Leben im Plattenbau
Carsten Keller, Dr. phil., ist Sozialwissenschaftler und promovierte an der Humboldt-Universität ...
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Leben im Plattenbau
Carsten Keller, Dr. phil., ist Sozialwissenschaftler und promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zurzeit ist er Fellow am Fachbereich Soziologie und Sozialforschung der Universität Milano Bicocca, Italien.
Carsten Keller
Leben im Plattenbau Zur Dynamik sozialer Ausgrenzung
Campus Verlag Frankfurt/New York
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-593-37844-2 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2005 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln Umschlagmotiv: Berlin-Marzahn, Foto: Carsten Keller Druck und Bindung: PRISMA Verlagsdruckerei GmbH Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
Inhalt
Danksagung ............................................................................................................ 9 Einleitung .............................................................................................................. 11
Transformation des Plattenbaus 1. Soziales Milieu und Alltagsleben in Plattenbausiedlungen der DDR – ein fordistisches Integrationsmodell ................................. 19 Der Betrieb als Zentrum, die Siedlung als Peripherie ................................. 21 Wolfen und Eisenach: zwei industrielle Mittelstädte im Kontext ..... 23 Soziale Schichtung: Arbeitermilieus und das Programm der sozialen Mischung .................................................................................... 27 Vergabepolitik und interne Segregation ................................................ 31 Respektable Milieus im städtischen Kontext ............................................... 33 Privileg oder Arbeiterschließfach? ......................................................... 37 Kollektivierung versus Kleinfamilie oder Die Legende von Haus und Gemeinschaft .......................................... 39 Fazit: Halbierter Fordismus und Plattenbau ................................................ 44 2. Abstieg und Verinselung der Siedlungen ............................................... 46 Soziale Entmischung ....................................................................................... Entleerung ins Umland ............................................................................ Markt- und staatlich gesteuertes Auffüllen ........................................... Belegungspolitik ....................................................................................... Bilanz: Abstieg mit unterschiedlicher Intensität ..................................
48 50 52 55 57
Interne Segregation .......................................................................................... 58 Sozialräumliche Milieus: Etablierte Ältere, MigrantInnen und Arme ......................................................................... 59
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Verinselung als Geschichte von Wohnungseigentümern: Eisenach-Nord ......................................................................................... 62 Segregation nach Bebauungsalter: Wolfen-Nord ................................. 68 3. Krise des Zusammenlebens – Kampf um Respektabilität ................. 74 Wahrnehmungen des Umbruchs ................................................................... Sozialer Rückzug und Abstieg der Siedlungen ..................................... Etablierte und Außenseiter – Sichtweisen der WohnungswirtschaftlerInnen ................................................................. Statusvergleiche und Abgrenzungen – Sichtweisen der BewohnerInnen ............................................................
76 77 79 81
Bewohnertypen und Milieukonflikte ............................................................. 83 Jugendliche: Ambivalenter Ortsbezug und Cliquenbildung ............... 85 Etablierte Ältere: Biographische Bindung und Distanz ...................... 90 Arme und Prekäre: Im Zentrum der Konflikte ................................... 94 MigrantInnen: Zwischen Diskriminierung und Integration ............. 102 Kampf um Respektabilität ............................................................................ 104 Status-Legitimation durch symbolisch-kulturelle Ressourcen .......... 104 Soziokulturelle Fraktionierung in den Unterschichten ...................... 108
Soziale Exklusion und Alltagspraxis im Quartier 4. Armut und Ausgrenzung im Postfordismus ........................................ 113 Gesellschaftliche Transformation und neue Armut .................................. Diskurse über die neue Armut ............................................................. Pauperismus und die Optik staatlicher Fürsorge ............................... Die Underclass-Debatte ........................................................................
115 116 119 121
Ursachen und Dimensionen von Armut und sozialer Exklusion ........... Risikogruppen der Armut ..................................................................... Von der relativen Armut zur sozialen Exklusion ............................... Leben im Quartier ..................................................................................
123 125 127 131
5. Dynamiken sozialer Exklusion: Eine Typologie ............................... 133 Theoretische und methodische Genealogie ............................................... 134 Hauptmerkmale der Typen ........................................................................... 137
INHALT
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Multiple Deprivation ............................................................................. 138 Exklusionsdynamik und soziales Alter ................................................ 140 Lebensweltliche Portraits .............................................................................. Hängen-Bleiben ...................................................................................... Adaption an Armut ................................................................................ Isolation und Entfremdung .................................................................. Erzwungene Mobilität ...........................................................................
142 144 150 156 162
6. Alltagsstrategien und Quartierseffekte ................................................. 168 Soziale Netzwerke .......................................................................................... 170 Armut und Nachbarschaftshilfen ........................................................ 170 Kontaktverhalten und soziale Nahbeziehungen ................................ 174 Alltagsstrategien ............................................................................................. 177 Formelle versus improvisierende Strategien ....................................... 178 Lebensweltliche versus institutionelle Exklusionseffekte ................. 182 Quartierseffekte .............................................................................................. 186 Vier Mechanismen der Benachteiligung .............................................. 187 Schutzraum oder Ghetto? ..................................................................... 194 Soziale und politische Perspektiven für die Plattenbausiedlungen ..... 196 Anhang: Methode .............................................................................................. 202 Literatur ............................................................................................................... 210
Danksagung
Unter den vielen Personen, die mich von den mehrjährigen Forschungsarbeiten bis hin zur Entstehung des Buches unterstützt haben, möchte ich besonders denen danken, die Auskunft über ihre Lebensverhältnisse, Sichtweisen und Biographien gegeben haben. Die Perspektiven der Bewohnerinnen und Bewohner der untersuchten Plattenbausiedlungen stehen im Zentrum dieser Arbeit, und eines der größten Bemühen war es, mit ihren Geschichten und Ansichten respektvoll und distanziert – im Sinne eines verstehenden Zugangs – umzugehen. Dann bedanke ich mich bei den zahlreichen Personen, die mir als ExpertInnen Zugänge zur sozialen Realität der Siedlungen verschafft haben. Ohne die engagierte Kooperation einzelner unter ihnen wäre die Studie so nicht möglich gewesen. Die Neugierde an den Lebensverhältnissen und Entwicklungen in den ostdeutschen Großsiedlungen teilend, hat Olaf Groh-Samberg die empirischen Erhebungen von Anfang an mit durchgeführt. Die teilnehmenden Beobachtungen, das Wohnen in den Siedlungen, der Zugang zu den Personen und die Interviews wurden auf diese Weise zu einer gemeinsamen Erfahrung und Arbeit. In zahlreichen Diskussionen haben er und Ullrich Bauer die Arbeit bis hin zu den letzten schriftlichen Versionen kritisch verfolgt, kommentiert und inspiriert. An sie beide geht deshalb mein größter Dank. Dank bin ich zudem Hartmut Häußermann verpflichtet, der als Doktorvater die Arbeit begleitet und ihr zahlreiche Impulse gegeben hat. Auch den MitarbeiterInnen des Lehrstuhls für Stadtsoziologie an der HumboldtUniversität bin ich für Diskussionen und Unterstützung verbunden, unter ihnen besonders Christine Hannemann. Auch in Durststrecken hat sie mir mit Sachkompetenz und Ratschlägen beigestanden. Franz Schultheis schließlich hat es ermöglicht, dass ich Ergebnisse und Interviews in ein weiteres Forschungsprojekt einbringen und in einem außergewöhnlichen kooperativen Rahmen weiterentwickeln konnte. Er und sein Forscherteam haben mir entscheidende Anregungen gegeben, besonders bei der Analyse der qualitativen Daten. Last but not least geht ein großes Dankeschön an Michael Maschke für seine inhaltliche und freundschaftliche Unterstützung.
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Díe Arbeit wurde durch die komfortablen Förderbedingungen eines von der Friedrich-Ebert-Stiftung gewährten Graduiertenstipendiums ermöglicht. Mein abschließender Dank gilt meinen Eltern für ihre Unterstützung und Geduld.
erstellt von ciando
Einleitung
Die Plattenbausiedlungen gehören zu den städtebaulich charakteristischsten Hinterlassenschaften der realsozialistischen Gesellschaften. In Architektur und Masse der Siedlungen spiegeln sich die Bestrebungen, gesellschaftliche Ungleichheiten aufzuheben und einen relativ homogenen Lebensstandard für die breite Bevölkerung zu schaffen. Zugleich freilich sind die Siedlungen Ausdruck von politischem Pragmatismus und Kompromissen. Schon der durch Chruschtschow eingeleitete Kurswechsel im Städtebau, die Geburtsstunde des industriellen Wohnungsbaus in der Sowjetunion, verfolgte den Zweck, möglichst schnell viele Wohnungen herzustellen. Angesichts der extremen Wohnungsnot erschien es als untragbar, weiterhin Arbeiterpaläste für wenige zu bauen. Unter dem Leitsatz »Besser, billiger und schneller bauen« wurde dieser Kurswechsel 1955 in der DDR rasch nachvollzogen. Die Hauptphase des Plattensiedlungsbaus in der DDR setzte allerdings mit dem Machtantritt Honeckers ein. Das unter ihm verabschiedete große Wohnungsbauprogramm war Bestandteil einer Politik, die die standardisierte Massenproduktion stärker mit dem Konsumgütersektor verzahnen und den Übergang in eine fordistische Gesellschaft vollziehen wollte. Ironischer Weise geschah das zu einem Augenblick, als der Fordismus im Westen erste Risse zeigte. Die Plattenbausiedlungen, die jetzt in nie zuvor erreichter Geschwindigkeit entstanden, folgten eben diesem Integrationsmodell: Eine breite soziale Schicht, die durch Vollbeschäftigung, einen standardisierten Alltag und die Parzellierung in Kleinfamilien charakterisiert war, sollte an den Früchten des Wohlstands und der Modernität teilhaben.1 Was aber wird aus den Plattenbausiedlungen in der wiedervereinigten Gesellschaft? Welche Bedeutung und Funktion kann ihnen, in denen zu Wende-Zeiten ein Viertel der ostdeutschen Bevölkerung lebte, im flexiblen, postfordistischen Kapitalismus zukommen? Mit dem Fall der Mauer setzte eine Debatte über die ostdeutschen Großsiedlungen ein, bei der auch die unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven aus Ost und West aufeinan-
—————— 1 Das Konzept des »Fordismus« wird im ersten Kapitel genauer expliziert.
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der stießen: Eine Perspektive, die die Errungenschaft einer modernen Wohnungsversorgung für die breite Bevölkerung hervorhob, stieß auf eine Perspektive, die in den Siedlungen soziale Problemgebiete entstehen sah, zu denen sich die Großsiedlungen im Westen bereits entwickelt hatten. Die eingeschlagene Politik der Modernisierung der Siedlungen basierte dann auf dem Konsens, dass es diese sozialen Abstiege zu verhindern gelte. Doch trotz der umfangreichen Bemühungen der baulichen Aufwertung sind die randstädtischen Plattenbausiedlungen von einem sozialen Abstiegsprozess erfasst worden. Dieser Abstieg vollzieht sich in verschiedenen Stadttypen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, und auch innerhalb der Gebiete schlägt sich der Abstieg unterschiedlich nieder. Generell aber haben sich in den Siedlungen sozialräumliche Milieus herausgebildet, in denen Arbeitslosigkeit, Prekarität und Armut dominieren. Die »neue Armut« ist mit der gesellschaftlichen Transformation in Ostdeutschland angekommen, und sie ist es in besonderem Maße in den randstädtischen Großwohnanlagen. Dieser Trend der Segregation der Armut hält an. Die soziale Entmischung der Siedlungen hat eine Eigendynamik entwickelt, der mit der gegenwärtigen Politik der Leerstandsbekämpfung nicht beizukommen ist. Thema dieser Arbeit sind die sozialen Entwicklungen und Ausgrenzungsprozesse in den Plattenbausiedlungen. Seit der Wende sind zahlreiche Studien zu städtebaulichen und architektonischen Aspekten der Siedlungen entstanden. Dagegen existieren kaum Arbeiten, die sich mit der sozialen Entwicklung, dem Alltagsleben und Bewohnerperspektiven beschäftigen. Selbst wenn man die in den letzten Jahren im Rahmen des Bund-LänderProgramms »Soziale Stadt« entstandenen Untersuchungen zusammenzählt, übertrifft das Wissen, das über Plattenbautypen, Grundrisse, über den Leerstand oder Sanierungsformen existiert, bei Weitem das über die sozialen Entwicklungen und Verhältnisse.2 Welche sozialen Milieus und Bewohnergruppen leben in den Plattenbausiedlungen? Wie sehen diese das Leben in der Platte, und wie verhalten sie sich gegenüber dem sozialen Abstieg? Welchen Einfluss hat die Segregation auf die Alltagspraktiken und Netzwerke der BewohnerInnen, und üben die Gebiete exkludierende Effekte aus? Wie beeinflusst schließlich der soziale Wandel die weiteren Perspektiven der Siedlungen? Diese Fragen leiteten eine
—————— 2 Zu einem Überblick über die Literatur bis 1997 vgl. Rietdorf (1997). Besonders im Rahmen des Programms »Stadtumbau Ost« sind inzwischen zahlreiche weitere Studien und Broschüren entstanden. An sozialwissenschaftlichen Studien, die sich auch mit den sozialen Entwicklungen in den Plattenbausiedlungen beschäftigen, sind die von Harth/Herlyn/Scheller (1998), Hunger/Wallraf (1998), Hannemann (2000) und Kahl (2003) zu nennen. Zum BundLänder-Programm »Soziale Stadt« vgl. Walther (2001) und DIfU (2002a).
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empirische Untersuchung an, die in den randstädtischen Siedlungen zweier Mittelstädte, Eisenach und Wolfen, durchgeführt wurde. Die Auswahl fiel auf Mittelstädte, da sie durch ihren hohen Anteil an industriellem Siedlungsbau einen besonderen Stadttyp bilden, und da in ihnen die Siedlungen Vorreiter des sozialen Abstiegs sind. In drei Wellen wurden ExpertInnen und BewohnerInnen befragt: 1997 in Eisenach, 2001 in Wolfen und 2003 noch einmal in Eisenach. Unter der Annahme, dass arme und materiell prekäre Haushalte besonders von benachteiligenden Effekten der Quartiere getroffen werden, wurden zwei Drittel materiell deprivierte im Vergleich zu einem Drittel materiell gesicherten Haushalten interviewt. Die qualitativen Befragungen wurden jeweils im Rahmen mehrwöchiger Aufenthalte in den Siedlungen durchgeführt und durch teilnehmende sowie nicht-teilnehmende Beobachtungen ergänzt. Darüber hinaus wurden Strukturdaten zu den beiden Siedlungen gesammelt. Die Ergebnisse dieser soziographischen Studie, bei der 81 Haushalte zu Sichtweisen, Lebenslagen, Alltagsstrategien und biographischen Verläufen sowie 77 ExpertInnen befragt wurden, stehen im Zentrum dieser Arbeit. Anhand von Studien und Expertengesprächen zur Entwicklung weiterer Plattenbausiedlungen werden die beiden Fallstudien kontextualisiert und vergleichend beurteilt. Als Dynamiken der sozialen Exklusion werden Prozesse beschrieben, bei denen ökonomische Armut mit Deprivationen in der sozialen und kulturellen Dimension zusammen wirken. Solche Exklusionsdynamiken konnten bei etwa einem Viertel der interviewten Haushalte festgestellt werden. Die lebensweltliche Portraitierung und typologische Differenzierung sozialer Exklusion bildet einen Schwerpunkt der Arbeit. Es wird gezeigt, wie neben den ökonomischen Ressourcen auch die sozialen Netzwerke und Alltagsstrategien der BewohnerInnen sowie die kulturellen Abgrenzungen und Statuskämpfe zu biographischen Flugbahnen der Exklusion beitragen. Damit soll die anhaltende theoretische Diskussion um das Exklusionskonzept empirisch unterfüttert und diese Diskussion auf empirischer Basis weiterentwickelt werden. Wesentliche Merkmale des Samples sowie methodische Verfahren werden im Verlauf der Arbeit dargestellt. Eine Beschreibung der Feldarbeit und der Auswertung findet sich im Anhang, wo auch die Leitfäden und das Auswahlverfahren erläutert werden. Methodisch ist lediglich vorwegzuschicken, dass die ökonomische Armutsgrenze bei 50 Prozent des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens anlegt und gesamtdeutsche Durchschnittseinkommen
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zu Grunde gelegt werden. 3 Als materiell prekär werden in Anschluss an Hübinger (1996) Haushalte bezeichnet, die zwischen 50 und einschließlich 75 Prozent des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens zur Verfügung haben.
Zum Aufbau der Arbeit Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile. In einem ersten Teil wird die Transformation der Plattenbausiedlungen seit der Wende beschrieben (Kapitel 1–3). Die These ist, dass sich die Siedlungen von fordistisch integrierten zu intern segregierten Quartieren entwickeln, in denen sich sozialräumliche Milieus von etablierten Älteren und benachteiligte Milieus von Armen, Prekären und MigrantInnen herausbilden. Mit diesem Prozess des Abstiegs und der internen Segregation einher geht eine Krise des Zusammenlebens: Abgrenzungen und Kämpfe um Respektabilität in den unteren sozialen Schichten entwickeln in den Siedlungen eine besondere Intensität. Zunächst wird das fordistische Integrationsmodell der Plattenbausiedlungen in der DDR rekonstruiert (Kap. 1). Anspruch und Wirklichkeit des realsozialistischen Systems lagen in den stets als Fortschritt gepriesenen Neubaugebieten dicht beieinander, und die Rekonstruktion beleuchtet beides, um Widersprüche herauszuarbeiten. Dabei zeigt sich, dass die These einer ehemals hohen sozialen Mischung in den Gebieten relativiert werden muss. Die wesentliche Errungenschaft des industriellen Siedlungsbaus bestand darin, einfache und qualifizierte Arbeitermilieus in eine sozialistische Mittelschicht integriert und respektable Milieus geschaffen zu haben, die einen Status materieller Sicherheit sowie sozialer und kultureller Einbindung genossen. Anschließend wird der Prozess des Abstiegs und der internen Segregation seit der Wende beschrieben (Kap. 2). Es sind vor allem makrosoziale Ursachen, die den generellen Abstiegstrend der Plattenbausiedlungen bedingen. Allerdings beeinflussen kommunale Faktoren wie die Eigentümerstruktur und die Intervention der städtischen Akteure die Formen der internen Segregation. Die sich mit der internen Segregation bildenden sozialräumlichen Milieus werden im dritten Kapitel portraitiert (Kap. 3). Neben ihren Sichtweisen und Bezügen zu den Siedlungen werden die Krise des Zusammenlebens und die symbolischen Abgrenzungen und Aneignungen der Siedlungswelt in den Vor-
—————— 3 Verwendet werden arithmetische Mittelwerte, und die Haushaltsbedarfe werden nach der neuen BSHG-Skala gewichtet. Vgl. zur Armutsmessung und Armutskonzepten Becker/ Hauser (1997) und Andreß (1999).
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dergrund der Betrachtung gestellt. Die Konflikte lassen sich als ein Kampf um Respektabilität interpretieren, als ein symbolisch überformter Statuskampf, bei dem Distinktionen und Fraktionierungen in den unteren sozialen Schichten aufbrechen, die durch die fordistische Integration gerade überwunden werden sollten. Die Darstellung der Kämpfe um Respektabilität bilden den Übergang zum zweiten Teil, in dem die soziale Exklusion und Alltagspraktiken der BewohnerInnen untersucht werden (Kapitel 4–6). Im Zentrum steht hier die These, dass die Siedlungen exkludierende Effekte ausüben, die zwar keineswegs alle, aber doch bestimmte Bewohnergruppen treffen. Diese Gruppen bestehen primär aus statusschwachen und sozial abgestiegenen Haushalten. Darüber hinaus sind Personen mit fragilen sozialen Nahbeziehungen und einseitig »formellen« oder »improvisierenden« Alltagsstrategien für negative Quartierseffekte anfällig. Soziale Exklusion bedeutet dabei nicht allein eine materielle Armut und Deprivation, sondern sie liegt bei Haushalten vor, die in materieller, sozialer und kultureller Hinsicht, also mehrdimensional, benachteiligt sind. In einem einleitenden Kapitel wird die international verzögerte Entstehung der »neuen Armut« und sozialen Exklusion in Ostdeutschland zum Anlass genommen, die Diskurse über die im Westen bereits seit den 70er Jahren wachsende Armut und deren Ursachen zu rekapitulieren (Kap. 4). Armut ist im Postfordismus zu einem strukturellen und kollektiven, wesentlich durch die kapitalistischen Arbeitsmärkte verursachten Phänomen geworden. Auch in Ostdeutschland stellt sie keine Übergangserscheinung der Transformation dar. Bemerkenswert ist an den Diskursen über die neue Armut gleichwohl, dass besonders die Heterogenität, Individualisierung und das Vorübergehende der Armut hervorgehoben werden. Diese Sichtweise, so wird anhand eines historischen Exkurses gezeigt, korrespondiert einer sozialstaatlichen Optik auf Armut, die in der postfordistischen Ära die Debatten um Armut und Exklusion nachhaltig prägt. Die anschließenden beiden Kapitel stellen die Ergebnisse der empirischen Erhebungen dar. Zunächst wird eine Typologie entwickelt, die Formen und Dynamiken sozialer Exklusion bei unterschiedlichen Bewohnergruppen fokussiert (Kap. 5). Anhand der portraitierten Typen wird deutlich, wie sich soziale Exklusion im Plattenbau lebensweltlich darstellt. Die Typologie dient im Weiteren als Analyseinstrument, um herauszuarbeiten, auf welche Weise das Quartier negativ in die soziale Laufbahn der BewohnerInnen interveniert. Auf ihrer Grundlage stellt das letzte Kapitel die Ergebnisse zu den Netzwerken und den Alltagsstrategien vor und untersucht deren Zusammenwirken mit den Quartierseffekten (Kap. 6). Dabei zeigt sich, dass die Netzwerke zwischen den
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BewohnerInnen einerseits eine positive Rolle bei der Armutsbewältigung spielen, andererseits bei einer bestimmten Qualität jedoch für soziale Exklusion anfällig machen. Bezüglich der Alltagsstrategien sind die BewohnerInnen mit einem Dilemma konfrontiert, dem sie nur durch ein situationsgerechtes Umstellen zwischen verschiedenen Handlungsstrategien entgehen können. Während sie bei bestimmten – formellen – Strategien Gefahr laufen, im lebensweltlichen Kontext des Quartiers ausgegrenzt zu werden, verlieren sie bei einer ausschließlichen Übernahme von als improvisierend bezeichneten Alltagspraktiken den Anschluss an die gesellschaftliche Integration. Abschließend werden vier Mechanismen der Benachteiligung identifiziert, die von den Siedlungen ausgehen. Dabei gehen negative Effekte vom Quartier nicht nur als einem lebensweltlichen Kontext aus, sondern ein wichtiger Mechanismus der Benachteiligung besteht auch in der institutionellen Diskriminierung, die sich mit dem Quartier verbindet. Den Charakter eines Schutzraumes für die Armen und Ausgegrenzten verlieren die Plattenbausiedlungen durch die anhaltende Verschärfung der Segregation, die auch intern die Quartiere spaltet, zunehmend. Bestehende Solidaritäten in den benachteiligten Milieus werden gerade auch durch die sich fortsetzende Sozialpolitik der Leistungskürzung und des Zwangs zur Annahme von Niedriglohnjobs aufgerieben und die Kämpfe um Respektabilität angeheizt. Der Trend weist in Richtung einer Ghettoisierung, wenn den Siedlungen nicht eine soziale Perspektive geschaffen wird, die jenseits eines bloßen Wohnsegments für untere soziale Schichten liegt. Auf der Folie dieser Diagnose wird im Schlussteil diskutiert, welche sozialen und politischen Entwicklungsperspektiven für die Plattenbausiedlungen bestehen.
Transformation des Plattenbaus
1. Soziales Milieu und Alltagsleben in Plattenbausiedlungen der DDR – ein fordistisches Integrationsmodell
»Aber das Zusammenleben selber müssen síe sich so vorstellen (...): meistens unten rechts eine Zweiraumwohnung und alles andere Dreiraumwohnungen drüber weg. Unten rechts wohnte eine Oma, die zu Hause blieb, und alle anderen sind im Berufsleben gewesen. Die sind also früh morgens, ich sage um halb sieben war Arbeitsbeginn, da standen die Muttis mit den kleinen Kindern um sechse an der Kindergrippe – und haben die 16 Uhr 30, 17 Uhr wieder abgeholt. Die sind also früh morgens geschlossen ausgerückt, geschlossen ausgerückt, sind überall ihrer Arbeit nachgegangen, und sind zum Feierabend alle wieder eingeflogen. Da waren die froh, dass die Oma unten rechts aufgepasst hat, dass da alles seine Ordnung hat. Da hatten die auch keine Probleme mit den Nachbarschaften oder sonst was. Die haben ihre Kinder versorgt, die haben Abendbrot gegessen, 18 Uhr waren die Läden hier überall zu, also mussten sie sich noch beeilen, die Versorgung zu sichern. Ja gut, dann waren vielleicht Mutti und Vati noch ein bisschen aktiv, ja. Aber dann war eben 22 Uhr Ruhe, die meisten ham eben ganz normal sich zur Nacht begeben und sind früh morgens wieder raus. Und da war nicht viel so mit Krach und irgendwer ist zu Hause und der macht hier die Nacht zum Tage oder irgendwie, das gab’s hier nicht.« (WN01-E-5)4
Mit diesen Worten schildert der langjährige Angestellte einer Wohnungsbaugesellschaft in Wolfen-Nord den Alltag, wie er sich in der Siedlung, die vor der Wende 32.000 BewohnerInnen zählte, abgespielt hat. Zusammenleben und Alltag folgten einem kollektiven, betrieblich taktierten Rhythmus, die Struktur der Bewohnerschaft spiegelte eine in Belegungskriterien und Architektur festgeschriebene Normierung, und die kulturellen sowie materiellen Standards waren für die BewohnerInnen relativ homogen. Das Funktionieren der Plattenbausiedlungen in der DDR wurde durch verschiedene Elemente gewährleistet, die zusammen ein bestimmtes soziokulturelles Integrationsmodell formten. Drei Elemente lassen sich unterscheiden: die funktionalistische Ausrichtung des Wohnens auf standardisierte Erwerbsarbeit in großen Betrieben und Verwaltungen, die Etablierung einer aufsteigenden, respektablen Mittelschicht und die Kollektivierung von Kleinfamilien. Mit diesen Elementen
—————— 4 Die Kodierung der Experteninterviews beinhaltet die Erhebungswelle und eine Nummerierung der Interviews (WN01 = Wolfen-Nord 2001 + E = ExpertIn + Nummer).
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folgten die Plattenbausiedlungen im Kern einem fordistischen Integrationsmodell (vgl. Hannemann 1993; 2000).5 Im Unterschied zu den kapitalistischen können die realsozialistischen Gesellschaften der Nachkriegszeit zwar nur eingeschränkt fordistisch genannt werden, da die Massenproduktion in geringerem Ausmaß auf Konsum- und schwerpunktmäßig auf Investitionsgüter angewandt wurde (Maschinen, Fabriken, Energie).6 Der halbierte Fordismus des Ostens (Altvater 1992) sollte aber in der DDR mit dem Machtantritt Honeckers und dem zuvor auf Parteitagen angemahnten Übergang von einer »extensiven zu einer intensiven Akkumulation«, sprich einer Anwendung der Massenproduktion auf die Konsumgüter, überwunden werden (vgl. Merkel 1999: 43). Kernstück dieses Übergangs, den Honecker 1971 auf dem VII. Parteitag mit der Doktrin einer »Einheit von Sozial- und Wirtschaftspolitik« und dem großen Wohnungsbauprogramm verkündete, sind die seit dem in extremer Standardisierung und Masse errichteten Plattenbausiedlungen. Drei Viertel der 2,2 Millionen Wohnungen, die in der DDR bis 1989 in industrieller Bauweise entstanden sind, wurden seit 1971 produziert (BMBau 1994: 132). Im Platten- und Großsiedlungsbau hat das fordistische Paradigma des Realsozialismus gewissermaßen seine reinste Umsetzung gefunden. Im Folgenden wird das Integrationsparadigma der Plattenbausiedlungen am Beispiel von Eisenach und Wolfen rekonstruiert. Verbunden mit den Fallstudien wird ein Fokus auf die Mittelstädte der DDR. Durch ihren hohen Anteil an industriellem, betriebsbezogenem Siedlungsbau bilden die Mittelstädte einen besonderen Stadttyp. Ebenso wie die zentrale Stellung der Betriebe kommt in ihnen die hohe Standardisierung des Alltags plastisch zum Ausdruck, beides Phänomene, die abgeschwächt auch für andere Stadttypen gelten. Die analysierten Daten zeigen, dass das soziale Milieu in den Siedlungen
—————— 5 Vgl. zu den Entstehungsbedingungen des fordistischen Großsiedlungsbaus in Westdeutschland Schöller 2005. 6 Die Unterscheidung zwischen Konsumgütern und Investitionsgütern folgt hier der Terminologie von Marx, der im Kapital diese als die zwei Hauptsektoren der wirtschaftlichen Produktion definiert. Unter Konsumgüter fallen dabei nicht allein die Waren des täglichen Bedarfs, sondern alle sozialen, kulturellen und materiellen Versorgungsgüter für die Bevölkerung. In Bezug auf die Stadtentwicklung vertritt Szelenyi (1996) die These, dass das im Ostblock vorherrschende Modell einer extensiven Akkumulation, einer Vernachlässigung des Konsumgütersektors zugunsten der Investitionsgüter, um aufzuholen und zu überholen, zu einer »under-urbanization« geführt hat: Städte sind generell langsamer gewachsen, da es in ihnen einen beständigen Mangel an Versorgungsgütern – Wohnungen, sozialer und kultureller Infrastruktur, Konsumgütern des täglichen Bedarfs – gegeben hat. Zu den kulturellen Hintergründen und Konsequenzen der »sträflichen Vernachlässigung der Konsumgüterindustrie« in der DDR – unter anderem eine verbreitete Konsumkritik – vgl. Merkel 1999.
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relativ homogen war und das Programm einer hohen sozialen Mischung lediglich in einigen Großstädten realisiert werden konnte. In historischer Perspektive integrierten allerdings auch die mittelstädtischen Plattenbausiedlungen eine breite soziale Schicht. Durch die Integration einfacher Arbeitermilieus trugen sie zur Konstitution einer respektablen Mittelschicht bei, die sich ebenso von den Wohnlagen der innerstädtischen Altbauten und »Asozialen« abgrenzte, wie sie von den Privilegierten der DDR gemieden wurde. In der Verkopplung von Kollektivierung und Kleinfamilie im Plattenbau zeigt sich, wie abschließend ausgeführt wird, eine markante realsozialistische Überformung des fordistischen Paradigmas. Im Unterschied zum Westen wurden die in Kleinfamilien parzellierten Haushalte wesentlich dichter, sowie über- und nicht nebeneinander in Einfamilienhäusern aufgereiht. Damit wurde ein interner Widerspruch des Fordismus, die standardisierte Normierung individuellen Glücks (vgl. Hirsch/Roth 1986), gewissermaßen in Zement gegossen. Trotz der Wohnzufriedenheit der BewohnerInnen und einer hohen sozialen Kohäsion im Plattenbau trug dieser, als Programmpunkt einer Wohlstand versprechenden, aber zunehmend Mangel, Standardisierung und Kontrolle produzierenden Gesellschaft, mit zum Scheitern des realsozialistischen Projekts bei.
Der Betrieb als Zentrum, die Siedlung als Peripherie In Erinnerung an den Alltag vor der Wende sagt ein Meister, der sein Leben lang im Chemie-Kombinat-Bitterfeld gearbeitet hatte: »Aber wir waren wie aufgezogen. Was ham wir denn... sind früh aufgestanden, Kaffee getrunken, schnell auf Arbeit. Wir waren doch wie ein Uhrwerk, war das doch früher bei uns. Tag für Tag, wa. Das ist nicht so wie heute.« (75, m., ges., WN01-25)7
Die funktionale Bezogenheit der Siedlung Wolfen-Nord auf ein sich zwischen Wolfen und Bitterfeld erstreckendes Industrierevier, wo in zwei Großbetrieben – dem Chemiekombinat CKB und der Filmfabrik ORWO –, dem Braunkohletagebau und diversen kleineren Betrieben einmal rund 60.000 Menschen gearbeitet haben, prägte dem Alltag in der Siedlung seinen Rhythmus auf. Zum überwiegenden Teil waren die Plattenbausiedlungen in mittleren und kleinen
—————— 7 Bei zitierten BewohnerInnen werden stets das Alter (Jahre), Geschlecht (m./w.), der materielle Status (arm/prekär/gesichert) sowie ein Kode angegeben, der aus der Erhebungswelle (EN97/WN01/EN03) und einer Nummerierung der Interviews besteht.
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Städten der DDR auf große Betriebe bezogen und als Werkssiedlungsbau entstanden, und je mehr Menschen in den gleichen Betrieben arbeiteten, desto kollektiver war der Ablauf des Tages, der Woche und des Jahres. Der Betrieb bildete das Zentrum des Lebens (vgl. Kaelble/Kocka/Zwahr 1994; Lindenberger 2000). Dieser für die DDR allgemeine Befund fand sich in besonderem Maße in der Stadt Wolfen, wo die Betriebe zugleich das Zentrum der Stadt darstellten: Wolfen ist mit der Ansiedlung der Greppiner Farbenfabrik und dem Bau der AGFA-Kolonie Wolfen 1895 sowie der schrittweisen Ausweitung der chemischen Industrie in verschiedenen Siedlungsabschnitten gewachsen. Die größte, von 1960 bis zur Wende gebaute Siedlung dieser Siedlungsstadt ist Wolfen-Nord (Stadt Wolfen 1995).8 Mit der Ausrichtung des Wohnens auf die Betriebe entstanden für die BewohnerInnen gleiche oder sehr ähnliche Wege. Viele der Befragten in Wolfen-Nord erwähnen die Kolonnen von Fahrrädern, die sich morgens in Richtung »Film« und »Chemie« in Bewegung setzten, ein Hausmeister beschreibt eindrucksvoll das Bild der »Lichterketten von Fahrrädern im Winter«. Sequenziert durch das Schichtsystem pendelten die Beschäftigten zu ihren nahe liegenden Arbeitsstätten und Versorgungseinrichtungen, um am Feierabend in den Kreis der Familie und Wohnung zurückzukehren. Bei allen gemeinschaftlichen Veranstaltungen im Wohngebiet – von Hausabenden im Keller über Grillfeste bis hin zu spontanen Treffen mit Nachbarn –, die von den BewohnerInnen rückblickend akzentuiert werden, muss man sich das Leben nach der Arbeit als recht privatistisch vorstellen. Ein jeder suchte seine Nische. Dieser Privatismus entsprach freilich nicht dem offiziellen Ideal des im Plattenbau lebenden und zu erziehenden sozialistischen Menschen. Ein Wolfener Abgeordneter machte im Januar 1980 genau diese Beobachtung, die er in der Hallenser Regionalzeitung Freiheit wiedergab: »Dieser Tage spazierte ich nach Feierabend wieder einmal durch mein Wohngebiet. Beim Anblick der vielen flimmernden Mattscheiben in den Wohnungen ging mir die Frage durch den Kopf: ›Was machen eigentlich die Einwohner von Wolfen-Nord nach Feierabend?‹ Man könnte den Eindruck gewinnen, daß das Fernsehen tatsächlich die einzige kulturelle Betätigung vieler ist. Sicher kann man nicht bestreiten, dass so mancher mit der Kultur, die durch Funk und Fernsehen ins Wohnzimmer gesendet wird, zufrieden ist. Als echte Bedürfnisbefriedigung läßt sich das aber wohl kaum bezeichnen.« (Stadt Wolfen 1984: 94)
Nach dem Arbeitstag noch einmal den Weg zum Kulturhaus bei der Filmfabrik zurückzulegen oder, wie der Abgeordnete vorschlägt, gemeinschaftlich kultu-
—————— 8 Vgl. dazu die Studie von Bittner (1998: 41-67), die die zentrale Stellung der Betriebe im Sozialleben der DDR am Beispiel der Wolfener Chemie und Filmfabrik beschreibt.
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relle Ereignisse im Wohngebiet zu organisieren, passte den meisten BewohnerInnen von Nord aber offenbar nicht in das Alltagskonzept. Organisierte Vergemeinschaftungen gab es viele im Realsozialismus, der Rückzug in die private Nische und Wohnung war eine oft beschriebene Reaktion (vgl. Herlyn/Hunger 1994: 75, 184). Als zentrale Instanz der Vergemeinschaftung fungierten die Betriebe: Die hier durch Schichten und Brigaden9, Versammlungen und Betriebsfeiern, Urlaubs- und Ausflugsfahrten entstandenen Bekanntschaften überkreuzten sich vielfältig mit den Nachbarschaften. Und wenn an Sommerwochenenden, wie der eingangs zitierte Angestellte des Wohnungsunternehmens fortfährt, »alle ins Grüne und in die Datschen ausflogen«, dann war selbst die Freizeitgestaltung eine kollektive Sache. Ein Antriebsmoment für den Flug ins Grüne bildete aber sicherlich auch die Suche nach dem privaten Glück jenseits der Gemeinschaft.
Wolfen und Eisenach: zwei industrielle Mittelstädte im Kontext Wenn man sich eine horizontale Linie denkt, auf der links das Ausmaß der Betriebsbezogenheit einer Siedlung gering und rechts stark ausschlägt, dann liegt Wolfen-Nord am rechten Ende dieser Linie. Die Ziele des sich knapp 30 Jahre hinziehenden Siedlungsbaus bestanden in der Ansiedlung und Anwerbung von Arbeitskräften aus der Region und der ganzen Republik für die chemische Industrie. Die Region Bitterfeld-Wolfen war als ein industrieller Schwerpunkt der DDR bestimmt worden, Wolfen war eine Stadt des industriellen Wachstums. Von 11.750 EinwohnerInnen im Jahr 1950 wuchs die Stadt auf 45.652 EinwohnerInnen im Jahr 1989, wobei sie 1957 das Stadtrecht erhielt (Stadt Wolfen 1995; SZS 1990: 11). Siedlungsbau war in Wolfen Städtebau, und 72 Prozent der Wolfener Bevölkerung wohnte 1990 in den 13.500 Wohneinheiten von Nord (GdW 1999: 11). In den Großstädten der DDR waren die Plattensiedlungen nicht so oft auf wenige große Betriebe bezogen wie in den mittleren Städten, und das Ziel einer Versorgung der Bevölkerung mit modernem Wohnraum stand hier stärker im Vordergrund. Ihr Anteil an Plattenbau ist beträchtlich, denn bis auf Leipzig und Zwickau waren alle 15 Großstädte der DDR Wachstumsstädte (vgl. Tab. 1.1; SZS 1990: 7–12). Gewachsen sind die Großstädte aber nicht allein als wirtschaftliche Zentren, sondern auch in ihrer Funktion als Bezirks-
—————— 9 Die Bildung von Brigaden in den Betrieben war in Bitterfeld-Wolfen besonders stark ausgeprägt, vermutlich als Kontrollmaßnahme gegenüber einer in dieser Region historisch streitbaren Arbeiterschaft (vgl. Roesler 1994; Niethammer/von Plato/Wierling 1991; Stenbock-Fermor 1980).
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städte. Groß- und Bezirksstädte waren in der DDR nahezu deckungsgleich.10 In ihnen arbeitete ein höherer Anteil der Bevölkerung in Verwaltungen und Angestelltenverhältnissen, und diese Klasse der Intelligenz galt es mit Wohnraum zu versorgen (Hannemann 1998: 96). Tabelle 1.1: Bevölkerungsentwicklung in Groß-, Mittel- und Kleinstädten von 1950–1989
Bevölkerung 1950 Bevölkerung 1989 Verhältnis 1989/50
Kleinstädte (zwei bis unter 20 tsd. EW) 5.757.600 4.343.700 75%
Mittelstädte (20 bis unter 100 tsd. EW) 3.380.100 3.777.300 112%
Großstädte (ab 100 tsd. EW) 3.485.200 4.459.800 128%
Quelle: SZS 1990: 8, eigene Berechnungen
Tabelle 1.2: Verteilung der Wohneinheiten (WE) in Großsiedlungen (ab 2500 WE) nach Gemeinde- und Städtegrößen
WE (abs.) WE (%)
Kleinstädte/ Gemeinden (unter 20 tsd. EW) 22.500 2,2
Mittelstädte (20 bis unter 100 tsd. EW)
Großstädte (ab 100 tsd. EW)
343.200 33,7
361.900 35,7
Berlin
Gesamt
288.600 28,4
1.016.200 100
Quelle: BMBau 1991: 17, eigene Berechnungen
Während die Großstädte in den 40 Jahren DDR den größten Bevölkerungszuwachs verzeichneten, verloren die Kleinstädte an Bedeutung (vgl. Hannemann 2002). Entsprechend blieben sie vom industriellen Wohnungs- und Siedlungsbau am stärksten ausgespart, wiewohl es eine Reihe von Kleinstädten gab, in denen Betriebsansiedlungen oder Ausweisungen als Armeestandorte zu einem hohen Anteil des Plattenbaus am Wohnungsbestand geführt haben (vgl. Tab. 1.2; Rietdorf 1996; Liebmann 1997; TMWI 1998). Im Unterschied zu fast allen westeuropäischen Gesellschaften, wo sich der industrielle Siedlungsbau auf
—————— 10 Von den 14 Bezirksstädten der DDR waren nur drei Städte – Frankfurt/Oder, Neubrandenburg und Suhl – keine Großstädte. Zugleich gab es nur drei Großstädte neben Ostberlin, die nicht Bezirksstädte waren, nämlich Jena, Dessau und Zwickau. Eine auf Großstädte konzentrierte Regionalpolitik war also, wie hier unzweideutig klar wird, bereits mit der Wahl der Bezirksstädte verbunden. Fünf Bezirksstädte haben erst durch die Wachstumspolitik der DDR die Marke von 100.000 EinwohnerInnen überschritten – Dessau, Jena, Cottbus, Schwerin und Gera. Umgekehrt gab es nur eine Stadt, die zu DDR-Zeiten den Status einer Großstadt verlor und unter die 100.000 schrumpfte: Görlitz. (Vgl. SZS 1990: 7-12.)
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Großstädte konzentrierte, wurde aber ein Drittel der Wohnungen von Großwohnanlagen in ostdeutschen Mittelstädten errichtet. Dieser hohe Anteil macht sie zu einem besonderen Städtetyp. Wie Großstädte bildeten sie einen Wachstumspol, kennzeichnend sind in ihnen aber betriebsbezogene Siedlungen. Zum Teil sind Mittelstädte freilich auch in ihrer Funktion als Ober/Mittelzentren oder Armeestandorte mit Plattenbausiedlungen bestückt worden (vgl. Hunger/Wallraf 1998: 178). Von den 101 Mittelstädten (1989) verzeichneten knapp die Hälfte in den 40 Jahren Realsozialismus ein deutliches Wachstum an EinwohnerInnen (mindestens 10 Prozent), und die Plattenbausiedlungen konzentrieren sich auf diese als ökonomische und/oder strategische Schwerpunkte ausgewiesenen Städte. In ihnen liegt der Anteil des Siedlungsbaus am gesamten Wohnungsbestand oft über 40 oder 50 Prozent. Insgesamt lassen sich, bezogen auf die Zeit der DDR, drei Kategorien von Mittelstädten unterscheiden: – 30 schrumpfende Städte mit geringer ökonomischer Bedeutung und/oder relativ deprivierten Lebensverhältnissen wie Meißen, Naumburg oder Bitterfeld (zehn unter ihnen verloren mehr als 10.000 EinwohnerInnen), – 25 Städte mit einer nahezu stabilen Einwohnerzahl (± 10 Prozent) wie Eisenach, Halberstadt oder Neustrelitz und – 46 Städte des Wachstums mit ökonomischer und/oder strategischer Bedeutung wie Ilmenau, Greifswald oder Wolfen, die einen deutlichen Zuwachs an Bevölkerung und Infrastruktur erfuhren (23 unter ihnen gewannen mehr als 10.000, neun mehr als 20.000 EinwohnerInnen) (SZS 1990: 9–11, eigene Berechnungen). Auch in den Städten mit einer stabilen Bevölkerungszahl und teilweise selbst in geschrumpften Städten (z.B. Plauen) ist der Anteil der Großsiedlungen am Wohnungsbestand beachtlich. Die ehemalige Kreisstadt Eisenach, deren Bevölkerung sich von 51.777 im Jahr 1950 auf 47.027 1989 entwickelte und die damit unter die zweite Kategorie fällt, hatte 1989 einen Anteil an industriellem Wohnungsbau von ca. 30 Prozent. In der größten Siedlung, Eisenach-Nord, die von 1976 bis 1988 errichtet wurde, versammelten sich mit 3.600 Wohneinheiten knapp 20 Prozent der städtischen Wohnungen und 21 Prozent aller EisenacherInnen (SAE 1996). Die Siedlung ist wesentlich für die Anwerbung und Versorgung der Beschäftigten des Automobil-Werk-Eisenach (AWE) sowie zwei weiterer Betriebe (Mikroelektronik und Fahrzeugelektrik) gebaut worden (Bodenstein 1993: 9). Auf der horizontalen Linie, die die Betriebsbezogenheit einer Plattenbausiedlung anzeigt, ist Eisenach-Nord aber weiter links einzutragen als Wolfen-Nord. Die Beschäftigtensituation war hier diversifizierter und in der Siedlung wohnte ein nicht unbedeutender Teil von
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Staatsbediensteten, die in der Grenzstadt stationiert waren (Grenztruppen, NVA, Polizei, MitarbeiterInnen von Ministerien). Das Ausmaß der Betriebsbezogenheit beeinflusste die Koinzidenz von Tagesabläufen und Wegen sowie die auf Arbeit gemachten Bekanntschaften in einer Plattenbausiedlung. Wolfen-Nord ist ein Extremtyp, arbeiteten hier doch nahezu alle BewohnerInnen »auf der Film« oder »in der Chemie«, die zusammen 33.000 Beschäftigte zählten (Empirica 1999: 8). Aber auch in EisenachNord wurde der Alltag wesentlich durch das Automobilwerk bestimmt. Ein Ehepaar, das 22 Jahre in der Siedlung gewohnt hat, beschreibt das Alltagsleben wie folgt: Frau B.: »Wir haben morgens alle Not gehabt, in die Busse reinzukommen. Das war zum Brechen voll.« Herr B.: »Die Türen gingen kaum zu.« Frau: »Also man hat immer gesagt, früh morgens in dem Bus kannst du schwanger werden, und du weißt nicht von wem.« Herr: »Also ich sag mal die Normalschicht, die Normalschicht. Und ganz Eisenach wurde damals vom AWE bestimmt, mit den 10.000 Beschäftigten. Und die Normalschicht begann so gegen sieben. So, und da sind dreiviertel der ganzen Mannschaft in die Stadt gefahren.« Frau: »Mit Kind und Kegel!« Herr: »Mit Kind und Kegel.« Frau: »Die Kinder kamen in die Kindergärten, und die Mütter stiegen in den Bus rein, so.« Herr: »Und dann kam die ganze Horde um vier, halb fünf wieder zurück. So, und der Rest ging über Schichtbetrieb, da war’s ein bisschen differenzierter. Die Busse waren ja auf die Schichten abgestimmt.« Frau: »Und ich kann Ihnen sagen, die Kaufhalle war am Vormittag leer – nachmittags um vier standen Sie eine halbe Stunde an der Kasse. (...)« Herr: »Und damals um sechs wurden die Fernseher angemacht und die Bürgersteige hochgeklappt.« Frau: »Ich will noch sagen, vielen ist Neubaugebiet ja zu anonym, und das fand ich das Angenehme in Nord. Es gab keinen Klatsch und Tratsch.« (53, m., 53, w., ges., EN03-9)11
Dass es keinen Klatsch und Tratsch in den Neubaugebieten gab, lässt sich gewiss nicht verallgemeinern. Charakteristisch ist aber die beschriebene, durch die Erwerbsarbeit taktierte Nutzung von Wegen und Einrichtungen, von Bus, Kindergrippen, Schulen, Kaufhalle und Wohnung. Charakteristisch ist darüber hinaus ein bestimmtes Verhältnis von Kollektivität und Privatheit. Bevor dieses Verhältnis weiter betrachtet wird, soll auf die soziale Schichtung und Milieukonstitution in den Siedlungen eingegangen werden.
—————— 11 Sämtliche Namen der interviewten Personen wurden geändert.
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Soziale Schichtung: Arbeitermilieus und das Programm der sozialen Mischung In den Plattenbausiedlungen wohnte eine soziale Schicht, die überwiegend als FacharbeiterInnen qualifiziert war. Eine ausgesprochene soziale Mischung der Bevölkerungsschichten, die der offiziellen Programmatik und Ideologie zufolge in den Neubausiedlungen existierte, scheint es nur in einigen großstädtischen Gebieten gegeben zu haben. So lebten in Leipzig-Grünau, Berlin-Marzahn und dem Gebiet Fritz-Heckert, Chemnitz, ein Anteil von 40–50 Prozent Hochschul- und FachschulabsolventInnen in räumlicher Mischung mit den als ArbeiterIn Qualifizierten (vgl. Diagramm 1.1). Die Daten für die Mittelstädte weisen dagegen einen Anteil von Arbeiterabschlüssen zwischen 70 und 90 Prozent in den Siedlungen aus (einschließlich der Personen ohne Abschluss). Trotz der Variationen, die im Diagramm für die ehemalige Bezirksstadt Frankfurt/Oder und die Kreisstadt Wittenberg auffallen, lässt sich verallgemeinern, dass in den Plattenbausiedlungen der Mittelstädte ein Milieu von FacharbeiterInnen und einfachen Angestellten klar dominierte. In Großstädten und Städten mit Verwaltungsfunktion gab es generell einen größeren Anteil an Höherqualifizierten. Vergleicht man die im Diagramm angeführten Berufsqualifikationen in der DDR mit denen der verschiedenen PlattenbaubewohnerInnen, liegt der Schluss nahe, dass die Sozialstruktur in den randstädtischen Großsiedlungen der gesamtstädtischen Sozialstruktur jeweils sehr nahe kam. So lag beispielsweise im Jahr 1991 in Marzahn, ebenso wie in den Ostberliner Großsiedlungen Hellersdorf und Hohenschönhausen, der Anteil der HochschulabsolventInnen im städtischen Durchschnitt von 17 Prozent. Eine klare Überrepräsentation von AkademikerInnen gab es lediglich im innerstädtischen Plattenbau von Ostberlin (Kapphan 2002: 79–80). Das selbe Muster zeigt die Erhebung von Harth/Herlyn/Scheller (1998: 88) für Magdeburg, wo in den randstädtischen Siedlungen 1996 ein geringfügig kleinerer Anteil von Höherqualifizierten als im städtischen Durchschnitt und ein signifikant kleinerer als in der Innenstadt lebte.
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Diagramm 1.1: Berufsabschlüsse in Plattenbausiedlungen ausgewählter Groß-, Mittel- und Kleinstädte in Prozent* 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% Ost
Südstadt
Weststadt
Berlin Leipzig Chem- Rostock Schwe- Cottbus Frank- Stral- Witten- Güstrow Parnitz rin furt/O. sund berg chim
Uekkerm.
Leinefelde
DDR
1991
1997
1995
1988
1995
1996
1997
1997
1998
Südstadt
Trajuhnscher Bach
Grünhufe
Neuberesinchen
Madlow
Mueßer Holz
Groß Klein
Fritz-Heckert
Grünau
Marzahn
0%
M i t t e l s t ä d t e
1998
1997
1998
1997
1997
Fachhoch-/Hochschule Fachschule Facharbeiter/Meister o. Abschluss/Teil-Facharbeiter o. Angabe/in Ausbildung
Quellen: Hunger 1999: 69; Kahl 2003: 74; Kapphan 2002: 80; MfBLU 1998: 31; Schulz 2002: 25; SZS 1989: 124; ZWS Lf 1995: 7 * Die im Diagramm dargestellten Anteile der Berufsabschlüsse der BewohnerInnen beziehen sich auf unterschiedliche Zeitpunkte nach der Wende, was ihre Vergleichbarkeit geringfügig einschränkt, da sich der soziale Entmischungsprozess bereits unterschiedlich bemerkbar macht. Allerdings setzt die soziale Entmischung aller Erfahrung nach erst Mitte der 90er Jahre ein, und die für verschiedene Siedlungen vorliegenden Prozessdaten zeigen, dass sich, auch bei gravierenden sozialen Abstürzen, die Qualifikationsstruktur nur sehr allmählich verändert. Für die Kleinstadt Leinefelde hat die Wiederholungsstudie für 2001 beispielsweise eine Zunahme von nur 2 Prozent an Arbeiterqualifikationen ergeben (WuP 2002: 15; für Leipzig vgl. Kahl 2003: 74). Weiter ist zu bemerken, dass die dargestellte Population für Berlin, Leipzig, Chemnitz, Cottbus, Frankfurt/Oder, Wittenberg und Leinefelde in den Studien nicht genauer definiert wird; nur für die restlichen Städte sind explizit »Auszubildende, Studenten, Schüler und Kinder« ausgenommen. Es ist anzunehmen, dass es sich bei den Städten um die selbe Population handelt, während lediglich für Leipzig, Chemnitz, Cottbus und Frankfurt/Oder diese Fälle unter der Kategorie »ohne Angabe/in Ausbildung« erscheinen. Die zum Vergleich angeführten Daten der Berufsabschlüsse in der DDR beziehen sich wiederum nicht auf die Wohn-, sondern die berufstätige Bevölkerung. Insgesamt dürften die hieraus rührenden Abweichungen gering ausfallen. Die Statistik zur sozialen Schichtung in Plattenbausiedlungen vor der Wende ist äußerst begrenzt: Größere Erhebungen hat es lediglich in einigen Großstädten gegeben (vgl. BMBau 1991: 115ff.; Hannemann 2000: 133). Erst die im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Großsiedlungen erstellten Fallstudien nach der Wende erlauben, ein umfassenderes Profil der Sozialstruktur zu zeichnen, wobei die unterschiedlichen Auftragnehmer der Studien meist verschiedene Indikatoren erheben, was die Möglichkeit von Vergleichen einschränkt. So präsen-
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tiert die bisher umfassendste Studie von Hunger/Wallraf (1998) lediglich Daten zur Einkommensstruktur, andere (z.B. Empirica (2002) zu Halle-Silberhöhe) machen nur Angaben zur jetzigen Beschäftigtensituation der Bewohnerschaft. Eine weitere Hürde bei sozialstrukturellen Vergleichen besteht in der Kooperationsunwilligkeit von städtischen Akteuren, die in den Schubladen liegenden Sozialstudien – von denen es mittlerweile viele geben dürfte (BMBau 1999: 21 ff.) – herauszugeben, da Angst vor Imageschäden existiert.
In betriebsbezogenen Siedlungen waren und sind die ArbeiterInnen allerdings auch in Großstädten deutlich überrepräsentiert. Das zeigen Daten für Sachsendorf-Madlow, das für die Beschäftigten zweier Cottbusser Energiebetriebe gebaut wurde und wo die Arbeiterqualifikationen um 13 Prozentpunkte höher, der Anteil von Fachschul- und Hochschulabsolventen um 13 Prozentpunkte niedriger liegen als in der Innenstadt (Hunger 1999: 69). In Halle-Silberhöhe, das als Wohnstandort für die Beschäftigten der chemischen Kombinate BUNA und LEUNA konzipiert wurde, liegt der Anteil der als ArbeiterInnen Beschäftigten im März 2000 mit 53 Prozent um 13 Prozentpunkte höher als in der Gesamtstadt. Für den Stadtteil ergibt sich ein Arbeiteranteil von ca. 72 Prozent, wenn man berücksichtigt, dass unter den 28 Prozent Arbeitslosen 67 Prozent zuvor als ArbeiterInnen beschäftigt waren (Empirica 2002: 12–13, eigene Berechnungen). In Wolfen-Nord liegt der Anteil der ArbeiterInnen noch höher. 59 Prozent sind hier 1999 als ArbeiterInnen beschäftigt, und innerhalb der Siedlung gibt es ein zusätzliches Gefälle von Ost nach West, von den ältesten zu den jüngsten Bauabschnitten (vgl. Tab. 1.3). Berücksichtigt man hier die Arbeitslosen, ergibt sich sogar ein Anteil von ca. 84 Prozent ArbeiterInnen im Stadtteil.12 Der Kontrast gegenüber dem städtischen Durchschnitt ist geringer als in Halle, was natürlich auch auf das Gewicht der Siedlung in der Stadt zurückzuführen ist, wo Ende 2002 noch 58 Prozent aller Wolfener leben (Stadt Wolfen 2003a: 7). Interessant ist, dass in den betrachteten zweieinhalb Jahren der Anteil der ArbeiterInnen im Verhältnis zur Gesamtstadt zunimmt. Hierin spiegeln sich soziale Entmischungsprozesse, die bereits Mitte der 90er Jahre einsetzten und auf die später einzugehen sein wird. Der Rückschluss auf die Sozialstruktur in der Siedlung vor der Wende muss diesen Prozess mitdenken, und er unterliegt dabei der Schwierigkeit, dass in den Jahren der großen Entlassungen viele derjenigen, die nicht oder nur vorübergehend arbeitslos wurden, in ein Ange-
—————— 12 Für Wolfen existieren lediglich Angaben des Anteils der Arbeitslosen an der erwerbsfähigen Bevölkerung (Arbeitslosendichte). Diese werden für die verschiedenen statistischen Gebiete gesondert ausgewiesen (vgl. Stadt Wolfen 2003a: 30ff.). Die Berechnung geht hier von einer Arbeitslosenquote von 38 Prozent in Wolfen-Nord aus (Arbeitslosendichte liegt bei 22,5 Prozent), wobei 66 Prozent der Arbeitslosen ArbeiterInnen sind (ebd.). Erfahrungsgemäß liegt die Arbeitslosenquote um etwa das doppelte höher als die Arbeitslosendichte.
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stelltenverhältnis wechselten. Als Indikator für die Sozialstruktur in den Siedlungen vor der Wende scheinen deshalb Angaben zu Berufsabschlüssen aussagekräftiger als zu Beschäftigungsverhältnissen, die allerdings weder für Wolfen noch für Eisenach vorliegen. Tabelle 1.3: Arbeiteranteil in Wolfen nach Stadtteilen 1999/2002 (Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am Wohnort) Sept. 1999 OT Reuden Wolfen-Süd Steinfurth Krond.Geb./West Altstadt Wolfen-Nord davon: Wolfen-Nord (Ost) Wolfen-Nord (Mitte) Wolfen-Nord (West) Gesamtstadt
März 2002 Anteil in % 48 50 46 55 48 59 52 58 62 56
Sept. 1999 40 47 41 48 44 57
März 2002 Anzahl 56 76 101 97 233 203 447 364 920 860 3.923 2.885
52 56 62 52
446 2.026 1.451 5.951
394 1.471 1.020 4.508
Quellen: Arbeitsamt Halle und Statistisches Amt Wolfen
Größere Erhebungen zur Sozialstruktur in Neubaugebieten sind zu DDRZeiten in Gebieten wie Berlin-Marzahn, Leipzig-Grünau und Halle-Neustadt durchgeführt worden, kurz, in großstädtischen Prestigeprojekten. Die wissenschaftliche Bestätigung der offiziell proklamierten sozialen Mischung kann von daher nicht sonderlich verwundern. Erstaunlicher ist dagegen, dass auch die befragten BewohnerInnen der Siedlungen in Wolfen und Eisenach, sofern sie sich zu der Sozialstruktur vor der Wende äußern, meist dezidiert mit dem Bild der sozialen Mischung beginnen.13 Exemplarisch sagt ein Arbeiter aus WolfenNord: »Hier hat der Doktor nebenan gewohnt, also das war gemischt. Das war gemischt. Meister, Ingenieur, alles hat nebeneinander gewohnt.« (46, m., arm, WN01-19) Oder ein einfacher Angestellter aus Eisenach-Nord sagt: »Früher bei der Wende hat hier gewohnt, der bei AWE an der Presse gearbeitet hat bis zum Doktor. War alles da.« (34, m., prek., EN97-5)
—————— 13 24 Prozent der befragten Haushalte (19 von 81) kommen auf dieses nicht explizit im Leitfaden abgefragte Thema zu sprechen, meist im Zusammenhang mit der Frage nach der Entwicklung der Siedlung. Auch unter den ExpertInnen gibt es eine Reihe, die die ehemals große soziale Mischung hervorheben.
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Das Bild der sozialen Mischung verdankt sich offenbar nicht allein den zu DDR-Zeiten immer wiederholten Proklamationen in Politik und Medien, sondern hat eine reale Erfahrungsgrundlage. Zu dieser Erfahrungsgrundlage gehört, dass der Bezug einer Komfortwohnung für die meisten ein Element sozialen Aufstiegs war. Gegenüber den vernachlässigten, mit Kohleöfen und Außenklos ausgestatteten Altbauten war der Plattenbau eine Standardverbesserung, die zu erleben von den Vergabestellen gerne als besondere Auszeichnung dargestellt wurde. Gerade für die aus einfachen Verhältnissen stammenden Familien war das ideologisch unterstrichene »Glück« der Neubauwohnung verbunden mit der Erfahrung, nun auf einer Wohnstufe zu stehen, die man mit Meistern, Ingenieuren und sogar Doktoren teilte. Auf die Frage allerdings, ob in Wolfen-Nord zum Beispiel auch Funktionäre lebten, fährt der Arbeiter fort: »Die ham anders, die ham ihre Diensthäuser, ihre Häuser gehabt. (...) Also wir ham gesagt, was über dem Abteilungsleiter ist (...) Abteilungsleiter ging’s so im Schnitt los. Da war aber Ingenieure und Meister und so was, die ham dort auch gewohnt, die war’n mit im Haus drinne [in der Platte]. Die waren überall mit drinne. Aber dann die wirklich Höhergestellten, wo du ganz schlecht dran kamst, die warn...« (46, m., arm, WN01-19)
Solche auf Nachfrage gemachten Einschränkungen sind bei den Befragten ebenso typisch wie die anfängliche Betonung der sozialen Mischung. Das Bild wird korrigiert; ein Hausmeister aus Eisenach-Nord prägt schließlich die Formel: »Weil hier oben alle Schichten wohnen, meistens sind’s Arbeiter.« (41, m., prek., EN97-4), und der schon einmal zitierte Meister der Chemie aus Wolfen antwortet auf die Frage nach dem Anteil der Ingenieure und Doktoren: »Na [es waren] überwiegend Arbeiter. Wenn man so im Telefonbuch schaut, meistens. Da mal ein Doktor und da mal ein Doktor, ja. Da haben sie eine neue Arztstation gemacht damals.« (75, m., ges., WN01-25)
Vergabepolitik und interne Segregation Die Vergabe der Wohnungen wurde organisiert von der kommunalen Wohnungsbehörde und den Genossenschaften, die enger mit den Betrieben zusammenarbeiteten. Während die städtischen Wohnungsgesellschaften stärker Staatsbedienstete wie LehrerInnen, Polizei, NVA etc. bedienten, haben die Genossenschaften vorrangig die Beschäftigten der Betriebe versorgt, die bei ihnen Kontingente hatten. In Eisenach-Nord, wo 48 Prozent der 3.600 Wohneinheiten in genossenschaftlichem Eigentum waren, erhielten neben dem AWE ca. 15 weitere Betriebe Kontingente. Das höchste freilich hatte das
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Automobilwerk, aus dessen betriebseigener Wohnungsgenossenschaft die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft Eisenach 1979 erst hervorgegangen ist (AWGE 2002). Von den 13.500 Wohnungen in Wolfen-Nord waren 2/3 in genossenschaftlichem Eigentum, und die Kontingente waren hier bei der Filmfabrik und dem CKB konzentriert. Waren die im Zivilgesetzbuch der DDR und verschiedenen (Wohnraumlenkungs-)Verordnungen festgelegten Vergabekriterien von Wohnungen auch drei Kriterien verpflichtet, indem sie erstens der Arbeitskräftesicherung, zweitens der Familien- und Bevölkerungspolitik und drittens der Stabilisierung des politischen Systems durch Bevorzugung von verdienstvollen Personen dienen sollten (Hinrichs 1992: 21), so ist es doch eine verbreitete Erfahrung unter den AntragstellerInnen, dass zuerst einmal die »Personen mit Beziehungen« und Statushöheren in die Neubauwohnungen einziehen durften. Auch diese Erfahrung mag, im Kontext einer Vergabepraxis, die ganze Belegschaften mit Neubauwohnungen versorgte, dazu beigetragen haben, dass bei vielen Befragten ein so lebendiger Eindruck von der ehemaligen sozialen Mischung besteht. In beiden Siedlungen gab es eine interne Segregation, die mit der Vergabepraxis der Wohnungen zusammenhing. Besonders beliebt waren Randlagen mit schönem Ausblick. In dem am Hang gelegenen Eisenach-Nord (Am Kuhgehänge lautet ein weiterer Name der auf ehemaligem Weidegrund und Mülldeponie gebauten Siedlung) wurden die zuerst gebauten Blöcke, die einen Ausblick auf die Stadt und Wartburg eröffnen, an höhere Statusgruppen vergeben. Ähnlich kamen diese in den Genuss des solide und noch weniger dicht gebauten Typs Brandenburg in Wolfen-Nord. Zwischen einzelnen Häusern und Blöcken bestanden teilweise markante sozialstrukturelle Kontraste, da, wenn ein Gebäude fertiggestellt war, es gleich bezogen wurde und dabei unterschiedliche Belegungsrechte, Dringlichkeiten und Grundrisse vorlagen. So gab es in Eisenach-Nord einen »Stasi-Block«, es existierte eine Häuserreihe mit Grenztruppen, NVA und weiteren MitarbeiterInnen aus Ministerien, zwei Blöcke waren mit Gastarbeitern aus Kuba und Mozambique belegt. In Wolfen-Nord konzentrierten sich die Beschäftigten einer Betriebseinheit, der Armee oder BewohnerInnen eines gerade dem Braunkohletagebau zum Opfer gefallenen Dorfes in bestimmten Häusern. Die Siedlungen waren Flickenteppiche, in denen sich kleine Zonen homogener Sozialmilieus unter den gemischteren heraushoben. Neben der kleinräumigen Segregation existierte ein sozialstrukturelles Gesamtgefälle von den ältesten hin zu den jüngsten Bauabschnitten. Für Wolfen-Nord ist dieses Muster schon deutlich geworden, für Eisenach liegen zwar keine vergleichbaren Daten vor, die auf Grundlage der Interviews er-
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stellte Kartographie weist jedoch in dieselbe Richtung.14 Es ist anzunehmen, dass es sich dabei um ein verbreitetes Muster handelt, zumindest bei den ab den 70er Jahren gebauten Siedlungen. Die These von Hannemann (2000: 135), dass die Großsiedlungen der 50er und 60er Jahre ein niedrigeres Qualifikationsniveau als die ab den 70er Jahren gebauten aufweisen, lässt sich auf die internen Muster der Siedlungen ab den 70er Jahren nicht übertragen. So zeigt sich auch für Sachsendorf-Madlow (Hunger 1999: 69) und die Großsiedlungen in Magdeburg (Harth/Herlyn/Scheller 1998: 88), dass in den jüngsten Bauabschnitten der Anteil der Arbeiterabschlüsse höher und der Höherqualifizierten niedriger liegt. Weiterhin sprechen der allgemeine Rückgang von Fach- und HochschulabsolventInnen in der DDR seit den 70er Jahren (SZS 1989: 58) sowie die heutige Konzentration von sozialer Misere in den jüngeren Bauabschnitten für dieses Muster. Für Leipzig-Grünau allerdings stellt Kahl (2003: 81–82) zwar eine interne Segregation, aber nicht jenes Gesamtgefälle fest.
