Skriptum
Partielle Differentialgleichungen Thorsten Hohage WS 04/05, Universit¨at G¨ottingen
ii
Danksagung Ich danke...
202 downloads
778 Views
843KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Skriptum
Partielle Differentialgleichungen Thorsten Hohage WS 04/05, Universit¨at G¨ottingen
ii
Danksagung Ich danke Frau PD Dr. Barbara Kaltenbacher f¨ ur ihr Skriptum zu einer gleichnamigen Vorlesung aus dem Sommersemester 2001 in Linz, aus der in Kapitel 1, 3.1 und 4.1.2 Teile u ¨bernommen wurden.
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1.1. Definitionen und Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. L¨osungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 6
2 Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨ aumen 2.1. Hilbertr¨aume und beschr¨ankte Operatoren . . . . . . . . . . . 2.1.1. Banach- und Hilbertr¨aume . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. beschr¨ankte Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3. Rieszscher Darstellungssatz und adjungierte Operatoren 2.2. Fouriertransformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Diskrete Fouriertransformation . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Kontinuierliche Fouriertransformation . . . . . . . . . . 2.3. Riesz-Fredholm Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. kompakte Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Rieszsche S¨atze und Fredholm Alternative . . . . . . . 2.4. Spektraltheorie kompakter Operatoren . . . . . . . . . . . . . 2.4.1. Spektrum kompakter Operatoren . . . . . . . . . . . . 2.4.2. Spektralsatz f¨ ur kompakte selbstadjungierte Operatoren
9 9 9 12 13 16 16 17 21 21 22 26 26 27
3 Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen 3.1. Transportgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Physikalische Interpretation . . . . . . . . . . . 3.1.2. Anfangswertproblem . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3. Inhomogenes Problem . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Laplace-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Physikalische Interpretation . . . . . . . . . . . 3.2.2. Grundl¨osung und Darstellungsformeln . . . . . 3.2.3. Eigenschaften harmonischer Funktionen . . . . .
30 30 30 31 33 34 34 35 39
iii
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
iv
Inhaltsverzeichnis
3.2.4. Greensche Funktionen, Poisson-Integral . . . . . . . . . 3.2.5. Energiemethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. W¨armeleitungsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Physikalische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. Trennung der Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Grundl¨osung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4. Duhamel-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5. Eigenschaften von L¨osungen der W¨armeleitungsgleichung 3.3.6. Energiemethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Wellengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1. Physikalische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2. explizite L¨osungsformeln im freien Raum . . . . . . . . 3.4.3. Energieerhaltung und endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Sobolev-R¨ aume 4.1. Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1. Schwache Ableitungen . . . . . . . . . . . . . 4.1.2. Erste Definition: Die W k,p-R¨aume . . . . . . . 4.1.3. Zweite Definition: Die H s -R¨aume . . . . . . . 4.1.4. Ableitungen und Differenzenquotienten in H s ¨ 4.1.5. Aquivalenz der Definitionen . . . . . . . . . . 4.2. Dichtheits- und Fortsetzungss¨atze . . . . . . . . . . . 4.2.1. Mollifier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Glattheitsvoraussetzungen an die Gebiete . . . 4.2.3. Dichtheitss¨atze . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4. Fortsetzungss¨atze . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Einbettungss¨atze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Stetige Einbettung . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2. Kompakte Einbettung . . . . . . . . . . . . . 4.4. Spur-Operator und Spurr¨aume . . . . . . . . . . . . . 4.4.1. Der Spur-Operator auf Hyperfl¨achen . . . . . 4.4.2. Spurr¨aume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. Der Raum W01,2 (Ω) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 47 53 53 54 57 59 61 62 64 64 65 68 72 72 72 75 78 83 85 86 86 89 90 93 95 95 96 98 99 101 105
5 Elliptische Differentialgleichungen 108 5.1. Schwache L¨osungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 5.1.1. Schwache, starke, klassische L¨osungen . . . . . . . . . . 108
v
Inhaltsverzeichnis
5.1.2. Satz von Lax-Milgram . . 5.1.3. Fredholm-Alternative . . . 5.2. Regularit¨atss¨atze . . . . . . . . . 5.2.1. Regularit¨at im Inneren . . 5.2.2. Regularit¨at bis zum Rand 5.3. Eigenwertprobleme . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
111 116 120 120 123 128
6 Zeitabh¨ angige Differentialgleichungen 131 6.1. Dualit¨atstherie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 6.1.1. Schwache Konvergenz in Hilbertr¨aumen . . . . . . . . . 131 6.1.2. Gelfand-Tripel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 6.1.3. R¨aume zeitabh¨angiger Funktionen . . . . . . . . . . . . 138 6.2. Parabolische Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . 142 6.2.1. Schwache Formulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 6.2.2. Existenz und Eindeutigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 145 6.2.3. Regularit¨at . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 6.3. Hyperbolische Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . 155 6.3.1. Schwache Formulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 6.3.2. Existenz und Eindeutigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 156 6.3.3. Regularit¨at . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6.3.4. Lokale Energieabsch¨atzungen und endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
1. Einleitung 1.1.
Definitionen und Begriffe
Warum besch¨aftigt man sich eigentlich mit partiellen Differentialgleichungen? Oft ist eine bestimmte gesuchte Gr¨oße (Temperatur, mechanische Spannung, chemische Konzentration, Bev¨olkerungsdichte, . . . ) eine Funktion von mehreren Variablen, etwa der Zeit, der Position im Raum, der Temperatur etc. Man ist an Werten dieser Funktion interessiert, hat diese nicht explizit gegeben, weiß aber aufgrund von (physikalischen, chemischen, biologischen, marktwirtschaftlichen, . . . ) Gesetzm¨aßigkeiten, wie sich gewisse Ableitungen der ¨ gesuchten Gr¨oße, (etwa zeitliche und/oder ¨ortliche Anderungsraten) zueinander verhalten — formuliert in einer Differentialgleichung. Es geht also darum, L¨osungen dieser Differentialgleichung zu finden, oder doch zumindest, wesentliche Aussagen u ¨ber diese L¨osungen zu treffen. Abstrakt formuliert ist eine partielle Differentialgleichung eine Gleichung f¨ ur eine gesuchte Funktion in mindestens zwei Variablen, bei der Ableitungen nach verschiedenen Variablen der gesuchten Funktion vorkommen. im zweidimensionalen Raum w¨are also Zur Notation von Ableitungen: Definition 1.1. Sei m ∈ N, U eine offen Teilmenge des Rm , u : U → R eine Funktion auf U , x = (x1 , . . . , xm ) ∈ U ein Punkt in U , ei f¨ ur ein i ∈ m {1, . . . , m} der i-te Einheitsvektor in R . • Partielle Ableitung: wert existiert.
∂u (x) ∂xi
:= limh→0
• Vereinfachende Schreibweise: usw.
∂u ∂xi
u(x+hei )−u(x) , h
=: uxi ,
1
∂2u ∂xi xj
falls dieser Grenz-
=: uxi xj ,
∂3u ∂xi xj xl
=: uxi xj xl
2
1. Einleitung
• Multiindexschreibweise: – Ein Vektor α = (α1 , . . . , αm ) ∈ Nm 0 mit nichtnegativen ganzzahligen Komponenten heißt Multiindex der Ordnung |α| mit |α| := α1 + . . . + αm – F¨ ur einen gegebenen Multiindex α = (α1 , . . . , αm ) definieren wir ∂ |α| u (x) ∂xα1 1 , . . . , ∂xαmm
D α u(x) :=
– In diesem Einleitungskapitel bezeichnen wir f¨ ur k ∈ N0 und x ∈ U mit D k u(x) einen Vektor, dessen Eintr¨age die partiellen Ableitungen der Ordnung k von u bei x sind. Mit #D k u bezeichnen wir die M¨achtigkeit der Menge {α ∈ Nm 0 : |α| = k} . • Gradient: grad u := (ux1 , . . . , uxm ) P ∂ 2 u Pm • Laplace-Operator: ∆u := m i=1 uxi xi i=1 ∂x2 = i
• Sei u = (u1 , . . . , uM ) : U → RM mit einem M ∈ N eine vektorwertige Funktion. F¨ ur einen gegebenen Multiindex α = (α1 , . . . , αm ) ∈ Nm 0 schreiben wir D α u = (D α u1 , . . . , D α uM ) . Weiterhin sei D k u(x) f¨ ur k ∈ N0 und x ∈ U ein Vektor mit allen partiellen Ableitung D α uj (x) mit j ∈ {1, . . . , m} und |α| = k, α ∈ Nm 0 . P ∂ui Pm i • Divergenz: div u = m i=1 ∂xi = i=1 uxi . 3 ∂u2 ∂u1 ∂u3 ∂u2 ∂u1 • Rotation (m = M = 3): rot u = ∂u − , − , − ∂x2 ∂x3 ∂x3 ∂x1 ∂x1 ∂x2
∂ , . . . , ∂x∂m ∂x1
• Nabla-Operator: Mit 5 = grad u = 5u, ∆u = 5 · 5u,
l¨asst sich schreiben: div u = 5 · u, rot u = 5 × u.
Damit k¨onnen wir nun partielle Differentialgleichungen ganz allgemein erkl¨aren:
3
1. Einleitung
Definition 1.2. Eine partielle Differentialgleichung k-ter Ordnung ist ein Ausdruck der Form F (D k u(x), D k−1 u(x), . . . , D 1 u(x), u(x), x) = 0 ∀x ∈ U k
(1.1)
k−1
wobei F : R#D u × R#D u × . . . Rm × R × U → R eine gegebene Funktion und u die gesuchte Funktion ist. Die Funktion F in dieser Definition ist im ganz allgemeinen Fall nichtlinear, und diese Nichtlinearit¨at kann auch die h¨ochsten vorkommenden Ableitungen betreffen (”voll nichtlineare partielle Differentialgleichungen”). Bei sukzessiver Einschr¨ankung der Nichtlinearit¨at erh¨alt man folgende wichtige Spezialf¨alle: Definition 1.3. Die partielle Differentialgleichung (1.1) heißt • quasilinear, falls sie linear bez¨ uglich der h¨ochsten Ableitungen ist, d.h., k−1 falls sie, mit gegebenen Koeffizientenfunktionen aα : R#D u ×. . . Rm × k−1 R × U → R, und mit gegebenem f : R#D u × . . . Rm × R × U → R, die Form X aα (D k−1 u(x), . . . , D 1 u(x), u(x), x)D α u(x) = f (D k−1 u(x), . . . , D 1 u(x), u(x), x) |α|=k
besitzt. • semilinear, falls sie quasilinear ist und die Koeffizienten bei den h¨ochsten Ableitungen nur von x, nicht aber von Werten der Funktion u (oder ihrer Ableitungen) abh¨angt, d.h., falls sie, mit gegebenen Koeffizienk−1 tenfunktionen aα : U → R, und mit gegebenem f : R#D u × . . . Rm × R × U → R, die Form X aα (x)D α u(x) = f (D k−1 u(x), . . . , D 1 u(x), u(x), x) |α|=k
besitzt. • linear, falls alle Ableitungen linear eingehen, d.h., falls sie, mit gegebenen Koeffizientenfunktionen aα : U → R, und mit gegebenem f : U → R, die Form X aα (x)D α u(x) = f (x) |α|≤k
4
1. Einleitung
besitzt. Eine lineare partielle Differentialgleichung mit verschwindender rechter Seite f ≡ 0 nennt man homogen. Betrachtet man zugleich mehrere partielle Differentialgleichungen f¨ ur mehrere gesuchte Funktionen, die in einer vektorwertigen Funktion u = (u1 , . . . , uM ) : U → RM zusammengefaßt sind, so spricht man von einem System partieller Differentialgleichungen: Definition 1.4. Eine System partieller Differentialgleichungen k-ter Ordnung ist ein Ausdruck der Form F(D k u(x), D k−1 u(x), . . . , D 1 u(x), u(x), x) = 0 ∀x ∈ U k
k−1
(1.2)
˜
wobei F : RM ·#D u × RM ·#D u × . . . RM ·m × RM × U → RM eine gegebene Funktion und u die gesuchte Funktion ist. ˜ der partiellen Differentialgleichungen Normalerweise wird die Anzahl M im System gleich der Anzahl M der gesuchten Funktionen sein. Die jeweiligen Ableitungen von u sind komponentenweise zu verstehen; die Begriffe ”quasilinear”, ”semilinear” und ”linear” lassen sich nat¨ urlich analog zum Fall einer einzelnen partiellen Differentialgleichung auf Systeme verallgemeinern. Wir geben nun einige wichtige partielle Differentialgleichungen an, die aufgrund ihrer Bedeutung in verschiedene Anwendungen besondere Namen haben:
5
1. Einleitung
Lineare Gleichungen: Laplacegleichung Helmholtzgleichung Lineare Transportgleichung
∆u =
m X
ux i x i = 0
i=1 2
∆u + k u = 0 n X ut + b i ux i = 0 i=1
W¨armeleitungsgleichung Schr¨odingergleichung Wellengleichung Balkengleichung Nichtlineare Gleichungen: nichtlin. W¨armeleitungsgleichung p-Laplacegleichung Monge-Amp`ere Gleichung Burgers Gleichung Por¨oses Medium Gleichung Korteweg-de Vries Gleichung Hamilton-Jacobi Gleichung Lineare Systeme: Gleichgewichtsglngn. der linearisierten Elastizit¨at Maxwellgleichungen f¨ ur lineares isotropes homogenes Medium Nichtlineare Systeme: Systeme von Erhaltungsgleichungen Reaktions-Diffusionssysteme Eulergleichungen f¨ ur inkompressible nichtviskose Str¨omung Navier-Stokesgleichungen f¨ ur inkompressible viskose Str¨omung
ut − ∆u = 0 iut + ∆u = 0 utt − ∆u = 0 ut + uxxxx = 0
c(u)ut − div (k(u) grad u) = 0 div (| grad u|p−2 grad u) = 0 det(D 2 u) = f ut + uux = 0 ut − ∆(uγ ) = 0 ut + uux + uxxx = 0 ut + H( grad u, x) = 0
µ∆u + (λ + µ) grad ( div u) = 0 rot E = −µHt rot H = σE + Et div E = ρ div H = 0
ut + div F(u) = 0 u t − ∆u = f (u) ut + u · grad u = − grad p div u = 0 ut + u · grad u − ∆u = − grad p div u = 0
1. Einleitung
1.2.
6
L¨ osungskonzepte
Wenn man vom L¨osen einer partiellen Differentialgleichung (1.1) (oder eines Systems 1.2) spricht, meint man damit in der Regel das Auffinden von einer Funktionen u, f¨ ur die durch Ableiten und Einsetzen diese Gleichung verifiziert werden kann. Meist ist die Menge der L¨osungen einer partiellen Differentialgleichung ein unendlich-dimensionaler Raum. Um Eindeutigkeit zu erlangen, stellt man zus¨atzlich zu (1.1) noch Randbedingungen an Werte und/oder Ableitungswerte von u am Rand ∂U des Gebiets U (oder, wenn U unbeschr¨ankt ist, Abklingbedingungen ”im Unendlichen”), man spricht dann von einem Randwertproblem f¨ ur die Differentialgleichung (1.1). Oft kann eine der vorkommenden Variablen physikalisch als Zeit interpretiert werden (siehe z.B. W¨armeleitungsgleichung oder Wellengleichung); man stellt dann meist zus¨atzliche Anfangsbedingungen an u und betrachtet AnfangsRandwertprobleme f¨ ur die partielle Differentialgleichung (1.1). Bei der Formulierung und Untersuchung von partiellen Differentialgleichungen stehen folgende Fragestellungen im Vordergrund: • Existenz Es gibt eine Funktion u, die die partielle Differentialgleichung und die gestellten Zusatzbedingungen (Rand- bzw. Anfangsbed.) erf¨ ullt. • Eindeutigkeit Die partielle Differentialgleichung mit den Zusatzbedingungen beschreibt die Funktion u in eindeutiger Weise. • Stabilit¨at Die L¨osung u h¨angt stetig von den Daten ab, die das Problem ¨ definieren, d.h. kleine Anderungen in den Daten haben auch nur eine ¨ kleine Anderung in der entsprechenden L¨osung zur Folge. Dieses Konzept der sogenannten ”Korrektgestelltheit” geht auf Hadamard zur¨ uck, der postulierte, dass jedes physikalisch ”sinnvolle” Problem, wenn es nur richtig mathematisch formuliert ist, korrekt gestellt im obigen Sinn ist1 . Betrachtet man nun ein solches Problem f¨ ur eine partielle Differentialgleichung, so gibt es einerseits F¨alle, in denen eine explizite L¨osung konstruiert 1
Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, gibt es dennoch zahlreiche wichtige naturwissenschaftliche und technische Problemstellungen, die diese Korrektgestelltheitsforderung nicht erf¨ ullen; das Gebiet der inkorrekt gestellten Probleme ist ein interessanter und auch praxisrelevanter Bereich der heutigen Mathematik, siehe z.B. die Vorlesung Inverse Probleme.
1. Einleitung
7
werden kann. Solche Formeln wurden vor allem f¨ ur einzelne besonders wichtige PDGln mit oft sehr tiefliegenden mathematischen Mitteln entwickelt. ¨ Einige Beispiele werden in der Vorlesung und in den Ubungen behandelt. Andererseits ist die Anzahl der explizit l¨osbaren partielle Differentialgleichung Probleme relativ klein, so dass man auf numerische L¨osungsverfahren angewiesen ist (siehe Vorlesung Numerik partieller Differentialgliechung). Zur Entwicklung und Rechtfertigung von numerischen L¨osungsverfahren sind wiederum Existenz, Eindeutigkeit und Stabilit¨at von L¨osungen von entscheidender Bedeutung. F¨ ur den Fall linearer partieller Differentialgleichungen gibt es eine verh¨altnism¨aßig umfassende Theorie, zu der diese Vorlesung eine Einf¨ uhrung darstellt. Folgt man dem etwa aus der Analysisvorlesung und auch in Definition 1.1 verwendeten Ableitungsbegriff und verlangt, dass die partielle Differentialgleichung in diesem Sinn erf¨ ullt ist, so spricht man von einer klassischen L¨osung. H¨aufig treten aber in relevanten, durch partielle Differentialgleichungen beschriebenen Vorg¨angen L¨osungen auf, die Unstetigkeiten aufweisen, also nicht im herk¨ommmlichen Sinn differenzierbar sind (z.B. Schockwellen in Burger’s Gleichung). Um auch solche — in der Anwendung oft wesentliche — Ph¨anomene erfassen zu k¨onnen, verallgemeinert man den Begriff der Ableitung und damit auch der L¨osung, was auf sogenannte schwache L¨osungen f¨ uhrt. Selbst wenn man an klassischen L¨osungen einer Differentialgleichung interessiert ist, ist es h¨aufig einfacher, zun¨achst die Existenz einer schwachen L¨osung nachzuweisen und anschließend zu zeigen, dass es sich sogar um eine klassische L¨osung handelt. Betreffend den Schwierigkeitsgrad einer partielle Differentialgleichung gibt es einige allgemeine Grunds¨atze, die hier nur als Richtlinien und nicht als mathematisch exakte Aussagen zu verstehen sind (und f¨ ur die es jeweils nat¨ urlich auch Ausnahmen gibt): • Nichtlineare partielle Differentialgleichungen sind schwieriger zu behandeln als lineare; je mehr die Nichtlinearit¨at h¨ohere Ableitungen betrifft, umso komplexer wird das Problem. • partielle Differentialgleichungen h¨oherer Ordnung sind schwieriger als solche niedriger Ordnung. • Systeme sind schwieriger als einzelne (entkoppelte) partielle Differentialgleichungen.
1. Einleitung
8
• Mehr unabh¨angige Variable (also hohe Dimension m des Gebiets U ) machen die partielle Differentialgleichung schwieriger als wenige. • F¨ ur die meisten partiellen Differentialgleichungen ist es nicht m¨oglich, explizite Formeln f¨ ur ihre L¨osung anzugeben.
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨ aumen In diesem Kapitel wiederholen wir, zum Teil ohne Beweise, einige Grundlagen aus der Funktionalanalysis, die als bekannt vorausgesetzt werden. Wir verweisen etwa auf [5, 8, 16].
2.1. 2.1.1.
Hilbertr¨ aume und beschr¨ ankte Operatoren Banach- und Hilbertr¨ aume
Im folgenden bezeichnen wir K entweder den K¨orper der komplexen Zahlen C oder den K¨orper der reellen Zahlen R. Definition 2.1. Sei X ein Vektorraum u ¨ber K. Eine Abbildung k · k : X → [0, ∞) heißt Norm, falls folgende Bedingungen erf¨ ullt sind: • Homogenit¨at: kαuk = |α|kuk f¨ ur alle u ∈ X und α ∈ K. • Definitheit: F¨ ur u ∈ X gilt kuk = 0 genau dann, wenn u = 0. • Dreiecksungleichung: ku + vk ≤ kuk + kvk f¨ ur alle u, v ∈ X. Ein Vektorraum X versehen mit einer Norm k · k heißt normierter Raum. Ein vollst¨andiger normierter Raum heißt Banachraum. Beispiel 2.2. Sei Ω ⊂ Rm offen, und nicht leer.
• Sei Ω beschr¨ankt und k ∈ N0 . Dann ist der Raum C k (Ω) aller k-mal stetig differenzierbaren Funktionen u : Ω → R mit der Norm X kukC k (Ω) := sup |D α u(x)| |α|≤k x∈Ω
9
10
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
ein Banachraum. • F¨ ur ein nicht notwendigerweise beschr¨anktes Gebiet Ω ⊂ Rm und p ∈ [1, ∞] ist der Lp (Ω) aller Lebesgue-messbaren Funktionen u : R Raum p Ω → R mit Ω |u| dx < ∞ mit der Norm kukLp (Ω) :=
Z
p
Ω
|u| dx
1/p
,
p < ∞,
bzw. kukL∞ (Ω) := ess supx∈Ω |u(x)| ein Banachraum. • Unter dem Tr¨ager supp u einer Funktion u : Ω → R verstehen wir den Abschluss der Menge {x ∈ Ω : u(x) 6= 0} in Rm . F¨ ur k ∈ N0 ist der Raum C0k (Ω) aller k-mal stetig differenzierbaren Funktionen mit kompaktem Tr¨ager supp u ⊂ Ω ein normierter Raum mit der Norm k · kC k (Ω) . C0k (Ω) ist jedoch kein Banachraum. Definition 2.3. Sei H ein Vektorraum u ¨ber K. Eine Abbildung (·, ·) : H × H → K heißt inneres Produkt, falls folgende Bedingungen erf¨ ullt sind: • Linearit¨at im ersten Argument: (αu + βv, z) = α(u, z) + β(v, z) f¨ ur alle u, v, z ∈ H und α, β ∈ K. • Symmetrie: (u, v) = (v, u) f¨ ur alle u, v ∈ H. • Positivit¨at: (u, u) ≥ 0 f¨ ur alle u ∈ H. • Definitheit: F¨ ur u ∈ H gilt (u, u) = 0 genau dann, wenn u = 0. Ein Vektorraum mit einem inneren Produkt heißt Pr¨a-Hilbertraum. In jep dem Pr¨a-Hilbertraum ist durch kuk := (u, u) eine Norm definiert, d.h. jeder Pr¨a-Hilbertraum ist auch ein normierter Raum. Ein bzgl. dieser Norm vollst¨andiger Pr¨a-Hilbertraum heißt Hilbertraum. Jedes innere Produkt in einem Pr¨a-Hilbertraum H erf¨ ullt die CauchySchwarzsche Ungleichung |(u, v)| ≤ kuk · kvk
f¨ ur alle u, v ∈ H.
Hieraus folgt insbesondere, dass ein inneres Produkt eine stetige Abbildung ist.
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
11
Beispiel 2.4. Sei Ω ⊂ Rm eine offene Menge. Dann ist der Raum L2 (Ω) der bez¨ uglich dem Lebesgue-Maß quadrat-integrierbaren Funktionen ein Hilbertraum bez¨ uglich des inneren Produktes Z (f, g) := f (x)g(x) dx. Ω
Definition 2.5. Sei H ein Pr¨a-Hilbertraum. • Zwei Vektoren u, v ∈ H heißen orthogonal, falls (u, v) = 0. • Eine Teilmenge U ⊂ H heißt Orthonormalsystem, falls (u, v) = 0 und (u, u) = 1 f¨ ur alle u, v ∈ U mit u 6= v. • Das orthonogale Komplement einer Teilmenge U ⊂ H ist U ⊥ := {x ∈ H : (x, u) = 0 f¨ ur alle u ∈ U }. Satz und Definition 2.6. Sei {un : n ∈ N} ein Orthonormalsystem in einem Hilbertraum H. Dann sind folgende Eigenschaften ¨aquivalent 1. span{un : n ∈ N} ist dicht in X. (spanU ist die Menge aller endlichen Linearkombinationen von Vektoren einer Menge U ⊂ H.) 2. Jedes f ∈ H besitzt die Fourierreihen-Darstellung f=
∞ X
(f, un )un ,
n=1
wobei die Reihe bzgl. der Norm in H konvergiert. 3. F¨ ur jedes f ∈ H gilt die Parsevalsche Gleichung kf k2 =
∞ X n=1
|(f, un )|2 .
4. Aus (f, un ) = 0 f¨ ur alle n ∈ N folgt f = 0. Sind diese Eigenschaften erf¨ ullt, so spricht man von einem vollst¨andigen Orthonormalsystem. Besitzt ein Hilbertraum ein abz¨ahlbares vollst¨andiges Orthonormalsystem, so spricht man von einem separablen Hilbertraum.
12
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
Satz und Definition 2.7. Sei U ein abgeschlossener Unterraum eines Hilbertraums H. Dann gibt es zu jedem f ∈ H ein eindeutig bestimmtes Element v ∈ U mit kf − vk = inf kf − uk. u∈U
Dieses v heißt beste Approximation an f in U . v ist eindeutig charakterisiert durch die Bedingung (f − v, u) = 0
f¨ ur alle u ∈ U.
Der lineare Operator P : H → H, P f := v heißt orthogonale Projektion auf U. Satz 2.8. Sei U Unterraum eines Hilbertraums H. 1. Es gilt (U ⊥ )⊥ = U . 2. Ist U abgeschlossen, so gilt H = U ⊕ U ⊥, d.h. zu jedem f ∈ H gibt es eindeutig bestimmte Vektoren u1 ∈ U und u2 ∈ U ⊥ mit f = u1 + u2 .
2.1.2.
beschr¨ ankte Operatoren
Definition 2.9. Seien X, Y normierte R¨aume und A : X → Y ein linearer Operator. Dann nennt man kAkY ←X :=
sup u∈X,kukX ≤1
kAukY
die (Operator-)Norm von A. Falls keine Verwechslung entstehen k¨onnen, schreiben wir auch kurz kAk f¨ ur kAkY ←X . A heißt beschr¨ankt, falls kAk < ∞. Die Menge der beschr¨ankten linearen Abbildungen von X nach Y bezeichnen wir mit L(X, Y ). F¨ ur L(X, X) schreiben wir auch kurz L(X). Den Identit¨atsoperator bezeichnen wir mit IX oder kurz I. Satz 2.10. Ein linearer Operator in normierten R¨aumen ist genau dann stetig, wenn er beschr¨ankt ist.
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
13
Satz 2.11. Seien X, Y und Z normierte R¨aume, und sei A ∈ L(X, Y ) und B ∈ L(Y, Z). Dann ist das durch (BA)u := B(Au) definierte Produkt BA : X → Z ebenfalls ein beschr¨ankter, linearer Operator, und es gilt kBAk ≤ kBk kAk. Satz 2.12. Sei U dichter Teilraum eines normierten Raums X und Y ein Banachraum. Dann gibt es zu jedem A ∈ L(U, Y ) genau einen Operator A˜ ∈ L(X, Y ) mit ˜ = Au Au f¨ ur alle u ∈ U. ˜ = kAk. Der Operator A˜ heißt stetige Fortsetzung von A Außerdem gilt kAk auf X. Satz 2.13 (Neumannsche Reihe). Sei X ein Banachraum und A ∈ L(X) ein Operator mit kAk < 1. Dann besitzt I − A eine beschr¨ankte Inverse, und es gilt ∞ X −1 (I − A) = Aj , (2.1) j=0
wobei die Reihe auf der rechten Seite bez¨ uglich der Operatornorm konvergiert. Weiterhin gilt 1 k(I − A)−1 k ≤ . 1 − kAk
Korollar 2.14 (Stetigkeit der Operator-Inversion). Seien X, Y Banachr¨aume, T ∈ L(X, Y ) ein stetig invertierbarer Operator und (Tn ) eine Folge in L(X, Y ) mit kT − Tn k → 0. Dann gibt es ein N > 0, so dass Tn f¨ ur alle n ≥ N eine beschr¨ankte Inverse besitzt, und es gilt kTn−1 − T −1 k → 0 f¨ ur n → ∞.
2.1.3.
Rieszscher Darstellungssatz und adjungierte Operatoren
Ist f ein Element eines Hilbertraums H, so ist durch F (u) := (f, u),
u∈H
ein (anti-)lineares, beschr¨anktes Funktional F : H → K definiert, wie man leicht mit Hilfe der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung u uft. Es stellt ¨ berpr¨ sich heraus, dass jedes (anti-)lineare, beschr¨ankte Funktional F auf einem Hilbertraum von dieser Form ist:
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
14
Satz 2.15 (Rieszscher Darstellungssatz). Sei H ein Hilbertraum. Zu jedem (anti-)linearen, beschr¨ankten Funktional F : H → K gibt es ein eindeutig bestimmtes f ∈ H mit F (u) := (f, u)
f¨ ur alle u ∈ H.
Weiterhin gilt kF k = kf k. Mit Hilfe des Rieszschen Darstellungssatzes zeigt man: Satz und Definition 2.16. Seien H1 und H2 Hilbertr¨aume und A ∈ L(H1 , H2 ). Dann gibt es einen eindeutig bestimmten Operator A∗ ∈ L(H2 , H1 ) mit (Au, v) = (u, A∗ v)
f¨ ur alle u ∈ H1 und v ∈ H2 .
A∗ heißt adjungierter Operator von A. Es gilt A∗∗ = A. Ist H1 = H2 und A∗ = A, so nennt man A selbstadjungiert oder symmetrisch. Wir bezeichnen im folgenden mit N (A) := {x ∈ X : Ax = 0} den Nullraum eines Operators A : X → Y und mit R(A) := A(X) seinen Wertebereich. Satz 2.17. F¨ ur einen linearen Operator A ∈ L(H1 , H2 ) gilt R(A)⊥ = N (A∗ ) N (A)⊥ = R(A∗ )
(2.2) (2.3)
Satz und Definition 2.18. Seien H1 und H2 Hilbertr¨aume und U ∈ L(H1 , H2 ). Dann sind folgende Eigenschaften ¨aquivalent: 1. (U f, U g) = (f, g) f¨ ur alle f, g ∈ H1 . 2. kU f k = kf k f¨ ur alle f ∈ H1 . 3. U ∗ U = IH1 Sind diese Eigenschaften erf¨ ullt, so heißt U isometrisch. F¨ ur einen isometrischen Operator U sind folgende Eigenschaften ¨aquivalent: 1. U ist surjektiv.
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
15
2. U ∗ ist isometrisch. 3. U U ∗ = IH2 . In diesem Fall spricht man von einem unit¨aren Operator. Ist H ein endlich-dimensionaler Hilbertraum und U ∈ L(H), so fallen die Begriffe isometrisch und unit¨ar bekanntlich zusammen. Um einzusehen, dass dies im Unendlich-Dimensionalen nicht mehr der Fall ist, betrachten wir den Hilbertraum l2P (N) aller quadratsummierbaren Folgen mit innerem Produkt 2 ((fj ), (gj )) := ∞ j=1 fj gj . Der Verschiebungsoperator V ∈ L(l (N)), V (fj ) := (0, f1 , f2 , . . . )
ist ein Beispiel eines isometrischen, aber nicht unit¨aren Operators. Ist U ∈ L(H1 , H2 ) unit¨ar, so kann man die Hilbertr¨aume H1 und H2 miteinander identifizieren, da unit¨are Abbildungen bijektiv sind und s¨amtliche Strukturen eines Hilbertraums erhalten. Beispiel 2.19. Sei H ein separabler Hilbertraum mit vollst¨andigem Orthonormalsystem {uj : j ∈ N}. Wir definieren den linearen Operator U : H → l2 (N), der einen Vektor f auf die Folge seiner Fourierkoeffizienten abbildet: U f := ((f, uj ))j∈N . Nach der Parsevalschen Gleichung gilt kU f k2 =
n X j=1
|(f, uj )|2 = kf k2
f¨ ur alle f ∈ H. U ist surjektiv, man u uft leicht, dass f¨ ur jede Folge ¨berpr¨ Pdenn ∞ 2 (cj ) ∈ l (N) der Vektor f := j=1 cj uj wohldefiniert ist und dass U f = (cj ). Also ist U unit¨ar. Man kann daher jeden separablen Hilbertraum durch Spezifikation eines vollst¨andigen Orthonormalsystems mit l 2 (N) identifizieren. Beispiel 2.20. Sei H ein reeller Hilbertraum und sei H ∗ der Raum der beschr¨ankten (anti-)linearen Funktionale auf H. Wir betrachten die durch (U f )(v) := (f, v) definierte Abbildung U : H → H ∗ . Man u uft leicht, ¨ berpr¨ dass U linear ist. Nach dem Rieszschen Darstellungssatz ist U surjektiv, und es gilt kU f k = kf k f¨ ur alle f ∈ H. Deshalb ist U unit¨ar, wenn wir auf H ∗ durch (U f, U g) := (f, g) ein inneres Produkt definieren. Ein Hilbertraum kann also kanonisch mit seinem Dualraum identifiziert werden.
16
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
2.2. 2.2.1.
Fouriertransformationen Diskrete Fouriertransformation
Wir betrachten den komplexen Raum L2 ([0, 1]) und die Funtionen uj (x) := exp(2πijx),
j ∈ Z.
Satz 2.21. {uj : j ∈ Z} ist ein vollst¨andiges Orthonormalsystem in L2 ([0, 1]). Der schwierigste Punkt im Beweis dieses Satzes ist der Nachweis der Vollst¨andigkeit. Er kann z.B. u ¨ber den Approximationssatz von Weierstraß erfolgen. Man erh¨alt folgendes Korollar f¨ ur den reellen Raum L2R ([0, 1]): √ √ Korollar 2.22. Die Menge {1} ∪ { 2 sin(2πj·) : j ∈ N} ∪ { 2 cos(2πj·) : j ∈ N} ist ein vollst¨andiges Orthonormalsystem ein L2R ([0, 1]). Die Zahlen fˆ(j) := (f, uj ), j ∈ Z heißen Fourierkoeffizienten der Funktion f ∈ L2 ([0, 1]), die Reihe X f (x) = fˆ(j)e2πijx j∈Z
heißt Fourierreihe von f . Diese klassischen Begriffe wurden in Satz und Definition (2.6) verallgemeinert. Die Abbildung U : f 7→ (f, uj )j∈Z von L2 ([0, 1]) nach l2 (Z) heißt diskrete Fouriertransformation. Wie in Beispiel 2.19 gezeigt, ist sie unit¨ar. Die Konvergenz der Fourierreihe einer Funktion f ∈ L2 ([0, 1]) gilt im allgemeinen nur im L2 -Sinne, nicht jedoch punktweise. Es gilt jedoch: Satz 2.23. Ist eine f die Einschr¨ankung einer 1-periodische Funktion f˜ ∈ C 1 (R) auf das Intervall [0, 1], so konvergiert die Fourierreihe von f punktweise und gleichm¨aßig, d.h. es gilt N X lim sup f (x) − fˆ(j)e2πijx = 0. N →∞ x∈[0,1] j=−N
17
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
2.2.2.
Kontinuierliche Fouriertransformation
Satz und Definition 2.24 (Fouriertransformation auf L1 ). F¨ ur u, v ∈ L1 (Rm ) sind die Fouriertransformatierte u ˆ ∈ L∞ (Rm ) ∩ C(Rm ) durch Z u ˆ(ξ) := e−2πiξ·x u(x) dx, ξ ∈ Rm Rm
und die inverse Fouriertransformatierte vˇ ∈ L∞ (Rm ) ∩ C(Rm ) durch Z vˇ(x) := e2πiξ·x v(ξ) dξ, x ∈ Rm Rm
wohldefiniert. Die Operatoren F , F ∗ : L1 (Rm ) → L∞ (Rm ), F : u 7→ u ˆ und F ∗ : v 7→ vˇ heißen Fouriertransformation, bzw. inverse Fouriertransformation. Sie sind zueinander adjungiert in dem Sinne, dass Z Z (F u)(ξ) · v(ξ) dξ = u(x)(F ∗ v)(x) dx. (2.4) Rm
Rm
Beweis: Da |e−2πix·ξ u(x)| = |u(x)| f¨ ur alle x, ξ ∈ Rm und da u ∈ L1 (Rm , m folgt, dass u(ξ) f¨ ur alle ξ ∈ R wohldefiniert ist und dass |ˆ u(ξ)| ≤ kukL1 . Also ∞ m gilt u ˆ ∈ L (R ). Die Stetigkeit von u ˆ folgt aus dem Lebesgueschen Satz u ¨ber dominierte Konvergenz mit dominierender Funktion |u|. Die entsprechenden Aussagen f¨ ur vˇ folgen aufgrund der Identit¨at (F ∗ u)(x) = (F u)(x),
x ∈ Rm .
(2.5)
Gl. (2.4) folgt unter Benutzung von uˆ, vˇ ∈ L∞ (Rm ) aus dem Satz von Fubini, denn sowohl die rechte als auch die linke Seite der Gleichung sind gleich Z Z u(x)v(ξ)e−2πix·ξ dx dξ.
Rm
Rm
Beispiel 2.25. Wir betrachten die Gauß-Funktion 2
φ(x) := e−π|x| ,
x ∈ Rm . P m 2 In dieser Vorlesung bezeichen wir mit |x| := immer die euklij=1 |xj | dische Norm. Wir betrachten zun¨achst den Fall m = 1. Dann gilt nach dem Lebesgueschen Differentiationssatz Z ∞ 2 0 ˆ −2πixe−πx e−2πixξ dx. φ (ξ) = −∞
18
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
Durch partielle Integration erh¨alt man Z Z R −πx2 −2πixξ −πx2 −2πixξ R − 2πξ −2πixe e dx = ie e −R −R
R
2
e−πx e−2πixξ dx −R
f¨ ur alle R > 0. Also erf¨ ullt φˆ die lineare gew¨ohnliche Differentialgleichung ˆ φˆ0 (ξ) = −2πξ φ(ξ)
R∞ 2 −π|ξ|2 ˆ ˆ ˆ mit der L¨osung φ(ξ) = φ(0)e . Da φ(0) = −∞ e−pi|x| dx = 1, erhalten wir φˆ = φ. In h¨oheren Raumdimensionen erhalten wir nach dem Satz von Fubini ebenfalls Z Y m 2 ˆ e−π|xj | e−2πixj ξj dx φ(ξ) = =
Rm j=1 m Z Y j=1
e
−π|xj |2 −2πixj ξj
e
dxj =
Rm
m Y
2
2
e−π|ξj | = e−π|ξ| .
j=1
Wir wollen nun einige Eigenschaften der Fouriertransformation kennenlernen. Wir erinnern daran, dass die Faltung u1 ∗u2 ∈ L1 (Rm ) zweier Funktionen u1 , u2 ∈ L1 (Rm ) definiert ist durch Z (u1 ∗ u2 )(x) := u1 (x − y)u2 (y) dy. Rm
m Satz 2.26. 1. Sei α ∈ Nm → C eine Funktion mit kom0 und sei u : R paktem Tr¨ager, die |α| mal stetig differenzierbar ist. Dann gilt
(D α u)ˆ(ξ) = (2πiξ)α u ˆ(ξ).
(2.6)
2. Ist u ∈ L1 (Rm ) und uλ (x) := λ−m u(x/λ) f¨ ur λ > 0, so gilt (F uλ )(ξ) = (F u)(λξ)
f¨ ur alle ξ ∈ Rm .
(2.7)
3. Sind u, v ∈ L1 (Rm ), so gilt F (u ∗ v)(ξ) = (F u) · (F v)
f¨ ur alle ξ ∈ Rm .
(2.8)
19
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
Beweis: 1. Wir betrachten zun¨achst den Fall D α = ∂x∂ j . Durch partielle Integration erhalten wir Z ∂u ∂u F (ξ) = e−2πiξ·x (x) dx ∂xj ∂xj Rm Z ∂e−2πiξ·x = − u(x) dx = 2πiξj uˆ(ξ). ∂xj Rm Durch wiederholte Anwendung dieses Resultats ergibt sich (2.6). 2. Durch die Substitution y = x/λ erhalten wir Z Z −2πix·ξ −m e u(x/λ) dx = e−2πiλy·ξ u(y) dy = (F u)(λξ). (F uλ )(ξ) = λ Rm
Rm
3. Es gilt nach dem Satz von Fubini Z F (u ∗ v)(ξ) = intRm e−2πix·ξ u(x − y)v(y) dy dx m RZ −2πi(x−y)·ξ = e u(x − y) dx intRm e−2πiy·ξ v(y) dy Rm
= (F u)(ξ) · (F v)(ξ).
Insbesondere die erste Eigenschaft, dass Differentialoperatoren im Fourierbereich durch Multiplikationsoperatoren dargestellt werden, ist f¨ ur die Theorie partieller Differentialgleichungen von fundamentaler Bedeutung. Lemma 2.27. Ist u ∈ C0 (Rm ), so gilt kF ukL2 = kukL2 .
(2.9)
ur x ∈ Rm und w := u ∗ v. Dann sind Beweis: Sei v(−x) := u(x) f¨ m v, w ∈ C0 (R ), und es gilt Z (2.10) w(0) = u(x)v(−x) dx = kuk2L2 Rm
20
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
sowie R
−2πix·ξ
w(ξ) ˆ =u ˆ(ξ)ˆ v (ξ) = |ˆ u(ξ)|2 ,
(2.11)
da vˆ(ξ) = Rm e u(−x) dx = u ˆ(ξ). Wir betrachten nun φλ (x) := φ(λx) f¨ ur λ > 0 mit der in Beispiel 2.25 betrachteten Gauß-Funktion. Nach (2.7) und (2.5) gilt (F ∗ φ(λ·))(x) = (F φ(λ·))(x) = φλ (x) und deshalb nach (2.4) Z Z w(ξ)φ(λξ) ˆ dξ = w(x)φλ (x) dx, λ > 0. (2.12) Rm
Rm
Wir zeigen zun¨achst, dass die rechte Seite f¨ ur λ & 0 gegen w(0) konvergiert. Sei > 0. Da w stetig ist, gibt es ein δ > 0, so dass |w(y) − w(0)| ≤ /2 f¨ ur R ˆ |y| < δ. Da φλ (x) dx = φλ (0) = 1, folgt Z Z ˆλ (x) dx ˆλ (x) dx − w(0) = (w(x) − w(0)) φ w(x) φ m m R R Z Z ≤ (w(x) − w(0))φˆλ (x) dx + (w(x) − w(0))φˆλ (x) dx {x:|x|<δ} {x:|x|≥δ} Z Z ˆ φλ (x) dx + |w(x) − w(0)| dx sup φˆλ (x) ≤ 2 Rm m {x:|x|≥δ} R Z 2 ≤ + |w(x) − w(0)| dx λ−m e−π(δ/λ) . 2 Rm Offenbar gibt es ein λ0 > 0, so dass die rechte Seite ≤ f¨ ur alle 0 < λ ≤ λ0 ist. Damit ist gezeigt, dass die rechte Seite von (2.12) f¨ ur λ & 0 gegen w(0) 2 konvergiert. Da w(ξ) ˆ = |ˆ u(ξ)| ≥ 0 f¨ ur alle ξ, w¨achst der Integrand der linken Seite monoton mit λ & 0. Aus dem Satz von Beppo-Levi folgt daher Z Z Z w(ξ)dξ ˆ = lim w(ξ)φ ˆ w(ξ)φ ˆ λ (ξ) dξ = lim λ (ξ) dξ = w(0). Rm
Rm λ&0
λ&0
Rm
Mit (2.10) und (2.11) erhalten wir nun das gew¨ unschte Ergebnis Z w(ξ)dξ ˆ = w(0) = kuk2L2 . kˆ uk2L2 = Rm
Satz 2.28 (Satz von Plancherel). Es gibt einen eindeutig bestimmten Operator F˜ ∈ L(L2 (Rm )) mit der Eigenschaft F˜ u = F u
f¨ ur alle u ∈ C0 (Rm ).
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
21
Dieser Operator F˜ ist unit¨ar. Weiterhin gilt F˜ ∗ v = F ∗ v f¨ ur alle alle v ∈ m C0 (R ). Beweis: Da C0 (Rm ) ⊂ L2 (Rm ) dicht ist, folgt mit Lemma 2.27 die Existenz und Eindeutigkeit von F˜ aus Satz 2.12. Aus Lemma 2.27 folgt weiterhin, dass F˜ isometrisch ist. Da (2.4) f¨ ur alle u und v aus der dichten Teilmenge m C0 (R ) gilt, folgt die letzte Aussage des Satzes u ¨ ber F ∗ . Mit Hilfe von (2.5) und Lemma 2.27 ergibt sich, dass F ∗ ebenfalls isometrisch ist. Nach Satz 2.18 ist deshalb F unit¨ar. Im folgenden werden wir nicht mehr zwischen F˜ und F unterscheiden.
2.3. 2.3.1.
Riesz-Fredholm Theorie kompakte Operatoren
Wir erinnern daran, dass eine Teilmenge U eines normierten Raumes X relativ kompakt genannt wird, wenn der Abschluss U kompakt ist. U heißt beschr¨ankt, falls supu∈U kuk < ∞. Definition 2.29. Seien X, Y normierte R¨aume. Ein Operator K ∈ L(X, Y ) heißt kompakt, falls er beschr¨ankte Mengen in X auf relativ kompakte Mengen in Y abbildet. Satz 2.30 (Folgen-Definition kompakter Operatoren). Ein Operator K ∈ L(X, Y ) ist genau dann kompakt, wenn f¨ ur jede beschr¨ankte Folge (xn ) in X die Folge (Kxn ) eine in Y konvergente Teilfolge besitzt. Satz 2.31. Seien X, Y, Z normierte R¨aume. 1. Ist K ∈ L(X, Y ) und R(K) < ∞, so ist K kompakt. 2. Linearkombinationen kompakter Operatoren sind kompakt. 3. Sei K ∈ L(X, Y ) und L ∈ L(Y, Z). Dann ist die Komposition LK kompakt, wenn K oder L kompakt sind. 4. Sei Y Banachraum und sei Kn ∈ L(X, Y ), n ∈ N eine Folge von kompakten Operatoren, die bez¨ uglich der Operatornorm gegen einen Operator K ∈ L(X, Y ) konvergiert, d.h. limn→∞ kKn − Kk = 0. Dann ist K kompakt.
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
22
5. Sind X und Y Hilbertr¨aume und ist K ∈ L(X, Y ) kompakt, so ist auch der adjungierte Operator K ∗ ∈ L(Y, X) kompakt. Zum Nachweis der Kompaktheit von Operatoren wird h¨aufig der folgende Satz herangezogen: Satz 2.32 (Arzel` a-Ascoli). Sei Ω ⊂ Rm kompakt und C(Ω) der Raum der stetigen Funktionen auf Ω versehen mit der Maximumnorm. Eine Teilmenge U ⊂ C(Ω) ist genau dann relativ kompakt, wenn sie beschr¨ankt und gleichgradig stetig ist, d.h. wenn es eine Konstante C > 0 gibt, so dass |u(x)| ≤ C f¨ ur alle x ∈ Ω und alle u ∈ U , und wenn es zu jedem > 0 ein δ > 0 gibt, so dass |u(x) − u(y)| < f¨ ur alle x, y ∈ Ω mit |x − y| < δ und alle u ∈ U .
2.3.2.
Rieszsche S¨ atze und Fredholm Alternative
Der folgende Satz beinhaltet die Riesz-Fredholm Theorie f¨ ur Operatoren in Hilbertr¨aumen. Die Resultate gelten auch in normierten R¨aumen, die Beweise sind in diesem Fall aber erheblich aufwendiger (siehe [7]). Satz 2.33. Sei H ein Hilbertraum und K ∈ L(H) kompakt. Dann gilt: 1. 1. Rieszscher Satz: N (I − K) ist endlich-dimensional. 2. Es gibt ein γ > 0 mit ku − Kuk ≥ γkuk f¨ ur alle u ∈ N (I − K)⊥ . 3. 2. Rieszscher Satz: R(I − K) ist abgeschlossen. 4. R(I − K) = N (I − K ∗ )⊥ . 5. Spezialfall des 3. Rieszschen Satzes: N (I − K) = {0} genau dann, wenn R(I − K) = H. 6. dim N (I − K) = dim N (I − K ∗ ).
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
23
Beweis: 1. Angenommen, dim N (I −K) = ∞. Dann gibt es ein unendliches Orthonormalsystem {uj : j ∈ N} ⊂ N (I −K). Es gilt Kuj = uj f¨ ur alle j ∈ N und deshalb kKuj − Kul k2 = kuj − ul k2 = kuj k2 − 2(uj , ul ) + kul k2 = 2 f¨ ur j 6= l. Daher kann die Folge (Kuj ) keine konvergente Teilfolge enthalten. Dies widerspricht nach Satz 2.30 der Kompaktheit von K. 2. Angenommen, die Behauptung ist falsch. Dann gibt es f¨ ur j = ⊥ 1, 2, . . . Vektoren uj ∈ N (I − K) mit kuj k = 1 und lim kuj − Kuj k = 0.
j→∞
(2.13)
Nach Satz 2.30 gibt es eine Teilfolge und ein v ∈ H mit Kujk → v f¨ ur k → ∞. Aus (2.13) folgt lim kujk − vk = 0 (2.14) k→∞
und aufgrund der Stetigkeit von K limk→∞ kKujk − Kvk = 0. Insgesamt erhalten wir v = Kv. Daher ist v ∈ N (I −K). Wegen kvk = lim k→∞ kvjk k = 1 und ujk ∈ N (I −K)⊥ folgt kv −ujk k2 = 2. Dies ist ein Widerspruch zu (2.14). 3. Sei (vj ) eine Folge in R(I − K), die gegen ein v ∈ H konvergiert. Wir m¨ ussen zeigen, dass v ∈ R(I − K). Sei uj das eindeutig bestimmte Element aus N (I − K)⊥ mit uj − Kj = vj . Aufgrund der soeben bewiesenen Aussage gibt des ein γ > 0 mit kvj − vl k ≥ γkuj − ul k
f¨ ur alle j, l ∈ N.
