von Norden herankommende Panzer. Anfangs war nicht klar zu erkennen, ob das deutsche oder russische Panzer waren, aber als sie näher kamen, waren die vertrauten gedrungenen Silhouetten unverkennbar. Es handelte sich um T 34 von General Krawtschenkos 4. Panzerkorps und damit die Angriffsspitzen der über Kalatsch hinaus vorstoßenden Südwestfront. Damit war der Einschließungsring um die 6. Armee und die 4. Panzerarmee geschlossen und mußte nur noch verstärkt werden. Auch dazu wurde der entscheidende Schritt noch an diesem Tag getan, denn abends erreichten die Infanteriespitzen der 21. Armee den Don bei Kalatsch, nachdem die Stadt schon um 14 Uhr nach einem gemeinsamen Angriff zweier Panzerbrigaden Romanenkos gefallen war. Wie groß der erzielte Erfolg in Wirklichkeit war, blieb vorerst sogar der Stawka verborgen: Das sowjetische Oberkommando glaubte, der Kessel enthalte etwa 85000 Mann deutsche und rumänische Truppen, während in Wirklichkeit 22 deutsche und zwei rumänische Divisionen mit zahlreichen Sondereinheiten insgesamt etwa 330000 Mann - eingeschlossen waren. Das war der eigentliche Maßstab für die Leistung der 62. Schützenarmee: Indem sie Stalingrad gehalten hatte, hatte sie immer mehr deutsche Truppen in dieses Gebiet gezogen und die Voraussetzungen für eine Einschlie ßungsoperation historischen 149
Ausmaßes geschaffen. Sie hatte stärkstem Feinddruck widerstanden, und nun waren die Rollen umgekehrt verteilt aus den Belagerern waren Belagerte geworden, und die eingeschlossenen Deutschen, Rumänen und Kroaten würden nun alles erleiden, was die 62. Armee länger als sie erlitten hatte, und zusätzlich unter Kälte, Hunger und Hoffnungslosigkeit leiden, denn im Gegensatz zur 62. Armee verteidigten sie nicht ihre Heimat und kämpften nicht an den Ufern eines Flusses, der für die Russen ebenso geschichtsträchtig wie der Rhein für die Deutschen ist. Sie waren Soldaten einer Erobererarmee, deren Leistungsfähigkeit auf dem Bewußtsein eigener Überlegenheit basierte, wie die Ideologie ihrer politischen Führung auf einer angeblichen rassischen Überlegenheit beruhte. Disziplin und die Angst, als Gefangene in die Hände der russischen Untermenschen zu fallen, hielten die deutschen Soldaten auf ihren Posten, aber es dauerte nicht mehr lange, bis ihnen die Möglichkeit, in einem sowjetischen Gefangenenlager zu sterben, unendlich wünschenswerter erschien als die Gewißheit, sonst an Kälte, Hunger, Krankheit oder einer russischen Kugel sterben zu müssen.
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Die rote Armee hält stand
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27000 rumänische Offiziere und Soldaten marschieren in die Gefangenschaft
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„Die 6. Armee wird auch noch Ostern eisern ihre Stellung halten“
Die ersten deutschen Reaktionen auf die Einschließung waren uneinheitlich. Manche Truppenführer glaubten, Stalingrad solle am besten sofort geräumt werden, solange ein Durchbruch nach Westen noch möglich sei. Anderen widerstrebte es, die Stalingrader Stellungen aufzugeben - nicht nur wegen der hohen Verluste, mit denen sie erkämpft worden waren, sondern auch, weil die Keller und Ruinen zumindest Schutz vor dem grimmigen russischen Winter boten. Jedenfalls waren sich trotz dieser unterschiedlichen Auffassungen alle darüber einig, daß es darauf ankam, der 6. Armee Rückendeckung zu verschaffen. Das war die erste Voraussetzung für zukünftige Aktionen, denn weder Durchbruch noch Aushalten war möglich, wenn die Rote Armee die deutschen Stellungen von rückwärts aufrollte. Generaloberst Freiherr von Weichs setzte deshalb nicht alles auf eine Karte, sondern befahl der 6. Armee schon am 21. November, als sich eine Einschließung abzeichnete, „unter allen Umständen“ Stalingrad und die Wolgafront zu halten und ihren Ausbruch nach Westen vorzubereiten. Aber bevor an einen Ausbruch zu denken war, mußten zahlreiche Probleme gelöst werden - vor allem das Problem der Treibstoffversorgung. Wegen der allgemeinen Spritknappheit waren alle deutschen Verbände unterversorgt, denn der Kraftstoff ging vor allem an die im Bewegungskrieg eingesetzten Einheiten. Seit September hatten die 6. Armee und die 4. Panzerarmee keine größeren Strecken mehr zurückzulegen gehabt und deshalb geringere Treibstoffzuteilungen erhalten. 153
Auch die Munitionsbestände waren knapp, und Paulus schätzte, daß die Verpflegung seiner Armee nur für sechs Tage sichergestellt war. Am Abend des 22. November stellte er deshalb in einem Funkspruch an die Heeresgruppe B fest, er habe die Absicht, Stalingrad zu halten, was jedoch nur möglich sei, wenn es gelinge, seine Front nach Süden abzuriegeln, und wenn die Armee reichlich aus der Luft versorgt werde. Gleichzeitig bat er um Handlungsfreiheit, um nötigenfalls die Nordfront und Stalingrad räumen und ausbrechen zu können. Die Antwort kam nicht von Weichs, sondern von Hitler selbst, der jeglichen Ausbruchsversuch untersagte und hinzufügte: „Die Armee darf überzeugt sein, daß ich alles tun werde, um sie entsprechend zu versorgen und rechtzeitig zu entsetzen.“ Am Morgen des 23. November unternahm Paulus einen erneuten Vorstoß, den Weichs unterstützte, indem er das OKH auf die Unmöglichkeit einer Luftversorgung des Kessels hinwies. Noch bevor die Antwort einging, besprach Paulus sich mit seinen kommandierenden Generalen und ließ um 23.45 Uhr einen Funkspruch an Hitler absetzen, in dem er darauf hinwies, wie sehr sich die Lage seitdem Vortag verschlechtert habe. Im Süden und Südwesten zeichneten sich feindliche Einbrüche ab. „Die Armee geht in kürzester Zeit der Vernichtung entgegen, wenn nicht unter Zusammenfassung aller Kräfte der von Süden und Westen angreifende Feind vernichtend geschlagen wird. Hierzu ist die sofortige Herausnahme aller Divisionen aus Stalingrad und starker Kräfte aus der Nordfront erforderlich. Unabwendbare Folge muß dann der Durchbruch nach Südwesten sein, da Nord- und Ostfront bei derzeitiger Schwäche nicht mehr zu halten. Uns geht dann zwar zahlreiches Material verloren. Es wird aber die Mehrzahl wertvoller Kämpfer und wenigstens ein Teil des Materials erhalten ... Bitte aufgrund der Lage nochmals um Handlungs freiheit!“ 154
Hitlers Antwort traf am nächsten Morgen in Form eines Führerbefehls ein, den Paulus direkt erhielt. Darin wurde nicht nur jeglicher Ausbruchsversuch untersagt, sondern auch befohlen, daß die noch westlich des Dons stehenden Teile der 6. Armee sich nach Osten - in den Kessel hinein - zurückzuziehen hätten. Der Befehl schloß mit der Aufforderung, die gegenwärtige Wolgafront und die gegenwärtige Nordfront unter allen Umständen zu halten, und sicherte der 6. Armee zu, ihre Versorgung werde durch die Luft erfolgen. Die Frage der Luftversorgung, die bei Hitlers Überle gungen eine entscheidende Rolle spielte, ist es wert, hier näher untersucht zu werden. Wie bereits erwähnt wurde, glaubten die sowjetischen Kommandeure, etwa 85000 Deutsche und Verbündete eingeschlossen zu haben, während es in Wirklichkeit rund 330000 Mann waren. Diese Zahl wurde erst nach der Kapitulation des Kessels bekannt, und als sich die Frage der Versorgung aus der Luft stellte, waren die Deutschen sich keineswegs sicher, wieviel Mann versorgt werden mußten. Der Operations stab rechnete mit etwa 400000; der Generalquartiermeister, General der Artillerie Eduard Wagner, ging von einer Verpflegungsstärke von 300000 Mann aus. Unter diesen Umständen fand die Diskussion über die Zahl der einzusetzenden Flugzeuge in einer Atmosphäre großer Unsicherheit statt, und die schließlich festgelegten Zahlen waren nur als annähernd gültig zu betrachten. Auf der Grundlage der von General Wagner genannten Zahlen wurde festgestellt, daß die eingeschlossene 6. Armee einen Mindestbedarf von 600 Tonnen Nachschub pro Tag hatte, was etwa 300 Ju 52 der Luftwaffe entsprach. Im Grunde genommen stand von Anfang an fest, daß so viele Maschinen nicht aufzutreiben sein würden. Schon die 300 für die Luftversorgung notwendigen Flugzeuge konnten nicht zusammengezogen werden - ganz zu schweigen von Ersatzmaschinen für Ju 52, die 155
