G.F. Barner
Mündungsfeuer über dem Oregon-Trail Sie saßen auf einem Pulverfaß
Yank Mason hebt etwas den Kopf, damit ...
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G.F. Barner
Mündungsfeuer über dem Oregon-Trail Sie saßen auf einem Pulverfaß
Yank Mason hebt etwas den Kopf, damit er unter dem Hutrand hindurch die beiden Männer genauer sehen kann. In diesem Augenblick erinnert er sich an Bateshoe. Bateshoe hat einmal von sich behauptet, daß ihm das sprichwörtliche Glück angeboren sei. Das hat er so lange behauptet, bis er eines Tages vom Gegenteil überzeugt wurde. Es geschah in einem simplen Nest einige Meilen von Laramie entfernt und an einem Tag, an dem das Glück Bateshoe nun wirklich hold gewesen war. Am Morgen dieses schönen Tages trat Bateshoes widerspenstiges Maultier aus. Hätte es eine Viertelminute eher ausgetreten, dann würde Bateshoes Kopf sicher nicht nur eine Beule besessen haben. Doch Bateshoe drehte sich gerade um. Darum trat ihm das Maultier nicht vor den Kopf, sondern nur vor einen weniger wertvollen Körperteil. So kam es zum ersten Glückszufall dieses Tages. Der zweite Zufall war schlimmerer Art, jedenfalls begann er so: Drei Cheyennes wollten den Wagen Bateshoes plündern. Sie hätten das sicherlich auch geschafft, wenn dem schlafenden Bateshoe nicht rechtzeitig eine dicke Bremse in die Nase gestochen hätte. Diese machte Bateshoe munter. Und das mit dem Erfolg, daß Bateshoe die drei wackeren Cheyennes zu sehen bekam, ehe sie ganz am Wagen waren. Daraufhin griff Bateshoe zu seinem Gewehr. Er hatte Glück, daß es keinen Versager gab, daß ein Kriegsbeil ihm lediglich die Jacke oben anschnitt, ein Pfeil ihn nur zwischen Achsel und Jacke traf, ohne ihn auch nur zu ritzen und das Gewehr so gut schoß. Bateshoe kam an diesem Abend singend und schon halbbe-
trunken im Camp an. Er zeigte stolz die Jacke vor, den Pfeil wies er überall herum, und dann zeigte er auch noch den Kolbenhals seines Gewehres vor. Nun sagte zwar einer, daß ein Mensch unmöglich so viele Kerben am Kolben haben könnte, aber Bateshoe behauptete steif und fest, daß jede Kerbe einen Indianer… Er war wirklich schlimm, der gute Bateshoe. Nun hatte er eine Menge Zufälle überlebt und schien vom Glück gesegnet zu sein. Um sein Glück vollkommen zu machen – so sagte Bateshoe – zog er in die nächste Kneipe. Und dort verließ ihn sein Glück. Es verließ ihn in Gestalt von drei weißen Würfeln mit kleinen schwarzen Augen. Bateshoe verlor nicht nur sein ganzes Geld, das eigentlich seine Frau zur Hälfte haben sollte, denn der Dollar war seit seiner Heirat leider nur noch fünfzig Cents wert, er verlor auch seinen Revolver, seine Jacke, eine silberne Tabaksdose, und was der Dinge mehr waren. Am Ende war er froh, noch ein Hemd zu besitzen. Aufgewacht aus seinem Rausch, schwor er, daß er hereingelegt worden sei. Er sagte, niemand auf der Welt könne mehr Glück haben als er. Also mußte dieser Gauner, dieser Strolch und gemeine Kerl, angebohrte Würfel benutzt haben. Ja, Bateshoe gab sogar eine recht deutliche Beschreibung des Würfelspezialisten. Und eben an diese Beschreibung… »Es könnte stimmen«, sagt sich Yank Mason nachdenklich. »Bei allen Teufeln, es könnte stimmen, wie? Rotes Haar, lustige Augenfalten – aber falsche Augen. Ein schlechtes Gebiß, zwei Zähne fehlen. Ist der das etwa?« Es ist ziemlich dunkel in der Ecke von Bertrams Saloon, in dem Yank nun schon seit zwei Stunden sitzt und auf seine Wagen wartet. Bei diesen Wagen wird auch Bateshoe sein, ganz sicher. Schade, daß Bateshoe nicht hier ist, sehr schade, mächtig schade sogar. Aber für Bateshoe sitzt ein anderer an dem
Tisch drüben. Es ist ein alter Mann mit einem grauen Bart, der etwas verwildert und ungestutzt aussieht. Der Alte ist, das hat Yank vor genau zwei Stunden gesehen, auf einem uralten Gaul angekommen. Dann hat er nach einem gewissen Willie gefragt, aber Willie ist nie hiergewesen. Zuerst hat der Alte richtig traurig ausgesehen, denkt Yank. Dann hat er angefangen, sich für drei Dollar zu betrinken. Und endlich ist er mit den beiden Burschen dort am Tisch ins Gespräch gekommen, um mit ihnen zu würfeln. Zuerst hat er etwa sechzehn Dollar gewonnen, nun aber schon siebenundzwanzig verloren. Ganz schön, die ziehen ihn aus, die Gauner! Er blickt hoch, als John Bertram sich seinem Tisch nähert und unaufgefordert die Hasche mitbringt. »Nimm noch einen, sie müssen bald kommen«, sagt Bertram und setzt sich ihm gegenüber hin. »Yank, du bist jetzt fast ein Jahr nicht mehr in dieser Ecke gewesen. Ich dachte nicht, daß du noch einmal für Chalers arbeiten würdest…« »Ich habe ihm sechzehn Pferde verkauft«, brummt Yank. »Und er hat mich gebeten, wenigstens acht Wochen seine Wagen zu übernehmen. Er ist nicht mehr so gesund, John. Hör mal, kennst du – dreh dich nicht um – die drei Männer hinten?« Bertrams Kopf ruckt zwar etwas, dann aber blickt er Yank wieder an und sagt kurz: »Die drei am großen Tisch? Nein, ich kenne den Alten nicht, ich habe auch die beiden anderen noch nie bei mir gesehen. Warum fragst du?« »Der Rothaarige«, murmelt Yank leise. »Ich wette, er spielt seit einer halben Stunde mit falschen Würfeln, ohne daß der Alte es merkt. Der Alte hat zuerst gewonnen, das machen diese Gauner immer so, wenn sie jemanden ködern wollen. Jetzt
verliert er laufend, es gibt kaum noch ein Spiel, das er gewinnt. Hast du eine Ahnung, wer dieser Willie ist?« »Willie – wie viele heißen Willie«, brummelt Bertram. »Er sagt, Willie soll ein junger Mann sein, dreiundzwanzig Jahre alt. Er hat ihn mir genau beschrieben, aber einen Mann wie diesen Willie habe ich noch nicht bei mir gehabt. Außerdem kann ich mir nicht alle Leute merken, die hier durchkommen. Was reitet und fährt alles auf dem Oregon Trail, Yank?« »Natürlich, John! Verflixte Geschichte, der rothaarige Hundesohn hat schon wieder gewonnen!« Bertram sieht sich nun doch um, zuckt dann aber die Achseln und sagt gähnend: »Na, wenn schon, was geht es dich an? Soll er gewinnen, die Hauptsache, er hat bezahlt. Das hat er, er will eine Nacht mit dem anderen bleiben.« »Hat er seinen Namen genannt?« »Miller, Joe Miller!« »Schöner Name«, meint Yank langsam. »Zu schön, um wahr zu sein. Bateshoe ist vor einem Jahr von einem rothaarigen Würfelspieler ausgezogen worden.« »Bateshoe?« fragt Bertram mit offenem Mund. »Ist nicht wahr, Bateshoe hat doch immer Glück! Rothaarig? He, du meinst doch nicht etwa, daß – du meinst?« »Ich meine gar nichts, aber, wenn der Kerl noch weiter den alten Mann auszieht, dann werde ich mir die Würfel ansehen!« »Allmächtiger«, sagt Bertram schluckend und wird etwas blaß. »Yank, ich habe vor einer Woche erst drei neue Stühle, siebenundzwanzig Gläser, neunzehn Schauflaschen und einen Tisch anschaffen müssen, weil – Yank, es gibt viele Leute mit roten Haaren, wie?« »Sehr viele«, stimmt Yank Mason zu. »Und wie unter Blonden und Schwarzhaarigen auch unter den Rothaarigen Gau-
ner. Das schlägt doch einen nackten Neger um, der Kerl gewinnt schon wieder!« Bertram zuckt zusammen und faßt sich zwischen Hemd und Kragen, als würde sein Hals irgendwie beengt. »Yank«, murmelt Bertram, »regt es dich auf, wenn sie ihn ausnehmen?« »Wenn es ein junger Narr wäre, dann würde ich zusehen und es geschehen lassen«, antwortet Yank Mason finster. »Das ist aber kein junger Mann. Ich glaube, der Alte hat Kummer gehabt und ist aus dem Grund bereit gewesen, etwas mehr zu trinken als sonst. Und nun ist er nicht mehr in der Lage, zwischen Würfel und Würfel zu unterscheiden. John, sie ziehen ihm das Fell über die Ohren, die gemeinen Kerle.« Bertram wirft einen Blick über die Schulter und seufzt dann leise. »Manchmal ist es ein Elend, eine Kneipe zu besitzen«, sagt er dann klagend. »Du kannst dir deine Gäste nicht aussuchen, du mußt an den schlimmsten Strolch ausschenken, wenn der nur bezahlen kann. He, der Alte scheint am Ende zu sein.« Yank sieht knapp unter dem Hutrand hinweg auf den Alten, der in die Tasche greift und die Hand leer herauszieht. Der Alte kichert, er hat eindeutig zuviel getrunken und schwankt leicht, als er alle Taschen durchsucht und noch einige Münzen findet. »Also gut«, sagt er mit schwerer Zunge. »Dieses Spiel noch, dann höre ich auf, Freunde. Nur noch dieses Spiel.« »Du wirst schon wieder Glück haben«, sagt der Rothaarige grinsend. »Zehn Dollar, wenn du verlierst, mein Freund. Du sollst sehen, du gewinnst!« »Meinst du?« Der Alte wiegt den Kopf, stützt ihn dann auf die linke Handfläche und sagt unvermittelt:
»Ich muß Willie aber finden, ich hab's versprochen. Ich muß Willie finden. Hast du Willie gesehen, mein Freund?« »Willie… Du wirst ihn schon finden. Da hast du den Becher, nun Würfel mal, Alter!« »Nimm noch einen Drink, ich gebe ihn aus. Darauf, daß du Willie findest«, sagt der zweite Mann, ein untersetzter schwarzhaariger Mensch, heiser. »Willst du nicht, Alter? Verträgst wohl nichts, wie?« »Ich? Ich – vertrage einen ganzen Stiefel voll, jawohl! Einen ganzen Stiefel!« Er trinkt, stiert dann auf den Becher, hebt ihn an und würfelt. Die Würfel klappern im Becher, dann schlägt der alte Mann den Becher hart auf und hebt ihn zaudernd hoch. »Er hat gewonnen«, sagt der schwarzhaarige Bursche und blickt den Alten überrascht an. »Sieh dir das an, er hat gewonnen. Der zieht dir noch das Hemd aus, Joe, paß auf. Da hast du dein Geld, Alter – zusammen vier Dollar und sechzehn Cent – von uns beiden. Paß auf, du gewinnst wieder.« »Jawohl«, sagt der alte Mann mit schwerer Zunge. »Jetzt setze ich alles, verstanden? Ich werde gewinnen, ihr werdet sehen!« »Du hast nun sechs Dollar und vierundzwanzig Cent«, sagt der Rothaarige. »Jetzt machen wir einen ›Toten Mann‹, einverstanden? Du bist doch einverstanden, was?« »Bin ich – toter Mann, das ist gut! Alles ist tot, jawohl. Morgen sind wir alle tot. Bin ich dran?« »Natürlich!« Der Rothaarige wirft dem Schwarzhaarigen einen Blick zu, als der Alte das Glas leert und dann nach dem Becher greift. Sie haben laut genug gesprochen. Jedoch – und Yank Mason ist vollkommen sicher – wird der Alte kaum verstanden haben, was sie mit jenem »Toten Mann« gemeint haben. Viel-
leicht ist der alte Mann zu betrunken, vielleicht hängt er mit seinen Gedanken zu sehr an jenem Willie, den er sucht. Er schüttelt jetzt den Becher und knallt ihn dann unbeholfen auf den Tisch. »Diese Halunken«, sagt Yank leise zu Bertram. »Der Alte kann ja kaum noch den Becher halten, er weiß sicher nicht, was es bedeutet, wenn sie vom ›Toten Mann‹ reden. Paß auf, jetzt würfelt der Rothaarige!« Der Rothaarige grinst den Alten freundlich an, nimmt die Würfel und sagt langgezogen: »Dreizehn Augen – eine gute Zahl, Alter. Na, dann wollen wir mal sehen, was wir haben!« Die Würfel klappern, der Becher sitzt auf, der Rothaarige hebt ihn hoch und sagt halb enttäuscht: »Elf Augen, mein alter Freund, nur elf! Habe ich nicht gesagt, daß du gewinnst?« »Ich gewinne«, lallt der Alte. »Jawohl, ich gewinne immer!« Danach nimmt der dritte Mann den Würfel. Und obwohl Yank scharf aufpaßt, er kann nicht erkennen, ob der Schwarzhaarige etwa die Würfel austauscht. Für Yank ist es sicher, daß der Schwarzhaarige nun gewinnen muß, denn wenn sie um den ›Toten Mann‹ spielen, dann heißt das nichts anderes, als daß es um den ganzen Einsatz geht, der auf dem Tisch liegt. Der Alte muß verlieren, und dann wird er über sechzig Dollar auf den Tisch legen müssen. Aber er hat das Geld nicht mehr, deshalb wird man ihm wahrscheinlich seine Waffen, sein Pferd und einige seiner Sachen abnehmen, bis die sechzig Dollar zusammengekommen sind. Im selben Augenblick würfelt der Schwarzhaarige. Es ist für Mason klar, daß der Schwarzhaarige und der Rothaarige unter einer Decke stecken. »Der Donner«, sagt der Schwarzhaarige heiser, als er den Be-
cher anhebt und auf die Würfel sehen kann. »Das habe ich nicht gedacht, Alter. Sieh mal her, da liegen sie – achtzehn Augen, mein alter Freund, wer hätte das angenommen? Nun bist du tot, so ein Pech! Bezahlen mußt du… Gib mal alles her, was du noch an Geld hast! Hier liegen zweiunddreißig Dollar. Und da du nun verloren hast, da mußt du uns jedem zweiunddreißig Dollar geben. Vierundsechzig Dollar, mein Freund, gib sie mal her!« Der Alte verzieht sein Gesicht zu einem Grinsen und lächelt albern. »Vierundsechzig Dollar«, sagt er dann kichernd. »Schöne Summe, schöne Summe, ist wahr. Bezahlen – wer – ich?« »Natürlich«, sagt der Rothaarige ermunternd. »Die mußt du nun bezahlen, Alterchen. Wir haben doch um den ›Toten Mann‹ gespielt, wie? Hast selber gesagt, daß du einverstanden bist. Du wirst doch bezahlen wollen – oder?« »Bezahlen – natürlich, bezahlen«, erwidert der Alte murmelnd. »Muß alles bezahlen, muß ich, jawohl! Wie viele Dollar muß ich bezahlen?« »Vierundsechzig!« »Sicher, vierundsechzig Dollar, höhö«, macht der Schwarzhaarige polternd. »Hast du gespielt, mußt du auch bezahlen. Nun rück mal mit dein Geld raus, Alterchen!« »Vierundsechzig…« Der Alte starrt auf den Tisch, sieht den angeblichen Joe Miller, der bestimmt anders heißt, nach dem Becher greifen und die Würfel hineinwerfen. Miller würfelt, die Würfel klappern und fallen dann auf den Tisch. In diesem Moment glaubt Yank Mason den Trick zu erkennen. Miller hat die linke Hand nicht auf dem Tisch gehabt. Er muß die drei Würfel, die gerade noch auf der Tischplatte gelegen haben, blitzschnell gegen drei andere, die er schon zwi-
schen den Fingern in der Hand verborgen gehalten hatte, ausgetauscht haben. Millers linke Hand verschwindet, während der Becher auf die Tischplatte fällt. Es ist nur ein winziger Augenblick, aber bestimmt hat Miller in diesem winzigen Augenblick die Würfel ausgetauscht! Wenn es so ist, dann müßten die Würfel jetzt in seiner linken Rocktasche stecken. Der alte Mann bemüht sich heftig, das sieht man, seine Gedanken zu ordnen. Dann sagt er langsam: »Was soll ich bezahlen? Vierundsechzig Dollar, Leute? Aber ich habe sie nicht, ich habe keine vierundsechzig Dollar mehr, ich bin nicht so reich…« In diesem Augenblick holt Miller mit der Hand aus und trifft den Alten seitlich an der Schulter. Der Hieb bringt den alten Mann mit der Brust auf die Platte. Anscheinend ist der Alte nicht nüchtern genug, um die Balance zu halten. Er droht von der Platte zu rutschen, als Gus zugreift und ihn am Bart packt. »So was«, sagt Gus böse. »So sieht er aus, der alte Betrüger, erst spielen, dann betrügen. Dir werde ich, du Gauner!« Im nächsten Moment zieht er ihn nach der Seite. Der Alte stößt einen heiseren, scharfen Ton aus, sein Stuhl wankt unter ihm, dann stürzt der Stuhl um und der alte Mann hinterher. »Warte, Gus«, sagt Joe Miller grimmig, »dem werden wir zeigen, ein ehrliches Spiel nicht bezahlen zu wollen. Halte ihn, ich komme!« Er kommt hoch und sieht, wie der Alte sich aufrichten will. In der Hand des Alten aber, die unter dem Rock herauskommt, liegt der Revolver. Die Revolvermündung muß sich jedoch irgendwo verhakt haben, denn der Alte zerrt verzweifelt, um die Waffe, die er im Hosenbund getragen hat, freizube-
kommen. Joe Millers Augen werden ganz groß und rund. Dann springt Miller mit einem Wutschrei nach vorn und brüllt heiser: »Gus, er hat einen Revolver, er hat einen Revolver!« Unwillkürlich duckt sich Gus hinter dem Tisch, er wirft sich zur Seite und landet am Boden. Dann kommt auch er hoch, während Miller mit dem Wutschrei: »Gauner, alter, das sollst du mir bezahlen!»vorwärtsstürzt. Im nächsten Augenblick hat Miller den Alten erreicht, packt grob dessen Arm und reißt ihn mit einem Ruck in die Höhe. Der Revolver fliegt davon und landet an der Tresenwandung. Miller – der alte Mann schreit jetzt heiser – reißt den Alten weiter herum und brüllt dabei: »Pack ihn, Gus, diesen alten Schurken. Schießen will er, nachdem er verloren hat und nicht bezahlen kann. Pack ihn, der will uns umbringen. Schnell, der Alte ist ein hinterlistiger, gemeiner…« Eine Sekunde darauf ist auch Gus da und packt den Alten an den Beinen. Der Alte versucht zu strampeln, doch glückt ihm das nicht. Miller und Gus sind zu kräftig für ihn. Sie reißen ihn beide hoch, so daß seine Bemühungen, freizukommen, ergebnislos verlaufen. »Raus mit ihm«, sagt Miller wutgeladen. »Der soll was erleben, will uns erschießen, der Gauner, der Alte. Dem werden wir es zeigen. Erst spielen und dann schießen wollen… Das bezahlst du noch, du alter Bursche!« Yank Mason hat die beiden Männer vor sich. Zu ihrem Unglück haben sie den Alten so gepackt, daß Mason in ihrem Rücken ist. »Yank«, sagt Bertram mit überkippender Stimme. »Yank, sie werden ihn draußen…« »Ja«, sagt Yank Mason finster und steht geräuschlos auf. »Sie
wollen ihn… Aber sie werden gar nichts, diese beiden ausgekochten Falschspieler!« Er kommt hoch, ein großer, sehr hager wirkender Mann mit bereits leicht ergrautem Haar und scharfen, hellen Augen, die jeden ganz ruhig, aber desto fester anblicken können. Yank Mason wird von einigen Leuten Indianer-Mason genannt. Er stammt aus dem südlichsten Utah und ist dort vor mehr als fünfundzwanzig Jahren bei einem Indianerhändler aufgewachsen. Einige Leute behaupten, daß Yank Mason, der den Namen seines Ziehvaters trägt, alle Indianerkniffe beherrscht und genauso stur wie ein richtiger Indianer sein kann. Jedenfalls gleicht Mason in seinen Bewegungen, die etwas Lautloses an sich haben, absolut einem Indianer. Er kommt so schnell hoch, daß Bertram, der noch etwas sagen will, die Worte im Halse steckenbleiben. Yanks große hagere Gestalt bewegt sich danach sehr schnell. Praktisch sind es vier lange, ausgreifende Schritte, mit denen Mason von rückwärts an Miller herangeht. Miller hat den Alten an den Armen gepackt und will gerade losmarschieren, um ihm mit der Hilfe von Gus vor die Tür zu schaffen. In diesem Moment taucht Yank Mason auf. Mason bleibt stehen. Weil er niemals, wenn er es vermeiden kann, einen Mann von rückwärts angeht, bleibt er stehen. Dann streckt Yank seine Hand aus, die deutlich die Spuren von Lassonarben trägt, und stößt Miller an die rechte Schulter. »Langsam«, sagt Mason dann ganz ruhig. »Mein Freund, ich glaube, du läßt ihn jetzt besser los. Das ist weit genug, glaube ich, wie?« Miller, der zwar einige Male zu dem ruhig in der Ecke sitzenden Mason hingesehen, ihn aber im Zwielicht dort nicht richtig erkannt hat, bleibt überrascht stehen. »He, was soll das?« fragt er dann scharf. »Willst du dich ein-
mischen, Mister? Der Alte hat uns betrogen und auf uns schießen wollen. Halte dich heraus, das ist ein Rat!« »Und mein Rat ist«, sagt Mason freundlich und sieht ihn dabei knapp an, »daß ihr ihn beide loslaßt, sein Geld auf den Tisch packt und dann verschwindet, aber schnell. Hast du verstanden, Mister?« Miller erkennt in dieser Minute, daß der große Bursche, der eine abgeschabte Lederjacke offen trägt und einen Revolver an der linken Seite hat, bereit ist, sich hier einzumischen. Er wechselt einen kurzen Blick mit Gus, dann läßt er den Alten los. Der Alte prallt heftig auf den Boden, liegt einen Moment still und sieht dann Gus an seiner linken Seite vorbeikommen. »Will der was?« fragt Gus zu Miller gewandt. »Hör mal, Freundchen, du willst doch wohl keinen Krach anfangen, wie? Laß dir raten und…« »Friedlich, Spieler«, sagt Mason hart und blickt Gus durchbohrend an. »Ihr habt beide mit beschwerten Würfeln gespielt, ich habe es gesehen. Miller, deine linke Tasche, zeig doch mal. was du in der Tasche hast, mein Freund!« Er hört hinter sich Bertram gehen. Bertram geht zum Tresen, schiebt sich an ihm entlang und steht schließlich hinter ihm in Deckung. Millers Gesicht verzieht sich in der Sekunde, in der Mason auf seine linke Tasche zu sprechen kommt, zu einer Grimasse. Kurz darauf zuckt seine Hand, als wolle sie wirklich in die Tasche greifen. Dann ist Joe Millers Gesicht wieder glatt. Gus aber, der hinter ihm steht, setzt den linken Fuß vor, hat die Hand nahe an seinem Gürtel, in dem neben der Schnalle für den Revolverhalfter ein Messer steckt, und sagt heiser »Mister, das ist eine verdammte Lüge! Du wirst das zurücknehmen oder daran ersticken! Joe, dieser Narr…« »Er braucht nur die Würfel aus der Tasche zu holen«, sagt
Mason kalt und spröde. »Miller, die Würfel heraus, du hast sie gerade verschwinden lassen. Heraus mit ihnen! Zeig sie her, Mister, aber schnell!« »Ruhig, Gus«, meldet sich Miller überraschend friedlich und hebt leicht die rechte Hand. »Keinen Streit, der Bursche wird gleich einsehen, daß er sich geirrt hat und sich entschuldigen muß. Mein Freund, hier ist nie mit beschwerten Würfeln gespielt worden, das schwöre ich. Also gut, ich hole sie heraus!« Mason kneift die Lider etwas zusammen, als Miller die Hand bewegt. Miller trägt einen Achtunddreißiger Smith and Wesson, eine Waffe, die auf eine gewisse Schnelligkeit schließen läßt, denn ihr Kolben ist stark abgegriffen. »Komm nur nicht an den Revolver«, warnt Mason Miller kühl. »Ein Griff an die Waffe, denn erlebst du was, Bursche. Also, heraus mit den Würfeln!« »Es sind ganz normale Würfel!« beteuert Miller scheinheilig. »Du wirst es sehen, ganz normale Würfel sind…« Er greift in die Tasche. Und es ist nur Masons Kenntnis von einigen der Tricks, die ein ausgekochter Spieler beherrscht, die ihm das Leben rettet. In der Sekunde, in der Millers Hand in der Tasche verschwindet, greift diese Hand etwas zu tief herunter. Die Hand beult die Tasche aus. Deutlich für Mason sichtbar treten die Umrisse von drei Würfeln zutage. Miller greift daneben, er muß eine sogenannte Doppelsacktasche haben, das heißt, eine Tasche, die eigentlich aus zwei Taschen besteht. In der einen sind die Würfel, in der anderen, die durch und durch offen ist, befindet sich nichts. Dafür kann man durch sie hindurchgreifen und an den Schenkel fassen. Am Schenkel aber… In dieser Sekunde weiß Manson es, aber es ist reichlich spät, als ihm diese Erkenntnis kommt. Beinahe sogar zu spät. »Hier sind die Wür…«
Das ist alles, was Miller noch sagt, als er die Hand aus der Tasche nimmt. In der folgenden Sekunde sieht Mason in der von Miller verdeckt gehaltenen Hand den Lauf. Joe Miller zieht statt der Würfel einen Derringer aus der Tasche. Und dann hebt er die Hand blitzschnell an. Yank Mason, anderthalb Schritt von Miller entfernt, bewegt sich innerhalb einer halben Sekunde so schnell, daß Miller zwar kurz reagiert, jedoch nicht mehr ausweichen kann. Masons rechter Fuß kommt mit unwahrscheinlicher Schnelligkeit von unten nach oben geschossen und trifft haargenau den Handballen von Millers rechter Hand. Der Tritt ist so heftig und genau, daß Miller die Hand hochgeschlagen wird. Dabei trifft die Spitze von Masons Stiefel das Handgelenk des Falschspielers. In einem momentanen Schmerz läßt Miller den bereits gespannten Hammer des Derringers los. Die Waffe brüllt in Millers Hand auf. Die Kugel streicht knapp an Masons Gesicht vorbei – einen Augenblick hat Mason das Gefühl, daß er die Kugel förmlich spürt – nach oben und schlägt mit einem dumpfen Laut in die Bohlendecke des Raumes. Es ist Masons Glück, daß Miller keinen zweiläufigen Derringer, sondern nur eine einläufige Waffe vom Typ Colt Nr. 1 Derringer benutzt. Diese Waffe ist zwar mit einer Metallpatrone geladen, doch zum Nachladen bleibt Miller keine Zeit mehr. Mason setzt seinen rechten Fuß, der noch immer in der Luft schwebt, blitzschnell noch einmal ein. Vielleicht hat er diese Abwehrbewegung zu oft geübt, vielleicht ist er auch in einer Lage, in der er nichts anderes tun kann, denn hinter Miller greift Gus hastig an seinen Gürtel.
