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Peter Seele Philosophie der Epochenschwelle
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Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Jens Halfwassen, Dominik Perler, Michael Quante
Band 80
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Philosophie der Epochenschwelle Augustin zwischen Antike und Mittelalter von
Peter Seele
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG)
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-019475-3 ISSN 0344-8142 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2008 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen
Augustinus als Philosoph einer Epochenschwelle Christoph Horn Peter Seeles Monographie wirft neues Licht auf eine ganze Reihe von komplexen Fragen, die sich aus der philosophiegeschichtlichen Stellung des Augustinus ergeben. Sein aspektreiches Buch liefert einen spannenden und zugleich innovativen Blick auf einen Autor, mit dem man im allgemeinen Bildungsbewusstsein die bergangsstelle zwischen dem Altertum und dem frhen Mittelalter verbindet. ber Augustinus sind wir aus eigenen und fremden Zeugnissen vorzglich unterrichtet. Er stellt daher eine nahezu ideale Figur dar, wenn man die Frage abhandeln will, wie sich historische Transformationsprozesse beschreiben und interpretieren lassen. Hinzu kommt, dass sich auf Augustinus eine gewaltige Menge von philosophischen, theologischen, historischen und philologischen Untersuchungen bezieht; seine Person und sein Werk gehçren zu den besterforschten Themen der westlichen Geistesgeschichte berhaupt. Seele nutzt diese Chance, indem er in souvernem Rckgriff auf die vorhandene Forschung neue Akzente in der Bewertung der Figur des Kirchenvaters setzt. Augustinus von Hippo (354 – 430) ist neben Descartes und Kant vielleicht der einzige Autor aus der westlichen Philosophiegeschichte, der uns glauben lsst, das ansonsten verfemte Epochenschema von Antike, Mittelalter und Neuzeit kçnne doch noch ein Kçrnchen Wahrheit besitzen. Denn in Augustins Biographie und seinem Denken kommen die Spannungen und Ambiguitten (Seele spricht hier von ,Fuzziness‘) einer bergangszeit in erstaunlich deutlicher Form zum Vorschein. Einerseits bildet die intellektuelle und politische Welt der Antike den festen Bezugspunkt des Augustinus. Der Kirchenvater gehçrt dem Diskussionskontext der antiken Philosophie an, deren intellektualistische Grundhaltung er bernimmt und an deren Themen, Lehrgehalten und Methoden er sich auch dann orientiert, wenn er spezifisch christliche Themen behandelt. Dasselbe gilt fr den politisch-religiçsen Kontext. Noch in Augustins frhem Erwachsenenalter diskutierte man im christlich gewordenen Rom ber eine Wiederzulassung der heidnischen Kultordnung und ber eine mçgliche Restitution der paganen Staatstheologie;
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Christoph Horn
beides wurde schließlich von Christen wie dem Mailnder Bischof Ambrosius verhindert. Andererseits erweisen sich in Augustins Leben Faktoren als bestimmend, die auf die Vçlkerwanderungszeit und das Mittelalter vorausweisen. Seine Lebenszeit fllt in die Phase des endgltigen Niedergangs des westrçmischen Reichs. Die Einnahme Roms durch die Westgoten am 24. August 410 kommentierte er in dem ausfhrlichen Werk De civitate Dei; und er starb im August 430 in Hippo Regius whrend einer Belagerung der Stadt durch die Vandalen. Eine wichtige Bemerkung ist hier, dass die Epochenbezeichnung ,Sptantike‘ innerhalb der Philosophiegeschichte erheblich problematischer ist als im Fall der politischen Geschichte. Denn whrend es berzeugend wirkt, die Antike in dem Zeitraum zwischen dem Beginn der Vçlkerwanderung (die in der Schlacht bei Adrianopel im Jahr 378 den Hçhepunkt der Auseinandersetzung findet) und der Auflçsung des westrçmischen Reichs (durch die Absetzung von Kaiser Romulus Augustulus im Jahr 476) enden zu lassen, gibt es eine weitgehend kohrente philosophisch-literarische Entwicklung zwischen dem dritten und dem achten Jahrhundert, eine Entwicklung also, die von der politischen Diskontinuitt der Vçlkerwanderungszeit nicht wesentlich berhrt wird. Heidnische Autoren wie die Neuplatoniker Plotin, Porphyrios und Proklos und christliche Philosophen wie Marius Victorinus, Pseudo-Dionysius Areopagita, Boethius und Gregor der Große gehçren derselben intellektuellen Gesamtszenerie an. Es scheint daher nicht angemessen, bei der Festlegung von philosophiehistorischen Epochengrenzen der allgemeinen Geschichte zu folgen; in der Philosophiegeschichte drfte es ratsamer sein, unter der Sptantike den Zeitraum ungefhr zwischen 250 und 700, also grob zwischen dem Regierungsantritt Kaiser Diokletians (284) und dem Tod des englischen Gelehrten Beda (735), zu verstehen. Philosophisch-literarisch gesehen liegen die markanten Einschnitte und Neuorientierungen im dritten und im achten Jahrhundert. Nun kann man die so definierte Sptantike mit einigem Recht auch als eine Art von ,Proto-Mittelalter‘ bezeichnen. Denn die im westlichen Mittelalter zugnglichen antiken Texte wurden in dieser Zeit ausgewhlt, ins Lateinische bersetzt und in maßgeblicher Form kommentiert. Mehr noch, in dieser Zeit fand die fr das Mittelalter wesentliche Begegnung der antiken Kultur mit dem Christentum statt; fr die Herausbildung einer selbstndigen christlichen Literatur, Theologie und Philosophie vollziehen sich hier die entscheidenden Weichenstellungen. Sogar das dogmatische Grundgerst des Christentums wird auf den Konzilien dieser Epoche (und das heißt bis zu einem gewissen Grad auch im Geist
Augustinus als Philosoph einer Epochenschwelle
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dieser Epoche) formuliert. Was die philosophische Fortwirkung der Sptantike anlangt, so lassen sich mittelalterliche Phnomene wie die Dominanz des Platonismus, die bis ins 13. Jahrhundert reicht, die Konzeption eines „nach Erkenntnis suchenden Glaubens“ (fides quaerens intellectum), die Konzeption der sieben freien Knste (septem artes liberales) oder auch die hochdifferenzierte Kommentierungstechnik (einschließlich der philosophisch-allegorischen Schriftauslegung) erst im Blick auf diese historische Konstellation erklren. Es waren die fhrenden christlichen Platoniker Augustinus, Dionysius und Boethius, die fr das frhe, aber auch noch fr das hohe Mittelalter eine prgende Wirkung entfalteten. Vor allem Augustinus, der ein gewaltiges Textcorpus von mehr als einhundert Schriften hinterlassen hat, bildete mit seinem Werk – so lsst sich ohne bertreibung sagen – eine zentrale und maßgebliche Grundlage der mittelalterlichen Philosophie. Wenn es zutrifft, dass Augustinus fr das europische Mittelalter der zentrale Vermittler und Interpret antiker Philosophie ist, dann lsst sich vermuten, dass dem Kirchenvater einige der Innovationen zuzuschreiben sind, die die Philosophie des Mittelalters und der Neuzeit gegenber der Antike aufweist. Vergleichende Untersuchungen zur Philosophiegeschichte erkennen ihm bekanntlich zahlreiche bedeutende Neuerungen zu. Wie berechtigt diese Zuschreibungen sind, darber gehen die Meinungen der Philosophiehistoriker allerdings weit auseinander. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist der Bischof von Hippo derjenige, der erstmals ausfhrlich einen dezisionistischen Willensbegriff formuliert hat, wie er im Sptmittelalter und in der Neuzeit ressierte. Auf Augustinus geht die neuzeitliche Konzeption einer epochenbergreifenden, die Weltgeschichte interpretierenden Geschichtsphilosophie zurck; ebenso drfte das cartesische Cogito von ihm inspiriert sein. Hufig wird behauptet, Augustinus sei der Entdecker des subjektiven Zeiterlebnisses im Unterschied zur physikalischen Außenzeit. Zwar nicht als erster, aber doch in maßgeblicher Form hat der Kirchenvater Wçrter als Zeichen interpretiert; mit seinem Namen ist zudem eine frhe Formulierung des ,semiologischen Dreiecks‘ in der Zeichentheorie verbunden. Augustinus hat sich darum bemht, das Substanz-Akzidens-Verhltnis um eine Theorie der Relationen zu ergnzen. Vermutlich ist er berdies der erste Autor, der die Einheit seiner komplexen Biographie als philosophisches Problem erfasst. Natrlich laden Augustins Innovationen zu pointierten Wertungen ein, die entscheidende Fortschritte oder fatale Fehlentwicklungen mit seinem Werk verknpfen wollen. Gerade die zuletzt genannte Leistung
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Christoph Horn
des Bischofs von Hippo findet sich hufig in geistesgeschichtlichen Entwicklungstheorien. Man behauptet etwa, Augustinus habe in den Confessiones die moderne Identitt mit ihren Charakteristika Freiheit, Einsamkeit, Schulderfahrung und Gebrochenheit antizipiert und maßgeblich vorbereitet. Augustinus, der Ahnherr der cartesischen Erkenntnistheorie, habe mit seiner Wendung nach innen einen verhngnisvollen Schritt vollzogen: auf ihn gehe der moderne ,Irrweg‘ einer Ansetzung ,innerer Gegenstnde‘ und eines weltlosen Ich zurck. Charles Taylor hat in seiner bedeutenden Studie Quellen des Selbst die Genese des modernen Selbstbewusstseins untersucht und dabei die, wie er meint, problematische Tendenz der Moderne herausgestellt, die „innere Stimme meiner wahren Empfindungen“ darber befinden zu lassen, was gut ist (vgl. 1994: 630). Indem Taylor die Bedeutung Augustins fr die cartesische Erkenntnistheorie hervorhebt, behauptet er, der Kirchenvater habe mit der Wendung nach innen einen verhngnisvollen ersten Schritt zur Subjektivierung der Wirklichkeit vollzogen: auf Augustinus lasse sich die moderne ,Verirrung‘ einer Ansetzung innerer Objekte und eines weltlosen Ich zurckfhren. Mit Blick auf solche bergangsphnomene, deren Reichweite man vernnftig einschtzen sollte, leistet Peter Seeles Buch Wesentliches, besonders durch die ntzliche Unterscheidung von Big Bang- und Gradualismus-Perspektive. Seeles Untersuchung hilft uns, falsche Zuspitzungen zu vermeiden und pointierte Entgegensetzungen miteinander zu vermitteln. Die Phnomene von berlappung und Unschrfe sind es, auf die Seele aufmerksam macht. Augustinus hat in seinen Confessiones gleichsam das Genre der selbstkritischen, ja geradezu selbstentlarvenden Autobiographie erfunden. Er scheint der erste gewesen zu sein, der seine persçnliche Entwicklung mit ihren kontinuierlichen Linien wie mit ihren Bruchstellen schonungslos und freimtig dargestellt hat. Insofern ist es von besonderem Interesse, gerade ihn zum Gegenstand einer Analyse der innovativen und beharrenden Faktoren zu machen, die fr jeden Umbruch charakteristisch sind.
Danksagungen Die Dissertation ist entstanden am Institut fr Philosophie der HeinrichHeine-Universitt Dsseldorf und wurde von Prof. Dr. Christoph Kann und Prof. Dr. Dieter Birnbacher formal wie inhaltlich durch regelmßige Gesprche und philosophische Erçrterungen einzelner Fragen bestens betreut. Eingebettet war die Arbeit in den Kontext des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefçrderten Graduiertenkollegs „Europische Geschichtsdarstellungen“ und hier mçchte ich namentlich den Sprechern Prof. Dr. Johannes Laudage und Prof. Dr. Wilhelm Busse sowie dem Professorium und meinen Mitkollegiaten fr viele antreibende Gesprche danken. Die Disputation ist ber die formale Notwendigkeit hinaus zu einem fruchtbaren Gedankenaustausch insbesondere ber die Bekehrung Augustins und deren Auswirkungen auf dessen philosophisches Werk geworden. Neben Prof. Dr. Kann und Prof. Dr. Birnbacher nahmen an diesem Gesprch Prof. Dr. Vittoria Bors als Vorsitzende der Kommission, sowie Prof. Dr. Volker Beeh und Jun. Prof. Dr. Achim Landwehr teil. Abgesehen von den universittsinternen Gesprchen trug der Austausch der hier behandelten Forschungsfrage mit einer Reihe von Wissenschaftlern zum Gelingen der Arbeit bei. Dem zwanglosen Gesprchskreis von Philosophen der Universitten Bonn, Kçln und Dsseldorf verdanke ich wesentliche Verbesserungen der Arbeit sowie die Umschiffungen begrifflicher Unwgbarkeiten. Hier mçchte ich insbesondere Prof. Dr. Christoph Horn (Bonn) sowie Prof. Dr. Andreas Speer (Kçln) danken. Besondere Achtung gilt Prof. Dr. Rudolf zur Lippe, bei dem ich in Oldenburg studiert habe und der die akademische Konzentration auf bergnge und Schwellen als philosophischen Topos maßgeblich gefçrdert hat. Dieses gemeinsame Gesprch dauert seit ber zehn Jahren an. Prof. Dr. Jrgen Werner (Witten/Herdecke) mçchte ich als ausgesuchten Kenner und Gesprchspartner Hans Blumenbergs erwhnen. Unser anhaltendes Gesprch begrndet und begleitet unsere langjhrige Zusam-
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Danksagungen
menarbeit, und seine Kenntnis und Interpretation Hans Blumenbergs bereichert diese Arbeit maßgeblich. Die hier eingebrachte, çkonomische Transformationstheorie zur Untersuchung der Epochenschwelle (Kap. 2.2) geht auf die Beratung durch Prof. Dr. Birger Priddat (Prsident der Universitt Witten/Herdecke) zurck, der meine erste, volkswirtschaftliche Dissertation betreut hat. Prof. Dr. Stephen Erickson vom Pomona College in Los Angeles, mit dem ich auf drei UNESCO Konferenzen in St. Petersburg und Seattle sprechen konnte, mçchte ich erwhnen, da er mit seinem Buch „The Age of Thresholding“ den Gedanken einer Epochenschwelle philosophisch ausgearbeitet und somit die Nische philosophiegeschichtlicher bergangsforschung, in der auch das vorliegende Buch zu verorten ist, als Pionier erschlossen hat. In diesem Zusammenhang mçchte ich auch Prof. Dr. Liubava Moreva aus dem UNESCO Office Moscow danken, die den Kontakt zu Stephen Erickson und seiner Frau Pauline ber das gemeinsame Thema der Schwellen in der Philosophie hergestellt hat. Da dieses Buch das maßgebliche Ergebnis der langjhrigen Arbeit zur Philosophie der Epochenschwelle und zu Augustin ist, mçchte ich weitere Zusammenarbeiten, die im Rahmen des Graduiertenkollegs im Team entstanden sind, hier erwhnen: Zusammen mit der Romanistin Ursula Hennigfeld entstand ein epochen- und disziplinenbergreifender Beitrag zum Thema „Neoplatonismus und epochaler Wandel bei Augustin und Petrarca“. Weiteres Ergebnis der kollegialen Kooperation mit Christian Klein und Holger Sdkamp ist der gemeinsam (und unter meinem alten Nachnamen Sverin) herausgegebene Band „Geschichtsbilder“ (2005). Ist das vorliegende Buch im Fachgebiet Philosophiegeschichte/Geschichtsphilosophie zu verorten, so arbeite ich heute am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen im Bereich der Praktischen Philosophie und dort im Diskurs der Ethik und Verantwortung. Hier danke ich fr die sehr gute und perspektivenreiche Zusammenarbeit Herrn Priv. Doz. Dr. Ludger Heidbrink. Dem Verlag Walter de Gruyter sowie den Herausgebern dieser Reihe, namentlich Prof. Dr. Jrgen Mittelstraß, Prof. Dr. Dominik Perler und Prof. Dr. Jens Halfwassen, danke ich fr das Vertrauen in die Qualitt dieser Arbeit. Dsseldorf/Essen im Juni 2007 Peter Seele
Inhaltsverzeichnis 1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1.1 Wozu Epochenschwellen und warum Augustin als Schlsselfigur der Epochenschwelle Antike-Mittelalter? . . . . .
1
1.2 Augustinforschung im Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Forschungsgeschichte und ihre nationalen Variationen . 1.2.2 Augustin und die Bedeutung des „zum ersten Mal“ . . .
8 10 13
1.3 Augustin- und Epochenschwellenforschung im Ausblick . . . . 1.3.1 „Augustinismus“ als interdisziplinres Forschungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 bergnge, Dialektik, Paradigmen und Neuheit . . . . .
25 25 28
2
Kategorien und Begriffe epochalen Wandels . . . . . . . . . . . .
36
2.1 Der Epochenbegriff aus philosophischer Sicht . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 „Epoche“ als punktueller und zeitrumlicher Begriff . . . 2.1.2 „Mittelalter“ als exemplarischer Epochenbegriff . . . . . . . 2.1.3 Was ist zwischen den Epochen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36 36 39 42
2.2 Modelle der Beschreibung von Wandel, Transformation und Neuheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 ber den „bergang zwischen inkommensurablen Dingen“ (Kuhn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Impulse aus der Transformations- und Transitionsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.1 Wandel als „Wettbewerbsverfahren“ . . . . . . . . . 2.2.2.2 berlappung und „Fuzzyness“ whrend des Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.3 Transformationsarten: Gradualismus und Big Bang-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
„Epochenschwelle“ nach Hans Blumenberg . . . . . . . . . . . .
3.1 Hans Blumenberg als Historiograph
...................
44 45 47 51 53 58 61 61
XII
Inhaltsverzeichnis
3.2 Analyse und Kritik des Begriffs „Epochenschwelle“ . . . . . . . . . 3.2.1 Untersuchung und Bestimmung des Begriffs „Epochenschwelle“ bei Blumenberg . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Kritik des Begriffs „Epochenschwelle“: Begriffsbestimmung des Schwellencharakteristikums . . .
70
4
78
Augustin und die Epochenschwelle Antike-Mittelalter
...
64 64
4.1 Augustin auf der Schwelle 1: „ußerer Wandel“ von der Sptantike zum frhen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4.1.1 Augustin als Reprsentant der Sptantike . . . . . . . . . . . 86 4.1.2 Augustin als Reprsentant des Frhmittelalters . . . . . . 95 4.1.3 Die Eigenstndigkeit der Epochenschwelle und der Fall der Semi-Barbaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.2 Augustin auf der Schwelle 2: Die Bekehrung(en) als „Innerer Wandel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Augustins Konversion: Aporien der Forschung . . . . . . 4.2.2 Dekonstruktion der Konversion: ber das zweifache Analysedesign der Gartenszene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Metabole oder der Big Bang-Ansatz: Die Gartenszene aus Conf. VIII 8 f. als literarische Inszenierung . . . . . . . . . 4.2.3.1 Trennungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.2 Schwellenphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.3 Angliederungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Metabasis oder der Gradualismus-Ansatz: Augustins „peregrinatio“ und „cor inquietum“ . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.1 Herkunft und Disposition: . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.2 Die Hortensiuslektre als „erste religiçse Konversion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.3 Augustin als Hçrer bei den Manichern: „The hidden years“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.4 Neoplatonismus und die „Schwelle zur Kirche“ 4.2.4.5 Ambrosius und die christlichen Neoplatoniker . 4.2.4.6 Paulus „lag in der Luft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.7 Mailand im Sommer 386: Konsolidierung statt Bekehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.8 Cassiciacum: ein philosophischer Weg zum Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.9 Taufe durch Ambrosius in Mailand . . . . . . . . 4.2.5 Synthetische Rekonstruktion der Konversion . . . . . . . .
115 117 125 129 131 140 152 160 165 167 171 178 183 188 190 194 199 202
Inhaltsverzeichnis
XIII
4.2.5.1 Epochenschwelle und Biographie . . . . . . . . . . 202 4.2.5.2 Begriffliche Reformulierung von „Bekehrung“ . 205 4.3 Augustin auf der Schwelle 3: Augustinrezeption in Philosophie und Theologie im Spiegel der Epochen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Der Philosoph Augustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Der Theologe, Bischof und Kirchenvater Augustin . . . . 4.3.3 Augustinismus: „Intellige ut credas, crede ut intelligas“ 5
210 212 221 230
Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
5.1 Historiographisches Fazit: Augustin und die Epochenschwelle Antike-Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 5.2 Fazit zur Augustinforschung: Augustin als „liminal entity“ . . . 250 5.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 6
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
6.1 Verwendete Werke Augustins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 6.2 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Abkrzungsverzeichnis der zitierten Werke Augustins (nach dem Augustinus-Lexikon, Bd. 1, XLIII – XLV) conf. Acad. beata u. doctr. chr. Gn. adu. lib. arb. mag. trin. uera rel. retr. sol.
Confessiones De Academicis De Beata Vita De Doctrina Christiana De Genesi adversus Manichaeos De libero arbitrio De magistro De trinitate De vera religione Retractationes Soliloquia
Zitation conf. VII 6, 11 entspricht: Confessiones, Buch VII, Kapitel 6, Paragraph 11
Jede Zeit ist eine Sphinx, die sich in den Abgrund strzt, sobald man ihr Rtsel gelçst hat. Heinrich Heine Wer von der Realitt einer Epochenwende spricht, belastet sich mit dem Nachweis dafr, dass etwas definitiv entschieden wird. Hans Blumenberg Die grçßten Erscheinungen der Geistesgeschichte sind als bergang Abschluss und Anfang zugleich. Karl Jaspers
1 Einleitung 1.1 Wozu Epochenschwellen und warum Augustin als Schlsselfigur der Epochenschwelle Antike-Mittelalter? Eine Epochenschwelle ereignet sich nicht. Sie findet weder statt, noch lsst sie sich rational erklren oder belegen. Zudem ist es fraglich, ob das bekannte Epochenschema von Antike, Mittelalter und Neuzeit von dauerhaftem Bestand sein wird. Wozu also dann berhaupt Epochenschwellen oder berhaupt Epochen, wo das hinlnglich bekannte Einteilungsschema auf einen ,Scherz‘ der Renaissancehumanisten zurckgehen soll? Oder kritisch gefragt: Darf man die Rede von Epochen berhaupt ernst nehmen, oder ist nicht vielmehr eine ,nominalistische Skepsis‘1 angebracht, wenn es um die Behauptung von Epochen und deren Definition und Abgrenzung voneinander geht? Ja. Man darf und muss sogar, folgt man dem sprichwçrtlichen Satz Goethes, wonach derjenige, der nicht von „3000 Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben“, im Dunkel unerfahren bleibt und „von Tag zu Tage“ lebt. Doch ist es nicht etwas einfach, von „Rechenschaft“ ber die Geschichte zu sprechen? Ohne nher auf die Frage einzugehen, wie zuverlssig historische Erkenntnis oder wie vertrauenswrdig Quellenmaterial ist, bleibt festzustellen, dass das Epochenschema zweierlei leistet: Zum einen liefert es eine Navigationshilfe durch eine ansonsten dunkle und unzugngliche Vergangenheit. Und zweitens wird ber den Gebrauch des Epochenschemas eine Aussage ber die das Epochenschema Benutzenden gemacht, die mehr ber die Gegenwart der Sprechenden als ber die Vergangenheit aussagt (Kap. 2.1). So gesehen ist eine Arbeit am und ber den Epochenbegriff philosophische Rezeptionsforschung und Historiographie zugleich. Durch den Gebrauch von Epochennamen positioniert man sich zur Geschichte und gibt der Vergangenheit Struktur – und Bedeutung. Dies ist die große Leistung und zugleich Anmaßung, die mit der Behauptung 1
Dieser Begriff stammt von Kurt Flasch (1988: 11) und dessen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Epoche und mit Hans Blumenberg. Einen berblick zu dieser Diskussion gibt Christiane Schulz (2001). In dieser Arbeit wird das Argument in den Kapiteln 1.3.2 und 3.2.1 behandelt.
2
1 Einleitung
von Epochen einhergeht. So verwundert es nicht, dass die Renaissancehumanisten in herablassender Art und Weise das Mittelalter als Zeitalter zwischen der Antike, deren Ideale die Renaissancehumanisten reaktivieren wollten, und der Neuzeit, jener damals gegenwrtigen und damit historiographisch undurchsichtigen Zeit, darstellten, die in Abgrenzung zu der Zeit zuvor stehen sollte und deren einziges Attribut die „Neuheit“ oder „Modernitt“ war. Man wollte nichts mehr mit dem Zeitalter, das nun hinter einem liegen sollte, zu tun haben. Die Wesensbestimmung einer Zeit – und hier ist es angebracht, das der Arbeit vorangestellte Wort Heinrich Heines zu erinnern – ist erst mçglich, sobald ihr ,Rtsel‘ gelçst ist. Dann jedoch ist bereits eine neue Zeit angebrochen (aus Sicht der Renaissancehumanisten jene Neuzeit), die wieder ,rtselhaft‘ fr diejenigen ist, die in ihr leben. Epochen sind Bedeutungszuschreibungen, die Sicherheit in der eigenen (und auf rationale Weise nicht zu erklrenden) Gegenwart liefern. Die Funktion dieser Zuschreibung ist, dass man mit bekannten Epochen nicht allein in der sachlichen Bedeutungslosigkeit der Gegenwart leben muss. Epochen sind Kultur, sie geben Identitt und konservieren Erinnerungen fr den einzelnen, der durch das Epochenschema Teil einer Gemeinschaft und ihrer gemeinsamen Erinnerungen an die Vergangenheit wird. Epochen machen die Gegenwart verstndlicher (fr diejenigen, die dessen bedrfen). Dies geschieht, indem die Vergangenheit in der Geschichte erinnert wird und wohl proportioniert als leicht zu merkender Dreischritt mit Betonung auf der antiken Kultur und Bildung Orientierung gibt. Somit geben Epochen der Gegenwart Bedeutung in Form ihres historisch relevanten Bezugs. Antike, Mittelalter, Neuzeit. Soviel weiß (hoffentlich) jedes Kind im Westen und hat damit einen Schlssel in der Hand, eine Reise in die Vergangenheit entlang dreier, konsensfhiger Markationen zu unternehmen. Von hier aus lsst sich auf Wunsch tiefer in die Analyse der Vergangenheit einsteigen und nçtigenfalls streiten, welche Geschichte erzhlt werden kann, soll, darf oder muss. Hans Blumenberg, dem Gewhrsmann der vorliegenden Historiographie, kommt das Verdienst zu, die maßgebliche Arbeit ber die Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit angefertigt zu haben. Unter dem Titel „Die Legitimitt der Neuzeit“ entwirft er eine Theorie der Moderne, in der die Begriffe „Selbstbehauptung“, „Skularisierung“ und „Neugierde“ von zentraler Bedeutung sind. Liest man das Werk jedoch entgegen der gelufigen Rezeption nicht als Theorie der Moderne, sondern
1.1 Wozu Epochenschwellen?
3
als historiographisches Modell, das eine Untersuchung der Zeit vornimmt, die in der epochalen Konstruktion als Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit gehandelt wird, so entwickelt Blumenberg implizit eine Methode zur Untersuchung von Epochenschwellen. Epochenschwellen stellen fr Blumenberg einen „unmerklichen Limes“ dar, der erst in der Differenzialanalyse2 ex post deutlich wird. Da Hans Blumenberg die maßgebliche Arbeit zur Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit angefertigt hat, ist zu fragen, was es ber die zweite große Epochenschwelle des Dreierschemas zu sagen gibt. Nach meiner Kenntnis existiert bisher keine ausdrckliche Arbeit zur Epochenschwelle Antike-Mittelalter. Wohl liegt umfassende Literatur ber den Niedergang der antiken Welt oder das Entstehen des Mittelalters vor. Zugleich gibt es umfangreiche Werke zur Negation des Epochenschemas und insbesondere Kritik zum Begriff des Mittelalters, der als reiner Platzhalter einer Welt im bergang verstanden wird, die sich auf antikes Bildungsgut beruft. Die historiographische Frage nach dem bergang von der Antike zum Mittelalter, nach der Bedeutung der Begriffe fr das Epochenschema berhaupt und fr die jeweilige Gegenwart, ist nach meinem Wissensstand bisher noch bearbeitungsbedrftig. Wenn Epochen eine Kulturleistung mit dem Ziel der Hervorhebung von Bedeutsamkeit darstellen, so ist analog zu Blumenberg zu fragen, was denn die Legitimitt des Mittelalters sei. Diese Frage muss im Gegensatz zur Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit ohne den Selbstbezug der Neuzeit auf die Entstehungszeit der Arbeit Blumenbergs auskommen. Legitimitt meint hier dann die Etablierung eines sprachlich gelufigen Schemas und nicht etwa die Selbstbehauptung und moralische Legitimitt einer Zeit, dessen Kind der Autor selber wre. Deshalb muss gefragt werden, worin die wesentlichen Vernderungen liegen, die uns vom Ende der antiken Welt sprechen lassen und die den Begriff „Mittelalter“ als zu hinterfragenden aber gleichwohl als durch die normative Kraft des Faktischen anzuerkennenden Begriff positionieren.
2
Unter der Differenzialanalyse ist nach Blumenberg die Untersuchung der Epochenschwelle als Differenz der beiden Epochen zu verstehen. Dabei geht es um die „elementare Differenz auf dem Boden der noch gemeinsamen Großfragen“. Der Epoche kommt dabei zu, den Unterschied zu markieren: „Ihre Differenz lsst sich auf den Begriff bringen“ (Blumenberg 1966: 534, auch 1976: 21).
4
1 Einleitung
Warum Augustin? Die Frage nach der Legitimitt fhrt zu der Frage, warum gerade Augustin3 als Untersuchungsobjekt der Epochenschwelle Antike-Mittelalter fungieren soll. Statt einer sofortigen und streitbaren wie nicht zufrieden stellenden Antwort mçchte ich im Sinne negativer Methodologie fragen: Warum nicht Augustin? Warum lsst sich die Epochenschwelle AntikeMittelalter nicht zum Beispiel mit Cicero oder Plotin oder Origines oder Tertullian oder Konstantin oder Marius Victorinus oder Eriugena oder Pseudo-Dionysius Areopagita oder Boethius oder gar Proklos untersuchen und erklren? Die Grundfrage „Warum Augustin?“ muss demzufolge als Anfang gewertet werden, die Frage nach der Epochenschwelle Antike-Mittelalter berhaupt zu stellen. Andere Anfnge wren ebenso plausibel, doch ist es Augustin, der als geeignetste Figur dieser Epochenschwelle anzusehen ist. Dieser Punkt ist im weiteren Diskurs kontrovers zu verhandeln. Da Hans Blumenberg die Methodik liefert, nach welchen Fragen die Untersuchung einer Epochenschwelle anzugehen ist, muss auf den Aspekt der „Differenzialanalyse“ im Hinblick auf Augustin eingegangen werden. Bei Blumenberg sind es zwei Vertreter, die er einerseits vor und andererseits nach jenem „unmerklichen Limes“ der Epochenschwelle verortet: Nikolaus von Cues und Giordano Bruno. Diese Arbeit folgt der Methode der Differenzialanalyse Blumenbergs, bricht aber mit der berzeugung, dass es zwei unterschiedliche Vertreter geben msse, die als reprsentativ fr das nicht-mehr und das noch-nicht anzusehen sind. Und doch bricht sie nicht mit dieser berzeugung, da Augustin nicht als einer allein verstanden wird, sondern der jngeren Forschung folgend als „zwei Augustins“ (u. a. Ferrari 1984). Den Scheidepunkt zwischen Augustin I und 3
Es gibt verschiedene Arten und Weisen, Augustin zu benennen. Entgegen der verbreiteten Weise, „Augustinus“ zu schreiben, wird hier die entlatinisierte Form „Augustin“ verwendet, da die latinisierte Form auf den Referenzrahmen der rçmisch-katholischen Kirche verweist. Es ist jedoch das ausdrckliche Anliegen dieser Arbeit, Augustin nicht exklusiv als Theologen, Kirchenvater oder Heiligen zu verstehen, sondern disziplinenlos als „evolging ego“ (Forman), dessen stetige Wandlungen hier als charakteristischer angesehen werden als sein Rezeptionsgrad durch das Christentum und die Theologie. Insofern wird hier der entlatinisierte Name „Augustin“ verwendet, wie es in der englischen Fachliteratur mit „Augustine“ ebenso probat ist. Um die Lesbarkeit der Arbeit zu verbessern erlaube ich mir in Originalzitaten, in denen von „Augustinus“ die Rede ist, den Begriff „Augustin“ zu verwenden.
1.1 Wozu Epochenschwellen?
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Augustin II4 stellt die Bekehrung dar, die einen unscharfen Zeitraum von ca. zehn bis 13 Jahren zwischen Augustins Zeit in Mailand (386) und in Hippo einnimmt. Sind Epochenschellen aus rationalistischer Sicht eine Anmaßung, die dem ,konomieprinzip der Wissenschaft‘ nur unter Vortuschung von Bedeutsamkeit entrinnen kann, so ist die These, dass Augustin als Projektionsflche fr die Untersuchung der Epochenschwelle Antike-Mittelalter gelten kann, nicht risikolos. Deshalb ist es hier gleich zu Beginn der gesamten Untersuchung geboten, Beistand und Gewhr von anderen Theoretikern einzuholen. Die hier vorgebrachte These lautet, dass sich in und durch und ber Augustin hinweg der Wandel von der Antike hin zum Mittelalter exemplarisch vollzogen hat. Diese exponierte bergangsposition Augustins ist in der Literatur nicht neu, spricht man beispielsweise von Augustin als „Janusfigur“ (Brown 2000: 497), von „Augustin auf der Schwelle“ oder von Augustin als „Pontifex zwischen der antiken und der mittelalterlichen Welt“ (O’Meara 1997: 31). Neu ist hingegen, diese Beobachtung zum expliziten Forschungsgegenstand zu erheben, anstatt sie als beilufige Charakterisierung zu verstehen, wie sie den hier angefhrten Beispielen entnommen sind. Auch wenn Kurt Flasch als vehementer Gegner des Epochenschemas angesehen werden muss, so formuliert er in unmissverstndlicher Klarheit den Zusammenhang zwischen Augustins Entwicklung und der Epochenschwelle Antike-Mittelalter. Flasch schreibt: „In Augustins intellektueller Entwicklung vollzog sich der bergang von der Antike zum Mittelalter“ (Flasch 1994: 10). Seine berzeugung trgt wesentliche Teile dieser Untersuchung und muss als hauptschlicher Impuls zur Entwicklung der Forschungsfrage verstanden werden. Zur historischen Situiertheit Augustins, die einen fr diese Untersuchung fruchtbaren Streitpunkt in der Literatur darstellt, ist mit Barbara Feichtinger festzustellen, dass die „alte Streitfrage, ob man Augustin der Antike oder dem mittelalterlichen Katholizismus zuzurechnen habe, […] man im Sinne eines Sowohl-alsauch beantworten“ msse (Feichtinger 2002: 85). Das Vermittelnde der historischen Position Augustins – ganz abgesehen von seiner persçnlichen Entwicklung – prdisponiert Augustin wie wenige andere5, als Schls4 5
In diesem Sinne kçnnte man auch von Augustin und Augustinus sprechen, um die Unterschiedlichkeit bei gleichzeitiger Personalunion zu betonen. Fr die Philosophiegeschichte ist hier insbesondere Boethius zu nennen, wie dies Andreas Speer u. a. ausfhrt: „Neben Augustinus verkçrpert Boethius einen
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selfigur der Epochenschwelle Antike-Mittelalter wahrgenommen zu werden.6 Die Reihe der Stimmen, die Augustin sowohl von seiner Situiertheit, als auch von seinem Beitrag her als eng verbunden mit der Epochenschwellen Antike-Mittelalter benennen, sind zahlreich und sollen im weiteren nicht den knappen Raum der Einleitung einnehmen.7 Stattdessen ist es ratsam, ein weiteres Argument fr die Frage „Warum Augustin?“ anzufhren. Neben seiner historischen Situiertheit und der damit korrespondierenden geistigen Entwicklung ist Augustin besonders gut geeignet, als Untersuchungsobjekt des epochalen Wandels zu fungieren, da seine Werke wie die keines zweiten in ihrem Umfang weitestgehend erhalten sind. Zudem sind sie dank der kurz vor seinem Tod verfassten Retractationes in ihrer Chronologie archiviert. Doch in dieser aussichtsvollen Quellensituation liegt zugleich eine der wesentlichen Gefahren der Augustinforschung: Augustins Werke sind zwar bestens dokumentiert, doch besteht in der Arbeit mit den Werken die Gefahr, die Geschichte so wiederzugeben, wie Augustin dies seinem Leser nahe gelegt hat (vgl. dazu O’Donnell 2001: 9). So steht nach Schçpf jedes Bemhen, die Erkenntnisse Augustins nachzuvollziehen, noch in deren Wirkungsgeschichte (Schçpf 1979: 9). Ob es soweit tatschlich geht, steht sicher zur Diskussion, doch ist die Sichtweise, wie sie hufig in der Literatur insbesondere theologischer Provenienz vorzufinden ist, denkbar ungeeignet, etwas ber Augustin zu erfahren, was nicht dem in den Confessiones geußerten Missionsgedanken entspricht. Dieser Wirkungsgrad Augustins, der nicht nur auf das Mittelalter, sondern auch und vor allem bis in die Gegenwart reicht, wird von vielerlei Seite mit Superlativen bedacht (vgl. Kap. 4.3): Augustins Lehren zu studieren sei gleichbedeutend mit dem Studium seines Einflusses auf die Welt, verkndet Portalie (1960: 81). Luman (1990) und Pelikan (1990)
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zweiten Typus eines Integrationsmodells, das in den genannten Pariser Debatten im Ausgang des 13. Jahrhunderts neben dem augustinischen Erbe in seiner Eigenstndigkeit wahrgenommen werden muss“ (Speer 1998: 686). Auch Eva Elm weist darauf hin, dass Augustin in eine Zeit geboren wurde, die „derart von Umbruch und Wandel gekennzeichnet [ist … und] in der sich, was den abendlndischen Westen angeht, der bergang von der Sptantike zum Mittelalter vollzog“ (Elm 2003: 160). Exemplarisch Herbert Deane: „The age in which St. Augustine lived and wrote […] was a period of profound disturbances, marking the transition from the classical civilization of Greece and Rome to the Christian civilization of Western Europe (Deane 1963: 2 f.). Fr weitere Zuweisungen, die Augustin historisch positionieren, ist das Kapitel 4.1 und dabei insbesondere 4.1.3 zu konsultieren.
1.1 Wozu Epochenschwellen?
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sind der Meinung, dass man durch die Beschftigung mit Augustin den Westen verstehen lernen kçnne, und der Theologe Geerlings adaptiert jenes berhmte Diktum Whiteheads ber Plato, wenn er behauptet, dass die abendlndische Theologiegeschichte aus einer „Reihe von Fußnoten zu Augustin“ besteht (Geerlings 2002b: 148). Doch was macht nun jenen Wirkungsgrad Augustins aus, der Gelehrte verschiedener Fachrichtungen zu derart emphatischer Wertung anhlt? Augustin erreicht diese einzigartige Position dadurch, dass er ungeachtet von Lehrtraditionen oder -zugehçrigkeiten sowohl die Heiden, als auch die Christen, die Philosophen, wie auch die Theologen mit seinen Schriften erreichte und erreicht, da alle fr sich genommen Zugang zu seinen Gedanken und seiner Person finden und sich mit ihnen auseinandersetzen (vgl. Pelikan 1999: xiii). Auch dieser kommunikativen Multiplikatorwirkung ist es geschuldet, dass die Frage „Warum Augustin?“ hier ein weiteres, befrwortendes Argument fr sich verbuchen kann. Das wichtigste und hier in der Einleitung abschließende Argument ist die besondere Disponiertheit Augustins, fr die er im Zweifel selber nicht verantwortlich ist, die jedoch den Nhrboden fr seine maßgeblichen Entwicklungen und Errungenschaften bildete. Den erhellenden Beitrgen John Rists ist in dieser Frage zu entnehmen, dass zwar viele versucht haben, die Gedanken der niedergehenden grko-rçmischen Antike zu transformieren, dass aber Augustin der „radikalste und einflussreichste Denker“ jener Zeit war. Dabei, und hier macht Rist einen entscheidenden Punkt, waren die Transformationen, die Augustin beabsichtigte, nicht immer diejenigen, die er hervorgebracht hat (Rist 1994: 1). Dieser Punkt ist deshalb von schwerwiegender Tragweite, da damit jegliche Spekulation entkrftet wird, Augustin habe sich bewusst an diesem Kipppunkt einer epochalen Umwlzung wahrgenommen und dementsprechend intentional die nachfolgende Zeit ber Jahrhunderte hinweg geprgt.8 Aus diesen Grnden ist ersichtlich, warum Augustin fr die Untersuchung der Epochenschwelle Antike-Mittelalter aus philosophischer Sicht eine gute, geradezu zwingende Wahl darstellt. Andere Figuren oder Anlsse sind gleichsam bedeutungsvoll oder plausibel, nur scheint Au8
Wie dies beispielsweise Petrarca tat, der sich maßgeblich auf Augustin und dessen geistige Entwicklung bezog, als er sein Bekehrungserlebnis auf dem Mont Ventoux in den Confessiones lesend hatte. Zur Verbindung von Augustin und Petrarca im Hinblick auf epochalen Wandel siehe Hennigfeld/Saeverin (2005).
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gustin wie kein zweiter geeignet, eine erste, ausfhrliche Untersuchung zur Epochenschwelle Antike-Mittelalter mit der Begrifflichkeit und Methode Hans Blumenbergs zu befruchten.
1.2 Augustinforschung im Rckblick Augustin ist ein vielfltiger Gegenstand der Forschung. So beziffert Hubertus Drobner in seinem Forschungsberblick zur Augustinusforschung allein die Anzahl der jhrlich erscheinenden, wissenschaftlichen Verçffentlichungen zu Augustin auf bis zu 500 (Drobner 2002: 19). Bedenkt man dabei, dass Augustin in verschiedenen Disziplinen als Forschungsgegenstand verstanden wird, so liegt der Schluss Drobners nahe, dass es unmçglich ist, die Flut der Verçffentlichungen systematisch zu erfassen. Dieser Situation ist auch diese Arbeit ausgesetzt und so besteht ein wesentlicher Teil in der Rekapitulierung der Forschungsliteratur, die im Licht der Untersuchungsperspektive einer neuen Synthese zugefhrt wird. Es ist jedoch nicht nur die Quantitt der Forschung, sondern auch ein qualitatives Element, das einen umfassenden berblick zur Augustinusforschung nahezu unmçglich macht. Die Forschungsschwerpunkte verndern sich laut Peter Brown zu Augustin fortlaufend, was nur bedingt auf die Entdeckung neuer Quellen9 zurckzufhren ist (Brown 2000: viii). Weiterhin ist neben der komplexen Forschungslage zu bercksichtigen, dass der wissenschaftliche Zugang zu Augustin eine nationale oder kulturelle Differenzierung aufweist, auf die im Laufe des Kapitels einzugehen ist. Grundstzlich kann mit James O’Donnell, dem Verfasser des dreibndigen Kommentars zu den Confessiones, festgestellt werden, dass Augustin dem Leser letztlich unzugnglich bleibt, da die Lektre gegenber dem persçnlich motivierten und dem von der Person durchdrungenen Werk Augustins durch eine „Inkohrenz“ charakterisiert ist, die sich nicht aufheben lsst (O’Donnell 1992a: xix). Diese „Inkohrenz“ hat jedoch nicht nur mit der spezifischen Lebenssituation Augustins zu tun, die es dem Leser erschwert, das Werk vollstndig zu durchdringen, sondern 9
Dazu zhlen die „Dolbeau Predigten“ und die „Divjak Briefe“, die jedoch weniger dem philosophischen und literarischen Werk Augustins neue Erkenntnisse vermachen, als vielmehr Aufschluss ber die Person Augustin erlauben, der demnach als weniger autoritr erscheint (vgl. Brown 2000: 445).
1.2 Augustinforschung im Rckblick
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diese Unzugnglichkeit hat ihren Ursprung auch darin, dass Augustin dem Leser wesentliche Informationen vorenthlt, so zum Beispiel die Namen der Autoren der neoplatonischen Schriften, die so prgend fr Augustins Arbeit und Leben waren oder den Namen des Kaisers, vor dem er 385 in Mailand sprach (Frend 1989: 252). Diesem Umstand, so kann gefolgert werden, verdankt die Augustinusforschung ihr enormes Forschungsdesiderat, da es einerseits mit den Retractationes einen erstaunlich genauen berblick zu Augustins Werk gibt, die den Retractationes auch die Wortschçpfung einer „Autobiobibliographie“ (Pelikan 1999: xiv) eingetragen hat. Andererseits jedoch bleiben bei der Flle von Details und Werken wesentliche Faktoren ungeklrt, die der Nachwelt mitzuteilen Augustin ein leichtes gewesen wre, gerade auch da dieser sich der Wirkung seiner Schriften durchaus bewusst war.10 Fr diese selektive Wahl von Informationen kçnnen keine gesicherten Grnde angefhrt werden. Es kann nur vermutet werden, dass Augustin nichts niederschrieb, was entweder nicht von der Loslçsung von seiner Vergangenheit zeugte, oder was nicht die Autoritt der Kirche untersttzte (Frend 1989: 252). Was die Augustinlektre und damit die Voraussetzung der Forschung angeht, so gibt James O’Donnell als Herausgeber des Kommentars zu den Confessiones folgenden Rat an den Leser: Dieser bedrfe eines gehçrigen Respekts vor der „Ambiguitt“, die ihm im Werk Augustins begegnet (O’Donnell 1992a: xix). Dieser Appell ist auch ber die Confessiones hinaus zu beachten und kann als die Grundherausforderung der Augustinlektre verstanden werden, die gleichermaßen als Erklrung fr die hohe Anzahl an Forschungsbeitrgen herangezogen werden muss, da die von O’Donnell so bezeichneten „Ambiguitten“ der Augustinforschung der Deutung und somit weiterer Forschung bedrfen.
10 So adressiert Augustin seine Gedanken in den Confessiones explizit an das „Menschengeschlecht, wie klein auch das Hufchen sein mag, das einst an dies mein Buch geraten wird“ (conf. II 3,5). Wie groß es tatschlich sein wrde, spielt dabei keine Rolle, denn entscheidend ist die Haltung zur Verfassung der Gedanken.
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1.2.1 Forschungsgeschichte und ihre nationalen Variationen Spricht man von „Augustinusforschung“, so ist dies eine erklrungsbedrftige Verallgemeinerung. Damit ist beispielsweise noch nicht geklrt, in welcher Disziplin (heutigen Verstndnisses) die jeweilige Forschung angesiedelt ist und welcher Strçmung sie innerhalb der Augustinusforschung angehçrt. Differenziert man nicht wie blich nach der Fcherzugehçrigkeit (was sich durch die Interdisziplinaritt des Augustin-Interesses anbietet), so ist ein strukturelles Kriterium der Einteilung der Sprachraum. Es kann mit Christoph Horn angemerkt werden, dass die „deutschsprachige Augustinusrezeption […] dem Kirchenvater niemals eine Bedeutung beigemessen [hat], die seiner Stellung in Frankreich oder Italien vergleichbar wre“ (Horn 1995: 9). Doch wie gehen die verschiedenen Forschungstraditionen an das umfangreiche Werk Augustins heran? Hubertus Drobner (2002) gibt einen anschaulichen berblick ber die verschiedenen Ausrichtungen. Demnach betonen deutsche und çsterreichische Studien lexikographische Belange. Christoph Horn geht detaillierter auf die deutschsprachige Augustinusforschung ein, die „zwischen einem kritisch-entlarvenden und einem apologetisch-positiven Bild des Kirchenvaters“ (Horn 1995: 9) schwankt. Im Gegenzug verfolgt nach Drobner die Forschung des sdlichen Mittelmeerraums, wozu auch die von Christoph Horn angesprochene Forschung Frankreichs und vor allem Italiens zhlt, noch immer eine traditionell scholastische und philologische Linie. Zur franzçsischen Forschungslinie, welcher der wesentliche Impuls der Forschungsgeschichte im 20. Jahrhundert durch den „Augustinologen“11 Pierre Courcelle zu verdanken ist, ist im weiteren anzumerken, dass dort die Bindung Augustins nach Nordafrika als seinem Vaterland besonders stark verfolgt wird. Damit wird nach van der Lof die Parteinahme Augustins gegen Rom zum Ausdruck gebracht (van der Lof 1989: 364). In jngerer Zeit spielt sich ein Grossteil der gegenwrtig relevanten Augustinusforschung im englischen Sprachraum ab, die nach Drobner durch zwei Tendenzen beschrieben werden kann. Zum einen durch eine anhaltende bersetzung der Werke Augustins ins Englische und zum anderen durch eine Ausrichtung der Forschung an gegenwrtigen Fragestellungen sowohl der Sozialwissenschaften als auch der Literaturwissenschaften (Drobner 2002: 31). 11 Dieser Begriff fr Pierre Courcelle stammt von John Quinn (Quinn 2002: 460).
1.2 Augustinforschung im Rckblick
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Diese Forschungsrichtung scheint sich mehr und mehr auch in den „alten“ Forschungstraditionen durchzusetzen. Drobner spricht von einer „Globalisierung“ der Forschung: „The dawn of the third Christian millennium brings with it a more international and, therefore, greater cross-cultural collaboration in the development of research methods in Augustinian studies“ (Drobner 2002: 31). Gemß dieser Tendenz soll auch die vorliegende Arbeit als Beitrag einer forschungskulturbergreifenden Arbeit am Werk Augustins verstanden werden, das die Forschungsmethoden nicht aus einer einzigen Disziplin oder Tradition heraus legitimiert, sondern als ein Netz der tragfhigsten Ergebnisse sowohl der Augustinusforschung als auch der Forschungsdisziplinen anzusehen ist. Forschungsgeschichte Um die gegenwrtige Augustinusforschung nicht als entkoppelte Forschung im Raum der interdisziplinren Indifferenz zu belassen, ist es erforderlich, in groben Zgen die Forschungsgeschichte zu Augustin nachzuzeichnen, wie sie fr diese Arbeit von Belang ist. So ist denn die dichotomische Frage „Christ oder Neoplatonist?“ erst ab den 1950er Jahren zur paradigmatischen Frage der Forschung durch das einer „kopernikanischen Wende der Augustinusforschung“ (O’Donnell 1992a: xxi) gleichkommende Buch Pierre Courcelles mit dem Titel „Recherches sur les Confessions de Saint Augustin“ geworden. Erst in den letzten Jahren entwickelt sich die Forschung langsam von der dichotomischen Frage weg hin zur These der Koexistenz der „two Augustines“ (Ferrari 1984) und schließlich weiter hin zu der vermittelnden Funktion des „Brckenkopfes“ (Brown 2000) oder des „Zentaur“ (Herrera 1994) oder eben der „Schwellenfigur“, wie sie hier vertreten wird. Einzusetzen ist von daher mit der Zeit vor Pierre Courcelle. Es lsst sich im allgemeinen ber diese Zeit sagen, dass die Augustinforschung nicht von in verschiedene Lager spaltenden Fragen getragen wurde. So verdeutlicht James O’Donnell, dass es „vor hundert Jahren sicher war zu behaupten, wovon die Confessiones handelten.“ Die Confessiones wurden als autobiographische Schrift verstanden, wobei der „Fokus auf den ersten neun Bchern lag und die Gartenszene zur Bekehrung des Augustin aus Buch VIII hatte die Selbstverstndlichkeit eines Klischees“ (O’Donnell 1992a: xx). So ist weiter festzustellen, dass die Augustinusforschung jener Zeit sich im wesentlichen auf die Confessiones und die anderen Hauptwerke wie De civitate dei oder die theologisch relevanten De Trinitate oder
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De Beata Vita beschrnkte. Auch hier kann festgestellt werden, dass die Forschung mittlerweile deutlich differenzierter vorgeht, gleichwohl die genannten Hauptwerke noch immer die meiste Aufmerksamkeit auf sich vereinen. Doch lçst man die Forschungsfrage von der Exegese der Werke, so stellt sich die Frage nach der Person Augustins, und diese Frage wurde erst mit Pierre Courcelle zur breit diskutierten Forschungsfrage. Eugene Portalie fhrt beispielsweise aus, dass sich bis zum 20. Jahrhundert die Frage gar nicht stellt, ob Augustin nach seiner Bekehrung Christ oder Neoplatonist war, da er eindeutig als Christ wahrgenommen wurde (Portalie 1960: 15). Die paradigmatische Augustinforschung der Zeit vor Pierre Courcelle prgten O’Donnell (1992a: xxi) zufolge Alfaric, Boyer und von Harnack. Abgelçst wurde dieses „Paradigma“ im wesentlichen durch franzçsische Beitrge, die in den 1940er Jahren entstanden und schließlich in Pierre Courcelles „Recherches sur les Confessions de Saint Augustin“ gipfelten. Als Vorlufer fr Pierre Courcelle ist das ebenfalls in Frankreich entstandene „Saint Augustin et la fin de la culture antique“ von Henri Marrou (1938) anzusehen. Doch was hat Pierre Courcelle ,Revolutionres‘ zur Augustinusforschung beigetragen? Diese Frage kann im wesentlichen durch zwei Punkte beantwortet werden. Zum einen war es die bis dato unbliche Kritik gegenber den Quellen, die Courcelles Werk auszeichnet. So hat er die Texte Augustins auf „intellektuelle und emotionale Strçmungen“ hin untersucht, die Augustins Leben und damit Werk beeinflusst haben. Aus diesem Ansatz geht zweitens hervor, dass Courcelle der erste war, der den Einfluss des platonischen Denkens auf den jungen Augustin in extenso untersucht hat. Die grçßte Errungenschaft war jedoch der Hinweis auf die Durchdringung der christlichen Intellektuellen um Ambrosius in Mailand durch den Neoplatonismus (O’Donnell 1992a: xxi). Diese im dritten Kapitel unter der berschrift „Aux Sermons d’Ambroise: La dcouverte du No-Platonisme chrtien“ aufgeworfene These begrndet die Forschungsgeschichte der folgenden Jahrzehnte, die sich unter der Frage zusammenfassen lsst: „War das Christentum fr Augustin bloß eine opportune Verkleidung, durch die er seine Ideen und Gedanken prsentieren konnte, die vom Ursprung her nicht-christlich waren?“ (O’Donnell 1992a: xxvii). Die Besonderheit im Werk Pierre Courcelles ist, dass er einen Mittelweg gefunden hat, Augustin weiterhin als Christ zu verstehen, jedoch andererseits darauf beharrt, dass das Christentum Augustins ein platonisches war. Diesen Punkt stellt Courcelle im Gegensatz zu den For-
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schungsbeitrgen vor ihm in den historischen Zusammenhang, durch den er aufzeigt, dass die Christen um Ambrosius in Mailand um 380 durch und durch von platonischen Gedanken geprgt waren (O’Donnell 1992a: xxvii). Die Augustinusforschung hat durch Pierre Courcelle vielfltige Impulse erfahren, welche die Forschungsaktivitt nicht nur in Frankreich, sondern weltweit mit unterschiedlichen Schwerpunktverteilungen beeinflusst. Und gerade in der jngeren Vergangenheit setzt sich mehr und mehr Kritik an der spaltenden Fragestellung Courcelles durch, die bis hin zur Ablehnung der Thesen fhrt, etwa bei John Quinn, der behauptet, dass Courcelles Schlsse einer nheren Untersuchung nicht standhalten kçnnen (Quinn 2002: 460). Gleichwohl ist festzuhalten, dass Pierre Courcelles Untersuchung als ein Meilenstein anzusehen ist, der die Augustinforschung deutlich voran gebracht hat. 1.2.2 Augustin und die Bedeutung des „zum ersten Mal“ Wie bereits erwhnt, gibt es neben Augustin weitere ,Anwrter‘, die als signifikante Schwellenfiguren und damit als „Agenten der Innovation und Vernderung“12 dieser Epochenschwelle wahrgenommen werden kçnnen. Boethius, Konstantin oder Cicero sind nur als die schrfsten Konkurrenten zu erwhnen. Doch wie lsst sich die erhçhte Signifikanz Augustins gegenber anderen mçglichen Schwellenfiguren belegen? „Aus der Forschung“ lautet der Ansatz, der hier vertreten wird, denn in der Forschungsliteratur wird auf Augustin als Begrnder des westlichen Denkens verwiesen. Ernst Cassirer nannte Augustin sogar den „Pionier des mittelalterlichen Denkens“ (Cassirer 1996: 27). Um Augustins prominente Stellung als Schwellenwesen in der Forschungsliteratur zu belegen, ist zum einen eine rein qualitative Ebene zu beachten, durch welche auf die Bedeutung Augustins durch publizistische Ttigkeit und Rezeption verwiesen wird. Denn Leben und Werk keines anderen Autors der Zeit ist so umfangreich und unterbrechungslos von historischen Quellen und Selbstzeugnissen begleitet. Zum anderen sind es die qualitativen Aussagen, die von anderen ber Augustin gemacht werden und die ihn qua der Autoritt dieser anderen Forscher als signi12 Als solche werden Schwellenwesen nach Viktor Turner gesehen (vgl. SchomburgScherff 1986: 248). Diese These wird in Kap. 5.2 dieser Untersuchung auf Augustin bertragen und zum Ergebnis formuliert.
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fikant erscheinen lassen. Diese Aussagen verweisen nicht nur auf die Grçße Augustins im rezeptiven Sinne, sondern nehmen dabei zugleich eine Charakterisierung vor, wenn Augustin beispielsweise von Eugene TeSelle als „Kompatibilist“ (TeSelle 2000: 329) beschrieben wird. Quantitative Ebene Auf der quantitativen Ebene der Betrachtung ist eingangs festzustellen, dass Augustin durch das Verfassen der Retractationes einen wesentlichen Grundstein zur systematischen Erfassung seiner Werke gelegt hat. Ferner ist die bereits kurz nach Augustins Tod angefertigte Biographie des Possidius eine gnstige Ausgangsvoraussetzung zur zuverlssigen13 Systematisierung und Einordnung des Werks. Als ein weiteres, quantitatives Merkmal aus der Zeit Augustins sind die Briefe zu nennen, sowohl was die Menge, als auch und vor allem, was die Streuung der Empfnger angeht. So fhrt Gerald Bonner aus, dass Augustins Korrespondenz ein weites Spektrum abdeckte, da er sich einerseits mit offiziellen Wrdetrgern wie Bonifacius, dem Oberkommandanten in Afrika und Marcellinus, dem kaiserlich Beauftragten, zur Schlichtung des Donatistenstreits schrieb, wie auch beispielsweise mit einem Mdchen namens Florentina, die Augustin um Rat bat (Bonner 1963: 146). Vor diesem Hintergrund muss die eindrucksvolle Zahl von ber fnf Millionen Wçrtern betrachtet werden, auf die das erhaltene Werk Augustins sich sttzt und welches als „integraler Bestandteil der Entwicklung des westlichen Denkens“ bezeichnet wird (Fitzgerald 1999: xv). Doch ist dieses Werk nicht selbstverstndlich ber die Jahrhunderte erhalten worden. Die erste vollstndige Edition der Schriften Augustins wurde erst ca. 1000 Jahre nach dessen Tod im Jahre 1506 in Basel vorgenommen. Mittlerweile gibt es das Gesamtwerk Augustins auf CD-ROMs, welche aus zwei Forschungszentren hervorgegangen sind, wobei vom Augustinus-Lexikon in Wrzburg eine nahezu vollstndige Bibliographie angefertigt wurde.14 Die gegenwrtige Augustin-Bibliographie umfasst dem13 So stellt A. Bastiaensen fest, dass – abgesehen von einzelnen Details – die Informationen verlsslich sind (Bastiaensen 1985: 483). 14 „The research centre Cetedoc in Leuven, Belgium, and the Augustinus-Lexikon in Wrzburg, Germany, have both prepared CD-ROMs containing the complete works of Augustine, the former including an Index of Latin Forms, the latter the most comprehensive Augustinian bibliography“ (Drobner 2002: 19).
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nach 20 000 Titel und beluft sich auf ein weltweites Quantum von ber 50 000 Titeln (Drobner 2002: 19). Eine weitere Zahl, die im Zusammenhang mit Augustins Werk zu nennen ist, ist der Umstand, auf den Christoph Horn jngst aufmerksam gemacht hat, dass sich nach H.J. Vogels „zwei Drittel der gesamten Bibel“ aus Augustins Schriften rekonstruieren lassen (Horn 1995: 138). Davon entstammen 13276 Zitate dem Alten und 29540 Zitate dem Neuen Testament (ebd.). Ebenso hat Augustins Werk dazu beigetragen, den verlorenen Hortensius des Cicero, der eine der maßgeblichen Quellen der Inspiration fr den jungen Augustin war, zu rekonstruieren. Schließlich bleibt noch auf die bereits angesprochene, gegenwrtige Forschungssituation hinzuweisen, zu der Hubertus Drobner die Zahl von jhrlich bis zu 500 neu hinzukommenden Publikationen zu Augustin anfhrt (Drobner 2002: 19). Diese Zahlen kçnnen als ein erstes Indiz genommen werden, dass Augustin ber die Zeit hin und gerade auch in der Gegenwart von herausragender Bedeutung ist. Im Vergleich mit anderen Denkern kommt Augustin darber hinaus zugute, dass sein Werk in verschiedenen Disziplinen eine zentrale Stellung einnimmt. Qualitative Ebene Jedes Werturteil ist durch seine Begrndung zu verstehen. Wenn also die These aufgestellt wird, dass sowohl die Confessiones als auch De Civitate Dei als Werke der Weltliteratur15 zu verstehen sind, so ist nach der Begrndung dieses Urteils zu fragen. Gerade die Doppelung, gleich zwei Bcher in das Erbe der Weltliteratur aufzunehmen, macht die Besonderheit des augustinischen Werkes aus: If Augustine had written only the Confessions, he would have to appear on anyone’s list of great writers and great books […]. If the City of God were all of Augustine we had, we would find it impossible to think about the history of Rome or the philosophy of history without it; even Edward Gibbon’s Decline and Fall of the Roman Empire stands as a massive contra Augustinum (Pelikan 1999: xiii).
15 „…two most famous books, Confessions and City of God, both of which belong to the world’s heritage of the greatest works in the history of literature“ (Drobner 2002: 18).
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Welche Lehren Augustin im Einzelnen begrndete, die seine Grçße fr die Nachwelt rechtfertigen, soll hier im Einzelnen nicht vorgestellt werden. Indessen liefert Daniel Williams eine Auflistung der Relevanzfelder, die Augustins Grçße in unserer Gegenwart begrnden. Sein Vorgehen ist dabei nicht aus dem Werk Augustins heraus, sondern im Gegenzug aus den Fragestellungen der Gegenwart heraus zu verstehen. Aus dieser Perspektive entwickelt er eine Aufzhlung derjenigen, die sich mit der Lçsung ihrer Fragen noch heute an Augustin wenden und damit seine Bedeutung fr die Gegenwart konstituieren. Daniel Williams (1979: 3) fragt: „Warum wird Augustin heute gerade von denen gelesen, die versuchen, menschliche Probleme zu verstehen?“. Und er antwortet: „Eine bemerkenswerte Bandbreite von Personen – suchende Mystiker, rationalistische Philosophen, Protestanten und Katholiken verschiedener Glaubensrichtungen, Politikwissenschaftler, Pdagogen und Politiker – wendet sich wiederholt an Augustin. Ein Teil der Antwort lautet, dass die Lektre Augustins zur Entdeckung unseres eigenen intellektuellen und spritrituellen Erbes gehçrt“ (ebd.). So kann aufgrund dieser Qualifizierung festgestellt werden, dass Augustin durch seine Werke dem Leser der jeweiligen Gegenwart16 eine Art hermeneutischen Schlssel an die Hand gibt, der dem jeweiligen (westlichen)17 Rezipienten helfen kann, die Tradition seiner eigenen Gegenwart zu ermitteln, die im Werk Augustins verwurzelt ist, wenn dieser als Begrnder der christlichen „Bildungswelt“ verstanden wird, da 1. die maßgeblichen Autoren nach Augustin Bezug auf ihn nehmen und da 2. in De Civitate Dei das Fundament einer neuen christlichen Zivilisation zu sehen ist (Hoffmann 1975: 173 u. 190). Die Aufgabe des „hermeneutischen Schlssels“ erscheint vor allem vor dem Hintergrund von Bedeutung, dass etwas im Werk Augustins ent16 Und dazu zhlen durchaus prominente Vertreter, die der spezifischen Hermeneutik Augustins anhngen: „As the philosopher-theologian upon whom the West was constructed, his hermeneutic is all the more momentous. Figures such as Cassiodoms, Bonaventure, Thomas Aquinas, Christopher Columbus, Desiderius Erasmus, Martin Luther, and even Galileo were directly influenced by Augustine’s hermeneutic and exegesis“ (van Fleteren 2000b: 22). 17 Oder es besteht die Mçglichkeit, dem nicht-westlichen Leser, die Grundlagen und Wurzeln des christlich geprgten Westens mit seinem Erbe der klassischen Philosophie zu ergrnden, wie dies u. a. auch von Lee – zumindest fr theologische Forschung – gefordert wird, wenn er Augustin einen „Ausgangspunkt“ nennt (Lee 1999: 1).
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halten ist, das weit ber die inhaltliche Ebene hinausweist. Nach Gerald Bonner liegt diese Eigenschaft in der Persçnlichkeit Augustins und dabei vor allem in der Tiefe der Erfahrung von Gott begrndet, die Augustin mit einer spezifischen Art und Weise mitzuteilen verstand (Bonner 1963: 9 f ). Man muss bei Augustin stets hingewiesen, dass dieser ein bedeutender Rhetor war. Doch auch hier stellt er eine qualitative Erweiterung der Kategorie dar, da seine Rhetorik auch als Kunst zu verstehen ist. John O’Meara formuliert diese Beobachtung in einer erhellenden Paradoxie aus, wenn er Augustin als den „grçßten Poeten der christlichen Antike bezeichnet, der keinerlei Poesie verfasst hat“18 (O’Meara 1997: 27). Peter Brown identifiziert „Sehnsucht“ als den „Stempel seiner wrmsten Briefe“ (Brown 1982: 139), was als ein weiteres Kriterium fr die Spezifitt der Schriften Augustins verstanden werden kann. Vçllig gegenstzlich zu dieser musischen und emotionalen Ausprgung ist jedoch die Beschimpfung durch den Rçmer Julian, der Augustin den ,punischen Aristoteles‘ nannte“ (Geerlings 2002b: 160) und damit auf den Einfluss des griechischen Denkens anspielt, den Augustin ebenfalls fr die christliche Sptantike reprsentiert. Die ,Beschimpfungen‘ haben ber die Zeit nicht nachgelassen. So folgen auch Nietzsche, der die Confessiones in einem Brief an Overbeck als „augenverdreherisch“ und „verpçbelten Platonismus“ beschimpft, oder Voltaire, der Augustin einen gespaltenen Charakter nennt, der sich stndig widerspricht und zudem noch die „Erbsnde“ erfindet (nach Herrera 1994: 159 f ). Christoph Horn weist darauf hin, dass Augustin nicht nur positiv rezipiert wurde. „Bis heute greift man gerne Darstellungen Augustins auf, die das Bild eines ,malin gnie de l’Europe’ (Madec) zeichnen, dem wegen seiner angeblichen Abkehr vom antiken Humanittsideal fatale Weichenstellungen anzulasten sind“ (Horn 1995: 9). Und auch Kurt Flasch ußert sich negativ, wenn er von dem „krftigen Schatten“ spricht, den Augustin ber Europa geworfen habe durch die Lehre von der Erbsnde. Ein weiterer, wenngleich sehr subjektiver Anwurf ist der, dass Augustin „schlecht schreibt“, wie es H. Marrou in dem gewichtigen Werk „Saint Augustine et la fin de la culture antique“ behauptet (Marrou 1938: 61). Nun kann man als Beobachtung an der zitierten Kritik zusammenfassen, dass Augustins Werk ber die vergangenen Jahrhunderte intensiv 18 Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt A. Longosz: „Augustin war zwar kein Dichter, aber seine Seele war poetisch, und in seinen Schriften verriet er oft dichterische Fhigkeiten“ (Longosz 1989: 290).
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wahrgenommen wurde und dabei Aufmerksamkeit provoziert hat. Robert Lawless bringt diese Eigenart Augustins in einem Satz auf den Punkt: „Augustine did not fear criticism. Nor did he have to search far to find it“ (Lawless 2002: 1). Doch sollen im folgenden nicht weitere Kritikpunkte und Anfeindungen als Bezeugungen der Signifikanz Augustins ausgefhrt werden, sondern die positiven Bezugnahmen zu Augustin stehen hier im Vordergrund. Paul Spade vertritt die Ansicht, „Augustinus sei der einflussreichste Philosoph aller Zeiten gewesen. Seine Autoritt hat sich viel weit reichender und lnger bemerkbar gemacht als die des Aristoteles, der bis zum Sptmittelalter nur eine verhltnismßig geringe Rolle spielte. Was Platon anbetrifft, so wirkte er lange großenteils durch die Schriften des Augustinus“ (Spade 1998: 71). Es wre jedoch verfehlt, diesen Superlativ unkommentiert stehen zu lassen. Ein differenzierteres Bild zeichnet Brian Stock, wenn er Augustin den „profiliertesten und einflussreichsten“ Autor zwischen der Antike und der Renaissance bezeichnet (Stock 2001: 1). Peter Sloterdijk begrndet seine in eine hnliche Richtung zielende Aussage damit, dass Augustin die einzige Autorenpersçnlichkeit ist, die „bis ins Detail ausgeleuchtet“ ist und Augustin damit als der „vielleicht am deutlichsten sichtbare Charakter der Antike“ bis zur Renaissance zu verstehen ist (Sloterdijk 1996: 7). Peter Sloterdijk argumentiert auch im Hinblick auf Augustins Lehre fr seine Wichtigkeit fr die Philosophieund Kulturgeschichte Europas: „Augustinus ist sichtbar geworden und geblieben, weil er sich selbst ernst nahm als Exempel eines Menschen, der mit Gottes Hilfe Gott schließlich doch ernster nahm als sich selbst“ (Sloterdijk 1996: 7). Dies ist eine bedeutungsschwere Aussage ber Augustin, da dieser als der Begrnder der Ich-Perspektive angesehen wird. Im Folgenden sollen zur weiteren Untermauerung der qualitativen Signifikanz Augustins weitere Stimmen einflussreicher Philosophen angefhrt werden, die sich auf Augustin sttzen oder ihn in seiner Bedeutsamkeit besttigen. So fhrt Adorno beispielsweise aus, dass die „Grçße der Augustinischen Lehre […] die des Zum ersten Mal“ war (Adorno 1969: 33). Es ist also festzuhalten, dass nicht nur die Inhalte der augustinischen Werke von geistesgeschichtlich herausragender Bedeutung sind, sondern auch die Originalitt seiner Ideen ein wichtiges Kriterium zum Verstndnis der Bedeutung Augustins ist. Christoph Horn listet in seinem kurzen berblick zu Augustin weitere Philosophen auf, die sich maßgeblich auf Augustin berufen. Ludwig Wittgenstein ist hier als bemerkenswerte Ausnahme zu sehen. Als
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Ausnahme deshalb, da Wittgenstein so gut wie gar keine anderen Philosophen in seinem Werk zitiert und deshalb die „berraschend sorgfltige“ Rezeption hervorsticht (Horn 1995: 165), die in den „Philosophischen Untersuchungen“, den „Philosophischen Bemerkungen“ und im „Blauen Buch“ Spuren enthalten sind. Weitere Philosophen, deren Werk maßgebliche Prgung erfahren hat, sind beispielsweise Sçren Kierkegaard und der Religionsphilosoph Rudolf Otto, die beide den Begriff Gottes als des „Ganz Anderen“ von Augustinus aus den Confessiones bernehmen. Albert Camus ist von der augustinischen Theorie des Bçsen beeinflusst, die nach Horn (1995: 165) insbesondere in Camus’ Romanwerk wirkt. Dieser Einfluss lsst sich an der wenig rezipierten Studienabschlussarbeit Camus’ dokumentieren, die von Plotin und Augustin handelt und unter dem deutschen Titel „Christliche Metaphysik und Neoplatonismus“ (1978) verlegt wurde. Auch Karl Jaspers und mit ihm seine Schlerin Jeanne Hersch, sowie Hanna Arendt zhlen zu den Philosophen/innen, deren Werk deutliche Spuren augustinischer Prgung aufweist. So zhlt Karl Jaspers Augustin neben Plato und Kant zu einem der drei „Grnder des Philosophierens“. Dabei spielt einmal mehr insbesondere die persçnliche Dimension des augustinischen Werkes die zentrale Rolle. Dies wird bei Jaspers u. a. dadurch deutlich, dass er „Augustins Bedeutung fr uns“ durch Augustins „Erfahrung der Grenzsituationen“ legitimiert. Weiter sind Heidegger und Hanna Arendt anzufhren, deren Beschftigung mit Augustin unerlsslich zum Verstndnis ihrer Philosophie ist. Ein weiteres Schwergewicht westlicher Philosophie, dem weniger direkt, als vielmehr indirekt der Einfluss Augustins nachgewiesen werden kann, ist Hegel, dessen Geschichtsphilosophie eine Reflexion der augustinischen Geschichtsphilosophie ist, die ohne die von Augustin eingefhrte religiçse Dimension von Hegel formuliert wird (Meyerhoff 1959: 6). Ferner ist Descartes zu nennen, dessen Konzept des „methodischen Zweifels“ auf Augustin zurckgeht, womit Descartes die Begrndung des Rationalismus in den Meditationes vornimmt.19 So ließe sich die Reihe der Philosophen und Denker fortsetzen, was aber nicht Gegenstand dieser kurzen Einfhrung in die Augustinusforschung sein kann. Insbesondere Augustins Einfluss auf die Denker des 19 Zur Rolle des Zweifels bei Augustin und Descartes sowie bei Heinrich von Gent siehe den Aufsatz von Christoph Kann zu den „Grenzen des Zweifels“ (2003).
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Mittelalters und hier vor allem auf Thomas von Aquin20 muss noch erwhnt werden, da Thomas’ Philosophie durch Augustins konstitutive Rolle fr das Mittelalter erst verstanden werden kann. Ursprung der Augustinforschung Eine weitere Frage, auf die hier noch einzugehen ist, ist die Frage nach dem Ursprung der Augustinusforschung. Zentral zur Begrndung der Augustinforschung ist das von Augustin selber in den Retractationes erfasste und kommentierte Werksverzeichnis (weshalb die Retractationes auch als „Autobiobibliographie“ (Pelikan 1999: xiv) bezeichnet werden). Dieser von Augustin selbst verfasste Text ist natrlich noch keine Augustinforschung, sondern ein vom Autor selbst ausgehender Akt der Entfaltung und Bewahrung. Auch der wiederkehrende Rekurs auf Augustins Schriften zu Lebzeiten und nach dem Tod Augustins legitimiert es noch nicht, von einer eigenen Forschungslinie zu sprechen. Beim Verfassen einer wissenschaftlichen Untersuchung ber Augustin ist also prinzipiell zwischen Selbstzeugnissen des Autors, der Augustinrezeption und schließlich der expliziten Augustinforschung als mçglichen Quellen zu unterscheiden. Maßgebliche Bedeutung zur Entwicklung der Augustinusrezeption spielt die Anhngerschaft Augustins zu dessen Lebzeiten und dabei vor allem die kurz nach seinem Tod verfasste Biographie durch seinen Schler Possidius. Doch damit die Lehren sich ausbreiten konnten war weit mehr als die geneigte Biographie eines engen Vertrauten und Schlers erforderlich. Es war die von Augustin begrndete monastische Gemeinschaft, die nach den Regeln des Augustin lebte, welche die Verbreitung der Lehre durch ihr Leben und Kommunizieren der Lehre vorantrieben. Ein erster Punkt der Augustinrezeption außerhalb des von Barbaren belagerten Hippo war Sardinien, wohin das augustinische Mçnchtum nach David Gutirrez durch Fulgentius von Ruspe im Jahr 502 kam (Gutirrez, 1985, 5). Die Ausbildung der eigentlichen Forschung liegt in einem monastischen Akt der Archivierung begrndet, nmlich der Sammlung der ber die Zeit verlorenen Schriften Augustins durch Eugrippius im St. Severin Kloster in der Bucht von Neapel (Gorman 2001: 120). Weiterhin we20 So kann die Lehre des Thomas von Aquin als die christliche Philosophie des Mittelalters angesehen werden, doch grndet die thomistische Lehre sowohl inhaltlich als auch autorativ auf Augustin, wie Etienne Gilson herausgearbeitet hat (vgl. Gilson 1967: vii).
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sentlich fr die Begrndung der Forschung war schließlich die Grndung des Augustinerordens im Jahre 1256. Die Mçnche des Ordens konstituierten eine eigene Geschichtsschreibung und stellten dabei eine direkte Verbindung zum Werk Augustins her: „Die Geschichtsschreiber des Augustinerordens haben ihren Werken fast immer eine Einleitung ber die Klostergrndungen des hl. Augustinus mit einer mehr oder weniger umfangreichen Zusammenfassung seiner Lehre vom klçsterlichen Leben vorangestellt. Mit Hilfe des geschichtlichen Rckblicks suchten diese Autoren nach Verbindungslinien zwischen den Klçstern, die seit 391 durch den Bischof von Hippo in Afrika ins Leben gerufen wurden, und dem Orden, der im Jahr 1256 geschaffen wurde“ (Gutirrez, 1985, 1). Als der Orden sich ausbreitete, breitete sich damit auch die Lehre des Augustins weiter aus, so dass man von einer ersten, der so genannte ,hochmittelalterlichen Rezeptionsphase‘ Augustins sprechen kann, welche die Augustinusforschung deutlich voranbrachte. Mit Petrarca, Nikolaus von Cues und Erasmus setzt – nach der hochmittelalterlichen – eine zweite Rezeptionsphase von Augustins Schriften ein, die als Begrndung der heutigen Augustinforschung angesehen werden kann. Durch Autoren wie Petrarca wurde eine Rezeption außerhalb der Institution der Kirche begrndet wurde, die dem heutigen Verstndnis der voneinander getrennten Wissenschaftsdisziplinen nher steht, als die Einheit von Philosophie und Theologie in der Zeit Augustins und whrend des scholastischen Mittelalters. Doch wre es falsch, zu behaupten, dass Augustin nur und ausschließlich durch die Lehren der Kirche tradiert worden wre. Hier ist insbesondere auf die Kunstgeschichte einzugehen, da Augustin außerhalb der Klçster und Universitten vor allem in lokalen Gemeinden dargestellt wurde als der Bischof, der ein Herz in der Hand trgt (vgl. O’Connell 2000: 257). Dieser Viseotyp geht auf eine Passage aus den Confessiones zurck, die sprichwçrtlich geworden ist: Dort ist die Rede vom „Gaumen des Herzens“ (O’Connel 2000: 268). Diese eine Textstelle entwickelte ihr eigenes Leben außerhalb der scholastischen Tradition und sorgte fr eine große Bekanntheit Augustins bei der einfachen und mitunter analphabetischen Bevçlkerung, da das „Herz“ zu Augustins bildnerischem Symbol wurde,21
21 So zu sehen auch in Parchim bei Hamburg (O’Connell 2000).
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welches schließlich auch die verschiedenen Ordensgemeinschaften bernommen haben22. Meiner Ansicht nach ist dieser bildnerisch-symbolische Zweig der Augustinrezeption fr die Augustinforschung relevant, da der Erfolg des augustinischen Denkens und seine Ausbreitung nicht ohne das bildlichsymbolische Zeichen, zu dem Augustin durch diese Rezeptionstradition wurde, erklrbar gemacht werden kann: Augustin kann durch diese Symbolzuweisung viel grçßere Verbreitung erfahren, da sowohl die Intellektuellen, die Elite und die Wrdentrger, als auch die einfachen Menschen, die nicht lesen und schreiben kçnnen, durch diese Verbreitung erreicht werden. Und dies gilt nach dem Fund der so genannte ,Dolbeau Predigten‘ auch fr Augustins eigene Zeit. So bezeichnet Peter Brown Augustins Predigten, so wie sie durch diesen jngsten Fund der Forschung deutlich werden, als „dialogues with the crowd“ (Brown 2000: 446). Doch zurck zum „Gaumen des Herzens“: Das Herz wird aus der alttestamentlichen Tradition vor allem der Psalmen im Christentum als das „spirituelle Organ“ des Menschen verstanden. Mit der bildlichen Verknpfung Augustins mit dem Symbol des Herzens soll zum Ausdruck gebracht werden, dass Augustins Grçße und Erfolg mit der Unmittelbarkeit seiner Lehre fr den Leser zu tun hat. In dieser Unmittelkeit liegt vermutlich auch der Grund, weshalb er auch heute noch als aktuell wahrgenommen wird. So ist es die entscheidende Qualitt eines ,großen Denkers‘, dass dessen Gedanken die Zeit und den Ort des Entstehens „transzendieren“ und andere Menschen in ihrer Zeit direkt ansprechen (Bonner 1963: 13). Nach Peter Brown ist die besondere Qualitt Augustins die, dass er den Leser zu seiner eigenen Zeit auf „rein menschliche Dimensionen zurckfhrt“, was im Kontext Augustins bedeutet, dass er die noch immer heidnischen Rçmer „skularisierte“, womit die Christen in ihrem Glauben gestrkt wurden und die Rçmer sich dem Christentum annherten (vgl. Brown 1982: 233). Dieser Punkt wird in der Untersuchung zur Epochenschwelle weiter vertieft und soll zeigen, wie die Bereiche der Augustinusforschung mit dem epochalen Wandel und dem Leser als Rezipienten verschrnkt sind. Entscheidend ist die Wirkung, die die augustinischen Lehren damals wie heute entfalten und die zu der jeweiligen Aktualitt der Gedanken Augustins fhrt. Frederick van Fle22 Hier sind in erster Linie die Bekediktiner, die Zisterzienser und noch spter die Carmeliten, die Augustiner, die Domenikaner und Franziskaner zu nennen (vgl. O’Connell 2000: 268).
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teren, einer der Mitherausgeber der Collectanea Augustiniana, begrndet seine Bezeichnung Augustins als „intellektuellen Giganten“ damit, dass der jeweilige Leser durch ein besseres Verstndnis von Augustins Bekehrung zum Christentum zu einem besseren Verstndnis von sich selber gelangt (van Fleteren 1990: 73). Durch diese Selbsterkenntnis – und hiermit leite ich in die gegenwrtige Augustinusforschung ber – ist es umso schwieriger, den historischen Augustin zu erforschen, da dies eine Immunisierung des eigenen Zugangs zu Augustin erfordern wrde. Als Trend der letzten Jahre hat sich in der Augustinusforschung deshalb das Bild der „zwei Augustins“ durchgesetzt, was ein Versuch ist, den Menschen Augustin zu analysieren und zu einem differenzierten Verstndnis zu gelangen, indem man einzelne Schwerpunkte als eigene Epochen der Person deklariert.23 So stellt sich abschließend die Frage nach dem Erbe der augustinischen Lehren fr die Gegenwart. Alfred Schçpf zhlt hierzu folgende Parallelen des gegenwrtigen philosophischen zum augustinischen Denken auf, die hier mehr als Einblick denn als berblick verstanden werden sollen: „Das transzendentalphilosophische Interesse an der Entdeckung der Innerlichkeit“ gehçren fr Schçpf ebenso dazu wie „Husserls Phnomenologie des inneren Zeitbewusstseins“ oder auch das „existenzphilosophische Interesse an der christlichen Daseinserfahrung“ (Schçpf 1979: 9 – 18).24
23 Dieses Erklrungsmuster hat nun also auch Augustin erreicht und scheint jedoch schon wieder berholt zu sein, wenn man beispielsweise James O’Donnell folgt, der unlngst die Frage gestellt hat: „What other Augustines are there yet undiscovered?“ und mit der Feststellung schließt: „Beyond and behind even those Augustines was a man whose privacy we never penetrate. […] Our last impression of Augustine is of a man who never made things easy for himself“ (O’Donnell 2001: 23). 24 Eine sehr pathetische Formulierung nimmt Karl Adam vor, der wenige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg zur Zeit der Grndung der Bundesrepublik eine Rede ber die „geistige Entwicklung des heiligen Augustinus“ in Tbingen hlt und mit den Worten endet: „Eine Erneuerung tut uns allen Not, eine Erneuerung aus dem letzten Urgrund unseres Seins; eine Wiedergeburt aus Gott. Und eine solche Wiedergeburt wird zu einem guten Teil ein Wiedererwachen des augustinischen Geistes und des augustinischen Christentums bringen mssen. So strahlt Augustins Bild nicht nur aus dunkler Vergangenheit zu uns. Es leuchtet auch hell in die Zukunft hinein“ (Adam 1954: 42 f ).
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Zusammenfassung Was bleibt also zusammenfassend zur Bedeutung Augustins aus der Sicht der Forschung festzustellen? Im wesentlichen sind es vier Punkte, die die Grçße und Bedeutung Augustins annherungsweise erklrbar machen kçnnen. Anzumerken ist dabei, dass sich die Punkte gegenseitig bedingen und als aus Komplementen bestehende Einheit zu verstehen sind. • Da ist zum ersten die historisch prominente Zeit, zu der Augustin lebt, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass die Antike (und mit ihr das Denken der Klassik sowie die antiken Institutionen) an Einfluss verliert bis hin zur Spaltung des rçmischen Reichs und dessen Fall. Gleichzeitig beginnt der Aufstieg des Christentums, das die sich anschließende Epoche heutigen Epochenverstndnisses – das Mittelalter – begrndet. • Zum zweiten Punkt zhlen die Inhalte der Lehren Augustins, die dadurch, dass sie zu autorativen Lehren des Christentums wurden, ihre Bedeutung bis heute bewahrt haben. So werden beispielsweise die Gnadenlehre oder die Lehre von der Trinitt noch heute auf dem Fundament Augustins diskutiert. Ebenso sind seine philosophischen Spuren deutlich sichtbar, beispielsweise in Augustins Entwurf einer Geschichtsphilosophie in De Civitate Dei und andererseits seiner Reflexionen zurzeit, sowie in der methodischen Bezugnahme auf das Selbst (Kap. 4.3.2). • Was drittens Augustins Grçße konstituiert, ist das von Adorno so genannte Prinzip des „zum ersten Mal“. Hierzu zhlen die aufgezhlten Lehren, die durch ihre Neuartigkeit und Originalitt berzeugen konnten und so Augustin zu einer signifikanten Figur gemacht haben. • Viertens schließlich ist die Wirkung der Kommunikation zu nennen: Augustin, dem von verschiedener Seite attestiert wird, dass er bis zu seinem Ende ein Rhetor geblieben ist, verstand es, seine Zuhçrer (die damalige Kultur war eine orale) und seine spteren und gegenwrtigen Leser in ihrer Innerlichkeit anzusprechen, was der Lektre eine jeweilige Aktualitt vermittelt. Unter diesem Gesichtspunkt kçnnen die Confessiones als jeweils neu gebetetes Gebet verstanden werden, das durch den Leser seine jeweilige Gegenwart erfhrt.
1.3 Augustin- und Epochenschwellenforschung im Ausblick
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1.3 Augustin- und Epochenschwellenforschung im Ausblick 1.3.1 „Augustinismus“ als interdisziplinres Forschungsprogramm Was sind im Folgenden die Arbeitsfelder der Forschung zu Augustin, die sich noch ertragreich bearbeiten lassen? Aus den Bedeutungsfeldern, wie sie im vorigen Kapitel zusammengestellt wurden, sowie aus der Forschungsgeschichte zu Augustin lassen sich zweifelsfrei weitere Forschungsfragen auf der Linie der bisherigen Beitrge entwickeln. Im Gegensatz zu der Ausarbeitung vorhandener Forschungsfragen lassen sich jedoch auch neue Fragen entwickeln. So stellt sich die Frage nach dem Ort Augustins innerhalb des Epochenschemas. Denn die Einleitung in die Augustinrezeption und –forschung hat gezeigt, dass Augustin nicht nur teilweise als Philosoph und teilweise als Theologe, sondern auch teilweise als Vertreter der Antike und teilweise als Vertreter des Mittelalters verstanden wird. Ein Forschungsziel muss also die Klrung der Epochenzugehçrigkeit Augustins sein. Als Ort der Klrung dieser Verschrnkung von Antike und Mittelalter in der Person Augustins bietet sich die Philosophie und darin insbesondere die Geschichtsphilosophie an, wie sie in der Ausrichtung der Arbeit zur Frage nach der Epochenschwelle ausgewhlt wurde. Die Geschichtsphilosophie hat im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft nmlich zur Klrung dieser Frage den Vorteil, eine historisch-philosophische Lokalisierung und Bewertung Augustins nicht nur aufgrund historischer Quellen, sondern auch aufgrund des Denkens Augustins vornehmen zu kçnnen. Aus der Geschichtsphilosophie heraus kann – insbesondere fr die Frage nach dem Wesen epochaler Wandelungen – mit Christoph Asmuth argumentiert werden: Umbruch und Wende sind historiographische Kategorien. Sie markieren ein Vorher und ein Nachher. Nicht selten schreiben sich Philosophen selbst den Platz zu, an dem sich das Vorher in das Nachher wendet oder gar in das ganz Neue umbricht. Das hat seinen Grund. Die Gedanken sind verwurzelt in einem Gesprchszusammenhang oder einer gedanklichen Konstellation. Sie stehen niemals isoliert da, ohne eine Geschichte, sondern verweisen auf sie (Asmuth 2001: 167).
In diesem Sinne kommt der Philosophie eine besondere Rolle zu: „Philosophie ist Vermittlungsforschung“ (Marquard 1982: 42) oder „Beziehungswissenschaft“ (Niebel/Leisegang: 1971). Nun ließe sich die Reihe der Bezeichnungen, was Philosophie sei, nahezu endlos fortsetzen, was als Argument fr das Forschungsdesiderat keine solide Basis dar-
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stellen wrde. Als Hinweis mag es jedoch hier gengen, auf den vermittelnden Charakter der Philosophie25 hinzuweisen. Bezogen auf das historiographische Anliegen dieser Arbeit ist nach der Beziehung zwischen der niedergehenden und der entstehenden Epoche zu fragen. Diese Beziehung stellt im Falle epochalen Wandels eine Schwelle oder einen Umbruch dar: „Das Bewusstsein, im Umbruch zu denken, macht deshalb ein Charakteristikum philosophisch-produktiven Denkens aus“ (Asmuth 2001: 167).26 Nimmt man nun dieses Verstndnis von Philosophie als „Vermittlungswissenschaft“ und bertrgt es auf die Frage nach der Forschung zu Augustin, so entwickelt sich die Frage nach der Epochenschwelle auf zweierlei Ebenen: Zum einen im Sinne der historiographischen Konstruktion der Epochenbildung und dem bergang von einer Epoche in die nchste, zum zweiten jedoch auch auf der persçnlichen Ebene Augustins, dessen Leben aus einer Vielzahl von Verwandlungen, Bekehrungen und Vernderungen bestand. Schließlich ist im Zuge der gegenwrtigen Verschrnkung der Wissenschaftsdisziplinen auf Augustin und den Augustinismus als interdisziplinres Forschungsprogramm einzugehen. Die Ausgangsfrage ist dabei die nach der Interdisziplinaritt, die sich allein daraus ergibt, dass Mitglieder so unterschiedlicher Disziplinen wie der „Geschichtswissenschaft, Theologie, Philosophie, Philologie und Psychologie“27 an und mit Au25 Womit hier nicht die Philosophie im allgemeinen, sondern vielmehr eine Facette der Philosophie gemeint ist, die mit den anderen Facetten zusammen genommen eine Idee von Philosophie vermittelt. Rolf Schçnberger merkt kritisch zum Selbstverstndnis der Philosophie an: „Alle philosophischen Bestimmungen der Philosophie sind innerhalb der Philosophie kontrovers. Fast immer allerdings hat sich das philosophische Denken verstanden als ein theoretisches und praktisches Verhltnis zum Ganzen der Wirklichkeit. Zu dieser Ganzheit gehçrt konsequenterweise auch ihre eigene Thematisierungsweise. Das heißt: Die Philosophie denkt auch ber das Denken nach und damit auch ber die Philosophie“ (Schçnberger 1998: 505). 26 Eine andere Position vertritt beispielsweise Thomas Kuhn, wenn er behauptet: „Ich glaube, dass besonders in Perioden anerkannter Krisen die Wissenschaftler sich der philosophischen Analyse als eines Mittels zur Lçsung von Rtseln auf ihrem Gebiet zuzuwenden pflegen. Wissenschaftler mssen im allgemeinen nicht Philosophen sein und wollen es auch nicht. Tatschlich hlt sich die normale Wissenschaft gewçhnlich die Philosophie vom Leibe, und wahrscheinlich aus gutem Grund“ (Kuhn 1969: 101). 27 Diese Fcher zumindest listet Allan Fitzgerald auf (1999: 227). Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollstndigkeit und sollte mindestens noch um Politikwissenschaft, Musikwissenschaft oder Kulturwissenschaft ergnzt werden.