Respektable Milieus im städtischen Kontext Die Errungenschaft der Plattenbausiedlungen besteht sicherlich darin, aus einfachen Verhältnissen stammende Arbeiterfamilien mit modernem Wohnraum versorgt und sie in eine breite Mittelschicht integriert zu haben. Weder in Eisenach noch in Wolfen existierten bis dahin Siedlungen, die eine derartige Diversität an Berufsgruppen zusammenbringen und dabei die Trennungslinie zwischen un-/angelernten und qualifizierten Arbeitermilieus abmildern konnten. In Wolfen war der Siedlungsbau lange den FacharbeiterInnen und höheren Berufsgruppen gewidmet, die als Stammbelegschaft an die Werke gebunden werden sollten. Extreme Wohnungsnot gab es für die einfachen ArbeiterInnen, die bis in die 50er Jahre in Hütten um die Film- und Farbenfabrik oder in wild gebauten Siedlungen außerhalb Wolfens lebten (Stadt Wolfen 1995: 6ff.). Die heute unter Denkmalschutz stehende Wohnkolonie, das Akademiker- und das Beamtenviertel blieben auch zu DDR-Zeiten privilegierte Wohngebiete, sowie insgesamt eine Distinktionslinie zwischen »Wolfen-Stadt« und »WolfenNord« bestand, die durch die räumliche Distanz unterstrichen wurde (vgl.
—————— 14 Zur Rekonstruktion der Sozialstruktur in Eisenach- und Wolfen-Nord wurden Kartographien erstellt, auf denen die Angaben der befragten ExpertInnen und BewohnerInnen zur internen Verteilung von Statusgruppen in den Siedlungen verzeichnet wurden.
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Abb. 1.1). Historisch neu war die Integration der aus dem dörflichen Umland und der ganzen Republik zuziehenden Arbeiterschichten, die Mischung unqualifizierter und qualifizierter Arbeitermilieus zusammen mit einigen höheren Berufsstrati im modernen Plattenbau. Abb. 1.1: Die Stadt Wolfen und ihre Siedlungen
Quelle: Stadt Wolfen 1995: 7
Historisch besteht nach Vester (1998) zwischen den qualifizierten, so genannten »traditionellen« und den unqualifizierten »traditionslosen« Arbeitermilieus die Trennungs- und Distinktionslinie der Respektabilität. Sie bedeutet, dass die
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aus städtisch-handwerklichen Traditionen stammenden FacharbeiterInnen sich von den aus ländlichen Regionen kommenden Tagelöhnern und einfachen ArbeiterInnen abgegrenzt haben, indem sie ihr Leben und ihre Arbeit als verdienst- und ehrenvoll gegenüber deren unsteter und unterprivilegierter Lebensweise darstellten. Die unterschiedlichen, segregierten Wohnformen in Wolfen spiegeln deutlich die Fraktionierung in der Arbeiterschicht wider. Mit dem Bezug des Plattenbaus wurden die traditionslosen Arbeitermilieus dann gewissermaßen in den Stand der Respektablen gehoben. Allerdings war es nicht nur der Aufstieg in der Wohnform, der die Trennung zwischen den Arbeiterfraktionen abbaute. Darüber hinaus bestanden für die Ungelernten vielfältige Möglichkeiten zur Qualifizierung. Das sozialistische Projekt startete in Ostdeutschland ja nicht zuletzt mit einer umfassenden Bildungsoffensive, und dabei war die Qualifizierung und Besserstellung der Ungelernten zentrales Element. Kam die Bildungsexpansion Ende der 60er Jahre für die höheren Bildungssegmente auch zum Erliegen, so blieben für die Ungelernten Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung in den Betrieben bestehen (vgl. Solga 1995: 102–107; Geißler 1994: 128–131; SZS 1989: 58). Entsprechend hoch war der Qualifizierungsstand der ostdeutschen ArbeiterInnen Ende der 80er Jahre (vgl. Tab. 1.4). Tabelle 1.4: Entwicklung der Berufsabschlüsse von Beschäftigten der DDR (%) 1955 Un-/Angelernte Facharbeiter/Meister Fachschule Hochschule
1970 70 26 3 1
1988 35 48 7 4
10 65 14 8
Quellen: SZS 1989: 124; Voigt/Voß/Meck 1987: 128
Anzumerken ist, dass der Qualifizierungsstand den veralteten Produktionsmethoden in den Betrieben oft nicht entsprach. So gab es in der Filmfabrik ORWO einen hohen Anteil von höchst mechanischen und simplen Arbeitsprofilen, die überwiegend von Frauen ausgeführt wurden. Diese Arbeiterinnen hatten, so unterstreicht ein Experte aus dem jetzigen Industriemuseum, fast alle Facharbeiterbriefe oder zumindest Teilfacharbeiterqualifikationen. Das Tätigkeitsprofil entsprach aber ganz offensichtlich rasch zu erlernenden, vor allem Ausdauer erfordernden Abläufen (vgl. Bittner 1998: 53). Ebenso gab es in der Eisenacher Automobilindustrie und den Zulieferbetrieben stets einen Anteil einfacher, körperlich belastender Arbeiten, wenn auch insgesamt die Anforderungen hier höher als in der Wolfener Industrie gewesen zu sein scheinen. Mit einer 500 Beschäftigte zählenden Spinnereifabrik existierte in
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Eisenach auch nur ein größerer Betrieb, der fast ausschließlich Frauen beschäftigte, während bei ORWO unter den knapp 15.000 Beschäftigten ca. 8.000 Frauen arbeiteten (vgl. LEG 1992: 7). Frauen hatten in der DDR generell schlechtere Qualifikations-, Berufs- und Lohnchancen als Männer (Adler 1991; von Below 1997: 149). Während sich in den Plattenbausiedlungen ein respektables Sozialmilieu konstituierte, in denen die während der Industrialisierung gezogenen Gräben und Abgrenzungen zwischen den Arbeiterfraktionen sich einebneten, wurde die Grenze zur Irrespektabilität in der DDR allerdings keineswegs überwunden. Mit der Kategorie der Asozialität, die 1976 Eingang in das Zivilgesetzbuch fand, wurde sie vielmehr auf rigide Weise staatlich neu installiert. Wer sich den Normen von Arbeitsmoral und Disziplin scheinbar hartnäckig widersetzte, wurde als Asozialer klassifiziert und Maßnahmen unterzogen, die den Kanon der Sozialdisziplinierung von Anstalten bis hin zu Zwangsarbeit und Gefängnis ausmaßen (vgl. Zeng 2000; Lindenberger 1999; Sachse/Tennstedt 1986). Mit dem Status der Asozialität waren auch, wie die Studie in Eisenach ergeben hat, bestimmte Wohnlagen verbunden, wo Haushalte von der Wohnungsbehörde konzentriert wurden. Sie bestanden in heruntergekommenen Altbauten vor allem im Eisenacher Osten, die zusätzlich noch Emissionen ausgesetzt waren. So berichtet ein Haumeister von dem »Fischerstädtchen«, in dem vor der Wende die »Asis« gewohnt hätten und wo sie nicht so aufgefallen wären. In der Biographie einer kinderreichen Frau taucht dieser Ort unter dem Namen Fischweide auf: »Man hat uns einfach abgeschoben in die Fischweide. Das ist ein Viertel, also das wünscht man niemanden, das, da zu wohnen. Das war ein Elendsviertel. Da hat man alle Leute abgeschoben praktisch in dieses Gebiet, die keine Miete zahlen konnten. (...) Da ist gleichzeitig der Mühlgraben. Ich mein der Mühlgraben stinkt heute auch schlimm, also damals hat er viel schlimmer gestunken. Also es war unzumutbar die Wohnung.« (37, w., arm, EN03-4)
Die gesteuerte Konzentration asozial kategorisierter Haushalte betraf nur kleine Ausschnitte eines in Eisenach großen Altbaubestandes, der insbesondere in der Oststadt und entlang des verschiedene Industriegebiete verbindenden Mühlgrabens unterprivilegiert war (vgl. Abb. 1.2). Dagegen boten Teile der gründerzeitlichen Bebauung im Norden und zumal die bis 1945 entstandenen Villenkolonien im Süden Wohnlagen, die zusammen mit kleineren Einfamilienhausgebieten zu den bevorzugtesten gehörten. Eisenach-Nord rangierte in der Skala der Wohngebiete also keineswegs an vorderster Stelle, auch wenn der Wohnkomfort von so vielen aus Altbauten und beengten Wohnverhältnissen kommenden Haushalten als deutliche Verbesserung erfahren wurde. Das selbe gilt für Wolfen-Nord. Ein Unterschied zwischen den
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Städten besteht in dem größeren Anteil an defizitären Altbauwohnungen in der historischen Stadt Eisenach, gegenüber dem sich Nord als »privilegiert« abhob. In Wolfen waren diese Altbauanteile stärker in den Gemeinden und Städten des Umlands lokalisiert. Darüber hinaus wurden sie offenbar nicht durch eine Zuweisungspolitik degradiert, die »asoziale« Haushalte in besonders deprivierte Bestände abschob. Abb. 1.2: Flächennutzung und Gebietstypen in Eisenach 1989
Quelle: Bodenstein 1993: 53
Privileg oder Arbeiterschließfach? Das »Privileg« der Neubauwohnung wurde in den 80er Jahren relativiert, als der gesellschaftliche Fortschritt ins Stocken geriet und sich Krisensymptome bemerkbar machten. Nicht nur, dass am Plattenbau gespart und, ausgenommen Prestigeprojekte in Großstädten, jetzt noch schneller und kompakter gebaut wurde (Topfstedt 1999: 533 ff.). Auch Mängel in der wirtschaftlichen Produktion, Versorgungsengpässe und die Herausbildung feiner und grober Unterschiede wurden unübersehbar (vgl. Merkel 1999: 327ff.; Solga 1995: 119–
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124). Nach Flierl (1991) manifestierte sich die Krise des Systems als eine Krise der Stadt und des Städtebaus. Eine prominente Rolle spielte dabei die wachsende Kritik an den als »Arbeiterschließfächern« oder gar »Karnickelbuden« titulierten Plattenbauten (vgl. auch Dähner/Nieszery/Seiler 2001). Vor diesem Hintergrund wird dezidierte Kritik am Plattenbau unter den in Eisenach und Wolfen befragten Personen überraschend selten formuliert. Hervorgehoben werden die Errungenschaften des »Zweckwohnungsbaus«. Nur die ExpertInnen, die weder mit der Verwaltung oder Vermarktung der Neubausiedlungen etwas zu tun haben, noch in ihnen leben, äußern teilweise scharfe Kritik. Umgekehrt ist die vorbehaltslose Würdigung des Plattenbaus ebenfalls selten und fast nur bei professionell mit den Wohnungsbeständen betrauten ExpertInnen anzutreffen. Insgesamt überwiegt eine Einstellung, die den biographisch oft selber erfahrenen Zweck des besseren Wohnstandards unterstreicht und, ohne bestimmte Nachteile unerwähnt zu lassen, gegenüber Abwertungen wie Arbeiterschließfach verteidigt.15 Die Wahrnehmung von Versorgungsengpässen und wachsenden sozialen Ungleichheiten in den 80er Jahren ist bei den Befragten gleichwohl verbreitet. Sie wird jedoch nicht mit einer Kritik am Neusiedlungsbau verknüpft, selbst wenn bei vielen im Hinterkopf das Wissen besteht, dass es sich dabei nicht um die besten Quartiere handelte. Entsprechend ist die Sichtweise des im Folgenden zitierten, 20 Jahre im AWE beschäftigten Industrieschmieds eher ungewöhnlich. Seine Ausführungen verdeutlichen noch einmal viele Aspekte der Milieukonstituierung in den Plattenbausiedlungen: »Als das hier gebaut worden ist, da haben die dir gesagt, hey, wenn die dir so ne Wohnung geben, da musst du aber ordentlich, musst dafür die Leistung bringen. Das musst du irgendwie bezeugen, indem du in die Partei gehst oder was weiß ich, also irgendwelche Bedingungen wurden daran geknüpft, um hier ne Wohnung zu kriegen. (...) Hat sich dann auch ne sozialistische Oberschicht gebildet. Sieht man ja am Stadtrand die ganzen Villen, die wurden ja damals von irgendwelchen Leuten von der Partei und denen bewohnt, ne. Und da hat man eben gesagt, na ja gut, wir bauen uns da ne Villa, da bauen wir denen n Block. Ich lass mir meinen Hof mit was weiß ich pflastern, da machen wir denen ein bisschen Teer auf die Straße. Also in Eisenach-Nord wohnten nicht die wirklich Privilegierten?
—————— 15 Nach einer Auswertung des SOEP durch Hinrichs (1997) bezeichnen rückblickend 68 Prozent der Ostdeutschen den Verfall und Niedergang der Städte und 76 Prozent den Bau großer Wohnsiedlungen als kennzeichnend für das Leben in der DDR. Die Kritik am Städtebau bezog sich mithin stark auf den Verfall der Altbauten bei gleichzeitig sturem Festhalten am Paradigma des Plattenbaus, und sie wurde offenbar besonders von BewohnerInnen des Altbaus geäußert.
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Ne. Die natürlich nicht. Ach, die Privilegierten haben in Süd gewohnt, Tennisanlage und so was. Hier haben eigentlich zum größten Teil Arbeiter, und wenn mal einer Meister, dann war’s gut. Es war eben, derjenige, der von oben, hat’s vorher gekriegt. Waren es mehr einfache oder qualifizierte Arbeiter? Ist auch wieder so ein Ding. Ne, wir haben eigentlich alle eine Chance gehabt. Wie gesagt, hast du deine Arbeit gemacht und hast nicht aufgemuckt, bist da hingekommen [zur Wohnungsvermittlungsstelle], hast gesagt, wieviel du brauchst. Na ja, das wird diesen Monat noch nischt oder nicht gleich, komm in nem halben Jahr wieder. Und wenn du dann wirklich so ne Wohnung gekriegt hast, oh, was sie für dich gemacht haben.« (50, m., arm, EN03-16)
Kollektivierung versus Kleinfamilie oder Die Legende von Haus und Gemeinschaft Im Plattenbau verbinden sich auf eigentümliche Weise Elemente von Standardisierung und Kollektivierung mit dem Zuschnitt auf bürgerliche Privatheit und Intimität im Kreis der Zwei-Generationen-Familie. Das Nebeneinander von Kollektivität und Kleinfamilie, von Standardisierung und individueller Privatsphäre bildet ein Spannungsverhältnis, das in der DDR austariert werden konnte. Ein Neben- und Miteinander ergab sich aus der relativen Homogenität des Alltags und der Lebenslagen und wurde darüber hinaus durch Mechanismen sozialer Kontrolle hergestellt. Die viel berufenen Bekanntschaften und Hausgemeinschaften bildeten einen Puffer zwischen Kollektivität und Privatheit und gewährleisteten eine relativ hohe Kohäsion des sozialen Milieus. In der Verschmelzung von Kollektivierung und Kleinfamilie im Plattenbau verkörpert sich ein pragmatischer Kompromiss zwischen sozialistischen und bürgerlichen Wohnreformmodellen.16 Die Kollektivierung der Bevölkerung in Gemeinschaftsbauten steht in der Tradition sozialistischer Wohnmodelle, während das kleinfamiliale Wohnen ein genuin bürgerliches Modell ist. Die Frühsozialisten Owen und Fourier hatten in ihren Architekturentwürfen eine Vergemeinschaftung der Hausarbeit zur Emanzipation der Frauen aus ihrer bürgerlichen Rolle anvisiert, ebenso sollten Gemeinschaftsräume ein neues Verhältnis zwischen öffentlicher und privater Sphäre entstehen lassen. Von diesen Ideen sind im Plattensiedlungsbau letztendlich nur die Versorgungsund Erziehungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche übrig geblieben, die
—————— 16 Zu den Traditionslinien bürgerlicher und sozialistischer Wohnungsreformen vgl. Häußermann/Siebel (1996: 87ff.).
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die Integration der Frauen in die Erwerbsarbeit ermöglichten. Damit war zweifellos ein Stück Emanzipation aus der bürgerlichen Frauenrolle verbunden, und im Unterschied zu den westlichen Großsiedlungen hat es die »grünen Witwen« – Mütter, die tagsüber in den Quartieren blieben, um auf die Kinder aufzupassen – in der DDR nicht gegeben (vgl. Herlyn 1990; Herlyn/Hunger 1994: 27). Gleichzeitig wurde jedoch mit der Normierung der Grundrisse, der klaren Dominanz von Drei- und Vierraumwohnungen sowie einer Belegungspolitik, die verheirateten Paaren mit Kindern Priorität einräumte, das kleinbürgerliche Familienmodell festgeschrieben. Der Anteil der Familien in den Plattenbausiedlungen variierte unmittelbar mit dem Anteil der Drei- und Vierraumwohnungen, deren Grundrisse mit großem Wohnzimmer, Essecke, kleinen Schlaf- und Kinderzimmern funktional auf das Familienleben zugeschnitten waren. Während Fünfraumwohnungen kaum existierten, wurden die Einund Zweiraumwohnungen in der Regel an ältere Einzelpersonen oder kinderlose Ehepaare vergeben (Hunger/Wallraf 1998: 196). In Tabelle 1.5 wird deutlich, dass in Eisenach-Nord der Anteil an Familien mit ca. 60 Prozent etwas unter, und in Wolfen-Nord mit ca. 67 Prozent aller Haushalte etwas über dem ostdeutschen Durchschnitt von 63 Prozent lag. Wie groß darunter der Anteil Alleinerziehender war, lässt sich nicht rekonstruieren. Tabelle 1.5: Verteilung der Wohnungsgrößen in Plattenbausiedlungen insgesamt (%), Eisenach-Nord und Wolfen-Nord 1989
Ostdeutschland* EN WN
1Raum 17 12 8
2Raum 20 28 25
3Raum 46 46 59
4Raum 16 12 8
5Raum 1 2 0
* Zugrunde liegt keine Totalerhebung, sondern Studien zu 380 Großsiedlungen ab 1000 WE in sämtlichen Bezirken, die zwischen 1971 und 1989 gebaut wurden. Quellen: BMBAU 1991: 62; Bodenstein 1993: 10; Stadt Wolfen 1996: 2.8
Eine soziale Konsequenz des Familienmodells lag in dem bereits beschriebenen Rückzug der BewohnerInnen in die Privatsphäre am Feierabend und in der Freizeit, darüber hinaus darin, dass die Hauptlast der Haus- und Familienarbeit den Frauen zufiel. Bei einer 90-prozentigen Berufsintegration waren die Frauen so fast alle einer Doppelbelastung ausgesetzt (Gerhard 1994: 395; Merkel 1994). Beides scheint die Wohnungspolitik der DDR mehr oder weniger bewusst in Kauf genommen zu haben, erfolgte die Installierung der Familie als kleinster, stabilisierender Zelle der Gesellschaft im Neubau doch
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intentional (Hannemann 2000: 113ff.). Die gesellschaftsstabilisierende Funktion kleinfamilialen Wohnens im Eigentum ist eine Grundidee bürgerlicher Philosophen und Sozialreformer, und der Rückgriff auf diese Tradition im sozialistischen Wohnungsbau ließ selbst den Eigentumsgedanken nicht aus.17 So sind 40 Prozent des Plattenwohnungsbaus in der DDR als genossenschaftliches Eigentum entstanden, wobei die BewohnerInnen ihre Pflichtanteile meist in Form von Eigenleistungen abbezahlten (BMBau 1991: 131). Der standardisierte Kollektivwohnungsbau spiegelt zugleich das fordistische Produktionsparadigma wider. Die ideengeschichtliche Fundierung im sozialistischen Wohnreformmodell hat dazu beigetragen, dass nicht wie in den USA oder Frankreich Einfamilienhaus-, sondern ausschließlich Geschosswohnungssiedlungen vom Band produziert wurden, deren Größe ja zugleich stilles Abbild der vorherrschenden Großbetriebe und -verwaltungen war. Hier wie dort aber hat die standardisierte Massenproduktion den Wohnungssektor ergriffen, und es wurden in Kleinfamilien parzellierte Haushalte neben- oder übereinander aufgereiht. Freilich ist gegenüber dem Einfamilienhaus die Privatsphäre im Plattenbau deutlich eingeschränkt: durch die Nutzung gemeinschaftlicher Güter sowie die hohe gegenseitige Wahrnehmung. Für das Harmonieren von Kollektivität und Privatheit sorgten hier die Standardisierung von Lebenslagen und Lebensstilen sowie Mechanismen sozialer Kontrolle, was sich in den »Eingängen« als Konstituierung der Hausgemeinschaften verdichtete. Herr T.: »Und als wir dann damals drinne waren, da waren wir dann so eine anfänglich verschworene Truppe. Das hieß also auf deutsch gesagt, dass wir uns zusammengefunden haben. Und wir haben dann unten im Keller Feste gefeiert. [Zeigt Photos.] Waren also Sylvester unten im Keller.« Frau T.: »Da hat jeder ein bisschen was gemacht, Heringssalat und so. Die Kinder haben extra gefeiert. Denn damals, überall war ein Kind. Jetzt sind sie ja 35, 33.« Herr: »Wir haben uns hier jede Woche einmal in den Keller gesetzt, haben ein Kasten Bier geholt und haben da unten...« Frau: »Aber das ließ dann später nach.« (60, m., 55, w., ges., WN01-3)
Bei der »verschworenen Truppe«, von der hier ein seit 1976 in Wolfen-Nord lebendes Facharbeiterehepaar berichtet, ließ mit den Jahren zwar die Feier-
—————— 17 Prägnant vertritt der Philosoph G.W.F Hegel (1989) die Idee, dass die sich durch Ehe, Kinder und Eigentum konstituierende Familie tragender Pfeiler des Staates und der Sittlichkeit ist. Bürgerliche SozialreformerInnen unterschiedlichster Couleur haben diesen Gedanken immer wieder gepredigt. Für den Wohnungsbau vertritt paradigmatisch Victor Aimé Huber (1846) das Konzept: Durch kleinfamiliales Wohnen in Eigentum soll die bedrohlich anwachsende Arbeiterklasse zumindest in ihren qualifizierteren Teilen der Sittlichkeit zugeführt werden (vgl. auch Häußermann/Siebel 1996 und Ronneberger 1999).
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laune nach, die Kontakte blieben angesichts einer bis zur Wende nahezu fehlenden Wohnmobilität jedoch bestehen. Die geringe Wohnmobilität bildete ein konstitutives Element für den hohen gegenseitigen Bekanntschaftsgrad, von dem die befragten BewohnerInnen und ExpertInnen fast durchgängig berichten, sowie für die in den Eingängen bzw. in Hochhäusern auf der Ebene von Fluren gebildeten Hausgemeinschaften. Die Befragten stellen diese sozialen Beziehungen überwiegend als zwanglos sich ergebendes Miteinander dar. Ausschlaggebend für diese rückblickend-harmonisierende Darstellung ist sicherlich, dass deren Funktion einer Vermittlung, eines Puffers zwischen Kollektivität und Privatheit nach der Wende wegbrach. »Kannten sie viele Leute in Eisenach-Nord?« Herr B: »Sehr viele.« Frau B: »Unheimlich viele.« Herr: »Wir sind beide Eisenacher, und das Gross der Leute kam aus der Innenstadt.« Frau: »Ich kannte bestimmt aus jedem Block jemand.« Herr: »Hängt auch mit der Arbeit zusammen.« Frau: »Die waren auch alle in unserem Alter und hatten kleine Kinder. In unserem Block waren bestimmt acht, neun Familien. Sind dort zusammen alle groß geworden.« Herr: »1980 tobten da 100 Kinder im Innenhof rum.« Frau: »Wenn ich runter guckte, habe ich immer gedacht, ist ja bei uns wie in der Schule.« (53, m., 53, w., ges., EN03-9)
Gegenseitige Kontakte und Einverständnis ergaben sich gleichsam von selbst, da zahlreiche Anknüpfungspunkte über das gemeinsame Wohnen hinaus bestanden. Neben schon bestehenden Bekanntschaften, von denen das etablierte Ehepaar aus der Eisenacher Innenstadt berichtet, konnten neue geknüpft werden im Betrieb, auf den alltäglich zurückzulegenden Wegen und in Einrichtungen. Der geteilte Erfahrungshorizont der BewohnerInnen war immens und reichte von der Arbeits- über die Wohnwelt bis in die durch eine ähnliche Stellung im Familienzyklus gekennzeichnete Privatsphäre. Für Familien waren die Kinder natürlich ein weiterer Anknüpfungspunkt zu den NachbarInnen. Auch für die aus anderen Regionen Zugezogenen stellten sich so Bekanntschaften leicht her, wie eine selber drei Jahre vor der Wende nach Wolfen-Nord gezogene Frau berichtet: »Viele, die hier gelernt haben, kamen ja aus dem Harz, aus Dresden, die kamen wegen Arbeit, nicht direkt aus der Umgebung. Was zählte, war eine Wohnung in Nähe der Arbeit. Der Zusammenhalt war gut, man kannte sich im Eingang und Haus. Die Alterstruktur war ja ähnlich, die Neuen sind immer zusammengezogen, immer eine Generation. Im Eingang waren dann fünf Familien mit Kindern. Man hat sich unterhalten, getroffen mit dem Nachbar. Nicht immer konnte jeder jeden leiden, klar, aber.« (30, w., prek., WN01-16)
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Dass auch Alleinstehende sich in das Milieu integrieren konnten, illustriert die lakonische Antwort einer seit 1981 in Eisenach-Nord wohnenden Frau: »Kannten sie viele Leute? Ich kannte niemanden. Wir waren uns ja alle einig. Es war ordentlich. Hatten Blumen vorne, die sind vom Altersheim gekommen, und haben sich die Gärten angeschaut.« (72, w., prek., EN03-19)
In das sich aus der Standardisierung der Lebenslagen ergebende Einverständnis gingen allerdings auch Momente des Zwangs ein. Außerhalb des Wohnmilieus übten Versammlungen und Betriebsfeste, Gewerkschaft und Partei einen Anwesenheitszwang aus, der sich über die in den Siedlungen wiederfindenden Netzwerke auf das Leben dort übertrug. Die Konstituierung der Gemeinschaften in den Häusern wurde jedoch vor allem durch die hier geltende Hausordnung sowie die zur Kontrolle ernannten so genannten Hausvertrauenspersonen erwirkt. Neben der im Geschosswohnungsbau ohnehin gebotenen Rücksicht mussten im Turnus von jeder Wohnpartei die so genannte kleine und große Woche, sprich Reinigungs- und Pflegearbeiten im Treppenhaus und unmittelbaren Wohnumfeld durchgeführt werden. Die in den Eingängen ernannten Hausvertrauensleute zeichneten für ein funktionierendes Zusammenwohnen verantwortlich und konnten bei Problemen den Weg über die Abschnittsbevollmächtigten bis hin zum Betrieb und der Partei einschlagen, um aus der Reihe fallende BewohnerInnen zu einem sozial erwünschten Verhalten zu bewegen. Den Wegfall der hohen Kontroll- und Zugriffsmöglichkeiten gegenüber BewohnerInnen nach der Wende beklagen bezeichnenderweise vor allem jene ExpertInnen, die als Angestellte der Wohnungswirtschaft heute mit den scheinbar katastrophalen Effekten einzelner Störenfriede in den Häusern zu tun haben. Dass dagegen die BewohnerInnen die Zwangsaspekte gegenüber der Erinnerung an eine zwanglose Gemeinschaftlichkeit zurückstellen, mag auch damit zusammenhängen, dass gegenüber anderen gesellschaftlichen Sphären der Kollektivierungsdruck im Wohnbereich noch gering ausfiel (vgl. Herlyn/Hunger 1994: 75, 184; Lepsius 1994). Allerdings unterstreichen Einzelne auch das Verordnete der Gemeinschaftsbildung, so ein ehemalig einfacher Arbeiter des AWE, der deren Triebkraft im »Vitamin B« identifiziert. Auf die Frage nach den heutigen Nachbarschaften in der Siedlung antwortet er: »Hier so wie ich das mitkrieg, fast jeder ist für sich beschäftigt. Nachbarschaft so nicht mehr ganz so in der Art, wie’s mal gewesen ist. Das waren auch andere Gründe, hab immer gesagt, Nachbarschaftsverhältnisse früher waren eben das gewesen: Ich kannte einen, der kannte einen, wo ich mein Zeug herkrieg und so. Also das Zusammenleben zu DDR-Zeiten, dieses Verordnete, das war nicht so, wie sie’s mal gehört haben. Beziehung, Vitamin B: Hab ich
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eine Beziehung zu dem gehabt, also hab ich mich zu dem gut gestellt. Der andere will zu dem, da hab ich eben mein Sack Zement nicht für hundert Mark gekriegt sondern für fünfzig. So war das gewesen, also dieses Zusammenhalten war nicht so, war zu DDR-Zeiten ein bisschen geheuchelt.« (41, m., prek., EN97-4)
Fazit: Halbierter Fordismus und Plattenbau Wie in vielen anderen Plattenbausiedlungen der DDR dominierte in Eisenach und Wolfen ein Milieu von FacharbeiterInnen und einfachen Angestellten. Wesentlich für die Beschäftigten der großen Industriebetriebe gebaut, versorgten die Siedlungen ihre BewohnerInnen mit vergleichsweise komfortablen Wohnungen und der für den Alltag notwendigen Infrastruktur. Zwar lebten auch höhere Statusgruppen wie Ingenieure, Forschungspersonal und Staatsbedienstete in den Siedlungen, dennoch muss die These einer hohen sozialen Mischung relativiert werden. Denn in betriebsbezogenen Siedlungen waren die einfachen Sozialmilieus überrepräsentiert, und selbst in Groß- und Verwaltungsstädten lag der Anteil hoher Statusgruppen in den randstädtischen Siedlungen kaum über dem städtischen Durchschnitt. Die Privilegierten konzentrierten sich in der DDR dagegen in innerstädtischen Neubauten oder kleineren Mehr- und Einfamilienhäusern (vgl. Werner 1981; Hinrichs 1992). Für die aus Dörfern und städtischen Altbauten Zuziehenden war das Wohnen in der Neubausiedlung gleichwohl ein Element des Aufstiegs. Sie lernten den wie immer auch als Zweckwohnungsbau wahrgenommenen Plattenbau schätzen, und angesichts des Mangels und einer Belegungspolitik, die das knappe Gut gratifizierend verteilte, war die Neubauwohnung etwas Besonderes. Es scheint, dass der Zweck einer Herstellung von Loyalität mit dem sozialistischen System, den Honecker mit der proklamierten Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik und dem großen Wohnungsbausprogramm verband, für die BewohnerInnen der Plattenbausiedlungen nicht gänzlich fehlgeschlagen ist. Insgesamt folgte die gesellschaftliche Integration hier einem fordistischen Modell, in dem auch unqualifizierte ArbeiterInnen Aufstiegsmöglichkeiten, kulturelle und soziale Güter seitens der Betriebe geboten bekamen, und wo nach Feierabend die auf die Kleinfamilie zugeschnittene Privatsphäre Erholung und Muße spenden sollte. Indem der Plattenbau den ArbeiterInnen zu einem Status von sozialer Sicherheit und Respektabilität verhalf, trug er entscheidend zu jener Entproletarisierung bei, die Mooser (1983; 1984) für die Arbeitermilieus in der BRD beschrieben hat. In dem stärker durch Partizipation an Konsum geprägten Integrationsmodell des Westens
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spielte der soziale Wohnungsbau eine vergleichbare Rolle wie der Plattenbau im Osten (vgl. Saldern 1997; Herlyn/Saldern/Tessin 1987). Der architektonische Zuschnitt auf Kleinfamilien im Plattenbau konterkarierte freilich das allgemein proklamierte Ziel, in Kollektiven denken- und handelnde Persönlichkeiten zu erziehen (vgl. z.B. Neuner 1978). Die Kollektivierung im Plattenbau ist fast nur noch eine Zweckkollektivierung gewesen. Allerdings war die Kohäsion des sozialen Milieus hoch: Durch das Neben- und Übereinander von Haushalten mit standardisierten Biographien, Alltagsrhythmen und Lebenslagen stellte sich ein Stück weit tatsächlich jene Gemeinschaftlichkeit her, wie sie von Pädagogen und Politikern immer anvisiert worden war. Doch der sich zwischen Privatheit und Kollektivierung sedimentierende Widerspruch war Ausdruck eines Systems, das immer weniger zwischen dem Versprechen von individuellem Glück und Wohlstand sowie einer Wirklichkeit vermitteln konnte, die durch wachsenden Mangel, Standardisierung und Kontrolle gekennzeichnet war. Letztlich blieb der Fordismus in der DDR halbiert und der Übergang zu einer intensiven Akkumulation scheiterte. Der Konsumgütersektor wurde, einschließlich des Wohnungsbaus, wesentlich auf Pump finanziert und die Modernisierung der Produktionsstätten vernachlässigt (vgl. Altvater 1992; Merkel 1999). Der Realsozialismus verlor in den 80er Jahren seine Legitimation: durch Versorgungsengpässe und wachsende soziale Ungleichheiten, durch den einseitigen Städtebau, ökologische Deprivationen und die steigenden ökonomischen und moralischen Kosten des Überwachungsapparats (vgl. Flierl 1992; Offe 1994: 31ff.; Joas/Kohli 1993). Mit der Wende zerbrach dann das durch Standardisierung, Respektabilität und Kleinfamilie integrierte Modell der Plattenbausiedlungen. Der Fortschritt und Aufstieg, für den die Siedlungen standen, endete endgültig mit dem ökonomischen Strukturbruch sowie der Wegzugswelle in den Westen und die neuen Häuschen im Grünen. In dem sich ausdifferenzierenden Milieu setzte sich für die einen eine Aufstiegsbewegung fort, während sich für andere die Siedlungen in Abstiegsstationen verwandelten. Zum Vorreiter des Abstiegs wurden die betriebsbezogenen Siedlungen. Denn der im osteuropäischen Vergleich besonders scharfe wirtschaftliche Einbruch in der ehemaligen DDR bedeutete vor allem eine Deindustrialisierung (vgl. Spéder/Schultz/Habich 1997: 350). Ende der 80er Jahre war die DDR noch eine Industriegesellschaft, ihre Wirtschaftsstruktur entsprach der der BRD von 1965 (Strubelt 1996: 28), während Ostdeutschland heute zu den industrieärmsten Regionen Europas zählt.
2. Abstieg und Verinselung der Siedlungen
Mit dem Fall der Mauer erfasst die randstädtischen Plattenbausiedlungen in Ostdeutschland im Kern eine Entwicklung, wie sie sich in den meist als sozialer Wohnungsbau entstandenen Großsiedlungen Westeuropas seit den 70er und 80er Jahren bereits vollzogen hat (vgl. Power 1999; Oberti 1996; Herlyn/Saldern/Tessin 1987). Wesentlich für Kleinfamilien der neuen Mittelschichten gebaut, kehren eben diese der Siedlung den Rücken zu, die ihnen als Durchgangsstation zum privateren Wohnen im Umland der Städte diente. Ein Wandel der Bewohnerstruktur setzt ein, der durch sozial selektive Umzüge, eine Deprivation von Lebenslagen und Diversifizierung der Lebensstile markiert ist. Die Abwanderung der Kleinfamilien, für welche die Plattenbausiedlungen wesentlich konzipiert waren, steht in einem direkten Zusammenhang mit der nachholenden Suburbanisierung in Ostdeutschland. Der Bau von kleineren Mehr- und Einfamilienhäusern im städtischen Umland spielte in der DDR auch aus ideologischen Gründen eine stark untergeordnete Rolle, Suburbanisierung vollzog sich hier gewissermaßen durch den Bau von randstädtischen Plattensiedlungen (Werner 1981; Häußermann 1996a). Das nach der Wende nahezu explosionsartig entstehende suburbane Marktsegment lief den Komfortwohnungen im Plattenbau schnell den Rang ab, und wer es sich leisten konnte, bildete Eigentum oder zog in die steuersubventionierten Mietwohnungen im Umland. Als erstes wurden die betriebsbezogenen Plattenbausiedlungen vom sozialen Abstieg erfasst. Durch die Abwicklung der Großindustrien wurden mit einem Schlag ganze Belegschaften in die Arbeitslosigkeit entlassen, die sich gerade in Mittelstädten wie Hoyerswerda, Guben oder Schwedt in den für die ArbeiterInnen gebauten Siedlungen konzentrierten. Noch bevor Mitte der 90er Jahre der große Trend der Umlandwanderung begann, kündigte sich die Massenarbeitslosigkeit in den sozialen Milieus der Plattenbausiedlungen an, und für viele wurde sie zum Antrieb, sich in einer anderen Region eine Arbeit zu suchen. Da allerdings insgesamt in den randstädtischen Siedlungen eine Arbeiterschicht dominierte, wurde die besonders ArbeiterInnen treffende
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Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland zu einem generellen und langfristigen Abstiegsfaktor im realsozialistischen Neubau. Schließlich sind die Plattenbausiedlungen hinter vorgehaltener Hand als sozialer Wohnungsbau belegt worden. Die Zuweisung von Klienteln des Sozialstaats, von AussiedlerInnen und BezieherInnen von Sozialleistungen, ergab sich aus der Logik der Privatisierung des ostdeutschen Wohnungswesens, da die Kommunen vor allem in den Plattenbausiedlungen Belegungsrechte behielten. Durch den rapide wachsenden Leerstand zeigten sich allerdings auch die Wohnungsunternehmen daran interessiert, zumindest in den Beständen, die am schwersten vermietbar waren, eine transferabhängige, aber zahlungsfähige Mieterschaft unterzubringen, und sie gingen belegungspolitische Bündnisse mit dem kommunalen Staat ein. Strukturelle Arbeitslosigkeit, nachholende Suburbanisierung und Belegungspolitik sind die drei Hauptursachen eines sozialen Abstiegs, der sich in den Plattenbausiedlungen unterschiedlicher Stadttypen zwar mit verschiedener Intensität und Geschwindigkeit vollzieht, der aber zu einem generellen Trend geworden ist. In der Konsequenz verändert sich das soziale Milieu in den Siedlungen von einer vollbeschäftigten hin zu einer Bewohnerschaft, bei denen reguläre Beschäftigungsverhältnisse in die Minderheit geraten. Es dominieren BezieherInnen von Transfereinkommen, wozu einerseits die finanziell abgesicherten RentnerInnen, andererseits finanziell prekäre und arme Haushalte zählen. Neben diesen Klienteln des Sozialstaats konzentrieren sich zunehmend Haushalte mit niedrigen Einkommen, prekärer Beschäftigung und in Ausbildungsverhältnissen in den Plattenbausiedlungen. Kurz, einkommens- und statusschwache Haushalte nehmen zu, und es vollzieht sich eine Homogenisierung von Arbeitermilieus in den Siedlungen. Darüber hinaus kommt es durch die Abnahme der Kleinfamilien zu einer Polarisierung in große und kleine sowie junge und alte Haushalte. Die Bemühungen, durch Sanierung und Umfeldverbesserung die Plattenbausiedlungen zu vitalisieren und ihr soziales Milieu zu erhalten, können so nur als begrenzt erfolgreich bilanziert werden.18 Ihr wesentlicher Erfolg besteht darin, viele der älteren BewohnerInnen, die durch ihre Wohndauer und Biographie eine enge Bindung an die Siedlungen hatten, in den sanierten Bereichen gehalten zu haben. In den später oder noch immer nicht von der Sanierung erreichten Bereichen, meist den jüngsten Beständen, wo auch eine jüngere und mobilere Bevölkerung wohnte, stellten sich dagegen teilweise gravierende soziale Abstiege ein. Während sich hier durch die stärkste Abwanderung
—————— 18 Zur Strategie der Vitalisierung und den verschiedenen Fördermaßnahmen in Plattenbausiedlungen vgl. BMBau (1991b), Rietdorf (1997) und BMBau (1999).
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die höchsten Leerstände ergaben, wurden die Bereiche durch sozialstaatliche Belegung zusätzlich abgewertet. Die soziale Entmischung der Siedlungen geht entsprechend mit einer internen Segregation und Verinselung einher. Der Prozess der Verinselung knüpft an die überkommenen Muster der internen Segregation an und wird durch die Wohnungseigentümer und städtischen Akteure überformt. Im Folgenden wird in einem ersten Abschnitt der generelle Trend der sozialen Entmischung in den Plattenbausiedlungen dargestellt, und in einem zweiten Abschnitt werden die Muster der internen Segregation beschrieben. Im Zuge der internen Segregation kristallisieren sich in den Siedlungen drei sozialräumliche Milieus heraus: das der etablierten Älteren, der MigrantInnen und der Armen. Die soziale Krise in den Gebieten, die im Verlauf der sozialen Entmischung selber zu einem Push-Faktor des Wegzugs wird, lässt sich besonders in den Milieus der Armut ausmachen, wo bauliche Verwahrlosung und soziale Prekarität kumulieren. Auch die wesentlich hier ansetzende Abrisspolitik stellt, so wird ausgeführt, kein Lösungsmittel dar, den Abstieg und die interne Segregation in den Siedlungen zu stoppen.
Soziale Entmischung Allgemein kann der soziale Abstiegsprozess in Wohnsiedlungen durch zwei Entwicklungen verursacht werden: die Deprivation von Lebenslagen innerhalb der Siedlung und sozial selektive Umzüge (vgl. Kronauer 2004). Beide Entwicklungen greifen beim Abstieg der Plattenbausiedlungen ineinander. Die entstehende strukturelle Arbeitslosigkeit ist dabei die wesentliche Ursache für Deprivationen innerhalb der Siedlungen, während die Suburbanisierung und die administrative Belegung Hauptursachen bei den sozial selektiv verlaufenden Umzügen darstellen. Im Zeitverlauf lassen sich zwei Abstiegswellen der Plattenbausiedlungen unterscheiden. Dabei ist die erste, unmittelbar nach der Wende einsetzenden Welle vor allem durch die entstehende Massenarbeitslosigkeit und altersselektive Umzüge charakterisiert, während die zweite, Mitte der 90er Jahre einsetzende Welle durch die nachholende Suburbanisierung eingeleitet wird, in dessen Verlauf das Schwungrad der sozialen Entmischung seine eigentliche Dynamik gewinnt. Die erste Welle ist auf der Ebene von Stadtteilen schlecht dokumentierbar, da sich die statistischen Ämter der Städte nach der Wende erst etablieren mussten. Aber die Daten für die neuen Bundesländer insgesamt und für einzelne Städte zeigen, was die ExpertInnen in Eisenach und Wolfen für die
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Plattenbaugebiete beschreiben: eine gleich nach dem Mauerfall einsetzende Wegzugswelle in die alten Bundesländer sowie eine durch Deindustrialisierung entstehende Arbeitslosigkeit (vgl. StBA 2000: 51, 98; Stadt Eisenach 1999: 7; Stadt Wolfen 2003a: 19). – Die Wanderungen in die alten Bundesländer, die ab 1993 durch Zuzüge aus diesen ausgeglichen wurden und seit 1998 wieder einen Überhang haben, verlaufen vor allem altersselektiv. Sie stellen neben dem Geburtenknick den Hauptgrund für den Alterungsprozess im Osten dar, wo das zu Wendezeiten jüngere Durchschnittsalter den Westen mittlerweile überholt hat (42,4 gegenüber 41,4 Jahren im Jahr 2000; Winkler 2002: 39). »Die Jugend ging, das ›Mittelalter‹ kam«: Abgewandert ist am stärksten die Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren (ebd.). Es ist anzunehmen, dass bereits in der Zeit direkt nach der Wende überproportional viele Personen aus den Neubaugebieten in den Westen zogen. – Sicher ist, dass die Deindustrialisierung die Arbeitslosigkeit in den betriebsbezogenen Plattenbausiedlungen bereits schneller als in anderen Quartieren steigen ließ. Strukturell sind ArbeiterInnen am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen: Sie machen 62,5 Prozent der Arbeitslosen in den neuen Bundesländern und Ostberlin aus (im September 2000; StBA 2002: 108). Die Entwicklungen in den Plattenbausiedlungen wurden allerdings bis Mitte der 90er Jahre einhellig als unproblematisch beschrieben. Der Hauptgrund dafür war sicherlich, dass leer werdende Wohnungen wieder bezogen wurden. So gab es in Eisenach- und Wolfen-Nord bis Mitte der 90er Jahre kaum Leerstände, die Gebiete blieben besonders für die in unsanierten und schlecht ausgestatteten Altbauten wohnenden Haushalte attraktiv. Die Gebäude- und Wohnungszählung bestätigt diesen Befund für die neuen Länder insgesamt, derzufolge 1995 in den ab 1949 gebauten Wohnungen nur 5 Prozent leer standen (Haller 2002: 15). Was den Anstieg der Arbeitslosigkeit betrifft, so haben bei der Abwicklung von Großbetrieben Auffang- und Beschäftigungsgesellschaften die Massenentlassungen zumindest über einige Jahre verteilt, indem sie Teile der Belegschaft in ABM-Maßnahmen überführten. Auch hierin sind Eisenach und Wolfen nicht untypisch, dass sich die Entlassungen aus den Großbetrieben erst im Verlauf der Jahre voll bemerkbar machten. Lässt sich mithin von einer ersten Abstiegswelle unmittelbar nach der Wende reden, die durch die heraufziehende Massenarbeitslosigkeit und in erster Linie alterselektive Umzüge markiert ist, so setzt die eigentliche Abstiegs-
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welle Mitte der 90er Jahre ein. 19 Zu den sozialen Abstiegen innerhalb der Siedlungen, die mit der ostdeutschen Rezession seit 1996 nochmal forciert werden, gesellt sich Mitte der 90er Jahre ein umfangreiches, sozial selektives Umzugsgeschehen. Bei den markt- und administrativ gesteuerten Umzugsprozessen wandern finanzkräftige Haushalte vor allem ins Umland ab, während statusschwache Personen zuziehen, ohne die rapide wachsenden Leerstände wieder zu füllen. Die soziale Entmischung verfestigt sich in bestimmten Siedlungsbeständen zu Abwärtsspiralen, denen mit primär baulichen Maßnahmen – sei es Modernisierung, sei es Abriss – nicht beizukommen ist, da die soziale Krise in den Gebieten jetzt selber zu einem Push-Faktor des Wegzugs wird.
Entleerung ins Umland Als Mitte der 90er Jahre eine erste Serie von Wohnhäusern in Umlandgemeinden bezugsfertig wird, deren Bau stimuliert wurde durch Sonderabschreibungen auf Investitionen, großzügige Flächenausweisungen der selbständig gewordenen Kommunen und damit einhergehenden geringen Bodenpreisen, beginnt die nachholende Suburbanisierung der ostdeutschen Städte (vgl. Empirica 1999: 3; Herfert 1997; Brake/Dangschat/Herfert 2001). Aus Eisenachund Wolfen-Nord, wo Ende 2002 Leerstände von 33 und 38,5 Prozent existieren, ist der Hauptteil der MieterInnen in neue Wohngebiete im städtischen Umland abgewandert (Stadt Eisenach 2002a: 8–10; Stadt Wolfen 2003b: 5; Empirica 1999; ebd. 2000: 2). Die Einwohnerverluste in den beiden Plattenbausiedlungen liegen signifikant über anderen Gebieten: Die restliche Stadt gewinnt sogar jeweils leicht an Bevölkerung, so dass sich der gesamtstädtische Schrumpfungsprozess statistisch auf die großen randstädtischen Siedlungen reduzieren lässt (vgl. Tab. 2.1). Der geringere Einwohnerverlust in Eisenach ist neben einer gesamtstädtisch schwächeren Abwanderung als
—————— 19 Ein Hausmeister aus Eisenach-Nord berichtet, im Dezember 1997: »Vor drei Jahren wollt im Prinzip keiner mehr nach Nord. Vorher nie ne Leerwohnung, ne Leerwohnung in Nord gab´s nicht, hier oben ne Neubauwohnung zu kriegen war wie ein Fünfer im Lotto. Sie sind nicht rangekommen an die Wohnungen. Selber hab ich hier ne Wohnung [1990] nur unter der Bedingung gekriegt, dass ich hier den Hauswart mache. Heute, wer sich´s leisten kann, zieht auf die grüne Wiese, hat nen Haus gebaut oder nimmt sich ne Eigentumswohnung. (...) Jetzt sind aber Mieter drin, die ich als Privatmann jederzeit rausschmeißen würde, weil das nicht tragbar ist im Privathaus Mieter, die die ganze Nacht saufen, randalieren und was weiß ich nicht alles. Aber das Sozialamt ist in die Pflicht genommen, die können wir ja da drinnen reinstecken. Da haben wir vor drei Jahren wahnsinnig viele an solchen Leuten hier hoch gekriegt nach Nord.« (EN97-E-9)
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in Wolfen vor allem darauf zurückzuführen, dass die Stadt 1994 in der Lage war, einen großen Teil der wachsenden Umlandgemeinden einzugemeinden. Tabelle 2.1: Bevölkerungsentwicklung und Leerstände in Eisenach-Nord und Wolfen-Nord im Vergleich zur Gesamtstadt 1994–2001 Eisenach Eisenach Nord
Leerstand
Wolfen
restl. Stadt
Gesamtstadt
WolfenNord
Leerstand
restl. Stadt
Gesamtstadt
1994
8.400
3%
37.608
46.008
31.177
3%
10.709
41.886
1997
6.800
12%
37.933
44.733
25.467
15%
11.197
36.664
2001
5.092
29%
38.456
43.548
17.095
34%
11.716
28.811
94–01
-39%
+26
+2%
-5%
-45%
+31
+9%
-31%
Quellen: SAE 1997; Stadt Eisenach 1999: 6; Stadt Eisenach 2002d; Expertenaussagen und Dokumente zu Leerständen in Eisenach-Nord; Empirica 1999: 28; Stadt Wolfen 2002: 18; Stadt Wolfen 2003a: 19; eigene Berechnungen
Mit den Umzügen verschieben sich in beiden Städten die Wohnungsleerstände auf eine auch für andere ostdeutsche Städte charakteristische Weise: Sie weiten sich vom Altbaubestand auf die randstädtischen Großsiedlungen aus. Von den mittlerweile 1,3 Millionen unbewohnten Wohnungen in Ostdeutschland standen ca. 500 tsd. bereits vor der Wende leer (GdW 2002: 78ff.). Dabei handelt es sich um Altbauwohnungen, ein Erbe der DDR-Altbaupolitik, das sich 1995 durch den höchsten Leerstand von 45 Prozent in Gebäuden darstellte, die bis 1900 gebaut wurden (Haller 2002: 15). Noch die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission entdramatisierte den Leerstand in den sozialistischen Neubaugebieten, in dem sie sich, für 1998, auf eine Leerstandsquote von unter 10 Prozent in Plattenbauten sowie Ein- und Zweifamilienhäusern, aber von einem Drittel in innerstädtischen Altbauten berief (vgl. Kommission 2000). Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass der Leerstand auch nach 1998 vor allem in den Plattensiedlungen wächst: Es sind die randstädtischen Plattenbaugebiete, die sich entleeren, und in Städten mit einem hohen Anteil von Plattenbau liegen die Leerstandsquoten im gesamten Plattenbaubestand bereits deutlich über dem städtischen Durchschnitt (GdW 2002: 78ff.; BMBau 2001: 40, 88). In dieses Bild passt, dass im Jahr 2000 in Eisenach, einer nicht überdurchschnittlich mit Plattenbau bestückten Stadt, der Leerstand im gesamten Plattenbaubestand mit 17,6 Prozent ebenso hoch ist wie in den AltbauMehrfamilienhäusern. 1995 war im Altbau der Leerstand noch drei mal so hoch wie im Plattenbau. Dieser hat sich freilich differenziert entwickelt: In den kleineren Siedlungen und innerstädtischen Beständen liegt auch im Jahr 2000
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der Leerstand unter 10 Prozent (Stadt Eisenach 2002d: 76–77). In Wolfen ist nur noch eine ältere, von ungeklärten Restitutionsansprüchen betroffene Siedlung von hohen Leerständen geprägt. Der gesamtstädtische Leerstand von 24 Prozent Ende 1999 ist hier wesentlich Effekt der Großsiedlung Wolfen-Nord (Stadt Wolfen 2000a: 16; BMBau 2001: 88).
Markt- und staatlich gesteuertes Auffüllen Die sozial selektiven Wegzüge zielen zum überwiegenden Teil ins städtische Umland. Wegzüge in die Innenstadt und die seit 1998 wieder zunehmenden Fernwanderungen vor allem junger Personen spielen demgegenüber eine untergeordnete Rolle (vgl. Harms/Jacobs 2002: 26; Winkler 2002). Gleichzeitig ziehen untere Statusgruppen und WendeverliererInnen in die leer gewordenen Wohnungen ein. Sie werden angezogen durch die geringen Mietpreise, die angesichts der kleinen Grundrisse auch in einfach sanierten Wohnungen, besonders aber im noch unsanierten Bestand bestehen, und die durch die hohen Leerstände weiter gedrückt werden. Zweitens werden Statusschwache durch kommunale Belegungsregime, die sich zwischen Stadt und Wohnungseigentümern etablieren, in die Siedlungen eingewiesen. Tabelle 2.2: Einkommenstypen ein- und ausziehender Haushalte in sechs Siedlungen Mecklenburg-Vorpommerns (%), Juni–September 1997 reiner Erwerbs-Haushalt reiner Transfer-Haushalt reiner Renten-Haushalt Sonstige Gesamt
Ausziehende 57,0 8,1 17,4 17,5 100,0
Einziehende 40,8 34,2 13,2 11,8 100,0
Bestand 42,8 8,2 23,7 25,3 100,0
Quelle: MfBLU 1998: 112
Tabelle 2.2 und 2.3 zeigen am Beispiel von sechs Mecklenburgischen Siedlungen, dass überproportional viele Transfer-Haushalte zuziehen, während gleichzeitig reine Erwerbs-Haushalte in die Minderheit geraten. Außerdem ziehen BewohnerInnen mit Berufsabschlüssen weg, die oberhalb des Meisterabschlusses liegen, während vor allem FacharbeiterInnen und unqualifizierte ArbeiterInnen zuziehen. Damit nehmen in den Siedlungen genau die Qualifikationsgruppen ab, die schon vor der Wende die Minderheit ausmachten, und es vollzieht sich eine Homogenisierung von Arbeitermilieus.
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Tabelle 2.3: Berufsabschluss Ein- und Ausziehender in sechs Siedlungen MecklenburgVorpommerns (%), Juni–September 1997 Ausziehende 6,5 0,6 36,4 4,5 24,0 11,7 16,2 100,0
in Ausbildung ohne Abschluss/ Teilfacharb. Facharbeiter/ Geselle Meister/ Techniker Fachschule/ Berufsfachschule Fachhochschule Hochschule/ Universität Gesamt
Einziehende 8,0 16,1 51,7 8,0 6,9 1,1 8,0 100,0
Bestand 7,7 8,2 64,2 4,3 9,5 1,5 4,6 100,0
Quelle: MfBLU 1998: 110
Unter den verbleibenden und zuziehenden erwerbstätigen Haushalten gibt es wiederum einen bedeutenden Anteil mit prekärer Beschäftigung und niedrigen Einkommen. So ermittelt die Sozialstudie für Sachsendorf-Madlow 1998 bei einem Drittel aller Bewohner-Innen ein Einkommen, das nur wenig über dem Sozialhilfesatz liegt (IRS 2002: 9). Unter den zwischen 1996 und 1998 Zuziehenden verfügen hier die Hälfte der Haushalte über ein Einkommen von weniger als 2000 DM, ein Trend, der sich auch für Plattenbausiedlungen in sächsischen Kleinstädten dokumentieren lässt (vgl. Diagramm 2.1). Diagramm 2.1: Einkommensveränderung in Plattenbausiedlungen (%), Fallstudie zu Kleinstädten in Sachsen 2002 Alteingesessene (bereits vor 1990 ansässig) 2
14
36
33
15
Zugezogene (nach 1998 zugezogen) 14
50
unter 500 €
500 bis unter 1000 €
1500 bis unter 2000 €
2500 € und mehr
18
14
4
1000 bis unter 1500 €
Quelle: Winkler FWB 2002: 6
Bei der Befragung 1997 in Eisenach gab es ExpertInnen bei den Wohnungsbaugesellschaften und der Stadt, die den sozialen Abstieg und die steigenden Leerstände in Nord mit Hinweis auf die im Gange befindlichen Sanierungsmaßnahmen relativierten oder in Abrede stellten. Bei den späteren Befra-
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gungen gab es dann sowohl in Eisenach als auch in Wolfen einen Konsens bei der Beschreibung der Prozesse, die sich trotz der Sanierung von knapp zwei Drittel der Wohnungen, was dem durchschnittlichen Sanierungsstand in Plattenbausiedlungen entspricht, eingestellt haben. Eine Angestellte der städtischen Wohnungsgesellschaft in Wolfen beschreibt exemplarisch die Entwicklung: »Wolfen-Nord war bis zur Wendezeit eigentlich das beliebteste Wohngebiet. Gab’s keinen Leerstand, man hat sich gefreut, wenn man eine Wohnung gekriegt hat. Nach der Wende, Betriebe geschlossen, Arbeitslosigkeit, viele sind weggezogen, der Leerstand wird immer größer. Viele haben sich Eigentum angeschafft, viele junge Leute. Viele junge Leute ziehen weg, wegen Arbeitsplätzen. Die Leute, die nach Wolfen-Nord ziehen, wie kann man das günstig ausdrücken, sind sozial schwächer, würd ich mal sagen. Viele kommen mit Wohnberechtigungsschein, die die Wohnung vom Sozialamt gezahlt kriegen. Viele kommen, weil sie sich finanziell ne andere Wohnung nicht mehr leisten können.« (WN01-E-8)
Die Gruppen, die aus den Siedlungen wegziehen, sind nach Aussagen der ExpertInnen vor allem jüngere und finanzkräftigere Haushalte und Familien. Dagegen ziehen status- und finanzschwache Haushalte zu, worunter sich ebenfalls viele junge – Haushaltsgründer, Personen in Ausbildungsverhältnissen –, dann kleine und große Haushalte sowie AussiedlerInnen befinden. Durch die Abnahme der Kleinfamilien, die zu DDR-Zeiten auch mit zwei Kindern großenteils in Dreiraumwohnungen gelebt haben, konzentriert sich der Leerstand zunehmend auf diesen, in den Siedlungen vorherrschenden Wohnungstyp. Die städtischen Wohnungsgesellschaften in Eisenach und Wolfen geben ihren Leerstand sogar als nahezu begrenzt auf Dreiraumwohnungen an. Da sie stärker als die Genossenschaften mit dem Sozialamt zusammenarbeiten, können sie die Vier- und wenigen Fünfraumwohnungen mit großen Familien belegen, während bei den Ein- und Zweizimmerwohnungen ohnehin eine große Nachfrage durch Singles, Alleinstehende und Pärchen besteht. In der neuen Belegungsstruktur spiegelt sich die Polarisierung der Bewohnerschaft in große und kleine sowie junge und alte Haushalte, da unter den Verbleibenden Ältere dominieren. Diese Polarisierung wird für viele, seit den 70er Jahren entstandene Plattenbaugebiete dokumentiert und alles weist darauf hin, dass es sich dabei um einen generellen Trend handelt.20
—————— 20 Sozialstudien, die die hier beschriebenen Entwicklungen darstellen, existieren für Sachsendorf-Madlow, Cottbus (Hunger 1999), Südstadt, Leinefelde (ZWS Lf 1995; WuP 2002), sechs Siedlungen in Mecklenburg-Vorpommern (MfBLU Meck-Pom 1998), Halle-Silberhöhe (Empirica 2002), Marzahn Nord-West (Schulz 2002), Neu-Zippendorf, Schwerin (DIfU 2002b) und Siedlungen in sächsischen Kleinstädten (Winkler FWB 2002). Darüber hinaus zeigt eine umfassende Kommunalbefragung zu 142 Plattenbaugebieten von 1998 viele der beschriebenen Trends auf (BMBau 1999: 213ff.). Die jüngsten Erkenntnisse zur Entwicklung
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Belegungspolitik Der Zuzug respektive die Zuweisung von AussiedlerInnen aus dem ehemaligen Ostblock scheint ebenfalls ein generelles Phänomen darzustellen (vgl. BMBau 1999: 259–265). In der Zuweisungspolitik kommt ein Interessenbündnis zwischen Wohnungsunternehmen und kommunalem Staat zum Ausdruck, dass auch für die Versorgung anderer statusschwacher Gruppen mit Plattenbauwohnungen verantwortlich zeichnet. Obwohl im Einigungsvertrag festgelegt wurde, dass Plattenbausiedlungen nicht als sozialer Wohnungsbau fungieren sollen, folgte aus der Logik der Transformation des Wohnungswesens in Ostdeutschland, dass die Kommunen vor allem in ihnen Belegungsrechte behielten. 21 Denn der rechtliche Zugriff auf die Altbauten wurde, wenn nicht durch Privatisierung, so durch ungeklärte Restitutionsansprüche bis Mitte der 90er Jahre massiv eingeschränkt (vgl. Glock/ Häußermann/Keller 2001). Die Belegungsrechte der Städte weiteten sich dann mit dem Altschuldenhilfegesetz 1993 von dem kommunalen auf den genossenschaftlichen Bestand aus, da sämtliche Wohnungsunternehmen, die Altschuldenhilfe in Anspruch nahmen, zur zehnjährigen Belegungsbindung von 50 Prozent ihres Bestandes verpflichtet werden konnten (vgl. Borst 1997: 132). Dabei waren die Belegungskriterien, die 1995 durch Gesetze auf Länderebene konkretisiert wurden, zwar weiter als die des sozialen Wohnungsbaus gefasst, sie ließen der kommunalen Praxis jedoch großen Gestaltungsraum. Diese Praxis sah in Eisenach und Wolfen so aus, den Großteil bzw. alle der belegungsgebundenen Wohnungen in den nördlichen Großsiedlungen und dort noch einmal in bestimmten Abschnitten zu lokalisieren. So wurden in Wolfen die belegungsgebundenen Wohnungen zunächst auf zwei Siedlungsabschnitte des jüngsten Wohnkomplexes beschränkt (Stadt Wolfen 1996: 2.12). In Eisenach gab lediglich die städtische Wohnungsgesellschaft 1997 Auskunft, 70 Prozent aller belegungsgebundenen Wohnungen ihres über die Stadt verteilten Bestandes in Nord konzentriert zu haben. Dass es sich bei dieser Politik um keine Ausnahme handelt, haben die Gespräche mit ExpertInnen, die für eine Reihe von Plattenbausiedlungen Begleitforschungen durchgeführt haben, bestätigt.22 Mit den steigenden Leerständen – besonders in den jüng-
—————— der Plattenbausiedlungen verdanken sich zu einem großen Teil dem Bund-Länder-Programm »Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt« (vgl. DIfU 2002a), in das bis 2002 301 Stadtteile aufgenommen wurden, darunter 54 aus den neuen Bundesländern (ohne Berlin), bei denen es sich überwiegend um Plattenbausiedlungen handelt. 21 Vgl. zur Transformation des ostdeutschen Wohnungswesens Häußermann (1996b). 22 Die Gespräche wurden mit je einer/m MitarbeiterIn von Weeber und Partner, Stadtbüro Hunger, IRS Erkner, Empirica und dem DIfU geführt (vgl. Anhang).
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sten Bauabschnitten, in denen die jüngste und mobilste Bevölkerung wohnte – wird das Interesse der Wohnungsgesellschaften an dem Bündnis mit der Stadt nochmal befestigt. Die genaue Festlegung belegungsgebundener Wohnungen in den Siedlungen verliert gleichzeitig an Bedeutung, da die Mietkosten ohnehin gering sind und die subjektbezogene Förderung (Bezahlung der Miete durch das Sozialamt, Wohngeld) gängige Praxis ist. Die lokalpolitischen Akteurskonstellationen haben sich eingespielt, und als Regel gilt, dass das Sozialamt die Kosten für die günstigsten Wohnungen übernimmt. So berichten ExpertInnen der Sozialämter, dass Personen mit Wohnungsberechtigungsschein überwiegend nach Wolfen- und Eisenach-Nord verwiesen werden, auch wenn ihnen formell das Recht zukommt, drei Wohnungsangebote zu machen, die sich innerhalb der festgesetzten Kosten- und Grundrissgrenzen bewegen. Während der Zuzug von AusländerInnen in die Plattenbausiedlungen bisher recht gering ist, fällt der von AussiedlerInnen, die von der deutschen Bevölkerung allerdings auch als Ausländer bezeichnet werden, stärker ins Gewicht. In Wolfen-Nord ist ein weiterer Abschnitt des jüngsten Wohnungskomplexes zum Auffangbecken der aus dem städtischen Wohnheim kommenden AussiedlerInnen geworden. In Eisenach wurde deren Wohnheim vor einigen Jahren kurzerhand nach Nord verlegt, und von dort ziehen viele weiter in andere Teile der Siedlung. Während der Ausländeranteil mit 1,7 Prozent in Wolfen-Nord im städtischen Durchschnitt liegt und auch in Eisenach-Nord nicht weit über dem Mittel von 2 Prozent liegen dürfte (Stadt Wolfen 2003a: 11; Stadt Eisenach 2002b: 4 und 2002e), gibt es eine deutliche Segregation von AussiedlerInnen in den Siedlungen. Ihr Anteil liegt nach vorsichtigen Schätzungen bei 10 Prozent in Wolfen- und 9 Prozent in Eisenach-Nord. Dass für den Zuzug der AussiedlerInnen in Plattenbausiedlungen auch die Wohnungsbaugesellschaften das Zugpferd bilden können, die in dieser Gruppe eine Kundschaft nicht zuletzt für die Dreiraumwohnungen erkennen, zeigt ein Beispiel aus Berlin. So hatte die Wohnungsbaugesellschaft für Marzahn-Nord, wo sich heute mit ca. 15 Prozent der Bewohnerschaft die größte Konzentration von AussiedlerInnen in Berlin befindet (Kapphan 2002: 147), bei dem regionalen Auffanglager extensiv mit preisgünstigem Wohnraum geworben. Bei den AussiedlerInnen sind kleinfamiliale Haushaltsstrukturen noch die Regel, was im übrigen neben ihrer Segregation in den Plattenbausiedlungen mit dazu beitragen dürfte, dass diese Zuzugsgruppe in quantitativ markant übersteigerter Weise von den Ansässigen wahrgenommen wird.
