Seewölfe 444 1
Roy Palmer
Schiffbruch
Es hatte den Anschein, als sollten die Grabkammern der Chimus auf der Insel im ...
10 downloads
527 Views
317KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Seewölfe 444 1
Roy Palmer
Schiffbruch
Es hatte den Anschein, als sollten die Grabkammern der Chimus auf der Insel im Golf von Guayaquil auch für Philip Hasard Killigrew, seine beiden Söhne und die sieben Männer zur letzten Ruhestätte werden. Denn die Ausgänge lagen unter dem Pfeilbeschuß der Indianer – und dann hatten sie rings um den Grabhügel auch noch Feuer entfacht, so daß die Grabstätte zur „Räucherkammer“ wurde, wie Edwin Carberry das ausdrückte. Aber dann hatte Philip junior noch einen Ausgang nach Süden entdeckt, der den Indianern offenbar nicht bekannt war. Dieser Ausgang führte in einen langen Felsgang, der in einer Schlucht endete. Die Schlucht war von den Indianern nicht besetzt. So hatten sich die Männer retten können. Doch dann schlug der Sturm zu. Die Hauptpersonen des Romans: Philip Hasard Killigrew – muß mit seiner Crew einen Schiffbruch hinnehmen, bei dem sie Glück im Unglück haben. Jorge Mantilla – ein Teniente, der an seinem Offiziersberuf zu zweifeln beginnt. Don Pascual de Alcedo – ein Generalkapitän von der Sorte der Feuerfresser und Indianerhasser. Capitan Porfiro – Kommandant der Kriegskaravelle „Estrella de Malaga“ – bis er gezwungen wird, mit seiner Crew über Bord zu springen
1. Don Carlos de Sicas Gesicht war etwas verzerrt. Wieder einmal verfluchte er seinen Posten. Er war der Hafenkommandant von Guayaquil, aber er hatte sich dieses Amt nicht ausgesucht, sondern war vor einigen Jahren von Nombre de Dios aus - wo es ihm bedeutend besser gefallen hatte - hierher versetzt worden. In Guayaquil gab es nicht viel Gold und Silber zu sehen wie in Nombre de Dios, und nie bot sich die Chance, den einen oder anderen Barren oder ein Schmuckstück für private Zwecke „abzuzweigen“. In Guayaquil, so sagte sich de Sica immer wieder, befand er sich am Ende der Welt. Das Nest gefiel ihm nicht. Auch die Chimus, die Indianer, die auf der Insel Puna lebten, waren ihm nicht geheuer, obwohl man eine Art Burgfrieden geschlossen hatte. Guayaquils Hinterland bestand aus menschenfeindlichem, giftigem Dschungel, und in der Stadt und im Hafen selbst gab es ständig
irgendwelchen Ärger, mal Schlägereien, mal Probleme mit den Schiffsladungen, mal Diebstahl oder Zank mit den Huren. Kurz: Don Carlos de Sica haßte Guayaquil. Heute schien es wieder mal soweit zu sein. Drei Patrouillenboote waren von ihrer normalen Inspektionsfahrt nicht zurückgekehrt. Was war geschehen? Kanonendonner war aus Richtung der Insel Puna herübergeweht, eben, im Dunkelwerden. Hatte der Narr von einem Teniente, der ziemlich karrieresüchtig zu sein schien, sich mit einer Meute von Küstenwölfen oder mit ganz üblen Schnapphähnen angelegt? Möglich war alles – und dieser de Sica hatte Capitan Albeniz zu sich gebeten, um ihn um Hilfe zu ersuchen. Albeniz lag seit einer Woche mit drei Schiffen im Hafen vor Anker und ließ das laufende und stehende Gut ausbessern. Die Dreimastgaleone „San Francisco“ und die beiden Dreimastkaravellen „San Siro“ und „Estrella de Malaga“ hatten die Überquerung des Atlantiks und die Umrundung des Kap Hoorns hinter sich.
Roy Palmer
Seewölfe 444 2
Sie kamen direkt aus Cadiz und sollten nach Panama segeln, um das dortige Kontingent zu verstärken. Es handelte sich um drei gut armierte Kriegsschiffe, die erst drei Jahre alt und nach den neuesten Erkenntnissen konstruiert waren. Albeniz war sofort einverstanden. Er ließ sich an Bord der „San Francisco“ bringen und erteilte den beiden ihm untergeordneten Kapitänen, Rodrigo und Porfiro, den Befehl, unverzüglich die Anker ihrer Schiffe zu lichten und mit der „San Francisco“ auszulaufen, um nach dem Rechten zu sehen. Die drei Kriegsschiffe hatten die Reede jedoch noch nicht verlassen, da tauchten im Dunkeln die drei vermißten Schaluppen auf. Ein paar Rufe, die zwischen Albeniz und dem Teniente gewechselt wurden, klärten die Lage, und Albeniz ließ die Segel seiner Schiffe aufgeien. Die Anker rauschten wieder an ihren Trossen aus, Beiboote wurden abgefiert. Albeniz, Rodrigo und Porfiro begaben sich zurück an Land. De Sica, der in seiner Amtsstube noch wütend ein paar Listen und Frachtbriefe abzeichnete, vernahm die Rufe der Menge, die sich am Kai und den Piers versammelt hatte, erhob sich mit einem Ruck und eilte ins Freie. Er sah, wie die drei Schaluppen an einer der langgestreckten Piers anlegten und vertäut wurden. Gleichzeitig verfolgte er das Eintreffen der Beiboote. Er wollte zur Pier laufen und mit dem Teniente sprechen, doch die Menschen versperrten ihm den Weg. „Laßt mich durch!“ schrie er. „Gebt den Weg frei!“ Doch keiner schien ihn zu hören. Alle hatten nur Augen und Ohren für das, was sich jetzt auf der Pier abspielte. Ein lebloser Soldat wurde aus einer der Schaluppen gehievt, und einige andere Uniformierte kletterten offensichtlich unter großen Mühen und mit einigem Stöhnen an Land. De Sica winkte einige Männer der Stadtgarde heran, die sich zufällig in seiner Nähe befanden, und sie drängten die
Schiffbruch
Neugierigen und Schaulustigen so weit ab, daß der Kommandant ungehindert auf die Pier konnte. Zornig steuerte er auf den Teniente zu und herrschte ihn sofort an: „Was ist vorgefallen? Reden Sie!“ Der Teniente erwiderte: „Wir haben auf Puna eine verdächtige Jolle überprüft, sind Spuren gefolgt, die ins Innere führten - und sind in eine Falle der Indianer geraten.“ „Was? Die Chimus sind aufsässig geworden?“ „Ja.“ „Das habe ich schon immer geahnt!“ De Sicas Blick fiel auf den reglosen Soldaten. „Mein Gott - was ist mit diesem Mann los?“ „Er ist tot, Senor Comandante.“ „Und die anderen - verletzt?“ fragte de Sica betroffen. „Wie viele?“ „Sieben Mann, Senor.“ „Unfaßbar!“ „Das werden wir nicht auf uns sitzenlassen“, sagte Capitan Albeniz, der in diesem Moment auf die Pier enterte. „Wir zahlen diesen Wilden heim, was sie uns angetan haben.“ „Wie bitte?“ Der Teniente schüttelte den Kopf. „Davon rate ich ab, Capitan.“ „Ich höre wohl nicht richtig. Soll das heißen, daß Sie diese Kannibalen auch noch in Schutz nehmen?“ „Nein“, entgegnete der Teniente müde. „Ich meine nur, es hat nicht viel Sinn, sich mit ihnen herumzuschlagen. Sie scheinen etwas dagegen zu haben, daß man das Zentrum der Insel aufsucht.“ „Trotzdem hat Capitan Albeniz recht“, sagte de Sica. „Allein der Tod dieses Soldaten verlangt nach Vergeltung. Kommen Sie sofort in die Kommandantur, wir wollen dort die entsprechenden Schritte besprechen.“ Der Teniente hatte keine andere Wahl, er mußte sich beugen. Noch vor wenigen Stunden hätte auch er die gleichen Ansichten vertreten - nur war er inzwischen aus dem Kampf gegen die Chimus in gewisser Weise geläutert hervorgegangen. Er hatte eingesehen, daß
Roy Palmer
Seewölfe 444 3
es verrückt war, ein Exempel statuieren zu wollen, wie er das vorgehabt hatte. Dabei opferte man nur die eigenen Männer. Es war unverantwortlich, keine Rücksicht auf ihr Leben zu nehmen. Dieser Verantwortung war sich der Teniente erst an diesem heutigen Tag bewußt geworden. Er hatte beschlossen, seine Konsequenzen daraus zu ziehen und die Soldaten nicht mehr zu schikanieren, wie er das bisher getan hatte. In Guayaquil gab es keinen Stadtkommandanten wie in anderen Häfen, es war de Sica, der diese Aufgaben gleichzeitig mit wahrnahm. Der Teniente hatte gehofft, eines Tages zum Festungskommandanten befördert zu werden, aber auch darauf war er nicht mehr sonderlich erpicht. Viel wichtiger war, von seinen Männern geachtet zu werden. De Sica indes war überfordert und fühlte sich seinen vielen Aufgaben nicht gewachsen. Er war froh, daß ein Mann wie Albeniz anwesend war. Der Capitan hatte ihm die Entscheidung bereits abgenommen. Ja, man würde diesen Chimus eine Lektion erteilen - mit den drei Schiffen. Das war eine bequeme Lösung. Albeniz' Schiffe würden die Insel mit ihren Kanonen unter Feuer nehmen, aber er, de Sica, würde nicht dabei sein, denn er war im Hafen sozusagen unabkömmlich. So hatte er sich wieder einigermaßen beruhigt, als sie die Amtszimmer betraten. Albeniz, begleitet von seinen beiden Karavellen-Kapitänen Rodrigo und Porfiro, nahm auf einem mit Schnitzwerk versehenen Stuhl in der Mitte der Stube Platz. Rodrigo und Porfiro ließen sich auf einer Bank nieder, de Sica setzte sich hinter sein Pult. Der Teniente gab seinen Männern ein paar Anweisungen, dann zog er die Tür hinter sich zu und trat zu den Offizieren. Während sie sprachen, wurde draußen der Tote zur Festung getragen und dort aufgebahrt. Am nächsten Morgen würde man ihn bestatten. Er hatte Sancho geheißen und war ein anständiger, ehrlicher Soldat gewesen. Nur hatte er
Schiffbruch
nicht schnell laufen können. Und er hatte sich nicht rasch genug zu Boden geworfen, als die Pfeile der Indianer herangezischt waren. Das war ihm zum Verhängnis geworden. In der Festung wurden auch die Verwundeten versorgt, dann gab es für die Teilnehmer der Patrouille eine Extrarunde Branntwein. Die Schaulustigen suchten wieder ihre Häuser oder die Kneipen auf, aus denen sie gekommen waren, und allmählich trat Ruhe ein. Der Teniente erstattete einen präzisen Bericht von dem, was sich auf der Isla de Puna abgespielt hatte. Als er am Ende angelangt war, hieb de Sica empört mit der Faust aufs Pult. „Das ist die Höhe! Was, zum Teufel, ist in diese Wilden gefahren?“ „Ich weiß es nicht, Senor“, erwiderte der Teniente wahrheitsgemäß. Daß sich im Zentrum der Insel ein Grabhügel befand, der von den Indianern als Heiligtum verehrt wurde, wußte er immer noch nicht. „Egal“, sagte de Sica. „Vielleicht haben sie sich berauscht.“ „Das habe auch ich schon vermutet.“ „Leicht könnten sie auch über Guayaquil herfallen“, sagte Albeniz. „Das muß verhindert werden. Jeder Aufstand wird im Keim erstickt. Morgen früh laufen wir aus und nehmen die Hütten dieser Hunde unter Beschuß. Sie laufen uns nicht weg.“ Porfiro, der Kapitän der „Estrella de Malaga“ grinste. „Ja, das ist ganz nach meinem Geschmack. Man muß mit diesem Gesindel aufräumen, wo man kann. Am besten wäre, wenn sie alle ganz verschwinden würden. Es ist ein Fehler, sie am Leben zu lassen.“ Der Teniente blickte ihn an. „Sie meinen, man sollte die Indianer ausrotten?“ „Richtig. Sind Sie etwa anderer Ansicht?“ Porfiro musterte ihn herausfordernd. Rodrigo hatte lauschend den Kopf gehoben und sagte: „Senores, der Wind hat zugenommen. Er weht ziemlich rauh.“ Sie horchten alle auf. Der Wind heulte und jaulte und zerrte an den Fenstern und Türen der Kommandantur.
Seewölfe 444 4
Roy Palmer
„Heute nacht kriegen wir noch Sturm“, sagte Albeniz. „Und solange es dunkel ist, können wir sowieso nichts ausrichten. Hoffen wir, daß sich das Wetter morgen wieder beruhigt hat.“ „Eins ist mal sicher“, sagte de Sica grimmig. „Selbst wenn die Chimus fliehen wollten - sie können jetzt von ihrer Insel nicht runter.“ Porfiro lachte. „Richtig. Sie sind uns ausgeliefert. Sie sitzen wie Ratten in der Falle, die man nur totzuschlagen braucht.“ * Es war die Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 1594. Der Golf von Guayaquil mitsamt der Isla de Puna lag zu diesem Zeitpunkt schon eine Weile hinter der „Esperanza“, der Dreimastkaravelle, die die Seewölfe und Jean Ribault mit seiner Crew in Panama dem sehr ehrenwerten Hafenkapitän abgenommen hatten. Das Schiff kreuzte gegen den härter gewordenen Südsüdwestwind in langen Schlägen südwärts. Kurs auf Arica lag an. Das Ziel sollte Potosi sein, wo sie den Gold- und Silberminen der Spanier einen Besuch abzustatten gedachten - ein Unternehmen, das ihr Erzfeind sicherlich nicht vergessen würde. Aber bis Potosi war es noch weit, und vor den Erfolg hatte der liebe Gott nicht nur den Schweiß, sondern auch einige Anstrengungen und Erschwernisse gestellt, wie Pater David hin und wieder zu bemerken pflegte. Wieder schien sich ein Problem anzukündigen: Sturm. Noch vor Mitternacht wurden Wind und See zusehends ruppiger. Der Seewolf stand mit abgespreizten Beinen auf dem Achterdeck. Außer Pete Ballie, der die Ruderpinne bediente, befanden sich Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane, Dan O'Flynn und Karl von Hutten bei ihm. Ihre Mienen waren bedenklich bis verdrossen, denn daß innerhalb der nächsten Sekunden keine Wetterberuhigung eintrat, sagte ihnen ihre Erfahrung.
Schiffbruch
„Es weht mehr als junge Hunde“, sagte Hasard. „Da bahnt sich ein Sturm an, der eine höllische Nacht verspricht.“ „Sir!“ schrie Carberry von der Kuhl. „Luken und Schotten sind verschalkt!“ „Gut!“ rief Hasard zurück. „Manntaue spannen!“ „Aye, Sir!“ „Also“, sagte Shane. „Das eine steht fest: Wir kriegen ordentlich was auf die Jacke. Verdammt noch mal, dieser Törn scheint unter einem Unstern zu stehen.“ „Ja, man könnte meinen, es sei alles verhext!“ rief Dan im zunehmenden Heulen des Windes. „Fang du jetzt nicht mit der Schwarzmalerei deines Alten an!“ brüllte ihm Ferris ins Ohr. „Das hat uns hier gerade noch gefehlt!“ „Manntaue gespannt!“ brüllte der Profos nach einer Weile. Der Seewolf blickte zu Bill auf, der den Posten des Ausgucks im Großmars versah, und gab ihm durch eine Gebärde zu verstehen, daß er seinen Platz räumen solle. Es wurde höchste Zeit - der Wind orgelte und pfiff heftiger, und die See bäumte sich zu rauschenden Brechern auf. Schwarze Schluchten öffneten sich, die „Esperanza“ stieg die gischtenden Hänge hinauf und raste wieder in tiefe Täler. Wütend zerrte der Wind an den Masten und am Rigg, das Schiff schien bis in seine untersten Verbände zu erbeben, wenn die Brecher gegen die Bordwände donnerten. Bill hatte den Großmars geräumt, gerade noch rechtzeitig genug. Die „Esperanza“ torkelte in den kochenden Fluten. Die Männer klammerten sich an den Tauen fest und fluchten. Es wurde immer schwieriger, die Segelmanöver durchzuführen. „Es ist sinnlos, in Kreuzschlägen gegen den Wind anzubolzen!“ schrie Ben Brighton. „Ja!“ rief Hasard. „Das hält das beste Rigg nicht aus.“ Shane brüllte: „Ganz abgesehen von dem mörderischen Seeschlag, zur Hölle!“ „Fock und Besan bergen!“ schrie der Seewolf.
