Eva Bosbach Promotion in den Geisteswissenschaften
VS RESEARCH
Eva Bosbach
Promotion in den Geisteswissenschaften ...
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Eva Bosbach Promotion in den Geisteswissenschaften
VS RESEARCH
Eva Bosbach
Promotion in den Geisteswissenschaften Modelle der Doktorandenausbildung in Deutschland und den USA
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, 2010
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Monika Mülhausen VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18329-9
Inhalt
Zusammenfassung .............................................................................................. 9 1
Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung ............. 11 1.1 Überlegungen zur Notwendigkeit einer zweifachen Refokussierung .................................................................................. 11 1.2 Von der Lehrberechtigung zum Wissenschaftsnachweis – Funktionswandel der Promotion über zehn Jahrhunderte .................. 15 1.3 Fachübergreifende Rahmenbedingungen und fachspezifische Implikationen der Promotionsreform seit 1990 ................................. 27 1.4 Promotionsforschung in der Germanistik: Forschungsstand und Desiderate .......................................................................................... 35 1.5 Erfolgsrezept germanistische Promotion? Fragen, Ziele und Methoden dieser Arbeit...................................................................... 40
2
Germanistik in Deutschland .................................................................... 45 2.1 Kontext der Geisteswissenschaften .................................................... 45 2.2 Germanistik als Universitäts- und Studienfach .................................. 52 2.3 Aktuelle Herausforderungen .............................................................. 68
3
Promovieren in der Germanistik ............................................................ 79 3.1 Promotionsmodelle ............................................................................ 81 3.1.1 Einsamkeit und Freiheit? Die Individualpromotion ................. 81 3.1.2 Strukturierte Doktorandenausbildung ....................................... 86 3.1.3 Praxisbeispiele strukturierter Promotionsformen ..................... 94 3.1.3.1 3.1.3.2 3.1.3.3 3.1.3.4 3.1.3.5
Freie Universität Berlin ............................................... 95 Justus-Liebig-Universität Gießen ................................ 96 Georg-August-Universität Göttingen .......................... 98 Universität zu Köln ..................................................... 99 Westfälische Wilhelms-Universität Münster ............. 101
3.2 Dissertationen und Forschungsthemen ............................................ 102
6
Inhalt 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8
4
Auswahlverfahren zur Qualitätssicherung ....................................... 112 Finanzierungsformen und ihr Steuerungspotenzial .......................... 117 Betreuung und Austausch ................................................................ 126 Kernqualifikation Monographie? Das ‚Wissen-Schaffen‘ lernen .... 141 Akademische Lehre ......................................................................... 151 Berufswege mit Doktorgrad ............................................................. 158
English studies in den USA .................................................................... 171 4.1 Verortung in den humanities ............................................................ 171 4.2 Von Homogenität zu Heterogenität – 130 Jahre Doktorandenausbildung in English studies ...................................... 177
5
Die Promotion in den English studies ................................................... 201 5.1 Promotionsmodelle .......................................................................... 204 5.1.1 Institution graduate school ..................................................... 204 5.1.2 Praxisbeispiele ........................................................................ 211 5.1.2.1 Columbia University ................................................. 211 5.1.2.2 City University of New York (CUNY) ..................... 213 5.2 5.3 5.4 5.5
Qualitätssicherung durch Auswahl und Betreuung .......................... 217 Das ‚Geschäftsmodell‘: Finanzierung gegen Lehre ......................... 227 How to Become a Professor in English............................................ 237 Promovierte der English studies im Beruf ....................................... 249
6
Modelle der Doktorandenausbildung in den Geisteswissenschaften – zusammenfassender Vergleich und Anregungen für Folgestudien . 261
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Anhang .................................................................................................... 283 7.1 Fragebogen für Doktoranden ........................................................... 283 7.2 Fragebogen für Sprecher oder Koordinatoren der strukturierten Promotionsprogramme ..................................................................... 287 7.3 Internetverweise zu Promotionsordnungen der untersuchten strukturierten Programme ................................................................ 289
8
Literaturverzeichnis ............................................................................... 291
Danksagung
Die Idee einer ‚Promotion über die Promotion‘ in der Germanistik entstand während meiner Magisterarbeit über das sich unter dem Einfluss der Reform mit Bachelor- und Masterstudiengängen wandelnde Fach. Eine Untersuchung der Doktorandenausbildung stellte die naheliegende nächste Stufe der Fachreflexion dar. Weitere Anregungen zu dem Thema kamen während meiner Tätigkeit in den Bereichen Promotion und Geisteswissenschaften für die Hochschulrektorenkonferenz sowie durch Berichte über die ‚strukturierte‘ Promotion in den USA. Für das Gelingen einer tragfähigen Promotionsreform erschien zunehmend der fachspezifische Ansatz relevant – und gleichzeitig in den meisten Fächern eine Forschungslücke. Die vorliegende vergleichende Analyse der Doktorandenausbildung in der Germanistik bezieht existierende Promotionsmodelle in Deutschland sowie die Erfahrungen aus der Promotionspraxis in der entsprechenden Muttersprachenphilologie English studies in den USA ein und soll einen Beitrag zur Diskussion und fachspezifischen Ausgestaltung der Reformen in der Germanistik leisten. An dieser Stelle möchte ich einen ganz besonderen Dank meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Pape aussprechen, der mich bei meiner eigenen ‚Individualpromotion‘ auch auf größere räumliche Distanz stets unterstützt hat, viele hilfreiche Anregungen gab und mit Rat und persönlicher Ermunterung meine Arbeit begleitet hat. Sein großer Einsatz in den deutsch-tschechischen Beziehungen ist mir über die Doktorarbeit hinaus Vorbild. Bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Volker Neuhaus für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens. Mein Dank gilt ebenso den drei Universitäten, die meinen Bildungsweg geprägt haben – der Karls-Universität Prag, der Universität Konstanz und der Universität zu Köln. Dem DAAD, der Herbert-Quandt-Stiftung, dem BMBF, dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und der Modern Language Association danke ich, dass sie durch großzügige finanzielle Förderung die Anfertigung der Magister- und Doktorarbeit sowie der dazwischen erstellten Publikationen „Von Bologna nach Boston?“ und „U.S.Arts and Figures“ ermöglicht haben. Des Weiteren bin ich zahlreichen Mitarbeitern verschiedener Institutionen in Deutschland und den USA für den anregenden fachlichen Austausch, die Unterstützung des Entstehungsprozesses der Publikationen sowie für die zur Verfü-
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Danksagung
gung gestellten Informationen sehr verbunden. In Deutschland danke ich dabei insbesondere Karina Dudek und Barbara Glässner von der Hochschulrektorenkonferenz, Prof. Dr. Martin Huber vom Germanistenverband, Corina Roos vom Philosophischen Fakultätentag, Prof. Dr. Reinhardt Kreckel und Dr. Anke Burkhardt vom Institut für Hochschulforschung (HoF) Wittenberg sowie Dr. Volker Meyer-Guckel, Bettina Jorzik und Andrea Frank vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. In den USA danke ich Prof. Rosemary G. Feal, Ph.D., und David Laurence von der Modern Language Association, Prof. Steven Wheatley, Ph.D., vom American Council of Learned Societies, Susan Hill und Jaqui Falkenheim von der National Science Foundation, Jessica Irons von der National Humanities Alliance, Daniel D. Denecke, Ph.D., vom Council of Graduate Schools, Charlotte V. Kuh, Ph.D., vom National Research Council, Prof. Michael T. Nettles, Ph.D., vom Educational Testing Service, Prof. Norman M. Bradburn, Ph.D., und Carolyn J.E. Fuqua vom Humanities Indicators Project, dem Bibliotheksteam des MSKCC sowie Dr. Ulrich Grothus, Dr. Sebastian Fohrbeck, Dr. Katja Simons und Stefan Altevogt vom DAAD New York. Den Koordinatoren und Sprechern der in dieser Arbeit untersuchten Promotionsprogramme bin ich für Ihre Zeit und Offenheit dankbar, die zahlreiche Einblicke in den Ablauf der germanistischen Promotion an den jeweiligen Einrichtungen ermöglicht haben. Ohne die anregenden Gespräche mit Prof. Dr. PeterAndré Alt von der Freien Universität Berlin, Prof. Dr. Ansgar Nünning und Dr. Martin Zierold von der Universität Gießen, Prof. Dr. Simone Winko und Prof. Dr. Gerhard Lauer von der Universität Göttingen, Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Speer von der Universität zu Köln, Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf von der Universität Münster, Prof. Susan Crane, Ph.D., von der Columbia University und Prof. Steven Kruger, Ph.D., von der City University of New York, wäre ein wesentlicher Bestandteil dieser Arbeit nicht zustande gekommen. Allen interviewten Doktoranden in Deutschland und den USA, die ich aufgrund der zugesicherten Anonymität hier nicht namentlich erwähnen kann, danke ich für die ausführlichen und offenen Berichte über ihre Promotionserfahrungen. Persönlich danken möchte ich meinen guten Freunden Antje, Elmar, Karo, Marko, Nataša, Wiebke und Zehra für die vielen hilfreichen Anmerkungen und die Versorgung mit guter Laune sowie Clara für die Überprüfung aller Internetverweise. Herzlich danke ich meinen Eltern, deren liebevolle Unterstützung auf meinem Ausbildungs- und Lebensweg die Anfertigung der vorliegenden Arbeit erst ermöglicht hat. Mami a tati – dČkuju moc. Mein größter persönlicher Dank gilt meinem Mann Benedikt, der mich mit seiner Unterstützung und Liebe bei der gesamten Arbeit begleitet hat.
Zusammenfassung
Die aktuelle Reform der Doktorandenausbildung in Deutschland mit ihrer starken Tendenz zu strukturierten Promotionsmodellen stellt auch die Geisteswissenschaften und die Hochschulforschung vor neue Herausforderungen. Mit Blick auf die notwendige konkrete Ausgestaltung der Reformvorhaben und -vorgaben in den einzelnen Disziplinen überrascht der Mangel an fachspezifischer wissenschaftlicher Reflexion, fachhistorischer Wahrnehmung und Kontextualisierung sowie empirischer Aufbereitung und Auswertung der Veränderungen in der Doktorandenausbildung. Eine Analyse der Promotionsmöglichkeiten in den Geisteswissenschaften, die sowohl die etablierte Individualpromotion als auch im Zuge verschiedener Förderinitiativen entstandene neue Modelle untersuchen würde, fehlt bisher. Ein weiteres Desiderat besteht im Bereich der internationalen Gegenüberstellungen: Die Hochschulforschung in Deutschland verfügt bisher nicht über Vergleiche der Promotionsbedingungen in den Geisteswissenschaften mit anderen Ländern, deren positive wie negative Erfahrungen in der Doktorandenausbildung genutzt werden könnten. Promotionsmodelle der USA sind dabei besonders von Interesse, da dort sowohl jahrzehntelange Erfahrung mit der für die Geisteswissenschaften in Deutschland relativ neuen strukturierten Doktorandenausbildung besteht – ausnahmslos alle Doktoranden promovieren in graduate schools –, als auch für eine Untersuchung umfangreiches und differenziertes Datenmaterial zu dieser Fächergruppe zur Verfügung steht. Die vorliegende Arbeit will zur Schließung dieser Forschungslücken einen umfassenden Beitrag leisten. Vor dem Hintergrund eines detaillierten Exkurses über zehn Jahrhunderte der europäischen Promotions- und Universitätsgeschichte und einem Überblick fachübergreifender Rahmenbedingungen und fachspezifischer Implikationen der Promotionsreform seit 1990 werden am Beispiel der Muttersprachenphilologie Germanistik zunächst die verschiedenen neu entstandenen Promotionsprogramme in Deutschland in ihrer Bandbreite (unterschiedliche Finanzierungsformen, Programmgrößen, Phasen im Prozess der Einrichtung, Eliteorientierung oder Dachstruktur, disziplinärer Zuschnitt, Zielsetzung etc.) differenziert untersucht und mit der traditionellen Form der Doktorandenausbildung, der Individualpromotion, kontrastiert. Im zweiten Teil der Studie werden analog die Promotionsmodelle der English studies in den USA analysiert. Me-
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Zusammenfassung
thodisch wird dazu für beide Länder eine umfassende Sekundäranalyse vorhandener statistischer Daten und fachwissenschaftlicher Studien mit den Ergebnissen von exemplarisch für diese Studie initiierten und ausgewerteten qualitativen Interviews kombiniert, die mit Doktoranden der verschiedenen Promotionsformen sowie mit den Koordinatoren der ausgewählten Programme und mit hochschulpolitischen Akteuren geführt wurden. Aus dem Vergleich der Promotionsmodelle in Deutschland und den USA werden für diverse Aspekte der Doktorandenausbildung wie Dissertationen und Forschungsthemen, Auswahlverfahren, Qualitätssicherung und Finanzierungsformen, Betreuung und Austausch, Erlernen der Kernqualifikationen Forschung und Lehre sowie Berufswege der Promovierten konkrete förderliche Elemente für eine fachadäquate weitere Ausgestaltung der Promotionsreform in den deutschen Geisteswissenschaften herausgearbeitet. Zu den wichtigen Ergebnissen der Analyse gehört, dass nach wie vor und in allen Promotionsformen die Dissertation als Monographie den Kern einer geisteswissenschaftlichen Promotion bildet. Um die fachwissenschaftliche Qualität und Realisierbarkeit dieser Kernleistung zu sichern, müssen in den untersuchten Programmen in den USA das Exposé und das erste Dissertationskapitel innerhalb festgelegter Fristen von den Doktoranden vorgelegt und als wichtige Hürden im Promotionsprozess vor mehreren Fachvertretern verteidigt werden. Diese Elemente einer frühzeitigen Qualitätssicherung werden in Deutschland bisher nur selten genutzt. Nicht zur Nachahmung für Deutschland geeignet erscheint demgegenüber beispielsweise die in den USA zunehmende Praxis der Übernahme ursprünglich professoraler Lehrverpflichtungen durch Doktoranden im Rahmen von „Effizienzsteigerungen“. Dies führt zu einem Abbau regulärer Professorenstellen, wodurch Kritiker langfristig die Qualität von Forschung und Lehre beeinträchtigt sehen. Insgesamt liefert die Studie inner- wie außeruniversitären Akteuren erstmals eine umfassende Analyse existierender Promotionsmöglichkeiten, einen detaillierten Vergleich mit den USA sowie für die Hochschulpraxis ein Instrumentarium zur Bewertung vorhandener und zur Konzeption künftiger Promotionsmodelle in den Geisteswissenschaften.
1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
1.1 Überlegungen zur Notwendigkeit einer zweifachen Refokussierung Am Anfang des 21. Jahrhunderts haben die Promoviertenzahlen in Deutschland im historischen Vergleich einen Höchststand erreicht.1 Die ‚Produktion‘ von Promovierten steht im Kontext einer Gesamtreform des Hochschulwesens mit lange nicht gesehenen Ausmaßen, vom radikalen Umbau der Studienstrukturen mit Bachelor-, Master- und zum Teil Promotionsstudiengängen im Rahmen des Bologna-Prozesses über die Implementierung neuer Qualitätssicherungs- und Internationalisierungsstrategien bis hin zum Wetteifern der Hochschulen um Graduiertenschulen, Exzellenzcluster und den Elitestatus in der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder. In der Reform der Promotionsphase sollen dabei viele tatsächliche oder vermeintliche Defizite der bisherigen Formen der Doktorandenausbildung behoben werden; die Diskussion bestimmen Schlagworte wie zu viele Abbrecher,2 zu lange Promotionsdauer, zu hohes Promotionsalter, zu wenig Interdisziplinarität oder fehlende soft skills. Zwei Aspekte erscheinen dabei problematisch: Zum einen wird die Reformdiskussion auf nationaler wie auf europäischer und internationaler Ebene meist fachübergreifend geführt, also abgehoben von den einzelnen Fachdisziplinen. Verschiedene Akteure sprechen über „die“ Doktorandenausbildung und formulieren diverse Empfehlungen und Richtlinien für „die“ Promotionsphase.3 Sind es jedoch nicht gerade die einzelnen Fächer, in denen die – in jedem Fall fachspezifischen – Promotionsbedingungen und eventuellen Missstände unter1
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Im Prüfungsjahr 2008 wurden in Deutschland insgesamt 25.190 Doktorgrade verliehen, 17.838 ohne Berücksichtigung derjenigen in Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften. Dies waren acht bzw. sechs Prozent aller Hochschulabschlüsse. Im Vergleich dazu wurden im Jahr 1990 insgesamt 18.494 Doktorgrade und im Studienjahr 1969/70 (ohne Schleswig-Holstein) 10.515 Doktorgrade verliehen. Zum Teil eigene Berechnungen nach Statistisches Bundesamt: Prüfungen an Hochschulen 2008, S. 10 und S. 50, sowie Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 1973, S. 96. Wenn in dieser Arbeit nur die weibliche oder männliche Form verwendet wird, um die Lesbarkeit zu erleichtern, sind Frauen und Männer selbstverständlich gleichermaßen gemeint. Auf die einzelnen Positionen wird näher im Kapitel 1.3 eingegangen.
E. Bosbach, Promotion in den Geisteswissenschaften, DOI 10.1007/978-3-531-94142-4_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
sucht, diskutiert und angegangen werden müssen? Muss eine Reform, soll sie den Disziplinen und ihren Doktoranden nachhaltig nutzen und ihre tatsächlichen Bedürfnisse treffen, nicht auch von innen heraus gestaltet werden, im Bewusstsein der eigenen Fachidentität und unter zentraler Einbeziehung der Fachwissenschaftler? Dass Reformen von fachunabhängigen Institutionen angestoßen werden und über Möglichkeiten der Behebung unbestrittener Defizite in der Doktorandenausbildung ernsthaft nachgedacht wird, erscheint wichtig und richtig. In der Umsetzungsphase stellt sich jedoch die Frage, ob nicht eine Refokussierung auf die Kerninteressen der jeweiligen Fachdisziplin der Leitgedanke sein sollte. Für die Zukunft der Disziplinen und der Wissenschaft insgesamt könnte ein zweiter Aspekt schwerwiegender sein: Gerät bei einer Konzentration des Reformeifers auf Strukturen, Dauern und Quoten nicht eine wichtige Funktion der Promotion, die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses für Forschung und Lehre, aus dem Blick? Wird Qualität in der Doktorandenausbildung durch schnelles Promovieren, durch die Summe der gesammelten Punkte und durch die Anzahl der Promotionsjahre oder der verliehenen Doktorgrade je Professor erzielt? Oder scheint die Promotionsausbildung vielmehr nur dann gut funktioniert zu haben, wenn am Ende des Prozesses ausgezeichnete Wissenschaftler der einzelnen Disziplinen stehen, die mit Erfolg in Forschung und Lehre tätig werden können? Selbstverständlich werden nicht alle Promovierten in Wissenschaft und Forschung tätig.4 Zudem erfordern heutzutage neben demjenigen des Wissenschaftlers auch andere Berufe eine Promotion bzw. einen Doktorgrad – für wissenschaftliche Bibliothekare etwa oder für Ärzte gehört er fast selbstverständlich zur Berufsvorbereitung dazu. Die Anforderungen sind dabei jedoch unterschiedlich, und es handelt sich in diesen Fällen nicht um forschungsorientierte Promotionen mit dem Ziel der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses.5 So erfüllt die Promotion in der Gesellschaft zwar verschiedene Funktionen, die in folgenden Abschnitten dieser Arbeit noch angesprochen werden. Die wichtigste Funktion aus der Perspektive der einzelnen Disziplinen, die für die hier analysierte Reform der Doktorandenausbildung primär relevant ist, ist jedoch die Vorauswahl und Ausbildung der Nachwuchswissenschaftler. Beide Aspekte – die Refokussierung auf die Kerninteressen der Fachdisziplinen sowie auf die Funktion der Promotion in der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses – treffen in der Antwort auf die folgende Frage zusammen: Warum ist es wichtig, sich mit der Promotion zu befassen und bei ihrer Reform besonders behutsam vorzugehen? Eben weil die Promotion über ihre 4 5
Vgl. Fußnote 9. Zur wissenschaftlichen Qualität der medizinischen Dissertationen vgl. Fußnote 8.
1.1 Überlegungen zur Notwendigkeit einer zweifachen Refokussierung
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weiteren Funktionen hinaus eine entscheidende Phase in der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses einer jeden Fachdisziplin bildet und damit essenziell für ihre Zukunft ist. Durch die Promotion und – sofern nicht der Weg der Juniorprofessur verfolgt wird – die Habilitation werden die Professoren von morgen ausgebildet und geprägt. Die Promotionsebene bietet in den meisten Fächern zum ersten Mal die Chance, sich hauptsächlich mit dem eigenen akademischen Nachwuchs zu befassen. Während im Studium viele Disziplinen insbesondere in den Geisteswissenschaften aus ihrem gesellschaftlichen Auftrag heraus noch für diverse Berufe, nicht zuletzt den des Schullehrers, ausbilden, kann in der Promotion der Fokus auf der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses des Faches liegen. In der Promotionsphase entstehen zudem wichtige wissenschaftliche Beiträge, in den Geisteswissenschaften hauptsächlich in Form der Dissertationen, die ein elementarer Bestandteil der Forschung sind und eine Grundlage für die weiteren wissenschaftlichen Arbeiten der dann promovierten Fachvertreter legen.6 Die Promotion und das Promotionsrecht sind darüber hinaus zentral für das Selbstverständnis der Universität, ihr proprium7 und Charakteristikum seit den Anfängen des Universitätswesens im Mittelalter. Die Form und Funktion der Promotion hat sich seit dieser Zeit allerdings stark gewandelt und die historischen Wurzeln sind dabei bemerkenswerterweise anders, als anhand der heutigen Rolle des Doktorgrads in Wissenschaft und Gesellschaft vermutet werden könnte. Während zum Beispiel Promotionen in den Geistes- und Naturwissenschaften heute den typischen, ‚hochwertigen‘, forschungsorientierten Doktorgrad repräsentieren, werden Doktorate in der Medizin, die zu Beginn des Promotionswesens im Hochmittelalter zusammen mit der Jurisprudenz und Theologie die ersten erwerbbaren Doktorgrade waren und für mehrere Jahrhunderte den höchsten Stellenwert hatten, in den heutigen Promotionsstatistiken wegen fehlender Forschungsorientierung oftmals explizit außer Acht gelassen.8 Und nicht nur mit Blick auf die erst im Zuge der Aufklärung 6
7 8
„[Die Habilitationsschriften] bilden, zusammen mit den Dissertationen, immer noch das Gerüst der geisteswissenschaftlichen Forschung an den deutschen Universitäten, zumal es heute zum Regelfall zu werden scheint, daß diese beiden ‚Laufbahnschriften‘ die einzigen monographischen Bücher bleiben, die ein deutscher Universitätsprofessor schreibt“. Brenner: Habilitation als Sozialisation, S. 344. „Die Promotion ist das Proprium der Universität. Die Verantwortung für ihre Ausgestaltung liegt in der universitären Autonomie“. Hochschulrektorenkonferenz: Zur Zukunft der Promotion in Europa, S. 1. So heißt es z. B. in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Doktorandenausbildung: „Die Situation in den medizinischen Fächern ist gesondert zu betrachten. In den medizinischen Fächern gleicht ein Teil der Dissertationen nach Umfang und wissenschaftlicher Qualität eher einer Studienabschlussarbeit. Soweit die Dissertation in diesen Fächern eine studienbegleitende Arbeit ist, entspricht dies nicht dem Anforderungsprofil an eine Dissertation, das diesen Emp-
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
hinzugekommene Forschungskomponente haben sich die Ansichten darüber, was ein ‚richtiger‘ Doktorgrad ist, wie er erlangt werden kann und was er in der Wissenschaft und in der weiteren Gesellschaft bedeutet, stark verändert. Um diesen Bedeutungswandel zu verstehen und die Überlegungen zum Sinn und zur Ausgestaltung der heutigen Promotion in den Geisteswissenschaften und ihrer Reform in Deutschland in weiteren Abschnitten dieser Arbeit historisch verorten zu können, ist zunächst ein Blick auf die Geschichte der Promotion und die zentralen Veränderungen ihrer Form und Funktion geboten. Der folgende Exkurs über zehn Jahrhunderte der europäischen Promotionsund Universitätsgeschichte mit einzelnen Verweisen auf Parallelen in den USA soll dem fachübergreifenden Überblick über die Entwicklung der Doktorandenausbildung dienen. Anschließend werden die fachübergreifenden Rahmenbedingungen und die fachspezifischen Implikationen der Promotionsreform (Kapitel 1.3), der Forschungsstand und Desiderate der Promotionsforschung in der Germanistik (Kapitel 1.4) sowie die Ziele und Methoden dieser Arbeit (Kapitel 1.5) vorgestellt. Auf die fachspezifischen Aspekte der Germanistik bzw. der English studies und der Promotion in diesen Disziplinen wird in den darauffolgenden Kapiteln 2 bis 5 eingegangen. Mit Blick auf die Entwicklung der Doktorandenausbildung wird der historische Exkurs in sieben Stationen aufgeteilt: (1) Eine Verantwortungsgemeinschaft von Lehrern und Schülern, die im 11. und 12. Jahrhundert den Grundstein der europäischen Universitäten und der Promotion legt, entwickelt sich weiter zu einer (2) festen, geschlossenen Gemeinschaft zum Zweck der Rechtsautonomie, einer universitas. Diese (3) hierarchisiert und verfasst sich zunehmend, was unter fehlungen zugrunde liegt“. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, S. 5. Auch wird der deutsche medizinische Doktorgrad (Dr. med.) vom European Research Council (ERC) nicht als gleichwertig mit einem Ph.D.-Grad anerkannt. Vgl. die Pressemeldung des Hochschulverbandes „Wissenschaftsrat bemängelt Qualität des "Dr. med." Promotion soll auf forschungsorientierte Mediziner beschränkt werden“ vom 30.6.09, URL (24.5.2010): http://bildungsklick.de/pm/68876/wissenschaftsrat-bemaengelt-qualitaet-des-dr-med/. In Anlehnung daran werden in dieser Arbeit unter den Begriffen „Promotion“, „promovieren“, „Doktorandenausbildung“, „Doktorgrad“ usw. stets ausschließlich Promotionsformen verstanden, die forschungsorientiert sind (in den USA research-oriented doctorate, academic doctoral degree). Die medizinischen Doktorgrade sowie die U.S.-amerikanischen professional Ph.D.s werden nicht berücksichtigt. Vgl.: „First professional degrees, though in most cases conferring upon the recipient the right to use the title ‘doctor’, are not research graduate degrees in the sense of the traditional doctoral degree“. Antony/Knaus: Graduate Education in the United States, S. 288. Die problematische wissenschaftliche Qualität der medizinischen Promotionen hatte dabei in der Universitätsgeschichte weitreichende Auswirkungen – die eindeutige Trennung der Promotion und der Habilitation in den Statuten der Berliner Universität am Anfang des 19. Jahrhunderts geht auf die Bedenken zurück, die Erteilung der Lehrerlaubnis in der Medizin allein auf die Promotion zu knüpfen. Vgl. 1.2, Fußnote 37.
1.2 Von der Lehrberechtigung zum Wissenschaftsnachweis
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anderem zur Entstehung einer (4) neuen sozialen Schicht führt, dem promovierten Gelehrtenstand. Auf der Basis der Abnahme des kirchlichen und (5) Zunahme des staatlichen Einflusses auf die Universitäten im Zuge der Reformation und Aufklärung, zu deren ‚Produkten‘ im Bildungswesen das Gymnasium, das Staatsexamen, die Habilitation und der Titel ‚Professor‘ zählen, tragen (6) die Humboldt’schen Bildungsreformen um 1810 grundlegend zur Etablierung der Forschung als zweiter Säule der Universität neben der Lehre und als neues Hauptcharakteristikum der Promotion bei. Darüber hinaus ist zu untersuchen, ob die Befähigung des wissenschaftlichen Nachwuchses zur Forschung und Lehre als eine wichtige Aufgabe der Doktorandenausbildung bei den (7) Promotionsreformen am Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts möglicherweise wieder in den Hintergrund tritt. 1.2 Von der Lehrberechtigung zum Wissenschaftsnachweis – Funktionswandel der Promotion über zehn Jahrhunderte Der Doktorgrad dient international als Nachweis der Fähigkeit zur eigenständigen wissenschaftlichen Arbeit. In den deutschsprachigen Ländern wird ihm zusätzlich eine Funktion als „Talentsignal“ für Führungspositionen zugeschrieben.9 Eine historisch gewachsene Funktion der Promotion besteht jedoch auch hierzulande in der Ausbildung und Vorauswahl des wissenschaftlichen Nachwuchses für Forschung und Lehre. Während die Forschungskomponente erst im Zuge der Aufklärung aufkommt, spielt die Lehre im Promotionswesen von Anfang an eine zentrale Rolle. Die Bezeichnung selbst weist dies nach: Der Begriff „Doctor“ (lat. docere, lehren, bzw. doctor, der Lehrer) wird bereits in der Antike für Lehrmeister verwendet. Auch im Früh- und Hochmittelalter werden als doctor im Allgemeinen Lehrer tituliert, beispielsweise die Kirchenlehrer (doctores ecc-
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Dass die Promotion sich als ein Karrieresprungbrett nicht nur in der akademischen Welt eignet, zeigt Egon Franck in „Promotion und Karriere“ und in „Die deutsche Promotion als Karrieresprungbrett“: Fachübergreifend findet die Mehrheit der Promovierten in Deutschland Anstellung in anderen Bereichen des Arbeitsmarkts und die Promotion wird vielmehr als ein „Talentsignal“ und als Indikator zur Eignung für Führungspositionen im Allgemeinen wahrgenommen. Während ein vergleichbarer Anteil der untersuchten Topmanager in den USA (97,8 Prozent), Frankreich (97,3 Prozent) und Deutschland (95,1 Prozent) studiert haben, unterscheiden sich die Zahlen deutlich, wenn es um einen vorhandenen Doktorgrad geht: Auf lediglich 5,6 Prozent promovierte CEOs in den USA und 4,1 Prozent der PDG in Frankreich kommen 58,5 Prozent der Vorstandsvorsitzenden in Deutschland, die über einen Doktorgrad verfügen. Vgl. Franck: Promotion und Karriere, S. 12 sowie Franck: Die deutsche Promotion als Karrieresprungbrett, S. 14.
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
lesiae) der griechischen und lateinischen Kirche10 oder – mit besonderem Epitheton – verschiedene Gelehrte, wie der Doctor „angelicus“ Thomas von Aquin.11 Dabei handelt es sich jedoch noch um Ehrentitel ohne formale Verleihung, ähnlich wie bis heute in Italien die Anrede dottore eine gängige Bezeichnung für Studienabsolventen ist, was auf eine weitere mittelalterliche Praxis zurück geführt werden kann, nämlich mit dem Abschluss des Studiums direkt zum Lehrer ‚promoviert’ zu werden. Als erste Erwähnung von genuin akademischen Lehrern kann die auf 1130 datierte Angabe von Gesetzeslehrern (doctores legum) an der Hohen Rechtsschule in Bologna angeführt werden.12 Diese Schule war zuvor im Jahr 1088 von Kaiser Friedrich I. Barbarossa gegründet worden, um vom Papst unabhängige Rechtsfachleute zu gewinnen, und sie gilt als die erste Universität Europas.13 Ein weiteres Primat von Bologna, das für die Entwicklung des Promotionswesens von konstitutiver Bedeutung ist, stellt der 1155 erteilte Schutzbrief für die oftmals ortsfremden Scholaren (Studierenden) durch den Kaiser dar, der ihnen das Recht gibt, bei Rechtsstreitigkeiten die lokalen Gerichte ablehnen zu dürfen und sich stattdessen entweder vor ihrem Lehrer oder dem Bischof zu verantworten.14 Die derart entstandene Verantwortungsgemeinschaft von Leh10 11 12 13
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So etwa in der lateinischen Kirche die Kirchenväter Augustin, Hieronymus, Gregor der Große und Ambrosius, in der griechischen Kirche Athanas, Basilius, Chrysostomus und Gregor von Nazianz. Vgl. Herders Conversations-Lexikon (1854), Band 2, Eintrag „Doctor”, S. 414f. Weitere Beispiele sind Doctor fundatissimus Ägidius Colonna oder Doctor evangelicus John Wiclef. Vgl. Meyers Konversationslexikon, Band 5: Distanzgeschäft – Faidherbe, Eintrag „Doktor“. Vgl. ebd. An der vermutlich ältesten europäischen Hochschule in Salerno, die bereits im 10. Jahrhundert für ihre Ärzte bekannt ist, wird ausschließlich arabische Medizin unterrichtet, wobei Salerno im Laufe der Geschichte eine reine Medizinhochschule bleibt und sich nicht wie die Hochschulen in Bologna, Paris oder Neapel zu einer Universität mit mehreren Fakultäten weiterentwickelt. Vgl. Encyclopaedia Britannica 2010, Encyclopaedia Britannica online, Eintrag „University of Salerno“. Als die wohl älteste Gelehrtenanstalt der Menschheitsgeschichte gilt die platonische Akademie, eine Philosophenschule in Athen, für die Platon 387 v. Chr. das Grundstück in der Nähe des akademeia genannten Hains kaufte. Vgl. Kreckel: Deutsche Hochschulen, S. 10. Der Name des Hains ging auf die Schule und deren Mitglieder (akademaikoi) über, so dass wir bis heute von Akademikern, der akademischen Welt, den Akademien der Wissenschaften usw. sprechen. Die Notwendigkeit, die Gerichtsbarkeit besonders zu regeln und den späteren Willen der Scholaren und ihrer Lehrer, nach Möglichkeit zu einer eigenen Gerichtshoheit zu gelangen, machen viele überlieferte Berichte über „Zwistigkeiten mit den Stadtbürgern“ verständlich, da „eine große Anzahl von jungen, ortsfremden Leuten [ - den Studierenden - ] temporär innerhalb eines engen Raumes (“intra muros”) konzentriert war“. Das „wüste Treiben der Scholaren“ reichte dabei von „Raub und Diebstahl von Getreide, Vieh und Lebensmitteln, [über] Wilderei und Leerfischen von Gewässern, mutwillige Zerstörungen von Saaten und Gärten; Schlägereien und Wirtshausraufereien; Übergriffe auf die und Liebesbandel mit der örtlichen
1.2 Von der Lehrberechtigung zum Wissenschaftsnachweis
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rern und Schülern15 kann als die erste Stufe auf dem Weg zum heutigen Universitäts- und Promotionswesen und als Grundstein der entstehenden Universitäten im mittelalterlichen Europa des 12. Jahrhunderts festgehalten werden. Nach der Gründung der Rechtsschule folgt gegen 1200 der Zusammenschluss der Scholaren von Bologna zu einer universitas, auch um das mittlerweile wieder verloren gegangene Privileg der Gerichtshoheit zu erneuern. Als Erweiterung und gewissermaßen Institutionalisierung der Verantwortungsgemeinschaft von Lehrern und Schülern kann als zweite Stufe der Entwicklung des Promotionswesens die Etablierung einer geschlossenen Gemeinschaft zum Zweck der Rechtsautonomie im 13. Jahrhundert angesehen werden.16 Ebenfalls in Bologna findet 1219 die erste nachgewiesene formale Verleihung eines Doktorgrades (in den Rechtswissenschaften) statt, nach der Bestätigung der vermutlich ersten Promotionsordnung durch Papst Honorius III.17 Es ist anzumerken, dass die ersten „Universitäten“ von ihrer Größe und inhaltlich-fachlichen Ausrichtung vielmehr einer Fakultät in unserem heutigen Sinne ähneln, also z. B. die vom Kaiser gegründete Universität in Bologna einer juristischen oder die vom Theologen Robert de Sorbon gegründete und von Papst Alexander IV. anerkannte Universität in Paris einer theologischen Fakultät. Erst im Laufe der Zeit entwickeln sie sich zu Universitäten mit einem breiteren Fächerkanon. Der erste Schritt ist dabei die typische Aufteilung in die vier Fakultäten Artisten-, medizinische, juristische und theologische Fakultät. Dabei soll insbesondere das Pariser Modell für spätere Universitätsgründungen auf dem heutigen deutschsprachigen Gebiet prägend werden: Während in Bologna – einer von den Scholaren selbst betriebenen Universität – die Studierenden selbst den Rektor wählen und die Hochschule verwalten – bilden sich in Paris die inneren universitären Strukturen so aus, wie wir sie von heutigen Universitäten kennen.18 So gehen Neuerungen wie Dekane, Prüfungs- und Promotionsordnungen zur Verleihung der (damaligen) Lehrberechtigung und bis heute übliche Bezeichnungen wie „Immatrikulation“, „Aula“ oder „Talare“ auf die Pariser Universität zurück.19 Die Dozenten (deutlich später, ab dem 18. Jahrhundert, als „Professo-
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Weiblichkeit; Besitz und Gebrauch tödlicher Waffen bei Streitereien mit den Bürgern [sowie] Geldschulden und Betrug von Lieferanten und Handwerkern“ bis zu Gewalttaten und Mord. Blecher: Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht, S. 21. Vgl. ebd. Vgl. Fußnote 14. Vgl. Brockhaus Lexikon 2002, die Enzyklopädie digital, Eintrag „Doktor“, darunter „Geschichtliches“. Vgl. Blecher: Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht, S. 10 und S. 24. Vgl. ebd., S. 24f. Neben Paris und Bologna bestand ein drittes und nochmals verschiedenes Universitätsmodell: die 1224 vom Kaiser Friedrich II. in seiner Funktion als König von Sizilien gegründete Universität in Neapel, die direkt vom königlichen Kanzler geleitet wird. Ihr steht
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
ren“ bezeichnet) spielen eine zentrale Rolle in der Verwaltung, wählen einen Rektor aus ihrer Mitte als höchsten Lehrer und unterwerfen sich dessen Gerichtsbarkeit. Eine solche Hierarchisierung und Verfassung der Universitätsgemeinschaft kann als die nächste Etappe auf dem Weg zur Promotion, wie wir sie heute kennen, bezeichnet werden. Zu ihr gehören die Herausbildung von Strukturen und Regeln, die in Statuten aufgeschrieben werden, die autonome Berufung und Besoldung der Lehrer und die Wahl des Rektors als höchstem Lehrer und Vertreter der Universität nach außen sowie das Promotionsrecht als Hauptmerkmal einer Universität.20 Ein zentraler Aspekt dieser Hierarchisierung der Universität ist die Verleihung der unterschiedlichen akademischen Abschlüsse. Welche Grade können durch Prüfungen und Lehrzeiten auf dem universitären Weg, der von Scholaren in dieser Zeit bereits im Alter von etwa 14 Jahren angetreten wird, erlangt werden? 21 Der erste Hochschulabschluss – wie er sich heute im Zuge des BolognaProzesses erneut etabliert – ist das Baccalaureat.22 Es kann an den mittelalterli-
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kein Rektor vor und die Lehrer werden direkt vom König berufen und besoldet. Vgl. ebd. Von der Medizinhochschule in Salerno abgesehen können somit der Darstellung von Jens Blecher folgend, drei Grundtypen der ersten europäischen Universitäten im Mittelalter festgehalten werden: die Bottom-Up-Scholarenuniversität der Studierenden in Bologna, auf der entgegengesetzten Seite die Top-Down direkt vom König verwaltete Universität Neapel und, als eine Art Mittelweg, die von internen hierarchischen Strukturen geprägte Universität in Paris. In der Zeit von 1348 bis 1506 sind im Heiligen Römischen Reich 18 Universitäten entstanden, die alle das Promotionsrecht besaßen, unter anderem 1348 Prag, 1365 Wien, 1385/6 Heidelberg, 1388 Köln und 1409 Leipzig. Vgl. Blecher: Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht, S. 35. Es ist dabei umstritten, ob Prag als die erste ‚deutsche‘ Universität bezeichnet werden kann, denn zum einen war die Lehrsprache der Karls-Universität Latein, die lingua franca der europäischen Universitäten bis zum Aufstieg der nationalen Wissenschaftssprachen im späten 17. Jahrhundert (vgl. Kreckel: Deutsche Hochschulen, S. 10), und zum anderen hat Karl IV. sie in seiner Funktion als König von Böhmen gegründet; erst sieben Jahre später wird er römisch-deutscher Kaiser. Die Gründung der Universität Leipzig beruht auf einem Protestauszug von Studenten und Lehrern aus der Prager Universität nach dem Kuttenberger Dekret, dass in der Universität die Stimmrechte der Böhmen gegenüber den Bayern, Sachsen und Polen stärkte. Kurz darauf wird Jan Hus, bereits seit 1401 Dekan der Artistenfakultät, zum Rektor ernannt. Mit Basel wird 1460 die erste Universität der heutigen Schweiz begründet (auch hier ist die Zuordnung nicht trivial, da Basel erst seit 1501 zur Eidgenossenschaft gehört). Das deutsche Diplom wird im Folgenden nicht erwähnt, da es insofern eine Ausnahme bildet, als dass es nicht wie alle anderen Grade (Bachelor, Master, Doktor) der Tradition der mittelalterlichen Universität entstammt, sondern 1899 als Grad der neben den Universitäten entstandenen technischen Hochschulen eingeführt wird, als diese vom Kaiser auch das Promotionsrecht erhalten. Die pädagogischen Hochschulen hingegen besitzen das Promotionsrecht erst seit 1970. Vgl. Brockhaus Lexikon 2002, die Enzyklopädie digital, Eintrag „Grade, Geschichte“. Die Bezeichnung Baccalaureat ist dabei nicht etwa auf baca laurea, Lorbeere, oder auf baculus, Stab, zurück zu führen, sondern auf bas chevalier, was im Französischen für Unterrit-
1.2 Von der Lehrberechtigung zum Wissenschaftsnachweis
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chen Universitäten durch den frühen Studienbeginn bereits mit etwa 17 Jahren in der Artistenfakultät und mit etwa 21 Jahren in der medizinischen oder juristischen Fakultät erworben werden sowie mit 25 Jahren an der theologischen Fakultät. Deutlich später also an den drei „höheren“ Fakultäten, da dort erst nach der in den septem artes liberales vorbereitenden Artistenfakultät studiert wird. Dieser Charakter der Artistenfakultät als ‚Durchlaufstation‘ wandelt sich in den Universitäten nach der Reformation, weil die aufkommenden Gymnasien zunehmend die Ausbildung in den artes liberales sowie in Latein übernehmen. Als Zeichen der neuen Selbständigkeit und Gleichberechtigung gegenüber den anderen Fakultäten benennen sich die Artistenfakultäten ab dem 16. Jahrhundert um in Philosophische Fakultäten und verleihen von da an als höchsten Grad ebenfalls den Doktor (statt wie davor den Magister).23 Dies ist eine wichtige Strukturveränderung, ohne die heute eine Promotion zum Dr. phil. etwa in der Germanistik nicht möglich wäre. Interessanterweise wird die ursprüngliche ‚Aufgabenverteilung‘ der Fakultäten zum Teil in der gegenwärtigen tertiären Struktur der USA abgebildet: Die Studierenden absolvieren nach dem ‚Grundstudium‘ in den colleges, von denen manche nicht ohne Stolz das Prädikat liberal arts (colleges) tragen, das weitere Studium bzw. die Promotion je nach Ausrichtung in den fachwissenschaftlichen graduate schools (mit dem Ziel des forschungsorientierten Masters bzw. des Doktorgrades Ph.D.) oder in den auf bestimmte Berufe abzielenden professional schools, also z. B. in der medical, business oder law school.24 Der nächsthöhere Hochschulgrad in der mittelalterlichen Universität ist das Licentiat (licentia docendi), das Zertifikat der Lehrberechtigung. Die wichtigste Unterscheidung der Scholaren in dieser Zeit ist diejenige der vorhandenen oder
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ter oder Knappe steht und auf das Universitätswesen übertragen wurde. Vgl. Meyers Konversationslexikon, Band 2: Atlantis – Blatthornkäfer, S. 274, Eintrag „BakkalaurƟus“. Vgl. Blecher: Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht, S. 45. Die Baccalaren verlieren ebenfalls im Laufe des 16. Jahrhundert sukzessive das Recht, Vorlesungen zu halten, da genug Magister vorhanden sind. Vgl. ebd., S. 93. In Deutschland existiert keine offizielle Unterscheidung zwischen forschungsorientierten und berufsfeldbezogenen oder professionellen Doktorgraden wie in den USA (vgl. auch Fußnote 8). Es gibt derzeit 50 unterschiedliche Doktorgrade, die jeweils die ‚Mutterdisziplin’ des Gradtragenden (z. B. Dr. rer. nat. – Doktor der Naturwissenschaften) spezifizieren. Vgl. Hochschulrektorenkonferenz, Referat B1: Doktorgrade die in Deutschland verliehen werden können (Stand: Juni 2008). Vgl. auch Powell: Issues for the Doctorate, S. 14. In den USA wird demgegenüber ein Ph.D. – Doktor der Philosophie – auch in den Naturwissenschaften verliehen. Für die Erläuterung der Struktur der graduate school in den USA vgl. Kapitel 5.1.
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
nichtvorhandenen Lehrbefugnis. Die Bezeichnung dieser variiert zwischen Licentiat, Magister und Doktor je nach Fakultät und aktuellem Gebrauch.25 Der Magistergrad ist der höchste Grad der mittelalterlichen Artistenfakultät und zweithöchster Grad der medizinischen und juristischen Fakultät.26 Als Lehrberechtigung wird er lange Zeit synonym mit dem Doktorgrad verwendet; der terminologische Gebrauch der Gradbezeichnungen bleibt insgesamt bis ca. 1900 schwankend.27 Der Doktorgrad ist hingegen stets der höchste Grad der drei „höheren“ Fakultäten und ab dem 16. Jahrhundert auch der (sich unter anderem dadurch emanzipierenden) Philosophischen Fakultät. Er signalisiert zunächst nur die Befähigung und Berechtigung zur Lehre (licentia docendi). Mit der wachsenden Zahl der Mitglieder der Fakultät zeigt der Doktorgrad dann zusätzlich die Fakultätszugehörigkeit mit allen Rechten und Pflichten an. Die Lehrberechtigung wird etwa in Paris im 13. Jahrhundert in Form einer Lizenz durch den Kanzler von Notre Dame verliehen, die vollwertige Mitgliedschaft im Lehrkörper hingegen wird erst durch eine rechtlich eigenständige Doktorgradverleihung durch die Fakultäten in einem feierlichen Akt und durch einen Eid (inceptio) erlangt.28 Als erster wichtiger Wandel in der Funktion der Promotion kann im Weiteren eine Funktionszunahme festgestellt werden: Neben der Bestätigung, dass der Student zur selbständigen Lehre tauglich, fähig und berechtigt ist (Promotion als Lehrberechtigung, licentia docendi) wird mit dem Doktorgrad nun auch die Berechtigung verliehen, als Fakultätsmitglied über eigene Auswahlkriterien (obwohl bereits zu dieser Zeit unter Zustimmung einer Kommission) selbst anderen
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Vgl. Brockhaus Lexikon 2002, die Enzyklopädie digital, Eintrag „Doktor“, darunter „Geschichtliches“, sowie Blecher: Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht, S. 45 und S. 94. Der Magistergrad kann in der Artistenfakultät mit ca. 21 Jahren, in der Medizin und Jura mit 23 bis 25 Jahren und in der Theologie mit 35 Jahren erworben werden. Eine Tabelle der Mindestalter für akademische Graduierungen im Mittelalter findet sich in Blecher: Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht, S. 32. Vgl. Brockhaus Lexikon 2002, die Enzyklopädie digital, Eintrag „Grade“, darunter „Geschichte“. Auf der einen Seite wird ab dem 17. Jahrhundert das Baccalaureat zunehmend mit dem Magister gleichzeitig verliehen, auf der anderen Seite setzt bereits am Ende des 18. Jahrhunderts der Werteverlust des Magistergrades ein; er geht als Nebentitel des Doktorgrads an der Schwelle zum 20. Jahrhundert endgültig verloren und wird erst 1960 als akademischer Grad wieder eingeführt. Vgl. ebd. So heißt es zum Beispiel in Brockhaus' Konversationslexikon Ende des 19. Jahrhunderts: „In neuerer Zeit ist der D[oktor] in Deutschland als akademischer Grad für alle Fakultäten gebräuchlich geworden und neben dem Licentiaten der Theologie der einzige akademische Grad von Bedeutung. Der Magistertitel gilt da, wo er noch verliehen wird als eine Vorstufe des D[oktors]”. Brockhaus' Konversationslexikon, 5. Band: Deutsche Legion – Elektrodiagnostik, S. 389f, Eintrag „Doktor“. Vgl. Blecher: Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht, S. 31.
1.2 Von der Lehrberechtigung zum Wissenschaftsnachweis
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Studierenden die gleiche Berechtigung zu verleihen und diese zu Mitgliedern des Lehrkörpers zu ‚promovieren‘ (Promotionsberechtigung, licentia promovendi).29 Darüber hinaus gewährt den Inhabern eines Doktorgrads ein päpstliches Privileg, bei Aufnahme an jeder anderen Universität Europas lehren zu können (ius ubique docendi). Dies schafft bemerkenswerterweise bereits auf der zersplitterten mittelalterlichen Landkarte eine gewisse Vergleichbarkeit und gegenseitige Anerkennung der Doktorgrade sowie ein Gemeinschaftsgefühl für eine soziale ‚Verwandtschaft‘ ihrer Träger, Werte, die im losen Sinne heute noch existieren. Als eine vierte Station auf dem Weg zum heutigen Promotionswesen kann folglich das Aufkommen einer neuen sozialen Schicht des Gelehrtenstandes festgehalten werden, die aus promovierten Akademikern besteht, die mit vielfältigen Privilegien im Gerichts-, Zoll- und Steuerwesen versehen und – noch vor dem einfachen Adel – dem Ritterstand gleichgestellt ist.30 Diese Privilegien haben allerdings auch ihren Preis, und zwar nicht nur in dem Aufwand des Studiums und der Prüfungen, sondern auch im finanzieller Hinsicht: Auf dem Weg zur Promotion und Aufnahme in die Fakultät müssen die Scholaren zusammengerechnet bis das Zehnfache des Jahreseinkommens eines qualifizierten Handarbeiters an Studien- und Prüfungsgebühren bezahlen.31 Im Zuge der Reformation und aufgrund der ohnehin steigenden Präsenz der Landesherren bewegen sich die Universitäten von der Bindung an die Kirche und deren Aufsicht (zum Beispiel hinsichtlich der Finanzierung oder der die Gradverleihung ‚segnenden‘ Autorität)32 hin zur Bindung an und Aufsicht durch den 29
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Vgl. ebd., S. 33. Beide Funktionen soll die Promotion jedoch in Deutschland, Österreich, der Schweiz und einigen osteuropäischen Ländern wieder verlieren, und zwar insbesondere unter dem Einfluss der im 17./18. Jahrhundert aufkommenden Habilitation als der neuen, faktischen Lehr- und Promotionsberechtigung und höchsten akademischen Prüfung. In anderen Ländern ist diese Strukturveränderung nicht eingetreten. So kennen beispielsweise die USA keine Habilitation und die Promotion ist die letzte Prüfung auf dem Weg zum Beruf als Professor. Endgültig setzt sich die Habilitation im 19. Jahrhundert durch, als sie an deutschen Reformuniversitäten eingeführt wird und offiziell den Doktorgrad als wichtigsten Nachweis der Qualifikation zur universitären Lehre ablöst. Vgl. Kreckel: Zwischen Promotion und Professur, S. 49. Ein weiteres Privileg stellt das vom Papst verliehene „Residenzprivileg“ dar, das damals, dem heutigen Auslands-BAföG oder Humboldt-Stipendium ähnlich, „einem Angehörigen des geistlichen Standes erlaubte, für eine bestimmte Zeit, in der Regel 5 Jahre, seinen Aufenthaltsort zu verlassen und an einer Universität zu studieren bzw. zu lehren und gleichzeitig seine Einkünfte weiterhin zu beziehen“. Blecher: Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht, S. 36. Vgl. ebd., S. 96. Die Verluste für die Universitäten sind nach der Reformation enorm, und das nicht nur in finanzieller Hinsicht (Wegfall der Finanzierung durch die Kirche), sondern auch was ihre Identität und Bindung betrifft (Wegfall der päpstlichen Autorität). Letzteres hat auch eine Diskussion um die Rechtmäßigkeit des Promotionsrechts an nicht-katholischen Universitäten zur Folge. Blecher berichtet beispielsweise über die Überzeugung der artistischen Fakultät der Universität Wien 1537, dass alle Grade allein vom Papst abgeleitet seien, was in der strengsten Auslegung
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
Staat. Nicht nur werden neue Universitäten aufgrund von landesherrlichen Stiftungsinteressen gegründet, sondern auch an protestantisch gewordenen – und nach und nach auch an den katholisch gebliebenen – Universitäten werden Macht und Rechte zunehmend an die Landesherren übertragen. Mit der finanziellen Unterstützung der Universitäten durch den Staat (damals: die Landesherren) und seiner gestiegenen Einflussnahme auf die internen Abläufe in den Universitäten geht ein Teil ihrer Autonomie verloren. Dies ist für den Kontext der Promotion wichtig, denn der Landesherr hat nun – immerhin nach einer Präsentation des Kandidaten durch die Fakultät – auch das letzte Wort bei Promotionen und damit bei Berufungen, als Teil des ius superioritatis, seines landesherrlichen Souveränitätsrechts.33 In Konflikten diesbezüglich gibt es seitens des Lehrkörpers verschiedene Mittel des Protests, von Beschwerden beim Kurfürsten über Verweigerung des Sitzes und der Stimme für den vermeintlichen Kandidaten im Senat bis hin zu einer Zahlungsforderung oder einer zusätzlich geforderten Habilitationsleistung. Mit Blick auf diese Entwicklungen kann als wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur heutigen Funktion der Promotion in Deutschland fünftens die Abnahme des kirchlichen und Zunahme des staatlichen Einflusses auf die Universitäten im Zuge der Reformation und der Aufklärung festgehalten werden. In diesem Kontext entstanden die Habilitation, das Gymnasium, der ‚Professor‘ als ein – nun staatlich finanzierter – Beruf sowie das Staatsexamen. Letzteres gehört zu den Versuchen des Staates, am Ende des 18. Jahrhunderts die anwachsende Käuflichkeit der akademischen Titel an den Universitäten einzudämmen. Der Staat greift dabei interessanterweise nicht in die Kernautonomie der Hochschulen ein, nämlich in deren Promotionsrecht, sondern sieht für die Ausübung bestimmter Berufe – zusätzlich zur oder statt der Promotion – Staatsprüfungen vor, was „in den Fakultäten den Zwang [erzeugt], über die von ihnen vergebenen Grade im direkten Vergleich mit den Staatsprüfungen Erwägungen anzustellen”.34 Bis zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches 1806 ist dabei die Verleihung der akademischen Grade an eine kaiserliche oder päpstliche Gestattung gebunden, in dem die Universitäten mit dem Promotionsrecht vom Kaiser oder Papst ‚privilegiert‘ werden.
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ein Erlöschen des Promotionsrechts der protestantisch gewordenen Universitäten und ein Verunmöglichen von Promotionen an nicht-katholischen Universitäten bedeuten würde – eine freilich an den neuen protestantischen Universitäten konträr aufgefasste Meinung, die die Notwendigkeit bzw. Rechtmäßigkeit einer päpstlichen Privilegierung der Universitäten grundsätzlich in Frage stellt. Vgl. ebd., S. 38. Vgl. ebd., S. 42. Ebd., S. 53. Vgl. auch Maurer: Promotion, S. 755.
1.2 Von der Lehrberechtigung zum Wissenschaftsnachweis
23
Als sechste und vorletzte Station der Geschichte der Promotion können die Humboldt’schen Bildungsreformen um 1810 und die Etablierung der Forschung neben der Lehre als zweiter Säule der Universität und als Hauptcharakteristikum der Promotion betrachtet werden. Nach der Niederlage gegen Napoleon 1806 und dem ‚erniedrigenden‘ Frieden von Tilsit wird in Preußen eine grundsätzliche Reform aller Institutionen angegangen. Im Bildungswesen wirken dabei einer zunehmenden Hochschulkrise durch finanzielle Probleme, Absterben der Trägerinstitutionen, Gebietsveränderungen usw. die Bildungsreformen von Wilhelm von Humboldt positiv entgegen. Sie können in vier Kategorien aufgeteilt werden: Erstens ist Humboldts Vorstellung eines dreigliedrigen Bildungswegs prägend, die von der Schule über das humanistische Gymnasium als Vorbereitung auf die Hochschulbildung zur Universität führt. Zweitens ist die verbindliche Einführung des staatlichen Lehramtsexamens 1810 hervorzuheben, was der Prüfung und Feststellung der Qualifikationen der angehenden Gymnasiallehrer diente. Drittens macht sich Humboldt 1812 für die Einführung eines einheitlichen und verpflichtenden Abiturs stark, und seine Vorstellung setzt sich – wenn auch erst 1834 flächendeckend – durch. Schließlich und hauptsächlich trägt die meilensteinartige Gründung der Berliner Universität 1810 mit Professoren wie Fichte, Schleiermacher oder von Savigny maßgeblich dazu bei, dass die Einheit von Forschung und Lehre seither für die Universitäten das Charakteristikum ist.35 Diese Neuerung hat freilich auch auf das Promotionswesen einen prägenden Einfluss: Mit der zunehmenden Veränderung der universitären Arbeit weg vom hauptsächlichen Sammeln, Ordnen und Vermitteln, also von der Pflege und Weitergabe des Wissens36 und hin zur eigenständigen Forschung, wandelt sich auch die Promotion in ihrer Funktion stärker zu einer Forschungsqualifikation. Auch die Form der Promotion wird modifiziert. Eine Promotionsprüfung gibt es zwar schon im 13. Jahrhundert, es handelt sich aber mehrere Jahrhunderte lang nur um eine mündliche Prüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten. Die Dissertation, die heute die Hauptleistung der Promotion darstellt, kommt erst Ende des 17. Jahrhunderts auf und löst noch später, zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Zuge der 35
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Der traditionelle Auftrag der Universitäten liegt dabei laut Humboldt darin, „die Wissenschaft im tiefsten und weitesten Sinne des Wortes zu bearbeiten“, in freier, autonomer Forschung und Lehre „die objektive Wissenschaft mit der subjektiven Bildung [...] zu verknüpfen“ und dadurch – neben der selbstverständlichen Vermittlung von Realien und Sachwissen – abstraktes (und somit auf verschiedene Problemfelder übertragbares), offenes, reflektierendes, komplexes, theoretisches und theoriegestütztes Denken und Forschen zu betreiben und zu vermitteln. Humboldt: Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten, S. 273. Die Relevanz des Humboldt’schen Bildungsideals über die Wissenschaft als Leitidee der Universität hinaus ist für die heutigen Hochschulen allerdings fragwürdig und bedürfte einer eigenen Ausführung. Vgl. Maurer: Promotion, S. 755.
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
Humboldt’schen Bildungsreformen, die disputatio als Kernstück der Promotion ab. Der Akzent in der Prüfung verlagert sich von der Überprüfung der Fähigkeit zum Sammeln, Ordnen und Präsentieren (Lehre) des Wissens in einer mündlichen Prüfung zu einem Nachweis der Fähigkeit zur selbständigen wissenschaftlichen Arbeit in Form einer schriftlichen Dissertation, die bis heute das Kernstück jeder Promotion bildet. Zweierlei kann aus diesen Entwicklungen geschlussfolgert werden. Zum einen hat die Promotion in Deutschland in ihrer Geschichte mehrere Male einen Funktionswandel vollzogen: Von der Lehrberechtigung erweiterte sie sich zur Promotionsberechtigung, verlor diese beiden Funktionen wieder unter dem Einfluss der aufkommenden Habilitation und der an der neuzeitlichen Universität betriebenen Forschung und wandelte sich dabei zu ihrer heutigen Funktion als Nachweis der Fähigkeit zur wissenschaftlichen Arbeit.37 Zum anderen spiegelt die jeweils praktizierte Prüfungsform diesen Bedeutungswandel genau wider: Die Prüfung der ‚Standeswürde‘ und der Kenntnisse als Lehrer in der mündlichen Prüfung wird abgelöst durch eine Prüfung der wissenschaftlichen Leistung in Form einer selbständig schriftlich verfassten Dissertation, die einen neuen Forschungsbeitrag darstellen muss. Um das historische Bild abzurunden, dürfen noch zwei für das heutige Promotionswesen wichtige Ereignisse in der Universitätsgeschichte sowie zwei Aspekte der jüngsten Entwicklung nicht unerwähnt bleiben: Erstens wird 1754, etwa 700 Jahre nach dem Beginn des Promotionswesens, in Deutschland an der Universität Halle die erste Frau promoviert.38 Seitdem nimmt der Anteil der in einem Prüfungsjahr promovierten Frauen zu, er betrug 2008 in Deutschland fächerübergreifend 42 Prozent, in den Sprach- und Kulturwissenschaften 54 Prozent und im Studienfach Germanistik/Deutsch 60 Prozent.39 Zweitens verlieren 1830 einfache Magister endgültig das Stimmrecht in der Universitätsversammlung und bei der Wahl des Rektors, womit die Hierarchisie37
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Die Promotion bleibt dabei weiterhin eine nötige Voraussetzung der Habilitation. Bei der Etablierung der Habilitation an der Berliner Universität wurde dabei eine „eindeutige Trennung von Promotion und Habilitation […] in das Universitätsstatut aufgenommen, da Bedenken herrschten, lediglich promovierten Dozenten in der Medizin die Lehrerlaubnis zu erteilen“. Brenner: Habilitation als Sozialisation, S. 319. Dorothea Christiana Erxleben (1715-1762) wurde als Frau das Studium der Medizin an der Universität Halle zunächst verweigert, nach einem Gesuch aber durch Friedrich den Großen 1741 gestattet. Als erste Frau in Deutschland erwarb sie 1754, trotz Anfeindungen approbierter Ärzte, den medizinischen Doktorgrad. Vgl. Brockhaus Lexikon 2002, die Enzyklopädie digital, Eintrag „Erxleben“. Eigene Berechnungen nach Statistisches Bundesamt: Prüfungen an Hochschulen 2008, S. 58, S. 42 und S. 38 (in der Reihenfolge der Angaben).
1.2 Von der Lehrberechtigung zum Wissenschaftsnachweis
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rung der Universität und die Abgrenzung der Promovierten von den Magistern weiter an Profil gewinnen.40 Als vorletzter Aspekt sei als Besonderheit der Entwicklung der Promotion in Deutschland und einigen weiteren Ländern die ihr zugeschriebene Funktion als „Karrieresprungbett“ und „Talentsignal“ genannt: Zum Ersten haben in Deutschland lange Zeit marktwirtschaftlich beeinflusste Wettbewerbsprozesse (Finanzautonomie der Hochschulen, Einnahme von Studienbeiträgen und Spenden, Vermögensbildung usw.) gefehlt, die zum Beispiel dem hierarchisch ausdifferenzierten Bildungsmarkt der USA zu Grunde liegen. Zum Zweiten war ebenfalls lange Zeit eine gezielte Gestaltung einer solchen Differenzierung des Hochschulsystems in Richtung eines expliziten Elitesegments durch den Staat, wie sie etwa in Frankreich mit den Grandes Écoles beobachtet werden kann, nicht vorhanden – sie setzt derzeit mit der Exzellenzinitiative erst ein. Somit hat sich die Promotion in Deutschland zusätzlich zu Ihrer Funktion für Forschung und Lehre zu einem „Ersatzsignal“ für Talent, Elite, Führungspotenzial oder einfach Besonderheit entwickelt.41 Da sonstige Möglichkeiten der Hervorhebung begabter Studienabsolventen innerhalb einer ‚horizontalen‘ Studienebene, etwa durch das Studium an einer Elite-Hochschule in den USA oder einer Grande École in Frankreich, in Deutschland (bisher) nicht zur Verfügung standen, übernahm die ‚vertikale‘ Unterscheidung und konkret die Promotion als nächst höherer und seltenerer Abschluss – neben ihrer Funktion in der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses für Forschung und Lehre – die Zusatzfunktion als Elitesignal. Schließlich bewirkt die Einführung der Juniorprofessur mit dem 5. Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (5. HRGÄndG) seit 2002 einen partiellen Bedeutungsverlust und Wegfall der Habilitation, was im Umkehrschluss wiederum einen Bedeutungsgewinn der Promotion zur Folge haben könnte. Bei den Juniorprofessoren ist die Promotion die Voraussetzung der eigenverantwortlichen Tätigkeit in der Wissenschaft; eine zweite Prüfung auf dem Weg zum Beruf als Professor ist, ähnlich wie in den USA, nicht mehr vorgesehen.42 So sind die in der Promotion für die wissenschaftliche Arbeit erworbenen Kenntnisse und Kompetenzen besonders wichtig. Eine gleichzeitige Betrachtung der beiden letzten Aspekte in der Promo40 41 42
Die Studierenden sind seit den 1970er Jahren durch ihre Vertretung im akademischen Senat und damit bei wichtigen inneruniversitären Angelegenheiten und je nach Universität auch bei der Rektorenwahl wieder beteiligt. Vgl. Franck: Die deutsche Promotion als Karrieresprungbrett, S. 11f und S. 16. Damit soll nicht suggeriert werden, dass die Erlangung der professoralen Festanstellung (tenure) in den USA einen geringeren wissenschaftlich-beruflichen Aufwand darstellt. Eine zweite Prüfung allerdings findet nicht statt.
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
tionsentwicklung führt zurück zur Ausgangsfrage der Notwendigkeit einer Refokussierung auf die Funktion der Promotion in der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Es wird sich zeigen, ob der ‚Habilitationsumweg‘ zu einem Auslaufmodell und die Juniorprofessur sich als Alternative der akademischen Laufbahn flächendeckend durchsetzen wird; die bisherigen Bewertungen sind ambivalent.43 Ebenfalls bleibt abzuwarten, ob die flächendeckende Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge im Rahmen des Bologna-Prozesses eine ‚vertikale Segmentierung‘ der deutschen Hochschullandschaft in Deutschland in dem Sinne bewirken wird, dass möglicherweise der Masterabschluss die Funktion der Promotion als zusätzliches Elitesignal nach dem nun als ersten Hochschulabschluss vorgesehenen Bachelor teilweise übernehmen wird. Eine ‚horizontale‘ Ausdifferenzierung der tertiären Bildung im Zuge der veränderten Finanzierungsmechanismen der Hochschulen und der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder deutet sich jedenfalls auch in Deutschland bereits an. Insbesondere wenn also auf der einen Seite die Wichtigkeit der Zusatzfunktion der Promotion als Elitesignal in Zukunft abnehmen und gleichzeitig andererseits ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Ausbildung durch den Bedeutungsverlust der Habilitation steigen sollte, erscheint eine Refokussierung auf ihre historisch gewachsene Aufgabe in der Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses der einzelnen Fachdisziplinen angebracht. Als siebte und an dieser Stelle letzte Station in der Geschichte der Promotion und ihres Wandels sind die Promotionsreformen seit Ende des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart festzuhalten, die im folgenden Abschnitt näher diskutiert werden. Was sind die fachübergreifenden Rahmenbedingungen der Reformen? Wer sind die zentralen Akteure, welche Ziele haben und welche Vorgaben machen sie? Was sind die Implikationen für die einzelnen Fachwissenschaften?
43
Für die Germanistik fordern beispielsweise Dainat et al.: „An die Stelle der herkömmlichen Habilitation, die einen bestimmten Sozialisationstyp festschreibt, hat eine prozessuale Qualifikation zu treten, die die wissenschaftliche Binnendifferenzierung berücksichtigt. Auf die Individualisierung der Karriereverläufe muß mit einer Pluralisierung der Qualifikationsprofile reagiert werden“ sowie „Die bisherige Privilegierung des Qualifikationsweges über die Habilitation ist von der Wissenschaftsentwicklung überholt und trägt den verschiedenen Begabungen und Erfordernissen nicht Rechnung“. Dainat et al.: Hilfreich und gut, S. 196 und S. 201. Gleichzeitig stellt Brenner fest: „Eine erstaunliche Beharrungskraft hat [in der Literaturwissenschaft] auch das klassische Instrument der ‚Habilitation‘ […] als ein Medium der wissenschaftlichen Qualifikation wie auch der sozialen Disziplinierung erwiesen, durch das Zugangschancen zum Fach geregelt und damit auch seine Entwicklungen gesteuert werden“. Brenner: Die ‚Lebenswelt‘ der Literaturwissenschaft als Forschungsgegenstand, S. 13.
1.3 Promotionsreform – fachübergreifend und fachspezifisch
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1.3 Fachübergreifende Rahmenbedingungen und fachspezifische Implikationen der Promotionsreform seit 1990 Hinsichtlich der fachübergreifenden Rahmenbedingungen der Reform der Doktorandenausbildung44 können im Wesentlichen zwei treibende Kräfte festgestellt werden: Auf der einen Seite stehen seit der dritten Bologna-Konferenz 2003 in Berlin europäische Bemühungen, die Promotionsphase als „dritten Zyklus“ in den Bologna-Prozess mit dem Ziel eines gemeinsamen Europäischen Hochschulraums einzubeziehen45 und auf der anderen Seite nationale Reformbestrebungen um die Verbesserung der Doktorandenausbildung. Auf europäischer Ebene sollen in der Promotionsphase wettbewerbsfähige, besser vergleichbare und vernetzte Strukturen geschaffen sowie die Qualitätsstandards hinsichtlich der Auswahl, Betreuung und Finanzierung von Promovierenden verbessert werden. Konkret sehen die europäischen Bildungsminister Bedarf für strukturierte Promotionsstudiengänge und für transparente Betreuung und Bewertung und fordern die Universitäten auf, in der Promotionsphase die Förderung einer interdisziplinären Ausbildung und der Entwicklung überfachlicher Fertigkeiten sicher zu stellen, die auch auf einen „weiteren Arbeitsmarkt“ abzielen.46 Dabei fehlt ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Funktionen der Promotion in den einzelnen europäischen Ländern; so ähnelt sie zum Beispiel in Frankreich in ihrer Funktion als Voraussetzung zur selbständigen Lehre und Forschung eher der deutschen Habilitation.47 Die unterschiedlichen Funktionen der Promotion führen zu verschiedenen Startbedingungen im Reformprozess und machen gegebenen44
45 46 47
In der vorliegenden Arbeit wird allgemein der Terminus „Doktorandenausbildung“ verwendet, um die Verantwortung der Hochschulen und Betreuer bei der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch die Promotion deutlich zu machen. Gleichwohl ist dieser Begriff nicht unproblematisch, denn die Doktoranden sollen nicht nur ausgebildet, sondern in ihrer zunehmend selbständigen wissenschaftlichen Arbeit begleitet und bestmöglich gefördert werden. Die Promotion als wissenschaftliche ‚Eigenleistung‘ scheint der Begriff ‚Individualpromotion‘ besser zu treffen, der gleichzeitig ebenfalls relevante Konnotationen der ‚Einsamkeit und Freiheit‘ in sich trägt. Auf der anderen Seite beinhaltet gute wissenschaftliche Praxis auch immer Austausch und Zusammenarbeit sowie das Kommunizieren der eigenen Forschungsergebnisse, Aspekte, die die meisten strukturierten Promotionsformen in den Vordergrund stellen. Dabei soll die Ausbildung der Doktoranden gleichzeitig ein wichtiger Motor eines angestrebten Europäischen Forschungsraums sein. Vgl. Berliner Kommuniqué, S. 8. Vgl. Bergen-Kommuniqué (2005), S. 4f. Die Promotion ist in Frankreich die Berufungsvoraussetzung für die Stelle als Maître de Conférences, einer beamteten Lebensposition des hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals im „oberen Mittelbau”. Die Habilitation wird erst für die Berufung zum Professor und zur eigenständigen Betreuung von Dissertationen verlangt. Während in Deutschland bis auf wenige Akademische Räte und Lehrkräfte für besondere Aufgaben die ‚Dozentenebene’ praktisch fehlt, ist das Verhältnis zwischen Maîtres de Conférences und Professoren in Frankreich zwei zu eins. Vgl. Kreckel: Zwischen Promotion und Professur, S. 17f.
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
falls unterschiedliches Vorgehen hin zum (gleichen) Ziel erforderlich. Des Weiteren findet im Berliner Kommuniqué kaum Anerkennung, dass eine wichtige Aufgabe der Promotion die fachspezifische Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist. Es wäre zu überlegen, ob nicht deren Verbesserung im Vordergrund der Reformen stehen sollte, also vielmehr eine ‚disziplinäre‘ Doktorandenausbildung und die Vermittlung vor allem derjenigen Qualifikationen, die die künftigen Spitzenforscher im jeweiligen Fach benötigen werden.48 Angestrebt wird ferner eine „Verbesserung des Status, der Berufsaussichten und der Finanzierung für den wissenschaftlichen Nachwuchs“ und ein Erfahrungsaustausch zwischen den Hochschulen über die sich in Europa entwickelnden innovativen Promotionswege sowie über […] transparente Zugangsbedingungen, Betreuung und Begutachtung, die Entwicklung überfachlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten und Wege einer Verbesserung der Beschäftigungschancen [der Doktoranden].49
Eine Verschulung oder Überregulierung der Promotionsphase soll nach Ansicht der europäischen Bildungsminister hingegen vermieden und die Vielfalt der konkreten Programme bewahrt werden.50 Im Kommuniqué von Leuven (2009) wird die Doktorandenausbildung nach wie vor als der „dritte Zyklus“ bezeichnet und die Doktoranden – insgesamt nur an einer Stelle des Dokuments erwähnt – als Nachwuchsforscher (early stage researchers). Doktorandenprogramme sollen den Vorstellungen der Minister nach eine disziplinäre Forschung hoher Qualität leisten und zunehmend durch interdisziplinäre und intersektorale Programme ergänzt werden.51 Konkrete Handlungsaufforderungen an die Fachdisziplinen oder die zuständigen Verbände gibt es aber nicht. So erinnert die Beschlusslage an diejenige zur Studienstrukturreform mit Bachelor- und Masterstudiengängen, bei der eine Reihe von weitgefassten, fachexternen Top-Down-Vorgaben der Kultusminister gekennzeichnet war durch die an sich sinnvolle Hoffnung, dass die Fachdisziplinen sich dabei selbständig um ‚deren‘ Inhalte kümmern werden. Als problematisch erwies sich diese Annahme im eigentlichen ‚politisch verordneten‘ Umsetzungsprozess, in dem den Disziplinen die nötige Zeit, das Geld, zum Teil sicherlich auch die Kenntnisse der Rahmenbedingungen und die Akzeptanz fehlten. Dass es Möglichkeiten der fachspezifischen Hilfestellung durch fachübergreifende Akteure gibt, belegen die Aktivitäten der Hochschulrektoren48 49 50 51
Diese Forderung wurde teilweise im Leuven-Kommuniqué nachgeholt, vgl. weiter unten. Vgl. Londoner Kommuniqué (2007), Abschnitt „Doktoranden“, 2.15-2.17, S. 5. Vgl. Bergen-Kommuniqué, S. 5, Londoner Kommuniqué, S. 5. sowie Bundesministerium für Bildung und Forschung: Ansprache [der Bildungsministerin bei der London-Konferenz], S. 1. Leuven-Kommuniqué, S. 4, Punkt 15 und Punkt 19.
1.3 Promotionsreform – fachübergreifend und fachspezifisch
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konferenz und des DAAD, die die Disziplinen zumindest teilweise durch Arbeitshilfen und Konferenzen unterstützt haben.52 Eine ähnliche Unterstützung dürfte auch bei der Promotionsreform hilfreich sein. Der Forderung nach Erfahrungs- und Informationsaustausch über die Promotionsphase ist jedenfalls auf europäischer Ebene im Januar 2008 die European University Association (EUA) im ersten Schritt durch die Gründung des EUACouncil for Doctoral Education nachgekommen. Das Council soll die Funktion einer „europaweite[n] Plattform für die Doktorandenausbildung“ erfüllen und „in Europa eine ähnliche Rolle wie das Council [of] Graduate Schools in den Vereinigten Staaten spielen“.53 Die Prioritäten für die Arbeit des Council in den ersten zwei Jahren seit seiner Gründung können im weitesten Sinne als Konsens der an europäischen Universitäten (auf Hochschulleitungsebene) für die Doktorandenausbildung Verantwortlichen über den Handlungsbedarf in der Promotionsphase gedeutet werden: Verbesserung der Betreuung von Doktoranden, insbesondere durch eine verbesserte Ausbildung und ein „Monitoring“ der Betreuer; Förderung der institutionellen Kooperation, v. a. durch die Entwicklung von gemeinsamen Promotionsprogrammen und joint degrees; Einführung neuer institutioneller Strukturen (beispielsweise von Doktorandenschulen); „Verbesserung des „skills training“ (insbesondere der „transferable skills“) [sic]“ für Doktoranden; sowie Förderung der Qualitätskontrolle und Evaluation von Promotionsprogrammen.54 Bei einer näheren Betrachtung dieser Themen fällt erneut das symp52
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So führten beispielsweise der DAAD und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Germanistenverband und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Juni 2005 die Tagung „Germanistik im Europäischen Hochschulraum. Studienstruktur, Qualitätssicherung, Internationalisierung“ durch, bei der über 120 Vertreter der germanistischen Fächer aus 24 Ländern über die Zukunft des Faches im Kontext der Umsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses diskutiert haben. Für die Beiträge der Tagung vgl. Bosbach: Germanistik im Europäischen Hochschulraum. Folie 3, S. 4, URL (24.5.2010): http://www.eua.be/fileadmin/user_upload/files/newsletter/ 2008_02_01_Roundtable_MIT_GW_final__Compatibility_Mode_.pdf. Diese Prioritäten wurden bei der konstituierenden Sitzung des Council im Juni 2008 ermittelt. Vgl. URL (24.5.2010, Tagungsbericht auf Deutsch): http://www.lehre.unibe.ch/unibe/lehre/ content/e3425/e3951/e3952/Tagungsber_EUA-CDE_Jun08_ger.pdf. Darüber hinaus weisen die Themen der EUA-Konferenz zur Qualitätssicherung in der Promotion auf diesbezüglich als relevant identifizierte Bereiche hin. Unter der Frage, welchen Indikatoren interne Verfahren der Qualitätssicherung in der Promotionsphase folgen sollten, werden folgende Punkte aufgelistet: „standards and transparency of access and selection procedures; unity and cohesion of educational and research parts of the doctoral programme/school; offer [sic] of nondisciplinary, interdisciplinary and transferable skills training; training of supervisors; evaluation of supervisors; regular monitoring of student progress; support of internationalisation of doctoral studies by encouraging students' mobility, participation in conferences and publishing in international journals; standards of the process of the thesis defence; time to degree and completion rates“. URL (24.5.2010): http://www.eua.be/fileadmin/user_upload/files/Coun
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
tomatische Fehlen der Beachtung fachspezifischer Fragen auf. Es handelt sich vielmehr ausschließlich um externe Faktoren, die die Arbeit des Council, zumindest bisher, bestimmen. Auch wenn die Etablierung einer solchen Plattform zweifellos sinnvoll ist, erscheint der Zuschnitt der Aktivitäten nicht ausreichend. Für eine effektive Promotionsreform in den Fachdisziplinen, in denen die Doktorandenausbildung letztlich stattfindet und fachspezifisch unterschiedlich gestaltet wird, wären zumindest als Ergänzung zu fachübergreifenden Themen disziplinenspezifische Workshops wünschenswert. Analog zu den europäischen Bemühungen um eine Zusammenarbeit für die Verbesserung der Doktorandenausbildung ist in Deutschland im Mai 2009 der „Universitätsverband zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland“ (UNIWIND) gegründet worden, der jedoch zum Zeitpunkt dieser Untersuchung noch keinerlei Aktivitäten begonnen oder Positionen formuliert hatte.55 Im Gegensatz dazu haben sich der Wissenschaftsrat und die Hochschulrektorenkonferenz in ihren Beschlüssen mehrmals auch zum Thema Doktorandenausbildung und ihre Reform geäußert. Insbesondere zu nennen sind dabei Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 1997 und 2002 sowie der Hochschulrektorenkonferenz von 1996 und 2003.56 Die Empfehlungen konzentrieren sich auf das Ziel der Promotion in Deutschland als einer über die Ausbildung des Hochschullehrernachwuchses hinaus gehenden Qualifizierung und auf das daraus für die Promotion resultierende inhaltliche Qualifikationsprofil.57 Außerdem zielen
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cil_for_Doctoral_Education/Invitation_uniko-EUA-Conference_How_to_Assure_Quality_in_ New-Style_Doctoral_Studies.pdf. URL (24.5.2010): http://idw-online.de/pages/de/news317249. Vgl. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung und zur Förderung des Hochschullehrernachwuchses und Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, sowie Hochschulrektorenkonferenz: Zum Promotionsstudium und Hochschulrektorenkonferenz: Zur Organisation des Promotionsstudiums. „Die Promotion ist in Deutschland nicht allein auf eine wissenschaftliche Laufbahn ausgerichtet. Die Gestaltung der Promotionsphase kann sich daher nicht ausschließlich an den Anforderungen der Ausbildung des Hochschullehrernachwuchses orientieren. Der Anspruch auf eine selbständige wissenschaftliche Forschungsleistung bleibt gleichwohl unverzichtbar“. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, S. 46 sowie „Die Doktorandenausbildung muss über das Spezialgebiet der Dissertation hinausreichende Fachkenntnisse und zusätzliche Schlüsselqualifikationen vermitteln“. Ebd., S. 45 und „Promovierende sollen Projektmanagementfähigkeiten und wo möglich und sinnvoll auch Erfahrungen in der Mitarbeiterführung erwerben. […] Promovierende sollen dabei unterstützt werden, weitere berufsfeldrelevante Schlüsselqualifikationen zu erwerben”. Ebd., S. 48. In der Entschließung der Hochschulrektorenkonferenz heißt es ähnlich: „In der Tat müssen mögliche Arbeitsfelder und erforderliche Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt außerhalb von Hochschulen und weiteren öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen berücksichtigt und vermittelt werden. Sie sehen aber weiterhin die Forschungsleistung im Mittelpunkt der Promotionsphase und betrachten die Promotion
1.3 Promotionsreform – fachübergreifend und fachspezifisch
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sie auf Strukturen der Promotionsphase und deren Organisation ab, etwa die Notwendigkeit, Vorteile strukturierter Promotionsformen, zu denen u. a. wettbewerbliche und transparente Auswahlverfahren, klar geregelte Verantwortlichkeiten, verbesserte Betreuung der Doktoranden und Beschränkung deren promotionsferner Dienstleistungen gehören sollten, auf alle Promovierenden auszuweiten,58 sowie auf erforderliche Dachstrukturen der Doktorandenausbildung in den Hochschulen.59 Handlungsaufforderungen an die Fachwissenschaftler oder Fachverbände, sich am Reformprozess aktiv zu beteiligen, sind bislang weder vom Wissenschaftsrat noch von der Hochschulrektorenkonferenz erfolgt. Ebenfalls gibt es keine thematischen oder fachspezifisch konkreten inhaltlichen Vorschläge. Höchstens wird – wie in der Empfehlung zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland von 2006 – auf die Gefahr von engen thematischen Passformen und demzufolge die Wichtigkeit des weiteren Bestehens auch individueller und unabhängiger Forschungsvorhaben und dies fördernder strukturierter Promotionsformen hingewiesen.60 Oder es wird an die
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als ersten Abschnitt der wissenschaftlichen Laufbahn“. Hochschulrektorenkonferenz: Zur Zukunft des europäischen Forschungsraums, S. 11. Vgl. Hochschulrektorenkonferenz: Zur Organisation des Promotionsstudiums, S. 11f sowie Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, S. 3. und S. 46. Der Wissenschaftsrat hat dabei ein Verständnis der Promotion als „definierter, forschungsorientierter Ausbildungsphase mit dem Erfordernis einer entsprechenden Entlastung von promotionsfernen Tätigkeiten” und stellt fest, dass „[g]rundsätzlich eine Begrenzung promotionsferner Dienstleistungen während der Promotionsphase erforderlich [ist]“. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, S. 5 und S. 46. So schlug der Wissenschaftsrat unter dem Begriff „Zentren für Graduiertenstudien“ bzw. „Graduiertenzentren“ eine Dachstruktur über den Promotionskollegs vor, die Hochschulrektorenkonferenz „Zentren für Doktorandenstudien“ bzw. „Doktorandenkollegs“. Vgl. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, S. 56 und Hochschulrektorenkonferenz: Zum Promotionsstudium (unter B. Empfehlungen, II. Doktorandenstatus und Zentren für Doktorandenstudien, 2. Zentren für Doktorandenstudien, ohne Seitenangabe). „Das vom Wissenschaftsrat vorgeschlagene Modell eröffnet die Möglichkeit, neben thematisch eng fokussierten auch inhaltlich breit angelegte Promotionskollegs einzurichten, die keine enge thematische Passform der beteiligen Forschungsvorhaben voraussetzen. Auf diese Weise können [auch] Promovierende mit […] individuellen Vorhaben gleichwohl von den Vorteilen einer stärker institutionalisierten Doktorandenausbildung profitieren“. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften, S. 82 sowie „Es muss [bei der Promotion] auch weiterhin die Möglichkeit geben, viel versprechende Einzelprojekte fördern zu können“. Dose: Position des Wissenschaftsrats, S. 22. Die Graduiertenkollegs der DFG können dabei vom Wissenschaftsrat „aufgrund ihrer strukturellen wie inhaltlichen Fokussierung nicht als Regelmodell für eine weitere Institutionalisierung der Doktorandenausbildung betrachtet werden“, sondern stattdessen wird die Einführung von Promotionskollegs empfohlen, die „wichtige Strukturelemente der Graduiertenkollegs“ wie Auswahlverfahren und Betreuungsstandards mit einer „relativen Offenheit der konkreten Ausgestaltung“ verbinden. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften, S. 77-78.
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
betreuenden Hochschullehrer in den Geisteswissenschaften appelliert, den Doktoranden deutlich zu vermitteln, dass „die Entscheidung für Berufswege außerhalb der Universität spätestens mit dem Abschluss der Promotion fallen sollte“.61 Bei den meisten Empfehlungen zur Promotionsreform herrscht zwischen dem Wissenschaftsrat und der Hochschulrektorenkonferenz Konsens. Die zentrale Herausforderung scheint aber die tatsächliche Umsetzung der Empfehlungen in den Hochschulen zu sein. Diese scheitert jedoch oftmals an Überlastung aufgrund parallel zu implementierender anderer Reformen, am Dissens zwischen Rektorat und Fakultäten bzw. einzelnen Fächern oder an fehlenden finanziellen Mitteln zum Aufbau der nötigen Organisationseinheiten.62 Zumindest für einige Hochschulen hat die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zusätzliches Geld zum Aufbau neuer Organisationsstrukturen gebracht. Die auch international stark wahrgenommene Initiative hat mit zusätzlichen Mitteln und inhaltlichen Impulsen Dynamik in die Reform der Doktorandenausbildung an deutschen Hochschulen gebracht und spielt deshalb in den relevanten Initiativen auf europäischer und nationaler Ebene eine wichtige Rolle. Neben den Säulen „Exzellenzcluster“ und „Zukunftskonzepte zum Ausbau universitärer Spitzenforschung“ umfasst die Initiative die dritte Säule „Graduiertenschulen“, mit der bisher (nach zwei Auswahlrunden) insgesamt 39 Graduiertenschulen mit jeweils durchschnittlich einer Million Euro pro Jahr bis maximal 2011 gefördert werden. 2009 wurde die zweite Programmphase der Initiative für die Jahre bis 2017 mit einem um 30 Prozent auf rund 2,7 Milliarden Euro erhöhten Fördervolumen beschlossen. Zwischen einer und 2,5 Millionen Euro pro Jahr sollen in Zukunft je Graduiertenschule zur Verfügung stehen, also für alle Projekte insgesamt rund 60 Millionen Euro jährlich.63
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Wissenschaftsrat: Geisteswissenschaften in Deutschland (Pressemitteilung), S. 2 sowie Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften, S. 83-84. Es sei Verantwortung der einzelnen geisteswissenschaftlichen Disziplinen, eine „sinnvolle Relation“ zwischen der Anzahl der für den Beruf des Hochschullehrers Qualifizierten und der Anzahl der freien Professuren anzustreben. Dabei sollen die Förderinstrumente in der Postdoktorandenphase zum einen mit klaren Mechanismen der Qualitätssicherung versehen werden, um sicherzustellen, dass nur die besten Nachwuchswissenschaftler ihre Qualifizierung fortsetzen. Zum anderen soll die Überprüfung der Förderinstrumente die Frage einbeziehen, „wie […] der Anteil an Postdoktoranden zugunsten einer höheren Zahl an Doktoranden reduziert werden könnte“. Ebd., S. 83-84. „Das zentrale Problem der Doktorandenausbildung liegt in einem Mangel an Organisationsformen – und einem Mangel an Ressourcen für den Aufbau entsprechender Einheiten […]“. Hochschulrektorenkonferenz: Zur Organisation des Promotionsstudiums, S. 3. Eine Auflistung aller prämierten Graduiertenschulen sowie weitere Informationen zur Exzellenzinitiative befinden sich unter der URL (24.5.2010): http://www.bmbf.de/de/1321.php.
1.3 Promotionsreform – fachübergreifend und fachspezifisch
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Laut Vorgaben der Exzellenzinitiative sollen die Graduiertenschulen „strukturierte Promotionsprogramme innerhalb eines exzellenten Forschungsumfeldes und eines breiten Wissenschaftsgebietes“ anbieten64 und „optimale Promotionsbedingungen am jeweiligen Standort gewährleisten“. Dabei haben folgende Kriterien bei der Beurteilung der Anträge eine Rolle gespielt: „wissenschaftliche Qualität der beteiligten Personen und des Standorts, Auswahl-, Qualifikationsund Betreuungskonzepte, Förderung der frühen Selbständigkeit, Attraktivität für in- und ausländische Absolventinnen und Absolventen, Maßnahmen zur Integration ausländischer Doktorandinnen und Doktoranden und zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Wissenschaft, [sowie die] Qualitätssicherung des Promotionsprozesses“.65 Zwei Vorgaben sind für die weiteren Überlegungen besonders wichtig. Zum einen sollen die Graduiertenschulen „nicht auf ein einzelnes Fach des herkömmlichen Fächerkanons ausgerichtet sein, sondern dem Gedanken der interdisziplinären Integration Rechnung tragen“.66 Es wird also explizit keine rein disziplinäre Doktorandenausbildung gefördert. Zum anderen sollen sich die Graduiertenschulen neben einem „strukturierten Promotionsprozess, der ein innovatives und klar definiertes Betreuungskonzept inklusive verbindlicher Betreuungsvereinbarungen sowie ein differenziertes Qualifikationsprogramm beinhaltet und in der Promotionsordnung verankert ist“ durch ein „wissenschaftliches Profil in Form übergeordneter Fragestellungen oder Leitbilder [aber] nicht spezieller Themen“ auszeichnen.67 Diese Vorgaben haben möglicherweise einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die disziplinäre und thematische Ausrichtung der strukturierten Promotionsmodelle in Deutschland auch über die Förderung der Exzellenzinitiative hinaus. Entsprechend sollte beobachtet werden, ob ein dezidiert interdisziplinärer Ansatz für die Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses der Einzeldisziplinen förderlich ist und inwieweit „übergeordnete Fragestellungen“ der Graduiertenschulen gerade die „Wissenschaftlichkeit“, die sich durch eine detaillierte, vertiefte Analyse auszeichnet, überhaupt fördern können. 64 65
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Vgl. ebd. Deutsche Forschungsgemeinschaft/Wissenschaftsrat: Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder, S. 2 Punkt 3. Das für die zweite Programmphase bis 2017 neu hinzugekommene Kriterium der „innovativen Konzepte zur forschungsorientierten Lehre“ ergänzt dabei nur die Förderkriterien für die Zukunftskonzepte (also für die gesamtuniversitären Konzepte). Vgl. Fußnote 147. Ebd., Punkt 4. Ebd., Punkt 5. Weitere Aufschlüsse über den Aufbau und die Funktionsweise der im Rahmen der Exzellenzinitiative geförderten Graduiertenschulen legt die „Musterordnung für Graduiertenschulen“ nahe, samt detaillierter Vorschläge zur Regelung der Stellung der Graduiertenschule innerhalb der Hochschule. Vgl. URL (11.10.2009): http://www.dfg.de/download/formu lare/exin21/exin21.pdf.
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
Welche fachspezifischen Implikationen haben nun die diversen fachübergreifenden Rahmenvorgaben für die einzelnen Disziplinen? Obwohl alle genannten Reformprozesse nicht aus den einzelnen Hochschuldisziplinen heraus motiviert sind und dem entsprechend die Vorgaben wie gezeigt fachunspezifisch sowie – mit Ausnahme von Verpflichtungen bei Förderungen im Rahmen der Exzellenzinitiative – nicht bindend, sind auch die Geisteswissenschaften und innerhalb dieser das Fach Germanistik als die größte geisteswissenschaftliche Disziplin68 von ihnen betroffen. Auch die germanistischen Institute müssen sich insofern den Herausforderungen der Reformen stellen, als sie genauso wie alle anderen Institute in Ihrer Finanzierung und dadurch Existenz von Landesministerien und Hochschulleitungen vielfach abhängig sind. Gleichzeitig bieten die Reformen die Chance zur Umsetzung von Vorstellungen der Fachvertreter zur Doktorandenausbildung und zur weiteren Entwicklung der Disziplin. Die durch die Reformen im Bildungswesen seit 1990 veränderten Rahmenbedingungen prägen die Germanistik inhaltlich und strukturell. Speziell in der Promotionsphase entstehen ergänzend zum bisher dominierenden ‚MeisterSchüler-Modell‘, das in dieser Arbeit als ‚Individualpromotion‘ bezeichnet wird, weitere, recht heterogene aber insgesamt stärker strukturierte Formen der Doktorandenausbildung wie Promotionsstudiengänge und Graduiertenschulen. Auf die Spezifika der einzelnen Modelle wird näher im Kapitel 3.1 eingegangen. Beim Entstehen der neuen Promotionsprogramme spielen hochschulpolitische Trends und die an sie geknüpften Finanzierungsschübe eine entscheidende Rolle. Mit der Exzellenzinitiative und verschiedenen Stiftungs- und Landesprogrammen können einerseits dringend benötigte neue Finanzierungsquellen für die Doktorandenausbildung in den Geisteswissenschaften erschlossen werden. Andererseits ist jedoch allein dadurch ein fachspezifisch zu hinterfragendes Trendgefälle in Richtung der strukturierten Promotionsformen zu beobachten: Während bei der Mittelvergabe für die Doktorandenausbildung verstärkt und fast einseitig neue Promotionsformen wie Graduiertenschulen und Promotionsstudiengänge gefördert werden, stehen für innovative Betreuungskonzepte in der traditionellen Individualpromotion keine Förderprogramme zur Verfügung.69 68 69
Gemessen an der Anzahl der bestandenen Prüfungen sowie der Studierenden, Promovierenden und Professoren. Vgl. Kapitel 2.1, Fußnote 114. Eine eventuelle Ausnahme ex post bildet der „KISSWIN-Preis“ für den besten Doktorvater oder die beste Doktormutter, der erstmals 2010 vom Kommunikations- und Informationssystem „Wissenschaftlicher Nachwuchs“ (KISSWIN) verliehen wurde. Als wichtige Kriterien einer guten Betreuung werden „eine konstruktive, fachliche Hilfestellung, die Einführung in die internationale Forschergemeinschaft sowie Unterstützung bei Veröffentlichungen, Tagungen und der eigenen Netzwerkbildung“ genannt. URL (24.5.2010): http://www.kisswin.de/kisswin/ kisswin-preis.html. Vgl. hierzu Kapitel 3.5 „Betreuung und Austausch“.
1.4 Promotionsforschung in der Germanistik
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Fest steht, dass angesichts der unmittelbaren Realität der Veränderungen auch die geisteswissenschaftlichen Fächer und darin die Germanistik nun der Aufgabe einer konkreten, fachspezifischen und fachspezifisch adäquaten Ausgestaltung der Reformen gegenüber stehen. Dabei stellen sich die Fragen, ob eine stärkere Strukturierung der Promotion für die Germanistik von Nutzen sein könnte, wie diese die künftige wissenschaftliche Arbeit im Fach beeinflussen könnte und ob mit Hilfe der Reform bestimmte Defizite der bisherigen Praxis angegangen werden könnten. Auf fachübergreifender Ebene herrscht gleichzeitig gerade ab der Promotionsphase ein starker internationaler Wettbewerb um die besten Nachwuchswissenschaftler und somit indirekt der Promotionsmodelle, der Vergleiche mit anderen Wissenschaftsstandorten unerlässlich macht. Die USA sind dabei nicht nur deshalb ein relevantes Vergleichsland, weil sie oft als ‚Vorbild‘ in der Doktorandenausbildung genannt werden70 – eine Annahme, die es für die Geisteswissenschaften kritisch zu überprüfen gilt. Vielmehr können die USA gerade bei der fachspezifischen Reform als Vergleichspunkt genutzt werden, da sie – im Gegensatz zu Deutschland – auch in den Geisteswissenschaften seit Jahrzehnten sowohl über etablierte strukturierte Promotionsprogramme verfügen als auch über umfangreiches und differenziertes Datenmaterial sowie zahlreiche Projekte und Initiativen zu diesem Themenkomplex. 1.4 Promotionsforschung in der Germanistik: Forschungsstand und Desiderate (1) Bei der Kartierung der sich verändernden Promotionslandschaft in den Geisteswissenschaften in Deutschland gibt es deutliche Lücken. Fachübergreifend können Promotionsmöglichkeiten in der Bundesrepublik im Internet im Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz (HRK)71 und teilweise auf der Promotionsseite des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD)72 und
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„Aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit und Attraktivität gilt die Graduiertenausbildung der großen U.S.-amerikanischen Forschungsuniversitäten heute international als Maßstab für die forschungsorientierte Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Europäische Länder und Universitäten müssen sich am U.S.-amerikanischen Beispiel messen lassen“. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, S. 35. Vgl. URL (24.5.2010): http://www.hochschulkompass.de/promotion/suche-nach-promotions moeglichkeiten.html. Vgl. URL (24.5.2010): http://www.daad.de/deutschland/studienangebote/promotion/06546.en. html.
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
im „Akademischen Stellenmarkt“ des Karrierenetzwerks „e-fellows“73 recherchiert sowie deutsche Forschungsinstitutionen im Forschungsverzeichnis „Research Explorer“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des DAAD erschlossen werden.74 Darüber hinaus enthält die Website des Deutschen Germanistenverbandes eine Übersicht der Germanistischen Institute an deutschen Hochschulen,75 und über das Netzwerk für literaturwissenschaftlichen Wissenstransfer „H-Germanistik“ können Stipendienankündigungen für viele ausgeschriebene Doktorandenstellen verfolgt werden, die Informationen über die Promotionsorte enthalten.76 Eine fachspezifische Untersuchung der Promotionsmöglichkeiten in der Germanistik, die sowohl etablierte als auch neue Modelle beschreiben würde und den Promotionsinteressierten wie den für die Doktorandenausbildung Verantwortlichen die Orientierung und Konzeption neuer Programme erleichtern könnte, fehlt jedoch. Auch gibt es keine Aktivitäten in Richtung einer solchen Untersuchung oder gar Koordinierung des Reformprozesses im Fach, etwa durch den Deutschen Germanistenverband.77 Dass aber eine fachspezifische Betrachtung von Nöten ist, liegt auf der Hand – denn die Promotionsbedingungen, -methoden und -ziele unterscheiden sich von Disziplin zu Disziplin. So steht beispielsweise die explorative oder empirische, an Naturgesetzen orientierte Forschungsarbeit in der Chemie im Kontrast zu den qualitativen und reflektiven Methoden einer Promotion in der Germanistik.78 Im Rahmen der fachspezifischen „Pilotstudie Forschungsrating“ des Wissenschaftsrates, die auch Informationen über die Doktorandenausbildung enthält,79 wurden bisher nur die beiden Disziplinen Chemie (Dezember 2007) und Soziologie (April 2008) untersucht.80 73 74 75 76 77 78 79
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Vgl. URL (24.5.2010): www.e-fellows.net. Vgl. URL (24.5.2010): http://research-explorer.dfg.de/research_explorer.de.html. Vgl. URL (24.5.2010): http://www.germanistenverband.de/hochschule/adressen/germanisti sche-institute.php. Vgl. URL (24.5.2010): www.h-germanistik.de. Mitteilung Prof. Dr. Martin Huber, stellvertretender Vorsitzende des Deutschen Germanistenverbandes, E-Mail vom 12. Februar 2009 und Telefonat vom 23. Februar 2009. Für weitere Spezifika der Arbeitsweise der Geisteswissenschaften vgl. Kapitel 2.1. Untersucht wurden zum Beispiel Promotionsstipendien, strukturierte Promotionsprogramme, abgeschlossene Dissertationen mit Verlagsangaben (nur Soziologie), Rufe an Nachwuchswissenschaftler oder Selbstbeschreibungen von Aktivitäten und Erfolgen der Nachwuchsförderung (nur Soziologie). Das Forschungsrating sollte danach ursprünglich anhand eines geistes- und eines technikwissenschaftlichen Fachs fortgesetzt werden. Nachdem jedoch die exemplarisch für die Geisteswissenschaften vorgesehene Geschichtswissenschaft im Juli 2009 ihre Beteiligung an dem Forschungsrating abgesagt hat, ist ein weiteres Rating bisher nur für die Elektro- und Informationstechnik vorgesehen. Für die Geisteswissenschaften soll eine Unterarbeitsgruppe im Wissenschaftsrat bis zum Frühjahr 2010 „geeignete Rahmenbedingungen der Bewertung geisteswissenschaftlicher Forschung definieren und fachspezifisch angemessene Bewertungskriterien
1.4 Promotionsforschung in der Germanistik
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Eine Analyse der Promotionsmöglichkeiten in der Germanistik samt eines Vergleichs der traditionellen Individualpromotion mit neu aufkommenden Modellen der Doktorandenausbildung gibt es bisher nicht. (2) Ein zweites Desiderat besteht im Bereich der internationalen Gegenüberstellungen: Die Forschungsliteratur verfügt bisher über keine Vergleiche der Promotionsbedingungen in der Germanistik (oder in den Geisteswissenschaften generell) mit denjenigen in Muttersprachenphilologien anderer Länder, deren positive wie negative Erfahrungen bei der konkreten Ausgestaltung der aktuellen Reformen genutzt werden könnten. Dabei fallen die USA aus mehreren Gründen besonders auf. Erstens gibt es dort jahrzehntelange Erfahrung mit der für Deutschland relativ neuen strukturierten Doktorandenausbildung – hundert Prozent der Doktoranden promovieren in graduate schools. Dabei sollte jedoch hinterfragt werden, ob eine Graduiertenschule mit ‚Struktur‘ gleich zu setzen ist und ob diese Struktur an allen U.S.-Hochschulen und in allen Fächern gleich ist. Wie sieht in den USA die Strukturierung konkret in den Geisteswissenschaften aus, und ist sie dort in der Praxis für die Doktoranden hilfreich? Ein zweiter Grund, der für die USA als Vergleichsland spricht, ist die Tatsache, dass dort die Promotionsphase auch für die Geisteswissenschaften umfangreich statistisch dokumentiert und analysiert wird und so einen Referenzpunkt bilden kann.81 Was sagen die Statistiken über die Realität der Promotionsbedingungen aus? Resultiert die bessere quantitative Informiertheit über mögliche Defizite in Optimierungsaktivitäten und welche Ergebnisse zeigen diese? Und schließlich wird das Land insgesamt häufig als ‚Weltmarktführer‘ und Vorbild in der Doktorandenausbildung bezeichnet, so zum Beispiel in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Doktorandenausbildung oder von Hochschulforschern.82 Die Frage jedoch, ob die USA auch für die Geisteswissenschaf-
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für ein Rating geisteswissenschaftlicher Forschung erarbeiten“. URL (24.5.2010): http://www.wissenschaftsrat.de/arbeitsbereiche-arbeitsprogramm/forschungsrating/aktuelles/. Es wäre interessant, allgemein der Frage nachzugehen, wieso in den USA die Ausbildungsprozesse schon immer intensiver akademisch reflektiert werden (die erste große Untersuchung der Promotionsphase in den English studies stammt von 1930, vgl. Kapitel 4.2) als in Deutschland. Deuten die verstärkte Reflexion und Begleitung durch die Forschung sowie die statistische Berichterstattung darauf hin, dass Veränderungen des Bildungssystems in den USA professioneller begleitet werden? Oder sind die Orientierung an quantitativen Parametern und kontinuierliche Evaluation ein Anzeichen für eine stärkere Ökonomisierung des Systems? „Das amerikanische System der Graduate Education ist ein Modell für Reformbemühungen überall auf der Welt“. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, S. 36; „the most successful model of doctoral education in the world – that of the United States“. Altbach: Doctoral Education, S. 65; „other countries have looked to the United States as a model for expanding doctoral training. For example, Japan is currently expanding its doctoral training
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
ten und dort konkret im fachspezifischen Vergleich der Muttersprachenphilologien für die Promotionsreform als Vorbild dienen können, ist bisher weitgehend unbeantwortet. (3) Neben der fehlenden Kartierung der Promotionsmöglichkeiten in der Germanistik sowie dem Mangel an fachspezifischen internationalen Vergleichen ist ein drittes Desiderat die fachspezifische Begleitung der Promotionsreform in Deutschland durch die Forschung. Diese findet bisher insgesamt nur partiell und nicht ausreichend statt. So schließt der derzeitige Forschungsstand zwar einige fachübergreifende, auch internationale Darstellungen der Promotionsphase in verschiedenen Ländern ein, so etwa Powell/Green (Hrsg.): „The Doctorate Worldwide“ (2007) und Nerad/Heggelund (Hrsg.): „Toward a Global PhD?“ (2008), oder konkret für Deutschland und die USA Bosbach: „Von Bologna nach Boston?“ (2009) sowie für akademische Karrierestrukturen insgesamt Kreckel: „Zwischen Promotion und Professur“ (2008). Auch gibt es eine Reihe nationaler fachübergreifender Studien, zu denen Enders/Kottmann: „Neue Ausbildungsformen – Andere Werdegänge?“ gehört (2009, bislang die einzige Gegenüberstellung von Individualpromotion und strukturierten Programmen, hier der DFGGraduiertenkollegs), Burkhardt: „Wagnis Wissenschaft“ (2008, Grundlage für den ersten Bundesbericht zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses (BuWiN)) und Gerhardt et al.: „Zur Situation der Doktoranden in Deutschland“ (2004, umfangreiche Online-Doktorandenbefragung der Promovierenden- und Promovierten-initiative THESIS e.V.). Nennenswert sind des Weiteren das primär die Promotionsbedingungen in den Geistes- Sozial- und Kulturwissenschaften beschreibende „Handbuch Promotion“ von Nünning/Sommer (2007) und die beiden Projekte zur langfristigen Analyse der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland – das Promovierendenpanel „ProFile“ am Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (iFQ) und das Online-Panel „WiNbus“ der HIS GmbH.83
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opportunities and is looking mainly to the U.S. for ideas“. Ebd., S. 75. Vgl. dazu auch Cohen: The shaping of American higher education, S. 439f und Nerad: Preparing for the next Generation, S. 7. Für weitere Informationen zu ProFile vgl. Fußnote 309 dieser Arbeit sowie URL (24.5.2010): http://www.forschungsinfo.de/Projekte/ProFile/projekte_profile_lang.asp. Beim Online-Panel WiNbus werden jeweils mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses Onlinebefragungen mit per Stichprobe ausgewählten an deutschen Hochschulen angestellten (Nachwuchs-)Wissenschaftlern durchgeführt, in Zukunft sollen auch Wissenschaftler der außeruniversitären Forschungseinrichtungen einbezogen werden. Das Befragungsthema vom Jahr 2008 war „Die Studienstrukturreform aus Sicht des wissenschaftlichen Nachwuchses“, 2009/2010 steht „Wissenschaft und Karriere“ im Fokus. (Da sich die Themen von Jahr zu Jahr ändern und keine Untersuchung von Entwicklungen geplant ist, handelt es sich bei WiNbus um kein Panel im eigentlichen Sinne). Vgl.: Jaksztat/Briedis: Stu-
1.4 Promotionsforschung in der Germanistik
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Angesichts der notwendigen konkreten Ausgestaltung der Reformvorhaben in den einzelnen Disziplinen gibt es jedoch überraschenderweise kaum fachspezifische Untersuchungen. So stellt auch die Reflexion, fachhistorische Wahrnehmung und Kontextualisierung der Veränderungen in der Doktorandenausbildung der Germanistik in Deutschland eine Forschungslücke dar. Es gibt zwar zahlreiche Darstellungen der Fachgeschichte insgesamt, für die Germanistik in Deutschland insbesondere Weimar: „Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft“ (2003), Fohrmann/Voßkamp: „Wissenschaftsgeschichte der Germanistik“ (1994) und „Wissenschaft und Nation“ (1991) sowie Hermand: „Geschichte der Germanistik“ (1994) und Boden/Rosenberg: „Deutsche Literaturwissenschaft“ (1997). Für die entsprechende Muttersprachenphilologie English studies in den USA können dabei auch Hinweise zur Promotionsphase gefunden werden, so u. a. in Graff: „Professing Literature“ (1987) und Vanderbilt: „American Literature and the Academy“ (1986). In den USA existieren darüber hinaus einige Forschungsarbeiten, die die Promotionsphase fachspezifisch für die English studies untersuchen, insbesondere Nerad/Cerny: „From Rumors to Facts“ (1999), Graff: „The Ph.D. in English“ (2003) und North et al.: „Refiguring the Ph.D. in English Studies“ (2000), sowie einige historische Arbeiten wie Allen: „The Ph.D. in English and American Literature“ (1968), Perry: „And Gladly Teach“ (1935) und Jones: „Graduate Study in English“ (1930) bzw. „Graduate English Study“ (1931). Demgegenüber ist in Deutschland die Doktorandenausbildung in den Geisteswissenschaften und konkret in der Germanistik kaum erforscht. Hier gibt es mit „Karriere mit Doktortitel?“ von Jürgen Enders und Lutz Bornmann (2001) bisher nur eine einzige Studie, in der die Promotion in der Germanistik, allerdings als eins unter sechs Fächern, nur für die Individualpromotion (Promotionsabschlusskohorten 1979/80, 1984/85 und 1989/90) und überwiegend quantitativ, beschrieben wird. Obwohl die disziplinäre Verschiedenheit der Promotionsbedingungen eine unterschiedliche Ausgestaltung der Reform der Doktorandenausbildung in den Fächern erfordert, ist also die fachspezifische Analyse der Promotionsphase und ihrer Reform in vielen Disziplinen, darunter auch in der Germanistik, eine offensichtliche Forschungslücke.
dienstrukturreform und berufliche Situation aus Sicht des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie URL (24.5.2010): http://www.winbus.eu/about.php.