Da (vj ) Cauchy-Folge ist, ist auch (uj ) Cauchy-Folge. Aufgrund der Vollst¨andigkeit von H besitzt (uj ) einen Grenzwert u ∈ H, und f¨ ur diesen gilt u − Ku = v. Also ist v ∈ R(I − K).
4. Dies folgt aus dem soeben bewiesenen 2. Rieszschen Satz und Gl. (2.3) in Satz 2.17 mit A = I − K ∗ .
5. Wir nehmen zun¨achst an, es sei N (I −K) = {0} und m¨ochten zeigen, dass R(I −K) = H. Dazu betrachten wir die Unterr¨aume Hk := (I −K)k (H), k = 0, 1, 2, . . . mit (I − K)0 := I. Offenbar gilt H = H0 ⊇ H1 ⊇ H2 ⊇ . . . . Wir f¨ uhren einen Widerspruchsbeweis und nehmen an, es sei R(I − K) ( H, oder anders geschrieben H1 ( H0 . Zun¨achst zeigen wir, dass dann Hk+1 ( Hk f¨ ur alle k ∈ N0 . Anderenfalls g¨abe es einen kleinsten Index k ∈ N mit Hk = Hk+1 , also (I − K)(Hk−1 ) = (I − K)(Hk ). Da aber Hk−1 ) Hk nach Wahl von k, widerspricht dies der Injektivit¨at von I − K.
24
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
Durch Ausmultiplizieren erhalten wir ˜k (I − K) = I + K k
˜ k := mit K
k X k (−K)j . j j=1
˜ k kompakt. Deshalb ist nach dem 2. Rieszschen Satz Nach Satz 2.31 ist K ˜ ˜ k ) abgeschlossen. Also angewandt auf I + Kk der Wertebereich Hk = R(I + K ist nach Satz 2.8 das orthogonale Komplement von Hk in Hk−1 nicht {0}, d.h. wir finden ein uk−1 ∈ Hk−1 ∩ Hk⊥ mit kuk−1 k = 1. Sei k > l. Aufgrund der Identit¨at Kuk − Kul = −uk + Kuk + ul − Kul + uk + ul | {z } | {z } |{z} |{z} ∈Hl+1
∈Hl+1
∈Hl+1
⊥ ∈Hl+1
gilt kKuk − Kul k ≥ kul k = 1. Dies ist ein Widerspruch zur Kompaktheit von K. Zum Nachweis der umgekehrten Richtung, nehmen wir an, es sei R(I − K) = H. Dann ist nach Punkt 4 N (I − K ∗ ) = {0}. Durch Anwendung des soeben bewiesenen Resultats auf I − K ∗ erhalten wir R(I − K ∗ ) = H. Dies impliziert, wiederum nach Punkt 4, dass N (I − K) = {0}. 6. Wir f¨ uhren widerum einen Widerspruchbeweis und nehmen an, die Aussage sei falsch. Durch Vertauschung der Rollen von K und K ∗ k¨onnen wir o.B.d.A. annehmen, dass dim N (I − K) < dim N (I − K ∗ ). Nach Punkt 1 und 4 gibt es dann eine injektive, aber nicht surjektive Abbildung A : N (I − K) → R(I − K)⊥ . Diese setzen wir durch Au := 0 f¨ ur ⊥ ⊥ u ∈ N (I − K) zu einer Abbildung A : H → R(I − K) fort (vgl Satz 2.8). Da dim R(A) < ∞, ist K + A nach Satz 2.31 kompakt. Wir behaupten, dass N (I − K − A) = {0}.
(2.15)
Sei u − Ku − Au = 0. Dann gilt u − Ku = Au ∈ R(I − K)⊥ , also u − Ku = Au = 0. Daher ist u ∈ N (I − K). Da A auf N (I − K) injektiv ist und Au = 0 folgt u = 0. Damit ist (2.15) bewiesen. Durch Anwendung des 3. Rieszschen Satzes auf I − K − A erhalten wir nun R(I − K − A) = H. Da A nicht surjektiv ist, finden wir ein v ∈ R(I − K)⊥ \ R(A), und dieses v kann nicht in R(I − K − A) liegen. Damit haben wir den gew¨ unschten Widerspruch.
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
25
Korollar 2.34 (Fredholm Alternative). Seien H1 und H2 Hilbertr¨aume, sei T := S − K mit K ∈ L(H1 , H2 ) kompakt und S ∈ L(H1 , H2 ) bijektiv, und sei S −1 beschr¨ankt. Dann gilt: Entweder besitzt die Gleichung Tu = f
(2.16)
f¨ ur alle rechten Seiten f ∈ H2 eine eindeutige L¨osung u ∈ H1 oder es gilt 0 < dim N (T ) = dim N (T ∗ ) < ∞, und die Gleichung (2.16) besitzt genau dann eine L¨osung, wenn die rechte Seite die Kompatibilit¨atsbedingungen (f, v) = 0 (2.17) f¨ ur alle v ∈ N (T ∗ ) erf¨ ullt. Beweis: Wir multiplizieren (2.16) von links mit S −1 und erhalten die a¨quivalente Gleichung ˜ = f˜ (I − K)u (2.18) ˜ := S −1 K und der rechten Seite f˜ := S −1 f . Nach Satz 2.30 ist mit K ˜ ∈ L(H1 ) kompakt. Wir unterscheiden die F¨alle dim N (I − K) ˜ = 0 und K ˜ > 0. Im ersten Fall folgt aus dem 3. Rieszschen Satz, dass dim N (I − K) Gl. (2.18) und damit auch Gl. (2.16) f¨ ur alle rechten Seiten eine eindeutige L¨osung besitzt. Im zweiten Fall erhalten wir aus Satz 2.33, Teil 1 und ˜ = dim(I − K˜∗ ) < ∞. Da mit S auch S ∗ bijek6, dass 0 < dim(I − K) ˜ und T ∗ = (I − K ˜ ∗ )S ∗ , folgt die tiv ist (Satz 2.17) und da T = S(I − K) ∗ Aussage u ¨ ber die Nullr¨aume von T und T . Nach Teil 4 von Satz 2.33 ist ˜ ∗ )⊥ . Dies ist ¨aquivalent zu (2.18) genau dann l¨osbar, wenn f˜ ∈ N (I − K 0 = (f˜, w) = (f, (S −1 )∗ w) f¨ ur alle w ∈ H1 mit (S ∗ − K ∗ )(S −1 )∗ w = 0 und dies wiederum ist nach Substitution v = (S −1 )∗ w ¨aquivalent zu (2.17). Korollar 2.35 (Stetige Abh¨ angigkeit). Unter den Voraussetzungen von Korollar 2.34 besitzt Gl. (2.16) f¨ ur alle rechten Seiten f ∈ N (T ∗ )⊥ eine eindeutige L¨osung u in N (T )⊥ , und u h¨angt stetig von f ab. Beweis: Zun¨achst zur Eindeutigkeit von u: Ist u eine spezielle L¨osung von (2.16), so ist die allgemeine L¨osung von der Form u = u − v mit v ∈ N (T ). Die Forderung u ∈ N (T )⊥ ist ¨aquivalent zu (u − v, w) = 0 f¨ ur alle w ∈ N (T ). Nach Satz 2.7 ist dies genau dann erf¨ ullt, wenn v die eindeutig bestimmt beste Approximation an u in N (T ) ist. Also ist u eindeutig bestimmt.
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
26
Da S −1 stetig ist, reicht es zu zeigen, dass u in Gleichung (2.18) stetig von f˜ abh¨angt. Sei (f˜j )j∈N eine Folge in H1 , die gegen f˜ ∈ H1 konvergiert und seien uj , u ∈ N (T )⊥ die entsprechenden L¨osungen von (2.18). Dann gibt es nach Satz 2.33, Teil 2 eine Konstante γ > 0 mit kuj − uk ≤ γ1 kfj − f k f¨ ur alle j ∈ N. Also konvergiert die Folge (uj ) gegen u.
2.4. 2.4.1.
Spektraltheorie kompakter Operatoren Spektrum kompakter Operatoren
Definition 2.36. Sei X ein komplexer normierter Raum und K ∈ L(X). λ ∈ C heißt Eigenwert von K, falls es ein u ∈ X \ {0} gibt mit Ku = λu. Die Resolventenmenge von K ist definiert durch ρ(K) := {λ ∈ C : (λI − K)−1 existiert und ist beschr¨ankt}. Das Spektrum von K ist σ(K) := C \ ρ(K). Ist X ein reeller Raum, so betrachtet man die Komplexifizierung XC = {u + iv : u, v ∈ X} und die komplexe Fortsetzung KC von K. Damit definiert man ρ(K) := ρ(KC ) und σ(K) := σ(KC ). Das Spektrum ist eine Verallgemeinerung der Menge der Eigenwerte einer Matrix. Offenbar geh¨oren alle Eigenwerte von K zum Spektrum σ(K), im allgemeinen besteht das Spektrum eines Operators aber nicht nur aus Eigenwerten. F¨ ur kompakte Operatoren gilt jedoch: Satz 2.37. Sei H ein unendlich-dimensionaler komplexer Hilbertraum und sei K ∈ L(H) kompakt. Dann gilt 0 ∈ σ(K), und σ(K)\{0} besteht aus einer h¨ochstens abz¨ahlbaren Menge von Eigenwerten von K. Der einzig m¨ogliche H¨aufungspunkt dieser Eigenwerte ist 0. Ist H reell, so besteht (σ(K) ∩ R) \ {0} nur aus Eigenwerten von K. Beweis: Angenommen, 0 ∈ / σ(K). Dann ist K bijektiv und K −1 be−1 schr¨ankt. Deshalb ist I = K K nach Satz 2.31 kompakt. Dies f¨ uhrt aber wegen dim H = ∞ zu einem Widerspruch, denn H enth¨alt ein unendliches Orthonormalsystem {uj : j ∈ N} und die Folge (uj ) kann keine konvergente Teilfolge besitzen. F¨ ur λ ∈ C \ {0} k¨onnen wir Satz 2.33 auf den Operator λI − K (oder genauer I − λ1 A) anwenden. Entweder ist N (λI − K) = {0} und (λI − K)−1
27
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
existiert und ist beschr¨ankt oder N (λI − K) 6= {0}. Im ersten Fall ist λ ∈ ρ(K) und im zweiten Fall ist λ Eigenwert von K. Daher besteht σ(K) \ {0} nur aus Eigenwerten von K. Es verbleibt zu zeigen, dass es f¨ ur jedes R > 0 h¨ochstens endlich viele Eigenwerte λj von K gibt mit |λj | ≥ R. Angenommen, es existiert eine unendliche Folge (λj )j∈N , von verschiedenen Eigenwerten von K mit |λj | ≥ R. Seien uj ∈ H zugeh¨orige Eigenvektoren mit Auj = λj uj . Wir definieren die endlichdimensionalen Unterr¨aume Un := span{u1 , . . . , um }, n ∈ N. Da Eigenvektoren zu verschiedenen Eigenwerten linear unabh¨angig sind, gilt Ul ( Uk f¨ ur l < k. Weiterhin gilt (λj I − K)(Uj ) ⊆ Uj−1 f¨ ur j = 2, 3, . . . . Wir w¨ahlen nun ⊥ ∩ Uk mit kvj k = 1. F¨ ur l < k gilt f¨ ur jedes k = 2, 3, . . . ein vj ∈ Uk−1 Kvl − Kvk = (Kvl − λl vl ) − (Kvk − λk vk ) +λk vk − λl vl |{z} | {z } | {z } ∈Ul−1 ⊆Uk−1
∈Uk−1
∈Uk−1
und daher kKvl − Kvk k ≥ kλk vk k ≥ R. Daher kann die Folge (Kvj ) im Widerspruch zur Kompaktheit von K keine konvergente Teilfolge besitzen.
2.4.2.
Spektralsatz fu ¨ r kompakte selbstadjungierte Operatoren
Die folgenden beiden Lemmata ben¨otigen wir zum Nachweis, dass jeder kompakte selbstadjungierte Operator mindestens einen Eigenwert besitzt. Lemma 2.38. Sei H 6= {0} ein reeller oder komplexer Hilbertraum und A ∈ L(H) selbstadjungiert. Dann gilt kAk = sup |(Au, u)|.
(2.19)
kuk=1
Beweis: Wir f¨ uhren den Beweis nur f¨ ur komplexe Hilbertr¨aume. Durch Komplexifizierung folgt das Ergebnis dann auch f¨ ur reelle Hilbertr¨aume. Wir bezeichnen die rechte Seite von Gl. (2.19) mit a. Aus der CauchySchwarzschen Ungleichung folgt kAk ≥ a. Um zu zeigen, dass kAk ≤ a bemerken wir, dass kAk = sup kAuk ≤ kuk=1
sup kuk=kvk=1
| hAu, vi |
28
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
da wir v = Au/kAuk w¨ahlen k¨onnen. Sei u, v ∈ H mit kuk = kvk = 1. Wir w¨ahlen α ∈ C mit |α| = 1 so dass | hAu, vi | = hAu, αvi und definieren v˜ := αv. Aus der Polarisationsgleichung und hAw, wi ∈ R f¨ ur alle w ∈ H erhalten wir 3 1X k
| hAu, vi | = i A(u + ik v˜), u + ik v˜ 4 k=0 1 1 hA(u + v˜), u + v˜i − hA(u − v˜), u − v˜i 4 4 a 2 ≤ ku + v˜k + ku − v˜k2 4 a = 2kuk2 + 2k˜ v k2 4 = a. =
Daraus folgt kAk ≤ a.
Lemma 2.39. Sei H 6= {0} ein reeller oder komplexer Hilbertraum und A ∈ L(H) selbstadjungiert. Dann liegen die Zahlen m := inf kuk=1 (Au, u) und M := supkuk=1 (Au, u) im Spektum σ(A). Ist A kompakt, so ist m oder M Eigenwert von A. Beweis: Wir zeigen, dass M ∈ σ(A). Dass m ∈ σ(A) folgt dann durch Anwendung des Resultats auf −A. Man u ¨ berpruft leicht, dass die Sesquilinearform [u, v] := (M u−Au, v] ein Skalarprodukt bildet. Die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung f¨ ur dieses Skalarprodukt ergibt |(M u − Au, v)|2 ≤ (M u − Au, u)(M v − Av, v) f¨ ur alle u, v ∈ H. Durch Einsetzen von v = M u − Au und Anwendung der Cauchy-Schwarzsche Ungleichung f¨ ur (·, ·) erhalten wir kM u − Auk4 ≤ (M u − Au, u)kM u − Aukk(M I − A)2 uk ≤ (M u − Au, u)kM u − Auk2 kM I − Ak.
Nach Division durch kM u − Auk2 ergibt dies
kM u − Auk2 ≤ C(M u − Au, u),
u∈H
(2.20)
mit C := kM I − Ak. Nach Definition von M existiert eine Folge (uk ) in H mit kuk k = 1 f¨ ur k ∈ N und (Auk , uk ) → M f¨ ur k → ∞. Aus (2.20) folgt kM uk − Auk k → 0. W¨are M ∈ ρ(A) h¨atten wir den Widerspruch kuk k ≤ k(M I − A)−1 k · kM uk − Auk k → 0.
2. Lineare Funktionalanalysis in Hilbertr¨aumen
29
Ist A = 0, so ist m = M = 0 und alle u ∈ H \ {0} sind Eigenvektoren zum Eigenwert 0. Ist A 6= 0, so gilt nach Lemma 2.38 dass max(|m|, |M |) = kAk > 0. Ist A kompakt, so ist daher nach Satz 2.37 entweder m oder M Eigenwert von A. Satz 2.40 (Spektralsatz fu ¨r kompakte selbstadjungierte Operatoren). Sei H 6= {0} ein separabler Hilbertraum und K ∈ L(H) kompakt und selbstadjungiert. Dann existiert ein vollst¨andiges Orthonormalsystem {uj : j ∈ N} von Eigenvektoren von K mit zugeh¨origen Eigenwerten λj , und f¨ ur alle u ∈ H gilt X Ku = λj hu, uj i uj . (2.21) j∈N
Beweis: Nach dem Zornschen Lemma existiert ein maximales Orthonormalsystem E von Eigenvektoren von K. Sei U := span(E). Offenbar gilt K(U ) ⊂ U . Weiterhin ist K(U ⊥ ) ⊂ U ⊥ , da hKv, ui = hv, Kui = 0 f¨ ur alle v ∈ U ⊥ und alle u ∈ U . Da U ⊥ abgeschlossen ist, ist die Einschr¨ankung K|U ⊥ nach Satz 2.30 wieder kompakt. Außerdem ist K|U ⊥ offenbar selbstadjungiert. Ist U ⊥ 6= {0}, gibt es daher nach Lemma 2.39 einen Eigenvektor v ∈ U ⊥ von K. Da dies der Maximalit¨atseigenschaft von E widerspricht, muss U ⊥ = {0} sein. Daher gilt U = H, d.h. das Orthonormalsystem E ist vollst¨andig. Gl. (2.21) folgt nun durch Anwendung von K auf die Fourierreihe u=
∞ X j=1
hu, uj i uj .
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen In diesem Kapitel behandeln wir vier einfache, aber wichtige lineare partielle Differentialgleichungen, anhand derer wir grundlegende Strategien zur Konstruktion expliziter L¨osungen aber auch zur allgemeinen Existenz- und Eindeutigkeitstheorie diskutieren werden, die uns teilweise sp¨ater in allgemeinerer Form wiederbegegnen werden. Die vier Differentialgleichung sind: ut + b · grad u = 0 (§ 3.1.) ∆u = 0 (§ 3.2.) ut − ∆u = 0 (§ 3.3.) utt − ∆u = 0 (§ 3.4.)
Transportgleichung Laplace-Gleichung W¨armeleitungsgleichung Wellengleichung
3.1.
Transportgleichung
Die wahrscheinlich einfachste partielle Differentialgleichung u ¨ berhaupt ist die Transportgleichung mit konstanten Koeffizienten ut + b · grad u = 0
in Rm × (0, ∞)
(3.1)
wobei b = (b1 , . . . , bn ) ∈ Rm ein gegebener Vektor ist. Die Variablen (x1 , . . . , xn , t) ∈ Rm × (0, ∞) der gesuchten Funktion u lassen sich meist in nat¨ urlicher Weise als Ortsvariable x = (x1 , . . . , xn ) und Zeitvariable t ∈ [0, ∞) interpretieren, mit grad ist hier der Gradient bez¨ uglich der Ortsvariablen gemeint.
3.1.1.
Physikalische Interpretation
Transportgleichungen treten unter anderem in Zusammenhang mit Str¨omungs(also Stofftransport-) vorg¨angen aufgrund von Erhaltungsgesetzen auf. Bezeichnet man zum Beispiel mit u die Massendichte und betrachtet das Gesetz 30
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
31
der Massenerhaltung im einfachen Fall von gegebener konstanter Fließgeschwindigkeit b = (b1 , b3 , b3 ) ∈ R3 in einem Gebiet Ω ⊆ R3 , so bedeutet das, dass f¨ ur jedes (hinreichend glatt berandete) Teilgebiet V von Ω die zeitliche ¨ Anderungsrate der Massendichte gleich minus dem Massenfluss durch den Rand von V ist Z Z ut dx = − ub · n dS V
∂V
Wegen des Gaußschen Divergenzsatzes (siehe Vorlesung Analysis) gilt daher Z Z ut dx = − div(ub) dx , V
V
und damit, da V beliebig war, und weil div(ub) = b · grad u ut + b · grad u = 0 Gleichung (3.1) bedeutet, dass eine ganz bestimmte Richtungsableitung von u gleich Null ist, und zwar jene in Richtung des Vektors (b1 , . . . , bn , 1) ∈ Rm × (0, ∞). Das heißt aber, dass u in diese Richtung konstant sein muss. Tats¨achlich gilt f¨ ur die durch z(s) := u(x + sb, t + s),
s∈R
(3.2)
definierte reelle Funktion, die von einem fixen Punkt (x, t) ∈ Rm × (0, ∞) ausgehend die Entwicklung von u in diese ”charakteristische” Richtung (b, 1) wiedergibt, wegen (3.1) z 0 (s) = b · grad u(x + sb, t + s) + ut(x + sb, t + s) = 0 ∀s ∈ (−t, ∞) . (3.3) Wenn wir also den Wert von u an einem Punkt (x, t) kennen, dann kennen wir auch u entlang der Linie (x + sb, t + s), s ∈ (−t, ∞).
3.1.2.
Anfangswertproblem
Die Situation im einfachen ¨ortlich eindimensionalen Fall m = 1 ist in folgender Abbildung dargestellt:
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
32
t
6 1 - x 0 b
Daraus sieht man, dass eine M¨oglichkeit, u mit (3.1) in ganz Rm × (0, ∞) eindeutig zu bestimmen, darin besteht, die Werte von u auf einer zum Vektor (b, 1) transversalen (d.h. nicht zu (b, 1) parallelen) Geraden vorzugeben, zum Beispiel auf der Zeitachse (x, 0), x ∈ R. Das entspricht dem Anfangswertproblem f¨ ur die Transportgleichung ut + bux = 0. Im allgemeinen, ¨ortlich mehrdimensionalen Fall bedeutet das Anfangswertproblem f¨ ur (3.1) ut + b · grad u = 0 u = g
in Rm × (0, ∞) auf Rm × {0}
(3.4)
mit einer gegebenen Funktion g : Rm → R, die Vorgabe der Werte von u auf der zum Vektor (b, 1) transversalen Hyperebene Rm × {0}. F¨ ur die gem¨aß (3.2) definierte Funktion z wird die Anfangswertvorgabe an u in der zweiten Zeile von (3.4) zu einer Bedingung in s := −t z(−t) = u(x − tb, t − t) = u(x − tb, 0) = g(x − tb) .
(3.5)
Andererseits folgt aus (3.3), dass z(0) = z(−t) und damit u(x, t) = z(0) = z(−t) = g(x − tb)
(3.6)
also eine explizite L¨osungsformel f¨ ur u bei gegebenen Anfangswerten g, die 1 eine klassische L¨osung u ∈ C (Rm × (0, ∞)) liefert, sofern g ∈ C 1 (Rm ). Umgekehrt zeigen obige Argumente, dass dieses u dann die einzige C 1 -L¨osung von (3.4) sein muss.
33
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
3.1.3.
Inhomogenes Problem
Wir betrachten anstelle der homogenen Gleichung (3.1) in (3.4) nun das inhomogene Problem ut + b · grad u = f u = g
in Rm × (0, ∞) auf Rm × {0}
(3.7)
bei dem zus¨atzlich zu den Anfangswerten g die Funktion f : Rm ×(0, ∞) → R auf der rechten Seite der partiellen Differentialgleichung gegeben ist. Die physikalische Intepretation von f (x, t) ist je nach Vorzeichen eine Quelle oder Senke des Materials am Ort x zur Zeit t. (3.1) ist offenbar der Spezialfall f ≡ 0 in (3.7). F¨ ur die in (3.2) bei festem (x, t) definierte Funktion z gilt nun statt (3.3) die Gleichung z 0 (s) = b· grad u(x+sb, t+s)+ut (x+sb, t+s) = f (x+sb, t+s) ∀s ∈ (−t, ∞) . Damit erhalten wir wegen (3.5) u(x, t) = z(0) = g(x − tb) + z(0) − z(−t) = g(x − tb) + R0 = g(x − tb) + −t f (x + sb, t + s) ds Rt = g(x − tb) + 0 f (x + (s − t)b, s) ds,
R0
−t
z 0 (s) ds
also wieder eine explizite L¨osungsdarstellung.
Bemerkung 3.1. Die hier gezeigte Vorgangsweise zur expliziten L¨osung der Transportgleichung entspricht der sogenannten Charakteristikenmethode. Sie beruht auf dem Prinzip, dass die gesuchte Funktion entlang bestimmter Kurven im homogenen Fall konstant (bzw. im inhomogenen Fall durch eine gegebene Funktion f bestimmt) sein muss. Hat man eine Paramterisierung dieser sogenannten charakteristischen Kurven (in obigen Fall sind es Geraden), so kann man die partielle Differentialgleichung f¨ ur u zur¨ uckf¨ uhren auf eine gew¨ohnliche Dgl. f¨ ur eine Funktion z entlang dieser Kurven. Die Vorgabe eines Werts von u in (x, t) entspricht einem ”Anfangs”-Wertproblem f¨ ur diese gew¨ohnliche Differentialgleichung f¨ ur die gesuchte Funktion z, (die ”Zeitvariable” bei z ist der Parameter s!). Mit Hilfe der Charakteristikenmethode k¨onnen also skalare partielle Differentialgleichungen erster Ordnung (auch im nichtlinearen Fall!) auf gew¨ohnliche Differentialgleichungen zur¨ uckgef¨ uhrt werden. Systeme von partielle
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
34
Differentialgleichungen erster Ordnung sind dagegen wesentlich komplizierter, denn ¨ahnlich wie bei gew¨ohnlichen Differentialgleichungen kann man jede partielle Differentialgleichung durch Einf¨ uhrung zus¨atzlicher unbekannter Funktionen in ein System von Differentialgleichungen erster Ordnung u uhren. ¨ berf¨
3.2.
Laplace-Gleichung
Sei Ω ⊆ Rm eine offene Menge, dann bezeichnet man ∆u = 0
in Ω
(3.8)
als Laplacegleichung und, mit gegebener Funktion f : Ω → R, −∆u = f
in Ω
(3.9)
als Poissongleichung. Das Studium dieser Gleichungen und ihrer L¨osungen heißt Potentialtheorie. Eine C 2 Funktion, die die Laplacegleichung erf¨ ullt, nennt man harmonisch. Der Laplace-Operator ist der Prototyp eines linearen elliptischen Differentialoperators zweiter Ordnung m X
m
X ∂u ∂u2 (x) + bj (x) (x) + c(x)u(x), (Lu)(x) := aj,k (x) ∂xj ∂xk ∂xj j=1 j,k=1
(3.10)
wobei aj,l , bj , c : Ω → R gegebene stetige Funktionen sind und die Matrix A(x) := (ajl (x)) ∈ Rm×m f¨ ur jedes x ∈ Ω positiv definit ist. Viele der in diesem Abschnitt besprochenen Eigenschaften gelten auch f¨ ur allgemeinere elliptische Differentialgleichungen.
3.2.1.
Physikalische Interpretation
Die Laplacegleichung tritt in zahlreichen verschiedenen physikalischen Zusammenh¨angen auf und beschreibt meist physikalische Systeme, die sich im Gleichgewicht befinden (siehe Bezeichnung ”harmonisch”, bzw. die Mittelwerteigenschaft in Unterabschnitt 3.2.3.). Typischerweise bezeichnet u die Dichte einer Gr¨oße (z.B. eine chemische Konzentration) im Gleichgewichtszustand. Aufgrund dieses Gleichgewichts und wenn es keine zus¨atzlichen Quellen im Gebiet gibt, (d.h. f ≡ 0,) verschwindet der Fluss F von u durch den
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
35
Rand jedes beliebigen (hinreichend glatt berandeten) Teilgebiets V ⊆ Ω: Z F · n dS = 0 , ∂V
wobei n die ¨außere Normalenrichtung auf den Rand ∂V von V bezeichnet. Wegen des Gaußschen Divergenzsatzes gilt daher Z Z div F dx = F · n dS = 0 . V
∂V
Da dies f¨ ur jedes beliebige V gilt, k¨onnen wir schließen, dass div F = 0
in Ω.
Andererseits ist der Fluss F u ¨blicherweise proportional zum negativen Gradienten von u, also der Richtung, in die die Konzentration am st¨arksten abnimmt: F = −a grad u (3.11) mit einem Koeffizienten a > 0. (Je nachdem ob u eine chemische Konzentration, eine Temperatur oder ein elektrostatisches Potential bezeichnet, wird dieser Zusammenhang zwischen F und u das Ficksche Gesetz der Diffusion, das Fouriersche Gesetz der W¨armeleitung oder das Ohmsche Gesetz der elektrischen Leitung genannt.) Insgesamt erh¨alt man die Gleichung − div (a grad u) = 0, und speziell f¨ ur a konstant in Ω die Laplace-Gleichung (3.8).
3.2.2.
Grundl¨ osung und Darstellungsformeln
Wir werden im folgenden eine spezielle L¨osung der Laplace-Gleichung, die sogenannte Grundl¨osung, herleiten und allgemeine L¨osungen als Superposition von Grundl¨osungen darstellen. Da die Laplacegleichung (3.8) rotationsinva¨ riant ist (siehe Ubung), scheint es sinnvoll, zun¨achst nach radialenp L¨oP sungen m 2 zu suchen, d.h., L¨osungen, die sich als Funktionen von r := |x| := i=1 xi schreiben lassen. Mit dem Ansatz u(x) = v(r)
36
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
bekommt man wegen ∂u ∂r (x) = v 0 (r) (x), ∂xi ∂xi
∂2u (x) = v 00 (r) 2 ∂xi
∂r (x) ∂xi
2
∂2r + v (r) 2 (x) ∂xi 0
durch Einsetzen von ∂r 2xi xi (x) = pPm 2 = , ∂xi r 2 i=1 xi
und Aufsummieren von
∂2u (x) ∂x2i
r − xi xri ∂2r 1 x2i (x) = = − 3 ∂x2i r2 r r
u ¨ber i = 1, . . . m, dass wegen (3.8)
0 = ∆u(x) = v 00 (r) +
m−1 0 v (r) . r
Falls v 0 6= 0, k¨onnen wir daraus schließen (log(v 0 ))0 (r) =
m−1 v 00 (r) =− 0 v (r) r
und damit, durch Integration auf beiden Seiten log(v 0 )(r) = −(m − 1)log(r) + C ,
also v 0 (r) =
exp(C) r m−1
mit einer Konstanten C. Damit erhalten wir, f¨ ur r > 0, C1 log(r) + C2 falls m = 2 v(r) = 1 + C2 falls m ≥ 3 C1 rm−2 mit noch w¨ahlbaren Konstanten C1 , C2 . Mit einer speziellen Wahl dieser Konstanten, die durch die folgenden S¨atze begr¨ undet ist, erh¨alt man: Satz und Definition 3.2. Die Grundl¨osung der Laplacegleichung ist ( 1 1 log( |x| ) falls m = 2 ω2 Φ(x) := f¨ ur x 6= 0, (3.12) 1 1 falls m ≥ 3 ωm (m−2) |x|m−2 wobei ωm der Fl¨acheninhalt der Einheitskugeloberfl¨ache im Rm ist (also ω2 = 1 1 m π m/2 , ω3 = 4π und allgemein ωm = Γ(m/2+1) falls m ≥ 3). Φ ist harmonisch in 2π m R \ {0}.
37
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
Satz 3.3 (L¨ osung der Poissongleichung in Rm ). Ist f ∈ C02 (Rm ) und Z u(x) := Φ(x − y)f (y) dy, Rm
so ist u zweimal stetig differenzierbar und −∆u = f
in Rm .
(3.13)
Beweis: Sei x ∈ Rm und R > 0 so groß, dass supp f (x − ·) ⊂ B(0, R). Hier und im folgenden bezeichen wir die offene Kugel um ξ ∈ Rm mit Radius ρ > 0 durch B(ξ, ρ) := {y ∈ Rm : |y − ξ| < ρ}. (3.14) R Durch Variablensubstitution erhalten wir u(x) = Rm Φ(y)f (x − y) dy = R Φ(y)f (x − y) dy. Da Φ ∈ L1 (B(0, R)), folgt aus dem Lebesgueschen B(0,R) Differentiationssatz, dass u zweimal stetig differenzierbar bei x ist und Z (∆u)(x) = Φ(y)∆x f (x − y) dy. B(0,R)
Wir zerlegen dieses Integral in zwei Anteile, Z Z (∆u)(x) = + Φ(y)∆x f (x − y) dy =: I + J B(0,)
B(0,R)\B(0,)
und erhalten f¨ ur das erste Integral Z |I | ≤ k∆f k∞
&0
B(0,)
|Φ(y)| dy −→ 0,
(3.15)
da Φ ∈ L1 (B(0, R)). Zur Berechnung von J wenden wir den zweiten Greenschen Satz in B(0, R) \ B(0, ) an und nutzen aus, dass ∆Φ(y) = 0 f¨ ur y 6= 0: Z ∂f ∂Φ(y) J = (y)Φ(y) − f (y) ds(y). ∂n ∂n(y) ∂B(0,) Nach dem folgenden Lemma gilt daher lim&0 J = −f (x). Damit ist (3.13) bewiesen. Lemma 3.4. Ist Ω ⊂ Rm offen, u ∈ C 1 (Ω) und x ∈ Ω, so gilt Z ∂Φ(x − y) ∂u lim u(y) − (y)Φ(x − y) ds(y) = u(x), →0 ∂B(x,) ∂n(y) ∂n wobei n die nach innen weisende Normale auf ∂B(x, ) bezeichnet.
(3.16)
38
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
Beweis: Der zweite Term konvergiert gegen 0, da Z Z ∂u Φ(y) ds(y) (y)Φ(x − y) ds(y) ≤ k grad uk∞ ∂B(x,) ∂n ∂B(0,) R R und ∂B(0,) Φ(y) ds(y) = log(1/) → 0 f¨ ur m = 2 und ∂B(0,) Φ(y) ds(y) = /(m − 2) → 0 f¨ ur m ≥ 3. Wir berechnen grad y Φ(x − y) =
1 x−y ωm |x − y|m
und
n(y) =
x−y . |x − y|
Also ist ∂Φ(x−y) ≡ ωm 1m−1 f¨ ur y ∈ ∂B(x, ). Deshalb ist der erste Term nach ∂n(y) dem Mittelwertsatz der Integralgleichung gleich u(˜ y ) f¨ ur ein y˜ ∈ ∂B(x, ). Wegen der Stetigkeit von u konvergiert dieser Term also gegen u(x). Wir weisen darauf hin, dass die Glattheitsvorausssetzungen an f in Satz 3.3 wesentlich abgeschw¨acht werden k¨onnen (siehe [3]). H¨aufig betrachtet man eine Differentialgleichung nicht auf dem ganzen m R , sondern nur auf einem Teilgebiet Ω. In diesem Fall werden am Rand ∂Ω von Ω zus¨atzliche Bedingungen gestellt. Problem 3.5. Sei Ω ⊂ Rm eine offene, beschr¨ankte Menge der Klasse C 1 mit nach außen weisender Normale n auf ∂Ω. Weiter seien f ∈ C(Ω) und g ∈ C(∂Ω) gegeben. • Dirichlet-Problem zur Poisson-Gleichung: Bestimme eine Funktion u ∈ C 2 (Ω) ∩ C(Ω) mit −∆u = f in Ω, u=g auf ∂Ω.
(3.17a) (3.17b)
Die Bedingung (3.17b) heißt Dirichletsche Randbedingung. • Neumann-Problem zur Poisson-Gleichung: Bestimme eine Funktion u ∈ C 2 (Ω) ∩ C 1 (Ω) mit −∆u = f ∂u =g ∂n
in Ω,
(3.18a)
auf ∂Ω.
(3.18b)
Die Bedingung (3.18b) heißt Neumannsche Randbedingung.
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
39
Die folgende Darstellungsformel l¨ost diese Probleme zwar noch nicht, da auf der rechten Seiten sowohl Dirichlet- als auch Neumann-Daten von u auftauchen, aber nur eines von beiden gegeben ist. Dennoch wird sie f¨ ur den Rest dieses Abschnitts eine wichtige Rolle spielen. Satz 3.6 (Greensche Darstellungsformel). Seien Ω und n wie im Greenschen Integralsatz 3.46 und sei u ∈ C 2 (Ω) ∩ C 1 (Ω). Dann gilt Z u(x) = − Φ(y − x)∆u(y) dy (3.19) Ω Z ∂u ∂Φ(x − y) + ds(y). (y)Φ(x − y) − u(y) ∂n ∂n(y) ∂Ω Ist insbesondere u harmonisch in Ω, so gilt Z ∂Φ(x − y) ∂u (y)Φ(x − y) − u(y) ds(y). u(x) = ∂n ∂n(y) ∂Ω
(3.20)
Beweis: Sei x ∈ Ω und B(x, ) ⊂ Ω. Dann liefert der zweite Greensche Satz in Ω \ B(x, ) die Gleichung Z {Φ(y − x)∆u(y) − ∆y Φ(y − x)u(y)} dy Ω\B(x,) Z ∂Φ(x − y) ∂u (y)Φ(x − y) − u(y) = ds(y). ∂n ∂n(y) ∂Ω+∂B(x,) Daraus erh¨alt man unter Anwendung von Lemma 3.4, der Harmonizit¨at von Φ und der Absch¨atzung (3.15) die Formel (3.19).
3.2.3.
Eigenschaften harmonischer Funktionen
Satz 3.7 (Mittelwerteigenschaft). Ist u ∈ C 2 (B(x, R))∩C(B(x, R)) harmonisch, so gilt Z Z m 1 u(x) = u(y) dy = u(y)dy, (3.21) ωm Rm B(x,R) ωm ∂B(x,R) d.h. der Wert von u im Mittelpunkt der Kugel B(x, R) ist der Mittelwert von u sowohl ¨ uber die ganze Kugel als auch ¨ uber ihren Rand.
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
40
Beweis: Aufgrund des zweiten Greenschen Satzes mit v = 1 gilt Z ∂u ds = 0 B(x,ρ) ∂n f¨ ur alle 0 < ρ < R. Daher folgt aus (3.20), dass Z 1 m−1 u(y) ds(y). u(x) = ρ ωm ∂B(x,ρ) Daraus folgt die zweite Mittelwertgleichung, indem wir den Grenzwert ρ → R bilden. Multiplikation mit ρm−1 und Integration nach ρ von 0 bis R ergibt die erste Mittelwertgleichung. Eine nichtleere Teilmenge Ω ⊂ Rm heißt Gebiet, falls sie offen und zusammenh¨angend ist. Ein topologischer Raum heißt zusammenh¨angend, falls die leere Menge und der ganze Raum die einzigen Teilmengen sind, welche zugleich offen und abgeschlossen sind. Satz 3.8 (Maximum-Minimum Prinzip). Eine harmonische Funktion auf einem Gebiet Ω ⊂ Rm kann weder ihr Maximum noch ihr Minimum annehmen, es sei denn sie ist konstant. Beweis: Durch Betrachtung von −u reicht es, die Aussage f¨ ur das Maximum zu beweisen. Sei u eine harmonische Funktion in Ω und M := supx∈Ω u(x) ihr Maximum. Sei ΩM := {x ∈ Ω : u(x) = M } die Menge, auf der u das Maximum annimmt. Sei x ∈ ΩM und so klein, dass B(x, ) ⊂ Ω. Dann gilt nach dem Mittelwertsatz 3.7 f¨ ur die harmonische Funktion M − u die Gleichung Z m 0 = M − u(x) = (M − u(y)) dy. ωm Rm B(x,) Daher ist M = u in B(x, ), also B(x, ) ⊂ ΩM . Dies zeigt, dass ΩM offen ist. Andererseits ist ΩM relativ abgeschlossen in Ω, da u stetig ist. Da Ω zusammenh¨angend ist, folgt ΩM = ∅ oder ΩM = Ω. Im ersten Fall nimmt u das Maximum nicht an, im zweiten Fall ist u konstant. Korollar 3.9 (Eindeutigkeit des Dirichlet-Problems). Das DirichletProblem zur Poisson-Gleichung (siehe Problem 3.5) besitzt h¨ochstens eine L¨osung.
41
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
Beweis: Seien u1 und u2 L¨osungen des Dirichlet-Problem zur PoissonGleichung. Dann ist u := u1 − u2 harmonisch und erf¨ ullt die Randbedingung u = 0 auf ∂Ω. Da u auf der kompakten Menge Ω stetig ist, nimmt u dort Minimum und Maximum an. Nach Satz 3.8 m¨ ussen Minimum und Maximum auf dem Rand ∂Ω angenommen werden. Da u dort 0 ist, folgt u ≡ 0 in Ω. Daher gilt u1 = u2 in Ω. Satz 3.10 (A-priori Absch¨ atzungen). Sei Ω ⊂ Rm offen, C 1 -glatt und beschr¨ankt. Jede harmonische Funktion u ∈ C 2 (Ω) ∩ C 1 (Ω) ist beliebig oft differenzierbar. Weiterhin gibt es zu jedem Kompaktum K ⊂ Ω und zu jedem α ∈ Nm 0 eine Konstante C = C(K, α), so dass jede harmonische Funktion 2 u ∈ C (Ω) ∩ C 1 (Ω) die Ungleichung !
∂u
sup |D α u(x)| ≤ C kukL1 (∂Ω) + (3.22)
∂n 1 x∈K L (∂Ω) erf¨ ullt.
Beweis: Sei K und α ∈ Nm 0 gegeben. Da K ×∂Ω kompakt ist mit K ∩∂Ω = α ∅ und da |Dx Φ(x − y)| sowie | grad y Dxα Φ(x − y)| stetige Funktionen in x und y sind, gilt C1 :=
sup x∈K,y∈∂Ω
C2 :=
sup x∈K,y∈∂Ω
|Dxα Φ(x − y)| < ∞
und
| grad y Dxα Φ(x − y)| < ∞.
Aus dem Greenschen Darstellungsformel 3.20 und einem bekannten Differentiationssatz f¨ ur parameterabh¨angige Integrale folgt, dass jede harmonische Funktion u ∈ C 2 (Ω) ∩ C 1 (Ω) beliebig oft differenzierbar ist mit Z ∂Dxα Φ(x − y) ∂u α α (y)Dx Φ(x − y) − u(y) (D u)(x) = ds(y) ∂n ∂n(y) ∂Ω f¨ ur x ∈ K und α ∈ Nm 0 . Daraus ergibt sich
∂u
, |(D u)(x)| ≤ C1 kukL1 (∂Ω) + C2
∂n 1 L (∂Ω) α
und dies impliziert (3.22) mit C := max(C1 , C2 ).
x ∈ K,
42
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
Man spricht von einer a-priori Absch¨atzung, da man eine Absch¨atzung der L¨osung angeben kann noch bevor man diese berechnet hat. Derartige Absch¨atzungen erweisen sich in vielen Situationen als hilfreiches Werkzeug. Die Absch¨atzung (3.22) kann verbessert werden, indem auf der rechten Seite ¨ die Neumann-Daten weggelassen werden (siehe [3] und Ubungen). Wir erinnern daran, dass eine Funktion u analytisch in einem Punkt x0 genannt wird, wenn sie bei x unendlich oft differenzierbar ist und in einer Umgebung V von x durch ihre Taylorreihe dargestellt werden kann: u(y) = P 1 α α ur y ∈ V . (Dabei ist α! := α1 !α2 ! · · · αm !.) α∈Nm α! (D u)(x)(y − x) f¨ 0
Satz 3.11 (Analytizit¨ at). Harmonische Funktionen sind analytisch.
Im Prinzip k¨onnte man den Beweis von Satz 3.10 zu einem Beweis von Satz 3.11 ausbauen. Wir werden jedoch in Unterabschnitt 3.2.4. einen einfacheren Beweis dieses Satzes angeben.
3.2.4.
Greensche Funktionen, Poisson-Integral
Definition 3.12. Sei Ω ⊂ Rm offen, C 1 -glatt und beschr¨ankt. Eine stetige Funktion G : Ω × Ω \ {(x, x) : x ∈ Ω} → R von der Form G(x, y) = Φ(x − y) − φ(x, y),
x, y ∈ Ω, x 6= y
mit der Grundl¨osung Φ aus (3.12) heißt Greensche Funktion zur LaplaceGleichung f¨ ur das Gebiet Ω, falls f¨ ur alle x ∈ Ω die Funktion φ(x, ·) in C 2 (Ω)∩ C 1 (Ω) liegt und die Bedingungen ∆φ(x, ·) = 0 in Ω φ(x, ·) = Φ(· − x)
auf ∂Ω
(3.23a) (3.23b)
erf¨ ullt. Der Korrekturterm φ bewirkt, dass in der Greenschen Darstellungsformel (3.19) einer der beiden Randterme wegf¨allt, wenn wir die Grundl¨osung Φ durch die Greensche Funktion G ersetzen. Man kann analog eine Greensche Funktion zu Neumannschen Randbedingungen definieren. Mit Hilfe einer Greenschen Funktion kann man die L¨osung u des Randwertproblems (3.17) explizit durch die Daten f und g darstellen:
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
43
Satz 3.13 (Darstellungsformel mit Greenscher Funktion). Sei G Greensche Funktion zur Menge Ω (siehe Definition 3.12) und sei u eine L¨osung des Randwertproblem (3.17). Dann gilt: Z Z ∂G(x, y) u(x) = G(x, y)f (y) dy − g(y) ds(y), x ∈ Ω. (3.24) Ω ∂Ω ∂n(y) Beweis: Sei x ∈ Ω. Nach dem zweiten Greenschen Satz gilt Z Z ∂u ∂φ(x, y) 0 = φ(x, y)∆u(y) dy − ds(y). (y)φ(x, y) − u(y) ∂n ∂n(y) Ω ∂Ω Addiert man dies zu (3.19), so ergibt sich unter Ausnutzung von (3.17) und (3.23) die Gleichung (3.24). Leider gibt es nur wenige Gebiete Ω, f¨ ur die eine Greensche Funktion explizit bekannt ist. Zwei Beispiele werden wir im folgenden betrachten. Hat man gezeigt, dass das Randwertproblem (3.17) f¨ ur jede Randfunktion g ∈ C(∂Ω) und die spezielle Funktion f = 0 eine eindeutige L¨osung besitzt (dies ist ein wesentliches Ziel der beiden folgenden Kapitel!), so kann man damit die Existenz und Eindeutigkeit einer Greenschen Funktion beweisen. Deshalb kann die Greensche Funktion f¨ ur theoretische Argumentationen verwendet werden. Beispiel 3.14 (Greensche Funktion fu ¨r den Halbraum). Die Greensche Funktion f¨ ur den m-dimensionalen Halbraum Ω = Rm−1 × (0, ∞) lautet G(x, y) = Φ(y − x) − Φ(y − x˜), wobei f¨ ur x = (x1 , . . . , xn−1 , xn ) die Spiegelung x˜ an der Hyperebene ∂Ω = Rn−1 × {0} gegeben ist durch x˜ = (x1 , . . . , xn−1 , −xn ). Man u uft leicht, ¨ berpr¨ dass die Korrekurfunktion φ(x, y) := Φ(y − x˜) die Bedingungen (3.23) erf¨ ullt. Beispiel 3.15 (Greensche Funktion fu uhren ¨r die Einheitskugel). Wir f¨ zun¨achst die “Spiegelung” eines Punktes x ∈ B(0, 1) \ {0} an der Sph¨are ∂B(0, 1) durch x x˜ := 2 |x| ein. Damit lautet die Korrekturfunktion der Greensche Funktion f¨ ur die Kugel Ω = B(0, 1) φ(x, y) := Φ(|x|(y − x˜)) (3.25)
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
44
f¨ ur x ∈ B(0, 1) \ {0} und y ∈ B(0, 1). F¨ ur x = 0 setzen wir φ stetig fort. Man u uft leicht, dass der Korrekturterm φ(x, y) := Φ(|x|(y − x˜) f¨ ur ¨ berpr¨ alle x ∈ B(0, 1) harmonisch bez¨ uglich der Variablen y ∈ B(0, 1) ist, da x˜ ∈ / B(0, 1). Weiterhin gilt f¨ ur y ∈ ∂B(0, 1) und x 6= 0 die Gleichung 1 2y · x 2 2 2 2 + 2 |x| |y − x˜| = |x| |y| − |x|2 |x| 2 = |x| − 2y · x + 1 = |x − y|2 und daher (|x||y − x|)−(m−2) = |x − y|−(m−2) f¨ ur m ≥, bzw. − log(|x||y − x|) = − log(|x − y|). Dies impliziert (3.23b). Eine einfache Rechung zeigt, dass ∂G(x, y) 1 1 − |x|2 =− . ∂n(y) ωm |x − y|m
(3.26)
Diese Funktion heißt Poisson-Kern. Satz 3.13 besagt lediglich, dass wenn eine L¨osung des Randwertproblems 3.17 existiert, diese durch die Darstellungsformel (3.24) gegeben sein muss. Er garantiert jedoch nicht, dass die rechte Seite von (3.24) tats¨achlich eine L¨osung darstellt, dass also u ¨berhaupt eine L¨osung von (3.17) existiert. Dies wollen wir nun f¨ ur den Spezialfall der Einheitskugel nachweisen. Dazu zeigen wir zun¨achst: Lemma 3.16. Der Poisson-Kern (3.26) ist f¨ ur festes y ∈ ∂B(0, 1) harmonisch in der Variablen x ∈ B(0, 1) und erf¨ ullt f¨ ur alle x ∈ B(0, 1) die Gleichung Z ∂G(x, y) ds(y) = 1. (3.27) ∂B(0,1) ∂n(y) Beweis: Man u uft leicht durch Nachrechnen (siehe auch Satz 3.18), ¨ berpr¨ ∂G dass G(x, y) = G(y, x). Daher ist G(·, y) und damit auch ∂n(y) G(·, y) harmonisch f¨ ur x 6= y. Sei x ∈ B(0, 1). Wendet man den zweiten Greenschen Satz auf die Korrekturfunktion φ(x, y) := Φ(|x||y − x˜|) und v(y) = 1 an, so folgt Z ∂φ(x, y) ds(y) = 0. (3.28) ∂B(0,1) ∂n(y)
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
45
W¨ahle nun > 0 so, dass B(x, ) ⊂ B(0, 1). Anwendung des zweiten Greenschen Satzes auf u(y) = Φ(x − y) und v(y) = 1 in B(0, 1) \ B(x, ) liefert Z Z ∂Φ(x − y) ∂Φ(x − y) ds(y) = ds(y). ∂n(y) ∂n(y) ∂B(x,) ∂B(0,1) Die rechte Seite dieser Gleichung konvergiert nach Lemma 3.4 f¨ ur & 0 gegen v(x) = 1, die linke Seite stimmt wegen (3.28) mit der linken Seite von (3.27) u ¨ berein. Satz 3.17 (Poisson-Formel fu ¨r die Einheitskugel). Sei g ∈ C(∂B(0, 1)). Dann l¨ost die Funktion Z g(y) 1 − |x|2 u(x) := ds(y), x ∈ B(0, 1) (3.29) m ωm ∂B(0,1) |x − y| das Randwertproblem (3.17) in Ω = B(0, 1) mit f = 0. Genauer: u ist harmonisch in B(0, 1) und l¨asst sich stetig von B(0, 1) nach B(0, 1) fortsetzen mit den Randdaten u|∂B(0,1) = g. Beweis: Da ∂G(·,y) nach Lemma 3.16 f¨ ur alle y ∈ ∂B(0, 1) harmonisch ist, ∂n(y) ist auch u harmonisch in B(0, 1) Sei x0 ∈ ∂B(0, 1). Es bleibt zu zeigen, dass limx→x0 ,x∈B(0,1) u(x) = g(x0 ). Sei > 0. Da g stetig ist, gibt es ein ρ > 0, so dass |g(y) − g(x0 )| ≤ /2 f¨ ur |y − x0 | ≤ ρ. Unter Benutzung von (3.27) und der Nichtnegativit¨at des Poisson-Kerns sch¨atzen wir wie folgt ab: Z ∂G(x, y) |u(x) − g(x0 )| = (g(y) − g(x0 )) ds(y) ∂B(0,1) ∂n(y) Z ∂G(x, y) |g(y) − g(x0 )| ds(y) ≤ ∂B(0,1)∩B(x0 ,ρ) ∂n(y) Z ∂G(x, y) + |g(y) − g(x0 )| ds(y) ∂B(0,1)\B(x0 ,ρ) ∂n(y) =: I1 + I2 . F¨ ur das erste Integral erhalten wir nach (3.27) die Absch¨atzung Z ∂G(x, y) I1 ≤ ds(y) = . 2 ∂B(0,1) ∂n(y) 2
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
46
ρ m Zur Absch¨atzung von I2 w¨ahlen wir δ := min ρ2 , 8kgk und sch¨atzen 2 ∞ den Poisson-Kern f¨ ur x ∈ B(0, 1) mit |x − x0 | ≤ δ und y ∈ ∂B(0, 1) mit |y − x| ≥ ρ ab: (1 − |x|)(1 + |x|) 2|x − x0 | 2δ 1 − |x|2 ≤ ≤ ≤ ≤ . m m m m |y − x| (|y − x0 | − |x − x0 |) (ρ − δ) (ρ/2) 4kgk∞ Daraus folgt
2M I2 ≤ ωm
Z
∂B(0,1)\B(x0 ,ρ)
ds(y) ≤ . 4M 2
Damit haben wir nachgewiesen, dass |u(x) − g(x0 )| ≤ f¨ ur |x − x0 | ≤ δ. Damit k¨onnen wir nun Satz 3.11 beweisen: Beweis von Satz 3.11: Wir zeigen zun¨achst, dass f¨ ur jede harmonische 2 Funktion u ∈ C (B(0, 1)) ∩ C(B(0, 1)) die Taylorreihe von u im Punkt 0 in B(0, 31 ) konvergiert. Nach Satz 3.17 und Korollar 3.9 wird u durch die Poisson-Formel mit g = u|∂B(0,1) dargestellt. Da |x − y|2 = 1 − 2x · y + |x|2 1 und 2|x · y| + |x|2 < 79 f¨ ur |y| = 1 und |x| < 3 und da die Taylorreihe P −m/2 (1 + t)−m/2 = ∞ tn f¨ ur |t| ≤ 97 < 1 absolut und gleichm¨aßig n=0 n konvergiert, erhalten wir eine Reihendarstellung X 1 cα (y)xα , = |x − y|m α∈Nm 0
und diese Reihe konvergiert absolut und gleichm¨aßig f¨ ur |x| ≤ 13 und |y| = 1. Daher k¨onnen wir Summation und Integration vertauschen und erhalten ! m X 1 Z X u(x) = u(y)cα (y) ds(y) xα 1 + x2i , ω ∂B(0,1) i=1 α∈Nm m 0
wobei wiederum die Reihe gleichm¨aßig f¨ ur |x| ≤ 13 konvergiert. Daraus folgt, dass u analytisch bei 0 ist. Ist nun v eine harmonische Funktion auf einem Gebiet Ω und x0 ∈ Ω, so w¨ahlen wir > 0 mit B(x, ) ⊂ Ω und definieren u(x) := v((x − x0 )/) f¨ ur x ∈ B(0, 1). Nach dem soeben bewiesenen Resultat ist u analytisch in 0. Daher ist v analytisch in x0 . Wir hatten bereits im Beweis von Lemma 3.16 bemerkt, dass die Greensche Funktion f¨ ur die Kugel symmetrisch ist. Wir wollen nun zeigen, dass dies kein Zufall ist:
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
47
Satz 3.18 (Symmetrie der Greenschen Funktion). Ist G eine Greensche Funktion nach Definition 3.12, so gilt G(x, y) = G(y, x)
f¨ ur alle x, y ∈ Ω mit x 6= y.