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Bilanz: Abstieg mit unterschiedlicher Intensität Der soziale Abstieg in den randstädtischen Plattenbausiedlungen verläuft in verschiedenen Stadttypen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität. Allgemein lässt sich sagen, dass in den betriebsbezogenen Siedlungen der Abstieg am frühsten und radikalsten einsetzt, was eine besondere Betroffenheit der Mittelstädte impliziert. In den Plattenquartieren der Großstädte, die sozial gemischter waren und in der Regel größer sind, macht sich der Abstieg später und bisher weniger durchgreifend bemerkbar. Stärker betroffen sind die betriebsbezogenen Siedlungen in Großstädten, wie auch an den Arbeitslosenquoten in Cottbus Madlow und Halle-Silberhöhe im Vergleich zu Rostock Groß Klein deutlich wird (vgl. Tab. 2.4). Weiter sind die ältesten Siedlungsbestände aus den 50er und 60er Jahren, in denen ein Milieu etablierter SeniorInnen dominiert, sozial am stabilsten, die jüngsten dagegen am instabilsten. Tabelle 2.4: Arbeitslosigkeit in Plattenbausiedlungen von Groß-, Mittel- und Kleinstädten im Vergleich zur Gesamtstadt (%) Rostock Groß Klein Siedlung
Cottbus Madlow*
21,3
26,0
HalleSilberhöhe
28,3
Güstrow Südstadt 24,0
Parchim Weststadt 28,6
EisenachNord
25,0
WolfenNord*
Ueckermünde Ost
Leinefelde Südstadt
28,3
33,6
20,0
Stadt
18,5
16,9
22,6
20,1
18,2
13,8
23,9
24,0
15,0
Jahr
1997
1998
2000
1997
1997
2001
2002
1997
2000
* Arbeitslosenquoten bis auf Cottbus und Wolfen, wo Arbeitslosendichten (Erwerbslose im Verhältnis zur erwerbsfähigen Bevölkerung) angegeben werden Quellen: Empirica 2002: 13; Hunger 1999: 71; MfBLU 1998: 34; Stadt Eisenach 2002c: 7; Expertenaussagen Eisenach; Stadt Wolfen 2003b: 19; WuP 2002: 16
Unter den regionalen Faktoren, die die soziale Entwicklung der Plattenbausiedlungen moderieren, sind die Strategien und die Abstimmung von städtischen Akteuren und Wohnungseigentümern hervorzuheben. Insbesondere eine gemäßigte und geographisch gestreute Belegung des Plattenbaus als sozialer Wohnungsbau sowie eine konzertierte Weiterentwicklung der Siedlung mit den BewohnerInnen können das Ausmaß des Abstiegs eindämmen.23 Auch die regionale wirtschaftliche Entwicklung spielt ein Rolle.
—————— 23 Vergleiche zu unterschiedlichen Strategien der Weiterentwicklung der Plattenbausiedlungen BMBau 1999, MAB 1999, TIM 1999 sowie die Arbeit von zur Gathen (2001), die das oft zitierte Beispiel von Eggesin mit Schwerin und Wolfen vergleicht.
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Dabei zeigt allerdings der Vergleich zwischen Eisenach und Wolfen, dass sowohl unter den Vorzeichen von einer wirtschaftlich eher positiven wie negativen Entwicklung der Region die grundlegenden Trends identisch sind. Insgesamt fügt sich das Puzzle der zur Verfügung stehenden Studien und Daten zur sozialen Entwicklung der Plattenbausiedlungen zu einem unerfreulichen Bild. Die Maßnahmen der Wohnumfeldverbesserung und Sanierung konnten die Siedlungen nicht vor sozialem Abstieg und einer Ghettoisierung bewahren. Zwar konnten viele der älteren BewohnerInnen in den sanierten, zumeist älteren Siedlungsbeständen gehalten werden. Ein Abstieg in anderen, meist den jüngeren Bauabschnitten, hat sich jedoch mit teils gravierender Schärfe vollzogen. Die hier in Gang gekommenen Abwärtsspiralen bedrohen die Zukunft der Siedlungen im ganzen. Denn wer zieht in die stabileren Bestände ein, wo inzwischen der Abgang durch Sterbefälle den Leerstand täglich wachsen lässt? Auch wenn sich die Abwärtsspiralen auf bestimmte Teile konzentrieren, so beeinträchtigen sie doch mindestens durch ein negatives Image die gesamte Siedlung und halten, auch angesichts eines breiten Wohnungsangebots, ressourcenkräftigere Haushalte vor einem Zuzug ab. Wenn unter den Wegzugsmotiven, den ExpertInnen in Eisenach und Wolfen sowie zwei weiteren Studien zufolge (Hunger 1999: 105; Winkler FWB 2002: 7), die Unzufriedenheit über das soziale Umfeld bereits dominiert, dann werden bauliche Maßnahmen allein diesen Abstieg nicht aufhalten können.
Interne Segregation Die strukturelle Arbeitslosigkeit, die Entleerung der Siedlungen in die neu entstehenden Marktsegmente im städtischen Umland und die aus der Logik der Privatisierung folgende Belegungspolitik verursachen weitgehend unabhängig von regionalen Besonderheiten den Abstiegsprozess der Plattenbausiedlungen. Wie schlagen sich diese makrosozialen Trends nun aber innerhalb der Siedlungen, auf mesosozialer Ebene nieder? Es ist deutlich geworden, dass die Siedlungen keineswegs flächendeckend absteigen. Der Abstieg geht vielmehr mit einer internen Segregation bzw. einer Verinselung sozialer Milieus einher, wobei sich drei sozialräumliche Milieus in den Siedlungen kristallisieren. Im Folgenden werden nach einer knappen Skizze der sich bildenden drei sozialräumlichen Milieus die Faktoren diskutiert, die auf mesosozialer Ebene die Segregation gestalten. Abschließend wird am Beispiel von Eisenach- und Wolfen-Nord das jeweilige Zusammenwirken der Faktoren sowie das Ausmaß der internen Segregation veranschaulicht.
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Sozialräumliche Milieus: Etablierte Ältere, MigrantInnen und Arme Im Zuge der internen Segregation bilden sich unterschiedliche sozialräumliche Milieus in den Siedlungen. Den größten Raum nimmt dabei das Milieu der etablierten Älteren ein, unter denen sich viele RentnerInnen, aber auch erwerbstätige Haushalte befinden, und die in den am aufwendigsten sanierten Blöcken wohnen. Daneben haben sich kleinere Inseln von MigrantInnen, meist AussiedlerInnen, gebildet, die eher in den einfach sanierten Beständen leben. Schließlich ist ein wachsendes Milieu der Armut und Prekarität entstanden, das sich in den teil- und unsanierten Bereichen konzentriert. Die drei sich in den Siedlungen kristallisierenden Milieus sind auch durch unterschiedliche Niveaus an Leerständen und Fluktuation charakterisiert: In dem Milieu der Armut gibt es neben den höchsten Leerstands- zugleich die höchsten Fluktuationsquoten, während diese bei den etablierten Älteren am geringsten sind.24 Die drei sozialräumlichen Milieus der etablierten Älteren, MigrantInnen und Armen konturieren sich in den Siedlungen bereits erstaunlich scharf, wie an Eisenach- und Wolfen-Nord deutlich wird. Bemerkenswert ist die Verknüpfung zwischen Status und sichtbarer Wohnqualität. Mit dieser Verknüpfung, besonders der von Armut und Desinvestition, kündigt sich eine Qualität sozialer Ungleichheit an, deren Überwindung als eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts gilt. Benachteiligungen im Wohnbereich wurden hier durch sozial orientierte Stadterneuerung und sozialen Wohnungs- und Plattenbau immer weniger sichtbar und verschoben sich zunehmend auf Merkmale der Wohnlage und des -umfelds.25 Die drei entscheidenden Faktoren, die die entstehenden Muster der internen Segregation bestimmen, bestehen erstens in der überkommen Sozialstruktur und internen Segregation, zweitens in den Entwicklungsstrategien der Wohnungseigentümer und der Stadt sowie drittens in den Abgrenzungen zwischen den BewohnerInnen. Darunter ist die geerbte Sozialstruktur das einflussreichste Moment. Denn die überkommene Verteilung von sozialen Milieus, die verschiedene Lebenslagen und Bindungen an die Siedlung hatten, übersetzte sich nach der Wende in Bleibe- und Umzugsentscheidungen. In den jüngeren Bauabschnitten war die Mobilitätsbereitschaft der jungen Bewohnerschaft höher und auch die Verunsicherung ihres Status im Zuge der
—————— 24 Auch der Vergleich zwischen Siedlungen zeigt eine Korrelation zwischen sozialer Deprivation und Leerständen: Die Arbeitslosigkeit liegt, wie die Kommunalbefragung zu 142 Plattenbausiedlungen 1998 ergeben hat, in Siedlungen mit höheren Leerständen ebenfalls höher (BMBau 1999: 140). 25 Vgl. dazu verschiedene Beiträge in dem Band von Harth/Scheller/Tessin (2000), besonders die von Saldern (2000) und Häußermann/Siebel (2000).
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Transformation durchgreifender. Wer nicht wegzog, bei dem war die Chance arbeitslos zu werden, besonders hoch. Die in den älteren Siedlungsabschnitten wohnenden FacharbeiterInnen hatten allein schon durch den absehbaren oder sich vollziehenden Übergang in eine sichernde Rente weniger mit ihrer Lebenslage zu kämpfen. Ihre durch jahrzehntelanges Wohnen hohe Bindung an das Quartier beeinflusste die Entscheidung zu bleiben oder innerhalb der Siedlung in einen gesicherten Bereich umzuziehen. Da die Sanierungen in der Regel bei den älteren Siedlungsbeständen begannen, wurde damit zusätzlich das dort alt gewordene Milieu an FacharbeiterInnen stabilisiert. In den jüngeren Bauabschnitten ist dagegen die Sanierungswelle meist gar nicht angekommen. Neben der stärkeren Abwanderung der mobileren Bewohnerschaft ist hier durch die vernachlässigte Instandhaltung und die Konzentration der »sozialen« Belegungspolitik der Abstieg typischer Weise am stärksten. Dieses Muster der internen Segregation, das im Kern dem Bebauungsalter folgt, zeigt sich deutlich in großen Plattenbaugebieten wie Wolfen-Nord, Berlin-Marzahn oder Magdeburg Neu-Olvenstedt, da hier die Alterssegregation sehr signifikant war und ist und die Aufwertung der ältesten Gebäudeabschnitte schon aus bautechnischen Gründen besonders nahe lag.26 Mit einer Entwicklungsstrategie, die die älteren Bestände privilegiert, sind Wohnungseigentümer und Stadt den sozialstrukturellen Mustern gefolgt und haben ihre wichtigsten Klienteln bedient, womit sie den Prozess der internen Segregation forciert haben. Wie schwierig es andererseits war, gegen die sich verstärkende, auch durch interne Umzüge vorangetriebene Verinselung anzugehen, zeigt neben der Bilanzierung der Wohnumfeldmaßnahmen in zahlreichen Siedlungen ein Beispiel aus Wolfen-Nord. Mitte der 90er Jahre visierte man hier mit einem Entwicklungskonzept, das auch im Rahmen der Weltausstellung EXPO 2000 gefördert wurde, die Aufwertung des jüngsten Siedlungsabschnittes an (vgl. Stadt Wolfen 1996). Die aufwendigen Umfeldverbesserungen und Luxussanierungen von einzelnen Häusern konnten die Abwanderung und soziale Entmischung dort aber kaum eindämmen. Heute stehen die PlanerInnen vor dem Problem, die umfangreichen Investitionen nicht dem Abriss preisgeben zu wollen, der vor allem für die jüngsten Bauabschnitte vorgesehen und bereits begonnen ist. Der aufgewertete Bereich soll deswegen als eine Insel erhalten werden. Da aber mittlerweile die Zuweisung von AussiedlerInnen und die Lage im problematischen jüngsten Siedlungsbereich ressourcenstärkere Haushalte vor einem Zuzug abschreckt und diese im Gegenteil von dort in die älteren Teile der Siedlung um- oder
—————— 26 Zur Altersegregation in großen Plattensiedlungen vgl. Hunger/Wallraf 1998: 183-184.
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ganz wegziehen, scheint der Erhalt der Insel nur um den Preis einer Ghettoisierung möglich. Die Muster der internen Segregation werden durch die Struktur und Strategien der Wohnungseigentümer aber auch überformt. Generell sind die Bestände der Genossenschaften stabiler, da diese weniger als die städtischen Wohnungsgesellschaften mit dem Sozialamt zusammenarbeiten und durch die Notwendigkeit einer finanziellen Einlage eine soziale Eingangsbarriere existiert. Allerdings gehen auch sie eine Kooperation mit dem Sozialamt für ihre vom höchsten Leerstand geprägten Bestände ein, wozu auch in ihrer Lage oder Architektur besonders unattraktive Gebäude zählen. Die interne Segregation wird durch die Eigentümer um so stärker überformt, je kleiner die Siedlung ist und je mehr Eigentümer konkurrierend die Siedlung entwickeln. Denn in kleinen Siedlungen ist die Alterssegregation geringer ausgeprägt und der Anteil der beliebteren am Rand gelegenen Bestände größer, die unterschiedliche Eigentümer konkurrierend entwickeln können. Die meisten Eigentümer folgen in ihren Strategien offenbar eher den sich schon abzeichnenden Trends, als grundlegend andere Akzente zu setzen, so in Neu-Olvenstedt und Eisenach-Nord, wo sich neben Genossenschaft und städtischer Gesellschaft – in der Regel den Haupteigentümern der Siedlungen – eine Vielzahl von Eigentümern die Siedlung teilen. 27 Für die zukünftige Entwicklung und Schärfe der internen Segregation sind die Eigentümer und die städtischen Akteure aber nicht zu unterschätzen. Die Frage ist, ob sie sich mit ihren Strategien von Aufwertung und Desinvestition, von Erhalt, Abriss und Belegung den internen Segregationsprozessen entgegenstellen oder den bestehenden Mustern folgen. Mit ihrer Politik, die in einer Wechselwirkung mit den sozialen Prozessen steht, entscheiden sie wesentlich darüber, welche Wohnungssegmente sich innerhalb der Siedlungen ausbilden und wie tief die Gräben sind, die zwischen ihnen verlaufen. Neben der überkommenen Sozialstruktur und den Strategien der kommunalen Akteure sind schließlich die Abgrenzungsprozesse zwischen den BewohnerInnen ein Einflussfaktor für die entstehenden Muster der internen Segregation. Diese Abgrenzungen werden im dritten Kapitel genauer beschrieben, und hier genügt der Hinweis, dass sich dieselben in interne Umzüge übersetzen, bei denen insbesondere ressourcenstärkere und ältere BewohnerInnen aus abgestiegenen Beständen in die Milieus der etablierten Älteren umziehen. Der folgende Vergleich von Eisenach- und Wolfen-Nord veran-
—————— 27 Einsicht in eine aktuelle und unveröffentlichte Studie zur Entwicklung von Neu-Olvenstedt habe ich im Stadtbüro Hunger erhalten. Die Entwicklung der internen Segregation war ein zentrales Thema der durchgeführten Experteninterviews.
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schaulicht das jeweilige Zusammenspiel der drei Einflussfaktoren und das bisher erreichte Ausmaß der internen Segregation. Es zeigt sich, dass die sozialräumlichen Milieus in der kleineren Siedlung von Eisenach schärfer aufeinander stoßen, was neben der Größe der Siedlung auch mit der stärkeren Überformung der internen Segregation durch die Eigentümer zusammenhängt. In der Siedlung Wolfen-Nord verteilen sich die sozialen Milieus großräumiger. Der Einfluss des Bebauungsalters für die interne Segregation ist besonders offensichtlich, wiewohl auch hier die kommunalen Akteure das Muster überformt haben.
Verinselung als Geschichte von Wohnungseigentümern: Eisenach-Nord Ein Bild von der internen Segregation und Verinselung in Eisenach-Nord vermittelt Diagramm 2.2. Es gibt die Sozialstruktur wieder, wie sie in den Beständen der drei wichtigsten von mittlerweile sechs Wohnungseigentümern in Nord vorliegt: der Allgemeinen Wohnungsgenossenschaft (AWG), der Städtischen Wohnungsgesellschaft (SWG) und dem privaten Eigentümer Eichsfeld. Die Sozialstruktur der darüber hinaus existierenden Eigentümer lassen sich im Fall der Treuhand-Liegenschaft-Gesellschaft (TLG) mit der SWG und im Fall der Genossenschaft Sonnenschein mit der AWG vergleichen. Ein sechster Eigentümer von nur zwei Blöcken ist in dem bunt gescheckten Feld an Eigentumsstrukturen vernachlässigbar. Das Milieu der etablierten Älteren dominiert in den Wohnungsbeständen der Genossenschaften, in der AWG sowie in der 1998 ausgegründeten, kleineren Genossenschaft Sonnenschein, die zusammen mit 1704 Wohnungen fast die Hälfte der Siedlung ausmachen. Hier lebt zugleich der größte Anteil an erwerbstätigen Haushalten. Die Genossenschaftsbestände sind die am aufwendigsten sanierten und verzeichnen den geringsten Leerstand in der Siedlung. Im Kontrast dazu wohnen bei dem privaten Eigentümer Eichsfeld, dessen Häuser den höchsten Leerstand aufweisen und komplett unsaniert sind, überwiegend arme Haushalte. Während die finanzielle Situation der RentnerInnen und erwerbstätigen Haushalte bei den Genossenschaften sich weitgehend als gesichert und gut darstellt, herrscht unter den Armen, die bei Eichsfeld wohnen, vielfach extremer Mangel. Circa 50 Prozent der Haushalte haben Mietschulden, nicht wenige mit Summen zwischen 3.000 und 5.000 Euro. Die Inseln der MigrantInnen finden sich bei der städtischen Wohnungsgesellschaft SWG sowie der bundeseigenen TLG, die 1997 1000 Wohneinheiten von der SWG erwarb. Bei der SWG sind 22 Prozent der BewohnerInnen AussiedlerInnen, und sie konzentrieren sich noch mal auf wenige
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Blöcke. Die Sozialstruktur in den Beständen der SWG und TLG liegt zwischen den Extremen der Genossenschaften einerseits und des privaten Eigentümers Eichsfeld andererseits, was den Anteil von RentnerInnen, Armen und Erwerbstätigen betrifft. Bei beiden Gesellschaften sind überwiegend einfache Grund- und Fassadensanierungen durchgeführt worden, und auch der Leerstand liegt mit ca. 40 Prozent zwischen den Extremen. Allerdings gibt es auch innerhalb dieser Bestände starke Kontraste. Die Auszählung der städtischen Wohnungsgesellschaft hat ergeben, dass nahezu jedes Haus sich einem der drei Milieus zuordnen lässt: In den Eingängen dominieren entweder Ältere neben noch relativ vielen Erwerbstätigen, MigrantInnen oder Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen. Von diesen internen Kontrasten berichtet auch die AWG, wo in den unsanierten Beständen ein höherer Anteil Armer lebt, nur MigrantInnen bisher keinen Wohnraum fanden. Diagramm 2.2: Verinselte Sozialstruktur in Eisenach-Nord: Anteil RentnerInnen, Arbeitslose/HLU und Erwerbstätige bei drei Wohnungseigentümern 2003 (%)* 100% 23 80%
45
41
20
30
35
29
40
60%
Rente arbeitslos/HLU erwerbstätig
40% 20%
57
28
32
20
0% AWG Wohneinheiten: Leerstand:
1221 25%
SWG
Eichsfeld
Siedlung
900
485
3600
40%
50%
33%
* Bis auf den Bestand der SWG, für den das Wohnungsunternehmen eine Auszählung vorgenommen hat, basieren die sozialstrukturellen Angaben auf einer Kombination von Dokumenten (zu Altersstruktur, Erwerbsstruktur, Anteil MietschuldnerInnen u.a.), Expertenaussagen und Erfahrungen vor Ort, die sich zu fundierten Schätzungen zusammenfügen. Quellen: Dokumente AWG, Eichsfeld, Stadt Eisenach, SWG, Expertenaussagen, alle 2003
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Das Bild der Verinselung erscheint komplex, und in der Tat ließen sich noch weitere Differenzierungen in Eisenach-Nord herausstellen. Zugleich zeigt sich jedoch ein klares Muster: Das Milieu der etablierten Älteren dominiert in den am frühsten und aufwendigsten sanierten Beständen der Genossenschaften, die nur in geringem Ausmaß mit dem Sozial- und Wohnungsamt zusammenarbeiten. Demgegenüber konzentrieren sich Arme und MigrantInnen in den einfach sanierten und unsanierten Beständen der übrigen Eigentümer, die eine stärkere Zusammenarbeit mit den städtischen Ämtern eingegangen sind und dabei in bestimmte Bereiche bevorzugt Bedürftige einwiesen. Der private Eigentümer Eichsfeld ist nur die Spitze dieser Entwicklung: Er kaufte 2001 die letzten unsanierten Blöcke der TLG zu einem Schleuderpreis und belegt diese offensiv durch Werbung mit geringen Mieten und durch Vermittlung des Sozialamts. Auf diese Weise konnte er den Leerstand wieder senken, der anfangs über 60 Prozent betragen hat. Die Geschichte der internen Segregation erscheint in Eisenach-Nord als eine Geschichte von Eigentümern, ihren Maßnahmen und Strategien, welche die überkommene, mit dem Baualter einhergehende Sozialstruktur überformen. Das Moment der geerbten internen Segregation verschwindet aber nicht wirklich, denn die Sanierungen setzten zuerst bei den ältesten Beständen ein, während die Belegung durch finanziell schwache Haushalte sich auf die jüngeren, immer weiter privatisierten und schlechter instand gehaltenen Bereiche konzentriert. So liegen etwa Eichsfelds Bestände im jüngsten Siedlungsabschnitt, und er setzt deren Belegung durch geringe Mieten und über das Sozialamt nur rigoroser fort, als das zuvor die TLG bereits getan hatte. Umgekehrt vermietet in einem älteren, früher privatisierten und sanierten Bereich der private Eigentümer von nur zwei Blöcken diese erfolgreich an etablierte ältere Haushalte. In einer Wechselwirkung mit den Strategien der lokalen Akteure stehen die innerhalb der Siedlung verlaufenden Umzüge. Einen zentralen Auslöser des Umzugsgeschehens bildeten die Sanierungen, die Mitte der 90er Jahre bei der Genossenschaft und ab 1997 bei SWG und TLG einsetzten. Gerade die älteren Haushalte, die sich nicht allein aus finanziellen Gründen für ein Bleiben entschieden, zogen von den noch unsanierten Blöcken in frisch sanierte um. Daneben bildete freilich das Motiv, in sozial stabile Eingänge zu ziehen, wenn sich im Haus eine Erosion der Hausgemeinschaft und sozialer Abstieg vollzogen hatte, einen Motor für das interne Umzugsgeschehen. Vor diesem Hintergrund konnte die Genossenschaft den größten Zulauf verzeichnen, nicht nur weil sie Vorreiter der Sanierungen war, sondern auch, weil sie durch eine bessere Mieterbetreuung und die Eingangsbarriere einer finanziellen Einlage eine größere soziale Stabilität in ihren Häusern versprach.
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Mit dem Ende der großen Sanierungswelle ist das interne Umzugsgeschehen inzwischen geringer geworden, aber nicht abgebrochen. Weiterhin sortieren sich die Milieus, die sozialen Veränderungen weisen eine hohe Dynamik auf, und es konturieren sich unterschiedliche Wohnungssegmente in der Siedlung. Mit dem Beschluss der Abrisspolitik um die Jahrtausendwende ist sogar ein neuer Umzugsimpuls hinzugekommen. Die Genossenschaft, in EisenachNord der agilste und engagierteste Akteur, handelte sich diesmal mit ihrem raschen Engagement Nachteile ein: Ende 2000 kündigte sie den Abriss bestimmter Blöcke an und organisierte Anfang 2001 den Leerzug einer ganzen Häuserzeile (vgl. TLZ 20.3.01). Zwei Jahre später stand diese noch immer, weil die Gelder nicht bewilligt waren. Doch ebenso wenig wie die Genossenschaft alle Haushalte der leergezogenen Häuserzeile in ihrem Bestand halten konnte, sind in Häusern, die erst später zum Abriss vorgesehen sind, alle Mietparteien geduldig verblieben. Die Planungsunsicherheit konterkariert die Abrisspolitik, da sie sich auf die MieterInnen überträgt. Das im Rahmen des »Stadtumbau Ost« vorgelegte Entwicklungskonzept für Nord (vgl. Stadt Eisenach 2002a und 2000d) wurde vorerst sogar ganz auf Eis gelegt, da die Stadt gegenwärtig keinerlei Kofinanzierung leisten will. Nachdem diese in den letzten Jahren viel Geld in Sanierungsmaßnahmen der Altstadt gesteckt hatte, beschließt sie für den Haushalt 2003, in Nord nicht zu investieren. Auch bei der Abrisspolitik liefert der Eigentümer Eichsfeld ein aufschlussreiches Detail für das Verständnis der Geschichte der internen Segregation in Eisenach-Nord. Rund ein Jahr hatte sich die Stadt um den Rückkauf von 700 Wohnungen bei der TLG bemüht, an die sie diese im Rahmen des Altschuldenhilfegesetztes erst privatisiert hatte. Inzwischen visierte sie aber den Abriss der am oberen Rand der Siedlung gelegenen Blöcke an. Schließlich erhielt, zu günstigeren Konditionen, Eichsfeld im Oktober 2001 den Zuschlag von der TLG – für 485 unsanierte Wohnungen (vgl. TA 6.10.2001). Die Stadt hatte das Nachsehen, und kurz darauf wies auch Eichsfeld ihr Kaufgesuch ab. Die städtische Wohnungsgesellschaft und die TLG liegen nun im Rechtsstreit um die Frage, ob letztere sich mit dem Verkauf an Eichsfeld auch von der Sanierungsverpflichtung entbunden hat, die sie einmal für sämtliche erworbenen Wohnungen nach Altschuldenhilfegesetz eingegangen ist (vgl. TLZ 13.11.02). Ein Streit, der sich hinziehen wird. Schlaglichtartig wird deutlich, dass die größte Last der Planungsunsicherheit bei der Entwicklung der Plattenbausiedlung auf die ressourcenschwachen Haushalte abgewälzt wird. Wird saniert, wird abgerissen, geschieht überhaupt nichts? Im Gegensatz zu finanzkräftigen können arme Haushalte auf diese Fragen nicht einfach mit einem Umzug reagieren.
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Abb. 2.1: Hinter der Autobahn: Schmuckvoll sanierte Genossenschaftshäuser, Eisenach-Nord (EN)
Abb. 2.2: Eingangsbereich der Siedlung: links »Sonnenschein«, rechts sanierte AWG-Häuser, EN
Abb. 2.3: Bestände von »Eichsfeld«, die den Spielplatz eines Kindergartens umrahmen, EN
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Abb. 2.4: Blick über den selben Spielplatz zum Hochhaus im Zentrum
Abb. 2.5: Kreuzungsbereich von Milieus, EN
Abb. 2.6: Im Hinterhof trennt ein Zaun die Grundstücke Quelle: Eigene Aufnahmen
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Segregation nach Bebauungsalter: Wolfen-Nord In Wolfen-Nord verläuft die interne Segregation vor allem zwischen den verschiedenen Bauabschnitten, was wie in anderen großen Siedlungen mit dem einflussreichen Erbe der Altersverteilung zusammenhängt. Im Jahr 2002 liegt das durchschnittliche Alter in dem Anfang der 60er Jahre gebauten ersten Wohnkomplex noch fast 20 Jahre über dem im zuletzt errichteten vierten Wohnkomplex, der sich noch einmal in vier Bauabschnitte untergliedert (vgl. Tab. 2.5). Dort, wo die jüngste und zudem schlechter qualifizierte Bevölkerung wohnte, gab und gibt es auch die stärkste Abwanderung und Mobilität, während die Einwohnerverluste signifikant geringer werden und stärker auf Sterbefälle zurückgehen, je mehr man in die älteren, östlich gelegenen Teile der Siedlung geht. Tabelle 2.5: Wohnkomplexe in Wolfen-Nord: Einwohnerentwicklung und Alter, 2002
Wohneinheiten Leerstand Einwohnerentwicklung seit 1993 Altersdurchschnitt
I.WK
II.WK
III.WK
IV.WK 1
IV.WK 2
IV.WK 3
IV.WK 4
Siedlung
1.921
1.524
3.417
13%
21%
30%
1.276
673
1.412
2.757
12.990
60%
66%
56%
50%
39%
-10%
-24%
-38%
-61%
-77%
-60%
-56%
-49%
55,5
47,9
44,6
37,9
44,6
34,3
37,8
44,4
Quellen: Stadt Wolfen 2003a: 10 und 19; Stadt Wolfen 2003b: 11, 12 und 24; eigene Berechnungen
Auch durch die in den ersten Wohnkomplexen am frühsten einsetzenden und umfangreichsten Sanierungen und Umfeldmaßnahmen wurde das dort eingesessene Milieu an FacharbeiterInnen stabilisiert. Im vierten Wohnkomplex ist dagegen, bis auf einige Teilsanierungen, der Großteil der Gebäude bis heute im alten Zustand verblieben. Lediglich im vierten Bauabschnitt des vierten Wohnkomplexes sind die im Rahmen der EXPO geförderten Aufwertungen konzentriert worden: Es wurden Spielplätze und ein größerer Park geschaffen, die Grünanlagen wurden gestaltet und einzelne Häuser umfangreich saniert, in denen man auch ein Internet-Cafe und Bürgertreff eingerichtet hat. Diese Aufwertung, die freilich erst spät, nämlich Ende der 90er Jahre, voll umgesetzt und von der 1996 ins Leben gerufenen Erneuerungsgesellschaft WolfenNord (EWN) koordiniert wurde, mag zu dem im vierten Wohnkomplex geringsten Leerstand in diesem letzten Bauabschnitt geführt haben (vgl. Tab. 2.5). Andererseits werden aber gerade hier auch die aus dem städtischen Wohnheim kommenden AussiedlerInnen konzentriert, so dass auch das der
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Grund für den geringeren Einwohnerverlust sein kann, der mit 56 Prozent seit 1993 ja noch immer immens ist. Ein recht erstaunliches Phänomen ist, dass der Anteil der SozialhilfeempfängerInnen in Richtung des vierten Wohnkomplexes deutlich, die Arbeitslosigkeit jedoch nur vergleichsweise gering zunimmt und im ersten Wohnkomplex sogar eine überdurchschnittliche Arbeitslosendichte verzeichnet wird (vgl. Tab. 2.6). Arbeitslosigkeit ist normaler Weise der wichtigste Grund, Sozialhilfe zu beanspruchen (vgl. Hübinger/Neumann 1998: 116ff.). Das Phänomen lässt sich jedoch dadurch erklären, dass in den älteren Wohnkomplexen ein hoher Anteil von FrührentnerInnen lebt, die in der Statistik als erwerbsfähige Bevölkerung zählen und so in die Arbeitslosendichte eingehen. Zweitens mag auch die so genannte verschämte Armut eine Rolle dabei spielen, dass in den älteren Wohnkomplexen arbeitslose Personen keine Sozialhilfe beantragen. Aus der Armutsforschung ist bekannt, dass besonders ältere Personen vor dem Gang zum Sozialamt zurückschrecken, auch wenn sie einen berechtigten Anspruch auf Sozialhilfe haben (vgl. Neumann 1999; Geißler 1996: 184). Tabelle 2.6: Arbeitslosigkeit (Al) und Sozialhilfebezug (HLU) in Wohnkomplexen Wolfen-Nords 2002 (%)* I.WK
II.WK
III.WK
IV.WK 1
IV.WK 2
IV.WK 3
IV.WK 4
Siedlung
Wolfen
Al 2002
29,7
23,3
27,8
31,5
34,4
29,0
28,3
28,3
23,9
HLU 2002
1,4
2,9
6,7
15,3
17,6
11,7
11,4
7,7
6,1
HLU: 0–17
5,5
9,0
20,0
36,6
40,9
17,9
22,0
21,1
16,5
18–64 Jahre
1,9
3,0
5,6
10,5
16,3
10,4
10,0
6,8
5,5
* Bei der Arbeitslosigkeit werden Arbeitslosendichten (Erwerbslose im Verhältnis zur erwerbsfähigen Bevölkerung) angegeben. Die letzten beiden Spalten geben die Anteile von HLU-EmpfängerInnen unter 0 bis 17-Jährigen sowie 18 bis 64-Jährigen im Jahr 2002 an. Quellen: Stadt Wolfen 2003b: 16–21
Die höchste Konzentration von Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen lässt sich in den ersten beiden Bauabschnitten des vierten Wohnkomplexes verzeichnen, worin sich eine Überformung der Segregation nach Bebauungsalter durch die beiden Wohnungseigentümer und die Stadt spiegelt. Genossenschaft und städtische Wohnungsgesellschaft kamen Mitte der 90er Jahre darin überein, sämtliche belegungsgebundenen Wohnungen in diesen beiden Abschnitten zu konzentrieren, da hier der unbeliebtere Wohnungstyp P2 mit
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innen gelegenem Treppenhaus, fensterlosem Bad und Küche steht (Stadt Wolfen 1996: 2.12). Über die Hälfte der dortigen Wohnungen (1.392 von 2.487) wurden als sozialer Wohnungsbau belegt. Die im Jahr 2002 auffallend hohe Segregation von minderjährigen SozialhilfebezieherInnen in diesen Bauabschnitten zeigt, dass arme und finanziell prekäre Familien, meist Alleinerziehende und große Familien, eine Haupt-Zuweisungsgruppe darstellten (vgl. Tab. 2.6). Das werden sie sicherlich auch weiterhin sein, nur dass im Zuge der Abrisspolitik die sozial belegten Bestände auf Wanderschaft gehen. Tabelle 2.7: Entwicklung von Arbeitslosigkeit (Al) und Sozialhilfebezug (HLU) in Wohnkomplexen Wolfen-Nords 1999–2002, (Veränderung Prozentpunkte (PP) und Veränderungsrate (VR) in %)* I.WK
II.WK
III.WK
IV.WK 1
IV.WK 2
IV.WK 3
IV.WK 4
Siedlung
Wolfen
Al PP
+2,4
+2,2
+4,1
+5,9
+7,8
+6,4
+2,8
+3,2
+0,7
Al VR
+8,8
+10,4
+17,3
+23,0
+29,3
+28,3
+11,0
+12,7
+3,0
HLU PP
+0,2
-0,5
+2,0
+3,0
+7,7
+6,4
+3,1
+1,7
+1,2
HLU VR
+16,7
-14,7
+42,5
+24,4
+77,8
+120,8
+37,3
+28,3
+24,5
* Bei der Arbeitslosigkeit werden Arbeitslosendichten (Erwerbslose im Verhältnis zur erwerbsfähigen Bevölkerung) angegeben. Quellen: Stadt Wolfen 2000a: 12–14; Stadt Wolfen 2003b: 16–21; eigene Berechnungen
Dass der sich schwerpunktmäßig in den jüngsten Siedlungsbeständen niederschlagende soziale Abstieg selbstverstärkende Effekte hat, indem er nach außen und innerhalb der Siedlung verlaufende Umzüge antreibt, indem er Wahrnehmungsschablonen und Abgrenzungen bei den BewohnerInnen verfestigt, legen die Daten zur Entwicklung zwischen 1999 und 2002 nahe (vgl. Tab. 2.7). Neben einer zunehmenden Segregation von Wolfen-Nord gegenüber der Stadt hat sich in dieser Periode gerade die interne Segregation beträchtlich verstärkt. Sowohl die Arbeitslosigkeit als auch der Sozialhilfebezug nahmen besonders im vierten Wohnkomplex zu. Angesichts des hohen Leerstands haben die kommunalen Akteure für Wolfen-Nord frühzeitig einen Teilabriss erwogen und bereits im Jahr 2000 150, 2001 dann 410 Wohneinheiten der Abrissbirne preisgegeben. Was aus wirtschaftlichen Gründen nahe liegt, die am wenigsten sanierten und am stärksten leerstehenden Bereiche abzureißen, geht nahezu eins zu eins in das aktuelle Entwicklungskonzept für Wolfen-Nord ein: Bis auf die im Rahmen der EXPO aufgewertete Insel soll der vierte Wohnkomplex weitgehend verschwinden,
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und im dritten Wohnkomplex sollen Teilabrisse zu einer Entdichtung beitragen. Von den insgesamt 5.143 Wohnungen, die zum Abriss projektiert sind, sollen in den ersten beiden Wohnkomplexen lediglich 49 Wohnungen rückgebaut werden (vgl. Stadt Wolfen 2000b). Noch klarer als in Eisenach zeigt sich, dass die Abrisspolitik vor allem in den Milieus der Armut und Prekarität durchgeführt wird und die damit verbundene Planungsunsicherheit die hier wohnenden Haushalte trifft. Genau in den ersten beiden Bauabschnitten des vierten Wohnkomplexes, wo man zuvor die statusschwachen Haushalte konzentrierte, wird seit 2000 abgerissen. Wie lange der Abriss dauert, weiß angesichts des steigenden Leerstands, bereits mehrfach nach oben korrigierter Abrissziffern und einer nach der Wende Steilkurven vollziehenden Politik der Weiterentwicklung von Plattenbausiedlungen niemand. Die damit befassten ExpertInnen in Wolfen-Nord schätzen zwanzig Jahre. Diese Planungsunsicherheit impliziert, dass langfristig weitere Umzugsimpulse für Haushalte geschaffen werden, die sich eine Wohnung nicht als bloße Durchgangsstation suchen und leisten können. Kurz, eine wesentlich wirtschaftlichen Kriterien folgende Abrisspolitik trägt weiter zur Verinselung und sozialen Entmischung der Siedlungen bei, und sie entfaltet darüber hinaus ausgrenzende Effekte. Die Perspektive, dass mit dem Abriss auch die Armut aus den Siedlungen verschwinden wird, ist angesichts einer wesentlich durch die soziale Krise angeschobenen Entmischung abwegig. Eine weitere Belegung der Siedlungen als sozialen Wohnungsbau wird dagegen zu einer Schaffung von Ghettos führen, die nichts mehr mit dem sozialen Wohnungsbau des 20. Jahrhunderts zu tun haben.
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Abb. 2.7: Blick in Richtung des vierten Wohnkomplexes, Wolfen-Nord (WN)
Abb. 2.8: Schlichte Sanierungsvariante, WN
Abb. 2.9.: Aufwendige Sanierung im Expo-Gebiet
Abb. 2.10: Blick auf den dritten Wohnkomplex, WN
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Abb. 2.11: Umfeldverbesserungsmaßnahmen im »Quartier 44« (IV. WK 4, WN)
Abb. 2.12: Kreuzungsbereich, WN
Abb. 2.13: Vierter Wohnkomplex, WN Quelle: Aufnahmen von Marion von zur Gathen
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3. Krise des Zusammenlebens – Kampf um Respektabilität
Die interne Sortierung und Verinselung der sozialen Milieus ist Ausdruck einer Krise des Zusammenlebens, die sich mit dem Zerbrechen des fordistischen Integrationsmodells in den Siedlungen einstellt. Mit der gesellschaftlichen Transformation entstehen soziale Unsicherheiten und Mobilitäten, und die standardisierten Lebenslagen der BewohnerInnen entwickeln sich auf dichtem Raum auseinander. Während sich für die einen eine Aufstiegsbewegung fortsetzt, die an den Wegzügen und Konsolidierungen der Milieus der etablierten Älteren ablesbar ist und wahrgenommen wird, werden andere Teile der Bewohnerschaft prekarisiert, steigen ab und sehen sich in die Nachbarschaft von zuziehenden Armen gerückt. Durch die Prekarität und Armut bricht die Grenzlinie der Respektabilität in den Siedlungen auf, die durch die kollektive Integration zuvor gerade überschritten werden sollte, und mit dem Kampf um Statussicherung kommt es zu symbolischen Abgrenzungen zwischen den BewohnerInnen. Die Krise des Zusammenlebens manifestiert sich zuerst auf der Ebene der einzelnen Häuser, wenn die Hausgemeinschaften und Hausordnungen in den Eingängen nicht mehr funktionieren. Sensibel registrieren Ansässige, wie Zuziehende die zuvor normierte Ordnung durcheinander bringen und den Status absenken. Es kommt zu Spannungen und Konflikten, die wiederum Wegzüge befördern. Die Konflikte in den Häusern übersetzen sich mit der Verinselung in großräumige Wahrnehmungs- und Abgrenzungsmuster, bei denen die unterschiedlichen Teile der Siedlung symbolisch kodiert werden. Gerade die Jugendlichen, die häufig ihre Zeit im Außenraum, in sozialen und Freizeiteinrichtungen der Siedlungen verbringen, artikulieren expressiv diese Topographie von besseren und schlechteren Teilen des Wohngebiets. Bei ihren Cliquenbildungen und Aneignungen der Siedlungswelt reproduzieren sie auf ihre Weise die allgemein kommunizierten Abgrenzungen, und in den konjunkturellen Auseinandersetzungen etwa zwischen Rechten- und Migrantencliquen spielen sie eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wie die BewohnerInnen den Umbruch in den Siedlungen wahrnehmen, wie sie sich gegenüber den Prozessen des Abstiegs und der Verinselung
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positionieren und verhalten, ist Thema dieses Kapitels. Die Wahrnehmungen des Umbruchs, so wird auf Grundlage der soziographischen Erhebung von 1997 in einem ersten Teil gezeigt, sind überwiegend negativ. Beschrieben wird von den BewohnerInnen ein Zerfall der Gemeinschaften, an deren Stelle im Zuge des Abstiegs und der sozialen Mobilitäten gegenseitiger Rückzug und Abgrenzungen treten. Tatsächlich sind es immer wieder drei Formen von Konflikten, die den Befragten zufolge das Zusammenleben seit der Wende in Bewegung bringen: Konflikte zwischen alten und jungen, zwischen einheimischen und ausländischen sowie zwischen statusgesicherten und statusschwachen BewohnerInnen. Hier schließt sich die Frage an, ob in den Wohngebieten eine dominante Konfliktachse existiert? Zunächst ist es aufschlussreich, die Sichtweisen der BewohnerInnen und der ExpertInnen aus der Wohnungswirtschaft gegenüberzustellen. Denn während erstere die gegenseitigen Abgrenzungen überwiegend in den Kontext der Statusmobilitäten stellen, diagnostizieren die ExpertInnen aus der Wohnungswirtschaft vor allem einen Konflikt zwischen alten Eingesessenen und jungen Neuankömmlingen. Damit zeichnen sich zwei Interpretationen der Krise des Zusammenlebens ab: einmal eine Interpretation als Statuskonflikt, ein andermal als Konflikt, der an die Konfrontation zwischen Etablierten und Außenseitern im Sinne von Elias/ Scotson erinnert. In einem zweiten Teil werden die Sichtweisen unterschiedlicher Bewohnertypen auf die Siedlung und deren Entwicklung portraitiert. Die Differenzierung von Sichtweisen fällt in den Erhebungen nach 1997, als die Turbulenzen des Umbruchs sich geglättet und mit der Verinselung klarere Konturen angenommen haben, umso stärker auf. Nicht zuletzt spielt die Wohnlage eine Rolle bei dem Blick auf die Siedlung. Denn während sich in den Milieus der etablierten Älteren die Gemeinschaften rekonstituieren und das Miteinander funktioniert, bleibt die Krise des Zusammenlebens insbesondere in den Milieus der Armut und Prekarität bestehen und verschärft sich sogar. Freilich prägen neben der Wohnlage auch das Alter und der soziale Status die Sichtweisen der BewohnerInnen, wie in der Gegenüberstellung von Jungen und Alten, von Armen und Etablierten gezeigt wird. Bei der Portraitierung der Bewohnertypen wird schließlich deutlich, dass die Abgrenzungen und Konflikte, die sich mit der Verinselung in großräumige Wahrnehmungsmuster transponieren, als symbolisch überformte Statuskämpfe zu interpretieren sind, die nicht zufällig in den Milieus der Armut und Prekarität ihren Hauptort haben. Die Befunde sollen abschließend historisch-theoretisch reflektiert werden. Es wird ausgeführt, dass im Zentrum der Milieukonflikte ein Kampf um Respektabilität steht. Bei dem Kampf um Respektabilität handelt es sich um
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einen Statuskampf, bei dem die Akteure sich mit symbolisch-kulturellen Ressourcen voneinander abgrenzen respektive einander anerkennen, und dessen umkämpftes Gut in einer legitimen, materiell und sozial integrierten Lebensweise besteht. Der Kampf um Respektabilität übersetzt sich in den Siedlungen in einen sich räumlich sedimentierenden Fraktionierungskampf der unteren sozialen Schichten. Dieser Fraktionierungskampf bricht in Ostdeutschland vergleichsweise verzögert auf, da die Dynamiken der Exklusion und Prekarisierung hier erst seit der Wende einsetzen und die historischen Phase der Entproletarisierung und des Fordismus bis in die 80er Jahre prolongiert worden war.
Wahrnehmungen des Umbruchs »Die Wende ist durch die Treppenaufgänge gegangen. Jeder war sehr stark mit sich beschäftigt, kaum noch Kontakt, nicht um sich abzugrenzen, man war scheuer, beschäftigt. (...) Es haben vor allem Arbeiter gewohnt in Eisenach-Nord. Letztlich rutschen die nun in eine andere soziale Kategorie, das heißt ja Wende. Es fanden Abgrenzungen statt, wer hat Arbeit, wer keine, wer hat ein Auto, ach die rote Socke schon wieder, wer hat keins. Man hat sich aufgeregt, dass die Kinder so laut auf dem Spielplatz waren zu DDR-Zeiten. Mit der Wende waren dann die Kinder größer. Und wenn die Jugendlichen morgens früh Diskussionen führen, das schallt unheimlich, und da entstanden Aversionen.« (43, m., ges., EN97-11)
So fasst ein Angestellter, der mit seiner Familie 17 Jahre in Nord gewohnt hatte und 1997 gerade ins Eisenacher Südviertel gezogen war, die Entwicklung der Siedlung seit der Wende zusammen. Rückzug der BewohnerInnen voreinander und Rückgang der Kontakte, sozialer Abstieg und gegenseitige Abgrenzungen, Konflikte im Haus und Umfeld – im Wesentlichen sind das die Themen, die den BewohnerInnen 1997 zur Siedlung und deren Entwicklung in den Sinn kommen. Zwar werden mit dem Hinweis auf die Sanierungen, die Umfeldmaßnahmen und besseren Einkaufsmöglichkeiten auch positive Entwicklungen benannt. Gerade in der ersten Erhebung provozierte der soziale Umbruch, als sich dieser in Nord erst seit einigen Jahren voll bemerkbar machte, aber überwiegend negative Urteile (vgl. Tab. 3.1).
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Tabelle 3.1: Verteilung der Antworten (positiv, ambivalent oder negativ) der BewohnerInnen zur Siedlung allgemein, ihrer Entwicklung und ihrem Ansehen, (%)* Einstiegsfrage pos. EN 97 (N=30) EN 03 (N=22) WN 01 (N=29)
amb.
neg.
Entwicklung Siedlung pos. amb. neg.
Ansehen des Gebiets pos.
amb.
neg.
13
20
67
7
17
70
3
27
60
23
41
36
9
23
55
18
18
47
17
28
45
3
41
48
3
24
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* Die qualitativen Antworten wurden, um ein quantitatives Stimmungsbild zu gewinnen, als positiv, ambivalent oder negativ kodiert. Eine »ambivalente« Antwort z.B. auf die offene Einstiegsfrage – »Einmal ganz offen gefragt, was fällt ihnen zur Siedlung X-Nord ein?« – bedeutet, dass der/m Befragten positive wie negative Dinge zur Siedlung einfallen, und dass sie/er diese in etwa gleich gewichtet. Bei einer »negativen« Antwort können auch positive Seiten erwähnt werden, nur überwiegt insgesamt klar eine negative Sichtweise etc. Sofern sich die prozentuale Verteilung der Antworten nicht zu hundert addiert, entfällt der Rest auf »keine Antworten«, die nicht eigens dargestellt werden. Die Grundgesamtheiten N beziehen sich auf Haushalte. Vgl. zu den Fragen den Leitfaden im Anhang.
Sozialer Rückzug und Abstieg der Siedlungen An erster Stelle wird von den BewohnerInnen 1997 bemerkt, dass die Leute jetzt stark mit sich selbst beschäftigt und die gegenseitigen Kontakte im Haus und der Siedlung zurückgegangen sind. Diese nahezu bei allen, auch den ExpertInnen, angetroffene Wahrnehmung ist auch für andere Wohngebiete beschrieben worden (vgl. Herlyn/Hunger 1994). Schmidt/Schönberger (1999) haben die Erfahrung, dass jeder mit sich selbst zu tun hat, sogar als eine generelle Wendeerfahrung bezeichnet, und in der Tat ist das Zurückgeworfensein auf die eigene Situation und der Rückgang von Gemeinschaft eine Erfahrung des Umbruchs, wie sie nicht nur im Wohngebiet, sondern in vielen gesellschaftlichen Bereichen gemacht wurde. An die Stelle der kollektiv standardisierenden Vergesellschaftung trat eine Diversifizierung und soziale Polarisierung der Lebenslagen. Die Erosion sozialer Sicherheiten vollzog sich zuerst in der Sphäre der Erwerbsarbeit, und gerade in den ersten Wendejahren drehte sich das Karussell der sozialen Mobilitäten schnell (Vogel 1999; Diewald/ Mach/Solga 2000; Hofmann 2003). Studien zur sozialen Mobilität zeigen, dass eine stärkere Selbstbezogenheit auch als subjektive Voraussetzung und neue Qualität beschrieben wird, sich auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt zu
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behaupten (Cornelsen 2000). Aber auch in der Freizeitgestaltung eröffnete sich ein neuer Markt an Möglichkeiten, der auf die bestehenden gemeinschaftlichen Freizeitbeschäftigungen konkurrierend einwirkte (Schmidt/Schönberger 1999). Tabelle 3.2: Wohndauer der befragten Haushalte in den drei Erhebungswellen Erhebungswellen EN 97 EN 03 WN 01 Gesamt
Wohndauer (Jahre) <5
5– <10 7 8 3
2 4 9
10 – <15 11 2 6
18
15
19
ab 15
Gesamt
10 8 11*
30 22 29
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* In Wolfen wurden drei Jugendliche und zwei Haushalte interviewt, die direkt angrenzend an Wolfen-Nord wohnen und sich regelmäßig in der Siedlung aufhalten.
Gleich nach der Erfahrung des Verlusts an Gemeinschaft wird von den BewohnerInnen 1997 auf den Abstieg der Siedlung hingewiesen, der vor allem an den sozial selektiven Umzügen und den sichtbar werdenden Leerständen festgemacht wird. »Wer es sich leisten kann, zieht weg«, lautet eine von BewohnerInnen und ExpertInnen gleichermaßen ausgegebene Formel, in der deutlich eine Abwertung des Gebiets zum Ausdruck kommt. Häufig wird geäußert, dass sich das Gebiet von einem eher privilegierten zu einem unterprivilegierten entwickelt. Eine alleinstehende alte Frau und eine Alleinerziehende, beide über 15 Jahre in der Siedlung, formulieren: »Eingezogen bin ich unter der Voraussetzung von Luxuswohnungen, es waren ja halbe Luxuswohnungen zu Zeiten der DDR. (...) Es ist ja hier ne Flucht raus aus diesen Wohnblöcken, ist im Gange, ge. Und es siedelt sich immer mehr Asoziales zu, muss ich ihnen sagen. Weil die Sozialämter belegen und die Eigentümer der Blöcke ganz froh sind, da kriegen sie das Geld. (...) Früher waren es vergleichsweise Komfortwohnungen, in der Stadt gab es noch die Plumpsklos, die rochen schrecklich. Aber jetzt ist’s hier der letzte Husten.« (75, w., prek., EN97-27) »Der Ruf von Nord ist schlechter geworden. Früher hieß es, hier ziehen die Neureichen ein, oder die, die gute Beziehungen haben. Dadurch, dass viele weggezogen sind, auch Sozialwohnungen entstanden, heißt es Nachtjacken- oder Asoviertel. Aber besonders von den Leuten hier oben wird’s gesagt, die hier raus ziehen wollen.« (40, w., arm, EN97-3)
Diese Einschätzung vertreten im übrigen nicht nur langansässige BewohnerInnen, die im 97er Sample die deutliche Mehrheit ausmachen, sondern sie wird selbst von neuer Zugezogenen formuliert. Im Klima des gegenseitigen Rückzugs und sozialer Mobilitäten kommt es zu Abgrenzungen zwischen den
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BewohnerInnen. Wie es im letzten Zitat anklingt, ist der sich einstellende schlechte Ruf keineswegs nur eine Zuschreibung von außen, von Personen aus anderen Teilen der Stadt. Er ist vielmehr Bestandteil der Abgrenzungen zwischen den BewohnerInnen, die sich von dem Abstieg, den »Asozialen« und dem sich an die Siedlung haftenden Stigma distanzieren. Die oft unterschwelligen Abgrenzungen werden zuerst in der unmittelbaren Nachbarschaft und dem eigenen Haus erlebt und praktiziert. Denn so wie die soziale Ordnung im Wohngebiet in den Hauseingängen und -gemeinschaften eine zentrale Basis hatte, so wird auch das Zerbrechen der Hausordnungen empfindlich registriert.
Etablierte und Außenseiter – Sichtweisen der WohnungswirtschaftlerInnen Gerade die ExpertInnen der Wohnungswirtschaft, von den LeiterInnen bis zu den Hausmeistern, welche die soziale Dynamik im Gebiet aus der Nähe kennen, haben 1997 immer wieder das Zerbrechen der Hausgemeinschaften und Hausordnungen diagnostiziert. Das liegt für die Wohnungswirtschaftler freilich insofern nahe, als sie, mit der Vermietung und Instandhaltung der Häuser beschäftigt, an einem »funktionierenden Eingang« interessiert sind. Ihre Sichtweise ist die, dass das Funktionieren vor allem dort gewährleistet ist, wo die alten Hausgemeinschaften noch erhalten sind. Diese Sichtweise bleibt auch bei den späteren Erhebungen bestimmend, und ihr entspricht, dass Konflikte in den Häusern vor allem damit erklärt werden, dass einziehende jüngere Haushalte mit den älteren BewohnerInnen nicht harmonieren. Ein Hausmeister in Eisenach-Nord: »Die Jugend ist heute nicht mehr so anpassungsfähig. Als vor paar Jahren noch der Stamm der alten Mieter drin war, hat das wunderbar geklappt mit Hausordnung und allem drum und dran, als Hauswart hast du kaum Aufgaben gehabt. (...) Gemeinschaftsbildung war früher größer als heute, heute: jeder seins, jedem meins. Wo noch alter Stamm, z. B. in der [Adresse], klappt’s hervorragend. (...) Aber die Jugend kommt mit alter Generation nicht zurecht.« (EN97-E-9)
Die Probleme zwischen den Altersgruppen, dass junge Haushalte sich nicht an die Hausordnung halten, in der Wohnung oder im Treppenhaus zu laut sind und auch im Umfeld die Älteren verunsichern, bezeichnen in der Tat eine der dominant wahrgenommenen Konfliktachsen in den Siedlungen. Dass sie von den Wohnungswirtschaftlern an erster Stelle genannt wird, ist allerdings ein Zeichen dafür, dass sich ihre offizielle Sicht und Politik vor allem auf das Kriterium des Alters stützt. Denn während es plausibel und legitim erscheint, das Funktionieren alteingesessener Hausgemeinschaften nicht durch den Zuzug Jüngerer zu gefährden, ist die offizielle Proklamation, dass auch ausländi-
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sche und statusschwache Haushalte in den funktionierenden Bereichen nicht erwünscht sind, problematisch. Die Kriterien der Ethnizität und des Status – und die damit korrespondierenden Konfliktachsen von inländisch-ausländisch und statusgesichert-ungesichert – bestimmen aber neben dem des Alters ebenfalls das Handeln der kommunalen Akteure. So werden etwa die statusschwachen und einwandernden Haushalte in die wirtschaftlich weniger rentablen Bereiche gelenkt. Im Diskurs der Wohnungswirtschaftler ist die Relevanz von Status und Ethnizität jedoch der auf die Älteren und Alteingesessenen ausgerichteten Politik untergeordnet. Ihre Bedeutung wird erst bei genauer Nachfrage preisgegeben. Ein Angestellter der Wolfener Wohnungsbaugesellschaft bekundet mit folgenden Worten, dass die Respektierung der Älteren Priorität genießt: »Die alte Generation ist drüben wie hier gleich, ist stolz, auf was sie geleistet hat. Die wollen aber im Haus ihre Ruhe haben. (...) Wir reißen die ab, die die billigsten Mieten haben. Die Alteingesessenen, Alten, sind versorgt. Wir müssen aufpassen, nicht die funktionierenden Gemeinschaften zu zerstören.« (WN01-E-5)
Freilich schwingen in dem oft synonym mit Alter verwendeten Begriff der Alteingesessen auch andere Kriterien mit, bzw. lässt sich damit eine soziale Schließung von Häusern generell gegen Zuziehende begründen. Die Relevanz von Ethnizität und Status ist den Wohnungswirtschaftlern ja auch präsent, sie thematisieren diese eben nur als sekundäre, abgeleitete Kriterien und mit Vorsicht. So antwortet eine Angestellte der Wolfener Wohnungsgesellschaft, dass in die ersten beiden Wohnkomplexe deshalb keine »Sozialfälle« einziehen, weil dort die Hauptsanierungen waren und jetzt nur bessere Einkommensbezieher wohnen können. Auf die Frage, wie stark den Bewohnern die Unterschiede zwischen den Wohnkomplexen bewusst sind, sagt sie: »Na ja ist schon, die wissen schon Bescheid. Die wissen schon, dass es hier hinten nicht ganz so ruhig ist, dass hier viele Aussiedler drin sind. Und vorne die vielen Älteren, die da schon immer wohnen, die achten auch drauf, das ist ein ganz anderes Leben. (...) Man will seine Ruhe haben. Ich mein die Leute sind selber dran schuld, wie es in den Treppenhäusern aussieht. Viele sind verdreckt. Wenn ich zum Beispiel im ersten Wohnkomplex einen Eingang mit acht Rentnern habe, kann ich keinen jungen Mann reinsetzen.« (WN01-E-8)
Auch wenn im Verlauf der Interviews offen gelegt wird, dass für die MigrantInnen und Statusschwachen eine besondere Belegungspraxis existiert und etwa ein Angestellter der Wohnungsgenossenschaft Wolfen konstatiert, dass soziale Mischung in der Praxis nicht funktioniert, herrscht bei den Wohnungswirtschaftlern eine Interpretation der Probleme in den Häusern vor, die stark an den von Elias/Scotson (1993) beschriebenen Konflikt zwischen Etablierten und Außenseitern erinnert. Es sind die Älteren, Alteingesessenen,
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die ihre Netzwerke und eingespielten Regeln haben, die mit den Zuziehenden, die auch statusschwächer sind, nicht zu Recht kommen und sich gegen diese sozial schließen. Diese Interpretation, die auch von der Erfahrung gestützt wird, dass besonders ältere MieterInnen sich bei den Wohnungsunternehmen über das Zusammenleben beklagen, stellt zugleich eine Folie für die Praxis dar. So sind es nicht zuletzt die Wohnungswirtschaftler, die die Ressource »Gemeinschaft« mobilisieren und gegen Zuziehende schützen, die also ganz im Sinne eines Konfliktes zwischen Etablierten und Außenseitern auf Seite der ersteren agieren. Bei allen Versuchen von Neutralität gestalten sie so auch die Abgrenzungen und symbolischen Kämpfe zwischen den BewohnerInnen mit, die zuerst in den Häusern, mit zunehmender Verinselung aber vor allem auch zwischen den sozialräumlichen Milieus der Siedlungen stattfinden.
Statusvergleiche und Abgrenzungen – Sichtweisen der BewohnerInnen »Die Probleme wollen wir auch mal haben, zum Beispiel: ›Mein Nachbar hat ein halbes Jahr nicht die Treppe gemacht‹ – aber angesprochen haben sie sie auch nicht. ›Ich behäng mich doch nicht mit den Leuten.‹ (...) Es sind vor allem Alte im Vorruhestand, die sich beklagen kommen, besonders über junge Leute, die arbeiten. Wissen sie, das sind eigentlich andere Probleme, die dahinter stehen, das ist auch, ja, das ist auch Neid.« (EN97-E-12)
So wie diese Mitarbeiterin der Eisenacher Wohnungsgenossenschaft interpretieren vor allem die BewohnerInnen 1997 die sich in den Häusern einstellenden Probleme: Die nachbarschaftlichen Abgrenzungen und Reibereien werden von ihnen immer wieder als Neid thematisiert. Distanzierungen und neidvolle Abgrenzungen stellen die dritte Erfahrung dar, die von den BewohnerInnen gleich nach dem Rückgang an Gemeinschaft und dem sozialen Abstieg zu ihrem Wohngebiet beschrieben werden. So erklärt ein ehemaliger Arbeiter des AWE: »Und heute ist man froh, wenn man den Nachbarn nur guten Tag sagen muss. Gibt’s ja auch wieder Gründe, der Nachbar hat keine Arbeit, und du gehst auf Arbeit. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt, wenn se n Job haben sind sie n ganzen Tag unterwegs, und dann gibt’s sicherlich zwischen den Bewohnern Neid, die die keinen Arbeitsplatz haben und die, die einen haben und die, die ein besseres Auto haben und die, die keins haben. Brauchen nur mehr zu verdienen als der andere, oder der andere muss härter arbeiten und kriegt weniger als der, der im Büro sitzt, da geht’s schon los.« (41, m., prek., EN97-4)
Die Deutungsmuster der BewohnerInnen hinterlassen den Eindruck, als verwandelt sich die durch Bekanntschaft, Regeln und Kontrolle konstituierte
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Hausgemeinschaft mit dem sozialen Umbruch zu einer Gemeinschaft gegenseitigen Beobachtens und Misstrauens. Während die MieterInnen zuvor allein schon durch die Standardisierung der Lebenslagen eine große Kenntnis voneinander hatten, tritt mit den sozialen Mobilitäten eine Unbekannte zwischen sie. Mit dieser Unbekannten, den neuen oder sich neu übersetzenden Statusungleichheiten, sind die BewohnerInnen nicht nur im unmittelbaren Umfeld konfrontiert, sondern sie ziehen auch ihr Interesse auf sich. Sie werden Gesprächsthema und an den Lebensstilen und Statusgütern aus der Distanz heraus beobachtet. Aufmerksamkeit erregen besonders die sichtbaren Merkmale und Vorgänge, die auf einen Aufstieg oder eine gesicherte Etablierung im neuen System schließen lassen – von einer durch Erwerbsarbeit geregelten Lebensführung über neue Anschaffungen bis hin zum Umzug. Sie üben einen symbolischen Druck auf jene aus, die durch Prekarität oder Arbeitslosigkeit mit existentiellen Problemen der Lebensorganisation beschäftigt sind. Eine materiell prekäre Alleinerziehende distanziert sich davon, bei den ständigen Statusvergleichen mithalten zu müssen: »Der eine neidet dem anderen Arbeit und Auto. Das merkt man auch an den Kindern schon. Warum fährst du kein Auto, warum fährst du Fahrrad? Die Toleranz ist nicht mehr so, heute, jeder hat sein eigenes Denken, sie kapseln sich ab. Ist durch den krassen sozialen Unterschied. Zum Beispiel Markenklamotten. Meine Kinder bekommen keine. Ich bezahl nicht für irgendeinen Namen. (...) Noch schlimmer ist der Neid zwischen den Erwachsenen. Einige sind dabei, da wird man eben gestichelt. Ich sag, ich will arbeiten und meine Ruhe haben. Ich sag, lass sie doch ihr Haus bauen, sollen sie doch. Ich kann es nicht, ich würd es auch gerne, ist schon schön. Ich sag das auch. Aber ich habe nicht die Mittel dazu. Gibt viele Leute, die damit nicht umgehen können. Ich sag, ich muss nicht protzen, was ich nicht kann, das muss ich nicht zeigen, muss mich nicht dafür überschulden. Ich muss nicht was haben, was ich mir nicht leisten kann, was weiß ich, ne Schrankwand für soundsoviel tausend Mark.« (36, w., prek., EN97-2)
Die Statusvergleiche beginnen freilich schon im Betrieb mit der Frage, wer bei den Entlassungen, Frühverrentungen, Abfindungen, Qualifizierungsmaßnahmen etc. besser wegkommt und wer nicht, und sie ziehen sich über den Bekanntenkreis bis in das Wohngebiet.28 Dort gewinnen sie eine eigene Dyna-
—————— 28 Bei den Entlassungen in großen Betrieben sind neben den besser qualifizierten offenbar auch die gewerkschaftsnahen Arbeitskräfte günstiger weggekommen, da jene durch die Betriebsräte mitorganisiert wurden. Die Gewerkschaft war bekanntlich parteinah, so dass die mit der Entlassungspolitik verbundene Transformation alter Statushierarchien in neue für zusätzlichen Missmut sorgte. Ein interviewter ehemaliger Betriebsrat aus Wolfen-Nord schildert die Entlassungspolitik im Grunde genauso, wie Hofmann/Rink (1993) sie für die Braunkohleindustrie beschreiben. Vgl. zur Abwicklung der Industrie in Wolfen auch Bittner (1998: 7095).
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mik, was mit den Normierungen und der Dichte des Zusammenlebens sowie dem sozialen Abstieg zu tun hat. So werden auch die gemeinschaftlichen Güter der Häuser zu einem Konfliktstoff, nicht nur in Hinsicht darauf, dass ein jeder sich bei der Pflege und Ordnung einbringen soll, sondern auch bezüglich der gemeinschaftlichen Kosten. Vor einer Sanierung werden Heizungs- und Wasserverbrauch nicht haushaltsbezogen abgerechnet, sondern auf die Häuser umgeschlagen, und das provoziert ebenso wie die steigenden Kosten etwa für die Müllabfuhr das Nachsinnen darüber, wer von den gemeinsamen Kosten am meisten und wer am wenigsten profitiert. Durch die hohe gegenseitige Wahrnehmbarkeit im Haus teilt sich des Weiteren schnell mit, wer beruflich erfolgreich ist und wer nicht, und an im Umfeld registrierten Daten wird noch auf den Lebensstil entfernter NachbarInnen geschlossen. Aufmerksamkeit ziehen neben Autos und Umzugswagen auch Möbeltransporter auf sich, wie hier ein Arbeiter beschreibt, der 97 dabei war, sich ein Haus auf einem geerbten Grundstück zu bauen: »Wenn die Frischplatte, das SB-Möbelhaus, kommt, sagt kaum einer was. Ist preiswert, aber würd’s mir überlegen, manche Sachen zu kaufen. Steht aber Kranz und Schäfer davor, das sind absolute Topmöbel, selber habe ich auch bei Kranz und Schäfer gekauft, du musst zwar wegen Preisen ganz schön in den sauren Apfel reinbeißen, ist aber eben Topqualität. Wenn der davorsteht: ›Oh man, der kriegt aber was von Kranz und Schäfer.‹ Heißt es immer gleich, hat was Teures gekauft. Obwohl der nicht nur teure Sachen hat, eben Qualität, also die Leute messen vieles: Möbelhäuser, Autos oder Sperrmüllaktion. ›Oh, hast du das gesehen, Meier hat die Coutsch weggeschmissen, die hat er erst vor zwei Jahren gekriegt.‹ Nur Nachbar sieht nicht, die hat er beim SB gekauft, nicht bei Kranz und Schäfer, die hält nicht nur zwei, sondern mit Sicherheit sechs Jahre.« (34, m., prek., EN97-5)
Bewohnertypen und Milieukonflikte Gegenüber der 97er Erhebung ist bei den späteren Befragungen das Stimmungsbild zur Siedlung insgesamt etwas beruhigter und positiver. Die Wahrnehmung des Gemeinschaftsverlustes steht nicht mehr an erster Stelle, und auch die Probleme mit den Hausordnungen haben an Priorität verloren. Der Trend in den Siedlungen ist bekannter, die Turbulenzen des Umbruchs haben mit den Jahren und der Verinselung klarere Konturen angenommen, und es zeichnet sich ein stärkerer Einfluss der Wohnlage auf die Sichtweisen ab. Durch die interne Segregation verschieben sich die Abgrenzungen und Distinktionen auf die Konfliktlinien zwischen den unterschiedlichen Milieus und Bewohnertypen der Siedlung. So grenzen sich die Erwerbstätigen und
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RentnerInnen in den gesicherten und sanierten Beständen, wo sich ein funktionierendes Zusammenleben oft wieder eingestellt hat, von den sichtbar heruntergekommenen Milieus der Armut und Prekarität sowie den Inseln der MigrantInnen ab. Ihre symbolischen Abgrenzungen werden in den Milieus der Armut allerdings weniger an die aufgewerteten Bereiche zurückgegeben, als in Form von Grenzziehungen zu den »Asozialen« und Irrespektablen intern weitergereicht. Das trägt, im Kontext eines von vielen geführten Kampfes um soziale Integration, zu einem teilweise sehr konfliktreichen Zusammenleben bei. Die großräumigen Abgrenzungen sind bei den späteren Befragungen deutlich präsenter, nahezu alle Befragten in Eisenach- und Wolfen-Nord haben eine symbolische Topographie der Siedlung und benennen im Grundsatz die selben besseren und schlechteren Teile. Sehr expressiv machen das die Jugendlichen. Im Zuge ihrer umfassenden Nutzung von Einrichtungen und des Umfelds der Siedlungen registrieren sie sensibel die kommunizierten Abgrenzungen, die sie auf ihre Weise reproduzieren und die ein Element ihrer Cliquenbildungen und Aneignungen der Siedlung werden. Die etablierten Älteren formulieren ihre Abgrenzungen von den Milieus der Armen und MigrantInnen dagegen aus einer vergleichsweise gesicherten Distanz heraus. Ihr primärer Bezug zu der Siedlung besteht darin, diese als ihr zu Hause gegen den schlechten Ruf zu verteidigen. Im Gegensatz zu den Jugendlichen, die überwiegend die Siedlung mit ihrer beruflichen Etablierung verlassen wollen, haben sie sich auch bewusst für ein Bleiben entschieden. Während die interviewten MigrantInnen eine weitgehend positive Sicht auf die Siedlung haben, die allerdings im Fall von Diskriminierungserfahrungen grundlegend getrübt wird und zu Distanzierungen führt, fällt bei den einheimischen Armen und Prekären auf, dass die symbolischen Abgrenzungen bei ihnen die größte Gewalt entfalten. In den baulich, sozial und symbolisch am stärksten abgewerteten Wohnbereichen verbinden sich die symbolischen Kämpfe mit handfesten Konflikten des Zusammenlebens, während umgekehrt das Leben in besseren Wohnlagen sich auch mit positiven Sichtweisen auf die Siedlung koppeln kann. Bei den folgenden Kurzportraits unterschiedlicher Bewohnertypen und deren Sichtweisen auf die Siedlung steht die Frage im Vordergrund, wie sich diese gegenüber den Abgrenzungen und Konflikten in der Siedlung verhalten und positionieren. Methodisch ist anzumerken, dass bei der Reflexion von Einflussfaktoren auf die Sichtweisen der Bewohnertypen – der Jugendlichen und etablierten Älteren, der Armen, Prekären und MigrantInnen – insbesondere das Alter, der materielle Status und die Wohnlage berücksichtigt werden. Teilweise sind diese Faktoren bereits Charakteristika der Typen.