1.3 Augustin- und Epochenschwellenforschung im Ausblick
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gustin arbeiten. Augustins Lehren selber lassen keine klare Trennung zwischen den Disziplinen erkennen, wobei anzumerken ist, dass das heutige Verstndnis einer ausdifferenzierten Wissenschaft keineswegs auf Augustins Zeit bertragbar ist. Etienne Gilson charakterisiert die Eigenschaft der augustinischen Lehren als „mingling of the sciences“ (Gilson 1967: 241), John Callahan nennt Augustins Arbeiten „augustinozentrisch“ (Callahan 1967: 94) und Karl Adam nennt Augustin gar eine „Faustgestalt“ (Adam 1954: 16), was sich aus zweierlei Eigenschaften anbietet: Zum einen durch die in vielen Disziplinen beheimateten Gedanken und Lehren sowohl Faustens („Habe nun ach…“) als auch Augustins und zweitens als vielleicht noch wichtigere Eigenschaft die des Suchens28, welches weit ber die Grenzen der exakten Wissenschaft hinausgeht und in die religiçse Sphre mndet. Eine aufschlussreiche Aussage ber Augustin und die verschiedenen Disziplinen, wie sie zu Augustins Lebzeiten zu verstehen waren, lsst sich bei Wilhelm Geerlings finden: „In seiner [Augustins] Person fließt alles, was das vierte und fnfte Jahrhundert an religiçsen Strçmungen bewegt, zusammen: der Manichismus, die philosophische Skepsis, die stoische Logik, das katholische Christentum. Und doch ist mit einer reinlichen Quellenscheidung in die unterschiedlichen Strçmungen Augustin in keiner Weise begriffen“ (Geerlings 2002b: 148). Diese These untermauert die in Kapitel 4.3.3 schwerpunktmßig ausgearbeitete These der Eigenstndigkeit des Augustinismus, der – das umgangssprachliche Diktum der Gestaltpsychologen bemhend – mehr als die Summe seiner Teile ist. Doch auch die Gegenposition kann plausibel gemacht werden, wie dies beispielsweise Robert O’Connell tut, wenn er darauf hinweist, dass man in Augustin „so viel Plotin, Porphyrius oder Cicero erkennen kann, dass man Augustin selber dabei bersehen kann“ (O’Connell 1969: 5). Aus dem Spektrum dieser Mçglichkeiten geht als Erkenntnis hervor, dass Augustin sich einerseits der großen und anerkannten Denker seiner Vorzeit bedient und deren Gedanken adaptiert, auf der anderen Seite eine Verschmelzung herbeifhrt, die als eiEine Auflistung nach Gegenstnden liegt von Robert Lawless vor: „Contemporary philosophers, theologians, spiritual writers, cultural theorists and social scientists take him to task for certain positions of his on issues ranging from human sexuality and the body, gender, personal freedom, religious liberty and the ethics of force, to his concepts of the self and God“ (Lawless 2002: 1). 28 Eine Untersuchung zu Augustin und seiner Eigenschaft des Suchens bietet. A. Schçpf, der vor allem ber „quaerere“ und „investigare“ bei Augustin gearbeitet hat (Schçpf 1979: 39).
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genstndige Mischung verstanden werden muss. Um dieses Spektrum in der Augustinusforschung zu behandeln, bietet sich ein interdisziplinrer Ansatz an, wenn er nicht sogar geboten ist. 1.3.2 bergnge, Dialektik, Paradigmen und Neuheit bergnge als Thema der Geistes- und Kulturwissenschaften haben gegenwrtig Konjunktur. Nur ist hierbei zu beachten, dass einige bestimmte Theorien und Schulen an diesem Trend teilhaben, große Teile der akademischen Philosophie das Thema bergang jedoch nicht weiter bercksichtigen. Innerhalb der Philosophie ist die Frage nach bergngen außerhalb der Geschichtsphilosophie eine selten anzutreffende. Als Ausnahme kçnnen hier sicherlich die Arbeiten Kurt Rçttgers angefhrt werden, der an einer Theorie der bergnge arbeitet (2002, 2003a), dabei jedoch fragt, ob eine Theorie des bergangs „abseits von erzhlenden Geschichten und Geschichtsphilosophien mçglich [ist …]. Kann die Radikalitt des bergangs gedacht werden, ohne in die erzhlende Rekonstruktion einer Kontinuitt zurckzufallen?“ (Rçttgers 2002: 408). Die zugrunde liegende Frage ist die nach der Beschreibungsmçglichkeit eines bergangs. Dieser kann nach dem hier vorgebrachten Verstndnis einzig ex post artikuliert werden, was die Unumgnglichkeit der erzhlenden Rekonstruktion bedeutet. Somit wundert es also nicht, dass bergnge, wenn in den Geistes- und Kulturwissenschaften behandelt, in denjenigen Teildisziplinen anzutreffen sind, die sich der Darstellung und Rekonstruktion und, allgemeiner, der Interpretation und Deutung verschrieben haben. Hier sind insbesondere die Literaturwissenschaften zu nennen. Geschichte als „vom Menschen gemacht“ Fr die Frage nach bergngen als Ziel der Theoriebildung bietet sich insbesondere die Geschichtswissenschaft und die sie konstituierenden Wissenschaften an. Zur Geschichte allgemein ist mit Hans Blumenberg anzumerken, dass „der Mensch die Geschichte macht“ und dass „das fr uns an der Geschichte Erfahrbare nicht identisch mit dem [ist], was jeweils ,gemacht‘ worden ist“ (Blumenberg 1976: 30).29 Somit besteht 29 Zu diesem Ausspruch Blumenbergs passt die Auffassung, dass der Zeitzeuge der rgste Feind des Historikers sei.
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eine prinzipielle Unterschiedenheit zwischen bergngen als Konstruktion des Rckblicks und dem Geschehen, das in einem zweiten Schritt zu durch einen bergang getrennten Abschnitten wird. Hier ist die Geschichtsphilosophie gefordert, denn jeder der sich mit Geschichte oder Philosophiegeschichte beschftigt, „sieht sich auf Epocheneinteilungen verwiesen und angewiesen. Dies ergibt sich aus genuin philosophischen Perspektiven oder Strukturierungsinteressen ebenso wie aus rein pragmatischen Grnden“ (Kann 2003: 226). bergnge stellen also vor dem Hintergrund der Geschichtsphilosophie ein nicht nur naheliegendes, sondern notwendiges Thema dar. Dies wird insbesondere durch die Selbstverstndlichkeit deutlich, mit der die Epocheneinteilung in der Geistesgeschichte verwendet wird. Und hiervon sind alle historisierenden Wissenschaften betroffen. Wie aber kann man sinnvoll von Epochen reden, auch wenn die Verwendung der Ausdrcke ein selten hinterfragter Allgemeinplatz geworden ist? Und was heißt hier sinnvoll? Hat Kurt Flasch gar Recht, dass das gesamte Schema der Epochen mit einer „nominalistischen Skepsis“ (Flasch 1988: 11 und Schulz 2001: 155) abzulehnen sei, wie er es in Bezug auf Hans Blumenbergs Ausfhrungen zur Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit und insbesondere der Beschreibung von Nikolaus von Cues forderte? Ein weiterer Kritikpunkt am Epochenschema ist die in der Medivistik diskutierte Frage, ob es eine einheitliche mittelalterliche Philosophie gibt. Was wre eine solche mittelalterliche Philosophie? Wer hier der Versuchung erliegt, eine inhaltliche Bestimmung vorzunehmen, wird zu Recht mit der nominalistischen Skepsis unter Verdacht gestellt. Ein anderer Ansatz wre es hingegen, das Mittelalter als rein zeitliche Begrenzung zu verstehen und somit mittelalterliche Philosophie als Werke aus dem Zeitraum des Mittelalters zu begreifen. Was ntzt also ein Epochenschema, das inhaltlich keinerlei Zuschreibung erlaubt (erlauben sollte) und zudem zeitlich nicht klar definiert werden kann? Der Kanon der mittelalterlichen Philosophie bleibt also permanenter Gegenstand definitorischer Streitigkeiten. Als Folgerung aus den hier skizzierten Problematiken geht ein Verweis auf die Bedeutung der bergnge hervor: Anhand der bergnge und Schwellen, die die zeitliche Kontinuitt in eine inhaltliche Diskontinuitt versetzen, werden Positionen derjenigen ersichtlich, die sich mit der Vergangenheit und deren Klassifikation beschftigen.
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bergnge und Dialektik Philosophisch gesehen sind bergnge, wie Kurt Rçttgers behauptet, „ein klassisches Thema der Dialektik“ (Rçttgers 2002: 15). Und auch die Geschichtsphilosophie steht unter permanentem Dialektikverdacht, wenn sie neben der Chronologie der Ereignisse einen Zusammenhang zwischen diesen behauptet und auf die Entwicklung der Geschichte abhebt.30 Odo Marquard fhrt aus, dass die Geschichtsphilosophie „in die Ambiguitt aller Abenteuer der Dialektik“ verfllt (Marquard 1982: 16). Allein die Zuschreibung „Abenteuer“ macht bereits deutlich, dass die Dialektik folgenreiche Probleme verursacht, was die wissenschaftliche Exaktheit und Eindeutigkeit anbelangt. Positiv wiederum kann die Dialektik mit Rçttgers als Figur verstanden werden, die den bergang zu denken zulsst, da die berzeugung vorherrscht, dass „es nach der radikalen Negation noch weitergeht“ (Rçttgers 2002: 81). Wie es weitergeht, beziehungsweise, welche Schwierigkeiten dem Dialektiker begegnen, hat Jrgen Werner in seiner Arbeit ber Hegel in dem Kapitel „Die Unmçglichkeit eines ,bergangs‘“ ausgearbeitet. Demnach fhrt die berlegung der dialektischen Methode zu den „beiden logischen Gestalten ,Sein‘ und ,Nichts‘“ in folgendes Dilemma: Die Metapher, die Hegel gebraucht, um die Entwicklung der Selbstbestimmung des Begriffs am Anfang zu veranschaulichen, das unmittelbare ,Hervorbrechen‘ des Nichts aus dem Sein, will jegliche Anklnge an ein Schlussverfahren, aber auch an einen vermittelnden bergang auslçschen (Werner 1986: 157 f ).
Im bergang wird gesetzt, wie die sich anschließende Folgezeit geprgt wird. Die darin enthaltene Antizipation ist eines der epistemischen Grundprobleme, mit dem sich jeder, der sich mit bergngen beschftigt, konstruktiv auseinander setzten muss. Die Dialektik als Methode ermçglicht hier eine Sichtweise, die aber mit den oben angefhrten Uneindeutigkeiten in der logischen Rekonstruktion einhergeht. Diese Probleme bleiben auch dann weiter bestehen, wenn man die Aufmerksamkeit statt auf Dialektik auf bergnge als dialektikunabhngigen Begriff richtet. Gleichwohl ist dem Thema bergang in verschiedenen 30 Insbesondere fr die Geschichtsphilosophie hlt Macintyre einen Sonderstatus fest: „The history of philosophy is on this view that part of philosophy which is sovereign over the rest of the discipline. This is a conclusion which will seem paradoxical to some and unwelcome to many“ (Macintyre 1984: 47).
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Formen wiederkehrende Aufmerksamkeit geschenkt worden, wie die folgenden Beispiele zeigen sollen: bergnge stellen nach Stebbing etwas salopp formuliert den ,dicksten Knoten‘ in der gesamten Philosophie dar, da sie das Problem von Zeit und Vernderung zum Thema haben (Stebbing 1975: 107). So gibt es als Reaktion auf die Frage nach dem Wesen von bergngen die Lçsung, bergnge nicht zu untersuchen, sondern sich auf die festen, eindeutigen Phnomene auszurichten, die zwischen den bergngen liegen. Die andere Lçsung, wie sie auch hier vertreten wird, ist die Untersuchung von bergngen im Bewusstsein der Ambiguitten, die damit in Kauf genommen werden mssen. Dabei wird die Vernderung als das Wesentliche begriffen, das es ber die Zeit zu untersuchen und zu benennen gilt. Strukturalismus und „basic patterns“ Vernderungen sind der Schlssel zum Verstndnis von bergngen und hier hat jede Theorie des bergangs einen Beitrag im Spannungsfeld mçglicher Bestimmtheit und unvermeidbarer Unschrfe zu formulieren. Dabei kommen aus diesem Spannungsfeld antinomischer Lçsungsanstze heraus, die sich beispielsweise wie die „Bricolage“ im Strukturalismus als Brcke (zwischen Erkenntnis und ihrem Gegenstand) verstehen.31 Bezieht man diese Methodik wieder auf die Geschichtsphilosophie, so kann mit Isaiah Berlin festgehalten werden, dass die Aufgabe der Geschichtsphilosophie nicht die Beschreibung einer Aneinanderreihung von Ereignissen ist, sondern das Sichtbarmachen von Mustern („basic patterns“) (Berlin 1974: 162). Verstehen heißt demnach Muster wahrnehmen, da die Muster Sinn und Bedeutung stiften. Muster kçnnen als Strukturiertheit verstanden werden, die unstrukturiert bleibt, da die konkrete Struktur durch die Thematik des bergangs nicht offen gelegt wird, sondern ein Strukturierungsprinzip gegeben wird, das ber eine faktenbasierte Frage gelegt werden kann. In dieser Verwicklung spielt der Beobachter eine konstitutive Rolle, die die Komplexitt der Geschichtsphilosophie und der Geschichte verdeutlicht. Entgegen des naheliegenden Verweises auf die Systemtheorie soll hier aus der Geschichtsphilosophie heraus ein Argument gefunden werden, diese Komplexitt, die in der Untersuchung von bergngen auftritt, zu beschreiben. „Nicht allein die Philosophierenden der Ver31 Rçttgers formuliert den Anspruch des Strukturalismus hier als Unternehmen, „bergnge unstrukturiert-strukturierend zu denken“ (Rçttgers 2002: 47).
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gangenheit sind in ein komplexes Netz historischer Bedingungen verwickelt, sondern auch der Philosophiehistoriker und die Philosophiehistorikerin selbst“ (Imbach 1998: 137). In der Frage nach bergngen tritt diese Komplexitt ans Licht, da der bergang retrospektiv konstruiert wird und somit in erster Linie Aufschluss ber den bergangsbeschreibenden gibt und in zweiter Linie ber den beschriebenen bergang selbst. Wer bergnge konstatiert, trifft dadurch Unterscheidungen, die sich sowohl vor der eigenen Beobachtungsperspektive rechtfertigen, als auch eine historische Plausibilitt aufweisen mssen. Damit steht der nach bergngen fragende Forscher stets in der Kritik der oben erwhnten „nominalistischen Skepsis“. Zugleich bedient er sich eines hermeneutischen Ansatzes, der die eigene Position in die aufgestellte These des zu beschreibenden bergangs einzeichnet. Diese These der Interdependenz kann beispielsweise mit Lbbes Feststellung der Entsprechung von beschleunigtem sozialem Wandel mit beschleunigter Historisierung untermauert werden. Demnach spiegelt sich „geschichtliche Akzeleration in Wandlungen der Lebensattitden, in Manifestationen des Kunst- und Kulturbetriebs“ (Lbbe 1978c: 143). Die Ebene der Historiographie wird durch die Fokussierung auf bergnge nicht unberhrt gelassen, da die Historiographie eine Aussage ber den Historiographen trifft, die wiederum Erklrungen zur Situation im sozioçkonomischen wie auch im historischen und im biographischen Zusammenhang zulsst. Paradigmenkanditaten und Paradigmenwechsel Obwohl vorrangig zur Erklrung wissenschaftlicher Revolutionen verfasst, stellt Thomas Kuhns Ansatz des Paradigmenwechsels einen bertragbaren Ansatz fr die Geschichtsphilosophie dar. Sowohl Fitzgerald als auch Kreuzer beziehen den Kuhnschen Ansatz auf Augustin und dessen Sonderstellung in einer Zeit historischen Umbruchs. Kreuzer verfasste 1998 einen Aufsatz mit dem Titel „Paradigmenwechsel: Augustinus und die Anfnge der mittelalterlichen Philosophie“, in welchem er einerseits die Frage nach der Zeit und andererseits das „Denken der Erinnerung“ behandelt, das entscheidend fr den Paradigmenwechsel ist, „der sich bei Augustin vollzieht“ (Kreuzer 1998: 439). Fitzgerald beschreibt den Kuhnschen Ansatz als „sehr hilfreich“, um sich die Theologie unmittelbar nach Augustin zu erarbeiten: The period of Ambrose, Jerome, and Augustine established a new ,paradigm‘ in the sense that there was a great mass of Latin writing and controversy on a wide range of subjects. Such periods are followed by longer spells of „normal
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science“ when a host of less-well-known workers tidy up, systematize, and extend the insights of those who created the paradigm. Thus anyone in the aftermath of such a paradigm cannot but be affected by it (Fitzgerald 1999: 364 f ).
Nach Kuhn ist die Theorie des Paradigmenwechsels keineswegs begrenzt auf die Wissenschaftstheorie, sondern lsst sich weiter auf die „Geschichte der Geisteswissenschaften“ und allgemein auf die Kulturgeschichte und sogar auf die Natur im Allgemeinen anwenden (Kuhn 1969: 122). Ohne dem Kapitel 2.2.1 vorzugreifen, soll hier kurz auf Kuhns Ansatz eingegangen werden, da er als maßgeblicher Beitrag zum Verstndnis von bergngen auch in philosophischer Sicht anzusehen ist und zur Anwendung kommt, wenn es um die besondere Stellung Augustins geht. Die Relation von altem und neuem Paradigma zeichnet sich durch die bernahme von Vokabular und Ausrstung aus, sowohl begrifflich, wie auch „verfahrensmßig“ (Kuhn 1969: 160). Kuhn spricht von „geborgten Elementen“, die im neuen Paradigma jedoch in einem neuen Verhltnis zueinander auftreten. „Daraus ergibt sich zwangslufig etwas, was wir ein Missverstndnis zwischen den konkurrierenden Schulen nennen mssen“ (Kuhn 1969: 160). Auch wenn die gleichen Begriffe verwendet werden, so ist damit keineswegs gemeint, dass die Begriffe gleich verwendet werden. Zwischen der alten und der neuen Verwendung findet laut Kuhn ein „Gestaltwandel“ statt, den er an anderer Stelle eine „Konversion“ nennt, was der hier dargestellten Untersuchung der Epochenschwelle Antike-Mittelalter am Beispiel des inneren Wandels Augustins zuspielt. Kuhn fhrt aus: „Die bertragung der Bindung von einem Paradigma auf ein anderes ist eine Konversion, die nicht erzwungen werden kann“ (Kuhn 1969: 162). Bezogen auf den bergang steht die Konversion hier als Wende- oder Kipppunkt, vor dem – aus der Retrospektive – das alte Paradigma mehrheitlich herrschte, und nach dem das neue Paradigma seine zeitliche Ausdehnung beginnt. Die Allegorie der Bekehrung wird von Kuhn noch weiter verwendet, wenn er von der „Diffusion des neuen Paradigmas“ spricht: „Mehr und mehr Wissenschaftler werden dann bekehrt werden, und die Erforschung des neuen Paradigmas wird fortschreiten“ (Kuhn 1969: 169). Bezogen auf den Untersuchungsgegenstand „bergang“ lassen sich einige methodische Schwierigkeiten feststellen. Die erste Schwierigkeit ist, dass bergnge erst in dem Moment, wenn das Neue gegenber dem Alten abgrenzbar wird, bekundet werden kçnnen. Diese Beobachtung mndet in die These, dass bergnge per se erst ex post festgestellt werden kçnnen.
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Eine zweite Komplikation der wissenschaftlichen Betrachtung von bergngen ist ihre Abhngigkeit vom Betrachter. In der Wahrnehmung eines bergangs wird die Position des bergangsbeobachters zur Unterscheidung zwischen Neu und Alt ersichtlich. Eine Epochenschwelle hat keinerlei Legitimation vor dem konomieprinzip der Wissenschaft, geht es um die Einteilung der Vergangenheit in Sinnabschnitte. Gleichwohl ist sie nicht illegitim, da sie erstens aus rein pragmatischer Sicht Navigationsangebote zur Orientierung in der unbekannten Vergangenheit sind. Zweitens sind Epochenschwellen in wissenschaftlicher Praxis legitim, wenn man sie nicht als Aussage ber die Vergangenheit begreift, sondern als Aussage einer jeweiligen Gegenwart ber deren Bezug und Verhltnis zur Vergangenheit. Epochenschwellen sind somit die „Gegenwart der Vergangenheit“, da die Vergangenheit ohne die Gegenwart der Erinnerung nicht existiert.32 Konstruktionen von bergngen, wie sie jedes Vorhaben zur Bestimmung einer Epochenschwelle zum Inhalt haben mssen, sind als Beitrge der Verhandlung plausibler und im nchsten Schritt mehrheitsfhiger Sinnangebote einer Gegenwart zu ihrer Vergangenheit zu begreifen. Wenn ein bergang in Form eines epochemachenden Ereignisses konstatiert wird, heißt das nicht, dass dieses Ereignis diese Funktion tatschlich eingenommen hat, noch dass dieses Ereignis berhaupt stattgefunden hat. Vielmehr ist die Behauptung eines solchen Erlebnisses ein sich in Beziehung setzten des Behauptenden und seiner Zuhçrerschaft zum Ereignis, wie es von Bedeutung fr die Teilnehmer des Diskurses ist. Die Aufdeckung dieser Verzerrung historischer Ereignisse zu epochemachenden Entscheidungen hat unlngst Wolfgang Krieger in der Aufsatzsammlung „Und keine Schlacht bei Marathon“ (2005) gezeigt. Darin unterteilt er die so genannte ,Ereignisgeschichte‘ einerseits in die sinnstiftende und andererseits in die akribische (Krieger 2005: viii). Der Anspruch, der an die Forschung von bergngen und hier insbesondere der Epochenschwelle zu richten ist, ist die Verbindung der Sinnstiftung mit der Akribie historischer Analyse und Geschichtsdarstellung, so dass das eine nicht durch das andere verletzt oder substituiert wird. 32 Die Erinnerung als wahrnehmungsabhngige Grçße wird somit zum bergang zwischen der Vergangenheit als rekonstruierter Vergangenheit und gegenwrtiger Erinnerung. Der Erinnerung ist aus den hier angefhrten Komplikationen des wissenschaftlichen Denkens von bergngen nicht zu trauen. Deshalb ist die Erinnerung jedoch nicht der nominalistischen Skepsis zu opfern, sondern in der Bedingtheit ihrer Unsicherheit zu behandeln.
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Ein erstes Anliegen muss es deshalb sein, der Skepsis gegenber Epochenschwellen Raum zu geben und auf die beobachtungsabhngigen Komplikationen hinzuweisen, die sich aus der Behauptung ergeben. Hier kann im Rckgriff auf Wolfgang Kriegers Buch beispielhaft auf die Geschichtskonstruktion und Stilisierung solcher retrospektiv epochemachenden Ereignisse wie der Schlacht bei Marathon zwischen den Persern und Griechen hingewiesen werden, die dem Band nach nur ein „Strandscharmtzel“ gewesen ist.33 Die Stilisierung von Geschichtsereignissen, zu der auch die Konstruktion von Epochenschwellen zhlt, steht fr das Arrangieren der „Geschichte zu Geschichtsmythen, um sie spter in den Dienst politischer, ideologischer und kirchenpolitischer Zwecke zu stellen“ (Krieger 2005). Hier ist es die drngende Aufgabe der Philosophie, auf die Unterscheidung und die Konstruktion von Unterschiedenem hinzuweisen, wie es in der Untersuchung von Epochenbergngen in der hier zur Anwendung kommenden Methodik beabsichtigt ist.
33 Auch hatte die berquerung des Rubicon fr Rom nur tagespolitische Bedeutung, wohingegen der Rubicon heute zu einem Sinnbild fr fatale Grenzberschreitung geworden ist.
2 Kategorien und Begriffe epochalen Wandels 2.1 Der Epochenbegriff aus philosophischer Sicht 2.1.1 „Epoche“ als punktueller und zeitrumlicher Begriff Der Terminus Epoche ist ein methodisch komplizierter Begriff, der außerdem in verschiedenen und unzusammenhngenden Diskursen und Disziplinen zur Anwendung kommt. Die in der Geschichtswissenschaft und dabei insbesondere in der Historiographie gngige Verwendung des Begriffes als Zeitraum steht im Widerspruch zur Etymologie des Begriffs, wonach griech. epoch soviel wie „Zsur“ oder „Haltepunkt“ bedeutet. Im Folgenden soll das Spannungsfeld beschrieben werden, in welchem sich der Begriff Epoche befindet, um von dort aus zu einem philosophischen Verstndnis des Begriffes zu gelangen. Dabei ist weder das Verstndnis der antiken Skepsis von Epoch als „Enthaltung im Urteil“ (Horn/Rapp) gemeint, noch die von Husserl beschriebene phnomenologische Reduktion des Begriffs auf eine Methode. Epoche soll im historiographischen Sinne als Zeitraum verstanden werden, der ex post durch die Geschichtsschreibung konstituiert wird, indem dem jeweiligen Zeitraum eine inhaltliche Bedeutsamkeit zugewiesen wird, die es der Nachwelt ermçglicht, anhand von Vereinfachungen und Zuspitzungen durch die Vergangenheit zu navigieren. Epochen geben der Vergangenheit Ordnung und Struktur. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass diese Ordnung weniger ber die Vergangenheit als vielmehr ber diejenigen aussagt, die die Vergangenheit in geschichtlichen Sinnzusammenhngen konstruieren. Epochen sind Zuschreibungen von bedeutsamen bergngen. Der bergang selber ist dabei eine Zsur, die die vorangegangene Epoche von der folgenden trennt. Eine „epoch“ ist eine Zsur im etymologischen Sinne, die ihre begriffliche Entsprechung in dem fragwrdigen Begriff des „epochalen Ereignisses“ hat.1 1
Fragwrdig deshalb, da die Zuschreibung erst ex post erfolgen kann und somit die Behauptung einer Epoche eine Aussage ber eine noch nicht abgeschlossene Epoche macht.
2.1 Der Epochenbegriff aus philosophischer Sicht
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Im Rahmen der Geschichtsphilosophie findet die Frage nach Bedeutung und Sinn von Epochen ihren Ort. Hier wird insbesondere auf Hans Blumenbergs Konzept der „Epochenschwelle“ einzugehen sein. Karl Eibl nimmt eine treffende Charakterisierung des Begriffs „Epoche“ vor, wenn er schreibt: Der Begriff der Epoche markiert eine jener Stellen, an denen Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie einander begegnen. Der Historiker wird im Extremfall die Epochenbegriffe nur quasi nominalistisch benutzen, um zum Beispiel passable Gliederungspunkte fr ein Handbuch zu gewinnen; dem Geschichtsphilosophen werden sie im Extremfall zu den eigentlichen Individuen und Akteuren der Geschichte. Dazwischen aber liegt ein Bereich, in dem die Verwendungsweisen einander befruchten, sich auch gelegentlich ineinander verheddern (Eibl 1990: 3).
Das von Eibl angesprochene „Dazwischen“, in welchem sich Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie begegnen, ist hier von weiterfhrender Bedeutung, wobei die in dieser Untersuchung zu verhandelnde Frage primr geschichtsphilosophischer Natur ist und auf das Zustandekommen der Epochen aus semantischer und epistemologischer Fragestellung ausgerichtet ist. In gewisser Weise ist der Begriff der „Epochenschwelle“ Ausdruck des von Eibl kritisierten Vorgehens mancher Geschichtsphilosophen, da durch diesen Begriff dem Transitorischen des Epochenbergangs eine Ausdehnung und mit ihr auch eine eigene Identitt zugeordnet werden. Diese Sichtweise ist als eine Aufgabe der Geschichtsphilosophie zu verstehen, um von dort aus Epochenbegriffe zu entwickeln, mit denen dann weiter systematisiert werden kann. Damit diese Systematisierung berhaupt mçglich ist, ist eine spezialisierte und differenzierte Betrachtung des Begriffs und seiner Vorraussetzungen nçtig. Diesen berlegungen zur Qualitt und Bewertung von Epochenschwellen liegt eine Frage zugrunde, die sich epistemologisch schwierig gestaltet: Es ist die Frage nach der Beurteilung und Bewertung von Neuheit und der Abgrenzung einer alten Epoche gegenber einer neuen. Wann ist etwas neu und dabei so neu, dass es in der Betrachtung ex post zur Zsur und Neubenennung eines Sinnabschnitts fhrt? Folgt man Luhmanns berlegungen zu dieser Frage, so gibt es zwischen Epochen keine Zsuren: „Das widersprche […] der Selbstreferenz aller sinnhaften Informationsverarbeitung“ (Luhmann 1982: 50). Wenn sich etwas verndern soll, so muss es starke, sich durchhaltende Hintergrundstrukturen geben. Erst im Nachhinein kann man dann geneigt sein, Zsuren in die Geschichte zu verlegen, d. h. bestimmten Ereignissen
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2 Kategorien und Begriffe epochalen Wandels
epochemachenden Wert beimessen (vgl. Rçttgers 2002: 171). Die Frage der Neuheit ist geknpft an die Bekanntheit der Hintergrundstrukturen. Da die konstant fortschreitende Entwicklung die Feststellbarkeit von der Neuheit erschwert (da das vermeintlich Neue von fortdauernden Strukturmustern des Alten berlagert ist), ist also von einem relativ Neuen zu sprechen. Auch hier liefert Luhmann an anderer Stelle einen hilfreichen Erklrungsansatz, wenn er etwas lapidar von „Klumpenbildung“ spricht, die er als „zentralisierte Interdependenzen“ beschreibt, von denen dann die Rede ist, wenn „von einer Strukturnderung viele andere abhngen“ (Luhmann 1985: 17). Die Neuheit, die mit der Epochennderung einhergeht, ist damit keine Frage des Unbekannten im metaphysischen Sinne, sondern eine Frage der Kombination und ihrer Wahrnehmung. Rçttgers merkt kritisch zu Luhmann an, dass dennoch das Neue als „erstmaliges Auftreten“ damit nicht ausgeschlossen sein muss (Rçttgers 2002: 172).2 Blumenberg, dessen maßgeblicher Beitrag zur Epochenschwelle deutlich vor Luhmanns berlegungen entstanden ist, weist in eine hnliche Richtung: Die Epoche ist der Inbegriff aller Interferenzen von Handlungen zu dem durch sie ,Gemachten‘. In diesem Sinne der nicht eindeutigen Zuordnungsfhigkeit von Handlungen und Resultaten gilt, dass die Geschichte ,sich macht‘. An den Figuren erfassen wir eher die Resultate als die Faktoren (Blumenberg 1976: 31).
Insbesondere durch den letzten Satz, indem auf die Figuren und deren Handlung verwiesen wird, wird erklrbar, inwieweit Epochen nicht nur eine Konstruktion zur strukturierten Verwaltung der Vergangenheit sind, sondern darber Aufschluss ber Figuren und Gestalten geben, deren
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Die Frage nach der Neuheit tangiert die Frage nach der Epoche, ist jedoch fr sich genommen ein eigenstndiges Forschungsgebiet, das hier nicht weiter verfolgt werden soll. Rçttgers kommentiert zu Luhmann in dieser Frage: „Mindestens betont Luhmann, dass das Fragen nach Neuheit keine selbstverstndliche Frage sei; und die Annahme, dass ber die Neuheiten, die neuen Ideen beispielsweise, man an das Wesen einer Epoche herankommen kçnne, ist fr ihn eher eine Erwhnung kuriosittshalber wert. Die Emergenz von Neuem ist daher nichts, was sich im Handeln selbst zeigt, es ist auch nichts, was man im Nachhinein entdeckt, allerdings unterlaufen Luhmann auch solche Formulierungen wie, dass einer Zeit etwas als neu erschien, was nur die Zeitgenossen, wegen der Nahsichtigkeit ihrer temporalen Perspektive noch nicht wahrnehmen konnten“ (Rçttgers 2002: 172).
2.1 Der Epochenbegriff aus philosophischer Sicht
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Vermchtnis als derart wichtig anerkannt wird, dass es in Verbindung mit der historiographischen Sinnvermittlung gebracht wird. Whrend der Zeit des Epochenumbruchs, wie er von den Historiographen der Nachwelt charakterisiert wird, treten insbesondere jene Figuren in den Vordergrund, die sich, so Stephen Erickson (2003: 53), auf der Suche (Wanderjahre or gap years) befinden und sich dabei insbesondere mit dem Thema ihrer Identitt und der ihrer Umwelt außerhalb ihres habituellen Umfeldes beschftigen. Dieser Punkt wird insbesondere im Zusammenhang mit Augustin als einer Schlsselfigur des epochalen Wandels zu bercksichtigen sein, da dessen Leben durchaus im Sinne Ericksons als „Wanderjahre“ zu bezeichnen ist. 2.1.2 „Mittelalter“ als exemplarischer Epochenbegriff Das gngige Epochenschema westlicher Geschichte wird in die drei Hauptepochen Antike, Mittelalter und Neuzeit unterteilt. Vor, zwischen und nach diesen Epochen sind weitere Ausdifferenzierungen angesiedelt, welche den Umbruch zwischen den Epochen als Umbruch zwischen weiteren Unterepochen je nach Untersuchungsdisziplin und Rastergrçße zum Gegenstand haben. Dieses Grobschema selber stammt aus der Zeit des Renaissancehumanismus. Die Begriffe „Antike“, „Mittelalter“ und „Neuzeit“ (oder „Moderne“) stellen dabei in erster Linie Zuweisungen dar, die eine Selbstbeschreibung der Humanisten zum Inhalt haben. Am deutlichsten wird dies an dem Begriff des Mittelalters, welcher nach Flasch ein „polemischer Einfall“ der Humanisten war. „Es sollte eine fremdartige Zwischenzeit von etwa 1000 Jahren bezeichnen. Das Wort stellt knstlich eine Einheit her, die nie existiert hat“ (Flasch 1986: 17). Diese nicht vorhandene Einheit ist es auch, die die Schwierigkeit der Beschreibung des Mittelalters ausmacht und die in medivistischen Kreisen zu weitlufigen Kontroversen fhrt, welcher Zeitraum als „Mittelalter“ verstanden werden soll.3 Die Knstlichkeit der vermeintlichen Einheit, die der 3
Um die Kontroverse in ihrer Umfnglichkeit anzudeuten, sei auf Kapitel 4.1 verwiesen, wo der Anfangszeit des Mittelalters diskutiert wird und allein die Frage nach dem Anfang des Mittelalters einen Zeitraum von ber 600 Jahren darstellt. Flasch weist auf die allmhliche Vernderung von der Antike zum Mittelalter hin, die hier noch im Zusammenhang Augustins und seiner Positionierung auf der Epochenschwelle bedeutsam werden wird: „Das Mittelalter
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zusammenfassende Begriff Mittelalter suggeriert, wird auch in der blumenbergschen Beschreibung des Zusammenhangs von Epoche, Einheit und Ereignis deutlich. Blumenberg schreibt bereits in seiner Habilitationsschrift: „Epochen sind das der Geschichte nur Zufllige, das sich in nicht endende Einheit aufhebt, wenn die Geschichte zu ihrem Wesen gefunden hat“ (Blumenberg 1950: 13). Die riskante These Blumenbergs hier, dass „die Geschichte zu ihrem Wesen“ findet, soll hier angezweifelt, aber nicht weiter diskutiert werden. Markant ist jedoch die Zusammenfassung der Zuflligkeit unter dem Rubrum der Epoche, die Sinn, Bedeutung und Zugehçrigkeit vermittelt. Diese Funktion der Navigationserleichterung wurde oben angesprochen und soll hier fr das „Mittelalter“ exemplarisch anhand der Humanisten verdeutlicht werden. Gleiches gilt fr die Bezeichnung „Neuzeit“ mit der zur Zeit der Neuzeit ein eigener Name gefunden wurde, der nicht mehr sagt, als dass die „Neuzeit“ sich von der vorherigen ra abgrenzt, es jedoch noch nicht klar ist, was – mit Blumenberg gesprochen – das Wesen der Neuzeit sei. Das Mittelalter verweist dabei auf die berbrckung einer Zeit, die man offenbar berwunden sah und die jenseits ihrer Ausdehnung mit demjenigen Alten endete, auf welches Bezug genommen wurde. Dies wird im Begriff der Renaissance, der „Wiedergeburt der Antike“, deutlich. Wie Flasch beschreibt auch Blumenberg das Selbstverstndnis der Neuzeit ber die Abgrenzung zum Mittelalter, das „nur als mittlere und vermittelnde, als vorlufige und auf Ablçsung angelegte Phase der menschlichen Selbstverwirklichung gedeutet [wurde]. Die Suggestion liegt nun darin, dass dem Mittelalter so etwas wie ein Selbstbewusstsein seiner Vorlufigkeit zugeschrieben, fast mçchte man sagen: untergeschoben wird“ (Blumenberg 1965: 25). An die Mahnung Eibls aus dem vorangegangenen Kapitel, die Geschichtsphilosophie neige mitunter dazu, die Epochen zu „Individuen und Akteuren der Geschichte“ zu stilisieren (Eibl 1990: 3), sei hier erinnert. Dennoch ist es richtig und wichtig, die Epochen auf ihren Zusammenhang untereinander hin zu
war kein radikaler Neubeginn; es hat sich von Anfang an auf antike Formen bezogen. Es war zunchst die christliche Sptantike, die ihm Lebensmuster und Auslegungsformen gab. Was sich anbot, waren vor allem die Werke Augustins, sodann die Schriften des Boethius und des Dionysius Areopagita. Um die philosophische Entwicklung des Mittelalters zu verstehen, muss man herausfinden, was in diesen Texten philosophisch erreicht war, denn sie bildeten den geschichtlichen Ausgangspunkt fr Bemhungen, die ber das Kompilationsstadium hinausfhren“ (Flasch 1986: 23).
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untersuchen, dies insbesondere vor dem Hintergrund ihrer Entstehung zur Zeit der Renaissancehumanisten. Mit Kreuzer kann das gesamte Epochenschema radikal kritisiert werden. „Das Schema ,Antike-Mittelalter-Neuzeit‘ ist eine Konstruktion, die ideengeschichtlich willkrlich ist. Mit ihr macht man es sich zu einfach“ (Kreuzer 2000: 7). Dennoch – dies soll gegen Kreuzer vorgebracht werden – bietet das Schema die erste bergreifende Einteilung der Geschichte dar, die es immerhin ermçglicht, sich zugegebenermaßen einfach in den durch die Epochen konstruierten Sinnrumen zu bewegen. So kann positiv formuliert werden, dass Epochen Komplexitt reduzieren, wofr eine gewisse Verkrzung und Sinnentstellung in Kauf genommen werden muss. Diese ,pragmatische‘ Sichtweise der Epocheneinteilung, wie sie auch Flasch (1986: 138) kritisiert, hat jedoch ihr Gutes darin, dass sie durch Vereinfachung die Mçglichkeit gibt, die vergangenen 2000 Jahre westlicher Geschichte auf drei gleichwohl wenig aussagekrftige Begriffe zu reduzieren. Es steht fest, dass das gngige Epochenschema von Antike-Mittelalter-Neuzeit nicht berdauern wird, da es einzig die Sichtweise der Neuzeit charakterisiert. Solange Epochenbegriffe einer rein temporalen Nomenklatur folgen, interessiert ihr inhaltlicher Bezug nur sekundr. Die gegenwrtige Diskussion ber „Moderne“, „Postmodern“ oder gar „Postpostmoderne“ bis hin zum „zweiten Mittelalter“ zeigt, dass der Bedarf nach bedeutsamer Einordnung jenseits des Temporalbezugs ein drngendes Desiderat darstellt. Blumenberg gibt eine Direktive aus, wie sich der Frage nach Epochen angenhert werden sollte. Fr ihn muss „das Problem der Epoche […] von der Frage nach der Mçglichkeit ihrer Erfahrung her aufgerollt werden“ (Blumenberg 1976: 17). In dem Begriff der Erfahrung als dem die Epochendiskussion Kennzeichnenden liegt die Frage nach dem Bezug zum Beobachter begrndet. Epochen sagen folglich etwas ber diejenigen aus, die den jeweiligen Epochenbegriff erstens ersinnen und zweitens verwenden und weniger ber die Zeit, die mit der Epoche beschrieben werden soll. Kommt es also zu einer Neudefinition des epochalen Schemas, hat man es mit einer nachdrcklichen Vernderung der Gesinnung zu tun. Gleichzeitig ist es, wie Kreuzer richtig bemerkt, „einfach“, sich auf das gngige Epochenschema zu verlassen, denn eine inhaltliche Beschreibung der umfassten Zeitrume wre denkbar schwierig und wrde nur schwerlich zu einem gemeinhin anerkannten Konsens fhren, auf den sich Angehçrige verschiedener Zeiten mit verschiedenen Interessen an der Vergangenheit einigen kçnnten. An dem hier gewhlten Beispiel des
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Mittelalters kann durch die umgangssprachliche Attribution „dunkel“ aufgezeigt werden, inwieweit das polemische Selbstverstndnis der Neuzeit noch immer wie ein Schatten ber dem Zeitraum zwischen der Antike und der Moderne liegt. 2.1.3 Was ist zwischen den Epochen? Wie lsst sich im folgenden mit dem Begriff der Epoche arbeiten, wenn er aus verschiedener Blickrichtung einerseits fr die Zsur, und andererseits fr die Zeitspanne zwischen den Zsuren steht? Gemß der begrifflichen Verwendung ließe sich konstatieren: Zwischen den Epochen ist die „epoch“. Diese etymologische Spitzfindigkeit fhrt jedoch nicht zu einer operationalen Verwendung des Begriffs, sondern markiert eine Unterscheidung zwischen den begrifflichen Verwendungen. Um die Frage nach dem „Dazwischen“ der Epochen zu beantworten, soll hier der Begriff der Epochenschwelle eingefhrt werden, wie er weiter unten mit Blumenberg ausgearbeitet wird. Vorerst steht die Frage nach dem Interim im Vordergrund, das im Rahmen epochaler Vernderung von Stephen Erickson als „Komma“ bezeichnet wird, das eine Art Pause darstellt, die durch ein „nicht mehr“ und ein „noch nicht“ charakterisiert ist (Erickson 1999: 103). In dieser „Pause“ zwischen den Epochen liegt eine Bewegung, die Erickson in der englischen und unbersetzbaren Formulierung als „thresholding“ (von engl. threshold = Schwelle) bezeichnet. Whrend dieser Zeit herrscht eine vergangenheits- und zukunftslose Gegenwart (Erickson 1999: 106). Diese Schwelle, so Erickson weiter, lsst sich als Punkt vorstellen, der einerseits die Mçglichkeit der Beendigung und andererseits die Mçglichkeit des Anfangs bietet und sich zugleich durch „maximale Verwundbarkeit“ auszeichnet (Erickson 1999: 118). In einem nchsten Schritt kann dieser in der Reflexion konstruierte Ort des Zwischen auf die Personen bezogen werden, die zu jener Zeit leben. Diese nennt Erickson „thresholders“, was dem aus der Kulturanthropologie bekannten Schwellenwesen vergleichbar wre. Die Existenz des „thresholders“ ist einerseits gefhrdet durch sein Dazwischensein, andererseits aber auch erst dadurch ermçglicht. Erickson beschreibt diese Schwellenorte, in denen man die Schwellenwesen verorten kann, wie folgt:
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Much like a displaced person, a thresholder’s existence is both engendered by and drawn to these betweens. Such locations are nowheres which are nonetheless somewhere, and somewheres which are in another sense nowhere (Erickson 1999: 118).
Es fllt auf, dass die Beschreibungen epochaler Umwlzung auf Allegorien und Metaphern zurckgreifen, die der zeitlichen Kontinuitt eine rumliche Diskontinuitt zuschreiben. Dies wird anhand der Beschreibung Ericksons deutlich, der gar von einem „Age of Thresholding“ (1999) spricht, und gilt ebenso im Deutschen fr den hier zu verwendenden Begriff der Epochenschwelle. Diesen charakterisiert Karl Eibl als Bild, das er weiter bestimmt als „das Bild einer Tr, durch die man tritt, um vom einen Raum in den anderen zu kommen. […] Sachgerechter wre vielleicht die Vorstellung vom Korridor. In ihm ist eine Vielzahl von Schwellen im Sinne kleinerer Hindernisse und Probleme verstreut“ (Eibl 1990:4). Folgt man den Metaphern von Erickson und Eibl, so befindet sich zwischen den Epochen eine eigenstndige Phase, die weder dem angrenzenden Raum des Vorher, noch dem folgenden Raum des Nachher angehçrt. Diese Phase wiederum ist charakterisiert einerseits durch einen bergang auf qualitativer Ebene, andererseits durch einen sukzessiven bergang, wie er in Eibls Beschreibung des Korridors deutlich wird. Die damit aufgeworfene Frage nach der Neuheit des folgenden „Raums“ liegt in der Autonomie des Zwischenraums. Durch dessen Offenheit kçnnen sich erst Alternativen und neue Bewegungen konstituieren und schließlich kritische Masse erlangen und zu einem neuen Raum werden, der in historiographischer Sicht die neue Epoche darstellt, die erst durch die „epoch“ ermçglicht wird. Der Begriff der Epochenschwelle soll als Versuch verstanden werden, diese beiden Ebenen zu vereinen, gleichwohl er streng genommen einen Pleonasmus darstellt. Versteht man Epoche jedoch als zeitrumlichen Begriff der Kontinuitt so wird durch die Schwelle auf den bergang als Diskontinuitt verwiesen. Bevor im folgenden auf Hans Blumenberg und dessen Verwendung des Begriffs Epochenschwelle eingegangen wird, soll diese Eigentmlichkeit anhand verschiedener Beitrge aus der Transformationsforschung ergnzt werden, die die beiden Ebenen des bergangs systematisch ausgearbeitet haben, um so zu einem operationalisierbaren Begriff von Epochenschwelle zu gelangen.
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2.2 Modelle der Beschreibung von Wandel, Transformation und Neuheit Im Folgenden werden Modelle zur Beschreibung und Untersuchung von Wandel eingefhrt, die das im vorherigen Kapitel vorgestellte Feld der philosophischen Beschreibung epochalen Wandels flankieren sollen. Dieser Schritt ist insofern sinnvoll, da die geschichtsphilosophische und historiographische Darstellung epochalen Wandels nur einen kleinen Teil der Philosophie ausmacht und in sich keine solide und umfassende Forschungstradition aufweisen kann. Mit den im folgenden vorzustellenden Anstzen soll im Wesentlichen eine kritische Anreicherung und Ergnzung des bestehenden Instrumentariums erzielt werden, um den bergang von der Antike zum Mittelalter als interdisziplinres Forschungsprogramm auf Hans Blumenberg aufbauend zu erfassen. Aus einer Vielzahl von mçglichen Mçglichkeiten der Beschreibung von Wandel werden ausdrcklich zwei Anstze zum Tragen kommen. Dies ist zum ersten der Begriff der „Inkommensurabilitt“ aus der Arbeit Thomas Kuhns zur „Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“. Vorab sei dazu erwhnt, dass Thomas Kuhn seine These ausdrcklich fr andere Phnomene des Wandels çffnet und nicht nur auf den Bereich wissenschaftlicher Revolutionen bezieht (Kuhn 1969: 122). Der zweite Bereich entstammt der Transformations- und Transitionsforschung, die im Wesentlichen auf Beitrgen der gegenwrtigen Sozialwissenschaft und konomie fußt. Ausgangspunkt ist die Arbeit des Wirtschaftshistorikers Douglass North, der fr seine Arbeiten ber „institutionellen Wandel“ und damit die Begrndung der so genannten ,Neuen Institutionençkonomik‘ den Nobelpreis verliehen bekam. Im Hinblick auf die Untersuchung der Epochenschwelle Antike–Mittelalter stehen dabei vor allem die zu erklrenden Begriffe „Transformationsgeschwindigkeit“, „Wettbewerb der Systeme“, „berlappungsbereich“, „Prozessanalyse“ und „Transformationsstrategien“ im Vordergrund. Aufbauend auf dem so gewonnen Instrumentarium zur Erfassung und Untersuchung der angrenzenden Bereiche gesellschaftlichen, institutionellen oder kulturellen Wandels wird der von Hans Blumenberg in die Geschichtsphilosophie und in die Historiographie eingefhrte Begriff der „Epochenschwelle“ kritisch untersucht und um die Einsichten des vorliegenden Kapitels erweitert, um so zu einem interdisziplinr angereicherten Verstndnis von Geschichtsphilosophie zu gelangen.
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2.2.1 ber den „bergang zwischen inkommensurablen Dingen“ (Kuhn) Die 1962 von Thomas S. Kuhn verfasste Arbeit mit dem Titel „The Structure of Scientific Revolutions“ wird von Kuhn selber nicht als rein wissenschaftstheoretischer oder wissenschaftsgeschichtlicher Beitrag verstanden. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass der Begriff „Paradigmenwechsel“ auch umgangssprachlich verwendet wird, sondern vielmehr die auch von Kuhn bereits beabsichtigte4 Ausdehnung seiner Theorie auf allgemeine Umbruchsituationen, vor allem jedoch auf die „Geschichte der Geisteswissenschaften“ und allgemein auf die Kulturgeschichte.5 Die Theorie Kuhns im Zusammenhang mit epochalem Wandel soll hier nicht abermals referiert werden. Vielmehr soll der Kuhnsche Ansatz der Inkommensurabilitt als Erscheinung des Wandels aufgegriffen werden, da sich die damit einhergehende Behauptung, dass sich der bergang zwischen inkommensurablen Paradigmenkandidaten ereignet, fr die Arbeit an der Epochenschwelle als sinnvoll darstellt. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Rezeption der Arbeit Kuhns durch Hans Blumenberg, der sich mit dem Kriterium der „Diskontinuitt“ in dem Aufsatz „Paradigma, grammatisch“ beschftigt. Blumenberg, der sich schon vor Kuhn mit Umbrchen (insbesondere mit Kopernikus und der so genannten kopernikanischen Wende) beschftigt hat, kommt zu hnlichen Feststellungen ber Wandelphnomene wie Kuhn.6 Die hier zu behandelnde gemeinsame Denkfigur ist die der Diskontinuitt, die als Merkmal des bergangs anzusehen ist. Nach Kuhn gibt es Phasen „normaler“ und Phasen „außerordentlicher“ Forschung, wobei letztere ein Indikator fr Umbruchzeiten sind. Die Differenz zweier „normaler“ Forschungsparadigmen wird ber die Einheit des Widersprchlichen whrend der Umbruchzeit hergestellt. Bei Kuhn heißt es dazu:
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So argumentiert Kuhn: „Bisher habe ich nur behauptet, Paradigmata seien konstitutiv fr die Wissenschaft. Jetzt mçchte ich darlegen, inwiefern sie auch fr die Natur konstitutiv sind“ (Kuhn 1969: 122). Weiter fhren Halter/Mller aus, dass der Begriff „Paradigmenwechsel“ in jngerer Zeit zur Untersuchung „epochaler Umbrche der Wertevorstellungen, der Weltbilder, der Lebenssinnverstndnisse und Lebensfhrungen“ herangezogen wird (Halder/Mller 1988: 226). Ein Vergleich zwischen den beiden Autoren wre ein sehr ergiebiges Forschungsvorhaben, um aus den Thesen beider ein Modell sowohl geschichtsphilosophischer wie wissenschaftstheoretischer Natur zu erstellen. Doch ist hier nicht der Ort fr ein solches Vorhaben.
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2 Kategorien und Begriffe epochalen Wandels
Der Versuch, die Ursachen jener Differenz zu enthllen, fhrte mich dazu, die Rolle dessen in der wissenschaftlichen Forschung zu erkennen, was ich seitdem „Paradigmata“ nenne. Von diesen glaube ich, dass sie allgemein anerkannte wissenschaftliche Leistungen sind, die fr eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten Modelle und Lçsungen liefern (Kuhn 1969: 11).
Jene von Kuhn angesprochene Differenz ist ein Anhaltspunkt fr die Relativitt der wissenschaftlichen Paradigmen, deren Gltigkeit in Zeiten der Krise neu verhandelt wird. Blumenberg geht auf die Thesen Thomas Kuhns ein und hlt fest: Der Begriff des Paradigmas stellt also in gewisser Hinsicht ein Moment der Diskontinuitt im Schema der Wissenschaftsgeschichte dar. Die violations of expectations sind eben nur dann mçglich und folgenreich, wenn ein konsolidierter Bestand gefhrdet werden kann (Blumenberg 1981d: 157 f ).
Die Krise ist folglich die Voraussetzung des Neuen, jedoch keine zwingende, da nach einer Krise auch das Ergebnis herauskommen kann, dass der neue Paradigmenkandidat vom weiterhin vorherrschenden Paradigma zurckgedrngt wird. Diese auf Wettbewerbsprinzipien beruhende These soll im folgenden Kapitel vertieft werden, wenn es um die Erweiterung der Theorie durch çkonomische Bestandteile geht. Entscheidende Vorausetzung fr den Wandel ist sowohl nach Blumenberg als auch nach Kuhn ist der Niedergang, der eine Krise einleitet, die wiederum als Voraussetzung des Neuen anzusehen ist. Dabei kommt – im Konkurrieren wissenschaftlicher Weltbilder und Erklrungsbilder – der „neuen Theorie“ zu, als „unmittelbare Antwort auf die Krise“ zu erscheinen, die eintritt, „nachdem eine normale Problemlçsungsttigkeit offensichtlich versagt“ (Kuhn 1969: 87). Man hat es also mit unterschiedlichen Antwortkontexten zu tun, die je nach dem Erreichen kritischer Masse zum herrschenden Paradigma werden, respektive bleiben. Kuhn weist am Beispiel der Wissenschaft dabei darauf hin, dass im Falle einer Krise die Reaktion auf die Krise das Festhalten am alten Paradigma darstellt, auch wenn die Protagonisten „mit Anomalien konfrontiert werden, und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd“ (Kuhn 1969: 90). Sowohl Kuhn als auch Blumenberg verweisen auf die so genannte „kopernikanische Wende“, anhand derer ein solcher bergang anschaulich gemacht werden kann. Die beiden sich ausschließenden und doch zueinander affinen Antwortenkontexte des Vorher und Nachher kçnnen nach Kuhn als „inkommensurabel“, das heißt als „unvergleichbar miteinander“ bezeichnet werden. Die zu diesen Zeiten stattfindende „außerordentliche Forschung“ bewirkt den qualitativen Sprung,
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der die beiden „Paradigmen“ trennt, die jedoch durch den bergang miteinander verbunden sind. Dieser bergang wird im Folgenden als Kipppunkt bezeichnet. Kippbild als Differenz Die Inkommensurabilitt stellt nach Thomas Kuhn eine Beschreibung des bergangs dar, welcher als Wechsel zwischen „normaler“ Tradition und der nchsten „normalen“ Tradition durch eine transitorische, „außergewçhnliche“ Phase der Revolution (in seinem Beispiel der Wissenschaft) geprgt ist (Kuhn 1969: 159). In seinem Buch beschreibt Kuhn den „bergang zwischen inkommensurablen Dingen“ als „Gestaltwandel“ der auf einmal zu erfolgen hat. Der bergang kann nicht „Schritt um Schritt vor sich gehen, von Logik und neutraler Erfahrung eindeutig erwirkt. Er muss, wie der Gestaltwandel, auf einmal (wenn auch nicht notwendigerweise in einem Augenblick) geschehen oder berhaupt nicht“ (Kuhn 1969: 161). Mit „Gestaltwandel“ ist eine Art Kippbild gemeint, welches darauf hinweist, dass man es bei Paradigmen im Wesentlichen mit Wahrnehmungs- und Beobachtungsrelationen zu tun hat. Die „Inkommensurabilitt der Dinge“ liegt also beim Beobachter. Selbiges gilt fr die historiographische Konstruktion von Epochen, die ausschließlich ex post im Auge des Beobachters entstehen und ebenso inkommensurabel zueinander sind und durch einen bergang in einer genetischen Beziehung zueinander stehen. 2.2.2 Impulse aus der Transformations- und Transitionsforschung Die Untersuchung von Transformationen und bergngen im Allgemeinen wird gegenwrtig auf vielfltige Weise wissenschaftlich untersucht – grçßtenteils außerhalb der Philosophie. Als fhrende Disziplinen sind hierbei vor allem die Volkswirtschaftslehre (die aus der Philosophie vor nicht einmal 250 Jahren hervorging), die Sozialwissenschaften mitsamt der Soziologie, sowie die Kulturanthropologie anzufhren. Weiterhin nimmt die Literaturtheorie eine wichtige Rolle in der Erforschung und Interpretation der Struktur von bergngen ein. Im Folgenden werden einige Anstze dieser Disziplinen, soweit sie als geeignet fr das Anliegen dieser Arbeit anzusehen sind, vorgestellt und auf die bertragbarkeit auf das philosophische Modell der Epochenschwelle hin untersucht. Dabei werden Begriffe wie „Vertrag“, „relative
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2 Kategorien und Begriffe epochalen Wandels
Kosten“, „Institutionen“ „Gleichgewichtssequenz“ oder „Wettbewerbsverfahren“ Verwendung finden, denen man auf den ersten Blick eventuell keine philosophische Brauchbarkeit zuschreiben wrde. Um eine Transformation im Allgemeinen zu beschreiben, sind sie jedoch sehr hilfreich, ungeachtet der Disziplinenzugehçrigkeit des sich im bergang befindlichen Untersuchungsobjektes. Philosophische Theorien und Geschichtsdarstellungen befinden sich – so die hier vertretene Position – ebenso im Wettbewerb untereinander, wie die klassischen Sujets der konomie. Die Vorgehensweise ist eine andere, von außen beschaut handelt es sich bei allen Vernderungen und Transformationen um Verdrngungsvorgnge. Fr die Frage nach der Zuschreibung von Epochen gilt dies ebenso. Der Begriff der Epochenschwelle verdeutlicht dieses Wesensmerkmal der Transformation. Um den bergang von einer Epoche zur nchsten beschreiben zu kçnnen, stellen die hier vorzustellenden Begriffe ein Instrumentarium dar, das den Fokus auf das Zustandekommen der Vernderung und weniger auf den Inhalt selber richtet. An erster Stelle ist hierbei der Theorierahmen der so genannte Neuen Institutionençkonomik zu nennen, worin explizit Erscheinungen des Wandels untersucht werden. Dieser Ansatz geht auf den Nobelpreistrger Douglass North (1990) zurck, seines Zeichens Wirtschaftshistoriker, dem das Verdienst zukommt, die Geschichtlichkeit von Entscheidungen in die çkonomische Theorie gebracht zu haben („History matters!“). Dabei spielt nach North die Unterscheidung zwischen kontinuierlichem und diskontinuierlichem Wandel die entscheidende Rolle. Zuvor muss jedoch der Begriff der Institution aufgegriffen werden, womit North in einem allgemeinen Sinne smtliche „Regeln“ meint. In einem spezifischen Sinne werden formgebundene Institutionen (wie Gesetze, Normen und Verfassungen) und formungebundene Institutionen (wie Sitten, Bruche und Gewohnheiten) unterschieden. Der Verlauf institutionellen Wandels erfolgt North zufolge kontinuierlich oder diskontinuierlich, also abrupt. Der diskontinuierliche Wandel wird dabei in der Regel durch „Kriege, Revolutionen, Eroberungen und Naturkatastrophen“ (North 1992: 105) verursacht, beim Prozess des kontinuierlichen institutionellen Wandels kommt es dagegen auf eine stndig neu zu verhandelnde Umgestaltung der bestehenden Regeln an. Institutionençkonomisch hat man es dabei mit einer Vernderung der „relativen Preise“ zu tun, die „einen oder beide Partner eines Tausches (gleichgltig ob er politischer oder çkonomischer Natur ist) auf den Gedanken [bringt], dass einer von ihnen oder beide nach nderung der Vereinbarung bzw. des Vertrages
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besser gestellt wren. Es wird versucht, den ,Vertrag‘ neu auszuhandeln. Da jedoch Vertrge in der Hierarchie der Regeln ihren festen Platz haben, lsst sich die Neuverhandlung mçglicherweise nicht durchfhren, ohne dass die Regeln einer hçheren Stufe umgestaltet werden“ (North 1992: 102). Im zu untersuchenden Fall der Epochenschwelle wird das Element der Umgestaltung zum tragenden Moment auf einer historiographischen Ebene der Retrospektion. Um jedoch zu dieser Sichtweise zu gelangen, ist das pragmatische Instrumentarium einer Theorie wie der Neuen Institutionençkonomik geeignet. Diese Verbindung fehlt dem Begriff der Epochenschwelle, so wie Blumenberg ihn verwendet. Dieses Desiderat ist einer der Grnde, warum mit dem bisherigen Begriff der Epochenschwelle so schwierig zu arbeiten ist, und warum er einer Revision bedarf. Nach North ist „die wichtigste Einzelheit, die wir uns im Zusammenhang mit institutionellem Wandel klarmachen mssen, wenn wir uns berhaupt sinnvoll mit dem Thema beschftigen wollen, […] die Tatsache, dass institutioneller Wandel berwiegend in kleinen Schritten vor sich geht“ (North 1992: 105). Gleichwohl sind es jene außergewçhnlichen Zeiten, die große Vernderungen en bloc nach sich ziehen. Die Tiefe der Vernderungen hngt dabei maßgeblich von der Stabilitt ab, die eine Gesellschaft ausbilden konnte. Diese kann mit Giddens als die Grçße der Raum-Zeit-Ausdehnung bezeichnet werden (Giddens 1988: 224). Je stabiler und bestndiger eine Gesellschaft, desto tiefgreifender wird sich der diskontinuierliche Wandel darstellen und desto unwahrscheinlicher ist eine kontinuierliche nderung der Institutionen. Nach North entwickeln Gesellschaften, die ber lange Zeit stabil blieben, eine monolithische Struktur, „die keine Konkurrenten aufkommen ließ, welche den Herrschern gefhrlich werden konnten“ (North 1988: 120 f ). Eine mçgliche Konsequenz des Wandels wre der Niedergang der alten Strukturelemente. Beim Niedergang Roms setzt dieser mit den Merkmalen „Bevçlkerungswachstum und abnehmende Ertrge“ (North 1988: 119) ein. „Fr gewçhnlich fhrt wirtschaftlicher Niedergang zum Untergang des Staates als souvernem Gemeinwesen, und angesichts der gegebenen Instabilitt […] berrascht das nicht“ (North 1988: 117). Fr das Modell des epochalen Wandels, der in der Betrachtungsebene rekonstruierter Geschichtsdarstellung noch weiter reicht als der Aufstieg und Niedergang von Nationen, lassen sich die Instabilitten im philosophischen Denken wieder finden, so wie diese sich beispielsweise bei Augustin durch seine hufigen philosophischen Richtungswechsel belegen lassen. Ekkehart Schlicht fhrt aus, dass fr diskontinuierlichen und raschen Wandel ein erhebliches Maß an „fuzzyness“, also Unschrfe im
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Sinne von Offenheit erforderlich ist. Je mehr von dieser „fuzzyness“ vorhanden ist, desto schneller kann sich der Wandel vollziehen (Schlicht 1998: 57). Institutionen sind Regeln zur Stabilittsfçrderung. Nach Birger Priddat sind Institutionen, Rationalittsentlastungsinstanzen, die den Optimierungslevel senken und dafr bestimmte Handlungsalternativen ber die Zeit persistent gewhrleisten“ (Priddat 1994: 37). Ein wesentlicher Punkt in der Betrachtung des Wandels aus institutionençkonomischer Perspektive ist die Einbeziehung so genannten mentaler Modelle (shared mental models). Dieses Konzept ist aus der Kognitionswissenschaft importiert und geht auf das Eigennutzaxiom zurck, wonach jeder entsprechend seiner individuellen Prferenzen entscheidet. In makroskopischen Betrachtungen von Wandel kommt es zu einem „Prferenzenwechsel“, der sich in der oben angesprochenen „fuzzyness“ ausdrckt. Nach Ackermann hngt die Transformationsproblematik maßgeblich „von unterschiedlich entwickelten mentalen Modellen“ ab (Ackermann 2001: 203). Im Falle der hier zu untersuchenden Epochenschwelle kann man diese unterschiedlichen „mentalen Modelle“ anhand von Augustin selber entdecken, betrachtet man die unterschiedlichen Lehren und Philosophien, denen der junge Augustin anhing. Birger Priddat stellt fr die Institutionençkonomik bezogen auf die Thematik der Epochenbildung den Einfluss des handelnden Individuums fest: Wir kçnnen nur festhalten, dass Institutionen fr eine gewisse Zeit die Unsicherheit der Alternativenbestimmung reduzieren kçnnen, aber keine Aussage darber machen, wie lange die erwartungsstabilisierende Institutionenepoche dauern wird […]. Anfang wie Ende sind geschichtliche Ereignisse, keine Entscheidungen (Priddat 1995a: 291).
Die Gegenberstellung von „geschichtlichen Ereignissen“ und „Entscheidungen“ stellt in einer kritischen Reflexion das Risiko der bertragung çkonomischer Modelle fr Transformationen auf geschichtsphilosophische Belange dar. Wo sich die çkonomischen Modelle mit Entscheidungen und Wahlhandlungen beschftigen, konzentriert sich die Philosophie auf die Reflexion des Epochenbegriffes und der damit einhergehenden Implikationen. Bei der Untersuchung einer Epochenschwelle hat man es exakt mit jenen zwei Figuren zu tun, die sich dem Zugriff des konomen entziehen: Dem Ende der einen Epoche und dem Anfang einer sich anschließenden. Der Handlungsspielraum des Individuums aus Sicht des Transformationstheoretikers ist dabei stark reduziert.
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Der Wandel bestimmt die Grenzpunkte, um genau die es in der Untersuchung einer Epochenschwelle geht. Anfang und Ende sind Ausdruck zweier Epochenidentitten, die whrend der Zeit, die im Nachhinein Epochenschwelle genannt werden kann, im Wettbewerb um die Persistenz bzw. deren Begrndung stehen. Die hier vorgetragenen Modelle der Transitionsforschung richten deshalb den Fokus auf diese Phase der Unentschiedenheit, die hilfreich zum Verstndnis von Epochenschwellen ist. 2.2.2.1 Wandel als „Wettbewerbsverfahren“ Der Wandel, der einer Epochenschwelle zugrunde liegt, wird als abgeschlossener Prozess durch das Feststellen einer Epochenschwelle ex post konstatiert. Somit ist die Untersuchung einer Epochenschwelle die Wissensorganisation von Vergangenheit und Geschichte. Whrend der Zeit der Epochenschwelle ist jedoch das Bewusstsein darber auf epistemologisch sicherem Grund nicht mçglich. Im Folgenden wird eine Theorie des Wettbewerbs vorgestellt, die zum Verstndnis der Epochenschwelle beitragen soll. Dabei wird auf die Arbeiten Friedrich von Hayeks zurckgegriffen, der sowohl als Philosoph als auch als konom Beachtung gefunden hat. Um zu zeigen, dass der Rekurs auf die Theorie des Wettbewerbs nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern im Gegenzug als integrale Voraussetzung zum Verstndnis Augustins angesehen werden kann, kann mit O’Connell auf die Opposition der konservativen Katholiken gegen die Neuerungen Augustins verwiesen werden. Dass Augustin gegen andere Lehren und Personen geschrieben hat, ist aus seinen Werken hinlnglich bekannt. Insbesondere die konservative afrikanische Kirche, so O’Connell, habe gegen die philosophischen Glaubensschriften Augustins opponiert (O’Connell 1969: 19). Diese Opposition als strukturelles Merkmal ist ein Zeichen des Wettbewerbs. Aus heutiger Sicht lsst sich sagen: Des Wettbewerbs um die zuknftige Gestaltung der christlichen Kirche und ihrer zentralen Lehren. Betrachtet man im Gegenzug nicht nur die makroskopische Ebene des Systemwettbewerbs, sondern die mikroskopische Ebene der persçnlichen Entwicklung, so ist auch hier das Prinzip des Wettbewerbs bei Augustin in dessen Bekehrung zu finden. O’Connell weist auf die einer Bekehrung innewohnenden Gegenkrfte hin, die den Bekehrten in eine Wettbewerbssituation bringen, da die Bekehrung einen gravierenden Wandel darstellt, was mit der Aufgabe des Bisherigen und dem Neuan-
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fang eines ungewissen, aber drngenden Motivs einhergeht (O’Connell 1996: 79). Wettbewerb ist folglich mehr als ein Modell der Erklrung, nmlich eine „ontologische Universalie“, „ein Wesensmerkmal von Realitt schlechthin“ (Herrmann-Pillath 2000: 275). Diese Universalitt des Wettbewerbs geht in der çkonomischen Theorie bereits aus dem Aufsatz „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ von F. A. Hayek hervor (Vanberg 1999: 11), den es im Folgenden vorzustellen gilt. In diesem Aufsatz von 1967 legt Hayek die Grundfunktion und die Gegenwart von Wettbewerb dar. Wettbewerb ist demnach grundstzlich ergebnisoffen und der Ausgang ist unvorhersehbar (Hayek 1967/94: 180). In dem Wettbewerbsverfahren wird geklrt, welche Gegenstnde oder Geschichten von Wert sind, und welche an Bedeutung verlieren (Hayek 1967/94: 181). Somit wird Wettbewerb zu einer allgemeingltigen Wissensressource7, die darber entscheidet, welches Wissen zuknftig von Bedeutung sein wird. In diesem Zusammenhang ist das berhmte Diktum der „spontanen Ordnung“ von Hayek zu sehen, die sich ber Wandel hinweg erhalten kann (Hayek 1967/94: 184). Die Grundaussage Hayeks ber das „Entdeckungsverfahren“ des Wettbewerbs richtet sich darauf, dass es einige Wenige gibt, die die erforderlichen Vernderungen und Gewohnheiten so vorantreiben, dass die Mehrheit bereit ist, diesen neuen Gewohnheiten zu folgen. Das erforderliche „Entdeckungsverfahren“ wird dann verhindert, wenn die Mehrheit die Wenigen davon abhlt, neue Wege zu erkunden und das Traditionelle zu verwerfen (Hayek 1967/94: 189). Anhand dieses Grundsatzes ber den Wettbewerb wird bereits deutlich, inwieweit dieses Wissen erforderlich zum Verstndnis von Epochenschwellen ist, da es im hier zu behandelnden Falle Augustins um ein „Entdeckungsverfahren“ geht und die sich daran anschließende Kommunikation und Werbung nach außen, um mçglichst viele neue Anhnger zu gewinnen. Bezieht man diese Grundkenntnis auf die Begrndung der institutionellen Form der Kirche und dabei insbesondere die Ausbreitung der klçsterlichen Regeln und die Verbreitung der christlichen Lehren in den Gemeinden, so wird deutlich, inwieweit Augustin hier einen erheblichen Beitrag zur berzeugung der Vielen durch seine Ideen herbeigefhrt hat. 7
Hayek fhrt aus, dass die Prinzipien des Wettbewerbs global zu verorten sind, insofern als stets neue Wege und Mçglichkeiten gesucht werden, wie die eigene Lage zu verbessern sei (Hayek 1967/94: 189).
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2.2.2.2 berlappung und „Fuzzyness“ whrend des Wandels Fr den Fall der Epochenschwelle von zentraler Bedeutung ist die Frage nach dem Kipppunkt, also dem Moment, jener „kryptischen Scheide“ (Blumenberg), wo die eine Epoche endgltig zu einem Ende gekommen ist und die nachfolgende unabdingbar begonnen hat. Diese Frage ist jedoch nicht eindeutig zu beantworten. Vielmehr ist darauf zu verweisen, dass es eine bergangszeit gibt, whrend derer Strukturelemente beider Epochen prsent sind. Erst im Nachhinein, wenn also die bergangszeit abgeschlossen ist, kann man von einem Epochenwechsel sprechen, da erst in der retrospektiven Betrachtung die Epoche als abgeschlossene sichtbar geworden ist. Der oben angesprochene Kipppunkt ist also einzig als Ergebnis einer historiographischen Reflexion konstruierbar. Im Folgenden soll das Augenmerk auf jenen Bereich gerichtet werden, in dem ex post der Kipppunkt verortet werden kann: die bergangsphase zwischen den Epochen. Dabei kann erneut auf transformationsçkonomische Anstze zurckgegriffen werden, mit denen sich die Schwellenphase beschreiben lsst. Diese Theoriebausteine kçnnen spter zur Untersuchung der Epochenschwelle Antike-Mittelalter zur Ergnzung des philosophiegeschichtlichen Instrumentariums herangezogen werden. Den Zugang zum Thema der Epochenschwelle liefert Hans Blumenberg selber in seinen berlegungen zu den Aspekten der Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit: „Diese kryptische Scheide der Zeitalter einzurumen, wrde immerhin heißen, dass Mittelalter und Neuzeit fr ein gutes Stck der Geschichte ineinander oder nebeneinander, jedenfalls in unentschiedener Phnotypik bestanden htten“ (Blumenberg 1976: 21). Dieses „Ineinander oder Nebeneinander“ in seiner Unbestimmbarkeit und Unschrfe kann als Merkmal der Epochenschwelle angesehen werden, das es im Folgenden transformationsçkonomisch zu untermauern gilt. Allgemein gesprochen bedeutet es, im bergang begriffen zu sein, sich in einem dynamischen Prozess zu befinden, der mit Instabilitt einhergeht. Grundstzlich ist mit Schlicht anzumerken, dass Wandel ohne Unschrfe nicht mçglich ist.8 Im Folgenden soll diesem Moment der Unschrfe Aufmerksamkeit entgegengebracht werden. Der Spieltheoretiker und Institutionençkonom Masahiko Aoki (2001) ergnzt die bestehende Transformationstheorie um einen der Spieltheorie entnommenen „equilibrium-of-the-game view“, um somit die Themenkomplexe 8
„Great fuzziness permits fast change, but for some change to occur, it is sufficient to have some fuzziness“ (Schlicht 1998 57).
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„transition process“, „institutional crisis“, „overlap“ und „bifurcation“ zu behandeln. Dabei entwickelt er eine Theorie und Begrifflichkeit, die dem Thema dieser Arbeit zuarbeitet. Aoki entwickelt eine Theorie fr „Institutional Change through the Competition of Symbolic Systems of Beliefs“ (Aoki 2001: 18), die wie andere Beitrge ebenso auf die Differenz von mentalen Modellen als „Transformationsproblematik“ (Ackermann 2001) verweist. Die angesprochenen „systems of belief“ stellen dabei keine religiçsen Glaubensstze dar, wie sie fr die Epochenschwelle Antike-Mittelalter von Bedeutung wren, sondern berzeugungen und Grundstze. Die Zeit der Vernderung wird dabei von Aoki wie folgt beschrieben: When the pattern of choices becomes problematic because of environmental and internal changes, an „institutional crisis“ in the cognitive sense may be triggered: the shared beliefs regarding the ways in which a game is played may begin to be questioned and the agents may be driven to reexamine their own choice rules based on new information not embodied in existing institutions (Aoki 2001: 18).
In der bergangsphase, dem Moment auf der Schwelle, wo man nicht mehr das eine und noch nicht das andere ist, befindet man sich in einem eigenen Raum dazwischen. Den konstruierten Punkt des bergangs, um den es hier geht, nennt Aoki ein instabiles Gleichgewicht, einen Sattelpunkt9 (Aoki 2001: 139), der in der Graphik unten durch den Punkt IP dargestellt ist. Die bergangszeit ist der Bereich, den Aoki als Overlap (berlappung) darstellt. Aoki fhrt anhand der Graphik aus, wie es zum Sattelpunkt IP kommt, und was das Erreichen dieses Punktes fr die Fortentwicklung bedeutet: „When the initial distribution of the population lies in the overlap region, the evolutionary dynamics may converge either to P or I depending on the entrepreneurial expectation on the level of QC“ (Aoki 2001: 146). Der Punkt IP und die Zone des Overlap stehen fr die Verteilungssituation, in der zwei Gleichgewichte zugleich gltig sind und die Mçglichkeit zu gravierenden Vernderungen entsteht. Die Parameter dieses Momentes eines instabilen Gleichgewichtes stellen den oben beschriebenen Punkt der Dynamikentwicklung dar, was in Aokis Modell der Punkt des Equilibriumpfades ist, in welchem Neuanfnge selbsterfllend sind (Aoki 2001: 146). Dieses Modell lsst sich fr die Lehren Augustins bertragen, die einen Anfangspunkt markieren, den Augustin gesetzt hat 9
Vergleiche Koselleck und dessen historiographischen Beitrag zur so genannte Sattelzeit (Koselleck 1979 u. 1987).
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Abb. 1: Evolutionary path (nach Aoki 2001: 146: Fig. 5.2)
und die von dort aus einen neuen Pfad begrndet haben. Die „Krise“, von der dabei die Rede ist, gibt jedoch zur Zeit ihres Geschehens keinerlei Aufschluss darber, welchen Ausgang sie nehmen wird. Dieser sich dynamisch entwickelnde bergang kann durch die spieltheoretisch erweiterte Institutionençkonomie nach Aoki als Phase eines „Overlap“ der beiden konkurrierenden Gleichgewichtspfade charakterisiert werden, die den Wandel auf dem „evolutorischen Pfad“ ausweist: „According to the equilibrium-of-the game view of institutions, an institutional change may be identified with a shift from one equilibrium (sequence) to another equilibrium (sequence) associated with a systematic, qualitative change in the action-choice rules of agents as well as their common cognitive representations (beliefs) about them“ (Aoki 2001: 235). bertrgt man dieses Modell auf das Thema der Epochenschwelle, so kçnnen in der Terminologie Aokis Epochen als „Gleichgewichtssequenzen“ beschrieben werden. Geraten diese Sequenzen aus dem Gleichgewicht, setzt ein Wettbewerb von Alternativen ein, dessen Ausgang unklar ist. Der Moment der Entscheidung kann also als jenes „instabile Gleichgewicht“ verstanden werden, in dem zwei oder mehr konkurrierende Systeme zu gleichen Teilen verbindlich und unverbindlich sind. Der qualitative Wechsel findet in der oben beschriebenen OverlapPhase statt, die kulturanthropologisch auch liminal period genannt werden kann. Das Zentrum dieses Overlaps, der Punkt IP in der Graphik, stellt ein eigenes Gleichgewicht dar zwischen den Entwicklungsmustern
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der konkurrierenden Entwicklungstendenzen dar, das durch Instabilitt im Gegenteil zu den stabilen Gleichgewichtssequenzen auffllt.10 Aoki beschreibt dieses Gleichgewicht als mehrwertig, mindestens jedoch zweiwertig wahr: „The process of institutional evolution can thus be characterized as a ,punctuated equilibrium‘ featuring both path dependence and novelty, as well as both endurance and juncture points“ (Aoki 2001: 183). Die Dauer einer bergangsphase lsst sich schwerlich prognostizieren. Es gibt keine scharf gezogene Trennlinie zwischen der bergangsphase und der Phase gibt, in der die Institutionen wieder stabilisiert werden (Aoki 2001: 243). Auf den Fall der Epochenschwelle bertragen gilt, dass die Existenz eines Wende- oder Sattelpunktes nicht von vornherein angenommen werden kann, sondern dass es vielmehr die Betrachtung einer bergangsphase geben muss, innerhalb derer der Wandel ohne festen Zeitpunkt verortbar ist. Besteht ein bergang aus der Perspektive der Kulturanthropologie nach van Gennep und Turner aus drei Abschnitten (Trennungsphase, bergangsphase, Angliederungsphase), so nimmt Aoki eine Zweiteilung vor, wenn er von der Unterteilung in zwei Subperioden spricht. So folgt der kurzen Phase der Krise, whrend derer dramatische Vernderungen stattfinden, die Phase, in der die Vernderungen dem „evolutorischen Druck der Selektion“ unterworfen sind (Aoki 2001: 243). Fr den Fall der hier zu untersuchenden Epochenschwelle AntikeMittelalter wre dies in einer ersten Beschreibung der Niedergang Roms exemplarisch durch die Einnahme der Stadt durch die Goten 410, welche eine Krise bedeutet und ein „Ordnungsvakuum“ entstehen lsst, in dem sich neue, konkurrierende Anstze behaupten mssen, die schließlich zu einem neuen, epochebildenden Identittsmuster werden. Dass dieses Identittsmuster einen kulturellen oder religiçsen Hintergrund hat, lsst sich aus der transformationsçkonomischen Theorie Aokis ableiten: So stellt Aoki die These auf, dass es zur Entwicklung eines neuen institutionellen Arrangements eines neu konstruierten Sozialkapitals bedarf. Versteht man unter „Sozialkapital“ die „Summe der sozialen Beziehungen“ (Piazza-Georgi 2002: 471) oder das „in einer Gesellschaft herrschende Vertrauensniveau“ (Fukuyama 1995: 26), so ist damit allgemein der Wertekanon und die Regeln des gesellschaftlichen Miteinander an10 Luhmann spricht von „Klumpenbildung“, wenn „von einer Strukturnderung viele andere abhngen“ und sich somit „zentralisierte Interdependenzen“ (Luhmann, 1985, 17) bilden.
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gesprochen, wie es außerhalb der festgeschriebenen Gesetze und Verordnungen im lebensweltlichen Bereich wahrgenommen werden kann. Im Falle der Epochenschwelle hat man es mit den die Rahmen institutioneller Ordnungen berschreitenden Ordnungsgefgen zu tun, die als historiographische Konstruktion den Anspruch der Gegenwartsbestimmung aus der Vergangenheit erfllen. Kommt es zu einschneidenden Vernderungen eines bestehenden Gefges, so sind – institutionençkonomisch gesprochen – die Kosten der nderung des Bestehenden ein plausibler Grund fr den Versuch der Verhinderung des Neuen. Priddat fhrt dazu aus: „Die Entwicklungslinien sind durch die originren institutionellen Arrangements in ihrem Pfad bestimmt, da die Transaktionskosten einer nderung dieser Arrangements so hoch sind, dass sie nur in besonderen Wendezeiten allgemein vorgenommen werden. Diese Wendezeiten werden gemeinhin „Revolutionen“ genannt“ (Priddat 1995a: 296). In der geschichtsphilosophischen Betrachtung wiederum erscheinen solche Wendezeiten, wenn die historiographische Bedeutung einer bestimmten Phase ber die Wendezeit hinaus epochebildende Elemente aufweist. An diesem Stand der Untersuchung kann somit festgehalten werden, dass die einer Epochenschwelle zugrunde liegende Vernderung nur unter erheblichen Transaktionskosten zu erzielen ist, sowohl was den Versuch des Bewahrens, als auch was die Versuche der Implementierung des Neuen angeht. Wettbewerb ist ein grundlegendes Element im Prozess der Vernderung, weil er die Vernderung vorantreibt. Es ist demnach der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Regelgefgen, welcher den bergangsprozess charakterisiert. Dabei ist es weiter entscheidend, welches der in der Phase des Umbruchs konkurrierenden Modelle die Verzahnung von çkonomischem, politischem und sozialem Austausch in Hinblick auf eine neue Stabilitt am besten leistet (Aoki 2001: 241 f ). Abschließend zum Modell Aokis soll auf den Aspekt der Unschrfe und der „Fuzzyness“ whrend des Wandels, oder genauer: whrend der berlappungsphase, eingegangen werden. Grundstzlich ist die Bedeutung der Ungenauigkeit whrend des Wandels zu betonen. Schlicht richtet seinen Fokus auf sich wandelnde Bruche und Sitten: Bruche kçnnen durch ußere Einflsse erodieren, genau wie in gleicher Weise durch ußere Einflsse bestehende Bruche und Sitten gestrkt werden kçnnen (Schlicht 1998: 57 f ). Diese Eigenart ist charakteristisch fr Wandel und beschreibt nher jene Phase des bergangs, wo Krfte oder Bewegungen miteinander im Wettstreit sind und um Ausgleich ringen. Wenn die Gltigkeit der Definitionsbereiche von Regeln aufgeweicht
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2 Kategorien und Begriffe epochalen Wandels
wird, herrscht eine hohe Ambiguitt (Schlicht 1998: 56). Der Konflikt ist somit eine verschrfte Form des Wettbewerbs und gibt je nach Relevanz Aufschluss ber das bergangspotential von bestehenden Gefgen. Dabei kann beobachtet werden, dass in Fllen der Ambiguitt Interpretationen gewhlt werden, die einen persçnlichen Vorteil fr den Interpretierenden ermçglichen (Schlicht 1998: 57), und die im Folgenden weitere Konflikte nach sich ziehen kçnnen. 2.2.2.3 Transformationsarten: Gradualismus und Big Bang-Ansatz Gerade die Transformationsforschung unterscheidet unterschiedliche Muster, nach denen bergnge und Wandel von statten gehen. Dies ist insbesondere bei der Bewertung von Transformationen von Staaten von Belang. Sie kçnnen jedoch auch – so eine Forschungshypothese der hier vorliegenden Untersuchung – genutzt werden, um weit in der Geschichte zurckliegende Transformationen zu erhellen – wie den bergang von der Antike zum Mittelalter. Die theoretischen Hintergrnde der fr diese Untersuchung nutzbar zu machenden Modelle entstammen der volkswirtschaftlichen Untersuchung der Transformation des ehemaligen Ostblocks. Die beiden hier zu benennenden Transformationsmuster, die in der Rekonstruktion der Epochenschwelle (Kap. 4.1) spter von tragender Bedeutung sein werden, lauten Big Bang und Gradualismus. Betrachtet man ex post eine Phase der Transformation (die Epochenschwelle Antike – Mittelalter), so kann man verschiedene konkurrierenden und einander entgegenwirkende Entwicklungstendenzen beobachten, die jede fr sich um Realisierung kmpfen. Aus dieser Perspektive sind Big Bang und Gradualismus als zwei unterschiedliche Strategien zu bezeichnen, mittels derer konkurrierende Entwicklungstendenzen ihre Realisierung durchzusetzen trachten. Unter Big Bang versteht man die Strategie, wonach alle Vernderungen, die als notwendig erachtet werden, gleichzeitig und mçglichst schnell abgewickelt werden. Im Gradualismus hingegen wird versucht, schrittweise und in kleinen, abgeschlossenen Stufen ber einen lngeren Zeitraum hinweg die Vernderung zu erwirken (Kasper/Streit 1999: 485). Den beiden Autoren zufolge ist die Big Bang-Strategie in der Regel effektiver, da bei graduellen Vernderungen mit dem Auftauchen von organisiertem Widerstand gegenber der Transformation zu rechnen ist (Kasper/Streit 1999: 442). Ferner bilden sich im langsamen Vollzug so genannte ,rent-seeking coalitions‘, die weitere Reformen behindern. Gleichwohl gibt es auch Nachteile der Big Bang-Strategie: Fr den
2.2 Modelle der Beschreibung von Wandel, Transformation und Neuheit
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Zeitraum des bergangs wird massive Instabilitt erzeugt, die das Risiko des Steuerungsverlustes in sich birgt (Kasper/Streit 1999: 439). Zusammenfassung Die Begriffe Big Bang und Gradualismus sind theoriegeschichtlich Zuspitzungen der Beitrge Douglass Norths zu kontinuierlichem und diskontinuierlichem Wandel. Wo der diskontinuierliche Wandel durch „Kriege, Revolutionen, Eroberungen und Naturkatastrophen“ (North 1992: 105) verursacht wird, kommt es beim Prozess des kontinuierlichen Wandels auf eine stndig neu zu verhandelnde Umgestaltung der bestehenden Regeln an. Institutionençkonomisch hat man es dabei mit einer Vernderung der relativen Preise zu tun, die „einen oder beide Partner eines Tausches (gleichgltig ob er politischer oder çkonomischer Natur ist) auf den Gedanken [bringt], dass einer von ihnen oder beide nach nderung der Vereinbarung bzw. des Vertrages besser gestellt wren. Es wird versucht werden, den Vertrag neu auszuhandeln“ (North 1992: 102). Die Betrachtung epochaler Konstruktionen legt ex post ein Identittsraster ber die den Wandel angrenzenden Zeitrume. Die Verhandlung relativer Preise, wie North es beschreibt, ist zum Zeitpunkt der Retrospektive (wie sie diese Untersuchung vornimmt) abgeschlossen, d. h. das Zeitalter, das in der betrachteten Transformation begonnen hat, ist abgeschlossen), da sich der Epochenbegriff erst dann herausbildet und herausbilden lsst, wenn die zu bezeichnende Epoche bereits abgeschlossen ist. Philosophischer Ertrag der Transformationsforschung Die vorangegangenen Ausfhrungen zur Transformationsforschung sind womçglich nicht auf den ersten Blick als genuin philosophisch oder philosophisch verwertbar zu erkennen. Die darin behandelten Beschreibungen von bergngen, wie im Falle der Neuen Institutionençkonomik stellen allerdings ein fr die Fragestellung nach Epochenschwellen dienstbares Instrumentarium dar. Die Fremdheit zur Philosophie der hier vorgestellten Theorien lsst sich einerseits historisch aus der Entstehung der konomie aus der Moralphilosophie widerlegen, andererseits durch die Doppelqualifikation und –rezeption beispielsweise Friedrich von Hayeks. Dessen Evolutorismus, der hier nur exemplarisch anhand seines wettbewerbstheoretischen Beitrags gestriffen wurde, kann als gutes Bei-
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2 Kategorien und Begriffe epochalen Wandels
spiel der Affinitt von çkonomischer Theorie und Philosophie angesehen werden. Inhaltlich stellt der philosophische Ertrag insbesondere in dem unter Wettbewerbsbedingungen stattfindenden Prozesscharakter der Epochenschwelle dar. Das „Entdeckungsverfahren“ (Hayek) gilt ebenso fr philosophische Strçmungen, Schulen und Theorien, wie am Fall der Epochenschwelle anhand Augustins Beschftigung mit dem Neoplatonismus, dem Manichismus und schließlich dem Christentum zu zeigen ist. Dabei kommt es zu der von Aoki beschriebenen „berlappung“ in Transitionsphasen. Anhand der hier zu beschreibenden Transformation von „antiker“ zu „mittelalterlicher“ Philosophie ist mit Augustin die Personifikation dieser berlappung konstruierbar. Die Unterscheidung in eine Big Bang- und eine Gradualismus-Perspektive (Kasper/Streit) schließlich liefert ein wertvolles Theoriegerst, um die Bekehrung Augustins in zweifacher Untersuchungsperspektive zu behandeln, um damit die Aporien der Forschung, wie sie in der Behauptung der verschiedenen Bekehrungen auftauchen, aufzulçsen. Es bleibt festzustellen, dass in der Philosophie die Behandlung von bergngen ein weithin unbekanntes Feld ist, das allenfalls in der Kulturphilosophie, der Dialektik und in der Poetik Beachtung findet. Nur ist die vorliegende Arbeit keiner dieser Richtungen direkt zuzuordnen, so dass sich die Frage nach bergngen als philosophischem Topos allgemein stellt.
3 „Epochenschwelle“ nach Hans Blumenberg 3.1 Hans Blumenberg als Historiograph Hans Blumenberg wird zunehmend in den Geistes- und Kulturwissenschaften rezipiert. Dabei wird er jedoch immer weniger als Geschichtsphilosoph und Ideengeschichtler wahrgenommen. Zu prsent ist seine Metaphorologie, seine Anthropologie oder seine Phnomenologie im deutschsprachigen Raum (vgl. Heidenreich 2005). Im englischsprachigen Raum hingegen wird Blumenberg als Vertreter der „continental philosophy“ und dabei insbesondere als Ideengeschichtler fr „Contemporary German Social Thought“ wahrgenommen.1 Die „Legitimitt der Neuzeit“ ist als Hauptwerk Blumenbergs akzeptiert, doch geht es in der Rezeption vornehmlich um die Selbstbehauptung der Moderne im Zuge der Skularisierung. Die „Legitimitt der Neuzeit“ als geschichtsphilosophisches Werk zu lesen, das zudem ein historiographisches Modell epochalen Umbruchs enthlt, ist eine nicht vordergrndige Lesart, die zudem Gefahr luft, als Fehlinterpretation verstanden zu werden. Ziel dieses Kapitels ist es, Blumenberg neben seinen wesentlichen und wertvollen Beitrgen in den oben genannten Feldern als Historiographen zu entdecken, der in der „Legitimitt der Neuzeit“ und hierin insbesondere in den „Aspekten der Epochenschwelle“ (1976) eine Methodologie entwickelt hat, die sich zur Untersuchung epochaler Umbrche anbietet. Nur hat Blumenberg diese Methodik nicht explizit ausgearbeitet, sondern umreißt diese lediglich implizit, wenn er die Epochenschwelle vom Mittelalter zur Neuzeit untersucht. Die damit einhergehende These lautet, dass Blumenbergs Modell der Epochenschwelle nicht nur fr die Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit fruchtbar zur Anwendung gebracht werden kann, sondern eine allgemeine Untersuchungsmethode darstellt, mit der sich auch andere Epochen hinsichtlich ihrer Transformationsspezifitt untersuchen lassen. Dass die Lesart, Blumenberg als Historiographen zu verstehen, nicht vollstndig aus der Luft gegriffen ist, kann mit dem Blumenbergbersetzer Wallace belegt werden. Dieser charakterisiert Blumenberg als 1
So der Name der Reihe, in der die Legitimitt der Neuzeit bei MIT Press Cambridge erschienen ist (Blumenberg 1985).
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3 „Epochenschwelle“ nach Hans Blumenberg
„schulungebundenen Denker Deutschlands“, der jedoch die bestehenden Schulen zusammen mit einer Historiographie der Philosophie, der Naturwissenschaft und Theologie (Wallace 1985: x) verbunden hat. Diese Verbindungsleistung besteht in der Zusammenfhrung der verschiedenen Positionen und Richtungen, wie sie in der Auseinandersetzung mit Epochen unumgnglich ist. Mit anderen Worten lsst sich in einer Auseinandersetzung mit Epochen die Zusammenfhrung von verschiedenen Disziplinen und Sichtweisen ohne Historiographie gar nicht bewerkstelligen. Blumenberg entwickelt dabei eine eigene, historiographische Methodik, die sich auch fr andere Epochengrenzen fruchtbar zur Anwendung bringen lsst. Als Beispiele hierfr seien die von der Neuzeit losgelçsten Ausfhrungen ber Epochen und deren Qualitt angefhrt, die Epochen allgemein und nicht epochenspezifisch behandeln. Nicht der Zeitpunkt, sondern die durch ihn getrennten Zeitrume beginnen den Epochenbegriff zu bestimmen. Damit wird die Frage nach den Daten der Wendepunkte berlagert von der nach den Faktoren und Merkmalen der einander dort nur berhrenden Formationen (Blumenberg 1976: 11).
Hier lsst sich feststellen, dass die oben angefhrte Unterscheidung von Epoche und epoch, also die Unterscheidung von Zeitspanne und Zeitpunkt hinsichtlich der sich berhrenden oder – transformationstheoretisch gesprochen – berlappenden Formationen getroffen werden muss. In historiographischer Betrachtung stellt sich somit die Frage nach der Interdependenz der voneinander getrennten Epochen. Diese Frage wird unter dem Begriffsfeld Kontinuitt und Diskontinuitt behandelt. Weiter entwickelt Blumenberg den Gedanken, dass Epochen allgemein den Sinn haben, historische Orientierung zu geben und vor dem Irrtum zu bewahren, dass sich alles zu jeder Zeit htte ereignen kçnnen. Bei Blumenberg heißt es: Die Qualitt der Epoche stellt sich zunchst dar als der Inbegriff derjenigen Merkmale, die den Historiker vor der Nivellierung des Geschichtsverlaufs in die Eintçnigkeit des Immer-Gleichen und damit vor dem Irrtum bewahren, es kçnne alles zu jeder Zeit vorkommen (Blumenberg 1976: 11).