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
1.5 Erfolgsrezept germanistische Promotion? Fragen, Ziele und Methoden dieser Arbeit Angesichts der genannten Forschungsdesiderate verfolgt die vorliegende Arbeit folgende Ziele: (1) Ausgehend von der Verortung der Muttersprachenphilologie Germanistik innerhalb der Geisteswissenschaften, der geschichtlichen Entwicklung, der Identifizierung der fachspezifischen Arbeitsweise und der aktuellen Herausforderungen des Faches soll erstens eine Untersuchung der verschiedenen Modelle des Promovierens in der Germanistik in Deutschland durchgeführt werden. (2) Zweitens soll der Frage nachgegangen werden, ob bei den anstehenden Reformprozessen in den Geisteswissenschaften Erfahrungen der Promotionsmodelle in den USA genutzt werden können. Dazu sollen ausgewählte Aspekte der Doktorandenausbildung in den English studies, der der Germanistik entsprechenden Muttersprachenphilologie in den USA, herangezogen werden. Die Kriterien für die Auswahl der Aspekte sind dabei Parameter des jeweiligen Hochschulsystems, die für die Promotionsphase besonders von Bedeutung sind, wie die Selektionsmechanismen an der Schnittstelle Studium – Promotion, Kernstrukturen der eigentlichen Promotionsphase oder Fragen des Übergangs von der Promotion zum Beruf. (3) Drittens soll, auch anhand des Überblicks über die Modelle in Deutschland und des Vergleichs mit den USA, für die Geisteswissenschaften am Beispiel der Germanistik eine fachspezifische Untersuchung und Reflexion des Reformprozesses in Deutschland durchgeführt werden. Lassen sich für die Germanistik Aspekte guter Doktorandenausbildung und förderliche Strukturen feststellen? Dazu sollen Vor- und Nachteile sowohl der traditionellen Individualpromotion als auch der strukturierten Promotionsmodelle (Graduiertenschulen, Promotionskollegs) identifiziert und mögliche Konsequenzen der Strukturveränderungen für das Fach erörtert werden. Um die Promotion in der Germanistik in Deutschland näher zu untersuchen und fachadäquate Ausgestaltungsmöglichkeiten der Promotionsreform – auch im Vergleich mit der Doktorandenausbildung in den English studies in den USA – diskutieren zu können, muss zunächst erläutert werden, wie sich die beiden Muttersprachenphilologien innerhalb der Geisteswissenschaften im jeweiligen Land verorten. Außerdem wird verfolgt, wie sie sich als Universitätsdisziplinen entwickelt haben, was für ihre Identität (Forschungstätigkeit, Arbeitsweise etc.) charakteristisch ist und vor welchen Herausforderungen sie aktuell stehen (Kapitel 2 bzw. 4). Dort, wo die Forschungsliteratur dazu Material bietet, soll bei der Disziplinenentwicklung auch auf die Geschichte der Promotion im Fach eingegangen werden. Auf diesem Hintergrund wird die anschließende Untersuchung der
1.5 Fragen, Ziele und Methoden
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Rahmenbedingungen der Promotion in den beiden Muttersprachenphilologien, der Vor- und Nachteile unterschiedlicher Modelle sowie möglicher Anregungen für die fachadäquate weitere Ausgestaltung der Promotionsreform in der deutschen Germanistik durchgeführt (Kapitel 3, 5 und 6). Dazu sollen neben quantitativen Kriterien wie Absolventenzahlen, Promotionsdauer und Abbruchquoten auch qualitative Aspekte wie Dissertationsthemen, Auswahlverfahren, Finanzierungsformen, das Erlernen von Forschung und Lehre, Betreuungsqualität oder Absolventenverbleib, der auf Funktionen der Promotion in Deutschland bzw. den USA hinweist, sowie die weiter unten angeführten Interviewergebnisse einbezogen werden (Kapitel 3 und 5). Als Quellen werden fachwissenschaftliche Aufsätze und Studien, hochschulpolitische Texte, statistische Datensammlungen sowie zwei eigene Vorarbeiten einbezogen, der fachübergreifende Vergleich der Promotionsbedingungen in Deutschland und den USA „Von Bologna nach Boston?“ (2009) sowie die Studie „U.S.Arts and Figures“ (2008) über Promotion und Beruf von U.S.Geisteswissenschaftlern. Darüber hinaus wird die Untersuchung – insbesondere aufgrund des Datenmangels hinsichtlich der Promotionsphase in der Germanistik in Deutschland – durch eine empirische Komponente erweitert: Zum einen werden konkrete Modelle der Doktorandenausbildung an ausgewählten Hochschulen für Germanisten in Deutschland wie für Anglisten in den USA analysiert (Überblick über die Praxisbeispiele in den Kapiteln 3.1.3 und 5.1.2, einzelne inhaltliche Aspekte der Programme in den Kapiteln 3.2 bis 3.8 und 5.2 bis 5.8). Zum Zweiten wird eine im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte exemplarische Befragung ausgewertet, bei der in beiden Ländern Doktoranden in verschiedenen Promotionsformen (in Deutschland Individualpromotion und strukturierte Programme) und Koordinatoren der Promotionsprogramme interviewt wurden. Das Kriterium für die Auswahl der Hochschulen war eine möglichst exemplarische Bandbreite der Modelle. So werden in Deutschland die beiden einzigen bisher in der Exzellenzinitiative erfolgreichen geisteswissenschaftlichen Graduiertenschulen einbezogen, die Freie Universität Berlin mit der „Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien“, die sich durch eine dezidiert literaturwissenschaftliche Ausrichtung auszeichnet, sowie die Universität Gießen mit dem „Gießener Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften (GGK)/International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC)“ als dem ältesten fachübergreifenden strukturierten Promotionsprogramm für Geisteswissenschaftler einschließlich Germanisten. Um die Bandbreite der Finanzierungsmodelle, der Programmgrößen und der verschiedenen Phasen im Prozess der Einrichtung der neuen Promotionsprogramme sowie deren auch innerhalb der Germanistik unterschiedliche Zielsetzung detaillierter untersuchen zu können, wird die Auswahl um die Universitäten Göttingen (Graduiertenschule für Geis-
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1 Doktorandenausbildung und ihre Reform – eine Einführung
teswissenschaften, Promotionskolleg Wertung und Kanon), Köln (a.r.t.e.s. Forschungsschule) und Münster (Graduate School Practices of Literature) erweitert. Für die USA werden mit der privaten Columbia University und der öffentlichen City University of New York (CUNY) zwei Hochschulen im gleichen Bundesstaat (New York) untersucht, unter anderem um einen eventuellen Einfluss der Landesrahmenbedingungen konstant zu halten, gleichwohl aber beide Trägerschafts- und Finanzierungsarten einzubeziehen. Insgesamt zielt die vorliegende Arbeit nicht auf die exhaustive Wiedergabe aller Elemente der einzelnen strukturierten Programme ab, sondern auf die Identifizierung und Diskussion exemplarischer Elemente und Ansätze. Bei dieser Vorgehensweise werden teilweise Elemente anhand eines Programms diskutiert, wobei sie möglicherweise auch in anderen Programmen existieren. Für die fünf Universitäten in Deutschland wurden je zwei Doktoranden der Germanistik aus dem jeweiligen strukturierten Promotionsprogramm und zwei klassische Individualpromovierende befragt, die per E-Mail-Anfrage über Ansprechpartner der Promotionsprogramme oder über die jeweiligen Germanistikinstitute ermittelt wurden. Ein wichtiges Kriterium war dabei eine vergleichbare Phase im Promotionsprozess: Die Doktoranden sollten stets so weit wie möglich in der Promotion vorangeschritten sein, um die Promotionserfahrung einerseits möglichst vollständig bewerten zu können, andererseits jedoch um das richtige Wahrnehmungsmuster und nicht etwa die nach einer erfolgreich abgeschlossenen Promotion eventuell veränderte Perspektive auf den Promotionsverlauf wiederzugeben. In den USA entfällt die Aufteilung der Befragten in strukturiert promovierende Doktoranden und Individualpromovierende, da alle Doktoranden in (strukturierten) graduate schools promovieren. Auch ist aufgrund der guten statistischen Datenlage die für Deutschland nötige Befragung einer größeren Gruppe von Promovierenden nicht erforderlich. Vielmehr dienten die Interviews in den USA der Einholung von Originaltönen und Veranschaulichung der Promotionspraxis aus Sicht der Promovierenden. Pro Hochschule wurden dort jeweils zwei Doktoranden der English studies befragt. Darüber hinaus wurden Interviews mit den Koordinatoren aller untersuchten strukturierten Programme geführt (in Deutschland mit den Sprechern oder Koordinatoren der Programme, in den USA mit den Directors of Graduate Studies). Aufgrund der teilweise unterschiedlichen Aufteilung der Disziplinen in beiden Ländern wurden in Deutschland nur Doktoranden der Neueren Deutschen Literatur (und nicht Mediävisten oder germanistische Sprachwissenschaftler) befragt. Als Interview-Methode wurde ein offenes qualitatives Interview anhand standardisierter Fragebögen verwendet. Dabei können die Befragten im Gegen-
1.5 Fragen, Ziele und Methoden
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satz zum geschlossenen Interview frei und ohne Vorgaben antworten. Grundlage ist jedoch ein fester Fragenkatalog.84 Konkret wurden zwei verschiedene Fragebögen eingesetzt, einer zur Befragung der Doktoranden und einer zur Befragung der Koordinatoren.85 Nach drei Testläufen im Oktober 2008 wurden im Zeitraum von Februar bis Oktober 2009 insgesamt 33 Interviews (mit 24 Doktoranden und neun Programmkoordinatoren) durchgeführt, aufgrund der räumlichen Entfernung meist als im Vorfeld per E-Mail koordinierte Telefoninterviews. Die Interviews dauerten im Schnitt 1,5 Stunden und ergaben nach vollständiger Transkription der Antworten ein Textkorpus von etwa 500 Seiten. Bei der Auswertung und Interpretation der Antworten wird auf die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring zurückgegriffen, bei der eine der Grundinterpretierformen die Zusammenfassung ist, mit den Einzelschritten Paraphrase, Generalisierung und Reduktion und dem Ziel, „das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, durch Abstraktion einen überschaubaren Corpus zu schaffen, der immer noch Abbild des Grundmaterials ist“.86 Die zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse als ein „reduzierendes Verfahren mit hermeneutischen Komponenten“87 und die Interpretation des dadurch gewonnenen Kategoriensystems88 werden durch quantitative Elemente wie Häufigkeitszählungen sowie durch die Verwendung anonymisierter direkter Interviewzitate ergänzt. Dabei werden nicht alle Fragen mit den jeweils zugehörigen Antworten ausgewertet, sondern nur diejenigen Frage-Antwort-Paare, die Teil des gewonnenen Kategoriensystems sind und somit für die Untersuchung der jeweiligen Aspekte der Doktorandenausbildung in den Kapiteln 3 bzw. 5 relevant. Bei den ausgewählten Fragen wurden stets die Antworten aller Interviewpartner bei der Auswertung berücksichtigt. Aufgrund der beschränkten Datenlage zur Promotionsphase in der Germanistik liefern die Antworten insbesondere für die Untersuchung der inhaltlichen Aspekte der Doktorandenausbildung im Kapitel 3 eine wichtige Informationsbasis. Die Analysen dienen darüber hinaus der Bildung von Hypothesen, deren umfassendere Überprüfung in Zukunft umfangreichere quantitative Studien leisten könnten. Eine statistische Repräsentativität kann aufgrund der geringen Stichprobengröße selbstverständlich nicht beansprucht werden, vielmehr wird eine explorative Grundlage für weitergehende Forschungsarbeiten angestrebt, indem die entwickelten methodischen 84 85 86 87 88
Zu qualitativen Interviewtechniken vgl. grundsätzlich Mayring: Einführung in die qualitative Sozialforschung, derselbe: Qualitative Inhaltsanalyse sowie Froschauer/Lueger: Das qualitative Interview. Die Fragebögen sind im Kapitel 7 als Anhang 7.1 und 7.2 beigefügt. Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse, S. 58. Froschauer/Lueger: Das qualitative Interview, S. 89. Vgl. Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse, S. 59f.
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Ansätze wie die Ergebnisse der Befragungen eine Basis für statistisch repräsentative Analysen in der Zukunft darstellen können. Weitere Quellen für die Untersuchung bilden ergänzend geführte Gespräche mit hochschulpolitischen Akteuren in beiden Ländern, in Deutschland mit Vertretern des Germanistenverbandes und des Philosophischen Fakultätentages, in den USA des Council of Graduate Schools, der National Science Foundation, des American Council of Learned Societies und der Modern Language Association. Mit den theoretisch wie empirisch für beide Fächer und Länder gewonnenen Forschungsergebnissen und nach der Analyse einer eventuellen fachspezifischen Vorbildfunktion der Promotionsmodelle in den USA wird schließlich der Frage nachgegangen, welche Strukturen sich für eine germanistische Promotion insgesamt als förderlich erweisen könnten. Inwieweit hat die Promotionsreform hin zur stärkeren Strukturierung Implikationen für die Zukunft des Faches, dessen Inhalte und Forschungspraxis? Können die festgestellten Vor- und Nachteile der untersuchten Modelle zu einer fachadäquaten Ausgestaltung der weiteren Reform der Doktorandenausbildung in den Geisteswissenschaften in Deutschland genutzt werden? Überlegungen zu Forschungsdesiderata, die zu weiterführenden Untersuchungen einladen, schließen die Arbeit ab.
2 Germanistik in Deutschland
2.1 Kontext der Geisteswissenschaften Mit Blick auf die bei einer Reform der Doktorandenausbildung mögliche Refokussierung auf die Kerninteressen und Bedürfnisse der einzelnen Fachdisziplinen stellt sich unmittelbar die Frage nach den Spezifika der Geisteswissenschaften gegenüber anderen Fächergruppen. Denn diese Spezifika spielen auch bei der Promotion in Hinblick auf die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses der Fächer eine entscheidende Rolle. Welche Arbeitsbedingungen benötigen Geisteswissenschaftler, was sind die Besonderheiten etwa gegenüber den Naturwissenschaften – aus denen später auf nötige Besonderheiten in der Promotionsphase geschlossen werden kann – und wie verortet sich innerhalb der Geisteswissenschaften das Fach Germanistik? Sowohl im hochschulpolitischen Diskurs als auch in ihrer Selbstbeschreibung sind die Geisteswissenschaften heute durch die Veränderungen ihrer gesellschaftlichen Funktion seit ihrer Ausdifferenzierung im Deutschland des 19. Jahrhunderts geprägt. Ohne dass hier im Detail auf die geschichtliche Entwicklung der Geisteswissenschaften insgesamt eingegangen werden kann,89 führt der erste Unterschied in ihre neuhumanistische Entstehungsphase zurück, in der die Naturund Ingenieurwissenschaften, nicht aber die Geisteswissenschaften ihre Legitimation beweisen und ihren „Beitrag zum herrschenden Bildungskonzept“ erklären müssen.90 Diese bildende und Nationalgefühl stiftende Rolle der Geisteswissenschaften, die im nächsten Kapitel für die Germanistik ausführlich erörtert wird, spielt insbesondere am Ende des 19. Jahrhunderts bei der Gründung des deutschen Nationalstaates eine wichtige Rolle. Diesen Bonus der „unbefragten 89 90
Für eine historische Betrachtung des europäischen Universitäts- und Promotionswesens vgl. Kapitel 1.2. Die Entwicklung der Germanistik als Universitäts- und Studienfach wird im Kapitel 2.2 erörtert. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften, S. 9. „Das [langfristig] daraus resultierende Selbstbewusstsein der Geisteswissenschaftler konnte dünkelhafte Züge annehmen, wie die bekannte Anekdote über den Romanisten Ernst Robert Curtius belegen mag, der 1920 einen Ruf nach Aachen deshalb ablehnte, weil er fürchtete, dort vom Ordinarius für Heizung und Lüftung mit Herr Kollege angeredet zu werden“. Ebd. (Hervorhebung im Original).
E. Bosbach, Promotion in den Geisteswissenschaften, DOI 10.1007/978-3-531-94142-4_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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2 Germanistik in Deutschland
Selbstverständlichkeit“91 haben die Geisteswissenschaften jedoch im Laufe der Geschichte verloren und sie stehen heute vielfach unter einem Legitimationszwang. Während die ‚Nützlichkeit‘ der Krebsforschung auf der Hand liegt, müssen Sinn und ‚Nutzen‘ der wissenschaftlichen Beschäftigung etwa mit der Literatur des 17. Jahrhunderts oder, um an ein medienpräsentes Beispiel zu erinnern, der ‚Zweck der Geisteswissenschaften in Hamburg‘,92 oftmals erst erläutert werden. Was sich im Laufe der Geschichte nicht verändert hat, ist die historisierende Perspektive in den Geisteswissenschaften, die auch nicht durch neue Theorien – wie oft in den Naturwissenschaften der Fall ist – überholt wird: […] weil in den Geisteswissenschaften neue Einsichten häufig frühere nicht überholen. So gehört zum Fortschritt in den Geisteswissenschaften der ständige Dialog mit Einsichten der Vergangenheit. Alter entwertet nicht; Aristoteles bleibt in der Philosophie als ein systematischer Zugang, Gegenwartsprobleme zu erörtern, stets gegenwärtig. Neues auf Kosten des Bestehenden an der Universität zu institutionalisieren, kann deshalb in den Geisteswissenschaften mit der Zerstörung ihrer Grundlagen einhergehen.93 91 92
93
Ebd., S. 14. Anhand des für das Jahr 2012 prognostizierten Absolventenbedarfs des "Wirtschaftsstandorts Hamburg" und auf Anraten einer Expertenkommission unter Leitung von Dr. Klaus von Dohnanyi plante die Hamburger Hochschulpolitik 2004 eine Halbierung der Stellen in den Geisteswissenschaften der Hamburger Universität. Einer der prominenten Proteste war die öffentliche Reaktion des amerikanischen Philosophen Richard Rorty: „Den Bericht über die geplante Halbierung der Geisteswissenschaften an der Universität Hamburg (F.A.Z. vom 18. August) lese ich mit Verwunderung und Entsetzen. […] Daß ein Angriff solchen Ausmaßes auf die Selbstbestimmung der Universitäten ausgerechnet in Deutschland versucht wird, dem Land, das die moderne Universität miterfunden hat und dessen akademische Institutionen für die meines eigenen Landes ein Modell waren, ist erstaunlich. [...] Keine bedeutende amerikanische Universität würde auch nur eine Sekunde lang den Vorschlag ernst nehmen, den Umfang ihrer Geisteswissenschaften zu halbieren. Ein solcher Vorschlag eines Ministeriums würde nur als arroganter Versuch gewertet, das kulturelle Klima des Landes zu verändern. Die Mitglieder einer Regierung, die mit einer staatlichen Universität so etwas versuchen würden, dürften sicher sein, sofort als Witzfiguren verspottet zu werden. […] Sollte es der Regierung in Hamburg gelingen, ihre Vorstellungen durchzusetzen, so könnte es sein, daß ihr andere Bundesländer folgen werden. Jede Regierung versucht zu sparen, und die Tatsache, daß Geisteswissenschaftler weder große Drittmittelbeträge einwerben noch ökonomische Geschäftsinteressen befriedigen, macht sie zu einem scheinbar geeigneten Opfer. Aber nur eine Regierung, die vergessen hat, wozu Universitäten da sind, wird glauben, daß sie auf diese Weise etwas spart“. Rorty: Wissen deutsche Politiker, wozu Universitäten da sind? Für weitere Reaktionen vgl. die „Dokumentation: Auseinandersetzung um die "Halbierung der Geisteswissenschaften"” unter der URL: http://student.org.uni-hamburg.de/fsrgeschichte/gw.htm (24.5.2010). Nach vielen hitzigen Diskussionen wurde der Vorschlag nicht umgesetzt und 2008 sogar eine Stärkung der Hamburger Geisteswissenschaften vorgesehen, vgl. URL (24.5.2010): http://www.welt.de/hamburg/ article2058831/Universitaet_Hamburg_staerkt_die_Geisteswissenschaften.html. Gethmann et al.: Manifest Geisteswissenschaft, S. 23f.
2.1 Kontext der Geisteswissenschaften
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Als ein weiterer Unterschied gegenüber den Natur- und insbesondere ‚Lebenswissenschaften‘ fällt die Ressourcensparsamkeit der Geisteswissenschaften auf. Obwohl an sich ein Vorteil, kann diese zur Gefahr werden, etwa wenn es um scheinbar Kontext unabhängige Stellenstreichungen geht oder darum, dass die politisch gewollte steigende Studierendenanzahl aufgrund fehlender Kapazitäten nicht auf alle Fächer verteilt, sondern „auf die vermeintlich billigen – weil wenig geräteintensiven – Geisteswissenschaften beschränkt wird“.94 Dabei sind die Geisteswissenschaften allerdings doch, und das sind weitere Charakteristika, in besonders hohem Maße auf Archive und Bibliotheken angewiesen, und die interdisziplinäre Zusammenarbeit insbesondere mit verwandten Fächern innerhalb der philosophischen Fakultät ist für sie sehr fruchtbar. Zentral ist dabei die sprachliche Verfasstheit der Geisteswissenschaften.95 Sie manifestiert sich zum einen als Methode im Lesen und Schreiben des individuellen Wissenschaftlers, zum anderen selbst als Untersuchungsgegenstand in ihren verschiedenen Ausprägungen von Literatur bis zur gesprochenen Gegenwartssprache. Die lese- und schreibintensive Arbeitsweise der individuellen Forscher ist dabei innerhalb der Geisteswissenschaften grundsätzlich vergleichbar. Schnittmengen gibt es für die Germanistik mit der Philosophie und Geschichte, nicht so sehr aber etwa mit der Chemie (es ist hierbei ausschließlich die Arbeitsweise gemeint, interdisziplinäre Zusammenarbeit ist selbstverständlich möglich). In den Naturwissenschaften dominiert hingegen die (häufig experimentelle) Arbeit in einer Arbeitsgruppe, deren bevorzugte Arbeitssprache „die Formel, die abstrahierende Sprache“ ist; ein Grund für die Durchsetzung des (oftmals stark reduzierten) Englischen als Arbeitssprache sowie für den unterschiedlichen Umgang mit Forschungsergebnissen: Während in den Naturwissenschaften etwa die Vorlesungen tendenziell „im Turnus immer die gleichen [sind], [denn] sie gelten der Einführung [und] der Zusammenfassung“, dienen die vielfach individuellen und spezifischen Vorlesungen in den Geisteswissenschaften „der vorläufigen, universitätsinternen Veröffentlichung von Forschungsergebnissen“.96 94
95 96
Herbert: Innenansichten, S. 2. „Während die Gesamtzahl der Studierenden zwischen 1995 und 2003 kaum zugenommen hat, ist die Zahl der Studierenden in den Geisteswissenschaften seit 1995 um etwa 50 Prozent gestiegen. Dabei blieb die Zahl der Professoren gleich, die der Dozenten insgesamt nahm sogar ab. Unverantwortliche Betreuungsrelationen von durchschnittlich fast 100 Studierenden pro Professor und inakzeptable Abbrecherquoten (2002 im Durchschnitt 45 Prozent in den Geisteswissenschaften bei 26 Prozent in allen Fächern) sind die Folge“. Ebd., S. 1f. Die Zahlenangaben stammen größtenteils aus Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften, S. S. 19, 22, 57 und 138. Vgl. Frühwald: Verhältnis von Geistes- und Naturwissenschaften, S. 1. Ebd., S. 2f.
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2 Germanistik in Deutschland
Entsprechend verschieden ist auch die „Antrags- und Forschungskultur“, bei der in den Geisteswissenschaften viel öfter einzelne Forscher, in den Naturwissenschaften hingegen fast ausschließlich Arbeitsgruppen miteinander konkurrieren.97 Im Vergleich etwa mit den USA erscheint die Struktur der Forschungsförderung der Geisteswissenschaften in Deutschland vorteilhaft: Durch die Beheimatung der Drittmittelförderung auch der Geisteswissenschaften innerhalb der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) betreffen eventuelle Förderschwankungen alle Disziplinen, und die Förderhöhen müssen nicht, wie in den USA, mit einer separaten Förderagentur für die Geisteswissenschaften (National Endowment for the Humanities)98 einzeln und in Konkurrenz mit den Agenturen anderer Fächergruppen ‚erkämpft‘ werden. Auch wird dadurch ein anderes Signal an die Wissenschaftsgemeinschaft und Gesellschaft gesendet: Die geisteswissenschaftlichen Disziplinen gehören eindeutig zur ‚Wissenschaft‘ und werden mit anderen Wissenschaften zusammen betrachtet – im Unterschied zu der auch begrifflichen Dichotomie der sciences und humanities in den USA.99 Das „DFG-Förder-Ranking“ gibt dabei über verschiedene quantitative Aspekte der drittmittelgeförderten Forschungsaktivitäten auch der Geisteswissenschaften in Deutschland Auskunft;100 u. a. über Fördervolumina und -anteile in den einzelnen Hochschulen,101 deren fachliche Schwerpunkte, gegenseitige Ko97
Vgl. ebd., S. 3. Für eine (auch historische) Betrachtung der Unterschiede zwischen Geistesund Naturwissenschaften vgl. Dainat: Vom Nutzen und Nachteil, eine Geisteswissenschaft zu sein, für die unterschiedlichen Darstellungsformen Dannenberg: Darstellungsformen in Geistes- und Naturwissenschaften. 98 Die 1965 gegründete nationale Förderagentur der Geisteswissenschaften hat ihren Sitz in Washington D.C. URL (24.5.2010): http://www.neh.gov/. 99 Vgl. Herbert: Innenansichten, S. 1. Aus dem Selbstbeschreibungsdiskurs der Geisteswissenschaften heraus wird der Unterschied zwischen den (deutschen) Geisteswissenschaften und den „angelsächsischen Humanities“ im „Manifest Geisteswissenschaft“ 2005 charakterisiert als: „Deren [der humanities] Tradition ist durch das Kulturwissenschaftsmodell geprägt; und dieses Modell steht im Gegensatz zum idealistischen Modell der Geisteswissenschaften, das an deren Wiege stand. Solange dieser Gegensatz nicht klar und wissenschaftssystematisch keine Entscheidung über die eigene Entwicklungsperspektive herbeigeführt ist, bleibt es bei Mischformen, die einen wesentlichen Teil der gegenwärtigen systematischen und institutionellen Schwäche der Geisteswissenschaften ausmachen“. Gethmann et al.: Manifest Geisteswissenschaft, S. 11. Für Definitionen der humanities in den USA vgl. Kapitel 4.1. 100 Für Informationen über die Geisteswissenschaften in der fünften Ausgabe des DFG-FörderRankings vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft: Förder-Ranking 2009, S. 77-87. 101 Bei insgesamt 124 geförderten Hochschulen entfallen dabei 51 Prozent der im Zeitraum 2005 – 2007 vergebenen DFG-Mittel auf die acht Hochschulen mit den höchsten Fördervolumina. Die in absoluten Zahlen mit knapp 55 Millionen Euro DFG-Bewilligungsvolumen in den Geisteswissenschaften in diesem Zeitraum ‚führende‘ Einrichtung ist die Freie Universität Berlin, weitere Plätze belegen mit gut 33 Millionen Euro die Universitäten Heidelberg und Münster. Eigene Berechnungen nach ebd., Tab. 2-4, S. 82.
2.1 Kontext der Geisteswissenschaften
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operationen und ‚Forschungsintensität‘ sowie über die Hochschulherkunft der DFG-Gutachter, den Drittmittelumfang pro Professor und Hochschule und die präferierten Zielhochschulen der ausländischen Geisteswissenschaftler, die mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes (DAAD), der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) oder mit einem „Starting Grant“ des European Research Council (ERC) nach Deutschland kommen.102 Laut des Rankings ist die Anzahl der forschenden Hochschulen (und außeruniversitären Institutionen) in den Geisteswissenschaften im Vergleich zu anderen Fächergruppen besonders groß.103 Etwa ein Fünftel der Studierenden und ein Viertel der Promovierenden in Deutschland ist in einem Fach der Sprach- und Kulturwissenschaften eingeschrieben.104 Außerdem stellen die Geisteswissenschaften zwischen 20 und 25 Prozent der Professoren an deutschen Universitäten.105 Neben der bereits erwähnten Funktion als ‚Legitimationswissenschaften‘ wurden und werden den Geisteswissenschaften in Wissenschaft und Gesellschaft verschiedene weitere Rollen zugeschrieben. Einflussreich in den 1980er Jahren war beispielsweise Marquards Beschreibung der Geisteswissenschaften als ‚Kompensationswissenschaften‘, die den „Traditionen [helfen], damit die Menschen die Modernisierung aushalten können“ und als eine „Kompensation der Modernisierungsschäden“ der Welt dienen.106 Eine solche ‚kompensierende‘ Rolle birgt jedoch zum einen das Problem der „affirmativen Bestätigung“ des 102 Die ‚beliebtesten Hochschulen‘ für Geisteswissenschaftler aus dem Ausland sind demnach für Stipendiaten der AvH die Freie Universität und Humboldt-Universität in Berlin sowie die Ludwig-Maximilians-Universität München, für DAAD-Stipendiaten ebenfalls die beiden Berliner Universitäten sowie die Universität Leipzig. Vgl. ebd., Tab. A-25 und A-26, S. 204-6. 103 Vgl. ebd., S. 77. 104 Laut Statistischem Bundesamt sank in den fünf Wintersemestern (WS) 2004/2005 bis 2008/2009 der Anteil der Studierenden in den Sprach- und Kulturwissenschaften an den Studierenden in Deutschland insgesamt geringfügig von 21 Prozent auf 20 Prozent. Der Anteil weiblicher Studierender, die in den Sprach- und Kulturwissenschaften eingeschrieben waren, sank von 31 Prozent auf 29 Prozent aller an deutschen Hochschulen immatrikulierten Frauen (somit ist fast ein Drittel aller Studentinnen in einem Fach der Sprach- und Kulturwissenschaften eingeschrieben). Der Anteil der Studienanfänger ist im gleichen Zeitraum allerdings deutlicher eingebrochen: Schrieben sich im WS 2004/2005 noch 20 Prozent der Studienanfänger (und 30 Prozent der weiblichen Studienanfänger) in den Sprach- und Kulturwissenschaften ein, waren es im WS 2008/2009 nur noch 17 Prozent (und 26 Prozent der weiblichen Studienanfänger). Im gleichen Zeitraum waren von insgesamt 88.152 statistisch erfassten Doktoranden 20.930 (24 Prozent) in den Sprach- und Kulturwissenschaften eingeschrieben. Eigene Berechnungen nach Statistisches Bundesamt: Studierende an Hochschulen WS 2008/2009, Übersichten 6 und 7, S. 43f sowie Tabelle 8, S. 338-346. 105 Im Jahr 2008 hatten von insgesamt 21.717 Professoren an den deutschen Universitäten 5.093 (23 Prozent) Lehrstühle in den Sprach- und Kulturwissenschaften. Eigene Berechnung nach Statistisches Bundesamt: Personal an Hochschulen 2008, Tabelle 8, S. 102 und S. 107. 106 Marquard: Über die Unvermeidlichkeit der Geisteswissenschaften, S. 105.
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2 Germanistik in Deutschland
Mythos‘ von den ‚zwei Kulturen‘,107 zum anderen nimmt sie die Geisteswissenschaften „aus dem Modernisierungsprozeß heraus[,] führt zu ihrer Marginalisierung“ und unterfordert sie.108 Im Gegenteil dazu stellt die Theorie der Geisteswissenschaften als ‚Orientierungswissenschaften‘ für die komplexe moderne Welt möglicherweise eine Überforderung dar, denn Wissen bietet nicht automatisch eine Orientierung, auch nicht geisteswissenschaftliches Wissen.109 Eine ähnliche Theorie sieht die Geisteswissenschaften aufgrund ihres Bildungsauftrags und dem ‚post-aufklärerischen‘ humanistischen Erbe als ‚Aufklärungswissenschaften‘, oder ihre Aufgabe und Bedeutung wird als eine Vollziehung (anstatt Kompensierung) der modernen Welt charakterisiert; als eine wissenschaftliche Reflexion der modernen Kultur.110 Und schließlich werden Geisteswissenschaften in einem mit dem letzteren verwandten, weit gefassten aber tragfähigen Ansatz als Träger der Erzeugung, Bewahrung und Selbstreflexion des europäischen (und auch des außereuropäischen – beispielsweise in der Sinologie) Bewusstseins beschrieben,111 als Kulturwissenschaften also, die sich mit „Kultur als Inbegriff aller menschlichen Arbeit und Lebensformen“ befassen und die „kultu-
107 Mittelstraß: Die Geisteswissenschaften im System der Wissenschaft, S. 39. Zur Theorie der zwei Kulturen vgl. grundsätzlich Snow: The Two Cultures. Für eine kritische Besprechung Snows („Die geläufige Unterscheidung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, von der wir uns endlich verabschieden sollten“, S. 57) vgl. Schnädelbach: Wissenschaft in den „Zwei Kulturen“, die ein Teil eines Bandes mit weiteren Beiträgen zu der Theorie von Snow ist – vgl. Pasternack: Zwei Kulturen. Ebenfalls „[w]ider den Mythos von zwei Kulturen“ argumentiert Mittelstraß: Geist, Natur und die Liebe zum Dualismus. Die „Konstellation von Soziologie, Naturwissenschaft und Literatur mit ihren nationaltypischen Besonderheiten in Frankreich, England und Deutschland nachzuzeichnen“ stellt sich Wolf Lepenies zur Aufgabe in Lepenies: Die drei Kulturen (hier S. 11), unterlegt durch die Auffassung, „daß man die Soziologie als eine dritte Kultur [neben Snows zwei] bezeichnen kann, in der seit ihrem Entstehen szientifische und literarische Orientierungen einander gegenüberstehen“. Ebd. 108 Mittelstraß: Geisteswissenschaften im System der Wissenschaft, S. 16 und S. 35. 109 Vgl. ebd. (Mittelstraß), S. 35, sowie: „Orientierung setzt Wissen voraus, aber Wissen (in Wissenschaftsform) ersetzt nicht Orientierung“. Ebd., S. 37. Vgl. ferner: „Orientierungswissenschaften [sind Geisteswissenschaften auch] nicht, weil es derartige Wissenschaften gar nicht gibt, weil Orientierung eine allgemeine Aufgabe ist“. Ebd., S. 39. Dazu analysiert Brenner: „Die Hoffnung auf eine „Symbiose von Natur- und Geisteswissenschaft“, in der die Geisteswissenschaften als Orientierungswissenschaften fungieren könnten, oder gar das Vertrauen darauf, daß die Geisteswissenschaften die von der Zivilisation angerichteten Schäden wieder kompensieren würden, zeugen von der unerwarteten Renaissance einer Wissenschaftsform, die durch die Entwicklungen der modernen Gesellschaft und Wissenschaft schon an den Rand des politischen und öffentlichen Interesses gedrängt worden war“. Brenner: Das Verschwinden des Eigensinns, S. 26. 110 Vgl. Tugendhat: Die Geisteswissenschaften als Aufklärungswissenschaften. S. 455. 111 Frühwald: Verhältnis von Geistes- und Naturwissenschaften, S. 1.
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relle Form der Welt“ zum Gegenstand haben.112 Demnach sind Geisteswissenschaften „der ‚Ort‘, an dem sich moderne Gesellschaften ein Wissen von sich selbst in Wissenschaftsform verschaffen“.113 Dies gilt auch für die Germanistik, wobei sie innerhalb der Geisteswissenschaften zum einen eine Sonderstellung einnimmt und zum anderen als exemplarisch für die Fächergruppe dienen kann: Einzigartig ist im deutschsprachigen Raum ihre Funktion als Muttersprachenphilologie. Indem sie eine vertiefte Kenntnis der eigenen Sprache, Literatur und Kultur vermittelt und darüber hinaus die gegenseitige Erhellung des Eigenen und Fremden als Ausgangspunkt für vergleichende Forschungen, auch in historischer Perspektive, ermöglicht, hat sie sowohl im akademischen Bereich als auch im Schul- und Bildungssektor eine grundlegende Bedeutung. Gemessen an der Anzahl der bestandenen Prüfungen sowie der Studierenden, Promovierenden und Professoren ist die Germanistik mit Abstand die größte geisteswissenschaftliche Disziplin Deutschlands.114 Die 112 Mittelstraß: Geisteswissenschaften im System der Wissenschaft, S. 16. 113 Ebd., S. 39. In einer neueren Darstellung ist es für Mittelstraß zudem „der aufgeklärte Widerstand gegen jegliche Art von Mythisierung“, der „die Stunde der Geisteswissenschaften sein [könnte]“. Mittelstraß: Wissenschaftsmythen und der Geist der Geisteswissenschaften, S. 26. Im „Manifest Geisteswissenschaft“, das neben wissenschaftstheoretischen Reflexionen über Genese und Status der Geisteswissenschaften im deutschen Wissenschaftssystem sowie über deren Selbstverständnis und Selbstdarstellung konkrete Vorschläge zu ihrer Reorganisation macht, charakterisieren die Autoren die Geisteswissenschaften 2005 einleitend: „In ihnen begreift sich die moderne Welt in Wissenschaftsform“ und bestätigen die Aufgabe der Geisteswissenschaften, „die kulturelle Form der Welt, zu der auch die Wissenschaften gehören, in Analyse und Konstruktion begreifbar zu machen und sie auf diese Weise zugleich zu befördern“. Gethmann et al.: Manifest Geisteswissenschaft, S. 2f. 114 Im Prüfungsjahr 2008 wurden von insgesamt 57.878 bestandenen Prüfungen in der Fächergruppe Sprach- und Kulturwissenschaften 11.559 Prüfungen (20 Prozent) im ersten Studienfach Germanistik/Deutsch abgelegt. Die zweitmeisten Prüfungen (5.676, zehn Prozent) wurden im Fach Anglistik/Englisch bestanden. Eigene Berechnungen nach Statistisches Bundesamt: Prüfungen an Hochschulen 2008, S. 38, 39 und 42. Im Wintersemester 2008/2009 waren von insgesamt 396.557 Studierenden in der Fächergruppe Sprach- und Kulturwissenschaften 80.032 Studierende (20 Prozent) in Germanistik/Deutsch als erstem Studienfach eingeschrieben. Die nächstgrößten Einschreibungszahlen in der Fächergruppe Sprach- und Kulturwissenschaften waren 42.739 Studierende in Anglistik/Englisch (elf Prozent) und 28.482 Studierende in Geschichte (sieben Prozent). Als Promotionsstudierende eingeschrieben und damit statistisch erfassbar waren 3.734 Promovierende in Allgemeiner Literaturwissenschaft, Allgemeiner Sprachwissenschaft/Indogermanistik, Angewandter Sprachwissenschaft und Germanistik/Deutsch, 3.417 in Alter Geschichte, Geschichte, Mittlerer und Neuere Geschichte, Ur- und Frühgeschichte sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 1.495 in Philosophie und 1.063 in Anglistik/Englisch. Eigene Berechnungen nach Statistisches Bundesamt: Studierende an Hochschulen WS 2008/2009, Übersicht 8, S. 46 sowie S. 50, 338 und 340. Im Jahr 2008 betrug die Anzahl der Professoren in der Germanistik sowie den Literaturund Sprachwissenschaften 849 (Lehr- und Forschungsbereich Germanistik 620, Allgemeine
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Funktion und der offensichtliche ‚Nutzen‘ als Muttersprachenphilologie in der Forschung wie in der Lehrerausbildung sowie ihre Größe grenzen die Germanistik deutlich gegenüber den so genannten Kleinen Fächern ab.115 Gleichzeitig kann sie gerade aufgrund der Fachgröße, der Sichtbarkeit der Fachvertreter in Selbstdarstellungen der Geisteswissenschaften wie im hochschulpolitischen Diskurs sowie aufgrund der weiter oben beschriebenen typischen geisteswissenschaftlichen Arbeitsweise116 als exemplarisch gelten. Deshalb können die wichtigsten Leitlinien für die Doktorandenausbildung in der Germanistik wahrscheinlich auch auf andere Geisteswissenschaften übertragen werden. Ausgehend von dieser allgemeinen Verortung im Kontext der Geisteswissenschaften stellt sich im nächsten Abschnitt die Frage, wie die Disziplin Germanistik spezifisch definiert wird: Wie hat sie sich als Universitätsdisziplin entwickelt und welche für die Doktorandenausbildung relevanten Veränderungen des Fachprofils fanden und finden statt? 2.2 Germanistik als Universitäts- und Studienfach Die allgemeine Definition der Germanistik als „Wissenschaft von der deutschen Sprache und Literatur“117 ist historisch gewachsen und nicht unproblematisch, da sich in der etwa 200-jährigen Geschichte des Fachs, wie im Folgenden gezeigt wird, sowohl sein Gegenstandsbereich als auch seine Methodik weitgehend verändert und differenziert haben. So steht der Begriff ‚Germanistik‘ heute für eine ganze Familie von Wissenschaften, „die sich nach dem Kriterium ‚Nationalsprache‘ (in diesem Falle: ‚deutsch‘) spezialisieren und eine institutionelle Einheit
und vergleichende Literatur- und Sprachwissenschaft 229), in Geschichte 652 und in Anglistik, Amerikanistik 395. Vgl. Statistisches Bundesamt: Personal an Hochschulen 2008, Tabelle 8, S. 118. Zur schwierigen Definition der Fachgrenzen der Germanistik vgl. Kapitel 2.2. 115 Zur Situation der Kleinen Fächer vgl. grundsätzlich Hochschulrektorenkonferenz: Die Kleinen Fächer an den deutschen Universitäten und Hochschulrektorenkonferenz: Die Zukunft der Kleinen Fächer. 116 Dass die Namensgebung, wie im folgenden Abschnitt erörtert wird, vom Begriff „Germanist“ ausgehend hin zu „Germanistik“ verlief, also vom Subjekt zum Objekt, ist für die Disziplin und ihre Methodik bezeichnend. 117 Weimar: Germanistik, S. 706. Der Begriff „Germanistik“ wird dabei um 1860 von der Bezeichnung „Germanist“ abgeleitet, die zunächst im späten 18. Jahrhundert für den Erforscher des mittelalterlichen deutschen, also ‚germanischen‘, Rechts steht und sich etwa Mitte des 19. Jahrhunderts zu der engeren Bedeutung als Vertreter der deutschen Philologie weiter entwickelt. Vgl. ebd., S. 707 sowie insbesondere Meves: Zur Namensgebung ‚Germanist‘.
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bilden“,118 wobei sie über Sprache und Literatur hinaus intermedial arbeiten und sich mit sprachlichen wie außersprachlichen Zeichen beschäftigen. Nachdem eine Beschäftigung mit deutscher Sprache und Literatur „seit der Wiederentdeckung der Taciteischen Germania um 1500“ mit dem Humanismus Konturen gewonnen hat,119 können die Anfänge einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit literarischen Werken in deutscher Sprache bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgt werden.120 Als eine selbständige Wissenschaft neben der Altphilologie und als Universitätsdisziplin wird die altdeutsche oder auch ‚germanische‘ Philologie jedoch erst am Anfang des 19. Jahrhunderts hauptsächlich von den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm und von Karl Lachmann als eine Wissenschaft vom deutschen Volkstum im weitesten Sinne begründet.121 Wich118 Weimar: Germanistik, S. 706f. 119 Fohrmann: Von den deutschen Studien zur Literaturwissenschaft, S. 1. 120 Exemplarisch für die Anfänge können die ‚vorwissenschaftlichen‘ Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts und die normative Poetik „Buch von der deutschen Poeterey“ (1624) von Martin Opitz, im 18. Jahrhundert dann Gottscheds „Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen“ (1730) oder Lessings „Briefe, die Neuste Literatur betreffend“ (1761-1765) und „Hamburgische Dramaturgie“ (1767-1769) genannt werden, wenn auch die Beurteilung der ‚Wissenschaftlichkeit‘ und des ‚Neuerungswertes‘ dieser ersten Arbeiten sehr komplex ist und ambivalent ausfällt (vgl. dazu auch die folgende Fußnote). In den Jahrzehnten um 1800 differenziert sich dann „der alte Typ von Wissenschaft, die Gelehrsamkeit, zu einem System von wissenschaftlichen Einzeldisziplinen“ aus, davor sind „Philologie und Gelehrsamkeit […] nur unscharf voneinander getrennt“ und „Einzelfächer, die sich durchaus in den Klassifikationen des Wissens aufgeführt finden, [haben] bis weit ins 18. Jahrhundert hinein keine klaren Fachgrenzen“. Vgl. Wegmann: Was heißt einen ‚klassischen Text‘ lesen? S. 341f und S. 346. Für weiterführende Informationen, auch zur weiteren Geschichte des Faches, vgl. Weimar: Germanistik; Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts; Fohrmann/Voßkamp: Wissenschaftsgeschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert (mit einer ausführlichen Bibliographie zur „Wissenschaftsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft“ von Cornelia Fiedeldey-Martyn); Fohrmann/Voßkamp: Wissenschaft und Nation sowie Hermand: Geschichte der Germanistik, die „erste kursorische Überblicksdarstellung über die Geschichte der Germanistik, die bis an die Gegenwart heranreicht“. Boden/Rosenberg: Deutsche Literaturwissenschaft 1945-1965, S. VIII. Ein Überblick der wichtigsten Arbeiten zur Wissenschaftsgeschichte der Literaturwissenschaft bis 1997 findet sich im Vorwort zu Boden/Rosenberg: Deutsche Literaturwissenschaft 1945-1965. Auf die „Probleme […], die sich bei der wissenschaftshistorischen Arbeit stellen, wenn von ihr ein Beitrag zur begleitenden kritischen Reflexion der Entwicklung des jeweiligen Faches erwartet wird“ („[a]us Wissenschaftsgeschichte lernt man eben doch nur Wissenschaftsgeschichte“), richten ihren Blick Lutz Dannenberg und Jörg Schönert in „Belehrt und verführt durch Wissenschaftsgeschichte“ (hier S. 14 und S. 56, Hervorhebung im Original). 121 Für die Zeit des „gelehrten Sammelns“ (bis etwa 1800), einem „agonale[n] Projekt“, in dem es vor allem um die Rettung des Ruhmes der „als Barbaren belächelten Deutschen“ gegenüber den Italienern und Franzosen ging und zu dem Zwecke alle Belege für die deutsche Sprache und kulturelle Tradition möglichst vollständig gesammelt werden sollten, vgl. Fohrmann: Von den deutschen Studien zur Literaturwissenschaft, S. 1-3. Die Probleme der „Gelehrtenkultur“ mit Blick auf eine (zu) entstehende Wissenschaftlichkeit fasst Rainer Kolk zusammen als
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tige Beiträge waren dabei die „Deutsche Grammatik“ von Jacob Grimm122 und das „Deutsche Wörterbuch“ der Brüder Grimm sowie die Entwicklung einer prägenden Methodik der philologischen Textkritik und Editionen mittelalterlicher Texte durch Karl Lachmann: [E]rst mit Karl Lachmann wird die Textkritik so bedeutend und wichtig, daß sie für das Fach selbst stehen kann. […] Lachmann wird zur zentralen Figur, der allenfalls der ‚Gründungsvater‘ Jacob Grimm gleichkommt.123
Obwohl selbst Altphilologe, soll Lachmann auch für die moderne Philologie wegbereitend werden, denn über die mittelalterliche Literatur hinaus beschäftigt er sich als erster mit einem modernen Autor (Lessing) und stellt für moderne Texte die Notwendigkeit anderer philologischer Kriterien als bei der Untersuchung antiker und mittelalterlicher Literatur fest.124 Wichtige Themen des jungen Faches sind das Nibelungenlied und der Minnesang, wobei die neue Disziplin insgesamt die Erforschung deutscher Mythologie und Geschichte, deutscher Rechtsaltertümer, Volkskunde und Literatur, vor
„[d]ie persönliche Färbung der Arbeitsvorhaben, der wechselnde Zuspruch auf dem literarischen Markt, die Vereinzelung der beteiligten Autoren und ihre mangelnde institutionelle Verankerung“. Kolk: Zur Professionalisierung und Disziplinentwicklung in der Germanistik, S. 128. 122 „Mit der Deutschen Grammatik hatte die Germanistik zumindest im Prinzip das Niveau einer strengen Universitätsdisziplin erreicht, hinter das zurückzufallen fortan undenkbar erschien“. Wyss: Abgrenzungen, S. 63. Zu den um die Jahrhundertwende um 1800 notwendigen „strukturell gegebenen“ Abgrenzungen zählt Wyss neben der „Abgrenzung von den unwissenschaftlichen, sozusagen romantischen Anfängen“ und der „Abgrenzung der Fachgermanistik von den Dilettanten und den Popularisierern“ die „Abgrenzung von Kunst und Literatur der Gegenwart“. Vgl. ebd., S. 62f. 123 Wegmann: Was heißt einen ‚klassischen Text‘ lesen? S. 405. Für eine ausführliche Besprechung der Beiträge von Karl Lachmann in der Entwicklung der Germanistik vgl. ebd., Kapitel „V. Selbstreflexion als Klassiker-Philologe? Philologische Lektüre zwischen Moral und Epistemologie (Karl Lachmann), S. 399-419. Einer der späteren Kritikpunkte an den Publikationen Lachmanns und seiner Schüler war im ‚Nibelungenstreit‘ nach 1850 die „Exklusivität gewesen, die den gebildeten, aber eben nicht fachwissenschaftlich sozialisierten Leser ausschloß und die Forschungsergebnisse ganz bewußt nur dem methodisch versierten Kollegen präsentieren wollte“. Kolk: „Repräsentative Theorie“, S. 100. 124 Die Bedeutung der beiden bekanntesten Vertreter des neuen Fachs Jacob Grimm und Karl Lachmann fasst Rainer Kolk zusammen: “Im Falle Grimms liegt die Bedeutung in seiner Verbindung von innovativer wissenschaftlicher Arbeit mit Geltung in außerwissenschaftlichen Bereichen. Lachmanns Tätigkeit ist charakterisiert durch eine Ausrichtung der Forschung auf die Standards der wissenschaftlichen Leitdisziplin Klassische Philologie, besonders im zentralen Arbeitsbereich der Edition”. Kolk: Zur Professionalisierung und Disziplinentwicklung in der Germanistik, S. 140.
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allem derjenigen aus dem Mittelalter,125 umfasst. Untersucht wird alles, was der Stiftung einer deutschen bzw. germanischen Kulturidentität und eines Selbstbewusstseins vor dem Hintergrund eines nicht vorhandenen Nationalstaates dienen könnte, innerhalb eines Sprachraums, der sich unter dem napoleonischen Besatzungsregime „politisch zersplittert und militärisch gedemütigt sah“.126 Nikolaus Wegmann spricht in diesem Zusammenhang von einem „emphatische[n] Startmotiv“ des Faches nach den Freiheitskriegen von 1813-1815.127 Als charakteristisch für diesen Zeitgeist, in dem die altdeutsche Philologie entstanden ist, kann eine Passage aus der Vorrede zum „Deutschen Wörterbuch“ von Jacob und Wilhelm Grimm angeführt werden: Über eines solchen werkes antritt musz, wenn es gedeihen soll, in der höhe ein heilbringendes gestirn schweben. ich erkannte es im einklang zweier zeichen, die sonst einander abstehen, hier aber von demselben inneren grunde getrieben sich genähert hatten, in dem aufschwung einer deutschen philologie und in der empfänglichkeit des volks für seine muttersprache, wie sie beide bewegt wurden durch erstarkte liebe zum vaterland und untilgbare begierde nach seiner festeren einigung. was haben wir denn gemeinsames als unsere sprache und literatur?128
Die deutsche Sprache und Literatur als das einzig „Gemeinsame“ und das Bedürfnis des Festhaltens und Verfestigens dieser beiden einzigen Verbindungsgüter werden so zu einem Geburtsgrund der deutschen Philologie und bilden – neben der Fachbezeichnung selbst – bis heute die vielleicht einzige einigende ‚Klammer‘ um die Disziplinengruppe „Germanistik“. Denn eine Wissenschaft mit dem oben beschriebenen breiten Gegenstandsspektrum könnte heute auch „Deutschlandstudien“ oder „Deutsche Studien“ heißen.129 Ein solches Studienfach formiert sich gegenwärtig als „German studies“ unter anderen Vorzeichen insbesondere in der Auslandsgermanistik (erneut). Von diesem grenzt sich wie125 Das Interesse am Mittelalter in dieser Zeit kann auf die Funktion der deutschen Sprache und Literatur als eine Art Ersatznation zurückgeführt werden, bei der das Mittelalter als rückwärtsgewandte Utopie diente und in der Stauferzeit man die fehlende Einheit und gewünschte Größe gefunden zu haben glaubte. Vgl. Fohrmann: Von den deutschen Studien zur Literaturwissenschaft, S. 5. 126 Schnell: Orientierung Germanistik, S. 193. Vgl. hierzu Erhart: Neuere deutsche Literatur, S. 51. 127 Als weitere „fachgeschichtliche[n] Zäsuren“ nennt Wegmann die gescheiterte Revolution von 1848-1849, die „als Enttäuschung verrechnet [wird], aus der dann Rückzug auf bloße Textphilologie folgt“ sowie die Gründung des Reiches 1871 als Markierung der „Indienstnahme des Fachs für nationalistische Zwecke“. Wegmann: Was heißt einen ‚klassischen Text‘ lesen? S. 339. 128 Grimm: Deutsches Wörterbuch, S. III. 129 Vgl. Rathmann: Ältere deutsche Literatur, S. 19 sowie Kolk: Wissenschaftsgeschichte, S. 108f.
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derum die klassische germanistische Literaturwissenschaft stark ab, indem für Letztere profunde Deutschkenntnisse eine Voraussetzung sind und deutsche Realien wie Geschichte, Geographie oder das politische System nicht oder nicht primär behandelt werden. Der damalige ‚institutionelle Erfolg‘ der neuen Wissenschaft und ihre Etablierung als eigenständige Disziplin (neben der Altphilologie) an der Universität lässt sich mit zeitlichen Angaben über die ersten Lehrstühle, Zusammenkünfte und Seminare der Deutschen Philologie belegen: Nachdem Georg Friedrich Benecke bereits seit 1805 in Göttingen und Friedrich Heinrich von der Hagen seit 1810 in Berlin als die ersten Professoren der deutschen Philologie lehren,130 nimmt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Anzahl der neuen Lehrstühle an den Universitäten weiter zu.131 1846 findet in Frankfurt am Main die erste Germanistenversammlung statt.132 1858 entsteht an der Rostocker Universität das „Deutsch-philologische Seminarium“ als erste germanistische akademische Einrichtung.133 Neben der beschriebenen einigenden ‚Klammer‘ der deutschen Sprache und Literatur ist ein weiterer konstituierender Bestandteil der Germanistik ihr Auftrag in der Lehrerbildung. Am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhundert werden mit neuhumanistischen Idealen, dem ‚deutschen Bildungsbegriff‘ und 130 Vgl. dazu ausführlich Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft, Abschnitt “Erste Professuren für deutsche Philologie: Benecke, von der Hagen”, S. 25-29. 131 „Allein von 1835 bis 1850 sind das 28 Ordinariate bzw. Extraordinariate“. Wegmann: Was heißt einen ‚klassischen Text‘ lesen?, S. 399 sowie „Die Deutsche Philologie verbessert ihre Stellenausstattung an Universitäten von 24 Ordinariaten im Jahr 1890 auf 40 im Jahr 1920 und schließlich 48 im Jahr 1931, womit der Höchststand bis in die 50er Jahre erreicht ist. […] Um 1890 verfügt jede der Universitäten über mindestens ein Ordinariat und weitere Dozenten für deutsche Sprache und Literatur“. Kolk: „Repräsentative Theorie“, S. 84. Für detaillierte Tabellen zu Privatdozenten, außerordentlichen Professuren und der Einrichtung ordentlicher Professuren im 19. Jahrhundert vgl. Meves: Zum Institutionalisierungsprozeß der Deutschen Philologie, S. 197-203. 132 Bemerkenswerterweise war der eigentliche Initiator dieser ersten Germanistenversammlung ein Jurist, Ludwig Reyscher, und der Bericht über die Tagung erschien in der „Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft“. Vgl. Meves: Zur Namensgebung ‚Germanist‘, S. 29f. Dies hängt mit dem Ursprung der Bezeichnung ‚Germanist‘ als zunächst Erforscher des Germanischen Rechts, dann auch der Geschichte und Sprache und schließlich auch der deutschen Literatur zusammen, vgl. dazu ebd., sowie Fußnote 117 dieser Arbeit. Die in führenden deutschen Zeitungen erschienene Einladung war entsprechend gerichtet an „Männer, die sich der Pflege des deutschen Rechts, deutscher Geschichte und Sprache ergeben“ und war neben namhafter Juristen und Historikern von den Philologen Jacob und Wilhelm Grimm, Moriz Haupt, Karl Lachmann und Ludwig Uhland unterzeichnet. Vgl. ebd., S. 28. 133 Vgl. Wegmann: Was heißt einen ‚klassischen Text‘ lesen? S. 338. Dabei geben „Seminargründungen, neue Lehrstühle und wissenschafststrategische [sic] Schulenbildung […] dem Fach auch dann eine institutionelle Präsenz, wenn die kognitive Disziplinarität noch weitgehend fehlt oder ungeklärt ist“. Ebd., S. 401.
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mit den Beiträgen von Johann Gottfried Herder, Wilhelm von Humboldt sowie von Johann Wolfgang von Goethe die entscheidenden Weichen für die Rolle der Bildung im deutschsprachigen Raum gestellt. Sowohl die klassische als auch die deutsche Philologie im 19. Jahrhundert verstehen sich dabei als Bildungswissenschaften.134 Die zunehmende Verknüpfung von Wissenschafts- und Erziehungssystem äußert sich in der Verpflichtung der Universitäten zur Lehrerausbildung.135 Dabei richten sich die Interessen des preußischen Staates zunehmend auf die Organisation des öffentlichen Schulwesens, und die Bildungsideen werden zunehmend „selektiv“ und „instrumentell“ verwendet.136 Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ist es dann eine staatliche Verordnung „im Interesse der Lehrerausbildung“,137 die zu einer Veränderung des Fachzuschnitts der altdeutschen Philologie führt: Ab 1860 wird sie mit der jüngeren ‚deutschen Literaturgeschichte‘ institutionell vereinigt, einer Disziplin, die sich seit den 1840er Jahren an den Universitäten etablierte und sich hauptsächlich Untersuchungen der nachmittelalterlichen Literatur widmete:138
134 Vgl. Voßkamp: ‘Bildung’ als Synthese, S. 17 und S. 20. 135 „Die Spannung zwischen Philologie als bildender Wissenschaft und der praktischen Erziehung am Gymnasium konnte mittels ‚Bildung‘ entschärft werden, weil die wissenschaftliche Philologie als zugleich pädagogisch und die Pädagogik am Gymnasium als zugleich wissenschaftlich betrachtet wurden“. Vgl. Voßkamp: ‘Bildung’ als Synthese, S. 22. 136 Vgl. ebd. 137 Weimar: Germanistik, S. 708. Der gesteigerte Lehrerbedarf ergibt sich dabei mit dem Wachstum des Erziehungssystems und den damit einhergehenden Schulreformen, wobei der „entscheidende Einbruch in die gymnasiale Monopolstellung des altsprachlichen Unterrichts gelingt erst mit den Gymnasiallehrplänen und der Reform der Reifeprüfungsordnung von 1892“. Vgl. Kolk: Zur Professionalisierung und Disziplinentwicklung in der Germanistik, S. 131 und S. 133 sowie die folgende Fußnote. Zur Rolle der Prüfungskommissionen und zum Fach Deutsch als Prüfungsgegenstand vgl. Meves: „Wir armen Germanisten…“ sowie ausführlich zum Thema „Das Fach Deutsche Philologie und die Lehrerausbildung“ ders.: Zum Institutionalisierungsprozeß der Deutschen Philologie, S. 150-165. 138 Dabei bestand „[ü]ber die Aufgabe der modernen Philologie […] bereits Anfang der 1840er Jahre keine Einigkeit“. Meves: Zur Namensgebung ‚Germanist‘, S. 37. Einer der Gründe dafür war sicherlich, dass es sich um ein „neue[s] und ganz offene[s] Vorhaben[…], die Literatur als solche zu untersuchen und wissenschaftlich zu erforschen“ handelte. Weimar: Die Begründung der Literaturwissenschaft, S. 146. Vgl. hierzu auch Wyss: Der doppelte Ursprung der Literaturwissenschaft. Die institutionelle Vereinigung der deutschen Philologie und der Literaturgeschichte war dabei keinesfalls eine „reine Liebesehe“, sondern „gestiftet durch den Staat, der eine Ausbildungswissenschaft für Deutschlehrer haben wollte. Die staatliche Nachhilfe erklärt wohl die atypische Gegenläufigkeit zur ‚Ausdifferenzierung‘ in der Wissenschaftsentwicklung“. Weimar: Die Begründung der Literaturwissenschaft, S. 149. Hierzu ausführlicher Fußnote 169.
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2 Germanistik in Deutschland Es ging, kurz gesagt, darum, die [junge] Wissenschaft ‚deutsche Literaturgeschichte‘ mit philosophischem Anspruch zu einer historischen Wissenschaft damaligen Zuschnitts zu machen und sie dadurch der deutschen Philologie in die Arme zu treiben, die ihrerseits nur darauf wartete, Ausbildungswissenschaft für staatliche Berufe zu werden, und dazu einen Anknüpfungspunkt zum bestehenden Deutschunterricht brauchte: die Literaturgeschichte.139
Mit Bezug auf Friedrich Nietzsche und Nikolaus Wegmann könnte diese Vereinigung als der Beginn des ‚Alexandrinismus‘ in der Germanistik bezeichnet werden, einem Zustand, bei dem sich das Wissen – hier durch den sich immer weiter fortschreibenden Gegenstand der Literaturgeschichte – „ungeheuer ausgedehnt hat und sich immer weiter ausdehnt, ohne daß erkennbar wird, ob diese Expansion überhaupt noch zum Halten kommen wird“.140 Auf jeden Fall legen die institutionelle Vereinigung der altdeutschen Philologie mit der deutschen Literaturgeschichte und die Lehrerausbildungsaufgabe den Grundstein für die moderne Germanistik, (die auch erst seit dieser Zeit auch ‚Germanistik‘ heißt; genaue Daten über den Beginn der Selbstbezeichnung liegen bisher nicht vor),141 die bis heute für verschiedene Berufe, darunter demjenigen des Wissenschaftlers und – aufgrund des nach wie vor bestehenden gesellschaftlichen Ausbildungsauftrags – des Deutschlehrers für Gymnasien, vorbereitet.142 Ab Ende des 19. Jahrhunderts wird die Bezeichnung ‚Germanistik‘ für das Gesamtfach der beiden Teildisziplinen altdeutsche Philologie und deutsche Literaturgeschichte benutzt, sie steht jedoch bereits zu dieser Zeit „für die problematische Einheit des Faches, die mehr und mehr den Charakter eines Postulats statt eines Sachverhalts angenommen hat“.143 Die neuere Literaturgeschichte wird dabei zunehmend präsent durch die Einrichtung selbständiger Professuren der (neueren) deutschen Philologie an germanistischen Seminaren. Damit deckt die Germanistik als Gesamtdisziplin zwar das gesamte Gebiet der Wissenschaft von 139 Vgl. Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft, S. 322-348, hier S. 348. 140 Wegmann: Im Reich der Philologie, S. 267. Wegmann weist dabei auf die Kritik Nietzsches an seinem Fach (der Philologie) hin und auf die Gefahren, wenn diese hauptsächlich als Sammlung betrieben wird. Vgl. ebd., S. 266f. 141 Vgl. Weimar: Die Begründung der Literaturwissenschaft, S. 148 sowie grundsätzlich Meves: Zur Namensgebung ‚Germanist‘. 142 Die Ausbildung der Gymnasiallehrer findet dabei jedoch, wie im Folgenden noch angesprochen wird, nicht unbedingt an allen Universitäten statt, und wird – was die spezifische Vorbereitung für den Beruf als Deutschlehrer – meist nicht direkt von Germanistik-Professoren wahrgenommen, sondern im Rahmen zum Teil neu eingerichteter Sprechkunde- und Fachdidaktikabteilungen ‚bedient‘. 143 Weimar: Germanistik, S. 707.
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der deutschen Sprache und Literatur ab, das Fach bleibt allerdings durch die Trennung in ältere und neuere Philologie mit einem „synchronen Schnitt durch [seinen] Wissenschaftsgegenstand“144 faktisch geteilt. Was gemeinsam bleibt, ist das Gegenstandsmerkmal ‚deutsch‘, das in der Fachgeschichte bis heute seine integrative Funktion mehrheitlich beibehalten soll. Die Erforschung der deutschen Sprache und Literatur des Mittelalters fällt dabei in den Gegenstandsbereich der älteren Philologie, nachmittelalterliche Literatur wird von der neueren deutschen Philologie bearbeitet, die ‚dafür‘ ebenfalls die Funktion der Lehrerausbildung für diese Zeitspanne der Literatur wahrnehmen ‚darf‘. Gerade die fehlende Bereitschaft der altdeutschen Philologie, die für die Lehrerausbildung erforderlichen praktischen Studienbereiche wie Didaktik, Rhetorik oder Textinterpretation in ihren Aufgabenbereich aufzunehmen, wird als Hauptmotiv der ‚Teilung‘ des Faches genannt: Die Abneigung der Philologen von altem Schrot und Korn gegen jede Art Interpretation, die einer rekonstruktiven Tendenz verdächtig war, muß sehr tief gesessen haben. Denn sie haben lieber die gerade erst gewonnene Einheit des Faches gefährdet, als daß sie - nach der Einverleibung der ‚deutschen Literaturgeschichte‘ - auch noch die Interpretation zu integrieren versucht hätten.145
Diese symptomatische Abneigung gegenüber den ‚praktischen‘ Anteilen des Curriculums resultiert möglicherweise schon damals aus einer Befürchtung der Umfunktionierung des Faches zu einer zweckorientierten Lehrerausbildungs(fachhoch)schule, die sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts erneut bei der Studienreformdebatte um die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge zeigt: In [den neuen Bachelorstudiengängen] setzt sich – verstärkt durch die Konsequenz der vielbeklagten, oft sprachlich verhüllten („Solidarpakt“, „Qualitätspakt“) Sparmaßnahmen – die Transformation der Universität (und ihrer Lehrkörper!) in (fachhoch-)schulähnliche Unterrichtsstätten fort, in denen die berufsbezogene Ausbildung von 40% bis 50% eines Jahrgangs bewerkstelligt werden muß, so daß weder Zeit noch Geld für traditionelle Forschungsfragen und das geduldige Suchen nach vorläufigen Antworten bleibt.146
Verstärkt wird diese Sorge durch die zunehmend offensichtliche Aufteilung der Hochschulen in Deutschland auf primäre Lehr- und primäre Forschungsstätten, die sich neben der Profilierung und Positionierung aufgrund der Ergebnisse der 144 Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft, S. 433. 145 Ebd., S. 432. 146 Gethmann et al.: Manifest Geisteswissenschaft, S. 21f.
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Exzellenzinitiative147 und der Rankings beispielsweise in der ‚Befreiung‘ mancher Hochschulen von der Lehrerausbildungspflicht bzw. der Zwangsübernahme dieser Aufgabe durch andere Hochschulen schwerpunktmäßig für ein Bundesland äußert.148 Diese Tendenz wird in ihrem Für und Wider sehr kritisch begleitet, und es wird zu klären sein, inwieweit die zukünftigen Differenzen zwischen den Universitäten Implikationen auf die Doktorandenausbildung und die Forschung haben könnten. Am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert wird jedenfalls die ‚Aufgabenverteilung‘ hinsichtlich der Theorie und Praxis (wie der Lehrerausbildung) im Kern angelegt, wobei sich die neudeutsche Philologie149 zunächst grundsätzlich gegen die Skepsis der altdeutschen Philologen durchsetzen muss 147 Gemeint ist hierbei die „Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder“, die sich in der ersten und zweiten Runde (2006 bis 2012) hauptsächlich auf die Forschung konzentrierte. Auch wenn exzellente Forschung als Voraussetzung exzellenter Lehre betrachtet werden muss, wurde die fehlende Lehrkomponente kontrovers diskutiert und das Thema Lehre soll in der zweiten Programmphase der Exzellenzinitiative für die Jahre bis 2017 nun auch eine Rolle spielen: In der „Anlage zur Bund-Länder-Vereinbarung über die Fortsetzung der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen“ wird das Wort „Lehre“ allerdings genau einmal erwähnt, und zwar dort, wo die Förderkriterien für die Zukunftskonzepte (also ganze Exzellenzuniversitäten) u. a. ergänzt werden durch folgenden Punkt: „innovative Konzepte zur forschungsorientierten Lehre werden in die Bewertung einbezogen“. Es heißt jedoch sogleich in der Protokollnotiz: „Bund und Länder sind sich einig, dass innovative Konzepte zur forschungsorientierten Lehre als Kriterium in die Bewertung einbezogen, aber nicht aus Mitteln der Exzellenzinitiative gesondert gefördert werden können“. Verwaltungsvereinbarung [über die Fortsetzung der Exzellenzinitiative], S. 7. URL (24.5.2010): http://www.bmbf.de/pub/exzellenzvereinbarung_zwei.pdf. Die so genannte Exzellenzinitiative für die Lehre von 2009, ist finanziell deutlich knapper ausgestaltet (insgesamt zehn Millionen Euro, die jeweils zur Hälfte vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und den Ländern getragen werden; für die Fortsetzung Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder wurden die Fördermittel um 30 Prozent auf rund 2,7 Milliarden Euro erhöht) und wird vermutlich entsprechend weniger gravierende Folgen für die deutsche Hochschullandschaft haben. Eine Auflistung der prämierten Hochschulen sowie weitere Informationen zu dem Förderprogramm befinden sich unter der URL (24.5.2010): http://www.stifterverband.org/wissenschaft_und_hochschule/lehre/exzellenz_in_der_lehre/in dex.html. Für die Rahmenvorgaben der Exzellenzinitiative für die Förderung der Graduiertenschulen vgl. Kapitel 1.3 dieser Arbeit. 148 So wird beispielsweise die Lehrerausbildung in Nordrheinwestfalen nicht mehr an den Universitäten Bonn und Düsseldorf angeboten. Vgl. URL (24.5.2010): http://www.schulministerium. nrw.de/ZBL/Wege/Lehramtsstudium/index.html#A_12. 149 Neudeutsche Philologie wird dabei auch „Neugermanistik“ oder „Neuere Literaturgeschichte“ genannt; seit den 1890er Jahren wird auch die von den Junghegelianern geprägte Bezeichnung ‚Literatur-Wissenschaft‘ verwendet. Vgl. Kolk: „Repräsentative Theorie“, S. 82 und Fohrmann: Von den deutschen Studien zur Literaturwissenschaft, S. 10. Für die ‚Verwandlung‘ der Bezeichnung „Literaturgeschichte“ in „Literaturwissenschaft“ und die Diskussion der damit zusammenhängenden „dringend gebotenen Verwissenschaftlichung des Faches ‚Literaturgeschichte‘“ vgl. Weimar: Die Begründung der Literaturwissenschaft, S. 138f.
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und erst um 1920 ihre volle institutionelle Gleichberechtigung erringt,150 u. a. befördert durch die Gründung des „Deutschen Germanisten-Verbandes“ im Jahr 1912.151 Klaus Weimar zeigt den anfänglichen ‚Legitimationszwang‘, der zum einen durch die Andersartigkeit des Gegenstands (neuere Literatur), zum anderen aber auch durch die erst noch zu entwickelnde (geisteswissenschaftliche) Methodik hervorgerufen wird, an einer Passage aus Richard Heinzels „Rede auf Wilhelm Scherer“ (1886): Viele sonst gelehrte und einsichtige Männer konnten es schwer begreifen, wie ein Philologe der Lachmannschen Schule dazu kam, z.B. die Persönlichkeit jener Damen festzustellen, welchen der junge Wieland seine Verehrung und Neigung widmete, oder darüber nachzudenken, wen Goethe mit seinem Satyros gemeint habe. Ich habe es selbst von Gelehrten [...] gehört, deutsche Philologie habe sich mit der Herstellung und Erklärung der alten Texte zu befassen, die neuere Literatur sei ohnehin bekannt genug, über sie könne jeder Gebildete auch ohne besondere Studien sprechen und schreiben.152
Die Ansicht, dass „jeder Gebildete“ und „ohne besondere Studien“ über die neuere Literatur schreiben und sprechen könnte, muss angesichts der heutigen Schul- und Hochschulrealität als überkommen erklärt werden. Die neuere Literatur(wissenschaft) hat sich längst mit ihrem sich stets erweiternden Gegenstand erfolgreich in die Germanistik integriert und avancierte sogar zu ihrem Zentrum. Weiterhin kann festgehalten werden, dass es bereits in der Phase der Konstituierung und Institutionalisierung der Germanistik die beiden Faktoren Lehrerausbildung und Erforschung neuerer (später sogar bis gegenwärtiger) Texte sind, die das Fach gleichzeitig spalten und vereinen. Einerseits werden die – heute wieder aktuellen – Fragen diskutiert, welches Ausmaß an Praxisbezug die Wissenschaft verträgt, sei es zur Öffentlichkeit oder zur Schule hin; ob sich Wissen150 Vgl. Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft, S. 440. Darüber hinaus „hat die deutsche Literaturgeschichte [bereits um 1900] massive Probleme, ihren Objektbereich und ihre Methoden zu definieren“. Herrmann: Germanistik und oder als Kulturwissenschaft(en)?, S. 62. 151 Vgl. Kolk: „Repräsentative Theorie“, S. 89. 152 Ebd., S. 442f. Wilhelm Scherer, mit dem die beiden Errungenschaften „Etablierung der Neugermanistik und die Dissemination der Diskursformen“ verbunden waren, da er „der erste Vertreter der deutschen Philologie [war], welcher einen Lehrstuhl für die Geschichte der neueren Literatur innehatte“ und eine „ungewöhnliche publizistische Aktivität in Zeitungen und Zeitschriften“ entfaltete, starb am 6. August 1886 im Alter von 45 Jahren. Vgl. Wyss: Abgrenzungen, S. 69f. Ebenfalls ist Scherers „Poetik“ (1888 erschienen) von besonderer Bedeutung, sie fasse „als erste Arbeit – von den Zeitgenossen noch systematisch unterschätzt – die Fragen zusammen, die eine Beschäftigung mit Literatur zu leiten haben“. Fohrmann: Von den deutschen Studien zur Literaturwissenschaft, S. 9.
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schaft als Bildungsauftrag der Gesellschaft oder als strenge, exklusive Askese verstehen soll;153 und ob neuere Literatur die gleiche philologische Aufmerksamkeit wie die Bearbeitung der ‚alten‘ Texte verdient. Andererseits spielen in der Gründungsphase – und spielen bis heute – gerade die Sprachlichkeit der Literatur als historisch gewachsene und systematische Gemeinsamkeit des Gegenstands der germanistischen Teilfächer sowie das Schulfach ‚Deutsch‘, das mit Lehrern ‚versorgt‘ werden muss(te), eine zentrale Rolle bei der institutionellen Einheit des Faches.154 Nicht so die inhaltliche Abdeckung der Gesamtdisziplin durch einen Wissenschaftler: Obwohl es durchaus Bemühungen um eine faktisch-disziplinäre Einheitlichkeit gegeben hat, so zum Beispiel die „lange Zeit bestehende informelle Verpflichtung, die Habilitation in einer anderen Abteilung zu absolvieren als die Promotion“155, kann spätestens im 20. Jahrhundert kaum ein Germanist mehr in beiden Teilbereichen gleichzeitig in der Forschung Schritt halten. So ist es mit Blick auf die Geschichte symptomatisch, dass heute nicht nur die Bezeichnungen der germanistischen Studiengänge von „Germanistik“ und „Deutsch“ über „Deutsche Philologie“ und „Deutsche Sprache und Literatur“ bis hin zu „Neuere Deutsche Literaturwissenschaft“ variieren,156 sondern dass auch in der Promotionsphase keine einzige der neu gegründeten Graduiertenschulen „Germanistik“ heißt oder „Germanistik“ als ihren Gegenstand deklariert. Stattdessen handelt es sich auch bei den strukturierten Promotionsprogrammen stets um Ausschnitte aus dem mittlerweile recht umfangreichen und heterogenen Fachgegenstand, die je nach Zuschnitt größer oder kleiner, zentraler oder peripherer Natur sind und stets nur einem der Teilbereiche zuzuordnen sind.157 Am Ende des 19. und im Laufe des 20. Jahrhunderts finden weitere Veränderungen des Fachprofils statt. Während innerhalb der neueren deutschen Litera153 Vgl. Fohrmann: Von den deutschen Studien zur Literaturwissenschaft, S. 8. 154 Vgl. Kugler: Germanistik 2001, S. 13. 155 Weimar: Germanistik, S. 708. Als weitere ‚Garanten‘ der postulierten Facheinheit könnten heute der Germanistenverband (seit 1912) oder die Zeitschrift „Germanistik“ (seit 1960) genannt werden. 156 Dabei deuten die Studienfachbezeichnungen auf die jeweils von den Fachvertretern vor Ort verfolgte germanistische Konzeption hin, was nicht von anderen Fachvertretern unkommentiert bleibt, vgl. z. B.: „Andererseits […] hält die Germanistik noch in der Gegenwart an überkommenen Wissenstraditionen fest – unübersehbar schon dort, wo sie sich selbst als deutsche Philologie bezeichnet“. Wegmann: Was heißt einen ‚klassischen Text‘ lesen? S. 334 (Hervorhebung im Original). 157 Mit der Frage des Zentrums und der Peripherie im „Reich“ der Philologie beschäftigt sich Wegmann: Im Reich der Philologie. Der Aufsatz schließt mit dem Satz: „Vielleicht ist ja auch schon das Zentrum leer – und dann gäbe es auch keine Peripherie mehr. Oder nur noch Peripherie“. Ebd., S. 270. Für die generelle „Zentrum/Peripherie-Differenzierung“ vgl. Luhmann: Soziale Systeme, Abschnitt „System und Umwelt“, S. 242-286, hier S. 261.
2.2 Germanistik als Universitäts- und Studienfach
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turwissenschaft die inhaltliche und methodische Ausdifferenzierung weiter voranschreitet,158 spalten sich von der Germanistik als Ganzes zum einen Teildisziplinen ab, wie die Nordistik oder die Niederlandistik. Zum anderen entstehen neue, verwandte Wissenschaften wie Volkskunde oder Theaterwissenschaft. Eine spezifische Entwicklung durchläuft die Germanistik während der Herrschaft des Nationalsozialismus, für den sie sich teilweise als deutschnationale, rassenkundliche Disziplin ideologiefördernd umfunktionieren lässt. Nur wenige ihrer Vertreter – im Exil oder in innerer Emigration – distanzieren sich vom politischen Diktat. Die notwendige Auseinandersetzung der Germanistik mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, der „jahrelangen Reformabstinenz der deutschen Ordinarienuniversität“159 und dem ‚Muff von tausend Jahren‘ wurde u. a. auf den Germanistentagen 1966 und 1968 thematisiert.160 Eine nähere Betrachtung dieser Ereignisse, ebenso wie diejenige der unterschiedlichen Entwicklung der Germanistik in West- und Ostdeutschland, würde jedoch eine eigene Darstellung verdienen und den Rahmen dieser Arbeit übersteigen; auch sind sie für die hier untersuchte Doktorandenausbildung nicht primär relevant.161 Anders verhält es sich mit den Entwicklungen nach 1968. Im Zuge von Reformen, die zum Teil als Konsequenz der kritischen Widerstandsstimmung, vor allem aber als Reaktion auf die hohen Studierendenzahlen durchgeführt werden, organisiert sich das Universitätsfach erneut um. Ein Teil der altdeutschen Philologen, der sich mit der deutschen Sprache befasste, wendet sich ab vom Gegen158 „Jedes literaturwissenschaftliche Konzept, sei es Stammes-, Geistes- oder Sozialgeschichte, sei es die Betonung von Werk, Autor oder später auch Leser, unterstrich seine Geltung in Differenz zu anderen Konzepten“. Fohrmann: Von den deutschen Studien zur Literaturwissenschaft, S. 10. 159 Schnell: Orientierung Germanistik, S. 183. 160 Dabei wurden insbesondere auf dem Münchener Germanistentag 1966 „Initiativen zur Aufarbeitung der Rolle des Fachs in der Zeit des Nationalsozialismus (Karl Otto Conrady, Eberhard Lämmert, Walter Müller-Seidel, Peter Wapnewski u.a.)“ ergriffen. Boden/Rosenberg: Deutsche Literaturwissenschaft 1945-1965, S. VII. 161 Wobei eine Suche nach ‚Spuren‘ dieser Ereignisse in der damaligen Doktorandenausbildung (wie die Zusammensetzungen des Lehrkörpers nach dem Krieg, Umgang mit Universitätsmitgliedern, die vom Nationalsozialismus ins Exil getrieben wurden oder aber ihm seine Karriere verdankten, Lehrbücher und Forschungsthemen etc.) und dadurch Forschung und Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, der möglicherweise in den späteren Jahren durch ihre Lehre Einfluss auf die Fachinhalte nahm, Raum für Untersuchungen böte. Denn „am meisten litten die Studenten, eine für die Wissenschaft verlorene Generation“. Barner/König: Einführung [zu: Zeitenwechsel. Germanistische Literaturwissenschaft vor und nach 1945], S. 12. Über die Beziehungen germanistischer Literaturwissenschaft zu Politik und Öffentlichkeit, insbesondere in Zeiten verschiedener Diktaturen, informiert Boden/Dainat: Atta Troll tanzt noch. Einen Überblick über die Wissenschaftshistoriographie in der Bundesrepublik bzw. der DDR gibt der Band „Wissenschaft und Nation“ von Jürgen Fohrmann und Wilhelm Voßkamp (Hrsg.).
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stand Sprachgeschichte, bei dem bis dahin vom Positivismus geprägt und diachron die Entwicklung der deutschen Sprache und ihrer Vorstufen erforscht wurde. Stattdessen bearbeiten sie nun mit einer synchronen Methode ein neues Forschungsfeld: die Gegenwartssprache in ihren diversen Erscheinungsformen. Die ältere Abteilung trennt sich so im Rahmen dieser Entwicklungen in den 1970er Jahren in zwei Teildisziplinen auf und bringt eine neue Teildisziplin, die ‚germanistische Linguistik‘, hervor. Je nach Ausrichtung und Angebot der jeweiligen Universität besteht die Germanistik somit heute meist aus den drei Teilfächern ältere deutsche Sprache und Literatur (auch ‚Mediävistik‘ - Erforschung deutscher Sprache, Literatur und Kultur des Mittelalters bis zur frühen Neuzeit), germanistische Linguistik (mit dem Gegenstand deutsche Sprache, Sprachgeschichte und -theorie) und neuere deutsche Literaturwissenschaft (auch ‚Neugermanistik‘ - Untersuchung der deutschen Literatur vom 16./17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Beschreibung des „Supertextes ‚Literaturgeschichte‘“162 und Literaturtheorie).163 Nicht alle Universitäten bieten dabei alle drei Teilfächer an und wenn, ist das Studium aller drei Teilfächer im Bachelor nicht immer obligatorisch, was entsprechende Auswirkungen auf die Ausbildungsbreite und auf die Wahl der Spezialisierung im Masterstudium und in der Promotion hat.164 Obwohl manche Fachvertreter die charakteristische interne Gliederung der Germanistik als „inhaltlich [...] nachteilig“ empfinden,165 etwa im Hinblick auf die Erforschung der ‚Übergangs-Epochen‘ und auf die – tatsächliche oder gewünschte – gegenseitige Bereicherung,166 spiegelt die Aufteilung das beschriebene historisch gewachsene Profil der Germanistik wider und ermöglicht die nötige Spezialisierung sowohl für Zwecke der Doktorandenausbildung als auch der Berufung zum Professor.
162 Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft, S. 465. 163 Gegenstandsbereiche in Klammern teilweise nach: Fachspezifische Bestimmungen, S. 16f. 164 Als Modell für eine ‚gesamt-germanistische‘ Ausrichtung des Bachelorstudiums mit Pflichtanteilen in allen die Teilfächern kann das Germanistik-Studium an der Universität zu Köln genannt werden. Auf ein mögliches „Kerncurriculum BA-Germanistik“ sowie grundsätzlich den Bologna-Prozess als eine der aktuellen Herausforderungen für das Fach wird näher im Kapitel 2.3 eingegangen. 165 Benthien/Velten: Germanistik als Kulturwissenschaft, S. 10. Wilfried Barner und Christoph König sprechen vom „Auseinanderdriften der Teilfächer, insbesondere [der] tendenzielle[n] Verselbständigung der Linguistik seit den sechziger Jahren“. Barner/König: Einführung [zu: Zeitenwechsel. Germanistische Literaturwissenschaft vor und nach 1945], S. 15. 166 So wird z. B. die Neugermanistik als „Stichwortgeberin und Theorielieferantin [bezeichnet], [die jedoch auch] zahlreiche Impulse aus Theoriedebatten in der Mediävistik, zum Beispiel hinsichtlich des Textbegriffs und der Konzeption von Autorschaft, erhält“. Ebd., S. 11.
2.2 Germanistik als Universitäts- und Studienfach
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So wird zum einen, wie bereits erwähnt, nicht in ‚der Germanistik‘ promoviert, sondern stets in einem der drei Teilfächer neuere deutsche Literaturwissenschaft, Mediävistik oder germanistische Sprachwissenschaft, wobei die Germanistik sich seit längerem auch anderen Bereichen geöffnet hat. Darüber hinaus sind die Grenzen zu Nachbardisziplinen durch verschiedene kulturwissenschaftliche Methoden und Theorien, die interdisziplinär zugeschnitten und stets im Wandel begriffen sind, fließend. Zum anderen und damit zusammenhängend korrespondiert die Aufteilung mit dem Berufungssystem: Die Stellenausschreibungen und Berufungen erfolgen traditionell ebenfalls in einem der drei Teilgebiete. Allein deshalb ist die Gliederung des Faches mit Blick auf die Doktorandenausbildung, die auch der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses des Faches dienen sollte, sinnvoll. Dies heißt jedoch nicht, dass Grenzüberschreitungen und der Austausch zwischen den Teildisziplinen nicht innovative Impulse für die Doktorandenausbildung geben können – im Gegenteil: Die Aufteilung bietet Raum für Überlegungen zu ‚intradisziplinären‘ Graduiertenschulen, in denen anstelle interdisziplinärer Zusammenarbeit etwa der Literaturwissenschaftler und der Philosophen eine Kooperation innerhalb der Germanistik, nämlich zwischen ihren Teilfächern, forciert werden könnte.167 Die Entwicklung der Germanistik als Universitätsdisziplin hört mit der Gliederung auf die drei größten Teilbereiche nicht auf: Wie bereits angedeutet, tendiert das Fach darüber hinaus zur Bildung neuer Einheiten, die teilweise als der Germanistik inhärent, teilweise als Schnittstellen mit verschiedenen Nachbardisziplinen aufgefasst werden, die jedoch im Sinne einer Erweiterung und Differenzierung bedeutsamen Einfluss auf Methodik und Gegenstand der Germanistik ausüben.168 Zu diesen neuen Einheiten gehören u. a. Fachdidaktik, Deutsch als Fremdsprache respektive interkulturelle Germanistik, Psycho- und Soziolinguistik, Pragmatik, Computerlinguistik, Gender-Studies sowie Filmbzw. Medienwissenschaften. Die ältere und die neuere deutsche Literaturwissenschaft erweitern unter dem Einfluss der Linguistik ihren Literaturbegriff zum Textbegriff, sodass seit Anfang der siebziger Jahre unter dem Terminus ‚literarische Kommunikation‘ verschiedenste Formen schriftlicher und mündlicher Äußerungen aufgefasst werden. In der Neugermanistik beispielsweise kommen 167 Die konkreten Promotionsformen in der Germanistik werden im Kapitel 3 untersucht. 168 „Von einer auf den Begriffen des Textes und des Kontextes beruhenden Gegenstandsbestimmung kann kaum mehr die Rede sein.“ Pott: Leitbegriffe für die Wissenschaftsförderung, S. 569. Das Verhältnis von Disziplinarität und Interdisziplinarität sowie die Text-KontextRelation thematisiert am Beispiel des Konstanzer Konzils Thomas Rathmann in „Noch einmal“.
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dadurch weitere Bereiche zum bisherigen Forschungsfeld hinzu, etwa medientheoretische und mediengeschichtliche Aspekte, so hinsichtlich literarischer Kommunikation, Massenmedien, oder auch Presse und Werbung sowie digitale Textsorten wie die SMS-, Chat-, und Facebook-Kommunikation. Was nun die bisher letzte disziplinäre Transformation oder auch den jüngsten ‚Paradigmenwechsel‘169 in der Germanistik darstellt, ist – auch aufgrund der Uneinheitlichkeit in der Kategorisierung – nicht eindeutig festzulegen. Oftmals wird der so genannte cultural turn – die kulturwissenschaftliche Wende – angeführt, der an manchen Universitäten die Konturen und Inhalte des Faches abermals neu definiert hat.170 Dies wird von den Fachvertretern selbst ambivalent bewertet: Während manche die Relativierung der germanistischen Nationalphilologie in Richtung der komparatistisch und interdisziplinär angelegten Medienund Kulturwissenschaft begrüßen,171 prophezeien andere die „Auflösung“ der disziplinären Identität der Germanistik in der Kulturwissenschaft und ein schwieriges „Zuhause-Sein in einem Fach [...], wenn das Haus nur noch aus Türen und
169 Für die Theorie der Paradigmenwechsel in Wissenschaften vgl. grundsätzlich Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Mit Bezug auf die Literaturwissenschaft stellen Lutz Dannenberg und Jörg Schönert fest, dass die „notorische Vagheit und Unschärfe zentraler Begriffe der ‚neuen‘ Wissenschaftstheorie […] sie für eine breite Verwendung gerade für Disziplinen prädestiniert, mit denen sie zunächst wenig zu tun haben, in denen jedoch unstillbare Theorie-Sehnsucht durch Slogans befriedigt zu werden pflegt – wie etwa in der Literaturwissenschaft. Nimmt man allein solche Ausdrücke wie „wissenschaftliche Revolution“, „Paradigma“ oder „Inkommensurabilität“, so hat sich hierzu ein eigener Forschungszweig entwickelt, dem es um ihre systematische, oft genug um ihre exegetische Klärung (Was hat Kuhn gemeint?) geht“. Dannenberg/Schönert: Belehrt und verführt durch Wissenschaftsgeschichte, S. 40f. Spezifisch für die Germanistik stellt Britta Hermann fest: „Von Paradigmenwechseln (im Kuhn’schen Sinn) kann daher nicht die Rede sein“. Herrmann: Germanistik, S. 83. Vgl. dazu auch die Erklärung der „atypische[n] Gegenläufigkeit zur ‚Ausdifferenzierung‘ in der Wissenschaftsentwicklung [der Literaturwissenschaft]“ bei Weimar: Die Begründung der Literaturwissenschaft, S. 148f. Der Aufsatz endet mit der Beobachtung, dass „[d]ie Literaturwissenschaft nicht einmal eine Mehrparadigmen-Wissenschaft [ist], sie ist eine paradigmenlose“. Ebd., S, 149. 170 Vgl. Kugler: Germanistik 2001, S. 14-16. 171 Dies kann an der Umwandlung der germanistischen Studiengänge in allgemeinere Literaturund/oder Kulturwissenschaften an manchen Hochschulstandorten beobachtet werden. Gerhart von Graevenitz schlägt in diesem Zusammenhang der Literaturwissenschaft vor, „sich auf drei Herausforderungen einzulassen: [...] sich den materiellen und strukturellen Veränderungen unserer Kultur [zu] stellen, [...] die doppelte Moral von pluralistischer Praxis und monistischer Selbstdefinition durch Konzeptualisierungen des pluralistischen Denkens ab[zu]lösen [und] im kulturwissenschaftlichen Kontext, neue und spannende, in ausgezeichneter Weise die Literatur betreffende Fragestellungen [zu] entdecken“. Graevenitz: Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft, S. 115.
2.2 Germanistik als Universitäts- und Studienfach
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Fenstern besteht“,172 von der „schon wegen der Lehramtsstudiengänge vorgeschrieben[en]“ „national- oder auch sprachenspezifische[n] Einteilung“ der Literaturwissenschaften an den Universitäten einmal abgesehen.173 Gleichzeitig kann als Gegentrend in Ansätzen eine ‚Rephilologisierung‘, ein „philological (re)turn“174, festgestellt werden175 sowie Meinungen, nach denen „die vermeintlich opponierenden Alternativen historisch zusammengehören“.176 Weitere mögliche ‚Kandidaten‘ für erfolgte disziplinäre Transformationen der Germanistik bzw. der Kulturwissenschaften zählt Thomas Anz in „Emotional Turn? Beobachtungen zur Gefühlsforschung“ mit Verweis auf Doris BachmannMedick auf und sichtet dabei gleichzeitig kritisch-ironisch die Tendenz, jede neue Forschungsausrichtung sogleich als „Turn“ zu benennen: Paradigma für die mittlerweile inflationäre und zuweilen schon komisch oder modisch wirkende Rede von wissenschaftlichen Turns war "The Linguistic Turn", wie der Titel eines von Richard Rorty 1967 herausgegebenen Sammelbandes lautete […]. Ihm sind mittlerweile zahlreiche andere "Turns" gefolgt. Die Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick […] hat 2006 ein neues Buch mit dem Titel "Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften" vorgelegt. Neben Kapiteln über den Interpretive Turn, Performative Turn, Reflexive Turn/Literary Turn, Postcolonial Turn, Translational Turn und Iconic Turn steht eines über den Spatial Turn (auch Topographical oder Topological Turn genannt), an dem die räumliche Metapher "Turn" selbst partizipiert. Am Rande geht Bachmann-Medick auch auf den Mnemonic Turn, Narrative Turn, (Neuro-)biological Turn und viele 172 Kugler: Germanistik 2001, S. 15. „‘Wissenschaft light‘ und Dilettantismus – so lauten etwa die Anklagen gegen den cultural turn und deren germanistische Vertreter“. Herrmann: Germanistik und oder als Kulturwissenschaft(en)?, S. 64. Für einen Überblick kulturwissenschaftlicher Fragestellungen in der Germanistik jeweils aus der Perspektive der Älteren und der Neueren deutschen Literaturwissenschaft sowie über das „Pro und Contra einer kulturwissenschaftlichen Orientierung“ (S. 22-24) vgl. Benthien/Velten: Germanistik als Kulturwissenschaft. Für das Verhältnis der Kultur- und Geisteswissenschaften sowie den ‚Streit‘ der Kulturwissenschaft mit der traditionellen Literaturwissenschaft vgl. Graevenitz: Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft und die dort enthaltene kritische Antwort von Gerhart von Graevenitz auf den ‚anti-kulturwissenschaftlichen‘ Beitrag von Walter Haug („Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft?“), auf die wiederum Haug eine „Erwiderung auf die Erwiderung“ abfasst. 173 Lämmert: Wissenschaftsgeschichte als Ortsbestimmung der Gegenwart, S. XI. 174 Herrmann: Germanistik und oder als Kulturwissenschaft(en)?, S. 65. 175 Vgl. dazu die Beiträge des DFG-Symposions „Grenzen der Germanistik. Rephilologisierung oder Erweiterung?“ von 2003, u. a. mit den Sektionen „Ende der Nationalphilologie?“ und „Einheit der Germanistik?“, in: Erhart: Grenzen der Germanistik. Die defensive Setzung des Fragezeichens hinter den Sektionsnamen und in vielen Aufsätzen deutet auf die Verunsicherung der Fachvertreter über die Identität und die Grenzen ihrer Disziplin hin. 176 Herrmann: Germanistik und oder als Kulturwissenschaft(en)?, S. 75. „Und so scheinen die ‚philologischen Kompetenzen‘ nirgends so gefragt wie in den aktuellen Kulturwissenschaften“. Ebd.
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2 Germanistik in Deutschland andere ein. Kandidaten für zukünftige Wenden in den Wissenschaften sind bereits in Sichtweite, darunter der Auditive Turn. Warum kein Emotional Turn?177
Fragen nach der Fachidentität, den Fachgrenzen und dem Begriffsinhalt der Disziplin ‚Germanistik‘ gehören zu den Herausforderungen, mit denen sich die Fachvertreter auch in der Gegenwart auseinandersetzen. Andere Herausforderungen stellen die – ebenfalls nach wie vor aktuelle – Aufgabe in der Lehrerausbildung, die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge im Rahmen des europaweiten Bologna-Prozesses, die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder oder die Frage nach Transparenz und Qualitätssicherung dar. Alle diese Herausforderungen haben Implikationen für die Doktorandenausbildung in der Germanistik und werden deshalb, bevor der Blick konkret auf die Promotionsphase gerichtet wird, kurz im folgenden Abschnitt beleuchtet. 2.3 Aktuelle Herausforderungen Die für die Promotionsphase relevanten aktuellen Herausforderungen des Faches können in zwei Kategorien aufgeteilt werden. Zum einen ist die Germanistik (weiterhin) geprägt vom internen Ringen um ihre Identität und inhaltliche Ausrichtung. Zum anderen muss das Fach auf äußere hochschulpolitische Einflüsse reagieren, zu denen verschiedene allgemeine Veränderungen der Rahmenvorgaben für Studium und Promotion zählen, Forderungen nach Internationalisierung, Transparenz und Qualitätsmessung in Lehre und Forschung sowie Reformanreize durch Förderprogramme wie der dritten Säule „Graduiertenschulen“ der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder. Dass Fragen nach der Fachidentität in der gesamten Geschichte der Germanistik intensiv diskutiert wurden und werden, konnte im vorigen Kapitel verfolgt werden. Wie gezeigt wurde, ist die Frage, wer ein ‚Germanist‘ ist, von Anfang an diskussionsbedürftig, und ‚Germanistik‘ ist durch die Fachgeschichte bis heute ein Oberbegriff für verschiedene Teildisziplinen. Die gegenwärtige Diskussion stellt dabei die im letzten Abschnitt des Kapitels erörterte kulturwissenschaftliche Wende sowie weitere, zum Teil ernsthaft, zum Teil kritisch-ironisch hervorgebrachte turns dar, die sich auch nicht zwangsläufig in der gesamten Disziplin vollziehen, sondern von den Fachvertretern diskutiert und nur teilweise akzeptiert und in der Forschung umgesetzt werden. So gilt auch für die Gegenwart: „Eine disziplinäre Gemeinschaft bildet die Germanistik weniger denn je. Man ist sich darüber, was ein Germanist zu können und zu lernen habe, durchaus 177 Anz: Emotional Turn? (ohne Seitenangabe).
2.3 Aktuelle Herausforderungen
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nicht einig“.178 Formal ausgedrückt richtet sich „[d]er Umfang des Begriffs [‚Germanistik‘] nach den jeweils geltenden Universitäts- bzw. Studien- und Prüfungsordnungen“.179 Die Pluralität der Disziplin ist nicht unproblematisch für das Studienfach, da der Kanon und das Kerncurriculum, falls es sie jemals gegeben hat, verschwinden. Dazu gibt es im Zuge des Bologna-Prozesses zwar Gegentendenzen, etwa ein denkbares Kerncurriculum eines germanistischen Bachelorstudiums in Deutschland,180 die auf die Bedeutung eines gemeinsamen Fachkerns hindeuten. Von einem Fachzusammenhalt als Ziel an sich abgesehen, dürfte dieser insbesondere mit Blick auf die interuniversitäre Mobilität und auf die Lehrerbildung bedeutsam sein, da die Deutschlehrer auf Gymnasien nach wie vor die gesamte Disziplin vertreten müssen und den Schülern vergleichbare Inhalte vermitteln können sollten. Auch bietet ein möglichst breit angelegtes Bachelorstudium die Möglichkeit der Teilhabe möglichst vieler Studierender an germanistischen Themen und erweitert somit die Anzahl potenzieller späterer Masterstudierender und Doktoranden des Faches. Aber in der Fachrealität laufen die Diversifizierung und die Profilierung weiter, an verschiedenen Universitäten können unterschiedliche Inhalte unter dem gleichen Fachnamen (und ebenso umgekehrt vergleichbare Inhalte unter verschiedenen Fachnamen) studiert werden. Inwiefern es auch in der Promo178 Wyss: Abgrenzungen, S. 74. Für zahlreiche Beiträge zum Selbstverständnis des Faches vgl. Bentfeld/Delabar: Perspektiven der Germanistik. Im Beitrag von Achim Barsch im gleichen Band heißt es zum bis heute charakteristischen Methodenpluralismus in der Germanistik: „Schon in den 1920er Jahren taucht das Schreckgespenst des ‚Methodenpluralismus‘ auf, das als permanentes Übel und ständige Herausforderung seine subtile Bedrohlichkeit bis heute nicht verloren hat. Jeder Ansatz scheint der Gefahr ausgesetzt, morgen unmodern und übermorgen vergessen und abgehakt zu sein“. Barsch: Literaturwissenschaft als Literatur(system)wissenschaft, S. 159. Dass dabei jedoch nicht jede Textinterpretation ein ernstzunehmender wissenschaftlicher Beitrag ist, haben in einem Projekt Germanisten der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf gezeigt; nur etwa 60 Prozent aller wissenschaftlichen Interpretationen sind demnach legitim. Vgl. Tepe et al.: Interpretationskonflikte. Für Analysen der Arbeits- und Darstellungsformen der germanistischen Literaturwissenschaft in Kombination der historischen und systematischen Fragestellung vgl. Brenner: Geist, Geld und Wissenschaft. 179 Weimar: Germanistik, S. 707. 180 Ein mögliches vereinendes Kerncurriculum des germanistischen Bachelorstudiums wurde im Kontext der nötigen Umsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses auf mehreren Tagungen von den Fachvertretern diskutiert und in Publikationen behandelt. Vgl. dazu Mein: Kerncurriculum BA-Germanistik sowie Bosbach: Germanistik im Europäischen Hochschulraum, dort insbesondere Kapitel 3. „Europäische Vernetzung und Kerncurricula“, S. 53-111, und die Linkliste der Studien- und Prüfungsordnungen germanistischer Bachelor- und Masterstudiengänge in Deutschland im Kapitel 7.2., S. 286-290. Zum Thema Kanon merkt Brenner an, dass „ein geisteswissenschaftliches Fach [...] einen stabilen, aber nicht irreversiblen Kanon an Kernwissen [braucht], den es selbst formulieren muss“. Brenner: Kanon, Leistung und Prüfung, S. 62.
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tionsphase unterschiedliche Ausgestaltungstendenzen gibt, soll im folgenden Kapitel untersucht werden. Diese Entwicklung wirft viele Fragen für die Zukunft des Faches auf: Bringen das „Schmelzen nationalstaatlicher Identität in Europa“181 oder gar eine „Entnationalisierung der Nationalphilologie“182 im Wege ihrer Europäisierung sowie weitere Wenden und Diversifizierungen des Fachprofils eine andere Doktorandenausbildung in der Germanistik, die dann möglicherweise auch nicht mehr diesen Namen trägt, hervor? Welche Konzepte der Doktorandenausbildung in der Germanistik existieren derzeit? Sind sie hinsichtlich der Strukturen und Inhalte homogen oder heterogen und welche ‚Germanisten von morgen‘ werden in den Programmen ausgebildet? Gibt es Vor- und Nachteile verschiedener Modelle? Ist die klassische Individualpromotion ein Auslaufmodell? Welche Konsequenzen lässt eine mögliche Diversifizierung für die Berufungspraxis und somit für ein künftiges Fachprofil erwarten? Diese Fragen werden im folgenden Kapitel anhand konkreter Beispiele germanistischer Doktorandenausbildung an fünf verschiedenen Universitäten untersucht. Von den äußeren hochschulpolitischen Einflüssen spielt für die Doktorandenausbildung als erstes der Bologna-Prozess eine wichtige Rolle. Von 13.131 Studiengängen in Deutschland im Wintersemester 2009/2010 gehörten 5.282 Studiengänge der Fächergruppe Sprach- und Kulturwissenschaften an, 3.467 davon waren Bachelor- und Masterstudiengänge. In den Sprach- und Kulturwissenschaften – und die Germanistik dürfte als die größte Vertreterin der Fächergruppe183 nicht sehr viel von diesem Wert abweichen – wurden somit zu diesem Zeitpunkt etwa zwei Drittel des Studienangebots auf die neue Studienstruktur umgestellt, während in der Gesamtheit aller Studiengänge im Durchschnitt deutlich mehr – nämlich bereits etwa 80 Prozent – umgestellt wurden.184 Einer der Gründe für die in den Geisteswissenschaften im Vergleich zum fächerübergreifenden Durchschnitt zögerlichere Umstellung ist sicherlich die reglementierte Studienzeit und das Attribut ‚berufsqualifizierend‘ im Bachelor. Für die traditionsreiche geisteswissenschaftliche Universitätsdisziplin Germanistik, für die u. a. ein zeitaufwändiges leseintensives Selbststudium und – abgese181 „Das Schmelzen nationalstaatlicher Identität in Europa, die Pluralisierung, zunehmende Vernetzung und interkulturelle Globalisierung [...] führen zu einem sich wandelnden Konzept von Kultur, das nicht mehr von festen, klar abgrenzbaren Ganzheiten ausgeht. [...] Daraus entwickeln sich auch Ansätze einer stärker komparatistischen und interdisziplinären Ausrichtung der Germanistik selbst.“ Benthien/Velten: Germanistik als Kulturwissenschaft, S. 17. 182 Kugler: Germanistik 2001, S. 13. 183 Vgl. Kapitel 2.1, Fußnote 114. 184 Vgl. Hochschulrektorenkonferenz: Statistische Daten zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen, S. 10. Knapp 43 Prozent der Studierenden an deutschen Hochschulen und knapp 74 Prozent aller Erstsemester sind dabei im WS 2009/2010 in einem Bachelor- oder Masterstudiengang immatrikuliert. Vgl. ebd., S. 21f.