Yank Mason nimmt sein rechtes Bein knapp herunter, zieht es an und stößt es im nächsten Augenblick frontal ab. Der Stoß trifft Miller, der den Derringer herunterreißt, um ihn als Schlagwaffe zu benutzen, knapp vor das Brustbein. Im nächsten Augenblick gerät Miller aus der Balance und stürzt mit einem heiseren Aufschrei nach hinten. Miller stürzt genau auf den schwarzhaarigen Gus, der die Hand an seinem Messerheft hat und die Waffe aus dem Gürtel reißen will. »Das also«, sagt Mason, und seine Stimme klingt nicht mehr freundlich, sondern scharf und grimmig. »Ist deine Art Würfel aus der Tasche zu holen, was?« Er macht jetzt einen Satz und kommt auf Miller zu. Hinter Miller aber hat sich Gus gedreht, so daß Miller nur seine Schulter streift und schwer zu Boden stürzt. Dafür hebt Gus den Arm, hat das Messer heraus und schleudert es aus dem Handgelenk mit voller Wucht auf Mason, der groß und breit genug vor ihm steht. Es ist wieder Masons Erfahrung, die für den schwarzhaarigen Gus schlimm wird. Zwar kommt das Messer, mit aller Macht geschleudert, auf Mason zu, doch – Mason ist plötzlich weggetaucht. Über ihn hinweg streicht das Messer, überschlägt sich jetzt und prallt dann klirrend an das Flaschenregal. Bertram duckt sich noch tiefer, er blickt jetzt gerade noch mit den Augen über die Tresenkante hinweg und greift nun entschlossen zu seiner Schrotflinte. Hinter ihm fällt das Messer herab. Eine Flasche ist zersplittert und läßt den Whisky zu Boden fließen. »Hölle und Teufel«, sagt Bertram grimmig. »Jetzt habe ich genug! Yank, sorge für Ruhe, diese Burschen…« Weiter kommt er nicht, denn er sieht erschreckt, daß Gus zu seinem Revolver greift, nachdem sein Messer nicht getroffen
hat. Zugleich aber kommt Yank Mason wie ein Pfeil vom Boden hochgeschossen und hat beide Hände weit ausgestreckt. In der Sekunde, in der Mason hoch ist, zieht Gus seinen Revolver halb aus dem Halfter. Er bekommt ihn nur nicht mehr hoch genug. Masons eisenharter Griff, der Gus leise stöhnen läßt, umklammert jäh das Handgelenk von Gus und reißt es zur Seite. Der Arm von Gus steht plötzlich vom Körper ab. Mason jedoch packt den Arm nun etwas höher, nimmt das Knie hoch und biegt den Arm von Gus über sein Knie. Gus stößt einen heiseren Schrei aus, läßt den Revolver mit verzerrtem Gesicht los und versucht mit der anderen Hand nach Mason zu stoßen. Jedoch weicht Mason diesem Stoß glatt aus. Er duckt sich blitzschnell, gibt Gus frei und dreht sich dann mit einem Schwung zurück. In diesem Zurückdrehen holt er kurz aus. Gus will noch die Arme hochreißen, seine Bewegung aber ist nicht schnell genug für Masons Faust. Yank trifft Gus einmal, der daraufhin einknickt, sich halb dreht und mit einem kurzen, heiseren Ton über einen Stuhl sinkt, von dem er abrutscht und zu Boden fällt. Bertram aber macht jäh den Mund auf und sagt scharf: »Yank – Miller!« Miller greift zu seinem Revolver, bekommt die Waffe jedoch nicht frei, weil er mit seinem Gewicht auf ihr liegt. Miller rollt sich, kommt auf die Knie und zieht dann seine Waffe. Er hat sie heraus, als sich Mason wirbelnd umdreht und sich seitlich gegen den Tisch wirft, hinter dem Miller kniet. Der Tisch schurrt über den Boden. Miller wird nach hinten gedrückt und prallt erneut auf den Rücken. Dann stürzt der Tisch um und kommt auf Millers Brust zu liegen. »Genug, wie?« fragt Mason grimmig. Er lehnt sich über den
Tisch und drückt Millers Arm zu Boden. »Laß das Schießeisen fallen, Miller, sonst…« Er verstärkt den Druck etwas. Miller stößt einen Schrei aus und läßt den Revolver los, der auf die Dielen poltert. Währenddessen ist der alte graubärtige Mann schwankend aufgestanden und betrachtet, sich an einen Tisch lehnend, die Szene mit allen Zeichen der Verwunderung. Er scheint sich nicht klar darüber zu sein, daß er um ein Haar das Opfer von zwei berufsmäßigen Falschspielern geworden wäre. Mason gibt dem Tisch einen Stoß und bückt sich in der nächsten Sekunde, um Miller am Kragen zu packen. Er stößt den Mann hoch, gibt ihm dann einen zweiten Stoß, der Miller an die Wand befördert, und sagt nur scharf: »John, paß auf!« Bertram, jetzt aufgetaucht, hat die Schrotflinte in der Hand. Er richtet die abgesägten Läufe auf Miller, der leichenblaß wird und mit flackernden Augen Mason entgegensieht. Masons Tätigkeit hat sich eine halbe Minute auf die Taschen von Gus beschränkt. Er hat jetzt drei Würfel in der Hand, legt sie auf einen Tisch und nähert sich nun langsam Joe Miller, dessen Gesicht einen immer wilderen Ausdruck der Furcht annimmt. »Du bleibst hier, Alter«, sagt Mason kurz, als der Alte eine Bewegung zur Tür machen will, »Sie haben dich ausnehmen wollen und mit beschwerten Würfeln gespielt. Keine Sorge, niemand wird dir deine Sachen nehmen wollen.« »Mit beschwerten…« Der Alte sieht ihn verstört an, scheint dann jedoch die Bedeutung der Worte zu begreifen und stößt einen halblauten Fluch aus. Dann steht er am Tisch, nimmt die drei Würfel in die Hand und läßt sie auf die Platte fallen. Es sieht wie Zauberei aus, als sie alle drei mit den sechs Augen nach oben liegenblei-
ben. »Mein Gott – Falschspieler«, murmelt der Alte tonlos. Yank Mason ist jetzt dicht vor Miller, bleibt eine Sekunde stehen und zieht mit einem Ruck seinen Revolver. Miller starrt ängstlich auf den Revolver und schluckt heftig. »Die Würfel«, sagt Mason eisig. »Diesmal holst du die Würfel heraus, Bursche, sonst…« Er spannt langsam den Hammel des Trubia, der zu einem Randfeuer-Patronen-Revolver umgearbeitet worden ist. »Ich«, sagt Miller schrill… sein Gesicht bedeckt sich mit kleinen Schweißperlen, »ich habe nicht…« »Die Würfel!« wiederholt Mason scharf. »Wenn du nicht augenblicklich die Würfel herausholst, dann passieren einige Dinge, von denen du noch in zwanzig Jahren träumst, Falschspieler. Ich werde dir helfen, einen alten Mann anzugreifen und ausnehmen zu wollen!« Danach schweigt er. Er hört durch den stoßartigen, hastigen Atem von Miller undeutlich das Rollen der Räder. So weit die Wagen auch noch entfernt sein mögen, er hört sie bereits und weiß, daß seine Leute kommen. Zwar haben sie von seinem Auftrag keine Ahnung, denn er ist erst damit betraut worden, als sie schon unterwegs waren, aber es wird keinen der Männer geben, der nicht bei seinem Anblick in Gebrüll ausbricht. Und es wird mit Sicherheit ein Freudengebrüll sein. Miller greift jetzt zaudernd – seine Finger zittern heftig – in die Hosentasche. Er nimmt die Hand ganz langsam heraus, sieht Mason nicht an und hält dann die drei Würfel auf der Hand Mason entgegen. »Zum Tisch«, bestimmt Mason knapp. »Dort legst du sie hin, dann setzt du dich und legst die Hände auf die Tischplatte. Mach schnell, Miller, schnell, sage ich!«
Miller stolpert los, setzt sich an den Tisch, legt die drei Würfel zu den drei anderen, die mit den sechs Augen nach oben zeigen, und zittert heftig. Hinter dem Tisch liegt Gus noch immer am Boden. Mason sagt kühl zu ihm: »Aufstehen und an den Tisch zu Miller setzen. Die Hände auf die Platte und ganz ruhig, mein Freund!« * Das Rollen der Räder kommt näher. Mason lehnt sich an den Tresen, so daß er sowohl den Eingang als auch die Falschspieler im Auge hat und winkt den Alten zur Seite. Im nächsten Moment – er hat seine beiden Pferde auf dem Hof stehen und weiß, daß Bateshoe, der die Wagen führt, sie sehen muß – hört er plötzlich einen lauten Schrei. Es ist so still im Saloon, daß er Bateshoes grollende laute Stimme hören kann, die allerdings zu Hause bei seiner Frau stets sehr leise klingt, weil Bateshoe bei ihr nichts zu melden hat. »Jimmy!« brüllt Bateshoe draußen los. »Sieh mal, sieh doch mal, du Nachteule! Halte an, Mensch, ich will ein gehörntes Rindvieh sein, wenn ich die Pferde nicht kenne. Mann, oh, Mann, ich werde verrückt, das sind doch Yanks Pferde?« Draußen knallt eine Peitsche, dann reden drei, vier Männer durcheinander und kommen plötzlich auf die Hintertür des Saloons zugelaufen. Es ist genau das, was Mason erwartet hat. Bateshoe nimmt mit seinen Leuten den kürzesten Weg und kommt sofort in den Saloon gerannt. Er stürmt, die Tür aufstoßend, in den Raum, blickt sich um und sieht Mason mit dem Revolver in der Hand am Tresen lehnen. Der eine Tisch liegt noch umgestürzt am Boden, ebenfalls der Stuhl.
Bateshoe stößt einen heiseren Ruf aus, bleibt dann ruckhaft stehen und sieht sich langsam nach der Seite um. Yank Mason wendet den Kopf, um ja nichts von Bateshoes Gesichtsausdruck zu übersehen. Das Gesicht des großen blonden Bateshoe erstarrt. Dann verzieht es sich, wird länger und länger, während Miller am Tisch die Augen herauszufallen drohen. Bateshoe erkennt Miller – der erkennt ihn, es ist ganz offensichtlich. »Beim letzten Ochsenschwanz ohne Haare«, sagt Bateshoe dann auch schon und wird langsam rot. »Wen hast du denn da, Boß? Das ist doch… Alle neunschwänzigen Teufel ohne Hörner sollen mich kratzen – das ist doch dieser windige Gauner, dieser schurkische Bandit, wegen dem ich von meiner Joan… Oaaach, er ist es, der Windbeutel, der Riemenschneider, dieser rothaarige Höllensohn – er ist es! Warum siehst du weg, he? Ein Jahr suche ich dich! Suche und hier… Yank, wie heißt er?« »Miller«, sagt Yank trocken. »Bateshoe, er nennt sich Miller, aber wenn ich mich nicht irre, dann hast du damals von einem Hogan gesprochen, der dich vollständig ausgeplündert hat. Bateshoe, er hat da einige Würfel! Halt, ihr anderen, bleibt stehen, laßt es Bateshoe allein machen, er hat ein Recht, es zu tun. Bateshoe, sieh dir die Würfel dieser beiden Gauner an, sie haben gerade den Alten hier ausnehmen wollen!« »Den Alten?« Bateshoe blickt kurz zu dem alten Mann hin. Dann geht er los und nähert sich dem Tisch, an dem sich Miller – oder Hogan – langsam duckt. Miller-Hogan sinkt immer tiefer. Wahrscheinlich wünscht er sich in dieser Sekunde nichts mehr, als daß er eine Maus wäre und unter ihm ein Mauseloch sei. Gleich darauf ist Bateshoe am Tisch, greift nach den Würfeln
und schüttelt sie in der hohlen Hand. Es spricht für Bateshoes Humor, daß er, nachdem die Würfel auf der Platte liegen, sogar noch lachen kann. »Ei, ei«, sagt Bateshoe kichernd. »Was haben wir denn da? Bin ich nicht ein Glückskind, Freunde? So schön habe ich noch nie gewürfelt… Sechsunddreißig Augen sehen mich an. Ei, Miller oder Hogan – oder wie immer du genannt werden willst – warum siehst du denn so grün aus? Ist dir schlecht?« Und dann sagt er, während der Spaß jäh endet: »Dir soll noch viel übler werden, du schmutziger Betrüger, so wahr ich Bateshoe bin… Daran denkst du den Rest deiner Tage. Jimmy, Budd, kommt her und packt ihn euch! Haltet ihn fest, Freunde. Und du, Serge, du rennst und holst einen Strick, einen guten Strick, verstanden?« »Nein!« sagt Miller-Hogan würgend. »Nein, das – du kannst alles wiederhaben, alles, hörst du, das…« »Strick«, sagt Serge, der eigentlich gar kein Amerikaner, sondern, wie Bateshoe immer sagt, ein Beute-Amerikaner ist. »Guttes Strick, ja, wird Serge, dieses…« Dann sagt er etwas, was sich nach seiner Muttersprache anhört und nicht zu übersetzen ist. »Beeil dich, Serge!« »Ja, ganz schnell Serge wieder da«, erwidert Serge und rennt aus der Tür. »Holen Strick feines, oha!« Und weg ist er. Miller aber sitzt da und sieht schon bläulichgrün aus. Er zittert nun am ganzen Leib, während die anderen beiden Fahrer ihn packen. Neben Miller sitzt Gus, auf dessen Gesicht Schweißtropfen stehen. »Du kommst auch dran«, flüstert Bateshoe hinter ihm. »Hat der auch getrickst, Yank?«
»Er hat die drei anderen Würfel in der Tasche gehabt. Bateshoe, was hast du vor?« »Du wirst sehen, Boß!« Das ist alles, was Bateshoe sagt. Dann stürmt Serge auch schon in den Raum, schlenkert einen Strick und tritt an den Tisch, um den Strick vor Millers Nase hin und her baumeln zu lassen und dabei zu sagen: »Du willst hängen – so hoch?« Miller macht die Augen zu und sagt irgend etwas, was niemand versteht. »Jimmy, binde den Kerl an den Stuhl, aber lasse seine Hände frei«, bestimmt Bateshoe grimmig. »Binde ihn fest, ganz fest!« Jimmy macht es. Miller hängt gleich darauf am Stuhl, den Bateshoe mit einem Ruck an den Tisch schiebt. Dann greift Bateshoe in die Tasche und sagt knapp: »Hier sind drei einwandfreie Würfel, du Halunke. Nehmt den Strolch da fort, er stört mich!« Er deutet mit dem Daumen auf Gus, den Jimmy und Budd vom Stuhl zerren und festhalten. Gus starrt auf den Tisch, auf den Becher, den Serge grinsend Bateshoe zuwirft, und auf die Würfel, die Bateshoe in den Becher fallen läßt. »Damit sie wenigstens alle sehen, ehe ich mit dir anfange«, sagt Bateshoe grollend, »daß ich immer Glück habe, Los, würfeln, du Gauner! Willst du wohl?« Miller zittert so heftig, daß er kaum den Becher halten kann. Er schüttelt den Becher sozusagen von allein durch sein Zittern. »Umdrehen!« Die Würfel klappern auf den Tisch, der Becher hebt sich. »Neun«, sagt Bateshoe verächtlich. »Paß auf, du nachgemachter Gauner!« Danach würfelt er und hat vierzehn Augen.
»Du jetzt«, befiehlt er grimmig. »Mach schon, ich will mit dir nicht ewig spielen. Wenn du denkst, du kannst einige Dinge hinauszögern, dann irrst du dich!« Sie würfeln jeder ein paarmal, dann grinst Bateshoe zufrieden, sieht sich nach Yank um und fragt: »Hast du gesehen? Bateshoe hat immer Glück im Spiel, bloß mit der Frau… Als langhaarige Sirene hat sie mich erst angelacht, aber später, später…« Er sagt nichts mehr, sieht Bertram im Aufstehen an und deutet auf die Tür. »Zufällig«, sagt er, während er in Millers Taschen sucht und die Geldtaschen entleert, wobei seine Augen immer größer werden, »zufällig haben wir einige Fässer Pechteer im Wagen. John, mein Freund, ich brauche ein Federbett. Was es kostet, das bezahle ich!« »Ein Federbett«, sagt John Bertram und beginnt zu grinsen. »Dann mußt du mir bei der nächsten Tour aber ein neues…« »Du bekommst es, aber gib mir erst das Federbett«, erwidert Bateshoe grimmig. »Ihr bindet mir diese beiden Gauner schön fest, während ich ein Feuer mache.« »Hör mal, Bateshoe, willst du wirklich?« fragt Yank trocken. »Ihr bleibt diese Nacht hier, der Teer wird erst in einer Stunde soweit sein.« »Das macht dem Teer nichts«, sagt Bateshoe grimmig. »Aber diesen beiden Schurken wird es etwas machen. Los, komm, Serge, jetzt siehst du amerikanische Bestrafung von Gaunern, klar?« »Serge, neugierig immer lernen, lernen gutt!« Damit verschwinden sie nach draußen. Miller und Gus, der angeblich Hillford heißen will, werden gebunden und in den Hof gebracht. Draußen hört man das Feuer prasseln, zu dem Bertram das Holz stiftet. Bertrams
Frau und seine beiden Söhne erscheinen endlich und hören die Männer reden. »Mr. Mason«, sagt Mrs. Bertram vorwurfsvoll. »Sie sind der Boß, wollen Sie das zulassen?« »Ganz sicher, Madam«, versichert Yank lächelnd. »Nach dieser Bestrafung werden die beiden Gauner sich hüten, jemals wieder diese Gegend unsicher zu machen. Aber ich achte schon darauf, daß es nicht zu schlimm wird, keine Sorge! – Würden Sie diesem Alten hier einen Kaffee kochen, Madam?« »Der arme Mann, gewiß, Yank.« Die beiden Jungen sollen dem Willen ihrer Mutter nach im Haus bleiben, aber Bertram läßt sie hinaus und sagt ruhig: »Seht es euch nur an, es wird euch beiden eine Lehre sein, Jungens, die ihr so schnell nicht vergeßt.« Der Alte, der sich an einen Tisch gesetzt und sein Geld erhalten hat, blickt zu Mason hin. »Danke«, sagt er verlegen. »Mr. Mason, ich muß mich bedanken, diese beiden Schurken…« »Schon gut«, erwidert Mason ruhig. »Wie heißt du, Großvater?« »Rogers, Abe Rogers, Mason. Ich komme aus Denver.« »Aus Denver«, sagt Mason verwundert. »Nun, mein Freund, das ist eine gewaltige Strecke. Wie lange bist du unterwegs gewesen?« Der Alte sieht auf den Tisch und schluckt. »Dreieinhalb Monate, Mason, ich – ich habe nach Willie gesucht.« »Willie? Wer ist das, Rogers?« »Willie – Emmerson«, erwidert Rogers stockend. »Ich suche ihn. Er ist jetzt dreiundzwanzig Jahre alt – vor drei Monaten ist er so alt geworden. Ein großer schwarzhaariger Junge. Du kommst doch viel herum, Mason, hast du nicht einen großen
Jungen gesehen, der Willie Emmerson heißt?« »Nein«, erwidert Mason bedauernd. »Sag mal, Rogers, warum hast du einen Moment gezaudert, als du seinen Namen ausgesprochen hast? Rogers, heißt er vielleicht gar nicht Emmerson? Du kannst es mir ruhig sagen, ich rede nicht darüber.« Rogers hält den Kopf zuerst gesenkt, dann blickt er langsam hoch und sagt leise: »Er – er hat den Namen seiner Mutter angenommen, Mason!« »Dein Junge?« fragt Yank geradeheraus. »Na?« »Ja«, sagt Rogers müde und läßt die Schultern noch mehr sinken. »Mason, er ist ein guter Junge, bestimmt, schlecht ist er nicht, aber – er hat zweimal geschrieben, einmal aus Fort Laramie und dann aus Fort Bridger. Die letzte Nachricht ist vor gut einem Jahr gekommen, aber er hat nie seine Anschrift mitgeteilt, der Junge. Ich muß ihn finden.« »Ich verstehe«, gibt Mason zurück. »Und – warum ist er von zu Hause fort, Rogers?« »Ich – ich habe ihn verzogen«, sagt der Alte gepreßt. »Es ist wahr, vielleicht hätte ich härter sein sollen, aber unser erstes Kind, ein Mädel, ist mit sieben Monaten gestorben. Meine Frau hat immer Angst gehabt, dem Jungen könnte etwas zustoßen. Und ich auch, Mason. Darum… Kannst du verstehen, wie das ist?« »Ich glaube schon«, antwortet Mason nachdenklich. »Und dann – warum ist er fort?« »Ich habe ihm immer etwas zuviel freie Hand gelassen. Er hatte Geld, Freunde… Wie das so ist, Mason. Eines Tages hat er seine Sachen gepackt, mitten in der Nacht ist er fort, ohne Abschied zu nehmen. Er ist in der Nacht mit drei von seinen Freunden zusammen gewesen und hat Posten gestanden, wäh-
rend sie Pferde…« Er verstummt und wischt sich über das Gesicht. Mason blickt auf sein schütteres graues Haupthaar und nickt, ohne daß der Alte es merkt. »Jemand verletzt worden?« »Ja, einer der Cowboys der Ranch, von der sie die Pferde geholt haben. Der Mann wollte Willie erkannt haben. Er war nicht tot, aber Willie muß es gedacht haben, verstehst du? Darum ist er fortgerannt, Hals über Kopf davon. Und wir haben nichts gewußt, nichts von den Dingen, die der Junge mit seinen Freunden ausgeheckt hatte.« »Das geht dir nicht allein so«, murmelt Mason. »Ein Trost ist das nicht, Rogers, aber sicher hat sich dein Junge das nicht richtig überlegt. Hast du eine Ahnung, ob er noch mit seinen Freunden zusammen ist?« »Nein«, erwidert Rogers leise. »Er ist schon seit Monaten nicht mehr mit ihnen zusammen. Zwei von den Burschen hat man erwischt, als sie nahe bei Laramie eine Kutsche überfallen wollten. Sie haben ausgesagt, daß er sich von ihnen getrennt hätte. Er hat uns geschrieben, er wäre unterwegs mit einer Herde. Wir sollten uns keine Sorgen um ihn machen, er würde sich immer mal melden. Der Junge muß weiter nach dem Westen sein, ich will ihm nach, er muß zu finden sein! Sie suchen ihn ja gar nicht mehr zu Hause. Auf den Cowboy hat einer der anderen gefeuert, das hat sich längst herausgestellt. Mason, meinst du, daß ich eine Chance habe, ihn zu finden?« »Dieses Land ist groß«, antwortet Mason bitter. »Rogers, in dieser Gegend hat ihn also niemand gesehen?« »Nein«, sagt Rogers mutlos. »Hier nicht, aber in Fort Bridger will ihn ein Saloonbesitzer vor fünf Monaten gesehen haben – mit einigen Männern, die nach Westen wollten. Ob es stimmt – ich weiß es nicht, Mason, ich weiß nur, daß ich suchen werde,
bis ich ihn gefunden habe.« »Hör mal«, sagt Mason langsam. »Wenn du nach der Sage Creek Station willst, dann kannst du mit uns kommen. Es macht den Fahrern nichts aus, wenn sie jemanden mitnehmen. Oft schließen sich unserem Wagen Auswanderer an, manchmal bildet sich dann eine ganze Kolonne. Wenn du sicher reisen willst – fragen kannst du überall unterwegs, dann komm mit uns, wir werden dir sogar helfen können. Im Augenblick haben wir nur drei Wagen, aber in Sage Creek werden es sechs sein. Es kommen noch drei hinzu, die in Salt Lake City gewesen sind und in Sage Creek auf uns warten. Es ist nur ein Vorschlag, Rogers, du kannst ihn ablehnen, wenn du meinst, allein besser vorwärtszukommen.« »Nein, nein, ich lehne nicht ab«, erwidert der alte Mann schnell. »Mason, ich muß dir danken, ohne dich würde ich vielleicht…« »Ach, Unsinn«, brummt Mason. »Unterwegs muß man sich helfen. Ich habe gleich gemerkt, daß du noch nicht lange im Westen gewesen sein kannst. Diese Falschspieler treiben sich hier überall herum, du findest sie an jedem Weg. Moment, dein Kaffee kommt, ich muß mal nach Bateshoe sehen, sonst machen die Burschen es zu schlimm. Wie ich Bateshoe kenne, hat er ein Höllenfeuer gemacht, um das Pech flüssig zu bekommen. Verbrennen soll er mir die beiden Burschen nicht, wenn es auch nicht schaden kann, wenn sie es etwas warm serviert bekommen.« Er steht auf und klopft dem Alten auf die Schulter. Draußen sieht er Miller und Gus festgebunden und bis auf die Unterhosen aller Kleidung entledigt am Haltebalken hocken. Bateshoe rührt fleißig in der Eisentonne, unter der ein starkes Feuer brennt. »Jubilate, sie werden singen wie die Vögel«, sagt Bateshoe,
als er Mason bemerkt. »Yank, mein Sohn, was sagst zu zu meinem Feuerchen?« »Du läßt das Zeug abkühlen, verstanden, Bateshoe?« »Was? Abkühlen? Dann werden sie nur zwitschern, Boß!« »Das wird auch genug sein. Sie haben zwei Wochen zu tun, um sich den prächtigen Überzug ganz abzuwaschen, wette ich. Bateshoe, mach den Spaß nicht zu hart, das ist ein Befehl!« »Befehl – ja, so«, macht Bateshoe mürrisch. »Über diese Sache hier habe ich vergessen zu fragen, was du eigentlich hier sollst. Junge. Was ist in Old Jubal Chalers gefahren, daß er dich schickt, denn umsonst bist du nicht hier. Yank, ist etwas nicht richtig?« »Alles in Ordnung«, erwidert Yank vorsichtig. »Old Chalers hat nur einige unerfreuliche Nachrichten aus Fort Hall bekommen. Die Shoshonen sollen ziemlich munter geworden sein. Er hält es für besser, wenn ich euch ein wenig begleite.« »Dann stimmen die Gerüchte also doch«, sagt Bateshoe, während sich die anderen Männer näherdrängen. »Wir haben unterwegs ähnliche Gerüchte gehört. Weißt du mehr über die Sache, Yank?« »Wilkins, der die Salt-Lake-Route fährt, hat Chalers über einige Überfälle der Shoshonen berichtet, Bateshoe. Du weißt, wie Chalers ist. Was ihn beunruhigt, das macht er besser selber, aber er kann nicht, sein Reißen plagt ihn zu sehr, als daß er sich dreißig Meilen in einem Sattel halten könnte. Nun gut, mir läuft nichts weg, warum soll ich nicht für ihn reiten.« »Buuuh«, macht Bateshoe. »Bist du bei uns, dann brauchen wir nicht mal Glück, also, laß uns den Shoshonen unter die Federn blicken, wenn es sein muß. Bis jetzt sind wir immer noch mit heiler Haut davongekommen.« Bateshoe nimmt die Nachricht nicht so ernst. Wann immer sie mit Yank Mason gefahren sind – ihnen ist nie viel gesche-
hen. Dazu kommt Yank zu gut mit den Stämmen der Ute-Aztecen-Sprachgruppe aus, er versteht ihre Sprache, er kennt ihre Sitten und – sie kennen ihn auch. Bald darauf sind sie mit den beiden Falschspielern fertig. Die Gauner hüpfen in den seltsamsten Sprüngen über den Hof und zu ihren Pferden, an denen zwar ihre Waffen sind, die man jedoch entladen hat. »Ohoho«, lacht Serge glucksend. »Was Anblick, feiner. Springen, hüpfen, sind Vögel. Ich lach mich tott, ich lach mich tott, springen – gutt, das gutt lernen!« Ihm kullern die Lachtränen die Wangen herab, und den anderen ergeht es nicht besser. Seltsam anzusehen ziehen sich die beiden Gauner auf ihre Pferde, reiten an und sind etwa zwanzig Schritt entfernt, als Miller drohend die Faust schüttelt und finster ruft: »Ich treffe euch noch, verlaßt euch darauf. Und dann werdet ihr nicht mehr lachen!« Sie lachen sich fast krank und sehen sie verschwinden. * Er muß wieder an den Alten und dessen mutloses Gesicht denken. Die Sage Creek Station liegt weit hinter ihnen. Und der alte Rogers hat seinen Jungen noch immer nicht gefunden. Weder gibt es eine Nachricht von Willie Rogers noch weiß jemand überhaupt etwas von ihm. Willie Rogers scheint verschwunden zu sein, verschwunden, untergetaucht in einem Land, in dem man seinen Namen wie ein abgelegtes Hemd wechseln kann, wenn man unentdeckt bleiben will. Yank Mason sieht nach vorn und furcht die Brauen, als er die Spur erneut vor sich sieht. Er reitet im Schritt, beugt sich weit aus dem Sattel und hält an den Büschen an, zwischen denen
die Spur den Hügel hinaufführt. Es ist nur eine Fährte von drei Pferden, aber diese Pferde tragen keine Hufeisen. Grund genug für Mason, langsamer und vorsichtiger zu reiten. Wenn es auch in der Zwischenzeit dunkel geworden ist, der Mond steht am Himmel und läßt die Konturen der Huftritte so deutlich erkennen, als wäre es Tag. Mason ist jetzt den halben Nachmittag unterwegs. Es ist zu seiner Angewohnheit geworden, zuerst weit vor die Wagen zu reiten, einen Bogen zu schlagen und dann drei, vier Meilen hinter ihnen zu bleiben, bis er sie vollständig umrundet hat. Bei dieser Vorsicht entgeht ihm kaum jemals eine Fährte, so schwach sie auch sein möge. Die Spur eines Wagens stört ihn. Er weiß seit mehr als zehn Minuten, daß drei Indianer hier geritten sind und die Wagenspur geschnitten haben. Die Fährte der drei Indianerpferde führt aber nicht nach rechts ab. Für Mason ist das ein Zeichen, daß die Indianer, wohin sie auch immer wollen, neugierig geworden sind und wahrscheinlich den Wagen verfolgen werden. Der einzelne Schuß vorhin, der vor gut einer halben Stunde gefallen ist, hat Mason erst in diese Richtung gelockt. Yank betrachtet die Fährte, blickt dann auf die Spitze des Hügels und nimmt sein Pferd herum. Von dort oben – wenn die Indianer sich auf den Höhenzügen gehalten haben, ist der Blick ins Tal frei geworden. Die Indianer müssen also den Wagen sehen, wenn der gehalten hat. »Zurück«, sagt Yank trocken. »Bis zu der Stelle, an der jemand geschossen hat, kann es nicht mehr allzu weit sein, keine Meile mehr, denke ich. Wer hat geschossen?« Der Schuß ist in der späten Dämmerung gefallen. Wer immer geschossen hat, er kann nicht weit sein. Einen Augenblick denkt Mason besorgt an drei Indianer und einen Wagen, aber meist fallen dann mehrere Schüsse.