Konsequenz dieser berlegung ist die Mannigfaltigkeit der historischen Konstruktion von Vergangenheit. Die Bildung von Sinnabschnitten soll die Erinnerung des ber die Vergangenheit Reflektierenden erleichtern. Dass damit in keiner Weise der Anspruch auf Objektivitt erfllt wird, versteht sich aus den bereits angestellten berlegungen. Somit stellt der Epochenbegriff vielmehr eine Kategorie der Beschreibung desjenigen dar,
3.1 Hans Blumenberg als Historiograph
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der den jeweiligen Begriff bildet und verwendet. ber denjenigen oder dasjenige, das mit dem Begriff beschrieben werden soll, wird dagegen vergleichsweise wenig ausgesagt. Blumenberg weist auf diesen systemtheoretisch anmutenden Punkt hin, indem er zur Formierung der Geschichtsphilosophie zurckgeht, wie sie von Bossuet begrndet wurde. „Der Bischof Bossuet, gegen dessen Universalgeschichte Voltaire die Geschichtsphilosophie erfand, hatte den Epochenbegriff noch auf den bevorzugten Standpunkt des Geschichtsbetrachters bezogen, dem die Vergleichung der Zeitalter mçglich werden sollte“ (Blumenberg 1976: 10). Nach Bossuet sollte folglich die Vergleichbarkeit der Zeitalter in ihrer Ungleichheit ber den Epochenbegriff als Abstraktum hergestellt werden. Hier ist insbesondere an die Entstehung des Epochenschemas zu erinnern, das bekanntlich erst in der Renaissance geschaffen wurde. Somit war das Epochenschema zur Zeit seiner Konstituierung durch die Renaissancehumanisten eine Aussage ber die Renaissancehumanisten. Das Schema entwickelte jedoch eine eigenstndige Wirkmchtigkeit, so dass es noch heute Verwendung findet, aber ber die es Verwendenden nur diejenige Aussage macht, dass die begriffliche Erschaffung des Epochenschemas bislang keine Bildung einer Alternative hervorgerufen hat. Die „Vergleichbarkeit der Zeitalter“ stellt auch heute noch eine wesentliche Funktion der Epochenbegriffe dar, und insbesondere die Rede von der Epochenschwelle weist auf die Kontinuitt durch die Diskontinuitt des kulturellen Umbruchs hin, wie dies Blumenberg in den „Aspekten der Epochenschwelle“ ausgearbeitet hat. Dieses Verstndnis von Epoche und Epochenschwelle, das Blumenberg geprgt hat, kann man gewinnbringend zugrunde legen, um von dort aus eine allgemeine Methodik der Epochen- und Epochenschwellenanalyse zu entwickeln, die fr andere Epochen gleichsam zur Anwendung gebracht werden kann. In diesem methodologischen Sinn kann Blumenberg als Historiograph verstanden werden, aus dessen modellhafter Untersuchung der Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit ein allgemeines Modell extrahiert werden kann.
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3 „Epochenschwelle“ nach Hans Blumenberg
3.2 Analyse und Kritik des Begriffs „Epochenschwelle“ 3.2.1 Untersuchung und Bestimmung des Begriffs „Epochenschwelle“ bei Blumenberg Der Begriff „Epochenschwelle“, wie er von Hans Blumenberg in der „Legitimitt der Neuzeit“ und hier insbesondere in dem separat publizierten Teil „Aspekte der Epochenschwelle“ verwendet und konzipiert wird, stellt ein methodisch zu entwickelndes historiographisches Modell der Untersuchung epochalen Wandels dar. Um diese implizite Methode zu explizieren wird in einem ersten Schritt zusammengetragen, was Blumenberg ber epochalen Wandel und die Thematik der Epochenschwelle allgemein ußert. Diese Elemente werden in einem zweiten Schritt zu einem methodischen Modell umformuliert, das in einem dritten Schritt operationalisiert wird. Das wichtigste Merkmal einer Epochenschwelle ist ihr Konstruktcharakter, der ausschließlich ex post auftritt.2 Damit ist (gegen Erickson 1999) gesagt, dass eine Epochenschwelle erst nach ihrer berschreitung erkennbar werden kann und jeder Versuch, die Gegenwart eines epochalen Umbruchs zu behaupten, dem hier mit Blumenberg vertretenen Ansatz einer Epochenschwelle zuwider luft.3 Blumenberg exemplifiziert diese geschichtliche Nachtrglichkeit der Epochenschwelle anhand der Behauptung Goethes einer „neuen Epoche“ am Abend der Kanonade von Valmy (Blumenberg 1976: 7). Liebsch stellt im Rekurs auf Blumenberg fest, dass man „hufig erst im nachhinein weiß, als was ein Ereignis zu gelten habe“ (Liebsch 1996: 350), und in den „Aspekten der Epochenschwelle“ ist dieser Punkt allegorisch behandelt, wenn behauptet wird, dass man „ber eine Schwelle tritt, aber nicht auf sie. Das ist im Ausdruck „Epochenschwelle“ betont: nicht sie selbst wird thematisch, sondern das berschrittenhaben“ (Blumenberg 1976). 2
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Heidenreich schreibt in seiner Arbeit ber Blumenberg ber diesen Punkt: „Der Kontext, der hier interessieren muss, beginnt jedoch erst dort, wo der Epochenumbruch als bereits vollzogener reflektiert und theoretisch gefasst wird. Das Begriffsfeld scheint erst zu einem Zeitpunkt in ausgeweiteter Form verwendet zu werden, als der Epochenumbruch bereits vollzogen war und eine rckblickende Bewertung des gesamten (und nicht mehr nur sthetischen) Umbruchs mçglich wird“ (Heidenreich 2005: 133). Prominentes Beispiel fr die Behauptung einer gegenwrtigen Epochenschwelle war beispielsweise Petrarca, der im Rekurs auf Augustin sich als Zeuge einer Epochenschwelle verstand (vgl. Hennigfeld, Saeverin 2005).
3.2 Analyse und Kritik des Begriffs „Epochenschwelle“
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Zur wohl treffendsten Charakterisierung der Epochenschwelle fhrt Hans Blumenberg den Begriff des Limes ein, der auf das im Folgenden auszuarbeitende Schwellencharakteristikum verweist: Es gibt keine Zeugen von Epochenumbrchen. Die Epochenwende ist ein unmerklicher Limes, an kein prgnantes Datum oder Ereignis evident gebunden. Aber in einer differentiellen Betrachtung markiert sich eine Schwelle, die als entweder noch nicht erreichte oder schon berschrittene ermittelt werden kann (Blumenberg 1976: 20).4
Als Merkmal einer Methodik der Untersuchung epochalen Wandels ist hier die von Blumenberg angefhrte „differentielle Betrachtung“ zu erwhnen: Erst die Differentialanalyse macht sichtbar, was die Positionen beiderseits der Epochenschwelle trennt; sie erschließt, was geschehen sein muss, um deren Unvereinbarkeit zu erzwingen (Blumenberg 1976: 21).
Wie fr die Untersuchung epochalen Wandels unerlsslich, ist hier auf die mit dem Umbruch einhergehende Diskontinuitt einzugehen. Die Differenzierung in Vorher und Nachher stellt die Konstruktion dieser Diskontinuitt entgegen der Chronologie der Temporalitt dar. In der Benennung der Positionen erst wird deutlich, was den Unterschied ausmacht, der in der Retrospektion als ausschlaggebend angesehen wird und die Herrschaft einer neuen Epoche begrndet. Damit wird einmal mehr der Konstruktcharakter der Epochenschwelle und seine Funktion der Komplexititsreduktion deutlich. Blumenberg charakterisiert die Epochenschwelle treffend als Annahme „unter der Oberflche der Chronologie und der durch sie datierbaren Ereignisse“ (Blumenberg 1976: 21). Als Konsequenz schließt Blumenberg am Beispiel der Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit auf die zeitweise berlappung der beiden Epochen, die „fr ein gutes Stck der Geschichte ineinander oder nebeneinander, 4
Blumenbergs Untersuchung der Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit folgt eben diesem Prinzip einer differentiellen Untersuchung. Auf diesen Fall zur Anwendung gebracht, bedeutet dies das folgende: „Deshalb bedarf es, wie es hier fr die Epochenschwelle der Neuzeit geschehen soll, der Vernehmung wenigstens zweier Zeugen: des Cusaners, der noch vor dieser Schwelle steht, des Nolaners, der sie bereits hinter sich gelassen hat, des Kardinals, der sich durch seine Sorge um den bedrohten Bestand seines Systems auf die Schwelle steht“ (Blumenberg 1976: 20). Fr den hier zu untersuchenden Fall der Epochenschwelle Antike-Mittelalter wird es ebenso zur Identifikation zweier Vertreter kommen, die als Reprsentanten der jeweiligen Epoche angesehen werden kçnnen. Mit der Besonderheit, dass hier in beiden Fllen Augustin, einmal vor und einmal nach seiner Bekehrung, anzunehmen ist.
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3 „Epochenschwelle“ nach Hans Blumenberg
jedenfalls in unentschiedener Phnotypik bestanden“ (Blumenberg 1976: 21). Als weiteres Merkmal einer Epochenschwelle, das mit den oben vorgestellten Beitrgen der Transformationstheorien und hier insbesondere mit Aokis Theorie des „Overlap“ (Aoki 2001) korreliert, wird die Epochenschwelle als ein Raum eigener Dignitt angenommen, der weder der einen, noch der anderen Epoche zuzuordnen ist. Allerdings zeichnet sich diese Phase durch Merkmale beider Epochen aus, was jedoch zu einem Eigenzustand der Indifferenz fhrt. Die Feststellung eines solchen bergangsstadiums, wie es in der Kulturanthropologie im Zusammenhang der bergangsriten als „Schwellenphase“ bezeichnet wird, bedeutet das Zulassen der Unschrfe des Untersuchungsobjekts. Aus diesem Grund ist die Untersuchung einer Epochenschwelle stets ein zweischneidiges Anliegen, da einerseits Komplexittsreduktion erreicht wird, die andererseits mit dem Aufgeben einer exakten Bestimmung einhergeht. Blumenberg bringt diese Problematik sehr anschaulich auf den Punkt, wenn er schreibt: Der Versuch, in der Geschichte den Augenblick der originren Anfnglichkeit zu lokalisieren, das Larvenstadium des Kommenden vorzuzeigen, ist ambivalent: zwar liegt darin immer ein Moment der Rechtfertigung fr die letzte Wandlung, den Ausgang der Dinge auf uns selbst zu, aber auch zugleich ein Motiv des Misstrauens gegen die Zuverlssigkeit einer Vernunft, die sich auf derartige Umwege und Irrwege jemals einlassen konnte und die damit dem Verdacht nicht entgeht, auch die jngste ihrer Selbstgewissheiten werde sich die ,Epoche‘ und den nachherigen Rckblick einer erneut zu sich selbst gekommenen Vernunft gefallen lassen (Blumenberg 1976: 23 f ).
Die hier angesprochene Ambivalenz stellt das Risiko der Untersuchung einer Epochenschwelle dar. Der Zugewinn eines solchen Unterfangens jedoch besteht in der Konvention einer Ordnung der Vergangenheit, die sich ber die Epochen und ihre Umbrche als eine eingeteilte und damit sich ber die bloße Chronologie hinwegsetzende Schçpfung der Bedeutsamkeit darstellt. Blumenberg nennt diese „Schçpfung“ einen „Bescheid“ in Abgrenzung „zu der Vernunft, die Geschichte machen zu kçnnen glaubt“ (Blumenberg 1976: 23). Eine weitere Charakterisierung Blumenbergs fr die Epoche ist die „Individualisierung historischer Zeitrume als komplexer Einheiten von Ereignissen und Wirkungen. […] Das Ereignis wird zur geschichtlichen Grçße durch den Zustand, den es herbeifhrt und bestimmt“ (Blumenberg 1976: 9). Das Ereignis, von dem Blumenberg hier spricht, ist eines, dem erst in der Retrospektion Bedeutung zugemessen werden kann. Geht es darum,
3.2 Analyse und Kritik des Begriffs „Epochenschwelle“
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diese Zeit der Epochenschwelle zu charakterisieren, so listet Blumenberg „Indizien“ auf, die fr die Epochenschwelle als wesentlich anerkennt werden mssen. Der Zugang zu einzelnen Indizien einer Epochenschwelle ermçglicht die Ausarbeitung einer Methodik zum Verstndnis von Epochenschwellen. Insofern sind die von Blumenberg aufgelisteten Indizien die wesentlichen Elemente der Untersuchung von Epochenschwellen, da sie ein Instrumentarium anbieten, das ber den von Blumenberg untersuchten Fall der Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit hinausgeht. Das wichtigste Indiz, das Blumenberg benennt, ist das des „jeweils Neuen Ernstes“ (Blumenberg 1976: 25). Das Bewusstsein des neuen Ernstes rckt die Gesamtheit der vorhergehenden Einstellungen, Verstndnisse und Handlungen unter die Vermutung der Leichfertigkeit: man hatte es noch nicht nçtig gehabt, es sich so schwer werden zu lassen, es so genau zu nehmen, es wirklich wissen zu wollen (Blumenberg 1976: 25).
Dieses Indiz des „neuen Ernstes“ ist kein klar definiertes Indiz, sondern vielmehr eine Interpretation. So wird es schwerlich mçglich sein, den Ernst empirisch oder anderweitig methodisch sicher zu identifizieren. Jedoch stellt er eine Begrifflichkeit zur Verfgung, die einen Unterschied in der Bewertung und Interpretation einer Situation oder Zeit ermçglicht. Hier ist der Unterschied jeweils als Unterschied zwischen einem Vorher und einem Nachher festzustellen, der den bergang, den die Epochenschwelle charakterisiert, sichtbar macht. Blumenbergs Auffassung, dass „man“ es noch nicht nçtig gehabt habe, es sich schwer werden zu lassen, ist eine problematische Setzung von emotionalen Zustnden. Hier bleibt Blumenberg vage und unterbestimmt. Es bleibt festzuhalten, dass das Kriterium des „jeweils neuen Ernstes“ als vages Kriterium einer Epochenschwelle anzusehen ist und dass dieser neue Ernst als Symptom eines Wandels und bergangs zu verstehen ist. Ein weiteres Indiz einer Epochenschwelle ist die „Unvertauschbarkeit ihrer Systeme“ (Blumenberg 1976: 31). Hierbei ist anzumerken, dass mit „System“ keineswegs ein systemtheoretisches System gemeint ist5, sondern die begriffliche Zusammenfassung der Zeit vor und nach der Epochenschwelle. Blumenberg spricht hier von einem „Gegensatz der Epoche“, der nicht durch den „trennenden Einschnitt“, sondern durch 5
Es wre jedoch eine interessante Frage, inwieweit sich Blumenberg systemtheoretisch rekonstruieren ließe, da sein Konzept der Epochenschwelle der unterscheidungstheoretischen Systemtheorie nicht unhnlich erscheint.
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3 „Epochenschwelle“ nach Hans Blumenberg
die „Eigenart der durch ihn getrennten Zeitrume“ ausgewiesen ist (Blumenberg 1976: 10). Diesen Gegensatz zwischen dem ex post konstruierten Vorher und Nachher erklrt Hans Blumenberg anhand des Systembegriffs wie folgt: Ein etabliertes System schafft sich das Instrumentarium zu seiner Absicherung und gegenstndlichen Erweiterung, verfeinert dabei stndig die Formen seiner Begrndung und Anordnung, um auf diese Weise selbst diejenigen Daten zutage zu fçrdern und zu akzentuieren, die es nicht mehr bewltigen und in den gegebenen Rahmen der anerkannten Setzungen einfassen kann (Blumenberg 1976: 16).
Blumenberg exemplifiziert diese allgemein gehaltene Beobachtung anhand der Funktion des „Cusaners“ und des „Nolaners“ fr die Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit. Keiner ist „Epochenstifter“, so Blumenberg, dennoch „sind beide ausgezeichnet durch ihr Verhltnis zur Epochenschwelle. Diese wird nicht mit ihnen oder an ihnen erfasst, sondern durch Interpolation zwischen ihnen. Das unterscheidet die hier leitende Methode von der bewhrten Verfahrensweise, philosophische Systeme gegeneinander abzuwgen und auszuspielen“ (Blumenberg 1976: 31). An dieser Stelle ußert sich Blumenberg zu der von ihm verwendeten Methode, die sich dadurch auszeichnet, dass auf das Verhltnis zwischen zwei Philosophien die Aufmerksamkeit gerichtet wird und nicht auf einen Vergleich, der das eine System gegen das andere in kompetitiver Gesinnung richtet. Als Grundmerkmal fr die Epochenschwelle lsst sich hier festhalten, dass in der Differenz das Verbindende zu sehen ist, das die Epochenschwelle erst als solche konstituiert. Weiter charakterisiert Hans Blumenberg die Geschichte als stndige Vernderung, was die Frage aufwirft, wie sich eine Epochenschwelle, die sich ebenso durch Vernderung auszeichnet, berhaupt erkennbar wird. Blumenberg beschreibt „epochale Bewegungen“ als „sowohl gehufte wie beschleunigte“ Bewegungen, die eine Unumkehrbarkeit hergestellt haben (Blumenberg 1976: 19). Dabei besteht eine eigentmliche Beziehung zwischen dem frheren und dem spteren Ereignis, die Liebsch wie folgt charakterisiert: „Dass ein frheres Ereignis nur indirekt von einem spteren her berhaupt zu erschließen ist, ist ein keineswegs ungewçhnlicher Befund“ (Liebsch 1996: 350). Hiermit wird die Frage nach „historischen Anfngen“ gestellt, die nach Blumenberg weniger „gemacht“, als im Nachhinein im Lichte ihrer Geschichte „ernannt“ werden“ (Liebsch 1996: 350 f ). Heidenreich weist darauf hin, dass die „Objekte der Geschichtswissenschaft in einem ersten Schritt konstituiert werden [ms-
3.2 Analyse und Kritik des Begriffs „Epochenschwelle“
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sen], also beispielsweise die franzçsische Revolution als ,franzçsische Revolution‘ bezeichnet werden [muss]. In einem zweiten Schritt mssen dann kontingente aber nicht einfach willkrliche ,Bedeutsamkeiten‘ zugeordnet werden, deren letzter Fluchtpunkt die Frage ist, was ,wir‘ aus der Geschichte lernen kçnnen. Die bloß kausale Abfolge von Ereignissen wird dadurch zu einer Geschichte, die sich in Epochen, Umbrche, Hçhepunkte und Katastrophen gliedert“ (Heidenreich 2005: 51). Die Frage nach der Bedeutsamkeit ist sicherlich die wichtigste, die die Frage nach der Epochenschwelle motiviert, anderenfalls wird die Geschichte durch die „Indifferenz der Zeit“ substituiert. Geschichte „muss mit den Mitteln der Verdichtung, Besetzung, Datierung, Gliederung und Zustandsbeschreibung“ arbeiten und beruft sich somit jedoch, so Blumenberg, auf mythische Denkformen, die sie weitertransportiert. Auf der Suche nach weiteren Indizien fr einen Epochenwandel kann ein anderes Forschungsgebiet Blumenbergs angefhrt werden, dass im engen Zusammenhang mit der Frage nach Epochenumbrchen steht: die Metaphorologie. So bilden „Vernderungen der Metaphern die Indikatoren fr Epochenumbrche“ (Heidenreich 2005: 96). Auch hier muss gefragt werden, inwieweit sich dieses Kriterium als methodisch einwandfrei darstellbar berprfen lsst. Jede Epoche ist folglich eine nachtrglich als solche beschriebene und ihre Hauptfunktion besteht darin, dass sie Struktur gibt, sich in Abgrenzung zur Vergangenheit oder zu verschiedenen Vergangenheiten zu positionieren. Eine zweite Aufgabe, die sich aus der Strukturschaffung ableitet, ist es, Orientierung ber die Vergangenheit zu geben, die streng genommen der Indifferenz der Zeit unterliegt und deren Bedeutsamkeit nur ber die historiographische Konstruktion hergestellt werden kann. Heidenreich fhrt aus, dass Hans Blumenberg einen in zweifacher Hinsicht abgeschwchten Epochenbegriff verwendet. Zum ersten, weil sich Epochen eher aus Handlungskonstellationen ergeben als gemacht werden. Und zweitens, da Epochen „nicht mit dem Anspruch auftreten, die wirkliche Geschichte korrekt zu benennen, sondern lediglich, fr deren Strukturierung einen plausiblen Vorschlag darzustellen. Epochenbegriffe sollen der hermeneutischen Aufgabe dienen, nicht Tatsachen behaupten“ (Heidenreich 2005: 164 f ). Epochen als „hermeneutische Aufgabe“ zu verstehen, ist eine tragfhige Basis, die auch hier weiter ausgearbeitet werden soll. Da der Epochenbegriff aber nach wie vor vage und schwierig zu bestimmen ist, soll das folgende Kapitel helfen, mittels eines Schwellencharakteristikums den
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3 „Epochenschwelle“ nach Hans Blumenberg
Begriff zu schrfen, um ihn als Untersuchungsinstrument besser verwendbar zu machen. 3.2.2 Kritik des Begriffs „Epochenschwelle“: Begriffsbestimmung des Schwellencharakteristikums Nachdem herausgearbeitet wurde, was den Epochenbegriff positiv auszeichnet und historiographisch legitimiert, soll in einem nchsten Schritt der Mangel des Begriffs, der mit dem Hinweis auf die Vagheit des Begriffs schon verschiedentlich angedeutet wurde, aufgezeigt werden. Neben dieser Kritik wird in einem weiteren Schritt ein konstruktiver Vorschlag unterbreitet, der sich im Wesentlichen auf die Bestimmung des Schwellencharakteristikums des Begriffs „Epochenschwelle“ konzentriert. Blumenbergs Konzept der Epochenschwelle wie berhaupt der Begriff der Epoche in der Geschichte und Philosophiegeschichte wurde vielfach kritisiert. In der deutschsprachigen Diskussion ist Kurt Flasch als scharfer Kritiker nicht nur des blumenbergschen Begriffs der Epochenschwelle, sondern als Kritiker des gesamten Epochenkonzeptes zu identifizieren. „Spekulationen“, wie sich Flasch ausdrckt, „Cusanus stehe auf der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit, begegne ich mit nominalistischer Skepsis“ (Flasch 1998: 11). Im Folgenden wird also zu klren sein, ob diese Konstruktion einer Epochenschwelle, die die Arbeit des Philosophiehistorikers nach Flasch besonders „behindert und verflscht“ (Schulz 2001: 159), nicht doch zu verteidigen ist. Diese Frage soll anhand der drei Kritikpunkte Flaschs (Flasch 1990) am Epochenkonzept behandelt werden. Dabei ist anzumerken, dass sich die Kritik gegen die Epochenschwelle MittelalterNeuzeit wendet und es versumt wird, den Begriff der Epochenschwelle als allgemeines, epochenunabhngiges Konzept zu verwenden, wie es der Begriff aus sich heraus jedoch nahe legt. 1) Flasch kritisiert zunchst das Bedrfnis nach Eindeutigkeit, das im Falle der Epochenschwelle nicht befriedigt werden kçnne. Schulz (Schulz 2001: 159) hlt in ihrem „Pldoyer fr die Epochenschwelle“ entgegen, dass es gerade eine der Strken Blumenbergs sei, durch den Begriff der Epochenschwelle einzurumen, „dass Mittelalter und Neuzeit fr ein gutes Stck der Geschichte ineinander oder nebeneinander“ (Blumenberg 1976: 11) bestanden htten. Auch wenn es sich nicht nominalistisch klren lsst, ob nun die Ordnungsbegriffe
3.2 Analyse und Kritik des Begriffs „Epochenschwelle“
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der Epochen einen berlappungsbereich konstituieren, oder ob hier Ockhams Rasiermesser anzusetzen ist, ist dieser Punkt ein wichtiger Hinweis auf das zu definierende Schwellencharakteristikum, das bei Blumenberg nicht herausgearbeitet ist, und das, solange es nicht beschrieben ist, die Kritik Kurt Flaschs zurecht provoziert. 2) Kurt Flasch kritisiert am Begriff der Epochenschwelle, dass es mit Annahme einer Epoche eine Bestimmung der Eigenart des Denkens der fraglichen Epoche gebe (Schulz 2001: 161), wie es beispielsweise in dem Begriff des „mittelalterlichen Denkens“ anklingt. Hier wre zu prfen, inwieweit die von Blumenberg beabsichtigte Behauptung einer „kulturellen Gesamtverfassung“ erstens von Blumenberg tatschlich aufgestellt wird und zweitens berhaupt als legitimes Anliegen einer Geschichtsphilosophie begriffen werden kann.6 3) Kurt Flasch kritisiert das „Ausbleiben einer Historisierung des Historismus“, wonach nicht nur die „Legitimitt der Neuzeit“ sondern zudem die „eigene Legitimitt“ nachgewiesen werden muss (Schulz 2001: 164). Dieser Punkt zielt auf das Selbstverstndnis des nach den Epochen Fragenden ab und weist, aus heutiger Sicht, wo die Historismusdebatte zumindest wissenschaftstheoretisch berwunden sein sollte, auf beobachtungs- und unterscheidungstheoretische Anstze hin.7 Den Streit zwischen Kurt Flasch und Hans Blumenberg im weiteren zu verfolgen stellt kein fruchtbares Unterfangen dar, da erstens Hans Blumenberg nicht replizierte und zweitens durch den Verweis auf den Streit auf eine Frage hingewiesen werden soll, statt einen Sieger zu kren. Die Frage ist die nach der Herangehensweise an den Epochenbegriff und seinem Gltigkeitsbereich. Es ist fraglich, ob die Forderung Flaschs nach der Eindeutigkeit im nominalistischen Sinne zweckmßig ist. Wie Schulz mit Blumenberg argumentiert, konstituiert sich die Epochenschwelle durch das „gute Stck ineinander oder nebeneinander“. Gegen Flaschs Einwand der 6
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Einen hnlichen Streit lieferte sich Flasch mit Steel, wo sich Flasch laut Imbach (1998: 127) fr das „Wandelnde in seiner Beziehung zur realen Geschichte“ interessiert. Dieses steht im Gegensatz zu einer von Steel geußerten berzeugung, dass das berzeitliche in seinem Bezug zur bleibenden Wahrheit dasjenige ist, was an der mittelalterlichen Philosophie Beachtung verdient“ (Imbach 1998: 127). Das Verhltnis von Luhmann und Blumenberg beispielsweise wre eine fruchtbare Frage zur Klrung dieser im Historismus nicht gestellten Fragen.
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3 „Epochenschwelle“ nach Hans Blumenberg
mangelnden Eindeutigkeit und mit Blumenbergs Beschreibung der Epochenschwelle als „unmerklichen Limes“ soll hier explizit der bergangscharakter der Epochenschwelle betont werden, ja soll er zum konstitutiven Merkmal der Epochenschwelle erhoben werden. Wo Hans Blumenberg noch in der Beispielhaftigkeit der Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit verblieb und den Limes der Demarkation als ex post zu konstruierende Grçße verstand, soll hier ein Schritt weiter gegangen werden, indem gerade das berlappen, indem gerade die Nicht-Eindeutigkeit zu Zeiten des Wandels als konstitutiv fr die Epochenschwelle und die ihr zugrunde gelegte Zeit angesehen wird. Die Schwelle ist der Ort des Wandels, den zu lokalisieren in historiographischer Perspektive anhand der philosophischen Autoren und Texte das erste Anliegen einer Untersuchung von Epochenschwellen ist. Doch wie lsst sich das bergangsspezifische der Schwelle philosophisch erfassen und auf die Epochenschwelle zur Anwendung bringen? Verschiedenen Beitrge sollen dazu beisteuern, ein Verstndnis von dem Begriff der Schwelle zu entwickeln, das dem Verstndnis der Epochenschwelle zuarbeitet. Auf die Frage, wie Epochenschwellen entstehen, antwortet Aleida Assmann beispielsweise aus kulturwissenschaftlicher Perspektive, dass fr die Begrndung einer Epochenschwelle die Qualitt eines „absolut Neuen, das in dieser Form nicht erwartbar gewesen ist und das der Geschichte eine neue, irreversible Wendung gibt, [entscheidend ist]. Auf die Frage wie solche Schwellen zwischen den Epochen entstehen, gibt es grundstzlich zwei Antworten: durch zeitgençssische Abgrenzungsbewegungen und durch nachtrgliche Konstruktionen“ (Assmann 2002: 234). Die Behauptung von zwei Antworten verweist auf die Nicht-Eindeutigkeit, die schon als wesentliches Merkmal von Epochenschwellen benannt wurde. Jedoch ist hier die erste Antwort abzulehnen, da zeitgençssische Abgrenzungsbewegungen nicht im Bewusstsein epochaler Transformation geschehen. Erst im Nachhinein lassen sich Handlungen oder Ereignisse als Abgrenzungsbewegungen deuten, jedoch kann dies nicht auf der Ebene epochaler Geschichtskonstruktion zur Gegenwart des Wandels stattfinden. Einen weiteren Ansatz zur Untersuchung von Epochenschwellen liefert Macho (2003). Unter „Schwellenzeiten“ versteht dieser „Umbruchphasen, Perioden der Paradigmenwechsel und bergnge zwischen verschiedenen Zeitaltern“. Entscheidend und in Abgrenzung zu Assmann stellt Macho jedoch fest, dass fr „Schwellenzeiten“ nicht der „allgemeine Bezug auf Zeitlichkeit“ charakteristisch ist, als vielmehr die „Verknp-
3.2 Analyse und Kritik des Begriffs „Epochenschwelle“
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fung mit Mentalitten und Weltbildern“ (Macho 2003: 23). Macho, seines Zeichens Kulturphilosoph, lçst den Begriff von seiner geschichtsphilosophischen Folie und versteht ihn kulturalistisch als Unterscheidungskriterium fr Geisteszustnde wie kulturelle Entitten, zu denen die Epochenkonstruktionen ebenso zhlen. Fr die begriffliche Annherung an den uneindeutigen Begriff der Epochenschwelle ist die einfhrende Beschreibung der Kulturwissenschaftlerinnen Nischik und Rosenthal in ihrem Band „Schwellentexte der Weltliteratur“ weiterfhrend. Dort heißt es zur Charakterisierung von Schwellen ganz allgemein: Schwellen sind Zonen der Unsicherheit und des bergangs, in denen Altes und Neues aufeinandertreffen. Es wohnt ihnen damit eine Gleichzeitigkeit inne, die sie zu Brchen und Fortfhrungen, Verweigerungen und Anknpfungen zugleich machen. Oft werden Schwellen erst retrospektiv als solche wahrgenommen und festgeschrieben. Dann werden sie als Epochen und Zeitwenden zu kulturellen Markierungspunkten, die die Geschichte in ein Vorher und Nachher scheiden. Epochenschwellen sind allerdings nicht als plçtzliche Umbrche, sondern als das Ergebnis kontinuierlichen kulturellen Wandels zu verstehen, der an Schwellen lesbar wird, an denen sich zuvor meist unbewusste Inhalte, Ansichten und Zeitstrçmungen manifestieren (Nischik/Rosenthal 2002a: 9).
Was jedoch genau jene „Schwellen“ sind, an denen der Wandel „lesbar“ wird, kann dem Ansatz nicht klar entnommen werden. Allerdings gibt eine Textstelle Aufschluss ber die Art der Schwelle, die auch fr die Epochenschwelle von weiterfhrender Bedeutung ist. So heißt es: „Die Schwelle markiert den Raum zwischen dieser Wechselbewegung der Beund Entgrenzung kulturellen Wissens. Schwellen sind essentiell fr die kulturelle Entwicklung, da sie die Zone zwischen Konsolidierung und Neuanfang sind“ (Nischik/Rosenthal 2002a: 9 f ). Im Folgenden ist also zu klren, was genau unter „kulturellem Wissen“ zu verstehen ist, wenn nicht ebenso eine dem konomieprinzip der Wissenschaften zu opfernde Kategorie. Versteht man jedoch am Beispiel der Epochenschwelle das Wissen von der Vergangenheit als Vereinfachung der Vergangenheit zu Orientierungszwecken, so kann die Epochenschwelle als ebensolcher Punkt der Konsolidierung verstanden werden, der durch die Einfhrung eines Neuanfangs eine Trennung in dem Verstndnis von Vergangenheit ermçglicht und allenfalls so als „kulturelles Wissen“ verstanden werden darf. Epochenschwellen sind Navigationsangebote an eine ber die Vergangenheit reflektierende Gegenwart. Epochenschwellen teilen die Ver-
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3 „Epochenschwelle“ nach Hans Blumenberg
gangenheit in semantische Abschnitte ein, die als solche vereinfachend, reduktionistisch und metaphysisch sind. Jedoch markieren sie in ihrem Bezug auf die Beziehung der Gegenwart zur Vergangenheit eine Zuordnung, die das Wissen um die Vergangenheit operationalisiert. Epochen sind – es scheint nçtig dies in aller Klarheit zu formulieren – Interimsbegriffe. Die Diskussion ber „Moderne“, „Postmoderne“ und „Postpostmoderne“ besttigt die These des Interims. Epochen sind Deutungsangebote ber die Vergangenheit, die sich dadurch bewhren und perpetuieren, dass sie in ihrer Gegenwart einen Bezug zur Vergangenheit vermitteln, der die Gegenwart mit Vergangenheitsbedeutung aufldt. Die bergnge zwischen den Epochen sind die Unterscheidungskriterien, anhand derer die Vergangenheitskapitel sinnhaft unterteilt werden. An den bergngen konstituiert sich der Unterschied und dieser Unterschied wiederum ist in der Betrachtung ex post geknpft an ein historisches Ereignis, durch welches im Nachhinein die Differenz zwischen den Epochen identifiziert werden kann. Wie nun kann die Schwelle im Begriff der Epochenschwelle begriffen werden? Hier kann eine eigene frhe Arbeit als Orientierung dienen, die unter dem Titel „Zum Begriff der Schwelle – Philosophische Untersuchung von bergngen“ (Saeverin 2002) fnf Kriterien fr einen Schwellenbergang im Allgemeinen liefert. Diese lauten: 1) Die Eigenstndigkeit des Schwellenbergangsmomentes 2) Zur bergangsimmanenten Dynamikentwicklung 3) Die zwei Ebenen des bergangs: per und trans 4) Vertikale und horizontale bergnge 5) Zur Relevanz der rumlichen Lage Bezogen auf den Begriff der Epochenschwelle kçnnen damit folgende Przisierungen vorgenommen werden. Ad 1: Das von Hans Blumenberg bereits herausgestellte „Ineinandergreifen“ kann hier gegen Flaschs Vorwurf der mangelnden Eindeutigkeit zu einer Eigenstndigkeit des bergangs zwischen den Epochen erweitert werden. Die Schwelle zwischen den Epochen stellt demnach einen Zustand dar (in der historiographischen Rekonstruktion), der weder zur einen Epoche, noch zur anderen zu rechnen ist. Wo und wann genau dieses bergangsmoment zu verorten ist, ist hingegen nicht zu beantworten. Hier ist mit Blumenberg davon auszugehen, dass der Limes „unmerklich“ verluft und erst in der historisierenden Perspektive rekonstruiert werden kann.
3.2 Analyse und Kritik des Begriffs „Epochenschwelle“
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Ad 2: Sind Epochen Orientierungsangebote, damit sich die Nachwelt ber die Vergangenheit verstndigen kann, so geht diese Orientierung mit Verkrzungen und Zuspitzungen einher, die die Epochen als intellektuelles Konstrukt erscheinen lassen, das dem Anspruch nicht gerecht werden kann, eine substantielle Aussage ber diese Zeit zu machen. Der bergang zwischen Epochen ist an Ereignisse, Vorkommnisse, Handlungen, Errungenschaften, Entdeckungen oder Personen gebunden, die einen wahrnehmbaren Unterschied gemacht haben. In der historiographischen Betrachtung wird dieser Unterschied wie im Falle der Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit durch Vorlufer vorbereitet und durch Relikte und Anachronismen begleitet. Je dichter man zeitlich an den Limes heranrckt, desto weniger sind die Merkmale, die man den angrenzenden Epochen zuschreibt, zu erkennen. Insgesamt fhrt dies zu einer Verdichtung des bergangs, der in der Eigenstndigkeit angelegt ist und mit einer Beschleunigung der aufeinander folgenden Unterschiede einhergeht. Ad 3: Der bergang zwischen zwei Epochen ist eine ex post vorgenommene Zuschreibung fr aggregierte Zeitrume. Dieser bergang kann auf zwei Ebenen gesehen werden. Wie es sich fr den Begriff der Schwelle anbietet, von den Ebenen des „per“ und „trans“ zu sprechen, so kann ebenso die Epochenschwelle auf zwei Ebenen betrachtet werden, die zusammen die Epochenschwelle konstituieren. Wie es durch die lateinische Prposition „per“ ausgedrckt wird, ist mit dieser Ebene der Verlauf des bergangs angesprochen, wohingegen auf der zweiten Ebene „trans“ das den bergang Umgreifende angesprochen ist. Fr die Untersuchung der Epochenschwelle bedeutet dies in der bertragung eine zweifache Untersuchungsperspektive. Zum einen wird der Fokus auf die Ebene des Unterschieds zwischen den beiden Epochen gelegt, womit die Ebene des „trans“ angesprochen ist. Zum anderen wird der Fokus auf den graduellen Wandel des bergangs gelegt, womit die einzelnen Schritte in gradueller Perspektive untersucht werden, die den bergang zwischen den Epochen ausmachen. Ad 4: In seiner Ausrichtung eng verwandt mit dem dritten Kriterium ist die Unterscheidung des Schwellenbergangs in eine horizontale und eine vertikale Ebene. Ist mit der Unterscheidung in „per“ und „trans“ der Verlauf des bergangs in der Betrachtung angesprochen, so wird durch die Unterscheidung in die horizontale und vertikale Ebene des bergangs der Ordnungsaspekt des bergangs angesprochen. Von einem vertikalen bergang kann gesprochen werden, wenn durch den bergang ein anderer Ordnungsrahmen betreten wird, wie beispielsweise auf der Schwelle
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3 „Epochenschwelle“ nach Hans Blumenberg
eines Gotteshauses von der profanen in die sakrale Welt. Die horizontale Ebene des bergangs hingegen ist die Beschreibung der Raumvernderung und des Raumwechsels außerhalb von Bedeutungszuschreibung. Auf die Epochenschwelle angewendet bedeutet diese Unterscheidung die Besttigung der Aufteilung in zwei Untersuchungsebenen, die sich wechselseitig aufeinander beziehen. Die vertikale Ebene des bergangs zwischen den Epochen ist der Wechsel zwischen den Epochen selber mit Betonung auf den im bergang wechselnden Paradigmen. Demgegenber steht der horizontale bergang, der den zeitlichen Verlauf ungeachtet der zustzlichen Bedeutungszuschreibung vornimmt und die Reihe von historisch dokumentierten Begebenheiten wiedergibt, die in inhaltlicher Beziehung zur Epochenschwelle stehen. Ad 5: Als letztes Kriterium ist die Relevanz der rumlichen Lage anzufhren. Damit ist gemeint, dass die Epochenschwelle nicht willkrlich liegt, sondern gemß der inhaltlichen Zuschreibung nur an einem bestimmten Ort liegen kann. So trivial es klingen mag: die Epochenschwelle Antike-Mittelalter liegt zwischen der Antike und dem Mittelalter. Schwellen konstituieren demnach Wissensrume, die erst durch die Definition zu einer festen Grçße Gltigkeit erlangen. Damit ist nicht gesagt, dass die Lage der Epochenschwelle zwingend an einem festen Punkt zu sein hat, da sie nicht als punktuelles Ereignis zu konstruieren ist, sondern vielmehr als ausgedehnte bergangsphase eigener Gltigkeit, deren Erstreckungsbereich nicht eindeutig fixierbar ist. Zusammenfassung Abschließend kann festgehalten werden, dass der von Hans Blumenberg in die Diskussion eingebrachte Begriff der Epochenschwelle als historiographisches und geschichtsphilosophisches Konzept zwar lckenhaft bleiben muss, dass jedoch mit Hilfe der eingefhrten Schwellencharakteristika der Begriff hinreichend konkretisiert werden konnte, so dass er im Folgenden als Untersuchungsinstrumentarium zur Verfgung steht. Die hier angestellten berlegungen dienten zum ersten dazu, diesen impliziten Mangel des Begriffs Epochenschwelle aufzuzeigen und zweitens einen Weg zur Schrfung des Begriffs vorzuschlagen. Diese Begriffsschrfung konnte aus den Kritikpunkten hervorgehend im Wesentlichen durch die bertragung der fnf Kriterien eines Schwellenbergangs auf den Begriff der Epochenschwelle geschehen. Um Epochenschwellen als kulturelle Bezugsgrçße zu verstehen, soll abschließend mit Johann Kreuzer das Verstndnis des Epochenschemas
3.2 Analyse und Kritik des Begriffs „Epochenschwelle“
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als „ideengeschichtliche berhçhung des Wandels von Speichermedien des kulturellen Gedchtnisses“ (Kreuzer 2000: 7) erwhnt werden. Neben der bekannten These, dass Epochen „ideengeschichtliche berhçhungen“ sind, wird hier an den aktuellen kulturwissenschaftlichen Diskurs der Erinnerungskultur angeknpft. Ob dieser Diskurs Schauplatz einer philosophischen Diskussion sein sollte oder nicht, ist hier nicht zu erçrtern. Die Funktion von Epochen und Epochenschwellen wird in dieser begrifflichen Fassung jedenfalls sichtbar. Der Ansatz, Epochen als Speichermedien zu begreifen, ist eine Erweiterung des blumenbergschen Begriffs, wie sie der Untersuchung von Epochenschwellen zutrglich ist, da sie den Epochenbegriff nicht nominalistisch setzt, sondern ein gegenwartsbezogenes Modell geschichtlicher Konstruktion ermçglicht, das Epochen auf ihre Funktion fr die den Begriff verwendenden Menschen bewertet.
4 Augustin und die Epochenschwelle Antike-Mittelalter Der Hauptteil dieser Untersuchung geht der Frage nach der Epochenschwelle Antike-Mittelalter in dem alleinigen Fokus nach, in welchem Verhltnis Augustin und die bekannte Epochenkonstruktion von Antike und Mittelalter zueinander stehen. Mit diesem Ansatz wird eine von vielen mçglichen und plausiblen Darstellungsweisen1 gewhlt, den bergang von der Antike zum Mittelalter als Verfahren darzustellen, dem das Mittelalter als historiographische Konstruktion seine Berechtigung und Legitimation verdankt. Legitimation heißt hier (anders etwa als bei Blumenberg) Legitimation fr diejenigen, die mit dem Epochenschema arbeiten, weshalb mit dem Epochenschema – es scheint angebracht, diese Selbstverstndlichkeit erneut auszusprechen – weniger eine Aussage ber die Zeit der angesprochenen Epoche, als vielmehr ber diejenigen, die ber diese Zeit reflektieren, gemacht wird. Fr die zugespitzte Untersuchungsperspektive des hier vertretenen Ansatzes, Augustin als Projektionsflche der Epochenschwelle zu verwenden, spricht in den Worten des prominenten Augustinbiographen Peter Brown der Umstand, dass sich „innerer und ußerer Wandel“ bei Augustin „berhren“, da Augustin den „Anforderungen neuer Umweltbedingungen“ begegnen musste (Brown 1982: 7). Mit ußerem Wandel spricht Brown hier die Umwlzungen im 4. und 5. Jahrhundert an, denen Augustin durch seine historische Situiertheit aufs engste verbunden war. Mit innerem Wandel ist die „Begegnung“ Augustins mit jenen „neuen Umweltbedingungen“ angesprochen: Augustin fhrte ein Leben in stndiger Vernderung, wie es treffend in dem Begriff des „evolving ego“ (Forman 1995: 3) deutlich wird. Der These Browns nach steht diese persçnliche Entwicklung in Zusammenhang mit der historischen Ent-
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Es bestnde sowohl die Mçglichkeit andere Figuren zu whlen, als auch die Epochengrenze deutlich vor oder nach Augustin zu ziehen. Vertiefende Hinweise zu diesem Mçglichkeitsrahmen sind Kapitel 4.1.3 zu entnehmen.
4 Augustin und die Epochenschwelle Antike-Mittelalter
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wicklung. Diesen Zusammenhang aufzuzeigen, hat das vorliegende Kapitel zum Gegenstand. Untersttzt werden kann dieser Ansatz mit einigen Charakterisierungen aus der Forschung, die zeigen, dass der Zusammenhang zwischen der Epochenschwelle Antike-Mittelalter und Augustin kein willkrlich gesetzter, sondern ein naheliegender ist. So wird Augustin etwa als „erster moderner Mensch“ und als „Brckenbauer“ (oder Pontifex) zwischen der Antike und der heutigen, westlichen Welt gesehen (O’Meara 1997: 31). Geht es um die Verbindung von biographischer und historiographischer Betrachtung, so geht die Zusammenfassung O’Mearas einen deutlichen Schritt weiter, da die „Brcke“ eine Verbindung zwischen den historiographisch konstruierten Begriffen Antike und (erstaunlicherweise einmal nicht dem Mittelalter, sondern) der heutigen, westlichen Welt beschreibt.2 Die Frage lautet im Folgenden, was Augustin selber zur dieser prominenten Lokalisierung ex post beigetragen hat, denn die historische Situiertheit in jener prgnanten Zeit trifft auf viele andere, gleichfalls bedeutende Autoren, Politiker, Feldherren oder Literaten zu. Laut Brown lsst sich die Sonderstellung Augustins mit dem „Schreiben, Handeln und der Einflussnahme auf sich stndig erweiternde Gruppen“ rechtfertigen, wodurch er „die Vernderungen seiner Umwelt beschleunigte“, „die nicht weniger berstrzt waren als seine eigenen inneren Wandlungen“ (Brown 1982: 7). Dieser Einsicht verdankt sich die Einteilung des vierten Kapitels dieser Untersuchung in drei Unterkapitel. Dabei geht es in Kap. 4.1 um den ußeren Wandel, also die Frage nach Augustins Situiertheit zwischen den Epochenkonstruktionen Antike und Mittelalter. In Kap. 4.2 dann wird der innere Wandel in Form der Bekehrung Augustins einerseits unter der Big Bang-Perspektive und andererseits unter der GradualismusPerspektive untersucht. Die beiden Kapitel stellen den Schwerpunkt der Frage nach der Epochenschwelle dar. Schließlich wird in 4.3 der Frage nachgegangen, auf welche Weise Augustin im Spiegel der Epochen als Philosoph und/oder als Theologe rezipiert wurde. Anhand dieser letzten Fragestellung wird schließlich der spezifisch augustinische Ansatz erarbeitet, der am treffendsten ohne Disziplinenzugehçrigkeit als „Augustinismus“ verstanden wird. 2
Von weiterfhrendem Interesse wre hier eine auf Augustin zu basierende Theorie der Moderne, die sich nicht auf die Neuzeit, sondern den „ersten modernen Menschen“ Augustin sttzt.
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4 Augustin und die Epochenschwelle Antike-Mittelalter
Jener Bereich schließlich, wo sich Brown zufolge innerer und ußerer Wandel berhren, steht also im Mittelpunkt der Untersuchung, da darin die Erkenntnismçglichkeit sowohl fr ein neues Augustinbild, als auch fr eine neue Sichtweise der Epochenschwelle Antike-Mittelalter begrndet liegt.
4.1 Augustin auf der Schwelle 1: „ußerer Wandel“ von der Sptantike zum frhen Mittelalter Er [Augustin] stand wachen Auges an der Schwelle einer neuen Zeit, da das Heidentum vom Christentum, das Rçmertum von Germanentum berwunden wurde, und da die ersten Konturen des werdenden Abendlandes sich am Himmel der Geschichte abzuzeichnen begannen. (Adam 1954: 6)
Dieser erste Teil der Untersuchung Augustins auf der Schwelle bildet zusammen mit dem folgenden Kapitel 4.2 den Leitgedanken der Untersuchung der Epochenschwelle Antike-Mittelalter. Der hier zu behandelnde „ußere Wandel“ ist das Komplement des „inneren Wandels“ Augustins und beide zusammen genommen stellen einen wesentlichen Aspekt des hier vertretenen Modells der Epochenschwelle Antike-Mittelalter dar.3 Es geht also im Folgenden um geringstenfalls zweierlei: Zum einen um die historiographische Zuordnung Augustins zu den beiden Epochen und zum anderen daraus folgend um die Identifizierung Augustins als zwischen den Epochen. Um Augustin als auf der Schwelle im Sinne eines berlappungsbereiches eigener Qualitt zu verstehen, ist jedoch in einem vorgelagerten Schritt die Zugehçrigkeit zu sowohl der einen als auch der anderen Epoche zu belegen. Erst wenn Augustin als Bestandteil beider Epochen identifiziert werden kann, ist die Voraussetzung erfllt, ihn als Schlsselfigur des Wandels zu bestimmen. Hierbei sind die Epochen Antike und 3
Begrndet wird das Modell, wie in Kap. 4 ausfhrlich dargestellt, durch die Thesen Peter Browns und Kurt Flaschs, die beide unabhngig voneinander eine Verbindung zwischen innerem und ußerem Wandel (Brown) und zwischen mikroskopischser und makroskopischer Ebene (Flasch) sehen.
„4.1 ußerer Wandel“ von der Sptantike zum frhen Mittelalter
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Mittelalter auszudifferenzieren, da Augustin nicht als Reprsentant der gesamten Antike angesehen werden kann, gleichwenig wie fr das gesamte Mittelalter. Durch seine Lebenszeit vom vierten bis zum fnften Jahrhundert (354 – 430) kann er als Figur der Sptantike und Figur des frhen christlichen Mittelalters nher beschrieben werden. Die folgenden beiden Kapitel belegen, dass Augustin sowohl als legitimer Reprsentant der Sptantike, wie des frhen Mittelalters anzusehen ist. Die Ausfhrungen dieses einleitenden Kapitels sollen allgemein auf die Rolle Augustins zu jener historisch und historiographisch bedeutsamen Zeit des Umbruchs hinweisen. Dabei wird insbesondere auf den Fall Roms einzugehen sein, wie auch auf eine Begebenheit aus Hippo, die belegt, dass Augustin und sein Biograph Possidius persçnlich in gewaltttige Konflikte zwischen Christen und Heiden verwickelt waren. Man kann diesen Konflikt, den Robert Dodaro ausfhrlich beschreibt, als symptomatisch fr die Rivalitt und den Wettbewerb der Systeme verstehen, wie er in Kapitel 2.2.2 ber die Transformationsforschung dargestellt wurde.4 Anlass der Straßenkmpfe im Juni 408 zwischen den Christen und dem lokalen Heidenkult war die Feier eines heidnischen Festes, das von Possidius unterbrochen wurde, um nicht nher ausgefhrte Rituale des Festes zu unterbinden (Dodaro 2002: 231). Im Gegenzug warfen die Heiden whrend der folgenden zwei Tagen mit Steinen nach dem Kirchengebude. Possidius legte offiziell Beschwerde ein gegen die bergriffe, worauf die Gemeinde abermals das Opfer von bergriffen wurde, wobei diesmal auch Wertgegenstnde entwendet wurden und schließlich Feuer gelegt wurde. Dabei kam ein Angehçriger der Kirche ums Leben und Possidius entkam nur knapp einem Tçtungsversuch (Dodaro 2002: 231). Wichtig zur Bewertung der Situation ist der formale Hintergrund zu der Begebenheit, denn Possidius hielt sich an geltendes Recht, als er das heidnische Fest unterbrach. So berichtet Dodaro, dass kurz zuvor ein Gesetz durch den Kaiser Honorius erlassen wurde, welches çffentliche Prozessionen und Feste der Heiden untersagte und auf einen Erlass zurckgeht, den Kaiser Theodosius 391 gegen die heidnische Religion er-
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Dieser Wettbewerb muss nicht zwangslufig als Konflikt auftreten und tat dies zur Zeit Augustins auch nicht. Hierauf weist Allan Fitzgerald hin, wenn er den friedlichen Handel zwischen den Barbaren und dem rçmischen Empire beschreibt (Fitzgerald 1999: 92).
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4 Augustin und die Epochenschwelle Antike-Mittelalter
lassen hat. Honorius setzte dafr sogar Beamte ein, die die Durchsetzung des Gesetzes gewhrleisten sollten (Dodaro 2002: 232).5 Dieses Erlebnis aus dem unmittelbaren Umfeld Augustins verdeutlicht anschaulich, inwieweit die heidnische Vergangenheit mit dem sich ausbreitenden Christentum koexistierte. Man kann diese Episode auch als Indiz der Gleichzeitigkeit ansehen, die als charakteristisch fr die Epochenschwelle anzusehen ist. John Rist beispielsweise stellt eine Charakterisierung Nordafrikas zur Zeit Augustins vor, die er aus Textstellen Augustins belegt: „Augustine’s Africa is deformed by misery (Literal Commentary 11.35.48), madness (City of God 22.22, 89 – 94) and the suffering of children (Against Julian 5.1.4). […] In Augustine’s rather Hobbesian universe, the stronger will impose some kind of rule“ (Rist 1994: 225). Auch wenn die Ausformulierung der Zustnde berzeichnet wirkt, so kann doch festgehalten werden, dass die Lage dem sozialen und kulturellen Umbruch ein Nhrboden war. Vor allem der Hinweis, dass das Leiden der Betroffenen keine Reaktion bei den nicht Betroffenen hervorrief, deutet auf die Selbstverstndlichkeit dieses Zustandes hin, der eine dringende Vernderung forderte, ja erst ermçglichte. In diesem Zusammenhang spielt die Religion eine entscheidende Rolle, da sie als Institution mit einer Jenseitsausrichtung einen Weg aus der Misere im Glauben aufzeigte. O’Meara spricht von dem „dringenden Bedrfnis“ der Kirche, ihre „Offenbarung zu politisieren und als rational erscheinen zu lassen“. Diese Aufgabe „bernahm“ Augustin erfolgreich, was dessen geistesgeschichtliche Grçße mit ausmachte und was O’Meara zu der Formulierung bringt: „He was lucky6 in his time“ (O’Meara 1997: 13). Die Spezifitt der Situation Augustins ist vielfacher Gegenstand in der Forschung zu Augustin und zentral fr das Anliegen, Augustin als auf 5
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Derselbe Honorius war es auch, der die Gladiatorenkmpfe untersagte, welche Augustin bereits in den Confessiones als „moralische Gefahr“ bewertete (Conf. 6,11 – 13). Hieran kann man die Tendenz des rçmischen Imperiums erkennen, inwieweit es sich unter Honorius gegen die aus der eigenen Vergangenheit stammenden Bruche wendete und sich christlich assimilierte (vgl. zu den Gesetzesnderungen durch Honorius: Maier 1955: 19). „Lucky“ meint hier nicht das persçnliche Ergehen Augustins, sondern vielmehr die Konstellation, in die er hineingeboren wurde und die zum einen dazu fhrte, dass seine Arbeit auf so fruchtbaren Boden fiel und somit seinen Ruhm und seine Grçße der Nachwelt initiierte. Zum anderen ist damit gemeint, dass seine Arbeit sich aus dieser Konstellation heraus erst ermçglichte. Die Beziehung ist also eine komplementre und kann als weiteres Merkmal der Zusammenkunft von mikroskopischer und makroskopischer Ebene angesehen werden.
„4.1 ußerer Wandel“ von der Sptantike zum frhen Mittelalter
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der Schwelle zwischen Antike und Mittelalter zu begreifen. Robert Ottley etwa vertritt hierbei die These, dass Augustin erstens unter dem Einfluss aller bedeutenden „spiritual movements“ lebte, er jedoch zweitens – und das ist der entscheidende Punkt hier – kein bloßes „Produkt“ seiner Zeit darstellt (Ottley 1919: 112). Dieses Mehr, so kann man etwa in Anlehnung an die Gestaltpsychologie formulieren, macht Augustin als ganzen zu mehr als der Summe seiner Einflussgrçßen. Bevor in den folgenden Kapiteln Augustin jeweils als Reprsentant der beiden Epochen darzustellen ist, soll ein kurzer berblick zu den maßgeblichen Vorkommnissen des Umbruchs gegeben werden. Stellen die Zuschreibungen Augustins zu den Epochen die Annherung an die Epochenschwelle dar (ohne einen scharfen bergang markieren zu kçnnen), so stellt der berblick die wesentlichen Meilensteine und Strçmungen dieser „mehrdeutigen Situation“ (Barnes 1992: 11) zu jener Zeit dar. War das 4. Jahrhundert nach der offiziellen Anerkennung des Christentums als Staatsreligion weitgehend geprgt von dogmatischen Auseinandersetzungen, so zeichneten sich im 5. Jahrhundert schon die Momente ab, die bestimmend fr das Mittelalter werden sollten: das trotz der staatsrechtlich fortbestehenden Einheit des rçmischen Imperiums immer deutlicher werdende Auseinanderstreben der beiden Reichshlften sowie die zunehmende Bedeutung der Barbaren, die sich – besonders im Westen – immer schwerer integrieren ließen und damit wesentlich zum Zerfall der kaiserlichen Macht und dem Prozess der Partikularisierung des Imperiums beitrugen, der schließlich zur Bildung der sogenannten Vçlkerwanderungsreiche fhrte (Elm 2003: 160 f ).
Fr Augustins eigene Zeit wesentlich ist jedoch die Herausbildung einer verbindlichen Form des Christentums, da das Christentum schon seit etlichen Jahrzehnten die offizielle Religion des rçmischen Reiches war. Diese Auseinandersetzungen, die Augustin in seiner zweiten Lebenshlfte bis zur Verbitterung verfolgt hat, sind es schließlich, die zusammen mit den weitreichenden geopolitischen Vernderungen jene monastische Form des Christentums hervorgebracht haben, die Augustin in Hippo initiiert hat. Rist weist darauf hin, dass das rçmische Imperium zu jener Zeit, als Augustin selber in Italien wirkte, noch intakt und unverndert gewirkt haben muss. Die Anzeichen des Umbruchs kçnnen demnach zu Beginn des fnften Jahrhunderts verortet werden, als die Dezentralisierung Roms und insbesondere der rçmischen Macht einsetzte, was mit der Verarmung einzelner Stdte einherging und zur Blockbildung des Imperiums fhrte (Rist 1994: 203). Rist schreibt dazu, dass sich die Insti-
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4 Augustin und die Epochenschwelle Antike-Mittelalter
tutionen, mit denen Augustin aufwuchs, ußerlich wenig verndert haben, dass dieselben Institutionen jedoch im Alter wie „instabile Fassaden“ aussahen. Dementsprechend ging in Augustins Denken die Beobachtung politischer und sozialer Instabilitt Hand in Hand mit seiner Entwicklung im theologischen und philosophischen Denken. Man kann diese These als weiteres Indiz fr die Zusammenkunft der ußeren Faktoren mit der inneren Entwicklung Augustins nehmen. Kurt Flasch weist auf einen Punkt hin, der ebenso zentral ist fr das Verstndnis Augustins als Figur der Epochenschwelle: Den Verlust der griechischen Sprache nach der politischen und kulturellen Trennung durch Konstantin im Jahre 324. „Es gab im Westen immer weniger Menschen, die griechische Bcher lesen konnten; auch Augustin hat dies nicht mehr getan. Damit riss die Verbindung zur klassisch-griechischen Wissenschaft und Philosophie ab“ (Flasch 1986: 23 f ). Vom „Abreißen der Verbindung“ soll hier nicht die Rede sein. Vielmehr wurde durch diesen Schritt die unmittelbare Tradition der Werke und damit der Gedanken beendet. Was jedoch stattfand war die mittelbare Fortfhrung der klassisch-griechischen Erkenntnisse durch Augustin als Mittler, der das Wissen bersetzt hat, was hier sowohl inhaltlich als auch bildlich gemeint ist, wenn man die Epochenschwelle wie Blumenberg als Limes versteht. Als Beispiel hierfr kann die Weiterentwicklung des Neoplatonismus durch Augustin angesehen werden.7 Flasch weist jedoch auch auf die bersetzungsleistung Augustins hin. Demnach geht die „erste Konzeption des Christlichen“ auf Augustin zurck, insbesondere durch „Ciceros Begriff der Weisheit als das Wissen von gçttlichen und menschlichen Dingen. […] Was die gçttliche Weisheit ist, ließ sich vorzglich in der Sprache der Neuplatoniker sagen. Sie ist das „Wort“, der denkende Inbegriff der Ideenwelt, also das eigentliche Leben und die wahre Wirklichkeit; die sinnliche Welt ist nur ihr Abbild“ (Flasch 1986: 28 f ). Anhand der Philosophie des Neoplatonismus lassen sich also diese fr die Epochenschwelle charakteristische „Sanierungen einer Kontinuitt“ (Blumenberg 1976: 15) aufzeigen. Schließlich bleibt noch auf den Fall Roms im Jahr 410 einzugehen. Augustin selber war zu diesem Zeitpunkt in innerkirchliche Auseinandersetzungen mit den Donatisten verstrickt, aus denen er jedoch erfolgreich hervorging, nachdem er sich schon gegen die Manicher (insbe7
Nachdem Augustin in Mailand durch Ambrosius in Kontakt mit dem christlichen Neoplatonismus kam, entwickelte er eine eigene Interpretation (vgl. Hennigfeld/Saeverin 2005).
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sondere gegen den bekehrten Electus Felix) durchgesetzt hatte und 413 die Arbeit an De Civitate Dei aufnahm. Dieser besondere Niedergang und Fall einer Stadt und gleichsam eines Imperiums kam jedoch nicht vçllig unvermittelt, was fr die These der berlappung zweier konkurrierender Struktursysteme als Konstituens des Wandels von Bedeutung ist. So berichtet Flasch davon, dass die Besitzenden vermehrt aufs Land flohen, „da die zentrale Verwaltung immer schwcher wurde. Jurisdiktion, Steuereintreibung und Verteidigung fielen mehr und mehr in die Zustndigkeit regionaler und lokaler Instanzen“ (Flasch 1986: 24). Die Germanenstmme, die schließlich Rom bedrohten und einnahmen, darf man sich nach Flasch „nicht zu groß vorstellen […] – hçchstens etwa 20.000 Kampffhige verwsteten Stdte und zerstçrten Verkehrsverbindungen“ (Flasch 1986: 26). Dieser Umstand legt den Schluss nahe, dass Rom als Macht bereits stark geschwcht war und nur mit Mhe den Status aus der Vergangenheit aufrecht zu erhalten vermochte und schließlich scheiterte. Weiter weist Ulrich Knoche in seinem Aufsatz ber das „Selbstverstndnis der Rçmer“ auf das „letzte große Symbol [hin], das der Adel der Hauptstadt am Ende des Altertums, wohl in den letzten Lebensjahren des Ambrosius, dem bereits herrschenden Kreuzessymbol herausfordernd entgegenstellte[:] die Gçttin Roma“ (Knoche 1962: 145). Diese Information ist insbesondere im Hinblick auf die identittsstiftende Funktion Roms von Belang, da Rom als Gçttin der Inbegriff der Identifizierung8 ist, die gegen die innere Zersetzung und Dezentralisierung angefhrt wurde. Man kann also berechtigt von einer religiçsen Unruhe sprechen, die auch fr den Fall Roms eine entscheidende Rolle einnahm, wie Allan Fitzgerald behauptet. Dieser schreibt, dass Alarichs Einnahme Roms mehr als eine bloß strategische Bedeutung hatte: Rom war zentral fr die Identitt des Reiches und seiner Einwohner, und Roms Untergang forderte die Erwartung vieler Christen heraus, dass Gott das Rçmische Reich beschtzen wrde (Fitzgerald 1999: 93). Erst verlor Rom also seine altertmliche, eben rçmische Identitt an die Christen und schließlich wurde Rom von den heidnischen Barbaren eingenommen. Anhand dieser Punkte soll deutlich werden, inwieweit Augustin zu einer Zeit lebte, die von besonderen Umwlzungen bestimmt war, welche sich auf Augustins Leben wie auf sein Werk ausgewirkt haben. Im Folgenden ist dabei festzustellen, dass sich dieses Werk Augustins wiederum als maßgeblich fr die sich anschließende Epoche des Mittelalters her8
So spricht beispielsweise Maier von Rom als „metaphysischem Ordnungsgebilde“ (Maier 1955: 12).
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ausstellen sollte. ber die Beziehung von Ende (der Antike) und Anfang (des Mittelalters) und der besonderen Qualitt dieses bergangmomentes kann hier der einem Sprichwort entlehnte Titel eines Aufsatzes von James O’Donnell (1994) angefhrt werden, der die Ausgabe der Augustinian Studies No. 25 einleitet: „To Make an End is to Make a Beginning“. Abschließend kann dazu mit Franz Georg Maier aus dessen Buch ber „Augustin und das alte Rom“ die Verbindung vom Untergang Roms zum Aufkommen des das Mittelalter bestimmenden Christentums hergestellt werden: „Das Ende der Antike neigt sich hier zum Anfang zurck; indem aber das Christentum die Romideologie zur Romtheologie umbildete, trat sie aus dem Kreislauf heraus in den weiteren Gang der Geschichte ein“ (Maier 1955: 48). 4.1.1 Augustin als Reprsentant der Sptantike Wir wissen, dass sich vom fnften Jahrhundert an selbst die Grçße der Haustiere drastisch verringert hat. (Manfredi 2003: 64)
Ab wann kann eine historische Figur legitim als einer Epoche zugehçrig verstanden werden? Da Epochen Konstrukte einer Nachwelt sind, die eine Art Ordnungswissen durch das Markieren einer Zsur (gr. epoch) darstellen, gibt es einzig mehr oder weniger willkrliche Indizien, inwieweit Augustin als Vertreter der Sptantike angesehen werden kann. Um dennoch einen argumentativ nachvollziehbaren Weg der Zuschreibung vorzunehmen, soll der Nachweis nach folgenden drei Teilaspekten erfolgen: • Aufzhlung von Epochenzuschreibungen aus der Literatur zu Augustin • Inhaltliche und formale Aspekte seines Werkes, die ihn der Sptantike zuweisen • Der Niedergang Roms und Augustins Position dazu Bereits die Begriffe „Sptantike“ und „frhes Mittelalter“ zeichnen sich durch eine Ungenauigkeit aus, die der oben beschriebenen und problematisierten bergangsphase von der Antike zum Mittelalter sehr hnlich ist. Um den bergang nher zu charakterisieren, soll im Folgenden zunchst die Sptantike noch weiter ausdifferenziert werden.
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Eine in der Theologie gebruchliche Fokussierung ist der Blick nicht auf Antike und Mittelalter im Allgemeinen, sondern das „christliche Altertum“ und das „christliche Mittelalter“. Demnach wird auch die hier behandelte Epochenschwelle zwischen „christlichem Altertum“ und „christlichem Mittelalter“ lokalisiert. Das „christliche Altertum“ wiederum wird von Verweven, einem Vertreter der theologischen Perspektive, in folgende drei Perioden unterteilt: „Die apostolische und nachapostolische Zeit (1. Jh.), ferner die Zeit der Christenverfolgungen und Ausbildung einer christlichen Universalkirche im Kampfe mit rçmischer Kultur und rçmischem Staat (2. u. 3. Jh.); endlich die Zeit der Entwicklung des kirchlichen Lebens unter rçmischem Schutz (seit Constantin 325)“ (Verweven 1911: 7). Diese Sicht beinhaltet eines der Grundprobleme der historiographischen Betrachtung: Die Disziplinenzugehçrigkeit des Beobachters. Die Sichtweise Verwevens ist eine theologische, nach der die bergnge hinsichtlich der kirchengeschichtlichen Entwicklung verstanden werden. Dieses Raster ist fr die hier gestellte philosophische Frage bei weitem zu eng, ebenso wie ein rein philosophiegeschichtliches Raster nicht dem historiographischen Anliegen gerecht wrde. So ist denn der Blick auf Augustin außerhalb seiner Disziplinenzugehçrigkeit, wie sie im vorangegangenem Kapitel anhand des „Augustinismus“ dargestellt wurde, ein gangbarer Weg, die Epochenschwelle anhand Augustins als „Schlsselfigur“ zu untersuchen. Die exponierte Positionierung Augustins ist es auch, die den eben angefhrten Johannes Verweven zu seiner Einschtzung des Umbruchs folgendes konstatieren lsst: „Augustin ist der letzte, der vor dem Zusammenbruch des Rçmerreiches ein System der christlichen Weltanschauung entwickelt. Die nach-augustinische Zeit ist infolge der sich vollziehenden staatlichen Umwlzungen einer Fortbildung alter oder Entdeckung neuer Probleme nicht gnstig“ (Verweven 1911: 7). In diesem Ergebnis ist im Wesentlichen die Zuschreibung Augustins zur Sptantike festzuhalten. Epochenzuschreibungen aus der Literatur zu Augustin Gemß der oben vorgestellten Systematik soll im Folgenden Augustin als der Sptantike zugehçrig dargestellt werden, indem auf die Zuweisung innerhalb der Forschungsliteratur zu Augustin Bezug genommen wird. Das wohl aussagenstrkste Argument ist die Platzierung Augustins in geschichtsphilosophischen Werken oder Lexika. Hufig ist darin die Geschichte der Philosophie nach Epochen unterteilt und innerhalb der
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Epochen werden epochenprgende Autoren behandelt. Eine kleine Auswahl soll hierfr einen berblick geben. Die Aussagen sind keineswegs reprsentativ, belegen aber, inwieweit Augustin als der Sptantike zugehçrig verstanden werden kann. So wird Augustin in „Metzlers Lexikon antiker Autoren“ mit einem ausfhrlichen Eintrag bedacht (Habermehl 1997), was Augustin vordergrndig als der Antike zugehçrig ausweist. In dem berblickswerk „Philosophie im lateinischen Mittelalter“ (Schulthess/Imbach) wird Augustin in dem Kapitel „Das Erbe der (Spt-) Antike“ ausfhrlich behandelt. Hieran zeigt sich deutlich die exponierte Position Augustins, indem er als wesentliche Einflussgrçße fr das (lateinische) Mittelalter vorgestellt wird, er selber jedoch als der (Spt-) Antike zugehçrig verstanden wird. Im „Philosophischen Wçrterbuch“ von Halder/Mller wird Augustin (und sogar noch Boethius) der Antike zugerechnet. Doch neben diesen lexikalischen oder philosophiegeschichtlichen Werken, kann Augustin auch aus der Forschungsliteratur heraus als der Antike zugehçrig verstanden werden. So fhrt beispielsweise Peter Brown aus, dass Augustin fr ihn eine der entscheidenden „Figuren der Sptantike“ darstellt (Brown 2000: 488). Ein weiteres Beispiel stellt die Untersuchung von Franz Maier vor, fr den Augustins Lebenszeit „zu den bewegtesten Epochen der sptrçmischen Geschichte“9 (Maier 1955: 198) gehçrt. Von Alfred Schindler wird Augustin (genauso wie seine heidnischen Zeitgenossen) als Figur der Sptantike begriffen. Doch differenziert Schindler das Problem der Epochenzuweisung ganz im Verstndnis dieser Arbeit, wenn er ausfhrt: Augustine and his pagan contemporaries lived in Late Antiquity. This is our own way of thinking about it. But they had no such consciousness. They felt themselves threatened, certainly; they feared that they were approaching the end of the civilized world; but this civilized world itself was not experienced as an expiring period of history, but rather as a continuing unity (Schindler 1989: 336).
Zusammenfassend kann also aufgrund dieser stichprobenartigen Hinterfragung festgehalten warden, dass es durchaus eine Reihe von Autoren gibt, die Augustinus der Sptantike zurechnen. 9
Hiermit ist nicht zwangslufig gesagt, dass Augustin damit der Antike zugerechnet werden kann, denn die „sptrçmische Geschichte“ muss nicht zwingend als antik verstanden werden, sondern kann auch als christlich oder mittelalterlich verstanden werden. Das Ergebnis ist eher, dass die Begriffe sich einer exakten epochalen Zuschreibung entziehen.
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Inhaltliche und formale Aspekte seines Werkes, die ihn der Sptantike zuweisen Der Systematik des Kapitels folgend werden nachstehend inhaltliche und formale Aspekte im Werk Augustins aufgelistet, die Augustin als der Antike zugehçrig erscheinen lassen. Einen prominenten Beitrag zu dieser Frage liefert Kurt Flasch. Er weist darauf hin, dass der Aufbau und der Inhalt von Augustins „Bildungskonzeption“ sptantik blieb: Gleichwohl Augustin an einer „kulturellen Assimilierung der Christen an die antike Zivilisation“ arbeitete, behielt er das „System der sptantiken Bildung, festgeschrieben im Curriculum der „Sieben Freien Knste“10 bei (Flasch 1986: 35). Sein Beitrag zu besagter Assimilation war die Ausrichtung der Knste, die „ausschließlich als Mittel zum Zweck der Bibelauslegung“ konzipiert wurden.11 Maier weist darauf hin, dass Augustins Persçnlichkeit zwar von der „literarischen Kultur seiner Zeit geprgt ist“, dass aber in Augustins „Denken und Schreiben noch antike Tradition fhlbar ist“, wie es in der Beziehung beispielsweise zu Cicero erkennbar wird (Maier 1955: 206). Zu einem ganz hnlichen Ergebnis kommt Robert Forman, der auf die „Echos der vorchristlichen Antike“ bei Augustin hinweist (Forman 1995: 14). Dass bei beiden Autoren unabhngig voneinander Begriffe gewhlt werden, die eine Nhe zur klassischen Antike ausdrcken, die jedoch nicht unmittelbar zu fassen ist, wird daran liegen, dass Augustin kein Griechisch mehr beherrschte und deshalb auf bersetzungen angewiesen war (Flasch 1986: 34). Diese Merkmale sind wesentlich fr die Analyse von Augustins Sprache, die im Folgenden zu untersuchen ist, um damit die Zugehçrigkeit zur Antike zu demonstrieren. Da er der griechischen Sprache nicht mchtig war, war es das Lateinische, das die Sptantike charakterisierte und das Augustin in klassischer Weise wie die berhmten Rhetoren beherrschte. Neben Cicero, dessen „Hortensius“ die maßgebliche Lektre fr Augustin in der Jugend war, war es insbesondere das Latein Tertullians, das Augustin prgte, gerade auch, weil Tertullian 196 ein Bekehrungserlebnis durchmachte, wie spter auch Augustin. Dieser Punkt ist insbesondere von Bedeutung, da das Latein, „die Sprache also, in der man 10 Dazu zhlten Grammatik, Rhetorik und Dialektik, die das Trivium bildeten, sowie Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie, die zusammen das Quadrivium bildeten (Flasch 1986: 139). 11 „Damit schuf Augustin das Konzept hçherer christlicher Erziehung, das bis in die Zeit um 1200 das vorherrschende blieb“ (Flasch 1986: 40).
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einzig seine Gedanken darstellen konnte“ ein „universales Regelsystem“ darstellt, das „in Klçstern und Schulen, in Universitten und Kanzleien zu einer Art Umgangssprache avanciert[e]“ (Flasch 1986: 137). Zur Zeit Augustins wurde das Lateinische (genau wie das rçmische Verwaltungssystem) durch die eindringenden Barbaren „zerschlagen“, um es durch das „Gotische, Frnkische und Langobardische“ zu ersetzen, was jedoch nicht nachhaltig erfolgte (Flasch 1986: 136). Das Latein, auf das sich Augustin bezog, der viele Jahre in Rom und Mailand als Rhetoriklehrer wirkte, ist nicht „ohne profunde Kenntnis rhetorischer Kunst und philologischer Wissenschaft“ denkbar. „Denn nur die Beherrschung der Regeln befhigt zu einem solchen freien Umgang mit ihnen, zum Spiel mit Wortsinn, Paradoxie, Ironie, Neologismen, Reim und vielen anderen Kunstgriffen“ (Schulz-Flgel 2002: 13), fr die Augustin bekannt ist, insbesondere fr seine Verwendung von Paradoxien, die nicht nur rhetorisch, sondern auch und vor allem inhaltlich/philosophisch bedeutsam sind.12 Um die Inhalte des augustinischen Werkes auf ihre Zugehçrigkeit zum Altertum hin zu berprfen, soll im wesentlichen auf den Untersuchungspunkt zu „Augustin auf der Schwelle zwischen Philosophie und Theologie“ verwiesen werden, da die frhen Werke Augustins einen stark philosophischen Einschlag haben, der der Philosophie der Antike, namentlich der platonischen und neoplatonischen Philosophie entspringt, wohingegen die spten Schriften deutlich christlich. So bleibt schließlich der Untergang Roms als eine (denkbare) Markierung fr das Ende der Antike, die rein zeitlich in das letzte Drittel von Augustins Leben fllt. Dabei ist herauszustellen, dass der Untergang an sich eher eine notwendige Konsequenz einer ungleich weiter reichenden Umwlzung war. Die dem Ereignis vorausgehende und zugrunde liegende Umwlzung war die Vçlkerwanderung, die in ihren sozioçkonomischen Auswirkungen die Voraussetzung13 fr den Niedergang Roms war und schließlich auch fr den epochalen Wandel von der Antike zum Mittelalter.
12 Siehe insbesondere in Kapitel 4.3.3 zu den Hintergrnden des Diktums „Intellige ut credas, crede ut intelligas“. 13 ber die Prsenz der Vçlkerwanderung als Diskussionsthema in Rom vor 410 berichtet Maier: „Der Fall von Rom war nur der Hçhepunkt einer Folge von Ereignissen der Vçlkerwanderung, die seit Jahren Fragen und Denken der rçmischen Welt bewegten“ (Maier 1955: 48).
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Der Untergang Roms und Augustins Positionierung dazu Die Entscheidung fr den Untergang Roms im August 410 bietet sich hier von daher besonders an, da im Hinblick auf die Ordnungsfunktion Roms der Untergang die Erzeugung eines Vakuums bedeutet. Ebenso wren andere Demarkationspunkte mçglich und vertretbar, wie beispielsweise der Tod Theodosius des I, welcher 395 das Ende der Einheit des rçmischen Reiches bedeutete. Geht es aber um Philosophie und um Augustin, so ist der Untergang Roms von wirkungsgeschichtlicher Bedeutung, die insbesondere in der Begrndung der Geschichtsphilosophie des Augustin ihren Niederschlag findet. So ist der Untergang Roms nicht nur politisch und geostrategisch signifikant, sondern auch fr die Sinnstiftung, wie dies Franz Georg Maier in dem Buch „Augustin und das antike Rom“ herausgearbeitet hat. Nach Franz Maier erscheint Rom „in einer eigentmlichen Doppelgestalt in der abendlndischen Geschichte: als zeitliche Gestalt eines bestimmten geschichtlichen Raumes und Ablaufs, und als berzeitliche Form menschlicher Lebenshaltung und politischer Weltordnung“ (Maier 1955: 11). Insbesondere die zweite Form wird zum tragenden Moment der Untersuchung von Maier, die zu dem Begriff von Rom als „metaphysisches Ordnungsgebilde“ (Maier 1955: 12) fhrt. Diese Ansicht kann mit Schindler untermauert werden, der betont, dass das Imperium an sich keine religiçse Bedeutung hat, ganz im Gegenzug zum Staat, welchen Schindler mit der Gçttin Roma in Verbindung bringt (Schindler 1989: 334). Maiers spezifischer Ansatz liegt darin, „Augustins Ort im Romgesprch der Zeiten zu bestimmen“, da Augustin „als bedeutendster Kopf der alten Kirche im Westen […] Hçhepunkt und Abschluss des Gesprchs zwischen Christen und Heiden in der Antike“ war (Maier 1955: 13). Fr das Anliegen dieses Kapitels von primrer Bedeutung ist Maiers eindeutige Zuweisung Augustins zur Antike. Somit erfolgte nach Maier der Untergang Roms noch whrend der Antike.14 Auf den nchsten Seiten soll deshalb der Fall Roms dargestellt werden, wie er fr Augustin, der zu diesem Zeitpunkt schon fest in der Institution der Kirche verankert war, von Belang war. Franz Maier fhrt aus:
14 Es ließen sich Gegenbeispiele darstellen, nach denen sich der Untergang, dessen Datum auf den 24. August 410 fixiert werden kann, gemß epochaler Zuschreibung zum frhen Mittelalter zhlt.
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In den letzten Augusttagen des Jahres 410 geschah, was bisher fr unmçglich gegolten hatte: das heilige, unverletzliche Rom çffnete seine Tore den Barbaren. […] Was alle Einbrche an den Rndern des Reiches bisher nicht vermocht hatten – dieses Geschehnis erschtterte die Geister und trieb sie zu Bekenntnis und Rechenschaft. Mit dem Fall von Rom war die Wirklichkeit in die Romideologie des Zeitalters eingebrochen. Auch fr Augustin wird dieses Problem jetzt erst wirklich aktuell (Maier 1955: 43).
In der Darstellung Maiers wird deutlich, inwieweit die Einnahme Roms durch die Barbaren eine Zsur bedeutet, durch die das Zeitalter der „Romideologie“ durch die Barbaren beendet wurde und somit, der „geschichtliche Raum“ zu einem Ende kommt. Gleichzeitig schwindet die Macht der Romideologie, die aus der „Romidee“ besteht und sich dadurch auszeichnet, dass eine „irdische Machtordnung zu einer geistigen Weltordnung“ erhoben ist.15 Eine Konsequenz, die schließlich zur Besetzung Roms fhrte und die fr die Untersuchung der Epochenschwelle von weiterfhrender Bedeutung ist, ist die Hinwendung Augustins zur christlichen Bewegung. Hierbei ist vor allem Marius Victorinus zu nennen, der als der bersetzer der platonischen Schriften fr Augustin noch von Bedeutung sein sollte. Franz Maier geht sogar so weit, zu behaupten, dass das Christentum einen „neuen rçmischen Patriotismus“ ausbildete, welcher als Nachfolger der Romidee verstanden werden kann (Maier 1955: 47). Ein entscheidendes Detail in dieser Hinsicht ist bereits in jenen drei Tagen der Plnderung zu finden. So blieben allein die Basiliken St. Petrus und St. Paulus „verschonte Inseln, in denen sich Tausende von Heiden und Christen schutzsuchend zusammendrngten“ (Maier 1955: 55). Der Zulauf und die Schutzsuche in den Basiliken im Angesicht der plndernden Barbaren mag neben der architektonischen Geeignetheit ein weiterer Grund fr die Substitution der Romidee durch das Christentum gewesen sein. In Bezug auf Augustin hatte der Fall Roms die Wirkung der Entwicklung eines zielgerichteten Geschichtsbildes, wie es erstmals in der Philosophiegeschichte im Gottesstaat formuliert wurde. Auch wenn es berechtigte Einwnde gibt, dass die Gedanken Augustins zu diesem Projekt schon vor der Einnahme Roms bestanden, so betont Augustin selber in den Retractationes den urschlichen Zusammenhang zwischen 15 Diese „Romidee“ wurde nicht erst mit dem drohenden Untergang herausgebildet, sondern geht zurck auf Cicero und Virgil, die Rom als eine „metaphysische Wesenheit“ begriffen, die berufen war, Gerechtigkeit und Ordnung in den irdischen Dingen zu wahren“ (Maier 1955: 45).
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dem Fall Roms und der Idee zum Gottesstaat, worauf u. a. auch Fitzgerald (1999: 352) hinweist. Von Bedeutung ist dieser Umstand insbesondere hinsichtlich der Zugehçrigkeit Augustins zu den Epochen, da nmlich im Gottesstaat das christlich-teleologische Denken des Mittelalters begrndet wird, dieses jedoch die Reaktion auf den Niedergang Roms war, also den Abschluss der Epoche einlutete, aus der auch Augustin stammt. Diese Zusammenhnge sind gewichtig, schaut man sich Augustins eigene Worte aus den Retractationes an, die er zum Ende seines Lebens hin im Jahr 426 verfasst, immerhin 13 Jahre nach dem Beginn der Arbeit am Gottesstaat. 16 In dieser Bedingtheit sind die folgenden Ausfhrungen Augustins zu verstehen und zu bewerten: In der Zwischenzeit wurde Rom durch den Einbruch der brandschatzenden Goten unter der Anfhrung des Kçnigs Alarich und durch die katastrophale Niederlage zerstçrt. Die Anbeter einer Vielzahl falscher Gçtter, jene Menschen, die wir gewçhnlich Heiden nennen, bemhten sich, das Unglck in Zusammenhang mit der christlichen Religion zu bringen und begannen mit ungewohnter Schrfe und Bitterkeit den wahren Gott zu lstern. Das war es, was mich, verzehrt vom Eifer um das Haus Gottes, beschließen ließ, gegen die Lsterungen und Irrtmer die Bcher ber den Gottesstaat zu schreiben (retr. 43,1)17.
Die Unterstellung des Zusammenhangs von Invasion und Geringschtzung der Christen durch Augustin ist der Anlass fr den Gottesstaat. Dieser Zusammenhang wird sich urschlich nicht rekonstruieren lassen. Nach Valerio Manfredi sind die folgenden zwei Motive die „entscheidenden und traditionell anerkannten Grnde fr den Verfall des Reiches: Die Barbareninvasion (mit der daraus folgenden Verwilderung des Heeres) und die Verbreitung des Christentums. Letzteres fhrte zu einer Antikriegshaltung, schwchte die Verteidigungsbereitschaft und ließ die besten Heeres- und Verwaltungsleute zum Klerus berlaufen. Alle anderen Faktoren wie demographische Krise, Wirtschaftsflaute oder Ende des Patriotismus waren nichts anderes als Konsequenzen der ersten 16 hnlich verhlt es sich mit den Confessiones, die Augustin 13 Jahre nach dem Bekehrungserlebnis verfasst. Es ist bei einem wandlungsintensiven Denker wie Augustin stets angebracht, die zeitlichen Bezge der Aussagen in Relation zum jeweiligen Lebensstadium zu setzen. Dies ist insbesondere von Gewicht, als es Augustin, je lter er wird, zunehmend um missionarische Anliegen im Sinne der Ausbreitung des Christentums geht. 17 Interea Roma Gothorum irruptione agentium sub rege Alarico atque impetu magnae cladis eversa est. Cuius eversionem deorum falsorum multorumque cultores, quos usitato nomine paganos vocamus, in christianam religionem referre conantes, sollto acerbius et amarius Deum verum blasphemare coeperunt.
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Grnde“ (Manfredi 2003: 60). Ob die Invasion nun Folge der demographischen Krise war, oder in welchem anderen kausalen Zusammenhang die beiden zueinander stehen, soll hier nicht diskutiert werden, da die beiden Begriffe in einer gemeinsamen Figur kulminieren: Der Bewegung von Außen nach Innen aus der Sicht des rçmischen Imperiums. Fr die Frage nach der Epochenschwelle von Bedeutung ist hierbei die Entwicklung, dass das Rçmische Reich von innen erodierte, was mit den Angriffen von außen korrelierte.18 Um diese Korrelation zu untersuchen, ist die Position zu betrachten, wonach Augustin die „Heiden“ und die Invasion in einen Zusammenhang mit den Christen brachte. Eine Differenzierungsebene ist die Frage nach der Wahrnehmung der Position, und hierzu kann angefhrt werden, dass sich „im gemeinen Volk […] der Gedanke verbreitet, dass die Rckschlge, die Katastrophen, das Elend und die Epidemien eine Konsequenz des Abzugs der antiken Gçtter und des Einzugs eines fremden, verhngnisvollen Aberglaubens – eben des Christentums – war“ (Manfredi 2003: 64). Folgt man dieser Differenzierung, so kann Augustins in den Retractationes vorgebrachte Position als die des einfachen Volkes identifiziert werden. In einer kritischen Untersuchung hingegen wre die Position Manfredis zu vertreten, da der Zusammenhang von Niedergang und Christentum eine unbegrndete Behauptung ist, ebenso wie die Behauptung des Abzugs der antiken Gçtter. Gerald Bonner schreibt in seiner Augustinbiographie ber jene Zeit der Umwlzungen: „Politisch gesehen waren die effektiven Herrscher Westeuropas die Kçnige der Barbaren, die sich als die direkten Nachfolger der rçmischen Administration etabliert hatten“ (Bonner 1963: 13). Diese zweifellos politische Position ermçglicht eine weitere Perspektive auf den Wandel, welche in erster Linie die widersprchlichen Zustnde whrend eines bergangs charakterisiert, hnlich wie der Begriff des „Semibarbarus“19. Als Ende der bergangsphase – und damit wird nun die historiographische Ebene eingezogen – wird laut Fitzgerald das Jahr 476 angesetzt, als der letzte (west-)rçmische Kaiser Romulus Augustulus von dem germanischen Heerfhrer Odoaker ersetzt wird (Fitz18 So weist Manfredi auf diesen Zusammenhang hin, wenn er auf die Erosion der Legionen hinweist, als deren Befehlshaber zu Kaisern ausgerufen wurden, „und damit alle anderen Einrichtungen, Senat inbegriffen, entmachteten“. Es kam „zu einer Reihe von internen Kriegen, welche die Krfte des Reiches in gleichem Masse schwchten wie die Angriffe von außen“ (Manfredi 2003: 62). 19 Nach Manfredi (2003: 63) diejenigen nicht-rçmischen Mitglieder des Militrs, die es zu Fhrungspositionen geschafft haben.
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gerald 1999: 353).20 Zu diesem Zeitpunkt war Augustin bereits seit 46 Jahren tot, und wenn man das Ende des rçmischen Reiches als eine begrndete Markierung der Epochenschwelle Antike-Mittelalter versteht, so ist Augustin nach dieser Auffassung noch deutlich Teil der Antike gewesen. Die Grenze ist nicht scharf gezogen, sondern im Sinne einer berlappung zu verstehen, die in der Retrospektive einen Kipppunkt erkennbar werden lsst, wonach Augustin ebenso als Vertreter des Mittelalters zu verstehen ist, wie das folgende Kapitel zu zeigen versucht. 4.1.2 Augustin als Reprsentant des Frhmittelalters As a bishop in this church, Augustine found himself in an institution able to touch more persons, and on a deeper level of their being, than had ever been touched by the majestic, but distant, structures of the Roman Empire. Christianity mobilized their hearts by creating new loyalty to a yet greater, invisible empire of God. (Brown 2000: 491)
Nachdem gezeigt werden konnte, dass Augustin als legitimer Reprsentant der (Spt-) Antike angesehen werden kann, wird im Folgenden gezeigt, dass Augustin ebenso als legitimer Reprsentant des frhen Mittelalters angesehen werden kann. Dabei ist eines nicht zu verwechseln: Die epochenbezogene Zugehçrigkeit der Person Augustin zum Mittelalter und die Wirkmchtigkeit Augustins fr das Denken der Epoche Mittelalter als prominenteste Figur der „doctores maiores“21 (Horn 1995: 154) und als Kirchenvater. Letzteres muss nicht urschlich mit ersterem zusammenhngen, jedoch wirkt sich die Gestaltung eines Anfangs prgend auf den pfadabhngigen Verlauf der mit dem Anfang markierten Epoche aus. In diesem Kapitel sind beide Aspekte von Bedeutung, wobei 20 Verfolgt man die historiographische Sichtweise weiter hinsichtlich der Wirkungsgeschichte Augustins und hierbei der Wirkung Augustins angeregt durch die Einnahme Roms im Jahr 410, so kann mit Fitzgerald behauptet werden, dass die „Geschichte der westlichen Welt gewissermaßen die Geschichte der Antworten auf Augustins Suche nach Alternativen nach dem Fall Roms war“ (Fitzgerald 1999: 352). 21 Hufig findet sich auch die Bezeichnung „doctor gratiae“.
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auf dem der Zugehçrigkeit der Person Augustins das Hauptgewicht liegt. Ebenso wie im vorangegangenen Kapitel soll die Darstellung Augustins als Reprsentant des Mittelalters anhand dreier Kriterien untersucht werden, die sich analog zu Augustin als Reprsentant der Sptantike verhalten: • Epochenzuschreibungen anhand der Literatur zu Augustin • Inhaltliche Aspekte seines Werkes, die ihn dem frhen Mittelalter zuweisen • Das Aufkommen des Christentums und Augustins Positionierung dazu Epochenzuschreibungen anhand der Literatur zu Augustin Ebenso wie sich Augustin als Vertreter der (Spt-)Antike ausweisen lsst, ist es mçglich, Augustin anhand exemplarischer Darstellungen als Vertreter des Mittelalters zu beschreiben. So wie einige berblickswerke in ihrer schematischen, nach Epochen gegliederten Struktur Augustin als Vertreter der Antike prsentieren, ist es auch mçglich, Augustin in Kapiteln zu finden, die beispielsweise berschrieben sind mit „Die Philosophie des Mittelalters“. So etwa in der Philosophiegeschichte von Hans Joachim Stçrig, der das Ende der Antike anhand der Neoplatoniker markiert und jeden christlich geprgten Ansatz bereits dem Mittelalter zurechnet. Ein weiteres Beispiel ist in „Oxford’s illustrierter Geschichte der westlichen Philosophie“ von Anthony Kenny zu sehen, worin Augustin dem Kapitel „Die mittelalterliche Philosophie“ zugewiesen ist. Zudem weist der Autor des Kapitels, Paul Vincent Spade, darauf hin, dass Proklos, „der letzte bedeutende Vertreter der antiken heidnischen Philosophie, wesentlich spter als Augustinus“ lebte (Spade 1998: 69), was abermals fr die berlappung der Epochengrenzen spricht. Eine eindeutige Zuschreibung nimmt auch Kurt Flasch vor, der eines seiner philosophischen berblickswerke „Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli“ nennt, worin Augustin als Grenzund Anfangspunkt der mittelalterlichen Philosophie verstanden wird. Ebenso kann Johann Kreuzers Buch „Gestalten mittelalterlicher Philosophie“ (2000) angefhrt werden, da Augustin chronologisch gesehen als erste „Gestalt“ in dem Buch angefhrt wird.