Roy Palmer
Seewölfe 444 5
Prompt führten die Männer den Befehl aus und wankten dabei in dem gischtenden und spritzenden Wasser, das grünschwarz an den Bordwänden emporstieg, die Decks überflutete und alles zu zerschmettern drohte. Während sie unter erheblichen Schwierigkeiten die Fock und das Besansegel bargen, begann auch das Großsegel wie verrückt zu knattern und zu knallen. „Auch das Großsegel weg!“ schrie Hasard. „Wir haben nur noch eine Chance! Wir lenzen vor Topp und Takel vor dem Sturm und schleppen lange Trossen nach!“ Das taten sie denn auch. Nachdem die Segel weggenommen und geborgen waren, verfuhren die beiden Crews nach einem altbewährten, erprobten System und brachten achtern durch die Hennegatsöffnung eine dicke Trosse aus, die von nun an u-förmig hinter dem Schiff hergeschleppt wurde und ihm mehr Stabilität verlieh. Ein Querschlagen und Aus-dem-Ruder-laufen wurde auf diese Weise verhindert. Dennoch jagte die „Esperanza“ mit Irrsinnsfahrt nordwärts. Drei Männer mußten jetzt am Ruder, einer langen Pinne, stehen, um sie auf Kurs zu halten. Einen Kolderstock hatte die Karavelle nicht, ihre Erbauer hatten eine Pinnensteuerung, die mit mehreren Taljen arbeitete, für sinnvoller gehalten. Hasard, Shane und Pete Ballie hielten die Pinne und hatten sich mit Fangleinen abgesichert, um nicht außenbords gerissen zu werden. Sie versuchten, sich von der Küste an Steuerbord „wegzumogeln“, denn die Möglichkeit, von dem tosenden Wetter auf Legerwall geworfen zu werden, mußte um jeden Preis verhindert werden. Das ging nur mit einem Kurs zwischen Nordnordwest und Norden zum Westen, also wenig Ruderlage. Legten sie das Ruder härter, dann bestand die Gefahr des Querschlagens, trotz der nachgeschleppten Leinen. „He!“ brüllte Shane. „Was passiert, wenn der verfluchte Sturm weiter nach Westen dreht?“
Schiffbruch
„Das weißt du selber!“ schrie Hasard zurück. „Und denk am besten gar nicht dran!“ brüllte Pete Ballie. „Dann ist Ende der Seefahrt!“ schrie der graubärtige Riese. „Aber wir werden ihm schon was husten, diesem Scheiß-Sturm!“ Es schien eher der umgekehrte Fall einzutreten. Die Küste drüben an Steuerbord, die sie zur Zeit bei Sicht gleich null nur ahnen konnten, konnte sich rasch in eine mörderische Falle für das Schiff und seine Mannschaft verwandeln. Dies hatten sie ständig vor Augen, und sie kämpften darum, die „Esperanza“ auf ihrem Kurs zu halten. Der Sturm zeigte indes kein Ermatten. Mahlzeit, dachte Hasard, das kann noch lange dauern, mindestens bis in die Morgenstunden. Gegen vier Uhr morgens am neuen Tag, dem 27. Oktober, lösten Ben Brighton, Jan Ranse und Piet Straaten die drei Männer am Ruder ab. Es wurde ein gefährlicher Wachwechsel, weil die Fangleinen gelöst werden mußten. Pete Ballie glitt dabei aus, ruderte mit den Armen und stimmte ein höllisches Gebrüll an. Ein Brecher ergoß sich donnernd über das Deck und hüllte ihre Gestalten ein, aber Ben hielt Pete fest und zerrte ihn zu sich heran. Pete hangelte in einem Manntau auf die Balustrade zu, Ben legte sich seine Fangleine an. Ebenso verfuhren die anderen, und so ging auch dieses Manöver schließlich klar. Hasard, Pete und Shane waren klatschnaß und ziemlich stark verausgabt. Sie arbeiteten sich nach unten und suchten das Achterdeck auf. Pete torkelte durch den unterern Mittelgang nach vorn zu den anderen, die im Logis hockten. Hasard und Shane gesellten sich zu Ferris, Ribault, Karl von Hutten, Pater David, Araua, Dan, Roger Brighton und den Zwillingen, die sich in der Kapitänskammer versammelt hatten. Natürlich waren fast alle Männer unter Deck, um nicht über Bord gespült zu werden. Manöver waren vor Topp und Takel ohnehin nicht durchzuführen. Zu tun
Seewölfe 444 6
Roy Palmer
gab es allerdings dennoch etwas - nämlich Arbeit an den Lenzpumpen. Trotz der verschalkten Luken und Schotten drang Wasser in das Schiff. „Und das muß raus“, sagte Ferris Tucker, nachdem er Hasard einen kurzen Bericht erstattet hatte, wie es im Inneren der Karavelle aussah. „Vier Mann sind ständig an den Pumpen, ich lasse sie im zweistündigen Turnus ablösen.“ „Gut“, sagte der Seewolf. „Haben wir irgendwo Leckstellen?“ „Keine.“ „Hoffentlich bleibt es auch dabei“. „Das kann keiner wissen“, sagte der rothaarige Riese. Dann duckten sich alle unwillkürlich, denn wieder donnerte ein gewaltiger Brecher gegen die Bordwand, und es hatte den Anschein, als müsse die „Esperanza“ jeden Augenblick unter dem immensen Anprall zerbersten. Aber sie hielt stand. Ferris kontrollierte in bestimmten Zeitabständen die Bilge und geisterte auch sonst unter Deck herum, um alles zu überprüfen. „Bilge ist fast trocken!“ rief er, als er seinen Kopf wieder zur Kapitänskammer hereinsteckte. „Die nächste Schicht an den Pumpen übernehmen Ed, Blacky, Puchan und Grand Couteau!“ „Wir können also hoffen, daß wir das Wetter glimpflich überstehen?“ fragte Pater David. Hasard blickte ihn an. „Das einzige, was du jetzt tun kannst, ist beten“, erwiderte er. 2. Ungefähr zur selben Zeit verließ der Teniente die Stadtfeste von Guayaquil und begab sich zum Hafen hinunter. Der Sturm riß ihn fast um. Er fegte über die Reede, die Hafenanlagen und die Stadt und pfiff durch die Gassen und Straßen wie durch öde Schluchten. Wie ausgestorben war das Leben in Guayaquil, und doch wußte der Teniente, wo es sich nach wie vor ohne sonderliche Veränderungen abspielte. Während sich die Familien in ihren Häusern bangend in den Betten
Schiffbruch
verkrochen, setzten die Hartgesottenen und Abgebrühten ihre gewohnten Aktivitäten fort. Das waren die Küstenwölfe, Glücksritter und salzgewässerten Rauhbeine, die in den Kneipen und Kaschemmen bei Wein, Spiel und Weibern zusammenhockten. Nichts konnte sie beirren, auch der stärkste Sturm nicht. Ihre Gesellschaft suchte der Teniente ausgerechnet an diesem Abend, obwohl er sonst ungern in die Hafenkneipen ging. Er brauchte Abwechslung und mußte sich zerstreuen. Nachdem er seinen Rapport schriftlich abgefaßt und in der Kommandantur abgeliefert hatte, hatte er sich um seine Männer gekümmert. Die Verwundeten waren versorgt, für sie bestand keine Lebensgefahr. Sancho, der Soldat, war aufgebahrt worden. Am Morgen würde man ihn bestatten, falls die Wetterverhältnisse es dann zuließen. Es gab nichts mehr zu tun für den Teniente. Er hatte jetzt dienstfrei und seine Montur mit schlichter, normaler Kleidung vertauscht. Ein innerlicher Antrieb, den er sich selbst nicht zu erklären vermochte, zwang ihn fast dazu, die verrufenste aller Hafenspelunken aufzusuchen. Er wollte Wein trinken, eine ganze Gallone, und er wollte verdrängen, was sich am Tag abgespielt hatte. Im dämmrigen Licht der Öllampen, die von den Deckenbalken der Kellerkneipe herunterbaumelten, schenkte ihm kaum jemand Beachtung. Er nahm an einem Ecktisch hinter einer Stützsäule Platz und bestellte bei dem Schankgehilfen Wein, roten Wein, eine ganze Gallone. Mit mürrischem Gesicht schlurfte der Kerl davon und kehrte zurück, und der Teniente begann, sich mit dem tiefroten Rebensaft zu befassen. Er trank sonst wenig und konnte sich entsinnen, nur ein- oder zweimal richtig berauscht gewesen zu sein. Disziplin, Ordnung, Zucht - an diese wichtigen Grundsätze des militärischen Reglements hielt er sich. Doch welchen Wert hatte das? Und wie stand er seinen Männern gegenüber, die
Roy Palmer
Seewölfe 444 7
sich tapfer geschlagen hatten, wenn er immer nur auf die Disziplin pochte? Sie ließen sich für ihn erschießen, also waren sie gute und mutige Soldaten. Aber er durfte sie nicht ausnutzen. Er trug die Verantwortung für sie, aber erst auf der Insel Puna war ihm aufgegangen, mit welch hohem Risiko diese Aufgabe verbunden war. Folglich mangelte es ihm an Erfahrung. Nach dem dritten Becher Wein begriff er auch dies. Er durfte seine Erfahrungen nicht sammeln, indem er seine Männer in den Tod schickte. Gewiß, er hatte nicht ahnen können, daß sie in ein Wespennest gerieten, aber er hätte doch jede Eventualität im voraus berechnen müssen. Der Tod des Soldaten Sancho ging ihm sehr nah. Näher, als er es vor sich selbst eingestehen wollte. Aber warum sollte er die Chimus deswegen hassen? Trug er nicht selbst mit einen Teil der Schuld daran, daß Sancho gestorben war? Diese Indianer - warum verwünschte er sie nicht? Sie hatten ihn mit seinem Trupp in eine Falle gelockt, aus der keiner von ihnen entkommen wäre, wenn sich der Bootsmann nicht klugerweise entschlossen hätte, einen Trupp als Verstärkung ins Innere der Insel zu schicken. Und auch da hatte er, der Teniente, einen groben Fehler begangen: Er hatte dem Bootsmann aufgetragen, sich um keinen Preis vom Fleck zu `rühren. Hätte der Mann sich daran gehalten, wäre ein grausames Gemetzel die Folge gewesen. Der Bootsmann hatte seine Entscheidung auf seine eigene Kappe genommen und erwartete wohl, daß der Teniente ihn deswegen maßregeln würde. Doch der Teniente hatte nichts dergleichen getan und wieder hatte er seinen Leuten ein Rätsel aufgegeben. So kannten sie ihn nicht. Er zeigte sich ihnen von einer neuen Seite. Einen neuen Kurs einschlagen, dachte der Teniente, das werde ich wohl tun müssen. Selbstkritik üben. Sanchos Tod ist durch das Ende des Häuptlings vergolten worden. Eine weitere Aktion gegen die Chimus
Schiffbruch
wäre nicht erforderlich. Die Truppe muß geschont und anständig behandelt werden. Der Hafenkommandant de Sica, Capitan Albeniz und auch Rodrigo und Porfiro dachten in diesem Punkt völlig anders. Endlich einmal konnte man diesen „Wilden“ zeigen, daß sie nichts anderes als Dreck waren und den Tod verdient hatten. Insbesondere Porfiro schien nur darauf zu lauern, endlich loslegen zu dürfen. Der Teniente konnte sie nicht daran hindern, und er würde ihnen auch nicht widersprechen, denn er war weder ein Meuterer noch ein Deserteur. Aber er wußte, daß er seinen eigenen Weg gehen würde, auf dem sie ihn durch ihr Gerede nicht zu beeinflussen vermochten. Er war willensstark und hatte einen harten, unbeugsamen Charakter. Beim sechsten Becher Wein fiel ihm etwas ein. Diese Buckelhügel im Inneren der Insel Puna - konnte es sich dabei nicht um eine Art Heiligtum handeln? Möglicherweise war es ein Tabu der Chimus, und deshalb verteidigten sie es mit Zähnen und Krallen. Sie waren Heiden und beteten Götzen an, aber wenn seine Überlegung richtig war, gab es einen Grund dafür, warum sie so aufgebracht gewesen waren. Und die Insassen der Jolle, die man am Nordufer gefunden hatte? Es hatte sich nicht klären lassen, wer sie waren und wo sie sich befanden. Waren sie am Ende Freibeuter, die sich auf die Insel verirrt hatten und von den Chimus getötet und ins Wasser geworfen worden waren? Möglich war es, denn anderenfalls hätte der Teniente mit seinem Trupp doch auf sie stoßen müssen. Wo allerdings das Schiff war, zu dem die Jolle als Beiboot gehörte, würde sich wohl nie klären lassen. Handelte es sich wirklich um die Dreimastkaravelle „Esperanza“? Wurde sie von Spaniern geführt, warum lief sie dann nicht einfach den Hafen von Guayaquil an? Nein, es konnten keine Spanier sein. Es waren Schnapphähne der übelsten Sorte gewesen, denn die Chimus hatten sie getötet.
Roy Palmer
Seewölfe 444 8
Der Teniente war beim achten Becher Wein angelangt, da registrierte er, wie sich ihm eine schlanke Gestalt näherte. Eine Frau - sie verharrte an der Stützsäule und blickte ihn an. Sie war schwarzhaarig und hatte dunkle Augen, in denen ein geheimnisvolles Feuer zu glimmen schien. Ihre Lippen waren etwas trotzig aufgeworfen, ihr Gesicht war hübsch mit einem Zug des Gewöhnlichen, der sich auch durch die Schminke nicht verbergen ließ. Ihre Brüste schienen aus dem Kleidausschnitt hervorquellen zu wollen, ihre Hände lagen herausfordernd auf den üppigen Hüften. Sie musterte ihn von oben bis unten und sagte: „Ich bin Rafaela.“ Er schaute zu ihr auf und lächelte. „Es freut mich, dich kennenzulernen, Rafaela.“ Was war in ihn gefahren? Normalerweise hätte er sie als ordinäres Frauenzimmer verflucht und arrogant abgekanzelt. Aber es mußte am Wein liegen, daß er heute abend ganz anders war. „Darf ich mich setzen?“ fragte sie. Er beschrieb eine einladende Gebärde. „Bitte.“ Sie ließ sich auf der Bank nieder und rutschte ein Stück auf ihn zu. „Ich kenne dich, ich habe dich schon oft in der Stadt gesehen. Du bist dieser ganz scharfe Teniente, der die Soldaten zurechtschleift, nicht wahr?“ „Habe ich diesen Ruf?“ Sie lachte leise. „So sagt man jedenfalls.“ „Aha. Nun, ich heiße Jorge Mantilla.“ Rafaela deutete auf den Weinkrug. „Genehmigst du mir einen Schluck, Jorge? Ich habe schrecklichen Durst.“ Er ließ einen zweiten Becher bringen, und sie tranken gemeinsam. Der Sturm tobte und heulte und riß ein paar Pfannen vom Dach, doch davon bemerkten sie nichts, denn nach dem dritten gemeinsamen Becher lagen sie sich bereits in den Armen. „Es würde auch mir gefallen, von dir gehörig zurechtgestaucht zu werden, Amigo“, murmelte Rafaela mit rauchiger Stimme. Etwas später, als sie in einem der oberen Zimmer der Kaschemme gemeinsam auf
Schiffbruch
das Bett sanken, war Mitternacht schon lange vorbei. Es ging auf fünf Uhr zu. Aber Jorge Mantilla, der Teniente, hatte jeglichen Zeitbegriff verloren. Rafaela, die Hure, hatte nicht den geringsten Grund, sich um die Zeit zu kümmern. Sie ging ihrem Metier nach. Sie liebten sich, und der Teniente hatte allen Grund zu der Feststellung, daß sich Rafaela auf ihr Geschäft verstand. Das Zusammensein mit ihr bereitete ihm gehörigen Spaß - mehr, als er jemals vermutet hatte. Und was war schon dabei, sich ein bißchen mit ihr zu vergnügen? Das Leben hatte auch seine angenehmen Seiten, und man mußte die Feste feiern, wie sie fielen. Er konnte nicht ahnen, daß ihn nicht nur seine Soldaten jetzt beneidet hätten. Die komplette Besatzung einer dreimastigen Karavelle hätte ein Vermögen dafür gegeben, an seiner Stelle sein zu dürfen fünfzig Männer, die um diese Zeit mit dem höllischen, mörderischen Sturm rangen, der es darauf angelegt zu haben schien, sie zu vernichten. * Um acht Uhr war wieder Wachwechsel am Ruder der „Esperanza“. Le Testu, Montbars und Mel Ferrow aus der Crew von Jean Ribault waren dieses Mal an der Reihe. Fluchend lösten sie Ben Brighton, Jan Ranse und Piet Straaten ab, und wieder gab es einige Schwierigkeiten mit den Fangleinen. Schließlich aber rückten Ben und die beiden Holländer ab, und Mel und die beiden Franzosen stemmten sich mit aller Kraft gegen die Ruderpinne. Der Wind dröhnte und orgelte immer noch mit Sturmstärke aus Südsüdwesten. „Verflucht!“ brüllte Montbars. „Das geht noch den ganzen Tag so, und wir segeln zurück nach Panama!“ „Mal nicht den Teufel an den Mast!“ schrie Le Testu. „Hoffentlich bricht die elende Trosse nicht!“ brüllte Montbars.
Roy Palmer
Seewölfe 444 9
„Maul halten!“ fuhr Mel Ferrow ihn an. „Du säufst sonst Seewasser und könntest daran ertrinken, verstanden?“ Es schien, als habe Montbars das Unheil wirklich heraufbeschworen. Knappe fünf Minuten nach dem Wachwechsel brach tatsächlich eine der nachgeschleppten Trossen. Sie war um den Besanmast belegt und lief von dort - abgelenkt von einem Poller - nach Backbord achtern durch ein Speigatt am Heck in die See. Diese Trosse brach direkt am Besanmast. Ob es durch Schamfilen oder wegen zu hoher Belastung geschah, war nicht mehr feststellbar. Es gab nur einen Ruck und eine Art Knall, und die Trosse verschwand in der See. Dabei fetzte sie über das Achterdeck und erwischte Le Testu und Mel Ferrow. Sie senste die beiden im wahrsten Sinne des Wortes um, und sie landeten auf den Planken. Montbars reagierte geistesgegenwärtig und konnte sich gerade noch abducken. Die Trosse knallte Le Testu gegen den Kopf. Mel Ferrow verpaßte sie einen peitschenden Schlag vor die Brust. Stöhnend sanken sie zusammen, und dann hingen sie nur noch an ihren Fangleinen, Le Testu offenbar bewußtlos und mit blutender Kopfwunde. Mel Ferrow röchelte nach Luft. Montbars begann wie ein Irrer zu brüllen. „Hilfe! Verdammt - es hat sie erwischt, alle beide! He!“ Es heulte, toste und brauste, und die „Esperanza“ raste wie ein durchgehendes Pferd durch die See - eine Folge der jetzt fehlenden Trosse. Montbars quollen wegen der Kraftanstrengung die Augen aus den Höhlen, denn er mußte die Pinne jetzt allein bändigen. Wieder schrie er, aber er wußte nicht, ob die Crew seinen Alarmruf in dem tobenden Inferno vernahm. Hasard hatte jedoch den Ruck gespürt, mit dem die Karavelle regelrecht angesprungen war, und er hatte auch den Knall der brechenden Trosse vernommen. Er war als erster auf dem Achterdeck. Karl von Hutten, Dan O'Flynn und Big Old Shane folgten ihm, dann erschien auch die
Schiffbruch
mächtige Gestalt von Carberry. Auch Mulligan tauchte auf. „Anpacken!“ rief Hasard, der die Lage mit einem einzigen Blick erfaßte. „Helft mir!“ Sie bargen Le Testu und Ferrow ab und befreiten sie von den Fangleinen. „Der Kutscher soll sich um sie kümmern!“ schrie der Seewolf. Dan, Mulligan und der Profos schleppten den Franzosen und den Engländer auf die Kuhl hinunter und von dort aus zum Vordeck. Immer wieder riskierten sie, auszugleiten oder den Halt der Manntaue zu verlieren. Es war kein leichtes Stück Arbeit, die beiden Verletzten bis zum Schott zu bugsieren. Aber dann eilten ihnen auch der Kutscher, Mac Pellew und George Baxter zu Hilfe, und gemeinsam gelang es ihnen, Le Testu und Ferrow ins Logis zu schaffen. Hier halfen sie dem Kutscher, die beiden Männer in zwei Kojen zu packen und festzubinden, damit sie nicht wieder herausrollen konnten. Der Kutscher untersuchte sie, aber auch das war nicht einfach, denn er konnte kein Licht entfachen und war auf das angewiesen, was er im Dunkeln halbwegs erkennen oder ertasten konnte. Karl von Hutten und Shane waren unterdessen an die Pinne gesprungen. Hasard leinte sie an. Inzwischen waren auf dem Hauptdeck noch mehr Männer erschienen. „Eine neue Trosse ausfahren!“ schrie der Seewolf ihnen zu. „Aye, Sir!“ brüllten sie zurück und begaben sich sofort ans Werk. Sie schufteten wie die Kesselflicker - und das bei dem rollenden und stampfenden, sich wie verrückt gebärdenden Schiff, das ständig von Brechern überspült wurde. „Alles in Ordnung?“ rief Hasard Shane, von Hutten und Montbars zu. „Alles klar jetzt!“ schrie. Shane. Montbars durfte aufatmen. Allein hätte er die Pinnensteuerung nicht mehr lange bewältigt, obwohl er alles andere als ein schwacher Mann war. Hasard hatte sich entschlossen, noch mehr Trossen achtern auszubringen, auch den
Roy Palmer
Seewölfe 444 10
Treibanker. Er hangelte auf das Hauptdeck hinunter und gab seine Befehle. „Sir!“ schrie der Profos. „Sollen wir als Widerlager wieder den Besanmast nehmen?“ „Nein, der hält nicht! Nehmt den Großmast!“ Dan O'Flynn war auch wieder zur Stelle. Mulligan war vorerst im Logis geblieben, aber es tauchten Bob Grey, Luke Morgan, Dave Trooper, Fred Finley und Gordon McLinn als zusätzliche Verstärkung auf der Kuhl auf. Sie hatten Hasards Order vernommen und packten sofort mit zu. „Wie sieht es unten aus?“ rief Hasard Dan zu. „Der Kutscher verarztet die beiden!“ „Besteht Lebensgefahr?“ „Nein, auf keinen Fall! Sie haben sich höchstens ein paar Knochen gebrochen!“ „Die heilen auch wieder!“ stieß der Seewolf hervor. Und er hatte recht: Schlimmeres hätte passieren können. Wären Le Testu und Ferrow außenbords gefegt worden, hätte es für ihr Leben keine Chance mehr gegeben. Keiner hätte sie aus den kochenden und brodelnden Fluten wieder herausgeholt. Beherzt versahen die Männer ihr Werk. Die Zugkräfte der ausgebrachten und nachgeschleppten Trossen waren ungeheuer groß, die Belastung am Besanmast wäre tatsächlich zu stark gewesen. Und eine andere Möglichkeit, die Trossen anzuschlagen, gab es nicht. Man nahm für diese Zwecke immer die Masten beziehungsweise die Spills, weil sie fest im Schiffskiel verankert waren. Ferner wurden sie nach oben hin von den Zwischendecksund Hauptdecksbalken abgefangen. Nur im Oberdeck verankerte Poller mußten unter der starken Zugbelastung der Trossen zwangsläufig wegbrechen. Jetzt dienten die Poller lediglich dazu, die Trossen umzulenken und fächerartig nach achtern zu führen, wo sie über Lippklampen oder durch Speigatten nach achteraus in die See gefahren wurden. Im Übrigen wurden die Trossen mit mehreren Rundtörns um den Mast gelegt und zuletzt mit einem oder zwei halben
Schiffbruch
Schlägen gesichert. Um zu verhindern, daß die Trossen Kerben in den Mast scheuerten, mußten Matten manschettenartig an den gefährdeten Stellen um den Mast gepackt werden. Als alles bewerkstelligt war, ging die Höllenfahrt etwas verlangsamt weiter nordwärts. Hasard vergewisserte sich, daß die Trossen nicht brechen konnten und alles seine Richtigkeit hatte, dann verschwand er kurz unter Deck, um nach Le Testu und Mel Ferrow zu sehen. Schon aus einiger Entfernung vernahm er trotz der Sturmgeräusche ein Stöhnen. Er arbeitete sich bis zum Logis vor und stieß um ein Haar mit einem Mann zusammen Mac Pellew. „Kannst du nicht aufpassen?“ sagte Hasard. „Tut mir leid, Sir“, sagte Mac, als sei er den Tränen nahe. „Aber ich hab' nun mal keine Katzenaugen, Sir.“ „Schon gut. Wo sind Le Testu und Ferrow?“ „Hier im Logis, und sie sind gut versorgt, das kann ich beschwören.“ „Kutscher“, sagte der Seewolf. „Wie sieht es aus?“ „Le Testu hat eine Platzwunde am Kopf“, erwiderte der Kutscher. „Im übrigen ist er ziemlich dösig, scheint mir.“ „Ziemlich - dösig ist gut“, brummelte Le Testu. „Ganz verdammt -dösig und weggetreten, glaub' ich.“ Aber niemand verstand ihn. Alle lauschten dem, was Hasard und der Kutscher sprachen. „Bei Mel Ferrow sind einige Rippen angeknackt“, sagte der Kutscher. „Ich habe ihm den Brustkorb fest bandagiert.“ „Hölle, deswegen tut's beim Atmen weh!“ schrie Ferrow, aber er verstummte sofort wieder, denn die Schmerzen in der Brust nahmen beim Sprechen zu. „Beide Männer brauchen Ruhe“, sagte Hasard. „Ja“, bestätigte der Kutscher. „Aber Grund zur Besorgnis besteht nicht.“ „Immerhin, sie fallen beide für die nächste Zeit aus“, sagte der Seewolf. „Wir können aber noch froh sein, daß es so und nicht
Seewölfe 444 11
Roy Palmer
anders abgegangen ist.“ Er wechselte noch ein paar Worte mit Ribault, der inzwischen auch herangehumpelt war. Die Pfeilwunde im Oberschenkel setzte dem Franzosen ziemlich zu. Dann kehrte Hasard an Oberdeck zurück. „Dan!“ schrie er. „Kannst du unseren Standort schätzen?“ „Nur grob!“ „Haben wir den Golf von Guayaquil schon passiert?“ „Meiner Meinung nach ja!“ schrie Dan. „Wie weit sind wir von der Küste an Steuerbord entfernt?“ „Das ist nicht zu ermitteln!“ Die Sicht war auch jetzt, bei Tage, nicht sehr viel besser als während der Nacht. Schwarz waren die tosenden Fluten der See, Gischt- und Regenschwaden hüllten die „Esperanza“ wie ein einziger Umhang ein. Der Himmel war graudunkel. Mal zuckte ein Blitz, mal donnerte es, und hin und wieder fegte der Regen über die Decks der Karavelle. Es war eine Höllenfahrt, ins Nichts, vor Topp und Takel lenzend, ohne Orientierung, ohne jeglichen Anhaltspunkt. 3. Die eigentliche Tragödie bahnte sich am Spätnachmittag dieses 27. Oktober an. An der Ruderpinne standen wieder Ben Brighton und die beiden Holländer, wie üblich mit Fangleinen gesichert. Auf Ausgucks mußte der Seewolf nach wie vor verzichten, erstens wegen der schlechten Sicht, die das Blickfeld auf ein Minimum beschränkte und daher nichts brachte, zweitens wegen der Gefahr, daß der Ausguck außenbords gerissen wurde. So geschah es, daß die drei Rudergänger das drohende Unheil viel zu spät bemerkten. Die „Esperanza“ raste direkt in ihren Untergang: auf ein Höllentor zu, das an Backbord und Steuerbord von hohen Felswänden gebildet wurde. Plötzlich waren diese Felsen da, wie finstere Giganten, und sie schienen an der Karavelle vorbeizufliegen.