(3.30)
Beweis: Seien x, y ∈ Ω mit x 6= y. Wir w¨ahlen > 0 so klein, dass B(x, ) und B(y, ) disjunkt und in Ω enthalten sind und wenden den zweiten Greenschen Satz in Ω \ (B(x, ) ∪ B(y, )) auf die Funktionen u(z) := G(x, z) und v(z) := G(y, z) an. Dabei fallen aufgrund der Definition von G die Integrale u ¨ber das Gebiet und u ¨ber den Rand ∂Ω weg, und wir erhalten Z Z ∂G(y, z) ∂G(x, z) 0= + G(x, z) − G(y, z) ds(z) =: Ix +Iy . ∂n(z) ∂n(z) ∂B(x,) ∂B(y,) Das erste Integral berechnet sich wie folgt: Z ∂Φ(x − z) ∂G(y, z) x − G(y, z) I = Φ(x − z) ∂n(z) ∂n(z) ∂B(x,) Z ∂G(y, z) ∂φ(x, z) + −φ(x, z) + G(y, z) ∂n(z) ∂n(z) ∂B(x,) Da G(y, ·) bei x glatt ist, konvergiert das erste Integral auf der rechten Seite nach Lemma 3.4 f¨ ur & 0 gegen −G(y, x). Der Integrand des zweiten Integral ist bei x C 2 -glatt, und daher konvergiert dieses Integral f¨ ur & 0 x gegen 0. Insgesamt erhalten wir lim&0 I = −G(y, x). Analog zeigt man lim&0 Iy = G(x, y). Daraus folgt (3.30).
3.2.5.
Energiemethoden
Die in diesem Abschnitt diskutierten Methoden sind f¨ ur sehr allgemeine elliptische Probleme verwendbar, wir wollen sie aber speziell am Beispiel die Poisson-Gleichung (3.18a) mit Neumannschen Randbedingungen (3.18b) diskutieren. Die Idee ist, das Funktional Z Z 1 2 J(u) := | grad u| − u f dx − u g ds (3.31) 2 Ω ∂Ω zu betrachten, das in vielen F¨allen mit der Energie eines Zustandes u in Verbindung gebracht werden kann. Aus physikalischen Gr¨ unden wird der
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
48
Zustand mit minimaler Energie angenommen, und wir werden zeigen, dass dies eine ¨aquivalente Charakterisierung der L¨osung von (3.18) ist. Durch Betrachtung des Minimierungsproblems J(u) = min! erh¨alt man damit einen n¨ utzlichen alternativen Zugang zu Existenz und Eindeutig des Randwertproblems (3.18). Bez¨ uglich Existenz und Eindeutigkeit von L¨osungen des Problems (3.18) machen wir zun¨achst folgende Beobachtungen: Lemma 3.19 (Kompatibilit¨ atsbedingung). Ist u eine L¨osung des NeumannProblems (3.18) zur Poisson-Gleichung, so ist auch u + c f¨ ur alle c ∈ R eine L¨osung. Falls eine L¨osung des Problems (3.18) existiert, m¨ ussen die Daten f und g die Kompatibilit¨atsbedingung Z Z f dx + g ds = 0 (3.32) Ω
∂Ω
erf¨ ullen.
Bezeichnet u etwa eine Temperaturverteilung im Gleichgewichtszustand, so bedeutet (3.32), dass genauso viel thermische Energie aus dem Gebiet Ω austritt wie in Ω erzeugt wird. Beweis: Die erste Aussage ist offensichtlich. Die zweite Aussage folgt aus dem ersten Greenschen Satz mit v = 1: Z Z Z Z ∂u g ds = · 1 ds = ∆u · 1 dx = − f dx ∂Ω ∂Ω ∂n Ω ∂Ω Wir m¨ ussen noch einen geeigneten Definitionsbereich des Energiefunktionals J angeben. Zun¨achst stellen wir fest, dass im Gegensatz zur Differentialgleichung nur erste Ableitungen von u in J auftreten. Weiterhin beobachten wir, dass sich unter der Kompatibilit¨atsbedingung (3.32) der Wert von J nicht ¨andert, wenn wir eine Konstante zu der L¨osung u addieren. Um eine R Chance auf Eindeutigkeit zu haben, w¨ahlen wir daher die Normierung u ds = 0 und betrachten daher J : X → R auf dem Raum ∂Ω Z 1 X := u ∈ C (Ω) : u ds = 0 . (3.33) ∂Ω
Der Einfachheit halber nehmen wir im folgenden an, dass Ω zusammenh¨angend ist. (Ansonsten m¨ ussten wir die Normierungsbedingung auf jeder Zusammenhangskomponente von Ω getrennt fordern.) Die Norm auf X sei kukX := P α |α|≤1 kD uk∞ .
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
49
Wir wiederholen zun¨achst einige Begriffe zu Funktionalen J : X → R auf einem normierten Raum X: • J heißt Fr´echet-differenzierbar in einem Punkt u ∈ X mit Fr´echetAbleitung J 0 [u] ∈ L(X, R), falls 1 kJ 0 [u]h + J(u) − J(u + h)k = 0. h→0 khk lim
• J heißt konvex, falls f¨ ur alle u1 , u2 ∈ X und alle t ∈ [0, 1] J(tu1 + (1 − t)u2 ) ≤ tJ(u1 ) + (1 − t)J(u2 ). J heißt strikt konvex, falls diese Ungleichung f¨ ur u1 6= u2 und t ∈ (0, 1) mit “<” erf¨ ullt ist. Wir erinnern weiterhin an folgende elementaren Resultate aus der Analysis: Lemma 3.20. 1. Ist J Fr´echet differenzierbar und u ein lokales Minimum von J, so gilt J 0 [u] = 0. 2. Ist J konvex, so ist jedes lokale Minimum von J auch globales Minimum. 3. Ist J strikt konvex, so kann es h¨ochstens ein globales Minimum von J geben. Diese Eigenschaften weisen wir nun f¨ ur das Energiefunktional J in (3.31) nach: Lemma 3.21 (Eigenschaften des Energiefunktionals). Das in (3.31) definierte Funktional J : X → R ist strikt konvex und Fr´echet-differenzierbar mit Ableitung Z Z 0 J [u]h = {∇u · ∇h − f h} dx − gh ds. Ω
∂Ω
Beweis: Wir betrachten die Funktion φ(t) := J(u + th) f¨ ur u, h ∈ X und 2 t ∈ R. Eine leichte Rechnung zeigt, dass φ(t) =R at + bt + c ein quadratisches Polynom mit f¨ uhrendem Koeffizienten a = 21 Ω |∇h|2 dx ≥ 0 ist. Daher ist R J konvex. Falls φ00 = 0, so folgt Ω |∇h|2 dx = 0, also grad h = 0. Da Ω zusammenh¨angend ist, muss h konstant sein. Aus der Normierungsbedinung
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
R
50
h ds = 0 folgt h = 0. Daher ist φ f¨ ur h 6= 0 strikt konvex, und damit ist auch J strikt konvex. Die Aussage u ¨ ber die Fr´echet-Ableitung ergibt sich aus der Absch¨atzung Z Z 1 1 khkX 0 2 kJ [u]h + J(u) − J(u + h)k = |∇h| dx ≤ 1 dx. khkX 2khkX Ω 2 Ω ∂Ω
Satz 3.22 (Dirichlet-Prinzip). Erf¨ ullen f und g die Kompatibilit¨atsbedingung (3.32) und ist u ∈ X ∩ C 2 (Ω), so sind folgende Aussagen ¨aquivalent: 1. u ist eine L¨osung des Randwertproblem (3.18). 2. J 0 [u] = 0, d.h. es gilt Z Z Z ∇u · ∇v dx = f v dx + Ω
Ω
gv ds ∂Ω
f¨ ur alle v ∈ X.
(3.34)
3. u ist globales Minimum von J. ¨ Beweis: Die Aquivalenz der letzten beiden Aussagen folgt aus den Lemmata 3.20 und 3.21. Nach dem ersten Greenschen Satz gilt Z Z ∂u 0 J [u]v = (−∆u − f ) · v dx + − g v ds. ∂n Ω ∂Ω Daraus folgt sofort die Implikation 1. =⇒ 2. Zum Beweis der umgekehrten Richtung nehmen wir an, dass J 0 [u]v = 0 f¨ ur alle v ∈ X. Da insbe0 1 sondere J [u]v ur alle v ∈ C0 (Ω), folgt −∆u − f = 0. Daher gilt = 0 f¨ R ∂u − g v ˜ ds = 0 ur alle v˜ ∈ C 1 (∂Ω) mit v˜ ⊥ 1 bez¨ uglich des inneren ∂Ω ∂n R f¨ ∂u ur alle x ∈ ∂Ω Produktes h˜ v , wi ˜ := ∂Ω v˜w ˜ ds. Daraus folgt ∂n (x) − g(x) = c f¨ mit einer Konstanten c ∈ R. Unter Benutzung des ersten Greenschen Satzes und der Kompatibilit¨atsbedingung (3.32) erhalten wir Z Z Z Z ∂u ds = ∆u dx = −f dx = g ds. ∂Ω ∂n Ω Ω ∂Ω Daher ist c = 0, und u l¨ost das Neumann-Problem (3.18). Korollar 3.23 (Eindeutigkeit). Das Problem (3.18) besitzt h¨ochstens eine L¨osung in X ∩ C 2 (Ω).
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
51
Beweis: Da J strikt konvex ist (Lemma 3.21), kann es h¨ochstens ein Minimum von J in X geben (Lemma 3.20). Erf¨ ullen f und g die Kompatibilit¨atsbedingung (3.32), so kann es nach dem Dirichlet-Prinzip h¨ochstens eine L¨osung des Randwertproblems (3.18) in X ∩ C 2 (Ω) geben, anderenfalls nach Lemma 3.19 u ¨berhaupt keine. Historische Anmerkung: Das Dirichlet-Prinzip wurde von Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet (1805-1859) aufgestellt, um die Existenz von L¨osungen u der Laplace-Gleichung in einem Gebiet Ω ⊂ Rm mit Dirichletschen Randwerten u|∂Ω = g zu beweisen. Dazu betrachtete er das Funktional Z J(u) := |∇u|2 dx Ω
auf der Menge {u ∈ C 1 (Ω) : u|∂Ω = g}. Dieser Beweis wurde sp¨ater von Karl Theodor Wilhelm Weierstrass (1815-1897) kritisiert. Er wies darauf hin, dass ein solches Infimum nicht notwendigerweise angenommen wird und f¨ uhrte als Gegenbeispiel das Funktional Z 1 |u|2 dx J(u) := 0
auf der Menge {u ∈ C([0, 1]) : u(0) = u(1) = 1} an. Man sieht leicht, dass das Infimum 0 ist, jedoch in der angegebenen Menge nicht angenommen werden kann. Erst durch die Arbeiten David Hilberts (1862-1943) wurde das Dirichlet-Prinzip auf solide mathematische Grundlagen gestellt. Wir werden die Rechtfertigung des Dirichlet-Prinzips als Existenzbeweis in Kapitel 4 und 5 kennenlernen. Zur Motivation beachte man, dass Lemma 3.21 auch dann noch gilt, wenn man statt der C 1 -Norm die Hilbert-Norm Z
Ω
2
|u| + |∇u|
2
dx
1/2
verwendet. Der kleinste Raum, der bez¨ uglich dieser Norm vollst¨andig ist und C 1 (Ω) enth¨alt, ist der Sobolev-Raum H 1 (Ω), den wir in Kapitel 4 definieren werden. Die drei a¨quivalenten Bedingungen in Satz 3.22 f¨ uhren allgemein auf drei m¨ogliche Konzepte, um die Existenz von L¨osungen von elliptischen Randwertproblemen nachzuweisen:
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
52
• Klassische L¨ osungen: Man versucht direkt, die Existenz einer zweimal stetig differenzierbaren Funktion nachzuweisen, die die Differentialgleichung und die Randbedingungen erf¨ ullt. Falls die Grundl¨osung der Differentialgleichung explizit bekannt ist, f¨ uhren meist Integralgleichungsmethoden zum Ziel, bei denen die L¨osung als Superposition von Grundl¨osungen dargestellt wird. Eine Grundl¨osung ist jedoch im allgemeinen nich explizit bekannt, wenn die Koeffizienten des Differentialoperators L in (3.10) vom Ort x abh¨angen. • Schwache L¨ osungen: In Satz 3.22 entspricht dies der L¨osung der 0 Gleichung J [u]v = 0, v ∈ X. Dieses Vorgehen werden wir in Kapitel 5 besprechen. Die Faustregel, um von einer starken Formulierung einer elliptischen Differentialgleichung zu einer schwachen Formulierung zu gelangen, lautet: Multipliziere die Differentialgleichung mit einer Testfunktion v, integriere u ¨ ber Ω und verteile die Ableitungen mittels partieller Integration gleichm¨assig auf die L¨osung u und die Testfunktion h. Wir werden sehen, dass dieses Verfahren f¨ ur allgemeine elliptische Differentialgleichung durchf¨ uhrbar ist. Da einige Ableitungen der L¨osung auf die Testfunktion abgew¨alzt werden, muss eine schwache L¨osung geringeren Regularit¨atsvoraussetzungen gen¨ ugen als eine klassische L¨osung. In unserem Beispiel kann man durch einfache funktionalanalytische Argumente die Existenz einer schwachen L¨osung in dem Sobolev-Raum H 1 (Ω) beweisen. Unter geeigneten Regularit¨atsvoraussetzungen an die Daten kann von einer schwachen L¨osung gezeigt werden, dass sie sogar starke L¨osung ist. Das Konzept schwacher L¨osungen ist Grundlage der Methode der finite Elemente, die sich als Standard-Verfahren zur numerischen L¨osung elliptischer Differentialgleichung durchgesetzt hat. • Variationsrechnung: Schließlich k¨onnen wir versuchen, das Energiefunktional J zu minimieren. Es sei erw¨ahnt, dass im Gegensatz zu einer schwachen Formulierung nicht f¨ ur alle linearen elliptischen Differentialgleichungen ein Energieminimierungsprinzip zur Verf¨ ugung steht (z.B. gibt es kein Energieminimierungsprinzip f¨ ur die HelmholtzGleichung). Gibt es ein Energiefunktional, so ist es quadratisch, und der Nachweis der Existenz eines Minimums ist nicht einfacher als die L¨osung der Optimalit¨atsbedingung J 0 [u] = 0. F¨ ur nichtlineare Differentialgleichungen stehen hingegen zum Beweis der Existenz eines Mi-
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
53
nimums zus¨atzliche Hilfsmittel aus dem Gebiet der Variationsrechnung zur Verf¨ ugung. H¨aufig (etwa in der Elastizit¨atstheorie) ist ein Energieminimierungsprinzip das grundlegendere physikalisch Prinzip, aus dem eine Differentialgleichung (in schwacher Formulierung) dann als Optimalit¨atsbedingungen erster Ordnung gewonnen wird.
3.3.
W¨ armeleitungsgleichung
Wie bei der Transportgleichung kommt hier eine Zeitvariable t ∈ (0, ∞) ins Spiel, man betrachtet die Differentialgleichung also auf einem Gebiet U = Ω × (0, ∞), oder U = Ω × (0, T ) (also nur bis zu einem Zeitpunkt Pm endlichen ∂2 m T > 0), wobei Ω ⊆ R eine offene Menge ist. ∆ = i=1 ∂x2 bezeichnet hier i den Laplaceoperator bez¨ uglich der Ortsvariablen (x1 , . . . , xn ). Damit ist ut − ∆u = 0
in U
(3.35)
die homogene und, mit gegebener Funktion f : U → R, ut − ∆u = f
in U
(3.36)
die inhomogene W¨armeleitungsgleichung. Die W¨armeleitungsgleichung ist der wichtigste Spezialfall einer linearen parabolischen Differentialgleichung zweiter Ordnung: m m X X ∂u ∂u2 ∂u = aj,k (x, t) + bj (x, t) + c(x)u + f (x, t) ∂t ∂x ∂x j ∂xk j j=1 j,k=1
Dabei sind aj,l , bj , c : U → R gegebene stetige Funktionen und die Matrix A(x) := (ajl (x, t)) ∈ Rm×m f¨ ur jedes (x, t) ∈ U positiv definit ist. Viele der hier f¨ ur die W¨armeleitungsgleichung besprochenen Konzepte lassen sich auf diese Klasse von Differentialgleichungen verallgemeinern.
3.3.1.
Physikalische Interpretation
Die W¨armeleitungsgleichung (oft auch als Diffusionsgleichung bezeichnet), beschreibt typischerweise die zeitliche Entwicklung der Dichte einer Gr¨oße, ¨ z.B. der Temperatur oder einer chemischen Konzentration. Die zeitliche Anderungsrate der insgesamt in einem beliebigen (hinreichend glatt berandeten)
54
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
Teilgebiet V ⊆ Ω vorhandenen Gr¨oße ist, (wenn keine zus¨atzlichen Quellen im Gebiet vorhanden sind, d.h. f ≡ 0) gleich minus dem Fluss F durch den Rand von V (entgegengesetztes Vorzeichen: bei positivem Fluss nach außen wird u weniger und umgekehrt) Z Z ∂ u dx = − F·n . ∂t V ∂V Aus dem Gaußschen Divergenzsatz k¨onnen wir wie in Abschnitt 2.2 schließen, dass ut = − div F in Ω . Setzt man nun den in Abschnitt 3.2.1. besprochenen Zusammenhang F = −a grad u ein, so ergibt sich f¨ ur konstante Funktionen a mit der Skalierung a = 1 die homogene W¨armeleitungsgleichung (3.35).
3.3.2.
Trennung der Variablen
F¨ ur die W¨armeleitungsgleichung betrachten wir das folgende Anfangs-Randwertproblem. Problem 3.24 (Anfangs-Randwertproblem). Sei Ω ⊂ Rm offen und C 1 glatt, T > 0, und seien f ∈ C(Ω × [0, T ]), g ∈ C(∂Ω × [0, T ] und u0 ∈ C(Ω) gegebene beschr¨ankte Funktionen mit u0 (x) = g(x, 0),
x ∈ ∂Ω.
(3.37)
Gesucht ist eine Funktion u ∈ C 2,1 (Ω × (0, T ]) ∩ C(Ω × [0, T ]), f¨ ur die gilt: Differentialgleichung:
∂u (x, t) ∂t
Randbedingung:
u(x, t) = g(x, t),
Anfangsbedingung:
u(x, 0) = u0 (x),
− ∆u(x, t) = f (x, t), x ∈ Ω, t ∈ (0, T ]
x ∈ ∂Ω, t ∈ [0, T ] x∈Ω
(3.38) Dabei ist C (Ω × (0, T ]) die Menge der bez¨ uglich x zweimal und bez¨ uglich t einmal stetig differenzierbaren Funktionen auf Ω × (0, T ]. 2,1
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
55
Ist Ω = Rm , so ist ∂Ω = ∅, und die Randbedingung ist leer. F¨ ur ein beschr¨anktes Gebiet k¨onnen wir die Dirichletsche Randbedingung auch durch die Neumannsche Randbedingung ∂u (x, t) = g(x, t), ∂n
x ∈ ∂Ω, t ∈ [0, T ]
(3.39)
ersetzen. Wir betrachten zun¨achst den Spezialfall Ω = [0, 1], f = 0 und g = 0. Zur L¨osung der Differentialgleichung x ∈ [0, 1], t ∈ [0, T ]
ut (x, t) = uxx (x, t), machen wir den Ansatz
u(t, x) = v(t)w(x). Einsetzen in die Differentialgleichung liefert v 0 (t)w(x) = v(t)w 00 (x),
x ∈ [0, 1], t ∈ [0, T ]
oder nach Umformung v 0 (t) w 00 (x) = , v(t) w(x)
x ∈ [0, 1], t ∈ [0, T ].
(3.40)
Da die linke Seite nur von t und die rechte nur von x abh¨angt, m¨ ussen beide gleich einer Konstanten sein, die wir mit λ bezeichnen. Unter Beachtung der Randbedinung u(x, 0) = u(x, 1) = 0 erhalten wir f¨ ur w die Bedingungen wxx (x) = λw(x), w(0) = w(1) = 0.
x ∈ (0, 1),
(3.41a) (3.41b)
Da der Parameter λ noch unbekannt ist, handelt es sich eigentlich um ein Eigenwertproblem. Die allgemeine √ ohnlichen Differentialglei√ L¨osung der gew¨ chung (3.41a) ist w(x) = A sin( −λx) + B cos( −λx). Durch Einsetzen in die Randbedingung (3.41b) folgt dass das Problem (3.41) genau dann eine L¨osung w 6= 0 besitzt, wenn λ ∈ {−π 2 n2 : n ∈ N}. In diesem Fall ist w eindeutig bestimmt bis auf einen Faktor, den wir so w¨ahlen, dass kwkL2 = 1 : √ wn (x) := 2 sin(πnx)
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
56
Aufgrund von (3.40) erhalten wir f¨ ur die zugeh¨origen Funktionen vn die Dif0 2 ferentialgleichung vn = −(πn) vn mit der allgemeinen L¨osung vn (t) = γn exp −(πn)2 t . Damit haben wir f¨ ur alle n ∈ N ein L¨osung u(x, t) = wn (x)vn (t) gefunden, die die Differentialgleichung und die Randbedingung erf¨ ullt. Wir versuchen nun, eine Superposition dieser L¨osungen zu finden, die die Anfangsbedingung erf¨ ullt. Da {wn : n ∈ N} ein vollst¨andiges Orthonormalsystem in L2 ([0, 1]) ¨ ist (siehe Ubung), gilt ∞ X u0 = (u0 , wn )L2 wn . (3.42) n=1
Wegen vn (0) = γn ergibt sich mit γn := (u0 , wn )L2 formal die L¨osung u(x, t) =
∞ X
wn (x)vn (t).
(3.43)
n=1
Wir zeigen, dass dies tats¨achlich eine L¨osung ist: Satz 3.25. Sei Ω = [0, 1], f = 0, g = 0 und u0 ∈ C 1 ([0, 1]) mit u(0) = u(1) = 0. Dann ist durch (3.43) eine L¨osung u des Anfangs-Randwertproblems 3.24 gegeben. Beweis: Da sich u0 zu einer ungeraden, periodischen C 1 -Funktion mit Periodenl¨ange 2 fortsetzen l¨asst, konvergiert die Fourierreihe (3.42) absolut und gleichm¨aßig, d.h. sup
∞ X
x∈[0,1] n=1
|γn wn (x)| < ∞.
Da |vn (t)| ≤ |γn | f¨ ur alle t ∈ [0, T ], konvergiert auch die Reihe (3.43) absolut und gleichm¨aßig in [0, 1] × [0, T ]. Daher gilt u ∈ C([0, 1] × [0, T ]), u(x, 0) = u0 (x) f¨ ur x ∈ [0, 1] sowie u(0, t) = u(1, t) = 0 f¨ ur alle PNt ∈ [0, T ]. Nach Konstruktion erf¨ ullen die Partialsummen UN (x, t) := n=1 vn (t)wn (x) die W¨armeleitungsgleichung ∂t UN = ∂xx UN . F¨ ur jedes Kompaktum K = [0, 1]× [, ∞] mit > 0 konvergieren die Ableitungen der Partialsummen absolut und
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
57
gleichm¨aßig, denn sup =
N X
(x,t)∈K n=1 N X
sup
(x,t)∈K n=1
{|vn0 (t)wn (x)| + |vn (t)wn00 (x)|}
2π 2 n2 exp −(πn)2 t |γn wn (x)|
) (∞ X |γn wn (x)| < ∞. ≤ sup (2π 2 n2 ) exp −(πn)2 sup n∈N
x∈[0,1]
n=1
2,1
Daher liegt die Grenzfunktion u ∈ C (K ), und es gilt k∂xx UN −∂xx U k∞,K → 0 sowie k∂t UN −∂t U k∞,K → 0. Folglich erf¨ ullt u die W¨armeleitungsgleichung in K . Da > 0 beliebig war, gilt dies auch in (0, 1) × (0, T ].
3.3.3.
Grundl¨ osung
Wir betrachten in diesem Abschnitt die W¨armeleitungsgleichung in Rm × [0, T ] mit Anfangswerten u0 . Wir suchen in Analogie zu Satz 3.3 eine Grundl¨osung Φ(x, t) mit der wir die L¨osung des Anfangswertproblems 3.24 durch das Faltungsintegral Z u(x, t) = Φ(x − y, t)u0 (y) dy, x ∈ Rm , t > 0 Rm
darstellen k¨onnen. Wir uhren die folgenden Rechnungen zun¨achst formal R f¨ durch. Sei u ˆ(ξ, t) := Rm e−2πiξ·x u(x, t) dx die Fouriertransformierte bez¨ uglich ˆ der x-Variablen, und analog Φ(x, t). Aus dem Faltungssatz 2.26, Gl. (2.8) folgt ˆ t)ˆ u ˆ(ξ, t) = Φ(ξ, u0 (ξ), ξ ∈ Rm , t ≥ 0. (3.44) Da u eine L¨osung der W¨armeleitungsgleichung ist, gilt nach Gl. (2.6) in Satz 2.26 ∂t u ˆ(ξ, t) = −(2π)2 |ξ|2 u ˆ(ξ, t), ξ ∈ Rm , t > 0. und aufgrund der Anfangsbedingung
u ˆ(ξ, 0) = u ˆ0 (ξ),
ξ ∈ Rm .
Setzen wir in letzten beiden Gleichungen jeweils den Ansatz 3.44 ein, so ˆ ·) die gew¨ohnliche Differentialgleichung erhalten wir f¨ ur Φ(ξ, ˆ t) = −|2πξ|2 Φ(ξ, ˆ t), ∂t Φ(ξ,
ˆ 0) = 1 Φ(ξ,
58
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
mit der L¨osung √ 2 2 ˆ Φ(ξ, t) = exp −|2πξ| t = exp −π| 4πt ξ| ,
ξ ∈ Rm , t > 0.
Aufgrund von Beispiel 2.25 und Gl. (2.7) in Satz 2.26 erhalten wir daher folgenden Ausdruck f¨ ur die Grundl¨osung W¨armeleitungsgleichung: |x|2 1 , x ∈ Rm , t > 0. (3.45) Φ(x, t) = √ m exp − 4t 4πt Diese formalen Ergebnisse werden durch folgenden Satz gerechtfertigt: Satz 3.26 (L¨ osung des homogenen Anfangswertproblems im Rm ). l m Ist u0 ∈ C0 (R ) mit 2l > m, so ist durch (3.44) eine L¨osung des Anfangswertproblem 3.24 f¨ ur Ω = Rm und f = 0 gegeben. Beweis: Man u uft leicht, dass Φ in U := Rm × (0, ∞) unendlich oft ¨berpr¨ differenzierbar ist und dass (∂t −∆)Φ(x, t) = 0. Da u0 kompakten Tr¨ager hat, k¨onnen wir in (3.44) beliebig oft unter dem Integral differenzieren. Daraus folgt, dass u ∈ C ∞ (U ) und (∂t − ∆)u(x, t) = 0 f¨ ur (x, t) ∈ U . Es bleibt die Anfangsbedingung und die Stetigkeit von u(x, t) bei t = 0 zu u ufen. Wir zeigen zun¨achst, dass u ˆ0 ∈ L1 (Rm ). Nach der Cauchy¨ berpr¨ Schwarzschen Ungleichung gilt Z 1/2 Z 1/2 Z 2 −l 2 l 2 |ˆ u0 (ξ)| dξ ≤ (1 + |ξ| ) dξ (1 + |ξ| ) |uˆ0 (ξ)| dξ . Rm
Rm
Rm
(3.46) Durch RTransformation auf Kugelkoordinaten erhalten wir f¨ ur das erste InR∞ tegral Rm (1 + |ξ|2 )−l dξ = ωm 0 (1 + r 2 )−l r m−1 dr. Dies ist endlich, falls 2l > m. Da F (D α u0 )(ξ) = (2πiξ)α uˆ0 (ξ) und D α u0 ∈ L2 (Rm ) f¨ ur alle α ∈ Nm 0 α mit |α| ≤ 2l, folgt aus dem Satz von Plancherel, dass ξ uˆ0 (ξ) ∈ L2 (Rm ) f¨ ur alle α ∈ Nm 0 mit |α| ≤ 2l. Daher ist auch das zweite Integral auf der rechten Seite von (3.46) endlich, und somit u ˆ0 ∈ L1 (Rm ). Die Abbildung t 7→ u ˆ(ξ, t) = exp(−|2πξ|2 t)ˆ u0 (ξ) ist bei t = 0 stetig 1 bez¨ uglich der L -Norm, denn nach dem Satz von Lebesgue gilt Z t&0 |1 − exp(−|2πξ|2 t)| |ˆ u0 (ξ)| dξ → 0. Rm
Da F ∗ : L1 (Rm ) → L∞ (Rm ) stetig ist, folgt limt&0 ku0 − u(·, t)k∞ = 0. Daher l¨asst sich u bei t = 0 stetig durch u(x, 0) = u0 (x) fortsetzen.
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
59
Bemerkung 3.27. Die Regularit¨atsvoraussetzungen an u0 lassen sich erheblich abschw¨achen. Mit einer ¨ahnlichen Beweistechnik wie in Satz 3.17 (Poisson-Formel) l¨asst sich zeigen, dass die Aussagen von Satz 3.26 sogar f¨ ur m ∞ m u0 ∈ C(R ) ∩ L (R ) gilt. Bemerkung 3.28 (Unendliche Ausbreitungsgeschwindigkeit). Ist u0 ≥ 0 mit kompaktem Tr¨ager, so folgt aus der Darstellungsformel (3.44), dass u(x, t) > 0 f¨ ur alle t > 0 und alle x ∈ Rm . Die lokal begrenzten Informationen der Anfangsdaten u0 breiten sich also in beliebig kurzer Zeit auf den ganzen Rm aus. Wie wir sehen werden, steht dies im Gegensatz zum Prinzip der endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit bei der Wellengleichung.
3.3.4.
Duhamel-Prinzip
Ziel dieses Abschnitts ist die L¨osung des inhomogenen Anfangswertproblems 3.24, also der Fall f 6= 0. Wir erinnern zun¨achst an die Situation bei Anfangswertproblemen f¨ ur ge¨ohnliche lineare Differentialgleichungen u0 (t) = A(t)u(t) + f (t),
u(0) = u0
(3.47)
mit f ∈ C([0, T ], Rd ), A ∈ C([0, T ], Rd×d und u0 ∈ Rm . Sei F (t, s) der durch die homogene Differentialgleichung u0 (t) = A(t)u(t) erzeugte Fluss, d.h. f¨ ur t, s ∈ R sei F (t, s) : Rd → Rd definiert durch F (t, s)u0 := v(t), wobei v die L¨osung des Anfangswertproblems v 0 (t) = A(t)v(t), v(s) = u0 ist. Dann ist, wie man leicht u uft, die L¨osung des inhomogenen Anfangswertproblems ¨berpr¨ gegeben durch Z t
u(t) = F (t, 0)u0 +
F (t, s)f (s) ds.
(3.48)
0
Um die inhomogene W¨armeleitungsgleichung in ¨ahnlicher Weise zu l¨osen, interpretieren wir die L¨osung u und die rechte Seite f als Banachraum-wertige Funktionen der Zeit t: u ˜(t) := u(·, t),
f˜(t) := f (·, t)
Das Anfangswertproblem (3.24) lautet dann u ˜0 (t) = ∆˜ u(t) + f˜(t),
u ˜(0) = u0 .
(3.49)
In Verallgemeinerung des Flusses definieren wir f¨ ur 0 ≤ s ≤ t den Propagationsoperator P (t, s), der einen Zustand u0 zum Zeitpunkt s auf einen Zustand
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
60
zur Zeit t abbildet. Genauer sei P (t, s)u0 := v˜(t), wobei v˜0 (t) = ∆˜ v (t) f¨ ur t > s und v˜(s) = u0 . Nach Satz 3.26 ist der Propagationsoperator f¨ ur die W¨armeleitungsgleichung gegeben durch Z P (t, s)u0 := Φ(· − y, t − s)u0 (y) dy. Rm
In Analogie zu (3.48) vermuten wir daher, dass die L¨osung des inhomogenen Problems 3.49 gegeben ist durch Z t u ˜(t) = P (t, 0)u0 + P (t, s)f˜(s) ds. (3.50) 0
Dieses Vorgehen heißt Duhamel-Prinzip und ist allgemein f¨ ur lineare, zeitabh¨angige partielle Differentialgleichungen anwendbar. Wir zeigen nun, dass durch (3.50) tats¨achlich eine L¨osung der inhomogenen W¨armeleitungsgleichung gegeben ist: Satz 3.29. Sei u0 ∈ C0l (Rm ) mit 2l > m und f˜ ∈ C 1 ([0, T ], C0l (Rm )). Dann ist durch Z Z tZ Φ(x − y, t − s)f (y, s) dy ds u(x, t) := Φ(x − y, t)u0 (y) dy + Rm
Rm
0
eine L¨osung des Anfangswertproblems 3.24 gegeben. Beweis: Aufgrund von Satz 3.26 k¨onnen wir uns auf den Fall u0 = 0 ˆ t) beschr¨anken. Seien wie im Beweis von Satz 3.26 u ˆ(ξ, t), fˆ(ξ, t) und Φ(ξ, die Fouriertransformierten von u, f und Φ bez¨ uglich der x-Variablen. Es gilt nach dem Satz von Fubini und dem Faltungssatz (2.8) Z t ˆ t − s)fˆ(ξ, s) ds. u ˆ(ξ, t) = Φ(ξ, (3.51) 0
Dabei ist die Anwendung des Satzes von Fubini gerechtfertigt, da es aufgrund der Voraussetzungen an f ein C > 0 gibt, so dass kΦ(·, t − s) ∗ f (·, s)kL1 ≤ kΦ(·, t − s)kL1 kf (·, s)kL1 = kf (·, s)kL1 ≤ C f¨ ur alle s ∈ [0, T ]. Man sieht m ˆ leicht, dass f ∈ C(R × [0, T ]). Daraus folgt, dass Z t ˆ ˆ ˆ t − s)fˆ(ξ, s) ds ∂t u ˆ(ξ, t) = Φ(ξ, 0)f(ξ, t) + ∂t Φ(ξ, 0
= fˆ(ξ, t) − |2πξ|2u ˆ(ξ, t).
(3.52)
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
61
R Man kann nun ¨ahnlich wie im Beweis von Satz 3.26 zeigen, dass Rm |ξ|2 |fˆ(ξ, s)| dξ gleichm¨aßig in s ∈ [0, T ] beschr¨ankt ist. Aufgrund von (3.51) ist daher u(x, t) bez¨ uglich x zweimal stetig differenzierbar, und aufgrund von (3.52) ist u(x, t) einmal nach t differenzierbar, und es gilt ∂t u(x, t) = f (x, t) + ∆u(x, t).
3.3.5.
Eigenschaften von Lo armeleitungs¨sungen der W¨ gleichung
Satz 3.30 (schwaches Maximumprinzip). Sei Ω ⊂ Rm offen, beschr¨ankt und C 1 -glatt, sei T > 0 und U := Ω × (0, T ]. Ist u ∈ C 2,1 (U ) ∩ C(U ) eine L¨osung der homogenen W¨armeleitungsgleichung ∂t u = ∆u in U , so nimmt u sein Maximum auf dem parabolischen Rand Γ := (∂Ω × [0, T ]) ∪ (Ω × {0}) an, d.h. max u(x, t) = max u(x, t) . (x,t)∈Γ
(x,t)∈U
Beweis: Wir betrachten die stetige Funktion v(x, t) := u(x, t) + (T − t) mit > 0. Angenommen, die Funktion v nimmt ihr Maximum in U an, d.h. es existiert ein (x, t) ∈ U mit v(x, t) = maxU v. Dann sind die notwendigen Bedingungen f¨ ur ein Maximum ∂v (x, t) ≥ 0 und ∂t
∂v 2 (x, t) ≤ 0, ∂x2j
j = 1, . . . , m
erf¨ ullt. Daher gilt
∂v (x, t) ≤ 0, ∂t im Widerspruch zu der Gleichung ∆v − ∂v = > 0, die in ganz U gilt. ∂t Daher nimmt v sein Maximum auf Γ an, und es gilt f¨ ur alle (x, t) ∈ U die Absch¨atzung u(x, t) ≤ v(x, t) ≤ max v ≤ max u + T. ∆v(x, t) −
Γ
Γ
Da wir > 0 beliebig w¨ahlen k¨onnen, folgt schließlich u(x, t) ≤ maxΓ u,
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
62
Korollar 3.31 (Eindeutigkeit des Anfangs-Randwertproblems). Das Anfangs-Randwertproblem 3.24 besitzt h¨ochstens eine L¨osung. Beweis: Sind u1 und u2 L¨osungen, so wenden wir das schwache Maximumprinzip auf u = ±(u1 − u2 ) an. Ohne Beweis zitieren wir das folgende Resultat (siehe [1]):
Satz 3.32 (Gl¨ attungseigenschaft und a-priori Absch¨ atzungen). Sei Ω ⊂ Rm offen, U := Ω × (0, T ] mit T > 0, und sei u ∈ C 2,1 (U ) eine L¨osung der W¨armeleitungsgleichung ∂t u = ∆u. Dann ist u ∈ C ∞ (U ). F¨ ur x ∈ Rm , t ∈ R und r > 0 definieren wir den Zylinder Z(x, t; r) := {(y, s) ∈ Rm × R : |x − y| ≤ r, s ∈ [t − r 2 , t]}. Dann gibt es zu jedem α ∈ Nm 0 und l ∈ N0 eine Konstante Cα,l , so dass kDxα Dtl ukL∞ (Z(x,t;r/2)) ≤
Cα,l kukL1 (Z(x,t;r)) |α|+2l+m+2 r
(3.53)
f¨ ur alle Zylinder Z(x, t; r/2) ⊂ Z(x, t; r) ⊂ U und alle L¨osungen u der W¨armeleitungsgleichung in U . Unabh¨angig von der Glattheit der Anfangsdaten ist also eine L¨osung der homogenen W¨armeleitungsgleichung nach beliebig kurzer Zeit unendlich oft differenzierbar. Man kann zeigen, dass L¨osungen der homogenen W¨armeleitungsgleichung bez¨ uglich der Ortsvariablen x sogar analytisch sind, nicht jedoch bez¨ uglich der Zeitvariablen t.
3.3.6.
Energiemethoden
Als Beispiel w¨ahlen wir wieder Neumannsche Randbedingungen. Diesmal ben¨otigen wir keine Normierungsbedingung, da diese durch die Anfangsdaten festgelegt ist. Satz 3.33. Sei Ω ⊂ Rm offen, beschr¨ankt und C 1 -glatt, T > 0 und U := Ω × (0, T ]. Weiterhin seien f ∈ C(U ), g ∈ C(∂Ω × [0, T ] und u0 ∈ C 1 (Ω) 0 (x) = g(x, 0) f¨ ur x ∈ ∂Ω. Dann sind gegebene beschr¨ankte Funktionen mit ∂u ∂n 2,1 1,1 f¨ ur u ∈ C (U ) ∩ C (U ) folgende Aussagen ¨aquivalent:
63
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
1. u l¨ost das Neumannsche Anfangs-Randwertproblem ut (x, t) − ∆u(x, t) = f (x, t), ∂u (x, t) = g(x, t), ∂n u(x, 0) = u0 (x),
x ∈ Ω, t ∈ (0, T ],
(3.54a)
x ∈ ∂Ω, t ∈ [0, T ],
(3.54b)
x ∈ Ω.
(3.54c)
2. u ist schwache L¨osung, d.h. u(·, 0) = u0 und f¨ ur alle v ∈ C 1 (Ω) und t > 0 gilt Z Z Z {ut (·, t) v + ∇u(·, t) · ∇v} dx = f (·, t) v dx + g(·, t) v ds. Ω
Ω
∂Ω
(3.55)
Beweis: 1 ⇒ 2: Wir multiplizieren die Differentialgleichung (3.54a) mit v und integrieren u ¨ber x. Durch Anwendung des ersten Greenschen Satzes erhalten wir f¨ ur die linke Seite Z Z Z ∂u v ds. (ut (·, t) − ∆u(·, t)) v dx = {ut (·, t)v + ∇u(·, t) · ∇v} dx − Ω ∂Ω ∂n Ω Durch Einsetzen der Randbedingung (3.54b) ergibt sich (3.55). 2 ⇒ 1: Ist u mit den vorausgesetzten Regularit¨atseigenschaften eine schwache L¨osung, so erh¨alt man mit Hilfe des ersten Greenschen Satzes Z Z ∂u (ut (·, t) − ∆u(·, t) − f ) v dx + − g v ds = 0. ∂n Ω ∂Ω Da dies insbesondere ur alle v∈ C01 (Ω) gilt, folgt die Differentialgleichung R f¨ ∂u − g v ds = 0 f¨ ur alle v ∈ C 1 (Ω), und dies im(3.54a). Daher gilt ∂Ω ∂n pliziert (3.54b). (Beachte, dass R wir hier im Gegensatz zum Beweis von Satz 3.22 keine Nebenbedingung ∂Ω v ds = 0 zu ber¨ ucksichigen haben!)
Satz 3.34 (Eindeutigkeit). Das Neumannsche Anfangs-Randwertproblem 3.54 besitzt h¨ochstens eine L¨osung. Beweis: Sind u1 und u2 L¨osungen von (3.54), so ist die Differenz u := u1 − u2 nach Satz 3.33 schwache L¨osung zu den Daten u0 = 0, f = 0 und g = 0. Da u ∈ C 1,1 (Ω × (0, T ]), gilt mit v = u(·, t) Z Z Z 1∂ 2 |u| dx = ut u dx = − |∇u|2 dx < 0. 2 ∂t Ω Ω
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
64
R Daher gilt f¨ ur das Energiefunktional E(t) := 12 Ω |u(·, t)|2 dx, dass E 0 (t) ≤ 0 f¨ ur alle t ≥ 0, und aufgrund der Anfangsbedingung ist E(0) = 0. Also gilt E(t) ≤ 0 f¨ ur alle t. Andererseits ist offenbar E(t) ≥ 0, also E(t) = 0 und damit u = 0.
3.4.
Wellengleichung
In diesem Abschnitt geht es um die Wellengleichung utt − ∆u = 0
in U
(3.56)
beziehungsweise, bei gegebenem f : Ω → R um die inhomogene Wellengleichung utt − ∆u = f in U (3.57) auf einem Gebiet U = Ω × (0, ∞), oder U = Ω × (0, T ] wobei hier wieder ∆ den Laplaceoperator bez¨ uglich der Ortsvariablen bezeichnet. Die Wellengleichung ist ein Prototyp allgemeinerer linearer hyperbolischer Differentialgleichungen zweiter Ordnung der Form utt = L(t)u(·, t) + f (·, t), wobei L(t) f¨ ur jedes t ≥ 0 ein elliptischer Differntialoperator ist.
3.4.1.
Physikalische Interpretation
Die Wellengleichung ist ein vereinfachtes Modell der Schwingung einer Saite (n = 1), einer Membran (n = 2) oder eines elastischen K¨orpers (n = 3). Dabei beschreibt u die Auslenkung des Punkts x ∈ Ω zu einem Zeitpunkt t > 0. Sei wieder V ein beliebiges glatt berandetes Teilgebiet von Ω. Dann ist die Beschleunigung in V gegeben durch Z Z ∂2 u dx = utt dx. ∂t2 V V Andererseits ist die durch den Rand ∂V auf V einwirkende Kraft gegeben durch Z − F · n dS ∂V
65
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
mit der Kraftdichte F. Wenn man die Massendichte auf 1 normiert, dann besagt das Newtonschen Bewegungsgesetz “Kraft=Masse× Beschleunigung”, dass Z Z utt dx = − F · n dS . V
∂V
Mit dem Divergenzsatz und weil diese Beziehung f¨ ur alle V gilt, folgt utt = −divF .
F¨ ur elastische K¨orper ist F eine Funktion des Gradienten der Auslenkung. F¨ ur kleine Auslenkungen kann dieser funktionale Zusammenhang linear approximiert werden (Hookesches Gesetz, linearisierte Elastizit¨atstheorie): F( grad u) ≈ −a grad u Damit erh¨alt man, wenn a = 1, die Wellengleichung. Diese physikalischen Interpretation macht auch deutlich, dass es mathematisch sinnvoll ist zwei Anfangsbedingungen vorzugeben, n¨amlich an die Auslenkung u und die Geschwindigkeit ut zum Zeitpunkt t = 0: Problem 3.35 (Anfangs-Randwertproblem). Sei Ω ⊂ Rm offen, T > 0 und seien u0 ∈ C 2 (Ω), u1 ∈ C 1 (Ω), f ∈ C(Ω × [0, T ]) sowie g ∈ C 2 (∂Ω × [0, T ]) gegeben. Gesucht ist eine Funktion u ∈ C 2 (Ω × [0, T ]), die folgende Bedingungen erf¨ ullt: utt − ∆u u u ut
= = = =
f g u0 u1
in Ω × (0, T ), auf ∂Ω × [0, T ], in Ω × {0}, in Ω × {0}.
(3.58a) (3.58b) (3.58c) (3.58d)
Wiederum ist die Randbedingung (3.58b) f¨ ur Ω = Rm leer und kann anderenfalls auch durch eine Neumannsche Randbedingung ersetzt werden.