2.3 Aktuelle Herausforderungen
71
hen von dem des Wissenschaftlers und des Deutschlehrers – nur unscharf umrissene Berufsbilder charakteristisch sind, stellen diese Vorgaben eine Herausforderung dar.185 Warum sind diese Überlegungen zu den Bachelor- und Masterstudiengängen für die Doktorandenausbildung in der Germanistik relevant? Weil die verstärkte Strukturierung und Zielorientierung des Studiums sowie die heterogene Umsetzung der Vorgaben des Bologna-Prozesses in der Germanistik186 die fachliche Basis für die Ausbildung der Doktoranden verändern. Der ‚Input‘ ist anders, die Doktoranden bringen (bezogen auf den Umfang und auf den Inhalt) unterschiedliche Kenntnisse mit und auch die Erwartungen an die Promotionsphase dürften sich nach einem strukturierten Studium, in dem Leistungen mit Punkten versehen sind und die studienbegleitenden Prüfungen für das Endergebnis mitzählen, wandeln – die Studienabsolventen sind möglicherweise selbstbewusster, aber unter Umständen weniger auf die eigenständige wissenschaftliche Arbeit vorbereitet. Wird das selbständige, forschende Lernen in den neuen Studiengängen ausreichend erlernt? Muss die Promotionsphase ggf. diesen Aspekt umso stärker verfolgen? Oder ist ganz im Gegenteil nach dem neuen Studium eine Fortsetzung stark führender Strukturen auch in der Doktorandenausbildung notwendig?187 Eine weitere Herausforderung für die Germanistik, die für die Promotionsphase auf den ersten Blick sekundär ist, stellt die Veränderung der Masterebene mit der Umgestaltung hinsichtlich der Lehrerbildung dar. Die im vorigen Abschnitt diskutierte charakteristische Spannung des Universitätsfachs Germanistik zwischen philologischer Forschung und Lehrerausbildungsfunktion spiegelte sich vor der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge in den beiden Abschlussarten „Staatsexamen für das Lehramt“ und dem ab 1960 an einzelnen Hochschulen eingeführten akademischen Abschluss Magister Artium.188 Die 185 „Der neue Fetisch der ‚Berufsbezogenheit‘ des Studiums geisteswissenschaftlicher Fächer hat auch die Diskussion über die Germanistik-Reform erreicht. Hier ist er aber eigentlich weniger am Platze, denn Hochschulabsolventen mit den entsprechenden Fachkenntnissen haben durchaus ihre Berufschancen in der Gesellschaft. Der Lehrerberuf stand und steht an erster Stelle, aber auch Wissenschaftsinstitutionen, Kulturverwaltung und Wirtschaft bieten offene Berufsfelder“. Roloff: ‚Kenntnis‘ und ‚Kreativität‘, S. 86. Für mögliche Berufsfelder studierter Germanisten vgl. Fußnote 189. 186 Für Informationen zum „Kerncurriculum BA Germanistik“ vgl. Fußnote 180. 187 Diese Fragen bieten sich für künftige Untersuchungen an, wenn die Absolventen der neuen Bachelor- und Masterstudiengängen in der Promotionsphase angekommen sind. 188 Vgl. Das Studium der Geisteswissenschaften, S. 3. Das Magisterstudium wurde in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nach einem gleichzeitigem Anstieg der Studierendenzahlen und der „durch die prekäre Lage der öffentlichen Haushalte“ (Konegen-Grenier: Mit Kant und Kafka in die Wirtschaft, S. 5) verschlechterten Arbeitsmarktsituation für Lehrer an allen Philosophischen Fakultäten in Deutschland eingeführt. Dadurch ist flächendeckend ein neuer Absolven-
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2 Germanistik in Deutschland
Koexistenz der beiden Abschlussarten korrespondierte mit zwei verschiedenen Ausbildungszielen: Während das Lehramtsstudium per definitionem auf den Schuldienst vorbereitete, zielte das Magisterstudium in der Regel nicht auf bestimmte berufliche Einsatzbereiche ab,189 sondern diente einer „wissenschaftlichen Qualifizierung auf hohem Niveau [...] und [bereitete] im geglückten Fall auf eine wissenschaftliche Berufskarriere“ vor.190 Bei der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge spielte dieser Unterschied eine bedeutende Rolle: Während ein Bachelor in Germanistik für die allgemeine Berufspraxis durchaus sinnvoll erschien, da er eine höhere Qualifikation als das Abitur darstellt und, so ist zumindest zu hoffen, dementsprechend differenziert von den Arbeitgebern auch eingestuft wird, verleiht erst der Masterabschluss (sofern auch das Lehramtsstudium schon modularisiert ist) die Befugnis zum Lehramt an Gymnasien. Es lag im Kompetenzbereich der jeweiligen Universität, ob sie die Lehrerausbildung vom ersten Studiensemester an gesondert von den fachwissenschaftlichen Studiengängen konzipierte, als praktikabler hinsichtlich der universitären Kapazitäten erwies sich allerdings oft das sog. Y-Modell, in dem Germanistikstudenten bis zum Bachelorabschluss identisch, danach je nach Zugehörigkeit teilweise gemeinsam (Fachwissenschaft), teilweise spezifisch (Fachdidaktik, Praktikum) ausgebildet werden.191 Für die Promotionsphase bedeutet die Wahl dieses Motentypus entstanden (vgl. Block: Magister en masse, S. 217f.), ähnlich wie ab Ende der 1990er Jahre der Bachelor. 189 Das Berufsangebot für Germanisten ist an sich relativ breit. Typische Einsatzgebiete decken sich – abgesehen vom Beruf des Deutschlehrers – im Wesentlichen mit den Berufsfeldern anderer geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer und lassen sich allen drei Erwerbsgruppen, öffentlicher Dienst, Anstellung in der Privatwirtschaft und Selbständigkeit, zuordnen. Zur ersten Gruppe gehören neben der bereits erwähnten Lehrertätigkeit die wissenschaftliche und die diplomatische Laufbahn, Arbeit bei (internationalen) Behörden, in der Erwachsenenbildung, Bildungsplanung, in Bibliotheken oder Beratungsdiensten. Die zweite Gruppe umfasst die Bereiche Journalismus, Medien (Printmedien, Rundfunk, Fernsehen), Lektorat und Verlagswesen, Public-Relations-Abteilungen von Firmen und Verbänden, Fremdsprachenschulen, Personalmarketing und Personalmanagement, Werbung, Dolmetscher- und Übersetzerdienste, Ausstellungs- und Messewesen u. ä. Hinzu tritt die dritte Gruppe mit Personal- und Unternehmensberatung, Online-Diensten, Franchising oder Agenturen für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Für detaillierte Informationen über verschiedene Berufsfelder samt Berufsposition und Einkommen siehe Konegen-Grenier: Berufschancen für Geisteswissenschaftler, S. 21-32. Einblick in Berufsfelder, in denen sie Platz gefunden haben, geben Absolventen eines Germanistikstudiums (u. a. Wolfgang Thierse) in Rathmann: Texte, Wissen, Qualifikationen, S. 182-237. 190 Teichler: Gestufte Studiengänge, S. 31. 191 Ein weiterer Vorteil dieser Konzeption besteht für die Studierenden in der Möglichkeit, sich erst nach dem Bachelorexamen, eventuell unter Berücksichtigung der aktuellen Arbeitsmarktlage, für oder gegen ein Lehramtsstudium zu entscheiden. Ebenfalls ‚studentenfreundlich‘ ist die weitreichende Übergangsmöglichkeit zwischen den beiden Ausbildungswegen im weiteren Studienverlauf.
2.3 Aktuelle Herausforderungen
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dells eine Verzögerung des Entscheidungszeitpunkts der Studierenden für eine primär fachwissenschaftliche Ausrichtung – statt vor Studienbeginn erst am Übergang vom Bachelor zu Master – und für die Germanistik als Disziplin einen größeren Pool möglicher Promotionskandidaten. Darüber hinaus bietet ein stärker auf reine Fachwissenschaft zugeschnittener Masterstudiengang aus der Fachperspektive den Vorteil einer früheren und intensiveren Konzentration auf den potenziellen wissenschaftlichen Nachwuchs. Der Bologna-Prozess hat über das Studium und das ‚Formen‘ der Absolventen als potenzielle Doktoranden hinaus durch die von den Bildungsministern formulierten Leitlinien zur Promotionsphase zusätzlich eine Wirkung direkt auf die Reformbewegung innerhalb der Doktorandenausbildung.192 Durch den Umsetzungsaufwand und den Diskussionsbedarf bereits der Vorgaben für die ersten beiden Ausbildungsstufen ist es jedoch bisher nicht zu spürbaren Anstrengungen zur Umsetzung der Eckpunkte für die Ausgestaltung des ‚dritten Zyklus‘ in der Praxis gekommen. Anders verhält es sich mit Forderungen nach mehr Transparenz und Qualitätssicherung in Studium und Lehre der Germanistik. Mit Rankings, Akkreditierungen der Studiengänge, Evaluationen der Lehre und unter anderem anhand der Drittmitteleinwerbung leistungsbezogenen Gehältern sowie mit teilweise eingeführten Qualitätssicherungsmechanismen wie den Auswahlverfahren steigt im Studium wie in der Promotionsphase die Aufmerksamkeit hinsichtlich der Qualität und Transparenz der Leistungen aller Beteiligten. Die Krisenrhetorik um die Geisteswissenschaften hat zwar derzeit erfreulicherweise wieder weniger Konjunktur: Sowohl das Manifest Geisteswissenschaften aus dem Selbstbeschreibungsdiskurs als auch der Wissenschaftsrat von Seiten der Hochschulpolitik und Beobachter aus dem Ausland sprechen über hohe Leistungen der deutschen Geisteswissenschaften, die in einem selbstverständlich gewordenen internationalen Austausch stattfänden und in vielen Bereichen Maßstäbe setzten.193 Trotzdem
192 Die wenigen konkreten Vorgaben sind fächerübergreifend und wurden im Kapitel 1.3 diskutiert. 193 Vgl. Gethmann et al.: Manifest Geisteswissenschaft, Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften sowie Rorty: Wissen deutsche Politiker, wozu Universitäten da sind? Dort heißt es konkret: „Ich habe während der letzten Jahrzehnte einige Zeit als Gastwissenschaftler an deutschen Universitäten verbracht und kann bezeugen, daß deutsche Geisteswissenschaftler nicht nur besser ausgebildet sind als ihre amerikanischen Kollegen, sondern auch härter arbeiten. Sie sind in mehr Sprachen bewandert, sind belesener und lehren etwa doppelt soviel, wie sie es in den Vereinigten Staaten tun müßten. Gemessen an internationalen Standards, sind sie schon jetzt stark überbeansprucht“. Ebd. (Rorty). Für verschiedene „Aspekte des Themas ‚Internationalisierung der Geisteswissenschaften‘“ vgl. Nünning: Plädoyer für Kooperationen.
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2 Germanistik in Deutschland
bleibt die Frage nach Merkmalen ‚guter Forschung‘ (auch) in den Geisteswissenschaften nach wie vor legitim, jedoch nicht einfach zu beantworten.194 Welche Qualitäten sollten für einen ‚ausgezeichneten Germanisten‘ charakteristisch sein? Sie müssen sich zweifellos in guter Forschung und Lehre (und sollten auch im Führungs- und Betreuungsverhalten) manifestieren. Dies wird zum Teil durch erfolgreiche Drittmitteleinwerbung, Preise und Publikationen in einschlägigen, von der disziplinären Gemeinschaft angesehenen Fachorgangen, sowie durch internationale Forschungskooperationen angezeigt. Weitere Merkmale sind die aktive Teilnahme an einschlägigen Konferenzen oder deren Organisation, Gutachtertätigkeit, gute Ergebnisse in der Lehrevaluation sowie erfolgreiche Promotionsabsolventen.195 Einen weiteren Aspekt bieten Rezensionen. Und auch die Anbindung eines Professors an einen in Rankings hochplazierten germanistischen Studiengang könnte ein Kriterium darstellen.196 194 Die gegensätzlichen Haltungen einer möglichen Messung der Forschungsqualität in den Geisteswissenschaften (Forderungen der Transparenz und der Qualitätskriterien einerseits, Zweifel über Sinn und Möglichkeit der Messung ‚des Geistes‘ andererseits) sowie ihre Chancen und Risiken führt der Band Lack/Markschies: What the hell is quality? Qualitätsstandards in den Geisteswissenschaften zusammen. Konkret für die Germanistik stellen Dainat et al. fest: „Die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Professoren wird, sofern sie sich nicht öffentlichen Bewerbungen um Drittmittel stellen, meist unter der Hand definiert und dem diffusen Oberbegriff der Reputation zugeordnet“. Dainat et al.: Hilfreich und gut, S. 205. Für „Kriterien zur Bewertung von Leistungen der Lehrenden an Hochschulen“ in den Tätigkeitsfeldern Forschung, Lehre, Studienberatungen und Prüfungen, Selbstverwaltung und Wissenschaftsmanagement, Wissenschaftliche Beratung/Gutachten sowie Universität und Öffentlichkeit vgl. Jäger/Schönert: Perspektiven zur Selbstreform der Universitäten, S. 210-213. 195 Zur Gutachtertätigkeit und dem Bewertungssystem in der Germanistik, auch in historischer Perspektive, vgl. Kolk: „Wissenschaftspolizei“? Mit dem Thema gute Lehre hängt eine weitere Herausforderung der Germanistik zusammen, die jedoch nur am Rande die Doktorandenausbildung berührt und deshalb hier nicht ausführlich diskutiert wird: die Verwendung der Studienbeiträgen und die Implikationen des sich erhöhenden Anteils von Lehrbeauftragten. Die Studienbeiträge sollten primär der Verbesserung der Lehre zu Gute kommen. Diese wiederum ist in der Regel nur durch eine Erhöhung der Anzahl der Professorenstellen möglich – Lehrbeauftragte sind oftmals überlastet, unterbezahlt und es fehlt ihnen Zeit nicht nur für die Mitarbeit an Lehr- und Forschung(gesamt)konzepten des Faches, sondern auch für Betreuung der Studierenden (oder Doktoranden) und vor allem für die Forschung, was wiederum (negativen) Einfluss auf ihre Lehre hat. Eine abnehmende Zahl von festangestellten Professoren und zunehmende Zahl von nur lose an das Institut angebundenen Lehrbeauftragten kann für das Fach gravierende Folgen haben, wie im USA-Teil anhand der English studies gezeigt wird. Vgl. dazu: „Junge Historiker, Philosophen oder klassische Philologen auszubilden ist ein personalintensiver und teurer Vorgang. Wenn in jedem Fach nur noch wenige Professoren übrigbleiben, werden sie es auch nicht in ihrer Freizeit tun können. Denn sie werden keine Freizeit mehr haben“. Rorty: Wissen deutsche Politiker, wozu Universitäten da sind? 196 Das Centrum für Hochschulentwicklung hat auch für die Germanistik (Bachelor und Lehramt) 2007 ein Ranking erstellt, in dem die Hochschulen in den Aspekten „Forschungsreputation“, „Promotionen pro Professor“, „Bibliotheksausstattung“, „Betreuung“ und „Studiensituation
2.3 Aktuelle Herausforderungen
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Hierbei ist anzumerken, dass der Erwerb dieser Qualitäten sicherlich nicht vollständig auf die Promotion zurückgeführt werden kann, sondern teilweise auf die Zeit nach der Promotion bzw. auf die generelle Ausbildung davor oder auf die individuelle Persönlichkeit und außeruniversitäre Sozialisation. Ähnlich kann hier die Frage nach den Merkmalen eines ‚ausgezeichneten Germanisten’ nicht endgültig beantwortet werden. Für eine effiziente Promotionsphase ist sie aber als Zielvorstellung von Bedeutung – denn unter anderem auf diese Qualitäten sollte die Doktorandenausbildung abzielen. Wie ist es hierbei um die neuen Promotionsmodelle bestellt? Wie werden Kernkompetenzen für germanistische Wissenschaftler der Zukunft vermittelt? Welche qualitätssichernden Maßnahmen weisen die neuen Modelle auf? Auch diese Fragen werden im folgenden Kapitel thematisiert. Als letzte aktuelle Herausforderung für die Germanistik und ihre Doktorandenausbildung soll die erste Säule der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder – die Förderung von Graduiertenschulen – thematisiert werden. Die allgemeinen Merkmale der Initiative wurden bereits im Kapitel 1.3 vorgestellt, das in der zweiten Förderphase (wenn auch nicht für die Graduiertenschulen) neu hinzugekommene Kriterium der forschungsbasierten Lehre im Kapitel 2.2 erläutert (vgl. Fußnote 147). Für die Germanistik stellt die Initiative insofern eine Herausforderung dar, als dass sie finanzielle Mittel (und dadurch sowohl Chancen als auch die Druckmittel) für Ideen und Wettbewerb für die Promotionsreform des Faches bereit hält. Ob mit Förderung durch die Exzellenzinitiative oder ohne – praktisch alle germanistischen Institute und philosophischen Fakultäten in Deutschland sind bestrebt, strukturierte Modelle der Doktorandenausbildung einzuführen. Die Individualpromotion als Modell ist in der Förderung der Initiative (oder anderen Förderprogrammen) nicht vorgesehen. Hingegen sind interdisziplinäre Graduiertenschulen und Komponenten der Internationalisierung erwünscht. Der wettbewerbliche Druck steigt auch in der Germanistik, geförderte Graduiertenschulen sind im Vorteil durch die Finanzierung und die höhere mediale und fachinterne Sichtbarkeit, aber auch durch die Drittmittelquoten und ggf. durch höhere Anzahl der Promotionen pro Professor, beides weiter oben erwähnte Qualitätssignale. Zwei der im folgenden Kapitel untersuchten germanistischen Graduiertenschulen sind (die einzigen im engeren Sinne geisteswissenschaftlichen) ‚Gewinner‘ des Exzellenzinitiativen-Wettbewerbs. Es wird zu prüfen sein, wie der finanzielle sowie Profilierungsdruck und die Vorgaben des insgesamt“ bewertet und mit den Merkmalen Spitzen-, Mittel- oder Schlussgruppe versehen werden. Das HochschulRanking erschien erstmals 1998 und umfasst 2009 35 Fächer. Seit 2005 wird es von der Wochenzeitung DIE ZEIT herausgegeben und ist im Internet frei zugänglich. URL (24.5.2010): http://ranking.zeit.de/che10/CHE.
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2 Germanistik in Deutschland
Wettbewerbs die Modelle prägen, auf welche ‚Germanisten von morgen‘ die Programme abzielen und welche Unterschiede, Vor- oder Nachteile gegenüber der in der Germanistik bisher typischen Individualpromotion festgestellt werden können. Alle genannten Herausforderungen meistert das Fach größtenteils dezentral und unkoordiniert. Instituts- und hochschulübergreifende Organe stellen die 1912 gegründete wissenschaftliche Fachgesellschaft Deutscher Germanistenverband – Gesellschaft für Hochschulgermanistik dar,197 die Vertretung des Germanistenverbandes im Philosophischen Fakultätentag,198 die 1951 einberufene Internationale Vereinigung für Germanistik,199 die seit 1960 herausgegebene „Zeitschrift für Germanistik“200 und verschiedene weitere Zeitschriften und Tagungsbände201 sowie die regelmäßig etwa alle drei Jahre stattfindende Tagung „Deutscher Germanistentag“. Darüber hinaus findet im Fach zunehmend internetbasierter Austausch statt, z. B. im Rahmen des Netzwerks für literaturwissenschaftlichen Wissenstransfer „H-Germanistik“ oder des DFG-geförderten Fachportals „Germanistik im Netz“.202 Alle diese Organisationen und Organe repräsentieren zwar eine formale Einheit des Faches Germanistik nach außen, verzichten aber bewusst auf eine gezielte Steuerung der internen Fachentwicklung und bieten vielmehr geschützten Raum für Diskussionen und Austausch. Entsprechend werden auch Studienstrukturreformen wie die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge oder die Reform der Doktorandenausbildung ohne eine zentrale Koordination durchgeführt.203 Für einen wünschenswerten Austausch etwa über gute Praxis in der 197 Zu seinen wesentlichen Aufgaben zählt der Verband „die Darstellung des Faches in der Öffentlichkeit“, „die wissenschaftsöffentliche Interessenvertretung der an Schulen und Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Weiterbildungsstätten, bei den Medien und in der Öffentlichkeitsarbeit tätigen Germanistinnen und Germanisten“, sowie „die Pflege der Kontakte zu den benachbarten Fachgebieten und Fachverbänden im In- und Ausland“. URL (24.5.2010): http://www.germanistenverband.de/hochschule/. 198 „Der Philosophische Fakultätentag ist die fächerübergreifende hochschulpolitische Vertretung der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften an den deutschen Universitäten, in der 134 Fakultäten und Fachbereiche an 60 deutschen Hochschulen zusammenarbeiten“. URL (24.5.2010): http://www.philosophischerfakultaetentag.de/. 199 URL (24.5.2010): http://www.ivg.uw.edu.pl/. 200 URL (24.5.2010): http://www2.hu-berlin.de/zfgerm/. 201 Eine Übersicht germanistischer Zeitschriften findet sich im Internet unter der URL (24.5.2010): http://www.germanistik.net/zeitschriften.htm. 202 URLs (24.5.2010): http://www.h-germanistik.de/ und http://www.germanistik-im-netz.de/. 203 Vgl. Kapitel 1.4. Für die Risiken dieser Vorgehensweise aber auch den nichtsdestotrotz stattfindenden Austausch über verschiedene Modelle bisher zumindest der Bachelor- und Masterstudiengänge, bis hin zu Bestrebungen um ein gemeinsames Kerncurriculum BA-Germanistik, vgl. die Ausführungen zur Fachidentität und zum Bologna-Prozess früher in diesem Kapitel.
2.3 Aktuelle Herausforderungen
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germanistischen Doktorandenausbildung hat es bislang auch an dafür zuständigen Vertretern gefehlt. Mit den Sprechern und Koordinatoren stehen nun für die neuen Graduiertenschulen und Promotionsprogramme Ansprechpartner zur Verfügung. Für eine Untersuchung der derzeitigen Formen des Promovierens in der Germanistik muss jedoch über die neuen Promotionsmodelle hinausgehend auch die traditionelle Individualpromotion einbezogen werden, im Rahmen derer nach wie vor die überwiegende Mehrheit der Doktoranden der Disziplin promoviert.204 Wie gestaltet sich also konkret die Doktorandenausbildung in der Germanistik in Deutschland?
204 Aufgrund der Ergebnisse bisher vorliegender Studien und Umfragen kann geschätzt werden, dass 80 Prozent der Doktoranden in Deutschland nach wie vor in Form der Individualpromotion bzw. des ‚Lehrlingsmodells’ promovieren. So stellen beispielsweise Ewald Berning und Susanne Falk als eines der Ergebnisse der 2003/2004 durchgeführten Befragung von Doktoranden, Professoren und Promotionsbetreuern an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Bayern fest: „Über alle Fächer hinweg dominiert die traditionelle Promotion“. Vgl. Berning/Falk: Promovieren an den Universitäten in Bayern, S. 29. Auch speziell in den Geistes- und Kulturwissenschaften geht nur etwa ein Drittel der Doktoranden einem strukturierten Promotionsstudium nach. Vgl. ebd., S. 30. Ähnlich heißt es im Bundesbericht zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses 2008: „Auch wenn Ende der 1980er Jahre mit der Einführung von Graduiertenkollegs ein Schritt in Richtung strukturierter Qualifizierung gegangen wurde, dominiert nach wie vor die individuell verantwortete bzw. betreute Promotionsphase“. Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Bundesbericht, S. 47. Dies bestätigen die Ergebnisse der THESIS-Doktorandenbefragung, wonach 2004 lediglich zehn Prozent der Doktoranden in Deutschland innerhalb der strukturierten Angebote promovierten. Vgl. Gerhardt et al.: Zur Situation der Doktoranden in Deutschland, S. 81. Auch eine jüngere Umfrage der Universität Bonn im Auftrag des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft aus dem Jahr 2006 kam zu dem Ergebnis, dass an den 77 befragten Hochschulen mit Doktorandenbetreuung im Durchschnitt nur 17 Prozent der Doktoranden in Graduiertenkollegs oder -schulen promovierten. Vgl. Stifterverband: Akademisches Personalmanagement, S. 6.
3 Promovieren in der Germanistik
„Ich gestehe, ich habe kein großes Talent junge Leute zu litterarischen Arbeiten anzufeuern: wenn sie Rath zu Dissertationen haben wollen, gehen sie meist unberathen fort“.205 Mit diesem Geständnis in einem Brief an die Brüder Grimm trifft Karl Lachmann bereits 1839, in der Entstehungsphase der Disziplin Germanistik (vgl. Kapitel 2.2) einen der Kernaspekte des germanistischen Promovierens: die fachliche und persönliche Betreuung der Doktorarbeit. Lachmanns Aussage macht einerseits deutlich, dass der Kernaspekt der Betreuung ein problematischer sein kann. Zum anderen verweist sie darauf, wie stark die Individualpromotion traditionell in der Germanistik verankert ist: Um ein Germanist zu werden, muss der Doktorand neben der akademischen Lehre hauptsächlich das Forschen lernen, das heißt unter anderem intensiv lesen und schreiben. Und Lesen und Schreiben sind beides ganz überwiegend individuelle Vorgänge. Im Gegensatz etwa zu den Naturwissenschaften, in denen die Arbeit grundsätzlich häufiger im Team erfolgt und auch die Individualpromotion mehr Interaktionen mit sich bringt, ist die Promotion und Forschung in den Geisteswissenschaften und darin der Germanistik tatsächlich häufig eine Leistung im Alleingang.206 Auch dominiert die Individualpromotion mit Doktorarbeiten außerhalb von Forschungsprojekten bei über zwei Drittel der Promovierenden in den Rechts-, Wirtschafts-, Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, wie 2006 eine exemplarische Studie für die Universitäten in Bayern zeigte.207 Das Faktum der oft einsamen Individualpromotion hat jedoch in der Geschichte der Disziplin nicht etwa zur Abnahme von Promotionen geführt. Im Gegenteil: Die Promotion spielt in der Germanistik seit ihren Anfängen am Anfang des 19. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle in der Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses und „bis weit in die siebziger Jahre hinein wurde das Studium [der Germanistik] nicht selten mit der Promotion als „erstem“ Abschluss beendet“.208 Diese ‚Regelabschlussfunktion‘ der Promotion ging zwar 205 Leitzmann: Briefwechsel, S. 697. 206 Für die Charakterisierung der Arbeitsweise der Geisteswissenschaften gegenüber den Naturwissenschaften vgl. Kapitel 2.1. 207 Vgl. Berning/Falk: Promovieren an den Universitäten in Bayern, S. 30. 208 Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel?, S. 33.
E. Bosbach, Promotion in den Geisteswissenschaften, DOI 10.1007/978-3-531-94142-4_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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3 Promovieren in der Germanistik
sukzessive verloren, die Bedeutung des Abschlusses jedoch keineswegs – jeder Germanistik-Professor muss nach wie vor promoviert sein, die Promotionsquote der Germanistik liegt „deutlich über dem Durchschnitt der Fächergruppe der Sprach- und Kulturwissenschaften“209, wobei die Anzahl der Promovierten seit 1987 etwa 250 bis 300 Absolventen jährlich beträgt.210 Die hohe Anzahl der Promotionen wird als Charakteristikum der Situation am Anfang des 21. Jahrhunderts durch eine präzedenzlose Bandbreite von Promotionsmöglichkeiten in der Germanistik ergänzt. Die traditionelle Individualpromotion wird dabei seit den 1990er Jahren durch die so genannte strukturierte Promotion ergänzt.211 Diese beiden übergeordneten Promotionsmodelle beinhalten Subkategorien unterschiedlicher Ausprägungen, bei der Individualpromotion etwa die Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl, mit einem Stipendium oder hochschulextern sowie bei den strukturierten Programmen die Graduiertenkollegs, Promotionsstudiengänge und Graduiertenschulen. Die verschiedenen Facetten und wichtigsten Charakteristika der beiden Formen der Promotion werden im folgenden Kapitel (3.1) erläutert. Nach der Vorstellung der beiden übergeordneten Promotionsmodelle sowie der fünf in einer Befragung untersuchten Praxisbeispiele für strukturierte Doktorandenprogramme in der Germanistik werden in weiteren Kapiteln als zentrale Aspekte der germanistischen Promotion die Dissertationen und Forschungsthemen (3.2), die Auswahlverfahren als eine Möglichkeit zur Qualitätssicherung (3.3), verschiedene Finanzierungsformen (3.4), Betreuung und Austausch (3.5) sowie das Erlernen selbständiger akademischer Forschung (3.6) und Lehre (3.7) sowie die anschließenden Berufswege von promovierten Germanisten (3.8) untersucht. Da bisher weder ein vollständiger Überblick über die verschiedenen Promotionsmöglichkeiten in der Germanistik noch eine begleitende Forschung zu den im Fach stattfindenden Promotionsreformen existieren, wird die im Kapitel 1.5 methodisch vorgestellte exemplarische Befragung von Doktoranden kontrastierend für beide Promotionsformen in den einzelnen Unterkapiteln als eine wichtige Informationsquelle herangezogen. 209 Ebd. Die Promotionsquote, berechnet als der prozentuale Anteil der Promotionsabsolventen an den universitären Abschlüssen (ohne Lehramt). betrug im Prüfungsjahr 2008 für das Studienfach Germanistik/Deutsch 6,7 Prozent. Eigene Berechnung nach Statistisches Bundesamt: Prüfungen an Hochschulen 2008, S. 38. 210 Vgl. Statistisches Bundesamt: Prüfungen an Hochschulen, Ausgaben 2003 bis 2008, sowie Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 1989, S. 356. 211 Dabei gibt es kein ‚erstes‘ Graduiertenkolleg, sondern im Herbst 1990 starten 47 DFGGraduiertenkollegs, darunter „Theorie der Literatur und Kommunikation“ mit prominenter germanistischer Beteiligung. Schriftliche Mitteilung Dr. Anselm Fremmer, Deutsche Forschungsgemeinschaft, E-Mail vom 28. Mai 2010.
3.1 Promotionsmodelle
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3.1 Promotionsmodelle 3.1.1 Einsamkeit und Freiheit? Die Individualpromotion Als „Individualpromotion“ wird in dieser Arbeit die traditionelle Form des Promovierens ‚bei‘ einem Doktorvater oder einer Doktormutter bezeichnet, bei der der Doktorand nicht in einem Promotionsstudiengang, einem Graduiertenkolleg oder einer Graduiertenschule eingebunden ist. Diese Form der Promotion hat in der Germanistik Tradition und wird erst seit 20 Jahren durch stärker strukturierte Promotionsformen ergänzt, die in den nächsten Abschnitten im Detail untersucht werden. Eine Individualpromotion in Germanistik ist theoretisch an allen Universitäten in Deutschland möglich, die ein germanistisches Seminar haben, wenn auch durch die bundesweit variierende Fachbezeichnung, wie im Kapitel 2.2 erörtert, ein genauer Überblick über die einzelnen möglichen Promotionsorte erschwert bis verunmöglicht wird: Eine Suche nach relevanten Promotionsmöglichkeiten in Germanistik muss neben „Germanistik“ mindestens die Fachbezeichnungen „Deutsch“, „Deutsche Philologie“ und „Deutsche Sprache und Literatur“ einschließen. Darüber hinaus werden nicht an allen Hochschulorten alle germanistischen Teilfächer angeboten, sodass die Suche des Weiteren themenabhängig u. a. die Begriffe „Neuere Deutsche Literaturwissenschaft“, „Mediävistik“ und „germanistische Linguistik“ einschließen muss. Das Problem kann anhand einer bundesweiten „Suche nach Promotionsmöglichkeiten“ im Sachgebiet „Germanistik“ im Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz demonstriert werden: Sie ergibt genau zwei Treffer – eine Promotion in Germanistik an der Universität Osnabrück und eine an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.212 Selbstverständlich kann an mehr als zwei Hochschulorten in Deutschland in Germanistik promoviert werden, da jedes germanistische Institut mindestens über eine Professur verfügen dürfte und der Germanistenverband mit Stand Januar 2007 insgesamt 65 germanistische Institute zählt.213 Auch das aktuelle CHE-Ranking des Faches Germanistik listet 63 Hochschulen auf, an denen Germanistik mindestens in einem Bachelorstudiengang studiert werden kann.214 Über die vorhandenen Promotionsmöglichkeiten 212 Vgl. URL (24.5.2010): http://www.hochschulkompass.de/promotion/suche-nach-promotions moeglichkeiten.html. 213 URL (24.5.2010): http://www.germanistenverband.de/hochschule/adressen/germanistische-in stitute.php. 214 Vgl. URL (24.5.2010): http://ranking.zeit.de/che10/CHE?module=Hitliste&do=show_l1&es b=30&ab=0.
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3 Promovieren in der Germanistik
gibt es allerdings nirgendwo einen Überblick und dieser ist aus den geschilderten Gründen auch nicht einfach zu erstellen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass nach wie vor an allen Hochschulorten in Deutschland, die über ein germanistisches Seminar verfügen, in Germanistik promoviert werden kann. Die konkrete Anzahl der Promotionsmöglichkeiten in der Individualpromotion dürfte daher die Anzahl der Professoren des Faches abbilden, die im Jahr 2008 nach Zählweise des Statistischen Bundesamtes 620 Personen umfasste.215 Neben dem bestehenden Problem der heterogenen Disziplinbezeichnungen und -untergliederungen an den Instituten ändert sich zudem im Moment der status quo der bisher vergleichsweise einfachen Aufteilung in Individualpromotion (prinzipiell an allen Hochschulorten mit einem germanistischen Institut möglich) und strukturierte Promotionsformen (zusätzlich an Hochschulorten, die spezifisch solche Doktorandenprogramme eingerichtet haben) durch die Entstehung einer dritten Kategorie: der institutionalisierten Individualpromotion. Bei dieser Promotionsform werden individuell Promovierende auf Antrag in eine Dachstruktur für Doktoranden an der Universität eingebunden. Ein gutes Beispiel ist die Graduiertenschule für Geisteswissenschaften in Göttingen, die als Dach gleichzeitig die strukturierten Programme und die Free Floater, wie in Göttingen Individualpromovierende genannt werden, fördern soll. Dabei werden auch externe Doktoranden zur Promotion an der Hochschule direkt eingeschrieben, verpflichten sich in einer Doktorandenvereinbarung zum regelmäßigen Besuch eines konkreten Kolloquiums mit jährlicher Präsentation aus dem eigenen Dissertationsvorhaben und zur Erstellung eines jährlichen Berichts über den Stand und die Fortschritte des Promotionsprojekts. Mit einem „Betreuungsausschuss“ wird im Gegenzug in der Vereinbarung eine multiple Betreuung (durch „mind. ein prüfungsberechtigtes Mitglied der Theologischen bzw. Philosophischen Fakultät und mind. eine weitere, mind. promovierte Person“)216 festgehalten, die sich unter anderem zu zeitnahen Rückmeldungen zu abgegebenen Teilen der Dissertation oder zum Kommentar des jährlich zu erstellenden schriftlichen Berichts des Doktoranden verpflichten.217 Aufgrund dieser strukturierten Elemente wird die institutionalisierte Individualpromotion in dieser Arbeit den 215 Vgl. Statistisches Bundesamt: Personal an Hochschulen 2008, S. 183. Die Angaben beziehen sich auf den Lehr- und Forschungsbereich „Germanistik (Deutsch, germanische Sprachen ohne Anglistik)“. 216 URL (24.5.2010): http://www.uni-goettingen.de/de/77536.html, unter „Mitgliedschaft“, „Nicht programm-gebundene Promovierende“. 217 Für weitere Informationen über die Mitgliedschaft in der Graduiertenschule, für eine Liste der aufgenommenen nicht-programmgebundenen Promovierenden sowie der aufgenommenen Promotionsprogramme und für das Formular der Doktorandenvereinbarung vgl. URL (24.5.2010): http://www.uni-goettingen.de/de/77536.html.
3.1 Promotionsmodelle
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strukturierten Promotionsformen subsumiert und bei Bedarf auf den Sonderstatus hingewiesen. Welche verschiedenen Subkategorien können bei der klassischen Individualpromotion in der Germanistik festgestellt werden und wodurch zeichnen sie sich aus? Eine Promotionssituation, bei der sich der Kontakt des Doktoranden zum germanistischen Institut, mit Ausnahme der in aller Regel unabdingbaren Nutzung der Bibliothek, nur auf die Annahme zur Promotion und die Verteidigung der Doktorarbeit beschränkt, stellt bei gleichzeitiger Eigenfinanzierung durch Quellen außerhalb von Forschung und Lehre eine Extremform der Individualpromotion und einen Widerspruch zum Gedanken der Integration von Forschung und Lehre dar. Insgesamt etwas weniger lose, aber doch noch sehr weit von der Lehrstuhlpraxis entfernt, promovieren germanistische Doktoranden mit einem Stipendium. Gegenüber dem Förderer haben sie in aller Regel eine Berichtspflicht und durch die zeitlich begrenzte Finanzierung ist ein gewisser Rahmen für die Bearbeitungsdauer abgesteckt. Aber auch sie haben zum Beispiel oftmals kein Training in der Lehre erfahren, was wiederum bei einer dritten Unterkategorie von Individualpromovierenden, den neben der Promotion als Schullehrer Tätigen, der Fall ist. Die für die Zukunft des Faches vermutlich wichtigsten Individualpromovierenden sind schließlich die wissenschaftlichen Mitarbeiter. Sie sind in der Regel stark in den Lehr- und Forschungsbetrieb ihres Doktorvaters eingebunden und bekommen dabei den Alltag eines GermanistikProfessors nolens volens hautnah mit.218 Das Profil der für diese Arbeit exemplarisch befragten Doktoranden deutscher Hochschulen deckt einen großen Teil dieser Bandbreite innerhalb der Individualpromotion ab: Drei Doktoranden sind Stipendiaten einer Stiftung, zwei arbeiten als Lehrer außerhalb der Universität, drei sind wissenschaftliche Mitarbeiter an der Hochschule und zwei hauptsächlich mit Lehraufgaben (als Lehrkräfte für besondere Aufgaben) an der Universität beschäftigt. Zum Teil haben die Promovierenden volle Stellen oder haben mehrere Teilstellen so zusammengesetzt, dass diese eine volle Stelle ergeben. Einer der Befragten arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft und Lehrbeauftragter zusätzlich zum Promotionsstipendium einer Stiftung, um „mehr Erfahrung zu sammeln, wie die Abläufe an der Uni sind, auch um [die] Karriereaussichten zu verbessern, Kontakte zu knüpfen und auch noch mehr Geld zu machen“.219
218 Für die Verteilung der Subkategorien der Individualpromovierenden in der Germanistik in der Stichprobe bei der Befragung von Enders/Bornmann vgl. Fußnote 293. 219 Auf die Frage, ob die dort angebotene Promotionsform bei der Wahl des Promotionsortes eine Rolle spielte, wird zusammen mit der Frage nach der Kenntnis strukturierter Promotionsange-
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3 Promovieren in der Germanistik
Alle Formen der Individualpromotion haben ihre Spezifika. Da es in dieser Arbeit jedoch primär um die Kontrastierung der Promotionsbedingungen in der Individualpromotion als Ganzes gegenüber stärker strukturierten Promotionsformen wie den Graduiertenschulen geht, wird bei der in den weiteren Abschnitten thematisch gegliederten Untersuchung nur bei signifikanten Unterschieden auf die einzelnen Subkategorien innerhalb der Individualpromotion eingegangen. Bevor auch anhand der Interviewergebnisse Vor- und Nachteile der Individualpromotion im Detail untersucht werden, sollen einige allgemeine Vorzüge wie Kritikpunkte, die diese Promotionsform zusätzlich charakterisieren können, zusammenfassend angeführt werden. Zu den Vorzügen können Aspekte wie freie Themenwahl und Selbstbestimmtheit bei der gesamten Arbeit, bei guter Betreuung ein intensiver Meinungsaustausch mit dem Doktorvater, freie Zeiteinteilung und Flexibilität in der Promotionsdauer (wichtig etwa für Teilzeitpromovierende) sowie keine Ortsgebundenheit zählen. Als auf die individuelle Promotion mehr oder weniger zutreffende Kritikpunkte können hingegen fehlende Auswahlverfahren, mangelhafte Betreuung, die Abhängigkeit von einem Doktorvater, unzureichende Einbindung in den laufenden Lehr- und Forschungsbetrieb und dadurch mangelhafte Vermittlung der wissenschaftlichen Kern- und Zusatzqualifikationen in germanistischer Forschung und Lehre aufgelistet werden. Hinzu kommen ein fehlender Austausch mit anderen Doktoranden, eine unzureichende Kontrolle der Promotionsfortschritte, der inhaltlichen Ausrichtung bzw. der gewählten Forschungsmethoden der Dissertation, eine lange Promotionsdauer (insgesamt im Mittel sechs Jahre),220 Motivationsschwierigkeiten, Einsamkeit und Frustration sowie eine hohe Abbruchquote: Hochschulforscher schätzen, dass in Deutschland nur jeder dritte Doktorand seine Promotion abschließt.221 bote in der Germanistik für Individualpromovierende wie für in Promotionsprogramme eingebundene Doktoranden im Kapitel 3.1.2 eingegangen. 220 Die Promotionsdauer beträgt in der Germanistik im Mittel sechs Jahre, die Bearbeitungsdauer der Dissertation 4,6 Jahre und das Promotionsalter knapp 33 Jahre. Vgl. Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel?, S. 65f. Die Angaben beziehen sich dabei auf die Promotionsabschlusskohorten 1979/80, 1984/85 und 1989/90 und somit ausschließlich auf die Individualpromotion. Neuere fachspezifische Untersuchungen liegen nicht vor. 221 Zum Thema Abbruchquoten innerhalb der Promotionsphase können in Deutschland aufgrund der mangelnden Datenbasis kaum quantitative Aussagen gemacht werden: „Völlig unerforscht ist der Anteil der abgebrochenen Promotionen“. Moes/Tiefel: Promovieren mit Perspektive, S. 20, sowie „[Man sieht] sich in Deutschland mit dem Problem konfrontiert, dass keine bundesweiten Daten zum Eintritt in die Promotionsphase zur Verfügung stehen. [...] Damit ist eine Berechnung der Erfolgsquote (wie auch der Abbruchquote und der Dauer) nur näherungsweise […] möglich“. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Bundesbericht, S. 72. Basierend auf den Berechnungsansätzen des Instituts für Hochschulforschung (HOF), kann jedoch geschätzt werden, dass (die Medizin ausgenommen) zwei von drei Doktoranden ihre Promotion abbrechen bzw. nur jeder Dritte erfolgreich abschließt. Vgl. ebd., Bundesbericht, S. 72.
3.1 Promotionsmodelle
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Diese Auflistung soll durch eine Diskussion des Begriffs an sich ergänzt werden: Einerseits bedeutet Individualpromotion keineswegs uneingeschränkt frei und selbstbestimmt promovieren, sondern oft ist die theoretische Freiheit und Selbstbestimmtheit durch eine finanzielle Abhängigkeit (vom Betreuer als Vorgesetzten, von den Vorgaben der Stipendiengeber, von hochschulexternen Arbeitgebern oder den Eltern) sowie durch zeitaufwändige promotionsferne Tätigkeiten (etwa durch die neben der Promotion nötige Arbeit zu ihrer Finanzierung) und in manchen Fällen durch allzu restriktive thematische, inhaltliche oder methodische Vorgaben des Betreuers eingeschränkt.222 Dabei muss beachtet werden, dass die Promotion unter anderem das Erlernen des individuell freien Forschens und Lehrens zum Ziel hat. Dabei könnte der Standpunkt eingenommen werden, dass – wie in der Individualpromotion häufig praktiziert – dieses Ziel umso eher erreicht wird, je früher der Doktorand alleine arbeiten muss. Dieses Vorgehen kann jedoch dazu führen, dass „die Themenstellung verfehlt, unangemessene Forschungsmethoden gewählt, der erreichte Arbeitsstand nicht richtig eingeschätzt und Ergebnisse im ersten Anlauf nicht professionell dargestellt werden“.223 Gleichzeitig sollte jede Promotion eine Individualpromotion im Sinne eines individuellen Beitrags des Doktoranden zur Forschung in seiner Disziplin sein. Trotzdem können die stärker strukturierten Promotionsformen, die im folgenden Abschnitt näher betrachtet werden, eine Bereicherung darstellen, wie der Direktor des Gießener Graduiertenzentrums, Professor Dr. Ansgar Nünning, in einem im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Interview feststellt: Jede Promotion ist eine Individualpromotion und wird es bleiben, eine Individualleistung. Andererseits, und das ist mir viel wichtiger, kann ich mir keine Promotion vorstellen, die von der Einbindung in ein exzellentes strukturiertes Programm nicht profitieren würde. Weil einmal die Promovierenden dadurch über den engen Tellerrand hinaus zu blicken lernen, über das eigene Projekt aber auch über [das eigene] Fach hinaus. Zum anderen lernen sie über die eigene Promotion hinaus theoretisches Wissen und Methoden, die auf andere Probleme transferierbar sind.
Welche Modelle der strukturierten Doktorandenausbildung in der Germanistik existieren, wie bekannt sie unter den befragten Doktoranden sind, ob die Promotionsform – individual oder strukturiert – bei der Wahl des Promotionsortes eine 222 „Ohne behaupten zu wollen, dass die meisten Doktoranden am großen Bleistift ihres jeweiligen Doktorvaters hängen, kann doch festgehalten werden, dass der weit überwiegende Teil des wissenschaftlichen Nachwuchses bei uns nicht oder nur eingeschränkt selbstständig tätig ist.“ Krull: Humboldt, adieu!, S. 68. 223 Hochschulrektorenkonferenz: Zur Organisation des Promotionsstudiums, S. 11.
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Rolle spielt und welche weiteren Faktoren für eine Entscheidung beispielsweise für die Individualpromotion entscheidend sind – wird im folgenden Abschnitt untersucht. 3.1.2 Strukturierte Doktorandenausbildung Die „strukturierte Doktorandenausbildung“ ist ein Sammelbegriff für verschiedene Promotionsformen, denen eine Abgrenzung von der in der Germanistik bisher üblichen und nach wie vor überwiegenden Individualpromotion224 durch mehr Struktur gemeinsam ist. Was „mehr Struktur“ jeweils genau bedeutet, ist bei den einzelnen Promotionsmodellen sowie in der Praxis bei jedem konkreten Programm unterschiedlich und wird für die in der Befragung exemplarisch untersuchten Programme im nächsten Abschnitt erläutert. Meistens handelt es sich dabei um Standards hinsichtlich der Einschreibung, der Auswahlverfahren, der Betreuung, der angestrebten Promotionsdauer, der Verfolgung der Promotionsfortschritte sowie der Vermittlung bestimmter wissenschaftlicher Kern- und Zusatzqualifikationen mit einem Kursangebot. Hauptsächlich können zwei Subkategorien der strukturierten Promotion unterschieden werden: Die Graduiertenkollegs ergänzen die Promotionslandschaft in der Germanistik seit 1990, werden meist für viereinhalb Jahre (bei Verlängerung für insgesamt neun Jahre) von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und bieten in der Regel einen interdisziplinären, eng thematisch ausgerichteten Forschungszusammenhang, in dem Promovierende und andere Forscher zusammen arbeiten.225 Vor dem Hintergrund der in den Kapiteln 1 und 2.1. ausgeführten typischen individuellen Forschungsarbeit in den Geisteswissenschaften und entsprechend Teamarbeit in den Naturwissenschaften könnte argumentiert werden, dass diese Art der Zusammenarbeit in den Graduiertenkollegs zwar für die Natur-, nicht aber für die Geisteswissenschaften geeignet sei. Dass das Argument nicht trägt, oder aber dass die Geisteswissenschaften sich trotz der vermeintlichen Nichteignung dieser Fördermöglichkeit bedienen, zeigen die Zahlen über die Beteiligung der Geisteswissenschaften an den Graduiertenkollegs der DFG: Ihr Anteil lag zwischen 1993 und 2003 konstant über 15 Prozent und somit deutlich über dem Anteil der Geisteswissenschaften an allen DFG-Förderbewilligungen, der für den gleichen Zeitraum zwischen acht und 224 Vgl. Fußnote 204. 225 Mitte 2010 (Stand 24. Mai) förderte die DFG 219 Graduiertenkollegs, davon 60 in den Geistesund Sozialwissenschaften. Vgl. Fußnote 211 und URL (24.5.2010): http://www.dfg.de/foerde rung/programme/listen/index.jsp?id=GRK.
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zehn Prozent betrug.226 In seinen Empfehlungen zu den Geisteswissenschaften zieht der Wissenschaftsrat daher das Fazit, dass „Nachfrage und Erfolg zeigen, dass kooperative Förderformen in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen als geeignetes Instrument der Nachwuchsförderung betrachtet werden“.227 Beispiele für Graduiertenkollegs mit germanistischer Beteiligung sind „Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert“ in Göttingen, „Mediale Historiographien“ in Weimar, Erfurt und Jena und „Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“ in Gießen. Den Graduiertenkollegs stehen als zweite Subkategorie strukturierte Promotionsformen neueren Typs gegenüber, die meist stärker schulisch aufgebaut sind, ein verpflichtendes Veranstaltungsangebot umfassen können sowie in unterschiedlichen Ausprägungen des disziplinären Zuschnitts existieren: Sie fungieren entweder als ein fachspezifisches Angebot wie die Graduate School of North American Studies an der Freien Universität Berlin, die sich ausschließlich an Amerikanisten wendet.228 Eine zweite Möglichkeit ist ein fachübergreifendes Promotionsmodell wie das International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) in Gießen, das sich an ausgewählte Promovierende der Geistes- bzw. Kulturwissenschaften einschließlich der Germanistik richtet. Drittens kann es sich um ein Dachangebot für alle Promovierenden mehrerer Fakultäten handeln, wie im Falle der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften an der GeorgAugust-Universität Göttingen (Theologische und Philosophische Fakultät). Und schließlich existieren über die Fächergruppengrenzen hinweg hochschulweite Graduiertenschulen wie die Research School der Ruhr-Universität Bochum.229 Dabei werden zum einen für die konkreten Programme verschiedene Bezeichnungen im Namen gewählt, zum anderen auch in der allgemeinen Diskussion die Begriffe ‚Promotionsstudiengang’, ‚Graduiertenschule’, ‚Graduiertenprogramm’, ‚Research School‘, ‚Graduiertenzentrum‘, ‚Forschungsschule‘, ‚Graduiertenakademie‘ und ‚Graduate School’ substituiert. In dieser Arbeit wird des226 Vgl. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften S. 77 und S. 151f. 227 Ebd., S. 77. 228 Explizit für die Germanistik gibt es, wie im Kapitel 2.2 festgestellt, bisher keine Graduiertenschule. Als die am ehesten zutreffenden Varianten erscheinen die Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien, ebenfalls an der FU Berlin, sowie die Graduate School Practices of Literature in Münster, die beide in Kapitel 3.1.3 vorgestellt werden. 229 Die Research School der Ruhr-Universität Bochum umfasst 20 Fakultäten und alle Forschungsausrichtungen der Universität, von den Natur- und Ingenieurwissenschaften über Lebenswissenschaften bis zu den Geistes- und Sozialwissenschaften. URL (24.5.2010): http://www.research-school.rub.de/about_us0.html.
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halb meist zusammenfassend von ‚strukturierten Promotionsformen‘ gesprochen und gegebenenfalls im Einzelfall auf die jeweiligen Spezifika hingewiesen.230 Außer dem disziplinären Zuschnitt und der Bezeichnung ist auch die Finanzierung der strukturierten Promotionsformen in der Germanistik divers: Neben zwei durch die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder geförderten Graduiertenschulen existieren von einzelnen Bundesländern, Stiftungen oder Hochschulen (teil)finanzierte Programme. Außeruniversitäre Graduiertenschulen, ähnlich den Max Planck Research Schools oder den Helmholtz Graduate Schools in den Naturwissenschaften scheint es jedoch in den Geisteswissenschaften interessanterweise bisher nicht zu geben. Obwohl die germanistische Forschung auch an außeruniversitären Forschungsinstituten angesiedelt ist (Beispiele sind das Wissenschaftskolleg und das Zentrum für Literaturforschung, beide in Berlin), hat die Doktorandenausbildung in der Germanistik bisher den in den Naturwissenschaften beobachtbaren Zersetzungstendenzen (verstärkte Abwanderung hochrangiger Forschung an außeruniversitäre Forschungseinrichtungen) standhalten können: Wenn Doktoranden bei Professoren promovieren, die an außeruniversitären Forschungseinrichtungen angebunden sind, oder deren Bibliothek und weitere Ressourcen nutzen, so ist diese Promotionsform an der jeweiligen Einrichtung nicht institutionalisiert und ist somit der Kategorie der Individualpromotion zuzuordnen. Die beschriebene ‚Gemischtwarenladen‘-Situation der strukturierten Promotionsmodelle bringt Vor- und Nachteile mit sich: Während den Doktoranden eine zuvor nie dagewesene Vielfalt von Förderprogrammen zur Verfügung steht, erschwert die Heterogenität der Promotionsformen einen Vergleich sowie ein denkbares Ranking der Promotionsprogramme einer Disziplin. Auch sind die gemischte Finanzierung und die Befristung der Förderung problematisch. Der Vergleich mit den USA wird zeigen, dass es Modelle der Graduiertenförderung geben kann, in denen diese selbstverständlich und unbefristet zur Grundausstattung der Universität gehört. Die stetige Basisförderung schließt dabei eine zusätzliche Drittmitteleinwerbung im Wettbewerb nicht aus. 230 Für einen fächerübergreifenden Vergleich verschiedener Aspekte der Promotion und der anschließenden Erwerbs- und Berufsverläufe zwischen einerseits Doktoranden der DFGGraduiertenkollegs und andererseits Promovierten, die im gleichen Zeitraum in einem anderen Qualifikationszusammenhang in Deutschland an ihrer Dissertation gearbeitet haben, vgl. Enders/Kottmann: Neue Ausbildungsformen – andere Werdegänge? Eine Einzelauswertung für die Germanistik wurde in dieser Studie nicht durchgeführt und wird von der Autorin Andrea Kottmann wegen der geringen Fallzahl nicht für sinnvoll gehalten, sondern Germanisten wurden in die Kategorie „Sprach- und Literaturwissenschaften“ integriert, vgl. schriftliche Mitteilung Andrea Kottmann, E-Mails vom 25. August und 13. Oktober 2009. Die Ergebnisse der Studie werden in den folgenden Kapiteln 3.2 bis 3.8 teilweise beim Vergleich der Individualpromotion mit den strukturierten Promotionsformen herangezogen.
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Ähnlich der Situation in der Individualpromotion und entsprechend der vorhandenen Vielfalt der strukturierten Promotionsformen in Bezeichnung, Ausrichtung und disziplinärem Zuschnitt existiert kein Überblick über Möglichkeiten einer strukturierten Promotion in der Germanistik. Auch Publikationen oder der Internetauftritt des Germanistenverbandes bieten hier keine Orientierung. Die Erstellung eines solchen Überblicks wird durch die Befristung der Finanzierung und die dadurch meist zeitlich begrenzte Existenz zum Beispiel der Graduiertenkollegs weiter erschwert. Eine Momentaufnahme gibt das im April 2007 erschienene „Handbuch Promotion“ von Ansgar Nünning und Roy Sommer im Kapitel „Institutionalisierte Graduiertenförderung im geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Bereich an deutschen Hochschulen im Überblick“.231 Ansonsten sind Promotionsinteressierte in der Germanistik auf eine Vielzahl unvollständiger Informationsquellen angewiesen, wie im Folgenden die Ergebnisse der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Doktorandenbefragung zeigen. Wie bekannt sind bestehende strukturierte Promotionsformen für Germanisten, und wie wird die Wahl des Promotionsortes von der dort angebotenen Promotionsform beeinflusst? Auf die Frage, ob sie in Deutschland strukturierte Promotionsangebote (Promotionskollegs, Promotionsstudiengänge, Graduiertenschulen) in der Germanistik kennen und wenn ja, welche, antworten 18 der 20 befragten Doktoranden positiv – sie kennen mindestens ein Hochschulstandort mit einem strukturierten Promotionsangebot in der Germanistik in Deutschland. Nur jeweils ein Individualpromovierender und ein Doktorand eines strukturierten Programms können kein strukturiertes Angebot (letzterer kein anderes als das eigene) nennen. Die Hypothese, dass eine theoretisch denkbare gänzliche Unwissenheit über die Existenz strukturierter Promotionsformen in der Germanistik der Grund für die ‚Wahl‘ der Individualpromotion ist, wird durch die Ergebnisse dieser Befragung nicht unterstützt. Im Gegenteil: Die meisten Doktoranden in beiden Promotionsformen kennen mehr als zwei strukturierte Promotionsmöglichkeiten. Ein Individualpromovierender nennt sieben verschiedene Angebote, ein Promovierender eines strukturierten Programms sechs, und insgesamt elf Doktoranden geben mindestens drei Orte mit strukturierten Promotionsprogrammen in der Germanistik an. Welche Möglichkeiten zu einer strukturierten Promotion in der Germanistik sind unter den Befragten besonders bekannt? Die beiden meistgenannten Städte sind Berlin (16 Nennungen) und Gießen (zwölf Nennungen). Bei der Freien Universität Berlin werden namentlich siebenmal die „Friedrich-Schlegel-Schule für literaturwissenschaftliche Studien“, viermal das Exzellenzcluster „Languages 231 Vgl. Nünning/Sommer: Handbuch Promotion, S. 351-410.
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of Emotion“ und jeweils einmal die beiden Graduiertenkollegs „InterArt“ und „Schriftbildlichkeit: Über Materialität, Wahrnehmbarkeit und Operativität von Notationen“ angegeben. An der Humboldt-Universität betreffen die Nennungen jeweils einmal die Graduiertenkollegs „Codierung von Gewalt im medialen Wandel“ und „Geschlecht als Wissenskategorie“ sowie das binationale Promotionsprogramm (PhD-Net) „Das Wissen der Literatur“. In Gießen wird meist unter der nicht ganz genauen Bezeichnung „Graduiertenschule“ das Graduiertenzentrum „GCSC“ (International Graduate Centre for the Study of Culture) benannt (neunmal) sowie jeweils einmal das Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften (GGK), der internationale Promotionsstudiengang „Literatur- und Kulturwissenschaft“ und das Graduiertenkolleg „Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“. Fünf Nennungen betreffen verschiedene Promotionsmöglichkeiten in Göttingen, davon zweimal die Graduiertenschule und jeweils einmal das Promotionskolleg „Wertung und Kanon. Theorie und Praxis der Literaturvermittlung in der „nachbürgerlichen“ Wissensgesellschaft“ sowie die beiden Graduiertenkollegs „Passungsverhältnisse schulischen Lernens: Verstehen und Optimieren“ und „Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert“. Jeweils vier Nennungen beziehen sich auf Münster mit der Graduiertenschule „Practices of Literature“ und auf München – einmal das Graduiertenkolleg „Textkritik als Grundlage und Methode historischer Wissenschaften“ und dreimal die Stadt München ohne genauere Angabe – möglicherweise ist dabei der von sämtlichen literaturwissenschaftlichen Fächern der Ludwig-Maximilian-Universität getragene Promotionsstudiengang Literaturwissenschaft (ProLit) gemeint. Jeweils zweimal nennen die Befragten das Frankfurter Graduiertenkolleg „Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung“, das Exzellenzcluster bzw. die Graduiertenschule in Konstanz und die a.r.t.e.s. Forschungsschule in Köln. Zu den zahlreichen Einfachnennungen gehören die Doktorandenschule „Laboratorium Aufklärung“ in Jena, das Graduiertenkolleg „Mediale Historiographien“ in Weimar, Erfurt und Jena; das Erfurter Promotionskolleg „Texte, Zeichen, Medien“ sowie weitere strukturierte Promotionsangebote, meist nur als Nennung des Stadtnamens (hier in alphabetischer Reihenfolge) in Frankfurt an der Oder, Freiburg, Halle, Hildesheim, Kassel, Mainz, Marburg, Paderborn und Tübingen. Insgesamt werden 35 verschiedene strukturierte Promotionsangebote für Germanisten genannt. Diese hohe Zahl und die Bandbreite der Nennungen deuten darauf hin, dass zumindest bereits Promovierende gut über den ‚Promotionsmarkt‘ informiert sind. Die Kenntnis über die Existenz von Programmen bedeutet selbstverständlich nicht automatisch eine Kenntnis über konkrete Stärken und Schwächen der einzelnen Programme. Auch kann die gute Informiert-
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heit der Befragten über die Existenz bestimmter Programme nicht auf eine einfache Beschaffung der Informationen zurück geführt werden, wie die folgende Äußerung eines Befragten andeutet: „[Es] gibt aber nirgendwo systematisch aufbereitet die Übersicht über Förderprogramme mit Stipendien, eine Katastrophe in Deutschland! Die Informationslage ist sehr schlecht, ein großes Problem für deutsche Promotionswillige“. Die dann doch gefundenen Informationen stammen aus verschiedenen Quellen, unter anderem aus den Ausschreibungen der Doktorandenprogramme in der Wochenzeitung DIE ZEIT, den Nachrichten innerhalb des Netzwerks für literaturwissenschaftlichen Wissenstransfer „HGermanistik“ und von den Onlineportalen academics.de, e-fellows.net und kisswin.de. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Stipendienankündigungen der Programme, da an einer Promotion interessierte Germanistikstudierende oftmals gezielt nach einem Doktorandenstipendium suchen und so das für sie ‚passende‘ Programm finden, wie die Antworten der Befragten auf die nächste Frage zeigen. Bei der Antwort auf die Frage, ob bei der Wahl des Promotionsortes die dortige Promotionsform (Individualpromotion, Graduiertenschule, Promotionskolleg etc.) eine Rolle spielte und wenn ja, welche, berichtet überraschenderweise nur die Hälfte der Befragten über einen Einfluss der Promotionsform auf den gewählten Promotionsort. Bei der anderen Hälfte der Doktoranden spielte die Promotionsform keine Rolle. Interessant ist das Ergebnis insbesondere bei der alleinigen Betrachtung der Antworten von Doktoranden der strukturierten Programme: Mit Blick auf das zu durchlaufene Auswahlverfahren und einen zum Teil nötigen Hochschulortwechsel könnte angenommen werden, dass die Wahl des Promotionsortes auf einer bewussten Entscheidung für die spezifische Promotionsform der Graduiertenschule oder des Promotionskollegs beruht. Dies ist jedoch nicht immer der Fall: Vier der zehn Doktoranden in strukturierten Programmen antworten auf die genannte Frage, dass die Promotionsform keinen Einfluss gehabt hätte. Wenn es offensichtlich nicht immer die Form des Promovierens an sich ist – gibt es Faktoren, die die Befragten der strukturierten Programme als maßgeblich für die Entscheidung für einen bestimmten Promotionsort anführen? Eine Annahme könnte lauten, dass das Thema, das gut zur jeweiligen Graduiertenschule oder zum Promotionskolleg passt, ausschlaggebend ist; das Thema ist jedoch nur bei zwei Befragten explizit der Grund. Stattdessen ist der meist genannte Einflussfaktor für die Wahl einer strukturierten Promotionsform die gesicherte Finanzierung: Die Hälfte der Promovierenden der strukturierten Programme erwähnen das Stipendium als wichtigen oder wichtigsten Faktor, zum Teil ohne weitere Einschränkungen, wie in der folgenden Antwort: „Nicht die Form, sondern das Stipendium spielte eine Rolle. Auch habe ich mich gar nicht groß umgesehen, es gab das, ich habe mich beworben und es bekommen“.
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Über die Finanzierung hinaus sind bei den strukturiert Promovierenden weitere genannte Einflussfaktoren die Möglichkeiten zum Austausch und zum Besuch von Kursen sowie eine gute Betreuung, auch wenn sich diese Erwartungen nicht immer bestätigt haben: Ja, es spielte insofern eine Rolle, als dass es strukturiert ist, also für mich attraktiv, dass es eine gute Betreuung und dass [es] mit anderen Doktoranden Austausch in Kursen gibt. Aber in der Praxis funktioniert es nicht so gut, die Themen [der anderen Leute] sind sehr unterschiedlich […]. Wir haben keinen Aufhänger, kein gemeinsames Thema, sodass manchmal eine gemeinsame Ebene fehlt, habe ich den Eindruck.
Ein Doktorand wollte gerne an einem Zentrum promovieren, da es ihm die Möglichkeit gäbe, weiterhin Kurse und Seminare zu besuchen, sodass er sich auch außerhalb der Promotion weiter bilden könne. Auch fand er die regelmäßigen Kolloquien und den Austausch mit anderen Doktoranden vorteilhaft. Ähnlich heißt es bei zwei weiteren Befragten: „es gab ein Stipendium und man promoviert nicht wie so ein einsamer Wolf […]. Davor hatte ich immer Angst“ und „die Tatsache der Förderung mit Stipendium war entscheidend und auch der thematische und persönliche Austausch mit anderen Promovenden. Ich habe genau das gesucht“. Einmal ist der Grund für die Wahl eine schlechte Erfahrung mit der (Individual-)Betreuung im Studium: [Ich] hatte schlechte Betreuung beim Magister, wollte es nicht individuell machen, fand die […] Ausrichtung des Programms gut und die Betreuungssituation. Auch gute Internetpräsenz, der Eindruck, dass sie sich gut um einen kümmern und einen nicht alleine lassen. [Es] wirkte sehr professionell, was sich dann auch bestätigt hat. Sie wissen hier, was Doktoranden brauchen.
Aus der Gruppe der strukturiert Promovierenden sind noch zwei Antworten erwähnenswert: Ein Doktorand berichtet, dass er wahrscheinlich von der Promotionsform unabhängig bei seinem Betreuer geblieben wäre, ein anderer führt an: „[Es spielte] keine Rolle. Ich hatte damals noch kein Bewusstsein für diesen Unterschied und weiß auch jetzt noch nicht genau, was besser ist“. Insgesamt überrascht bei der Gruppe der strukturiert Promovierenden, dass nicht die Promotionsform der entscheidende Faktor bei der Wahl des Promotionsortes ist, sondern vielmehr die finanzielle Absicherung. Dies fällt als ein Spezifikum der Geistes- und Sozialwissenschaften im Kontrast zu den Ingenieuroder Naturwissenschaften auf, in denen auch Individualpromovierende in aller Regel bezahlt werden. Die neben dem Stipendium oft zusätzlich genannten Kriterien Austausch, Kurse und Betreuung deuten jedoch auf die implizite Bedeu-
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tung der gewählten strukturierten Promotionsform über das Stipendium hinaus hin. Wie sieht die Situation bei den Individualpromovierenden aus? Die Auswertung der Frage nach den bekannten strukturierten Promotionsformen in Germanistik in Deutschland ergab bereits, dass eine mögliche Unkenntnis über die Existenz konkreter strukturierter Angebote ausgeschlossen werden kann und somit nicht der Grund der ‚Entscheidung‘ für die Individualpromotion ist. Was ist es dann? Sechs der zehn Individualpromovierenden geben an, dass ihre konkrete Promotionsform keine Rolle bei der Wahl des Promotionsortes spielte. Stattdessen waren die wichtigsten Faktoren das Thema bzw. seine freie Bearbeitung sowie ein bestimmter Betreuer. Sieben der zehn Individualpromovierenden messen den Freiheiten im Promotionsablauf explizit eine Bedeutung zu, wie in den drei folgenden Beispielen einer gezielten Wahl der Individualpromotion: „Ja, das war mir schon wichtig, dass ich eine Arbeit nach meiner Vorstellung anfertigen kann, mit mir einleuchtender Argumentationsstruktur usw. Ich habe es sehr geschätzt, dass [der Betreuer] [mir] freie Hand gelassen hat und [meine] Vorstellungen verwirklichen ließ, auch was den Ablauf betrifft“. Und: „Ja, ich wollte eigentlich gerne so frei promovieren. Das wichtigste war [der Betreuer] und das Betreuungsverhältnis und dass ich wusste, dass es auch bei [ihm] eine strukturierte Promotion geben wird und dass ich nicht alleine bin. Ich wollte aber kein Programm, wo ich jede Woche hin muss“ und „Ja, [die Promotionsform] spielte eine wichtige Rolle, da ich nicht in so ein festes Programm wollte, sondern Freiheiten haben bei der Ausgestaltung“. Neben der Freiheit ist das konkrete Thema maßgeblich. Einem Doktoranden wurde etwa die Teilnahme in der Graduiertenschule vorgeschlagen, „aber da hätte einfach mein Thema nicht gepasst. Mir war wichtig, dass ich mein Thema machen kann, ich wollte es selber entscheiden und wollte nicht ein anderes Thema nehmen müssen“. Die Relevanz des konkreten Themas ist dabei nicht immer auf die eine oder andere Promotionsform bezogen, wie im folgenden Fall: „Auch heute würde ich an meinem Thema festhalten, aber wenn ich sehen würde, dass es anpassbar wäre für eine Graduiertenschule, würde ich auf jeden Fall versuchen, mich dort zu bewerben“. Der zitierte Doktorand nennt für den Fall auch direkt die Vorteile einer strukturierten Promotion aus seiner Sicht: Ich glaube dass der Abschluss des „Ph.D.“ mehr Optionen bietet, auch international. Zweitens sind die Stipendien höher (1300 meistens) und drittens, ich kenne die Leute von [Name strukturiertes Programm] und der Ansatz ist sinnvoll, man wird ein bisschen an die Hand genommen und ins Netzwerk integriert und hat die Möglichkeit, gewisse soft skills zu erwerben.
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Für diese Offenheit gegenüber der anderen Promotionsform gibt es aber auch ein Gegenbeispiel eines Doktoranden, der „niemals im Leben“ an einer Graduiertenschule promovieren würde, da er es „zu eng“ findet, beispielsweise weil die Doktoranden dort „so viele verpflichtende Unterrichtsstunden noch haben, auch weitere Kurse, Selbstvermarktung, Präsentation usw., was sie machen müssen. [Sie] müssen oft auch verpflichtend ins Ausland, was sie dann von ihrer Arbeit abhält. Und sie haben nicht so eine enge Anbindung an Forschung, das ist zumindest mein Eindruck“. Schließlich nennen vier Doktoranden explizit den konkreten Doktorvater als einen wichtigen Einflussfaktor. Insgesamt betrachtet ist die Wahl der Individualpromotion laut der oben genannten Befragungsergebnisse kein Zufall und keine Konsequenz der Uninformiertheit, sondern eine bewusste Entscheidung für einen konkreten Betreuer, ein bestimmtes Thema und eine spezifische selbstbestimmte Art seiner Bearbeitung. Darüber hinaus gibt es von den Individualpromovierenden vereinzelt eine negative Abgrenzung gegenüber den strukturierten Programmen, bei denen ein zu enges thematisches oder zeitliches Korsett befürchtet wird. Wenn also Promotionsinteressierte für eine strukturierte Promotion in der Germanistik gewonnen werden sollen, sind, wie die oben angeführten Ergebnisse der Befragung nahelegen, zentrale Faktoren zur Verfügung stehende Stipendien, die Möglichkeit der freien Wahl des Themas und des Betreuers sowie ein flexibles Angebot zum Austausch und zum Erwerb von wissenschaftlichen Zusatzqualifikationen. 3.1.3 Praxisbeispiele strukturierter Promotionsformen Stellvertretend für die im vorigen Kapitel beschriebene Vielfalt der Konzepte der Doktorandenausbildung in der Germanistik werden im Folgenden in alphabetischer Reihenfolge fünf Praxisbeispiele strukturierter Promotionsformen vorgestellt, aus denen auch die Interviewpartner – jeweils zwei Doktoranden sowie die Sprecher der Programme, ergänzt durch je zwei germanistische Individualpromovierende der gleichen Universität – stammen: Die beiden einzigen bisher in der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder erfolgreichen geisteswissenschaftlichen Graduiertenschulen in Berlin und Gießen sowie die strukturierten Promotionsangebote der Universitäten Göttingen, Köln und Münster zur Untersuchung der Bandbreite der Finanzierung, der Programmgrößen und der verschiedenen Phasen im Prozess der Einrichtung und der unterschiedlichen Zielsetzung in der Germanistik.232 232 Für Internetverweise zu Promotionsordnungen der untersuchten Programme vgl. Kapitel 7.3.
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3.1.3.1 Freie Universität Berlin Die im November 2007 eingerichtete Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien gehört zu den 16 strukturierten Promotionsprogrammen an der Freien Universität Berlin, die unter dem Dach der Dahlem Research School koordiniert werden (Stand März 2010). Die Finanzierung erfolgt aus den Mitteln der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder, in der die Graduiertenschule eine der beiden einzigen bisher erfolgreichen geisteswissenschaftlichen Graduiertenschulen ist. Dadurch stehen ihr für drei Jahre Mittel zur Verfügung, danach ist ein Verlängerungsantrag geplant. Wie bei den anderen 38 Graduiertenschulen der Exzellenzinitiative können drei Jahre lang jedes Jahr zehn Doktoranden mit Stipendien aufgenommen werden, so dass im dritten Förderjahr 30 Stipendiaten an der Graduiertenschule promovieren werden. Bis zu 15 weitere Kandidaten, die sich eigenständig um ihre Finanzierung kümmern, können in das Programm aufgenommen werden. Zum Zeitpunkt des im April 2009 geführten Interviews mit dem Sprecher der Graduiertenschule, Professor Dr. Peter-André Alt, bestand diesbezüglich die Absicht, abhängig von der Qualität der Bewerbungen zwei oder drei Doktoranden zusätzlich aufzunehmen. Das wichtigste Spezifikum der Graduiertenschule ist neben ihrem Erfolg in der Exzellenzinitiative eine dezidiert literaturwissenschaftliche Ausrichtung, die zusammen mit der Graduate School Practices of Literature in Münster einer denkbaren Graduiertenschule „Germanistik“ von allen derzeitigen strukturierten Promotionsprogrammen in Deutschland am nächsten kommt. Die meisten Bewerbungen für das Aufnahmeverfahren, das ein Exposé, eine Arbeitsprobe und weitere Unterlagen umfasst, kommen tatsächlich von Germanisten – laut Auskunft des Sprechers könnten theoretisch sogar 100 Prozent Germanisten zugelassen werden. Da jedoch die Fächervielfalt als strategisch wichtig erachtet wurde, waren in der ersten Kohorte drei von zehn Stipendiaten Germanisten. Zudem liegt der inhaltliche Schwerpunkt der Graduiertenschule nicht ausschließlich auf deutscher Literatur, sondern allgemein auf dem Gebiet der Literaturwissenschaften, die Texte europäischen, amerikanischen, arabischen oder asiatischen Ursprungs untersuchen. Die Dissertationsprojekte können dabei folgenden acht Forschungsfeldern zugeordnet werden: Textualität und Intertextualität; Rhetorik, Poetik, Ästhetik; Literatur und Sprache; Literatur und Diskurse des Wissens; Literatur und kulturelle Differenz; Literatur und die Künste; Positionen der Literaturtheorie; Editionswissenschaft; sowie Das Feld der Literatur – „Berlin Now!“.233 233 Vgl. URL (24.5.2010): http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/friedrichschlegel/promo tionsprogramm/Forschungsgebiete/index.html.
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Das Curriculum des im Rahmen der Graduiertenschule zu durchlaufenden Promotionsstudiums „Literary Studies – Literaturwissenschaftliche Studien“ umfasst Seminare zur Methodologie und Literaturtheorie sowie weitere Workshops und Kurse zu verschiedenen berufsrelevanten Qualifikationen wie Hochschuldidaktik, Wissenschaftskommunikation auf Englisch oder Projektmanagement. Darüber hinaus präsentieren die Doktoranden ihre Dissertationsprojekte in einem Forschungskolloquium. Das Curriculum ist mit Leistungspunkten versehen, wobei der Anteil der mit selbständiger Arbeit an der Dissertation zu erwerbenden Punkte im Verlauf des Promotionsstudiums ansteigt und die Anzahl der zu belegenden Kurse abnimmt. Eine Auflistung der Doktoranden mit E-MailAdressen und Abstracts der Dissertationsthemen ist im Internet zugänglich.234 3.1.3.2 Justus-Liebig-Universität Gießen Das Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften (GGK) ist das älteste fachübergreifende strukturierte Promotionsprogramm für Geisteswissenschaftler einschließlich Germanisten in Deutschland – es wurde 2001 eröffnet. Als übergreifende Dachstruktur, die sich am Vorbild internationaler graduate schools orientiert, soll das Zentrum eine strukturierte Promotion für alle Doktoranden der Kulturwissenschaften der Universität Gießen ermöglichen. Die Gründe für den Aufbau dieses Pilotprojets in der geisteswissenschaftlichen Doktorandenausbildung beschreibt im Februar 2009 im Interview der Geschäftsführer des Graduiertenzentrums, Dr. Martin Zierold, zum einen als eine „Reaktion auf die seit langem bekannte Kritik am deutschen Promotionssystem [mit] Abhängigkeit, lange[n] Promotionszeiten, zu wenig konkrete[n] Angebote[n] für Doktoranden – allgemeine Angebote schon, aber nicht auf Doktoranden zugeschnitten“, auf Defizite also, „die sich messen lassen in hohen Abbrecherquoten und langen Promotionszeiten“. Neben dieser politischen Entscheidung handelte es sich zum anderen um eine bedarfsorientierte Reaktion auf die Optimierungswünsche der Doktoranden, die in einer an der Universität durchgeführten Befragung festgestellt wurden. Aufbauend auf dem Graduiertenzentrum wurde im Herbst 2006 mit der International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) neben Berlin die 234 Ein nach Jahren übersichtlich aufgeteiltes Curriculum kann abgerufen werden unter der URL: http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/friedrichschlegel/promotionsprogramm/curricu lum/index.html (24.5.2010). Für eine Auflistung der Doktoranden und der Abstracts ihrer Dissertationsprojekte vgl. URL (24.5.2010): http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/fried richschlegel/personen/doktoranden/index.html#I.
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zweite bisher in der Exzellenzinitiative erfolgreiche geisteswissenschaftliche Graduiertenschule eröffnet. Darüber hinaus gibt es zwei weitere Angebote für promovierende Germanisten in Gießen: Seit dem Wintersemester 2002/2003 der vom DAAD im Rahmen des Programms „Promovieren an Hochschulen in Deutschland“ (PHD) geförderte Internationale Promotionsstudiengang „Literatur- und Kulturwissenschaft“ sowie das European PhD-Network „Literary and Cultural Studies“, das in Zusammenarbeit mit der Finnish Graduate School for Literary Studies in Helsinki und den literaturwissenschaftlichen Promotionsprogrammen der Universitäten Stockholm, Bergamo und Lissabon eine Möglichkeit zur binationalen Promotion bis hin zu einem Cotutelle-Verfahren bietet.235 Insgesamt hält die Justus-Liebig-Universität somit für promotionsinteressierte Germanisten vier verschiedene Angebote bereit. Die im Rahmen dieser Arbeit befragten Gießener Stipendiaten promovieren in dem durch die Exzellenzinitiative geförderten Programm des Graduiertenzentrums (GCSC).236 Der Unterschied zwischen dem Dachangebot an alle Promovierende und dem GCSC soll auch explizit in der „Exzellenz“ der Doktoranden des GCSC bestehen, wie der Direktor des Zentrums, Professor Dr. Ansgar Nünning, im Interview erläutert: Bei uns ist das Graduiertenzentrum für alle Doktoranden da, aber wir haben auch ein Angebot für die Exzellenten, und dort bekommen wir 500 Bewerber für zehn Stipendien. Exzellenz heißt etwas vortrefflich machen und das können nicht alle. Gleichwohl sollte sie aber ausstrahlen, auf die eigene Universität aber auch auf andere Universitäten. Diejenigen, die bei uns fertig werden, können ja nicht bei uns bleiben, sondern tragen die Exzellenz dann weiter in andere Universitäten.
Deshalb gibt es bei diesem Programm im Gegensatz zum Dachangebot ein Aufnahmeverfahren, in dem sich Promotionsinteressierte mit einem Exposé und weiteren Unterlagen bewerben. Der Promotionsfortschritt wird kontrolliert, und den Doktoranden stehen Stipendien sowie weitere exklusive Angebote wie Workshops und Veranstaltungen zur Verfügung, zum Beispiel ein Grundlagenkurs zum Promovieren, Kurse zum Thema Artikelrezensionen, ein gezielter Disputationskurs gegen Ende der Promotion oder ein spezifisch auf Berufsfelder für promovierte Kulturwissenschaftler zugeschnittener Career Service sowie ein 235 Beim Cotutelle-Verfahren wird die Promotion basierend auf einem Vertrag zwischen zwei Hochschulen binational betreut. Dies schließt eine wissenschaftliche Betreuung und Aufenthalte in beiden Ländern sowie eine Mitwirkung auswertiger Betreuer im abschließenden Promotionsverfahren mit ein. Für weitere Informationen und eine Arbeitshilfe zu grenzüberschreitenden Promotionsverfahren vgl. URL (24.5.2010): http://www.hrk.de/de/service_fuer_hochschul mitglieder/156.php. 236 Für detaillierte Informationen zu allen vier Programmen vgl. URL (24.5.2010): http://www.uni-giessen.de/cms/forschung/nawuwi/gradschulen.
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Teaching Center, in dem Doktoranden professionell Hochschullehre lernen sollen. Der Anteil der Germanisten an den Promovierenden des GSCS liegt laut Auskunft des Geschäftsführers Dr. Martin Zierold bei etwa 20 Prozent, die beteiligten Fächer sind Literatur und Sprache, Geschichte und Kunstgeschichte sowie die Fächergruppe Sozialwissenschaften. 3.1.3.3 Georg-August-Universität Göttingen Ein Programm der Georg-August-Universität Göttingen wurde bereits im Kapitel 3.1.1 als ein Beispiel für die neue Kategorie der institutionalisierten Individualpromotion angeführt: Die 2005 gegründete und 2006 formell eröffnete Graduiertenschule für Geisteswissenschaften. Sie bindet als Dachstruktur gleichzeitig sämtliche geisteswissenschaftliche Promotionsprogramme und Graduiertenkollegs der Universität und die interessierten Free Floater, wie in Göttingen Individualpromovierende genannt werden, mit ein. Die vom Bundesland Niedersachsen finanzierte Graduiertenschule ist nicht thematisch ausgerichtet, sondern umfasst alle Forschungsthemen der philosophischen und theologischen Fakultät. Sie bietet eine allgemeine Infrastruktur für derzeit etwa 200 Doktoranden, wovon etwa die Hälfte Individualpromovierende sind. Jeder an der Universität Göttingen eingeschriebene Doktorand, dessen Dissertationsprojekt von einem prüfungsberechtigten Mitglied der Theologischen bzw. Philosophischen Fakultät betreut wird, kann Mitglied der Graduiertenschule werden und kostenfrei von bestimmten Angeboten wie einem Betreuungsteam oder der Möglichkeit der Bewerbung um Stipendien zur Exposé-Ausarbeitung (mit dem Ziel einer Stipendienbewerbung bei einer Stiftung) oder zum Promotionsabschluss profitieren. Eines der Programme unter dem Dach der Graduiertenschule ist das von der VolkswagenStiftung im Rahmen der Initiative „Offen – für Außergewöhnliches“ mit 949.000 Euro geförderte Promotionskolleg Wertung und Kanon – Theorie und Praxis der Literaturvermittlung in der „nachbürgerlichen“ Wissensgesellschaft, das die Verbindung einer „ausgewiesene[n] literaturwissenschaftliche[n] Qualifikation mit einer hohen Praxiskompetenz”,237 die insbesondere während eines einsemestrigen Pflichtpraktikums in einem Verlag erworben werden soll, 237 Vgl. URL (24.5.2010): http://www.uni-goettingen.de/de/41350.html. Die Sprecherin des Promotionskollegs berichtet im Rahmen des Interviews über die Entstehungsgründe dieser Ausrichtung: „Wir wollten von vorne rein die theoretische Komponente der Promotion mit einer Praxiskomponente verbinden. Den Geisteswissenschaften in Deutschland wird oft die Weltfremdheit vorgeworfen und wir haben gesagt: Das muss nicht so sein. Dafür gab es aber in Deutschland kein Förderformat, bis eben auf die VW-Stiftung und ihre Linie „Offen – für Außergewöhnliches““.
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zum Ziel hat. Seit Oktober 2006 wurden für eine Förderdauer von dreieinhalb Jahren einmalig zwölf Doktoranden mit einem Promotionsstipendium gefördert, die laut Auskunft des Gründungsmitglieds Professor Dr. Gerhard Lauer im Interview im April 2009 in der Regel bereits Erfahrung aus dem Buchhandel oder Verlagen mitbrachten. Diese einzigartige Verbindung von Praxis und Theorie ist aus einer Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen in der Doktorandenausbildung und teilweise auch mit der eigenen Promotionserfahrung erwachsen, wie im Interview im Oktober 2009 die Sprecherin, Professor Dr. Simone Winko, berichtet: Das haben wir deshalb gemacht, da wir unzufrieden waren mit den Promovierenden, die wir hatten und teilweise noch haben, die sehr viel Lebenszeit fast verschwendet haben, müsste man sagen, und dass es doch besser gehen müsste. Und auch übrigens die eigene Promotion. Alle waren wir Einzelkämpfer, haben uns vereinsamt gefühlt, als Schreibtischtäter. Auch dass die Promotionsthemen oftmals gar nichts mehr damit zu tun hatten, was man später macht. Wir wollten ein Modell anbieten, in dem Arbeiten entstehen, die dann auch interessant sind, ohne dass es jetzt Auftragsarbeit wäre! Also [die] Unzufriedenheit mit dem Bisherigen, aber [ohne] zu sagen, dass es jetzt alle so machen müssen wie wir.
Auch in diesem Fall wurden die Doktoranden in einem Auswahlverfahren nach Einreichung des Exposés und weiterer Unterlagen ausgewählt. Laut Auskunft der Sprecherin waren ähnlich wie bei Stiftungsstipendien etwa 30 Prozent der Bewerber erfolgreich. Von den zwölf Stipendiaten sind sieben Germanisten, unter denen sich auch die für diese Arbeit befragten Doktoranden befinden. 3.1.3.4 Universität zu Köln Die a.r.t.e.s. Forschungsschule der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln ist die einzige geisteswissenschaftliche Graduiertenschule von den 17 in einem Wettbewerb des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen erfolgreichen Forschungsschulen zur strukturierten Doktorandenausbildung. Das Land fördert die strukturierte Doktorandenausbildung in einer fünfjährigen Programmlaufzeit mit insgesamt 36 Millionen Euro. Die einzelnen Hochschulen erhalten dabei Landesmittel in Höhe von 50 Prozent der Projektkosten, maximal 500.000 Euro pro Jahr. Seit dem Wintersemester 2008 promovieren an der a.r.t.e.s. Forschungsschule 20 Stipendiaten. Der erste Jahrgang wurde laut Auskunft des Sprechers, Professor Dr. Andreas Speer (Interview im April 2009), in einem Auswahlverfahren aus 180 Bewerbungen besetzt. Jedes Jahr können in die vorläufig auf drei
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Jahre angelegte Forschungsschule 20 Stipendiaten aufgenommen und so insgesamt bis zu 60 Stipendiaten gefördert werden. Darüber hinaus können jedes Jahr bis zu 20 weitere Kollegiaten am Programm der Forschungsschule teilnehmen, die sich eigenständig um die Promotionsfinanzierung kümmern müssen. Im Hinblick auf die Dissertationsthemen bleibt die Basis der Forschungsschule die Individualpromotion – die Dissertationsprojekte können nur dann angenommen werden, wenn die Philosophische Fakultät einen geeigneten Betreuer zur Verfügung stellen kann, und es gibt keine vorgeschriebenen thematischen Schwerpunkte. Das individuelle Dissertationsthema wird neben der erforderlichen einzelfachlichen Betreuung in die Fragestellung einer der fünf „Klassen“ eingebunden, in denen interdisziplinäres Zusammenarbeiten auf eine konkretere Weise erprobt werden soll. Außerdem wird in der Arbeit ein Bezug zu der übergreifenden Fragestellung der ganzen Schule hergestellt, die sich wiederum an den Forschungsthemen der gesamten Philosophischen Fakultät orientiert. Die Themen der fünf Klassen lauten „Denkfiguren und Wissensfigurationen in Antike und Mittelalter“, „Dynamische Netzwerke der Moderne“, „Kommunikationskulturen: Medialitäten, Sprach- und Diskurssysteme“, „Wissen und Wissenschaft im interkulturellen Kontext“ und „Life studies: Natur und Kultur des Menschen“. Einen übergreifenden Rahmen der Forschungsschule bilden die fünf Leitbegriffe Anthropologie, Rezeption, Transkulturation, Episteme und Sprache, aus deren Anfangsbuchstaben sich auch das Akronym a.r.t.e.s. zusammensetzt. Die Forderung des Wissenschaftsrates nach einer Finanzierungsmöglichkeit für die Anlaufphase der Promotion238 wird in Köln, ähnlich dem Stipendium zur Exposéausarbeitung an der der Universität Göttingen, konsequent umgesetzt: Promotionsinteressierte werden bei guten Studienergebnissen direkt nach dem Studienabschluss ‚abgeholt‘, können sich mit einer drei bis fünfseitigen Ideenskizze um das Stipendium bewerben und das erste Semester, also sinnvollerweise deutlich länger als die vom Wissenschaftsrat geforderten „ein bis zwei Monate“,239 gefördert zur Themenfindung bzw. Themenfixierung nutzen. Etwa 20 Prozent der Doktoranden der Forschungsschule sind Germanisten. 238 Vgl.: „Darüber hinaus empfiehlt [der Wissenschaftsrat] die Entwicklung einer Finanzierungsmöglichkeit für die Anlaufphase der Promotion. Von der Antragsstellung bis zur Bewilligung eines Stipendiums oder einer Projektförderung vergehen in der Regel mehrere Monate, die für einen Teil der Doktoranden nur schwer finanzierbar sind. Aus diesem Grunde sollte ein Verfahren entwickelt werden, das mit geringem Aufwand (etwa eine kurze Projektskizze) und in einem überschaubaren Zeitraum (ein bis zwei Monate) eine Finanzierung für die Überbrückungsphase bis zum Finanzierungsbeginn bereitstellen könnte“. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften, S. 82 (Hervorhebung im Original). 239 Ebd.
3.1 Promotionsmodelle
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3.1.3.5 Westfälische Wilhelms-Universität Münster Als fünftes Praxisbeispiel wird die Graduate School Practices of Literature der Universität Münster vorgestellt. Die zum Sommersemester 2008 gegründete Graduiertenschule bietet ein strukturiertes Promotionsprogramm für alle literaturwissenschaftlichen Fächer und umfasste zum Zeitpunkt des im Februar 2009 geführten Interviews mit der Sprecherin, Professor Dr. Martina WagnerEgelhaaf, 19 Doktoranden und vier internationale Gäste, wobei Germanisten mit etwa 70 Prozent den größten Anteil an den Doktoranden ausmachten. Der Unterschied der Graduiertenschule zu allen bisher vorgestellten strukturierten Promotionsformen besteht zum einen in der Finanzierung der Doktoranden. Obwohl die Promotionsinteressierten ein den anderen Programmen ähnliches zweistufiges Bewerbungsverfahren durchlaufen müssen, stehen von Seiten der Graduiertenschule keine Stipendien zur Verfügung. Die Promovierenden werden zwar mit Beratung und Gutachten unterstützt, sie müssen sich jedoch daraufhin eigenständig um externe Stipendien bewerben, was laut Auskunft der Sprecherin bei den meisten, aber nicht bei allen funktioniert. Hierbei wird die Bedeutung der Forderung des Wissenschaftsrates deutlich, dass eine „ausreichende Zahl individueller Fördermöglichkeiten von Seiten des Landes, der Begabtenförderungswerke und verschiedener Stiftungen“ zur Verfügung stehen muss, da nicht alle Programme die Doktoranden aus eigenen Mitteln finanzieren können.240 Ein zweites Spezifikum ist die starke Strukturierung des Programms, das sich als ein „Promotionsstudium“ versteht: Die Doktoranden werden Leistungskontrollen unterzogen, müssen nach zwei Semestern 50 und nach drei Semestern 100 Seiten Text abgeben sowie ein verpflichtendes Veranstaltungsprogramm absolvieren, bei dem sie Kreditpunkte nach dem europäischen Leistungspunktesystem ECTS sammeln. „Das Promotionsstudium an der GS Practices of Literature versteht sich als dritte Phase des im Bologna-Prozess angeregten dreiteiligen Studienaufbaus an europäischen Universitäten“ und umfasst insgesamt 180 ECTS-Punkte (davon 120 für die Dissertation), wobei jeder Kreditpunkt einem zeitlichen Arbeitsaufwand von 30 Stunden entsprechen soll.241 Das Verständnis als (Promotions-)Studium wird in den Formulierungen der Promotionsordnung deutlich, wenn es etwa um „[d]ie Ziele und Inhalte des Studiums“ geht, die „in
240 Vgl. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften, S. 82. 241 Vgl. die Promotionsordnung der Graduiertenschule, § 8 Umfang des Studiums, Studienleistungen, (ohne Seitenangabe) unter der URL (24.5.2010): http://www.uni-muenster.de/Practicesof-Literature/Studieren/Promotionsordnung.html.
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folgenden Veranstaltungen vermittelt“ werden.242 Neben einer Promotionsdauer von drei Jahren ist das Ziel des Programms, die Doktoranden sowohl auf wissenschaftliche Karrieren als auch auf außerakademische Berufsfelder vorzubereiten. Die Dissertationsprojekte werden in einen Rahmen eingebunden, der die drei Schwerpunkte „Literatur und Gesellschaft“, „Theorie(n) der Literaturwissenschaft“ und „Literaturwissenschaft und Praxis“ vorsieht. Bei gutem Studienabschluss ist auch eine Bewerbung von Bachelorabsolventen möglich, für die ein einjähriges Qualifizierungsprogramm aufgestellt und in der Betreuungsvereinbarung festgehalten wird. In der Statistik der Exzellenzinitiative wird diese neue Personalkategorie als „Predocs“ geführt.243 3.2 Dissertationen und Forschungsthemen Unabhängig vom jeweiligen Promotionsmodell ist die Dissertation das Kernstück jeder germanistischen Promotion. In ihr soll selbständig ein Forschungsthema bearbeitet und im Ergebnis ein originärer Beitrag zur Wissenschaft geleistet werden. Am Anfang eines jeden Promotionsprojekts steht deshalb die Findung eines Dissertationsthemas. Diese kann sich unterschiedlich gestalten, frei oder unter dem Einfluss des Betreuers oder einer thematischen Ausschreibung eines Promotionsprogramms sowie mit oder ohne finanzielle Förderung. Für die Wahl des Promotionsortes spielte zumindest bei den im Rahmen dieser Arbeit befragten Doktoranden das Thema keine entscheidende Rolle, wie im vorangehenden Kapitel gezeigt wurde. Ein Grund dafür könnte die thematische Offenheit der einbezogenen Promotionsprogramme sein: Im Gegensatz zu klassischen thematisch ausgerichteten Graduiertenkollegs und mit Ausnahme des Promotionskollegs Wertung und Kanon in Göttingen, in dem alle Dissertationsthemen eng an die Praxis der Literaturvermittlung gekoppelt sind, machen die untersuchten Programme vorab keine engen thematischen Vorgaben. Sie stellen vielmehr breiter fundierte Strukturen dar, in denen sich die Forschungsthemen zum Beispiel an den Forschungsschwerpunkten der Philosophischen Fakultät orientieren 242 Vgl. ebd. 243 So heißt es beispielsweise im Working Paper des Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung zu Beobachtungen aus der Implementierungsphase der Exzellenzinitiative zum Thema Personalrekrutierung: „Ein Kernelement der Exzellenzinitiative ist die Rekrutierung „exzellenter“ Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Bis April 2008 konnten für die rund 4.000 beantragten Stellen und Stipendien in den Einrichtungen 1503 Personen mit Mitteln der Initiative gewonnen werden: 1012 Doktorandinnen und Doktoranden, 91 Predocs, 311 Postdocs und 89 Professorinnen und Professoren“. Sondermann et al.: Die Exzellenzinitiative, S. 6.
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(Forschungsschule in Köln), oder es können prinzipiell alle kulturwissenschaftlichen (Graduiertenzentrum in Gießen) bzw. literaturwissenschaftlichen Themen bearbeitet werden (Graduiertenschulen in Berlin und Münster), wenn sie sich – und das gilt für alle Programme – im Auswahlverfahren qualitativ durchsetzen können.244 In Köln und Göttingen gibt es darüber hinaus schon für die Phase der Themenfixierung eine finanzielle Unterstützung. Bei guten Studienergebnissen und einer erfolgversprechenden Ideenskizze können die Doktoranden der Graduiertenschule in Göttingen ein Stipendium zur Exposéausarbeitung beantragen bzw. an der Forschungsschule a.r.t.e.s. in Köln bereits mit einem Stipendium das Programm der Forschungsschule in einem „Themenfokussierungssemester“ beginnen, an dessen Ende erst das endgültige Dissertationsthema steht. Die Themenfindung wird in diesen Fällen als eigene Phase und klar als ein Teil der Promotion gesehen, der entsprechend gefördert werden kann. Die Wahl des Dissertationsthemas hängt meist eng mit der Entscheidung für einen bestimmten Betreuer zusammen. Wie haben die befragten Doktoranden ihren Betreuer ausgesucht und wie haben sie ihr Thema gefunden? Gab es Unterschiede zwischen Individualpromovierenden und den in strukturierten Programmen eingebundenen Doktoranden? Ein Kernergebnis der Befragung ist, dass sowohl bei der Wahl des Betreuers als auch bei der Findung des Dissertationsthemas die Magisterarbeit eine zentrale Rolle spielt, und zwar bei beiden Promotionsformen. Bei sieben der zehn Individualpromovierenden ist der Doktorvater gleichzeitig der Betreuer der Magister- oder Staatsexamensarbeit gewesen, häufig waren die Promovierenden zudem bei ihm als studentische Hilfskräfte beschäftigt. Überraschenderweise ähnlich sieht die Situation bei den Doktoranden in den strukturierten Programmen aus, wo an sich eine größere Fluktuation oder ein Hochschulwechsel vermutet werden dürfte: Auch hier waren bei sechs von zehn Promovierenden die Doktorväter die Betreuer der Magisterarbeit, bei einem weiteren Doktoranden war der heutige Doktorvater einer der Prüfer in der Studienabschlussprüfung. Nur ein Doktorand berichtet über ein aktives An244 Die Sprecher der Programme sehen im Gegensatz zu möglichen Vorurteilen gegenüber strukturierte Promotionsformen in der Germanistik die freie, individuelle Themenwahl selbst als sehr wichtig an und grenzen sich zu einer möglichen engen Themenausrichtung etwa bei Graduiertenkollegs bewusst ab, wie folgendes Zitat aus einem Interview mit dem Sprecher eines Promotionsprogramms andeutet: „Was wir nicht wollen – im Gegensatz zu einem Graduiertenkolleg der DFG – [ist] eine verpflichtende Thematik. Alle Promotionen behandeln einen Aspekt der Gesamtthematik – das wollen wir nicht. Die Themenfindung findet individuell statt. Wenn Projekte mal zusammen passen ist es gut, und Leute sollen miteinander reden, aber kein Zwang zur gemeinsamen Basis. […] [F]ür das Individuelle geben wir bewusst die Freiheit, Kreativität braucht Freiheit. Wir wollen keine Ergebnisse vorgeben, auch nicht durch Namen. Nur heilsamer Zwang, anderen über die Arbeit berichten zu müssen“.
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gebot der Graduiertenschule, zwei geben die gute Übereinstimmung ihres Themas mit dem Forschungsgebiet ihres Betreuers als Wahlgrund an, und einer fand seine Betreuerin – obwohl in einer Graduiertenschule – selbst und ohne Unterstützung: Es gibt eine Mitgliederliste [der Professoren] der Graduiertenschule, und der Doktorvater soll aus dem Fach kommen, in dem man promoviert, also bei mir die Germanistik. Da habe ich im Internet geschaut und es kam niemand darin vor, der ganz passen würde, sodass ich mich dann – mehr oder minder vom Bauchgefühl aus – für eine […] Professorin entschieden habe, die auch nicht wirklich was zu meinem Thema gemacht hat, die aber bereit war, es zu nehmen.
Entsprechend wichtig erscheint es bei den strukturierten Promotionsprogrammen, bereits beim Auswahlverfahren auf eine thematisch passende Betreuungsmöglichkeit zu achten (vgl. Kapitel 3.3). Neben der Festlegung des Betreuers ist auch bei der Themenfindung die Magisterarbeit ausschlaggebend, und das bemerkenswerterweise sogar stärker bei den in Promotionsprogrammen eingebundenen Doktoranden als bei den Individualpromovierenden: Bei acht von zehn Doktoranden in strukturierten Promotionsformen ging das Dissertationsthema „aus der Magisterarbeit hervor“, ist eine „Abwandlung von [dem] Magisterarbeitsthema“, hat sich „in gewisser Weise an [die] Magisterarbeit angeschlossen“ oder sich aus ihr „ergeben“. Nur zwei Doktoranden geben – ohne sich dabei auf die Magisterarbeit zu beziehen – ausschließlich persönliches Interesse als Weg zu ihrem Dissertationsthema an. Bei den Individualpromovierenden sind die Gründe für die Themenwahl etwas breiter gefächert: Vier geben persönliches Interesse an dem Thema als Grund an (bei einem wird damit ein „Kindheitstraum“ erfüllt), bei dreien geht das Thema ebenfalls auf die Magisterarbeit zurück, zwei haben sich bei einem Auslandsaufenthalt bzw. einer Sommerakademie für das Thema inspirieren lassen, und einer kann keine bestimmten Gründe anführen: „Wie habe ich denn das Thema gefunden? Weiß ich gar nicht so! Dass man irgendwie früher oder später ein Spezialfeld entdeckt, auf dem man sich betätigen will“. Der enge Zusammenhang zwischen der Magisterarbeit und der Dissertation bei mehr als der Hälfte aller Befragten ist an sich erklärbar, denn sowohl das Thema als auch die Betreuungsweise haben bereits einmal zum Erfolg geführt. Wie ein Doktorand beschreibt: Bei dem Betreuer habe ich schon meine Magisterarbeit geschrieben. Und er hat schon gesagt, dass ich bei einer guten Magisterarbeit bei ihm auch promovieren könnte. Ich dachte: Das passt – wenn er eine Sache (die Magisterarbeit) schon gut fand, dass er dann vielleicht die nächste auch gut findet.
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Doch überraschen der starke Einfluss der Magisterarbeit und ihres Betreuers auf das Dissertationsthema bei den strukturiert Promovierenden, wo aufgrund der expliziten Wahl der strukturierten Promotion eine weniger lineare Fortsetzung der bisherigen Forschungsarbeit zu erwarten wäre. Auch wären eine weniger starke Anbindung an den Betreuer, die als typisch für die Individualpromovierenden gilt, sowie ein Hochschulwechsel naheliegend. Offensichtlich streben viele Doktoranden eine gewisse Kombination an: Wenn die strukturierte Promotionsform vor Ort angeboten wird und sie die beabsichtigte Weiterentwicklung des Magisterarbeitsthemas (sowie die Beibehaltung des Betreuers) ermöglicht, wird sie – primär als willkommene Finanzierungsquelle, wie im vorangehenden Kapitel gezeigt wurde – für die Promotion bei einer erfolgreichen Bewerbung auch genutzt. Breiter angelegte Studien könnten quantitativ prüfen, ob die weitere Bearbeitung des Magisterarbeitsthemas in der germanistischen Promotion ein flächendeckendes Muster ist und ob dies auch auf die Masterarbeiten in der neuen Studienstruktur mit Bachelor- und Masterstudiengängen zutrifft. Wenn ja, müsste die nächste Frage lauten, welchen Einfluss in der Zukunft eine mögliche Verdrängung der Habilitation durch die Juniorprofessur für die Germanistik und für die inhaltlich-thematische Breite des Forschungsprofils der Germanisten mit sich bringen könnte, denn die Habilitationsschrift musste bisher in einem anderen Gebiet als die Doktorarbeit geschrieben werden und erweiterte somit stark den Forschungshorizont der angehenden Professoren. Bei Dissertationsthemen, die jeweils auf die Magister- bzw. Masterarbeit zurückgehen, die wiederum aus einer Hausarbeit hervorgegangen sein kann, könnte das Themenspektrum beim Fehlen einer weiteren Qualifikationsarbeit zu eng bleiben. Wie sieht es nun mit der konkreten inhaltlichen Ausrichtung der Dissertationsthemen aus? Gibt es Verschiebungen, die möglicherweise mit der Wahl der Promotionsform zusammenhängen? Die diesbezüglich in den Interviews allen Doktoranden gestellte Frage lautete: „Welcher Kategorie würden Sie Ihr Dissertationsthema und Vorgehen überwiegend zuordnen (bei unklarer überwiegender Zuordnung wählen Sie bitte mehrere Kategorien und nummerieren diese nach Rang): a) interpretatorisch und textanalytisch, b) komparatistisch, c) interdisziplinär, d) kulturwissenschaftlich, e) stark basierend auf Archivarbeit, f) mit vielen Reisen (ggf. auch ins Ausland) verbunden, g) empirisch, h) andere:“. Als erstes kann bei der Auswertung bei den meisten Doktoranden eine mehrdimensionale Kategorisierung festgestellt werden: Bis auf einen haben alle Doktoranden von der Möglichkeit der Mehrfachnennung Gebrauch gemacht und 16 von 20 Promovierenden ihr Dissertationsthema und Vorgehen sogar drei oder mehr Kategorien zugeordnet. Ein Vergleich der beiden Promotionsformen ergibt eine stärkere Verwandtschaft der Themen und der Vorgehensweise bei den Individualpromo-
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vierenden: Bis auf eine Ausnahme arbeiten alle an erster Stelle interpretatorisch und textanalytisch. Zudem geben acht von zehn die Kombination „interpretatorisch und textanalytisch“ und „kulturwissenschaftlich“ an (bei sieben von acht auch in dieser Reihenfolge), davon sechs darüber hinaus die gleiche Ergänzung durch die Kategorie „interdisziplinär“. Bei den in strukturierten Programmen eingebundenen Doktoranden ist die Zuordnung gemischter, aber auch dort dominieren die drei Kategorien „interpretatorisch und textanalytisch“, „kulturwissenschaftlich“ und „interdisziplinär“ bei sechs von zehn Befragten, wenngleich diesmal „interpretatorisch und textanalytisch“ nur bei einem einzigen Doktoranden an erster Stelle genannt wird, der zudem insgesamt vier Kategorien wählt und diese als gleichrangig bezeichnet. Deutlich präsenter in der Reihenfolge der Nennungen ist in dieser Gruppe stattdessen die Kategorie „interdisziplinär“. Dreimal wird sie an erster, viermal an zweiter und zweimal an dritter Stelle genannt und spielt somit bis auf eine Ausnahme bei allen in strukturierten Promotionsformen eingebundenen Doktoranden eine wichtige Rolle. Dies kann auf die Ausrichtung der Promotionsprogramme oder aber auf einen möglichen aktuellen ‚Modetrend‘ zu Arbeiten mit dem Etikett „interdisziplinär“ sowie auf den tatsächlichen interdisziplinären Austausch in den Graduiertenschulen zurückgeführt werden. Der interdisziplinäre Austausch gehört zu den wesentlichen Merkmalen der strukturierten Promotion in der Germanistik (sowie der strukturierten Promotionsprogramme allgemein). Entsprechend ambivalent wird er in Abhängigkeit von der jeweiligen Promotionsform von den Doktoranden bewertet: Auf die Frage, inwieweit die Promovierenden denken, dass spezifisch ihre Promotionsform (also Individualpromotion, Graduiertenschule, Promotionskolleg etc.) die in der vorangegangenen Frage mit Hilfe der Kategorien beschriebene inhaltliche Ausrichtung ihrer Arbeit unterstützt, antworten neun der zehn strukturiert Promovierenden positiv und begründen dies in sieben Fällen mit der willkommenen interdisziplinären Ausrichtung des jeweiligen strukturierten Promotionsprogramms und dem dort vorhandenen Austausch. Bei den Individualpromovierenden verhält sich die Situation genau umgekehrt: In denjenigen sechs Fällen, in denen die Doktoranden eindeutig eine gute Korrespondenz ihrer Individualpromotion mit der inhaltlichen (und das heißt, wie gezeigt wurde, bei dieser Gruppe hauptsächlich interpretatorischen und textanalytischen) Ausrichtung ihres Dissertationsthemas angeben, wird als Grund eben die Möglichkeit zum individuellen, von Anderen weniger beeinflussten Forschen genannt. Unterstützend dazu gab es Äußerungen wie die folgende: Die Gefahr in [einem strukturierten Promotionsprogramm] mit meinem Thema bestünde, dass mir von unglaublich vielen Seiten reingeredet werden könnte. Kultur-
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wissenschaftler wollten vielleicht Schwerpunkte setzen, die ich nicht haben will, oder ich bekäme Hinweise, interdisziplinär zu arbeiten, was vielleicht nicht hilfreich wäre. Bei meiner isolierten Arbeitsweise besteht nicht die Gefahr, dass viele Köche den Brei verderben.