Schiffbruch
„Hölle und Teufel!“ brüllte Jan Ranse. „Was ist das?“ „Felsen!“ schrie Piet Straaten zurück. „Was denn sonst?“ „Wir müssen beidrehen!“ brüllte Ranse. „Zu spät!“ schrie Ben Brighton. Und so war es auch: Für die „Esperanza“ gab es keine Rettung mehr. Sie war ihrem Schicksal ausgeliefert, und mit ihr schienen die fünfzig Männer, Araua, Lymmie, Arwenack und Sir John des Todes zu sein. Die Männer schrien und fluchten durcheinander, aber auch das nutzte nichts. Entsetzt blickten sie voraus. Wo waren die Felsen? Verschwunden? Wann tauchte das Riff auf, auf dem die Karavelle zerbrechen würde wie morsches Holz? Augenblicke später fegte die „Esperanza“ in eine Bucht. Dan O'Flynn sah Palmen, die sich grau und unwirklich im Sturmwind zu biegen schienen. Oder erlag er einer Halluzination? Nein - die „Esperanza“ raste geradewegs auf einen Sandstrand zu. Und dann passierte es auch schon. „Zum Henker!“ brüllte Carberry außer sich vor Wut. „Sie steigt an Land!“ So war es - die Karavelle rutschte krachend und knirschend über den weißen Sandstrand. Grotesk und absurd zugleich war die Tatsache, daß sie nicht auf Felsen oder Unterwasserbarrieren krachte, wie alle angenommen hatten, sondern über sandigen Untergrund furchte und sich hoch auf den Strand schob, bis in die unmittelbare Nähe der Palmen. Der Sand wirkte bremsend, aber der Aufprall der „Esperanza“ war dennoch derart stark, daß alle drei Masten wegbrachen. Es splitterte und krachte, und Hasard und Carberry schrien gleichzeitig: „Deckung!“ Die Männer, die sich an Oberdeck befanden, warfen sich in Sicherheit. Der Besanmast kippte nach Backbord voraus, der Großmast nach voraus in Mittschiffsrichtung, wobei er gleich den Fockmast mitnahm. Beide schlugen auf die Back. Die Planken gaben nach, Trümmer wirbelten durch die Luft. Entsetzt sahen
Roy Palmer
Seewölfe 444 12
die Männer, daß das Vorkastell zerstört war. Furchtbare Flüche ertönten. Unten, im Achterschiff, bekreuzigte sich Pater David. „Gott sei uns gnädig“, murmelte er. Die „Esperanza“ hatte sich nach Backbord geneigt. Hasard arbeitete sich über die schiefen Decks auf seine Männer zu und vergewisserte sich, daß niemand verletzt war. Dann verschaffte er sich ein genaueres Bild von der Lage, wandte sich auf dem Hauptdeck zu seinen Männern um und rief: „Ende der Reise! Aber wir haben noch mal Glück gehabt!“ Das stimmte. Die Männer waren mit ein paar leichten Beulen und Prellungen davongekommen, ernsthafte Blessuren gab es nicht. Die „Esperanza“ steckte fest im Sand, hinter sich hatte sie eine tiefe Furche zurückgelassen, die der Kiel gezogen hatte. Sie krängte um etwa vierzig Grad nach Backbord und saß hoch und trocken. Ben Brighton und die beiden Holländer standen immer noch an der Ruderpinne. „He!“ schrie Roger Brighton, der gerade auftauchte, ihnen zu. „Was ist los? Habt ihr Mondmännchen gesehen?“ „Wir sind ihnen begegnet“, murmelte Ben entgeistert. Natürlich hatte es auch Jan, Piet und ihn umgerissen, aber sie hatten sich zwischenzeitlich wieder aufgerappelt. „Wißt ihr, was ich glaube?“ murmelte Jan. „Wir haben Schiffbruch erlitten.“ „Was du nicht sagst“, knurrte Piet. „Das hab' ich noch gar nicht bemerkt.“ Big Old Shane war unter Deck gewesen. Als er jetzt auf dem Achterdeck erschien, rieb er sich eine Stirnbeule, schaute sich um und sagte deutlich und vernehmbar: „So eine Scheiße!“ Dan war neben ihm und deutete, ohne ein Wort zu sagen, zur Bucht. Shane wandte den Kopf und blickte zu den steilen Felswänden, die die Einfahrt zur Bucht bildeten. „Oh“, sagte er, und dann verbesserte er sich: „Nein, wir haben Glück gehabt!“ „Du bist nicht der erste, der das feststellt“, sagte Dan mit schiefem Grinsen.
Schiffbruch
Hasard enterte auf das Achterdeck. „Wäre die ,Esperanza` gegen die Felsen gekracht, hätte es Tote und Verletzte gegeben“, sagte er. „Das solltet ihr euch vor Augen halten.“ „Klarer Fall!“ rief Ferris Tucker. „Wir sind noch mal mit einem blauen Auge davongekommen! Aber Schiffbruch bleibt Schiffbruch.“ „Da hast du recht“, sagte der Seewolf. „Keiner wird dir widersprechen. Aber diese spanische Lady können wir abschreiben, Freunde.“ „Was?“ brüllte Carberry, der erstaunlicherweise trotz Sturmheulens alles verstanden hatte, auf dem Hauptdeck. „Und wir marschieren zu Fuß nach Potosi, wie? Ohne mich!“ „Du willst also umkehren?“ fragte Blacky. „Dann mußt du aber auch bis nach Panama traben.“ „Erzähl' hier keinen Stuß, Mister!“ fuhr der Profos ihn an. „Ich muß nachdenken!“ „Das ist eine gute Idee“, sagte Smoky. Er rieb sich den Kopf. Die Wunde, die ihm die Chimus auf Puna mit ihren Pfeilen beigebracht hatten, schmerzte wieder. Aber was bedeutete das schon? Man mußte froh sein, daß man lebte. „Die Bilanz sieht so aus“, sagte der Seewolf. „Die Masten sind weg, die Back ist eingeschlagen, die Planken sind zum Teil eingedrückt oder beim Auflaufen geborsten. Das läßt sich mit Bordmitteln nicht mehr beheben.“ „Richtig“, pflichtete Ferris ihm bei. „Aber vielleicht kriegen wir an Land das erforderliche Material zusammen.“ „Das kundschaften wir gleich aus“, sagte Hasard. „Erst mal müssen wir uns mit unserer Lage abfinden.“ „Was anderes bleibt uns wohl auch nicht übrig“, sagte Ben, nachdem er sieh losgeleint hatte. „Potosi liegt in unerreichbarer Ferne für uns, aber daran sollten wir lieber nicht denken.“ „Wenn ich den Fall so betrachte, erscheint mir alles ziemlich unwirklich“, sagte Karl von Hutten. „Auch die Ruhe ist geradezu unheimlich.“
Roy Palmer
Seewölfe 444 13
Ja, das fiel ihnen erst jetzt richtig auf. Das Heulen, Tosen und Rauschen war nicht mehr so stark zu vernehmen, obwohl draußen der Sturm weiterhin tobte und von Süden her durch den Eingang in die Bucht fegte, die eine Art Kessel zwischen aufragenden Felswänden bildete. Nur hier, am Nordrand des Kessels, lag ein breiter Streifen Sandstrand, der offenbar in Tausenden von Jahren angeschwemmt worden war. „Das ist ja wirklich ein Ding“, sagte Jean Ribault, während sie sich alle kopfschüttelnd und noch benommen von dem Unglück umschauten. „Ausgerechnet hier sind wir gelandet? Mann, vielleicht haben wir so etwas wie einen Schutzengel.“ „Wir haben Pater David an Bord“, sagte Hasard grinsend. „Vergeßt das nicht.“ Der Gottesmann trat auf sie zu. „Ich bin froh, unter euch zu sein“, sagte er. „Aber Zufälle wie dieser entziehen sich meinem Einfluß.“ „Na schön“, sagte Shane. „Meinetwegen. Aber kräftig gebetet hast du doch, oder? Na also. Das hat was genutzt.“ „Und was unternehmen wir jetzt?“ wollte Dan O'Flynn wissen. Carberry rief fast im selben Moment: „He, was ist denn da vorn los, zum Teufel noch mal?“ Gepolter war aus dem Vorschiff zu vernehmen. „Es spukt“, sagte Philip junior grinsend. Araua, die sich inzwischen auch auf der Kuhl befand, fügte hinzu: „Vielleicht sollten wir mal nachsehen, um welche Art von Bordgeistern es sich handelt.“ „Ach, seid doch still, ihr Heringe“, sägte der Profos, dann marschierte er selbst auf das noch halbwegs intakte Schott des Vorkastells zu. Es wurde von innen geöffnet, und Mac Pellew streckte seinen Kopf ins Freie. Wie immer war seine Miene todtraurig. „Du?“ herrschte Carberry ihn an. „Du hast uns gerade noch gefehlt!“ „Hast du mich nicht gerufen?“ „Nein! Wenn ich dein Gesicht sehe, kriege ich das Heulen!“
Schiffbruch
„Mac“, sagte eine Stimme hinter Macs Rücken. „Beeil dich! Was ist los? Ich kann das Ding nicht mehr lange halten!“ Mac drehte sich langsam um. „Alle sind gegen mich. Was hab' ich bloß an mir, daß mich alle andauernd anstänkern?“ „Nichts“, erwiderte der Mann hinter ihm der Kutscher. „Nun pack schon an, damit wir das Ding aufs Deck kriegen.“ Seufzend bückte sich Mac Pellew und drückte das Schott mit einem Fuß ganz auf. Dann wuchteten der Kutscher und er auf die Kuhl, was sie aus dem Vorratsraum geholt hatten: ein Faß! Carberrys Augen weiteten sich. Das Faß rumpelte an ihm vorbei und wäre zweifellos an Backbord durch das Schanzkleid gekracht, wenn der Kutscher und Mac es nicht festgehalten hätten. „Der Landfall muß gefeiert werden!“ rief der Kutscher. „Es gibt Rum!“ „Du lieber Gott“, sagte Smoky. „Der hat vielleicht Nerven.“ Carberry, der schon lostoben wollte, kriegte verklärte Augen, denn der Kutscher und Mac Pellew fingen seelenruhig an, Rum auszuschenken. Die Mucks wurden verteilt, und die Männer stießen miteinander an. „Einen auf den Schreck“, sagte der Kutscher. „Und einen darauf, daß wir nur ein paar Beulen, aber keine ernsthaften Brüche oder Schlimmeres haben!“ „Richtig“, sagte der Seewolf und trat neben ihn. „Wir leben und haben festen Boden unter den Füßen. Kann man mehr verlangen?“ „Nein!“ riefen die Männer, Araua und die Zwillinge. „Also“, sagte Hasard. „Dann Prost!“ * Jorge Mantilla, der Teniente, kehrte auf ziemlich schwachen Beinen in die Hafenfeste von Guayaquil zurück. Die Nacht - beziehungsweise der Tag - mit Rafaela war lang gewesen, berauschend, aber auch aufreibend. Er wußte nicht genau, wie spät es war, und er riskierte es, über den Zapfen zu schlagen - das erste
Roy Palmer
Seewölfe 444 14
Mal in seinem Leben. Was war in ihn gefahren? Nichts Besonderes. Er sah nur den Soldatenberuf plötzlich mit anderen Augen, das war es. Disziplin und Ehrgeiz brachten eben im Endeffekt doch nicht das, was er sich erhofft hatte. Er konnte sich abstrampeln, so sehr er wollte, er würde doch nicht den Erfolg haben, den er sich ausgemalt hatte. Wahrscheinlich würde man ihm jemanden vor die Nase setzen. Einen Mann wie Porfiro beispielsweise, der viel kaltblütiger und skrupelloser als er war. Don Carlos de Sica, der Hafenkommandant, erwartete ihn im Inneren der Feste. Das war kein gutes Zeichen. Aber der Teniente näherte sich ihm gelassen und meldete sich zum Dienst zurück. „Wo sind Sie so lange gewesen?“ fragte de Sica ungehalten. „Fast hätten Sie den Wachwechsel verpennt, Mann. Was, zum Teufel, sind denn das für Sitten?“ „Tut mir leid, ich war sehr erschöpft“, sagte Mantilla. „Das scheinen Sie auch jetzt noch zu sein.“ „Wie lauten Ihre Befehle, Senor Comandante?“ De Sica grinste plötzlich - was auch nichts Gutes zu bedeuten schien. „Erst mal abwarten. Wir können wegen des Sturmes ohnehin nichts unternehmen, was die verdammten Wilden betrifft. Albeniz, Rodrigo und Porfiro sind zwar ungeduldig, aber auch sie werden sich noch wundern. Sie wissen es noch nicht - Sie sind der erste, der die Neuigkeit erfährt, Teniente.“ „Ah! Welche Neuigkeit?“ „Ich werde nicht mehr lange der Mann sein, der bestimmt, was in diesem elenden Kaff geschieht“, entgegnete de Sica. „Und darüber bin ich sehr, sehr froh. Ich habe vor zwei Stunden eine Depesche erhalten, die mir ein berittener Bote überbracht hat. Der Mann hat Kopf und Kragen riskiert, aber er hat es trotz des Wetters geschafft, uns zu erreichen. Er kommt aus Manta, und dort wiederum hat man die Nachricht vorgestern aus Esmeraldas empfangen. Ihr Ursprungsort aber ist Panama.“
Schiffbruch
„Ich verstehe, Senor“, sagte der Teniente. „Sie ist wahrscheinlich schon seit Wochen unterwegs. Und der Inhalt?“ „Ich werde hier abgelöst“, erwiderte de Sica. „Ich soll mich an Bord der ,San Francisco' direkt nach Panama begeben, und die Galeone wird dort stationiert. Ich werde nach Pensacola versetzt, denn dort wird dringend ein Stadtkommandant gebraucht. Unterdessen wird hier die Galeone ,Neptuno` eintreffen, ein Kriegsschiff mit achtundzwanzig Culverinen. An Bord befindet sich der Generalkapitän Don Pascual de Alcedo, der hier in den nächsten Monaten das Kommando führen wird.“ „Ein Generalkapitän als Stadtkommandant und Hafenkapitän?“ fragte der Teniente verwundert. „Ja, aber nur für eine Übergangszeit, dann wird ein anderer Mann den Posten übernehmen, oder zwei Männer sorgen sich um dieses Drecknest, wie es sich eigentlich gehört. Ich aber werde nie wieder nach Guayaquil zurückkehren, Teniente, darauf können Sie sich verlassen.“ Das ist kein Verlust, dachte Mantilla, und keiner weint dir eine Träne nach. Laut sagte er: „Wir alle werden das sehr bedauern, Senor.“ „Ja“, sagte de Sica spöttisch. „Sie an erster Stelle, nicht wahr?“ „Was wird aus dem Unternehmen gegen die Chimus?“ „Don Pascual wird entscheiden, ob er sich mit ihnen herumschlägt oder nicht. Ich kenne den Mann, er ist ein Eisenfresser, der kein Pardon zuläßt. Vielleicht trifft er schon morgen früh mit der ,Neptuno` ein. Er kommt mit ihr aus Panama und hat während des Sturms in den Hafen von Manta verholt.“ „Wenn der Wind nachläßt, kann er die unterbrochene Reise wiederaufnehmen“, sagte der Teniente. „Richtig. Warten wir also auf ihn, er wird sich dann um alles kümmern.“ „Bleiben die beiden Karavellen hier?“ „Ja.“
Roy Palmer
Seewölfe 444 15
„Die Kapitäne Rodrigo und Porfiro werden sich also dem Kommando des Generalkapitäns unterstellen?“ „So ist es“, erwiderte de Sica, und wieder grinste er. „Die werden sich freuen. Albeniz war ihnen ein willkommener Kommandant, aber auch er wird nicht hierher zurückkehren. Ich weiß, daß er von Panama aus nach Acapulco hinaufsegeln soll, wo gerade ein neuer Geleitschutz für die Manila-Galeone zusammengestellt wird. Jedes Kriegsschiff wird gebraucht, die Angriffe des Piratengesindels nehmen allmählich überhand.“ „Gestatten Sie mir eine Frage, Senor Comandante“, sagte Mantilla. „Warum hat man dann nicht einfach die ‚Neptun& nach Acapulco beordert?“ „Das ist Sache der Admiralität“; sagte de Sica und grinste. „Wir brauchen uns darüber nicht den Kopf zu zerbrechen. Es wird wohl so sein, daß man in Acapulco keinen Generalkapitän braucht, sondern einen guten Kapitän wie Albeniz.“ „Ja, Senor.“ „Und ich verschwinde nach Pensacola. Wie finden Sie das?“ „Pensacola soll ein von der Malaria verseuchter Hafen sein.“ Der Teniente grinste jetzt ebenfalls. „So? Aber dort kuschen die Indianer, habe ich gehört.“ „Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall alles Gute, Senor“, sagte der Teniente. „Herzlichen Dank. Und Sie versauern hier, in Guayaquil, nicht wahr?“ „Besten Dank für Ihren Segen.“ „Gern geschehen“, sagte de Sica. „Und teilen Sie Ihren Leuten jetzt mit, was ich Ihnen eröffnet habe. Sie sollen sich schon mal innerlich auf Don Pascual de Alcedo vorbereiten.“ „Hoffentlich stößt Ihnen auf der Fahrt nach Panama nichts zu“, sagte der Teniente. „Ich denke an einen neuen Sturm oder Überfälle durch Freibeuter.“ De Sica mußte jetzt doch lachen. „Merkwürdig ist das, Teniente. Wir können uns gegenseitig nicht leiden. Und doch habe ich das Gefühl, daß wir uns
Schiffbruch
noch zusammengerauft hätten.“ „Das kann gut möglich sein.“ „Ich schlage Ihnen etwas vor: Begleiten Sie mich als Sekretär.“ „Ich?“ Für einen Moment war Mantilla verwirrt. Dann sagte er: „Danke, aber das kann ich nicht annehmen.“ „Überlegen Sie es sich“, sagte de Sica, der bester Laune zu sein schien. „Mein Platz ist hier, bei meinen Männern.“ „Unsinn. Gute Soldaten finden Sie überall, auch in Pensacola.“ De Sica lachte auf. „Das gilt genauso für die Huren. Die Weiber sind überall gleich, vielleicht noch besser als Rafaela.“ „Woher - wissen Sie ...“ „Ich habe einen Blick für so was“, sagte de Sica. „Und meine Erfahrungen. Das hätten Sie nicht gedacht, was? Ich glaube, wir wissen voneinander so manches nicht. Aber welche Rolle spielt das schon?“ „Das ist völlig unerheblich“, sagte der Teniente Mantilla. „Aber ich bleibe dabei. Guayaquil ist für mich besser als Pensacola.“ „Adios“, sagte de Sica, dann wandte er sich ab und verließ die Festung. 4. Noch bevor es dunkel wurde, hatten die Männer der „Esperanza“ festgestellt, daß sie sich auf einer Insel befanden. „Dreck, verfluchter“, sagte Carberry, der einen der beiden Erkundungstrupps angeführt hatte. „Eine winzige, elende Insel. Und ich hatte schon gehofft, daß wir auf dem Festland sind.“ „Ist denn das so wichtig?“ fragte Dan grinsend. „Hier ist es doch auch sehr schön, und zu Fuß hätten wir Potosi sowieso nicht erreicht.“ Carberry bückte sich nach einer Kokosnuß, die auf dem Strand lag. „Halt bloß dein Maul, Mister O'Flynn“, sagte er drohend. „Sonst stopfe ich es dir.“ „Was ist los, Ed?“ rief Ferris Tucker. „Ist dir der Rum zu Kopf gestiegen?“ „Unsinn“, erwiderte der Profos. „Ich kann bloß das dämliche Gequatsche nicht vertragen. Wir sitzen hier fest und kommen