3.4.2.
explizite L¨ osungsformeln im freien Raum
Wir betrachten zun¨achst die eindimensionale Wellengleichung in Ω = R mit f = 0. Der Differentialoperator in (3.58a) l¨asst sich in diesem Fall wie folgt faktorisieren: ∂ ∂ ∂ ∂ utt − uxx = + − u. ∂t ∂x ∂t ∂x
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
Die Funktion
∂ ∂ v := − ∂t ∂x erf¨ ullt daher die Transportgleichung vt + v x = 0
u
66
(3.59)
in R × (0, T ).
Aus Formel (3.6) in Abschnitt 3.1. erhalten wir daher v(x, t) = v(x − t, 0). Setzt man dies in (3.59) ein, so ergibt sich die inhomogene Transportgleichung ut (x, t) − ux (x, t) = v(x − t, 0). Die L¨osungsformel in Abschnitt 3.1.3. liefert Z t Z 1 x+t v(x − (s − t) − s, 0) ds = u0 (x + t) + v(y, 0) dy. u(x, t) = u0 (x + t) + 2 x−t 0 Setzen wir hier die Anfangswerte v(y, 0) = ut (y, 0) − ux (y, 0) = u1 (y) − u00 (y) ein, so bekommen wir die Formel von d’Alembert Z x+t 1 u1 (y) dy . u(x, t) = u0 (x + t) + u0 (x − t) + 2 x−t
(3.60)
Man kann leicht nachrechnen, dass dies unter geeigneten Glattheitsvoraussetzungen tats¨achlich eine L¨osung darstellt: Satz 3.36 (Formel von d’Alembert). Falls u0 ∈ C 2 (R) und u1 ∈ C 1 (R), so ist die durch die Formel von d’Alembert (3.60) gegebene Funktion u eine L¨osung des Problems 3.35 f¨ ur Ω = R und f = 0. Bemerkung 3.37 (Propagation von Unstetigkeiten). Aus der Formel (3.60) sieht man, dass falls u0 ∈ C k (Rm ) und u1 ∈ C k−1 (Rm ) f¨ ur ein k ∈ N, k auch u ∈ C (R × [0, ∞)). Im allgemeinen ist u aber nicht glatter, denn eine Unstetigkeitsstelle in der (k + 1)-ten Ableitung von u0 setzt sich, wenn wir der Einfachheit halber u1 ≡ 0 voraussetzen, entlang der charakteristischen Richtungen (1, 1) und (−1, 1) in der L¨osung u fort. Es tritt hier also nicht wie bei der W¨armeleitungsgleichung sofortige Ausgl¨attung von anf¨anglichen Unstetigkeiten auf. Wir bemerken, dass die L¨osungsformel (3.60) auch dann noch wohldefiniert ist, wenn die Anfangsdaten u0 und u1 nicht stetig sind.
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
67
Bemerkung 3.38 (Zeitumkehr). Ist u ∈ C 2 (Ω × R) eine L¨osung der Wellengleichung auf einem Gebiet Ω ⊂ Rm , so l¨ost, wie man leicht u uft, ¨berpr¨ auch die in der Zeit gespiegelte Funktion u ˜(x, t) := u(x, −t) die Wellengleichung. Die Zeitpropagation ist also in Vorw¨arts- und R¨ uckw¨artsrichtung identisch. Dies steht im Gegensatz zur W¨armeleitungsgleichung, bei der die zeitgespiegelte L¨osung die Gleichung ∂t u = −∆u erf¨ ullt. Ohne Beweis zitieren wir die analogen L¨osungsformeln in h¨oheren Raumdimensionen (siehe [1]): Satz 3.39. 1. Sei m ≥ 3 ungerade, γm := 1 · 3 · 5 · · · (m − 2) und sei u0 ∈ C (m+3)/2 (Rm ) und u1 ∈ C (m+1)/2 (Rm ). Dann ist durch m−3 Z 2 1 ∂ 1∂ 1 u(x, t) = u0 ds γm ∂t t ∂t ωm t ∂B(x,t) m−3 Z 2 1 1 1∂ + u1 ds γm t ∂t ωm t ∂B(x,t)
(3.61)
eine L¨osung des Anfangswertproblems (3.58) gegeben. 2. Sei m ungerade, γm := 2 · 4 · · · · (m − 2) · m und sei u0 ∈ C (m+4)/2 (Rm ) und u1 ∈ C (m+2)/2 (Rm ). Dann ist durch ! m−2 Z 2 1 ∂ 1∂ u0 (y) m p u(x, t) = dy γm ∂t t ∂t ωm B(x,t) t2 − |y − x|2 ! m−2 Z 2 u1 (y) m 1 1∂ p + dy (3.62) γm t ∂t ωm B(x,t) t2 − |y − x|2 eine L¨osung des Anfangswertproblems (3.58) gegeben.
Korollar 3.40. Sei m ≥ 3 ungerade, sei ( supp u0 ) ∪ ( supp u1 ) ⊂ Rm beschr¨ankt und u die durch (3.61) gegebene L¨osung des Anfangswertproblems (3.58). Dann gibt es zu jedem Kompaktum K ⊂ Rm ein t0 ≥ 0, so dass u(x, t) ≡ 0 f¨ ur alle t ≥ t0 und x ∈ K. Beweis: Seien supp u0 , supp u1 und K alle in B(0, R) enthalten. Dann gilt f¨ ur alle t ≥ t0 := 4R und x ∈ K, dass ∂B(x, t)∩( supp u0 ∪ supp u1 ) = ∅. Daraus folgt u(x, t) = 0.
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
68
Dieses Korollar gilt dagegen nicht f¨ ur gerade Raumdimensionen, da in (3.61) u ¨ber die gesamte Kugel B(x, t) integriert wird anstatt nur u ¨ber den Rand ∂B(x, t). In geraden Raumdimensionen w¨ urden wir also einen Ton, der von einer ¨ortlich und zeitlich begrenzten Schallquelle erzeugt wird, unendlich lange h¨oren!
3.4.3.
Energieerhaltung und endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit
Satz 3.41 (Energieerhaltung). Sei Ω ⊂ Rm offen, beschr¨ankt und C 1 -glatt und sei u eine L¨osung des Anfangs-Randwertproblems (3.58) mit f = 0 und g = 0. Dann ist die Energie Z 1 E(t) := |ut (x, t)|2 + | grad u(x, t)|2 dx (3.63) 2 Ω
f¨ ur alle t ∈ [0, T ] konstant.
Beweis: Da u|∂Ω = 0, gilt auch ut |∂Ω = 0 Wir berechnen durch Anwendung des ersten Greenschen Satzes Z 0 E (t) = {utt (x, t)ut (x, t) + grad u(x, t) · grad ut (x, t)} dx Ω Z = {utt (x, t) − ∆u(x, t)} ut (x, t) dx = 0, Ω
wobei wir die Wellengleichung (3.58a) und die Randbedingung (3.58b) benutzt haben. Daher ist E konstant. Korollar 3.42 (Eindeutigkeit). Ist Ω beschr¨ankt, so existiert h¨ochstens eine L¨osung des Anfangs-Randwertproblems 3.35. Beweis: Sind u1 und u2 L¨osungen von (3.58), so ist u := u1 − u2 eine L¨osung von (3.58) mit u0 = u1 = 0, f = 0 und g = 0. Daraus folgt nach dem Satz, dass E(t) = E(0) = 0 f¨ ur alle t ∈ [0, T ]. Also ist u konstant. Aufgrund der Anfangswerte ist u sogar 0, also u1 = u2 . Zu einem Raum-Zeitpunkt (x0 , t0 ) ∈ Rm × (0, ∞) betrachten wir nun den Kegel K(x0 , t0 ) ⊆ Rm × (0, ∞) mit der Spitze (x0 , t0 ) und der Basis B(x0 , t0 ) × {0} (siehe Abbildung 3.1).
69
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
Satz 3.43 (endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit). Sei u eine L¨osung der Wellengleichung utt = ∆u in einer Umgebung des Kegels K(x0 , t0 ). Dann folgt aus u(x, 0) = ut (x, 0) = 0 f¨ ur x ∈ B(x0 , t0 ), dass u ≡ 0 in K(x0 , t0 ).
.
(x0 , t0 )
J
J
J
JB(x0 , t0 − t) × {t} J
J
J
J K(x0 , t0 )
J
J
J
J
J
B(x0 , t0 ) × {0}
Abbildung 3.1: Abh¨angigkeitskegel Beweis: F¨ ur die durch Z 1 u2t (x, t) + | grad u(x, t)|2 dx , e(t) := 2 B(x0 ,t0 −t)
t ∈ [0, t0 ]
definierte Funktion erhalten wir aufgrund der Differentialgleichung nach dem ersten Greenschen Satz Z 0 e (t) = ut utt + grad u · grad ut dx B(x0 ,t0 −t) Z 1 − u2t + | grad u|2 dS (3.64) 2 ∂B(x0 ,t0 −t) Z ∂u 1 2 1 2 = ut − ut − | grad u| dS ≤ 0 , 2 2 ∂B(x0 ,t0 −t) ∂n denn aufgrund der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung und wegen |n| = 1 gilt u2t + | grad u|2 − 2
∂u ut = u2t + | grad u|2 − 2 grad u · n ut ∂n ≥ u2t + | grad u|2 − 2| grad u||ut | = (|ut | − | grad u|)2 ≥ 0 .
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
70
Aus (3.64) folgt aber e(t) ≤ e(0) = 0 f¨ ur alle t ∈ [0, t0 ] und damit m¨ ussen ut und grad u im Kegel K(x0 , t0 ) verschwinden. Daraus k¨onnen wir wegen u(x, 0) = 0 f¨ ur alle x ∈ B(x0 , t0 ) und der Stetigkeit von u in t = 0 schließen, dass u ≡ 0 in K(x0 , t0 ). Ist u eine L¨osung der Wellengleichung in einem Gebiet Ω mit Anfangsdaten u0 und u1 und ist K := ( supp u0 ) ∪ ( supp u1 ), so folgt aus Satz 3.43, dass supp u(·, t) ⊂ {x ∈ Ω : dist(x, K) ≤ t}, (3.65) d.h. die Information u0 , u1 zum Zeitpunkt t = 0 breiten sich mit Geschwindigkeit 1 aus.
Anhang. Integrals¨ atze Definition 3.44 (C k -Glattheit eines Gebiets). Sei Ω ⊂ Rm offen und k ∈ N. Wir sagen ∂Ω ist C k -glatt, bzw. Ω oder ∂Ω geh¨ort zur Klasse C k , wenn f¨ ur alle x0 ∈ ∂Ω offene Mengen U1 , U2 ⊂ Rm mit x0 ∈ U2 sowie eine bijektive Abbildung ψ : U2 → U1 existieren, so dass gilt: 1. ψ ∈ C k (U2 ), ψ −1 ∈ C k (U1 ) 2. ψ(U2 ∩ Ω) = {z ∈ U1 : zm > 0} 3. ψ(U2 \ Ω) = {z ∈ U1 : zm < 0} 4. ψ(U2 ∩ ∂Ω) = {z ∈ U1 : zm = 0}. Satz 3.45 (Gaußscher Integralsatz). Sei Ω ⊂ Rm eine offene, beschr¨ankte Teilmenge mit C 1 -glattem Rand und sei n : ∂Ω → Rm die nach außen weisende Normale an ∂Ω. Weiter sei F ∈ C 1 (Ω, Rm ). Dann gilt Z Z div Fdx = hF, ni ds. (3.66) Ω
∂Ω
F¨ ur eine Funktion u ∈ C 1 (Ω) ist die Normalableitung in einem Randpunkt x ∈ ∂Ω definiert durch ∂u (x) := h grad u(x), n(x)i , ∂n
wobei n einen Normalenvektor der L¨ange 1 an ∂Ω bezeichnet. Ob n ins Innere ¨ oder Außere von Ω zeigt, muss jeweils spezifiziert werden.
71
3. Vier wichtige lineare partielle Differentialgleichungen
Korollar 3.46 (Greensche S¨ atze). Seien Ω und n wie in Satz 3.45. Ist 2 1 u ∈ C (Ω) und v ∈ C (Ω), so gilt der erste Greensche Satz Z Z ∂u ds = (v∆u) + h grad v, grad ui dx. (3.67) v Ω ∂Ω ∂n Sind u, v ∈ C 2 (Ω), so gilt der zweite Greensche Satz Z Z ∂u ∂v −v u ds = (u∆v − v∆u) dx. ∂n ∂n ∂Ω Ω
(3.68)
Beweis: Wenden wir den Gaußschen Integralsatz auf das Vektorfeld F(x) := v(x) grad u(x) ∈ C 1 (Ω) ∩ C(Ω), x ∈ Ω an und beachten, dass div F(x) = v(x)∆u(x) + h grad v(x), grad u(x)i , so ergibt sich (3.67). Daraus folgen f¨ ur u, v ∈ C 2 (Ω) die Gleichungen Z Z ∂u ds = (v∆u) + h grad v, grad ui dx, v ∂n Z ∂Ω ZΩ ∂v u ds = (u∆v) + h grad u, grad vi dx. ∂Ω ∂n Ω Subtrahieren wir die erste von der zweiten Gleichung, so erhalten wir (3.68).
4. Sobolev-R¨ aume 4.1.
Definitionen
Sobolev-R¨aume sind Banachr¨aume von Funktionen, die in einem verallgemeinerten Sinne differenzierbar sind. Dabei werden wir zwei Strategien verfolgen, um “verallgemeinerte Differenzierbarkeit” zu definieren: • Die erste basiert auf dem Konzept von schwachen oder distributionellen Ableitungen. Wir nennen eine Funktion schwach differenzierbar, wenn sie als Distribution eine Ableitung besitzt, die wiederum durch eine Funktion repr¨asentiert wird. (In der folgenden Darstellung setzen wir allerdings nicht voraus, dass der Leser mit Distributionentheorie vertraut ist, und werden den Begriff “Distribution” vermeiden.) • Die zweite Strategie beruht auf der Identit¨at D α u = F ∗ (−2πiξ)α F u, |α| die wir in Satz 2.26 f¨ ur u ∈ C0 (Rm ) gezeigt haben. Wir k¨onnen die rechte Seite als Definition einer verallgemeinerten Ableitung auffassen und definieren einen Sobolev-Raum als Menge aller Funktionen, deren Fourier-Transformierte im Unendlichen so schnell abfallen, dass ξ 7→ (−2πiξ)α (F u)(ξ) noch in L2 (Rm ) liegt. Wir werden zeigen, dass beide Definitionen ¨aquivalent sind.
4.1.1.
Schwache Ableitungen
Sei Ω ⊂ Rm offen. Mit L1loc (Ω) bezeichnen R wir den Raum der Lebesguemessbaren Funktionen u : Ω → R, f¨ ur die K |u| dx < ∞ f¨ ur alle kompakten Teilmengen K ⊂ Ω. Wie u ¨ blich identifizieren wir dabei Funktionen, die sich nur auf einer Menge vom Lebesgue-Maß 0 unterscheiden. Definition 4.1 (Schwache Ableitungen). Sei u ∈ L1loc (Ω) und α ∈ Nm 0 ein 1 Multiindex. Wir sagen, eine Funktion v ∈ Lloc (Ω) sei α-te schwache Ableitung 72
73
4. Sobolev-R¨aume
von u, falls
Z
α
u D φ dx = (−1) Ω
|α|
Z
v φ dx
(4.1)
Ω
f¨ ur alle Testfunktionen φ ∈ C0∞ (Ω). In diesem Fall schreiben wir D α u := v. Das folgende Lemma rechtfertigt die Notation D α u:
Lemma 4.2. Sei Ω ⊂ Rm offen, u ∈ L1loc (Ω) und α ∈ Nm 0 .
1. Besitzt u eine starke Ableitung D α u ∈ C(Ω) (damit meinen wir eine Ableitung im klassischen Sinne), so ist D α u auch schwache Ableitung von u. 2. Existiert eine schwache Ableitung D α u von u, so ist diese eindeutig bestimmt.
Beweis: 1. Sei zun¨achst D α = ∂xi und sei u im klassischen Sinne stetig partiell nach xi differenzierbar. Sei φ ∈ C0∞ (Ω) und R so groß, dass supp φ ⊂ Ω. Dann erh¨alt man durch partielle Integration Z Z xi =R u∂xi φ dx. ∂xi uφ dx = u(x) · φ(x) xi =−R − Rm
Rm
(Dabei sei u außerhalb von Ω durch 0 fortgesetzt, was aufgrund von supp φ ⊂ Ω nichts ¨andert.) Da die Randterme aufgrund der Wahl von R verschwinden, folgt, dass ∂xi u auch schwache Ableitung von u ist. Durch Wiederholung dieser Rechnung erh¨alt man das Resultat f¨ ur h¨ohere Ableitungen. 2. Seien v1 und v2 zwei α-te schwache Ableitungen einer Funktion u ∈ L1loc (Ω). Dann gilt Z (v1 − v2 )φ dx = 0 (4.2) Ω
f¨ ur alle φ ∈ C0∞ (Ω). Daraus folgt, dass v1 = v2 fast u ¨ berall, wie man folgendermaßen sieht: Zu einem beliebigen Kompaktum K ⊂ Rm und > 0 gibt es aufgrund der Dichtheit von C0∞ (K) in L1 (K) eine Funktion v ∈ C0∞ (K) mit kv1 − v2 − v kL1 (K) ≤ 2 . Dann folgt aus (4.2), dass Z v φ dx ≤ kv1 − v2 − v kL1 (K) kφkL∞ (K) ≤ 2 K
f¨ ur alle φ ∈ C0∞ (Ω) mit kφkL∞ (K) ≤ 1. W¨ahlen wir φ = √ v 2 und lassen δ R|v | +δ gegen 0 gehen, so folgt aus dem Satz von Lebesgue, dass K |v | dx ≤ 2 , also kv1 − v2 kL1 (K) ≤ . Da K und beliebig waren, gilt v1 = v2 fast u ¨ berall.
74
4. Sobolev-R¨aume
Beispiel 4.3. • Die Funktion f (x) = |x|, x ∈ R ist bekanntlich bei 0 nicht im klassischen Sinne differenzierbar. Sie besitzt hingegen die schwache Ableitung 1, x≥0 (Df )(x) = −1, x < 0, denn f¨ ur alle φ ∈ C0∞ (R) gilt Z R Z Z 0 0 0 xφ0 (x) dx −xφ (x) dx + |x|φ (x) dx = 0 −R R Z 0 R Z R 0 φ(x) dx −φ(x) dx + xφ(x) − = −xφ(x) − 0 −R 0 −R Z = − (Df )(x)φ(x) dx, R
falls supp φ ⊂ [−R, R]. Dabei spielt es keine Rolle, wie wir Df im Punkt 0 definieren, da {0} eine Nullmenge bez¨ uglich des LebesgueMaßes ist. • Dagegen ist die Funktion g(x) =
1 + x, −x,
x≥0 x < 0,
nicht schwach differenzierbar. Da g auf R \ {0} stark differenzierbar ist, k¨ame als einziger Kandidat f¨ ur eine schwache Ableitung die Funktion 1, x≥0 v(x) = −1, x < 0, in Frage. F¨ ur diese gilt jedoch Z Z 0 Z R 0 0 g(x)φ (x) dx = −xφ (x) dx + (1 + x)φ0 (x) dx R −R 0 Z 0 0 R Z R = −xφ(x) − −φ(x) dx + (1 + x)φ(x) − φ(x) dx −R 0 −R 0 Z = − v(x)φ(x) dx − φ(0). R
75
4. Sobolev-R¨aume
4.1.2.
Erste Definition: Die W k,p-R¨ aume
Definition 4.4. Sei 1 ≤ p ≤ ∞, k ∈ N0 und Ω ⊂ Rm offen. Der Sobolevraum W k,p(Ω) ist die Menge aller Funktionen u ∈ Lp (Ω), die f¨ ur alle Multiindizes m α α ∈ N0 mit |α| ≤ k eine schwache Ableitung D u ∈ Lp (Ω) besitzen. F¨ ur u ∈ W k,p (Ω) definieren wir
kukW k,p (Ω) :=
1/p Z X |D α u|p dx , 1 ≤ p < ∞ Ω
|α|≤k X ess supΩ |D α u|,
p=∞
|α|≤k
Satz 4.5 (Normeigenschaften und Vollst¨ andigkeit). Sei k ∈ N0 , 1 ≤ m p ≤ ∞ und Ω ⊂ R offen. Dann ist k · kW k,p (Ω) eine Norm auf W k,p (Ω), und W k,p(Ω) ist mit dieser Norm ein Banachraum. Speziell f¨ ur p = 2 wird die Norm durch das innere Produkt XZ hu, viW k,2 (Ω) := D α u D α v dx |α|≤k
Ω
erzeugt, d.h. W k,2 (Ω) ist sogar ein Hilbertraum. Beweis: Wir weisen zun¨achst die Normeigenschaften nach: Homogenit¨at und Definitheit folgen sofort aus der Linearit¨at der Ableitungsoperatoren D α . Zum Nachweis der Dreiecksungleichung verwenden wir die Dreiecksungleichung in Lp (Minkowski-Ungleichung) und jene in l p und erhalten f¨ ur k,p u, v ∈ W (U ):
ku + vkW k,p (U ) =
≤
≤
X
|α|≤k
1/p
kD α u + D α vkpLp (U )
X
|α|≤k
X
|α|≤k
kD α ukLp (U ) + kD α vkLp (U ) 1/p
kD α ukpLp (U )
+
X
|α|≤k
p
1/p
1/p
kD α vkpLp (U )
.
76
4. Sobolev-R¨aume
Zum Beweis der Vollst¨andigkeit nehmen wir an, (un )n∈N sei Cauchyfolge in W k,p(Ω). Dann ist aufgrund der Definition der W k,p(Ω)-Norm f¨ ur alle |α| ≤ k die Funktionenfolge (D α un )n∈N Cauchyfolge in Lp (Ω) und besitzt daher wegen der Vollst¨andigkeit von Lp (Ω) einen Grenzwert in Lp (Ω), den wir mit uα ∈ Lp (Ω) bezeichnen. Insbesondere gilt n→∞
un → u(0,...,0) =: u in Lp (Ω). Wir zeigen nun, dass u ∈ W k,p(Ω) und
D α u = uα
f¨ ur alle |α| ≤ k
Dies folgt aus der Tatsache, dass f¨ ur alle φ ∈ C0∞ (Ω) Z Z Z α |α| α D α un φ dx un D φ dx = lim (−1) uD φ dx = lim n→∞ n→∞ Ω ΩZ Ω = (−1)|α| uα φ dx. Ω
Zum der letzten Gleichung verwenden wir die H¨oldersche Ungleichung R Beweis α | Ω (D un − uα ) φ dx| ≤ kD α un − uα kLp kφkLq mit 1p + 1q = 1. Der Beweis der ur alle |α| ≤ k, ersten Gleichung ist analog. Da also kD α un − D α ukLp → 0 f¨ folgt kun − ukW k,p(Ω) → 0. Definition 4.6. Mit W0k,p(Ω) bezeichnen wir den Abschluss von C0∞ (Ω) in W k,p(Ω). Es gelten folgende Eigenschaften f¨ ur schwache Ableitungen von W k,p(Ω) -Funktionen: Lemma 4.7. Seien u ∈ W k,p(Ω), |α| ≤ k. Dann gilt: 1. D α : W k,p (Ω) → W k−|α|,p(Ω) ist wohldefiniert und beschr¨ankt mit Norm 1, und f¨ ur alle β ∈ Nm 0 mit |β| ≤ k − |α| gilt D β (D α u) = D α+β u.
(4.3)
2. (Leibnitzformel) F¨ ur ψ ∈ C0k (Ω) ist ψu ∈ W k,p (Ω), und mit der Nota !···αm ! α! = β1 !···βm !(αα1 1−β gilt tion αβ = β!(α−β)! 1 )!···(αm −βm )! X α α D (ψu) = D β ψD α−β u. (4.4) β β≤α
77
4. Sobolev-R¨aume
Beweis: 1) Wir fixieren ein beliebiges φ ∈ C0∞ (Ω) und stellen aufgrund der Tatsache dass auch D β φ ∈ C0∞ (Ω) und der Definition der schwachen Ableitung (was wir hier machen, ist nicht partielle Integration im klassischen Sinn!) fest, dass Z Z Z α β α β |α| |α| |α+β| u D D φ dx = (−1) (−1) D uD φ dx = (−1) D α+β u φ dx. | {z } | {z } Ω Ω Ω =D α+β φ
=(−1)β
Dies zeigt, dass D α u f¨ ur alle |β| ≤ k − |α| eine schwache Ableitung der p Ordnung β in L (Ω) besitzt und diese mit D α+β u u ¨ bereinstimmt. Daher α k−|α|,p ist D u ∈ W (Ω), und mit Hilfe von (4.3) folgt kD α ukW k−|α|,p (Ω) ≤ kukW k,p(Ω) . 2) Die Leibnitzformel l¨asst sich durch Induktion zeigen: Als Induktionsanfang betrachten wir den Fall |α| = 1. Hier gilt f¨ ur beliebiges φ ∈ C0∞ (Ω) wegen D α (ψφ) = φD α ψ + ψD α φ Z Z Z α α α ψuD φ dx = (uD (ψφ) − uφD ψ) dx = − (ψD α u + uD α ψ)φ dx Ω
Ω
Ω
wobei wir in der letzten Gleichheit die Definition der schwachen Ableitung D α u und die Tatsache, dass ψφ ∈ C0∞ (Ω), eingesetzt haben. Wegen Lemma 4.2 folgt daraus, dass D α (ψu) = ψD α u + uD α ψ sein muss. F¨ ur den Induktionsschritt nehmen wir an, dass f¨ ur alle |α| ≤ k und alle Funktionen ψ ∈ C0∞ m (4.4) gilt und fixieren α ∈ Nm 0 mit |α| = k + 1. Dann gibt es ein β ∈ N0 mit m |β| = k und ein γ ∈ N0 mit |γ| = 1, sodass α = β + γ und damit f¨ ur alle φ ∈ C0∞ (Ω) Z Z Z α β γ ψuD φ dx = ψuD (D φ) dx = D β (ψu)D γ φ dx Ω Ω Ω ! Z X β = (−1)|β| D σ ψD β−σ u D γ φ dx σ Ω σ≤β Z X β D γ (D σ ψD β−σ u) φ dx = (−1)|β+γ| σ Ω σ≤β Z X β = (−1)|α| D σ+γ ψD β−σ u + D σ ψD β+γ−σ u φ dx Ω σ≤β σ Z X α |α| = (−1) D σ ψD α−σ u φ dx , Ω σ≤α σ
78
4. Sobolev-R¨aume
wobei wir in der zweiten und vierten Zeile die Induktionsvoraussetzung (einmal f¨ ur D β und einmal f¨ ur D γ ), in der ersten und dritten Zeile die Definition der schwachen Ableitung und in der f¨ unften Zeile die Identit¨at α β+γ β β = = + σ σ σ σ−γ f¨ ur die Binomialkoeffizienten verwendet haben.
4.1.3.
Zweite Definition: Die H s -R¨ aume
Nach Satz 2.26 l¨asst sich die Sobolev-Norm kukW k,2 (Rm ) f¨ ur jedes u ∈ C0k (Rm ) wie folgt durch die Fourier-Transformierte F u ausdr¨ ucken:
kukW k,2 (Rm ) =
X
|α|≤k
1/2
k(2πiξ)α (F u)(ξ)k2L2(Rm )
.
Wir zeigen, dass diese Norm ¨aquivalent zu folgender einfacherer Norm ist: kukH k (Rm ) :=
Z
2 k
Rm
2
(1 + |ξ| ) |F u(ξ)| dξ
1/2
¨ Lemma 4.8 (Aquivalenz der Normen). Zu jedem k ∈ N0 gibt es eine Konstante C > 0, so dass 1 kukH k (Rm ) ≤ kukW k (Rm ) ≤ CkukH k (Rm ) C f¨ ur alle u ∈ C0k (Rm ). Beweis: Da kuk2W k (Rm )
=
Z
f (ξ)|F u(ξ)|2 dξ
mit f (ξ) :=
Rm
X
(2π)2|α| ξ 2α ,
|α|≤k
m¨ ussen wir zeigen, dass es ein C > 0 gibt mit 1 (1 + |ξ|2 )k ≤ f (ξ) ≤ C 2 (1 + |ξ|2 )k 2 C
(4.5)
79
4. Sobolev-R¨aume
f¨ ur alle ξ ∈ Rm . Wir w¨ahlen R ≥ 1 so groß, dass X 1 f (ξ) ≤ (2π)2k ξ 2α ≤ 2f (ξ) f¨ ur |ξ| ≥ R. 2 |α|=k
Mit der Notation ξˆ := ξ/|ξ| gilt X X ˆ mit g(ξ) ˆ := (2π)2k ξ 2α = |ξ|2k g(ξ) (2π)2|α| ξˆ2α . |α|=k
|α|=k
Da die stetige, positive Funktion g Minimum und Maximum auf der Einheitssph¨are S m−1 annimmt, gibt es daher eine Konstante C1 > 1 mit 1 ˆ ≤ C1 ≤ g(ξ) C1
f¨ ur alle ξˆ ∈ S m−1 .
Daher gilt 1 2k+1 C
1
(1 + |ξ|2 )k ≤
1 |ξ|2k ≤ f (ξ) ≤ 2C1 |ξ|2k ≤ 2C1 (1 + |ξ|2 )k 2C1
f¨ ur |ξ| ≥ R. Da die stetige, positive Funktion ξ 7→
f (ξ) (1+|ξ|2 )k
ihr Maximum
und Minimum in der abgeschlossenen Kugel B(0, R) annnimmt, gibt es eine Konstante C2 > 0 mit 1 (1 + |ξ|2 )k ≤ f (ξ) ≤ C2 (1 + |ξ|2 )k C2 1/2 f¨ ur alle |ξ| ≤ R. Daher gilt (4.5) mit C := max(2k+1 C1 , C2 ) .
Dies motiviert die folgende alternative Definition von Sobolev-R¨aumen, die auch f¨ ur nicht-ganzzahlige Indizes sinnvoll ist: Definition 4.9. F¨ ur s ∈ [0, ∞) definieren wir den Sobolev-Raum H s (Rm ) := u ∈ L2 (Rm ) : (1 + |ξ|2 )s/2 F u(ξ) ∈ L2 (Rm ) und das Skalarprodukt
hu, viH s (Rm ) :=
Z
Rm
(1 + |ξ|2 )s F u(ξ)F v(ξ) dξ.
1/2 Die zugeh¨orige Norm bezeichnen wir mit kukH s (Rm ) := hu, uiH s (Rm ) .
80
4. Sobolev-R¨aume
Satz 4.10 (Hilbertskalen-Eigenschaften). ein Hilbertraum.
1. F¨ ur alle s ≥ 0 ist H s (Rm )
2. F¨ ur alle 0 ≤ s < t gilt H t (Rm ) ⊂ H s (Rm ) und kukH s (Rm ) ≤ kukH t (Rm ) f¨ ur alle u ∈ H t (Rm ). T ur alle s ≥ 0. 3. t≥0 H t (Rm ) liegt dicht in H s (Rm ) f¨
4. Interpolationsungleichung: Sei s < t und r = λs + (1 − λ)t mit 0 < λ < 1. Dann gilt kukH r (Rm ) ≤ kukλH s (Rm ) kuk1−λ (4.6) H t (Rm ) . f¨ ur alle u ∈ H t (Rm ).
Beweis: 1. Sei s ≥ 0 und (un ) eine Cauchy-Folge in H s (Rm ). Dann s/2 ist (ˆ un (1 + ·2 ) ) ein Cauchy-Folge in L2 (Rm ) und besitzt aufgrund der 2 m 2 m Vollst¨ andigkeit von L (R ) einen Grenzwert v ∈ L (R ). Setzen wir u := −s/2 F −1 v (1 + ·2 ) , so ist u ∈ H s (Rm ), und es gilt ku − un kH s (Rm ) → 0 f¨ ur s m n → ∞. Dies zeigt die Vollst¨andigkeit von H (R ) f¨ ur s ≥ 0. 2. Dies folgt unmittelbar aus der Definition. 3. Sei f ∈ H s (Rm ). Wir definieren f¨ ur n ∈ N die Funktionen fn := F ∗ (χn fˆ), wobei χn die charakteristische Funktion des Balls B(0, n) bezeichnet. Dann ist fn ∈ H t (Rm ) f¨ ur alle n ∈ N und t ≥ 0. Weiterhin gilt nach dem Satz von Lebesgue Z n→∞ 2 (1 + |ξ|2 )s (1 − χn (ξ))|fˆ(ξ)|2 dξ −→ 0. kfn − f kH s (Rm ) = Rm
4. Aus der H¨olderschen Ungleichung folgt Z λ 1−λ 2 (1 + |ξ|2 )s |ˆ u(ξ)|2 (1 + |ξ|2 )t |ˆ u(ξ)|2 dξ kukH r (Rm ) = Rm Z λ Z 1−λ 2 s 2 2 t 2 ≤ (1 + |ξ| ) |ˆ u(ξ)| dξ (1 + |ξ| ) |ˆ u(ξ)| dξ =
Rm kuk2λ H s (Rm )
Rm
2−2λ kukH t (Rm ) .
Definition 4.11 (Sobolevr¨ aume mit negativem Index). F¨ ur s > 0 −s m −s m s m ∗ definieren wir H (R ) als Dualraum H (R ) := H (R ) mit der Norm kU kH −s (Rm ) :=
sup kϕkH s (Rm ) ≤1
|U (ϕ)|.
81
4. Sobolev-R¨aume
R Wir identifizieren Funktionen u ∈ L2 (Rm ) mit dem durch U (ϕ) := Rm uϕ dx gegebenen anti-linearen Funktional U ∈ H −s (Rm ). Weiterhin schreiben wir allgemein f¨ ur U ∈ H −s (Rm ) und ϕ ∈ H s (Rm ) hU, ϕiL2 := U (ϕ). F¨ ur s ∈ R bezeichnen wir im folgenden mit L2s (Rm ) den gewichteten L2 -Raum alle Lebesgue-messbaren Funktion f auf Rm , f¨ ur die die Norm kf kL2s :=
Z
2 s
Rm
2
(1 + |ξ| ) |f (ξ)| dξ
1/2
endlich ist. Dabei werden wie u ¨blich Funktionen, die sich nur auf Nullmengen unterscheiden als identisch angesehen. Satz 4.12 (Eigenschaften der R¨ aume H −s (Rm )). Sei s > 0. 1. Die Fouriertransformation auf L2 (Rm ) l¨asst sich zu einem unit¨aren Operator von H −s (Rm ) nach L2−s (Rm ) fortsetzen: Jedes Funktional U ∈ H −s (Rm ) kann in der Form Z ˆ dξ, ϕ ∈ H s (Rm ) (4.7) u ˆ(ξ)ϕ(ξ) U (ϕ) = Rm
mit einer eindeutig bestimmten Funktion u ˆ ∈ L2−s (Rm ) mit kU kH −s (Rm ) = kˆ ukL2−s (Rm ) dargestellt werden, und umgekehrt ist f¨ ur jede Funktion u ˆ∈ 2 m −s m ˆ ∈ H (R ) definiert. L (R ) durch (4.7) ein Funktional U −s
2. Die Eigenschaften aus Satz 4.10 gelten f¨ ur alle R¨aume H s (Rm ), s ∈ R. Beweis: 1. Sei U ∈ H −s (Rm ). Aufgrund des Rieszschen Darstellungssatzes 2.15 gibt es ein v ∈ H s (Rm ) mit U (ϕ) = (v, ϕ)H s f¨ ur alle ϕ ∈ H s (Rm ) und kvkH s (Rm ) = kU kH −s (Rm ) . Wir setzen u ˆ(ξ) := (1 + |ξ|2 )s vˆ(ξ). Dann gilt v kL2s (Rm ) = kvkH s (Rm ) = kU kH −s (Rm ) , kˆ ukL2−s (Rm ) = kˆ also insbesondere u ˆ ∈ L2−s (Rm ) und Z Z 2 s U (ϕ) = (v, ϕ)H s = ˆ dξ = (1 + |ξ| ) vˆ(ξ)ϕ(ξ) Rm
uˆ(ξ)ϕ(ξ) ˆ dξ. Rm
82
4. Sobolev-R¨aume
Sei umgekehrt u ˆ ∈ L2−s (Rm ) und U durch (4.7) definiert. Dann ist Uˆ ∈ −s m H (R ), denn nach der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung gilt Z |U (ϕ)| ≤ |ˆ u(ξ)ϕ(ξ)| ˆ dξ ≤ kˆ ukL2−s (Rm ) kϕk ˆ L2s (Rm ) = kˆ ukL2−s (Rm ) kϕkH s (Rm ) . Rm
2. H −s (Rm ) ist als Dualraum sicher vollst¨andig. Da die Norm in L2−s (Rm ) von einem Skalarprodukt erzeugt wird, folgt aus Teil 1, dass auch die Norm in H −s (Rm ) von einem Skalarprodukt erzeugt wird. Also ist H −s (Rm ) ein Hilbertraum. Mit Hilfe von Teil 1 k¨onnen die u ¨brigen Eigenschaften von Satz 4.10 v¨ollig analog bewiesen werden.
Definition 4.13 (Sobolevr¨ aume auf Teilmengen des Rm ). Sei Ω ⊂ Rm offen und s ≥ 0. Dann definieren wir H s (Ω) als Menge aller Funktionen u ∈ L2 (Ω), die Einschr¨ankung einer Funktion u ˜ ∈ H s (Rm ) auf Ω sind. Als Norm definieren wir kukH s (Rm ) := inf k˜ ukH s (Ω) : u ˜ ∈ H s (Rm ) mit u ˜|Ω = u . (4.8)
Weiterhin sei H0s (Ω) der Abschluss von C0∞ (Ω) unter der H s -Norm.
Aus dieser Definition ist unmittelbar ersichtlich, dass H0s (Ω) als abgeschlossener Unterraum eines Hilbertraums wiederum ein Hilbertraum ist. F¨ ur s H (Ω) ist dies hingegen nicht unmittelbar klar. Lemma 4.14. Sei s ≥ 0 und V := {v ∈ H s (Rm ) : v|Ω = 0}.
1. F¨ ur jedes u ∈ H s (Ω) wird das Infimum in (4.8) bei einem eindeutig bestimmten Element u ˜ ∈ V ⊥ angenommen.
2. H s (Ω) ist ein Hilbertraum. Beweis: 1. Sei u ∈ H s (Ω). Dann gibt es nach Definition ein w ∈ H s (Rm ) mit w|Ω = u und kukH s (Ω) = inf kw + vkH s (Rm ) . v∈V
Man u uft leicht, dass V ein abgeschlossener Unterraum von H s (Rm ) ¨ berpr¨ ist. Daher gibt es nach Satz 2.7 ein eindeutig bestimmtes v0 ∈ V mit kw + v0 kH s (Rm ) = kukH s (Ω) , n¨amlich die beste Approximation an w in V , und es gilt u ˜ := w + v0 ∈ V ⊥ . 2. Da f¨ ur jedes u ˜ ∈ V ⊥ die Einschr¨ankung u = u ˜|Ω offenbar zu H s (Ω) geh¨ort, s ⊥ ist die Abbildung u 7→ u ˜ von H (Ω) nach V isometrisch isomorph. Da V ⊥ ein Hilbertraum ist, gilt dasselbe f¨ ur H s (Ω), d.h. H s (Ω) ist vollst¨andig und die Norm in H s (Ω) wird von einem Skalarprodukt erzeugt.
83
4. Sobolev-R¨aume
4.1.4.
Ableitungen und Differenzenquotienten in H s
Satz 4.15. F¨ ur alle k ∈ N0 gilt H k (Rm ) ⊂ W k,2 (Rm )
(4.9)
und f¨ ur |α| ≤ k ist die α-te schwache Ableitung einer Funktion u ∈ H k (Rm ) gegeben durch D α u = F ∗ (−2πiξ)α F u. (4.10) Nimmt man diese Gleichung f¨ ur allgemeine s ∈ R als Definition von D α , so ist D α : H s (Rm ) → H s−|α| (Rm ) (4.11) stetig. Beweis: Der Multiplikationsoperator L2s (Rm ) → L2s−|α| (Rm ), u ˆ 7→ (−2πi·)α u ˆ ist wegen |(−2πiξ)2α | ≤ (2π)2|α| (1 + |ξ|2 )|α| f¨ ur alle s ∈ R beschr¨ankt. Daher ist der durch (4.10) und (4.11) definierte Operator D α stetig. Sei nun k ∈ N0 , |α| ≤ k und u ∈ H k (Rm ). Dann liegt die durch die rechte Seite von (4.10) definierte Funktion uα in L2 (Rm ), und nach Satz 2.26 und Satz 2.28 gilt f¨ ur alle φ ∈ C0∞ (Rm ) Z Z ˆ dξ uα (x)φ(x) dx = (−2πiξ)α u ˆ(ξ)φ(ξ) m m R R Z Z |α| |α| α ˆ u(x)(D α φ)(x) dx. = (−1) u ˆ(ξ)(−2πiξ) φ(ξ) dξ = (−1) Rm
Rm
Daher ist uα die α-te schwache Ableitung von u. Da |α| ≤ k beliebig war, ist u ∈ W k,2 (Rm ). Im folgenden Satz betrachten wir f¨ ur h > 0 und j ∈ {1, . . . , m} die Differenzenoperatoren (Dhj u)(x) :=
u(x + hej ) − u(x) , h
wobei ej ∈ Rm den j-ten Einheitsvektor bezeichnet. Fassen wir ej ∈ Nm 0 als Multiindex auf, so ist D ej u die partielle Ableitung von u nach der j-ten Variablen.
84
4. Sobolev-R¨aume
Satz 4.16. Eine Funktion u ∈ H s (Rm ) besitzt genau dann eine schwache Ableitung D ej u ∈ H s (Rm ), wenn es ein C > 0 gibt mit kDhj ukH s (Rm ) ≤ C
f¨ ur alle h > 0.
(4.12)
In diesem Falle gilt lim kDhj u − D ej ukH s (Rm ) = 0.
h&0
(4.13)
Beweis: Wir nehmen zun¨achst an, u besitze eine eine schwache Ableitung D ej u ∈ H s (Rm ). Dann ist 2πξj u ˆ ∈ L2s (Rm ). F¨ ur die Fourier-Transformation der Differenzenquotienten erhalten wir (F Dhj u)(ξ) =
e2πihξj − 1 uˆ(ξ). h
Da nach dem Mittelwertsatz 2πihξ j e − 1 ≤ 2π|ξj | h
f¨ ur alle h > 0 und ξ ∈ Rm gilt, erhalten wir (4.12) mit C = kD ej ukH s (Rm ) , und mit dem Lebesgueschen Grenzwertsatz weiterhin die Konvergenz (4.13). Wir nehmen nun andersherum an, dass u ∈ H s (Rm ) das Kriterium
j (4.12) erf¨ ullt. Durch Variablensubstitution sieht man leicht, dass Dh u, φ L2 =
j j u, D−h φ L2 f¨ ur φ ∈ C0∞ (Rm ), also | u, D−h φ L2 | ≤ CkφkH −s (Rm ) . Unter Benutzung von (4.12) und der schon bewiesenen Richtung folgt daraus im Grenz¨ ubergang h & 0, dass Z ej ≤ CkφkH −s (Rm ) u (D φ) dx m R
C0∞ (Rm ).
f¨ ur alle φ ∈ Unter Benutzung der Dichtheit von C0∞ (Rm ) in L2 (Rm ) und der Dichtheit von L2 (Rm ) in H −s (Rm ) folgt aus der Unitarit¨at der Fouriertransformation F : H s (Rm ) → L2s (Rm ), dass F C0∞ (Rm ) ⊂ L2−s (Rm ) dicht ist. Daher gilt Z ˆ ˆ L2 (Rm ) ≤ Ckφk u ˆ (ξ) (−2πiξ ) φ(ξ) dξ j m −s R
u ∈ L2s (Rm ) oder ¨aquivalent f¨ ur alle φˆ ∈ L2−s (Rm ). Dies impliziert (−2πiξj )ˆ α s m D u ∈ H (R ). Wir werden das Kriterium (4.12) benutzen, um Regularit¨atseigenschaften von schwachen L¨osungen partieller Differentialgleichungen zu beweisen.
85
4. Sobolev-R¨aume
4.1.5.
¨ Aquivalenz der Definitionen
Wir werden im n¨achsten Abschnitt beweisen, dass C0∞ (Rm ) ⊂ W k,2 (Rm ) dicht liegt
(4.14)
f¨ ur alle k ∈ N0 . Daraus folgt:
Satz 4.17. F¨ ur alle k ∈ N0 gilt W k,2 (Rm ) = H k (Rm ).
ˆ L2 = kD α φkL2 < ∞ Beweis: Es gilt C0∞ (Rm ) ⊂ H k (Rm ), da k(−2πiξ)α φk ∞ m m k m f¨ ur alle φ ∈ C0 (R ) und alle α ∈ N0 . Da H (R ) und W k (Rm ) beide vollst¨andig sind mit ¨aquivalenten Normen und da nach Satz 4.15 H k (Rm ) ⊂ W k,2 (Rm ), folgt die Behauptung aus (4.14). Definition 4.18. Sei k ∈ N0 und Ω ⊂ Rm offen. Wie sagen, Ω besitze die k-Fortsetzungseigenschaft, falls es einen stetigen, linearen Operator E : W k,2 (Ω) → W k,2 (Rm ) gibt mit (Eu)|Ω = u
(4.15)
f¨ ur alle u ∈ W k,2 (Ω). E heißt Fortsetzungsoperator.
Satz 4.19. Besitzt Ω ⊂ Rm die k-Fortsetzungseigenschaft, so gilt W k,2 (Ω) = H k (Ω), und die Normen in diesen R¨aumen sind ¨aquivalent. Beweis: Ist u ∈ W k,2 (Ω), so gilt nach Satz 4.17 und Definition 4.18, dass u = (Eu)|Ω und Eu ∈ W k,2 (Rm ) = H k (Rm ). Daher ist u ∈ H k (Ω), also W k,2 (Ω) ⊂ H k (Ω). Ist umgekehrt u ∈ H k (Ω), so existiert ein u ˜ ∈ k m k,2 m H (R ) = W (R ) mit u ˜|Ω = u. Daher ist u k-mal schwach differenzierbar und kukW k,2 (Ω) ≤ k˜ ukW k,2 (Rm ) < ∞. Also ist H k (Ω) ⊂ W k,2 (Ω). Die Norm¨aquivalenz ergibt sich aus den Absch¨atzungen kukW k,2 (Ω) ≤ k˜ ukW k,2 (Rm ) ≤ Ck˜ ukH k (Rm ) = CkukH k (Ω) , kukH k (Ω) ≤ kEukH k (Rm ) ≤ CkEukW k,2 (Rm ) ≤ CkEk kukW k,2(Ω) f¨ ur u ∈ W k,2 (Ω) = H k (Ω). Dabei ist u ˜ wie in Lemma 4.14 definiert.
Wir werden in Abschnitt 4.2.4. zeigen, dass ein Gebiet Ω ⊂ Rm unter gewissen Glattheisvoraussetzungen die k-Fortsetzungseigenschaft besitzt. F¨ ur k k,2 nicht-glatte Gebiete k¨onnen die R¨aume H (Ω) und W (Ω) durchaus verschieden sein.
86
4. Sobolev-R¨aume
4.2.
Dichtheits- und Fortsetzungss¨ atze
In diesem Abschnitt werden wir Dichtheits- und Fortsetzungss¨atze beweisen. Diese verh¨altnism¨aßig technischen Resultate werden zum einen zur Ver¨ vollst¨andigung der Aquivalenzbeweise von W k,2 und H k -R¨aumen in Abschnitt 4.1.5. ben¨otigt, sie sind aber auch f¨ ur viele andere Beweise unverzichtbar.
4.2.1.
Mollifier
Wir stellen in diesem Abschnitt eine Technik vor, mit der man eine gegebene Funktion durch glatte Funktionen approximieren kann. Dazu betrachten wir die Funktion 1 C exp(− 1−|ξ| f¨ ur |ξ| < 1, 2) η(ξ) := 0 sonst R mit einer Normierungskonstanten C, die so gew¨ahlt ist, dass Rm η(ξ) dξ = 1. Man sieht leicht, dass η ∈ C ∞ (Rm ). Weiterhin betrachten wir f¨ ur δ > 0 die gestauchten Funktionen ηδ (x) = δ −m η(x/δ),
x ∈ Rm ,
R die ebenfalls Rm ηδ dx = 1 erf¨ ullen. Diese Funktionen heißen Mollifier. Notation: Sei K ⊂ Ω ⊂ Rm . Wir schreiben K ⊂⊂ Ω, falls K kompakt in Rm ist und dist(K, ∂Ω) > 0. Man erh¨alt glatte Approximationen an eine Funktion u auf jedem K ⊂⊂ Ω, indem man u mit ηδ faltet. Diese Approximationen besitzen folgende Eigenschaften: Satz 4.20 (Eigenschaften von Mollifiern). F¨ ur eine Funktion u ∈ L1loc (Ω) m auf einem Gebiet Ω ⊂ R sei Z δ u (x) := ηδ (x − y)u(y) dy Ω
f¨ ur δ > 0 und x ∈ Ωδ := {x ∈ Ω : dist (x, ∂Ω) > δ}, oder kurz uδ = ηδ ∗ u. Dann gilt:
87
4. Sobolev-R¨aume
1. uδ ∈ C ∞ (Ωδ ) und supp uδ ⊂ {x ∈ Ω : dist(x, supp u) ≤ δ}. 2. Ist u ∈ C(Ω), so konvergiert uδ → u gleichm¨aßig auf kompakten Teilmengen von Ω f¨ ur δ & 0. 3. Besitzt u eine α-te schwache Ableitung D α u ∈ L1loc (Ω), so gilt D α uδ = η δ ∗ D α u
in Ωδ .