Mit diesem Gedanken dreht er um, reitet ins Tal zurück und sieht die Wagenfurchen wieder. Kurz darauf löst sich die Spur des Wagens von der ebenen Fläche neben dem Bachlauf und biegt nach links ab. Hinter der vorspringenden Hügelnase des Tales links, also jenseits des Baches, erkennt er eine Minute darauf den Feuerschein. Der Wagen hat, ohne jeden ersichtlichen Grund, das feste Ostufer des Baches verlassen. Man hat ihn durch den Bach rollen lassen, um an das andere Ufer zu kommen. Dieses Ufer aber ist steinig und flacher, sogar von tiefen Rinnen durchzogen. Kaum ist Mason durch den seichten Bachlauf geritten, als er auch schon die seltsam schiefe Stellung des Wagens erkennt. Der Wagen liegt hinten links völlig am Boden. Das rechte Vorderrad schwebt in der Luft. Der Feuerschein beleuchtet zwei Männer. Einen bärtigen, älteren Mann, der die Deichsel vom Wagen abgenommen hat und sich jetzt bemüht, mit Hilfe der Deichsel den Wagen wieder aufzurichten. Ein jüngerer blonder Mann, kaum älter als dreißig Jahre, kauert unter dem Wagen und versucht, ihn mit seiner Körperkraft anzuheben. Die Hufe von Masons Pferd klappern hart auf den Steinen. Mason wirft einen kurzen, scharfen Blick nach links. Während rechter Hand, zum Osten hin, das Tal ziemlich frei ist, schiebt sich von links eine bewaldete Landzunge bis auf etwa hundert Schritt an den Bach und an den Wagen heran. Knapp neben dem Wagen sieht er, vom Feuer beleuchtet, einen dunklen Fleck am Boden. Mason erkennt die Läufe eines Rehes und weiß jetzt, warum geschossen wurde. In diesem Moment erkennt er auch – solange hat der Wagenschatten die Sicht für ihn verdeckt – den vielleicht sechsjährigen Jungen und ein etwa dreijähriges blondes Mädel. Beide kauern am Feuer, während eine Frau – es muß wohl die Frau
des jüngeren Mannes sein, dabei ist, vom Wagen einige Sachen abzuladen. Dicht neben dem Wagen liegt ein Gewehr. Der alte Mann an der Deichsel hebt den Kopf, als Mason sich nähert, und läßt die Deichsel mit einer leisen Verwünschung sinken. Der jüngere Mann kriecht unter dem Wagen hervor, geht auf das Gewehr zu, nimmt es hoch und fragt knapp, noch ehe Mason im Feuerschein ist: »Wer kommt da,Vater?« »Nur ein Reiter«, erwidert der Alte, der Mason besser sehen kann. »Hallo, Mister, wir haben Pech gehabt, das Hinterrad ist gebrochen, als wir hergefahren sind, um das Reh dort aufzunehmen.« »Ich sehe es«, gibt Mason ruhig zurück. »Mein Name ist Mason – Yank Mason. Ich bin der Wagenboß der Chalers Linie. Meine Wagen sind ungefähr vier Meilen voraus. Ihr hättet euch das Gelände hier besser ansehen sollen, Leute. Für einen bepackten Wagen sind diese Rinnen hier gar nichts. Nun, ich werde helfen, Augenblick!« Er hält an, steigt ab und bindet sein Pferd an einen Busch. Dabei blickt er unter dem Hals des Pferdes hindurch wieder auf die bewaldete Hügelkuppe, aber er kann dort noch nichts erkennen. Die Indianer sind bestimmt im Bogen herumgeritten und stecken dort im Wald. Ein liegengebliebener Wagen ist für sie meist immer ein willkommenes Objekt, um entweder frech um Geschenke zu betteln oder sogar zu stehlen. Der jüngere Mann nähert sich nun. blickt Mason forschend an und sagt dann: »Mein Name ist Younger, Owen Younger. Das dort ist mein Vater. Mason, ich habe kein Ersatzrad hier, verdammtes Pech. Wenn ich mir einen Baum abhacke – geht das?« »Natürlich, einige Meilen weit kommt man damit«, antwor-
tet Yank. »Ein ziemlich alter Wagen, Younger, ich hätte mich mit ihm nicht auf einen weiten Weg getraut. Wo kommt ihr her?« »Aus Wyoming«, antwortet Owen Younger. »Wir haben bei Cheyenne gewohnt, ich bin Schneider von Beruf und habe noch einen Bruder, der in Eugene wohnt und dort die Schmiede hat. Sie haben keinen Schneider dort, Mason.« »Ich verstehe«, murmelt Mason und betrachtet die verstreut umherliegenden Speichen des Rades. Rissiges, kaum haltbares Holz. Der Wagen ist mindestens zwanzig Jahre alt. »Ziemlich alt, was?« fragt Owen Younger brummig. »Nun ja, Vater ist mit diesem Wagen nach Wyoming gekommen, und das ist dreiundzwanzig Jahre her. Er nahm an, daß der Wagen es aushalten würde. Nun haben wir es, wir sitzen fest. Bis Soda Springs sind es über zwanzig Meilen, wie wir das schaffen sollen…« »Man kann es schaffen«, antwortet Mason ruhig. »Kann ich mir mal den Wagen ansehen? Die Ladung muß umgepackt werden, Younger, ihr bekommt ihn so nicht hoch.« »Ja«, sagt Younger kurz. »Ich habe gedacht, es müßte so zu schaffen sein. Vater, komm, hilf mal, damit wir fertig werden, die Kinder müssen zur Ruhe kommen.« »Es ist meine Schuld«, murmelt der Alte. »Junge, hätte nicht auf die vierzig Dollar sehen und vier neue Räder kaufen sollen.« »Nun ist es nicht mehr zu ändern«, gibt Younger zurück. »Ava, Ava, laß das sein, du schaffst es doch nicht.« Die Frau – im Näherkommen sieht Mason, daß sie sehr jung ist, etwas über zwanzig Jahre – steigt vom Wagen und nickt Mason freundlich zu. »Männer müssen immer mit dem Kopf durch die Wand«, sagt sie dann leicht lächelnd. »Mr. Mason, sie haben den Wa-
gen ohne umzuladen heben wollen.« »Als wenn du etwas davon verstehen würdest«, brummt Owen Younger. »Bleib du bei den Kindern und deinen Kochtöpfen.« »Nun streitet euch nicht«, meint der Alte. »Du kannst hierbleiben, Junge, während ich nachher das Pferd nehme und nach Soda Springs aufbreche, um ein Rad zu holen. Tochter, es ist besser, wenn wir die Nacht über hier bleiben.« Mason sagt nichts, er klettert auf den Wagen, kommt über Kisten, einen Tisch, unter dem Töpfe und zwei Tonnen stehen, während rechts und links zwei Lager sind, nach hinten und stößt an den Schrank. »Der Schrank ist bis obenhin voll«, sagt Owen Younger. »Mann, wenn wir den leerräumen sollen…« »Das werdet ihr müssen«, antwortet Mason. »Younger, die Ladung müßte ohnehin anders gepackt werden, damit sie euch mehr Raum läßt. Wenn ihr einige Ratschläge braucht, will ich sie gern geben. Räumen wir zuerst den Schrank aus!« Mason stellt sich an das Endbrett, so daß er ständig den Waldsaum einsehen kann. Die Youngers haben die drei Pferde etwa zehn Schritt vom Wagen an einige Büsche gebunden. Der ansteigende Hügel bis zum Waldrand ist dicht mit Büschen und kleineren Bäumen bestanden, ein gutes Gelände für jemanden, der sich an den Wagen heranschleichen möchte. Obwohl Mason den Hang und die Büsche aufmerksam betrachtet, sieht er nichts von den Indianern. Es kann sein, daß sie schon fort sind. Der Schrank leert sich, Youngers Stoffe werden ausgepackt, einige Steintöpfe mit Schmalz wandern hinter den Wagen. Die Kinder Youngers plappern am Feuer, die Pferde stehen ruhig, und Mrs. Younger macht sich daran, einen Topf mit Wasser über das Feuer zu hängen, um Kaffee zu kochen. Owen Youn-
ger hilft danach Mason, den Schrank langsam über das Hinterende des Wagens herabzulassen und sagt keuchend: »Er ist ganz schön schwer, was? Das ist noch solide Eiche, mein Freund. Meine Frau hat ihn mit in die Ehe gebracht.« »Für deine Frau mit den beiden Kindern sicher kein leichter Weg«, bemerkt Mason. »Habt ihr die Armeepatrouille am Nachmittag nicht getroffen?« »Ja«, meint Younger kurz. »Sie sagten etwas davon, daß sich in der Gegend Shoshonen herumtreiben, und wir vorsichtig sein sollten. Bis jetzt haben wir noch keinen Indianer zu Gesicht bekommen, Mason.« »Das kann manchmal schneller gehen, als man denkt«, antwortet Yank trocken. »Younger, ich mache dir einen Vorschlag. Laß mich zu unseren Wagen reiten, ich habe sie in anderthalb bis zwei Stunden bestimmt erreicht und kann in spätestens vier Stunden mit einem neuen Rad hier sein. Wir haben immer Ersatzräder dabei. Du kommst dann schneller voran und könntest die Nacht durchfahren.« »Würdest du das tun?« fragt Younger überrascht. »Mann, damit wäre uns sehr geholfen. Wir hatten ohnehin vor, uns in Fort Hall einer größeren Gruppe anzuschließen – der Leutnant, der die Patrouille leitete, sagte etwas davon, daß einzelne Wagen nicht mehr durchgelassen würden, sondern sich einer Gruppe anschließen müßten. Sieht es so schlimm in dieser Ecke aus?« »Schlimm?« fragt Yank achselzuckend. »Es beginnt manchmal schlagartig, manchmal gibt es erst wochenlang Zwischenfälle. Hier brennt ein Wagen aus, dort werden einige Leute der einsam gelegenen Siedlungen überfallen, bis dann das ganze Land brennt. Bis jetzt ist es hier ruhig, es kann sich jedoch schnell ändern. Ich glaube, deine Frau hat den Kaffee fertig.« »Meine Frau?«
Younger wendet sich um, blickt zum Feuer und sagt dann: »Das ist meine Schwester, Mason. Meine Frau ist bei der Geburt des Mädels am Milchfieber gestorben. Wenn ich daran denke, daß ich meine Frau mit auf diesen Weg genommen haben sollte… Sie war zart und hatte keine allzu gesunde Natur. Meine Schwester hält genauso viel wie ein Mann aus, sie ist eine Younger, und die sind immer zäh gewesen. He, Ava, du bist gerade zu meiner Frau geworden.« »Ich?« »Ja, Mason hat das gedacht.« »Nun, ich könnte mir einen anderen Mann als dich vorstellen, du Dickschädel«, erwidert Ava Younger lächelnd und blickt Mason dabei an. »Mason, er ist ein rechthaberischer, dickschädeliger Bursche. Und dann hat er nicht meine Größe!« Sie lacht unbefangen, als sie Mason einen Becher Kaffee gibt und ihm fragend die Zuckerdose hinhält. »Ja«, meint Mason, »einen Löffel, das ist mein Maß, Miß Younger, die Kinder schlafen doch im Wagen, wie?« »Natürlich, aber erst muß er mal aufgerichtet sein, meine ich. Wir hatten vor, bei dem nächsten größeren Trupp zu bleiben, auf den wir stoßen, nur haben wir keinen gefunden. Dafür mußte Owen dem Rehrudel folgen, das er im Tal verschwinden sah. Jetzt hat er sein Reh, aber auch ein Rad in Stücke. Owen, du schießt zu gern!« »Hoffentlich kann er auch treffen«, murmelt Mason beiläufig. »Im Krieg gewesen, Younger?« »Ja«, erwidert Younger. »Im letzten Jahr, ich habe nicht mehr viel mitgemacht. Jetzt wollen wir es mal versuchen, hoffentlich bekommen wir ihn hoch genug, Mason. Wollen wir Kisten unterstellen?« »Sie wollen ein Rad holen?« fragt Ava Younger überrascht. »Nun, auf diesem Weg gibt es anscheinend nicht unfreundli-
che Leute. Wir hatten vor zwei Tagen Ärger mit den Sielen, sie rissen, aber die Wagen, die kurz darauf an uns vorbeikamen, hielten nicht einmal an. So ein großer schwarzbärtiger Bursche sagte, wir sollten uns gefälligst selber helfen.« »Wagen?« fragt Mason. »Hat der schwarzbärtige Bursche sie geführt?« »Ja«, antwortet Owen Younger wütend. »Das Unglück passierte uns mitten auf dem Weg in einem Wasserloch, in dem wir steckenblieben. Anstatt uns herauszuhelfen, nannte der Kerl uns verdammte Narren und ließ seine Wagen in vollem Tempo durch die Wasserfläche jagen, daß unsere Pferde und der Wagen voller Schlamm und Dreck waren. Nur zwei Auswandererwagen hielten und verkauften uns einige Yard neuer Riemen. Sie halfen uns auch aus dem Loch heraus.« »Das war bestimmt Pierce«, antwortet Mason. »Der rauheste Bursche auf diesem Weg, der auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt. Er kann nicht anders, der Bursche. Well, hoffentlich treffen meine Leute nicht mit ihm zusammen.« »Haben Sie genug Kaffee, Mason?« erkundigt sich das Mädel. »Ich fülle Ihnen auch gern die Flasche.« »Das könnte ich gebrauchen«, murmelt Mason und nimmt die Flasche von seinem Sattel ab. »Vielen Dank, Miß Younger.« »Ach, wir haben zu danken«, meint sie lächelnd. »Wann sind Sie wieder hier, Mason?« »In vier Stunden, denke ich. Lassen Sie die Kinder nur gleich auf dem Wagen, damit sie schlafen können. Und dann Younger. Paßt beide etwas auf, schlaft lieber nicht, ich habe vorhin die Spuren einiger Indianer gesehen!« »Was?« fragt Younger erschrocken. »Mason, warum hast du es nicht eher gesagt?« »Kein Grund, um euch zu beunruhigen«, antwortet Yank kurz. »Es ist nur besser, wenn ihr etwas achtgebt. Ich würde
das Waldstück im Auge behalten, Younger. Wenn etwas kommt, dann von dort. Aber beruhigt euch, es sind nur drei Indianer gewesen, mehr nicht.« »Nun«, sagt Younger hart, »wenn es nicht mehr sind, dann mache ich mir wenig Sorgen. Wenn du kannst, Mason, dann beeile dich ein wenig.« »Das werde ich.« Yank steigt auf, schnallt die Flasche wieder fest und reitet dann an. Im Vorbeireiten wirft er einen Blick auf Ava Younger, die ihn irgendwie an Old Chalers Tochter Betty erinnert. Betty Chalers war, solange sie zu Hause bei dem Alten wohnte, ein lustiges Mädel. Erst ihr einjähriger Aufenthalt in Omaha veränderte sie völlig. Sie kam hochmütig und mit den Worten zurück, daß dieses Land nichts mehr für sie sei. Selbst für Yank, mit dem sie sich sonst prächtig verstanden hatte, fand sie kaum ein freundliches Wort. Omaha, denkt Yank bitter, hat sie verändert, die große Stadt und das Haus ihres Onkels, das ganz andere Leben. Ich habe viele Dinge versucht, um sie zu überzeugen, daß in fünfzehn Jahren hier dieselben Verhältnisse herrschen wie in Omaha, aber – umsonst. Dabei hat Old Chalers Pläne mit ihr und mir gehabt. Tut mir leid, Old Jubal, sie will nicht, und ich auch nicht mehr. Er nickt dem Mädel zu, als er vorbeireitet, und hat das Gefühl, sie schon länger zu kennen. Sicher macht das ihre Ähnlichkeit mit Betty Chalers, weiter wird es nichts sein. Yank Mason verläßt den Wagen, reitet schräg auf den Bach zu, durchfurcht ihn und nimmt dann den Osthügel an, um wieder auf den Weg zu stoßen. *
Es ist wieder die Spur, die Mason anhalten läßt. Er sieht seine Rechnung aufgehen und weiß, daß er umdrehen muß. Die drei Indianer sind hinter dem Hügel geblieben, sie haben über ihn hinweggeblickt und bestimmt das Mißgeschick der Youngers erkannt. Vielleicht sind sie darum in weitem Bogen nach Norden geritten, um das Tal sehr weit hinten zu durchreiten, außerhalb der Sicht der Youngers. »Diese Burschen«, sagt Mason grimmig. »Sie sind tatsächlich zu neugierig geworden. Statt weiterzureiten, stecken sie bestimmt im Wald und werden nur darauf gewartet haben, daß der dritte Weiße verschwindet. Nun, Freunde, wir werden sehen, wo ihr steckt!« Er nimmt sein Pferd herum und reitet nicht zu schnell auf der Fährte der drei Indianer weiter. Die Fährte verläuft in einem weiten Bogen auf das Waldstück zu. Yank hält an, nimmt sein Gewehr mit und bindet das Pferd drei Schritt in der Tiefe des Waldes versteckt an. Dann huscht er los. Er braucht keine hundert Schritt geduckt zu schleichen, als er die Lichtung auch schon entdeckt, zu der die Spur jetzt führt. Diese Lichtung muß noch etwa hundertfünfzig Schritt vor dem Waldsaum liegen, von dem aus man direkt auf die Youngers und den Wagen herabblicken kann. Von den Pferden der Indianer ist nichts zu sehen. Vielmehr schlängelt sich die Fährte – sie sind hintereinandergeritten – auf den Waldsaum zu. Es ist keine Frage, daß die Shoshonen direkt über dem Wagen hocken und genau vor Mason sind. Mason kennt die Gewohnheiten der Shoshonen so genau, als würde er sie bereits vor sich sehen. Sie werden die Pferde im Dickicht des Waldes zurückgelassen haben, um zu Fuß bis an den Waldsaum zu gehen und den Wagen zu beobachten. Yank schiebt sich behutsam auf der Fährte weiter. Er ist sicher, sich noch fast aufrecht bewegen zu können. Über ihm durchbricht
der Mondschein die Zweige und das Blattgewirr. Er kann gut vorankommen, stößt erneut auf eine von Farnen überwucherte Lichtung und blickt starr nach vorn. An einem der dicken Bäume läßt er, als er vor sich immer noch nichts erkennen kann, das Gewehr stehen. Von nun an bewegt er sich noch langsamer und tief geduckt zwischen den Farnen und den Baumstämmen weiter auf den Waldsaum zu. Vor ihm wird es jetzt heller. Der Wald beginnt sich hier zu lichten. Yank Mason sinkt flach zu Boden, er kriecht jetzt nur noch und sieht dann vor sich die dunklen Umrisse der Pferde zwischen den Bäumen. Das Mondlicht läßt die Felle der Pferde leicht glänzen. Er kann sie alle drei nebeneinander zwischen den hochragenden Stämmen der Koniferen sehen. Mason bewegt sich vorsichtig. Er kennt Indianerpferde und weiß, daß sie bei einer fremden Witterung leicht zu schnauben beginnen. Darum – bei den Pferden ist zu seiner Überraschung keiner der Shoshonen – gleitet er in einem leichten Bogen um sie herum, nimmt die windabgekehrte Seite und richtet sich dann hinter einem dichten Farnwedelbusch behutsam auf. Einen Augenblick glaubt er, daß er keinen der Shoshonen vor sich hat, denn jeder dunkle Schattenfleck an den Bäumen ist leer. Niemand liegt hier, die Shoshonen sind fort. Doch dann, als er scharf nach links blickt, erkennt er genau hinter dem einen Stamm der Douglas-Fichte einen kleinen kauernden Schattenumriß. Einer, denkt Yank betroffen, du großer Gott – und die beiden anderen, wo sind die beiden anderen? Er sieht sie nicht, er kann, noch etwas höher kommend, den Hang mit den einzelnen jungen Bäumen und den Büschen überblicken. Der Mond scheint die hellen Flecken zwischen den Büschen an.
Mason stockt der Atem, als er – keine vierzig Schritt vor dem Waldsaum und kaum vierzig vor dem Wagen, einem dieser hellen Streifen den gestreckten Schatten eines kriechenden Mannes entdeckt. Der zweite Shoshone arbeitet sich gedeckt durch die Büsche, gegen den Wagen vor. Vom Wagen aus sieht man nichts von ihm, er bleibt unsichtbar für die Youngers. Geschickt wie immer nutzt der Indianer jede Deckung aus. Er arbeitet sich vollkommen lautlos Schritt für Schritt weiter vor. Vom dritten kann Mason nichts entdecken. Entweder ist der Shoshone bereits sehr nahe am Wagen, oder er liegt gerade unter einem Busch und ist mit seinem Schatten verschmolzen. Gleich darauf, Masons Blicke huschen von rechts nach links, entdeckt er auch den dritten Shoshonen, der auf den Wagen zukriecht. Der Indianer kommt nichts als ein schmaler, länglicher Schatten, hinter dem einen Busch heraus und ist keine acht Schritt von seinem Begleiter entfernt. »Die Pferde«, sagt sich Mason, als er die Richtung ausmacht, in der sich die beiden Indianer bewegen. »Die Pferde wollen sie haben. Was immer ein Shoshone macht – der Pferdediebstahl wird höher angerechnet als die schönste Kriegstat. Was tun, die Youngers warnen?« Ihm bleibt nicht viel Zeit zur Überlegung. Die beiden Shoshonen sind schon viel zu nahe. Und vor ihm, leicht rechts, etwa neun Schritte entfernt, kauert der dritte an der DouglasFichte. Yank sinkt lautlos nach unten. Dann bewegt er sich mit zwei, drei kleinen Seitenschüben nach rechts und liegt nun genau hinter dem Shoshonen. Mason sieht weder einen Revolver noch ein Messer. Der Shoshone scheint kein Riese zu sein. Und selbst, wenn er sein Messer noch ziehen kann, wenn er Yank sieht und handelt – er
wird mit seinem Messer gegen Mason kaum etwas tun können. Höchstens sein Schrei könnte die anderen beiden alarmieren und zurückhasten lassen. Das ist Masons größte Sorge. Er kriecht langsam und verursacht kein Geräusch, er ist dem Indianer auf vier Schritte nahe gekommen, als der sich leicht bewegt. Jetzt sieht Mason ihn so deutlich, als wäre es Tag. Mason kann im Dunkel der Nacht sehr gut sehen, er erkennt deutlich den Haaransatz des Shoshonen seine zwei Federn und die glänzende Haut des nackten Oberkörpers. Wenn er sich jetzt umsieht, dann… Der Shoshone verlagert nur sein Gewicht. Er kauert auf den Hacken und wird wohl des Hockens müde, denn er lehnt sich jetzt mehr gegen den rauhen Borkenstamm der Fichte. Vom Wagen her kommt das trockene, kurze und dumpfe Schlagen eines Kistendeckels. Die Stimme des alten Younger schallt zum Waldsaum hoch. Sonst ist alles still. Die Hand kommt, sie greift nach einem Farnwedel und schiebt ihn behutsam zur Seite. Einen Augenblick ruht Masons Körper auf einer Handfläche, auf den beiden Stiefelspitzen. Noch drei Schritte – der Shoshone sitzt still. Er beobachtet seine beiden Freunde und wendet nicht den Kopf. Noch zwei Schritte. Mondlicht fällt auf Masons rechtes Handgelenk und die silberne Kette, die einzige Erinnerung persönlicher Art, die ihm von seiner Pflegemutter geblieben ist. Mason ist keine anderthalb Schritt mehr hinter dem Indianer und richtet sich jetzt auf. Er braucht nur in die Hocke zu kommen, er sieht auf die Schulter des Shoshonen, der sich leicht am Baum reibt. Wieder knistern die Borkenstücke. Langsam streckt Mason die Beine. Er kniet jetzt, er hat die
Hände erhoben, vorgestreckt und atmet ganz ruhig durch. Dann hebt er sich weiter, er kauert jetzt in derselben Haltung wie der Shoshone. Nun braucht er sich nur noch nach vorn zu beugen, die Stiefel anzudrücken und die Muskeln zu spannen, um zu springen. Unten im Tal kriechen die beiden anderen. In diesem Moment knackt es hinter ihm. Masons rechte Stiefelspitze, fest an den Boden gedrückt, hat einige der langen Nadeln zerbrechen lassen. Der Shoshone zuckt leicht, aber er wendet ganz langsam den Kopf. Es kann niemand hier sein, außer ihnen ist keiner in diesem Wald, denkt er – denkt er eine Sekunde lang, mehr nicht. In dieser Sekunde sieht er den Schatten. Der Schatten schnellt hoch und genau auf ihn zu. Der Shoshone reagiert so schnell er kann, er sieht diesen Schatten kaum, als er sich herumwerfen will. Er duckt sich, aber da stößt ihn die Hand an. Die Hand prallt gegen seine linke Halsseite, als er den Mund zu einem Schrei aufreißen will. Die andere Hand kommt, sie umklammert seinen Hals und drückt jäh zu. Masons rechtes Knie kommt an den Baum, die Hände haben den Shoshonen am Hals gepackt. Mason liegt, hat den Roten rechts neben sich und sieht die Bewegung der Hand, die zum Gürtel zuckt. Zu spät, denkt Mason, zu spät, Krieger, da hilft dir nichts mehr! Er dreht sich mit einem Ruck. Irgend etwas knackt trocken unter seinem Rücken, als er liegt. Und er hebt dann den Roten mit einem Ruck über sich weg. Der Shoshone sieht nicht mehr viel, er sieht nur die Hände und dann den Baum. Der Baum kommt auf ihn zu. Der Baum schweigt, der Wald ist still.