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Die Fragestellung und das Auswahlverfahren der Erhebungen waren auf einen Vergleich von BewohnerInnen in unterschiedlichen Lebenslagen ausgerichtet. Die leitende Hypothese, dass der materielle Status einen zentralen Einfluss auf das Erleben vom und Leben im Wohngebiet besitzt, wurde im Verlauf der Erhebungen um die Einsicht ergänzt, dass sowohl das Alter als auch die Wohnlage der BewohnerInnen weitere einflussreiche Indikatoren darstellen. Bei dem Indikator des Alters wird nicht allein das biologische, sondern das soziale Alter der BewohnerInnen beachtet. Wie die Biographieforschung (etwa Kohli/Szydlik 2000) herausstellt, ergibt sich das soziale, gesellschaftlich relevante Alter durch die Stellung von Personen im Lebenslauf, insbesondere in der Erwerbsbiographie und im Familienzyklus. In der Wohnsoziologie ist diese Erkenntnis bei der Beschreibung von Wohnkarrieren zum Tragen gekommen, da die Stellung im Familienzyklus und in der Berufsbiographie sich als die erklärungskräftigsten Faktoren für das Umzugsverhalten von Haushalten erweisen (vgl. Schneider/Spellerberg 1999). Mit unterschiedlichem sozialem Alter verbinden sich entsprechend verschiedene Bezüge und Sichtweisen auf ein Wohngebiet. Außerdem zeigt sich, dass auch die Richtung der sozialen Lauf- oder Flugbahn das Verhältnis und die Sicht auf die Siedlung beeinflusst.29
Jugendliche: Ambivalenter Ortsbezug und Cliquenbildung Auf die Einstiegsfrage antwortet ein Jugendlicher in Eisenach-Nord: »Was einem einfällt, ist eigentlich ein ruhiges Viertel sozusagen, man hat seine Ruhe, stellenweise. Na und mit der Plattenbausiedlung, na ja, wie’s man jetzt hier oben sieht, die nicht sanierten, die passen eigentlich nicht ins Bild wie die sanierten. Das sieht zwar bisschen schäbig schon aus, wenn du jetzt hier rein kommst, und du kommst jetzt von der Stadt her rein, sieht man, oh, alles schön saniert, und dann sieht man dahinter die Bruchbuden.« (16, m., prek., EN03-11)
Während er zuerst das Quartier in Schutz nimmt, grenzt der Jugendliche sich dann von dem baulichen Verfall ab, mit dem er, wie sich im weiteren Gespräch zeigt, auch sozialen Verfall und die Präsenz von Ausländern verbindet. Diese Haltung spiegelt eine bei den befragten Jugendlichen (vgl. Tab. 3.3) typische Ambivalenz in ihrer Beziehung zur und Beschreibung der Siedlung
—————— 29 Der Begriff der sozialen Flugbahn, der eine Übersetzung des in der französischen Forschung gängigen Begriffs der »trajectoire« oder des angelsächsischen Begriffs »trajectory« darstellt, wird synonym mit dem in der deutschen Forschung verbreiteten Begriff der sozialen Laufbahn verwendet.
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wider (vgl. auch Callies 2003). Einerseits ist die Siedlung für sie ein zentraler Bezugspunkt, besetzt mit vielfältigen sozialen und emotionalen Bindungen: Oft besuchen sie die hier gelegenen Schulen, sie frequentieren Straßen, Clubs, Spielplätze und haben ihre FreundInnen und Eltern in der Siedlung. Andererseits wird von ihnen die Abwertung und Stigmatisierung des Wohngebiets empfindlich wahrgenommen, was sich in eine expressive, Begriffe wie Ghetto und Asi integrierende Alltagssprache und schroffe Distanzierungen übersetzt. Die am häufigsten und keineswegs nur bei den Jugendlichen beobachtete Reaktionsweise auf die Abwertung besteht darin, das Stigma auf bestimmte Bereiche und BewohnerInnen der Siedlung abzuschieben. Tabelle 3.3: Altersgruppen der befragten Haushalte nach Wohndauer* Alter (Jahre) Wohndauer (Jahre) unter 5 5 – < 10 ab 10 Gesamt
15 – <30
30 – <45
45 – <60
ab 60
Gesamt
5
5
2
6
18
3 13
6 8
4 15
2 12
15 48
21
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* Die Jugendlichen erscheinen hier zusammen mit den jungen Erwachsenen in einer Spalte (15 bis unter 30 Jahre). Fünf der neun Befragten, die zwischen 18 und unter 30 Jahre alt sind, können den Jugendlichen zugerechnet werden, da sie sich noch in der Statuspassage zum Berufseintritt befinden und/oder keinen eigenen Haushalt gegründet haben und schließlich am Cliquenleben in den Siedlungen partizipieren. Damit sind 17 Jugendliche ausführlich interviewt worden, nur vier der unter 30-Jährigen in der Tabelle sind in diesem – sozialen – Sinne junge Erwachsene. Darüber hinaus wurden zwei Gruppeninterviews mit Jugendlichen durchgeführt, die ebenso wie teilnehmende GesprächspartnerInnen in der Tabelle nicht dargestellt werden.
Ein Beispiel dafür liefert der Intervieweinstieg mit zwei Jugendlichen, von denen Rico mit seinen Eltern vor einigen Jahren in einen besseren Teil von Wolfen-Nord umgezogen ist, während Simona im abgewerteten vierten Wohnkomplex wohnt. Als Rico das an der Siedlung haftende Stigma auf diesen Teil lenkt, reagiert Simona reflexartig und markiert ein weiteres Gebiet, wo auch sie nicht wohnt: »Also als Einstiegsfrage eine ganz offene Frage und zwar: Was euch zur Siedlung Nord hier so spontan einfällt?« Simona: »Weiß ich nicht. Ghetto.« »Ghetto?« Simona: »Hm. (...)« »Du sagtest Ghetto, was meinst du damit?«
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Simona: »Weiß ich nicht so richtig. Find nicht, dass die Wohnung richtig schön aussieht, das mein ich damit. Sehen dreckig aus.« »Das Umfeld hier?« Simona: »Ja, die Blöcke so, das sieht alles so zerfallen aus.« »Ist das auch so ein Stichwort hier, dass ihr oft von Ghetto redet?« Simona: »Ja.« Rico: »Na ja da vorne, in Nord, bei der Polizei so, da sieht’s eigentlich ganz ordentlich aus, da wohnen ja auch immer mehr ältere Leute. Dort wo ich wohn. Bloß dann hier hinten die Gegend, die ist dann halt scheiße, dreckig.« Simona: »Besonders da hinten.« [Zeigt in eine Richtung] »Wo jetzt abgerissen wird?« Beide: »Ja.« (17, w., 16, m., arm, WN01-8)
Auch wenn durch die interne Segregation die symbolische Topographie der Siedlung eindeutiger und ein kollektiv geteiltes Schema der Wahrnehmung wird, besteht für die, die in den abgewerteten Teilen wohnen, stets die Möglichkeit, das Stigma auf noch schlechtere Bereiche weiterzulenken. Einige wenige der befragten Jugendlichen verteidigen allerdings auch durchgehend die Siedlung, gewissermaßen als ihr Viertel, gegen die Stigmatisierung, ohne dabei im übrigen die Tendenzen der Entmischung und Konflikte in Abrede zu stellen. Diese drei, sich auch als sozial engagiert beschreibenden Jugendlichen haben gegenüber der Stigmatisierung Gegenstrategien entwickelt, die im insistierenden Widerspruch oder einer entwaffnenden Identifikation bestehen. Zwei Beispiele: »Nord hier in Eisenach ist bekannt als Asiviertel, Arbeitslosenviertel, Sozialempfängerviertel und so ein Kram. Also Leute, die ich kenne, arbeiten eigentlich, also sagen wir 90 Prozent von denen. Ist eigentlich Quatsch.« (16, m., ges., EN03-10) »Wir selber, wenn wir gesagt bekommen, du lebst ja im Ghetto, wir nehmen’s nicht böse. Ist halt so, für uns ist es normal. Schönes Ghetto.« (25, w., arm, WN01-13)
Die von den Wohnungswirtschaftlern hervorgehobenen Konflikte zwischen alt und jung werden auch von einigen Jugendlichen thematisiert. Dabei handelt es sich um Reibereien bei Ruhestörung oder Ordnungsfragen meistens in den Häusern und seltener im Wohnumfeld. Für die Jugendlichen sind diese Konflikte aber gegenüber denen mit anderen Jugendlichen völlig untergeordnet. In beiden Siedlungen gibt es Konjunkturen von Cliquenkämpfen, die sich am gewaltvollsten zwischen den so bezeichneten »Rechten« und »Ausländern« abspielen. In Eisenach-Nord existiert eine stärkere rechtsgerichtete und rechtsextreme Szene, die sich 1997 in einem Formierungsprozess befand, 2003 allerdings nach der Verurteilung zentraler Personen ihre Hegemonie verloren
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hat.30 Demgegenüber sind die Rechten in Wolfen-Nord als eine Formierung im Kontext einer insgesamt bunteren und vielfältigeren Jugendszene zu bezeichnen, auch wenn die Herkunft von einem der beiden Mörder des Mosambikaners Alberto Adriano in Dessau aus Wolfen-Nord einen Ruf als Rechtenviertel verankert hat.31 Die Bildung von Cliquen ist in beiden Siedlungen ausgeprägt, sie ergibt sich über die Schule, über Bekanntschaften im Umfeld, in Jugendclubs, beim Sport oder in der Disco. Die FreundInnen in der Siedlung spielen für alle befragten Jugendlichen eine große Rolle. Durch das gemeinsame »Abhängen«, den Austausch und die gegenseitige Unterstützung entsteht bei den Cliquen eine hohe Solidarität nach innen, die sich mit mehr oder weniger starken Abgrenzungen gegenüber anderen Cliquen verbindet (vgl. auch Tuckermann/Becker 1999). Die interne Segregation und symbolische Topographie der Siedlung wird zu einem Element der Cliquenbeziehungen, was in der Konfrontation zwischen Rechten- und Migrantencliquen besonders deutlich ist. Andere Cliquen definieren sich gerade in ihrer Neutralität gegenüber diesem Konflikt: Sie nennen sich »Neutrale« oder »Normale«, womit sie allerdings auch ausdrücken, dass die Stilisierung nach einem Musikstil oder einer Sportart für sie keine Rolle spielt. In Eisenach-Nord, wo es wenigere von den Jugendlichen angeeignete Orte und Clubs als in Wolfen-Nord gibt, wurden drei Cliquenformierungen – Rechte, Aussiedler und Normale – beschrieben, während in Wolfen-Nord darüber hinaus noch Linke, Hiphopper/Skater und Metaller genannt wurden. Bei der Aneignung bestimmter Clubs und Räume überformen die Jugendlichen die durch die Verinselung vorgegebene soziokulturelle Kodierung des Raumes. Allerdings gibt es auch immer wieder prägnante Überschneidungen
—————— 30 Unter anderem wurden wegen einem Brandsatzanschlag auf eine türkische Imbissbude in Nord Personen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Im Jahr 2000 wurde in EisenachNord, in Reaktion auf die fremdenfeindlichen Orientierungen und die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen, die sich im Umfeld der Siedlung aufhalten, das Projekt »Streetwork Nord« gestartet. Die rechte Clique, allgemeine Orientierungen von Jugendlichen sowie die sozialarbeiterische Tätigkeit werden in zwei Jahresberichten des Projekts dokumentiert (vgl. Staab 2000; Staab/Wille 2001). 31 In der Bild-Zeitung wurden vor Plattenbauten salutierende Skins aus Wolfen-Nord auf der Titelseite präsentiert. Der Ruf eines Rechtenviertels haftet vielen Plattenbausiedlungen an – z.B. auch Magdeburg Neu-Olvenstedt, Berlin Marzahn, Cottbus Sachsendorf-Madlow – und ist eine Konsequenz besonders der Konflikte zwischen den Jugendcliquen, die bei spektakulären Ereignissen – etwa dem Mord an dem der linken Szene zugehörigen Jugendlichen in NeuOlvenstedt – in die Presse kommen. Allerdings haben bereits die Anschläge auf Asylbewerberheime in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda-Neustadt Anfang der 90er Jahre den Ruf von Plattenbausiedlungen als Rechtenviertel begründet. Für Sachsendorf-Madlow vgl. Hunger (1999: 1ff., Bd. 2), wo auch ein Gesamtportrait der Jugendlichen erstellt wird.
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zwischen Cliquen- und vorgegebener Raumidentität. So liegt beispielsweise die als Aussiedlerclub bekannte Jugendeinrichtung in dem Gebiet von WolfenNord, das von den Jugendlichen des als rechtsgerichtet geltenden Clubs, der im älteren Teil liegt, immer wieder als »Russenghetto« oder »Klein Moskau« bezeichnet wird. Einen Eindruck von der Alltäglichkeit der symbolischen Abgrenzungen unter den Jugendlichen vermittelt der Auszug aus einem Gruppeninterview mit 14 Mädchen zwischen 12 und 16 Jahren, die sich selber als Normale bezeichnen, sich zugleich jedoch mit den AussiedlerInnen und AusländerInnen solidarisieren, in deren Einrichtung sie sich vor allem aufhalten: »Wie ist das so, die Bewohnerschaft, wer wohnt hier so?« -: »Na hier Reiche, Arme, dann ebend Normale..., weiß nicht...« -: »Asis.« -: »Von Westen nach Reichen.« »Was versteht ihr unter reich?« -: »Na wenn alle beide Eltern richtig arbeiten gehen, und richtig Knack haben und wirklich, ’s wünscht sich jeder Asi. Ziemlich viele Klamotten und so und nur von, nur Markenklamotten und so. Und eingebildet ist dann eben hier. Wenn dann, wer keine Klamotten oder weniger informiert sind so...« -: »Ja.« -: »Das ist also die hier jetzt saufen und so. Und die ihre Kinder selbst nichts geben können weil sie... Das ist für mich asi, ich weiß ja nicht, wie die anderen denken, aber...« -: »Und sich einen reinziehen, ja.« -: »Ja, das ist so. Es gibt noch Aussiedler, gibt’s noch.« -: »Ausländer, Türken, Fidschi.« -: »Sind die meisten.« (WN01-G-1)
Die Erfahrung eines Gemeinschaftsverlusts wird von den Jugendlichen im übrigen vor allem dann artikuliert, wenn sich der eigene Freundeskreis durch Wegzug aufgelöst hat, eine Erfahrung, die im fünften Kapitel beim Typ des Hängen-Bleibens wieder begegnen wird. Ansonsten wird der Verlust von FreundInnen als eine Perspektive und Befürchtung der Zukunft thematisiert. Das Leben in der Siedlung stellt für die Jugendlichen ganz überwiegend eine Station dar, die sie im Zuge ihrer beruflichen und familialen Etablierung verlassen möchten.
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Etablierte Ältere: Biographische Bindung und Distanz »Eisenach-Nord kann man ja sagen, ist ja eigentlich unser zu Hause. Weil wir ja praktisch von jungen Ehejahren an hier wohnen. Hier sind unsere Kinder geboren, bisher eigentlich die größte Zeit unseres Lebens verbringen wir ja hier. Also mit Eisenach-Nord verbinde ich eigentlich schöne Zeiten, also ich kann nicht sagen negativ oder so, schöne Zeiten. Man hat sich gefreut zu DDR-Zeiten ne Neubauwohnung zu kriegen. Das war schon was ganz Besonderes. Und das hat man eigentlich auch festgehalten, man hat sich dann eigentlich auch von diesen vielen negativen Seiten nicht so beeinflussen lassen. Wenn viele gesagt haben nach der Wende, ach wie kannste im Neubau wohnen. Also uns hat’s eigentlich nie woanders hingezogen. Das einzige wär eben noch mal gewesen ein Einfamilienhaus. Aber den Traum hätten wir ja nicht träumen können, weil mit drei Kindern, aber ansonsten.« (44, w., prek., EN03-7)
Besonders 2001 und 2003 artikulieren die älteren Haushalte, die in den sanierten und besseren Wohnlagen interviewt wurden, eine positive Sicht auf die Siedlungen, die sie mit ihrer Biographie verknüpfen. Genauer handelt es sich um Paarhaushalte, deren Alter Mitte Vierzig überschritten hat, bei denen die Kinder in der Regel bereits ausgezogen sind und die seit der Phase der Familiengründung – nicht lange nach der Hochzeit, nach oder kurz vor der Geburt des ersten Kindes – in der Siedlung wohnen. Höchst prägnant ist, dass alle diese Haushalte das Glück und den Luxus betonen, in eine Neubauwohnung gezogen zu sein, nachdem sie zuvor in beengten und schlecht ausgestatteten Wohnungen lebten. Der Umzug wird in den Kontext einer Aufstiegsbiographie gestellt, in der die jungen Ehejahre im Neubau eine besonders glückliche Zeit bezeichnen. »Wir ham also mit zwei Kindern in zwei Zimmern gewohnt, ohne eigene Toilette, ohne eigenes Bad, ohne eigene Küche, alles Mitbenutzung. Deswegen war’s für mich irgendwie, und für ihn sicherlich auch, wahnsinnig toll, dass wir jetzt ne eigene Wohnung hatten, mit vier Zimmern. Dann also ne Vierraumwohnung in sonniger Lage mit Balkon, und das war eigentlich das Glück unserer Ehe.« (53, w., ges., EN03-9)
Die aufsteigende Flugbahn, über die in den biographischen Passagen der Interviews ausführlich anhand der Stationen der Qualifizierung und beruflichen Positionierung berichtet wird und die durch den Bezug einer vergleichsweise guten Rente oder die Aussicht darauf ihren Abschluss findet, hat freilich nicht alle Älteren in den Siedlungen gehalten.32 Alle Paare erzählen von Bekannten,
—————— 32 Während zu DDR-Zeiten die Renten bescheiden waren und Manz (1992) unter den RentnerInnen eine der größten Armutsgruppen ausmacht, steigen mit der Wende die RentnerInnen durchschnittlich in bessere Einkommenspositionen auf (vgl. Hauser et al. 1996: 300ff.).
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die nach der Wende in ein Einfamilienhaus gezogen sind, und positionieren sich gegenüber dieser auch selbst erwogenen Option. Als Grund für das Bleiben wird in der Regel angeführt, dass man den mit den Kosten- und Kreditbelastungen verbundenen Einschränkungen und Unsicherheiten ein Leben vorzieht, wo man sich auch in anderen Bereichen mal etwas leisten und zum Beispiel reisen kann, ohne stets rechnen oder einen Verlust des Arbeitsplatzes fürchten zu müssen. Neben der Bindung an das Quartier, der Zufriedenheit mit der Wohnung und den Nachbarschafsverhältnissen ist mithin der soziale bzw. finanzielle Status ein deutlich artikulierter Grund, in der Siedlung zu bleiben. 2001 und 2003 wurden auch nur Facharbeiterpaare und keine höher Qualifizierten in den besseren Wohnlagen der Siedlungen interviewt, während ein höher qualifiziertes Paar den projektierten Abriss ihres Blockes gerade als Anlass zum Umzug in die Innenstadt genommen hatte. 1997 sind dagegen fünf weggezogene Haushalte interviewt worden, die alle in Angestelltenpositionen arbeiteten und Fachschul- oder höhere Berufsabschlüsse hatten. Aber auch unter den verbliebenen älteren Paarhaushalten war 1997 die Umzugsbereitschaft hoch, und der soziale Umbruch des Gebiets sorgte selbst in stabil gebliebenen Eingängen für Verunsicherung: »Hauszusammensetzung ist Glückssache, wir können hier nichts sagen, das ist aber wegen AWG, weil Anteil und damals Eigenleistung. Deswegen gibt es keine finanziell Schwache hier, weil 2000, 3000 Mark eine Hürde darstellt, wobei ich deswegen nicht gebunden bin. Bei der städtischen Gesellschaft sind viele Leute, die nicht zu den Bevorzugten gehören, mehr oder weniger bedauernswerte Leute. Die Ghettoisierung, wenn das vorangeht, könnte das ein Grund sein, dass man auch mal die Segel streicht.« (56, m., ges., EN97-13)
Die älteren Paare haben den Impetus, das Viertel gegen den schlechten Ruf zu verteidigen. Auf die Frage nach dem Ansehen des Gebiets werden erst mal die Sanierungen und Umfeld- und Infrastrukturverbesserungen hervorgehoben, und dann bezieht man sich auf die Erfahrung, dass der Plattenbau schon früher nicht das beste Ansehen hatte: »Zu DDR-Zeiten wurde gesagt, eh, Platte, und heute wird eben gesagt, eh, Platte. Ich würde denken, das hält sich so die Waage«, antwortet der Mann des eingangs zitierten Paares, das als einziges der in den besseren Wohnlagen interviewten Paare nur über ein prekäres Einkommen verfügt. Im Verlauf der Gespräche allerdings werden dann die Kontraste zu anderen Teilen der Siedlung thematisiert, über die der Konsens besteht, dass man in ihnen nicht wohnen möchte, und von denen man sich mehr oder weniger stark abgrenzt. Gerade auch durch den Bekanntenkreis, der nicht im Plattenbau wohnt, werden die etablierten Älteren mit dem schlechten Ruf des Viertels konfrontiert. Ein Rentnerpaar, das sich 97 in einem sanierten Haus definitiv für ein Bleiben entschieden hatte, berichtet:
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Frau R.: »Viele sind eben wirklich: ›Was, ihr wohnt noch da?‹ So hört man doch die Meinung. Obwohl ich sage, das interessiert mich eigentlich gar nicht, mir geht’s hier vorne gut, und im Haus geht’s gut, und wenn da in zwei, drei Eingängen das nicht so klappt, das ist jetzt nicht mein Problem, muss ich ihnen ehrlich sagen.« Herr R.: »Ich meine, manche, die spitz sind, die gehen ja hin und bis zu der Bezeichnung: ›Na wollt ihr nicht endlich aus dem Ghetto ausziehen?‹ (...) Wenn die Sanierungen so weiter gehen, legen sich sicherlich einmal Behauptungen, willst du in dem Armenviertel weiter wohnen oder bis hin zum Ghetto, das gibt sich auch wieder.« (69, m., 67, w., ges., EN97-14)
Dass die Sanierungen jedoch an bestimmten Grenzen zum Stillstand kamen, tut, wie ein Paar 2003 erzählt, »den älteren Menschen richtig weh«. Freilich ist den Interviewten durchweg bewusst, dass sich mit dem baulichen Stillstand und Verfall auch ein stärkerer sozialer Abstieg verbindet. Und wenn in der Regel auch Verständnis für die Lage der Abgestiegenen und Armen geäußert wird, fürchten die etablierten Älteren doch, dass dieser soziale Abstieg einmal bis zu ihnen vordringt. Deutlich formuliert das ein im zweiten Wohnkomplex von Wolfen-Nord interviewtes Paar: »Es wird immer mehr Schmutz jetzt hier, Schmutz. Also mehr Gesindel, wenn man richtig ist. Also die woanders nicht unterkommen, die werden dann in Wolfen-Nord. Jeder, der ne Wohnung haben will, der kriegt eine. Also da gibt’s dann Mietschuldner, da gibt’s dieses und jenes, asoziale Menschen. Das ist wie so ein Wurm nachher, wenn du jetzt mal so ein Eingang, der komplett in Ordnung ist, und du kriegst plötzlich in zwei so leerstehende Wohnungen solche Leute rein. Da dauert’s nicht lange. Bei uns klappt die große Woche hervorragend, und da kommen zwei, die da nicht mitmachen. Da dauert’s nicht lange, bis das so verrufen ist, dass jeder sagt, ne, da zieh ich nicht mehr hin.« (60, m., ges., WN01-3)
Die Abgrenzungen von den baulich heruntergekommenen Teilen, von den Statusschwachen und MigrantInnen, werden von den etablierten Älteren aus einer vergleichsweise gesicherten Distanz heraus formuliert. Der zuvorderst positive und biographische Bezug auf die Siedlung, deren Inschutznahme gegen den schlechten Ruf und das Betonen der Verschönerungen geben davon Ausdruck. Letztlich verbinden sich für sie keine Konflikte mit dem Wohnen, und sofern die einmal eintreten sollten, besteht notfalls die Option eines Wegzugs. Ausgesprochen emotionale und vorurteilsvolle Abgrenzungen – bei den »Russen« gebe es »Krach und Lärm und Klopperei und Sauferei« formuliert das eben zitierte Paar – stehen denn auch hinter eher beschreibenden Distanzierungen zurück: »Nur eins hätte die Stadt nicht machen dürfen, sie hätten, mal sagen, diese ganzen Sozialfälle – ich kann auch arm morgen werden, das sag ich jetzt auch mal – alle hier hoch schieben. Das hätten sie mehr verteilen müssen. Das hätte mehr verteilt werden müssen, über ganz Eisenach jetzt. Oder auch hier, ich hab auch nichts gegen Ausländer hier oder irgendwas, in
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Gottes Namen. Das hätte auch mehr verteilt werden müssen, und nicht alles hier nach Nord hoch.« (47, w., ges., EN03-8)
Die Umbruchserfahrung des Gemeinschaftsverlusts ist 2001 und 2003 so nicht mehr anzutreffen, auch wenn darauf hingewiesen wird, dass vor der Wende das Miteinander im Haus enger war. Bis auf ein kinderloses Paar zeigen die Haushalte einen fast funktionalen Bezug zur Hausgemeinschaft: Das Zusammenleben soll funktionieren, man freut sich über ein Gespräch und Hilfsbereitschaft, aber man lebt sein eigenes Leben, bei denen andere Bekanntschaften und die Beziehung zu den Kindern Priorität genießen. Im Gegensatz zu den Paaren ist bei den alleinstehenden Älteren und Alten eine deutlich größere Orientierung an den Kontakten in der Nachbarschaft vorhanden. Ein Verschwinden des alten Miteinanders im Haus bleibt für sie auch nach ’97 ein zentrales Thema. Die alleinstehenden Älteren und Alten – von insgesamt 16 im Sample sind 14 mindestens 60 Jahre – wurden fast alle in Wohnlagen interviewt, wo sich der soziale Abstieg stärker bemerkbar macht und auch die Häuser meist nicht vollsaniert sind. Darüber hinaus befinden sich finanziell nur vier von ihnen in Lagen des gesicherten Wohlstands. Kurz, im Sample sind die etablierten Älteren – in guter Wohnlage mit gesichertem Einkommen – primär als Paarhaushalte und kaum als Alleinstehende vertreten. Im Unterschied zu jenen 14 interviewten Paaren sind viele von den alleinstehenden Alten erst in die Siedlung gezogen, nachdem ihr Partner verstorben war. Entsprechend verbinden sie mit ihr nicht die Zeit des Familienlebens. Der Zuzug wird eher als eine praktikable Lösung beschrieben, hervorgehoben werden die Funktionalität der Wohnungen und die Erreichbarkeit aller wichtigen Einrichtungen des täglichen Bedarfs. Gleichwohl geht mit einer hohen Wohndauer auch eine enge Bindung an die Siedlung einher, die neben dem Effekt der Gewöhnung mit den geknüpften Kontakten zusammenhängt: Viele der alleinstehenden Alten haben Freundschaften zu ihresgleichen im Wohngebiet geschlossen. Entsprechend der Kontaktorientierung werden Veränderungen im Haus sensibel registriert, darüber hinaus wird die Klage über eine Unsicherheit im Wohngebiet, die besonders von den Jugendlichen ausginge, nahezu ausschließlich von ihnen formuliert.33 Zwei befreundete alte Frauen, die ’97 in dem verrufenen Hochhaus interviewt wurden, antworten auf die Einstiegsfrage: Frau S: »Für alte Menschen ist es sehr günstig, wir haben alles hier: Arztpraxen, Apotheken, Schuhmacher, Geschäfte, Sparkassen. In der Stadt muss man weit laufen.«
—————— 33 Bei Hunger (1999: 19ff., Bd. 2), wird die Klage über Unsicherheit im Wohnumfeld generell bei den SeniorInnen, die 60 Jahre und älter sind, in Cottbus Sachsendorf-Madlow festgestellt.
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Frau H: »Das Umfeld ist nicht schön, wenn jemand kommt, der sagt, hier wohnen sie, es ist schlimm. Besonders das Hochhaus.« Frau S: »Der Dreck, es ist schlimm. Jugendliche haben hier im Keller geschlafen, haben vor vier Wochen schon wieder Hakenkreuze gemalt. Es müsste ein Hausmeisterehepaar hier wohnen.« Frau H: »Es gibt viele alte Leute hier, die in Angst leben.« (76, w., prek., 85, w., arm, EN9719)
Arme und Prekäre: Im Zentrum der Konflikte Die Krise des Zusammenlebens und die Abgrenzungen zwischen unterschiedlichen Bewohnergruppen und Milieus, die die gesamten Siedlungen durchmessen, haben in den sozialräumlichen Milieus der Armut und Prekarität ihren Hauptort. Während in den Milieus der etablierten Älteren das Zusammenleben funktioniert und die BewohnerInnen im Kern nur mit der kulturell-symbolischen Abwertung der Siedlung konfrontiert sind, mit der sie auf Grundlage ihrer Ressourcen vergleichsweise gut umgehen können, kommt es in den materiell, sozial und symbolisch am stärksten abgewerteten Bereichen der Siedlung zu teilweise starken Konflikten. Die symbolischen Abgrenzungen zwischen den BewohnerInnen sind dabei nur ein, allerdings sehr wesentliches Element. Denn gerade die Personen, die durch ihre gefährdete soziale Integration dem stärksten Abwertungsdruck unterliegen, grenzen sich mit besonderer Vehemenz von anderen Statusschwachen in ihrem Umfeld ab. Eine arbeitslose Alleinerziehende erzählt: »Man wird gegenseitig kaputt gemacht. Belästigt wird man von bestimmten Leuten. Wenn meine Kinder belästigt werden, da werd ich immer ein bisschen böse. Denn in acht Jahren hab ich viel gelernt, wie man jemanden zusammenschlägt. Da sollen sie besser meine Kinder in Ruhe lassen, denn meine Kinder sind mein Heiligtum. Berichten sie von Handgreiflichkeiten? Ja, dass sie beschimpft werden. Deine Mutter ist ne Asi. In der Schule? Ne, von den Alkoholikern, nur weil ich alleine bin, offiziell. Das heißt, die kennen sie? Natürlich. Ja, deine Mutter ist ein Asi, die sich alle möglichen Lütten anschafft, damit sie nicht arbeiten gehen braucht, sie kriegt eben dann Kindergeld. (...) Sollen sie doch. Ich weiß was Besseres. Ich brauch den Stoff nicht, den die brauchen. Ich kann auch ohne Alkohol glücklich sein.« (35, w., arm, EN03-3)
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Tabelle 3.4: Altersgruppen der befragten Haushalte nach materiellem Status* Alter (Jahre) Materieller Status arm prekär gesichert Gesamt
15 – <30
30 – <45
45 – <60
ab 60
Gesamt
9 9 3
8 8 3
7 3 10
6 7 7
30 27 23
21
19
20
20
80
* Die finanzielle Situation wurde für die Haushalte nach den Gewichten der neuen BSHG-Skala berechnet. Referenz sind gesamtdeutsche Einkommen, so dass für 1997 das durchschnittliche Nettoäquivalenzeinkommen bei 1020 Euro, für 2001 und 2003 jeweils bei 1100 Euro eingestuft wurde, da für 2003 noch keine Einkommensstatistik vorlag. 2001 und 2003 sind auch Vermögen respektive Schulden abgefragt worden, die ebenfalls berücksichtigt werden. Fast ausschließlich ergeben sich verstärkende Effekte: Haushalte in Armut geben Schulden, finanziell gesicherte dagegen Vermögen an. Arm: bis zu 50%, Finanziell prekär: über 50 und bis zu 75%, Finanziell gesichert: mehr als 75% des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens.
Die gegenseitigen Abgrenzungen stehen im Kontext von Statusvergleichen, bei denen die Kategorisierung als »asozial« eine der gängigsten symbolischen Waffen darstellt. Interessant ist, dass die Thematisierung der Abgrenzungen als Neid, die `97 eine breit gestreute Wahrnehmung bei den Befragten war, bei den späteren Befragungen fast ausschließlich bei den Armen und Prekarisierten auftaucht. Andererseits fällt für `97 auf, dass die Abgestiegenen und sozial Prekarisierten sich verbal und emotional besonders vehement davon distanzieren, bei den Statusvergleichen mithalten zu müssen. Aus diesen Beobachtungen heraus lässt sich die These formulieren, dass es sich bei den Abgrenzungen um symbolisch überformte Statuskämpfe handelt. Diese werden dort am stärksten geführt, wo sich der Kampf um soziale Integration, der wesentlich auf den Erwerb von materiellen und sozialen Ressourcen zielt, mit einer besonderen symbolisch-kulturellen Abwertung verbindet. Die symbolische Abwertung trifft die in den sozialräumlichen Milieus der Armut und Prekarität wohnenden statusschwachen Haushalte doppelt, indem einerseits ihr Wohnbereich und andererseits ihr Status zur Zielscheibe der Stigmatisierungen werden. In den Milieus reproduzieren sich die Grenzziehungen zu den »Asozialen« mit besonderer Schärfe: Die Haushalte streichen damit die Legitimität des eigenen Status und ihrer auf Integration gerichteten Alltagspraktiken heraus, die durch die Stigmatisierung in Frage gestellt wird.
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Eines der Kriterien, entlang dessen die Grenzziehungen zwischen den BewohnerInnen gezogen werden, ist die Erwerbstätigkeit. Viele der befragten Arbeitslosen erzählen, dass sie sich von den Erwerbstätigen in ihrem Umfeld und Haus ignoriert und geschnitten fühlen. Während der Status der Erwerbstätigkeit prinzipiell als legitim und anerkannt erscheint, wird die Arbeitslosigkeit symbolisch abgewertet, wie eine arbeitslose 25-igjährige ausführt: »Du bist dann asozial. Wenn du arbeitslos bist, bist du gleich asozial. (...) Ist Armut überhaupt ein Begriff? Wie bezeichnet man sonst sozial schwache Leute? Na als asoziale Leute. Deswegen versucht man das ja möglichst zu verstecken. Dann ist das manchmal wirklich so, dass einer, der arbeitslos ist, sich in den Ruin treibt, weil er damit nicht klar kommt, dass er als asozial bezeichnet wird, und holt sich dann ein Auto für 30.000 Mark. Weil der Nachbar sich auch gerade ein Neues geholt hat. Also die Leute sind ganz schön makaber geworden.« (25, w., arm, WN01-13)
Neben der Erwerbstätigkeit orientieren sich die gegenseitigen Abgrenzungen immer wieder an dem Kriterium des Sozialhilfebezugs. Die kaum überraschende Unterstellung ist dabei, so formuliert es eine junge Alleinerziehende: »Es heißt immer, Sozialhilfeempfänger sind zu faul zum Arbeiten.« Es sind mithin gesellschaftlich allgemeine Trennungsschemata, entlang derer Abgrenzungen und Distinktionen ausgesprochen werden. Dabei überwiegt ein Verhalten, das auch für das Stigmamanagement gegenüber der Siedlung gilt: Die Abwertung der eigenen Kategorie wird auf andere Gruppen weitergeschoben, die oft noch statusschwächer und machtloser sind (vgl. auch Endrikat et al. 2002: 40). So distanzieren sich Arbeitslose mit Arbeitslosengeld von Sozialhilfeempfängern, SozialhilfeempfängerInnen grenzen sich von den »Trinkern« ab, diese schieben das Stigma wiederum auf andere Gruppen wie »Ausländer« etc. Die Reihenfolge stellt eine umkämpfte Hierarchie dar. Darüber hinaus lässt sich sagen, dass das gruppenbezogene Stigma auf die weitergeschoben wird, die anscheinend besser leben, ohne diesen Status verdient zu haben. So formuliert die Frau eines Paares, das Arbeitslosengeld bezieht, zu den SozialhilfeempfängerInnen: »Ich würd es mal so sehen, dass die eigentlich schlecht angesehen sind, weil die besser leben, als die, die das Arbeitslosengeld oder die Arbeitslosenhilfe kriegen. Denn wenn man Sozialhilfe bezieht, dann gibt’s zwei mal im Jahr Bekleidungsgeld. So, Wohnungsrenovierung, kriegen gewisse Leute, wird bezahlt vom Sozialamt. Brauchen die Leute Möbel, bezahlt das Sozialamt. Ja du als Arbeitsloser, du musst alles aus eigener Tasche finanzieren, ob du das kannst oder nicht, da fragt keiner danach. So, und dann gibt’s ja die speziellen Säufer, die ja hier ganz groß sind in Wolfen-Nord. Die stehen schon früh um Sieben da, an die Läden. (...) So, aber wer ebend Alkoholiker ist, der kriegt das frei weg, die kriegen jede Woche ihren Scheck und damit hat sich das. Und die leben nicht schlecht. Na, brauchen keine Miete
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bezahlen, nichts, das zahlt das Sozialamt. Und dadurch funktioniert das.« (42, w., arm, WN01-19)
Die Annahme, andere Gruppen erhalten Vergünstigungen und Einkommen, für die sie selber nichts getan, insbesondere nicht arbeiten oder gearbeitet haben, reibt in den Milieus der Armut und Prekarität die BewohnerInnen gegeneinander auf. Die Abgrenzungen sind hier auch deshalb von besonderer Intensität, weil die Alltäglichkeit von Ausbeutung in prekären oder gering bezahlten Beschäftigungsverhältnissen oder allgemeiner: die Anstrengungen für den Lebensunterhalt und eine Verbesserung der Lebenslage mit der Erfahrung konfrontiert werden, dass scheinbar bestimmte BewohnerInnen diese Anstrengung fallen lassen und besser leben können. Da die Stigmatisierung prinzipiell leicht wahrnehmbaren Merkmalen folgt, sind es immer wieder die TrinkerInnen, die sich auch im Umfeld an bestimmten Orten treffen, auf die diese Erfahrung bezogen wird. Ein langjähriger Arbeiter des AWE, der nach der Wende in die Zeitarbeit und dann in die Sozialhilfe gegangen ist, erzählt, dass der Lebensstil der Trinker im Viertel sämtliche Sozialhilfeempfänger diskreditiere: »Aber das ist dann nicht irgendwie, weil das irgendwelche Ausländer, ne, das sind unsere Leute, die wirklich frühs um sechse, wenn die Läden aufmacht, ein Korb voll Flaschen haben, ja. Und dann geht’s abends los, da kommt der Notarzt, dann die Polizei und ach, und, ja. Das sind eben dann die Sozialhilfeempfänger. Das sind die Leute, die den Berufsstand Sozialhilfeempfänger total in den Dreck treten. Berufsstand hab ich jetzt gesagt. Es gibt auch Sozialhilfeempfänger, die, wie gesagt, ein normales Leben leben. Da kommen eben solche Leute, und das sehen die, die noch arbeiten gehen, ja guck mal, die können jeden Tag saufen, ne. Ja warum können sie das, die kriegen die Miete bezahlt, und das bezahlt und das bezahlt. Geschichten. Geh doch mal hin auf’s Sozialamt. Das brauchst du und das brauchst. ›Ah ja. Sie brauchen das doch nicht. Das steht ihnen nicht zu.‹« (50, m., arm, EN03-16)
Die symbolischen Statuskämpfe verbinden sich mit handfesten Konflikten des Zusammenlebens, die besonders in den baulich und sozial depriviertesten Bereichen anzutreffen sind. In diesen Häusern, wo auch ein besonders hoher Leerstand existiert, gibt es teilweise einen hohen Vandalismus, leerstehende Wohnungen werden immer wieder aufgebrochen und es übernachten Obdachlose und Unbekannte in den Wohnungen. Der Vandalismus und die Gewalt richten sich auch gegen die BewohnerInnen, indem beispielsweise in der Nacht Türen eingetreten, gegenseitige Drohungen ausgesprochen werden oder es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen und Schlägereien kommt. So berichtet beispielsweise eine kinderreiche Frau von Gewalttätigkeiten und Drohungen seitens ihrer Nachbarn:
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»Wann ham sie denn Stress mit denen? Nachts vor allen Dingen. Da ist es laut da oben einfach? Nicht nur laut, dass ist auch äh, die Leute hoch und runter rennen, die Weiber und die Kerle hoch und runter rennen. Die Haustür ständig aufsteht. Ja und, dann kommen die immer an unsere Tür und treten. Wird einfach mal schön getreten und damit hat sich’s dann. Und die haben ihnen die Tür auch schon eingetreten? Ja, ich hab schon die Polizei angerufen. Ham die sie auch schon bedroht? Sind die gewalttätig die Typen? Die sind unter anderem gewalttätig, aber nicht gegen mir über, sondern meinen Kinder über. Wenn mein Sohn hier einmal noch bohren tut, dann wollen sie meinen Kindern einen in die Fresse hauen. Ich dacht, ich hör nicht richtig.« (37, w., arm, EN03-4)
Es scheint kein Zufall, dass eine derartige Qualität an Konflikten lediglich in den quasi aufgegebenen Beständen anzutreffen war, wo die Instandhaltung und Reparaturen seitens der Wohnungsunternehmen nahezu vollständig zurückgefahren wurden, sei es, weil diese auf kurz- oder langfristige Sicht den Abriss projektieren bzw. nicht klar ist, was aus den Gebäuden wird, sei es, weil sie wie Eichsfeld eine Rentabilitätsstrategie fahren. In diesen Beständen ist eine Verslumung zu konstatieren. Manche Haushalte wirtschaften ihre Wohnung vollständig herunter, da sie offenbar die Fähigkeit zur Alltagsorganisation verloren haben. Bei den Begehungen mit den Hausmeistern wurden uns in beiden Siedlungen so genannte »Müllwohnungen« gezeigt, die deren Auskunft nach vor allem von MietschuldnerInnen zurückgelassen werden und in denen die Zimmer mit Haushaltsmüll übersät sind. Der Verlust der Kompetenz zur Alltagsorganisation bei einzelnen teilt sich über die Nutzung der gemeinschaftlichen Güter wie die Treppenhäuser oder Mülltonnen dem Zusammenleben mit, er erscheint als Rücksichtslosigkeit, und umgekehrt wird von eher aggressiv auftretenden MieterInnen berichtet, die scheinbar keinerlei Interesse daran haben, sich in ihrer Lebensweise an einem funktionierenden Zusammenleben zu orientieren. Kurz, das Zusammentreffen von baulicher Verwahrlosung und Vernachlässigung und der Konzentration von Haushalten mit sozialen Problemen übersetzt sich in Teilbereichen der Siedlungen in ein besonders konfliktvolles Zusammenleben. Die symbolischen Abgrenzungen koppeln sich mit Konflikten, die ein Klima der Gereiztheit und Angst produzieren, und wo es manchmal den Anschein nimmt, als setze sich eine Ordnung durch, in der nur die Drohung und Anwendung von Gewalt Achtung und Respekt verschafft. Von derartigen »Ordnungshütern« berichtet beispielsweise ein Paar, bei dem der Mann erzählt, dass ein Nachbar ihn in seiner Wohnung verprügelt habe, weil sein Hund in den Vorgarten seines Wohnblocks gekotet hatte:
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Herr G: »Aber die Ausländer machen das Wenigste, da machen die Deutschen mehr Hektik auf Deutsch gesagt. Na du hast unten die Tür gesehen, die Haustür, da hab ich mich vor 14 Tagen, ne, vor drei Wochen ist es her, hab ich mich mit einem aus der Zwölf in der Wolle gehabt. Die Wohnungstür eingelatscht, die Haustür total kleingelatscht, hast ja unten gesehen, wenn de rein bist. Meine Nieren kaputt, ham mir kaputt gedroschen. (...) Ich mein ich kenn etliche hier oben, und ich kann mich auch mit etlichen unterhalten, das ist die andere Seite. Aber, wenn de irgendwann mal ein dummes Wort sagst, so was, wo du dich normaler Weise dann entschuldigst, und dann ist die Sache vergessen, das kannst du hier oben nicht machen. Dann kriegst du einen, gleich einen auf die Birne auf Deutsch gesagt.« Frau M: »Oder es wird dir vorgehalten bis in die Steinzeit.« Herr: »Oder das.« Frau: »Also es gibt auch viel Streit.« Herr: »Ja, viel Hektik hier oben.« Frau: »Weil es viele Alkoholiker hier auch gibt.« (47, m., 20, w., arm, EN03-15)
Auf die Konfliktdynamiken und ihre Effekte wird, ebenso wie auf die Lebenslagen der materiell Armen und Prekären, in Teil II der Arbeit genauer einzugehen sein. An dieser Stelle ist noch darauf hinzuweisen, dass arme und prekäre Haushalte, die in besseren Wohnlagen interviewt wurden, auch von einem funktionierenden Miteinander und konfliktfreien Netzwerken in den Häusern berichten. Angesichts der Diversität der armen und prekären Haushalte im Sample hinsichtlich ihres Alters (vgl. Tab. 3.4), ihrer Wohnlage und Biographie ist es schwierig, typische Sichtweisen auf die Siedlung wie bei den etablierten Älteren oder den Jugendlichen herauszustellen. Generell lässt sich sagen, dass Aussichten auf eine Stabilisierung oder Verbesserung der eigenen Lage – eine aufsteigende Flugbahn – mit einer positiveren Sicht auf die Siedlung einhergehen, die allerdings bei einer deprivierten Wohnlage unwahrscheinlich wird.
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Abb. 3.1–6: »Müllwohnungen«
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Quelle: Aufnahmen von Olaf Groh-Samberg
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MigrantInnen: Zwischen Diskriminierung und Integration Die interviewten MigrantInnen – acht Haushalte, darunter ein Jugendlicher, die sich alle in armen oder prekären Einkommenspositionen befinden und aus der ehemaligen Sowjetunion kommen – erscheinen in ihrer Sichtweise auf die Siedlung dagegen homogener. Bei den jeweils drei in Wolfen 2001 und Eisenach 2003 interviewten Haushalten überraschen die zuvorderst eher positiven Aussagen zur Siedlung: Es wird Zufriedenheit mit den Wohnungen, der Infrastruktur und mit den Nachbarschaften geäußert. Überraschend ist dies insofern, als angesichts der verbreiteten Abgrenzungen gegenüber den »Ausländern«, die von mehr als der Hälfte der befragten Haushalte, darüber hinaus in zahlreichen Kurzgesprächen und teilnehmenden Beobachtungen geäußert werden, eine von diesen Distanzierungen tangierte Sicht nahe gelegen hätte. Auch wenn die Fallzahlen klein sind und ExpertInnen aus sozialen Einrichtungen von weiterhin bestehenden Konflikten berichten, scheint es doch, als gehören die Hauptkonflikte zwischen Einheimischen und MigrantInnen in beiden Siedlungen vorerst der Vergangenheit an und sind einem integrationsfreundlicheren Klima gewichen. Auch die Cliquenkämpfe zwischen den jugendlichen MigrantInnen und den Rechten werden in beiden Siedlungen vor allem zwischen 1995 und 2000 angesiedelt. Wie erwähnt, ist die Hegemonie der rechten Szene unter den Jugendlichen in Eisenach-Nord 2003 verblasst, während 1997 von dieser Szene den MigrantInnen das Leben spürbar schwer gemacht wurde. Beide damals interviewten Haushalte berichteten von schlimmen Diskriminierungen im Haus und im Umfeld: »Unternehmen kann man hier nichts. Ich mach schon gar nichts mehr. Ganz viele Nazis hier, da gibt es ständig Ärger. Was sie machen, das ist unglaublich, und wenn du Polizei holst, da kommt keine Polizei. Das war voriges Jahr, wir haben an der Bushaltestelle gestanden, und da hat eine Frau Polizei gerufen, und die haben gesagt, wir kommen nicht, die haben Angst. Die haben sogar schon den Busfahrer aus dem Bus rausgeschleift und zusammengeschlagen, und die Polizei kam nicht. Am Anfang war mir das egal, sie haben zu mir nichts gesagt. Einmal kam eine Freundin, sie warten immer draußen im Sommer, da hab ich gesagt, sie sollen [uns] in Ruhe lassen. Und seit dem, ganz schlimm. (...) Ach es gibt so viele Sachen, das kann man nicht alles sagen. Gegenüber meinem Freund schon gewalttätig, ganz schön schlimm, war in Krankenhaus. Sie haben ihn mit Eisenketten in die Nieren geschlagen. Und was mich stört, mein Freund kann auch schlagen, kann auch was zurückgeben, aber, er hat sich auch mal geschlagen und ist zur Polizei. Mein Freund war da, haben sie gesagt, selber Schuld. Und als er geschlagen, Geldstrafe bekommen. Na ja, so ist das Leben, da muss man damit leben. (...) Schon noch mal umziehen, weil mit Nachbarn Probleme. Über und unter uns Familien mit Kindern, die Krach machen. Aber wir bekommen gesagt, ich und meine Geschwister machen den Lärm, das stimmt nicht. Dann wird gesagt, wir machen alles schmutzig, und das stimmt alles nicht. Ist vor allem eine ältere Frau, die uns das sagt.« (20, w., arm, EN97-29)
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Gerade bei den Kurzgesprächen, die 2001 und 2003 in den Häusern unangekündigt geführt wurden, sagten BewohnerInnen mehrfach den bei ihnen lebenden MigrantInnen nach, sich nicht an die Hausordnung zu halten – so wie die eben zitierte Aussiedlerin das beschreibt. Gleichwohl, die interviewten MigrantInnen äußern im Gegensatz zu `97 so gut wie keine Diskriminierungserfahrungen. Nur eine Aussiedlerin berichtet: »Und man wird auch nicht beschimpft und nix. Na doch, habe schon oft gehört, dass irgendwo, gleich wenn man jemand anspricht und die hören, dass man nicht so gut sprechen kann, bestimmt Russen. Sag ich, ich bin keine Russin, ich bin eine Deutsche. Manche junge Leute benehmen sich nicht so, sprechen so laut oder machen so irgend so was. Ich und mein Mann wir meistens gehen wir ganz, nicht sprechen, oder auf Deutsch oder ganz leise.« (47, w., arm, WN01-27)
Das Leben in der Siedlung wird von den AussiedlerInnen explizit in den Kontext ihrer sozialen Flugbahn gestellt, in erster Linie ihrer vom Wunsch nach sozialem Aufstieg bzw. Verbesserungen des Lebensstandards motivierten Migration. Nach kürzerem oder längerem Aufenthalt im Wohnheim ist die Plattenbausiedlung ihre in der Regel über das Sozialamt vermittelte nächste Wohnstation geworden, die ihnen als Durchgangsstation erscheint, sofern sich nach den drei Jahren Aufenthaltspflicht in der Stadt keine Berufsperspektive ergeben sollte. In dieser Orientierung ordnen sich die zwei interviewten älteren Paare ihren Kindern unter, mit denen sie zusammen nach Deutschland eingewandert sind. Überhaupt sind alle interviewten AussiedlerInnen zusammen mit engeren Familienangehörigen und weiteren Verwandten nach Deutschland immigriert, wobei nicht durchweg zeitgleich und nicht alle in die gleiche Stadt. Die Kontakte in der Siedlung werden als gut beschrieben, wobei innerethnische Netzwerke klar dominieren, die sich gerade auch durch die für die AussiedlerInnen bestehenden sozialstaatlichen Angebotsstrukturen wie die obligatorischen Sprachkurse ergeben. Die Erfahrung eines gegenüber dem Herkunftsland insgesamt besseren Lebensstandards im Aufnahmeland scheint, zusammen mit einer Anpassungsbereitschaft und Bescheidenheit, die Zufriedenheit mit dem Wohnen in der Siedlung mitzubegründen. Die Sicht auf die Siedlung wird lediglich bei einer bereits fünf Jahre in Wolfen-Nord wohnenden Familie durch die Erfahrung wiederholter Arbeitslosigkeit getrübt, was die Frau zu der Aussage veranlasst, dass man in der Siedlung durch den Abriss bald weder wohnen noch arbeiten könne.
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Kampf um Respektabilität Die durch den sozialen Abstieg und die Verinselung der Siedlungen entstehenden Abgrenzungen und Konflikte zwischen den BewohnerInnen lassen sich als Elemente eines Kampfes um Respektabilität begreifen. Ohne die beschriebenen Konfliktachsen zwischen alten und jungen sowie einheimischen und aus dem Ausland immigrierenden BewohnerInnen dem vollständig subsumieren zu wollen, ist doch zu diagnostizieren, dass der Kampf um Respektabilität im Zentrum der Konflikte steht. Unter dem Kampf um Respektabilität wird ein symbolisch überformter Statuskampf verstanden, bei dem sich die Akteure mit symbolisch-kulturellen Ressourcen voneinander abgrenzen respektive einander anerkennen. Das umkämpfte Gut besteht in einer legitimen und integrierten Lebensweise. Die folgende Argumentation versucht, zentrale Ergebnisse der Studie zu dem Prozess der Verinselung der Siedlungen und der Krise des Zusammenlebens theoretisch zu reflektieren. Die Diagnose lautet, dass mit den Dynamiken der Prekarisierung und Exklusion, die in Ostdeutschland verzögert einsetzten, symbolische Statuskämpfe in den unteren Schichten aufbrechen, die in der historischen Phase der Entproletarisierung in den Hintergrund getreten waren. Diese sich auch räumlich sedimentierenden Fraktionierungskämpfe werden mit symbolisch-kulturellen Ressourcen geführt, zu denen in den Siedlungen insbesondere der Erwerbsstatus respektive die Erwerbsbiographie, die Gemeinschaften und Rechtsverhältnisse gehören.
Status-Legitimation durch symbolisch-kulturelle Ressourcen Wie im ersten Kapitel beschrieben, konstituierten sich in den Plattenbausiedlungen zu DDR-Zeiten respektable soziale Milieus, bei denen auch die zuvor prekären und traditionslosen ArbeiterInnen in den Status sozialer Sicherheit und eines relativen Wohlstands gehoben wurden. Die Grenzlinie der Respektabilität wurde durch die fordistische Integration einer breiten sozialen Schicht überschritten, und die BewohnerInnen waren materiell, sozial und kulturell integriert. Gegenüber dem Betrieb war die Siedlung Peripherie, gleichwohl spiegelten sich in ihr deutlich die drei Integrationsdimensionen. Denn mit dem Wohnen in der Siedlung verbanden sich ein moderner materieller Standard, eine soziale Einbindung und eine kulturelle Anerkennung der Lebensweise. Der Umbruch in den Siedlungen, der als Abstieg, als eine Erosion von Gemeinschaft und symbolische Abwertung wahrgenommen wird,
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stellt den errungenen Status in Frage. Er entfacht Kämpfe um Respektabilität in dem sich differenzierenden sozialen Milieu. Bei diesen Kämpfen handelt es sich um Anerkennungskämpfe, die sich allerdings nicht mit der von Honneth (2003), sondern mit der von Bourdieu (1992; 2001), Anderson (1978) und Vester et al. (2001) markierten Theorietradition beschreiben lassen. Im Unterschied zu der Konzeption bei Honneth ist zu diagnostizieren, dass es sich bei den Abgrenzungs- und Anerkennungskämpfen um Statuskämpfe handelt. Es vollziehen sich Kämpfe um einen legitimen Status, bei denen unterschiedliche – materielle, soziale, kulturelle – Ressourcen als symbolisch-kulturelle Ressourcen zum Einsatz kommen. Mit Bourdieu lässt sich auch von symbolischem Kapital reden, das er als das in Anerkennungskämpfen legitime oder machtvolle Kapital bezeichnet. Zum symbolischen Kapital können nach Bourdieu (2001: 311) alle anderen Arten des Kapitals werden: »Jede Art Kapital (ökonomisches, kulturelles, soziales) tendiert (in unterschiedlichem Grade) dazu, als symbolisches Kapital zu funktionieren (so daß man vielleicht genauer von symbolischen Effekten des Kapitals sprechen sollte), wenn es explizite oder praktische Anerkennung erlangt (...).« Dabei lassen sich materielle Ressourcen über das Einkommen und Vermögen, soziale Ressourcen durch die bestehenden und mobilisierbaren Beziehungen und kulturelle Ressourcen durch Bildungstitel oder Rechtspositionen bestimmen. Sie werden in den Anerkennungskämpfen zu jeweils erfolgreich in Wert gesetzten, performativen Ressourcen. Kulturell-symbolische Ressourcen sind stärker kontextuelle und milieuspezifisch variierende Ressourcen. In diese verwandeln sich im Wohngebiet sowohl materielle als auch soziale Ressourcen, die sie sich in Gebrauchsgütern wie Autos, Möbeln, einer guten Wohnlage mit funktionierenden Nachbarschaften und sozialen Beziehungen materialisieren. Darüber hinaus sind der Erwerbsstatus und die -biographie eine Ressource, die bei den gegenseitigen Abgrenzungen und Anerkennungen zu einem distinktiven Faktor werden. Wie beschrieben, sind bereits mit dem Status der Arbeitslosigkeit negative Anerkennungsbilanzen verbunden, was auf die legitimierende Funktion verweist, die der Erwerbsarbeit für gesellschaftliche Partizipation und Selbständigkeit zukommt. Die legitimierende Funktion wird in historischer Perspektive für die Arbeitermilieus besonders verständlich, da diese, die in den Plattenbausiedlungen dominieren, disziplinierte Erwerbsarbeit gegen einen sozialen Aufstieg eingetauscht haben. 34 Auch in biographischer Perspektive
—————— 34 Diese historische Bewegung verweist im übrigen auf Hegels in der Phänomenologie des Geistes formulierte Theorie der Anerkennung, von der Honneth sie gerade entkoppelt. Honneth arbeitet das Anerkennungstheorem stattdessen aus Hegels philosophischen Frühschriften heraus, um es für eine intersubjektivitätstheoretische Perspektive fruchtbar zu machen. In der
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rechtfertigt die Erwerbsarbeit respektive -biographie den erreichten Standard der Partizipation. Eine der wenigen Studien, die die zentrale Rolle der Erwerbsarbeit bei der Statusordnung und symbolischen Kämpfen herausstellt, ist A Place on the Corner von Elijah Anderson (1978). Die Studie basiert auf teilnehmender Beobachtung in einer Eckkneipe in der South Side von Chicago. In dem relativ dichten Interaktionsraum der Kneipe untersucht Anderson die Mechanismen und Ressourcen, die bei den symbolischen Statuskämpfen unterschiedlicher Bewohner des Arbeiter- und Armutsviertels wirksam sind, um davon Rückschlüsse auf die Statusordnung des Viertels zu ziehen. Die Studie soll etwas genauer betrachtet werden, da von ihr einige Rückschlüsse auf die Kämpfe um Respektabilität in den Plattenbausiedlungen gezogen werden können. An der Spitze der Hierarchie in der Kneipe identifiziert Anderson die regulars, die Regulären, die ihre anerkannte Position vor allem dem Umstand verdanken, dass sie sich in der Bahn einer regulären Erwerbsbiographie bewegen. Bei ihren Erzählungen beziehen sich die regulars immer wieder auf diese Biographie, womit sie die Legitimität und Superiorität ihres Status behaupten können. Regulär bedeutet, sich nicht wie die hoodlums, die Wurschtler und Ganoven, in eine informelle Ökonomie hineinzubegeben, die zwar oft schnelles Geld verspricht, aber Unstetigkeit und auch Illegalität impliziert. Am Ende der symbolisch umkämpften Hierarchie in der Kneipe stehen die wineheads, die Weinköpfe oder Trinker, deren zugeschriebene Identität im Namen klar zum Ausdruck kommt. Sie stehen im Ruf, sich ihre Getränke stets durch die anderen Kneipenbesucher spendieren zu lassen.35
—————— Phänomenologie führt Hegel (1988: 127ff.) das Anerkennungstheorem in dem Herr-KnechtKapitel aus, dem der Gedanke zugrunde liegt, dass sich der Knecht durch Arbeit und die Gestaltung der Dingwelt aus seiner Unselbständigkeit befreit. Dadurch gelangt er zu einem anerkannten Selbstbewusstsein. 35 Eine ähnliche Typologie von Sozialfiguren im Armutsviertel der Vereinigten Staaten entwickelt Ulf Hannerz (1969: 34ff.) in »Soulside«, das auf teilnehmender Beobachtung in der Winston Street von Washington, D.C., basiert. Vgl. auch die instruktiven Ausführungen zur US-amerikanischen Ghetto-Ethnographie der 1960er und 70er Jahre bei Lindner (2004: 171ff.). Lindner zeigt in seiner Geschichte der Stadtforschung, dass die Unterscheidung von würdigen und unwürdigen, respektablen und irrespektablen BewohnerInnen eines der durchgängigsten Merkmale qualitativer Studien in Armutsmilieus darstellt. Die Unterscheidung wird dabei entweder stärker von außen, Spiegel einer sozialstaatlichen Perspektive, an die Untersuchungsobjekte herangetragen oder aus der Sicht der Befragten konstruiert. Bei Hannerz (1969: 34-35) bildet die lebensweltliche vorgefundene Distinktion zwischen »respectable«, »good«, »model« einerseits und »undesirable«, »no good«, »trash« andererseits den Ausgangspunkt seiner Typologie von Sozialfiguren des Ghettos. Ähnlich verfährt Anderson, der diese binäre moralische Kodierung gerade auch in seinem jüngsten Buch »Code of the street« (2000) als zentrales Strukturierungsprinzip von Lebensstilen und Orientierungen herausarbeitet.
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Während sich so die Statushierarchie in der Eckkneipe und im Viertel nach Anderson in erster Linie auf die Erwerbsarbeit und -biographie stützt, sind zugleich weitere Ressourcen Bestandteil der symbolischen Kämpfe. Dazu gehören insbesondere die sozialen Beziehungen der Personen. Wiederum verfügen die regulars über die vielfältigsten Beziehungskreise, da sie meist in einer festen Partnerschaft leben und sich ihre Netzwerke von der Verwandtschaft über Kollegen bis hin zu den Kumpelbeziehungen in der Bar erstrecken. Den auf der anderen Seite der Hierarchie stehenden wineheads bleiben dagegen oft nur die Beziehungen zu ihresgleichen, da sie meist weder eine feste Arbeit noch eine LebenspartnerIn haben. Ihr unterster Status in der Bar ist neben den geringen materiellen und sozialen Ressourcen freilich auch dadurch begründet, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihre »regulären« Erfahrungen erfolgreich in Szene zu setzen. Diese knapp umrissenen Beobachtungen von Anderson erhellen die symbolischen Kämpfe in den Plattenbausiedlungen. Auch hier kommt der Erwerbsarbeit und -biographie eine zentrale Rolle bei der Status-Legitimation zu. Gerade die etablierten Älteren beziehen sich auf ihre jahrzehntelange, reguläre Erwerbsbiographie, um die Legitimität ihrer materiell vergleichsweise guten Situation herauszustellen. Der Rekurs auf die Erwerbsarbeit ist darüber hinaus der implizite Maßstab jener symbolischen Hierarchie, die von den Arbeitenden über die Arbeitslosen, den SozialhilfeempfängerInnen bis zu den TrinkerInnen verläuft. Schließlich stellen in den Plattenbausiedlungen die sozialen Beziehungen eine zwar mit der Erwerbsarbeit gekoppelte, aber doch eigenständige Dimension der Abgrenzungs- und Anerkennungsprozesse dar. Allerdings kommt diese Ressource auf eine komplexere Weise zum Einsatz als bei den von Anderson beschriebenen Statuskämpfen in der Kneipe: Ebenso wie der materielle Standard sind die Gemeinschaften und Nachbarschaften ein Element des respektablen Status in der Siedlung. Ihre Erosion löst Abgrenzungs- und Umzugsprozesse aus, in dessen Zuge sich die Gemeinschaften besonders in den Milieus der etablierten Älteren rekonstituieren. Wie gezeigt, werden die Gemeinschaften allerdings durch die Akteure der Wohnungswirtschaft, die die Abgrenzungskämpfe im Sinne eines EtabliertenAußenseiter-Konflikts interpretieren, mitgestaltet. Ihre Belegungs- und Entwicklungspolitik der Siedlungen ist davon beeinflusst, dass die etablierten Älteren sich auf die Hausgemeinschaften und die eingespielten sozialen Beziehungen in den Häusern berufen. Freilich auch aus dem Interesse an funktionierenden Hauseingängen wirken die WohnungswirtschaftlerInnen daran mit, die »intakten« Bereiche gegen bestimmte Zuziehende zu schützen. Allerdings ist die Belegungs- und Entwicklungspolitik der kommunalen Akteure nicht allein auf die besseren sozialen Ressourcen der angestammten
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BewohnerInnen zurückzuführen. Eine Interpretation der sozialen Schließung der Wohnbereiche der Etablierten allein in diesem, von Elias/Scotson (1993) gemeinten Sinne würde die Bedeutung der mit den sozialen gekoppelten materiellen Ressourcen verkennen. Die etablierten Älteren mobilisieren neben der »Gemeinschaft« zugleich ihren materiellen Status, der ihnen das Wohnen in den aufgewerteten Bereichen der Siedlungen ermöglicht. Dass die Nachbarschaften für die etablierten Paarhaushalte im Gegensatz zu den Alleinstehenden in ihren praktizierten sozialen Beziehungen eine untergeordnete Rolle spielen, unterstreicht diesen Befund. Es verdeutlicht noch einmal, dass die Gemeinschaften eine funktionale Bedeutung für ein harmonisches Zusammenleben in den Häusern besitzen. Es zeigt aber auch, dass das Funktionieren der Eingänge und die sichtbare Ordnung im Haus ein symbolisches Element jener Respektabilität war und ist, deren Errungenschaft vor allem in der Überwindung von Prekarität und Armut besteht.