(4.16)
4. Ist u|K ∈ W k,2 (K) f¨ ur ein K ⊂⊂ Ω und k ∈ N0 , so gilt lim kuδ − ukW k,p(K) = 0.
δ&0
Beweis: 1. Die erste Aussage folgt aus der Tatsache, dass ηδ ∈ C0∞ (Rm ) und klassischen Differationss¨atzen f¨ ur parameterabh¨angige Integrale, die zweite Aussage ergibt sich unmittelbar aus der Definition von uδ . 2. Zu jedem K ⊂⊂ Ω gibt es ein U mit K ⊂⊂ U ⊂⊂ Ω. Da die stetige Funktion u auf dem Kompaktum U sogar gleichm¨aßig stetig ist, gibt es zu R gegebenem > 0 ein δ > 0, so dass |u(x) − u(y)| ≤ B(0,1) 1 dx f¨ ur alle x, y ∈ U . Ist δ < dist (K, ∂U ), so folgt Z x−y δ −m |u (x) − u(x)| = δ η (u(y) − u(x)) dy δ Z B(x,δ) ≤ δ −m |u(y) − u(x)| dy ≤ (4.17) B(x,δ)
f¨ ur alle x ∈ K. 3. F¨ ur alle x ∈ Ωδ gilt Z Z α δ α D u (x) = D ηδ (x − y)u(y) dy = (D α ηδ )(x − y)u(y) dy Ω Z Ω = (−1)|α| (D α ηδ (x − ·))(y)u(y) dy Ω Z |α| |α| ηδ (x − y)D α u(y) dy = (ηδ ∗ D α u)(x), = (−1) (−1) Ω
wobei wir am Anfang der letzten Zeile die Definition der schwachen Ableitung und die Tatsache verwendet haben, dass die Funktion y 7→ ηδ (x−y) in C0∞ (Ω) liegt.
88
4. Sobolev-R¨aume
4. Wir betrachten zun¨achst den Spezialfall k = 0. Sei wieder K ⊂⊂ U ⊂⊂ Ω und sei u|U die Einschr¨ankung von u auf U , die wir uns außerhalb von U durch 0 fortgesetzt denken. Dann gilt f¨ ur δ ≤ dist(K, ∂U ) nach Satz 2.26 die Absch¨atzung kuδ kL2 (K) ≤ kηδ ∗ u|U kL2 (Rm ) ≤ kηˆδ kL∞ (Rm ) kˆ ukL2 (U ) ≤ kηδ kL1 (Rm ) kukL2 (U ) = kukL2 (U ) . Zu gegebenem > 0 gibt es aufgrund der Dichtheit von C(U ) ⊂ L2 (U ) ein v ∈ C(U ) mit ku − vkL2 (U ) ≤ . Daher gilt kuδ − ukL2 (K) ≤ kuδ − v δ kL2 (K) + kv δ − vkL2 (K) + kv − ukL2 (K) ≤ 2kv − ukL2 (U ) + kv δ − vkL2 (K) Z 1/2 ≤ 2 + 1 dx kv δ − vkL∞ (K) . K
δ
Nach Punkt 2 ist daher ku − ukL2 (K) ≤ 3 f¨ ur δ hinreichend klein. Mit Hilfe von (4.16) folgt daraus die Aussage f¨ ur k ≥ 1: X δ&0 kuδ − uk2W k,2 (K) = kηδ ∗ D α u − D α uk2L2 (K) → 0. |α|≤k
Mit Hilfe der Funktionen ηδ l¨asst sich auch das folgende bekannte Resultat aus der Analysis beweisen, das wir im folgenden oft verwenden werden (siehe etwa Forster [2] oder Wloka [17]). Satz 4.21 (Teilung der Eins). Sei {Uj : j ∈ N} eine lokal-finite offene ¨ Uberdeckung einer abgeschlossenen Menge S ⊂ Rm , d.h. Uj ⊂ Rm sei offen S f¨ ur alle j ∈ N, S ⊂ j∈N Uj , und jedes x ∈ Rm geh¨ore nur endlich vielen der Mengen Uj an. Dann gibt es Funktionen χj ∈ C0∞ (Rm ), j ∈ N mit folgenden Eigenschaften: • 0 ≤ χj ≤ 1. • supp χj ⊂ Uj . P∞ • ur alle x in einer Umgebung von S. j=1 χj (x) = 1 f¨
¨ Wir nennen {χj : j ∈ N} eine der Uberdeckung {Uj : j ∈ N} untergeordnete Teilung der Eins.
89
4. Sobolev-R¨aume
4.2.2.
Glattheitsvoraussetzungen an die Gebiete
Satz 4.22. Sei Ω ⊂ Rm beschr¨ankt und k ∈ N. Dann ist Ω genau dann von der Klasse C k , wenn es zu jedem Randpunkt x0 ∈ ∂Ω eine lineare orthogonale Koordinatentransformation y = Ax, ein r > 0 gibt sowie eine k-mal stetig differenzierbare Funktion γ gibt, so dass B(x0 , r) ∩ Ω = {x = A−1 y ∈ B(x0 , r) : ym > γ(y1 , . . . , ym−1 )}, B(x0 , r) \ Ω = {x = A−1 y ∈ B(x0 , r) : ym < γ(y1 , . . . , ym−1 )}, B(x0 , r) ∩ ∂Ω = {x = A−1 y ∈ B(x0 , r) : ym = γ(y1 , . . . , ym−1 )}.
(4.18a) (4.18b) (4.18c)
Beweis: 1. Wir nehmen zuerst an, dass es zu jedem x0 ∈ ∂Ω eine orthogonale Koordinatentransformation A, ein r > 0 und eine γ ∈ C k (Rm−1 ) gibt, so dass (4.18) erf¨ ullt ist. Wir f¨ uhren eine k-mal stetig differenzierbare Koordinatentransformation z = φ(y) durch zi = y i i = 1, . . . , m − 1 zm = ym − γ(y1 , . . . , ym−1 ) ein und setzen ψ(x) := φ(Ax) sowie U2 := B(x0 , r) und U1 := ψ(U2 ). Dann ist ψ ∈ C k (U2 ) und die Eigenschaften 2-4 in Definition 3.44 folgen aus (4.18a)(4.18c). Da die Umkehrtransformation y = φ−1 (z) durch yi = z i , i = 1, . . . , m − 1 ym = zm + γ(z1 , . . . , zm−1 ) gegeben ist und daher ψ −1 (z) = A−1 (φ−1 (z)), gilt ψ −1 ∈ C k (U1 ). Damit haben wir gezeigt, dass Ω zur Klasse C k geh¨ort. 2. Wir nehmen nun andersherum an, dass Ω zur Klasse C k geh¨ort. Sei x0 ∈ ∂Ω und ψ : U2 → U1 mit x0 ∈ U2 durch Definition 3.44 gegeben. Dann ist U2 ∩ ∂Ω = {x ∈ U2 : ψm (x) = 0} m und det Dψ(x0 ) 6= 0. Daher gibt es ein i ∈ {1, . . . , m} mit ∂ψ (x0 ) 6= 0. Wir ∂xi w¨ahlen eine orthogonale Abbildung A : Rm → Rm , die den i-ten Einheitsvektor ei auf ±em abbildet und definieren φ(y) := ψ(A−1 y). Dabei sei das ∂φ (Ax0 ) > 0. Dann gilt Vorzeichen so gew¨ahlt, dass ∂y m
A(U2 ) ∩ A(∂Ω) = {y ∈ A(U2 ) : φm (y) = 0}.
90
4. Sobolev-R¨aume
Abbildung 4.1: Beispiele von Gebieten, die nicht Lipschitz-Gebiete sind. Die Kreise zeigen Punkte, bei denen der Rand nicht lokal durch eine Lipschitzstetige Funktion parametrisiert werden kann. Nach dem Satz u ¨ber implizite Funktionen gibt es daher ein ein r > 0 und eine Funktion γ mit B(Ax0 , r) ∩ A(∂Ω) = {y ∈ B(Ax0 , r) : ym = γ(y1 , . . . , ym−1 )}, d.h. es gilt (4.18c). Da φ k-mal stetig differenzierbar ist, gilt dasselbe f¨ ur γ. ∂φ 0 Aufgrund von ∂ym (Ax ) > 0 und Punkt 1 und 2 in Definition 3.44 gelten nach eventueller Verkleinerung von r auch die Gleichungen (4.18a) und (4.18b). Wir erinnern daran, dass eine Funktion f : U ⊂ Rm → R gleichm¨aßig Lipschitz-stetig genannt wird, falls es eine Konstante L > 0 gibt, so dass |f (x) − f (y)| ≤ L|x − y| f¨ ur alle x, y ∈ U .
Definition 4.23 (Lipschitz-Gebiete). Eine Teilmenge Ω ⊂ Rm heißt LipschitzGebiet, falls es zu jedem Randpunkt x0 ∈ ∂Ω eine orthogonale Koordinatentransformation y = Ax, ein r > 0 sowie eine gleichm¨aßig Lipschitz-stetige Funktion γ gibt, so dass die Bedingungen (4.18) erf¨ ullt sind. W¨ urfel und allgemeiner konvexe Polyeder sind Beispiele von LipschitzGebieten. Abb. 4.1 zeigt dagegen Gebiete, die nicht Lipschitz-Gebiete sind.
4.2.3.
Dichtheitss¨ atze
Satz 4.24. F¨ ur k ∈ N0 ist
C0∞ (Rm ) ⊂ W k,2 (Rm )
d.h. W0k,2 (Rm ) = W k,2 (Rm ).
dicht,
91
4. Sobolev-R¨aume
Beweis: Sei u ∈ W k,2 (Rm ) und > 0. Wir w¨ahlen eine Abschneidefunktion χ ∈ C ∞ (Rm ) mit χ(x) = 1 f¨ ur |x| ≤ 1 und χ(x) = 0 f¨ ur |x| ≥ 2. Setzen wir χr (x) := χ(x/r) f¨ ur r ≥ 1, so ist offenbar (D α χr )(x) = r −|α| (D α χ)(x/r), und daher gilt kχr kC k (Rm ) ≤ kχkC k (Rm )
f¨ ur alle r ≥ 1.
Daher gilt aufgrund der Leibnitz-Formel X ku − χr ukpW k,2 (Rm ) = kD α ((1 − χr )u)kpLp (Rm ) |α|≤k
≤ Ck1 − χkC k (Rm )
XZ
|α|≤k
|x|≥r
|D α u|p dx
f¨ ur alle r ≥ 1. Da u ∈ W k,2 (Rm ), strebt die rechte Seite f¨ ur r → ∞ gegen 0. Sei r so groß, dass ku − χr ukW k,2 (Rm ) ≤ 2 . Da supp (χr u) ⊂ B(0, 2r), folgt aus Satz 4.20, dass es ein δ > 0 gibt mit kχr u − ηδ ∗ (χr u)kW k,2 (Rm ) ≤ 2 . Da ηδ ∗ (χr u) ∈ C0∞ (Rm ) und ku − ηδ (χr u)kW k,2 (Rm ) ≤ , ist die Behauptung bewiesen. Satz 4.25 (Globale Approximation auf beschr¨ ankten Lipschitz-Gebieten). Ist Ω ein beschr¨anktes Lipschitz-Gebiet, so ist f¨ ur alle k ∈ N C ∞ (Ω) ⊂ W k,2 (Ω)
dicht.
Beweis: 1. Da ∂Ω kompakt ist, gibt es nach Definition 4.23 endlich viele Punkte x0i ∈ ∂Ω, i = 1, . . . , N , Radien ri > 0 und Lipschitz-stetige Funktionen γi , so dass in B(x0i , ri ) die Eigenschaften (4.18) gelten und ∂Ω ⊂
r i B x0i , . 2 i=1 N [
S 0 ri Wir w¨ahlen eine offene Menge U mit U ⊂⊂ Ω so, dass Ω ⊂ U ∪ N i=1 B(xi , 2 ). ¨ Sei {χi : i = 0, . . . , N } eine dieser Uberdeckung untergeordnete glatte Teilung der Eins mit supp χ0 ⊂ U und supp χi ⊂ B(xi , r2i ) f¨ ur i = 1 . . . , m. Falls wir zeigen k¨onnen, dass zu jedem > 0 Funktionen vi ∈ C ∞ (Ω) PNexistieren∞mit kχi u − vi kW k,2 ≤ , sind wir fertig, denn dann gilt f¨ ur v := i=0 v ∈ C (Ω) die Absch¨atzung
N N
X X
≤ kχi u − vi kW k,2 ≤ (N + 1). ku − vkW k,2 ≤ (χi u − vi )
k,2
i=0
W
i=0
92
4. Sobolev-R¨aume
˜ mit U ⊂⊂ U ˜ ⊂⊂ Ω. Da supp (χ0 u) ⊂ U , gilt es nach Satz 2. Wir w¨ahlen U 4.20 f¨ ur hinreichend kleines δ > 0, dass v0 =: ηδ ∗ (χ0 u) ∈ C0∞ (Ω) ⊂ C ∞ (Ω), supp v0 ⊂ U˜ und kχ0 u − v0 kW k,2 (Ω) = kχ0 u − v0 kW k,2 (U˜ ) ≤ .
γ
1
√ 2 + L2
0
B(x ,r/2)
L √
0
1 + L2
B(x ,r)
1 3. Um die Existenz von Approximationen an die Funktionen χi u, i = 1, . . . , N zu beweisen, betrachten wir ein x0 = x0i ∈ ∂Ω, so dass Ω ∩ B(x0 , r) = {y ∈ B(x0 , r) : ym > γ(y 0 )} f¨ ur ein r > 0 und Funktion γ gilt, die eine Lipschitz-Bedingung |γ(y 0 ) − γ(˜ y 0 )| ≤ L|y 0 − y˜0 | erf¨ ullt. Sei V := Ω ∩ B(x0 , r), W := Ω ∩ B(x0 , r/2) und u ˜ = χi u. Dann ist u ˜ ∈ W k,2 (V ) und supp u ˜ ⊂ W . Sei K := {z ∈ Rm : zm > L|z 0 |} ∩ B(0, ρ) ein Kegelstumpf mit 0 < ρ < r/2. Wir beobachten, dass aufgrund der LipschitzBedingung y+K ⊂V f¨ ur alle y ∈ W √ ur λ > 2 + L2 und 0 < δ < (siehe linke Abbildung). Da B(λδem , δ) ⊂ K f¨ ρ/λ (siehe rechte Abbildung), ist Z δ v (y) := u ˜(y + λδem − z)ηδ (z) dz, y∈W B(0,δ)
wohldefiniert. Da v δ durch diese Formel sogar in einer Umgebung von W wohldefiniert ist, gilt v δ ∈ C ∞ (Ω), wobei wir v δ in Ω \ W durch 0 fortsetzen.
93
4. Sobolev-R¨aume
Mit der Bezeichnung uδ (x) := u ˜(x + λδem ) erhalten wir f¨ ur alle Multiindizes α mit |α| ≤ k die Absch¨atzung kD α v δ − D α u ˜kL2 (Ω) ≤ kD α v δ − D α u ˜δ kL2 (V ) + kD α u˜δ − D α u ˜kL2 (V ) . Da D α v δ = D α (ηδ ∗ uδ ) = ηδ ∗ (D α uδ ), folgt aus Satz 4.20, dass der erste Term auf der rechten Seite f¨ ur δ → 0 gegen 0 geht. Der zweite Term geht ebenfalls gegen 0, denn setzt man f (y) := (D α u ˜)(y) f¨ ur y ∈ Ω und f (y) := 0 f¨ ur y ∈ Rm \ Ω, so gilt Z α α 2 2 |e2πiλδξm − 1|2 |fˆ(ξ)|2 dξ. kD u ˜δ − D u ˜kL2 (Ω) ≤ kf (· + δλem ) − f kL2 (Rm ) = Rm
Aus dem Konvergenzsatz von Lebesgue folgt, dass die rechte Seite gegen 0 konvergiert. Daher ist kv δ − u ˜kW k,2 (Ω) ≤ f¨ ur δ hinreichend klein.
4.2.4.
Fortsetzungss¨ atze
Wir studieren nun die Fortsetzung von Funktionen u ∈ W k,2 (Ω) zu Funktionen in W k,2 (Rm ). Offenbar k¨onnen wir u nicht einfach in Rm \ Ω durch 0 fortsetzen, da die fortgesetzte Funktion dann bei ∂Ω im allgemeinen nicht schwach differenzierbar ist. Wir betrachten zun¨achst die Fortsetzung von glatten Funktionen im Halbm raum Rm + := {x ∈ R : xm > 0}. Lemma 4.26 (Fortsetzungsoperator fu ur jedes ¨r den Halbraum). F¨ k k ∈ N0 existiert ein beschr¨ankter linearer Operator E : W k,2 (Rm )∩C (Rm +) → + k,2 m k m = u f¨ ur alle u ∈ W (R ) ∩ C (R ) mit der Eigenschaft, dass (Eu)|Rm + k,2 m k m W (R+ ) ∩ C (R+ ). F¨ ur jedes gegebene K ∈ N0 kann E unabh¨angig von 0 ≤ k ≤ K gew¨ahlt werden. Beweis: W¨ahlen wir (Eu)(x0 , xm ) := u(x0 , −xm ) f¨ ur xm < 0, so ist Eu zwar stetig, aber im allgemeinen nicht differenzierbar bei {x ∈ Rm : xm = 0}. Wir verwenden wieder die Bezeichnung x0 = (x1 , . . . , xm−1 ) f¨ ur x ∈ Rm . 0 0 0 Setzen wir (Eu)(x , xm ) := 4u(x , −xm /2) − 3u(x , −xm ) f¨ ur xm < 0, so u uft man leicht, dass Eu immerhin stetig differenzierbar in Rm ist und ¨ berpr¨ < ∞. Allgemeiner machen wir den Ansatz dass kEkW 1,2 (Rm )←W 1,2 (Rm +) xm 0 αj u x , − (Eu)(x , xm ) = j+1 j=0 0
K X
94
4. Sobolev-R¨aume
f¨ ur xm < 0, wobei die Koeffizienten αj so gew¨ahlt werden sollen, dass ∂k ∂k 0 lim k Eu(x , −) = lim k u(x0 , ) &0 ∂xm &0 ∂xm
f¨ ur k = 0, . . . , K.
(4.19)
Gelingt dies, so ist Eu ∈ C k (Rm ). (4.19) f¨ uhrt auf das Gleichungssystem k K X 1 αj = 1, k = 0, 1, . . . , K. − j +1 j=0 Die Matrix dieses Gleichungssystems ist eine Vandermondsche Matrix, die bekanntlich regul¨ar ist. Daher besitzt dieses Gleichungssystem eine eindeutige L¨osung. Man zeigt leicht, dass kEkW k,2 (Rm )←W k,2 (Rm < ∞ f¨ ur k = 0, . . . , K. +) Satz 4.27. Ist Ω ⊂ Rm offen, beschr¨ankt und C k -glatt (k ∈ N), so besitzt Ω die k-Fortsetzungseigenschaft, d.h. es existiert ein linearer beschr¨ankter Fortsetzungsoperator E : W k,2 (Ω) → W k,2 (Rm ).
ugt es Beweis: 1. Da C ∞ (Ω) ⊂ W k,2 (Ω) nach Satz 4.25 dicht liegt, gen¨ nach Satz 2.12, einen bez¨ uglich der W k,2 -Normen stetigen Fortsetzungsoperator E : C k (Ω) → W k,2 (Rm ) zu konstruieren. 2. Da ∂Ω kompakt und C k -glatt ist, gibt es eine endliche Anzahl von Punkten xi ∈ ∂Ω, i = 1, . . . , N , so dass die Eigenschaften aus Definition 3.44 f¨ ur offene Mengen Ui ⊂ Rm mit xi S ∈ Ui und Koordinatentransformationen ψi : Ui → Rm erf¨ ullt sind, und ∂Ω ⊂ N ahlen eine offene Teilmeni=1 Ui . Wir w¨ ¨ ge U0 ⊂ Ω mit U0 ⊂⊂ Ω so, dass {Ui : i = 0, . . . , N } eine offene Uberdeckung von Ω < ist. Nach Satz 4.21 existiert eine untergeordnete glatte Teilung der Eins χi ∈ C ∞ (Rm ) mit supp χi ⊂ Ui f¨ ur i = 0, . . . , N . k ur i ∈ {1, . . . , N }, 3. Sei u ∈ C (Ω). Dann ist vi := (χi u) ◦ ψi−1 ∈ C k (ψi (Ui )) f¨ und nach der Kettenregel gilt kvi kW k,2 (ψi (Ui )) ≤ Ci kχi ukW k,2 (Ω) mit einer von u unabh¨angigen Konstanten Ci . Sei E˜ der Fortsetzungsoperator f¨ ur den Halbraum aus Lemma 4.26 und sei ζi ∈ C ∞ (Rm ) eine Funktion mit supp (ζi ) ⊂ ψi (Ui ), die auf ψi ( supp (χi )) identisch gleich 1 ist. Dann l¨asst ˜ i ) ◦ ψi durch 0 zu einer Funktion in C k (Rm ) fortsetzen, die in Ω sich (ζi Ev mit χi u u ¨bereinstimmt. Weiterhin gibt es von u unabh¨angige Konstanten C˜i ˜ ◦ ψi kW k,2 (Rm ) ≤ C˜i kχi ukW k,2 (Ω) . Daher l¨asst sich mit k(ζi Ev) Eu := χ0 u +
N X i=1
˜ i ) ◦ ψi (ζi Ev
95
4. Sobolev-R¨aume
von C k (Ω) zu einem beschr¨ankten, linearen Fortsetzungsoperator E von W k,2 (Ω) nach W k,2 (Rm ) stetig fortsetzen. Dieses Resultat kann wie folgt verbessert werden: Satz 4.28. [Fortsetzungssatz von Cald´eron-Zygmund] Jedes Lipschitz-Gebiet besitzt die die k-Fortsetzungseigenschaft f¨ ur alle k ∈ N. Den (erheblich schwierigeren) Beweis findet man z.B. in Stein [11] oder Wloka [17].
4.3.
Einbettungss¨ atze
Obwohl Funktionen aus Sobolevr¨aumen durch Glattheitseigenschaften definiert sind, k¨onnen sie trotzdem sehr “wild” sein. In diesem Abschnitt werden wir zeigen, unter welchen Bedingung Funktionen aus Sobolevr¨aumen stetig, bzw. im klassischen Sinne differenzierbar sind. Dabei ist es hilfreich, auch die Eigenschaften der entsprechenden Einbettungsoperatoren zu studieren. Wir definieren: Definition 4.29. Seien X, Y normierte R¨aume mit X ⊂ Y und sei J : X → Y , Ju := u der Einbettungsoperator. Diesen bezeichnen wir auch kurz mit X ,→ Y . Wir sagen X sei stetig (bzw. kompakt) in Y eingebettet, falls J stetig (bzw. kompakt) ist.
4.3.1.
Stetige Einbettung
Satz 4.30 (Sobolevscher Einbettungssatz). Es gilt H s (Rm ) ⊂ C(Rm ) ∩ L∞ (Rm )
f¨ ur s >
m , 2
(4.20)
und die Einbettung H s (Rm ) ,→ L∞ (Rm ) ist stetig.
Z
Beweis: F¨ ur u ∈ H s (Rm ) gilt nach der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung Rm
|ˆ u(ξ)| dξ ≤
Z
2 −s
Rm
(1 + |ξ| )
= CkukH s (Rm )
dξ
1/2 Z
2 s
Rm
2
(1 + |ξ| ) |ˆ u(ξ)| dξ
1/2
96
4. Sobolev-R¨aume
mit C=
Z
2 −s
Rm
(1 + |ξ| )
dξ
1/2
=
ωm
Z
∞ 2 −s m−1
(1 + r ) r 0
dr
1/2
< ∞.
Da F ∗ : L1 (Rm ) → C(Rm ) ∩ L∞ (Rm ) stetig mit Norm 1 ist, gilt kuk∞ ≤ kˆ ukL1 (Rm ) ≤ CkukH s (R) . Damit ist die Behauptung bewiesen. die Behauptung. Man kann zeigen, dass die Ungleichung s >
m 2
in (4.20) scharf ist.
Korollar 4.31. Sei s ≥ 0. F¨ ur beliebige offene Teilmengen Ω ⊂ Rm und l ∈ N0 gilt m + l, (4.21) H s (Ω) ⊂ C l (Ω) f¨ ur s > 2 und zu jedem α ∈ Nm 0 mit |α| ≤ l gibt es eine Konstante Cα , so dass kD α ukL∞ (Ω) ≤ Cα kukH s (Ω)
(4.22)
f¨ ur alle u ∈ H s (Rm ). Beweis: Sei u ∈ H s (Ω) und u ˜ ∈ H s (Rm ) die Funktion aus Lemma 4.14 mit k˜ ukH s (Rm ) = kukH s (Ω) . Da D α : H s (Rm ) → H s−|α|(Rm ) nach Satz 4.15 beschr¨ankt ist und da s − |α| > m2 , gilt kD α ukL∞ (Ω) ≤ kD α u ˜kL∞ (Rm ) ≤ CkD α u ˜kH s−|α| (Rm ) ≤ Cα k˜ ukH s (Rm ) = Cα k˜ ukH s (Ω) . Um die klassische Differenzierbarkeit von u nachzuweisen, w¨ahlen wir eine Folge (un )n∈N in C0∞ (Rm ) mit k˜ u − un kH s (Rm ) → 0 f¨ ur n → ∞. Dies ist ∞ m j m¨oglich aufgrund der Dichtheit von C0 (R ) in H (Rm ) = W j,2 (Rm ) f¨ ur j m s m j ∈ N, j ≥ s (Satz 4.24) und der Dichtheit von H (R ) in H (R ) (Satz 4.10). Aufgrund der soeben bewiesenen Absch¨atzung angewandt auf u ˜ n |Ω − u folgt, dass alle Ableitung von u ˜n der Ordnung ≤ l gleichm¨aßig in Ω gegen die entsprechenden Ableitungen von u konvergieren. Daher gilt u ∈ C l (Ω).
4.3.2.
Kompakte Einbettung
Satz 4.32. Sei Ω ⊂ Rm offen und beschr¨ankt. Dann ist die Einbettung H0t (Ω) ,→ H0s (Ω) f¨ ur 0 ≤ s < t kompakt.
97
4. Sobolev-R¨aume
Beweis: 1. Wir m¨ ussen zeigen, dass die Einheitskugel M := {u ∈ H0t (Ω) : t kukH t (Ω) ≤ 1} in H0 (Ω) eine relativ kompakte Teilmenge von H0s (Ω) ist. Wir beachten zun¨achst, dass wir jedes u ∈ H0t (Ω) durch 0 zu einer Funktion in H t (Rm ) fortsetzen k¨onnen, da der entsprechende Fortsetzungsoperator auf der dichten Teilmenge C0∞ (Ω) durch 1 beschr¨ankt ist. Da Ω beschr¨ankt ist, gibt es ein R > 0 mit Ω ⊂ B(0, R). F¨ ur u ∈ M und j = 1, . . . , m gelten folgende Absch¨atzungen: |ˆ u(ξ)| ≤
Z
Rm
|e
−2πix·ξ
u(x)| dx ≤
Z
1 dx Ω
1/2
kukL2 (Ω) ,
Z 1/2 Z ∂ uˆ −2πix·ξ 2 kukL2 (Ω) |e (−2πixj )u(x)| dx ≤ (2πR) dx ∂ξj (ξ) ≤ Rm Ω
Aus der zweiten Ungleichung folgt mit Hilfe des Mittelwertsatzes, dass die Menge F (M ) gleichgradig stetig ist. Wir k¨onnen den Satz 2.32 von Arzel´aAscoli zwar nicht unmittelbar auf die Menge F (M ) anwenden, da der Definitionsbereich Rm dieser Funktionenmenge nicht kompakt ist, wohl aber auf die Menge {(F u)|B(0,l) : u ∈ M } f¨ ur jedes l ∈ N. 2. Wir verwenden daher ein Diagonalfolgenargument: Sei (un )n∈N eine Folge in M . Dann gibt es nach dem Satz von Arzel´a-Ascoli angewandt auf die Folge (ˆ un |B(0,1) ) eine Teilfolge (ˆ un1 (k) )k∈N , die in B(0, 1) gleichm¨aßig konvergiert. Nun wenden wir erneut den Satz von Arzel´a-Ascoli an, diesmal auf die Folge (ˆ un1 (k) |B(0,2) )k∈N und erhalten eine weitere Teilfolge u ˆn2 (k) , die in B(0, 2) gleichm¨aßig konvergiert. So fortfahrend k¨onnen wir f¨ ur jedes l ∈ N eine Teilfolge (ˆ unl (k) )k∈N konstruieren, die in allen vorangehenden Teilfolgen enthalten ist und in B(0, l) gleichm¨aßig konvergiert. Die Diagonalfolge (ˆ unk (k) )k∈N konm vergiert dann auf allen kompakten Teilmengen von R gleichm¨aßig. 3. Wir zeigen nun, dass die Diagonalfolge (ˆ unk (k) )k∈N in H0s (Ω) eine CauchyFolge ist. Dazu verwenden wir die Ungleichung kukH s (Ω) ≤ ≤
Z
Z
2 s
|ξ|≤ρ
(1 + |ξ| ) |ˆ u(ξ)| dξ 2 s
|ξ|≤ρ
2
(1 + |ξ| ) dξ
1/2
1/2
+
Z
2 s
|ξ|>ρ
2
(1 + |ξ| ) |ˆ u(ξ)| dξ
1/2
sup |ˆ u(ξ)| + (1 + ρ2 )(s−t)/2 kukH t (Rm(4.23) ),
|ξ|≤ρ
die f¨ ur alle u ∈ H0t (Ω) und ρ > 0 gilt. Sei > 0. Wir w¨ahlen zun¨achst unk (k) )k∈N auf B(0, ρ) ρ so groß, dass 2(1 + ρ2 )(s−t)/2 ≤ 2 . Da die Folge (ˆ
98
4. Sobolev-R¨aume
gleichm¨aßig konvergiert, gibt es ein K > 0, so dass ˆnk (k) (ξ) − u ˆnl (l) (ξ) ≤ sup u 2 ξ∈B(0,ρ)
Z
2 s
|ξ|≤ρ
(1 + |ξ| ) dξ
−1/2
f¨ ur k, l ≥ K.
Damit folgt aus der Ungleichung (4.23), dass kunk (k) − unl (l) kH s (Rm ) ≤ f¨ ur k, l ≥ K. Korollar 4.33. Sei Ω ⊂ Rm offen und beschr¨ankt und sei 0 ≤ s < k mit k ∈ N. Dann ist die Einbettung H k (Ω) ,→ H s (Ω) kompakt. Beweis: Sei R so groß, dass Ω ⊂ B(0, R) und sei χ ∈ C0∞ (B(0, R)) eine Funktion mit χ|Ω ≡ 1. Wir betrachten eine beschr¨ankte Folge (un )n∈N in H k (Ω). Seien u ˜n ∈ H k (Rm ) die Fortsetzungen von un aus Lemma 4.14. Dann gibt es nach Lemma 4.8 und 4.7 Konstanten C, C 0 > 0, so dass kχ˜ un kH k (Rm ) ≤ Ckχ˜ un kW k,2 (Rm ) ≤ CC 0 k˜ un kW k,2 (Rm ) 2 0 2 0 ≤ C C k˜ un kH k (Rm ) = C C kun kH k (Ω) . Also gibt es nach Satz 4.32 eine konvergente Teilfolge (χ˜ un(k) )k∈N in H0s (B(0, R)). Da kχ · (˜ un(k) − u ˜n(l) )kH s (Rm ) ≥ kχ · (˜ un(k) − u ˜n(l) )kH s (Ω) = kun(k) − un(l) kH s (Ω) , ist (un(k) )k∈N Cauchy-Folge in H s (Ω).
4.4.
Spur-Operator und Spurr¨ aume
Wir werden in den folgenden Kapiteln Differentialgleichungen in Sobolevr¨aumen betrachten. Dabei stellt sich die Frage, wie die Randbedingungen formuliert werden k¨onnen, denn es ist nicht sinnvoll, von der Einschr¨ankung einer L2 -Funktion u ∈ L2 (Ω) auf den Rand ∂Ω zu sprechen, da ∂Ω eine Nullmenge ist! In Abh¨angigkeit von der Raumdimension m¨ ussen auch Funk1 2 tionen aus H (Ω) und H (Ω) nicht notwendigerweise stetig sein (siehe Satz 4.30). Wir werden im folgenden definieren, in welchem Sinne man dennoch von Randdaten solcher Funktionen sprechen kann.
99
4. Sobolev-R¨aume
4.4.1.
Der Spur-Operator auf Hyperfl¨ achen
Satz 4.34. F¨ ur s > ten Operator
1 2
gibt es einen eindeutig bestimmten linearen, beschr¨ank1
T : H s (Rm ) → H s− 2 (Rm−1 ) (genannt Spur-Operator) mit der Eigenschaft, dass (T u)(x1 , . . . , xm−1 ) = u(x1 , . . . , xm−1 , 0) f¨ ur alle u ∈ C0∞ (Rm ) und x = (x1 , . . . , xm ) ∈ Rm . Beweis: Da C0∞ (Rm ) nach Satz (4.24) dicht in H s (Rm ) liegt, gen¨ ugt des aufgrund von Satz 2.12 zu zeigen, dass es eine Konstante C > 0 gibt mit kT ukH s−1/2 (Rm−1 ) ≤ CkukH s (Rm ) f¨ ur alle u ∈ C0∞ (Rm ). F¨ ur ein solches u sei R −2πiξm xm 0 0 u(x , xm ) dxm die eindimensionale Fouriertransforu ˜(x , ξm ) := R e mation von u bez¨ uglich der letzten Variablen mit x0 := (x1 , . . . , xm−1 ) ∈ Rm−1 . Nach der Fourierschen Umkehrformel und der Definition der Spur gilt Z Z 0 0 2πiξm 0 0 (T u)(x ) = u(x , 0) = e u ˜(x , ξm ) dξm = u ˜(x0 , ξm ) dξm . R
R
Wendet man auf diese Gleichung die Fourier-Transformation Fm−1 in Rm−1 an, so ergibt sich Z 0 (Fm−1 T u)(ξ ) = (Fm u)(ξ 0 , ξm ) dξm . R
Damit gilt kT uk2H s− 21 (Rm−1 )
Z
1
(1 + |ξ 0 |2 )s− 2 |(Fm−1 T u)(ξ 0)|2 dξ 0 m−1 R Z 2 Z 0 0 2 s− 21 dξ 0 (F u)(ξ , ξ ) dξ = (1 + |ξ | ) m m m m−1 R ZR Z h 1 ≤ (1 + |ξ 0 |2 )s− 2 (1 + |ξ|2 )−s dξm m−1 R R Z i 0 2 2 s × |(Fm u)(ξ , ξm )| (1 + |ξ| ) dξm dξ 0 =
R
= Ks kukH s (Rm ) ,
100
4. Sobolev-R¨aume
p denn mit Hilfe der Substitution y = 1 + |ξ 0 |2 ξm erh¨alt man f¨ ur s > 12 Z Z 2 −s 2 (1 + |ξ| )) dξm = (1 + |ξ 0 |2 + ξm ))−s dξm (4.24) R R Z 0 2 −s+ 21 = Ks (1 + |ξ | ) mit Ks = (1 + y 2 )−s dy < ∞. R
Satz 4.35 (Rechtsinverse des Spur-Operators). Der Spur-Operator T : H s (Rm ) → H s−1/2 (Rm−1 ) in Satz 4.34 ist surjektiv und besitzt eine beschr¨ankte Rechtsinverse Z : H s−1/2 (Rm−1 ) → H s (Rm ), T Zg = g f¨ ur alle s−1/2 m−1 g∈H (R ). Beweis: Wir geben eine explizite Formel f¨ ur Z mit Hilfe der Fouriertrans∞ formation an. Aufgrund der Dichtheit von C0 (Rm−1 ) in H s−1/2 (Rm−1 ) reicht es nach Satz 2.12, Zφ f¨ ur φ ∈ C0∞ (Rm−1 ) zu definieren: (Zφ)(x) :=
Z
e2πiξ·x Rm
(1 + |ξ 0 |2 )s−1/2 ˆ 0 φ(ξ ) dξ Ks (1 + |ξ|2 )s
Dabei sei Ks wie in (4.24) definiert. Aufgrund dieser Gleichung erhalten wir f¨ ur xm = 0 Z 0 0 0 ˆ 0 ) dξ 0 = φ(x0 ). (Zφ)(x , 0) = e2πiξ ·x φ(ξ Rm−1
Daher gilt T Zφ = φ. Die Stetigkeit von Z folgt aus der Gleichungskette Z 2 2 c kZφkH s (Rm ) = (1 + |ξ|2 )s |Zφ(ξ)| dξ m R Z Z ∞ 0 2 2s−1 ˆ 0 2 −1 = (1 + |ξ | ) |φ(ξ )| Ks (1 + |ξ|2 )−s dξm dξ 0 m−1 −∞ ZR = (1 + |ξ 0 |2 )s−1/2 |φ(ξ 0 )|2 dξ 0 =
Rm−1 kφk2H s−1/2 (Rm−1 ) ,
wobei wir in der vorletzten Zeile ein weiteres Mal Gleichung (4.24) benutzt haben.
101
4. Sobolev-R¨aume
4.4.2.
Spurr¨ aume
Lemma 4.36. Sei Ω ⊂ Rm ein offenes, beschr¨anktes, (st¨ uckweise C 1 -glattes, siehe Bemerkung 4.37) Lipschitz-Gebiet. Dann existiert ein eindeutig bestimmter beschr¨ankter linearer Operator T : W 1,2 (Ω) → L2 (∂Ω) mit der Eigenschaft, dass T u = u|∂Ω f¨ ur alle u ∈ W 1,2 (Ω) ∩ C(Ω). Beweis: 1. Aufgrund des Dichtheitssatzes 4.25 und Satz 2.12 gen¨ ugt es zu zeigen, dass es eine Konstante C > 0 gibt, so dass ku|∂Ω k2L2 (∂Ω) ≤ Ckuk2W 1,2 (Ω)
(4.25)
f¨ ur alle u ∈ C ∞ (Ω). 2. Da ∂Ω kompakt ist, gibt es endlich viele Punkte xi ∈ ∂Ω, i = 1, . . . , N , Lipschitz-Funktionen γiSund Radien ri , so dass in B(xi , ri ) die Eigenschaften i ¨ (4.18) gelten und ∂Ω ⊂ N ahlen eine dieser Uberdeckung i=1 B(x , ri /2). Wir w¨ von ∂Ω untergeordnete glatte Teilung der Eins {χi : i = 1, . . . , N }. 3. Um die Notation einfach zu halten, nehmen wir an, f¨ ur i ∈ {1, . . . , N } sei die orthogonale Koordinatentransformation A in (4.18) die Identit¨at. Dann gilt f¨ ur u ∈ C ∞ (Ω) die Absch¨atzung Z χi (x)|u(x)|2 ds(x) ∂Ω∩B(xi ,ri ) Z p = χi (x0 , γ(x0 ))|u(x0 , γ(x0 ))|2 1 + |∇γ(x0 )|2 dx0 B((xi )0 ,ri ) Z Z ∞ p ∂ χi (x)|u(x)|2 dxn 1 + |∇γ(x0 )|2 dx0 = − B((xi )0 ,ri ) γ(x0 ) ∂xn Z p ∂χi ∂u 2 0 2 = − ∂xn (x)|u(x)| + 2χi (x)u(x) ∂xn (x) 1 + |∇γ(x )| dx Ω∩B(xi ,ri ) Z ≤ Ci |u(x)|2 + |(∇u)(x)|2 dx ≤ Ci kuk2W 1,2 (Ω) Ω∩B(xi ,ri )
mit einer von u unabh¨angigen Konstanten Ci . Summieren wir diese Ungleichungen f¨ ur i = 1, . . . N auf, so erhalten wir (4.25).
102
4. Sobolev-R¨aume
Bemerkung 4.37. Die Voraussetzung, dass Ω st¨ uckweise C 1 -glatt ist, stellt 0 sicher, dass γ fast u ¨ berall wohldefiniert ist. Diese Voraussetzung ist in praktischen Anwendungen immer erf¨ ullt. Mathematisch ist diese Voraussetzung allerdings nicht notwendig, denn nach dem Satz von Rademacher (siehe Evans [1, Kapitel 5.8.3]) ist jede global Lipschitz-stetige Funktion γ mit LipschitzKonstante L > 0 fast u ¨berall differenzierbar , und |∇γ| ≤ L fast u ¨berall. Definition 4.38. In Lemma 4.36 heißt T u die Spur von u ∈ W 1,2 (Ω) auf ∂Ω, und T heißt Spur-Operator. Ist k ∈ N und ∂Ω C k -glatt (bzw. Lipschitz f¨ ur k = 1), so definieren wir H k−1/2 (∂Ω) := T W k,2 (Ω) (4.26)
mit der Norm
kgkH k−1/2 (∂Ω) := inf kukH k (Ω) : T u = g .
(4.27)
Nach den S¨atzen 4.34 und 4.35 stimmt diese Definition f¨ ur den Halbraum ¨ Ω = Rm−1 ×(0, ∞) bis auf Norm-Aquivalenz mit Definition 4.9 u ¨berein, wenn m−1 m−1 wir ∂Ω = R × {0} mit R identifizieren. Dies erkl¨art die Bezeichnung k−1/2 H (∂Ω). Satz 4.39 (Eigenschaften von Spur-Operator und Spurr¨ aumen). Sei k ∈ N und Ω ⊂ Rm offen, beschr¨ankt und C k -glatt (bzw. Lipschitz f¨ ur k = 1). Dann gilt: 1. H k−1/2 (∂Ω) ist ein Hilbertraum. 2. T : H k (Ω) → H k−1/2 (∂Ω) ist beschr¨ankt mit Norm 1. 3. (Rechtsinverse) Es existiert ein beschr¨ankter linearer Operator Z : H k−1/2 (∂Ω) → H k (Ω) mit der Eigenschaft T Zg = g f¨ ur alle g ∈ H k−1/2 (∂Ω) und kZk = 1. 4. (Normalableitung) F¨ ur k ≥ 2 gibt es einen eindeutig bestimmten linearen beschr¨ankten Operator 3
Tn : H k (Ω) → H k− 2 (∂Ω) mit der Eigenschaft Tn u =
∂u ∂n
f¨ ur u ∈ H k (Ω) ∩ C 1 (Ω).
103
4. Sobolev-R¨aume
Beweis: 1. Die Einschr¨ankung T˜ : N (T )⊥ → R(T ) von T auf N (T )⊥ ist offenbar bijektiv. F¨ ur g ∈ H k−1/2 (∂Ω) gibt es daher ein eindeutig bestimmtes w ∈ N (T )⊥ mit g = T˜ w, und das Infimum in (4.27) wird genau bei w angenommen, da kw + vk2 = kwk2 + kvk2 ≥ kwk2 f¨ ur alle v ∈ N (T ). Also ist T˜ isometrisch. Da N (T )⊥ als abgeschlossener Unterraum eines Hilbertraums wiederum Hilbertraum ist, wird die Norm in H k−1/2 (∂Ω) von einem Skalarprodukt erzeugt, und H k−1/2 (∂Ω) ist vollst¨andig. 2. Dies folgt unmittelbar aus der Definition. 3. W¨ahle Z := T˜ −1 . 4. Wir setzen den Normalenvektor n ∈ C m−1 (∂Ω, Rm ) zu einer Funktion ˜ ∈ C m−1 (Ω, Rm ) fort. Dann ist nach Lemma 4.7 n ˜ · grad u ∈ W k−1,2 (Ω) f¨ n ur k,2 alle u ∈ W (Ω). Wir definieren Tn u := T (˜ n · grad u) . ∂u f¨ ur u Da H k (Ω) ∩ C 1 (Ω) nach Satz 4.25 dicht in H k (Ω) liegt und Tn u = ∂n aus dieser Teilmenge, ist Tn nach Satz 2.12 durch diese Eigenschaft eindeutig bestimmt und daher insbesondere unabh¨angig von der Wahl der Fortsetzung ˜. n
Bemerkung 4.40. Normalerweise werden Sobolevr¨aume auf Mannigfaltigkeiten definiert, indem man u ¨ber lokale Karten eine Norm definiert. Auf diese Weise kann man auf Mannigfaltigkeiten Sobolevr¨aume mit beliebigem reellen Index s definieren. Der Nachweis, dass man bei Koordinatentransformationen ¨aquivalente Normen erh¨alt, ist jedoch technisch recht aufw¨andig, insbesondere f¨ ur nicht-ganzzahlige Indizes s (siehe Wloka [17]). Auch der Beweis der Eigenschaften des Spur-Operators ist mit dieser Definition schwieriger. Wir h¨atten bei der Definition der R¨aume H k−1/2 (∂Ω) eigentlich nur LipschitzGlattheit von ∂Ω ben¨otigt. Damit unsere Definition mit der in der Literatur u ¨ blichen u ¨bereinstimmt, haben wir jedoch gefordert, dass ∂Ω C k -glatt ist. Definition 4.41. Ist Ω ⊂ Rm ein offenes, beschr¨anktes Lipschitz-Gebiet, so definieren wir 0 H −1/2 (∂Ω) := H 1/2 (∂Ω) mit der Dualraum-Norm kgkH −1/2 (∂Ω) := sup |g(ϕ)| : kϕkH 1/2 (∂Ω) ≤ 1 . Wir schreiben hf, giL2 (∂Ω) := g(f ) f¨ ur f ∈ H 1/2 (∂Ω) und identifizieren FunkR tionen g ∈ L2 (∂Ω) mit dem durch f 7→ ∂Ω f g ds gegebenen Funktional in H −1/2 (∂Ω). F¨ ur solche Funktionen ist das Dualit¨atsprodukt h·, ·iL2 (Ω) : H 1/2 (∂Ω)×H −1/2 (∂Ω) → C identisch mit dem gew¨ohnlichen L2 -Skalarprodukt.
104
4. Sobolev-R¨aume
Im allgemeinen besitzen Funktionen u ∈ H 1 (Ω) keine verallgemeinerte Normalableitung in H −1/2 (∂Ω). Es gilt jedoch: Satz 4.42 (Normalableitung in H −1/2 ). Sei Ω ⊂ Rm ein offenes, beschr¨anktes, Lipschitz-Gebiet. Besitzt u ∈ W 1,2 (Ω) eine schwache Ableitung ∆u ∈ L2 (Ω), so ist durch Z ∂u ,v := {∇u · ∇(Zf ) + ∆u (Zf )} dx, f ∈ H 1/2 (∂Ω) ∂n Ω L2 (∂Ω) (4.28) ∂u −1/2 (∂Ω) wohldefiniert, und es gilt eine schwache Normalableitung ∂n ∈ H
∂u
≤ kukW 1,2 (Ω) + k∆ukL2 (Ω) . (4.29)
∂n −1/2 H (∂Ω)
F¨ ur u ∈ C 2 (Ω) ist
∂u ∂n
die gew¨ohnliche Normalableitung von u.
Beweis: Da nach der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung ∂u ,v ≤ k∇ukL2 k∇Zf kL2 + k∆ukL2 kZf kL2 ∂n L2 (∂Ω) ≤ kukW 1,2 (Ω) + k∆ukL2 (Ω) kZk kf kH 1/2 (∂Ω) ,
∂u ∈ H −1/2 (∂Ω) wohldefiniert, und es gilt die Absch¨atzung (4.29). ist ∂n Sei nun u ∈ C 2 (Ω) und f ∈ H 1/2 (∂Ω). Unter Verwendung des Satzes von Rademacher (siehe Bemerkung 4.37) kann man zeigen, dass der Gaußsche Integralsatz und damit auch die Greenschen S¨atze nicht nur f¨ ur C 1 -glatte Gebiete, sondern sogar f¨ ur Lipschitz-Gebiet gelten (siehe McLean [9, Theorem 3.34]). Wir w¨ahlen unter Benutzung von Satz 4.24 eine Folge (vn ) in C 1 (Ω), die in W 1,2 (Ω) gegen Zf konvergiert, und erhalten Z ∂u , T vn = {∇u · ∇vn + ∆u vn } dx ∂n Ω L2 (∂Ω) ∂u die gew¨ohnliche Normalableitung von u bezeichf¨ ur alle n ∈ N, wobei jetzt ∂n net. Da die rechte Seite bez¨ uglich der W 1,2 (Ω)-Norm stetig von vn abh¨angt und da limn→∞ T vn = T Zf = f , erhalten wir im Limes n → ∞ die Gleichung ∂u (4.28), d.h. ∂n ist auch schwache Normalableitung.
105
4. Sobolev-R¨aume
4.5.
Der Raum W01,2(Ω)
Satz 4.43 (Charakterisierung u ¨ber Spur-Operator). Sei Ω ⊂ Rm offen, beschr¨ankt und C 1 -glatt. Dann gilt W01,2 (Ω) = {u ∈ W 1,2 (Ω) : T u = 0}. Beweis: 1. Ist u ∈ W01,2 (Ω), so gibt es eine Folge (un )n∈N in C0∞ (Ω) mit kun − ukW 1,2 (Ω) ≤ 1/n. Da T un = 0 f¨ ur alle n ∈ N, folgt aus der Stetigkeit des Spur-Operators, dass T u = 0. 2. Zum Beweis der umgekehrten Richtung betrachten wir zun¨achst den Halbm raum Rm + := {x ∈ R : xm > 0} und eine Funktion u ∈ W 1,2 (Rm +)
mit kompaktem Tr¨ager in Rm + und
T u = 0 auf ∂Rm +.
Wir m¨ochten zeigen, dass sich eine solche Funktion approximieren l¨asst durch Funktionen, deren Tr¨ager positiven Abstand zu ∂Rm + besitzen. Sei (un )n∈N m 1,2 ) mit ku − uk → 0. Da f¨ ur x = (x0 , xm ) ∈ Rm eine Folge in C0∞ (Rm n W (R+ ) + + aufgrund des Fundamtenalsatzes der Differential- und Integralrechnung, der Ungleichung (a + b)2 ≤ 2a2 + 2b2 und der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung 2 Z xm ∂u n 0 0 2 0 (x , t) dt |un (x , xm )| = un (x , 0) + ∂xm 0 Z xm 2 ∂un 0 0 2 ≤ 2|un (x , 0)| + 2 1· (x , t) dt ∂xm Z 0xm Z xm 2 0 2 2 ≤ 2|un (x , 0)| + 2 1 dt · |∇un (x0 , t)| dt, 0
erhalten wir durch Integration Z Z 0 2 0 |un (x , xm )| dx ≤ 2 Rm−1
0
|un (x0 , 0)|2 dx0 Z Z xm +2xm |∇un (x0 , t)|2 dt dx0 . Rm−1
Rm−1
0
Lassen wir n gegen unendlich gehen, so ergibt sich wegen Z =0 → kT uk2L2 (∂Rm |un (x0 , 0)|2 dx0 = kT un k2L2 (∂Rm +) +) Rm−1
106
4. Sobolev-R¨aume
die Ungleichung Z Z 0 2 0 |u(x , xm )| dx ≤ 2T Rm−1
Rm−1
Z
xm 0
|∇un (x0 , t)|2 dt dx0 .