möglicherweise durch Störungen ausfielen, bei Start oder Landung auf Behelfsflugplätzen beschädigt wurden oder von sowjetischen Jägern und sowjetischer Flak abgeschossen werden würden. Dadurch erhöhte sich die Zahl der benötigten dreimotorigen Transportmaschinen auf mindestens 500. Angesichts dieser Tatsachen knüpfte Generaloberst Jeschonnek, der Chef des Generalstabs der Luftwaffe, so viele Vorbehalte an die Möglichkeit der Luftversorgung des Kessels Stalingrad, daß klar war, daß er ihre Durchführbarkeit bezweifelte. Göring setzte sich jedoch über die berechtigten Bedenken seiner Untergebenen hinweg und verpflichtete sich, indem er das tatsächlic h Mögliche mit großer Geste mißachtete, daß seine Luftwaffe die 6. Armee aus der Luft versorgen werde. Genau das wollte Hitler hören: Er befahl, Stalingrad zu halten, und hoffte, Göring werde es irgendwie gelingen, die Luftwaffe zu Wunderleistungen anzuspornen. Gleichzeitig machte Hitler sich Hoffnungen, die wiedererstarkten Russen durch überlegene deutsche Führungsarbeit zurückschlagen zu können, und entschied sich am 20. November für einen Mann, der die Lage bereinigen sollte: Generalfeldmarschall Erich von Manstein, der Eroberer der Krim, der sich im Frankreich- und Rußlandfeldzug als hervorragend begabt erwiesen hatte und jetzt im Nordabschnitt der langen deutschen Front eingesetzt war. Manstein erhielt vom OKH den Auftrag, zwischen den Heeresgruppen A und B im Donbogen die neue Heeresgruppe Don aufzustellen, die aus der 6. Armee, der 4. Panzerarmee und der rumänischen 3. Armee bestehen sollte, um die sowjetischen Angriffe zum Stehen zu bringen „und die bisher von uns gehaltenen Stellungen“ zurückzuerobern. Berücksichtigt man, daß zwei dieser drei Armeen bereits fast eingekesselt waren, während die dritte von sowjetischen Panzerkräften zerschlagen wurde, war das ein Auftrag, an dem selbst ein hochbe gabter Heerführer wie Manstein scheitern mußte. 156
Manstein und sein Stab mußten aus Witterungsgründen mit dem Zug fahren, und da die russischen Bahnstrecken (als beliebtes Ziel für Sabotageakte der immer zahlreicheren russischen Partisanen) häufig unterbrochen waren, traf er erst am 24. November im Hauptquartier der Heeresgruppe B in Starobelsk ein, wo er Weichs und seinen Chef des Stabes, General der Infanterie von Sodenstern, in apathischer Verzagtheit antraf. Er konnte nicht einmal feststellen, ob die 6. Armee seinen vor der Abreise erteilten Befehl, die Brücke bei Kalatsch unter allen Umständen zu halten, übermittelt bekommen hatte. Aber das spielte auch keine Rolle, denn die Brücke war vor zwei Tagen in russische Hand gefallen, und als Manstein Nowotscherkask erreichte, wo er sein Hauptquartier einrichten sollte, verfügte er über praktisch keine Truppen mehr. Fünf der sieben Divisionen der rumänischen 3. Armee hatten bei Raspopinskaja kapituliert, und obwohl die in Stalingrad eingeschlossenen Armeen noch existierten, war ihre Bewegungsfreihe it durch den vor zwei Tagen ergangenen Führerbefehl so eingeengt, daß Manstein nicht viel mit ihnen anfangen konnte. Noch schlimmer war, daß Schukow nicht untätig gewesen war, während Mansteins Zug durch Rußland gerollt war. Er hatte Infanterie über den Don geworfen, um zwei nach Osten und Westen gerichtete Fronten besetzen zu lassen, die einen Ausbruchsversuch der 6. Armee oder einen Entsatzversuch von außen aufhalten konnten. Sie wurden durch Massen von Artillerie, Raketenwerfer und über 1000 Pak wirkungsvoll unterstützt. Hier konnte keine brillante Improvisation helfen. Manstein brauchte Truppen, um seinen Auftrag ausführen zu können. Erschwerend wirkte sich aus, daß er annahm, die Russen hätten die Absicht, zur Südküste nach Rostow vorzustoßen, wodurch 157
auch die Heeresgruppe A abgeschnitten gewesen wäre. In Wirklichkeit erhielten Watutin und Jeremenko diesen Befehl erst in einer späteren Phase des Unternehmens, und da der Vorstoß nach Rostow als weniger wichtig als die Vernichtung der 6. Armee galt, wurden weniger Kräfte dafür bereitgestellt, so daß Jeremenko diesen Auftrag nicht ausführen konnte. So stand Manstein erst später vor dem Problem eines sowjetischen Vorstoßes nach Süden und konnte die ihm bis dahin gewährte Atempause gut nutzen. Während die Front der Heeresgruppe Don von einer bunten Mischung aus Einheiten gehalten wurde, die aus Nachschubeinheiten, Luftwaffen-Bodenpersonal und zurückkehrenden Urlaubern aufgestellt wurden, bombardierte Manstein das OKH mit Truppenanforderungen, die in den ersten Dezembertagen zumindest teilweise erfüllt wurden. Er erhielt die 11. Panzerdivision aus der OKH-Reserve, die 6. Panzerdivision aus dem Westen, die 62., 294. und 336. Infanteriedivision, zwei Luftwaffen-Felddivisionen und eine Gebirgsdivision. Auch die Überreste des XLVIII. Panzerkorps wurden in die Heeresgruppe Don eingegliedert, und als sich zeigte, daß Schukow vorerst noch keinen Großangriff über den Tschir hinweg vorhatte, sondern seine dort stehenden Kräfte nur zur Verstärkung des Einschließungsrings einsetzte, während seine sieben um Stalingrad zusammengezogenen Armeen sich daranmachten, die 6. Armee zu vernichten, hatte Manstein eine Atempause gewonnen. Die deutschen Kräfte am Tschir, die jetzt zur Armeeabteilung Hollidt (nach ihrem Oberbefehlshaber) zusammengefaßt waren, konnten sogar ihren Brückenkopf bei Nischne-Tschirskaja halten, der nur 40 Kilometer von der Westfront der 6. Armee entfernt war. In der zweiten Dezemberwoche vereitelte die 11. Panzerdivision alle sowjetischen Versuche, den Brückenkopf zu beseitigen und über den Tschir zu gelangen. Brillant geführte 158
Gegenstöße beseitigten vorerst die Gefahr eines weiteren sowjetischen Vordringens über den Tschir - allerdings verlor die 11. Panzerdivision dabei etwa die Hälfte ihrer Panzer - und verschaffte der Heeresgruppe Don die Möglichkeit, sich auf den Entsatzversuch zu konzentrie ren, während Divisionen aus dem Kaukasus, von nördlicheren Frontabschnitten, aus Polen und aus dem Westen eintrafen. Obwohl der deutsche Brückenkopf bei Nischne -Tschirskaja der eingeschlossenen 6. Armee verhältnismäßig nahe war (etwa 40 Kilometer), hatte Manstein nicht die Absicht, den Entsatzversuch dort anzusetzen, denn der Brückenkopf bot sich geradezu dafür an, und den Russen würde es leichtfallen, dort ihren Einschlie ßungsring zu verstärken. Außerdem hätte dabei der Don unter feindlichem Feuer überschritten werden müssen, so daß Manstein sich statt dessen für einen Angriff aus Südwesten entschied, obwohl dort 120 Kilometer zurückzulegen waren. In diesem Raum hatte Jeremenko weniger Truppen stehen, deren Verstärkung länger dauern würde, und statt des Dons mußten lediglich die kleineren Flüsse Aksai und Myschkowa überschritten werden. Der unter dem Decknamen „Wintergewitter“ vorbe reitete Entsatzvorstoß sah vor, daß eine Armeegruppe unter Befehl von Generaloberst Hoth und dem Stab der 4. Panzerarmee (der jetzt arbeitslos war, weil die Masse dieser Armee bei Stalingrad eingeschlossen war) geradewegs nach Stalingrad vorstoßen oder - bei stärkerem russischen Widerstand - am Ostufer des Dons nach Norden durchstoßen und den Brückenkopf bei NischneTschirskaja erreichen würde, wo sie sich mit dem XLVIII. Panzerkorps vereinigen sollte, um Stalingrad auf dem kürzesten Weg zu erreichen. Unabhängig von der je nach den Umständen zu wählenden Variante sollte die 6. Armee auf das Stichwort „Donnerschlag“ hin aus dem Stalingrader Kessel ausbrechen und der Entsatzarmee Hoth entgegenkommen. 159
Das Unternehmen „Donnerschlag“ warf zusätzliche Schwierigkeiten auf, da es äußerst unwahrscheinlich war, daß die 6. Armee ihre gegenwärtigen Stellungen halten (wozu sie durch einen Führerbefehl verpflichtet war) und der Entsatzarmee entgegenkommen können würde. In seinem Operationsbefehl ging Manstein über diese Tatsache hinweg, um Hitler nicht ausdrücklich auf sie aufmerksam zu machen. In Wirklichkeit hatte er vor, den Führer vor vollendete Tatsachen zu stellen, indem er die 6. Armee entsetzte und unmittelbar darauf aus ihrer exponierten Position zurückzog. Es dauerte einige Zeit, bis die für „Wintergewitter“ vorgesehenen Einheiten zusammengezogen waren. Das LVII. Panzerkorps kam von der Heeresgruppe A, die es nur sehr ungern abgab, und mußte sich auf schlammigen Straßen zur Verladung in Maikop durchkämpfen, weil im Süden noch kein Frostwetter herrschte. Und in Maikop standen nicht genügend Plattformwagen für seine Panzer bereit, die zum Teil - wie auch die gesamte schwere Artillerie - zurückgelassen werden mußten. Das OKW leistete hinhaltenden Widerstand, bevor es die in Reserve gehaltene 17. Panzerdivision freigab, die dann mit zehn Tagen Verspätung eintraf. Trotzdem standen schließlich 13 Divisionen, darunter die 6., 17. und 22. Panzerdivision, bereit, und Manstein, der den Entsatzvorstoß nicht länger hinausschieben konnte, gab am 12. Dezember den Angriffsbefehl. Hinter der Entsatzarmee warteten Hunderte von Lkw's, Zugmaschinen und Bus sen, die der 6. Armee 3000 Tonnen Nachschub bringen sollten, sobald Hoths Panzer den Weg nach Stalingrad freigekämpft hatten. Anfangs war der sowjetische Widerstand nur leicht. Die 51. Schützendivision bestand aus acht Divisionen, die von dem 4. Schnellen Korps unterstützt wurden, und war selbstverständlich zu schwach, um die deutsche Befreiungsoffensive aufzuhalten, obwohl sie Hoths Vor stoß zumindest zu behindern versuchte, 160