Soziokulturelle Fraktionierung in den Unterschichten Der Kampf um Respektabilität übersetzt sich in den Siedlungen in einen räumlichen Fraktionierungskampf. Die soziokulturellen Fraktionierungskämpfe innerhalb der unteren sozialen Schichten und Milieus waren während der fordistischen Periode oder des »goldenen Zeitalters« der Nachkriegszeit in den Hintergrund getreten. Mit den Dynamiken der Prekarisierung und Exklusion werden sie wieder aktuell. Um diese Kämpfe theoretisch zu beschreiben, genügt es allerdings nicht, an Bourdieus Die feinen Unterschiede anzuknüpfen, da bei den dort beschriebenen Status- und Distinktionskämpfen die unteren Klassen gerade nicht teilnehmen. Wie gezeigt bietet Bourdieus Konzept des symbolischen Kapitals einen besseren Anknüpfungspunkt, an den hier mit dem Begriff der symbolisch-kulturellen Ressourcen angeschlossen wird. Auch die von Vester et al. herausgestellten unterschiedlichen Traditionen der Arbeit in den Unterschichten bieten einen wichtigen Ansatzpunkt. Abschließend soll ausgeführt werden, dass bei den Fraktionierungskämpfen, wie sie in den Plattenbausiedlungen zu beobachten sind, auch staatlich-rechtliche Interventionen eine wichtige Rolle spielen. Bourdieu (1992) geht in Die feinen Unterschiede noch davon aus, dass die unteren Schichten mit ihrem »Geschmack am Notwendigen« an den symbolisch-kulturellen Klassenkämpfen nicht teilnehmen und diese ihren Hauptort vielmehr zwischen den Klassenfraktionen der Oberschicht haben. Seine Diagnose eines übergreifenden Notwendigkeitsgeschmacks bei der Arbeiterschicht wird vor dem Hintergrund der historischen Phase verständlicher, in der mehr-
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fach das Latentwerden des Klassenkonflikts und die Integration der ArbeiterInnen im Zuge der kollektiven Aufstiegsmobilität festgestellt wurde – den »trente glorieuses« in Frankreich (vgl. Fourastié 1979) und die Zeit des Wirtschaftswunders in der BRD (vgl. Mooser 1984). Gleichwohl haben die Fraktionierungen und Distinktionen in den unteren Schichten eine lange Geschichte, die sicherlich auch in jener historischen Periode nicht gänzlich aufgehoben wurde. So haben Paul Willis (1979) und Elijah Anderson (1978) auch zur selben Zeit kulturelle Fraktionierungskämpfe bei den Arbeitermilieus beschrieben, als Bourdieu die Distinktionsprozesse bei den Mittel- und Oberschichten eruierte. Zu Recht weisen Vester et al. (2001) deshalb auf die historisch tradierten Fraktionierungen in den unteren sozialen Milieus hin. In Anschluss an den Sozialhistoriker Edward P. Thompson unterscheiden sie mehrere Traditionslinien in den Unterschichten, wobei zwischen den traditionellen und kleinbürgerlichen Arbeitermilieus einerseits und den traditionslosen Arbeitermilieus andererseits die Grenzlinie der Respektabilität verläuft (ebd. 2001: 26ff.; Vester 1998). Die Fraktionierungen und Abgrenzungen zwischen den respektablen und den irrespektablen, traditionslosen Arbeitermilieus gehen dieser Theorie zufolge auf unterschiedliche Traditionen der Arbeit zurück. Wie beschrieben, kommen die respektablen Arbeitermilieus vor allem aus städtischen Handwerksberufen, einer Tradition qualifizierter und moralisch kodierter Arbeit, während die traditionslosen insbesondere in ländlicher, härterer körperlicher und unqualifizierter Arbeit ihre Herkunftslinie haben. In der DDR wird noch in den 80er Jahren am Modell der kollektiven Integration der Arbeiterklasse festgehalten, auch wenn sich die Aufstiegskanäle in die höheren Etagen der Gesellschaft bereits geschlossen hatten und gesamtgesellschaftlich Ungleichheiten zunahmen (vgl. Geißler 1993; Solga 1995). Das Integrationsprojekt der Plattenbausiedlungen mag in den 80er Jahren erste Risse gezeigt haben, aber erst durch den Einzug von Prekarität und Armut nach dem Mauerfall tritt die Grenzlinie der Respektabilität in die Siedlungen. Bei den entstehenden Fraktionierungskämpfen wird diese Distinktionslinie neu verhandelt und räumlich gezogen. Dabei spielen auch staatliche Interventionen eine Rolle, und das nicht allein durch die beschriebene Intervention der kommunalen Akteure. Vielmehr lässt sich hier der Argumentationsbogen an Honneth anschließen, denn in den symbolischen Kämpfen in den Siedlungen wird auch auf Rechtsverhältnisse Bezug genommen, die den Ausgangspunkt seiner Theorie der Anerkennung bilden. Bei den Fraktionierungskämpfen berufen sich die Akteure neben den Traditionen der Arbeit (Erwerbsbiographie) und den Gemeinschaften mithin auf staatlich-rechtliche Verhältnisse und Interventionen. Diese zeichnen die
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Grenzlinie der Respektabilität mit. In der DDR war die Linie der Respektabilität seitens des Staates insbesondere durch die zivilrechtliche Definition der »Asozialität« markiert. Gruppen, die als arbeitsunwillig galten, sollten durch schlechtere Lebensverhältnisse, Arbeitsmaßnahmen und Bestrafung diszipliniert werden. In der bundesdeutschen Rechtsordnung fällt diese Definition weg. Allerdings bewegen sich die sozialstaatlich-rechtlichen Debatten nachdrücklich um die Distinktionslinie zwischen unterstützungswürdigen und -unwürdigen Bedürftigen, wobei letztere wiederum durch Arbeitsmaßnahmen und schlechtere Lebensverhältnisse diszipliniert werden sollen (vgl. Sachße/ Tennstedt 1986; Groh/Keller 2000). Die staatlich gezeichnete Trennung zwischen würdigen und unwürdigen Bedürftigen ist als Distinktionsschema in den symbolischen Kämpfen im Wohngebiet präsent, und verstärkt durch die Dynamik der sozialstaatlichen Debatten und Reformen wird sie zu einer weiteren kulturell-symbolischen Ressource in den Fraktionierungskämpfen. Während die Fraktionierungen mit der im zweiten Kapitel beschriebenen internen Segregation bereits markante räumliche Konturen in den Siedlungen angenommen haben, werden sie subjektiv von den unterprivilegiertesten Gruppen gleichwohl in keiner Weise akzeptiert. Die erfahrenen Abgrenzungen werden vielmehr weitergeschoben auf andere Gebäude und andere Bewohnergruppen, und nicht zuletzt kommt es zu einer Ethnisierung der Konflikte. Historisch ist im übrigen die von Lenski (1973) so bezeichnete Gruppe der Entbehrlichen ein Beispiel dafür, dass die Fraktionierungen in den Unterschichten neben dem Erwerbsstatus immer auch staatlich geformt waren. Denn neben ihrer Arbeitslosigkeit hat diese Gruppe von Bettlern, Gaunern und Vagabunden sich gerade dadurch definiert und konstituiert, dass sie in den Kommunen kein Recht auf Aufenthalt und Unterstützung genossen (vgl. Sachße/Tennstedt 1998; Castel 2000).
Soziale Exklusion und Alltagspraxis im Quartier
4. Armut und Ausgrenzung im Postfordismus
Auch wenn aus der vierzigjährigen Periode des Realsozialismus bestimmte Strukturen und kulturelle Muster überdauern, ist die dominante Entwicklung in Ostdeutschland seit der Wende die einer Angleichung an die westlichen Gesellschaften. Die entstehende Armut und die städtischen Ungleichheiten lassen sich deshalb nicht als ein Übergangsphänomen der Transformation begreifen. In den westlich-kapitalistischen Gesellschaften zeichnet sich schon seit den 1970er Jahren die Entstehung einer »neuen Armut« ab. Seitdem diese Gesellschaften sich selber transformieren und die Formation eines »flexiblen Kapitalismus« oder »Postfordismus« annehmen, wachsen Armut und Marginalisierung kontinuierlich. Die postsozialistischen Länder holen diese Schattenseiten der demokratischen Gesellschaften nun im Zeitraffertempo nach. Die Armut kehrt im Westen wie im Osten zu einem Zeitpunkt wieder, in dem historisch einmalig ausgebaute Wohlfahrtsstaaten existieren. Allerdings stehen die sozialen Sicherungssysteme nun selber zur Debatte. Die Diskurse um die neue Armut, die sich international um verschiedene Begriffe wie den der »exclusion sociale« in Frankreich und den einer »underclass« in den USA bewegen, sind von diesen Reformdebatten nicht unbeeinflusst. Gerade an der Debatte über die Entstehung der »underclass« in den USA lässt sich zeigen, wie sich bestimmte Diskurse der Armut unmittelbar anschlussfähig für die Reformen erwiesen, die unter Reagan eingeleitet wurden. Das Bild der neuen Armut scheint in der postfordistischen Ära insgesamt stark von der Optik der sozialstaatlichen Fürsorge geprägt zu sein. Die Perspektive der Fürsorge auf die Armut war stets eine Perspektive auf individuelle Akteure. Wenn sich in den Diskursen um die neue Armut eine Position als dominant erweist, die Armut vorwiegend als heterogen und individualisiert betrachtet, dann spiegelt sich darin das symbolische und reale Gewaltmonopol wider, das der Staat gegenüber der Armut innehat. Diese Überlegungen sind Inhalt des ersten Teils dieses Kapitels. Die Herausbildung der neuen Armut und sozialen Exklusion in Ostdeutschland wird zum Anlass genommen, die Diskurse über die im Westen bereits seit den 70er Jahren wachsende Armut zu rekapitulieren. Anhand eines Vergleichs mit
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der Armut im 19. Jahrhundert soll gezeigt werden, dass die Sichtweise der Armut als individualisiert und heterogen, aber auch das Interesse an den Akteuren und ihren Alltagsstrategien, einer sozialstaatlichen Perspektive auf die Armut wenn nicht entspringen, so doch zumindest sehr nahe stehen. Im zweiten Teil des Kapitels werden die Ursachen der Armut skizziert und aufgezeigt, was den Begriff der sozialen Exklusion von dem der Armut unterscheidet. Als Hauptursache für die Armut erweisen sich wachsende Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt. Die Armut ist allerdings nicht nur an Arbeitslosigkeit gebunden, sondern ein Phänomen, das auch unter Haushalten in Erwerbsarbeit verbreitet ist. Ein bemerkenswertes Resultat neuerer Studien besteht zudem darin, dass die klassischen Statusmerkmale von niedriger Bildung und des Arbeiterstatus die Hauptmerkmale der Armut in Deutschland darstellen. Vor dem Hintergrund dieser Befunde wird ein Begriff sozialer Exklusion entwickelt, der diese nicht allein als Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt begreift, wie das einflussreich etwa Dubet/Lapeyronnie getan haben. Anstelle von Arbeitslosigkeit wird die materielle Armut oder Deprivation als eine Dimension sozialer Exklusion begriffen. Die materielle Deprivation muss dabei nicht notwendig mit einer Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt einhergehen, sondern sie kann auch durch ein unzureichendes Haushaltseinkommen trotz Erwerbsarbeit, prekäre Beschäftigung oder eine unzureichende Rente bedingt sein. Soziale Exklusion wird in dieser Studie als eine Benachteiligung in drei Bereichen gefasst: Sie liegt vor, wenn Haushalte in einer materiellen, sozialen und kulturellen Dimension benachteiligt sind. Diese mehrdimensionale Perspektive wird einerseits der lebensweltlichen Situation von armen Haushalten gerecht. Außerdem ist die Berücksichtigung der sozialen Netzwerke (soziale Dimension) und der kulturellen Anerkennung (kulturelle Dimension) wichtig, wenn es um die Untersuchung von Quartierseffekten geht. Das Kapitel leitet in die beiden anschließenden Kapitel ein, in denen die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zu sozialer Exklusion, den Alltagspraktiken und den Quartierseffekten dargestellt werden. Es dient dazu, zentrale Begriffe zu erläutern und die normativen Implikationen zu reflektieren, die bei dem Thema Armut und Exklusion ebenso im Spiel sind wie bei den Perspektiven, die auf diese eingenommen werden. Die zentrale Frage nach den Effekten der Quartiere auf die Lebenslage der BewohnerInnen lässt sich zudem nur dann beantworten, wenn die Ursachen von Armut und sozialer Exklusion bekannt sind und gewichtet werden können.
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Gesellschaftliche Transformation und neue Armut Mit dem Fall der Mauer vollziehen sich in Ostdeutschland Transformationen, die in den westlichen Gesellschaften schon in den 1970er Jahren einsetzten. In den kapitalistischen Gesellschaften kam es im Kontext internationaler Umbrüche in den 70er Jahren zu einem strukturellen Wandel. Der Übergang zu einem »flexiblen Kapitalismus«, zu einer »postfordistischen Gesellschaftsformation« begann Konturen anzunehmen.36 Dieser Umbruch oder »Erdrutsch«, wie ihn Eric Hobsbawm (1997) in seiner Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnet, ist freilich schon damals an den Ländern des Ostblocks nicht spurlos vorübergegangen. Das zeigen die politischen Umsteuerungen der DDR in den 80er Jahren, etwa die neue Perspektive auf soziale Ungleichheiten als einen Faktor, der Leistungsanreize schafft, und die Krise der industriellen und landwirtschaftlichen Großbetriebe (vgl. Reißig 1993; Solga 1995). Zweifellos markiert aber die »Wende« die zentrale Zäsur für die ostdeutsche Transformation. Die Krise der Plattenbausiedlungen ist ein Beispiel dafür, dass sich im Zuge der gesellschaftlichen Transformation bestimmte Entwicklungen zeitlich gerafft wiederholen. In Westeuropa wurde die Krise der Großsiedlungen bereits in den späten 70er Jahren diagnostiziert (vgl. Power 1999; Herlyn/Saldern/Tessin 1987). Mit großer Geschwindigkeit haben sich dann nach der Wende die Probleme der sozialen Entmischung und des Leerstands auch in den neuen Bundesländern eingestellt. Dabei zeigt das entstandene Ausmaß der Probleme sogar eine neue Qualität an. Ivan Szeleny (1996: 315) prognostizierte, dass sich mit der Angleichung der östlichen an die westlichen Gesellschaften die Neubaugebiete zu den Slums des 21. Jahrhunderts entwickeln. Auch wenn diese Prognose so bisher nicht eingetreten ist, zeigt sich doch, dass die Plattenbaugebiete dem stärksten Abwertungsdruck in den Ländern unterliegen, in denen die Transformation am weitesten fortgeschritten ist.37 Als eine wesentliche Bedingung für die soziale Entmischung der Siedlungen erweist sich das Vorhandensein von alternativen Wohnungsangeboten, d.h. von Wohnungsneubau. Diese Bedingung ist in Ostmitteleuropa bisher nur in den wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen und Ländern gegeben. Im Unter-
—————— 36 Das im Anschluss an die französische Regulationsschule entwickelte Konzept des Postfordismus stellt einen historisch fundierten und gesellschaftstheoretischen Versuch dar, den Formationswandel der kapitalistischen Gesellschaften in den 70er Jahren zu beschreiben (vgl. Hirsch/Roth 1986; Hübner 1990; Altvater 1992; Hirsch 1995). 37 Vgl. dazu die Studie zu den Großsiedlungen in sechs ostmitteleuropäischen Ländern und in Ostdeutschland von Rietdorf/Liebmann/Schmigotzki (2001).
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schied zu Ostdeutschland, wo bald nach der Wende der Wohnungsbau durch die Steueranreize boomte, kam er in Ostmitteleuropa praktisch zum Erliegen (vgl. Kovács/Wießner 1997; Sailer-Fliege 1999). Deshalb sind hier die Ungleichheiten auf dem Wohnungsmarkt bisher vor allem durch die alte Wohnungsnot und -enge einerseits und die vergleichsweise wenigen privat finanzierten Häuser und Villen im Umland der Städte andererseits gekennzeichnet. Gleichwohl stellen Entmischungsprozesse, die durch sozial selektive Umzüge angetrieben werden, nur einen Aspekt bei dem Abstieg von Wohnsiedlungen dar. Ein zweiter Faktor sind die internen Abstiege, die Verarmung der ansässigen Bevölkerung. Diese Abstiege hat es auch in den ostmitteleuropäischen Städten und Quartieren gegeben. Tatsächlich sind ganze Regionen, die ehemals ihren Schwerpunkt in altindustriellen Branchen hatten, zu Armutsgebieten geworden. Der radikale Abbau der auf dem Weltmarkt unprofitabel gewordenen Schwerindustrien führte zu einer Um- und Neubewertung der Regionen. Die realsozialistischen Planstaaten sind schon in den 80er Jahren von der Politik einer ausgeglichenen Regionalentwicklung abgerückt, und in der DDR gewann die Förderung von Großstädten Priorität (vgl. Grundmann 1993; Fassmann 1997). Im Zuge der Transformation verschärfen sich die regionalen Disparitäten jedoch. Neben großräumigen Disparitäten, die in Ostdeutschland grob gesprochen zwischen Norden und Süden verlaufen, entstehen auch kleinräumigere Kontraste. Die neuen, schlanken Betriebe entfalten nur hochselektive Integrationseffekte gegenüber ihrer Umwelt. Es entstehen Inseln der Produktivität wie in Jena, Dresden oder Potsdam, die mit benachbarten Städten und Regionen scharf kontrastieren (Blien et al. 2001). Neben wachsenden sozialen und städtischen Ungleichheiten scheinen wachsende regionale Ungleichheiten geradezu ein Charakteristikum der postfordistischen Gesellschaftsformation zu sein (vgl. Häußermann/Siebel 1987; Hobsbawm 1997; Keller 1999).
Diskurse über die neue Armut Mit der gesellschaftlichen Transformation ist in Ostdeutschland die »neue Armut« angekommen, über die im Westen bereits seit den 70er Jahren debattiert wird. Dort erscheint die Armut zunächst deshalb als neu, weil sie nach einer anhaltenden Phase wirtschaftlicher Prosperität und allgemeiner Wohlstandssteigerung wiederkehrt. Die Armut tritt aus ihrem Schattendasein heraus, über das die Randgruppenforschung in den 60er Jahren berichtet hatte. Besondere Aufmerksamkeit lenken in den 70er Jahren Jürgen Roth (1979) und Heiner Geißler (1976) mit ihren Büchern und Debatten auf die Armut. Dabei
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will Roth die Armut im Kontext der alten sozialen Frage, Geißler sie dagegen gerade losgelöst vom Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit und als neue soziale Frage verstanden wissen. In den 80er Jahren wird die Armut dann insbesondere mit der wachsenden Massenarbeitslosigkeit verbunden (vgl. Balsen et al. 1984). Die Diagnosen einer »Zweidrittel-Gesellschaft« und einer »Spaltung des Sozialstaats« werden formuliert (vgl. Leibfried/Tennstedt 1985). Mit der Zunahme und Verfestigung der Armut differenzieren sich auch die Diskurse über sie aus. Seit den 90er Jahren lassen sich drei Hauptstränge der Armutsforschung ausmachen. Erstens gibt es die Armutsberichterstattung, die vor allem über das Ausmaß und die von Armut betroffenen Gruppen informiert (vgl. Hauser/Hübinger 1993; Hanesch et al. 1994).38 Zweitens hat sich mit der »dynamischen Armutsforschung« ein Ansatz entwickelt, der die Dauer von Armutsphasen untersucht und Armut wesentlich als ein zeitlich befristetes Risiko im Lebenslauf konzipiert (vgl. Leibfried et al. 1995; Zwick 1994). Drittens werden mit den aus Frankreich und den USA stammenden Diagnosen der sozialen Exklusion und »underclass« Prozesse der Verfestigung von Armut in einer multidimensionalen Perspektive betrachtet, bei der auch der städtische Raum eine wesentliche Rolle spielt (vgl. Bremer/Gestring 1997; Leviathan 1997; Herkommer 1999). Armut ist wieder zu einem kollektiven Phänomen geworden. Auch der erste Armutsbericht der Bundesregierung diagnostiziert ein seit den 70er Jahren stetiges Wachstum von Ungleichheit und relativer Armut in Deutschland – wachsende Armut ist, da sie ein relationales Phänomen darstellt, immer ein Ausdruck wachsender Ungleichheiten (BMAS 2001). Das resümierende Statement zum Ausmaß der Armut bleibt in dem Bericht zwar eigentümlich vage: Je nach verwendetem Messkonzept, so wird in der Zusammenfassung argumentiert, liegt die Einkommensarmut in Deutschland zwischen 6,6 und 20 Prozent der Bevölkerung (ohne Ausländer; ebd.: XVII). Dem ausführlichen Berichtteil lässt sich gleichwohl entnehmen, dass bei Verwendung der gängigen Armutsgrenze von 50 Prozent des Nettoäquivalenzeinkommens die Armut 1998 in Westdeutschland bei 9,1 und in Ostdeutschland bei 14,7 Prozent lag (gesamtdeutsche durchschnittliche Referenzeinkommen; ebd.: 26).39 Im frühen 20. Jahrhundert war die Armut im Kontext der sozialen Frage und später in der unmittelbaren Nachkriegszeit als ein kollektives Phänomen
—————— 38 Innerhalb der Armutsberichterstattung lassen sich der Ressourcen- und Lebenslagenansatz unterscheiden. Die unterschiedlichen Ansätze werden unten erläutert (vgl. 4.2). 39 Verwendet man bei den Referenzeinkommen die Mittelwerte der jeweiligen Landesteile, sinkt die Armutsquote in Ostdeutschland auf 4,8 Prozent und damit deutlich unter die Quote in Westdeutschland (10,6 Prozent). Darin kommt zum Ausdruck, dass die sozialen Ungleichheiten 1998 im Ostteil noch immer deutlich geringer als im Westteil des Landes sind.
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thematisiert worden. Wenn mittlerweile in Deutschland ca. zehn Millionen Menschen in relativer Armut leben, ist zwar nicht das Ausmaß an Verelendung erreicht, das in diesen historischen Phasen bestanden hat. Dennoch ist es bemerkenswert, dass die Diskurse über die neue Armut stark von einem Blickwinkel geprägt sind, der weniger die Kollektivität als die Heterogenität und Individualität der Armut betont. Immer wieder wird auf die Zersplitterung und Vereinzelung oder auch das Dynamische und Vorübergehende der neuen Armut hingewiesen, während die strukturellen und verbindenden Dimensionen eher schwach beleuchtet werden. Das trifft zwar nicht auf alle Ansätze in der Armutsforschung zu. Vielmehr lässt sich konstatieren, dass bei den Diskursen um die neue Armut Ansätze konkurrieren, die eher die strukturellen Elemente oder die Individualität und Heterogenität der Armut hervorheben. So hat zuletzt die dynamische Armutsforschung die Diagnose der ZweidrittelGesellschaft kritisiert und gegen die Vorstellung eines strukturell benachteiligten Bevölkerungsdrittels ein Bild der Armut gehalten, in dem diese wesentlich als ein temporäres Phänomen von Individuen im Lebenslauf erscheint. Der Hinweis auf die Heterogenität und eine Individualisierung von Armut beschränkt sich gleichwohl nicht auf diesen Forschungsansatz. Es bleibt die Frage, warum diese Sichtweise in den Diskursen über die neue Armut eine dominante Position beschreibt. Tatsächlich ist eine individualisierende Perspektive auf die Armut seit je mit dem System der Armenfürsorge verknüpft. Verallgemeinert hat sich diese Perspektive insbesondere mit der gesellschaftlichen Institutionalisierung der Armenfürsorge im Absolutismus. Selbst während der gesellschaftlichen Transformation des 19. Jahrhunderts und der Entstehung der sozialen Frage erhielt sich die Sicht auf Armut als ein Phänomen von individuellen Akteuren, auch wenn kollektive Situationsdeutungen schließlich die Oberhand gewannen. Die besondere Aufmerksamkeit, die in der Debatte um die Armut seit den 1970er Jahren der oder die Einzelne erfährt, erscheint mithin von der realitätsmächtigen Optik ausgebauter Sozialstaaten geprägt. Im historischem Vergleich kehrt die Armut ja in einem Augenblick wieder, in dem ausgebaute Wohlfahrtsstaaten existieren, die auf ihre Klienten prinzipiell als Individuen und Haushalte zugreifen, die Bedürftigkeitsprüfungen durchführen und vielfältige rechtliche und soziale Status verteilen. Kurzum, eine Erklärung für die Dominanz der Sichtweise auf Armut als individuelles und heterogenes Phänomen besteht in dem realen und symbolischen Gewaltmonopol, das der Staat gegenüber der Armut inne hat. Der folgende geschichtliche Rückblick soll das kurz erläutern.
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Pauperismus und die Optik staatlicher Fürsorge Die Frage, ob Armut und Elend gesellschaftlich produziert oder unabwendbare Schicksale sind, die durch Missernten, Epidemien oder Kriege quasi gottgewollt und naturgeschichtlich verursacht werden, gewann durch die Industrialisierung und Urbanisierung im 19. Jahrhundert eine neue Qualität. Die Verarmung breiter Massen der Bevölkerung, die so genannte Pauperismuskrise, wesentlich ausgelöst durch die Krise des Agrarkapitalismus und des Bevölkerungswachstums, erschien ganz im Licht der wachsenden Städte (Wehler 1996: 281ff.; Kocka 1990). In diesen neuen, künstlichen Welten des Kapitalismus, in welche die verarmten TagelöhnerInnen, Bauern und Handwerker aus ländlichen Regionen zuwanderten, wirkte auch das Elend nicht länger natürlich. Armut und Ungleichheit stellten sich hier wie nie zuvor als gesellschaftlich produzierte Phänomene dar, als systematische Bestandteile einer sich neu konstituierenden sozialen Welt (Sachße/Tennstedt 1998: 153ff.). Doch auch in dieser Phase des Industriekapitalismus waren die Repräsentationen, Bilder und zahlreichen Untersuchungen der Armut geprägt von Unterscheidungen, die sich in der langen Geschichte der Armenfürsorge herausgebildet hatten. Gründe für die Verelendung wurden immer auch bei den Individuen gesucht. Die Unterscheidung zwischen würdigen und unwürdigen Armen, zwischen fremd- und selbstverschuldeter Armut, eine Unterscheidung, die so alt ist wie die Armenfürsorge, bestimmte weiterhin den Blick auf Elend und Ausgrenzung (Geremek 1988). Selbst Marx und Engels haben unter den Begriffen des Lumpenproletariats und des Pauperismus sozial deklassierte Gruppen in einer Weise beschrieben, die das Urteil einer unwürdigen und unmoralischen Lebensweise von Individuen transportiert. Sie tradierten etwa die sozialpolitisch relevante Unterscheidung zwischen Arbeitsfähigen und Arbeitsunfähigen, die zumal in den frühen Armuts- und Sozialstudien von B. Seebohm Rowntree oder Charles Booth eine zentrale Rolle spielten.40 Aus der Optik der staatlichen Fürsorge sind Personen, die sich nicht an Erwerbsarbeit orientieren und stattdessen etwa dem Alkoholismus oder der Kleinkriminalität »verfallen«, unwürdige Arme. Diese Optik verallgemeinerte sich insbesondere mit dem Absolutismus, als die Fürsorge erstmalig in großen
—————— 40 Vgl. Marx (1988: 673) Ausführungen im Kapital, wo er »Vagabunden, Verbrecher(n), Prostituierte(n)« zum eigentlichen Lumpenproletariat erklärt und pauperisierte Arbeitsfähige und Arbeitsunfähige unterscheidet. Vgl. auch die Ausführungen Engels (1990: 256ff. und 311ff.) zu den »Ärmsten der Armen« und den »Überflüssigen« in Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Zu den einschlägigen Studien von Rowntree Poverty. A Study of Town Life von 1899 und Booth Live and Labour of the People in London, das zwischen 1889 und 1897 publiziert wurde, vgl. Zeisel (1978) und Kronauer (1998).
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Teilen von den religiösen und kirchlichen Trägern in staatliche Organisationen und Anstalten überging (Sachße/Tennstedt 1986; 1998). Die staatliche Institutionalisierung der Fürsorge sah vor, dass die als unwürdige Arme Klassifizierten weniger einer materiellen Unterstützung als einer Disziplinierung bedürfen, denn sie galten als arbeitsfähig, jedoch arbeitsunwillig (arbeitsfähige Arme). Mit der Disziplinierung erfüllten die Anstalten, die Armen-, Waisen-, Arbeits- und Zuchthäuser stets eine komplementäre Funktion zum kapitalistischen Arbeitsmarkt. Teilweise entfalteten sie auch eine Eigenlogik, die sie zu »totalen Institutionen« (Goffman, Foucault) machte, bei denen die zweckrationalen Ziele nach außen kaum identifizierbar sind. Die Logik der Unterscheidung zwischen fremd- und selbstverschuldeter, zwischen würdiger und unwürdiger Armut ist in die Konstitution des neuzeitlichen Sozialstaats eingeschrieben. Diese Logik wurde auch in der Phase, als Armut als gesellschaftliches Produkt der »bürgerlichen Gesellschaft« erschien, als Resultat des sich in den Städten konzentrierenden Industriekapitalismus, nicht umgeworfen. Mit der beginnenden Ausdifferenzierung zwischen Sozialversicherungssystemen und Armenfürsorge blieben diese Unterscheidungen, ebenso wie die abstrakte Gegenüberstellung von Arbeit und Armut, institutionalisierte Definitionen (vgl. Oexle 1986; Schultheis 1996; Groh/ Keller 2000). Entscheidend war gleichwohl, dass es in Folge der sozialen Frage zu einem bedeutenden Ausbau, zu einem von der Arbeiterbewegung erstrittenen Expansionskurs der sozialen Sicherungssysteme kam. Dieser Expansionskurs wurde in den Krisenphasen der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und durch die Weltkriege unterbrochen, um dann erst wieder in den 1980er Jahren in einen nachhaltigen Reduktionskurs einzumünden (vgl. Döring 1990). Sicherlich war der Pauperismus im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ein breitenwirksameres Phänomen als die Armut heute. Über die Funktionsweise des Industriekapitalismus, der die Massen in die Städte trieb, sie in den Fabriken aufsog und wieder entließ, ergaben sich kollektive Situationsdeutungen der Armut. Dennoch lässt es sich nicht nur auf das Fehlen derartiger Integrationsmaschinen wie der expandierenden Fabriken und Städte zurückführen, dass die Armut am Ende des 20. Jahrhunderts stärker als heterogen, zersplittert und individualisiert erscheint. Hierin spiegelt sich auch die staatliche Definitionsmacht, die realitätsmächtige Optik eines Wohlfahrtsstaats, der auf seine Klienten prinzipiell als Individuen und Haushalte zugreift, der Bedürftigkeitsprüfungen durchführt und vielfältige rechtliche Status verteilt, die sich in der Lebenslage und den Partizipationschancen der Haushalte niederschlagen.
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Die Tradition sozialstaatlicher Fürsorge, die als arm im Grunde nur Personen anerkennt, die nicht arbeiten und aus individuellen Gründen nicht arbeiten können, widerspricht einem Begriff von Armut, der sie als strukturellen Bestandteil sozialer Ungleichheiten fasst. Jene Tradition erwies sich in der fordistischen Nachkriegsära im Kontext allgemeiner Wohlstandsteigerung und Vollbeschäftigung als relativ unproblematisch. Sie steht aber in dem Augenblick zur Diskussion, wo wachsende Ungleichheiten und Arbeitslosigkeit den gesetzlichen Anspruch der Fürsorge, nur eine temporäre Unterstützung auf dem Weg in die erneute finanzielle Selbständigkeit zu sein, ad absurdum führen. Insofern spiegelt auch die Konkurrenz von Diskursen über die neue Armut, sie entweder als individuelles, heterogenes und temporäres oder als strukturelles Phänomen zu begreifen, sozialpolitische Kontroversen und Reformdebatten wider, wie sie mit der Wiederkehr der Armut seit den 1970er Jahren beginnen. Diese Feststellung ist einerseits trivial, andererseits ist es aber notwendig, auf die besondere Verwobenheit und Beeinflussung der Armutsforschung von und mit der Sozialpolitik hinzuweisen. Diese Verwobenheit zeigt sich schon bei den verschiedenen Definitionen der Armut. So handeln sich Ansätze, die Armut in der Tradition von Simmel (1995: 551) allein über den Sozialhilfebezug und die Sozialhilfeberechtigung definieren, die sozialstaatliche Optik ein, wie sie in Deutschland gegenwärtig im Bundessozialhilfegesetz festgeschrieben ist. Dagegen machen sich Definitionen, die in der Tradition von Townsend (1979) Armut als soziokulturelles Existenzminimum relativ zum gesellschaftlichen Wohlstand fassen, unabhängig von einer Perspektive, bei der die Armut in dem Augenblick überwunden erscheint, wo eine Arbeit aufgenommen ist oder keine Sozialhilfeberechtigung vorliegt.
Die Underclass-Debatte Dass die sozialwissenschaftlichen Debatten um die neue Armut im Spannungsfeld der politischen Reformdebatten des Wohlfahrtsstaates stehen, verdeutlichen die in den USA geführten Kontroversen um die Entstehung einer »underclass«. Bei der Erklärung der wachsenden Armut, die sich seit den 70er Jahren besonders unter den Afro- und LateinamerikanerInnen abzeichnet, konkurrieren Ansätze, die ihr Augenmerk entweder auf die individuellen Akteure und deren Orientierungen oder auf die gesellschaftlichen Faktoren richten. Das Interesse für die Alltagspraxis der verarmten Schwarzen und LateinamerikanerInnen, die sich scharf in den innerstädtischen Vierteln der amerikanischen Städte konzentrieren, war in der Debatte um die »underclass«
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freilich von Anfang an groß. In den 80er Jahren nahmen hier Gewaltdelikte und Kriminalität wegen der aufkommenden Drogenökonomie deutlich zu, so dass von den Armutsvierteln eine Bedrohung des allgemeinen zivilen Zusammenlebens auszugehen schien. Wie Wilson in seinem Buch The Truly Disadvantaged (1987) ausführt, gewannen zur selben Zeit Interpretationen an Einfluss, die die Armut und das abweichende Verhalten auf andere Wertorientierungen, eine andere Kultur, besonders unter den Schwarzen zurückführten. Eine Reihe von Autoren machte für die Entstehung der »underclass« die liberale Politik verantwortlich, die seit den 60er Jahren einen Ausbau des amerikanischen Wohlfahrtsstaates betrieben hatte (vgl. ebd.: 16; Wacquant 2000). Am bekanntesten und einflussreichsten wurde Murray mit dem Buch Losing Ground (1984), in dem er die Geschichte des Wohlfahrtsstaates seit 1950 rekonstruiert und daraus die These ableitet, unter den Armen habe sich eine Kultur der Abhängigkeit von Sozialleistungen gebildet. Die verarmten Schwarzen und LateinamerikanerInnen würden sich deshalb gar nicht mehr an Erwerbsarbeit orientieren. Diese Argumentation bestimmte dann die unter Reagan eingeleiteten Reformen des Wohlfahrtsstaates, bei denen massive Kürzungen der »welfare« und drakonische Auflagen zum Arbeitszwang als probates Mittel gewählt wurden, andere Wertorientierungen unter den Armen zu motivieren und die Armut zu beseitigen.41 Eine Gegenposition hat in der Debatte um die »urban underclass« Wilson (1987) bezogen, der die innerstädtische Ghettoisierung vor allem mit sozialen Entmischungsprozessen und der Deindustrialisierung erklärte. Der Status der Schwarzen, die größtenteils als gering qualifizierte ArbeiterInnen in den Fabriken beschäftigt gewesen waren, ist nach Wilson für deren Verarmung einflussreicher als die Tradition des Rassismus in Amerika, in der wiederum andere wie Massey/Denton (1993) den Hauptfaktor für die Entstehung der »urban underclass« ausmachen. Die mittlerweile in zahlreichen Ländern eingeleiteten Reformen der sozialen Sicherungssysteme, die auf eine so genannte Aktivierung der Individuen zielen, haben sicherlich dazu beigetragen, dass in der Forschung ein nachhaltiges Interesse für die Alltagspraktiken und Orientierungen der Armen besteht. In den USA ist seit den 90er Jahren eine Renaissance von Studien zu verzeichnen, die das Leben marginalisierter Bevölkerungsgruppen qualitativ und ethnographisch untersuchen (vgl. Berrick 1995; Duneier 1999; Anderson 2000; Newman 2000). Was diese Studien herausstellen, ist, wie weit die Annahme einer Kultur der Abhängigkeit von der Lebensrealität der Armen entfernt ist. Die Armen orientieren sich nahezu ausnahmslos an den Werten der
—————— 41 Zur Sozialhilfereform in den USA vgl. Hanesch (1997) und Backhaus-Maul (1999).
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Selbständigkeit und der Arbeit, wie auch Wilson (1997: 67) anhand von repräsentativen Umfragen unter Ghetto-BewohnerInnen zeigt. Vermutlich sind diese Werte sogar stärker ausgeprägt als bei den Mittel- und Oberschichten, da die Armen größtenteils aus Arbeitermilieus stammen. Weil sich der Zugang zu regulären Beschäftigungsverhältnissen für diese Gruppen jedoch als sehr restringiert erweist, sind sie auf Niedriglohnjobs oder die informelle Ökonomie verwiesen. Es ist ein Alltag, der vom Streben nach Selbständigkeit und Anerkennung gekennzeichnet, zugleich jedoch in unüberwindbare Spiralen der Deprivation gefangen ist, den die neueren Studien von Berrick, Duneier oder Newmann eindrucksvoll beschreiben.42
Ursachen und Dimensionen von Armut und sozialer Exklusion Die mit dem gesellschaftlichen Strukturbruch der 70er Jahre wachsende Arbeitslosigkeit stellt zweifellos eine zentrale Ursache der neuen Armut dar. Diese Diagnose trifft auch für Ostdeutschland nach der Wende zu. Allerdings ist Arbeitslosigkeit ein graduelles Phänomen, und auch in Deutschland kann die Integration in den Arbeitsmarkt mit materieller Armut verbunden sein. Tatsächlich zeigen Auswertungen verschiedener Datensätze wie des SOEP, dass nur eine Minderheit von einkommensarmen Personen in reinen Transferbezieher-Haushalten, die Mehrheit dagegen in Haushalten lebt, in denen mindestens eine Person erwerbstätig ist (Strengmann-Kuhn 2003: 36ff.; Andreß 1999: 242ff.). In den neuen Bundesländern ist trotz der höheren Arbeitslosenquote der Anteil an armen Haushalten, in denen sämtliche Mitglieder arbeitslos sind und die primär von staatlichen Transfers leben, sogar noch geringer als in Westdeutschland (ca. 8 Prozent aller ostdeutschen versus 9 Prozent aller westdeutschen armen Haushalte; vgl. Andreß 1999: 247 u. 251).
—————— 42 Ein kurioses Beispiel für die sozialpolitische Aufgeladenheit der Debatte um die Armut und »urban underclass« in den USA hat Loïc Wacquant geliefert. In einem Review-Essay kritisiert er die drei jüngsten Studien von Anderson, Duneier und Newman dafür scharf, dass sie die armen Akteure als geradezu normal in ihren Orientierungen und Handlungen beschreiben würden. Wacquant meint, das Vorurteil, das die welfare-Reform anleitet: die Armen hätten abweichende Orientierungen, seien delinquent und selbstverschuldet arm, würde in den Studien letztlich nur auf den Kopf gestellt und indirekt bekräftigt: Die Armen würden nun zu moralischen Helden stilisiert. Das scheint aber ebenso wenig der Fall zu sein, wie dass eine solche Perspektive notwendig der neoliberalen Reformoptik zuarbeite. Vgl. die im selben Heft des American Journal of Sociology (AJS 2002) abgedruckten Repliken von Anderson, Duneier und Newman.
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Das verweist auf eine weitere zentrale Ursache für die zunehmende Armut. Sie besteht in dem geringen Wachstum respektive einer Stagnation der Löhne bei den abhängig Beschäftigten (vgl. Schäfer 1996; Pohl/Schäfer 1996). In Westdeutschland sind von 1980 bis 1995 die Löhne der abhängig Beschäftigten insgesamt nur um 50 Prozent gestiegen, was für viele Gruppen eine Lohnstagnation impliziert, während die Einkommen aus Gewinnen und Vermögen über 250 Prozent gewachsen sind (Bedau 1996, eigene Berechnungen). Dieser Trend einer ungleichen Einkommens-, aber auch Vermögensentwicklung hält an (Eißel 2004; Schmid 2004). Da in Ostdeutschland die Löhne der ArbeitnehmerInnen unter dem westdeutschen Niveau liegen – im Jahr 2000 betrugen sie 71 Prozent und im Jahr 2004 70 Prozent der Westlöhne (StBA 2002: 337; taz 2004: 8) – reicht das Einkommen eines einzelnen Verdieners hier noch seltener, für den gesamten Haushalt ein soziokulturelles Existenzminimum zu erwirtschaften. Die Entwicklung prekärer Beschäftigungsverhältnisse ist damit noch gar nicht angesprochen. Tatsächlich besteht die häufigste Haushaltskonstellation unter den arbeitenden Armen darin, dass der Mann einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht, während die Partnerin und die Kinder nicht erwerbstätig sind (Strengmann-Kuhn 2003: 235–237). Prekäre Beschäftigungsverhältnisse stellen demgegenüber eine untergeordnete, wenngleich nicht zu vernachlässigende Ursache für die wachsende Armut dar. Ebenso wie die geringen Löhne haben sie vor allem in Ostdeutschland an Boden gewonnen (Vogel 2003). Neben der Arbeitslosigkeit, der Lohnstagnation und den prekären Beschäftigungsverhältnissen besteht in der staatlichen Politik der Umverteilung und Statuszuweisung eine wesentliche Ursache für die wachsende Armut. Der unter der liberal-konservativen Regierung eingeleitete Reduktionskurs bei den sozialen Sicherungssystemen hat sich fortgesetzt. War in den 80er Jahren noch die Abdrängung von Arbeitslosen aus dem Arbeitslosengeld in die Arbeitslosenhilfe als armutsproduzierend kritisiert worden (vgl. Balsen et al. 1984; Leibfried/Tennstedt 1985), rutscht durch die Hartz-Reformen ein Großteil der ehemaligen ArbeitslosenhilfeempfängerInnen auf Sozialhilfeniveau ab. Die mit den Hartz-Reformen verbundenen Einschnitte werden nach aller Voraussicht sowohl die bereits bedeutende Gruppe arbeitender Armer vergrößern, als auch die Gruppe der Haushalte ausweiten, die in strenger Armut lebt und nur bis zu 40 Prozent des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens zur Verfügung hat. Obwohl nämlich die bisherigen Sozialhilfesätze bei Bezug sämtlicher Zusatzleistungen ein Einkommen um die 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens gewährleisteten, lagen die verwirklichten Sozialhilfesätze nur zwischen 40 und 50 Prozent (vgl. Semrau 1990; Hübinger 1997; 1998; Andreß 1999; Hanesch et al. 2000).
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Neben den sinkenden Fürsorgeleistungen sind in den gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherungssystemen sowie im Steuersystem seit den 80er Jahren Reformen zugunsten der Besserverdienenden und Selbständigen in Gang gekommen, die ebenfalls zum Wachstum von Ungleichheiten und Armut beitragen (Freyberg 1996: 56ff.). Schließlich ist unter dem Ursachenkomplex der staatlichen Politik auf die rechtliche Schlechterstellung von MigrantInnen zu verweisen, die ein Grund für die hohen Armutsquoten unter AusländerInnen darstellt (Hanesch et al. 2000: 390ff.). Markant hat beispielsweise das Anfang der 90er Jahre eingeführte Asylbewerberleistungsgesetz die materielle Situation Asylsuchender in Deutschland verschlechtert.
Risikogruppen der Armut Durch den sozialstaatlichen Reduktionskurs und die im Rahmen der so genannten Angebotspolitik seit den 80er Jahren begonnenen Umverteilungen, die primär höhere EinkommensbezieherInnen und Selbständige entlasten, ist zu erwarten, dass die auf dem Arbeitsmarkt produzierten Ungleichheiten sich immer direkter in den Lebenslagen der Bevölkerung niederschlagen. Armut, die eine extreme materielle Benachteiligung bezeichnet, müsste zunehmend deutlicher die Merkmale aufweisen, die bei der Integration in die verschiedenen Segmente des Arbeitsmarktes und umgekehrt für den Ausschluss aus den Segmenten mit Beschäftigungssicherheit und höheren Löhnen zum Tragen kommen.43 In der Tat wurde bereits in dem Armutsbericht von Hanesch et al. (1994: 173–175) herausgestellt, dass ArbeiterInnen und Personen ohne Bildungsabschlüsse eine besondere Risikogruppe der Armut darstellen. Auch die Analysen von Andreß (1999: 228) zu Armutsverläufen kommen zu dem Schluss, dass von einer Entgrenzung und Verzeitlichung der Armut nicht die Rede sein kann, sondern Mobilitäten, die um die Armutsschwelle herum verlaufen, vor allem bei Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen vorliegen. Schließlich weist Strengmann-Kuhn (2003: 73) darauf hin, dass die erwerbstätigen Armen überwiegend aus einfachen, aber auch qualifizierten ArbeiterInnen bestehen. Diese klassische Strukturiertheit der Armut hat angesichts der Betonung der Heterogenität der Armutsgruppen bisher wenig Beachtung gefunden. Der Eindruck von der Heterogenität wird freilich auch durch eine Armutsberichterstattung genährt, die vielen einzelnen Merkmalen wie der Haushaltsform, dem Sozialhilfebezug oder der Arbeitslosigkeit ausführliche
—————— 43 Zur Theorie des segmentierten Arbeitsmarktes vgl. Sengenberger (1987).
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Analysen widmet, ohne diese Analysen systematisch aufeinander zu beziehen und das Gewicht der verschiedenen Merkmale zu bestimmen. Eine Untersuchung, die den Einfluss unterschiedlicher Merkmale wie der Haushaltsstruktur, der Nationalität, der Bildung, des Berufs- und Erwerbsstatus auf die Armut prüft, hat Groh-Samberg (2004) auf Grundlage des SOEP durchgeführt. Mit Hilfe eines Armutsindikators, der sowohl zeitliche Perioden als auch verschiedene Lebenslagendimensionen berücksichtigt, stellt sich heraus, dass die größte Gruppe der Armen in Deutschland aus Arbeitermilieus besteht. Die Hauptgruppen der Armut verbinden allerdings mehrere Risikofaktoren und bestehen aus Arbeiterfamilien mit mindestens zwei Kindern und aus ausländischen Arbeiterhaushalten. Risikofaktoren der Armut wie Arbeitslosigkeit und gering bezahlte Beschäftigungen konzentrieren sich ebenfalls in diesen unteren sozialen Statuslagen. Lediglich Alleinerziehende stellen eine, quantitativ jedoch kleinere Gruppe dar, bei denen sich ein signifikantes Armutsrisiko auch in höheren sozialen Klassenlagen vorfindet. Wie schon Andreß herausstellte, zeigen auch Groh-Sambergs Analysen von Armutsverläufen, dass nachhaltige Mobilitäten zwischen Wohlstands- und Armutslagen ausgesprochen selten sind und die Diagnosen einer Entgrenzung und Verzeitlichung der Armut die soziale Realität verfehlen. Tabelle 4.1: Schulabschlüsse der befragten Hauhalte nach materiellem Status* materieller Status Schulabschluss keinen Hauptschule Realschule Gymnasium Gesamt
gesichert
2 14 7 23
prekär 3 6 16 2 27
arm 7 8 15 30
Gesamt 10 16 45 9 80
* Der Übersichtlichkeit halber wurden die unterschiedlichen Schulabschlüsse (Volksschule, Mittelschule, Regelschule etc.) auch der AussiedlerInnen in das dreigliedrige westdeutsche Modell übertragen. Bei den Jugendlichen, die noch bei ihren Eltern wohnen, wird nicht der Schulabschluss des Haushaltsvorstands, sondern der Jugendlichen angegeben. Außerdem sind bei den vier noch zur Schule gehenden Jugendlichen die gegenwärtig besuchten Schulformen als abgeschlossen eingetragen worden.
Die auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt produzierten Ungleichheiten bestimmen mithin die Tiefenstruktur der Armut in Deutschland. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, einen Blick auf die Haushalte dieser Erhebung zu werfen. Wie die Tabellen 4.1 und 4.2 zeigen, besteht sowohl zwischen
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niedrigen Schulabschlüssen, als auch zwischen dem aktuellen Berufsstatus und der materiellen Lage der Haushalte ein deutlicher Zusammenhang. Die armen und prekären Haushalte weisen mittlere, geringe oder keine Bildungsabschlüsse auf. Darüber hinaus ist der Großteil der armen Haushalte entweder vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen oder Haushaltsmitglieder arbeiten in prekären, d.h. befristet und gering bezahlten Beschäftigungsverhältnissen. Arme Haushalte, bei denen Mitglieder einer regulären Beschäftigung nachgehen, sind in dem Sample deutlich unterrepräsentiert. Dagegen sind unter den Haushalten mit prekärem Einkommen solche mit regulären Beschäftigungsverhältnissen vor den RentnerInnen als größte Gruppe vertreten. Tabelle 4.2: Berufsstatus der befragten Haushalte nach materiellem Status* materieller Status Berufsstatus in Ausbildung arbeitslos prekär beschäftigt Facharbeit Angestellte/r leit. Angestellte/r Rente Gesamt
gesichert 3 1 3 5 5 6 23
prekär
arm 4 1 2 5 7
5 12 8
8 27
5 30
Gesamt 12 13 11 8 12 5 19 80
* Unter »in Ausbildung« fallen auch die SchülerInnen. Keine Berücksichtigung finden in der Tabelle die Mischhaushaltsformen. So gehen in vier der als arbeitslos eingetragenen Haushalte andere Haushaltsmitglieder einer Arbeit nach, in fünf der als prekär beschäftigt eingetragenen Haushalte sind andere Haushaltsmitglieder arbeitslos etc.
Von der relativen Armut zur sozialen Exklusion Die nun zu diskutierende Frage ist, was den Begriff der sozialen Exklusion, wie er in dieser Studie verwendet wird, von dem der relativen Armut unterscheidet. Ähnlich wie beim Begriff der Armut lassen sich bei dem der Exklusion eine Vielzahl von Definitionen konstatieren, was angesichts der Karriere, die er seit den 80er Jahren genommen hat, nicht verwundern kann (vgl. Kronauer 2002). Eine einflussreiche Definition, wie sie in Frankreich Dubet/Lapeyronnie (1994) vertreten, lautet, dass Exklusion einen vollständigen Ausschluss vom Arbeitsmarkt bedeutet. Die beiden Autoren diagnostizie-
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ren, dass soziale Exklusion oder Ausgrenzung eine neue soziale Frage markiert: Ausgrenzung habe Ausbeutung ersetzt. Eine derartige Verschiebung der sozialen Frage ist auch unabhängig vom Exklusionsbegriff diagnostiziert worden. Die Diagnose verweist auf eine Debatte, die sowohl innerhalb des Diskurses um die neue Armut, etwa zwischen Jürgen Roth und Heiner Geißler, als auch in der Ungleichheitsforschung geführt wurde (vgl. Keller 1999: 115ff.). Bereits Ende der 60er Jahre schreibt Habermas (1969: 84ff.), der Klassenkonflikt in den Nachkriegsgesellschaften werde latent und die gesellschaftliche Konfliktzone verschiebe sich hin zu den Pauperisierten, die nicht einmal mehr ausgebeutet werden. Demgegenüber hat Kreckel (1992) die Bedeutung des Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit auch für soziale Ungleichheiten und Konfliktzonen, die weit abgelegen von diesem Gegensatz erscheinen, herausgearbeitet. In jedem Fall trifft ein Exklusionsbegriff, der auf den vollständigen Ausschluss vom Arbeitsmarkt zielt, nur eine Minderheit der von der neuen Armut betroffenen Gruppen. Zwar sind Haushalte, in denen sämtliche Mitglieder dauerhaft vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, eine qualitativ wichtige und extreme Armutsgruppe. Aber ein Begriff sozialer Exklusion, der die vielen Grau- und Übergangszonen der Armut, der das Kontinuum und die Gestuftheit materieller Benachteiligung am unteren Ende der sozialen Hierarchie ausblendet, verliert die Realität der neuen Armut auch insofern aus dem Blick, als Ausbeutung und körperlich beanspruchende Arbeiten ein konstitutives Element derselben darstellen. Im Haushaltskontext existieren wie gezeigt Integration in und Ausschluss vom Arbeitsmarkt meist nebeneinander, so dass sich auch die Erfahrungen von Ausbeutung und Ausgrenzung bei den armen Haushalten verbinden. Ein Ausschluss vom ersten Arbeitsmarkt impliziert des Weiteren nicht, dass man auch vom zweiten Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, auf dem für relativ viel Aufwand nur geringe Einkommen erwirtschaftet werden können (vgl. Vogel 2004). Auch unter den armen Haushalten dieser Erhebung, die gänzlich vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, ist die Option, sich mit prekären oder informellen Beschäftigungen den Lebensunterhalt aufzustocken oder zu verdienen nahezu durchweg präsent. Oft wurden phasenweise solche Arbeiten angenommen, die dann aber aufgrund der geringen Bezahlung und der hohen Arbeits- und Zeitintensität wieder aufgegeben wurden. Meist sind es familiale oder biographische Gründe, weshalb die Angebote prekärer oder informeller Arbeit nicht (mehr) in Betracht gezogen werden. Die Haushalte bewegen sich im zeitlichen Verlauf tendenziell zwischen der Alternative, entweder mit prekären oder informellen Beschäftigungen sich einen unzureichenden Lebensunterhalt zu verdienen und ggf. mit staatlichen Leistungen zu kombinieren, oder,
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zumindest für Phasen, sich ganz auf staatliche Unterstützungen zurückzuziehen. Soziale Exklusion wird in dieser Studie deshalb nicht in dem engeren Sinn von Dubet/Lapeyronnie definiert, sondern als ein Begriff gefasst, der eine mehrdimensionale Benachteiligung beschreibt. Da das materielle Einkommen und Vermögen von Haushalten die zentrale Ressource darstellen, um am soziokulturellen Leben zu partizipieren, wird die materielle Armut oder Deprivation als eine Dimension sozialer Exklusion begriffen. Darüber hinaus sollen mit dem Begriff eine soziale und eine kulturelle Dimension erfasst werden. Exklusion liegt mithin bei Haushalten vor, bei denen Benachteiligungen in einer materiellen, sozialen und kulturellen Dimension zusammentreffen. Bei der sozialen Dimension handelt es sich um die Ausprägung sozialer Kontakte, während unter der kulturellen Dimension Anerkennungsbilanzen betrachtet werden. Die genauere Operationalisierung des Exklusionsbegriffs wird im folgenden Kapitel anhand der Typen der Exklusion erfolgen. An dieser Stelle geht es darum, kurz die theoretischen Hintergründe des Exklusionsbegriffs zu skizzieren. Die Betrachtung der Mehrdimensionalität von sozialer Benachteiligung stellt einen internationalen Trend der Armutsforschung seit den 80er Jahren dar, als sich Armut zu einem strukturellen Phänomen auszuweiten begann. In Frankreich rückt dabei der Begriff der »exclusion sociale«, der bereits in den 60er und 70er Jahren zur Beschreibung sozialer Randgruppen verwendet wurde, ins Zentrum der Debatten und der Forschung (Paugam 1996b). Der Blickwinkel auf Armut weitet sich aus: Unter sozialer Exklusion wird nicht allein eine materielle respektive monetäre Benachteiligung verstanden, sondern es wird nach der Multidimensionalität von Benachteiligung, nach der Exklusion in mehreren Bereichen gefragt (vgl. auch Häußermann/ Kronauer/Siebel 2004). In Deutschland ist die mehrdimensionale Perspektive auf Armut insbesondere durch den Lebenslagenansatz vertreten worden. Während der Ressourcenansatz in der Armutsforschung allein den Umfang der materiellen Mittel von Haushalten zum Kriterium von Armut macht, richtet sich das Interesse des Lebenslagenansatzes darüber hinaus auf Versorgungslagen wie die Wohnlage, die Gesundheit, die sozialen Netzwerke und das subjektive Wohlbefinden (vgl. Hauser/Neumann 1992; Hauser/Hübinger 1993; Hanesch et al. 1994; Hübinger 1996; BMAS 2001). Der Lebenslagenansatz diagnostiziert eine Deprivation, sobald in einer Versorgungslage ein gesellschaftlicher Mindeststandard unterschritten wird. Bei Benachteiligungen in mehreren Bereichen besteht eine multiple Deprivation. Die Untersuchung mehrerer Lebenslagendimensionen macht es möglich, Ungleichgewichte oder Schieflagen zwischen vorhandenen materiellen Ressourcen und der Ausprä-
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gung der Lebenslage von Haushalten zu erfassen. Außerdem kommt die lebensweltliche Situation der Armut genauer in den Blick, da sich mit materieller Armut meist weitere Deprivationen verbinden. Der Lebenslagen- und der Exklusionsansatz untersuchen beide die Mehrdimensionalität sozialer Benachteiligung, und insofern lassen sie sich relativ zwanglos miteinander kombinieren. In der Terminologie des Lebenslagenansatzes bezeichnet soziale Exklusion eine multiple Deprivation oder eine Kumulation von Unterversorgungen. Mit anderen Worten beschreiben »soziale Exklusion« und »multiple Deprivation« synonyme Phänomene, sofern die selben Dimensionen betrachtet werden. Wie die Begriffe der Deprivation und Armut sind somit auch soziale Exklusion und Ausgrenzung relative oder relationale Begriffe. Sie beschreiben kein absolutes Phänomen, sondern ein soziales Verhältnis, das durch gesellschaftliche und historische Standards der Integration bestimmt wird. Allerdings wird mit dem Begriff der Exklusion doch eine ausgeprägte oder extreme Form sozialer Benachteiligung erfasst, da die Haushalte in mehreren Bereichen von einem soziokulturellen Minimum ausgeschlossen sind. Wenn in dieser Studie häufiger von sozialer Exklusion als von multipler Deprivation die Rede ist, dann geschieht das aus zwei Gründen. Erstens erfahren im Rahmen der Exklusionsforschung neben der materiellen Situation die sozialen Netzwerke, die kulturelle Integration und die räumlichen Lage von Haushalten besondere Beachtung – Dimensionen, die auch in dieser Studie untersucht werden (vgl. Paugam 1996a; Häußermann/Kronauer/Siebel 2004: 24ff.). Zweitens wird soziale Exklusion nicht nur als ein Zustand, sondern auch als ein Prozess verstanden. Wie Paugam (1996b: 12–17) bei seiner Rekonstruktion des Begriffs der Exklusion zeigt, verschob sich der Blickwinkel der französischen Armutsforschung in den 80er Jahren nicht allein auf Armut als ein multidimensionales Phänomen. Darüber hinaus wurden mit dem Begriff der sozialen Exklusion Dynamiken und biographische Verläufe (trajectoires) zum Untersuchungsgegenstand. 44 Solche Verläufe und Dynamiken in die Exklusion werden auch in dieser Studie analysiert, und soziale Exklusion wird sowohl als ein statischer Zustand, als auch als ein Prozess betrachtet.
—————— 44 Die Entwicklung der französischen Armutsforschung in den 80er Jahren fasst Paugam (1996b: 14) wie folgt zusammen: »D’une définition statique de la pauvreté fondée sur une approche monétaire, on est passé à une définition dynamique et multidimensionelle.«
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Leben im Quartier Das Wohnquartier ist auf den ersten Blick nicht der Ort, an dem soziale Ungleichheiten produziert werden. Die auf dem Arbeitsmarkt und staatlich hergestellten Ungleichheiten haben hier einen lebensweltlichen Kontext, wo sie erscheinen und gelebt werden. Auch die städtische Segregation, die Konzentration der Armut, wird wesentlich von makrosozialen Trends verursacht. Hervorzuheben ist die zunehmend marktförmige Regulierung des Wohnungssektors, die im Westen bereits seit den 70er Jahren das Segment der preiswerten und sozial gebundenen Wohnungen schrumpfen lässt (vgl. Alisch/Dangschat 1998: 73ff.; Keim 1999). Sie bedingt wesentlich, dass sich die Armut zunehmend in bestimmten Siedlungen segregiert. Die benachteiligten Wohnquartiere sind insofern Behälter und Fluchtpunkte von gesamtgesellschaftlichen Problemen und Prozessen der Marginalisierung. Das spiegelt sich auch in den Lagemerkmalen der armen und prekären BewohnerInnen: Hier wie anderswo weisen sie geringe Bildungsabschlüsse und einen (ehemaligen) Arbeiterstatus auf, sie leben besonders in größeren oder »atypischen« Haushalten und sind zu keinem kleinen Anteil ausländische MigrantInnen. Auch die symbolischen Grenzziehungen und Hierarchien, die im Zuge des Abstiegs und der internen Segregation in den Plattenbausiedlungen entstehen, spiegeln makrosoziale Ungleichheiten und Prozesse wider. Bei den Kämpfen um Respektabilität erfahren die einkommensschwachen und armen Gruppen, die in den vernachlässigten Beständen lebenden, die stärkste symbolische Abwertung. Sie sind die Verlierer der symbolischen Kämpfe. Generell scheint es aber so zu sein, dass Arme einem Stigmatisierungsdruck ausgesetzt sind. Geringe Einkommen werden in einer Gesellschaft, in der das Leistungsprinzip einen zentralen Pfeiler der Integration darstellt, schnell als unzureichende Leistung und persönliches Scheitern zugeschrieben (vgl. Neckel 1991; Groh/Keller 2001). Und wie die Theorien zu sozialer Schichtung, Prestige und zu kulturellen Distinktionskämpfen herausstellen, wird symbolisch-kulturelle Macht in der Regel von den Gruppen wirkungsvoller ausgeübt, die einen höheren Status innehaben (vgl. Bourdieu 1992; Lenski 1973). Allerdings ist zu konstatieren, dass die städtische Segregation soziale Ungleichheiten verstärkt: Die Armen erfahren zusätzliche Benachteiligungen, wenn sie segregiert wohnen. Nachbarschaftliche Konflikte oder bestimmte Mechanismen wie die Stigmatisierung und die institutionelle Diskriminierung von Armen und MigrantInnen entfalten in benachteiligten Quartieren eine besondere Intensität. Das Quartier stellt nicht nur einen lebensweltlichen Ort, sondern zugleich einen Ort von Institutionen dar, die sich hier in bestimmter Weise verzahnen. In der Stadtforschung werden benachteiligende Effekte, die
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vom Quartier ausgehen, denn auch oft an den Institutionen festgemacht. Darüber werden sie auf Prozesse innerhalb des sozialen Milieus und auf die Stigmatisierung der Gebiete zurückgeführt (vgl. Häußermann 2003). An dieser Stelle soll nur auf zwei Untersuchungen hingewiesen werden, die Belege für negative Einflüsse von benachteiligten Wohnquartieren auf deren BewohnerInnen liefern. So stellt Farwick (2001) am Beispiel der Städte Bremen und Bielefeld heraus, dass die Verweildauer von Haushalten in der Sozialhilfe in den Quartieren und Quartiersauschnitten höher liegt, in denen auch höhere Armutsquoten bestehen. Dieser Effekt bleibt auch nach der Prüfung intervenierender Variablen bestehen. Am Beispiel von vier Kölner Wohngebieten zeigen wiederum Friedrichs/Blasius (2000), dass die sozialen Netzwerke der Haushalte in den Gebieten umso kleiner werden, je höher die Konzentration der Armut ist. Außerdem verkleinern sich mit der Armutskonzentration die Aktionsradien der BewohnerInnen – was mit den verkleinerten Netzwerken, die um so mehr aus Nachbarschaftskontakten bestehen, zusammenhängt. Auch die Ergebnisse dieser Studie, die in den nächsten beiden Kapiteln dargestellt werden, zeigen, dass die Plattenbausiedlungen benachteiligende Effekte ausüben. Überwiegend treffen diese Effekte bereits statusschwache oder abgestiegene BewohnerInnen. Darüber hinaus sind Personen mit fragilen sozialen Nahbeziehungen und einseitig formellen oder improvisierenden Alltagsstrategien für negative Quartierseffekte anfällig. Das Quartier kann zwar nicht als primärer Produzent von Ungleichheiten und Armut gelten, da aber bestimmte Mechanismen der Benachteiligung in ihm konzentriert zur Geltung gelangen, werden neben der Verstetigung und Verschärfung von Armut und Exklusion auch neue Ungleichheiten produziert.
5. Dynamiken sozialer Exklusion: Eine Typologie
Eine zentrale Frage der Erhebung war, zu untersuchen, welche Effekte das Quartier auf seine BewohnerInnen hat, und wie sich das Quartier auf die soziale Exklusion auswirkt. Zu diesem Zweck wurden nicht nur die Sichtweisen, Lebenslagen und Alltagspraktiken der BewohnerInnen erhoben, sondern es wurde auch nach biographischen Verläufen gefragt. Besonders die Entwicklung des Lebens seit der Wende sollte von den BewohnerInnen beschrieben werden. Es erschien aufschlussreich, die biographischen Entwicklungen in den Kontext der Quartiersentwicklung stellen zu können und zu fragen, wie sich der Wandel und Abstieg der Siedlungen in den Laufbahnen wiederspiegelt und niederschlägt. Interveniert das Quartier auf eine negative Weise in die soziale Laufbahn der Haushalte? Wenn ja, was sind die ausschlaggebenden Eigenschaften des Quartiers, die die Laufbahn beeinflussen? Auf Grundlage der in diesem Kapitel dargestellten Typologie soll diesen Fragen nachgegangen werden. Die Typologie der vier Typen der Exklusion zeigt zunächst, welche Formen und Gesichter ausgeprägter sozialer Benachteiligung in den Quartieren vorgefunden wurden. Durch die detaillierte Darstellung der Typen wird verdeutlicht, wie sich soziale Exklusion lebensweltlich darstellt und sich dabei materielle, soziale und kulturelle Benachteiligungen miteinander verzahnen. Im Weiteren dient die Typologie als ein Analyseinstrument, Faktoren herauszuarbeiten, die für die Exklusion verantwortlich sind. Welche Rolle unter diese Faktoren das Quartier spielt, ist keine einfach zu beantwortende Frage. Denn hinter dem Begriff des Quartiers verbergen sich verschiedene Mechanismen, die auf die BewohnerInnen wirken. So können sich negative Effekte des Quartiers mit den dort vorfindbaren und vernetzenden Institutionen verbinden, sie können aus dem dortigen Lebensstandard, aus Prozessen des sozialen Milieus oder der Stigmatisierung resultieren. Neben dieser internen Vielschichtigkeit des Quartiers besteht eine Schwierigkeit darin, zu prüfen, ob bestimmte Deprivationen bei BewohnerInnen, die den Anschein machen, ein Effekt des Quartiers zu sein, nicht vielmehr aus bestimmten Lagemerkmalen oder auch Alltagsstrategien der Haushalte resultieren.