Im Mondlicht huscht Mason nach hinten. Er läuft zu den Pferden und sieht die Waffen dort. Zwei Gewehre, ein Bogen, das ist alles, nur noch eine Lanze, mehr haben sie nicht. Er packt den Shoshonen und bindet ihn, legt ihn an einen Baum, dreht um und hastet in wilden Sprüngen zum Waldsaum zurück. Kaum ist er dort, als er auch schon die beiden Roten unten kriechen sieht. Sie sind kaum noch zehn Schritt von den Pferden entfernt. Unten brennt das Feuer, auf das Ava Younger gerade zwei Äste schiebt. Dann greift sie nach der Pfanne, in der die Speckscheiben liegen, während hinter ihr der alte Younger auf dem Bock des Wagens sitzt und sich gerade die Pfeife stopfen will. Owen Younger ist gerade dabei, das Reh an den Hinterläufen hinten am Wagen anzuhängen. Zwei Tage, denkt Owen Younger gerade, muß es hängen, wenn es gut… Weiter denkt er nicht mehr, denn plötzlich kracht es ohrenbetäubend. Der Schuß klingt für Younger so nahe, daß er jetzt glaubt, er höre ihn direkt hinter dem Wagen fallen. Owen Younger zuckt herum, sieht den einen Busch links aus den Augenwinkeln wild schwanken, die Zweige tanzen und hört in der nächsten Sekunde den scharfen Ruf: »Vorsicht am Wagen – die Pferde!« Zwar ist Younger nur ein Jahr bei der Armee gewesen, aber gesehen hat er genug. Und gelernt hat er auch einige Dinge. Younger macht nicht den Fehler stehenzubleiben. Er wirft sich blitzschnell nach der Seite zu Boden, greift im Fallen nach seinem Gewehr und brüllt scharf: »Ava, zu Boden.« Ava Younger ist bei dem Schuß so erschrocken, daß sie reglos
am Feuer sitzen bleibt. Der donnernde Krach des Schusses, die schnelle, peitschende Bewegung der Äste des einen Busches, das alles erschreckt sie schlimm genug. Es kracht schon wieder. Sie sieht – zufällig blickt sie in die Richtung – wie hinter dem einen Busch eine Sandfontäne hochschießt. Das knappe böse Jaulen der Kugel zieht hoch über den Wagen hinweg. Erst in diesem Moment stößt Ava einen entsetzten Schrei aus. Sie hat noch nie einen halbnackten Wilden gesehen, aber sie sieht ihn jetzt. Hinter dem Busch schnellt – plötzlich, eine sehnige, dunkelbraun wirkende Gestalt hoch. Sie erkennt – nicht mehr als fünfzehn Schritt von dieser Gestalt entfernt – die Federn im flatternden Haar des Indianers. Der Indianer springt in wahren Riesensätzen wie ein flüchtiger Hirsch durch die Büsche davon. Hinter ihm, hochkommend und einen scharfen Schrei ausstoßend, noch einer. Der Knall danach scheint den beiden Indianern übernatürliche Kräfte zu verleihen. So schnell hat Ava Younger noch niemals jemanden laufen sehen. Sie kann sich nicht erinnern, jemals wendigere, schnellere Gestalten erblickt zu haben. In ihr sprachloses Staunen hinein hört sie Owen heiser rufen: »Rothaut, warte, ich werde dir…« Den Rest seines Rufs verschlingt der brüllende Krach seines Henry-Gewehres. Owen Younger feuert. Er ist ganz sicher, den einen der huschenden Schatten genau vor dem Gewehrlauf gehabt zu haben, aber – der Kerl rennt weiter. Owen, verwirrt und doch wütend, schießt jetzt, dreimal, viermal. Da ist ja noch einer – aber Owen schießt vorbei und sieht sie gleich darauf nicht mehr. Statt dessen wird es im Wald jäh lebendig. Ein Pferd wiehert
schrill, dann kommt das Tacken von Hufen auf. In dem Nachhall der Schüsse, die mit ihren Detonationen den Wald zum Schwingen gebracht zu haben scheinen, brechen Büsche, knacken Zweige. Youngers Vater sitzt auf dem Bock, hat die Pfeife verloren und das doppelläufige Schrotgewehr in den Händen. Stumm, den Mund in seiner Sprachlosigkeit weit offen, sieht der Alte zwei Schatten verschwinden. »Was – was ist das?« fragt der Alte stockend, als er die beiden Gestalten weit links durch die Büsche rennen und zum Waldsaum hasten sieht. »Indianer – oh, du großer Gott, Indianer!« »Indianer, Grandpa?« fragt sein Enkel, der durch die Schüsse genau wie seine kleine Schwester munter geworden ist. »Wo sind Indianer, Grandpa? Ich will sie sehen, ich will sie…« »Bleibst du wohl liegen, Junge, bleibst du wohl liegen!« Im nächsten Moment sieht der Alte rechts vom Waldrand die Pferde auftauchen. Er erkennt Mason, der auf seinem Pferd sitzt und drei andere Pferde hinter sich her bringt. »Mason, Owen, es ist Mason!« Owen, der sein Gewehr betrachtet, als sei das Schießeisen plötzlich verhext, schluckt zweimal. Er kommt hoch, um rechtzeitig zu sehen, daß Ava, Pfanne und Speck im Stich lassend, mit wehendem Rock auf den Wagen zuflüchtet und mit ungeahnter Geschwindigkeit oben ist. Yank Mason kommt in voller Karriere den Hang herabgeprescht. Er hat die Indianerpferde hinter sich, zügelt jetzt seinen großen Schecken und hält hart am Feuer an. Von seinem Sattel löst er zwei Gewehre, wirft sie zu Boden und springt dann ab. Sein Gesicht ist vollkommen ruhig. »Hallo«, sagt er freundlich. »Younger, zehn Schritt weiter,
dann würden sie euch die Pferde gestohlen haben. Das ist bei den Shoshonen eine absolut sportliche Höchstleistung, mein Freund. Ich hatte doch die Idee, daß sie hier im Wald stecken würden!« Owen Younger starrt ihn, mehr beeindruckt durch Masons Ruhe als durch sein erneutes Erscheinen, wie einen Geist an und sagt stammelnd: »Unsere Pferde… Großer Gott, du hast drei – drei? Hier waren aber nur zwei, mehr habe ich nicht gesehen!« »Sicher«, erwidert Mason auf seine ruhige, umsichtige Art. »Der dritte Shoshone liegt im Wald und dürfte von den anderen schon gefunden werden. Es sind nicht mehr als drei gewesen, die wahrscheinlich in irgendeinem Auftrag unterwegs gewesen sind und eure Spur entdeckt haben. Owen, wir werden sie nicht los, es sei denn, wir bringen sie um. Solange wir ihre Pferde und Waffen haben, werden sie sich an uns hängen wie Kletten. Ohne Pferde und Waffen zu ihrem Stamm zurückzukehren, das würde für sie lebenslangen Schimpf bedeuten, wenn man sie nicht ohnehin ausstößt. Indianer machen das mit ihren Leuten, die versagt haben. Eine ziemlich dumme Situation, mein Freund. Ich denke, du nimmst mein Pferd und verschwindest so schnell du kannst zum Weg. Du wirst unsere Wagen einholen und fragst dort nach Bateshoe. Eigentlich heißt Bateshoe Phil Fleisher, aber wir nennen ihn nur Bateshoe, seitdem er einmal bei einer Prügelei drei Mann mit seinem ausgezogenen Stiefel niedergeschlagen hat. Bate, das steht für Streit und shoe – na, das andere kannst du dir denken. Also, hin zu Bateshoe und sage ihm, daß er dir ein Rad geben und sich um mich keine Sorgen machen soll…« »Du willst bleiben?« fragt Owen verstört. »Aber – hör mal, das können wir nicht verlangen!« »Vielleicht nicht, aber die Kinder sind da und ein Mädel.
Also los, nimm mein Pferd und sause ab. Du kannst Bateshoe alles erzählen, er wird ja schon wissen, ob er etwas tun muß. Na, worauf wartest du noch?« »Ich – kann ich nicht reiten?« fragt der Alte heiser. »Ich bin mit dem Gewehr nicht so gut, Mason, mein Junge…« »Er kann treffen«, sagt Mason leicht lächelnd. »Beruhige dich, Owen, ich habe auch in einer ähnlichen Situation vorbeigeschossen. Einen laufenden Indianer zu treffen ist etwas schwierig, kannst es mir glauben. Nein, Großvater, du bleibst hier, wir brauchen keine Hilfe weiter, ich weiß das. Die Shoshonen werden versuchen, an ihre Pferde zu kommen, meine ich. Ich werde mit ihnen reden.« »Kennst du denn ihre Sprache?« »Ich bin zwischen Shoshonen aufgewachsen«, erwidert Mason ruhig. »Nun los, Owen, du brauchst keine Angst zu haben. Du findest deine Leute unversehrt vor, wenn du wieder hier bist.« »Mason, ich weiß nicht, wenn den Kindern etwas geschieht, dann…« »Ich sage dir doch, ihnen geschieht nichts!« Er sieht Owen Younger die Unruhe an, aber er bleibt dabei, daß Owen reiten muß. Seufzend, einen düsteren Blick auf den Wagen werfend, zieht sich Owen in den Sattel, während Mason ruhig zu den Pferden geht und sie direkt an den Wagen bindet. Er blickt Younger nach, der über den Hügel verschwindet und sicher von den schlimmsten Befürchtungen geplagt wird. Danach holt Mason die Gewehre der Indianer und betrachtet sie erst jetzt genauer. Er stutzt, es sind, das erkennt er mit Schrecken, zwei fast nagelneue Winchestergewehre. »Ist etwas?« fragt der Alte hinter ihm. »Mason, Winchester, wie?«
»Ja, sogar ziemlich neu«, brummt Mason. »Ich werde mir besser die Nummern aufschreiben. Soviel ich weiß – ich habe mich im letzten Jahr kaum noch um Indianer gekümmert – ist die Lieferung dieser Gewehre an die Stämme verboten, sie dürfen nur Jagdwaffen besitzen. Diese Dinger hier sehen mir zu neu aus. Indianer pflegen ihre Gewehre nicht wie wir, sie kennen sie kaum, sie reinigen sie auch ganz selten, wenngleich es auch unter den Indianern Ausnahmen gibt. Ich möchte fast sagen, daß diese Gewehre keine zwei Monate alt sind!« Er schreibt sich die Nummern auf, entlädt die Waffen dann und steckt die Patronen in die Hosentasche. Nach seiner Berechnung müßten die drei Shoshonen jetzt zu einem Entschluß gekommen sein. Er steigt in den Wagen, sagt Ava, daß sie sich unter den Tisch setzen und über die Tischplatte einen Kistendeckel legen soll, der bis an die Kastenwand reicht und die Kinder von oben schützt. Dann setzt er sich vorn auf den Bock und wartet. Neben ihm zieht der alte Younger fröstelnd die Schultern hoch, er blickt immer wieder auf die Büsche. Nach einiger Zeit sagt Mason: »Sie kommen nicht von dort, Großvater, wenigstens nicht beide. Einer wird es vielleicht versuchen, während der beste von ihnen mit dem Bogen schießen wird. Shoshonen graben sich oft ein Loch, suchen trockenes Moos, machen Glimmfeuer in diesem Loch, dessen Stein man nicht sehen kann, und jagen uns einige Brandpfeile her. Immer geduldig, wenn so ein Ding kommt, dann weiß ich, daß der eine Bursche, der sich uns von hinten nähern soll, da ist!« Es dauert keine zehn Minuten mehr, als es urplötzlich aus dem Wald hochsteigt. Der alte Younger duckt sich erschreckt, als der feurige Strich gegen den Himmel zu steigen scheint, sich senkt und Mason in diesem Moment sein Gewehr hochreißt.
»Rumms!« Der Schuß kracht, die Feuerbahn, die der Pfeil gezogen hat, wird jäh unterbrochen. Hinten im Wagen stößt das Mädchen von Owen einen ängstlichen Ruf aus, hat dann aber Ava neben sich, die beruhigend sagt: »Mr. Mason schießt nur etwas, Netty, du brauchst keine Angst zu haben!« Der Pfeil zerstiebt in der Luft. Funken regnen vom Himmel herab, fallen auf die kiesigen, kaum mit Gras bestandenen Flächen zwischen den Büschen und verglimmen. »Allmächtiger«, sagt der alte Younger tonlos. »Mason, so habe ich noch keinen schießen sehen, bei Gott nicht!« »Nichts als Übung«, antwortet Mason knapp. »Auf dem Scheitelpunkt ist die Flugbahn eines Pfeils immer leicht zu treffen, selbst wenn nur Mondschein ist. Duck dich, Großvater, sieh dich zum Bach hin um. Beobachte jeden Busch genau, dort wird der eine Bursche auftauchen müssen. Er scheint nahe genug zu sein, denn sonst würde uns der andere nicht beschäftigen wollen.« »Ja, ich passe auf, ob ich ihn aber sehe? Meine Augen sind nicht mehr gut, Mason!« »Wenn du meinst, daß sich etwas bewegt, dann sage es nur«, erwidert Mason. »Ich möchte nur nicht, daß der Kerl uns womöglich zu nahe kommt und auf einmal am Wagen ist.« Der alte Mann blickt auf den Bach, auf die Büsche am Ufer, aber er kann keine Bewegung erkennen, wenigstens vorerst nicht. Hinter den ersten Bäumen des Waldes steigt es gleich danach wieder hoch. Mason reißt sein Gewehr an die Wange, visiert kurz und drückt dann zweimal nacheinander ab. Der zweite Brandpfeil zerfliegt in der Luft, seine Stücke fallen langsam zu Boden. Im Wald rührt sich einen Moment
nichts, aber dann zischt es surrend heran und bohrt sich mit einem dumpfen, pochenden Schlag in die Seitenwand des Kastens, keinen Schritt von Mason entfernt. »Der Bursche wird wild«, sagt Mason ganz ruhig. »Er kann uns mit den Brandpfeilen nichts anhaben und läßt nun seine Wut anders aus. Bleib möglichst weit unten, Großvater… Vorsicht, der nächste Pfeil!« Knapp über Mason hinweg zischt es einmal, um im Bach einzuschlagen. »Zielen kann er, hoffentlich trifft er nicht seinen Freund, der vom Bach herkommt«, brummt Mason. »Was zu sehen, Grandpa?« »Nichts«, sagt der Alte heiser. »Da – ich glaube, da hat es sich bewegt!« »Plock!« macht es in diesem Moment im Kasten, der dritte Pfeil sitzt wieder. »Wo, Grandpa?« »Links, die zwei hellen Steine, da sind einige Büsche, ich glaube, rechts davon hat sich etwas bewegt!« Mason kriecht zur anderen Seite, blickt starr auf den Busch und sieht dann, daß sich der Busch spaltet. Zum Schein hält er sein Gewehr nach links über den Kasten und schießt nach der Waldseite hin. Tatsächlich – er irrt sich nicht! Der eine Shoshone muß einen Busch genommen haben und mit ihm den Bachlauf herabgeschwommen sein. Jetzt taucht er auf, liegt hinter dem Busch und versucht den alten Trick, sich mit dem Busch als Deckung heranzuarbeiten. »Der Busch bewegt sich«, stammelt Younger heiser. »Mason, er liegt hinter dem Busch.« »Genau, er will heran. Laß ihn kommen – nicht schießen! Ich muß erst sehen, was drüben los ist. Vorsicht, da haben wir es,
der Pfeil!« Der Moment, in dem er nach der anderen Seite geblickt hat, hat genügt. Er sieht den feurigen Strich zu spät, der plötzlich vom Himmel herabschießt und mitten auf der Plane landet. Mason hört Ava Youngers leisen erschrockenen Ausruf, wirbelt sein Gewehr herum und schlägt den Pfeil mit einem Hieb des Kolbens aus der Plane. Der Pfeil fliegt herab, landet am Boden und brennt dort weiter, ohne das Gras in Brand setzen zu können. »Keine Sorge, das passiert so schnell nicht wieder«, sagt er leise. »Die Plane glimmt, gießen Sie etwas Wasser gegen sie, aber bleiben Sie unten!« »Der Busch kommt näher«, meldet sich der Alte leise. »Mason, zwanzig Schritt nur noch, dann ist er da.« »Gut«, sagt Mason hart, taucht blitzschnell über die Kastenwand und feuert auch schon. Er hat den Busch so gut vor sich, daß seine Kugel hart unter den Zweigen einschlägt, und der Busch wild zu zucken beginnt. Im nächsten Moment sagt Mason in der Sprache der Shoshonen laut: »Der Krieger soll sich erheben, sonst wird ihn die nächste Kugel durchbohren. Und der andere, der hinter dem Busch am Hang liegt, soll auch aufstehen. Sie können beide nur sterben, paß auf, Krieger!« Er feuert noch einmal, die Kugel schlägt knapp neben dem beweglichen Busch ein und jagt einige der Kiesel nach den Seiten auseinander. Mason dreht sich, blickt zum Hang, sieht dort aber nichts. Er ist jedoch sicher, daß der zweite Shoshone auch nicht mehr als zwanzig Schritt vom Wagen entfernt sein wird, während der dritte bestimmt einen neuen Pfeil auf der Sehne liegen hat.
Es bleibt einen Moment still. Hinter dem Busch da rührt sich nichts. Der Shoshone, der dort liegt, ist ohne Zweifel von den dreien der tapferste, ihm hat man die gefährlichste Aufgabe übertragen. »Der Krieger soll klug sein«, sagt Mason, jetzt viel schärfer. »Hier ist Mason, den ihr auch ›Nachtauge‹ nennt. Will der Krieger sterben, dann soll er liegenbleiben. Mason will ihn nicht töten, aber er muß es tun, wenn der Krieger seinen Geist verloren hat. Steh auf, ich schieße sonst!« Der Busch bewegt sich plötzlich, der Alte zuckt zusammen und nimmt jäh die Schrotflinte hoch. Mason aber wirbelt herum, sieht hinter den dunklen etwa fünfundzwanzig Schritt entfernten Büschen die knappe Bewegung und hat es geahnt. Während sich der eine Shoshone hinter dem beweglichen Busch, sichtbar für die beiden anderen, aufgerichtet hat, ist der andere näher gehuscht. Der Shoshone am Hang hat sicher geglaubt, Masons Aufmerksamkeit sei nur auf die Bachseite gerichtet gewesen. Yank feuert zweimal, hört die Kugel heulend an einen Buschast abprallen und sagt düster: »Der Shoshone hat seinen Geist verloren. Denkt er, daß er sich anschleichen kann, wenn Mason auf diesem Wagen ist? Wenn du mich nicht kennst, dann kennt dein Vater mich bestimmt. Viele Shoshonen wissen, daß Mason niemals vorbeischießt, wenn er es nicht will. Komm heraus, wir wollen sprechen. Sprechen ist besser als kämpfen.« »Mason!« sagt der Shoshone kehlig, der hinter dem Busch auftaucht und beide Hände mit den Handflächen hochhält. »Ich bin der Sohn von ›Lahmer Bison‹, ich will reden. Du hast uns unsere Pferde und Waffen gestohlen!« »Gestohlen nicht«, erwidert Mason ruhig. »Ich habe sie nur genommen, Bruder. So, du bist der Sohn von ›Lahmer Bison‹?
Dann weißt du, daß dein Vater mich kennt?« »Ich weiß es.« »Sage deinem Bruder am Dach, daß er klug ist und um den Wagen zu dir geht. Auch der andere mit dem Bogen soll aus dem Wald kommen, ich werde nicht mehr schießen.« »Du sagst es?« »Ich sage es!« Der Indianer ruft den am Bachlauf an, der langsam, dabei auf den Wagen blickend, um den Wagen geht und neben den anderen tritt. Auch am Waldrand taucht jetzt der dritte auf. Er kommt herab, sieht Mason aufrecht auf dem Bock stehen, macht aber keine Bewegung, um den Bogen etwa zu heben und zu schießen. Masons Name ist zu bekannt bei den Shoshonen, sie wissen jetzt wohl alle drei, daß sie gegen sein Gewehr doch keine Chance haben. »Mason wird uns die Pferde geben?« fragt der Sprecher der drei. »Mason bekommt Frieden, wenn er die Pferde und die Waffen gibt.« »Muß ich das?« erwidert Mason ruhig, den der Alte und Ava erstaunt betrachten, denn Mason springt einfach vom Wagen, nimmt aber sein Gewahr mit. »Was ist, wenn ich mit zwei Zungen geredet habe, euch alle drei binde und zu eurem Häuptling schaffe?« Die drei Krieger stoßen wie auf Kommando einen erschrockenen Laut aus, als er sein Gewehr blitzschnell hochnimmt und es auf sie richtet. »Das wird Mason nicht tun«, sagt dann der eine bestürzt. »Mason ist der Freund von ›Yellow-Hair‹, dem Medizinmann, er wird sein Wort nicht brechen. Mason weiß, daß wir eher sterben werden, als ohne unsere Waffen und Pferde zu unserem Stamm zurückzukehren. Besser sterben, als ausgestoßen werden, wenn es auch keine Schande ist, von Mason besiegt
worden zu sein. Mein Vater ist auch von dir besiegt worden. Und selbst ›Starker Arm‹, der schnellste aller unserer Krieger mit dem Messer, hat dir nicht standhalten können. Mason wird Pferde und Waffen geben und Freundschaft bekommen.« »So?« fragt Yank, der sie zu genau kennt, um nicht hinter ihren Worten mehr zu ahnen. »Wie lange soll die Freundschaft dauern? Ich gebe euch die Waffen, damit ihr uns auflauert!« »Nein, nein«, beteuert der Shoshone. »Mason fahren, wir halten Frieden.« »Na gut, ich will euch glauben. Habt ihr noch mehr Trupps eures Stammes in der Gegend?« »Wir wissen es nicht, Mason«, sagt der Indianer langsam. »Wir sind seit mehreren Tagen von unserem Lager fort.« »Und wohin?« »Warum will Mason das wissen?« »Das will ich dir sagen, mein Freund. Weiter westlich hat man zwei Wagen gefunden – verbrannt! Einige Siedler haben die Berge verlassen und sind in die Forts geflüchtet – vor den Shoshonen. Wollen die Shoshonen Krieg?« »Krieg? Mason, ich weiß nicht, wovon du redest!« »Nicht?« fragt Yank scharf. »Du weißt es sehr genau. Ihr habt gute Gewehre, sie sind fast neu. Nun, woher habt ihr sie?« »Bekommen. Die Gewehre sind alt, schon über einen Winter, Mason.« Yank schweigt, er merkt, daß der Indianer nicht die Wahrheit sagt und nichts sagen wird. Von wem auch immer sie die Gewehre bekommen haben, sie werden darüber schweigen. »Also gut«, sagt er laut. »Du sagst, du wirst mit deinen Brüdern wegreiten und Frieden halten, wenn ihr euer Eigentum erhalten habt?« »Ich sage es, Mason!« »In Ordnung, dann setzt euch hin, ich werde mit euch war-
ten, bis mein Bruder mit dem Rad für den Wagen zurück ist, dann bekommt ihr euer Eigentum zurück!« »Uff, warum dann erst, Mason?« »Weil ich glaube, daß ihr vielleicht auf einen größeren Trupp eures Stammes in den Bergen stoßen werdet. Ihr haltet Frieden, aber ob die anderen es tun, das weiß ich nicht. Ihr bekommt die Gewehre und die Pferde aber erst, wenn mein Bruder mit dem Rad gekommen ist.« Die Shoshonen sehen sich an, dann nickt der eine mürrisch und setzt sich hin. »Gut, wir warten, Mason, du bist ein vorsichtiger Mann.« »Vorsichtig genug, um euch eine Botschaft an ›Yellow Hair‹ mitzugeben. Sagt ihm, daß er keinen Krieg, beginnen soll. Die Shoshonen werden viele tapfere Krieger verlieren und in die Reservation müssen. Sagt ihm, ich gehe mit Wagen nach Westen, ich bin sein Freund, solange er Frieden hält. Wenn er mit mir sprechen will, dann soll er kommen, ehe er sich entscheidet.« »Wir werden es ihm sagen, Mason!« Sie kauern sich nun alle drei nieder. Der eine hat seinen Bogen zur Seite gelegt, ein Zeichen, daß er friedlich sein will. Sie reden leise miteinander, während sich Mason wieder auf den Wagen setzt, die drei Indianer beobachtet und wartet. Die Shoshonen sind jetzt friedlich, aber Mason läßt sich durch ihre augenblickliche Freundlichkeit nicht täuschen, weil er sie zu gut kennt. Die Gewehre, deren Nummern er sich notiert hat, geben ihm zu denken. Bis jetzt, das weiß er, haben die Shoshonen kaum genügend moderne Gewehre besessen, um einen Krieg führen zu können. Wenn aber, wie hier, bereits die jungen Krieger mit den modernsten Gewehren ausgerüstet sind, dann müssen die Shoshonen eine beträchtliche Anzahl dieser Gewehre besitzen.
Aber – woher haben sie die Waffen? Wer hat sie ihnen trotz des ausdrücklichen Verbotes geliefert? Welcher dreimal verdammte Schuft versorgt sie mit diesen Gewehren? Er hat plötzlich das bedrohliche Gefühl, mitten auf einem Pulverfaß zu sitzen. Das Pulverfaß nennt sich Oregon Trail. Und es kann jeden Moment in die Luft fliegen. * Die ersten Männer, die Mason zu Gesicht bekommt, als er sich mit dem Wagen der Youngers, der gut ausgebauten Station bei Fort Hall nähert, sind nicht seine Leute. Er blickt einmal scharf hin, erkennt bereits aus größerer Entfernung unter dem Licht der beiden Laternen das Blau der Uniformen und fährt etwas langsamer. Ava Younger ist eingeschlafen. Selbst Owen, der wirklich heil mit dem Rad angekommen ist, schläft nun. Nur der alte Younger ist wach. Er sagt, er brauche wenig Schlaf und blickt auf die Kavalleristen, die anscheinend auf jemanden warten. Im Augenblick, in dem Mason die große Gestalt von Captain George Yates erkennt, kommt jene düstere Stimmung wieder über Yank, die ihn beim Verlassen der Indianer bedrückt hat. Zwar sind die Shoshonen mit dem Versprechen verschwunden, ihrem Häuptling Nachricht zu geben, doch ob sie nach der Blamage, dem Verlust von Pferd und Waffen, noch einen Gruß an den Häuptling ausrichten, das erscheint Yank zweifelhaft. George Yates, ein großer blonder und helläugiger Mann mit einem seltsamen Schnurrbart, hebt leicht die Hand und tritt
dem Wagen in den Weg. »Hallo, Yank«, sagt er freundlich, doch Yank hört sofort den leicht sorgenvollen Ton heraus. »Gut, dich zu sehen. Wie geht es dir?« »Nicht schlechter als dir, hoffe ich«, murmelt Yank Mason knapp. »Hast du etwa auf mich gewartet?« »Nun ja, etwas rechnen, glaube ich, kann ich noch. Du bist bis auf eine Viertelstunde genau hiergewesen. Warum hast du die drei Shoshonen nicht mitgebracht, Mann?« »Habe ich ein Recht dazu, George?« »Hm«, brummt Yates. »Recht oder nicht, du hättest es tun sollen. Stimmt es, daß sie ziemlich moderne Gewehre gehabt haben?« Er redet jetzt leiser, steigt auf die Radnabe und schüttelt Mason die Hand. Anscheinend ist er froh, daß er Yank Mason sieht. »Ja«, gibt Mason genauso leise zurück. »Ich muß mit dir darüber reden, George, aber nicht hier, du verstehst. Meine Leute, wo sind sie?« »Ich habe Bateshoe noch vor einer halben Stunde gesprochen. Yank, ich bin froh, dich hier zu haben, mir fehlt ein Mann, dem ich die Wagen anvertrauen kann. Hat Younger dir etwas gesagt, Yank?« »Nichts«, erwidert Mason. »Was ist passiert?« »Dann wird er es wohl in der Eile nicht mitbekommen haben«, meint Yates leise. »Wir halten seit drei Tagen jeden Wagen fest. Es wird eine Kolonne gebildet, mindestens ein Dutzend Wagen sollen gemeinsam fahren. Laß den alten Mann hinter die Station fahren und komm mit.« »Gut.« Sie brauchen mich, denkt Mason bitter. Es ist wie vor neun Jahren, als sie mich einfach verpflichtet haben, und ich sechs
Monate Scout für die Armee gewesen bin. Yates ist kein guter Schauspieler, Verstellen liegt ihm nicht. Er will etwas – oder seine Vorgesetzten. Jetzt habe ich es wieder am Hals, aber niemand kann mich zwingen, die Wagen zu verlassen. Das ist seine Aufgabe, der er sich verschrieben hat. Dazu braucht er keinen Vertrag, bei Mason genügt ein Händedruck, um ein Geschäft abzuschließen und es zu halten. Er gibt dem alten Younger die Leinen, steigt dann ab und folgt Yates, dem sich ein Leutnant und der alte bärbeißige Sergeant Martin anschließen. Martin kennt Yank schon seit mehr als ein Dutzend Jahre. Der Sergeant ist ein kaltblütiger und auch rauhbeiniger Bursche, der seit vollen zwanzig Jahren nur gegen Indianer gekämpft hat. »Hallo, Yank!« »Hallo«, sagt Yank knapp. »Was macht das Bein?« »Seitdem ich einen Indianerskalp auf das Loch gelegt habe«, erwidert der Sergeant scherzend, »ist es nicht wieder aufgebrochen.« Er humpelt etwas, folgt Yates und Mason an der Station vorbei und blickt dann auf das Fort, an dessen Eingang die Doppelwachen aufgezogen sind. Mit einem Blick auf den Hof der Station und die benachbarten Häuser sieht Mason genug. Überall stehen Wagen, brennen kleine Feuer. Es müssen zusammen mindestens ein Dutzend Wagen sein, die von der Armee festgehalten worden sind. Yates bemerkt Masons kurzen Blick und sagt erklärend: »Die anderen sind gestern mit einer Eskorte von uns losgeschickt worden. Es sind die Wagen vom heutigen Tag und von gestern.« Mason erkennt weiter hinten, etwas abgesondert von seinen und den anderen Wagen, die vier Wagen von Nat Pierce. Pier-
ce, den man auch den ›Schwarzen Nathan‹ nennt, ist also festgehalten worden. Yank Mason folgt Yates durch das Tor in den Hof des Forts und kommt an den langen, flachen Mannschaftsunterkünften vorbei, an die sich im Winkel die Stabsgebäude anschließen. Die Corrals, in denen sonst dichtgedrängt die Pferde stehen, sind zum großen Teil leer. Die beiden Kompanien scheinen eine Menge Patrouillen ausgeschickt zu haben. Im Stabsgebäude brennt Licht. Yates hält auf die Tür zu, vor der ein Posten steht und salutiert. Dann betritt er den Raum, in dem außer Major Cummings noch Captain Harding wartet. Der Leutnant und der Sergeant folgen Yates und Mason. »Hallo, Mason«, sagt der Major freundlich, als Yank hereinkommt. »Erfreut, dich zu sehen, Mann. Wo sind die drei Shoshonen, Mason?« »Sicher schon bei ihrem Stamm«, antwortet Mason ruhig, der die unwillige Falte zwischen Cummings' Brauen sieht. »Major, sie haben ihren Frieden gemacht, als sie nur die Wahl hatten, zu sterben oder friedlich zu sein. Ich hatte keinen Grund, sie etwa zu binden und mitzubringen. Außerdem, ich war nicht sicher, ob sich nicht mehr Indianer in der Nähe befanden.« »Zum Donner«, sagt Cummings barsch. »Gewehre, gute Gewehre, so ist mir berichtet worden, sind im Besitz der drei Shoshonen gewesen. Mason, du hättest die Burschen mitbringen müssen. Wir hätten sie eingelocht, und…« »… doch nichts aus ihnen herausgeholt«, unterbricht ihn Mason kühl. »Ich habe mir die Nummern aufgeschrieben, Major. Vielleicht wird bei Winchester angefragt, das könnte besser sein, als zwei oder drei schweigende Gefangene zu haben.« »Wer waren die Burschen?« »Der eine ist der Sohn von ›Lahmer Bison‹, Major.« »Also ein junger Krieger. Und der hat ein modernes Gewehr?