Roy Palmer
Seewölfe 444 16
mit dem Kahn nicht mehr weg. Das ist der Ärger.“ Hasard zog eine Seekarte zu Rate. „Hört mal alle her“, sagte er. „Nach dem . Verlauf unserer Sturmfahrt nordwärts kann es sich nur um eine Insel handeln, die unter dem Namen La Plata auf dieser Karte verzeichnet ist.“ Sie umringten ihn und beugten sich über die Karte, die er auseinandergerollt in den Händen hielt. „Ja, stimmt“, sagte Ben Brighton. „Andere Inseln dieser Art scheint es in dieser Ecke nicht zu geben.“ „Wir sind nicht sehr weit von Manta entfernt“, sagte Dan. „Und wir sind auch ziemlich dicht an Guayaquil dran“, sagte Shane. Der Seewolf fuhr mit dem Zeigefinger über die Karte. „La Plata liegt etwa sechzig Meilen nördlich von Punta Santa Elena, der westlichen Nordspitze des Golfes von Guayaquil, und etwa fünfundzwanzig Meilen westlich der Festlandküste.“ „Fein“, sagte Roger Brighton. „Aber warum sollen wir uns deswegen graue Haare wachsen lassen? Genießen wir das Insulaner-Leben ein bißchen, wir haben doch Zeit.“ „Der hat Nerven“, sagte Blacky. „Genau wie du, Kutscher.“ „Kluge Leute lassen sich eben nicht aus der Fassung bringen“, sagte der Kutscher. „Sir“, sagte der Profos. „Wie wär's, wenn wir ein paar Kerle in den Boden rammen und Hütten aus ihnen bauen? Ich hätte da schon ein bis zwei Kandidaten ...“ „Darüber unterhalten wir uns gleich noch“, sagte der Seewolf lächelnd. Ferris Tucker und Mulligan hatten inzwischen ihre Bestandsaufnahme beendet, die Hasard trotz des desolaten Zustandes der „Esperanza“ angeordnet hatte. „Wir haben allen Grund zum Feiern“, sagte der rothaarige Riese grimmig. „Mit den Planken der ,Esperanza` können wir höchstens noch Hütten bauen, mehr ist nicht mehr drin.“ „Aha“, sagte Carberry. „Und für die Pfähle sorge ich.“
Schiffbruch
„Ist die Jolle beschädigt?“ fragte Hasard. Ursprünglich hatte die „Esperanza“, die sie in Panama „aufgebracht“ hatten, zwei Beiboote gehabt, doch die eine Jolle hatten sie am Nordufer der Insel Puna zurücklassen müssen, weil ihnen die Flucht nur über das Südufer gelungen war. Spanier und Chimus hatten sich auf der Insel und an ihrem nördlichen Rand herumgeschlagen, und es hatte sich nicht gelohnt, allein wegen der Jolle einen Kampf mit ihnen zu beginnen. So blieb der Karavelle nur noch die eine Jolle. „Nein, sie ist noch heil“, erwiderte Ferris. „Zum Glück.“ „Was wollen wir eigentlich noch?“ fragte Jean Ribault. „Wir leben, haben heile Knochen und genug zu essen und zu trinken - und wir haben sogar noch ein Fortbewegungsmittel.“ Ferris warf ihm einen Seitenblick zu und sagte: „Wäre der Besanmast in Mittschiffsrichtung voraus aufs Deck geschlagen, hätten wir die Jolle ebenfalls nur noch zum Hüttenbauen verwenden können.“ In der Zwischenzeit hatte Ferris auch zwei Männer - Jack Finnegan und Paddy Rogers - in die Felsen hinaufgeschickt. Sie sollten sich oben nach geeigneten Bäumen für einen eventuellen Mastbau umsehen. Dort schien die einzige, letzte Hoffnung zu liegen, die Karavelle doch wieder auszubessern und instand zu setzen. Finnegan und Rogers kehrten auf den Strand zurück. „Da ist nichts drin“, sagte Jack Finnegan. „Das war ein Trugschluß.“ Carberry rückte grimmig vor. „Mister Finnegan, würdest du die Güte haben, dich deutlicher auszudrücken?“ „Aye, Sir. Es gibt keine gerade gewachsenen Bäume.“ „Nur krummes Zeug?“ fragte Ferris. „Ja.“ „Mist“, sagte Ferris. „Aber ich hab's schon geahnt. Hier toben sich des öfteren Stürme aus, und auch die härteste Kiefer gibt nach. Da ist nichts zu machen, Leute.“
Roy Palmer
Seewölfe 444 17
Hasard sagte: „Wir müssen uns mit den Tatsachen abfinden. Die ‚Esperanza` ist ein Wrack.“ „Allenfalls ein lahmer Kasten mit Notmasten“, sagte Jean Ribault. „Der dazu noch an allen möglichen Stellen lecken würde“, fügte Dan hinzu. „Noch etwas sollten wir bedenken“, sagte der Seewolf. „Die ,Esperanza` überdies zurück vom Strand ins Wasser zu bugsieren, würde ebenfalls eine Arbeit von Wochen sein -etwa so, daß ein breiter und tiefer Graben zum Wasser geschaufelt werden müßte.“ „Ja, allerdings“, sagte Ben Brighton. „Sie sitzt zu hoch auf dem Strand und hat sich tief in den Sand geschoben.“ „Das wäre eine Arbeit für Verrückte“, erklärte Ferris Tucker. „Ich finde, darauf können wir verzichten.“ „So ist es“, sagte Hasard. „Und wir können ja ohnehin nicht das erforderliche Bauholz besorgen. Wir müssen uns was anderes einfallen lassen.“ „Vielleicht schickt der Herrgott uns im Nachlassen des Sturmes ein anderes Schiff, das wir kapern können“, sagte Pater David. „Das sind ja fromme Wünsche!“ stieß Karl von Hutten lachend hervor. „Aber ich glaube, daraus wird nichts.“ Der Kutscher, Mac Pellew und Eric Winlow - der Koch von Jean Ribaults Crew - waren inzwischen nicht untätig gewesen und hatten das Kombüsenfeuer wieder angefacht. Rauch stieg aus dem Abzug auf, und ein angenehmer Geruch breitete sich aus. Er stieg Albert, dem vermeintlichen Buckligen, in die Nase, und er schnitt eine verzückte Grimasse. „Herrlich“, murmelte er. „Wieder etwas zu essen - o je, ich glaube, ich hab' bereits ein Loch im Bauch.“ Er näherte sich dem noch halbwegs intakten Schott in der zertrümmerten Back und steckte neugierig seinen Kopf ins Innere. „Hau ab!“ rief Winlow ihm zu. „Klauen ist nicht!“
Schiffbruch
„Wer will denn klauen?“ sagte Albert mit beleidigter Miene. „Ich will nur mal sehen, was es gibt.“ „Gekochten Tang“, sagte Mac Pellew. „So, jetzt weißt du's.“ „Lecker“, sagte Albert und grinste. „Kann mir mal jemand verraten, wieso der Tang nach gebratenem Speck riecht?“ „Es hat ein alter Wal drin geschlafen“, entgegnete Mac. „Oder ein Seelöwe, wer weiß.“ Albert lachte meckernd. „Mich könnt ihr nicht reinlegen. Ich weiß genau, daß unsere Vorräte von dem Sturm nicht verdorben worden sind. Und wenn auch ein bißchen Leckage ist, die Fässer hat es noch lange nicht angegriffen.“ „Komm mal her, du Schlauberger“, sagte der Kutscher. „Willst du in den Kessel schauen?“ „Klar, komm her“, sagte auch Winlow mit wildem Blick. „Schon gut, ich gehe“, sagte Albert. „Aber laßt uns nicht zu lange auf die Mahlzeit warten. Wir haben sie uns redlich verdient.“ Winlow rückte auf ihn zu. „Wie viele Mucks Rum hast du dir eigentlich hinter die Binde gekippt? Vier? Fünf? Hölle, du hast eine Fahne wie ein Flaggschiff der englischen Marine.“ „Laß England aus dem Spiel!“ rief Mac. „Er ist Franzose!“ „Ich bin Bretone“, sagte Albert beleidigt. „Wo ist denn da der Unterschied?“ fragte Winlow. „Für mich seid ihr Franzmänner alle gleich.“ „Jetzt hör aber auf, Eric“, sagte der Kutscher. „Beleidige ihn nicht, das hat er nicht verdient.“ „So“, sagte Albert aufatmend. „Endlich mal jemand, der mich verteidigt.“ „Eric“, sagte Mac. „Komm her und hau den Speck in die Suppe, bevor er anbrennt.“ Albert verzog gequält das Gesicht. „Speck in die Suppe? Oh, mein Gott, ihr Engländer habt vom Kochen wirklich keine Ahnung!“ Winlow packte ihn und zog ihn zu sich heran.
Roy Palmer
Seewölfe 444 18
„Was sagst du da?“ brüllte er ihm ins Gesicht. „Jetzt reicht's mir aber, du Witzbold! Wir Engländer haben die besten Gerichte der Welt! Suppe mit Minze! Wildsau mit Marmelade! Bohnen, Birnen und Speck!“ „Du meine Güte“, stöhnte das Männchen. „Hör auf, das halte ich nicht mehr aus.“ „Du tust ihm weh“, sagte der Kutscher. „Wie? Ich halte ihn doch bloß fest“, brummte Winlow. „Du verletzt ihn mit deinen Worten“, sagte der Kutscher. „Franzosen - und natürlich auch Bretonen - sind Gourmets.“ Winlow stieß einen grunzenden Laut aus und sah Albert drohend an. „Gut - was? Ach, das ist noch milde ausgedrückt. Sie sind schlimmer, Mann. Sie sind Rübenschw ...“ „Von wem sprichst du eigentlich?“ fragte Jean Ribault freundlich. Er war in diesem Moment eingetreten. „Und was hat dieser Höllenlärm zu bedeuten, Mister Winlow?“ „Ich, äh, nun ...“ „Übrigens ist das Wörtchen Rübenschwein ein Ausdruck, den sonst nur Ed Carberry benutzt“, sagte Ribault. „Er hat es nicht gern, wenn man seine Lieblingsflüche nachplappert. Und wie wäre es, wenn du meinem Decksmann Albert nicht länger auf die Füße treten würdest?“ „Wie?“ fragte Winlow verdutzt. Mac deutete auf seine Füße. Tatsächlich stand Winlow dem armen Albert mit seinen mächtigen Tretern auf den Stiefeln. Er brummelte etwas, das, klang wie „Hab' ich gar nicht gemerkt“, dann ließ er Albert los und wandte sich wieder dem mächtigen Kombüsenkessel zu, aus dem duftende Dämpfe aufstiegen. Albert verließ mit Ribault die Kombüse, und die drei Männer am Feuer hörten noch, wie er sagte: „Warum darf ich nicht mal kochen? Ich würde eine Bouillabaisse zaubern, die es in sich hat.“ „Laß es sein“, sagte Ribault. „So schlecht sind unsere drei Freunde ja nun wirklich nicht.“ Der Kutscher mußte lachen, als er Winlows verblüfftes Gesicht sah.
Schiffbruch
„Nimm's dir nicht zu Herzen“, sagte er. „Ein bißchen Nationalstolz hat schließlich jeder von uns.“ „Klar“, murmelte Mac. „Aber die Franzosen essen auch Schnecken und Froschschenkel, wußtest du das?“ „Natürlich, und ich habe diese Spezialitäten schon selber probiert.“ „Pfui Teufel“, sagte Eric Winlow. „Ich will davon nichts mehr hören. Kutscher, bei dir muß was in der Dachstube kaputtgegangen sein, als du dir vorhin den Kopf gestoßen hast.“ „Ich bin mit der Brust gegen das Schott geprallt.“ „Egal. Mach mich nicht verrückt, sonst fresse ich wirklich noch Tang.“ Sie lachten alle drei, dann taten sie den Speck in die Suppe, und wenig später wurde die heiße Mahlzeit serviert. Alle Männer rückten zum Backen und Banken an, und zur Feier des Tages - oder des Schiffbruchs - gab es einen edlen Tropfen: den Wein des dicken Hafenkommandanten von Panama, Don Alfonso de Roja. Diesen dunkelroten, süffigen Rebensaft hatten sie dem Dicken ebenfalls „entsteißt“, wie Carberry das auszudrücken pflegte, genau wie das Schiff. Deshalb schmeckte der Wein doppelt gut, und immer wieder mußten sie sich die verstörte Miene des Don Alfonso vorstellen, als sie die Suppe in sich hineinschaufelten und mit dem Wein nachspülten. * Nach dem Essen rief Hasard seine Männer, die Zwillinge und Araua auf dem schiefen Mitteldeck zusammen und entwickelte den Plan, den er in der Zwischenzeit gefaßt hatte. „Es ist ein äußerst einfacher Plan“, sagte er. „Und worin besteht er?“ erkundigte sich Dan O'Flynn. „Wir müssen uns ein neues Schiff besorgen, daran geht kein Weg vorbei.“ „Und wo?“ fragte Ben Brighton. „Nun ja, vorausgesetzt, wir befinden uns tatsächlich auf der La-Plata-Insel, dürfte
Roy Palmer
Seewölfe 444 19
der nächste größere Hafen für uns Guayaquil sein.“ „Ausgerechnet“, sagte Jan Ranse. „Da waren wir doch schon.“ „Dann müssen wir eben noch mal hin“, sagte Carberry grob. „Daran läßt sich nichts ändern, außerdem ist es mir scheißegal, was die Dons und die Indianer von uns denken.“ „Gut“, sagte der Seewolf. „Nun zur praktischen Durchführung des Unternehmens. Wenn wir mit der Jolle an der Küste entlang in den Golf und nach Guayaquil segeln, das in der Mündung des Rio Guayas liegt, dann müssen wir an die zweihundertfünfzig Meilen zurücklegen.“ „Eine ziemliche Strecke“, sagte Shane. „Hauptsache, der Sturm läßt nach, dann können wir die Reise in zwei Tagen bewältigen. Richtig?“ „Bei gutem Wind, ja“, sagte Hasard. „Aber danach folgt der heikelste Teil des Unternehmens. Wir müssen uns nach einem passenden Schiff umsehen. Leider haben wir aber in Guayaquil keinen lieben alten Bekannten, den wir so ein bißchen erpressen können, wie wir das in Panama mit dem dicken Don Alfonso de Roja getan haben.“ „Egal“, sagte Carberry. „Wir schaffen es trotzdem. Irgendein Weg wird sich finden.“ „Aber wir müssen die Insel Puna meiden“, sagte Dan. „Puna interessiert uns nicht mehr“, sagte Hasard. „Wir benutzen sie höchstens als Platz, um einen Blick hinüber zum Hafen werfen zu können. Außerdem rechne ich damit, daß sich die Indianer wieder in ihre Hütten zurückgezogen haben.“ „Ganz problemlos wird das alles nicht abgehen“, sagte Ben. „Aber wir wollen ja schließlich nicht hier versauern.“ „Auf keinen Fall“, sagte Smoky. „Ich bin dafür, daß wir so schnell wie möglich handeln, mir fällt das Herumlungern schon jetzt schwer genug.” „Uns bleibt nur der harte Zugriff in Guayaquil“, sagte der Seewolf. „Und dann verschwinden wir wieder - nichts wie weg. Wir kehren hierher zurück und übernehmen unsere restliche Mannschaft
Schiffbruch
sowie das Trinkwasser, den Proviant, die Waffen, die Munition und so weiter.“ „Gut“, brummte der Profos. „Alles klar. Und Potosi?“ Diese Frage stellte Hasard erst jetzt. „Ja, darüber sollten wir abstimmen. Seid ihr etwa der Meinung, daß wir das PotosiUnternehmen abbrechen sollten?“ „Wir könnten darüber diskutieren, natürlich“, sagte Jean Ribault. „Nein!“ sagte Stenmark. „Ich bin dagegen! Glaubt ihr etwa, wir lassen uns wegen solcher Kleinigkeiten wie Indianerüberfälle, Sturm und Schiffbruch von unserem Plan abbringen?“ „Da muß es schon dicker hageln!“ sagte Al Conroy. „Knüppeldick!“ rief George Baxter. „Wir sind ja nicht aus Zucker, zum Teufel noch mal!“ „Wo wir schon mal hier sind, marschieren wir auch weiter!“ dröhnte Carberry und übertönte wieder einmal alle anderen. „Keine Diskussion also?“ erkundigte sich Hasard freundlich. „Nein!“ schrie Batuti. „Ist doch alles klar!“ „Potosi wird durchgeführt!“ rief Dan. „Das ist unsere einhellige Meinung! Oder irre ich mich? Hat jemand was dagegen? Dann raus mit der Sprache!“ „Das ist beinahe Nötigung“, sagte Araua. „Du mußt die Frage etwas anders -stellen.“ Sie wandte sich an die Männer. „Gibt es Gründe, die gegen die Fortsetzung des Unternehmens sprechen? Wir sollten uns an die vernunftmäßigen Erwägungen halten und nicht nur aus einem Impuls heraus handeln.“ Mac verdrehte die Augen. „Schön hast du das gesagt, Araua.“ „He, Mac, du Bilgenlaus“, sagte Carberry. „Willst du etwa gegen unseren schönen Plan anstinken?“ „Ich? Nein. Ich hab' schon immer mal wissen wollen, wie es bei den Dons in den Gold- und Silberminen aussieht, und in Potosi soll auch die Luft herrlich sein.“ „Gut für dich, Mister Pellew, falls du bis dahin nicht versauert bist.“ Hasard mußte lächeln, wurde aber sofort wieder ernst. „Ich wiederhole die Frage,
Roy Palmer
Seewölfe 444 20
die Araua gestellt hat. Gibt es Gründe, die gegen unsere Weiterfahrt nach Potosi sprechen?“ „Es gibt nur Gründe dafür“, entgegnete Roger Brighton. „Denn wenn ich mir das recht überlege, haben wir schon mehr als die Hälfte der Gesamtstrecke zurückgelegt.“ „Eben“, sagte Matt Davies. „Ich persönlich möchte den Dons gern was husten und trotz aller Hindernisse hinsegeln. Außerdem schlage ich vor, daß wir alle zusammen nach Guayaquil klüsen und uns ein Schiff unter den Nagel reißen.“ „Einverstanden!“ rief Mulligan begeistert. „Das ist ganz nach meinem Geschmack!“ „Jawohl, und wir stellen den Hafen ein bißchen auf den Kopf!“ schrie Gary Andrews. „Schluß der Debatte“, sagte der Seewolf. „Wie ich sehe und höre, seid ihr soweit alle einverstanden. Aber jetzt haut euch erst mal aufs Ohr und schlaft euch aus, ihr habt es nötig. Dann muß der Sturm abflauen, bevor die Jolle lossegelt, und die können wir mit allenfalls zehn Mann besetzen. Das wißt ihr so gut wie ich.“ „Und wer sollen die zehn Mann sein?“ fragte Carberry. „Laß mich bloß nicht hier sitzen, ich gehe sonst ein.“ „Das wird auch Zeit“, brummte Matt Davies. „Wie bitte?“ rief der Profos. „Ich glaube, Sir John würde sehr traurig sein, wenn er ganz allein hierbleiben müßte“, sagte Araua. „Würdest du das übers Herz bringen, Edwin?“ „Oh“, sagte der Profos und schien für einen Moment richtig verlegen zu sein. „Der Geier ist doch froh, wenn er mich mal los ist.“ Plötzlich hellte sich seine Miene wieder auf. „Und außerdem - könnte ich den Kerl ja auch mitnehmen, was, wie?“ „Damit er uns die Tour vermasselt?“ fragte Dan. „Hat er das schon jemals getan, Mister O'Flynn?“ „Nein, aber mit Papageien- und Affenzirkus ist uns in Guayaquil nicht gedient.“ „Das genügt jetzt“, sagte Hasard.