was ihr auch gelang. Diese Verzögerung war wichtig, denn der eigentliche Versuch, die Entsatzarmee Hoth aufzuhalten, sollte an der Myschkowa zwischen Werchne-Kumski und Kapinski unternommen werden, und die dafür vorgesehenen russischen Kräfte mußten erst in diesen Raum transportiert werden. Das war darauf zurückzuführen, daß weiter im Norden die zweite Phase der sowjetischen Offensive (Unternehmen „Saturn“) angelaufen war: Dort sollte eine Kampfgruppe, die von Watutins Südwestfront und General Golikows WoroneschFront (die der bisherige Vertreter Jeremenkos in Stalingrad erst vor kurzem übernommen hatte) gestellt wurde, in die italienische 8. Armee am mittleren Don einbrechen, die am Tschir stehenden deutschen Truppen vernichten und im Rücken der Heeresgruppen A und Don nach Millerowo und Rostow vorstoßen. Was Manstein befürchtete, entsprach tatsächlich den Absichten der Stawka - aber nicht in Form eines Vorstoßes von Jeremenkos Stalingrad-Front zum Don (obwohl auch diese Möglichkeit erwogen worden war). Die 2. GardeSchützenarmee war unter Befehl von General R. J. Malinowski aufgestellt worden, um an dieser Offensive teilzunehmen; sie hatte von Kalatsch aus nach Rostow und Taganrog vorstoßen sollen, aber als sich abzeichnete, daß Hoths Befreiungsoffensive ein ernsthaftes Unternehmen mit gewissen Erfolgsaussichten war, wurde beschlossen, die 2. Garde-Schützenarmee an die Myschkowa zu verlegen. Die Armee war unverbraucht, statt aus vorhergegangenen Schlachten angeschlagen zu sein, und bestand aus sechs vollen Schützendivisionen, einem Panzerkorps und Spezialeinheiten. Zu jedem der beiden Schützenkorps (mit je drei Divisionen) gehörte ein Panzerregiment, und da es sich um eine GardeSchützenarmee handelte, war sie besser mit Artillerie, MGs und Maschinenwaffen ausgestattet als andere russische Armeen. 161
Viele ihrer Mannschaften waren aus der Kriegsmarine abkommandiert worden und bildeten das solide Rückgrat ihrer Divisionen. Fraglich war nur, ob diese schlagkräftige Armee die Myschkowa vor der Entsatzarmee Hoth erreichen konnte. Da die 2. Garde-Schützenarmee nicht motorisiert war, würde die Infanterie etwa 200 Kilometer weit marschieren müssen - und das unter durch Nachtfröste und das tagsüber herrschende Tauwetter erschwerten Bedingungen. Die gemeinsame Offensive von Südwest- und WoroneschFront begann ohne die 2. Garde-Schützenarmee und wirkte sich bald auf die weiter südlich geführte Schlacht aus. Die italienische 8. Armee konnte nicht lange standhalten, und die sowjetischen Verbände drängten die Armeeabteilung Hollidt aus ihren Stellungen am östlichen Tschirufer - auch aus dem Brückenkopf bei Nischne-Tschirskaja. Das bedeutete, daß eine Unterstützung durch das XLVIII. Panzerkorps nicht mehr in Frage kam und daß Hoth keine Möglichkeit mehr hatte, auf dem Ostufer des Dons nach Norden vorzustoßen; jetzt ging es für die Entsatzarmee um alles oder nichts. Ein gewisser Ausgleich wurde dadurch erzielt, daß Manstein am 17. Dezember die 17. Panzerdivision auf dem linken Flügel der Armeegruppe Hoth einsetzte. Dadurch verfügte Manstein über erheblich mehr Panzer, als die ihm entgegengestellten sowjetischen Armeen, obwohl es riskant war, den Entsatzversuch fortzuführen, weil die Front im Nordwesten der Armeegruppe Hoth offenbar kurz vor dem Zusammenbruch stand. Mit der Aufgabe des Entsatzvorstoßes hätte man jedoch die gesamte 6. Armee aufgegeben, denn der Zusammenbruch der deutschen Front am Tschir bedrohte die Absprungflugplätze der Luftwaffe für die Versorgung des Kessels Stalingrad. Die Versorgung aus der Luft erfolgte nicht einmal entfernt mit den von Göring zugesagten Mengen, aber ohne sie hätte die 6. Armee sich nur noch wenige Tage halten 162
können, so daß der Ausbruch so rasch wie möglich gelingen musste. Eigenartigerweise ließ Paulus jetzt keine große Begeisterung mehr dafür erkennen: Er schien damit zufrieden zu sein, geduldig zu warten, bis Hoth sich zu ihm durchgekämpft hatte. Die Wahrscheinlichkeit für ein Gelingen des Entsatzvorstoßes wurde jedoch stündlich geringer, denn Teile der 2. GardeSchützenarmee trafen bereits an der Myschkowa ein, die dort stehenden sowjetischen Einheiten waren Malinowski unterstellt worden, und das 7. Panzerkorps unter Führung des energischen Panzergenerals P. A. Rotmistrow war ebenfalls eingetroffen. Rechts neben der 2. Garde-Schützenarmee marschierte ein schon angeschlagener, aber noch kampfkräftiger sowjetischer Verband auf - die 5. Stoßarmee von General M. M. Popow. Damit hatte Hoth das Wettrennen gegen die Rote Armee verloren. Die deutsche Befreiungsoffensive konnte nur noch Erfolg haben, wenn die 6. Armee aus dem Kessel ausbrach und die an der Myschkowa stehenden sowjetischen Sperrverbände von hinten aufrollte. Manstein setzte sich mit Paulus in Verbindung, der ausweichend antwortete, und wandte sich dann an Zeitzler im OKH, um zu erreichen, daß der Generalstabschef sofort die nötigen Schritte unternahm, um den Ausbruch der 6. Armee zur 4. Panzerarmee zu veranlassen - das heißt, er verlangte einen Ausbruchsbefehl für Paulus oder zumindest die Rücknahme des Führerbefehls, der die 6. Armee in Stalingrad festhielt. Als auch dieser Versuch erfolglos blieb, entschloß Manstein sich nach unzähligen vergeblichen Ferngesprächen und Funksprüchen am Abend des 18. Dezember zu einer persönlichen Intervention. Er schickte den Ic des Oberkommandos der Heeresgruppe, Major i. G. Eismann, in den Kessel, um Paulus seine Auffassungen vortragen zu lassen. 163
Eismann fuhr von Nowotscherkask zum Flugplatz Morosowskaja, startete dort kurz vor Tagesanbruch und landete um 7.50 Uhr auf dem Flugplatz von Gumrak, wo er sofort ins nahe gelegene Armeehauptquartier gebracht wurde. Nachdem er vorgetragen hatte, was aus Mansteins Sicht für einen sofortigen Ausbruch sprach, beschrieb Paulus die Schwierigkeiten dieses Unternehmens. Der Ia der Armee und ihr Generalquartiermeister schlossen sich dieser Ansicht an, unterstrichen aber persönlich, ein baldiger Ausbruch sei möglich und unbedingt erforderlich. Entscheidend für Einstellung und Haltung des Armeeoberkommandos 6 wurde jedoch die Stellungnahme des Stabschefs, Generalmajor Arthur Schmidt. Der überzeugte Nazi Schmidt erwies sich als der starke Mann im Oberkommando, der allmählich zum eigentlichen Führer der eingekesselten 6. Armee wurde. „Der Ausbruch ist zur Zeit unmöglich und würde eine katastrophale Lösung darstellen“, entschied er. „Die 6. Armee wird auch noch Ostern eisern ihre Stellung halten ... Ihr müßt sie nur besser versorgen!“ Eismann bemühte sich den ganzen Tag lang, die beiden umzustimmen, aber seine Vorstellungen blieben erfolglos, und Paulus zog sich schließlich auf den Führerbefehl zurück, der ihm die Aufgabe von Stalingrad verbot. Als Eismann am Spätabend des 19. Dezember zurückkam, spielte Manstein mit dem Gedanken, Paulus und Schmidt abzuberufen, aber die Aussichten dafür, daß OKH und Hitler diesem Vorhaben ohne lange Verhandlungen zustimmen würden, erschienen ihm so gering, daß er dieses Vorhaben aufgab. Am 20. Dezember versuchte er nochmals, Zeitzler dazu zu bewegen, Druck auszuüben, was wieder nicht gelang. Daraufhin erteilte die Heeresgruppe Don um 18 Uhr der 6. Armee und der 4. Panzerarmee den Befehl für „das baldmöglichste Antreten der 6. Armee zum Durchbruch nach 164