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Anhand der Typologie wird zu zeigen versucht, wie sich Dynamiken der Exklusion bei unterschiedlichen Bewohnergruppen mit Quartierseffekten verschränken. Den vier Typen ist gemeinsam, sowohl in zentralen Dimensionen ihrer Lebenslage Deprivationen aufzuweisen, als auch sich in einer sozialen Flugbahn zu befinden, die die Deprivationen verstärkt. Soziale Exklusion ist bei ihnen als Zustand und als Prozess wirksam. Es ist dieser Prozess, die Dynamik der Exklusion, der in der Typologie besondere Aufmerksamkeit zukommt. Denn gerade in ihr werden die Quartierseffekte identifiziert, die sich im zeitlichen Verlauf freilich auch in Lagemerkmalen niederschlagen. Kurzum, mit der Typologie soll gezeigt werden, wie das Quartier bei unterschiedlichen Bewohnergruppen negativ in die soziale Laufbahn interveniert und dabei je nach Lebenslage und Alter der BewohnerInnen verschiedene Effekte zeitigt. Dieses Kapitel widmet sich der Konstruktion und Darstellung der vier Typen der Exklusion. Zuerst wird gezeigt, welche theoretischen und methodischen Bezüge und Verfahren die Typenbildung angeleitet haben. Dann werden die Hauptmerkmale der Typen erläutert, wobei durch die Darstellung der Lebenslagen und der Exklusionsdynamiken deutlich wird, dass sich Zustand und Dynamik der Exklusion bei den Typen in jeweils bestimmter Weise verknüpfen. Schließlich sollen anhand der interviewten Haushalte detaillierte Portraits der Typen angefertigt werden, bei denen vor allem die Dynamiken der Exklusion genauer verständlich werden. Im anschließenden sechsten Kapitel wird herausgestellt, welchen Einfluss Lagemerkmale und Alltagspraktiken der Haushalte und welchen Einfluss das Quartier auf die Exklusionsdynamiken haben.
Theoretische und methodische Genealogie Theoretisch ist die Typologie insbesondere durch den Lebenslagen- und den Exklusions-Ansatz inspiriert. Als methodisches Verfahren der Typenbildung ist das Prinzip des Vergleichs von Haushalten einer gleichen sozialen Kategorie herauszustellen, das schon während der Erhebungen beim theoretischen Sampling angewendet wurde. Die theoretischen und methodischen Bezüge werden kurz erläutert, um die Genealogie der Typen verständlich zu machen. Wie gezeigt, erlaubt es der Lebenslagenansatz, die Mehrdimensionalität von Benachteiligung zu erfassen, die auch in der französischen Armutsforschung mit der Debatte um die »exclusion sociale« zu einem zentralen Erkenntnisinteresse geworden ist (vgl. 4.2). Der Zustand der sozialen Exklusion lässt sich in der Terminologie des Lebenslagenansatzes als eine multiple Deprivation
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beschreiben. Dabei werden hier eine materielle, soziale und kulturelle Dimension betrachtet, und bei den Typen der Exklusion treffen Deprivationen in diesen drei Dimensionen zusammen. Die Auswahl der Dimensionen war erstens von der Überlegung angeleitet, dass materiellen Ressourcen eine Schlüsselrolle bei der soziokulturellen Integration von Haushalten zukommt. Zweitens wurde mit der sozialen Dimension das Interesse an sozialen Netzwerken aufgenommen, das die Forschungen zu segregierter Armut anleitet. Nicht zuletzt inspiriert durch Wilsons (1987) Definition der »underclass« als ökonomisch depriviert und sozial isoliert, besteht eine Fragestellung bei den Untersuchungen benachteiligter Quartiere darin, welchen Umfang und welche Qualität die sozialen Netze marginalisierter Haushalte aufweisen (vgl. Friedrichs/Blasius 2000; Keim/Neef 2000a; Kapphan 2002; Häußermann/Kronauer/Siebel 2004a). Das Interesse für die kulturelle Dimension schließlich war durch Annahmen über die große Bedeutung von Stigmatisierungsprozessen und symbolischer Gewalt für arme Haushalte angeleitet (vgl. Groh/Keller 2001). Sowohl hinsichtlich der sozialen als auch der kulturellen Dimension konnte davon ausgegangen werden, dass sich ein Einfluss des Quartiers in ihnen geltend macht. Auch die Betrachtung von Dynamiken der Exklusion, von sozialen Laufrespektive Flugbahnen (trajectoires), ist von der französischen Forschung inspiriert. Das Interesse an Laufbahnen und Biographien hat zwar auch in der deutschen Ungleichheits- und Armutsforschung seit den 80er Jahren deutlich zugenommen (vgl. Berger/Hradil 1990; Leibfried et al. 1995). Während jedoch in Deutschland der Blick auf Dynamiken stark von der These einer Entstrukturierung sozialer Ungleichheiten beeinflusst ist und biographische Verlaufsmuster oft in Opposition zu struktureller Ungleichheit und Armut gebracht werden, ist in der französischen Forschung der Konnex zwischen Flugbahnen und strukturellen Prägungen nicht gekappt worden (vgl. Bourdieu et al. 1997). Außerdem werden in der Forschung zu sozialer Exklusion keine Verlaufsmuster aus der Armut heraus, wie in der »dynamischen Armutsforschung«, sondern Verläufe in die Exklusion betrachtet, die auch hier von zentralem Interesse sind.45 Neben diesen theoretischen Bezügen ist für die Konstruktion der Typologie ein methodisches Prinzip herauszustellen, das bereits im Verlauf der empirischen Erhebungen eine Rolle gespielt hat: der systematische Vergleich von Haushalten einer gleichen sozialen Kategorie entlang von Merkmalen, die sie unterscheiden. Das Prinzip des Vergleichs von Merkmalsträgern mit konstanten und gleichzeitig variierenden Merkmalen ist beim Auswahlverfah-
—————— 45 Vgl. die Aufsätze in dem Band von Paugam (1996a: 111-206) zu den »Trajectoires«.
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ren des theoretischen Sampling konstitutiv (vgl. Strauss 1998; Flick 1996; Lamnek 1995). Dabei erlaubt das theoretische Sampling, im Rahmen der Hauptfragstellung weitere Eigenschaften zu erforschen, deren Relevanz sich erst im Verlauf der Erhebung herausstellt. In dieser Erhebung wurde die Hauptorientierung, materiell deprivierte mit nicht-deprivierten Haushalten zu vergleichen, im Verlauf insbesondere um die Orientierung ergänzt, Haushalte bestimmter Alterskategorien in deprivierten und nicht-deprivierten Lebenslagen miteinander zu vergleichen.46 Neben der materiellen Deprivation, die bei der Typenbildung um die Merkmalskomplexe der sozialen und kulturellen Deprivation erweitert wurde, ist mithin das Alter ein Merkmal, das bereits das theoretische Sampling angeleitet hat. Durch die Auswertung wurde es lebenslaufspezifisch präzisiert und als Kategorie des sozialen Alters mit der Flugbahn verknüpft.47 Es bewährte sich als relevanter Merkmalskomplex, zumindest bei den ersten drei Typen. Die sich an das Merkmal Alter anschließenden Auswertungen verliefen beispielsweise entlang folgender Fragestellungen: Worin unterscheiden sich die Lebenslagen deprivierter von denen nicht deprivierter Jugendlicher/junger Erwachsener? Welche typischen Deprivationen liegen vor? Wie unterscheiden sich die Flugbahnen? Gibt es Abweichungen in den Orientierungen? Welche Unterschiede bestehen zwischen den Jugendlichen/jungen Erwachsenen, den Erwachsenen und Älteren usw.? Bei der Typenbildung wurde das Prinzip des Vergleichs auf die weiteren abgefragten Merkmale ausgedehnt, um relevante und ggf. signifikantere Merkmalskomplexe herauszuarbeiten, entlang derer die Typen dann immer wieder neu geordnet und gebildet wurden. Das geschah auf Grundlage des gesamten Samples (81 Haushalte). Es filterten sich 21 Haushalte heraus, bei denen soziale Exklusion nicht nur als ein Zustand multipler Deprivation, sondern darüber hinaus als eine Dynamik vorliegt, in die auch das Quartier in jeweils bestimmter Weise interveniert. Bei den 60 nicht in die Typologie eingehenden Haushalten liegen mithin nicht die Merkmale vor, multipel depriviert zu sein und sich in einer vom Quartier affizierten absteigenden Flugbahn zu befinden. Bei der Analyse der Mechanismen der Exklusion im sechsten Kapitel bilden diese 60 Haushalte dann eine zentrale Vergleichsgruppe.
—————— 46 Vgl. zur Verteilung der materiellen Status bei den Altersgruppen Tab. 3.4. 47 Der bereits erläuterte Begriff des sozialen Alters, der das biologische Alter mit der Stellung im Lebenslauf verbindet, wird der Biographieforschung entlehnt (vgl. 3.2).
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Hauptmerkmale der Typen In Tabelle 5.1 werden die Hauptmerkmale der Typen dargestellt: Exklusionsdynamik, soziales Alter und die Deprivationen der Lebenslage (materiell, sozial, kulturell). Die Benennung der Typen ist identisch mit den bei ihnen wirksamen Exklusionsdynamiken.48 Tabelle 5.1: Merkmale der vier Typen sozialer Exklusion* Typ / Exklusionsdynamik 1 2 3 4
HängenBleiben Adaption an Armut Isolation und Entfremdung Erzwungene Mobilität
Soziales Alter
materiell
Lebenslage sozial
Junge Erwachsene
Armut
Homogenität
Erwachsene
(strenge) Armut
Homogenität
Ältere
Prekarität
Isolation
kein Alterstyp
Armut
eher Homogenität
kulturell Unzufriedenheit, geringes Selbstbewusstsein Konflikte, Diskriminierung Unzufriedenheit, Entfremdung Konflikte, Diskriminierung
* 21 der 81 interviewten Haushalte gehen in die Typologie mit folgender Verteilung ein (ein Haushalt erscheint sowohl unter Typ 2 wie 4): Typ 1: 4 Haushalte, Typ 2: 8 Haushalte, Typ 3: 6 Haushalte, Typ 4: 4 Haushalte.
Den vier Typen ist gemeinsam, in mehreren Dimensionen gesellschaftlicher Integration den Anschluss an ein Mindestmaß verloren zu haben. Ihre Lebenslage ist durch eine Deprivation in der materiellen, sozialen und kulturellen Dimension geprägt. Weiter befinden sich die Typen in einer Exklusionsdynamik, die diese Deprivationen verstärkt. Dabei knüpft die Exklusionsdynamik in unterschiedlicher Weise an die Lebenslage an, was mit dem unterschiedlichen Alter der Typen zu tun hat. Die ersten drei Typen sind explizit Alterstypen: junge Erwachsene, Erwachsene, Ältere; sie befinden sich in unterschiedlichen Stationen ihrer Biographie. Auch bei dem vierten Typ Erzwungene Mobilität
—————— 48 Die Reduktion auf Hauptmerkmale bei der Typenbildung und die Ausweisung von gemeinsamen und unterscheidenden Ausprägungen ist von Lazarsfeld/Menzel (1972) als »Substruktion« bezeichnet worden. Bei der Explikation der Typologie haben sich Kommentare von Jürgen Friedrichs, Martin Kronauer und Uwe Jens Walther, die sie mir im Rahmen der Tagung »Neue Sichtbarkeit von Armut und Ausgrenzung in der Stadt« im Mai 2004 in Darmstadt gegeben haben, als fruchtbar erwiesen, für die ich mich an dieser Stelle herzlich bedanke.
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interveniert die Exklusionsdynamik in spezifischer Weise in die Biographie, nur dass hier das Alter kein engeres Kriterium darstellt. Sozialstrukturell sind die vier Typen also durch eine multiple Deprivation ihrer Lebenslage und unterschiedliche Altersstufen bzw. Stationen in der Biographie charakterisiert. In zeitlicher Perspektive sind sie von einer Exklusionsdynamik erfasst, die ihre sozialen Flugbahnen weiter in Richtung materieller, sozialer und kultureller Deprivation treibt.
Multiple Deprivation Betrachtet werden zunächst die Ausprägungen der Lebenslage. Fast alle der unter den Typen beschriebenen Haushalte befinden sich in materieller Armut. Nur bei dem Typ Isolation und Entfremdung werden prekäre materielle Positionen eingenommen. Weiter gibt es eine Konzentration in strenger Armut lebender Haushalte bei den erwachsenen Armen des zweiten Typs Adaption an Armut.49 Insgesamt leben 11 der dreißig interviewten armen Haushalte in strenger Armut, und davon befinden sich fünf bei dem Typ Adaption. Die haushaltsbezogenen Ursachen für die materielle Deprivation bestehen bei den Typen meist im Herausfallen aus einer regulären Erwerbsarbeit. Ihre Einkommen setzen sich aus Bezügen durch prekäre Beschäftigungen, Zeitarbeit, Maßnahmen und/oder sozialstaatlichen Transfers zusammen. Nur die älteren Haushalte des dritten Typs sind bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und beziehen Rente. Sie sind zugleich die einzigen, die teilweise geringe Ersparnisse haben, während bei den Haushalten der Typen Adaption und Erzwungene Mobilität teilweise Schulden angegeben werden. Die materielle Deprivation der Lebenslage lässt sich neben der finanziellen Situation um die Wohnsituation ergänzen. Sämtliche Typen wohnen in den Milieus der Armut und Prekarität, teilweise auch in den Inseln der MigrantInnen. Sie wohnen in teil- und oft unsanierten Häusern, wo von Instandsetzungsproblemen, Ausfall der Heizung, Luftzug durch die Fenster, lauwarmem Wasser etc. berichtet wird. Bei den Typen Adaption und Erzwungene Mobilität konzentrieren sich derartige Wohndeprivationen, die allerdings über alle Typen streuen. Neben der materiellen Armut liegen soziale Deprivationen vor. Die Erhebung bestätigt den Befund, dass eine zentrale Dimension von Exklusion in
—————— 49 Als strenge Armut wird die materielle Situation bezeichnet, in der nur bis 40 Prozent des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens zur Verfügung stehen. Unter dem Typ Adaption befindet sich auch ein Hauhalt mit prekären Einkommen.
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Isolation oder einer Homogenisierung sozialer Beziehungen besteht. Kronauer (2002: 168) hat herausgearbeitet, dass soziale Isolation nicht nur Vereinsamung bedeuten kann, wie hier beim Typ Isolation und Entfremdung, sondern darüber hinaus auch die Homogenisierung sozialer Beziehungen. Auch wenn es terminologisch wichtig bleibt, bei Betrachtung der Haushalte zwischen einer Isolation und einer Homogenisierung der Netzwerke zu unterscheiden, impliziert die Einengung sozialer Beziehungen auf Personen in gleicher Lebenslage dennoch eine gesellschaftliche Isolation. Weiter zeigt sich, dass soziale Isolation und eine Homogenisierung der Netzwerke oft zwei Seiten einer Medaille sind: BewohnerInnen in Armut gehen Kontakte zu ihresgleichen im Wohngebiet auch ein, um eine Vereinsamung zu vermeiden. Charakteristisch sind homogene Netzwerke für den Typ Hängen-Bleiben und den zweiten Typ der erwachsenen Armen. Homogenität der Netzwerke bedeutet, dass sich die sozialen Beziehungen auf Personen in gleicher Lebenslage, überwiegend aus dem Wohngebiet, eingeengt haben. Zwar existieren weitere potentielle Bezugspersonen aus der Familie, Verwandtschaft oder Bekannte, de facto haben diese Beziehungen aber keinen oder nur einen sehr geringen Stellenwert im Alltagsleben: Der Kontakt ist abgebrochen oder der gegenseitige Austausch ist äußerst selten. Auch im Fall der Isolation bei den Älteren bedeutet die Vereinsamung nicht, dass die Haushalte keine Personen mehr kennen, zu denen potentiell eine Beziehung besteht. Entscheidend ist, dass ihr Alltagsleben von Isolation und Vereinsamung geprägt ist, was allerdings mit einer Kontaktarmut und wenigen potentiellen Bezugspersonen einhergeht. Beim Typ Erzwungene Mobilität ist eine durchgehende Homogenität der sozialen Beziehungen nicht erkennbar. Neben den materiellen und sozialen liegen bei den Haushalten weitere Deprivationen vor, die insbesondere in regelmäßig erfahrenen Konflikten oder Diskriminierungen oder einer ausgeprägten Unzufriedenheit gegenüber der eigenen Lage bestehen. Von diesen Deprivationen soll als einer symbolischkulturellen Form der Exklusion oder einer kulturellen Deprivation geredet werden. Allgemein drücken sich in den kulturellen Deprivationen negative Anerkennungsbilanzen aus. Bei den Typen verschränken sich negative Anerkennungsbilanzen von außen, die in Form von Stigmatisierungen oder Diskriminierungen erfahren werden, mit einer subjektiv empfundenen NichtAnerkennung, die aus dem wahrgenommen Widerspruch zwischen eigenen Ansprüchen und der Lebenslage resultiert. Besonders bei den jungen Erwachsenen, die hängen bleiben, fällt ein geringes Selbstbewusstsein als kulturelle Deprivation auf. Es rührt wesentlich aus dem Widerspruch zwischen subjektiven Ansprüchen und der Lebenswirklichkeit her, die zusätzlich als kulturell abgewertet erfahren wird. Zwar
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verschränken sich bei allen Typen negative Anerkennungsbilanzen von außen und als subjektiv, aus der sozialen Flugbahn heraus empfundene. Bei dem ersten und dritten Typ fallen jedoch besonders die subjektiv wahrgenommene, bei den Typen Adaption und Erzwungene Mobilität stärker die von außen, als Stigmatisierung und Diskriminierung erfahrene kulturelle Deprivation auf. Gerade der vierte Typ Erzwungene Mobilität ist mit teilweise starken Diskriminierungen von außen und damit verbundenen Konflikten konfrontiert. Die Verschränkung von Benachteiligungen auf materieller, sozialer und kultureller Ebene umschreibt den jeweiligen Zustand der Exklusion bei den vier Typen.
Exklusionsdynamik und soziales Alter Nach den Lebenslagen werden nun die Exklusionsdynamiken bei den Typen kurz beschrieben. Zuerst werden Angaben zu den sozialen Laufbahnen der Typen gemacht, die bei den ersten drei in Zusammenhang mit ihrem Alter zu betrachten sind. Anschließend wird die Exklusionsdynamik umrissen. Deutlich wird, wie diese die Typen in eine Richtung treibt, die die multiple Deprivation der Lebenslage verstärkt. Bei jedem Typ werden grob dessen subjektive Orientierungen angegeben, die eine partielle Erklärung für die kulturellen Deprivationen liefern. 1. Hängen-Bleiben Die jungen Erwachsenen (n=4) befinden sich in der Statuspassage des Übergangs in eine reguläre Erwerbsarbeit, der Gründung eines eigenen Haushalts und der Option einer festen Partnerschaft. Obwohl vom biologischen Alter erwachsen (21–31 Jahre), verweilen sie in dieser Passage, weshalb ihre Lebenssituation stark der von Jugendlichen ähnelt. 50 Im Unterschied zu Jugendlichen haben sie jedoch (Haupt- oder Real-) Schule und erste Berufsausbildungen bereits hinter sich gebracht, wobei die Ausbildungsphase mit geringen oder keinen Zertifikaten abgeschlossen wurde (drei haben ihre Lehre abgebrochen). Außerdem sind Schritte zur Gründung eines eigenen Haushalts unternommen worden: Nur ein junger Erwachsener lebt noch zusammen mit seiner Mutter, die anderen drei haben eigene Wohnungen bezogen, wobei zwei diese mit FreundInnen teilen. Die Exklusionsdynamik besteht darin, dass die jungen Erwachsenen durch ihre Involvierung in ein solidarisch-alternatives Cliquenleben andere
—————— 50 Zum Begriff der Statuspassage bei Jugendlichen im Übergang zum Erwachsensein vgl. Hurrelmann et al. (2003).
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Lebensziele zurückstellen und die formalen Anforderungen von Qualifizierung und Berufsintegration vernachlässigen. Während sich die Cliquen irgendwann auflösen, bleiben sie als VerliererInnen in den Siedlungen mit schlechten Zukunftsperspektiven zurück. Orientierungen: regulärer Beruf, Freundschaften, Partnerschaft, Selbständigkeit und eigene Wohnung.51 2. Adaption an Armut Die Haushalte des zweiten Typs (n=8) haben die Statuspassage zum Erwachsensein durchschritten. Meist haben sie längere Phasen der Erwerbsarbeit als einfache oder qualifizierte ArbeiterInnen hinter sich. Mittlerweile sind sie mehrere Jahre ohne reguläre Beschäftigung und haben teilweise die Bemühungen auf Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt aufgegeben. Eine junge Alleinerziehende und die Partnerin in einem der Haushalte waren bisher nie regulär erwerbstätig, sie gehören jedoch durch ihre selbständige Haushaltsform und die bei ihnen wirkende Exklusionsdynamik auch zu diesem Typ der erwachsenen Armen (20–57 Jahre). Die Exklusionsdynamik besteht darin, dass die Haushalte sich an ein Leben in Armut adaptieren. Sie entwickeln enge Netzwerke mit ebenfalls deprivierten NachbarInnen, und ihre Lebensweise wird strukturiert von diesen Netzwerken: gegenseitigen Hilfen, gemeinsam den Tag in der Siedlung verleben, Quasseln, Trinken. Die Netzwerke erweisen sich als brüchig und konfliktreich, gerade weil sie in die Privatsphäre dringen. Orientierungen: Verbesserung der Lebenslage (Erwerbsarbeit), Ressourcenmanagement, soziale Kontakte und Partnerschaft. 3. Isolation und Entfremdung Die älteren Haushalte (53–75 Jahre, n=6) sind bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und beziehen (Früh-) Rente. Nur einer der Haushalte ist ein Paarhaushalt, die übrigen sind Alleinstehende, die schon lange ohne Partner oder verwitwet sind. Die hinter ihnen liegende soziale Flugbahn folgt dem Modell eines Aufstieg in Arbeiter- oder Angestelltenpositionen mit Partnerschaft und Kindern.
—————— 51 Die Jugend- und Sozialisationsforschung hat in den letzten Jahrzehnten einerseits, unter Einfluss des Individualisierungstheorems und der These der »Selbstsozialisation«, die Selbstverwirklichungsaspirationen der jungen Generation herausgestrichen (vgl. Hurrelmann et al. 2003). Andererseits sind mehrfach die ausgesprochen traditionellen Orientierungen an Beruf, Selbständigkeit und fester Partnerschaft bei den Jugendlichen empirisch belegt worden (vgl. Mansel/Klocke 1996). Studien, die Orientierungen und Handlungsmuster bei Jugendlichen im Kontext sozialer Ungleichheiten und struktureller Lebenslagen untersuchen, sind unter dem Einfluss der Diagnosen der Individualisierung und Selbstsozialisation seit den 80er Jahren kaum mehr durchgeführt worden (vgl. Bauer 2002).
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Exklusionsdynamik: Durch ihre lange Wohndauer und prekäre finanzielle Situation an das Quartier und die Wohnung gebunden, erfahren die Haushalte eine Entfremdung gegenüber ihrer sich wandelnden Nachbarschaft und dem mit ihr verbundenen Alltagsleben. Sie werden in Rückzug und Isolation gedrängt. Orientierungen: Bewahren von Selbständigkeit, Gesundheit, soziale Kontakte (zu den Kindern). 4. Erzwungene Mobilität Im Unterschied zu den ersten drei Typen handelt es sich hierbei nicht um einen altersspezifischen Typ, auch wenn die im Sample vertretenen Haushalte bzw. Haushaltsvorstände eher mittleren Alters sind (30, 32, 36 und 57 Jahre, n=4). Entscheidend bei Betrachtung ihrer sozialen Flugbahn ist die Wohnkarriere. Der Zuzug in die Siedlung ist für sie damit verbunden, die Lebenslage neu organisieren und Kräfte für eine Verbesserung ihrer Situation sammeln zu wollen. Die Exklusionsdynamik besteht bei diesen Haushalte darin, sich relativ kurz nach ihrem Zuzug gleich wieder für einen Wegzug entscheiden zu müssen, da die Wohnverhältnisse untragbar erscheinen oder das Gebäude bautechnisch zu räumen ist (Abriss). Orientierungen: Verbesserung der Lebenslage (Erwerbsarbeit), Ressourcenmanagement, soziale Kontakte und Partnerschaft.
Lebensweltliche Portraits Im Folgenden werden detailliertere Portraits der vier Typen vorgestellt. Dabei werden nicht alle, sondern nur bestimmte der unter den Typen subsumierten Haushalte dargestellt und zitiert, so dass neben der Typik auch die Individualität und Komplexität der lebensweltlichen Situation der Akteure in den Blick kommt. Gleichzeitig werden zu jedem Typ charakteristische Aspekte vertieft, die die Wechselwirkung zwischen Exklusionsdynamik und Deprivationen auf kultureller, sozialer und materieller Ebene verständlich machen: So werden beim ersten Typ die Ambivalenzen in den Sichtweisen und Urteilen, die bereits für die Jugendlichen beschrieben wurden (vgl. 3.2), die sich jedoch im Zuge des Hängen-Bleibens zu dem Merkmal einer brüchigen sozialen Identität und eines geringen Selbstbewusstseins zu verfestigen scheinen, eine besondere Aufmerksamkeit erfahren. Beim zweiten Typ stehen die sozialen Netzwerke, die die Haushalte überwiegend im Wohngebiet knüpfen,
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im Vordergrund, da sie bei der Exklusionsdynamik der Adaption und der Vertiefung der multiplen Deprivation eine wesentliche Rolle spielen. Beim dritten Typ wird das Verhältnis, das diese älteren Haushalte gegenüber ihrem unmittelbaren Lebensumfeld entwickeln, den Schwerpunkt bilden, so dass neben der wachsenden Isolation auch ihre Entfremdung verständlich wird. Beim Typ Erzwungene Mobilität soll schließlich der Akzent auf die Wohnbiographie und die Schwierigkeiten der Wohnungssuche gelegt werden. Bei den Typen verknüpfen sich die Exklusionsdynamiken und Lebenslagen jeweils in bestimmter Weise mit dem Wohnquartier, das einen zentralen lebensweltlichen Bezugspunkt der Haushalte darstellt. Doch auch wenn sich der Alltag der Typen größtenteils im Quartier abspielt, wenn sie fast alle hier ihre wichtigsten sozialen Netzwerke entwickeln und die Siedlung ein oder der zentrale geographische Ort ihrer Exklusion ist, so ist damit noch nicht geklärt, welche Rolle genau das Quartier und welche Rolle bestimmte Lagemerkmale und Alltagspraktiken der Haushalte bei der sozialen Exklusion spielen.
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Hängen-Bleiben »Wenn alles Jacke wie Hose ist, dummes Rumgepose ist, nix geheuer ist und alles zu teuer ist. Und über kurz oder lang alles gleich wird und träge, durch dick und dünn, ohne Kollege. Nasebohrend vor’m Kühlschrank, der leer ist, ich früher weit vorn und jetzt alles weit her ist. Keine Frau, kein Glück, kein Style da, ›0190...‹, und so weiter. Weder klingelnde Kassen, noch Telephone, kein Schwein weiß, wo ich wohne. Wenn der Hocker der Thron ist, auf dem ich throne, am Tresen in der Kneipe, auf’m Bier die Krone. Keiner mit mir, sondern jeder down ist, lang nix abging, weil jeder abgehaun’ ist. Freunde mir Raps stehlen, statt mit mir Pferde, meine Mutter mich fragt, was ich werde!« Absolute Beginner
Typ / Exklusionsdynamik 1
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Soziales Alter Junge Erwachsene
materiell Armut
Lebenslage sozial Homogenität
kulturell Unzufriedenheit, geringes Selbstbewusstsein
Bei den zwei ältesten der vier jungen Erwachsenen (31 und 27 versus 25 und 21 Jahre) ist die Exklusionsdynamik schon besonders fortgeschritten. Sie haben bereits viele Jahre ihre Bemühungen, durch Bewerbungen, Qualifizierung und Beschäftigungen sich auf dem ersten Arbeitsmarkt zu etablieren, immer wieder zugunsten des Zusammenseins mit den Cliquen und Bezugspersonen sowie angesichts der Erfahrung von schlechten Chancen fallen gelassen. Ihr Selbstbewusstsein ist ausgesprochen gering, und auffällig ist ihre Nostalgie oder emotionale Besetzung der Zeit, als sie in den Cliquen integriert waren, die sich mittlerweile aufgelöst haben. Zugleich allerdings grenzen sich die beiden Älteren von ihrer Hochphase der Cliquenintegration ab, denn, so beurteilen sie inzwischen, das Abhängen und Dummheiten-Machen führe zu nichts. Das Cliquenleben wird von ihnen idealisiert, andererseits distanzieren sie sich davon: Ambivalenzen solcher Art sind ein Grundcharakteristikum dieser jungen Erwachsenen. Sie fallen in vielerlei Beschreibungen und Urteilen, etwa auch der Siedlung gegenüber, auf. Letztlich verweisen sie auf einen Widerspruch, der ihre soziale Identität prägt und auch ihr geringes Selbstbewusstseins bestimmt: den Widerspruch zwi-
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schen ihren Ansprüchen auf Integration (regulärer Beruf, Partnerschaft und kulturelle Integration) und ihrer deprivierten Lebenswirklichkeit. Im Unterschied zu den beiden Älteren ist der im Folgenden ausführlicher portraitierte 21-jährige Mark (noch) nicht nostalgisch. Wie diese hat er eine begonnene Lehre abgebrochen und dann anschließend in einer Maßnahme gearbeitet. Eine langjährige Karriere im Wechsel zwischen prekären Jobs, Maßnahmen und Sozialhilfe liegt im Gegensatz zu den beiden Älteren noch nicht hinter ihm. Nach der abgebrochenen Lehre und der Qualifizierungsmaßnahme hat er sich erst mal dem Leben in der Siedlung mit den Kumpels verschrieben und lebt nun seit knapp drei Jahre von Sozialhilfe. Seine Clique befindet sich gerade im Prozess der Auflösung. Die sich unter den verbliebenen Freunden einstellenden Konflikte provozieren in ihm den schon vor einem Jahr einmal gefassten Wunsch oder Plan, aus Nord wegzuziehen, sich eine Arbeit und eine Freundin zu suchen. Diese Orientierungen sind auch für die beiden Älteren charakteristisch, nur dass diese sie bisher nicht verwirklichen konnten.52 Die von dem 21-jährigen Mark artikulierten Ambivalenzen gegenüber der Siedlung und der Clique, seine auffällig widersprüchlichen Urteile, indem er sich beispielsweise von den »asozialen Trinkern« als schlechten Vorbildern für Jugendliche distanziert, gleichzeitig aber stolz erzählt, wie er mit Kumpels in der Siedlung abhängt und Bier trinkt, sind charakteristisch für den Typ des hängen-bleibenden »Jugendlichen«: »Was fällt dir denn so allgemein zu der Siedlung hier ein? Asozial. Würd ich bezeichnen als asozial. Was meinst du damit? Damit mein ich z.B. ein paar Penner auf Deutsch gesagt, die sich am frühen Morgen an die Kaufhalle hinstellen und Bier trinken. Und da stehen auch Jugendliche, und das sollen dann irgendwelche Vorbilder sein. So an der Kaufhalle. Ja an der Kaufhalle und ab und zu setzen sie sich auch irgendwohin und trinken einen Schnaps, wo auch kleine Kinder spielen. (...)
—————— 52 Der 31-jährige ist mittlerweile dabei, an deren Realisierung gar nicht mehr zu glauben und sich in einem Leben mit prekären Jobs, ohne Partnerin und in der Siedlung einzurichten. Der 27jährige Tommy ist der einzige Bewohner, der sowohl 1997 wie 2003 interviewt wurde. Beidesmal ist es ein Leitmotiv seiner Erzählungen, dass er »aus dem Ghetto raus«, sich Arbeit, Familie und eine andere Wohnung suchen will. Im Unterschied zu dem 31-Jährigen und auch zu Mark äußert er diese Orientierungen offensiv. Eine Entwicklung anderer Werte ist beim Typ Hängen-Bleiben nicht festzustellen, auch wenn die gedämpfte Chancen- und Selbstwahrnehmung die jungen Erwachsenen teils dazu führt, ihre Orientierungen nur vorsichtig, in einer verschämten oder resignierten Weise zu artikulieren. Zu einem ausführlichen Portrait von Tommy vgl. Keller (2005b).
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Ok. asozial fällt dir ein, was fällt dir noch ein? Dann würd ich sagen viel Zusammenhalt unter Freunden. (...) Ja, dass wir feste Treffpunkte hier oben haben. Dass man am Tag zwölf Stunden zusammen ist oder acht Stunden. Was ich richtig gut finde. (...)« Nach Beschreibung einer Umzugskarriere vom Ruhrgebiet über mehrere Städte bis nach Eisenach-Stadt, zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder, kommt Mark auf den Umzug nach Nord zu sprechen: »Und nach ner Zeit bin ich dann hier hochgezogen [mit der Mutter und dem Bruder], weil ich auch die Leute von der Schulklasse kennengelernt hab, und da ham wir mal am Nachmittag was unternommen. Und das hat ganz stark zurückgelassen, also, das ist nicht mehr so wie früher, ist richtig langweilig geworden. Manchmal sind wir, ham wir oben am Pavillon mit dreißig Mann, jetzt sind wir manchmal nur fünfe, zehne, fünfzehn, je nach Wetterlage. Sind die weggezogen? Ne, nicht weggezogen. Weil sich das zusammengespaltet hat. (...) Das heißt, dass sich welche abgesetzt haben. (...) Was bindet dich hier an die Siedlung? Gar nischt. Außer meine Freunde, das ist das Einzige, weil ich hier oben leben tu. Und was stört dich? Was stört mich hier oben. Puh. Dass es viel Streit gibt, dass stört z.B. ganz schön. Weil ich im Moment mit jedem klar kommen kann, klar kommen will. Kein Streit haben will. Zwischen Jugendlichen? Na zwischen Freunden z.B. auch, das sind auch eigene Freunde, die sich schon Ewigkeiten kennen, dass die sich auf einmal in die Wolle bekommen und wissen nicht warum. Strich, was stört hier oben? Vielleicht dass die Jugendclubs nicht so lange auf haben. Vielleicht bis um zehne wär in Ordnung, aber bis um achte, dann weiß man nicht, was man danach machen soll. Ja im Winter ist das ja, aber im Sommer ist man so und so immer auf der Straße. (...) Und woran macht sich der Streit zwischen den Freunden fest? Eigentlich sinnlos, sinnloser Streit. Da sagt z.B. einer mal ein dummes Wort von denen, und da rollt der den schon und immer so weiter. Und manchmal tut das in ner Schlägerei ausarten. Sind auch öfter mal Schlägereien hier oben? Ist ganz stark zurückgegangen. Ist bei den Leuten in der Wohnung drinne. Ab und zu, ab und zu mal auf der Straße. Ist ja auch ganz ganz selten, dass so was auf der Straße passiert. Denk ich in der Wohnung, und dann trinken sie einen zusammen, und danach gibt’s Streitereien, wie gestern z.B. Da ham wir bei einem Freund gefeiert, und auf einmal ist irgendwas passiert, da ham die sich in die Wolle bekommen. Die ham sich erst [unverständlich], trinken wir gemeinsam einen, und dann, auf einmal, pff, kicken sie durch. (...) Wie sieht denn so dein Alltag aus? Aufstehen, na ja Frühstück essen, normal waschen und so. Dann hierher gehen oder ins Internet gehen. Dann warten, bis irgendwelche Kumpels kommen. Dann gehen wir in die Kaufhalle, kaufen uns ein Bier, oder wer halt durst hat und dran ist, gehst aber trotzdem mit.
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Und dann treffen wir uns am Pavillon oder wir setzen uns hier hinten hin und unterhalten uns. Spielen Computer oder Karten, je nachdem. Und abends manchmal gefeiert, wie z.B. heute nacht bis um zwei, bis um zwei haben wir gefeiert. Da kann man fast sagen, das ist fast jeden Tag so, dass man relativ spät ins Bett kommen tut. Dass man nicht viel schläft, mal sieben Stunden oder fünf. (...) Wo wohnst du jetzt? Wohne beim Kumpel. Weil ich mich mit meiner Mutter an den Arsch bekommen hab. Und dann komm ich mit meinem Bruder nicht mehr richtig klar. (...) Aber es ist total schwer hier, irgendwie in eine Clique reinzukommen. Man muss die Leute kennen, um mit den abzuhängen. Wenn man dabei ist, dann kennt man die Leute. Bei mir war es auch so, ich bin auch nur durch so einen Kumpel hier reingekommen. (...) Was habt ihr gemacht? Abgehangen, vielleicht mal ein bisschen Tennis gespielt. Dann haben wir uns manchmal einfach mal auch ein Kasten Bier geholt nach der Schule. Und dann ham wir uns hingesetzt, und dann ham wir uns ein Kasten Bier reingezogen. Und haben uns unterhalten über Gott und die Welt. Über den und den, und ein bisschen rumgehetzt, kann man fast sagen. Da, wo ich gewohnt hab, da hat man einen Ausblick auf die Kaufhalle, da sieht man jeden, der in die Kaufhalle reinläuft. Und dann haben wir manchmal Leute, sind hingegangen, und haben irgendwas Sinnloses gefragt. Da haben wir unten an der Straße gesessen. Bei der Kaufhalle, ist so ein Gitter, bisschen nach hinten. Und dann saßen wir da meistens mit zehn Mann da, mit zehn manchmal auch fünfzehn, zwanzig.« (21, m., arm, EN03-12)
Wie bei den anderen interviewten Jugendlichen rangieren ein regulärer Beruf und eine feste Partnerschaft respektive Familie bei den vier jungen Erwachsenen als Lebensziele an erster Stelle. Mit den verstreichenden Jahren werden diese Ziele nicht durch andere, abweichende Orientierungen ersetzt, sondern es kommt zu einer Anspruchsreduktion und Resignation. Allerdings ist doch eine Verschiebung bei den Orientierungen in der Phase der Cliquenintegration, die bei den beiden Jüngeren andauert, zu beobachten: Die Cliquenbeziehungen stellen eine Art Familien- und Partnerersatz dar, und der Wunsch auf eine feste Beziehung tritt zumindest in den Hintergrund. So meint Mark, dass er sich vorstellen kann, im Leben nur für seine Kumpels dazusein, und die 25-jährige Lisa sagt, dass eine feste Partnerschaft für sie erst viel später in Betracht komme. Von ihrer Clique berichtet sie: »Da sitzen sie wirklich alle in der Runde, und machen alle entweder Party oder sitzen drei Leute in der Ecke die und labern, und tausend kommen dann dazu und labern mit. Ist halt ein ganz anderes Gefühl, ein ganz anderes Feeling. Da bist du dem anderen irgendwo noch wichtig und interessant. (...) Erlebt, in Club hinter gekommen, war 16, war vor den Leuten so dermaßen beeindruckt, gab keinen der alleine saß und vereinzelt saß, alles eine Mannschaft, da hat einer Scheiße gebaut, da haben alle zusammen gehalten. Später bei Disko, mit Türken und scheiß Muckis später, haben sie sich hingesetzt und zusammen Sitzstreik gemacht, aber jeder. Richtig cool
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miteinander gelabert und Scheiße gebaut. Waou! Ham mich gleich ausgequetscht, und seit dem möchte ich die Leute da nicht mehr missen.« (25, w., arm, WN01-13)
Weiter unten wird das Kontaktverhalten der vier Typen der Exklusion genauer analysiert (vgl. 6.1). An dieser Stelle ist festzuhalten, dass die vier jungen Erwachsenen ihr Bedürfnis nach sozialen Bindungen und Beziehungen in erster Linie durch das Cliquenleben befriedigen, demgegenüber sie das Lebensziel einer festen Partnerschaft zurückstellen oder zurückgestellt haben. Aus den Gesprächen geht aber auch hervor, dass das Cliquenleben mit den formalen Anforderungen von Qualifizierung und Beruf kollidiert oder kollidierte. So entscheidet sich Lisa für das Verbleiben in der Siedlung bei ihren FreundInnen, auch wenn sie nach einer ausgelaufenen ABM-Stelle nun wieder arbeitslos ist und weiß, dass es schwierig sein wird, in der Gegend einen Job zu finden. Am deutlichsten wird die Kollision zwischen Cliquenleben und den Anforderungen der Integration bei den beiden Älteren, da diese sich rückblickend von ihrer »heißen Phase« abgrenzen. Der 31-jährige Bernd, dessen Resignation stellenweise makaber-destruktive Züge annimmt – bei der Frage nach seinen Zielen in den nächsten Jahren erzählt er ausführlich, sich mit 40 das Leben nehmen zu wollen, an eine eigene Familie und einen regulären Beruf könne er ja mittlerweile einen Haken machen –, berichtet von einer »Drangphase« zusammen mit seiner früheren Clique. An die Stelle der Idealisierung der früheren Clique ist bei ihm inzwischen die Idealisierung der Siedlung als einer »großen Familie« getreten, wo man jeden vom Sehen her kenne. Andererseits würde er aber gerne wegziehen, wie die meisten seiner FreundInnen es getan haben, die »es geschafft haben«. Das Leben in Nord sei umso langweiliger und stressiger, je älter man älter werde, sagt er. Die sozialen Kontakte von Bernd beschränken sich seit der Auflösung seiner Clique auf wenige Personen, als wichtigste Bezugsperson hat er lediglich seine Mutter, mit der er zusammen wohnt. Ansonsten pflegt er einige Kumpelbeziehungen, deren Bedeutung für ihn sehr wichtig sind. Der folgende Interviewauszug vermittelt ein Bild: »Großartig Kneipen geh ich schon gar nicht mehr, weil’s das nicht mehr bringt. Geldlich nicht, es ist zwar nicht mehr so viel wie früher, aber es macht überhaupt kein Spaß. Freitags hängen wir wieder hier, und dann richtig schön die Sau rausgelassen. Ist auch ne feste Institution geworden. In den Kneipen, mit den Leuten verstehst du dich nicht mehr? Na schon, ich bin früher, ich war fast früher in der Woche vier, fünf Mal in der Kneipe, aber das bringt’s nicht mehr. Da war ich nun absolut arbeitslos, da hab ich überhaupt keinen Bock gehabt, irgendwie zu arbeiten. Und jetzt durch die Arbeit, ich mein das gefällt mir, du zwei drei Stunden draußen, verdienst dein Geld eben halt. Ist zwar auch nicht viel, ist aber eben halt nur nebenbei. Aber man verdient sein Geld. (...)
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Hast du die Lehre abgebrochen? Ne, ich hab noch zu DDR-Zeiten gelernt. Ich hab bei AWE gearbeitet, aber hallo, wum wum. Da hab ich ein halbes Jahr Schichtsystem schon gemacht, und da kam eben die verfuckte Wende, dann wollt ich gerad mein Facharbeiter werden. Ich mein, gemustert worden bin ich schon vor der Wende, ich wollt ja Major werden, ich wollt ja besser werden wie meine Mutter. Aber hab ich eben nicht geschafft. Dann war die Lehre, wollte meinen Facharbeiter machen, dann kam die Einberufung zum Bund. Ich hab ja 14 Monate draus gemacht, weil ich ja desertiert war, Fahnenflucht begangen. Musst de mitgemacht haben. Ja doch. Gab’s so n Spruch zu DDR-Zeiten, ein Soldat ohne Bau ist wie ein Baum ohne Ast. War so. (...) 87 hab ich die Lehre angefangen, hatte dann nur Teilfacharbeiter. Zählt heute gar nischt, der letzte Mümmelmann. (...) Dann kam dann die Drangphase, haben wir alles mitgenommen, oh, das ging jedes Wochenende. (...) Und da hab ich dann nur Dummheiten gemacht. Schwarzfahren. (...) Und dann wieder Schwarzfahren, und dann hier High Noon, und ach, Schlägereien, und nur so ’n Mist gemacht. Und dann hab ich dafür gerade gestanden, und nun einigermaßen bin ich da oben ein bisschen klar gekommen, aber nur einigermaßen. Na ja. Ich mein, wenn man richtig einen trinkt, dann ist die Welt entzückend, dann macht man immer Scheiße, das ist meistens da. Weil man sich dann nicht mehr kontrollieren kann, ich mein, ich kann mich eh nicht kontrollieren. Aber das ist ein anderes Thema. (...) War das die Clique hier aus Nord? Nur die Clique hier in Nord. Aber nicht nur hier was gemacht, überall was gemacht, Diskos. (...) Warum hast du deine Drangphase, warum hast du die beendet... ...Immer Strafen bezahlen, Abfindungen sind drauf gegangen etc., ist irgendwann zu teuer geworden. (...) Na ja, das hat mich dann irgendwann selber so angekotzt, jedes Wochenende, aus der Diskothek raus, hieß es, wir gehen noch auf’n Geburtstag. Ne Leute, ich mach mich heim, und dann bin ich immer heim gegangen. Man wird ja auch älter. Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Ich mein, gut, dreißig ist noch kein Alter, aber trotzdem. (...) Hast du dich dann wieder stärker um Arbeit bemüht? Ne das nicht. War immer bei Zeitarbeitsfirmen, ich war da Stammgast ohne Ende, die ham mich nur mit offenen Armen entgegen genommen. Aber für das Geld, das ist ein bisschen zu heftig gewesen. (...) 11 Mark 50 die Stunde, netto 6, 50 wenn’s hoch kam. Aber manchen Monat war’s ganz gut, 1.8 oder 1.9 das war in Ordnung. Viel Überstunden. Manche Wochen über 50 Stunden, aber mein Gott, warum denn nicht. (...) Welche Ziele hast du dir denn für die nächsten Jahre vorgenommen? Ne, in zehn Jahren passiert nicht mehr viel. In zehn Jahren? Ja, Geschichte. Das hab ich mir vorgenommen. Vierzig Jahre, dann ist Feierabend. Was will ich hier denn noch rumkrobben? In dem System und in der Welt? Alles so schlecht, alles so gemein. Ich seh da keine Perspektive mehr. (...)« Nach Ende des Interviews sagt Bernd wiederum:
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»In zehn Jahren können wir uns wieder treffen. Dann kann ich wieder sagen, die Zeit war schön, die kommt auch nicht wieder. Ich mein, das ist immer so, die Zeit war schön, die kommt auch nicht wieder.« (31, m., arm, EN03-14)
Adaption an Armut Typ / Exklusionsdynamik Adaption 2 an Armut
Soziales Alter Erwachsene
materiell (strenge) Armut
Lebenslage sozial kulturell HomogeKonflikte, nität Diskriminierung
Die meisten der 30 interviewten armen Haushalte haben Netzwerke mit anderen armen BewohnerInnen im Wohngebiet geknüpft. Es gibt jedoch Unterschiede in der Qualität dieser Netzwerke, die sich daran festmachen, wie stark die nachbarschaftlichen Beziehungen in das Privatleben und die Privatsphäre der Haushalte hineinreichen, mit welchen Inhalten sie gefüllt sind und schließlich, ob die Beziehungen konfliktreich sind. Bei den Netzwerken des Typs Adaption ist es charakteristisch, dass diese den Alltag der Haushalte grundlegend bestimmen und die BewohnerInnen dabei ein Stück ihrer individuellen Autonomie und Handlungsfähigkeit verlieren. Die nachbarschaftlichen Kontakte gewinnen mit anderen Worten eine Dynamik, von der sich die Befragten distanzieren, da sie mit deren Alltagsorganisation und Lebenszielen konfligiert. Andererseits ist die Anziehungskraft und Attraktivität der Netzwerke doch so groß, dass keine dezidierten oder dauerhaften Konsequenzen aus den erfahrenen Konflikten gezogen werden. Neben den gegenseitigen Unterstützungsleistungen, die wesentlich im Austausch von Gütern, Diensten und geringen finanziellen Beträgen bestehen, geht die Attraktivität der Netzwerke davon aus, dass gemeinsam Zeit verlebt wird. Die BewohnerInnen können auf diese Weise einer drohenden Vereinsamung oder dem Alleinsein entgehen. Dass Vereinsamung und eine Homogenisierung der sozialen Beziehungen oft nur zwei Seiten der selben Medaille darstellen, lässt sich bei diesem Typ klar nachzeichnen. Offen thematisiert das ein alleinstehender 57-jähriger Mann, der vor knapp drei Jahren aus einem umliegenden Dorf nach Wolfen-Nord gezogen ist. Zwar kennt er noch einen Kumpel und eine ältere Frau, für die er im Tausch gegen Essenswaren Einkäufe erledigt und die aus dem selben Dorf in die Siedlung gezogen sind. Sein Alltag wird jedoch vor allem durch den Kontakt zu einem alleinstehenden, ebenfalls arbeitslosen und materiell deprivierten Mann im
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selben Haus bestimmt, mit dem er zusammen täglich Zeit verbringt, sich unterhält, Fernsehen schaut und trinkt: »Wie bist du jetzt eigentlich hier mit der Wohnung und dem Wohngebiet zufrieden, mit der Siedlung Wolfen-Nord? Also an sich ist es schöner als zu Hause, bloß der, na ja, die gewohnte Umgebung, die Dorfumgebung, die war mir an sich lieber, da warste brav. Wa. War mehr grün, oder, was meinst du? Ja. Und vor allen Dingen hier kennst de kaum jemanden, aber dort konnteste quatschen mit wem du wolltest, du hast alle und jeden gekannt. (...) Und sonst, ist es nicht so einfach, hier jemanden kennenzulernen? Na deshalb ihn hier, der jetzt mehr oder weniger, oder früher oder später runterkommt. Den hast du erst hier kennengelernt, oder? Das hat sich erst die letzte Zeit ergeben. (...) Und kannst du dich mit den anderen hier dann noch zusammen tun? Na wir sprechen alle miteinander an sich. Die Frau, die sehe ich ja kaum, die ist meistens unterwegs, und er kommt doch öfter runter, weil er auch ganz alleine ist. Da gucken wir ne Weile in die Ferne. Und unterhalten uns. Na ja, was soll’s, ob ich nun alleine hier unten sitze oder er ist mit hier, oder ich geh hoch zu ihm, das. (...) Und er kann sich aber, aber noch kaum auf die Beine halten.« [Schaltet das Tonband aus, zeigt uns eine Schnapsflasche, die dem befreundeten Nachbarn gehört, und erklärt seinen Plan, aus dem Trinken auszusteigen.] (57, m., arm, WN01-23)
Auch wenn dieser Mann schon zu DDR-Zeiten eine Art Nischenexistenz geführt hat, so war er doch als Elektromonteur im Braunkohlekombinat und in seinem Dorf vergleichsweise gut integriert. Die jetzige Pauperisierung seiner Lebensweise macht sich etwa daran fest, dass er, wie er erzählt, seinen Alltag immer weniger klar organisieren kann und häufiger zur Flasche greift. Das tägliche Trinken habe er erst zusammen mit seinem Nachbarn begonnen. Aber seine Ausstiegspläne zu realisieren, falle ihm ebenso schwer, wie diesen an seiner Haustür abzuweisen oder spät abends dazu zu bewegen, ihn alleine zu lassen. Deshalb würde er auch immer weniger schlafen können und seine Alltagsorganisation aus dem Ruder laufen.53 Die Zweischneidigkeit der Netzwerke, emotionale und materielle Unterstützung zu gewährleisten, zugleich jedoch auf konflikthafte Weise in die private Sphäre und Alltagsorganisation der Haushalte zu intervenieren, zeigt sich auch deutlich bei dem bereits im letzten Kapitel zitierten Paar, von dem der Mann erzählt, in der Wohnung jüngst von einem Nachbarn verprügelt worden zu sein. Beide schildern eine generelle Gereiztheit in den sozialen Beziehungen im Wohngebiet – »wenn de irgendwann mal ein dummes Wort
—————— 53 Vgl. zu einer ausführlichen Darstellung dieses Falles Groh-Samberg (2005).
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sagst, so was, wo du dich normaler Weise dann entschuldigst, und dann ist die Sache vergessen, das kannst du hier oben nicht machen« –, welche die 20igjährige Frau auch auf einen verbreiteten Alkoholkonsum zurückführt. Das meint auch ihr Partner, der mit seinen 47 Jahren eine irreguläre Erwerbsbiographie hinter sich hat und nun seit vier Jahren von Sozialhilfe lebt. Bei der Beschreibung der Netzwerke stellen die beiden neben der Gereiztheit und den Konflikten freilich immer wieder deren positive Seiten heraus: die damit verbundenen Unterstützungsleistungen bei dem Ziel, die eigene Lebenslage zu stabilisieren und zu verbessern. Die gegenseitigen Hilfen verbindet dieses ungleiche, erst vor wenigen Jahre zusammengefundene Paar nicht nur mit den befreundeten NachbarInnen, sondern ebenso miteinander. So hilft er ihr dabei, ihren Hauptschulabschluss nachzumachen und wieder Kontakt mit ihren Eltern aufzunehmen, während sie ihm Quartier in ihrer Wohnung bietet. Der folgende Auszug verdeutlicht die gegenseitigen Hilfen: »Du kennst auch viele Leute hier, hast du gesagt?« Herr G: »Etliche. (...) Mit denen ich mich so unterhalte oder mal ein Bier zusammen trinken gehen, oder. (...) Wir helfen uns gegenseitig. Zum Beispiel in der vier wohnt, ne Freundin kann man nicht sagen, ne Bekannte, die hat zwei Kinder, die hat jetzt das dritte gekriegt. Und da soll ich heut auch nüber kommen. Gestern war ich drei Stunden mit den Kindern unten, und mit dem Hund. Weil die auch n Hund hat, war ich auch hinterm Haus und haben gespielt. Also in der Beziehung kann sie sich auf mich verlassen. Nur heut hab ich gesagt, bleib ich mal ein bisschen drüben, heut will ich mal Ordnung machen hier. Du hast gesagt, ihr helft euch hier gegenseitig aus? Ja, die Leute, die wir kennen, sagen wir mal so. Das geht über Finanzielles, das geht über Essen. Gestern war ich eben den ganzen Tag drüben in der Vier, bei Nina, die hat am 3. März entbunden. Und die war gestern beim Arzt mit dem Neugeborenen, und da war ich gestern den ganzen Tag drüben. Weil die Kinder hören auf mich mehr als auf sie. (...) Hilfst du deiner Freundin? Mit m Geld kommt sie nicht zurecht. Und über’s Sozialamt hat sie jetzt so’n Lehrgang gemacht. Weil sie auch keinen Schulabschluss hat, keine Lehre und nichts. Damit sie wenigstens ein bisschen weiter kommt. Das hab ich teilweise auf die Reihe gebracht.« (47, m., arm, EN03-15)
Für die Konflikthaftigkeit der Netzwerke gibt es mehrere Gründe, worunter die im dritten Kapitel beschriebenen symbolischen Abgrenzungen eine zentrale Rolle spielen. Indem die Netzwerke in die Privatsphäre der anderen hineinreichen, existiert ein recht intimes Wissen über die Lebensverhältnisse der anderen, so dass gegenseitige Diffamierungen eine besondere Gewalt entfalten. Gerüchte werden gestreut und kommen über mehrere Ecken bei der in Rede stehenden Person an, die sich dann vielleicht gerade von jemandem diffamiert fühlt, für den sie ihrerseits etwas getan hat.
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Offenbar gehen die gegenseitigen Abgrenzungen und Gerüchte oft damit einher, dass Erwartungen, die sich an den Austausch von Gütern, Diensten und kleinen finanziellen Beträgen binden, nicht erfüllt werden. Denn obwohl gegenüber den Personen, mit denen man in wichtigen Austauschbeziehungen steht, die Einstellung vertreten wird, dass man dabei »nicht jede Mark umdreht«, was im übrigen generell für die personalen Austauschverhältnisse der Befragten gilt, obwohl also die Zweckrationalität des Tausches symbolisch verschleiert wird, wie das Marcel Mauss (1990) beim Tausch in traditionellen Gesellschaften beschrieben hat, wird doch sorgfältig darauf geachtet, dass sich ein gerechter Ausgleich einstellt. Der folgende ausführlichere Auszug aus dem Interview mit einer 20-jährigen Alleinerziehenden von zwei Kleinkindern bietet ein plastisches Beispiel dafür, wie der alltägliche Austausch mit den NachbarInnen positiv besetzte Bindungen herstellt, mit denen sich zugleich Abgrenzungen und Konflikte koppeln, da der gegenseitige Austausch als ungerecht empfunden wird. Konflikte hat diese junge Frau insbesondere mit der über ihr wohnenden Nachbarin, die sie »Dicke« nennt. In zahlreichen Geschichten über gemeinsame Einkäufe, gegenseitige Geschenke und Gaben stellt sie heraus, dass die Dicke eine »Ausbeuterin« sei, die in den Austauschbeziehungen immer nur profitieren wolle. Die verbalen Abgrenzungen und Diffamierungen, die durch die Nähe der Personen zueinander direkt die Privatsphäre und Alltagspraxis tangieren, stehen in einem klar ersichtlichen Zusammenhang damit, dass der gegenseitige Tausch als ungerecht bewertet wird. Ein weiteres Thema in dem von Anziehung und Abstoßung geprägten Verhältnis zu der Nachbarin ist das Beziehungsleben mit dem Partner. So erzählt die Alleinerziehende, die fraglos ein besonderes Talent im Quasseln ist, dass sie es nicht zuletzt ihrer Nachbarin zu verdanken habe, dass ihr Freund sie erneut verlassen hat. Freilich erscheint die Beziehung zu ihm, der manchmal bei ihr übernachtet, ohnehin fragil und unstetig zu sein. Die »Dicke« habe ihrem Freund gegenüber jedenfalls das Gerücht gestreut, dass sie eine Affäre hätte, weshalb jetzt wiederum eine andere Nachbarin darauf aufpassen soll, dass sie keine männlichen Gäste empfängt. Diese Nachbarin war auch während des Interviews in ihrer Wohnung anwesend. Wie für die anderen Haushalte dieses Typs spielt das Leben in der Siedlung für diese Alleinerziehende eine zentrale Rolle. Keiner der acht Interviewten geht einer regulären Erwerbsarbeit nach, und der primäre Unterhalt wird entweder ausschließlich durch Transfereinkommen oder in Kombination mit Maßnahmen, prekären oder informellen Beschäftigungen gesichert. Durch Phasen von Arbeitslosigkeit und die Erfahrung von Chancenlosigkeit ist der Anspruch auf Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt bei vielen gedämpft,
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und vier der Interviewten sagen, diesen Anspruch inzwischen fallen gelassen zu haben. Während fünf der acht Haushalte nur über ein Einkommen von bis zu 40 Prozent des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens verfügen und damit in strenger Armut leben, bildet die 20jährige Alleinerziehende eine Ausnahme, da sie immerhin über ein prekäres Einkommen verfügt.54 Zugleich ist sie am optimistischsten ihrer Zukunft gegenüber eingestellt. Sobald ihre einund zweijährigen Kinder in den Kindergarten kommen, will sie sich qualifizieren – sie hat keinen Abschluss – und beruflich etablieren. Sie stellt sich vor, dass ihre NachbarInnen dabei Aufgaben übernehmen, indem sie mal auf ihre Kinder aufpassen und die Haustiere betreuen. Ob die nachbarschaftlichen Netzwerke, die sie in dem einen Jahr entwickelt hat, das sie in Nord wohnt, ihr wirklich eine verlässliche Stütze bei der in einigen Jahren anvisierten Ausbildung sein können, scheint zumindest fraglich. Der folgende Auszug verdeutlicht nicht zuletzt die Brüchigkeit der Netzwerke: »Kennst du hier viele Leute?... Du bist noch nicht so lang hier... Ne, noch nicht so lang. Also unten Rewe kenn ich ein Kerl, mit dem versteh ich mich eigentlich ganz gut, der arbeitet da. Meine heimliche Affäre, nein. Dann die Nachbarn dort. Haben uns ganz komisch kennengelernt. War mit Dicker [der über ihr wohnenden Nachbarin] spazieren, und dann über Hunde. Haben uns dann auch gut verstanden. Also es ist eigentlich schön hier. Dass man hier die Leute so kennt? Ja, Susanne kennst de. Sind alle nett. Außer, dass sie mal ein bisschen mehr quasseln. (...) Aber wir helfen uns gegenseitig. (...) Wie hast du die Dicke kennengelernt? Ich hab damals, bin ich eingezogen, und musst dringend auf die Bank, weil meine Karte, hab ich neue gekriegt, musst ich meine Karte abgeben. Und da hab ich in dem Zeitraum keine Karte gehabt, und da hab ich angerufen, ja, und für einen Vertrag musst ich runterfahrn. Und da kam sie mir entgegen mit ihrem Hund. Und da hat sie wie immer guten Tag und guten Weg, und da hat sie nur gefragt, können sie mal ein Brot, das wir mitbringen können und ne Butter. So bin ich ja nicht, ich mach das ja gerne. Und da kam sie immer wieder und immer wieder. Die ist 33 und wird 34. (...) Die wohnt mit ihrem Mann zusammen, der Alkoholiker ist. Na von ihm hab ich ja den Euro wieder gekriegt, der ist ja ganz in Ordnung, der gibt mir das Geld ja auch wieder, aber sie, die kann das nicht. Von ihren Geschwistern wurd sie ausgenommen, die denkt, das kann sie jetzt andersrum auch machen. Die wohnt oben drüber. Und das ist eher nervig?
—————— 54 Sie ist die einzige unter den vier Typen, die in dieser Hinsicht von den beschriebenen Deprivationen der Lebenslage abweicht.
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Das ist nervig. Sie ist ne Ausbeuterin. Ich hab ihr zu Weihnachten, hab ich ihr ne Kaffeemaschine geschenkt. Für 14 Euro 99, ne billige, sag, die kannst behalten. Da sind wir in n Keller, weil ich mir n Wellensittich gekauft hatte, hatte ich keinen Käfig, hat sie gesagt, ich hab im Keller noch einen stehen. Ich sag gut, machen wir es so, ich nehm den Käfig, und du kriegst die Kaffeemaschine dafür. Und da war das so abgemacht. Auf einmal flattern da immer Zettel in den Briefkasten, ich will den Vogelkäfig wieder haben. Da hat meiner [ihr Freund Stefan] n Brief hingesetzt, er hat geschrieben, den Käfig für 15 Euro, kannst du vergessen, das was du dir ungefragt in den Korb [in den Einkaufswagen bei einem gemeinsamen Einkauf] reingeschmissen hast, das musst du uns erst mal wieder geben, dann kriegst du auch den Käfig. (...) Und auf einmal hab ich sie auf der Straße gesehen, hat sie mich vollgelabert, was das soll. Ja und da hab ich gesagt, noch einmal so ein Ding, da kannst du die Freundschaft ganz vergessen. Na und bis es dann irgendwann mal wieder so passiert ist. Die ist eigenartig die Frau. Na ja und jetzt hat sie, hier war das gestern, ge, gestern war das, wo sie mir, was hat sie runter gebracht, die Bohrmaschine lag dann einfach vor der Tür, und da hab ich nur hochgebrüllt, meine Kaffeemaschine möchte ich auch wieder haben. Aber da hat sie anscheinend nicht drauf reagiert, da hab ich geschrieben hier, dass ich die Kaffeemaschine haben will, sonst gibt’s Ärger. Weil meiner der findet das dann nicht in Ordnung, wenn ich wieder Zeug weggeb, und da hat er gesagt, ist der [der Mann von der Dicken] noch einmal da und will irgend was, dann ist es mit uns auch vorbei. Er sagt, nö. Auf einmal hat’s so’n Schlag getan, die hat die Kaffeemaschine reingeholt, sie lag, der Karton, wo die drinne war, der Karton stand da, und die Maschine mit der Kanne britschbreit im ganzen Flur. Ah wenn die kaputt gegangen wär, so ne Kanne ist ja schweinisch teuer, teurer als so ne Kaffeemaschine. Da hätt sie Ärger gekriegt. (...) Und dann hat die Dicke dann noch, wir sind doch eigentlich getrennt [sie von ihrem Freund Stefan], und dann hat die Dicke Scheiße erzählt, wo ich mit ihrem Mann unten war. (...) Da hat sie dem [Stefan] erzählt, dass bei mir n Kerl gepennt hat, im Bett. Und da hab ich zu denen gesagt, pass auf, ich hab so Deo, von Eve Rocher, und das hat ich genommen gehabt, und da riecht die ganze Wohnung nach dem Zeug. Ja, und es tut ihr leid, hat sie erzählt, und dann musst ich jetzt meinen überreden, dass es so war, und er glaubt mir auch kein Wort mehr. Jetzt soll sie [die anwesende Nachbarin] auf mich aufpassen. Deswegen ist sie immer mal da. (...) Und wenn ich jetzt mit ihr oben wieder was anfangen würde, dann wär’s vorbei. Ich hab gesagt, aber Stefan, die hat deine Nummer, und nicht dass die wieder Scheiße erzählt, dass ich mit ihm ne Affäre hätte. So’n Gartenzwerg da oben, der ist so hässlich. N Alki ist das. So hässlich, also wenn ich schon neben dem stehe, da kommt’s mit schon hoch. Ich hab nichts dagegen, wenn jemand Alkohol trinkt, aber so viel wie der. Hab’s da drüben der einen Nachbarin erzählt, die hat zwei Hunde, ja die Toni hat erzählt, die hat Angst, dass ich ne Affäre mit ihm hätte. Weil er halt n Abend hier runter ist, und hat sich hingestellt. Schlechte Laune wieder gehabt. (...) Nur er [der Mann der Dicken] hat so, ja die von Sozialhilfe sind zu faul, ich sag, pass mal auf, was du erzählst, du bist selber zu faul zum Arbeiten. Du sitzt hier vor deinem Alkohol, du gehst ja selber nicht arbeiten. Der sitzt den ganzen Tag da. Der fängt ja schon frühs an, da würde ich ja nicht mal, ne, frühs Alkohol, abends geht das mal, oder zum Mittag dass man mal zum Mittag. Aber frühs gleich anfangen. (...)