Ein anderer Doktorand ist der Ansicht, „dass für geisteswissenschaftliche Promotionen, die eher textanalytisch und interpretatorisch sind, eine Individualpromotion günstiger ist, da man dann den Denkprozess individuell gestalten kann“. Ähnlich bewertet ein weiterer Doktorand positiv, dass ihm „niemand […] – vielleicht wie in einer Graduiertenschule – vorgegeben hat, was [er] forschen soll“. Darüber hinaus wird der zeitliche Faktor genannt. Die Interdisziplinarität und der Austausch kosteten Zeit, ein Aspekt, der, wie im folgenden Beispiel, auch negativ bewertet werden kann: „[Die Individualpromotion] gibt mir die Möglichkeit, mich wirklich auf mein Thema zu konzentrieren. Ich muss nicht in einem Gruppenprogramm mich um andere Themen kümmern“. Ähnlich stellt ein Individualpromovierender, der ein halbes Jahr in einem strukturierten Programm verbracht hat und aufgrund seiner Unzufriedenheit wieder ausgetreten ist, an einer anderen Stelle des Interviews fest: Ich hatte das Gefühl, dass es [in dem strukturierten Programm] gar nicht so um die Doktoranden ging, sondern die Professoren es als Plattform zur eigenen Darstellung benutzten und damit der Laden nach außen gut läuft, aber ganz viel heiße Luft nach innen. Als Doktorand hatte man ganz wenig davon, außer wenig Zeit zum Schreiben. Viele Veranstaltungen fand ich wirklich unsinnig. Dass über Themen endlos diskutiert wurde, wo ich wusste, das bringt mir überhaupt nichts, da hätte ich schon wieder zehn Seiten schreiben können. Auch wurde Kritik geübt, auf eine Weise, die mir nichts gebracht hat. Ein Professor wollte unbedingt, dass ich mit [Dichtername] etwas mache, ich wollte es aber nicht, da ich sonst mein Konzept umschmeißen müsste, der Ansatz war ein anderer. Da wurde mir klar, ich kann da nicht mitmachen. Viele Veranstaltungen waren unproduktiv, es wurde als Selbstzweck diskutiert.
Durch das Austesten beider Promotionsformen hat dieser Doktorand die in seinen Augen besser passende gefunden. Die meisten Doktoranden haben diese Möglichkeit jedoch nicht. Das könnte ein Grund dafür sein, dass sich die Individualpromovierenden einer guten Korrespondenz ihrer Promotionsform mit der inhaltlichen Ausrichtung der Dissertation insgesamt nicht so eindeutig sicher sind wie die Doktoranden in den strukturierten Programmen. Zwei sind der Meinung, dass sie ihr Thema genauso in einem strukturierten Programm bearbeiten könnten und zwei bewerten ihre Form der (Individual-)Promotion als eingeschränkt passend, wie im folgenden Beispiel: „Durch das Alleine arbeiten fallen mir […] vielleicht interessante Aspekte unter den Tisch. Viele Gedankenschritte
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muss ich mir selbst erarbeiten, die mir andere vielleicht abnehmen würden. Aber insgesamt passt [die Individualpromotion] eher“. Die verwandte Frage, ob ihre Promotionsform speziell für ihr konkretes Vorhaben und Thema die richtige sei und warum, die später im Interview gestellt wurde, kann als Kontrollfrage betrachtet werden – sie ergab keine signifikant unterschiedlichen Ergebnisse, sondern bestätigte das beschriebene Bild. Drei Beispiele der differenzierten Auskunft seitens der Promovierenden bezüglich des Verhältnisses ihrer Promotionsform zu ihrem Thema sollen dennoch genannt werden. Das erste stammt von dem bereits zitierten Doktoranden, der nach einem halben Jahr im strukturierten Programm zur Individualpromotion gewechselt hat: Ja, ich würde sagen, das ist perfekt so, da ich jetzt unabhängig bin […]. Aber ich bin auch total abhängig von meinem Betreuer. Das wäre mir vielleicht nicht so passiert, wenn ich in der Graduiertenschule geblieben wäre, da hätte vielleicht jemand auf ihn geachtet, dass er es rechtzeitig korrigiert usw.
Ein zweiter Individualpromovierender weist auf den fehlenden Austausch und die mangelnde Rückmeldung hin: Der Nachteil war, dass ich über die viereinhalb Jahre jetzt alleine gearbeitet habe. Ich könnte mir deutlich mehr Austausch, deutlich mehr Rückmeldung, deutlich mehr Hilfestellung vorstellen. Mehr Kolloquien, mehr Kongresse, Zusammenkünfte. Ich habe große Teile dessen, was ich mir an Austausch gesucht habe, privat gesucht – wir haben private Doktorandenzirkel geschaffen. In der Graduiertenschule musst du ja fast monatlich mitteilen, wo du gerade bist, da ist ja fast Sicherheit, dass du nicht völlig abkommst oder nicht völlig falsch liegst. Ich habe bis zum letzten Tag nicht gewusst, ob es auch angenommen wird. Man ist zu sehr auf sich alleine gestellt.
Ein strukturiert Promovierender schließlich differenziert zwischen inhaltlicher und organisatorisch-finanzieller Unterstützung – auch wenn es für das Dissertationsthema vermutlich adäquatere strukturierte Programme gibt, ist er aufgrund der sonstigen Konstellation in seinem Programm zufrieden: Jeder Doktorand ist ein Einzelkämpfer und es kommt nicht unbedingt auf das inhaltliche an der Promotionsform [an], sondern eher auf das Angebot in organisatorischer Hinsicht, welche Freiheiten hat man, welche Verpflichtungen, wie viel Geld bekomme ich usw. Die Betreuung und die Bearbeitung meines Projektes bleibt ja Gegenstand individueller Absprachen. Insofern – thematisch gäbe es bestimmt oberflächlich betrachtet viel bessere Programme, aus meiner Sicht bin ich allerdings bei [Name strukturiertes Programm] perfekt aufgehoben.
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Insgesamt wird die Promotionsform von strukturiert Promovierenden eindeutiger als passend für ihr Dissertationsvorhaben bewertet als von Individualpromovierenden. Beide Gruppen begründen die Angemessenheit der Form mit Verweis auf den gewünschten vorhandenen oder umgekehrt gewünschten nicht vorhandenen (interdisziplinären) Austausch. Bei beiden Gruppen, wenn auch bemerkenswerterweise stärker bei strukturiert Promovierenden, gehen die inhaltliche Ausrichtung wie die Betreuung der Dissertation auf die Magisterarbeit und deren Betreuer zurück. Darüber hinaus unterstützen die Ergebnisse der explorativen Umfrage die These einer Verschiebung der Dissertationsthemen von ‚klassischen‘ interpretatorisch und textanalytisch ausgerichteten germanistischen Arbeiten in der Individualpromotion hin zu einer stärkeren Diversität in der Ausrichtung der Dissertationsprojekte der strukturiert Promovierenden, die sich zudem durch ein höheres Maß an Interdisziplinarität auszeichnen – eine mögliche Konsequenz der steigenden Diversität der Promotionsformen in der Germanistik und des überwiegend interdisziplinären Ansatzes der strukturierten Programme. Dass dies zu einem Problem für ‚das‘ Fach Germanistik werden kann, ist denkbar. Nicht nur sind die Auswirkungen der Ausweitung des Faches aufgrund des kulturwissenschaftlichen Paradigmas – und damit implizit die Aufweichung seiner Grenzen – für die Zukunft der Disziplin nicht zu unterschätzen, sondern sollten sich die Dissertationsthemen durch zunehmende Interdisziplinarität tatsächlich immer weiter vom Fachkern entfernen, könnte dies eine Herausforderung für die Existenz der an sich schon losen Disziplin bedeuten. Wenn im Extremfall kein Wissenschaftler mehr in der ‚Kerngermanistik‘ forscht, gibt es sie dann noch? Die Germanistik hat sich schon um 1900 bemüht, die Zersplitterung des Faches durch die Traditionsbildung zurück zu den „Altmeistern“ zu verhindern245 (vgl. Kapitel 2.2). Und auch heute sind sich die Koordinatoren der strukturierten Promotionsprogramme dieser möglichen Gefahr bewusst und denken bereits zum Teil über ein aktives Gegensteuern nach. So berichtet der Sprecher eines der untersuchten Programme über das Problem der Konzentration der Dissertationsthemen auf das 20. Jahrhundert, über das Verschwinden der historischen Themen und den „Dämon der Aktualisierung“, einen Themenwandel der Dissertationen, den er als einen strategischen Fehler sowohl mit Blick auf die Forschungslandschaft (und die große Konkurrenz in der Moderne) als auch mit Blick auf die angestrebte spätere Berufung bewertet. Ob dies eine Konsequenz 245 Vgl. Wyss: Abgrenzungen, S. 69. Ulrich Wyss weist in seinem Aufsatz zur Germanistik um 1900 auf die problematische „Identität qua Tradition“ der Germanistik hin: „In der Geschichte des Faches sah man lange die Garantie für dessen Identität“ und zitiert Edward Schröder (1930) mit dem Satz: „Das Bild der Altmeister hat unsere Wissenschaft vor der Zersplitterung bewahrt“. Vgl. ebd.
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der neuen Promotionsstrukturen sei, ließe sich noch nicht sagen, „wenn sich das aber weiter so entwickelt wie bei uns, werde ich anfangen zu steuern, dass man nicht nur Projekte macht mit einem Zeitschwerpunkt [im 20. Jahrhundert]. [Zu] 80 Prozent haben sie bei uns zurzeit Chance, [mit einem anderen Thema] zugelassen zu werden, [und nur zu] zwei bis drei Prozent [mit einem Thema in der] Moderne. [Wir denken an den] Professorennachwuchs“. Zur Gefahr der andauernden ‚Vorliebe‘ für aktuelle Themen kommen die Gefahren der Interdisziplinarität und Überspezialisierung hinzu: Man erkennt bei den Themen oft überhaupt nicht mehr, um welches Fach es sich handelt. Das ist gefährlich. Man darf die Leute nicht in diese Spezialthemen treiben. Zu speziell – ob das nicht später ein Problem aufwirft, wenn sie Karriere machen wollen? Da haben wir auch eine Verantwortung, die disziplinären Strukturen dürfen wir nicht zerschlagen. […] [Die] Rephilologisierung, Rückbesinnung auf handfeste philologische Methoden, halte ich für richtig. Man kann nicht alles machen, Gartenbau, Geschichte der Post – wir haben es mit literarischen Texten zu tun!
So kann die festgestellte tendenzielle Verschiebung der germanistischen Dissertationsthemen von einer dominanten interpretatorisch-textanalytischen Ausrichtung bei der Individualpromotion hin zu einer größeren Vielfalt und Interdisziplinarität in strukturierten Promotionsangeboten um das mögliche Problem einer einseitigen ‚Aktualität‘ der Themen in strukturierten Promotionsformen ergänzt werden. Dass die Doktoranden die überwiegend gute Korrespondenz ihrer Promotionsform mit der inhaltlichen Ausrichtung ihres Dissertationsthemas mit jeweils stärkerem (strukturiert Promovierende) oder schwächeren (Individualpromovierende) interdisziplinären Austausch begründen, deutet darauf hin, dass die Wahl des Themas mit der gewählten Promotionsform im Zusammenhang steht. Dies haben von einer anderen Perspektive aus bereits die Ergebnisse des Kapitels 3.1.2 nahe gelegt: Obwohl die Promotionsform nicht als primärer Grund der Wahl des Promotionsortes angegeben wurde, konnten für die strukturiert Promovierenden Merkmale der strukturierten Promotionsform wie gesicherte Finanzierung der Promotion, Möglichkeiten zum Austausch und zum Besuch von Kursen sowie eine erwartete gute Betreuung als maßgeblich identifiziert werden. Für die Individualpromovierenden hingegen sind das Thema der Arbeit bzw. die Möglichkeit seiner freien Bearbeitung sowie ein bestimmter Betreuer ausschlaggebender. So deuten die Ergebnisse beider Kapitel darauf hin, dass Doktoranden mit stärker interdisziplinär ausgerichteten Arbeiten entsprechend den interdisziplinären Austausch in einer Gruppe im Rahmen eines strukturierten
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Promotionsprogramms suchen, wohingegen Promovierende mit stärker textanalytischen Dissertationen die Individualpromotion bevorzugen.246 Die vertiefte Analyse dieses Trends ist ein Desiderat. Als eine mögliche Datenquelle steht allerdings das über Jahrzehnte bereit gestellte „Verzeichnis der germanistischen Dissertationsvorhaben“ seit 2007 nicht mehr zur Verfügung.247 Auch muss bei neuen Befragungen zu laufenden Promotionsvorhaben die Anonymität der Doktoranden und der Datenschutz hinsichtlich nichtveröffentlichter Dissertationen beachtet werden – so konnten etwa die Dissertationen der in dieser Arbeit befragten Promovierenden aus Gründen ihrer zu wahrenden Anonymität nicht über die durchgeführte Kategorisierung hinaus untersucht werden. Für eine Erforschung bereits abgeschlossener Dissertationen könnte die Reihe H (Hochschulschriften) der Deutschen Nationalbibliographie herangezogen werden, die auch die Sachgruppe „830, Deutsche Literatur“ beinhaltet.248 Für einen Vergleich der in Individualpromotion und in strukturierten Promotionsprogrammen entstandenen Dissertationen besteht jedoch das Problem, dass die Nationalbibliographie die gelisteten Publikationen bisher nicht nach der jeweiligen Promotionsform unterscheidet und somit eine Zuordnung allein anhand dieser Datenquelle nicht möglich ist. Angesichts der im Kapitel 2 diskutierten voranschreitenden Diversifizierung der Germanistik wäre mit zunehmender Strukturierung der Doktorandenausbildung eine aktive wissenschaftliche Begleitung der Ent246 Diese Feststellung unterstützen auch die Ergebnisse der Studie von Jürgen Enders und Andrea Kottmann, die für Doktoranden der Geistes- und Sozialwissenschaften an DFGGraduiertenkollegs als wichtigste Motive für die Auswahl der Promotionseinrichtung die Möglichkeit der interdisziplinären Arbeit sowie diejenige eines laufenden Austauschs mit anderen Doktoranden feststellt. Vgl. Enders/Kottmann: Neue Ausbildungsformen – andere Werdegänge?, S. 46-48 und S. 137-139 sowie Fußnote 252 dieser Arbeit. 247 Die Einrichtung einer zentralen Kartei germanistischer Dissertationsvorhaben wurde von Hochschulgermanisten des Deutschen Germanistenverbandes 1957 bei ihrer Tagung in Marburg beschlossen. Um einen Überblick über im Entstehen begriffene Dissertationen sowie um Doppelbearbeitungen vermeiden zu helfen und Abstimmungen bei verwandten Themen zu ermöglichen, wurden in dem Verzeichnis mit den Angaben Thema, Name und Adresse des Doktoranden (nicht öffentlich), Universität, Name des Doktorvaters oder der Doktormutter und nach Möglichkeit voraussichtlicher Abschlusstermin germanistische und aus anderen Fächern in die Germanistik einschlagende Dissertationsvorhaben systematisch geordnet registriert. Die gemeldeten Themen wurden im „Jahrbuch für internationale Germanistik“ veröffentlicht, zuletzt als Liste XVII im Band 16 der Reihe B im Jahr 2002. Die nicht erfolgreiche Bemühung der Herausgeber des Verzeichnisses, die Kartei in Zusammenarbeit mit dem Germanistenverband in eine Internet-Datenbank umzuwandeln, führte 2007 zur Einstellung des Verzeichnisses. Vgl. URL (24.5.2010): http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/lehrende/chronik/ 2007/bangen.html. 248 Die Reihe wird monatlich von der Deutschen Nationalbibliothek herausgegeben. Für den Beispieljahrgang 2010 H 01 vom 20. Januar 201 vgl. URL (24.5.2010): http://d-nb.info/ 999676873/34/.
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wicklung der germanistischen Dissertationsthemen in Folgestudien wünschenswert. 3.3 Auswahlverfahren zur Qualitätssicherung Die im vorangehenden Kapitel in strukturierten Promotionsprogrammen festgestellte tendenzielle Verschiebung der Dissertationsthemen kann ebenda durch Auswahlverfahren beeinflusst werden. Mit der meist selektiv konzipierten Zulassung zu den strukturierten Promotionsformen entsteht für die Germanistik neben der Gelegenheit einer objektiveren Steuerung von Themen eine verstärkte Möglichkeit der Qualitätssicherung hinsichtlich der geförderten Nachwuchsforscher und der wissenschaftlichen Güte der Dissertationsvorhaben. Wird diese Möglichkeit genutzt und Auswahlverfahren bei der Aufnahme der Doktoranden und der zu bearbeiteten Themen angewendet? Auf den ersten Teil der Frage, ob sie ein Aufnahmeverfahren durchlaufen haben und welches die Voraussetzungen für den Beginn der Promotion bzw. für die Aufnahme waren, antworten alle zehn befragten Individualpromovierenden negativ. Nur in den Fällen, in denen die Doktoranden mit einem Stipendium oder einer Stelle an der Universität promovieren, gab es dazu ein Auswahlverfahren, nicht jedoch für die Promotion an sich. Stattdessen wurden die Promovierenden ‚von‘ ihrem Doktorvater angenommen („es war eine Sache der Absprache zwischen [meinem Doktorvater] und mir“, „Gab’s bei mir nicht. Wenn es eines gab, dann hat es Prof. [Name] für sich durchgespürt. Ich bin mit meinem Begehren nach Promotion und Mitarbeiterstelle zu ihm hin und er meinte ja, machen wir“) und haben sich daraufhin teilweise direkt, teilweise zu einem späteren Zeitpunkt, formell bei der Universität zur Promotion angemeldet. Ein Individualpromovierender berichtet im Interview von seiner Überraschung über diese unproblematische ‚Anmeldung‘: Nein, es gab keine Bedingungen. Das hat mich auch so gewundert. Der Doktorvater hat es mir so verkauft, als gäbe es ganz hohe Anforderungen, aber es gibt, glaube ich, offiziell keine Bedingungen. Und es gab auch kein Verfahren. Es lief so, dass er mir gesagt hat, dass ich promovieren kann, da war ich dann ganz glücklich und habe angefangen.
Erwartungsgemäß anders verhält sich die Situation bei den in strukturierten Programmen eingebundenen Doktoranden. Obwohl, wie im Kapitel 3.2 gezeigt wurde, auch hier die Doktorväter mehrheitlich zuvor Betreuer der Magisterarbeit waren, beantworten alle zehn strukturiert Promovierenden die Frage nach einem durchlaufenen Aufnahmeverfahren positiv. Zusätzlich berichten sie über ver-
3.3 Auswahlverfahren zur Qualitätssicherung
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schiedene Elemente des Verfahrens, insbesondere über zu verschiedenen Zeitpunkten des Prozesses einzureichende schriftliche Unterlagen sowie in allen zehn Fällen stattgefundene Auswahlgespräche. Zu den genannten Unterlagen gehören dabei der Lebenslauf, verschiedene Zeugnisse inklusive des Nachweises eines überdurchschnittlichen Studienabschlusses, ein Motivationsschreiben, die Magisterarbeit, Gutachten von Professoren aus dem Studium, bei einem Programm eine Arbeitsprobe von bis zu 30 Seiten und bei allen ein Exposé.249 Die meisten Doktoranden, die eine Seitenangabe bezüglich des vorzulegenden Exposés machen, nennen ein Exposé von zehn Seiten. Dadurch, dass es bisher keinerlei ‚Erprobung‘ der Exposéverfassung, offizielle Vorlagen oder Anleitung gibt, bleibt die Erstellung des Exposés eine Individualleistung, die die Doktoranden meist auf eigene Kosten und ohne Hilfe erbringen müssen. Über eine zweistufige Variante berichten die beiden Befragten der Kölner Forschungsschule. Nach erfolgreicher Bewerbung mit einem vorläufigen Exposé von maximal fünf Seiten wird dieses im Laufe des im Kapitel 3.2 vorgestellten „Themenfokussierungssemesters“ auch unter Einfluss der Rückmeldung anderer Doktoranden und der Betreuer weiter bearbeitet. Ein ähnliches Verfahren, jedoch ohne finanzielle Unterstützung und mit dem längeren Exposé von zehn Seiten, gibt es in Münster, wo die Doktoranden von der Graduiertenschule gerade aufgrund der fehlenden Stipendien bei der Überarbeitung des Exposés beratend unterstützt werden, mit dem Ziel einer möglichst erfolgreichen Bewerbung um ein Stipendium.250 Schließlich wurde bereits von der allgemeinen Möglichkeit für Individualpromovierende an der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften in Göttingen berichtet, sich um Kurzstipendien zur Exposé-Ausarbeitung zu bewerben. Während in den beiden letztgenannten Fällen die Unterstützung primär eine erfolgreiche Stipendienbewerbung zum Ziel hat, handelt es sich in Köln um eine direkte Maßnahme der thematischen Qualitätssicherung, die der Forschungsschule gleichzeitig einen zeitlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Promotionsprogrammen eröffnet: Promotionsinteressierte müssen nicht bereits für die Bewerbung ein langes Exposé ausarbeiten und bei akzeptierter Ideenskizze kann 249 Ein Doktorand berichtet darüber hinaus über eine Altersgrenze als Kriterium, über das er allerdings erst später im Promotionsverlauf erfahren hat. 250 Bereits bei der Bewerbung für den Platz in der Graduiertenschule ist dabei jedoch, im zweiten Schritt auf Anforderung des Auswahlausschusses, „ein etwa zehnseitiges Exposé der geplanten Dissertation [einzureichen], in dem detailliert zu den Zielen und Inhalten, zur fachlichen Relevanz und zur Methode des Forschungsvorhabens Stellung genommen und dem ein differenzierter Arbeits- und Zeitplan beigefügt wird”. URL (24.5.2010): http://www.uni-muenster.de/Prac tices-of-Literature/Studieren/Bewerbungsverfahren.html.
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sogar das Examenszeugnis nachreicht werden. Im Auswahlprozess ist zwar die Verortung der Bewerber „innerhalb der a.r.t.e.s. Forschungsschule ein wichtiges Kriterium“ und die Ideenskizze muss eingereicht werden.251 Die endgültige Fixierung des Themas ist jedoch in die Promotion integriert, wird durch Förderung und Rückmeldung unterstützt. So muss am Ende des ersten Semesters das bis dahin fokussierte Thema in einem Forschungskolloquium sowie bei einer gemeinsamen Fahrt der Stipendiaten vorgestellt und ‚verteidigt‘ werden, wie es ein Doktorand beschreibt: Wir [mussten] z. B. nach dem Orientierungssemester und dem Vortrag auf dem Forschungskolloquium eine überarbeitete Neufassung unseres Exposés oder Standes der Forschungsarbeit vorlegen […]. Und auf dieser Basis wurden wir von unseren Betreuern und Klassensprechern bewertet […]. Damit gehen zum Teil auch Auflagen einher, z. B. dass man früher wieder berichten muss oder das Korpus anpassen. Mit den Berichten wird also die Qualität schon regelmäßig überprüft. Die Forschungsschule muss ja auch rechtfertigen, wofür sie die Millionen ausgibt, ob wir uns auch ordentlich der Promotion widmen.
Eine solche im Hinblick auf die Qualitätssicherung in der Promotion als sinnvoll erscheinende ‚Verteidigung‘ und gegebenenfalls Überarbeitung des Exposés existiert jedoch nicht in allen Promotionsmodellen. Auf die Frage, ob es eine Verteidigung bzw. Beurteilung des Exposés für ihre Dissertation gab und wie diese gestaltet war, antworteten neben den beiden Kölner Befragten zwar vier weitere strukturiert Promovierende positiv, diese jedoch nur mit Bezug auf das Bewerbungsgespräch. Auch die restlichen vier Doktoranden der strukturierten Programme, die die Frage negativ beantworteten, erwähnen das Vorstellungsgespräch, in dem sie zu ihrem Exposé, aber auch zu ihrer Persönlichkeit oder ihren Interessen befragt wurden, wie im folgenden Beispiel: Im Rahmen des Auswahlgesprächs (fünf Gesprächspartner) wurden zum Exposé Fragen gestellt, aber auch zu meinem Studium und Interessen. Aber das wichtigste waren Fragen zu diesem Projekt. Was entscheidend ist, ist das Projekt, gefördert wird dieses Projekt, nicht unbedingt ich als Person. Aber es hat mir niemand reingeredet darin, wie sich das Projekt jetzt verändern wird, das ist zwischen mir und der Betreuerin im Gespräch.
Die Individualpromovierenden beantworten die Frage nach einer Verteidigung bzw. Beurteilung des Exposés alle negativ. Die meisten erwähnen dabei die Tatsache, das Exposé beim Doktorvater eingereicht zu haben oder darüber mit 251 URL (24.5.2010): http://www.artes.uni-koeln.de/stips/ausschreibung.php.
3.3 Auswahlverfahren zur Qualitätssicherung
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ihm gesprochen zu haben, drei Doktoranden berichten über eine Präsentation und Diskussion des Exposés im Kolloquium. Somit kann festgestellt werden, dass es bei Individualpromotionen und vermehrt bei Promotionen in strukturierten Modellen zwar Ansätze zum verbesserten Einsatz des Exposés als einer qualitätssichernden Maßnahme gibt. Jedoch gibt es mit Ausnahme des Kölner Beispiels keine Verteidigung des Exposés zu einem gesonderten Zeitpunkt, die eine explizite Hürde im Promotionsverlauf darstellen würde. Dieser Aspekt wird im Kapitel 5.5 im Vergleich mit den USA noch einmal eine Rolle spielen. Über die Vorstellung des Exposés im Aufnahmeverfahren bzw. im Kolloquium hinaus berichten strukturiert Promovierende in der Befragung über weitere potenziell qualitätssichernde Maßnahmen im Promotionsverlauf wie jährliche Berichte, Betreuergespräche, Zertifikate über besuchte Veranstaltungen, die Abgabe bestimmter Textmengen in vereinbarten Zeiträumen oder die Pflicht, vor der – ebenfalls verpflichtenden – Veröffentlichung der Dissertation Korrekturvorschläge des/der Betreuer(s) einzuarbeiten. Diese Elemente der Qualitätssicherung kommen jedoch nur in einer Minderheit der Antworten vor – die Frage, ob außer der Abschlussprüfung weitere qualitätssichernde Elemente im Laufe der Promotion vorgesehen seien, beantworten drei Doktoranden der strukturierten Programme und alle Individualpromovierenden negativ. Diese tendenziell fehlende Qualitätssicherung im Promotionsverlauf lässt Auswahlverfahren zur Promotion umso wichtiger erscheinen. Sie bieten die Möglichkeit einer besseren Qualitätssicherung als rein subjektive Beurteilungen oft durch einen einzigen Professor wie bisher bei der Aufnahme zur Individualpromotion üblich. Die Gelegenheit auch zu einer inhaltlichen Steuerung der germanistischen Themen und damit künftiger Forschung bis hin zur fachlichen Ausrichtung der Lehrstühle stellt jedoch gleichzeitig die nach wie vor problematische Frage der Objektivität und der Transparenz der Kriterien. Dies deutet das folgende Zitat eines Doktoranden an, der an mehreren Aufnahmeverfahren strukturierter Promotionsmodelle in der Germanistik teilgenommen hat: Ich habe ja viele solche Auswahlgespräche erlebt und wurde immer eingeladen und wurde aber nur in [Programm A] genommen, obwohl das Exposé immer gleich war und ich immer passende Programme gesucht habe. Diese Kriterien unterscheiden sich immens! [Sie] sind sehr willkürlich und kaum überprüfbar, der Lust und Unlust der Kommissionsmitglieder unterzogen. Mein Projekt ist zerrissen worden – methodischer Zugang, Themenauswahl, Beispiele – von [Programm B] und […] [ich] war dann positiv überrascht in [Programm A] von der positiv interessierten und konstruktiven Kommission. Die Kriterien scheinen also sehr verschieden zu sein und nicht transparent.
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Trotz möglicherweise heterogener Kriterien und zu verbessernder Transparenz stellen die Auswahlverfahren einen Schritt in die richtige Richtung dar, da sie eine kritische Beurteilung des inhaltlichen, methodischen und zeitlichen Plans des Dissertationsprojekts im Vorfeld und meist durch mehrere Personen ermöglichen. Darüber hinaus stellt die erfolgreiche Aufnahme in ein Promotionsprogramm an sich eine Auszeichnung dar und deutet auf besondere Qualitäten des Doktoranden und seines Vorhabens hin. Inwieweit sich dieses ‚Exzellenzsignal‘ tatsächlich in den Karrieren der Nachwuchsforscher abbildet, wird im Kapitel 3.8 thematisiert. Ein neuer Prozess ist neben den Auswahlverfahren selbst eine durch sie verursachte verstärkte Mobilität der Doktoranden zwischen den Hochschulen: Wie bereits die enge Anbindung der Doktoranden an die Betreuer der Examensarbeiten gezeigt hat, fand die Promotion bisher meist ‚bei‘ einem Doktorvater oder einer Doktormutter am gleichen Hochschulort wie das Studium statt. Durch die öffentlich angekündigten Ausschreibungen bei den strukturierten Programmen bekommen Professoren verstärkt Doktoranden, die sie nicht selbst ausgebildet haben. Dies kann für die neuen Betreuer eine Bereicherung bedeuten, für die Examensarbeitsbetreuer am Studienort der Doktoranden jedoch einen Verlust. Interessanterweise funktioniert dieser Prozess, wie der Sprecher der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien, Professor Dr. Peter-André Alt, im Interview berichtet, nicht in traditionellen Fächern wie der klassischen Philologie oder der Mediävistik, in denen die Studierenden „konservativ akademisch sozialisiert“ seien und bis zum Ende ihrer Promotion bei ihren Professoren blieben. Entsprechend wenige Bewerbungen kämen in die Graduiertenschule aus diesen Fächern. Die Germanistik hätte dieses Problem nicht. Hierbei sei angemerkt, dass konkret die Ergebnisse der für diese Arbeit durchgeführten Befragung, wie im Kapitel 3.2 dargestellt, eine Bindung der Doktoranden an ihre Betreuer aus dem Studium auch für die Germanistik andeuten. Mögliche Konsequenzen dieser durch die Zunahme strukturierter Promotionsangebote katalysierten ‚Doktoranden-Mobilität‘ und anzunehmender künftig verstärkter Unterbrechung der Anbindung der Doktoranden an ihren Mentor aus dem Studium könnten für die inhaltliche Ausrichtung der Germanistik in der Zukunft – solange Individualpromotion und strukturierte Promotionsprogramme parallel existieren – im Extremfall eine ‚Trockenlegung‘ bestimmter Forschungszweige (der ‚verlassenen‘ Professoren) sowie eine verstärkte Bearbeitung anderer (der im Fokus der Professoren der Graduiertenschulen stehenden) Forschungszweige sein. Die nähere Erforschung dieser Tendenz bedarf jedoch weiterer Untersuchungen. Auch stellt sich die Frage, ob Auswahlverfahren als ein Qualitätssignal zur Etablierung bzw. Verfestigung eines besonderen Renommees der germanistischen Nachwuchsausbildung in (bestimmten) strukturierten
3.4 Finanzierungsformen und ihr Steuerungspotenzial
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Programmen führen werden. Hierfür bedarf es als weiteren Beitrag zur Qualitätssicherung der germanistischen Promotionsphase einer flächendeckenden Evaluation der strukturierten Promotionsmodelle, einschließlich der angewandten Auswahlmechanismen.252 Neben der Frage der Objektivität und der Transparenz der Kriterien spielen dabei weitere Faktoren eine Rolle: Einerseits sollen qualifizierte Promotionskandidaten nicht durch übermäßige Hürden (etwa der erneuten Erbringung von Leistungen bei Hochschulwechsel) abgehalten werden. Auf der anderen Seite müssen die germanistischen Grundlagen gesichert sein. Auch gilt es, die Balance zwischen Überbürokratisierung und Subjektivität der Auswahl zu finden – nicht zuletzt eine Frage der finanziellen Möglichkeiten der Modelle, die im nächsten Abschnitt besprochen werden. 3.4 Finanzierungsformen und ihr Steuerungspotenzial Der für die Geisteswissenschaften vergleichsweise neue „konstituierende Einfluß des ‚Geldes‘ als eines Mediums der Wissenschaftssteuerung“253 sowie der „Wandel des geisteswissenschaftlichen Forschungsstils“254 hin zu einer organi-
252 Für die Graduiertenkollegs der DFG wurden im Rahmen der in der Fußnote 230 vorgestellten Studie von Jürgen Enders und Andrea Kottmann im Vergleich mit anderen Promotionszusammenhängen zwar nicht die konkreten Auswahlmechanismen, jedoch die „Rekrutierung der Kollegiatinnen und Kollegiaten“, die „Interinstitutionelle Mobilität“ und die „Gründe für die Auswahl der Einrichtung“ untersucht. Für die Geistes- und Sozialwissenschaften zeigt sich, dass der Zugang zum Graduiertenkolleg bei 68 Prozent der Befragten über eine Bewerbung auf ein öffentlich ausgeschriebenes Stipendium lief (22 Prozent wurde dagegen das Stipendium durch einen damaligen Hochschullehrer angeboten), dass die interinstitutionelle Mobilität vom Studien- zum Promotionsort bei Geistes- und Sozialwissenschaftlern mit 51 Prozent Wechselanteil von allen Fächergruppen am höchsten ist (und die Kollegiaten insgesamt den Hochschulort häufiger wechseln als andere Doktoranden) sowie dass die wichtigsten Motive für die Auswahl der Promotionseinrichtung die Möglichkeit der interdisziplinären Arbeit sowie diejenige eines laufenden Austauschs mit anderen Doktoranden sind. Vgl. Enders/Kottmann: Neue Ausbildungsformen – andere Werdegänge?, S. 43-49 und S. 134-139. 253 Brenner: Das Verschwinden des Eigensinns, S. 37. Noch im 19. Jahrhundert beschränkt sich die Einflussnahme des Staates im Sinne Humboldts auf die Bereitstellung der Gehälter und der Forschungsmittel, insbesondere der Bibliotheken – bei der Begründung der Berliner Universität war es eine der Intentionen von Humboldt, dass die Wissenschaft nicht durch finanzielle Erwägungen beschränkt oder gesteuert wird, sondern der Staat lediglich die nötigen Rahmenbedingungen zur Durchführung der Forschung schafft, indem er die Forschungseinrichtungen und die Mittel zur Besoldung der Forscher bereitstellt. Vgl. ebd. 254 Ebd., S. 38.
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sierten und teilweise kollektiv betriebenen Forschung255 bringen auch in der germanistischen Doktorandenausbildung neue Herausforderungen, aber auch Chancen: Mit zusätzlicher Förderung können Reformmodelle erprobt und verstetigt werden. Außerdem stellt die ‚kollektive‘ Doktorandenausbildung in den strukturierten Programmen, die Teilleistungen der Doktoranden und eine beschränkte Promotionsdauer umfassen, möglicherweise eine zeitgemäße Reaktion auf den Strukturwandel der Geisteswissenschaften, bei dem die Einzelforschung zunehmend durch überindividuelle, kollektive Organisationsformen ‚mit fristgerecht zu liefernden Forschungsergebnissen‘ ergänzt wird.256 Nach der ersten Reformwelle mit DFG-finanzierten Graduiertenkollegs und weiteren strukturierten Programmen ab den 1990er Jahren gibt seit 2006 die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder der Reform der Promotionsphase in Deutschland finanzielle und inhaltliche Impulse. Auch für die Germanistik hat die Initiative die Entstehung neuer Promotionsformate befördert, die auf eine Behebung zahlreicher Defizite der traditionellen Individualpromotion abzielen. Zwei der in dieser Arbeit untersuchten Modelle werden durch die Mittel der Exzellenzinitiative gefördert (die Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien in Berlin sowie das International Graduate Centre for the Study of Culture in Gießen). Die Existenz zweier weiterer Modelle zeigt, dass die Exzellenzinitiative über ihre direkte Förderung hinaus Dynamik in die Reform der Doktorandenausbildung gebracht hat: Obwohl die ursprünglichen Konzepte der Graduiertenschulen in Göttingen und Münster bei der Exzellenzinitiative nicht erfolgreich waren, waren sie trotzdem die Basis für die von diesen beiden Programmen nun eingeworbene Förderung durch die jeweiligen Bundesländer Niedersachsen bzw. Nordrhein-Westfalen. Die Fördermittel sind niedriger – in Münster erhalten die Doktoranden von der Graduiertenschule zum Beispiel keine Stipendien – aber das jeweilige im Kapitel 3.1 vorgestellte Konzept konnte umgesetzt werden, und die Promovierenden können von den reformierten Strukturen profitieren. Auch
255 Beispiele für kollektiv betriebene Forschung in den Geisteswissenschaften sind neben thematisch fokussierten Sammelbändern und Kongressen insbesondere von der DFG geförderte Sonderforschungsbereiche oder im Rahmen der Exzellenzinitiative entstandene Exzellenzcluster. 256 So argumentiert Brenner, dass das „Gesellschafts- und vor allem das Tagungs- und Kongreßwesen“ in den Geisteswissenschaften vom Sonder- zum Regelfall geworden ist und „den Rhythmus der Forschung ebenso bestimmt wie seine Richtung: Forschungsthemen werden vorgegeben durch Kongreßthemen oder durch die Einbindung in Gesellschaften, die sich der Erforschung spezialisierter Teilaspekte des Fachs widmen, und die Dauer für die Ausarbeitung von Forschungsergebnissen wird durch die Intervalle zwischen den Kongressen oder zwischen den Erscheinungsterminen themengebundener Periodika bestimmt“. Ebd., S. 44.
3.4 Finanzierungsformen und ihr Steuerungspotenzial
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die Kölner Forschungsschule a.r.t.e.s. ist landesfinanziert. Das Promotionskolleg „Wertung und Kanon“ in Göttingen wird von der VolkswagenStiftung gefördert. Die beiden Bundesländer und die Stiftung tragen damit zur Umsetzung der bereits im Kapitel 3.1.3.5 zitierten Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in den Geisteswissenschaften von 2006 bei: Darin bekräftigt der Wissenschaftsrat seine vier Jahre zuvor empfohlene Ausweitung der strukturierten Doktorandenausbildung. Da die neuen Strukturen jedoch „nicht grundsätzlich über ausreichende Ressourcen verfügen […], um die Promovierenden aus eigenen Mitteln zu finanzieren (Stipendien, Stellen)“, wie an dem Beispiel der Graduiertenschule in Münster beobachtet werden kann, fordert der Wissenschaftsrat, wie bereits im Kapitel 3.1.3.5 angeführt, dass „auch weiterhin eine ausreichende Zahl individueller Fördermöglichkeiten von Seiten des Landes, der Begabtenförderungswerke und verschiedener Stiftungen vorgesehen“ wird.257 Von den in dieser Arbeit untersuchten Programmen bieten Göttingen und Gießen promovierenden Germanisten auch hinsichtlich der finanziellen Förderung zwei verschiedene Angebote: Einmal kann die Promotion im Rahmen des geförderten Modells ablaufen, bei dem die Doktoranden geknüpft an ein Auswahlverfahren (vgl. Kapitel 3.3) und an verschiedene Rechte und Pflichten wie regelmäßige Präsentation der Arbeitsergebnisse oder Besuch bestimmter Veranstaltungen (vgl. 3.5 und 3.6) Stipendien erhalten. Darüber hinaus existiert ein Dachangebot ohne Stipendien bzw. mit Kurzstipendien für die Anlauf- und Abschlussphase, das auch Doktoranden der Germanistik nutzen können – in Gießen das Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften, in Göttingen die Graduiertenschule für Geisteswissenschaften.258 Bei den geförderten Modellen werden die Mittel etwa zur Finanzierung der Stellen der Koordinatoren benutzt, dienen der Förderung spezieller Seminare und Workshops oder der Einladung von Gastwissenschaftlern, können von den Doktoranden für Tagungen, Publikationen oder Reisen beantragt werden und stehen ihnen insbesondere in Form von Stipendien zur Verfügung. Einerseits kann 257 Vgl. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften, S. 82. Darüber hinaus spricht sich der Wissenschaftsrat dafür aus, dass eine Finanzierungsmöglichkeit für die Anlaufphase der Promotion entwickelt wird, in der die meisten Doktoranden mit der genauen Festlegung des Themas, mit der Verfassung des Exposés sowie mit Bewerbungen um ein Stipendium beschäftigt sind und sich in dieser Übergangszeit nur schwer finanzieren können. Für die Umsetzung dieser Forderung mit dem Stipendium zur Exposéausarbeitung an der der Universität Göttingen bzw. mit dem „Themenfokussierungssemester“ an der Forschungsschule a.r.t.e.s. in Köln vgl. die Kapitel 3.1.3.3, 3.1.3.4 sowie 3.3. 258 Das Kurzstipendienangebot existiert an der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften in Göttingen. Vgl. dazu Fußnote 257 sowie Kapitel 3.1.3.3.
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grundsätzlich festgestellt werden, dass durch den Zuwachs an strukturierten Promotionsformen für eine germanistische Promotion heutzutage mehr Stipendien zur Verfügung stehen als etwa vor 20 Jahren. Der Sprecher der Kölner Forschungsschule a.r.t.e.s., Professor Dr. Andreas Speer, äußert sich dazu im Interview: Zu meinen Zeiten war es viel schwieriger, eine Förderung für die Promotion zu finden. [Es ist heute ein] ganz anderes Standing für das Promovieren, die Abhängigkeitsverhältnisse werden gelockert, die Promotion ist Teil der Berufstätigkeit, es sind junge Forscher. Das ist eine wichtige Tendenz und das muss so bleiben.
Andererseits können trotz Auswahlverfahren und weiterer Qualitätsstandards nicht alle strukturierten Programme Stipendien anbieten und die Stipendiensätze variieren interessanterweise bei den einzelnen Programmen: Während dem Exzellenz-Gedanken entsprechend die ‚Elite‘-Doktoranden der Graduiertenschulen der Exzellenzinitiative mit 1.486 Euro pro Monat am besten dotiert werden, stehen Stipendiaten etwa der Forschungsschule a.r.t.e.s. monatlich 1.150 Euro zur Verfügung. Dieser Betrag entspricht dem Standardfördersatz der Begabtenförderungswerke.259 Wie im Kapitel 3.1.2 gezeigt wurde, spielte für die befragten Doktoranden bei der Wahl ihres Promotionsortes die Finanzierung der Promotion eine zentrale Rolle. Auch bei der Frage nach bekannten strukturierten Programmen spezifizieren die Promovierenden ihre Nennungen oft durch Angaben wie „allerdings ohne Stipendien“ oder „mit Stipendien“. Bei der Wahrnehmung und Kategorisierung der Programme durch Promotionsinteressierte dürfte zudem auch die Höhe des Stipendiums eine wichtige Rolle spielen. Die Höchstsätze der durch die Exzellenzinitiative geförderten Graduiertenschulen bieten diesen Angeboten über den ‚Elite-Signalwert‘ hinaus gegenüber anderen Promotionsprogrammen einen Wettbewerbsvorteil. Wie finanzieren die für diese Arbeit befragten Doktoranden der Germanistik ihre Promotion und welche Unterschiede bestehen bei der Finanzierung zwischen den strukturiert promovierenden Doktoranden und den Individualpromovierenden? Fast alle in strukturierten Programmen eingebundenen Doktoranden 259 Im Interview bestätigte dies ein Individualpromovierender, der ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes in gleicher Höhe erhält. Die zwölf bundesweit tätigen Begabtenförderungswerke sind das Cusanuswerk – Bischöfliche Studienförderung, das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk, das Evangelische Studienwerk Villigst, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die Hanns-Seidel-Stiftung, die Hans-BöcklerStiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung, die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Rosa-LuxemburgStiftung, die Stiftung der Deutschen Wirtschaft und die Studienstiftung des deutschen Volkes. Vgl. URL (24.5.2010): http://www.bmbf.de/de/294.php.
3.4 Finanzierungsformen und ihr Steuerungspotenzial
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erhalten ein Stipendium. Nur zwei Promovierende geben mit „wissenschaftliche Mitarbeiter- bzw. Hilfskraftstelle“ und „Arbeit außerhalb der Hochschule“ alternative Hauptfinanzierungsquellen an. Von den Stipendien werden jedoch nicht alle von den Graduiertenschulen selbst vergeben – ein Doktorand erhält ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung, ein weiterer nennt das Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes als die Hautfinanzierungsquelle seiner Promotion. Wie finanzieren demgegenüber die Individualpromovierenden ihre Promotion? Drei der zehn befragten Individualpromovierenden erhalten ebenfalls ein Stipendium, zwei von der Studienstiftung des Deutschen Volkes und einer von der Stiftung der Deutschen Wirtschaft. Drei Doktoranden sind wissenschaftliche Mitarbeiter an der Hochschule, zwei hauptsächlich mit Lehraufgaben (als Lehrkräfte für besondere Aufgaben) ebenfalls an der Universität beschäftigt, und zwei arbeiten in Vollzeit als Lehrer außerhalb der Universität. Diese Bandbreite an Finanzierungsquellen ist für die Germanistik nicht untypisch, wenn auch in der Gruppe der hier untersuchten Individualpromovierenden die hochschulextern Finanzierten unterrepräsentiert erscheinen könnten: Wie Jürgen Enders und Lutz Bornmann in der einzigen bundesweiten auch für die Germanistik aufgeschlüsselten Studie gezeigt haben, waren in der Germanistik der untersuchten Promotionsabschlusskohorten 1979/80, 1984/85 und 1989/90 (und somit nur auf Individualpromovierende bezogen) externe Finanzierungen der Promotion deutlich häufiger anzutreffen als Stipendien oder Hochschultätigkeiten. Insgesamt 45 Prozent der Doktoranden der Germanistik finanzierten sich durch eine externe Finanzierung wie durch Mittel des (Ehe)-Partners oder der Eltern (22 Prozent) oder durch Erwerbstätigkeit außerhalb der Hochschule (16 Prozent). 29 Prozent sicherten ihren Unterhalt durch ein Promotionsstipendium und 27 Prozent durch eine Beschäftigung an der Hochschule oder Forschungseinrichtung.260 Der Anteil extern finanzierter Promotionen nahm in der Germanistik zwischen den betrachteten Kohorten bis 1990 sogar deutlich zu (plus 13 Prozent), wobei „insbesondere durch außerhochschulische Berufstätigkeiten finanzierte Promotionen an Bedeutung gew[a]nnen“.261 Die 45 Prozent extern finanzierter Promotionen in der Germanistik sind nicht nur in Relation zu den anderen Finanzierungsquellen, sondern auch im Vergleich zu manch anderen 260 Vgl. Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel?, S. 53. 261 Vgl. ebd. „Außerhochschulische Berufstätigkeiten“ dürften dabei in den wenigsten Fällen mit der eigenen Dissertationsforschung im Zusammenhang stehen, wie Nünning/Sommer feststellen: „Für die Geistes- und Kulturwissenschaften sind solche idealen Verbindungen von Erwerbstätigkeit und Forschung allerdings leider seltene Ausnahmen“. Nünning/Sommer: Handbuch Promotion, S. 110.
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Fächern sehr hoch, beispielsweise zu zwölf Prozent in der Biologie oder jeweils neun Prozent in der Elektrotechnik und Mathematik.262 Dies bringt Konsequenzen für die Anbindung an die Universität, den Austausch und die Betreuung der Doktoranden mit sich, Aspekte, die im Kapitel 3.5 näher untersucht werden. Neue repräsentative Studien, die auch Promovierende der Germanistik in strukturierten Programmen einbeziehen, müssten darüber hinaus zeigen, ob diese im Vergleich zu anderen Disziplinen extreme Situation der hochschulexternen Finanzierung in der Germanistik durch das Aufkommen der strukturierten Doktorandenausbildung tatsächlich gemildert wird und die Promovierenden verstärkt ‚an die Universität zurück‘ geholt werden, wie es die Ergebnisse der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Befragung mit einem kleineren Anteil der hochschulextern finanzierten Promovierenden andeuten. Des Weiteren zeigen die Ergebnisse als Unterschiede zwischen den beiden Gruppen zum einen die relative Homogenität der Finanzierung der strukturiert Promovierenden durch Stipendien gegenüber stärker heterogenen Finanzierungsquellen der Individualpromovierenden. Zum Zweiten sind an die Finanzierung unterschiedliche Rechte und Pflichten geknüpft: Während Doktoranden in strukturierten Programmen nach einem erfolgreich durchlaufenen Auswahlverfahren hauptsächlich von Angeboten des Programms und seiner Strukturen profitieren und die ‚Gegenleistungen‘ stets auf die Dissertation oder im Rahmen der Promotion zu erfüllende Leistungen wie den Besuch bestimmter Veranstaltungen bezogen sind, läuft die Finanzierung bei den Individualpromovierenden mit Ausnahme der Stipendiaten insofern zur Promotion parallel, als sich die Gegenleistungen meist auch auf Bereiche außerhalb der Promotion beziehen, wie auf verschiedene administrative Aufgaben oder die Lehrtätigkeit innerhalb bzw. außerhalb der Hochschule.263 Vereinfacht gesagt, besteht die Möglichkeit, dass die Zeit mit Geldverdienen verbracht wird, die bei strukturiert Promovierenden oder Stipendiaten dem Verfassen der Dissertation gewidmet werden kann. 262 Entsprechend mehr Doktoranden werden in diesen Fächern durch eine Beschäftigung an der Hochschule oder Forschungseinrichtung finanziert (68 Prozent in der Biologie, 88 Prozent in der Elektrotechnik und 76 Prozent in der Mathematik). Vgl. Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel?, S. 53. Möglicherweise besteht ein weiterer Unterschied darin, dass die an Hochschulen beschäftigten Doktoranden in den Geisteswissenschaften häufiger nur in Teilzeit arbeiten (dürfen): „In den Geistes- und Sozialwissenschaften, die traditionell geringere ökonomische Ressourcen zur Verfügung haben, sind weniger Promovierende als wissenschaftliche Mitarbeiter/innen beschäftigt. Auch ist es in diesen Fächern die Regel, in der Promotionsphase nur auf einer halben Stelle zu arbeiten“. Vgl. Nünning/Sommer: Handbuch Promotion, S. 107. 263 Dabei beträgt der Umfang der Lehrtätigkeit an der Universität zum Beispiel in NordrheinWestfalen bei wissenschaftlichen Mitarbeitern in der Regel vier Semesterwochenstunden, bei Lehrkräften für besondere Aufgaben 13 bis 17 Semesterwochenstunden. Vgl. Ministerium für Innovation: Lehre an Hochschulen, S. 7f.
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Neben der besseren Möglichkeit der ‚Bindung‘ der Doktoranden, die sich nicht selbst finanzieren müssen, sondern sich auf die Promotion konzentrieren können,264 kann das Stipendium des Weiteren als ein Instrument der Qualitätssicherung eingesetzt werden: Die Programme sehen verschiedene Leistungen der Doktoranden verbindlich vor, und die Weiterzahlung des Stipendiums wird zum Teil an die Erfüllung dieser Pflichten geknüpft – beispielsweise an der Freien Universität in Berlin an den jährlichen Zwischenbericht. Die Gleichbehandlung der Doktoranden in der Finanzierung mit Stipendien kann darüber hinaus positive Nebeneffekte haben, wie sie ein Doktorand im Interview beschreibt: Das ist auch irgendwie das Schöne, dass wir alle das Stipendium haben [und] kein Ellenbogenverhalten [herrscht], ich hatte da Glück. Man freut sich, sich zu sehen, hilft sich, klagt sein Leid [und] das war es dann auch.
Schließlich stellt das Stipendium, bereit gestellt von der Graduiertenschule oder von der Stiftung, eine zusätzliche Motivation für die Arbeit an der Dissertation bei gleichzeitiger finanzieller Unabhängigkeit vom Betreuer dar. Die finanzielle Abhängigkeit gehört zu den Nachteilen der Beschäftigung als Mitarbeiter an der Universität, bei der der Doktorvater gleichzeitig Vorgesetzter, Lehrer und wissenschaftlicher Berater ist, wodurch die Abhängigkeit zwischen Doktorand und Betreuer verstärkt wird.265 Auf der anderen Seite erhalten Lehrstuhlmitarbeiter durch die geleistete Arbeit den besten Einblick in den germanistischen Hochschulalltag mit Forschung, Lehre, Drittmitteleinwerbung, Tagungsvorbereitung, Studentenberatung, Hochschuladministration, usw. Ihre Tätigkeiten ähneln der späteren Arbeit als Wissenschaftler an der Hochschule am meisten. Es stellt sich dabei die Frage, wie dieses mit Blick auf eine wissenschaftliche Karriere vorteilhafte ‚Training‘ der als Lehrstuhlmitarbeiter angestellten Individualpromovierenden in den strukturierten Programmen am besten 264 Auch bei Stipendiaten in Individualpromotion bestehen jedoch Probleme der Isolation und des fehlenden Austauschs, insbesondere zu anderen Doktoranden. Dies verbindet sie mit anderen externen Individualpromovierenden und teilweise auch mit den Lehrstuhlmitarbeitern. Da es sich hierbei um Aspekte der Betreuung handelt, wird das Thema anhand der Ergebnisse der Befragung im Kapitel 3.5 näher betrachtet. 265 Dazu kann zusätzlich die in manchen Fällen problematische Praxis der Vergabe der Stellen beitragen, wie sie der Wissenschaftsrat beschreibt: „An vielen Fachbereichen wird das Bewerbungsverfahren [zur Besetzung der wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen an Lehrstühlen] von einer vom Fachbereich eingesetzten Kommission durchgeführt. Jedoch ist keinesfalls überall sichergestellt, dass Mitarbeiterstellen durch ein transparentes, sich ausschließlich nach Kriterien wissenschaftlicher Exzellenz richtendes wettbewerbliches Verfahren mit öffentlicher Ausschreibung, vergeben werden. So liegt an manchen Universitäten die Entscheidung über die Besetzung einer Stelle uneingeschränkt in der Hand des jeweiligen Lehrstuhlinhabers. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, S. 15.
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umgesetzt werden könnte. Die derzeitigen Strategien der hier untersuchten Programme wurden bereits im Kapitel 3.2 teilweise thematisiert und werden weiter in den folgenden Kapiteln 3.5 bis 3.7 erörtert – es handelt sich dabei insbesondere um wissenschaftliche Schlüsselqualifikationen, die zum einen durch zu besuchende Seminare, zum anderen durch praktische Aktivitäten (etwa indem eine Tagung des Programms mitorganisiert wird) eingeübt werden sollen. Eine weitere Möglichkeit könnte ein zu absolvierendes ‚Lehrstuhlpraktikum‘ darstellen, bei dem die Doktoranden als ‚Lehrstuhlmitarbeiter auf Zeit‘ einem (oder rotierend mehreren) Professor(-en) zugeordnen werden, um die oben beschriebenen Qualifikationen zu erwerben. In den strukturierten Promotionsprogrammen müssen für die finanzielle Förderung nicht nur die Doktoranden, sondern auch die Verantwortlichen der Programme eine Gegenleistung erbringen. Die mit der Entstehung strukturierter Programme bzw. deren externen Förderung neu aufgekommene Berichtspflicht über ihre Ausgaben und Ergebnisse kann mit Blick auf die anzustrebende Transparenz und Qualität der Doktorandenausbildung in der Germanistik als eine qualitätssichernde Maßnahme gewertet werden: Es existiert außerhalb (und dadurch verstärkt auch innerhalb) der Universität ein Interesse daran, ob die geförderten Doktoranden ihr Promotionsziel erreichen, wie schnell und wie gut. Ein möglicher Nachteil ist jedoch der potenzielle Einfluss der Förderorganisationen auf die Dissertationsthemen: Nicht nur beeinflussen die Ausschreibungstexte an sich den Zuschnitt der geförderten Programme, indem sie etwa im konkreten Fall der Exzellenzinitiative dezidiert eine interdisziplinäre Ausrichtung fördern und thematisch anders zugeschnittene Modelle dadurch direkt von der Bewerbung ausgeschlossen werden. Sondern die Notwendigkeit, bei Bewilligung auch alle Doktorandenstellen zu besetzen, verursacht zusätzlichen Druck bei der qualitativ hochwertigen Verwendung der Mittel.266 Die potenziellen Probleme dabei fasst der Sprecher eines strukturierten Programms zusammen: Das, was momentan läuft, dass wir sehr viel in Stipendien zur Doktorandenförderung stecken – ein richtiger Boom meiner Meinung nach – das geht zum Teil auf Kosten der Qualität. Unter der Hand erzählen mir die Koordinatoren, dass sie gar nicht mehr die erste Wahl [an Doktoranden] bekommen können und die zweite 266 Dabei wird die Mittelausgabe bei den Graduiertenschulen der Exzellenzinitiative zusätzlich durch die mangelnde Flexibilität des Bundesgesetzes erschwert: Die Mittel werden jedes Jahr gleichmäßig zugeteilt, können jedoch nur zum Teil ins Folgejahr übertragen werden. Dies passt allein deshalb nicht zum Konzept der Graduiertenschulen, da die Anzahl der zu fördernden Doktoranden jedes Jahr ansteigt. Einer der Sprecher plädiert deshalb für eine einmalige Zuteilung der Mittel und die Möglichkeit zur freien Ausgabe, welche mit Kontrollen versehen wird, um eine adäquate Verwendung der Mittel sicherzustellen.
3.4 Finanzierungsformen und ihr Steuerungspotenzial
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Wahl nehmen. Das finde ich dann schade. Dann doch lieber die traditionelle Promotion, als dass wir unbedingt Themen bedienen müssen. […] Es gibt bestimmte Modethemen, die dann ausgeschrieben werden und gefördert werden, und das steuert dann die Doktoranden, dann machen sie vielleicht ein Exposé dazu, weil es dazu gerade Geld gibt.
Die Frage, ob es für die exzellenten Programme auch genug ‚exzellente‘ germanistische Doktoranden gibt, wird erst in der Zukunft anhand der verfassten Arbeiten und erreichten Karriereziele beantwortet werden können. Fest steht, dass umgekehrt Programme, die nicht durch die Exzellenzinitiative gefördert werden, von dem Vorteil des niedrigeren ‚Drucks zur Mittelausgabe‘ profitieren. Wie einer der Koordinatoren lapidar feststellt: „Wir besetzen dann einfach nicht alle Stellen“. Für eine künftig anzustrebende, auch fachspezifische Evaluation der Förderinstrumente und Wettbewerbe stellt sich grundsätzlich die Frage, „ob [sie] eigentlich das prämier[en], was von den zukünftigen Wissenschaftlern verlangt wird. Eine kurzfristige Stipendienkultur und der hohe Druck zur Veröffentlichung fördern allzu oft Routine, Kurzatmigkeit und Mitläufertum“.267 Auch wenn nicht alle Doktoranden in der Wissenschaft, also an Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen, verbleiben werden, sollten gerade die besonderen Förderinstrumente im Sinne einer Refokussierung den zukünftigen germanistischen Wissenschaftlern zu Gute kommen und somit in die Zukunft der Germanistik investiert werden. Die berechtigte Frage, wie gut die Qualität und wie hoch die Relevanz der Dissertationen für die Germanistik überhaupt sein kann, wenn alle Doktoranden gefördert würden, führt zu der Überlegung, ob eine an sich wünschenswerte finanzielle Unterstützung, wenn nicht aller (wie etwa in den Ingenieurwissenschaften), dann zumindest eines großen Anteils germanistischer Doktoranden an eine flächendeckende Einführung transparenter Auswahlverfahren und während der Promotion zu erfüllender Teilleistungen geknüpft sein sollte. Dieser Gedanke führt zurück zu den Anfangsüberlegungen dieses Kapitels über die Chancen der zusätzlichen Förderung für die Erprobung und Verstetigung von Reformmodellen der Doktorandenausbildung in der Germanistik. Während beispielsweise in den Ingenieurwissenschaften die Doktorandenkollegs wahrscheinlich weit billiger sind als die Finanzierung der bislang üblichen an die Wirtschaft angebundenen Assistentenstellen, verhält es sich in der Germanistik genau umgekehrt: Die bisherige Doktorandenausbildung in Form von Individualpromotionen ist wahrscheinlich kostengünstiger, während die Einrichtung und Instandhaltung der Graduiertenschulen mit den beschriebenen Dienstleistun267 Krull: Humboldt, adieu!, S. 69.
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gen viel Geld kostet. Die Kurzlebigkeit der Graduiertenkollegs bzw. befristete Einrichtung der Graduiertenschulen und weiterer Promotionsprogramme scheint eines ihrer Hauptprobleme zu sein. Ihr Überleben ist eine Kostenfrage und viel Geld und Energie (zum Teil auch der Dissertationszeit der Doktoranden – etwa in Form von Vorträgen für die Gutachter) fließt in Präsentationen der Ergebnisse und insbesondere in die Verlängerung der Förderung. Es wird im Vergleich mit den USA, in denen die strukturierte Doktorandenausbildung auch in den Geisteswissenschaften Standard ist, zu prüfen sein, ob die Finanzierung der Basisstrukturen für eine effektive Doktorandenausbildung nicht vielmehr zur Grundausstattung der Universitäten gehören müsste. Dass sich Qualität jedoch auch mit weniger Geld anheben lässt, demonstrieren die strukturierten Programme ohne Stipendien, für die trotz der fehlenden direkten Finanzierungsmöglichkeit ein großes Interesse besteht, sowie die entstehenden Dachstrukturen zur Institutionalisierung der Individualpromotion. Vergleichsweise kostengünstige Instrumente wie Betreuungsvereinbarungen, Selbstverpflichtungen der Doktoranden zu jährlichen Berichten oder zu einem Abschluss nach drei Jahren bzw. die Etablierung eines Begründungszwangs bei Nichteinhaltung der Selbstverpflichtungen dürften als Bestandteil der Betreuung für die Doktoranden hilfreich sein. Welche Betreuungsformen in der Individualpromotion bzw. den strukturierten Promotionsformen bestehen und zu welchen Ergebnissen die Auswertung der qualitativen Interviews zu Art und Frequenz der Betreuung führte, wird im folgenden Abschnitt erörtert. 3.5 Betreuung und Austausch „Es gab im Prinzip überhaupt keine Betreuung, das ist schnell erzählt! Wenn ich ihn direkt angesprochen habe, dann meinte er, ich soll ihm ein Kapitel geben, und das hat er dann verloren.“ (Individualpromovierender im Interview)
Die Antwort auf die Frage nach einer angemessenen Betreuung unterscheidet sich fachspezifisch von Disziplin zu Disziplin und individuell von Doktorand zu Doktorand. In der Germanistik handelt es sich insbesondere um die Unterstützung des Schreibfortschritts der Dissertation in fachlicher (inhaltlichthematischer und methodischer) sowie persönlicher Hinsicht. Dazu gehört auch Beratung beim Zeitmanagement und Hilfe bei Krisen, da zum einen viele Promotionen in der Germanistik hochschulextern erfolgen (vgl. Kapitel 3.4) und zum anderen das Fach durch eine individualistische Arbeitskultur geprägt ist, bei der ein großer Teil jeder germanistischen Promotion mit dem nötigen Recherchieren, Lesen und Schreiben ‚in Einsamkeit und Freiheit‘ erfolgt. Hierbei ergibt sich der
3.5 Betreuung und Austausch
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Austausch nicht, wie möglicherweise in anderen Disziplinen etwa durch das tägliche Zusammenkommen in einem Labor, automatisch.268 Darüber hinaus sollte eine gute Betreuung Hilfestellung bei der Aneignung der Grundlagen der wissenschaftlichen Praxis im Vortrags- und Publikationswesen sowie in der akademischen Lehre leisten sowie die Einbindung in die germanistische Forschergemeinschaft bis hin zur Unterstützung beim Aufbau eines eigenen Netzwerks umfassen.269 Die konkrete Ausgestaltung dieser Standards einer guten germanistischen Doktorandenbetreuung ist dabei eine Frage der Abstimmung zwischen Doktorand und Betreuer je nach individuellem Arbeitsstil und Grad der Angebundenheit des Doktoranden an die Universität (bei hochschulexternen Promotionen etwa Rücksprachen per Telefon oder E-Mail). Aufgrund vielfacher tatsächlicher oder vermeintlicher Defizite der Betreuungsformen in der Individualpromotion haben alle strukturierten Promotionsprogramme die Betreuungsformen reformiert. Zu den Defiziten gehörten dabei mangelnder fachlicher Austausch, unzureichende Vermittlung wissenschaftlicher Zusatzqualifikationen, persönliche Vereinsamung und Isolation oder unangemessene Abhängigkeit von einem Betreuer, die teilweise zu Frustration, langen Promotionszeiten oder auch dem Promotionsabbruch führten.270 Ob die ‚Strukturiertheit‘ der neuen Promotions268 Vgl.: „In den Sozialwissenschaften und deutlicher noch in der Germanistik überwiegt ebenfalls ein individualistischer Arbeitsstil bei der Erstellung der Dissertationsarbeiten, deren Themenwahl zugleich häufig jenseits der Forschungsinteressen der Hochschullehrer erfolgt. Dieses Grundmuster der Erstellung der Dissertation in „Einsamkeit und Freiheit“ gilt im Prinzip unabhängig vom Status der Doktoranden als Mitarbeiter, Stipendiaten oder Externe“. Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel?, S. 56. Das sich dieses ‚Grundmuster‘ etwa mit der Einführung der Graduiertenkollegs nicht verändert hat, zeigen die Ergebnisse der neueren Studie von Enders/Kottmann: „Im Fachgebiet Geistes-/Sozialwissenschaften sind die Anteile ehemaliger GRK-Mitglieder, die ein starkes Ausmaß an Einbettung angeben, am geringsten. Dies zeigt sich vor allem für die thematische Integration der […] Kollegiaten, womit allerdings auch die stärker individualistisch geprägte Arbeitskultur der Geistes-/Sozialwissenschaften zum Ausdruck kommt“. Enders/Kottmann: Neue Ausbildungsformen – andere Werdegänge?, S. 59. 269 Für „Standards für eine gute Doktorandenbetreuung“ in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften vgl. Nünning/Sommer: Handbuch Promotion, S. 81f. Für nationale wie internationale Zielvorgaben für die Promotionsreform auch hinsichtlich der Betreuung vgl. Kapitel 1.3 dieser Arbeit. 270 Vgl.: „[V]or allem in den Kulturwissenschaften […] arbeiten die Doktoranden vielfach isoliert bei unzureichender Betreuung. Der wissenschaftliche Meinungsaustausch ist (dadurch) unterentwickelt. […] Klassische Formen der Betreuung wie Doktorandenkolloquien und Oberseminare reichen häufig nicht aus, weil diese in der Summe zu selten, zu unverbindlich oder zu unstrukturiert angeboten werden“. Hochschulrektorenkonferenz: Zum Promotionsstudium (ohne Seitenangaben, unter: A. Ausgangslage - 2. Probleme bei der Doktorandenausbildung). Für Informationen zur Promotionsdauer in der Germanistik und zu Abbruchquoten vgl. Ende Kapitel 3.1.1 dieser Arbeit.
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programme de facto zu einem großen Teil gerade aus einer engmaschigeren Betreuung und Begleitung der Doktoranden besteht, wird im Folgenden exemplarisch anhand der Modellhochschulen untersucht. Zunächst soll jedoch generell die Frage beantwortet werden, welche neuen Elemente in der Betreuung der Doktoranden in den strukturierten Promotionsprogrammen eingesetzt werden. Alle für diese Arbeit untersuchten Doktorandenprogramme setzen das Instrument der Promotions- bzw. Betreuungvereinbarung ein. Dabei verpflichten sich sowohl Doktorand als auch Betreuer zu bestimmten Leistungen und Fristen, innerhalb derer die Leistungen zu erbringen sind. Als Beispiel enthält die Betreuungsvereinbarung der Dahlem Research School der Freien Universität Berlin, die auch von der hier untersuchten Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien verwendet wird, neben den Angaben zum Promotionsbeginn den Arbeitstitel der Dissertation und die Namen der Betreuer, die ein so genanntes Betreuungsteam bilden. Des Weiteren stellt die Betreuungvereinbarung eine Selbstverpflichtung des Doktoranden zu regelmäßigen Berichten über die Arbeitsfortschritte und zur Erarbeitung der theoretisch-methodischen Eckpunkte seines Dissertationsvorhabens sowie eines detaillierten Arbeits- und Zeitplans dar. Im Gegenzug verpflichtet sich das Betreuungsteam zur Kommentierung und Bewertung des Projekt- und Studienfortschritts in angemessenen Abständen sowie zu Beratungs- und Betreuungsterminen, die während der Vorlesungszeit in der Regel mindestens einmal monatlich stattfinden sollen. Der Arbeits- und Zeitplan wird der Betreuungsvereinbarung angefügt, wobei der Doktorand bei relevanten Abweichungen von diesem das Betreuungsteam informieren muss. Ebenfalls bedarf eine Übernahme jeder entgeltlichen oder unentgeltlichen Nebentätigkeit des Doktoranden einer Befürwortung des Betreuerteams, und der Promovierende hat seine Wohnung so zu nehmen, dass die Promotion dadurch nicht beeinträchtigt wird. Die Betreuungsvereinbarung wird jährlich durch die Beteiligten überprüft und sie erklären sich mit der Weitergabe allgemeiner Angaben über das Vorhaben, die der statistischen Erfassung und der Evaluation der Promotionsbetreuung durch die Graduiertenschule dienen, einverstanden.271 Die Betreuungsvereinbarung beschreibt somit beispielhaft die wichtigsten Neurungen in der Betreuung im Rahmen der strukturierten Promotionsprogramme gegenüber der Individualpromotion: Der Zeitpunkt des Beginns der Arbeit an der Dissertation wird festgehalten, es gibt mehrere Betreuer (in Köln und Müns271 Für ein Muster der Betreuungsvereinbarung der Dahlem Research School der Freien Universität Berlin vgl. URL (24.5.2010): http://www.vetmed.fu-berlin.de/einrichtungen/sonsti ge/drs/Bewerber_Information/Muster_Betreuungsvereinbarung1/index.html.
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ter drei, in den anderen Programmen mindestens zwei), ein Zeit- und Arbeitsplan muss erstellt werden und wird regelmäßig überprüft und gegebenenfalls modifiziert. Die Betreuer verpflichten sich zu kontinuierlicher Betreuung, mögliche störende Faktoren wie übermäßige Tätigkeiten außerhalb der Promotion oder ein zu weit entfernter Wohnort werden nach Möglichkeit im Vorfeld in vorgesehenen Gesprächen eliminiert. Die Erhebung der Angaben ermöglicht darüber hinaus – ein weiterer neuer Aspekt – eine statistische Erfassung und Evaluation der Promotionsvorhaben.272 Und schließlich stellt allein das Abschließen einer solchen Vereinbarung ‚vor Dritten‘ (der Administration der Graduiertenschule und der Hochschule) eine neue Form der Institutionalisierung in der Doktorandenbetreuung dar, die allen Beteiligten ein höheres Recht- und Pflichtbewusstsein zuschreibt.273 Drei weitere Betreuungsmaßnahmen der strukturierten Programme sind organisierte ‚Bilanzfahrten‘, bei denen die Doktoranden den aktuellen Arbeitsstand der Dissertation regelmäßig vorstellen und mehreren Personen (meist auch auf verschiedenen Ebenen – neben Professoren auch anderen Doktoranden) zur Diskussion stellen. Dazu gehören außerdem Bereitstellung von Arbeitsräumen für die Doktoranden, in denen sie sich über die Arbeit hinaus austauschen können, sowie zusätzliche Ansprechpartner aus dem Programm, etwa der Koordinator und der Sprecher. Letztere übernehmen dabei eine Aufsichts- und Schlichterfunktion. Sie können die fristgerechte Erfüllung der gegenseitig vereinbarten Leistungen von Doktoranden und Betreuern kontrollieren und bei Bedarf vermitteln. Über diese neuen Ansprechpartner hinaus wurde in Köln die Rolle eines neutralen „Klassensprechers“ eingeführt; ein Professor, der zum einen die verpflichtenden, meist 14-tägig im Semester stattfindenden Forschungskolloquien der Klasse organisiert und zum Zweiten den Doktoranden als weitere Kontaktperson zur Verfügung steht. Der Klassensprecher ist dabei ‚zwischen‘ dem Betreuer und dem Personal der Forschungsschule positioniert, wovon die Doktoranden zusätzlich profitieren können: Er soll in fachlichen wie persönlichen 272 Bisher werden vom Statistischen Bundesamt lediglich ex post Angaben zu bestandenen Promotionsprüfungen, deren Gesamtnoten, sowie zum Geschlecht der Absolventen, zu deren Inländer- bzw. Ausländerstatus, Studienfach und Promotionsort und Alter erhoben. Vgl. Statistisches Bundesamt: Prüfungen an Hochschulen 2008, S. 19, S. 38, S. 59f., S. 174 und S. 182. 273 Dass das Instrument der Promotions- oder Betreuungsvereinbarung in der deutschen Promotionslandschaft relativ neu ist, bestätigt eine Umfrage der Universität Bonn von 2006 im Auftrag des Stifterverbandes, laut der damals erst 27 Prozent der Hochschulen solche Verträge nutzten. Bei der Studie wurden alle 360 staatlich anerkannten Hochschulen kontaktiert, davon konnten mit Vertretern von 117 Hochschulen (meist mit Vertretern des Personaldezernats oder der Hochschulleitung) Interviews durchgeführt werden. Vgl. Stifterverband: Akademisches Personalmanagement, S. 6.
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Fragen ergänzend zum eigenen Betreuer ‚ohne Konsequenzen‘ angesprochen werden können. Gleichzeitig steht er der Administration der Forschungsschule nahe und kann bei Bedarf zwischen den Doktoranden und den Mitarbeitern der Schule vermitteln. Ebenfalls in Köln wird bereits die Themenfixierungsphase betreut, die in anderen Fällen – auch bei anderen strukturierten Programmen – erst nach der Einreichung des ausgearbeiteten Exposés beginnt und die Phase der Themenfindung und Exposéverfassung somit unbetreut lässt. In Münster fällt als zusätzliches Element insbesondere der intensive Fokus auf den Schreibfortschritt der Dissertation auf: Nach zwei Semestern müssen die Doktoranden 50 Textseiten, nach drei Semestern 100 verfasst haben. Je nach individuellem Arbeitsstil kann diese pauschale Vorgabe allerdings problematisch sein, da bei manchen Doktoranden erst eine längere konzeptionelle Phase stattfindet und das darauf folgende Schreiben unter Umständen kürzer ausfallen kann. In Göttingen stellen die Doktoranden des Promotionskollegs „Wertung und Kanon“ in vierteljährlichen Berichten den Stand ihrer Arbeit dar, der von den Betreuern schriftlich kommentiert werden muss. Darüber hinaus werden einzelne bereits erstellte Dissertationskapitel in Zweier- oder Dreiergesprächen mit den Betreuern diskutiert; eine Maßnahme, die laut Sprecherin zunächst von den Doktoranden als zusätzlicher Druck negativ, im Laufe der Zeit jedoch als sehr hilfreich aufgenommen und eingefordert wird. Auch in der angebotenen Graduiertenschule unterschreiben die Promovierenden eine Betreuungsvereinbarung, besuchen regelmäßig Doktorandenkolloquien der Betreuer und geben einmal im Jahr Rechenschaftsberichte über ihren Promotionsfortschritt ab. Die Promotion im Rahmen der Graduiertenschule ist auf drei Jahre angelegt. Nach Überschreitung dieser Zeit wird – anders als die Förderung bei Stipendiaten der Begabtenförderungswerke – die Mitgliedschaft in der Schule oder die Promotion nicht beendet, die Doktoranden haben jedoch neuerdings einen höheren Begründungsaufwand und auch die Betreuer müssen zu der überschrittenen Promotionszeit Stellung nehmen. In Gießen und Berlin trifft die Mehrzahl der aufgelisteten neuen Elemente der Betreuung ebenfalls zu. Ferner besteht in Gießen für Doktoranden die Möglichkeit, selbstbestimmt Arbeitsgruppen zu gründen, in denen sie hierarchiefrei forschungsrelevante Themen besprechen und aus denen auch Publikationen oder Tagungen entstehen können. Außerdem wird vor der Abgabe der Dissertation den Doktoranden des Centers ein halbtägiger Disputationskurs angeboten. In Berlin gibt es zusätzlich einen Leitfaden für Betreuungsgespräche, der insbesondere in den Gesprächen im ersten Semester berücksichtigt werden soll. Er enthält Vorschläge für Fragen der Betreuer an die Doktoranden zur Arbeit an der Dissertation (zum Textkorpus, Theorien, Forschungsstand und Arbeits- und Zeitplan), zu anderen zu erbringenden Leistungen und extracurricularen Aktivitäten (Semi-
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naren und Kolloquien, transferable skills, einem möglichen Auslandsaufenthalt und akademischer Lehre), zur beruflichen Zukunftsplanung (Vorstellungen der angestrebten Laufbahn und die dafür nötigen Kenntnisse, Kontakte und Aktivitäten) sowie zu den gegenseitigen Erwartungen von Doktorand und Betreuer zum weiteren Verlauf der Promotionsbetreuung (Frequenz und Intensität, wechselseitige konkrete Vereinbarungen). Insbesondere der letzte Punkt ist mit Blick auf die nötige Flexibilität in der Betreuung und deren Angemessenheit den individuellen Bedürfnissen des Doktoranden wichtig: Die gegenseitigen Erwartungen hinsichtlich der Art und Frequenz der Betreuung sollten geklärt und eine für beide Seiten passende Betreuungspraxis etabliert werden. Im Berliner Modell sollen die Betreuungsgespräche nach Möglichkeit nach dem Leitfaden ablaufen, von beiden Seiten verschriftlicht und die Protokolle bei der Graduiertenschule archiviert werden. Laut Auskunft des Sprechers befindet sich dieses Instrument allerdings noch in der Pilotphase und die angestrebte Archivierung ist nicht unumstritten. Schließlich wird in Berlin als weitere Betreuungsmaßnahme die Weiterzahlung des Stipendiums an die Abgabe des jährlichen Zwischenberichts des Doktoranden geknüpft. Wie erreichen nun die unterschiedlichen Maßnahmen, die eine Verbesserung der Betreuung intendieren, die Doktoranden? Bewerten die in strukturierten Promotionsprogrammen eingebundenen Promovierenden ihre Betreuung entsprechend besser? Im Vergleich zu den befragten Individualpromovierenden sind die in strukturierte Programme eingebundenen Doktoranden tatsächlich etwas häufiger mit der Art und Frequenz der Betreuung zufrieden: Während sechs Individualpromovierende und damit bereits mehr als die Hälfte die Frage positiv, drei negativ und einer uneindeutig beantworteten, gab es bei strukturiert Promovierenden gegenüber acht positiven Äußerungen nur eine negative und eine uneindeutige Antwort. Die geäußerte Zufriedenheit wird bei den strukturiert Promovierenden in den meisten Fällen nicht weiter kommentiert. Zwei Doktoranden sprechen allerdings das Problem einer möglichen ‚Überbetreuung‘ direkt mit an. Der Erste berichtet aus eigener Erfahrung: „Ja, meinen Bedürfnissen [entspricht die Betreuung], aber […] es ist ein bisschen viel. Ich muss ja erst arbeiten können an meinem Projekt, um Fragen zu haben. Und wenn ich nicht gut weiter gekommen bin, ist es auch nicht sinnvoll, dass ich mich austausche“. Der zweite Doktorand gibt die Meinung eines Kommilitonen wieder, der das Verschulte und Verpflichtende an Graduiertenschulen kritisierte. Er hätte sich über die „stundenmäßige Verpflichtung und credit points“ eines strukturierten Programms beklagt, die dazu geführt hätten, dass er „überhaupt nicht zu seiner Dissertation gekommen“
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sei. Außerdem hätte es zu viele Seminare gegeben, zum Teil über Methoden, deren Vermittlung in das Grundstudium gehörte.274 Die Antwort eines anderen Doktoranden macht die Chancen der Ergänzung der Betreuung durch einen Austausch der Doktoranden untereinander, der später noch näher untersucht wird, innerhalb der strukturierten Doktorandenausbildung deutlich, weist aber gleichzeitig auch auf die Grenzen einer solchen Ergänzung hin: Nein, eigentlich nicht, [die Betreuung] wäre mir eigentlich zu wenig, wenn es die Graduate School nicht gäbe. Dort wird viel aufgefangen, die Betreuung durch Professoren wird dort ersetzt. Wir arbeiten in thematischen Projektgruppen, wo sich viele Schwierigkeiten lösen beim Schreiben, die sonst wahrscheinlich Anlass wären, [den Betreuer] aufzusuchen, so kann ich es schon mit den Kommilitonen klären. [Aber] auch in der Projektgruppenarbeit geht es ja nicht nur um mich – für mich wäre es optimaler, wenn ich jemanden noch häufiger hätte, wo es ausschließlich um meine Bedürfnisse ginge, dort [sind] dazu zu viele Leute.
Insbesondere der letzte Teil der Antwort zeigt, dass die offensichtlich effektive Ergänzung der Betreuung durch gegenseitigen Austausch und verschiedene Betreuungssituationen eine individuelle Betreuung dennoch nicht ersetzen kann. Bei der Betrachtung der Antworten der Individualpromovierenden werden ebenfalls die individuellen Betreuungsbedürfnisse der einzelnen Doktoranden deutlich. So schätzt ein mit der Betreuung zufriedener Promovierender besonders, dass die Betreuerin „sehr entgegenkommend [ist], sie macht das, was ihre Doktoranden brauchen und nicht das, was sie will“, ein unzufriedener Doktorand merkt hingegen an: „Ich würde mir wünschen, dass sie mal nachfragt, dass sie sich für das Thema interessiert, dass sie sich überhaupt für meine Arbeit interessiert“. Ähnlich würde sich ein weiterer Promovierender wünschen, „dass [der Betreuer] selber von sich aus sagen würde: Was haben Sie gemacht, was ist Ihr Plan, was haben Sie in den nächsten zwei Wochen vor? Also so ein eingeforderter Rechenschaftsbericht wäre gut“, wohingegen ein anderer Doktorand die geringe Betreuung individuell positiv empfindet: „Es hat mir total gepasst, dass er mich in Ruhe lässt. Ich wollte es für mich machen“. Angesichts der Notwendig-
274 Ähnlich äußert sich ein strukturiert Promovierender in der Antwort auf die Frage nach der Art und Frequenz der Betreuung: „Wir haben noch Seminare zu Theoriefragen, dort muss ich auch zu Themen, die mit meinem Thema nichts zu tun haben, Referate halten. Eigentlich finde ich es gut, aber ich bin langsam auch an so einem Punkt angelangt, wo ich es zu viel finde. Ich habe jetzt langsam genug Horizonterweiterung. Langsam würde ich gerne konzentrierter an meinem Projekt arbeiten können. Jetzt empfinde ich es ein bisschen als Ablenkung bis Störung“.
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keit, wissenschaftliche Ergebnisse auch kommunizieren zu können, erscheint letzterer Ansatz allerdings nicht als allgemein zielführend. Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass die Betreuung tatsächlich etwas positiver von den strukturiert Promovierenden als von Individualpromovierenden bewertet wird – wobei beide Gruppen mit der Betreuung und ihrer Frequenz überwiegend zufrieden sind – sowie dass insbesondere die Flexibilität des Betreuers bei der Anpassung der Betreuungsart und Frequenz an die jeweiligen individuellen Bedürfnisse des Doktoranden und seines Arbeitsstils eine zentrale Rolle spielen. Bevor der nicht sehr große Unterschied in der Zufriedenheit der beiden untersuchten Gruppen im Folgenden näher diskutiert wird, sollen kurz die Antworten auf zwei weitere Interviewfragen betrachtet werden. Sie sollen helfen, die oben beschriebene von den Programmen intendierte bessere Betreuung an der Realität zu messen. Wie viele Betreuer stehen den Doktoranden tatsächlich zur Verfügung und welche Betreuung erfahren sie konkret? Hinsichtlich der Anzahl der Betreuer kann zwischen den befragten Individual- und strukturiert Promovierenden ein deutlicher Unterschied festgestellt werden: Nur ein Individualpromovierender nennt einen zweiten phasenweise aktiv werdenden Betreuer, sechs Doktoranden geben einen Betreuer an, drei einen bis keinen („Ich habe meine Doktormutter und die betreut mich gar nicht, […] fragt nie und interessiert sich nicht dafür“),275 wobei ein Doktorand die Frage gänzlich verneint, wie bereits im Kapitel-Motto angeführt: „Es gab im Prinzip überhaupt keine Betreuung, das ist schnell erzählt! Wenn ich ihn direkt angesprochen habe, dann meinte er, ich soll ihm ein Kapitel geben, und das hat er dann verloren“. Den Missstand, dass nicht alle Doktoranden der Germanistik einen Betreuer haben, stellte auch (zumindest für die Individualpromotion und die 1980er Jahre) die bundesweite Studie von Jürgen Enders und Lutz Bornmann fest: „Fast alle Befragten haben angegeben, dass es für ihre Dissertation einen betreuenden Hochschullehrer gab. Nur 106 Promovierte [und damit allerdings etwa fünf Prozent aller Befragten] hatten nach
275 Dieser Befragte kann als ein Beispiel für eine eindeutig unzureichende Betreuung bzw. die vielfach vermutete aber selten belegbare Überlastung des Doktoranden durch Aufgaben des Professors (in diesem Fall im Rahmen einer Drittmittelstelle) angeführt werden. An einer späteren Stelle in seiner Antwort führt er aus: „Ich hatte auch in der Vergangenheit [ein] totales Burnout, [der Betreuer] hat mich ausgenutzt. Ich dachte, ich muss alles machen [und] irgendwann war ich total überarbeitet und krank, denn [er] hat mich ja nicht im Gegenzug betreut, sondern nur mich für sich arbeiten lassen. Irgendwann lag ich dann krank und fertig zu Hause und wollte alles hinschmeißen. […] Wenn man nie Lob bekommt und nur einen Berg Arbeit, wird es sehr frustrierend!“
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eigenem Bekunden keinen Betreuer (zumeist Germanisten, Sozialwissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftler)“.276 Demgegenüber nennt im Rahmen der für diese Arbeit durchgeführten Befragung die Hälfte der strukturiert Promovierenden direkt zwei Betreuer, alle fünf anderen einen Betreuer. So kann einerseits festgestellt werden, dass die in strukturierten Programmen eingebundenen Doktoranden tatsächlich häufiger von einer Doppelbetreuung profitieren können. Auf der anderen Seite handelt es sich dabei nur um die Hälfte der strukturiert promovierenden Befragten – eine flächendeckende Umsetzung der Reformmaßnahme ‚Mehrfachbetreuung‘ ist noch nicht realisiert.277 Es stellt sich dabei auch die Frage, inwiefern Mehrwert und Grenzen einer Doppel- bzw. Mehrfachbetreuung eine Balance bilden: Auf der einen Seite können auch in der Germanistik Dissertationsprojekte unabhängig von der Promotionsform von mehrfacher Beleuchtung und die Doktoranden von mehrfacher Beratung profitieren. Auf der anderen Seite ist fraglich, wie gut eine Doppelspitze in der Betreuungspraxis funktionieren kann. Denn einer der Betreuer muss letztlich die Verantwortung für die Begleitung der Promotion übernehmen. Eine eindeutige Zuordnung erscheint ebenfalls erforderlich im Hinblick auf die Anstellung und Finanzierung derjenigen Doktoranden, die als Mitarbeiter ihren Betreuer in Forschung und Lehre unterstützen.278 Eine gute Lösung könnte daher ein hierarchisch angeordnetes ‚Betreuungsteam‘ mit einem Erst-, Zweitund gegebenenfalls Drittbetreuer bis hin zu einem beratenden ‚Promotionskomitee‘ sein. Die konkreten Betreuungsformen und ihre Frequenz unterscheiden sich zwischen den beiden Gruppen Individualpromovierende und Doktoranden in strukturierten Promotionsprogrammen erstaunlich wenig. Die meisten Doktoranden beider Gruppen listen Gespräche mit dem Betreuer bzw. den Betreuern und ein Kolloquium als die wichtigsten Elemente der Betreuung auf. Die Frequenz der Kolloquien variiert dabei stark, von einmal pro Woche über monatlich und einmal pro Semester bis zu einmal jährlich. Die Häufigkeit der Gespräche ist ebenfalls unterschiedlich, zwischen ein bis zweimal pro Monat bis zu einmal pro Semester, wobei die Doktoranden nicht immer eine Zeitangabe machen und teilweise das Beratungsgespräch nach Bedarf bzw. auf Anfrage erfolgt. Manche strukturiert Promovierende nennen ergänzend zu diesen beiden hauptsächlichen 276 Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel?, S. 56 sowie eigene Berechnung nach ebd., S. 53 und S. 55. 277 So stellen auch Janson et al. 2007 in einer Studie zur Qualifizierung und Beschäftigung an Hochschulen für Deutschland fest: „[D]er Regelfall ist der/die einzelne Doktorvater/-mutter“. Janson et al.: Wege zur Professur, S. 73. 278 Vgl. hierzu Weiler: Promotion und Exzellenz, S. 5.
3.5 Betreuung und Austausch
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Betreuungsmaßnahmen weitere Formen der Betreuung wie Forschungskolloquien des Promotionsprogramms, zu besuchende Seminare und Bilanzfahrten sowie die zusätzliche Aufsicht der Graduiertenschule bei der fristgerechten Erfüllung bestimmter Leistungen. Insgesamt betrachtet, erscheint der Unterschied in der Betreuung der beiden Gruppen weniger ein qualitativer als ein quantitativer zu sein, was nichtsdestotrotz für die Doktoranden deutlich spürbar ist: So können sie bei Fragen über die Eigeninitiative hinaus durch die Betreuungsvereinbarung institutionalisiert nicht nur auf mehr als einen Betreuer zurückgreifen,279 sondern dank der Existenz mehrerer Betreuer und des übergeordneten Promotionsprogramms auf weitere Kolloquiumsangebote (beispielsweise besuchen die Doktoranden die Kolloquien beider Betreuer und/oder dazu ein Kolloquium des Programms) und zusätzliche Aufsichts- und Ansprechpartnermöglichkeiten zurückgreifen. Wie von einem der Koordinatoren prägnant zusammengefasst wird: „Weniger Krisen, da mehr Beratungsangebote“. Die Ergebnisse der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Befragung unterstützen also die These einer tatsächlich dichteren Betreuung in den strukturierten Promotionsprogrammen. Dies heißt jedoch nicht, dass nicht auch bei der strukturierten Doktorandenausbildung Herausforderungen für die Betreuung bestehen. Neben den bereits angesprochenen Negativeffekten der ‚Überbetreuung‘ und den Grenzen einer Mehrfachbetreuung gehören dazu die Fragen eines möglicherweise zu festen methodischen Rasters und des Vorhandenseins nicht nur mehrerer, sondern auch der richtigen Ansprechpartner, etwa für bestimmte Methoden. Die Promotionsprogramme an sich stellen auf der einen Seite Strukturen für eine umfassendere Betreuung bereit. Wie die Beispiele zufriedener Individualpromovierender und der insgesamt nicht sehr große Unterschied in der Zufriedenheit der beiden Gruppen zeigen, kann auf der anderen Seite eine gut betreute Individualpromotion mit häufigen Kolloquien und Beratungsgesprächen den Betreuungsbedarf ebenfalls gut abdecken.280 Dass die Betreuungsqualität nicht von der jeweiligen Promotionsform abhängt, bestätigt zumindest für die DFG-Graduiertenkollegs im Vergleich zur Individualpromotion die Studie von Jürgen Enders und Andrea 279 Wobei es selbstverständlich unabhängig von der Promotionsform jedem Doktoranden frei steht, bei Fragen auch andere Fachvertreter in Eigeninitiative anzusprechen. 280 Auch in der Studie von Jürgen Enders und Lutz Bornmann, die ausschließlich die Situation in der Individualpromotion der 1980er Jahre abbildet, waren in den untersuchten Fächern (unter ihnen die Germanistik) „[d]rei Viertel der Befragten […] zufrieden oder mehr als zufrieden mit der Beratungshäufigkeit; ein Viertel der Promovierten hätte sich im Nachhinein mehr Beratung gewünscht“. Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel?, S. 56. Die Betreuung wurde dabei besser gewertet, je stärker die institutionelle Einbindung der Doktoranden ausgeprägt war. Vgl. ebd., S. 57.
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Kottmann: „[B]ei der Qualität der Betreuung sowie bei der Mitarbeit in weiteren Forschungsprojekten bestehen keine signifikanten Differenzen [zwischen ehemaligen Graduiertenkollegs-Vollmitgliedern und anderen Promovierten der Geistesund Sozialwissenschaften]“.281 Es gilt also zwischen der Betreuungsqualität und der Betreuungsquantität zu differenzieren, wobei nach wie vor die Frage der Betreuungsqualität – von der Promotionsform unabhängig – hauptsächlich die Frage eines guten Betreuers zu sein scheint. Lässt sich diese individuelle Betreuungsqualität verbessern? Die wichtigsten Probleme dabei sind, das es zum einen in den meisten Fällen keinerlei Anleitung, Training oder Unterstützung für die Betreuer gibt – der erwähnte Leitfaden für Betreuungsgespräche, vereinzelte Dozentenschulungen oder sogar eine gezielte Personalentwicklung scheinen bisher Ausnahmen zu sein.282 Zum Zweiten ‚lohnt‘ sich die Betreuung für die Betreuer in dem Sinne nicht, da sie weder – wie in den Naturwissenschaften – zu einer Publikation des Doktoranden führt, bei der die Mitwirkung des Doktorvaters durch Mitautorschaft kenntlich wäre, noch in aller Regel auf das Lehrdeputat angerechnet wird, sondern zu diesem zusätzlich abläuft.283 Trotzdem engagieren sich viele Betreuer mit zusätzlichem Aufwand. Sie nehmen an Bilanzfahrten oder Kolloquien des Programms teil oder organisieren sie sogar selbst. Zum Dritten wird gute Betreuung kaum 281 Enders/Kottmann: Neue Ausbildungsformen – andere Werdegänge?, S. 76. Die beiden Faktoren Betreuungsqualität und Mitarbeit in weiteren Forschungsprojekten waren dabei allerdings die einzigen untersuchten Indikatoren, bei denen sich die beiden Vergleichsgruppen nicht signifikant voneinander unterschieden: Die ehemaligen Vollmitglieder der Graduiertenkollegs waren besser in die übergreifende Forschung an der Universität eingebunden, wurden stärker durch ihre Betreuer unterstützt, nahmen häufiger regelmäßig an Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen teil und waren weniger häufig in weitere Tätigkeiten in Forschung und Lehre integriert. Vgl. ebd. 282 So schlussfolgern auch die Autoren einer qualitativen Interviewstudie zur Promotionsbetreuung (die in der Studie als Führungshandeln von Professoren gegenüber den Promovierenden aufgefasst wird) mit Stand 2008, dass „das individuelle Führungshandeln [von Professoren gegenüber Doktoranden] – sowohl das konstruktive als auch das weniger konstruktive – das Ergebnis einer eher zufälligen, biografisch bedingten Entwicklung darstellt und sich nicht als das Resultat einer gezielten Personalentwicklung mit Blick auf die Übernahme einer akademischen Führungsposition beschreiben lässt“. Entsprechend fänden es alle 15 befragten Doktoranden vorteilhaft, wenn es „künftig in der Vorbereitung auf die Professur, in der Einstiegsphase für Neuberufene oder auch kontinuierlich während der Berufsausübung begleitende Personalentwicklungsangebote zum Auf- und Ausbau der individuellen Führungskompetenz gäbe“. Schmidt/Richter: Unterstützender Mentor oder abwesender Aufgabenverteiler?, S. 54. 283 Vgl. dazu Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, S. 47, sowie Weiler: Promotion und Exzellenz, S. 8. Dabei ist die Reglementierung des Lehrdeputats traditionell „der einzige direkte Weg zur bürokratischen Bewirtschaftung von ‚Zeit‘ an der Hochschule“, die zusätzliche Freiräume für eine bessere Betreuung der Doktoranden schaffen könnte. Brenner: Das Verschwinden des Eigensinns, S. 39.
3.5 Betreuung und Austausch
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sichtbar anerkannt. Die einzige offizielle Anerkennung gibt es neuerdings mit der Auszeichnung „Beste Doktormutter, bester Doktorvater“, die als „KISSWINPreis“ 2010 erstmals verliehen wurde.284 Und schließlich existieren bei unzureichender Betreuung in der Individualpromotion, aber auch in den strukturierten Programmen im Hochschulalltag, von der Möglichkeit des Betreuerwechsels abgesehen, wenige Möglichkeiten zu Kontrollen oder gar Sanktionen. Für alle genannten Probleme wird im Rahmen der Promotionsprogramme nach Lösungen gesucht: Teilweise üben die Koordinatoren oder Mitarbeiter der Administration Kontrollen aus, es gibt aber auch gegenseitige Kontrollen innerhalb des Betreuerteams, wie ein Koordinator berichtet: Selbst wenn jemand ein bisschen lasch ist, da es eine andere Fachkonvention ist, üben wir im Team auch eine Art gegenseitige Kontrolle. Bei der Graduiertenschule, wenn der Bericht nicht kommt oder kein Kolloquium stattfindet, setzt der Sprecher der Graduiertenschule sich mit dem Betreuer in Verbindung. [Es gibt also] schon ein Druckmittel, aber kein starkes. Schlimmstenfalls könnte man auch einen Betreuer aus der Graduiertenschule ausschließen. Mit der Betreuung ist es leichter im kleineren Kolleg als in den großen Graduiertenschulen.
Durch die mit Prestige verbundene Mitgliedschaft der Betreuer in der Graduiertenschule oder einem anderen strukturierten Programm werden zumindest gewisse extrinsische Anreize für eine bessere Betreuung geschaffen. Und zum Teil zeichnen sich auch Lösungen des Lehrdeputatproblems ab: Ein Sprecher möchte ähnlich dem Prinzip der „persönlichen Leistungsmittel“ aus dem Institutsetat für Hilfskräfte, Betreuung und Drittmittel die Betreuung speziell der Doktoranden des strukturierten Programms höher gewichten und den Betreuern dafür einen höheren Anteil der für das Programm eingeworbenen Drittmittel zukommen lassen – somit würde sich die Betreuung auch finanziell lohnen. Ein Koordinator beschreibt eine möglicherweise gute Lösung in ‚seinem‘ Programm folgendermaßen: [Zu der Anrechnung der Betreuung gibt es eine] klare Regelung bei uns: Veranstaltungen werden angerechnet, halbtägige Workshops nicht, aber Kolloquien werden angerechnet. Dazu gibt es einen Beschluss vom Präsidium, es wurde im Grundsatz so entschieden und wird so umgesetzt. Die drei Professoren im Vorstand werden rotierend in den Instituten vertreten, einer ist immer freigestellt und kann sich hier 284 Als beste Doktormutter wurde vor einem Raumplaner und einem Wirtschaftswissenschaftler die Germanistin Professor Dr. Simone Winko ausgezeichnet, die in ihrer Funktion als Sprecherin des Promotionskollegs „Wertung und Kanon“ in Göttingen für die vorliegende Arbeit interviewt wurde. Vgl. URL (24.5.2010): http://www.kisswin.de/kisswin/kisswin-preis.html.
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3 Promovieren in der Germanistik komplett einbringen. Von der Universität finanziert ist die Vertretung gesichert, das ist eine konkrete Form der Entlastung im Bereich des Vorstands. Für die Lehre gibt es also eine Anrechnung, für den Vorstand diese formalisierte Form.
Vor allem bringen die Programme den Betreuern den Vorteil der Verteilung der Betreuungsaufgaben auf mehrere Schultern, wie es laut Feststellungen des Wissenschaftsrates auch in anderen europäischen Ländern üblich ist.285 Eine Verteilung auf mehrere Schultern kann dabei auch eine gegenseitige Unterstützung der Doktoranden, bessere Vernetzung und mehr Austausch zur Folge haben. Hier kann die These formuliert werden, dass Vernetzung und Austausch der in strukturierten Promotionsprogrammen eingebundenen Doktoranden deutlich besser sein müssten als bei den Individualpromovierenden und der aktive Austausch eine der wichtigsten Stärken der Programme sein müsste. So haben sich etwa in der Göttinger Graduiertenschule, die als Dachstruktur von allen Doktoranden der Geisteswissenschaften genutzt werden kann, interessierte Doktoranden in einer Selbstinitiative zu einem Doktorandenforum zusammengeschlossen, in dem sie sich monatlich treffen, ihre Themen vorstellen und Probleme diskutieren können. In diesem Fall wird die These einer besseren Vernetzung und eines intensiveren Austausches bei den Doktoranden in strukturierten Promotionsprogrammen durch die Ergebnisse der Befragung im vollen Maße unterstützt: Auf die Fragen „Fühlen Sie sich innerhalb der Hochschule gut vernetzt? Gibt es Austausch mit anderen Doktoranden?“ antworteten fünf Individualpromovierende positiv, zwei negativ und drei uneindeutig. Demgegenüber stehen neun positive Antworten der strukturiert Promovierenden – nur ein Doktorand ist sich nicht ganz sicher: „Immer gut vernetzt kann ich nicht sagen, aber ich habe selber Austausch mit anderen Doktoranden mit einer Gruppe, die ich mir selber gesucht habe. […] Also, obwohl sich die Graduiertenschule die gute Betreuung auf die Fahnen schreibt, musste ich mich unglaublich viel selber kümmern“. Alle anderen strukturiert Promovierenden fühlen sich sehr gut vernetzt und schätzen den intensiven Austausch durch das strukturierte Promotionsprogramm – stellvertretend können die folgenden beiden Zitate angeführt werden: „Ja, ich fühle mich sehr gut vernetzt, es gibt ständigen Austausch mit anderen Doktoranden, in den Kursen, bei Vorträgen und auch privat, durch Sommerfeste, Partys usw.“ sowie 285 Vgl.: „Die [vom Wissenschaftsrat 2002] betrachteten europäischen Systeme [in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden] sind weit von einer Angleichung aneinander entfernt. Gemeinsam ist ihnen aber die Absage an eine rein individuelle Verantwortung der einzelnen Hochschullehrer für die Doktorandenausbildung und der Aufbau eigener Institutionen innerhalb der Universitäten, denen die Verantwortung für die Doktorandenausbildung übertragen wird“. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, S. 44.
3.5 Betreuung und Austausch
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„Ja, absolut, [ich fühle mich] sehr gut vernetzt. Austausch ist letztlich die Graduiertenschule. Arbeitsgruppen, Kolloquien, auch am Lehrstuhl [bin ich] eingebunden [und] kenne auch Promovierende außerhalb der Graduiertenschule“. Die Aussage, dass Austausch die Graduiertenschule ausmacht, fasst das Ergebnis der Befragung gut zusammen. Gerade in einem Fach wie der Germanistik, das, wie eingangs des Kapitels konstatiert, naturgemäß durch eine individualistische Arbeitskultur geprägt ist, erweist sich der Jahrgangsansatz der strukturierten Doktorandenausbildung und eine zusätzlich zu anderen Betreuungsformen gegenseitige Unterstützung der Doktoranden als förderlich für Vernetzung und Austausch. Allerdings ist dabei auch ein mögliches Problem für die Identität eines Faches durch die Interdisziplinarität des gegenseitigen Austausches wie der Kolloquien zu bedenken: Während letztere früher überwiegend fachbezogen waren, ist das ‚neue Oberseminar‘ der strukturierten Programme durch die fachliche Zusammensetzung der Doktoranden und zum Teil auch Betreuer überwiegend interdisziplinär. Darüber hinaus gibt es in vielen Programmen jahrgangsübergreifende Treffen, so zum Beispiel ein Treffen der ganzen Forschungsschule a.r.t.e.s. in Köln, bei denen die Doktoranden ihre Projekte vorstellen und diskutieren. Die neuerdings multiple und interdisziplinäre Rückmeldung hat auf die Arbeiten einen nicht zu unterschätzenden Einfluss – auch sie werden dadurch stärker interdisziplinär ausgerichtet. Diese Entwicklung könnte in ihrer Konsequenz zum einen die im Kapitel 2 diskutierte Zergliederung der Germanistik beschleunigen und die Identität ‚des Faches‘ weiter herausfordern. Zum anderen könnte der interdisziplinäre Diskurs problematisch für diejenigen Doktoranden werden, die eine akademische Laufbahn anstreben: Durch die bisher meist disziplinär organisierte Stellenbesetzung kann die stärker interdisziplinäre Ausrichtung der Dissertation unerwünschte beruflich-strategische Auswirkungen haben. Eine umso größere Bedeutung kommt somit den Auswahlverfahren zur Promotion und der fachlichen Betreuung zu: Bei der Auswahl kann die Zulassung bzw. der Zuschnitt des Dissertationsthemas gesteuert sowie insbesondere auf die Bereitstellung eines dem Thema gerechten fachlichen Betreuers geachtet werden. Dieser stellt eine vertikale Betreuungsebene (zwischen Doktorand und Betreuer als Fachvertreter) her, die die horizontale Vernetzungsebene des interdisziplinären Austausches der Doktoranden untereinander ergänzt und dem potenziellen Problem einer zu starken Interdisziplinarität entgegen wirken kann. Als ein letzter Aspekt der Betreuung einer germanistischen Promotion soll die Einbindung in die Wissenschaftsgemeinschaft der Geisteswissenschaftler untersucht werden. Die Nachwuchswissenschaftler sollten zunehmend über die Hochschule hinaus die germanistische Forschergemeinschaft kennen lernen und ein eigenes Netzwerk darin aufbauen. Zeichnen sich auch hier die strukturierten
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Programme durch bessere Ansätze als die Individualpromotion aus? Wahrscheinlich nicht. Die Ergebnisse der Befragung deuten darauf hin, dass in diesem Betreuungsaspekt beide Promotionsmodelle etwa gleich (schwach) abschneiden: Während sich fünf Individualpromovierende nicht gut in die Wissenschaftsgemeinschaft eingebunden fühlen, drei uneindeutig antworten und zwei sich positiv äußern, gibt es bei den strukturiert Promovierenden drei Negativantworten, fünf uneindeutige und eine positive Äußerung. Dadurch, dass die uneindeutigen Antworten der strukturiert Promovierenden insgesamt etwas positiver sind als die uneindeutigen Angaben der Individualpromovierenden, ergibt sich eine leichte Tendenz hin zu einer stärkeren Eingebundenheit der strukturiert Promovierenden. Ein Individualpromovierender vermutet hierbei einen zwingenden Vorteil der strukturierten Programme: Ich habe überhaupt kein Netzwerk in höhere Ebenen als die Doktoranden. Ich fühle mich mit dem Aspekt auch völlig überfordert. Ich wüsste überhaupt nicht, wie man ein Netzwerk aufbaut usw., eine komplette terra incognita. Obwohl ich weiß, dass es absolut die Voraussetzung ist, einen Beruf zu finden, das läuft eigentlich nur noch über Kontakte und kaum über normale Stellenausschreibungen. Da sehe ich auch einen deutlichen Vorteil bei den Graduiertenschulen. Die sind ja in Deutschland was völlig Neues und die Unis schenken ihnen und ihren Mitgliedern höchste Aufmerksamkeit und greifen den Schützlingen unter die Arme, damit gezeigt wird, dass es ein erfolgreiches Konzept ist.
Diese Vermutung einer besseren Einbindung der Doktoranden in die Wissenschaftsgemeinschaft der Geisteswissenschaftler in den strukturierten Programmen wird durch die Ergebnisse der Befragung nicht bestätigt. Dies kann an dem jungen Alter der strukturierten Programme liegen oder aber daran, dass eine Einführung in die Forschergemeinschaft abermals von dem individuellen Betreuer und seiner Hilfestellung abhängt sowie hauptsächlich vom Engagement des Doktoranden selbst. Und auch die disziplinenspezifischen Traditionen dürften dabei eine Rolle spielen, wie sie von einem Doktoranden beschrieben werden: In dieser Gemeinschaft herrscht schon eine sehr rigide Hierarchie vor. Wer am Anfang steht, ist nicht wirklich eingebunden, sondern muss sich die Anerkennung dieser Gemeinschaft erst verdienen. Man wird nicht ausgeschlossen, aber auch nicht so richtig anerkannt, eher mit gewissem Wohlwollen registriert. Sowohl an der Uni als auch bei Tagungen.
So kann in der Promotion nur eine Basis für die spätere aktive wissenschaftliche Rolle eines Teils der germanistischen Doktoranden in der Forschergemeinschaft gelegt werden. Diese sollte jedoch auch angestrebt werden, denn es handelt sich dabei um einen zentralen Teil des ‚Wissenschaftler Werdens‘.