Schiffbruch
„Wer mit mir segelt, wird noch entschieden.” Insgeheim freute er sich. Die Unternehmungslust seiner Männer hatte nicht gelitten. Das war für ihn im Moment das allerwichtigste. Trotz des Unglücks, das die „Esperanza“ erlitten hatte, waren der Mut und die Verwegenheit und der Wille, den Spaniern mal wieder ein Schnippchen zu schlagen, ungebrochen. Wie in alten Zeiten, dachte der Seewolf, dann zog auch er sich unter Deck zurück, um wenigstens ein bißchen zu schlafen. 5. Der Sturm heulte noch die ganze Nacht hindurch. Am nächsten Tag, dem 28. Oktober, ließ er etwas nach, aber an ein Auslaufen der Jolle war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu denken. Hasard und seine Männer durchstreiften die Insel La Plata, die unbewohnt war, wie sich inzwischen herausgestellt hatte. Sehr sorgfältig hatten sie sich vergewissert, daß sie hier die einzigen Menschen waren. Es gab keine Eingeborenen, keine Piraten und keine anderen Schiffbrüchigen. So waren sie vor unliebsamen Begegnungen und Überraschungen unangenehmer Art gesichert, es würde auch keine Auseinandersetzungen geben wie auf der Insel Puna. Gesellschaft hatten sie auf der La-PlataInsel aber doch. Es gab eine Menge Seevögel, Leguane und Schildkröten. Auch Seelöwen und Pelzrobben sichteten sie, und in den Stunden, die sie abwartend und untätig verbringen mußten, war ihnen. das Beobachten der Tiere eine willkommene Abwechslung. Hasard ließ die Jolle abfieren. Sie wurde in den Sand der Bucht gesetzt. Das war eine Arbeit für viele Männer mit entsprechenden Muskelkräften, weil ja die Rahen zum Ausschwenken fehlten. Also packten Carberry, Shane, Ferris Tucker, Batuti, Mulligan, Paddy Rogers, Tom Coogan, Dave Trooper und Gordon McLinn kräftig an und wuchteten die Jolle über das Schanzkleid der Backbordseite.
Roy Palmer
Seewölfe 444 21
Diese Seite bot sich wegen der Krängung der „Esperanza“ an, und es gelang ihnen, das Boot mit einem kräftigen „Hau-ruck“ in den Sand zu befördern. Von hier aus wurde es mittels Rundhölzern zum Wasser gerollt. Die Hölzer wurden achtern weggenommen, wenn die Jolle über sie hinweggeglitten war, und vorn wieder untergelegt, so daß sich eine beständige Bewegung ergab, die erst durch das Wasser unterbrochen wurde. Hasard enterte zu seinen Männern auf den Strand ab. „Gut so“, sagte er. „Ihr könnt die Jolle jetzt bereits aufriggen.“ Der Mast wurde gesetzt und verstagt, danach schafften die Männer an Bord, was für die Überfahrt nach Guayaquil auf jeden Fall gebraucht wurde: Hartproviant, Wasserfäßchen, Kompaß, Riemen, Waffen und Munition. Alles wurde sorgsam verstaut, kein Detail vergessen. Ferris Tucker und Al Conroy widmeten sich unterdessen einer Beschäftigung ganz besonderer Art. Sie besorgten sich leere Flaschen, säuberten und trockneten sie und füllten sie mit Schwarzpulver, gehacktem Blei und Glas und Lunten. „Aha“, sagte Hasard, als er zu ihnen trat. „Es gibt also endlich wieder mal einen Vorrat an Flaschenbomben? Eine gute Idee. Wir werden die Dinger vielleicht brauchen.“ „Man weiß nie, zu was sie gut sind“, sagte der rothaarige Riese grinsend. „Wir decken uns ordentlich ein, das ist so ein beruhigendes Gefühl.“ „Finde ich auch“, erwiderte der Seewolf. „Aber wir werden sie nur benutzen, wenn wir wirklich dazu gezwungen sind und die Lage es erfordert.“ „Das wird schon der Fall sein“, sagte Al grimmig. „Freiwillig rücken die Dons nämlich keinen Kahn raus. und ich glaube auch nicht, daß es uns gelingt, eine Galeone oder Karavelle heimlich von der Reede oder gar von einer Pier zu entführen.“ „Hölle und Teufel“, sagte Ferris in gespieltem Entsetzen. „Da könntest du recht haben, alter Freund!“
Schiffbruch
Sie lachten beide. Hasard unternahm lächelnd einen Rundgang und betrachtete den Himmel. So ist es schon immer gewesen, dachte er, je gefährlicher eine Situation wird, desto mehr Schneid haben sie. Am Nachmittag riß der Himmel auf, die Sicht wurde klarer. Dan O'Flynn kletterte in den Felsen hoch, die die Bucht umschlossen. Er hatte sich mit dem besten Spektiv bewaffnet, das sie zur Verfügung hatten. Von einem guten Aussichtspunkt aus hielt er rundum Ausschau. Die La-Plata-Insel, so stellte er fest, ragte an die hundertsechzig Fuß hoch aus der See. Gespannt richtete er das Spektiv ostwärts und atmete auf. Ja, dort war die Küste zu sehen -ein dunkler Strich, der sich von Nord nach Süd zog. Als die Sonne durchstieß und ihre Strahlen verbreitete, wurde das Bild noch deutlicher. „Soweit alles klar“, murmelte Dan. „Verdruß scheint sich nicht anzukündigen, und die Luft ist rein.“ Er kehrte nach unten zurück und meldete dem Seewolf, was er gesehen hatte. „Bis auf den Küstenstrich im Osten ist die See ringsum leer“, erklärte er. „Ich habe auch den Eindruck, daß die See nicht mehr so kabbelig ist.“ „Du hast recht“, sagte Hasard. „Es flaut weiter ab.“ „Bald können wir auslaufen.“ „Dann wird es Zeit, daß ich die JollenCrew zusammenstelle.“ „Vergiß mich bloß nicht“, sagte Dan und grinste. Kurze Zeit darauf teilte Hasard den Männern seine Entscheidung mit. „Die Crew sieht folgendermaßen aus“, sagte er. „Dan, Karl, Ed, Ferris, Al, Roger, Piet, Batuti und Matt. Alles klar? Wir brechen in Kürze auf, bereitet euch darauf vor.“ Diskussionen gab es jetzt nicht mehr. Alle hätten gern dabeisein wollen, aber sie sahen auch ein, daß
Seewölfe 444 22
Roy Palmer
es unmöglich war. Folglich akzeptierten sie Hasards Wahl. Er war der Kapitän und führte den Befehl, dabei blieb es. Jean Ribault hörte auf sein Kommando. So hatte es von Anfang an sein sollen, und deshalb hatte Ribault auch dafür gesorgt, daß bei der Abstimmung auf der Schlangen-Insel die Wahl auf ihn, den Seewolf, fiel, obwohl er sich anfangs gegen den Potosi-Plan gesträubt hatte. Inzwischen sah das anders aus. Hasard fühlte sich von dem gleichen Jagdfieber gepackt wie seine Männer. Sie mußten nach Potosi - um jeden Preis. Es war jene Art von Ehrgeiz, die sie schon immer angespornt hatte, wenn es darum ging, spanische Schiffe aufzubringen oder Häfen und Niederlassungen zu überfallen. Der Bund der Korsaren war wieder aktiv - und keine Zeit durfte unnötig vergeudet werden. Noch vor dem Abend verließen die zehn Männer die Bucht der La-Plata-Insel und segelten auf Ostkurs zur Küste hinüber. Der Wind wehte aus Südwesten, die Jolle lief gute Fahrt. „Hoffen wir, daß es dabei auch bleibt“, sagte der Seewolf, dann richtete er den Blick südwärts, wo sich der Golf von Guayaquil befand. „Sturm wird es nicht wieder geben“, sagte Carberry und grinste. „Vorläufig jedenfalls nicht, Aber heiß wird es werden, heiß wie Feuer, schätze ich. Was meint ihr?“ Dan lächelte ihm zu. „Daß die Dons uns den Hintern versengen, wenn wir nicht fixer und gerissener sind als sie.“ „Da hast du ausnahmsweise mal recht, Mister O'Flynn“, sagte der Profos. * Am Vormittag des 29. Oktober lief eine große, mit achtundzwanzig Culverinen armierte Dreimastgaleone in den Hafen von Guayaquil ein - die „Neptuno“ unter dem Kommando von Don Pascual de Alcedo, seines Zeichens Generalkapitän Seiner Allerkatholischsten Majestät von Spanien, Philipp II. Alles, was im Ort Beine hatte, hatte sich am Kai und 'auf den
Schiffbruch
Piers versammelt, um dem Eintreffen und Vor-Anker-gehen des stolzen Schiffes beizuwohnen. Der Teniente Mantilla stand etwas abseits bei einer Gruppe seiner Soldaten. Mit teils skeptischen, teils neugierigen Mienen verfolgten sie, wie von Bord des Kriegsschiffes eine Jolle abgefiert wurde. Ein großer Mann, eskortiert von Soldaten, enterte schließlich ab und ließ sich an Land pullen. „Das ist er“, sagte der Teniente. „Don Pascual. Wenn man unserem ehemaligen Kommandanten Recht geben darf, muß er ein starrsinniger Feuerfresser sein.“ „Da haben wir wohl nichts mehr zu lachen“, sagte einer der Soldaten. „Hätten wir das denn sonst gehabt?“ fragte sein Nebenmann. „De Sica und Albeniz zusammen sind auf keinen Fall besser als dieser Mann.“ „Ruhe“, sagte der Teniente. „Ich will kein Wort mehr hören.“ Die Männer schwiegen und beobachteten, wie die Jolle an einer langen Pier anlegte und vertäut wurde. Don Pascual kletterte auf die Pier und schritt auf das Gebäude der Kommandantur zu, ohne die Anwesenden eines Blickes zu würdigen. Er verschwand, und jetzt hatten die Soldaten Gelegenheit, mit den Seesoldaten der „Neptuno“ ein paar Worte zu wechseln. „Der?“ sagte einer der Seesoldaten, als er von einem Sargento der Hafenfeste auf den Generalkapitän angesprochen wurde. „Das ist der Teufel in Person. Dem wünsche ich nur das eine - daß er so schnell wie möglich über den Jordan geht.“ Mantilla unterhielt sich mit dem Teniente, der als Bootsführer fungierte. „Ist es wahr, was man sich über Don Pascual de Alcedo erzählt?“ fragte er ihn. „Keiner will unter seinem Kommando segeln“, entgegnete der Mann mit verhaltener Stimme. Immer wieder blickte er sich nach allen Seiten um, um sicher zu sein, daß sie niemand belauschte. „Es hat schon Versuche der Meuterei gegeben, aber die hat er im Keim erstickt und drastische Strafen verhängt. Ich bin auch für Disziplin, aber sie darf meiner Ansicht
Roy Palmer
Seewölfe 444 23
nach nicht zum Selbstzweck werden. Bist du schon lange hier?“ „Nein.“ „Wir werden wohl einige Zeit hierbleiben. Wie ist der Wein in den Kneipen?“ „Recht gut, wenn er nicht zu lange in den Fässern lagert.“ „Wir werden dafür sorgen, daß das nicht der Fall sein wird“, sagte der Teniente der „Neptuno“ und grinste. „Hat der Sturm Schaden angerichtet?“ „Nein. Aber wir haben vor drei Tagen einen Kampf mit den Chimus auf der Isla de Puna gehabt.“ Mantilla berichtete kurz, was sich zugetragen hatte. „Ich verstehe“, sagte der andere Mann. „Na, da können wir ja auf einiges gefaßt sein. Wie ich Don Pascual kenne, wird er den Plan für die Vergeltungsaktion nur allzu bereitwillig übernehmen. Er ist ein Indianer-Hasser und wird sie alle umbringen lassen, das ist mal sicher.“ Sie trennten sich, und Mantilla zog mit einem Trupp seiner Soldaten durch den Ort, um eine der üblichen Streifen zu gehen. Dabei überlegte er sich, ob er das Angebot von de Sica nicht doch annehmen sollte. Noch hatte er Zeit dazu, noch waren de Sica und de Alcedo dabei, sich feierlich zu begrüßen und die Übergabe des Amtes zu vollziehen. Plötzlich grinste er hart. Nein, er blieb bei seinem Entschluß. Er war nicht der Typ, der vor einem Tyrannen wie Don Pascual de Alcedo kniff. Im Gegenteil – er würde sich neben ihm zu behaupten wissen. Und er war es seinen Männern schuldig, auch weiterhin bei ihnen zu bleiben und sie in der Ausübung ihrer Pflichten anzuführen. Wenig später trat Don Carlos de Sica vor das Kommandanturgebäude und hielt eine kurze Ansprache, in der er sich von den Bewohnern der Stadt und den Soldaten verabschiedete. Nur müder Applaus erklang, dann stieg de Sica in eine Jolle, und Seesoldaten pullten ihn zur „San Francisco“, die zum Auslaufen bereit auf der Reede lag. Kapitän Albeniz befand sich bereits an Bord. Er hatte den Generalkapitän nur militärisch kurz begrüßt und sich dann mit
Schiffbruch
verdrossener Miene zu seinem Schiff hinüberbegeben. Daß er nach Acapulco segeln sollte, gefiel ihm überhaupt nicht. Aber was konnte er daran ändern? Befehl war nun mal Befehl. Kurze Zeit darauf verließ die „San Francisco“ Guayaquil, ging in See und steuerte auf nördlichem Kurs Panama an. Don Pascual de Alcedo indes inspizierte die Hafenfeste, erklärte, daß es sich um einen „üblen Saustall“ handle, und ordnete eine große Säuberungsaktion an. Zähneknirschend versahen die Soldaten diesen zusätzlichen Dienst. Mantilla war besonders wütend, denn er hatte stets darauf geachtet, daß alles sauber und aufgeräumt war. Er hielt den Befehl des Generalkapitäns für eine reine Schikane. Das war es auch - Don Pascual gab ihnen auf deutliche Weise zu verstehen, mit welchem Stil er in Guayaquil zu regieren gedachte. Zur Mittagsstunde ließ er die komplette Garnison auf dem Hof antreten. Das Essen fiel aus, es schien ihm völlig egal zu sein. Dabei stellte gerade das Essen eine der wenigen angenehmen Seiten im eintönigen Soldatenleben dar. Die Männer waren verärgert, aber sie gaben sich Mühe, es nach außen nicht zu zeigen. Man hatte sie ja gewarnt: Don Pascual verhängte schon bei nichtigen Anlässen die härtesten Strafen. Mit abgespreizten Beinen stand er im Zentrum des Hofes. Er hob den Kopf, schob das Kinn vor und musterte die Männer, einen nach dem anderen. Die Stille wirkte bedrohlich und ließ die Männer unruhig werden. „Herhören“, sagte Don Pascual endlich. „Meine erste Amtshandlung in diesem Hafen wird es sein, die Indianer auf der Insel Puna zu bestrafen. Sie werden noch bitter bereuen, daß sie einen Trupp spanischer Soldaten überfallen haben. Teniente!“ Mantilla trat zwei Schritte vor. „Senor?“ „Wissen diese Hunde nicht, was sie angerichtet haben?“ „Sicherlich wissen sie es“, erwiderte der Teniente. „Aber sie waren außer sich vor
Roy Palmer
Seewölfe 444 24
Wut, als sie uns angriffen. Ich nehme an, daß die Buckelfelsen im Inneren der Insel wahrscheinlich eine Art Heiligtum darstellen. So ist denkbar, daß sie deswegen empört waren.“ „Überlassen Sie das Denken mir. Was ist mit der Jolle, von der der Comandante de Sica mir berichtet hat?“ „Sie liegt noch am Ufer der Insel.“ „Ein grober Fehler“, sagte Don Pascual scharf. „Sie hätten sie dort abbergen sollen.“ „Dazu hatten wir keine Zeit“, sagte Mantilla. Sein Gesicht hatte sich verhärtet, seine Augen waren schmal. „Wir mußten uns zurückziehen. Wir hatten einen Toten und mehrere Verletze. Deshalb ist die Jolle auf der Insel zurückgeblieben. Der Sturm hat uns bisher davon abgehalten, nach Punk zurückzukehren.“ „Das sind alles Ausflüchte! Sie hätten diese Kannibalen mit den Drehbassen der Schaluppen zusammenschießen müssen!“ „Senor, wir ...“ „Schweigen Sie!“ fuhr ihn Don Pascual an. „Das war ein verdammt schwaches Bild, das Sie da abgegeben haben, merken Sie sich das! Ich gebe Ihnen eine Chance, das wieder auszugleichen. Aber wenn es nicht gelingt, degradiere ich Sie! Wissen Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben?“ „Ja, Senor. Den Generalkapitän Don Pascual de Alcedo.“ Don Pascual musterte ihn aus kalten Augen. „Bilden Sie sich ein, daß Sie mich zum Narren halten können?“ „Nein, Senor.“ „Sie reden nur, wenn Sie etwas gefragt werden, verstanden?“ „Ja, Senor.“ „Wegtreten.“ Don Pascual hob wieder das Kinn, blickte in die Runde und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Heute nachmittag setzen wir zur Insel Puna über und räumen mit diesen blutrünstigen Hunden auf. Wir erteilen ihnen die Lektion ihres Lebens. Teniente, Sie sorgen dafür, daß sich alle Männer auf Abruf zur Verfügung halten.“ Mantilla und seine Männer wußten nun, aus welchem Holz der Generalkapitän
Schiffbruch
geschnitzt war. Doch Don Pascual wußte nicht, wer die Chimus waren. Der wird sich noch wundern, dachte Mantilla grimmig. Er beißt sich an ihnen die Zähne aus. 6. Am Nachmittag dieses Tages schlüpften Hasard und seine neun Begleiter mit der Jolle in jene Bucht, in der die Dreimastkaravelle geankert hatte, als Hasard mit der anderen Jolle und einer entsprechenden Mannschaft zur Insel de Puna auf gebrochen war. Das war vor drei Tagen gewesen, und an Bord hatten sich die Zwillinge befunden, Karl von Nutten, Jean Ribault, Carberry, Pater David, Matt Davies, Smoky und Fred Finley. Sie hatten nicht geahnt, auf was sie sich eingelassen hatten. Die Isla de Puna erwartete sie mit einem undurchdringlichen, sehr verfilzten Dschungel, durch den sie sich mühsam einen Weg hatten bahnen müssen. Als sie endlich den Platz gefunden hatten, der mit einem Kreuz auf der Geheimkarte des verstorbenen Capitans der „Esperanza“ eingezeichnet war, waren sie von den Chimus angegriffen worden, die ihre Grabstätte mit Zähnen und Krallen verteidigten. Smoky und Fred Finley waren von Pfeilen getroffen worden, dann hatten sie alle in den Grabkammern Schutz gesucht. Dann die Belagerung - die Chimus schossen, sobald sich auch nur einer von ihnen zeigte, und auch Jean Ribault wurde verletzt. Schließlich begannen die Indianer, die Grabstätte auszuräuchern. Aber sie wurden von den Spaniern gestört, die zwischenzeitlich eingetroffen waren. Ben Brighton und Dan O'Flynn konnten vom Ausguckfelsen aus verfolgen, was geschah, doch sie hatten keine Möglichkeit, einzugreifen. Schließlich gelang Hasard die Flucht zum Südufer, und von dort aus bargen Ben und die Männer der „Esperanza“ sie ab. Araua kümmerte sich um die Verwundeten.