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Inhaltliche Aspekte, die ihn dem frhen Mittelalter zuweisen Die Zuweisung anhand inhaltlicher Aspekte verhlt sich hinsichtlich des Mittelalters anders als hinsichtlich der Antike. Die Einflsse der Antike sind lesbar durch den Verweis auf antike Autoren oder Vorstellungen und Denkrichtungen, die als der Antike zugehçrig charakterisiert werden kçnnen, wie beispielsweise das platonische Gedankengut oder die Verweise auf Cicero. Fr das Mittelalter hingegen gilt, dass Augustin eine der maßgeblich prgenden Figuren der erst noch entstehenden Philosophie darstellt, man also erstens das „mittelalterliche Denken“ an sich definieren msste, um dann zweitens eine genetische Beziehung zu Augustin herzustellen. Diese Argumentation wre schwach aufgrund von Kategorien, die nicht problemlos zu ermitteln wren. Stattdessen soll der Verweis auf einige Lehren und Werke Augustins erfolgen, die aus der Literatur heraus begrndet als charakteristisch fr das Mittelalter angesehen werden kçnnen. Der Einfluss Augustins auf das Mittelalter begann bereits Ende des 5. Jahrhunderts, da Augustin als ein großer Lehrer verehrt wurde. Ein Meilenstein war nach Fitzgerald das von Cassiodorus 551 verfasste Werk Institutiones22, worin die geistliche und weltliche Ausbildung von Klosterangehçrigen geregelt wurde. Darin wird insbesondere auf Augustins De Doctrina Christiana verwiesen, das als Begleittext fr die Bibellektre empfohlen wird (Fitzgerald 1999: 364). Fr die Fragestellung nach der epochalen Zuschreibung kann aus diesem Umstand abgeleitet werden, dass Augustin maßgeblich fr das Aufkommen und das institutionelle Ausbreiten des Christentums prgend war und deshalb die auf ihn zurckgehenden Gedanken wie hier die der Bibellektre bereits als mittelalterlich angesehen werden mssen, da sie sich in der Folgezeit noch weiter ausprgten und somit Facetten des Mittelalters bildeten. In der Zeit direkt nach seinem Tod wurde Augustins Werk Teil der „common Latin Christian inheritance“, also des gemeinsamen rçmisch-katholischen Erbes, doch ist der Augustin dieser Zeit in der Wahrnehmung ein anderer als der, der aus seinen Werken spricht. Wesentlich waren seine Schriften, die dem sich konstituierenden Christentum An- und Unterweisung gaben und konkrete Ratschlge aussprachen, um Hretiker zu widerlegen (Fitzgerald 1999: 365). Ein weiteres Indiz, das Augustin dem Mittelalter zuweist, ist die hohe Anzahl der Werkabschriften direkt nach dessen Tod, 22 Der vollstndige Titel lautet: Institutionum divinarum et humanarum rerum libri duo.
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von denen noch heute viele erhalten sind. Diesen Umstand nennt Fitzgerald einen „stummen Beweis“ fr das Interesse an Augustins Werken direkt nach seinem Tode (Fitzgerald 1999: 364), der die Voraussetzung fr die breite Rezeption Augustins im Mittelalter war. Im Folgenden soll die Zuweisung Augustins zum Mittelalter anhand einer philosophiegeschichtlichen Bewertung erfolgen. Dazu werden Philosophen angefhrt, die sich philosophiegeschichtlich mit Augustin beschftigt haben. So lsst sich im Rckschluss der Bruch zur Antike folgern, um dessen Nachweis es hier gehen soll. Es kann mit Christoph Horn festgestellt werden, dass Augustin im „mittelalterlichen Abendland“ nach der Bibel die oberste Instanz in Fragen von Glaube und Theologie und zudem die zentrale philosophische Autoritt dar[stellt]“ (Horn 1995: 154). Auch Christoph Kann stellt im philosophischen Hinblick auf die Rolle des methodischen Zweifels und der Skeptizismuskritik fest, dass Augustin wie „nur wenige Denker das Mittelalter beeinflusst hat“ (Kann 2003: 227). Kurt Flasch stellt heraus, dass Augustins Werk dem christlichen Denken des Westens Gott und die Seele, das Glck und das Bçse in einer beschnittenen neoplatonischen Manier vermachte: Es bedeutete die Zurckdrngung- jedoch nicht die Vernichtung- einer Deutung des Christentums, die wie die seines Gegners Pelagius das Freiheitsbewusstsein der Antike und die Wertmaßstbe der stoischen Ethik innerhalb des christlichen Denkens aufrechterhalten wollte. Es verschaffte dem Ich ein Anrecht, in philosophisch-theologischen Grundfragen zum Ausdruck zu kommen; es wurde ein Gegengewicht gegen logischen Formalismus, primr kosmologischen Objektivismus; es ließ seelische Phnomene als bevorzugten Ausgangspunkt philosophischen Nachdenkens zu. […] Augustin bestimmte durch seine Modifikation des Neuplatonismus, durch seine Rezeption stoischer Elemente, durch seine Umformung des antiken Bildungskonzepts, vor allem aber durch seine Erbsnden- und Gnadenlehre die intellektuelle Selbstverstndigung der westlichen Christenheit bis ins 12. Jahrhundert ziemlich unbestritten. Erst mit Abaelard traten konkurrierende Konzeptionen des Christlichen auf. Sie mussten sich alle mit Augustin auseinandersetzen. Das gilt fr das gesamte Mittelalter, aber auch fr die Reformation in Deutschland und fr die franzçsischen Debatten des 17. Jahrhunderts (Flasch 1986: 40 f ).
Anhand dieser ausfhrlichen Darstellung Flaschs wird Augustins konstitutive Rolle fr das Mittelalter deutlich. Er hat nicht nur wesentliche Lehren aus der Antike in das Mittelalter bersetzt, sondern diese auch so stark persçnlich eingefrbt, dass er als Autoritt ber sein eigenes Leben hinaus fungierte. Der Hinweis auf die Auseinandersetzung seiner Nachfolger im Mittelalter mit seinen Lehren kann als Indiz genommen wer-
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den, inwieweit Augustin als Figur des Mittelalters verstanden werden kann, da er das Mittelalter und das „Selbstverstndnis der westlichen Christenheit“ begrndete. Zeitgleich mit der bersetzungsleistung brach Augustin mit wesentlichen Traditionen der Antike, die ihn als nicht mehr der Antike zugehçrig erscheinen lassen. Dazu zhlt beispielsweise die Zuweisung der Vernunft zu irdischem Glck, womit (der spte) Augustin nach Kurt Flasch die „Grundlagen der politischen Theorie der Antike“ sowie das antike Konzept praktischer Philosophie zerstçrte (Flasch 1986: 44). War die mittelalterliche Philosophie „eine Mischung zweier Haupteinflsse“ (Spade 1998: 70), so hat Augustin diese „Mischung“ verursacht und sich selber somit als wesentlichen Anfangspunkt der mittelalterlichen Philosophie platziert.23 Dabei spielt die Institution Kirche eine wesentliche Rolle, die Augustin durch seine Regulae und die monastische Tradition ebenfalls maßgeblich prgte. Weiter weist Flasch darauf hin, dass Wissenschaft im Mittelalter, anders als in der Antike, sofern sie „in den nchsten Jahrhunderten berhaupt noch vorkam, […] kirchlichen Zwecken [diente]“ (Flasch 1986: 127).24 Fr diese mittelalterliche Philosophie war Augustin etwa bis zum 12. und 13. Jahrhundert von konstitutiver Bedeutung. Erst dann kam es zur „Wiederentdeckung des Aristoteles“, doch fr den berwiegenden Teil des Mittelalters spielte Aristoteles eindeutig eine Nebenrolle (Spade 1998: 71). 23 Die in der spteren Rezeption einsetzende, strikte Trennung von Philosophie und Theologie beginnt nach Hans Kraml bereits zu Augustins Zeiten: „Seit dem Auftreten des Christentums in der antiken Welt besteht ein gespanntes Verhltnis zwischen der Philosophie und dem Versuch, eine christliche Lebensweise argumentativ zu vertreten. Sowohl Philosophen als auch Christen reklamieren fr sich, die Frage nach der Weisheit zu stellen und zu beantworten“ (Kraml 1998: 608). Demnach wre ein Kriterium fr den epochalen Wandel von der Antike zum Mittelalter die Zugehçrigkeit zum jeweiligen Sinnstiftungsapparat. Dieses Kriterium soll aber nicht als signifikantes dieser Untersuchung angesehen werden, da es zu viele Unsicherheiten birgt. 24 Kurt Flasch warnt in diesem Zusammenhang von einem „neoromantischen Phantombild des „christlichen Mittelalters“, gleichwohl die „mittelalterliche Lebenswelt durchgngig christlich geprgt“ war (Flasch 1986: 128). Selbiges gilt fr die Philosophie des Mittelalters: „Es macht einen Sinn, von „christlicher“ Philosophie zu sprechen, hnlich wie wir von griechischer oder arabischer Philosophie sprechen. Aber diese Ausdrcke drfen nicht normativ, sie kçnnen nur deskriptiv gemeint sein, also ohne den Ehrgeiz, eine bestimmte Philosophie vor anderen als die „christlichere“ auszuzeichnen; es ist daher sinnlos, die Geschichte der christlichen Philosophie auf das Mittelalter einzuengen, als seien Descartes und Pascal, Leibniz, Kant und Hegel nicht auch „christliche“ Philosophen“ (Flasch 1986: 131 f ).
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Das Aufkommen des Christentums und Augustins Positionierung dazu Augustin als Reprsentanten der Antike auszuweisen geschah vermittels Augustins Positionierung zum niedergehenden rçmischen Imperium mit besonderem Gewicht auf der Einnahme Roms im Jahre 410. Um ihn nun ebenso legitim als Reprsentanten des frhen Mittelalters anzuerkennen, bietet es sich an, Augustins Positionierung zum aufstrebenden Christentum darzustellen. Wie oben ausgefhrt, muss das durch den Niedergang des „metaphysische[n] Ordnungsgebilde[s]“ Rom (Maier 1955: 12) entstandene Ordnungsvakuum als Voraussetzung zum Erstarken des Christentums angenommen werden. Hans Meyerhoff bezeichnet Rom als das geschichtlich erste „universal empire“, dessen Niedergang erst die Etablierung einer „universal church“ (Meyerhoff 1959: 3) gestattete. Insofern sind Augustins philosophische und theologische Lehren neben seiner institutionellen Weiterentwicklung der Kirche wesentliche Voraussetzungen des Mittelalters und insofern kann Augustin in dieser Phase der berlappung als legitimer Reprsentant beider Ideenwelten epochaler Konstruktion angesehen werden. Nur ist die Bezeichnung einer „universal church“ mehr als fraglich, auch wenn damit „nur“ der Ausbreitungsgrad gemeint sein soll.25 Statt von einer universalen Kirche zu sprechen, muss man vielmehr ausdifferenzieren zwischen verschiedenen theologischen Systemen, von denen Augustin nur fr eines reprsentativ war. Wilhelm Geerlings weist darauf hin, dass die „Alte Kirche kein monolithischer Block“ war, sondern, dass sie sich zunchst „in drei großen Sprachrumen [entwickelt hat]: dem griechischen, lateinischen und orientalischen Sprachraum. […] Jeder der drei großen Sprachrume bildet folglich eine eigene Theologie aus, schafft eine eigene Kirchenspiritualitt. […] Der griechische Sprachraum wird berstrahlt vom Namen Origenes. […] Eine vçllig andere Luft atmet die lateinische Kirche. Sie ist interessiert an Fragen des praktischen Lebens und der Frçmmigkeit, ist daran interessiert, wie man in der Kirche alles verbindet“ (Geerlings 2002a: 10). In dieser lateinischen Kirche – und nur hier – ist Augustin von konstitutiver Bedeutung, was in der philosophiegeschichtlichen Gewichtung so zu verstehen ist, dass die westliche Philosophie den Weg ber das lateinische 25 So weist der koreanische Theologe Kam-lun Lee in seiner Dissertation zum theologischen Milieu Asiens darauf hin, dass er Augustin als Untersuchungsobjekt whlte, „because he has had incalculable influence on the whole Western Church tradition, Catholic and Protestant alike. In today’s Asian theological milieu, the demand to think contextually at the same time must call for reevaluation of the Western tradition“ (Lee 1999: 1).
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Mittelalter und die Scholastik gegangen ist und die beiden anderen genannten Traditionen nicht den Wirkungsgrad entfalten konnten, wie das aus dem rçmisch katholischen Denken entstammende Mittelalter. Augustin erlebte im Greisenalter „die Trennung von Ostrom und Westrom, also in gewissem Sinne die Geburtsstunde des Abendlandes“ (Adam 1954: 5). Doch war Augustin nicht nur Zeuge, wie dies Karl Adam erkennen lsst. Stattdessen beschreibt Brown anhand Augustins Entwicklungsweg, wie dieser in seiner „ersten Karriere“ als Rhetor auf einem Karrierepfad innerhalb der „skularen Strukturen des rçmischen Imperiums“ beschritt, dann aber sein Ziel neu ausrichtete, zu neuen Einsichten ber die menschliche Natur und die Gesellschaft gelangte und schließlich als Bischof dem religiçsen System der katholischen Kirche diente (Brown 2000: 491). Ferner ist das Erstarken des Christentums in der Sptantike eine Entwicklung, die hauptschlich von den christlichen Bischçfen ausging. Dabei kommt Augustin die Rolle zu, die Hegemonie der katholischen Kirche im mittelalterlichen Europa angestoßen zu haben (ebd.). Das Amt des Bischofs ist fr diese Entwicklung eines noch sehr diffusen und jungen Institutionengefges bestens geeignet, da im Bischofsamt sowohl die Lehrmeinung ausgebildet und kommuniziert, als auch die formale Struktur der Institution Kirche in Korrelation zur Theologie geprgt wird. Donald Burt weist darauf hin, dass die westliche Zivilisation nach der Einnahme Roms zu zerfallen drohte, dass jedoch Augustin in Hippo die Mçglichkeit hatte, den Menschen vor Ort eine Idee von ihrem Schicksal zu vermitteln (Burt 1989: 228). An dieser kommunikativen Situation wird erkennbar, dass die Ausbildung und Erarbeitung von theoretischen Lehren allein nur ein erster Schritt von mindestens zweien war, um das Christentum zu prgen. Dazu zhlt insbesondere die durch Augustin erreichte theologische Interpretation der Geschichte in De Civitate Dei, worin ebenso die Begrndung der Geschichtsphilosophie zu sehen ist.26 Dieser Zeitpunkt war in erster Linie durch das Ende des rçmischen Imperiums markiert, was bedeutet, dass Augustins Werk als Folge der historischen Bedingtheit zu betrachten ist (Meyerhoff 1959: 2). Fr die Frage nach der Zugehçrigkeit zum Mittelalter anhand Augustins Positionierung zum Christentum ist im folgenden das Entstehen des Christentums zur Zeit Augustins in Nordafrika zu betrachten. Um 26 So fhrt Hans Meyerhoff weiter aus, dass der Einfluss dieses „monumentalen Werkes“ noch bis in unsere, sprich seine eigene Zeit reicht (Meyerhoff 1959: 3).
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eine Beschreibung dieser Zeit in Nordafrika vorzunehmen, ist ein Blick in die Zeit vor Augustin erforderlich, der die Situation Augustins als pfadabhngige Entwicklung des Christentums in Afrika aus der Antike heraus ins Mittelalter erklrt. Peter Brown spricht von einem „Wirtschaftswunder“, das im ersten vorchristlichen Jahrhundert „das Hinterland Nordafrikas verndert. Nie wieder sollte sich der Wohlstand derart wirkungsvoll ber ein so weites Gebiet verbreiten“ (Brown 1982: 15). Diese Phase der Prosperitt, die im zweiten und dritten Jahrhundert ihren Hçhepunkt hatte, kam um das vierte Jahrhundert „zu einem bçsen Ende […]. Die Bauplanung hçrte auf, die alten çffentlichen Baudenkmler begannen zu zerfallen“ (ebd.). „Httenstdte“ bildeten sich und das „Afrika des vierten Jahrhunderts war einem zusammenfließenden und stehenden Stauwasser vergleichbar“ (Brown 1982: 19). Dieser bildliche Vergleich mit einem Gewsser verdeutlicht die sich anstauende Energie, aus der heraus die massiven Umwlzungen zur Lebenszeit Augustins erwuchsen, aus denen das Christentum hervorging. Ein wesentlicher Meilenstein des vierten Jahrhunderts war die „konstantinische Wende“27, wonach die Zahl der Christen – vor allem auch in der Oberschicht – rasch zunahm, bis schließlich das Christentum 380 unter Theodosius I. zur Staatsreligion wurde.28 Neben den religionspolitischen Aspekten der „konstantinischen Wende“ ist insbesondere Konstantin als Person von herausragender Bedeutung fr die historische Entwicklung. Denn besagte Wende, die fr gewçhnlich in Bezug auf die Reichsteilung und die Fortentwicklung der sich im Aufbruch befindlichen antiken Welt erwhnt wird, war nur aufgrund eines Bekehrungserlebnisses mçglich, einer Schau gewissermaßen, in der Konstantin das Christentum als aufstrebende und zuknftige
27 Fr gewçhnlich versteht man unter der „konstantinischen Wende“ die Verlagerung des Kaisersitzes von Rom nach Byzanz durch Konstantin, doch gingen diesem großen Schritt einige bedeutende Schritte voraus, so beispielsweise das „Toleranzedikt von Mailand“ im Jahre 313, womit sich die Entwicklung zur Staatsreligion bereits durch die Sonntagsheiligung, durch Kirchenbauten und die Gerichtshoheit fr die Bischçfe anbahnte. Wesentlich ist auch das „Konzil von Nicaea“ im Jahre 325, das zur Schlichtung des „Arianischen Streites“ verhalf. 28 Neben den historischen Meilensteinen zur Benennung der Epochenschwelle ist auf die Vernderung in formaler Hinsicht einzugehen. Hier ist insbesondere auf die formale Methode der „quaestio disputat“ einzugehen, die unter formalen Gesichtspunkten als Beginn des (scholastischen) Mittelalters anzusehen ist (Kann 2005).
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Strçmung erkannt hat.29 Gerald Bonner fhrt den „Triumph des Christentums“ im frhen vierten Jahrhundert auf die Konversion Konstantins zurck, die ihn nach Bonner zum „greatest of the imperial converts to the faith of Christ“ (Bonner 1963: 18) machte. Und die Verlagerung des Kaisersitzes nach Byzanz nennt Bonner eine „vçllig neue Konzeption, die einen „turning-point in Roman history“ (Bonner 1963: 20) markiert. Doch dieser Wendepunkt der rçmischen Geschichte wirkte nicht sofort bis in den entlegenen Teil Nordafrikas, wo Augustin wirkte. Die Diçzese Afrikas bestand im vierten Jahrhundert aus verschiedenen Provinzen30, die auf die Neuordnung des Imperiums durch Kaiser Diokletian zurckzufhren sind, der im Jahr 303 – also nur zehn Jahre vor dem Toleranzedikt – noch eine allgemeine Christenverfolgung anordnete. Diesem Verzçgerungselement ist es wohl geschuldet, dass Augustin, nachdem er vor seiner Zeit als Amtstrger der Kirche als Rhetor in Rom und Mailand lebte, in Hippo eine gnzlich andere Ausgangslage hatte, die es fr diese Untersuchung erforderlich macht, seine Positionierung als Bischof zum Christentum dort zu untersuchen und nicht an den allgemein historischen Schaupltzen. Als Beispiel fr diese Verzçgerung aus dem nchsten Umfeld Augustins kann die von Gerald Bonner angestellte Beobachtung angefhrt werden, wonach Augustin erkannt hat, dass „beinahe die gesamte rçmische Oberschicht von heidnischen Riten und Mysterien fasziniert war (Bonner 1963: 19). Man kann nun argumentieren, dass in Afrika die Herausforderung fr Augustin als Amtstrger der Kirche relativ groß war, da dort die aktuellen politischen Umwlzungen Roms mit großer Verzçgerung ankamen. Insbesondere seine Arbeit als Prediger ließ ihn dort Raum gewinnen, da seine Predigten unprtentiçs und dabei zugleich rhetorisch ausgefeilt waren. Als Beleg hierfr gilt, dass Augustin viele sprachliche Versinnbildlichungen ver29 Ob dies im Sinne einer „selbsterfllenden Prophezeiung“ oder als Epiphanie oder metaphysischem Erlebnis zu verstehen ist, spielt fr die Entwicklung keinerlei Rolle. Entscheidend ist die Entscheidung Konstantins und schließlich die Durchsetzung dieser Entscheidung. Gerald Bonner erklrt den Forschungsstand zu dieser Ursachenfrage wie folgt: „The emperor’s conversion has been much discussed, and very different estimates formed of his motives and character; but today few scholars would question the view that Constantine’s profession of Christianity was a matter of genuine conviction, and not of political calculation“ (Bonner 1963: 19). 30 Dazu zhlen Tripolitania, Byzacena, Africa Profconsularis oder Zeugitana, Numidia, Mauretania Sitifensis und Mauretania Caesariensis (vgl. Bonner 1963: 21).
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wendete, von denen einige im Nachhinein sprichwçrtlich wurden, wie beispielsweise der „Gaumen des Herzens“.31 In diesem Afrika hat Augustin auf der einen Seite seine tgliche Arbeit als Priester und spter als Bischof verrichtet, wozu das stete Predigen aber auch die Rechtssprechung gehçrten, zu der er als Bischof verpflichtetet war. Zum anderen stand er in Briefkontakt mit den anderen Diçzesen und mit Rom, was ihn (wenngleich durch die Zeit der Informationsbertragung verzçgert) hinsichtlich der Vernderungen im Reich und in den Hauptstdten auf dem Laufenden hielt. Aus diesem Spektrum an Beobachtungen und Erfahrungen heraus verfasste Augustin seine theoretischen Schriften, von denen bekannt ist, dass sie, allen voran De Civitate Dei und die Confessiones, ein christliches Weltbild enthielten, das als Richtschnur fr die folgende Zeit und fr die folgenden Denker wirkte und die chaotischen Trmmer der untergegangenen Antike zu einem neuen staatlichen und kirchlichen Ordo konsolidiert. Namen wie etwa Prosper v. Aquitanien, Isidor v. Sevilla, Anselm v. Canterbury, Bernhard v. Clairvaux, Hugo oder Richard v. SE. Viktor bezeugen aber auch die außerordentliche Fruchtbarkeit des augustinischen Denkansatzes, der sich zusammen mit mannigfachen anderen Einflssen in verschiedenen Richtungen durch alle Jahrhunderte des Frhmittelalters hindurch schçpferisch weiterentwickelt hat. […] Dieser breite Strom der augustinischen Tradition bricht auch im Hochmittelalter nicht ab. Wir brauchen beispielsweise nur an die ltere und jngere Franziskanerschule zu denken, an Mnner wie Alexander v. Hales und Johannes v. Rupella, an Bonaventura, vor allem aber auch an Duns Scotus (Kçrner 1968: 44).
Doch neben diesen von Kçrner aufgelisteten mittelalterlichen Denkern darf die aristotelische Einflussnahme nicht vergessen werden, die mit dem augustinischen Erbe konkurrierte, gleichwohl Augustin als Autoritt im theologischen Diskurs erhalten blieb.32 31 Robert O’Connell schließt nicht aus, dass es gerade diese Formulierung aus den Confessiones war, die Augustin zu Berhmtheit im spteren Mittelalter hat kommen lassen. Sein Beleg ist kunstgeschichtlich fundiert, indem er behauptet, dass Augustin nicht im scholastischen Milieu berlebte, sondern durch „lokale, knstlerische Reprsentationen“, die ihn als den „Bischof mit einem großen Herzen in der Hand“ darstellen (O’Connell 2000: 257). Vgl. auch Possets Artikel: „The ,Palate of the Heart‘ in St. Augustine and Medieval Spirituality“. 32 Franz Kçrner arbeitet den Gedanken noch weiter aus, wenn er auf die Wendung hin zur Neuzeit zu sprechen kommt: „Mit dem Menschen der Neuzeit verlor also auch dessen „Universitt“ das, was immer ihr innerstes Wesen ausmachen sollte, nmlich die einende Mitte, auf die hin ausgerichtet sich die peripheren Einzelwissenschaften allein zu einem zentralen Ganzen zusammenordnen lassen. […]
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Das Bezeichnende der augustinischen Philosophie, das ihn zur Richtschnur der ihm nachfolgenden Zeit machte, war die Einheit von Philosophie, Theologie und Kirchenlehre. Es wre jedoch „naiv“, „die mittelalterliche Philosophie als bloße, kaum verschleierte Apologetik des Christentums abzutun“ (Spade 1998: 69), wie mit Spade untermauert werden kann. Gerade diese Eigenstndigkeit des augustinischen Ansatzes, die Gegenstand des Kapitels 4.3.3 zum „Augustinismus“ ist, macht Augustins epocheprgende Wirkung fr das Mittelalter aus, da die aus dem Neoplatonismus hervorgegangene Synthese von Philosophie und Theologie einerseits als Fortfhrung der Antike angesehen werden kann, andererseits die streng christliche Ausrichtung seiner Lehre den Trend des aufkommenden Christentums aufnahm und zur herrschenden Kulturform des Mittelalters werden ließ und somit den Bruch mit der Antike bedeutete. Augustins Bekenntnis zum Christentum schließlich kann als maßgebliches Kriterium angefhrt werden, das den Philosophen und Theologen Augustin zu einer eminenten Person des Mittelalters erhob, nicht nur was die Einflussnahme auf die nachfolgenden Philosophen, Theologen und Denker angeht, sondern auch und vor allem im Hinblick auf seine eigene Positionierung im Epochenschema. 4.1.3 Die Eigenstndigkeit der Epochenschwelle und der Fall der Semi-Barbaren Als Kind eines heidnischen Vaters und einer christlichen Mutter verkçrpert er in seiner Person jene aufgeregte schwle Zeit, da Heidentum und Christentum um den letzten Ausgleich rangen. (Adam 1954: 5)
Da Augustin sowohl als Reprsentant der Antike, als auch als Reprsentant des Mittelalters angesehen werden kann, so stellt sich die Frage nach der Beziehung zwischen den beiden Epochen in Bezug auf Augustin. Dabei ist wesentlich zu bercksichtigen, dass die Epochen „Antike“ und „Mittelalter“ die historiographisch grçßten „Einheiten“ sind, die Auch dieser schwerwiegende „Verlust der Mitte“ war infolge der hochmittelalterlichen Extraversion, deren Folgen wir erst heute ganz zu spren bekommen, unvermeidlich“ (Kçrner 1968: 49).
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zwangslufig ein erhebliches Maß an berschneidung mit sich bringen. Ein konsequenter Schritt historiographischer Untersuchung wre die Ermittelung weiterer Epochen eines feineren Rasters, wie dies etwa anhand der Aufteilung in „Sptantike“ und „frhes Mittelalter“ mçglich wre. Damit wrde die Phase der berlappung verringert und die Grenze zwischen den Epochen trte deutlicher hervor. Hierbei wrde man andere Systematiken historiographischer Klassifizierung entdecken, wie beispielsweise die „Patristik“, der Augustin in seiner historischen Wahrnehmung als Kirchenvater blicherweise zugerechnet wird. Die Patristik wird der Zeit vom 2. bis zum 7. Jahrhundert zugeordnet und fllt damit in den Kernbereich der berlappung von Antike und Mittelalter. Das Problem aus philosophischer Sichtweise ist jedoch, dass die Patristik keine Epoche im allgemein historiographischen Sinne darstellt, sondern eine spezifisch kirchengeschichtlich Epoche ist, die der Scholastik vorausgeht. Fr die Betrachtung der Epochenschwelle AntikeMittelalter, um die es in dieser Arbeit geht, ist die Zuweisung der Epoche der Patristik eine Hilfskonstruktion, die den bergang von der Antike zum Mittelalter anhand der Lehren der frhchristlichen Kirchenlehrer und Kirchenschriftsteller beschreibt. Der Begriff „Kirchenvater“ ist dabei ein Ehrentitel aus der Begrifflichkeit der christlichen Kirche, weshalb der Begriff zur Erklrung der Epochenschwelle Antike-Mittelalter zutrglich, aber nicht klrend ist. Weiterhin charakteristisch fr die Patristik ist die Verschmelzung des geistigen Erbes der griechisch-rçmischen Antike mit der beginnenden christlichen Theologie. Und in diesem Zusammenhang ist gerade Augustin von herausragender Bedeutung, was den Philosophiegeschichtler Vincent Spade zu dem Urteil bringt, Augustin sei „zweifellos der wichtigste Autor der patristischen Periode“ (Spade 1998: 71) gewesen. Im folgenden soll jedoch keine Darstellung Augustins als Hauptvertreter der Patristik vorgenommen werden, da diese Zuschreibung außer Frage steht und nicht der historiographischen Untersuchung der Epochenschwelle Antike-Mittelalter zuarbeitet, da die Betrachtung einer ausdifferenzierteren Epocheneinteilung nur bedingt Aufschluss ber die eigentliche Epochenschwelle gibt. Stattdessen soll der zeitlich schwer zu fokussierende bergang von der Antike zum Mittelalter anhand der Annahme eines Interregiums untersucht werden, in dem sich Augustin befand und das er im Gegenzug maßgeblich prgte. Dabei wird insbesondere darauf einzugehen sein, inwieweit durch eine Epochenschwelle, die eine Zsur (epoch) markiert, zugleich Kontinuitt in der geschichtlichen Entwicklung gewhrleistet wird. Diese allgemeine Funktion
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Augustins herauszuarbeiten, die sich durch Kontinuitt und Kreativitt auszeichnet, ist folglich die Hauptaufgabe dieses Kapitels. Der Verweis auf die Patristik zeigt bereits die historiographische Einschtzung dieser entscheidenden bergangszeit, doch liegt der Fokus auf dem Leben und dem Werk Augustins, welches hier als auf der Schwelle befindlich dargestellt wird. Die Formulierung „auf der Schwelle“ ist dabei eine bildliche Annherung an die historisch bedeutsame Zeit, in die Augustin geboren wurde und die mit Robert Forman als „period of cataclysmic historical change“ bezeichnet werden kann, in der der „Todeskampf des rçmischen Imperiums und die Dmmerung des katholischen Christentums sowohl als weltliche, als auch als geistige Entitt“ herrschte (Forman 1995: 6). Doch soll diese historisch-systematische Betrachtung hier im Sinne Peter Browns um die persçnliche Situation Augustins erweitert werden, um jenen „kritischen Bereich zu erobern, wo ußerer und innerer Wandel sich berhren“ (Brown 1982: 7). Von daher ist der Mensch Augustin in den Fokus zu rcken, und zwar in der Bedingtheit seiner Beobachtungsmçglichkeiten, die seine Gegenwart bestimmten. Franz Kçrner beschreibt diesen Zustand mit den folgenden Worten: „Dem nun endgltig in die Grenzsituation geratenen Menschen der ausgehenden Sptantike wurde wie noch nie zuvor die bengstigende Haltlosigkeit dessen offenbar, worin er sich mit seinem Dasein und Denken bislang allzu geborgen gefhlt hatte“ (Kçrner 1968: 37). Der Aspekt der „Grenzsituation“ steht fr die einschneidende Vernderung des Wandels, der erst Jahrhunderte spter als Epochenschwelle Antike-Mittelalter bezeichnet werden sollte. Durch die Gestaltung des Wandels kann sich erst die Kontinuitt einstellen, die die Beziehung zwischen dem Vorher und dem Nachher herstellt. Augustin kommt dabei die besondere Rolle zu, die „erste wirklich große Wendung im philosophischen Denken“ (Kçrner 1968: 37) gebracht zu haben: „Von der Vorschule des platonisch-neoplatonischen Denkens ebenso wie von der christlichen Offenbarung aufmerksam gemacht, wird vor allem Aurelius Augustinus auf der Schwelle des 5. nachtchristlichen Jahrhunderts zum Wegbereiter der ausgesprochen abendlndischen Innerlichkeit“ (Kçrner 1968: 53). Nach Christoph Horn sind die Confessiones „der wirkungsgeschichtlich bedeutendste Text des Kirchenvaters. Das Motiv der Gartenszene lsst sich in zahllosen bildlichen und literarischen Darstellungen wiederfinden“ (Horn 1995: 24).33 Das Motiv der Gartenszene ist hierbei die 33 Als ein Beispiel dafr, wie weit der Einfluss des Kirchenvaters weit ber die
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Bekehrung des Augustin vom „antiken“ Rhetor zum „mittelalterlichen“ Kirchenlehrer, die im Sinne des „kritischen Bereichs“ nach Peter Brown denjenigen Punkt darstellt, wo innerer und ußerer Wandel sich berhren. Das Bekehrungserlebnis selber wird Gegenstand des folgenden Kapitels werden, hier ist auf die qualitative Eigenstndigkeit der Zeit Augustins zu verweisen, die den bergang von der Antike zum Mittelalter markiert. Ist von einer Epochenschwelle die Rede, so geht es um eine gravierende Umwlzung in mehrerlei Hinsicht. Als charakteristisch sind in solchen Wendezeiten Erscheinungen, die einen Kipppunkt markieren, wie dies als typisch fr die Epochenschwelle herausgearbeitet wurde (vgl. Kap. 3). Als Beleg der Darstellung Augustins auf der Schwelle kann der Begriff des „Semibarbarus“ angefhrt werden: Valerio Manfredi (2003: 63) fhrt beispielhaft Stilicho an, der unter Theodosius Reichsfeldherr wurde, nachdem er sich im Kampf gegen die Goten (391 – 92) als besonders heldenhaft ausgezeichnet hatte. Ein „Halbbarbar“ war er aufgrund der Tatsache, dass er der Sohn eines Vandalen und einer Rçmerin war. Doch diese Tatsache ist nur eine Voraussetzung fr den militrischen Erfolg Stilichos. Die Bedingung dafr war, dass der Zusammenfluss fremder Elemente im rçmischen Reich „so groß wurde, dass keine Assimilation mehr mçglich war“, worauf der langsame Zusammenbruch der Strukturen begann: „Zuerst war das Heer, die tragende Sttze des Reiches, betroffen. Fr einige Zeit blieben die Truppenfhrer noch Rçmer. Spter machten einige besonders fhige und energische barbarische Fhrer Karriere bis zum Oberkommando“ (Manfredi 2003: 63). Der Hinweis auf die „Semibarbaren“ kann als Indikator fr den bergang angenommen werden, da in dieser Beschreibung eine „Halbheit“ zutage tritt, die als Kipppunkt fungieren kann, der in diesem Fall epochal zu nennen ist. Doch zeichnete sich diese Wende schon weit frher ab wie beispielsweise durch die zu historischem Ruhm gekommenen „Semibarbaren“: Armenius oder Herrmann der Cherusker gezeigt werdenkann.34 theologischen und philosophischen Lehren hinausging, kann in dem Beispiel gesehen werden, dass in der Barockmusik ein „Oratorium mit dem Titel La conversione di Sant’Agostino aus der Feder des Komponisten Johann Adolf Hasse (1699 – 1783)“ entsteht (Horn 1995: 24). 34 Allein die beiden Namen weisen auf die jeweilige „Halbheit“ hin. Anders jedoch als Stilicho kmpfte Armenius nicht fr die Rçmer, sondern, nachdem er zunchst in rçmischem Kriegsdienst stand und sogar das rçmische Brgerrecht sowie die Ritterwrde erhielt, fr die Cherusker, denen er entstammte. Nachdem er also zurckgekehrt war, schlug er zusammen mit anderen Stmmen um 9 nach Christus die drei Legionen des Varus in der so genannten Varusschlacht bei
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Umso entscheidender ist vor dem Hintergrund der „Semibarbaren“ die Frage nach den „Semirçmern“, denn erst wenn sich hierfr Anzeichen finden lassen, hat man es mit dem schwellentypischen, eigenen Geltungsbereich eines Interregiums zu tun. Anderenfalls msste man statt von einer Epochenschwelle von einer bernahme sprechen. Auch hier kann gezeigt werden, dass die Bewegung von beiden Seiten zu erkennen ist und damit den Ort der Schwelle markiert: „Es kam so weit, dass viele Rçmer der Grenzgebiete es vorzogen, in die von Barbaren kontrollierten Territorien auszuwandern, um der Raubgier des Fiskus zu entfliehen. „Wir sind dazu gezwungen, wie Barbaren zu leben, um weiter als Rçmer bestehen zu kçnnen“, kommentierte Salvian gegen Ende des fnften Jahrhunderts n. Chr. bitter“ (Manfredi 2003: 62). Der Kommentar des Salvian bringt die Ohnmacht des rçmischen Reiches zum Ausdruck, jenes Vakuum, welches schließlich durch die bernahme durch die Germanen und durch die christliche Kirche gefllt wurde. Auffllig ist dabei das Paradoxon, welches der Satz des Salvian beinhaltet, und das als weiteres Kriterium der Epochenschwelle verstanden werden kann, denkt man etwa an die Transformationstheorie Aokis (Kap. 2.2.2.2) zurck, worin der Sattelpunkt des Wandels in einem punktuellem Gleichgewicht zweier Gleichgewichtspfade gesehen werden kann (Aoki 2001: 183). Auffllig ist die Verwendung von „weiterhin bestehen“, was zum Ausdruck bringt, dass es – zumindest fr Salvian – nicht mçglich gewesen sein muss, als Rçmer innerhalb seines Selbstverstndnisses im rçmischen Reich leben zu kçnnen. Die Frage dahinter lautet: Wenn man im rçmischen Reich nicht mehr als Rçmer leben kann, kann man dies dann außerhalb des Territoriums berhaupt oder ist es vielmehr die provozierte Verlngerung eines Niedergangs, der jedoch schon erfolgt ist? Auch wenn Augustin nicht als „Semibarbar“ oder „Semirçmer“ im angefhrten Sinne zu bezeichnen ist, so ist darauf hinzuweisen, dass er der Sohn eines heidnischen Vaters und einer christlichen Mutter war und die Wendung hin zum Christentum insbesondere durch die Einflussnahme seiner Mutter erfolgte. Karl Adam nimmt Augustins Herkunft Osnabrck, worauf die Rçmer ihre rechtsrheinische Offensive aufgaben. Der Begriff „Semibarbar“ ist fr Arminius ebenso zutreffend, jedoch historisch anders belegt, da er aus dem so genannte Barbarischen kommend in das rçmische Institutionengefge gewechselt ist, um mit den dort angeeigneten Kulturtechniken und dem dort erlangten Wissen ber rçmisches Militrwesen einen Wissensvorsprung erlangte, der ihn die Varusschlacht strategisch planen ließ, da er als berlufer die Schwchen der Rçmer und die Strken beispielsweise des Territoriums kannte.
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zum Anlass, die Zeit allgemein zu charakterisieren, wie sie als signifikant fr die Epochenschwelle bezeichnet werden kann: Als „Kind eines heidnischen Vaters und einer christlichen Mutter verkçrpert er in seiner Person jene aufgeregte schwle Zeit, da Heidentum und Christentum um den letzten Ausgleich rangen“ (Adam 1954: 5). Nun ist zu fragen, wie die Beziehung zwischen Augustin und seiner Zeit war. Wenn Karl Adam Recht hat, so stellt Augustin eine Reprsentation dieser Zeit dar und wird damit zum Ausdruck dieser Zeit.35 So kann denn diese Zeit als Zeit des Wettbewerbs der Systeme oder Kulturen verstanden werden, die in jener Halbheit ein instabiles Gleichgewicht, jenen Kipppunkt, darstellt, durch den sich der Wandel vollzieht. Eine entscheidende Eigenschaft dieses Zeitraums ist die Offenheit, die mit dem auf der Waage zu entscheidenden Wettbewerb der konkurrierenden und um Realisierung ringenden Strukturmuster einhergeht. H. Moss (neben anderen)36 charakterisiert das vierte Jahrhundert als „an age dominated by the unseen“ (Moss 1947: 13). Die Unvorhersehbarkeit der anstehenden Ereignisse ist ein weiterer Indikator fr die Tiefe des Wandels. Gerald Bonner nennt jenen Zeitraum ein „age of material hardship“ und folgert daraus die Hinwendung der Menschen zur Religion, da diese Sicherheit und Bestimmung geben konnte (Bonner 1963: 18). Der Augustinbiograph Peter Brown schließlich charakterisiert den Zeitraum, in dem Augustin lebte, anhand eines Briefs des alten Bischofs Augustin („Augustin II“) als „Jahrhundert einer einschneidenden Ambivalenz“: A mature Roman culture and a seemingly solid, still Roman social order had, indeed, done much to help him and his Church. But at the same time, in irresponsible hands, the abuse of power and culture alike had been a source of so much cruelty, of so much error, and of so much suffering to himself and to others (Brown 2000: 473).
Insbesondere der Nachsatz kann als klrendes Indiz fr den Zusammenhang von der Person Augustin, seinem Werk und der Zeit, in der er lebte, verstanden werden. Die Auswirkungen jener unsicheren und wechselhaften Zeit betrafen Augustin persçnlich, wie auch und vor allem 35 Eine Position, die mit Gerald Bonner untersttzt werden kann, wonach Augustin ein „product of his age“ war (Bonner 1963: 35). 36 Beispielsweise Bonner, der das folgende festhlt: „The great intellectual difference was that the members of Augustine’s congregation lived their lives under a continual threat of attack by unseen forces“ (Bonner 1963: 35).
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seine Zeitgenossen, fr die er einen Großteil seiner Werke verfasste oder zu denen er predigte oder denen er in Briefen schrieb. Insbesondere Augustins umfangreiche Korrespondenz lsst vermuten, wie umfassend er sich mit den Befindlichkeiten seiner Mitmenschen auskannte, so dass aus dieser Perspektive angenommen werden darf, dass seine Schriften ein persçnlich eingefrbtes Abbild der Zustnde in Hippo Regio darstellen. Philosophisch bedeutsam ist durch diesen grundlegenden Wandel die festgestellte „Verschiebungen in Funktion und Selbstverstndnis philosophischer Reflexion“ (Kreuzer 2000: 23). Augustin hat durch die Wahrnehmung seiner selbst und seiner Umwelt zu einer Perspektive gefunden, die zu einem eigenstndigen philosophischen Ansatz gefhrt hat, der – und hierin liegt die Signifikanz – als eine neue Form des Denkens angesehen werden kann. Als Kulminationspunkt fungiert im Rahmen dieser bersetzung einmal mehr die Stadt und damit auch die Idee „Rom“. So stellt beispielsweise Maier zu der Transformation des Rombildes fest, dass neben dem „offenkundigen Verfall“ des antiken Rombildes zugleich „das antike Romdenken umgeformt und aufgehoben [wird] in der Idee des neuen, wahren christlichen Rom[s]“ (Maier 1955: 11). Epochenschwelle: Kontinuitt und Kreativitt Die Frage, die nun fr die Untersuchung der Epochenschwelle von bergeordneter Bedeutung ist, ist die nach der Kontinuitt, wo eine Epochenschwelle doch offensichtliche einen Bruch darstellt, der so gravierend ist, dass eine Epoche (respektive, das was in der historiographischen Konstruktion ex post als Epoche bezeichnet wird) zu einem Ende kommt. So ist der wichtigste Punkt einer Untersuchung Augustins als Figur epochalen Wandels die Frage nach der Kontinuitt, nachdem bisher ausfhrlich fr den Bruch, also die Diskontinuitt, argumentiert wurde. Der Zusammenhang von Kontinuitt und Diskontinuitt kann mit dem transformationstheoretischen Modell Aokis aufgezeigt werden. Demnach ist der Sattelpunkt des Wandels charakterisiert durch ein „punktuelles Gleichgewicht“, jenen Kipppunkt, in dem zugleich Pfadabhngigkeit (Kontinuitt) und Neuerungen (Diskontinuitt) gegeben sind (Aoki 2001: 183). In den Worten Hans Blumenbergs, dessen philosophisches Transformationsmodell der Epochenschwelle hier von tragender Bedeutung ist, findet sich in der „Epochenwende als hrteste[r] Zsur“ zugleich „eine Funktion der Identittswahrung“. Dem „geschichtlichen Prozess“ kommt
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dabei die Funktion der Umbesetzung zu, was nach Blumenberg zur „Sanierung einer Kontinuitt“ fhrt (Blumenberg 1976: 15). Was paradox klingt hat jedoch in der Phase des bergangs, auf der Schwelle gewissermaßen, seine Gltigkeit. Doch wie ist nun der Weg aus der Paradoxie heraus zu einer positiven Aussage zur Kontinuitt durch Augustin zu beschreiten? Daniel Williams weist in seinem Aufsatz zur gegenwrtigen Bedeutung Augustins darauf hin, dass die grundlegenden Gedanken der christlichen Tradition und der westlichen Philosophie fr 15 Jahrhunderte durch die Werke Augustins geprgt wurden (Williams 1979: 4). Die Betonung liegt auf dem „und“, wodurch das von Aoki angesprochene „punktuelle Gleichgewicht“ ausgedrckt werden kann, fr das Augustin in der Wahrnehmung „auf der Schwelle“ steht. Augustins besondere Leistung, und damit ist die Kontinuitt angesprochen, besteht in der Fixierung und damit der Setzung eines Anfangs dieser eigenstndigen Verbindung aus christlicher Tradition und westlicher Philosophie. Peter Brown stellt fest, dass beispielsweise Augustins Gnadenlehre keineswegs neu war und nicht durch Augustin begrndet wurde, dass jedoch die Art und Weise, wie Augustin die bestehende Gnadenlehre „zusammenfasste und reformulierte“ eine Neuerung darstellte, welche die „religiçsen Erfahrungen der damaligen Welt“ auf bisher unbekannte Weise ausdrckte (Brown 2000: 506 f.). Mary Clark stellt die Kontinuitt der Epochenschwelle anhand des bergangs von der Antike zur „christlichen Moderne“ fest. Demnach war Plotin der „letzte große Philosoph der heidnischen Antike“37 und Augustin der „erste große Philosoph der christlichen Moderne“ (Clark 1958: 133). Bei dieser Einteilung ist zu bercksichtigen, dass die Autorin aus der Sichtweise der Institution Kirche verfasst und deshalb die allgemeine Epocheneinteilung in Antike, Mittelalter und Neuzeit eine Umdeutung erfhrt. Entscheidend ist jedoch die Markierung des bergangs bei gleichzeitiger Affinitt zu den Lehren Plotins und Augustins. Jedoch kann nur die Affinitt und nicht die Identitt festgestellt werden. Die Affinitt steht hierbei fr die Kontinuitt, die Nicht-Identitt hingegen fr das Neue, das den Bruch mit dem Bestehenden bedeutet.38 Dieses 37 Folgt man Vincent Spade, so war Proklos ganze 60 Jahre nach Augustin der letzte heidnische Philosoph und Vertreter der antiken Bildung ohne christlichen Einschlag (Spade 1998: 69). 38 So weist Herrera darauf hin, dass Augustin sich aufgrund der Nichtbeachtung solcher Themen, wie dem Umgang mit der „Snde“ oder einem allgemeinen Verlust an Menschlichkeit, von den Neoplatonisten distanziert hat. Zugleich jedoch, fhrt Herrera aus, behielt Augustin die philosophischen Einsichten der
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Neue ist das wesentliche Element Augustins, das ihn und damit sein Werk auszeichnet. Augustin hat mit der Schaffung seiner eigenstndigen Lehren, gezeigt, dass er als großer Erneuerer seiner Zeit angesehen werden kann. Augustin war ein kreativer Mensch und dieses Merkmal wurde in der Augustinusforschung bislang eher unterschwellig behandelt. Robert Crouse beispielsweise weist auf diesen Aspekt hin, wenn er die Art und Weise, wie Augustin mit der griechischen Philosophie umgegangen ist, charakterisiert: „Augustine was more a creative interpreter than a passive recipient of Greek philosophy“ (Crouse 2002: 43).39 Diese Erfahrung der Innerlichkeit – bedingt einerseits durch die Bekehrung und andererseits durch die Verwendung einer „antiken Begrifflichkeit“ im christlichen Kontext – nennt Hans Blumenberg einen „radikal neu gesetzten Horizont“ (Blumenberg 1950: 71), der ebenfalls als Kriterium fr die innovative Leistung Augustins angefhrt werden kann. Diese Eigenleistung fhrt zum mittelalterlichen Christentum, das fr Blumenberg ein „Elaborat des augustinischen Programms darstellt“.40 Wenn nun von der Kreativitt Augustins die Rede ist, die gleichzeitig als Garant der Kontinuitt whrend eines epochalen Umbruchs zu verstehen ist, so ist zu fragen, worin die spezifische Neuerung liegt. Im Folgenden sollen nicht die einzelnen Errungenschaften und Beitrge wiedergegeben werden, sondern es sollen mit Christoph Horn jene „drei Bereiche, in denen der Kirchenvater das Mittelalter maßgeblich beeinflusst hat“, vorgestellt werden (Horn 1995: 154): 1. Als „theologischen Augustinismus“ bezeichnet man die Fortwirkung der Gnadenlehre, deren Stellung seit der Verurteilung des gnadentheologischen Semipelagianismus (529) unangefochten blieb. 2. Der so genannte „philosophische Augustinismus“ behauptet eine Vollendung der Philosophie in der Theologie und lehnt einen glaubensunabhngigen Vernunftgebrauch ab.
Neoplatonisten „within the boundaries of Christian belief“ bei, was noch heute in dieser Doppelung („in tandem“) zu erkennen sei (Herrera 1994: 172). 39 Robert Crouse wiederum bezieht seine Meinung ber die Interpretation aus dem Aufsatz von N. Blazquez (1985). 40 So Gareth Methewes in seiner Interpretation Blumenbergs zu Augustin: „Medieval Christianity, which is essentially (for Blumenberg) an extended elaboration of the Augustinian program, attempted to ,ward off‘ Gnosticism’s challenge (which appeared to it as the attempt to separate the God of Creation from the God of Salvation) by imputing responsibility for evil to humanity“ (Methewes 2001: 31).
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3. Schließlich beschreibt der „politische Augustinismus“ den Gegensatz von geistlicher und weltlicher Macht mittels der Antithese zweier „Reiche“ oder „Herrschaften“. Die Spezifitt Augustins besteht nicht nur in der Differenziertheit und den inhaltlichen Zuspitzungen der verschieden Lehren, sondern in deren Verzahnung, durch die erst die Wirkmchtigkeit entfaltet werden konnte. Die Eigenstndigkeit des Ansatzes, wie er fr die Epochenschwelle signifikant ist, verdankt sich dem Umstand, dass die theologische und philosophische Lehre Augustins von politischer Bedeutung umrahmt war. Man kann beispielsweise De Civitate Dei als geschichtsphilosophisches Werk, als theologisches Werk, genauso jedoch aber auch als praktische und politische Philosophie lesen. Doch die der Zeit des historiographischen Interregiums entstammenden Werke wren nicht von sich aus befhigt gewesen, das Mittelalter des Westens zu prgen, wenn nicht bedeutende Gestalten der nachfolgenden Geschichte die Lehren Augustins aufgegriffen und fortgesetzt htten. Nach Christoph Horn ist fr die „Vermittlung Augustins an das Mittelalter“ insbesondere Papst Gregor der Große (540 – 604) anzufhren, „dessen Theologie […] fast vollstndig augustinisch geprgt“ ist (Horn 1995: 154). Die in der bergangszeit des vierten Jahrhunderts entstandenen Schriften Augustins zeugen von der umfassenden Unsicherheit dieser Umbruchzeit, geben zugleich jedoch eine konkrete Richtung vor, die in der Zuspitzung und Ausformulierung von christlichen Lehren besteht. Lehren, die jedoch in direkter Linie zum antiken Gedankengut stehen und dieses durch die Vernderung tradieren. Robert Forman charakterisiert diese Zeit der Epochenschwelle als „durch und durch symbolisch“, indem die bestehenden Formen in der Auflçsung begriffen waren und sich neue Formationen herausbildeten (Forman 1995: 8). Augustin kommt in dieser Zeit die prominente Rolle zu, das sich an die Sptantike anschließende christliche Mittelalter maßgeblich geprgt zu haben. Diese Rolle kann aber nur in der historischen Zuschreibung ex post erkannt werden, wie Scott-Craig schreibt: Augustin selber ging nicht davon aus, dass er einen historischen Anfang gesetzt hat. Vielmehr arbeitete er an einer neuen Religion in einer alten Kultur, die er zugleich reprsentierte (Scott-Craig 1979: 127). Die oben angefhrten Beschreibungen von „Semibarbaren“ und „Semirçmern“ verweisen auf die Instabilitt, die whrend der Zeit des Umbruchs herrschte. Im Bild von Scott-Craig bedeutet die Durchsetzung der augustinischen Gedanken, dass die „neue Religion innerhalb einer
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alten Kultur“ zur neuen Kulturform aufstieg. Augustins „Bausteine“ bilden das Fundament dieser spezifischen Kulturform des westlichen Christentums, das prgend fr die westliche Geschichte wirkte. Auf Augustin selber bezogen bedeutet die Epochenschwelle die Konsolidierung seiner zuknftigen Macht als Kirchenvater, die in historiographischer Perspektive zu der Formulierung des Begriffs „Patristik“ fhrte. Was die Eigenstndigkeit der bergangszeit angeht, so ist hier klar festzustellen, dass Augustin sich durch die dafr wesentlichen Merkmale auszeichnete. Er steht sowohl fr Kontinuitt im Sinne des Anschlusses an die antike Tradition, als auch auf der anderen Seite fr Kreativitt, was die Schaffung einer neuen und bleibenden Form beinhaltet. Diese Form war die Zuspitzung des westlichen Christentums sowohl auf philosophischer, theologischer, politischer wie vor allem institutioneller Ebene. Gerald Bonner fasst die Besonderheit des in diesem Kapitel zu behandelnden „ußeren Wandels“ anhand der Epochenschwelle anschaulich zusammen. Demnach lebte Augustin in einem der kritischsten Jahrzehnte der europischen Geschichte auf der Grenze zwischen zwei Welten: der antiken Welt, die niederging, und der mittelalterlichen Welt, die gerade erst anfing (Bonner 1963: 13).
4.2 Augustin auf der Schwelle 2: Die Bekehrung(en) als „Innerer Wandel“ Seule la vocation divine est capable de la conversion humaine, c’est- -dire: la conversion ou la rponse de l’homme supposent toujours un appel la vocation, c’est- -dire une invitation amoureuse de la part de Dieu. (Oroz Reta 1989: 308)
Entsprechend der Systematik, das Verhltnis von Augustin zur Epochenschwelle Antike-Mittelalter anhand jener entscheidenden Bereiche zu untersuchen, wo sich „innerer und ußerer Wandel berhren“ (Brown 1982: 7), liegt der zweite Schwerpunkt auf dem „inneren Wandel“. Damit ist die Entwicklung und hierbei insbesondere die geistige Entwicklung Augustins angesprochen. Ihren Kulminationspunkt findet diese in der Bekehrung Augustins. Doch ist allein die Formulierung „Augustins Bekehrung“ verfnglich: die Diskussion, wie viele Bekehrungen und vor allem von wohin zu wohin Augustin bekehrt wurde, ist uferlos, zumin-
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dest jedoch hochgradig aporetisch (Kap. 4.2.1). Es bleibt festzuhalten, dass eine Bekehrung grundstzlich eine gravierende Vernderung bedeutet, die nach Fitzgerald sowohl geistig, als auch physisch („material“) gedeutet werden kann (Fitzgerald 1999: 239). Augustins Bekehrung spielt in der Augustinrezeption eine entscheidende Rolle, da sich nicht nur Augustins Entwicklung in dieser Selbstbeschreibung, wie sie in den Confessiones berliefert ist, im Detail nachlesen lsst, sondern auch ein Bild geprgt wurde, das definiert, was es im Westen bedeutet, religiçs zu sein (Luman 1990: 149). Die Problematik der Bekehrung, die in diesem Kapitel als „innerer Wandel“ bezeichnet wird, geht auf die detaillierte aber unzuverlssige Quellenlage an Informationen zur Bekehrung einher: Augustin selber liefert in den Confessiones eine ausfhrliche Schilderung, wie sich die Bekehrung in jenem Mailnder Garten abgespielt habe. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Augustin die Confessiones ca. 13 Jahre nach dem Bekehrungserlebnis verfasst hat und zu jener Zeit bereits getaufter Christ, Priester und Bischof war, also einen christlichen und missionarischen Auftrag hatte. Deshalb weist O’Donnell unmissverstndlich darauf hin, dass es niemals Klarheit darber geben wird, was genau in Mailand 386 geschehen ist und wie die Ereignisse jener Zeit im Kontext der Bekehrung zu verstehen sind (O’Donnell 2001: 17 f ). Von daher ist man besser beraten, sich nicht auf den Bericht Augustins zur Bekehrung zu verlassen, sondern diejenigen Schriften zu konsultieren, die vom Zeitpunkt ihrer Entstehung Zeitnhe zum Bekehrungserlebnis liefern. Hierunter sind primr die so genannten ,frhen Dialoge‘ zu sehen, die Augustin auf dem Landgut Cassiciacum nach seiner Zeit in Mailand bei den christlichen Neoplatonikern verfasst hat. Sweeney weist auf diese Diskrepanz hin, wenn er den Augustin der ,frhen Dialoge‘ einen „Philosophen“ und den Augustin, der die Bekehrung spter in den Confessiones verfasst hat, einen „Bßer“ nennt (Sweeney 1990: 403). Es ist also angebracht, Augustins autobiographischen ußerungen kritisch gegenberzustehen und die Bekehrung aus den Confessiones als literarische Konstruktion zu begreifen. Zuverlssige Quellen ber Augustin zur Zeit der Bekehrung gibt es nicht, außer den ,frhen Dialogen‘, die auf den Effekt der Bekehrung hin zu untersuchen sind. Aus diesem Grund beschreitet die hier vorgelegte Untersuchung einen neuen Weg: Die Betrachtung der Bekehrung auf zwei verschiedenen Untersuchungsebenen, die der çkonomischen Transformationstheorie entlehnt sind (Kap. 2.2.2). Zum einen wird im Sinne des Eigenberichts aus den Confessiones der Big Bang-Ansatz verfolgt, wonach die Bekehrung ein
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singulres, punktuelles Erlebnis darstellt (Kap. 4.2.3). Zum anderen wird die Bekehrung entsprechend des Gradualismus-Ansatzes untersucht, nach dem die Bekehrung als sukzessiv sich ereignendes Erlebnis darstellt. Beide Ebenen zusammengenommen ergeben ein zwar unvereinbares, aber dafr differenziertes und analytisch sauberes Bild der Bekehrung, die den Kern des inneren Wandels Augustins darstellt. Der Unvereinbarkeit beider Anstze wird hier begegnet, indem jeder Ansatz fr sich nicht als absolut gltiges Erklrungsmodell verstanden wird, sondern als austauschbare Perspektive. Dieser Methodik liegt die berzeugung zugrunde, dass das Austauschen von Perspektiven Erkenntnisse ermçglicht, die durch die axiomatische Setzung eines einzelnen Erklrungsmodells verloren gingen. 4.2.1 Augustins Konversion: Aporien der Forschung Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt auf dem mikroskopischen, dem so genannten inneren Wandel Augustins, da sich dort der prominenten Auffassungen Peter Browns und Kurt Flaschs zufolge am individuellen Beispiel Augustins der makroskopische Wandel auf epochaler Ebene nachvollziehen lsst. Folgt man dieser Hypothese, so spielt der Lebenswandel Augustins eine historiographisch entscheidende Rolle. Beleuchtet man diesen wiederum genauer, so steht die Bekehrung Augustins im Mittelpunkt. Doch was bedeutet in diesem Zusammenhang „Bekehrung“ und wie lsst sich die Bekehrung Augustins wissenschaftlich darstellen? Ein erster Schritt besteht deshalb in der Rezeption der Forschungsliteratur zur Bekehrung, worunter im Allgemeinen das Bekehrungserlebnis aus Confessiones VIII 8 f. aufgefhrt wird. Es ist festzustellen, dass in der Literatur zu Augustin der Bekehrung und dem Wandel Augustins eine herausragende Rolle beigemessen wird, dass jedoch der Zugang zu dieser Frage wenig systematisch erfolgt und ein berblick zur Forschung zu einem berblick an Aporien werden muss. Hufig kranken die Beitrge daran, dass von Augustin die Rede ist, der dies oder jenes gewesen sei, dabei aber nicht auf das jeweilige Entwicklungsstadium Augustins eingegangen wird, sondern vielmehr eine Art ,kategorischer Augustin‘ vorausgesetzt wird. Dieses der differenziellen Untersuchung der Bekehrung(en) vorausgehende Kapitel soll zeigen, dass das Interesse eines systematischen Zugangs zum Thema Bekehrung berechtigt ist. So ist die Grundfrage in der
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Forschungsliteratur die, von wo Augustin wohin bekehrt wurde. Forschungsgeschichtlich ist dabei auf Alfaric (1918) und spter auf die von großem Erfolg gekrçnte Arbeit Pierre Courcelles zu verweisen, da dieser in den „Recherches sur les Confessions de Saint Augustin“ (1950) die als berzeugung akzeptierte Vorstellung, Augustin habe sich zum Christentum bekehrt, verwirft und stattdessen die These aufstellt, Augustin habe sich zum Neoplatonismus bekehrt, wie dies auch schon Alfaric41 mit weniger durchschlagendem Erfolg behauptete. Seit Courcelle gibt es eine wachsende Anzahl divergierender Aussagen darber, wohin Augustin bekehrt wurde, sich bekehren ließ oder sich selber bekehrte. Diese Diskussion kann als qualitative Fragestellung verstanden werden. Gleichermaßen geht die Differenzierung auch auf quantitativer Ebene weiter, da von den Bekehrungen des Augustin gesprochen wird. Um in der differenziellen Analyse Klarheit zu schaffen, werden im Folgenden die Aporien der Forschung prsentiert, die das Bedrfnis nach einer neuen, systematischen Betrachtung zum Thema Bekehrung begrnden. Geht man von Augustin selber und seinem Bericht der Bekehrung aus den Confessiones aus, so ist die fr diese Untersuchung zentrale Phrase Augustins die (13 Jahre nach dem Mailnder Gartenerlebnis aufgeschriebene) Selbstbeschreibung der „Drangsal [s]einer Halbheit“42 (conf. VIII 8,20). Funktional identifiziert diese Bekundung den Kipppunkt, da Augustin weder das eine, noch das andere ganz ist, dabei aber schon das eine nicht mehr und das andere noch nicht. Augustin kann somit als auf der Schwelle beschrieben werden. Die Forschungsliteratur hingegen nimmt einen inhaltlichen Diskurs darber auf, welches die Bezeichnungen der die Schwelle markierenden Rume dies- und jenseits der Bekehrung sind. Robert O’Connell nimmt die Diskussion auf und fragt: „Augustine’s conversion: was it to Neo-Platonism or to Christianity“ (O’Connell 1978: 10). Alfaric vertritt hier eine eindeutige Position, indem er Augustin unterstellt, dass dieser sogar nach seiner Taufe noch ein Neoplatonist war und dass das Christentum fr Augustin lediglich ein „praktischer und populrer Platzhalter“ war (Alfaric 1918: viii). 41 Vergleiche auch Ferrari (1989: 235), der darauf hinweist, das die zwei Bnde, in denen diese These in extenso ausgearbeitet werden sollte, dem Werk „L’volution intellectuelle de Saint Augustin“ (1918) niemals folgten. 42 Denique tam multa faciebam corpore in ipsis cunctationis aestibus, quae aliquando volunt homines et non valent, si aut ipsa membra non habeant aut ea vel conligata vinculis vel resuluta languore vel quoquo modo impedita sint.
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Augustine Curley vertritt die Ansicht, dass Augustins Bekehrung nicht vom heidnischen Glauben zum Christentum fhrte (was der klassischen Interpretation von Bekehrung entsprche), sondern, dass Augustins Bekehrung eine „lebensweltliche Bekehrung“ („conversion of life“) war, und die Bekehrung in Mailand insbesondere durch die Bibelstelle zu einem „christlichen Lebensstil“ im Einklang mit den Vorstellungen seiner Mutter fhrte (Curley 1997: 27). Roy Battenhouse nimmt einen weiteren Standpunkt – man kçnnte diesen Standpunkt den noch-unentschiedenen nennen – ein, wenn er im Rckgriff auf Harnack behauptet, dass die Bekehrung „noch nicht“ zum Christentum fhrte, aber „grçßtenteils“ zum Neoplatonismus (Battenhouse 1979b: 17). Ist von „Aporien der Forschung“ die Rede, so wird deutlich, inwieweit sich die Positionen unauflçsbar widersprechen. Ein Ausweg besteht in der Feststellung des „augustinischen Platonismus“, indem also Platonismus und hierbei insbesondere der Neoplatonismus in einer augustinspezifischen Version verstanden wird. Wie Robert Crouse feststellt, hat sich nach rund einem Jahrhundert Arbeit an dieser Frage noch immer keine „klare bereinkunft“ finden lassen, was diesen Begriff inhaltlich auszeichnet. So lassen sich nach Robert Crouse drei Interpretationen finden: Augustin war erstens ein christlicher Theologe, der in den neoplatonischen Gedanken ein geeignetes Medium fand, seine christlichen Lehren zu entwickeln.43 Oder Augustin war zweitens ein Platonist, der im Christentum das „fehlende Element moralischer Inspiration“ fand. Oder, so fragt Crouse drittens rhetorisch, sollte man Augustin philosophisch einen Platonisten und theologisch einen Christen nennen? (Crouse 1992: 110). Diese Position hilft, das Spektrum der Mçglichkeiten zu berschauen, hingegen ist sie wenig brauchbar, eine eindeutige Aussage ber Augustin zu machen. Dabei wre zuerst zu fragen, von welchem Zeitpunkt innerhalb Augustins Entwicklung hier gesprochen wird. Zweitens sollte die Frage hinsichtlich der Bekehrung im Sinne einer berlappung gedacht werden. Diesen Punkt greift beispielsweise Robert Herrera auf, wenn er – wie andere auch – die Frage nach der Zuschreibung als ein „falsches Problem“ ausweist und – ebenfalls rhetorisch – fragt: „Was Augustine a Christian, a Platonist, or a ,centaur‘?“ (Herrera 1994: 161).
43 Als Anhnger dieser Position kann beispielsweise Bonner verstanden werden, wenn er ausfhrt: „Neo-Platonism was at no time an alternative to Catholic Christianity but, rather, a philosophy which enabled Augustine more readily able to understand and accept Catholic Christianity“ (Bonner 1963: 86).
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Ein anderer Ansatz ist gefordert, der darin gesehen werden kann, dass Augustin sich bekanntermaßen stetig wandelte und seine Gesinnungen und berzeugungen wechselte (peregrinatio). Insgesamt ist der Hinweis auf die hybride Natur Augustins jedoch eine hilfreiche Ergnzung zu den bestehenden Zuschreibungen. Franz Kçrner spricht bei Augustin und explizit beim „augustinischen Denken“ von „Halbwahrheiten“, da darin „lediglich neuplatonische, stoische und biblische Elemente „synkretistisch“ vereinigt worden seien“ (Kçrner 1968: 40). Ist der Synkretismus eine Vermengung von bestehenden Elementen, so ist bei Augustin eher von einer eigenstndigen Ausdifferenzierung auszugehen, die als Synthese bezeichnet werden kann, wie der gebruchliche Begriff „Augustinismus“ nahe legt. Anhand dieser kurzen Auflistung von verschiedenen Positionen wird der aporetische Charakter der Augustinusforschung bereits deutlich, indem auf die Unvereinbarkeit der vorgebrachten Thesen verwiesen wurde. Nun kçnnte man einwenden, dass dies das Problem der Augustinusforschung sei, die keiner klaren Systematik oder einem klaren Leitbild folgt, was sich insbesondere seit dem Aufkommen der These der Bekehrung zum Neoplatonismus durch Pierre Courcelle verstrkte. Um den Ursprung des aporetischen Charakters freizulegen, ist es deshalb erforderlich, von der wissenschaftlichen Forschungsliteratur weg, hin an den Beginn der Auseinandersetzung mit Augustin zu gehen, und dieser ist zur Zeit Augustins selber anzusetzen. Die geeignetste Quelle hierfr sind sicherlich die Briefe. Um die postulierten Aporien der Augustinusforschung zu erklren, kann der Brief des Nebridius aus Karthago angefhrt werden, der in einer Reaktion auf einen Brief von Augustin diesen in seiner Antwort fr die gedankliche Verbindung von Plato, Plotin und Christus lobt.44 Und genau diese Verbindung, die Nebridius hochschtzt, ist nach Robert Crouse „a major problem for modern students of Augustine“ (Crouse 2002: 37).45 Man kçnnte darber spekulieren, worin diese Problematik46 44 Im Original: „illae mihi Christum, illae Platonem, illae Plotinum sonabunt“ (nach Crouse 2002: 37). 45 Dieses Problem wird auch von anderen Autoren identifiziert. Dazu zhlt beispielsweise auch R. Lawless, der gar von einem „over-arching“ problem spricht: „Augustine’s Platonic heritage constitutes one of the over arching problems for modern critics of his work. This Augustinian, Christian Platonism, still difficult to define precisely, even after a century of research, is a matter which weighs upon every aspect of his thought and lies, sometimes inaudibly, at the foundation of the criticisms of his work“ (Lawless 2002: 2).
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besteht und auf die strikte Trennung der Disziplinen im gegenwrtigen Wissenschaftsparadigma verweisen. Andererseits, und dies ist der Zweig, der in diesem Kapitel verfolgt werden soll, ist auf den gegenwrtigen Stand der Augustinusforschung bezglich dieser Problematik einzugehen. Hier ist die Theorie der „zwei Augustins“ zu erwhnen, die sich in den letzten Jahren mehr und mehr etabliert hat, und die, hnlich wie beispielsweise bei Wittgenstein, in einen frhen und einen spten Augustin ausdifferenziert. Leo Ferrari, der sich in seiner Arbeit auf die Bekehrung Augustins spezialisiert hat, setzt als Kipppunkt oder bergang zwischen den beiden Augustins die Bekehrung: On the one hand there was the older, maturer Augustine who would reject worldly fame and fortune, and on the other hand there was the younger Augustine who had been cruelly conditioned from earliest years to relentlessly seek after such things. Just how conscious he was of this lengthy conflict is shown by Augustine through the deliberate portrayal of its resolution in the climactic events of the eighth book of the Confessions (Ferrari 1984: 9).
Textgeschichtlich ist es dabei blich, den ersten Augustin den philosophischen Dialogen zuzuweisen und den zweiten Augustin insbesondere den Confessiones und den darauf folgenden Schriften (O’Connell 1996: 260). Leo Ferrari weist darauf hin, dass die zwei Augustins vçllig unvereinbar miteinander sind und dass das akademische Forschen an der Einheit der Person nach ihm das „Problem der zwei Augustins“ genannt werden kann (Ferrari 1989: 235). Die jngst wieder aufgegriffene Auslegung der zwei Augustins durch Leo Ferrari und Paula Fredriksen (so O’Connell 1996: 260) sieht die Bekehrung nicht als Bekehrung zum Christentum, wie es der klassischen Bedeutung von Bekehrung nahe kme, sondern die Bekehrung ist nach Paula Frederiksen „Teil der philosophischen Methode“ (vgl. O’Connell 1996: 260). Die Bekehrung ist nach dieser Auffassung kein historisches Datum, sondern ein „retrospektives Konstrukt“ (O’Connell 1996: 260), was insofern eine gesicherte Aussage ist, da die Beschreibung der Bekehrung in den Confessiones 13 Jahre nach dem eigentlichen Erlebnis erfolgte, als Augustin bereits als Christ in Amt und Wrden war. Auch Christoph Horn weist auf die biographisch nicht verlssliche Bekehrungsbeschreibung aus den Confessiones hin und rckt die Bekehrung in die Nhe des „Vorbild[s] christlicher Konversionserfahrungen, dem sog. 46 Die immerhin fr gut gefllte Auftragsbcher der Augustinusforschung sorgt, da sich aus der Problematik jeweils neue Forschungsdesiderate ableiten lassen.
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,Damaskuserlebnis‘ des Paulus“ (Horn 1995: 23). Diese These kann untermauert werden mit Leo Ferraris Beobachtung, dass Augustin whrend der Verfassung der Confessiones insgesamt 14 Referenzen zu der Bekehrung des Paulus in anderen Schriften anfhrt, was Ferrari damit begrndet, dass Augustin das Damaskuserlebnis als „Inspirationsquelle“ nutzt, whrend er seine eigenen Bekehrung niederschreibt (Ferrari 1989: 239 f ). Aus dieser Beobachtung lsst sich ableiten, dass Augustin seinerzeit im Mailnder Garten doch zum Christentum und nicht zum Neoplatonismus bekehrt wurde. Auch Robert Forman ist der Ansicht, dass die Bekehrung zum Christentum stattgefunden hat und begrndet diese These damit, dass Augustins christliche Mutter Monica zum Ende des 8. Buches der Confessiones kaum ihre Freude darber zum Ausdruck gebracht htte, dass Augustin ein Neoplatonist geworden war (Forman 1995: 86). Eine weitere Ausdifferenzierung des „Problems der zwei Augustins“ kann in der von Diether Lauenstein und Anne Hawkins unabhngig voneinander vorgetragenen These gesehen werden, dass die Bekehrung eine „Bekehrung oder eine Willenswandlung“ gewesen sei (Lauenstein 1974: 273), was Anne Hawkins nicht als Parallelitt, sondern als Serialitt ausweist, wenn sie von den zwei Phasen spricht: der „Bekehrung des Intellekts“ in Buch VII und der „Bekehrung des Herzens“ (Buch VIII) (Hawkins 1978: 166 f ). An dieser beispielhaften These wird ein weiteres Grundproblem der Augustinusforschung deutlich, dass nmlich der Begriff der Bekehrung in einem sehr weiten Raster verwendet wird, das sich weit ber die theologische Auffassung der Hinwendung zu einem religiçsen Bekenntnis hinwegsetzt. Um die Aporien, die auch auf Begriffsumdeutungen zurckzufhren sind, zu verdeutlichen, werden im Folgenden einige der weiteren „Bekehrungen“, wie sie in der Forschung genannt werden, angefhrt. So spricht Leo Ferrari von „Bekehrungen zum Katholizismus“ im Plural (Ferrari 1984: 50), wozu er u. a. auch die „Bekehrung zur Astrologie“ Augustins durch die Manicher (Ferrari 1984: 46) zhlt. Dieser Punkt ist nicht vçllig aus der Luft gegriffen, auch wenn der Bekehrungszusammenhang hier vielleicht nicht der richtige ist, da bereits Julian von Eclanum darauf hinweist, dass Augustin selbst in seinen letzten Jahren „im Herzen noch ein Manicher“ ist (vgl. Frend 1989: 251). Leo Ferrari weist noch eine weitere Quelle aus der vorchristlichen Zeit Augustins aus, die gleichermaßen eine direkte Verbindung zwischen dem ersten und dem zweiten Augustin herstellt, und zwar die Lektre des „Hortensius“ von Cicero, welche noch deutlich vor der manichischen
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Periode lag. In diesem Zusammenhang wird die Bekehrung zum Katholizismus als eine lange Suche des Philosophierens bezeichnet, die ihren Ursprung in der Hortensius-Episode hat (Ferrari 1984: 50). Entscheidend jedoch sei die so genannte finale Bekehrung gewesen, ein Begriff der nach Leo Ferrari auf einen Aufsatz von Anton Pegis zurckgeht und die Taufe Augustin bezeichnet, die, bereits in das X. Buch der Confessiones ber die Zeit eingeflossen sei (Ferrari 1984: 70). Nach Peter Habermehl hingegen war es die Ordination Augustins, „vor allem aber die Bischofsweihe, [die] der eigentliche Wendepunkt seines Lebens (Habermehl 1997: 124) wurde. Robert O’Connell macht die Aporien weiter deutlich, wenn er immer noch von der „Bekehrung zur Philosophie“ spricht, die jedoch im Grunde eine „Rckkehr“ zur Religion sei, die er von seiner Mutter vorgelebt bekommen habe (O’Connell 1978: 13). Leo Ferrari beschließt seine Untersuchung zu den „Bekehrungen zum Katholizismus“ damit, dass er anfhrt, dass die verschiedenen „Bekehrungen“ schließlich die „finale Persçnlichkeit“ des Bischofs von Hippo konstituieren (Ferrari 1984: 84). Nun ist diese Folgerung insofern richtig, da sie sich auf den Augustin beruft, der keine weiteren Wandelungen durchgemacht hat, nmlich den Bischof und Kirchenvater, der zum Ende hin immer verbitterter wurde. Bezogen auf Augustins „spirituelle Entwicklung“ fhrt Leo Ferrari aus, dass diese aus weit mehr als einem quantitativen Wachstum bestand. Es setzte vielmehr eine „tiefgreifende qualitative Transformation“ ein, die eine vçllig neue Grundlage erschuf (Ferrari 1984: 70). So nahe liegend, ja geradezu tautologisch die Erklrungen zu Augustin sind, so widersprchlich sind sie auch, wenn man sie miteinander vergleicht. Dieser kurze berblick zu einigen der vorgebrachten Thesen der Augustinusforschung zur Bekehrung zeigt, inwieweit die Augustinusforschung hier in gewisser Weise stagniert. So ist denn auch das „universal agreement“ des „Collectanea Augustiniana“ Herausgebers Frederick van Fleteren (1990: 65) zu verstehen, der drei Thesen aus der gesamten Diskussion um die Bekehrung fr sicher hlt: 1. Augustins Bekehrung zum Christentum war ernsthaft insofern, als dass er wusste, dass ihn der Glaube alsbald erfllen wrde. 2. Augustin hat sich zu einer Art neoplatonischen Christentums bekehrt, das in den 90er Jahren des 5. Jahrhunderts in Mailand ,in der Luft lag‘. 3. Plotin und Porphyrius beeinflussten seine Bekehrung.
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Ohne diese als konsensfhig erachteten Ergebnisse weiter zu erçrtern, kann man also die Aporien der Augustinusforschung bezglich der Bekehrung auf mindestens vier Positionen zusammenfassen, die sich je gegenseitig ausschließen und widersprechen. 1. Die Bekehrung von der Skepsis und der Philosophie zum Christentum, wie Augustin sie selber in den Confessiones im VIII. Buch schildert. 2. Die Bekehrung vom Christentum zum Neoplatonismus, wie es mit Alfaric (1918) und spter mit Courcelle (1950) zur anerkannten These in der Forschung wurde, die bis heute weder endgltig besttigt, noch widerlegt wurde. 3. Die in jngerer Zeit entstandene These der „zwei Augustins“, wonach in den frhen Augustin, der mit den frhen Dialogen der Cassiciacum-Periode, und den spten Augustin unterteilt wird, dessen Bild im wesentlichen in den Confessiones gefestigt wurde (Ferrari 1984). 4. Die These, Augustin sei ein Zentaur, also eine Mischform aus Christ und (Neo-) Platonist, wie dies Robert Herrera als provokative Frage in den Raum stellt (Herrera 1994: 161), kommt dem von F. van Fleteren aufgestellten „universal agreement“ nahe, dass Augustin zu einer Art neoplatonischem Christentum bekehrt wurde, das zu jener Zeit in Mailand ,in der Luft lag‘. Jede dieser vier fr sich genommen kontingenten Positionen widersprechen einander und sind nur die logisch mçglichen Ausdifferenzierungen zwischen den beiden Kategorien. Zwischen diesen liegt durch die Augustinusforschung entstanden ein Begriffskontinuum von Begriffskombinationen und Neologismen wie „Augustine’s Neoplatonism“ (Forman 1995: 7), „post-Plotinian Augustinian Platonism“ (Crouse 2002: 43) oder „Augustinian Christian Platonism“ (Lawless 2002: 2), um nur ein paar wenige aufzulisten. Abschließend soll jedoch mit Hannah Arendt eine Lanze fr den Umgang mit widersprchlichen Positionen gebrochen werden. In ihrer Dissertation ber den Begriff der Liebe bei Augustin kommt sie in der Einleitung zu dem Schluss, smtliche Widersprchlichkeiten bei Augustin fr sich stehen zu lassen, um sie ausdrcklich als Widersprche zu verstehen und um zu erfassen, was „hinter“ ihnen liegt (Arendt 1929: 7). In diesem Sinne sollen die in aller Krze aufgelisteten Aporien der Forschung als Ausgangsmaterial verstanden werden, um mit den darin enthaltenen Widersprchen einen Ansatz zu entwickeln, der sich nicht
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zum Ziel setzt, die Widersprche zu eliminieren, sondern diese als Mçglichkeit betrachtet, Augustin und dessen Spezifitt zu verstehen. 4.2.2 Dekonstruktion der Konversion: ber das zweifache Analysedesign der Gartenszene Zur Erklrung der Bekehrung des Augustin wird blicherweise die Gartenszene aus den Bekenntnissen (VIII 8 f.) herangezogen. Dazu ist anzumerken, dass die dort von Augustin selbst niedergeschriebene Darstellung seiner Bekehrung 13 Jahre nach dem historischen Erlebnis in jenem Mailnder Garten verfasst wurde, also zu einem Zeitpunkt, nachdem die Bekehrung vollzogen war und Augustin als glubiger Christ und Kirchenvertreter mit einem theologischen Ziel schreibt. Insofern ist die Gartenszene aus den Bekenntnissen weniger als Beschreibung, sondern vielmehr als zweckgebundene, literarische Konstruktion der Bekehrung zu verstehen. In Anlehnung an Augustins Konzept der memoria ließe sich hier von der Bekehrung gemß der Confessiones als der dem Leser vergegenwrtigten Vergangenheit sprechen. So ist jede Darstellung der Bekehrung Augustins, die sich auf Conf. VIII 8 f. sttzt, als autobiographische Interpretation der Vergangenheit zu verstehen. Will man sich dem Bekehrungserlebnis an sich annhern, so empfiehlt sich die zeitliche Nhe zum Ereignis, die in heute zugnglicher Form in der Lektre der frhen Dialoge aus der Phase des Cassiciacums besteht, insbesondere der Soliloquia. Die vorliegende Arbeit verfolgt einen differenzierten Ansatz, die Bekehrung Augustins als Kernelement des „inneren Wandels“ zu untersuchen. Gemß der in Kap. 2.2 vorgestellten Anstze der Transformationsforschung – und eine Bekehrung ist hier als Gegenstand einer persçnlichen Transformation zu sehen – werden zwei verschieden Anstze zur Beschreibung herangezogen, die zusammengenommen ein mçglichst wirklichkeitsdichtes Bild der Bekehrung abliefern sollen. Da ist zum ersten der so genannte Big Bang-Ansatz, der sich auf den singulren Moment der Bekehrung als punktuellen Wandel bezieht, sowohl was die inhaltliche Vernderung, als auch, was die zeitliche Dichte angeht. Der zweite Ansatz ist der Gradualismus-Ansatz, nach welchem sich der Wandel ber die Zeit hinweg in kleinen, aufeinander aufbauenden Schritten vollzogen hat.
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Die hier vertretene These lautet, dass beide Modelle der Transformation beobachtungsabhngige Theorien sind. Als Konsequenz wird folglich das Material zur Bekehrung Augustins mit beiden Beobachtungsrastern untersucht, um so ein differenziertes, multilaterales Bild der Bekehrung zu gewinnen. Dabei liegt es nahe, die Gartenszene im Rahmen der Big Bang-Theorie zu untersuchen, da hier von Augustin selbst der Moment der Bekehrung als punktuelles Erlebnis beschrieben wird. Augustins Leben wird aus seinen eigenen Schriften erstens durch seine autobiographischen Angaben und zweitens durch das Werk und die sich daraus ergebenden Rckschlsse zum Zeitpunkt des Verfassens rekonstruierbar. Fr diese Perspektive bietet sich eine vom Gradualismus geleitete Untersuchung an. Dabei wird insbesondere auf den biographischen Kontext und die Transformation des augustinischen Werkes von einem neoplatonisch-philosophischen Werk hin zu einem theologischklerikalen Werk in den spten Schriften einzugehen sein. Beide Untersuchungsperspektiven sind Folien wissenschaftlicher Konstruktion, die fr sich genommen Anspruch auf jeweils eine Facette ihres Gegenstandes erheben kçnnen, darber hinaus jedoch lediglich Annherungsversuche darstellen. Hinzuweisen bleibt auf die Komplementaritt der beiden Untersuchungsperspektiven, da sie erst zusammengenommen eine multilaterale Darstellung ermçglichen, die ber die Gltigkeitsbeanspruchung der einzelnen Konversionstheorien hinausgeht. Den Konflikt, der sich durch eine jeweils einseitige Betrachtung auf die Bekehrung ergibt, wird beispielsweise durch eine Feststellung Christoph Horns erkennbar, wenn dieser schreibt: „Die literarische Zuspitzung der Konversion im Mailnder Gartenerlebnis, das aus einem Heiden schlagartig einen Christen macht, verdeckt allzu leicht diesen allmhlichen Annherungsprozess“ (Horn 1995: 27 f ). Dennoch bleiben beide Ebenen signifikant: die Ebene der „schlagartigen“ Konversion in Form der literarischen Konstruktion und die Ebene der allmhlichen Annherung in Form einer entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung.47 Die exponierte Stellung der Confessiones als Quelle der Bekehrung oder berhaupt als Quelle der Entwicklungsgeschichte Augustins bedarf einer 47 Einen hnlichen Ansatz kann man auch bei Schçpf finden: „Verstndlicherweise war die Gartenszene hufiger Gegenstand historischer, psychologischer und religionsphilosophischer Forschung. Im Gegensatz zu hagiographischer Schçnmalerei war sich die Wissenschaft einig, in ihr den Schlussstein einer langen Entwicklung und nicht ein punktuelles Mirakel vor Augen zu haben“ (Schçpf 1979: 32).
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Kontextualisierung. So fhrt Sparrow aus, dass sich die Confessiones von selber erschließen. Jedoch bietet es sich an, sie in Verbindung mit den frhen Dialogen zu lesen. Nur so kçnne man Augustins Entwicklung vollstndig nachvollziehen (Sparrow 1930: 236). Es muss hinterfragt werden, ob durch die Einbettung der Bekehrungen in ihren biographischen und philosophischen Kontext Augustins Entwicklung „vollstndig verstanden“ werden kann. Dennoch bildet diese Methode eine verbesserte Darstellung gegenber einer einzelperspektivischen Methode. Eine treffende Formulierung bietet Battenhouse an, wenn er feststellt, dass die Bekehrung endgltig war, deren Implikationen jedoch graduell entwickelt wurden (Battenhouse 1979b: 36). Anbei sei hier bemerkt, dass die Sichtweise Sparrows und Battenhouses die Forderung unterstreicht, jegliche Forschung zu Augustin nicht auf einen wissenschaftlichen Wirkungskreis zu reduzieren, sondern einen disziplinenbergreifenden Ansatz zu whlen, da die Augustinusforschungstraditionen beispielsweise in den USA und in Deutschland, Italien und v. a. Frankreich auf vçllig unterschiedliche Schwerpunkte ausgerichtet sind. Zurck zu der Untersuchungsproblematik der Bekehrung. Die Finalitt und damit die Gltigkeit der Bekehrung Augustins wird nicht hinterfragt, nimmt man die Finalitt als Aussage ber Augustins Entwicklung und nicht als Bewertung des oder eines Gartenerlebnisses, respektive dessen literarischer Konstruktion.48 Dieser Punkt ist insofern wichtig, da in der Forschung mehrfach die Frage aufgeworfen wurde, ob die so genannte Bekehrung eine Bekehrung im eigentlichen Sinne sei. Die dabei entstandenen Aporien der Forschung sind im vorherigen Kapitel aufgelistet, wobei in dieser Arbeit der Ansatz vertreten wird, dass die Mailnder Bekehrung aus einer Perspektive, die das gesamte Leben Augustins umfasst, als Bekehrung hin zum Christentum zu verstehen ist, die aber in ihrer Komplexitt zu dekonstruieren ist, um nicht unkritisch der Idee der literarischen Konstruktion aus den Confessiones zu erliegen. Die Herangehensweise einer kritischen Untersuchung wird insbesondere von Mller gefordert, der warnt, „dass wir den Bekenntnissen des Sechsundvierzigjhrigen nicht kritiklos folgen drfen“ (Mller 1986a: 48 Gleichwohl soll nicht unerwhnt bleiben, dass die Finalitt der Bekehrung von anderer Stelle angezweifelt wird. So fragt O’Connell: „Was he really converted to Christianity in A.D. 386? Or is the Bishop, writing his Confessions some ten years later, adjusting the facts?“ (O’Connell 1969: 4). Der Fokus liegt aber wie erwhnt auf der Legitimitt der Bekehrung aus der Sicht der Entwicklungsgeschichte und nicht aus der Sicht des Einzelerlebnis und dessen literarischer Aufbereitung.
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213), da sie die Bekehrung aus der Sicht des Kirchenvaters darstellen. „Die Werke aber, die auf die Bekehrung folgten, reden kaum von einer Bekehrung zum Christentum. Denn bei Augustin kommt alles auf den Inhalt, nichts auf die Bezeichnung an. Der Inhalt ist aber ein neuplatonisch-ciceronisch-christlicher Eklektizismus“ (Mller 1986a: 213). Dieses philosophische Anliegen, sich den Inhalten und nicht den ußeren Formen der Inhalte zu verschreiben, charakterisiert den neoplatonischen Augustin von 386, dessen Erlebnis im Mailnder Garten die sptere Beschreibung der Bekehrung konstituiert. So fhrt Mller weiter aus: „Warum stellte aber Augustin seine Bekehrung als Bekehrung zum Christentum dar, wenn zwar die ethische Entscheidung auch christlich ist, die Gedanken jener Zeit aber Grundfragen der antiken Philosophie berhaupt sind, deren Beantwortung vor allem durch den Einfluss Plotins bestimmt ist?“ (Mller 1986a: 213). Die Frage ist als rhetorische zu bewerten, denn die Antwort liegt in dem von Augustin selber formulierten Ziel der Confessiones, da er den Text als Christ, als kirchlicher Funktionstrger mit einer Mission fr das „Menschengeschlecht, wie klein auch das Hufchen sein mag“49 geschrieben hat (conf. II 3,5). Und doch liegt der Fall komplizierter als durch die Autor-Leser Beziehung erkennbar, denn durch das Gartenerlebnis „bekehrte sich mit diesem philosophischen Anfang Augustin auch zum Christentum“ (Mller 1986a: 213). Die berlappung zugunsten eines widersprchlichen Dritten aus Philosophie und Theologie ist es, welche die Bekehrung erst konstituiert und die im Folgenden auf zwei verschiedenen Untersuchungsebenen dargestellt werden soll. Ob man damit ein authentisches Bild Augustins bekommen wird, ist fraglich. Gewiss ist jedoch, dass durch eine multilaterale Untersuchung ein differenzierteres Bild gewonnen werden kann, das die Aporien der damit einhergehenden Positionen zum Charakteristikum der Bekehrung macht und in die Methode ihrer Betrachtung einbezieht, anstatt weitere Aporien der Forschung zu produzieren.
49 „apud te narro haec generi meo, generi humano“ (conf. II 3,5).
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4.2.3 Metabole oder der Big Bang-Ansatz: Die Gartenszene aus Conf. VIII 8 f. als literarische Inszenierung Die in diesem Kapitel dargelegte Untersuchung ist auf den Moment der Bekehrung Augustins im Mailnder Garten ausgerichtet, wie sie von Augustin in den Bekenntnissen beschrieben wurde. Der theoretischen Vorgabe nach wird dabei dem Moment der Vernderung im Sinne eines plçtzlichen Neubeginns Aufmerksamkeit geschenkt. Was in Kapitel 2.2.2.3 als Big Bang-Ansatz vorgestellt wurde, luft auf die Beschreibung von punktuellem Wandel als Umsturz, Revolution oder allgemein radikaler Vernderung hinaus. Im Sinne dieser Betrachtung von Wandel wird im Folgenden die Gartenszene auf ihren transformativen Gehalt hin untersucht. Als Untersuchungsstruktur greife ich dabei auf die aus der Kulturanthropologie50 bekannte Einteilung von bergngen in eine Trennungsphase, eine Schwellenphase und eine Angliederungsphase zurck. Przise genommen geht es einzig um die Schwellenphase und hierbei wiederum um den Sattelpunkt des Wandels und nicht seine Ausdehnung in eine Phase. Doch ist dieser Moment des Wandels in Zusammenhang seiner literarischen Konstruktion zu sehen, wie dies in der Gartenszene deutlich wird, weshalb die Gartenszene in diese Dreiteilung bersetzt werden kann. Dieser Ansatz ist nicht vçllig neu, so wie beispielsweise van Fleteren (1990: 73) drei Momente der Bekehrung identifiziert hat, ohne dabei jedoch auf den kulturanthropologischen Hintergrund zu verweisen: 1. Die Ereignisse, die zur Bekehrung gefhrt haben 2. Der Moment der Bekehrung 3. Die kurz- und langfristigen Konsequenzen der Bekehrung. Im Folgenden soll also vornehmlich jenes selbstbezgliche Momentum von Interesse sein und seine szenische Einbettung. Dabei ist abermals auf den fiktionalen Charakter der Confessiones einzugehen. Forman bezeichnet die Confessiones als proxima veris, womit das Grundproblem angesprochen ist: Der Wahrheitsgehalt von Dichtung. Im Sinne des horazschen Postulats an Dichtung wird damit zunchst nur ausgesagt, dass die
50 Als Autoren sind hier insbesondere die Betrge von Arnold van Gennep (1909) und Viktor Turner (1969) anzufhren, deren Werk das dieser Arbeit zugrundeliegende Fundament des Schwellencharakteristikums der Epochenschwelle entstammt.