Mason, hast du dir darum keine Gedanken gemacht?« »Natürlich habe ich mir eine Menge Gedanken gemacht«, antwortet Yank trocken, »aber sie haben beide behauptet, die Gewehre schon ein Jahr zu besitzen. Major, wenn diese jungen Krieger schon gute Gewehre haben – sagt das nicht genug?« Der Major wechselt einen stummen Blick mit Harding und Yates, dann geht er unruhig auf und ab, um endlich vor Yank stehenzubleiben. »Yank«, sagt er dann besorgt. »Die Situation ist vielleicht ernster, als wir alle annehmen. Ich werde sofort Verstärkungen anfordern müssen. Bis jetzt – und das ist es, was mich unruhig macht – haben wir nur Shoshonen mit einigen wenigen HenryGewehren und alten Karabinern gesehen. Vorige Woche ist ein Trupp Shoshonen unter der Führung von ›Schneller Fuß‹ hier gewesen, sie besaßen kein einziges ordentliches Gewehr. Nicht mal der Häuptling, verstehst du das? Das ist doch Absicht. Sie wollen uns Sand in die Augen streuen.« »Wahrscheinlich«, antwortet Yank langsam. »Man könnte die Indianer aufsuchen, mit ihnen reden. Ich könnte mit ›Yellow Hair‹ sprechen, aber ich habe keine Hoffnung, daß wir jemals erfahren, wer hinter den Gewehrlieferungen steckt – oder wo die Gewehre sind. Indianer verraten nie etwas, Major, man müßte höchstens suchen. Und die Chance, die Gewehre zu finden, ist zu gering.« »Das weiß ich auch«, brummt Cummings grimmig. »Irgendeinen Vorschlag, Mason?« »Im Augenblick keinen«, erwidert Mason ruhig. »Sir, ich würde nur zu äußerster Wachsamkeit raten, Verstärkung anfordern und bei Winchester anfragen, dieses aber so schnell wie möglich. Ich bin sicher, es hat sich um fast neue Gewehre gehandelt. Die Indianer pflegen ihre Gewehre nicht so wie wir. Ich glaube, die beiden Gewehre können keine zwei Monate alt
gewesen sein.« »Deine feste Überzeugung, Mason?« »Ja«, erwidert Yank fest. »Ich irre mich bestimmt nicht. Irgendwelche beunruhigenden Nachrichten in den letzten Tagen gekommen, Sir?« »Gestern«, meldet sich Captain Harding bitter. »Eine unserer Patrouillen hat am Blackfoot River die Leute warnen wollen. Dort leben weit verstreut einige Siedler. Sie haben drei Familien warnen und ins Fort zurückbringen können. Die vierte Familie ist umgebracht worden. Fünf Personen, Yank.« »Und die Spuren?« »Keine zu finden.« Yank senkt den Kopf und schweigt. Er sieht erst wieder hoch, als sich Cummings räuspert und dann sagt: »Mason, ich habe Befehl vom Hauptquartier bekommen, alle Wagen anzuhalten und sie nur noch in Dutzendzahl über den Weg zu lassen. Vorgestern hatte ich Berguet mit seinen Wagen hier. Berguet ist nicht nur ein Halbblut, er kennt sich auch aus und macht keine Fehler. Ihm habe ich die eine Gruppe Wagen übergeben und eine Eskorte mitgeschickt. Für die Wagen, die jetzt hier sind, habe ich dich vorgesehen. Du wirst die Wagen nach Fort Boise bringen. Mason, ich kann dir keine Eskorte geben, meine Leute sind alle unterwegs. Mehr Männer kann ich nicht abziehen. Ich weiß nicht, wann ich Verstärkung bekomme, es kann heute oder morgen, vielleicht aber auch erst in einer Woche sein. Du mußt allein durchkommen.« »Ja«, sagt Yank knapp. »Ich werde es schon schaffen, wenn es eine Möglichkeit gibt. Da draußen ist Nat Pierce mit seinen Wagen, habe ich gesehen, steht Pierce etwa unter meinem Kommando?« »Genau, ich habe ihm das vor zwei Stunden gesagt, Mason!« Yank Mason preßt einen Moment die Lippen zusammen,
dann sagt er finster »Sir, ich werde nicht mit Pierce fahren. Jeder hier weiß, daß Pierce der übelste Bursche auf dieser Strecke des Oregon Trail ist. Er hat uns mehr als einmal Schwierigkeiten gemacht. Wenn dieser Bursche weiß, daß ich das Kommando habe, dann wird er sich einige Dinge einfallen lassen, um den Weg für alle zur Hölle werden zu lassen. Ich möchte nicht mit Pierce fahren.« »Du wirst«, antwortet der Major knapp. »Was immer es für Ärger mit diesem Pierce gibt, du kannst damit fertig werden, ich weiß es. Pierce ist nicht der Mann, der dich dauernd ärgern kann. Wenn er Schwierigkeiten macht – nun, es besteht zwar ein Befehl, aber um Ruhe und Sicherheit zu haben, kann man oft nicht dem Befehl genau folgen. Du wirst verstehen, Mason, was ich damit sagen will.« »Gut«, brummt Yank verärgert. »Wenn er frech wird, dann soll er sehen, wo er bleibt.« »Das habe ich nicht gehört«, meint Cummings mit einem flüchtigen Lächeln. »Du bekommst mit den Wagen von Pierce und deinen noch weitere vier Wagen. Das sind dann fünfzehn und gut dreißig Männer.« Mason nickt, wendet sich dann an Harding und fragt den: »Harding, sind genug Patrouillen auf dem Weg bis nach Fort Boise?« »Alle fünfzig Meilen vielleicht eine«, murmelt Harding. Draußen gibt es einen scharfen Wortwechsel zwischen dem Posten und einem Mann, dessen Stimme Mason bekannt vorkommt. Im nächsten Augenblick ertönt ein Fluch, dann stürzt der junge Owen Younger herein und sagt heiser: »Verdammt, Mann, laß mich los. Yank, Yank, komm schnell, die Hölle ist ausgebrochen. In der Kneipe hinter der Station liefern sich deine Leute und die von diesem Pierce eine regelrechte Schlacht. Komm schnell, sie schlagen alles kurz und
klein.« Yank Mason fährt herum, stülpt seinen Hut mit einem Ruck auf und sieht Cummings kurz an. »Da haben wir es«, sagt er dann bissig. »Dieser Pierce und meine Leute auf einem Fleck – und dazu noch festgehalten. Jetzt ist es passiert.« Dann stürzt er hinaus. Und er ist sicher, daß es nicht nur ein Kampf ist. Es ist eine Schlacht. Und wenn er nicht eingreift, dann… Er weiß, daß ein Störenfried in einer Wagenkolonne alle Leute wild machen kann. Und er ist sicher, daß Pierce dieser Störenfried sein wird. Pierce wird alles versuchen, um ihn zu ärgern. Dann muß er durchgreifen. Und wenn es ganz rauh wird. Pierce wird sein Teil bekommen. * Es ist später Nachmittag. Die Wagen sind noch zwanzig Meilen von der Hagerman-Station entfernt. Es ist ein heißer, wolkenloser Tag, der hinter den Wagen eine weithin sichtbare Staubfahne aufwirbelt. Die Sonne prallt auf die Planen, auf die Pferde, deren Fell mit einer dichten Staubschicht bedeckt ist. Der Wind kommt von West und treibt hier im Vorfeld der Sawtooth-Berge den Staub von dem ersten Wagen über alle anderen hinweg. Der Wechsel zwischen den Wagen geschieht umschichtig. Den Vormittag über fährt die eine Partie vorn, am Nachmittag die andere. Sie fahren fast alle in derselben Spur und schlucken alle denselben Staub, der in der Kehle brennt, die Gesich-
ter überpudert und in jeden Winkel der Wagen eindringt. Bateshoe, der hinter dem ersten Wagen fährt, stößt einen Fluch aus und ballt die Fäuste. Neben ihm der alte Rogers hustet, zieht sich das Halstuch mehr vor den Mund und sagt verbissen: »Der Halunke macht den Bremsklotz absichtlich nicht fest, Bateshoe. Ich sage dir, es ist reine Schikane. Jetzt fährt er vorn, dieser schwarzbärtige Lump, und er läßt den Bremsklotz mit voller Absicht nachschleifen, um uns mehr als nötig Staub schlucken zu lassen. Bateshoe, ich hätte nicht übel Lust, ihm eins aufzubrennen.« »Meinst du, ich nicht?« sagt Bateshoe grimmig. »Dreimal habe ich Hunley gesagt, daß er den Bremsklotz festbinden soll, aber er macht es nicht. Kaum ist Yank nicht da, fangen sie an, uns zu ärgern. Ich sage dir. wenn ich ihn erwische, wenn ich Hunley allein schnappen kann, ohne daß Mason es merkt, ich reibe ihm seine Glatze mit meiner Stahlbürste ab. Sieh dir das an, jetzt steigt der dicke Kerl im Fahren ab, läßt sich doch hängen und wirbelt mit den Beinen noch mehr Staub auf. Oh, man sollte ihn…« Hunley ist tatsächlich vom Wagen gerutscht und im Staub nun kaum noch zu sehen. Er verschwindet fast ganz in den Wolken, die auf Bateshoes Wagen zukommen. Sicher holt er den Bremsklotz, der an einer Kette hängt, wieder ein, aber dabei läßt er seine Beine, hinten auf dem Wagen hängend, schleifen. Und der Staub kommt wie aus einem Trichter auf Bateshoe zugewallt. »Jetzt reicht es«, schimpft Bateshoe und holt mit der Peitsche aus. »Wir haben fünfzig Schritt Abstand, aber ich bin gleich da, du Gauner, dann bekommst du was mit der Peitsche über deinen dicken… ,daß du jaulend in den Wagen springst!« Er fährt schneller, sieht dann aber Hunley nicht mehr. Hun-
ley ist gerade rechtzeitig genug wieder im Wagen verschwunden. Der Klotz liegt jetzt oben. Bateshoe jedoch ist zu wütend, um noch anzuhalten. Er fährt seitlich neben den Wagen von Pierce und wendet den Kopf. »Pierce«, sagt er fauchend. »Wenn ihr den Klotz jetzt nicht anbindet, dann schieße ich ihn ab, darauf kannst du Gift nehmen. Das ist reine Absicht von euch Gaunern!« »Hähä«, macht Pierce schadenfroh. »Gestern bin ich am Ende gefahren und habe allen Staub fressen müssen. Heute du, mein Freund, heute bist du dran!« »Laß nur Yank hier sein«, gibt Bateshoe zurück. »Hast du ein Glück, daß ich friedlich bleiben muß, sonst würdest du was erleben. Du hast es gehört. Fliegt der Klotz noch mal herunter, dann schieße ich ihn ab!« Er bleibt wieder zurück, muß aber bemerken, daß Pierce seine Wagenpferde einmal zum kurzen Trab anjagt, sie dann wieder zurücknimmt und so für eine Unmenge Staub sorgt, auch ohne den Klotz herabfallen zu lassen. »Nichts als Gemeinheiten hat er im Kopf«, sagt Old Rogers bitter. »Hoffentlich kommt Yank bald, der wird es ihm schon geben. Bis jetzt haben wir noch keinen Indianer gesehen und sind doch schon sechs Tage unterwegs. Meinst du, daß wir bis zur Station kommen, Bateshoe?« »Das meine ich«, erwidert Bateshoe. »Du findest keinen zweiten Mann wie Yank Mason in dieser Ecke. Wenn er eine Fährte übersieht, dann ist das ein Wunder – oder er sagt absichtlich nichts. Immerhin haben wir drei Wagen mit Frauen und Kindern dabei, vielleicht will er keine Unruhe stiften. Weißt du, er hat ein Gefühl für Indianer, das ist verflixt seltsam, aber es ist wahr, ich hab's mehr als einmal erlebt.« »Denkst du, daß er darum einmal in der Frühe und gleich nach der Mittagsrast aufgebrochen ist?« erkundigt sich der
Alte besorgt. »Sonst ist er nie so lange weggeblieben.« »Wenn etwas ist, dann werden wir es schon rechtzeitig hören«, antwortet Bateshoe trocken. »Wir passen hier auf, er paßt rundherum auf, was soll da schon passieren. Eh, Alter, paß ein wenig auf, nach einer Meile sind wir am Rock Creek. Schöpfe im Eimer Wasser, während wir durchfahren. Dieser Staub läßt einem noch die Zunge am Gaumen kleben!« Sie sind kaum fünfhundert Schritt gefahren, als Bateshoe schräg von links Mason auftauchen sieht. Mason kommt, eine lange Staubfahne zieht von den Pferden nach Osten, im Galopp an den Wagen und klopft sich mit dem Hut, den er vorher am Sattelhorn ausschlägt, den Staub vom Gesicht und der Kleidung. »Alles in Ordnung, Bateshoe?« »Ja, nur dieser verdammte Kerl macht dasselbe wie gestern«, brummt Bateshoe grimmig. »Ich habe ihm gesagt, daß er nicht absichtlich Staub machen soll, aber der Kerl wirbelt mehr Staub auf als wir alle zusammen. Entweder läßt er seine Pferde kurz springen, oder er wirft den Klotz vom Wagen. Yank, er hat mich nur hämisch ausgelacht.« »Ich habe es gesehen«, sagt Mason knapp. »Dreimal habe ich es ihm gesagt. Wenn er nicht hören will, dann muß er es fühlen. Nimm solange mein Ersatzpferd, Bateshoe!« »Moment noch«, meint Bateshoe, der die Leine nimmt, das Pferd anbindet und dann nach vorn sieht. »Du bist ziemlich lange weg gewesen, Yank, ist etwas los?« »Nichts«, gibt Yank Mason zur Antwort. »Ich bin nur vorsichtig gewesen. Sie könnten drüben am Quooden Peak oder am Grand View Peak gesteckt haben. Von dort aus sieht man das ganze Gebiet auf dreißig Meilen ein. Nichts, Bateshoe, keine Spuren.« »Ob sie wissen, daß du hier bist?«
»Das würde sie nicht abhalten, uns einen Besuch abzustatten«, gibt Yank knapp zurück. »Also, ich werde dem Burschen einige Dinge sagen!« Er reitet scharf an, kommt schräg von hinten auf den Wagen von Pierce zu und muß erleben, daß Pierce stur geradeaus blickt. »Pierce«, sagt Mason knapp. »Mehr als dreimal rede ich nie. Nach hinten, Pierce, du darfst eine Weile allen Staub schlucken, den die Wagen verursachen. Vielleicht lernst du dann, daß du als Frachtwagenfahrer, aber nicht als Staubaufwedler hier bist.« »Was, zum Teufel?« brüllt Pierce wütend. »Nach hinten? Das könnte dir so passen, du Bursche. Ich fahre hier vorn, damit ist alles gesagt. Laß mich in Ruhe, sonst…« »Du fährst jetzt nach hinten!« bestimmt Mason scharf. »Ich rate dir gut, Pierce, dreh um, laß die Pferde zurückfallen!« »Daß dich der…« Pierce stößt einen wilden Fluch aus und zieht dann die Zügel an. Der Wagen wird langsamer, schert nach der Seite aus und wird gleich drehen. In diesem Moment wendet Mason schon sein Pferd. Einen Augenblick zeigt sein Rücken zum Wagenbock, auf dem Pierce sitzt. »Jetzt«, sagt Hunley hinter Pierce giftig. »Jetzt, Nat!« Pierce holt nur einmal mit dem Arm aus. Dann fliegt die lange Peitschenschnur durch die Luft, ringelt sich blitzschnell um den Hals von Mason und wird dann angerissen. »Der Narr«, sagt Pierce, während Hunley die Pferde mit einem schrillen Ruf antreibt. »Genau richtig!« Er hat den richtigen Zeitpunkt abgepaßt. Mason will scharf anreiten, drückt dem Pferd die Hacken ein und hört im gleichem Moment über sich das Pfeifen. Dann
kommt die Peitschenschnur auch schon. Er reißt den Arm hoch – doch zu spät. Sein Pferd springt, er bekommt innerhalb eines kurzen Augenblicks kaum noch Luft und spürt den wilden Ruck. Mit Mühe und Not gelingt es ihm, noch die Füße aus den Steigbügeln zu nehmen. In der darauffolgenden Sekunde fliegt er im Bogen vom Pferd, kracht in den Staub und hört weit entfernt und schon benommen, daß Hunley laut schreit. Er kann mit einer verzweifelten Bewegung die Peitschenschnur packen, doch ehe es ihm gelingt, sie an sich heranzuziehen, so daß sich die Schlinge um seinen Hals lockert, hat Pierce ihn schon gut zwanzig Schritt weit gezogen. Halb bewußtlos bleibt Mason liegen, er sieht Schleier vor den Augen, kleine runde Kreise tanzen und dann, nachdem er genügend Luft hat, sich aufzustemmen. Der Wagen mit Pierce jagt in einer riesigen Staubwolke – Pierce treibt die Pferde gewaltig an – bereits dreihundert Schritt weiter auf den Rock Creek zu. Hinter Mason kommt jetzt der wilde Ruf Bateshoes auf. Der Wagen hält neben Mason, der sich mühsam, immer noch benommen und seinen Hals massierend, auf die Knie aufrichtet und Bateshoe vom Bock springen sieht. Der nächste Wagen, es ist der Wagen der Youngers, schert jetzt aus und kommt rasch heran. Yank Mason hört die ängstlichen Rufe des Mädchens. Er kniet, hat Bateshoe neben sich und wird von ihm hochgezogen. »Dieser Halunke«, sagt Bateshoe keuchend. »Ich schlage ihm die Ohren ab, so wahr ich eine Peitsche habe. Yank, dieser hinterlistige Schurke – dein Pferd!« Owen Younger hat das Pferd eingefangen, während Ava Younger kreidebleich auf dem Bock kauert und Yank nur
stumm ansieht. »Dieser Mensch«, sagt sie endlich tonlos. »Yank, warum jagen Sie ihn nicht fort, warum nicht?« »Weil er dann unter Umständen den Indianern… Keine Sorge, Ava, ich bin noch aus einem Stück.« Er hastet zu seinem Pferd, sitzt auf und jagt dann los. Vor ihm ist der Wagen, den Pierce wie ein Irrer antreibt. Zwar holt Yank auf und ist sicher, daß er den Wagen jenseits des Rock Creek, dessen Wasser knapp ein Yard tief ist, einholen wird, aber… Pierce kommt auf den steinigen, welligen Uferrand des Baches in unvermindertem Tempo zugejagt. Der Wagen holpert, er fliegt von links nach rechts, als seine Räder auf dem felsigen Boden keinen Halt mehr finden, schleudert und kracht dann, vorn hochspringend, durch eine Bodenrinne. In dieser Sekunde geschieht es. Der Wagen wird wie von einer Faust geschüttelt, als er durch die Rinne kracht. Dann gibt es einen deutlich hörbaren kurzen Schlag. Mit einem tosenden, krachenden Sturz – Pierce versucht verzweifelt den Wagen noch zu bremsen, Hunley schreit – donnert der schwere Wagen plötzlich auf den Kasten herunter. Rechts und links geht mit Gepolter jeweils ein Rad zu Boden. Die ganze Hinterachse muß gebrochen sein, als der schwere Wagen durch die Rinne geschossen ist. Es zeugt immerhin für die Geschicklichkeit von Pierce, daß er sofort den Pferden die Zügel freigibt. Würde er sie jetzt anziehen, dann würde sich der Wagen, dessen Hinterende am Boden liegt, mit Sicherheit querstellen und umstürzen. Durch den Zug vorn aber wird er, nur leicht schleudernd, bis ins Wasser gezogen, in dem die Pferde von Pierce gehalten werden. Das Wasser wirkt, als der Kasten darin eintaucht, wie eine
Bremse. Hunley krabbelt hinten, irgend etwas suchend, das er wohl verloren hat, über das Endbrett, hält sich den Kopf und plumpst zu Boden. Pierce vorn, bis an die Knie im Wasser kauernd, flucht wild. Dann macht er eine Bewegung in das Wasser hinein, in dem sein Gewehr liegt, das er hochnimmt. In diesem Moment ist Mason jedoch schon neben dem Wagen. Mason hat die Hand am Revolver, blickt Pierce eiskalt an und sagt pulvertrocken: »Wenn du Pech hast, dann funktioniert keine Patrone mehr, Pierce. Du Narr, was machst du jetzt?« Pierce starrt ihn wild an und sagt dann zwischen den Zähnen: »Ich werde wohl unter einem der anderen Wagen eine Achse haben, was? Irgendwo ist eine Ersatzachse. Die Räder sind ja noch heil. Du ver… Kerl, du allein bist schuld an meinem Pech!« »Mensch, bist du wahnsinnig?« fragt ihn Yank schneidend. »Pierce, wenn ich so verrückt wie du wäre, dann würde ich dich jetzt mächtig verprügeln. Hast du den Verstand verloren, Pierce? Wenn diese Fahrt vorbei ist, dann sprechen wir uns wieder, darauf kannst du dich verlassen. In Ordnung, du hast eine Ersatzachse da, sagst du? Dann…« »Ich werde nicht mehr mit dir fahren«, sagt Pierce wild. »Ich kann auch allein für mich und meine Leute sorgen. Dich brauche ich nicht, niemals! Ich bleibe hier und repariere den Wagen, dann komme ich zur Station nach, aber bilde dir nicht ein, daß ich weiterfahre. Mit dir nicht! Ich warte dort auf die nächste Kolonne, der schließe ich mich an.« »Das kannst du halten, wie du willst«, gibt Mason zurück. »Von mir aus kannst du in der Station bleiben und warten, aber bis dahin gehorchst du, mein Freund. Du bist mir nicht so
wichtig wie drei Familien und meine anderen Wagen. Suche dir noch einen Mann aus, mit dem bleibst du hier und bringst den Schaden in Ordnung. Kommt irgend etwas, dann hast du den Wagen stehenzulassen und sofort auf den Pferden zu flüchten, verstanden?« »Könnte dir so passen, wenn sie mich erwischen, was?« fragt Pierce bissig. »Na gut, ich bleibe hier. Angst habe ich keine, schon gar nicht vor ein Paar verlausten Shoshonen. Mach doch, was immer du willst, Mason. Und hoffentlich treffen wir uns eines Tages wieder.« Er steigt vom Bock, geht aber im Bogen um Mason herum und nähert sich dem einen Rad, das im Wasser liegt. In diesem Moment kommt Bateshoe an und sagt zornig: »Was, warum schlägst du ihn nicht seine Gemeinheit in seinen Kopf zurück, Yank? Der verdient nichts anderes, als jeden Tag dreimal eine Tracht…« Er bemerkt jetzt den stechenden Blick von Pierce, der sich mit dem schweren Rad herumdreht und ein Stück der Achse in der Hand hält. »Das also«, sagt Pierce dann auch schon keuchend und wird feuerrot. »Mason, das sollst du mir bezahlen, ich schwöre es dir. Wo ist der Bolzen, he, wo ist der Bolzen? Der Bolzen ist weg – weg ist er, wenn nicht jemand…« Er wirft das Eisenstück und das Rad hin, sucht im Wasser und stößt einen heiseren Ruf aus, als er den Bolzen herausfischt. In der Zwischenzeit sind fast alle Wagen da. Die Männer blicken auf Pierce, der mit dem Bolzen, dessen Mutter fehlt, dasteht und sie alle finster ansieht. »Losgedreht«, sagt Pierce und schüttelt drohend die Faust mit dem Bolzen. »Da haben wir es. Bateshoe, du Lump, das hat einer von euch getan. Jemand hat mir die Mutter herunter-
gedreht. Darum ist die Achse an der Bodenrinne hochgesprungen. Der Bolzen hat sich aus dem Loch geschoben, die Achse sie gedreht und ist zerbrochen. Ihr habt mich umbringen wollen, ihr schmutzigen Burschen, ihr habt mich umbringen wollen!« »Ea – was?« fragt Bateshoe verständnislos. »Mann, der Bolzen… Was, das soll ich getan haben? So wahr ich hier stehe, ich habe deinen Wagen nie angefaßt! Yank, vielleicht hat er die Mutter nicht genug angezogen gehabt oder sie nie überprüft. Yank, ich verlange…« Yank Mason blickt ihn so seltsam an, daß Bateshoe jäh schweigt und auf einmal begreift, wie leicht der Gedanke, daß einer von ihnen seine Hand beim Verschwinden der Mutter im Spiel gehabt hat, aufkommen kann. »Yank«, sagt er spröde. »Ich schwöre dir, ich habe nicht einmal den Wagen berührt. Du wirst nicht glauben, daß wir…« Jackson, der von hinten kommt, hält plötzlich neben Jimmy Landthrops Wagen an und sagt heiser »Landthrop, du bist es gewesen, ich habe dich gestern bei unserem Wagen gesehen. Du bist an unserem Wagen herumgekrochen!« Landthrop zuckt zusammen, steht dann blitzschnell auf und hat schon, ehe jemand auch nur etwas tun kann, den Revolver in der Hand. Landthrop, der aus den Südstaaten stammt und unheimlich schnell mit seinem Revolver ist, hat innerhalb einer Sekunde den Revolver auf Jackson gerichtet und den Hammer schon im Ziehen gespannt. »Sag das noch mal«, sagt Landthrop so eisig, daß sich niemand zu rühren wagt. »Sag es, Jackson, dann wird es der letzte Satz in deinem Leben gewesen sein. Buddy, was habe ich bei dem Wagen gemacht?« »Als wir zum Kreis aufgefahren sind«, meldet sich Buddy Harms heiser, »ist dir deine Pfeife vom Bock gefallen. Du hast
sie nachher gesucht!« Jackson, der sieht, wie Mason den Revolver auf Landthrop richtet, wartet, bis Mason sagt: »Jim, wenn du schießt, dann drücke ich ab. Ich wette, ich bin etwas schneller!« Dann lacht Jackson höhnisch und sagt breitmäulig: »Seine Pfeife – und dunkel ist es auch gewesen. Ein Schraubenschlüssel und eine Pfeife – kann man die in der Nacht unterscheiden? Ich habe nur gesehen, daß er was in der Hand gehalten hat und unter Nats Wagen gewesen ist, Mason. Du hast 'ne feine Mannschaft, Mann!« Die Leute, die unter Masons Befehl stehen, die auswandern wollen und nun nicht mehr wissen, was sie glauben sollen, sehen sich betreten an. »Jim«, sagt Mason kühl. »Hast du eine Mutter von Pierces Wagen gelöst? Antworte, Jim, hast du es getan?« Landthrops Gesicht ist krankhaft blaß. Er sieht Yank an und sagt dann leise: »Ich habe keine Mutter angefaßt. Das ist die Wahrheit, Yank. Und wenn hier einer zu behaupten wagt, daß ich zu einer solchen Lumperei fähig bin, dann schieße ich ihn über den Haufen. Los, Jackson, hast du gesehen, daß ich eine Mutter angefaßt habe?« Sein Gesicht ist so erstarrt und seine Augen sind derart kalt, daß Jackson sich auf die Lippen beißt und stockend sagt: »Ich – ich habe nichts davon gesehen, Landthrop.« Jim Landthrop dreht sich mit einem Ruck um, steckt den Revolver ein, steigt auf seinen Wagen und fährt ohne ein weiteres Wort auf die andere Bachseite. Dort wartet er. »Zum Teufel damit!« meldet sich Bateshoe in das betretene Schweigen hinein. »Jeder hier weiß, daß Jim so etwas nicht macht. Was immer ihr jetzt denkt – er ist der beste Partner, den
es gibt, das sage ich euch. Jackson, wenn du das öffentlich erzählst, dann kannst du sicher sein, daß du einen Revolver brauchst, um wenigstens anständig zu sterben!« Auch er geht zu seinem Wagen, steigt auf und fährt durch den Bach. Die anderen Wagen folgen ihm. Nur Jackson, Pierce und Hunley bleiben an dem im Bach liegenden Wagen und sehen zu Mason hin, der auf seinem Pferd neben ihnen hält. »Ich habe eine Ersatzachse auf meinem Wagen«, sagt Jackson mürrisch. »Meinen Wagen kann einer unserer Partner übernehmen, ich bleibe hier und helfe Pierce den Wagen flottmachen. Es wird dunkel sein, ehe wir fertig werden, fürchte ich. Tut mir leid, Mason, ich kann nichts anderes sagen – aber ich habe Landthrop unter Nats Wagen kriechen sehen. Und in der Hand hat er auch etwas gehabt. Das ist wahr und nicht zu ändern.« »Ja«, erwidert Yank Mason kühl. »Das Mißtrauen, das jetzt in der Kolonne umgehen wird, ist auch nicht mehr wegzuschaffen, das habt ihr gründlich besorgt, besten Dank. Seid vorsichtig, ich kann wegen eines Wagens nicht alle in Gefahr bringen. Paßt scharf auf!« »Pah«, machte Pierce verächtlich. »Sie sollen nur kommen, ich schicke sie schon dahin, wohin sie gehören, Mann. Paß du besser auf!« Er wendet sich ab, um zu Jacksons Wagen zu gehen, den einer der anderen Männer übernimmt. Da jede Kolonne immer mit zwei oder drei Ersatzleuten fährt, ist ein Mann für Jacksons Wagen frei. Wenig später rollt Jacksons Wagen über das andere Bachufer und schließt sich der Kolonne wieder an. Mason zaudert nur einen Augenblick, als er an Landthrops Wagen vorbeikommt. Landthrop blickt in die andere Richtung. Mason reitet an ihm vorbei und setzt sich dann an die Spitze der Kolonne.