Südwesten“. Erster Akt: „Durchbruch einer Panzerstoßgruppe der 6. Armee ... bis zur Verbindung mit der 4. Panzerarmee, um den Geleitzug mit den erwähnten Versorgungsgütern durchzuschleusen.“ Zweiter Akt: „Unter diesen Umständen zweiter Durchbruch, der sich unmittelbar an Wintergewitter` anzuschließen hat. Auf ,Donnerschlag’ setzt die 6. Armee ihren Durchbruch bis zur Vereinigung mit der 4. Panzerarmee unter abschnittsweiser Räumung Stalingrads fort.“ Paulus' einzige Reaktion bestand darin, daß er endlose Bedenken vorbrachte. Die Umgruppierung für den Ausbruch sollte seiner Darstellung nach sechs Tage erfordern und große Gefahren im Norden und Westen des Kessels mit sich bringen. Weiterhin führte er den erheblich herabgesetzten Kräftezustand der Truppe und die durch das Abschla chten der Pferde stark herabgeminderte Beweglichkeit der Verbände an. Als Manstein diese Bedenken nicht gelten ließ, brachte Paulus den schwer widerlegbaren Einwand vor, der 6. Armee fehlten die Betriebsstoffe für die zu überwindende Entfernung von über 30 Kilometer bis zur 4. Panzerarmee (unter Umständen sogar 50 Kilometer, falls das LVII. Panzerkorps den MyschkowaAbschnitt nicht mehr wesentlich überschreiten könne). Da Paulus sich hinter technischen Schwierigkeiten verschanzte und von Zeitzler keine Unterstützung zu erwarten war, entschloß Manstein sich zu einem persönlichen Appell an Hitler. Am Nachmittag des 21. Dezember rief er Hitler an, um ihn zu veranlassen, dem Ausbruch der 6. Armee unter Aufgabe von Stalingrad zuzustimmen. Aber Hitler gab ihm immer wieder zur Antwort: „Was wollen Sie eigentlich? Paulus hat ja nur für zwanzig oder höchstens dreißig Kilometer Sprit, er kann ja - wie er selbst meldet - zur Zeit gar nicht durchbrechen!“ Damit war das Schicksal der 6. Armee besiegelt. Der Armeeoberbefehlshaber argumentierte mit Treibstoffmangel und dem Führerbefehl. Hitler weigerte sich, seinen Befehl zu 165
widerrufen, weil Paulus mit Treibstoffmangel argumentierte. So führte der Blinde den Blinden ins Verderben. An der Myschkowa war Hoth, der wie im Herbst 1941 altmodisch genug war, um der Überzeugung zu sein, die Befehle des Oberkommandos einer Heeresgruppe seien dazu da, um ausgeführt zu werden, seit einigen Tagen in erbitterte Kämpfe mit Malinowskis 2. Garde-Schützenarmee verwickelt. Seine Armeegruppe hatte den Fluß bei Nischne-Kumski überschritten und mehrere sowjetische Einheiten in Regimentsstärke eingeschlossen. Seine Männer kämpften mit der für deutsche Soldaten charakteristischen Tüchtigkeit, aber ohne große Hoffnung auf Erfolg. Ein abgefangener deutscher Kurier erklärte dem Stabschef der 2. Garde-Schützenarmee, General Birju sow: „Unsere Soldaten kommen sich wie zum Tode verurteilt vor...“ Im Zuge ihrer Befreiungsoffensive kam die Armeegruppe Hoth bis auf 35 Kilometer an die Stellungen der 6. Armee heran, und die Soldaten der belagerten Armee konnten das Mündungsfeuer der eigenen Artillerie sehen, das den Nachthimmel im Süden erhellte, und die Abschüsse hören, wenn der Wind richtig stand. So war es kein Wunder, daß sie in diesen Tagen vor Weihnachten wieder zuversichtlicher waren. Am 22. Dezember holte Hoth zu einem letzten Schlag aus und ließ über 60 seiner Panzer ein Regiment der 24. GardeSchützendivision auf Malinowskis rechtem Flügel angreifen. Das Regiment bestand hauptsächlich aus ehemaligen Matrosen der Pazifikflotte, die ihre wattierten Jacken auszogen, als wollten sie dadurch ihre Verachtung für den „milden“ Winter im europäischen Rußland demonstrieren, und bei weit unter dem Gefrierpunkt liegenden Temperaturen in ihren Matrosenwesten kämpften. Nach stundenlangem Kampf mußten Hoths Panzer sich geschlagen geben und den Rückzug antreten. Bei Einbruch der Dunkelheit faßte Malinowski in seinem 166
Gefechtsstand die Ereignisse dieses Tages zusammen: „Heute haben wir den starken Feind zum Stehen gebracht. Jetzt werden wir selbst zum Angriff übergehen!“ Am 24. Dezember trat die 2. Garde-Schützenarmee zum Angriff an. Hoth führte eine Serie hartnäckiger Rückzugsgefechte bis zu seinem Ausgangspunkt im Raum Kotelnikowo, aber bis der Rückzug zum Stehen kam, war die Armeegruppe weitere 100 Kilometer zurückgeworfen worden. Die Soldaten an der Südfront der 6. Armee sahen das Mündungsfeuer am Nachthimmel Nacht für Nacht weiter zurückweichen, bis es endlich nicht mehr zu erkennen war. Auch am Tschir, wo die deutschen Soldaten an der Westfront des Stalingrader Kessels das Mündungsfeuer eigener Geschütze in dem 40 Kilometer entfernten Brückenkopf bei NischneTschirskaja beobachtet hatten, wurde der Himmel dunkel - und damit verdüsterten sich die Aussichten der 6. Armee. Am Silvesterabend arbeitete Birjusow im Hauptquartier der 2. Garde-Schützenarmee, als ein Offizier ihm eine Einladung Rotmistrows zu einer Neujahrsparty überbrachte. Der Stabschef, ein nüchterner, ernsthafter Mann, hielt diese Feier zunächst für eine unverzeihliche Frivolität. Aber dann überlegte er sich die Sache doch anders und machte sich kurz vor Mitternacht auf den Weg zu dem Gefechtsstand des Panzergenerals in Kotelnikowo. Unterwegs kam er an einem ausgebrannten deutschen Panzer vorbei und leuchtete ihn neugierig mit seiner Taschenlampe ab. Der Panzer trug Wüstentarnbemalung - weil er ursprünglich für Rommels Afrikakorps bestimmt gewesen war. Birjusow zuckte mit den Schultern - er hatte nicht allzu viel für die Anglo-Amerikaner übrig - und ging weiter. Er öffnete die Tür von Rotmistrows Befehlsstelle und blieb verblüfft stehen. Alle hohen Offiziere bis hinauf zu Wasiljewski vom Oberkommando standen um einen Weihnachtsbaum 167
herum, und auf einem Tisch la gen Berge von Obst, französische Weine, holländischer Käse, Butter und Schinken aus Dänemark und norwegische Konserven - alle mit dem Aufdruck „Nur für Deutsche“. „Nicht alle meiner Leute können Deutsch lesen“, sagte Rotmistrow, „deshalb haben sie wegen ihres Mangels an Bildung alles zusammengerafft. Aber wir müssen Hitler die Kerzen zurückgeben, damit er sie als Totenlichter für die 6. Armee anzünden kann.“ Wenige Tage zuvor hatte es auch bei der 6. Armee ein Festmahl gegeben - das Weihnachtsessen: 200 Gramm Brot, 100 Gramm Fleischpaste, 25 Gramm Butter und 25 Gramm Kaffee. Am zweiten Weihnachtsfeiertag hatte es als Sonderzuteilung zwei Pferdefleischklößchen pro Mann gegeben.
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Das Ende der 6. Armee
In Stalingrad wurde die Kälte immer grimmiger. Die 62. Schützenarmee war kein belagerter Vorposten mehr, sondern bildete einen Teil des aus sieben Armeen bestehenden stählernen Einschließungsringes. Zu ihren alten Waffengefährten von der 64. Armee waren die 21., 24., 57., 65. und 66. Armee gestoßen, die alle nur darauf warteten, den Kessel gewaltsam liquidieren zu können. Tschuikow hatte selbstverständlich weiterhin mit Proble men zu kämpfen, zu denen der seit Wochen andauernde Eisgang auf der Wolga gehörte, der Nachschubtransporte fast unmöglich machte. Die 62. Armee war zum Teil von „Nähmaschinen“ des Typs Pe 2 aus der Luft versorgt worden, aber diese Abwürfe waren immer riskant: Einige hundert Meter zu weit bedeuteten, daß die Ladung den Deutschen in die Hände fiel; einige hundert Meter zu kurz bedeuteten, daß sie in der Wolga verschwand. Am 16. Dezember 1942 wurde Tschuikow am Spätnachmittag durch ein lautes Bersten und Krachen aufgeschreckt. Er stürzte aus seinem Unterstand ins Freie und sah riesige Eismassen, die sich hinter der Saizewski-Insel hervor flußabwärts schoben und alles demolierten, was ihnen im Weg stand. Der Eiswall verringerte seine Geschwindigkeit jedoch sichtlich und kam genau gegenüber Tschuikows Unterstand zum Stehen. Nun war die Wolga endlich zugefroren, und bis zum nächsten Morgen wurden Bohlenfahrbahnen übers Eis gelegt, so daß die Nachschubtransporte jetzt verhältnismäßig mühelos waren, daß die 62. Armee durch neue Einheiten verstärkt werden konnte und daß die abgekämpftesten Divisionen 169