Roy Palmer
Seewölfe 444 25
Von den Pfeilblessuren waren inzwischen nur noch Narben übrig. Allerdings war Jean Ribault noch nicht einsatzfähig. In diesem Moment, als die Jolle in die Bucht einlief, die wie ein Fjord anmutete, fühlte sich Hasard wieder an die Ereignisse erinnert. Um ein Haar hätte auf der Insel ihr letztes Stündlein geschlagen -wegen eines absurden Unternehmens, das ihnen nichts eingebracht hatte. Die Jolle glitt zum Ufer, hier vertäuten sie sie. „Es ist mir zu unsicher, jetzt noch-, bei Tage, weiter nach Guayaquil vorzudringen“, sagte der Seewolf. „Wir bleiben lieber hier und warten die Dunkelheit ab.“ „Na klar“, sagte Karl von Hutten. „Und wir fühlen uns hier ja auch schon fast wie zu Hause, nicht wahr?“ „Ich könnte mir einen schöneren Platz vorstellen“, sagte Carberry brummig. „Aber was sein muß, muß eben sein.“ „Dan“, sagte Hasard. „Wir klettern noch nach oben und schauen uns ein wenig um.“ „Aye, Sir. Hoffentlich entdecken wir ein hübsches Schiffchen, das griffbereit auf der anderen Seite des Felsens vor Anker liegt. Wäre das nicht herrlich?“ „Hör mit deinen Witzen auf“, sagte. Ferris Tucker. „Das ist eben das Kreuz“, sagte Dan grinsend. „Daß ich es mit völlig humorlosen Kameraden zu tun habe.“ Hasard verließ die Jolle, Dan folgte ihm. Mit Spektiven bewaffnet stiegen sie in den Felsen der Bucht auf und erreichten wenig später den Ausguckplatz, auf dem vor drei Tagen Dan, Ben und Araua gestanden hatten. Hasard hob das Spektiv ans Auge und spähte hindurch. Dan hielt ebenfalls Ausschau - zur Insel de Puna hinüber und zum Canal del Morro. „Hol's der Henker“, sagte Dan plötzlich. „Ich habe mit meiner Vermutung also gar nicht so unrecht gehabt.“ „Stimmt“, sagte der Seewolf. „Und wir können von Glück sprechen, daß wir in die Bucht gesegelt und nicht weiter vorgedrungen sind.“
Schiffbruch
Aus Richtung Guayaquil näherten sich durch den Canal del Morro zwei Karavellen. „Kein Zweifel“, sagte Hasard, nachdem er sie etwas näher in Augenschein genommen hatte. „Das sind Kriegskaravellen. Unsere ursprüngliche Vermutung, daß in Guayaquil mindestens ein paar Kriegsschiffe vor Anker liegen müßten, war also auch nicht falsch.“ „He, sieh Mal“, sagte Dan. „Drüben, durch den Canal de Jambeli, streicht eine dicke Kriegsgaleone an der südlichen Küste von Puna entlang in Richtung See.“ „Na, das ist ja toll“, sagte der Seewolf. „Hier herrscht richtiger Schiffsverkehr. Jede Menge Bewegung, aber was hat das zu bedeuten?“ Gespannt beobachteten sie, was weiter geschah. Die drei Kriegsschiffe warfen Anker, als sie ungefähr die Mitte der Insel querab hatten. Dann wurden Boote ausgesetzt, und Männer enterten in die Boote ab. „Seesoldaten“, sagte der Seewolf. „Verdammt noch mal, Dan, geht dir noch kein Licht auf?“ „Ein ganzer Kerzenleuchter“, entgegnete Dan. „Und ich habe sogar ein schlechtes Gewissen.“ „Die Seesoldaten werden an Land gebracht“, sagte Hasard. „Die Boote kehren zu den Schiffen zurück und holen den nächsten Schub Soldaten. Stimmt's?“ „Leider“, sagte Dan. „Das sieht mir ganz nach einem Landeunternehmen aus.“ „Es ist auch eins“, bestätigte Hasard. „Die Seesoldaten sichern landeinwärts.“ „Die, die schon gelandet sind? Ja, das kann ich auch erkennen. Sie benehmen sich, als drohe ihnen vom Inselinneren Gefahr.“ „Sie haben ja auch allen Grund dazu.“ „Aber vorerst tut sich nichts“, sagte Dan. „Keine pfeilschießenden und verrückt spielenden Indianer. Es ist alles ruhig.“ Hasard begann zu fluchen. „Eine üble Sache. Der Zusammenhang ist unschwer zu erraten. Die Dons planen einen Vergeltungsschlag gegen die Chimus. Das ist unsere Schuld.“
Roy Palmer
Seewölfe 444 26
„Schon richtig, aber du darfst auch nicht vergessen, daß diese Landeeinheit der drei Schaluppen im Busch herumgekrochen und prompt ebenfalls angegriffen worden ist.“ „Trotzdem tragen wir indirekt die Schuld an dem, was jetzt passiert“, sagte Hasard. „Nicht die ganze Crew, mein Alter, sondern wir beiden.“ „Hör auf, erinnere mich nicht an die Karten.“ Aber der Seewolf hatte recht - sie beide waren es gewesen, die im Stehpult des verblichenen Capitans der „Esperanza“ jene geheimnisvollen Karten mit dem eingezeichneten Kreuz auf der Puna-Insel gefunden hatten und neugierig geworden waren. Ihre Neugier hatte dann alles weitere ausgelöst - bis hin zu der empörten Reaktion der Chimus, weil die „weißen Teufel“ in ihre Grabstätte eingedrungen waren. „Gewiß“, sagte Hasard. „Das war eine Kette unglückseliger Umstände, und wir können auch nichts mehr daran ändern. Aber daß die Chimus jetzt für alles büßen müssen, geht mir doch erheblich gegen den Strich.“ „Meinst du vielleicht, mir nicht?“ Dan biß sich auf die Unterlippe. „Im Grunde haben die Indianer die Kultstätte ihrer Ahnen mit Recht verteidigt, das darf man nicht vergessen. Ich sag' dir ja, ich habe ein verdammt schlechtes Gewissen.“ „Was tun wir?“ Hasard überlegte kurz, dann fuhr er grimmig fort: „So gesehen, haben wir gar keine andere Wahl. Wir müssen hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.“ „Wie denn?“ „Oh, du bist heute aber schwer von Begriff. Wir wollen doch ein neues Schiff, nicht wahr? Wir wollen es nicht nur, wir brauchen es sogar dringend. Gleichzeitig liegt uns auch am Herzen, den Chimus zu helfen, damit sie nicht ausgerottet werden. Richtig?“ „Du willst eine der Kriegskaravellen entern?“ „Ja.“
Schiffbruch
„Und dann?“ „Die andere Karavelle unter Feuer nehmen und ein bißchen Feuerzauber veranstalten.“ Dan gab einen ächzenden Laut von sich. „Wahnsinn! Das ist viel zu riskant.“ „Wenn wir für genug Aufregung sorgen, lenken wir die Dons von ihrem Unternehmen gegen die Chimus ab“, sagte der Seewolf ruhig. „Und du kannst es drehen und wenden, wie du willst, es gibt gar keine andere Möglichkeit für uns. Höchstens die, gar nichts zu unternehmen und hier abzuwarten, was weiter geschieht. Aber das wäre schon mehr als Feigheit.“ „Wer spricht denn davon? Ich meine nur wir sind zehn Mann.“ „Mann, Mann“, sagte Hasard grinsend und jetzt tanzten die tausend Teufel in seinen eisblauen Augen, die bei ihm ein Ausdruck äußerster Kühnheit und Verwegenheit waren. „So ist das nun mal, und wir können den Rest unserer Crew nicht herholen. Aber, Mister O'Flynn, mit zehn Mann können wir gut und gern eine spanische Kriegskaravelle entern, verlaß dich drauf.“ „Es ist kein zu großer Happen?“ „Früher haben wir noch ganz andere Happen verschluckt!“ „Früher?“ Dan fühlte sich bei der Ehre gepackt. „Ich bin doch kein alter Trottel, dem die Finger zittern.“ Hasard mußte lachen. „Das liegt bei euch O'Flynns auch nicht im Blut.“ „Na also! Früher! Darf ich dich mal an unseren letzten Raid gegen die Black Queen erinnern?“ „Du darfst es. Und ich gebe dir recht. Wir sind immer noch ganz schön bissig“, erwiderte Hasard. „Deshalb sollte uns das Spielchen auch gelingen. Wenn wir es schaffen, uns gleich den Capitan zu schnappen, haben wir gewonnen.“ „Richtig. Außerdem sind die eigentlichen Kampftruppen an Land“, sagte Dan. „Und die Seeleute werden wie üblich zur Insel spähen, um mitzukriegen, wie dort geschossen und gekämpft wird“, sagte der Seewolf.
Roy Palmer
Seewölfe 444 27
Dan grinste. „Na ja, so kann man's auch sehen. Alles klar. Das wird wieder mal ein Coup nach Arwenack-Art.“ „Einverstanden also?“ „Aye, Sir. Und die anderen?“ „Mit denen unterhalten wir uns gleich“, erwiderte Hasard. „Ich denke, daß besonders unser guter alter Ed vor einem solchen Unternehmen zurückschrecken wird.“ Sie grinsten sich an, dann richteten sie ihre Spektive wieder auf die Schiffe. Immer mehr Soldaten wurden an die Ufer der Insel befördert. Die Decks der Galeone und der beiden Karavellen leerten sich zusehends. „Donnerwetter“, sagte der Seewolf. „Die eine Karavelle ist nicht zu verachten, die wäre uns angemessen.“ „Ja, sie ist stärker armiert als die ,Esperanza`.“ „Das wird unser Schiff, Dan.“ „Alles klar, Sir.“ Sie beobachteten, wie ein neuer Trupp Soldaten abgesetzt wurde. Auch drüben, jenseits der Insel, bewegten sich zwei Jollen im Pendelverkehr zwischen der Kriegsgaleone und dem Ufer hin und her, und die mit Musketen und Tromblons bewaffneten Seesoldaten sprangen an Land. „So“, sagte Hasard. „Jetzt geht es los. Die ersten Gruppen schwärmen aus und rücken ins Innere der Insel vor.“ „Viel Zeit bleibt uns nicht mehr.“ „Aber es wird dunkel.“ „Und die Nacht ist, wie es so schön heißt, unser Verbündeter“, sagte Dan. „Dann wollen wir nur hoffen, daß sich die Dons auf der Insel verlaufen und so wenig Indianer wie möglich totschießen.“ „Ein Kampf ist nicht zu vermeiden“, sagte der Seewolf. „Aber wir mischen uns schon noch zum richtigen Zeitpunkt ein, keine Sorge.“ Er verließ den Ausguckposten für kurze Zeit und kletterte zu den Kameraden hinunter. Sie hatten die Jolle verlassen und sich auf die Uferfelsen gehockt. Sie kauten auf Dörrfleisch herum und spülten mit edlem Don-Alfonso-Wein nach.
Schiffbruch
„Guten Hunger“, sagte Hasard. „Danke“, sagte Karl von Hutten. „Möchtest du auch einen Happen?“ „Nein, jetzt nicht. Später vielleicht.“ „Wie wär's mit einem Schluck Wein?“ fragte Carberry. „Der ist gut fürs Blut, heißt es.“ „Moment mal”, sagte Ferris Tucker, dem Hasards Miene auffiel. „Ihr habt doch was entdeckt, nicht wahr? Du siehst aus, als ob dich der Teufel reitet, Sir. Was ist los?“ „Spanische Kriegsschiffe setzen ihre Soldaten auf der Insel de Puna ab“, entgegnete Hasard und ließ sich neben ihm nieder. Er berichtete, was Dan und er soeben beobachtet hatten. „Das ist ein echter Hammer“, sagte Roger Brighton. „Warum schnappen wir uns nicht eine der Karavellen?“ „Das habe ich vor“, erwiderte Hasard. „Aber vorher will ich eure Meinung hören, denn es wird kein ungefährliches Unternehmen. Ich will wissen, ob ihr alle damit einverstanden seid.“ „Von mir aus kann's gleich losgehen“, sagte Carberry. Er rieb sich die Pranken und begann zu grinsen. „Das wird mal eine feine Nacht.“ Al Conroy drehte eine Höllenflasche in seinen Händen. „Eine sehr feine Nacht. Und wir haben die Wurfbomben nicht umsonst hergestellt.“ „Es wird dunkel“, sagte Matt Davies. „Wann laufen wir aus?“ „Nicht so hastig“, sagte Batuti. „Muß erst mal richtig schwarz sein, die Nacht, so wie ich.“ „Dich erkennt im Dunkeln garantiert keiner“, sagte Piet Straaten leise lachend. „Du hast die beste Tarnung. „Wann schlagen wir los?” wollte Karl von Hasard wissen. „Ihr habt also keine Einwände?“ fragte der Seewolf grinsend zurück. „Doch“, sagte Carberry. „Ich finde, wir können das auch mit fünf, sechs Mann besorgen. Karl, Piet, Batuti und Matt bleiben hier. Klar?“ „Du spinnst wohl!“ zischte Matt Davies. „Wieso ausgerechnet wir?“ „Damit euch keiner klaut.“
Seewölfe 444 28
Roy Palmer
„Ich bleibe nicht hier. Lieber ersaufe ich, als daß ich mir die Sache entgehen lasse!“ zischte Matt aufgebracht. „Das kannst du haben“, sagte der Profos. „Ich steck' dich mit dem Kopf unter Wasser.“ „Sir“, sagte Batuti zu Hasard. „Das läuft nicht. Was ist das für ein dummer Vorschlag?“ „Wenn ihr uns nicht dabeihaben wollt, schwimmen wir eben zur Karavelle“, sagte Piet wütend. Nur Karl grinste, und Carberry begann glucksend zu lachen. „Hölle“, sagte Matt. „Ihr wolltet wohl bloß mal hören, wie wir so reagieren, was?“ „Stimmt“, sagte Carberry. „Du bist ein Schnellmerker. Und jetzt brüll hier nicht so laut herum, sonst werden die Dons noch auf uns aufmerksam.“ * Die Dunkelheit kroch mit bläulichen Schatten in das Dickicht des Inselurwaldes. Fast von einem Moment zum anderen wurde es stockfinster. Mantilla, der einen Trupp von fünfzehn Soldaten anführte, wußte nicht genau, ob das ein Vorteil oder ein Nachteil für sie war. Einerseits boten sie jetzt ein schlechteres Ziel für die Pfeile der Chimus. Andererseits fiel es den Indianern leichter, sich anzuschleichen. Mantilla steuerte auf die Pfahlbauten zu, aber es war noch ein ziemlich weiter Weg bis dorthin. Die Befehle des Generalkapitäns waren klar: Die Hütten sollten verbrannt und jeder, der sich ihnen entgegenstellte, getötet werden. Die Indianer, die überlebten, sollten nach Guayaquil gebracht werden, wo man sie ohne Prozeß sofort standrechtlich erschießen würde. Wahnsinn, dachte Mantilla, das gibt wieder böses Blut, und die Rache nimmt kein Ende. So geht das immer weiter. Die Indianer hassen uns, und sie werden uns auflauern, wo sie können. Wir haben in Frieden mit ihnen gelebt, aber das ist jetzt endgültig vorbei.
Schiffbruch
Er dachte daran, daß er den Häuptling der Chimus getötet hatte. Wenn die Krieger ihn wiedererkannten, würden sie sich an ihm rächen. Ohne Zweifel würden sie den Tod ihres Anführers blutig vergelten. Und warum das alles? Wegen eines dummen Zufalls. Und noch immer hatte Mantilla nicht klären können, wer sich an Bord der Jolle - die das Beiboot der „Esperanza“ sein mußte -befunden hatte. Freibeuter? Spanier? Nein, es mußten Piraten sein, sonst hätten sie sich in Guayaquil gemeldet. Piraten also - und wo waren sie jetzt? Dieses Rätsel ließ sich nicht lösen. Ich werde es noch mit in mein Grab nehmen, dachte der Teniente. Er ahnte nicht, wie richtig diese Annahme war. Gegen neun Uhr fand die erste Feindberührung statt. Die Chimus hatten natürlich längst durch ihre Späher erfahren, daß wieder „Viracochas“, Spanier, auf der Isla de Puna gelandet waren. Jetzt schlichen sie durch das Gestrüpp und suchten nach dem Gegner. Der Zufall wollte es, daß sie als erstes dem Trupp des Teniente Mantilla auflauerten. Mantilla glaubte, vor sich ein Geräusch zu vernehmen, und sofort blieb er stehen und duckte sich. Er ging halb hinter dem Stamm eines Palmitos in Deckung und spannte den Hahn seiner Muskete. „Achtung!“ zischte er. Die Männer waren auf der Hut und warfen sich in Deckung. Mantilla wollte noch ein paar knappe Anweisungen geben, doch in diesem Moment huschte im Dunkeln etwas auf ihn zu. Nicht ein Pfeil, sondern gleich ein halbes Dutzend. Sie erreichten ihn und warfen ihn aus seiner Deckung. Der eine durchbohrte seinen Hals, der andere drang in seine rechte Achselhöhle ein. Die anderen prallten von seinem Brustpanzer ab. Mantilla sank zu Boden und verlor seinen Helm. „Teniente!“ stieß der Bootsmann hervor, der zu dem Trupp gehörte, und er kroch auf ihn zu. Er feuerte einen Schuß ins Dickicht ab, dann schossen auch die anderen, und im Knattern und Knallen der
Seewölfe 444 29
Roy Palmer
Musketen ertönten zwei Schreie aus dem Gestrüpp. Der Bootsmann erreichte einen sterbenden Mann. Mantilla hatte die Muskete fallen lassen. Er spürte, wie jegliche Kraft aus seinem Körper wich. Er dachte an Rafaela, die Hure, an Guayaquil und an de Sicas Vorschlag. Es war doch ein Fehler gewesen, nicht mit nach Pensacola zu segeln. Aber wer hatte das ahnen können? Alles falsch - du hast alles falsch gemacht, dachte er, o mein Gott, ich sterbe. „Teniente!“ stieß der Bootsmann entsetzt aus. Jorge Mantilla, fünfundzwanzig Jahre, Teniente aus Barcelona, antwortete nicht mehr. Er war Sancho gefolgt, dem Soldaten, für dessen Tod er sich verantwortlich gefühlt hatte. 7. „Ja“, sagte der Seewolf. „Es ist prächtig dunkel, Männer.“ „Und der Wind weht nach wie vor aus Südwesten“, sagte Dan leise. „Gut für uns.“ „Wie spät mag es sein?“ zischte Carberry. „Etwa zehn Uhr“, erwiderte Karl von Hutten. „Seit einer Stunde schlagen sich die Dons mit den Chimus herum“, sagte Hasard. „Es wird Zeit für uns, daß wir was unternehmen.“ „Der Wind ist nicht zu stark und nicht zu schwach“, murmelte Matt Davies. „Genau richtig für unser Unternehmen.“ Die Jolle glitt aus der Bucht, vor den Männern öffnete sich die See, und sie hatten den Blick frei auf die Isla de Puna. Hin und wieder krachten und knallten auf der Insel die Musketen, und hier und dort war auch gelegentlich das Aufzucken eines Mündungsblitzes zu sehen. Schreie ertönten und verklangen wieder, und manchmal trat eine gleichsam gespenstische Ruhe ein. Gegen neun Uhr hatten auf Puna die ersten Gefechtsberührungen stattgefunden, wie die Männer vom Felsenausguck aus hatten verfolgen können. Sie wußten allerdings
Schiffbruch
nicht, ob es bereits Verluste gab und wie die Bilanz auf beiden Seiten aussah. Leicht schien es den Spaniern jedoch nicht zu fallen, sich gegen die Chimus zu behaupten. Im übrigen hatten die Indianer zwei Vorteile für sich zu verbuchen: Sie kannten sich hervorragend auf der Insel aus, besser als der Feind. Und sie beherrschten die Kunst des lautlosen Anschleichens perfekt. „Der Mann, der diesen Vergeltungsschlag befohlen hat, hat einen Fehler begangen“, murmelte Hasard. „Er hätte seine Soldaten schon heute früh auf die Insel schicken sollen.“ „Ja“, raunte Karl von Hutten. „Wie ich die Lage einschätze, setzen die Chimus den Soldaten bereits wieder ganz schön zu.“ Es gab Gründe für die Wahl des Zeitpunktes. Das Landemanöver hatte wegen der Amtsübergabe des Hafenkommandanten von Guayaquil erst am Nachmittag stattfinden können, außerdem hatte der Generalkapitän Don Pascual de Alcedo Zeit damit vergeudet, die Hafenfeste zu inspizieren und vom „Dreck“ säubern zu lassen. Von diesen Details wußten Hasard und seine Männer natürlich nichts. Doch Hasard schätzte Don Pascual richtig ein, ohne es zu wissen: Der Generalkapitän führte das große Wort in Guayaquil und wies seinen sämtlichen Untergebenen ihre Fehler nach. Nur auf seine eigenen Fehler achtete er nicht - und das konnte zu unangenehmen Überraschungen führen. Hasard saß auf der achteren Ducht und bediente die Ruderpinne der Jolle. Er steuerte auf die Kriegskaravelle zu, die weiter golfeinwärts ankerte. Jedes Gespräch an Bord der Jolle wurde nun eingestellt, die Männer konzentrierten sich schweigend auf die Aufgabe, die vor ihnen lag. Ihre Waffen - Musketen, Tromblons, Pistolen, Entermesser, Säbel und Höllenflaschen - hatten sie griffbereit. Lautlos schob sich das Boot auf die Karavelle zu, und es war erstaunlich, wie rasch sich die Distanz verkürzte. Bald trennte nur noch eine halbe Meile beide voneinander. Zügig glitt die Jolle dahin.