(4.30)
3. Wir f¨ uhren eine Abschneidefunktion ζ ∈ C ∞ ([0, ∞)) mit den Eigenschaften ζ ≡ 1 auf [0, 1], ζ ≡ 0 auf [2, ∞) und 0 ≤ ζ ≤ 1
ein und definieren f¨ ur n ∈ N die Funktionen
wn (x) := u(x) (1 − ζ(nx0m )) ,
x ∈ Rm +.
Da ∂xm wn (x) = (∂xm wn )(x) − nu(x)ζ 0 (nxm ), ∇x0 wn (x) = (∇x0 u)(x)(1 − ζ(nxm )), gilt Z
2
Rm
|∇wn − ∇u| dx ≤ 2 Z 2/n Z 0 2 2 +2kχ k∞ n
Z
Rm
Rm−1
0
|ζ(nxm )|2 |∇u|2 dx
|u(x0 , xn )|2 dx0 dxm =: A + B.
Nach dem Lebesgueschen Grenzwertsatz gilt A → 0 f¨ ur n → ∞. Um zu zeigen, dass auch B f¨ ur n → ∞ gegen 0 geht, benutzen wir die Ungleichung (4.30): ! Z ! Z Z 2/n
B ≤ 2kχ0 k2∞ n2 ≤ 8kχ0 k2∞
Z
0
2/n
2t dt
0
2/n Z
0
Rm−1
|∇u(x0 , xn )|2 dx0 dxm n→∞
Rm−1
|∇u(x0 , xm )|2 dx0 dxm → 0.
→ 0. Da offenbar auch Damit haben wir gezeigt, dass k∇wn − ∇ukL2 (Rm +) → 0, gilt kwn − ukL2 (Rm +) kwn − ukW 1,2 (Rm → 0. +) 4. Sei nun u ∈ W 1,2 (Ω) mit T u = 0. Indem wir wie u ¨blich eine Teilung der Eins benutzen, erhalten wir durch den soeben untersuchten Spezialfall
4. Sobolev-R¨aume
107
nach eventueller Umnummerierung eine Folge von Funktionen un ∈ W 1,2 (Ω) mit ku − un kW 1,2 (Ω) ≤ 1/n und ρn := dist( supp un , ∂Ω) > 0. Wir definieren gegl¨attete Funktionen u ˜n := ηn ∗ un mit n < ρn . Dann gilt nach Satz 4.20 ∞ u ˜n ∈ C0 (Ω) und ku − u ˜n kW 1,2 (Ω) ≤ 2/n → 0 f¨ ur n hinreichend klein. Also 1,2 ist u ∈ W0 (Ω). Satz 4.44 (Poincar´ e-Ungleichung). Sei d > 0 und Ω ⊂ Sd eine beliebige Teilmenge des Streifens Sd := {x ∈ Rm : 0 < x1 < d}. Dann gilt f¨ ur alle 1,2 u ∈ W0 (Ω) die Ungleichung √ kukW 1,2 (Ω) ≤ 1 + 4d2 k∇ukL2 (Ω) . (4.31) Beweis: Da nach Definition C0∞ (Ω) dicht in W01,2 (Ω) liegt, reicht es, die Ugl. (4.31) f¨ ur u ∈ C0∞ (Ω) zu beweisen. Wir denken uns u durch 0 zu einer Funktion u ∈ C0∞ (Rm ) fortgesetzt. Durch partielle Integration erhalten wir
Z Z
∂u ∂ 2 2 2
. 1·|u(x)| dx = − x1 |u(x)| dx ≤ 2dkukL2 (Ω) kukL2 (Ω) =
∂x ∂x d 1 1 L2 (Ω) S Sd Daraus folgt kukL2 (Ω) ≤ 2d k∇ukL2 (Ω) . Da kuk2W 1,2 (Ω) = k∇uk2L2 (Ω) + kuk2L2 (Ω) , erhalten wir (4.31).
5. Elliptische Differentialgleichungen Wir werden in diesem Kapitel die Ergebnisse aus Kapitel 4 benutzen, um die Existenz von L¨osungen elliptischer Differentialgleichungen nachzuweisen. Dabei beschr¨anken wir uns auf den wichtigesten Spezialfall linearer elliptischer Differentialgleichungen zweiter Ordnung. Verallgemeinerungen auf elliptische Differentialgleichungen h¨oherer Ordnung und elliptische Systeme von Differentialgleichungen findet man in [10, 12, 17] und auf nichtlineare elliptische Differentialgleichungen in [1, 3, 10, 13].
5.1. 5.1.1.
Schwache Lo ¨sungstheorie Schwache, starke, klassische L¨ osungen
Definition 5.1. Ein linearer elliptischer Differentialoperator zweiter Ordnung in einem Gebiet Ω ⊂ Rm ist ein Operator der Form m
m X
X ∂u ∂2u (Lu)(x) := − aj,k (x) (x) + bj (x) (x) + c(x)u(x) ∂xj ∂xk ∂xj j=1 j,k=1
(5.1)
mit Koffizienten aj,k , bj , c ∈ L∞ (Ω), so dass die Matrix A(x) := (aj,k (x)) ∈ Rm×m f¨ ur fast alle x ∈ Ω symmetrisch und positiv definit ist. L heißt gleichm¨aßig elliptisch in Ω, falls es eine Konstante θ > 0 gibt mit ξ T A(x)ξ ≥ θ|ξ|2
(5.2)
f¨ ur alle ξ ∈ Rm und fast alle x ∈ Ω. Ist L in der Form
˜ (Lu)(x) := − div (A(x) grad u(x)) + b(x) · grad u(x) + c(x)u(x)
(5.3)
˜ gegeben mit A(x) = (aj,k (x)) wie oben und b(x) = (˜b1 (x), . . . , ˜bm (x)), so sagen wir, L sei in Divergenzform. 108
109
5. Elliptische Differentialgleichungen
Lemma 5.2. Sei L ein elliptischer Differentialoperator in Divergenzform mit Koeffizienten ajk ∈ W 1,∞ (Ω), ˜bj , c ∈ L∞ (Ω), so kann L in der Form (5.1) geschrieben werden mit m X ∂ajk ˜ bj := bj − . ∂xk k=1
Ist andersherum L in der Form (5.1) gegeben mit ajk , c wie oben und bj ∈ L∞ (Ω), so kann L in Divergenzform geschrieben werden mit ˜bj = bj + Pm ∂ajk k=1 ∂xk .
Beweis: Dies folgt aus der Identit¨at ! ! m m m m m X X X X X div (A grad u) = ∂k aj,k ∂j u = aj,k ∂j ∂k u+ ∂k aj,k ∂j u. k=1
j=1
j,k=1
j=1
k=1
Wir betrachten nun das Randwertproblem Lu = f u = gD
in Ω, auf ∂Ω
(5.4a) (5.4b)
mit Dirichlet-Randbedingung. Es wird sich herausstellen, dass es f¨ ur allgemeine elliptische Differentialoperatoren nat¨ urlicher ist, statt der Normalableitung auf dem Rand die sogenannte Konormalableitung ∂An u := h grad u, Ani zu verwenden. F¨ ur A = I stimmen Normal- und Konormalableitung offenbar u ¨ berein. Wir erhalten das Neumannsche Randwertproblem Lu = f ∂An u = gN
in Ω, auf ∂Ω.
(5.5a) (5.5b)
Definition 5.3 (klassische L¨ osungen). Sei L ein elliptischer Differentialoperator auf einem C 1 -glatten Gebiet Ω mit Koeffizienten aj,k , bj , c ∈ C(Ω), sei f ∈ C(Ω) und gD , gN ∈ C(∂Ω). Unter einer klassischen L¨osung verstehen wir eine Funktion u ∈ C 2 (Ω) ∩ C(Ω) (bzw. u ∈ C 2 (Ω) ∩ C 1 (Ω)), die die Gleichungen (5.4) (bzw. (5.5)) erf¨ ullt.
110
5. Elliptische Differentialgleichungen
Von einer starken L¨osung fordern wir lediglich, dass sie in dem SobolevRaum W 2,2 (Ω) liegt und interpretieren alle Ableitungen als schwache Ableitungen (siehe Abschnitt 4.1.). Dabei kommen wir mit geringeren Glattheitsvoraussetzungen an die Koeffizienten und die rechte Seite aus. Wir k¨onnen zum Beispiel zulassen, dass aj,k und f st¨ uckweise konstant sind. Dies kommt in vielen Anwendungen vor, etwa bei der Modellierung physikalischer Gr¨oßen in Gegenst¨anden, die aus unterschiedlichen Materialien zusammengesetzt sind. Die Randbedingungen sind jetzt im Sinne des Spur-Operators (siehe Abschnitt 4.4.) zu interpretieren. V¨ollig analog zu Satz 4.39 zeigt man, dass sich die Konormalableitung u 7→ ∂An u von C 2 (Ω) zu einem Spur-Operator TAn : H 2 (Ω) → H 1/2 (∂Ω) stetig fortsetzen l¨asst. Definition 5.4 (starke L¨ osungen). Sei L ein elliptischer Differentialoperator auf einem Lipschitz-Gebiet Ω mit Koeffizienten aj,k , bj , c ∈ L∞ (Ω), sei f ∈ L2 (Ω), gD ∈ H 3/2 (∂Ω) und gN ∈ H 1/2 (∂Ω). Unter einer starken L¨osung verstehen wir eine Funktion u ∈ W 2,2 (Ω), die die Differentialgleichung Lu = f und die Randbedingungen (5.4b) (bzw. (5.5b)) im Sinne des Spur-Operators erf¨ ullt: T u = gD ,
bzw.
TAn u = gN .
Wir hatten schwache Formulierungen der Laplace-Gleichung bereits in Abschnitt 3.2.5. diskutiert. Um zu einer schwachen Formulierung einer allgemeinen elliptischen Differentialgleichung zweiter Ordnung in Divergenzform zu kommen, multiplizieren wir mit einer Testfunktion v und integrieren (formal) den ersten Term partiell: Z Z Z − div (A grad u)v dx = hA grad u, grad vi dx − hA grad u, ni v ds Ω
Ω
∂Ω
Dies folgt aus dem Gaußschen Divergenzsatz angewandt auf die Funktion A grad uv und der Identit¨at div ((A grad u)v) = div (A grad u)v + hA grad u, grad vi . Definition 5.5 (schwache L¨ osungen). Sei L ein elliptischer Differentialoperator in Divergenzform auf einem beschr¨ankten, st¨ uckweise C 1 -glatten
5. Elliptische Differentialgleichungen
111
Lipschitz-Gebiet Ω mit Koeffizienten aj,k , ˜bj , c ∈ L∞ (Ω). Wir definieren eine Bilinearform B : W 1,2 (Ω) × W 1,2 (Ω) → R durch Z D E ˜ + cu v dx. B(u, v) := hA grad u, grad vi + grad u, v b Ω
• Sei f ∈ L2 (Ω) und gD ∈ H 1/2 (∂Ω). Unter einer schwachen L¨osung des Randwertproblems (5.4) verstehen wir eine Funktion u ∈ W 1,2 (Ω) mit T u = gD , f¨ ur die gilt Z B(u, v) = f v dx f¨ ur alle v ∈ W01,2 (Ω). (5.6) Ω
• Sei f ∈ L2 (Ω) und gN ∈ H −1/2 (∂Ω). Unter einer schwachen L¨osung des Randwertproblems (5.5) verstehen wir eine Funktion u ∈ W 1,2 (Ω), f¨ ur die gilt Z B(u, v) = f v dx + hgN , T viL2 (∂Ω) f¨ ur alle v ∈ W 1,2 (Ω). (5.7) Ω
Bemerkung 5.6. Man kann die Dirichletsche Randbedingung mit Hilfe der Rechtsinversen Z des Spur-Operators aus Satz 4.39 in die Variationsformulierung inkooperieren. Dazu betrachten wir die Funktion u ˜ := u − ZgD . Diese erf¨ ullt die homogene Randbedingung T u ˜ = 0, d.h. nach Satz 4.43 gilt 1,2 u ˜ ∈ W0 (Ω). Weiterhin erf¨ ullt u ˜ die Variationsgleichung Z B(˜ u, v) = f v dx + B(ZgD , v) f¨ ur alle v ∈ W01,2 (Ω). (5.8) Ω
Ist andersherum u˜ ∈ W01,2 (Ω) eine L¨osung dieser Variationsgleichung, so ist u := u ˜ + ZgD eine schwache L¨osung von (5.4).
5.1.2.
Satz von Lax-Milgram
Um die Existenz von schwachen L¨osungen zu beweisen, untersuchen wir zun¨achst Bilinearformen in einem allgemeinen funktionalanlytischen Rahmen. Definition 5.7. Sei V ein komplexer (bzw. reeller) Hilbertraum mit innerem Produkt (·, ·)V . Eine Abbildung B : V × V → C (bzw. R) heißt
112
5. Elliptische Differentialgleichungen
• sesquilinear, falls sie linear im ersten Argument und antilinear im zweiten Argument ist (bzw. bilinear, falls sie linear in beiden Argumenten ist) • beschr¨ankt, falls kBk :=
|B(u, v)| < ∞, u,v∈V \{0} kuk kvk sup
(5.9)
• koerzitiv, falls es eine Konstante γ > 0 gibt, so dass Re B(u, u) ≥ γkuk2
f¨ ur alle u, v ∈ V.
(5.10)
Eine sesquilineare (bzw. bilineare) Abbildung nennt man auch Sesquilinearform (bzw. Bilinearform). Die Menge aller beschr¨ankten Sesquilinearformen auf einem komplexen Hilbertraum V bezeichnen wir mit Ses(V ), die Menge der beschr¨ankten Bilinearformen auf einem reellen Hilbertraum V mit Bil(V ). Es ist offensichtlich, dass Ses(V ), bzw. Bil(V ) mit der linearen Struktur (λ1 B1 + λ2 B2 )(u, v) := λ1 B(u, v) + λ2 B(u, v) ein Vektorraum ist und dass durch (5.9) eine Norm auf diesen Vektorr¨aumen gegeben ist. Lemma 5.8. Sei V ein komplexer Hilbertraum. Dann ist die Abbildung L(V ) → Ses(V ), die einem Operator A ∈ L(V ) die durch B(u, v) = (Au, v)V ,
u, v ∈ V
(5.11)
definierte Sesquilinearform B ∈ Ses(V ) zuordnet, bijektiv und bez¨ uglich der Norm (5.9) isometrisch. Ebenso ist f¨ ur einen reellen Hilbertraum V die entsprechende Abbildung L(V ) → Bil(V ) bijektiv und isometrisch. Beweis: Wir beweisen nur den komplexen Fall, der reelle ist analog. Die Linearit¨at der angegebenen Abbildung ist offensichtlich. Da |B(u, v)| ≤ kAuk kvk ≤ kAk kuk kvk, ist kBk ≤ kAk. W¨ahlt man speziell v = Au, so erh¨alt man |B(Au, v)| = kAuk2 f¨ ur alle u ∈ V . Durch Bildung des Supremums u ¨ber alle u mit kuk = 1 in dieser Gleichung folgt kBk ≥ kAk, also kBk = kAk.
113
5. Elliptische Differentialgleichungen
Zum Nachweis der Surjektivit¨at der Abbildung A 7→ B konstruieren wir zu einem gegebenen B ∈ Ses(V ) einen Operator A ∈ L(V ), so dass (5.11) erf¨ ullt ist. F¨ ur jedes u ∈ V ist die Abbildung Fu : V → C, v 7→ B(u, v) antilinear und beschr¨ankt durch kBk kuk. Daher existiert nach dem Rieszschen Darstellungssatz 2.15 ein eindeutig bestimmter Vektor z ∈ V , so dass Fu (v) = (z, v)V f¨ ur alle u ∈ V , und kzk = kFu k ≤ kBk kuk. Wir setzen Au := z. Man u uft leicht, dass der hierdurch definierte Operator ¨berpr¨ A : V → V linear ist und beschr¨ankt durch kAk ≤ kBk. Satz 5.9 (Lax-Milgram). Sei V ein komplexer (bzw. reeller) Hilbertraum und sei B ∈ Ses(V ) (bzw. B ∈ Bil(V )) koerzitiv mit Konstante γ > 0 (siehe Gl. (5.10)). Dann ist der durch (5.11) gegebene Operator A ∈ L(V ) bijektiv und die Inverse ist beschr¨ankt durch kA−1 k ≤
1 . γ
(5.12)
Insbesondere ist die Variationsgleichung B(u, v)) = F (v),
v∈V
(5.13)
f¨ ur alle beschr¨ankten antilinearen Funktionale F ∈ V ∗ eindeutig l¨osbar, und es gilt die a-priori Absch¨atzung kukV ≤
1 kF kV ∗ . γ
(5.14)
Beweis: 1. Wir zeigen zun¨achst, dass der Wertebereich R(A) dicht in V liegt. Sei u ∈ R(A)⊥ . Dann gilt γkuk2 ≤ Re B(u, u) = Re (Au, u) = 0, also u = 0. Damit folgt nach Satz 2.8, dass R(A) = V . 2. Als n¨achstes zeigen wir, dass R(A) abgeschlossen ist. Dividieren wir in der Ungleichungskette γkuk2 ≤ Re B(u, u) ≤ kAukkuk durch γkuk, so erhalten wir 1 u ∈ V. (5.15) kAuk ≥ kuk, γ Ist v ∈ R(A), so gibt es eine Folge (un ) in V mit Aun → v. Setzen wir u = un − um in (5.15) ein, so sehen wir, dass (un ) Cauchy-Folge ist und
5. Elliptische Differentialgleichungen
114
daher einen Gremzwert u∗ ∈ V besitzt. Aufgrund der Stetigkeit von A gilt Au∗ = v, also v ∈ R(A). 3. Wir haben gezeigt, dass A surjektiv ist. Die Injektivit¨at von A und die Normabsch¨atzung (5.12) folgen unmittelbar aus (5.15). 4. Nach dem Rieszschen Darstellungssatz gibt es ein f ∈ V mit kf kV = ur alle v ∈ V . Daher ist die Variationsgleichung kF kV ∗ und F (v) = (f, v) f¨ (5.13) ¨aquivalent zur Operatorgleichung Au = f , und die Aussagen des letzten Satzes folgen aus den Eigenschaften von A. Ist die Bilinearform der schwachen Formulierung eines elliptischen Randwertproblems koerzitiv, so sprechen wir von einem koerzitiven Randwertproblem. In diesem Fall liefert der Satz von Lax-Milgram Existenz und Eindeutigkeit einer schwachen L¨osung sowie stetige Abh¨angigkeit von den Daten, kurz die Korrektgestelltheit im Sinne von Hadamard (siehe Abschnitt 1.2.): Satz 5.10 (Korrektgestelltheit schwacher koerzitiver Randwertprobleme). Es seien die Voraussetzungen von Definition 5.5 gegeben. Dann ist B eine beschr¨ankte Bilinearform auf W 1,2 (Ω). Im folgenden sei außerdem L gleichm¨aßig elliptisch in Ω. 1. Ist ˜bj ≡ 0 und c ≥ 0, so ist B koerzitiv auf W01,2 (Ω), und die schwache Formulierung (5.6) des Dirichlet-Problems besitzt eine eindeutige L¨osung u ∈ W 1,2 (Ω) f¨ ur alle rechten Seiten f, gD . Weiterhin gilt die a-priori Absch¨atzung (5.16) kukW 1,2 (Ω) ≤ C kf kL2 (Ω) + kgD kH 1/2 (∂Ω) mit einer von f und gD unabh¨angigen Konstanten C > 0.
2. Ist ˜bj ≡ 0 und gibt es eine Konstante c0 > 0 mit c ≥ c0 , so ist B koerzitiv auf W 1,2 (Ω), und die schwache Formulierung (5.7) des NeumannProblems besitzt eine eindeutige L¨osung u ∈ W 1,2 (Ω) f¨ ur alle rechten Seiten f, gN . Weiterhin gilt die a-priori Absch¨atzung kukW 1,2 (Ω) ≤ C kf kL2 (Ω) + kgN kH −1/2 (∂Ω) (5.17) mit einer von f und gN unabh¨angigen Konstanten C > 0.
Beweis: Offenbar ist die durch (5.5) definierte Abbildung B : W 1,2 (Ω) ×
115
5. Elliptische Differentialgleichungen
W 1,2 (Ω) → R bilinear. Aufgrund der Absch¨atzung |B(u, v)| ≤ v v uX uX m m u u t kaj,k k2L∞ (Ω) + t k˜bj k2L∞ (Ω) + kckL∞ (Ω) kukW 1,2 (Ω) kvkW 1,2 (Ω) j=1
j,k=1
ist sie beschr¨ankt. 1. Wir verwenden die ¨aquivalente Formulierung (5.8). Unter Ausnutzung der gleichm¨aßigen Elliptizit¨at (5.2) erhalten wir die Absch¨atzung Z B(˜ u, u ˜) ≥ θ |∇˜ u|2 dx Ω
f¨ ur alle u ˜ ∈ W01,2 (Ω). Aufgrund der Poincar´e-Ungleichung (4.31) gilt k∇˜ ukL2 (Ω) ≥ 0 0 θ k˜ ukW 1,2 (Ω) mit einer von u ˜ unabh¨angigen Konstanten θ > 0. Daraus folgt die Koerzitivit¨at von B auf W01,2 (Ω) mit der Konstanten γ = θθ 0 . 1/2 1,2 Da Z : H R (∂Ω) → W (Ω) und B beschr¨ankt sind, ist die rechte Seite F (v) := Ω f v dx + B(ZgD , v) von (5.8) beschr¨ankt durch |F (v)| ≤ C 0 kf kL2 (Ω) + kgD kH 1/2 (∂Ω) kvkW 1,2 (Ω) . Daher liefert die a-priori Absch¨atzung (5.14) k˜ ukW 1,2 (Ω)
C0 kf kL2 (Ω) + kgD kH 1/2 (∂Ω) , ≤ γ
und hieraus folgt (5.16). 2. Hier folgt die Koerzitivit¨at von B aus Z B(u, u) ≥ θ|∇u|2 + c0 |u|2 dx ≥ min(θ, c0 )kukW 1,2 (Ω) . Ω
Die a-priori Absch¨atzung (5.17) folgt aus (5.14) und der Ungleichung Z ≤ kf kL2 (Ω) kvkW 1,2 (Ω) + kT vkH 1/2 (∂Ω) kgN kH −1/2 (∂Ω) f v dx + hgN , T vi 2 L (∂Ω) Ω ≤ C kf kL2 (Ω) + kgN kH −1/2 (∂Ω) kvkW 1,2 (Ω) .
116
5. Elliptische Differentialgleichungen
Aus Satz 5.10 folgt insbesondere, dass die Laplace-Gleichung mit Dirichletschen Randbedingungen f¨ ur alle rechten Seiten eine eindeutige schwache L¨osung besitzt. F¨ ur Neumannsche Randbedingungen ist Satz 5.10 hingegen nicht anwendbar, da c ≡ 0. In der Tat hatten wir in diesem Fall in Abschnitt 3.2.5. gesehen, dass eine L¨osung nicht eindeutig ist und nicht f¨ ur alle rechten Seiten existiert. Hier wird die Fredholm-Alternative aus dem n¨achsten Abschnitt anwendbar sein.
5.1.3.
Fredholm-Alternative
Als Hilfsmittel zeigen wir zun¨achst einen Spezialfall der G˚ ardingschen Ungleichung: Lemma 5.11 (G˚ ardingsche Ungleichung). Es gelten die Voraussetzungen von Definition (5.5), und L sei gleichm¨aßig elliptisch in Ω. Dann gibt es Konstanten λ, γ > 0, so dass B(u, u) + λkuk2L2 (Ω) ≥ γkuk2W 1,2 (Ω)
(5.18)
f¨ ur alle u ∈ W 1,2 (Ω). Beweis: Wir zerlegen B(u, v) = B1 (u, v) + B2 (u, v) wie folgt: Z B1 (u, v) := (hA grad u, grad vi + u v) dx, Ω Z D E ˜ + (c − 1)u v dx B2 (u, v) := grad u, v b Ω
Nach Satz 5.10 ist B1 eine koerzitive, beschr¨ankte Bilinearform, insbesondere existiert also ein γ˜ > 0 mit B1 (u, u) ≥ γ˜kukW 1,2 (Ω) f¨ ur alle u ∈ W 1,2 (Ω). Aufgrund der Ungleichung √ b2 b ab = ( a) √ ≤ a2 + , 2 2 die f¨ ur alle a, b ≥ 0 und > 0 gilt, folgt Z D Ω
E
˜ ˜ L2 (Ω) grad u, bu dx ≤ kukW 1,2 (Ω) kbuk
≤ kuk2W 1,2 (Ω) + 2
(5.19)
Pm
j=1
k˜bj k2L∞ (Ω) 2
kuk2L2 (Ω)
117
5. Elliptische Differentialgleichungen
f¨ ur alle > 0 und u ∈ W 1,2 (Ω). W¨ahlen wir = γ˜, so folgt B(u, u) ≥ B1 (u, u) − |B2 (u, u)| ≥ γkuk2W 1,2 (Ω) − λkuk2L2 (Ω) mit γ := γ˜/2 und λ := (
Pm
j=1
k˜bj k2L∞ (Ω) )/(2) + kckL∞ (Ω) + 1.
Satz 5.12 (Fredholm-Alternative). Es gelten die Voraussetzungen von Definition (5.5), und L sei gleichm¨aßig elliptisch in Ω. • Dirichletsche Randbedingungen: Nach Bemerkung 5.6 k¨onnen wir o.B.d.A. annehmen, dass gD = 0. Wir setzen V := W01,2 (Ω). • Neumannsche Randbedingungen: Wir setzen V := W 1,2 (Ω). Dann gilt: Entweder besitzt die Variationsgleichung B(u, v) = F (v),
v∈V
(5.20)
f¨ ur alle rechten Seiten F ∈ V ∗ eine eindeutige L¨osung u ∈ V oder die homogene Variationsgleichung B(u, v) = 0, v ∈ V besitzt einen endlich-dimensionalen L¨osungsraum der Dimension r > 0, und (5.20) ist genau dann l¨osbar, wenn die rechte Seite F die Kompatibilit¨atsbedingungen F (v) = 0
(5.21)
f¨ ur alle L¨osungen v der homogenen adjungierten Variationsgleichung B(u, v) = 0,
u∈V
(5.22)
erf¨ ullt. Die Anzahl der linear unabh¨angigen L¨osungen von (5.22) betr¨agt ebenfalls r. Beweis: Sei A ∈ L(V ) der gem¨aß 5.11 der Bilinearform B zugeordnete Operator. Nach dem Rieszschen Darstellungssatz gibt es ein f ∈ V mit F (v) = (f, v) f¨ ur alle v ∈ V . Die Variationgleichung (5.20) ist a¨quivalent zu Au = f, und die adjungierte Gleichung (5.22) ist ¨aquivalent zu A∗ v = 0.
118
5. Elliptische Differentialgleichungen
Nach der G˚ ardingschen Ungleichung (Lemma 5.11) ist die Bilinearform Bλ (u, v) := B(u, v) + λ hu, viL2 (Ω) koerzitiv. Daher ist nach dem Satz von Lax-Milgram der zugeordnete Operator Aλ beschr¨ankt invertierbar. Sei J : V ,→ L2 (Ω) der Einbettungsoperator. Wegen hu, viL2 (Ω) = hJu, JviL2 (Ω) = (u, J ∗ Jv)V gilt Aλ = A + λJ ∗ J. Da f¨ ur beliebige beschr¨ankte Gebiete W01,2 (Ω) = H01 (Ω), ist J nach Satz 4.32 im Fall von Dirichlet-Randbedingungen kompakt. Da f¨ ur Neumann-Randbedingung Ω nach Satz 4.28 (oder Satz 4.27, falls Ω C 1 glatt ist) die 1-Fortsetzungseigenschaft besitzt, ist J nach Satz 4.19 und Korollar 4.33 auch in diesem Fall kompakt. Daher erf¨ ullt A in beiden F¨allen die Voraussetzungen der Fredholm Alternative 2.34, und daraus folgt die Behauptung. Bemerkung 5.13 (Interpretation der adjungierten Variationsgleichung). F¨ ur Dirichletsche Randbedingungen ist die Variationsgleichung (5.22) die schwache Formulierung des Randwertproblems L∗ v = 0,
Tv = 0
mit dem formal adjungierten Differentialoperator ˜ ˜ L v := − div (A grad v) + b · grad v + c − div b v, ∗
falls ˜bj ∈ W 1,∞ (Ω). F¨ ur Neumannsche Randbedingungen ist T v = 0 durch TAn v = 0 zu ersetzen. Beispiel 5.14. Die schwache Formulierung der Laplace-Gleichung −∆u = f ∂u = gN lautet mit der Neumannschen Randbedingung ∂n Z Z grad u · grad v dx = f v dx + hgN , T viL2 (∂Ω) , v ∈ W 1,2 (Ω), (5.23) Ω
Ω
und die adjungierte Variationsgleichung Z grad v · grad u dx = 0 Ω
f¨ ur alle u ∈ W 1,2 (Ω).
Setzt man in der letzten Gleichung u = v, so folgt grad v = 0. Ist also Ω zusammenh¨angend, so ist v konstant, d.h. der L¨osungsraum wird von v ≡ 1
5. Elliptische Differentialgleichungen
119
aufgespannt. Daher ist besitzt das Variationsproblem (5.23) genau dann eine L¨osung u, wenn die rechte Seite die Kompatibilit¨atsbedingung hgN , 1iL2 (∂Ω) + hf, 1iL2 (Ω) = 0 erf¨ ullen. Das Resultat in Lemma 3.19 ist also ein Spezialfall von Satz 5.12. Korollar 5.15 (stetige Abh¨ angigkeit). Unter den Voraussetzungen von Satz 5.12 sei W ⊂ V der endlich-dimensionale Unterraum der L¨osungen der homogenen adjungierten Gleichung (5.22). Dann gilt: • Dirichlet Randbedingungen: F¨ ur alle f ∈ L2 (Ω), die die Kompatibilit¨atsbedingungen Z F (v) := f v dx = 0, v∈W Ω
erf¨ ullen, gibt es eine eindeutig bestimmte L¨osung u ∈ W ⊥ von (5.20), und es gilt kukW 1,2 (Ω) ≤ Ckf kV ∗ mit einer von f unabh¨angigen Konstanten C > 0. • Neumann Randbedingungen: F¨ ur alle f ∈ L2 (Ω) und alle gN ∈ H −1/2 (∂Ω), die die Kompatibilit¨atsbedingungen Z F (v) := f v dx + hgN , T viL2 (∂Ω) = 0, v∈W Ω
erf¨ ullen, gibt es eine eindeutig bestimmte L¨osung u ∈ W ⊥ von (5.20), und es gilt kukW 1,2 (Ω) ≤ C kf kV ∗ + kgN kH −1/2 (∂Ω) mit einer von f und gN unabh¨angigen Konstanten C > 0.
Beweis: Dies folgt f¨ ur Neumannsche Randbedingungen aus Korollar 2.35 und der Absch¨atzung kF kV ∗ =
sup kvkW 1,2 (Ω) =1
|F (v)| ≤ kf kV ∗ + kgkH −1/2 (∂Ω) .
Der Beweis f¨ ur Dirichlet Randbedingungen ist analog.
120
5. Elliptische Differentialgleichungen
5.2.
Regularit¨ atss¨ atze
Wir haben im vorangehenden Abschnitt die Existenz von schwachen L¨osungen von elliptischen Differentialgleichungen bewiesen. Ist eine schwache L¨osung W 2,2 -glatt, so folgt durch partielle Integration, dass es sich sogar um eine starke L¨osung handelt. Im allgemeinen sind schwache L¨osungen hingegen nur W 1,2 -glatt. In diesem Abschnitt werden wir zeigen, dass schwache L¨osungen in dem Raum W 2,2 (Ω) liegen, falls die Koeffizienten der Differentialgleichung und das Gebiet Ω hinreichend glatt sind.
5.2.1.
Regularit¨ at im Inneren
In Abschnitt 4.1.4. hatten wir die Differenzenquotienten (Dhj u)(x) :=
u(x + hej ) − u(x) , h
eingef¨ uhrt und in Satz 4.16 gezeigt, dass eine Funktion u ∈ H s (Rm ) genau dann eine schwache Ableitung D ej u ∈ H s (Rm ) besitzt, falls die Differenzenquotienten Dhj u gleichm¨aßig in h bez¨ uglich der H s (Rm )-Norm beschr¨ankt sind. Dieses Kriterium werden wir im folgenden benutzen, um Regularit¨at von schwachen L¨osungen von elliptischen Differentialgleichungen zu beweisen. Zun¨achst untersuchen wir Regularit¨at von L¨osungen einer elliptischen Differentialgleichung Lu = f im Inneren eines Gebietes Ω. Dazu f¨ uhren wir k den Raum Hloc (Ω) als Menge aller Funktionen u : Ω → R ein, f¨ ur die u|Ω0 ∈ H k (Ω0 ) f¨ ur alle Ω0 ⊂⊂ Ω. Desweiteren definieren wir H −1 (Ω) := (H01 (Ω))0 und identifizieren wie bei den R¨aumen H −s (Rm ) die Menge L2 (Ω) mit einem Unterraum von H −1 (Ω). Da sich man H01 (Ω) durch Fortsetzung mit 0 mit einer Teilmenge von H 1 (Rm ) identifizieren l¨asst, ist durch f¨ ur F ∈ H −1 (Rm ) durch Einschr¨ankung auch ein Funktional F˜ ∈ H −1 (Ω) gegeben, und kF˜ kH −1 (Ω) ≤ kF kH −1 (Rm ) . Satz 5.16 (Regularit¨ at im Inneren). Sei L ein gleichm¨aßig elliptischer Differentialoperator in Divergenzform (5.3) mit Koeffizienten aj,k , ˜bj , c ∈ C ∞ (Ω) und sei Ω0 ⊂⊂ Ω. Ist u ∈ H01 (Ω) eine schwache L¨osung der Differentialgleik+1 (Ω). chung Lu = f und ist f ∈ H k−1 (Ω), k = 1, . . . , so liegt u in Hloc
121
5. Elliptische Differentialgleichungen
Weiterhin gilt f¨ ur k = 0, 1, . . . die a-priori Absch¨atzung kukH k+1 (Ω0 ) ≤ CkLukH k−1 (Ω) + CkukH k (Ω)
(5.24)
f¨ ur alle u ∈ H k+1 (Ω) ∩ H01 (Ω) mit einer von u unabh¨angigen Konstanten C > 0. Beweis: Wir f¨ uhren den Beweis durch Induktion nach k. k = 0: Wir m¨ ussen lediglich die Absch¨atzung (5.24) zeigen. Aufgrund der G˚ ardingschen Ungleichung und B(u, u) = hf, uiL2 (Ω) gilt γkuk2H 1 (Ω) ≤ hf, uiL2 (Ω) + λkuk2L2 (Ω) ≤ kf kH −1 (Ω) + λkukL2 (Ω) kukH 1 (Ω) .
Division durch γkukL2 (Ω) liefert (5.24). k k + 1: Wir nehmen an, die Aussage des Satzes gelte f¨ ur k = 0, 1, . . . , und es sei Lu ∈ H k (Ω). Dann ist insbesondere Lu ∈ H k−1 (Ω), und aus der Ink+1 k+2 duktionsannahme folgt u ∈ Hloc (Ω). Wir m¨ ussen zeigen, dass u ∈ Hloc (Ω) und dass (3.22) mit k ersetzt durch k + 1 gilt. Wir nehmen zun¨achst an, es sei supp u ⊂ Ω0 und wenden die Induktionsannahme auf die Differenzenquotienten Dhj u mit 2h < dist (Ω0 , ∂Ω) an. Im folgenden bezeichnet C eine generische von h unabh¨angige Konstante und [L, Dhj ] : H0k+1 (Ω0 ) → H k−1 (Ω) den Kommutator [L, Dhj ] := LDhj − Dhj L,
j = 1, . . . , n.
(5.25)
Mit Ω00 := supp Dhj u ⊂⊂ Ω erhalten kDhj ukH k+1 (Ω00 ) ≤ CkLDhj ukH k−1 (Ω) + CkDhj ukH k (Ω)
≤ CkDhj LukH k−1 (Ω) + Ck[L, Dhj ]ukH k−1 (Ω) + CkDhj ukH k (Ω) .
Im folgenden Lemma 5.17 werden wir zeigen, dass die Kommutatoren [L, Dhj ] gleichm¨aßig in h beschr¨ankt sind. Da u kompakten Tr¨ager hat, k¨onnen wir u und Lu durch 0 zu Funktionen in H k+1 (Rm ), bzw. H k−1 (Rm ) fortsetzen. Aufgrund von Satz 4.16 ergibt sich insgesamt die Absch¨atzung kDhj ukH k+1 (Rm ) ≤ CkLukH k (Rm ) + CkukH k+1 (Rm ) . Nun k¨onnen wir Satz 4.16 in der umgekehrten Richtung anwenden und erhalten, dass u eine schwache Ableitung uxj ∈ H k+1 (Rm ) besitzt und dass
∂u
∂xj k+1 m ≤ CkLukH k (Rm ) + CkukH k+1 (Rm ) . H (R )
5. Elliptische Differentialgleichungen
122
¨ Daraus folgt unter Ausnutzung der Aquivalenz der R¨aume H k+1 (Rm ) und k+1,2 m W (R ) die a-priori Absch¨atzung (5.24) f¨ ur Funktionen mit kompaktem Tr¨ager in Ω. Besitzt u ∈ H 1 (Ω) nicht kompakten Tr¨ager in Ω, so w¨ahlen wir eine Abschneidefunktion ζ ∈ C0∞ (Ω) mit ζ ≡ 1 auf Ω0 und Ω00 := supp χ ⊂⊂ Ω. Da L(χu) = χLu + [Mχ , L]u und da der Kommutator ˜ · grad χ)u [Mχ , L]u = χLu − L(χu) = − grad χ · A grad u − div Au grad χ − (b (5.26) ein Differentialoperator der Ordnung 1 ist, der aufgrund der Glattheitsvoraussetzungen H k+1 (Ω) beschr¨ankt nach H k (Ω) abbildet, erhalten wir durch Anwendung des schon bewiesenen Resultats auf die Funktion χu die gew¨ unschte Absch¨atzung kukH k+2 (Ω0 ) ≤ CkχukH k+2 (Ω00 ) ≤ CkL(χu)kH k (Ω) + CkχukH k+1 (Ω) ≤ Ckχ(Lu)kH k (Ω) + Ck[Mχ , L]ukH k (Ω) + CkχukH k+1 (Ω) ≤ CkLukH k (Ω) + CkukH k+1 (Ω) . Aus χu ∈ H k+2 (Ω00 ) folgt u ∈ H k+2 (Ω)0 . Da Ω0 ⊂⊂ Ω beliebig war, gilt k+2 u ∈ Hloc (Ω).
Lemma 5.17. Die in (5.25) definierten Kommutatoren [L, Dhj ] : H0k+1 (Ω0 ) → H k−1 (Ω) sind gleichm¨aßig in 0 < h < dist (Ω0 , ∂Ω) beschr¨ankt f¨ ur k = 0, 1, . . . . Beweis: Sei ϕ ∈ C ∞ (Ω) und Mϕ v := ϕv der zugeh¨orige Multiplikationsoperator. Dann gilt [Mϕ , Dhj u] =
1 {ϕu(· + hej ) − ϕu − (ϕu)(· + hej ) + ϕu} = (Dhj ϕ)u(· + hej ). h
¨ Aus der Aquivalenz der Sobolevr¨aume W k,2 (Ω) und H k (Ω) und der Leibnitzformel (4.4) folgt f¨ ur u ∈ H0k (Ω0 ) die Ungleichung k[Mϕ , Dhj ]ukH k (Ω) ≤ CkDhj ϕkW k,∞ (Ω) kukH k (Ω) .
Nach dem Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechung, Z 1 Z ∂ϕ 1 1 d j ϕ(x + thej ) dt = (x + thej ) dt, (Dh ϕ)(x) = h 0 dt 0 ∂xj
123
5. Elliptische Differentialgleichungen
∂ϕ ist kDhj ϕkW k,∞ (Ω) ≤ k ∂x kW k,∞ (Ω) gleichm¨aßig in h beschr¨ankt und daher j
k[Mϕ , Dhj ]ukH k (Ω) ≤ CkukH k (Ω)
(5.27)
f¨ ur alle 0 < h < dist (Ω0 , ∂Ω). Da ∂i Dhj u = Dhj ∂i u, gilt [L, Dhj ]u
=
m X
∂i [Mai,l , Dhj ]∂l u
+
i,l=1
m X
[M˜bi , Dhj ]∂i u + [Mc , Dhj ]u.
i=1
Damit folgt die Behauptung aus (5.27).
5.2.2.
Regularit¨ at bis zum Rand
Lemma 5.18 (Regularit¨ at im Halbraum). Sei Ω ⊂ Rm beschr¨ankt, sei Ω+ := {x ∈ Ω : xm > 0} und sei L ein gleichm¨aßig elliptischer Differentialoperator in Divergenzform (5.3) in Ω+ mit aj,k , ˜bj , c ∈ C ∞ (Ω+ ). Ist u ∈ H01 (Ω+ ) eine schwache L¨osung der Differentialgleichung Lu = f mit supp u ⊂⊂ Ω, und ist f ∈ H k−1 (Ω+ ), k = 1, . . . , so liegt u in H k+1 (Ω+ ). Weiterhin gibt es f¨ ur k = 0, 1, . . . eine Konstante C > 0, so dass die a-priori Absch¨atzung kukH k+1 (Ω+ ) ≤ CkLukH k−1 (Ω+ ) + CkukH k (Ω+ )
(5.28)
f¨ ur alle u ∈ H k+1 (Ω+ ) ∩ H01 (Ω+ ) mit supp u ⊂⊂ Ω gilt. Beweis: Wir verwenden wieder eine Induktion nach k. Der Induktionsanfang k = 0 ist v¨ollig analog zum Beweis von Satz 5.16. Im Induktionsschritt k¨onnen wir zun¨achst f¨ ur j = 1, . . . , m − 1 ebenfalls analog zum Beweis von Satz 5.16 vorgehen. Um Satz 4.16 anwenden zu k¨onnen, verwenden wir das Fortsetzungs-Lemma 4.26 f¨ ur den Halbraum. Wir erhalten, dass ∂u k+1 ∈ H (Ω ) und + ∂xj
∂u
≤ CkLukH k (Ω+ ) + CkukH k+1 (Ω+ ) (5.29)
∂xj k+1 H (Ω+ )
f¨ ur j = 1, . . . , m − 1. Es bleibt zu zeigen, dass genau dann der Fall, wenn ∂2u ∈ H k (Ω+ ) ∂xm ∂xj
∂u ∂xm
∈ H k+1 (Ω+ ). Dies ist
f¨ ur j = 1, . . . , m.
124
5. Elliptische Differentialgleichungen
F¨ ur j = 1, . . . , m − 1 haben wir dies mit (5.29) schon bewiesen. Wir m¨ ussen ∂2u ∂2u k also nur noch zeigen, dass ∂xm ∂xm ∈ H (Ω+ ) und dass k ∂xm ∂xm kH k (Ω+ ) ebenfalls durch die rechte Seite von (5.29) beschr¨ankt ist. Dazu beachten wir, dass ∂2u am,m = Lu − ∂xm ∂xm
X
(i,l)6=(m,m)
m
∂u X ˜ ∂u ∂xl ai,l − − cu. bj ∂xi ∂xl l=1
Wir wissen bereits, dass alle Terme auf der rechten Seite in der H k (Ω+ )Norm durch CkLukH k (Ω+ ) + CkukH k+1 (Ω+ ) beschr¨ankt sind. Da aufgrund der starken Elliptizit¨at von L die Funktion 1/am,m in dem Raum C ∞ (Ω+ ) liegt, 2u k k . gilt dasselbe f¨ ur k ∂x∂m ∂x m H (Ω+ ) Lemma 5.19 (Elliptische Differentialoperatoren unter Koordinatenˆ ⊂ Rm offene beschr¨ankte Gebiete und sei transformationen). Seien Ω, Ω ˆ → Ω ein C 2 -Diffeomorphismus mit Jacobi-Matrix (DΦ)i,j := ∂Φi . Ist Φ:Ω ∂xj L ein Differentialoperator in Divergenzform (5.3) auf Ω, so ist der durch ˆ ◦ Φ) (Lu) ◦ Φ = L(u
(5.30)
ˆ auf Ω ˆ gegeben durch definierte transformierte Differentialoperator L 1 ˆ˜ ˆ ˆ div det DΦ(y)A(y) grad u ˆ(y) + grad u ˆ(y)b(y)+ˆ c(y)ˆ u(y) (Lˆ u)(y) = − det DΦ(y) (5.31) mit den Koeffizienten ˆ A(y) := (DΦ(y))−1 A(Φ(y))(DΦ(y))−T , ˆ˜ ˜ b(y) := (DΦ(y))−1 b(Φ(y)), cˆ(y) := c(Φ(y)) und der Notation (DΦ(y))−T := (DΦ(y)T )−1 Ist L gleichm¨aßig elliptisch, so ˆ gleichm¨aßig elliptisch. ist auch L Beweis: Seien u, v ∈ C0∞ (Ω) und u ˆ := u ◦ Φ, vˆ := v ◦ Φ. Wir fassen ∇u als Zeilenvektor auf. Nach der Kettenregel gilt ∇ˆ u(y) = ∇u(Φ(y))DΦ(y), also ∇u(Φ(y)) = ∇ˆ u(y)(DΦ(y))−1.
125
5. Elliptische Differentialgleichungen
Durch partielle Integration und Anwendung der Transformationsformel erhalten wir Z Z n o ˜ + cuv dx (Lu) v dx = ∇uA∇v T + ∇ubv Ω ZΩ n o T ˜ ∇uA∇v + ∇ubv + cuv ◦ Φ det(DΦ) dy = ˆ ZΩ n o ˆ˜ v + cˆu ˆ v T + ∇ˆ = ∇ˆ uA∇ˆ ubˆ ˆvˆ det(DΦ) dy ˆ ZΩ ˆ u) vˆ det(DΦ) dy, (Lˆ = ˆ Ω
ˆ durch (5.31) definiert sei. Wenden wir die Transformationsformel wobei L direkt auf die linke Seite der letzten Gleichungskette an, so ergibt sich Z n o ˆ u vˆ det(DΦ) dy = 0 (Lu) ◦ Φ − Lˆ ˆ Ω
ˆ folgt (5.30). Da det DΦ(y) 6= 0 f¨ ur alle y ∈ Ω, ˆ in der Form Lˆ ˆ u = − div Aˆ grad u + Nach der Produktregel k¨onnen wir L ˆ ˆ Ku ˆ mit einem Differentialoperator erster Ordnung K schreiben. Ist L gleichm¨aßig elliptisch, so gilt ˆ ξˆ = (J(y)ξ)T A(Φ(x))(J(y)ξ) ≥ θkJ(y)ξk2 ≥ ξˆT A(y)
θ |ξ|2 kJ(y)k2
mit J(y) := DΦ(y)−T . Da die Funktion y 7→ kJ(y)k2 auf dem Kompaktum ˆ stetig ist und keine Nullstellen besitzt, ist inf ˆ Ω ˆ kJ(y)k2 > 0. Daher ist L y∈Ω gleichm¨aßig elliptisch. Satz 5.20 (globale Regularit¨ at). Sei Ω ⊂ Rm offen, beschr¨ankt und C ∞ glatt und sei L ein gleichm¨aßig elliptischer Differentialoperator in Divergenzform (5.3) auf Ω mit ai,l , ˜bl , c ∈ C ∞ (Ω). Ist u ∈ H 1 (Ω) eine schwache L¨osung des Dirichlet-Problems (5.6) mit f ∈ H k−1 (Ω) und gD ∈ H k+1/2 (∂Ω), k = 1, 2, . . . , so liegt u in H k+1 (Ω) und erf¨ ullt die a-priori Absch¨atzung kukH k+1 (Ω) ≤ Ckf kH k−1 (Ω) + CkgD kH k+1/2 (∂Ω) + CkukH k (Ω) mit einer von f, g und u unabh¨angigen Konstanten C > 0.
(5.32)
126
5. Elliptische Differentialgleichungen
Beweis: Da ∂Ω kompakt und C k -glatt ist, gibt es eine endliche Anzahl von Punkten xi ∈ ∂Ω, i = 1, . . . , N , so dass die Eigenschaften aus Definition 3.44 f¨ ur offene Mengen Ui ⊂ Rm mit xi ∈ Ui und beliebig oft differenzierbaren S Koordinatentransformationen Φi : Ui → Vi erf¨ ullt sind, und ∂Ω ⊂ N i=1 Ui . Sei Vi+ := {y ∈ Vi : ym > 0}. Wir w¨ahlen eine offene Teilmenge U0 ⊂ Ω ¨ mit U0 ⊂⊂ Ω so, dass {Ui : i = 0, . . . , N } eine offene Uberdeckung von Ω ist. Nach Satz 4.21 existiert eine untergeordnete glatte Teilung der Eins χi ∈ C ∞ (Rm ) mit supp χi ⊂ Ui f¨ ur i = 0, . . . , N . Wir untersuchen zun¨achst den Fall gD = 0. Nach Lemma 5.18 und der Formel (5.26) gilt kχi ukH k+1 (Ω) ≤ Ckχˆi u ˆi kH k+1 (V + ) i
ˆ i (χˆi u ≤ CkL ˆi )kH k−1 (V + ) + Ckχˆi u ˆi kH k (V + ) i
i
ˆiu ˆ i , Mχˆ ]ˆ ≤ Ckχˆi L ˆi kH k−1 (Vi+ ) + Ck[L ui kH k−1 (Vi+ ) + Ckχˆi u ˆi kH k (Vi+ ) i ˆiu ≤ CkL ˆi kH k−1 (Vi+ ) + Ckˆ ui kH k (Vi+ ) ≤ CkLukH k−1 (Ω) + CkukH k (Ω)
f¨ ur u ˆi := u ◦ Φi und χˆi := χi ◦ Φi , i = 1, . . . , N . Eine entsprechende Schranke PN kann man f¨ ur kχ0 ukH k+1 (Ω) herleiten. Da kukH k+1 (Ω) ≤ i=0 kχi ukH k+1 (Ω) , folgt (5.32) f¨ ur gD = 0. F¨ ur allgemeines gD zerlegen wir wie in Bemerkung 5.6 u = u ˜ + ZgD 1 k−1 mit u˜ ∈ H0 (Ω) und beachten, dass L˜ u = f − LZgD ∈ H (Ω), da Z beschr¨ankt von H k+1/2 (∂Ω) nach H k+1 (Ω) abbildet. Daher erhalten wir durch Anwendung des schon bewiesenen Resultats auf u ˜ die Absch¨atzung kukH k+1 (Ω) ≤ k˜ ukH k+1 (Ω) + kZgD kH k+1 (Ω) ≤ Ckf − LZgD kH k−1 (Ω) + Cku − ZgD kH k (Ω) + CkgD kH k+1/2 (∂Ω) ≤ Ckf kH k−1 (Ω) + CkukH k (Ω) + CkgD kH k+1/2 (∂Ω) . Satz 5.20 stellt eines der grundlegenden Resultate der Theorie linearer elliptischer Differentialgleichungen dar und findet unter anderem Anwendung in der Theorie nichtlinearer elliptischer Differentialgleichung und der Konvergenzanalysis numerischer Methoden zur L¨osung partieller Differentialgleichungen. Bemerkung 5.21. Man kann die Aussage von Satz 5.20 sogar unter den
127
5. Elliptische Differentialgleichungen
schw¨acheren Regularit¨atsvoraussetzungen ai,l ∈ W k,∞ (Ω),
bl , c ∈ W k−1,∞(Ω)
und Ω C k+1 -glatt zeigen (siehe z.B. [17, 10]). Lemma 5.22 (Schauder-Lemma). Sei X ein Banachraum, Y, Z normierte R¨aume, sei A : X → Y ein injektiver, beschr¨ankter linearer Operator und K : X → Z ein kompakter linearer Operator. Weiterhin gebe es eine Konstante C > 0 mit kukX ≤ CkAukY + CkKukZ (5.33) f¨ ur alle u ∈ X. Dann besitzt A eine beschr¨ankte Inverse A−1 : R(A) → X.