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Also das heißt, du legst die Kohle für sie [die Dicke] aus... Ja. Genauso gut hab ich sie gestern drauf angesprochen, ich sag, Sandra hat erzählt, dass du gesagt hast, mein Hund wär verwahrlost und ich lass meine Kinder im Stich. Und da hat sie gemeint, ne, das hab ich überhaupt nicht gesagt, kannst überhaupt niemanden was erzählen. Ich sag, du musst die Leute aussuchen, die mir das nicht erzählen. Wahre Freunde, und nicht hier irgend jemanden erzählen, den du kaum kennst. Und da hab ich gesagt, na wenn du schon sagst zu mir, den kannst du überhaupt nichts erzählen, musst du das ja denen erzählt haben. Und da hab ich gesagt, die Freundschaft ist vorbei, brauchst nicht mehr anzukommen. Und heut hat sie mir ne Nachricht geschrieben, ja, kannst mal hochkommen und. Ich sag, ne, kann ich nicht, ich hab hier erstens mal die Hunde. Ich hab die Kinder, dann heißt es wieder, ich kümmer mich nicht um die Kinder und häng bei dir ab. Und dann hat sie dann noch geschrieben, ob ich ne Maschine waschen könnte für sie. Meinst du, du hältst das durch, gar kein Kontakt mehr mit ihr? Ich sag mal so, wenn ich alleine jetzt bin, dann fehlt’s einem schon. Mit jemanden zu quasseln.« (20, w., prek., EN03-1)
Isolation und Entfremdung Typ / Exklusionsdynamik Isolation und 3 Entfremdung
Soziales Alter
materiell
Ältere
Prekarität
Lebenslage sozial Isolation
kulturell Unzufriedenheit, Entfremdung
Wie alle Typen der Exklusion wohnen die in Isolation und Entfremdung geratenden älteren Haushalte in den Milieus der Armut und Prekarität, manchmal auch in Bereichen der MigrantInnen. Der Wandel in den von ihnen bewohnten Häusern ist radikal, es sind so gut wie alle bekannten und befreundeten NachbarInnen weggezogen, und teilweise sind die Häuser auch baulich in keiner Weise instandgesetzt. Schon 1997 sind wir auf diesen Typ der Exklusion gestoßen, auch wenn zu dieser Zeit die Vermutung nahe lag, dass diese BewohnerInnen angesichts der artikulierten Isolation und Entfremdung wie andere Ältere zumindest in die stabilisierten Bereiche der Siedlung umziehen werden. Bei den späteren Erhebungen bestätigte sich jedoch, dass es sich hierbei um eine wichtige Exklusionsdynamik handelt, bei dem der Verlust an Kontakten mit einem sozialen Rückzug einhergeht, in der die Haushalte offenbar an Handlungsfähigkeit verlieren. Ihre finanzielle Situation, die sich durchweg im prekären Einkommensbereich befindet, schätzen die Haushalte zwar als eher positiv ein. Sie ist aber neben der langen Wohndauer ein expliziter Grund, nicht woanders hinzuziehen. Nur der interviewte Mann des einen Paarhaushaltes (sonst Alleinste-
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hende), der im Anschluss an eine Operation, aus gesundheitlichen Gründen, in Frührente gegangen ist, beklagt ausführlich die Verschlechterung seiner finanziellen Situation. Er ist der einzige, der explizite Umzugspläne in einen anderen Teil der Siedlung äußert, da sein Block abgerissen werden soll. Die Dynamik der sozialen Isolation und Entfremdung geht bei diesem Typ mit Distanzierung und Abgrenzungen gegenüber dem sich neu im Haus und im Umfeld etablierenden Milieu einher. Die neuen NachbarInnen werden als rücksichtslos und bedrohlich beschrieben und in den meisten Fällen auch als asozial stigmatisiert. Die Haushalte beklagen eine Unsicherheit im Wohnumfeld, weswegen sie sich abends nicht auf die Straße trauen. Der Auszug aus dem Interview mit einer verwitweten alleinstehenden Frau, die 1997 seit 17 Jahren in Eisenach-Nord wohnt, vermittelt einen Eindruck des Typs: »Ist ein Wabenviertel, Tür zu – erledigt. Bist ein Baustein unter vielen. (...) Aus der heuten Sicht ist man ein bisschen isoliert. (...) Natürlich wird man immer älter, das ist mal logisch, also wirst du auch immer isolierter, es wohnen nicht mehr. Erstens stirbt ein Teil von deinen Bekannten, die auch hier oben gewohnt haben, und zweitens die Flucht weg. Meine Kinder haben früher auch hier im, also sind auch schon weg. Also ist man sehr alleine ge. Sehr alleine sogar. Nun bin ich kein Mensch, den Nachbarschaftsgequatsche interessiert, und ich bin sehr isoliert, also, ich habe manchmal die Woche außer Briefträger und Zeitung die Tür nie auf, ge. Das ist auch etwas. Und da das jetzt sozusagen etwas außerhalb der Stadt und auch die Leute hektisch sind, kommt auch kein Besuch groß mehr, ge. Also das ist etwas, was ich, das jetzt als Wohngebiet für ältere Leute schrecklich finde, trotzdem die Wohnung für mich sehr bequem ist. (...) Wie waren früher die Kontakte? Schöne Hausgemeinschaft, muss ich wirklich sagen. Mal Feiern gemacht, man nahm Anteil an den anderen. Jeder war hilfsbereit, auch die roten Socken, mal nen kleinen Schwatz gemacht – was heute gar nicht mehr existiert. Heute kümmert sich keiner mehr. (...) Es ist ja furchtbar hellhörig. Die unten [im Haus] sind ganz asozial. Mann und Frau, die Polizei war schon da, ganz schlimm. Die Nachbarn, die jetzt ausgezogen sind, haben viel mitbekommen davon, schlechte Worte und so, aber sie kriegen alles. Und jetzt neben mir, sind von oben runter gezogen, junge Frau mit jungen behindertem Kind, das dunkelhäutig ist, und die Frau ist auch nicht so ganz in Ordnung. Mann ist Jugoslawe, geheiratet wegen Ausweisung sonst, vergisst jedes Mal die Treppe und sagt dann: ›Ach ja, ich hab’s vergessen.‹ Hat mal gesagt ›Für mich ham se keine Arbeit, aber wir kriegen doch genuch‹ – Telefon, Wohnung bezahlt der Staat. Sind schick gekleidet, das Kind wird jeden Tag abgeholt, sie kümmern sich nicht darum, gehen nicht mit ihm spazieren. (...) Ich bin kein Mensch, der ins Altersheim geht, ein Zimmer zu zweit, ich war mein ganzes Leben selbständig. (...) Aber Langeweile habe ich nicht, lese viel, viel fernsehen, mein bester Kamerad, regt an zum Denken, ich bin interessiert an Weltpolitik. Aber viele einsame Stunden, wenn der Tag so in die Nacht übergeht, das ist für mich eine schlimme Zeit, dann fühle ich mich sehr einsam.« (75, w., prek., EN97-27)
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Nicht alle Interviewten des Typs thematisieren so offen, dass sie sozial isoliert sind. In zwei Fällen ist eher das Gegenteil zu beobachten, diese Interviewten antworten fast durchweg in Wir-Form. Sie beziehen ihre Kinder ein, zu denen allerdings, wie sich im Verlauf der Interviews herausstellt, der Kontakt weitgehend abgebrochen ist. Der Mann in Früh-Rente, der eine Tätigkeit als Ingenieur nach einer Operation frühzeitig aufgeben musste, bezieht sich darüber hinaus noch auf seine Frau. Selbst zu ihr, die als Köchin arbeitet und wenig zu Hause ist, scheint die Beziehung allerdings fragil geworden zu sein. Das Festhalten an dem Wir, an der früheren sozialen Integration, ist insofern paradigmatisch für den Typ, als diese BewohnerInnen zumindest in ihren eigenen vier Wänden die Vergangenheit zu konservieren versuchen. Große Zukunftspläne haben sie nicht: Vor allem befasst man sich mit der Frage, mal in ein Altersheim gehen zu müssen und ist zufrieden, solange noch die Gesundheit für ein selbständiges Leben erhalten bleibt. Die Dynamik der Isolation und Entfremdung hängt nicht nur mit dem Wandel der Nachbarschaft zusammen. Für die fünf Alleinstehenden ist die Nachbarschaftsorientierung zwar in der Tat zentral (gewesen), während der Mann des Paares diese Orientierung offenbar erst mit dem Übergang in die Frührente entwickelt, dann aber festgestellt hat, dass Kontakte mit BewohnerInnen in Nord ihn nicht interessieren. Neben dem Wandel der Nachbarschaft ist es insbesondere auch das Verhältnis zu den Kindern, das sich bei den meisten dieser Interviewten seit der Wende durch deren Wegzug verschlechtert hat. Dass die Fragilität dieser sozialen Beziehung ein wichtiges Element bei der Dynamik der sozialen Isolation darstellt, lässt sich schon daran ermessen, dass bei sämtlichen älteren Haushalten im Sample das Verhältnis zu den Kindern, sofern vorhanden, als ein wesentlicher Lebensinhalt bezeichnet wird. Der folgende Auszug aus dem Interview mit dem Frührentner, der in seiner Wohnung einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgeht – »Ist das einzige, was ich noch habe« –, enthält auch Passagen, in denen deutlich wird, dass das »Wir«, das er fast durchgängig benutzt, in Wirklichkeit kaum mehr enthält als das fragil gewordene Verhältnis zu seiner Frau. Zuvor hatte er mit dem Wir eine Nähe zu seinen beiden in den Westen gezogenen Kindern und den Enkelkindern suggeriert, dass man stillschweigend davon ausgehen konnte, sie wohnten auch in Nord. Seltene Besuche sind jedoch die einzige Form des verbliebenen Austauschs. Exemplarisch beschreibt er auch die Unsicherheit, die die Haushalte dieses Typs im Wohnumfeld empfinden: »Es ist nicht nur der Leerstand, es ist der gesamte Prozess der Wandlung, die sich in den letzten zehn Jahren vollzogen hat, bis hin zu Sicherheitsproblemen, ja dass also, wenn die Leute über die Stränge schlagen, kaum eine Möglichkeit besteht, dagegen vorzugehen, ja.
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Und das verunsichert sehr viele Leute. Uns persönlich aber soweit wir das kennen von anderen. Wenn dann die Polizei sagt, wir können nichts dagegen machen, wenn die bis 22 Uhr hier randalieren, verstoßen sie gegen kein Gesetz. (...) Das geht dann eben hin bis zu sehr aggressiven Reaktionen, wenn man jemand anspricht. Wo dann schnell mal geantwortet wird, halt die Schnautze, kriegst n paar auf’s Maul. Na ja, es ist dieser Umgangston dann ja, dieses aggressive Verhalten, wo man dann merkt, es bringt nichts dort weiter zu reden. (...) Aber für viele Leute ist das eben eine Situation, die dann zusammen mit der Erfahrung, ihnen wird so schnell nicht geholfen, wenn sie in Probleme kommen, dann eben zu Vorbehalten führen. Zu Angst führen. Dazu, dass sie sich abkapseln. Und dann sicherlich auch dazu führen, dass sie sehr barsch reagieren, wenn man sie irgendwie anspricht. Man muss immer dazu sagen, diese Kenntnis der Person aus den Arbeitsverhältnissen, die existiert nicht mehr. Man weiß also meistens nicht, wer der andere eigentlich ist, ja. (...) Haben sie neue Kontakte in den letzten Jahren gemacht? Keine. Gibt es denn Gelegenheiten im Wohngebiet, wo man Kontakte machen kann? Es ist schon eher schwieriger, es gibt schon die Möglichkeit, es gibt ja auch irgendwelche Festlichkeiten verschiedener Art im Jahr. Es gibt schon die Möglichkeit. Aber da ist die Dialogbereitschaft nicht sehr groß. Und ich bin eigentlich auch sehr oft, wenn ich mal keine Lust hab, was zu machen, mit dem Rollstuhl in Wolfen-Nord unterwegs. Auch dort gibt es natürlich die Möglichkeit. Aber da muss ich ehrlich sagen, da gibt es von mir wenig Interesse. Denn wenn ich dort mit den Leuten ins Gespräch komme, dann hör ich die gleichen Probleme. Arbeitslosigkeit, meine Schwiegertochter ist nun auch im Westen, da bin ich ganz alleine hier. Der Sohn ist schon fünf Jahre dort drüben, nun ist die Schwiegertochter hinterher gegangen, nun kann ich den Enkelsohn nicht mehr sehen, und und ja. Dieses ganze Paket von Problemen. Das ist dann Gesprächsgegenstand. Also, dass viele hier auch zurückgelassen worden sind. Ja. Aber tut mir leid, ich kann nicht helfen, ja. Ich kann da nur zuhören! Aber wenn ich dann denke, du machst nen Spaziergang und erholst dich ein bisschen, und kommst danach mit einem dicken Berg von Problemen, weil du mit drei, vier Leuten gesprochen hast, und kommst dann mit einem dicken Berg von Problemen der anderen nach Hause. Tut mir leid, also, das geht nicht, ja. Man muss da auch mal ein bisschen, na ja, die Möglichkeit haben einfach zu plaudern. Und die finde ich in Wolfen-Nord kaum, diese Möglichkeit. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, dann sind das meistens Problemgespräche. (...) Für sie spielen an sozialen Kontakten auch vor allem die Verwandtschaft eine Rolle? Weniger. Auch weniger. Die Verwandten haben ja die gleichen Sorgen. Im Grunde genommen hat sich das alles eingeengt, auf wenige. Das ist eigentlich von den Bekanntenkreisen ist faktisch überhaupt nichts mehr übrig geblieben, und auch von dem Kreis der Verwandten ist nicht viel übrig geblieben. (...) Welche Bezugspersonen sind ihnen am wichtigsten? Es ist nur noch die noch engere Familie. Was anderes ist nicht mehr so intensiv, dass man sagen könnte, dass könnte irgendwie von Wichtigkeit sein. (...) Ihre Kinder wohnen in Wolfen-Nord?
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Nein nein, die verdienen Geld, die haben Arbeit. Das heißt, sie sind im Westen. Sind beide im Westen. Ist es wichtig, dass man sich austauscht, unterhält, oder dass man sich auch finanziell unterstützt? Gegenseitige Besuche, mehr nicht. Es gibt keine Hilfe. (...) Im Verhältnis zu anderen Leuten in Wolfen-Nord, geht es ihnen da besser oder schlechter? Kann ich nicht sagen. Darüber spricht man nicht. Und da andere nun auch nicht darüber sprechen – weiß ich nicht, wie es anderen geht. Ich weiß, dass das Potential sehr groß ist bei anderen, denen es deutlich schlechter geht wie uns. Aber die Relationen jetzt insgesamt, das weiß ich nicht. Ich weiß ja, was ein Sozialhilfeempfänger bekommt. Sehe auch die Leute, die nichts anderes zu tun haben, als sich vormittags um neun zu treffen und ihre erste Büchse Bier zu öffnen. Sicherlich werden die sich nicht schlechter fühlen. Die fühlen sich vielleicht sogar besser wie wir. Aber das ist nicht mein Feld, ich hab da andere Ansprüche, das hört sich vielleicht doof an, aber es ist eben so, dass ich kein, kaum Alkohol trinke, mal zu Feierlichkeiten, aber normal überhaupt nicht. Das hängt auch mit meiner Gesundheit zusammen, dass ich mir das abgewöhnt hab. Damit ist da für mich, mich immer da hinzusetzen und mich über Fußballvereine zu streiten, das ist nichts, ist nicht mein Feld.« (53, m., prek., WN01-24)
Die Abgrenzungen gegenüber der Nachbarschaft und dem sozialen Milieu sind bei diesem Typ von der Erfahrung getragen, dass die früheren Regeln des Zusammenlebens, von Ordnung und Gemeinschaftlichkeit, nicht mehr funktionieren. Die damit verbundenen Konflikte erscheinen teilweise als kleinlich und penibel, sie gehen aber in Auseinandersetzungen über, die starke emotionale Belastungen implizieren. In der offensiven Stigmatisierungen der NachbarInnen als asozial, die lediglich der eben zitierte Mann zugunsten einer eher verhaltenen Distinktion vermeidet, wird auch die Bedeutung des Status bei den symbolischen Kämpfen offensichtlich. Wie die etablierten Älteren haben die Haushalte in der Regel eine Aufstiegsbiographie beschritten, und diese soziale Flugbahn entfremdet sie gegenüber dem sozialen Abstieg ihres unmittelbaren Umfelds. So berichtet die abschließend zitierte alleinstehende, kinderlose Frau ausführlich von ihrem Arbeitsleben und Aufstieg in einer Textilfabrik, in der sie über vierzig Jahre gearbeitet hatte. Mit einer großen Familie während des zweiten Weltkriegs aus Ungarn eingewandert, lebte sie danach in armen Verhältnissen als einfache Arbeiterin in einem Dorf, von wo sie täglich um fünf Uhr morgens den Fußweg in die städtische Fabrik angetreten war. Von ihren verschiedenen Auszeichnungen, die sie im Betrieb erhalten hat, ihrem Facharbeiterzertifikat, der Wohnung in Nord, aber auch von ihrer bescheidenen Rente, berichtet sie mit Stolz, und sie präsentiert viele Dokumente, die sie aus den Schränken ihrer kleinbürgerlich eingerichteten Wohnung herauskramt. Ihre Vereinsamung, die es wie bei den anderen Haushalten dieses Typs prinzipiell schwierig macht, sie für ein Interview zu gewinnen, kam abschließend auch darin zum Ausdruck,
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dass sie mich mehrfach bat, sie wieder besuchen zu kommen. Als eine der letzten angestammten BewohnerInnen lebt sie in einem baulich und sozial heruntergekommen Gebäude der Siedlung, und den immer wieder gefassten Plan eines Umzug, den ihr ihre Schwester nahe legt, scheint sie wieder und wieder nicht umsetzen zu können. »Das Umfeld gefällt mir nicht. Es wurde hier am Sonnabend Abend von halb zehn bis um zehn bei Jugendliche hier und hinter dem Kindergarten geknallert, dass man es mit der Angst zu tun kriegt. Und dann hat das so gestunken hier nach de Knaller und alles hier. Man hat Angst. Ja. Es müsste mehr getan werden für uns. Und das verlang ich eigentlich von dem Vermieter, ja, dass der sich um uns mehr kümmert und nicht nur die Miete kassiert, ja. Mich stört das Treppenhaus, ich wohn 22 Jahre, es müsste schon längst, wenn ich frech wär könnt ich ja eigentlich noch Mietminderung machen, nicht. (...) Das war hier praktisch alles hier Nachbarsleute, Familie Wind, die sind auch, na ja die Frau ist gestorben und die Tochter ist weggezogen auch wegen dem Umfeld, hier nebenan Familie Kaiser auch, ja auch hier. Wegen diese, sagt sie, sie waren andauernd vor Gericht, es hat sie, hier die, die hatte Mietschulden, die hatte Licht abgeschaltet, hier die Jenke, in der 48 drüben, das war eine Katastrophe, also. Wenn man Nachtruhe gewünscht hat, da hat sie mir Flaschen runter geschmissen, Wasser runter geschüttet, also, es war auch nicht. (...) Ich sag ja hier, sind alle fast weggezogen. (...) Und Mittagsruhe kennt überhaupt niemand. Und mich stört die Unordnung, der Fidschi, der hat überhaupt noch nicht gewischt, wie lange wohnt der, drei Monate? (...) Hab gesagt hier zu nebenan, die sind erst eingezogen, und ich sagte, wir wünschen, dass ein bisschen Ordnung hier, dass sie sortieren soll. Da hat die gesagt hier, ich sollte ruhig sein, sie müsste ja arbeiten und meine Rente verdienen. (...) Haben sie noch Kontakt mit den Leuten? Überhaupt nicht, nein, mit den Leuten kann man sich nicht streiten. Da müssen sie die Maske aufsetzen, wenn bei denen die Tür aufgeht, da wird mir schlecht. Ja. Also meine Bekannten sagen, wie kann man hier wohnen, alle. Ich hab Angst. (...) Ich bin ganz ehrlich, wo ich eingezogen bin, hab ich gedacht, das ist meine letzte Wohnung. Ich bin 72 Jahre. Und ich möchte hier eigentlich, weil ich herrlich wohn [zeigt zum Fenster mit Blick auf einen Kindergarten]. Hinten hab ich den Block. Die Kinder stören mich nicht, dieses Umfeld stört mich, dieser Dreck und dann, ich mein es ist nicht schön. Dann hier die Ruhestörung nachts, oben von denen ja. Ja, die Tür, ham sie geguckt, die ist eingetreten. Da ist die Frau oben ist sie hochgegangen, hat gesagt, sie möchte Nachtruhe haben, ham sie n Hund gehetzt, da musste sie schnell noch nei. Und alles solches, und alles nachts, es war ja nachts, ging ja die halbe Nacht. Um vier hier gehen die runter mit Hunde, also das ist hier eben nicht schön. (...) Ich wollt die Polizei anrufen, ich bin ganz ehrlich, hier, ich reg mich auf, ich zitter dann am ganzen Körper, ich kann das nicht mehr. Ich will mit Behörden, ich war noch nie vor Gericht, oder im Betrieb irgendwelche, so was kenn ich nicht, ich kenn so was nicht. (...) Und was bindet sie hier so? Weil überall was ist. Es ist Thälmannstraße sehr schön. Da hab ich eine Bekannte, da sind wir mal am Spielplatz. Herrlich, herrlich ist der Blick, hinten ist ein Block vor dem Balkon,
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das könnte ich mir nicht vorstellen. Mich stören die Autos nicht, die Autobahn nicht, und der Spielplatz auch nicht. Der Kindergarten stört mich nicht, das andere stört mich, der Dreck, der Dreck, furchtbar, furchtbar. Und ich weiß genau, wann wir Ruhe kriegen. Von 29. Ende des Monats bis zum 15. ist es schlimm. Da liegt einer da, einer da, oder es ist Krach, es fliegen das Zeug rum hier. Ich weiß genau hier, wenn hier Money zu Ende geht. Dann kommen die mit nem Beutelchen. Wenn’s Geld gibt, dann fahren die mit nem Wagen, Rewes Wagen nach Hause. Bierdosen alles voll gepackt, Schnapsflaschen drinne. Dann so am Achten kommen sie schon mit nem Beutelchen an. Und am 15. bringen sie das Brot unterm Arm. Oder sie gucken in die Tonne. Also ich weiß das ganz genau. (...) Ich hab nämlich noch keine Heizung an, was soll ich heizen, ich hab ja warm Wasser, ich mach immer erst Mittags an. So, nun ham wir ja nicht viel Miete. Ja, das ist, was mich auch ein bisschen hält. Ich zahl 200. Schauen sie, dann hab ich 500 zum Leben, da kann ich nichts erwarten. (...) Ich bin ganz ehrlich, ich hab ja wieder Blumen gekauft, und da hat meine Schwester gesagt, ich konnt nicht pflanzen, die Erde war gefroren, meine Schwester ›Ich denk du willst ausziehen‹. Ich sag, ich hab die Leiter stehen, ich will hier noch Gardinen waschen. (...) Was haben sie sich denn für die nächsten fünf Jahre vorgenommen? Mehr Sauberkeit hab ich mir vorgenommen. Was soll man sich mit 72 noch vornehmen? Ich seh nur so aus, aber ganz gesund bin ich nicht. Ich fahr auch nicht in den Urlaub, weil ich zu Hause machen kann, wie ich will. Ich mein, ich kann noch alles machen, ich kann noch auf die Leiter und die Gardinen machen, aber man wünscht, dass man so bleibt.« (72, w., prek., EN03-19)
Erzwungene Mobilität Typ / Exklusionsdynamik Erzwungene 4 Mobilität
Soziales Alter kein Alterstyp
materiell Armut
Lebenslage sozial kulturell eher HomogeKonflikte, nität Diskriminierung
Der Typ der erzwungenen Mobilität ist am prägnantesten durch eine kinderreiche Frau repräsentiert, die zum Erhebungszeitpunkt drei Monate in Nord wohnt. Ihre Wohnkarriere ist durch zahlreiche Umzüge, vom Osten in und durch den Westen Deutschlands, charakterisiert. Nach der Trennung von ihrem Ehemann zieht sie zurück in den Osten, wo sie zuerst in einer Plattenbausiedlung in Erfurt wohnt. Aufgrund von Diskriminierungen durch andere BewohnerInnen beschließt sie, von dort nach Eisenach umzuziehen, das auch näher zum Wohnort ihres neuen Lebenspartners liegt. Sie landet in der Siedlung Nord, und obwohl sie sich um eine sanierte Wohnung bei verschiedenen Eigentümern bemüht hatte, erhält sie nur die Zusage für eine Wohnung in einem kaum instand gehaltenen, unsanierten Block.
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Beschäftigt mit dem Einleben in die neue Situation, mit Ämtergängen, dem erneuten Beantragen von Sozialhilfe, der Suche nach einer Stelle bei einer Reinigungsfirma, in welchem Bereich die Arbeitszeiten sich mit ihrer Rolle als Mutter ihrer Erfahrung nach vereinbaren lassen, muss sie bald erkennen, dass das Zusammenleben in der neuen Siedlung sich mindestens als ebenso problematisch darstellt, wie zuvor in Erfurt. Kaum angekommen, richten sich ihre Energien deshalb schon wieder auf die Suche nach einer neuen Wohnung.55 »Und da, wo ich erst gewohnt hab, da war’s auch nicht mehr zum Aushalten, weil ich da mit Idioten zusammen gewohnt hab. (...) Meine Kinder und ich wir sind nur misshandelt worden von den Mitbewohnern. Ja wir sind Asi, ihre, ja ich mein ich hab sieben Kinder. Ich hab eben halt keine Arbeit gehabt. (...) Also so einen [Skinhead] hatt ich praktisch in der Nachbarschaft von mir, gleich nebenan wohnen. Und der hat vom Balkon aus praktisch ständig an meine Fenster gebockt und gemacht. Was hat er gemacht? An unsere Fensterscheiben gebockt und gemacht. Und seine Tochter ist dann krank geworden, hat ein Herzfehler gekriegt. Und äh wir waren schuld, dass seine Tochter ein Herzfehler gekriegt hat. Ich mein, ein Herzfehler kann man angeboren kriegen, kann bei jedem Kind auftauchen. (...) Und das waren auch so Skins, die das gemacht haben, oder? Das waren auf dem Spielplatz Kinder von den Skinheads, die eben halt da rum liefen. Und es waren auch Leute, also Erwachsene praktisch aus m Haus bei uns. Ein spezieller Mieter war da sogar. Der hat sogar, also mein Freund, ein ehemaliger Arbeitskollege von mir und sein Freund und mein Großer, mein ältester Sohn, ham sich beim Auszug davor gestellt, um mich gestellt. Der wollte mir sogar beim Auszug eine in die Fresse hauen, der Mann. Der hatte nur Schlagen, Schlagen, Schlagen im Kopf. Der war nur unter Alkohol. (...) Und als sie hierher gezogen sind, das war dann erst mal eine Verbesserung? Nein. (...) Nein, war’s nicht. Verbessert hab ich mich nicht. Sie haben sich nicht verbessert. Ich hab in Erfurt äh, die Wohnung war etwas besser wie hier, muss ich sagen. Ich hab mich schon total geärgert, überhaupt hier eingezogen zu sein. In Erfurt die Wohnung war besser als hier... Mh. Ich hab auch gedacht, dass hier die Mieter besser sind als wie in Erfurt, aber das stimmt auch nicht. Ich hab hier einen über mir wohnen, der tritt mir sogar manchmal noch die Tür ein. Dem seine Sippschaft da oben. Ja. Die geben da so ein kleinen... Wer ist das? ...kleines Bordell.
—————— 55 Vgl. zu einem ausführlichen Portrait Keller (2005a).
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Die ham da ein kleines Bordell! Die ham da mehrere Weiber und Kerle aus und eingehen, jeden Tag. Das ist ein Zuhälter, den ich oben drüber wohnen hab. Und der hat da, mein Sohn hat das gesagt, also meine Kinder sehen das sogar, dass sie da letztens vom Ordnungsamt ne Nutte abgezogen haben. Die vielleicht keine Arbeitserlaubnis oder so was, ich weiß es nicht. Und ich mein, das kriegen meine Kinder mit. Und deswegen wir wollen hier alle wieder raus. Und deswegen, wir tapezieren auch hier gar nicht. Nehmen das jetzt einfach bis wir hier raus sind. Aber tapeziert ham sie es schon hier? Nein, nein nein, nein nein. Das war noch schön tapeziert. Ich mein, ich würde keine Vögelchentapete in die Stube machen. Ja. Ne, das würd ich nicht machen. Ich wollt erst tapezieren, aber ich hab mir das dann überlegt, seit dem ich. Den ganzen Stress, den wir oben drüber hab. Man nachts nicht schlafen kann. (...) Also das war der schlimmste Auszug, der schlimmste Umzug, den ich überhaupt erlebt hab. War schlimm. Also so n Katastrophenumzug hab ich noch nie gemacht. Ach so, also wegen dem Typen dann auch dort? Hm. Ja ich hab viele Unkosten dadurch gehabt. Ich hab n Auto gemietet mit n Arbeitskollegen, der hat noch n Auto angefahrn, hat n Unfall gemacht. War Pech.« (37, w., arm, EN03-4)
Ebenfalls unter diesen Typ fällt ein 1997 interviewter Haushalt aus der ehemaligen Sowjetunion. Der Mann berichtet von Diskriminierungen von NachbarInnen im Haus und im Wohnumfeld durch rechtsgerichtete Jugendliche. Seit knapp einem Jahr in Nord lebend, ist er bereits mehrere Monate auf der Suche nach einer anderen Wohnung für den fünfköpfigen Haushalt. Dabei zeigt sich das Sozialamt, durch das der Haushalt die Wohnung zugewiesen bekam, seinen Aussagen zufolge als unkooperativ. Auch seine sonstigen Anstrengungen bei der Wohnungssuche blieben bisher erfolglos. Es ist für die Haushalte dieses Typs insgesamt charakteristisch, dass sie bei ihrer Wohnungssuche auf einen deutlich restringierten Markt treffen. Neben geringen Ressourcen und der Desintegration auf dem ersten Arbeitsmarkt haben die Haushalte Eigenschaften, die zusätzliche Einschränkungen auf dem Wohnungsmarkt implizieren: Kinderreichtum und Typisierung als AusländerInnen (obwohl deutsche Staatsangehörigkeit) in den beiden dargestellten Fällen. In den zwei folgenden Fällen sind die Kriterien, alleinerziehend zu sein sowie mehrere Haustiere zu besitzen, zusätzlich einschränkende Merkmale.56 Freilich unterliegen auch die anderen Typen der Exklusion Restriktionen auf
—————— 56 Dass AusländerInnen den stärksten Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt unterliegen, darüber hinaus aber auch gegenüber Haushalten mit vielen Kindern und gegenüber Alleinerziehenden deutliche Schließungstendenzen existieren, hat eine Studie des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (BMBau 1991a) dargestellt.
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dem Wohnungsmarkt, insbesondere der zweite Typ Adaption. Bei dem Typ Erzwungene Mobilität werden die Restriktionen jedoch besonders virulent, da die Haushalte sich unmittelbar gezwungen sehen, ihre Energien auf die erneute Wohnungssuche zu richten. Dass die Schwierigkeiten, eine neue Wohnung zu finden, zusätzlichen Druck auf die Haushalte ausüben, zeigt sich bei der im Folgenden zitierten Alleinerziehenden, Mutter einer gehörlosen Tochter. In dem Interview streicht sie immer wieder heraus, auf der Suche nach einer neuen Wohnung zu sein, da sie die nachbarschaftlichen Konflikte und Spannungen ebenso wie die Angst um ihre Tochter, wenn diese sich im Wohnumfeld aufhält, nicht länger ertragen will. Sie ist vor eineinhalb Jahren aus einer Stadt in Mecklenburg-Vorpommern nach Nord gezogen, da sich in der Region ein Arbeitsplatz angeboten hatte und auch ihre Schwester in der Gegend lebt. Der Arbeitsplatz erwies sich als Fehlschlag, da die Firma Konkurs machte und die Löhne nicht auszahlte. Auf diese Weise geriet sie drei Monate in Mietrückstand und musste sich auf einen Ratenvertrag mit der Wohnungsgesellschaft einlassen und einer regelmäßigen Beratung durch die Gesellschaft unterziehen. Der Wunsch, eine andere Wohnung zu finden, überlagert sich bei ihr mit der Angst, keine andere Wohnung zu finden, wenn die Wohnungsgesellschaft ihr den Mietvertrag kündigt. »Können sie nochmal beschreiben, was sie stört? Mich stört daran das Boshafte, der Neid. Die Wohnungen sind sehr hellhörig, macht man mal ne Fete, man sagt einem das nicht direkt, das kommt immer so von hinten durch die Brust durch. Man erfährt das dann durch andere, sagt das nicht konkret, ist n bisschen laut gewesen. Man ist ja noch nicht so alt, dass man um zwölwe Pumse macht, man sitzt doch nochmal bis morgens zusammen, da ist es doch mal bisschen lauter, und da hört man alles. Weiterer Punkt, durch die ganzen Jugendlichen hier ist das brutaler geworden, und dadurch, dass sie [die Tochter] gehörlos ist, lasse ich sie ungern abends raus. In den Ferien speziell. Dort [in einer Ganztagsschule] ist sie in ihrer Gruppe, weiß ich, das Risiko ist nicht ganz so groß, aber hier ist es größer. (...) Einige werden sicherlich auch in der Lage sein wie ich, die jetzt im Mietrückstand sind, wo man sich jetzt auch drum kümmern muss. Wo ich jetzt heute Nachmittag nochmal so´n Ding hab [Termin bei Wohnungsgesellschaft], was da auch nochmal unten durchgeht. Weil so die Leute, ich, weil ich vorige Woche schon da war, und es geht...unter die Hutschnur, muss ich ganz ehrlich sagen. Weil, die versuchen gar nicht erst n anderen Weg zu finden, die drücken einen gleich n Ratenvertrag auf, wo man nochmal zusätzlich Zinsen zahlen muss. Ne, weiß ich nicht. Und werden sie ihren Umzug auch davon abhängig machen müssen, dass sie eine andere Arbeitsstelle finden? Ja, ja, das hängt ja auch finanziell mit drin, ich mein wohnungsmäßig. Die Wohnung ist ja das eine, aber wenn ich mir jetzt ne neue Wohnung besorge, ist es ja meistens mit Kaution, dass man da ne Kaution hinterlegen muss. Gut, man kann vielleicht so vereinbaren, das auf die Miete drauflegt, dass die Kaution dann irgendwie rauskommt. Die meisten verlangen
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jetzt Kaution, so und da muss schon ein bisschen da sein, das Geld. Da kann ich das nur wenn ich jetzt wieder ne Arbeit hab, dass ich dann mir das zurücklegen und sag und dann speziell suchen kann, jetzt kann ich´s machen. (...) Also ich möchte nicht hier bleiben, auf keinen Fall. (...) Müssen sie dann auch mit einer Räumungsklage rechnen, haben sie sowas schon gehört hier in dem Gebiet? Ne hab ich noch nicht gehört, aber wenn ich die Mieten nicht bezahle und ich krieg ne fristlose Kündigung, ja dann würd ich Weihnachten auf der Straße sitzen. Da machen die sich keine Platte, ne also müsst ich jetzt, ich würde bei meiner Schwester unterkommen, wäre von der Sache her, na ja. Aber erstens will ich das nicht, weil ich n bisschen anders lebe als sie, doch n bisschen ruhiger als es bei ihr sein würde. Und das würde ich mit der Zeit nicht verkraften.« (32, w., arm, EN97-1)
Der vierte Haushalt dieses Typs ist der alleinstehende Mann, der aus einem umliegenden Dorf nach Wolfen-Nord zugezogen ist, da das dort von ihm bewohnte Haus bautechnisch gesperrt wurde. Er wurde bereits unter dem Typ Adaption dargestellt, seine Situation legt es jedoch nahe, ihn auch unter diesen Typ zu subsumieren. Auch bei ihm dreht sich das Interview immer wieder um die Tatsache, dass er sich eine neue Wohnung suchen muss. Das Gebäude, in dem er wohnt, soll abgerissen werden. Der Mann erzählt, dass ihm beim Einzug nicht mitgeteilt worden sei, dass innerhalb einer recht kurzen Frist der Abriss ansteht und dass die Wohnungsgesellschaft ihm jetzt wegen seiner Haustiere keine andere Wohnung anbieten will. Da er bereits vor knapp drei Jahren, zur Zeit seines Einzugs, die Erfahrung gemacht hatte, dass es für ihn schwierig ist, eine Wohnung zu finden, befürchtet er nun Obdachlosigkeit. Freilich will er auch aus Wolfen-Nord nicht weg, da er dort für eine Frau Einkäufe erledigt und sich auf diese Weise sein Existenzminimum aufstockt. Beim Vergleich der vier Haushalte des Typs lässt sich feststellen, dass der Antrieb zur erneuten Wohnungssuche mehr oder weniger stark von außen erzwungen wird. Die alleinerziehende Frau mit den Mietschulden ist insofern ein interessanter Fall ist, als sich bei ihr der subjektive Zwang – die von ihr als unerträglich erfahrene Wohnsituation – mit dem drohenden institutionellen Zwang einer Kündigung überlagert. Demgegenüber stehen bei der Kinderreichen und dem Migrantenhaushalt die subjektiven, bei dem Alleinstehenden die institutionellen Zwänge im Vordergrund. Abschließend ein Interviewauszug mit dem alleinstehenden Mann: »Und bei dem Bisschen, was bei mir übrig bleibt, da muss ich immer sehr sehr vorsichtig sein, sehr sehr zirkulieren, um über die Runde zu kommen. Musst du auch noch Schulden abzahlen, oder? Ja, ich muss auch noch ein bisschen was abzahlen, aber, im Moment bin ich erst mal aus dem Gröbsten raus. Das jetzt dreht sich erst mal darum, dass ich irgendwie ne vernünftige
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Wohnung nochmal kriege. Denn wenn ich hier raus muss, dann... weiß ich nicht wohin, dann lieg ich wahrscheinlich auf der Straße. Stellen die hier dir keine neue Wohnung zur Verfügung? Wegen die hier [den Katzen], weil die sich das einbilden, dass die überall stinken. Da wollen die dir hier keine Wohnung anbieten? Das hat sich der Herr X eingebildet, das sagt der Herr X so in etwa. Wa. Er hat keine Wohnung für mich, ich soll mich selber drum kümmern, er macht sich das sehr bequem. Und ich kriege dafür 1000 Mark. Wenn du dir eine Wohnung suchst? Ja. Nun hab ich aber gehört, die 1000 Mark kriegt jeder als Umzugsgeld. Also soll ich alleine rumlaufen, und mich um ne Wohnung kümmern, und dann krieg ich 1000 Mark? Wegen die hier [den Katzen]. Weil sich da Leute aus dem Haus aufgeregt haben, auf deutsch gesagt. Willst du denn gerne hier in Wolfen-Nord eine Wohnung haben, oder? Ich möchte hier nicht weg. Ich möchte nicht weg, oder ich kann nicht weg. Wegen den Leuten vorne [besonders der Frau, für die er Einkäufe macht].« (57, m., arm, WN01-23)
6. Alltagsstrategien und Quartierseffekte
Soziale Exklusion nimmt bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen verschiedene Gesichter an. Relativ zu der Lebensphase und der sozialen Laufbahn wird sie unterschiedlich wirksam, erfahren und es wird unterschiedlich auf sie reagiert. Gleichwohl sind die Mechanismen, die Haushalte an den gesellschaftlichen Rand drängen, doch allgemeine, und auch auf Seiten der Haushalte gibt es typische Eigenschaften, die sie anfällig für Exklusionsdynamiken machen. So bestimmen die klassischen Statusindikatoren von Bildung und Beruf wesentlich über die materiellen Einkommens- und die (weiteren) Zugangschancen zu den verschiedenen Segmenten des Arbeitsmarktes. Darüber hinaus erweisen sich für die Lagen materieller Prekarität und Armut die Haushaltsform und Nationalität/Ethnizität als einflussreich. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Risiko materieller Deprivation von Statuslagen entkoppelt ist. Kinderreiche Familienformen und hohe Ausländeranteile kumulieren gerade in den Arbeitermilieus, die sich quantitativ als Kerngruppen der Armut in Deutschland identifizieren lassen (Groh-Samberg 2004; Strengmann-Kuhn 2003; Hanesch et al. 1994). Welchen Einfluss übt nun das Leben in benachteiligten Quartieren auf Armut und soziale Exklusion aus? Den Quartierseffekten soll in diesem Kapitel durch eine vergleichende Analyse der im fünften Kapitel dargestellten Typen der Exklusion nachgegangen werden: Welche Rolle spielt das Quartier bei den Exklusionsdynamiken der vier Typen? Inwiefern interveniert es in die soziale Flugbahn der BewohnerInnen? Dabei stellt sich zugleich die Frage, ob sich bestimmte Merkmale bei den Typen im Unterschied zu anderen, lageähnlichen Haushalten herausstellen lassen, die erklären können, weshalb sie in eine Exklusionsdynamik geraten. Im Unterschied zu anderen Armen und Prekären wohnen die Typen zwar alle in Bereichen der Siedlung, in denen sich Arme, Prekäre und MigrantInnen konzentrieren. Der Einfluss der Wohnlage auf die Exklusionsdynamiken ist deshalb ausgesprochen plausibel. Gleichwohl ist nicht bei allen Armen und Prekären in diesen Wohnlagen eine Exklusionsdynamik zu diagnostizieren, und mit den Netzwerken können sich neben ausgrenzenden auch unterstützende Wirkungen verbinden.
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Zuerst sollen deshalb die sozialen Netzwerke und die Alltagsstrategien der Haushalte betrachtet werden, bevor anschließend die Wirkungen des Quartiers herausgestellt werden. Tatsächlich lässt sich ein gemeinsames Merkmal bei den Typen der Exklusion im Unterschied zu anderen Haushalten ausmachen, das einen Grund darstellt, weshalb sich bei ihnen mit den Netzwerken Exklusionsdynamiken verbinden. Die materiell deprivierten BewohnerInnen investieren zwar generell stärker in nachbarschaftliche Netze als die materiell gesicherten, und mit den nachbarschaftlichen Kontakten verbinden sich fast durchweg gegenseitige Unterstützungsleistungen. Unter den Typen der Exklusion ist jedoch eine Art Überinvestition in nachbarschaftliche Netze zu diagnostizieren, und diese steht in Zusammenhang mit einer Fragilität in ihren sozialen Nahbeziehungen. Die These ist, dass von negativen Wirkungen nachbarschaftlicher Netzwerke Haushalte mit fehlenden oder instabilen engen Bezugskreisen, prinzipiell partnerlose Haushalte, eher getroffen werden als Haushalte mit stabilen Nahbeziehungen. In einem zweiten Schritt wird untersucht, welchen Einfluss die Alltagsstrategien auf die Exklusionsdynamiken haben. Können Akteure mit bestimmten Strategien der sozialen Exklusion besser entgegentreten und dabei auch Ressourcen des Quartiers nutzen? Unter den armen und prekären Haushalten lassen sich Akteure mit formellen von solchen mit improvisierenden Alltags- und Integrationsstrategien unterscheiden. Mit Paul Willis wird davon ausgegangen, dass sich die Strategien insbesondere durch die Ablehnung oder Anlehnung an formelle Institutionen und Prinzipien sozialer Integration ausbilden und sich im Zuge der sozialen Laufbahn zu Gewohnheiten verfestigen. Die Befunde zu den Effekten der Alltagsstrategien auf die Exklusionsdynamiken bleiben allerdings uneinheitlich: Sowohl formelle als auch improvisierende Strategien können Deprivationen der Lebenslage verstärken. Im lebensweltlichen Kontext des Quartiers erweisen sich improvisierende Alltagsstrategien als nützlicher, für eine langfristige Überwindung von Exklusion sind es jedoch formelle Strategien. Diesem Dilemma können die BewohnerInnen vor allem entgehen, wenn sie erlernen, situationsgerecht zwischen formellen und improvisierenden Alltagsstrategien umzustellen. Problematisch wird die Übernahme improvisierender Alltagstechniken in dem Augenblick, wo formelle Strategien aufgegeben und verlernt werden. Die Analyse der Netzwerke und Alltagsstrategien gibt Aufschluss darüber, welche Hauhalte in besonderer Weise dem Risiko negativer Quartierseinflüsse ausgesetzt sind. Ein empirischer Nachweis von Quartierseffekten gestaltet sich nicht zuletzt deshalb schwierig, weil Merkmale auf Seiten der Haushalte in der Realität immer schon mit Gebietseffekten interferieren. Im dritten Teil des Kapitels wird entfaltet, dass die negativen Quartierseffekte vor allem status-
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schwache und abgestiegene BewohnerInnen treffen, die sich in den benachteiligten Sozialräumen der Siedlung konzentrieren. Darüber hinaus sind Haushalte mit fragilen Nahbeziehungen und langen Wohndauern für negative Quartierseffekte anfällig. Negative Effekte gehen vom Quartier nicht nur als einem lebensweltlichen Kontext aus, indem beispielsweise Nachbarschaftskonflikte Planungsressourcen absorbieren oder in Netzwerken eine rein improvisierende Alltagspraxis eingeübt wird. Ein wichtiger Mechanismus der Benachteiligung besteht auch in der institutionellen Diskriminierung, die sich mit dem Quartier verbindet. Insgesamt werden vier Mechanismen der Benachteiligung durch die Quartiere herausgearbeitet. Abschließend wird gezeigt, dass das Ausmaß der Konflikte und der Konzentration von Armut in den Siedlungen sowie die Art der kommunalen Interventionen darüber bestimmen, ob negative Quartierseffekte stärker oder schwächer zur Geltung gelangen.
Soziale Netzwerke Zu den sozialen Netzwerken der BewohnerInnen sind zwei Ergebnisse der Studie hervorzuheben. Erstens bestätigt sich der Befund, dass arme und statusschwache Haushalte insgesamt kleinere Netzwerke als materiell gesicherte aufweisen und Kontakte in der Nachbarschaft bei ihnen eine wichtigere Rolle auch in der Hinsicht spielen, als mit ihnen gegenseitige Unterstützungsleistungen verbunden sind. Bei den oft im direkten Umfeld geknüpften Kontakten spielen emotionale Unterstützungen und der gegenseitige Tausch von Gütern und Diensten die zentrale Rolle. Größere finanzielle Unterstützungen werden dagegen meist bei engeren Verwandten nachgefragt. Zweitens ergibt die Analyse der Typen der Exklusion, dass das Kontaktverhalten und die Netzwerke im Quartier auch von der Qualität der sozialen Beziehungen bei den Haushalten beeinflusst werden (Ausprägung der Bezugskreise). Die Orientierung an Nachbarschaftskontakten fällt bei Haushalten stärker aus, bei denen soziale Nahbeziehungen, insbesondere die Beziehung zur PartnerIn und zu den Kindern oder Eltern, fragil sind. Die Fragilität der Nahbeziehungen bezeichnet ein Haushaltsmerkmal, das für Exklusionsdynamiken anfällig macht.
Armut und Nachbarschaftshilfen Die Studie bestätigt den Befund, dass materiell deprivierte und statusschwache Haushalte weniger Kontaktpersonen als materiell gesicherte und statushöhere
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aufweisen, und dass Nachbarschaftskontakte unter ihnen einen größeren Anteil einnehmen (vgl. Herlyn/Lakemann/Lettko 1991; Friedrichs 1998; Friedrichs/Blasius 2000; Häußermann 2003). Insgesamt haben die Nachbarschaftskontakte bei den 30 armen Haushalte einen deutlich größeren Stellenwert als bei den 23 materiell gesicherten. Die 27 prekären Haushalte nehmen eine Position dazwischen ein. Bei den Fragen, welche wichtigen Bezugspersonen existieren und zu welchen Personen regelmäßige Kontakte gepflegt werden, zeigt sich auch, dass die Kontakte bei den armen Haushalten sich aus weniger Bezugskreisen zusammensetzen als bei den materiell gesicherten (vgl. Abb. 6.1). Abb. 6.1: Schema von Bezugskreisen
PartnerIn,
Freun-
Kinder/Eltern
dInnen
Bekannte
Verwandte
Quelle: eigene Darstellung
Im Durchschnitt geben die armen Haushalte Kontaktpersonen aus zwei bis drei, die materiell gesicherten aus drei bis vier Bezugskreisen an. Bei den armen Haushalten ist oft der engste Bezugskreis kleiner, in einigen Fällen ist das Verhältnis zur weiteren Verwandtschaft abgebrochen und/oder der Bezugskreis von Bekannten, die man z.B. von der Arbeit, aus Vereinen oder der Datsche im Grünen kennt, ist nicht vorhanden. Für den Umfang von Sozialkontakten erweist sich neben dem materiellen Status der Erwerbsstatus als einflussreich, ein Befund, der auch international in Studien mehrfach herausgestellt worden ist (vgl. Kronauer 2002: 151–174; Castel 2000). Der größere Stellenwert der Nachbarschaftskontakte bei den armen Haushalten macht sich auch daran fest, dass mit ihnen viel häufiger gegenseitige Unterstützungsleistungen verbunden sind als bei den materiell Gesicher-
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ten. Für letztere sind die Nachbarschaftskontakte in gut zwei Drittel der Fälle Bekanntschaften: Man unterhält sich mal und tauscht Informationen aus. Nur ein Drittel tauscht mit NachbarInnen auch Güter und übernimmt Dienste wie z.B. den Einkauf für jemand, der verhindert ist. Nur zwei Haushalte geben an, kleinere finanzielle Beträge auszuleihen. Ausgenommen von diesen Nachbarschaftskontakten sind hier die Verwandten in der Siedlung, die allerdings nur in drei Fällen existieren. Während bei der Hälfte der materiell Prekären die NachbarInnen Bekannte darstellen, mit denen man sich mal unterhält, und bei der anderen Hälfte darüber hinaus gegenseitig Güter, Dienste und mal kleinere finanzielle Beträge ausgetauscht werden, knüpfen sich bei den armen Haushalten überwiegend intensive Tauschbeziehungen an die Nachbarschaftskontakte. Nur vier sagen, sich lediglich mal mit NachbarInnen zu unterhalten, während bei elf armen Hauhalten ein Austausch von Gütern und Diensten, bei weiteren 15 darüber hinaus auch finanzielle Hilfen mit den Nachbarschaftskontakten verbunden sind. In dem Sample zeigt sich mithin ein klarer Zusammenhang zwischen dem materiellen Status der Haushalte und der Bedeutung von Nachbarschaftshilfen.57 Bei den gegenseitigen Unterstützungen unter den armen BewohnerInnen spielt das Ausleihen von finanziellen Beträgen, die nur in Ausnahmefällen kleinere Summen überschreiten, durchaus eine wichtige Rolle. Noch bedeutsamer ist aber der Tausch von Gütern, Diensten und emotionaler Unterstützung. Dieser Tausch ist verbreiteter, und er erscheint als eine Art Basis, auf dessen Grundlage dann auch gegenseitig Geld geborgt wird. Sofern größere finanzielle Beträge geliehen werden, geschieht das in der Regel bei engen Verwandten – bei den Eltern oder bei Geschwistern. Bei einigen armen Haushalten ist aber gerade das Verhältnis zur engeren Verwandtschaft angespannt oder abgebrochen, so dass diese Option entfällt. Der auch in anderen Studien herausgestellte besondere Stellenwert der Verwandtschaft bei Unterstützungsleistungen (vgl. Boettner/Tobias 1992; Friedrichs 1995; Keim/Neef 2000a und b) verweist auf die prinzipielle Bedeutung von Haushaltskonstellationen für Netzwerkressourcen. So verfügen Partnerhaushalte in der Regel über bessere Mobilisierungsmöglichkeiten von Netzwerkressourcen als Haushalte ohne PartnerIn, da sie über einen größeren Kreis enger Verwandter verfügen.
—————— 57 Hinzu kommt, dass die Prekären und Armen häufiger Verwandte in der Siedlung wohnen haben als die materiell Gesicherten. Fünf der prekären und 13 der armen Haushalte geben an, dass Verwandte in der Siedlung wohnen. Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass sich hierunter sieben Migrantenhaushalte befinden, die mit weiteren Verwandten in die Siedlungen gezogen sind.
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Die Kontakte zu den NachbarInnen werden häufig im unmittelbaren Wohnumfeld geknüpft, von wo aus sie dann auch größere Kreise ziehen. Bei den Jugendlichen spielt bei der Netzwerk- und Cliquenbildung der genaue Wohnstandort in der Siedlung allerdings kaum eine Rolle. Gerade bei ihren Beschreibungen, wie gegenseitige Unterstützungen funktionieren, wird ein Prinzip des Austauschs deutlich: Jeder wirft etwas in eine gemeinsame »Kasse«, leistet einen ihm/ihr möglichen Beitrag, so dass der Nutzen und Ertrag für alle steigt. Diese Art Kollektivgedanke spielt auch bei den erwachsenen Armen eine Rolle, jedoch keineswegs bei allen. Manche betonen vielmehr, nur zu wenigen ausgewählten Leuten Kontakte zu pflegen, auf die man sich vollständig verlassen kann, und sich dagegen vor größeren oder loseren Gruppen fernzuhalten. Das Prinzip, dass der Nutzen für alle Netzwerkteilnehmerinnen durch die je individuellen Gaben und Beiträge steigt, wird damit freilich nicht außer Kraft gesetzt. Die folgenden zwei Zitate verdeutlichen den wechselseitigen Tausch unter armen Haushalten, wobei sich die Nachbarschaftshilfen hier auffällig im Hauseingang konzentrieren: »So jetzt im Eingang, wenn da jemand was hat, ich z.B. helf da auch viel im Eingang mit. Und die ham eben ein Auto, und wenn’s wirklich mal ungünstig ist, na ja, wie sieht’s aus, könnteste mich mal nach Bitterfeld oder dahin. Also in der Hinsicht gibt’s da keine Probleme drinne, so eine gute Kameradschaft herrscht da in dem Eingang, da hilft auch einer dem anderen mit Rat und Tat. Bloß jetze geldmäßig nicht, aber durch Arbeiten so. Oder ich brauche mal wieder was. Hab mir Zwingen ausgeliehen, als ich neue Türrahmen reingemacht habe, brauchte ich mir keine zu kaufen. Oder fragen, könnt ihr mal Briefkasten gucken, Blumen gießen, wenn wir im Urlaub, das geht natürlich alles auf ehrlicher Basis, nicht dass da jetzt rumgekramt wird in der Wohnung. Aber so, wir helfen uns da sehr viel, wo wir können.« (57, m., arm, WN01-20) »Das ist bei uns im Eingang Gang und Gebe. Wenn die eine kein Geld hat, da kommt die andere und sagt, hier hast du wieder was. Und das läuft eigentlich. Und das kommt auch immer wieder zurück das Geld. (...) Mal zehn, zwanzig Euro. Und wenn man mal was Schweres mitbringen soll beim Einkaufen. (...) Oder wenn jemand krank ist, hab ich neulich gefragt, was soll ich kochen. Koch deine Soljanka. Sie macht dafür ein türkisches Essen, das kann ich wiederum nicht. Das ist so ihre wichtigste Bekannte im Eingang? Ja doch, zu der kann ich immer kommen, wenn ich Probleme hab, bei der kann ich mich auch mal ausweinen. Und andersherum ist es genau so.« (35, w., arm, EN03-3)
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Kontaktverhalten und soziale Nahbeziehungen Der Stellenwert, den die Nachbarschaftskontakte einnehmen, wird neben dem materiellen Status der Haushalte auch von der Qualität ihrer sozialen Nahbeziehungen beeinflusst. Das Ergebnis, das sich aus der vergleichenden Analyse der im fünften Kapitel dargestellten Typen der Exklusion ergibt, lautet, dass die Nachbarschaftsorientierung umso stärker ausfällt, je fragiler bei Haushalten der engste von den vier Bezugskreisen ist. Die sozialen Netzwerke im Quartier und die subjektive Bedeutung, die diese für die Haushalte haben, spielen bei den ersten drei Exklusions-Typen eine wichtige Rolle für ihre Exklusionsdynamiken. So ist für die Dynamik der Isolation und Entfremdung bei den Älteren charakteristisch, dass die früheren Kontakte mit den NachbarInnen durch deren Wegzug entfallen. Beim Typ Adaption an Armut investieren die Haushalte intensiv in Nachbarschaftskontakte, was auch beim Typ Hängen-Bleiben der Fall ist, wobei diese jungen Erwachsenen ähnlich wie die isolierten Älteren die Erfahrung machen, von ihren Cliquen zurückgelassen zu werden. Auch im Unterschied zu anderen materiell deprivierten Haushalten gibt es bei den drei Typen mithin eine besonders ausgeprägte Orientierung oder Investition in nachbarschaftszentrierte Netzwerke, und hieran schließt die Beobachtung von der Bedeutung sozialer Nahbeziehungen an. Die nachbarschaftlichen Netze erfüllen bei den genannten drei Typen offenbar eine kompensierende Funktion dafür, dass andere soziale Nahbeziehungen, insbesondere zur PartnerIn und – je nach Alter – zu den Kindern oder Eltern, nicht vorhanden oder fragil sind. Eine vergleichende Betrachtung soll das verdeutlichen. Typ Isolation und Entfremdung In Bezug auf sämtliche älteren Haushalte lässt sich feststellen, dass die Nachbarschaftsorientierung bei den 16 Alleinstehenden deutlich stärker ausgeprägt ist als bei den 22 Paarhaushalten. 58 Die alleinstehenden Älteren haben oft Freundschaften insbesondere zu anderen Alleinstehenden in der Siedlung geschlossen, und die Nachbarschaften stellen eine zentrale Bezugsgrüße, eine Art zweite Familie, dar. Entsprechend trifft ein Wegzug von FreundInnen und Bekannten aus der Siedlung, ebenso wie ein radikaler Wandel der unmittelbaren Nachbarschaft, die Alleinstehenden auf sensible Weise. Bei den Haushalten, die in Isolation und Entfremdung geraten, fällt auf, dass auch die Beziehung zu den Kindern fragil ist (respektive eine Frau kinderlos ist). Die Kinder sind häufig, wie es der oben zitierte Mann in Frührente beschrieben hat (5.3), nach der Wende weggezogen, und in Zuge
—————— 58 Die Angaben der Fallzahlen beziehen sich hier nicht nur auf RentnerInnen, sondern auf Haushalte ab Ende 40, wo die Kinder in der Regel ausgezogen sind.
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dessen hat sich der Kontakt deutlich verschlechtert. Dass diese Haushalte nicht wie andere Ältere mit einem Wegzug reagieren, und sei es auch nur in einen besseren Teil der Siedlung, scheint auch damit zusammenzuhängen, dass es ihnen insgesamt an sozialen Nahbeziehungen mangelt. Die Bedeutung der Beziehung zu den Kindern bei den älteren Haushalten lässt sich daran ermessen, dass sie von ihnen häufig als ein Lebensinhalt bezeichnet werden und umgekehrt diese sich gerade um alleinstehende Elternteile häufig kümmern. Typ Adaption an Armut Der Befund, dass die Orientierung an der Nachbarschaft stärker ausfällt, wenn der engste Bezugskreis fragil ist, trifft auch für den Typ Adaption an Armut zu. Diese Armen, die enge Netzwerke zu anderen BewohnerInnen entwickelt haben, leben in »atypischen« Hauhaltsformen, und stabile Paarhaushalte sind hierunter nicht vertreten. Es handelt sich um alleinstehende Männer, alleinerziehende Frauen oder auch Haushaltstypen wie ein Mann mit bereits erwachsenem und erwerbstätigem Sohn und ein altersungleiches Paar, das seit wenigen Jahren zusammen ist. Allerdings haben nicht alle erwachsenen Armen und Prekären, die in solchen Haushaltsformen leben, nachbarschaftliche Netzwerke mit einer Qualität aufgebaut, wie sie für den Typ Adaption beschrieben wurde. Das gilt insbesondere für die acht alleinerziehenden Frauen im Sample, die alle prekär oder arm sind, und von denen nur zwei unter den Typ Adaption fallen. Zwei weitere sind entschlossen, aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft sobald als möglich wegzuziehen (Typ Erzwungene Mobilität), und unter den vier anderen haben drei zwar ausgeprägte Nachbarschaftsbeziehungen entwickelt, aber mit einer anderen Qualität: Sensibel gegenüber den Gruppendynamiken, beschreiben sie ihre Kontaktstrategien so, sich wenige und dafür zuverlässige FreundInnen zu suchen. Diese Alleinerziehenden unterscheiden sich von denen des Typs Adaption dadurch, dass sie stabilere Beziehungen zu den Eltern oder anderen engen Verwandten wie Geschwistern zu haben, und die Fragilität des engsten Bezugskreises besteht bei ihnen im Grunde nur in einer fehlenden Partnerschaft. Typ Hängen-Bleiben Welche Ausprägungen haben die sozialen Nahbeziehungen schließlich beim Typ Hängen-Bleiben? Während es aus der Perspektive der Älteren vor allem die selbständig gewordenen Kinder sind, die zum engsten Bezugskreis zählen, sind es aus Perspektive der Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Eltern. Bei denen, die durch ihre Involvierung in Cliquen andere Lebensziele zurückstellen und mit schlechten Perspektiven in den Siedlungen zurückbleiben, ist gerade diese Beziehung fragil. Sie stammen bis auf eine Person aus Trennungs-Haushalten, und diese eine Person artikuliert eine deutliche Abstoßung gegenüber ihren Eltern. Trotz der kleinen Fallzahl
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lässt sich die These formulieren, dass die Cliquen eine Art Familienersatz darstellen, denn auch unter den anderen 18 Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind der Cliquenbezug und die Bedeutung von Freundschaft besonders stark ausgeprägt, wenn der engste Bezugskreis fragil ist: wenn die Eltern eine Trennungsgeschichte aufweisen oder die Beziehung zu den Eltern als kühl oder konfliktreich beschrieben wird. Aus der Trennungsgeschichte der Eltern bereits eine besondere Cliquenorientierung abzuleiten, wäre sicherlich verkürzt. Die Cliquenorientierung ist aber besonders stark, wenn eine Abstoßung gegenüber den Eltern artikuliert wird oder deren Unterstützung und Zuwendung gering sind, was bei Haushalten mit Trennungsgeschichte eher der Fall zu sein scheint. Der Befund, dass Haushalte ohne feste Partnerschaft und mit auch sonst schwachen familialen Beziehungen stärker in nachbarschaftliche Netzwerke involviert werden, verweist auf Ergebnisse, die Anderson (1990; 2000) und Wilson (1987; 1997) in ihren Studien zu nordamerikanischen Armutsvierteln darstellen. Sie beschreiben, dass insbesondere die Kinder aus Haushalten mit atypischen Haushaltsformen in die Cliquen und Gangs der Viertel integriert werden und dass die nachbarschaftlichen Sozialbeziehungen, in denen die FreundInnen als »brothers«, »cousins« oder »sisters« bezeichnet werden, quasi einen verwandtschaftlichen Status erhalten. Außerdem zeigen sie, dass in den Vierteln häufig zwischen alleinerziehenden Frauen und alleinstehenden Männern Beziehungen entstehen, bei denen die Zweckrationalität der gegenseitigen Unterstützung und das Liebesverhältnis temporäre Allianzen eingehen. Ohne den Vergleich der deutschen mit den US-amerikanischen Armutsvierteln hier vertiefen zu können, lassen sich diese Befunde als eine Bestätigung der beschriebenen Bedeutung lesen, die die Qualität der Nahbeziehungen auf das Kontaktverhalten im Quartier haben. Neben dem Status und der Ausprägung der Bezugskreise beeinflusst auch die Wohndauer das Ausmaß der Netzwerke im Quartier und die Nachbarschaftsorientierung. Zwar ist angesichts der Umbrüche in den Siedlungen nicht von einem linearen Zusammenhang zwischen Wohndauer und dem Ausmaß der Nachbarschaftskontakte auszugehen. Gleichwohl können sich Nachbarschaftskontakte mit der Wohndauer prinzipiell vergrößern und intensivieren, und bei den nach der Wende zugezogenen Haushalten zeigt sich dieser Zusammenhang. Zusammen mit den Kontakten im Quartier stellt die Wohndauer im übrigen das einflussreichste Merkmal für die subjektive Bindung der Haushalte an die Siedlung dar, und es bestätigt sich die bei Friedrichs (1995: 170) diskutierte These, dass die Bindung an einen Stadtteil
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respektive eine Stadt mit der Wohndauer und den sozialen Beziehungen zunimmt.59
Alltagsstrategien Welchen Einfluss haben Alltagsstrategien auf die Exklusionsdynamiken, und können Akteure mit bestimmten Strategien der sozialen Exklusion besser entgegentreten und dabei Ressourcen des Quartiers nutzen? Eine Antwort auf diese Frage soll in zwei Schritten erschlossen werden. In einem ersten Schritt wird ausgeführt, dass sich unter den armen und prekären Haushalten Akteure mit formellen von solchen mit improvisierenden Alltagsstrategien unterscheiden lassen. Mit Bezug auf Paul Willis (1979) wird davon ausgegangen, dass formelle oder improvisierende Strategien sich insbesondere durch die Anlehnung an oder Ablehnung des institutionalisierten meritokratischen Prinzips ausbilden und sich mehr oder weniger zu Gewohnheiten verfestigen. Die Befunde der Erhebung bestätigen, dass die Biographie und die soziale Herkunft einflussreich für die Ausprägung der Alltagsstrategien sind, wie es in der deutschen Forschung insbesondere Vester et al. (2001; 1995) in Anschluss an Bourdieu (1992) und Thompson (1987) gezeigt haben. In vielerlei Hinsicht bestätigt die Unterscheidung von formellen und improvisierenden Strategien die zwischen einem »traditionellen« und »traditionslosen« Arbeitermilieu, es zeigen sich jedoch auch Abweichungen von diesem Konzept. So erweist sich für die Alltagsstrategien die Erwerbsbiographie als einflussreicher als das Qualifikationsniveau, und improvisierende Strategien werden auch von Haushalten ohne Herkunft aus einem traditionslosen Milieu in Krisenphasen erlernt. Mit Blick auf die Typen der Exklusion wird in einem zweiten Schritt gezeigt, dass Akteure mit improvisierenden Strategien sich als bessere NutzerInnen von Ressourcen des Quartiers erweisen. Die Strategie der Improvisation hilft vor allem, soziale Deprivationen abzumildern, sie stellt aber keine langfristig wirksame Strategie gegen materielle und kulturelle Deprivationen dar. Formelle und institutionenbezogene Strategien sind für die noch nicht aus dem
—————— 59 Die subjektive Bindung an die Siedlung lässt sich am besten anhand der Wegzugsbereitschaft und mit der Frage beurteilen, was Haushalte bei einem Wegzug an der Siedlung vermissen würden. Stark gebundene Haushalte wohnen am längsten in den Siedlungen und geben häufig zuerst an, sie würden dann bestimmte soziale Kontakte vermissen. Sofern diese Kontakte der Vergangenheit angehören, werden meist Erinnerungen an »schöne Zeiten«, die man mit der Siedlung verbindet, beschrieben.
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Erwerbsleben ausgeschiedenen Haushalte letztlich das einzig wirksame Mittel, den multiplen Deprivationen und der Exklusionsdynamik etwas entgegenzusetzen.
Formelle versus improvisierende Strategien Unter den armen und prekären Haushalte gibt es zum einen Akteure, die in ihren Überlebensstrategien und ihrem Ressourcenmanagement als formell zu charakterisieren sind, da sie primär staatliche und institutionelle Angebote als legitime Mittel ansehen, finanziell auszukommen oder sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Demgegenüber zeichnen sich andere Akteure durch improvisierende Alltagsstrategien aus, indem sie sich nicht allein auf staatliche und institutionelle Angebote und Leistungen verlassen, sondern darüber hinaus mit verschiedenen Jobs und Tätigkeiten sowie einer aktiven Netzwerkarbeit ihren Lebensunterhalt sichern. Auch wenn sich bei den Akteuren stets formelle und improvisierenden Strategien der Integration überlagern, ist ein Ergebnis, dass die formellen Alltagsstrategien bei den Haushalten dominieren, die im Anschluss an eine stetige Erwerbskarriere sozial abgestiegen sind. Demgegenüber sind die improvisierenden Strategien bei den Haushalten besonders ausgeprägt, die entweder irreguläre Erwerbskarrieren durchlaufen haben, in deren Zuge sie verschiedene Qualifikationen erwarben und immer wieder mit Phasen des Wandels und mit Krisen konfrontiert waren, oder die schon lange Armutskarrieren hinter sich haben.60 Der Begriff formeller Strategien lehnt sich an die Studie von Paul Willis (1979) »Spaß am Widerstand« an, in der er gezeigt hat, wie sich Differenzierungen im Lebensstil unter Arbeiterjugendlichen in der Schule vor allem entlang zweier Prinzipien entwickeln: dem formellen und dem informellen Prinzip. Das formelle Prinzip steht zunächst für die Schule. Es steht für die Autorität der Lehrer und der Regeln, für den Tausch von Disziplin und Folgsamkeit durch die Schüler gegen die durch die Schule vergebenen Qualifikationen und Arbeitsmarktchancen (ebd. 84ff.). Die Gruppe der Jugendlichen, die Willis besonders interessiert, die so genannten »lads«, zeichnen sich durch eine Opposition gegen das Prinzip des Formellen aus. Sie entwickeln Verhaltensweisen, die geschickt und hartnäckig die Autorität der Lehrer und Regeln ebenso wie die konformistischen Schüler, die »ear oles«, in
—————— 60 Einen ähnlichen Befund zum Einfluss der sozialen Flugbahnen auf die Alltagsstrategien stellen Kronauer/Vogel (2004: 253-255) dar. Vgl. auch Keim/Neef (2000a) zu Alltagsrespektive Integrationsstrategien unter armen BewohnerInnen.