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3.6 Kernqualifikation Monographie? Das ‚Wissen-Schaffen‘ lernen Bei der Begründung der Germanistik am Anfang des 19. Jahrhunderts – damals unter der Bezeichnung altdeutsche oder auch ‚germanische‘ Philologie – als selbständige Wissenschaft und Universitätsdisziplin (vgl. Kapitel 2.2), hatte in der Geschichte der Promotion der Doktorgrad, wie im Kapitel 1.2 untersucht wurde, bereits einen Funktionswandel durchlaufen: Von einer primären Lehrberechtigung hatte er sich zu einer Promotionsberechtigung entwickelt. Parallel zur Etablierung der Germanistik und unter dem zunehmenden Einfluss der Habilitation sowie der an den Universitäten betriebenen Forschung durchlief der Doktorgrad einen zweiten Funktionswandel weg von Lehr- und Promotionsberechtigung hin zu seiner heutigen Funktion als Nachweis der Fähigkeit zur selbständigen wissenschaftlichen Arbeit. Die zentrale Rolle der Forschung spiegelt dabei die Dissertation (lat. dissertatio, Erörterung, wissenschaftliche Abhandlung, Auseinandersetzung, ausführliche Besprechung), ein eigenständig verfasster Forschungsbeitrag, der seitdem die traditionelle Hauptleistung jeder Promotion darstellt.286 Die Funktion der Dissertation als Hauptleistung der germanistischen Promotion bestätigen die Ergebnisse der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Doktorandeninterviews: Alle zehn Doktoranden, die in der traditionellen Form der Individualpromotion promovieren, beantworten die Frage nach den von ihnen in der Promotion zu erbringenden Leistungen nahezu ausschließlich mit der Auflistung von drei auf die Dissertationsarbeit bezogenen Aktivitäten: Sie müssen die Dissertation verfassen, verteidigen und veröffentlichen. Nur zwei Doktoranden geben mit „[einem] Examenskolloquium“ und „zwei Leistungsnachweise[n]“ in Form von Seminaren mit Referat und Hausarbeit zusätzliche verpflichtende Teilleistungen an. Bei den Doktoranden der strukturierten Promotionsprogramme gestalten sich die Antworten umfassender: Neben den drei Hauptaufgaben – Verfassen, Verteidigen, Veröffentlichen – wird eine Reihe weiterer obligatorischer Teilleistungen genannt, die hier in zwei Kategorien aufgeteilt werden: Leistungen, welche die Erarbeitung der Dissertation unterstützen und Leistungen, die sich nicht primär auf die Dissertation beziehen. Zur ersten Kategorie gehören Anforderungen wie die Erstellung und teilweise die Verteidigung eines Exposés (vgl. Kapitel 3.3), die regelmäßige Abgabe 286 Vgl. Kapitel 1.2. Die Bedeutung der Dissertation als Kernleistung der Promotion spiegelt sich auch darin, dass sie – im Gegensatz zu den meisten im Folgenden erörterten Teilleistungen – benotet wird und in aller Regel entscheidenden Anteil an der Gesamtnote der Promotionsprüfung hat.
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bestimmter Textmengen (in Münster von 50 Seiten nach zwei und 100 Seiten nach drei Semestern), das Absolvieren der Veranstaltung „Grundkurs Promotion“, bei der praktische Fragen wie eine Dissertationsgliederung thematisiert werden, die Erstellung von Arbeitsberichten und aktualisierten Zeitplänen sowie die Teilnahme an Kolloquien und ‚Bilanzfahrten‘, bei denen der Arbeitsstand der Dissertation präsentiert und diskutiert wird. Die zweite Kategorie bilden verpflichtende Teilleistungen, die über die Dissertation hinaus das Qualifikationsprofil der Promovierten ergänzen sollen, wie der Besuch theoretisch-methodischer Lehrveranstaltungen und Workshops zu verschiedenen wissenschaftlichen Zusatzqualifikationen (als Beispiele werden akademisches Englisch, Rhetorik oder Einführung ins Verlagswesen genannt), aktive Mitarbeit in Forschungsgruppen, Besuche von Konferenzen, summer schools oder von Vorträgen eingeladener Gastwissenschaftler, Mitarbeit bei der Vorbereitung einer Tagung, Aufgaben in der Lehre und das Absolvieren eines Hochschuldidaktikseminars, Teilnahme an einem Disputationskurs oder ein Auslandsaufenthalt. Die Doktoranden des Promotionskollegs „Wertung und Kanon“ absolvieren darüber hinaus als Praxiskomponente verpflichtend ein sechsmonatiges Volontariat in einem Verlag sowie ein weiteres sechswöchiges Praktikum und erstellen über beide Praxisaufenthalte einen Praktikumsbericht. Wie kommt es zu dieser quantitativen und qualitativen Diskrepanz der in den beiden Modellen zu erbringenden Leistungen für einen Doktorgrad in der Germanistik und welche Ziele werden durch die zusätzlichen obligatorischen Teilleistungen in der strukturierten Doktorandenausbildung verfolgt? Die erste Kategorie der Leistungen kann als Reaktion auf die in früheren Kapiteln genannten Defizite bei der Dissertationsverfassung innerhalb der Individualpromotion eingeordnet werden: Die Maßnahmen scheinen darauf abzuzielen, die Gesamtzeit der Arbeit an der Dissertation zu verkürzen oder umgekehrt die nötigen Freiräume für diese hervorzubringen, die Isolation und Frustration der Doktoranden zu mindern und durch obligatorische strukturell und inhaltlich fördernde Teilleistungen die Qualität der Dissertationen über deren reine Verfassung hinaus zu erhöhen. Hierbei fließen auch die Ergebnisse der früheren Kapitel mit ein, denn weitere unterstützende Elemente sind zum Beispiel die in strukturierten Programmen dichtere Betreuung, die eine kontinuierliche Rückmeldung zu Teilfortschritten bei der Dissertation und multiple Ansprechpartner umfasst (vgl. Kapitel 3.5), die Motivation und zeitliche Unabhängigkeit durch finanzielle Unterstützung (vgl. Kapitel 3.4), oder mit Blick auf die Qualität der Dissertation bereits die kriterienbasierte Auswahl förderwürdiger Kandidaten bzw. Disserta-
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tionsvorhaben an der Schnittstelle zwischen dem Studium und der Promotion (vgl. Kapitel 3.3).287 Der zweiten Kategorie der Leistungen scheint die Idee eines während der Promotion zu erwerbenden breiteren wissenschaftlichen Qualifikationsprofils zu Grunde zu liegen: Sie spiegelt die Überzeugung, dass die Kompetenzen eines promovierten Germanisten über die Fähigkeit zum Forschen und Schreiben hinaus gehen und weitere Qualifikationen etwa im Projektmanagement, der Forschungsfinanzierung oder der Wissensvermittlung umfassen müssen. Hierbei ist anzumerken, dass diese Qualifikationen in der Individualpromotion bei denjenigen Doktoranden, die als Lehrstuhlmitarbeiter angestellt sind, in der Regel ebenfalls erlernt werden (vgl. 3.4), nur sind die dazu führenden Tätigkeiten kein Teil der Promotionsleistung, sondern gehören zum Aufgabenprofil der Mitarbeiterstelle. Der Nachteil der finanziellen Abhängigkeit vom Betreuer und der durch die Aufgaben oftmals eingeschränkten Zeit zur Ausarbeitung der Dissertation wird dabei im Idealfall durch das direkte Mitgestalten des germanistischen Lehrstuhlalltags kompensiert. Die strukturierten Programme versuchen durch das beschriebene Tätigkeitsspektrum, das nicht an einen konkreten Lehrstuhl gebunden ist, eventuelle Nachteile der Lehrstuhlmitarbeit zu beseitigen und ihre Vorteile möglichst zu erhalten. Zum Zeitpunkt dieser Arbeit konnte aufgrund bisher fehlender Absolventen noch nicht beurteilt werden, ob dazu die genannten verpflichtenden Teilleistungen ausreichen, oder ob weitere Instrumente nötig sind, die der realen Lehrstuhlpraxis in der Germanistik näher kommen. Eine Möglichkeit wäre dabei das im Kapitel 3.4 bereits vorgeschlagene Lehrstuhlpraktikum, bei dem die Doktoranden der strukturierten Programme zeitlich begrenzt einem (oder rotierend mehreren) Professor(-en) zugeordnet werden und die beschriebenen Qualifikationen erwerben. Die Ausrichtung der strukturierten Promotionsprogramme auf ein solches über die Forschungskompetenz hinausgehendes Qualifikationsprofil der Doktoranden belegen auch die Antworten der Befragten spezifisch auf die Frage nach der Existenz von (nicht obligatorischen) Angeboten zu wissenschaftlichen Zusatzqualifikationen wie wissenschaftliches Präsentieren, Erstellen von Anträgen, Drittmitteleinwerbung, Teamarbeit und Teamführung oder Projektmanagement: Während die Mehrheit der Individualpromovierenden das Vorhandensein solcher Angebote im Rahmen Ihrer Promotion verneint (sieben antworten mit „nein“ und drei äußern sich uneindeutig), geben alle zehn strukturiert Promovierenden die 287 Eine zusätzliche Form der Qualitätssicherung in Bezug auf die Dissertation stellt in Deutschland unabhängig von der Promotionsform ein ex post peer review durch die obligatorische Veröffentlichung der Dissertation dar, die zu den Bedingungen der Verleihung des Doktorgrads zählt.
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Existenz von Angeboten zum Erwerb wissenschaftlicher Schlüsselqualifikationen im Rahmen ihrer Promotion an. Konkret werden neben den bereits aufgelisteten verpflichtenden Elementen Kurse zu wissenschaftlichen Arbeitstechniken erwähnt (allerdings bemängelt dabei ein Befragter, dass der Kurs zu wenig auf die Promotionsebene zugeschnitten war), zu Forschungsfinanzierung und Fördermöglichkeiten, zur Wissenschaftskommunikation, zum Essayschreiben auf Englisch und zur Arbeit mit Medien, oder ein Forum, bei dem Tagungsorganisation in der Praxis erlernt werden soll. Diese zusätzlich zu den verpflichtenden Leistungen den strukturiert Promovierenden zur Verfügung stehenden Angebote können alle der zweiten Kategorie der Leistungen zugerechnet werden, die über die Dissertationsverfassung hinaus ergänzend auf ein erweitertes Qualifikationsprofil der germanistischen Promovierten abzielen, von dem die Absolventen sowohl bei einer akademischen Laufbahn als auch bei einer Karriere außerhalb der Wissenschaft profitieren können. Die überwiegend verneinenden Antworten der Individualpromovierenden hinsichtlich der Existenz dieser Angebote im Rahmen ihrer Promotion bedeuten jedoch nicht, dass es diese tatsächlich nicht an den Hochschulen gibt oder dass die Individualpromovierenden mit dieser Situation zufrieden sind. Vielmehr ergibt sich ein gemischtes Bild: Während manche Doktoranden solche Teilleistungen nicht vermissen („Ich bin damit zufrieden, weil ich […] zu nichts gezwungen werden [möchte]“), würden andere ein solches Angebot begrüßen. Zwei Promovierende können exemplarisch zitiert werden, auch wenn beide die passenden Seminare für sich gefunden haben. Im ersten Fall im Rahmen eines Stipendiums einer Stiftung und im zweiten Fall durch die Anstellung des Doktoranden an der Universität: „[Ich] bin nicht zufrieden. Wenn ich [solche Angebote] von der Stiftung nicht hätte, hätte ich [sie] gerne von der Hochschule, auch wenn ich weiß, dass es teuer ist“ sowie: Für mich gibt es [solche Angebote] über die Hilfskraftstelle, die ich an der Uni habe, aber das ist eben nur für Leute, die an der Uni angestellt sind, für die anderen Individualpromovierenden gibt es das nicht. Für uns sind es Teamarbeitseminare, wissenschaftliches Präsentieren, Didaktik usw. Eigentlich ist es nicht ausreichend. Wenn man an der Uni bleiben will oder in der Wissenschaft was werden will […], dann ist es zu wenig, was da angeboten wird. Es sollte allen Individualpromovierenden zur Verfügung stehen und alles [umfassen], was man an Schritten unternehmen muss, um eine wissenschaftliche Laufbahn anzuschlagen, [wie] Publizieren, Kongresse zu organisieren, Teamarbeit, Drittmittel.
Demgegenüber merkt ein strukturiert Promovierender an, dass es „innerhalb der Graduiertenschule […] mittlerweile sehr viele solche Seminare [gibt], die man besuchen könnte, ich nutze das [aber] sehr wenig. Obwohl ich das alles interes-
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sant finde, aber ich habe zu wenig Zeit schon sowieso für meine Doktorarbeit“.288 Die Sprecher der Programme sind sich der im letzen Zitat angedeuteten Gefahr bewusst: Wenn die dissertationsfernen Leistungen der zweiten Kategorie während der Promotion eine zu große Aufmerksamkeit bekommen würden, könnten sie insbesondere zeitlich die Hauptaufgabe der Dissertationsverfassung gefährden. Sie betonen in den Interviews deshalb, zum Teil in Abgrenzung zu DFG-Graduiertenkollegs oder zu anderen Graduiertenschulen, die Bedeutung der Sicherung ausreichender Zeit und Freiheit für die Promovierenden zum Schreiben der Dissertation, wie im folgenden Zitat: [Eine der Neuerungen bei uns ist das Curriculum. Aber] das Schreiben ist das Hauptziel. Das war ja in der Vergangenheit das Problem bei Graduiertenkollegs: Ewige Promotionszeiten und hohe Abbrecherquoten, da zu viel Programm! Zu viel Ablenkung.
Der Koordinator eines anderen Programms stellt fest: „[Wir haben ein] konkretes Veranstaltungsprogramm, ein Curriculum, dass auf die auf Doktoranden zugeschnitten ist. [Auflistung der Teilleistungen]. [Somit gibt es] in jeder Phase der Promotion ein begleitendes Angebot. Nicht zu umfangreich, aber bedarfsorientiert vorhanden“. Ein neues Element ist darüber hinaus, dass die Doktoranden die Inhalte der Veranstaltungen bei mindestens zwei der untersuchten Programme auch selbst beeinflussen können, wodurch das Anliegen unterstützender Veranstaltungen mit dem Ziel einer Promotion mit selbstbestimmten Inhalten kombiniert werden kann: Die Doktoranden müssen ein Programm absolvieren, aber bewusst nicht zu viel. Da haben wir aus den Fehlern anderer Graduiertenschulen gelernt, die es überfrachtet haben. In der zweiten Hälfte [der Promotion] sollten die Doktoranden auch selbst sagen, wozu sie die Workshops haben wollen, das ist auch das Neue an unserer Struktur.
Durch das Bewusstsein der Gefahr der Überfrachtung werden die Elemente teilweise unter Vorbehalt ins Curriculum aufgenommen, wie bei der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien der – bei Ger288 Wie bereits im vorangehenden Kapitel angeführt, beklagt ähnlich ein weiterer strukturiert Promovierender: „Wir haben noch Seminare zu Theoriefragen, dort muss ich auch zu Themen, die mit meinem Thema nichts zu tun haben, Referate halten. Eigentlich finde ich es gut, aber ich bin langsam auch an so einem Punkt angelangt, wo ich es zu viel finde. Ich habe jetzt langsam genug Horizonterweiterung. Langsam würde ich gerne konzentrierter an meinem Projekt arbeiten können. Jetzt finde ich es ein bisschen als Ablenkung bis Störung“.
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manisten ohnehin als Zusatzqualifikation zu wertende – Auslandsaufenthalt, über den der Sprecher im Interview berichtet: Auslandsaufenthalte gehören selbstverständlich dazu. […] [Die Doktoranden sollen für ein] halbes Jahr in der Regel hin, es geht auch ein Jahr, aber dann muss man dort auch aufgenommen werden. Wir sind natürlich erst am Anfang, aber nächstes Jahr werden wir schon Prognosen haben, ob und wie es funktioniert und ob es [die Promotionsdauer] zu viel verlängert.
Ebenfalls differenziert sehen die Programmkoordinatoren die Frage der Tagungen und Publikationen der Doktoranden: Einerseits sollen die Promovierenden durch die Organisation einer Konferenz und durch Publikationstätigkeit diese beiden wissenschaftlichen Zusatzqualifikationen erwerben, wie es ein Sprecher formuliert: „die Sachen auch dadurch lernen, dass sie sie selbst tun. […] Keine Kochbücher, die Leute sollen selber kochen“. Andererseits sollen die Promotionsprogramme dadurch nicht überladen werden und die Kernleistung der Dissertation nicht gefährdet werden – insbesondere möglichen Teilpublikationen der Dissertation stehen nicht alle germanistischen Professoren positiv gegenüber, wie der folgende Kommentar eines Sprechers belegt: Teilpublikationen der Diss. mag ich persönlich überhaupt nicht, [so wie es] in den Naturwissenschaften eine kumulative Promotion [gibt]. Ich finde weiterhin, dass [die Doktoranden] es nicht übertreiben sollten, [es ergibt] Zersplitterungseffekte. Eher mit der Umtriebigkeit nicht zu viel, [denn es] kostet auch Zeit, das Fahnen lesen usw. Wenn sie ein Angebot haben für einen Artikel nebenher, müssen sie es mit dem Betreuer besprechen. [Sonst] haben sie im ersten Jahr fünf Vorträge und zwei Aufsätze - es kostet zu viel Zeit.
Diese Haltung und ihre fächergruppenspezifische Beschaffenheit belegen auch die Ergebnisse der Studie von Jürgen Enders und Andrea Kottmann, in der – im Vergleich der Absolventen von DFG-Graduiertenkollegs und Individualpromovierenden – von der Promotionsform unabhängig für die Doktoranden der Geistes- und Sozialwissenschaften festgestellt wird, dass deren Betreuer sie bei der „Publikation von Arbeitsergebnissen“ sowie bei der „aktive[n] Teilnahme an wissenschaftlichen Kongressen“ von allen untersuchten Fächergruppen mit Abstand am wenigsten unterstützen – offenbar sollen das erworbene Wissen und die Promotionszeit möglichst ausschließlich in die Dissertation investiert werden.289 Diese Ansicht ist jedoch nicht mit der Vorstellung einer komprimierteren Dissertation unvereinbar, wie ein anderer Sprecherkommentar zeigt: „Man kann ja 289 Vgl. Enders/Kottmann: Neue Ausbildungsformen – andere Werdegänge?, S. 57.
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danach noch ein Buch schreiben. Lieber […] etwas kürzere Sachen. Sie werden erstens gelesen, und: Es gibt auch noch ein Leben danach“. Über die Überfrachtung der Programme und Gefahr übermäßiger Ablenkung der Doktoranden hinaus sind für das Fach mögliche negative Konsequenzen durch eine eventuell steigende Anzahl von ‚L’art pour l’art‘-Tagungen mit ‚Publikationszwang‘290 oder Veröffentlichungen unreifer Forschungsergebnisse zu bedenken, da in der Germanistik ohnehin nicht durch die aus den Naturwissenschaften bekannten peer review-Verfahren zusätzliche Qualitätsstandards für die Beträge gesetzt werden, wie ein Koordinator anmerkt: [Das ist] auch ein Unterschied zu früher, wo man vor der Diss. nichts publizierte – jetzt publizieren sie alle! Ich bin geteilter Meinung über die Reihen und Sammelbände, wo oft nicht richtig gute Dinge publiziert werden. Wir haben in der Germanistik einen Überhang an Sammelbänden, ohne kritisches Hinterfragen, ohne peer review.
Dabei wird sich in Zukunft die Frage der Entwicklung sachgerechter Qualitätsstandards stellen, wenn sich Peter Brenners Prognose erfüllt, dass „die Monographie der Konkurrenz des Sammelbandes kaum wird standhalten können“,291 sodass die Anzahl der Beiträge voraussichtlich weiter steigen wird. Umgekehrt könnte die neue DFG-Regelung „gegen die Publikationsflut in der Wissenschaft“, nach der Wissenschaftler in Zukunft in ihren Anträgen und Berichten an die DFG nur noch wenige, besonders aussagekräftige Publikationen als Referenz nennen dürfen,292 den wenigen Monographien jedes einzelnen Forschers mehr Gewicht geben – was die wünschenswerte Entwicklung von Qualitätsstandards nicht ausschließt. Insgesamt kann bei allen untersuchten Programmen die Bemühung um eine der germanistischen Promotion und ihrer Kernqualifikation – eigenständige Forschung für die Dissertation – angemessene Ausgewogenheit zwischen den freiwilligen wie obligatorischen zusätzlichen Teilleistungen und der Hauptleistung der Dissertationsverfassung festgestellt werden. Gleichzeitig wird der neue Ansatz sowohl der dissertationsunterstützenden als auch der darüber hinausgehenden ergänzenden Leistungen mit Nachdruck vertreten und die Argumentation für eine ausschließliche Konzentration auf das Schreiben der Dissertation als mögliches Kaschieren einer ‚Reformresistenz‘ gewertet, wie im folgenden Zitat: 290 Hierzu äußert sich ein Sprecher: „[Es gibt] generell zu viele Konferenzen, aber bei uns wird es nicht in dieser Form unterstützt. Konferenzen mit Publikationszwang sind ein Problem, zu viel unausgereiftes Zeug wird abgedruckt“. 291 Brenner: Die ‚Lebenswelt‘ der Literaturwissenschaft als Forschungsgegenstand, S. 12. 292 Vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft: Qualität statt Quantität (ohne Seitenangabe).
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3 Promovieren in der Germanistik Die [Doktoranden] sind frei, und ihnen ein Angebot zu machen ist gut. Wenn jemand argumentiert, dass es zu viel ist und von der „eigentlichen“ Arbeit ablenkt, ist es oft Selbstschutz von denen, die sich nicht engagieren wollen. Auch hat der Wissenschaftsrat schon 1995 beschrieben, was dabei rauskommt, wenn wir nichts ändern, nämlich eine Promotionsdauer von sieben bis acht Jahren, wenig qualitative Promotionen usw. Wer also unbedingt an den Defiziten der klassischen Doktorandenausbildung festhalten will: Bitte.
Ein fehlendes Bewusstsein für die Gefahren einer ‚Überstrukturierung‘, Überfrachtung oder sogar Verschulung kann bei den Verantwortlichen der hier analysierten Promotionsprogramme nicht festgestellt werden. Auch geben die untersuchten Strukturen der Programme und die Befunde der Befragung keinen Anlass zu einer negativen Bewertung der Programme in diesem Punkt. Berechtigt könnte hingegen die Frage der Kritiker erscheinen, ob in den strukturierten Promotionsprogrammen, die nach einem im Vorfeld konzipierten Plan ablaufen und im Idealfall zu allen Bedürfnissen der Doktoranden ein Angebot bereithalten, eigentlich noch das selbständige wissenschaftliche Arbeiten erlernt wird. Denn die Fähigkeit zum selbständigen Arbeiten gehört zweifellos zu den später im Beruf erforderlichen Qualifikationen promovierter Germanisten. Hierzu wurden den Doktoranden im Interview folgende Fragen gestellt: „Lernen Sie während der Promotion selbständiges Arbeiten und wenn ja, wie?“ „Inwieweit denken Sie, dass spezifisch Ihre Promotionsform (Individualpromotion, Graduiertenschule, Promotionskolleg etc.) dies unterstützt?“. Sicherlich muss bei der Auswertung der Antworten und besonders in diesem Fall die subjektive Perspektive der Doktoranden auf ihre persönliche Situation bedacht werden – ein zeitlicher wie inhaltlicher Abstand zur Promotionserfahrung könnte die Antworten modifizieren. In der aktuellen Phase der Promotion scheint die Promotionsform aber keinen subjektiv wahrgenommenen negativen Einfluss auf das Erlernen vom selbständigen Arbeiten zu haben: Sowohl die überwiegende Mehrheit der Individualpromovierenden (acht von zehn) als auch der in strukturierten Promotionsprogrammen eingebundenen Doktoranden (neun von zehn) beantworten die erste Teilfrage zustimmend. Beide Gruppen beziehen dabei „selbständiges Arbeiten“ hauptsächlich auf persönliche Arbeitsmethoden, verstehen darunter „sich systematisieren“, „selbständige Wissensselektion“, „eigene Schwächen kennen lernen“, „sich Fristen setzen und diese einhalten“ oder „Selbstorganisation“ und „Motivation“. Stellvertretend kann folgendes Zitat gelten: Ja, lerne ich, und learning by doing. Ich denke, das ist die wesentliche Qualifikation, die man während der Promotion lernt: sich selbst zu strukturieren, sich Grenzen zu setzen, mit Frustrationen klar zu kommen, Zeitpläne zu erstellen, sich zu motivieren.
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Die Äußerung stammt von einem strukturiert Promovierenden und ist ein Beleg dafür, dass interessanterweise hinsichtlich der subjektiven Herausforderung des selbständigen Arbeitens keine großen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen festgestellt werden können: Wie Individualpromovierende sehen sich auch die strukturiert Promovierenden zum selbständigen Arbeiten ‚gezwungen‘, wie die Aussagen „Ja, weil ich mich komplett selbst organisieren und disziplinieren muss“, „Lerne ich natürlich, es ist ein sehr großes Projekt, dass ich bewältigen muss, ohne dass ich dabei großartige Hilfestellungen bekomme” oder das folgende Zitat veranschaulichen, die alle von strukturiert Promovierenden stammen: Es bleibt einem nichts anderes übrig, die Diss. muss ich ja schreiben. Also auf jeden Fall was die Diss. angeht und auch fristgerecht zu arbeiten und mich zeitlich [zu] organisieren, da ich im Kolloquium präsentieren muss und bis dahin es fertig haben muss.
Der zweite Teil des Zitats deutet jedoch an, dass trotz der ähnlichen subjektiven Bewertung möglicherweise Differenzen zwischen den Rahmenbedingungen der selbständigen Arbeit bei beiden Promotionsformen bestehen: Die im vorangehenden Kapitel diskutierten Unterschiede der Betreuungsformen und die in diesem Abschnitt dargestellten ergänzenden Angebote bei der Erstellung der Dissertation und über diese hinaus zeigen bei der Frage der selbständigen Arbeit erneut Wirkung – auch wenn nach wie vor alleine ‚geschrieben werden‘ muss, geben die dichtere Betreuung und Strukturierung, vorhandene Pflichten, Fristen, Motivation, Rückmeldung und Austausch dem selbständigen Arbeiten der strukturiert Promovierenden einen Rahmen. Wie ein strukturiert Promovierender prägnant resümiert: „Es gibt mir einen Rahmen, in dem ich aber dann doch sehr selbständig arbeiten kann“. Abschließend sollen kurz die Antworten auf die zweite Frage untersucht werden, die spezifisch die Promotionsform thematisieren und den Unterschied der Rahmenbedingungen der beiden Promotionsformen noch einmal unterstreichen. Neun von zehn Individualpromovierenden gegenüber nur fünf von zehn strukturiert Promovierenden geben an, dass spezifisch ihre Promotionsform das selbständige Arbeiten bzw. dessen Erlernen unterstützt. Die Unterschiede bestehen in dem angesprochenen, stärker oder schwächer steuernden strukturellen Rahmen. Während man in Individualpromotionen „den gesamten Arbeitsprozess selbständig strukturieren muss“, denn „noch individueller als bei der Individualpromotion geht es nicht“ und „Wenn man es nicht lernt, scheitert man. Es ist alles Selbstorganisation, von morgens bis abends. Ich müsste ja nicht in die Bibliothek gehen, es kontrolliert ja keiner“, können – und teilweise müssen – die in strukturierte Programme eingebundenen Doktoranden auf die geschilderten
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Strukturen zurückgreifen, eine gewisse Kontrolle und insbesondere Unterstützung ist vorhanden: Wenn man [das selbständige Arbeiten] kann, ist es gut […]. Wenn man sehr viel Hilfe bräuchte, könnte man sie auch bekommen, es gibt hier viel Personal. […] Meine Erfahrung ist, dass einige von meinen Kollegen diese Anlehnung suchen und andere nicht, es ist beides möglich. Man kann sich selbständiger verhalten, oder aber auch mehr Hilfe bekommen.
Die ohnehin vorhandene Unterstützung könnte ein Grund dafür sein, dass strukturiert Promovierende ihre Promotionsform weniger häufig als für das Erlernen des selbständigen Arbeitens explizit förderlich bezeichnen. Ein weiterer Grund könnte sein, dass durch die vorgeschalteten Auswahlverfahren in strukturierte Promotionsprogramme möglicherweise von Anfang an verstärkt Doktoranden mit der Fähigkeit zum selbständigen Arbeiten aufgenommen werden (belegt etwa durch die meist unbetreute Verfassung eines Exposés und eines Zeit- bzw. Arbeitsplans im Vorfeld der Bewerbung, vgl. Kapitel 3.3 und 3.5). Insgesamt sind die Individualpromovierenden häufiger als strukturiert Promovierende davon überzeugt, dass spezifisch ihre Promotionsform das ‚selbständig arbeiten Lernen‘ unterstützt, wobei der Betriff der ‚Unterstützung‘ in diesem Kontext nicht als ganz zutreffend gewertet werden kann. Zum einen begründen die Individualpromovierenden die ‚Unterstützung‘ vielmehr mit einem Zwang aufgrund der unzureichenden Betreuung. Zum anderen kann, zumindest für die hier betrachteten Promotionsprogramme, in der strukturierten Doktorandenausbildung eine tatsächliche ‚Unterstützung‘ der selbständigen Arbeit der Doktoranden festgestellt werden: Zum Teil zwingend, zum Teil wahlweise bieten sie durch Fristen, Seminare, Rückmeldung, Motivation, Austausch oder Ansprechpartner einen hilfestellenden Rahmen. Zusammenfassend betrachtet ergibt sich folgendes Bild: Die Hauptleistung der germanistischen Promotion bleibt in beiden Promotionsmodellen die selbständig verfasste Dissertation – die ‚Kernqualifikation Monographie‘ wird in den untersuchten Programmen der strukturierten Doktorandenausbildung nicht in Frage gestellt. Sie wird jedoch in zweifacher Hinsicht ergänzt. Neben Teilleistungen, die den Dissertationsfortschritt unterstützen sollen, erwerben Doktoranden in strukturierten Programmen zum Teil obligatorisch, zum Teil freiwillig, weitere wissenschaftliche Schlüssel- und Zusatzqualifikationen, die ihr Kompetenzprofil über das ‚Wissen-Schaffen lernen‘ hinaus ergänzen. Eine dieser Schlüsselqualifikationen ist die akademische Lehre.
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3.7 Akademische Lehre Für den Teil der Doktoranden, die eine Karriere in der Wissenschaft anstreben, stellt akademische Lehre zusammen mit der Forschung eine der beiden Kernqualifikationen dar. Der Ausgangsprämisse folgend, nach der eine bedeutende Aufgabe der germanistischen Promotionsphase die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses des Faches ist, müsste also die Vermittlung der Erfahrung der akademischen Lehre einen wichtigen Teil der Doktorandenausbildung bilden. Und auch ohne eine Berufung zum Professor, die selbstverständlich nicht alle Promovierten erhalten werden, gehört die Wissensvermittlung im späteren Berufsleben für die meisten Geisteswissenschaftler zu ihren täglichen Aufgaben. Ist die Vermittlung der Lehrerfahrung in den bestehenden Modellen tatsächlich ein wichtiger Bestandteil der Doktorandenausbildung? Gibt es Unterschiede zwischen der Individualpromotion und den neuen Promotionsformen? Und: Welche Vor- und Nachteile bringen die jeweiligen Lösungen mit sich? Es könnte angenommen werden, dass unter den Individualpromovierenden nur eine Minderheit, nämlich die der wissenschaftlichen Mitarbeiter, Lehrerfahrung sammelt,293 und dass hingegen alle Doktoranden in Graduiertenschulen systematisch auf ihre spätere Aufgabe als Hochschullehrer in Theorie und Praxis vorbereitet werden. Die in der exemplarischen Befragung sowohl an Doktoranden in Individualpromotion als auch an in strukturierten Promotionsformen Eingebundene gerichtete Frage lautete: „Die meisten Promovierten in den Geisteswissenschaften übernehmen im späteren Berufsleben Aufgaben, bei denen die Fähigkeit zur Wissensvermittlung eine wichtige Rolle spielt, ein Beispiel ist die Lehrtätigkeit von Professoren. Haben Sie bereits während Ihrer Promotion Lehrerfahrung gesammelt (wo) bzw. werden Sie auf Ihre spätere Aufgabe als Lehrer oder „Vermittler“ vom Wissen im Allgemeinen während Ihrer Promotion vorbereitet? (wie)“. Von 20 Befragten haben 14 Doktoranden im Zusammenhang mit der Promotion bereits Lehrerfahrung gesammelt, meistens durch Lehraufträge oder Unterricht in Ringvorlesungen. Zusätzlich zwei Individualpromovierende arbeiten außerhalb der Promotion als Schullehrer und lernen somit ebenfalls das Lehren in der Praxis, wenn auch im schulischen Bereich. Wenn diese beiden Befragten der Gruppe mit Lehrerfahrung zugeordnet werden, zeigt sich bei der Verteilung der Antworten auf die beiden untersuchten Modelle ein überraschendes 293 In der Stichprobe der Befragung von Enders/Bornmann waren von allen promovierten Germanisten (n = 377) 27 Prozent an der Hochschule beschäftigt, 29 Prozent hatten ein Promotionsstipendium und 45 Prozent finanzierten sich extern. Vgl. Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel?, S. 53.
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Bild: Während vier der zehn Doktoranden in strukturierten Promotionsprogrammen (noch) nicht unterrichtet haben, haben alle zehn Individualpromovierenden Lehrerfahrung. Die Ausgangsthese einer möglichen Unterrepräsentanz der Unterrichtserfahrung bei der Individualpromotion wird somit durch die Ergebnisse dieser Befragung nicht unterstützt. Die Gründe für die fehlende Lehrerfahrung der vier Promovierenden in strukturierten Programmen sind verschieden: Zwei Doktoranden streben keine akademische Laufbahn an; einer der beiden hat sich deshalb gegen die (ansonsten mögliche) Lehrtätigkeit entschieden, der andere hat davon unabhängig vor, das Unterrichtsangebot noch im Laufe der Promotion zu nutzen. Ein dritter Promovierender plant die Lehre ebenfalls später und bei dem vierten (einem Doktoranden aus der Münsteraner Graduiertenschule, die als einziges der untersuchten Programme nicht über eigene Stipendien verfügt) ist der finanzielle Aspekt ausschlaggebend: „[W]enn ich mich bemüht hätte, hätte ich einen Lehrauftrag bekommen. Sie werden aber zu schlecht bezahlt, also geht man lieber außerhalb arbeiten. Über die Lehraufträge reicht es nicht, man müsste eine richtige Stelle oder Stellenvertretung haben, aber die sind rar“. Ohne eine explizite Frage danach haben mehrere Doktoranden die ungenügende Bezahlung ihrer Lehraufträge thematisiert – nicht nur sehen sie die Höhe der Bezahlung, wie im zuletzt zitierten Fall, als nicht zufriedenstellend an („von den Lehraufträgen kann man nicht leben, 500 Euro insgesamt für ein halbes Jahr“), sondern in vielen Fällen wird offenbar eine gänzlich unbezahlte Lehre erwartet: die Lehraufträge seien „zum Teil bezahlt worden“, „das erste Semester war unbezahlt“, „es gab schon immer Geld dafür, außer ein oder zwei Mal“, „mal wird man bezahlt, mal nicht, es wird von dir erwartet, dass du unbezahlte Lehraufträge machst“ oder „ganz viele Seminare im Grundstudium werden von Doktoranden unbezahlt unterrichtet“. Diese Aussagen stammen alle von Individualpromovierenden; die Doktoranden in den strukturierten Formen erhalten bis auf das Programm in Münster ein Stipendium und sehen die Lehre als Zusatzqualifikation an, sie müssen mit ihr nicht Geld verdienen. Die unbezahlten Lehraufträge könnten mit der Unterfinanzierung der Universitäten bzw. unzureichenden Verteilungsmechanismen etwa von Studienbeiträgen, die insbesondere zur Verbesserung der Hochschullehre eingesetzt werden sollen, zusammenhängen.294 Zum Teil spielt jedoch auch die trotz der fehlenden Bezahlung hohe Nachfrage nach Lehraufträgen seitens der Doktoranden und entsprechende Einstellung der Administration eine Rolle, wie sie zwei Doktoranden beschreiben: „Das Selbstverständnis der Uni ist, dass es eine Ehre ist, dass man es machen kann“ und „Es 294 Vgl. Fußnote 296.
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wird eher als Ehre angesehen, wenn man überhaupt unterrichten darf, und wenn man sogar bezahlt wird, noch mehr Ehre“. Neben der teilweise mangelhaften Vergütung an sich ist – insbesondere bei fehlendem finanziellen Anreiz – die Qualitätssicherung der Doktorandenlehre problematisch. Werden die Doktoranden auf ihre spätere Aufgabe als Lehrer und Vermittler von Wissen vorbereitet und bei ihrem Unterricht während der Promotion begleitet? Gibt es eine Qualitätssicherung? Eine systematische Ausbildung für die Lehraufgaben findet kaum statt. So berichten ernüchternderweise nur drei von 20 Doktoranden, alle aus einem strukturierten Programm, während der Promotion gezielt auf die Lehre vorbereitet worden zu sein. Ein Doktorand besucht ein Seminar seiner Graduiertenschule zur Hochschuldidaktik, zwei Promovierende beziehen sich im positiven Rückblick auf das Teaching Center des Graduiertenzentrums in Gießen, in dem sie beispielsweise eine Veranstaltung absolvieren können zum Thema „Lehrveranstaltungen planen und gestalten“. Zwei Doktoranden anderer strukturierter Programme haben noch nicht an den bestehenden Angeboten der Hochschuldidaktikseminare teilgenommen, bei einem ist eine ‚Vorbereitung‘ zusammen mit dem Doktorvater geplant. Letzter Fall unterscheidet sich nicht von der Situation bei den Individualpromovierenden: Wenn überhaupt eine Vorbereitung auf die Lehrtätigkeit stattfindet, besteht sie aus punktuellen Konsultationen mit dem Doktorvater. Manche Doktoranden erwähnen explizit, dass sie sich „schon mal gewünscht [hätten], dass es ein Angebot gibt, dass einen darauf vorbereitet, und man nicht so ins kalte Wasser geworfen wird“ und „wenn Seminare angeboten würden, würde[n] [sie sich sie] anschauen“. Die in einem Fall besuchte Dozentenschulung wird als „nicht verpflichtend, selten angeboten und kurz, also keine Vorbereitung“ bewertet und sogar ein Doktorand im strukturierten Programm merkt an: „Es wäre angebracht, dass man darauf vorbereitet wird, das ist aber definitiv nicht der Fall. Ich hoffe, ich werde ausführlich mit meinem Prof. darüber sprechen, aber es gibt keine strukturierte Vorbereitung dafür“. Ein Promovierender zieht direkt den naheliegenden Schluss zur mangelnden Qualitätssicherung: [N]ur in den Oberseminaren hatte ich Referate gehalten. Es ist sonst nichts vorgesehen, dass man unterrichtet, es übt, oder gar dafür vorbereitet wird, wüsste ich nicht. Ich weiß nicht, wie das die Leute machen, die in die Wissenschaft wollen, das wird ja auch nicht didaktisch vorbereitet, deshalb gibt es auch so viele schlechte Lehrer unter den Professoren.
Was bedeutet diese überwiegend mangelhafte didaktische Vorbereitung für die Ergebnisse der Doktorandenausbildung in der Germanistik? Ein guter Wissenschaftler ist noch lange kein guter Lehrer. Es sind allerdings gerade die guten
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Lehrer, die künftige Studierende von der germanistischen Forschung zu begeistern vermögen und die Fachinhalte weiter vermitteln. Eine Begleitung und Supervision der Lehre durch die Professoren fand in den meisten untersuchten Fällen nicht statt und es deutet nichts darauf hin, dass die Situation über die Befragung hinaus in der Breite in der Doktorandenausbildung oder später in der Lehre der Habilitanden und Professoren besser sein sollte – im Gegenteil: Exemplarisch für den Freistaat Bayern belegt die Habilitationsstudie von Ewald Berning, Louis von Harnier und Yvette Hofmann von 2001, dass die in der Promotionsphase versäumte gezielte didaktische Qualifizierung für spätere Lehraufgaben auch nicht auf dem weiteren Karriereweg zum Professor nachgeholt wird. Nur fünf Prozent der befragten Habilitierten wurden während ihrer Habilitationszeit gezielt und betreut auf ihre Lehrtätigkeit in der Zukunft vorbereitet. Bei 25 Prozent fand keinerlei Vorbereitung statt, knapp 70 Prozent haben die Lehre durch die Lehre selbst und ohne systematische Anleitung gelernt. „Wesentliche Unterschiede zwischen Fächern oder nach Geschlecht gibt es nicht“, stellen die Autoren der Studie fest.295 So scheint die Qualitätssicherung der germanistischen Lehre und ihr intendiertes Antrainieren (nicht nur) in der Promotionsphase in vielen Fällen dem Zufall, dem Individuum und der subjektiven Auswahl der zur Lehre zugelassenen Doktoranden durch die Doktorväter überlassen zu sein: „Ich könnte auch ein ganzes Semester Kochrezepte vorlesen und es wäre kein Problem. Es gibt keine Qualitätssicherung, der Professor kommt nicht mit und sagt nie was dazu“, führt ein Doktorand aus. Welche Ansätze zur Lösung dieses Problems und zum Erlernen der Hochschullehre gibt es konkret in strukturierten Promotionsprogrammen? Das Teaching Center des International Graduate Centre for the Study of Culture in Gießen wurde bereits angeführt. Dort sollen die Doktoranden gezielt Hochschullehre lernen, und für Doktoranden des durch die Exzellenzinitiative geförderten Graduiertenzentrums ist der Besuch einer Veranstaltung des Centers verpflichtend. Somit sollen in Gießen im Rahmen der Exzellenzinitiative über herausragende Forschung hinaus auch die Lehre und ihr effizientes Erlernen befördert werden. Alle Promovierenden, die daran Interesse haben, können zusätzlich im Rahmen einer Ringvorlesung der Doktoranden für Bachelorstudierende unterrichten (eine
295 Vgl. Berning et al.: Das Habilitationswesen an den Universitäten in Bayern, S. 45f. Einbezogen wurden dabei alle in Bayern in den Jahren 1993 bis 1998 Habilitierten (Vollerhebung bei 600 Personen), Germanistik war zusammen mit Anglistik/Amerikanistik und Geschichte Teil der Fächergruppe Sprach- und Kulturwissenschaften, mit dem Hinweis, dass „[i]n ihren jeweiligen Fächergruppen […] diese Fächer einen wesentlichen Anteil der Habilitierten [umfassen]“. In der Germanistik wurden 45 Fragebögen versendet, bei einem absoluten Rücklauf von 26 Fragebögen, was einer Rücklaufquote von 57,8 Prozent entspricht. Vgl. ebd., S. 18f.
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Lehrbeteiligung zum Beispiel in einem Proseminar müsste allerdings über den Betreuer und das Fach organisiert werden). An der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien in Berlin wird es als wichtig erachtet, dass die Doktoranden akademische Lehre lernen, aber sie soll nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen und ist nicht verpflichtend. Die Verantwortlichen der Graduiertenschule sehen es als gegeben an, dass auch von den Doktoranden der Graduiertenschule nur ein Teil eine akademische Laufbahn einschlagen wird, und räumen deshalb für diejenigen Doktoranden, die nicht lehren wollen, stattdessen die Möglichkeit des Erwerbs anderer transfer skills ein. Zur Vorbereitung der Lehre wird ein Didaktikseminar angeboten. Der Unterricht der Doktoranden soll teilweise mit den Betreuern zusammen durchgeführt werden und nur ca. drei bis vier Sitzungen umfassen, denn erstens würde ein ganzes Seminar die Doktoranden zu viel Vorbereitungszeit kosten und die angestrebte Promotionszeit von drei Jahren gefährden, und zweitens soll das Erlernen der Lehre im Vordergrund stehen und nicht die Abdeckung des regulären Unterrichts durch die Doktoranden; ein Aspekt, der in den Kapiteln 5.3 und 5.5 bei der Doktorandenausbildung in den English studies in den USA eine Rolle spielen wird. Als letzter Ansatz soll an dieser Stelle das Modell des Promotionskollegs „Wertung und Kanon“ in Göttingen angeführt werden: Auch hier steht die zu beschränkende Promotionszeit im Vordergrund, aber bei Interesse können die Doktoranden lehren und das Angebot des Mentorings durch Professoren nutzen, das sich von der Besprechung der Seminarpläne mit den Betreuern bis zu deren Hospitanz in den von den Doktoranden geleiteten Sitzungen selbst (die allerdings laut Auskunft der Sprecherin meistens nicht gewünscht wird) erstreckt. Da in Göttingen die Doktoranden des Promotionskollegs explizit nicht ausschließlich für eine Karriere in der Wissenschaft ausgebildet werden, wird die Lehrmöglichkeit den Promovierenden freigestellt und wurde zum Zeitpunkt der Befragung laut Sprecherin von etwa zwei Dritteln der Doktoranden wahrgenommen. So wünschenswert das Erlernen der Hochschullehre für die meisten Doktoranden der Germanistik erscheint, bringt es auch bestimmte Schwierigkeiten mit sich: Neben der bereits diskutierten Frage der Qualitätssicherung gehören dazu praktische Aspekte wie die notwendige Zustimmung des germanistischen Instituts zum Lehrauftrag und die Bereitschaft der Integrierung der Veranstaltungen der Doktoranden in den Lehrplan (Ist es organisierbar, dass alle Doktoranden lehren? Kann das Training der Wissensvermittlung teilweise durch Lehrpraktika, Praktikantenanleitung oder Lehre und Vorträge auch außerhalb der Hochschule ersetzt werden?) sowie Fragen der Raumfindung und der Vergabe der Leistungsnachweise für die teilnehmenden Studierenden. Darüber hinaus gibt es ein wich-
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tiges rechtliches Problem: Wenn die Seminare der Doktoranden auf das Lehrdeputat angerechnet werden, stellen sie eine Gefahr für reguläre Stellen dar.296 Dagegen dürfte die inhaltliche Frage, was die Doktoranden lehren können, vergleichsweise einfach zu beantworten sein. Gerade mit Blick auf die problematische Betreuungsrelation in der Germanistik (137 Studierende je Professor)297 und den ggf. höheren Betreuungsbedarf in den Bachelorstudiengängen bietet sich die Einbindung der Promovierenden in die Lehre der Bachelorstudierenden an, wie beispielsweise in Gießen, wo Doktoranden die angesprochene Ringvorlesung für Bachelorstudierende unterrichten. Allerdings tritt dabei erneut der Stellenwert der hochschuldidaktischen Vorbereitung hervor, die, wie gezeigt wurde, leider noch zu selten angeboten bzw. wahrgenommen wird. Mit den Worten eines befragten Doktoranden ausgedrückt: Die Bachelor-/Masterausbildung verlangt ganz andere Kompetenzen an die Lehrenden, man muss viel strukturierter vermitteln, da die Studierenden weniger selbständig arbeiten, dem müssen die Inhalte angepasst sein. Die Studierenden sind auch jünger und sehen den Dozenten stärker als Lehrenden, da muss man sich ein bisschen auskennen didaktisch, wenn man da 18-jährige sitzen hat. Man ist auch Lehrer, man hat mit ihren Sorgen und Nöten in der Betreuung zu tun.
Andere Doktoranden erwähnen die im Zusammenhang mit der Lehre der Bachelorstudierenden entstehende Frustration, etwa „wenn man 80 Studenten [zu unterrichten und] 80 Klausuren zu korrigieren hat“ – insbesondere, wenn die didaktische Vorbereitung und angemessene Bezahlung fehlen.
296 Ein weiterer Aspekt, dessen Erörterung jedoch den Rahmen dieser Arbeit übersteigen würde, ist die Frage der Verwendung der Studienbeiträge. Auf der einen Seite sollen die Erträge aus den Studienbeiträgen möglichst zur Verbesserung der Hochschullehre eingesetzt werden. Auf der anderen Seite dürfen sie oftmals nicht für die lehrenden Professoren ausgegeben werden, möglicherweise um eine einseitige Nutzung für Gehaltserhöhungen oder die Schaffung neuer Professorenstellen zu verhindern. Diese Regelung führt dazu, dass zwar eine hohe Zahl an Tutorien stattfindet, ein Teil der offiziellen Lehre durch die Doktoranden jedoch unbezahlt durchgeführt wird. Für ein Beispiel für den Umgang mit Studienbeiträgen in einem Bundesland vgl. den gemeinsamen Bericht des Deutschen Studentenwerks und des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft „Die Verwendung von Studienbeiträgen an Hochschulen in NordrheinWestfalen – vom Sommersemester 2008 bis zum Sommersemester 2009” unter der URL (24.5.2010): http://www.stifterverband.info/presse/pressemitteilungen/2009_12_10_studienbei traege_nrw/verwendung_von_studienbeitraegen_an_hochschulen_in_nrw_2009.pdf. 297 Auf 620 hauptamtliche Professoren im Lehr- und Forschungsbereich Germanistik (Deutsch, germanische Sprachen ohne Anglistik) im Jahr 2008 kamen im Wintersemester 2008/2009 85.075 Studierende im Studienbereich Germanistik (Deutsch, germanische Sprachen ohne Anglistik). Vgl. Statistisches Bundesamt: Personal an Hochschulen 2008, S. 118 und Statistisches Bundesamt: Studierende an Hochschulen WS 2008/2009, S. 50.
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Eine Einbindung ausländischer Doktoranden in die Lehre erscheint an sich unproblematisch, muss aber im fachspezifischen Sonderfall der Germanistik gut überlegt sein, wie das folgende Zitat eines sich echauffierenden Doktoranden nahe legt: Auch sollen die internationalen Doktoranden in den Graduiertenschulen jetzt verpflichtet werden zur Lehre, und auf English soll es stattfinden. Wie dämlich: Germanistik zu unterrichten in Deutschland auf Englisch von chinesischen Doktoranden! Wie absurd! Bekloppter geht es doch gar nicht! Die kommen ja hierher, um hier Deutsch zu lernen und hier Germanistik zu machen! Die werden dann auf die Studierenden losgelassen, bloß damit die Lehrenden entlastet werden von der Lehre.
Dieser Aspekt erinnert an den umfangreichen Einsatz der Doktoranden als Lehrkräfte in den USA, der im Kapitel 5.3 detailliert untersucht wird. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die befragten Doktoranden überwiegend Lehrerfahrung gesammelt haben, darunter unerwarteterweise alle Individualpromovierenden. Als problematisch erweist sich in beiden Modellen insbesondere die Qualitätssicherung: Obwohl in manchen Fällen – hauptsächlich für Doktoranden der strukturierten Programme – Hochschuldidaktikangebote prinzipiell zur Verfügung stehen, finden sowohl eine systematische hochschuldidaktische und pädagogische Vorbereitung für spätere Aufgaben in der Lehre und Wissensvermittlung als auch eine Begleitung der Lehre der Doktoranden durch die Professoren oder weitere Mentoren kaum statt. Dabei könnte – wie es good practice-Beispiele beispielsweise in Berlin oder Gießen anstreben – durch die Realisierung beider Punkte deutlich gemacht werden, dass in der Doktorandenausbildung am jeweiligen Standort tatsächlich der Aspekt ‚Lehre lernen‘ (erst unter Aufsicht, dann zunehmend selbständig), und nicht nur derjenige des ‚Lehre (kostengünstig) durchführen‘ im Fokus steht. Gerade mit Blick auf die im Kapitel 1.2 dieser Arbeit dargestellte historisch gewachsene Funktion der Promotion als Befähigung zu wissenschaftlicher Lehre und Forschung sowie auf die für promovierte Germanisten in den meisten Berufen relevante Qualifikation in der Vermittlung von Wissen erscheint eine gezielte Förderung der Lehrerfahrung sowie ein Training in Hochschuldidaktik für alle germanistischen Doktoranden erstrebenswert. Gleichzeitig müssen Einschränkungen der räumlichen und finanziellen Kapazität, Aspekte der Qualitätssicherung und inhaltlicher Kompatibilität mit dem Lehrplan sowie rechtliche Fragen der Leistungsnachweise und insbesondere des Einflusses auf reguläre Lehrstellen (vgl. Kapitel 5.3 und 5.5) mitbedacht werden.
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3.8 Berufswege mit Doktorgrad „Natürlich, wenn ich eine Doktorarbeit über Goethe mache, ist es nachher deutlich schwieriger bei der Jobsuche klar zu machen, dass der Goethe [bei der Berufsvorbereitung] geholfen hat.“ (Individualpromovierender)
Welche beruflichen Ziele werden mit einer Promotion in der Germanistik verfolgt? Ist die Promotion diesen Zielen angemessen konzipiert und werden die Vorstellungen der Doktoranden in der beruflichen Realität umgesetzt? Gibt es dabei Differenzen zwischen den beiden Promotionsmodellen und zeichnen sich durch das Aufkommen der strukturierten Promotionsprogramme Konsequenzen für die Zukunft des Faches ab, die bei der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Promotionsphase mit bedacht werden sollten? Nicht alle Promovierten der Germanistik werden in der universitären oder außeruniversitären Wissenschaft tätig werden (können) und nicht für alle germanistischen Doktoranden ist eine akademische Karriere die Motivation für die Aufnahme der Promotion. Rückblickend betrachtet, nennen die Doktoranden in der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Befragung eine Reihe von unterschiedlichen Promotionsmotiven. Sie rangieren von der „Freude am Forschen“ und „Lust am Thema“ über einen „Aufklärungs- und Bildungsanspruch“ und „ideelle Gründe“ („auch wollte ich mir irgendwas beweisen, dass ich gut genug bin, um so was machen zu können“) bis hin zu der über eine Zeit lang gesicherten Finanzierung, der Möglichkeit der Bewahrung von „Freiheiten“ und schließlich der Absicht, sich mit der Promotion für die akademische Laufbahn oder für eine Leitungsfunktion außerhalb der Universität zu qualifizieren. Obwohl angenommen werden könnte, dass Doktoranden der kompetitiven strukturierten Promotionsprogramme verstärkt mit dem Ziel einer Wissenschaftskarriere promovieren, ist dies, zumindest anhand der Ergebnisse der hier durchgeführten Befragung, nicht der Fall: Auf die Frage, „Was ist Ihre Motivation für die Promotion, warum promovieren Sie?“ antwortet jeweils nur die Hälfte der Individualpromovierenden und auch der in strukturierte Programme eingebundenen Doktoranden mit der Möglichkeit oder festen Absicht einer universitären Laufbahn. Damit korrespondierend ist auch nur jeweils für die Hälfte der Befragten beider Gruppen das Interesse an ihrem Dissertationsthema oder am Forschen an sich für die Motivation ausschlaggebend, wie im folgenden Fall: „Das wissenschaftliche Arbeiten macht Spaß. Es ist angenehm, in der Hochschularbeit Sachen zu Ende durchzudenken. Man kann sich Zeit nehmen für ein Problem, arbeitet nicht nur auf ein Ergebnis hin“.
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Zwei Individualpromovierende berichten in diesem Zusammenhang von einer gewissen Desillusionierung über den Nutzen der Promotion für den Berufseinstieg, die im Promotionsverlauf aufgekommen ist: Ich hatte gehofft, dass es beim beruflichen Fortkommen etwas förderlich sein könnte. Ob es tatsächlich förderlich ist, das bezweifle ich mittlerweile. Ich glaube, dass letztendlich das was ich habe machen wollen […], in weit größerem Maße von persönlichen Kontakten usw. abhängt als von der akademischen Qualifikation.
So äußert sich ein Doktorand, der außerhalb der Universität eine leitende Funktion in der Lehrerausbildung einschlagen möchte. Ein Promovierender mit der ursprünglichen Absicht einer akademischen Laufbahn berichtet ähnlich: Ich habe mal angefangen aus Freude am Forschen und auch wegen Berufswünschen, weil ich in der Wissenschaft bleiben wollte. Jetzt [mache ich] nur noch [weiter] weil ich angefangen habe. Die Freude am Forschen ist mir ein bisschen verloren gegangen. Ich bin jetzt im vierten Jahr und die Begeisterungsfähigkeit für ein Projekt hält bei mir vielleicht drei Jahre, aber nicht länger – man arbeitet alleine an einem Projekt. [Die Dissertation] wird sowieso kaum jemand lesen und beruflich sieht es auch grottenschlecht aus. Die Naivität und der Optimismus vom Anfang [sind] einem realistischen Pragmatismus gewichen.
Ein strukturiert Promovierender, der seine Motivation mit persönlichem Interesse und einer „Passioniertheit für dieses Thema“ beschreibt und nicht an der Hochschule arbeiten möchte, äußert die Meinung, dass ihm die Promotion in Kombination mit seinem Alter beim Berufseinstieg sogar schaden könnte. Bei allen drei Beispielen betreffen die Aussagen jedoch ausschließlich den Berufseinstieg; der Nutzen der Promotion für den beruflichen Aufstieg wird nicht kommentiert. Abgesehen von diesen drei Fällen stellen die Doktoranden die Zweckmäßigkeit der Promotion nicht in Frage, wobei wie dargestellt nur etwa die Hälfte der Promovierenden beider Gruppen die Motivation zur Promotion mit einem gewünschten „Verbleib in der Wissenschaft“ begründet. Ein ähnliches Bild wie die Aussagen bezüglich der Motivation für die Promotion ergibt die Auswertung der Antworten auf die Frage nach den Zielen, die die Doktoranden mit dem Erwerb eines Doktorgrads in ihrer beruflichen Zukunft verfolgen: Die Hälfte der Befragten beider Gruppen strebt eine universitäre Laufbahn an, die andere Hälfte verfolgt berufliche Ziele in der Stiftungsarbeit, Kulturvermittlung oder Lehrerausbildung sowie im Schul- oder Verlagswesen. Obwohl sich die Anteile der (in der Regel nicht weiter spezifizierten) angestrebten Berufsziele innerhalb bzw. außerhalb der Wissenschaft bei beiden Gruppen nicht unterscheiden, kann interessanterweise eine Differenz festgestellt werden bei den Antworten auf die Zusatzfrage, ob die Promotion in ihrem Inhalt,
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ihrer Struktur und ihrem Ablauf den genannten beruflichen Zielen angemessen ist. Während die in strukturierten Programmen eingebundenen Doktoranden mehrheitlich einer Angemessenheit zustimmen (sieben von zehn Doktoranden beantworten die Frage positiv), verhält es sich bei Individualpromovierenden genau umgekehrt: Nur drei Individualpromovierende würden Inhalt, Struktur und Ablauf ihrer Promotion im Hinblick auf die mit dem Erwerb des Doktorgrads verfolgten beruflichen Ziele als angemessen bezeichnen. Welches sind mögliche Gründe dafür und können fehlende bzw. vermisste ‚Promotionskomponenten‘ identifiziert werden? Besonders kritisch erscheint mit Blick auf die wesentliche Funktion der Promotion in der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, dass manche Doktoranden ihre Individualpromotion im Vergleich zur strukturierten Doktorandenausbildung als nicht adäquat auf die akademische Karriere vorbereitend bewerten. Drei Beispiele sollen hier exemplarisch zitiert werden: Ich habe angefangen mit dem Ziel, in Lehre und Forschung zu bleiben. Da würde ich schon sagen, dass für das Ziel ein Graduiertenkolleg besser ist, wo der wissenschaftliche Nachwuchs ausgebildet wird. Er muss sich genau die Fähigkeiten aneignen, die man später als Professor braucht, und man hat auch die Möglichkeit dazu. In der Individualpromotion muss man das Angebot erst einmal selbständig finden und schauen, ob es für einen auch offen steht.
Ein zweiter Doktorand, der „gerne weiter an der Uni unterrichten und arbeiten“ würde, meint, dass die Promotion „eigentlich nicht so viel damit zu tun [hatte], außer dass ich Zeit hatte, Bücher zu lesen, über die ich dann unterrichten könnte. Eigentlich ist es nur der Titel, der mich dann berechtigt, eine Festanstellung zu kriegen, aber inhaltlich hat es nicht so viel miteinander zu tun“. Schließlich urteilt ein Individualpromovierender, der sich „für die wissenschaftliche Laufbahn weiterqualifizieren“ möchte: Es könnte mehr angemessen sein. Ich muss keine Vorträge halten. Ich muss nicht unterrichten. Ich muss nicht publizieren. Das alles brauche ich aber später. Dazu sollte man ermutigt werden, es sollte Bestandteil des Programms sein.
Hinweise auf bestimmte fehlende Schlüssel- oder Zusatzqualifikationen finden sich auch in anderen Antworten, etwa mit Blick auf die akademische Lehre: Während ein strukturiert Promovierender seine Promotion auch mit Blick auf die zu erwerbende Lehrqualifikation als adäquat einschätzt („Sollte ich eine universitäre Laufbahn einschlagen, da werde ich dann auch forschen und lehren, dafür ist es auf jeden Fall gut“), kommt ein Individualpromovierender zu dem Schluss, dass die Promotion an sich seinem beruflichen Ziel „Professor zu werden“ an-
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gemessen ist, jedoch gegenüber der Forschungskomponente die Lehrkomponente zu kurz kommt: [W]er in der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine Rolle spielen will, muss sich Gedanken machen können, [das heißt] nicht nur reproduzieren können, sondern eigenständig Wissenschaft produzieren können. Deshalb [ist] so eine Dissertation vielleicht sogar die beste Voraussetzung. Für die Forschung! Die Lehre bleibt natürlich außen vor.
Und auch der Erwerb der Zusatzqualifikation "Teamarbeit" wird, wie im Detail im Kapitel 3.6 dargestellt, in der strukturierten Doktorandenausbildung besonders unterstützt, wie ein strukturiert Promovierender hervorhebt: „Ich bilde mich nicht nur wissenschaftlich aus, sondern erwerbe weitere Kompetenzen und […] Schlüsselqualifikationen, [die] ich total wichtig finde, [wie] Arbeiten im Team, Zusammenarbeit“. Die ausschließliche Vorbereitung auf eine Tätigkeit in der Fachwissenschaft in seiner Promotionsform bemängelt ein Individualpromovierender – er würde sich die Vermittlung weiterführender Qualifikationen im Rahmen der Promotion wünschen: [D]ie Promotion [ist] so angelegt, dass ich eigentlich nur wissenschaftliches Arbeiten lerne und sonst nichts. Deshalb musste ich mir noch ganz viel nebenher suchen. Das spricht dann wieder für die strukturierten Programme, wo es gelernt wird. Ich habe mich auch direkt nach dem Studium beworben, aber für alle Stellen (außerhalb der Uni) in meinem Bereich war die Promotion Voraussetzung! Eigentlich braucht man sie gar nicht dafür, ist aber so in Deutschland. […] Eigentlich sollte die Promotion schon eine wissenschaftliche Funktion haben und dafür qualifizieren, deshalb darf es auch länger dauern und nur die Guten es machen, aber dann darf es nicht im gleichen Atemzug heißen, dass man ohne [die Promotion] keine Karriere machen kann außerhalb der Uni.
Die angeführten Beispiele unterstützen die im Kapitel 3.6 festgestellte Differenz zwischen den beiden Promotionsmodellen: Während in der Individualpromotion die Dissertation als selbständige wissenschaftliche Leistung im Mittelpunkt steht, wird diese Kernqualifikation in strukturierten Promotionsprogrammen durch verpflichtende wie freiwillige, die Dissertation unterstützende wie über sie hinausgehende Zusatzleistungen ergänzt. Die dadurch erworbenen Kompetenzen sind sowohl bei einer akademischen Laufbahn förderlich, als auch für eine außerwissenschaftliche Karriere von Vorteil. Ferner ist insbesondere das letzte Zitat ein Beleg aus der Praxis für die Diskrepanz der Inhalte der Promotion in Deutschland gegenüber ihrer im Kapitel 1.2 beschriebenen Funktion als „Talentsignal“ für Führungspositionen auch außer-
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halb des Hochschulbereichs: Während die (traditionelle) Promotion hauptsächlich auf eine wissenschaftliche Tätigkeit an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ausgerichtet ist, ist die Funktion des Doktorgrads in der Gesellschaft polyvalent. Diese Diskrepanz lösen die strukturierten Programme zum Teil auf – durch die im Kapitel 3.6 diskutierten Angebote im Bereich der wissenschaftlichen Zusatzqualifikationen scheinen sie eine bessere Vorbereitung für leitende Positionen innerhalb und außerhalb der Wissenschaft zu bieten und sind deshalb auch für Promotionskandidaten mit außerwissenschaftlichen Berufsinteressen attraktiv. Zumindest mit Blick auf die Disziplin Germanistik stellt sich hierbei jedoch die Frage, wie sich dieses potenziell polyvalente Profil mit der postulierten „Exzellenz“ der Programme sowie ihrer Förderung hauptsächlich aus öffentlichen Mitteln vereinbaren lässt. Müssten die besonders geförderten Programme, die ein aufwändiges Auswahlverfahren umfassen (vgl. 3.3) und „Exzellenz“ anstreben nicht auch möglichst ausschließlich zur Ausbildung des „exzellenten“ wissenschaftlichen Nachwuchses für die universitären Disziplinen genutzt werden? Um dieses Ziel zu erreichen, kommt den Auswahlverfahren sowie einer wissenschaftlich zugeschnittenen fachlichen Betreuung (vgl. 3.5) besondere Bedeutung zu. Die weitere Analyse der Antworten auf die genannten Fragen ergibt darüber hinaus eine dritte Feststellung: Die in strukturierten Programmen eingebundenen Befragten sind sich über ihre beruflichen Ziele weniger im Klaren als die Individualpromovierenden. Während das im Folgenden zitierte Antwortverhalten bei der Gruppe der Individualpromovierenden nicht vorkommt, fängt die Hälfte der strukturiert Promovierenden ihre Antwort auf die Frage nach ihren beruflichen Zielen mit einer Unsicherheitsbekundung an wie „Ich weiß noch nicht, was nach der Promotion aus mir wird“, „Ich bin mir selber noch unsicher über die Ziele“, oder „Weiß im Moment noch gar nicht, was ich beruflich genau machen will“. Dieses Ergebnis erscheint mit Blick auf die im Gegensatz zur Individualpromotion bei den strukturierten Programmen vorhandenen stark selektiven Auswahlverfahren auf den ersten Blick kontraintuitiv. Der zweite Blick jedoch führt zu der Überlegung, dass dies genau an der vorhandenen ‚angenehmen‘ Struktur der Programme liegen könnte – durch die gesicherte Finanzierung und den klaren, im Vergleich zur Individualpromotion stärker vorgegebenen Ablauf der Promotion besteht gewissermaßen keine Notwendigkeit, sich bereits während der Promotion auf bestimmte berufliche Ziele festzulegen. Auch ist eine individuelle Anpassung der ‚Promotionsaktivitäten‘ in einem im Vergleich zur Individualpromotion begrenzteren Maße möglich. Diese Überlegung weist zurück zur Frage der Aufgabe der Promotionsprogramme in der Ausbildung des fachwissenschaftlichen Nachwuchses: Sollte sich in einem breiteren Rahmen die These bestätigen, dass ein großer Teil der strukturiert Promovierenden weder eine klare
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Vorstellung von den beruflichen Zielen noch die Absicht zum Verbleib in der universitären Wissenschaft hat, könnte in diesem Punkt eindeutig nicht von einem Fortschritt gegenüber der Individualpromotion gesprochen werden. Wichtiger bei dieser Bewertung ist jedoch selbstverständlich die Frage, ob die Absolventen strukturierter Promotionsprogramme in der Realität häufiger eine akademische Anstellung finden oder nicht. Zu den Möglichkeiten zählen dabei neben der Berufung zum Professor unbefristete und befristete Anstellungen im akademischen Mittelbau wie Hochschul- bzw. Privatdozenten, Lehrkräfte für besondere Aufgaben, wissenschaftliche Mitarbeiter und Assistenten, akademische Räte, aber auch Lektoren oder abgeordnete Studienräte. Die hier untersuchten strukturierten Promotionsprogramme haben zum Zeitpunkt dieser Arbeit noch keine Absolventen, so dass konkret für sie die Frage (noch) nicht beantwortet werden kann. Die einzigen beiden existierenden Erhebungen mit Daten zum Absolventenverbleib betreffen die DFG-Graduiertenkollegs im Vergleich zur Individualpromotion (aufgeschlüsselt auch für die Geistes- und Sozialwissenschaften)298 sowie die Individualpromotion an sich (hier auch fachspezifisch für die Germanistik, dafür allerdings nur für die Abschlusskohorten von 1979/80, 1984/85 und 1989/90).299 Sie werden im Folgenden zur Untersuchung des Verbleibs promovierter Germanisten bzw. Geistes- und Sozialwissenschaftler herangezogen. Ein Indikator für die Absicht, eine akademische Laufbahn mit dem Ziel der Berufung zum Professor zu verfolgen, ist die Habilitationsneigung der Doktoranden.300 Zum Befragungszeitpunkt 1999, also je nach Kohorte zehn, 15 bzw. 20 Jahre nach der Doktorprüfung, haben 20 bis 25 Prozent der Individualpromovierten der Germanistik der 1980er bis 1990er Jahre eine Habilitation abgeschlossen oder streben sie an.301 Das durchschnittliche Habilitationsalter (bei den befragten Germanisten 41 Jahre) sowie die Angaben zur Habilitationsneigung bei der jüngsten Kohorte (1989/90) geben dabei einen Hinweis auf die Habilitationsdauer: Neun bis zehn Jahre nach Promotionsabschluss haben sich elf Prozent der promovierten Germanisten habilitiert, aber 14 Prozent habilitieren noch.302 Auf die lange Habilitationszeit weist, zusammen mit einer Skepsis ge298 Vgl. Enders/Kottmann: Neue Ausbildungsformen – andere Werdegänge? 299 Vgl. Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel? 300 Dies gilt besonders für den Untersuchungszeitraum der letzteren Studie, in dem die Juniorprofessur noch nicht existierte und die Habilitation die einzige bzw. zwingende Eingangsvoraussetzung für die weitere Hochschullaufbahn, insbesondere die Professur, darstellte. 301 Für alle Zahlangaben in diesem Absatz vgl. Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel?, S. 81. 302 Das Durchschnittsalter bei Benennung zum Professor betrug 2008 im Lehr- und Forschungsbereich Germanistik (Deutsch, germanische Sprachen ohne Anglistik) 42,9 Jahre. Vgl. Statistisches Bundesamt: Personal an Hochschulen 2008, S. 183.
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3 Promovieren in der Germanistik
genüber der Juniorprofessur und der ungenügenden Bezahlung auf dem Qualifizierungsweg, auch ein Individualpromovierender der für diese Arbeit durchgeführten Befragung hin: Professor möchte ich nicht werden, zumindest nicht in Deutschland. Ich möchte keine Habil. mehr schreiben. Die Juniorprofessur ist ein Gerücht und komplett gescheitert. Selbst diejenigen, die Juniorprofessoren sind, und das sind ganz wenige, haben solche Angst davor, dass [die Juniorprofessur] ihnen nichts bringt, dass sie nebenher habilitieren! Ich will da nicht noch mal acht bis zehn Jahre so sitzen, auch weiterhin schlecht bezahlt, wieder die hohen Publikationskosten.303
Für promovierte Germanisten stellen die Autoren der Studie hinsichtlich der beruflichen Situation unmittelbar nach Abschluss der Promotion ferner fest, dass sie „offenbar auf größere Probleme bei der Beschäftigungssuche“ als Promovierte anderer Fächer treffen sowie „sich zu diesem Zeitpunkt häufiger als arbeitslos“ bezeichnen: Im Vergleich zu 95 Prozent der promovierten Elektrotechniker, 89 Prozent der Wirtschaftswissenschaftler und 86 Prozent der Biologen und Mathematiker sind nur 68 Prozent der Germanisten, die sich im Zusammenhang mit dem Promotionsabschluss auf Beschäftigungssuche begeben haben, unmittelbar nach der Promotion in einer beruflichen Tätigkeit; elf Prozent (im Vergleich zu vier bis sieben Prozent bei anderen Disziplinen) bezeichnen sich als arbeitslos.304 Auch folgt auf die Promotion von den untersuchten Disziplinen bei den Germanisten am häufigsten (15 Prozent) eine weitere berufliche Ausbildung oder Weiterbildung, zumeist ein Volontariat oder Referendariat.305 Nach etwa einem Jahr haben 80 Prozent der befragten promovierten Germanisten ein Beschäftigungsverhältnis.306 Dabei sind bei Germanisten in den frühen Phasen nach der Promotion häufig befristete Verträge verbreitet. Ferner haben im Vergleich der Kohorten 1979/80 und 1989/90 bei den Germanisten (nicht jedoch bei den anderen untersuchten Fächern) Teilzeitbeschäftigungen eindeutig zugenommen (von 13 Prozent auf 27 Prozent). Ein Jahr nach der Promotion sind zudem 13 Prozent der Germanisten in freiberuflichen Tätigkeiten 303 Für umfassende Informationen zur Praxis und zu Perspektiven des Habilitationswesens exemplarisch an Universitäten in Bayern vgl. Berning et al.: Das Habilitationswesen an den Universitäten in Bayern. Weitere Informationen zu der Studie sind in Fußnote 295 im Kapitel 3.7 aufgeführt. Für Informationen zur Geschichte und Struktur der Habilitation in den Geisteswissenschaften vgl. grundsätzlich Brenner: Habilitation als Sozialisation. 304 Vgl. Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel?, S. 95f. „Unmittelbar“ ist dabei nicht in jedem Fall im zeitlichen Sinne zu verstehen, sondern bezieht sich in der Studie auf die erste Angabe zur beruflichen Situation nach der Promotion. 305 Vgl. ebd. 306 Für alle Zahlangaben in diesem Absatz vgl. ebd., S. 97-100.
3.8 Berufswege mit Doktorgrad
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auf der Basis von Honorar- und Werkverträgen (meist in Lehraufträgen an Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen sowie als freiberufliche Journalisten) anzutreffen.307 In welchen Einsatzbereichen werden die promovierten Germanisten tätig, wie viele arbeiten in Hochschule und Forschung und welchen Anteil hat konkret die Beschäftigung als Hochschullehrer? Die wichtigsten Bereiche beruflicher Tätigkeit waren zum Befragungszeitpunkt der Studie (1999) die Hochschule (33 Prozent der Erwerbstätigen promovierten Germanisten) und Schule bzw. Jugendoder Erwachsenenbildung (24 Prozent), einen weiteren Schwerpunkt bildeten im privaten Sektor die Bereiche Kunst, Kultur und Medien (21 Prozent).308 Sechs Prozent der Befragten arbeiteten in der öffentlichen Verwaltung und 16 Prozent in 17 weiteren Wirtschaftszweigen, die nicht separat dargestellt wurden, da sie weniger als fünf Prozent der Befragten der Germanistik umfassten. In „Hochschule und Forschung“, also auch außeruniversitärer Forschung, waren dabei nach der Promotion insgesamt 40 bis 50 Prozent der Germanisten beschäftigt. Als Professor ist 20 Jahre nach Promotionsabschluss etwa jeder fünfte promovierte Germanist tätig. Haben sich nun die beruflichen Werdegänge mit dem Aufkommen neuer Ausbildungsformen auf Promotionsebene, die besonders gefördert, strukturiert und mit Auswahlverfahren versehen sind, entscheidend verändert und Absolventen strukturierter Promotionsprogramme tatsächlich häufiger eine wissenschaftliche Anstellung an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen gefunden als Individualpromovierte? Von den strukturierten Programmen existieren, wie oben angegeben, bisher lediglich für die DFG-Graduiertenkollegs Vergleichszahlen.309 Zudem lassen 307 Der in der Studie weiter verfolgte Berufsweg (je nach Kohorte zehn bis 20 Jahre nach der Promotion) zeigt für in der Germanistik Promovierte, dass ihre Erwerbsbeteiligung zwei Jahre nach der Promotion bei etwa 90 Prozent liegt und über den gesamten restlichen Beobachtungszeitraum auf diesem Stand bleibt. Daraus sowie aus dem Disziplinenvergleich schlussfolgern die Autoren, dass „[d]er Berufsweg nach der Promotion [...] für Germanisten nicht nur in den ersten beiden Jahren insgesamt schwieriger als für die Promovierten anderen Fächer [verläuft]“. Vgl. ebd., S. 102. 308 Für alle Zahlangaben in diesem Absatz vgl. ebd., S. 109, 112f, 120 und 122. 309 Aufschluss über berufliche Werdegänge von Promovierten auch anderer strukturierter Programme im Vergleich zur Individualpromotion könnte das Promovierendenpanel ProFile liefern, das am Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (IQF) erstellt wird. Dort sollen zunächst Doktoranden aus den DFG-geförderten Promotionsprogrammen (Graduiertenkollegs und Sonderforschungsbereiche) und weitere Promovierende der teilnehmenden Hochschulen, später auch Doktoranden der Graduiertenschulen der Exzellenzinitiative und weiterer Promotionsprogramme (der Länder und außeruniversitärer Einrichtungen) mit Angaben zu ihrem Promotionsverlauf und beruflichen Verbleib erfasst werden. Die Befragung der Doktoranden ist als Längsschnittstudie zu Beginn der Promotion, nach Abschluss und erneut
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3 Promovieren in der Germanistik
sich diese Daten nicht fachspezifisch für Germanisten aufschlüsseln.310 Germanisten waren in der Studie jedoch ein Teil der Fächergruppe Geistes- und Sozialwissenschaften. Für diese Gruppe der – sei es im Rahmen eines Graduiertenkollegs oder in Individualpromotion – Promovierten können Daten zur Orientierung herangezogen werden: Der Erwerbsstatus zum Zeitpunkt der mündlichen Prüfung, also eine Anstellung, Selbständigkeit, Arbeitslosigkeit etc., ist bei den ehemaligen Mitgliedern eines Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft (im Folgenden als „Kollegiaten“ bezeichnet) in den Geistes- und Sozialwissenschaften nicht signifikant anders als bei den Individualpromovierten (oder den vorangehend betrachteten Germanisten in Individualpromotion).311 Die beiden untersuchten Gruppen unterschieden sich jedoch hinsichtlich der Wissenschaftsnähe ihrer Tätigkeit, die sich zudem zwischen den beiden Zeitpunkten „Promotionsabschluss“ und „Zeitpunkt der Befragung“, das heißt nach mindestens fünf Jahren, ca. vier Jahre später vorgesehen. Untersucht werden soll dabei, ähnlich wie bei der Studie von Jürgen Enders und Andrea Kottmann, u. a. der mögliche Einfluss der zunehmenden Strukturierung der Promotionsphase auf spätere Karrieremuster der Promovierten in Deutschland. Darüber hinaus soll das Panel „eine Grundlage für eine flächendeckende Erfassung von Promovierenden“ schaffen. URL (24.5.2010): http://www.forschungsinfo.de/Projekte/ProFile/projekte_ profile_lang.asp. 310 Eine Einzelauswertung für die Germanistik wurde nicht durchgeführt und wird von der Mitautorin Andrea Kottmann wegen der geringen Fallzahl nicht für sinnvoll gehalten, sondern Germanisten wurden in die Kategorie „Sprach- und Literaturwissenschaften“ bzw. in der Fächergruppe „Geistes- und Sozialwissenschaften“ integriert. Vgl. Enders/Kottmann: Neue Ausbildungsformen – andere Werdegänge?, S. 29-34 und S. 203f sowie schriftliche Mitteilung Andrea Kottmann, E-Mails vom 13. Oktober 2009. 311 Vgl. Enders/Kottmann: Neue Ausbildungsformen – andere Werdegänge?, S. 89. Lediglich die bei den Kollegiaten häufiger vorhandenen Stipendien (12 Prozent, gegenüber 3 Prozent bei anderen Promovierten) werden bei den Individualpromovierenden durch einen etwas höheren Anteil der abhängigen Erwerbstätigkeit (68 Prozent, gegenüber 63 Prozent bei den Kollegiaten) sowie der selbständigen oder freiberuflichen Erwerbstätigkeit (13 Prozent, gegenüber sieben Prozent bei den Kollegiaten) kompensiert; in allen anderen Erwerbsstatuskategorien sind die Anteile beider Gruppen identisch (jeweils zu sieben Prozent berufliche Weiterbildung, zu acht Prozent Arbeitslosigkeit oder Beschäftigungssuche und zu zwei Prozent die Tätigkeit als Hausfrau/-mann bzw. in der Kindererziehung). Vgl. ebd. Die Unterschiede nivellieren sich zudem bei einer vergleichenden Betrachtung der Aussagen mit Angaben zum Zeitpunkt der Befragung, das heißt mindestens fünf Jahre nach Promotionsabschluss. Zu dem Zeitpunkt gehen 83 Prozent der ehemaligen Kollegiaten (der niedrigste Anteil von allen Fächergruppen) sowie 84 Prozent der Individualpromovierenden (hier besteht kein signifikanter Unterschied zu anderen Fächergruppen) einer abhängigen Erwerbstätigkeit nach, neun Prozent der ehemaligen Kollegiaten (hierbei wiederrum der bei weitem höchste Wert im Disziplinenvergleich) und 13 Prozent der Individualpromovierenden sind selbständig oder freiberuflich tätig und alle anderen Kategorien des Erwerbsstatus haben ähnliche, im Gesamtbild kaum eine Rolle spielende Werte. Vgl. ebd., S. 97. Einbezogen wurden zwischen den Jahren 1990 und 2000 Promovierte, die Erhebung fand 2005 statt.
3.8 Berufswege mit Doktorgrad
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deutlich verändert: Während zum Zeitpunkt der mündlichen Prüfung 59 Prozent der Kollegiaten, aber nur 43 Prozent der Individualpromovierten, in einer wissenschaftsnahen Tätigkeit an einer Hochschule („Forschung und Lehre an Hochschule“) beschäftigt sind, verringert sich der Abstand innerhalb der nächsten mindestens fünf Jahre: Dann sind 54 Prozent der Kollegiaten bzw. 49 Prozent der Individualpromovierten dort tätig.312 Eine ähnliche Annäherung kann bei Untersuchung der beruflichen Position der beiden Gruppen festgestellt werden: Während zum Zeitpunkt des Promotionsabschlusses Individualpromovierte der Geistes- und Sozialwissenschaften häufiger in leitenden Positionen tätig sind (16 Prozent, gegenüber fünf Prozent der Kollegiaten) nähern sich die Anteile nach einigen Jahren an, wobei die Individualpromovierten nach wie vor häufiger (29 Prozent, gegenüber 25 Prozent bei ehemaligen Kollegiaten) in leitenden Positionen beschäftigt sind.313 Insgesamt betrachtet sind im Anschluss an ihre Promotion die Absolventen der Graduiertenkollegs in den Geistes- und Sozialwissenschaften zwar etwas häufiger in Forschung und Lehre an Hochschulen tätig als Individualpromovierten. Letztere wiederum sind häufiger in leitenden Positionen zu finden. Was könnten Gründe für diese Verteilung sein? Die Einbeziehung der in früheren Kapiteln dargestellten Ergebnisse der für diese Arbeit durchgeführten Befragung legt die während der Promotion etablierten ‚Arbeitsverhältnisse‘ als einen Grund nahe: Während die in strukturierten Promotionsformen eingebundenen Doktoranden die universitären Strukturen besser kennen und dort ein Netzwerk aufgebaut haben, das ein Verbleiben in der Hochschule erleichtern mag, scheinen die außerhalb solcher Strukturen Promovierenden wiederum ihre Kontakte und ihr Netzwerk außerhalb der Hochschule zu nutzen und dort leichter leitende Positionen zu besetzen. Wie im Kapitel 3.4 gezeigt wurde, finanzieren sich beispielsweise viele Individualpromovierende der Germanistik extern und verfolgen vermutlich die bestehende Tätigkeit nach der Promotionsprüfung zunächst weiter. So kann mit dem Aufkommen neuer Ausbildungsformen auf Promotionsebene – zumindest der DFG-Graduiertenkollegs – allerdings keine entscheidende Veränderung der beruflichen Werdegänge der Doktoranden in Geistes- und Sozialwissenschaften festgestellt werden: Sowohl die Wissenschaftsnähe als auch die beruflichen Positionen beider Gruppen nähern sich spätestens nach einigen Jahren nach der Promotion größtenteils an. Auch kann anhand der zum Zeitpunkt dieser Arbeit zur Verfügung stehenden Vergleichsdaten nicht geschlussfolgert werden, dass die Absolventen strukturierter Promotionsprogramme in der Realität häufiger eine akademische Anstellung finden würden – etwa die Hälfte der 312 Vgl. ebd., S. 91 und S. 98. 313 Vgl. ebd., S. 93 und S. 101.
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3 Promovieren in der Germanistik
Promovierten beider Gruppen arbeitet einige Jahre nach Promotionsabschluss in Forschung und Lehre an einer Hochschule. Obwohl also „[e]in zentrales Ziel des Programms der Graduiertenkollegs […] darin [besteht], besonders begabten Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit zur Promotion zu geben“,314 hat sich der Anteil der tatsächlich als Nachwuchswissenschaftler tätigen Promovierten weder gegenüber der Vergleichsgruppe der anderen Promovierten noch gegenüber den Werten der Individualpromovierenden der Germanistik in den 1980er Jahren steigern lassen. Auch die Ergebnisse der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Befragung geben keinen Anlass zur Vermutung eines höheren Verbleibs in der universitären Wissenschaft bei den Doktoranden der strukturierten Programme – wie festgestellt, unterscheidet sich der Anteil der Promovierenden, der eine Wissenschaftskarriere anstrebt, bei beiden Gruppen nicht. Zusammenfassend deuten alle angeführten Daten darauf hin, dass unabhängig vom gewählten Promotionsmodell jeweils nur etwa die Hälfte der Doktoranden der Germanistik in der Wissenschaft an Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen verbleiben wird. Dieses Ergebnis wirft Fragen hinsichtlich der Sinnhaftigkeit von zusätzlich eingesetzten öffentlichen Mitteln für die Förderung der strukturierten Promotionsprogramme und der darin eingebundenen Doktoranden sowie der Zweckmäßigkeit der aufwändigen Auswahlverfahren und der postulierten Exzellenz der Programme auf. Andererseits ist Quantität nicht gleich Qualität. Künftige Evaluationen des wissenschaftlichen Erfolges der dann im Idealfall als Germanistik-Professoren arbeitenden Vertreter beider Gruppen könnten zeigen, ob sich die von den Befragten berichtete mit Blick auf ihre beruflichen Ziele höhere „Angemessenheit“ der strukturierten Promotion, in der die Kernqualifikation Forschung durch weitere wissenschaftliche Zusatzqualifikationen und dichtere Betreuung ergänzt wird, auch in qualitativ hochwertigeren Leistungen in germanistischer Forschung und Lehre widerspiegelt. Um diese Chance zu nutzen, erscheint allerdings eine Doktorandenausbildung notwendig, die inklusive der wünschenswerten Zusatzqualifikationen sowohl möglichst wissenschaftsorientiert als auch disziplinär fokussiert ist. Denn zum einen ist die Anzahl der wissenschaftlichen Stellen des Faches begrenzt – nach einem Stellenabbau von sechs Prozent zwischen 1992 und 1998315 umfasste 314 Ebd., S. 15. 315 Vgl.: „Wenn die Stellen-Ausstattung des universitären Faches Germanistik, das Lehre und Forschung auf dem Gebiet “Deutsche Sprache und Literatur” zu betreiben hat, ein Indiz für die gesellschaftliche Wertschätzung dieser Aufgabe ist, dann sieht es auch hier nicht rosig aus. Die Zahlen des Statistischen Bundesamts und der Kultusministerien zeigen in den letzten Jahren
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das hauptberufliche wissenschaftliche Personal im Lehr- und Forschungsbereich Germanistik (Deutsch, germanische Sprachen ohne Anglistik) im Zeitraum 1999 bis 2008 zwischen 2.368 und 2.469 Personen, 2008 waren davon 620 Professoren.316 Und zum anderen werden die Stellen in aller Regel disziplinenspezifisch ausgeschrieben, eine starke interdisziplinäre Orientierung kann also ein Karriererisiko darstellen bzw. mit Blick auf eine angestrebte wissenschaftliche Laufbahn ist eine disziplinäre Ausrichtung von strategischer Bedeutung.317 Der germanistische Doktorgrad ist zwar in Bezug auf seine potenziellen beruflichen Anschlussverwendungen polyvalent, aber gerade diejenigen Promovierten, die Spitzenpositionen in der Wissenschaft besetzen, werden als Professoren die künftige Germanistik entscheidend prägen. Als besonders geförderte Nachwuchsausbildungsformen sollten die strukturierten Promotionsprogramme deshalb auch auf den wissenschaftlichen Nachwuchs ausgerichtet sein und der zusätzliche finanzielle, strukturelle und personelle Aufwand zur Stärkung des Faches Germanistik durch eine möglichst wissenschaftsnahe und disziplinäre Ausbildung der ausgewählten Promovierenden genutzt werden.
eindeutig einen negativen Trend. Im Zeitraum von 1992 bis 1998 sind allein im höheren Dienst etwa 120 Stellen, d.h. ca. 6% [sic] abgebaut worden. Die Prognosen für die Zukunft sind noch düsterer; setzt sich der Abbau im Umfang des letzten Jahres fort – und die allseitigen Sparpläne weisen darauf hin -, muß man davon sprechen, daß das Fach allmählich regelrecht demontiert wird“. Holly: Ist Germanistik noch „in“? (ohne Seitenangabe). 316 Vgl. Statistisches Bundesamt: Personal an Hochschulen 2008, S. 33 und S. 183. 317 Vgl.: „Bei aller Interdisziplinarität darf gleichwohl nicht übersehen werden, dass für die […] Mitarbeiter in interdisziplinären Projekten ein erhöhtes Karriererisiko besteht. Indem sie die Kernbereiche ihrer jeweiligen Disziplinen verlassen und sich an deren Ränder oder gar darüber hinaus wagen, laufen sie Gefahr, bei allfälligen Neubesetzungen von Professuren, deren Denomination sich fast immer an einzelnen Fachgebieten orientiert, unberücksichtigt zu bleiben. Hier besteht vor allem für den deutschen Wissenschaftsraum ein nicht zu vernachlässigendes Motivationsproblem für den wissenschaftlichen Nachwuchs und eine zentrale Herausforderung für dessen Förderung“. Krull: Humboldt, adieu!, S. 67. Ähnlich äußert sich ein Koordinator eines in dieser Arbeit untersuchten Programms: „Disziplinäre Verortung [ist] für uns die Grundlage kulturwissenschaftlicher Zusammenarbeit. [Es ist aber auch eine] pragmatische Überlegung: Nach der Promotion gehen alle im besten Fall an Lehrstühle, bewerben sich wieder disziplinspezifisch. [Die Disziplinarität ist] also sowohl inhaltlich im Verständnis von Interdisziplinarität als auch karrierestrategisch wichtig“.
4 English studies in den USA
4.1 Verortung in den humanities Die einfache Gegenüberstellung von Diltheys Sammelbegriff „Geisteswissenschaften“ und der im anglo-amerikanischen Raum üblichen Bezeichnung humanities könnte den Gedanken nahe legen, dass es sich um verschiedene Disziplinenzuschnitte handelt, die sich vom Begriff aus in einem Fall wissenschaftlich mit den Erzeugnissen des Geistes und im anderen Fall wissenschaftsneutral mit der Menschenwelt befassen.318 Und einige Unterschiede zwischen den beiden an die Begriffe geknüpften Fächergruppen gibt es tatsächlich. So hat die im Kapitel 2.1 thematisierte Dichotomie von humanities und sciences in den USA Auswirkungen auf die Struktur der Forschungsfinanzierung: Während bei den deutschen Geisteswissenschaften die Drittmittelförderung innerhalb einer zentralen Agentur für alle Disziplinen, der DFG, stattfindet, erfolgt sie für die humanities im Rahmen der separaten Förderagentur National Endowment for the Humanities (NEH). Dadurch müssen die humanities ihre Förderansprüche strukturell bedingt in Konkurrenz mit den Agenturen anderer Fächergruppen legitimieren und ‚erkämpfen‘.319 Diese Ausgangslage wird offensichtlich auch nicht signifikant gelindert durch die den Geisteswissenschaften in den USA zur Verfügung stehenden Drittmittel privater Stiftungen: Wenngleich im Eigenbericht deren Gesamtsumme beeindruckend hoch ist (im Jahr 2002 haben demnach 683 Stiftungen 335 Millionen Dollar für die humanities gestiftet, im Vergleich zu einem Budget der Förderagentur NEH von 148.5 Millionen Dollar im gleichen Jahr),320 ist dabei zu 318 Die Ausführungen in diesem Kapitel basieren zum Teil auf Bosbach: U.S.Arts and Figures. 319 Zu diesen Förderagenturen gehören beispielsweise die National Science Foundation (NSF) für Natur- und Ingenieurwissenschaften oder die National Institutes of Health (NIH) für die Lebenswissenschaften. URLs (24.5.2010): http://www.nsf.gov/ sowie http://www.nih.gov/. Sicherlich treten die Geisteswissenschaften auch innerhalb der DFG in Konkurrenz mit anderen Fächergruppen, etwa wenn es um die Bewilligung von Graduiertenkollegs geht, die nicht quotenbasiert ist, sie müssen sich aber nicht mit einer eigenen Förderorganisation gegen die Agenturen anderer Fächergruppen behaupten. 320 Bei der NEH entfallen dabei etwa 15 Prozent an die Verwaltung und 85 Prozent auf die Programme. Bei den mitgezählten Stiftungsförderungen handelte sich um grants in Höhe von
E. Bosbach, Promotion in den Geisteswissenschaften, DOI 10.1007/978-3-531-94142-4_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4 English studies in den USA
beachten, dass die Förderung hauptsächlich an Museen (25 Prozent der Gesamtfördersumme), historische Gesellschaften (24 Prozent) sowie – aufgrund einer recht breiten Definition der humanities speziell in diesem Bericht – an angewandte Disziplinen wie Sozialwissenschaften oder Bioethik gerichtet war und weniger an die geisteswissenschaftlichen Kernfächer. Bei diesen konnte teilweise im Gegenteil eine klare Abnahme der Förderung innerhalb der zehn Jahre von 1992 bis 2002 festgestellt werden, so etwa bei den Literaturwissenschaften oder den Fremdsprachenphilologien. Darüber hinaus fällt insbesondere im Fächervergleich auf, dass die stiftungsbasierte Finanzierung der humanities insgesamt zwischen 1992 und 2002 langsamer wuchs als diejenige im Durchschnitt aller Disziplinen.321 Neben den unterschiedlichen strukturellen Rahmenbedingungen können traditionelle inhaltliche Differenzen zwischen den stärker kulturwissenschaftlich ausgerichteten humanities in den USA und den in den Anfängen durch den deutschen Idealismus geprägten Geisteswissenschaften in Deutschland angeführt werden, die jedoch durch den gegenseitigen Einfluss zunehmend relativiert werden. So wird die Wirkung anglo-amerikanischer Kulturwissenschaften auf die Geisteswissenschaften in Deutschland im Manifest der Geisteswissenschaften (2005) folgendermaßen kritisiert: [Die Tradition der humanities] ist durch das Kulturwissenschaftsmodell geprägt; und dieses Modell steht im Gegensatz zum idealistischen Modell der Geisteswissenschaften, das an deren Wiege stand. Solange dieser Gegensatz nicht klar und wissenschaftssystematisch keine Entscheidung über die eigene Entwicklungsperspektive herbeigeführt ist, bleibt es bei Mischformen, die einen wesentlichen Teil der gegenwärtigen systematischen und institutionellen Schwäche der Geisteswissenschaften in Deutschland ausmachen.322
Neben dem asynchronen wechselseitigen Einfluss ist der gemeinsame Ursprung von den an mittelalterlichen europäischen Universitäten gelehrten septem artes 10.000 Dollar oder mehr. Für den Bericht über die stiftungsbasierte Finanzierung der humanities vgl. Foundation Center: Foundation Funding for the Humanities. Teil des umfassenden Berichts ist ein Ranking der 25 hinsichtlich ihrer Förderung der humanities im Jahr 2002 führenden U.S.-amerikanischen Stiftungen. Für die historische Entwicklung des NEH-Budgets von 1966 – 2009 vgl. URL (24.5.2010): http://www.nhalliance.org/bm~doc/neh_fundinghisto ry_feb2010.pdf. 321 Vgl. Foundation Center: Foundation Funding for the Humanities, S. 1. Für Informationen zur qualitativen Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland seit 1990 (Stand 2006) vgl. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften, S. 19-49 und S. 84-96. 322 Gethmann et al.: Manifest Geisteswissenschaft, S. 11.
4.1 Verortung in den humanities
173
liberales (vgl. 1.2) hervorzuheben und die zentrale Rolle beider Fächergruppen bei der Ausbildung der nationalen Identität in den jeweiligen Ländern. Hierbei tritt insbesondere der Beitrag der Muttersprachenphilologien Germanistik in Deutschland (vgl. 2.2) und English studies in den USA hervor.323 Die Bedeutung der English studies lag unter anderem in der nicht selbstverständlichen Durchsetzung des Englischen als einigende ‚Sprache der Nation‘ unter vielen unterschiedlichen Sprachen und Dialekten der verschiedenen Einwanderergruppen, die nur zu einem Bruchteil Englisch als Muttersprache hatten. Ferner ist die Menge der Disziplinen, die unter den beiden Begriffen in beiden Ländern subsumiert werden, fast deckungsgleich. Die Abgrenzungsschwierigkeiten der Geisteswissenschaften mit ihrem hauptsächlich interpretativen Ansatz gegenüber den stärker quantitativ und statistisch ausgerichteten Sozialwissenschaften (social sciences) sowie die auf der anderen Seite relativ eindeutig zu den „Geisteswissenschaften“ bzw. humanities gehörenden Disziplinen wie Literaturwissenschaften oder Geschichte sind beiden Fächergruppen gemeinsam. Deshalb wird im Folgenden für beide Länder einheitlich der Terminus „Geisteswissenschaften“ verwendet. Wie in Deutschland arbeiten auch in den USA Wissenschaftsorganisationen und weitere Akteure in der Wissenschaftspolitik mit einer überwiegend durch Einzeldisziplinen charakterisierten Sammeldefinition der Geisteswissenschaften. So beziehen sich z. B. sowohl das Foundation Center, das 2004 den weiter oben zitierten Bericht zur Finanzierung der U.S.-Geisteswissenschaften herausgegeben hat, als auch die nationale Interessenorganisation National Humanities Alliance324 bei der Begriffsbestimmung der Geisteswissenschaften auf das Gesetz National Foundation on the Arts and the Humanities Act, das der U.S.-Kongress 1965 verabschiedet hat: Laut § 952 des Gesetzes umfasst der Begriff „Geisteswissenschaften“ das Studium und die Erschließung der modernen und klassischen Sprachen, der Sprachwissenschaft, Literatur, Geschichte, Jura, Philosophie, Archäologie, vergleichenden Religionswissenschaft, Ethik, Geschichte, der Kunsttheorie und -kritik sowie derjenigen Teilgebiete der Sozialwissenschaften, die geisteswissenschaftliche Inhalte haben und geisteswissenschaftliche Methoden verwenden. Darüber hinaus beinhaltet der Begriff demnach das Studium und 323 In dieser Arbeit wird die Muttersprachenphilologie als English studies bezeichnet, also der neuere, seit den 1980er Jahren zunehmend gebrauchte Begriff für die Disziplin English verwendet (vgl. 4.2). Bei herangezogenen Ergebnissen anderer Studien wird die in der jeweiligen Studie verwendete Fachbezeichnung übernommen, zum Beispiel English bei der Ph.D.´s - Ten Years Later Study. 324 Vgl. URL (24.5.2010): http://www.nhalliance.org/. Für einen Überblick über die fachspezifischen Organisationen der Geisteswissenschaften in den USA vgl. Weiland: Disciplinary Associations: Humanities.
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4 English studies in den USA
den Einsatz der Geisteswissenschaften in der Umgebung des Menschen, bei besonderer Beachtung der Reflexion unseres vielfältigen Kulturerbes, der Traditionen und der Geschichte sowie der Relevanz der Geisteswissenschaften bezüglich der aktuellen Lage der Nation.325 Diese gesetzliche Definition ist hinreichend offen und ermöglicht sowohl unterschiedliche Interpretationen als auch bedarfsgerechte Erweiterungen. Ähnlich offen werden die Geisteswissenschaften 1980 im einflussreichen Bericht The Humanities in American Life der United States Rockefeller Commission on the Humanities durch ihre Funktion für den Menschen umschrieben: Sie spiegelten sein Selbstbild und sein Bild über die Welt. Durch die Geisteswissenschaften werde über die fundamentale Frage reflektiert, was es hieße, ein Mensch zu sein. Die Geisteswissenschaften böten dabei Anhaltspunkte, aber nie eine vollständige Antwort.326 Das bisher größte Projekt zur zentralen Sammlung und Veröffentlichung existierender Informationen über Geisteswissenschaften in den USA ist das Humanities Indicators Projects der American Academy of Arts and Sciences. Der Projektleiter Prof. Norman Bradburn, Ph.D., grenzt die Geisteswissenschaften ab von den Naturwissenschaften, die die Welt durch Empirie, Experimente, systematische Beobachtung und Modellbildung erschlössen und versuchten, ihre Ergebnisse in mathematischer Sprache auszudrücken. Demgegenüber seien die Methoden der Geisteswissenschaften qualitativ, interpretativ, deskriptiv, historisch und narratologisch und ihre Ziele vielmehr Verständnis und Interpretation als Erklärung und Vorhersage.327 Das Humanities Indicators Project wird in den folgenden Kapiteln von Bedeutung sein, da aus ihm Daten über die Situation in den English studies gewonnen werden. Auch könnte die umfangreiche Initiative als Modell für künftige geisteswissenschaften-bezogene Bildungsforschung in Deutschland dienen. Als Ausgangsfrage des von der Andrew W. Mellon Foundation328 mit über 700.000 Dollar geförderten Projekts formulierte Bradburn: ‚Wenn man für einen Moment annimmt, dass wir wissen, was Geisteswissenschaften sind – was würden wir 325 Frei übersetzt nach: National Foundation on the Arts and the Humanities Act, § 952 Definitions, S. 2. 326 Vgl. Commission on the Humanities: The Humanities in American Life, S. 1. 327 Vgl. Bradburn: Making the Humanities Count, S. 2. 328 Die Andrew W. Mellon Foundation finanziert Förderprogramme in den fünf Bereichen Hochschulwesen und Forschung, Wissenschaftskommunikation und Informationstechnologie, Museen und Denkmalpflege, Darstellende Kunst sowie Umweltschutz. Die Stiftung ist die größte private Förderorganisation der Geisteswissenschaften in den USA. Vgl. Foundation Center: Foundation Funding for the Humanities, S. 5 sowie URL (24.5.2010): http://www.mellon. org/about_foundation/mission.
4.1 Verortung in den humanities
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gerne über sie wissen?’329 Das Projekt hat zum Ziel, existierende Daten und Informationen über die Geisteswissenschaften in den USA an einer Stelle zentral zu sammeln, auszuwerten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Material wird dabei in fünf Unterkategorien aufgeteilt: Primar- und Sekundarbereich, Tertiärer Bildungsbereich, Forschung und Förderung in den Geisteswissenschaften, der geisteswissenschaftliche Arbeitsmarkt sowie Geisteswissenschaften im Alltag der USA. Darüber hinaus sollen fehlende, aber benötigte Daten identifiziert und geisteswissenschaftlich-spezifische Fragen zur Ergänzung existierender Befragungen formuliert werden. Vorbild für die Initiative waren u. a. die Science and Engineering Indicators, ein umfassendes Datenset über die Natur- und Ingenieurwissenschaften, das seit 1972 alle zwei Jahre von der National Science Foundation herausgegeben wird.330 Ein weiterer Grund für die Auflage des Humanities Indicators Projects waren die Ergebnisse der Studie Making the Humanities Count: The Importance of Data, die die Initiative for the Humanities and Culture 2002 publizierte. Darin wurden trotz der allgemein umfassenden Datenerhebungen in den USA fehlende Informationen hinsichtlich der Geisteswissenschaften festgestellt und gleichzeitig auf die Wichtigkeit solcher Informationen hingewiesen.331 Die umfangreichste Erhebung von Daten konkret zur Doktorandenausbildung in den USA wird jährlich vom National Opinion Research Center at the University of Chicago (NORC) durchgeführt. Es werden dabei fächerübergreifend alle Promotionsabsolventen U.S.-amerikanischer Hochschulen im Erhebungsjahr befragt, und die Rücklaufquote beträgt seit 1975 konstant zwischen 90 und 96 Prozent.332 Die insgesamt 37 erfassten Disziplinen der Geisteswissenschaften werden bei der Erhebung in die vier Kategorien Geschichte, Fremdsprachenphilologien, ‚weitere Geisteswissenschaften’ (z. B. Archäologie, Philoso329 Vgl. Bradburn: Making the Humanities Count, S. 3. 330 Vgl. URL (24.5.2010): http://www.nsf.gov/statistics/seind06/. 331 Vgl. American Academy of Arts and Sciences: Making the Humanities Count. Patricia Meyer Spacks, zweite Projektleiterin des Humanities Indicators Projects, erklärte die Notwendigkeit einer solchen Initiative mit der Feststellung, dass es in den Geisteswissenschaften insbesondere im Vergleich mit den Natur- und Ingenieurwissenschaften an finanzieller Förderung und statistischen Daten fehle. Vgl. URL (24.5.2010): http://amacad.org/news/humanities_ind_rls3.aspx. Die Ergebnisse des Projekts werden laufend aktualisiert unter American Academy of Arts and Sciences: Humanities Indicators Project bzw. der URL (24.5.2010): http://www.humanitiesin dicators.org/default.aspx. 332 Die Erhebung wird seit 1957 durchgeführt (seit 1997 von NORC) und von der National Science Foundation, dem U.S. Department of Education, dem National Endowment for the Humanities und drei weiteren Regierungsorganisationen gefördert und beaufsichtigt. Die erhobenen Daten fließen in die nationale Datenbank Doctorate Records File ein, die bereits für Promotionsabsolventen zwischen 1920 und 1956 Grunddaten enthält. Vgl. Hoffer et al.: Doctorate Recipients from United States Universities, S. 151.
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phie, Musik, Theater oder die Religionswissenschaft) und Letters aufgeteilt. Einen wichtigen Bestandteil der Kategorie Letters bilden die English studies, mit den Subdisziplinen amerikanische Literatur sowie englische Sprache und Literatur. Ferner umfassen Letters die Disziplinen Altphilologie, vergleichende Literatur, Volkskunde, Linguistik sowie Sprechkunde und Rhetorik.333 Andere für diese Arbeit herangezogene Datenquellen bezeichnen die Gesamtheit der Subdisziplinen wie englische und amerikanische Literatur und englische Sprache zusammenfassend als English. So etwa die von der Mellon Foundation und der National Science Foundation geförderte Ph.D.´s - Ten Years Later Study, eine 1996/1997 durchgeführte nationale Befragung über Karrierewege von Promovierten zehn bis 13 Jahre nach Promotionsabschluss. An der Umfrage der Studie haben zwischen 1982 und 1985 Promovierte von 61 Universitäten aus den Disziplinen English, Biochemie, Informatik und Elektromechanik, Politikwissenschaft und Mathematik teilgenommen, wodurch 57 Prozent aller zwischen 1982 und 1985 in diesen Disziplinen verliehenen Doktorgrade detailliert erfasst wurden. Von den insgesamt fast 6.000 Befragten promovierten 1.217 im Fach English.334 Im Gegensatz zur Heterogenität der Benennung der germanistischen Institute bzw. der Disziplin Germanistik in Deutschland (vgl. Kapitel 3.1.1) scheinen die Institutsbezeichnungen der English studies in den USA nicht zu divergieren,
333 Vgl. ebd., S. 170 und S. 172. 334 Die Rücklaufquote betrug fächerübergreifend 66 Prozent bei U.S.-amerikanischen Staatsbürgern und permanent residents sowie 52 Prozent bei ausländischen Wissenschaftlern, die zum Zeitpunkt der Promotion ein temporäres Visum hatten. Die Fragen der Studie betrafen die Themen Entscheidungsprozesse bei der Suche des Erstberufes im Anschluss an die Promotion, aktueller Beruf (die dort benötigten Qualifikationen, Zufriedenheit, Einkommen etc.) sowie rückblickende Evaluation des Doktorandenprogramms und der Nützlichkeit des Doktorgrades. Neben den Daten zu diesen Themen waren Ergebnisse der Studie good practiceEmpfehlungen für graduate schools und Hochschuladministratoren zur Verbesserung der Doktorandenausbildung. Die Ergebnisse der Befragung wurden in fachspezifischen Aufsätzen publiziert, deren Übersicht sich unter folgender URL (24.5.2010) findet: http://depts.washington. edu/cirgeweb/c/research/phd-career-path-surveys/phds-ten-years-later/. Die Studie war dabei Teil der Aktivitäten des Center for Innovation and Research in Graduate Education (CIRGE) an der University of Washington, das sich als eines der Ziele die Sammlung und Erforschung von Informationen zu Karriereverläufen von Promovierten sowie Befragungen der Promovierten im späteren Berufsverlauf rückwirkend über ihre Promotion gesetzt hat. Dabei wurde neben der Ph.D.´s – Ten Years Later-Studie, die auch das Fach English umfasste, noch die auf Kunstgeschichte zugeschnittene Art History Ph.D.‘s – A Decade LaterStudie sowie schließlich Social Science Ph.D.‘s – 5 Years Out für Anthropologie, Kommunikationswissenschaft, Geographie, Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie durchgeführt. Vgl. Nerad: Doctoral education in the USA, S. 140 sowie URL (24.5.2010): http://depts. washington.edu/cirgeweb/c/research/phd-career-path-surveys/.