Beweis: Angenommen, A−1 sei unbeschr¨ankt. Dann gibt es eine Folge (un ) in X mit kun kX = 1 und kAun kY → 0 f¨ ur n → ∞. Da K kompakt ist, besitzt (Kun ) eine Teilfolge, die gegen einen Vektor g ∈ Z konvergiert. Wir k¨onnen o.B.d.A. annehmen, dass die gesamte Folge (Kun ) gegen g konvergiert, indem wir mit dieser Teilfolge starten. Da also (Aun ) und (Kun ) Cauchy-Folgen sind, gibt es zu gegebenem > 0 ein N ∈ N mit kAun −Aum kY ≤ /(2C) und kKun − Kum kZ ≤ /(2C) f¨ ur alle n, m ≥ N . Anwendung der Ungleichung (5.33) auf u = un − um liefert kun − um kX ≤ CkAun − Aum kY + CkKun − Kum kZ ≤ f¨ ur alle n, m ≥ N . Also ist (un ) Cauchy-Folge. Da X vollst¨andig ist, gibt es ein Grenzelement u ∈ X mit kukX = limn→∞ kun kX = 1. Andererseits gilt Au = limn→∞ Aun = 0. Dies ist ein Widerspruch zur Injektivit¨at von A. Satz 5.23. Sei L ein gleichm¨aßig elliptischer Differentialoperator der Form (5.3) mit glatten Koeffizienten in einem glatten, beschr¨ankten Gebiet Ω ⊂ Rm und sei T der Spur-Operator. Besitzt das Dirichletsche Randwertproblem (5.4) f¨ ur f = 0 und gD = 0 nur die schwache L¨osung u = 0 in H 1 (Ω), so ist der Operator (L, T ) : H k+1 (Ω) → H k−1 (Ω) ⊕ H k+1/2 (∂Ω) u 7→ (Lu, T u) f¨ ur alle k = 1, 2, . . . bijektiv und besitzt eine beschr¨anke Inverse. Mit anderen Worten: Das Randwertproblem (5.4) ist in diesen R¨aumen gut gestellt.
128
5. Elliptische Differentialgleichungen
Beweis: Die Beschr¨anktheit von (L, T ) folgt aus den Satz 4.15 und Definition 4.38. Aufgrund der Fredhom-Alternative und der vorausgesetzten Eindeutigkeit, besitzt das Dirichlet-Problem (5.4) f¨ ur alle rechten Seiten 2 1/2 (f, gD ) ∈ L (Ω) × H (∂Ω) eine schwache L¨osung u ∈ H 1 (Ω). Liegt (f, gD ) in H k−1 (Ω) ⊕ H k+1/2 (∂Ω), so ist nach Satz 5.20 u ∈ H k+1 (Ω), d.h. (L, T ) ist surjektiv. Weiterhin gilt die a-priori Absch¨atzung kukH k+1 (Ω) ≤ CkLukH k−1 (Ω) + CkT ukH k+1/2 (∂Ω) + CkJukH k (Ω) mit dem kompakten Einbettungsoperator J : H k+1 (Ω) ,→ H k (Ω) (siehe Satz 4.33). Daher sind die Voraussetzungen von Lemma 5.22 mit A = (L, T ) und K = J erf¨ ullt, und (L, T ) besitzt eine beschr¨ankte Inverse.
5.3.
Eigenwertprobleme
In diesem Kapitel untersuchen wir Eigenwertprobleme f¨ ur elliptische Differentialoperatoren L. Wir suchen also Eigenfunktionen w 6= 0 und Eigenwerte µ, die das Randwertproblem Lw = µw,
Tw = 0
(5.34)
erf¨ ullen. Analog betrachten wir auch Eigenwertprobleme mit Neumannschen Randbedingungen: Lw = µw, TAn w = 0. (5.35) Satz 5.24 (Eigenwerte eines symmetrischen elliptischen Differentialoperators). Es seien die Voraussetzungen von Satz 5.12 f¨ ur den Dif˜ ≡ 0 erf¨ ferentialoperator L und den Raum V mit b ullt. Dann gibt es eine Folge von Eigenfunktions-/Eigenwertpaaren (wn , µn ), n ∈ N mit wn ∈ V und µn ∈ R, die schwache L¨osungen der Eigenwertgleichungen (5.34), bzw. (5.35) sind: B(wn , v) = µn hwn , viL2 (Ω) f¨ ur alle v ∈ V. (5.36) Die Eigenfunktionen k¨onnen so gew¨ahlt werden, dass sie ein vollst¨andiges Orthonormalsystem in L2 (Ω) bilden. Die Eigenwerte µn sind alle reell und erf¨ ullen bei entsprechender Nummerierung ess inf(c) ≤ µ0 ≤ µ1 ≤ . . . ,
lim µn = ∞.
n→∞
(5.37)
5. Elliptische Differentialgleichungen
129
Beweis: Wie im Beweis von Satz 5.12 zeigt man, dass die Variationsgleichung (5.36) ¨aquivalent ist zu Awn = µn J ∗ Jwn
(5.38)
und dass der Einbettungsoperator J : V → L2 (Ω) kompakt ist. Aufgrund ˜ = 0 ist die Bilinearform B symmetrisch, und damit ist der Voraussetzung b der Operator A selbstadjungiert: (u, Av)V = B(u, v) = B(v, u) = (v, Au)V = (Au, v)V . Weiter ist f¨ ur c < ess inf(c) die Bilinearform Bc (u, v) := B(u, v)−c hu, viL2 (Ω) koerzitiv, da Z h grad u, A grad ui + (c − c)|u|2 dx Bc (u, u) = Ω
≥ min (θ, ess inf(c) − c) kuk2W 1,2 (Ω) .
Damit ist der zugeh¨orige Operator A − cJ ∗ J selbstadjungiert, positiv definit, und nach dem Satz von Lax-Milgram beschr¨ankt invertierbar. Daher ist (5.38) ¨aquivalent zu wn = (µn − c)(A − cJ ∗ J)−1 J ∗ Jwn . Multiplizieren wir diese Gleichung mit J und setzen w ˜n := Jwn sowie K := ∗ −1 ∗ J(A − cJ J) J , so ergibt sich (µn − c)K w˜n = w ˜n .
(5.39)
Da A − cJ ∗ J selbstadjungiert, positiv definit und beschr¨ankt invertierbar ist und da J und J ∗ kompakt und injektiv sind, ist K kompakt, selbstadjungiert und positiv definit. Nach dem Spektralsatz f¨ ur kompakte selbstadjungierte Operatoren (Satz 2.40) besitzt K daher ein vollst¨andiges Orthonormalsystem von Eigenfunktionen {w ˜n : n ∈ N} in L2 (Ω), Kw ˜ n = λn w ˜n mit Eigenwerten λ1 ≥ λ2 ≥ · · · > 0, die gegen 0 konvergieren, limn→∞ λn = 0. Setzen wir µn := c + 1/λn , so gilt (5.37) und (5.39), da c < ess inf(c) beliebig war. Weiterhin ist w ˜n = Jwn mit wn = λ1n (A − cJ ∗ J)−1 J ∗ w ˜n , und wn erf¨ ullt (5.38) und (5.36).
5. Elliptische Differentialgleichungen
130
Bemerkung 5.25 (Glattheit von Eigenfunktionen). Seien Ω, aj,k und c alle C ∞ -glatt und sei wn eine schwache Eigenfunktion von L zum Eigenwert µn . Dann folgt aus der Eigenwertgleichung (5.36) und dem Regularit¨atssatz 5.20, dass wn ∈ H 2 (Ω). Eine abermalige Anwendung von Satz 5.20 liefert wn ∈ H 4 (Ω), usw. Also ist wn ∈ H k (Ω) f¨ ur alle k. Nach dem Korollar 4.31 zum Sobolevschen Einbettungssatz sind daher unter den gegebenen Voraussetzungen alle Eigenfunktionen von L auch unendlich glatt im klassischen Sinne, d.h. wn ∈ C ∞ (Ω).
6. Zeitabh¨ angige Differentialgleichungen 6.1. 6.1.1.
Dualit¨ atstherie Schwache Konvergenz in Hilbertr¨ aumen
Definition 6.1 (Schwache Konvergenz). Sei H ein Hilbertraum. Wir sagen, eine Folge (un )n∈N konvergiere schwach gegen einen Vektor u ∈ H, kurz un * u, n → ∞, falls (un , v) → (u, v),
n→∞
f¨ ur alle v ∈ H im Sinne der Konvergenz in C (bzw. R). Wir halten einige elementare Eigenschaften schwacher Konvergenz in folgendem Lemma fest: Lemma 6.2. Sei (un )n∈N eine Folge in einem Hilbertraum H und u, u∗ ∈ H. 1. Konvergiert (un ) stark gegen u (d.h. limn→∞ kun − uk = 0), so konvergiert (un ) auch schwach gegen u. 2. Der Grenzwert einer schwach konvergenten Folge ist eindeutig bestimmt, d.h. un * u und un * u∗ impliziert u = u∗ . 3. Gilt un * u und kun k ≤ C f¨ ur alle n ∈ N, so folgt kuk ≤ C. ˜ ein weiterer Hilbertraum und T : H → H ˜ linear und stetig. Dann 4. Sei H ist T auch schwach stetig, d.h. un * u impliziert T un * T u, 131
n → ∞.
(6.1)
132
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
5. Ist B eine beschr¨ankte Sesquilinearform auf H und gilt un * u, so folgt f¨ ur alle v ∈ H B(un , v) → B(u, v), n → ∞. (6.2) Beweis: zu 1: Konvergiert (un ) gegen u, so gilt |(un − u, v)| ≤ kun − uk kvk → 0,
n→∞
f¨ ur alle v ∈ H. zu 2: Aus (un − u, v) → 0 und (un − u∗ , v) → 0 f¨ ur n → ∞ folgt durch Subtraktion (u − u∗ , v) = 0 f¨ ur alle v ∈ H.
Setzt man v = u − u∗ , so folgt ku − u∗ k2 = 0, also u = u∗ . zu 3: Dies folgt nach der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung aus kuk2 = limn→∞ (un , u) ≤ Ckuk. ˜ gilt zu 4: F¨ ur v ∈ H (T un , v)H˜ = (un , T ∗ v)H → (u, T ∗ v)H = (T u, v)H˜ ,
n → ∞.
(6.3)
zu 5: Nach Satz 5.8 gibt es einen Operator T ∈ L(H) mit B(u, v) = (T u, v)H f¨ ur alle u, v ∈ H. Damit folgt die Behauptung aus (6.3). Beispiel 6.3. Sei {en : n ∈ N} ein Orthonormalsystem in H. Dann kann die Folge (en ) nicht stark konvergieren, da ken − em k2 = 2 f¨ ur n 6= m. Hingegen konvergiert (en ) schwach gegen 0, denn nach der Besselschen Ungleichung gilt X |(en , v)|2 ≤ kvk2 < ∞ n∈N
f¨ ur alle v ∈ H und daher (en , v) → 0 f¨ ur n → ∞.
Das folgende Resultat wird das wesentliche Hilfsmittel f¨ ur die Existenzbeweise in diesem Kapitel sein: Satz 6.4. Jede beschr¨ankte Folge in einem Hilbertraum H besitzt eine schwach konvergente Teilfolge. Beweis: Sei (un )n∈N eine beschr¨ankte Folge in H. Wir k¨onnen o.B.d.A. annehmen, dass kun k ≤ 1 f¨ ur alle n ∈ N. Sei {ej : j ∈ N} ein vollst¨andi˜ := span{un : n ∈ N}. Wir verwenden wie im ges Orthonormalsystem in H
133
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
Beweis von Satz 4.32 ein Diagonalfolgenargument: Da ((un , e1 ))n eine beschr¨ankte Zahlenfolge ist, existiert eine konvergente Teilfolge ((un1 (k) , e1 ))k . Da die Zahlenfolge ((un1 (k) , e2 ))k ebenfalls beschr¨ankt ist, existiert eine weitere konvergente Teilfolge ((un2 (k) , e2 ))k . So fortfahrend erhalten wir f¨ ur jedes l = 2, 3, . . . eine Folge (nl (k))k , die in (nl−1 (k))k enthalten ist und f¨ ur die ((unl (k) , el ))k konvergiert. Die Diagonalfolge (unl (l) )l∈N besitzt dann die Eigenschaft, dass ((unl (l) , ek ))l f¨ ur jedes k gegen eine Zahl ξk konvergiert. Dann P ˜ mit kuk ≤ 1 definiert, denn f¨ ur ist durch u := k∈N ξk ek ein Vektor aus H alle K ∈ N gilt K X k=1
|ξk |2 = lim
l→∞
K X k=1
|(unl (l) , ek )|2 ≤ lim sup kunl (l) k2 ≤ 1. l→∞
Wir m¨ ussen zeigen, dass (unl (l) , v) → (u, v) f¨ ur alle v ∈ H. Da unl (l) und u ˜ ˜ in H liegen, gen¨ uP gt es, dies f¨ ur v ∈ H nachzuweisen. Sei > 0 und w¨ahle K ∈ N so, dass ∞ |(v, ek )|2 ≤ (/4)2 . Nach Konstruktion der Folge k=K+1 (unl (l) ) existiert ein L > 0 mit ! K X u − u , (v, e )e k k ≤ nl (l) 2 k=1
f¨ ur l ≥ L. Nun folgt aus der Dreiecksungleichung und der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung, dass |(u − unl (l) , v)| ≤ f¨ ur l ≥ L.
6.1.2.
Gelfand-Tripel
Satz und Definition 6.5. Seien H und V Hilbertr¨aume u ¨ber K (K = C oder K = R) mit inneren Produkten h·, ·iH und (·, ·)V und sei V ⊂ H dicht mit stetiger Einbettung J : V ,→ H. Dann ist jedem Vektor u ein stetiges (anti-)lineares Funktional v 7→ hu, viH ,
v∈V
aus V ∗ zugeordnet mit der Norm | hu, viH | kvkV v∈V \{0}
kukV ∗ := sup
(6.4)
134
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
Identifizieren wir auf diese Weise H mit einer Teilmenge von V ∗ , so liegt H ⊂ V ∗ dicht. Das Tripel der R¨aume (V, H, V ∗ ) heißt Gelfand-Tripel. Es gilt J
J∗
V ,→ H ,→ V ∗ mit stetigen Einbettungsoperatoren J und J ∗ . Das innere Produkt in H l¨asst sich zu einer stetigen sesquilinearen Abbildung h·, ·iH : V ∗ ×V → K fortsetzen mit | hu, viH | ≤ kukV ∗ kvkV , u ∈ V ∗ , v ∈ V. (6.5) Bevor wir die hier enthaltenen Behauptungen beweisen, bemerken wir, dass jedem u ∈ V zwei unterschiedliche Funktionale in V ∗ zugeordnet werden k¨onnen, n¨amlich v 7→ (u, v)V und v 7→ hu, viH wie in (6.4). Im ersten Fall erh¨alt man nach dem Rieszschen Darstellungssatz 2.15 eine surjektive Abbildung V → V ∗ , im hier betrachteten zweiten Fall dagegen nicht! Beweis: Nach Voraussetzung gibt es ein C > 0 mit kvkH ≤ CkvkV f¨ ur alle v ∈ V . Aufgrund der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung gilt kukV ∗ ≤ sup v6=0
kukH kvkH ≤ CkukH . kvkV
Daher liegt das durch (6.4) definierte Funktional in V ∗ , und die Einbettung ist stetig. Identifizieren wir nach dem Rieszschen Darstellungssatz V mit V ∗ , so ist J ∗ die adjungierte Abbildung zu J gem¨aß Definition 2.16, denn (J ∗ u, v)V = hu, JviH = hu, viH ,
u ∈ H, v ∈ V.
Dies rechtfertigt die Bezeichnung J ∗ f¨ ur den Einbettungsoperator H ,→ V ∗ . Da nach Satz 2.17 R(J ∗ )⊥ = N (J) = {0}, folgt außerdem die Dichtheit von H in V ∗ . Die Ungleichung (6.5) folgt f¨ ur u ∈ H und v ∈ V sofort aus der Definition und der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung. Da H ⊂ V ∗ dicht liegt und h·, viH : H ⊂ V ∗ → K f¨ ur alle v ∈ V stetig ist, ergibt sich nach Satz 2.12 die Fortsetzbarkeit von h·, viH auf V ∗ und (6.5) f¨ ur alle u ∈ V ∗ . Beispiel 6.6. F¨ ur alle s > 0 und m ∈ N ist nach Abschnitt 4.1.3. H s (Rm ) ,→ L2 (Rm ) ,→ H −s (Rm )
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
135
ein Gelfand-Tripel. Ebenso ist unter den Voraussetzungen von Definition 4.41 H 1/2 (∂Ω) ,→ L2 (∂Ω) ,→ H −1/2 (∂Ω) ein Gelfand-Tripel. Wir interessieren uns besonders f¨ ur entsprechende Gelfand-Tripel auf beschr¨ankten Gebieten. Daher definieren wir zun¨achst in Analogie zu Definition 4.13: Definition 6.7. Sei Ω ⊂ Rm offen und s > 0. Dann ist H0−s (Ω) der Abschluss von C0∞ (Ω) in H −s (Rm ), wobei wir uns Funktionen aus C0∞ (Ω) in Rm \ Ω durch 0 fortgesetzt denken. Weiter definieren wir H −s (Ω) als Menge aller anti-linearen Abbildungen U : C0∞ (Ω) → C, f¨ ur die es ein U˜ ∈ H −s (Rm ) gibt, so dass ˜ (φ) U (φ) = U
f¨ ur alle φ ∈ C0∞ (Ω).
In diesem Fall schreiben wir kurz U˜ |Ω = U . Als Norm in H −s (Ω) definieren wir ˜ |Ω = U }. kU kH −s (Ω) := inf{kU˜ kH −s (Rm ) : U˜ ∈ H −s (Rm ), U (6.6) Man zeigt wie im Beweis von Lemma 4.14, dass durch (6.6) eine Norm ¨ definiert ist und dass H −s (Ω) ein Hilbertraum ist (Ubungsaufgabe). Die Hil−s bertraumeigenschaft von H0 (Ω) folgt aus der Hilbertraumeigenschaft von H0−s (Rm ). Satz 6.8. Sei Ω ⊂ Rm offen und sei s > 0. Dann gilt: 1. H0s (Ω)∗ ist isometrisch isomorph zu H −s (Ω), d.h. H0s (Ω) ,→ L2 (Ω) ,→ H −s (Ω) ist ein Gelfand-Tripel. 2. Ist Ω ein beschr¨anktes Lipschitz-Gebiet, so ist H s (Ω)∗ isometrisch isomorph zu H0−s (Ω), d.h. H s (Ω) ,→ L2 (Ω) ,→ H0−s (Ω) ist ein Gelfand-Tripel.
136
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
Beweis: Wir wissen bereits, dass H s (Ω) und H0s (Ω) stetig in L2 (Ω) eingebettet sind. Beide R¨aume liegen dicht in L2 (Ω), da sogar C0∞ (Ω) dicht ist. Wir m¨ ussen also nur die Dualit¨atsbeziehungen nachweisen. zu 1: Da H0s (Ω) ⊂ H s (Rm ) nach Definition abgeschlossen ist, existiert eine orthogonale Projektion P : H s (Rm ) → H0s (Ω). F¨ ur U ∈ H0s (Ω)∗ ist daher −s m U ◦ P ∈ H (R ), und es gilt kU ◦ P kH −s (Rm ) ≤ kU kH0s (Ω)∗ kP k ≤ kU kH0s (Ω)∗ . Folglich ist die lineare Abbildung j : H0s (Ω)∗ → H −s (Ω) U 7→ (U ◦ P )|Ω ˆ = V |Ω ∈ H −s (Ω) mit wohldefiniert und besitzt Norm die kjk ≤ 1. Sei nun U V ∈ H −s (Rm ). Dann ist V ◦ P ∗ : H0s (Ω) → C die stetige Fortsetzung von Uˆ ˆ kH −s (Ω) . von C0∞ (Ω) nach H0s (Ω), und nach Satz 2.12 gilt kV ◦ P ∗ kH0s (Ω)∗ = kU Außerdem ist j(V ◦ P ∗ ) = (V ◦ P ∗ P )|Ω = V |Ω = Uˆ , d.h. j ist surjektiv und isometrisch. zu 2: Sei E : H s (Ω) → H s (Rm ), u 7→ u ˜ der durch Lemma 4.14 gegebene isometrische Fortsetzungsoperator. Wir definieren eine Abbildung j : H0−s (Ω) → H s (Ω)∗ durch (jU )(v) := hU, EviL2 (Rm ) ,
v ∈ H s (Ω)
und zeigen, dass sie surjektiv und isometrisch ist ist. Zun¨achst gilt kjU kH s (Ω)∗ = ≤
sup kvkH s (Ω) ≤1
| hU, EviL2 (Rm ) |
sup kwkH s (Rm ) ≤1
(6.7)
| hU, wiL2 (Rm ) | = kU kH −s (Ω) .
Zum Nachweis der Surjektivit¨at von j definieren wir zu gegebenem U˜ ∈ H s (Ω)∗ ein anti-lineares Funktional U : H s (Rm ) → C durch ˜ (w|Ω ), U (w) := U
w ∈ H s (Rm ).
Da nach Definition kw|Ω kH s (Ω) ≤ kwkH s (Rm ) f¨ ur alle w ∈ H s (Ω), gilt kU kH −s (Rm ) =
sup kwkH s (Rm ) ≤1
˜ (w|Ω )| ≤ |U
sup kvkH s (Ω) ≤1
˜ (v)| = kU ˜ kH s (Ω)∗ < ∞, |U (6.8)
137
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
also ist U ∈ H −s (Rm ). Aufgrund des folgenden Lemmas 6.9 ist U ∈ H0−s (Ω), denn U (w) = 0 falls supp w ⊂ Rm \ Ω. Weiterhin gilt ˜ (v), (jU )(v) = hU, EviL2 (Rm ) = U˜ (Ev|Ω ) = U
v ∈ H s (Ω),
d.h. j ist surjektiv. Aufgrund von (6.7) und (6.8) ist j auch isometrisch. Zur Formulierung des n¨achsten Lemmas definieren wir zun¨achst den Tr¨ager supp U eines Funktionals U ∈ H s (Rm ) f¨ ur s ∈ R: Es gilt x ∈ / supp U f¨ ur x ∈ Rm genau dann, wenn es eine Umgebung V von x gibt, so dass hU, φiL2 (Rm ) = 0 f¨ ur alle φ ∈ C0∞ (V ). Falls speziell U ∈ C(Rm ), stimmt diese Definition offenbar mit der u ¨berein. ¨ blichen Definition supp U = {x ∈ Rm : U (x) 6= 0} u Lemma 6.9. Sei Ω ⊂ Rm ein beschr¨anktes Lipschitz-Gebiet und s ∈ R. Dann gilt H0s (Ω) = {u ∈ H s (Rm ) : supp u ⊂ Ω}. (6.9) Beweis: Die Inklusion H0s (Ω) ⊂ {u ∈ H s (Rm ) : supp u ⊂ Ω} ist offensichtlich. Zum Nachweis der umgekehrten Inklusion gehen wir in 3 Schritten vor: 1. Zun¨achst zeigen wir, dass es f¨ ur u ∈ H s (Rm ) zu jedem > 0 ein φ ∈ C ∞ (Rm ) gibt mit ku − φkH s (Rm ) ≤
und
supp φ ⊂ {x ∈ Rm : dist(x, supp u) ≤ }.
Dazu definieren wir uδ (x) := hu, ηδ (· − x)iL2 (Rm ) mit der in Abschnitt 4.2.1. definierten Gl¨attungsfunktion ηδ . Aus der Tatsache, dass nach Satz 4.16 die ∂η Differenzenquotienten Dhj ηδ f¨ ur h → 0 in H −s (Rm ) gegen ∂x konvergieren, j 1 m folgt, dass uδ ∈ C (R ). Durch Induktion zeigt man in ¨ahnlicher Weise, dass uδ ∈ C ∞ (Rm ). Außerdem gilt offenbar supp uδ ⊂ {x ∈ Rm : dist(x, supp u) ≤ δ}. Wir erinnern daran, dass die Fouriertransformation F : H s (Rm ) → Ls (Rm ) nach Satz 4.12 f¨ ur alle s ∈ R unit¨ar ist. Daher gilt Z Z uδ (x) = (F u)(ξ)(F ηδ (· − x))(ξ) dξ = (F u)(ξ)(F ηδ )(ξ)e2πiξ·x dξ Rm
Rm
f¨ ur alle x ∈ Rm und folglich nach der Fourierschen Umkehrformel (F uδ )(ξ) = (F u)(ξ)(F ηδ )(ξ) = (F u)(ξ)(F η)(δξ)
138
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
R f¨ ur f.a. ξ ∈ Rm . Da F η stetig ist mit F η(0) = Rm η dx = 1 und da kF ηkL∞ (Rm ) ≤ kηkL1 (Rm ) = 1, folgt aus dem Lebesgueschen Grenzwertsatz, dass F uδ → F u in Ls (Rm ) f¨ ur δ → 0. Daraus folgt kuδ − ukH s (Rm ) → 0. 2. Als n¨achstes beweisen wir die Behauptung f¨ ur den Spezialfall Ω = {x ∈ Rm : xm > γ(x1 , . . . , xm−1 )} mit einer beschr¨ankten Lipschitz-Funktion γ : Rm−1 → R. Dazu betrachten wir f¨ ur s ≥ 0 die nach oben verschobenen Funktionen (τδem u)(x) := u(x − δem ), δ > 0 und f¨ ur s < 0 die nach oben verschobenen Funktionale hτδem u, viL2 (Rm ) := hu, τ−δem viL2 (Rm ) , v ∈ H −s (Rm ). Da (F τδem u)(ξ) = (F u)(ξ)e2πix·ξ , folgt aus dem Lebesgueur δ → 0. Daher exischen Grenzwertsatz, dass F τδem u → F u in L2s (Rm ) f¨ stiert zu gegebenenem > 0 ein δ > 0 mit kτδem u − ukH s (Rm ) ≤ 2 . Da dist( supp τδem u, ∂Ω) > 0 (siehe Beweis von Satz 4.25), gibt es nach dem ersten Beweisteil ein φ ∈ C0∞ (Ω) mit kτδem u − φkH s (Rm ) ≤ 2 . Nach der Dreiecksungleichung gilt daher ku − φkH s (Rm ) ≤ , d.h. wir haben die Behauptung f¨ ur die betrachtete Klasse von Gebieten bewiesen. 3. F¨ ur allgemeine Gebiete Ω zeigt man die Behauptung nun wie u ¨blich mit Hilfe einer Teilung der Eins (siehe etwa Beweis von Satz 4.25).
6.1.3.
R¨ aume zeitabh¨ angiger Funktionen
Wir werden L¨osungen zeitabh¨angiger Differentialgleichungen als Hilbertraumwertige Funktionen der Zeit auffassen: u(t) ∈ L2 (Ω) beschreibt die L¨osung der Differentialgleichung zum Zeitpunkt t, und u ist eine Funktion, die das Zeitintervall [0, T ] in den Funktionenraum L2 (Ω) ben¨otigt. Dazu ben¨otigen wir Hilbertr¨aume L2 ([0, T ]; V ),
V Hilbertraum
von “quadratintegrierbaren” Funktionen u : [0, T ] → V . Dabei stellt sich nat¨ urlich die Frage, wie ein “Lebesgue-Integral” von Hilbertraum-wertigen Funktionen definiert werden kann. Der interessierte Leser findet eine einf¨ uhrende Darstellung dieses sogenannten Bochner-Integral z.B. in [17]. Um Maßtheorie f¨ ur Hilbertraum-wertige Funktionen zu vermeiden, werden wir stattdessen L2 ([0, T ]; V ) als Vervollst¨andigung von C([0, T ]; V ) unter der Norm RT ( 0 ku(t)k2 dt)1/2 definieren. Im Gegensatz zum Lebesgue-Integral stellt die Verallgemeinerung des Riemann-Integrals von reellwertigen auf Banachraum-wertige Funktionen keine nennenswerten Schwierigkeiten dar:
139
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
Satz und Definition 6.10 (Riemann-Integral Banachraum-wertiger Funktionen). Sei V ein Banachraum, a, b ∈ R mit a < b und sei u : [a, b] → V stetig. Dann ist das Riemann-Integral von u durch Z T n b−aX 2j − 1 u(t) dt := lim u a+ (b − a) n→∞ n j=1 2n 0 wohldefiniert. Wie f¨ ur reellwertige Funktionen kann man zeigen, dass der Grenzwert unabh¨angig von der Zerlegung des Intervalls [a, b] und der Wahl der St¨ utzstellen ist. Differenzierbarkeit Banachraum-wertiger Funktionen kann man wie f¨ ur reellwertige Funktionen durch Grenzwerte von Differenzenquotienten definieren. F¨ ur k ∈ N0 ∪ {∞} sei C k ([a, b]; V ) der Raum der k-mal stetig differenzierbaren Funktionen von [a, b] nach V und C0k ([a, b]; V ) der Raum aller Funktionen u ∈ C k ([a, b]; V ), deren Tr¨ager supp u := {t ∈ [a, b] : u(t) 6= 0} in (a, b) enthalten ist. Den Beweis der folgenden einfachen Eigenschaften u ¨ ber¨ lassen wir als Ubungsaufgabe. Lemma 6.11. Sei V ein Hilbertraum, a, b ∈ R mit a < b und u ∈ C([a, b]; V ). Dann gilt 1. C([a, b]; V ) ist vollst¨andig bez¨ uglich der Norm supt∈[a,b] ku(t)k. 2. Ist span{φ Pnj : j ∈ N} = V , so liegt∞die Menge aller Funktionen der Form w(t) = j=1 βj (t)φj mit βj ∈ C0 ([a, b]) dicht in C([a, b]; V ) bez¨ uglich der durch das innere Produkt Z b (u, v)L2 ([a,b];V ) := (u(t), v(t))V dt (6.10) a
erzeugten Norm. Insbesondere liegt C0∞ ([a, b]; W ) dicht in C([a, b]; V ) bez¨ uglich dieser Norm, falls V separabel und W ein dichter Teilraum von V ist. Rb Rb 3. k a u(t) dtk ≤ a ku(t)k dt.
4. Ist u ∈ C 1 ([a, b]), so gilt Z t a
u0 (s) ds = u(t) − u(a).
(6.11)
140
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
Wir wiederholen nun den Begriff der Vervollst¨andigung: Satz 6.12 (Vervollst¨ andigung). Jeder metrische Raum X ist isometrisch zu einer dichten Teilmenge eines bis auf Isometrie eindeutig bestimmten ˜ Dieser heißt Vervollst¨andigung von X. vollst¨andigen metrischen Raums X. ˜ ein Hilbertraum. Ist X ein Pr¨a-Hilbertraum, so ist X Beweis: (Skizze) Eine m¨ogliche Realisierung des Raums X kann analog zur Einf¨ uhrung der reellen Zahlen wie folgt konstruiert werden. Sei d die Me˜ ˜ ¨aquivalent, trik in X. Wir nennen zwei Cauchy-Folgen (un )n und (vn )n in X kurz (un ) ∼ (vn ), falls d(un , vn ) → 0 f¨ ur n → ∞. Man zeigt leicht, dass ˜ als Menge aller Klassen von ¨ ∼ eine Aquivalenzrelation ist. Wir definieren X ˜ mit Repr¨asentanten (un ) und ˜, v˜ ∈ X ¨aquivalenten Cauchyfolgen in X. Sind u (vn ) so definieren wir ˜ u, v˜) := lim d(un , vn ). d(˜ n→∞
Es ist folgendes zu zeigen: ˜ u, v˜) ist unabh¨angig von der Wahl der Repr¨asentaten und erf¨ • d(˜ ullt die Metrik-Axiome. ˜ die jedem u ∈ X die Aquivalenzklasse ¨ • Die Abbildung f : X → X, u ˜ mit Repr¨asentaten (u, u, u, . . . ) zuordnet ist isometrisch, und das Bild ˜ f (X) liegt dicht in X. ˜ ist vollst¨andig. • X
˜ ist bis auf Isometrie eindeutig bestimmt. • X • Ist X ein Pr¨a-Hilbertraum, so lassen sich die lineare Struktur und das ˜ fortsetzen. innere Produkt stetig auf X F¨ ur die einfachen Beweise verweisen wir z.B. auf [6]. Definition 6.13. Sei V ein Hilbertraum, a, b ∈ R mit a < b, und sei C k ([a, b]; V ), k ∈ N0 der Raum der k-mail stetig-differenzierbaren Funktion von [a, b] nach V . Wir definieren L2 ([a, b]; V ) als Vervollst¨andigung von C([a, b]; V ) versehen mit dem inneren Produkt (6.10) und W k,2 ([a, b]; V ) als Vervollst¨andigung von C k ([a, b]; V ) versehen mit dem inneren Produkt k Z b X (u(j) (t), v (j) (t))V dt. (u, v)W k,2 ([a,b];V ) := j=0
a
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
141
Man kann nat¨ urlich auch f¨ ur reellwertige Funktionen den Lebesgue-Raum L ([a, b]) auf ¨ahnliche Weise mit V = R einf¨ uhren, und dies ist f¨ ur einige Zwecke auch hinreichend. Allerdings bringt dieses Vorgehen den Nachteil, dass man die Elemente von L2 ([a, b]) nicht als Funktionen interpretie¨ ren kann. Nach Konstruktion sind sie zun¨achst nur Aquivalenzklassen von Cauchy-Folgen. Das folgende Lemma beschreibt die Situation, die wir im folgenden betrachten werden und zeigt, dass wir die Elemente des L¨osungsraums hier doch als Funktionen interpretieren k¨onnen. 2
Lemma 6.14. Sei V ,→ H ,→ V ∗ ein Gelfand-Tripel von Hilbertr¨aumen und sei T > 0. Dann gilt L2 ([0, T ]; V ) ∩ W 1,2 ([0, T ]; V ∗ ) ⊂ C([0, T ]; H),
(6.12)
und die Einbettung ist stetig bzgl. der Norm maxt∈[0,T ] ku(t)kH auf C([0, T ]; H).
Beweis: Wir definieren X = L2 ([0, T ]; V )∩W 1,2 ([0, T ]; V ∗ ) als Vervollst¨andigung von C 1 ([0, T ]; V ) unter der Norm kukX := kukL2 ([0,T ];V ) + kukW 1,2 ([0,T ];V ∗ ) .
(6.13)
Die Bezeichnung X = L2 ([0, T ]; V ) ∩ W 1,2 ([0, T ]; V ∗ ) deutet an, dass X isometrisch zu Teilmengen von L2 ([0, T ]; V ) und W 1,2 ([0, T ]; V ∗ ) ist. Wir werden zeigen, dass es eine Konstante C > 0 gibt mit max ku(t)kH ≤ CkukX
t∈[0,T ]
f¨ ur alle u ∈ C 1 ([0, T ]; V ).
(6.14)
Daraus folgt aufgrund der Vollst¨andigkeit von C([0, T ]; V ), dass X isometrisch zu einer Teilmenge von C([0, T ]; V ) ist. (In diesem Sinne ist (6.12) zu verstehen: Wir k¨onnen X mit dieser Teilmenge identifizieren!) F¨ ur u ∈ C 1 ([0, T ]; V ) und t, t∗ ∈ [0, T ] gilt Z t Z t d 2 2 2 ku(t)kH − ku(t∗ )kH = 2 Re hu(τ ), u0 (τ )i dτ. ku(τ )kH dτ = t∗ dτ t∗ Nach dem Mittelwertsatz der Integralrechnung gibt es ein t∗ ∈ (0, T ) mit RT ku(t∗ )k2H = T1 0 ku(s)k2H ds. Mit Hilfe von (6.5) ergibt sich Z Z T 1 T 2 2 ku(t)kH ≤ ku(s)kH ds + 2 ku(s)kV ku0 (s)kV ∗ ds T 0 0 1 kukL2 ([0,T ];H) + 2kukL2 ([0,T ];V ) kukW 1,2 ([0,T ];V ∗ ) ≤ T ≤ CkukX
142
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
f¨ ur alle t ∈ [0, T ]. Damit haben wir (6.14) gezeigt.
Korollar 6.15. F¨ ur jeden Hilbertraum H und alle k ∈ N ist W k,2 ([0, T ]; H) stetig in C k−1 ([0, T ]; H) eingebettet.
Beweis: F¨ ur k = 1 folgt dies unmittelbar aus Lemma 6.14, wenn wir V = V ∗ = H w¨ahlen. F¨ ur k > 1 erhalten wir das Ergebnis, indem wir Lemma 6.14 auf Ableitungen anwenden.
6.2.
Parabolische Differentialgleichungen
Sei Ω ⊂ Rm ein beschr¨anktes Gebiet und T > 0. Wir betrachten das AnfangsRandwertproblem (∂t u)(x, t) + (Lu)(x, t) = f (x, t) h grad u(x, t), A(x, t)ni = gN (x, t) u(x, 0) = u0 (x),
x ∈ Ω, t ∈ (0, T ) (6.15a) x ∈ ∂Ω, t ∈ (0, T ] (6.15b) x∈Ω (6.15c)
mit einem Operator L der Form (Lu)(x, t) = − divx A(x, t) grad x u(x, t) + b(x, t) · grad x u(x, t) + c(x, t)u(x, t) (6.16) mit b(x, t) ∈ Rm und c(x, t) ∈ R und einer symmetrischen Matrix-wertigen Funktion A(x, t) ∈ Rm×m . Dabei nehmen wir an, dass es ein θ > 0 gibt, so dass f¨ ur fas alle x ∈ Ω und t ∈ [0, T ] ξ T A(x, t)ξ ≥ θ|ξ|2
f¨ ur alle ξ ∈ Rm
(6.17)
Statt der Neumannschen Randbedingung (6.15b) kann man nat¨ urlich auch andere Randbedingungen betrachten, z.B. u(x, t) = gD (x, t),
6.2.1.
x ∈ ∂Ω, t ∈ [0, T ].
(6.18)
Schwache Formulierung
Wir hatten in Abschnitt 3.3.6. gezeigt, dass f¨ ur glatte L¨osungen u die klassische Formulierung der W¨armeleitungsgleichung ¨aquivalent ist zu der schwachen Fomulierung Z Z {ut (x, t) v(x) + ∇x u(x, t) · ∇v(x)} dx = u(x, t)f (x, t) dx+hgN (·, t), T viL2 (∂Ω) Ω
Ω
(6.19)
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
143
f¨ ur v ∈ C 1 (Ω). Diese Formulierung wollen wir nun auf parabolische AnfangsRandwertprobleme der Form (6.15) verallgemeinern. Dazu ordnen wir in Analogie zu Abschnitt 5.1.1. dem Differentialoperator L eine zeitabh¨angige Bilinearform B : H 1 (Ω) × H 1 (Ω) × [0, T ] → R zu: B(u, v; t) := hA(·, t)∇u, ∇viL2 (Ω) + h∇u, vb(·, t)iL2 (Ω) + hc(·, t)u, viL2 (Ω) . (6.20) Weiterhin interpretieren wir die L¨osung und die Koeffizienten der Differentialgleichung als Banachraum-wertige Funktionen der Zeit und setzen [u(t)](x) := u(x, t), [A(t)](x) := A(x, t),
[f (t)](x) := f (x, t) [b(t)](x) := b(x, t)
[gN (t)](x) := gN (x, t) [c(t)](x) := c(x, t)
Multiplizieren wir die Differentialgleichung (6.15a) mit einer Testfunktion v ∈ H 1 (Ω), integrieren u uhrenden Term unter Be¨ ber x und integrieren den f¨ achtung der Randbedingung (6.15b) partiell, so erhalten wir f¨ ur hinreichend glatte L¨osungen das schwache Anfangswertproblem hu0 (t), viL2 (Ω) + B(u(t), v, t) = hf (t), viL2 (Ω) + hgN (t), T viL2 (∂Ω) (6.21a) u(0) = u0 (6.21b) f¨ ur t ∈ (0, T ] und v ∈ H 1 (Ω). Beachte, dass die Testfunktion v nur von x, aber nicht von t abh¨angt! Wir u ur die L¨osung u(t) ist. ¨ berlegen uns nun, was ein geeigneter Raum f¨ Um unsere Analysis einfach und elegant zu gestalten, ist eine HilbertraumStruktur w¨ unschenswert. Daher betrachten wir die in Abschnitt 6.1.3. eingef¨ uhrten L2 - und Sobolevr¨aume. Um den Term hu0 (t), viL2 (Ω) interpretieren zu k¨onnen, m¨ ussen wir verlangen, dass u ∈ W 1,2 ([0, T ]; H 1 (Ω)∗ ). Da nach unser Definition 6.13 von W 1,2 ([0, T ]; H 1 (Ω)∗ ) der Ausdruck f¨ ur festes t nicht wohldefiniert sind, gehen wir dabei wie folgt vor: F¨ ur jedes v ∈ H 1 (Ω) ist die Abbildung C 1 ([0, T ]; H 1 (Ω)∗ ) → L2 ([0, T ]), u 7→ hu0 (·), viL2 (Ω) wohldefiniert und stetig. Da nach Definition C 1 ([0, T ]; H 1 (Ω)∗ ) dicht in W 1,2 ([0, T ]; H 1 (Ω)∗ ) liegt, besitzt diese Abbildung nach Satz 2.12 eine stetige Fortsetzung, d.h. hu0 (·), viL2 (Ω) ∈ L2 ([0, T ])
f¨ ur u ∈ W 1,2 ([0, T ]; H 1 (Ω)∗ ) und v ∈ H 1 (Ω).
H¨angt die Bilinearform B(u, v, t) stetig von t ab (oder ¨aquivalent: h¨angt L(t) ∈ L(H 1 (Ω), H0−1 (Ω)) stetig von t ∈ [0, T ] ab), so k¨onnen wir analog zeigen, dass B(u(·), v, ·) ∈ L2 ([0, T ])
f¨ ur u ∈ L2 ([0, T ]; H 1 (Ω)) und v ∈ H 1 (Ω).
144
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
Daher fordern wir unter Beachtung von Satz 6.8, dass u ∈ W 1,2 ([0, T ]; H0−1 (Ω)) ∩ L2 ([0, T ]; H 1 (Ω)). Aufgrund von Lemma 6.11 folgt hieraus u ∈ C([0, T ]; L2 (Ω)). Daher k¨onnen wir auch die Anfangsbedingung (6.15c) f¨ ur u0 ∈ L2 (Ω) interpretieren. Um die folgenden Untersuchungen u ¨ bersichtlicher und zugleich allgemeiner anwendbar zu halten, f¨ uhren wir das folgende abstrakte parabolische Anfangswertproblem ein, das auch andere Randbedingungen, parabolische Differentialgleichungen h¨oherer Ordnung und Systeme von parabolischen Differentialgleichungen umfasst: Definition 6.16 (Abstraktes parabolisches Anfangswertproblem). Sei (V, H, V ∗ ) ein Gelfand-Tripel, T > 0, L : [0, T ] → L(V, V ∗ ) stetig, F ∈ L2 ([0, T ]; V ∗ ) und u0 ∈ H. Weiterhin sei B(u, v, t) := hL(t)u, viH ,
u, v ∈ V, t ∈ [0, T ]
die dem Operator L zugeordnete parameterabh¨angige Bilinearform. Wir nennen u ∈ W 1,2 ([0, T ]; V ∗ ) ∩ L2 ([0, T ]; V ) eine L¨osung des abstrakten parabolischen Anfangswertproblems u0 (t) + L(t)u(t) = F(t),
u(0) = u0 ,
falls f¨ ur alle v ∈ V hu0 (t), viH + B(u(t), v; t) = hF(t), viH , u(0) = u0 .
(6.22a) (6.22b)
(Diese Gleichung ist wie oben in einem Spezialfall diskutiert f¨ ur jedes v ∈ V 2 als Gleichheit von Funktionen in L ([0, T ]) zu interpretieren!) Wir werden voraussetzen, dass es Konstanten λ, γ, Γ > 0 gibt, so dass f¨ ur alle u, v ∈ V und alle t ∈ [0, T ] |B(u, v, t)| ≤ ΓkukV kvkV , Re B(u, u, t) + λ hu, uiH ≥ γkuk2V .
(6.23) (6.24)
Man zeigt v¨ollig analog zu Satz 5.10 und Lemma 5.11, dass die schwache Fomulierung (6.21), des Problems (6.15) die Voraussetzungen von Definition 6.16 mit V = H 1 (Ω), H = L2 (Ω), V ∗ = H0−1 (Ω) und hF(t), vi := hf (t), viL2 (Ω) + hgN (t), T viL2 (∂Ω)
145
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
erf¨ ullt sind, falls A ∈ C([0, T ]; L∞ (Ω)m×m ), b ∈ C([0, T ]; L∞ (Ω)m ), c ∈ C([0, T ]; L∞ (Ω)), f ∈ C([0, T ]; H0−1 (Ω)), gN ∈ C([0, T ]; H −1/2 (∂Ω)), u0 ∈ L2 (Ω) und falls die Voraussetung (6.17) gilt. Analog kann man die Dirichlet-Randbedingung (6.18) mit gD = 0 behandeln, indem man V = H01 (Ω) und V ∗ = H −1 (Ω) w¨ahlt. F¨ ur inhomogene Dirichlet-Randbedingungen gehen wir analog zu Bemerkung 5.6 vor.
6.2.2.
Existenz und Eindeutigkeit
Lemma 6.17 (Gronwall). Sei ξ ∈ C 1 ([0, T ]), α ∈ C([0, T ]) und β, ξ(0) ≥ 0. Dann folgt aus ξ 0 (t) ≤ α(t) + βξ(t), die Ungleichung βt
ξ(t) ≤ e ξ(0) +
Z
t ∈ [0, T ]
t
eβ(t−τ ) α(τ ) dτ. 0
Beweis: Nach Voraussetzung gilt f¨ ur die Funktion η(t) := e−βt ξ(t) die Ungleichung η 0 (t) = e−βt (−βξ(t) + ξ 0 (t)) ≤ e−βt α(t). Rt Durch Integration folgt η(t) ≤ η(0) + 0 e−βτ α(τ ) dτ . Multiplikation mit eβt liefert nun die Behauptung. Das wesentliche Hilfsmittel dieses Abschnitts ist die folgende a-priori Absch¨atzung: Lemma 6.18 (Energieabsch¨ atzung). Gilt (6.24), so erf¨ ullt jede L¨osung von (6.22) die Ungleichung kuk2L2 ([0,T ];V ) + ku0 k2L2 ([0,T ];V ∗ ) ≤ CkFk2L2 ([0,T ];V ∗ ) + Cku0 k2H
(6.25)
mit einer Konstanten C > 0, die nur von T, λ, γ, Γ und der Norm des Einbettungsoperators V ,→ H abh¨angt.
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
146
Beweis: 1. Wir nehmen zun¨achst an, dass u ∈ C 1 ([0, T ]; V ). Dann ist wegen (6.22) F ∈ C([0, T ]; V ∗ ). W¨ahlen wir in (6.22) v = u(t) f¨ ur festes t ∈ (0, T ], so folgt mit Hilfe von (6.24) die Ungleichung d ku(t)k2H + 2γku(t)k2V − 2λku(t)k2H dt ≤ 2 Re hu0 (t), u(t)iH + 2 Re B(u(t), u(t), t) 1 = 2 Re hF(t), u(t)iH ≤ kF(t)k2V ∗ + γku(t)k2V . γ In der letzten Zeile haben wir (6.5) und die Ungleichung 2ab ≤ a2 /γ + γb2 benutzt. Durch Umformung ergibt sich d ku(t)k2H + ku(t)k2V ≤ CkF(t)k2V ∗ + Cku(t)k2H dt
(6.26)
mit einer generischen Konstanten C > 0, die von Zeile zu Zeile einen anderen Wert haben kann. Aus dem Gronwall Lemma 6.17 mit ξ(t) := ku(t)k2H , α(t) := CkF(t)k2V ∗ , β := C und ξ0 := ku0 k2H folgt max ku(t)k2H ≤ Cku0 k2H + CkFk2L2 ([0,T ];V ∗ ) .
t∈[0,T ]
RT Wir integrieren (6.26) von 0 bis T und benutzen die Identit¨at 0 dtd ku(t)k2H dt = ku(T )k2H − ku(0)k2H . Zusammen mit der letzten Ungleichung erhalten wir kuk2L2 ([0,T ];V ) ≤ CkFk2L2 ([0,T ];V ∗ ) + Cku0 k2H .