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Confessiones fiktional sind51 und dabei eine hoch selektive Perspektive derjenigen Erlebnisse in Augustins Leben transportieren, die Augustin als signifikant fr seine geistige Entwicklung gehalten hat (Forman 1995: 2).52 Dieser Wendepunkt, der als Moment der Bekehrung verstanden werden soll und von Augustin 400 explizit als Bekehrung bezeichnet wird, kann als „Moment-Auflçsung“ beschrieben werden. Dabei liegt nach Matter nicht unser Verstndnis einer Bekehrung im Sinne von „Ich wurde bekehrt“ vor, sondern vielmehr stellt sich Augustins Bekehrung als „Du bekehrtest mich zu Dir“ dar. Dieser Formulierung wohnt eine Bewegung, ein Aufstreben inne, welches Gott – als personalisiertes Du – zum Ziel der Bewegung hat (Matter 1990: 25). Nach Hawkins ist die augustinische Bekehrung eine Adaption der paulinischen Bekehrung, wofr der Verweis Augustins auf die Namensnderung Saulus/Paulus in conf. VIII 4,9 spricht. Auch in der paulinischen Bekehrung stçßt man auf eine „dreifache Formel der Bekehrung“. Diese besteht mit Rckbezug auf Paulus aus geistiger Unruhe, der Bekehrung und geistigem Frieden. Daraus, so weiter im Text, entstand die zu Augustins Zeiten archetypische Gliederung der narrativen Darstellung von Bekehrungen in das Leben vor der Bekehrung, die Bekehrung und das Leben nach der Bekehrung (Hawkins 1978: 160 f ). Wie vollzieht sich die Bekehrung im Sinne des mikroskopischen Wandels, und lsst sich dies philosophisch beschreiben? Einen Ansatzpunkt liefert Rist, wenn er die Bekehrung als „rather Plotinian mystical experience“ (Rist 1994: 4) bezeichnet, womit der philosophische Bezug angesprochen ist, wie durch den Neoplatonismus die Bekehrung aus und durch die Philosophie heraus zur christlichen Kirche mçglich wurde.
51 Diese Position kann auch mit Ferrari untermauert werden, der explizit darauf hinweist, dass die gesamte Szene niemals stattfand, wenn er schreibt: „…that famous scene did not in fact really occur“ (Ferrari 1989: 250). 52 Vergleiche dazu Teske und seine Ausfhrungen zu Augustin als „spiritual man“: „I claimed that a spiritual man, as opposed to a carnal or animal man, was one who was able to come to an intellectual grasp of incorporeal realities and that to interpret a passage of Scripture spiritually meant to understand terms signifying corporeal realities with reference to incorporeal or spiritual realities“ (Teske 1989: 351). In diesem Sinne ist die Konstruktion der Gartenszene eine geistige Wirklichkeit, die Augustin erschaffen und der Nachwelt kommuniziert hat. So sind auch die zahlreichen Buchtitel zur „geistigen Entwicklung“ Augustins zu erklren (z. B. Adam 1954, Thimme 1973 oder Hawkins 1978).
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Die hier vorliegende Untersuchung der Bekehrung erfolgt eng am Originaltext Augustins, nachdem der Text als literarische Konstruktion eines Rhetors eingefhrt wurde und somit eine kritische Haltung gegenber der Erzhlung eingenommen wurde, mit der man sich im nchsten Schritt der Bedeutung dieser Bekehrung als literarischer Konstruktion philosophisch nhern kann. 4.2.3.1 Trennungsphase Der exakte Anfang der Gartenszene ist in den Confessiones nicht klar definiert. Man nimmt blicherweise als den Beginn conf. VIII 8,19 an, da Augustin dort beschreibt, wie er sich in jenen Garten hinter der Herberge, in der er sich mit seinem Freund Alypius befand, zurckzog. Noch in der Herberge berichtet er von „diesem gewaltigen Kampf meines inneren Hauses, den ich in unserer geheimsten Kammer, in meinem Herzen, so heftig wider meine Seele heraufbeschworen hatte“.53 Alypius antwortet Augustin nicht und Augustin reißt sich los, „vom Sturm in meiner Brust getrieben“, und geht in den Garten, „wo niemand den heißen Streit verhindern sollte, den ich mit mir begonnen hatte, bis er seinen Ausgang nhme“ (ebd.). Nach van Fleteren beginnt die Bekehrung in Abgrenzung zur Reise, die ihr vorangeht, mit einer Ermahnung oder Warnung. Diese ist im Falle Augustins seine Unzufriedenheit, sein Hadern mit seinem bisherigen Leben und der nun empfundenen Ignoranz dem christlichen Gott gegenber. Dabei wird durch ein ußeres Erlebnis ein innerer Wandel der Gesinnung herbeigefhrt. Der Verstand, der Wille, der Geist und die Gefhle handeln in der dadurch hervorgerufenen Krisensituation als Einheit. Was der Bekehrung, die unmittelbar und plçtzlich erfolgt, vorangeht, ist ein langwieriger Kampf, in welchem die unertrglich gewordene Vergangenheit ein Bekenntnis zu einem neuen Leben hervorruft (van Fleteren 1990: 73). Dieser Kampf soll im Folgenden als Kernelement der Trennungsphase anhand des VIII. Buches der Confessiones herausgearbeitet werden. Denn dorthin [„zum Bunde mit dir, mein Gott“], ja dorthin zu gelangen, brauchte es nichts als gehen zu wollen, aber wollen stark und ganz, nicht den
53 „…in illa grandi rixa interioris domus meae, quam fortitier excitaveram cum anima mea in cubiculo nostro, corde meo“ (conf. VIII 8,19).
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halbwunden Willen wendisch hierhin und dorthin werfen und in balgenden Hlften Stand und Sturz erfahren54 (conf. VIII 8,19).
Geht es darum, die vorbereitende Phase der Bekehrung zu untersuchen, so ist hier insbesondere auf den Aspekt der Trennung einzugehen. Dieser wird durch die Formulierungen Augustins in diesem einen hier zitierten Satz mehrfach deutlich. So ist zum einen auf den „wendischen, halbwunden Willen“ die Aufmerksamkeit zu richten, der Augustins verzweifelte Lage zum Ausdruck bringen soll. Instabilitt ist das wesentliche Merkmal in diesem Zusammenhang, die als Indikator des Wandels angesehen werden kann. Ferner drckt die Formulierung „in balgenden Hlften“ den Kampf mit dem alten Leben zum Ausdruck, der als konstitutiv fr die Trennungsphase erkannt werden muss. Doch gehen wir noch einen Schritt weiter zurck, bevor sich also Augustin in den Garten zurckzieht und die Bekehrung unmittelbar bevorsteht. Welches sind die balgenden Hlften, von denen hier die Rede ist? Die eine ist bereits identifiziert, da sie Ziel der Bekehrung ist und von Augustin selber benannt werden kann als „Bund mit Gott“. Die andere Hlfte hingegen ist sein vorheriges Leben, das nicht im Einklang mit einem streng christlichen Leben steht. So fhrt Augustin selber in den der Bekehrung vorangehenden Bchern Merkmale dieses Lebens an, denen er zwar noch anhngt, die er aber zu berwinden versucht. Dieser Versuch steht abermals fr den Kampf, der in der Bekehrung gipfelt. Insbesondere seine Beziehung zu seiner Konkubine Floria, mit der er einen Sohn hatte und in ehehnlicher Gemeinschaft lebte, bewertete er als verwerflich. Diese Einstellung wurde neben seiner eigenen Entwicklung maßgeblich durch die Einflußnahme seiner Mutter Monica gefçrdert. So bezeichnet sich Augustin im VI Buch als „Sklave der Lust“55. Diese Formulierung hat umfangreiche Debatten in der Augustinusforschung angestoßen, welche unter der Frage zusammengefasst werden kçnnen, ob Augustin ein Hedonist war, oder ob die uneheliche Beziehung zu Floria, die jedoch seinem Vernehmen nach eine der beiderseitigen Hochschtzung war, als im moralischen Sinne verwerflich erachtet werden muss. Auch Alypius, der als Zeuge der Bekehrung im Garten zugegen ist, kommt im VI. Buch bereits vor und nimmt Stellung zu der Beziehung. Augustin berichtet, dass Alypius ihm von der Heirat mit Floria abgeraten habe, weil somit ein gemeinsames Leben „in der Liebe zur Weisheit“ unmçglich „in unge54 „non semisauciam hac atque hac versare et iactare voluntatem parte adsurgente cum alia parte cadente luctantem“ (conf. 8,19). 55 „libidinis servus eram“ (conf. VI 15,25).
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stçrter Muße gemeinsam“ sei (conf. VI 12,21). Selbst in Buch VIII schildert Augustin seinen Zustand und fhrt als letztes Hindernis des Gottesbekenntnisses seine Beziehung an: „Nur dem Weibe war ich mit zher Fessel noch verbunden“56 (conf. VIII 1,2). Allerdings wird aus dieser Textstelle nicht klar, ob mit dem Ausspruch Floria angesprochen ist, oder ob „dem Weibe“ hier grammatikalisch als anonyme Bestimmtheit zu verstehen ist, was die Hedonismusthese erhrten wrde. Eine endgltige Klrung wird vermutlich nicht zu erreichen sein. Augustin zu unterstellen, dass seine Motive rein weltlicher Natur gewesen seien, wre ein gravierender Fehler. Augustin argumentiert stets auf verschiedenen Ebenen und so soll im Folgenden die des philosophischen Diskurses vorgestellt werden. Sein Kampf und sein Ringen dringt beispielsweise in einem deutlich von neoplatonischen Gedanken getragen Ausspruch an die Oberflche. So schreibt er bereits im II. Buch ganz zu Beginn: „ich sammelte mich zu Einheit aus der Zerfahrenheit, in der ich Stck um Stck zerfiel, da ich, abgekehrt von dem Einen, von Dir, mich vernichtete an das Viele“57 (conf. II 1,1). Bemerkenswert ist hier die nahezu synonyme Verwendung von „dem Einen“ und „von Dir“. Wohingegen „das Eine“ noch in den direkten Zusammenhang der plotinischen Philosophie des hen gehçrt, ist die dialogische Anrede Gottes als „Dir“ ein typisches Stilmittel des Neuen Testaments. Plotin unterteilt den Kosmos in die vier Bereiche das Eine, den Geist, die Seele und die Materie. Der Emanationstheorie zufolge entsteht alle Vielheit aus dem Einen. Die Bereiche sind die Stufen des Emanationsprozesses (Fitzgerald 1999: 654). Wendet sich Augustin nun an „das Eine“, das als die hçchste Stufe und als Reprsentation des Guten fr Plotin gilt, so kommen in der hier angefhrten Formulierung Neoplatonismus und christlicher Glaube in der einheitlichen Verwendung der Begriffe des Einen und Gottes zusammen. Da Augustin aber noch nicht bei dem Einen, dem Guten, bei Gott angekommen ist, kmpft er mit den Einzelteilen, in die er Stck um Stck weiter zerfallen ist und sich laut eigener Bekundung „an das Viele vernichtete“. Dies ist nach neoplatonischer Auffassung die Materie oder die materielle Welt. Und auch hier erweist sich Augustin in den Confessiones als Kenner der philosophischen Hintergrnde, wenn er beispielsweise im V. Buch ber sich selber schreibt: [Ich,] „der sich alles als Materie vorstellte und darin bis zum 56 „sed adhuc tenaciter conligabar ex femina“ (conf. VIII 1,2). 57 „et colligens me a dispersione, in qua frustatim discissus sum, dum ab uno te aversus in multa evanui“ (conf. II 1,1).
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Ersticken befangen war“.58 In der Begrifflichkeit neoplatonischer Philosophie befand sich Augustin zu jenem Zeitpunkt folglich auf einer im Sinne der Emanationslehre niederen Stufe und damit weit entfernt von dem anzustrebenden „Einen“. Gleichzeitig aber drckt er mit der Bewusstwerdung dieses Zustandes aus, den Weg zum „Einen“ und damit zum christlichen Gott anzutreten. Diese synthetisierende Denkungsart drckt sich in der von Augustin begrndeten Stufenlehre aus, die er ebenfalls in den Confessiones formuliert hat. Zusammen mit der Augustin zugesprochenen „Entdeckung des reflexiven Selbst“ durch die Figur des Zweifels, ergibt sich somit ein Denken oder eine Philosophie des „Unterwegssein-zum-Wissen“ (Schçpf 1979: 48), oder des Denkens, das als Peregrinatio59 (Pilgerschaft) zum Ausdruck kommt. In den Confessiones wird ein Bild Augustins sichtbar, das trotz des Vorwurfs der Naivitt60 in der schriftlichen Darstellung ein komplexes, differenziertes Werk erkennen lsst, das seinen Autor und den darin beschriebenen Augustin61 als Kenner der geistigen Strçmungen seiner Zeit und als Kommunikator ihrer gegenseitigen Bezge sichtbar macht. Dieser Umstand ist eine wichtige Voraussetzung fr den Aspekt der Trennung in Bezug auf die bevorstehende Bekehrung, die als Finden zu Gott und damit als Annherung oder gar Einheit mit dem neoplatonischen „Einen“ zu verstehen ist. Nach O’Donnell stellen die vorangehenden Erlebnisse und insbesondere die Bekehrung aus den Confessiones einen Akt der 58 „Sed me maxime captum et offocattim quodam, modo deprimebant corporalia“ (conf. V 11,21). 59 So beispielsweise zu finden bei O’Connell (1969: 52), bei Feichtinger, der zum Motiv der Peregrinatio von der „Unbehaustheit des Menschen in dieser Welt“ (2002: 84) spricht oder bei Forman, der den Begriff der Peregrinatio mit der permanenten Entwicklung Augustins in dem Begriff des „evolving ego“ zusammenfasst (Forman 1995: 3). 60 Der Vorwurf der Naivitt ist beispielsweise bei Forman (1995: 86) zu finden. 61 Diese Doppelung von Schreibendem und Beschriebenem erklrt sich dadurch, dass die Confessiones als eine der ersten Biographien verstanden werden. Zur „Identittsparadoxie der Autobiographie“ in den Confessiones siehe Saeverin (2005). Daraus: „Bei der Autobiographie geht es um die zeitontologisch paradoxale Verarbeitung von Erinnerungen aus der Zeit, ber die Zeit der Verschriftlichung hinweg (die eine Schwelle markiert), hin zu der Konservierung der in Sprache geronnenen Erinnerungen andauernd in der Zeit. In diesem Bndelungsprozess kommt es zu besagter Identitts-Paradoxie von Schreibendem und Beschriebenem, nach der das Bild, das andere von dem Schreiber ber sich als Beschriebenem haben, durch dessen Fixierung seiner a) subjektiven Erinnerungen durch die b) subjektive Darstellung dieser Erinnerungen mitgeprgt wird“ (Saeverin 2005: 19).
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Reintegration von Teilen dar, die Augustin in seinem Leben und Denken abhanden gekommen waren. Und diese Reintegration ist es, die das Werk und damit den Einfluss Augustins in seinem spteren Werk begrnden (O’Donnell 1992a: xlvii). Damit wird die Bedeutung der Bekehrung in einen Zusammenhang gestellt, der weit ber die persçnliche Bedeutung fr Augustin hinausgeht. Und entsprechend der hier vertretenen These, dass es einen Zusammenhang zwischen der mikroskopischen Ebene der Bekehrung und der makroskopischen Ebene der Epochenschwelle gibt, wird somit Augustins Zeit vor der Bekehrung zu einem konstitutiven Teil des spteren Werks, das maßgeblich das Mittelalter und dabei insbesondere die christliche Kirche geprgt hat. „So sind’s die Kirchenwnde, die den Christen machen?“ Fr die Charakterisierung der Trennungsphase ist die literarische Annherung an die Gartenszene im VIII. Buch von besonderer Bedeutung. In den ersten Abschnitten, also unmittelbar vor der Gartenszene, berichtet Augustin von seinem Treffen mit Victorinus, dem Enneadenbersetzer und Konvertiten, und seinem Treffen mit Simplicianus, dem Nachfolger des Ambrosius, der ihm in Mailand den christlichen Neoplatonismus nahe gebracht hatte. Diese beiden Figuren stehen fr die streng christliche Variante des Neoplatonismus, die Augustin behilflich ist, den Schritt von der Philosophie zum christlichen Gott zu vollziehen (vgl. Portalie 1960: 13). Augustin berichtet also im zweiten Abschnitt des VIII. Buches, wie er zu Simplicianus ging, und ihm „die Umwege, die mein Irrwandel mich gefhrt hatte“62 (conf. VIII 2,3) berichtete. Als ich dabei erwhnte, ich htte einige Bcher der Platoniker gelesen, die vormals Victorinus, ein Rhetor der Stadt Rom, der, wie ich vernommen, als Christ gestorben war, ins Lateinische bersetzt hatte, wnschte er mir Glck, dass ich nicht auf andere Philosophen verfallen war (conf. VIII 2,3).
Victorinus, der eine Schlsselrolle in der Trennungsphase spielt, kommt hier die Funktion eines Vorbildes zu. Er ist ein Philosoph und Rhetor, ganz wie Augustin, der bestens mit den Schriften Plotins vertraut ist, da er diese ins Lateinische bersetzt hat, und der zum Christentum bergetreten ist. Als Gewhrsmann fungiert hier Simplicianus, mit welchem Victorinus ein entscheidendes Gesprch darber gefhrt hat, was einen Christen ausmache, und welches Augustin in den Confessiones wiedergibt. 62 „Narravi ei circuitus erroris mei“ (conf. VIII 2,3).
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Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Frage, ob ein Christ Christ qua Gesinnung ist, oder ob die Institution der christlichen Kirche eine notwendige Voraussetzung fr das Christsein ist. Hier ist es entscheidend, sich vor Augen zu fhren, dass der Text 13 Jahre nach dem Erlebnis verfasst wurde und Augustin zu dem Zeitpunkt der Texterstellung bereits lngst Christ mit kirchlichem Amt in Nordafrika war. [Victorinus sagt zu Simplicianus] Du magst es wissen: ,Ich bin schon Christ.‘ Worauf ihm der zur Antwort gab: ,Ich mçchte das nicht glauben und Dich als Christen unter Christen zhlen, eh ich Dich in der Kirche Christi gesehen habe.‘ Er lchelte nur und sagte: ,So sind’s die Kirchenwnde, die den Christen machen?‘63 (conf. VIII 2,4).
Aus der Perspektive des die Confessiones schreibenden Augustin, der zu jenem Zeitpunkt bereits ca. drei Jahre Bischof von Hippo war, ist die Institution Kirche von herausragender Bedeutung, wohingegen fr den Augustin, der 386 in Mailand war – so muss angenommen werden – die Frage nach der Gesinnung und den Inhalten die entscheidende war. Nachdem Victorinus Simplicianus folgend die Philosophen als „hochfhrige Dmonen“64 erkannt hat, „sagte er [Victorinus] zu Simpicianus, wie dieser selbst berichtete [dem Augustin]: ,Gehen wir zur Kirche, ich will Christ werden‘65“ (conf. VIII 2,4). Textlich liegt hier eine doppeltes Verstndnis von „Christsein“ vor: Christ per Gesinnung vor der Taufe und Christ per Kirchenzugehçrigkeit. Diese beiden Interpretationsweisen als Unschrfe der Verwendung des Begriffs „Christ“, wie Augustin ihn selber einfhrt, nutzt er, um seine eigene Bekehrung literarisch einzuleiten und somit seine Trennung von der inneren Haltung des Wollens zum Sein einzuleiten. In diesem Zusammenhang entwickelt Augustin in den Confessiones seine Theorie des Willens, die jedoch im folgenden Kapitel zur „Schwellenphase“ vorgestellt wird. Bevor Augustin zum „Wollen wollen“ kommt, befindet er sich in dem hier zu thematisierenden Kampf zwischen den widerstrebenden Ansinnen: Liest man den Anfang vom VIII. Buch, so wird dort eine Transaktionsmetapher verwendet, die auf die Bekehrung als Kaufakt hinweist: „Und so hatte ich ja schon die echte Perle gefunden, und sie stand zu kaufen gegen Hingabe all des Meinigen, und ich schwankte noch“ (conf. VIII 1,1). 63 „Ergo parietes faciunt christianos?“ (conf. VIII 2,4). 64 „superborum daemonorum“ (conf. VIII 2,4). 65 „Eamus in ecclesiam: christianus volo fieri“ (conf. VIII 2,4).
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Neoplatonismus als „hermeneutischer Schlssel“ Der Tausch, der hier behandelt wird, ist nicht in einem materiellen Sinne zu verstehen, sondern als Wechsel der eigenen Identitt. Die „echte Perle“ ist die neue Identitt, die sich zu dem (neoplatonischen) Einen und zu dem (christlichen) Gott bekennt. Die alte Identitt ist der bisherige Augustin mitsamt all seiner Erfahrung, Erinnerung und Gesinnung. Diesen bisherigen Augustin galt es aufzugeben, da die neue Identitt nur durch „gegen Hingabe all des Meinigen“ zu erreichen sei. Augustin bestimmt sich in diesem Satz als unentschlossen, als ringend mit sich selbst, was den eigentlichen Kampf ausmacht. Er „schwankt“ noch, er zweifelt, was im lateinischen Original mit „et dubitabam“ ausgedrckt wird. Diese Formulierung ist insbesondere von philosophischem Interesse, da der Zweifel als eine Methode philosophischen Denkens hier als Obstruktion das Anliegen Augustins behindert. Erklrbar wird dies aus der im Kapitel „Augustin auf der Schwelle zwischen Theologie und Philosophie“ (Kap. 4.3) ausgefhrten These des „Augustinismus“, wonach Wissen und Glauben in der Paradoxie „intellige ut credas, crede ut intelligas“ (Sermo 43, 7) zusammengefhrt werden. Nur ist der Augustin der Trennungsphase noch dem Denken des Zweifels verhaftet, was sein Ringen und Schwanken erklrt. Augustin will glauben, kann es aber nicht, obwohl er weiß, dass er sein (akademisches) Wissen berwinden muss, um zum Glauben zu kommen. Diese Transformation gedanklich zu fassen hilft ihm der Neoplatonismus.66 Geerlings nennt den Neoplatonismus einen „hermeneutischen Schlssel“, „den Augustin fr die gesamte Theologie bis ins hohe Alter immer wieder gebraucht“ (Geerlings 2002b: 150). Anzumerken ist hier, dass allein die christliche Version des Neoplatonismus gemeint ist, die die Philosophie in den Dienst des Christentums gestellt hat. Metaphern der Trennung Der Kampf der Trennungsphase ist ein langwieriger und Augustin verwendet literarisches und rhetorisches Geschick, die Transformation der 66 Zur Besonderheit des Neoplatonismus in Zeiten des Umbruchs bei Augustin und Petrarca vgl. Hennigfeld/Saeverin (2005). Dort heißt es zum Neoplatonismus: „Der Neoplatonismus, wenn man ihn auf die besondere Qualitt des Einen (Hen) hin betrachtet, gewhrleistet diese bersetzungsleistung, indem die widersprchlichen und inkommensurablen Zeitrume im bergang, der ein einziger Prozess ist, zusammenlaufen“ (Hennigfeld/Saeverin 2005: 308).
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Bekehrung als hçchst dramatisch darzustellen. Dazu dienen ihm sprachliche Bilder, wie eben das des Kaufs oder des Kampfes, den er als inneren beschreibt, wozu er eine Kriegsallegorie des Kampfes verwendet: „Denn am meisten wird der Feind in dem geschlagen, an dem er am meisten festhlt, und durch den er die meisten bei sich festhlt“ (conf. VIII 4,9). Bemerkenswert ist hierbei die Einfhrung des Feindes in der Dramaturgie der Bekehrung. Bezogen auf die Bekehrung ist der Feind der „alte“ Augustin, der seine „alte“ Identitt aufgeben mçchte, dies aber noch nicht kann. Der Feind steht hier – transformationstheoretisch formuliert – fr die Pfadabhngigkeit „all des Meinigen“, von dem er sich trennen mçchte. Der Begriff „Pfadabhngigkeit“ (vgl. Kap. 2.2.2.2) veranschaulicht die Bindungskraft und damit Unfreiheit, die aus der erlebten Vergangenheit fr die Gegenwart erwchst. Ein „Sieg“ im Kampf wre die Befreiung von der Pfadabhngigkeit. In Augustins Fall sind die Pfadabhngigkeiten der Vergangenheit Schwchen aus der Sicht des bekehrten und christlichen Augustins. Doch Augustin benennt nicht nur die „Schwche“, sondern auch die „Strke“, die von Gott bestimmt wird und ebenfalls im Sinne der Stufentheorie vom Vielen zum Einen zu sehen ist: „Was in den Augen der Welt schwach ist, hast Du erwhlt, um das Starke zu beschmen“ (conf. VIII 4,9). Die „Beschmung“ ist in diesem Zusammenhang der literarischen Vorbereitung des Bekehrungserlebnisses das sich Bekennen zu Gott, also die Aufgabe einer selbstbezogenen Perspektive zugunsten einer Perspektive Gottes, des totaliter aliter. O’Connell spricht im Zusammenhang der Bekehrung von einem „aversion-conversion“ Modell. Gegenstand des Modells ist seine Zirkularitt, wonach die Ankunft stets am Ausgangspunkt sein wird (O’Connell 1996: 251). Besieht man in diesem Zusammenhang den Einfluss Augustins christlicher Mutter Monika, so ist die Zirkularitt erfllt. Denn Buch VIII endet mit der Bekehrung, und die erste Handlung, die Augustin nach der Bekehrung vollzieht, ist, seiner Mutter davon zu berichten, die sich auch in der Mailnder Herberge aufhielt (conf. VIII 12,30). Noch ist der Feind, also die Pfadabhngigkeit der nicht-christlichen Vergangenheit, nicht bezwungen und Augustin selber liefert eine weitere Allegorie zur Veranschaulichung seines Zustandes, die schon die sptere Theorie des Willens einleitet: „Mein Wollen hielt der Feind in seiner Hand, er hatte mir’s zur Kette gemacht und mich ganz gebunden“ (conf. VIII 5,10). Die Versinnbildlichung des Feindes wird von Augustin noch weiter getrieben, wenn er sein Wollen, welches nicht sein Wille zur neuen Identitt, sondern sein Verlangen am Festhalten der alten Identitt ist, als
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„Kette“ beschreibt. Die „Kette“ ist im Untersuchungsvokabular die metaphorisch manifest gewordene Abhngigkeit von seiner Vergangenheit. Augustin arbeitet das Bild noch weiter aus, wenn er schreibt: „Durch diese gleichsam ineinander gefgten Ringe – deshalb sprach ich von Kette – hielt mich eine harte Knechtschaft fest“ (conf. VIII 5,10). Deutlich wird an diesen Formulierungen insbesondere Augustins Zerrissenheit. Denn die Knechtschaft, die dem allgemeinen Verstndnis nach von außen ber jemanden ausgesprochen oder durchgesetzt wird, ist seine eigene Geschichte und Identitt. Diese – pathologisierend formuliert – Schizophrenie als Ausdruck der Vielheit, die Augustin an sich bemngelt, kann nur durch das Bekehrungserlebnis aufgelçst werden. Augustin konstruiert seinen Zustand als Innen-Außen-Verhltnis von Feindschaft und Knechtschaft, das nur durch die eigene Entwicklung im Gipfel der Bekehrung beendet werden kann. Blickt man von hier aus zurck zu Buch VII, das in der deutschen bersetzung die berschrift „Reinigung des Verstandes auf dem Weg zum Glauben“ trgt, so wird die Bekehrung von langer Hand im Sinne der Emanationstheorie vorbereitet. Augustin selber beschreibt seinen Weg ganz im Vokabular der Neoplatonisten mit manichischen Anleihen wie folgt: So stieg ich denn Stufe um Stufe empor, von der Kçrperwelt zu der durch den Kçrper empfindenden Seele, weiter zu ihrem inneren Vermçgen, dem das leibliche Gesinn ber die Außendinge Meldung macht, und welches auch noch dem tierlichen Erkennen als seine obere Grenze eignet, und ich gelangte abermals weiter zu der berlegenden Kraft der Vernunft, bei der das Urteil ber der sinnlichen Wahrnehmungen liegt (conf. VII 17,23).
Doch ist hier klar zu bestimmen, dass der Aufstieg zu jenem Zeitpunkt noch rein neoplatonisch verstanden wird und im VII. Buch zur Vernunft, „bei der das Urteil ber die sinnlichen Wahrnehmungen liegt“, fhrt, und nicht zu Gott, bei dem das Wissen als Konsequenz des Glaubens liegt, wie spter von Augustin ausgefhrt wird. Denn im Bild der Stufen kommt nach der Vernunft die Schau, wie Augustin weiter im VII. Buch ausfhrt: …und so gelangte meine vernnftige Kraft zuletzt bis an das, was ist, gelangte dorthin in dem blitzenden Moment eines zitternden Erblickens. Ja, da schaute ich ,Dein Unschaubares im Mittel der Schçpfungsdinge erkenntnisweise‘, – aber daran mich festzuschauen, das vermochte ich nicht (conf. VII 17,23).
Das hier bekundete Unvermçgen Augustins, das Unschaubare zu schauen, wie er es spter durch seine paradoxalen Lehren zu denken in
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der Lage ist, weist ihm jedoch die Richtung weg von der philosophischen Vernunft und hin zu dem christlichen Gott, der ihm ermçglichte, das zu wissen, was das Wissen allein ohne Glauben nicht leisten kann. Als abschließende Besonderheit der Trennungsphase soll noch hervorgehoben werden, dass Augustin wie wenige andere vor oder nach ihm die eigene Erfahrung zum Gegenstand seines Denkens gemacht hat. O’Meara weist darauf hin, dass Augustins Lehren in unverstellter Abhngigkeit von seinen Erfahrungen entstanden sind, und dass insbesondere seine frhen Erlebnisse, zu denen die Bekehrung ohne Zweifel zhlt, seine gesamte Lehre maßgeblich beeinflusst haben (O’Meara 1997: 16). Mit dem spteren Existenzphilosophen Karl Jaspers gesprochen, befindet sich Augustin whrend der Trennungsphase der Bekehrung in einer von Jaspers idealtypisch klassifizierten Grenzsituation: dem Kampf.67 Diesen Kampf seiner zwei Willen (der auch bei Kierkegaard in „Entweder-Oder“ tragendes Motiv ist) beschreibt Augustin in aller Klarheit im fnften Abschnitt des VIII. Buches: So kmpften zwei Willen miteinander, beide die meinigen, der eine alt, der andere neu, vom Fleische der eine, vom Geiste der andre, und ihre Zwietracht zerriss mir die Seele (conf. VIII 5,10).
Der Kampf mit sich selber, das Angekettetsein an die Vergangenheit, und die Disziplin, Stufe fr Stufe seinem geistigen Ideal des „Einen“ nher zu kommen, sind Ausdrcke der Trennung, des sich Befreiens von der Pfadabhngigkeit. Der notwendige Schritt, um dieses Ziel zu erreichen, ist der Moment der Bekehrung, der transformationstheoretisch als „instabiles Gleichgewicht“ (Aoki 2001: 139) oder als Sattelpunkt verstanden werden kann, in dem der Widerstreit kulminiert, und der die Wende herbeifhrt. 4.2.3.2 Schwellenphase Mit der Metabole- oder auch Big Bang-Perspektive auf die Bekehrung spielt die eigentliche Bekehrungsszene im Mailnder Garten die entscheidende Rolle der Untersuchung. So gesehen ist dieses Kapitel zur Schwellenphase der Bekehrung der ausschlaggebende Einschnitt im Leben Augustins, versteht man die Bekehrung – wie in den Confessiones dargebracht – als literarische Konstruktion einer Transformation dieses 67 So Jaspers in dem 1919 erschienen Werk „Psychologie der Weltanschauungen“, in welchem in Kapitel 3 „Das Leben des Geistes“ die vier Grenzsituationen Tod, Kampf, Zufall und Schuld benennt.
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Lebens. Der Begriff „Schwellenphase“, wie er den Arbeiten van Genneps und Turners entnommen ist, geht von einer Ausdehnung des bergangs aus. Diese Ausdehnung ist als eine deskriptive Kategorie zu verstehen. Die Paradoxie der beiden Zeitontologien, wonach Zeit als Kontinuum und Zeit als Zeitpunkt voneinander zu trennen sind, soll hier nicht weiter thematisiert werden. Sie wird durch das Untersuchungsdesign differenziert aufgelçst. Die Paradoxie leistet vielmehr die Erkenntnis, dass eine punktuelle Betrachtung des Bekehrungsmomentes nicht vollstndig isoliert werden kann, wie es die Methodik eines Metabole- oder Big BangAnsatzes erwarten lassen wrde. Um diesen Moment ,auf der Schwelle‘, der kontextabhngig ist, zu konstruieren, ist es notwendig, das Umfeld dessen, was „auf der Schwelle“ ist, zu bercksichtigen. Dabei spielt die „Relevanz der rumlichen Lage“ (Saeverin 2002) eine entscheidende Rolle.68 Wie stellt sich der Fall konkret am Beispiel Augustins dar? Wie lsst sich dieses Momentum in seinem einerseits historisch-biographischen und andererseits literarischen Kontext in eine feststehende Beobachtung einbetten? John Quinn hat eine Formulierung gefunden, die das Charakteristikum des Wendepunktes der augustinischen Bekehrung sehr treffend erfasst: „Finally, the voice of a child chanting ,Take and read‘ suddenly triggers his moral conversion“ (Quinn 2002: 424). Dieser Satz lohnt, im Detail untersucht zu werden. So ist zu Beginn durch das „finally“ ausgedrckt, dass „schließlich“ oder „endlich“ etwas passiert, was dem Vorhergehenden, also dem Widerstreit zweier Willen, ein Ende setzt. Durch das „suddenly“ wird eine Vernderung und Vergegenwrtigung herbeigefhrt, die sich auf die Prsenz des mit einer Kinderstimme gesprochenen „Nimm und lies“ (tolle lege) bezieht. Dieser Satz ist es bekanntermaßen, der die Bekehrung auslçst, und der das Bekehrungserlebnis darstellt. Und dieses „Auslçsen“ ist es, was bei Quinn sprachlich przise in dem Wort „triggers“ zum Ausdruck kommt. Geht es also um die „Schwellenphase“ der Bekehrung, so ist mit dem tolle lege der Sattelpunkt des Wandels erreicht. Der Kipppunkt des Kippbildes gewissermaßen, wie er in der makroskopischen Darstellung der Epochenschwelle seine mikroskopische Entsprechung in der Bekehrung Augustins findet. 68 Vergleiche hierzu die Erweiterung des Begriffs „Epochenschwelle“ in Kap. 3.2, sowie die Untersuchung „Zum Begriff der Schwelle“ (Saeverin 2002), worin die „zwei Ebenen des bergangs“ als konstitutiv fr den Begriff herausgearbeitet wurden
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Charakteristisch fr eine Bekehrung ist dabei der Umstand, dass der „Auslçser“ nicht eindeutig aus der irdischen und nicht eindeutig aus der berirdisch-metaphysischen Sphre der Wahrnehmung stammt. Augustins Bericht ist nicht mit Gewissheit zu entnehmen, ob die Stimme diejenige eines (irdischen) Kindes ist, die der Wind zufllig in jenem Moment herbei trgt, oder ob die Kinderstimme die Stimme Gottes ist. Gleichwohl nimmt Augustin letzteres an, womit die erste Option nicht berhrt wird, da der Umstand, dass die Kinderstimme in genau jenem Moment mit genau jenem Inhalt ihn erreicht als Ausdruck der gçttlichen Stimme hinreicht. Ein Gottesbeweis ist dies freilich nicht. Die Schwelle des Erwachens Im Folgenden soll die Bekehrung anhand der Beschreibung in den Confessiones rekonstruiert werden. Einmal mehr wird dabei insbesondere auf die sprachlichen Bilder, Metaphern und Allegorien zu achten sein, mit denen Augustin seine Bekehrung beschreibt, und fr die er weit ber die Grenzen der Philosophie hinaus bekannt ist. Fr die Bekehrungsszene whlt Augustin das Bild des Halbschlafes: Also war ich von der Schwere der Welt, wie es gewçhnlich ist beim Schlafe, sß beladen, und die Gedanken, mit denen zu Dir ich sann, glichen den Bemhungen der zum Vollerwachen Gewillten, die gleichwohl, von der Tiefe der Schlfrigkeit bermannt, wieder doch sich sinken lassen69 (conf. VIII 5,12).
Das Bild, das Augustin hier verwendet, suggeriert eine Gleichzeitigkeit des noch Schlafens und des schon Wachens.70 Die „Gedanken“ sind es, die in die Sphre des Wachens gehçren, wohingegen der Zustand „von der Tiefe der Schlfrigkeit bermannt“ keine Einflussnahme erlaubt. Das Bild erlaubt die Interpretation, dass das nach Gott Streben dem Erwachen gleichkommt. Der Moment des Erwachens stellt demnach die Bekehrung dar. Doch der Allegorie folgend, ist Augustin in conf. VIII 5,12 noch im Halbschlaf und mçchte erwachen, wird aber noch von der Schlfrigkeit gehalten. Augustin hlt dieses Bild weiter aufrecht. Er beschreibt sich als „wach“, da ihm klar ist, dass er bei Gott sein mçchte, schiebt aber sein 69 „…qui tamen superati soporis altitudine remerguntur.“ 70 So sieht dies auch O’Connell, wenn er dieses spezielle Stadium beschreibt: „this kind of sleep ,is not wholly pleasing‘; when half of us wants to doze on, our better half keeps nagging us to ,Get with it/You know you want to be up and doing‘“(O’Connell 1996: 235).
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Phlegma vor, wenn er um Aufschub bittet, wie ein Kind, das die Mutter, die es weckt, schlaftrunken um Schlaf bittet: Und da Du mir von allerwrts vor Augen hieltest, dass Du Wahres sprichst, so gab es berhaupt nichts, was ich, von der Wahrheit berfhrt, htte antworten sollen, als nur die Worte, die sumigen, trumigen: ,Gleich‘, ,Ach ja gleich‘, ,Nur ein klein wenig lass mich noch‘ (conf. VIII 5,12).
Die Ankndigung des „Gleich, ach ja gleich“ wird eingeleitet durch den attributiven Verweis auf die Sphre des Schlafes. Die Beschaffenheit dieses Sprachbildes ist die der literarischen Konstruktion und der Dramatisierung. So fhrt Augustin fort und wechselt dabei wieder in das hauptschlich verwendete Bild des Ringens und Streitens: Aber auf das ,gleich, gleich‘ geschah doch nichts dergleichen, und das ,lass mich nur ein wenig noch‘ zog sich in die Lnge. Umsonst war, dass ich ,nach dem inneren Menschen Freude hatte an Deinem Gesetz‘, da ,ein anderes Gesetz in meinen Gliedern im Streite lag mit dem Gesetze meines Geistes und mich zum Gefangenen unter dem Gesetz der Snde machte, das in meinen Gliedern war‘ (conf. VIII 5,12).
Die in der „Trennungsphase“ angesprochene Pfadabhngigkeit des vorherigen Lebens kann hier als Hemmnis des Vollzugs angesehen werden.71 O’Connell charakterisiert die Verwendung des Bildes vom Schlaf als Beginn der „klimaktischen Phase seines Kampfes“. Doch der „Kampf“ beginnt noch nicht, da sich Augustin durch den Schlaf in einer „pleasurable lethargy“ (O’Connell 1996: 234) befindet. Der Ausweg aus dieser Situation heraus wird philosophisch mit der Aporie des Anfangs beschrieben: O’Connell spricht fr diese Situation, in der sich Augustin befindet, von dem „Paradox des Jetzt“. Demnach ist Augustin whrend der Verwendung der Schlafmetapher in einem Zustand des Wartens und der Hemmung. Ein kleiner Schritt und die Einheit von Wollen und Tun Augustin wechselt das sprachliche Bild hin zur eigenen Einflussnahme: nach dem Bild des Schlafens und Aufwachens whlt er die Metapher des Schrittes, der getan werden muss. Ist es im Schlaf praktisch unmçglich, durch eigene Kraft aufzuwachen, so ist es in der Beschreibung eines Schrittes im Ermessen des Gehenden, den Schritt auszufhren. Augustin 71 So schriebt Augustin bereits frher im VIII. Buch: „Ich war freilich in beiden, aber ich war ich mehr in dem, was ich in mir billigte, als in dem, was ich in mir missbilligte“ (conf. VIII 5,11).
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verdichtet also sein Ansinnen, um von dort zu seiner prominenten Theorie des Willens zu gelangen. … dass ich den Schritt nach Deinem Gefallen und zum Bunde mit Dir, mein Gott, nicht vermochte, den Schritt, den doch ,all mein Gebein‘ so laut verlangte und preisend als den Himmel verhieß. […]. Denn dorthin zu gehen, ja dorthin zu gelangen, brauchte es nichts als gehen zu wollen, aber wollen stark und ganz, nicht den halbwunden Willen wendisch hierhin und dorthin werfen und in balgenden Hlften Stand und Sturz erfahren72 (conf. VIII 8,19).
Die Bekundung „gehen zu wollen“ leitet die Allegorien der Annherung mit einem Bild, das eine hçhere Eigenaktivitt und Initiative ausdrckt, auf das Bekehrungsmoment zu, bleibt aber dennoch weiterhin der oben skizzierten Aporie des Anfangs verhaftet. Das „wendische hierhin und dorthin [W]erfen“ und die „balgenden Hlften“ drcken den Konflikt zwischen der Aporie und dem Vollzug durch einen bewussten Schritt aus. Als Brcke gewissermaßen fungiert hier Augustins Wille, der aber nicht hinreicht, den Schritt zu vollziehen. Im folgenden Abschnitt reflektiert Augustin ber den Willen als Mçglichkeit, diesen Schritt, diesen kleinen Schritt zu vollziehen und liefert damit eine der berhmtesten Definitionen zum Verhltnis von „Wollen, Kçnnen und Tun“. So tat ich vieles, wo Wollen nicht dasselbe war wie Kçnnen: das aber tat ich nicht, was mir unvergleichlich mehr am Herzen lag, und was ich, so bald als ich nur wollte, auch gekonnt htte, weil ich es so bald, als ich es gewollt, eben gewollt htte; denn hier war eins der Wille und die Macht, das Wollen selbst schon Tun (conf. VIII 8,20).
Der Halbschlaf auf der Schwelle des Erwachens, der kleine Schritt, und schließlich die treffliche Beschreibung des Willens sind Stufen der weiteren Annherung, die aber – mit einem mathematischen Bild gesprochen – eine asymptotische Annherung darstellen. Der Dreischritt, den Augustin hier beschreibt, ist der vom Wollen zum Kçnnen zum Tun. Augustin will den Schritt hin zum Bekenntnis zu Gott vollziehen. Doch will er es nicht vollstndig, da er gleichzeitig noch etwas anderes will, was er jedoch eigentlich nicht will. Eine begriffliche Verwirrung, wie sie hufig bei Augustin vorkommt, da er Begriffe mehrdeutig und zum Teil widersprchlich verwendet. So liegt der Widerspruch des obigen Zitates in der Formulierung „weil ich es so bald, als ich es gewollt, eben gewollt 72 „Nam non solum ire verum etiam pervenire illuc nihil erat aliud quam velle ire, sed fortiter et integre, non semisauciam hac atque hac versare et iactare voluntatem parte adsurgente cum alia parte cadente luctantem.“
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htte“. Hier liegt eine Doppelung des Willensbegriffes vor. Das erste „Wollen“ ist ein Wollen auf etwas hin und damit eine Potenz. Das zweite hingegen, und dies ist die rhetorische Unterstellung, die Augustin hier vornimmt, geht von der unbedingten Kraft des Willens aus, wonach Potenz und Akt zusammenfallen. In Augustins Worten: „et ipsum velle iam facere erat.“ Doch so intelligent diese Differenzierung Augustins ist, sie bringt Augustin nicht an sein Ziel, diesen einen kleinen Schritt zu vollziehen, das Bekenntnis auszusprechen und sich zu Gott zu bekehren. Die Einheit von Wollen und Tun, wie sie sich philosophisch luzide dem Text entnehmen lsst, fhrt Augustin nicht zum Ziel. Diese Erkenntnis muss im Licht der literarischen Verfasstheit verstanden werden, denn der Augustin, der diese philosophische Sicht des Willens verfasst ist ein wohlbestallter Bischof, der zwar das Vermçgen der Philosophie kennt, dieses aber in den Confessiones nicht als Vermçgen hin zur Bekehrung verstehen kann, da der Weg zu Gott nur durch Gott und in spterem Verstndnis nur zurck zu Gott gesehen werden kann. Augustin scheitert also auch auf der Hçhe philosophischer Reflexion in seinem Anliegen, so dass er im folgenden Abschnitt des VIII. Buches resigniert feststellt: Befehl gibt der Geist, der Geist soll wollen; er ist ein und derselbe, und doch tut er’s nicht. Woher dies Unfassliche? (conf. VIII 9,21).
Es fllt auf, dass Augustin hier den „Geist“ als Dualittskonstrukt von Sollen und Wollen einfhrt, diese Dualitt aber sogleich wieder auflçst, indem er die Einheit der beiden proklamiert und daraufhin feststellt, dass der Geist versagt. Dieser Umstand ist ihm „unfasslich“ oder wie es im lateinischen Original heißt: „Unde hoc monstrum?“ Die oben postulierte Einheit von Wollen und Tun kann als aus der Vernunft heraus begrndete Kategorie also nicht berzeugen. Auch dies ist der christlichen Strategie der Confessiones sehr wohl zutrglich. Denn wenn auf den Hçhen der geistigen Reflexion nicht das Ziel erreicht werden kann, dann bleibt Augustin hier nur noch die Resignation und Verzweiflung, wie er sie auch ausfhrlich als Kampf der beiden Willen beschreibt und wie sie ihren Hçhepunkt in eben jenem Mailnder Garten unter Trnen finden. „In dieser Drangsal meiner Halbheit“ Bevor die erlçsende Stimme die Worte „tolle lege“ in Augustins Ohr unter dem Feigenbaum trgt, widmet sich Augustin weiter dem Aus-
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nahmezustand, in dem er sich zu jener Zeit befindet. Diesen Zustand, der schon als Kampf, als Erwachen, als Schritt beschrieben wurde, fasst er in einem deskriptiven Begriff zusammen. Augustin spricht von der „Drangsal meiner Halbheit“ (conf. VIII 8,20). Unter dem Aspekt der Schwellenphase der Bekehrung ist diese Beschreibung die wesentliche Angabe zur Erfassung des Schwellencharakteristikums. Nimmt man beispielsweise die Funktion von Schwellenbergngen, gleichzeitig zu trennen und zu verbinden, so ist es gerade diese Halbheit, die die Kontinuitt gewhrleistet. In dem bergang der Bekehrung stellt diese Halbheit und mehr noch, die Drangsal dieser seiner Halbheit, die Voraussetzung zum bekehrt werden und/oder zum eigenen Bekehren dar.73 Augustin fhrt zur nheren Beschreibung des „Unfasslichen“, also des Unvermçgens des Geistes, folgendes aus: Also nicht Unfassliches ist es, teils zu wollen, teils nicht zu wollen, sondern eine Schwche des inneren Menschen, weil er nicht ganz sich aufrichtet, zwar gehoben vom erkannten Wahren, aber mehr noch hinabgedrckt von der Last der Gewohnheit. Und deshalb sind zwei Willen da, weil der eine von ihnen nicht ganzer ,Wille‘ ist und das, was dem einen fehlt, der andere hat (conf. VIII 9,21).
Hier wird die „Last der Gewohnheit“ als Pfadabhngigkeit vorgestellt, die dem Streben des anderen Willens, also dem Streben zu dem „erkannten Wahren“ im Wege steht. Man kçnnte diese Willenskategorien zum weiteren Verstndnis auch auf ihren Zeitbezug voneinander abgrenzen. Der eine Wille ist der, der sich aus der Erfahrung und damit aus der Vergangenheit speist. Dieser wird durch das Prinzip der Pfadabhngigkeit charakterisiert. Der andere hingegen ist der Wille der unbedingten Gegenwart, der frei von der Vergangenheit sein Ziel definiert. Die beiden Willen stehen im Wettbewerb miteinander. Erst im weiteren Verlauf von Buch VIII. fhrt Augustin die beiden Willen wieder auf eine gemeinsame Form zurck, seine eigenen Identitt: Damals, als ich bei mir erwog, nun wolle ich meinem Herrn und Gott in den Dienst mich geben, wie es lange schon mein Vorsatz gewesen, da war ich
73 O’Connell stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Ort des „MiddlePlace“: Augustin ist noch weit von seinem Ziel entfernt und gelangt bei der Feststellung an, dass das Leben qualvoll sei und durch eine Sehnsucht nach jenem medius locus getrieben sei, wo der Schmerz, das Ungemach und das Leiden auf der Erde nicht mehr sind und man ganz bei Gott sei (O’Connell 1969: 132)
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es, der wollte, ich auch, der nicht wollte; ich, ich war es. Aber nicht vollauf wollte ich, nicht vollauf wollte ich nicht (conf. VIII 10,22).
Sollte man nun meinen, dass Augustin sich hier auf der Stelle bewegt und im Zustand dieser asymptotischen Annherung verharrt, so ist dies fr weite Strecken des VIII. Buches auch zutreffend. Dabei ist besonders zu erwhnen, dass Augustin diesen Zustand der Indifferenz sowohl vor als auch nach dem Bekehrungserlebnis wieder und wieder thematisiert. Dies ist insbesondere verwunderlich, da man meinen sollte, dass nach der Bekehrung die Probleme und Auseinandersetzungen, die zur Bekehrung fhrten, nicht mehr von weiterfhrendem Interesse sind. Beispielhaft soll hier Abschnitt 11 angefhrt werden, in welchem Augustin wie in Abschnitt 5 oder 6 von seinem Zaudern und Ringen berichtet: Ich sprach in meinem Innern: ,Ja gleich soll’s geschehen, gleich soll’s geschehen‘, und im Worte schritt ich schon zum Entschlusse. Hart schon war ich dran, es auch zu tun – und ich tat es nicht. Aber ich fiel auch nicht zurck ins Alte, sondern ich fasste Stand in nchster Nhe und schçpfte Atem74 (conf. VIII 11,25).
Nhert sich der Leser der Confessiones der Gartenszene an, so wird die abermalige Betonung des Unentschlossenseins in dieser Passage auf eine neue Ebene gehoben. Augustin ringt wohl noch um Ausgleich, doch hlt er nun inne, gewahr werdend, dass die Entscheidung, die wir Bekehrung nennen, unmittelbar bevorsteht. Hier ist aus Grnden der Zeitontologie darauf hinzuweisen, dass Augustin die Szene in einer intentionalen Retrospektive verfasst; statt aus Grnden der Unvorhersehbarkeit der Zukunft kann er nicht behaupten, in „nchster Nhe“ zu sein. Bemerkenswert ist hierbei das Innehalten als Merkmal des bergangs. „Das spitze Nun der Zeit“ Augustin arbeitet diesen seinen Zustand kurz vor dem Bekehrungserlebnis noch schrfer heraus. Er beschreibt das Herannahen der Kehre wie folgt: Mehr vermochte ber mich das altgewohnte Schlechtere als das ungewohnte Bessere, und je nher es herankam, das spitze Nun der Zeit, da ich etwas anderes sollte sein, desto mchtiger schlug in mich sein Schauer, aber es schlug mich nicht zurck und nicht in die Flucht, es hielt mich in der Schwebe (conf. VIII 11,25). 74 „…sed de proximo stabam et respirabam“
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Was in der hier vorliegenden bersetzung als „das spitze Nun der Zeit“ formuliert wird, wird in dem lateinischen „punctumque ipsum temporis“ als ausdehnungsloser Punkt beschrieben. Dem Metabole- oder Big BangAnsatz nach kann in diesem Punkt das von Aoki beschriebene „instabile Gleichgewicht“ des Sattelpunktes erkannt werden. Augustins Beschreibung, „in der Schwebe“ gehalten zu sein, kann als literarische Beschreibung des bergangs verstanden werden. Im Vokabular des Kulturanthropologen Arnold van Gennep ist damit die Schwellenphase als Zustand eigener Qualitt beschrieben, in welchem man nicht mehr in dem alten Zustand ist, und auch noch nicht im neuen. Augustin verwendet im lateinischen Original das Wort „sed suspendebat“, um den Schwebezustand zu beschreiben. Durch die Imperfektform des Verbs wird die Nochnicht-Abgeschlossenheit in jenem beschriebenen Moment ausgedrckt. Die Eigenstndigkeit dieses Momentes ist es, die zu einem Binnenverstndnis fhrt, das sich dem Ordnungsrahmen der beiden angrenzenden Zustnde entzieht. Als Beispiel fr Augustins Bekehrung kann die Personalisierung der Torheit, der Eitelkeit, der Gewohnheit und schließlich der Reinheit angefhrt werden, die ihm whrend der Schwellenphase ins Gewissen reden. Dabei ist der literarische Gehalt der Ausfhrungen ebenso zu beachten, wie die Außerordentlichkeit des Zustandes in der Schwebe. Noch hielten sie mich auf, Torheit ber Torheit und Eitelkeit ber Eitelkeit, sie meine alten Freundinnen, und zupften heimlich am Gewande meiner Sinnlichkeit und raunten: ,Schickst du uns weg?‘ Und dann: ,Von jenem Augenblick an werden wir nicht mehr bei dir sein in alle Ewigkeit‘. Gleichwohl, sie verlangsamten mir den Schritt in meinem Zçgern, mich loszureißen und sie wegzustoßen und mit einem Sprunge dort zu sein, wohin es mich rief, – denn Gewohnheit, zwingerisch, sprach zu mir: ,Du glaubst, du hltst es aus ohne sie?‘ (conf. VIII 11,26).
Im Gegenzug erscheint Augustin in diesem Ausnahmezustand die Gegenseite: Denn auf jener Seite, nach der ich mein Auge gewendet hatte, aber den Weg zu gehen zitterte, trat in reiner Wrde die Keuschheit hervor75, heiter, doch nicht ausgelassen frçhlich, in Zchten liebewerbend, dass ich kme ohne Sumen, und streckte mir, mich aufzunehmen und in ihre Arme zu schließen, die frommen Hnde entgegen, voll der Scharen guten Beispiels (conf. VIII 11,27).
75 „…casta dignitas continentiae…“
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Doch Augustin befindet sich weiter in diesem Schwebezustand und kann keine Entscheidung herbeifhren oder sich den vorgebrachten Argumenten der Widersacher verschreiben. Stattdessen verweilt er in dem leidvollen Zustand der Indifferenz, geteilt zwischen Pfadabhngigkeit und dem Willen zu Vernderung. Ich stieß meinen Jammer laut hinaus: ,Wie lange noch, wie lange dieses „Morgen, ja morgen“? Warum nicht heute? Warum nicht in dieser Stunde das Ende meiner Schmach?‘ (conf. VIII 12,28).
Augustin, zu jenem Zeitpunkt unter dem Feigenbaum des Mailnder Gartens, hat alle Instrumente des Verstandes zum Einsatz gebracht und findet aus vernnftiger Erwgung keinen Grund zu warten, kann jedoch auch nicht den Schritt vollziehen, den zu vollziehen er wnscht. Die Stufen vom Erwachen zum Ringen und weiter zum Kmpfen, zum Willen und schließlich zur Indifferenz sind vollzogen und aus Augustin heraus kçnnen keine neuerlichen Fortschritte erfolgen. In dieser ausweglosen Situation, die Augustin in den Confessiones schildert, dringt nun von außen jene Stimme, die als „Trigger“ (Quinn 2002: 424) der Bekehrung verstanden wird. Augustin vernahm die Stimme eines Knaben oder Mdchens im Singsang wiederholen: ,Nimm es, lies es, nimm es, lies es!‘76 (conf. VIII 12,29).
Charakteristisch fr die Schwellenphase ist der Zustand der Sensibilisierung, dass auf einmal eine vom Wind herbei getragene Stimme zum erlçsenden Zeichen werden kann. Ob es sich dabei um die geoffenbarte Stimme Gottes handelt oder um die zufllige Stimme eines Kindes spielt fr die Bekehrung keine Rolle. Entscheidend ist, was Augustin aus dieser Situation macht. Fr ihn ist es klar, dass Gott direkt zu ihm durch diese Stimme gesprochen hat. Ich hemmte die Gewalt der Trnen und stand vom Boden auf: Ich wusste keine andere Deutung, als dass mir Gott befehle, das Buch zu çffnen und die Stelle zu lesen, auf die zuerst ich trfe. […] Ich ergriff es, schlug es auf und las still fr mich den Abschnitt, auf den zuerst mein Auge fiel: ,Nicht in Schmausereien und Trinkgelagen, nicht in Schlafkammern und Unzucht, nicht in Zank und Neid, vielmehr ziehet an den Herrn Jesus Christus und pfleget nicht des Fleisches in seinen Lsten.‘77 Weiter wollte ich nicht lesen, und weiter war es auch nicht nçtig. Denn kaum war dieser Satz zu Ende, 76 „Tolle, lege; tolle, lege“. Der Singsang des Liedes geht nach Frend auf Augustins Vorliebe fr kurze Singspiele zurck: „Augustine liked jingles (,Tolle lege, tolle lege‘ is the best known)“ (Frend 1989: 259). 77 Vgl. Rçm 13,13.
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strçmte mir Gewissheit als ein Licht ins kummervolle Herz, dass alle Nacht des Zweifelns hin und her verschwand78 (conf. VIII 12,29).
„Das spitze Nun der Zeit“, wie es Augustin dem Leser angekndigt hatte, war erreicht und der Zweifel, den er zuvor in seinem philosophischen Leben als Instrument der Vernunft begriffen hatte, und der ihn von der Zuwendung zu Gott abgehalten hatte, wich dem Glauben, nach dem er sich schon seit einiger Zeit sehnte und den seine Mutter Monika schon seit Anbeginn fr ihn wnschte. Die Bekehrung ist erfolgt und erinnert dreifach an Paulus. • Zum einen, da Paulus’ Bekehrung als Vorbild fr Augustin gedient hatte, wie ihm auch sein Mentor Ambrosius Paulus nahe gebracht hatte und wie Paulus berhaupt zu jener Zeit in Mailand stark rezipiert wurde (Brown 1982: 88). • Zum zweiten durch den Verweis auf die Textstelle des paulinischen Briefs an die Rçmer (Rçm. 13,13), die zu Augustins Auslçser der Bekehrung wird. Darin wird Jesus Christus als Mittler zwischen Gott und den Menschen beschrieben, dem man folgen soll. Dieser Umstand ist signifikant, da Augustins Gesprch mit Gott stattfindet, also das eigentliche christliche Element der Erlçserfigur nicht in den Fokus rckt. Die Mittlerfigur Jesus dient der Bezugnahme sowohl zum irdischen Leben auf der Erde und zu Gott, dem Entrckten. Hiervon wird in dem folgenden Kapitel zur Angliederungsphase die Rede sein. • Zum dritten bedient sich Augustin eines paulinischen Stils. Dieser ist insbesondere in der Verwendung des auch von Paulus hufig in den Vordergrund gerckten „nunc“ zu sehen. Die „ins Herz strçmende Gewissheit“, die Augustin versprt, als er Rçm. 13,13 gelesen hat, ist der Beginn des neuen Lebens nach der Bekehrung. Das Zweifeln und Ringen und die Unmçglichkeit, den kleinen Schritt zu vollziehen, lassen sich als das Aufschieben und Sehnen nach dem „nun“ verstehen. O’Connell arbeitet die wiederkehrende Verwendung des paulinischen „nunc“ heraus und fhrt die Verwendung der retardierenden Bezeichnungen wie „gleich“ (modo) oder „morgen“ (cras) auf Augustins Kunstfertigkeit hinaus, den eigentlichen Moment „punctumque ipsum temporis“ zu betonen und in das Zentrum zu rcken (O’Connell 1996: 244 f ), jenen Moment, der die Bekehrung im Sinne der Metabole- oder Big Bang-Betrachtung konstituiert. In diesem Moment vollzieht sich nicht nur die Bekehrung als Gesinnungswandel im Sinne der Bekehrung 78 „quasi luce securitatis infusa cordi meo omnes dubitationis tenebrae diffugerunt“
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zum christlichen Glauben. Zugleich wird Augustins geistiger Hintergrund, der in seinem Werk sichtbar wird, von einer platonisch inspirierten Philosophie zu einem christlichen Neoplatonismus und schließlich zur Theologie. Crouse nennt diese Transformation einen entscheidenden „Knotenpunkt“ in der geistigen Entwicklung Augustins, in welchem die klassische Kultur und das Christentum „amalgamiert“ worden sind (Crouse 2002: 39). Dieses Amalgam, wie es in Kapitel 4.3.3 zur Eigenstndigkeit des Bereiches zwischen Philosophie und Theologie vorgestellt wurde, ist ein augutinspezifisches, wie es in dem Begriff des Augustinismus zum Ausdruck kommt. Die Schwellenphase ist streng genommen mit jenem „Licht der Gewissheit“ beendet, das Augustin versprt, wenn er die Bibel aufschlgt und Rçmer 13, 13 liest. Das Ende des VIII. Buches jedoch ist nicht mit Augustins innenweltlicher Bekehrung erreicht, sondern mit dem Verweis auf Augustins Mutter Monika und ihre Freude, dass Augustin schließlich doch noch Christ geworden ist. Gemß der von O’Connell proklamierten Zirkularitt der Bekehrung, wonach die Ankunft stets am Ausgangspunkt ist (O’Connell 1996: 251), ist mit dem Verweis auf die Mutter Monika dieser Bogen geschlossen. Und nun stand ich mit ihr auf jenem Richtscheit des Glaubens79, auf dem Du mich vor so vielen Jahren ihr im Gesichte gezeigt hattest (vgl. III 11,19).
Entscheidend hierbei ist die Zirkularitt vom Standpunkt Gottes aus, der durch den Traum Monikas fr Augustin zum Standpunkt Gottes wird. Man kann im Hinblick auf Augustins Interpretation sowohl der Stimme im Garten, als auch im Hinblick auf den Traum seiner Mutter aus dem VII Buch erkennen, dass Augustin hier aus der Sicht des Bischofs in Hippo schreibt, der Gottes Wort verkndet. Mit anderen Worten darf hier angezweifelt werden, ob der Augustin in Mailand 386 tatschlich jene Erlçsung vom Zweifel erfahren hat, wie er dem Leser in den Confessiones beibringen mçchte. Dieser Verdacht kann u. a. anhand der philosophischen Traktate bewiesen werden, die Augustin unmittelbar nach der Bekehrung auf dem Landgut Cassiciacum zusammen mit anderen Freunden im Rahmen einer philosophischen Beschftigung verfasst hat. Hierauf wird im synthetischen Teil der Untersuchung der Konversion einzugehen sein. 79 „…stans in ea regula fidei…“
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Im Anschluss an die Bekehrung folgt die Angliederung an das neue Leben im Christentum. Dies soll schwerpunktmßig anhand der von Augustin in den folgenden Bchern der Confessiones herausgearbeiteten Mittlerrolle Jesus’ werden. 4.2.3.3 Angliederungsphase Man geht in der Forschung mehr und mehr dazu ber, von den „zwei Augustin“ zu sprechen (u. a. Ferrari 1989: 235). Hierbei wird die Bekehrung des Augustin als eine Kehre verstanden, die das Leben Augustins fr seine Nachwelt sichtbar in zwei Teile unterteilt. So ist die eigentliche Bekehrung zum Christentum nicht mit dem Mailnder Gartenerlebnis erfolgt, sondern erst mit der christlichen Taufe, wie dies Augustin auch selber in den Confessiones anklingen lsst.80 Wird die Schwellenphase der Bekehrung noch im Garten abgeschlossen durch die neuerliche Sicherheit im Glauben, die Augustin durch die Lektre des Rçmerbriefes „einstrçmt“, so ist die Angliederungsphase durch a) ein Abschtteln der Gepflogenheiten des 1. Augustin und b) der Verinnerlichung des Glaubens an Jesus als Vermittler zwischen Gott und Mensch charakterisiert. Diese Phase drfte lnger, widriger und komplizierter gewesen sein, als Augustin das dem Leser der Confessiones vermitteln mçchte. Die Angliederungsphase soll in folgende Schwerpunkte unterteilt werden. 1. Die Taufe, die Augustin ,in den sicheren Hafen der Kirche‘ steuern lsst 2. Die philosophischen ,Nachwehen‘ auf dem Landgut Cassiciacum 3. Jesus Christus als Mittler zwischen Gott und den Menschen. Ist der erste ein formaler Punkt, der die Angliederungsphase auf etwa ein Jahr ausdehnt, so sind die anderen beiden komplizierter und miteinander verwoben. Sie sind so sogar kompliziert, dass an dem historischen Bekehrungserlebnis in Mailand an sich gezweifelt werden kann und die These Plausibilitt gewinnt, dass die Bekehrungsszene eine reine literarische Fiktion des Bischofs von Hippo sei. Da die innere Entwicklung in diesem Kapitel von Interesse ist, nehmen wir die Taufe durch Ambrosius am 24. August 387 als historisches Faktum an, das die formale Gltigkeit Augustins christlicher Identitt bedeutet, und besehen die Angliederungsphase aus Sicht der Confessiones. 80 So in der Vorbereitung im VIII. Buch, als Augustin die Bekehrung des bersetzer Victorinus wiedergibt, die ihm Simplizian erzhlt hat, um klar zu stellen, dass es „die Kirchenwnde sind, die den Christen machen“ (vgl. conf. VIII 2,4).
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Lehren und Irrlehren Es wre naiv, in der literaturbasierten Version der Bekehrung die Chronologie der Ereignisse außer Acht zu lassen. So ist die Bedeutungszuschreibung der Rolle Jesus’ als Vermittler als theologisch motivierte Ausfhrung des Bischofs von 400 zu deuten, wohingegen die Bekehrung an sich durch die Trennung vom vorherigen, philosophischen Leben der Lehrttigkeit auf Cassiciacum gekennzeichnet ist. Die dort entstandenen Dialoge „Contra Academicos“, „Soliloquia“ oder „De Ordine“, die inhaltlich wie formal platonische Zge erkennen lassen, sind als Teil des Bekehrungsprozesses anzusehen. In der hier verfolgten Big Bang-Untersuchung sollen jedoch diese differenzierten Entwicklungsbeobachtungen zurckgestellt werden, da sie Teil der Gradualismus-Untersuchung sind. Augustin drckt in den Confessiones bereits im VII. Buch sein Verhltnis zu anderen Lehren aus. Diese dort ersichtliche dialektische Sicht der Dinge kann aus der Perspektive des Bischofs, der den Satz geschrieben hat, verstanden werden, schwerlich jedoch aus der Perspektive des gerade noch dem Neoplatonismus und vorher dem Manichismus anhngenden Augustin. Sein Argument lautet: Denn es mußten auch Irrlehren sein, damit die Bewhrten offenbar wrden im Unterschied von den Schwachen (conf. VII 19,25).
Mit diesem aus dem Neuen Testament81 entlehnten Zitat beendet Augustin seine Ausfhrungen zu Jesus, in welchem er im VII. Buch, also in der Retrospektive einer Zeit weit vor der Bekehrung, einen „Mann von berragender Weisheit“82 sah. Setzt man hingegen voraus, dass Augustin dem neoplatonischen Gedankengut aus eigener berzeugung anhing, so ist die Frage, wie aus einer vermeintlichen Irrlehre die rechte Lehre wird: durch Ablehnung oder aber ber einen komplizierten bersetzungsprozess, der als die Bekehrung verstanden werden kann. In diesem Licht soll die Bekehrung verstanden werden, wie sie aus dem Philosophen und Rhetor Augustin einen Kirchenmann und Theologen werden ließ.
81 1. Korinther 11,19. Dort heißt es in der Einheitsbersetzung: „Denn es muss Parteiungen geben unter euch; nur so wird sichtbar, wer unter euch treu und zuverlssig ist.“ 82 „de excellentis sapientiae…“
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Bekehrung im „neoplatonischem Gewand“ Karl Adam findet eine sehr einleuchtende Formulierung fr diese bersetzungsleistung, mit der die Angliederungsphase nach der Gartenszene plausibel wird. Adam differenziert aus in Innen und Außen, wenn er von der Bekehrung spricht: „Es war gesinnungsmßig eine Bekehrung zum katholischen Christentum. Denn nichts anderes wollte Augustin werden als ein ganzer katholischer Christ. Aber sie vollzog sich in der Hlle des neuplatonischen Lebensideals. Gott freilich, der das Herz und die Gesinnung wrdigt, sah auch im neuplatonischen Gewand die christliche Seele und erhçrte ihr Rufen nach Gnade“ (Adam 1954: 21). Adam nimmt dabei aus der Perspektive der Theologie an, dass Gott als allwissende Instanz in dem neoplatonischen Augustin bereits den christlichen Augustin sah. Aus dieser Sichtweise wird die Philosophie zum begnstigenden Medium der Verwandlung, durch das Kontinuitt hergestellt wird. Der Bruch, den eine Kehre im Leben einnimmt, wird durch die neoplatonische Stufenlehre und die Ausrichtung auf das Eine zu einer „sanierten Kontinuitt“ (Blumenberg 1976: 15). Im Moment der Bekehrung begegnet Augustin durch die Lektre von Rçmer 13,13 Jesus, der ihm den Anhaltspunkt gibt, den er zwischen seiner Innerlichkeit und der ußeren Welt als Welt der anderen Menschen und Welt Gottes wahrnimmt. Bereits im VII. Buch liefert er noch vor der oben besprochenen Passage zu Jesus und den „Irrlehren“ ein Verstndnis von Jesus als „dem Weg“ und „die Speise“, „die zu nehmen ich die Kraft nicht hatte“ (conf. VII 18,24). Springen wir von diesem Verstndnis, das Jesus als den Weg begreift ber das VIII. Buch der Confessiones hinweg in das X. Buch, worin der neu gewonnene Glaube schon zur Grundlage des Geschriebenen herangezogen wird. Dabei ist anzumerken, dass Augustin die Confessiones, die auch als beispielhafte Autobiographie83 angesehen werden, dergestalt verfasst, dass die Bcher vor der Bekehrung von einem Augustin handeln, der so denkt, wie der Augustin, der die Confessiones verschriftlicht, schon lange nicht mehr denkt. Hingegen denkt der Augustin aus dem VIII. Buch durchaus mit hnlichen Motiven wie der Augustin, der um das Jahr 400 die Confessiones verfasst. Hinzu kommt, dass die gesamten Confessiones als Gebet niedergeschrieben sind, also Augustin in seiner jeweiligen
83 Vergleich dazu die Beitrge von Hawkins (1978: v), Saeverin (2005) und Brown (1982: 145).
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Entwicklungsphase in den christlichen Glauben eingebettet ist durch die Verschriftlichung um 400. „mediator autem inter deum et homines“ In Buch IX wird „das Glck des Neubekehrten“ behandelt. Darin beschreibt Augustin, wie er das Lehramt niederlegt, seine Dialoge auf dem Landgut Cassiciacum verfasst, dort die Psalmen ausfhrlich studiert und schließlich getauft wird. Augustins Mutter Monika stirbt und mit dem Ende des IX. Buches endet bereits Textausgabe der Confessiones. Fr die hier avisierte geistige Entwicklung ist jedoch das philosophisch-reflexiv gehaltene X. Buch von großer Bedeutung. So werden hier zu Beginn Sinn und Zweck der Confessiones reflektiert. Von dort aus wird Gott und dessen sinnliche Nichterfahrbarkeit behandelt, was Augustin schließlich zu seiner Theorie der memoria und schließlich zu seiner geachteten Theorie der Zeit fhrt. Den Abschluss bildet eine Abhandlung ber „Jesus Christus, den einen wahren Mittler“, die Gegenstand der nun folgenden Erçrterung sein soll. In der litographischen Setzung des bersetzers Joseph Bernhart von Jesus als dem „einen“ wahren Mittler wird eine Affinitt zum neoplatonischen „hen“ offenbar. Im Rckgriff auf den oben zitierten Karl Adam und dessen Behauptung des „neoplatonischen Gewandes“ kann anhand der Konzeption Augustins im XI. Buch die These gewagt werden, dass sein Verstndnis von Jesus ein neoplatonisches ist, das im Moment der Bekehrung die Lehren Plotins substituiert hat, als in Rçmer 13.13 Jesus als Bezugspunkt bekannt wurde. Diese These kann u. a. mit Larsen untermauert werden, der hervorhebt, dass Jesus als das „Eine Prinzip“ anzusehen ist (Larsen 1989: 287). Diese Einheit kann durch die Qualitt der Vermittlung hergestellt werden. Augustin beschreibt Jesus als „mediator autem inter deum et homines“ und fhrt weiter aus: Der Mittler aber zwischen Gott und den Menschen musste etwas haben, das ihn Gott, und etwas, das ihn den Menschen hnlich machte: in jeder Hinsicht den Menschen hnlich, wr er weit von Gott; in jeder Hinsicht Gott hnlich, wr er weit von den Menschen und wre so nicht Mittler (conf. X 42,67).
Mittler zu sein bedarf eines einenden Prinzips, das den von Augustin aufgedeckten Widerspruch sowohl Mensch, als auch Gott hnlich zu sein, aufhebt. Die weitere Beschreibung des Mittlers Jesus nimmt Augustin im folgenden Text vor, worin die hnlichkeit zum Menschen durch Jesus’, Sterblichkeit zum Ausdruck kommt. Die hnlichkeit zu Gott hingegen
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wird durch Jesus’ Gerechtigkeit ausgedrckt. Dabei kommt Augustin auf die Problematik des Wortes, die diesem Modell des Mittlers noch im Wege steht. Doch auch diese Frage geht er zum Ende des X. Buches an: Aber der wahrhafte Mittler, den Du in geheimnisvoller Erbarmung den Menschen angezeigt und gesandt hast, damit an seinem Beispiel auch sie die Demut lernten, jener ,Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Jesus Christus‘, ist zwischen die sterblichen Snder und Gerechten getreten, – sterblich gleich den Menschen, gerecht gleich Gott. […] Denn nur sofern er Mensch ist, ist er Mittler; sofern er aber das Wort ist, steht er nicht inmitten, weil er da ,Gott gleich‘ ist und ,Gott bei Gott‘ und ein einiger Gott mit ihm84 (conf. X 42,68).
Wir erfahren in dieser Passage neben der menschlichen und der gçttlichen Eigenschaft Jesu, was ihn als Mittler unbedingt ausmachen muss: Die Prsenz unter den Menschen, die er nicht nur physisch, sondern auch zeitontologisch erfllen muss. Insofern ist die Sterblichkeit als zeitontologisches Kriterium unerlsslich fr die Mittlerfunktion Jesu. Mit anderen Worten wre eine physische Prsenz unzureichend, da erst die Vergnglichkeit der Existenz vereint mit dem gçttlichen Wort, Jesus zu dieser besonderen Rolle verholfen hat. Augustin arbeitet diese Systematik heraus und vermittelt sie dem Leser in anschaulicher Weise. Sein sptes Traktat „De Trinitate“ beispielsweise setzt sich dogmatisch und kirchenpolitisch weitergehend mit dem Thema auseinander. In den Confessiones heißt es ber die Mittlerrolle Jesu und deren Spezifitt: Wir htten glauben kçnnen, Dein Wort sei weit davon, sich dem Menschen zu verbinden, htten an uns verzweifeln kçnnen, wre es nicht Fleisch geworden und htte unter uns gewohnt (conf. X 43,69).
Als weitere Komponente kommt hinzu, dass das gçttliche Wort nicht nur „Fleisch geworden“, sondern dass es auch Teil der menschlichen Gemeinschaft geworden ist. Dieser Punkt drckt sich in dem „habitaret in nobi“ aus. Diese soziale Komponente gewinnt mit Augustin in den Confessiones an Gewicht und ist die Voraussetzung dafr, das gçttliche Wort auf der Erde zu begreifen. Die soziale Komponente des „unter den Menschen Wohnens“ deutet Schçpf als das Unterwerfen Jesu unter die irdischen „Bedingungen mit all den beln und Leiden (Schçpf 1979: 91). Die Mittlerrolle Jesu, die so wichtig fr das Christentum an sich und fr Augustins Bekehrung im Speziellen ist, grndet diesen Ausfhrungen 84 „In quantum enim homo, in tantum mediator, in quantnm autem verbum, non medius, quia aeqitalis deo et deus apud deum et simul unus deus.“
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zufolge auf dem Herabsteigen Jesu auf die Erde, um den Weg allen Fleisches zu gehen, also zu sterben. Das Fleisch gewordene Wort Nimmt man diese Beschreibung Jesu als Mittler als Element der Bekehrung, so wird gemß der Textstelle Rçmer 13,13 im Mailnder Garten der theologische Beitrag der Bekehrung erkenntlich. Ist Augustins Gebet der Confessiones, das als Dialog mit dem stummen Gott gefhrt wird, noch stark philosophisch geprgt, so bekommt die Religion mit Jesus als Gottmensch eine Note, die im bisherigen Denken Augustins nicht vorkam. Das Abstrakte und theoretische der philosophischen Auseinandersetzung mit der Vernunft, wie in den „Soliloquia“ oder ber das gute Leben in gleichnamigem Dialog „De Beata Vita“, kommt ohne die menschliche, leibliche Dimension aus. Der Zugewinn der Bekehrungsszene besteht also nicht maßgeblich in der Kursnderung des Lebens weg von „Schmausereien und Trinkgelagen, Schlafkammern und Unzucht, Zank und Neid“ hin zum „Herrn Jesus Christus“. Dieser Wandel war schon lange beabsichtigt und erwirkt. Es fehlte lediglich die berwindung der aus dem vorherigen Leben erwachsenen Pfadabhngigkeit. Der tatschliche Zugewinn besteht in der Figur Jesu, der dem „Fleisch“, dem Augustin weite Strecken seiner Auseinandersetzung in den Bchern V – VII widmet, eine neue Richtung gibt, eine Richtung, die Augustin als Neoplatoniker vertraut ist, da sie aufwrts strebt. Kommen wir auf die Bekehrung und die Angliederung an das neue Leben des zweiten Augustin zurck. Die Angliederung nach der Schwellenphase besteht in der Ausrichtung und Umsetzung des neu Erkannten. Dabei muss die Frage gestellt werden, wo der Unterschied zwischen dem Christentum und der neoplatonischen Philosophie besteht. Sweeney fragt sogar, ob Augustins Gott nicht gar identisch mit Plotins Einem ist (Sweeney 1990: 413). Argumentiert man hier mit dem ersten Augustin, muss die Frage mit einem Ja beantwortet werden, was sich mit der Mailnder Spielart des christlichen Neoplatonismus belegen lsst, die Ambrosius Augustin vermittelt hat. Anders hingegen liegt der Fall nach der Bekehrung, da der Zugewinn Jesu ber die Philosophie des Neoplatonismus hinausweist. Sweeney fragt weiter, ob nicht Christus sowohl als der Mittler zwischen dem Einen und den vielen, als auch als Mittler zwischen Gott und Mensch gesehen werden kann (ebd.). Lsst sich diese Frage in der philosophischen Reflexion stellen, so wre die Frage aus der Sicht der handelnden Akteure vermutlich zu
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verneinen. Folgt man dem Werk des Bischofs Augustin, so wird klar, dass das Christentum zu recht als so genannte exklusive Religion verstanden wird.85 Insbesondere Augustins Streitschriften gegen die Donatisten und die Pelagianer machen die Geschlossenheit des (rçmisch) christlichen Glaubens deutlich. Gleichwohl bleibt eine Analogie zwischen dem neoplatonischen Gedankengut und Augustins Christusverstndnis bestehen. Demnach hat Augustin seine Bekehrung zum Christentum nicht als Wechsel (replacement) verstanden, sondern vielmehr als Erweiterung (expansion) und Bereicherung (enrichment) seiner frheren Ansichten (Rist 1994: 12). Bezogen auf die Fragestellung nach dem Big Bang und der Angliederungsphase bleibt festzuhalten, dass ein qualitativer Unterschied stattgefunden hat. Die Erweiterung und Bereicherung, von der Rist spricht, steht dem Umstand nicht im Wege, dass die Bekehrung einen so gravierenden Unterschied gemacht hat, dass Augustin nach dem Erlebnis, wie er es in den Confessiones schildert, ein anderer Mensch wurde, der gleichwohl Eigenarten wie das philosophische Wissen der Neoplatonisten beibehalten hat. „Mein Arzt im Innersten“ Augustin zufolge besteht der entscheidende Schritt in dem neu gewonnenen Glauben. Dieser Punkt muss hier philosophisch stark gemacht werden, es sei denn man versteht den Mailnder Neoplatonismus als Philosophie, die nicht nur der Vernunft, sondern auch dem Glauben zugnglich ist. Der Wandel, so der Bischof Augustin, wurde von Gott erwirkt. Dabei bedient sich Augustin der Charakterisierung Gottes als „mein Arzt im Innersten“: Du aber, mein Arzt im Innersten, klre mir Sinn und Zweck, warum ich das tue. – Das Bekenntnis ber mein vergangenes Schlechtes, das Du erlassen und zugedeckt hast, um mich zu beseligen in Dir, da Du Wandel schufst in meiner Seele durch den Glauben und Dein Sakrament“ (conf. X 3,4).
85 Als exklusivistische Religionen werden fr gewçhnlich die drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam verstanden, die exklusiv fr sich Gltigkeit behaupten und den anderen Religionen Gltigkeit absprechen. Hingegen werden asiatische Religionen wie beispielsweise der Hinduismus als inklusivistische Religion verstanden, die andere Religionen und deren Gçtter, Heilige und Propheten als Teil ihrer Religion integrieren kçnnen.
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Es wird also deutlich, dass nicht allein die Bekehrung, die Augustin zwar den Zweifel genommen und den Glauben geschenkt hat, den Wandel umfasst. Hier wird klar, dass die Taufe, die hier als Sakrament angesprochen wird, erst den vollstndigen Wandel bedeutet. Somit ist der Rekurs zu Beginn des VIII. Buches auf Simplizian und Viktorin86 unerlßlich, um die christliche und dabei insbesondere kirchenpolitische Botschaft der Confessiones zu platzieren. In dieser Passage wird die Einheit der drei oben angesprochenen Punkte der Angliederungsphase deutlich: die Taufe, der Wechsel von neoplatonischer Philosophie zum christlichen Glauben und Jesus als Mittlerfigur. Portalie beschreibt die Confessiones als Werk, das die Verwicklung von Neoplatonismus und Christentum zum Inhalt hat. Dabei wird in den Confessiones ein „Enthusiasmus“ beschrieben, der in Augustin durch die platonischen Schriften geweckt wurde. Dieser Enthusiasmus jedoch starb einen „langsamen Tod“ im Herzen Augustins (Portalie 1960: 95). Die hufig behauptete Verbitterung des alten Augustin besttigt diese Behauptung. Die Offenheit, die der philosophische Neoplatonismus beinhaltet, wurde durch das kirchliche Dogma verdrngt. Forman weist beispielsweise darauf hin, dass Augustin auch nach seiner Bekehrung weiter „heidnische“ Schriften liest und als wichtige Quelle ansieht. Gleichwohl macht Forman in seiner Studie deutlich, dass Augustin „pre-Christian fictive literature“ nutzt und modifiziert, die er formal nach seiner Bekehrung zurckweisen msste (Forman 1995: 1). Im X. Buch der Confessiones jedoch findet Augustin eine den Glauben ber sich selbst stellende Formulierung, wie sich der Wandel vollzogen hat und vor allem wohin: nmlich ber sich zu Gott, indem Augustin sich darin gefllt, wie er Gott gefllt und damit allein Gott gefllt: Aber nun, da doch mein Seufzen Zeugnis gibt, dass ich mir missfalle, nun erstrahlest Du, und auf Dich geht Gefallen, Liebe, Verlangen, so dass ich errçte ber mich, mich verwerfe, Dich whle und wie Dir so mir nur allein in Dir gefallen will (conf. X 2,2).
Ist dieser Schritt vollzogen, so ist damit auch die Angliederungsphase der Bekehrung vollzogen. Gleichwohl realisiert Augustin im X. Buch, dass er mit der Bekehrung auch etwas verloren hat: An meine berstandene Traurigkeit denke ich zuweilen froh zurck, und traurig an die Frçhlichkeit (conf. X 14,21).
86 „So sind’s die Kirchenwnde, die den Christen machen?“ (conf. VIII 2,4).
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Zusammenfassung der Big-Bang-Perspektive Es bleibt rckblickend festzuhalten, dass die Bekehrung, wie sie in den Confessiones dargestellt wird, als historisches Erlebnis anzuzweifeln ist. Die Grnde dafr wird der nchste Abschnitt darstellen, wo die Bekehrung als gradueller Prozess untersucht wird. Hingegen ist es fr das Bekehrungserlebnis als zentrales Element der Bekehrung an sich unerlsslich, dass der Wandel sich whrend eines Zeitpunktes und nicht ber eine Zeitdauer hinweg ereignet. Dieser Zeitpunkt, den Augustin „das spitze Nun der Zeit“ nennt, ist in den Confessiones als literarische Konstruktion sehr anschaulich herausgearbeitet, so dass die Metabole- oder Big BangBetrachtung der Bekehrung in dieser Szene sich als fruchtbares Untersuchungsdesign erwiesen hat. Die Darstellung der einzelnen bergangsphasen nach van Gennep zeigt jedoch, dass die literarische Konstruktion der Bekehrung Fragen offen lsst, wie beispielsweise die, dass der Text ber das Bekehrungserlebnis 14 Jahre nach dem Erlebnis verfasst wurde und gefragt werden muss, ob Augustin als Bischof in Afrika mit einem Kirchenauftrag berhaupt eine Wiedergabe des Erlebnisses vornehmen kann, ohne seine gegenwrtigen Ziele als Bischof in den frheren Augustin, der nicht einmal getauft war, zu projizieren. Als zentrale Kernaussage der Bekehrung in Big-Bang-Perspektive gilt die in der „Schwellenphase“ identifizierte Bekehrungsszene, wie sie als literarische Konstruktion in den Confessiones dargelegt wird. 4.2.4 Metabasis oder der Gradualismus-Ansatz: Augustins „peregrinatio“ und „cor inquietum“ Stand im vorherigen Kapitel die Plçtzlichkeit der Bekehrung nach den Confessiones im Zentrum der Betrachtung, so wird im Folgenden der allmhliche bergang in der Entwicklung Augustins anhand von zehn exemplarischen „Meilensteinen“ beschrieben. Fr diese Darstellungsmethode sprechen mehrere Punkte. Zum einen bietet sich die Darstellung der historisch nachvollziehbaren Meilensteine87 aufgrund der vielfltigen Kritik an der Bekeh87 Mit „historischer Nachvollziehbarkeit“ ist hier gemeint, dass die Darstellung nicht allein dem Zeugnis Augustins und hierbei, wie hufig zu beobachten, den Confessiones folgt, sondern dass zum einen verschiedene Werke in ihrer Chronologie aufeinander bezogen werden, und dass zum zweiten Briefe und augus-
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rungsszene an. Zum anderen sind aus „keiner anderen antiken Biographie […] vergleichbar tief greifende Wandlungen bekannt; das Denken des Kirchenvaters ist eine stndige Revision und berarbeitung“ (Horn 1995: 22 f ). Noch deutlicher wird Hawkins, der der Konversion abspricht, ein „dramatischer Wandel“ gewesen zu sein und von einem „graduellen Prozess“ spricht, in welchem Augustin sich „christliche Werte und Lehren angeeignet hat“ (Hawkins 1978: 160). In der Forschungsliteratur wird dieser permanente bergang systematisiert, indem man von einer Vielzahl von Bekehrungen spricht, die Augustin durchlaufen habe. Ferrari (1984) listet ganze sechs Bekehrungen auf 88 und sttzt sich dabei auf einen 1921 erschienen Artikel von Maria Peters mit dem Titel „Augustins erste Bekehrung“, woraus er den Schluss zieht, dass Augustin mehrere Bekehrungen durchlaufen habe, die als verschiedene Stufen in einem schrittweisen Prozess der Bekehrung verstanden werden kçnnen (Ferrari 1984: 1). Zuvor ist hier anzumerken, dass der Begriff der Bekehrung eine Unschrfe birgt, die mehrere Interpretationen erlaubt. In der religiçsen Konnotation bedeutet Bekehrung ein Bekenntnis durch ein Erlebnis hin zum Glauben, das meist durch ein Erlebnis ausgelçst wird. Beispielhaft ist die Bekehrung des Saulus zum Paulus, die als „Damaskuserlebnis“ auch fr Augustin als Referenz gilt. Auch O’Connell (1969) nimmt mehrere Bekehrungen an und fhrt den fr die graduelle Entwicklung hier so zentralen Begriff der „peregrinatio“ ein, worunter er im speziellen Falle Augustins eine „Pilgerschaft zurck zu Gott“ versteht (O’Connell 1969: 52). Auch Feichtinger weist auf die Bedeutung der „peregrinatio“ bei Augustin hin, welche Augustin in De Civitate Dei als Bild verwendet „fr die Unbehaustheit des Menschen in dieser Welt, fr die grundstzliche Vorlufigkeit und Instabilitt alles Irdischen, aber auch fr das Streben nach Gott, in dem erst Heimat, Ruhe und Geborgenheit fr alle Ewigkeit zu finden sind“ (Feichtinger 2002: 84). Hier ist also zwischen zweierlei zu unterscheiden: Zum einen gibt es Augustin selber, der als „Wanderer“ oder „Pilger“ verstanden wird, da er stndig seine Position wechselt und dem beispielsweise von Forman ein tinfremde Quellen herangezogen werden, um Augustins Entwicklung von außen darstellen zu kçnnen (vgl. Keenan 1935 und Doyle 2002). 88 Van Fleteren zhlt allein in den Confessiones ganze zwçlf Bekehrungen (1990: 65 f ). Auch Hawkins stellt eine „Serien von Bekehrungen“ fest, die fnf Hauptstufen haben: zur antiken Philosophie durch Cicero, dann zum Manichismus, schließlich zum Neoplatonismus und endlich zum Christentum.
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„evolving ego“ zugeschrieben wird (Forman 1995: 3). Zum anderen verwendet Augustin das Bild des „Wanderers“ als Menschenbild in seinen Schriften. Dass zwischen diesen beiden Bedeutungsebenen ein Zusammenhang herrschen drfte, kann als sicher angenommen werden, ist aber nicht der zentrale Punkt hier. Vielmehr ist es fr den sich graduell ereignenden Wandel eine hilfreiche Charakterisierung, Augustin als Reisenden und stndig Weiterstrebenden zu begreifen, wie es auch in Augustins Stufen- oder Illuminationstheorie deutlich wird (Forman 1995: 3). Augustin war ein Reisender und Suchender sowohl im Geistigen, wie auch im Rumlichen, worauf auch Luman hinweist. So korreliert seine „geistige Pilgerschaft“ mit seinen Reisen und diese wiederum mit seinem Lektreerlebnissen, allen voran der Lektre des verloren gegangenen Hortensius von Cicero, was nach Luman die erste Bekehrung hin zur Philosophie darstellt (Luman 1990: 144).89 Als Peter Brown seine einflussreiche Augustin-Biographie im Jahr 2000 berarbeitete und kommentierte, stellte er in seinem Appendix heraus, dass er die „Geschichte der inneren Entwicklung in einer Vielzahl wechselnder Umstnde“ htte beschreiben kçnnen, die eine sich „stets wandelnde Person“ („ever changing person“) zeigten (Brown 2000: 489). Somit ist also der Gradualismus-Ansatz eine konsequente Entsprechung der sich stets in Bewegung befindenen Entwicklung Augustins als „constantly changing whole“ (TeSelle 1970: 20), wohingegen die Bekehrung nach den Confessiones eine literarische Konstruktion zur Verdeutlichung des qualitativen Wandels darstellt. In dieser permanenten Vernderung ist eines insbesondere hervorzuheben, was im Widerspruch zur Signifikanz des Bekehrungserlebnisses steht: Die Gleichzeitigkeit und berlappung der sich vollziehenden Vernderungen. Augustin war also nicht erst Philosoph (respektive Rhetor) und dann Christ, sondern er war schon glubig und religiçs, als er noch Philosoph war und beispielsweise die Soliloquia verfasste. Ebenso war er noch neoplatonisch geprgter Philosoph, als er seine ersten theologisch geprgten Werke wie „De quantitate Animae“, „De moribus Eccelsiae catholicae et de moribus Manichaeorum“ oder „De Libero Arbitrio“ verfasste. Dorado fhrt die beiden Positionen zusammen, wenn er behauptet, dass eine Bekehrung einen „graduellen Prozess innerer Reflexion“ erfor89 Mit dieser Bezeichnung wird der Bekehrungsbegriff aufgeweicht und auf biographische Kehren außerhalb der religiçsen Sphre zugerechnet. Streng genommen hat man es hierbei nicht mit einer Bekehrung im klassischen Sinne zu tun.
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dert, damit sich der Konvertit der Unertrglichkeit bewusst wird, die ihn schließlich zur Bekehrung fhrt (Dodaro 2002: 233). Weiter weist Hanna Arendt darauf hin, dass zuerst verschiedene Gedanken nebeneinander stehen, die sich mit zunehmendem Alter zu einer dogmatischen Starre verfestigen. Im Zuge dieser Entwicklung gibt es einen markanten Wandel, der als Bekehrung sichtbar gemacht werden kann (Arendt 1929: 3). Einmal mehr werden also die verschiedenen Ebenen sichtbar, wie sich Augustins Entwicklung darstellen lsst. Am Beispiel des Neoplatonismus, der Augustins Passage zum Christentum sowohl philosophisch als auch theologisch ermçglicht, wird insbesondere der graduellen Vollzug und die berlappung beider Phasen ersichtlich. So war es durch die neoplatonischen Predigten des Ambrosius, dass Augustin allmhlich zu den christlichen Inhalten fand: „Though initially holding himself aloof from the Christianity Ambrose preached, Augustine gradually came to appreciate this intelligent and intelligible presentation of Catholic teaching“ (Burns 1990: 375). Ebenso stand das Modell der Bekehrung in klassisch neoplatonischer Tradition. Nach Booth stellt sich Augustins Bekehrung als Bekehrung zu sich selber dar, die durch die Bekehrung zu sich selbst zugleich eine Bekehrung zu Gott bedeutet. Damit sei ein direkter Bezug zu den Lehren Plotins und Porphyrius’ hergestellt (Booth 1989: 14 f ). Doch auch die neoplatonischen Lehren verndern sich bei Augustin und bekommen eine spezifische Prgung, wie Geerlings Augustins Methode versteht: „Alles, was er anfasst, wird unter seinen Hnden verwandelt und neu formuliert“ (Geerlings 2002b: 148). Diese Auffassung kann von anderer Seite besttigt werden, wenn etwa Stephen Erickson ausfhrt, dass Augustin Plato in einer sehr persçnlichen Version „absorbierte“ und zu einem Motiv seiner „Pilgerschaft“ machte (Erickson 1999: 128). Eine gnzlich andere Erklrung liefert McMahon fr das permanente Suchen und die Pilgerschaft Augustins: Demnach „plant Augustin seine Planlosigkeit“ der Entwicklung, um seinen Lesern in den Confessiones eine dramatisierte Geschichte zu erzhlen, die erst durch die vielen Wendungen und berschneidungen zu einer dramatischen Begegnung mit Gott wird (McMahon 1989: 15 f ). Bei Augustin selber kommt hier der Begriff des „cor inquietum“ zur Eigencharakterisierung zum Ausdruck, mit dem das Bild des Suchens als literarische Konstruktion oder biographische Situation deutlich wird. Kçrner jedoch begrndet diese Suche aus der „geistigen Strçmung seiner Zeit“, die als allgemeine „Krise zwischen Ende und Anfang zweier großer Geschichtsepochen“ beschrieben wird (Kçrner 1968: 37).