Roy Palmer
Seewölfe 444 30
Ihre Konturen verschmolzen mit der Nacht, und keiner der Spanier an Bord des Schiffes bemerkte sie. Die zweite Kriegskaravelle lag vor diesem Schiff, und zwar weiter seewärts und etwa hundert Yards entfernt. Beide Schiffe ankerten im Südwestwind, das Heck nach Nordosten gerichtet, die Backbordseite der Insel de Puna zugekehrt. Die Karavelle, die sich Hasard und seine Crew als Zielobjekt ausgesucht hatten, war die „Estrella de Malaga“ unter dem Kommando von Capitan Porfiro, die andere Capitan Rodrigos „San Siro“. Beide Kapitäne hatten sich nur widerstrebend dem Befehl des Generalkapitäns gebeugt, und sie bedauerten es, daß Albeniz so überraschend hatte abreisen müssen. Das Ganze - so hatte Porfiro es ausgedrückt - roch geradezu nach Verschwörung und Intrige. Wollte die Admiralität Albeniz eins auswischen? Möglich war alles. Aber was hatte er sich zuschulden kommen lassen? Nun, vielleicht paßte irgendeinem Admiral seine Nase nicht. Und de Sica? Nein, der war ja froh, daß er Guayaquil hatte verlassen dürfen. Vielleicht war es auch Don Pascual de Alcedo selbst, der für den Wechsel gesorgt hatte. Möglicherweise glaubte er, daß Guayaquil ein Platz sei, an dem man zu Ruhm, Reichtum und Ehre gelangte. Aber das war ein riesengroßer Irrtum. Es war, wie der Seewolf vorausgesagt hatte: An Bord der „Estrella de Malaga“ standen die Spanier alle am Backbordschanzkleid und spähten zur Insel hinüber, wo in diesem Moment wieder geschossen wurde. Schreie und Flüche ertönten aus dem Uferdickicht. Ein erbitterter Kampf tobte zwischen den Mangroven, Farnen und Palmen. Hasard gab seinen Männern ein Zeichen. Der Abstand war weiterhin zusammengeschrumpft, sie hatten jetzt nur noch etwa eine Kabellänge zu überbrücken. Sie hielten auf die Steuerbordseite des Schiffes zu. Einen Ausguck schien es dort nicht zu geben, die
Schiffbruch
volle Aufmerksamkeit der Spanier galt dem Geschehen auf der Insel. Dort brach in diesem Moment eine Gestalt aus dem Dickicht hervor. Ein Indianer oder ein Soldat? Ein Soldat - das weißliche Mondlicht wurde matt von seinem Helm und Brustpanzer reflektiert. Der Mann gab einen gurgelnden Laut von sich, dann sank er auf die Knie. Jetzt sprang ein halbnackter Indianer aus dem Unterholz, spannte seinen Bogen und zielte mit dem Pfeil auf den Soldaten. „Achtung!“ schrien die Männer der „Estrella de Malaga“. Ein Schuß knallte, und der Indianer brach zusammen. Ein zweiter Soldat trat aus dem Dickicht und half seinem Kameraden, der verletzt zu sein schien, auf die Beine. Sie entfernten sich und tauchten wieder im Dickicht unter. Wieder peitschen Schüsse, diesmal von einer anderen Stelle der Insel. Schreie gellten. Ein einzelner Musketenschuß brach krachend - dann war wieder ein wahres Stakkato zu hören. Die Jolle hatte sich der Kriegskaravelle auf schätzungsweise fünfzig Yards Entfernung genähert. Hasard gab wieder ein Zeichen und Piet und Batuti, die sich auf sein erstes Zeichen hin bereitgehalten hatten, nahmen das Segel weg. Im Auslauf steuerte Hasard die Jolle achtern an die Steuerbordseite der „Estrella“. Dan, Karl, Carberry und Ferris Tucker waren auf den Beinen und streckten die Hände nach der Bordwand des Schiffes aus. Sie fingen den Anprall ab und verhinderten, daß es verräterische Laute gab. Die Jolle glitt an die Bordwand, und sie vertäuten sie unter dem Heck. Katzengewandt enterten sie am Ruder der „Estrella“ auf, zuerst Hasard und Dan, dann Carberry und Tucker, dann die anderen. Sie verharrten auf den Berghölzern, bis sich alle verteilt hatten. Hasard gab durch Zeichen „Kursanweisungen“, wer wen auszuschalten hatte. Die Männer nickten ihm grimmig zu. Sie waren bereit. Das eigentliche Entermanöver konnte beginnen.
Seewölfe 444 31
Roy Palmer *
Sechs Spanier befanden sich auf dem Achterdeck der „Estrella de Malaga“, unter ihnen natürlich der Capitan Porfiro. Er blickte mit etwas verkniffenem Gesicht zum Ufer und sagte: „Es wird Zeit, daß unsere Leute den Kampf zum Ende bringen. Ich hoffe, daß sie alle Wilden auf die Weise behandeln wie den Hund, den wir eben haben verrecken sehen.“ „Senor Capitan“, sagte der Erste Offizier. „So leicht lassen sich die Chimus nicht töten.“ „Das weiß ich. Sie sind zäh wie Läuse, aber wenn man kräftig genug auf sie drauftritt, gehen sie doch ein.” Wieder krachten die Musketenschüsse auf der Insel, dieses Mal an mehreren Stellen gleichzeitig. Die Pfeile der Indianer aber waren lautlos, und kein Mann an Bord der Schiffe vermochte in etwa abzuschätzen, wie das Unternehmen verlief. „Hoffentlich gibt es keine Schwierigkeiten“, sagte der Steuermann. „Don Pascual würde uns alle dafür persönlich zur Rechenschaft ziehen.“ „Der wird gar nichts tun“, sagte Porfiro. „Selbstverständlich wird das Landemanöver ein Erfolg. Ein voller Erfolg! Die Indianer haben der Patrouille vor drei Tagen einen Hinterhalt legen können, aber sie können sich nicht gegen ein derart starkes Aufgebot behaupten, wie wir es jetzt auf der Insel gelandet haben.“ „Unsere Soldaten müssen die Wilden nur einen nach dem anderen abschießen“, sagte der Zweite Offizier. „Das ist viel Arbeit.“ „Aber sie lohnt sich“, sagte Porfiro. „Je weniger von den Hunden in diesem Land leben, desto besser ist es. Dieses Pack ist nichts weiter als Ungeziefer, das ausgerottet werden muß.“ „Völlig richtig“, sagte der Steuermann, obwohl er im Grunde etwas anderer Meinung war. Aber es war nur richtig, Porfiro recht zu geben und ihm ein wenig die Stiefel zu lecken. Eines Tages würde er ihn zum Zweiten Offizier befördern, denn den Mann, der zur Zeit diesen Posten an
Schiffbruch
Bord der „Estrella“ innehatte, konnte Porfiro nicht sonderlich gut leiden. Mehrere Schüsse fielen gleichzeitig, und gellende Schreie wehten über die Insel. „Es sind die Chimu-Kanaillen, die da schreien“, sagte Porfiro. „Gut so. Unsere Männer verstehen ihr Handwerk. Sie knallen sie der Reihe nach ab. Auch die Frauen und Kinder. Alle weg. Diese Bande von Bastarden muß ausgelöscht werden.“ Sie bemerkten nicht, was hinter ihrem Rücken vorging. Gestalten glitten über das Schanzkleid und huschten über das Achterdeck der „Estrelle“. Zwei Mann Carberry und Karl von Hutten - besetzten die beiden Niedergänge zur Kuhl. Die anderen waren bei den Spaniern, packten sie und schlugen sie von hinten nieder. Porfiro wußte nicht, wie ihm geschah. Links und rechts von ihm sanken der Erste Offizier, der Zweite, der Steuermann und die anderen ächzend und stöhnend auf die Planken. Jemand packte ihn mit Händen wie Eisenklammern von hinten. Er wollte sich zur Wehr setzen, aber die Mündung einer Pistole bohrte sich in sein Kreuz jedenfalls hatte er genau dieses Gefühl. „Senor“, sagte dieser Mann - der ein Riese von Gestalt zu sein schien -in tadellosem Spanisch. „Ich empfehle Ihnen dringend, keinen Widerstand zu leisten und im übrigen vernünftig zu sein. Anderenfalls könnte es leicht passieren, daß Sie abgeknallt werden wie die Chimus. Klar?“ „Klar“, hauchte Porfiro entsetzt. Mit allem hatte er gerechnet - nur damit nicht. Wer war dieser Teufel, der ihn festhielt und bedrohte? Ein Indianer ganz bestimmt nicht. Ein Spanier? Wie konnte das sein? „Capitan“, sagte Hasard. „Richten Sie jetzt ein paar freundliche Worte an Ihre Mannschaft. Keiner soll sich zur Wehr setzen. Gibt es auch nur einen Versuch des Widerstandes, sterben Sie als erster - und dann die anderen. Ich habe dreißig Mann, und jeder hat zwei Musketen und drei Pistolen.“ Porfiro glaubte jedes Wort. Er war viel zu entsetzt und zu verwirrt, um an dem Gehörten zu zweifeln. Außerdem befand er
Roy Palmer
Seewölfe 444 32
sich in einer prekären Zwangslage. Der Fremde würde seine Drohung sicherlich wahrmachen. Er aber, Porfiro, wollte nicht sterben, nicht für dieses Schiff und diese Crew und auch nicht fürs Vaterland. „Ich verstehe“, murmelte er. Wäre heller Tag gewesen, hätte man leicht erkennen können, daß die Färbung seines Gesichtes von aschfahl nach kalkweiß tendierte. Daß er Angst hatte, spürte Hasard aber auch so. Der Mann zitterte. „Also los, an die Balustrade“, sagte Hasard und dirigierte seinen Gefangenen zum vorderen Bereich des Achterdecks. Hier mußte Porfiro seinen Spruch aufsagen. „Männer“, sagte er. „Herhören!“ Die Seeleute hatten sich ausnahmslos am Schanzkleid der Backbordseite versammelt und verfolgten, genau wie die Senores vom Achterdeck vorher, das Geschehen auf der Insel, soweit es überhaupt zu erkennen war. Verblüfft wandten sie jetzt die Köpfe - und registrierten erst in diesem Augenblick, daß sich Fremde an Bord der „Estrella“ befanden. Kerle, die bis an die Zähne bewaffnet waren, unter ihnen sogar ein pechschwarzer Riese. Bei diesem Anblick griffen die Spanier in einer instinktiven Geste zu den Waffen. „Keiner leistet Widerstand!“ rief Porfiro sofort und voller Angst. „Weg mit den Waffen! Ergebt euch, wir haben keine Chance!“ „Nicht ganz so laut“, sagte Hasard drohend. „Sonst kriegen eure Landsleute auf der anderen Karavelle noch etwas mit.“ „Ja, ja“, stammelte Capitan Porfiro verwirrt. An Bord der „San Siro“ glaubte Capitan Rodrigo zwar, etwas vernommen zu haben, aber er war sicher, daß es sich wieder um einen Zuruf handelte, mit dem die Männer der „Estrella“ die Soldaten an Land warnten oder anspornten. Folglich schenkte er dem Gehörten weiter keine Beachtung, zumal er die Worte nicht verstehen konnte und es in diesem Moment auf der Isla de Puna wieder krachte und blitzte. Die Überrumpelung auf der
Schiffbruch
Kriegskaravelle „Estrella de Malaga“ war vollkommen. Die Spanier waren derart überrascht und verstört, daß sie sich von Al Conroy, Roger Brighton, Piet Straaten und Matt Davies entwaffnen ließen. Keiner dachte auch nur daran, zur Waffe zu greifen. Porfiros Befehl mußte befolgt werden. Außerdem waren die Musketen und Tromblons in unmißverständlicher Weise auf sie gerichtet. Ferris Tucker verschwand auf Hasards Wink hin kurz unter Deck. Wenig später kehrte er zurück und meldete: „Alles klar, Sir. Es gibt einen kleinen Laderaum.“ „Hast du auch die Schotten überprüft?“ fragte der Seewolf. Ferris grinste. „Klar. Sie sind stabil, keine Sorge.“ Porfiro lauschte diesem kurzen Dialog und dachte: Sie sind also keine Spanier. Vielleicht Engländer? Santa Madre de Dios - Engländer vor Guayaquil! Hasard führte den Kapitän zum Backbordniedergang des Achterdecks, hier wurde er von Carberry in Empfang genommen und auf das Hauptdeck begleitet. Von dort aus ging es ab nach unten - der Reihe nach wurden die Spanier in den von Ferris inspizierten Frachtraum gesperrt. Sorgfältig riegelten Matt Davies und Batuti das Schott ab, und Carberry und Ferris Tucker vergewisserten sich noch einmal, daß die Gefangenen nicht die geringsten Möglichkeit hatten, sich aus eigener Kraft zu befreien. „Ausgezeichnet“, sagte Hasard auf dem Achterdeck. „Das Ganze hat nicht einmal zehn Minuten gedauert. Ihr könnt mit euch zufrieden sein.“ „Danke“, sagte Karl von Hutten grinsend. „Aber wie heißt unser Schiff nun eigentlich?“ „,Estrella de Malaga’“, meldete Dan. „Was, zum Teufel, soll denn das bedeuten?“ fragte Piet Straaten. „Das ist doch klar“, sagte Batuti. „Stern von Malaga - soviel Spanisch kannst du doch auch.“
Seewölfe 444 33
Roy Palmer
„Klar“, sagte Piet. „Aber ich habe was anderes gemeint. Hat es mit dem Namen eine besondere Bewandtnis?“ „Das glaube ich nicht“, entgegnete der Seewolf. „Diese Lady ist ganz einfach nur eine brauchbare Karavelle mit je neun Culverinen auf beiden Seiten. Das allein zählt, über den Rest brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Los jetzt, beeilen wir uns - Teil zwei unseres Planes muß in die Tat umgesetzt werden.“ Dieser zweite Teil unterschied sich von dem ersten im wesentlichen dadurch, daß er alles andere als geräuschlos ablaufen würde. Ferris Tucker hatte bereits das Munitionsdepot der Karavelle geöffnet und begann zu arbeiten. Das erste Pulverfaß rollte in den Gang und wurde von Al Conroy in Empfang genommen. 8. Al und der rothaarige Riese arbeiteten fieberhaft und wurden von Piet Straaten und Batuti unterstützt. Sie mannten Pulverfässer hinunter in die Jolle der „Esperanza“, nachdem sie ihre eigenen Sachen nach oben bugsiert hatten. Die Jolle war jetzt leer - bis auf die Fässer. Al enterte selbst in die Jolle ab und beschäftigte sich eingehend mit den Fässern. Er versah jedes mit einer Lunte, die er wiederum untereinander verband. Unterdessen hatten die anderen Männer ein Beiboot der Karavelle abgefiert, ebenfalls an der Steuerbordseite. Die Jolle der „Esperanza“ wurde in Schlepp genommen. Hasard begutachtete den Verlauf der Arbeiten von oben. „Gut“, sagte er dann. „Ferris übernimmt die Führung, sechs Mann begleiten ihn: Ed, Al, Roger, Piet, Batuti und Matt.“ „Aye, Sir“, murmelten die Männer und beeilten sich, in die bereitliegende Jolle abzuentern. Somit blieben vorerst nur noch Hasard, Dan und Karl von Hutten an Bord der „Estrella“. Sie verständigten sich durch Zeichen mit ihren Kameraden, dann legte das Beiboot der Karavelle, geführt von Ferris und dessen sechs Begleitern, mit der
Schiffbruch
Pulverfaß-Jolle im Schlepp von der Bordwand ab. Sofort holten sie nach Norden aus und begaben sich in den dunklen Sektor, den die Küste jenseits des Canal del Morro bildete. Von hier aus pullten sie - unter Einhaltung aller erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen - auf die zweite Karavelle, die „San Siro“, zu. Wieder wurden sie nicht bemerkt, denn nach wie vor richteten auch diese Spanier ihr Augenmerk voll auf die Insel. Das Schießen auf der Isla de Puna schien nicht mehr aufzuhören, fast unausgesetzt krachten jetzt die Musketen. Aber Rodrigo war nicht so zuversichtlich, wie Porfiro es gewesen war. „Das geht noch übel aus“, brummte er. „So leicht, wie wir uns das vorgestellt haben, lassen sich die Hunde nicht fangen. Sicherlich hat es auf unserer Seite schon Tote gegeben. Wer will das Don Pascual mitteilen?“ Unterdessen hatten Ferris und seine Männer die „San Siro“ erreicht -wieder von achtern. Die Pulver-Jolle wurde mit Vor- und Achterleine unter dem Heck vertäut, und Al Conroy zündete eine Lunte, deren Brenndauer er auf etwa vier Minuten berechnet hatte. „Was war das?“ fragte der Erste Offizier der „San Siro“ plötzlich. „Was denn?“ fragte Rodrigo zurück. „Ich habe ein Zischen gehört.“ „Wo?“ „Ganz in der Nähe.“ Der Erste beugte sich über das Schanzkleid und spähte nach unten, vermochte aber nichts zu sehen. Er richtete sich wieder auf und sagte : „Ich muß mich wohl getäuscht haben.“ Ferris, Al und die anderen hielten unwillkürlich den Atem an. Sie konnten jedes Wort, das oben gesprochen wurde, deutlich verstehen. Dann aber atmeten sie auf und stießen sich untereinander mit den Ellenbogen an. Die Gefahr war gebannt. Sie legten wieder ab und pullten mit der Jolle der „Estrella“ zurück zu der Kriegskaravelle. Wieder verfiel keiner der Dons an Bord der „San Siro“ auf die Idee, einmal Umschau zu halten. Mit Sicherheit
Roy Palmer
Seewölfe 444 34
hätte er jetzt die Jolle entdeckt und Alarm geschlagen. Aber es blieb aus. Der Kampf tobte kreuz und quer über die Insel, es blitzte und knallte im Dickicht, und wie gebannt starrten sie von den Schiffen auch von der Kriegsgaleone, die auf der anderen Seite der Insel lag - zum Ufer. Ferris und seine Männer hatten die „Estrella de Malaga“ nun wieder erreicht. Sie gingen längsseits und enterten auf. Als sie gerade damit begannen, die Jolle hochzuhieven, brach drüben, bei der „San Siro“, die Hölle los. Eine Feuersäule stand plötzlich unter dem Heck der Karavelle, und ein urweltliches Dröhnen rollte über das Wasser. Schreie gellten, aber sie wurden vom Donner der Explosion übertönt. Rauch breitete sich nach allen Seiten aus. Der Druck zerfetzte das Heck und wirbelte die Trümmer durch die Luft. Rodrigo fühlte sich von einer unheimlichen Kraft hochgehoben, und er hörte neben sich seine Offiziere wie von Sinnen schreien. Auch er wollte schreien, aber er blieb stumm und war nicht fähig, auch nur ein Stöhnen von sich zu geben. Er flog durch die Luft auf die Insel zu, es wurde hell, und sie breitete sich mit ihren tiefgrünen Matten wie ein weiches Lager unter ihm aus. Alle Geräusche verstummten, es wurde immer heller, und freundliche Gesichter schienen ihn anzulächeln. Es war wundervoll, bis in die Unendlichkeit zu schweben, Zeit und Raum existierten nicht mehr. Rodrigo und die anderen Männer des Achterdecks waren tot, bevor sie im Wasser landeten. Unter der Mannschaft gab es Verletzte, aber die meisten konnten sich durch Sprünge über das Schanzkleid retten. Der „San Siro“ hatte es das Heck abgerissen, und durch das offene Achterschiff schossen die Wassermassen. Rasch senkte sich das Achterschiff auf Tiefe, der Bug ragte mit seinem Spriet hoch aus dem Wasser. Dieses Bild dauerte nur Augenblicke, dann glitt das ganze Schiff schnell nach unten ab und verschwand in den Fluten.
Schiffbruch
Unten, im Laderaum der „Estrella de Malaga“, hatten die gefangenen Spanier entsetzt, in panischem Schrecken, den Geräuschen gelauscht. „Das kann nicht sein“, murmelte Porfiro mit vor Grauen verzerrtem Gesicht. „Sie haben die ,San Siro` in die Luft gesprengt. Diese Teufel.“ Schritte näherten sich dem Schott. „Was passiert jetzt?“ fragte der Erste Offizier, der in der Zwischenzeit das Bewußtsein wiedererlangt hatte. „Sie holen uns“, sagte ein Decksmann. „Jetzt geht es auch uns an den Kragen. Sie bringen uns alle um.“ * Carberry riß das Schott auf und griff mit einem Fluch zur Pistole. Vor ihm fiel ein vor Angst schlotternder Spanier auf die Knie und rang die Hände. „Bitte!“ stieß er keuchend hervor. „Verschone mich! Ich hab' nichts Schlechtes getan! Töte mich nicht!“ „Steh auf, du Blödmann!“ fuhr der Profos ihn in seinem poltrigen Spanisch an. „Was soll das?“ Aber der Spanier verstand in seiner Angst kein Wort. Er griff nach Carberrys Stiefeln und jammerte: „Gnade, Gnade! Ich will nicht sterben!“ „Wer hat denn was vom Sterben gesagt?“ rief der Profos. „He, Ferris, komm bitte her! Bring diesem Affen bei, daß er nur seinen Arsch in die Hände zu nehmen braucht, sonst nichts!“ Ferris war zur Stelle und zerrte den zitternden Spanier hoch. Er reichte ihn an Al weiter, und der schob ihn zum nächsten Niedergang. „Nein!“ kreischte der Mann. „Nicht! Ich tue alles, was ihr verlangt, nur bringt mich nicht um!“ Plötzlich sah er Batuti vor sich und wurde vor Schreck fast ohnmächtig. Aber wenigstens schrie er nicht mehr. „Senor“, sagte Carberry und richtete seinen Finger auf Porfiro, den er im Dunkel des Laderaumes gerade erkennen konnte. „Komm her!“
Roy Palmer
Seewölfe 444 35
Porfiro stolperte mit weichen Knien auf den Profos zu. „Ich? Warum ausgerechnet ich?“ „Warum opferst du dich nicht für deine Männer?“ fragte Carberry. „Das wäre doch mal 'ne Heldentat.“ „Nein! Gnade!“ „Ich habe die Nase voll von diesen Schnappsäcken“, sagte Carberry. „Ich kann ihr Gewimmer nicht mehr ertragen.“ Er packte Porfiro und stieß ihn auf Al zu, und wieder begann die Prozedur: Porfiro stolperte zum Niedergang, kletterte keuchend und schwitzend die Stufen hoch, sah Batuti, der mit den Augen rollte, und starb vor Angst beinah von selber. Ferris hielt es jedoch für besser, die anderen zu beruhigen. „Senores“, sagte er. „Keinem von euch wird ein Härchen gekrümmt, wenn ihr weiterhin vernünftig bleibt. Wir lassen euch zur Insel schwimmen.“ „Ist das - wirklich wahr?“ fragte der Erste Offizier. „Wir haben unsere Gegner noch nie angelogen“, entgegnete Ferris. „Wer seid ihr?“ wollte ein Decksmann wissen. „Der Wassermann und sein Harem“, knurrte Carberry. „Und jetzt ab durch die Mitte, Felipe. Wir haben keine Zeit zu verlieren! Verschwindet! Zeigt die Hacken! He, du, Don Pedro, warum läufst du nicht? Was? Wie?“ Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Sie liefen - und wie sie rannten! Mit polternden Schritten verließen sie den Laderaum, jagten nach oben und stießen zu ihrem Kapitän und dem Decksmann, die soeben über das Schanzkleid kletterten, sich bekreuzigten und ins Wasser sprangen. Dann folgten sie ihnen. Ein Klatscher nach dem anderen ertönte, und die „Estrella“ war verlassen - bis auf die zehn Männer, die sich mit Verschwörermienen zuzwinkerten. „So“, sagte Hasard. „Und damit empfehlen wir uns.“ „Auf die feine englische Art?“ fragte Karl von Hutten. „Ja, so ungefähr“, erwiderte Hasard lachend.