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sondern die Institute sich meist einheitlich als Department of English zu bezeichnen.335 Dieser Arbeit wird eine Definition der English studies als der wissenschaftlichen Beschäftigung mit englischsprachiger Literatur und der englischen Sprache in den Vereinigten Staaten von Amerika zu Grunde gelegt. Unter dem Begriff „Anglisten“ werden folglich Doktorandinnen und Doktoranden bzw. promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der so definierten Disziplin English studies verstanden.336 4.2 Von Homogenität zu Heterogenität – 130 Jahre Doktorandenausbildung in den English studies Die ersten Doktorgrade in den USA werden 1861 an der Universität Yale verliehen, die erste graduate school 1876 an der Johns Hopkins Universität gegründet.337 Der erste Ph.D. (Philosophiae Doctor), der für English studies geltend gemacht werden kann, wird ebenfalls auf 1876 datiert – er wird von der Universität Harvard im Fach English Literature für eine Dissertation zu Theorien über Shakespeares Sonette an Robert Grant (1852-1940) verliehen.338 In ihrer über 130-jährigen Geschichte durchläuft die Doktorandenausbildung in den English studies Veränderungen, die für die heutige Gestalt des Faches und seine Promotionsausbildung prägend sind. Um die gegenwärtige Praxis der Doktorandenausbildung in den English studies zu kontextualisieren und die Erfahrungen für Deutschland und die Germanistik nutzbar zu machen, werden im Folgenden die Entwicklung der Promotion in English studies sowie die wichtigsten Herausforderungen des Faches dabei skizziert. Da in den USA fachspezifisch aufbereitete Informationen über die Geschichte der Doktorandenausbildung in English studies vorliegen, wird direkt auf diese Entwicklung eingegangen, im Unterschied 335 So beispielsweise an den Universitäten Harvard, Princeton, Yale, Stanford, CUNY und NYU. Im Gegensatz dazu heißt das Institut an der Columbia University Department of English and Comparative Literature. 336 Vgl. Fußnote 2. 337 Vgl. Golde: Preparing Stewards of the Discipline, S. 3, Nettles/Millett: Three Magic Letters, S. 3. Die ersten Doktorgrade wurden dabei in Yale in den Fächern Philosophie und Psychologie an E. Schuyler, in Physik an A. W. Wright sowie in der Altphilologie an J. M. Whiton verliehen. Vgl. Allen: The Ph.D. in English and American Literature, S. 7. Zum akademischen Grad Ph.D. sowie zu den Institutionen college und graduate school vgl. Kapitel 5 und 5.1. 338 Vgl. Allen: The Ph.D. in English and American Literature, S. 5 und 7. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass in dieser Anfangszeit die Lehrenden der neuen graduate departments Grade verliehen, die sie selbst nicht besaßen. Bezüglich Harvard und Yale merkt Allen beispielsweise an: „Not a single member of the early Harvard graduate staff had a Ph.D. At Yale, Cook, with a Jena degree, was the only doctor“. Allen: The Ph.D. in English and American Literature, S. 11.
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zur Darstellung der Fachgeschichte der Germanistik im Kapitel 2.2, für die es keine Forschungsliteratur speziell zur Geschichte des Promovierens in der Disziplin gibt.339 Durch einen prägenden Einfluss des deutschen Universitätsmodells am Anfang des U.S.-amerikanischen Promotionswesens gibt die Betrachtung der Entwicklungen in den USA darüber hinaus zusätzliche Hinweise zum Verständnis der derzeitigen Promotionspraxis in den Geisteswissenschaften in Deutschland. Denn die Transformation einer Sammlung von privaten, kirchlichen und nach dem britischen Vorbild von Oxford und Cambridge im 17. und 18. Jahrhundert in den USA gegründeten colleges zu einem der prominentesten Universitätssysteme in der Welt gestaltet sich in der Zeit von etwa 1850 bis 1910 unter dem starken Einfluss des damaligen deutschen Universitätsmodells mit seinem Ideal der Verknüpfung von Forschung und Lehre.340 Universitäten wie Berlin oder Heidelberg betreiben in dieser Zeit aus U.S.-amerikanischer Perspektive primär Graduiertenausbildung, das heißt, sie konzentrieren sich in der Lehre auf die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, der den Grad Doctor Philosophiae trägt. Deutsche Philologen, von denen einige die Vorläufer heutiger English departments in den USA gründen, pflegen eine professorale Tradition des „Forschungsimperativs”,341 die für die Doktorandenausbildung in den English studies – und natürlich in der Germanistik – prägend sein wird. Die deutschen Professoren des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts werden dabei weniger als Lehrer, sondern primär als Forscher und Experten charakterisiert: The [German] Professor is not a teacher in the English sense of the term, he is a specialist. He is not responsible for the success of his students. He is responsible for the quality of instruction. His duty begins and ends with himself.342
Die Lehre ist in dieser Tradition eine der Manifestationen der Forschung des Professors, ähnlich wie seine Publikationen. Ein vorgeschriebenes (und heute für die U.S.-amerikanische Promotion in allen Fächern typisches) Curriculum für die Doktoranden gibt es in dieser Zeit noch nicht, ebenfalls keine Anwesenheitspflicht. So beschreibt Bliss Perry 1935 die gleichzeitige Freiheit der Doktoran339 Der geschichtliche Überblick stützt sich dabei insbesondere auf die Arbeiten North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, Allen: The Ph.D. in English and American Literature, Graff: The Ph.D. in English, Perry: And Gladly Teach und Jones: Graduate English Study sowie Graduate Study in English. 340 Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 5/24 (doppelte Seitenzählung). 341 Foley: Teaching, Scholarship, and Institutional Service, S. 25. 342 Zitat von James Morgan Hart in Boyer: College, S. 120.
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den und den Zwang, einen Zusammenhang und Fortschritt in ihrer Arbeit selbst zu organisieren, folgendermaßen: [T]here were no tests whatever of a student’s progress […] until the final oral examination and thesis for the Ph.D. We did not have to attend lectures unless we wished. […] The system was excellent for the strong man who knew what he wanted, but fatal to many a weakling.343
Diese Beschreibung trifft auch auf die in den Kapiteln 3.1.1 und 5 erörterte Situation der Individualpromotion in Deutschland zu: Oftmals wird der Fortschritt der Doktoranden unzureichend verfolgt, Veranstaltungen sind nicht verpflichtend (was aber auch Vorteile wie Lernfreiheit und mehr Zeit für die eigenständige Forschung haben kann) und das System befördert ‚starke Individuen‘, die wissen, welche Ziele sie mit ihrer Forschung verfolgen und wie sie diese selbständig erreichen. Für andere Doktoranden ist das System problematisch und führt nicht selten zum Promotionsabbruch. Die anfänglichen Zustände in der Doktorandenausbildung in den English studies weisen aufgrund der Orientierung an der deutschen Forschungsuniversität somit Gemeinsamkeiten mit der bis heute existierenden Individualpromotion in Deutschland auf. Vor Beginn des 20. Jahrhunderts finden amerikanische CollegeAbsolventen mit dem Wunsch nach einer weiterführenden forschungsorientierten Ausbildung kaum Angebote dazu innerhalb der USA und gehen deshalb für die Promotion nach Europa; allein bis 1900 haben 10.000 amerikanische Doktoranden in Deutschland promoviert.344 Wohl auch um diesen ‚Brain-Drain‘ des 19. Jahrhunderts zu stoppen und auf dem Gebiet der Forscherausbildung autonom zu sein, gründen führende U.S.-amerikanische Bildungsstätten die ersten Doktorandenprogramme.345 Diese sollen, was die Lehr- und Forschungsaktivitäten der Professoren betrifft, nach dem beschriebenen deutschen ‚Ideal‘ geformt sein, weshalb über 300 deutsche oder in Deutschland ausgebildete Professoren zur Etablierung der neuen Programme eingestellt werden.346 Neben dem ‚Forschungsimperativ‘ sind infolgedessen auch die Schlüsselelemente der Doktorandenausbildung am Anfang in beiden Ländern ähnlich, sie umfassen u. a. freiwillige Vorlesungen und Seminare, die Dissertation als ein originärer und daher publizierbarer Forschungsbeitrag sowie eine Abschlussprüfung.347 343 Perry: And Gladly Teach, S. 97-98. 344 Vgl. Allen: The Ph.D. in English and American Literature, S. 6. 345 So heißt es zum Beispiel damals in Yale, die Studenten würden „resort to German universities for the advantage of study no greater than we are able to afford“. Vgl. ebd., S. 7. 346 Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 9/28. 347 Vgl. Allen: The Ph.D. in English and American Literature, S. 7.
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Sicherlich kann dabei die deutsche Forschungsuniversität nicht vollständig dupliziert werden. Denn während die undergraduate Ausbildung an U.S.Colleges nachträglich um die höhere Ausbildungskomponente (graduate studies) bis zum Doktorgrad erweitert wird, spielt der Doktorgrad bei der Entwicklung des Universitätswesens in Europa, wie im Kapitel 1.2 dargestellt, als Bezeichnung für Dozenten und die Unterscheidung der Lehrenden von den Lernenden, von Anfang an eine zentrale Rolle. Die Funktion des Doktorgrads als Lehrberechtigung sollte allerdings in der auf die Etablierung der ersten Doktorandenprogramme folgenden Phase am Anfang des 20. Jahrhunderts zum ‚Markenzeichen‘ der Promotionsausbildung in den USA werden. Insbesondere in den English studies (und allgemein auch den Geisteswissenschaften) fällt bei einer Betrachtung des heutigen Systems auf, dass erstens nahezu alle Doktoranden im Rahmen ihrer Promotion unterrichten, zweitens der Ph.D. bzw. zumindest die Einschreibung in einem Ph.D.-Programm zwingende Voraussetzung für jede Lehrtätigkeit oberhalb der High-School-Stufe darstellt und drittens in der Gesellschaft mit einem Ph.D.-Abschluss in den Geisteswissenschaften eine Lehrtätigkeit des Gradinhabers relativ verlässlich assoziiert wird. Welche Ereignisse führen zu diesem Lehrattribut des Doktorgrads in den English studies? Zunächst legen bereits am Ende des 19. Jahrhunderts einige führende U.S.Universitäten den Doktorgrad als eine Voraussetzung der universitären Lehre fest, ähnlich seiner Anfangsfunktion als Lehrberechtigung in Europa und der heutigen Habilitation in Deutschland (vgl. 1.2). So wird 1878 beispielsweise an der Universität Harvard der Promotionsabsolvent nach Erfüllung der Voraussetzungen in Studium und Forschung sowie der Verleihung des Doktorgrads „recognized as qualified to give special private instruction to candidates for the degree in the departments in which he himself has taken the degree“.348 Der Trend zum Ph.D. als Markenzeichen eines Hochschullehrers verstärkt sich dann in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts: Die regionalen wie nationalen Akkreditierungsorganisationen und geldgebenden Stiftungen – insbesondere das General Education Board349 und die Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching350 – knüpfen die Akkreditierung der Hochschulen und 348 Vgl. ebd., S. 8. 349 Das General Education Board war eine philanthropische Stiftung, die John D. Rockefeller und Frederick T. Gates 1903 gegründet haben. Rockefeller hat über das Board 180 Millionen Dollar überwiegend für die Hochschulausbildung in den USA gespendet, 1964 gingen die Programme in die bis heute aktive Rockefeller Foundation über, vgl. URL (24.5.2010): http://www.rockefellerfoundation.org/. 350 1905 gründete Andrew Carnegie die Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching. Als unabhängiges policy and research center ist die Stiftung beispielsweise durch die Grün-
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die Vergabe der Mittel zunehmend an die Anzahl von an der Hochschule tätigen promovierten Professoren.351 Schließlich ist ein wichtiger Faktor der Bedarf an Lehrkräften auf der undergraduate Ebene: Alle Studienanfänger, unabhängig davon, für welches Fach sie sich später im Laufe des Studiums entscheiden (sog. major), absolvieren in den USA in der Regel erst zwei Jahre lang die sog. liberal arts Ausbildung. Sie umfasst Inhalte verschiedener Disziplinen, und zu ihr gehören – damals wie heute – auch Pflichtveranstaltungen über wissenschaftliches Schreiben (composition) und teilweise über Grundwerke der Literatur (great books). Diese Veranstaltungen wurden und werden von – damals promovierten, heute größtenteils promovierenden – Anglisten unterrichtet.352 So gibt es am Anfang des 20. Jahrhunderts und seitdem bis heute in den USA eine etwa im Vergleich zur Germanistik in Deutschland quantitativ (mehr) und qualitativ (Kurse für Studierende aller Fächer) unterschiedliche, stetige Nachfrage nach promovierten bzw. promovierenden Anglisten als Lehrkräfte für die Studierenden. Durch das Zusammenspiel dieser drei Faktoren – Einführung des Doktorgrads als Lehrvoraussetzung an renommierten Universitäten, Mindestanzahl promovierter Lehrkräfte als zunehmende Bedingung für Akkreditierung bzw. Mittelvergabe sowie stetiger Bedarf an promovierten Anglisten als Dozenten für Bachelorstudierende – und unter Mitwirkung des erwähnten Prestigezuwachses des Doktorgrads für die akademische Beförderung im Allgemeinen, wandelt sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Ph.D. in English studies zunehmend zu einer ‚Lizenz‘ für Hochschullehre. Auf diese historischen Entwicklungen in den USA kann zusammen mit der divergierenden Entwicklung in Deutschland (beispielsweise mit dem Aufkommen der Habilitation als neuer Lehrberechtigung) die gegenwärtig recht verschiedene Funktion eines philologischen Doktorgrads in den beiden Ländern zurückgeführt werden. In Deutschland gilt der Doktorgrad heute neben dem Nachweis der Fähigkeit zur eigenständigen wissendung der Agentur Educational Testing Service (ETS), die heute alle wichtigen Tests im Hochschulsektor verwaltet, oder durch die Etablierung der Carnegie Classification of Institutions of Higher Education, die oft als Indikator der Forschungsintensität von Hochschuleinrichtungen verwendet wird, bekannt. Vgl. URLs (24.5.2010): http://www.carnegiefoundation.org/, http://www.ets.org/ sowie http://classifications.carnegiefoundation.org/. 351 Neben anderen Standards verlangen sie zunehmend, dass die Institution mindestens sechs (später acht) promovierte Wissenschaftler beschäftigt. Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 10/29. 352 Den heutigen Bedarf verdeutlichen dabei die Studienanfängerzahlen: Im akademischen Jahr 2006/2007 gab es in den USA fast 2,8 Millionen Studienanfänger. Vgl.: Knapp et al.: Enrollment in Postsecondary Institutions, S. 12. Hier liegt ein Vergleich mit dem deutschen Gymnasium nahe, in dem ebenfalls alle Schüler Deutschkurse belegen müssen, diese jedoch von Deutschlehrern mit Staatsexamen und nicht von Doktoranden unterrichtet werden.
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schaftlichen Arbeit unter anderem auch als ‚Talentsignal‘ für Führungspositionen (vgl. Kapitel 1.2) und in den USA primär als Lehrberechtigung für Hochschulen (vgl. Kapitel 5). Historisch betrachtet stellt am Anfang des 20. Jahrhunderts den nächsten wichtigen Unterschied zu Deutschland und eine Modifikation des individualistisch geprägten deutschen Universitätsmodells die Herausbildung einer kollektiven, institutionellen Gemeinschaft der Professoren – und später auch der Doktoranden – in den USA dar. Während in Deutschland die einzelnen Professoren in dem beschriebenen Modell des ‚Forschungsimperativs‘ primär als Individuen in der Universität agieren, entsteht in den USA unter den Professoren einer Disziplin sehr früh eine kollektive, institutionelle Gemeinschaft. In ihr werden viele Aktivitäten, zum Beispiel der beschriebene gemeinsame Lehrauftrag für die Studenten aller Fächer, koordiniert. Diese Beobachtung spiegelt die heutige Situation in den beiden Ländern: In Deutschland sind zumindest in der Individualpromotion nach wie vor der einzelne Professor sowie der einzelne Doktorand überwiegend unabhängig von anderen Professoren bzw. Doktoranden (die Professoren ‚haben‘ ihre Doktoranden, die Doktoranden promovieren ‚bei‘ einem Professor). Dahingegen herrscht in den USA im gesamten System mit der Zugehörigkeit aller Doktoranden zu einer graduate school, mit multiplem Mentoring (vgl. Kapitel 5.2), formalisierten Aufnahmeverfahren (vgl. ebd.), internatsähnlichen Campus oder der Bezeichnung auch der Doktoranden als students eines Jahrgangs eine vergleichsweise stärkere Institutionalisierung und Kollektivität des Promotionswesens. Das ‚Zusammenhalten‘ der Professoren und die Koordination der Aktivitäten sind gegenwärtig nicht nur aufgrund des gemeinsamen Lehrauftrags für die Studierenden nötig, sondern auch wegen der Finanzierungsmechanismen der Hochschulen: In aller Regel bezahlen die Studierenden Studienbeiträge und der Lehrkörper muss sich – als Ganzes, um jedem Einzelnen den Arbeitsplatz und zusätzliche Forschungsgelder zu sichern – bemühen, die Hochschule für die Studierenden entsprechend attraktiv zu gestalten. Die Studienbeiträge der Studierenden und die zunehmende Lehrverpflichtung der Doktoranden führen in den USA am Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer weiteren Entfernung vom deutschen Universitätsmodell. So geht die eingangs erwähnte Lernfreiheit der Doktoranden schrittweise verloren, indem diese entweder an Pflichtkursen teilnehmen (und für diese bezahlen) oder aber sie selbst unterrichten müssen, wodurch sie dem Einfluss der Professoren (als Vorgesetzten) stärker ausgesetzt sind. Die Professoren hingegen können ihre Lehrfreiheit behalten und in dem früh etablierten ‚Geschäftsmodell‘ der Doktorandenausbildung in English studies sogar verfestigen. Denn, vereinfacht dargestellt, die Studienbeiträge bezahlenden Studierenden füllen die Kurse, die zu-
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nehmend von Doktoranden unterrichtet werden, während die Professoren mehr Zeit für die Forschung haben. Zweifellos trägt das derart bis heute praktizierte Modell zur Attraktivität der USA als Karrierestandort für Professoren bei. Mehr Forschungszeit gehört neben höheren Forschungsmitteln zu den wichtigsten Vorzügen einer akademischen Position. Schließlich sind in den USA die Kurse, die ein Professor in English studies unterrichtet, stets gefüllt, da sie für die Studierenden zur curricularen Pflicht auf dem Weg zum Studienabschluss erklärt werden.353 Abgesehen davon, dass in Deutschland etwa in der Germanistik die meisten Veranstaltungen ebenfalls eher überfüllt als leer sind, stellt Stephen North in seiner Untersuchung für die English studies in den USA fest, dass gerade durch die Teilnahmepflicht der Studierenden an Veranstaltungen für die Professoren die qualitätssichernde Notwendigkeit entfalle, die Kurse so zu gestalten, dass sie von ausreichend interessierten Studierenden besucht werden. Die Professoren müssten zwar zu Beginn ihrer Karriere ein starkes Forschungsprofil vorweisen, um an der Universität angestellt zu werden, könnten danach jedoch weitgehend ihre Forschungs- und Lehrfreiheit ausüben und dem ursprünglichen aus Deutschland stammenden ‚Forschungsimperativ‘ nachgehen, bei dem ‚des Professors Pflichten mit ihm selbst beginnen und enden‘.354 Hierbei ist jedoch zum einen anzumerken, dass die Forschungsprofile der Professoren im Vergleich zu Deutschland enger ausgewiesen sind (beispielsweise konzentriert sich ihre Forschung nur auf eine Epoche), und zum anderen die Studienbeiträge zahlenden Studierenden auch eine ‚Gegenleistung‘ für die Gebühren verlangen. Unzufriedenheit mit der Lehre kann in negativen Bewertungen in Evaluationen geäußert werden, sodass die Professoren insofern auch in den USA auf die Qualität und insbesondere Attraktivität ihrer Kurse achten müssen. Im Anfangsmodell der U.S.-amerikanischen Doktorandenausbildung bilden die ersten Doktoranden in English studies in den USA eine in vielerlei Hinsicht homogene Gruppe. Die Gründe für diese Homogenität liegen in den Selektions353 ‚Volle Kurse‘ sind in Deutschland spätestens mit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge mit ihrem verpflichtenden Curriculum ebenfalls gesichert. Aufgrund der fehlenden umfangreicheren Übernahme von Lehrverpflichtungen durch die Doktoranden wird dies jedoch nicht zur Entlastung der Professoren genutzt. 354 Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 24/43, 27/46-28/47 sowie Fußnote Nr. 342. Um den Gewinn aus den Studienbeiträgen zu maximieren, wurde – und wird wohl bis heute – oft zusätzlich eine institutionelle Undurchlässigkeit programmatisch angelegt, in dem die Anzahl und Art von Veranstaltungen, die von anderen Hochschulen anerkannt werden können, stark limitiert wird. Vgl. ebd., S. 25/44. Die Frage des Endverbleibs der Studienbeiträge ist auch heute oft ein Problem bei der Mobilitätsbereitschaft der U.S.-Studierenden und Doktoranden sowie bei der Bereitschaft der U.S.-Hochschulen zu Kooperationen mit ihren ausländischen Partnern, etwa bei sog. Joint-Degree-Programmen.
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mechanismen der anfänglichen Doktorandenausbildung, im vergleichsweise geschlossenen Kreis der Universitäten, die am Anfang des 20. Jahrhunderts die Doktorandenausbildung betreiben, sowie in der Art, wie sie es tun. Basierend auf den wenigen statistischen Daten, die es für diese Zeit gibt, wird in dem von Stephen North geleiteten Sammelband der Selektionsprozess an der Schnittstelle Studium – Promotion folgendermaßen beschrieben: Nachdem alle Studienanfänger die verpflichtenden, von Anglisten unterrichteten Kurse zum wissenschaftlichen Schreiben und über Literatur (liberal arts) absolviert haben, wählt bereits nur ein Teil English als ihr Hauptstudienfach (major). Von ihnen bewirbt sich anschließend nur ein kleinerer Anteil bei einer graduate school zur Promotion in der Disziplin. Wieder ein kleinerer Anteil von dieser Gruppe wird zur Promotion tatsächlich zugelassen und nicht alle davon erhalten finanzielle Förderung, die in dieser Zeit nicht selbstverständlich ist, sondern eine weitere Auszeichnung bedeutet. Von den Zugelassenen treten nicht alle das Programm an und von denen, die ihre Promotion beginnen, brechen einige diese im Verlauf ohne Abschluss ab, während viele andere – wie dies auch heute der Fall ist – die graduate school nach einigen Jahren mit einem Masterabschluss verlassen. Insgesamt sind die Abschlussraten auf Promotionsebene am Anfang des 20. Jahrhunderts nicht besser als heute: Die Schätzungen für damals sprechen von etwa 50 Prozent.355 Eine weitere Auslese folgt – damals wie heute – nach dem Promotionsabschluss: Die tägliche Arbeit an der Hochschule in Lehre, Forschung und Administration bietet weitere Möglichkeiten der Profilierung. Gleichzeitig ist die Anzahl der Spitzenpositionen, der so genannten Graduiertenprofessuren, also Professuren an Universitäten mit Doktorandenausbildung, sehr begrenzt – ein Aspekt, der im Kapitel 5.5 näher erörtert wird.356 Neben der starken Selektion spielt in der Zeit von 1936 bis 1950 der kleine Kreis der an der Doktorandenausbildung in den USA aktiv beteiligten Hochschulen eine wichtige Rolle: Die überwiegende Mehrheit aller Promotionen in English studies wird in dieser Phase von nur 15 führenden Universitäten verliehen.357 355 Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 15/34 sowie Allen: The Ph.D. in English and American Literature, S. 181. Der 2008 veröffentlichte Zwischenbericht des Ph.D. Completion Project ergab, dass nach zehn Jahren Promotion nur 52 Prozent der Promovierenden in English Language and Literature ihre Promotion erfolgreich abgeschlossen haben, vgl. Ende Kapitel 5.2 und Fußnote 450 dieser Arbeit. 356 Vgl. ebd., North, S. 16/35 sowie Fußnote 358 dieser Arbeit. 357 Auch heute ist die Doktorandenausbildung in den USA quantitativ gesehen stark konzentriert: Fast die Hälfte aller Doktorgrade (46 Prozent) wurden 2008 von nur 42 Universitäten verliehen (10 Prozent der 421 Universitäten, die im gleichen Jahr mindestens einen forschungsorientierten Doktorgrad vergeben haben). Unter den zehn Universitäten, die die meisten Promovierten verzeichnen, befinden sich neun öffentliche Universitäten (mit der University of California,
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Auch die Studienabsolventen, die zur Promotion im Fach zugelassen werden, stammen hauptsächlich von den gleichen 15 Institutionen. Diese Universitäten ‚versorgen‘ alle anderen Hochschulen mit English Professoren. Diese übernehmen die Lehre der bereits erwähnten, für alle Studierenden verpflichtenden, Einführungskurse zum wissenschaftlichen Schreiben und zur englischen Literatur sowie aller Veranstaltungen der fortgeschrittenen Studierenden, die English als Hauptfach (major) wählen. Durch diesen ‚exklusiven Kreis‘ der beteiligten Personen und Hochschulen – diejenigen Universitäten, die ‚promotionswillige‘ Studierende hervorbringen, sind die gleichen, an denen diese anschließend auch promovieren werden – kann für die Zeit bis 1950 ein gewisser Standard in der Promotionsausbildung und ein vergleichsweise einheitliches Profil der Doktoranden und damit auch später der Professoren im Beruf festgehalten werden.358 Über den Vereinheitlichungseinfluss des relativ geschlossenen Kreises der an der ‚Unternehmung‘ Doktorandenausbildung beteiligten Universitäten und die Selektion auf dem Weg zur Professorenstelle hinaus trägt schließlich die Art der Promotion, die mit der Anführung des anfänglichen ‚Forschungsimperativs‘ bereits angedeutet wurde, zur weiteren Verfestigung der Homogenität bei. Mit James Sosnoskis „Imitatio Magister“ [sic] – ahme deinen Lehrer nach – als dem „academic imperative given to every apprentice or examinee“359 kann die Promotionsausbildung bis 1950 mit einer Tradition in der katholischen Kirche verglichen werden. Die Doktoranden bemühen sich dabei, möglichst ähnlich zu handeln wie die Professoren, von denen sie rekrutiert und unterrichtet werden, um schließlich einer von ihnen zu werden. Sie durchlaufen das „Magisterial curriculum“, versuchen, die gleichen Bücher und Aufsätze zu lesen und so zu schreiben wie die Professoren.360 Die anschließenden Prüfungen dienen der Feststellung, ob dies gelungen ist, überprüfen also die Fähigkeiten der Doktoranden auf diesen Gebieten und die Berechtigung deren Anspruchs auf die ZugehörigBerkeley, der University of Texas-Austin und der University of Wisconsin-Madison an der Spitze) und lediglich eine private Einrichtung, die Harvard University (die älteste amerikanische Universität, gegründet 1636 als Harvard College). Bei Betrachtung der zehn Universitäten, die 2008 die meisten Doktorgrade in den humanities vergaben, führt die Harvard University mit 138 Promovierten und auch die privaten Hochschulen Columbia University (97 Promovierte) und Yale University (91) sind verzeichnet. Vgl. Fiegener: Doctorate Recipients from U.S. Universities, S. 2 und Table 3, S. 28f. 358 Obwohl die Anzahl und Diversität der Universitäten mit Promotionsausbildung in den English studies in der Zeit nach 1950 deutlich angestiegen ist, gilt auch für die Gegenwart, dass nur ein vergleichsweise kleiner Anteil der Universitäten über Departments of English mit Doktorandenausbildung verfügt, vgl. Kapitel 5.1.1 und Fußnote 431. 359 Sosnoski: Token Professionals and Master Critics, S. 81. 360 Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 28/47 und S. 30/49.
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keit zum akademischen „Wir“361 – Umstände, die an die im Kapitel 1.2 diskutierte mittelalterliche Promotionstradition in Europa erinnern. Insgesamt macht sich die Homogenität darin bemerkbar, dass nahezu alle Doktoranden (und späteren Professoren) bis etwa 1950 der gleichen Ethnie (weiß), der gleichen Staatsangehörigkeit (U.S.-Staatsbürger), dem gleichen Geschlecht (Mann) und dem gleichen Alter (für Doktoranden ca. 21 bis 22 Jahre) angehören und aus vergleichbaren sozialen und Bildungsverhältnissen (gut situiert) kommen.362 Diese Doktoranden sind gleichzeitig die ‚Kandidaten‘ mit den besten Chancen auf eine Professorenstelle, was sich heutzutage – zumindest in der Theorie – genau umgekehrt gestaltet, indem ethnische Diversität und gender mainstreaming als Ziel deklariert werden. Da jedes Fach in erster Linie durch seine Forscher geprägt wird, verändert nach 1950 der Wechsel von einer solchen Homogenität hin zu einer größeren Heterogenität, die in der nächsten geschichtlichen ‚Etappe‘ die Promotionsausbildung in English studies charakterisieren wird, die Disziplin entscheidend. Bevor diese formenden Veränderungen näher diskutiert werden, soll der Blick jedoch kurz auf die Probleme der Doktorandenausbildung in English studies in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerichtet werden, denn viele der heutigen Herausforderungen gibt es bereits damals und vermutlich bereits von Anfang der Promotionsausbildung in English studies an. Die Probleme betreffen insbesondere die Bereiche Abbruchquoten, Promotionsdauer und Betreuung.
361 Vgl. ebd. Dabei wird heute wie 1930 die unzureichende Vorbereitung der Schulen auf das Studium bzw. in diesem Fall des Studiums auf die Promotion und die (nicht genügend vorhandenen) Kenntnisse der Doktoranden beklagt: „[M]ost oft the first year of graduate study, and often large proportions of the succeeding years, have to be devoted to teaching the student what he is supposed to have learned as an undergraduate (that is, the salient facts of literary history); and to inducting him into the bibliography and methods of literary study as well as to disciplining and stiffening his mental processes. To attempt much beyond this is usually disastrous; our student does not yet have enough factual information to judge general theory or to form those broad views and syntheses which our critics would like to have him secure; he has not read enough, is not sufficiently experienced to make his essays in independent criticism or scholarship of value”. Jones: Graduate Study in English, S. 470-471. 362 Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 17/36-22/41. Das Attribut „U.S.Staatsbürger” ist dabei insofern interessant, als dass die ‚Begründer‘ der U.S.Graduiertenausbildung wie beschrieben meist – aus Deutschland und für begrenzte Zeit angereiste – Ausländer waren. Nachdem sie im 19. Jahrhundert das System ‚in Gang‘ gesetzt haben, folgt eine ca. 75-jährige Zeit der Homogenität hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, welche abgelöst wird durch eine Phase der Diversität und einen Anstieg der Ausländerzahlen. So erhöht sich die Anzahl der Doktorgrade, die im Fach English an Nicht-U.S.-Bürger verliehen wurden, von 11 im Jahr 1958 (von insgesamt 333, also drei Prozent) über 54 im Jahr 1972 (von 1.370, ca. vier Prozent) auf 91 im Jahr 1988 (von 717, ca. 13 Prozent). Vgl. Bowen/Rudenstine: In Pursuit of the PhD, S. 378, Table G.2-1.
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Wie die bereits zitierten Abschlussraten von maximal 50 Prozent belegen, sind die hohen Abbruchquoten auf Promotionsebene in English studies kein neues Problem der letzten Jahre und werden bereits 1930 von den Fachvertretern ambivalent bewertet. Sie werden allerdings nicht ausschließlich als ein Grund zur Sorge oder für Reformmaßnahmen gesehen, wie das folgende Zitat von Howard Jones andeutet: Certainly the graduate school loses; but I confess that I do not view the loss with serious alarm, and I cannot agree […] that we necessarily lose the better men, for it is my observation that those who are frightened away by the stricter mental discipline, and insistence upon accuracy which we demand of graduate students, do not in most cases achieve great things outside the graduate world. Temperamentally averse to discipline, they drift into journalism or advertising or popular fiction.363
Erste konkrete Zahlen stammen aus einer Studie von 1965, in der 63 von 88 untersuchten Doktorandenprogrammen in English über Abbrüche der Promotion nach Nichtbestehen der Übergangsprüfung in 212 Fällen berichten, was drei bis vier Doktoranden je Programm und Jahr und etwa einem Drittel aller Promovierenden entspricht.364 Wichtig ist, festzuhalten, dass es sich bei der Untersuchung stets nur um Doktoranden handelte, die ihre Promotion abgebrochen hatten, nachdem sie die Übergangsprüfung nach der Kursphase nicht bestanden hatten. Die Gesamtzahl aller Abbrecher über den gesamten Promotionsverlauf lag mit aller Wahrscheinlichkeit deutlich höher. Wer es allerdings in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (und ähnlich heutzutage) bis zur Verteidigung der Dissertation geschafft hat, besteht diese in der Regel auch: [W]hile some candidate at some time may have failed to earn the Ph.D. on the basis of his or her performance at a defense, I have been unable to find any account of it; and all the evidence suggests that any such failure would have been very much the exception.365 363 Jones: Graduate Study in English, S. 471. 364 Dabei gibt es sowohl Programme mit einer hundertprozentigen Übergangsquote (9 von 63 Hochschulen) als auch auf der anderen Seite des Spektrums fünf Programme, bei denen 90 bis 100 Prozent der Doktoranden die Promotion nach der Prüfung abgebrochen haben. Dazwischen kann eine ganze Bandbreite gefunden werden, etwa zwölf Programme mit einer zehnprozentigen Abbruchquote oder andere zehn mit einer Abbruchquote im Bereich zehn bis 25 Prozent. Für das Jahr 1964 wurden insgesamt 556 Doktorgrade in English von 73 Programmen verliehen, was fast acht Doktorgraden je Programm entspricht. Dies lässt auf eine Abbruchquote von mindestens 30 Prozent schließen. Vgl. Allen: The Ph.D. in English and American Literature, S. 20 und S. 181. 365 Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 36/55.
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4 English studies in den USA
Neben den hohen Abbruchquoten beträgt die Promotionsdauer bereits in der Zeit zwischen 1920 und 1940 sieben bis acht Jahre. Sie verteilt sich etwa zur Hälfte auf das Belegen von Veranstaltungen und die Übergangsprüfungen und zur anderen Hälfte auf die Verfassung der Dissertation.366 Schließlich gab es Probleme in der Betreuung. Don Cameron Allen berichtet über Professoren in den 60er Jahren, die Doktoranden Themen aufzwingen, die diese nicht bearbeiten wollen, über solche, die trotz vereinbarter Betreuung emeritiert werden und deren Nachfolger die Dissertationsthemen nach mehrjähriger Arbeit der Doktoranden verwerfen, oder über Fälle, bei denen der Betreuer nicht an den Ergebnissen der Arbeit des Doktoranden interessiert ist367 – alles Situationen, die auch heute noch, zumindest in der Individualpromotion in Deutschland, auftreten können. Nach der Etablierung der Doktorandenprogramme am Ende des 19. Jahrhunderts und einer Phase der Homogenität in der Selbstreproduktion des wissenschaftlichen Nachwuchses in den English studies in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts soll als nächster Abschnitt die Zeit von 1950 bis etwa 1975 betrachtet werden, die in dem Sammelband von North zusammenfassend als „Große Expansion“ bezeichnet wird.368 Der Terminus „Große Expansion“ trifft dabei gleich auf drei Bereiche zu: auf die steigenden Studierendenzahlen, die ähnlich wie in Deutschland eine Öffnung der Universitäten beschleunigte, auf die vielen neu entstandenen Doktorandenprogramme im Fach sowie auf den steilen Anstieg der Promotionszahlen (auch) in den English studies (vgl. Abb. 1). Als einer der wichtigsten Auslöser für diese Expansion kann das Gesetz Government Issue Bill (mit dem offiziellen Titel Servicemen's Readjustment Act) genannt werden, infolge dessen die Hochschulen nach dem Zweiten Weltkrieg mehr Studierende aufnehmen, da jeder zurückgekehrte U.S.-Soldat Anrecht auf einen Studienplatz hat, sowie durch die finanzielle Förderung des Berufswiedereinstiegs über ausreichende Mittel für die Studienbeiträge verfügt. Ein zweiter Grund ist die heranwachsende baby boom-Generation, die in den 1970er Jahren ins ‚studierfähige‘ Alter kommt. Und schließlich ermöglicht der Wirtschaftsboom der USA nach dem Krieg die Einrichtung neuer Programme und Aufnahme weiterer Studierender. Das Zusammenspiel dieser drei Faktoren bewirkt einen rasanten Anstieg der Studie-
366 Vgl. ebd., S. 38/57. 367 Allen: The Ph.D. in English and American Literature, S. 67. 368 Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 42/61.
4.2 130 Jahre Doktorandenausbildung in den English studies
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alle Fächer
English studies
Anzahl der in den USA pro Jahr verliehenen Doktorgrade: "English studies" und "alle Fächer" (1958-2008)
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Doktorgrade, English studies
Doktorgrade, alle Fächer
Abb. 1: Anzahl der in den USA pro Jahr verliehenen Doktorgrade in den English studies (linke Ordinatenachse), sowie in allen Fächern (rechte Ordinatenachse), 1958-2008. Eigene Darstellung nach: Doctorate Recipients from United States Universities, Jahrgänge 1997 bis 2007-08, Table 5, sowie Steward: Report on the Survey of Earned Doctorates, Figure 1, S. 77.
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4 English studies in den USA
rendenzahlen: In den zehn Jahren von 1960 bis 1970 mehr als verdoppeln sich die Studentenzahlen in den USA von 3,6 auf über acht Millionen Studierende.369 Auch die Ph.D.-‚Produktion‘ erlebt ihren Höhepunkt – durch die hohe Studierendenanzahl gibt es mehr Interessenten an der Promotion und insbesondere im Fach English muss durch die verpflichtenden Schreib- und Literaturkurse für alle Studienanfänger dem gestiegenen Bedarf an Lehrkräften nachgekommen werden. Schließlich soll auch für die Zukunft ‚vorgesorgt‘ werden, in der mit einem weiteren Anstieg der Studierendenzahlen gerechnet wird.370 Die Anzahl der Doktorandenprogramme in den English studies steigt innerhalb von 15 Jahren um mehr als das Doppelte, der Anteil der Promovierten um mehr als das Dreifache: Während 1949 33 Promotionsprogramme in English 157 Doktorgrade verleihen, sind es 1964 73 Programme und 556 Doktorgrade.371 Auch institutionalisiert sich der Ablauf der Promotionsphase weiter, belegbar durch zunehmende Anzahl von grants, Evaluationen, Statistiken und Analysen in der Hochschulforschung, darunter der hier bereits mehrmals zitierte große Bericht zur Lage des Faches und seiner Doktorandenausbildung „The Ph.D. in English and American Literature“ von Don Cameron Allen von 1965.372 Ungeachtet der vielen bis heute relevanten und beachteten Erkenntnisse des Berichts sollte ein Aspekt für die weitere Fachentwicklung folgenschwer sein: Die gesamte Studie basiert auf der (damals verständlichen, jedoch, wie sich herausstellte, falschen) Annahme, dass es 1965 zu wenige promovierte Anglisten gegeben habe und deshalb eine weitere Beschleunigung und Effizienzsteigerung der Doktorandenausbildung in den English studies notwendig sei.373 Die Umsetzung der Empfehlungen dazu gelingt. Das System wandelt sich zu einem noch stärker serviceorientierten, geregelten, verwalteten, institutionalisierten und kollektiv organisierten Doktorandenausbildungs-Prozess. Ein Prozess, der vom anfänglichen von der deutschen Forschungsuniversität inspirierten individuellen Modell weit entfernt ist und der in Deutschland möglicherweise durch die Einführung der strukturierten Promotionsprogramme in den Geisteswissenschaften in ähnlicher Form bedeutender wird. In den USA drängt ab Mitte der 1970er Jahre entgegen der Erwartung der Experten und verschärft durch die ‚erfolgreiche‘ Umsetzung der Empfehlungen eine extreme Anzahl promovierter Anglisten auf den Arbeitsmarkt – und findet dort kaum Stellen vor.
369 370 371 372 373
Vgl. Snyder et al.: Digest of Education Statistics 2009, S. 278. Vgl. Allen: The Ph.D. in English and American Literature, S. 19-25. Ebd., S. 20. Ebd. Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 47/66.
4.2 130 Jahre Doktorandenausbildung in den English studies
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In den 1960er Jahren setzt zudem ein zweites wichtiges Phänomen in den English studies ein: Die zunehmende Demokratisierung sprengt sowohl die inhaltliche Kohärenz der Disziplin als auch die bis dahin gepflegte soziale Homogenität zugunsten einer steigenden Heterogenität und Diversität der Doktoranden und Doktorandenprogramme des Faches. Wie der Anglist Prof. Gerald Graff, Ph.D., in seinem im Rahmen der Carnegie Initiative on the Doctorate verfassten Aufsatz „The Ph.D. in English: Towards a new consensus“374 ausführt, bestand bis etwa Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts unter Anglisten ein ungefährer, unausgesprochener Konsens darüber, was Literatur sei, welche Literatur es wert sei, von Literaturwissenschaftlern untersucht zu werden, wie dieses Untersuchen gestaltet sein und wer es durchführen sollte.375 In den 1960er Jahren wird jedoch unter Einfluss der universitären Proteste als Antwort auf den Vietnam-Krieg in den English studies eine aktive, verändernde intellektuelle Gemeinschaft spürbar, die zum Verlust dieses relativ stabilen intellektuellen und sozialen Verständnisses über die Inhalte und Methoden der Disziplin führt. Diese Umbruchzeit beschreibt Graff als eine der wichtigsten Kräfte bei der Demokratisierung der English studies und damit beim „Sprengen ihrer traditionellen Kohärenz“.376 Ähnlich kann mit Stephen North et al. ein zunehmender Dissens in den Instituten bei Neubesetzungs374 Die fünfjährigen Carnegie Initiative on the Doctorate (2000 – 2005) war eine Initiative, bei der sich Vertreter von über 80 Promotionsprogrammen in sechs Disziplinen, darunter der English studies, selbst zur Verbesserung ihrer Doktorandenausbildung verpflichtet, Reformen erarbeitet und diese implementiert haben. Die Carnegie Foundation hat dabei u. a. für je zwei Vertreter des ausgewählten Fachbereichs die Teilnahme an Netzwerktreffen ermöglicht, bei denen sie sich austauschen und an Reformvorschlägen für ihre Disziplin arbeiten konnten. Die Initiative hat Ähnlichkeiten mit dem europäischen TUNING Educational Structures of Europe-Projekt, das die Implementierung der Ziele des Bologna-Prozesses auf fachspezifischer Ebene zum Ziel hat. URL (24.5.2010): http://tuning.unideusto.org/tuningeu/. Die Carnegie-Initiative betraf jedoch im Gegensatz zu TUNING nicht die Bachelor- und Masterstudiengänge, sondern die Promotion als dritte Qualifikationsstufe. Sie zielte dabei vorrangig auf die strukturellen Rahmenbedingungen einer effektiven Doktorandenausbildung sowie auf das Zusammenbringen der ‚Promotionsverantwortlichen’ in einem Netzwerk auf der Ebene der Fachdisziplinen ab. Ein im Rahmen des Projektes entstandener Band enthält Expertenessays (darunter Graffs Aufsatz), in denen die Autoren auf die Frage antworten sollten: „Wenn sie noch einmal von Anfang an beginnen könnten, wie würde – in ihrem Fach – eine optimale Ausgestaltung der Doktorandenausbildung aussehen?“. Vgl. Golde/Walker: Envisioning the Future of Doctoral Education. sowie Walker et al.: The Formation of Scholars. Gerald Graff war zeitweise Präsident der Modern Language Association, des 1883 gegründeten Berufsverbands der Sprach- und Literaturwissenschaften, der im Prozess der Stellenbesetzung in den USA in diesen Fächerdisziplinen eine zentrale Rolle spielt (vgl. Kapitel 5). URL (24.5.2010): http://www.mla.org. 375 Vgl. Graff: The Ph.D. in English, S. 6. 376 Ebd., S. 2. Graff merkt bei dieser Beobachtung an, dass ihm persönlich das Erlebnis der Debatten in den 1960er Jahren beim Reifen als Wissenschaftler und Intellektueller deutlich mehr geholfen hat als alles, was er jemals während der Promotion gelernt hat. Vgl. ebd.
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fragen festgestellt werden, eine steigende Diversität sowohl der Fachthemen als auch der Wissenschaftler sowie ein gleichzeitiger Druck, im Rahmen gleichbleibender oder verminderter finanzieller Mittel während der wirtschaftlichen Rezession Anfang der 1970er Jahre, entscheiden zu müssen, was es eigentlich heißt, das ‚Feld‘ des Faches abzudecken: [D]epartments found themselves having to decide again and again what it meant to „cover the field“ when, on the one hand, that field – conceived in terms of both the constituent areas of expertise and the bodies of those who populated it – had diversified beyond anyone’s experience, and, on the other hand, the resources available for carrying out any such coverage either remained the same or became scarcer.377
Auch die Doktoranden beteiligen sich aktiv an dieser Diskussion – eine Erfahrung der Teilnahme an einer intellektuellen Gemeinschaft während der Promotionszeit, die von manchen Beobachtern des heutigen Systems vermisst wird.378 Die Folge der quantitativen Entwicklungen während der „Großen Expansion“ in der Zeit 1950 bis etwa 1975 – einer Überproduktion von promovierten Anglisten bei gleichzeitig fehlenden Stellen für diese auf dem akademischen Arbeitsmarkt – ist eine nächste Etappe in der Fachentwicklung, die in dem Sammelband von North im Gegensatz zur „Großen Expansion“ als „Große Schrumpfung“ bezeichnet wird.379 Während die Studierendenzahlen bis 1974 insgesamt weiter wachsen, ist dies spezifisch für Studierende des Faches English nicht mehr der Fall. Hier wird der Höhepunkt 1960 erreicht, die Studierendenzahlen in English als Hauptfach (major) nehmen danach wieder ab. Ein Grund der Schrumpfung der Promoviertenzahlen ist, dass kleinere Studierendenzahlen 377 North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 59/78. 378 Vgl. Tompkins: A Life in School, S. 81 und Graff: The Ph.D. in English, S. 1-2. Stattdessen würde sich, so beispielsweise Gerald Graff, die gegenwärtige Promotion durch eine zusammenhanglose Aneinanderreihung von Veranstaltungen und ‚uneindeutiger Botschaften‘ auszeichnen, mit der Doktoranden zurechtkämen, indem sie jedem Professor das ‚liefern‘, was er vermutlich hören will, auch wenn es im Konflikt damit stehen sollte, was möglicherweise ein anderer Professor in der vorangehenden Veranstaltung hören wollte. Graff: The Ph.D. in English, S. 2. Diese Erfahrung bezeichnet er jedoch als nicht wertlos: Durch die Notwendigkeit des Ausprobierens verschiedener „intellektueller Universen“ und deren provisorischer Annahme könnte während der Promotion in den English studies gelernt werden, sich selbständig einen Überblick zu verschaffen und die „Punkte selbst zu verbinden“, anstatt das jemand anders einem eine fertige „autorisierte Landkarte“ des Faches ausgehändigt. Als problematisch wertet Graff allerdings, dass diese Erfahrung schließlich nicht zu einem kohärenten Bild der Disziplin führt und auch die Beziehungen zwischen den einzelnen Schulen und Theorien nicht klar werden. Ebd. Dies erscheint auch in der gegenwärtigen Germanistik nicht anders zu sein, in der ebenfalls ein kohärentes Bild des Faches nicht das primäre Ziel zu sein scheint, sondern die Spezialisierung, mit allen Vor- und Nachteilen. 379 Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 48/67.
4.2 130 Jahre Doktorandenausbildung in den English studies
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gleichzeitig eine kleinere Interessentengruppe für potenzielle Doktoranden des Faches bedeuten. Zudem laufen einige der Förderprogramme aus der Zeit der „Großen Expansion“, die zu einem Anstieg der Studierendenzahlen führten, Mitte der 1970er Jahre aus. Schließlich sehen Studenten das Fach English abnehmend als zukunftsfähig an. Die beschriebene schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt scheint von ihnen erkannt worden zu sein. In der von Stephen North geleiteten Untersuchung wird die Lage auf dem akademischen Arbeitsmarkt in der Zeit von 1970 bis 1980 als ein Alptraum bezeichnet – a „nightmarish job market“.380 Und bereits damals reagieren die Universitäten und departments of English mit einem sich bis heute fortsetzenden und verschärfenden Trend zur befristeten Anstellung von Lehrkräften, um sich für die unsichere Zukunft nicht festlegen zu müssen (vgl. Kapitel 5.5). Eine weitere Reaktion ist eine rapide Abnahme der Ph.D.-Absolventenzahlen (vgl. Abb. 1). Obwohl immer weniger promovierte Anglisten die Universitäten verlassen, wächst die Anzahl der Doktorandenprogramme in den English studies interessanterweise weiter an, da vermutlich für die Promovierten aus der Zeit der „Großen Expansion“ zumindest teilweise nun die Stellen geschaffen werden. Im Kern durch die erwähnte zunehmende Demokratisierung angelegt, die bereits in den 1960ern Jahren die Kohärenz und Homogenität in den English studies sprengte, steigt so in den 1980er Jahren die Heterogenität und Diversität durch neue Doktorandenprogramme, die sich voneinander unterscheiden wollen, und durch die wissenschaftliche Tätigkeit der Promovierten aus der Zeit der „Großen Expansion“, die sich im Rahmen eines „akademischen Nischenmarketings“381 profilieren müssen, weiter an. Ein weiterer damit zusammenhängender Faktor ist das Aufkommen von neuen Schulen und Paradigmen wie Kreatives Schreiben, Feministische Literaturwissenschaft oder Dekonstruktivismus. Diese bringen zum einen selbst wieder spezialisiert ausgebildete Promovierte hervor, die das Fach in seiner weiteren Entwicklung prägen werden, zum anderen werfen sie Fragen nach dem fachlichen Kern der English studies auf. Bis etwa 1990 wird einer Diskussion darüber überwiegend ausgewichen und das ‚Problem‘ dadurch gelöst, dass die „gefährliche Innovation“ ins Fach absorbiert und additiv integriert wird: In jeder solchen Situation wird einfach eine neue Stelle, neue Veranstaltung, neue Abteilung usw. zum bestehenden Programm des Faches hinzugefügt. Potenziellen fachlichen Konflikten kann durch die räumliche (verschiedene Büros) und curriculare (unterschiedliche Veranstaltungen) Separation des Alten und Neuen vorgebeugt werden. Eine Taktik, die beide Seiten befriedigen kann: Während die ‚Neuen‘ 380 Ebd., S. 50/69. 381 Ebd., S. 52/71f.
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ihre „subversive Arbeit“ am Rande des Curriculums realisieren können, können die ‚Alten‘ ihre Tätigkeiten wie gewohnt fortsetzen. Dabei ist es beiden Gruppen Recht, einer Diskussion über relevante oder weniger relevante Fachinhalte und den ‚richtigen‘ Zugang zum Fachwissen aus dem Weg zu gehen.382 So kann die institutionelle Entwicklung der English studies als eine historische Ansammlung, als ein Konglomerat von Ansichten, Theorien, Methoden und Schulen charakterisiert werden – ein Aspekt, der an die Situation in der Germanistik in Deutschland erinnert (vgl. 2.3 und 2.3). Aus der entgegengesetzten Perspektive könnte die Geschichte der English studies als eine der vertanen, ungenutzten Chancen zu einer gemeinsamen fachlichen Basis beschrieben werden: Wie beispielsweise Gerald Graff ausführt, böten sich die beiden elementaren Bestandteile der Fachpraxis „akademische Lehre“ und „wissenschaftliches Schreiben“ an, einen gemeinsamen Nenner und eine neue Fachidentität zu schaffen und die Unsicherheit über die inhaltliche Heterogenität des Faches zu überbrücken. Diese Chancen wurden jedoch – bewusst oder unbewusst – nicht genutzt, sondern beide Bereiche in der Disziplinentwicklung verdrängt, auf die Doktoranden ‚abgeschoben‘ und bezüglich ihrer Bedeutung klar der Forschung unterstellt.383 Das Bedürfnis nach einer gemeinsamen Basis des Faches ist in den English studies offensichtlich nicht stark genug. Stattdessen dominiert inhaltlich wie in der Germanistik doch die Individualität der einzelnen Forscher und ihrer Themen unter einem Dach, das eine überwiegend organisatorische und namensgebende Funktion hat in einer Disziplin, die „nicht definieren kann, was sie ist“.384 Speziell die Notwendigkeit der Lehre des wissenschaftlichen Schreibens (composition) scheint ein chronisches Problem der English studies seit ihren Anfängen als Disziplin Ende des 19. Jahrhunderts zu sein. Es wird wiederholt zum Thema akademischer wie außerakademischer Debatten. Laut Graff würden die high schools die Studenten nicht mit angemessenen Lese- und Schreibkompetenzen ausstatten, und es sei nicht die Aufgabe der Universitäten, diese Defizite auf eigene Kosten nachzuholen. Der äußere, öffentliche Druck zu höheren Studierendenzahlen und der innere Druck der Professoren zur Statuswahrung gerieten hier jedoch in Konflikt385 – ein auch aus Deutschland bekannter Aspekt. Das Dilemma würde in den English studies dadurch gelöst, dass die ‚Last‘ der Lehre des wissenschaftlichen Schreibens größtenteils von den Professoren bzw. promovierten Lehrkräften auf die oft schlecht bezahlten und überarbeiteten Dok382 383 384 385
Vgl. Graff: The Ph.D. in English, S. 3 und S. 7. Ebd., S. 4f. Vgl. Elbow: What is English?, S. v (eigene Übersetzung). Graff: The Ph.D. in English, S. 5.
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toranden verschoben wird.386 Dieser Zustand sei insofern bedauerlich, als dass gerade die Professoren durch ihre Forschungstätigkeit Experten im wissenschaftlichen Schreiben seien und Studierende wie Doktoranden vom Kennenlernen ihrer Methoden profitieren könnten. Graff geht sogar soweit, zu behaupten, dass Studierende durch die Abschiebung der Lehre auf Doktoranden und die dabei gewählten Unterrichtsthemen mit Absicht von den eigentlichen Fachinhalten, nämlich der Forschung der Professoren und Doktoranden, von der Kernarbeit und von zentralen Diskussionen in der Disziplin, ja von der Disziplin selbst, ferngehalten werden.387 Dies spiegelte sich zum Beispiel darin, dass in den Veranstaltungen oft nur Primärtexte diskutiert würden und nicht die dazugehörige Literaturkritik oder gar Literaturtheorie aus der Sekundärliteratur. Graff kritisiert scharf diese Praxis, die paradoxerweise Studierenden den Zugang zu einem Diskurs versperre, der von ihnen gleichzeitig in ihren Arbeiten und in den Diskussionen erwartet werde.388 In die gleiche ungünstige Richtung wirkt diesbezüglich die traditionelle Abkopplung der Studienvon der Promotionsphase in den Geisteswissenschaften in den USA, die ihre Berechtigung in den verschiedenen Ausbildungszielen findet. So wollen die meisten Studenten nicht Professor werden. Auch dadurch kommen die Studierenden mit den Forschungsinteressen der Professoren und Doktoranden meist erst auf der Promotionsebene in Berührung. In den English studies institutionalisiere und vertiefe zusätzlich die Abschiebung der Lehre des wissenschaftlichen Schreibens auf die Doktoranden den Riss zu den ‚wahren‘ Literaturkursen, ganz entgegen der Realität des gelebten Faches und der Forschungspraxis der Fachvertreter, die in der Verknüpfung des wissenschaftlichen Schreibens mit Literatur und Literaturtheorien läge. Neben dem aktiven Bekenntnis zur akademischen Lehre kann in der Anerkennung des wissenschaftlichen Schreibens eine Chance zur Findung einer gemeinsamen Fachbasis und zur Überbrückung der ansonsten in den English studies herrschenden inhaltlichen Zersplitterung gesehen werden.389 Diese Charakteristik der Disziplin hindert die Fachvertreter nicht daran, die Fachidentität spezifisch mit Blick auf die Doktorandenausbildung regelmäßig bei Tagungen zu diskutieren und nach ihr zu suchen. In dem Sammelband von North wird eine Reihe von Konferenzen konkret zu diesem Thema genannt, unter anderen die Conference of Graduate Study and the Future of Doctoral Study in English 1987 in Wayzata in Minnesota. Laut North et al. wurde bei dieser Tagung 386 387 388 389
Ebd. Ebd., S. 10. Ebd. Ebd., S. 5.
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unter eingeladenen Vertretern von 80 (von damals 139 in den USA existierenden) departments of English mit Promotionsausbildung der „Kollaps der Disziplin“ offiziell erklärt. Er zitiert aus dem 1989 publizierten Tagungsband mit dem angesichts des festgestellten Kollapses fast euphemistisch klingenden Titel „The Future of Doctoral Studies in English“, dass es Ziel der Konferenz war, to consider what it is that can now be said to constitute our discipline: the connections among the subjects we teach and the foci of our scholarly efforts; the nature of the profession for which we train and into which we socialize our graduate students, a profession that they, in turn, will define through their own theoretical interests, institutional assumptions, and pedagogical practices.390
Dieses Ziel wurde insofern erreicht, als am Ende der Tagung eine Stellungnahme zu diesem Punkt zustande kam. Auf die Frage, „What is it that can now be said to constitute our discipline such that it can inform our efforts in doctoral education?” lautete die ‚eindeutige‘ Antwort, dass man es schlicht nicht wisse: „[N]o unanimity on any significant issue emerged during the conference“. Des Weiteren berichten die Herausgeber des Tagungsbandes über die dominierende Ansicht, dass „neither ‘historical coverage’ nor ‘canonical unity’ could guide our conceptualization of curricula. As a consequence“, schlussfolgern sie, „there was little certainty about what our graduate students should know both as developing scholars and as apprentice teachers“.391 Im Vergleich zu Deutschland muss zunächst als positiv festgehalten werden, dass Konferenzen spezifisch zur Zukunft der Doktorandenausbildung im Fach stattfinden und deutlich über die Hälfte der Universitäten mit Promotionsausbildung in der Disziplin einbinden. Ähnlich den im Kapitel 1.3 angeführten Konferenzen beispielsweise der Hochschulrektorenkonferenz zur Bachelor/Masterreform in der Germanistik werden trotz der aktuellen Promotionsreform bislang keine Tagungen (etwa der HRK, des DAAD, des Philosophischen Fakultätentages oder des Germanistenverbandes selbst) zum Thema Doktorandenausbildung in der Germanistik organisiert. Für die English studies stimmt allerdings die Feststellung der Uneinigkeit über die eigene Fachidentität und über einen eventuellen gemeinsamen Kern sowie der Promotionsausbildung in der Disziplin nachdenklich. Die beschriebene grundsätzlich vorhandene Kommunikation der Fachvertreter sowie die Dokumentation der Prozesse konnten die fortschreitende Zergliederung des Faches nicht aufhalten.
390 North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 63/82. 391 Ebd.
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Mit dem Begriff „Krise“ wird in Norths Untersuchung auch die letzte ‚Etappe‘ in der bisherigen Geschichte der Doktorandenausbildung in den English studies spätestens ab 1990 beschrieben: „a crisis of identity in English, as both a discipline and a profession, a crisis with serious implications for doctoral education“.392 Während die Diversität im Fach unter anderem durch die nun selbständige wissenschaftliche Tätigkeit der in der Zeit der „Großen Expansion“ promovierten Anglisten verschiedener Schulen, Ethnien, Geschlechter und Nationalitäten weiter ansteigt, verschlechtert sich gleichzeitig die Lage auf dem akademischen Arbeitsmarkt. Die Anzahl der unbefristeten Vollzeitstellen nimmt weiter ab und diejenige der befristeten sowie Teilzeitstellen zu. Die daraus resultierende Herausforderung bei der Stellenbesetzung beschreibt North treffend folgendermaßen: [W]hen a department’s Miltonist/eighteenth-century person/Emersonian/director of first-year composition retired, should it hire another Miltonist, etc., or a deconstructionist, a fiction writer, a scholar in African American literature, someone expert in computers and writing, a postcolonialist, etcetera, etcetera? Both this decisionmaking process and the subsequent search came to be further complicated by demographic (not to mention ethical and legal) considerations: man or woman? Ivy League, land grant university, or smaller niche program? U.S. citizen or not? White, Hispanic, African American, Asian American, Native American?393
Die beschriebene pluralistische Praxis der ‚additiven Ausdehnung‘ des Faches an den Instituten würde es bei diesem Problem nahe legen, von jeder ‚Sorte‘ eine Person anzustellen, um der Entscheidung bzw. der Diskussion der Prioritäten und dem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Diese auf den ersten Blick für alle Beteiligten vorteilhafte Lösung der „Spielplatzerweiterung“394 verunmöglichen jedoch die knappe finanzielle Situation der Hochschulen und zunehmend problematische Lage auf dem Arbeitsmarkt, sodass der einzige Ausweg die Priorisierung der Fachinhalte darstellt. Diese Notwendigkeit der Profilierung verschärft wiederum weiter die Identitätskrise des Faches, das sich an verschiedenen Standorten in unterschiedliche Richtungen weiter entwickelt. Dies kann unter anderem an der seit 1980 vorzufindenden Umbenennung der Disziplin an manchen Universitäten von English zu English studies und bezeichnenderweise weiter zu English Studies (die Balance zwischen English und studies verschiebt sich durch die Großschreibung von Studies symbolisch von English weiter weg) beobachtet
392 Ebd., S. 57/76. 393 Ebd., S. 58/77f. 394 Graff: The Ph.D. in English, S. 7.
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werden.395 Wenn das Fach selbst dazu nicht mehr in der Lage ist, soll sich zumindest der Name der Disziplin weiter ausdehnen396 – eine Parallele zur teilweisen Umbenennung der Germanistik zu „Kulturwissenschaft(en)“ in Deutschland (vgl. Kapitel 2.2). Diese Entwicklungen haben wichtige Konsequenzen für die Doktorandenausbildung. Dadurch, dass die einzelnen English departments mit den inhaltlichen Zentrifugaltendenzen und der schwierigen Arbeitsmarktlage unterschiedlich umgehen,397 gestaltet sich auch die Ausbildung der Doktoranden verschieden und trägt so zur weiteren Verschlimmerung der Identitätskrise des Faches bei. Des Weiteren wird die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt durch eine andauernde über den Bedarf hinausgehende Anzahl an Promotionen von Anglisten verschärft. Durch einen Mangel an akademischen Stellen (vgl. Kapitel 5.5) müssen sich die Promovierten um Positionen in anderen Berufen bewerben und treten dabei – ähnlich wie in Deutschland – in Konkurrenz mit für diese Karrierewege Ausgebildeten. Und schließlich trägt zu der beunruhigenden Situation die erwähnte systematische Abwertung bestimmter Teile der Disziplin wie der Lehre des wissenschaftlichen Schreibens (composition) bzw. des Schreibens insgesamt (Kreatives Schreiben, technisches und professionelles Schreiben, Schreibzentren usw.) bei.398 Denn auch hier handelt es sich um eine Spirale nach unten: Wenn solche Kurse nachweislich von weniger bezahlten und weniger qualifizierten Doktoranden oder von befristet bzw. in Teilzeit angestellten Promovierten unter395 North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 59/78f. 396 Ebd. 397 North skizziert drei verschiedene mögliche Zukunftslösungen für die Krise, die alle an verschiedenen Universitäten der USA praktiziert werden: Die Fachauflösung, „Kompromiss“ und „Fusion“. Bei der Auflösung des Faches, beispielsweise in die beiden Teilfächer Literatur und Rhetorik/Wissenschaftliches Schreiben, wird die längst reelle Absenz des „Wir“ der Disziplin sowie die unterschiedlichen Karriereziele der Doktoranden (ähnlich wie beim Promotionskolleg „Wertung und Kanon“ in Deutschland) anerkannt, allerdings verschwindet dadurch auch eine kritische Masse, die für finanzielle sowie hochschulpolitische Fragen von Relevanz ist und die Rivalitäten innerhalb des Faches werden nur zu Rivalitäten zwischen mehreren Fächern gewandelt, nicht behoben. Die zweite Lösung, ein „Kompromiss“, bewahrt die formale Einheit nach außen bei innerer Diskussion der Konflikte. Diese Lösung hätten bisher die meisten Institute gewählt, so North et al. Sie trüge jedoch nicht zur Lösung der bestehenden Probleme bei, sondern hätte diese eher verschärft. Ein letztes curriculares Modell ist die „Fusion“, bei der die Doktoranden eine aktive Rolle spielen und die künftige Ausgestaltung der Disziplin am jeweiligen Standort wird zwischen den verschiedenen Statusgruppen offen neu ausgehandelt. Diese von North favorisierte Lösung wird an seiner Heimatuniversität Albany State University umgesetzt. Vgl. ebd., S. 246/263-258/275. 398 Dabei bilde das kreative Schreiben an den Instituten oft eine Art Ghetto, in dem Studenten vor der als ‚überanalysierend‘ empfundenen Forschung flüchteten und die Lehrkräfte des kreativen Schreibens sich von den Literaturtheoretikern und „Postkolonialisten“ abschirmten. Vgl. Graff: The Ph.D. in English, S. 11.
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richtet werden können, warum sollten dafür in Zukunft noch Vollzeitprofessoren ‚ver(sch)wendet‘ werden?399 Dieser Trend könnte insbesondere für die Forschung aus zwei Gründen zu einer Herausforderung werden. Erstens entsteht dadurch eine neue Lehrkategorie, die die departments of English in Zukunft möglicherweise stärker als die bislang bestimmenden Professoren prägen könnte: die wachsende Gruppe der begrenzt in der Forschung aktiven nichtprofessoralen Lehrkräfte (sog. adjunct faculty). Diese organisiert sich zunehmend und beansprucht für sich in den Universitäten verschiedene Rechte, wodurch ihr Einfluss in den English departments weiter ansteigt und über die Abhängigkeit von deren Arbeit hinaus weiter verfestigt wird.400 Der zweite Grund könnte jedoch schwerwiegender sein: Sollte die Anzahl und Art der Veranstaltungen, die von unterqualifizierten Lehrkräften übernommen werden können, weiter anwachsen, würde dies nicht nur die bereits bestehende Kluft zwischen den (vielen) Lehr- und den (wenigen) Forschungsuniversitäten weiter vertiefen,401 sondern die Kategorie „Professor“ könnte langfristig an manchen Standorten gänzlich abgeschafft werden. Die professionelle und disziplinäre Identitätskrise des Faches scheint also durch die Beförderung der Heterogenität bei gleichzeitiger systematischer Abwertung bestimmter Fachteile sowie die Zulassung und Ausweitung unterqualifizierter Lehre dieser zum Teil selbstverschuldet zu sein. Es wird eine intradisziplinäre Herausforderung für die English studies in den USA – und unter anderen Rahmenbedingungen möglicherweise ähnlich für die Germanistik in Deutschland – werden, das Fach, wenn denn daran Interesse besteht, zu erhalten. Dazu wiederum könnte eine verstärkt auf die Wissenschaftlichkeit und die disziplinären Kernthemen ausgerichtete Doktorandenausbildung genutzt werden.
399 Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 235/252. 400 Vgl. ebd., S. 242/259. 401 Von den über 6.600 postsecondary institutions in den USA gelten nach der Carnegie Classification nur 199 Einrichtungen als Universitäten mit herausragender Forschung (Research Universities (high or very high research activity)) und nur 421 sind Universitäten mit Promotionsausbildung von research doctorates. Vgl. Knapp et al.: Postsecondary Institutions, S. 8, American Council on Education: A Brief Guide, S. 7, Fiegener: Doctorate Recipients from U.S. Universities, S. 2 sowie URL (24.5.2010): http://www.carnegiefoundation.org/ classifications/index.asp?key=805. Für weitere Informationen zum U.S.-Hochschulsystem vgl. Kapitel 5 dieser Arbeit.
5 Die Promotion in den English studies
In den USA gibt es eine große Bandbreite von so genannten postsecondary institutions, die alle im weitesten Sinne zu Hochschulen gezählt werden können. Jedoch nur ein Bruchteil davon bietet die Möglichkeit zur Promotion an. Allgemein kommen auf derzeit ca. 304 Millionen Einwohner der USA über 6.600 postsecondary institutions.402 Aber weniger als zehn Prozent dieser Einrichtungen (421 im Jahr 2008) verleihen forschungsbasierte Doktorgrade (research doctorate, Ph.D.).403 Neben diesen promotionsanbietenden doctorate-granting institutions werden zu den postsecondary institutions auch Master´s colleges and universities, Baccalaureate colleges, Associate´s colleges, Special focus institutions und Tribal colleges hinzugerechnet.404 Terminologisch wird bei den Hochschulen zwischen colleges, die meistens eine maximal vierjährige Ausbildung und Bachelorabschlüsse anbieten (undergraduate education) und universities unterschieden, an denen so genannte 4 plusoder graduate-Ausbildung mit Master- und Promotionsstufe stattfindet. Die klare Trennlinie zwischen der undergraduate und graduate Ausbildung und die damit einhergehende Zäsur nach dem Bachelorabschluss gehören zu den typischen Merkmalen des U.S.-amerikanischen tertiären Bildungssektors und zu den Hauptunterschieden gegenüber dem deutschen Hochschulsystem. Eine weitere Differenz ist die Aufteilung der promotionsanbietenden Hochschulen in öffentliche (public), private gemeinnützige (private, not-for-profit) und private gewinn402 Vgl. Knapp et al.: Postsecondary Institutions, S. 8. 403 Vgl. Fiegener: Doctorate Recipients from U.S. Universities, S. 2. Die Bezeichnungen der Doktorgrade in den USA sind sehr vielfältig. Neben dem eindeutig forschungsorientierten „Ph.D.“ gibt es eine ganze Reihe von so genannten professionellen Doktorgraden wie dem Doctor of Medicine (M.D.) oder Doctor of Psychology (Psy.D.). Dazwischen gibt es eine Schnittmenge, deren Programme eine forschungsorientierte Komponente aufweisen, die so genannten practicioner Doktorgrade (z. B. Doctor of Business Administration (D.B.A.). Diese beinhalten noch eine Untergruppe der so genannten applied Doktorgrade, zu denen etwa der Doctor of Education (Ed.D.) oder Doctor of Engineering (D.Eng.) gehören. Eine Auflistung aller existierenden Doktorgrade ist nicht möglich, da die privaten Universitäten im Bereich der professionellen Abschlüsse keinerlei Regeln für die Gradbezeichnungen unterliegen und diese frei wählen können. 404 Vgl. American Council on Education: A Brief Guide, S. 7.
E. Bosbach, Promotion in den Geisteswissenschaften, DOI 10.1007/978-3-531-94142-4_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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orientierte (private, for-profit) Einrichtungen.405 Diese ist auch für die Rahmenbedingungen der Doktorandenausbildung maßgeblich – wie im Kapitel 5.2 gezeigt wird, bestehen zwischen privaten und öffentlichen Universitäten beispielsweise Unterschiede in der Höhe der Stipendien oder des Umfangs der Lehre der Doktoranden. Den neusten Zahlen des U.S. Department of Education nach waren im Herbst 2008 36,5 Prozent der promotionsanbietenden Einrichtungen öffentlich, 59 Prozent privat gemeinnützig und 4,5 Prozent privat gewinnorientiert.406 Die Doktorandenausbildung in den USA ist stark konzentriert: Fast die Hälfte aller Doktorgrade (46 Prozent) wurde 2008 von nur 42 Universitäten verliehen, also von zehn Prozent der 421 in der Doktorandenausbildung aktiven Universitäten.407 Weniger als 150 dieser Universitäten verleihen Doktorgrade in English studies: Laut dem online zugänglichen, auf freiwilligen Einträgen der English departments basierenden Guide to Doctoral Programs in English and Other Modern Languages der Modern Language Association (MLA) konnte im Mai 2010 an 113 Universitäten in den USA ein Doktorgrad in English erworben werden.408 Und im Survey of Earned Doctorates 2008 berichteten Absolventen von 145 verschiedenen Universitäten, einen Ph.D. in English Language and Literature oder American Literature erworben zu haben.409 Die Doktorandenausbildung erfolgt in so genannten graduate schools, die im Kapitel 5.1 näher beschrieben werden. Von den insgesamt 48.802 im Jahr 2008 in den USA verliehenen Doktorgraden waren 891 in English studies (English Language and Literature sowie American Literature).410 Die historische Entwicklung der Anzahl der verliehenen Doktorgrade in den English studies im Vergleich zu allen Disziplinen in der Zeit zwischen 1958 und 2008 wird im Kapitel 4.2 in Abb. 1 dargestellt – dem parallelen Anstieg der English Ph.D.s und fächerübergreifend aller Ph.D.s von 1958 bis 1973 aufgrund der „Großen Expansion“ steht eine rapide Abnahme der Promo-
405 Alle drei Hochschultypen beziehen Studiengebühren, der Unterschied zwischen not-for-profit und for-profit-Institutionen ist vielmehr steuerrechtlicher Art, indem for-profit-Hochschulen durch ihr oft auf Fernstudiengängen basierendes Ausbildungsangebot zu versteuernde Gewinne erzielen. Private Hochschulen sind von der Vergabe öffentlicher Mittel an ihre Studierenden (Stipendien, Kredite etc.) nicht ausgeschlossen, sondern werden dabei weitgehend wie die öffentlichen Institutionen behandelt. 406 Eigene Berechnungen nach Knapp et al.: Postsecondary Institutions, S. 8. 407 Vgl. Fiegener: Doctorate Recipients from U.S. Universities, S. 2. 408 Eigene Berechnung nach dem Guide to Doctoral Programs in English and Other Modern Languages der Modern Language Association, URL (24.5.2010): http://www.mla.org/ gdp_search. 409 Eigene Berechnung nach Fiegener: Doctorate Recipients from U.S. Universities, S. 123-137. 410 Eigene Berechnung nach ebd., S. 139 und S. 145.
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viertenzahlen in den English studies als Zeichen der „Großen Schrumpfung“ gegenüber (vgl. 4.2). Einer Promotion in English studies geht meist die Wahl von English als Hauptfach (major) im Laufe der Undergraduate-Ausbildung voraus. Letztere erfolgt in den USA während des in der Regel vierjährigen College-Studiums auf dem Weg zum Bachelorabschluss. Im college müssen – ein günstiger Umstand für die English studies – die Studierenden aller Fächer unter anderem die von Anglisten unterrichteten Kurse im wissenschaftlichen Schreiben oder Literatur verpflichtend belegen (vgl. 4.2).411 Bei vielen Programmen bildet der Bachelorabschluss die Regelvoraussetzung für eine anschließende Promotion im Rahmen einer graduate school, die wiederum meist ein Masterstudium beinhaltet. Immer seltener ist dabei der Masterabschluss eine Voraussetzung der Promotionsaufnahme, sondern er gehört oftmals zu den Bedingungen der Fortsetzung der Promotion in der Dissertationsphase (vgl. 5.1). Dadurch, dass im Gegensatz zu Deutschland in den USA alle Doktoranden als graduate students eingeschrieben sind, lässt sich beispielsweise die Zeitspanne zwischen Studienabschluss und Promotionsbeginn sehr gut feststellen. Diese ‚Pause’ dauert in den Geisteswissenschaften im Durchschnitt je nach Datenquelle zwei bis viereinhalb Jahre,412 in Naturwissenschaften und Mathematik etwa halb so lang (etwas länger als zwei Jahre).413 In English studies beträgt die Übergangszeit im Median zwei Jahre.414 Als Hauptgründe für diese Unterbrechung des Qualifizierungsverlaufs werden von geisteswissenschaftlichen Doktoranden neben der Unsicherheit über die Promotionsabsicht (30 Prozent) die Notwendigkeit einer Auszeit (25 Prozent) sowie der Bedarf nach Arbeitserfahrung (13 Prozent) genannt.415 411 Für eine zusammenfassende Betrachtung der bisherigen Untersuchungen über Einflussfaktoren beim Arbeitsmarkteinstieg der Absolventen, die im Studium ein Hauptfach (major) in den Geisteswissenschaften gewählt haben, vgl.: John/Wooden: Humanities Pathways. 412 Eigene Berechnung nach Fiegener: Doctorate Recipients from U.S. Universities, S. 49 (zwei Jahre) sowie vgl. National Science Foundation: U.S. Doctorates in the 20th Century, S. 37 (3,2 Jahre) und Nettles/Millett: Three Magic Letters, S. 66 (3,5 bis 4,5 Jahre). 413 Vgl. Nettles/Millett: Three Magic Letters, S. 66. Basis der Untersuchung bildeten Aussagen von über 9.000 Doktoranden, die an den 21 bei der Doktorandenausbildung produktivsten U.S.-Hochschulen promovieren. 414 Die Promotionsdauer beträgt dabei seit Bachelorabschluss im Median 11,2 Jahre, seit Beginn der graduate school im Median 9,2 Jahre, wobei die Kursphase der graduate school der europäischen Masterphase in etwa gegenüber gestellt werden kann. Eigene Berechnung, Summen bzw. ungewichtete Mittelwerte der Fächerkategorien English language and literature und American literature, nach Fiegener: Doctorate Recipients from U.S. Universities, Table 40, S. 94. 415 Vgl. Nettles/Millett: Three Magic Letters, S. 67.
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Für Deutschland stehen ähnliche Daten nicht regelmäßig zur Verfügung. Aber die bereits im Kapitel 3 zitierte einzige bundesweite Promoviertenstudie, die auch für die Germanistik aufgeschlüsselt ist, zeigt für die Promotionsabschlusskohorten 1979/80, 1984/85 und 1989/90 (und somit nur für die Individualpromotion) eine Übergangszeit zwischen Studium und Promotion von etwa einem Jahr. Auch wenn die absoluten Zahlen für die Germanistik niedriger sind als die für English studies und der Übergang in den USA in der Regel vor, in Deutschland stattdessen nach der Masterphase geschieht, sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Disziplinen in beiden Ländern ähnlich: Auch in Deutschland ist die Phase vor Aufnahme der Dissertationsarbeiten bei Biologen und Mathematikern etwa halb so lang als bei den Germanisten, sie beträgt im Schnitt ein halbes Jahr.416 5.1 Promotionsmodelle 5.1.1 Institution graduate school Die Doktorandenausbildung in English studies findet an den in diesem Fach promotionsanbietenden Universitäten zum einen im Rahmen der einzelnen departments of English statt, zum anderen ist sie an die zentralen und meist disziplinenübergreifenden graduate schools der Universitäten angebunden. Die Aufgaben der graduate school reichen dabei von der Steuerung des Bewerbungsprozesses und Auswahl der Doktoranden über die Koordination der verschiedenen Master- und Promotionsprogramme sowie der Verteilung von Informationen an verschiedene Zielgruppen (Doktoranden, Betreuer, Promotionsinteressierte etc.) bis hin zur Sammlung und Veröffentlichung statistischer Daten über die Doktorandenausbildung an der Universität, Organisation von Kursen zu wissenschaftlichen Zusatzqualifikationen und insbesondere die Aufsicht über die Promotionsfortschritte der Doktoranden und die Verleihung der Abschlüsse. Zur Auswahl der passenden graduate school und damit des Promotionsortes können im Gegensatz zu Deutschland viele auf die Doktorandenausbildung speziell ausgerichtete Orientierungshilfen und Rankings genutzt werden. So sammelt die Modern Language Association (MLA) auf das Fach English sowie die Fremdsprachenphilologien bezogene Daten über Zulassungs- und Programmanforderungen, Kosten, Stipendienangebote, Krankenversicherung etc. der in diesen Disziplinen angebotenen Promotionsprogramme. Die Informationen können 416 Vgl. Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel?, S. 47.
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von Promotionsinteressierten zum einen im Guide to Doctoral Programs in English and Other Modern Languages online recherchiert,417 zum anderen in einem von der MLA veröffentlichten Bericht über den Guide nachgelesen werden.418 Darüber hinaus informieren verschiedene Rankings und Studienratgeber über die Promotionsmöglichkeiten in den English studies in den USA, insbesondere das komplexe und in der Wissenschaftsgemeinschaft anerkannte Ranking der Promotionsprogramme des National Research Council (NRC), dessen letzte Ausgabe allerdings bereits 15 Jahre zurück liegt.419 Zu den fachübergreifenden Rankings, die English studies einbeziehen, gehören das Ranking der Hochschulen und Fächer der Wochenzeitschrift U.S. News and World Report, der Guide to American Graduate Schools oder die Publikation Graduate Programs in the Humanities.420 Die Institution graduate school wird einerseits – auch in der landesinternen Diskussion – als eine Stärke des U.S.-Promotionssystems gewertet: So bezeichnet beispielsweise der Hochschulforscher Burton Clark die graduate school allgemein „as an institutional innovation” und als eins der Merkmale, die maßgeblich für den Erfolg des Forschungssystems der USA auf Doktorandenebene seien.421 Es wird in den folgenden Kapiteln zu prüfen sein, wie die Verwaltungs-
417 URL (24.5.2010): http://www.mla.org/gdp_intro. 418 Vgl. Steward: Report on Data from the 2004-05 MLA Guide. 419 Das Ranking wurde bisher in den Jahren 1983 und 1995 durchgeführt, vgl. Goldberger et al.: Research Doctorate Programs, Executive Summary (ohne Seitenangabe). Nachdem 2003 die Methodik überarbeitet (vgl. Ostriker/Kuh: Assessing Research-Doctorate Programs) und 2009 ein Guide zu der neuen Methodologie veröffentlicht wurde (vgl. Ostriker et al.: A Guide to the Methodology) steht die für Ende 2007 geplante Neuausgabe des Rankings (mündliche Mitteilung von Charlotte Kuh, stellvertretender Leiterin der Policy and Global Affairs Division der National Academies (National Research Council), Treffen in New York am 2. Juni 2007) noch aus. Für weiterführende Forschungsprojekte wird die Neuausgabe von zentraler Bedeutung sein. Für weitere Informationen über das Projekt vgl. URL (24.5.2010): http://sites.nationalaca demies.org/PGA/Resdoc/index.htm. 420 Für die aktuellen Fassungen vgl. U.S. News and World Report: America´s Best Graduate Schools sowie für die Promotionsprogramme in English studies die URL (24.5.2010): http://grad-schools.usnews.rankingsandreviews.com/best-graduate-schools/top-englishschools/rankings, Doughty: Guide to American Graduate Schools und Oram: Graduate Programs in the Humanities. Darüber hinaus informiert eine Reihe von fachspezifischen Studienführern über Studien- und Promotionsmöglichkeiten in bestimmten Disziplinen innerhalb der Geisteswissenschaften, u. a. in American Studies, Theaterwissenschaften, Philosophie oder Kunstgeschichte. Für eine Übersicht vgl. Jones: Evaluation of Existing Datasets, S. 46-47. 421 Vgl. des Weiteren: „The U.S. strong graduate school pattern is exceptional and seems to be the fortunate product of an unplanned evolutionary history; private, as opposed to government, sponsorship and participation has played a major role in it“. Clark: The Research Foundations of Graduate Education, S. 355-379.
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einheit graduate school die Doktorandenausbildung in den English studies tatsächlich unterstützt. Andererseits gibt es auch Herausforderungen. So fasst der Anglist Prof. Thomas H. Benton die Probleme des derzeitigen Systems zusammen in seinem Aufsatz mit dem bezeichnenden Titel: „Graduate School in the Humanities: Just Don’t Go“. Das Grundproblem liegt für Benton darin, dass die Promovierten der Geisteswissenschaften nach im Schnitt zehn Jahren leidvoller Vorbereitung, Überbeanspruchung in der Lehre, schlechter Bezahlung und nicht selten Schuldenakkumulierung anschließend weder auf dem akademischen noch auf dem außerakademischen Arbeitsmarkt gute Anstellungschancen hätten. Nur die Hälfte der Absolventen könne eine akademische Stelle mit Aussicht auf Entfristung (tenure-track position) bekommen, Tendenz abnehmend.422 Das „nur“ deutet dabei auf ein anderes Selbstverständnis bei der Doktorandenausbildung in den USA hin, nämlich als Ausbildung für den Beruf des Hochschullehrers, die nach Möglichkeit für 100 Prozent der Absolventen auch die entsprechende Berufsausübung ermöglichen sollte. Die aus der U.S.-Perspektive zunehmend schlechte Aussicht auf eine akademische Volleinstellung hängt maßgeblich mit der Verschlechterung der Lage auf dem akademischen Arbeitsmarkt zusammen (vgl. Kapitel 4.2 und 5.5). Ein zusätzlicher Faktor ist jedoch die im Kapitel 4.2 diskutierte starke Assoziation der geisteswissenschaftlichen Doktorgrade in den USA mit einer Lehrtätigkeit: Dadurch, dass sowohl die Administratoren und Professoren als auch die Doktoranden die akademische Lehranstellung oftmals als einzige (würdige) Möglichkeit des weiteren beruflichen Anschlusses nach der Promotion ansehen, werden die Chancen der Promovierten, eine Stelle außerhalb der Wissenschaft anzutreten, künstlich eingeschränkt. Nicht nur sind die Absolventen deutlich älter und nicht für außerakademische Positionen ausgebildet,423 sondern die nahezu doktrinäre Fixierung aller Beteiligten auf den einzigen richtigen Karriereweg nach der graduate school führt dazu, dass viele Promovierte nicht einmal die Möglichkeit einer außerakademischen Karriere, die als Versagen gewertet wird, in Betracht ziehen.
422 Vgl. Benton: Graduate School in the Humanities (ohne Seitenangabe). Für eine weiterführende Untersuchung der Karrieremöglichkeiten der Promovierten in English studies vgl. Kapitel 5.5. 423 Vgl.: „Unfortunately, during the three years that I searched for positions outside of academe, I found that humanities Ph.D.'s, without relevant experience or technical skills, generally compete at a moderate disadvantage against undergraduates, and at a serious disadvantage against people with professional degrees. If you take that path, you will be starting at the bottom in your 30s, a decade behind your age cohort, with no savings (and probably a lot of debt)“. Ebd.
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Neben der Kernfrage der Effektivität einer oftmals zehnjährigen professionellen Ausbildung, die nur in der Hälfte der Fälle auch zur Ausübung des primär intendierten Berufes führt (vgl. Kapitel 5.4),424 ist die Erfahrung während der Zeit in der graduate school für viele Doktoranden mit psychischen Problemen verbunden: Nach Auswertungen des Chronicle of Higher Education seien viele Promovierende frustriert und depressiv und in Relation zum Rest der Bevölkerung im höheren Maße vom Selbstmord bedroht. In einer Studie im Jahr 2004 berichteten 67 Prozent der Doktoranden an der University of California at Berkeley über Gefühle der Hoffnungslosigkeit mindestens einmal während des vorangehenden Jahres, 54 Prozent bezeichneten sich selbst als derart depressiv, dass sie kaum arbeiten könnten, und fast zehn Prozent gaben an, dass sie Selbstmord in Betracht gezogen hätten. Laut Chronicle litten im Vergleich dazu nach Informationen des National Institute of Mental Health 9,5 Prozent der amerikanischen Erwachsenen an Depression.425 Thomas Benton zieht ein eindeutiges Fazit: Eine geisteswissenschaftliche graduate school sollten nur gut vernetzte Personen mit ausreichend finanziellen Mitteln und Unterstützung des Lebenspartners bzw. der Eltern ‚riskieren‘. Eine zweite sinnvolle Zielgruppe seien bereits fest angestellte Interessenten, die den Doktorgrad als Zusatzqualifikation für ihre Tätigkeit erwerben, zum Beispiel Lehrer an high schools. Neben diesen Personen empfehle sich die geisteswissenschaftliche Promotion nur noch für Personen, die von vorne herein nicht auf eine akademische Position abzielen: Such students will be less beholden to advisers, and empowered to demand that courses have some relationship to existing opportunities. With an eye to careers outside academe, they will challenge the tyranny of the monograph; they might seek technical skills; they will want to speak to a wider public; and they will be more open to movement between academe and the "outside world" than previous generations, who were taught to regard anything but the professorial life as failure from which one could never return.
424 Benton wirft dabei die polemische Frage auf, ob es wohl eine andere gesellschaftliche und hochschulpolitische Reaktion hervorrufen würde, wenn beispielsweise die Ausbildung in einer medical school nur für die Hälfte der Ärzte zur Berufsausübung führen würde. Vgl. ebd. Andererseits kann die Berufsoffenheit trotz Spezialisierung auch ein Wettbewerbsvorteil für Geisteswissenschaftler sein. 425 Vgl. Fogg: Grad-School Blues (ohne Seitenangabe). Ohne den dargestellten Missstand marginalisieren zu wollen, ist kritisch anzumerken, dass der Vergleich des Chronicle mit folgender Einschränkung zu betrachten ist: Bei den Angaben des National Institute of Mental Health handelt es sich um klinische Zahlen, im Gegensatz zu einer Selbsteinschätzung der Doktoranden in der davor zitierten Studie.
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Das Ziel dabei, wie bei den gegenwärtigen Reformbemühungen auf Promotionsebene in den USA insgesamt, scheint die Transformation einer einseitig auf die Ausbildung des (nicht in diesem Umfang benötigten) wissenschaftlichen Nachwuchses ausgerichteten Doktorandenausbildung in den Geisteswissenschaften zu mehr Offenheit gegenüber außerwissenschaftlichen Berufen zu sein, die angesichts der Arbeitsmarktlage unausweichlich erscheint. Dieser Aspekt korrespondiert mit dem status quo der Doktorandenausbildung in Deutschland. Hier hat der Doktorgrad eine polyvalente Funktion und qualifiziert für Leitungspositionen in akademischen wie außerakademischen Berufen (vgl. Kapitel 1.2). Darauf basierend fordern Wissenschaftsorganisationen in Deutschland ganz ähnlich wie beispielsweise Benton für die USA eine Anpassung der Promotionsinhalte (vgl. Kapitel 1.3). Dies kann positive Effekte der besseren Übereinstimmung der Ausrichtung der Promotion mit den später in verschiedenen Berufen von den promovierten Geisteswissenschaftlern benötigten Kompetenzen sowie deren insgesamt bessere Berufsqualifizierung haben. Ferner kann es sich um einen Weg der Erhöhung der Attraktivität der Disziplinen für künftige Studierende und Doktoranden handeln. Gleichzeitig sollte bedacht werden, ob durch Maßnahmen zur gezielten Öffnung der Doktorandenausbildung gegenüber anderen Berufszielen die Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses des Faches nicht zu sehr in den Hintergrund tritt. Auf einen weiteren Aspekt der nicht immer befriedigenden Erfahrung in der graduate school in den USA geht Prof. Jane Tompkins, eine Anglistin an der Duke University, in ihren Memoiren „A Life in School: What the Teacher Learned“ ein. Demnach gab es in ihrer graduate school in Yale leider nicht das erwartete intellektuelle Klima mit einer offenen fachlichen Diskussion über strittige Themen. Stattdessen beschreibt Tompkins die „vendettas“ der Doktoranden gegeneinander, die aber nicht zu kritischen Debatten über die Epochen und Spezialisierungen hinweg geführt hätten und nicht den „Geist aufweckten“.426 Ähnlich vermisst Prof. Gerald Graff von der University of Illionis in der graduate school die Aufklärung über die Bedeutung der Begriffe „Wissenschaft“, „unsere Disziplin“ (English studies) oder „Forscher“. Stattdessen beschreibt er seine Erfahrung folgendermaßen: That’s how I remember graduate school, as a place where, if you were any good, you supposedly already knew what the game was and why it was being played. If you didn’t, why were you there?427
426 Tompkins: A Life in School, S. 81. 427 Graff: The Ph.D. in English, S. 1 und S. 3.
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Er erklärt diesen Zustand durch die institutionelle Beschaffenheit des Faches English als einer Mischung aus verschiedenen Botschaften, Methoden und Schulen (vgl. Kapitel 4.2). Nicht nur habe sich das Fach seit seiner eigenen Promotion vor über 40 Jahren noch stärker fragmentiert, sondern die Situation für die Doktoranden habe sich durch die zunehmende berufliche Unsicherheit bezüglich der Zeit nach der Promotion weiter verschlechtert.428 Die oben angeführten Beispiele legen nahe, dass es keinen Automatismus zwischen der Etablierung einer graduate school bzw. einer ihr ähnlichen Struktur und einer produktiven fachlichen Diskussion, dem disziplinären Zusammenhalt oder einer schnellen und erfolgreichen Vorbereitung auf die akademische Laufbahn gibt, sondern dass die Erreichung dieser Ziele weiterer konkreter inhaltlicher und organisatorischer Überlegungen und Anstrengungen, gerade auch auf der Ebene der einzelnen Institute und Fachbereiche, bedarf. Institutionell ist die Arbeit der graduate school meistens eng mit der Forschungsplanung der Universität verknüpft, was nicht selten in einer Personalunion des Vizepräsidenten für Forschung und des Dekans (dean) der graduate school resultiert.429 Jede graduate school hat ihren eigenen Dekan und damit die Universität einen fachübergreifenden Koordinator der Doktorandenausbildung, der auf der Disziplinenebene mit den Directors of Graduate Studies zusammen arbeitet. Für die Muttersprachenphilologie English studies wurden letztere an zwei Beispielhochschulen im Rahmen dieser Arbeit interviewt (vgl. weitere Kapitel). Auf nationaler Ebene bietet den Dekanen der graduate schools das bereits 1961 gegründete Council of Graduate Schools (CGS) verschiedene Informations- und Beratungsangebote, ein Netzwerk und eine Austauschplattform.430 428 Vgl.: „[T]he pressures have been vastly intensified by anxieties I never had to feel about whether any job security would lie at the end of the arduous process“. Ebd., S. 1. 429 Vgl. Janson et al.: Wege zur Professur, S. 73. 430 Bei regelmäßig stattfindenden Tagungen können sich die Dekane über aktuelle Themen, Defizite und Strategien in der Promotionsphase austauschen. Ferner organisiert das Council Schulungen zur Amtsausübung für neue Mitglieder, vertritt die Interessen der graduate schools gegenüber der Regierung, pflegt internationale Beziehungen (darunter auch zur European University Association (EUA) im Rahmen des sog. Transatlantischen Dialogs), führt selbst Befragungen und Analysen zur Doktorandenausbildung durch und koordiniert zahlreiche Förderprogramme in diesem Bereich. URL (24.5.2010): http://www.cgsnet.org/. Seit 1989 organisieren das American Council on Education (ACE) und die EUA (vormals CRE) regelmäßig etwa alle zwei Jahre Treffen im Rahmen des sog. „Transatlantischen Dialogs”. Zum Thema Doktorandenausbildung fand dabei 2006 die Konferenz „Doctoral Education in a Global Context” statt. Für mehr Informationen zu der Konferenz vgl. URLs (24.5.2010): http://www.cgsnet.org/por tals/0/pdf/N_pr_Salzburg_0906.pdf, zum „Transatlantischen Dialog” http://www.acenet.edu/ AM/Template.cfm?Section=Intl_Engage&Template=/CM/ContentDisplay.cfm&ContentID=14 096. CGS und EUA waren auch Koorganisatoren der Konferenz „Strategic Leaders Global
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Für die Doktorandenausbildung in English studies spielt neben dem Council und der Modern Language Association (MLA) noch der Fachverband Association of Departments of English (ADE, ein Unterverband der MLA) eine wichtige Rolle.431 Der Ablauf der Promotion in den English studies ist in der Regel in eine Kurs- und eine Dissertationsphase gegliedert. Die Kursphase (course work) dauert je nach Einstiegsqualifikation (Bachelor- oder Masterabschluss, beim letzeren können im Masterstudium absolvierte Veranstaltungen teilweise angerechnet werden) in der Regel zwei bis drei Jahre. Durch das Belegen von Kursen und den Abschluss mit einer Prüfung, die der Überprüfung der in der Kursphase erworbenen Kenntnisse dient und nach der nicht selten der Masterabschluss (M. A. oder M. Phil.) verliehen wird, kann die Kursphase strukturell in etwa der europäischen Masterstufe gegenübergestellt werden. Die Länge der Kursphase und die Zusammensetzung der Veranstaltungen variiert zwischen den einzelnen Universitäten. Die Kursphase wird über den Erwerb von über das Bachelorstudium hinausgehenden Kenntnissen zum Teil bereits zur Vorbereitung des späteren Dissertationsthemas und Ausarbeitung eines Exposés genutzt, welches wiederum oftmals aus Gründen der Qualitätssicherung in einem formalisierten Verfahren genehmigt wird. Für die anschließende Dissertationsphase ist eine höhere Selbständigkeit der Doktoranden charakteristisch. Dies heißt jedoch nicht, dass auch ihre Lehrverpflichtungen in der Dissertationsphase abnehmen, sondern diese bestehen, wie in den Praxisbeispielen und insbesondere im Kapitel 5.3 gezeigt wird, unabhängig von der Aufteilung in Kurs- und Dissertationsphase: Die Doktoranden müssen sowohl bereits während der Kursphase unterrichten (z. B. an der CUNY teilweise vom ersten Jahr an, an der Columbia University ab dem zweiten Jahr, vgl. Kapitel 5.1.2), als auch später in einem Teil der Dissertationsphase; die bezahlte Befreiung von der Lehre beschränkt sich je nach Förder-
Summit on Graduate Education” im September 2007 in Banff/Alberta/Kanada, aus der die sog. Banff Principles on Graduate Education hervorgegangen sind, vgl. URL (24.5.2010): http://www.cgsnet.org/Default.aspx?tabid=289. 431 Die Association of Departments of English (ADE) bietet auf seiner Webseite einen Überblick der promotionsanbietenden English departments in den USA. Seit über 40 Jahren findet in dem Verband auf der Ebene der Institutsleiter (department chairs) der fast 750 (auch nichtpromotionsanbietenden) English departments sowie „writing programs, and humanities divisions“ an zwei und vierjährigen Bildungseinrichtungen und Hochschulen in USA und Kanada Austausch im Rahmen von regelmäßigen einjährigen Sommerworkshops statt. Darüber hinaus werden den Mitgliedern im ADE Bulletin, einem Periodikum für Administratoren der Institute sowie auf der Internetseite des Verbandes verschiedene Daten zu curricularen, professionellen und administrativen Themen zur Verfügung gestellt. Vgl. URLs (24.5.2010): http://www.ade. org/reports/index.htm und http://www.ade.org/members/index.htm.
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abkommen beispielsweise an der Columbia University auf das erste und fünfte Jahr der Promotion. Wie die Doktorandenausbildung in English studies in konkreten Programmen gestaltet wird, soll unter anderem anhand der Interviews mit Doktoranden und Koordinatoren der Programme an zwei Beispieluniversitäten im Bundesstaat New York, der privaten Columbia University und der öffentlichen City University of New York, untersucht werden. 5.1.2 Praxisbeispiele 5.1.2.1 Columbia University Eine Promotion mit dem Ziel des Erwerbs eines Doktorgrads in English ist an der 1754 als King’s College von König George II von England gegründeten Columbia University institutionell an der Graduate School of Arts and Sciences angebunden und erfolgt innerhalb des Department of English and Comparative Literature. Neben dem sequenziell aufgebauten M.A./M.Phil./Ph.D.-Programm in Vollzeit kann in Teilzeit mit dem Ziel des „Free-standing M.A.“-Abschlusses studiert werden. Dieser umfasst die gleichen Leistungen wie der Masterstudiengang im Rahmen des Ph.D.-Programms, es gibt jedoch Unterschiede in der Selektivität beider Programme bei der Aufnahme sowie in der Finanzierung (s.u.), und ein späterer Wechsel von diesem Master- ins Ph.D.-Programm ist nicht möglich.432 Alle Bewerber müssen neben den Ergebnissen des fächerübergreifenden GRE-Tests (graduate record examination) und weiterer Unterlagen (vgl. Kapitel 5.2) eine 20-seitige Arbeitsprobe vorlegen. Im ersten Jahr des Programms bele432 Die Undurchlässigkeit dieses und anderer U.S.-amerikanischer Doktorandenprogramme an der Schnittstelle Master/Promotion führt zusammen mit der später in diesem Abschnitt erläuterten finanziellen Unterstützung der Doktoranden im Gegensatz zum gebührenpflichtigen Masterstudium zu einem Phänomen der ‚falschen Einschreibung’. Bei diesem schreiben sich Studierende, die eigentlich den Erwerb eines Masterabschlusses als Ziel haben, in die graduate school mit dem deklarierten Abschlussziel eines Ph.D. ein, um von der finanziellen Förderung als Doktorand zu profitieren. Das Verlassen der graduate school nach dem Masterabschluss ist nach wie vor möglich, und die Option der Promotion ebenfalls vorhanden. Dieses Phänomen verursacht eine Verzerrung der Abbruchquoten auf der Promotionsebene. Mündliche Mitteilung Daniel D. Denecke, Leiter der Abteilung Best Practices des Council of Graduate Schools, Gespräch am 19. Juni 2007, Washington D.C. An vielen graduate schools wird der Mastergrad als ‚Trostabschluss‘ beim Verlassen der graduate school aufgrund des Nichtbestehens der Prüfungen am Übergang zur Dissertationsphase oder des Promotionsabbruchs im Laufe dieser verliehen.
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gen die Studierenden acht einsemestrige Kurse, zu denen auch das „Master’s Seminar“ und „Master’s Colloquium“ (Einführungen in Theorien und Methoden der Literaturwissenschaft) gehören. Unter den belegten Veranstaltungen muss sich mindestens eine auf Literatur vor 1700, und mindestens eine auf Literatur nach 1700 beziehen. Die Studierenden müssen des Weiteren einen Master’s Essay von 25 bis 30 Seiten erstellen und die Kenntnisse einer Fremdsprache nachweisen. Es wird explizit darauf hingewiesen, dass Kurse von anderen Universitäten nicht anerkannt werden können: „No advanced standing will be granted toward the M.A. for graduate work completed at other institutions.“433 Nach einer Evaluation der erbrachten Leistungen der Studierenden werden sie für das weitere Studium empfohlen und der Abschluss M.A. in English and Comparative Literature verliehen. Um den nächsten Grad (M.Phil.) zu erwerben, müssen die Studierenden weitere sechs Kurse absolvieren (mindestens je einen in medieval literature, early modern literature, 18th- or 19th-century literature und 20th-century literature) und Kenntnisse einer zweiten Fremdsprache nachweisen.434 Ferner ist die Voraussetzung für den Abschluss das Bestehen einer zweistündigen mündlichen Prüfung in Vorbereitung der Dissertation (qualifying examination), die auf individuellen Leselisten der Studierenden für drei Themenbereiche (ein Haupt- und zwei Nebenbereiche) basiert. Die Prüfung findet in der Regel am Ende des dritten Studienjahres statt und folgt einer diagnostic pre-oral examination im gewählten Hauptbereich, die sechs bis acht Wochen vor dem eigentlichen Prüfungstermin absolviert werden muss und deren erfolgreiches Bestehen eine Bedingung für die Anmeldung zu der eigentlichen Prüfung ist. Erst danach und bei Empfehlung zur Fortsetzung beginnt die Arbeit an der Dissertation, mit dem ersten Schritt der Erstellung und Einreichung eines etwa zwölfseitigen Exposés (dissertation prospectus) innerhalb der ersten sechs Monate (und spätestens am 15. Dezember des vierten Jahres). Die erwartete Gesamtstudien- und Promotionszeit beträgt, gerechnet ab der Aufnahme mit dem Bachelorabschluss, sechs Jahre. Auf diese Zeitspanne bezieht sich auch die finanzielle Förderung: Bei zufriedenstellendem Fortschritt und der Erfüllung der Lehrverpflichtungen erhalten alle zugelassenen Studierenden bzw. Doktoranden des English-Programms der Columbia University während dieser Zeit eine finanzielle Förderung sowie eine Befreiung von den Studiengebühren. Diese Regelung bezieht sich jedoch nicht 433 URL (24.5.2010): http://www.columbia.edu/cu/gsas/departments/english-comparative-lit/de partment.html. 434 Vgl. URL (24.5.2010): http://www.columbia.edu/cu/gsas/departments/english-comparative-lit/ bulletin.html.
5.1 Promotionsmodelle
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auf die free-standing Masterstudierenden, also diejenigen, die nicht den Ph.D. als Abschlussziel haben. Vielmehr zahlen die Masterstudierenden im gewissen Sinne mit ihren Gebühren die Gehälter der unterrichtenden Doktoranden. So erläutert einer der für diese Arbeit befragten Doktoranden der Columbia University: All doctoral students at Columbia are here on fellowships. [But] not people on terminal Master’s degrees, they pay 40.000 dollar a year, they take loans. When I got my Master’s degree, I didn’t pay for it, because I was in a Ph.D. program. The Master’s programs usually last one year. In the English department, there were 35 of them, so about one million dollars. They fund to a certain extent the one of us, who are in the doctoral program.
Neben der Finanzierung bestehen weitere Unterschiede zwischen dem Masterund dem Promotionsprogramm in der Anzahl der Teilnehmer (und dadurch auch der Betreuungsrelation) und der Selektivität bei der Zulassung: Während im akademischen Jahr 2008/2009 35 Studierende und damit 50 Prozent der Bewerber in das free-standing Masterprogramm zugelassen wurden, promovierten im gleichen Jahr im Doktorandenprogramm 15 Doktoranden, die aus 700 Bewerbern ausgewählt wurden. Unterschiede in Finanzierung und Selektivität und dadurch die Bedeutung der Frage, ob eine promotionsanbietende Universität in den USA privat oder öffentlich ist, werden insbesondere bei der nachfolgenden Betrachtung der öffentlichen City University of New York deutlich. 5.1.2.2 City University of New York (CUNY) Als die wichtigsten Unterschiede in der Doktorandenausbildung in English studies zwischen privaten und öffentlichen Universitäten in den USA fallen die Verfügbarkeit und Höhe der finanziellen Unterstützung der Doktoranden sowie der Umfang der durch die Doktoranden als Gegenleistung für diese Förderung pro Semester zu unterrichtenden Kurse auf. So beträgt die Förderung beispielsweise 16.000 bis 22.000 Dollar für alle Doktoranden der Columbia University, gegenüber 10.000 bis 21.000 Dollar für etwa zwei Drittel der Promovierenden an der City University of New York (CUNY).435 An der Columbia University müssen die Doktoranden einen, an der CUNY zwei Kurse pro Semester unterrichten, die zudem auf unterschiedlichen colleges der Stadt verteilt sein können. Dass Letzteres einen negativen Einfluss auf den Dissertationsfortschritt haben kann, 435 Die konkrete Höhe der Förderung richtet sich dabei vor allem nach dem Fortschritt im Promotionsverlauf und nach der aktuellen Finanzsituation der Hochschule.
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5 Die Promotion in den English studies
ist dem Koordinator des CUNY-Programms, Professor Steven Kruger, Ph.D., bewusst: They have to teach two courses every semester, they are teaching their own classes, there is no master teacher above them, they design the classes etc. So obviously, that’s a lot of work. So they cannot focus as much on their research in this time as I would like them to. This is different at Columbia. The improvement would be to reduce the amount of teaching, but it’s budgetarily difficult to do it, but would be advantageous for the students’ academic progress.
Weitere wichtige Unterschiede zwischen privaten und öffentlichen Universitäten sind die Selektivität der Doktorandenprogramme bei der Zulassung sowie die Zusammensetzung und Größe der Klassen. Auch die von den Doktoranden zu unterrichtenden Klassen variieren in ihrer Größe: So belegen beispielsweise den undergraduate Kurs freshmen writing etwa zwölf Teilnehmer an der Columbia University gegenüber 20 bis 25 Teilnehmern an der CUNY. Über den Vergleich mit privaten Institutionen und die Ziele seiner Institution berichtet der CUNYKoordinator offen: We are less selective than many of our competitors. That’s a good thing, because within those 30 students here five or so are very untypical, who might have worked a lot, teaching full time and do the doctorate more slowly than others – so a somewhat less competitive situation. One of the reasons for the larger class is that we are not accepting only the stars. We try to open things up to students who might have left education for a while, who are not as excellent etc. and don’t get accepted somewhere else. There are different institutions across the country, more and less selective.