zu Ruhe und Auffrischung aus Stalingrad abgezogen werden konnten. Am 23. Dezember wurde die Verbindung zu Ljudnikows abgeschnittener Division wiederhergestellt. Am nächsten Tag wurden Sologubs, Smechotworows und Scholudows Rumpfdivisionen und die Überreste zweier Schützenbrigaden zur Auffrischung abgezogen und der Reserve überwiesen. Gleichzeitig begann Gurjows Division damit, die in ihrer Kampfkraft nachlassenden Deutschen aus dem Stahlwerk „Roter Oktober“ zu vertreiben. Der Mamajew Kurgan sollte gestürmt werden, aber die Deutschen hielten sich hartnäckig und bewiesen in der Verteidigung, daß sie von der 62. Armee gelernt hatten. Trotz Hunger und hoffnungsloser Unterlegenheit kam es zu keinem Zusammenbruch, solange die 6. Armee glauben konnte, Manstein stoße zu ihr vor, um sie zu befreien. Selbst als diese Hoffnung verflogen war, schwand die 6. Armee nur dahin, anstatt zu zerbrechen. Im Dezember 1942 starben rund 80000 Mann, ein Viertel der Eingeschlossenen, an Verwundungen, Hunger und Krankheiten, aber die Überlebenden kämpften weiter, und der Oberbefehlshaber der sowjetischen Don-Front, General Rokossowski, hielt es für erforderlich, den Kessel durch eine systematische Operation zu liquidieren. Der Angriffsschwerpunkt sollte im Westen liegen, wo Batows 65. Armee und Tschistjakows 21. Armee versuchen würden, den Stalingrader Kessel aufzuspalten. Schadows 66. Armee und Galanins 24. Armee sollten zur gleichen Zeit von Norden her angreifen, während Tolbuchins 57. Armee und Schumilows 64. Armee im Süden zum Angriff antreten würden. Die 62. Armee erhielt den Auftrag, den Deutschen so viel zuzusetzen, daß sie keine Kräfte abziehen und den übrigen Armeen entgegenstellen konnten; außerdem sollte Tschuikows Armee verhin dern, daß die 6. Armee über die zugefrorene 170
Wolga nach Osten auswich. Als erster Angriffstag wurde der 10. Januar 1943 festgesetzt. Der Stawka-Vertreter, Generaloberst Woronow, und Rokossowski beschlossen jedoch, es zuerst mit einem Angebot zu ehrenhafter Kapitulation zu versuchen, und entsandten am 8. Januar einen Parlamentär zur Nordfront der 6. Armee. Die auf Papier mit dem Briefkopf des sowjetischen Oberkommandos getippte Aufforderung zur Kapitulation war eine interessante Mischung aus psychologischer Kriegsführung des 20. Jahrhunderts und militärischen Höflichkeitsfloskeln des 18. Jahrhunderts. Der Text des Ultimatums lautete: „AN DEN OBERKOMMANDIERENDEN DER BEI STALINGRAD EINGESCHLOSSENEN DEUTSCHEN 6. ARMEE, GENERALOBERST PAULUS, ODER SEINEN VERTRETER IM AMT. Die deutsche 6. Armee, Einheiten der 4. Panzerarmee und ihr unterstellte Verstärkungseinheiten sind seit dem 23. November, 1942 vollständig eingeschlossen. Einheiten der Roten Armee haben diese deutsche Kräftegruppe mit einem massiven Einschließungsring umge ben. Alle Hoffnungen auf eine Rettung Ihrer Truppen durch einen Angriff deutscher Kräfte aus Süden und Südwesten haben sich als ungerechtfertigt erwiesen. Die deutschen Truppen, die Ihnen zur Hilfe eilen wollten, sind von der Roten Armee zerschlagen worden, und die Überreste dieser Truppen ziehen sich nach Rostow zurück. Die deutschen Transportstaffeln, die Ihnen Hungerrationen an Verpflegung, Munition und Treib stoff bringen, haben wegen des erfolgreichen schnellen Vormarsches der Roten Armee häufig ihre Absprunghäfen wechseln und die Stellungen der eingeschlossenen Truppen aus großen Entfernungen anfliegen müssen. Außerdem erleiden die deutschen Transportstaffeln schwerste Verluste an Maschinen und Besatzungen durch 171
Angriffe der russischen Luftwaffe. Ihre Unterstützung der eingeschlossenen Truppen wird allmählich zu einer Fiktion. Die Lage der eingeschlossenen Truppen ist ernst. Sie leiden unter Hunger, Krankheiten und Kälte. Der strenge russische Winter beginnt erst; strenger Frost, eisiger Wind und Schneestürme stehen noch bevor, und Ihre Soldaten besitzen keine Winteruniformen und leben unter schlimmen, ungesunden Bedingungen. Sie als Oberkommandierender und alle Offiziere der eingeschlossenen Kräfte wissen recht gut, daß Sie keine reale Möglichkeit haben, den Einschließungsring zu durchbrechen. Ihre Lage ist hoffnungslos, und weiterer Widerstand wäre völlig zwecklos. Angesichts Ihrer aussichtslosen Lage und um sinnloses Blutvergießen zu verhindern, schlagen wir Ihnen vor, folgende Kapitulationsbedingungen anzunehmen: 1. Alle von Ihnen und Ihrem Stab geführten eingeschlossenen deutschen Truppen stellen den Kampf ein. 2. Sie übergeben uns sämtliche Angehörige der Armee sowie sämtliche Waffen und die gesamte Ausrüstung in unbeschädigtem Zustand. Wir garantieren allen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften, die den Kampf einstellen, Leben und Sicherheit sowie nach dem Krieg Rückkehr nach Deutschland oder in irgendein anderes Land ihrer Wahl. Alle Angehörigen von Einheiten, die sich ergeben, behalten ihre Uniform, Rangabzeichen und Orden, persönliches Eigentum, Wertgegenstände und vom Stabsoffizier aufwärts auch den Degen. Alle Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, die sich ergeben, erhalten ab sofort normale Verpflegung. Alle Verwundeten, Kranken und an Erfrierungen Leidenden erhalten ärztliche Hilfe. 172
Wir erwarten Ihre Antwort am 9. Januar 1943 um 15 Uhr in schriftlicher Form durch einen von Ihnen persönlich ernannten Beauftragten, der mit einem leichten Fahrzeug mit weißer Flagge auf der Straße von der Abzweigung Konny zum Bahnhof Kotluban zu fahren hat. Ihr Beauftragter wird von bevollmächtigten russischen Offizieren am 9. Januar 1943 um 15 Uhr im Raum ,B’ 0,5 km südöstlich der Abzweigung 564 erwartet. Sollten Sie unsere Aufforderung zur Kapitulation ablehnen, warnen wir Sie, daß Kräfte der Roten Armee und der Roten Luftflotte dann gezwungen sein werden, die eingeschlossenen deutschen Truppen gewaltsam zu liquidieren, und daß Sie die Verantwortung für ihre Vernichtung tragen werden.“ Das Ultimatum war von Woronow, dem Vertreter des sowjetischen Oberkommandos, und Rokossowski, dem Oberbefehlshaber der Don-Front, unterzeichnet. Seine beträchtliche psychologische Wirkung verdankte es seiner Schilderung der noch zu erwartenden Schrecken dieses Winters, seiner nüchternen, aber zutreffenden (und von Paulus nachprüfbaren) Darstellung des Mißlingens des deutschen Entsatzvorstoßes, dem Versprechen, alle Kriegsgefangenen würden normal verpflegt und ärztlich versorgt, und seinem altmodischen Flair, das an Grants Kapitulationsbedingungen für Lee im Jahre 1865 bei Appomattox erinnerte und an traditionelle Formen militärischer Höflichkeit anknüpfte, indem zugesichert wurde, die Offiziere dürften außer Uniformen und Rangabzeichen auch den Degen behalten. Um die Wirkung dieser Aufforderung zur Kapitulation auf die Kampfmoral der 6. Armee zu verstärken, wurde das Ultimatum als Flugblatt über allen Fronten abgeworfen. So verlockend dieses Angebot auch sein mochte, so wenig konnte es Paulus zur Kapitulation bewegen - falls er nicht nur zu schwach war, um sich gegen den energischen Schmidt 173
durchzusetzen. Eine Kapitulation wurde abgelehnt, und Woronow machte sich daran, die im letzten Absatz des russischen Ultimatums ausgesprochene Drohung in die Tat umzusetzen. Er wollte die Schlacht um Stalingrad rasch beenden, denn die sieben dort stehenden sowjetischen Armeen konnten anderswo besser eingesetzt werden, um die deutsche Front im Süden zu zerschlagen. Das Unternehmen „Ring“, die Aufspaltung und gewaltsame Liquidation des Stalingrader Kessels, sollte nun anlaufen. Das Unternehmen war sorgfältig geplant, denn die sowjetische Führung hatte gesunden Respekt vor dem deutschen Soldaten und richtete ihre Planung deshalb auf das mit Sicherheit Erreichbare aus, das Hitlers Generale häufig - aus Notwendigkeit oder Zweckmäßig keit - ignorierten. Hitler verlangte ständig Wunder von seinen Truppen, die häufig welche vollbrachten, aber die Stawka neigte dazu, nicht auf das Übernatürliche zu vertrauen, wie es einem Werkzeug eines ausdrücklich atheistischen Regimes auch besser anstand. Für das Unternehmen „Ring“ standen dem sowjetischen Oberkommando sieben Armeen zur Verfügung, während Paulus über etwa zwei verfügte (6. Armee, Masse der 4. Panzerarmee, zahlreiche Sondereinheiten, zwei rumänische Infanteriedivisionen und ein Bataillon kroatischer Separatisten). Aber die Stärke einer russischen Schützenarmee entsprach etwa der eines deutschen Armeekorps, und zwei der sowjetischen Armeen (die 62. und 64. Schützenarmee) erreichten bei weitem nicht ihre Soll-Stärke. Tatsächlich waren die eingekesselten deutschen Truppen geringfügig stärker und hatten etwas mehr Panzer als die Einschließungskräfte, aber die Rote Armee besaß eine artilleristische Überlegenheit von 3:2 und konnte dreimal mehr Flugzeuge in den Kampf werfen.