Schiffbruch
„Und die Indianer?“ fragte Dan. „Nach der Explosion scheint sich das Blättchen gewendet zu haben“, entgegnete der Seewolf. „Hört ihr noch einen Musketenschuß? Nein? Nun, die Dons scheinen jetzt verwirrt zu sein. Und die Indianer ziehen daraus erheblichen Gewinn. Die Jäger werden zu Gejagten die Dons werden Puna räumen müssen. Wir haben hier nichts mehr zu tun.“ „Mit anderen Worten, wir verschwinden?“ fragte der Profos. „Nein, wir hauen ab“, sagte Dan. „Wenn du doch bloß deine Klappe halten könntest. Nur einmal!“ „Streitet euch jetzt nicht“, sagte Hasard. „Denkt daran, daß wir uns noch mit der Kriegsgaleone befassen müssen.“ „Willst du die auch knacken?“ fragte Ferris Tucker. „Nein. Wir dürfen unsere Kräfte nicht überschätzen“, erwiderte Hasard ernst. „Wir sorgen nur dafür, daß sie uns nicht verfolgt oder angreift. Mehr nicht.“ Sie warfen noch einen Blick zur Insel. Dort kletterten die Männer der „Estrella“ gerade an Land. Sie krochen zwischen die Luftwurzeln der Mangroven und hielten sich daran fest. „Wir sind verraten und verkauft“, sagte der Erste Offizier. „Schießen können wir nicht, wenn die Indianer über uns herfallen.“ „Aber wir haben noch unsere Degen und Messer, und ein paar Säbel“, sagte Porfiro schwer atmend. „Damit verteidigen wir uns. Und wer sagt euch, daß die Indianer uns angreifen werden?“ Die anderen sahen ihn schief an und schwiegen. Aus dem Dickicht ertönten keine Schüsse mehr - dafür aber die Schreie der durch die Explosion irritierten Soldaten. Die Chimus schienen ihrerseits blitzschnell begriffen zu haben, daß sich ihnen eine einmalige Chance bot, und deshalb verdoppelten sie ihre Angriffe. In dieser Situation schien es nur noch einen Weg der Rettung für die Spanier zu geben: Rückzug. Doch die Basis für dieses Vorhaben war ihnen ebenfalls genommen. Die „Estrella“ war mit einemmal
Seewölfe 444 36
Roy Palmer verschwunden, und existierte nicht mehr.
die
„San
Siro“
* Don Pascual de Alcedo befand sich nicht persönlich an Bord der Kriegsgaleone. Er war in Guayaquil geblieben und wartete, wie sich das für einen Generalkapitän gehörte, das Ergebnis der Vergeltungsaktion ab. Die Laute, die von der Insel herüberwehten, schienen zu bestätigen, daß das Unternehmen ein voller Erfolg wurde: Schüsse, Schreie und sogar eine Explosion. Wahrscheinlich haben die Soldaten die Hütten dieser Hunde in die Luft gejagt, dachte er, während er in den Räumen seines neuen Reichs ein Gläschen Wein zu sich nahm. Den Befehl an Bord der Galeone hatte ein erfahrener Capitan, der das Schiff auch schon geführt hatte, als es in Guayaquil stationiert worden war. Dieser Capitan war jetzt äußerst beunruhigt, denn er hatte festgestellt, daß der Donner der Explosion nicht von der Insel herübergedrungen war, sondern allem Anschein nach von dem Platz, an dem die beiden Kriegskaravellen ankerten. Was war geschehen? Ließ sich das nicht feststellen? Welchen Ursprungs war die Detonation? An Bord der „Estrella de Malaga“ hatten Hasard und seine neun Gefährten unterdessen alle Vorbereitungen für das Auslaufen und In-See-gehen getroffen. Der Anker war gelichtet und aufgekattet worden, jetzt setzten die Männer die Segel. „Alles klar“, sagte Dan, als die Karavelle Fahrt aufnahm. „Und es scheint ein ordentliches Schiff zu sein.“ „Besser als die ,Esperanza`“, sagte Hasard. „Dann ist es wohl gut, daß wir die ,Esperanza` los sind.“ „Ja, aber es wäre besser gewesen, wenn es ohne Schiffbruch abgegangen wäre.“ „Dann wären wir nicht hierher zurückgekehrt“, sagte Dan. „Und wir hätten den Chimus nicht helfen können.“ „Das ist auch wiederum richtig.“ Hasard trat an die Schmuckbalustrade und gab den
Schiffbruch
Männern ein paar Anweisungen. Die „Estrella“ kreuzte aus dem Golf und begann, die Isla de Puna zu umsegeln. Inzwischen war sie klar zum Gefecht. Die Culverinen waren ausgerannt. Al Conroy überprüfte sie noch einmal und stellte fest, daß sie vorschriftsmäßig geladen waren. Die Glut in den Kupferbecken war entfacht, und es brauchten nur noch die Lunten angezündet zu werden. Das einzige Problem bestand darin, daß die Karavelle unterbemannt war -aber dieser Nachteil war durch Schnelligkeit und Geschicklichkeit zumindest für kurze Zeit auszugleichen. Ferris Tucker hielt die Höllenflaschen bereit. Batuti hatte seinen Langbogen aus englischer Eibe mitgenommen - für alle Fälle, wie er sagte. Jetzt hatte er ihn griffbereit neben sich liegen. „Mal sehen, was wird“, sagte er grinsend. Die „Estrella“ lief gute Fahrt, und sie war auch, wie es von einer Karavelle zu erwarten war, ein guter Am-Wind-Segler, besser noch als die „Esperanza“. Hasard wußte, daß dies das richtige Schiff für seine Zwecke war, ein besseres hätten sie nicht finden können - außer der „Isabella IX.“ natürlich, die jetzt in der Bucht der Schlangen-Insel vor Anker lag. Nun, im gewissen Sinne war es angenehm, zur Abwechslung einmal ein völlig anderes Schiff unter den Füßen zu haben. Das einzige Problem, das es hier, vor Guayaquil, jetzt noch zu lösen galt, rückte unaufhaltsam näher -die Kriegsgaleone. Ein Konflikt war unvermeidlich - und der Seewolf wollte ihn, denn die Spanier mußten nachhaltig geschockt und eingeschüchtert werden. In Guayaquil trat Don Pascual unterdessen vor das Gebäude der Kommandantur und blickte zum Hafen. Da lag die stolze „Neptuno“ vor Anker. Außer ihr waren als Kontingent noch vier armierte Zweimastschaluppen vorhanden. Aber weder die „Neptuno“ noch die Schaluppen gedachte er im Kampf gegen die Indianer einzusetzen. Die andere Galeone und die beiden Karavellen
Roy Palmer
Seewölfe 444 37
genügten seiner Ansicht nach. Er ahnte noch nicht, wie sehr er sich täuschte. Die „Estrella de Malaga“ stieß in den Canal de Jambeli vor und näherte sich dem Ankerplatz der Galeone. Jetzt erkannten die Spanier, daß es die „Estrella“ war, die sich ihnen näherte, und Rufe ertönten „Kannst du was verstehen?“ fragte Dan. „Nein, kein Wort“, erwiderte Hasard. „Wir müssen näher heran.“ „Welches Schiff?“ schrie der Capitan der Galeone, um sich zu vergewissern. „Das habe ich jetzt doch mitgekriegt“, sagte der Seewolf und rief zurück: „ ,Estrella de Malaga`!“ „Sehen Sie, Capitan“, sagte auf dem Achterdeck der Galeone der Erste Offizier. „Wir haben uns also doch nicht geirrt. Es ist die ,Estrella`.“ „Aber was hat sie hier zu suchen?“ „Porfiro wird uns melden wollen, was vorgefallen ist.“ „Der Befehl lautet, daß er sich nicht von der Stelle rühren soll”, sagte der Capitan verärgert. „Er hätte auch ein Boot schicken können.“ Er wußte immer noch nicht, wie er sich die Explosion erklären sollte, und hoffte, daß Porfiro ihm alles auseinandersetzen würde. Aber -hatte die Stimme Porfiros nicht etwas verändert geklungen? „Was ist geschehen?“ schrie der Capitan. „Was hatte die Explosion zu bedeuten?“ Inzwischen war die „Estrella de Malaga“ auf Rufweite herangesegelt, und jedes Wort, das zwischen den beiden Schiffen gewechselt wurde, war gut zu verstehen. „Das war die ,San Siro schrie Hasard. „Was? Porfiro - das ist nicht Ihr Ernst!“ „Porfiro“, brummte Carberry. „Wer, zur Hölle, ist denn das?“ „Der echte Capitan der ,Estrella` natürlich“, erwiderte Ferris Tucker. „Wer denn sonst?“ „Es ist mein voller Ernst, Senor!“ rief der Seewolf. „Die ,San Siro` ist aus unerklärlichen Gründen in die Luft geflogen!“ Den Namen der zweiten Karavelle hatten sie von Porfiro selbst erfahren, als sie ihn in den Laderaum gesperrt hatten.
Schiffbruch
„Porfiro!“ schrie der Galeonen-Kapitän. „Sind Sie das?“ Er war mißtrauisch geworden. „Jetzt fliegt der Schwindel auf“, sagte Hasard. „Aber sie werden keine Freude daran haben, uns entlarvt zu haben. Feuer frei!“ Die „Estrella“ luvte etwas an, und die Rohre ihrer Backbordbatterie richteten sich auf die Kriegsgaleone. „Achtung!“ schrie der Erste Offizier an Bord der Galeone. „Sie sind gefechtsbereit! Was soll das?“ „Porfiro!“ brüllte der Capitan außer sich vor Wut. „Was hat das zu bedeuten? Rufen Sie augenblicklich Ihre Leute von den Geschützen weg!“ In diesem Moment zündeten Al, Matt und Piet die drei vorderen Culverinen der Backbordbatterie. Es dröhnte und wummerte, und die Kanonen spuckten ihre Ladung aus. Sie rollten zurück und wurden durch die Brooktaue gestoppt - Al und seine beiden Helfer standen bereits gebückt hinter den nächsten drei der insgesamt neun Geschütze. Krachend schlugen drüben die Kugeln ein, und der Zustand auf der Galeone war perfekt. Der Capitan, die Offiziere und die Mannschaft brüllten und fluchten durcheinander, dann gab auch der Capitan den Feuerbefehl gegen den „Verräter Porfiro“. „Arwenack!“ brüllte Carberry mit Stentorstimme. „Drauf!“ Wieder dröhnten die Culverinen, und weitere drei Kugeln hackten in die Bordwand der Galeone. In diesem Moment begriff drüben auch der Capitan, daß er es nicht mit Porfiro zu tun hatte, aber die Einsicht erfolgte viel zu spät. Die Kanonen donnerten, die Galeone hatte bereits zwei Treffer in der Wasserlinie. Ferris Tucker erhob sich zu seiner vollen Größe und schleuderte eine Höllenflasche mit brennender Lunte auf das Hauptdeck der Galeone. Al, Piet und Matt waren unterdessen bei den drei achteren Culverinen der Backbordseite angelangt. Wieder drückten sie die brennenden Luntenenden an die Bodenstücke, und das
Roy Palmer
Seewölfe 444 38
Pulver in den Zündkanälen fing Feuer. Knisternd brannte es ab - die Kartuschen detonierten und stießen die Kugeln aus den Rohren. Die Pulverflasche explodierte auf dem Hauptdeck der Galeone. Die Spanier, die eben an die Geschütze stürzten, brüllten auf und warfen sich auf die Planken. Die Nagelbank des Großmastes wurde zerfetzt, ihre Trümmer flogen durch die Luft. Batuti war ebenfalls nicht untätig. Er jagte Brandpfeile zur Galeone hinüber. Sie senkten sich auf das Rigg, auf die Masten und die Decks, und überall züngelten Flammen auf. Der Capitan war verzweifelt. Er stürzte selbst zu den Drehbassen, die auf dem Achterdeck montiert waren, riß eine davon herum und zielte auf die „Estrella“. Doch in diesem Moment flog taumelnd eine zweite Höllenflasche auf die Galeone zu und landete genau auf dem Achterdeck. „Senor Capitan!“ brüllte der Erste, dann versuchte er, die Flasche mit dem rechten Fuß wegzustoßen. Aber sie drehte sich nur auf der Stelle. „Aufpassen!“ schrie der Zweite Offizier. „Sie hat eine Lunte! Sie ist mit Pulver geladen!“ Der Capitan zündete die Drehbasse doch noch, aber die Kugel flog über die Back der „Estrella“ weg. Der Capitan wollte sich auf die Flasche werfen, sie packen und über das Schanzkleid befördern, doch die Lunte war bereits abgebrannt. Donnernd flog die Flasche auseinander. Der Capitan sank zusammen. Er blutete, richtete sich jedoch wieder auf, stieg über die Gestalten der Offiziere hinweg und begann, auf die Mannschaft einzubrüllen. „An die Kanonen! Feuer!“ Inzwischen hatten sich einige Männer wieder aufgerappelt, und es gelang ihnen auch, die Kanonen zu bedienen. Aber wieder erreichten die Kugeln die „Estrella“ nicht - die halste inzwischen und vollzog mitten im Canal de Jambeli ein elegantes Manöver. Unterdessen flogen immer noch die Brandpfeile, und das Feuer an Bord nahm zu. Der Capitan sah sich vor die unlösbare
Schiffbruch
Aufgabe gestellt, seine Männer wieder in den Griff zu bekommen, sie auf die Karavelle feuern zu lassen und gleichzeitig den Brand löschen zu müssen. Er tobte und schrie und schlug mit den Fäusten auf den Handlauf der Schmuckbalustrade. Aber es nutzte alles nichts - die Galeone brannte, zog Wasser und war bereits so gut wie verloren. Die „Estrella de Malaga“ luvte an und ging auf Gegenkurs. „Wir segeln einen Kreuzschlag über Backbordbug!“ rief Hasard. „Al, klar bei Lunten!“ „Klar bei Lunten, Sir!“ brüllte Al. Mit Piet und Matt lauerte er jetzt bei den Steuerbordgeschützen. Immer noch surrten Batutis Pfeile durch die Luft, und die Wuhling und das Geschrei an Bord der Galeone wurden immer größer. Ferris Tucker hielt wieder eine Höllenflasche bereit. Der Capitan der Galeone sah das Unheil nahen. Er stürzte auf das Hauptdeck hinunter, entriß dem Profos die Neunschwänzige, mit der dieser soeben die Ordnung wiederherstellen wollte, und hieb selbst auf die Seeleute ein. „Feuer! Auf was wartet ihr? Löscht die Brände! Schießt! Reißt euch zusammen!“ Aber er hatte selbst die Nerven verloren trotz seiner Erfahrung. Es war das erste Mal, daß ihm etwas Derartiges passierte. Nie zuvor hatte er einen solchen Blitzangriff erlebt, dazu noch von lediglich einer Handvoll tollkühner, tolldreister Schnapphähne durchgeführt. „Arwenack!“ hatte der eine gebrüllt, und der Aussprache nach konnte es sich nur um einen Engländer handeln. Engländer vor Guayaquil? Ungeheuerlich der Generalkapitän mußte es erfahren. Verstärkung mußte her - die „Neptuno“ und die armierten Schaluppen. Die „San Siro“ war gesunken, die „Estrella“ wurde entführt, und die Galeone drohte, sich in eine lodernde Fackel zu verwandeln. Hilfe! schrie es in dem Capitan, aber er wußte, daß es keine Rettung mehr gab. Wieder war die Karavelle, die sich in einen unheimlichen Schatten zu verwandeln
Roy Palmer
Seewölfe 444 39
schien, heran. Wieder wirbelte eine Flasche durch die Luft und landete auf dem Hauptdeck. Die Männer brüllten durcheinander -dann explodierte sie, und der Luftdruck warf den Capitan gegen die Querwand des Achterkastells. Er verlor die Neunschwänzige aus der Hand und wollte sich nach ihr bücken, aber ein Brandpfeil zischte heran und bohrte sich neben ihm in das Schanzkleid. Jetzt dröhnten und krachten auch die drei ersten Culverinen an der Steuerbordseite der „Estrella“. Wieder lagen die Kugeln im Ziel. Es knirschte und krachte, und das Schanzkleid der Galeone ging zu Bruch. Holztrümmer flogen durch die Luft, der Profos wurde von einem Stück getroffen und sank um. Das Rigg der Galeone loderte, die Flammen fraßen es auf. Die Decks waren zerstört. Kein Mann wußte mehr, was er tun sollte, alle waren kopflos. Ohne Segel war die Galeone nicht mehr manövrierfähig und somit ihrem Feind endgültig ausgeliefert. Wieder spuckten die Culverinen der „Estrella“ Feuer, Eisen und Rauch. Wieder hagelte es Treffer, und immer noch flogen die Brandpfeile. Ferris Tucker setzte eine vierte Höllenflasche auf die Back der Galeone, und die Explosion riß die Planken in Stücke. Damit war der Untergang der Galeone besiegelt. Wieder hatte sie Treffer unter der Wasserlinie, und jetzt krachten auch die Drehbassen der Karavelle. Das hatte bei allem Unheil noch gefehlt. Der Capitan und seine Männer konnten nur noch das eine tun - auf den Planken liegen, sich vor umherfliegenden Trümmerteilen mit den Händen schützen und beten, daß alles bald ein Ende haben möge. Diesem Wunsch wurde stattgegeben. Hasard bedeutete seinen Männern durch eine Geste, daß sie aufhören konnten. Das Feuer wurde eingestellt. Sie blickten, während die Karavelle einen neuen Kreuzschlag in Richtung See fuhr, zu der Galeone zurück und konnten mit ihrem Werk zufrieden sein.
Schiffbruch
„Sie brennt“, sagte Batuti. „Und wie schön sie brennt.“ „Und sie stinkt, und wie schön sie stinkt“, sagte der Profos. „Wir haben sie so richtig fertiggemacht“, sagte Dan. „Aber anders ging es nicht.“ „Das genügt jetzt“, sagte der Seewolf. „Wir verziehen uns.“ „Wir werden ja auch schon sehnlichst erwartet“, sagte Karl von Hutten. „Ob sie auf der La-Plata-Insel wohl die Explosion und das Donnern der Kanonen gehört haben?“ „Das glaube ich nicht“, erwiderte Hasard. „Aber wir können sie ja fragen, wenn wir dort sind.“ Die Galeone ging brennend auf Tiefe - ihr Capitan und die überlebenden Offiziere und Seeleute retteten sich durch kühne Sprünge ins Wasser. Jetzt blieb auch ihnen nichts anderes mehr übrig, als zur Insel de Puna zu schwimmen. Dort schleppten sie sich an Land und wohnten mit versteinerten Mienen der letzten Phase bei: Das Schiff versank brennend in den Fluten, und zischend erloschen die letzten Flammen. Nach Mitternacht verschwand die „Estrella de Malaga“ in Richtung See, und keiner der Spanier sah sie mehr. Sie schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Es gab keine Schiffe mehr, nur noch die, die im Hafen lagen. Aber wer sollte den Generalkapitän Don Pascual de Alcedo benachrichtigen? Es gab nur die eine Möglichkeit - die Boote, die noch am Ufer der Insel lagen, mußten als Fluchtmittel dienen. Gleichzeitig gaben sie den Spaniern die Möglichkeit, Don Pascual aufzusuchen und ihm - selbst auf die Gefahr hin, standrechtlich erschossen zu werden - alles zu berichten, was sich abgespielt hatte. Noch konnten die Spanier nicht fassen, was ihnen zugestoßen war, und doch mußten sie es hinnehmen. Engländer vor Guayaquil! Eine Nachricht, die wie eine Kanonenkugel einschlug! Wer waren sie, wer schickte sie? Korsaren? Schnapphähne und Galgenstricke der Königin? Erzfeinde auf jeden Fall - und sie würden bei ihrem nächsten Raubzug über
Roy Palmer
Seewölfe 444 40
die Stadt herfallen. Das mußte verhindert werden, durch entsprechende Verteidigung und Abwehr. Was bedeuteten da noch die Indianer! Die waren unwichtig geworden. Ganz Guayaquil sollte sich bald in hellem Aufruhr befinden. Die Indianer zogen
Schiffbruch
daraus ihren Nutzen und fegten die Insel de Puna von spanischen Soldaten leer. Die Chimus waren die eigentlichen Sieger oder die lachenden Dritten bei dem kurzen, verheerenden Seegefecht, das sich auch vor ihren Augen abgespielt hatte ...
ENDE