(6.27)
2. Aufgrund der Differentialgleichung (6.22) gilt ku0 (t)kV ∗ ≤ Γku(t)kV + kF(t)k∗V Durch Quadrieren dieser Ungleichung und Integration von 0 bis T folgt unter Benutzung von (6.27) die Ungleichung ku0 k2L2 ([0,T ];V ∗ ) ≤ CkFk2L2 ([0,T ];V ∗ ) + Cku0 k2H . Damit haben wir die Behauptung f¨ ur den Spezialfall u ∈ C 1 ([0, T ]; V ) bewiesen. 3. Nach Definition existiert zu einer gegebenen L¨osung u ∈ X := L2 ([0, T ]; V )∩
147
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
W 1,2 ([0, T ]; V ∗ ) eine Folge (un ) in C 1 ([0, T ]; V ) mit kun − ukX → 0 (siehe (n) Gl. (6.13)). Wir definieren u0 := un (0) und hFn (t), viH := hu0 (t), viH + B(u(t), v, t),
v∈V
uglich k · kX stetig von und beobachten, dass kFn kL2 ([0,T ];V ) und ku0 kH bez¨ (n) u abh¨angen. Daher folgt aus (6.25) f¨ ur un , Fn und u0 im Grenz¨ ubergang n → ∞ das gew¨ unschte Ergebnis.
Es ist offensichtlich, dass aus (6.25) die Eindeutigkeit einer L¨osung von ¨ (6.22) folgt und dass eine L¨osung stetig von den Daten abh¨angen muss. Uberraschender ist, dass man diese Ungleichung auch zum Nachweis der Existenz einer L¨osung verwenden kann. Aufgrund der zentralen Rolle, die diese sogenannte Energieabsch¨atzung in dem folgenden Beweis spielt, spricht man auch von der Energiemethode zum Nachweis der Existenz von L¨osungen parabolischer Differentialgleichungen. Satz 6.19. Ist V separabel, so besitzt das abstrakte parabolische Anfangswertproblem (6.22) f¨ ur alle rechten Seiten F und u0 eine eindeutige L¨osung. Beweis: Wir erhalten die Eindeutigkeit einer L¨osung, indem man die Ungleichung (6.25) auf die Differenz zweier L¨osungen anwenden. Zum Nachweis der Existenz gehen wir in 4 Schritten vor: 1. Sei {φj : j ∈ N} ein vollst¨andiges Orthonormalsystem in H mit φj ∈ V f¨ ur alle j ∈ N, und sei Vn := span{φ1 , . . . , φn }. Weiterhin sei Pn die orthogonale Projektion auf Vn in H, und sei (Fn )n∈N eine Folge in C([0, T ]; V ∗ ), die in L2 ([0, T ]; V ∗ ) gegen F konvergiert. Wir suchen zun¨achst eine Funktion un ∈ C 1 ([0, T ]; V ) von der Form un (t) =
n X
ζl (t)φl
l=1
mit Koeffizienten ζl (t) ∈ C 1 ([0, T ]), die die Gleichung hu0n (t), viH + B(un (t), v, t) = hFn (t), viH ,
un (0) = Pn u0
(6.28)
f¨ ur alle v ∈ Vn erf¨ ullt. W¨ahlen wir speziell v = φj , j = 1, . . . , n, so erhalten wir das ¨aquivalente System ζj0 (t) +
n X l=1
B(φl , φj , t)ζl (t) = hFn (t), φj iH ,
ζj (0) = hu0 , φj iH .
148
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
Dies ist ein lineares System von gew¨ohnlichen Differentialgleichungen f¨ ur die Funktionen ζ1 , . . . , ζn mit stetigen Koeffizienten B(φl , φj , t) und hF(t), φj iH . Dieses besitzt zu der gegebenen Anfangsbedingung nach dem Satz von PicardLindel¨of eine L¨osung (ζ1 , . . . , ζn ) ∈ C 1 ([0, T ]; Cn ) (siehe etwa [15]). Daher existiert eine L¨osung un des approximierenden Problems (6.28). 2. Da die Funktionen un ein abstraktes parabolisches Anfangswertproblem f¨ ur die R¨aume V = H = Vn mit der restringierten Bilinearform Bn : Vn × Vn × [0, T ] → R, Bn (u, v, t) := B(u, v, t) und der restringierten rechten Seite Fn |Vn erf¨ ullen, folgt aus Lemma 6.18 die Absch¨atzung kun k2X ≤ CkFn k2L2 ([0,T ];Vn∗ ) + CkPn u0 k2H ≤ CkFk2L2 ([0,T ];V ∗ ) + Cku0 k2H (6.29)
mit einer von n unabh¨angigen Konstanten C > 0, denn die Ungleichungen (6.23) und (6.24) gelten mit denselben Konstanten auch f¨ ur Bn und u ∈ Vn . Aufgrund von Satz 6.4 und (6.29) existiert eine Teilfolge (unk ), die in X := L2 ([0, T ]; V ) ∩ W 1,2 ([0, T ]; V ∗ ) schwach gegen ein u ∈ X konvergiert. 3. Wir zeigen nun, dass der Grenzwert u die Differentialgleichung erf¨ ullt. Wir betrachten zun¨achst Testfunktion der Form N X βj (t)φj (6.30) v(t) = j=1
mit βj ∈ C ∞ ([a, b]). F¨ ur diese gilt
0 unk (t), v(t) H + B(unk (t), v(t), t) = hFnk (t), v(t)iH
f¨ ur nk ≥ N und t ∈ [0, T ]. Durch Integration von 0 bis T erhalten wir Z Tn Z T o
0 unk (t), v(t) L2 (H) + B(unk (t), v(t), t) dt = hFnk (t), v(t)iH dt. 0
0
Da die linke Seite dieser Gleichung eine beschr¨ankte Bilinearform auf X definiert, folgt nach Lemma 6.2 im Grenz¨ ubergang k → ∞ die Gleichung Z Tn Z T o 0 hu (t), v(t)iL2 (H) dt + B(u(t), v(t), t) dt = hF(t), v(t)iH dt. 0
0
Da nach Lemma 6.11 Funktionen der Form (6.30) dicht in X liegen, gilt diese Gleichung sogar f¨ ur alle v ∈ X. Betrachtet man f¨ ur v ∈ V alle Funktionen der Form v(t) = ζ(t)v mit ζ ∈ C ∞ ([0, T ]), so folgt (6.22a). 4. Zum Nachweis der Anfangsbedingung (6.22b) beachten wir, dass nach Lemma 6.14 der Operator S : X → H, Su := u(0) stetig ist. Daher gilt nach Lemma 6.2 einerseits Pnk u0 = Sunk → Su = u(0) und andererseits kPnk u0 − u0 kH → 0. Daraus folgt u(0) = u0 .
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
6.2.3.
149
Regularit¨ at
Wir nehmen zun¨achst an, u sei eine hinreichend glatte L¨osung des Anfangswertproblems u0 (t) + L(t)u(t) = F(t), u(0) = u0 und differenzieren formal: u00 (t) + L(t)u0 (t) = F0 (t) − L0 (t)u(t), u0 (0) = F(0) − L(0)u(0) u000 (t) + L(t)u00 (t) = F00 (t) − L00 (t)u(t) − 2L0 (t)u0 (t), u00 (0) = F0 (0) − L0 (0)u(0) − L(0)u0 (0) ... Allgemein gilt (k)
u (0) = F
(k−1)
k−1 X k−1 (0) − L(j) (0)u(k−1−j) (0). j j=0
M¨ochten wir zeigen, dass u ∈ W k,2 ([0, T ]; V ) ∩ W k+1,2 ([0, T ]; V ∗ ), so muss nach Lemma 6.14 notwendigerweise u(j) ∈ H f¨ ur j = 0, . . . , k − 1 gelten. Daher treffen wir folgende Annahmen: Annahme 6.20 (Regularit¨ ats- und Kompatibilit¨ atsbedingungen). Sei k ∈ N. Zus¨atzlich zu den Voraussetzungen in Definition 6.16 nehmen wir an, dass L ∈ C k ([0, T ]; L(V, V ∗ )) und F ∈ W k,2 ([0, T ]; V ∗ ). Weiterhin seien f¨ ur l = 1, . . . , k die Vektoren ul := F
(k−1)
k−1 X k−1 (0) − L(j) (0)uk−1−j j j=0
wohldefiniert, d.h. u0 , . . . , uk−1 ∈ V , und es gelte uk ∈ H. Beachte, dass nach Korollar 6.15 F(k−1) (0) f¨ ur F ∈ W k,2 ([0, T ]; V ∗ ) wohldefiniert ist. Wir diskutieren nun die Bedingungen an die Anfangswerte an einem Beispiel, an dem klar wird, dass es sich nicht nur um Glattheits-, sondern auch um (nat¨ urliche) Kompatibilit¨atsbedingungen handelt:
150
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
Beispiel 6.21. Wir betrachten die W¨armeleitungsgleichung mit Neumannschen Randbedingungen, also das Problem (6.15) mit L = −∆. Dabei ist zu beachten, dass in der schwachen Formulierung die Differentialgleichung und die Randbedingung zu einer Gleichung zusammengefasst werden. Genauer ist ∂u hL(t)u, viL2 (Ω) = h−∆u, viL2 (Ω) + ,Tv , v ∈ H 1 (Ω) ∂n L2 (∂Ω) f¨ ur u ∈ H 2 (Ω), wobei gilt hu1 , viL2 (Ω)
∂u ∂n
im Sinne des Spur-Operators zu verstehen ist. Daher
∂u0 = h∆u1 , viL2 (Ω) + gN (·, 0) − ,Tv ∂n
v ∈ H 1 (Ω).
,
L2 (∂Ω)
Also ist die Bedingung u1 ∈ H = L2 (Ω) erf¨ ullt, wenn u0 ∈ H 2 (Ω)
und
gN (·, 0) =
∂u0 . ∂n
Die zweite Bedingung ist eine Kompatibilit¨atsbedingung an die Anfangs-und Randwerte bei t = 0 und ist offensichtlich notwendig f¨ ur die Existenz einer 2 L¨osung in C([0, T ]; H (Ω)). Satz 6.22 (Regularit¨ at in t). Ist die Annahme 6.20 erf¨ ullt, so liegt u k,2 k+1,2 ∗ in W ([0, T ]; V ) ∩ W ([0, T ]; V ), und es gibt eine von u unabh¨angige Konstante C > 0 mit kuk2W k,2 ([0,T ];V ) +kuk2W k+1,2 ([0,T ];V ∗ ) ≤ CkFk2W k,2 ([0,T ];V ∗ ) +C
k X j=0
kuj k2H . (6.31)
Beweis: Wir f¨ uhren einen Induktionsbeweis nach k. F¨ ur k = 0 folgt die Behauptung aus der Energieabsch¨atzung (6.25). 1. Wir nehmen nun die Behauptung sei f¨ ur k − 1 erf¨ ullt und m¨ochten (6.31) (k−1) beweisen. Nach Induktionsvoraussetzung ist u eine schwache L¨osung des parabolischen Anfangswertproblems ∂t u(k−1) (t) + L(t)u(k−1) (t) = Fk−1 (t), u(k−1) (0) = uk−1 . Pk−2 k − 1 (k−1) mit rechter Seite Fk−1 (t) := F (t)− j=0 L(k−j) (t)u(j) (t). Aufj grund der Induktionsannahme und Annahme 6.20 ist Fk−1 ∈ W 1,2 ([0, T ]; V ∗ ).
151
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
W¨ ussten wir bereits, dass die Induktionsbehauptung wahr ist, dann m¨ usste (k) v := u das parabolische Anfangswertproblem v0 (t) + L(t)v(t) = F0k−1 (t) − L0 (t)u(t), v(0) = Fk−1 (0) − L(0)uk−1
(6.32a) (6.32b)
erf¨ ullen. Andererseits liegt aufgrund unserer Annahmen die rechte Seite dieser Differentialgleichung in L2 ([0, T ]; V ∗ ) und Fk−1 (0) − L(0)uk−1 = uk ∈ H. Daher ist nach Satz 6.19 v ∈ L2 ([0, T ]; V ) ∩ W 1,2 ([0, T ]; V ∗ ) als L¨osung dieses Anfangswertproblems wohldefiniert und erf¨ ullt nach Lemma 6.18 und der Induktionsvoraussetzung die Absch¨atzung kvk2L2 ([0,T ];V ) + kvk2W 1,2 ([0,T ];V ∗ ) ≤ CkF0k−1 − L0 (t)u(t)k2L2 ([0,T ];V ∗ ) + Ckuk k2H
≤ CkF(k) k2L2 ([0,T ];V ∗ ) + Ckuk2W k−1,2 ([0,T ];V ) + Ckuk k2H ≤
CkFk2W k,2 ([0,T ];V ∗ )
+C
k X j=0
kuj k2H .
Daraus erhalten wir zusammen mit der Induktionsvoraussetzung die geforderte Regularit¨at von u und die Absch¨atzung (6.31), wenn wir zeigen k¨onnen, dass v = ∂t u(k−1) . 2. Dazu f¨ uhren wir die Funktion Z t v(τ ) dτ − u(k−1) (t), t ∈ [0, T ] w(t) := uk−1 + 0
ein. Da v ∈ C([0, T ]; H), ist w nach Lemma 6.11 wohldefiniert, und es gilt w0 = v − u(k) . K¨onnen wir zeigen, dass w ≡ 0, so folgt also das gew¨ unschte (k) Ergebnis v = u (t). Hierzu leiten wir eine Integro-Differentialgleichung f¨ ur w her: Z t 0 w (t) + L(t)w(t) = v(t) + L(t)uk−1 + L(t)v(τ ) dτ − Fk−1 (t) 0 Z t Z t = v(t) + L(t)uk−1 − Fk−1 (t) + L(τ )v(τ ) dτ + {L(t) − L(τ )} v(τ ) dτ 0
0
¨ Diese ist eigentlich im schwachen Sinne zu verstehen, der Ubersichtlichkeit halber verwenden wir jedoch die vereinfachte Notation. In diesem Sinne erhalten wir mit Hilfe der Differentialgleichung (6.32a) Z t Z t L(τ )v(τ ) dτ = −v(t) + v(0) + Fk−1 (t) − Fk−1 (0) + L(τ )u(τ ) dτ, 0
0
152
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
und durch partielle Integration Z t Z t {L(t) − L(τ )} v(τ ) dτ = − {L(t) − L(0)} uk−1 + L0 (τ )(w(τ )−u(τ )) dτ. 0
0
Durch Zusammensetzen dieser Formeln ergibt sich Z t 0 L0 (τ )w(τ ) dτ, w (t) + L(t)w(t) =
w(0) = 0.
0
˜ 3. Wir bezeichnen die rechte Seite dieser Differentialgleichung mit F(t). Sei t0 die gr¨oßte Zahl in [0, T ], f¨ ur die w|[0,t0 ] ≡ 0 gilt. Wir beobachten, dass man die Konstante C in der Energieabsch¨atzung (6.25) als stetige Funktion der Intervalll¨ange T w¨ahlen kann. Sei CT so gew¨ahlt, dass die Energieabsch¨atzung mit C = CT f¨ ur alle Intervalle der L¨ange ≤ T gilt. Sei t0 < T , denn anderenfalls sind wir fertig. Dann folgt Z t1 Z t1 2 2 ˜ kF(t)k kw(t)kV dt ≤ CT V ∗ dt t0
t0
Z
t1
Z
t
2
1 · kw(τ )kV dτ dt Z t1 2 2 kw(τ )kV dτ dt 1 dτ · ≤ C L CT t0 t0 t0 Z t1 Z t1 kw(τ )k2V dτ (t − t1 ) dt · = C L CT t0 t0 2 Z t1 (t1 − t0 ) = C L CT kw(τ )k2V dτ 2 t0 ≤ C L CT
t Z 0t1
t Z 0t
f¨ ur alle t1 ∈ (t0 , T ] mit CL := supt∈[0,T ] kL0 (t)k2V ∗ ←V . W¨ahlen wir t1 so klein, Rt 2 0) dass CL CT (t1 −t < 1, so folgt t01 kw(τ )k2V dτ = 0, im Widerspruch zur 2 Maximalit¨at von t0 . Also ist w ≡ 0. Die Kompatibilit¨atsbedingungen werden nur f¨ ur die Glattheit der L¨osung bei t = 0 ben¨otigt. F¨ ur t ≥ t0 > 0 ist die L¨osung f¨ ur beliebige Anfangsdaten so glatt, wie es die Koeffizienten der Differentialgleichung erlauben: Korollar 6.23 (Regularit¨ at fu ¨r t ≥ t0 > 0). Sei k ∈ N, 0 < t0 < T , k ∗ L ∈ C ([0, T ]; L(V, V )) und F ∈ W k,2 ([0, T ]; V ∗ ). Dann liegt die L¨osung u
153
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
des Anfangswertproblems 6.16 in W k,2 ([t0 , T ]; V ) ∩ W k+1,2 ([t0 , T ]; V ∗ ), und es gibt eine von u unabh¨angige Konstanten C > 0 mit kuk2W k,2 ([t0 ,T ];V ) + kuk2W k+1,2 ([t0 ,T ];V ∗ ) ≤ CkFk2W k,2 ([0,T ];V ∗ ) + Cku0 k2H . Beweis: Wir w¨ahlen 0 < < t0 /2 und eine Abschneidefunktion χ ∈ C ∞ ([0, T ]) mit χ ≡ 0 in [0, ] und χ ≡ 1 in [t0 − , T ]. Dann l¨ost v(t) := χ(t)u(t) das Anfangswertproblem v0 (t) + L(t)v(t) = χ0 (t)u(t) + χ(t)F(t),
v(0) = 0,
˜ da L(t) (χ(t)u(t)) = χ(t)L(t)u(t). Da die rechte Seite F(t) := χ0 (t)u(t) + χ(t)F(t) f¨ ur k = 1 in dem Raum W 1,2 ([0, T ]; V ∗ ) liegt und in [0, ] identisch verschwindet, folgt aus Satz 6.22, dass v ∈ W 1,2 ([0, T ]; V ) ∩ W 2,2 ([0, T ]; V ∗ ) und kuk2W 1,2 ([t0 −,T ];V ) + kuk2W 2,2 ([t0 −,T ];V ∗ ) ≤ kvk2W 1,2 ([0,T ];V ) + kvk2W 2,2 ([0,T ];V ∗ ) 2 2 ˜ 2 1,2 ≤ CkFk ∗ ≤ Ckuk 1,2 ∗ + CkFk 1,2 ∗ ≤
W ([0,T ];V ) 2 CkFkW 1,2 ([0,T ];V ∗ )
+
W ([0,T ];V ) Cku0 k2H .
W
([0,T ];V )
Das entsprechende Ergebnis f¨ ur k = 2, 3, . . . zeigt man analog durch vollst¨andige Induktion. Durch Anwendung von elliptischen Regularit¨atss¨atzen und a-priori Absch¨atzungen erh¨alt man auch Regularit¨at in x: Korollar 6.24 (Regularit¨ at in x). Wir betrachten das Anfangs-Randwertproblem ∂u + Lu = f ∂t u = 0 u(·, 0) = u0
in Ω × (0, T )
(6.33a)
auf ∂Ω × (0, T ] in Ω
(6.33b) (6.33c)
f¨ ur ein beschr¨anktes C ∞ -Gebiet Ω ⊂ Rm und T > 0 und nehmen an, dass alle Koeffizienten des Operators L in (6.16) sowie die rechte Seite f in C ∞ (Ω × [0, T ]) liegen. Dann liegt die L¨osung u f¨ ur alle Anfangsdaten u0 ∈ L2 (Ω) in C ∞ (Ω × (0, T ]). Erf¨ ullt u0 die Kompatibilit¨atsbedingungen in Annahme 6.20 von beliebiger Ordnung, so gilt sogar u ∈ C ∞ (Ω × [0, T ]).
154
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
Beweis: Wir betrachten die zugeh¨orige schwache Formulierung u0 (t) + L(t)u(t) = F(t) dieses Problems mit V = H01 (Ω) und H = L2 (Ω). Unter den gegebenen Voraussetzungen ist F ∈ C ∞ ([0, T ]; H l (Ω)) und L ∈ C ∞ ([0, T ]; L(H l+2 (Ω), H l (Ω))) f¨ ur l = 0, 1, . . . . Sei w(t) := e−λt u(t) mit der Konstante λ aus der G˚ ardingschen Ungleichung (6.24). Dann erf¨ ullt w die Differentialgleichung w0 (t) + L(t)w(t) + λw(t) = e−λt F(t),
w(0) = u0 .
Aufgrund von (6.24) ist L(t)+λJ f¨ ur alle t ∈ [0, T ] injektiv, wobei J : V → V ∗ der Einbettungsoperator ist. Da w dieselben Glattheitseigenschaften wie u besitzt, k¨onnen wir im folgenden der Einfachheit halber davon ausgehen, dass bereits L(t) f¨ ur alle t ∈ [0, T ] injektiv ist. Dann besitzt der Operator k L(t) : {u ∈ H (Ω) : T u = 0} → H k−2 (Ω) f¨ ur k = 2, 3, . . . eine beschr¨ankte ¨ Inverse (Ubungsaufgabe 45). Nach Satz 4.43 ist {u ∈ H k (Ω) : T u = 0} = H k (Ω) ∩ H01 (Ω). Daher ist L(t)−1 : H l−2 (Ω) → H l (Ω) ∩ H01 (Ω) besch¨ankt
(6.34)
f¨ ur alle t ∈ [0, T ] und alle l = 2, 3, . . . . Da L bez¨ uglich dieser Normen stetig −1 ist, ist nach Korollar 2.14 auch L stetig. Wir betrachten nun die Darstellung u(t) = L(t)−1 (F(t) − u0 (t))
(6.35)
und beachten, dass nach Korollar 6.23 liegt u in C ∞ ((0, T ]; H01 (Ω)) (bzw. in C ∞ ([0, T ]; H01 (Ω)), falls u0 die Kompatibilit¨atsbedingungen erf¨ ullt; wir werden im folgenden nur den ersten Fall betrachten). Daraus folgt, dass u ∈ C((0, T ]; H 3 (Ω)), genauer sogar u ∈ C((0, T ]; H 3 (Ω) ∩ H01 (Ω)). Entsprechend ergibt sich aus der Gleichung ! k−1 X k u(k) (t) = L(t)−1 F(k) (t) − L(k−j) (t)u(j) (t) − u(k+1) (t) (6.36) j j=0
durch Induktion nach k = 1, 2, . . . , dass u ∈ C k ((0, T ]; H 3 (Ω)). Also gilt u ∈ C ∞ ((0, T ]; H 3 (Ω)). ¨ Ahnlich zeigt man mit Hilfe von (6.34)-(6.36) durch Induktion nach l, dass u ∈ C ∞ ((0, T ]; H 2l+1 (Ω) f¨ ur alle l ∈ N. Aufgrund des Einbettungssatzes ∞ l 4.31 folgt u ∈ C ((0, T ]; C (Ω)) f¨ ur alle l ∈ N, also u ∈ C ∞ (Ω × (0, T ]).
155
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
6.3.
Hyperbolische Differentialgleichungen
Wir betrachten in diesem Abschnitt hyperbolische Anfangswertprobleme zweiter Ordnung der Form ∂2u (x, t) + (Lu)(x, t) = f (x, t) x ∈ Ω, t ∈ (0, T ) (6.37a) ∂t2 h grad u(x, t), A(x, t)ni = gN (x, t) x ∈ ∂Ω, t ∈ (0, T ] (6.37b) ∂u (x, 0) = u1 (x), x ∈ Ω, (6.37c) u(x, 0) = u0 (x), ∂t wobei L ein zeitabh¨angiger elliptischer Differentialoperator der Form (6.16) ist, der die gleichm¨aßige Elliptizit¨atsbedingung (6.17) erf¨ ullt. Dabei werden wir wiederum eine abstrakte schwache Formulierung benutzen, die unter anderem die Behandlung anderer Randbedingungen erlaubt.
6.3.1.
Schwache Formulierung
F¨ uhren wir wieder die zeitabh¨angige Bilinearform Z B(u, v; t) := {hA(·, t)∇u, ∇vi + h∇u, vb(·, t)i + c(·, t)uv} dx Ω
ein, so folgt mit den Bezeichnungen von Abschnitt 6.2.1., dass eine hinreichend glatte L¨osung u das Anfangswertproblem hu0 (t), viL2 (Ω) + B(u(t), v, t) = hf (t), viL2 (Ω) + hgN (t), T viL2 (∂Ω) (6.38a)
u(0) = u0
u0 (0) = u1
(6.38b)
l¨ost. Wir teilen die Bilinearform B(u, v, t) = Bs (u, v, t) + Bns (u, v, t) auf in einen symmetrischen, koerziven Anteil Bs und einen m¨oglicherweise nichtsymmetrischen Anteil Bns , der sich durch |Bns (u, v, t)| ≤ ΓkukH 1 (Ω) kvkL2 (Ω) absch¨atzen l¨asst: Z Bs (u, v, t) := {hA(·, t)∇u, ∇vi + uv} dx, ZΩ Bns (u, v, t) := {h∇u, vb(·, t)i + (c(·, t) − 1)uv} dx Ω
Dies motiviert die folgende Definition:
156
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
Definition 6.25 (Abstraktes hyperbolisches Anfangswertproblem). Sei (V, H, V ∗ ) ein Gelfand-Tripel, T > 0, L ∈ C 1 ([0, T ], L(V, V ∗ )), F ∈ L2 ([0, T ]; H), u0 ∈ V und u1 ∈ H. Weiterhin sei B(u, v, t) := hL(t)u, viH ,
u, v ∈ V, t ∈ [0, T ]
die dem Operator L zugeordnete parameterabh¨angige Bilinearform. Wir nennen u ∈ L2 ([0, T ]; V ) ∩ W 1,2 ([0, T ]; H) ∩ W 2,2 ([0, T ]; V ∗ ) eine L¨osung des abstrakten hyperbolischen Anfangswertproblems u00 (t) + L(t)u(t) = F(t),
u(0) = u0 , u0 (0) = u1 ,
falls f¨ ur alle v ∈ V hu00 (t), viH + B(u(t), v; t) = hF(t), viH , u(0) = u0 , u0 (0) = u1 .
(6.39a) (6.39b)
Wir nehmen an, dass sich B in zwei Anteile B(u, v, t) = Bs (u, v, t)+Bns (u, v, t) aufspalten l¨asst und dass es Konstanten γ, Γ > 0 gibt, so dass Bs (u, v, t) Bs (u, u, t) |Bs (u, v, t)| ∂Bs (u, v, t) ∂t |Bns (u, v, t)|
= Bs (v, u, t), ≥ γkuk2V , ≤ ΓkukV kvkV ,
(6.40a) (6.40b) (6.40c)
≤ ΓkukV kvkV ,
(6.40d)
≤ ΓkukV kvkH
(6.40e)
f¨ ur alle u, v ∈ V und alle t ∈ [0, T ]. Beachte, dass wegen W 1,2 ([0, T ]; H) ⊂ C([0, T ]; H) und W 2,2 ([0, T ]; V ∗ ) ⊂ C 1 ([0, T ]; V ∗ ) die Anfangswerte (6.39b) stetig in H, bzw. V ∗ angenommen werden.
6.3.2.
Existenz und Eindeutigkeit
Wir zeigen zun¨achst wie bei parabolischen Gleichungen eine Energieabsch¨atzung:
157
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
Lemma 6.26 (Energieabsch¨ atzung). F¨ ur jede L¨osung u ∈ C 2 ([0, T ]; V ∗ )∩ 1 C ([0, T ]; V ) des Problems 6.25 gilt max ku(t)k2V + kuk2H + kuk2W 2,2 ([0,T ];V ∗ ) t∈[0,T ]
≤ CkFk2L2 ([0,T ];H) + Cku0 k2V + Cku1 k2H
(6.41)
mit einer Konstante C > 0, die nur von den Konstanten γ, Γ und der Norm des Einbettungsoperators V ,→ H abh¨angt. Beweis: 1. Betrachten wir den Realteil von (6.39a) mit v = u0 (t), so ergibt sich 1d 0 ku (t)k2 + Bs (u(t), u(t), t) = Re hF(t), u0 (t)i 2 dt 1 ∂Bs − Re Bns (u(t), u0 (t), t) + (u(t), u(t), t). 2 ∂t Durch partielle Integration folgt ku0 (t)k2H + Bs (u(t), u(t), t) = ku1 k2H + Bs (u0 , u0 , 0) Z t ∂Bs 0 0 (u(τ ), u(τ ), τ ) dτ, + 2 Re hF(τ ), u (τ )i − 2 Re Bns (u(τ ), u (τ ), τ ) + ∂τ 0 und wir erhalten mit Hilfe der Annahmen (6.40) die Absch¨atzung ku0 (t)k2H + γku(t)k2V
≤ ku1 k2H + Γku0 k2V + CkFk2L2 ([0,T ];H) Z t Z t 0 2 +C ku (τ )kH dτ + C ku(τ )k2V dτ. 0
0
0
(t)k2H
+ 2. Daher gilt f¨ ur die Funktion η(t) := ku der Form Z t η(t) ≤ κ + C η(τ ) dτ Cku1 k2H
Cku0 k2V
+ mit κ := Rt α + C 0 η(τ ) dτ folgt
+
0 2 CkFkL2 ([0,T ];H) .
ξ 0 (t) = Cη(t) ≤ Cξ(t),
ku(t)k2V
eine Ungleichung
F¨ ur die rechte Seite ξ(t) :=
ξ(0) = κ.
Aus dem Gronwall Lemma 6.17 ergibt sich ξ(t) ≤ eCt κ f¨ ur alle t ∈ [0, T ], d.h. CT η(t) ≤ e κ oder max ku0 (t)k2H + ku(t)k2V ≤ Cku1 k2H + Cku0 k2V + CkFk2L2 ([0,T ];H) . (6.42) t∈[0,T ]
158
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
3. Aufgrund der Differentialgleichung (6.39a) und (6.42) erhalten wir schließlich Z T 2 00 2 ku kL2 ([0,T ];V ∗ ) ≤ sup |hu00 (t), viH | dt ≤
Z
kvkV ≤1
0
T
0
sup {| hF(t), viH | + |B(u(t), v, t)|}2 dt
kvkV ≤1
≤ 2kFkL2 ([0,T ];V ∗ ) + 2Γkuk2L2 ([0,T ];V )
≤ Cku1 k2H + Cku0 k2V + CkFk2L2 ([0,T ];H) .
Zusammen mit (6.39a) folgt hieraus die Behauptung. Satz 6.27 (Existenz einer L¨ osung). Ist V separabel, so besitzt das abstrakte hyperbolische Anfangswertproblem 6.25 f¨ ur alle rechten Seiten F, u0 , u1 eine L¨osung u, die der a-priori Absch¨atzung kuk2L2 ([0,T ];V ) + kuk2W 1,2 ([0,T ];H) + kuk2W 2,2 ([0,T ];V ∗ )
≤ CkFk2L2 ([0,T ];H) + Cku0 k2V + Cku1 k2H
(6.43)
mit einer von F, u0 und u1 unabh¨angigen Konstanten C > 0 gen¨ ugt. Beweis: Der Beweis verl¨auft ¨ahnlich zum Beweis von Satz 6.19: 1. Sei {φj : j ∈ N} ein vollst¨andiges Orthonormalsystem in H mit φj ∈ V f¨ ur alle j ∈ N und sei Vn := span{φ1 , . . . , φn }. Wir bezeichnen mit Πn die orthogonale Projektion von V auf Vn und mit Pn die orthogonale Projektion von H auf Vn . Weiterhin sei (Fn ) eine Folge in C([0, T ]; H) mit Fn → F in L2 ([0, T ]; H). Wir suchen eine Funktion der Form un (t) =
n X
ζl (t)φl ,
l=1
mit Koeffizienten ζl (t) ∈ C 1 ([0, T ]), die das approximierte Anfangswertproblem hu00n (t), viH + B(un (t), v, t) = hFn (t), viH ,
u0n (0) = Pn u1 (6.44) f¨ ur alle v ∈ Vn erf¨ ullt. Mit der Wahl v = φj ergibt sich das Differentialgleichungssystem ζj00 (t) +
n X l=1
un (0) = Πn u0 ,
B(φl , φj , t)ζl (t) = hFn (t), φj iH ,
j = 1, . . . , n
159
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
f¨ ur 0 ≤ t ≤ T mit den Anfangsbedingungen ζj (0) = hΠn u0 , φj iH ,
ζj0 (0) = hu1 , φj iH .
Dies ist ein lineares Anfangswertproblem zweiter Ordnung mit stetigen Koeffizienten. Aus der Theorie gew¨ohnlicher Differentialgleichungen folgt, dass dieses System eine eindeutige L¨osung ζ1 , . . . , ζn ∈ C 2 ([0, T ]) besitzt. 2. Aufgrund von Lemma 6.26 besitzt gilt f¨ ur die Funktionen un die Absch¨atzung kun k2L2 ([0,T ];V ) + kun k2W 1,2 ([0,T ];H) + kun k2W 2,2 ([0,T ];V ∗ )
≤ CkΠn Fn k2L2 ([0,T ];H) + CkΠn u0 k2V + CkPn u1 k2H ≤ CkFk2L2 ([0,T ];H) + Cku0 k2V + Cku1 k2H
mit einer von n unabh¨angigen Konstanten C > 0. Daher gibt es nach Satz 6.4 eine Teilfolge (unk ), die schwach gegen ein Grenzelement u ∈ L2 ([0, T ]; V ) ∩ W 1,2 ([0, T ]; H)∩W 2,2 ([0, T ]; V ∗ ) konvergiert, das der Ungleichung (6.43) gen¨ ugt. 3. Der Beweis, das u die Differentialgleichung und die Anfangsbedingungen erf¨ ullt, verl¨auft nun v¨ollig analog zum Beweis von Satz 6.19. Es ist dabei lediglich zu beachten, dass wie am Ende von Abschnitt 6.3.1. diskutiert, die Anfangsbedingung u(0) = u0 in H angenommen wird und die Anfangsbedingung u0 (0) = u1 in V ∗ . Leider k¨onnen wir die Energieabsch¨atzung in Lemma 6.26 nicht benutzen, um Eindeutigkeit einer L¨osung zu zeigen, da die Regularit¨atsvoraussetzungen nicht gegeben sind. Daher m¨ ussen wir ein anderes Argument heranziehen: Satz 6.28 (Eindeutigkeit einer Lo ¨sung). Eine L¨osung des abstrakten hyperbolischen Anfangswertproblems 6.25 ist eindeutig bestimmt. Beweis: Sei u ∈ X, X := L2 ([0, T ]; V ) ∩ W 1,2 ([0, T ]; H) ∩ W 2,2 ([0, T ]; V ∗ ) eine L¨osung des Problems 6.25 zu den Daten F = 0 und u0 = u1 = 0. Wir zeigen zun¨achst, dass das adjungierte Problem hw, v00 (t)iH + B(w, v(t); t) = hw, G(t)iH , v(T ) = v0 (T ) = 0
w ∈ V, t ∈ [0, T ] (6.45a) (6.45b)
f¨ ur alle G ∈ L2 ([0, T ]; V ∗ ) eine L¨osung v ∈ X besitzt. Eine solche ist gegeben ˜ v, t) := durch v(t) = w(T − t), falls w eine L¨osung von (6.39) ist mit B(u, 0 ˜ B(v, u, T − t), F (t) := G(T − t) und Anfangsdaten w(0) = w (0) = 0.
160
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
W¨ahlen wir w = u(t) in (6.45a) und integrieren, so erhalten wir unter Ausnutzung der Anfangs-/Endbedingungen bei t = 0 und t = T nach zwei partiellen Integrationen Z T Z T {hu(t), v00 (t)iH + B(u(t), v(t); t)} dt hu(t), G(t)iH dt = 0 0 Z T = {hu00 (t), v(t)iH + B(u(t), v(t); t)} dt = 0. 0
W¨ahlen wir speziell G = u, so folgt u = 0.
6.3.3.
Regularit¨ at
Bei der Untersuchung der Regularit¨at von L¨osungen elliptischer Differentialgleichungen nehmen wir der Einfachheit halber an, dass L(t) = L nicht von t abh¨angt. Dann erhalten wir durch formale Differentiation die Differentialgleichungen u(k+2) (t) + Lu(k) (t) = F(k) (t),
k = 0, 1, 2, . . .
und die Anfangsbedingungen u(k+2) (0) = F(k) (0) − Lu(k) (0). Dies f¨ uhrt auf folgende Annahmen: Annahme 6.29 (Glattheits- und Kompatibilit¨ atsbedingungen). Unter den Voraussetzungen von Definition 6.25 sei L(t) = L f¨ ur alle t ∈ [0, T ] mit L ∈ L(V, V ∗ ) und F ∈ W k,2 ([0, T ]; H) f¨ ur k ∈ N. Weiterhin seien uj := F(j−2) (0) − Luj−2 ,
j = 2, 3, . . . , k + 1
wohldefiniert, und es gelte u0 , . . . , uk ∈ V und uk+1 ∈ H. Zur Diskussion dieser Voraussetzungen verweisen wir auf Beispiel 6.21. Satz 6.30 (Regularit¨ at in t). Unter der den Voraussetzungen 6.29 gilt k,2 u ∈ W ([0, T ]; V ) ∩ W k+1,2 ([0, T ]; H) ∩ W k+2,2 ([0, T ]; V ∗ ) und kuk2W k,2 ([0,T ];V ) + kuk2W k+1,2 ([0,T ];H) + kuk2W k+2,2 ([0,T ];V ∗ ) ≤
CkFk2W k,2 ([0,T ];H)
+C
k X j=0
kuj k2V + Ckuk+1 k2H
mit einer von u unabh¨angigen Konstanten C > 0.
(6.46)
161
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
Beweis: Wir verwenden eine Induktion in k: F¨ ur k = 0 folgt die Aussage aus den S¨atzen 6.27 und 6.28. Wir nehmen nun an, die Behauptung sei f¨ ur k − 1 bewiesen. Durch formale (k) Differentiation erhalten wir f¨ ur v = u die Differentialgleichung v00 + Lv = F(k) ,
v(0) = uk , v0 (0) = uk+1 .
Wir definieren v als L¨osung dieses abstrakten hyperbolischen Anfangswertproblems und m¨ochten zeigen, dass v = u(k) . Dazu betrachten wir die Funktion Z t w(t) :=
0
v(τ ) dτ + uk−1 − u(k−1) (t).
Da v ∈ C([0, T ]; H), k¨onnen wir das Integral als Riemann-Integral definieren, und es gilt w0 (t) = v(t) − u(k) (t). Wir m¨ ussen also zeigen, dass w ≡ 0. Dazu berechnen wir Z t 00 0 Lv(τ ) dτ + Luk−1 − u00 (t) − Lu(t) w (t) + Lw(t) = v (t) + 0 Z t = {v00 (τ ) + Lv(τ )} dτ + uk+1 + Luk+1 − F(k−1) (t) Z0 t F(τ ) dτ + F(k−1) (0) − F(k−1) (t) = 0, = 0
wobei wir zur Vereinfachung der Notation jeweils die inneren Produkte mit einer Testfunktion φ ∈ V weggelassen haben. Die Anfangswerte sind w(0) = uk−1 − u(k−1) (0) = 0,
w0 (0) = v(0) − u(k) (0) = 0.
Daher folgt aus Satz 6.28, dass w ≡ 0. Die Absch¨atzung 6.46 ergibt sich aus kvk2L2 ([0,T ];V ) + kvk2W 1,2 ([0,T ];H) + kvk2W 2,2 ([0,T ];V ∗ )
≤ CkF(k) k2L2 ([0,T ];H) + Ckuk k2V + Ckuk+1 k2H und der Induktionsvoraussetzung.
¨ Bemerkung 6.31. 1. Ahnlich wie bei parabolischen Differentialgleichungen kann man mit Hilfe von elliptischen Regularit¨atss¨atzen auch Glattheit von L¨osungen hyperbolischer Differentialgleichungen in x beweisen. 2. Anders als bei parabolischen Differentialgleichungen wirken sich Unstetigkeit von (Ableitung der) Anfangsdaten auf die Regularit¨at der L¨osung zu allen Zeiten aus.
162
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
6.3.4.
Lokale Energieabsch¨ atzungen und endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit
Ziel dieses Abschnitts ist, das Prinzip der endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit aus Abschnitt 3.4.3. auf hyperbolischen Differentialgleichung der Form utt − divx A(x) gradx u + b(x, t) · gradx,t u + c(x, t)u = f
(6.47)
zu verallgemeinern. Dabei sei U ⊂ Rm+1 eine offenen Teilmenge, und die Koeffizienten A, b seien stetige Funktionen auf U mit Werten in Rm× , bzw. Rm+1 , ebenso seien c, f : U → R stetig und A(x) sei symmetrisch, positiv definit f¨ ur alle (x, t) ∈ U . Wir machen folgende geometrische Annahmen an das Gebiet U (siehe Abb. 6.1): U sei beschr¨ankt, Γ1 := {(x, t) ∈ U : t = 0}
(6.48a)
sei nicht-leer, und der Normalenvektor ν1 := (0, . . . , 0, 1) auf Γ1 weise ins Innere von U . Weiterhin sei Γ2 := ∂U \ Γ1
(6.48b) νx hinreichend glatt, und der nach außen weisende Normalenvektor ν2 = νt auf Γ2 erf¨ ulle die Ungleichung p νt (x, t) − νxT (x, t)A(x)νx (x, t) ≥ δ > 0 (6.48c)
Wir definieren die Energiedichte
1 1 eu (x, t) := ut (x, t)2 + ∇x u(x, t)T A(x)∇x u(x, t). 2 2
(6.48d)
Satz 6.32 (lokale Energieabsch¨ atzung). Es gelten die Voraussetzungen (6.48). Weiter sei U (s) := {(x, t) ∈ U : t ≤ s} und Γ2 (s) := ∂U (s) \ Γ1 f¨ ur s > 0. Dann gibt es eine Konstante C > 0, so dass jede L¨osung u ∈ C 2 (U ) der Differentialgleichung (6.47) der Absch¨atzung Z Z Z 2 eu d(x, t) ≤ Cs (eu + |u| ) ds + C |f |2 d(x, t) (6.49) U (s)
f¨ ur alle s > 0 gen¨ ugt.
Γ1
U (s)
163
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen ν2
Γ2 ν1
Γ(s) 2
t=s U(s) t=0
Γ1
Abbildung 6.1: Das Gebiet U in Satz 6.32. Beweis: 1. Die Divergenz des Vektorfeldes −ut (x, t)A(x)∇x u(x, t) Eu (x, t) := e(x, t) ist divx,t Eu = −∇x ut A∇x u + ut div x (A∇x u) − ut utt + ∇x ut A∇x u = ut (−utt + divx (A∇x u)) Daher gilt nach dem Gaußschen Divergenzsatz 3.45 in U und der Differentialgleichung (6.47) die Identit¨at Z Z Z ν2 · Eu ds = ν1 · Eu ds + divx,t Eu d(x, t) (6.50) Γ2 Γ1 U Z Z = eu ds + ut (f − b · ∇x,t u − cu) d(x, t). Γ1
U
2. Wir sch¨atzen zun¨achst die linke Seite von (6.50) nach unten ab. Ist ν2T = (νxT , νt ) mit νx ∈ Rm und νt ∈ R, so gilt ν2 · Eu = −ut νxT A∇x u + νt eu . Da A positiv definit ist, wird durch hv, wiA := v T Aw ein inneres Produkt auf Rm definiert. Aus der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung folgt q q q |hνx , ∇x uiA ut | ≤ hνx , νx iA |h∇x u, ∇x uiA | |ut | ≤ hνx , νx iA eu
und daher wegen (6.48c)
ν2 · Eu ≥ δeu .
164
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
3. Wir sch¨atzen nun den zweiten Term auf der linken Seite von (6.50) ab. Da |∇x,t u|2 = |∇x u|2 + |ut |2 = 2eu , gilt Z 2 ut (f − b · ∇x,t u − cu) d(x, t) U sZ ! ≤ Ckut kL2 (U ) ≤ C
Z
U
kf kL2 (U ) +
U
eu d(x, t) + kukL2 (U )
eu d(x, t) + Ckf k2L2 (U ) + Ckuk2L2 (U )
Wir m¨ochten nun den Term Ckuk2L2 (U ) auf der rechten Seite durch die beiden Rt anderen Terme absch¨atzen. Dazu schreiben wir u(x, t) = 0 ut (x, τ ) dτ + u(x, 0) und beachten, dass die Verbindungslinie zwischen (x, t) und (x, 0) aufgrund der Annahme (6.48c) in U liegen muss. Daher gilt 2 Z t 2 |u(x, t)| ≤ 2 1 · ut (x, τ ) dτ + 2|u(x, 0)|2 0 Z t ≤ 4t eu (x, τ ) dτ + 2|u(x, 0)|2 . 0
Ist T (x) := sup{t : (t, x) ∈ U }, so folgt Z T (x) Z T (x) Z t 2 |u(x, t)| dt ≤ 4t eu (x, τ ) dτ dt + 2T (x)|u(x, 0)|2 0 0 0 Z T (x) Z T (x) = eu (x, τ ) 4t dt dτ + 2T (x)|u(x, 0)|2 (6.51) 0 τ Z T (x) ≤ 2T (x)2 eu (x, τ ) dτ + 2T (x)|u(x, 0)|2 . 0
Integration dieser Ungleichung u ¨ber Γ1 ergibt Z Z 2 kukL2 (U ) ≤ C eu d(x, t) + C U
Γ1
|u|2 ds,
da U beschr¨ankt ist. Insgesamt haben wir damit gezeigt, dass Z Z Z 2 ν2 · Eu ds ≤ C eu + |u| ds + C eu + |f |2 d(x, t). Γ2
Γ1
U
165
6. Zeitabh¨angige Differentialgleichungen
R 4. Hieraus folgt f¨ ur die Funktion E(s) := U (s) eu D(x, t) die Ungleichung Z Z 0 eu ds ≤ CE(s) + α(s) E (s) = eu ds ≤ {(x,t)∈U :t=s}
R
Γ2
R
mit α(s) := C Γ1 (eu + |u|2 ) ds+ U (s) |f |2 d(x, t). Aus dem Gronwall-Lemma folgt daher Z Z Z s C(s−σ) 2 e α(σ) dσ ≤ Cs eu + |u| ds + C |f |2 d(x, t), E(s) ≤ 0
Γ1
U (s)
wobei wir den letzten Term analog zu (6.51) behandelt haben.
Insbesondere folgt aus Satz 6.32, dass u ≡ 0 in U , falls u = ut = 0 auf Γ1 und f ≡ 0 auf U . Wir wollen uns nun u ¨ berlegen, was dieses Resultat bedeutet, falls A(x) = A konstant ist. Da in Satz 6.32 nur die Terme zweiter Ordnung eine Rolle spielen, betrachten wir die Differentialgleichung utt = divx A gradx u. Diese kann durch eine Variablensubstitution in die Wellengleichung u uhrt ¨berf¨ werden. Dazu betrachten wir eine Eigenwertzerlegung A = U diag(λ1 , . . . , λm )U ∗ 1/2 1/2 ur die von A und definieren B := U diag(λ1 , . . . , λm )U ∗ so, dass B 2 = A. F¨ Funktion v(y, t) := u(By, t) gilt dann √ nach Lemma 5.19 vtt = ∆y v. Ist x = By, so gilt |y|2 = |x|A−1 mit |x|A−1 := xT A−1 x. Daher folgt wie in Abschnitt 3.4.3., dass f¨ ur eine L¨osung u von (6.47) mit A(x) = A, f ≡ 0 und K := supp u(·, 0) ∪ supp ut (·, 0) die Beziehung supp u(·, t) ⊂ {x ∈ Ω : distA−1 (x, K) ≤ t} (6.52)
gilt, wobei distA−1 (x, K) := inf{|x − z|A−1 : z ∈ K}. Diese Beziehung ist auch f¨ ur ortsabh¨angige Matrizen A(x) g¨ ultig, wenn man |x − z|A−1 durch den Abstand von x und z bez¨ uglich der durch A(x)−1 definierten Riemmannschen Metrik ersetzt (siehe Taylor [12]). Insbesondere kann f¨ ur eine Richtung d ∈ m R , |d|2 = 1 der Ausdruck p dT A(x)d als Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle am Punkt x zur Zeit t in Richtung d interpretiert werden.
Literaturverzeichnis [1] L. C. Evans. Partial Differential Equations. AMS, Providence, 1998. [2] O. Forster. Analysis 3. Vieweg, Braunschweig, 1984. [3] D. Gilbarg and N. S. Trudinger. Elliptic Partial Differential Equations of Second Order. Springer-Verlag, 1977. [4] W. Hackbusch. Theorie und Numerik elliptischer Differentialgleichungen. Teubner, Stuttgart, 1996. [5] F. Hirzebruch and W. Scharlau. Einf¨ uhrung in die Funktionalanalysis. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin Oxford, 1971. [6] K. J¨anich. Topologie. Springer, 3 edition, 1990. [7] R. Kreß. Integral equation methods in inverse acoustic an electromagnetic scattering theory. In D. B. Ingham and L. C. Wrobel, editors, Boundary Integral Formulations in Inverse Analysis, pages 67–92, Southampton, 1997. Computational Mechanics Publications. [8] R. Kreß. Linear Integral Equations. Springer Verlag, Berlin Heidelberg New York, 2nd edition, 1999. [9] W. McLean. Strongly Elliptic Systems and Boundary Integral Equations. Cambridge University Press, Cambridge, 2000. [10] M. Renardy and R. C. Rogers. An Introduction to Partial Differential Equations. Springer-Verlag, 1992. [11] E. M. Stein. Singular Integrals and Differentiability Properties of Functions. Princeton University Press, 1970.
166
Literaturverzeichnis
167
[12] M. Taylor. Partial Differential Equations: Basic Theory, volume 1. Springer Verlag, New York, 1996. [13] M. Taylor. Partial Differential Equations: Nonlinear Equations, volume 3. Springer Verlag, New York, 1996. [14] M. Taylor. Partial Differential Equations: Qualitative Studies of Linear Equations, volume 2. Springer Verlag, New York, 1996. [15] W. Walter. Gew¨ohnliche Differentialgleichungen. Springer, Berlin, 6 edition, 1996. [16] J. Weidmann. Lineare Operatoren in Hilbertr¨aumen. Teubner, Stuttgart, 1976. [17] J. Wloka. Partielle Differentialgleichungen. Teubner, Stuttgart, 1982.