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Wie diese verschiedenen Meinungen aus der Augustinusforschung nahe legen, gibt es eine Reihe guter Grnde, die geistige Entwicklung Augustins als graduellen Prozess zu begreifen, der mit berlappungen und Synergien einhergeht. Wie viele Bekehrungen es dabei gegeben hat und was dabei auch oder noch als Bekehrung zu verstehen ist, ist fr die Feststellung der sukzessiven Entwicklung von untergeordneter Bedeutung. Als wichtigste Einflussgrçßen, die es in einem nchsten Schritt ihrer Chronologie nach zu untersuchen gilt, mssen unter anderem die Positionen Skeptizismus, Stoizismus, Manichismus, Neoplatonismus und verschiedene Facetten des Christentums verstanden werden, ganz wie diese Denktraditionen auch an Personen gebunden waren, die ebenfalls von herausragender Bedeutung fr Augustins Entwicklung waren. Dabei ist insbesondere an Ambrosius und Simplizianus zu denken, die ihm das Christentum ber den Neoplatonismus vermittelt haben (Stark 1990: 45). Stephen Erickson nimmt eine psychologische Charakterisierung vor, wenn er Augustin als Person beschreibt, die ihr „Zuhause“ als außerhalb der Welt gelegen begreift und stndig in der Welt auf der Suche nach diesem u-topischen Ort ist. Die „Reise“, die Augustin dazu unternimmt, ist eine Reise hin zum innerweltlich nicht Fassbaren, das doch gleichwohl in der Welt auf ihn einwirkt (Erickson 1999: 128). Diese graduelle Transformation bringt ihn wie viele andere zu seiner Zeit schließlich ber zahlreiche Stationen und Umwege in den „sicheren Hafen der Kirche“ (Geerlings 2002a: 151) und kann gerade deshalb, weil Augustin keinen Einzelfall darstellt, als mikroskopische Entsprechung des epochalen Wandels verstanden werden. Die wichtigsten Schritte und Stationen werden im Folgenden in Form von zehn exemplarischen „Meilensteinen“ dargestellt und auf ihre Bedeutung fr die geistige Entwicklung Augustins im Licht des Gradualismus hin vorgestellt. Die Zahl zehn ist dabei nicht zwingend, aber nahe liegend. In einer differenzierten Perspektive lassen sich beispielsweise bis zu 25 verschiedene Stationen ausmachen, die es im Zuge einer graduellen Untersuchung vorzustellen glte.90 Hier orientiere ich mich an der von Christoph Horn91 vorgegebenen Einteilung in zehn Schritte, die die geistige Ent90 Dies wre jedoch ein eigenes Buchprojekt, um Augustins geistige Entwicklung als Konsequenz seines „evolving ego“ darzustellen. 91 Horn betont insbesondere, dass bei Augustin die zentralen Lebensstationen „eine grçßere Bedeutung fr die Entwicklung seiner philosophisch-theologischen Positionen haben, als dies bei anderen Philosophen der Fall ist“ (Horn 1995: 13).
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wicklung und hier insbesondere die Bekehrung zum christlichen Neoplatonismus und spter zum getauften Christen sichtbar machen. 4.2.4.1 Herkunft und Disposition: Der Anfang der Entwicklung Augustins besteht – so trivial dies klingen mag – in dessen Geburt im Jahre 354. Dabei ist weniger die Geburt als ontologisches Datum von Bedeutung. Vielmehr ist die Geburt insofern wichtig, da sich hier wesentliche Dispositionen von Augustins frher und frhester Entwicklung erkennen lassen. Von hçchster Bedeutung sind hierbei Augustins Eltern, und im Hinblick auf seine geistige Entwicklung bis hin zur Bekehrung insbesondere Augustins christliche Mutter Monica. Von Augustin heidnischem Vater Patricius ist wenig bekannt. Wesentlich ist hier aber, dass Augustin Kind einer so genannte Mischehe zwischen einem Heiden und einer Christin war. Peter Brown berichtet, dass Augustin seinen Vater in seinen Berichten „khl“ (Brown 1982: 25) bergeht, ganz im Gegensatz zu seiner Mutter, deren Erwhnung den „roten Faden“ der Confessiones bildet (Brown 1982: 24). So erfhrt man ber den Vater nur, dass er in Tagaste „in recht bescheidenen brgerlichen Verhltnissen lebte“ (conf. II 3,5), er Augustin jedoch das Studium in Karthago finanzierte, Augustin aber „das mhsam ersparte Geld seines Vaters dabei vertat“ (Richter 1984: 5). Augustins Ausbildung war im Raster der religiçsen Orientierung heidnisch zu nennen, und Augustins Mutter Monica, die stets und bis zuletzt daran arbeitete, ihren Sohn zum christlichen Glauben zu bewegen, hatte mit der Fçrderung dieser Ausbildung das Ziel, „dass eine gute klassische Bildung, obwohl heidnisch, ihren Sohn vielleicht zu einem besseren Christen machen konnte“ (Brown 1982: 24). Der Tod des Vaters, den Augustin nicht explizit erwhnt, findet als Randnotiz Erwhnung, als Augustin 388 nach Afrika zurckkehrte und mit einer Gruppe von Freunden auf dem kleinen Besitz in Tagaste lebte, den er von seinem Vater geerbt hatte (Flasch 1994: 99). Im Hinblick auf Augustins Bekehrung und den kulturellen und epochalen Wandel stellt Adam in Bezug auf Augustins Herkunft fest, dass Augustin als das Kind eines heidnischen Vaters und einer christlichen Mutter „in seiner Person jene aufgeregte schwle Zeit, da Heidentum und Christentum um den letzten Ausgleich rangen“, (Adam 1954: 5) verkçrpert. An dieser Passage und Interpretation Adams wird sichtbar, wie
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Augustin in der Rezeption als zwischen den Welten92 stehend konstruiert wird. Seine Ausgangsdisposition in Form seiner Geburt als biographisches Datum stellt eine Plausibilisierung seines weiteren Lebensgangs dar, wie er in der Rezeptionsgeschichte zu finden ist. Von weiterer Bedeutung in den Jugendjahren Augustins ist seine mehrfach bekundete Abneigung gegen die griechische Sprache und seine Wertschtzung des Lateinischen (conf. I 13,20). Die Begegnung des jungen Augustin mit der klassischen Bildung, vornehmlich in Form der Philosophie und der Rhetorik, hat ihn – ganz zur Enttuschung seiner Mutter – vom Christentum mehr entfernt, als es ihm nher gebracht. Diese Bestimmung gilt jedoch nur fr den jungen Augustin. Insofern ist die folgende Aussage Habermehls als allein fr den jungen Augustin gltig zu verstehen: „Die Begegnung mit der Philosophie bestrkt ihn in der Kritik am Glauben seiner Mutter, besonders an der ,Mythenhaftigkeit‘ der Bibel“ (Habermehl 1997: 123).93 Augustin verbringt seine Jugendjahre mit dem Studium der Rhetorik und wird selber zu einem gefragten Rhetor und Rhetoriklehrer, zu einem talentierten „seller of words“ (Matter 1990: 23). Diese Fhigkeit der intentionalen Verwendung von Sprache hat Augustin bis zu seinem Ende beibehalten. Seine Schriften gelten als stilistisch brillant. Pelikan verwendet gar fr De Trinitate den Begriff der „rhetorischen Pyrotechnik“ (1990: 337). Insgesamt lsst sich festhalten, dass Augustins Kindheit und Jugend, so wie sie uns heutzutage anhand der Originalquellen und anhand der Forschungsliteratur zugnglich sind, als Ausgangssituation fr die geistige Entwicklung zu sehen sind. Bereits anhand seiner Eltern lsst sich der Widerstreit zwischen „heidnischer“ Bildung und christlicher Erziehung aufzeigen, und obwohl Augustin in seinen jugendlichen Jahren von der Gesinnung und Neigung zur klassischen Bildung eher dem Vater nahe zu stehen schien, war es doch die Mutter Monika, die mit ihrem christlichen Glauben und der Absicht, ihren Sohn zum Christentum zu bekehren, in der Entwicklung die wichtigere Rolle spielte. So zumindest geht es aus 92 Sowohl zwischen den Welten historiographischer Konstruktion, wie auch zwischen den damaligen Glaubenswelten, die im weiteren Sinne als heidnisch und christlich bezeichnet werden kçnnen. 93 Sieht man beispielsweise, was der spte Augustin ber seinen Kontakt mit der Philosophie niederschreibt, so wird das Bild vermittelt, dass ihn die Philosophie und vor allem die Weisheit gerade zu Gott gebracht hat. Diese Antinomien sind jedoch aus der Entwicklungsperspektive heraus zu erklren und im Licht des jeweiligen Entwicklungsstadiums zu sehen.
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den heute zugnglichen Quellen hervor, die jedoch von dem spten Bischof Augustin geprgt sind und nicht von dem frhen Augustin, der, ganz im Zeichen der antiken Bildung, ein Theaterstck verfasst haben soll, das jedoch verschollen ist.94 Schließlich bleibt als kritisches Resmee festzuhalten, dass wir Augustin auch hier nicht vollumfnglich trauen drfen und den Einfluss des Vaters gerade wegen der ostentativen Distanz hçher einschtzen sollten, als dies von Augustin selber bekundet wurde, und sei der Einfluss auch nur eine Reaktion auf den Vater in Form jugendlicher Auflehnung, die dann zu dem distanzierten Verhltnis und der Vernachlssigung der Rolle des Vaters in den spteren Schriften gefhrt hat. 4.2.4.2 Die Hortensiuslektre als „erste religiçse Konversion“ Hans Blumenberg, der in dieser Arbeit das historiographische Modell der Epochenschwelle beigesteuert, hat sich in seinen verschiedenen, vornehmlich frhen Arbeiten immer wieder mit Augustin auseinandergesetzt. Der Einstieg zu den „Meilensteinen“ der geistigen Entwicklung kann denn auch mit einer prgnanten Charakterisierung Blumenbergs begonnen werden, wonach der junge Augustin „gleichsam imprgniert mit Cicero“ (Blumenberg 1965a: 58) gewesen ist.95 Doch mit welchem Augustin haben wir es hier genau genommen zu tun? Denn Augustin ist bei jeder Charakterisierung stets im Licht seiner Entwicklung zu sehen. So gesehen gibt es nur jeweils kontextbezogene Rekonstruktionen von Augustin. Fr Augustins graduelle Entwicklung ist in jenen „jungen Jahren“, auf die Blumenberg rekurriert, insbesondere die Lektre des verloren gegangenen Hortensius von Cicero von Bedeutung, auf welchen er sich spter bei der Abfassung von De libero arbitrio beruft und dort das „stoische Axiom von der Vollkommenheit der Welt“ bernimmt und der menschlichen Vernunft Einblicke in die Absichten der schçpferischen Vernunft zuspricht (Blumenberg 1965a: 58). Jedoch ist hier kritisch anzumerken, dass die Cicerolektre viele Jahre vor der Abfassung von De libero arbitrio liegt und somit die Chronologie des Ereignisses nicht gewahrt wird. Jedoch wird durch den von Blumenberg hergestellten Zu94 Laut Longosz hat Augustin in seiner Jugend ein „theatricum carmen“ verfasst, womit er sogar Erfolg hatte und von dem Proconsul Vindicianus „als Sieger mit der „corona faenea“ ausgezeichnet wurde“ (Longosz 1989: 292). 95 Zum berblick ber das Verhltnis von Augustin und Cicero vgl. Testard (1958).
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sammenhang klar, welchen Einfluss die Cicerolektre auf Augustins Leben und Werk hatte. Nach Brown kann diese Wende als die „erste religiçse Konversion“ (Brown 1982: 33) bezeichnet werden. Diese Auffassung nhrt Augustin selber in den autobiographischen Passagen der Confessiones. Darin beschreibt er den Effekt der Lektre als Hinwendung zur Philosophie und zu Gott. Dieser Standpunkt darf als literarische Konstruktion verstanden werden, da die der Lektre nachfolgende Lebensphase nicht durch die Hinwendung zu Gott charakterisiert wurde, die erst deutlich spter stattfand. Gleichwohl hat die Cicerolektre eine Vernderung verursacht, die schließlich zur religiçsen Konversion fhrte. So fhrt Augustin im dritten Buch der Confessiones aus: „Liebe zur ,Weisheit‘ aber besagt das griechische Wort Philosophie, und zu dieser Liebe entflammte mich jene Schrift“ (conf. III 4,8). In diesem Zusammenhang nimmt Augustin eine Unterscheidung von Philosophie und Weisheit auf, indem ihn Cicero nicht fr eine spezifische Schulform gewann, sondern er durch Cicero „erweckt, begeistert und befeuert“ wurde, „nicht fr diese oder jene Philosophenschule, sondern fr die Weisheit selbst, was sie auch sei“ (conf. III 4,8). TeSelle listet detailliert auf, welche Werke Ciceros Augustin gelesen hat, und welche Wirkung diese auf den jungen Augustin hatten. So entstammt Augustins Wissen ber Ethik den Schriften De legibus und De finibus. Weiter bezog Augustin sein Wissen ber die klassische Philosophie von Ciceros De natura deorum (TeSelle 1970: 45). Man kann die zentrale Rolle Ciceros fr Augustins geistige Entwicklung also nicht oft genug betonen, da dessen Schriften nicht nur die Wissensvermittlung bernommen haben, sondern dem jungen Augustin eine identittsstiftende Beziehung zur Philosophie vermittelt haben.96 Doch ausgerechnet die fr Augustin wichtigste Schrift Ciceros, der Hortensius, ist verloren und somit eine der wichtigsten Quellen zum Verstndnis der Entwicklung Augustins. Im Folgenden soll also behandelt werden, was ber den Hortensius dennoch bekannt ist, da sich aufgrund der Rezeptionsgeschichte Teile rekonstruieren lassen, die Aufschluss ber Art und Inhalt des Werkes geben.97 96 Dieser Auffassung ist auch Fitzgerald, der ausfhrt, dass Augustin wahrscheinlich alle Arbeiten Ciceros zur Kenntnis genommen hat und sich so sein Wissen ber die griechische Philosophie angeeignet hat (Fitzgerald 1999: 190). 97 Laut Fitzgerald besteht Grund zu der Annahme, dass der Hortensius gar keine originre Schrift Ciceros ist, sondern eine lateinische Version von Aristoteles’
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Forman sieht zwischen Cicero und Augustin eine enge Beziehung in dem Sinne, dass Cicero der einzig vergleichbare antike Autor war, dessen Werk und Lehre denen Augustins vergleichbar seien (Forman 1995: 6). Cicero kçnnte neben der inhaltlichen Einflussnahme in diesem Sinne als „role model“ fr Augustin fungiert haben. Als Indiz hierfr kann beispielsweise mit Fitzgerald angefhrt werden, dass Augustin sein Leben lang auf Cicero zurckkommt. Doch die philosophische Erweckung der frhen Zeit schlgt um in Ablehnung, da das Gedankengebude Ciceros nicht mehr kompatibel mit dem Glauben des spteren Augustin ist. In jenen Bereichen jedoch, in denen kein Konflikt mit dem Glauben besteht, fhrt Augustin Cicero als Vorbild an, der wesentliches Wissen zur „conditio humana“ beigetragen hat (Fitzgerald 1999: 192 f ). In den Confessiones besttigt Augustin einerseits den unabstreitbaren Einfluss Ciceros auf seine Entwicklung, lsst aber zugleich eine ablehnende Haltung erkennen, die Fitzgerald eine „ambiguous attitude“ nennt, da trotz der theologischer Unbrauchbarkeit Ciceros Augustin bis zu seinem Lebensende immer wieder aus dem Hortensius zitiert (Fitzgerald 1999: 190 f ). Die These der „ersten Bekehrung“, die mit dem Hortensius einhergegangen sein soll, kann mit Augustins eigenem Bericht aus den Confessiones untermauert werden. Oder um es noch deutlicher zu sagen: Die Erkenntnis, dass die Hortensiuslektre ein Bekehrungserlebnis98 gewesen sei, ist eine Folge dessen, was Augustin seinen Leser denken lassen mçchte, wenn er schreibt: Im Verlauf der gewohnten Studienordnung stieß ich auf das Buch eines gewissen Cicero, dessen Sprache, mehr als seinen Geist, fast jedermann bewundert. Das Buch trgt den Titel ,Hortensius‘, und sein Inhalt ist eine Aufforderung, sich der Philosophie zu widmen. Und dies Buch vollzog in meinem Herzen eine Wandlung: Zu dir, Herr, wandte es meine Gebete, und neuen Inhalt gab es meinen Wnschen und Begierden. Mit einem Male brach sie in mir zusammen, all die eitle Hoffnung; mit einer Inbrunst ber Protrepticus, die Cicero 45 v. Chr. verfasst haben soll. Namensgebend war nach Fitzgerald Q. Hortensius Hortalus, ein Weggefhrte Ciceros, fr den er eine Ermunterung zur Beschftigung mit der Philosophie verfasst hat, die in einigen Teilen auf Aristoteles ebenfalls verlorenen Dialog Protrepticus beruht (Fitzgerald 1999: 437). Der Bezug zu Aristoteles durch Cicero kommt in einer spteren Phase seiner Entwicklung wieder zum Vorschein, wenn Augustin die Kategorienschrift des Aristoteles, die in der lateinischen bersetzung von Marius Victorinus (conf. 4.16) vorliegt. 98 Bekehrung wird in diesem Zusammenhang in einem weiteren Sinne verstanden, wie es allgemein der Fall ist, wenn von Augustins Bekehrungen die Rede ist.
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alles Maß sah das Verlangen meines Herzens nun nach deiner ewigen Weisheit, und ich begann mich zu erheben, um zu dir zurckzukehren. […] Wie glhte ich, mein Gott, wie glhte ich, vom Irdischen mich zu erheben zu dir! (conf. 3.4.8)
Der Wert dieser Passage besteht weniger in der von Augustin bekundeten Signifikanz des Hortensius als Bewegung zu Gott hin, sondern vielmehr in der schlichten Feststellung, dass der Hortensius seinerzeit in Augustins Jugend von großem Einfluss auf seine geistige Entwicklung war, die aber als Hinwendung zur Philosophie zu verstehen ist und erst nach etlichen weiteren Wendungen im Licht der Hinwendung zu Gott – wie in den Confessiones proklamiert – verstanden werden kann. Schçpf weist darauf hin, dass Ciceros Einfluss auf Augustin philosophischer Natur war und er durch Cicero der akademischen Skepsis99 nher gebracht wurde und somit die damals wiederauflebende phyrronische Lehre einbezog (Schçpf 1979: 27). Adam weist in aller Deutlichkeit darauf hin, dass Augustin, „als sich sein Auge den Rtseln des Lebens zu çffnen begann, nicht zur Lebensund Liebesgemeinschaft der katholischen Kirche“ (Adam 1954: 9) gehçrte. So hat der Hortensius nach Grasmck Augustin in erster Linie gelehrt, „wahre Glckseligkeit bestehe nicht darin, zu tun, was man „wolle, sondern das Gute zu wollen“. Dies mache Tugend aus. Glck und Tugend aber seien von der Philosophie, dem Suchen der Wahrheit, nicht zu trennen“ (Grasmck 1987: xix). In diesem Sinne wird verstndlich, dass Augustin durch Cicero nicht einer philosophischen Schule angetan war, sondern der Suche nach Weisheit und Glck. Er folgte also einem Ziel, das er spter seinem Vernehmen nach durch die Bekehrung zum christlichen Glauben erreichen sollte. Somit war der Effekt des Hortensius enorm und so ist es verstndlich, dass O’Connell von der „Bekehrung zur Philosophie“ spricht, die Augustin durch die Lektre Ciceros vom Rhetor zum Philosophen durchlaufen hat (O’Connell 1996: 5). 99 Auf den Einfluss Ciceros auf die augustinische Skepsis weist insbesondere Frede hin: „And Cicero’s influence was magnified by St Augustine’s authority, who for his attack on scepticism in his Contra Academicos primarily, if not exclusively, relied on Cicero, but unlike Cicero, gave no indication of the possibility of a non-dogmatic scepticism […]. And given Augustine’s standing far into early modern times it is not surprising that the Western view of scepticism should have been determined by him throughout the Middle Ages, especially since for a long time his Contra Academicos would have been the only readily available source which discussed scepticism in any detail“ (Frede 1984: 255).
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Philosophia means for him, accordingly, not just some subject of school or university study, but a way of life, to which one ,gives oneself‘ without reserve (O’Connell 1996: 6).
Diese auch als „erste Bekehrung“100 in die Forschungsliteratur eingegangene Wandelung kann nun im folgenden als im graduellen Fluss wesentliche Entwicklung Augustins verstanden werden, die ihn in spteren Schritten nach der akademischen Skepsis zum Christentum fhrte, da er nur in der Bibel und dabei insbesondere in Jesus Christus jene Weisheit finden konnte, die er sein Leben lang suchte (Gilson 1967: 227). Bevor Augustin sich jedoch dem Studium der heiligen Schrift widmete, unternahm er eine weitere Transformation, die ihn in die Nhe der Sekte der Manicher fhrte (Richter 1984: 6). 4.2.4.3 Augustin als Hçrer bei den Manichern: „The hidden years“ Augustins Zeit bei den Manichern von 373 bis 382 stellt eine wichtige Episode der geistigen Entwicklung dar und belegt einmal mehr, zu welchen Wandelungen der junge Augustin fhig war. Vorab ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass Augustin immerhin fr neun Jahre bei den Manichern war und somit diese Eposode keinesfalls als Marginalie oder gar als Irrtumsgestus abgetan werden kann, wie dies hufig aus Sicht derer, die den spten Augustin vor Augen haben, ausgelegt wird.101 Die Quellenlage, die zur Untersuchung dieser Phase Aufschluss geben kçnnten, sieht denkbar schlecht aus, da Augustin, auf dessen Werk sich die meisten Untersuchungen sttzen, aus der Sicht des Bischofs und damit gegen die Sekte der Manicher schreibt. So berichtet er im fnften Buch der Confessiones in der Schilderung seiner Jugendjahre ber seine Auseinandersetzung mit der Philosophie und schließlich seine Zeit bei
100 So unter anderem bei Bwown (1982) und Ferrari (1984: 1) zu finden. Beide Autoren rekurrieren auf einen Artikel von Maria Peters aus dem Jahr 1921, der den Titel trug: „Augustins erste Bekehrung“. The subject of Peters’ study was the famous Hortensius episode of the third book of the Confessions“ (Ferrari 1984: 1). 101 So beispielsweise in einer Formulierung der Kirchengeschichtlerin Susanne Hausammann, wonach Augustin „in die Fnge der Manicher“ getrieben wurde (2003: 360). Die grammatikalisch damit evozierte Passivitt oder gar Opfermentalitt soll aus der Entwicklungsperspektive, wie sie hier vertreten wird, abgelehnt werden.
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den Manichern, die er in 3,3 der Confessiones nur noch als „weitschweifige Geschichten“ bezeichnet.102 Im Rckgriff auf das vorherige Kapitel zur so genannten „philosophischen Bekehrung“ durch die Schriften Ciceros, sind Augustins Grnde fr die Hinwendung zu den Manichern zu erfragen. Mit welchem Binnenverstndnis und welcher Begrndungsrationalitt wendet sich Augustin fr so lange Zeit den Manichern zu? Hierzu liegen verschiedene Erklrungsanstze vor, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. Als Ausgangssituation ist die durch die Philosophie Ciceros angestoßene Suche nach Weisheit anzusehen, wie sie im verloren gegangenen Hortensius fr Augustin bedeutsam wurde. Wendet sich Augustin anfangs noch an die akademische Philosophie, die ihn aber in Zweifeln und dem Schwanken zwischen Meinungen hinterlsst, so ist sein erster Kontakt mit der Bibel, der der Hinwendung zu den Manichern unmittelbar vorausgeht, eine „Katastrophe“. Augustin, zu jener Zeit aufstrebender Rhetoriklehrer in Karthago, beurteilte die Bibel als „schlecht geschrieben“ und als fr ihn wenig zutrglich, den philosophischen Idealen, wie er sie von Cicero bernommen hat, nher zu kommen (Gilson 1967: 227). Was aber, so die zentrale Frage zum Verstndnis der manichischen Episode Augustins, zog ihn zu dieser Sekte und ließ ihn ganze neun Jahre in dem Status des „Hçrers“ verbleiben? Diese Frage ist auf zwei Ebenen zu beantworten. Zum einen inhaltlich und zum anderen pragmatisch. Die Manicher zeichnete eine esoterische Qualitt aus, die Peter Brown als „Hauch eines Geheimbundes“ charakterisiert, was er u. a. auf deren sozialen Exklusivismus zurckfhrt,103 der fr den jungen Augustin neben allen inhaltlichen Erwgungen eine seltsame Anziehungskraft ausgebt habe. Zum zweiten stellte die Sekte der Manicher eine Mçglichkeit fr Augustin dar, sich von den „anmaßenden Lehrern“ der Universitt von Karthago zu distanzieren, die er „insgeheim verachtete“ (Brown 1982: 41). 102 Die Quellenlage hat sich seit 1969 verbessert, als in gypten einige Briefe ber das Leben des Mani gefunden wurden, die laut Peter Brown von Zeitgenossen des jungen Augustins geschrieben wurden: „They take us as close as we have ever been able to get to the mood of a Manichaean ,cell‘, such as must have gathered around Augustine in Carthage and Thagaste in the 370“ (Brown 2000: 485). 103 „In fremden Stdten pflegten Manicher nur bei Mitgliedern ihrer eigenen Sekte zu wohnen“ (Brown 1982: 39).
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Drittens, was eng mit den beiden genannten Grnden zusammenhngt, fiel seine „Konversion zum Manichismus“ zeitlich zusammen mit der Aufgabe des Vorhabens, ein erfolgreicher Berufsjurist zu werden (Brown 1982: 41), welches eine Karriereoption gewesen wre, die aus seiner Beschftigung mit der Rhetorik erwachsen wre. Doch sind diese strukturellen Grnde nicht die wesentlichen zur Erklrung der geistigen Entwicklung Augustins, sondern vielmehr Konsequenzen, so dass im Folgenden den inhaltlichen Grnden die Aufmerksamkeit zugewendet werden soll. Fr den jungen Augustin hatte der Manichismus eine große Anziehungskraft, da er „logische Konsequenz mit philosophischer Liberalitt und ethischem Rigorismus [vereinte]. In vielfltigen Bilderreden sprach er das Bewusstsein aus, dass die Welt zerbrochen war, dass sie Dissonanzen enthielt, die zu harmonisieren die Kraft des Einzelnen berstieg“ (Flasch 1986: 31). Die Leitfrage, die Augustins Suchen zusammenfasst, lsst sich als die Frage „nach der Natur des Bçsen“ beschreiben, fr die die Manicher eine Antwort durch die Lehren des Mani zu geben in Aussicht stellten. Diese „manichische Antwort auf das Problem des Bçsen ist der Kern des Manichismus des jungen Augustinus“ (Brown 1982: 39). Doch wie genau stellt sich die Lehre der Manicher dar? Laut Brown waren die Manicher eine Sekte, die sich inhaltlich als „dualistisch“ und von ihrer Wahrnehmung durch das Christentum im vierten Jahrhundert als „anarchistisch“104 beschreiben lassen. Sie waren berzeugt, dass das Bçse nicht von einem guten Gott kommen kçnne, sondern sie glaubten, das Bçse „kme von einer Invasion in das Gute – das „Reich des Lichtes“ – durch eine feindliche Macht des Bçsen – des „Reiches der Finsternis“ -, gleich an Macht, ewig und vçllig getrennt“ (Brown 1982: 40). Aus dieser Einstellung dem Bçsen gegenber erwuchs die Konsequenz, dass das Gute im Gegenzug „passiv und wirkungslos“ sein musste. Ein Aspekt, den der spte Augustin in seinen Schmhschriften gegen die Manicher besonders betont.105 Das Gute wird nach den Lehren Manis von der „heftigen Aktivitt des Bçsen getroffen“ (Brown 1982: 44). Von den Manichern versprach sich Augustin, dass das Gute in ihm „freigesetzt“ wird und „zurckgeht“ in einen „ungetrbten, ursprnglichen Stand der 104 So beschreibt Brown die Manicher weiter als „eine „fnfte Kolonne“ fremden Ursprungs, entschlossen, die christliche Kirche zu unterwandern, [als] die Trger einer einzigartig radikalen Lçsung der religiçsen Probleme ihrer Zeit“ (Brown 1982: 39). 105 Etwa „Contra Secundinum Manichaeum“.
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Vollkommenheit“, der von den Manichern „das Reich des Lichtes“ (ebd.) genannt wird. Philosophisch interessant an Augustins Zeit als Manicher ist im Gegensatz zu seinem spter vertretenen theologischen Ansatz die These, dass er die Lehre seiner Religion „durch die Vernunft allein aufrechterhalten“ (Brown 1982: 40) kçnne, was wiederum in Einklang mit der philosophischen Suche im Sinne Ciceros steht. Die stoische Philosophie, die Augustin vor seiner Zuwendung zum Manichismus konsultiert hatte, gab ihm erstmals die Mçglichkeit, die Welt als Einheit zu verstehen. „Was die Stoa jedoch nicht leisten konnte [oder wollte], war eine Unterscheidung zwischen gut und bçse zu treffen, ja berhaupt die Tatsache in den Blick zu bekommen, dass es Bçses gibt. Durch dieses Defizit wurde Augustin in die Fnge der Manicher getrieben“ (Hausammann 2003: 360). Ob diese Eigenart der stoischen Philosophie als Defizit zu bezeichnen ist, darf angezweifelt werden. Das stoische Konzept der Ataraxie beispielsweise sollte als das spezifische Element der stoischen Philosophie verstanden werden, das den Dualismus von gut und bçse aufhebt. Doch soll nicht die Frage nach Augustins Beziehung zur stoischen Philosophie im Mittelpunkt stehen, sondern vielmehr Augustins Zeit als Manicher, sowie die Auswirkungen der manichischen Phase auf die weitere geistige Entwicklung. Augustin selber hatte den Status des „Hçrers“ bei den Manichern inne, was ihn von den „Erleuchteten“ unterschied, die in besagtem Exklusivismus und beschriebener Passivitt im „Reich des Lichtes“ lebten. Diese Unterscheidung ist von Bedeutung, da der Status des Hçrers ihm die Mçglichkeit der weiteren Orientierung ließ und einen Rest an Skepsis gegenber dem konsequenten Manichismus zum Ausdruck bringt. Gleichwohl lebte Augustin whrend seiner Zeit als Manicher unter Manichern in deren Lebensgemeinschaft (Brown 2000: 485). Aufgrund der abgeschirmten Lebensweise der Manicher und aufgrund Augustins Unwilligkeit, der Nachwelt von dieser Episode im Detail zu berichten, ist es zu erklren, dass Frend die neun Jahre Augustins bei den Manichern als „hidden years“ (Frend 1989: 251) bezeichnet. Wer genau waren jene Manicher und wo kamen sie wann her, dass sie in der Umbruchzeit des vierten Jahrhunderts einen Suchenden wie Augustin fr neun Jahre zu halten vermochten? Laut Peter Brown sind die Manicher als Missionare im Jahre 297 in Karthago angekommen. Nicht ohne Tendenz schreibt er: „Sie waren die „Auserwhlten“, eine Gruppe von Mnnern und Frauen, bleich vom Fasten und eingezwngt in sorgfltig aufgestellte Tabus. Sie versammelten um sich Gemeinden von
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„Hçrern“, gleichbedeutend den christlichen Katechumenen, die sich damit begngten, die harte Lebensart ihrer geistlichen Heroen, der „Auserwhlten“, aus sicherer Entfernung zu bewundern. Diese Menschen brachten eine unwiderstehliche Atmosphre des Geheimnisvollen mit sich: komplizierte geheime Gebete, prachtvolle Pergamentbnde mit den Schriften Manis und die Andeutung einer tieferen Botschaft, die sich hinter ihrer Rede von „Licht“ und „Finsternis“ verbarg“ (Brown 1982: 38). Abermals wird deutlich, dass Augustin als Hçrer hier einen Status der Zugehçrigkeit einnahm, jedoch nicht zum harten Kern der Bewegung zhlte, geschweige denn deren Entwicklung aktiv mitprgte. Augustins christliche und stets um das Seelenheil ihres Sohnes besorgte Mutter Monica schloss „Augustinus von ihrem Hause aus. Sie ließ sich erst erweichen, nachdem sie durch einen Traum die Gewissheit erlangt hatte – charakteristisch fr sie -, dass ihr Sohn auf die Dauer zu ihrer Religion zurckkehren wrde. Ein Bischof, den sie um Rat gefragt hatte, war ebenfalls sicher, dass Augustinus nicht lange Manicher bleiben wrde“ (Brown 1982: 46). Als Augustin jedoch noch whrend seiner Zeit als Manicher von Karthago in seine Heimatstadt Tagaste berwechselte und seine Mutter ihn wie bei fast allen seiner Ortswechsel trotz Ablehnung seiner religiçsen berzeugung oder seiner Lebensgewohnheiten begleitete, befand sich Augustin mit seinem Manichismus in einem vçllig anderen Umfeld von Manichern als in Karthago. „Der Manichismus des Augustinus war der Manichismus einer Sondergruppe, der kultivierten Intelligenz der Universitt Karthago und der Angesehenen in der Kleinstadt Tagaste“ (Brown 1982: 46). Die oben erwhnte Wahrnehmung der Manicher als „Geheimbund“ bekommt in der augustinischen Ausprgung elitre Zge. Allgemein kann als Tendenz der Entwicklungsstadien Augustins festgehalten werden, dass Augustin sich stets den Zirkeln und Lehren anschloss, die eine bestimmte Machtkonzentration darstellten. Diese Tendenz kann vor allem auch fr die Zeit in Mailand beobachtet werden, wo sich Augustin den christlichen Neoplatonikern um Ambrosius herum anschloss. Bemerkenswert ist an der manichischen Phase, dass Alypius, der spter Augustin in jener Mailnder Herberge begleitet, wo die entscheidende und letzte Bekehrung schließlich im Garten stattfindet, bereits Schler von Augustin im Jahre 374 in Tagaste war. Diese freundschaftliche Begleitung ber die verschiedenen Entwicklungsphasen hinweg spricht fr eine starke persçnliche Bindung zwischen Schler und Lehrer, zwischen Freunden schließlich, die die einzelnen Phasen im Vergleich zu den so-
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zialen Netzwerken als weniger bedeutsam erscheinen lsst, als dies die rein schulmßige Betrachtung der geistigen Entwicklung suggerieren wrde. Auch ist die Bedeutung der Philosophie an sich, also ohne Schulformen und Autorenidentifikationen, strker zu betonen. Es lsst sich darber die These formulieren, dass die verschiedenen Episoden, die sich rezeptionsgeschichtlich und insbesondere durch die Retractationes klar einteilen lassen, insgesamt berbewertet werden. So kann das whrend seiner manichischen Phase entstandene und verlorene Buch De pulchro et apto („ber das Schçne und Angemessene“) als Zeugnis einer allgemein philosophischen Arbeit gedeutet werden. Dafr spricht auch die von Brown festgehaltene Beobachtung, dass Augustin von Tagaste nach Karthago zurckkehrt, um seine Studien als Philosoph fortzusetzen. Er benutzte weiterhin das Werk des Cicero als Fundgrube philosophischer Information. Sogar der „Hortensius“, bemerkte er, enthielt Angaben ber die Natur der Sonnenfinsternisse, die den Manichern widersprachen“ (Brown 1982: 49). Es ist also problematisch, Augustin als Manicher zu konstruieren, auch wenn sein Status als „Hçrer“ in den Briefen bezeugt wird, wie unter anderem durch den Manicher Secundinus belegt, der Augustin als den „Paulus unserer Zeit“ bezeichnet hat, wre dieser Manicher geblieben (Brown 1982: 325). Auf der anderen Seite ist Augustin fr die Manicher missionarisch ttig gewesen, wie u. a. Frend (1989: 251) ausfhrt. Allgemein muss die Bltezeit der Manicher als Zeit des kulturellen und religiçsen Umbruchs gedeutet werden. Lee spricht dem rçmischafrikanischen Manichismus, dem auch Augustin anhing, eine Einzigartigkeit zu, die durch das „religiçse Milieu und den politischen Kontext des rçmischen Reichs“ geformt wurde (Lee 1999: 7). Bereits im dritten Jahrhundert tritt der Manichismus als eine Form der Gnosis auf, die „alle ihre anderen Gruppen absorbiert hat“ (Schçpf 1979: 24). Die verschiedenen Zirkel Christentum, Manicher, Philosophen und dabei insbesondere die Neoplatoniker sind also als dogmatisch streng voneinander getrennt zu sehen, sind aber von ihrem lebensweltlichen Angebot an den jeweiligen „Suchenden“ durchaus vergleichbar und einander hnlich. So fhrt Rudolph beispielsweise aus, dass bei „Augustins Manichismusverstndnis“ oft bersehen wird, das dieses einen „christlichen Charakter“ (Rudolph 2001: 14) aufweist. Allgemein kann gefolgert werden, dass eine Konkurrenzsituation zwischen den verschiedenen damals jungen Sinnstiftungsangeboten zur Zeit Augustins geherrscht hat und dass Augustin von diesem Angebot regen Gebrauch gemacht hat, um schließlich bei der christlichen Kirche
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zu bleiben. Die Verwandtschaft zwischen Manichismus und Christentum war es schließlich auch, die einen besonders tiefen Graben zwischen den beiden Glaubenssystemen gezogen hat und die zu jenen heftigen Abgrenzungsdisputen gefhrt hat, die in Augustins spten Schriften gegen die Manicher sichtbar werden.106 Die enge Verwandtschaft zwischen dem Christentum der Sptantike und dem Manichismus dieser Zeit und dessen Austauschbarkeit im Sinne des wechselnden Bekenntnisses wirft die Frage auf, inwieweit Augustin jemals Manicher war und inwieweit er jemals aufhçrte, Manicher zu sein. hnlich wie bei dem fr die Bekehrung noch bedeutsameren Neoplatonismus gilt auch hier, dass Augustin eine personalisierte Form des Manichismus entwickelt hat, die er zumindest der Ansicht Frends zufolge bis zu seinen letzten Jahren und damit auch zur Zeit seiner Funktion als Bischof aufrecht erhalten hat. So wirft ihm sein Widersacher Julian von Eclanum in der Debatte ber den freien Willen und die dem gegenber stehende augustinische Konzeption der Erbsndenlehre vor, dass diese ihn noch immer als Manicher ausweise (Frend 1989: 251). Die Manicher-Adaptionsthese, die in die Forschungsdiskussion 1952 von A. Adam angefhrt wurde, hat eine Kontroverse losgelçst, die bis heute ungeklrt bleiben muss. O’Donnell als prominenter Augustinforscher meint, dass Adam nicht recht hat mit seiner Manicher-Adaptionsthese, wonach die Confessiones eine Fortfhrung des jhrlichen Sndenbekenntnisses der Manicher zum „Bema Fest“ seien (O’Donnell 1992b: 7). Dennoch bleiben die Indizien, dass Augustin bei den Manichern eine Prgung erfahren hat, die sich in seinem spteren Werk als Bischof und Dogmatiker wiederfinden lsst. Dem wiederum muss entgegengehalten werden, dass der spte Augustin, der auch die Erbsndenlehre entwickelt, an der Missionierung von Manichern und deren Sympathisanten arbeitet. Insbesondere solche Manicher, die aus Ermangelung einer besseren Alternative Manicher sind, bemht sich Augustin zu bekehren (Lee 1999: 8). In zugespitzter Formulierung ist Augustin also bemht, suchende und durch die Umstnde der sozialen und politischen Unsicherheit verunsicherte Menschen, wie er selber einer whrend seiner Zeit als Manicher war, zu bekehren. Augustins Interesse ist dabei ein kirchlich-institutionelles, was mit dem oben angesprochenen Wettbewerb um Anhnger zwischen den Mani106 Lee begrndet die „Gefahr“ fr das Christentum durch die Manicher gerade durch dessen Anpassungsfhigkeit an das zunehmend christliche Umfeld (Lee 1999: 7).
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chern und den Christen zu tun hat. Es ist nicht Augustins Anliegen, die Manicher an sich zu bekmpfen, sondern jenen Flgel, der das Ansehen der katholischen Kirche schdigte (Lee 1999: 8). Abschließend soll noch einmal Augustin selber zu Wort kommen, wie er in den Confessiones seinen Schritt weg von den Manichern beschreibt. Im fnften Buch heißt es: Und also, zweifelnd an allem, nach Art der Akademiker, wie sie blich verstanden werden,107 und wank und schwank zwischen den Meinungen, wurde ich wenigstens in dem einen mit mir einig, dass ich von den Manichern abzurcken htte (conf. V 14,25).
Aufschlussreich an dieser Passage ist die Haltung Augustins, die sich in der literarischen Rekonstruktion der Confessiones als eindeutig philosophisch erkennen lsst. Seine spteren Schriften nach der letzten Konversion sind von der Abwesenheit des Zweifelns getragen. Zu dieser frhen Zeit jedoch ist Augustin trotz Zugehçrigkeit als „Hçrer“ zu den Manichern dem akademischen Paradigma weiter verhaftet. Es darf als Konsequenz dieser Untersuchung folglich angenommen werden, dass die Zeit Augustins als Manicher gemeinhin berschtzt wird, was den identifikatorischen Habitus angeht. Auf der anderen Seite lernt Augustin von den Manichern vieles, was in spterer Beschftigung im Auftrag des Christentums wieder an die Oberflche gelangt, wie beispielsweise der Dualismus, den er im Gottesstaat konstruiert. In dieser zweiten Sichtweise wird Augustins Zeit bei den Manichern unterschtzt. Abschließend kçnnen die neun Jahre bei den Manichern als Indikator fr die anhaltende und kompromisslose Suche verstanden werden, auf der sich Augustin Zeit seines Lebens bis zum „sicheren Hafen der Kirche“ befunden hat. 4.2.4.4 Neoplatonismus und die „Schwelle zur Kirche“ Augustins Hinwendung zu den philosophischen Lehren des Neoplatonismus fhrt in der graduellen Betrachtung in die unmittelbare Nhe des literarisch in den Confessiones konstruierten Bekehrungserlebnisses. Waren die vorangegangenen Abschnitte hinfhrende und fr die gesamte Entwicklung entscheidende Meilensteine, so ist Augustins Beschftigung mit dem Neoplatonismus schließlich eine zielfhrende Episode, da sich aus dem Gedankengebude des Neoplatonismus die augustinische Kehre 107 „Itaque Academicorum more, sicut existimantur, dubitans de omnibus atque inter omnia.“
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vollzieht. Ottley findet hierfr eine treffende Beschreibung im Sinne der Untersuchungsmethode: „Neo-Platonism […] brought Augustine to the threshold of the Church“ (Ottley 1919: 65). Fr die untersuchende Darstellung als graduellen Prozess bedeutet dies eine Verdichtung, die sich in der zeitlichen Verlangsamung der Untersuchungsphasen darstellt. Wie kommt Augustin also dazu, sich noch whrend seiner manichischen Phase mit dem Neoplatonismus zu beschftigen und schließlich die Manicher zu verlassen? Und wie konnte Augustin die Wendung von den philosophischen Gedanken zum Christentum vollziehen? Zur ersten Frage ist zu bemerken, dass die neoplatonischen Bcher, worunter im Zweifel108 die ins Lateinische bersetzten Werkte Plotins zu verstehen sind, dem jungen Augustin einen Ausweg aus dem Manichismus boten (Flasch 1986: 30). Augustin war dem Dualismus und vor allem der Passivitt der Manicher zunehmend weniger zugeneigt, und der Neoplatonismus stellt eine geeignete Lehre dar, die Suche auf der sich Augustin ber all die Zeit hinweg befand, in eine neue Richtung zu lenken. Folgt man O’Meara (1982), lsst sich keine klare Aussage darber anstellen, wie und wofr er die Neoplatonisten verwendet hat. Doch auch wenn sich keine klare Aussage aufstellen lsst, so lassen sich immerhin Differenzierungen vornehmen. Fitzgerald (1999: 655) unterscheidet drei Wege, auf denen Augustin sich mit dem platonischen109 Gedankengut vertraut machte. Um 380 las er die auch in den Confessiones (VII.9.13) erwhnte bersetzung der plotinischen Enneaden von Marius Victorinus.110 In 108 Die Frage, welche neoplatonischen Autoren Augustin maßgeblich beeinflusst haben und welche er berhaupt zur Kenntnis genommen haben kçnnte, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Einig ist man sich jedoch, dass die zentralen Figuren Plotin und Porphyrios gewesen sind. Es ist auch die Rede von Jamblichus, den Augustin gelesen haben soll. Zur Frage nach den verschiedenen Positionen siehe Schçpf (1979: 30), TeSelle (1970: 43), O’Connell (1969: 4). 109 Es ist hier auf eine weitere Kontroverse hinzuweisen, die in der nicht zu beantwortenden Frage liegt, ob Augustin nur und ausschließlich die Werke der Neuplatoniker gelesen hat, oder auch deren Grundlagen in Form der Originaltexte Platos. In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass Fitzgerald hier von „platonisch“ spricht, obwohl es um die neoplatonischen Werke geht. Auch wenn es keinen eindeutigen Beweis gibt, ergibt sich aus den Schriften Augustins, dass er zumindest den Timaios gelesen haben kçnnte (Fitzgerald 1999: 651). 110 Dieser war hnlich wie Augustin ein afrikanischer Rhetoriklehrer, der sich der christlichen Kirche angeschlossen hatte und Plotin und andere neoplatonische Schriften ins Lateinische bersetzte (vgl. Brown 1982: 77).
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Mailand begegnete Augustin in den Predigten des Ambrosius einem christlichen Neoplatonismus, mit dem er sich eingehend beschftigte. Der Neoplatonismus dominierte in Mailand die intellektuellen Kreisen, von denen sich Augustin angezogen fhlte. Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist die Frage nach der Gesinnung Augustins zu dem Zeitpunkt, als er in Kontakt mit den neoplatonischen Gedanken kommt. Fr O’Connell ist es die „klassische Frage“, ob Augustin die Enneaden mit „den Augen eines Christen“ las. Die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten und O’Connell schlgt die vorgelagerte Frage vor: Wann kehrte Augustin zur katholischen Kirche zurck? (O’Connell 1969: 63). Diese Kontroversen, die sich einer eindeutigen Antwort entziehen, kçnnen im Gegenzug als Frage nach der Bekehrung verstanden werden. War die Bekehrung schließlich die Hinwendung zum Christentum, oder war Augustin bereits Christ, als er die Enneaden las, und insofern war die Bekehrung nur eine rituelle Notwendigkeit? Das neoplatonische Milieu, in dem Augustin zuerst mit den neoplatonischen Schriften in Kontakt kam, las die Enneaden als Vergleich zu Johannes’ Prolog im Neuen Testament (Quinn 2002: 362 f ). Die Unterschiede im hnlichen und das hnliche im Unterschiedlichen stehen hier im Mittelpunkt der Betrachtung. Der Platonismus und insbesondere die neoplatonischen Lehren befanden sich in tiefgreifendem Wandel. Crouse liefert eine differenzierte Betrachtung der Entwicklungsrichtungen. So entwickelte sich der akademische (heidnische) Neoplatonismus nach Plotin hin zu einer systematischen Ausdifferenzierung in Schulsysteme, wohingegen sich der christliche Neoplatonismus in die Richtung der „systematischen Vereinfachung“ entwickelte (Crouse 2002: 41). Bedenkt man die Situation Augustins bei den Manichern, so lsst sich hier feststellen, dass der akademische Neoplatonismus fr Augustin nicht weiterfhrend ist, er sich sogar spter in contra academicos gegen die philosophische Schulbildung ausspricht. Hingegen wird ihm in der christlichen Kirche eine Lehre angeboten, die seiner Suche die entscheidende Richtung gibt. Diese Richtung ein Gott, der eine hohe Affinitt zum christlichen Gott und dem neoplatonischen Einen aufweist. Die Hinwendung zum Neoplatonismus ist Augustin in den Confessiones nur eine randstndige Bemerkung wert. So schreibt Augustin: „Dank Deiner Fgung erhielt ich durch einen von maßlosem Stolze geblhten Menschen einige Schriften der Platoniker, die aus dem Griechischen ins Lateinische bersetzt waren“ (conf. VII 9,13). Brown kommentiert: „Es ist typisch fr Augustinus, dass er den tiefen Wandel in seinem Denken in
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den „Bekenntnissen“ bloß mit diesen wenigen, nicht gerade schmeichelhaften Strichen andeutet“ (Brown 1982: 78). Augustins lapidare Erwhnung „einiger Schriften“ ist ein herber Verlust fr die gesamte Augustinusforschung, da die Entstehung von Augustins eigentmlicher Begriffssprache durch die Kenntnis der Quellen deutlich htte werden kçnnen. Bedenkt man dazu, dass Augustin stets Rechenschaft abgelegt hat, was seine eigenen Schriften anbelangt, so ist diese Erwhnung mçglicherweise strategisch zu deuten, da es seinen Ambitionen als Christ entgegenlaufen wrde, die Neoplatoniker in den Confessiones zu erwhnen und ihnen damit Geschichte zu geben. Fitzgerald weist darauf hin, dass der plotinische Einfluss nach der Ordination rapide schwindet und er sich nur noch fr die dogmatischen Auseinandersetzungen mit den Donatisten und den Manichern interessiert (Fitzgerald 1999: 655). Im Folgenden soll die Lehre Plotins hier kurz vorgestellt werden, damit deutlich wird, mit welchen Inhalten sich Augustin um 386 beschftigt hat. Anzufangen ist dabei mit der Frage nach Plotin und dessen Werk. Plotin wurde im gyptischen Lycopolis vermutlich im Jahre 204 als Grieche geboren und lehrte in Rom, wo er 270 starb. Er studierte in Alexandria Plato, Aristoteles, die Pythagorer sowie die stoischen Philosophen. „Seine schwierigen und beziehungsreichen Abhandlungen, die wir als die „Enneaden“ kennen, wurden von seinem Schler Porphyrius, einem Griechen aus Tyrus, herausgegeben“ (Brown 1982: 76). 245 erçffnete Plotin in Rom eine Schule, wo er griechische Philosophie lehrte, und Fitzgerald weist darauf hin, dass Plotins Denken einzig aus dem Grund berlebte, dass seine „treuen Studenten“ die Lehre am Leben hielten (Fitzgerald 1999: 654). Der neoplatonischen Lehre zufolge ist der Kosmos in das Eine, den Geist, die Seele und die Materie unterteilt. Alle „Vielheit“ emaniert aus dem Einen (hen), das der zentrale Begriff des Neoplatonismus ist und das fr Augustin die Brcke zum christlichen Gott schlug. Dieser Brckenschlag stellt die wesentliche Voraussetzung fr die Hinwendung zum Christentum dar, da es eine Verbindung geben muss – oder um im Bild zu bleiben, einen Schlussstein – wo philosophischer Neoplatonismus und Christentum konvergieren. Die hnlichkeit, die Christentum und Neoplatonismus aufweisen, lsst den gemeinsamen Nhrboden, auf dem der Wandel stattfindet, erklren. Auf die hnlichkeit von platonischen und christlichen Lehren weist Adam hin, wenn er schreibt: „Htte Plato die durchgreifende umgestaltende Macht der katholischen Volkskirche noch erlebt, so htte er „nur wenige Worte und
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Stze“ in seinem System zu ndern brauchen, um Christ zu sein“ (Adam 1954: 25).111 Das Zitat Adams stellt sich somit als Referenz zu Augustins De vera religione dar, da dieser dort ausdrcklich die hnlichkeit von den Platonikern und den Christen in nahezu denselben Worten konstatiert, wenn er schreibt, die Platoniker konnten „nach nderung weniger Worte und Stze als Christen gelten“ (De vera religione 4, 7).112 Es ist auch hier darauf hinzuweisen, dass De vera religione zu einer Zeit geschrieben wurde (388 – 391), als Augustin sich schon lange dem Christentum verschrieben hatte. Als er im Frhjahr 386 jene libri platonicorum las, von denen er in den Confessiones berichtet, las er mit den Augen eines „milanesischen Christen“, wie van Fleteren (2000b: 4) ausfhrt. Wenn dabei von den libri platonicorum die Rede ist, ist dabei von Plotins Werken auszugehen (s.o.). Nach Fitzgerald war es „Plotins Traum einer ursprnglichen, spritrituellen Gemeinschaft“, den Augustin bernommen hat und den er spter einerseits direkt nach der Zeit in Mailand auf dem Cassiciacum verwirklichte, und den er andererseits in seinen Schriften als Erlebnis fr seine Leser umsetzen wollte (Fitzgerald 1999: 656). Augustin entdeckte in den platonischen Schriften, dass der „Gott Platos“ und der „Gott der Christen“ ein „transzendentes Wesen, frei und kçrperlos“ ist (Fitzgerald 1999: 589). Es kann im Sinne der Untersuchung der Gradualitt des Wandels angenommen werden, dass diese „Entdeckung“ den entscheidenden Schritt erstens weg vom Manichismus113 und zweitens hin zum Neoplatonismus und damit zum christlichen Neoplatonismus und damit zum Christentum darstellt. Diese Entdeckung war derart nachhaltig, dass Augustin sein Leben von Grund auf nderte und sich der Suche nach Wahrheit verschrieb. Diese Suche, so beschreibt es O’Connell sehr plastisch, fhrte zu Augustins „Dream of Plotinopolis“ (O’Connell 1969: 67), dem er auf dem Landgut Cassiciacum nachgehen sollte. Zuvor ist jedoch auf den Einfluss der christlichen Neoplatoniker in Mailand einzugehen, da die platonischen Schriften nicht isoliert von der Situation, in der sich Augustin befand, betrachtet werden drfen, sondern sich wesentlich aus den Lehren und 111 Was auf der allgemein systematischen Ebene von Adam beobachtet wurde, kann mit Horn auf der individuellen Ebene Augustins untersttzt werden. Vgl. Horn (1995: 28). 112 „…paucis mutatis verbis atque sententiis Christiani fierunt.“ 113 Nach Fitzgerald wurde durch diese Erkenntnis Augustins Entfremdung von den manichischen „Phantasmen“ angestoßen: „… completed his estrangement from the ,phantasms‘ of the Manichean heresy“ (Fitzgerald 1999: 589).
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Predigten der neoplatonischen Christen des intellektuellen Milieus in Mailand konstituierten. 4.2.4.5 Ambrosius und die christlichen Neoplatoniker War es der Neoplatonismus, der Augustin an die „Schwelle der Kirche“ fhrte, so ist es die Funktion der christlichen Neoplatoniker, ihn ber die Schwelle zu fhren, oder genauer, ihm den Raum jenseits der Schwelle zu zeigen, der das enthielt, wonach Augustin so emsig suchte. Das Eingangszitat des vorangegangenen Kapitels zum Erstkontakt mit dem Neoplatonismus kann hier in Gnze angefhrt werden, um diesen Entwicklungsschritt Augustins und dabei die Rolle des Ambrosius zu beschreiben: Neo-Platonism […] brought Augustine to the threshold of the Church, but it failed to solve his own personal problem. It was at this stage that he was providentially brought into contact with the forceful and majestic personality of St. Ambrose (Ottley 1919: 65).
Schreibt Ottley hier „stage“, so ist damit ein treffender Begriff fr die Phase im Entwicklungsprozess gefunden, in der sich die Hinwendung zum Christentum ihrem entscheidenden Zentrum nhert. So ist es auch Ottley, der den bergang der Begegnung Augustins mit Ambrosius mit folgender Beschreibung des Wandels in der Beobachterposition erfasst: „Listening to Ambrose he had at first said, ,How eloquent!‘; later on he said, ,How true!‘“ (Ottley 1919: 66). Die These, dass Augustin sich Ambrosius in zwei „Stufen“ annhrte, wird auch von anderen vertreten. Die wohl detaillierteste Ansicht ist Burns zu entnehmen, der die erste Phase im Herbst 384 ansetzt und bis zur Ankunft Monikas in Mailand im Frhjahr 385 ausdehnt. Zu dieser Zeit hçrte Augustin sich die Predigten des Ambrosius nur gelegentlich an, um dessen Qualitt als Vortragenden zu beurteilen. Im Vergleich schnitt Ambrosius dabei weitaus besser als der Manicher Faustus ab. Als jedoch seine Mutter Monika ankam, ging Augustin regelmßig zu den Predigten des Ambrosius und richtete seine Aufmerksamkeit zunehmend auf die inhaltlichen Punkte, die der Bischof von Mailand machte (Burns 1990: 374 f ). Bevor jedoch weiter auf die Rezeption Ambrosius’ durch Augustin einzugehen ist, soll die Frage angegangen werden, wer Ambrosius war und was ihn im Mailand des 4. Jahrhunderts auszeichnete. Ambrosius war seit 374 Bischof in Mailand und damit schon seit 11 Jahren im Amt, als Augustin nach Mailand kam. Ambrosius verfgte ber große politi-
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sche Macht, und Augustin wurde Zeuge der Auseinandersetzung zwischen dem rçmischen Kaiserhaus und der durch Ambrosius gefhrten christlichen Gemeinde (vgl. Richter 1984: 7). Da Ambrosius sich behaupten konnte, festigte sich sein Ansehen, und seine Macht nahm weiter zu, was Augustin als Indikator fr den Erfolg des aufstrebenden Christentums verstanden haben drfte. Das neue und das alte Denken Ambrosius war jedoch im Vergleich zu Augustin Vertreter der antiken Welt, da er beispielsweise alle Vorteile einer Oberschichterziehung in Rom genossen hatte. „Er hatte nichts „Provinzielles“ an sich. So konnte er, anders als Augustinus, auch fließend Griechisch lesen. Er konnte die Bcher einer neuen, glnzenden Generation griechischer Bischçfe und die ganze berlieferung griechisch-christlicher Gelehrsamkeit durchgehen, um seiner Gemeinde einige der gelehrtesten und zeitnahesten Predigten der lateinischen Welt zu schenken“ (Brown 1982: 69). Diesem Umstand ist auch der Titel „Grecizing theologian“ (Ottley 1919: 72) geschuldet, was der jungen und vornehmlich lateinisch geprgten Kirche eine Verbindung zur Antike schenkte, die ein wesentliches Element der Kontinuitt ber die geschichtliche Entwicklung hinweg darstellt. „Ambrosius, der hoch gebildete Bischof, der auch griechisch lesen konnte, gehçrt noch zur alten Welt. Er fhlte sich dem ungeheuren Ansehen christlicher Gelehrsamkeit der griechischen Welt, vor allem dem großen Origenes von Alexandrien, zuinnerst verbunden. Augustinus, der „Amateur“114, fhlte sich viel freier, seinem eigenen Weg zu folgen, und kam dadurch dem Geist der frhchristlichen Schulen von Alexandrien paradoxerweise nher als Ambrosius; er kam so zu der festen berzeugung, dass ein durch philosophische Methoden geschulter Geist schçpferisch innerhalb der berkommenen Orthodoxie der Kirche denken kçnne“ (Brown 1982: 96). Steht Augustin demnach fr das schçpferische Denken, so ist Ambrosius auf der Hçhe der Zeit in ihrer Anbindung an die Vergangenheit. Augustin hingegen ist von dem Motiv der Suche geprgt und kann sich mit seinem eigenstndigen Denken den Orthodoxien der aus heutiger 114 Auch an anderer Stelle spricht Brown Augustin den besonderen und hier besonders geeigneten Status des „Amateurphilosophen“ aus, da dieser „ohne Griechischkenntnisse, als einer der wenigen Denker, der die platonischen Autoren mit einer fr diese Zeit unvergleichlichen Originalitt und Unabhngigkeit des Geistes meisterte (Brown 1982: 79).
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Sicht jungen Kirche widersetzten und mit sprachlicher und strategischer Kraft Neuerungen durchsetzen, die Ambrosius allein wegen seiner Sozialisation und institutionellen Eingebundenheit nicht umsetzen konnte. Doch zu jenem Zeitpunkt war Augustin noch weit davon entfernt, kirchenpolitisch zu denken, wie er es spter als Bischof tun sollte. Dem Status nach war er ein gebildeter Heide und dem persçnlichem Empfinden nach ein Suchender, der sich vom Manichismus innerlich abgewendet hat und ber den Neoplatonismus einen Zugang zu einer sehr spezifischen Form der christlichen Lehre gefunden hat. In diesem Zusammenhang ist es von besonderer Bedeutung, dass Augustin in Mailand zum Katechumen wurde. „Es war eher eine politische Geste der bereinstimmung, und erst einmal Katechumene, konnte er den entscheidenden Schritt zur Taufe unbegrenzt zurckstellen“ (Brown 1982: 66). Um im Bild der Untersuchung zu bleiben, erlaubte ihm dieser Status, auf der Schwelle zur Kirche zu verweilen, da er einerseits weiterhin der Suche und damit der Offenheit aller Optionen nachgehen konnte, und andererseits Nhe zur christlichen Lehre und zur Kirche in Mailand hatte, aber nicht die enge Bindung eines Bekenntnisses in Form der Taufe eingehen musste. Gerade die Mçglichkeit, den Schritt zurckzustellen, ermçglichte ihm dieses Verweilen in der Schwebe, das ihm spter in der Beschreibung der Bekehrung zur bekannten „Drangsal seiner Halbheit“ wurde. Predigt und Prediger Um auf den Einfluss Ambrosius’ und hier insbesondere den christlichen Neoplatonismus zurckzukommen, ist es wichtig, neben der Unterscheidung in Phasen auch eine Unterscheidung der Wirksamkeit vorzunehmen. War es zur Ankunft noch die Person Ambrosius und dabei insbesondere dessen einnehmende Art zu sprechen, so wurde mehr und mehr der Inhalt der Predigten, in denen Ambrosius auch antike Philosophen zitierte, von Bedeutung. Burns nimmt hier eine interessante Unterscheidung vor: Die Predigten berzeugten Augustin, dass die Bibel und der christliche Lebensweg Zugang zu jener Art von Weisheit ermçglichten, die er seit Ciceros Hortensius begehrte. Der Prediger Ambrosius hingegen als lebendiges Beispiel eines Christen war nach Burns mindestens so wichtig wie die Predigt (Burns 1990: 378). Diesen Eindruck vermittelt Augustin selber spter in den Confessiones und Harnacks Charakterisierung des „majesttischen Priesters“ verweist ebenso in die
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Richtung der Persçnlichkeit Ambrosius und ihrer Wirkung auf Augustin (vgl. Ottley 1919: 66). Augustins Schwierigkeit, die ihn verharren ließ und schließlich in die Krise strzte, war die anfngliche Weigerung, sich auf die christlichen Lehren einzulassen, da sie vehement dem widersprachen, was seiner philosophischen und manichistisch geprgten berzeugung entsprach: „Der aussichtslose Versuch, das Christentum materialistisch zu deuten, stieß ihn in schier unertrgliche Kmpfe hinein. Er wurde ein Opfer vçlliger Zerrissenheit und unsagbarer Schwermut“ (Adam 1954: 16). Augustins Festhalten an den Methoden des Akademischen, namentlich dem Skeptizismus, von dem er sich erst nach der Bekehrung in Contra Academicos lossagte, wurden ihm hier ein Hindernis, und der christliche Neoplatonismus, wie er ihm in den Predigten des Ambrosius entgegentrat, versprach einen Glauben ohne Beweis und war dabei doch philosophisch geprgt und keine reine Theologie, wie er sie vormals kennen gelernt und verworfen hatte. So schreibt Augustin in den Bekenntnissen ber seine Mailnder Zeit: Immerhin, von jener Zeit an gab ich der katholischen Lehre den Vorzug. Sie verlangte Glauben ohne Beweis – ob es solchen Beweis nun gebe, wenn vielleicht auch nicht fr jedermann (conf. VI 5,7).115
Doch war diese Erkenntnis eine mhsam zu gewinnende, denn die Predigten des Ambrosius verstrickten ihn nach dem Urteil Adams noch tiefer in den Zweifel und in die Verzweifelung, leiteten aber „tieferhin seine Bekehrung ein“ (Adam 1954: 15). Nach Augustins eigenen Angaben war es insbesondere Ambrosius’ Rede ber den Geist, ber die sich seine Erkenntnis vollzog. Dabei ist insbesondere entscheidend, dass Ambrosius, gleichwohl bestens ausgebildet und fhrender Kopf des intellektuellen Mailnder Milieus, nicht zur Intelligenz sprach, sondern dem Volk predigte. „Der Buchstabe tçtet, der Geist ist’s, der lebendig macht“ (conf. VI 4,6)116 stellt den zentralen Satz dar, den Augustin in den Confessiones ber Ambrosius’ Predigten wiedergibt. Auch Peter Brown fhrt die Ausfhrungen ber den Geist als entscheidende Komponente an, bindet diese aber an das Alte Testament an: „Ein verbindender Gedanke durchzieht das Predigen des Ambrosius: Unter dem undurchsichtigen und berwucherten „Buchstaben“ des Alten 115 „Ex hoc tamen quoque iam praeponens doctrinam catholicam.“ 116 Dieser Satz wiederum ist nicht originr von Ambrosius, sondern stammt aus dem Neuen Testament aus den Briefen an die Korinther (3,6): „littera occidit, spiritus autem vivificat.“
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Testaments schaut der „Geist“ hervor, die verborgene Bedeutung, und ruft unseren Geist auf, sich zu erheben zum Flug in eine andere Welt“ (Brown 1982: 70). Fr Augustin, der im Zustand der Suche den gebildeten und ergreifenden Worten des Ambrosius zuhçrt, sind diese Anleihen nicht unbedingt als Zitate zu erkennen, sondern stellen Gedanken Ambrosius’ dar. Peter Brown spricht davon, dass Ambrosius die Werke Plotins „einfach ausplnderte“, da in den Predigten „buchstbliche Anleihen“ aufsprbar sind. Im Gegensatz dazu, so Brown weiter, sind Plotin und Porphyrius „fast unerkennbar seinen [Augustins] Schriften eingeimpft, als eine stets gegenwrtige Grundlage seines Denkens. Er machte sich seine Lehrer in einem solchen Ausmaß zu eigen, griff ihre Hauptanliegen mit so ungeheurer Wahrnehmungskraft auf, dass er sprte, er kçnne ihre Gedanken in ganz anderen Begriffen aufarbeiten (Brown 1982: 79). Die besondere Leistung besteht jedoch in der gleichzeitigen Vermittlung von sowohl neoplatonischen Lehren, wie auch dem Anerkennen der Bibel als Autoritt. So waren es die Predigten des Ambrosius, durch die Augustin berzeugt wurde, dass die Bibel ein „Werkzeug Gottes“ sei, um die Gebildeten wie auch die Ungebildeten zu fhren (Burns 1990: 375). Einen weiteren Punkt stellt die so genannte christliche Akkulturation dar. Dabei spielen wiederum liturgische Routinen die entscheidende Rolle und weniger die philosophischen Lehren (vgl. Fitzgerald 1999: 17). Dies ist eine Kontroverse, die zwischen Philosophen und Theologen zu verhandeln ist. Es bleibt neben dem Einfluss der Disziplinen unbenommen, dass Augustin in Ambrosius einen entscheidenden Gewhrsmann hatte, der ihm ber die klassische Bildung und Philosophie die christliche Kirche nher gebracht hat. Ein Punkt, den Courcelle in die Diskussion um den Einfluss Ambrosius’ auf Augustin eingebracht hat, ist die Einstellung, die Bibel nicht wçrtlich, sondern allegorisch zu lesen, wie dies Augustin selber auch in den Confessiones (6,6) ausfhrt (Courcelle 1950: 93 ff.). Markschies fhrt diese Eigenart Ambrosius’ auf dessen Ausbildung zurck. Augustin sei insbesondere davon angetan gewesen, dass durch diese wenig dogmatische und vielmehr bildliche Auslegung ein „geistlicher Sinn“117 er-
117 Vgl. auch conf. IV 4,6.
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schlossen werden konnte, der Augustin schließlich half, die Bibel als Werkzeug Gottes zu verstehen (Markschies, 2002, 133).118 Abschließend ist mit Peter Brown (2000: 503) festzuhalten, dass der christliche Neoplatonismus, so wie er Augustin im ausgehenden 4. Jahrhundert in Mailand begegnete, nur eine von vielen Formen des Platonismus oder Neoplatonismus zu jener Zeit war. Philosophisch gesehen war der ausdifferenzierte Neoplatonismus (s. o.) als Lehre reiner und philosophischer, doch war es gerade der christliche Neoplatonismus, der zur entsprechenden Zeit am entsprechenden Ort seine Wirkung ber Ambrosius bei Augustin entfalten konnte und zu einer eigenen, philosophisch fundierten und getragenen Entwicklung einerseits der Person Augustin und andererseits seiner Lehren werden konnte. 4.2.4.6 Paulus „lag in der Luft“ Fr die Bekehrung Augustins im Jahr 386 spielt die Pauluslektre eine zwiespltige Rolle. Zum einen stellt Paulus die fehlende Verbindung zwischen dem christlichen Neoplatonismus und der Institution Kirche dar und war ausschlaggebend fr die Bekehrung (Hausammann 2003: 362 f ) bis hin zur Funktion als Vorbild und Modell (Fitzgerald 1999: 624) oder „Schlsselerlebnis“.119 Zum anderen liegt der Verdacht nahe, dass Paulus eine weit weniger signifikante Rolle gespielt hat, als uns Augustin dies in den Bekenntnissen glaubhaft machen mçchte (Ferrari 1982). Ferrari, der als der fhrende Augustinusforscher fr die Bekehrung anzusehen ist,120 zeigt auf, dass Paulus erst whrend der Verfassung der Confessiones fr Augustin bedeutsam wird. Streng genommen spielt in gradueller Untersuchungsperspektive die Pauluslektre nur dann eine Rolle, wenn sie Augustin in seiner geistigen Entwicklung maßgeblich beeinflusst hat. Hieran sind jedoch massive 118 Sollte der Eindruck erweckt worden sein, Ambrosius wre nur eine Art Katalysator, der Augustin bei der Hinwendung zum Christentum behilflich gewesen ist, aber sonst keine Wirkung hinterlassen habe, so ist darauf hinzuweisen, dass Augustin laut Burns ganze Argumentationen und vor allem Elemente der Lehre des Ambrosius bernommen und in eine eigene Form berfhrt hat. Insbesondere in De Genesi contra Manichaeos wird dieser Einfluß deutlich sichtbar (Burns 2000: 92). 119 So Geerlings: „Die Entdeckung des Paulus ist ein Schlsselerlebnis in der Biographie Augustins. Sie hat enorme Konsequenzen fr das abendlndische Christentum gehabt“ (Geerlings 2002b: 151). 120 Vgl. Ferrari 1982, 1984, 1989, 1990 und 1992. Siehe auch Mayer 1993 oder und Bonner 1993.
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Zweifel angebracht, wie sie beispielsweise auch Bonner (1993) formuliert hat. Der Fehler Bonners besteht in der Annahme, dass die Chronologie, wie sie in den Confessiones nachzulesen ist, mit der historischen Realitt bereinstimmt. Der Sinn dieses Kapitels zur Pauluslektre in gradueller Perspektive besteht dementsprechend darin, die Pauluslektre als weiteren Schritt in die Richtung der Institution Kirche zu verstehen, der ber den Neoplatonismus und ber den christlichen Neoplatonismus hinausweist. Das gngige Argument hierfr lautet, dass erst die Beschftigung mit den paulinischen Schriften und dabei insbesondere mit den Briefen Augustin den Weg wies, das „moralisch gebrochene Selbst“ wieder „ganz“ zu machen, wozu der Neoplatonismus nicht in der Lage gewesen ist (Quinn 2002: 423). Die nachweisliche einflussreiche Pauluslektre fand hingegen erst nach 390 statt, als Augustin schon drei Jahre lang getaufter Christ war, und das Christentum 391 zur offiziellen Staatsreligion in Rom wurde. Peter Brown fhrt dazu aus, dass Augustin zur Zeit der Bekehrung und davor eine „entschieden klassische“ Sichtweise hatte und diese erst mit der Lektre der Paulustexte aufgab (Brown 2000: 497). Nach O’Donnell spielte die Pauluslektre ebenfalls erst ab der Mitte der 90er Jahre eine Rolle fr Augustin fr zweierlei Belange. Zum einen den Rckblick auf die Bekehrung in Mailand, wie sie in den Confessiones niedergeschrieben wurde und zum anderen seine Ordination als Bischof 396 (O’Donnell 1992a: xliii). Die Paulusrezeption spielte spter in den Auseinandersetzungen mit den nordafrikanischen Manichern eine besondere Rolle, wie Bastiaensen (2000) betont. Peter Brown charakterisiert die Mailnder Gemeinschaft um Ambrosius mit den Worten: „Paulus lag in der Luft“ (Brown 1982: 88) und an anderer Stelle: „In der lateinischen Kirche kçnnte man die letzten Jahrzehnte des vierten Jahrhunderts sehr wohl als „die Generation des hl. Paulus“ bezeichnen“ (Brown 1982: 130). Unumstritten ist also trotz der Unsicherheit, ob Augustin nun Paulus vor seinem Bekehrungserlebnis gelesen hat und darauf zur Bekehrung schritt, dass die Schriften Paulus’ einen indirekten aber wesentlichen Einfluss auf Augustin in Mailand hatten. Nach Fitzgerald war es sogar die Lektre Paulus’, die Augustin das „Gesicht der Philosophie“ zeigte und den bergang zum Katholizismus einleitete (Fitzgerald 1999: 621). So schreibt Augustin selber in den Confessiones spter: „Das alles durchdrang
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mich, ich weiß nicht wie, bis ins Innerste, als ich den ,geringsten unter Deinen Aposteln‘ las“ (conf. VII 21,27).121 Die unauflçsbare Frage bleibt jedoch, ob sich die Bekehrung, wie sie in der so genannte Gartenszene beschrieben wird, eine reinweg literarische Konstruktion ist, ein historisches Datum oder beides oder keines. Entscheidend, soviel kann aus dieser Frage jedoch gefolgert werden, ist die Passage aus dem paulinischen Rçmerbrief (13,13 f ), ohne dabei klren zu mssen, ob er die Passage gelesen hat und dann seine Wende in der Gesinnung vollzog, oder ob Augustin die Passage, wie in der Gartenszene beschrieben, aufgeschlagen und gelesen hat. Der Inhalt von Rçm. 13,13 f. ist der Inhalt der Bekehrung, also die Abwendung vom Profanen und die Hinwendung zu Gott. Insofern ist Paulus hier eine maßgebliche Quelle und ein maßgeblicher Schritt in der geistigen Entwicklung Augustins, der ber die Bekehrung hinaus ein wesentlicher Gewhrsmann bleiben sollte, und dessen Sprache und insbesondere dessen Gebrauch von Paradoxien Augustin stark beeinflussten.122 4.2.4.7 Mailand im Sommer 386: Konsolidierung statt Bekehrung In einer graduellen Betrachtungsweise gibt es streng genommen keine Bekehrung. Insofern wre ein Kapitel ber die Bekehrung als Entwicklungsschritt verfehlt. Gleichwohl wirft die Beschreibung des Bekehrungserlebnisses aus den Confessiones einen allzu langen Schatten, der es unmçglich macht, das Erlebnis im Sommer 386 unbercksichtigt zu lassen. Es ist allerdings in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass der Sommer 386 in gradueller Betrachtung nicht mit dem Bekehrungserlebnis korreliert, wie es als literarischer Text in den Confessiones berliefert ist. Im Sommer 386 vollzieht Augustinus eine Wende, die nach eigenem Bericht auf das eindrckliche Lektreerlebnis von Rçmer 13,13 f zurckgeht. Zur Relativierung darf nicht unerwhnt bleiben, dass Bekeh121 „Haec mihi inviscerabantur miris mochs, cum „minimum apostolorum tuorum“ legerem, et consideraveram opera tua et expaveram.„ 122 Auf diesen Punkt weist insbesondere Caldwell hin: Augustin „then cites and admires St. Paul’s use of paradox or oxymoron in 2 Corinthians 6:7, and is led to exclaim: „Sicut ergo isto contrariis opposita sermonis pulchritudinem reddunt: ita quadem non uerborum, sed rerum eloquentia contrarium oppositione saeculi pulchritudo componitur.“ This ,eloquence of contrary events‘ authorizes his own speech, for paradox is an aesthetic principle of the Word in all its manifestations“ (Caldwell 1990: 107).
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rungen in der Zeit des spten 4. Jahrhunderts „das Hauptthema religiçser Autobiographie in der antiken Welt“ (Brown 1982: 155) waren. So ist es laut Augustins Bericht die Unterhaltung mit Simplicianus im Jahr 386, in welcher er von der Bekehrung des Neoplatonisten und Plotinbersetzers Victorinus erfhrt, die Augustin dem Thema Bekehrung gegenber çffnet. Der Umstand, dass Victorinus selber zuvor dem Neoplatonismus anhing, begnstigt die Situation fr Augustin, der zu jenem Zeitpunkt selber ein großer Anhnger der neoplatonischen Gedanken war (vgl. Portalie 1960: 13). Battenhouse fhrt aus, dass durch die Bekehrung im Jahr 386 Augustins Wahrnehmung des Christentums diejenige einer „wahren Philosophie“ war (Battenhouse 1979b: 18). Die mehr im Aristotelismus, weniger im Platonismus antagonistisch positionierten Positionen der Philosophie und des Christentums scheinen zum Zeitpunkt des Bekehrungserlebnisses fr Augustin vereinbar zu sein. Diese These lsst sich mit der Annahme eines berlappungsbereiches whrend eines berganges untermauern. Das Bekehrungserlebnis wre demnach jener Kipppunkt, wo die zwei um Ausgleich ringenden Modelle konvergieren. Die Konsequenz dieser Konvergenz ist der Wunsch, „ein Leben in Philosophie“ zu fhren. „Diese Bekehrung musste auf sein çffentliches und privates Leben einwirken. Mehr war noch nicht sicher“ (Brown 1982: 85). In gradueller Perspektive der Bekehrung ist es diese Unsicherheit, die den Wandel im Leben Augustins charakterisiert und die noch nicht im Geringsten ahnen lsst, dass Augustin einmal eine leitende Rolle in der Kirche bernehmen wird. Augustins Bekehrung stellt nach Brown der Form nach „eine der eigenstndigsten Mischungen“ eines solchen Wandels in der antiken Welt dar (Brown 1982: 85). Diese „eigenstndige Mischung“, die Gegenstand des Kapitels 4.1.3 unter dem Namen „Augustinismus“ ist, wirft die Frage nach dem Verbleib des neoplatonischen Denkens auf. Laut Crouse wird dieses nicht verworfen, sondern bekehrt sich kontinuierlich mit Augustin in dessen permanenter Bekehrung seines Intellekts und Willens (Crouse 1992: 111). Man hat es also in gradueller Perspektive weniger mit einem spontanen Bekehrungserlebnis statt vielmehr mit einem Konsolidierungsprozess zu tun, der seinen Hçhepunkt in der Pauluslektre im Sommer 386 hat. Was hier Konsolidierung genannt wird, kann sehr klar mit der Beschreibung Peter Browns zum Ausdruck gebracht werden:
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Als Augustinus endlich den Priester Simplicianus besuchte (vielleicht Ende Juli 386), hatte er sich schon unmerklich dem katholischen Christentum genhert. Er war natrlich ein begeisterter ,Konvertit‘ der Philosophie, aber diese ,Philosophie‘ war schon nicht mehr ein gnzlich unabhngiger Platonismus. Auf sehr individuelle Weise war sie mit den schwermtigeren Lehren des hl. Paulus ,gewappnet‘ und konnte nun, auf weit hçherer Ebene, mit der ,Religion, die uns schon als Kindern eingepflanzt wurde‘, gleichgesetzt werden, also mit der soliden katholischen Frçmmigkeit Monikas (Brown 1982: 89).
Hier werden alle fr Augustin entscheidenden Strçmungen zusammengefhrt bis hin zur jahrzehntelangen Einflussnahme der Mutter Monika. Die Gleichsetzung ist es schließlich, die die Bekehrung geschehen lsst und damit die Konsolidierung ermçglicht, die sowohl zum Neoplatonismus als auch zum Christentum hin offen ist. Was hier jedoch als genialer Zug erscheinen mag, hatte auch seine Schattenseite. So weist Brown weiter darauf hin, dass Augustin sich „auf einige bittere Absagen gefasst machen musste, wenn es ihm darum ging, gleichzeitig getaufter Katholik und Philosoph zu werden“ (Brown 1982: 90). Nach Battenhouse war Augustin seit dem Bekehrungserlebnis Christ, der aber gleichzeitig seinen Glauben neoplatonisch interpretieren und legitimieren konnte. Nach der Bekehrung hingegen reinigte Augustin seinen Glauben mehr und mehr vom Neoplatonismus (Battenhouse 1979b: 19). Eine theologische Weise, die Bekehrung zu interpretieren, liefert Fitzgerald, wonach die Bekehrung ein Geschenk der Gnade Gottes war (Fitzgerald 1999: 239) oder ein „Gnadengeschenk, bei dem Gott selbst derjenige war, der es veranlasste“ (Hausammann 2003: 364). Fitzgerald geht noch einen Schritt weiter, wenn er der Bekehrung abspricht, aufgrund von philosophischer Reflexion ausgelçst worden zu sein, sondern sie als Akt der „Nachahmung Christi“ versteht, dem es um die Einheit des Menschen mit Gott geht (Fitzgerald 1999: 241). Auf keinen Fall, so eine andere Stimme aus dem theologischen Lager, sei die Bekehrung und der damit einhergehende Ruf ein „menschliches Verdienst“ (un fruit des mrites humains), sondern von Gottes Gnaden (de la grce de Dieu) (vgl. Oroz Reta 1989: 308). Vergegenwrtigt man sich an dieser Stelle die Motivation Augustins aus der Sicht seiner damaligen Verfasstheit, so ist ber die Bekehrung zumindest nicht von einem intentionalen Vorgang zu sprechen. Augustin war mit Anfang dreißig mehr denn je unsicher, was er tatschlich erreichen wollte und das einzig sichere war der Wille, diese Unsicherheit loszuwerden und endlich „fest zu stehen“, wie er es Conf. VIII 1,22
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ausfhrt. „Er wollte irgendeine Garantie fr Dauer und Stabilitt. Dies bedingt das Hauptmerkmal seiner „Philosophie“: sie war ein Platonismus, dessen gegenwrtigem Gewinn Dauer zu verleihen war; solche Dauerhaftigkeit war aber nur zu erreichen, indem auf ein großes Maß an Selbstvertrauen verzichtet wurde“ (Brown 1982: 89). Dieses Selbstvertrauen, um das es gemß der Selbstbeschreibung in den Confessiones im Sommer 386 nicht sonderlich gut bestellt war, wurde durch die Hinwendung zum neoplatonischen Einen respektive zu Gott, ein Anvertrauen an Gott, ein Gottvertrauen, ja es wurde zum Glauben. In diesem Licht ist auch die sptere Auffassung der Bekehrung als Gnadengeschenk zu sehen, was auch in der Formulierung deutlich wird, dass Augustin durch Gott zu sich gefunden habe. Ist der Augustinismus, wie in Kapitel 4.1 gezeigt, durch ein gehçriges Maß an Widersprchen und Antinomien gekennzeichnet, so gilt dies auch fr Augustins Bekehrung (vgl. Brown 1982: 89), wie es berhaupt fr Augustin gilt.123 Als Konsequenz dieser Widersprche lsst sich mit Curley feststellen, dass Augustins geistige Entwicklung insbesondere auch dadurch „fasziniert“, dass es eine Vielzahl von Kontroversen ber die Gltigkeit der Bekehrung gibt (die in Kap. 4.3.1 aufgelistet sind), welcher Art und welcher Natur sie gewesen sei (Curley 1997: ix). An dieser Stelle ist es angebracht, die Bekehrung nicht anhand theologischer oder philosophischer Spekulationen gemß der Fcherlogik zu behandeln, sondern auf einen ußeren Umstand der Lebenssituation Augustins hinzuweisen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit eine gleichfalls entscheidende Rolle neben der kognitiven Position eingenommen hat. Wie Augustin selber in den Confessiones ausfhrt, war er beranstrengt, und seine Atemwege, die ihm „lngeres lautes Sprechen unmçglich machten“ (conf. IX 2,4), waren angegriffen. Augustin hatte sich, wie Peter Brown ausfhrt, „ußerst korrekt am Ende seiner Amtszeit wegen Krankheit von einem Lehrstuhl fr Rhetorik zurckgezogen“ (Brown 1982: 141). Nur ein paar Tage spter, so Portalie, zieht der kranke Augustin zusammen mit seiner Mutter und einigen Verwandten und Schlern auf den Landsitz des Verecundus, um dort ein „Leben in wahrer Philosophie“ zu beginnen, welche er nicht mehr vom Christentum abgrenzte (Portalie 1960: 13). 123 Kurt Flasch findet die sehr anschauliche Bezeichnung eines „Nestes von Widersprchen“ (Flasch 1994: 403).
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Zwischenfazit Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Durch die hier verfolgte graduelle Untersuchungsperspektive ergibt sich das Bild einer ex post konstruierten „Bekehrung“, wie es spter als inszenierter, autobiographischer Gestus fr einen Bischof und ideologischen Quereinsteiger nahe liegt. Lsst man die Confessiones außer Acht, sondern hlt sich an die wenigen und von Augustin offenbar verwischten Daten, die das chronologische Gerst der Entwicklung darstellen, so ergibt sich das Bild eines ehrgeizigen, aber in seinen Zielen verunsicherten Mannes Anfang dreißig, dessen Gesundheit von seinem Beruf versehrt wurde und der das Angebot einer kreativen Pause auf dem Landgut Cassiciacum seines Freundes Verecundus annimmt, um sich seinen philosophischen Gedanken im Diskurs mit Gleichgesinnten zu widmen. Belegt werden kann diese These beispielsweise durch die erste Schrift, die auf Cassiciacum entsteht: Contra Academicos, ein Werk, das man schwerlich christlich lesen kann und das von der Verbitterung und Abkehr von der im akademischen Leben herrschenden Skepsis handelt. Gleiches gilt fr De Beata Vita, dem Titel nach ein klassisch philosophischer Traktat, und besonders auch fr die Soliloquia, worin Augustin ganz hnlich wie in den Confessiones einen fiktiven Dialog fhrt, jedoch nicht mit Gott, der ihn bekehrt hat, sondern mit der Vernunft, mit der er das Wissen um Gott verhandelt. Die These der Bekehrung des Augustin als geschlossenes Ereignis im Jahre 386, sei sie hin zur Philosophie oder zum Christentum, stellt sich durch die graduellen Untersuchungen als nicht haltbar heraus. Eine Zsur im Leben Augustins bleibt jedoch festzustellen: Er verlsst das aktive Berufsleben und die intellektuellen Zirkel, um sich ganz seinem Leben als Denker, sei es nun philosophisch oder christlich oder eben beides, zu verschreiben. 4.2.4.8 Cassiciacum: ein philosophischer Weg zum Glauben Augustin verbringt die Zeit von Ende August 386 bis Anfang Mrz 387 auf dem Landgut Cassiciacum124 und verfasst whrend dieses halben Jahres die ersten Schriften berhaupt, die berliefert sind.125 Kurz nach 124 Heute Cassiape de Brianza, nçrdlich von Mailand. 125 Es wre falsch anzunehmen, dass dies die ersten Schriften berhaupt sind, die Augustin verfasst hat. Es sind jedoch die ersten, von denen der Nachwelt mit Sicherheit bekannt ist, weil sie in Augustins Retractationes aufgefhrt sind. Fr-
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dem Lektreerlebnis gibt er seine Position als Rhetoriklehrer, sowie seinen Plan, eine „wohlerzogene Erbin“ zu heiraten,126 auf und zieht gesundheitlich angeschlagen zusammen mit seiner Mutter, seinem Bruder Navigius, seinen Vettern Lastidianus und Rusticus, seinem Sohn Adeolatus und seinen Freunden und Schlern Alypius, Licentius und Trygetius auf den Landsitz des Verecundus, um dort seine „frhen Dialoge“ zu verfassen. In der Literatur wird der philosophische Charakter dieser Schriften als Argument herangezogen, die Echtheit der augustinischen Bekehrung anzuzweifeln (vgl. Battenhouse 1979b: 37). Sehr eindrcklich belegt dies auch Starnes, der die Bekehrung allein deshalb in Zweifel zieht, weil in den frhen Dialogen von Cassiciacum „fast keine christlichen Inhalte oder Interessen ersichtlich“ sind (Starnes 1992: 53). Interessant in diesem Zusammenhang ist Augustins eigene Einschtzung der Zeit auf Cassiciacum, die hier anhand zweier Stellen aufgezeigt werden soll. Zum ersten nennt er in den Retractationes die Zeit auf Cassiciacum ein Leben in christlicher Muße (Christianae vitae otium), die bis zu seiner Priesterweihe im Jahr 391 angedauert hat und den philosophischen Charakter der Zeit unbercksichtigt lsst. Zum anderen berichtet er in den Confessiones von der Zeit auf Cassiciacum mit folgenden Worten: Was ich dort an ,Wissenschaften‘ trieb, die zwar schon in Deinem Dienste stehen sollten127, aber doch noch, gleichsam im Todesrçcheln, die von Hochmut besessene Schule atmen128, davon zeugen die Schriften ber philosophische Gesprche, die ich mit den Anwesenden fhrte, auch mit mir allein in Deiner Gegenwart (conf. IX 4,7).
Augustin zeigt hier einmal mehr, dass sich seine theologische Mission, die in den Confessiones erkennbar wird, ber seiner eigenen Vergangenheit ausbreitet. So werden zum ersten die „Wissenschaften“ als gottgefllig oder theologisch motiviert dargestellt, und die „Schriften ber philosohere Schriften beispielsweise der manichischen Phase sind nicht bekannt und es war auch nicht in Augustins Interesse, frhe Schriften aus dieser Zeit zu bewahren, da er als Christ vehement gegen die Manicher polemisiert hat. Davon zeugen seine ersten Schriften nach der Taufe. Es ist jedoch bekannt, dass Augustin vor dem Cassiciacum beispielsweise in seiner Jugend ein „theatricum carmen“ verfasste“ (Longosz 1989: 292). 126 Weiteres Ziel dieses Planes war es, rçmischer „Ortsstatthalter“ zu werden und nach kurzer Amtsperiode routinemßiger Verwaltungsarbeit auf den Lndereien seiner Frau und durch die Senatoren-Privilegien eines ehemaligen Verwaltungsbeamten abgesichert „seinem Traum zu folgen“ (Brown 1982: 99). 127 „… iam quidem servientibns tihi…“ 128 „… sed adhuc superbiae scholam…“
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phische Gesprche“ gehen ber den Umstand der platonischen Referenz hinweg. Gleichfalls wird das Selbstgesprch (Soliloquia), das Augustin mit der personifizierten Vernunft fhrt, als „mit mir allein in Deiner Gegenwart“ umgedeutet, was den Soliloquia eine theologische Stoßrichtung verschafft. Diese kurzen Hinweise zeigen, dass in gradueller Untersuchungsperspektive hnlich wie bei der Bekehrung mit ußerster Vorsicht und mit Skepsis dem Eigenbericht Augustins zu folgen ist. Stattdessen bietet es sich an, die Chronologie der Ereignisse zu untersuchen und dabei insbesondere den auf Cassiciacum entstandenen Schriften Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Laut Horn ist dabei insbesondere auf jene zwei autobiographischen Stellen zu achten, die von Augustins Zeit vor der Bekehrung handeln. „In De Beata Vita 1, 4 berichtet Augustinus – bereinstimmend mit den Confessiones – von seiner frhen Hortensius-Lektre, seiner Zugehçrigkeit zur Religion der Manicher, dem akademisch-skeptischen Zwischenspiel und dem großen Eindruck, den die Predigten des Ambrosius auf ihn machten“ (Horn 1995: 25). Die frhen Schriften Augustins sind eng mit seinem vergangenen Leben verknpft und stellen gewissermaßen die „Begleichung geistiger Schulden“ dar, die er in Mailand im Laufe des vergangenen Jahres gemacht hatte (Brown 1982: 99). Dieses Bild unterstreicht die graduelle Untersuchungsperspektive, da durch den Begriff der Schulden jener berlappungsbereich angesprochen ist, der Wandel und Bekehrung charakterisiert. Brown zieht weiter die Konsequenz, dass der „Wandel in ihm auf dieser innerlichsten Ebene bereits stattgefunden“ hatte (Brown 1982: 97). Diese Transformation gab ihm die Freiheit, sich den Fragen, die in den frhen Dialogen behandelt werden, mit neuer Motivation zu widmen. Dabei zieht er gewissermaßen einen publizistischen Schlussstrich unter seine profane Vergangenheit, indem er gegen die Akademiker und die Skepsis schreibt und indem er sich Gott mit den Mitteln der Vernunft (Soliloquia) und mit der Methode der Dialektik (De Ordine)129 annhert. Es liegen keinerlei Informationen vor, ob der Aufenthalt auf Cassiciacum von vornherein als Intermezzo aktiven Philosophierens geplant war, oder ob Verecundus Augustin und seinen Begleitern fr lngere oder gar unbegrenzte Zeit Cassiciacum zur Verfgung gestellt hat. Mitunter ist sogar die These zu lesen, dass Cassiciacum allein der Vorbereitung zur 129 De ordine wurde als Antwort auf ein Gedicht des Zenobius geschrieben.