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Außerdem bestand ein gewaltiger Unterschied zwischen den zweckmäßig uniformierten, gut verpflegten Truppen der DonFront, die einen bevorstehenden Sieg witterten, und den frierenden, hungernden Soldaten der 6. Armee, wie die T 34 von Rokossowskis Panzerverbänden, die reichlich mit Treibstoff und Munition versorgt wurden, nicht mit den deutschen Pzkw III und IV zu vergleichen waren, die fast unbeweglich und wehrlos waren, weil ihnen beides fehlte. Trotzdem ging Woronow kein Risiko ein, und das Unternehmen lief ab, als seien die Deutschen frisch und unverbraucht. Die sowjetische Offensive begann am 10. Januar 1943 um 8.05 Uhr mit einer 45minütigen Artillerievorbereitung durch Tausende von Geschützen und Granatwerfern; gleichzeitig flogen Hunderte von Flugzeugen Luftangriffe. Punkt neun Uhr begann die Erstürmung Stalin grads mit einem Angriff quer durch die Stadt von Wertjatschi zum metallurgischen Werk „Roter Oktober“, durch den der Kessel gespalten werden sollte. Gleichzeitig wurden Sekundärangriffe von Zybenko zum Bahnhof Basargino und von Jersowka nach Gorodischtsche geführt. Die gemarterte Erde von Stalingrad erbebte erneut unter den Detonationen von Bomben und Granaten, und die aus früheren Monaten vertrauten Namen - Rossoschka (Fluß), Pitomnik (Flugplatz) und Zariza (Fluß) - tauchten wieder in den Kriegsberichten auf. Aber diesmal schien der Film im Zeitraffertempo abzulaufen, denn wo Paulus im Herbst Divisionen eingesetzt hatte, die gegen gut verpflegte Rotarmisten gekämpft hatten, setzte Woronow ganze Armeen ein, die gegen einen hungernden, frierenden, demoralisierten Feind kämpf ten, der keine Verpflegung, keine Munition und keine Hoffnung mehr hatte. Unter diesen Umständen war es erstaunlich, daß der deutsche Soldat überhaupt noch kämpfte, 175
aber er kämpfte weiter, obwohl er wußte, daß die Lage aussichtslos war. Trotzdem war nicht zu erwarten, daß es den Verteidigern gelingen würde, den sowjetischen Ansturm abzuwehren. Was Paulus in wochenlangen Kämpfen genommen hatte, eroberten Woronow und Rokossowski in wenigen Tagen zurück. Die russische Hauptstreitmacht (die gesamte 65. Armee sowie Kampfgruppen der 21. und 24. Armee) erreichte am 13. Januar das Westufer der Rossoschka; die Deutschen wurden von der Tscherwlenaja zurückgedrängt und verloren am 14. Januar ihren wichtigsten Nachschubflugplatz Pitomnik. Am Abend des 16. Januar war der Stalingrader Kessel von reichlich 1400 Quadratkilometer Fläche auf weniger als 650 Quadratkilometer zusammengedrückt worden. Für Versorgungsflüge stand lediglich noch der Ausweichflugplatz von Gumrak zur Verfügung, und wenn es der Luftwaffe nicht gelungen war, wenigstens die absolute Mindestmenge von 300 Tonnen Nachschub pro Tag zu transportieren (an die für ein Aushalten der eingeschlossenen Armee erforderlichen 600 Tonnen pro Tag war nie zu denken gewesen; die beste Tagesleistung der Luftwaffe hatte bei 289 Tonnen gelegen), solange es im Kessel zwei Flugplätze gab, war es aussichtslos, die 6. Armee nur über den Flugplatz von Gumrak versorgen zu wollen. Die Szenen, die sich in diesen ersten Januartagen auf den Flugplätzen abspielten, spotteten jeglicher Beschreibung. Sobald eine Maschine gelandet und auf der mit Schnee bedeckten holprigen Landebahn ausgerollt war, wurde sie hastig entladen, weil sowjetische Artillerie häufig die Plätze beschoß, sowjetische Jäger in Platznähe lauerten, um die schwerfälligen deutschen Transporter bei Start oder Landung abzuschießen, und T 34 in kleinen Gruppen durchbrachen und den Flugplatz beschossen. Danach begann die Beladung, während 176
überforderte Transportoffiziere und Feldgendarmen versuchten - oft mit schußbereiter Pistole -, die zum Ausflug Berechtigten von den Drückebergern zu trennen - dem verbundenen Offizier, der gar keine Verwundung unter seinem Armverband hatte, dem Oberst, der sich selbst einen Marschbefehl zur Heeresgruppe Don ausgestellt hatte, wo er angeblich für einen „Sondereinsatz“ vorgesehen war, oder dem Feldwebel, der sich seine Verwundung selbst beigebracht hatte. Die auf Tragbahren liegenden Verwundeten warteten unterdessen hilflos darauf, endlich eingeladen zu werden, und fragten sich, falls sie bei Bewußtsein waren, ob sie überhaupt an Bord kommen würden - und ob sie die Rudel sowjetischer Jäger und das Feuer der schweren Flakbatterien rings um den Kessel überstehen würden. Dann war die Maschine endlich beladen, holperte ans Ende der Startbahn, startete mit Vollgas und hob schwerfällig ab, wobei sich in mindestens zwei Fällen irgendein armer Teufel am Leitwerk festhielt, bis seine Hände in der Kälte kraftlos wurden und er in die Tiefe stürzte. Das war die Wirklichkeit hinter den bombastischen Meldungen des deutschen Rundfunks und dem Wehrmachtsbericht, in dem von „hartnäckigem Widerstand gegen weit überlegene feindliche Kräfte“ gesprochen wurde. An der Front kämpften die Infanteristen unbeirrt weiter, aber der Organismus hinter ihnen zerfiel bereits. Sie waren die Eierschale, die verbirgt, daß das Innere schon faul ist, und diese Eierschale sollte bald aufgeschlagen werden. Woronow und Rokossowski waren bereits dabei, indem sie die zweite und letzte Phase des Unternehmens „Ring“ einleiteten. Am Abend des 17. Januar waren die Deutschen auf den inneren Verteidigungsring um Stalingrad zurückge drängt, und auf dem Schlachtfeld herrschte eine unheimliche Ruhe vor dem Sturm, während die Heeresgruppe Don für den letzten Angriff 177
umgruppiert wurde. Gumrak fiel am 21. Januar in sowjetische Hand, bevor am nächsten Tag die Endphase des Unternehmens „Ring“ begann. Infanterie und massierte Artillerie - vor allem letztere - spielten die Hauptrollen: In der Front der 21., 57. und 64. Armee stand alle fünf Meter ein Geschütz oder ein Granatwerfer - 4100 auf einer Frontlänge von etwas über 20 Kilometer. Keine Armee der Welt hätte dieser Angriffswucht lange standhalten können, und am 25. Januar erreichten Truppen der Don-Front die Stadtmitte. In der Arbeitersiedlung des metallurgischen Werks „Roter Oktober“ und am Mamajew Kurgan hatten die Panzer von Tschistjakows 21. Armee plötzlich nicht mehr Deutsche, sondern Russen vor sich. Damit war die Verbindung zwischen Don-Front und 62. Schützenarmee hergestellt. Jetzt hielt die 6. Armee nur noch 93 Quadratkilometer von Stalingrad, und Paulus' Truppe war aufgespalten, wie es Tschuikows 62. Armee wochenlang gewesen war. Ihre Vernichtung war nur noch eine Frage von Tagen. Deutsche und russische Generale und Militärwissenschaftler stimmen darin überein, daß die 6. Armee bis etwa zum 24. Januar eine für die Deutschen nützliche Funktion erfüllte, indem sie sowjetische Armeen bei Stalingrad band. Vor allem Jeremenkos Offensive in Richtung Rostow litt wegen des fortdauernden Widerstandes der 6. Armee unter einem Mangel an Truppen, so daß es ihm nicht gelang, der Heeresgruppe A den Rückzug aus dem Kaukasus abzuschneiden. Aber am 24. Januar stand fest, daß es der Heeresgruppe A gelingen würde, sich nach Rostow abzusetzen und daß die 6. Armee, deren letzter Flugplatz Gumrak - vor drei Tagen in russische Hand gefallen war, ohnehin nicht mehr imstande war, nennenswerte sowjetische Kräfte an der Einschließungsfront zu binden. 178
Einige deutsche Kommandeure hatten bereits Kapitulationsverhandlungen für ihre Einheiten mit den ihnen gegenüberstehenden sowjetischen Verbänden aufgenommen, obwohl das Armeeoberkommando solche eigenmächtigen Verhandlungen ausdrücklich verboten hatte. Weiterer Widerstand war sinnlos. Am 24. Januar um 16.45 Uhr erhielt Manstein einen Funkspruch, in dem die 6. Armee unter anderem meldete, daß in Stalingrad entsetzliche Zustände herrschten, weil dort etwa 20000 Verwundete ohne ärztliche Versorgung Schutz in den Ruinen suchten; zu ihnen komme eine etwa gleichgroße Zahl von ausgehungerten Männern mit Erfrierungen und von Versprengten, davon viele ohne Waffen. Der letzte Widerstand am Südrand von Stalin grad werde am 25. Januar geleistet werden, nur die Traktorenfabrik könne sich etwas länger halten ... Manstein unternahm einen letzten Versuch, Hitler in einem Telefongespräch dazu zu bewegen, einer Kapitulation zuzustimmen, aber das gelang ihm auch diesmal nicht. Major von Zitzewitz, der OKH-Verbindungsoffizier in Stalingrad, war am 20. Januar mit einem der letzten Flugzeuge, die in Gumrak starten konnten, ausgeflogen worden und machte am 23. Januar bei einem persönlichen Gespräch mit Hitler einen ähnlichen Versuch. Aber Hitler hatte jetzt jeglichen Bezug zur Realität verloren und sprach davon, ein einziges Bataillon der neuen (und unerprobten) mittelschweren Panzer des Typs Panther von der Heeresgruppe Don aus weit über 150 Kilometer durch sowjetisch besetztes Gebiet nach Stalingrad vorstoßen und so einen Korridor öffnen zu lassen. Zitzewitz war entsetzt, aber er tat sein Bestes, um Hitler auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Er sprach von Hunger, Erfrierungen, Nachschubmangel und unversorgten Verwundeten und stellte zum Schluß kategorisch fest: „Den Truppen in Stalingrad kann kein Kampf bis zur letzten Patrone mehr befohlen werden, weil 179
sie nicht mehr kampffähig sind und keine letzte Patrone mehr haben.“ Hitler sah durch ihn hindurch. „Der Mensch erholt sich sehr rasch“, sagte er und setzte einen Funkspruch an Paulus auf: „Verbiete Kapitulation. Die Armee hält ihre Position bis zum letzten Soldaten und zur letzten Patrone und leistet durch ihr heldenhaftes Aushalten einen unvergeßlichen Beitrag zum Aufbau der Abwehrfront und der Rettung des Abendlandes.“ So wurde die 6. Armee mit einer schmutzigen Lüge ins Verderben geschickt. Sie leistete schon längst keinen Beitrag mehr - und erst recht keinen unvergeßlichen - zum Aufbau einer deutschen Abwehrfront. Und von den Völkern im besetzten Westeuropa war nicht ohne weiteres zu erwarten, daß sie dem Regime, das ihnen in den Jahren 1939 und 1940 ihre Freiheit und Unabhängigkeit geraubt hatte, zubilligten, es leiste einen Beitrag zur „Rettung des Abendlandes“. Paulus hatte sein Hauptquartier von Gumrak verlegen müssen, als die Russen den Flugplatz erobert hatten, und war mit seinem Stab in den Keller des großen Warenhauses „Uniwermag“ im Westteil der Stadt umgezogen. Am 30. Januar erfuhr General Schumilow, der Oberbefehlshaber der 64. Armee, in deren Abschnitt das Warenhaus lag, davon und setzte sofort eine Kampfgruppe aus Panzern und motorisierter Infanterie der 38. Motorisierten Brigade in Marsch und verstärkte sie durch ein Pionierbataillon, das die um das Kaufhaus herum ausgelegten Minen räumen sollte. Zu der Kampfgruppe gehörte der Nachrichtenoffizier der Brigade, Oberleutnant Iltschenko. Am 31. Januar um sechs Uhr hatte die Kampfgruppe das Kaufhaus umstellt und begann mit der Beschießung.