Die unterschiedlichen Zielgruppen einzelner Promotionsprogramme in den USA fallen als ein Unterschied gegenüber den in Deutschland geförderten, bisher uniform auf Exzellenz abzielenden Promotionsprogrammen auf. Die zielgruppenspezifische Promotionsausbildung erscheint in den USA zweckmäßig, da die Promovierten im späteren Berufsleben als Hochschullehrer auch von diversen Institutionen angestellt werden und dabei bei weitem nicht alle Absolventen Professorenstellen an Forschungsuniversitäten mit Doktorandenausbildung werden besetzen können (vgl. Kapitel 4.2 sowie Fußnote 358). Die Diversität in der Promotionsphase scheint somit die Diversität der Institutionen und den vielfältigen Bedarf später im Beruf zu spiegeln. Mit Blick auf die Entwicklungen in Deutschland stellt sich allerdings die Frage, ob eine mit exzellenten Universitäten und deren Profilierung möglicherweise auch in der Doktorandenausbildung zunehmende Diversität ebenso angemessen ist. Denn alle deutschen Universitäten und Professuren umfassen (noch) sowohl Forschung als auch Lehre und alle Universitäten besitzen das Promotionsrecht. Die Folgen des Diversifizierungs-
5.1 Promotionsmodelle
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trends können in den USA beobachtet werden. Es resultiert eine extrem heterogene Hochschullandschaft mit Institutionen, die bei unterschiedlicher Studiendauer verschiedene Abschlüsse verleihen und sich durch Lehr- bzw. Forschungsorientierung und zweifellos auch unterschiedliche Lehr- bzw. Forschungsqualität auszeichnen. Auch die institutionelle Struktur der City University of New York ist im Vergleich zur Columbia University unterschiedlich: CUNY besteht bereits aus 23 verschiedenen Institutionen, darunter zahlreiche colleges, und das 1961 gegründete Graduate Center (so heißt die dortige graduate school) ist im Gegensatz zur graduate school der Columbia von anderen Einheiten der Universität räumlich entkoppelt. Durch die dezentrale Struktur kommen die Doktoranden mit den undergraduate Studierenden bis auf die zu unterrichtenden Kurse, zu denen sie an die jeweilige Institution in der Stadt fahren, kaum in Kontakt. Sowohl bei Columbia wie bei CUNY ist der Bachelorabschluss die Aufnahmestufe und -voraussetzung. CUNY macht im Gegensatz zu Columbia neben dem fachübergreifenden GRE General Test auch von dem fachspezifischen GRE Subject Test für Literatur im Rahmen der Aufnahmeverfahren Gebrauch (vgl. Kapitel 5.2). Die zu erbringenden Leistungen und der Ablauf der Promotion unterscheiden sich an beiden Institutionen nur geringfügig. Insgesamt müssen die Doktoranden an der CUNY 15 einsemestrige Kurse belegen (an der Columbia 14). Etwa die Hälfte der Promovierenden beginnt das Programm mit einem Bachelorabschluss, die andere Hälfte mit einem Masterabschluss, wobei eine Anerkennung der im Masterstudium absolvierten Kurse im Umfang von fast 50 Prozent der Leistungen (25 von 60 Kreditpunkten bei vier Kreditpunkten pro Kurs) erfolgen kann. Auch bei CUNY müssen Kenntnisse zweier Fremdsprachen nachgewiesen werden. In der Regel am Ende des ersten Promotionsjahres und spätestens bei 45 akkumulierten Kreditpunkten wird die erste Prüfung (comprehensive examination) schriftlich abgelegt. Darin werden in einer ganztägigen Prüfung Kenntnisse über das gesamte Fachgebiet überprüft. Nach 60 Kreditpunkten und somit abgeschlossener Kursphase (und spätestens ein Jahr danach) absolvieren die Doktoranden eine zweistündige mündliche Prüfung, die sich auf drei (im Gegensatz zu Columbia gleichwertige) selbstgewählte Studienbereiche – beispielsweise eine Epoche, einen Autor oder ein Genre – erstreckt. Der Vorsitzende der Kommission dieser zweiten Prüfung ist oft der Hauptbetreuer der anschließend zu verfas-
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5 Die Promotion in den English studies
senden Dissertation.436 Der Musterplan des Promotionsstudiums sieht die zweite Prüfung im vierten Promotionsjahr vor. Beide Prüfungen markieren die Übergänge der drei Ebenen des tuition status, nach denen sich für Doktoranden, die keine Dissertationsstipendien oder Lehr-Förder-Pakete erhalten, die Studienbeiträge errechnen. Mit fortgeschrittenem Status nehmen die Studienbeiträge ab: Für Promovierende mit Hauptwohnsitz im Bundesstaat New York betragen sie z. B. in der Zeit vor der ersten Prüfung 3.290 Dollar pro Semester, vor der zweiten Prüfung 2.060 Dollar und 815 Dollar in der Dissertationsphase. Außerhalb des Bundesstaats Wohnende und Ausländer bezahlen zum Vergleich in den ersten beiden Phasen 645 Dollar pro Kreditpunkt (es ist keine Vollzeitabrechnung möglich) sowie 1.635 Dollar pro Semester in der Dissertationsphase.437 Auch an der CUNY beginnt die Arbeit an der Dissertation mit der obligatorischen Verfassung des Exposés (dissertation prospectus), das ohne Literaturverzeichnis maximal zehn Seiten lang sein darf und innerhalb von sechs Monaten nach der zweiten Prüfung eingereicht werden muss. Hier ist anzumerken, dass die Fristen der einzelnen Promotionsteilleistungen – wie hier die Vorlage des Exposés – an die Bewerbungsfristen um die finanzielle Förderung geknüpft sind. So muss beispielsweise das Exposé zum 1. November des Kalenderjahres vorliegen, wenn der Doktorand eine Bewerbung um das einjährige dissertation-year fellowship beabsichtigt.438 Das Graduate Center bietet keinen M.A.-Abschluss in English studies an. Aber Doktoranden, die an einem Masterabschluss interessiert sind, können entweder nach Abschluss der Kursphase ähnlich wie bei der Columbia University einen Antrag auf einen M.Phil.-Abschluss stellen, oder die zu absolvierenden Kurse so wählen, dass diese bei Vorlage einer 30-seitigen Masterarbeit für einen „en-route“ M.A.-Abschluss eines teilnehmenden college anerkannt werden können.439 Der Musterstudienplan sieht für Doktoranden, die mit einem Bachelorabschluss das Programm beginnen, eine sechsjährige, für Doktoranden mit mitgebrachten Promotionsleistungen anderer Institutionen eine fünfjährige Promotionszeit vor. Alle Anforderungen für den Doktorgrad müssen bei Aufnahme mit Bachelorabschluss innerhalb von acht, bei Anerkennung bereits erbrachter Leistungen innerhalb von sieben Jahren erfüllt werden.440 Wie sich in den Promo436 437 438 439 440
URL (24.5.2010): http://web.gc.cuny.edu/English/pages/degree_exams.html#comps. URL (24.5.2010): http://www.gc.cuny.edu/current_students/tuition_curnt_stdnts.htm. URL (24.5.2010): http://web.gc.cuny.edu/English/pages/studentguide.html#II.L. Ebd. URL (24.5.2010): http://www.gc.cuny.edu/admin_offices/admissions/degree_req.htm.
5.2 Qualitätssicherung durch Auswahl und Betreuung
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tionsprogrammen konkret die Auswahlverfahren und die Betreuung gestalten, wird im nächsten Kapitel untersucht. 5.2 Qualitätssicherung durch Auswahl und Betreuung Wie wird in der Doktorandenausbildung in English studies in den USA die Qualität des Promotionsprozesses gesichert? Als ein wichtiges Element der Qualitätssicherung und gleichzeitig großer Unterschied zur mehrheitlichen Praxis der Aufnahme zur Promotion in der Germanistik in Deutschland fallen in den USA die flächendeckenden formalisierten Auswahlverfahren für ausnahmslos alle Doktoranden auf. Im Fach English variieren die Verfahren teilweise je nach Universität. Beispielsweise nutzen nicht alle Institutionen die Ergebnisse des fachspezifischen GRE (graduate record examination) Subject Tests für Literatur,441 und nicht alle Universitäten laden die Kandidaten zum persönlichen Interview auf den Campus ein. Die Kernanforderungen jedoch sind für alle dieselben. Darunter fallen ein Bachelorabschluss mit einer Mindestnote (grade point average, GPA, vergeben auf einer Punkteskala von eins bis vier, wobei eine höhere Punktzahl eine bessere Note bedeutet) und die Resultate eines allgemeinen, flächendeckend von den Hochschulen genutzten Aufnahmetests GRE General Test, das zusammen mit dem GRE Subject Test für Literatur (und weiteren sieben fachspezifischen Tests) von der privaten ServiceStelle Educational Testing Service (ETS) angeboten wird.442 Weitere übliche Kriterien sind Empfehlungsschreiben von Professoren aus dem Bachelorstudium, Motivationsschreiben der Kandidaten, in denen sie darlegen, warum sie an dem gewählten Programm interessiert sind und wodurch sie sich als Personen und in ihren Forschungsinteressen besonders auszeichnen (mit Blick auf die hohe Selektivität der Programme ein bedeutender Punkt) sowie eine Arbeitsprobe von zehn bis zwanzig Seiten Länge. Die Arbeitsprobe scheint in allen Programmen der English studies eine entscheidende Rolle zu spielen, wie die Generalsekretärin der Modern Language Association (MLA), Prof. Rosemary Feal, Ph.D., im Interview berichtet: 441 So verwendet z. B. die Columbia University den GRE Subject Test nicht, im Gegensatz etwa zu der CUNY, der Harvard University oder der Yale University. 442 In dem allgemeinen GRE-Test werden Fähigkeiten in den drei Kategorien verbal reasoning, quantitative reasoning und critical thinking and analytical writing bewertet. Mit Bezug auf die Service-Stelle ETS merkt ein Doktorand der Columbia University im Interview an: „To apply for the Ph.D. at Columbia you have to do the GRE test, which is administered from a private company – typical USA!“. Für weitere Informationen über die Service-Stelle und die Tests vgl. URL (24.5.2010): http://www.ets.org/.
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5 Die Promotion in den English studies [The admission procedure for a Ph.D. study in English] varies a lot. Some are very selective, others have troubles to fill the programs. The most important thing as for requirements is the writing sample. Beside this, of course, you need a BA with a high GPA and a decent GRE, but the writing sample is most important. There is a subject specific GRE test for literature, but it’s not very important. Many English majors go to law or medical school or go for a MBA. That’s on one hand a nice thing about our system, that people can switch and switch. But on the other hand, of course, the question then is: How can we get the best ones?
Das letztgenannte Argument bezieht sich auf einen weiteren wichtigen Unterschied zu Deutschland: Die Aufnahme in die graduate school erfolgt in den USA meist direkt nach dem Bachelorabschluss mit der Option des Graduiertenstudiums bis zum Master- oder Promotionsabschluss, wie auch die Koordinatoren der hier untersuchten Programme bestätigen („Here students start their Ph.D. after the B.A.“ bzw. „For most U.S. institutions the M.A. is not a prerequisite“). Für die English studies resultiert daraus zum einen die frühe Mobilität und der Hochschulwechsel der Studierenden an der Schnittstelle zwischen Bachelor und Master bzw. Promotion, die im deutschen System eher erst an der Schnittstelle zwischen Master und Promotion erfolgt. Dies hat Konsequenzen etwa für die Betreuungssituation, wie im Weiteren gezeigt wird. Zum anderen stellt die im obigen Zitat erwähnte Rekrutierung der besten Studierenden für eine Promotion in English studies eine Herausforderung dar: Wie kann sich das Fach gegenüber etwa der Medizin oder den Rechtswissenschaften am besten hervorheben? Durch die im Vergleich zu Deutschland im Erststudium etwas spätere Festlegung der Studierenden auf eine Disziplin (in den USA erst im Verlauf des Bachelorstudiums durch die Wahl des majors) sowie durch eine höhere Durchlässigkeit des Systems (z. B. undergraduate studies in English, danach professional studies an einer medical school) steht die Disziplin English studies verstärkt in Konkurrenz mit anderen Fächern. Ein weiterer Unterschied zur Promotionspraxis in Deutschland und ein wichtiges Merkmal des Zulassungsverfahrens in den USA ist die Bewerbung, die stets unmittelbar bei der graduate school erfolgt und nicht bei einem einzelnen Professor. Dies ist ein weiteres Element der insgesamt stärker institutionalisierten, verwalteten und transparenteren Aufnahmeverfahren, die im weiteren Verlauf der Promotion mit der Mehrfachbetreuung und der generell stärker formalisierten und institutionalisierten Organisation der Doktorandenausbildung korrespondieren. Die Auswahlverfahren sind dabei nur das erste Glied einer ganzen Kette von qualitätssichernden Maßnahmen auf Promotionsebene: Es folgen unter anderem Kurse mit Benotung, die Masterarbeit, verschiedene Prüfungen, ein Exposé der Doktorarbeit (dissertation prospectus), welches formalisiert genehmigt und zum Teil verteidigt werden muss, ein ähnlich aufwendiges Verfahren
5.2 Qualitätssicherung durch Auswahl und Betreuung
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nach der Abfassung eines ersten Kapitels der Dissertation und etwas abgeschwächt auch nach weiteren Dissertationskapiteln, regelmäßige schriftliche Berichte über den Promotionsfortschritt sowie die Verteidigung der Dissertation (thesis defense). Die Auswahlverfahren dienen dabei der frühestmöglichen Qualitätssicherung: Bewerber, die offensichtlich nicht zur Promotion geeignet sind, sollen rechtzeitig identifiziert und gar nicht erst zugelassen werden. Dies scheint auch in der Praxis zu funktionieren. So bestätigt der Koordinator des Promotionsprogramms an der CUNY selbstsicher: „The current admission system doesn’t leave the obviously not prepared to do a doctoral degree into the system“. Zudem wird den standardisierten Testverfahren neben der transparenten Verwendung gleicher Standards für alle Bewerber eine relativ verlässliche Korrelation mit dem späteren Promotionserfolg zugeschrieben.443 Spätestens bei einer zukünftigen flächendeckenden Etablierung von standardisierten Auswahlverfahren zur Promotion in Deutschland – alle im Rahmen dieser Arbeit untersuchten germanistischen Promotionsprogramme und mit aller Wahrscheinlichkeit alle strukturierten Programme verfügen bereits über solche Verfahren444 – ist schließlich der Umgang mit Mehrfachbewerbungen zu bedenken. In den USA gibt es hierzu keine zentrale Handhabung, was lange Zeit ein extremes Wettbewerbsverhalten der Universitäten zur schnellstmöglichen ‚Sicherung‘ der besten Kandidaten zur Folge hatte. Als eine best practice Empfeh443 Vgl.:„Die amerikanischen Erfahrungen mit der Graduate Record Examination (GRE) sind gemischt, aber insofern positiv, als sie eine Aussonderung von eindeutig nicht qualifizierten Bewerbern gestatten und insgesamt eine robuste Korrelation mit dem späteren Studienerfolg aufweisen“. Weiler: Promotion und Exzellenz, S. 4. Dass Ergebnisse standardisierter Testverfahren mit dem späteren Promotionserfolg korrelieren und diese ‚Vorhersagefunktion’ auch nicht durch die Testvorbereitung mancher Studierenden von externen Beratern (test coaching) beeinflusst wird, zeigen Nathan A. Kuncel und Sarah R. Hezlett in einer 2007 in der Zeitschrift Science publizierten Studie an einer Reihe von amerikanischen Tests und studienbezogenen Erfolgsfaktoren, darunter der Abschlussraten und der Forschungsproduktivität. Vgl. Kuncel/Hezlett: Standardized Tests Predict Graduate Students' Success, S. 1080-1081. 444 Allerdings werden dabei keine GRE oder ähnliche Aufnahmetests verwendet, die eine noch höhere Standardisierung ermöglichen würden. In der Germanistik wird auch, soweit zum Zeitpunkt dieser Arbeit bekannt, an keinem Standpunkt der GRE Subject Test für Literatur oder ähnliche fachspezifische Tests verwendet. Im Vergleich dazu wird beispielsweise bei der die Münchener International Max Planck Research School for Molecular and Cellular Life Sciences von fachspezifischen GRE Subject Tests im Auswahlverfahren Gebrauch macht. Dabei ist jedoch insgesamt zu beachten, dass die Promotion in der Germanistik in Deutschand in aller Regel nach einem Master- bzw. Magisterabschluss begonnen wird, mit dem bereits eine gewisse Standardisierung gesichert ist. Im Gegensatz dazu ist gerade aufgrund der großen Diversität der colleges in den USA (vgl. Kapitel 5) sowie des Beginns der graduate school in der Regel nach dem Bachelorabschluss ein standardisierter Test zur Erleichterung des Auswahlprozesses geboten.
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5 Die Promotion in den English studies
lung hat das Council of Graduate Schools im Jahr 2004 die so genannte April 15th Resolution erlassen, die den 15. April jedes Jahres als spätesten Termin für eine gegenseitige Zusage der Bewerber und der Hochschulen festlegt.445 Die Bewerbungsunterlagen werden mit hohem Personalaufwand nicht selten von einer ganzen Gruppe von Professoren (bei der CUNY zum Beispiel stets von drei Professoren und einem Studierenden) begutachtet und die Kandidaten in verschiedenen Programmen unterschiedlich selektiv ausgewählt: Fachübergreifend bekommt in den USA im Schnitt nur etwa jeder vierte Bewerber einen Platz in einem Promotionsprogramm.446 In den hier untersuchten Programmen in English studies ist die Selektivität nochmals deutlich höher: Von jährlich etwa 300 Bewerbern für das Promotionsprogramm der öffentlichen Universität CUNY werden etwa 30 Doktoranden ausgewählt (maximal 50, denn nicht alle sagen zum 15. April auch bei CUNY zu), bei der Columbia University bewerben sich jedes Jahr auf etwa 15 Doktorandenplätze in English rund 700 Kandidaten. Die strenge Auswahl beruht dabei zum Ersten auf Qualitätskriterien, die innerhalb des departments durch die Begutachtung der Bewerbungsunterlagen durch die Professoren sowie durch den besonderen Stellenwert der Arbeitsprobe erfüllt werden sollen. Zum Zweiten spielen aber auch strukturelle Überlegungen der Hochschulleitung bzw. der graduate school eine Rolle, darunter die Anzahl der zur Verfügung stehenden Stipendienpakete, wie ein Doktorand der Columbia University ausführt: The grad school gets [the application] and forwards it to the English department. They label it – medieval, Victorian, early modern, 18th century etc. – by field. The “medieval” package goes to the medievalists and they look at it and choose three or four. The gradschool tells the department, how many stipends they can give that year. Probably how important its considered, how many people finish etc.
445 Die Hochschulen sagen dabei dem Bewerber die Aufnahme in das Programm verbindlich zu, die Promotionsinteressierten entscheiden sich für die finanzielle Förderung durch eine Hochschule. Von einer Bewerbung im Oktober bis zu der Entscheidung im April dauert das gesamte Auswahlverfahren etwa sechs Monate und wird durch die gegenseitige Zusage und die Einschreibung in ein konkretes Promotionsprogramm abgeschlossen. Die Resolution wurde im Oktober 2009 erneuert, vgl. URL (24.5.2010): http://www.cgsnet.org/portals/0/pdf/CGS_Re solution.pdf. 446 Vgl. Nerad: Promovieren in den USA, S. 85. Im Gegensatz zu der recht strengen Auswahl der Promotionskandidaten sind die meisten Hochschulen in den USA in den früheren Qualifizierungsstufen weniger selektiv: „[A]t the undergraduate level, the majority of American higher education is unselective – community colleges for the most part are ‚open door’ institutions offering entry to anyone with a secondary school qualification“. Altbach: Doctoral Education, S. 68.
5.2 Qualitätssicherung durch Auswahl und Betreuung
221
Aus der erwähnten ‚Kette‘ der qualitätssichernden Maßnahmen für Promotionen in English studies sollen im Folgenden exemplarisch die formalisierte Genehmigung des Dissertationsexposés und die Beurteilung der einzelnen Kapitel der Dissertation detaillierter untersucht werden. Die anderen Elemente, wie das Belegen von Veranstaltungen des Studienprogramms, die Anfertigung einer Masterarbeit oder das Ablegen von Prüfungen, können vereinfacht dem germanistischen Masterstudium zugeordnet werden und stellen insofern keinen entscheidenden Unterschied zum deutschen System dar. Die Genehmigung des Exposés und eines ersten Kapitels der Dissertation447 können hingegen als zwei zentrale Aspekte der Qualitätssicherung einer Promotion in English studies gewertet werden. Hinsichtlich des Exposés gibt es zwar verschiedene Vorgehensweisen, aber auch in denjenigen Programmen, in denen keine mündliche Verteidigung des Exposés stattfindet, wird dieses als ein Meilenstein in der Promotion betrachtet und entsprechend durch mehrere Professoren, teilweise schriftlich, begutachtet, wie ein Doktorand der CUNY berichtet: Once you are done with [the prospectus] you submit it to the department and your [doctoral] commitee looks at it. But also they get a fourth outside reader to look at it (not outside the school but outside the commitee). And they give you written feedback, about a page each. It was very useful. So [it’s] not like a defense, I gave it to them and they gave the feedback to me, but they could have turned it down.
Nicht nur muss also binnen einer im Vorfeld festgelegten Frist (in der Regel innerhalb von sechs Monaten nach der letzten Prüfung, vgl. 5.1.2) ein Dissertationsexposé ausgearbeitet werden, sondern im Falle von CUNY wird es von insgesamt vier Professoren gelesen und schriftlich begutachtet. Die Einarbeitung der verschiedenen Anmerkungen resultiert zwar in deutlicher Mehrarbeit für die Promovierenden, wie die folgende Äußerung eines Doktoranden der Columbia University nahe legt, trägt jedoch dadurch auch zum Fortschritt und zur Qualität der Promotion bei: The prospectus: I didn’t have to do a defense, [but] other programs do it, I think NYU does it. We just had to rewrite it many times, like five times, meet with professors several times, and then finally they accepted it. Sometimes I wonder if a defense would have been easier. The research took a long time, to figure out my topic, put together bibliography etc.
447 Es muss sich hierbei nicht um das erste Dissertationskapitel im späteren Inhaltsverzeichnis handeln.
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Nach der Genehmigung des Exposés in diesem Verfahren steht ein ‚Projektplan‘ für die Dissertation, inklusive der zu bearbeitenden Literatur, fest. Dabei wird, zumindest an der Columbia University, die festgestellte ‚Qualität‘ dem Doktoranden eher allgemein bescheinigt, denn vom Exposé darf laut Äußerung des gleichen Doktoranden im weiteren Promotionsverlauf abgewichen werden: They don’t care at all, if you move away from it. No pressure. And that was expressive. So my advisors told me: Don’t feel like you have to stick to it – if you find something interesting or inspiring, no problem.
Ein ähnlich aufwändiges qualitätssicherndes Verfahren wie für das Exposé wird zumindest in einigen Programmen auch nach der Erstellung eines ersten Kapitels der Dissertation durchgeführt und ist dabei auch verbindlicher: Bei der Columbia University beispielsweise findet ein offizielles Treffen des Doktoranden mit seinen beiden Hauptbetreuern statt, die das Kapitel im Vorfeld des Treffens zur Durchsicht erhalten haben und es dann mündlich kommentieren. Die Änderungswünsche der Betreuer sind vom Doktoranden umzusetzen, danach müssen beide Betreuer eine Finalversion des Kapitels genehmigen, bevor der Promovierende seine Arbeit an der Dissertation fortsetzen darf. Bei der CUNY muss das erste Dissertationskapitel sogar erneut vom gesamten doctoral commitee, also von mindestens drei Professoren, gelesen und gebilligt werden. Somit ist eine weitere qualitätssichernde Hürde im Promotionsverlauf im Fach English vorgesehen. Eine intensive Prüfung der Bewerbung samt ausführlicher Arbeitsprobe sowie eine Begutachtung des Exposés und des ersten Kapitels der Dissertation durch in der Regel drei Fachvertreter setzen Maßstäbe für die Qualität auch der weiteren Kapitel der Dissertation. Diese sind üblicherweise ebenfalls in einen Revisionsprozess mit mehr als einem Gutachter eingebunden. Bei den untersuchten Programmen beispielsweise senden die Doktoranden alle Dissertationskapitel mindestens zwei Betreuern zur Rückmeldung. Die Mehrfachbetreuung hat neben dem verbindlichen Zugewinn an Ansprechpartnern für den Doktoranden und verschiedenen fachlichthematischen Perspektiven auf die Arbeit auch den Vorteil einer gegenseitigen Verpflichtung und Qualitätskontrolle der Betreuer, die bereits im Kapitel 3.5 im Rahmen der strukturierten Promotionsprogramme in Deutschland angesprochen wurde. Die Koordinatorin des Programms an der Columbia University, Professor Susan Crane, Ph.D., beschreibt die Situation folgendermaßen: Also, always three people read each chapter. […] One thing that aids in supervision is the committee of three. So if one person forgets or neglects or is slow to read, the other two would know and the other hold it along. Having a chapter meeting with three people means that each professor needs to comment on the chapter indepen-
5.2 Qualitätssicherung durch Auswahl und Betreuung
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dently so nobody can not read it, they hear each other, comment also each other comments. We have annual reports, actually two annual reports – one for the graduate school, students have to say what was accomplished and also the professors have to comment it. If not, the graduate school would enforce it. The three watch each other.
An der CUNY wird der Promotionsfortschritt im Austausch mit unterschiedlichen Betreuungspersonen in der Kurs- und Dissertationsphase unterstützt: Für die ersten beiden Jahre in der graduate school erhält jeder Doktorand zwei Mentoren, einen Professor und einen anderen Doktoranden, die ihm als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, bis er einen Hauptbetreuer und zwei weitere Betreuer der Dissertation gewählt hat. In der Dissertationsphase sind Doktoranden obligatorisch im Kurs „Dissertation supervision“ eingeschrieben, in dem die Betreuung durch einen bestimmten Professor schriftlich festgelegt und über die Dissertationszeit verfolgt wird. Am Ende jedes Semesters muss der Betreuer neben seinen anderen Lehr- und Bewertungsverpflichtungen auch für diesen Kurs eine Bewertung abgeben, die entweder einen zufriedenstellenden Dissertationsfortschritt attestiert oder nicht. Wenn zwei Mal keine Weiterentwicklung verzeichnet wird, muss der Doktorand die Situation erläutern. Diese an die Betreuungsvereinbarungen einiger Programme in Deutschland erinnernde (vgl. 3.5) schriftliche Form der Rückmeldung über den Promotionsfortschritt gegenüber dem department setzt direkt nach den mündlichen Prüfungen ein und dauert bis zum Ende der Promotion an. Im gesamten Prozess der Doktorandenausbildung in English studies fällt zumindest in den hier untersuchten Programmen die Begleitung durch ein relativ dichtes Netz von Betreuungs- und Sozialisierungsmaßnahmen auf, die sich von der Individualpromotion in der Germanistik in Deutschland sowohl quantitativ als auch qualitativ unterscheiden: Es gibt stets mehrere Betreuer und viele Austauschmöglichkeiten mit anderen Doktoranden, die der Promovierende zum einen durch das gemeinsame Belegen von Veranstaltungen und Ablegen von Prüfungen in der Kursphase kennt, zum anderen durch die im folgenden Kapitel thematisierten quasi-obligatorischen Lehraufträge aller Doktoranden in English studies, bei denen sie sowohl mit vielen Studierenden als auch mit anderen unterrichtenden Doktoranden und weiteren Lehrenden im Austausch stehen. Diese Aspekte könnten auch für die Germanistik in Deutschland gelten, in der die Studierenden während des Masterstudiums zumindest teilweise die gleichen Veranstaltungen absolvieren und Prüfungen ablegen. Die entstandenen förderlichen Netzwerke übertragen sich jedoch, bedingt durch das strukturell entkoppelte Masterstudium, nur selten weiter auf die Promotionsphase. Positive Effekte des Jahrgangansatzes konnten gerade im Hinblick auf die Vermeidung zu starker Isolierung bei der individualistisch geprägten Arbeitsweise in einer ger-
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manistischen Promotion bei den untersuchten Programmen in Deutschland festgestellt werden (vgl. 3.5). Ein bemerkenswerter Unterschied zu den in Deutschland entstehenden meist interdisziplinär ausgerichteten Promotionsprogrammen ist die trotz der Strukturiertheit der Promotion in den USA strikt disziplinär orientierte Doktorandenausbildung, beispielsweise in den departments of English. Die graduate school übt, wie im Weiteren erläutert wird, eine zusätzliche Aufsicht aus und unterstützt die departments hauptsächlich in der Auswahl sowie in finanziellen und organisatorischen Fragen. Durch die nach wie vor in den einzelnen Disziplinen verankerte Doktorandenausbildung wird die Zersplitterung der Disziplinen in den USA nicht zusätzlich durch die Strukturen der Doktorandenausbildung verstärkt, wie es mit dezidiert interdisziplinär orientierten Strukturen in Deutschland der Fall sein könnte. Über die Mehrfachbetreuung und den gegenseitigen Austausch hinaus unterstützen verschiedene, von der graduate school, dem department oder den Doktoranden selbst organisierte Veranstaltungen den Promotionsfortschritt. Neben Kolloquien, in denen Abschnitte der Arbeit besprochen werden, existieren beispielsweise an den Universitäten Princeton und Stanford so genannte dissertation bootcamps, bei denen Doktoranden einen motivational deposit von 50 bis 100 Dollar hinterlegen und diesen nur zurückerhalten, wenn sie (im Stanford Modell) zwei Wochen lang an jedem Wochentag pünktlich um neun Uhr in den zur Verfügung gestellten Räumen an der Universität erscheinen und mindestens vier Stunden an ihrer Dissertation arbeiten.448 Ferner sind an den für diese Arbeit untersuchten Programmen diverse Berichte über den Promotionsfortschritt (progress reports) regelmäßig und von den Betreuern autorisiert bei der graduate school oder beim department einzureichen. Die CUNY verfügt zu diesem Zweck sogar über einen satisfactory progress officer, mit dem sich Doktoranden bei Nichterfüllung der Fortschrittsanforderungen auseinander setzen müssen. Die Aufsicht über den Promotionsfortschritt des einzelnen Doktoranden obliegt somit mehreren Personen: dem Primärbetreuer, anderen Betreuern im department und Mitarbeitern der graduate school. Die Rolle der departments ist dabei die fachliche Betreuung, die graduate school übt eine fachunabhängige, zusätzliche Aufsicht über die Arbeit der Doktoranden und die Betreuung der Professoren aus. In die konkrete Arbeit des Doktoranden greift die graduate school nur im Extremfall ein, wie die Generalsekretärin der MLA, Prof. Rosemary Feal, Ph.D., im Interview ausführt: 448 Vgl. URLs (beide 24.5.2010): http://gradschool.princeton.edu/forms/acadforms/bootcamp/ und http://hwc.stanford.edu/graduates/bootcamp.html.
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The graduate school is the police. But works nearly when it’s too late only… [It is] not very helpful in the ongoing process. Institutions sometimes cut the time down, but that’s because they don’t want to have that long time to degree in the statistics… So: you need a good mentor and a good director of graduate studies. He is the link [of the department] with the graduate school with reporting, quality control, admission procedure, helping with placement, helping with problems with advisors, scheduling defenses etc. […] Every year there is a progress tracking, the director of graduate studies oversees this, who is doing what and if. If the student has not submitted any work in the last year, and has not answered calls etc., they can “kick you out”.
Die individuelle Betreuung durch Professoren können selbstverständlich keine strukturellen Maßnahmen ersetzen, wie bereits im Vergleich der Betreuung der Individualpromovierenden und der in strukturierten Programmen eingebundenen Doktoranden in der Germanistik in Deutschland zumindest für die hier untersuchten Doktoranden und Programme gezeigt werden konnte (vgl. 3.5). So sind auch – selbstverständlich – in den English studies manche Doktoranden mit der Frequenz und Art der Betreuung zufrieden und andere nicht. Die Betreuer sind möglicherweise an den privaten Universitäten etwas weniger oft erreichbar und die Beziehung zu ihnen etwas stärker angespannt als an öffentlichen Institutionen, an denen die Betreuer ggf. weniger häufig reisen und die Doktoranden weniger stark dem ‚Elite-Druck‘ ausgesetzt sind.449 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eine ganze Reihe von Elementen der ‚strukturierten‘ Doktorandenausbildung in English studies identifiziert werden konnte, die dem Promotionsfortschritt förderlich sind. Gleichzeitig können Aspekte genannt werden, die auch in den strukturierten Systemen der English studies nicht besser funktionieren: So wären etwa zur Verbesserung der individuellen Betreuung durch die Professoren weiterführende, bereits im Kapitel 3.5 angesprochene Maßnahmen nötig, wie ein besonderes ‚Betreuungstraining‘, noch stärkere gegenseitige Kontrollen innerhalb des Betreuerteams, und zur Stärkung der Motivation die Möglichkeit einer mit Prestige verbundenen Mitgliedschaft in einer besonders anerkannten Struktur (so wie in Deutschland beispielsweise die Zugehörigkeit zu einer Graduiertenschule der Exzellenzinitiative) oder die Anrechnung der Betreuung auf das Lehrdeputat bzw. eine finanzielle Belohnung. Darüber hinaus muss konstatiert werden, dass die diversen strukturellen Maßnahmen bei Auswahl und Betreuung in den English studies nicht zu einem 449 Diese Beobachtungen sollen hier nicht detaillierter untersucht werden, da es im Rahmen dieser Arbeit primär um Feststellungen geht, die Aussagekraft für die Reformprozesse in Deutschland haben.
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5 Die Promotion in den English studies
signifikant hohen Promotionserfolg aller anfänglich in die Programme Aufgenommenen führen: Auch in diesem System sind die Abbruchquoten hoch. Laut dem Ph.D. Completion Project des Council of Graduate Schools hat nach zehn Jahren Promotion etwa die Hälfte (52 Prozent) der Doktoranden ihre Promotion erfolgreich abgeschlossen, 27 Prozent haben definitiv abgebrochen.450 Die verbleibenden 21 Prozent promovieren über die untersuchten zehn Jahren hinaus weiter, und es ist fraglich, wie viele der Doktoranden nach mehr als zehn Jahren ihre Promotion noch erfolgreich abschließen werden. Deshalb betragen die Abbruchquoten laut dem Ph.D. Completion Project mindestens 27 Prozent (nach zehn Jahren) bzw. höchstens 48 Prozent insgesamt. Zudem haben die vielfältigen Betreuungs- und Qualitätssicherungsmaßnahmen auch nicht eine Verkürzung der Promotionsdauer bewirken können. Sie beträgt in English studies im Median 9,2 Jahre, nach Abrechnung der etwa zweijährigen Kursphase, die der europäischen Masterphase zugeordnet werden kann, etwa sieben Jahre.451 Schließlich sind die Doktoranden in den English studies in den USA bei Promotionsabschluss relativ alt: Das Promotionsabschlussalter betrug im Jahr 2008 im ungewichteten Median 34,4 Jahre und damit etwa 1,5 Jahre mehr als in der Germanistik in Deutschland.452 Oder greifen die Maßnahmen prinzipiell, und die lange Promotionsdauer und das hohe Abschlussalter haben andere Gründe – möglicherweise die jahrelange, intensive Einspannung der Doktoranden der English studies in der Lehre?
450 Im Ph.D. Completion Project wurden Doktoranden unter anderem des Fachs English Language and Literature in 18 Promotionsprogrammen untersucht, die ihre Promotion in den Jahren 1992 bis 1995 begonnen haben. Das Projekt zielte sowohl auf Datenerhebungen als auch auf die Entwicklung von Reforminitiativen zum Thema Abbruchquoten: Mit Förderung von Pfizer Inc. und der Ford Foundation erhoben bis zu 30 Forschungsuniversitäten in den USA und in Kanada detailliert Daten zur Fertigstellung bzw. Abbruch der Promotionen in ihren Programmen und implementierten darüber hinaus dem Promotionsabbruch entgegenwirkende Maßnahmen bezüglich Auswahl, Betreuung und finanzieller Unterstützung der Doktoranden, inklusive der begleitenden Evaluation der eingeführten good practice. Vgl. Council of Graduate Schools: Ph.D. Completion Project, hier jeweils Table 1 der verlinkten Excel Dateien der Completion Data bzw. Attrition Data in URL (24.5.2010): http://www.phdcompletion.org/ quantitative/book1_quant.asp. 451 Vgl. Kapitel 5, Fußnote 414. 452 Eigene Berechnungen nach Fiegener: Doctorate Recipients from U.S. Universities, S. 94 und S. 96. Für die Zahlen zu Deutschland vgl. Enders/Bornmann: Karriere mit Doktortitel?, S. 63. Einschränkend ist hier anzumerken, dass die (einzig erhältlichen) Angaben für die Germanistik jedoch einen deutlich älteren Stand wiedergeben – sie beziehen sich auf die Promotionsabschlusskohorten 1979/80, 1984/85 und 1989/90.
5.3 Das ‚Geschäftsmodell‘: Finanzierung gegen Lehre
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5.3 Das ‚Geschäftsmodell‘: Finanzierung gegen Lehre In der im Kapitel 4.2 skizzierten Geschichte der Doktorandenausbildung in English studies in den USA konnten mehrere Verschiebungen weg vom anfänglich prägenden deutschen Universitätsmodell des Endes des 19. Jahrhunderts identifiziert werden. Eine dieser Verschiebungen ist die zunehmende Fokussierung auf die Lehrtätigkeit. Die sich im 20. Jahrhundert etablierende Funktion des Doktorgrads in English studies als Lehrqualifikation ist u. a. ein Resultat des stetigen Bedarfs an promovierten bzw. promovierenden Anglisten als Dozenten für die Schreib- und Literaturkurse aller Studierenden im undergraduate Bereich (vgl. Kapitel 4.2). Vor dieser Verschiebung am Anfang des 20. Jahrhunderts hatten manche Doktoranden nach deutschem Vorbild als Forschungsassistenten für Professoren gearbeitet, danach wurden und werden sie hauptsächlich als Arbeitskräfte in der Lehre eingesetzt. Wie in dem Sammelband von Stephen North ausgeführt wird: It is not clear precisely which U.S. institution first shifted these assistantship duties from research to teaching, but the move obviously made terrific sense for the emerging corporate English departments. […] This was a form of labor, in other words, that in contrast to at least the optimum practice of the German system, did nothing to advance the [doctoral] students’ formal progress toward their degrees: it kept them in the system as both paying customers and a cheap, tractable, labor pool.453
Die Doktorandenausbildung erscheint dabei nicht nur als ein institutionalisiertes Training des akademischen Nachwuchses, sondern auch als ein ‚Geschäftsmodell‘, an dem sich Studierende, Doktoranden und Professoren beteiligen (vgl. auch Kapitel 4.2). Die finanzielle Förderung der Doktoranden durch die graduate school vereinfacht es, diese im Gegenzug zum Besuch von Kursen, zur Anwesenheitspflicht und zum Unterrichten der Bachelorstudierenden zu verpflichten. Wie in den Praxisbeispielen der Columbia University und der CUNY gezeigt, sind Doktoranden in den USA auch „Studierende“ (doctoral bzw. graduate students), die in der Kursphase unter Anwesenheitspflicht Veranstaltungen besuchen und Prüfungen ablegen müssen. Während eine finanzielle Förderung am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts noch die finale Stufe der Selektion und ‚Gunst‘ der Professoren und der graduate school bedeutete, erhalten heutzutage die meisten Doktoranden der English studies in den USA (z. B. ausnahmslos an der Columbia University und etwa zwei Drittel an der CUNY) mit 453 North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 25/44-26/45 (Hervorhebung im Original).
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5 Die Promotion in den English studies
Promotionsbeginn ein ‚Förderpaket‘, das ihnen in der Regel für fünf Jahre die Finanzierung sichert und sie gleichzeitig zur Lehre verpflichtet. So ist für die heutige Doktorandenausbildung in English studies die Lehrtätigkeit der Doktoranden charakteristisch und deren Finanzierung eng an diese Lehrtätigkeit geknüpft. Ferner besteht auch ein inhaltlicher Druck zur Lehre, um bei späteren Bewerbungen Lehrerfahrung vorweisen zu können. In beiden im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Promotionsprogrammen in English studies sind alle Doktoranden in der Lehre eingebunden. Bei der Columbia University wie in vielen anderen English-Programmen ist die Lehrtätigkeit als Teil der Promotion für alle Doktoranden obligatorisch: Bei der landesweiten Befragung im Rahmen der nationalen Studie Survey of Doctoral Education and Career Preparation (durchgeführt 1999, publiziert 2001 bzw. 2004) gaben rund 60 Prozent der befragten Doktoranden im Fach English an, dass ihr Promotionsprogramm verpflichtend ein teaching assistantship vorsieht.454 Die etwa 30 Prozent der Doktoranden des CUNY-Programms, die nicht das Förderpaket mit der dann verpflichtenden umfassenden Lehrtätigkeit erhalten, müssen de facto zur eigenen Teilfinanzierung (die Lehraufträge reichen in der Regel zum Lebensunterhalt nicht aus) und Lehrqualifikation ebenfalls unterrichten, meist als adjunct instructors an verschiedenen colleges der CUNY.455 Entsprechend ist die Lehrtätigkeit (neben weiterer Nebenquellen) die hauptsächliche Finanzierungsquelle für viele Promovierende der Geisteswissenschaften: Im Jahr 2006 gaben 35 Prozent aller geisteswissenschaftlichen Doktoranden die Anstellung als Lehrassistent als die Hauptfinanzierungsquelle ihrer Promotion an, was der größte Prozentsatz unter allen Disziplinengruppen war (der Durchschnitt lag bei 17 Prozent).456 Neben der Anstellung als Lehrassistent werden als andere Hauptfinanzierungsquellen geisteswissenschaftlicher Promovierender Stipendien (33 Prozent) und eigene Mittel bzw. Unterstützung durch die Familie (28 Prozent) genannt.457 Die Stipendien können dabei von Organisatio454 Fachübergreifend war dies für über die Hälfte aller befragten Doktoranden der Fall. Vgl. Golde/Dore: The Survey of Doctoral Education, S. 25-26. An der Befragung haben über 4.000 Promovierende der Fächer English, Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie, Psychologie, Soziologie, Ökologie, Geologie, Chemie, Molekularbiologie und Mathematik teilgenommen. 455 Hierzu äußert sich der Programmkoordinator Professor Steven Kruger, Ph.D., folgendermaßen: „[As for] teaching: If someone came here and we accepted him and he said, ‘I don’t want the fellowship, will pay my own way’, we would let him and then he would not have to teach. But in essence all students teach. The teaching is to get the financing and I have known only one in my 17 years who didn’t teach, but also he didn’t complete“. Eine Übersicht der LehrVerdienst-Möglichkeiten für Doktoranden, die nicht das fünfjährige Förderpaket erhalten, findet sich unter der URL (24.5.2010): http://web.gc.cuny.edu/English/pages/teaching.html. 456 Vgl. Fiegener: Doctorate Recipients from U.S. Universities, S. 49f. 457 Vgl. ebd., S. 82.
5.3 Das ‚Geschäftsmodell‘: Finanzierung gegen Lehre
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nen außerhalb der Hochschulen stammen, oder aber neben dem klassischen ‚Förderpaket‘ von den Hochschulen selbst ausgeschrieben werden, beispielsweise die so genannten dissertation fellowships. Diese Stipendien sind nicht an Lehrverpflichtungen geknüpft, was zum starken Wettbewerb der Doktoranden um die ‚privilegierten‘ Förderungen führt, bei denen nicht Zeit für die Lehre (und ihre Vor- und Nachbereitung) aufgebracht werden muss, sondern eine Konzentration auf die Forschung und die Verfassung der Dissertation möglich ist. Neben der häufigen Verpflichtung zur Lehre und der Notwendigkeit der Sicherung des Lebensunterhalts ist für viele Promovierenden ein weiterer Aspekt der Finanzierung das Bemühen um die Abbezahlung der oftmals nach dem undergraduate Studium akkumulierten Schulden: Wie die neueste Absolventenstudie belegt, hatten 2008 insgesamt 59 Prozent der Geisteswissenschaftler nach Abschluss der Promotion ausbildungsbezogene Schulden, 29 Prozent Schulden über 30.000 Dollar.458 19 Prozent, also knapp ein Fünftel der promovierten Geisteswissenschaftler, gaben dabei sogar Schulden von über 50.000 Dollar an.459 Die Tatsache, dass sogar nach dem erfolgreichen Abschluss der Promotion oftmals noch derart hohe Schulden bestehen, legt nahe, dass die Finanzierung während der Promotion bei vielen Promovierten zum Abbau der Schulden nicht ausreicht, sondern diese erst später im Beruf getilgt werden müssen. Welchen Berufen Promovierte der English studies nachgehen, wird näher im Kapitel 5.5 untersucht. Im Zusammenhang mit der Lehrtätigkeit als einem Schwerpunkt sowohl der Doktorandenausbildung als auch der später intendierten Arbeit als ordentlicher Professor stellt sich jedoch an dieser Stelle die Frage, wie promovierte Anglisten und fortgeschrittene Doktoranden in English studies ihre Erfahrungen in der Lehre und die Vorbereitung während der Promotion auf ihre späteren Aufgaben als Lehrer und ‚Wissensvermittler‘ bewerten. Drei Aspekte können anhand der mit Doktoranden der Columbia University und der CUNY durchgeführten Interviews festgehalten werden: Alle Doktoranden bestätigen im Gespräch, dass die Finanzierung ihrer Promotion fest mit der Lehrtätigkeit für undergraduates verknüpft ist. Auch bewerten sie die auf die Lehre vorbereitenden Maßnahmen ihrer Programme ausgesprochen negativ. Und schließlich äußern sich die Doktoranden auch zu der Lehrtätigkeit an sich kritisch: Entweder wird der Umfang der Lehre als zu hoch angesehen, wie bei Promovierenden an der CUNY („At CUNY they […] make you teach a lot. You are their cheap labor“). Oder der Inhalt der am meisten zu unterrichtenden Kurse 458 Eigene Berechnungen nach Fiegener: Doctorate Recipients from U.S. Universities, S. 51. 459 Im Fächervergleich waren Promovierte der Ingenieurwissenschaften am wenigsten verschuldet: 34 Prozent hatten Schulden, 11 Prozent Schulden über 30.000 Dollar und 7 Prozent über 50.000 Dollar. Eigene Berechnungen nach ebd.
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5 Die Promotion in den English studies
(writing, composition) wird als der angestrebten Qualifikation unangemessen empfunden, wie im folgenden Zitat eines Doktoranden der Columbia University: „The class we have to teach is a writing course, composition. But we would prefer to teach literature. And we need this experience for the job later“.460 Als besonders negativ werteten die exemplarisch Befragten die hochschuldidaktischen Veranstaltungen. Ein Promovierender der Columbia University nennt die zweiwöchentlichen Kurse zur Vorbereitung des Unterrichts in freshmen writing „gänzlich nutzlos“ und beklagt, dass die Teilnehmer des Kurses nichts gelernt hätten. Der zweite Doktorand antwortet auf die Frage, ob es während der Promotion eine Vorbereitung auf die spätere Aufgabe als Lehrer oder „Wissensvermittler“ im Allgemeinen gab: Yes, and it was terrible. Teaching is the short end of the stick. And that’s because the preparation during the Ph.D. is to be a good researcher. Public speaking and so on, these skills are really not emphasized. The little training for teaching we had was important, because it was all we got, but it was not very good. It was not very useful. It’s called the teaching practicum, but it’s not very practical. It’s stuff interesting to think about, but we wanted to know what to do in the classroom! They never told us what to do for 1.5 hours. It was a sink or swim course.
Als deutlich hilfreicher bewertet der erste Doktorand so genannte mentor groups, bei denen sich im ersten Jahr unterrichtende Doktoranden alle zwei Wochen treffen und über ihre praktischen Erfahrungen in der Lehre austauschen („you would share with other instructors, what they do and how, that was very very useful“). An der CUNY unterrichten die Doktoranden für ein niedriger dotiertes Förderpaket mehr – statt eines Kurses, wie an der Columbia, in der Regel zwei Kurse pro Semester (vgl. Kapitel 5.1.2). Ein weiterer Unterschied ist, dass Promovierende der CUNY teilweise bereits im ersten Jahr der graduate school unterrich460 Fehlende Möglichkeiten, Kurse zur Literatur unterrichten zu können, war auch eins der vier Schwerpunktthemen einer Konferenz der an der Carnegie Initiative on the Doctorate teilnehmenden English departments (darunter Columbia University) im Jahr 2003. Im Bericht des Studierendenvertreters für die Columbia University heißt es zu diesem Thema: „Most of us will look for jobs teaching literature after we complete our Ph.D.s, but the doctoral program currently makes no requirement that we learn to do this kind of teaching during our time at Columbia. Recent changes in the University Writing Program have opened up the possibility for devoting at least one of the three teaching years required by the department fellowships to leading sections in large introductory undergraduate classes. The structural obstacles to this are numerous, but the CID committee has broached the possibility of graduate-led discussion sections with the administration, which so far has been supportive“. URL (24.5.2010): http://www.columbia.edu/cu/english/grad_carnegieinit.htm. Für Informationen über die Carnegie Initiative on the Doctorate vgl. Fußnote 374 im Kapitel 4.2 dieser Arbeit.
5.3 Das ‚Geschäftsmodell‘: Finanzierung gegen Lehre
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ten, also oftmals direkt nach dem Bachelorabschluss (an der Columbia sieht das erste und fünfte Jahr des Förderpakets eine Befreiung von der Lehre vor). So heißt es im Musterplan für den Promotionsablauf für das erste Jahr des CUNY Graduate Center bei Aufnahme mit einem Bachelorabschluss explizit: „teach one or two sections as a first-year adjunct“.461 Dabei ist naturgemäß wenig Zeit für vorbereitende Maßnahmen, wie ein Doktorand im Interview bestätigt: „[T]he first day when you teach you have had maybe four hours of training! So you walk in pretty nervous“. Der zweite Doktorand der CUNY äußert sich über die angebotenen Fördermaßnahmen zum Thema Lehre ebenfalls kritisch: During my Ph.D. there was a pedagogy seminar but that was horrible. […] There is one teaching orientation here. It’s taught by students but it’s not helpful. The rest happens at the schools where you go to. So, I would say we end up being very good teachers because we teach so much. But usually the first semester is a disaster.
Dieser überwiegend kritischen Bewertung der Lehrvorbereitung und -erfahrung durch die Doktoranden stehen die Intentionen der Programme gegenüber, eine angemessene Qualifikation in der akademischen Lehre zu vermitteln. Als ein Teil der Vorbereitung wird vom Koordinator des CUNY-Programms bereits die Kursphase gesehen: Die Doktoranden sollen in den Veranstaltungen über ihre Spezialisierung hinaus Kenntnisse in weiteren Fachthemen erwerben, um diese später in der Lehre einsetzen zu können. Hauptsächlich erfolgt die Vorbereitung auf spätere Lehrtätigkeit jedoch durch die praktische Lehre selbst sowie durch weitere unterstützende Maßnahmen. Die beiden Programme der Columbia University und CUNY scheinen sich neben dem bereits erwähnten Umfang der Lehrtätigkeit der Doktoranden (Anzahl der zu unterrichtenden Kurse pro Semester und der zu lehrenden Semester insgesamt) auch durch den Grad der Selbständigkeit in der Lehre zu unterscheiden. Bei der CUNY ist der Doktorand, bei Columbia letztlich sein Professor für die Lehrinhalte verantwortlich. Diesen Unterschied stellen beide Koordinatoren jeweils aus ihrer Perspektive positiv dar. So berichtet Professor Steven Kruger, Ph.D., über das CUNY-Programm: [The graduate students] have to teach two courses every semester. They are teaching their own classes, there is no master teacher above them. They design the classes etc. […] We have workshops, they do a teaching practicum course, [there are] mentors. So there is a lot of mentors, there are observers from faculty etc., a lot of support. And they are responsible for their own class. 461 URL (24.5.2010): http://web.gc.cuny.edu/English/pages/studentguide.html#IV, dort unter: Appendix: Two Sample Schedules for Meeting the Requirements for the Ph.D. in English, Student entering with a B.A. Degree (only), Academic Year One.
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5 Die Promotion in den English studies
Demgegenüber hebt die Koordinatorin des Programms der Columbia University, Professor Susan Crane, Ph.D., für ‚ihr‘ Programm umgekehrt das betreute Unterrichten durch Promovierende und die selbständige Lehre nur durch promovierte Lehrkräfte als ein Qualitätsmerkmal hervor: The teaching experience is really good. [The graduate students] start as teaching assistants. At Columbia only people with a Ph.D. are supposed to teach independently. So there would always be a course director for the course, who would be a professor.
Diese Beschreibung weist Parallelen zur Situation in Deutschland auf: Auch hier unterrichten nur Lehrkräfte selbständig, die über die Lehrbefugnis (venia legendi, verliehen meist an Habilitierte) verfügen, wenn auch bereits die promovierenden wissenschaftlichen Mitarbeiter im Lehrstuhlalltag relativ eigenständig verantwortlich in der Lehre tätig sind (aber offiziell unselbständig und ohne Recht zur Abnahme von Prüfungen). Im Gegensatz zu weniger als einem Drittel der Doktoranden der Germanistik in Deutschland462 können alle Doktoranden der English studies im Hinblick auf die Lehrtätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiter betrachtet werden, die zumindest während ihrer umfangreichen Arbeit als Lehrassistenten stets eng an die Hochschule gebunden sind. Einen wichtigen Unterschied zu den wissenschaftlichen Mitarbeitern in der Germanistik in Deutschland stellt dabei jedoch die oftmals einseitige Ausrichtung auf die Mitarbeit in der Lehre dar, im Gegensatz zu vielfältigen möglichen Tätigkeitsfeldern germanistischer Lehrstuhlmitarbeiter in Lehre, Forschung und Administration (vgl. Kapitel 3.4). Mit Blick auf die Qualitätssicherung der von Promovierenden geleisteten Lehre erscheinen die Praktiken in beiden Ländern gleichermaßen ungenügend – es konnten keine transparenten, flächendeckend eingesetzten Instrumente oder Standards der Qualitätssicherung für die Lehre durch Doktoranden identifiziert werden. Dass die vorhandenen Maßnahmen der Programme hinsichtlich der Vorbereitung der Doktoranden auf die auch für die spätere Karriere notwendige Lehrtätigkeit nicht in jedem Fall hilfreich sind, deuten für die hier untersuchten Programme bereits die Interviewzitate an. Den negativen Eindruck bestätigen aber auch Beobachtungen der Fachvertreter und drei unabhängige Studien. So kritisiert Gerald Graff den Stellenwert der Lehre in den English studies: Die Unsicherheiten der Doktoranden darüber, was es genau heißt, Literaturwissenschaftler zu sein, würden bei der Frage nach dem „wie“ der akademischen Lehre fortgesetzt. Das Unterrichten würde in aller Regel nicht als eine intellektuelle Herausforderung des Wissenschaftlers gesehen, sondern passiere nebenher, ge462 Vgl. Kapitel 3.7, Fußnote 293.
5.3 Das ‚Geschäftsmodell‘: Finanzierung gegen Lehre
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höre ‚dazu‘ und stehe eindeutig im Schatten der Forschung. Eine aktive Diskussion über wissenschaftliche Lehre oder gar Anleitung dazu gäbe es selten, es handele sich in den meisten Fällen stattdessen um ein learning by doing. Seine eigene Erfahrung stellt Graff folgendermaßen dar: I „learned to teach“ by fakery, pretending that I knew what I was doing and keeping the pretense up until at some point, after many years, it stopped feeling like one. When I began to teach my own courses, […] I felt that I was still mentally an undergraduate in many ways who was hoping to fool students into confusing me with a real professor. Fortunately for me, the same forms of academic mystification that left me in the dark as a doctoral student lead undergraduates to believe that all college instructors know everything and must be trusted as authorities until they prove otherwise. 463
Dabei böte sich ein aktives Bekenntnis zur Lehre zusammen mit der Forschung als der Essenz des Faches English für eine gemeinsame Basis an, um die Diversität und den Flickenteppich-Charakter der Fachinhalte (vgl. 4.2) zumindest teilweise zu überbrücken.464 Die erste der drei unabhängigen Studien, die quantitativ eine ungenügende Vorbereitung der Doktoranden auf die Lehrtätigkeit bestätigen, ist die von der Mellon Foundation und der National Science Foundation geförderte nationale Befragung über Karrierewege der Promotionsabsolventen der Ph.D.´s - Ten Years Later Study (1999). Promovierte Akademiker des Fachs English nannten rückblickend unter den konkreten Verbesserungsvorschlägen für Doktorandenprogramme eine Ausbildung für die Lehrtätigkeit („Teach how to teach“) stets an erster Stelle.465 463 Graff: The Ph.D. in English, S. 3f. 464 Ebd., S. 4. 465 An der Studie haben fast 6.000 Promovierte der Disziplinen English, Biochemie, Informatik und Elektromechanik, Mathematik und Politikwissenschaften von 61 Universitäten teilgenommen. Dadurch konnte die Studie etwa 57 Prozent aller zwischen 1982 und 1985 in diesen Disziplinen verliehenen Doktorgrade abdecken. Die Rücklaufquote betrug 66 Prozent bei U.S.Staatsbürgern und permanent residents sowie 52 Prozent bei ausländischen Wissenschaftlern, die zum Zeitpunkt der Promotion ein temporäres Visum hatten. Die Fragen betrafen die Entscheidungsprozesse bei der Suche des Erstberufes im Anschluss an die Promotion, aktueller Beruf (die dort benötigten Qualifikationen, Zufriedenheit, Einkommen etc.) sowie rückblickende Evaluation des Doktorandenprogramms und der Nützlichkeit des Doktorgrades. Neben Erkenntnissen zu diesen Themen waren Ergebnisse der Studie good practice-Empfehlungen für graduate schools und Hochschuladministratoren zur Verbesserung der Doktorandenausbildung, wie die weiter oben zitierte Empfehlung zur Verbesserung der Vorbereitung auf die Lehrtätigkeit. Die Ergebnisse der Studie wurden in fachspezifischen Aufsätzen publiziert. Für die Auswertung zum Fach English vgl. Nerad/Cerny: From Rumors to Facts, Table 12, S. 8.
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Zweitens belegt die bereits früher zitierte nationale Umfrage The Survey of Doctoral Education and Career Preparation (2004), dass sich Doktoranden des Fachs English auf Teilaspekte der künftigen Lehrtätigkeit ungenügend vorbereitet fühlen: Nur 43 Prozent der Befragten fühlen sich auf das Entwickeln eines eigenen Lehrplans (develop teaching philosophy), 30 Prozent auf den Unterricht von Vorlesungen (teach lecture courses), 25 Prozent auf die Beratung von undergraduate und zwölf Prozent auf diejenige von graduate Studierenden und Doktoranden vorbereitet sowie nur 18 Prozent auf den Unterricht von Kursen auf Master- und Promotionsebene.466 Dabei ist anzumerken, dass alle genannten Aspekte zu den wichtigsten Tätigkeiten des intendierten Berufs als Hochschullehrer gehören. Und schließlich stimmten in der landesweiten Umfrage 2000 National Doctoral Program Survey 25 Prozent der Doktoranden im Fach English Literature and Language der Aussage, dass die Lehrerfahrung im Rahmen ihres Promotionsprogramms eine angemessene Vorbereitung auf eine akademische Karriere oder den Lehrberuf (academic/teaching career) darstellt, nicht zu.467 Diese drei Studien können gleichzeitig als Beispiele für zahlreiche Einzelprojekte in den USA genannt werden, die mit spezifischen Datenerhebungen eine Grundlage für Analysen existierender Defizite und die Erarbeitung von entsprechenden Reformüberlegungen etwa im Hinblick auf Ausbildungsstrukturen und Inhalte der Promotionsphase bieten. Die Existenz belastbarer, oftmals sogar fachspezifischer Daten über Defizite der Doktorandenausbildung ermöglicht im nächsten Schritt Initiativen zu deren Behebung. So hat beispielsweise mit Blick auf die ungenügende Vorbereitung auf die professorale Lehrtätigkeit das Council of Graduate Schools das Programm Preparing the Future Faculty ins Leben gerufen. In dieser Initiative unterrichten Doktoranden im Rahmen von Lehr-Praktika unter Aufsicht eines Professors in verschiedenen Institutionen und erhalten dabei von weiteren Mentoren intensive Rückmeldung auch zu ihrer Lehrtätigkeit.468 466 Vgl. Golde/Dore: The Survey of Doctoral Education, S. 26. 467 Eigene Berechnungen nach National Association of Graduate and Professional Students: 2000 National Doctoral Program Survey, unter der URL (24.5.2010): http://www.nagps.org/sur vey2000. 468 In den zehn Jahren zwischen 1993 und 2003 haben landesweit 45 Universitäten mit Promotionsmöglichkeit solche Angebote etabliert, unter Beteiligung von über 300 ‚PartnerInstitutionen’ für die Durchführung der Lehr-Praktika. Die für die Etablierung des Programms während dieser Zeit zur Verfügung stehende finanzielle Förderung des Pew Charitable Trusts, der National Science Foundation und der Atlantic Philanthropies ist zwar nicht mehr erhältlich, das Council of Graduate Schools unterstützt Universitäten jedoch weiterhin administrativ bei der Weiterführung bzw. Implementierung solcher Angebote für ihre Doktoranden. URL (24.5.2010): http://www.preparing-faculty.org/.
5.3 Das ‚Geschäftsmodell‘: Finanzierung gegen Lehre
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Eine weitere konkrete Auswirkung der Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie und anderer zum Teil genannter Studien der 1990er Jahre, die auf die Diskrepanz zwischen Promotionsinhalten und den in späteren Berufen der Promovierten benötigten Qualifikationen hingewiesen haben, war die Einrichtung der Reforminitiative The Responsive Ph.D. der Woodrow Wilson National Fellowship Foundation. Zwischen 2000 und 2006 hat die Stiftung 41 Projekte an 20 promotionsanbietenden Universitäten gefördert, in denen innovative Elemente für die Promotionsphase erarbeitet wurden, um die Doktorandenausbildung mit Blick auf die spätere Berufsrealität adäquater zu gestalten.469 Zusammenfassend kann als positiv festgestellt werden, dass die Mehrheit der Doktoranden in den English studies in den USA, der historischen (docere) wie praktischen Funktion des Doktorgrads als Lehrqualifikation entsprechend, aktiv in die Lehre eingebunden ist. Dadurch können die Promovierenden in der Praxis prinzipiell die in der späteren Karriere benötigte Lehrkompetenz erwerben. Gerade mit Blick auf die fehlende Habilitation und die frühere selbständige Arbeit in Forschung und Lehre in den USA (die Promovierten bewerben sich direkt nach der Promotion, unter anderem mit einem vorzuweisenden teaching portfolio, um Stellen wie die des assistant professor mit tenure-track) ist es im Rahmen der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses auch von zentraler Bedeutung, dass die Doktoranden bereits während der Promotion ausreichend Lehrerfahrung sammeln. Dieses positive Ergebnis trübt jedoch die Feststellung von Problemen in der Praxis der amerikanischen Hochschulen: Die Notwendigkeit der Lehrtätigkeit der Doktoranden dient nicht nur dem wünschenswerten Training für spätere Lehraufgaben, sondern resultiert oftmals aus der problematischen finanziellen Lage der Hochschulen und deren zunehmender Angewiesenheit auf günstige Lehrkräfte. Zudem müssen die Doktoranden meist aufgrund der Kopplung der Finanzierung der Promotion und damit des Lebensunterhalts an die Lehrtätigkeit unterrichten. Als Folge nimmt der Unterricht der Doktoranden in English studies samt Vor- und Nachbereitung je nach finanzieller Situation der Universität und der Verfügbarkeit von weiteren Stipendien in manchen Programmen zu viel Promotionszeit in Anspruch und trägt zur Verlängerung der Promotionsdauer 469 Für die Geisteswissenschaften kann zum Beispiel das Programm Humanities Out There (H.O.T.) der University of California at Irvine genannt werden, bei dem der Fokus auf der Interaktion der Doktoranden mit Schullehrern der Primar- und Sekundarstufe liegt. In Zusammenarbeit mit Universitätsprofessoren und Schullehrern entwickeln die Doktoranden innovative Lehrpläne für geisteswissenschaftliche Schulfächer wie Englisch, Kunst oder Geschichte, und erproben diese zusammen mit undergraduates anschließend in Workshops in ausgewählten Schulklassen. Vgl. Woodrow Wilson Foundation: The Responsive Ph.D., S. 55 sowie die URL (24.5.2010): http://yoda.hnet.uci.edu/hot/.
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5 Die Promotion in den English studies
bei.470 Diese beträgt in English studies im Median 9,2 Jahre (vgl. Kapitelende 5.2).471 Dadurch, dass die Doktoranden in der Regel mindestens im zweiten bis vierten Jahr (oftmals im Rahmen weiterer Lehrangebote bis zum sechsten Jahr) der graduate school unterrichten, entsteht der Eindruck, dass die Dissertation hauptsächlich in den Jahren nach ‚Ableistung‘ der Lehrpflichten verfasst wird. Dabei kann sich die Promotionsdauer zusätzlich verlängern, da den Doktoranden nach Auslaufen des Förderpakets mit seinen Lehrverpflichtungen die Hauptfinanzierungsquelle nicht mehr zur Verfügung steht und sie sich stattdessen aus anderen Quellen (oftmals durch weitere Lehre) finanzieren müssen. Ein weiteres Defizit ist die Diskrepanz zwischen den Inhalten der während der Promotion und im späteren Beruf zu unterrichtenden Kurse: Während in der Arbeit als Hochschullehrer insbesondere Kenntnisse und Kompetenzen für die Lehre von Literaturseminaren benötigt werden, sammeln die Doktoranden bis auf Ausnahmen Erfahrung in der Lehre von Kursen zum wissenschaftlichen Schreiben (writing, composition) für Bachelorstudierende. Und schließlich konnten anhand von Interviews und insbesondere mehrerer unabhängiger landesweiter Studien Mängel in der Vorbereitung auf die künftigen Lehraufgaben festgestellt werden. Da die praktische Seite des Trainings in den meisten Fällen durch den eigenen Unterricht abgedeckt ist, scheint es insbesondere an der theoretischen Ausbildung in Form von auf die Lehrpraxis zugeschnittenen Pädagogik- und Hochschuldidaktikseminaren, an erfahrenen, zugänglichen Ansprechpartnern sowie einer Betreuung und Qualitätssicherung der Lehre der Doktoranden zu fehlen.
470 Darüber hinaus nennen die Hochschulforscher Philipp Altbach und Maresi Nerad die von den Doktoranden als negativ bewertete Zusammenhanglosigkeit ihrer Tätigkeit als Lehrassistent mit ihrem Dissertationsthema als weiteren Grund für die Verlängerung der Promotionsdauer. Vgl. Altbach: Doctoral Education, S. 72 sowie Nerad: Promovieren in den USA, S. 86 und 90. 471 Vgl. auch Kapitel 5, Fußnote 414.
5.4 How to Become a Professor in English
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5.4 How to Become a Professor in English „Go and fly for six hours. And how do I fly again, exactly?” (Doktorand der Columbia University, Paraphrase und Kommentar des Ratschlags seines Betreuers, täglich sechs Stunden ohne Unterbrechung an seiner Dissertation zu arbeiten)
Neben der im vorangehenden Kapitel untersuchten Kompetenz in akademischer Lehre ist die Forschungskompetenz die zweite Kernqualifikation bei einer Berufung zum Professor in English studies. Die Berufung ist auch das primäre Ziel der Doktorandenausbildung in der Disziplin, wie die Koordinatorin des Promotionsprogramms der Columbia University, Professor Susan Crane, Ph.D., zusammenfassend formuliert: „[T]he training is designed to train them to become a professor“. Trotz des möglicherweise im Kapitel 5.3 gewonnenen Eindrucks der hauptsächlichen Fokussierung der Promotionsphase in English studies auf die Lehrqualifikation ist die erklärte Hauptleistung der Promotion wie in der Germanistik in Deutschland die Dissertation, also ein Nachweis der selbständigen Forschungsleistung und nicht etwa eine umfangreiche Überprüfung der erworbenen Lehrkompetenz.472 Wie finden die Promovierenden der English studies ihre Dissertationsthemen? Gibt es dabei sowie bei den Anforderungen an die Dissertation Unterschiede zu der Germanistik in Deutschland? Ähnlich wie in der Germanistik kann in den English studies das Dissertationsthema auf eine frühere Hausarbeit oder den Master’s Essay, auf neue, während der Veranstaltungen in der Kursphase gewonnene Ideen oder auf persönliche Interessen der Promovierenden zurückgehen, und die Doktoranden stimmen die Themen mit ihrem Betreuer ab. Der Unterschied zu Deutschland liegt hauptsächlich darin, dass die Doktoranden während der Kursphase der Promotion verschiedene Professoren und ihre Seminare kennen lernen, bevor sie die Wahl des Betreuers und Themas treffen. Dieses Modell wird durch den Umstand unterstützt, dass zum einen die Hochschule häufig vor der Masterphase gewechselt wird (vgl. Kapitel 5.2). Zum anderen müssen auch diejenigen Doktoranden, die bereits mit einem Masterabschluss die
472 Trotzdem benötigen die Doktoranden für die Bewerbung um eine Professur ein aussagekräftiges teaching portfolio und müssen je nach Profil der aufnehmenden Institution statt des Vorstellungsvortrags über ihre Dissertation eine Mustervorlesung halten. So berichtet ein Doktorand der Columbia University über den letzten Schritt im Bewerbungsprozess folgendermaßen: „[I]f you pass through the interview, you get invited to the campus and present one or one and half hour from your dissertation, or if it’s a teaching oriented school, they would ask you to teach a class“.
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5 Die Promotion in den English studies
Promotion beginnen, oftmals trotzdem Kurse belegen. So betont der Koordinator des CUNY-Programms, Professor Steven Kruger, Ph.D.: Students coming in here don’t necessarily already have a Master’s, about half of them already have it and about half have a Bachelor’s degree. We give them transfer credits, so they might have to do only 35 instead of 60 credits. So we acknowledge this prior course work, but we still feel that course work at the doctoral level is useful. […] Some of their seminar papers may be the kernel for the dissertation. Course work does help many students find dissertation topics, and also towards reading and preparation for the orals.
Die ‚thematische Sortierung‘ bis hin zur Themenfindung kann so während der Kursphase graduell erfolgen. Dies geschieht auch im Fall der Columbia University, bei der die Doktoranden im ersten Jahr der Kursphase ein Interessenfeld, beispielsweise die Renaissance, vorläufig wählen, im zweiten Jahr sich für einen Bereich entscheiden (er kann, muss aber nicht mit dem Interessenfeld des ersten Jahres identisch sein) und im dritten Jahr dann, während der Vorbereitung auf die mündliche Prüfung, in der Regel in diesem Bereich einen Wunschbetreuer ansprechen. Wenn demgegenüber in Deutschland Studienabsolventen zur Promotion die Hochschule wechseln wollen, etwa um sich auf einen Stipendienplatz der strukturierten Promotionsprogramme zu bewerben, ist die Wahl des Betreuers komplizierter und riskanter, denn die Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen ist aufgrund der fehlenden Kursphase deutlich verkürzt. Möglicherweise ist dies einer der Gründe dafür, dass ein Hochschulwechsel vor der Promotionsphase in der Germanistik, wie im Kapitel 3.2 zumindest bei den für diese Arbeit befragten Doktoranden gezeigt wurde, auch nicht sehr häufig vorkommt. Stattdessen arbeiten die Doktoranden oftmals mit dem Thema der Magisterarbeit bzw. deren Betreuer in der Promotion weiter. Die früher in diesem Kapitel beschriebene Art der Findung des Dissertationsthemas (als Weiterführung der Masterarbeit, eines Themas aus der Kursphase oder persönlicher Interessen) hat sich in English studies zumindest seit Ende der 1960er Jahren nicht substanziell verändert. Im Zusammenhang mit den Problemen in der Betreuung (hier das Aufzwingen von ungewollten Themen durch die Betreuer) wurde bereits im Kapitel 4.2 der umfassende Bericht Don Cameron Allens zur Lage des Faches von 1968 zitiert. Die Untersuchung basiert unter anderem auf einer detaillierten Befragung von über 1.800 Promotionsabsolventen im Fach English und enthält auch Fragen zum Themenkomplex der Dissertationen. Demnach findet Ende der 1960er Jahre die überwiegende Mehrheit der Befragten ihr Dissertationsthema selbständig oder mit Hilfe des Betreuers, zwölf
5.4 How to Become a Professor in English
239
Prozent der Promovierenden bekommen ein Thema zugewiesen.473 78 Prozent der Doktoranden wählen einen Bereich aus, der sie persönlich angesprochen hat. Dies kann dabei Verschiedenes bedeuten: Für einige ist es ein früheres Interesse, zum Beispiel das Thema der Masterarbeit oder die Erweiterung einer Seminararbeit. Andere geben an, ein Thema oder einen Autor gewählt zu haben, das oder der noch nicht erschöpfend durch die Forschung behandelt wurde, oder sich an eigenen Vorlieben und Fähigkeiten zu orientieren. Manche Doktoranden berichten von einer pragmatischen Wahl: Das Thema ließ sich leicht ausgestalten und begrenzen. Gerade im Vergleich mit Deutschland fällt bei der Analyse dieser Angaben erneut auf, dass in den USA grundsätzlich stärker in Studien über das Bildungssystem und die konkreten Promotionsbedingungen reflektiert wird, wie bereits im vorangehenden Kapitel anhand der Untersuchungen mit Angaben zur ungenügenden Vorbereitung der Promovierenden auf die künftige Lehrtätigkeit festgestellt werden konnte. Als Grundlage für Analysen existierender Defizite werden vielfältige Datenerhebungen durchgeführt und dies bereits seit den 1930er Jahren. Die Perspektive der Hochschulforschung wird dabei auch fachspezifisch eingenommen. So beschäftigt sich desweiteren Howard Jones schon 1930 mit dem Thema Dissertationen im Fach English und untersucht abgeschlossene Dissertationen der Universitäten Harvard und Chicago für die Jahre 1873 bis 1926 bzw. 1894 bis 1927. Er kommt zu dem Ergebnis, dass auch Dissertationen verfasst werden, die „mechanisch und eng“ bzw. „philologisch“ sind, dass aber dieser Kategorie nur 30 der insgesamt 298 untersuchten Dissertationen angehören.474 Andererseits gesteht Jones in einer anderen Untersuchung für die Dissertationen seiner Disziplin eine „over-emphasis upon mechanical technique, and […] the triviality of the results” ein.475 Eine eigenständige Bewertung der Qualität der damaligen oder heutigen Dissertationen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ebenfalls werden hier die Dissertationsthemen nicht im Detail untersucht, da in den USA bereits umfangreiche Untersuchungen zu diesem Themenfeld existieren und durch die 473 53 Prozent der untersuchten Dissertationen haben eine Länge zwischen 151 und 300 Seiten, 32 Prozent zwischen 301 und 500. Für alle Angaben in diesem Absatz vgl. Allen: The Ph.D. in English and American Literature, S. 65-66 und S. 188. 474 Die restlichen 268 Arbeiten sortierte Jones mit Hilfe von nur vier Kategorien, wobei die meisten Dissertationen (211) den ersten beiden Gruppen angehörten: a) ‚Externe Literaturgeschichte‘ (131 Arbeiten) sowie b) Studien, die ‚Literaturgeschichte und Literaturkritik kombinieren (mit der Anmerkung, dass „Leben und Werk“-Dissertationen nicht unüblich sind; 80 Arbeiten). Jones: Graduate Study in English, S. 467-468. 475 Jones: Graduate English Study, S. 200.
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5 Die Promotion in den English studies
inhaltliche Verschiedenheit der konkreten Dissertationsthemen der English studies und der Germanistik für letztere aus dem Vergleich nur begrenzt Schlüsse gezogen werden können, im Gegensatz zum Vergleich der Themenwahl in den individuellen versus strukturierten Promotionen im Fach Germanistik. Aus heutiger Sicht kann jedoch als bemerkenswert festgehalten werden, dass in den USA bereits vor dem Zweiten Weltkrieg aus Hochschulforschungsperspektive und mit dem Ziel der Analyse der Promotionspraxis über Dissertationen als greifbare wissenschaftliche Produkte der Doktorandenausbildung in den English studies reflektiert wird. Anders als bei der Bewertung der Qualität und der konkreten Themen der Dissertationen verhält sich die Situation bei der allgemeinen Betrachtung des Themenspektrums der Forschungsqualifikation – hier erscheint ein Vergleich möglich. Während in Deutschland angehende Germanistik-Professoren in den verschiedenen Qualifikationsstufen bis zur Habilitation, die stets in einem anderen Gebiet als die Promotion erfolgen muss, ein breites Themenspektrum erwerben, wirkt die thematische Spezialisierung in den English studies deutlich enger. Auch die zweite Monographie auf dem Weg zur unbefristeten Professur (tenure), die zudem nur bei einigen Elite-Universitäten eine Voraussetzung der Festanstellung ist, wird oftmals im gleichen Bereich geschrieben.476 Dieses Expertentum und diese vertiefte Spezialisierung sollen in der Promotionsausbildung durch den Besuch von Seminaren und die so genannten distributional requirements ausgeglichen werden, die eine angemessene Verteilung der durch die Seminare abgedeckten Themenbereiche sichern sollen (beispielsweise die erwähnte obligatorische Verteilung der Kurse sowohl auf die Literatur vor 1700 wie auf diejenige danach an der Columbia University, vgl. Kapitel 5.1.2.1) sowie durch umfangreiche Leselisten und Prüfungen.477 Hierbei ist aus der mit Deutschland vergleichenden Perspektive anzumerken, dass in der Regel die Habilitation nach der Dissertation ein anderes Fachniveau als der Besuch von Seminaren zu Beginn der Promotion hat. Ferner geht die Bemühung um die Ergänzung der extremen Spezialisierung in der Dissertation nicht so weit, als dass die geforderten thema476 Viele Hochschulen verlangen statt zwei nur eine Monographie, die die veröffentlichte Dissertation sein kann, anderen reicht eine bestimmte Anzahl von publizierten Artikeln. 477 Der Umfang der Leselisten und der mündlichen Prüfung hat aus der Perspektive der Doktoranden auch Nachteile, wie ein Doktorand der CUNY im Interview berichtet: „You provide a list of about 40 different books for each of your [three] advisors. Each will ask you questions from each list, they can ask you anything they want, 2 hours. And you have to sound smart talking about it. That was very painful. […] I was reading for 4 years to talk for 2 hours. When I went there I was shaking and wanted to die. Nobody really met with me beforehand, they just kept saying, oh, you will be fine, you are smart... It was horrible.“ Ein zweiter Doktorand der CUNY bestätigt den Umfang der Leseliste: „[for] the oral exams you have about 100 books you have to read, so that’s kind of a model for autonomous study – you just read and read...“.
5.4 How to Become a Professor in English
241
tisch engen Forschungsaktivitäten der Doktoranden mit ihrer später vorgesehenen Lehrtätigkeit, die verschiedene Themenfelder abdecken muss, verknüpft und damit erweitert würden, wie die Generalsekretärin der MLA, Prof. Rosemary Feal, Ph.D., im Interview anmerkt: [The] hyper-specialization in the dissertation is sometimes a problem, as most of the jobs want the candidates to know more. Hiring is based on specialization. But! You are expected to teach a wide range of courses. You basically never teach a course on your dissertation. So the hyper-specialization in writing the dissertation does not correspond to the kind of teaching required – a paradox.
Welche Anforderungen werden konkret an die Dissertation als Kernleistung der Promotion in English studies gestellt? Durch Diskussion und Verteidigung des Inhalts gibt es einen Prozess der Qualitätssicherung, insbesondere des Exposés und des ersten Dissertationskapitels, wie im Kapitel 5.2 erörtert wurde. Die Länge der Dissertation ist mit den Gewohnheiten in der Germanistik vergleichbar und unterliegt keiner offiziellen Vorschrift. Der Koordinator des CUNYProgramms berichtet, dass die Minimallänge bei 150 bis 200 Seiten läge und viele Betreuer den Doktoranden von Dissertationen über 800 Seiten Länge abrieten, dass er jedoch beide Extreme aus der Praxis kenne. Für die Columbia University nennt die Koordinatorin 200 bis 250 Seiten als Standard.478 Die Generalsekretärin der MLA schließlich stellt fest: „160 pages would be short. But there is no official requirement, just personal and institutional myths. 400 pages would be long“. Neben der Länge der Dissertation wird in den English studies die insbesondere aus den Lebenswissenschaften bekannte Praxis der kumulativen Promotion diskutiert, bei der verschiedene weniger umfangreiche Publikationen die Dissertation als die einzige schriftliche Leistung ersetzen. Als Argument dafür wird vor allem eine höhere Sichtbarkeit (da Lesewahrscheinlichkeit) kürzerer Beiträge genannt. Professor Steven Kruger, Ph.D., hebt jedoch den Nachteil der fehlenden intensiven Forschungsleistung in einem solchen, für die English studies bisher nur theoretisch diskutierten, Modell im Interview hervor: 478 Laut Internetseite des English departments: „A typical dissertation these days runs between 250 and 300 pages, divided into four or five chapters, often with a short conclusion following the final full-scale chapter. There is no set minimum or maximum length, but anything below about 225 pages will likely look insubstantial in comparison to others, while anything over 350 pages may suggest a lack of proportion and control of the topic, and would probably take too long to write. […] The goal should be to have a full draft of the dissertation completed by October 1 of the sixth year“. URL (24.5.2010): http://www.columbia.edu/cu/english/ grad_phd.htm#D.
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5 Die Promotion in den English studies A lot of people have thought about whether the kind of dissertation project that’s required in English studies is the most effective thing. To produce a book-length research project […] is the standard now. Some people think that something like three articles might be more useful and better publishable. So that’s an area where there is debate, but I actually think that the current model is an effective instrument. Even if students never publish a book in their career it’s useful to have done a scholarship of that weight once in your life.
Dass in der Praxis die kumulative Promotion oder auch die Zusammenfügung verschiedener Projekte in der Dissertation unüblich ist, unterstützen auch die Ergebnisse der bereits im Kapitel 5.3 zitierten Studie The Survey of Doctoral Education and Career Preparation von Chris Golde und Timothy Dore: 83 Prozent der Befragten im Fach English gaben bei der Befragung an, dass ihre Dissertation die Arbeit von einem und nicht von mehreren Projekten wiedergibt, im Gegensatz beispielsweise zu vielen Dissertationen in den Naturwissenschaften.479 Klare Unterschiede zur Germanistik sind, dass die Dissertation in den USA nicht als ein Buch betrachtet wird und nicht veröffentlicht werden muss. In den Anforderungen an den Doktorgrad in English findet sich bei der Columbia University dazu folgende Erläuterung: „[The dissertation] is not a book, though it may eventually become one at a subsequent phase: dissertations are typically shorter and more selective in scope than books“. Die Definition der Dissertation als kürzer und in der Bandbreite enger mag im Vergleich zur Germanistik überraschen, denn dort ist im Gegenteil oftmals aufgrund von Verlagsvorgaben eine Kürzung und Fokussierung vor der (verpflichtenden) Veröffentlichung der Dissertation von Nöten. Die offizielle Aufforderung zur Kürze und Spezialisierung ist darüber hinaus ein weiterer Beleg für das angesprochene engere Themenspektrum in der Forschung. Dass Dissertationen in den USA nicht verpflichtend veröffentlicht werden müssen, wie alle im Rahmen dieser Arbeit befragten Doktoranden bestätigen, kann als ein klares Defizit der Qualitätssicherung in der Promotionsphase gewertet werden. An den meisten Universitäten besteht lediglich die Regel, Belegexemplare der Dissertation intern in der Universitätsbibliothek abzulegen, oder (zunehmend) in der elektronischen Datenbank der Bibliothek recherchierbar zu speichern. Darüber hinaus werden üblicherweise einige Exemplare der Dissertation der graduate school und den Mitgliedern der Promotionskommission gewidmet. Eine Publikationspflicht wie in der Germanistik in Deutschland und damit die obligatorische Verfügbarmachung der Forschungsergebnisse der weite479 Vgl. Golde/Dore: The Survey of Doctoral Education, S. 29.
5.4 How to Become a Professor in English
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ren Gemeinschaft der Wissenschaftler gibt es nicht. Dies kann als ein Hinweis auf eine weniger zentrale Rolle der Forschung des Doktorgrads in English studies gedeutet werden, oder aber, damit zusammenhängend, als Konsequenz der diversifizierten Hochschullandschaft der USA, in der nicht in jedem Fall ein der Wissenschaftsgemeinschaft klar kommunizierter eigener Forschungsnachweis für die weitere berufliche Karriere essenziell ist. Diese Interpretation schränkt allerdings die aktive Publikationstätigkeit der Doktoranden in den English studies ein, die zwar seitens der Programme nicht verlangt, aber doch unterstützt wird, wie der Koordinator im Falle von CUNY ausführt: We do not require another publication other than the dissertation. We have discussed it, but didn’t institutionalize it. Our students publish along and we encourage them to do it, because it helps them to get jobs. […] But it’s not a requirement.
Im Zitat wird der Fokus auf diejenigen Aktivitäten, die den Doktoranden zur Anstellung verhelfen, deutlich. Dieser Fokus – unterstützt durch Statistiken über erfolgreiche Platzierungen der eigenen Absolventen, die für die Attraktivität der Hochschule eine große Rolle spielen – ist ein wichtiges Merkmal der Doktorandenausbildung in den USA und möglicherweise (noch) ein Unterschied zu Deutschland. Bemerkenswerterweise führt dieser Fokus aber nicht zu einem großen Angebot zur Vermittlung wissenschaftlicher Zusatzqualifikationen, wie es mit Blick auf das gewünschte erweiterte Qualifikationsprofil der Promovierten in den strukturierten Promotionsprogrammen in Deutschland nachgewiesen werden konnte. Stattdessen zeigt sich auch hier die Konzentration auf die Vorbereitung der späteren Tätigkeit als Dozent: Die einzige, oftmals obligatorische Teilleistung neben dem course work und der Dissertation ist, wie im Kapitel 5.3 ausführlich untersucht, die Lehrtätigkeit. Auch ohne Angebote für das Erlernen weiterer Zusatzqualifikationen wird die Verwendbarkeit der erworbenen Kernkompetenzen auch in Berufen außerhalb der akademischen Laufbahn einerseits durch die Programmkoordinatoren postuliert, wie folgende Zitate andeuten: „I think that the Ph.D. is not necessary for either of [these jobs outside academia], but always useful – strong research, teaching and communication skills“, bzw. „As we are doing our training, we are only thinking of getting students ready for college teaching. However, there are so many skills that are transferable also to other jobs. The Ph.D.s are so skilled, that they also can work in other fields“. Andererseits werden diese Behauptungen nicht in dieser Klarheit durch die für die English studies zur Verfügung stehenden Absolventenstudien auf Promotionsebene bestätigt. So zeigte beispielsweise die im Kapitel 5.3 zitierte Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie, dass die Qualifikationen Teamarbeit, Zusammenarbeit mit anderen
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5 Die Promotion in den English studies
Arbeitsgruppen oder Führungskompetenz zwar von mehr als der Hälfte der befragten promovierten Anglisten (Akademikern wie Nichtakademikern) in ihren aktuellen Berufen benötigt werden, die Vermittlung dieser Qualifikationen jedoch nur in weniger als einem Fünftel der Fälle Bestandteil der Promotion waren.480 Die erworbenen Kompetenzen scheinen sich also nicht mit allen später im Beruf benötigten Qualifikationen zu decken, und dies gilt sogar für diejenigen Promovierten, die den in der Doktorandenausbildung intendierten akademischen Berufen nachgehen. Für die Germanistik in Deutschland stellt sich hierbei die Frage, woran sich die inhaltliche Strukturierung insbesondere der neu einzurichtenden Promotionsprogramme orientieren sollte. Eine Informationsquelle könnten dabei der Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie ähnliche Befragungen von promovierten Germanisten darstellen, zu den von ihnen im Beruf benötigten Qualifikationen sowie deren erfolgter bzw. gewünschter Vermittlung während der Promotion.481 Ein Unterschied zu Deutschland bleibt dabei in den USA die Nichtexistenz der Habilitation (wenn auch in Deutschland diese teilweise durch die Juniorprofessur ersetzt werden kann)482 und dadurch frühere selbständige Tätigkeit in Forschung und Lehre, sodass alle dabei benötigten Kompetenzen im Kern während der Promotion erworben werden müssen. Denn direkt nach dem Erwerb des Doktorgrads bewerben sich die Promovierten um Professuren. Bei Letzteren handelt es sich zwar meist erst um so genannte assistant professorships. Aber der Begriff assistant ist in dem Sinne irreführend, als dass die jungen Professoren eben nicht Assistenten von einem vorgesetzten Professor sind, sondern mehr als Habilitanden in Deutschland eigenverantwortlich und unabhängig in Lehre und Forschung tätig sind. Eine weitere Differenz ist die Segmentierung der Promotionsphase: Während in den untersuchten strukturierten Programmen in Deutschland die Promotionsleistungen, bei denen verschiedene Qualifikationen und Zusatzqualifikationen erworben werden, relativ gleichmäßig über die Promotionszeit verteilt sind und die Lehrkomponente im Umfang begrenzt ist (vgl. Kapitel 3.6 und 3.7), prägen die Promotion in English studies drei teilweise überlappende, jeweils mehrjährige Komponenten: die Absolvierung von Kursen, die Lehrtätigkeit und 480 Vgl. Nerad/Cerny: From Rumors to Facts, S. 9. Als Nichtakademiker galten dabei promovierte Beschäftigte in der Wirtschaft, im Staatsdienst oder in gemeinnützigen Organisationen. Für weitere Informationen über die Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie vgl. Fußnote 465. 481 So fragte die Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie neben der im Beruf benötigten und in der Promotion enthaltenen Kompetenzen auch danach, ob die Vermittlung dieser Qualifikationen ein Teil der Doktorandenausbildung sein sollte. Für die weiter oben genannten Kompetenzen stimmten der Frage etwa 60 Prozent der Befragten im Fach English zu. Vgl. ebd. 482 Vgl. Kapitel 1.2, insbesondere Fußnote 43.
5.4 How to Become a Professor in English
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die Arbeit an der Dissertation, wobei die Lehrtätigkeit teilweise über die gesamte Promotionszeit verteilt ist. In beiden Systemen ist eine graduelle Steigerung der zum Abschluss der Promotion nötigen Selbständigkeit festzustellen. Wenn also von einer strukturierten Doktorandenausbildung in den English studies in den USA gesprochen wird, heißt ‚Struktur‘ auf jeden Fall nicht, dass die Doktoranden nicht selbständig arbeiten müssten. Im Gegenteil: In der Phase der Lehrtätigkeit und vor allem in der abschließenden Phase der Dissertationserstellung sind die amerikanischen Doktoranden zum Teil vergleichbar ‚alleine gelassen‘ wie in der Individualpromotion in Deutschland, abhängig von der Qualität der Einzelbetreuung (vgl. Kapitel 5.2). Sicherlich geben die mehrfache Betreuung, die zusätzliche Aufsicht durch die graduate school, die festgelegten Teilleistungen und Fristen für ihre Erfüllung, die institutionalisierte Einbindung in die Lehre sowie der Austausch mit anderen Doktoranden, der während der Kursphase und Lehrtätigkeit etabliert werden konnte, dem selbständigen Arbeiten der Promovierenden einen Rahmen. Dies sind die Vorteile der ‚Struktur‘ in den USA und in den meisten Aspekten auch in den untersuchten ‚strukturierten‘ Promotionsprogrammen in Deutschland. Aber in beiden Ländern müssen sich Doktoranden insbesondere in der Endphase der Promotion verstärkt selbst motivieren und disziplinieren, das zu verarbeitende Wissen selbständig selegieren und die Dissertation nach einem eigenen ‚Rezept‘ anfertigen. Auf die Frage, ob sie während der Promotion selbständiges Arbeiten lernten und auf welche Weise, waren die Antworten der Doktoranden in den English studies den Antworten der befragten Promovierenden in der Germanistik sehr ähnlich, zum Beispiel „Yes, I think most of what you are doing is on your own“. Dass die Doktoranden durch fehlende oder ungenügende Vorbereitung Kompetenzen in akademischer Lehre hauptsächlich auf sich selbst gestellt erwerben müssen, wurde im Kapitel 5.3 gezeigt. Aber auch die zweite Kernqualifikation, die individuelle Forschungskompetenz, müssen die Promovierenden in dem ‚strukturierten‘ System der USA genauso selbständig erlernen wie in Deutschland. Eine ‚Forschungsdidaktik‘ fehlt in beiden Systemen. Wie ein Doktorand der Columbia University prägnant formuliert: You figure that out on your own, discover by trial and error, what works and what not. How does one write a dissertation? Organize thoughts to write them down? Nobody did any effort to teach us this, we did it on our own. My advisor spent six hours a day [doing research] without distraction – that was his advice. But how do I do it? Go and fly for three hours. And how do I fly again, exactly?
Das ‚Alleine-fliegen-Lernen‘ ist die letzte Phase der Doktorandenausbildung. Da Selbständigkeit nicht durch Dauerbetreuung erreicht werden kann, muss die
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5 Die Promotion in den English studies
Betreuung graduell in eine Herausforderung der eigenständigen wissenschaftlichen Arbeit übergehen. Teil eines Betreuungskonzeptes ist es also auch, phasenweise nicht betreut zu werden, wie die Koordinatorin des Columbia-Programms explizit formuliert: In their future professional lives [our doctoral students] will need to do research and write independently, but they also need to be good teachers, know how to design a course, to be reliable and deadline concious. All that comes from a lot of contact with other students and professors. […] So contact is good. But they have to learn not to have contact, too! This is also what they need later.
Eigenständige wissenschaftliche Arbeit heißt dabei nicht, in keinem disziplinären Austausch zu stehen. Gerade an der Columbia University werden beispielsweise alle Dissertationskapitel von drei Professoren gelesen und der Doktorand erhält bei Treffen mit ihnen direkte Rückmeldung zu seiner Arbeit. Vielmehr als ein Verschwinden der Betreuung kann der Prozess also als eine Transformation der Top-Down-Betreuung zu einem herausfordernden wissenschaftlichen Disput unter ‚Fast-Kollegen‘ über die selbständig produzierte wissenschaftliche Arbeit des Doktoranden charakterisiert werden. Das Ziel ist dabei die Prägung eines neuen Vertreters der Disziplin. Auch wenn die Doktoranden nach ihrer Promotion Anstellung in diversen Berufssparten finden (vgl. Kapitel 5.5), ist die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses das primäre Ziel der Doktorandenausbildung in English studies in den USA. Wird dieser Prozess von der Disziplin reflektiert? Stellen sich die Fachvertreter die Frage, welche Qualifikationen ihre Doktoranden während der Promotion erwerben (sollten) und mit welchem Ziel? Wie bereits anhand der Fragen der quantitativen Angemessenheit der Doktorandenausbildung (vgl. Kapitel 4.2), der Vorbereitung für die Lehrtätigkeit (vgl. Kapitel 5.3) und der Forschung über Dissertationen (vgl. früher in diesem Kapitel) gezeigt, wird auch über diese inhaltlichen Aspekte der Doktorandenausbildung in den USA auf der Ebene der einzelnen Disziplinen reflektiert und Initiativen zu ihrer Verbesserung eingeleitet. So hat 2001 die Carnegie Foundation for the Advancement of ching483die fünfjährige Carnegie Initiative on the Doctorate ins Leben gerufen, bei der sich freiwillig Vertreter der departments von über 80 Promotionsprogrammen in sechs Disziplinen, darunter der English studies, selbst zur kritischen Untersuchung der aktuellen Praxis der Doktorandenausbildung verpflichtet,
483 Für weitere Informationen über die Carnegie Foundation vgl. Fußnote 350 im Kapitel 4.2.
5.4 How to Become a Professor in English
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Reformen erarbeitet und diese implementiert haben.484 Die Ausgangsfrage der Initiative lautet: Was ist der Sinn, der Zweck und das Ziel (purpose) der Doktorandenausbildung? Die als Leitidee vorgeschlagene Antwort, dass das Ziel eine Heranbildung von ‚Fürsprechern der Disziplin‘ (stewards of the discipline) ist, wird folgendermaßen spezifiziert: We propose that the purpose of doctoral education, taken broadly, is to educate and prepare those to whom we can entrust the vigor, quality, and integrity of the field. This person is a scholar first and foremost, in the fullest sense of the term – someone who will creatively generate new knowledge, critically conserve valuable and useful ideas, and responsibly transform those understandings through writing, teaching, and application. We call such a person a “steward of the discipline.”485
Ein ‚Fürsprecher der Disziplin‘ ist also sowohl in der Lage, neues Wissen im Fach zu generieren (Wissenschaft – das Schaffen von Wissen), die Entwicklung der Disziplin zu verstehen und ihre zentralen Ideen weiter zu tradieren, als auch die Fachinhalte weiter zu transformieren, sie zu kommunizieren und über sie zu lehren und die Disziplin verantwortlich weiter zu entwickeln. Die Aufgabe der Doktorandenausbildung in jeder Disziplin besteht nach Auffassung der Initiatoren des Projekts darin, solche verantwortlichen Disziplinenvertreter heranzubilden. Das Prinzip soll dabei auf alle Doktoranden angewandt werden: Auch wenn nicht alle von ihnen später in ihrer Karriere die Besten des Faches in Forschung und Lehre werden, sollten alle Promovierenden danach streben und insbesondere die Doktorandenprogramme dieses Ziel als Leitidee bei der Ausgestaltung der Doktorandenausbildung vor Augen haben: We believe that defining the development of stewards as the purpose of doctoral education reframes the educational mission in a more constructive direction than the current unexamined default that defines success as securing an academic position or tenure. Returning to the analogy of the legal profession, the goal of legal education is to prepare lawyers who serve as officers of the court. Not all lawyers may meet this standard, but no law school aims to prepare ambulance chasers. Only a few lawyers will become officers of the court […], but it is a goal to which all should aspire.486
Die an sich abstrakte Leitidee und die Aktivitäten im Rahmen der Initiative hatten bei den teilnehmenden Promotionsprogrammen konkrete Auswirkungen. So 484 Weiterführende Angaben zu der Initiative enthält Fußnote 374 im Kapitel 4.2. 485 Golde/Walker: Envisioning the Future of Doctoral Education, S. 5. 486 Vgl. ebd., S. 13f.
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5 Die Promotion in den English studies
wurden zum Beispiel am English department der an dem Projekt teilnehmenden (und auch in der vorliegenden Arbeit untersuchten) Columbia University nach einem mehrjährigen Diskussionsprozess unter Beteiligung der Professoren und Doktoranden eine Reihe von Veränderungen der bisherigen Promotionspraxis durchgeführt. Unter anderem soll in Zukunft die disziplinäre Betreuung in allen Phasen der Promotion sichergestellt werden. Zu diesem Zweck wird jedem Doktoranden bereits im ersten Jahr ein Professor als Mentor zugewiesen, nach Möglichkeit aus der Gruppe der Professoren, die seine Bewerbung begutachtet haben. Zusätzlich wird in den späteren Phasen, wie bereits erwähnt, jedes Kapitel der Dissertation von drei Professoren kommentiert. Andere Beispiele der nach der Selbstevaluation eingeführten Veränderungen sind die teilweise Ausrichtung der Inhalte der mündlichen Prüfungen am Ende der Kursphase bereits mit Blick auf das Gebiet der darauf folgenden Dissertation, oder das Ziel, den Doktoranden in späteren Phasen ihrer Lehrtätigkeit zu ermöglichen, neben den Kursen zum wissenschaftlichen Schreiben (writing, composition) zumindest teilweise auch für ihr teaching portfolio relevantere Literaturkurse zu unterrichten.487 Dieser auf die optimale Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses ausgerichtete Fokus der Carnegie Initiative on the Doctorate unterstützt eine Auffassung, dass die Doktorandenausbildung in den USA auch in Zukunft auf Wissenschaftlichkeit und Disziplinarität ausgerichtet sein sollte. Selbstverständlich wird ein Doktorand nicht durch die Absolvierung eines auf diese beiden Aspekte optimal zugeschnittenen Doktorandenprogramms in English studies automatisch zum Professor. Nicht alle sind dazu geeignet, es gibt nicht genug akademische Stellen für alle Promovierten, und wie im folgenden Kapitel gezeigt wird, verfolgen nicht alle Doktoranden dieses Ziel nach der Promotion weiter. Aber für diejenigen, die in Zukunft die Disziplin vertreten und weiter führen sollen, ist eine sowohl wissenschaftliche als auch disziplinenspezifische Vorbereitung dafür von zentraler Bedeutung.
487 Vgl. Walker et al.: The Formation of Scholars, S. 6f, mündliche Mitteilungen im Interview mit der Koordinatorin des Columbia-Programms, Professor Susan Crane, Ph.D., sowie URL (24.5.2010): http://www.columbia.edu/cu/english/grad_carnegieinit.htm.
5.5 Promovierte der English studies im Beruf
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5.5 Promovierte der English studies im Beruf Welcher Anteil der Doktoranden der English studies hat eine akademische Anstellung als Berufsziel? Wie viele erreichen dieses Ziel und in welchen Berufen arbeiten diejenigen Promovierten, die dieses Ziel nicht hatten oder nicht erreicht haben? Gibt es aus dem Beruf rückblickend Empfehlungen der Promovierten, wie die Doktorandenprogramme zu einer besseren Vorbereitung auf ihre beruflichen Aufgaben hätten beitragen können, die für die Promotionsreform in Deutschland von Interesse sind? Die für diese Arbeit befragten Doktoranden der English studies möchten entweder explizit Professor werden oder als Lehrer arbeiten, ein Doktorand schließt anhand der prekären Lage auf dem akademischen Arbeitsmarkt, die später in diesem Kapitel skizziert wird, nicht aus, alternativ zur universitären Laufbahn eine außerakademische Karriere einzuschlagen. Die Ergebnisse der bereits in den Kapiteln 5.3 und 5.4 zitierten Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie, in der die Autoren die Promotion und die Karriereverläufe der Promovierten unter anderem im Fach English umfassend untersucht haben, bestätigen bezüglich der Berufsziele den Eindruck aus den Interviews: Drei Viertel der 814 Befragten der Studie im Fach English geben an, ihre Promotion bereits mit dem Ziel einer Anstellung als Professor begonnen zu haben, und dieser Anteil hat sich im Laufe der Promotion weiter erhöht, so dass zum Zeitpunkt des Abschlusses 81 Prozent der English-Promovierten Professor werden wollten.488 Sieben Prozent der Befragten hatten andere, nicht weiter spezifizierte Karriereziele, vier Prozent kein Ziel oder spezifisches Interesse, drei Prozent wollten Hochschuladministratoren werden, jeweils zwei Prozent in der Hochschulforschung oder freiberuflich arbeiten und ein Prozent in anderen Berufen in der Wirtschaft, im Staatsdienst oder in gemeinnützigen Organisationen tätig werden.489 Gleichzeitig haben die für die Ten Years Later-Studie befragten Doktoranden an Instituten promoviert, an denen die Mehrheit der Professoren (73 Prozent) von ihnen erwarteten, dass sie einer akademischen Karriere nachgehen werden; nur acht Prozent der Doktoranden gaben an, dass Professoren sie ermuntert hätten, sich auch nach außerakademischen Berufsoptionen umzusehen.490 488 Vgl. Nerad/Cerny: From Rumors to Facts, S. 3. Ein nahezu identisches Ergebnis lieferte die Studie Survey of Doctoral Education and Career Preparation, nach der Doktoranden der Disziplin English die Frage nach einem Interesse an späterer wissenschaftlicher Beschäftigung als Hochschulprofessor („Are you interested in a faculty job at any point in the future?“) zu 78 Prozent mit Ja beantworteten (n = 506). Vgl. Golde/Dore: At Cross Purposes, S. 7 sowie für weitere Informationen über diese Studie Kapitel 5.3. 489 Vgl. ebd. 490 Vgl. ebd.
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5 Die Promotion in den English studies
Um die Anstellung als Professor auch tatsächlich zu erhalten, ist neben der absolvierten Promotion ein entscheidender Schritt die Bewerbung um eine ausgeschriebene Professur, in den USA nach Möglichkeit um eine Stelle als assistant professor mit Entfristungsplan (tenure-track). Ein wichtiger Unterschied zu Deutschland ist dabei, dass die Bewerbung direkt nach Promotionsabschluss (ohne Habilitation) erfolgt. Hierbei spielt in English studies die Berufsorganisation Modern Language Association (MLA) eine zentrale Rolle: Bis auf Ausnahmen finden alle Bewerbungsgespräche für akademische Anstellungen in English studies und anderen sprach- und literaturwissenschaftlichen Disziplinen während der mehrtägigen Jahrestagung der MLA an jährlich wechselnden Orten der USA statt. Wie es ein Doktorand der Columbia University im Interview formuliert: „you pretty much can’t get a job without going to this conference“. Dort treffen sich alle eingeladenen Kandidaten mit Vertretern der Hochschulen für Auswahlgespräche. Anhand dieser auf der Jahrestagung geführten ersten Interviews wählen die Hochschulvertreter einen engeren Kreis von in Frage kommenden Kandidaten aus, die zur weiteren Auswahl und zu einem Vorstellungsvortrag über ihre Dissertation bzw. zur Mustervorlesung an den Campus der Hochschule eingeladen werden (vgl. Fußnote 472). Die Universitäten fordern die Doktoranden auf, im fortgeschrittenen Stadium der Promotion an der MLA-Jahrestagung teilzunehmen. So heißt es etwa im Beispielablaufplan der Promotion an der CUNY für das sechste Promotionsjahr: „meet with Placement Officer about job search early in Fall Semester“; „apply for jobs, beginning with listings in ADE Job Information List“491 sowie „plan to attend MLA convention“.492 Andere denkbare Maßnahmen zur Vorbereitung des Arbeitsmarkteinstiegs scheinen jedoch nicht im ausreichenden Maße vorhanden zu sein: Hinsichtlich der Beratung der Hochschulen zum Berufseinstieg äußern sich Promovierte im Fach English in der Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie sehr kritisch. Kommentare wie „Basically it would have been nice if someone had cared if I got a job“ und „Professors actively helping me make contact – ‚opening doors‘ – instead of shrugging it onto my shoulders entirely [would have helped]“ zeigen den Grad der Frustration mancher befragter Promovierter auch noch zehn Jahre nach der Promotion.493 Bei der Frage, was am meisten beim Berufseinstieg geholfen habe, 491 Die ADE Job Information List ist ein Teil der elektronischen Datenbank Job Information List (JIL) der MLA, in der die Organisation seit 1975 die in ‚ihren’ Fächern im Rahmen der erschienenen Stellenanzeigen erfasst, diese seit den 1980er Jahren auswertet und anhand der Daten verschiedene Trends auf dem akademischen Arbeitsmarkt ermittelt. URL (24.5.2010): http://www.mla.org/jil. 492 URL (24.5.2010): http://web.gc.cuny.edu/English/pages/studentguide.html#II.L. 493 Für alle Angaben in diesem Absatz vgl.: Nerad/Cerny: From Rumors to Facts, S. 9f.
5.5 Promovierte der English studies im Beruf
251
sind die beiden am häufigsten genannten Antworten „bessere Angebote zur Karriereberatung [in der Hochschule]“ und „Hilfe durch Professoren oder das Institut“. Auch wünschen sich viele promovierte Anglisten rückblickend, dass die Professoren sie häufiger ihren Kollegen vorgestellt und ihnen realistische und ehrliche Rückmeldung bezüglich ihrer Fähigkeiten gegeben hätten – auch hinsichtlich ihrer Tauglichkeit für verschiedene Berufstypen. Konkret berichten beispielsweise 41 Prozent der Befragten, dass sie nach Hilfe oder Beratung vor einem akademischen Bewerbungsgespräch gesucht haben, und diese schlicht nicht erhalten haben.494 Bei der Betrachtung dieser Feststellungen stellt sich die Frage, warum die gesuchte Hilfe nicht geleistet wurde. Das im Kapitel 5.4 diskutierte Bewusstsein der Programmkoordinatoren für eine erfolgreiche Anstellung der Doktoranden und dadurch bessere Positionierung der Hochschule in Statistiken über erfolgreiche Absolventen-Platzierungen scheint in der Praxis nicht in für die Doktoranden ausreichenden Maßnahmen zu resultieren. Stärker als das Interesse der Hochschule an einem erfolgreichen Berufseinstieg des Doktoranden steht möglicherweise die Ausrichtung auf ihre im Kapitel 5.3 geschilderten umfangreichen ‚Lehrdienste‘ während der Promotionszeit im Mittelpunkt. Eine andere Möglichkeit ist, dass die vorbereitenden Maßnahmen vorhanden sind, sich jedoch auf wenige ausgewählte Doktoranden beschränken und somit in der Statistik nicht besonders sichtbar vertreten sind. Wenn der ‚Output‘ (wie viele Doktoranden schließen ab, wie viele finden wie schnell eine Stelle, wie viele werden Professoren etc.) als ein Indikator für die Effizienz der Doktorandenausbildung gelten soll, ist – neben der Qualität der Vermittlung der Lehrund Forschungskompetenz – eine Intensivierung der Beratung der Doktoranden zum Arbeitsmarkteinstieg wichtig.495 Denn nicht nur empfinden die Doktoranden die Unterstützung der Hochschule beim Berufseinstieg als verbesserungswürdig, sondern nach zehn Jahren Promotion hat nur etwa die Hälfte (52 Prozent) der Doktoranden in English Language and Literature die Promotion erfolgreich abgeschlossen und die Promovierten waren 2008 beim Abschluss im ungewich-
494 Weitere 32 Prozent fanden konkret bei diesem Punkt zwar Unterstützung, aber nicht im benötigten Maße. Auch hinsichtlich weiterer konkreter Aspekte der Arbeitssuche wie dem Verfassen des Lebenslaufs und des Bewerbungsschreibens, dem Zugang zu Informationen über ausgeschriebene Stellen oder grundsätzliche Informationen über den akademischen Arbeitsmarkt berichteten viele Befragten, die nach Unterstützung in diesen Bereichen gesucht haben, sie nicht erhalten zu haben. Vgl. ebd., S. 10. 495 Selbstverständlich ist der Erfolg im Prozess der Stellenfindung neben der Qualität des Programms und der Beratung maßgeblich von der Situation auf dem Arbeitsmarkt abhängig.