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Taufe gedient habe,130 doch ist dieser Standpunkt aufgrund der Schriften, die den Aufenthalt dokumentieren, nicht aufrecht zu halten. Maier nennt den „optimistischen christlichen Humanismus von Cassiciacum“ ein „Durchgangsstadium“ (Maier 1955: 25). Ex post gesehen sind alle Entwicklungsschritte vor der Taufe und der Ordination „Durchgangsstadien“. Im Folgenden soll anhand von Augustins Umgang mit der Dialektik gezeigt werden, wie sich sein Philosophieverstndnis wandelte und er vermittels des Neoplatonismus, der ihm ein Schlssel war und blieb, ber die Dialektik zur Taufe kam. Augustin konnte die skeptische Position der Neuen Akademie aufgeben. „Das erste Werk, das er in seiner philosophischen „Klause“ in Cassiciacum schrieb, richtete sich gegen einen solchen Skeptizismus“ (Brown 1982: 86) und steht damit fr „das Leben in philosophischen Problemen“, das von Harnack behauptet wird.131 Brachtendorf (2001) hat die Entwicklung der Verwendung und Beurteilung dialektischer Figuren in den frhen Dialogen aufgezeigt. Demnach ist eine berwindung der Dialektik festzustellen, die noch in De Ordine von prgendem Einfluss war und in den Soliloquia zunehmend an Einfluss verlor. In De Doctrina Christiana charakterisiert Augustin die Dialektik als „Lehre der Definition“132 und als „disciplina disciplinarum“ 133 oder allgemein als Wissenschaftstheorie (Brachtendorf 2001: 26). Augustin steigt also aus dem akademischen Lehrbetrieb aus, um in der Dialektik eine Art Metaphilosophie zu entdecken, die es ihm erlaubt, seine Empfindungen in und durch diese Theorie zu entwickeln. Brachtendorf nennt dieses Verstndnis von Dialektik die „Selbstwahrnehmung von Vernunft“, oder wie Augustin es begrifflicht fasst, „offenbart sich die Vernunft in der 130 So beispielsweise bei Curley, der die Zeit auf Cassiciacum auf die Vorbereitung zur Taufe reduziert: „The Contra Academicos was written while Augustine was on a sort of retreat at Cassiciacum preparing for his baptism at the hands of Ambrose, Bishop of Milan“ (Curley 1997: 19). 131 Vergleiche zu dieser Problematik den Aufsatz von Battenhouse „The life of St. Augustine“ (1979b: 17). 132 De Doctrina Christiana 2.35.53. Vgl. Brachtendorf (2001: 25). 133 „Quando ergo transire ad alia fabricanda, nisi ipsa suu prius quasi quuedam muchinamenta e1 instrumenta distingueret notaret digereret, proderetque ipsam disciplinam disciplinarum, quam dialecticam vocant? Haec docet docere, haec docet discere; in hac se ipsa ratio demonstrat atque aperit, quae sit, quid velit, quid valeat. Scit scire; sola scientes facere non solum vult sed etiam potest“ (De Ordine 2.13.38, nach Brachtendorf 2001: 25).
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Dialektik und zeigt ihre eigene Natur, Wnsche und Krfte“ (Brachtendorf 2001: 26). Eine Schlussfolgerung, die insbesondere im Licht der spteren Taufe und theologischen Theoriebildung von Bedeutung ist, ist die These, dass die Dialektik einen „gçttlichen Standpunkt“ darstellt, „von dem die Harmonie und Schçnheit des Kosmos sichtbar wird. Somit ist die Dialektik als Selbstwahrnehmung eng verbunden mit der Weisheit“134 (Brachtendorf 2001: 26). Bezogen sich die Ausfhrungen bisher und im Wesentlichen auf De Ordine, weist die Sichtweise von der Dialektik als „Disziplin der Disziplinen“ in den Soliloquia in eine neue Richtung (Brachtendorf 2001: 27). Augustin behlt die Ansicht bei, dass die Dialektik als Einzeldisziplin ebenso „wahr“ ist, wie jede andere Disziplin auch. Aber als „disciplina disciplinarum“ ist die Dialektik jene Disziplin, durch welche die anderen erst „wahr“ werden. Die Dialektik ist demnach „vera veritas““ (Brachtendorf 2001: 27). In De Magistro, jenem sprachphilosophischen Werk ber die Bedeutung von Zeichen, schließlich zeigt sich Augustin deutlich skeptischer gegenber der Dialektik. Die zentrale Frage in De Magistro ist, ob es mçglich ist, Wissen ber Dinge zu erlangen, ohne auf Zeichen zu rekurrieren. Im Rckgriff auf Ciceros Hortensius kommt Augustin schließlich in De Dialectica zu dem Schluss, dass alle Wçrter zweideutig sind und nicht przise gedeutet werden kçnnen, da dies nur durch andere Wçrter erreicht werden kann, die wiederum selber uneindeutig sind (Brachtendorf 2001: 28). Abschließend kann mit Brachtendorf resmiert werden, dass die Dialektik fr Augustin hilfreich war, er aber auch diese als eigenstndiges Modell berwunden und stattdessen in sein eigenes Modell eingearbeitet hat. Sein Hauptvorwurf, den er in De Doctrina Christiana formuliert, lautet, dass die Dialektik nicht das Wissen um das „selige Leben“ umfasse. „Der Dialektiker mag belesen und reich an Wissen sein, doch ist er nicht notwendig weise“, wie Augustin es noch in De Magistro behauptete (vgl. Brachtendorf 2001: 30). Diese Hinweise sollen gengen, die Zeit auf Cassiciacum hinsichtlich der geistigen Entwicklung vorzustellen. Wie ist die Zeit auf Cassiciacum im Hinblick auf Augustins geistige Entwicklung aus gradueller Perspektive zu bewerten? Augustins Zeug134 Bei Augustin heißt es dazu: „Sapiens prorsus ipse cum Deo est nam et se ipsum intellegit sapiens“ (De Ordine 2.2.5).
4.2 Die Bekehrung(en) als „Innerer Wandel“
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nisse dieser Zeit in Form der frhen Dialoge, die in der Literatur mitunter auch als „philosophische Dialoge“ bezeichnet werden (vgl. Curley 1997: ix), gehçren vollumfnglich in die Zeit der berlappung, wo sowohl philosophische als auch theologische Inhalte verhandelt wurden, und zwar auf eine Art und Weise, wie sie sich gegenseitig nicht nur nicht ausschlossen, sondern sich auch gegenseitig bedingten. Curley urteilt, dass die frhen Dialoge sowohl in philosophischer als auch in der Tradition christlicher Literatur stehen (Curley 1997: 34). Was fr den jungen Augustin unmçglich gewesen wre, nmlich die Hinwendung zu christlich-theologischen Fragen, wurde in Mailand durch die Predigten Ambrosius’ und die Texte Paulus’ ermçglicht. Forman spricht hier von einer „sthetischen Akzeptanz der christlichen Texte“, die schließlich auf Cassiciacum mit Hilfe von neoplatonischen Ideen zu einer intellektuellen Akzeptanz des Christentums fhrten (Forman 1995: 86). Dabei berwand Augustin die akademische Skepsis, um damit eine Voraussetzung fr den Glauben zu schaffen. Curley nennt den Skeptizismus eine „notwendige Propdeutik“ fr den Glauben (Curley 1997: 154). Das bekannte Argument Augustins gegen die Skeptiker dokumentiert, „wie der Weg zur Gewissheit [und Innerlichkeit] ber den Zweifel fhrt“ (Kann 2003: 229). Erst mit dieser durch philosophische Methodik erlangten Sicherheit kann sich Augustin auf die Kirche und insbesondere die Taufe als nchsten Schritt einlassen. Dieser Umweg, so man ihn als solchen verstehen mçchte, ist der sicherste Weg, um eine feste und unerschtterliche Basis des Glaubens zu erlangen. 4.2.4.9 Taufe durch Ambrosius in Mailand Im Falle der geistigen Entwicklung Augustins im weiteren und der Bekehrung im engeren Sinne ist sicherlich die Taufe ein markanter Wendepunkt, da diese ein Bekenntnis darstellt, das nicht nur nach innen wirkt wie die Gebete, Traktate, Trnen und Lektreerlebnisse, sondern eine Bindung an die Institution Kirche bedeutet. Somit soll der dem Gradualismus folgende Teil dieser Abhandlung mit der Untersuchung der Taufe Augustins zu einem Abschluss kommen. Den weit ber den bloßen Akt hinausweisenden Stellenwert der Taufe Augustins erfasst Ferrari, wenn er von „that epochal baptism“ spricht (Ferrari 1992: 97). Bezogen auf die Entwicklung Augustins stellt die Taufe am 24. April 387 eine ußerliche Verbindlichkeit dar, die er weder den Manichern gegenber einging, noch dem Neoplatonismus. Bei den
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Manichern war er lediglich ein „Hçrer“, und in Mailand lebte er als christlicher Katechumene, wodurch er den entscheidenden Schritt zur Taufe unbegrenzt zurckstellen konnte (vgl. Brown 1982: 66). So gesehen sondierte er die Sinnstiftungsangebote des spten 4. Jahrhunderts, ohne ein Zugehçrigkeitsgefhl oder Commitment im engeren Sinne zu entwickeln. Das Christentum schließlich unter der Anleitung und Einfhrung seiner neoplatonisch orientierten Freunde in Mailand sollte der „sichere Hafen“ (Geerlings 2002a: 151) sein, in dem er schließlich ankam. Erst durch die Taufe wurde Augustin ein Christ im ganzen Sinne des Wortes. Er wurde ein Mitglied der Kirche und war nun unter Glubigen und wollte diesen Glauben verstehen, was ihn von den meisten anderen Christen wesentlich unterschied (Fitzgerald 1999: 152). Folgt man Augustins eigenen Worten aus den Confessiones, so ist hier insbesondere die beispielhafte Bekehrung und Taufe des Victorinus anzufhren. Dieser klrt fr Augustin stellvertretend in seinem Dialog mit Simplicianus die Frage nach der Zugehçrigkeit zum Christentum. Dabei wird der fundamentale Wert der Taufe auf das deutlichste betont, wenn Victorinus behauptet, er sei schon Christ, Simplicianus aber entgegnet: „Ich mçchte das nicht glauben und Dich als Christen unter Christen zhlen, eh ich Dich in der Kirche Christi gesehen habe“ (conf. VIII 2,4). Victorinus spricht darauf den entscheidenden Satz, der auch die Zugehçrigkeit zur Kirche fr Augustin klrt, wenn er rhetorisch fragt: „So sind’s die Kirchenwnde, die den Christen machen?“135 (ebd.). Fr Augustin, der sich gegen den opportunen Plan entscheidet, eine „wohlerzogene Erbin“ zu heiraten und „Ortsstatthalter“ zu werden, stellt das liturgische Bekenntnis zur Kirche in der Tat eine Lebensverbindung dar, wie sie der Institution Ehe nicht unhnlich ist. Spricht Geerlings also vom „sicheren Hafen der Kirche“ (Geerlings 2002a: 151), so ist das nicht nur rhetorische Zier, sondern verweist auf die Lebensentscheidung, die Augustin getroffen hat. O’Connell hat eine sehr aufschlussreiche Untersuchung ber die Verwendung erotischer Bilder im Zusammenhang des Verhltnisses mit Gott vorgenommen, wie dies beispielsweise in der Formulierung der „wunderbaren Sße jener Tage“ (conf. IX 6,14) in Bezug auf die Taufe deutlich wird. Die erotischen Bilder sind nach O’Connell von Augustin voll und ganz beabsichtigt, um seine „spirituelle Hochzeitsreise“, in der ihm Gott in allem offenbar wurde, zu beschreiben (O’Connell 1969: 106). 135 „Ergo parietes faciunt christianos?“
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Getauft wurde Augustin zusammen mit seinem Freund und Schler Alypius, der auch schon laut dem Bericht der Confessiones in der Gartenszene zugegen war. Zugleich wurde sein Sohn Adeodatus getauft, und Augustins Mutter Monica war ebenfalls zugegen, um endlich ihren Wunsch erfllt zu sehen, dass Augustin Christ wird. Nach der Taufe „entschloss sich die Gruppe, nach Afrika zurckzukehren und dort ein abgeschiedenes Leben zu fhren“ (Richter 1984: 9), das den Grundstein fr die klçsterliche Kultur legen sollte und wo wesentliche Werke der Dogmengeschichte des Christentums verfasst wurden. Fr die Frage nach der Bekehrung und dem bergangs vom Rhetor zum Philosophen zum Theologen ist hier der Punkt der systematischen Zugehçrigkeit zu klren. Gehçrte das Cassiciacum noch in die Phase der berlappung, so markiert die Taufe hingegen ein ußerliches Bekenntnis. Ambrosius, der Augustin taufte, hatte ihn persçnlich mit den Neoplatonisten und mit Paulus vertraut gemacht, und so ist zum Zeitpunkt der Taufe noch immer die Offenheit der Entscheidung gegeben, die sich dann nach der Taufe zur Sicherheit im Glauben verfestigt und nicht mehr offen fr philosophische Inhalte und Hinterfragungen ist. Curley fasst diesen besonderen Zustand Augustins zur Taufe anschaulich zusammen: At his baptism, the philosopher – Ciceronian, Platonic, Plotinian, or what have you – and the believer come together. The works of the Cassiciacum period are attempts to reconcile the reason that he takes from philosophy and the faith of Christianity. Augustine comes to recognize that they are both ways to the one Truth (Curley 1997: 154).
Zum einen wird deutlich, dass die philosophischen Einflussgrçßen zur Zeit der Taufe noch nicht differenziert nebeneinander lagen, sondern eine indifferente Mischung darstellten, die lediglich verschiedene Traditionen zum Ausgang nimmt. Zum zweiten wird deutlich, dass das Bekehrungserlebnis zusammen mit der philosophischen Suche in der Taufe kulminiert, da Augustin drittens im christlichen Glauben den Weg zu einer Wahrheit gefunden zu haben glaubt, der er sich fortan verpflichtet fhlt. Ein hnliches Argument entwickelt Hagendahl, der im Zusammenhang der heidnischen Frçmmigkeit von einem „gewissen Eklektizismus“ spricht, dem auch Augustin zugerechnet werden kann. Weiter stellt er die These auf, dass sich Augustin nach der Taufe in einer Art „bergangsphase“ befand, whrend derer christliche und neoplatonische Konzepte nebeneinander existierten (Hagendahl 1967: 438).
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Ob nun ein „Nebeneinander“ oder ein „Eklektizismus“ die treffendere Beschreibung ist, kann nicht sicher geklrt werden. Sicher ist jedoch, dass mit der Taufe und in der Zeit danach die berlappungsphase dem ußerlichen Format der Zugehçrigkeit nach beendet wurde und Augustin seine Liebe zu Gott ber den philosophischen Weg der Vernunft durch die Stoa, durch den Skeptizismus, durch den Neoplatonismus und schließlich durch die Dialektik gefunden hat. So sind die ersten dokumentierten Schriften nach der Taufe und nach dem Tod der Mutter Monika noch im selben Jahr De moribus Ecclesiae catholicae et de moribus Manichaeorum, sowie De quantitate Animae. Es fllt auf, dass sich Augustin in seinen Schriften strategisch gegen die Manicher wendet, die Philosophie jedoch nicht angreift oder verwirft, sondern als Denktradition weiterhin bemht und auf methodische Elemente zurckgreift. Die Frage nach der Konversion in gradueller Sichtweise ist ußerlich durch die Taufe geklrt und die in den vorangegangenen Kapiteln aufgelisteten Meilensteine sind allesamt Einflussgrçßen, die hierzu fr die spezifisch augustinische Form unerlsslich waren. 4.2.5 Synthetische Rekonstruktion der Konversion 4.2.5.1 Epochenschwelle und Biographie Die Bekehrung des Augustin wurde in den vorangegangenen Kapiteln der Untersuchung auf zwei Untersuchungsebenen analysiert: Auf der ersten Ebene der Big Bang-Betrachtung stellt sich die Bekehrung in Form einer literarischen Konstruktion als plçtzliche Kehre dar, wie sie von Augustin anhand der Gartenszene beschrieben wird. Diese Darstellung ex post zergliedert den inneren Wandel Augustins in die Zeit vor und die Zeit nach der Bekehrung mit besonderer Bercksichtigung des Lektreerlebnisses im Mailnder Garten. Auf der zweiten Ebene der GradualismusBetrachtung stellt sich der innere Wandel Augustins als kontinuierliche Vernderung anhand einiger Meilensteine dar, die aber in der Betrachtung zur Ablehnung der Bekehrung als plçtzlichem Erlebnis fhren, da die Kehre ihre Spuren bis in die frhe Kindheit hat und die verschiedenen Lebensphasen Augustins im Lichte der Hinwendung zum Christentum als notwendige Vorbedingungen gesehen werden. Augustin selber spielt die Mçglichkeit durch, was gewesen wre, wenn er entgegen der tatschlichen Chronologie erst die Bibel und dann die Neoplatoniker gelesen htte:
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Denn htte ich mich zuerst an Deinen heiligen Schriften gebildet, htte in der Vertrautheit mit ihnen Deine Sße gekostet und wre dann erst an die Bcher der Platoniker gekommen, – vielleicht htten sie mich vom festen Grunde der Gottesverehrung abgebracht (conf. VII 20,26).
In positivistischer Betrachtung stellt sich die Bekehrung als Konsequenz ihrer vorangegangenen Schritte dar, die so und nur so verlaufen konnten. Alle anderen Konstruktionen sind hypothetische Modelle, die vielleicht zur Kontrastierung herangezogen werden kçnnen, inhaltlich aber keinen Beitrag zum Verstndnis der Bekehrung liefern kçnnen. Beide Untersuchungsebenen liefern ihrer Binnenlogik folgend ein konsistentes Bild des inneren Wandels. Gleichwohl widersprechen sich die beiden Darstellungen und schließen sich gegenseitig aus. Wie in dem Kapitel der „Aporien der Forschung“ dargelegt wurde, ist die gesamte Forschung zur Bekehrung von sich ausschließenden Thesen dominiert. Der Beitrag dieser Untersuchung ist die Differenzierung der Untersuchung nach der Untersuchungsvoraussetzung. M. a. W. erlangt man mit dem Big Bang-Theorieansatz zu einem Big Bang-Verstndnis der Bekehrung, so wie man mit dem Gradualismus-Theorieansatz zu einem graduellen Verstndnis der Bekehrung kommt. Im Falle Augustins wird diese Differenzierung um so plausibler, da es neben den Werken, die Aufschluss ber die geistige Entwicklung zum Zeitpunkt ihrer Entstehung geben kçnnen, die literarischen Reflexionen in Form autobiographischer Texte gibt, worunter an erster Stelle die Confessiones und an zweiter Stelle sicherlich die Retractationes zu sehen sind. Weiter sind in den anderen Schriften durch Augustins Hinwendung zur eigenen Innerlichkeit stets autobiographische Elemente enthalten, die den inneren Wandel dokumentieren. Die beiden Untersuchungen der Bekehrung haben den Wandel nun gemß ihrer Untersuchungsaxiomatik in seine Bestandteile zerlegt und analysiert. Damit ist Klarheit entsprechend der Untersuchungsmethodik produziert worden. Nun gilt es, die Ergebnisse der Analyse in einen synthetischen Teil zusammenzufhren. Dies ist die Aufgabe der folgenden Kapitel. Der Zweck dieser Synthese besteht in der Formulierung von Forschungsergebnissen. Wie lsst sich also das Verstndnis von Bekehrung revidieren, ohne dabei einen weiteren Beitrag zur Aporiensammlung zu liefern? Im Sinne der transitionalen Verschrnkung des Wandels kommt der Zeit auf Cassiciacum eine besondere Rolle zu. In diesem synthetischen Teil werden Thesen aufgestellt, die – entgegen der Analyse – erste Zwischenergebnisse der Arbeit darstellen, die
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den Diskurs einerseits zur Bekehrung Augustins und andererseits zur Frage nach der Darstellung von Bekehrungen bereichern sollen. Auf der Ebene der Gesamtuntersuchung ist dabei auf die Korrelation von Epochenschwelle und Biographie zu verweisen. Gemß der ußerung Browns, wonach der innere Wandel Augustins mit dem ußeren Wandel der epochalen Umwlzung korreliert,136 ist insbesondere den biographischen Elementen Aufmerksamkeit entgegen zu bringen. Luman beispielsweise untersucht aus literaturwissenschaftlicher Perspektive das Verhltnis von Ortswechsel und Gesinnungswechsel bei Augustin. Die dort aufgestellten Thesen sind vielmehr das Produkt einer wissenschaftlichen Konstruktion, die im Nachhinein ber die biographischen Daten gelegt wurde. Dennoch ist es wertvoll, auf die Verbindung von Ortswechsel und Gesinnungswechsel hinzuweisen. So geht mit dem Wechsel von Rom nach Mailand die „Bekehrung“ zum Platonismus einher und die Rckkehr nach Tagaste ber Mailand via Cassiciacum, Rom und Ostia entspricht laut Luman der endgltigen berwindung der „weltlichen Leidenschaften“ und dem Entdecken des spirituellen Lebens in der Gemeinschaft (Luman 1990: 144 f ). Anhand der von Luman benannten und in der graduellen Untersuchung vorgestellten Zwischenstationen ergibt sich das Bild einer sukzessiven Entwicklung und weniger das einer Bekehrungsgeschichte. O’Donnell verwendet die Beschreibung der Entwicklung als „dazzling piece of origami“ (O’Donnell 2001: 10), um sich allegorisch gegen das Bekehrungsmotiv abzugrenzen. Deutlich macht diesen synthetischen Charakter der Bekehrung Battenhaus, nach dessen Einschtzung der Hauptbeitrag Augustins in der Entwicklung einer „Synthese aus Christentum und antikem Wissen“ besteht (Battenhouse 1979b: 55). Auch Brown verweist auf den synthetischen, çkumenischen Charakter des Werkes Augustins, wenn er schreibt: „Stets war Augustinus bemht, den „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ und den „Gott der Philosophen“ zusammenzubringen“ (Brown 1982: 153). Dieses harmonisierende Bestreben Augustins muss nicht fr Differenzen stehen, die es zu berbrcken gilt. Vielmehr ist anzunehmen, dass Augustin die aus der Fcherwahrnehmung auftretenden Differenzen gar nicht als solche wahrgenommen hat. Nach Forman lieferte Augustins 136 Brown spricht von einem „schleichenden bergang“: „What interested me more, as it interested so many scholars of the 1960’s, was the slow transition between the classical and the Christian worlds, as this was shown in the life of Augustine“ (Brown 2000: 499 f.).
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Neoplatonismus eine philosophische Sichtweise, die im Einklang mit dem Christentum stand (Forman 1995: 7). Dennoch wird nicht in Abrede gestellt, dass Augustin verschiedene Lebensphasen durchlief, deren Gesinnungen sich durchaus widersprachen. Kann weist jedoch darauf hin, dass Augustin jede seiner verschiedenen und verworfenen Positionen fr jeweils definitiv gehalten habe (Kann 2001: 147). Zwischen diesen festen Positionen lagen jeweils die Phasen der Transformation, die in Zusammenhang Augustins hufig „Bekehrung zu xyz“ genannt werden, was einen sehr weiten Begriff von Bekehrung voraussetzt. Im Falle der Transformation vom Neoplatonismus zum Christentum lag der Fall nach Brown so, dass sich „Augustinus innerhalb eines Horizontes [bewegte], in dem Christentum und Weisheit in Koinzidenz gedacht wurden“ (Brown 1982: 95). Auch hier tritt wieder das synthetische Element in den Vordergrund, das den inneren Wandel und insbesondere Augustins Neukonzeption des Christentums anbelangt. Im Zuge der Transformation wandelt sich sowohl Augustins Sicht auf das Christentum, als auch seine Wahrnehmung der Philosophie: „Einst hatte ihn die gemeinsame Grundlage der Platoniker und des hl. Paulus erregt. Im Jahre 386 schienen ihm beide wie natrlich zu verschmelzen, um ein „so glnzendes Angesicht der Philosophie“ zu bilden“ (Brown 1982: 154). Dieses im christlichen Glanz strahlende Angesicht der Philosophie, das Augustin in seinem ersten Werk auf Cassiciacum notiert (C. Acad. II, 2, 6.), stellt die fr die Bekehrung und die Synthese erforderliche Konvergenz dar. Bezogen auf die Bekehrung, wie sie in den Confessiones dargestellt ist und noch immer als Referenz angesehen wird, stellt Grasmck, der Herausgeber der Confessiones, fest, dass Augustin den Vorgang der Bekehrung „literarisch verschlsselt“ (Grasmck 1987: xvii) dargestellt hat. Im Folgenden wird, um aus dieser Verwicklung von Chronologie und literarischer Konstruktion eine Konzeption von Bekehrung vorgelegt, die die verschiedenen Rezeptionsebenen bercksichtigt. 4.2.5.2 Begriffliche Reformulierung von „Bekehrung“ Die Untersuchung der Bekehrung Augustins als „innerer Wandel“ hat gezeigt, dass der Begriff „Bekehrung“ in verschiedener Verwendung vorkommt. Diese uneinheitliche Verwendung fhrt zu terminologischer Verwirrung, betrachtet man etwa die einzelnen Entwicklungsschritte Augustins als „Bekehrung“ oder gar seine Hortensius-Lektre als „erste religiçse Bekehrung“ (vgl. Brown 1982: 33). Wann ist also von einer
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Bekehrung zu sprechen und aus welchem Grund kann aus der Sicht der Philosophie am Beispiel Augustins eine Neuformulierung des Bekehrungsbegriffes erfolgen? Hier ist neben einem Verweis auf psychologische Momente einer Bekehrung insbesondere auf die oben getroffene Unterscheidung von graduellem und plçtzlichem Wandel einzugehen, da die Bekehrung nur unzureichend aus einer einzigen Sichtweise charakterisiert werden kann. In einer ersten Feststellung kann hier von Bekehrung als biographischer Diskontinuitt gesprochen werden, die die Stabilitt des bisherigen Lebens empfindlich stçrt und gewçhnlich zu einem neuen Lebensabschnitt fhrt. Augustins Bekehrung stellt hier ein besonderes Beispiel dar, da sie durch die literarische Fixierung in den Confessiones aus der Innenperspektive eines Bekehrten geschrieben ist, der sich zudem an dem literarischen Beispiel des paulinischen Damaskuserlebnisses orientiert hat und auf die Bekehrung des Viktorinus Bezug nimmt. Insofern stellt Augustins Bekehrung ein musterhaftes Beispiel fr ein paulinischen Bekehrungserlebnis dar, das laut Fitzgerald in theologischem berschwang formuliert als „Vorbild fr alle Bekehrungen“ gelten kann (1999: 240). Mit Sicherheit jedoch kann Augustins Bekehrung als exemplarisch gelten, da sie nicht nur durch Augustins Bericht in den Confessiones dokumentiert ist, sondern in der Chronologie der Schriften in der Hinwendung zum Christentum ihren Niederschlag findet, denkt man etwa an den Unterschied zwischen den frhen Dialogen und den spten, christlichdogmatischen Werken. Bekehrungen sind also unbercksichtigt der persçnlichen Erlebnisse, die sie konstituieren, als Entwicklungsprozesse zu verstehen. Dabei nimmt insbesondere das Thema Krise eine zentrale Stellung ein. Krisen, so fhrt beispielsweise Sparrow aus, sind ein wesentliches Element fr Bekehrungen, „dennoch kçnnen Bekehrungen nicht auf die entsprechende Krise allein zurckgefhrt werden“ (Sparrow 1930: 102). Das Krisenerlebnis, das die Bekehrung konstituiert, geht mit einer Vernderung einher, die im Falle der Bekehrung Augustins ein „religiçser und moralischer Wandel“ war: religiçs insofern, da Augustin nach der Bekehrung ein neues Verhltnis zu Gott entwickelt hat; moralisch hingegen, da das Bekehrungserlebnis einen Bruch mit seiner eigenen Vergangenheit und damit mit seiner bisherigen Persçnlichkeit darstellt (vgl. Sparrow 1930: 102). Um von einer Bekehrung sprechen zu kçnnen, muss die Vernderung so groß sein, dass ein neuer Ausgangspunkt fr das eigene Leben angenommen werden kann. Norris spricht in diesem Zusammenhang von der Bekehrung als einer „second creation“, was den Grad
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der Vernderung anbelangt (Norris 2001: 244) und auch Sparrow hlt fest, dass Augustin den Garten in Mailand als ein vernderter Mensch verlassen hat. Gleichzeitig hatte Augustin jedoch noch einen weiten Weg vor sich, bis er ein vollstndiger Christ war (Sparrow 1930: 102). Diese These lsst sich als Legitimation fr die in dieser Arbeit zur Anwendung gekommenen zwei Untersuchungsebenen anfhren. So steht es außer Frage, dass Augustin durch das Gartenerlebnis einen dramatischen und plçtzlichen Wandel durchgemacht hat, dieser aber ber Jahre vorbereitet wurde, wie in Augustins anfangs affektiver und spter intellektueller Auseinandersetzung mit dem Christentum deutlich wird. Diese Ebene graduellen Wandels umgreift das singulre Bekehrungserlebnis und bettet es in den Kontext des Biographischen ein. Eine Bekehrung besteht aus der „Reorientierung der Seele“ weg von einer frheren Form, hin zu einer neuen Form des Glaubens, die – so der entscheidende Punkt – den alten Standpunkt als „falsch“ erscheinen lsst (Matter 1990: 21). In Form einer ersten Reformulierung kann also festgehalten werden, dass eine Bekehrung die berbrckung zwischen zwei inkommensurablen Lebensabschnitten darstellt. Die Bekehrung gewhrleistet somit durch den Bruch eine biographische Kontinuitt, die aus der Unvereinbarkeit der Lebensstadien aus sich heraus nicht mçglich wre. O’Connell spricht statt von Inkommensurabilitt von der „Verbannung“ der alten, aktiven Lebensfhrung zugunsten eines Lebens in Kontemplation.137 Festgehalten werden soll hier der Aspekt der Kontinuitt ber eine Diskontinuitt hinweg. In Folgenden soll anhand der augustinischen Bekehrung verdeutlicht werden, inwieweit eine Bekehrung als Indifferenzbereich verstanden werden kann, der durch den bergang zwischen den unvereinbaren Lebensstadien vor und nach der Bekehrung charakterisiert ist. Zur Untermauerung dieser These greife ich auf Colin Starnes’ Beitrag zur Bekehrung Augustins zurck, in dem der Fokus ausdrcklich auf dem Strukturmoment der Bekehrung liegt. Eine erste, sehr hilfreiche Unterscheidung Starnes’ ist die Unterscheidung einer inneren und einer ußeren Bekehrung. Demnach gilt, dass man im Sinne der inneren Bekehrung 137 Unter der berschrift „From Action to Contemplation“ fhrt O’Connell aus, wie eine Bekehrung vollstndig abgeschlossen wird: „A Complete conversion terminates, for him, in abandoning the life of action and of temporal concerns, and taking up a life of contemplation; quitting the ,life of man‘ to achieve, as much as may be, the life of ,soul‘; leaving the arena of ,turmoils and troubles‘ consequent upon the soul’s fall, and attaining, even now, to ,rest‘, ,leisure‘, uninterrupted ,love of wisdom‘“ (O’Connell 1969: 68).
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von dem Moment an bekehrt ist, in dem das Bekehrungserlebnis „passiert“ ist. Im Falle Augustins kann diese Zeit der Angleichung formal an den beiden Randpunkten Bekehrungserlebnis und Taufe festgemacht werden. Interessanterweise sind genau in dieser Zeit die so genannten frhen Dialoge auf dem Landgut Cassiciacum geschrieben worden, die folglich den Angleichungsprozess zwischen Bekehrungserlebnis und Taufe dokumentieren. Als wichtigste Dialoge dieser Perspektive sind hier sicherlich Contra Academicos anzufhren, worin sich Augustinus gegen die Methode des Skeptizismus wendet, sowie die Soliloquia, die chronologisch als letztes Werk vor der Taufe eine fundamentale Auseinandersetzung mit der philosophischen Vernunft und mit Gott darstellen. Die Kontroverse, die sich in der Forschung entlang der Frage, ob die Bekehrung nun vom philosophisch begrndeten Neoplatonismus zum Christentum oder umgekehrt ereignet hat, soll hier nicht abermals aufgezeigt werden. Als Schlussfolgerung aus dieser wenig fruchtbaren Differenzierung soll hingegen darauf hingewiesen werden, dass die Bekehrung nicht allein in dem Bekehrungserlebnis zu sehen ist, sondern in ihrem graduellen Entwicklungskontext. Zugleich jedoch ist die Fokussierung auf ein punktuelles Bekehrungserlebnis ebenso unerlsslich fr das Verstndnis von Bekehrung, obwohl man damit prima facie dem Gedanken einer graduellen Entwicklungsperspektive zu widersprechen scheint. Auch wenn ich mich Starnes’ Position nicht anschließe, dass keine Unterscheidung zwischen Christentum und Neoplatonismus im Falle der augustinischen Bekehrung getroffen werden kann, so hat der Punkt doch einiges fr sich, dass sich Augustin zwischen August 386 und April 387 in einer Zwischenposition befand, die ihn weder als dem einen, noch als dem anderen Lebensabschnitt eindeutig zugehçrig erscheinen lsst (Starnes 1992: 55). Vor diesem Hintergrund soll die Bekehrung also als besondere Zeit begriffen werden, die sich als bergangszeit charakterisieren lsst, die weder dem vorherigen, noch dem folgenden Stadium zugerechnet werden kann. Die bergangsfrist stellt eine Phase eigener Dignitt dar, die in ihrer Ausdehnung einen Angleichungsprozess zwischen den Stadien darstellt, die jedoch zugleich ein punktuelles Erlebnis umfasst, das als Wendepunkt des graduellen Transformationsprozesses angesehen werden muss. Auf Augustins Bekehrung bezogen hat man es dabei nach Starnes mit einem „Rtsel“ zu tun, das jedoch keinen Widerspruch bedeutet, da die Ansichten der frhen Dialoge und der Confessiones durch die Noch-nicht-
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Entschiedenheit der Bekehrung durch das Bekehrungserlebnis in einer gemeinsamen Entwicklungslinie stehen. In dieser Entwicklungslinie nehmen speziell die Soliloquia einen besonderen Stellenwert ein. Sie verdeutlichen in dem (fiktiven) Dialog mit der Vernunft einen bewussten Aufstieg,138 der die Bekehrung in ihrem gltigen Sinne der bereinkunft der inneren und ußeren Form nach erscheinen lsst. hnlich, wie es sich mit der Epochenschwelle im historiographischen Sinne verhlt, stellt die Bekehrung einen bergang zwischen zwei verschiedenen Stadien dar, die fr sich genommen inkompatibel zueinander erscheinen, die jedoch im Stadium des bergangs ineinander bersetzt werden, was in der Betrachtung ex post durch ein einschneidendes Erlebnis festgemacht werden kann. Zugespitzt im Sinne der synthetischen Rekonstruktion ließe sich eine Bekehrung allgemein als religiçse Epochenschwelle einer Biographie verstehen, anhand derer die krisenhafte Kehre im Leben des Konvertiten durch ein Bekehrungserlebnis ex post nachvollziehbar wird. In einem nchsten Schritt kçnnte man Bekehrung als retrospektive Bndelung eines graduell stattfindenden Wandelprozesses begreifen. Erst die beiden Ebenen zusammengenommen ergeben ein Verstndnis von Bekehrung, das erlaubt, sowohl die Entwicklungslinie der Bekehrung als kontinuierlichen Prozess zu begreifen, als auch das Bekehrungserlebnis als punktuelle Kehre und Zentrum der Bekehrung zu erfassen. Der Fall Augustin zeigt, dass sowohl die Big-Bang-, als auch die Gradualismus-Perspektive fr sich genommen konsistent dargestellt werden kann. Es kann also sowohl die Gartenszene als Bekehrungserlebnis verstanden werden, das Augustin im Zustand seiner Suche eine Orientierung gibt. Ebenso kann die Bekehrung als von frhester Jugend angelegte Wende verstanden werden, deren Vollendung erst viele Jahre nach dem eigentlichen Bekehrungserlebnis – wenn berhaupt – zu suchen ist. In der Forschungsliteratur spiegelt sich diese Unvereinbarkeit der Anstze wider, wie in Kap. 4.2.1 anhand der Aporien in der Forschung gezeigt wurde. Die synthetische Rekonstruktion der Bekehrung, wie sie hier als Zusammenfluss der graduellen wie der Big Bang-Perspektive beabsichtigt ist, soll also ein differenziertes Bild von Bekehrungserlebnissen ermçglichen, wobei beide Ebenen als integrale Bestandteile von Bekehrung angesehen werden und erst die Komplementaritt der beiden Ebenen zu 138 O’Donnell spricht bei den Soliloquia von „conscious ascent“ (O’Donnell 1992a: xlix).
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einem abgerundeten und ausgewogenen Bild von Bekehrung fhrt, auch wenn damit eine vordergrndige Inkonsistenz der Untersuchungsperspektiven zueinander in Kauf genommen werden muss.
4.3 Augustin auf der Schwelle 3: Augustinrezeption in Philosophie und Theologie im Spiegel der Epochen If one saw him as a philosopher, his Christianity would be more or less a secondary matter; if one saw him as a Christian, his philosophy could be, at best, instrument and aid to understanding (Crouse 2002: 38).
Die Untersuchung von Augustin als Schwellenfigur zwischen Philosophie und Theologie erfordert eine klrende Vorabbestimmung der Untersuchungsperspektive: Soll Augustin zwischen Philosophie und Theologie dargestellt werden, so ist erstens vorweg zu schicken, dass es bei dieser Fragestellung um die Rezeption des augustinischen Werkes geht, da zweitens Philosophie und Theologie als Wissenschaftsdisziplinen in der Antike noch nicht reinlich geschieden sind, „so als sttze sich Philosophie allein auf die Vernunft, whrend sich die Theologie auf die denkerische Durchdringung der Offenbarung beschrnke“ (Geerlings 2002a: 7).139 Die Scheidung der Disziplinen ist somit eine Unterscheidung, die erst wesentlich spter – nach Geerlings (2002a: 7) in der Neuzeit, nach Bianchi (1998: 101) um 1277 – getroffen wurde. So ist es zu erklren, dass Augustin heute von den Anhngern der verschiedenen Disziplinen vereinnahmt wird, was mit der Leugnung der Zugehçrigkeit zur jeweils anderen Disziplin einhergehen kann. Als Beispiel dieser restriktiven Sichtweise kann Gilson angefhrt werden, der durch Augustins Vermischung der Disziplinen von einer „verdorbenen Lehre“ spricht, „disqualified as philosophy once and for all“ (Gilson 1967: 241). Hier ist zu betonen, dass die bekundete Vermischung erst durch die nachtrgliche bertragung der Kategorisierung getrennter Disziplinen mçglich wurde, diese kann Augustin aber nicht zum Vorwurf gemacht werden, da Au139 Rist geht in seiner Beurteilung noch weiter, wenn er davon abrt, Augustin eher einen Philosophen als einen Theologen zu nennen, da dies eine Unterscheidung wre, die Augustin nicht akzeptiert htte, ja, die er noch nicht einmal gekannt htte (Rist 1994: 5).
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gustin nicht in den heutigen Kategorien denken konnte. Einen Vorschlag macht Horn, der die Problematik der Disziplinenscheidung zur Zeit Augustins und in unserer Gegenwart behandelt, wenn er in seinem Band ber Augustin die Absicht verfolgt, „Augustins Bedeutung als Philosoph und Theologe darzustellen“ (Horn 1995: 9). Somit wird deutlich, dass die gegenwrtigen Kategorien von Belang sind, aber in ihrer historischen Bedingtheit der Nicht-Trennung gesehen werden kçnnen und somit Augustin sowohl als Philosoph, wie auch als Theologe gesehen werden kann. Rist dokumentiert eine publizistische Besonderheit der Augustinusforschung, die es demgegenber kritisch zu bewerten gilt. Er weist auf jene Arbeiten hin, die mit Titeln aufwarten wie „The Philosophy of Augustine or Augustine’s Philosophy of Whatever“.140 Diese Titel, so Rist, werden dem Anspruch Augustins an die Philosophie nicht gerecht, sondern reprsentieren in erster Linie den Blickwinkel der Autoren, die diese Einengung vornehmen (Rist 1994: 5). Selbiges gilt fr die theologische Seite. Ein weiteres Negativmerkmal dieser exkludierenden Form der Forschung ist die quantitative Begrenztheit der Leserschaft, da die Art der angesprochenen Werke nur und ausschließlich fr den betreffenden Adressatenkreis relevant ist (Rist 1994: 5). So ist es denn im Wesentlichen der Blickwinkel des Rezipienten, der Augustin zu dem macht, als was er im Rahmen kategorialer Zuschreibungen erkannt wird: Sieht man Augustin als einen Philosophen, so erscheint seine Christlichkeit als ein zweitrangiges Motiv. Betrachtet man Augustin als Christ, so erscheint seine Philosophie als Instrument und Hilfe, ihn als Christ zu verstehen (Crouse 2002: 38). Das in dieser Arbeit vorgebrachte Anliegen nun geht ber die entweder/oder Kategorisierung hinaus, indem im Rahmen der gegenwrtigen Disziplinengrenzen das Trennende, sowie gleichermaßen das Verbindende zu suchen ist in jenem Zwischenbereich, der eine neuerliche Konstruktion aufbauend auf der Separation der Disziplinen ist, die jedoch wieder in die Richtung der fließenden bergnge der Disziplinen weist. Die christlichen und philosophischen Anleihen Augustins werden in ein prozessuales Bild bersetzt, das die pfadabhngige Entwicklung der augustinischen Lehren zu bercksichtigen bemht ist. Peter Sloterdijk 140 Als Beispiele fr diese Art der Vereinnahmung kçnnen folgende Werke angefhrt werden: Augustine’s philosophy of mind (O’Daly 1987), Augustine’s philosophy of memory (Teske 2001), Augustine’s philosophy of language (Kirwan 2001), Augustine’s ethics (Kent 2001) oder Augustine’s political philosophy (Weithman 2001).
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spricht bei der Entwicklung augustinischen Gedankengutes von einem „nachgedunkelten Augustinismus“, der wiederum zur „christlichen Katastrophe der Philosophie“ (Sloterdijk 1996: 8) gefhrt hat.141 Bianchi formuliert es eher positiv, wenn er von jener „Hochzeit zwischen Philosophie und Theologie“ spricht, die erst durch die „Verurteilung von 1277“ wieder geschieden wurde (Bianchi 1998: 101 f ). Im Folgenden sollen die beiden Positionen Augustins als Philosoph und als Theologe gesondert im Rahmen gegenwrtiger Zuschreibung dargestellt werden, um von dort aus die Verschrnkung im Sinne der Untersuchung vorzunehmen. Jener verschrnkende Teil ber den Augustinismus, der die beiden Disziplinen im Werk Augustins (daher der weit verbreitete Name „Augustinismus“) amalgamiert, stellt dabei die augustingebundene Positionierung des Zwischen dar. Die dabei zutage tretenden „Widersprchlichkeiten, Inkonsequenzen und Vieldeutigkeiten“ sind nicht als Manko, sondern als konstitutiv fr dieses „philosophisch-theologische Denken“ und Augustins „Wirklichkeitsverstndnis“ zu erachten (Hausammann 2003: 373). 4.3.1 Der Philosoph Augustin Aus diesem Bericht (Acad. II 2, 5) ergibt sich erneut, dass das entscheidende Erlebnis in der Lektre philosophischer Bcher bestand, nicht in einer Gartenszene (Horn 1995: 24).
Die Zuschreibung philosophischer Grçße zu Augustin lsst keinen Zweifel an der Gltigkeit, Augustin als Philosophen zu identifizieren. So wird beispielsweise von Spade die Position vertreten, dass Augustin als der „einflussreichste Philosoph aller Zeiten“ (Spade 1998: 71) bezeichnet werden kann. „Seine Autoritt hat sich viel weitreichender und lnger bemerkbar gemacht als die des Aristoteles, der bis zum Sptmittelalter nur eine verhltnismßig geringe Rolle spielte. Was Platon anbetrifft, so 141 Sloterdijk spricht hierbei von einer augustinischen Wendung, „von der unmçglich zu entscheiden ist, ob ihr der Charakter einer Entdeckung (also einer Erkenntnis) oder der einer Erfindung (also einer Projektion) zukommt – fhrt zur christlichen Katastrophe der Philosophie“ (Sloterdijk 1996: 8). Dieses Grundproblem ist wesentlich und wert festzuhalten. Doch ist sich der Meinung Sloterdijks anzuschließen, dass diese Aporie nicht aufzulçsen ist.
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wirkte er lange grçßtenteils durch die Schriften des Augustinus“ (ebd.). Die historische Relevanz Augustins fr die Philosophie ist also auch das am strksten hervortretende Merkmal des Philosophen Augustin (vgl. Bonner 1963: 9 f ), dessen besondere Errungenschaft die Begrndung einer christlichen Philosophie darstellt (vgl. z. B. Hoffmann 1975: 173). Ob diese religiçs geprgte Philosophie berhaupt als Philosophie angesehen werden darf, ist eine nicht eindeutig zu beantwortende Frage. Gilson (1967) beispielsweise verneint sie. Dies soll hier jedoch nicht Gegenstand des Interesses sein.142 Der epochenbergreifende Rekurs auf Augustin innerhalb der Philosophie gengt als Beleg fr die philosophische Signifikanz Augustins. Verkomplizierend fr eine allgemeine philosophische Bestimmung kommt hinzu, dass Augustin whrend seiner gesamten Schaffenszeit kein explizit philosophisches System ausgearbeitet oder gar eine Schule gegrndet hat (vgl. O’Daly 1987: 3). Ein dialektisches Verstndnis von Augustins philosophischer Bestimmung liefert Flasch: „Seit dem 13. Jahrhundert143 sagten viele mit Albertus Magnus, Augustin sei ein großer Theologe, aber von Philosophie, von Physik und Medizin verstehe er nichts, dazu brauche man Aristoteles und die Araber. Dennoch blieb Augustin eine Markierung. An ihm nahm Maß, auch wer von ihm abwich“ (Flasch 1996: 12). Es ist also auch hier das Bild des Beschreibenden, das bestimmt, inwieweit Augustin als Philosoph zu verorten ist. Mit Blumenberg argumentiert, der in seiner Dissertation Harnacks These aufgreift, Augustin habe keine klare Stellung zu dem Problem von Glauben und Wissen eingenommen, rumt ein, dass die These schwerlich zu widerlegen sein. „Aber es ist darin als fraglos vorausgesetzt, dass dieses Problem fr Augustinus bestanden hat. Hier aber muss ein grndlicheres Fragen bereits einsetzen, das sich nicht 142 Zuerst stellt sich die Frage, was denn berhaupt Philosophie sei. Dieser Frage allein ist Grund genug, sie hier nicht zu thematisieren. Einen ersten Ansatz hinsichtlich Augustins liefert Callahan mit einer ungewçhnlich einfachen und sicher nicht hinreichenden Definition, die jedoch als Hinweis auf die Frage gengen soll: „If philosophy, which with good reason might be called a Greek way of looking at things, has been able to span the gap of the centuries to the Middle Ages and to our own world, it has found no stronger support […] at a given time than it has in Augustine“ (Callahan 1967: 94 f ). So ließe sich hier feststellen, dass die „griechische Perspektive“ durch Augustin christlich angereichert wurde. Dies wiederum untersttzt die These Augustins als „Brennspiegel“ (vgl. Maier 1955: 12). 143 Die Datierung und der Verweis auf Albertus Magnus stimmt mit der von Bianchi aufgestellten These der „Auflçsung der Hochzeit von Philosophie und Theologie“ um 1277 berein (Bianchi 1998: 101 f ).
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durch sptere Kategorien ein ursprngliches Verstehen verdecken will“ (Blumenberg 1950: 66). So soll also die Frage nach dem Philosoph-Sein Augustins im Verstndnis dieses „grndlicheren Fragens“ gestellt werden, das die Bedingtheit des Fragenden sowie die Bedingtheit des zur Frage stehenden zu bercksichtigen bemht ist. War Augustin im christlich geprgten Mittelalter ein einflußreicher Philosoph, durch den platonisches Gedankengut berhaupt tradiert wurde, so wurde er ab dem 13. Jahrhundert als negative Projektionsflche zur Neubestimmung der Philosophie verwendet. Ein weiteres Beispiel aus dieser Zeit kann in Eckhart gesehen werden, der (ebenso als Philosoph und Theologe, vor allem jedoch als Mystiker) in seiner Funktion als Theologe eine Predigt zum Augustinusfest mit einer philosophischen Hommage an Augustin beginnt, worin er ihn einen „guten Theoretiker, vorzglichen Logiker und berragenden Ethiker“ nennt, der „die Flle der Weisheit und Wissenschaft unter verschiedenem Habitus in sich vereinigt. Damit steht Augustinus exemplarisch fr die Dekretierung der scientia philosophica in die theoretische, die logische und die ethische oder praktische Philosophie“ (Speer 1998: 683 f ). Horn hingegen weist in seiner Bestimmung Augustins als Philosoph – gleichwohl er ihn als Theologen ebenso anerkennt (s.o.) – darauf hin, dass die Lektre der philosophischer Bcher und nicht die Gartenszene entscheidend waren (Horn 1995: 24). So ist festzuhalten, dass Augustin immerhin aus eigenen Angaben als Philosoph zu identifizieren ist. Doch was ist eine Philosophie, die ohne Systematik Grçße und Bekanntheit erlangt hat? Was sind Augustins wesentliche Beitrge zur Philosophie, die schließlich seine Grçße ausmachen? Hier die philosophischen Arbeiten Augustins in extenso vorzustellen liegt nicht im Rahmen der Arbeit. Dennoch sollen die wesentlichen Anstze kurz vorgestellt werden. Philosophische Errungenschaften Augustins Neben den zentralen Errungenschaften Augustins wie der Entdeckung des Selbst und der Innerlichkeit, seiner Zeittheorie, seiner Geschichtsphilosophie, seiner Theorie des Willens sowie seiner Impulse zur philosophischen Ausarbeitung, wie beispielsweise zur menschlichen Freiheit, zur politischen Philosophie oder zur Semiotik oder Linguistik, ist insbesondere die An- und bernahme und schließlich die Weiterentwicklung des platonischen Gedankengutes anzusprechen. So spricht sich Crouse dafr aus, dass Augustin ein Platoniker war, der dem Platonismus eine neue christliche Interpretation gab. Auf Augustin kam der Plato-
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nismus durch die Neoplatoniker Plotin und Porphyrius, die die ffnung hin zum Religiçsen bereits anlegten (Crouse 2002: 43). So sind denn auch die Stimmen zahlreich, die Augustins Arbeit als neoplatonisch verstehen, selbst dann, wenn er schon fest im ,Hafen der Kirche‘144 angekommen ist. So schreibt Geerlings beispielsweise, man kçnnte „versuchen, eine Darstellung der Gedankenwelt Augustins ganz im Sinne neoplatonischer Philosophie zu geben und wrde ihn damit auch weitgehend sachgerecht darstellen“ (Geerlings 2002b: 149). Um Augustin, den Philosophen, zu verstehen ist es daher notwendig, ihn im Lichte seiner neoplatonischen Sozialisation und Transformation sowohl seiner selbst, wie auch des Neoplatonismus zu sehen. Entdeckung des reflexiven Selbst An erster Stelle der philosophischen Errungenschaften Augustins ist sicherlich Augustins Entdeckung des reflexiven Selbst anzufhren. Der Augustinbiograph Brown verdeutlicht in seiner 2000 erschienen Neuauflage die Entdeckung des Selbst als entscheidendes Konzept zur psychologischen Entwicklung des Individuums in der Kultur des Westens (Brown 2000: 503). Doch was genau ist unter dem Konzept der Entdeckung des Selbst zu verstehen? Wird von einem psychologischen Ansatz gesprochen, so ist dies einmal mehr eine Kategorie, die erst wesentlich spter eingefhrt wurde. Metthews fhrt aus, dass Augustin der erste Philosoph in der westlichen Tradition war, der seine Gedanken aus einer Perspektive der ersten Person heraus entwickelt hat (Metthews 2001: 267). Dabei stellt diese Perspektive der ersten Person mehr als eine stilistische Neuerung dar, gleichwohl der Stil als literarischer nach McMahon eine entscheidende Rolle zur Entwicklung des Selbst gespielt hat (McMahon 1989: 151). Eine Folge die sich aus dieser Perspektive der ersten Person entwickelt, ist das Entstehen eines „gedanklichen Ichs“145 (ebd.). Dieses „gedankliche Ich“ und die damit einhergehende Befhigung zum Zweifeln durch das Gewahrwerden einer Differenz ermçglicht 144 Die Metapher des Hafens entstammt der Feder (des Theologen) Geerlings (2002a, 151). Lsst man sich hingegen einmal auf die Metapher ein und denkt sie soweit, dass Augustin nicht den sicheren ,Hafen der Kirche‘ erreicht htte, kann man mit Leider spekulieren, „dass Augustinus zu einem der grçßten Transzendentalphilosophen sich entwickelt htte, wenn er nicht so frh Kirchenvater geworden wre und damit den Sprung bzw. bergang von der reinen Philosophie zur orthodoxen Theologie […] vollzogen htte“ (Leider 1978: 3). 145 „Ego of thought“ im Original.
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erst einen philosophischen Fortschritt, der dann deutlich spter von Descartes zum methodischen Zweifel ausgearbeitet wird. Eng verbunden mit der Entdeckung des „gedanklichen Ichs“ ist die Entdeckung der Innerlichkeit, die ebenfalls auf Augustin zurckzufhren ist. So ist es nicht richtig, wenn Schçpf die These aufstellt, dass der „Ausgangspunkt der Selbstvergewisserung fr das moderne Denken seit Descartes im Hindurchgang durch den Zweifel“ (Schçpf 1979: 11) liegt, da Augustin die Mçglichkeit des philosophischen Einsatzes des Zweifels bereits kannte, wenn er in Contra Academicos versucht eine immanente Widerlegung des skeptischen Standpunktes zu finden, bis er schließlich die Tatsache des Zweifels selbst zum Anlass nimmt, die Selbstgewissheit des eigenen Denkens im Zweifeln zu erfahren. Doch ist die Position, die Augustin in Contra Academicos einnimmt, als eine Interimsposition zu verstehen, die Kann wie folgt charakterisiert: „Die Mçglichkeit von Wissen muss generell bezweifelt werden, da unser Erkennen (sowohl das sinnliche als auch das rationale) von Traum-, Phantasie- und Wahnvorstellungen geprgt bzw. anfllig dafr ist; es kann Trugschlssen unterliegen, ohne dass es verlssliche Kriterien der Prfung gibt. […] Das Argument des Augustinus dient jeweils der Wendung nach innen, zu sich selbst, um dort zu unhintergehbarer Gewissheit zu gelangen“ (Kann 2003: 229 f ). Jene Gewissheit, die mit den Mitteln des Verstandes nicht mehr angezweifelt werden kann, fllt in die Kategorie des Glaubens, zu der Augustin ber die Philosophie kam. Mit Horn kann somit der Glaube Augustins philosophisch gedeutet werden: „Der Glaube bietet nur die – allerdings unentbehrliche – heuristische Grundlage fr die Philosophie“ (Horn 1995: 128). ber den Zweifel hin zum Glauben kommt Augustin zu einer „Philosophie des Geistes“ (Horn), die Augustin „mithilfe des memoria-Begriffs entwickelt, [und die] zu den interessantesten Innovationen des Kirchenvaters“ (Horn 1995: 71) gehçrt. Der memoria-Begriff, der auch in der gleich anzufhrenden Zeittheorie eine wichtige Rolle spielt, muss bei Augustin nach Horn als „Gedchtnis, Selbstbewusstsein und als apriorisches Wissen“ (ebd.) verstanden werden. Zeittheorie Neben der Entdeckung des Selbst und des „gedanklichen Ichs“ ist die Zeittheorie, wie sie in dem 11. Buch der Confessiones von Augustin ausgearbeitet wird, „eine der bemerkenswertesten Abhandlungen der gesamten sptantiken Philosophie“ (Habermehl 1997: 124). Ohne hier
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in den umfangreichen Diskurs philosophischer Zeittheorien einzusteigen, mssen doch einige wesentliche Punkte Augustins vorgestellt werden. Den wichtigsten Punkt stellt die Verbundenheit von Zeit und menschlicher Existenz dar. Augustin begreift die Zeit, nachdem er eine Untersuchung zur Messung der Zeit anhand von Metrik und der Lnge von Silben dargelegt hat, als distentio animi (Conf. XI 23,30), als Ausdehnung der Seele.146 Eine weitere Definition des augustinischen Zeitverstndnisses liefert Weis: „Zeit ist nicht ein objektiv Seiendes im Reich der vorhandenen Dinge, sie ist eine Aktivitt des „animus“. Genauer noch die distentio animi, die Ausdehnung der Seele“ (Weis 1984: 100 f ). Neben der zu populrwissenschaftlicher Berhmtheit gelangten Frage, was also die Zeit ist, die Augustin nur beantworten kann, wenn er nicht danach gefragt wird, ist die Aufteilung in die drei Zeiteinheiten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Augustin philosophisch bedeutend. So spricht Augustin von der „Gegenwart des Vergangenen, der Gegenwart des Gegenwrtigen und der Gegenwart des Zuknftigen. Denn diese drei sind in der Seele, und anderswo sehe ich sie nicht“ (Conf. XI 13 – 29). Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei der Selbstreferentialitt der Gegenwart zu, die Habermehl in Anlehnung an Augustin einen „flchtigen Moment zwischen einem zweifachen Nichts“ (Habermehl 1997: 124) nennt, da die Vergangenheit nicht mehr, die Zukunft noch nicht existiert. „Die reale Zeit hat kein Maß, keine Dauer, kein Sein“ (Habermehl 1997: 124). Weiterhin entscheidend und fr die Fragestellung dieser Arbeit nach dem Zwischen von Bedeutung ist die terminologische und ontologische Trennung von Zeit und Ewigkeit, wobei letztere gçttlich und die Zeit (als Ausdehnung der Seele) aus dem Ewigen (Gottes) hervorgegangen sei. Dies fasst Augustin in der bekannten Frage zusammen, was Gott tat, bevor er die Zeit erschaffen habe, nmlich nichts, was die spezifische Ausgangsposition fr Augustins Zeittheorie darstellt: „Dass Gott alle Zeiten gemacht hat, dass er selbst vor aller Zeit ist und dass es keine Zeit gab, in der es noch keine Zeit gab – dies ist der Zusammenhang, in dem Augustin einsetzt mit seiner Analyse der Zeit“ (Flasch 1993: 266). Um das Gewicht Augustins als Philosoph ber sein eigenes Werk hinweg zu dokumentieren, kann am Beispiel der Zeittheorie gezeigt werden, dass die Theorie Augustins maßgebliche Quelle auch fr andere 146 Schçpf, aus der Richtung des Existentialismus argumentierend, versteht Augustins Zeit als „Seinsweise des menschlichen Geistes, die dieser in sich selbst verwirklicht“ (Schçpf 1979: 18).
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Zeittheoretiker gewesen ist. Exemplarisch kann hier Husserls Phnomenologie angesprochen werden, die auf Augustin aufbaut. Geschichtsphilosophie Ein weiteres Thema, mit dem Augustin Philosophiegeschichte geschrieben hat, ist sein Beitrag zur, man kann sogar sagen, die Begrndung der Geschichtsphilosophie in De Civitate Dei, die ebenso als Geschichtstheologie zu verstehen ist (Ignatow 1993: 27). Augustin war somit einer der ersten, die berhaupt nach dem Wesen und dem Sinn von Geschichte fragten. Hier kommt ihm seine oben angesprochene Zeittheorie zugute, da das Grundproblem von Geschichte die Verborgenheit von Anfang und Ziel der Geschichte ist, die er mit seiner Zeitkonzeption von Ewigkeit, die ebenfalls verborgen bleibt, in das Reich Gottes verweisen kann, um so ein teleologisches und gleichsam theologisches Verstndnis von Geschichte zu erklren. Augustin gibt der Geschichte, anders als das in der Antike vorherrschende naturalistischen Modell, ein Ziel und damit eine Heilsversprechung. Augustin „verdanken wir auch das erste paradigmatische Generalschema einer materialen Geschichtsphilosophie, einer Geschichtsteleologie, nach der seit der Erschaffung der Welt die Geschichte eine Vorbereitung der Menschheit zur Offenbarung Christi, diesen Wendepunkt der Geschichte, ist“ (Ignatow 1993: 27).147 Doch ist mit dieser angesprochenen Skularisierung der Geschichtsphilosophie keineswegs Augustins Relevanz geschmlert. Dass seine Lehre ber 1300 Jahre aufmerksamer Rezeption beanspruchen konnte, kann wohl von den wenigsten bezweifelt werden. Und auch nach der Neuausrichtung der Geschichtsphilosophie sttzt sich (bis auf Hegel, so Halder/Mller) die Geschichtsphilosophie auf die Ausrichtung Augustins, nur ohne den heilsgeschichtlichen Hintergrund. „Die philosophische Bedeutung seines Geschichtsdenkens besteht nicht in einer geschichtstheologischen Konstruktion, die zu skularisieren wre, sondern in einem Paradigmenwechsel“ (Kreuzer 1998: 441). So kann festgestellt werden, dass der geschichtsphilosophische Beitrag Augustins allein ausreichte, ihn als maßgeblichen Philosophen zu identifizieren, gleichwohl auch hier das fr Augustin charakteristische „aber nicht nur dies“ zur Geltung kommt. 147 „Das geschichtsphilosophische Denken verblieb unter der gewaltigen geistigen Macht von Augustin innerhalb von 1300 Jahren […] Erst im 18. Jahrhundert beginnt die Skularisierung der Geschichtsphilosophie durch Giambattista Vico“ (ebd.)
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Praktische Philosophie Ein weiteres Feld philosophischer Bettigung, auf dem Augustin als zentrale Figur anzufhren ist, ist das der politischen Philosophie. Zu nennen ist hier einerseits die Theorie des gerechten Krieges, fr die Augustin von Gewicht ist (Spade 1998: 72), und seine Theorie des Bçsen (Mathewes 2001). Flasch sieht in Augustins politischer Philosophie ein doppeltes Interesse: „Sie war ein mchtiges Modell geschichtlichen Handelns und Wertens; sie zeigt zweitens, wie viel an Fundamentalismus in der westlichen Tradition steckt“ (Flasch 1996: 38). Diese These zeigt, dass man einen sehr hohen Lernertrag ber die Kultur Europas durch Augustin realisieren kann, da dieser prgend fr die Geschichte des Westens war und ist.148 Ebenso zur politischen Philosophie gehçrend, aber auch in den Bereich der praktischen Philosophie hineinreichend zhlt Augustins Theorie des Willens. Die zentrale Rolle des Willens und dessen Integration in den Prozess der Entscheidungsfindung sind Merkmale, die Augustins Philosophie scharf von der antiken Philosophie unterscheiden (O’Daly 1987: 6), was das philosophiegeschichtliche Gewicht Augustins begrndet. Der Wille wird dabei nicht als exakter oder kognitiver Begriff eingefhrt, sondern in Begriffen wie intentio und voluntas, aber auch amor und caritas. Der Wille ist nach Augustin das intrinsische Motiv aller praktischen Aktivitten (O’Daly 1987: 6). Zieht man Augustin im Original dazu heran, so wird die praktische Dimension, ja die Einheit von Willen und Handeln deutlich, wenn er in den Confessiones mit sich ringt, sich zum Bekennen zu bekennen: So tat ich vieles, wo Wollen nicht dasselbe war wie Kçnnen: das aber tat ich nicht, was mir unvergleichlich mehr am Herzen lag, und was ich, so bald als ich nur wollte, auch gekonnt htte, weil ich es so bald, als ich es gewollt, eben gewollt htte; denn hier war eins der Wille und die Macht, das Wollen selbst schon Tun (conf. VIII 8,20).149
Von Augustins Theorie des Willens aus gelangt man zur Bedeutung Augustins in der praktischen Philosophie. Nach Geerlings unterscheidet die vorchristliche Antike – grob schematisiert als die Zeit nach Cicero (de fin. III 2,4) – zwei Weisen von Philosophie: „eine mehr praktische und eine andere strker theoretisch ausgerichtete Philosophie“ (Geerlings 148 Zur Bedeutung Augustins vergleiche das Kapitel der Einleitung oder an gewhlten Literaturen: Hoffmann (1975: 255), Horn (1995: 9) und vor allem Stock (2001: 1). 149 „… et ipsum velle iam facere erat…“
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2002a: 8). Durch die christliche Ausrichtung der Philosophie durch Augustin und insbesondere durch die christliche Apologetik wurde die Philosophie somit zu einer strker praktisch ausgerichteten Philosophie. „Diese starke Betonung der praktischen Seite der Philosophie, verbunden mit einer deutlichen Reserve gegenber „weltlicher Weisheit“ hat in Augustinus einen bedeutenden Vertreter gefunden“ (Geerlings 2002a: 9). Was den Aspekt der Praxis aus dem aktiven Philosophieren heraus angeht, so ist auch hier Augustin als praktischer Philosoph im buchstblichen Sinne zu verstehen. Gilson verweist hier bei Augustin auf das Primat der Handlung gegenber der Spekulation (Gilson 1967: 242). Schaut man Augustins Biographie an, so fllt auf, dass er im Gegensatz zu den meisten anderen Philosophen ein Mensch war, der große und dauerhafte Macht in der ffentlichkeit ausbte, statt sie allein theoretisch zu reflektieren oder zu postulieren (Rist 1994: 10). Belegen kann man diese auch fr damalige Zeiten ungewçhnliche Position eines praktisch handelnden (und weniger akademischen) Philosophen mit einem Brief, den Nectarius an Augustin geschrieben hat, worin er ihn als Philosophen identifiziert, der staatsmnnische Qualitten, explizit diejenigen des Cicero, besitzt und kein Philosoph ist, der „keine eigene Lehre vertritt, sondern in dunklen Ecken hockt und die großen Entdeckungen der anderen kritisiert“.150 Schließlich kann Augustin noch in deutlich schwcherer Form und nicht im Sinne jenes von Blumenberg postulierten „grndlicheren Nachfragens“ als der Vater von so unterschiedlichen Unterdisziplinen wie der Semiotik oder der Linguistik herangezogen werden, wie Doyle an der „Hermeneutik der Rhetorik“ aus De Doctrina Christiana ermitteln will (Doyle 2002: 363). Weiter kann angefhrt werden, dass Augustins Confessiones als „der Beginn der Existenzphilosophie“ anzusehen seien 150 Hier die markante Stelle des 97 Epist. 103, 1 im Original: „Sumptis litteris eximietatis tuae, audire mihi uisus sum philosophi uocem non illius, quem in Academiae Lycio memorant“. Die englische bersetzung der gesamten Passage lautet: „In reading the letter of Your Excellency, I seemed to hear the voice of a philosopher, not of such a one as the Academic of whom they relate that, having no doctrine of his own to defend, he was to sit in gloomy corners on the ground, absorbed in deep thought, with his knees drawn back and his forehead resting on them, devising how he might as a detractor attack the famous discoveries or statements of others; nay, there arose before my eyes the statesman Cicero, who, having been crowned with laurels for saving the lives of many of his fellowcitizens, carried the trophies won in his forensic victories into the wondering schools of Greek philosophy“ (nach Keenan 1935: 17).
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(Ritschl 1976: 117). Diese Reihe der Relevanzbezeugungen und Kategorienzuschreibungen ließe sich noch anhand weiterer Beispiele ausfhren. Abschließend und als berleitung zu dem Kapitel „Augustin als Theologe“ soll auf die Besonderheit eines Philosophen eingegangen werden, der zugleich Christ ist, und dessen Philosophie hufig als „christliche Philosophie“ bezeichnet wird. So wie es die Meinung gibt, Augustin sei gar kein Philosoph (vgl. Gilson 1967), muss man dennoch fragen, was es bedeutet, es mit einem „christlichen Philosophen“ zu tun zu haben. Rist ist bemht, diese Frage zu klren und vergleicht andere Zuschreibungen von Philosophen. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass es in der Tat etwas anderes ist, wenn man Augustin einen „christlichen Philosophen“ nennt, als wenn man Aristoteles als einen „griechischen Philosophen“ bezeichnet (Rist 1994: 5). Hingegen rangiert die begriffliche Zuschreibung auf derselben Ebene, wenn man Augustin einen „christlichen Philosophen“ und Sartre einen „atheistischen Philosophen“ nennt. Beide sind demnach Philosophen, nur dass der eine Gottes Existenz annimmt, whrend der andere die Nicht-Existenz annimmt (ebd.). In diesem Sinne soll Augustin als Philosoph verstanden werden, dessen Bedeutung als genuin philosophisch identifiziert werden kann, die jedoch ber die reine Zuweisung hinaus-reicht in andere Gebiete und dabei wesentlich in die Theologie. 4.3.2 Der Theologe, Bischof und Kirchenvater Augustin Lsst sich ber den Philosophen Augustin sagen, dass er als der „einflussreichste Philosoph aller Zeiten“ (Spade 1998: 71) angesehen werden kann, so lsst sich auch ein entsprechender Superlativ fr Augustin den Theologen finden: Im Rekurs auf das prominente Diktum Whiteheads: „Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, dass sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon bestehen“ (Whitehead 1981: 94), ergnzt (der Theologe) Wilhelm Geerlings: „Man kçnnte ohne Schwierigkeiten in Analogie formulieren: Die abendlndische Theologiegeschichte besteht aus einer Reihe von Fußnoten zu Augustin“ (Geerlings 2002b: 148).151 Und Holopainen sieht in 151 Und Geerlings ist nicht der einzige (oder der erste), der diese bertragung bemht. So wurde 1979 bereits dieser Vergleich an prominenter Stelle im „Companion to the Study of St. Augustine“ publiziert: „It was he who in the
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Augustin „die grçßte Autoritt der theologischen Sphre“152 (Holopainen 1998: 554). Doch so allgemein diese Superlative auch bleiben mssen und eher als stilistische berhçhung der Grçße Augustins zu verstehen ist, so standhaft ist die Aussage dahinter, wenn man die Ebene des Allgemeinen um eine Stufe verringert und auf den Ausspruch des Augustinkenners Eugene TeSelle zurckgreift, wonach sowohl katholische als auch protestantische Theologie als „Reihe von Anmerkungen zu Augustins Werk“ zu verstehen sind (TeSelle 1970: 19). Neben der theoretischen Spannbreite dieser Qualifizierung steht dahinter die diskursive Mçglichkeit der Einigung auf Augustin in Problemfragen der kumene, die Christa Richter von Augustin als einer der „großen çkumenischen Gestalten der Kirchengeschichte“ sprechen lsst (Richter 1984: 5). Und auch Dietrich Ritschl betont die theologische Grçße Augustins damit, dass Augustin „der letzte Kirchenvater gewesen [sei], der die Weisheit von Ost und West zu vereinen gewusst habe“ (Ritschl 1976: 106). Diese Qualitt der Vermittelung kann als erstes Merkmal fr Augustins theologische Relevanz festgestellt werden. Nach Horn sind die wesentlichen theologischen Beitrge Augustins in seinen Ausfhrungen zur Trinitt, Christologie, Schçpfungslehre, Soteriologie und Ekklesiologie zu sehen, worin „er dem Anspruch nach philosophische Auffassungen [vertritt], und dies, obwohl er sich deren biblischer Quellen bewusst ist“ (Horn 1995: 127). Doch wre es verkrzend, stellte man Augustin „nur“ als Theologen dar. Im Gegenteil: gerade um ihn als Theologen zu begreifen muss man mindestens auf seine verschiedenen Rollen als Christ (Taufe), Priester, Bischof, Kirchenvater und schließlich als Heiliger verweisen, um der theologischen Grçße annhernd gerecht werden zu kçnnen.
fourth century gave to Western civilization the formative ideas which have guided it for centuries. As we recall Professor Whitehead’s remark that Western philosophy is a series of footnotes to Plato, we can say with equal justice that theology in Western Christianity has been a series of footnotes to Augustine“ (Williams 1979: 3 f ). 152 Holopainen geht in seiner Erklrung anhand de doctrina christiana noch weiter und spricht Augustin die Grçße zu, den theologischen Ansatz autorisiert zu haben, der dann spter von Berengar und Anselm aufgenommen wurde. Dabei bersetzt er die philosophische Dialektik in die Theologie und in einem zweiten Schritt verwendet er Dialektik in theologischem Kontext: „there are passages in which he actually makes use of dialectical tools in a theological context or presents critical comments about such use“ (Holopainen 1998: 554).
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„Philosophische Theologie“ (Horn) Um Augustins Theologie zu erfassen ist es an erster Stelle erforderlich, die ußeren Umstnde zu klren, den Nhrboden, auf dem Augustin mit seiner sehr spezifischen Lehre gedeihen konnte. Die erste persçnliche Bedingung war das Bekenntnis zum Christentum in Augustins Genese vom Rhetor zum Theologen. Als er schließlich nach der „paradigmatischen Bekehrung“153 „im Hafen der Kirche angelangt“ (Geerlings 2002a: 151) war, waren die Umstnde geschaffen, eine eigene Theologie zu entwickeln.154 Diese Genese erfordert die Bercksichtigung der kirchengeschichtlichen Pfadabhngigkeit. So kann fr Augustin gesagt werden, dass er zu einer ganz besonderen Zeit lebte: „Auf der Hçhe seines Lebens stehend ward er Zeuge jener folgenschweren Ereignisse, da Theodosius der Große die katholische Staatskirche aufrichtete und Christentum und rçmisches Reich, Bischof und Kaiser auf Gedeih und Verderb miteinander verband“ (Adam 1954: 5). Die Stimmung war die des Umbruchs und innerhalb dieser makroskopischen Neuerung der Verbindung von Staat und Kirche war es Augustin mçglich, seine theologischen Lehren in Verbindung mit und auf dem Fundament der Philosophie zu entwickeln. Blumenberg spricht von der Leistung Augustins als der „Theologisierung der antiken Wesenssphre“ (Blumenberg 1950: 69). Blumenberg fhrt weiter aus: „Zwar hatte Augustinus die platonischen Ideen als den unverwandten Gestaltgrund des Seienden in sein Denken bernommen, aber er hatte sie aus ihrer kosmischen Zugehçrigkeit herausgehoben und als die schçpferischen Urgedanken in Gott selbst hinein verlegt (Retr. I; 4.3). Damit rckt die Sphre der reinen Wesentlichkeit in die theologische Transzendenz mit ein, fr den Menschen in die eschatologische Vorbehaltenheit“ (Blumenberg 1950: 69). 153 Nach Ferrari hat die Bekehrungsszene, wie sie in den Confessiones dargestellt ist, fr den Westen neben Paulus paradigmatischen Charakter erreicht: „That conversion scene is so vividly described that it seems possessed of an innate realism, so that its historical veracity would be beyond question. Consequently, it has, like the conversion of Saint Paul acquired the stature of being one of the principal paradigms of western Christianity“ (Ferrari 1989: 235). 154 Die Eigenstndigkeit der augustinischen Theologie besteht in der Verschrnkung antiken Wissens mit christlichem Glauben. Zur Genese hat O’Connell die Korrelation der Quellenrezeption beschrieben: „It has frequently been claimed that Augustine read the Platonists with Christian eyes, and true enough, he often did. But it should not be forgotten that he also read Scripture with the eyes of a trained fourth-century rhetor, an early student of Cicero, and later a devotee of those same Platonists“ (O’Connell 2000: 249).
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Erst vor diesem Hintergrund kann verstanden werden, dass die philosophischen Inhalte ebenso legitime theologische Inhalte155 sind, wie es in dieser Verschrnkung das folgende Kapitel zum „Augustinismus“ zum Thema hat. Betrachtet man jedoch die Theologie an sich, so ist hier mit John O’Meara zu Augustins Philosophie festzuhalten, dass es keine einheitliche Systematik augustinischer Theologie gibt, gleichwohl Augustins Theologie durchaus systematisch zu verstehen ist (O’Meara 1997: 18). Fr Peter Brown hingegen stellt Augustins theologischer Ansatz die Tendenz dar, die katholische Kirche als „universale“ Religion zu verstehen, die als Novum fr die Gesamtheit einer Gesellschaft fungieren kann (Brown 2000: 459). Doch wie lsst sich diese Theologie Augustins inhaltlich beschreiben? Da sind zum ersten die theologischen Lehren. Bevor diese in ihrer Wirkmchtigkeit dargestellt werden, ist auf die theologische Systematik einzugehen, die Karl Adam eine „Erlebnistheologie“ nennt, denn „Augustin denkt und forscht als ein lebendiger Mensch“ (Adam 1954: 7). Diese noch sehr vage Begrndung kann weiter aufgeschlsselt werden, wenn man die funktionale Aufgabe klrt, die Augustins Theologie hatte. So schreibt Franz Georg Maier ber das fr Augustins Theologie grundlegende Werk der doctrina christiana: „Die doctrina christiana schreibt christlicher Geistesttigkeit nur eine sinnvolle Aufgabe zu: Durchdringung und Aneignung der Offenbarung als Vertiefung des Glaubens“ (Maier 1955: 29). Diese Lehre gilt fr Augustin als Menschen ebenso wie fr Augustin, den Theologen, der als kirchlicher Wrdentrger fr ein Publikum schreibt. Folgt man dem Jesuiten Portalie, so kann man die Einheit des Menschen mit dem lebensttigen Theologen verbinden. Portalie beschreibt die „drei Regeln des Glaubens“ nach Augustin: Die Schrift, die Tradition und die Lehre der Kirche (Portalie 1960: 119). Der Glaube besteht in diesem Sinne aus einem Netz verschiedner Teilaspekte des Glaubens, die Augustin jeweils ernst nahm und zusammenfhren konnte. Daniel Doyle geht so weit zu behaupten, dass es als Schlssel des Verstndnisses unerlsslich ist, Augustin als Theologen und als Funktionstrger der Kirche in einer Einheit zu begreifen. Die Lehre der Kirche in ihrem politischen Sinne ist folglich unerlsslich als Komponente der theologischen Konzeption Augustins (Doyle 2002: 155 Fitzgerald fhrt aus, dass Augustins Begegnung mit dem Neoplatonismus gleichermaßen Theologen wie Philosophen angezogen hat, was als Indikator fr die jeweilige Legitimitt verstanden werden kann (Fitzgerald 1999: 227).
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361). Das philosophische Mittel zur Konzeption und Durchsetzung der theologischen Lehre war die Dialektik, derer sich Augustin insbesondere in De Doctrina Christiana bedient hat (Holopainen 1998: 554 f ). Horn nennt Augustins Theologie eine „philosophische Theologie“ (Horn 1995: 127), womit gemeint ist, dass Augustins Theologie „nichts mit einem vernunftfeindlichen Fideismus gemein“ hat (Horn 1995: 127), sondern eine Form der Theologie darstellt, die auch philosophisch Bestand hat. Eine Schlsselrolle bernimmt dabei die Rezeption der heiligen Schrift, da durch sie die Theologie im Lichte des philosophischen Bestandes zur verbindlichen Grçße des Christentums werden konnte. Christoph Horn fhrt in Anlehnung an eine Studie von Vogels aus, dass sich „zwei Drittel der gesamten Bibel […] aus Augustinus rekonstruieren“ lassen (Horn 1995: 138). Doch welchen Stellenwert nimmt die heilige Schrift fr Augustin, den Theologen ein, ungeachtet seiner philosophischen Expertise und Weltsicht? Nach Robert O’Connell steht die heilige Schrift fr Augustin fr einen von mehreren Wegen156 Gottes, die „Wahrheit ber die Wirklichkeit der Menschheit“ zu vermitteln (O’Connell 2000: 249). Diese Einstellung muss als Grundvoraussetzung der theologischen Lehren Augustins verstanden werden. Blumenberg spricht von einem „genuin christlichen Wirklichkeitshorizont“ Augustins (Blumenberg 1950: 66), der als der verbindliche Rahmen von Augustins Theologie zu erachten ist. Fr einen reinen Theologen ist die Annahme eines religiçsen Wirklichkeitshorizontes eine selbstverstndliche Disposition, doch untersucht man die Eigenstndigkeit der Verschrnkung aus dem Blickwinkel der Theologie, wie sie bei Augustin vorliegt, so ist die Ankoppelung an die religiçse Sphre als verbindlichem Rahmen von tragender Bedeutung, in dessen Licht die folgenden Ausfhrungen zu den einzelnen Aspekten von Augustins Theologie zu bewerten sind. Trinittslehre Die christliche Trinittslehre wurde zwar nicht von Augustin erschaffen, jedoch von ihm in ihre wesentliche Form fr das Christentum gebracht, 156 Die anderen Wege Gottes, die „Wahrheit zu vermitteln“, die O’Connell auflistet, sind das menschliche Wissen von der uns umgebenden Wirklichkeit und das Verstndnis einer „hçheren Wirklichkeit“, wie sie von den Platonisten beschrieben wird (O’Connell 2000: 249). An diesem dreifachen Pfad kann man die Verbundenheit der verschiedenen Wege innerhalb einer theologischen Konzeption verdeutlichen.
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und zwar in der Schrift De Trinitate. Augustin verfasste seine Lehre zur Trinitt zu einer Zeit, als die Trinitt bereits anerkannt war (Richardson 1979: 237). Dies geht wesentlich auf das Konzil von Konstantinopel im Jahre 381 zurck. Augustin konnte die entscheidende Richtung fr eine Lehre bestimmen, die bereits vielerorts etabliert war.157 In seiner Trinittslehre zeigt sich einmal mehr die Widersprche aufhebende Fhigkeit Augustins: So steht die Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und heiligem Geist fr die monotheistische Erklrung eines polytheistischen Ensembles, die zugleich Augustins Christologie mit Jesus Christus als dem Vermittler eingefhrt hat. Doch die entscheidende Rolle in der Theorie der Trinitt kommt nach Flasch dem menschlichen Geist zu: „Christliche und griechisch-philosophische Elemente, die Anregungen des Marius Victorinus und eigene Gedankenarbeit flossen in einer Theorie zusammen, die den menschlichen Geist als Abbild des dreieinigen Urbildes denken“ (Flasch 1986: 41 f ). Nach Catherine Osborne hingegen ist das entscheidende Element der Trinittslehre Augustins (gegen die andererseits herrschende Meinung, dass der heilige Geist als das „Band der Liebe“ (nexus oder vinculum amoris) zwischen Vater und Sohn zu verstehen ist), das transzendente Element des Geistes (Osborne 1989: 309).158 Man kann also feststellen, dass keine einheitliche Meinung darber herrscht, was das Spezifische der Lehre sei, noch wie sie interpretiert werden msse. Dennoch ist die augustinische Trinittslehre von bergeordneter Bedeutung, da sie weit ber das Werk De Trinitate hinausreicht. So berichtet Christa Richter, dass das Thema Trinitt bereits im philosophischen Frhwerk der Schriften, die auf dem Landgut Cassiciacum verfasst wurden, aufgegriffen wurde: „In der lndlichen Ruhe und Muße fand Augustinus die Mçglichkeit, seine Gedanken und Eindrcke zu klren, und begann, die ersten religiçsen Schriften auszuarbeiten. In der kurzen Abhandlung Das selige Leben nahm er bereits das Thema der Trinittslehre auf, das ihn bis zum Ende seines Lebens beschftigen sollte“ (Richter 1984: 9). Worum geht es konzeptionell in der augustinischen Trinittslehre, wenn die begriffliche Fassung der Einheit von Vater, Sohn und heiligem 157 Gleichwohl Augustin immer wieder in seinen theologischen Schriften die Lehre der Trinitt gegen andere Gruppierungen verteidigen musste. 158 Als philosophischen Beitrag der Erfassung der Trinittslehre kann der Aufsatz von Klaus-Dieter Hohmann (1997) angefhrt werden, in welchem dieser eine Beschreibung der Trinittstheorie und insbesondere dem Geist nach den Methoden einer dreiwertigen Logik darstellt.
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Geist nicht Augustins Beitrag war? Nach Kreuzer ist der Grundgedanke der augustinischen Trinitt das „Begreifen der Einheit von gçttlicher und menschlicher Natur […]. Dabei geht es nicht um eine berwindung, sondern um die Annahme der Bedingungen der menschlichen Natur“ (Kreuzer 2000: 43). Ohne hier genau zu definieren, was die menschliche Natur sei, ist durch die augustinische Trinittslehre kommuniziert, dass die damit zu vermittelnde Haltung des Menschen gegenber seinem Ergehen die des Annehmens ist, des Erduldens, des Erleidens, ja des Martyriums, wie es Robert Eno aus den Lehren Augustins ableitet.159 Das Erkennen der Einheit stellt diese Annahme der Bedingtheit dar. Der Akt des Erkennens dieser Bedingtheit im trinitarischen Konzept und nicht etwa die vorgestellte Trinitt ist durch Augustin zur christlichen Grundlehre geworden, die jedoch nicht bestimmt werden kann, somit also bereits selbst ein transzendenter Akt ist und der Sphre des Religiçsen zuzurechnen ist. Richardson fasst diese Sonderrolle plausibel zusammen, wenn er schreibt, dass die Trinittslehre elementar fr den christlichen Glauben und dabei ußerst schwer zu deuten oder interpretieren ist. Diese Einschtzung besttigt den religiçsen und damit epistemisch nicht zugnglichen Effekt der Trinittslehre.160 Untersttzt werden kann diese Position der heilswirksamen Funktion der Trinittslehre durch Jeanne Hersch: „Man darf nicht versuchen, sich die Trinitt vorzustellen. Die Trinitt ist kein Bild, das wir uns machen kçnnten. Sie kann uns nur helfen, durch unsere eigene Freiheit uns der transzendenten Geschichtlichkeit des einen ewigen Gottes verstehend – und nicht verstehend – zu nhern und den absoluten Abstand zu erleben“ (Hersch 1997: 74). Hierin angelegt ist die Konzeption Gottes als des ganz Anderen, die durch die trinitarische Verbindung der drei ohnehin bereits 159 Die Grundthese Enos lautet, dass die Hoffnung auf eine bessere Welt sich ber den Tod des Mrtyrers hinwegsetzt: „The martyrs hold the highest place in the Church because, following the apostolic example, they have confessed in faith, shown their strength by their hope for what is to come and finally have obtained their reward in charity (Ps. 67.36)“ (Eno 1989: 52). Weiter fhrt er aus, dass das Christentums jedoch kein Todeskult sei, sondern nur einen heilsversprechenden Umgang mit dem Tod bedinge: „Christianity, however, is not a cult of death. Death is bitter, but, like medicine, it must be swallowed in the hope of some better result. This bitterness is medicinal but not lethal“ (Eno 1989: 54). 160 Weiter beschreibt Richardson eine Beobachtung, die sicherlich nicht wçrtlich zu nehmen ist, die epistemische Vertracktheit der Trinittslehre jedoch verdeutlicht: „It has been observed that by denying it one may be in danger of losing one’s soul, while by trying to understand it one may be in danger of losing one’s wits“ (Richardson 1979: 235).
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transzendenten Kategorien Vater, Sohn und heiliger Geist eine Steigerung in der Gestalt der Trinitt erfhrt. So kann die oben aufgeworfene Frage nach der menschlichen Natur immerhin negativ bearbeitet werden, wenn man auf die Eigenschaft Gottes als totaliter aliter verweist und somit eine Differenz feststellen kann, die durch das Beschftigen mit der Trinitt plausibel wird.161 Gnadenlehre War die augustinische Lehre von der Trinitt noch die Weiterentwicklung eines konziliren Standards, so markiert die Gnadenlehre Augustins 396 einen „Bruch in der Konzeption des Christentums“ (Flasch 1986: 28). Bemerkenswert bei der Betrachtung der Gnadenlehre ist dabei, dass Augustin seine Schrift in dem Jahr verfasste, als er Bischof wurde und er sich von dort an „zunehmend in kirchenpolitische Hndel“ (Flasch 1986: 36) verwickelte. Die Gnadenlehre ist dabei eine Absage an die Philosophie162 und die Mçglichkeit der Vernunft als Mittel zur Erlangung persçnlichen Heils. Nach Augustins Gnadenlehre ist „es dem Menschen unmçglich, sich durch Nachdenken und sittliches Wollen auf die Gnade vorzubereiten“ (Flasch 1986: 36). „Allein bei Gott liegt die Gnade“, war die Begrndung, die Augustin einfhrte, und die er bis zur Verbitterung gegen seinen Konkurrenten Pelagius verteidigte und durchsetzte. Pelagius „warf Augustin vor, er zerstçre die Freiheit des Willens und kehre zum manichischen Dualismus zurck. Augustin beharrte: Gott gibt die Gnade, wem er sie geben will; er versagt sie, wem er sie versagen will. Dies ist zwar die Mehrheit der Menschen, aber das berechtigt uns nicht, Gott zu tadeln. Wir drfen deswegen noch nicht einmal an seiner Gerechtigkeit zweifeln. Gott ist gerecht, aber was seine Gerechtigkeit bedeutet, kçnnen wir mit unserem menschlichen Begriff von Gerechtigkeit nicht wissen“ (Flasch 1986: 36). 161 Kurt Flasch geht so weit, diese Differenz mit philosophischen Kategorien zu benennen: „So findet sich bei Augustin die These, durch die Trinitt kçnne das Verstndnis erschlossen werden, wenn man erkennt, dass in der Gottheit alle Kategorien außer der Substanz und der Relation außer Kraft treten. Es erscheint als das Privileg Gottes, dass in ihm die Substanz selbst Beziehung sein konnte. Darin lag ein Bruch mit der schularistotelischen Kategorienlehre, die man aber deswegen in der Regel nicht von Grund auf revidierte; man behalf sich, eine „Ausnahme“ zu statuieren“ (Flasch 1971: 6). 162 Zum philosophischen Verstndnis der Gnadenlehre siehe Loessl: Intellectus gratiae. Die erkenntnistheoretische und hermeneutische Dimension der Gnadenlehre Augustins von Hippo (1997).
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Die Gnadenlehre des Augustin ist aus theologischer Sicht etwas vollstndig Neues, oder wie Geerlings es ausdrckt, wird Augustin durch die Gnadenlehre zum „Revolutionr der Kirche“, da er den bis ins fnfte Jahrhundert hineinreichenden, „stark alttestamentlich und moralisch geprgten Grundzug“ der Kirche durch das Postulat der Gnade Gottes ablçst (Geerlings 2002a: 11). So schreibt Geerlings in seinem Sammelband ber „Theologen der christlichen Antike“ ber Augustin, dass dieser am besten durch das ihn „spezifisch Unterscheidende“ dargestellt werden kçnne, seine Gnadenlehre (Geerlings 2002b: 149). Abschließend kann die Gnadenlehre Augustins mit Peter Sloterdijk als maßgeblich fr das europische Denken identifiziert werden, da die Gnadenlehre eine Wirkmchtigkeit entwickelte, die ber das normale Maß – Sloterdijkscher Empfindung – hinausgeht: „Die Gnadenlehre dient dazu, die menschliche Verlorenheit unter Gott dogmatisch zu betreuen. Augustinus hat die Schleusen geçffnet, durch die seither primrmasochistische Energien ins europische Denken einstrçmen; er hat – mit einer Radikalitt, die ihn geradezu in den Rang einer hçheren Gewalt erhob – das menschlich Unheilbare zum Hauptmotiv seiner Wirklichkeitsdeutung erhoben“ (Sloterdijk 1996: 9).163 Theorie der Erleuchtung Abschließend in diesem kurzen berblick zu Augustin aus theologischer Sicht soll die von Augustin begrndete Theorie der Erleuchtung Erwhnung finden. Hierbei hat man es nach Spade mit einer Theologisierung der platonischen Theorie der Erinnerung zu tun. Der qualitative Unterschied zum platonischen Konzept besteht darin, dass man durch das augustinische Konzept der Erleuchtung „einen flchtigen Blick auf die gçttlichen Ideen“ (Spade 1998: 82) gewhrt bekommt. „Die Erleuchtung scheint Gottes Geist mit dem unseren unmittelbar in Berhrung zu bringen“ (Spade 1998: 83). Diese Unmittelbarkeit ist es, die das Konzept zu einem theologischen Konzept macht, da durch die Erleuchtung der Bereich einer „Darstellung“ verlassen wird und eine Beziehung „von Angesicht zu Angesicht“ (Spade 1998: 83) zu Gott entsteht. Dieses „Licht“ ist nicht das im Vatikanum II und in der Religionsphilosophie 163 Einen hnlich drastischen Standpunkt hinsichtlich der Wirkmchtigkeit Augustins fr die Mentalittsgeschichte des Westens problematischer Begriff, s.o. vertritt Peter Habermehl, der Augustin als den eigentlichen „Schçpfer der Idee der Erbsnde – und zwar durch die Sexualitt“ bezeichnet (Habermehl 1997: 127).