Er denkt an die zurückgebliebenen drei Männer. Nur drei auf einem einsamen Weg. Drei Männer in einem Land unterhalb der Berge, aus dem jeden Augenblick Indianer auftauchen können. Anderthalb Stunden noch, dann wird es dunkel sein. Und dann? Die Nacht hat keine Augen. Das hat einmal jemand gesagt. In der Nacht kann sich jeder anschleichen. Und ehe man ihn sieht, ist es meist zu spät. * Einmal, denkt Gus Hillford und grinst, einmal gemacht und nie vergessen, was? Wie lange ist es jetzt her? Viereinhalb… nein, es sind doch mehr Jahre, die seitdem vergangen sind. Damals – damals bin ich desertiert, ich, Gus Hillford, bin desertiert, weil die Rebellen trotz aller Blockade, trotz allen Hungers und aller Toten immer noch zu scharf geschossen haben. Darum bin ich weggelaufen. Und damit sie mich nicht erschießen konnten, bin ich nur des Nachts gepilgert, um mich am Tag versteckt zu halten. Er sieht zu Joe Miller hin, der neben ihm reitet und seine Stummelpfeife im Mundwinkel hat. »Na, was sagst du?« fragt er leise. »Ganz leicht, was? Höre nur immer auf Gus, der hat Erfahrung in diesen Dingen. Wenn sie mich damals erwischt hätten – an die Wand gestellt hätten sie mich – oder ins Loch gestellt. Immer nur in der Nacht reiten, am Tag schlafen, so kommt man durch. Wetten, daß wir keinen Roten zu sehen bekommen?« »Ich wette nicht mehr«, murmelt Miller und denkt an drei Würfel und an ein warmes Bad. »Der Anblick vor sieben Tagen
hat mir gereicht.« Einen Augenblick vergehen auch Hillford die fröhlichen Gedanken. Vor sieben Tagen sind sie auf die verbrannte Siedlerstätte gekommen, auf der man selbst das Vieh mit Pfeilen erschossen hat. Und das andere… Ehe sie mich erwischen, denkt Hillford, bringe ich mich selber um. Das ist immer noch besser, als nachher wie ein Stachel… auszusehen. »Uns passiert das nicht«, sagt er leichthin. »Immer die Nacht, viel in Bächen reiten und keine Spuren machen. Bloß keine Spuren machen und sich am Tag verkriechen. Ich sage dir, wir werden in vier Stunden spätestens in der Hagerman-Station sein.« »Ja«, erwidert Miller bissig. »Und dann wie in Fort Hall vielleicht schon von weitem diesen ver… Mason und seine Wagen sehen. Meinst du, denen will ich wieder begegnen? Nie im Leben, sage ich dir. Wenn ich an die Kratzerei denke. Sieh dir meine Fingernägel an… das geht nicht weg!« »Ach, weiß der Teufel, wo Mason jetzt ist, bestimmt nicht hier. Wir werden in Hagerman schlafen, richtig schlafen, Mann!« Sie reiten ein Stück, halten, lauschen beide und sehen links etwas blinken – einen Bachlauf. »In den Bach«, sagt Hillford hastig. »Da hinein und schön in ihm bleiben. Hast du was gehört?« »Nichts, du?« »Ich auch nichts. Dann wollen wir mal!« Sie kommen bald darauf zum Bach und halten sich in ihm. Und dann, während sie um die Biegung kommen und durch ein paar karge Büsche auf den weiteren Verlauf des Baches blicken können, hält Hillford, der vor Miller reitet, jäh sein Pferd zurück.
»Halt«, sagt Hillford keuchend und stiert voraus, ohne den Blick wenden zu können. »Um Gottes willen, halt – nicht rühren! Halte dem Gaul die Nüstern zu, schnell, schnell, nur nicht bewegen, Indianer!« Sie sind beide unter dem dunklen Ufer und an den kargen Büschen, deren Schatten über das Wasser fallen. Hillford glaubt nicht richtig zu sehen, er reißt weit die Augen auf und sieht erst zwei, dann drei – vier – fünf Indianer. Es werden immer mehr, sie reiten vor einem hellen Uferstreifen, sie kommen mitten durch einen Bachnebenarm geritten und heben sich als deutliche Schatten gegen jenen hellen Streifen ab. Miller, der sie jetzt auch sieht und mit der einen Hand dem Pferd die Nüstern zuhält, hebt die andere Hand zum Mund. Er preßt die Fingerkuppen an seine Lippen und schluckt. Miller möchte wegrennen, sein Pferd herumreißen und davonpreschen, aber er ist vollkommen erstarrt und sieht sie jetzt auftauchen. Hillford aber versucht automatisch, sie zu zählen. Er kommt nur bis vierundfünfzig, dann würgt es ihn zu sehr in der Kehle. Dort ziehen sie vorbei, kommen lautlos im Wasser angeritten und… Hillford blickt ihnen nach, sieht zu der Spitze hin, die rechts verschwunden und um die nächste Biegung des Baches ist. Und da erkennt er es. Er sieht den Wagen, er erkennt die Plane. Dort steht ein Wagen, auf den die Indianer, immer mitten im Wasser, zureiten. Der Wagen, denkt Hillford entsetzt, sehen sie am Wagen denn nichts, sehen sie denn überhaupt nichts oder ist der Wagen verlassen?
»Joe«, sagt er und kann das Zittern seiner Lippen nicht zurückhalten. Seine Zähne schlagen heftig aufeinander. »Joe, ein Wagen, ein Wagen da vorn. Ich sehe einen Wagen!« »Gut – gut«, flüstert Miller und hat immer noch die Hand am Mund. »Dann wollen sie was von dem Wagen, aber nicht von uns. Ruhig – nicht reiten, es werden ja immer mehr. Mindestens hundert – großer Gott, hundert, wenn nicht noch mehr. Gleich werden sie angreifen, gleich werden sie…« Hillford macht die Augen immer weiter auf und glaubt zu träumen. Es fällt kein Schuß. Die Indianer reiten auf den Wagen zu, auf dessen Bock, sich gegen den Himmel abzeichnend, plötzlich ein Weißer steht. Ein Weißer auf dem Bock des Wagens, noch einer! Und die Indianer halten unter ihnen und reden mit ihnen. Was, denkt Hillford, hat das zu bedeuten? Weiße, sie reden mit den Indianern – was – was tun sie denn jetzt? Die Weißen haben Stöcke, sie haben Stöcke oder… »Gewehre«, sagt Hillford japsend. »Mensch, die verteilen ja Gewehre an die Indianer!« »Gewehre«, echot Miller. »Gewehre. Diese Halunken, diese Schurken. Siehst du es genau?« »Es müssen Gewehre sein«, zischt Hillford. »Das sind bestimmt Gewehre. Einer der Indianer steht neben ihnen und gibt sie nach unten weiter. Diese Lumpen verteilen tatsächlich Gewehre!« Er ist ein Falschspieler, aber Gewehre an Indianer geben, das würde auch ein Hillford niemals tun. Gewehre, denkt Miller, Gewehre? Er nimmt endlich die linke Hand vom Mund und greift nach seinem Gewehr. Miller zieht es, lädt es durch und erschrickt beinahe zu Tode, als es so laut klickt, daß er glaubt, sie müßten es bis zum Wagen hören.
Hillford hört das Klicken und sieht sich um. Er sieht sich um und… Hinter Hillford ist Miller, aber hinter Miller… Gus Hillford sieht die beiden Indianer etwa zwanzig Schritt hinter Miller am anderen Ufer des Baches halten. Wie sie dorthin gekommen sind, das versteht er nicht, denn er hat nicht den leisesten Ton vernommen. Urplötzlich sind sie da. Und der eine… »Was – was?« fragt sich Hillford, als er die seltsame Armstellung des einen Indianers sieht und das Zusammenzucken Millers bei seinem verstörten Blick erkennt. »Was hat der?« »Surr!« Er hört das Schwirren und spürt einen jähen, stechenden Schmerz in der linken Seite. In dieser Sekunde weiß er, er wäre tot gewesen, hätte er sich nicht gerade umgewandt. Der Pfeil trifft ihn. Miller duckt sich, als das Surren knapp an seinem Ohr vorbeigeht. Miller wirft sich flach hin und kann den Schreckensruf nicht zurückhalten, den er ausstößt. Dann aber zuckt in einer reinen Abwehrbewegung Millers rechte Hand hoch. Das Gewehr ruckt fast gleichzeitig mit der hastigen Bewegung des anderen Indianers. Haarscharf über Miller hinweg kommt das Zischen des Pfeils, den der andere abschießt. Der Indianer aber, der Hillford getroffen hat, hat schon den nächsten Pfeil auf der Sehne. Miller feuert blindlings. Er zielt nicht, er drückt ab, als der Gewehrlauf auf den Indianer deutet, und sieht dessen Gestalt aus dem Sattel stürzen. Hillford hat sich auf das Pferd geworfen und mit der rechten Hand den Revolver gezogen. In seinem wilden Schreck und dem Schmerz nach dem Treffer reißt er aus nackter Verzweiflung seinen Revolver heraus
und schießt. Zweimal kracht sein Revolver, zweimal kommt das scharfe Peitschen über den Bach hinweg. Im Nachtlicht steigt das Pferd des Indianers, es bockt, springt weg. Der Indianer ist fort – wohin, das weiß Miller nicht, der noch schießen will. »Joe«, sagt Hillford, während er seinem Pferd jäh die Hacken gibt. »Ich bin getroffen, Joe. Weg hier, drüben vorbei, sie holen uns nicht ein. unsere Pferde sind ausgeruht. Joe, Joe, bleib hinter mir – ich habe einen Pfeil…« »Ja«, sagt Miller und hat den Schock überwunden. »Los, voraus, Gus. Da drüben hin, nach links und schnell, schnell. Da hinten rühren sie sich schon!« Er bleibt wirklich hinter ihm, obwohl seine erste Reaktion die panische Flucht ist. Miller sieht Hillford schief im Sattel liegen. Hillford liegt mehr als daß er sitzt und treibt sein Pferd heftig an. Schon kommt das Ufer, schon sind sie an ihm hoch und preschen nach links. »Kommen sie?« schreit Hillford furchtsam. »Joe, verfolgen sie uns?« »Noch nicht«, schreit Miller zurück. »Ich sehe sie nicht mehr, halte dich etwas mehr rechts. Wir müssen nach Hagerman zur Station. Rechts, etwas weiter! Gib mir dein Gewehr, gib es mir, wenn du nicht schießen kannst.« »Ich kann nicht«, sagt Hillford. »Da, nimm es, es ist geladen – nimm, schnell!« Und dann jagen sie weiter, sehen sich um und können sie im nächsten Augenblick hinter sich erkennen. Dort kommen sie aus der Bachrichtung, aber sie sind hundertfünfzig Schritt entfernt. Es kracht hinter ihnen, Kugeln pfeifen, aber ihre Pferde sind
anscheinend wirklich schneller. Miller und Hillford gewinnen Vorsprung, obwohl rechts und links von ihnen einzelne Kugeln einschlagen. Hillford kauert geduckt auf seinem Pferd und beißt die Zähne zusammen, als der Schmerz in seiner Seite bei jedem Sprung des Pferdes stechender wird. Er kann die Schmerzen kaum noch ertragen, nimmt seine linke Hand, preßt sie gegen die Seite und stöhnt leise. Dann bricht er den Pfeil mit einer entschlossenen Bewegung ab. Der Schaft bricht, er schleudert das Ende Pfeil fort und spürt fast im gleichen Augenblick, daß seine Schmerzen nachlassen. Der wippende Schaft hat bei den Galoppsprüngen des Pferdes mit seinen Bewegungen die Schmerzen hervorgerufen. Hillford, der Spieler, wendet den Kopf und starrt nach hinten. Sie haben vielleicht dreihundert Schritt Vorsprung gewonnen und reiten jetzt genau nach Nordwest. Hinter ihnen kommen sie in einer breiten Front nach. Er erkennt die Pferde, undeutlich die Schatten der Reiter und ruft heiser. »Joe, komm an meine Seite, komm. Wir müssen nach der Station, wir müssen es schaffen. Oh, mein Gott, meine Seite. Ich habe den Pfeil abgebrochen, aber es ist mir, als hätte ich kein Gefühl mehr in der Seite. Joe, sie geben nicht auf, sie werden uns immer weiter verfolgen!« »Ist es schlimm?« fragt Miller keuchend, als er neben ihm reitet und das Stück des gesplitterten Pfeiles aus Hillfords Rock ragen sieht. »Gus, kannst du dich halten, schaffst du das? Sonst muß ich dich festbinden, Mann!« »Ich kann noch«, erwidert Hillford, der das Gefühl hat, als sei seine ganze Seite taub. »Wie weit ist es noch, wie weit?« Miller blickt nach hinten. Sieht weit hinten über einem Hang, den sie gerade überwunden haben, die Reiter, die sich gegen
den Himmel abheben, und sagt zwischen den Zähnen: »Mindestens dreieinhalb Stunden, Gus.« Indianerpferde sind ausdauernd! Das geht ihm nicht mehr aus dem Kopf. Diese struppigen Mustangs jagen Stunde um Stunde weiter. Noch, das weiß Miller genau, schaffen es ihre Pferde, den Mustangs davonzulaufen und Vorsprung zu gewinnen, aber was wird in einer Stunde sein, was dann? »Gus«, ruft er scharf. »Langsamer, wir dürfen unsere Pferde nicht so jagen. Die Roten wissen genau, daß wir noch dreieinhalb Stunden vor uns haben, und teilen sich die Zeit besser ein. Sie schonen ihre Pferde, sie warten nur darauf, daß unsere Tiere müde werden. Dann kommen sie und holen wieder auf. Langsamer, Gus, langsamer, wir müssen klug sein!« Gus Hillford wirft einen Blick nach hinten und sieht die Indianer kaum noch. Wenn sie auch wenig mit den Indianern zu tun gehabt haben – Millers Worte leuchten ihm ein. Es ist unsinnig, die Pferde jetzt dauernd im vollen Galopp rennen zu lassen. Sie werden schnell erschöpft sein und dann gegen die ausdauernden Mustangs kaum noch eine Chance haben. Er hält sich die Seite, kauert zusammengesunken auf seinem Pferd und hat das Gefühl, daß sich die Schmerzen nun bis in die Schulter ausbreiten und in seinem Kopf Benommenheit hervorrufen. Ihm wird übel, der Gedanke an den Pfeil, von dem er nicht weiß, wie tief er ihm in die Seite gedrungen ist, erfüllt ihn mit immer größerer Besorgnis. Die Station, denkt er und zittert vor Furcht, dreieinhalb Stunden bis zur Station. Wir wissen nicht mal, ob sie noch besetzt oder aufgegeben worden ist, wir wissen gar nichts. Vielleicht ist dort niemand mehr, vielleicht kommen wir hin, finden sie verbrannt oder verlassen vor. Was dann? Oh, mein Gott, ich schaffe es nicht, ich werde vom Pferd fallen, ich werde es nicht durchhalten können und dann…
Dann werden ihn die Indianer erwischen. Der fürchterliche Gedanke, in die Hände der Indianer zu fallen, gibt ihm neue Kraft. Doch diese Kraft hält nicht lange vor. Schließlich klammert er sich an den Zügeln fest, liegt flach auf dem Hals des Pferdes und hört Joe Miller schrill sagen: »Was ist, Gus, was ist?« »Nichts – so reitet es sich besser, Joe. Weiter, nur weiter. Siehst du sie?« Er ist schon zu matt, den Kopf zu wenden und überläßt es Miller, nach hinten zu blicken. »Derselbe Abstand«, sagt Miller nach einer Weile. »Sie kommen nicht näher, sie fallen aber auch nicht mehr zurück. Mehr nach rechts, Gus, wir müssen näher an den Schlangenfluß heran. Der Wagenweg… wir müssen den Wagenweg erreichen. Vielleicht sind auf dem Weg Leute, vielleicht auch eine Patrouille, Gus.« Patrouille, denkt Hillford und spürt einen Lachreiz. In der Nacht eine Patrouille? Wir haben seit Tagen keine Patrouille mehr gesehen. Die Gegend hat wie ausgestorben gewirkt. Und ausgerechnet jetzt sollte eine Patrouille… Allein sind wir, jämmerlich allein. Sie werden uns erwischen, wenn wir nicht Leute in der Station vorfinden. Er beugt den Kopf, blickt nach hinten und stößt einen heiseren Schreckensschrei aus. Dort kommen sie – hat Miller denn nicht aufgepaßt? Die Indianer haben aufgeholt, sie sind ja schon viel näher gekommen. Da sind sie, keine zweihundertfünfzig Schritt mehr entfernt. Mit einem schrillen Schrei treibt Hillford sein Pferd zur größten Schnelligkeit an und glaubt, seine Hüfte müsse zerreißen. Der Schmerz wird immer wilder. Er stöhnt und kann sich kaum halten. Langsamer möchte er werden, aber das bedeutet
den sicheren Tod. »Mein Gott, sie holen auf«, ruft Miller angstvoll. »Weiter – weiter, schnell, schneller.« Er verliert das Gefühl für Zeit und Entfernung. Er liegt auf dem Hals seines Pferdes und ist halb ohnmächtig. Wie lange sie so dahinjagen, das weiß er nicht, aber wie durch Watte hört er Miller rufen: »Sie sind wieder zurückgefallen, wir haben es geschafft. Halte dich, Gus.« Halten, denkt Hillford, halten – ja, ich muß mich halten. Sind es fünfzig Minuten oder schon hundertzwanzig – er weiß es nicht, er ist zu benommen, um noch richtig denken zu können, als Miller einen brüllenden Schrei ausstößt. Hillford zuckt zusammen, denkt an Indianer, die vielleicht vor ihnen auftauchen, und hört dann Millers Schrei: »Sie sind fort, sie sind weg, Gus, verschwunden.« Verschwunden, denkt Hillford – was, verschwunden? Er hat nicht mehr die Kraft sich umzuwenden, er liegt apathisch auf dem Pferdehals und fragt nur mühsam: »Wo sind sie hin, wo sind sie?« »Ich weiß nicht, aber sie sind weg«, wiederholt Miller verstört. »Gerade habe ich sie noch gesehen, jetzt sind sie wie vom Erdboden verschluckt. Gus, was ist, kannst du nicht mehr?« »Weiter, wir müssen weg«, stammelt Hillford. »Nicht anhalten, vielleicht ist es eine Falle – weg, weiter.« Die beiden Pferde laufen jetzt auf den Wagenweg zu und Miller, der nach vorn blickt, sieht plötzlich über einem der Hügel vor sich eine kleine Staubwolke. Dort zieht Staub, dort… Großer Gott, denkt Miller, der Hillford nichts zu sagen wagt, nur neben ihn reitet und dessen Pferd mit herumnimmt, da sind sie – sie sind vor uns. Unmöglich, sie können uns nicht
überholt haben, aber dort sind noch mehr Indianer, dort werden andere sein. Jetzt haben wir sie vor und hinter uns. Eine Falle, aus der wir nicht mehr herauskommen. Er hält an, Hillford stöhnt schwer, als die Pferde stehen, und hebt matt den Kopf. »Was ist Joe, was ist los, warum halten?« »Da vorn«, keucht Miller, »Staub.« »Staub?« In diesem Moment bringt der Wind das Geräusch zu ihnen hin. Miller hört es deutlich und zuckt heftig zusammen. Dort rollen Wagen! Er hört es genau. »Weiter«, sagt er schrill vor Erregung. »Weiter.« Plötzlich zieht er Hillfords Pferd mit und prescht den Hügel hinauf. Jetzt sieht er sie, er erkennt die Schlange, die sich dort in einer Staubwolke über den Weg bewegt. Wagen – eine ganze Kette Wagen. »Wagen!« sagt Miller keuchend. »Gus, dort sind Wagen! Eine Kolonne.« »Wagen? Dann sind wir gerettet!« Miller gibt seinem Pferd die Hacken, zieht Hillfords Pferd mit und prescht los. Die Wagen werden immer deutlicher. Er kommt in den Staub hinein und sieht plötzlich aus dem Staub den Reiter schräg von vorn auf sie zujagen, noch ehe sie die Wagen erreichen. Zuerst erkennt er ihn nicht, dann aber – der Mann ist keine dreißig Schritt mehr entfernt, stockt Miller der Atem. Mason, denkt Miller bestürzt, das ist ja Mason. Ganz gleich, ob das Mason ist, in jedem Fall sind wir dort in Sicherheit. Mason reißt sein Pferd herum, hat Miller erkannt und sagt scharf: »Miller – was macht ihr hier? Woher kommt ihr? Was ist mit Hillford?« Die Stimme, denkt Hillford, wer ist das?