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Schnelligkeit ist wesentlich, als die russische Infanterie die Steppe am Don einnimmt Russische Flak schließt den Ring um die Stadt
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Von den ursprünglichen 91000 deutschen Kriegsgefangenen sahen nur 5000 die Heimat wieder, die letzten erst 1955
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Wenige Minuten später kam ein deutscher Offizier aus einem Nebenausgang und gab sich als Parlamentär zu erkennen. Iltschenko ging zu ihm hinüber, und der Deutsche sagte: „Unser Chef möchte mit Ihrem Chef sprechen.“ „Unser Chef ist beschäftigt. Sie müssen mit mir verhandeln“, antwortete Iltschenko. Er wurde mit zwei seiner Soldaten in den Keller geführt, wo er mit Schmidt und Generalmajor Rosske aus Paulus' Stab zusammen traf. Rosske erklärte ihm, über die Kapitulation werde nur mit Vertretern des Front- oder Armeeoberkommandos verhandelt. Das meldete Iltschenko über Funk Schumilow, der sofort die Chefs seiner Operationsabteilung und seiner Nachrichtenabteilung, die Obersten Lukin und Ryschow, entsandte. Nach ihrer Ankunft verhandelten sie zuerst mit Rosske und dann mit Schmidt, der behauptete, Paulus sei seit dem Vortag nicht mehr ansprechbar, obwohl beide Generale von Zeit zu Zeit nach nebenan verschwanden, wo Paulus kettenrauchend und nervös zuckend auf seinem Feldbett lag. Paulus' Stab weigerte sich, für den Nordkessel, der jetzt unter Befehl von General Strecker stand, mitzuverhandeln. Was den Südkessel betraf, waren die beiden Generale kapitulationsbereit, wiesen aber darauf hin, daß sie keine Möglichkeit hatten, den Befehl zur Einstellung der Kampfhandlungen an die Truppe zu übermitteln. Man einigte sich schließlich darauf, den Befehl durch Offiziere beider Armeen überbringen zu lassen, und die Obersten Ryschow und Mutowin aus dem Stab der 64. Schützenarmee wurden als Begleiter der deutschen Stabsoffiziere bestimmt. Erst als sie aufgebrochen waren, wurde Oberst Lukin zu Paulus vorgelassen. Das Armeeoberkommando erhielt eine Stunde Zeit zum Packen, und während die Deutschen damit beschäftigt waren, traf Schumilows Stabschef, 183
Generalmajor Laskin, ein, um Paulus und Schmidt zu Schumilows Hauptquartier in Beketowka zu bringen. Schumilow erwartete sie ungeduldig und neugierig zugleich. Endlich öffnete sich die Tür, und ein großer, grauhaariger Mann in der Uniform eines Generalobersten betrat den Raum. Er hob aus Gewohnheit den rechten Arm zum Deutschen Gruß, ließ ihn dann verlegen sinken und sagte „Guten Tag“ statt „Heil Hitler!“ Schumilow bat ihn streng um einen Ausweis. Paulus kramte in seinen Taschen und brachte sein Soldbuch zum Vorschein. Schumilow, der entschlossen war, nichts zu riskieren, verlangte ein Schriftstück, aus dem hervorging, daß Paulus der Oberbefehlshaber der 6. Armee war. Zum Glück konnte Paulus auch damit dienen (Schumilow schweigt sich darüber aus, was er getan hätte, wenn das nicht der Fall gewesen wäre), und der pedantische Oberbefehlshaber der 64. Schützenarmee erkundigte sich zuletzt, ob es stimme, daß Paulus zum Generalfeld marschall befördert worden sei. (Das stimmte tatsächlich; Hitler hatte ihn in der Hoffnung befördert, daß Paulus daraufhin kämpfend in den Tod gehen würde.) Schmidt hatte mit wachsender Ungeduld zugehört und konnte es nicht länger ertragen, aus dem Gespräch ausgeschlossen zu sein. Mit den Umständen vielleicht nicht ganz entsprechendem Stolz in der Stimme verkündete er feierlich: „Gestern ist Generaloberst Paulus durch Führerbefehl der Rang eines Generalfeldmarschalls, der höchste des Reiches, verliehen worden.“ Schumilow, der als General alter Schule der Meinung war, ein Stabschef habe nur zu sprechen, wenn er angesprochen werde, wandte sich wieder an Paulus. „Dann kann ich also dem Oberkommando melden, sagte er, „daß Feldmarschall Paulus von Truppen meiner Armee gefangengenommen worden ist?“ „Jawohl“, antwortete Paulus knapp. 184
General Streckers Einheiten im Nordkessel konnten sich nur wenig länger halten: Unter dem Druck der 62., 65. und 66. Armee kapitulierten sie am 2. Februar ebenfalls. In Deutschland wurde eine dreitägige Staatstrauer angeordnet, und sogar Hitler schien einige Wochen lang das, Vertrauen in sein Feldherrngenie verloren zu haben, so daß Manstein für gewisse Zeit mehr Handlungsfreiheit als die meisten deutschen Generale in diesem Jahr besaß. Er nutzte sie geschickt, brachte den zu sehr auseinandergezogenen Armeen Golikows und Watutins schwere Niederlagen bei und eroberte einen großen Teil des nördlich des Dons verlorenen Geländes zurück. Aber die Schlacht um Stalingrad war am 2. Februar 1943 zu Ende gegangen, denn kein später errungener taktischer Erfolg konnte ungeschehen machen, was sich an der Wolga ereignet hatte. Die militärische Bedeutung dieses Sieges läßt sich zum Teil in Zahlen ausdrücken. Fast fünf deutsche und verbündete Armeen waren vernichtet worden: die gesamte 6. Armee, die Masse der 4. Panzerarmee, fünf der sieben Divisionen der rumänischen 3. Armee, fast die gesamte rumänische 4. Armee und die Masse der italienischen 8. Armee. 32 Divisionen und drei Brigaden wurden völlig zerschlagen; weitere 16 Divisionen hatten über 50 Prozent Verluste, während viele andere den größten Teil ihres schweren Geräts zurücklassen mußten, um sich in Sicherheit bringen zu können. Die Gesamtzahl der Gefallenen, Verwundeten, Vermißten oder Gefangenen auf deutscher Seite wird sich nie genau feststellen lassen, aber die Verluste der Deutschen und ihrer Verbündeten dürften in dem Zeitraum von August 1942 bis Februar 1943 bei 1,5 Millionen Mann gelegen haben. Weiterhin gingen etwa 3500 Panzer und Sturmgeschütze verloren (was rund sieben Monatsproduktio nen entsprach), zu denen noch eine Halbjahresproduktion an Geschützen und Granatwerfern (ungefähr 12000 Stück) und 3000 Flugzeuge kamen (mindestens vier Monatsproduktionen). 185
Insgesamt hätte das von August bis Februar verlorene Gerät für etwa 75 Divisionen ausgereicht. Trotzdem beleuchten diese Zahlen nur einen Aspekt des Ganzen. Deutsche Generale konnten die Niederlage hinwegerklären, wie sie es nach der Schlacht um Moskau getan hatten, indem sie auf Hitlers Fehler verwiesen, und nach dem Krieg schlugen viele von ihnen diese Schlacht in ihren Memoiren nochmals - und siegten diesmal. Wenn Halders ursprünglicher Plan verwirklicht worden wäre; wenn Kleist und Ruoff später in Marsch gesetzt worden wären, so daß Hoth und sie die sowjetische Südfront hätten einkesseln können, anstatt sie vor sich her in den Kaukasus zu treiben; wenn Hoth nicht nach Süden geschickt worden wäre, um Kleist zu unterstützen, der keine Hilfe brauchte; wenn Hitler keine Divisionen in den Westen verlegt hätte; wenn diese und viele andere Entscheidungen anders ausgefallen wären, wäre die Entwicklung anders verlaufen. Aber solche Schlußfolgerungen leiden unter einem fatalen Fehler: Bei näherer Betrachtung stellt sich stets heraus, daß unterstellt wird, der Gegner hätte das getan, was er in Wirklichkeit getan hat, während im Alltag die Entscheidungen beider Seiten auch von denen des Gegners beeinflußt werden. Hätten die Deutschen andere Maßnahmen ergriffen, hätte auch die Stawka anders reagiert - und das sowjetische Oberkommando machte ebenfalls Fehler, vor allem mit der Charkow-Offensive im Mai 1942. Der später schreibende Historiker verfügt über Informationen, die dem Oberkommandierenden auf dem Schlachtfeld nicht zugänglich gewesen sind, und jede Schlacht ist ein dynamisches Ereignis, das häufig rasche, auf unzulänglichen Informationen basierende Entschlüsse erfordert. Es liegt in der Natur der Sache, daß einige von ihnen falsch sein müssen - manche sogar katastrophal falsch. Wir können nur 186
feststellen, daß die Entscheidungen der sowjetischen Generale öfter richtig waren als die der deutschen Generale und daß ein geringerer Prozentsatz ihrer falschen Entschlüsse sich als katastrophal erwies. Allgemein betrachtet erscheinen die Flexibilität und der Einfallsreichtum der sowjetischen Verteidigung und die Kühnheit der hauptsächlich von Schukow und Wasiljewski geplanten und geführten Gegenoffensive als das Ergebnis hervorragender militärischer Fähigkeiten, wenn man sie mit den einfallslosen Kopf-durch-die Wand-Methoden der Oberbefehlshaber von Heeresgruppe B und 6. Armee vergleicht, und die Entscheidung fiel durch überlegene Führung, nicht durch zahlenmä ßige Überlegenheit. Die von der Stawka eingegangenen Risiken machten sich bezahlt: Erstens zeigte sich, daß sie tatsächlich imstande war, die 62. Schützenarmee in ihrer vorgeschobenen Position zu versorgen, und zweitens gelang es ihr, die für eine Gegenoffensive erforderlichen Truppen von den Deutschen unbemerkt zusammenzuziehen. Auf der anderen Seite ging die deutsche Führung ein Risiko ein, als sie sich zutraute, einen Staat mit einem doppelt so hohen Kräftepotential wie das eigene innerhalb weniger Monate niederzuwerfen. Daß ihr das beinahe gelungen wäre, spricht mehr für ihre Geschicklichkeit bei der Ausführung dieses Vorhabens als für ihre Klugheit, mit der sie sich dieses Ziel gesetzt hatte. Auch auf sowjetischer Seite gab es Auseinandersetzungen darüber - allerdings auf mehr persönlicher Ebene -, ob die „südlichen Generale“ oder die „Moskowiter“ mehr zu diesem Sieg beigetragen haben. Solange Stalin lebte, konnte es nicht zu solchen Auseinandersetzungen kommen, weil alle Erfolge auf sein Genie zurückzuführen waren. Aber sobald er von der Bildflä che abgetreten war, brachen die Streitigkeiten mit um so größerer Vehemenz aus, weil sie zehn Jahre lang unterdrückt 187