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bedeutsame lumen naturale, sondern ein „inneres Licht“ ewiger Wahrheiten, das in den menschlichen Geist durch den gçttlichen Geist strçmt. Die ontologischen und epistemischen Voraussetzungen fr die Erleuchtung sind philosophisch nicht zu erklren, sondern nur theologisch aufzuzeigen, weshalb Augustins Lehre der Erleuchtung als theologisches Konzept zu verstehen ist, gleichwohl es sich nach Spade in die Reihe philosophischer Lehren zu „Idealbegriffen“ einordnet.164 Die Reihe der theologischen Lehren, die auf Augustin zurckgehen, kçnnte noch weiter fortgesetzt werden. Das Ziel des Kapitels ist jedoch nicht ein umfassender berblick ber die Theologie Augustins,165 sondern ber die Bedeutsamkeit Augustins als Theologe. Diese wird von Blumenberg pointiert als „erste umfassende Artikulation und denkerische Durchdringung“ des christlichen Bewusstseins, ohne dass Augustinus dabei die Kategorien des „antiken Logos“ verworfen htte (Blumenberg 1950: 69). Dieser Spur soll im Folgenden als Verschrnkung von Philosophie und Theologie nachgegangen werden. Die Darstellung Augustins als Philosoph und als Theologe dient dem Zweck, die Bereiche vorzustellen, zwischen denen der spezifisch augustinische Ansatz zu verorten ist. Dieser Ansatz kann auf die paradoxe Formel Augustins „intellige ut credas, crede ut intelligas“ gebracht werden. Laut Blumenberg bedeutet diese Formel „die konstitutive Einheit des genuin christlichen Wirklichkeitshorizontes“ und fhrt „Glauben“ und „Wissen“ „zu einer untrennbaren Korrelation ihrer beiden Teile“ (Blumenberg 1950: 66). Diese Korrelation kann als augustinspezifisch bezeichnet werden. 4.3.3 Augustinismus: „Intellige ut credas, crede ut intelligas“ Augustin wurde und wird gleichermaßen als Philosoph und als Theologe rezipiert, da er zu beiden Disziplinen (wie sie heute bestehen) maßgebliche Lehren und Theorien beigetragen hat, wie die beiden vorangegangenen Kapitel belegen. Im Folgenden jedoch wird der Schritt unter164 Es scheint nach Paul Spade weiter „nçtig zu sein“ eine Theorie der Erinnerung (Platon), der angeborenen Ideen (Descartes) oder der Erleuchtung (Augustinus) zu haben, da „Menschen offensichtlich Erkenntnisse haben, die ber das hinausweisen, was Menschen selbst leisten kçnnen“ (Spade 1998: 82). 165 Eine ausfhrliche Darstellung zu Augustin als Theologen kann den folgenden Werken entnommen werden: Geerlings (2002 a+b), Mokrosch/Walz (1980), Ritschl (1976), Ruokanen (1993) und allen voran TeSelle (1970).
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nommen, Augustin als eigenstndig zwischen den Disziplinen zu verorten, indem Augustin als auf der Schwelle zwischen diesen Disziplinen dargestellt wird. Die Eigenstndigkeit und die Legitimation dieser Konstruktion kann anhand der wiederkehrenden Bezeichnung „Augustinismus“ belegt werden. Die augustinischen Lehren in ihrer Rezeption stellen durch diese Bezeichnung folglich eine eigene Disziplin dar. Im vorliegenden Kapitel wird der Augustinismus als eigenstndiger Bereich zwischen Theologie und Philosophie begriffen. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass Theologie und Philosophie durch Augustin einerseits verbunden, andererseits auch getrennt sind. Diese Charakterisierung ist typisch fr die Beschreibung auf der Schwelle, um die es hier gehen soll. Eine metaphorische Art, diese Spezifitt Augustins auszudrcken, whlt John Rist, wenn er von einem „Amalgam“ von antiker Philosophie und christlicher Theologie spricht (Rist 1994: 7). Weitere Metaphern, die als Anstze zu verstehen sind, das Spezifische des Augustinismus zu beschreiben, sind „Brckenkopf“ oder „Zentaur“, die zum Ende des Kapitels vorgestellt werden. Inhalt des Kapitels ist es folglich, den Ansatz in seiner Eigenstndigkeit herauszuarbeiten. Dies bedeutet eine Beschftigung mit der Thematik „Glauben und Wissen“ bei Augustin, die schließlich in die augustinische Formel „intellige ut credas, crede ut intelligas“ mndet. Philosophisch ist dabei auf den Umgang Augustins mit Widersprchen einzugehen. „to the threshold of faith“ Ein Einstieg in die Thematik und eine begrifflich unproblematische Annherung an die eigenstndige Zwischenform des Augustinismus kann man mit Jeanne Hersch whlen, die Augustin als den ersten großen „Philosophen und Theologen“ bezeichnet, der in einer Epoche lebt, „wo Philosophie und Theologie schwer auseinander zu halten sind“ (Hersch 1997: 68). Die Validitt der Disziplinengrenzen ist dabei nicht das entscheidende, sondern vielmehr ein begnstigendes Element. Entscheidend ist vielmehr die Zuschreibung der Gleichzeitigkeit. Diese Gleichzeitigkeit nun kann aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Horn beispielsweise vertritt den Standpunkt, dass sich christliche und neoplatonische Elemente keineswegs zu einer „beliebigen Synthese [verbinden]; den Leitfaden bildet vielmehr Augustins Interesse an einer philosophischen Rekonstruktion des Christentums“ (Horn 1995: 27). Forman argumentiert in eine hnliche Richtung, wenn er Augustins Position in der
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katholischen Kirche damit erlutert, dass Augustin seine Originalitt als Philosoph bewahrt und dabei seine eigene Theologie entwickelt habe166 (Forman 1995: 6). Mary Keenan vertritt einen Ansatz, der fr die hier beabsichtigte Darstellung zutrglich ist, wenn sie schreibt, dass Augustin durch die platonischen Lehren an die „Schwelle zum Glauben“ gefhrt worden sei („to the threshold of faith“) und als Christ ein philosophisches System erschaffen habe (Keenan 1935: 12). Allgemein kann also bereits hier festgestellt werden, dass Augustin eine Form gefunden hat, beide Systeme gleichermaßen einzubeziehen, um dabei „seine eigene Synthese“, wie es James O’Donnell nennt, (1992a: xlv) herauszubilden. Blumenberg spricht gar von der „Verschmelzung des antiken und des christlichen Weltverstndnisses“ (Blumenberg 1950: 66) und auch Crouse nennt das Werk Augustins eine Synthese von platonischen und christlichen Lehren: So sei die augustinische Synthese voll von inkonsistenten und sich widersprechenden Positionen (Crouse 2002: 40). Kurt Flasch spricht gar ber die Lehren Augustins von einem „Nest von Widersprchen“ (1994: 403) und dem „Zwiespalt Augustins“, wenn dieser platonische Lehren mit theologischen Prinzipien vermengt. Doch dies kann auch positiv gesehen werden, wie aus den Briefen Augustins hervorgeht. Keenan berichtet vom Brief des Nebridius, welcher auf einen Brief Augustins antwortet, und worin dieser berichtet, er vernehme durch Augustin „die Stimme Christi und die Lehren des Plotinus“ (76 Epist. 6, 1 nach Keenan 1935: 14). Es bietet sich also nicht an, die Synthese normativ zu bewerten, sondern sie a. festzustellen und b. zu einer Erklrung ber Augustin heranzuziehen. Forman nimmt die Synthese als Paradox und erklrt mit diesem Augustins Wirkmchtigkeit und Grçße: Inevitably, contemporary students of Augustine come to an appreciation of his works through introductions […]. These studies focus primarily upon the development of Augustine as a philosopher or upon Augustine’s philosophy of theology itself. The paradox which none of this work considers, 166 Weiter weist Robert Forman darauf hin, dass Augustin als Philosoph und Theologe zu bezeichnen sei und dabei weltliche Macht in seiner Funktion als Bischof erlangt habe, wie kein anderer Kirchenvater. „He was both a philosopher and a theologian and, significantly as Bishop of Hippo, a philosopher and theologian with earthly power far beyond that of any of the other Church Fathers“ (Forman 1995: 6).
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however, is that Augustine’s greatness does not stem from the originality of either his philosophical or his theological treatises (Forman 1995: 6).
Der Augustinismus also ist weder Philosophie noch Theologie, sondern eine eigenstndige Synthese der beiden, die in den beiden Disziplinen funktioniert und die Bekanntheit und Originalitt Augustins begrndet. In einem nchsten Schritt ist inhaltlich auf diese Synthese einzugehen. Glauben und Wissen und die augustinische Figur des Widerspruchs Glauben und Wissen sind nach Daniel Williams gegenwrtig sich bekmpfende Fraktionen (warring fractions), die Augustin jedoch seinerzeit zu vereinen gewusst habe (Williams 1979: 5). Blumenberg hingegen macht die Position stark, dass der Begriff von „Wissen“, den wir dem „Glauben“ entgegenstellen, Bedeutungskomponenten in sich trgt, „die fr das Verstndnis des augustinischen Wirklichkeitsbewusstseins vçllig disparat sind […]. Whrend in modernen Kategorien nicht mehr verstanden werden kann, wie das Wissen etwas fr den Glauben und erst recht nicht wie der Glaube etwas fr das Wissen austragen kçnnte, weil hier je in nicht mehr adquat zu nehmender Weise ,wahr‘ genommen wird, ist das ,und‘ zwischen ,credere‘ und ,intelligere‘ bei Augustinus von fundamental anderem Bezugswert [ist], insofern sich durch auctoritas und ratio der eine Wirklichkeitshorizont des ,Wahr‘ zunehmenden konstituiert“ (Blumenberg 1950: 66). In der Tat scheint nach „modernen Kategorien“ das „und“ zwischen Glauben und Wissen ein disjunktives „und“ zu sein und so landet man zwanglufig wieder in jenem „Nest der Widersprche“ das Augustin charakterisiert. Doch zeigt Hersch, dass bei Augustin ein anderer Zugang zu Widersprchlichem ratsam ist, der an die Argumentation Blumenbergs angeschlossen werden kann, und mit dem man Augustins Lehre erklren kann. Man muss den Gegensatz aufheben. Fr Augustin geht der Glaube der Vernunft und dem Verstand voraus. […] Augustin findet die berhmte Formel: credo, ut intelligam. Nicht: ich glaube, obwohl ich verstehe, oder: ich glaube, aber ich will verstehen, sondern umgekehrt: ich glaube, um zu verstehen. Hier berhren wir die Grundeinstellung des Glaubenden zur Vernunft […]. Bei Augustin spielt das Absurde – das Widerspruchsvolle – eine wichtige Rolle. Er sagt, ltere Schriftsteller zitierend: credo quia absurdum, ich glaube, weil es absurd (Hersch 1997: 70).
Augustin kann nach dieser Auffassung als auf der Schwelle zwischen Philosophie und Theologie stehend begriffen werden, da seine Formel
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„Intellige ut credas; crede ut intelligas“ (vgl. Sermo 43, 7, 9) eine Paradoxie darstellt, der die besondere Funktion vermittelt, gleichermaßen zwischen den Disziplinen zu verbinden wie zu trennen. Da Augustins Frage die nach Gott ist und er dies in seinen Werken sprachlich dokumentiert, hat Hersch recht, auf das folgende philosophische Grundproblem hinzuweisen: „Unsere Sprache berschreitet sich selber, wenn wir von Gott sprechen. Indem sie sich berschreitet, widerspricht sie sich. So wird der Widerspruch zum Zeichen des Gçttlichen: „Ich glaube, weil es absurd ist.“ Das heißt: ich anerkenne, dass der Widerspruch Zeichen des Gçttlichen ist“ (Hersch 1997: 72). Es ist hier von besonderer Schwierigkeit, dass Hersch selber in jenen philosophischen Bereich vordringt, der sich der analytischen Exaktheit entzieht. Von daher ist es ein konsequenter Schritt, wenn sie die negative Theologie als noch mçgliches Instrument der Philosophie begreift, mit dem sich eine Aussage auf sprachlich positivem Grund machen lsst. Sie fhrt aus: „Die Kategorien von Aristoteles167 sind nicht mehr anwendbar. Das Denken gert in Antinomien. Schließlich kann man nur noch sagen, was Gott nicht ist, also: von Gott in negativen Begriffen reden“ (Hersch 1997: 72). Augustin nun verlsst diesen logisch widerspruchsfreien Raum, indem er sich zu einer positiven Theologie bekennt (in den Bekenntnissen), hlt dabei aber gleichzeitig an den philosophischen Lehren fest, die auf ihn ber die Neoplatoniker gekommen sind. Es ist in der Darstellung ratsam, nach der positiven Darstellung Herschs eine kritische Stimme dem Gegenstze aufhebenden Denken Augustins entgegenzusetzen. Alfred Schçpf steht der Lehre Augustins mit philosophischem Zweifel entgegen und fragt, „inwieweit es neben genialen philosophischen Einsichten Augustin tatschlich gelungen ist, Glaubensinhalte rational einsehbar zu machen, inwieweit er eine confessio fidei gibt oder Glaubensmomente unkontrolliert einfließen lsst und sie nur als Wissen behauptet“ (Schçpf 1979: 92). Gegen das Argument der Wissensbehauptung von Glaubensmomenten lsst sich ohne ein theologisches Zugestndnis nur eine philosophisch ablehnende Haltung gewinnen, die sich nur mit dem Verweis auf die Nicht-Klassifizierbarkeit Augustins abwenden lsst. Schçpf whlt einen prozessualen Zugang zu der Frage nach Glauben und Wissen, indem er die Mçglichkeit des „Suchens als Erkenntnisvollzug“ annimmt und zunchst die Frage nach 167 Mit denen sich Augustin nachweislich in den Confessiones auseinander gesetzt hat. So schreibt er ber die zehn Kategorienlehre: „Hinreichend deutlich erschien mir die Schrift“ (conf. IV 16,28).
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dem Vorwissen stellt. Von diesem Vorwissen, so Schçpf, ist der Erkennende immer schon geleitet, „wenn er die Anstrengung des Begreifens auf sich nimmt“ (Schçpf 1979: 47 f ). Fr Augustin arbeitet er drei Formen des Vorwissens heraus: Augustin kennt drei Formen des ,Vorwissens‘: das Glauben (credere), Meinen (opinari) und Zweifeln (dubitare). (Vgl. de mag. 12, 40.) Alle drei Modi sind bestimmt durch das Unterwegssein-zum-Wissen. Der Glaube bejaht die Mçglichkeit, dass sein Gegenstand gewusst werden kçnne, das Meinen lsst diese Mçglichkeit offen, whrend der radikale Zweifel das Wissen ausschließt. (Vgl. de util. cred. 11, 25.) Aus diesem Grunde spricht Augustin dem Glauben eine Prferenz fr die Gewinnung von Wissen zu, wobei nicht ganz klar wird, wieso nicht auch ein bestimmtes Meinen und Zweifeln mit einem entschiedenen Willen zum Wissen verbunden sein kann (Schçpf 1979: 48).
Ein wichtiger und in der Debatte hufig vernachlssigter Punkt ist das Zustandekommen von Glauben und Wissen, das Alfred Schçpf in der Formel des „Unterwegssein-zum-Wissen“ anspricht. Hier klren sich der prpositionale Charakter des Wissens und das Zustandekommen des Glaubens. Die Ausdifferenzierung in die drei Formen des Vorwissens zeigt, dass Augustin sich der Alternativen zum Glauben bewusst ist, dem Glauben jedoch eine Prferenz einrumt, gleichwohl das „Wissen von der Gegenstandsseite her eingeschrnkt“ (Schçpf 1979: 48) wird. Doch fr diese Einschrnkung erhlt Augustin die Gewissheit, dass sein Gegenstand gewusst werden kann. „Der Glaube gibt die willentliche Zustimmung, dass die nichtrationalen Momente auflçsbar sind. In diesem Sinne kann Augustin sagen, dass „Glauben nichts anderes sei, als mit Zustimmung denken“. Diese Zustimmung beruht auf einer Vermittlung der Wahrheit durch die Autoritt (auctoritas) einer anderen Person, wobei die menschliche tuschen kann, die gçttliche dagegen nicht (vgl. de ord. II, 9, 27). Wissen und Glauben werden von Augustin als eigenstndige Akte gesehen, die jedoch in der einen Wahrheit konvergieren“ (Schçpf 1979: 48). Dieser Akt der Konvergenz ist aus Augustins neoplatonischer Sicht erklrbar, da dort das Eine (hen) die zentrale Grçße darstellt. Man muss kritisch anmerken, dass Augustin und mit ihm Schçpf das Problem von Glauben und Wissen nur verlagert haben, indem sie von der „einen Wahrheit“ ausgehen, von der zweifelsfrei zu wissen gleichermaßen ein Glaubensakt ist. Auch Holopainen kommt zu dem Schluss, dass „echtes Wissen“ und „echte christliche Offenbarung“ Ausdrucksformen des selben einen Wissens seien. Als Konsequenz kann behauptet werden, dass bei Augustin die Vernunft zu einem „theologischen Instrument“ wird
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(Holopainen 1998: 559) und ferner der „wahre Philosoph“ nach Augustinus der Gottliebende (amator dei) ist (vgl. ciu VIII, 1.). Jeanne Hersch geht in ihrer Beurteilung noch weiter, wenn sie bei Augustin erkennt, dass die „rationale Einsicht zu einer Gnade Gottes“ (Hersch 1997: 69) wird, was die Philosophie Augustins eindeutig in den dogmatischen Rahmen seiner theologischen Gnadenlehre rckt. Hier ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es nicht die augustinische Philosophie an sich gibt, sondern dass Augustin sich stndig wandelte und die Gnadenlehre aus einer Phase stammt, als Augustin bereits Bischof war und wenig Nhe zu seinen philosophischen Werken der frhem Phase hatte, wie aus den Retractationes ersichtlich ist.168 Doch zurck zur augustinischen Position von Glauben und Wissen. Fr Augustin besteht eine zirkulre Beziehung zwischen den beiden: „Dem Anfangszustand des Glaubens folgt das Wissen, denn Glauben ist nicht identisch mit Wissen. Das Wissen mndet in den Glauben, denn Wissen ist identisch mit Glauben in einem hçheren, rational aufgehellten Sinn (vgl. de mag. 11, 37)“ (Schçpf 1979: 49). Man kçnnte diese Auffassung logischen Nonsens nennen, wre da nicht die Spezifitt Augustins, der sich dem Diktum credo quia absurdum anschließt. Nimmt man also diese Position als augustinische hin, so ist damit noch immer ein schwerwiegendes philosophisches Problem offen: Die Frage nach dem Anfang. Diese ist hier nicht mit weiterer Forschungsliteratur zu behandeln, da man somit nur die Frage auf einer sekundren Ebene weiter offen ließe. Zur Klrung kann Augustin selbst herangezogen werden. Das Problem des Anfangs von Glauben und Wissen ist es nmlich, das Augustin zu Beginn der Confessiones thematisiert: Lass mich, Herr, es wissen und erkennen, was denn frher sei: ob Dich anrufen oder Dich preisen; ob Dich kennen oder Dich anrufen frher sei! Aber wer riefe Dich, ohne von Dir zu wissen? (conf. I 1,1).169
168 So schreibt Augustin in den Retractationes ber die Soliloquia, die wohl philosophischste Schrift Augustins, ber seine ehemalige, noch stark platonisch eingefrbte Theorie des Lernens als Erinnern: „An einer Stelle sage ich: „Die Menschen, die in den Freien Wissenschaften unterrichtet sind, vermitteln und graben gleichsam im Lernen etwas wieder aus, das zweifellos in ihnen von der Vergessenheit verschttet „war“ (II, 20, 35). Aber das gebe ich jetzt nicht mehr zu“ (retrac. 21,4). 169 „Da mihi, domine, scire et intellegere, utrum sit prius invocare te an laudare te et scire te prius sit an invocare te“ (conf. I 1,1).
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Der Umstand, dass Augustin Gott anruft, muss in seiner chronologischen Bedingtheit gesehen werden, denn die Confessiones sind 15 Jahre nach dem Bekehrungserlebnis und weitere fnf Jahre nach der Ordination als Bischof verfasst worden. Der Standpunkt ist folglich ein unzweifelhaft theologischer, der jedoch dadurch, dass es sich um Augustin handelt, auch als ein philosophischer erachtet werden muss. So hat Augustin in den Confessiones die Frage nach dem Anfang zugunsten des Glaubens entschieden, der jedoch aus dem Wissen entstanden ist. Um Augustin jedoch als Schwellenfigur zwischen den Disziplinen verorten zu kçnnen, ist es im Sinne der chronologischen Bedingtheit ratsam, in der Untersuchung zeitlich dichter an die Bekehrung zu rcken, da dort die Synthetisierungsintensitt noch strker parittisch ausgebildet ist. Die Frage nach dem Anfang dient in erster Linie der Sensibilisierung auf das Problem der Beziehung zwischen Glauben und Wissen, welche im Augustinismus zirkulr ist. Belegt werden kann diese These mit dem berhmten Diktum zum Glauben und Erkennen. Intellige ut credas, crede ut intelligas Geht es darum, Augustin und sein Werk als Schwelle zu verstehen, so ist dieses Diktum aus den Predigten bestens geeignet, diese These zu untermauern. „Glaube, damit du erkennst, erkenne, damit du glaubst“ (Vgl. Sermo 43, 4 und 118, 1.) ist logisch betrachtet ein Paradox. Doch ist genau dies Augustins Markenzeichen, Widersprche so zu platzieren, dass sie zwar als solche auftreten, doch eine Aussage hinter dem Widerspruch vermuten lassen, der die Grçße Augustins markiert. Jene Konvergenz von Philosophie und Theologie, von der an verschiedener Stelle in der Forschungsliteratur (s.o.) die Rede ist, kann in diesem Diktum ohne die Frage nach dem Anfang zu stellen, aufgezeigt werden. So spricht Geerlings davon, dass bei Augustin „die philosophia in ihrer praktischen Dimension identisch mit der theologia“ sei (Geerlings 2002a: 9). Diese Identitt ber die Differenz hinweg kann als Indikation der behaupteten Schwellenposition angesehen werden. Doch in welchem Zusammenhang hat Augustin das Diktum „intellige ut credas, crede ut intelligas“ verwendet? Verweven weist darauf hin, dass bei Augustin dieser Ausspruch, der aus einer Predigt (sermo 43, 4) stammt, eine „hufig wiederkehrende Mahnung“ darstellt, die er verwendet, um sich auf eine Stelle des Jesaja zu berufen: „Wenn ihr nicht
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glaubet, werdet ihr nicht einsehen170 (Js. 7, 9.)“ (Verweven 1911: 14). Ungeachtet der alttestamentlichen Referenz soll die augustinspezifische Qualitt der Aussage, die in einer zirkulren Paradoxie besteht, im Zentrum des Interesses stehen. Blumenberg nennt das Diktum eine „unbertrefflich prgnante Formel der unauflçslichen Einheit des christlichen Wirklichkeitshorizontes“ und auch Daniel Williams spricht von der „augustinian formula“ (Williams 1979: 6). Doch ist Vorsicht geboten, wenn es um diese Formel geht, denn erstens ist sie kontextabhngig und zweitens kursieren verschiedene Versionen der „Formel“, wobei hufig nur „crede ut intelligas“ angefhrt wird, was der paradoxalen Aussage des gesamten Diktums nicht gerecht wird, da das zirkulre Element entfernt ist. Blumenberg spricht diesen Zusammenhang ebenfalls an: „Man hat ihren [der Formel] zweiten Teil seiner Paradoxie wegen meist hçher geschtzt und aufschlussreicher gefunden als seinen beinahe plausibel erscheinenden Vorspann. Die Missverstndnisse dieses Satzes sind typisch fr die Entzogenheit seines Verstndnisses“ (Blumenberg 1950: 65). Bemerkenswert ist noch der Zusatz Blumenbergs, dass der erste Teil „beinahe plausibel“ erscheint. In der Summe sind beide Teile fr sich genommen inkonsistent, doch erst beide zusammen ergeben das Verstndnis, das Augustin auf der Schwelle erscheinen lsst, da sie sich gegenseitig bedingen und durch ihre jeweilige Paradoxie in ihrer Verknpfung erst die Macht erhalten, die Augustins Lehre in der Rezeption darstellt. Blumenberg spricht von einer „konstitutiven Einheit“, die der Aussage jede Paradoxie nimmt (gleichwohl die Einheit nicht widerspruchsfrei ist) und fgt die beiden Aussagen „zu einer untrennbaren Korrelation ihrer beiden Teile“ (Blumenberg 1950: 66). Die Schaffung jener Einheit wider die offensichtlichen Gegenstze ihrer Teile fr sich und der Teile gemeinsam ist die außerordentliche Leistung Augustins, die eine Eigenstndigkeit gegenber den vorherrschenden Disziplinenkategorien ausbildet. Diese soll abschließend mit dem Begriff „Augustinismus“ erlutert und beschrieben werden.
170 Die bersetzung dieses Zitates ist nicht eindeutig. Die Besonderheit besteht auch darin, dass dieser Satz im Hebrischen ein Wortspiel darstellt, das in der Einheitsbersetzung der Bibel bersetzt wird mit: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“ und hat damit keine philosophische Stoßrichtung, sondern – auch aus dem Zusammenhang Jesajas – eine religiçs-politische.
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Augustinismus: Brckenkopf, Synthese, Zentaur Der Begriff „Augustinismus“ als Ausdruck der rezeptiven Anerkennung eines eigenen „geisttheoretischen Ansatzes“ (Hausammann 2003: 373) bedarf einer weiteren Klrung, denn neben dem Erçffnen einer neuen Lehrdisziplin (fr deren Protagonisten sogar der Begriff des „Augustinologist“171 entstanden ist) verschleiert der Begriff die inhaltlichen Aspekte durch eine Verallgemeinerung und Zusammenfassung, die sich durch ihre Abstraktion von ihrem eigentlichen Gegenstand entfernt. Die Herausbildung eines –ismus in der Philosophie ist in den wenigsten Fllen an den Namen eines Philosophen gebunden. Und doch gibt es einige Beispiele, von denen der Augustinismus wiederum zu differenzieren ist. Denn anders als beispielsweise im Platonismus, Cartesianismus, Heglianismus oder im Marxismus stellt der Augustinismus neben seiner unsystematischen Lehre den Menschen Augustin als Inhalt seiner Philosophie in den Vordergrund, was wohl auch dadurch begnstigt wird, dass Augustin als der Entdecker des „gedanklichen Ichs“ (u. a. McMahon 1989: 151) gilt. Doch ist ein anderes Merkmal Augustins wesentlich zum Verstndnis des Augustinismus in Abgrenzung zu den anderen personenbezogenen –ismen: „Augustinus philosophiert – trotz aller unbezweifelbaren geistesgeschichtlichen Zusammenhnge mit den großen Strçmungen seiner Zeit – aus einem durch und durch originren Grundsatz, nmlich aus der ganz persçnlich personalen Daseinserfahrung seines „Mensch-Seins vor Gott“ (Kçrner 1968: 32 f ). Gerade die narrativen Elemente der Werke Augustins, fr die er auch in anderen Disziplinen wie beispielsweise der Philologie oder der Literaturwissenschaft172 berhmt ist, sind bei Augustin so persçnlich gehalten, dass seine wandlungsintensive Biographie und seine jeweiligen berzeugungen zur Konstitution seiner jeweiligen Werke unabdingbar erforderlich sind. Gerade diese persçnliche, gar private173 Note der Schriften
171 So nennt John Quinn den maßgeblichen Augustinforscher Pierre Courcelles einen „Augustinologist“ (Quinn 2002: 460), was in erster Linie als Kompliment fr die Grçße des Forschungsbeitrags Courcelles’ gemeint sein drfte (vgl. Kap. 1.2.1 zur Forschungsgeschichte). 172 So werden die Confessiones als Ausgangspunkt der Geschichte der Autobiographie gehandelt, wie beispielsweise Brian Stock ausfhrt (2001: 9). 173 Robert O’Connell hat einen Aufsatz ber die erotische Bildhaftigkeit der Confessiones geschrieben, worin er Augustin unterstellt, dieser habe die erotischen Sprachbilder intentional verwendet, insbesondere in der Bekehrungsszene: „The erotic imagery is fully intentional; Augustine is describing the lyric time of his
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Augustins lassen in der Forschungsliteratur Wortschçpfungen entstehen, die mitunter seltsam wirken. Ein Beispiel hierfr ist bei Adam zu finden, der von der augustinischen „Wirklichkeitsnhe“ schreibt, „jene[r] warme[n] Konkretheit und Anschaulichkeit und damit auch jene[r] belebende[n] Kraft, die wir als spezifisch augustinisch empfinden“ (Adam 1954: 7). Halten wir also fest: Der Augustinismus ist eng an das Leben Augustins gekoppelt und die theoretischen Inhalte sind stets an die persçnlichen Entwicklungsstufen Augustins zu knpfen, da bei ihm Lehrmeinung und persçnliches Ergehen aufs engste miteinander verbunden sind. Im nchsten Schritt ist der inhaltliche Augustinismus vorzustellen, der nach dem Theologen James O’Donnel in den (theologischen) Schriften de consensu evangelistaru, De Civitate Dei, De Trinitate und de Genesi ad litteram gesehen werden kann. Darin arbeitet Augustin seinen „christlichen Platonismus“ aus, welchen O’Donnel auch als „Augustinianismus“174 bezeichnet („…Augustine working out his ,Christian Platonism‘ (or better, ,Augustinianism‘)“ (O’Donnell 1992a: xlv). Hier ist also die Eigenstndigkeit der augustinischen Adaption des platonischen Gedankenguts insbesondere durch seinen Lehrer, den Bischof Ambrosius, zu nennen, der ihn in Mailand mit dem christlich ausgeprgten Platonismus vertraut gemacht hat. Das spezifisch Augustinische liegt in der Verbindung von christlichen Glaubensinhalten mit philosophischer Tradition, die jede fr sich als gltig erkannt werden kçnnen. Fragt man nach einer Definition des Augustinismus, so ist hier abermals auf die Asystematik der Lehre einzugehen. Spade liefert eine sehr unscharfe Definition, die eher als eine Art Beschreibung zu verstehen ist: „Im Augustinismus ist also am besten eine Sache allgemeiner Themen und Tendenzen und nicht strenger Theorien zu sehen“ (Spade 1998: 73). Welcher Wert besteht in der Verallgemeinerung gegenber einer begrifflichen Przisierung? Wohl die Erkenntnis, dass eine Przisierung im Sinne scharfer Begrifflichkeit nicht adquat ist, sich dem augustinischen Denken anzunhern. Diese Unschrfe weiter zu przisieren ist folglich die Aufgabe einer Beschreibung des Augustinismus. So kann zur Untermauerung dieser These festgehalten werden, dass der Augustinismus spiritual honeymoon, a period in which the taste of God came to him in everything“ (O’Connell 1969: 106). 174 Es soll hier davon ausgegangen werden, dass die Bezeichnungen „Augustinismus“ und „Augustianismus“ synonym verwendet werden drfen, da es sich bei letzterem um die englische Fassung des „Augustinismus“ handelt.
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niemals vollstndig erfasst werden kann „from any mere statement of its essence“ (Scott-Craig 1979: 146). Die nachteilige Unwgbarkeit dieser Nicht-Bestimmbarkeit liegt in dem unkritischen Umgang mit der Bezeichnung „Augustinismus“, die nach Stone „mehr verschleiert als sie enthllt und erklrt“ (Stone 2001: 253). Ist man sich hingegen dieses Risikos bewusst, so kann der Augustinismus als Beleg der Spezifitt der Lehre Augustins genommen werden, der in einem eigenen Raum zwischen Theologie und Philosophie zu verorten ist. Um diese Spezifitt im Sinne der Aufgabenstellung dieses Kapitels zu ermitteln, lsst sich TeSelle anfhren, der von einem eigenen „augustinischen Ansatz“ spricht (TeSelle 1970: 347). Was die Verortung dieses „augustinischen Ansatzes“ auf der Schwelle betrifft, so lsst sich anhand dieser Beschreibung das Spezifische dieser Verortung dahingehend ermitteln, dass Augustin verschiedene Perspektiven verwendet, um seine Themen in einem Feld zu behandeln, das wir heute distinkt als das der Theologie und Philosophie bezeichnen. Dieses „Amalgam“, wie John Rist den Augustinismus genannt hat, kann als „spekulative Theologie dar[ge]stellt [werden], die sich platonischer Denkformen bedient“ (Maier 1955: 22). In der Literatur finden sich verschiedene Beschreibungsarten dieser Verschrnkung im Hinblick auf die Spezifitt Augustins. So nennt Brown die von Augustin geschtzte Form der Philosophie einen „Brckenkopf“, der „sowohl fr den Gedanken einer religiçsen Konversion wie auch sogar fr eine Hinwendung zum monastischen Leben“ (Brown 1982: 34) diente. Eine weitere sehr anschauliche Metapher neben dem Brckenkopf ist die des Zentaur. So fragt Robert Herrera: „Was Augustine a Christian, a Platonist, or a ,centaur‘?“ (Herrera 1994: 161). Und weiter nennt er „Augustins Spiritualitt“ eine „bizarre Verschmelzung“ von Christentum und Neoplatonismus (ebd.). Sowohl die Metapher des „Brckenkopfes“, als auch die des „Zentaur“ sind auf die Charakteristik des Ambivalenten zurckzufhren. Der „Brckenkopf“ ist im Hinblick des geschichtlichen bergangs zu verstehen; die Bezeichnung „Zentaur“ ist inhaltlich auf die Disziplinen Philosophie und Theologie gerichtet. Festzuhalten bleibt die Eigenstndigkeit des augustinischen Ansatzes, der nicht als ebenbrtige Konkurrenz zu den Disziplinen zu verstehen ist, sondern als Indiz dafr, dass die Disziplinen nicht als hermetisch abgeschlossene Rume zu verstehen und dass die Grenzen der Disziplinen nicht absolut gesetzt sind, sondern dass es Denker und Lehren gibt, die genau auf dieser Grenze zu verorten sind, die also einen Zugang von beiden Seiten erlauben und so auf die
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Durchlssigkeit der Grenzen verweisen, die es im Rahmen der Kommunikation oder des Diskurses der Disziplinen zu bercksichtigen gilt. Negativ formuliert lsst sich mit Gilson zu dieser besonderen Qualitt Augustins feststellen, dass Augustins Lehre „verdorben“ und „unrein“ sei und als Philosophie disqualifiziert sei durch die Vermischung der Disziplinen: „Augustine’s doctrine, vitiated as it is by this initial mingling of the sciences, is disqualified as philosophy once and for all. In short, the very notion ,Augustinian philosophy‘ would imply a contradiction“ (Gilson 1967: 241). Sieht man in jenen Widersprchen, die auch Flasch (s.o.) als Vorwurf auffasst, keine Schwche, sondern Augustins besondere Grçße, so ist auf der Grundlage des spezifischen Ansatzes von der Einheit von Philosophie und Theologie zu sprechen, die sich gerade im Widersprchlichen zeigt. Diesen Zusammenhang arbeitet Kramel deutlich heraus, wenn er auf die gegenseitige Aufeinanderangewiesenheit der beiden Disziplinen verweist, er also ein Verhltnis der Komplementaritt175 beschreibt: „Die Theologie bençtigt die Philosophie, um ihre Thematik zu behandeln, so wie die Philosophie letzten Endes auf nichts anderes ausgerichtet ist als auf das, was in der Theologie vorgelegt wird“ (Kraml 1998: 613). Dieser „Gipfel ihrer Anstrengungen“ soll in Bezug auf Augustin als „Augustinismus“ bezeichnet werden, der die Position auf der Schwelle zwischen Philosophie und Theologie bezeichnet.
175 So kann die Dynamik dieser Komplementaritt mit Karl Jaspers als sich gegenseitig beeinflussender Prozess einer transformativen Bewegung charakterisiert werden. Nach Jaspers wurde die Philosophie durch Augustin zu einer anderen Philosophie, so wie als Vermutung auch der Theologie eine Vernderung zu unterstellen wre: „Die Bewegung der Augustinischen Gottesanschauung bedeutet die Aneignung des biblischen Gottesgedankens durch das Philosophieren, das darin selber zu einer anderen Philosophie wurde. Die Frage ist, wie in dieser Metamorphose [Verwandlung] der biblische Gott selber im Lichte des Philosophierens nicht blieb, was er in den Gestalten der Schrift war“ (Jaspers nach Hausammann 2003: 375).
5 Schluss Die vorliegende Arbeit vereint in ihrer Fokussierung auf Augustin als Schlsselfigur epochalen Wandels zwei Forschungsschwerpunkte: Einen geschichtsphilosophisch-historiographischen zur Epochenschwelle Antike-Mittelalter anhand Augustins und einen philosophischen zur Augustinforschung mit dem Fokus auf Augustin als „liminal entity“. Der Beitrag zur Augustinforschung besteht aus einer neuen Perspektive auf bereits Bekanntes aus der umfangreichen und hier rekapitulierten Augustinforschung (Kap. 1.2 f u. 4.3). Augustin wird als „Schwellenfigur“ verstanden, wie dieses Konzept aus der Kulturanthropologie bekannt ist. Dabei wurde untersucht, inwieweit Augustin als Schwellenfigur im biographischen Sinne und inwieweit Augustin als Schwellenfigur im historiographischen Sinne zu verstehen ist. Um diese neue Perspektive auf die bekannten Forschungsbestnde anzuwenden, ist die methodologische Untersuchung auf zwei Ebenen durchgefhrt worden, wobei die „Big Bang-Perspektive“ und die „Gradualismus-Perspektive“ (vgl. Kap. 2.2.2.3) zur Anwendung kamen. Der historiographische Forschungsbeitrag grndet maßgeblich auf der Untersuchung (Kap. 4.1 ff ) und Reformulierung der Epochenschwelle Antike-Mittelalter (Kap. 5.1). Diese lsst sich vielfltig darstellen, da die Grenze unscharf verluft und legitim an verschiedener Stelle gezogen werden kann (Kap. 2.2 u. 3). Wesentlicher Beitrag ist hier jedoch die Behauptung eines berlappungsbereiches eigener Dignitt, der weder der einen, noch der anderen Epoche zuzuschreiben ist, sondern eine ausgedehnte Schwellenphase darstellt, in welcher die „Umbesetzung“ (Blumenberg) vollzogen wird.
5.1 Historiographisches Fazit: Augustin und die Epochenschwelle Antike-Mittelalter Eine Epochenschwelle zu behaupten stellt stets ein riskantes Unternehmen dar, da es erstens keine Zeugen von Epochenumbrchen gibt (Blumenberg 1976: 20) und da zweitens die Einteilung in Epochen eine
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5 Schluss
Zuschreibung derjenigen ist, die sich zu der in der Vergangenheit behaupteten Transformation in Beziehung setzten. Die Behauptung einer Epochenschwelle stellt somit einen Akt der Zuschreibung von Bedeutsamkeit dar, fr die es keine streng rationalen Argumente, sondern nur Plausibilitten der jeweiligen Geschichtsdarstellung gibt. Die von Blumenberg gezeigte Untersuchung der Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit in „Die Legitimitt der Neuzeit“ stellt einen Referenzpunkt dar, wie die gelungene Untersuchung einer Epochenschwelle aussehen kann. Nur wre es falsch anzunehmen, dass eine Epochenschwelle der anderen gleicht und man mit Blumenbergs Beitrag zur „Umbesetzung“ einer spezifischen Situation unmittelbar eine weitere erhellen kçnnte. Gut bertragbar sind allerdings Blumenbergs „Aspekte der Epochenschwelle“, aus denen ein allgemeines Modell von Epochenschwellen extrahiert werden konnte (Kap. 3.2), das auf andere Epochenschwellen angewendet werden kann. Whlt Blumenberg Nicolaus Cusanus und Giordano Bruno als zwei Reprsentanten, die jeweils an (also vor und nach) der Epochenschwelle stehen, so wurde hier gegen Blumenberg gezeigt, dass sich die Transformation von der europischen Antike zum Mittelalter ebenso mit nur einem Vertreter darstellen lsst: mit Augustin. Dieser wurde – ebenso wie Nicolaus Cusanus und Giordano Bruno im Beispiel von Blumenberg – nicht als „Zeuge der Epochenschwelle“ verstanden, sondern als an der Epochenschwelle situiert. Ferner wurde Augustin durch die biographische Zsur der Bekehrung als auf der Schwelle verstanden, was im Lichte der Bekehrung ebenso als vor und nach der Epochenschwelle verstanden werden kann. Mit Bekehrung ist hier kein punktuelles Ereignis gemeint, sondern ein unscharfer berlappungsbereich, whrend dessen ex post eine Kehre angenommen und rekonstruiert werden kann. So gesehen stellt die u. a. von Leo Ferrari vertretene Behauptung der „two Augustines“ (Ferrari 1984) jene zwei Vertreter dar, die in dem singulren Entwicklungsprozess einer Person zusammenfallen. Nur durch die von Blumenberg geforderte Differenzialanalyse „markiert sich eine Schwelle. […] Erst die Differentialanalyse macht sichtbar, was die Positionen beiderseits der Epochenschwelle trennt; sie erschließt, was geschehen sein muss, um deren Unvereinbarkeit zu erzwingen“ (Blumenberg 1976: 21). Der wesentliche Beitrag und damit die Legitimation fr Augustin als primre Figur der Epochenschwelle besteht in dessen vielfltigen Lehren, die die historische Zeit nach ihm maßgeblich geprgt haben und einen Anfangspunkt der sich anschließenden Epoche des Mittelalters markie-
5.1 Augustin und die Epochenschwelle Antike-Mittelalter
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ren. O’Meara geht gar so weit zu behaupten, dass Augustin die „Gussform“ herstellt, in die das Christentum „gelegt“ wurde. Diese Wirkmacht hatte niemand vor und niemand nach Augustin, was seinen Einfluss als bisher einzigartig charakterisiert, da Augustin die „thought patterns“ etablierte, die fr 1500 Jahre bestimmend sein sollten (O’Meara 1997: 13) und die zu der von Peter Sloterdijk polemisch beschriebenen „christlichen Katastrophe der Philosophie“ (Sloterdijk 1996: 8) fhrten.1 Diese Akzente zeigen resmierend, inwieweit sich die Epochenschwelle Antike-Mittelalter anhand Augustins Entwicklung systematisch darstellen lsst, da dieser konzeptionelle Neuerungen in die Geschichte eingezeichnet hat, die maßgeblich die Zeit nach ihm geprgt haben, auch wenn er selbst davon nicht wissen konnte. Augustins Bekehrung zum Christentum stellt einen wesentlichen Schlssel zum Verstndnis des hier vorgeschlagenen Bildes der Epochenschwelle dar, da durch die Bekehrung – pointiert gesagt – eine „neue Welt“ (Oroz Reta 1989: 301) erschaffen wurde. Augustins wesentlicher Beitrag zur Begrndung jener „neuen Welt“ bestand in den Innovationen, die in Kapitel 4.3.1 angefhrt wurden. Diese zeichnen sich durch die „Etablierung eines Erkenntnisparadigmas [aus], das gegenwrtiges Nichtwissen und zuknftige Wissensgewissheit im Glauben an die Gnade Gottes verschmilzt. Das neue Paradigma wurzelt in einem wissenstheoretischen Paradoxon: auch und gerade das Unbekannte wird zu potenziellem Wissen“ (Feichtinger 2002: 96 f ). Ist also die Rede von der „christlichen Katastrophe der Philosophie“ (Sloterdijk), so drckt sich neben der Abwertung der augustinischen Philosophie hierin die Prgungsintensitt aus, mit der Augustin auf das ihm nachfolgende Denken gewirkt hat. Dieser bergang, um den es im Sinne der historiographischen berlegung zur Epochenschwelle geht, hat sich in Augustin gleichfalls biographisch vollzogen. Herrera findet folgende durchaus amsante Beschreibung zur Klrung des kompetitiven Gegeneinanders des christlichen Paradigmas und des klassischen Paradigmas in Form des Neoplatonismus in Augustin: „Christianity and Neoplatonism were strange bedfellows, each competing for sovereignty in his mind“ (Herrera 1994: 163). Das Bild mag geknstelt wirken, ist jedoch aus zweierlei Hinsicht aufschlussreich: Zum einen whlt Augustin in den Confessiones selbst diesen allegorischen Sprachgebrauch der Ehe oder Lebensgemeinschaft, zum anderen wird 1
Hans Blumenberg spricht in diesem Zusammenhang von der „Theologisierung der antiken Wesenssphre“ durch Augustin (Blumenberg 1950: 69).
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5 Schluss
dadurch die in Kapitel 2.2.2.1 vorgestellte Charakteristik des Wettbewerbs sprachlich untermauert. Die Umbesetzung, von der Blumenberg im Zuge der Epochenschwelle spricht, geht nicht ohne Friktionen vonstatten. Dies gilt fr Augustins Entwicklungsprozess ebenso wie fr das Epochenschema, das aus historiographischer Perspektive ber die Vergangenheit gelegt wird. Zusammenfassend lsst sich mit Kreuzer sagen: ber die Epochenschwelle hinweg, die mit seinem [Augustins] Namen verbunden ist, vollzieht sich ein Wechsel der Aufgabe und des Selbstverstndnisses philosophischer Reflexion, der mit den Anfngen ,mittelalterlicher‘ Philosophie zugleich neue Problemstellungen grundlegt. […] Dieser Wechsel ist Ausdruck des Bewusstseins eines soziokulturellen bergangs, der auf dem Verlust der Glaubwrdigkeit der Paradigmen sptantiker Theorie und Lebenshaltung beruht. Am entschiedensten hat diesen Glaubwrdigkeitsverlust Augustin artikuliert. Er hat sich von seiner eigenen Epoche desolidarisiert. Sie wurde ihm zum Gegenstand der Kritik (Kreuzer 1998: 437).2
Der soziokulturelle bergang, von dem die Rede ist, fhrte zum Bruch mit dem Bekannten und der Suche nach Neuem (Kap. 4.1.3). Dieses jeweils Neue ist nicht sofort prsent, sondern muss sich in einer Art Verdrngungswettbewerb erst etablieren. Fr die hier konstruierte Epochenschwelle werden als wichtigste Anwrter das Christentum und der Neoplatonismus (sowie der Manichismus)3 gehandelt. Es mag kompliziert anmuten, das Christentum, dessen Persistenzerfolg ohne Zweifel festgestellt werden muss, mit dem vergleichsweise unbekannten Neoplatonismus zu vergleichen. Fr die damaligen Verhltnisse jedoch muss eine gemeinsame Wettbewerbssituation angenommen werden, die zu der bekannten Form des „christlichen Neoplatonismus“ fhrte, die insbesondere im Mailand des spten 4. Jahrhunderts von einflussreichen Reprsentanten des Christentums wie Ambrosius und spter Augustin vertreten wurde. Diese Transferleistung erfolgt zwangslufig ber einen gemein2
3
Hier sind die Ausfhrungen Kreuzers auszudifferenzieren, da sie sonst missverstndlich sein kçnnen: Da Augustin weder als Zeuge der Epochenschwelle, noch als Vertreter einer Epoche angesehen werden kann (außerhalb der geschichtsphilosophischen Reflexion), hat sich Augustin nicht von seiner Epoche „desolidarisiert“. Augustin hat sich „desolidarisiert“ von dem, was fr uns heute die Epoche der Antike ist. So beispielsweise behauptet von Scott-Craig: „Manichaeism was one of the three great religious systems of southern Europe, Africa, and eastern Asia at the close of the third century. The other two were Neoplatonism and Catholicism“ (ScottCraig 1979: 146).
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samen Konvergenzpunkt, den – so der hier vertretene Ansatz – Augustin in der historiographischen Retrospektion darstellt. Seine nachhaltige Einbeziehung philosophischen Gedankenguts in die christliche Lehre konservierte Teile dieser temporren Konvergenz fr die Nachwelt, die in dem Ausspruch Flaschs „Das Christentum ist Platonismus fr alle“ (1996: 128) deutlich wird. Eine hnliche Position, die ebenfalls eine nachvollziehbare Plausibilitt fr sich behaupten kann, vertritt Karl Adam, wenn er von Augustins Entwicklung hin zum katholischen Christentum spricht, die ber „die Brcke des Neuplatonismus erfolgte“ (Adam 1954: 23).4 War es eine wandlungsintensive Zeit, in die Augustin geboren wurde, und vollzieht sich in dieser Umbruchzeit ein bergang, den wir im nachhinein als so fundamental erachten, dass wir ihn zur Epochenschwelle erheben, so ist Augustins Entwicklung analog dazu ebenso von einer Zsur durchdrungen, welche die „Sanierung einer Kontinuitt“ (Blumenberg) fr ihn persçnlich bedeutet. Auf das Epochenschema bertragen5 haben wir es hier mit dem in der Untersuchung erwhnten „gigantischen Beerbungsprozess“ zu tun, der gleichsam fr Augustins persçnliche Entwicklung gilt: Geerlings fasst zusammen: „In seiner Person fließt alles, was das vierte und fnfte Jahrhundert an religiçsen Strçmungen bewegt, zusammen: der Manichismus, die philosophische Skepsis, die stoische Logik, das katholische Christentum. […] Alles, was er anfasst, wird unter seinen Hnden verwandelt und neu formuliert“ (Geerlings 2002b: 148). Augustin stellt dabei jenen Sonderfall dar, der konstitutiv fr die Behauptung von bergngen ist, dass er einerseits etwas Neuartiges in Gedanken und Sprache geschaffen hat, aber ber diesen Bruch mit dem Bekannten fr das europische Mittelalter der zentrale Vermittler und Interpret antiker Philosophie wurde. „Diese wirkungsgeschichtliche Schlsselstellung lsst vermuten, dass dem Kirchenvater einige der Innovationen zuzuschreiben 4
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Wolfgang Kluxen betont in seinem Aufsatz zur „Wahrung der abendlndischen Identitt“ die Bedeutung der Institution Kirche, die „in entscheidender Weise die Kontinuitt zwischen antiker und mittelalterlicher Kultur trgt“ und die bis heute durch die Verwissenschaftlichung in Form der institutionellen Gestalt der Universitt wirkt (Kluxen 1998: 27) und ein „verharrendes Moment abendlndischer Identitt greifbar“ (Kluxen 1998: 28) macht. Eine bemerkenswerte Spekulation stellt Brown an, wenn er im Hinblick auf Augustins Lebenszeit und den epochalen Wandel feststellt, dass jede Epoche ihren intellektuellen und religiçsen „Vitaminmngel“ als Folge ihrer Errungenschaften an die nchste Epoche weitergibt (Brown 2000: 505).
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5 Schluss
sind, die die Philosophie des Mittelalters und der Neuzeit gegenber der Antike aufweist“ (ebd.). Augustins eigenstndige Philosophie kann aus historisierender Perspektive als eine „eigene Kulturpotenz“ begriffen werden, die der Antike entgegengesetzt wird und die der „weltlichen Kultur gar nicht bedarf“ (Maier 1955: 29). Es ist die religiçse Sphre in Form des Christentums, die Augustin nachhaltig in die Philosophie eintrgt und die den Bruch in der Philosophiegeschichte wie in epochaler Konstruktion markiert. Dies ist vor allem im Lichte des sozioçkonomischen Wandels zu sehen, der zur Lebzeit Augustins stattfindet und auf den Augustin in unterschiedlicher Direktheit Bezug nimmt. Augustin hat durch seine erfolgreiche Kommunikation auf verschiedenen Ebenen und zu verschiedenen Adressaten zur Ausbreitung des Christentums beigetragen, was als entscheidender Grund fr seine historische Wirkmchtigkeit herauszustellen ist. Diese geht zurck auf eine Korrelation zwischen dem Erfolg der Ausbreitung der augustinisch geprgten Lehre und der Ausbreitung der Institution Kirche. Die Weihung der Gefolgsleute Augustins in Hippo zu Klerikern geht einher mit dem Erstarken der Lehren Augustins (Richter 1984: 50). Erst durch die institutionelle Ausbreitung wurde sichergestellt, dass die Lehren nicht nur im intellektuellen Milieu, sondern im praktizierten Glauben, also in den Gemeinden tradiert und verbreitet wurden. Fr die Frage nach der Epochenschwelle Antike-Mittelalter ergibt sich dadurch eine Schlsselrolle Augustins, da die Umwlzungsprozesse, die die Ausbreitung des Christentums ermçglichten, durch Augustins theoretische Werke und praktische Handlungen innerhalb der Institution Kirche begnstigt wurden. Auch bei unterschiedlicher Betrachtung der Epochengrenzen bleibt Augustin Angehçriger einer turbulenten und vernderungsreichen Zeit. Der Niedergang des rçmischen Reichs, der mit Vçlkerwanderungen einhergeht, ist ebenso von Bedeutung wie die Trennung in das Ost- und Westreich. Der Verweis auf die so genannten ,Semi-Barbaren‘ und das dazu gebildete Korrelat der ,Semi-Rçmer“ aus Kapitel 4.1.3 weisen auf die politische und existentielle Instabilitt hin, die das Leben Augustins und seiner Zeitgenossen bestimmte. Spricht Brown von jenem „ußeren Wandel“, der sich mit dem „inneren Wandel“ Augustins „berhrt“ (Brown 1982: 7), so ist die Epochenschwelle Antike-Mittelalter in diesem bergang sichtbar geworden. Mit dieser augustinspezifischen Darstellung der Epochenschwelle ist kein allgemeingltiges Bild der Epochenschwelle Antike-Mittelalter ent-
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wickelt worden. Vielmehr handelt es sich dabei um eine von vielen mçglichen Darstellungsweisen, sich dem „unmerklichen Limes“ (Blumenberg) der Epochenschwelle anzunhern. In den Augen des Verfassers stellt die hier gewhlte Darstellungsweise eine der plausibelsten Mçglichkeiten der Annherung und Darstellung der Epochenschwelle AntikeMittelalter dar. Dieser Sichtweise schadet es nicht, dass andere plausible Darstellungsweisen im Widerspruch oder als Ergnzung zu der hier vertretenen Version stehen kçnnen. Beispielhaft soll hier Spades berzeugung angefhrt werden, wonach Proklos, der letzte „bedeutende Vertreter der antiken heidnischen Philosophie“, gute 60 Jahre spter als Augustin wirkte (Spade 1998: 69). Der Widerspruch ist deshalb kein Gegenargument zur hier vertretenen Darstellungsweise, da die berlappung und Unschrfe eines Epochenwechsels dessen erste Eigenschaft ist (Kap. 3.2). Die Legitimitt der Epochen ergibt sich aus dem offenen Wettbewerbsverfahren, dem die „Epochenkandidaten“6 ausgesetzt sind (damit ist eine andere Art der Legitimitt als die von Blumenberg fr die Neuzeit behauptete angesprochen). Die berlappungs- oder Schwellenzeit, whrend derer das Nicht-mehr und das Noch-nicht bestimmend sind, stellt ber den Bruch hinweg eine Kontinuitt her, der die Etablierung der sich anschließenden Epoche geschuldet ist. Was bei Blumenberg treffend mit der „Sanierung einer Kontinuitt“ (Blumenberg 1976: 15) benannt wird, stellt die Legitimation dar, mit der die nachfolgende Epoche aus der vorangegangenen konsistent hervorgegangen ist. Das Wettbewerbsverfahren7, durch welches verhandelt wird, wodurch die nachfolgende Epoche charakterisiert werden soll, schafft durch die Verfahrenslogik kontingente Situationen, welche die Diskontinuitt des Bruchs aufheben. Die Legitimation einer Epoche kann durch das Verfahren, wie sie zustande gekommen ist, erklrt werden. Dieses hier vertretene Prinzip der „Legitimation durch Verfahren“ (Luhmann 1969) fragt jedoch nach einer anderen Art von Legitimation, als beispielsweise Blumenberg, der nach der Konstitution der Neuzeit und der Selbstbehauptung des Menschen darin fragt.
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Dieser Begriff lehnt sich an Thomas Kuhns Theorie des Paradigmenwechsels an, worin die Rede von „Paradigmenkandidaten“ ist (Kuhn 1969: 87 ff., vgl. auch Kap. 2.2.1). Nach Hayek auch das „Entdeckungsverfahren“, da durch den Wettbewerb die neuen Lçsungen entdeckt werden (vgl. Kap. 2.2.2.1).
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5 Schluss
Abschluss Fr die Epochenschwelle Antike-Mittelalter kann die Entstehung eines „Ordnungsvakuums“ festgestellt werden, das zur Zeit Augustins insbesondere durch den Niedergang des rçmischen Reichs und der eher symbolisch zu bewertenden Einnahme Roms im Jahre 410 verursacht wurde. Mit Ordnung ist hier nur teilweise die politische Ordnung gemeint. Vielmehr geht es um Rom als „metaphysisches Ordnungsgebilde“ (Maier 1955: 12), dessen Niedergang die Frage der Sinnstiftung neu stellte. Augustin kommt in dieser instabilen Zeit die Rolle der Neupositionierung zu. Diese Neupositionierung ist jedoch ausschließlich in der Retrospektion zu erkennen. So sieht man, dass Augustins intellektuelle und praktische Arbeit im Nachhinein einen Anfangspunkt markieren, der wesentlich zur Konsolidierung des Christentums beigetragen hat. Die Zeit, die nach dem Niedergang Roms anbrach und die seit den Renaissancehumanisten (anfangs scherzhaft) „Mittelalter“ genannt wurde und wird, war eine plausible Reaktion und Konsequenz auf die Zeit, die wir in historiographischer Konstruktion die „Antike“ nennen. Augustin kommt die besondere Eigenschaft zu, als Projektionsflche dieser kulturellen Umwlzung, die in der Benennung der Epochenschwelle ihren historiographischen Niederschlag gefunden hat, zu fungieren. Anhand seiner Umwelt, seiner beispielhaften Biographie, seiner Auseinandersetzung mit dieser Umwelt und den daraus erwachsenen Entscheidungen fr sein persçnliches Leben und den daraus entstandenen theoretischen Konzeptionen lsst sich anhand der bestens dokumentierten Lebensgeschichte Augustins eine historiographische Geschichte erzhlen, deren Inhalt eine plausible Darstellung der Epochenschwelle Antike-Mittelalter ist.
5.2 Fazit zur Augustinforschung: Augustin als „liminal entity“ Augustin als „liminal entity“ zu verstehen, bedarf einiger Vorbemerkungen. Zum einen ist das Konzept der „Schwellenfigur“ zu erlutern, wie es von dem Kulturanthropologen Victor Turner in Anlehnung an die Arbeiten Arnold van Genneps konzipiert wurde. Zum anderen – und darin liegt das Wagnis der bertragung – ist zu erklren, inwieweit Augustin berechtigt als Schwellenwesen zu verstehen ist: Die wichtigste Vorbe-
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merkung hierzu lautet, dass die Konstruktion Augustins auf der Schwelle eine Zuschreibung aus der Perspektive der Rezeption darstellt. Diese Unterscheidung kann schnell bersehen werden und fhrt zu dem Missverstndnis, dass bergangsuntersuchungen aufgrund „nominalistischer Skepsis“ (Flasch) als redundant erachtet werden kçnnen (vgl. Kap. 1.3.2). Die hier vertretene Sichtweise erlaubt es, die Person Augustin und das augustinische Werk in einem neuen Licht zu sehen und so das Wissen ber Augustin und die Zeit, in der er lebte und wirkte, zu ergnzen. Zugleich wird damit eine Aussage ber die Zeit und den Autor der Untersuchung zugnglich gemacht. Augustin als Schwellenwesen zu verstehen, stellt eine selektive Sichtweise dar, die ihm Rahmen ihrer Bedingtheit zu einem Ergebnis fhrt. Im Rckgriff auf wesentliche Stimmen der Augustinusforschung gewinnt die These der Konstruktion Augustins als „liminal entity“ an Plausibilitt. Welche „Schwelle“ hier gemeint ist, wurde in der Kernuntersuchung anhand dreier Themengebiete aufgezeigt. Damit konnte dargelegt werden, inwieweit Augustin als Figur in einem Zwischenraum8 verstanden werden muss. Da die Grundfrage der Untersuchung die nach der Epochenschwelle Antike-Mittelalter war, wurde zweitranging auf die disziplinre Juxtaposition und Behauptung der Eigenstndigkeit des Augustinismus (Kap. 4.3.) abgehoben. Stattdessen wurde die Schwellenposition Augustins anhand der historiographischen Zuschreibung des Epochenschemas ausgefhrt. In der Forschungsliteratur finden sich zahlreiche implizite Hinweise, die Augustin als Schwellenfigur erscheinen lassen. Kritisch ist vorab anzumerken, dass die in der Forschungsliteratur zur Anwendung kommenden Zuschreibungen in keinem Fall erlutert oder interpretiert werden. Diese Lcke wird mit diesem Kapitel erstmals geschlossen. So nennt beispielsweise Brown im Anhang der Neuauflage seiner Augustinbiographie Augustin eine „Janusfigur“ „on the threshold between the ancient and the medieval worlds“ (Brown 2000: 497 f.). Das Bild der Janusfigur wird von Brown gesetzt, ohne erlutert zu werden. Es lassen sich zahlreiche weitere Beispiele aus der Forschungsliteratur anfhren, so beispielsweise der Vergleich Augustins mit einem „Zentaur“ (Herrera 1994: 161) oder einem „Brckenkopf“ (Brown). 8
Zwischen Antike und Mittelalter, zwischen profanem, philosophischem und religiçsem Leben und nicht zuletzt zwischen Philosophie und Theologie.
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5 Schluss
Besonders gut kçnnen derartige metaphorische Zuschreibungen, wie sie fr Augustin oben aufgezeigt wurden, anhand der Konzeption Victor Turners untermauert werden. Die Frage dazu lautet: Was zeichnet ein „Schwellenwesen“ oder ein „liminal entity“ aus? Und was daran ist im nchsten Schritt auf Augustins Position bertragbar? „bergangsriten“ und „Schwellenwesen“9 Arnold van Gennep stellt in seinem 1909 erstmals verçffentlichten und in jngerer Zeit zunehmend rezipierteten Werk Les rites de passage ein dreiphasiges Schema von so genannten ,bergangsriten‘ vor. Darin fhrt er aus, dass Riten die rumlichen, sozialen und zeitlichen bergnge sowohl begleiten als auch gewhrleisten und kontrollieren. Diese bergangsriten haben stets die gleiche Dreiphasenstruktur, die bereits zur Erklrung der Bekehrung Augustins in Kap. 4.2 zur Anwendung kam: Trennungsphase, die vom frheren Zustand oder Ort lçst Schwellenphase, in der man sich gleichsam zwischen zwei Welten befindet Angliederungsphase, die in den neuen Ort bzw. Zustand integriert. * *
*
Um die Besonderheit des Schwellenbergangsmomentes zu verdeutlichen, ist die mittlere – die Schwellenphase – von berragender Bedeutung. Van Gennep charakterisiert sie wie folgt: „Jeder, der sich von der einen Sphre in die andre begibt, befindet sich eine zeitlang sowohl rumlich als auch magisch-religiçs in einer besonderen Situation: Er schwebt zwischen zwei Welten. Diese Situation bezeichne ich als Schwellenphase“ (van Gennep 1909: 27 f ). Das den bergangsriten zugrunde liegende Konzept der Schwelle muss vom Konzept der Grenze unterschieden werden, die nach van Gennep „eine imaginre Linie“ ist, wohingegen die Schwelle einen eigenen Zustand mit rumlicher und zeitlicher Ausdehnung markiert (van Gennep 1909: 25). Es ließe sich einwenden, dass van Genneps Theorie auf bergangsriten begrenzt ist und die Frage nach einer Epochengrenze weit außerhalb der Gltigkeit von bergangsriten liegt. Van Gennep selber rumt ein, dass das „Phnomen des bergangs“ nicht nur in „menschlichen Handlungen zum Vorschein“ kommt, sondern auch als 9
Die Ausfhrungen zum kulturanthropologischen Beitrag in philosophischer Perspektive referieren Teile aus einer frheren Arbeit mit dem Titel: „Zum Begriff der Schwelle – Philosophische Untersuchung von bergngen“ (Saeverin 2002).
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„universelles Strukturphnomen“ begriffen werden kann (van Gennep 1909: 175 f ). Somit kçnnen die drei Phasen gleichfalls fr Epochenschwellen angenommen werden. Die Frage ist nun, wie sich die bergangsstruktur auf eine Person bertragen lsst und wie die Person als Schwellenfigur identifiziert werden kann. Diese bertragung soll mit Hilfe des von Victor Turner weiterentwickelten Ansatzes der bergangsriten begrndet werden. In dem Aufsatz „Betwixt and Between“ (1964) greift Victor Turner van Genneps Vorstellung auf, dass die mittlere Phase der bergangsriten, also die Schwellen- bzw. Umwandlungsphase, eine Eigenstndigkeit gewinnt. Nach Turners Theorie ist die mittlere Phase des rituellen Prozesses die wichtigste berhaupt, da sie den Angelpunkt der Transformation von einer Phase in die andere oder von einem Zustand in den anderen bildet. „Initianden oder Neophyten – ganz gleich, in welche Gruppe sie aufgenommen werden sollen – sind in dieser Phase Personen, die einen Seinswechsel durchlaufen und der alten Kategorie nicht mehr und der neuen noch nicht zugehçren“ (SchomburgScherff 1986: 246). Turner selbst nennt diese Personen „Schwellenwesen“ („liminal people“ oder „liminal entities“), worunter er nicht nur die Initianden der bergangsriten verstanden wissen mçchte, sondern auch einen gewissen Typus Mensch, der sich nicht in einem bergangsritus befindet, dessen Leben gewissermaßen ein permanentes Dazwischen ausmacht (Turner 1969: 95). In diesem engen Sinne ist Augustin eine Schwellenfigur, wie die Ausfhrungen zu Augustins Disposition als peregrinatio und cor inquietum in Kapitel 4.2.4. belegen konnten, da sein Leben durch die von Turner beschriebene Liminalitt charakterisiert war. Hier ist jedoch eine Einschrnkung unerlsslich: Wenn von Augustin die Rede ist, so ist zu ergnzen, von welchem Augustin zu welcher Zeit die Rede ist. Wird Augustin als Schwellenfigur verstanden, so ist damit keineswegs der Bischof und Kirchenvater gemeint, sondern der junge Augustin bis etwas zur Taufe 387 oder zur Ordination als Priester 391. Die Suche und die „Pilgerschaft“, die hier als charakteristische Begriffe fr Augustin als Schwellenwesen angefhrt werden sollen, kennzeichnen den spten Augustin nicht mehr in dem Maße wie den jungen.10 Einzig die Spuren, die der bestndige Wandel und die Suche in Augustins Entwicklung hin10 „Nichts ist bezeichnender fr die innere Verfassung dieses Mannes, der nach vielen Irrfahrten endlich die ersehnte Ruhe und den gewnschten Frieden im Schoße der Kirche gefunden hatte und darum allen Suchenden denselben Rettungsanker zuwerfen wollte“ (Verweven 1911: 15).
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terlassen haben, wirken beispielsweise in der Einflussnahme neoplatonischen Gedankenguts oder der Werke Ciceros auch spter noch nach (vgl. Kap. 4.2.4.2 – 4.2.4.4). Folgt man dem Text Turners weiter, so liefert er eine Aufzhlung von typischen Schwellenfiguren, wozu er „Figuren wie Trickster, Clowns, Schamanen, Hofnarren, Propheten, Heilige und Knstler [zhlt], die gleichsam als permanente Grenzgnger „betwixt and between“, weder das eine noch das andere sind. […] Grenzgnger wie sie sehen die traditionelle Ordnung aus einer anderen Perspektive, was sie zu Agenten der Innovation und Vernderung disponiert, sie aber auch in die Marginalitt treiben kann“ (Schomburg-Scherff 1986: 248). Augustins Zugehçrigkeit zu dieser Klasse lsst sich an zwei Stellen ausfhren. Zum ersten zhlt Augustin zu den Heiligen und erfllt damit ein klassifikatorisches Kriterium, Schwellenfigur im turnerschen Sinne zu sein. Dieses Kriterium hat als einzige Legitimation die Autoritt Turners, die sicher nicht unumstçßlich ist. Hingegen ist das zweite Kriterium autorenunabhngig. Demnach sind Schwellenfiguren „Agenten der Innovation und Vernderung“. In dieser Hinsicht ist Augustin mit gutem Recht als Schwellenfigur zu erachten, da seine Werke maßgebliche Referenzen fr das Mittelalter und darber hinaus darstellen (Kap. 4.1.2). Augustin hat durch seine Werke wesentlich auf die Philosophie, als auch auf die Theologie eingewirkt (Kap. 4.3). Die konzeptionellen Innovationen, von denen Augustin selber nicht wissen konnte, dass sie einen derart starken Einfluss auf seine Nachwelt ausben wrden, qualifizieren ihn intersubjektiv als Schwellenfigur im turnerschen Sinne. Ist Augustin erstens als Schwellenfigur im biographischen und somit im turnerschen Sinne zu verstehen, so erscheint er im zweiten Schritt als Schwellenfigur zwischen den Epochen, deren Scheidung auf nicht unerhebliche Weise auf Lehren und Beitrge Augustins zurckgeht (Kap. 4.1.3 und 4.3.3). Diese zweite Sichtweise geht ber die Zuschreibungsmçglichkeit nach Turner hinaus, ist jedoch wieder an dessen Referenz van Gennep anschlussfhig. Dessen Ausfhrungen zur Schwellenphase, die zur Konzeption der Schwellenfiguren gefhrt haben, zieht van Gennep auch „zur Erklrung politisch-historischer Umbruchszeiten heran, in denen die Vergangenheit ihre Macht verloren, die Zukunft aber noch keine definitive Form angenommen hat“ (Schomburg-Scherff 1986: 248). Denkt man an die oben von Peter Brown genannte Charakterisierung Augustins als „auf der Schwelle“ („on the threshold“) zwischen der antiken und der mittelalterlichen Welt befindlich (Brown 2000: 497 f ) und beispielsweise an die Rede vom Paradigmenwechsel, der sich durch Au-
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gustin vollzieht (vgl. Kreuzer 1998, 2001), so gewinnt die Betrachtungsweise Augustins als Schwellenfigur zwischen den Epochen an Plausibilitt. Wie in Kapitel 4.1 ausgefhrt, kann Augustin sowohl als Reprsentant der Antike als auch des Mittelalters verstanden werden. Diese Doppelwertigkeit çffnet einen eigenstndigen Raum zwischen den Epochen, der durch die berlappung der unscharfen Grenzen der Epochen konstituiert wird, und der weder zur einen, noch zur anderen zhlt, sondern als Schwellenphase oder als „Komma“11 begriffen werden muss (Kap. 4.1.3). Weiter konnte die These der Liminalitt Augustins mit Barbara Feichtinger belegt werden, die in dem Band „Schwellentexte der Weltliteratur“ die exponierte Stellung von De Civitate Dei ausfhrt. Sie spekuliert aufgrund einer biographischen berlegung zur Schwellenposition Augustins: „Mçglicherweise war Augustinus schon durch seine Herkunft als Sohn eines heidnischen Kurialen und einer Christin fr ein Leben zwischen den Welten12 prdestiniert“ (Feichtinger 2002: 84). Die offene Formulierung von „zwischen den Welten“ erlaubt die Deutung in beide Richtungen. Was als unscharfe Formulierung verstanden werden kçnnte, liefert hier die Verbindung zwischen den „Weltensystemen“ – um im Bild zu bleiben. Unterschied Brown ußeren und inneren Wandel und richtete dabei den Fokus auf jenen Bereich, wo sich beide berhren, so ergibt sich hier die Korrelation der beiden Welten aus deren „Berhrung“. Brown bringt die Berhrung der beiden Ebenen auf den Punkt, wenn er direkt im Anschluss schreibt: „Augustinus musste den Anforderungen neuer Umweltbedingungen begegnen“ (Brown 1982: 7). In den Umweltbedingungen fallen die gesellschaftlich-kulturellen Umwlzungen mit dem Individualleben Augustins zusammen. Die sozioçkonomischen Vernderungen wirken auf Augustin ein, und Augustin wird im Gegenzug als Referenzfigur dieser Zeit zitiert. Seine Werke vermitteln dem Leser der Nachzeit, ein Dokument des Wandels in den Hnden zu halten, in das durch die Lebenswelt des Autors Spuren der Zeit eingelassen sind. Es ist weiter angebracht, die Frage nach der Liminalitt Augustins weiter anhand der kulturanthropologischen Vorgabe zu verfolgen. Victor Turner charakterisiert den Bereich der „Schwellenphase“ als mehrdeutig:
11 Stephen Erickson spricht von solchen historischen Umbruchzeiten als einem Komma (Erickson 1999: 103). 12 Es ist anzunehmen, dass mit „Welten“ hier die antike und die mittelalterliche Welt gemeint sein soll.
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„He [the passenger] passes through a cultural realm that has few or none of the attributes of the past or coming state“ (Turner 1969: 94 f ). Hier ist insbesondere auf die bergangssituationen einzugehen, in denen sich Augustin wiederholt befand. Diese sind durch „fast unberbrckbare Gegenstze“ gekennzeichnet (Maier 1955: 16).13 Das eindrcklichste Beispiel fr die bergangstypische Ambiguitt ist sicherlich Augustins Beschreibung der Bekehrungsszene, wie er sie in den Confessiones literarisch konstruiert. Die in dieser Arbeit (Kap. 4.2.3) bereits ausfhrlich vorgestellte und interpretierte Passage mit der Formulierung „in dieser Drangsal meiner Halbheit“ (conf. VIII 8,20) zeigt die fr Schwellenfiguren und –situationen konstitutive Ambiguitt auf, in der sich Augustin befindet, kurz bevor er sich gemß der literarischen Version der Bekehrung durch die „Nimm und lies“-Szene zum Christentum bekennt. Diese wohl wichtigste und weitreichendste bergangssituation in Augustins Leben weist die erforderlichen Merkmale auf, um Augustin als Schwellenfigur im kulturanthropologischen Sinne erscheinen zu lassen. Um Augustin auch im Sinne der Epochenschwelle als Schwellenfigur erscheinen zu lassen, ist die „biographische Situierung an einer Epochenschwelle“ (Feichtinger 2002: 85) als wesentliches Kriterium zu erachten. Diese Situiertheit selber ist bereits die eine Konsequenz der Zuschreibung zur Position an der Epochenschwelle. So kann fr Augustin festgehalten werden, dass seine Positionierung zu einer Zeit, die wir ex post gewohnt sind als Zeit des Umbruchs zu verstehen, ebenfalls ex post von ihm geprgt wurde. Kurt Flasch fhrt aus, dass Augustin (und Boethius) keine bloßen „Betrachter der Weltgeschichte“ waren. „In beider Biographie spiegeln sich die großen Vernderungen, denen die antike Welt zwischen 380 und 530 unterworfen war; beide haben an einigen wesentlichen Entwicklungen der Sptantike teilgenommen. So hat der Bischof von Hippo die staatliche Macht fr kirchliche Zwecke reklamiert. In seinem Alltag machte sich die fast schon „mittelalterliche“ Stellung eines Bischofs sprbar: Er war eine politische und juristische Autoritt. Die zunehmende Dezentralisierung der sptantiken Welt kam auch in der 13 Maier exemplifiziert diese Behauptung wie folgt: „Er ist einer der grçßten Verfechter der unitas catholicae ecclesiae und der unbedingten Autoritt und Heilsnotwendigkeit der rçmisch-katholischen Kirche; und zugleich ist er der entscheidende Prediger der spirituellen Kirche, der prdestinierten Gemeinschaft der wahren Glubigen, die in der Folgezeit immer wieder gegen die Großkirche aufstand“ (Maier 1955: 16).
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Bedeutung der von Augustin dominierten afrikanischen Provinzialkonzilien zum Ausdruck“ (Flasch 1986: 55). Fr die Frage nach der Zuschreibung Augustins als Figur an der Epochenschwelle Antike-Mittelalter kann hier resmierend festgehalten werden, dass in Augustin bereits zentrale Eigenarten und Eigenschaften sichtbar waren, die zu zentralen Eigenarten und Eigenschaften des Mittelalters werden sollten, das zur tatschlichen Zeit Augustins noch in den Tiefen der Potentialitt schlummerte (da das Mittelalter als Epoche erst gut 1000 Jahre spter als solches von den Renaissancehumanisten ausgerufen wurde). Spricht Flasch also von der „fast schon mittelalterlichen Stellung eines Bischofs“, so wird damit ausgesagt, dass Augustin eine Neuerung einfhrte, die ber den Geltungsrahmen der Individualitt hinaus als epochecharakterisierendes Strukturmerkmal verstanden werden kann.14 Abschluss: Augustin als „Brennspiegel“ oder „Linse“ Die abschließende Frage lautet, was mit der Konstruktion Augustins als Schwellenfigur gewonnen ist. Wenn Augustin also als „liminal entity“ verstanden werden muss, so gelten damit auch die charakteristischen Eigenschaften der Schwellenfiguren fr Augustin. Hier ist als wichtigste sicherlich die Eigenschaft des „Agenten der Innovation und der Vernderung“ (Turner) anzufhren. Begreift man Augustin als „liminal entity“, so entsteht damit eine Perspektive auf den Beitrag und das Erbe Augustins, wie es aus der Retrospektion im Rahmen des Epochenschemas ersichtlich wird. In Augustins Werk einerseits und in seinem kirchlichinstitutionellen Leben andererseits sind wesentliche Merkmale eingezeichnet, die als prgend fr die sptere Zeit angesehen werden kçnnen. Dazu zhlen im ideellen Sinne die Gerichtetheit der Geschichte, die Gnaden- und Illuminationslehre sowie die Trinitts- und Zeitkonzeption neben zahlreichen, ebenso wichtigen Errungenschaften. Im institutionellen Sinne zhlen dazu insbesondere die Positionierung des Bischofsamtes und die Aufstellung der monastischen Regeln. 14 Augustin hat also derart tiefe Spuren hinterlassen, dass er als Markierung dieser Anfangszeit des Mittelalters angesehen werden muss. Auch John Rist schreibt im „Cambridge Companion to Augustine“, dass Augustin auf der Grenze („on the frontier“) zwischen der antiken Welt und dem mittelalterlichen Westeuropa lebte und dass er durch die Vernderungen, die er bewirkte, einen unauslçschlichen Abdruck („indelible mark“) im nachfolgenden westlichen Denken hinterließ (Rist 1994: 1).
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Die funktionale Beschreibung der Schwellenposition Augustins im biographischen wie im historiographischen Sinne kann allegorisch als „Brennspiegel“ (Maier 1955: 12) oder „Linse“ (Ritschl 1976: 106) beschrieben werden, in dem oder der sich die Lehren der griechischen und lateinischen Antike trafen, „um von hier aus aufs neue die sptere Theologie zu beleuchten“ (Ritschl 1976: 106). Dass diese Aussage nicht nur auf die Theologie, sondern ebenso legitim auf die Philosophie angewendet werden kann, ergibt sich aus dem sptantiken und frhmittelalterlichen Verstndnis der beiden Disziplinen.15 Die besondere Betonung liegt in der Formulierung „von hier aus aufs neue“, da in dieser Beschreibung die Kreativitt Augustins erkennbar wird, die zu erfolgreichen (i. S. v. persistierenden) Innovationen gefhrt hat, die die Philosophie- und Kirchengeschichte und damit die Geistesgeschichte des westeuropischen Mittelalters maßgeblich geprgt hat. Andere Schwellenfiguren, die es in dieser Zeit zweifelsohne zahlreich gegeben hat, sind hingegen nicht rezipiert, sondern marginalisiert worden, und so sind sie dem heutigen Zugriff verloren, es sei denn sie konfligierten mit Augustin und sind somit als Reibungsflche der Schrfung der augustinischen Positionen erhalten. Dies gilt unter anderem fr die numischen Bischçfe unter Donatus von Casaenigrae oder das voraugustinische Christentum des britannischen Mçnches Pelagius (Geerlings 2002b: 154). Die Gegner, und dies zeigt das Verstndnis Augustins als Schwellenfigur, sind die Geburtshelfer der seit der Bekehrung starrer werdenden Positionen Augustins, die in ihrer Festigkeit jedoch Leitbildfunktion fr ganze Jahrhunderte hatten. Damit diese Wirkungsmacht sich entfalten konnte, war es eine notwendige Voraussetzung, dass Augustin zu einer bergangszeit lebte, die wir heute als Epochenschwelle zwischen Antike und Mittelalter bezeichnen.
5.3 Ausblick Vorliegende Arbeit stellt die erste, umfangreiche Untersuchung der Epochenschwelle Antike-Mittelalter dar. Die gewhlte Methode der Darstellung steht zur weiteren Diskussion, da sie nur eine von vielen anderen mçglichen und gleichfalls plausiblen Herangehensweisen ist. Somit ist die hier dargebrachte Form der Epochenschwelle keine ver15 Zur Trennung der Disziplinen wird hufig auf die „Verurteilung von 1277“ hingewiesen (etwa Bianchi 1998: 101 f ).
5.3 Ausblick
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bindliche oder absolute, sondern – nach Ansicht des Autors – die berzeugendste. Die Behauptung einer Epochenschwelle stellt rein formal im Sinne wissenschaftlicher Praxis ein riskantes Unterfangen dar. Wie Hans Blumenberg, der Pate des Begriffs und Vorbild in der Formulierung der Epochenschwelle Mittelalter-Neuzeit, es formuliert, belastet man sich durch die Behauptung von der Realitt einer Epochenwende „mit dem Nachweis dafr, dass etwas definitiv entschieden wird“ (Blumenberg 1976: 19). Die Frage ist aber, was entschieden worden ist, denn es bleibt zu bercksichtigen, dass Epochen Konstruktionen einer historisierenden Nachwelt sind, die versucht, sich ein Bild von der Vergangenheit zu machen, die grundstzlich dunkel bleibt. Es sei an die Bestimmung von Epochen als Nagivationsangebot zur Orientierung in der unbekannten Vergangenheit verwiesen (Kap. 1.3.2). Es wird also ein bergang durch die Behauptung einer Epochenschwelle entschieden, der die Vergangenheit in eine vereinfachte Form der berschaubarkeit bringt, indem den Epochen kollektive Bedeutungsmerkmale zugeschrieben werden. Das hier angesprochene Risiko, dem eine Arbeit ber Epochenschwelle ausgesetzt ist, stellt sich durch den spekulativen Charakter von Epochen dar. Hier stellt sich zum Schluss der Arbeit die Frage, inwieweit das gesamte Epochenschema sinnvoll oder bestndig ist. Sinnvoll ist es aus rein pragmatischen Grnden, sich ein verallgemeinertes Bild von der Vergangenheit machen zu kçnnen. Bestndig ist es sicher nicht, denn allein die Epochenzuschreibung Antike-Mittelalter-Neuzeit ist reichlich trivial, und wre sie nicht ein „Scherz“ der Renaissancehumanisten gewesen, so wre die Nomenklatur schwerlich ernst zu nehmen. Doch aus Spaß wurde historiographischer Ernst. So halten wir ohne ernsthafte Hinterfragung an dem Schema fest, bertragen es sogar auf andere Kulturen wie beispielsweise Sdasien oder Ostasien, deren Entwicklung berhaupt nicht an die Geistesgeschichte des Westens gekoppelt war. Aus dem Ernst wurde eine historiographische Pfadabhngigkeit mit expansiver Tendenz. Die Verlegenheit, von der Moderne, der Postmoderne, der Postpostmoderne oder von einem aufkommenden zweiten Mittelalter zu sprechen, zeigt einzig die Bedrngnis und Ratlosigkeit, zugleich aber auch die hohe Reflektiertheit, mit der sich gegenwrtig ber die Bedeutung der geschichtlichen Entwicklung auseinander gesetzt wird. Eine erste ber diese Untersuchung weit hinaus reichende These soll auf diesen Beobachtungen aufbauen: Es steht zu erwarten, dass das bekannte Epochenschema eine Revision erfhrt. Die Antike als Epoche wird bestndig sein,
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5 Schluss
weist sie die Kultur der damaligen Zeit als „altertmlich“ und als erste hoch entwickelte Kultur im Mittelmeerraum aus. Das Mittelalter hingegen macht nur Sinn aus der Perspektive einer „neuen Zeit“, der Neuzeit, die an die kulturellen Werte des Altertums anknpft und die den Zeitraum dazwischen als berbrckung – eben als Mittelalter – bezeichnet: Eine maßlose Arroganz den Menschen im Mittelalter gegenber, die zeigt, dass die Epochenbegriffe einzig eine Zuschreibung der die sie prgenden und verwendenden Menschen sind. Abschluss Augustin als Schlsselfigur des epochalen Wandels steht zur Disposition. Hilfreich wre die Untersuchung weiterer, ebenso geeigneter Schlsselfiguren. Die in der Einleitung erwhnten Autoren Boethius, Cicero, Plotin, Origines, Tertullian, Konstantin, Marius Victorinus, Eriugena, Pseudo-Dionysius Areopagita oder Proklos stellen geeignete Kandidaten zur Vervollstndigung der Rekonstruktion des bergangs dar. Doch diese philosophielastige Art der Untersuchung wre zu ergnzen um eine sozioçkonomische Analyse der Kenndaten des Wandels, ebenso wie um eine kunstgeschichtliche und literaturwissenschaftliche Untersuchung. Der Philosophie jedoch bleibt es vorbehalten, die grundstzliche Frage nach dem Epochenbegriff, nach den erkenntnistheoretischen Grundlagen sowie vor allem nach der Bedeutungszuschreibung von Epochenschwellen zu behandeln. In diesem Zusammenhang wird Philosophie als Pionierwissenschaft jenseits der strikten Disziplinengrenzen relevant, die beispielsweise das berkommene Epochenschema in Frage stellt und darauf hinweist, dass Epochen weniger mit der Vergangenheit, als vielmehr mit dem Bild der Vergangenheit in der Gegenwart zu tun haben. Zu berlegen wre abschließend, wie sich das bekannte Epochenschema Antike-Mittelalter-Neuzeit neu benennen ließe, um damit nach nunmehr 500 Jahren schließlich aus dem Schatten der Neuzeit herauszutreten und eine eigene Position zur Vergangenheit zu beziehen, die den Verlegenheitsbegriff der Postmoderne durch eine inhaltliche Zuschreibung ersetzt. Dieses khne Vorhaben muss – ganz im Sinne des Erçffnungszitates dieser Arbeit – solange warten, bis das „Rtsel der Zeit“ (Heine), in der wir leben und von der wir noch nicht wissen, was sie bedeutet, gelçst ist und diese Zeit wie eine „Sphinx in den Abgrund sttzt“. Erst dann lsst sich entscheiden, was durch die epoch entschieden wurde und wie aus dem „Sturz“, der Zsur, eine neue Epoche und ein neues Epochenschema geboren wird.
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Register Albertus Magnus 213 Alypius 131f., 175, 195, 201 Ambrosius 12f., 84f., 135, 150, 152, 157, 163f., 175, 180, 183–189, 196, 199, 201, 240, 246 amor 219 Arendt, Hanna 19, 124, 163, 262 Armenius 108 Ataraxie 174 auctoritas 233, 235 Augustinismus 25–27, 79, 87, 105, 113f., 120, 137, 191, 193, 212, 224, 230f., 233, 237–242, 251 Augustinusforschung 10 Autobiographie 134, 154, 191, 239 Barbaren, heidnische 20, 81, 83, 85, 90, 92, 94, 109 Barbaren, Semi- 105 Bekehrung, paulinische 130 Bibel 15, 98, 151, 166, 171f., 185, 187, 202, 225, 238 Big Bang 58f., 79, 116, 125f., 129, 140, 148, 150, 153, 158, 160, 202f., 209, 243 Bischofsamt 101 Blumenberg vs. Flasch 70 Boethius 4f., 13, 40, 88, 256, 260 Bonifacius 14 Brennspiegel – Augustin als 257f. Bricolage 31 Brown, Peter 5, 8, 17, 22, 79f., 88, 101f., 110, 154, 162, 165, 168, 172f., 176, 179f., 184, 186, 188f., 191, 195, 204, 215, 247, 251 Brckenkopf – Augustin als 231, 239, 241, 251 Byzanz 102f.
caritas 219 Cassiciacum 116, 124, 151–153, 155, 182, 194–199, 201, 203–205, 208, 226 Christologie 222, 226 Cicero 4, 15, 89, 92, 97, 122, 161f., 167, 169f., 220, 223 conditio humana 169 confessio fidei 234 Confessiones 7, 82, 93, 104, 134, 160f., 223, 234, 239 continental philosophy 61 cor inquietum 160, 163, 253 Courcelle, Pierre 10–13, 118, 120, 124, 187 credo quia absurdum 233, 236 De De De De
Beata Vita 12, 157, 194, 196 civitate dei 11 Dialectica 198 Doctrina Christiana 97, 197f., 220, 225 De finibus 168 De legibus 168 De libero arbitrio 167 De Magistro 198 De moribus Ecclesiae 202 De Ordine 153, 196–198 De pulchro et apto 176 De quantitate Animae 162, 202 De Trinitate 11, 156, 166, 226, 240 Descartes, Rene 19, 99, 216, 230 Differenzialanalyse 3f., 244 Diokletian 103 Dionysius Areopagita 4, 40, 260 distentio animi 217 Dolbeau Predigten 8, 22 Donatisten 84, 158, 181 Donatus 258 Ekklesiologie 222 Enneaden 179–181
284
Register
Entdeckungsverfahren 52, 60, 249 epoch 36, 42f., 62, 86, 106, 260 Equilibrium 53 Erickson, Stephen 39, 42f., 64, 163f., 255 Eriugena 4, 260, 265 evolving ego 78, 134, 162, 164 Flasch 5, 70, 232 Florentina 14 fuzzyness 50 Gartenszene 11, 107, 125f., 129–131, 135, 147, 154, 190, 201f., 209, 212, 214 Gaumen des Herzens 21f., 104 Gennep, Arnold van 56, 129, 148, 160, 252–254 Geschichtsphilosophie 19, 24f., 28–32, 37, 40, 44, 63, 71, 91, 101, 214, 218 Giordano Bruno 4, 244 Gleichgewicht, instabiles 54, 110, 140 Gnadenlehre 24, 98, 112f., 228f., 236 Gradualismus 58–60, 79, 117, 125f., 153, 160, 162, 164, 199, 202f., 209, 243 Gregor der Große 114 Hayek, Friedrich v. 52, 60, 249 Heidegger, Martin 19 hen (das Eine) 133, 155, 181, 235 Herrmann der Cherusker 108 Historismusdebatte 71 Horn, Christoph 10, 15, 17–19, 95, 98, 107f., 113f., 121f., 126, 161, 164, 182, 196, 211f., 214, 216, 219, 222f., 225, 231 Hortensius 15, 89, 122, 162, 167–172, 176, 185, 196, 198, 205 Identittswahrung 111 Illuminationstheorie 162 Institutionençkonomik 44, 48, 50, 60
Institutiones 97 intellige ut credas
137, 230f., 237
Janusfigur – Augustin als 5, 251 Jaspers, Karl 19, 140, 242 Jesus als Mittlerfigur 149f., 152–157, 159, 171, 226 Kann, Christoph 19, 98 Kipppunkt 7, 33, 47, 53, 95, 108, 111, 118, 121, 141, 191 Kirchenwnde 135f., 152, 159, 200 Konstantin 4, 13, 84, 102, 260 Kontinuitt, Sanierung einer 112, 247, 249 Konversion 33, 103, 117, 125f., 151, 161, 167f., 173, 178, 202, 241 Koselleck, Reinhard 54 Kuhn, Thomas 26, 33, 44–47, 249 Kultur 2, 24, 87, 89, 114f., 151, 201, 215, 219, 247f., 260 Knste, sieben freie 89 Limes, unmerklicher 3f., 65, 72, 74f., 84, 249 liminal period 56 lumen naturale 230 Manichismus 27, 60, 153, 161, 164, 173–177, 179, 182, 185, 246f. Marcellinus 14 Marius Victorinus 4, 92, 169, 179, 226, 260 Marrou, Henri 12, 17 memoria 125, 155, 216 Metaphorologie 61, 69 Monica 122, 132, 165, 175, 201 Nebridius 120, 232 Neoplatonismus 84, 105, 118, 122, 130, 137, 151, 161, 163, 178, 185, 224 Neuer Ernst, jeweils 67 Nietzsche 17 Nikolaus von Cues 4, 21, 29
Register
Nimm und lies 141 nominalistische Skepsis 1 North, Douglass 44, 48f., 59 Odoaker 94 Origines 4, 260 Overlap 54–56, 66 Paradigmenwechsel 32, 45, 72, 218, 254 Patristik 106f., 115 Paulus 92, 122, 130, 150, 161, 176, 188–190, 192, 199, 201, 205, 223 Pauluslektre 188f., 191 Pelagius 98, 228, 258 Peregrinatio 134 peregrinatio 120, 160f., 253 Plato 7, 19, 120, 163, 181, 222 Plotin 4, 19, 27, 112, 120, 123, 133, 179–181, 187, 215, 260 Plotinopolis 182 Pontifex – Augustin als 5, 79 Porphyrius 27, 123, 163, 181, 187, 215 Possidius 14, 20, 81 Postmoderne 74, 260 Priddat, Birger 50, 57 Proklos 4, 96, 112, 249, 260 Regulae 99 Renaissancehumanisten 1f., 41, 63, 250, 257, 259 Retractationes 6, 9, 14, 20, 92, 94, 176, 194f., 203, 236 Rom, als metaphysisches Ordnungsgebilde 100 Rom, Niedergang 10, 35, 85f., 90–93, 100, 102f., 111, 135, 181, 184, 189, 204, 250 Rom, Ost- 101 Rom, West- 101 Rçmer 13 151, 154f., 157, 190 Romtheologie 86 Romulus Augustulus 94
285
Sattelpunkt 54, 109, 111, 129, 140f. Schwellenbergang, Kriterien des 74 scientia philosophica 214 Severin, St (Kloster) 20 shared mental models 50 Simplicianus 135f., 191f., 200 Sloterdijk, Peter 18, 211f., 229, 245 Soliloquia 125, 153, 157, 162, 194, 196–198, 208f., 236 Soteriologie 222 Speer, Andreas 5f., 214 Spieltheorie 53 Stilicho 108 Taufe 118, 123, 136, 152, 159, 185, 195, 197–202, 208, 222, 253 Tertullian 4, 89, 260 Theodosius I. 102 Thomas von Aquin 20 threshold of faith 231f. threshold of the Church 179, 183 thresholder 43 tolle lege 141, 145 totaliter aliter 138, 228 Transformationsforschung 43, 58f., 81, 125 Trinitt 24, 222, 226–228 Turner, Victor 13, 56, 129, 250, 253–255, 257 two Augustines 11, 244 Untergang Roms
49, 85f., 90–92
Vatikanum II 229 Verecundus 193–196 Victorinus 135f., 152, 191, 200 voluntas 219 Wettbewerb 44, 48, 51f., 56f., 81, 110, 146, 177, 249 Wittgenstein, Ludwig 18f., 121 Zeit bei Augustin 217 Zentaur – Augustin als 11, 124, 231, 239, 241, 251