»Indianer«, hört er Miller schrill sagen. »Sie haben uns über zwei Stunden gejagt – hundert oder noch mehr. Indianer, Mason, hinter uns sind Indianer. Sie haben Gewehre bekommen, wir haben es gesehen. Aus einem Wagen haben ihnen irgendwelche Schufte Gewehre gegeben.« »Was?« fragt Mason scharf und beugt sich zu Hillford herab, sieht den Pfeil und starrt dann Miller durchdringend an. »Was für ein Wagen – wo ist das gewesen?« »Am Bach, ich glaube, es muß der Rock Creek gewesen sein«, erwidert Miller keuchend. »Mann, wir haben es gesehen. Ein Wagen hat am Bach gestanden. Dort haben die Indianer Waffen bekommen. Gewehre, wir haben es gesehen. Und dann sind zwei Rote auf einmal hinter uns gewesen. Einer hat Gus mit einem Pfeil getroffen…« Masons Gesicht wird starr, er blickt über Miller hinweg nach hinten und preßt die Lippen zusammen. »Am Rock Creek? Wieviel Meilen von hier?« »Zehn bis fünfzehn, vielleicht auch siebzehn, ich weiß es nicht«, erwidert Miller und sieht sich ängstlich um. »Wir sind um unser Leben geritten, Mason. Der Wagen hat unterhalb der Bergausläufer gestanden, sicher nicht weit vom Wagenweg. Es kann vier bis fünf Meilen unterhalb der Berge gewesen sein, aber im Rock Creek – es muß der Rock Creek gewesen sein,» »Weiter!« sagt Mason fauchend. »Zu den Wagen – schnell. Wie weit haben sie euch verfolgt?« »Bis vielleicht zwei Meilen von hier. Dann sind sie auf einmal verschwunden gewesen«, sagt Miller heiser. »Sie haben Gewehre bekommen. In einer langen Reihe sind sie an den Wagen geritten, sie haben von den beiden Halunken die Gewehre herabgereicht bekommen.« Mason sagt kein Wort mehr, reitet nur scharf an und hält sich vor ihnen, bis er die Wagen erreicht hat. Später kommt er nach
vorn, sieht Bateshoe bestürzt über den Bock blicken, als der Miller erkennt. »Wer ist denn das?« fragt Bateshoe grollend. »Das ist doch dieser Würfelgauner Miller oder Hogan oder wie der Kerl sonst heißen mag. Und da – Teufel, was ist mit dem?« Er erkennt Hillford, reißt die Zügelleinen an und bringt den Wagen zum Stehen. »Du nimmst Miller auf den Bock, Hillford hinten auf den Wagen. Er hat einen Pfeil in der Seite. Hinter uns sind über hundert Indianer. Laß es dir von Miller erzählen und fange jetzt keinen Streit an. Du fährst so schnell du kannst, wir müssen versuchen, den Fluß zu erreichen. Schnell, Miller, hilf mir Hillford auf den Wagen heben.« »Danke«, sagt Hillford matt, als sie ihn oben haben. »Sie werden euch doch nicht angreifen, sie werden doch nicht…« »Fahr, Bateshoe, laß sie laufen, so schnell du kannst.« Er reitet an, jagt an den Wagen vorbei und ruft scharf, daß sie Bateshoe so schnell wie nur möglich folgen sollen. Dann erreicht er den ersten der Wagen, die Nat Pierce gehören und schwingt sich mit einem Ruck auf den Bock. Davidson, der Fahrer, blickt ihn verstört an, als Mason neben ihm ist und die Hand am Revolver hat. »Davidson«, sagt Mason grimmig. »Du fährst jetzt Jacksons Wagen – was hast du für eine Ladung?« »Das weiß ich nicht. Salz in Tonnen, einige Tonnen Salz, Draht – sieh doch selber nach, Mason. Was zum Teufel ist passiert, ist der eine Bursche verletzt, den du nach vorn gebracht hast?« »Er ist durch einen Indianerpfeil verletzt worden«, erwidert Mason kalt. »Davidson, fahr schneller, ihr habt die letzten vier Wagen – schneller. Und dann sag mir, ob sich Jackson Hunley und Pierce öfter von euch anderen entfernt haben. Los, ant-
worte, sind sie öfter allein gefahren?« »Ja, das schon, Mason. Kurze Strecken zu den Siedlungen sind sie manchmal – aber selten!« »Seit wann haben sie das getan?« »Ich sage doch, selten, Mason. Zuletzt sind sie etwa vor fünf Wochen einmal zum Indianerhändler nach Goose Creek gefahren. Warum fragst du, stimmt was nicht?« »Vielleicht, Mann!« sagt Mason hart und denkt daran, daß Pierce immer mit Jackson und Hunley zusammengesteckt hat, während die übrigen Leute mit den drei anderen weniger Fühlung hatten. »Weißt du, was auf Pierces Wagen gewesen ist?« »Salztonnen und einige Kisten mit Nägeln, glaube ich.« »Und für wen ist die Ladung bestimmt gewesen?« »Das weiß ich nicht. Meinst du, Pierce sagt uns das alles? Wir laden auf, er bestimmt, auf welchen Wagen die Sachen kommen und damit fertig. Du kennst doch Pierce. Was er mit Jackson und Hunley hat, das erfahren wir doch nie. Die drei stecken immer zusammen.« »Ja«, sagt Mason und klettert nach hinten, um mit dem Gewehr auszuholen und den Kolben auf einen der Salzfässerdeckel heruntersausen zu lassen. »Ich kenne Pierce, aber ich habe ihn nicht gut genug gekannt, Davidson. Der dreimal verdammte Schurke hat eine Ladung Gewehre und sicher auch Patronen in seinem Wagen gehabt und sie an die Indianer ausgegeben.« Der Kistendeckel fliegt in Stücke, aber es ist tatsächlich nur Utah-Salz in der Tonne. Auch in den anderen ist nichts als Salz. Davidson starrt Mason entgeistert an und bringt keinen Ton heraus, als Mason eine Tonne nach der anderen aufmacht. Dann kommt Mason nach vorn. Davidson macht den Mund auf und sagt stockheiser »Wenn das wahr ist – ich habe davon
nichts gewußt. Ich schwöre dir, Mason, davon war mir nichts bekannt. Mein Gott…« »Was ist, warum sagst du nichts mehr, Davidson?« »Die Ladung auf Nats Wagen«, sagt Davidson stockend. »Er – er hat sie mit Hunley gebracht, ehe wir das Salz geholt haben. Die Tonnen, siebenundzwanzig Tonnen, glaube ich, sind schon voll Salz gewesen. Feinsalz, ja, Feinsalz, das er aus Soda Wells geholt hat. Vorher, Mason!« »Vorher«, erwidert Mason grimmig. »Bist du sicher, daß es siebenundzwanzig dieser Tonnen gewesen sind?« »Vielleicht auch fünfundzwanzig, aber ich glaube, Hunley hat mal was von siebenundzwanzig Tonnen gesagt, für die sie extra sechzig Meilen weit fahren mußten.« »Siebenundzwanzig mal neun Gewehre«, sagt Mason voller Zorn. »Das kostet sie den Hals. Fahr weiter und dicht auf, wir haben über hundert Indianer hinter uns. Und wenn ich kein Narr bin, dann besitzen sie die modernsten Gewehre mit genug Patronen, um uns die Hölle zu bereiten!« Er springt vom Bock auf den Schecken und jagt nach hinten. Yank Mason sieht nichts hinter sich, aber dann denkt er an den Fluß und daran, daß man sie nie bis an den Fluß kommen lassen wird. Den Fluß im Rücken und das Land vor den Wagen, das könnte für einen Angriff zu schlecht sein. Man wird sie erst gar nicht an den Fluß kommen lassen, er weiß es jetzt. Mit einem Fluch nimmt er sein Pferd herum und prescht durch die Staubwolke nach vorn. Kaum hat er Bateshoe erreicht, als er die Hand hebt und scharf ruft: »Fahr scharf nach rechts, geradewegs auf den Fluß zu, Bateshoe. Wir müssen umbiegen, keine andere Chance. Am DeepCreek-Zufluß in den Schlagenfluß sind die Stromschnellen
und keine halbe Meile flußaufwärts ist die Insel. Wir müssen zur Insel, Bateshoe, herum mit den Wagen…« »Großer Gott, die Steine…« »Dann fahr über Steine«, brüllt ihm Mason zu. »Die Insel, wir müssen die Insel erreichen, sonst sind wir erledigt! Die Schurken haben mindestens zweihundertfünfzig neue Winchestergewehre und genug Patronen für die Dinger. Also los, herum mit dir.« »Gott sei meiner Seele gnädig«, sagt Bateshoe heiser auf dem Wagen und reißt an den Leinen. »Ich kenne das verdammte Ufer zu gut, es liegt zwei Meilen weit voll von Steinen und Geröll. Wenn ich langsam fahren könnte… Allmächtiger, dann hätte ich keine Angst, aber im vollen Jagen über die Steine? Der Wagen bricht in Stücke!« Er fährt und schwingt die Peitsche. Alle Wagen schwenken jetzt ein und biegen scharf nach Norden um. Zweieinhalb Meilen direkte Strecke bis zum Schlangenfluß. Und es ist nur eine Frage der Zeit, das weiß Mason, bis die Indianer merken werden, daß Masons Wagen nicht die Furt erreichen wollen, sondern abschwenken und haargenau auf den Fluß zurollen. Wenn die Indianer bereits weit links von den Wagen sind, dann können Masons Leute es schaffen, aber die Steine… Wer läßt seine Wagen über steiniges Gelände in einem Höllentempo rollen, wenn er nicht den einen oder anderen Wagen in Stücke fliegen sehen will? Mason jagt zu Landthrops Wagen, deutet nach hinten und ruft Landthrop zu: »Nach hinten, du nimmst mit Steve Wilkins das Ende. Wenn ein Wagen liegenbleibt… nehmt die Leute auf, kümmert euch nicht um die Ladung. Das ist ein Befehl, Jim. Dein Gewehr und das von Jim nehmen, Buddy, nach hinten aufpassen und schießen, wenn sie kommen. Los, zurück mit euch!«
Zwei Wagen scheren aus, hängen sich hinten an. Am Endbrett kauert der stämmige Buddy Harms und kratzt sich am Hinterkopf. Unter Harms beginnt nach knapp zehn Minuten der Wagen zu rumpeln und zu stoßen. Die Steine, denkt Buddy, oh, heiliger Vater, die Steine lassen uns die Räder wegfliegen. Sie fahren wie die Irren, weil er es gesagt hat. Und wenn er es sagt, dann hat er auch seinen Grund dazu. Oh, heiliger Vater, und ich, Buddy Harms, ich sitze ganz hinten. Ich werde sie zuerst zu sehen bekommen. Schöne Ehre, was? Aber – ich kann aus jeder Lage mit meinem Gewehr schießen und treffen. Was Buddy sieht und auf das er zielt, das trifft er auch, selbst wenn der Wagen Bocksprünge macht wie jetzt. Verdammt, meine Schulter. Er fliegt hin und her. Wann fliegt der erste Wagen mit gebrochenen Rädern auf die Steine, wann? Die Höllenfahrt geht über Stock und Stein, hart am Ufer des Deep Creek entlang. Bateshoe vorn sieht sich immer wieder um, ob auch keiner der Wagen zusammenbricht. Dann erkennt er vorn den Hügel, kommt, nun weit vom Bach wegfahrend, über ihn und sieht den Fluß. Da liegt er, breit, glitzernd und mit einem dunklen Strich in der Mitte: die Insel. Drüben sieht er die Felsen. Eine Barriere von Felsen, die das Nordufer des Schlangenflusses hier einfaßt. Das Südufer ist nur mit Steinen bedeckt, voller Wellen, voller Buckel. Hinter Bateshoe schreit Hillford, als der Wagen hart und donnernd aufkracht, nachdem er in eine Rinne gekommen ist. Das Wasser, denkt Bateshoe, hinein ins Wasser! Laß ein Teil der Ladung naß werden, wir müssen auf die Insel.
Das Wasser spritzt, der Wagen taucht bis über die Deichsel ein, Wasser quirlt zwischen den Rädern und gluckst im Kasten. Greifbar nahe ist die Insel, da ist das Ufer, da ist die schmale Landzunge, keine dreißig Schritte breit und etwa siebzig Schritt lang. Wenige Büsche, aber Sand und Geröll. Bateshoe schwingt die Peitsche, läßt die Schnur fliegen, bringt den Wagen auf die Insel, sieht sich um, fährt sofort nach links und hält erst an der anderen Seite. Die anderen kommen, Wagen um Wagen in den Fluß hinein. Aber sechs sind noch am Ufer, sechs sind noch dort, als Buddy Harms den Schrei hört und von rechts hinten Yank heranfegen sieht. »Achtung, Buddy, sie kommen!« Buddy kniet, hat das Gewehr in der Hand und blickt starr auf den Hang, auf den Hügel, über den in derselben Sekunde drei, vier Indianer in voller Karriere herunterjagen. Hinter ihnen immer mehr. Er hört ihr Geschrei, er sieht ihre Schatten und hat dann den Krach im Ohr. Kurz vor dem Wasser ist die Rinne, in die der Wagen der Youngers kommt, plötzlich zittert und dann mit Donnergetöse auf die Deichsel kracht. Die Pferde fallen, die Deichsel splittert. Owen Younger hat die Leine um den Arm gewunden und wird plötzlich nach vorn gerissen. Er schreit einmal gellend, dann prallt er auf, verliert seinen Hut, hängt an der Leine und wird zehn Schritt über das Geröll geschleift, ehe er ins Wasser kommt. Die Pferde stampfen weiter. Younger hängt an der Leine und wird durch das Wasser auf die Insel zugerissen. »Die Kinder – die Kinder!« Der alte Younger, durch den Ruck zu Boden geschleudert, rafft sich auf, nimmt die Kinder, will vorn heraus und sieht
den Mann auf dem Pferd vorn neben sich. »Die Kinder her, Younger, schnell!« In diesem Moment hört er den Schuß und dann das gellende Geschrei. Mason ist da, packt das Mädel, den Jungen, setzt sie vor sich auf das Pferd und schlingt den Arm um sie. »Auf den nächsten Wagen, Younger. lauf, Ava, auf den Wagen, schnell, klettert hinauf.« Er lenkt herum, packt Ava Younger mit der anderen Hand um die Hüfte, dreht sein Pferd, zieht sie hoch und hebt sie dann mit einem Ruck über den Kasten hinweg. Ava Younger fällt halb betäubt neben Davidson in den Wagen hinein, sieht hinten ihren Vater über das Endbrett hochsteigen und sich in den Kasten werfen. Wasser gurgelt, die Peitsche knallt. Vorn erkennt sie das Pferd und den Mann, der auf dem Pferd sitzt, durch das Wasser prescht und am Ufer auf Serge Grusenko stößt, der die Pferde Youngers abgefangen und den halb erstickten Younger hochgerissen hat. Younger schüttelt sich, bricht in die Knie, als Grusenko ihn losläßt, und sieht Mason mit den Kindern kommen. »Die Kinder – gib her, die Kinder«, ruft Serge. »Gib schnell, Serge nimmt sie weg, schnell.« Er nimmt die Kinder auf den Arm und rennt an Younger vorbei. Younger torkelt wie betrunken los und hört das Gehämmer der Schüsse. Er sieht sich um und kann den Wagen drüben als dunklen Fleck gegen den hellen Steinuferstreifen sehen. Der Wagen hält, er steht bis an die Räder im Wasser und rührt sich nicht. In den Sielen hängt ein totes Pferd. »Jim, schneide es los, schnell, Junge.« Buddy Harms kauert hinter einer Salztonne und sieht die
Plane zucken. Er schießt, eins der heranpreschenden Pferde überschlägt sich. Da liegen noch mehr, hinter denen es aufblitzt. Jim Landthrop ist vom Wagen, duckt sich und schneidet das Pferd los. In diesem Moment steigt schrill wiehernd das zweite Pferd und verschwindet im Wasser. Plötzlich ist Jim frei, er kauert vollkommen frei auf der Deichsel und macht einen wilden Satz ins Wasser. Neben ihm spritzt das Wasser hoch. Die Kugel surrt gegen die Deichsel. »Da steckt doch einer am Ufer«, sagt Jim keuchend und kniet hinter dem Rad. »Rechts – oh – Buddy, da rechts, sie sind schon am Ufer, die Burschen.« In diesem Moment kracht es von der Insel her. Dort beginnt in diesem Augenblick das Feuer der Fahrer, die den letzten Wagen hoffnungslos am anderen Ufer liegen sehen. »Runter, Buddy, komm schnell, wir müssen durchwaten.« »Erst können«, sagt Buddy von oben. »Erst mal können, dann la – la – ach!« Er taumelt, wankt und stürzt über den Bock neben Jimmy Landthrop ins Wasser. »Buddy – he, Buddy?« »Das Gewehr«, sagt Buddy stöhnend. »Jimmy, die Gewehre liegen auf dem Bock, Jimmy.« Landthrop macht einen Satz, fliegt über die Deichsel auf den Bock, sieht beide Gewehre, greift sie und spürt den Schlag am linken Arm. Dann kippt er vom Bock, kann den Arm jedoch bewegen und hält mit der einen Hand die Gewehre, mit der anderen Harms fest. »Los, komm, ducken. Wo hat es dich erwischt, Bud?« »Rechte Schulter! Verflixt, krauchen kann ich aber. Nur nicht schwimmen. Laß mich nicht los, du, ich bin sonst weg.« »Ja, in Ordnung, los, Junge.«
Sie schieben sich an den Pferden vorbei. Rechts und links im Wasser spritzen Fontänen hoch. Von der Insel her kracht es in dröhnenden, tackenden Schüssen. Weiter, das Wasser strömt, Jim stemmt sich ein, hält Buddy und die Gewehre. Es brennt an seinem Arm, das Wasser drückt ihn beinahe um. Die Insel kommt näher, da steht der erste Wagen. »Sind gleich da, was, Jimmy?« »Ja, gleich, die können uns mal, was? Die können uns! Raus mit dir, kriech, Junge.« Buddy kriecht zwischen die Räder und keucht scharf. »Das haben wir geschafft, was, Jimmy? Wenn du mich nicht durch das verdammte Wasser – Jimmy…« Er sieht sich um, kein Jimmy ist da. Jimmy liegt am Ufer, die Gewehre neben sich, die eine Hand vor dem Kopf. »Jimmy«, sagt Bud Harms japsend. »Jimmy!« »Wo willst du hin, du Narr?« brüllt einer, »laß ihn liegen, laß ihn… Narr, bleib hier!« Hierbleiben, denkt Buddy, und Jimmy liegt da, die Beine im Wasser. Nein, Jimmy muß ich holen. Er kriecht, er hört das Singen einer Kugel. Die Schulter scheint ein Vulkan zu sein, aber Jimmy muß hinter den Wagen, Jimmy muß doch da fort! Er hat ihn, zerrt ihn, hört das Jaulen, zieht Jimmy weiter und ist endlich unter dem Wagen hinter einer Kiste. »He, Jimmy, Jimmy, Junge.« Jimmy atmet, Jimmy sagt bloß nichts. Jimmy hat hinten ein Loch in der Weste. Und Buddy denkt nicht an seine eigene Schulter, sondern nur an seinen Jimmy, der verbunden werden muß. »Hört auf«, kommt Masons Stimme über den Lärm hinweg. »Bud - Jim, alles heil?«
»Hier«, ruft Buddy Harms heiser. »Jimmy hat ein Loch, ich auch, aber nicht schlimm, denke ich. Wir sind da. Yank, die kommen bald von zwei Seiten.« Es ist jäh still geworden. Kein Schuß fällt mehr. Männer laufen, Kisten poltern, Schaufeln klirren. Ein Kind weint irgendwo bei den Daytons, der Auswandererfamilie, die mit sieben Kindern gesegnet ist. »Gebt Serge Kind, dann Serge schaukeln.« Mason geht hinter den Wagen durch und läßt dann den einen Wagen weiter nach links schieben, so daß sich auch die letzte Lücke schließt. Jetzt stehen die Wagen alle in einem Kreis auf der Insel, zwischen ihnen sind die Pferde. In der Mitte läßt Mason Kisten und Endbretter der Wagen zu einem Viereck zusammenstellen und von oben abdecken. »Die Frauen und Kinder alle in das Viereck«, bestimmt er ruhig. »Es wird nicht lange dauern, dann greifen sie uns an. Sie werden weiter oberhalb der Schnellen über den Fluß setzen und uns dann von zwei Seiten packen. Steve, Serge, Davidson, nehmt euch Beile und schlagt die Büsche um, werft sie ins Wasser, wir müssen Sicht nach allen Seiten haben. Jeder Mann lädt sein Gewehr nach und sieht auch nach seinen Revolvern. Außer Bud und Jim jemand verletzt?« »Ich«, meldet sich einer der Auswanderer. »Ich habe einen Streifschuß am Arm, Mason, nichts Schlimmes. Mason, ist es wahr, daß Pierce den Indianern Gewehre geliefert hat?« »Ja«, erwidert Mason kurz. »Der Wagen ist wahrscheinlich mit Absicht von Pierce und Hunley zu Bruch gefahren worden. Ich denke, Pierce hat die Mutter selber entfernen lassen. Solange er ruhig fuhr und der Wagen nicht sprang, konnte der Bolzen sich nicht lösen. Der Bolzen ist in dem Augenblick herausgeflogen, in dem Pierce über die Bodenrinne jagte. Er wird sich das vorher genau ausgerechnet haben. Jetzt kann er nicht
mehr zurück, er wird bei den Indianern sein und sie veranlassen, uns anzugreifen. Die Indianer sind närrisch genug zu glauben, daß sie uns mit den neuen Gewehren besiegen können.« »Dann besteht also kaum Gefahr für uns?« erkundigt sich einer der Männer, nachdem das wütende Gemurmel, das Pierce und seinen beiden schurkischen Freunden gilt, abgeklungen ist. »Kaum«, antwortet Mason knapp. »Der Wind steht zwar ungünstig für uns, man kann in der Hagerman Station nichts von den Schüssen hören, aber die nächste Kolonne wird uns hören und kommen.« »Ja«, sagt ein anderer Mann heiser. »Aber die Indianer können auch Verstärkung bekommen, Mason, hast du daran gedacht? Was ist, wenn sie mit mehreren hundert Mann angreifen?« »Das wird kaum vor dem Morgen der Fall sein. Sie werden nicht so schnell Verstärkungen erhalten«, gibt Yank zurück. »Eine halbe Stunde haben wir bestimmt Ruhe, dann kommen sie, aber sie werden sich nichts als blutige Köpfe holen. Und am Tag – wir haben immer noch die Chance, daß sich der Wind dreht oder eine Patrouille kommt, die uns dann nach der Station begleitet. Keine Angst, Leute, ich halte unsere Lage nicht für besonders gefährlich. Frauen und Kinder im Viereck? Gut, Leute, macht kein Feuer!« Er geht los, um weitere Anweisungen zu geben. Sein Blick wandert über die Felsen drüben am Nordufer, die nicht mehr als hundertzwanzig Schritt entfernt sind. Zweihundertfünfzig neue Gewehre, denkt Mason bitter, das wird die Indianer verrückt genug machen, um uns hier immer wieder anzugreifen. Dazu kommt, daß Pierce und seine beiden Halunken bei ihnen sind. Pierce wird ihnen erzählen, daß sie
uns schlagen können. Er wird ihren Mut stärken und sie immer mehr aufwiegeln. Dieser Schuft, ich sollte davonschwimmen und ihn mir greifen. Wenn der Bursche flüchtet, dann werde ich ihn verfolgen, so weit er auch immer rennt. Zweihundertfünfzig Gewehre. Für über hundert Indianer. Sie haben die Gewehre fortschaffen wollen, auf die Waffen warten andere. Was ist, denkt Mason – und nichts von seinen Gedanken hat er laut geäußert – was ist, wenn sie nun in der Nähe sind, wenn sie schon Nachricht haben und kommen alle her? In vier Stunden könnten wir vielleicht dreihundert oder auch vierhundert Shoshonen hier haben, fast alle mit Gewehren ausgerüstet. Dreihundert würden wir nur dann aufhalten können, wenn wir jeder zwei Gewehre hätten. Vierhundert werden uns beim ersten Ansturm überrennen. Großer Gott, hoffentlich waren die Indianer allein. Waren sie es nicht, dann ist es unser Tod. Er weiß es nicht, daß über vierhundert Indianer unterwegs sind. Über sechshundert sind es. Und sie kommen! * Es gibt unter Männern oft einen, der sich durch nichts hervortut, der zu unauffällig wirkt, um von anderen bemerkt zu werden. Es kann diesem Mann so ergehen, daß er selbst über ein langes Leben vergessen hat, wie er vor vielen Jahren einmal gewesen ist. Plötzlich aber, in irgendeiner Situation, fallen ihm die Dinge seiner Jugend ein.
In jener Stunde weit nach Mitternacht, die ruhig wie die anderen geblieben ist, kommt die Erinnerung über einen Mann. Der Mann heißt Abraham Rogers. Er ist kein großer Mann, er ist eher klein und mager, ein Mann, der nicht auffällt. Es ist aber seltsam, daß Abraham Rogers sich jetzt, nach vielen Jahren, an seine Jugend in den mächtigen, tiefen und dunklen Wäldern jenes Kentucky-Landes erinnert, die er einmal durchstreift hat. Die Erinnerung kommt in dem Augenblick, als Abraham Rogers das Gewehr bei einem der Männer sieht, ein langläufiges Kentucky-Gewehr. Wenig später hat Abraham Rogers das Gewehr in der Hand und streicht über seinen langen Lauf. »Nah?« fragt Yank Mason hinter ihm, dem die verdammte Stille so wenig wie all den anderen gefällt. »Abe, ein uraltes Modell, wie?« »Hm«, macht Old Abe Rogers. »Weißt du, Mason, ich hab' mal so ein Ding besessen, es ist sehr lange her, Kentucky, meine Heimat. Damals konnte ich schießen. Ich habe auf hundert Schritt einen Knopf getroffen.« »Na, na, Abe.« »Ist wahr«, sagt Abe ruhig. »Ich hab's gekonnt.« In diesem Augenblick – wie der Zufall es will – sagt Owen Younger heiser »Mason, ich glaube, sie kriechen an unseren Wagen heran. Viel ist nicht zu sehen, ich bin aber sicher, ich habe Schatten entdeckt. Soll ich schießen?« »Du triffst doch nicht«, brummt Mason. »Spar die Patronen, diese Ruhe. Ich bin sicher, die Burschen haben irgend etwas vor. In einer Stunde wird es hell – ihre Zeit, wie?« »Wenn sie den Wagen anstecken, Mason«, sagt Younger gepreßt. »Meine Nähmaschine, meine Stoffe… Ich habe doch was gesehen.«
»Ja«, sagt Old Rogers. »Da kriechen zwei!« »Was, du siehst sie?« »Ja«, erwidert Rogers knapp. »Ich sehe sie. He, habt ihr Zündhütchen für die Flinte hier?« »Ha«, antwortet der Mann, dem die Flinte gehört. »Alter, sage bloß, daß du schießen willst? Ich habe das alte Ding seit Jahren nicht mehr benutzt. Da hast du alles, Pulver, Kugeln und Zündhütchen, ist alles in dem Kasten hier.« Old Rogers lädt das Gewehr, stellt sich an den Wagen, legt das Monstrum von Langlaufflinte auf eine Radspeiche und zielt. Fast alle Männer blicken auf das andere Ufer. Sie sehen zwar irgendeinen Schatten, aber mehr auch nicht. Im nächsten Moment gibt es einen brüllenden Krach. Drüben schnellt ein Schatten vom Boden hoch, ein zweiter springt im Zickzack davon und Old Rogers sagt langsam: »Das Gewehr ist gut, mein Freund.« Mason starrt ihn mit offenem Mund an. Die anderen sehen jetzt deutlich den drüben auf dem hellen Steingeröll liegenden Schatten, der aus der Bodenrinne hochgeschnellt ist. »Mann«, sagt Bateshoe heiser. »Hast du Augen. In deinem Alter hast du den Burschen gesehen?« »Nur seine Schulter«, brummt Abe Rogers. »Mein Großvater ist zweiundneunzig Jahre alt geworden und hat nie eine Brille benötigt, ich habe die Augen wohl von ihm geerbt. Dann wollen wir sie mal wieder laden. Wer weiß, was sie an deinem Wagen gewollt haben, Younger. Vielleicht kriecht wieder einer hin.« Es dauert wirklich keine Viertelstunde, dann sagt der Alte langsam: »Ich glaube, da kommt wieder einer. Diesmal versuchen sie es von der anderen Seite. Er kriecht hinter den Steinen, seht ihr
ihn?« Mason, der immer geglaubt hat, besonders scharfe Augen zu besitzen, erkennt nur einen schwachen Fleck, der an den Steinen verschwindet. Es sieht aus, als würde ein Stein Schatten werfen. »Mit dem Bein«, brummt der alte Rogers und hat die Flinte wieder auf der Radspeiche liegen, »Ist er noch nicht weg. Du wirst gleich…« »Rumms!« Drüben ertönt ein gellender Schrei, der Schatten taucht hinter dem Felsen auf und ist dann fort. »Er kriecht zurück«, meint der Alte. »Sie werden es bestimmt nicht mehr versuchen, denke ich.« »Großvater«, stottert Bateshoe sprachlos. »Warum hast du davon nie etwas gesagt?« »Man vergißt viel, wenn man alt wird, Bateshoe, wirst es auch erleben. Mein Willie, der kann auch schießen, das hat er von mir. So, ich will das Ding mal wieder laden, man kann nie wissen.« Es bleibt still, drüben rührt sich nichts mehr. Mason macht seine Runde, prüft die aufgeschaufelten Erdhaufen unter den Wagen und geht dann am Viereck vorbei, in dem Frauen und Kinder eng beieinanderliegen. »Yank, es ist so still«, sagt Ava Younger leise. »Man hört sie nicht mehr, ob sie wirklich auch drüben sind?« »Bestimmt«, sagt er ruhig, »Sie werden mit der Sonne kommen, das tun sie gern. Nur ruhig bleiben, wir halten sie schon auf.« Wir halten sie auf, denkt er, als er weitergeht. Ich lüge, ich weiß, daß wir sie nicht aufhalten werden. Diese Ruhe kann nur eines bedeuten: Sie sind stärker geworden, sie sind so zahlreich, daß sie uns überrennen werden. Ihr Warten kann
nur einen einzigen Grund haben: Verstärkungen sind unterwegs und halten die, die hier sind, von einem Angriff ab. Umsonst greift auch der Indianer nicht an, wenn er eine bessere Chance sieht. Drüben in den Büschen beginnen die Vögel zu singen. Der Himmel wird grau, das Licht kommt aus dem Osten heraufgezogen, »Jeder Mann auf seinen Platz«, sagt Mason laut. »Nicht schießen, bevor sie nicht im Wasser sind. In zehn Minuten ist es hell genug.« Er kauert sich hin, legt sein Gewehr griffbereit vor sich und blickt auf den alten Rogers links und die Youngers rechts. Vor ihm ist das Südufer. Dort steht der eine Wagen im Wasser, der andere liegt leicht schief etwa fünfzehn Schritt vor dem Uferrand. Niemand spricht, sie schweigen und blicken auf die immer deutlicher heraustretenden Umrisse der Felsen und Hügel an den Ufern. Die Büsche werden sichtbar, Felsen verändern ihre Farbe, werden grau, dann rostrot und endlich immer heller. Man kann jetzt schon die Furchen sehen, die die Wagen hinterlassen haben. Der Himmel wird feuerrot. Die Röte streicht in hellen bis purpurnen Farben von Ost nach West. Überall singen die Vögel. Ein friedlicher, schöner Morgen. »Klick«, macht es von Bateshoe her, und die Stimme von Wilkins sagt heiser: »Du brauchst den Revolver nicht, Bateshoe, so nahe kommen sie niemals.« Mason zieht den Kopf leicht ein und schweigt. So nahe kommen sie niemals? Das Licht ist da, die Wellen glitzern, über den Fluß streicht der Morgenwind. Eine Plane knallt leise, ein Kind sagt im Schlaf irgend etwas. Die Sonne, denkt Mason, gleich wird sie über die Hügel
kommen, gleich wird… Er zuckt zusammen und erstarrt danach vollkommen. Seine Hand umklammert das Gewehr… Zuerst kommt das Schnauben eines Pferdes, dann das Tacken von Hufen. Er fährt jetzt herum, blickt auf die Felsen und sieht sie dort auftauchen. Pferd neben Pferd, es werden immer mehr. Hundert, denkt Mason – hundertfünfzig – zweihundert… Auf dem Hügel drüben stehen sie, reiten auseinander und bilden eine lange Linie. Es sind nicht hundert, auch keine hundertfünfzig. Es sind dreihundert oder mehr, die auf dem Südhügel jenseits des Flusses halten. »Mein Gott«, sagt jemand tonlos in den Morgen hinein. Und noch einmal: »Mein Gott.« Sie zeigen sich, sie sind da und wissen, daß sie zu viele für das Häuflein Weißer auf der Insel sind. Ihr Anblick verbreitet Furcht, auch das wissen sie. Er erzeugt Angst und Schrecken, er ist fähig, Männer zu lähmen und Entsetzen hervorzurufen. »Sie bringen uns um, sie bringen uns um!« »Halte den Mund, Miller!« sagt Mason scharf. »Noch ist es nicht heraus, ob sie das schaffen. Fertig machen, sie werden jeden Augenblick…« Er sieht den einen Mann sein Gewehr hochreißen und die Wolke über dem Gewehr. Dann peitscht der Schuß über den Fluß, bricht sich an den Felsen, tönt zurück und vermischt sich im Moment darauf mit dem gellenden, wilden Geschrei. »Sie kommen!« brüllt Mason, »Achtung – sie kommen.« Er weiß, daß seine Stimme nicht bis zum letzten Wagen reichen wird. Die Stimme geht im gellenden Geschrei unter, im Donnern der Hufe. Da kommen sie, stieben die Hügel herab, preschen von den Felsen und rasen auf das Wasser zu.