252
5 Die Promotion in den English studies
teten Median 34,4 Jahre alt (vgl. Ende Kapitel 5.2).496 Das hohe Alter der Promovierten sowie die lange und spezialisierte Ausbildung erschweren tendenziell ihren Einstieg auf dem Arbeitsmarkt. Welcher Anteil der Promovierten in English studies erreicht das Ziel einer Anstellung als Professor? Um die Situation einer konsistenten Gruppe der Befragten abzubilden, sollen zunächst die Ergebnisse der Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie betrachtet werden (für ähnliche Ergebnisse zwei weiterer Studien vgl. Fußnote 498). Zehn Jahre nach Promotionsabschluss sind 53 Prozent der 814 befragten Promovierten des Faches English fest angestellte Professoren (tenure), fünf Prozent Professoren mit Entfristungsplan (tenure-track) und weitere 15 Prozent sind in akademischen Positionen ohne Festanstellungsoption tätig.497 Somit arbeiten insgesamt 73 Prozent aller Befragten zehn Jahre nach Promotionsabschluss in akademischen Positionen. 16 Prozent sind in der Wirtschaft
496 Für Geisteswissenschaften insgesamt gaben im Ph.D. Completion Projects des Council of Graduate Schools 80 Prozent der Befragten mit abgeschlossenen Promotionen finanzielle Unterstützung als den wichtigsten Faktor für das tatsächliche Abschließen der Promotion an, für 63 Prozent war es die Betreuung (mentoring/advising). Vgl. Jaschik: Why and When, S. 1. Den Themen lange Promotionsdauer und hohe Abbruchquoten in der Promotion wird in den USA ein hoher Stellenwert mit Blick auf die Entwicklung von Reformüberlegungen beigemessen. Belege dafür sind die Initiierung des Ph.D. Completion Projects speziell zu diesem Thema (vgl. Kapitel 5.2), die Aufnahme der Kategorie Abbruchquoten in die nächste Auflage des Rankings der Promotionsprogramme durch das National Research Council (vgl. Kapitel 5.1.1 sowie URL (24.5.2010): http://www7.nationalacademies.org/resdoc/Questionnaires.html, Program Questionnaire FINAL Version, Fragen C16-C18) sowie die Listung der Abbruchquoten als ein Indikator (II-17) im Rahmen des Humanities Indicators Projects der American Academy of Arts and Sciences (vgl. Kapitel 4.1 sowie URL (24.5.2010): http://www.humanitiesindica tors.org/content/hrcoIIB.aspx#topII17). 497 Vgl. Nerad/Cerny: From Rumors to Facts, S. 3 und S. 11. Bei den insgesamt 58 Prozent der Promovierten, die fest angestellte Professoren bzw. Professoren mit Entfristungsplan geworden sind, ist zu bedenken, dass nur ein Teil sich in der täglichen Arbeit in großem Umfang der Forschung und der Doktorandenausbildung widmen kann: Wie im Kapitel 5 dargelegt, sind weniger als zehn Prozent aller postsecondary institutions in den USA promotionsanbietende Universitäten und so sind auch über 90 Prozent der Studiengänge bzw. eine Hälfte bis zwei Drittel aller Professuren im Fach English nicht an Forschungsuniversitäten mit Promotionsausbildung angesiedelt. Vgl. North et al.: Refiguring the Ph.D. in English Studies, S. 244/261. Aus diesem Grund lauten zwei der Empfehlungen des MLA Committees on Professional Employment für Promotionsprogramme, Doktoranden Kurse in Pädagogik anzubieten, die sie auf verschiedene Unterrichtssituationen vorbereiten, sowie Angebote zum Kennenlernen verschiedener Institutionen des diversifizierten Bildungssystems der USA auf tertiärer (Hochschulen) wie sekundärer (high schools) Ebene vorzuhalten. Vgl. MLA Committees on Professional Employment: Recommendations to Graduate Programs (ohne Seitenangabe), vgl. URL: http://www.mla.org/re sources/documents/rep_employment/prof_employment/prof_employment10 (unter: Expansions of the Graduate Curriculum, 24.5.2010).
5.5 Promovierte der English studies im Beruf
253
oder in Regierung- und gemeinnützigen Organisationen beschäftigt und nur fünf Prozent arbeiten zum Zeitpunkt der Befragung nicht („not in work force“).498 Bei Betrachtung der Berufsentwicklung spezifisch derjenigen 81 Prozent Doktoranden im Fach English, die am Ende der Promotion Professor werden wollten, wird deutlich, dass fast drei Viertel von ihnen dieses Ziel zehn Jahre später auch erreicht haben (mit Festanstellung oder Festanstellungsoption).499 Eine nicht unbedeutende Minderheit (14 Prozent) speziell der Befragten mit dem Karriereziel ‚Professor‘ arbeiten in akademischen Positionen ohne Festanstellungsoption, bei denen die Verträge von Jahr zu Jahr verlängert werden, während eine kleiner Anteil (drei Prozent) speziell dieser Befragtengruppe Hochschuladministratoren geworden sind und elf Prozent in Wirtschaft, Regierungs- oder gemeinnützigen Organisationen arbeiten.500 Diese Ergebnisse deuten auf einen Erfolg der Promovierten auf dem Arbeitsmarkt hin, insbesondere der nur fünfprozentige Anteil der nichtarbeitenden Promovierten und die 73 Prozent aller Befragten, die zehn Jahre nach Promotionsabschluss in akademischen Positionen tätig sind. Die anscheinend positiven Resultate werden durch die am Ende vom Kapitel 5.2 angeführten Abbruchquoten von bis zu 48 Prozent (für die es zudem keine Verbleibsstudien gibt), den relativ langen Prozess sowohl bis zum Promotionsabschluss als auch bis zur Findung einer stabilen Anstellung sowie durch die weiteren Veränderungen der Situation auf dem akademischen Arbeitsmarkt nach der Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie von 1999 teilweise relativiert. Wie weiter oben bzw. am Ende von 498 Bei vier Prozent der Befragten waren die Anstellungsinformationen nicht vollständig und konnten deshalb nicht ausgewertet werden und zwei Prozent arbeiteten gleichzeitig im akademischen wie im außerakademischen Bereich. Vgl. ebd. Ähnliche Ergebnisse lieferten zwei weitere unabhängige Studien: Laut der Befragung von Chris Golde und Timothy Dore sind 58 Prozent der promovierten Anglisten zehn Jahre nach ihrer Promotion fest an einer Hochschule angestellt (hold tenure-track faculty positions) und weitere 15 Prozent arbeiten an Hochschulen in befristeten Beschäftigungen (non-tenure-track positions), während 16 Prozent einer Beschäftigung in der Wirtschaft, im Staatsdienst oder in gemeinnützigen Organisationen nachgehen. Vgl. Golde/Dore: At Cross Purposes, S. 18. Auch das Humanities Indicators Project der American Academy of Arts and Sciences, das für Promovierte ausgewählter geisteswissenschaftlicher Disziplinen die Aufteilung der Berufsfelder aufbereitet hat, kam zu dem Ergebnis, dass über 60 Prozent der promovierten Anglisten an post-secondary Institutionen als Dozenten bzw. Professoren unterrichten, über 14 Prozent als Administratoren oder Manager arbeiten und fast sechs Prozent im Rahmen der ‚öffentlichen Geisteswissenschaften’ als Schriftsteller, Künstler oder Medienspezialisten tätig sind. (Stand 1995, aktuelle verfügbare Daten). Vgl. URL (24.5.2010): http://www.humanitiesindicators.org/content/hrcoImageFrame.aspx?i=III8d.jpg&o=hrcoIIIC.aspx__topIII8. Für weitere Informationen über das umfassende Humanities Indicators Project vgl. Kapitel 4.1. 499 Vgl. Nerad/Cerny: From Rumors to Facts, S. 3f. 500 Vgl. ebd.
254
5 Die Promotion in den English studies
Kapitel 5.2 dargestellt, verbringen Anglisten im Schnitt nahezu zehn Jahre mit ihrer Promotion und sind danach fast 35 Jahre alt. Diese Situation zusammen mit der schwierigen Lage auf dem akademischen Arbeitsmarkt (einer Überproduktion von promovierten Anglisten im Hinblick auf die wenigen verfügbaren Professuren seit der „Großen Schrumpfung“ ab 1975, vgl. Kapitel 4.2 und 5.1.1 sowie Ausführungen weiter unten in diesem Kapitel) ermöglichen oftmals keinen direkten Übergang in die von den Programmen wie den meisten Doktoranden intendierte akademische Anstellung mit Entfristungsplan (tenure-track). Stattdessen nehmen viele Promotionsabsolventen zunächst befristete Stellen ohne Festanstellungsoption an, zum Teil an verschiedenen Hochschulen gleichzeitig.501 In der Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie führt diese Übergangsbeschäftigung bei jedem zweiten Befragten speziell von dieser Gruppe im späteren Karriereverlauf doch noch zu einer Festanstellung als Professor, und zwar insgesamt etwa nach acht Jahren, im Vergleich zu sechs Tenure-trackJahren bei den Promovierten, die direkt nach der Promotion eine Anstellung mit Entfristungsplan betreten konnten. Damit kann die Übergangsbeschäftigung in befristeten Anstellungen als ein zwar mit höheren Kosten und Risiken behafteter, aber doch gangbarer Alternativweg hin zu einer zu einer unbefristeten Professorenstelle betrachtet werden.502 Die Lage auf dem akademischen Arbeitsmarkt hat sich jedoch gegenwärtig, weitere zehn Jahre nach der Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie, verschärft, wie bereits im Kapitel 5.1.1 angedeutet. Der Trend geht dabei bereits seit über 30 Jahren fachübergreifend in Richtung Teilzeitanstellungen – während 1970 Teilzeitstellen weniger als ein Viertel (22 Prozent) aller Hochschullehrerpositionen an den U.S.-Hochschulen ausmachten, waren es im Jahr 2005 bereits fast die Hälfte (48 Prozent).503 Insbesondere in den letzten Jahren greifen die Hochschulen zudem auch aufgrund finanzieller Probleme statt auf Neubesetzungen von Professuren oftmals auf befristet angestellte Lehrkräfte ohne Festanstellungsop501 Im langjährigen Mittel schließen jährlich etwa 950 Doktoranden im Fach English die Promotion ab (vgl. Abb. 1, Kapitel 4.2). Von diesen besetzen etwa 400 (etwa 40 Prozent) direkt im Jahr des Promotionsabschlusses assistant professor Positionen mit tenure-track. Vgl. Modern Language Association: Midyear Report on the 2009-10 MLA Job Information List, Seite 3 sowie Figure 10 (ohne Seitenangabe). 502 Vgl. ebd., S. 4. Neben solchen befristeten Anstellungen ist eine kleinere Gruppe der Befragten (acht Prozent) einen für das Fach English eher untypischen Weg einer Anstellung als Postdoktorand gegangen. Als Gründe dafür führen die Befragten an, dass sie weiter im passenden akademischen Umfeld präsent sein möchten, dass es sich um das einzige akzeptable Arbeitsangebot handelte oder dass es einfach ein „notwendiger Schritt“ war. In postdoktoralen Positionen haben die befragten Anglisten im Durschnitt zwei Jahre verbracht, die keinen großen Einfluss auf die Gesamtzeit bis zum Erreichen einer Festanstellung hatten. Vgl. ebd. 503 Eigene Berechnung nach Snyder et al.: Digest of Education Statistics 2008, Table 248, S. 365.
5.5 Promovierte der English studies im Beruf
255
tion (adjunct faculty) zurück. Laut Prognose der Modern Language Association, die auf einem festgestellten ‚Ausschreibungstief‘ von 2008/09 basiert, wird die Zahl der ausgeschriebenen akademischen Stellen im Fach Englisch im Jahr 2009/10 auf ein historisches Minimum seit Beginn der Aufzeichnung der Anzahl der ausgeschriebenen Stellen 1975/76 sinken.504 Dabei sinkt auch der Anteil der ausgeschriebenen Stellen mit Festanstellungsoption (tenure-track), bei gleichzeitigem Anstieg der als non-tenure-track ausgeschriebenen Positionen, also der Lehrbeauftragten (adjunct faculty).505 Die Anzahl der auf dem Arbeitsmarkt verfügbaren Professuren sowie die Chancen der Promovierten auf eine Festanstellung in Vollzeit nimmt dadurch weiter ab, dass es um die dann noch verbleibenden Stellen auf dem Arbeitsmarkt eine verstärkte Konkurrenz gibt, wie sie der bereits im Kapitel 5.1.1 zitierte Anglist Prof. Thomas Benton mit dem ‚Schneeballprinzip‘ umschreibt: The reality is that less than half of all doctorate holders [in the humanities] – after nearly a decade of preparation, on average – will ever find tenure-track positions. […] Most undergraduates don't realize that there is a shrinking percentage of positions in the humanities that offer job security, benefits, and a liveable salary. […] There will be hiring freezes and early retirements. Rather than replacements, more adjuncts will be hired, and more graduate students will be recruited, eventually flooding the market with even more fully qualified teacher-scholars who will work for almost nothing. […] The majority of job seekers who emerge empty-handed this year will return next year, and for several years after that, and so the competition will snowball, with more and more people chasing fewer and fewer full-time positions.506 504 Vgl. Modern Language Association: Midyear Report on the 2009-10 MLA Job Information List, Figure 1, Trends in the Number of Positions Advertised in the MLA Job Information List, 1975-76 to 2008-09, with a Projection for 2009-10 (ohne Seitenangabe). Ähnlich berichtet fachübergreifend Samantha Stainburn in einem Artikel der New York Times im Dezember 2009, dass im Gegensatz zu 75 Prozent Hochschullehrer in Vollzeit und entweder mit Festanstellung oder Entfristungsplan in den USA im Jahr 1960 dies 2010 nur 27 Prozent seien. Im gleichen Artikel zitiert sie Gwendolyn Bradley, Director of communications der American Association of University Professors: „When a tenure-track position is empty, […] institutions are choosing to hire three part-timers to save money“. Vgl. Stainburn: The Case of the Vanishing Full-Time Professor (ohne Seitenangabe). In einem zweiten Artikel wird die Generalsekretärin der Modern Language Association, Prof. Rosemary Feal, Ph.D., mit der Aussage indirekt zitiert, dass „the trend toward hiring adjunct faculty members rather than permanent tenure-track professors had been going for about three decades, but was more pronounced than ever, as a growing number of struggling colleges and universities hired by the course or by the semester – usually paying little, and providing no benefits“. Lewin: At Colleges (ohne Seitenangabe). 505 Vgl. Modern Language Association: Midyear Report on the 2009-10 MLA Job Information List, Figure 2. 506 Vgl. Benton: Graduate School in the Humanities (ohne Seitenangabe).
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5 Die Promotion in den English studies
Sollte sich der Trend zur Ersetzung der professoralen Lehre durch Anstellung von befristet angestellten Lehrbeauftragten ohne Festanstellungsoption (adjunct faculty) und durch den im Kapitel 5.3 untersuchten verstärkten Einsatz der Doktoranden als Lehrassistenten weiter fortsetzen, bringt er für die Zukunft der Disziplinen und der geisteswissenschaftlichen Forschung der USA insgesamt möglicherweise nicht zu unterschätzende Probleme mit sich, deren Beachtung auch bei der Hochschulreform in Deutschland sinnvoll sein könnte: Einmal nicht besetzte Stellen lassen sich nur bedingt wieder durch vollwertige Professoren besetzen und könnten so den Fächern dauerhaft verloren gehen.507 Deshalb sind mögliche längerfristige Folgen von Entscheidungen über die Ersetzung der professoralen Lehre bestimmter Seminare durch die Lehre seitens weniger bezahlter und weniger qualifizierter Doktoranden oder durch befristet bzw. in Teilzeit angestellte Promovierte besonders zu bedenken. Neben eines möglichen Verlusts der Professorenstellen sind Auswirkungen auf die Forschung und Lehre sowie auf die Studentenbetreuung bzw. die curricularen Planungen innerhalb der Disziplinen an einer Hochschule zu erwägen, wie Samantha Stainburn in ihrem Aufsatz „The Case of the Vanishing Full-Time Professor“ (2009) für die USA ausführt: Auch wenn eine konkrete, von Lehrbeauftragten gehaltene Lehrveranstaltung hohe Qualität haben könne und die ‚nichtprofessoralen Dozenten‘ zum Teil über die gleiche Ausbildung und die gleichen Abschlüsse wie unbefristet angestellte Professoren verfügten, könnten nichtprofessorale Lehrkräfte (adjunct faculty) aus zeitlichen und finanziellen Gründen im Vergleich zu Professoren nur begrenzt in der Forschung und Studen507 Frank Donoghue geht in seinem Buch mit dem passenden Titel „The Last Professors“ fest davon aus, dass das Muster einer professoralen Vollzeitanstellung ein Auslaufmodell ist. Aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten würden alle Berufssparten von beamtungsähnlichen Festanstellungen zur Bezahlung anhand konkreter Aufträge übergehen – das Hochschulwesen, die Medizin und die Rechtswissenschaften befänden sich gerade in der Umstellungsphase zu diesem neuen (Projekt-)Managementsystem; nur noch die Kirche und das Militär würden dieser ‚Erosion‘ des tenure oder seines Äquivalents stand halten. Für die Geisteswissenschaften sei dieser Prozess besonders schmerzhaft, da sie kaum Finanzierungsquellen außerhalb der Universität hätten und deren Vertreter nicht einfach auf den außeruniversitären Arbeitsmarkt umsteigen (oder auch nur damit dem Arbeitgeber Universität glaubhaft drohen) könnten. In einem Interview für Inside Higher Education antwortet Donoghue auf die Frage nach möglichen Schritten zur Wiederherstellung des Professoriats: „The tenure-track professoriate will never be restored. Two factors seal its fate. First, the hiring of adjuncts continues to outpace the hiring of tenure-track professors by a rate of three to one. […] Second, […] [f]or 40 years, students have been moving away from the humanities toward vocationalism. This trend has been accompanied by an equally pronounced shift in enrollments from four-year schools (with English and history majors) to community colleges, where the humanities have never had a strong presence. Tenure-track professors don’t have a place in this new higher education universe“. Jaschik: ‚The Last Professors‘ (ohne Seitenangabe).
5.5 Promovierte der English studies im Beruf
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tenbetreuung aktiv sein.508 Denn wenn aufgrund der niedrigeren Bezahlung deutlich mehr Lehre bzw. Arbeit an mehreren verschiedenen Hochschulen nötig sei, könne Zeit zur Vor- und Nachbereitung der Seminare bzw. zur Forschung und zur Teilnahme an strukturellen Diskussionen des Instituts über das Curriculum fehlen.509 Der letztgenannte Aspekt habe dabei nicht nur zeitliche Gründe: Die Lehrbeauftragten werden laut Stainburn an den meisten Hochschulen als „second-class citizens“ behandelt (neben der niedrigeren Bezahlung oftmals ohne offizielle Sprechstunden und eigene Instituts-E-Mail-Adresse, was deren Erreichbarkeit für Studierende zusätzlich erschwere) und bei Diskussionen über Konzepte und Strategien des departments nicht einbezogen.510 Durch den steigenden Anteil der Lehrbeauftragten am Lehrkörper entscheidet so mittlerweile an vielen Universitäten eine Minderheit, die verbliebenen ‚vollwertigen‘ faculty members, über die Mehrheit des Lehrkörpers, die nichtprofessoralen Lehrkräfte. Diese schließen sich als eine Folge seit 1997 in dem gewerkschaftsähnlichen Verbund Coalition on the Academic Workforce zusammen.511 Trotz dieser seit den 1970er Jahren zunehmend problematischen Lage auf dem akademischen Arbeitsmarkt und Schwierigkeiten beim Übergang zu einer stabilen Anstellung zeigte sich die große Mehrheit der befragten Promovierten der Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie in den English studies mit der Tatsache zufrieden, promoviert zu haben: 99 Prozent der als Professoren angestellten finden, dass es sich „auf jeden Fall“ bzw. „wohl“ gelohnt hat, Hochschuladministratoren sind zu 96 Prozent dieser Meinung. Etwas niedriger, aber immer noch hoch, ist der Anteil der Zufriedenen in den anderen Gruppen der Beschäftigten, beispielsweise 89 Prozent der Befragten, die in Wirtschaft, Staatsdienst oder einer gemeinnützigen Organisation tätig sind. Die meisten Befragten würden
508 509 510 511
Vgl. Stainburn: The Case of the Vanishing Full-Time Professor (ohne Seitenangabe). Vgl. ebd. Vgl. ebd. URL (24.5.2010): http://www.academicworkforce.org/index.html. Die Modern Language Association macht in ihrem Bericht „Education in the Balance: A Report on the Academic Workforce in English“ neben der wachsenden Abhängigkeit der English departments von in Vollzeit arbeitenden nichtprofessoralen Lehrkräften auf die wachsende Kluft zwischen in der Forschung aktiven und nicht aktiven Professoren aufmerksam: „We urge the profession to turn its attention to the full range of faculty members teaching in departments of English and other modern language departments. And if, as we believe, the profession is becoming increasingly divided into a teaching faculty and a research faculty, we urge our colleagues to consider the consequences of such a division“. Modern Language Association: Education in the Balance, Abschnitt „VIII. Conclusions and Recommendations“, S. 15.
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5 Die Promotion in den English studies
wieder promovieren und zu 78 Prozent über alle Berufsgruppen hinweg wieder im Fach English.512 Über diese allgemeine Zufriedenheit hinaus äußern die Promovierten der English studies rückblickend jedoch auch Kritik und Empfehlungen, wie die Doktorandenprogramme zu einer besseren Vorbereitung auf ihre gegenwertigen beruflichen Aufgaben hätten beitragen können. Da diese retrospektiven Empfehlungen für die Promotionsreform in der Germanistik in Deutschland von Interesse sein könnten, sollen sie hier abschließend untersucht werden. Dabei ist anzumerken, dass dabei nur Personen befragt wurden, die den Doktorgrad erworben haben, und möglicherweise aufschlussreiche Empfehlungen von Promotionsabbrechern unberücksichtigt blieben. Die am häufigsten genannte konkrete Empfehlung ist eine Verkleinerung der Programme (downsize), also die Aufnahme von weniger Doktoranden und dadurch die Erhöhung der Betreuungsrelation für die Promovierenden.513 Diese Forderung kann neben der persönlichen Erfahrung der ungenügenden Unterstützung auch die Meinung spiegeln, dass es auf dem Arbeitsmarkt zu viele Promovierte gibt und sich deren Anzahl nicht proportional zu der Anzahl der vorhandenen Stellen entwickelt. Die zweithäufigste Empfehlung betrifft eine Verbesserung der Vorbereitung auf die von vielen auch nach der Promotion im Beruf ausgeübten Lehrtätigkeit (teach how to teach). Dieses Defizit der Doktorandenausbildung in English studies wurde bereits im Kapitel 5.3 anhand von drei unabhängigen Studien festgestellt. Eine „Ausbildung in Pädagogik in verschiedenen Kontexten“ würde benötigt und „die meisten Doktorandenprogramme wären eng spezialisiert, wohingegen die meisten Stellen später auf Generalisten ausgerichtet seien“, so zwei Kommentare aus den Fragebögen. Weitere Empfehlungen sind die Optimierung der Angebote zur Karriereplanung und zur Stellensuche sowie eine bessere Unterstützung beim Publizieren und bei der Erhöhung der professionellen Sichtbarkeit. Die dargestellten Erfahrungen der promovierten Anglisten auf dem Arbeitsmarkt und deren rückblickende Verbesserungsvorschläge für die Doktorandenprogramme können trotz der durch die Verschiedenheit der Rahmenbedingungen eingeschränkten Vergleichbarkeit für die Promotionspraxis in Deutschland nutzbar gemacht werden. Insbesondere der Aspekt der Lehre der Doktoranden zwischen professioneller Vorbereitung und Einsatz als (Ersatz-)Arbeitskräfte erscheint wichtig: Eine übermäßige Verlagerung der Lehrtätigkeit auf die Doktoranden kann nicht nur zur deutlichen Verlängerung der Promotionsdauer führen, 512 Vgl. Nerad/Cerny: From Rumors to Facts, S. 7f. 513 Für die Angaben in diesem und den nächsten beiden Absätzen vgl. ebd., S. 8-10.
5.5 Promovierte der English studies im Beruf
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sondern auch – insbesondere wenn sie wie in den USA mit dem verstärkten Einsatz weiterer nichtprofessoraler Lehrbeauftragter kombiniert wird – längerfristige Folgen für die Stellensituation in der Disziplin sowie für die Qualität der Forschung, Lehre und Studierendenbetreuung zur Folge haben. Darüber hinaus erscheint anhand der Empfehlungen der Promovierten sinnvoll, bei der Planung der Anzahl der in die Promotionsprogramme aufzunehmenden Doktoranden Aufmerksamkeit zu schenken sowie die aktive Vorbereitung auf die Lehrtätigkeit (beispielsweise durch Kurse in Hochschuldidaktik) und die Unterstützung der Doktoranden beim Arbeitsmarkteinstieg in den Promotionsprogrammen vorzusehen.
6 Modelle der Doktorandenausbildung in den Geisteswissenschaften – zusammenfassender Vergleich und Anregungen für Folgestudien
„I have completed [my Ph.D.] and am not interested in being a subject, but you should know that the American system is the worst. Believe me, you do not want to emulate it.“ (Promovierter der City University of New York, einzige erhaltene Antwort auf eine erste Interviewanfrage per E-Mail an alle Doktoranden in den English studies)
Die Verschiedenheit der Modelle der Doktorandenausbildung in den Geisteswissenschaften in Deutschland und den USA erlaubt kein pauschales Urteil darüber, welches System insgesamt ‚das Bessere‘ ist. Eine detaillierte Untersuchung einzelner Elemente der beiden Modelle am Beispiel der Muttersprachenphilologien Germanistik und English studies konnte jedoch zeigen, dass es neben Differenzen auch Gemeinsamkeiten gibt und vor allem Aspekte, die Ansätze für eine Optimierung der jeweils bestehenden Promotionspraxis bieten können. Zusammen mit der Untersuchung der Doktorandenausbildung in den English studies in den USA diente die Analyse der Vor- und Nachteile der existierenden Promotionsmodelle in der Germanistik in Deutschland, der Individualpromotion und der strukturierten Programme, der Beantwortung der Frage, wie die gegenwärtige Reform des Promotionssystems in der Germanistik fachadäquat ausgestaltet werden kann und welche Strukturen sich für eine germanistische Promotion in Deutschland insgesamt als förderlich erweisen. Gerade für die Geisteswissenschaften ist das U.S.-Modell von Interesse, da dort sowohl jahrzehntelange Erfahrung mit der für diese Fächergruppe in Deutschland relativ neuen strukturierten Doktorandenausbildung besteht (hundert Prozent der Doktoranden promovieren in graduate schools), als auch für eine Untersuchung umfangreiches und differenziertes Datenmaterial zu diesem Themenkomplex zur Verfügung steht. Die Unterschiede in Struktur, Größe und Diversität der Hochschulsysteme beider Länder setzen einem Vergleich allerdings Grenzen. So ist für die USA die Heterogenität der über 6.600 postsecondary institutions charakteristisch. Diese können zwar im weitesten Sinne zu Hochschulen gezählt werden, jedoch kann nur an knapp 150 von ihnen ein Doktorgrad in English studies erworben werE. Bosbach, Promotion in den Geisteswissenschaften, DOI 10.1007/978-3-531-94142-4_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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6 Modelle der Doktorandenausbildung in den Geisteswissenschaften
den – eine Zahl, die in der Größenordnung der Anzahl der gut einhundert Universitäten in Deutschland nahe kommt. Doch auch innerhalb der Gruppe der promotionsanbietenden Hochschulen der USA gestaltet sich die Doktorandenausbildung in derselben Disziplin recht unterschiedlich. Wie in dieser Arbeit festgestellt, kann eine Promotion in English studies selbst in der gleichen Stadt an zwei verschiedenen Universitäten in bedeutenden Aspekten divergieren: So haben Promotionsinteressierte an der öffentlichen City University of New York (CUNY) beispielsweise höhere Chancen, in das Doktorandenprogramm aufgenommen zu werden, müssen allerdings während der Promotion doppelt so viel Lehrverpflichtungen übernehmen, erhalten niedriger dotierte Stipendien und haben mit dem gleichlautenden Doktorgrad anschließend geringere Aussichten auf eine forschungsorientierte Professur mit Entfristungsplan (tenure-track) als ihre Kollegen von der sieben Kilometer weiter nördlich gelegenen privaten Columbia University. Neben Größe und Diversität unterscheiden sich die Hochschulsysteme der USA und Deutschlands in der Strukturierung des universitären Qualifizierungsverlaufs: Die zentrale Zäsur für den Hochschulwechsel, den Beginn der graduate school oder den Übergang auf den Arbeitsmarkt besteht in den USA nicht nach dem Master-, sondern bereits nach dem Bachelorstudium. Dies hat, wie in den Kapiteln zur Geschichte des Promotionswesens in Europa seit dem Mittelalter bzw. zur Entwicklung der Doktorandenausbildung in den English studies gezeigt werden konnte, auch historische Gründe. Das deutsche Universitätsmodell des 19. Jahrhunderts mit dem Humboldt’schen Ideal der Verknüpfung von Forschung und Lehre hatte zwar auf die Entstehung der Doktorandenausbildung in den USA prägenden Einfluss. Die deutsche Forschungsuniversität konnte dabei jedoch nicht vollständig dupliziert werden, sondern die an den U.S.-Colleges bereits existierende undergraduate Ausbildung bis zum Bachelorabschluss wurde nachträglich um die höhere Ausbildungskomponente (graduate studies) bis zum Doktorgrad erweitert. Ein weiterer historisch gewachsener Unterschied ist die gegenwärtige Funktion der geisteswissenschaftlichen Promotion in den beiden Ländern. Während der Doktorgrad in Deutschland seit dem Mittelalter von der primären Lehrberechtigung (licentia docendi) zu seiner heutigen polyvalenten Funktion als Nachweis der Fähigkeit zur eigenständigen wissenschaftlichen Arbeit und als ‚Talentsignal‘ für Führungspositionen einen mehrfachen Funktionswandel vollzogen hat, bewahrt die geisteswissenschaftliche Promotion in den USA ihre ursprüngliche historische Funktion insofern, als dass sie nach wie vor primär eine Lehrberechtigung für Hochschulen signalisiert und der Doktorgrad in der Praxis ohne weitere Qualifikationsstufen direkt zur selbständigen Lehre an
Vergleich und Anregungen
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Hochschulen und zur Abnahme von Promotionsprüfungen (licentia promovendi) berechtigt. Das Lehrattribut des geisteswissenschaftlichen Doktorgrads in den USA hängt auch mit dem stetigen Bedarf an Lehrkräften für die undergraduate Ebene und dabei im speziellen der Dienstleistungsfunktion der Muttersprachenphilologie English studies zusammen: Alle Bachelorstudierende, unabhängig davon, für welches Hauptfach (major) sie sich später im Laufe des Studiums entscheiden, absolvieren in der Regel erst zwei Jahre lang die so genannte liberal arts Ausbildung, zu der auch Pflichtveranstaltungen zum wissenschaftlichen Schreiben (composition) oder Literatur gehören, die an allen Hochschulen von promovierten bzw. zunehmend von promovierenden Anglisten unterrichtet werden. Ähnlich wie die English studies in der Bereitstellung der Lehrer für die Schreib- und Literaturkurse des liberal arts Curriculums erfüllt in Deutschland die Germanistik, allerdings hauptsächlich unterhalb der Promotionsebene, in der Ausbildung der Deutschlehrer einen gesellschaftlichen Auftrag. So ist die im jeweiligen Bildungssystem fest verankerte Dienstleistungsfunktion in der Lehre, welche die Fächer gleichzeitig für die Gesellschaft unverzichtbar macht und im Umkehrschluss für deren Attraktivität und Aufrechterhaltung günstig ist, den beiden Muttersprachenphilologien gemeinsam. Über die feste Verankerung im Bildungssystem hinaus können beide Disziplinen aufgrund der Fachgröße, der Sichtbarkeit der Fachvertreter im geisteswissenschaftlichen und hochschulpolitischen Diskurs beider Länder sowie aufgrund ihrer typischen geisteswissenschaftlichen Arbeitsweise als exemplarisch gelten. Dadurch können die Ergebnisse der vorliegenden fachspezifischen Untersuchung der Doktorandenausbildung tendenziell auch für andere geisteswissenschaftliche Fächer von Nutzen sein. Als ein weiteres gemeinsames Charakteristikum konnte in den jeweiligen historischen Verortungen für beide Disziplinen die fortschreitende Ausdehnung des Forschungsgegenstands hergeleitet werden, die eine zunehmende inhaltliche Zergliederung zur Folge hat. In der Germanistik führt dieser Umstand, verstärkt durch die beispielsweise in der Exzellenzinitiative auf Interdisziplinarität ausgerichteten Ausschreibungen zur Förderung von strukturierten Promotionsprogrammen, zu einer großen Bandbreite der neuen strukturierten Promotionsangebote, von denen bemerkenswerterweise keines die „Germanistik“ im Namen trägt oder „Germanistik“ als seinen Gegenstand deklariert. Stattdessen beziehen sich die Programme stets nur auf Ausschnitte aus dem mittlerweile sehr weiten Gegenstandsbereich des Faches mit fließenden Grenzen zu Nachbardisziplinen, wobei die individuelle Promotion eines Doktoranden immer nur einem der mindestens drei Teilbereiche neuere deutsche Literaturwissenschaft, Mediävistik und germanistische Sprachwissenschaft zugeordnet wird. Da die Stellenausschrei-
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bungen und Berufungen traditionell ebenfalls nicht in ‚Germanistik‘, sondern stets in einem Teilbereich erfolgen und die Doktorandenausbildung auch der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses des Faches dient, erscheint der korrespondierende Zuschnitt der Promotionsprogramme sinnvoll. Zugleich lassen die neuen Promotionsmodelle Raum für Überlegungen zur Einrichtung von ‚intradisziplinären‘ Graduiertenschulen, in denen anstelle interdisziplinärer Zusammenarbeit etwa der Literaturwissenschaftler und der Philosophen eine Kooperation zwischen den Teilfächern innerhalb der Germanistik angestrebt werden könnte. Die gegenwärtigen Promotionsmöglichkeiten in der Germanistik können vereinfacht in zwei Gruppen aufgeteilt werden. Während mit etwa 80 Prozent nach wie vor die überwiegende Mehrheit der Doktoranden als wissenschaftliche Mitarbeiter, Stipendiaten oder Externe im Rahmen der traditionellen Individualpromotion promoviert, lässt sich die zweite Gruppe der strukturierten Promotionsangebote je nach disziplinärem Zuschnitt (von thematisch bis fach-, fakultäts- und hochschulübergreifend) und Finanzierungsform (durch Bund, Land, Stiftung etc.) in weitere Unterkategorien aufteilen. Wie festgestellt, repräsentieren die verschiedenen Fachorgane und Organisationen der Germanistik zwar eine formale Einheit des Faches nach außen, verzichten aber bewusst auf eine gezielte Steuerung der internen Fachentwicklung. So bleibt beispielsweise eine vollständige Übersicht der Promotionsmöglichkeiten für Germanisten, wie sie auf den Internetseiten des Germanistenverbandes angeboten werden könnte, ein Desiderat; der HRK-Hochschulkompass ergab im Mai 2010 bei der bundesweiten Suche nach Promotionsmöglichkeiten im Fach Germanistik ganze zwei Treffer. Eine bessere Übersicht wäre allerdings aufgrund der beschriebenen Diversität der Modelle als auch der kontinuierlichen Veränderungen durch das Entstehen neuer sowie das Auslaufen alter Programme nicht einfach zu erstellen bzw. aktuell zu halten und bedürfte entsprechend langfristiger Finanzierung. Gerade da die Reform der Doktorandenausbildung in der Germanistik ohne zentrale Koordination ‚passiert‘, könnte eine weitergehende Maßnahme die Förderung eines fachspezifischen Austauschs über gute Praxis in der germanistischen Doktorandenausbildung darstellen. Mit den Sprechern bzw. Koordinatoren der Graduiertenschulen und Promotionsprogramme stehen für einen solchen Austausch zumindest für die strukturierten Promotionsformen nun auch zuständige Vertreter zur Verfügung, die für die Individualpromotion durch geschäftsführende Direktoren der germanistischen Institute ergänzt werden könnten. Nennenswerte Orientierung für einen solchen fachspezifischen Austausch kann in den USA die Carnegie Initiative on the Doctorate liefern, an der sich auch Fach-
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vertreter der Disziplin English studies, darunter die der in dieser Arbeit untersuchten Columbia University, beteiligt haben. Der derzeit in Deutschland auch in der Germanistik herrschenden Vielfalt der Promotionsmöglichkeiten zwischen Individualpromotion und strukturierten Promotionsprogrammen steht in den USA eine zumindest institutionell vergleichsweise einheitlich geregelte Doktorandenausbildung gegenüber. Doktoranden promovieren zum einen stets in einzelnen departments, die sich im Fall der English studies im Gegensatz zu der Pluralität der germanistischen Institutsbezeichnungen fast uniform Department of English nennen, und sind zum anderen administrativ an die zentralen und meist disziplinenübergreifenden graduate schools der Universitäten angebunden. Dabei fällt im Vergleich zur dezidierten Förderung der Interdisziplinarität in Deutschland die inhaltlich bemerkenswert disziplinäre Ausrichtung der Promotionsausbildung in den USA auf. Alle Doktoranden in den USA sind mit Promotionsbeginn in einer graduate school eingeschrieben und damit im Unterschied zu Deutschland statistisch erfassbar, wodurch quantitative Analysen der Promotionsausbildung erleichtert werden. Die professionalisierte Hochschulforschung in den USA nutzt die umfangreich vorhandenen, oftmals fachspezifisch aufschlüsselbaren Daten zur Erarbeitung von – in Deutschland in dieser Tiefe fehlenden – Übersichtsstudien und Analysen existierender best practices bzw. Defizite der Doktorandenausbildung, wie anhand zahlreicher Studien und Projekte demonstriert werden konnte. In den USA werden die Defizitanalysen zur Erarbeitung von Reformansätzen und für Reforminitiativen auf nationaler, Hochschul- und Disziplinenebene genutzt. Ein Beispiel für diese ‚Aktionskette‘ ist die Initiierung des Ph.D. Completion Projects des Council of Graduate Schools speziell zum Thema Abbruchquoten auf Promotionsebene: Um die vermuteten Mängel in diesem Bereich mit belastbaren Zahlen belegen zu können, haben Forschungsuniversitäten in den USA und in Kanada im Rahmen des Projekts detailliert Daten zu diesem Themenkomplex erhoben. Im zweiten Schritt implementierten sie den belegt hohen Abbruchquoten entgegenwirkende Maßnahmen bezüglich Auswahl, Betreuung und finanzieller Unterstützung der Doktoranden, inklusive der begleitenden Evaluation der eingeführten good practice. Die Kategorie Abbruchquoten wurde darüber hinaus in die nächste Auflage des Rankings der Promotionsprogramme durch das National Research Council aufgenommen. Neben der fachspezifischen Carnegie Initiative on the Doctorate und dem fachübergreifenden Ph.D. Completion Project könnte für Deutschland auch das Humanities Indicators Projects (HIP) der American Academy of Arts and Sciences eine Anregung bieten. Das HIP hat sich zum Ziel gesetzt, existierende Daten und Informationen über die Geisteswissenschaften in den USA an einer Stelle zentral zu sammeln, auszuwerten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
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Erste Ansätze für ähnliche Initiativen, die sich zur Verstetigung anbieten, gab es in Deutschland im Rahmen des Jahres der Geisteswissenschaften 2007 u. a. mit dem Wettbewerb „Arts and Figures - GeisteswissenschaftlerInnen im Beruf“. Hierbei ist mit Blick auf die USA anzumerken, dass dort aufgrund der im Vergleich zu Deutschland nachteiligeren Einbindung der humanities in der Forschungslandschaft die Positionierung gegenüber den sciences besonders wichtig erscheint: Anders als in Deutschland mit der Forschungsförderung unter dem gemeinsamen Dach der Deutschen Forschungsgemeinschaft werden die Geisteswissenschaften in den USA von einer separaten Förderagentur National Endowment for the Humanities vertreten, die ihr Jahresbudget einzeln gegenüber der Politik und in Konkurrenz mit den Agenturen anderer Fächergruppen ‚erkämpfen‘ muss. Zu diesen gehören dabei für die sciences die medizinische Förderorganisation National Institutes of Health und die nicht-medizinische National Science Foundation. Letztere gibt seit 1972 alle zwei Jahre das umfassende Datenset Science and Engineering Indicators heraus, das als Standard für quantitative Beschreibung der Forschungslandschaft in dieser Fächergruppe und zur zahlenbasierten Argumentation gegenüber der Politik bezüglich beabsichtigter Erhöhungen der Forschungsmittel verwendet wird. Für die Geisteswissenschaften entsteht durch die Nicht-Einbindung in den Förderagenturen der sciences bzw. in den Science and Engineering Indicators der Zugzwang einer ähnlichen Datenaufbereitung. Diese wird nun mit den Humanities Indicators angestrebt. Aufgrund der festgestellten separaten und damit tendenziell schwierigeren externen Fördermöglichkeiten der Geisteswissenschaften in den USA stellt sich die dort zur Grundausstattung der Hochschulen gehörende, disziplinenübergreifende Finanzierung der strukturierten Doktorandenausbildung in Form der universitätsinternen Institution graduate school umgekehrt als ein Vorteil gegenüber der extern zu beantragenden und zeitlich begrenzten Förderung einzelner Modelle in Deutschland dar. Nach welchen Kriterien wählen an einer Promotion in der Germanistik Interessierte ihre Promotionsform und ihren Promotionsort? Wie die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Befragung von Doktoranden beider Promotionsformen ergeben hat, sind die Promovierenden trotz des fehlenden zentralen Überblicks und damit der Notwendigkeit der Beschaffung der Informationen aus einer Vielzahl verschiedener Quellen über existierende strukturierte Promotionsangebote im Fach relativ gut informiert. Bei der Untersuchung der Gründe für die Wahl eines bestimmten Promotionsortes überrascht auf den ersten Blick bei der Gruppe der strukturiert Promovierenden, dass nicht die angebotene (strukturierte) Promotionsform der entscheidende Faktor ist, sondern vielmehr die an sie geknüpfte finanzielle Absicherung. Dabei deuten jedoch die nach dem Stipendium häufig zusätzlich genannten Kriterien Austausch, Kurse und Betreuung auf
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die implizite Bedeutung der gewählten strukturierten Promotionsform über die finanzielle Förderung hinaus hin. Ein konkretes Forschungsthema spielte für die befragten Doktoranden bei der Wahl des Promotionsortes keine entscheidende Rolle, was jedoch auch an der thematischen Offenheit der bei der Untersuchung einbezogenen Promotionsprogramme liegen kann: Im Gegensatz zu den thematisch ausgerichteten DFGGraduiertenkollegs und mit Ausnahme des Promotionskollegs Wertung und Kanon in Göttingen, in dem alle Dissertationsthemen eng an die Praxis der Literaturvermittlung gekoppelt sind, machen die untersuchten Programme in Berlin (Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien), Gießen (Gießener Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften (GGK)/International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC)), Göttingen (neben dem primär untersuchten Promotionskolleg die Graduiertenschule für Geisteswissenschaften), Köln (a.r.t.e.s. Forschungsschule) und Münster (Graduate School Practices of Literature) vorab keine engen thematischen Vorgaben, sondern stellen vielmehr breiter fundierte Strukturen dar, in denen sich die Forschungsthemen zum Beispiel an den Forschungsschwerpunkten der zugehörigen Philosophischen Fakultät orientieren. Bei den germanistischen Individualpromovierenden ist die Wahl der individuellen Promotionsform laut der Befragungsergebnisse kein Zufall und keine Konsequenz etwa der Uninformiertheit über existierende strukturierte Promotionsmöglichkeiten, sondern vielmehr eine bewusste Entscheidung für einen konkreten Betreuer, ein bestimmtes Thema und eine spezifische selbstbestimmte Art seiner Bearbeitung. Darüber hinaus haben sich Individualpromovierende (neben vielen positiven Äußerungen) vereinzelt mit negativen Aussagen von den strukturierten Programmen abgegrenzt, bei denen sie ein zu enges thematisches oder zeitliches Korsett befürchten. Zusammenfassend legen die Ergebnisse der Befragung für die Aspekte der Wahl des Promotionsortes und der Promotionsform nahe, dass zur Verfügung stehende Stipendien, eine freie Wahl des Themas und des Betreuers, ein flexibles Angebot zum Austausch der Doktoranden untereinander sowie Möglichkeiten zum Erwerb von wissenschaftlichen Zusatzqualifikationen zentrale Faktoren zur Gewinnung von Promotionsinteressierten für eine strukturierte Promotion in der Germanistik sind. Die Bewertung der ‚Strukturiertheit‘ der Promotionsprogramme an sich bedarf einer differenzierten Darstellung: Gerade im Vergleich mit der flächendeckend ‚strukturierten‘ Doktorandenausbildung in den USA zeigt sich, dass ‚Struktur‘ an sich weder einseitig als negativ (auch in den strukturierten Modellen muss selbständig wissenschaftlich gearbeitet werden) noch als uneingeschränkt positiv (die Existenz einer Graduiertenschule sichert nicht automatisch gute Betreuung oder produktive fachliche Diskussion) bewertet werden kann.
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Vielmehr bedarf die Erreichung gesetzter Reformziele, beispielsweise einer kürzeren Promotionsdauer oder besserer Vorbereitung auf eine akademische Laufbahn, konkreter inhaltlicher und organisatorischer Überlegungen und Anstrengungen auch auf der Ebene der einzelnen Institute und Fachbereiche sowie einer sorgfältig gewählten Kombination bestimmter struktureller Elemente, insbesondere bei der Finanzierung und Betreuung der Doktoranden. So ergab die Analyse der in den untersuchten Modellen vorhandenen Strukturelemente beispielsweise für die Aspekte Themenfindung und -fixierung, dass eine bereits in die Promotion integrierte finanzielle wie ideelle Förderung und Betreuung der Exposé-Ausarbeitung, statt der bisher überwiegend praktizierten Einforderung eines ‚in Einsamkeit und Freiheit‘ ausgearbeiteten Exposés zur Bewerbung, sowie insgesamt das Exposé als ein zu verteidigender inhaltlicher, methodischer und zeitlicher ‚Projektplan‘ der Dissertation ein oftmals ungenutztes aber potenziell leistungsstarkes Element der Qualitätssicherung in der germanistischen Promotionsphase darstellt. Bei den untersuchten Programmen der English studies in den USA wird das Exposé – als integraler Teil der Promotion und ihrer Förderung – nach den Prüfungen der Kursphase am Übergang zur Dissertationsphase verfasst und neben der Themenfindung stark zur Qualitätssicherung eingesetzt: Es muss vom Doktoranden binnen einer im Vorfeld festgelegten Frist (in der Regel innerhalb von sechs Monaten nach der letzten Prüfung am Übergang zur Dissertationsphase) vorgelegt werden und wird danach entweder mündlich vom Promovierenden verteidigt, oder durch mehrere Professoren (beispielsweise vier an der CUNY) gelesen und, teilweise schriftlich, begutachtet. Nach in der Regel mehrfacher Überarbeitung durch den Doktoranden und Genehmigung in diesem formalisierten Verfahren steht ein auf seine Qualität und Realisierbarkeit gründlich überprüfter ‚Projektplan‘ für die Dissertation inklusive der zu bearbeitenden Literatur fest. In Deutschland können Doktoranden beispielsweise an der Graduiertenschule in Göttingen bei guten Studienergebnissen und mit einer erfolgversprechenden Ideenskizze ein Stipendium zur Exposéausarbeitung beantragen oder an der Forschungsschule a.r.t.e.s. in Köln bereits mit einem Stipendium das Programm der Forschungsschule in einem „Themenfokussierungssemester“ beginnen, an dessen Ende erst das endgültige Dissertationsthema steht. Die Themenfindung wird in diesen Fällen als eigene Phase und eindeutig als ein Teil der Promotion gesehen, der entsprechend gefördert und betreut werden kann. Die Dissertationsthemen und Betreuer gehen in der Germanistik bei beiden Gruppen der befragten Doktoranden meist auf die Magisterarbeit zurück. Dieser Befund ist insbesondere bei den strukturiert Promovierenden bemerkenswert, bei denen aufgrund der expliziten Bewerbung bei einem strukturierten Promotionsprogramm eine weniger lineare Fortsetzung der bisherigen Forschungsarbeit und
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weniger starke Anbindung an einen Betreuer, die als typisch für die Individualpromovierenden gilt, sowie ein Hochschulwechsel erwartet werden könnte. Offensichtlich streben viele Doktoranden eine gewisse Kombination an: Wenn die strukturierte Promotionsform vor Ort angeboten wird und sie die beabsichtigte Weiterentwicklung des Master-/Magisterarbeitsthemas (sowie die Beibehaltung des Betreuers) ermöglicht, wird sie – primär als willkommene Finanzierungsquelle – für die Promotion bei einer erfolgreichen Bewerbung auch genutzt. Im Vergleich mit den USA kann in diesem Aspekt als hauptsächlicher Unterschied festgestellt werden, dass die Doktoranden in den English studies während der etwa zweijährigen Kursphase zu Beginn der Promotion verschiedene Professoren und ihre Seminare kennen lernen, bevor sie die Wahl des Betreuers und Themas treffen. Eine persönliche und thematische ‚Sortierung‘ kann so bis zur endgültigen Entscheidung in einer fortgeschrittenen Phase der Promotion graduell erfolgen. Wenn demgegenüber in Deutschland Studienabsolventen zur Promotion die Hochschule wechseln wollen, etwa um sich auf den Stipendienplatz eines strukturierten Promotionsprogramms zu bewerben, ist die Wahl des Betreuers komplizierter und riskanter, denn die Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen ist aufgrund der fehlenden Kursphase deutlich verkürzt. Möglicherweise ist dies ein Grund dafür, dass ein Hochschulwechsel vor der Promotionsphase in der Germanistik, wie sich zumindest bei den für diese Arbeit befragten Doktoranden gezeigt hat, auch nicht sehr häufig vorkommt, sondern die Doktoranden stattdessen wie dargestellt oftmals mit dem Thema der Magisterarbeit bzw. deren Betreuer in der Promotion weiterarbeiten. Für die Germanistik könnten quantitativ breiter angelegte Studien überprüfen, wie häufig die Weiterbearbeitung des Magisterarbeitsthemas in der germanistischen Promotion insgesamt vorkommt und ob dieses Muster auch auf die Masterarbeiten in der neuen Studienstruktur mit Bachelor- und Masterstudiengängen zutrifft. Sollte sich die Tendenz bestätigen, dass Dissertationen mehrheitlich auf Master-/Magisterarbeiten basieren, müsste die nächste Frage lauten, welchen Einfluss in Zukunft eine mögliche Verdrängung der Habilitation durch die Juniorprofessur für die Germanistik und für die inhaltlich-thematische Breite des Forschungsprofils der germanistischen Nachwuchswissenschaftler mit sich bringen könnte. Denn die Habilitationsschrift muss bisher in einem anderen Gebiet als die Doktorarbeit verfasst werden und erweitert somit maßgeblich den Forschungshorizont der angehenden Professoren. Bei Dissertationsthemen, die jeweils auf die Magister- bzw. Masterarbeit zurückgehen, die wiederum aus einer Hausarbeit hervorgegangen sein kann, könnte das Themenspektrum beim Fehlen einer weiteren Qualifikationsarbeit zu eng bleiben. Auf diese Möglichkeit deutet auch der Vergleich mit den Vereinigten Staaten hin, in denen die thematische Spezialisierung während einer akademischen
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Qualifizierung in den English studies enger als in der Germanistik erscheint: Nicht nur sollen die Dissertationen kürzer und spezialisierter sein als ein Fachbuch, sondern auch die zweite Monographie auf dem Weg zur unbefristeten Professur (tenure), die zudem nur bei einigen Elite-Universitäten eine Voraussetzung der Festanstellung ist, wird oftmals im gleichen thematischen Bereich geschrieben. Eine Publikationspflicht der Dissertation wie in der Germanistik in Deutschland und damit obligatorische Verfügbarmachung der Forschungsergebnisse der weiteren Gemeinschaft der Wissenschaftler gibt es nicht. Dies kann als ein Hinweis auf eine weniger zentrale Rolle der Forschung beim Erwerb des Doktorgrads in English studies gedeutet werden, oder aber, damit zusammenhängend, als Konsequenz der diversifizierten Hochschullandschaft der USA, in der nicht in jedem Fall ein der Wissenschaftsgemeinschaft offen kommunizierter eigener Forschungsnachweis für die weitere akademische Karriere essenziell ist. Neben der Feststellung der oftmaligen Anknüpfung an das Thema der Magisterarbeit bzw. der weiteren Zusammenarbeit mit deren Betreuer auch während der Promotion unterstützen für die Germanistik die Ergebnisse der explorativen Umfrage die These einer Verschiebung der Dissertationsthemen von ‚klassischen‘ interpretatorisch und textanalytisch ausgerichteten germanistischen Arbeiten in der Individualpromotion hin zu einer stärkeren Diversität in der Ausrichtung der Dissertationsprojekte der strukturiert Promovierenden, die sich zudem durch ein höheres Maß an Interdisziplinarität auszeichnen. Die vertiefte Analyse dieser Trends im Rahmen größerer Forschungsverbünde ist ein Desiderat – die Verschiebung könnte eine Konsequenz der steigenden Diversität der Promotionsformen in der Germanistik und des überwiegend interdisziplinären Ansatzes der strukturierten Programme sein. Dass dieser Trend zu einer Herausforderung für ‚das‘ Fach Germanistik werden könnte, liegt auf der Hand. Nicht nur sind die Auswirkungen der Ausweitung des Faches aufgrund des kulturwissenschaftlichen Paradigmas – und damit implizit die Aufweichung seiner Grenzen – für die Zukunft der Disziplin nicht zu unterschätzen. Sondern sollten sich die Dissertationsthemen, katalysiert durch zunehmende Interdisziplinarität, tatsächlich immer weiter vom Fachkern entfernen, könnte dies eine weitere Fragmentierung der an sich schon losen Disziplin verursachen. Die im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls befragten Koordinatoren der untersuchten strukturierten Promotionsprogramme sind sich der Herausforderungen der Interdisziplinarität sowie einer möglichen zunehmenden Konzentration der germanistischen Dissertationsthemen auf das 20. Jahrhundert bewusst und denken bereits zum Teil über ein aktives Gegensteuern nach. Durch die höhere Konkurrenz der Themen beispielsweise in der Moderne und die Diskrepanz einer ausgeprägten interdisziplinären Ausrichtung gegenüber den in der Regel diszip-
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linär zugeschnittenen Stellenausschreibungen könnte sich eine zu starke Orientierung auf aktuelle oder interdisziplinäre Themen zudem für die Doktoranden mit Blick auf die Forschungslandschaft wie auf die gegebenenfalls angestrebte spätere Berufung als ein strategischer Fehler herausstellen. Die in strukturierten Promotionsprogrammen in der Tendenz festgestellte Verschiebung der Dissertationsthemen kann in diesen durch Auswahlverfahren beeinflusst werden. Mit der meist selektiv konzipierten Zulassung zu den strukturierten Promotionsformen entsteht für die Germanistik neben der Gelegenheit einer objektiveren Steuerung von Themen hinaus eine verstärkte Möglichkeit der Qualitätssicherung hinsichtlich der geförderten Nachwuchsforscher und der wissenschaftlichen Güte der Dissertationsvorhaben. Alle untersuchten Promotionsprogramme machen von dieser Möglichkeit Gebrauch und wählen ihre Doktoranden anhand schriftlicher Bewerbungsunterlagen sowie mit Hilfe von Auswahlgesprächen gezielt aus. Der wichtigste Unterschied zu der Praxis in den English studies in den USA ist dabei (neben den fehlenden vorgelagerten Auswahltests) der bereits erwähnte Umgang mit dem Dissertationsexposé, das in den USA stets während der Promotion angefertigt und einem formalisierten Genehmigungsprozess unterzogen wird. Ein ähnlich aufwändiges qualitätssicherndes Verfahren wird zumindest in einigen Programmen der English studies auch nach der Erstellung eines ersten Kapitels der Dissertation durchgeführt. Bei der Columbia University beispielsweise findet dazu ein offizielles Treffen des Doktoranden mit seinen beiden Hauptbetreuern statt, die das erste Kapitel mündlich kommentieren. Beide Betreuer müssen eine Finalversion des Kapitels genehmigen, bevor der Promovierende seine Arbeit an der Dissertation fortsetzen darf, womit eine weitere qualitätssichernde Hürde im Promotionsverlauf vorgesehen ist. Eine intensive Prüfung bereits der Bewerbung samt vorzulegender ausführlicher Arbeitsprobe sowie eine Begutachtung des Exposés und des ersten Kapitels der Dissertation durch mindestens zwei Fachvertreter setzen Maßstäbe für die Qualität auch der weiteren Kapitel der Dissertation, die üblicherweise ebenfalls in einen Revisionsprozess mit mehr als einem Gutachter eingebunden sind – bei den untersuchten Programmen der CUNY und Columbia University beispielsweise senden die Doktoranden alle Dissertationskapitel mindestens zwei Betreuern zur Rückmeldung. Über diese Qualitätskriterien hinaus beziehen alle Universitäten in den USA bei der Auswahl der Bewerber die Resultate des allgemeinen Aufnahmetests GRE General Test mit ein; viele English-Programme zusätzlich diejenigen des fachspezifischen GRE Subject Test für Literatur. Ein weiteres Element der insgesamt stärker institutionalisierten, verwalteten und transparenteren Aufnahmever-
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fahren ist die Bewerbung stets bei der graduate school und nie direkt bei einem individuellen Professor. In Deutschland erscheint die Verwendung solch formalisierter Zulassungstests aufgrund der vergleichbaren fachlichen Basis der Studienabsolventen bislang nicht nötig. Nachfolgende Studien könnten prüfen, inwieweit die zunehmende Profilierung der deutschen Hochschullandschaft, die verstärkte Strukturierung und Zielorientierung des Studiums sowie die heterogene Umsetzung der Vorgaben des Bologna-Prozesses in der Germanistik an den einzelnen Instituten diese fachliche Basis für die Ausbildung der Doktoranden verändern, sodass möglicherweise in Zukunft standardisierte Aufnahmetests sinnvoll werden. Die Bewältigung des zusätzlichen Aufwandes für die Zulassungsverfahren in den strukturierten Programmen wird in Deutschland durch die externe Finanzierung der Doktorandenprogramme erleichtert. Mit zusätzlicher Förderung können grundsätzlich Reformmodelle erprobt werden und die ‚kollektive‘ Doktorandenausbildung in den strukturierten Programmen, die Teilleistungen der Doktoranden und eine beschränkte Promotionsdauer vorsehen, stellt möglicherweise eine zeitgemäße Reaktion auf den Strukturwandel der Geisteswissenschaften dar, bei dem die Einzelforschung zunehmend durch überindividuelle, kollektive Organisationsformen mit fristgerecht zu liefernden Forschungsergebnissen ergänzt wird. Die externe Finanzierung der neuen Promotionsformate hat dabei Vor- und Nachteile. Auf der einen Seite muss die sachgerechte Verwendung der Mittel gegenüber Dritten gerechtfertigt werden, was mit Blick auf die anzustrebende Transparenz und Qualität der Doktorandenausbildung in der Germanistik als eine qualitätssichernde Maßnahme gewertet werden kann: Es existiert außerhalb (und dadurch verstärkt auch innerhalb) der Universität ein Interesse daran, ob die geförderten Doktoranden ihr Promotionsziel erreichen, wie schnell und wie gut. Ein weiterer Vorzug der zusätzlichen Mittel ist die Möglichkeit ihrer Verwendung für Doktorandenstipendien, ohne diese an umfangreiche Gegenleistungen koppeln zu müssen, wie es in den USA mit der Lehrtätigkeit der Promovierenden der Fall ist. Wie die Untersuchung gezeigt hat, heißt dies jedoch nicht, dass die Förderung der Doktoranden nicht an die Erfüllung bestimmter Promotionsleistungen geknüpft werden kann – bei der Friedrich Schlegel Graduiertenschule an der Freien Universität in Berlin wird beispielsweise die Weiterzahlung des Stipendiums von der Abgabe des jährlichen Zwischenberichts des Doktoranden abhängig gemacht. Nachteile der externen Finanzierung der Programme sind auf der anderen Seite ein potenzieller Einfluss der Förderorganisationen auf die inhaltliche Ausrichtung sowie Qualität der Dissertationen durch die Vorgaben zur Förderung bzw. Mittelverwendung: Nicht nur beeinflussen die Ausschreibungstexte an sich
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den Zuschnitt der geförderten Programme, indem sie etwa im konkreten Fall der Exzellenzinitiative dezidiert eine interdisziplinäre Ausrichtung fördern und thematisch anders zugeschnittene Modelle dadurch direkt von der Bewerbung ausgeschlossen werden. Sondern die Notwendigkeit, bei Bewilligung auch alle Doktorandenstellen zu besetzen, verursacht zusätzlichen Druck bei der qualitativ hochwertigen Verwendung der Mittel. Die Frage, ob es für die exzellenten Programme jeweils zum konkreten Bewerbungszeitpunkt auch genug ‚exzellente‘ germanistische Promotionsinteressierte gibt, wird erst in den kommenden Jahren anhand der in Folge verfassten Arbeiten und erreichten Karriereziele beantwortet werden können. Ein anderer Nachteil der externen Finanzierung ist der hohe bürokratische Aufwand zur Einwerbung der Drittmittel und die Unsicherheit der weiteren Förderung in der Zukunft. Die erwähnte zur Grundausstattung gehörende Finanzierung der Doktorandenausbildung in den USA ist in dieser Hinsicht ein großer Vorteil gegenüber der gegenwärtigen Situation in Deutschland, bei der in den meisten Fällen ungeklärt ist, wie die Finanzierung in Zukunft aufrecht erhalten werden kann. Denn anhand der durchgeführten Untersuchung erscheint neben der Betreuung insbesondere die Finanzierung für die Attraktivität der Programme sowie den Promotionsfortschritt zentral: Ein Stipendium bietet die nötige Zeit zur Verfassung der Dissertation, da die Doktoranden nicht mit promotionsfernen Tätigkeiten Geld verdienen müssen. Wie bereits angemerkt, zeigt allerdings das Beispiel der USA, dass auch promotionsrelevante Arbeit wie die Lehrtätigkeit an der Hochschule je nach Umfang promotionsverlängernd wirken kann. Interessanterweise variieren die Stipendiensätze bei den einzelnen strukturierten Programmen in Deutschland, was an den anfangs erwähnten Unterschied zwischen der privaten Columbia University und der öffentlichen CUNY in den USA erinnert: Während dem Exzellenz-Gedanken entsprechend die ‚Elite‘Doktoranden der Graduiertenschulen der Exzellenzinitiative mit 1.486 Euro pro Monat am besten dotiert werden, stehen Stipendiaten etwa der Forschungsschule a.r.t.e.s. monatlich 1.150 Euro zur Verfügung. Die Höchstsätze der durch die Exzellenzinitiative geförderten Graduiertenschulen bieten diesen Angeboten über den ‚Elite-Signalwert‘ hinaus gegenüber anderen Promotionsprogrammen einen Wettbewerbsvorteil. Dass sich Qualität auch mit weniger Geld anheben lässt und die Exzellenzinitiative über ihre direkte Förderung hinaus Dynamik in die Reform der Doktorandenausbildung gebracht hat, demonstrieren die strukturierten Programme ohne Stipendien wie die hier untersuchte Graduate School Practices of Literature der Universität Münster, für die trotz der fehlenden direkten Finanzierungsmöglichkeit der Doktoranden ein großes Interesse besteht, sowie die entstehenden Dachstrukturen wie die Graduiertenschule für Geisteswissenschaften in
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Göttingen, die freie und strukturierte Elemente der Promotion kombinieren und durch vergleichsweise kostengünstige Betreuungsinstrumente wie Betreuungsvereinbarungen oder Selbstverpflichtungen der Doktoranden zu jährlichen Berichten die Verbindlichkeit der Individualpromotion steigern. Eine solche ‚Institutionalisierung der Individualpromotion‘ könnte für die Geisteswissenschaften insgesamt zukunftsweisend sein, insbesondere wenn es gelingt, strukturierte Promotionsformate zu schaffen, die die Vorteile der Individualpromotion bewahren und gleichzeitig entweder dauerhaft durch die Bundesländer finanziert werden können oder aufgrund ihrer Größe in der Lage sind, Drittmittel bei Wissenschaftsorganisationen einzuwerben. Für die Sicherung der Finanzierung der Doktoranden in solchen Promotionsformaten und damit deren langfristiger Tragfähigkeit ist allerdings die Umsetzung der Forderung des Wissenschaftsrates nach ausreichenden individuellen Fördermöglichkeiten von Seiten des Landes, der Begabtenförderungswerke und der Stiftungen eine Voraussetzung. Die These einer besseren Vernetzung und eines intensiveren Austausches der Doktoranden der strukturierten Programme gegenüber der Individualpromovierenden wurde durch die Ergebnisse der Befragung für die analysierten Modelle im vollen Maße unterstützt. Gerade in einem Fach wie der Germanistik, das ähnlich wie die English studies durch intensive Recherche-, Lese- und Schreibtätigkeiten naturgemäß von einer individuellen und teilweise isolierten Arbeitskultur geprägt ist, erweist sich der in den USA etablierte Jahrgangsansatz der strukturierten Doktorandenausbildung, mit gegenseitiger Unterstützung und Vernetzung der Doktoranden, als eine neue Form der ‚horizontalen Betreuung‘ förderlich. Im Gegensatz zu der stets disziplinär verankerten Doktorandenausbildung in den English studies ist dabei allerdings für die Germanistik die bereits angesprochene Herausforderung für die Identität eines Faches durch die Interdisziplinarität des gegenseitigen Austausches wie der Kolloquien zu bedenken: Während letztere früher überwiegend fachbezogen waren, ist das ‚neue Oberseminar‘ der strukturierten Programme durch die fachliche Zusammensetzung der Doktoranden und zum Teil auch der Betreuer überwiegend interdisziplinär. Die ‚horizontale Betreuung‘ durch den Jahrgangsansatz und die gegenseitige Vernetzung der Doktoranden untereinander wird in den untersuchten strukturierten Programmen durch eine aufgrund bestimmter Defizite der Individualpromotion reformierte ‚vertikale Betreuung‘ ergänzt: Der Zeitpunkt des Beginns der Arbeit an der Dissertation wird festgehalten, es gibt mehrere Betreuer (in Köln und Münster drei, in den anderen Programmen mindestens zwei), ein Zeit- und Arbeitsplan muss erstellt werden, wird regelmäßig überprüft und gegebenenfalls modifiziert, die Betreuer verpflichten sich zu kontinuierlicher Betreuung und mögliche störende Faktoren wie übermäßige Tätigkeiten außerhalb der Promoti-
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on oder ein zu weit entfernter Wohnort werden durch die Notwendigkeit der Besprechung nach Möglichkeit im Vorfeld eliminiert. Zur Fixierung von zu erfüllenden Leistungen sowohl des Doktoranden als auch des bzw. der Betreuer sowie von Fristen, innerhalb derer die Leistungen zu erbringen sind, sowie zum Festhalten der beschriebenen Angaben wie des Zeitpunktes des Beginns der Promotion setzen alle für diese Arbeit untersuchten Doktorandenprogramme das Instrument der Promotions- bzw. Betreuungvereinbarung ein. Zusätzlich zu den verbindlich vereinbarten Teilleistungen stellt das Abschließen einer solchen Vereinbarung ‚vor Dritten‘ (der Administration der Graduiertenschule oder der Hochschule) eine neue Form der Institutionalisierung in der Doktorandenbetreuung dar, die allen Beteiligten ein höheres Recht- und Pflichtbewusstsein zuschreibt. Die Erhebung der Angaben ermöglicht darüber hinaus – ein weiterer neuer Aspekt – eine statistische Erfassung und Evaluation der Promotionen, die in den USA, basierend auf der Einschreibungspflicht aller Doktoranden zum Promotionsbeginn, bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts etabliert ist. Die Auswertung der exemplarischen Befragung der Doktoranden deutet an, dass die unterschiedlichen Maßnahmen, die eine Verbesserung der Betreuung in den strukturierten Programmen intendieren, die Doktoranden auch erreichen: Die Betreuung wird von den strukturiert Promovierenden insgesamt etwas positiver als von den Individualpromovierenden bewertet. Gleichzeitig konnte anhand der Befragungsergebnisse festgestellt werden, dass eine Umsetzung konkret der Reformmaßnahme ‚Mehrfachbetreuung‘ in den strukturierten Programmen noch nicht vollständig realisiert ist. Auch zeigen die Beispiele zufriedener Individualpromovierender und der insgesamt nicht sehr große Unterschied in der Zufriedenheit der beiden Gruppen, dass eine gut betreute Individualpromotion mit häufigen Kolloquien und Beratungsgesprächen den Betreuungsbedarf ebenfalls gut abdecken kann, auch wenn dabei der Einsatz von Betreungsvereinbarungen die gegenseitige Verbindlichkeit steigern könnte. Insgesamt gilt es also, zwischen der Betreuungsqualität und der Betreuungsquantität zu differenzieren, wobei die Frage der Betreuungsqualität von der Promotionsform unabhängig nach wie vor hauptsächlich die Frage einer guten Einzelbetreuung zu sein scheint. Eine Anrechnung der Betreuungsleistungen an das Lehrdeputat könnte die Attraktivität dieser Leistungen für die Betreuer erhöhen. Bezüglich der Frage, ob es in der Germanistik zwischen der Individualpromotion und den strukturierten Doktorandenprogrammen Unterschiede in der Art des ‚Wissen-Schaffen Lernens‘ gibt, ergab die Analyse folgendes Bild: Die Hauptleistung der germanistischen Promotion bleibt in beiden Promotionsmodellen die selbständig verfasste Dissertation. Die ‚Kernqualifikation Monographie‘ mit den drei von Individualpromovierenden zu erbringenden Teilleistungen der
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Verfassung, Verteidigung und Veröffentlichung wird auch in den untersuchten Programmen der strukturierten Doktorandenausbildung nicht in Frage gestellt. Sie wird jedoch in zweifacher Hinsicht ergänzt. Neben Teilleistungen, die den Dissertationsfortschritt unterstützen sollen (Beispiele sind die Erstellung von Arbeitsberichten und aktualisierten Zeitplänen oder die Abgabe bestimmter Textmengen in festgelegten Zeitabständen), erwerben Doktoranden in strukturierten Programmen zum Teil obligatorisch, zum Teil freiwillig, weitere wissenschaftliche Schlüssel- und Zusatzqualifikationen, die ihr Kompetenzprofil über das ‚Wissen-Schaffen lernen‘ hinaus ergänzen sollen. Zu diesen gehören beispielsweise theoretisch-methodische Lehrveranstaltungen, Workshops zur Wissenschaftskommunikation, Rhetorik oder Forschungsfinanzierung, Aufgaben in der Lehre oder die Mitarbeit bei der Vorbereitung einer Tagung. Ein von Kritikern der strukturierten Programme behauptetes fehlendes Bewusstsein für die Gefahren einer ‚Überstrukturierung‘, Überfrachtung oder sogar Verschulung der Graduiertenausbildung konnte bei den Verantwortlichen der in dieser Arbeit analysierten Promotionsprogramme nicht festgestellt werden. Auch geben die untersuchten Strukturen der Modelle und die Befunde der Befragung keinen Anlass zu einer negativen Bewertung der Programme in diesem Punkt. Ebenfalls deuten alle Befunde darauf hin, dass die Doktoranden in beiden Modellen nach wie vor das selbständige wissenschaftliche Arbeiten lernen (müssen). In den strukturierten Promotionsformen geben allerdings die dichtere Betreuung und Strukturierung, vorhandene Pflichten, Fristen, Rückmeldung und Austausch dem selbständigen Arbeiten der Promovierenden einen unterstützenden Rahmen. Mit Blick auf die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses für die Disziplin Germanistik ergab die vergleichende Analyse neben den bisher genannten positiven Effekten für Promovierende der strukturierten Doktorandenprogramme als einen kritischen Unterschied gegenüber den Promovierenden in Individualpromotion mit einer wissenschaftlichen Mitarbeiterstelle die fehlende Erfahrung des realen Lehrstuhlalltags. In diesem Punkt ähneln die Tätigkeiten der Lehrstuhlmitarbeiter in Forschung, Lehre, Drittmitteleinwerbung, Tagungsvorbereitung, Studentenberatung und Hochschuladministration einer späteren Arbeit als Wissenschaftler an der Hochschule am meisten und es stellt sich die Frage, wie dieses mit Blick auf eine wissenschaftliche Karriere vorteilhafte ‚Training‘ in den strukturierten Programmen am besten integriert werden könnte. Die derzeitigen Strategien der Programme fallen unter die beschriebene zweite Kategorie der Teilleistungen der Doktoranden, die auf ein zu erwerbendes breiteres wissenschaftliches Qualifikationsprofil abzielen: Im Ergebnis sollen die Kompetenzen eines promovierten Germanisten über die Fähigkeit zum Forschen und Schreiben hinaus weitere Qualifikationen etwa im Projektmanagement, der Forschungsfinanzierung oder der Wissensvermittlung umfassen. Im Optimalfall
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können dabei eventuelle Nachteile der Lehrstuhlmitarbeit wie die verstärkte Abhängigkeit vom Betreuer vermieden werden und ihre Vorteile im Erwerb der konkreten Kompetenzen erhalten werden. Zum Zeitpunkt dieser Arbeit kann noch nicht beurteilt werden, ob dazu die vorhandenen verpflichtenden Teilleistungen ausreichen, oder ob weitere Instrumente nötig sind, die dem Lehrstuhlalltag in der Germanistik näher kommen. Ähnlich der Praxis in den English studies, bei der die Doktoranden zwar primär als Lehrassistenten arbeiten, in der Regel aber auch eine Zeit lang ihre Betreuer als Mitarbeiter unterstützen, könnte eine Maßnahme ein mehrmonatiges zu absolvierendes ‚Lehrstuhlpraktikum‘ sein, bei dem die Doktoranden der strukturierten Programme als ‚Lehrstuhlmitarbeiter auf Zeit‘ einem (oder rotierend mehreren) Professor(-en) zugeordnen werden, um die oben beschriebenen Qualifikationen der wissenschaftlichen Mitarbeiter zu erwerben. Eine dieser Qualifikationen ist die akademische Lehre. Entgegen einer möglichen Annahme, dass in der Germanistik unter den Individualpromovierenden nur eine Minderheit, nämlich die der wissenschaftlichen Mitarbeiter, Lehrerfahrung sammelt, hat die Untersuchung zumindest für die hier befragten Doktoranden gezeigt, dass alle Individualpromovierenden bereits gelehrt haben. Dies war überraschenderweise bei den strukturiert Promovierenden weniger häufig der Fall, möglicherweise da sie über die Stipendien der Programme finanziell abgesichert sind und die Lehre als eine optionale Zusatzqualifikation ansehen. Bei den Individualpromovierenden gehörte zu den festgestellten Defiziten eine ungenügende Bezahlung der Lehraufträge, in vielen Fällen wird offenbar eine gänzlich unbezahlte Lehre erwartet. In beiden Modellen erweisen sich insbesondere die Vorbereitung der Doktoranden auf ihre künftigen Lehraufgaben sowie die Qualitätssicherung ihrer Lehre als problematisch: Obwohl in manchen Fällen – hauptsächlich für Doktoranden der strukturierten Programme – Hochschuldidaktikangebote prinzipiell zur Verfügung stehen, finden in der Realität sowohl eine systematische hochschuldidaktische und pädagogische Vorbereitung für spätere Aufgaben in der Lehre und Wissensvermittlung als auch eine Begleitung der Lehre der Doktoranden durch die Professoren oder weitere Mentoren kaum statt. Einem möglichen Argument, dass nicht alle Doktoranden Professoren werden, und deswegen die Lehre nicht zu den Kernkompetenzen eines Promovierten gehören müsse, steht zum einen gegenüber, dass promovierte Germanisten in den meisten Berufen Qualifikationen in der Vermittlung von Wissen benötigen. Zum anderen wird die in der Promotionsphase versäumte gezielte didaktische Qualifizierung für spätere Lehraufgaben laut einer exemplarischen Habilitationsstudie auch nicht auf dem weiteren Karriereweg zum Professor nachgeholt.
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6 Modelle der Doktorandenausbildung in den Geisteswissenschaften
Anhand des Vergleichs mit den English studies erscheinen die bislang in den Programmen vorgesehenen Ansätze zum Erlernen der akademischen Lehre besonders sinnvoll. Zum Ersten soll die Lehre der Doktoranden betreut und im begrenzten Umfang erfolgen, damit sie die Konzentration auf die Erstellung der Dissertation bzw. die angestrebte Promotionsdauer von drei Jahren nicht gefährdet. Und zum Zweiten soll tatsächlich ein Erlernen der Lehre im Vordergrund stehen und nicht die teilweise Übernahme professoraler Lehre durch die Doktoranden, die eine Gefahr für reguläre Stellen darstellen könnte. In den USA ist die Lehre, wie bereits mit der Funktion der Muttersprachenphilologie ausgeführt, der Dreh- und Angelpunkt der Promotion in den English studies. Sie wird stark sowohl während der Promotion (die meisten Doktoranden sind als Teil ihres Förderpakets intensiv in die Lehre eingebunden) als auch danach beim angestrebten Beruf als Professor benötigt. Gleichzeitig verursachen die umfangreichen Lehrtätigkeiten eine maßgebliche Verlängerung der Promotionsdauer, die in den English studies (einschließlich der Kursphase, die vereinfacht dem Masterstudium in der Germanistik gegenüber gestellt werden kann) etwa neun Jahre beträgt. So entspricht in den English studies die aktive Einbindung der Doktoranden in der Lehre der sowohl historischen (docere) wie praktischen primären Funktion des Doktorgrads in diesem Fach als Lehrqualifikation. Auch ist es mit Blick auf die im Vergleich zu Deutschland fehlende Habilitation und die frühere selbständige Arbeit in Forschung und Lehre in den USA (die Promovierten bewerben sich direkt nach der Promotion, unter anderem mit einem vorzuweisenden teaching portfolio, um Stellen wie die des assistant professor mit tenure-track) im Rahmen der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses von zentraler Bedeutung, dass die Doktoranden bereits während der Promotion ausreichend Lehrerfahrung sammeln. Der direkte Einstieg in die selbständige Lehre nach der Promotion relativiert dabei die zitierte lange Promotionsdauer. Andererseits dient die Lehrtätigkeit der Doktoranden in den USA nicht nur dem wünschenswerten Training für spätere Lehraufgaben, sondern resultiert oftmals aus der problematischen finanziellen Lage der Hochschulen und deren zunehmender Angewiesenheit auf günstige Lehrkräfte. Insgesamt betrachtet erscheinen mit Blick auf die Qualitätssicherung der von Promovierenden geleisteten Lehre die Praktiken in beiden Ländern gleichermaßen ungenügend – es konnten keine transparenten, flächendeckend eingesetzten Instrumente oder Standards der Qualitätssicherung für die Lehre durch Doktoranden identifiziert werden. Auch erscheint die Vorbereitung der Doktoranden auf ihre Lehraufgaben während oder nach der Promotion etwa mit verstärktem Einsatz von Hochschuldidaktikseminaren in beiden Ländern verbesserungswürdig.
Vergleich und Anregungen
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Obwohl angenommen werden könnte, dass Doktoranden der relativ neuen kompetitiven strukturierten Promotionsprogramme in Deutschland verstärkt mit dem Ziel einer Wissenschaftskarriere promovieren, ist dies, zumindest anhand der Ergebnisse der hier durchgeführten Befragung, nicht der Fall. Stattdessen gibt jeweils nur die Hälfte der Individualpromovierenden und auch der in strukturierten Programmen eingebundenen Doktoranden eine universitäre Karriere als Motivation für die Promotion bzw. als ihr Berufsziel an. Die in strukturierten Programmen eingebundenen Befragten sind sich zudem über ihre beruflichen Ziele weniger im Klaren als die Individualpromovierenden. Sollte sich in einer breiteren Folgestudie die These bestätigen, dass ein großer Teil der strukturiert Promovierenden weder eine klare Vorstellung von den beruflichen Zielen, noch die Absicht zum Verbleib in der universitären Wissenschaft hat, könnte in diesem Punkt eindeutig nicht von einem Fortschritt gegenüber der Individualpromotion gesprochen werden. Wie in den English studies sind bei Germanisten in den frühen Phasen nach der Promotion häufig befristete Verträge, (zunehmend) Teilzeitbeschäftigungen sowie freiberufliche Tätigkeiten auf der Basis von Honorar- und Werkverträgen verbreitet. Insgesamt nur etwa 20 Prozent der in einer Sekundäranalyse untersuchten Individualpromovierenden der Germanistik werden im weiteren Verlauf des beruflichen Werdegangs Professor. Dies ist ein großer Unterschied zu den English studies in den USA, in denen insgesamt etwa drei Viertel der Doktoranden in Lehre und Forschung verbleiben und im langjährigen Trend etwa 40 Prozent bereits direkt nach dem Promotionsabschluss eine Professur mit Festanstellungsoption (tenure-track) antreten. Hierbei ist anzumerken, dass es sich zumeist um Anstellungen als assistant professor handelt, die zwar direkt zur selbständigen Lehre berechtigen, gleichzeitig jedoch aufgrund der beschriebenen diversifizierten Hochschullandschaft der USA nur zu einer Minderheit an Forschungsuniversitäten mit Doktorandenausbildung angesiedelt sind. Mit dem Aufkommen der strukturierten Ausbildungsformen auf Promotionsebene kann in Deutschland anhand der wenigen zur Verfügung stehenden statistischen Daten bisher keine entscheidende Veränderung der beruflichen Werdegänge der geisteswissenschaftlichen Promovierten festgestellt werden: Sowohl die Wissenschaftsnähe als auch die beruflichen Positionen der individuell bzw. strukturiert Promovierenden (hier der DFG-Graduiertenkollegs) nähern sich spätestens nach einigen Jahren nach der Promotion größtenteils an. Für die Germanistik deuten alle analysierten Daten darauf hin, dass unabhängig vom gewählten Promotionsmodell jeweils nur etwa die Hälfte der Doktoranden in der Wissenschaft an Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen verbleiben wird. Dieses Ergebnis wirft Fragen hinsichtlich der Sinnhaftigkeit von zusätzlich eingesetzten öffentlichen Mitteln für die Förderung
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6 Modelle der Doktorandenausbildung in den Geisteswissenschaften
der strukturierten Promotionsprogramme und der darin eingebundenen Doktoranden sowie der Zweckmäßigkeit der aufwändigen Auswahlverfahren und der postulierten Exzellenz der Programme auf. Andererseits ist Quantität nicht gleich Qualität. Künftige Evaluationen könnten zeigen, ob Unterschiede im wissenschaftlichen bzw. allgemein beruflichen Erfolg zwischen den beiden Gruppen der individuell bzw. strukturiert Promovierenden festgestellt werden können. Ein weiteres Forschungsdesiderat stellen Befragungen promovierter Germanisten zu den von ihnen im Beruf benötigten Qualifikationen sowie deren erfolgter bzw. gewünschter Vermittlung während der Promotion (ähnlich der Ph.D.´s - Ten Years Later-Studie u. a. für die English studies in den USA) dar, die für eine gezielte weitere Ausgestaltung und Optimierung der Promotionsprogramme genutzt werden könnten. Die Polyvalenz eines Doktorgrads in der Germanistik, der neben der Basisvorbereitung auf eine akademische Laufbahn auch für verschiedene Berufe außerhalb der universitären Wissenschaft qualifiziert, erscheint im direkten Vergleich mit der primären Funktion der Promotion in English studies als der Qualifikation zur Hochschullehre vorteilhaft. Die traditionelle Ansicht vieler Doktoranden und Professoren in den USA, dass sich eine Promotion nur dann gelohnt hat, wenn sie mit einer Professur gekrönt wird, gilt für Deutschland in den meisten Fällen nicht. Diese Einstellung wird in den USA darüber hinaus durch verschiedene Initiativen herausgefordert, die eine Öffnung der Doktorandenausbildung auch gegenüber außeruniversitären Karrieren fordern. Ein Beispiel ist das Programm Humanities Out There (H.O.T.) im Rahmen der Reforminitiative The Responsive Ph.D. der Woodrow Wilson National Fellowship Foundation. Zwischen 2000 und 2006 hat die Stiftung 41 Projekte an 20 promotionsanbietenden Universitäten gefördert, in denen innovative Elemente für die Promotionsphase erarbeitet wurden, um die Doktorandenausbildung mit Blick auf die spätere Berufsrealität adäquater zu gestalten. Gleichzeitig wird durch solche Initiativen nach Möglichkeiten gesucht, die Geisteswissenschaften in die weitere Gesellschaft zu tragen, um ihnen auch in Zukunft finanzielle wie ideelle Unterstützung zu sichern. Die Germanistik scheint in diesem wichtigen Aspekt der kontinuierlichen Attraktivität und damit Zukunftssicherung des Faches durch ihre Funktion in der Lehrerausbildung sowie die auch auf Promotionsebene bereits erfolgte prinzipielle Öffnung gegenüber dem außeruniversitären Arbeitsmarkt grundsätzlich gut aufgestellt zu sein. Mit dem Aufkommen der besonders geförderten und auf Exzellenz ausgerichteten strukturierten Promotionsmodelle stellt sich deshalb vielmehr spezifisch die Frage nach der optimalen Qualifizierung derjenigen Doktoranden in der Germanistik, die Spitzenpositionen in der Wissenschaft besetzen und in Zukunft die Disziplin weiterführen sollen. Als eine Möglichkeit bietet
Vergleich und Anregungen
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sich dabei die Nutzung der Reform zur Refokussierung auf die Wissenschaftlichkeit und Disziplinarität. Selbstverständlich werden nicht alle Absolventen strukturierter Promotionsprogramme Germanistik-Professoren. Aber es erscheint für alle Promovierten erstrebenswert, durch die Promotion zu Fürsprechern der Disziplin und der Geisteswissenschaften insgesamt in der weiteren Gesellschaft zu werden. Deshalb sollten der strukturelle und personelle Aufwand sowie die zusätzlichen finanziellen Ressourcen der strukturierten Promotionsprogramme für eine möglichst wissenschaftsnahe und disziplinäre Ausbildung der Promovierenden in der Germanistik eingesetzt werden. In der Breite erscheint für die Geisteswissenschaften ergänzend eine ‚Institutionalisierung der Individualpromotion‘ zukunftsweisend, bei der innerhalb von Dachstrukturen für alle Doktoranden die Vorteile der Individualpromotion bewahrt und mit förderlichen strukturierten Elementen wie Betreuungsvereinbarungen kombiniert werden.
7 Anhang
7.1 Fragebogen für Doktoranden Befragung im Rahmen der Arbeit „Promotion in den Geisteswissenschaften. Modelle der Doktorandenausbildung in Deutschland und den USA am Beispiel der Muttersprachenphilologien Germanistik und English studies“ von Eva Bosbach 1.
Grundinformationen 1.1. An welcher Hochschule promovieren Sie, in welchem Fach/Programm und in welchem Jahr der Promotion befinden Sie sich? 1.2. Was ist Ihr höchster bisher erreichter Hochschulabschluss? 1.3. Sind Sie zur Promotion eingeschrieben, gibt es Einschreibungspflicht? 1.4. In welcher Promotionsform (Individualpromotion, Promotionskolleg, Graduiertenschule usw.) promovieren Sie? 1.5. Was ist die Hauptfinanzierungsquelle Ihrer Promotion (Stipendium, Mitarbeiterstelle, Arbeit außerhalb der Hochschule, Ersparnisse,… )? 1.6. Wie viele/welche Betreuer oder Ansprechpartner haben Sie? 1.7. Was ist Ihre Motivation für die Promotion, warum promovieren Sie? 1.8. Wann ist Ihr voraussichtlicher Prüfungstermin?
2.
Übergang vom Studium zur Promotion 2.1. Wie haben Sie den Ort für Ihre Promotion ausgewählt? 2.2. Kennen Sie in Deutschland in der Germanistik strukturierte Promotionsangebote (Promotionskollegs, Promotionsstudiengänge, Graduiertenschulen)? (welche) 2.3. Spielte bei Ihrer Wahl des Promotionsortes die dortige Promotionsform (Individualpromotion, Graduiertenschule, Promotionskolleg) eine Rolle? (welche) 2.4. Wie haben Sie Ihren Betreuer ausgesucht und Ihr Thema gefunden?
E. Bosbach, Promotion in den Geisteswissenschaften, DOI 10.1007/978-3-531-94142-4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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7 Anhang 2.5. Gab es eine Überbrückungszeit zwischen dem Abschluss Ihres Studiums und dem Promotionsbeginn? (wie lange, warum) 2.6. Sind Sie ein Aufnahmeverfahren durchlaufen? Welches waren die Voraussetzungen für den Beginn der Promotion bzw. für die Aufnahme?
3.
Inhalte und Verlauf der Promotion 3.1. Wie viel Prozent Ihrer täglichen/wöchentlichen Arbeitszeit macht die Arbeit an der Dissertation aus? 3.2. Wo ist Ihr hauptsächlicher Arbeitsplatz und wie gestaltet sich Ihr Arbeitstag? 3.3. Von wem werden Sie bei der Promotion betreut? Beschreiben Sie bitte die Art und Frequenz der Betreuung. 3.4. Entspricht diese Betreuung und ihre Frequenz Ihren Bedürfnissen? 3.5. Was sind die von Ihnen zu erbringenden Leistungen in der Promotion? Gibt es darüber hinaus verpflichtende Teilleistungen? (welche) 3.6. Ist der Ablauf der Promotion strukturiert? (wie; z. B. durch einen festgelegten Zeit- und Arbeitsplan, Fristen, Besprechungstermine, Kolloquien etc.) Wie verbindlich ist diese Struktur? (vorgegeben durch die Hochschule, den Betreuer etc.) 3.7. Sind folgende Elemente während der Promotion vorgesehen: Teilpublikationen, Vorträge, Konferenzbesuche, Auslandsaufenthalt? (welche, wie verpflichtend) 3.8. Haben Sie während Ihrer Promotion bereits publiziert? (was, wo) 3.9. Gab es eine Verteidigung/Beurteilung des Exposés für Ihre Dissertation und wie war diese gestaltet? 3.10. Würden Sie Ihre Promotion (Inhalte, Ablauf) als stärker Praxis- oder theorieorientiert beschreiben und warum? 3.11. Welcher Kategorie würden Sie Ihr Dissertationsthema und Vorgehen überwiegend zuordnen (bei unklarer überwiegender Zuordnung wählen Sie bitte mehrere Kategorien und nummerieren diese nach Rang): a) interpretatorisch und textanalytisch b) komparatistisch c) interdisziplinär d) kulturwissenschaftlich e) stark basierend auf Archivarbeit f) mit vielen Reisen (ggf. auch ins Ausland) verbunden g) empirisch h) andere:
7.1 Fragebogen für Doktoranden
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3.12. Inwieweit denken Sie, dass spezifisch Ihre Promotionsform (Individualpromotion, Graduiertenschule, Promotionskolleg etc.) diese Ausrichtung unterstützt, gut oder nicht gut damit korrespondiert? 3.13. Fühlen Sie sich innerhalb der Hochschule gut vernetzt? Gibt es Austausch mit anderen Doktoranden? (welchen) 3.14. Fühlen Sie sich in die Wissenschaftsgemeinschaft der Geisteswissenschaftler (in der Hochschule und darüber hinaus, national und international) eingebunden? (wie) 3.15. Gibt es im Rahmen Ihrer Promotion Angebote zum Erwerb wissenschaftlicher Schlüsselqualifikationen (z. B. wissenschaftliches Präsentieren, Erstellen von Anträgen, Drittmitteleinwerbung, Teamarbeit und Teamführung, Projektmanagement)? (in welcher Form) Sind Sie mit dieser Situation zufrieden? 3.16. Gibt es im Rahmen Ihrer Promotion Beratungsangebote zur Karriereplanung? (in welcher Form) 3.17. Welche Rolle spielt die Modern Language Association für Ihre berufliche Orientierung? [nur U.S.-Doktoranden] 3.18. Die meisten Promovierten in den Geisteswissenschaften übernehmen im späteren Berufsleben Aufgaben, bei denen die Fähigkeit zur Wissensvermittlung eine wichtige Rolle spielt, ein Beispiel ist die Lehrtätigkeit von Professoren. Haben Sie bereits während Ihrer Promotion Lehrerfahrung gesammelt (wo) bzw. werden Sie auf Ihre spätere Aufgabe als Lehrer oder „Vermittler“ vom Wissen im Allgemeinen während Ihrer Promotion vorbereitet? (wie) 3.19. Lernen Sie während der Promotion selbständiges Arbeiten? (wie) 3.20. Inwieweit denken Sie, dass spezifisch Ihre Promotionsform (Individualpromotion, Graduiertenschule, Promotionskolleg etc.) dies unterstützt? 4.
Promotionsprüfung 4.1. Was sind Bestandteile Ihrer Promotionsprüfung? 4.2. Wie viele Prüfer wird es geben und wie setzt sich die Kommission zusammen? 4.3. Halten Sie die Promotionsprüfung (Art, Umfang) für angemessen? (warum) 4.4. Ist eine Veröffentlichung Ihrer Dissertation verpflichtend? 4.5. Sind außer der Abschlussprüfung weitere qualitätssichernde Elemente im Laufe der Promotion vorgesehen?
286 5.
7 Anhang Persönliche Bewertung 5.1. Beschreiben Sie bitte aus Ihrer Sicht die Vor- und Nachteile Ihrer Promotions-form (Individualpromotion, Promotionskolleg, Graduiertenschule usw.) 5.2. Ist Ihre Promotionsform speziell für Ihr Vorhaben/Thema die richtige? (warum) 5.3. Was würden Sie am Inhalt, Struktur und Ablauf der Promotion gerne ändern? 5.4. Welche Elemente sollten auf jeden Fall beibehalten werden? (warum) 5.5. Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Erwerb eines Doktorgrads in Ihrer beruflichen Zukunft? Ist die Promotion (Inhalt, Struktur, Ablauf) diesen Zielen angemessen? 5.6. Entspricht die Realität der Promotion Ihren ursprünglichen Erwartungen vor Promotionsbeginn? 5.7. Was ist aus Ihrer Sicht der Mehrwert einer Promotion in den Geisteswissenschaften/in der Germanistik (gegenüber dem Studium)? Sehen Sie dabei wichtige Unterschiede gegenüber anderen Fächergruppen? 5.8. Was sind aus Ihrer Sicht speziell in der Germanistik Vor- und Nachteile der beiden Promotionsformen Individualpromotion und stärker strukturierte Angebote wie Graduiertenschulen oder Promotionsstudiengänge?
6.
Verortung im wissenschaftlichen Kontext (Antworten werden nicht veröffentlicht) 6.1.
Wie lautet Ihr Promotionsthema? (Arbeitstitel)
7.2 Fragebogen für Sprecher der strukturierten Promotionsprogramme
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7.2 Fragebogen für Sprecher oder Koordinatoren der strukturierten Promotionsprogramme Befragung im Rahmen der Arbeit „Promotion in den Geisteswissenschaften. Modelle der Doktorandenausbildung in Deutschland und den USA am Beispiel der Muttersprachenphilologien Germanistik und English studies“ von Eva Bosbach 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
13. 14.
15.
Seit wann gibt es die Graduiertenschule? Wie wurde sie gegründet, wer hat sie konzipiert (und ist es die gleiche Person, die sie heute leitet?) Woher kommt die Finanzierung? Wie ist die Graduiertenschule aufgebaut? Gibt es eine Geschäftsstelle, wie viele Mitarbeiter und wie viele Doktoranden? Welchen Anteil machen germanistische Doktoranden aus? Handelt es sich um eine Dachstruktur oder um eine Struktur für ausgewählte Doktoranden? Was sind die Auswahlmechanismen? [Ankündigung der zentralen Frage:] Was wird in Ihrem Modell der Doktorandenausbildung anders gemacht als früher und warum? Welche Promotionsdauer und Struktur bzw. Ablauf der Promotion sind vorgesehen? Gibt es Mechanismen zur Einhaltung der Promotionsdauer? Gibt es von den Doktoranden zu erbringende Leistungen in der Promotion und Zeitpunkte dafür? Sind folgende Elemente während der Promotion vorgesehen: Teilpublikationen, Vorträge, Konferenzbesuche, Auslandsaufenthalt, Vermittlung der Lehrkompetenz? (welche, wie verpflichtend) Gibt es eine Verteidigung oder Beurteilung der Exposés der Dissertationen und wie ist sie gestaltet? Wie funktioniert die Betreuung? (Wie viele Betreuer bzw. Ansprechpartner pro Doktorand? Was ist für beide Seiten vorgeschrieben? Gibt es eine Promotionsvereinbarung? Wer kontrolliert und wie werden Professoren zur Betreuung ‚bewegt‘?) Sucht sich der Doktorand seinen Betreuer selbst und im Vorfeld, also traditionell? Gibt es Vernetzung unter den Doktoranden? (der Germanisten, aber auch in der Hochschule) Gibt es Austausch mit anderen Doktoranden? (welchen) Gibt es Vernetzung auch außerhalb der Hochschule und in der weiteren Gemeinschaft der Geisteswissenschaftler? Gibt es im Rahmen der Promotion Angebote zum Erwerb wissenschaftlicher Schlüsselqualifikationen (z. B. wissenschaftliches Präsentieren, Erstel-
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16. 17.
18. 19. 20. 21.
7 Anhang len von Anträgen, Drittmitteleinwerbung, Teamarbeit und Teamführung, Projektmanagement)? (in welcher Form) Gibt es im Rahmen der Promotion Beratungsangebote zur Karriereplanung? (in welcher Form) Wer sucht die Dissertationsthemen aus und gibt es thematische Einschränkungen? Können Themen aller drei hauptsächlichen Teilgebiete der Germanistik bearbeitet werden? Gibt es typisch gewählte Themengebiete oder eine große Variation? Gibt es eine zugängliche Übersicht der in der Graduiertenschule bearbeiteten Themen? Wie finanzieren sich die Doktoranden? Gibt es dabei Abhängigkeitsverhältnisse, z. B. zum Betreuer? Gibt es eine Einschreibepflicht? Wird begleitende Forschung oder Evaluation durchgeführt? Was sind aus Ihrer Sicht speziell in der Germanistik Vor- und Nachteile der beiden Promotionsformen Individualpromotion und stärker strukturierte Angebote wie Graduiertenschulen oder Promotionsstudiengänge? (Frage konnte aufgrund von Zeitbeschränkungen nicht allen Befragten gestellt werden)
Zusatzfragen für Programme der Exzellenzinitiative: 22. Verspüren Sie einen Druck zur Mittelausgabe? 23. Ist es ein Problem, exzellente Doktoranden zu finden? 24. Gibt es das Problem, dass zu viele Konferenzen veranstaltet werden müssen, aufgrund des Drucks zur Selbstpräsentation (der Programme und der Doktoranden)? 25. Wird die Betreuung oder das Engagement der Professoren in der Doktorandenausbildung an ihr Lehrdeputat angerechnet? 26. Sehen Sie ein Problem der Auflösung der Fächer? 27. Wie sehen Sie die Zukunft des Faches Germanistik und der geisteswissenschaftlichen Fächer bzw. die künftige Doktorandenausbildung dort: Werden alle zu strukturierten Formen übergehen? Was gilt es zu beachten? Was wäre wünschenswert? (Frage konnte aufgrund von Zeitbeschränkungen nicht allen Befragten gestellt werden)
7.3 Internetverweise zu Promotionsordnungen
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7.3 Internetverweise zu Promotionsordnungen der untersuchten strukturierten Programme 1. Freie Universität Berlin, Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften: Gemeinsame Promotionsordnung zum Dr. phil./Ph.D. (ab 12/2008) URL (24.5.2010): http://www.fu-berlin.de/service/zuvdocs/amtsblatt/2008/ab60 2008.pdf. Gemeinsame Promotionsordnung zum Dr. phil. vom 21. Oktober 1985 in der Fassung vom 8. Juli 1998 (auslaufend 12/2012) URL (24.5.2010): http://www.fu-berlin.de/studium/docs/texte/promotion_alt19 98_gemeinsam.pdf. 2. Justus-Liebig-Universität Gießen URL (24.5.2010): http://www.uni-giessen.de/cms/mug/7/findex4.html. 3. Georg-August-Universität Göttingen, Philosophische Fakultät URL (24.5. 2010): http://www.uni-goettingen.de/de/79977.html. 4. Universität zu Köln, Philosophische Fakultät URL (24.5.2010): http://phil-fak.uni-koeln.de/2915.html# c15290. 5. Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Ordnung der Graduate School Practices of Literature des Fachbereichs Philologie URL (24.5.2010): http://www.uni-muenster.de/Practices-of-Literature/Studieren/ Promotionsordnung.html.
8 Literaturverzeichnis
8.1 Quellen Altbach, Philip G.: Doctoral Education: Present Realities and Future Trends. In: Forest, James J.F. und Philip G. Altbach (Hrsg.): International Handbook of Higher Education. Part One: Global Themes and Contemporary Challenges. Series: Springer International Handbooks of Education, Vol. 18. Ohne Ortsangabe: Springer 2006, S. 65-81. American Academy of Arts and Sciences: Humanities Indicators Project. URL (24.5.2010): http://www.humanitiesindicators.org/humanitiesData.aspx. American Council on Education: A Brief Guide to U.S. Higher Education. 2007 Edition. Washington, D.C.: 2007. Antony, James Soto und Christopher Knaus: Graduate Education in the United States. In: Forest, James J.F. und Kevin Kinser (Hrsg.): Higher education in the United States: An Encyclopedia. Volume 1. Philadelphia, PA: ABC-CLIO Publishers 2002, S. 286-290. Bergen-Kommuniqué: Der europäische Hochschulraum – die Ziele verwirklichen. Kommuniqué der Konferenz der für die Hochschulen zuständigen europäischen Ministerinnen und Minister. 19.20. Mai 2005, Bergen. URL: http://www.bmbf.de/pub/bergen_kommunique_dt.pdf (24.5.2010). Berliner Kommuniqué: Den Europäischen Hochschulraum verwirklichen. Kommuniqué der Konferenz der europäischen Hochschulministerinnen und -minister am 19. September 2003 in Berlin. URL: http://www.bologna-berlin2003.de/pdf/Communique_dt.pdf (24.5.2010). Brockhaus Lexikon 2002, die Enzyklopädie digital. Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2002. URL: http://www-fr.redi-bw.de/session/Brockhaus-bfb058bf.html (24.5.2010). Brockhaus' Konversationslexikon. Bd. 1-17. 14. Auflage. Leipzig, Berlin und Wien: F. A. Brockhaus 1894-1896. URL: http://www.retrobibliothek.de/retrobib/stoebern.html?werkid=100150 (24.5.2010). Commission on the Humanities: The Humanities in American Life: Report of the Commission on the Humanities. Berkeley, Los Angeles, Oxford: University of California Press 1980. URL: http://ark.cdlib.org/ark:/13030/ft8j49p1jc/ (24.5.2010). DAAD (Hrsg.): Promotion. Ein Handbuch für Politik und Praxis. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag 2004 (Die internationale Hochschule. Band 3). Deutsche Forschungsgemeinschaft: Qualität statt Quantität – DFG setzt Regeln gegen Publikationsflut in der Wissenschaft. Pressemitteilung Nr. 7, 23. Februar 2010. URL (24.5.2010): http://www.dfg.de/service/presse/pressemitteilungen/2010/pressemitteilung_nr_07/index.html. Deutsche Forschungsgemeinschaft: Förder-Ranking 2009. Institutionen – Regionen – Netzwerke. Fachliche Profile von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Licht öffentlich geförderter Forschung. Weinheim: Wiley-Vch Verlag 2009. URL: http://www.dfg.de/ dfg_profil/evaluation_statistik/ranking/ranking_2009/service/download/index.html (24.5.2010). Deutsche Forschungsgemeinschaft und Wissenschaftsrat: Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen. Merkblatt Graduiertenschulen. URL (24.5.2010): http://www.dfg.de/download/programme/exzellenzinitia tive/merkblaetter/exin3/exin3.pdf.
E. Bosbach, Promotion in den Geisteswissenschaften, DOI 10.1007/978-3-531-94142-4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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8 Literaturverzeichnis
Doughty, Harold R.: Guide to American Graduate Schools. The most comprehensive guide to graduate and professional study in the United States. Tenth edition, completely revised. New York, NY: Penguin Books 2009. Encyclopaedia Britannica 2010, Encyclopaedia Britannica online. Chicago, IL 2010. URL: http://www.britannica.com/ (24.5.2010). Fiegener, Mark K: Doctorate Recipients from U.S. Universities: Summary Report 2007-08. Arlington, VA: National Science Foundation 2009. URL: http://www.nsf.gov/statistics/nsf10309/pdf/ nsf10309.pdf (24.5.2010). Flämig, Christian et al. (Hrsg.): Handbuch des Wissenschaftsrechts. 2., vollst[ändig] überarb[eitete] u[nd] erw[eiterte] Aufl[age]. Berlin: Springer 1996. Forest, James J.F. und Kevin Kinser (Hrsg.): Higher Education in the United States: An Encyclopedia. Volume 1. Philadelphia, PA: ABC-CLIO Publishers 2002. Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Erster Band. A - Biermolke. Leipzig: Verlag von S. Hirzel 1854. Herders Conversations-Lexikon, Freiburg im Breisgau 1854, 1. Auflage 1854–1857, URL: http://www.zeno.org/Herder-1854 (24.5.2010). Hochschulrektorenkonferenz: Zur Zukunft des europäischen Forschungsraums. Entschließung der 7. Mitgliederversammlung der HRK vom 24.11.2009. Bonn: Hochschulrektorenkonferenz 2009. URL (24.5.2010): http://www.hrk.de/de/download/dateien/Entschliessung_europaeischer_For schungsraum.pdf. Hochschulrektorenkonferenz: Statistische Daten zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen. Wintersemester 2009/2010. Bonn: Hochschulrektorenkonferenz November 2009. (Statistiken zur Hochschulpolitik 2/2009). URL (24.5.2010): http://www.hrk.de/bologna/de/down load/dateien/HRK_StatistikBA_MA_WiSe2009_2010_finale.pdf. Hochschulrektorenkonferenz: Die Kleinen Fächer an den deutschen Universitäten. Eine Bestandsaufnahme. Ein Projekt der Hochschulrektorenkonferenz durchgeführt von der Potsdamer Arbeitsstelle Kleine Fächer mit freundlicher Unterstützung des BMBF (Manuskript, ohne Jahresangabe, vermutlich 2008). URL (24.5.2010): http://www.hrk.de/kleinefaecher/StudieKleineFaecher.zip. Hochschulrektorenkonferenz, Referat B1: Doktorgrade die in Deutschland verliehen werden können (Stand: Juni 2008). Quelle: Auswertung der Promotionsordnungen. Bonn: Hochschulrektorenkonferenz 2008. Hochschulrektorenkonferenz: Die Zukunft der Kleinen Fächer. Potenziale – Herausforderungen – Perspektiven. Empfehlung der HRK-Projektgruppe „Kleine Fächer“. Zur Kenntnis genommen vom 103. Senat der HRK vom 13.2.2007. Bonn: Hochschulrektorenkonferenz 2007. URL (24.5.2010): http://www.hrk.de/de/download/dateien/Empfehlung_Kleine_Faecher.pdf. Hochschulrektorenkonferenz: Zur Zukunft der Promotion in Europa. Gemeinsame Erklärung der Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten (CRUS) der Österreichischen Rektorenkonferenz (ÖRK) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Bonn, 27. März 2004. Bonn: Hochschulrektorenkonferenz 2004. URL: http://www.hrk.de/de/download/dateien/DACH.pdf (24.5.2010). Hochschulrektorenkonferenz: Zur Organisation des Promotionsstudiums. Entschließung des 199. Plenums vom 17./18.02.2003. Bonn: Hochschulrektorenkonferenz 2003. URL (24.5.2010): http://www.hrk.de/de/download/dateien/Promotion.pdf. Hochschulrektorenkonferenz: Zum Promotionsstudium. Entschließung des 179. Plenums der Hochschulrektorenkonferenz. Berlin, 9. Juli 1996. Bonn: Hochschulrektorenkonferenz 1996. (Dokumente zur Hochschulreform 113). URL (24.5.2010): http://www.hrk.de/de/beschluesse/ 109_524.php?datum=179.+Plenum+am+9.+Juli+1996+. Hoffer, Thomas B. et al.: Doctorate Recipients from United States Universities: Summary Report 2005. Chicago, Illinois: National Opinion Research Center (NORC) 2006. URL (24.5.2010):
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