worden waren. Chruschtschow war seit Kriegsausbruch im Süden tätig gewesen und fand deshalb, daß die Herabsetzung der „südlichen Generale“ auch ihn persönlich betreffe. Dabei ist nicht zu leugnen, daß einige der zur Bereinigung der Lage nach Stalingrad entsandten Generale sich schon in der Schlacht um Moskau ausgezeichnet hatten - Schukow, Wasiljewski, Jeremenko, Golikow, Watutin, Rokossowski, G. F. Sacharow (Jeremenkos Stabschef), Batow (65. Armee) und Schadow (66. Armee) - und daß diese Männer führende Rollen übernahmen. Schukow, der die sowjetischen Anstrengungen koordinierte, und alle Frontoberbefehlshaber hatten schon vor Moskau im Feld gestanden. Unter Chruschtschows Herrschaft wurde die Rolle dieser Männer herabgespielt, während andererseits die Rolle der „Einheimischen“, vor alle m die Chruschtschows, übertrieben dargestellt wurde. Ein Mann ist bisher noch gar nicht genannt worden: Georgij Malenkow, der als Mitglied des Staatlichen Verteidigungskomitees viel an der Stalingrad-Front war und vermutlich eine bedeutendere Rolle als Chruschtschow spielte, wenn es darum ging, Stalin auf dem laufenden zu halten und dafür zu sorgen, daß der Parteiapparat zur Unterstützung der Verteidiger von Stalingrad mobilisiert wurde. Trotzdem ist über seine dortige Tätigkeit nur wenig oder nichts bekannt, weil Malenkow nach seinem Sturz im Jahre 1955 zu einer Unperson wurde, die praktisch nie erwähnt und deren Anwesenheit in Stalingrad ignoriert wird. Trotzdem steht fest, daß Schukow die Hauptrolle spielte, als es darum ging, die „Falle“ zu stellen und dann zuschnappen zu lassen. Als Vertreter des sowjetischen Oberkommandos war er der ranghöchste in der Schlacht um Stalingrad eingesetzte Offizier, der sich keineswegs damit zufriedengab, lediglich eine repräsentative Rolle zu spielen. Die 62. Armee war der Köder in der Falle, und Tschuikows glänzende Führung, vor allem durch 188
die Entwicklung einer für Kleinformationen geeigneten Kampfweise, die den in Stalingrad herrschenden Bedin gungen entsprach (es hatte noch nie eine ähnlich massive und lange Belagerung in einer Stadt gegeben), ermöglichte es seiner Armee, sich zu behaupten und dadurch starke deutsche Kräfte in exponierter Stellung so lange zu binden, daß die für eine Gegenoffensive notwendigen Truppen zusammengezogen werden konnten. Ebenso ist es zweifelhaft, ob die 62. Armee ohne die verzweifelten, aber sehr wirksamen Improvisationen Jeremenkos am 23. August noch die Zeit gehabt hätte, ihre besondere Kampfweise zu entwickeln, mit der sie sich gegen deutsche Kräfte behauptete, die örtlich - vor allem in der Luft überlegen waren. Sowjetische Quellen enthalten nur sehr spärliche Angaben über die Verluste der Roten Armee, aber sie müssen erheblich geringer als die der Deutschen gewesen sein, denn nach deutschen Zahlenangaben sind seit Mai 1942 keine großen Kesselschlachten mit vielen Gefangenen mehr geschlagen worden. Nur wenige sowjetische Verwundete fielen in deutsche Hand, Ausfälle durch Kälte oder Hunger waren im Vergleich zu den Ausfällen auf deutscher Seite verschwindend gering, und die einzigen Verluste durch Kampfhandlungen traten bei den in Stalingrad eingesetzten Divisionen auf. Ihre Verluste waren häufig sehr hoch, aber die meisten Verwundeten wurden über die Wolga evakuiert, so daß für die Mehrzahl gute Heilungschancen bestanden haben dürften. Was die Gefallenen betraf, wurden bei der Umbettung der in Stalingrad bestatteten Toten 147200 deutsche und 46700 russische Gefallene gezählt. Von den 330000 Deutschen in dem ursprünglichen Kessel (der erheblich mehr als nur die Stadt umfaßte) gingen nur 91000 Mann in Gefangenschaft. Diese Kriegsgefangenen waren durch Kälte und Nahrungsmangel bereits sehr entkräftet, und die 189
ersten Typhusfälle waren schon vor der Kapitulation aufgetreten. Nachdem die Männer in provisorische Kriegsgefangenenlager im Raum Beketowka-Krasnoarmeisk verlegt worden waren, brach eine Typhusepidemie aus, der etwa 50000 der geschwächten Überlebenden erlagen, und von den restlichen Gefangenen fanden Tausende auf dem Marsch in Gefangenenlager in Zentralasien den Tod. Die deutschen Kriegsgefangenen wurden als Zwangsarbeiter eingesetzt, und die letzten Stalingradkämpfer kehrten erst 1955 heim. Von den ursprünglich 91000 Kriegsgefangenen sahen nur 5000 die Heimat wieder. Und wie reagierte Hitler auf die Katastrophe von Stalingrad? Er war über die Kapitulation entsetzt und sagte voraus, die Generale würden gefoltert und dazu gebracht werden, über Radio Moskau gegen die deutsche Regierung zu sprechen. Tatsächlich sprachen einige von ihnen im Rundfunk, aber sie scheinen nicht gefoltert worden zu sein - zumindest erhob keiner der nach dem Krieg heimkehrenden Generale den Vorwurf, in sowjetischer Gefangenschaft ernstlich mißhandelt worden zu sein. 24 Generale gingen in Stalingrad in Gefangenschaft, die die meisten von ihnen - im Gegensatz zu ihren Männern - überlebten. Paulus war ein aktives Mitglied des gegen den Nationalsozialismus kämpfenden „Bundes Deutscher Offiziere“ (BDO), obwohl er so viel von einem Höfling an sich hatte, daß nicht zu erkennen ist, ob er tatsächlich bekehrt worden war oder sich nur einem neuen Herrn unterworfen hatte - vielleicht letzteres, denn er zog es nach dem Krieg vor, in der sowjetischen Besatzungszotte Deutschlands zu leben. Außer den militärischen Konsequenzen dieser Niederlage am auffälligsten war die damit eingeleitete dauernde Änderung des militärischen Stärkeverhältnisses, die dazu führte, daß die Rote Armee, die im November 1942 bei Beginn ihrer Gegenoffensive etwa so stark wie die Deutschen und ihre 190
Verbündeten gewesen war, siebeneinhalb Monate später bei Kursk über doppelt so stark wie ihr Gegner war - gab es auch wichtige politische Auswirkungen. In München, der „Hauptstadt der Bewegung“, rebellierten die Studenten, und obwohl ihr Widerstand brutal gebrochen wurde, bewies er, daß der scheinbar hinter Hitler stehende deutsche Monolith Risse bekommen hatte. Von nun an war jeder an die Ostfront versetzte deutsche Soldat ein Held und Märtyrer zugleich. Die deutschen Hoffnungen, die Türkei zum Kriegseintritt auf der Seite der Achsenmächte bewegen zu können, verblaßten im grellen Licht der Realität ebenso wie der kühne Traum, in den Rücken der Engländer gelangen, die Ölquellen der Alliierten im Mittleren Osten besetzen oder die anglo-amerikanischen Lieferungen an die Sowjetunion durch die Besetzung des Irans unterbrechen zu können. Als Ironie der Geschichte müssen wir es jedoch bezeichnen, daß Deutschland nach diesem schicksalhaften Februartag in Stalingrad noch zweieinviertel Jahre weiterkämpfen konnte. Obwohl es die Ölfelder im Kaukasus nie in seine Hand bekam, wurde es durch die Erfolge der deutschen Chemieindustrie bei der Herstellung von synthetischem Treibstoff aus Kohle in die Lage versetzt, seine Armeen und seine Volkswirtschaft in Gang zu halten - allerdings zugegebenermaßen nicht ohne letztlich auch kriegsentscheidende Engpässe, die allerdings mehr durch alliierte Luftangriffe auf die Hydrierwerke als durch einen Mangel an Rohmaterial oder an Produktionskapazitäten hervorgerufen wurden. Hitlers Befürchtungen in bezug auf die deutsche Ölversorgung, die ihn dazu bewogen hatten, es nicht mit einer bloßen Unterbrechung der sowjetischen Ölversorgung bewenden zu lassen, sondern seine Armeen so zu verzetteln, daß sie sich zum Schluß weder im Kaukasus noch an der Wolga halten konnten, waren übertrieben gewesen. 191
So stellte sich schließlich heraus, daß alles unnötig gewesen war...
Der größte Vorteil auf russischer Seite war die überlegene Kampfkraft der sowjetischen Panzer. Das Auftauchen der ersten T 34 in einem frühen Stadium des Unternehmens „Barbarossa“ war für die Deutschen ein Schock. Später sollte der KW 1 sich als ebenso kampfstark erweisen.
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T 34: Gewicht 32 Tonnen. Geschwindigkeit: 55km/h. Panzerung (maximal): 45mm bei 60°. Besatzung: 4 Mann. Bewaffnung: eine 7,62cm Kanone, zwei 7,62mm MG
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KW 1: Gewicht 52 Tonnen. Geschwindigkeit: 35km/h. Panzerung (maximal): 115mm vorn. Besatzung 5 Mann. Bewaffnung: eine 7,62cm Kanone, drei 7,62mm MG
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Sturmowik: Geschwindigkeit: 400km/h. Bewaffnung: zwei 23mm Kanonen, zwei 7,62mm MG, ein 12,7mm MG (hinten). Bombenzuladung: 600kg. Besatzung: 2 Mann.
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Pzkw III: Die Speerspitzen des deutschen Angriffs. Gewicht: 25,4t. Geschwindigkeit: 45km/h. Panzerung (max.): 50mm. Besatzung: 5 Mann. Bewaffnung: eine 5cm Kanone, zwei 7,92mm MG
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Pak: Sie würden den Angriff zum Stehen bringen. Gewicht: 1,6 Tonnen. Schussweite: 13500m. Geschoßgewicht: 6,25kg.
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Katjuscha-Raketenwerfer („Stalinorgeln“) halfen mit, den ersten Ansturm bei Abganerowo aufzuhalten. Sie schossen ihre Raketen in Salven ab.
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