Mason dreht sich etwas, liegt mehr auf der linken Brustseite und sieht über den Lauf des Gewehres hinweg auf die Pferde, die wie eine Woge über den Hügel stürmen und in das Wasser fegen. In derselben Sekunde reißt er den Abzugshahn durch und hört das Krachen neben sich. Das Wasser kocht, Pferde stürzen, andere stürmen vorbei, einige stürzen, aber die Masse kommt unaufhaltsam weiter. Sie kommt, sie jagt durch den Fluß, dessen Wellen hochspritzen. Pulverqualm wogt zwischen den Wagen, Wind zerfetzt die Schleier. Und Wölkchen an Wölkchen steht über den Pferden, die unaufhaltsam näher kommen. Dort verschwindet ein Pferd, drüben wieder eins, aber es ist, als füllten die Lücken sich blitzschnell auf. Das Gehämmer der Gewehre steigert sich, aber – umsonst, denkt Mason, alles umsonst. Er sieht sie immer größer werden, er sieht die ersten Pferde jetzt durch die tiefsten Stellen des Flußbettes jagen und seichteres Wasser gewinnen. Aus, denkt er bitter, hier – auf dieser Insel. Und er schießt, er läßt das Gewehr fallen, greift zum Revolver, denn er hat sie jetzt keine dreißig Schritt mehr vor sich. Irgendwo schreit jemand spitz und hoch. Ein Gewehr, zwei, ein halbes Dutzend sind leergefeuert. Er hat die Angstrufe der Frauen im Ohr. Er muß an die Kinder denken, schießt und wirft auch den Revolver fort, reißt das Gewehr vom Boden hoch, dreht es um und sieht den ersten Mustang springen. Das Pferd fliegt hoch, ein Schuß kracht, das Pferd bricht zusammen, der Reiter springt wie eine Katze zu Boden. Zwei, drei andere hinter ihm schnellen sich ab, springen zwischen
den Wagen hindurch. Mason dreht das Gewehr, wirbelt es herum und sieht einen Mann fallen. Er stürzt sich mit vorgestrecktem Gewehr auf einen anderen, hört irgendwo einen schrillen Schrei und… Der Hieb trifft ihn, als er sich noch drehen will, den Schrei von Ava Younger in den Ohren gellen hört und nur noch den Schatten eines Shoshonen über sich erkennt. Dann trifft etwas seinen Kopf. Und während Yank Mason zu Boden stürzt, hört er das schmetternde, grelle Signal eines Horns. Aus, denkt Mason, aus. Und dann ist alles totenstill um ihn. * »Yank, Yank!« Die Stimme kommt von sehr weit her und ist ganz leise. »Yank, Junge, wach auf, Yank, hörst du mich?« Hören, denkt Mason, hören? Ich höre Bateshoe, es ist Bateshoe. »Yank, ich bin da – Bateshoe.« Es ist kühl und naß an seinem Kopf, das spürt er jetzt. Seine Beine aber sind warm, sehr warm. Jemand rüttelt ihn. »Bateshoe?« Er versucht, die Lider zu öffnen, sieht jedoch nur einen weißen dichten Nebel. Also doch, denkt Mason, da haben wir Glück gehabt, Bateshoe und ich. Sind wir nun im Himmel oder in der… Wo sind wir? »Bateshoe… Sie schütteln ihn ja wieder ohnmächtig.« Die Stimme – die Stimme? Hört sich nach Ava an. Sie ist blond, hat blaue Augen und auch sonst – na ja. Also ist sie
auch dabei. »Ich schüttele ihn ohnmächtig?« hört er Bateshoe nun schon bedeutend klarer sagen. »Lady, ohne mich würdet ihr ja gar nicht mehr da sein. Das kommt nur, weil ich ein Glückskind bin. Genau das ist es! Weil ich bei euch gewesen bin, darum habt ihr auch Glück gehabt. Wo Bateshoe ist, da gibt es kein Pech. He, laß seinen Arm in Ruhe, Steve, der ist verbunden. Siehst du, er hat sich gedreht, als dieser rote Menschenfresser ihm das Beil über den Kopf… Darum hat das Ding ihn nur am Kopf gestreift und ist dann in seinen Oberarm… Na ja, Glück muß man haben. He, Yank. mach mal die Augen auf.« »Ich sehe nichts, Bateshoe.« »Natürlich, wie kannst du auch was sehen, dir liegt ja ein nasses Tuch auf dem Gesicht, Mensch.« Da ist das Tuch weg und der Himmel über ihm. Der Himmel dreht sich leicht – oder Bateshoes Kopf, der am Himmel hängt? Das Drehen hört nach einem Augenblick auf. Er bewegt die Augen und sieht Bateshoe nun wenigstens bis zum Bauch. Hinter Bateshoe aber stehen sechs, sieben Männer und – Ava. »Oh«, sagt Mason spröde und mit Anstrengung. »Wo sind denn die…« »Hiii, du weißt doch, daß ich Glück habe, was?« fragt Bateshoe grinsend. »Sie haben uns angegriffen und zu wenig nach hinten gesehen. Wende mal den Kopf, Alter.« Er macht es und zuckt zusammen. Dort steht doch wahrhaftig der schnurrbärtige George Yates mit einigen anderen Blaujacken beisammen und sieht zu ihm auf, um etwas zu sagen und dann schnell loszugehen, genau auf ihn zu. »Hallo, Yank, knappe Sache, was? Dort drüben sind die Kompanien A und F aus dem Norden von Fort Benton. Sie haben einige Crow-Späher mitgebracht. Ohne die würden wir
wohl zu spät gekommen sein. Wir haben weiter hinten an den Tausend Quellen gehockt und sind nur langsam vorwärts gekommen, weil wir unsere Entdeckung gefürchtet haben.« »Und – die Shoshonen?« »Keine hundert sind uns entwischt«, sagt Yates zufrieden. »Die anderen haben wir gefangengenommen, der Rest wird verfolgt, Yank.« »Ah, dann sind Pierce und die anderen sicher…« »Irrtum, mein Freund. Jackson hat sich gewehrt und ist tot, die anderen haben wir. Auch den Wagen und die Tonnen haben wir gefunden. Kein Salz in den Fässern gewesen, sondern Pulver, Mann, lauter Pulver und Gewehre. Das Packzeug, der Colonel tobt.« »Colonel Scott wird sich auch wieder beruhigen, George.« »Nicht Scott, Colonel Madison aus Fort Benton ist hier. Yank, er ist ein alter, mürrischer Bursche, ein Mann wie ein Baum, aber – Junge, unter dem möchte ich wahrhaftig nicht Dienst ma… Oh, verflixt, da kommt er schon!« Der Colonel kommt auf einem Falben an den auseinandergeschobenen Wagen vorbei und wirft die Zügel einem Sergeant zu, der immer hinter ihm reitet. Der Sergeant hat einen Bart, der so steil hochgedreht ist, daß er bestimmt mit den Spitzen Fliegen aufspießen könnte. Er fängt die Zügel nicht gleich, der Colonel sieht ihn an und sagt brummig: »Sergeant Braddy, wie lange bist du jetzt bei mir und kannst immer noch nicht raten, wann ich dir die Zügel zuwerfe? Sergeant Braddy, wie lange bist du bei mir?« »Einunddreißig Jahre, Sir.« »Dann lernst du es auch nie mehr, Braddy. Hallo, Yates, wo ist der Bursche, der mir den Indianer weggeblasen hat, als der mich mit seiner Lanze… Wo ist der Mann?« »Hier«, sagt Yates stramm. »Er heißt Abraham Rogers. Dort
steht er.« Der Colonel macht einige Schritte auf den Alten zu, der sich auf das langläufige Kentucky-Gewehr stützt, und streckt dann die Hand aus. »Danke, Mr. Rogers, das nenne ich gut geschossen. Gute Augen, wie?« »Ja, Colonel!« »Braddy, nimm dir an Mr. Rogers ein Beispiel. Man muß nicht alt sein, um nicht mehr sehen zu können. Du bist zehn Jahre jünger, wette ich, aber du kannst nicht mal sehen, wenn ich dir die Zügel zuwerfe. – Yates, Verwundete… Tote?« »Corporal Meads ist tot. Die Sergeanten Evan und Worring verwundet. Winslow, Stone und Private Emmerson verwundet.« Der alte Mann mit dem alten Gewehr hebt den Kopf und sieht Captain Yates starr an. »Captain«, sagt er auf einmal – und seine Stimme zittert. »Wie – wie heißt der Private Emmerson mit – mit Vornamen?« »Weiß ich nicht«, erwidert Yates. »Die Leute sind aus Fort Benton gekommen, ich kenne sie zu wenig. He, weiß jemand, wie der Private Emmerson mit Vornamen gerufen wird?« »Ich«, meldet sich Sergeant Braddy. »Captain, er ist der beste Schütze den wir haben… Willie heißt er.« Dann reißt er die Augen auf, denn der alte Rogers wirft sein Gewehr hin, wird ganz blaß und rennt auf einmal los. Da rennt er, der alte Abe Rogers, rennt und nimmt das erste Pferd, das ihm in den Weg kommt. »Wo – wo ist er?« »Drüben bei dem einen Wagen liegen sie.« »Bei dem einen Wagen, bei dem einen…« Das Pferd springt an, rast in den Fluß, dessen Wasser hochspritzt, und jagt auf das andere Ufer zu.
»Willie«, schreit er und wird ganz blaß. »Willie… Willie!« Da sitzt Willie, sitzt am Wagenrand und sieht den alten mageren Mann auf dem großen Pferd aus dem Wasser jagen, sieht ihn abspringen und auf sich zulaufen. »Willie«, sagt der alte Mann, und sein Gesicht ist so voller Wasserspritzer, daß man nicht sehen kann, ob es nur Wasser ist oder… »Willie!« Er hat ihn gefunden, bei der Armee. Dorthin ist Willie gegangen, als er vom Herumtreiben genug hatte und sich doch nicht nach Hause traute – zur Armee. Dort dienen um diese Zeit viele, die Miller heißen und sich als Smith einschreiben lassen. Und einer von diesen ist Willie Rogers auch. Er hat ihn gefunden, seinen Willie und sitzt ganz still. Ob er ihn aber herausbekommt? Ob er ihn mitnehmen kann – mit nach Denver? Da müßte er erst den Colonel fragen und die Ablösung bezahlen, denn er kann ihn freikaufen, wenn er will. Und sicher will er! Also muß er den Colonel fragen. Der Colonel drüben sieht einen blonden radebrechenden Beute-Amerikaner erstaunt auf ein Gewehr gestützt zu dem einen Wagen humpeln und über den Fluß blicken. »Er chatt gefunden sein Willie«, sagt Serge und sein Bein schmerzt gar nicht mehr, in das ihn so ein Kerl geschossen hat. »Du, Yank, er chat gefunden, altes Großvater. Chatt er gefunden Willie bei Armee, ist Wunder, chat er Willie chatt er sein Sohn, nu' gutt, alles gutt.« »Was ist das?« fragt der Colonel scharf. »Yates, der alte Mann heißt doch Rogers… und der Private Willie Emmerson. Was ist das für eine Geschichte?« Yates sieht Mason an, der sich hingesetzt hat, um über den
Fluß nach Old Abe zu sehen. »Yank, wie hängt das zusammen?« »Das ist eine lange Geschichte«, brummt Mason. »Der Private Emmerson heißt in Wirklichkeit Rogers, er ist der Sohn vom alten Rogers und hat geglaubt, in der Gegend von Denver auf jemanden geschossen und ihn umgebracht zu haben. In Wirklichkeit ist es ein anderer gewesen, das hat sich in der Zwischenzeit herausgestellt. Der alte Abe Rogers hat seinen Jungen schon über drei Monate gesucht. Und ehrlich gesagt, George, keiner von uns hat jemals gedacht, daß er ihn finden würde Jetzt hat er ihn doch. Ein feiner Mann, der alte Abe.« Der Colonel dreht sich, sein Gesicht ist starr, und sieht Sergeant Braddy an. Der Sergeant senkt den Kopf und nagt an seinem Schnurrbart. »Sergeant«, sagt Colonel Madison heiser. »Wenn der alte Mann seinen Sohn freikaufen will, dann machen Sie das mit Captain Logan und Captain Yates. Ich möchte nicht…« »Befehl, Colonel!« Madison dreht sich, kommt auf Yank zu und bleibt vor ihm stehen. »Bei den Indianern ist ein junger Häuptling, er hat einen entsetzlich langen Namen und hat einmal einen Bären nur mit einem Messer getötet. Er sagt, er will mit Mason sprechen, mit uns nicht. Du bist Mason, der Scout?« »Ja«, sagt Mason und bewegt sich etwas, um sofort wieder den Schmerz in der Schulter zu spüren und sich an den Arm zu fassen. »Ich kenne ihn, ich werde mit ihm reden und für Sie dolmetschen, Colonel.« »Na gut, Mason, du wirst es schon richtig machen. Cummings und Yates haben mir ja genug Dinge über dich erzählt. Danach bist du ja ein halber Shoshone, was? Schmerzen?« »Es geht«, erwidert Yank ruhig. »Bateshoe, hilf mir mal hoch,
ich werde schon stehen können.« Bateshoe nickt, tritt zur Seite, um Yank am gesunden Arm zu stützen und sieht plötzlich die Hand, die seinen Weg blockiert. »Halt«, sagt der Colonel stockheiser. »Halt, Mann. Das ist doch…« Yank blickt erstaunt hoch, als der Colonel Bateshoe mit einem Ruck zur Seite schiebt und starr auf sein Handgelenk blickt. »Braddy – Braddy, komm her, schnell!« »Befehl, Sir.« Der Sergeant springt vom Pferd, kommt neben den Colonel und sieht den fragend an. »Sein Handgelenk, Braddy, sein Handgelenk.« Braddys Blick zuckt herunter, dann macht der Sergeant zwei lange Schritte auf den erstaunten Yank zu und greift nach der Kette an Yanks Handgelenk. Er dreht sie zweimal, hat den Verschluß und sitzt in der Hocke ganz still. »Braddy, was ist?« »Es – es ist die Kette, Sir.« »Mein Gott, es ist die Kette! Mason, woher – wem hast du die Kette abgenommen?« Yank blickt bestürzt zu ihm hoch. »Es ist die Kette meiner Mutter«, sagt er langsam. »Sie gab sie mir, als sie wußte, daß sie sterben mußte. Ich habe die Kette niemandem abgenommen, Colonel.« »Niemandem abgenommen«, wiederholt der Colonel verstört. »Deine Eltern… Wo ist dein Vater?« »Er war Indianerhändler und ist von Shoshonen getötet worden, nachdem ich schon Jahre von zu Hause fort war«, erwidert Yank verwundert. »Was soll das, Colonel, was ist mit der Kette!« Der Colonel schluckt einmal.
»Woher stammen deine Eltern, weißt du das?« »Aus Missouri, soviel ich weiß. Sie waren nicht meine Eltern, ich bin ihr Pflegesohn gewesen. Meine richtigen Eltern sind an den Blattern gestorben, die Masons waren mit ihnen befreundet und haben mich aufgenommen, weil meine Pflegemutter kurz vorher auch ihr Kind verloren hatte. Was ist Colonel? Sergeant – was…« Der Sergeant springt auf, faßt den Colonel am Arm, der die Augen geschlossen hat und leicht taumelt. »Sir… Sir!« »Ja, Braddy, es ist schon gut. Es ist in Ordnung. Nur so plötzlich und nach so vielen Jahren…« »Sir, soll ich ihn fragen?« »Nein, nein, Braddy! Mason, hat man dir nie den Namen deiner richtigen Eltern genannt?« »Nie«, antwortet Mason, der plötzlich ein schreckliches Gefühl bekommt. »Wenn ich gefragt habe, dann hat meine Pflegemutter geweint. Und mein Pflegevater hat dann gesagt, ich solle nicht fragen, es würde meine Mutter aufregen. Colonel, hören Sie, kennen Sie die Kette… Sie kennen sie, nicht wahr? Kannten Sie vielleicht auch – meine richtigen Eltern?« Der Colonel strafft sich, blickt an ihm vorbei und sagt dann langsam: »Weißt du, wo Boonville liegt?« »Nein, liegt es in – in Missouri?« »Es liegt in Missouri, am Missouri River. Vor achtundzwanzig Jahren fuhr eine Familie mit einem der Flußschiffe nach Kansas City, das damals nicht mehr als eine kleine Stadt war. In Boonville geschah es, daß einer Familie ein Kind abhanden kam. Das Kind spielte mit der Halskette seiner Mutter, es lief an Land und verschwand zwischen der Menge, die dort
auf die Ankunft des Schiffes wartete. Von dem Tag an blieb das Kind verschwunden. Leute wollten eine Frau gesehen haben, eine Frau in Trauerkleidern, die ein Kind auf den Armen trug. Die Eltern dieses Kindes ließen nichts unversucht, um eine Spur zu finden, aber so viel sie auch unternahmen, das Kind wurde nicht gefunden. Dieses Kind besaß eine Kette, diese hier. Auf dem Verschluß stehen die Anfangsbuchstaben und eine Zahl, der Verlobungstag der Eltern.« Es ist Yank, als bekäme der Sergeant einen Muskelkrampf, denn sein Schnurrbart zuckt immer wieder. »Ja«, sagt er heiser. »Und – das Kind bin ich? Dann – dann haben mich meine Pflegeeltern – hatten ihr eigenes Baby verloren und mich darum… Colonel, sie war die beste Mutter, die ein Kind haben konnte, sie starb nur zu früh!« »Warum sollte sie das nicht gewesen sein?« fragt der Colonel spröde. »Immerhin hat sie wohl auf ihrem Sterbelager ihr Unrecht eingesehen und dir wenigstens die Kette gegeben. Ein Wunder, daß du sie trägst.« »Kein Wunder«, antwortet Mason gepreßt. »Sie hat mich gebeten, die Kette immer zu tragen, das ist ihr letzter Wunsch gewesen. Colonel – kennen Sie meine Eltern?« Der alte Mann lächelt auf einmal und sieht ihn an. Er sagt nichts, er geht nur zwei Schritte, streckt seine Hand aus und zieht ihn dann hoch. »Ich glaube«, sagt Howard Madison mit einem Kloß in der Kehle, »wir sollten diese Kette deiner Mutter bringen, Junge, wenn dies hier alles vorbei ist. Sie lebt in Fort Benton mit einer Tochter. Dein älterer Bruder ist bei der US-Marine und im Augenblick wohl irgendwo zwischen Australien und den japanischen Inseln.« Sie stehen nebeneinander. Und wer sie sieht, der erkennt die Ähnlichkeit, ohne lange raten zu müssen, ob sie Vater und
Sohn sind. »Briederchen«, sagt Serge Grusenko nach einer Weile hinten am Wagen zu Bateshoe. »Briederchen – ist das Tott so laang und der Lebben sooo kuuurz. Gib mir Schnaaps, Briederchen Bateshoe, muß Serge sich betrinken, weil er nu' wird nie mehr farren mit uns, der Yank. Ob er wird noch mal kommen und besuchen uns – Briederchen Bateshoe?« »Der kommt, der kommt«, erwidert Bateshoe. »Weißt du, alter Bärenfänger, der vergißt uns nie, selbst wenn er nun sonstwas wird, dafür kenne ich ihn viel zu gut. Und dann… Ich wette, daß er das Younger-Mädel haben will, schon darum wird er kommen. He, du Gauner, woher weißt du überhaupt, daß ich Schnaps habe? Mensch, das weiß keiner hier. Serge, bist du das, der… Verdammter Kerl, hast du mir bei der letzten Reise den Schnaps ausgetrunken und den kläglichen Rest mit Wasser verdünnt, he?« »Verdinnt«, sagt Serge grinsend. »Was cheißt chier verdinnt? So mächtig Glick chast du auch nicht, Briederchen, daß du kannst verstäckän vorr Mansch aus Semskaja Gorodna, wo schlaffen Leute auf Offen, Schnaaps. Bei uns zu Chause man riecht Schnaaaaps auf drei Meilen. Das wird sich ändern nicht in chundert Jarre, du kannst glauben. Nu mach schnell, holl Serge-Briederchen das Schnaaps.« Bateshoe holt den Schnaps. Und dann trinken sie. Sie trinken darauf, sagt Serge, daß sie immer zusammenbleiben und »laaanges Lebben chaben.« Und darauf, daß der Yank, der eigentlich Jerry Madison heißt, zu ihnen zurückkommt, wenn er jetzt fortgeht. Und darauf, daß er Ava Younger bekommt und bloß nicht mit dem Colonel ganz verschwindet, sondern weiter seine Bullen und Pferde züchtet, um immer in ihrer Nähe zu sein, wenn
sie ihn einmal brauchen, wenn sie über die staubigen oder morastigen Wege in diesem großen Land rollen. Denn es können immer wieder Aufstände losbrechen. Es kann immer wieder einen Nat Pierce geben. Und immer wieder einen Hinterhalt wie jenen, aus dem sie über Stock und Stein gerade noch auf die Insel entwischt sind. Ob all ihre Trinksprüche sich erfüllen werden? * Die Räder donnern über die Holzbrücke am Fort, die Wagen kommen. Da kommen sie in einer Reihe, geputzt, blank die Pferde, steife Hüte haben die Fahrer auf und ihre besten Anzüge angezogen. Vorn fährt eine richtige Kutsche, auf dem Bock sitzt Bateshoe neben Serge und hat den steifen Hut fest auf den Kopf gedrückt. »Jetzt sind sie Mann und Frau«, sagt Bateshoe seufzend. »Hast du gehört, sie ist mit allem einverstanden, was er macht. Sie wird mit ihm zu seinen Bullen und Pferden gehen, sie wird nichts sagen, wenn er mal weg muß, weil irgendwo die Indianer in dieser Gegend wild geworden sind. Sie sieht zu ihm hoch wie zu einem großen Baum.« »Wie zu Großfirst«, sagt, Serge. »Ist bloßß schadde, daß alter Ziegenbart Abe Rogers nicht ist gekommen zu Hochzeit, waaas? Sitzt er bestimmt in Store in Denver, verkauft er mit Williee-Sohn Schniersenkel, Hossenträger und Handtiecher. War Ziegenbart lustig, weiß ich noch, obwohl gaanzes Jarrr vergangen. Ah, war schöner Zeit, waas, Bateshoe?« »Ja«, seufzt Bateshoe. »Ist gar nichts mehr los, kein Pierce mehr da, den haben sie – krchzzz – keine Indianer sind wild,
und Yank-Jerry hat geheiratet. Ich sage dir, Bruder Serge, so eine Frau müßte ich haben!« »Du saggen. Ich Frau deine einmalig gesehen – genug gechabt, Brieder-chen. Ich sagge – uuuhhh, da, sieh mal, da ist ja – oaaach, ist meine Ziegenbart!« Da steht er, genau vor der Station, von der die Kutsche gerade abfährt, der alte Ziegenbart Abe Rogers. Zu spät gekommen ist er, um zwei Stunden zu spät. Jetzt sieht er den Serge und den Bateshoe, die erste Kutsche und die zweite. Und hinter ihr die vielen Frachtwagen, einen hinter dem anderen, und lauter bekannte Gesichter. »Bateshoe – Serge, Jimmy, Buddy!« Nun läuft er, der alte Ziegenbart. Und was macht Bateshoe, als Serge einfach vom Bock der fahrenden Kutsche springt? Bateshoe läßt die Leinen los, springt und hat sich doch mit dem Fuß in der einen Leine verheddert. Bumms, da liegt Bateshoe neben der Kutsche, rutscht und – saust unter dem Brückengeländer durch in den Bach. Die Kutsche hält, der Schlag fliegt auf, und Yank springt heraus. »Bateshoe, Mensch, komm heraus. Seid ihr verrückt geworden, warum springt ihr denn in voller Fahrt ab?« Bateshoe ist naß wie eine Katze, deutet auf die drei dicken Steine im Bach, hat den steifen Hut in der Hand und grinst. »Sieh dir das an«, sagt er kopfschüttelnd. »Drei dicke Steine. Und nur zehn Zoll vom dicksten bin ich mit dem Kopf voran in den Bach gesaust. Wenn mein Glück nicht wäre, was? Ohne mein Glück hätte ich jetzt wenigstens eine Beule am Kopf und könnte vielleicht gar nicht mit euch bei diesem Stotterskönigstreffen eure Hochzeit feiern. Zehn Zoll von dem dicken Stein, wenn das nichts ist? Yank, ohne mein Glück würden wir ja alle
nicht mehr leben. Gibst du das zu?« »Sicher, sicher«, erwidert Yank grinsend. »Ohne dein Glück würdest du glatt vom Bock gekommen sein, wie?« »Das verstehst du nicht«, gibt Bateshoe zurück. »Zuerst habe ich Abe gesehen, dann bin ich mit dem Fuß in die Leine gekommen, die sich zu einer Schlinge unterhalb meiner Füße geformt hat. Wenn ich nicht mit dem linken Fuß zuerst, sondern gleich mit dem rechten, dann hätte ich…« »Hör auf, Mensch«, sagt Yank röchelnd. »Deine Geschichten kenne ich. Fahr weiter, wir wollen zu John und feiern. Oh, hallo, Abe, tut mir leid, wir haben gedacht, du würdest nicht kommen können.« Abe Rogers kommt heran, schüttelt zuerst der Lady die Hand, dann dem alten Madison und dessen Frau und danach Yank. »Ich muß doch kommen«, sagt er lächelnd. »Schöne Grüße von Willie und meiner Frau. Hallo, Bateshoe, was machst du da unten, du bist ja ganz naß! Hast du wieder mal Glück gehabt?« »Und was für ein Glück«, erwidert Bateshoe. »Komm auf den Bock, ich erzähle es dir, Großvater. Stell dir vor, diese Leine…« Er begrüßt ihn und klettert hinter ihm wieder auf den Bock. Und dann erzählt er ihm alles. Mit der Leine fängt es an, und mit den Steinen hört es auf. Und natürlich mit seinem sprichwörtlichen Glück. Ja, ja, so ist das, wenn einer dauernd Glück hat. ENDE