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Frage stellen und sich über sie lustig machen. Die Argumentation bei Willis läuft darauf hinaus, dass die lads durch ihre Opposition gegen das formelle Prinzip zwar eine bemerkenswerte Widerstandskultur entwickeln, dass sie allerdings im Übergang zum Beruf die schlechteren Karten ziehen und, oft wie ihre Eltern, in un- und angelernten Jobs landen. Es ist ein instruktiver Gedanke, dass sich Lebensstile und Alltagsstrategien in Anlehnung oder Ablehnung zu gesellschaftlich dominanten Prinzipien entwickeln. Willis konzeptionellen Überlegungen zum formellen Prinzip gehen dabei über das Universum der Schule hinaus. Auch empirisch verfolgt er den Übergang der Schüler in die Berufswelt, und er stellt Homologien zwischen den in der Schule entwickelten Verhaltensweisen und Prinzipien mit der Berufswelt heraus. In Anschluss an seine Ausführungen lässt sich formulieren, dass das Prinzip des Formellen das von Staat und Institutionen sanktionierte und vertretene meritokratische Prinzip verkörpert, das Prinzip des Tausches von Disziplin und Leistung gegen Lebenschancen: Aus Bildung folgt Beruf und aus dem Beruf Einkommen.61 In diesem Sinne lassen sich Alltagsstrategien als formell bezeichnen, die von einem Vertrauen in das meritokratische Prinzip ebenso wie in die Reintegrations- und Versorgungsverantwortung des Staates bei dessen Versagen geprägt sind. Mit Blick auf die Erhebung geben Akteure, die nach einer stetigen Erwerbsbiographie einen Abstieg durch Arbeitslosigkeit erfahren haben, formelle Strategien in der Krisensituation zu erkennen. Sie halten gewissermaßen an den in ihrer Laufbahn erfolgreich praktizierten Strategien von Bildungsinvestition und disziplinierter Arbeit im Tausch gegen Selbständigkeit und sozialer Sicherheit fest. Das ehemals reguläre Erwerbsverhältnis bleibt ein Maßstab der weiteren Integrationsbemühungen, und dabei orientieren sich die Akteure wesentlich an den staatlichen Angeboten und rechtlichen Regelungen. Im Unterschied zu den Haushalten mit improvisierenden Alltagsstrategien bedeutet das, dass informelle Tätigkeiten und Nebenjobs kaum in Betracht gezogen werden. Erwartet werden letztlich anspruchsvollere Integrationsangebote, mit denen eine längerfristige Perspektive und erträgliche Einkommen verbunden sind. Ansonsten reagieren diese Haushalte, freilich oft im Anschluss an die zahlreichen Erfahrungen, sich in den ersten Arbeitsmarkt nicht reintegrieren zu können, tendenziell mit Passivität.62
—————— 61 Zum Stellenwert des meritokratischen Prinzips als Chancenverteiler und legitimierendes Dogma im Ungleichheitsgefüge vgl. Kreckel (1992: 97). 62 Vgl. zum Umgang mit Arbeitslosigkeit und zu Bewältigungsstrategien Kronauer/Vogel/ Gerlach (1993), wo auch der Typ der nach langer Erwerbskarriere arbeitslos gewordene Facharbeiter dargestellt wird.
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Zwei Beispiele sollen das kurz erläutern. Bei den Zitaten handelt es sich um ehemalige Facharbeiter, die nach jahrzehntelanger Arbeit in Industriekombinaten ihre Arbeit verloren haben und von denen der erste nach einer Phase prekärer Tätigkeiten sich mittlerweile seit fünf Jahren ganz auf das Leben in Sozialhilfe zurückgezogen hat. Weder prekäre Beschäftigungen noch vom Arbeitsamt angetragene Qualifizierungsmaßnahmen versprechen ihm eine Perspektive auf Selbständigkeit, für die es sich einzig lohnte, wieder eine Arbeit aufzunehmen. Auch der anschließend zitierte Mann, der seit seiner Entlassung 1996 in abfolgenden ABM-Stellen arbeitet, ist von den staatlichen Angeboten enttäuscht, da im Rahmen der rechtlichen Regelungen, die für ihn gleichwohl eine zentrale Orientierungsfolie darstellen, nur ein sehr bescheidener Lebensstandard möglich ist. »Die haben mir eine Umschulung angeboten [das Arbeitsamt]. Na, als Bauhelfer. Ich hab n erlernten Beruf, ich hab ne abgeschlossene Schulbildung, und soll mich dann als Helfer umschulen lassen. Das ist keine Umschulung, das ist für mich ne Herabsetzung. Ja. Und da hab ich denen gesagt, ne, also, also, das geht nicht. Ja wenn sie das nicht wollen, müssen sie eben mit Sozialhilfe eben leben. Und da dümpelst du dann so rum. (...) Haben sie denn irgendwelche Nebenverdienste? Hab ich mir noch nie irgendwelche Gedanken drüber gemacht. Aber ich mein, wenn ich zum Sozialamt gehe und sag, noch Job und Dazuverdienst, müssen sie Sozialhilfe runter fahren. Und das sehe ich dann nicht ein. Ich mein, wenn, dann will ich auch mein Geld verdienen und mein, will mein Zeug selber bezahlen, und dann ist gut. Und dann müsste das so gewährleistet sein oder geregelt sein, dass ich nicht nach einem halben Jahr wieder dastehe und sage hier, ich brauche wieder Sozialhilfe. (...) Wie sieht denn bei ihnen ein typischer Tagesablauf aus? Steh um sechs, na um sechse nicht, um neune steh ich auf. Dann mach ich Frühstück, dann geh ich einkaufen oder so, irgendwas mach ich. Oder eben so bleib ich auch mal hier liegen und Fernsehen gucken, wenn nichts anderes läuft. Wie gesagt mal zum Kumpel gehen oder so. Immer so dahin leben, einfach so, vor sich hin leben.« (50, m., arm, EN03-16) »Haben sie denn die Möglichkeit, sich noch was dazu zu verdienen? Ja, das ist ja nun das, was sie nicht dürfen. Auf dem ersten Arbeitsmarkt könnte ich nebenbei, aber sobald ich noch die ABM als zweites Verhältnis haben würde, wär alles weg. Das ist das Traurige. Schön wär das, aber das dürfen sie leider nicht. Frau macht in Bobbau, da ist doch das große Kaufhaus da hinten, da kann sie sich noch was nebenbei verdienen. Sie darf aber pro Tag nur zwei Stunden. Wenn sie z.B. jetzt 2 und ¼ machen würde, würden sie ihr sofort ihre Arbeitslosenhilfe sperren. Jetzt hat sie raus im Monat 275 Mark. Sie hat mehr, aber das andere zieht alles das Arbeitsamt ein. Ich muss es jetze so sagen, sie werden, von zwei Seiten werden sie bestraft. Sie dürfen eben bloß so und so viel im Monat haben.« (57, m., arm, WN01-20)
Die Haushalte mit improvisierenden Strategien legen dagegen teilweise ein hohes Maß an Aktivität und Findigkeit auch in informellen Feldern der
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Lebenssicherung an den Tag. Die Kompetenz zur Improvisation, die sich im Alltag in vielfacher Weise niederschlägt, haben sie offenbar im Verlauf ihrer Biographie erlernt, da sie entweder irreguläre Erwerbsbiographien durchlaufen haben oder bereits lange in Armut leben. In nicht wenigen Fällen ist eine Herkunft aus dem traditionslosen Arbeitermilieu erkennbar, und die biographischen Schilderungen legen nahe, dass die Akteure bereits in der Kindheit mit Improvisationstechniken vertraut gemacht wurden. Allerdings haben auch die ImprovisiererInnen oft Facharbeiterbriefe erworben, weshalb sie nach der Definition von Vester et al. (2001) nicht ohne weiteres einem traditionslosen Arbeitermilieu zugerechnet werden können. Insgesamt ist es weniger die Qualifikation als die Stetigkeit der Erwerbskarriere und die Dauer der Armutsphase, die sie von den Haushalten mit formellen Strategien unterscheidet.63 Dass die Kompetenz der Improvisation erlernbar ist, macht das folgende Beispiel deutlich. Diese alleinstehende Frau, die bis zur Wende als Facharbeiterin in einem Industriebetrieb gearbeitet hatte und deren Vater als Ingenieur beschäftigt war, lebt zum Zeitpunkt des Interviews knapp 14 Jahre in Prekarität und Armut. In dieser Zeit hat sie eine Vielzahl an Tätigkeitsfeldern erschlossen, mit denen sie neben den Einkünften aus Witwen-, Wohngeld und gelegentlichen Qualifizierungsmaßnahmen ihren mittlerweile extrem geringen Lebensunterhalt sichert. An eine Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt glaubt sie ebenso wenig mehr wie die zuletzt zitierten Facharbeiter. Sie verlässt sich aber auch nicht mehr allein auf die staatlichen Integrationsleistungen, sondern sie hat sich mit diversen ehrenamtlichen Tätigkeiten, bei denen immer auch Güter oder Entlohnungen für sie abfallen, und aktiver Netzwerkarbeit weitere Möglichkeiten des Überlebens erschlossen: »Wie sieht den bei ihnen so ein Alltag aus? Ich steh schon halb sechs rum auf. Um sechs arbeit ich schon. Na steh halt um halb sechs auf, mach das alles soweit fertig, Frühstück und alles, dann ist um sechs. Dann geh ich los
—————— 63 Hierin könnte eine Besonderheit Ostdeutschlands bestehen, da, wie bereits gezeigt (vgl. 1.3), in der DDR die Qualifizierung der ArbeiterInnen einen hohen Stellenwert besaß. Die Unterscheidung formeller und improvisierender Alltagsstrategien und die jeweilige Bedeutung der sozialen Laufbahnen und der Herkunft bestätigt ansonsten weitgehend die bei Vester et al. (2001; 1995) explizierte Differenzierung traditioneller und traditionsloser Arbeitermilieus, die sich, mit anderer Terminologie, auch in der französischen Forschung zu Alltagsstrategien findet (vgl. Paugam 1991: 183ff.). Eine Erklärung unterschiedlicher Alltags- und CopingStrategien primär aus der materiellen Situation der Haushalte heraus, wie es in der MarienthalStudie hinsichtlich der vier so genannten Haltungstypen geschieht (Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel 1978: 93ff.), kann gegenüber einer Erklärung durch die sozialen Flugbahnen sicherlich nur Teilaspekte abdecken. Besonders unzureichend und problematisch erscheint eine Erklärung unterschiedlicher Coping-Strategien durch die Wertorientierungen der Akteure, wie sie in der »dynamischen Armutsforschung« vorgenommen wird (vgl. Leibfried et al. 1995: 176ff.).
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hier, hol mir ein Karton, wo ich jetzt die Sachen reintue für Osteuropa, weil ja die Lebenshilfe noch kommt, die holen dann immer die Sachen noch ab. Und na ja, dann mach ich die Sachen erst mal zurecht, die ich in den Kartons geholt hab. Stell ich die hin, da geht in die einen Schuhe, in die anderen Textilien, in die anderen Schirme, und alles was kaputt ist, wird dann repariert. Meistens bis Mittag. So und dann mach ich mir dann mein Mittag, meistens eine Beutelsuppe so für 39 Cent, dann kommen noch ein paar Nudeln rein. Oder wenn ich meinetwegen mal Makkaroni mache, da gibt’s Tomatensoße. Da kann man ja die Nudeln noch mal aufbereiten. Na und dann fang ich an meinetwegen hier, so mit den schriftlichen Sachen, was so alles ist, oder meinetwegen mit Reparaturen fang ich schon an. Dann die Wandergruppe. Machen wir wandern oder schwimmen oder Kaffeekränzchen machen wir dann. Und dann geht’s nachmittags zum Kaffeetrinken, und unterhält man sich auch noch mal. Na und dann mach ich wieder Reparaturen ab 18 Uhr, da geht dann das Telefon, und da mach ich dann Reparaturen ab 18 Uhr bis 22 Uhr, Uhren, Puppen. Dann hobel ich und strick ich. Ja und dann zwischendurch Telefon bis 22 Uhr [Telefonberatung], manchmal auch 24 Uhr. Zwischendurch rufen sie an hier, morgen kommst du hier, und dann bin ich dann immer schon um sieben Uhr da und mach denen dann die Haushaltsauflösung. Oder dass einer im Krankenhaus liegt, du, dass man da die Sachen holt und die Wohnung in Ordnung macht und so was. Kommt jeden Tag was anderes. (...) Wochenende ist das gleiche, da mach ich auch, da arbeite ich genauso.« (53, w., arm, EN03-17)
Lebensweltliche versus institutionelle Exklusionseffekte Die Frage, welchen Einfluss die Alltagsstrategien auf die Exklusionsdynamiken bei den Typen haben, führt zu einem uneinheitlichen Ergebnis: Tragen bei den jungen Erwachsenen improvisierende Strategien zur Dynamik des HängenBleibens bei, sind es bei den Älteren gerade die formellen Alltagsstrategien, die zur Isolation und Entfremdung beitragen. Bei den zwei anderen Typen scheinen die Effekte der Alltagsstrategien sogar vernachlässigbar, da sich unter ihnen sowohl Akteure mit ausgeprägten formellen als auch mit improvisierenden Strategien finden. Gleichwohl zeigt eine genauere Betrachtung doch durchgehende Muster. So hilft die Strategie der Improvisation vor allem, soziale Deprivationen abzumildern, und ImprovisiererInnen erweisen sich als bessere StrategInnen bei der Knüpfung und Nutzung von sozialen Netzwerken. Allerdings stellen improvisierende Strategien kein wirksames Mittel dar, die multiplen Deprivationen langfristig zu überwinden. Die Älteren des Typs Isolation und Entfremdung lassen sich in ihren Alltagsstrategien als formell charakterisieren. Auch auf sie trifft der Laufbahneffekt zu, nach einer stetigen Erwerbskarriere einen sozialen Abstieg erfahren zu haben, den sie subjektiv allerdings nicht unbedingt als Abstieg wahrnehmen. Ihre Alltagsstrategien richten sich nun nicht mehr auf eine Reintegration
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in Erwerbsarbeit. Auch jenseits des Rentenbezugs lassen sie keine Anstrengungen erkennen, ihr Einkommen aufzustocken. Ihre formellen Alltagsstrategien kommen auch darin zum Ausdruck, sich gegenüber dem neu etablierenden sozialen Milieu in ihrem Umfeld zu distanzieren und die alte Ordnung des Hauses gegen die neue verteidigen zu wollen. Aus ihrer eingeübten Disziplin und Ordnung wollen oder können sie nicht heraustreten, und ihre Entfremdung ist nicht zuletzt ein Ausdruck des Unverständnisses gegenüber Entwicklungen, die ihrem Vertrauen in gesellschaftliche Rechtmäßigkeit und Ordnung widersprechen. Kurz, das Verharren und die Tendenz zum Rückzug wird bei diesem Typ auch aus den formellen Strategien heraus verständlich, die insofern zur Exklusionsdynamik und den sozialen und kulturellen Deprivationen beitragen. Beim Typ Hängen-Bleiben tragen dagegen die improvisierenden Alltagsstrategien zur Exklusionsdynamik bei. Während der Phase der Cliquenintegration verhält es sich noch so, dass die Vernachlässigung oder Opposition zu den formellen Strategien mit einer Vielfalt sozialer Beziehungen einhergeht. Langfristig homogenisieren sich aber die sozialen Netzwerke. Erst einmal scheinen diese jungen Erwachsenen keine ausgesprochenen ImprovisiererInnen zu sein. Zumindest lässt ihre soziale Herkunft – die Haushaltsvorstände der Eltern sind in zwei Fällen Angestellte und in den zwei anderen Facharbeiter – nicht auf eine früh vermittelte Kompetenz der Improvisation schließen. Es ist davon auszugehen, dass die improvisierenden Strategien erst im Zusammenhang mit der Cliquenintegration ausgebildet und insbesondere dann subjektiv bekräftigt werden, wenn sich die Chancen auf formelle Integration durch wiederholte Ablehnungen von Bewerbungen als gering erweisen. Überhaupt sind die Netzwerkbildung und die gegenseitigen Hilfen in der Nachbarschaft als Elemente einer Improvisationsstrategie zu bezeichnen, die allerdings bei vielen der armen und prekären Haushalte mit ansonsten formellen Strategien zusammengeht. Wie gesagt überlagern sich bei den Akteuren stets beide Strategien, und auch zeitlich können sie sich ablösen. So berichtet der zweitälteste unter den hängen-bleibenden jungen Erwachsenen, auf Drängen seiner Großmutter jetzt wieder mit Bewerbungen beginnen zu wollen. Ihm ist klar, dass einzig formelle Strategien seine Lage verändern können, wobei allerdings die Fähigkeit, auf diese umzustellen, mit den wiederholten Erfahrungen geringer Chancen zu schwinden scheint. Bei den erwachsenen Armen unter dem Typ Adaption gibt es sowohl Haushalte mit ausgeprägten Improvisations- wie mit stärker formellen Strategien. Beide Strategieformen können mit einer Adaption an die Armut verbunden sein. Die Befunde sprechen dafür, dass im Zuge der Adaption improvisierende Techniken bei den Akteuren zunehmen, dass sie erlernt und übernommen
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werden, wofür die Netzwerkbildung paradigmatisch ist. Konstitutiv ist für die meisten Haushalte wiederum die Erfahrung, nur sehr geringe Chancen auf eine reguläre Beschäftigung zu haben. Formelle Strategien, die sich bei den Akteuren im Verlauf der Zeit in Verhaltens- und Planungsgewohnheiten niederschlagen haben, werden vor allem deshalb zurückgestellt – auch wenn sie in der Alltagsgestaltung als inkorporierte Gewohnheiten überdauern, die an Sinn verlieren. Die Akteure mit ausgeprägten Improvisationstechniken verfügen bereits über einen kompetenteren Umgang mit sozialen Netzwerken. Sie legen eine hohe Sensibilität für die Nutzen und Nachteile von Kontakten an den Tag, eine instrumentelle Perspektive auf soziale Beziehungen erscheint für sie selbstverständlich. Vor Fehlinvestitionen oder einer Ausnutzung durch andere sind sie so eher gefeit als die Akteure mit formellen Strategien, die mit einem unbedingteren Verständnis von Freundschaft ihre sozialen Kontakte knüpfen oder pflegen. Doch auch die höhere Sensibilität für das instrumentelle Element der Sozialbeziehungen schützt die ImprovisiererInnen nicht vor den Konfliktund Eigendynamiken in eng geknüpften Netzwerken. Auch ImprovisiererInnen tätigen Fehlinvestitionen, wie ein anders gelagertes Beispiel des Typs Erzwungene Mobilität verdeutlicht. Unter den Haushalten dieses Typs finden sich ebenfalls beide Strategieformen, wobei insbesondere die kinderreiche Frau, die selber aus einer kinderreichen Unterschichtsfamilie stammt, über beeindruckende Improvisationsfähigkeiten verfügt. Dennoch landet sie bei ihrer Flucht vor unerträglichen Nachbarschaftsverhältnissen wiederum in der selben Situation, obwohl man unterstellen kann, dass sie über einen ausgeprägten Sinn für die Schwierigkeiten des Zusammenlebens in den Milieus der Armut und Prekarität verfügt. Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass sich im lebensweltlichen Kontext des Quartiers improvisierende Alltagsstrategien für die armen und prekären Haushalte als nützlicher erweisen. Formelle Strategien implizieren im Grunde eine Distanzierung von den benachteiligten Milieus, und sie verbinden sich etwa bei den Jugendlichen nicht zufällig mit der Perspektive, aus der Siedlung wegziehen zu wollen. Sind institutionenbezogene Strategien der Bildungsinvestition und disziplinierter Arbeit letztlich die einzig aussichtsreichen, wenn auch nicht notwendig erfolgreichen Mittel, sich auf dem ersten Arbeitsmarkt zu etablieren und Armut zu überwinden, so können sie im Quartierskontext zu einem Verlust an Sozialbeziehungen führen und Abgren-
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zungen oder Diskriminierungen anderer auf sich ziehen.64 Gerade bezüglich der im Armutsviertel aufwachsenden Jugendlichen lässt sich mit Anderson (2000) davon ausgehen, dass eine entscheidende Kompetenz im Erlernen eines »code switching« besteht: Sie müssen sowohl die informellen als auch die formellen Strategien beherrschen und situationsbezogen umstellen können, wenn sie sich sowohl im Quartier als auch in der Gesellschaft behaupten wollen. Die Qualität der Situationen und Perspektiven ist im US-amerikanischen Armutsviertel zwar eine andere, der Mechanismus im Prinzip jedoch der gleiche: Das Risiko, im Quartier hängen zu bleiben, wächst mit einer einseitigen Übernahme informeller Strategien, während eine einseitige Übernahme formeller Strategien das Risiko des Außenseitertums bedeutet. Im Quartier stellen insbesondere die sozialen Netzwerke eine Ankoppelungsstelle für das Erlernen von Improvisationstechniken dar. Die Kontakte ergeben sich auch über die Einrichtungen in den Siedlungen, in denen so manche/r ImprovisiererIn durch ehrenamtliche Tätigkeiten gerade ihre entscheidende Ressource – soziales Kapital – zu bündeln versucht. Es ist bemerkenswert, dass die ausgeprägtesten ImprovisiererInnen im Sample sich als wenig ortsgebunden darstellen. In der Tat ist ihr Aktionsradius nicht auf das Quartier beschränkt, dort benutzen sie aber bestimmte Einrichtungen und haben wichtige Kontakte. Dass sie mit der vorgegebenen Ortsungebundenheit dem sonst engen Zusammenhang, der zwischen der subjektiven Bindung an das Quartier und den dortigen Kontakten sowie der Wohndauer besteht, widersprechen, drückt eine Haltung der Unabhängigkeit aus, die ihrem Lebensstil Attraktivität zu verleihen scheint. Diese Haltung artikuliert die bereits zitierte Frau auch gegenüber finanziellen Aspekten: »Ich komm ja so und so durch. Auch wenn ich jetzt kein Geld hätte, käm ich durch. Weil es liegt genug auf der Wiese, es gibt genug im Wald, wo man was draus machen kann.« (53, w., arm, EN03-17)
—————— 64 Zur Bedeutung des Widerspruchs bzw. des »Passungsverhältnisses« zwischen milieuspezifischen Alltagsstrategien und den Strategien, die in der Schule gefordert und prämiert werden, vgl. Grundmann et al. (2003; 2004). Der Gedanke ist hier, dass Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Milieus Alltagsstrategien in ihrer Lebenswelt als nützliche kennenlernen und übernehmen, die in der Schule zu Misserfolgen führen. Vgl. auch Bourdieu/Passeron (1971).
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Quartierseffekte Analytisch lassen sich Effekte, die im wesentlichen darin bestehen, das Leben in Armut und Prekarität unerträglicher zu machen, von den Auswirkungen des Quartiers unterscheiden, die Deprivationen vertiefen, prolongieren oder hervorbringen. Erstere bestehen beispielsweise in den gegenseitigen Stigmatisierungen und Konflikten des Zusammenlebens oder darin, in der Wohnung eines baulich vernachlässigten Blocks zu wohnen, wo es durch die Fensterscheiben zieht und die gemeinschaftlichen Güter kaum instandgehalten werden. Während solche Effekte nicht von der Hand zu weisen sind, ist es schwieriger, nachhaltige Wirkungen des Quartiers auf die Lebenslage und die Flugbahn von Haushalten nachzuweisen. Mittlerweile haben allerdings sowohl qualitative als auch quantitative Studien negative Einflüsse von Armutsquartieren auf die Lage der BewohnerInnen belegt, die beispielsweise in einer Verkleinerung der sozialen Netzwerke und des Aktionsradius sowie in einer zeitlichen Ausdehnung des Sozialhilfebezugs im Vergleich zu SozialhilfebezieherInnen in anderen Quartieren bestehen (vgl. Friedrichs/Blasius 2000; Farwick 2001; Häußermann 2003). Bei quantitativen Analysen besteht die Hauptschwierigkeit bei der Messung von Quartierseffekten in der Operationalisierung und Überprüfung der Haushaltsmerkmale im Verhältnis zu den Merkmalen und Einflüssen des lebensweltlichen Kontextes. Es bedarf genau konstruierter und operationalisierter Hypothesen darüber, worin entscheidende Merkmale des Quartiers bestehen und worauf sie einen Einfluss haben. Die von Friedrichs (1998) erstellte Synopse über internationale Forschungen zu Quartierseinflüssen zeigt, dass die meisten Studien unterschiedliche Einflüsse des Quartiers – etwa auf die Assimilation von Minderheiten, auf Schulverhalten, auf TeenagerSchwangerschaften – mit unterschiedlichen Hypothesen messen, so dass bezüglich der Frage nach den Effekten des Quartiers auf Armut und Exklusion mehr Forschungsdesiderate als -ergebnisse zu konstatieren sind. Ein Ergebnis, das die quantitative Forschung durchzieht, lautet, dass Haushalts- und Individualmerkmale deutlich signifikanter als Kontextmerkmale sind. Das verweist auf die ungebrochen zentrale Bedeutung, die Merkmale wie Bildung, Beruf, Haushaltsform und Ethnizität für Armut und Ausgrenzung haben (vgl. Groh-Samberg 2004). Gleichwohl kann nur eine Aufschlüsselung der jeweiligen empirischen Operationalisierung und Verfahren den genauen Gehalt jenes Ergebnisses bestimmen. Insgesamt sprechen zwei Gründe dafür, dass die quantitativen Analysen Individual- und Haushaltsmerkmale gegenüber den Kontextmerkmalen überschätzen: erstens, weil traditionell quantitative Surveys ihr Hauptaugenmerk auf Individual- und Haushaltsmerkmale legen
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und die Konstruktion von Kontextmerkmalen komplexer ist und, zweitens, weil Haushaltsmerkmale und Kontextmerkmale in der Realität interferieren, so dass in multivariaten Analysen die Effekte von Kontextmerkmalen bei Kontrolle der Individualvariablen abgeschwächt werden oder verloren gehen. Auch in der vorliegenden Studie bestätigt sich der zentrale Einfluss von Merkmalen der Bildung, des Berufsstatus und der damit eng vermittelten materiellen Lage auf soziale Ausgrenzung. Außerdem zeigt sich, dass die Qualität der sozialen Nahbeziehungen sowie die damit relativ eng zusammenhängenden Haushaltsformen Einfluss auf die Exklusionsdynamiken haben. Die Betrachtung der Alltagsstrategien hat schließlich das ambivalente Resultat ergeben, dass formelle Strategien zu einer Verschärfung von Deprivationen im Quartier führen können, umgekehrt aber das einzig wirksame Mittel darstellen, soziale Exklusion zu überwinden. Auf Grundlage des Samples sind freilich nur begrenzt Aussagen darüber möglich, wie groß das jeweilige Gewicht der Haushalts- und der Quartierseffekte bei der sozialen Exklusion ist. Das Analyseverfahren, bei dem die Typen der Exklusion gewissermaßen den Navigator bilden, von dem aus induktiv und vergleichend Haushalts- und Quartierseffekte herausgearbeitet werden, ermöglicht aber, von den relativ konkreten Typen auf allgemeine Mechanismen und Faktoren zu schließen. Denn auch wenn soziale Exklusion im Quartier für unterschiedliche Bewohnergruppen verschiedene Gesichter hat und das Quartier je nach dem Status und der biographischen Situation von Haushalten andere Effekte zeigt, sind Mechanismen wirksam, die in anderen Konstellationen potentiell auch für andere Bewohnergruppen gelten.
Vier Mechanismen der Benachteiligung Die negativen Quartierseffekte sind vor allem in den sozialräumlich benachteiligten Milieus – der Armut, Prekarität und Migration – auszumachen, und sie treffen besonders statusschwache und abgestiegene BewohnerInnen. Darüber hinaus sind Haushalte mit fragilen Nahbeziehungen und langen Wohndauern für negative Quartierseffekte anfällig. Die vier Mechanismen Reduktion der Planungsfähigkeit, Konformitätsprinzip, institutionelle Diskriminierung und Ressourcenverlust werden der Reihe nach erläutert. 1. Eine Reduktion der Planungsfähigkeit ergibt sich bei unvorhergesehenen emotionalen und materiellen Belastungen, die die Lebensplanung beeinträchtigen und Planungsressourcen absorbieren. Besonders deutlich ist das beim Typ Erzwungene Mobilität der Fall. Da arme Haushalte angesichts
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ihrer Einkommenssituation eher kurzfristig ihren Alltag planen, führen kräftezehrende Ereignisse (erneuter Umzug, Konflikte mit Nachbarn, hohe Nebenkostenrechnung) schnell zu einer Überforderung der Planungskompetenz. Ein Extrembeispiel sind die Mietschuldner, die schließlich ihre Wohnung vor einer Zwangsräumung in einem desaströsen Zustand verlassen. Das Quartier kann zu einer zusätzlichen Belastung bei der Alltagsplanung von armen, aber auch prekären Haushalten werden. Werner Hübinger (1996) hat in Anschluss an das Ergebnis seiner Untersuchung, dass sich die Lebenslage finanziell prekärer nicht signifikant von der armer Haushalte unterscheidet, die Einkommenslage zwischen 50 und 75 Prozent des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens mit folgender Interpretation als »prekären Wohlstand« bezeichnet: Bei Haushalten in dieser Einkommenslage sei das alltägliche Ressourcenmanagement stets von der Gefährdung gekennzeichnet, bei unvorhergesehenen finanziellen Belastungen in Armut abzurutschen. Dagegen zeigt sich in dieser Erhebung, dass sowohl prekäre als auch arme Haushalte beschreiben, unvorhergesehene Ausgaben einkalkulieren zu müssen bzw. sich von dieser Perspektive in ihrer Planung gefährdet zu sehen. Die Prekarität der Planung ist mithin ein Phänomen, das keineswegs einer Lage des »prekären Wohlstands« vorzubehalten ist, sondern sowohl auf arme wie prekäre Haushalte zutrifft, und zwar insbesondere dann, wenn Einkommen aus mehreren Quellen kombiniert werden, was bei den RentnerInnen am wenigsten der Fall ist (vgl. Andreß 1999; Boettner/Tobias 1992).65 Egal ob die Haushalte stärker formelle oder improvisierende Alltagsstrategien verfolgen, geringe Einkommen führen generell zu kurzfristigen Planungshorizonten. Der finanzielle Mangel erzwingt eine Haushaltsdisziplin, die zwar nicht immer eingehalten wird, die aber so etwas wie »Gewohnheiten der Notwendigkeit« in der Lebensführung hervorbringt (Keller 1999: 129ff.). Unvorhergesehene Kosten oder emotionale Belastungen, die im Fall von hohen Nebenkostenrechnungen, Konflikten oder Diskriminierungen einen Effekt der Wohnlage darstellen können, stellen die materiell deprivierten Haushalte vor eine vergleichsweise hohe Herausforderung. Der Zwang, erneut umziehen zu müssen, bezeichnet einen besonders plastischen Fall, an dem
—————— 65 Lee Rainwater (1992) hat im Anschluss an das Ergebnis seiner Untersuchungen in den USA, dass sich die Lebenslage von Haushalten erst oberhalb von ca. 70 Prozent des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens signifikant von den Armutslagen unterscheidet, die Einkommenslage zwischen 50 und 70 Prozent als »soziale Armut« im Unterschied zur »ökonomischen« Armut« bezeichnet. Diese Bezeichnung trifft diese Lebenslage vermutlich besser.
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deutlich wird, dass die ohnehin geringen Planungsressourcen für längerfristige Projekte absorbiert werden von der Notwendigkeit, eine annehmbare Wohnung zu finden. 2. Das Konformitätsprinzip beschreibt einen Milieueffekt in den Quartieren, der sich insbesondere an den ersten beiden Typen der Exklusion beobachten lässt. Es bildet sich eine Gruppe, die sich gegenseitig austauscht und unterstützt, zusammen in den Tag lebt und eine Alltagspraxis entwickelt, die mit den formalen Anforderungen der Integration kollidiert. Für die Integration in die Gruppe ist einerseits ausschlaggebend, dass bei den Einzelnen bestimmte Dispositionen vorliegen und Anziehungskräfte – wie die von der Gruppe ausgehende Solidarität und die mit ihr verbundenen Unterstützungsleistungen – wirksam sind. Andererseits kommen bei der Integration Zwänge zur Geltung, die sich besonders an den Tausch von Gütern und Diensten knüpfen und sich etwa darin ausdrücken, ein hohes Ausmaß an Zeit für die Gruppe aufbringen und Verhaltensweisen adaptieren zu müssen. Der Begriff des Konformitätsprinzips wird von Bourdieu (1992) bei der Beschreibung der unteren Sozialklassen verwendet. Es bezeichnet eine Art gegenseitiger Kontrolle, im Lebensstil und den nach außen getragenen Ansprüchen nicht aus dem Herkunftsmilieu auszubrechen. Angelehnt an diese Konzeption wird der Begriff hier enger gefasst, indem er nicht auf das gesamte Arbeitermilieu, sondern primär auf die Netzwerke der ersten beiden Typen bezogen wird, in denen eine hohe Interaktionsdichte besteht. Es ist aber davon auszugehen, dass diese Cliquen und Netzwerke einen normativen Effekt oder Druck auch auf andere BewohnerInnen ausüben. Das gilt insbesondere für die Cliquen der Jugendlichen, die im Umfeld der Siedlungen präsent sind und in eine Konfrontation mit den Lebensstilen anderer Cliquen und BewohnerInnen treten. Die Übernahme bestimmter Verhaltensweisen, die Anerkennung von Regeln und Hierarchien in den Gruppen und auch das Erlernen improvisierender Strategien können nicht als Entstehungsprozess einer eigenen Kultur verstanden werden. Das entscheidende Argument gegen das Konzept einer »Kultur der Armut«, das unter Rekurs auf Oscar Lewis (1966) oft auf die Lebenswelten unterer Sozialschichten angewendet wird, hat Wilson (1997) empirisch detailliert nachgezeichnet: Die zentralen Wertorientierungen armer Haushalte sind mit denen anderer Bevölkerungsgruppen identisch. Angesichts restringierter Chancen und Gelegenheitsstrukturen werden jedoch andere Wege beschritten und Verhaltensweisen adaptiert, diese zu verwirklichen. Viele jüngere ethnographische Studien aus den USA, Frankreich oder Deutschland bestätigen
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das. 66 Selbst wenn bestimmte Orientierungen wie beispielsweise die auf Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt bei Chancenlosigkeit zurückgestellt werden, hat das keine Entwicklung anderer Werte zur Folge. Wie gezeigt orientieren sich beispielsweise die arbeitslosen FacharbeiterInnen mit formellen Strategien am Wert der Selbständigkeit, selbst wenn sie diese nicht mehr realisieren können. Und auch Resignation ist Ausdruck des erlebten Widerspruchs zwischen den eigenen Ansprüchen und den bestehenden Möglichkeiten. Allerdings lässt sich behaupten, dass es in einem lebensweltlichen Kontext eingeschränkter ökonomischer Chancen sowohl aus instrumentellen als auch kulturellen Gründen zu einer höheren Investition in soziale Beziehungen kommt. Die Netzwerke der ersten beiden Typen zeichnen sich wiederum durch eine besonders starke Investition in soziale Beziehungen aus. Es entsteht eine Alltagspraxis, bei der andere Orientierungen wie die nach Partnerschaft, Ausbildung oder Beruf zurückgestellt und zumindest phasenweise durch die Solidarität und Unterstützung in der Gruppe kompensiert werden. Die Konflikte im Zuge des Auflösungsprozesses der Jugendcliquen sowie in den Netzwerken der erwachsenen Armen zeugen aber davon, dass Mitglieder der Gruppe ihre anderen Orientierungen immer wieder geltend machen und Vorrang gegenüber der Gruppe geben. Die Netzwerke bleiben fragil und konfliktreich, und das umso mehr, je weniger attraktiv der von ihnen praktizierte Lebensstil auf Dauer ist. Entsprechend erfüllt das Konformitätsprinzip die Funktion, Stabilität und Dauerhaftigkeit in den Gruppen herzustellen. Für das Konformitätsprinzip ist weniger das Verhalten und der Einfluss einzelner Personen als die Struktur und Dynamik der Gruppe entscheidend. Zwar haben bestimmte Personen gerade in den Jugendcliquen stärkeren Einfluss als andere, da sie die Regeln und Praktiken am besten beherrschen und in den internen Hierarchien oben stehen. Oft sind es die Älteren, die das Sagen
—————— 66 Vgl. für die USA Duneier (1999), Anderson (2000), Newman (2000), für Frankreich Lepoutre (1997), Avenel (1999), Oberti (1999), und für Deutschland Knecht (1999), Keim/Neef (2001a) und Groh/Keller (2001). Zwar benutzt Anderson gelegentlich den Begriff der Kultur, insbesondere den einer Oppositionskultur, er stellt aber heraus, dass die GhettobewohnerInnen nahezu ausschließlich als »decent« zu charakterisieren sind. Sein Hauptaugenmerk gilt der für sie unumgänglichen Konfrontation mit bestimmten Verhaltensweisen und Regeln im Ghetto, dem »code of the street«. Lepoutre wiederum benutzt in seiner Studie zu den Jugendlichen eines Pariser Vororts den Begriff der »culture des rues«. Ohne den Kulturbegriff genauer zu explizieren, lehnt er sich offenbar an ein praxeologisches Verständnis von Kultur an, denn bezüglich der Wertorientierungen stellt Lepoutre immer wieder die »Normalität« der Jugendlichen heraus. Sowohl Anderson als auch Lepoutre müssen sich den Einwand gefallen lassen, mit der unreflektierten Einführung des Kulturbegriffs den Ergebnissen ihrer Studien zu widersprechen.
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haben, was im Fall der Cliquen des Typs Hängen-Bleiben impliziert, dass sie ein besonderes Interesse daran haben dürften, ihren alternativen Lebensstil als »role model« durchzusetzen. Entscheidender als der Einfluss von Personen ist aber, dass von den Mitgliedern der Netzwerke bestimmte Investitionen getätigt und Regeln beachtet werden müssen, um die Anerkennung und Unterstützung durch die Gruppe zu erfahren: Für die anderen da zu sein, wenn sie einen brauchen, sich zu bestimmten Zeiten zu treffen, zusammen Zeit zu verbringen und andere Dinge, wie ein gewissenhaftes Verfolgen formeller Strategien, zurückzustellen. Nicht das Erlernen improvisierender Strategien ist ja an sich benachteiligend, sondern das Verlernen des Umstellens auf formelle Strategien. Sicherlich spielt auch eine Opposition gegen das formelle Prinzip, gerade wiederum in den Jugendcliquen, eine Rolle bei den Gruppendynamiken. Anders als bei Willis kann aber auch hier nicht von einer Widerstandskultur die Rede sein, denn selbst wenn beispielsweise der Wert gegenseitiger Solidarität gegen den individueller Leistung gehalten wird, haben die Gruppen nicht die Macht, diesen Wert dauerhaft zu praktizieren und umzusetzen. 3. Ein dritter Mechanismus besteht in den Formen institutioneller Diskriminierung, die sich mit dem Wohnquartier verknüpfen. Durch die abgestufte, klassifizierende Zuweisungspraxis seitens der städtischen Ämter und Wohnungsgesellschaften und die Konzentration von Infrastruktur für benachteiligte Schichten (Regel- und Sonderschule, karitative Einrichtungen) sowie Einrichtungen für Alte und Behinderte wird die Adresse zu einem Stempel der Benachteiligung. Das zieht Praktiken weiterer institutioneller Benachteiligung nach sich: Vernachlässigung der Ärmsten durch die Wohnungseigentümer (keine Sanierung und Reparaturen), Abwälzung von Kosten (durch die Heizungs- und Strombetriebe), Kategorisierungen für Maßnahmen auf dem zweiten Arbeitsmarkt (durch das Sozialamt), Nachteile bei der Lehrstellenvergabe (durch die Betriebe). Bereits die frühe Studie zu segregierter Armut von Vaskovics (1976) hat gezeigt, dass der schlechte Ruf, der sich an ein Wohngebiet haftet, keineswegs nur bei anderen Städtern handlungsrelevante Vorurteile gegenüber den BewohnerInnen produziert. Auch die Personen in den Verwaltungen und Institutionen entwickeln Vorurteile, die handlungsanweisend werden, selbst oder gerade dann, wenn jene mit dem Duktus auftreten, es gebe in den Gebieten keinerlei Probleme. Tatsächlich wird die institutionelle Diskriminierung bei den professionellen Akteuren meist mit subtilen Argumentationsmustern begründet. Gomolla/Radtke (2002) beschreiben das am Beispiel des Schulsystems. Hier werden Übergangsempfehlungen von der Grund- in die Hauptschule z.B. damit legitimiert, dass eine mangelhafte Sprachkompetenz den
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SchülerInnen zwar nicht sofort, aber doch in einigen Jahren Probleme bereiten würde. Da Sprachkurse schwerpunktmäßig in Hauptschulen verankert sind, gibt die institutionelle Ordnung ein weiteres Argument vor, sprachschwache Kinder in diese Schulform zu überführen. Die Art der Organisation und Vernetzung von Institutionen erweist sich als ein wesentlicher Faktor bei der Gestaltung von Lebenschancen benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Wie die Interviews mit den ExpertInnen aus den städtischen Ämtern, Wohnungsgesellschaften und sozialen Einrichtungen ergeben, besteht die wichtigste Argumentation, benachteiligte Haushalte in die Siedlungen einzuweisen, darin, dass diese dort eine ihnen entsprechende Versorgungs- und Infrastruktur vorfinden. In umgekehrter Reihenfolge dient dieses Argument dazu, Einrichtungen für benachteiligte Gruppen in den Siedlungen zu konzentrieren. Der Trend ist in beiden Siedlungen eindeutig: Die Gymnasialschulzweige wurden geschlossen und verlegt, während Haupt- und Realschulzweige verblieben und eine Sonderschule – in einer Siedlung – hinzugekommen sind. Karitative Einrichtungen haben in den Siedlungen einen Schwerpunkt, darüber hinaus Einrichtungen für Alte und Behinderte. Die soziale Infrastruktur bietet bestimmten benachteiligten Gruppen in den Siedlungen wichtige Unterstützungen und Hilfen, und insgesamt ist immer noch eine Unterversorgung zu diagnostizieren, was zumal für die kulturellen Angebote zutrifft. Das Problem besteht nicht in den Angeboten als solchen, sondern in deren Konzentration gegenüber der restlichen Stadt, durch die sich eine institutionelle Vernetzung und Klassifizierungspraxis einspielt. Die Klassifizierungspraxis bezieht sich gerade auch auf die Abstufungen der Sozialstruktur innerhalb der Siedlungen, die zwischen Teilbereichen und Wohnungseigentümern verlaufen. Besondere Nachteile ergeben sich für die, die in den schlechtesten Bereichen wohnen: Wer in einer bestimmten Straße wohnt, erklärt der Leiter einer Wohnungsgesellschaft, erhält bei den Betrieben keine Lehrstelle. Zwar äußern nur wenige ExpertInnen sich derart direkt und drastisch. Aber schon diese wenigen Aussagen zeigen an, dass das Expertenwissen, das in den städtischen Ämtern, den sozialen Einrichtungen und Wohnungsgesellschaften über die internen Differenzierungen der Gebiete besteht, sowohl institutionell diffundiert, als auch diskriminierende Praktiken nach sich zieht.67 Am offensichtlichsten zeigt sich die diskriminierende Praxis bisher in der Zuweisung von Armen in die heruntergekommenen Bestände der Siedlung.
—————— 67 Ein wichtiges Moment bei dem Mechanismus der institutionellen Diskriminierung scheint im übrigen darin zu bestehen, dass sich die Akteure einer Institution auf die Praxis und Handlungszwänge jeweils anderer Institutionen berufen und dabei die Verantwortung über die Folgen ihrer Entscheidungen von sich weisen können.
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Über diesen Gebäuden kreist mittlerweile entweder die Abrissbirne oder sie sind von Desinvestition und der Ungewissheit gekennzeichnet, was aus ihnen wird. An die Desinvestition schließen sich hohe Nebenkosten an, oder die Versorgungsbetriebe fahren Leistungen in den Gebäuden zurück, wenn sie die Kosten für Heizung und Strom mehrfach nicht erstattet bekommen. In zwei Interviews berichten BewohnerInnen, kurz nach ihrem Einzug extrem hohe Stromrechnungen erhalten zu haben, was die Hypothese nahelegt, dass die Betriebe versuchen, ungezahlte Rechnungen umzuverteilen. Deutliche Anzeichen für Diskriminierungspraktiken auf dem zweiten und ersten Arbeitsmarkt lassen sich ebenfalls den Experteninterviews entnehmen. Genauer zugeschnittene Untersuchungen müssten hierzu jedoch weitere Einsichten liefern. 4. Schließlich äußern sich die beschriebenen und weitere Quartierseffekte in einem Verlust an Ressourcen. Materielle Ressourcen werden etwa durch hohe Wohnnebenkosten, die insbesondere in den unsanierten und von hohen Leerstand geprägten Gebäuden anfallen, reduziert. Soziale Ressourcen schrumpfen durch die Homogenisierung und Verkleinerung von Netzwerken. Kulturelle Ressourcen schließlich verkleinern sich durch Dequalifizierung, kulturelle Monotonie und rechtliche Deprivationen. Die Mechanismen der Einschränkung der Planungsfähigkeit, des Konformitätsprinzips und der institutionellen Diskriminierung wirken sich im zeitlichen Verlauf in einem Verlust von Ressourcen aus. Erläutert werden soll hier nur noch einmal der Verlust sozialer Ressourcen. Besonders deutlich zeigt er sich beim Typ Isolation und Entfremdung. Dabei besteht das wesentliche Merkmal, wodurch diese Älteren ihre sozialen Kontakte verlieren, in ihrer Immobilität. Denn während die Bekannten, FreundInnen und Verwandten aus der Siedlung wegziehen, verbleiben sie aufgrund ihrer subjektiven Bindung ebenso wie aufgrund ihrer geringen materiellen Ressourcen in der Wohnung. Die subjektive und objektive Gebundenheit an die Siedlung lässt sich als das charakteristische Merkmal auch anderer Haushalte identifizieren, die vom Verlust sozialer Ressourcen betroffen oder bedroht sind. Wie gezeigt ergibt sich die subjektive Bindung aus der Wohndauer und den (früheren) sozialen Kontakten, während die objektive Bindung neben den materiellen Ressourcen durch Merkmale der Ethnizität, des Kinderreichtums etc. bestimmt wird, die die Chancen auf dem Wohnungsmarkt wesentlich beeinflussen. Das größte Risiko, soziale Ressourcen zu verlieren, besteht mithin bei Personen mit objektiver und subjektiver Bindung an die Siedlung, wie sie sich auch, bei aller subjektiven Ambivalenz, für den Typ der jungen Erwachsenen diagnostizieren lässt. Aufgrund kürzerer Wohndauern ist unter dem Typ Adaption die subjektive Bindung teilweise geringer als bei den jüngeren Exkludierten. Gleichwohl
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gilt, was für den Typ Adaption herausgestellt wurde, auch für andere statusschwache BewohnerInnen, die dauerhaft in den benachteiligten Sozialräumen der Siedlungen leben: Ihre Kontaktchancen bewegen sich tendenziell zwischen der Alternative einer Homogenisierung der Netzwerke oder einer Isolation.
Schutzraum oder Ghetto? Unter welchen Bedingungen üben benachteiligte Quartiere stärker negative Effekte auf die BewohnerInnen aus oder stellen umgekehrt Ressourcen der Lebensbewältigung bereit? Als Ressourcen, die ein Quartier zur Verfügung stellen kann, lassen sich die sozialen Netzwerke, die Infrastruktur und Arbeitsgelegenheiten benennen (vgl. Herlyn/Lakemann/Lettko 1991). Zwei jüngere Studien zu benachteiligten Quartieren in Berlin und Westdeutschland haben herausgestellt, dass die dort vorhandenen Ressourcen eine ambivalente Wirkung auf das Leben der armen BewohnerInnen ausüben. Die Quartiere stellen nur wenige Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung. Es existieren primär informelle oder gering bezahlte Beschäftigungen, und das um so mehr, je vielfältiger die Infrastruktur in den Siedlungen ist. Mit den sozialen Netzwerken verbinden sich neben gegenseitigen Unterstützungsleistungen auch Informationen in Hinblick auf die informellen Betätigungsfelder. Kurz, die Netzwerke, Infrastruktur und Arbeitsgelegenheiten im Quartier stabilisieren zwar die Lebenslage der benachteiligten Haushalte, sie bieten ihnen aber umgekehrt nur wenig Perspektiven für einen Aufstieg (vgl. Keim/Neef 2000a; Kapphan 2002). Das Ergebnis trifft auch auf die beiden untersuchten Siedlungen zu. Arbeitsplätze bieten insbesondere die kommerzielle und soziale Infrastruktur. Dabei stehen in Bereichen des Handels, des Gaststättengewerbes und der Gebäudereinigung meist gering bezahlte und Teilzeitbeschäftigungen und in den sozialen Einrichtungen überwiegend durch das Arbeits- oder Sozialamt geförderte, befristete Stellen zur Verfügung. Ansonsten bieten sich in WolfenNord ABM- und Maßnahme-Stellen im Zusammenhang mit dem Abrissprozess. Besonders in dieser größeren, eine vielfältigere Infrastruktur aufweisenden Siedlung zeigt sich bei der sozialen Infrastruktur ein deutlicher Trend zur Prekarisierung der sozialen Arbeit. Abgesehen von diesen dürftigen Effekten der Infrastruktur auf Beschäftigungsperspektiven ist aber zu konstatieren, dass von der Infrastruktur positive Auswirkungen auf das Zusammenleben in den Siedlungen ausgehen. Mit den sozialen und kommerziellen Einrichtungen entstehen öffentliche und
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halböffentliche Räume. Es ergeben sich Treffpunkte, die in einem Milieu um so wichtiger sind, in dem der Großteil keiner regulären Beschäftigung nachgeht und viel Zeit in der Siedlung verbringt. Zwar handelt es sich um ein sozialpolitisch nicht zu akzeptierendes Ergebnis, und aus der Perspektive der SozialarbeiterInnen ist es ein Grund für Frustrationen, aber von den sozialen Einrichtungen für Kinder, Jugendliche, Arme und Alte gehen unerlässliche Effekte für die Stabilisierung des Armutsmilieus aus. Noch die Supermärkte kehren deutlich die Qualität hervor, öffentliche Räume zu sein, in denen man anderen begegnen, sich betrachten oder unterhalten kann. Auch vor dem Hintergrund des Vergleichs der beiden untersuchten Siedlungen können auf Seiten der Quartiere und Kommunen zusammenfassend folgende Merkmale herausgestellt werden, die benachteiligende Effekte verstärken oder abschwächen: 1. die Konfliktintensität in den benachteiligten Milieus, die mit der Schärfe der internen Segregation, dem Ausmaß an administrierter Konzentration armer Haushalte und der baulichen Vernachlässigung der Gebäude steigt, 2. das Ausmaß der Konzentration von Armut, das, besonders unter den BewohnerInnen mit fragilen Nahbeziehungen, eine Netzwerkbildung befördert, in der zwar einerseits Solidarität und gegenseitige Unterstützung praktiziert werden, die andererseits aber zu einer Befestigung und Verschärfung von Deprivationen beiträgt, 3. die Art der kommunalen Interventionen (durch Stadt und Wohnungseigentümer), die durch ihre Politik der Belegung, der Sanierung, des Abrisses und der Infrastruktur umso mehr zu einer institutionellen Diskriminierung der BewohnerInnen beitragen, je stärker sie dem Argumentationsmuster folgen, dass die bedürftigen Haushalte in den Siedlungen gut aufgehoben sind, weil sie dort auch eine ihnen entsprechende Infrastruktur, Wohnqualität und Preisniveaus vorfinden.
Soziale und politische Perspektiven für die Plattenbausiedlungen
Ausgehend von einer Rekonstruktion des Integrationsmodells der Plattenbausiedlungen in der DDR wurde in dieser Arbeit gezeigt, dass die randstädtischen Siedlungen nach dem Mauerfall von einem Abstiegstrend erfasst werden, in dessen Zuge sich unterschiedliche sozialräumliche Milieus herausbilden. Der Prozess der internen Segregation und Verinselung wurde aus zwei Gründen einer eingehenden Analyse unterzogen. Einerseits lässt sich daran zeigen, wie sich die makrosozialen Ursachen des Abstiegs auf kommunaler Ebene niederschlagen und wie sie dort durch städtische Interventionen und Eigentümerstrukturen moderiert werden. Andererseits erweist sich die interne Segregation für die lebensweltliche Perspektive der BewohnerInnen als besonders einflussreich. Mit der Verinselung verbinden sich unterschiedliche Bezüge und Aneignungsformen der Siedlung, die in Konkurrenz zueinander treten. Durch die Aneignungen und Abgrenzungen der unterschiedlichen Milieus und Bewohnergruppen entsteht eine symbolische Topographie, die – durch die markierten Grenzen und Konfliktlinien – einen wesentlichen Einfluss auf die soziale Entwicklung der Siedlungen ausübt. Die Krise des Zusammenlebens und die Kämpfe um Respektabilität stellen einen Motor der sozialen Entmischung der Gebiete dar. Darüber hinaus bilden sie einen Faktor, der Exklusionsdynamiken anstößt, wie sie im zweiten Teil der Arbeit analysiert wurden. Anhand der vier Typen der Exklusion konnte gezeigt werden, dass und wie bestimmte Bewohnergruppen durch das Quartier zusätzlich benachteiligt werden. Neben einem geringen sozioökonomischen Status und einer benachteiligten Wohnlage stellen auch fragile soziale Nahbeziehungen ein Merkmal dar, das Haushalte für negative Quartierseffekte anfällig macht. In ihren Alltagsstrategien sind die benachteiligten BewohnerInnen mit einem Dilemma konfrontiert, dem sie nur durch ein situationsgerechtes Umschalten zwischen formellen und improvisierenden Strategien entgehen können. Während sie bei rein formellen Alltagsstrategien Gefahr laufen, im lebensweltlichen Kontext des Quartiers ausgegrenzt zu werden, verlieren sie bei einer Adaption an ausschließlich improvisierende Überlebenstechniken langfristig den Anschluss an eine gesellschaftliche Integration.
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Die herausgestellten benachteiligenden Mechanismen, vom Verlust der Planungsfähigkeit bis hin zur institutionellen Diskriminierung, beschränken ihre Wirkkraft zwar nicht auf die benachteiligten Quartiere und Milieus. Zweifellos entfalten sie hier aber eine besondere Intensität. Die Konzentration der Armut, so lässt sich als ein Resultat der Untersuchung festhalten, konzentriert auch die Mechanismen der Exklusion. Auch die Netzwerke und die Alltagsstrategien der BewohnerInnen bilden gegenüber diesen Mechanismen, die in erster Linie an Lagemerkmalen der Haushalte ansetzen, nur eine begrenzte Ressource. Am Ende der Untersuchung stellt sich die Frage, welche Entwicklungsperspektiven für die Plattenbausiedlungen bestehen, und wie diese durch politische Maßnahmen beeinflusst werden können? Die Ergebnisse sprechen dafür, dass die randstädtischen Plattenbausiedlungen auch zukünftig dem Trend einer Segregation unterliegen und sich die Prozesse sozialer Exklusion eher verschärfen werden. Die gegenwärtige Politik eines Teilabrisses der Siedlungen wird daran kaum etwas ändern. Auch wenn es Sinn macht, dauerhaft leerstehende Gebäude nicht der Verwahrlosung preiszugeben und durch Entdichtungen eine höhere Lebensqualität in den Siedlungen herzustellen, gehen rein bauliche Maßnahmen doch an den eigentlichen Problemen vorbei. Das Zukunftsszenario dürfte bei dieser primär wohnungswirtschaftlichen Gesichtspunkten folgenden Politik darin bestehen, dass die sozial benachteiligten Milieus später einmal in den Beständen wohnen, wo heute noch die angestammten Älteren und besser Situierten leben.68 Das eigentliche Problem der Plattenbausiedlungen ist, dass sie eine soziale Perspektive benötigen, die jenseits eines bloßen Wohnungssegments für untere soziale Schichten liegt. Um eine solche Perspektive zu entwickeln, müsste eine quartiersbezogene Politik mit einer Stadt- und Gesellschaftspolitik verknüpft werden, die den sozialen und städtischen Ungleichheiten auf einer makrosozialen Ebene entgegenwirkt. Unter Reflexion wesentlicher Ergebnisse der Untersuchung soll abschließend die Notwendigkeit dieser Verknüpfung begründet und Entwicklungsperspektiven der Siedlungen umrissen werden. Auf kommunaler Ebene müsste zunächst den steuerbaren Trends entgegengearbeitet werden, die die weitere Segregation der Armut bedingen. Dazu gehört in erster Linie eine Politik der sozialen Mischung, die eine Konzentration von armen Haushalten in den Siedlungen unterbindet. Sozial gebundene und preisgünstige Wohnungen müssten kleinteilig über die Stadt verteilt werden. Verbunden damit ist die Forderung einer Revitalisierung des
—————— 68 Vgl. zur Praxis des Rückbaus und zu Vorschlägen, wie dieser stärker mit sozialen Perspektiven verknüpft werden könnte Kabisch/Bernt/Peter (2004).
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sozialen Wohnungsbaus, die freilich auch in subventionierten Sanierungsmaßnahmen von Altbauten, dem Kauf oder Anmieten von Wohnungen durch die Stadt bestehen kann.69 Eine weitere dringende Maßnahme besteht darin, den Verkauf von Siedlungsbeständen an Eigentümer abzuwenden, die eine Desinvestitionsstrategie fahren. Die rechtlichen Auflagen zur Sanierung und Instandhaltung bei Privatisierungen bedürfen ebenso einer Stärkung wie die zivilrechtlichen Grundlagen gegen ein Herunterwirtschaften von Wohnungsbeständen. Die Geschichte der nordamerikanischen Städte wie auch westeuropäische Erfahrungen zeigen, dass die Entstehung einer derartigen Eigentümerstruktur sozial wie finanziell die nachhaltigsten Folgekosten mit sich bringt. Wenn die Armen in unwürdigen Wohnverhältnissen leben und darüber hinaus zur Spekulationsmasse werden, wachsen Zynismus und Rücksichtslosigkeit. Allerdings ist auch gegenüber den städtischen und genossenschaftlichen Eigentümern die Forderung zu formulieren, die Benachteiligten mit intakten Wohnungen zu versorgen. Neben der Vermeidung einer einseitigen Belegung und der Verbesserung der Wohnqualität müsste die Infrastruktur in den Siedlungen weiter entwickelt werden. Wie auch in anderen Studien gezeigt wurde, stellen gerade die Infrastrukturen in den Quartieren jene öffentlichen Räume her, in denen Zusammenkünfte und Bekanntschaften auf eine ungezwungene Weise entstehen können (vgl. Kapphan 2002). Für das Zusammenleben und die Attraktivität der Gebiete entfalten Einrichtungen wie (Internet-)Kaffees, Eisdielen, Schwimmbäder, Jugendclubs, Geschäfte, Seniorentreffs, Nachhilfegruppen, und Sportanlagen vermutlich die positivste Wirkung. Auch soziale Projekte und die Einrichtung von Quartiersfonds, bei denen BewohnerInnen über die Vergabe von Geldern für Wohngebietsprojekte entscheiden, wären zu fördern, wie es im Rahmen des Bund-Länder-Programms »Soziale Stadt« teilweise geschehen ist. Die städtische Segregation von benachteiligten sozialen Milieus stellt eines der letzten Glieder in der langen Kette gesellschaftlicher Marginalisierungsprozesse dar. Soziale Ungleichheiten, die primär auf dem Arbeitsmarkt produziert und von staatlichen Verteilungspolitiken überformt werden, übersetzen sich auf dem Wohnungsmarkt in räumliche Ungleichheiten. Dabei schlagen sich die makrosozialen Entwicklungen nicht unmittelbar im städtischen Raum nieder, sondern sie stoßen auf Quartiere, die ein soziales Eigenleben und eine Ge-
—————— 69 In jedem Fall ist die Bildung von objektbezogenen Belegungsrechten wichtig, da die subjektbezogene Förderung (Wohngeld oder Mietzahlung durch das Sozialamt respektive die Sozialagentur) die Segregation der Armut nicht verhindert.
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schichte haben, die ihnen Beharrungskraft verleihen. Der städtische Raum stellt insofern eine Art Filter dar, durch den hindurch gesellschaftliche Entwicklungen in die materialisierte Geschichte sozialer Praxis einsickern. Sind auf der Ebene der Quartiere einmal soziale Eigendynamiken angestoßen, die in Richtung eines grundlegenden Wandels weisen, ist es jedenfalls schwer, diesen Wandel durch lokale Maßnahmen zu stoppen. Eine quartiersbezogene Politik ist deshalb zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, für die Plattenbausiedlungen eine soziale Perspektive zu schaffen. Auch das Programm »Soziale Stadt«, das einen wichtigen und einen der wenigen Ansätze einer sozial orientierten Quartiersentwicklung in Deutschland darstellt, kann ohne die Rückkoppelung an eine Stadtund Gesellschaftspolitik, die das Programm einer sozialen Mischung und Umverteilung verfolgt, nur sehr wenig gegen die Tendenzen der Segregation und Exklusion ausrichten.70 Dafür sprechen beispielsweise die Erfahrungen in Frankreich, das mit den Niederlanden zu den europäischen Vorreitern bei der Installierung einer sozialen Quartiersentwicklung gehört. Hier ist in den 750 Quartieren (ZUS), die im Rahmen der »Politique de la ville« gefördert werden, die Arbeitslosigkeit in den 90er Jahren besonders stark angestiegen: Von 1990 bis 1999 nahm die Arbeitslosigkeit in den so genannten »zones urbaines sensibles« von durchschnittlich 19 auf 25,4 Prozent zu, während sie in sämtlichen anderen städtischen Gebieten vergleichsweise schwächer von 11,5 auf 14,3 Prozent kletterte.71 Gegenwärtig lassen sich breiter angelegte Reformvorhaben, die auf eine gesamtstädtische Desegregation und eine Umverteilung zur Bekämpfung der sozialen Ungleichheiten zielen, kaum erkennen. Der soziale Wohnungsbau ist seit den 80er Jahren nicht nur deutlich zurückgefahren worden. Das Anfang 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Wohnraumförderung, das den öffentlich geförderten Wohnungsbau auf Bundesebene regelt und das zweite Wohnungsbaugesetz von 1956 ablöst, verabschiedet sich auch explizit von dem Grundsatz, sozialen Wohnungsbau für »breite Schichten der Bevölkerung« herzustellen. Stattdessen soll sozialer Wohnungsbau nun zielorientiert für »einkommensschwache Haushalte« entstehen. Erstmalig wird aus den gesetzlichen Grundlagen damit das Leitmotiv der sozialen Mischung gestrichen, das Anfang des 20. Jahrhunderts in Reaktion auf die soziale Frage formuliert worden war.
—————— 70 Vgl. zum Programm »Soziale Stadt« Walther (2001), DIfU (2002a) und den Studienbericht (2004) »Soziale Stadt«. 71 Für die Vermittlung der Statistiken zu den »zones urbaines sensibles« im französischen Kontext bedanke ich mich bei Cyprien Avenel. Vgl. INSEE (2003: 1) und Fitoussi/Laurent/ Maurice (2003).
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Wie gezeigt, setzt sich auch in der Sozialpolitik der Kurs eines Leistungsabbaus und einer »Aktivierung« der armen und prekären Gruppen fort. Bezeichnenderweise kommt schon in dem ersten Armutsbericht der Bundesregierung von 2001, zu dem sich Deutschland auf dem Weltsozialgipfel von Kopenhagen 1995 verpflichtet hatte, die Idee einer Umverteilung kein einziges Mal vor. Als Rezepte gegen die zunehmenden Ungleichheiten werden vor allem eine wachstumsorientierte Finanz- und Wirtschaftspolitik, Maßnahmen der Qualifizierung und ein veränderter Familienlastenausgleich empfohlen (vgl. BMAS 2001: XVIIIff.). Die jüngst verabschiedeten Reformen, die durch die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenversicherung durchaus progressive Elemente enthalten, reihen sich in ihrer Umsetzung gleichwohl genau in die sozialstaatliche Tradition ein, die sie abzuschaffen vorgeben. Die Unterscheidung zwischen würdigen und unwürdigen Armen, die an der Wiege des neuzeitlichen Sozialstaates steht, bleibt bestimmend, und die Disziplinierung der als arbeitsfähig Klassifizierten wird verschärft. In den benachteiligten Milieus werden dadurch die Kämpfe um Respektabilität sicherlich an Intensität gewinnen, da hier der Status mit Bezug auf die Erwerbsbiographie und staatlich-rechtliche Verhältnisse legitimiert wird. Besonders für die benachteiligten Quartiere bedeutet das, dass bestehende Solidaritäten und Netzwerke einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt werden. Die absehbare Schwächung der Netzwerke der Armen und Prekären wird den Quartieren den Charakter eines Schutzraumes weiter entziehen und Dynamiken der Exklusion anstoßen. Nicht allein eine materielle Deprivation, sondern auch soziale Isolation und Stigmatisierung sind deren Fluchtpunkte. Gerade in der ostdeutschen Bevölkerung, die erst vor Kurzem die Erfahrung gemacht hat, wie ein gesellschaftliches System durch das starre Festhalten am Paradigma der Arbeitsgesellschaft zugrunde ging, könnten diese Reformen Déjà-vu-Erlebnisse auslösen. Die randstädtischen Plattenbausiedlungen haben sich innerhalb kurzer Zeit von fordistisch integrierten zu intern segregierten Quartieren entwickelt, in denen nur noch eine Minderheit in reguläre, das Haushaltseinkommen sichernde Erwerbsverhältnisse integriert ist. Gering bezahlte und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Qualifizierungsmaßnahmen und »Hilfe zur Arbeit« prägen ebenso wie ABM-Stellen und Arbeitslosigkeit den Alltag der benachteiligten Haushalte und Milieus, denen eine vergleichsweise glücklich aus dem Erwerbsleben ausgeschiedene Generation von Älteren gegenüber wohnt. Der vollständige Ausschluss von Arbeit und Qualifizierung bezeichnet viel mehr ein Privileg der Älteren, als ein Charakteristikum der armen Haushalte zu sein. Die Interviews mit den Personen, die sich eine improvisierende Überlebenstechnik angeeignet haben, zeigen darüber hinaus, dass auch
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erwerbslose Akteure einen beanspruchenden Arbeitsalltag absolvieren. Ein Sich-Fallen-Lassen scheint eher die Reaktionsform derer zu sein, die nach einer langen Erwerbsbiographie keinen Sinn mehr darin erkennen können, sich unter ihrer Qualifikation und für wenig Geld zu verdingen. Eher ist es die Erfahrung unwürdiger Arbeitsverhältnisse als eine diesen Arbeitermilieus innewohnende Träg- oder Faulheit, die auch Haltungen der Verweigerung hervorbringt. An Verweigerungshaltungen, die gegenüber den Sozialämtern zu empfindlichen materiellen Einbußen führen, schließt sich jedoch keine Entstehung anderer Werte und einer Kultur der Armut an. Die Erhebung hat erneut den Befund bestätigt, dass es für die abgestiegenen und armen Haushalte gerade charakteristisch ist, mit dem Widerspruch zwischen ihren Ansprüchen auf Integration und einer Lebensrealität mit geringen Chancen konfrontiert zu sein. Wenn diese Beobachtungen stimmen, dann ist in Zukunft damit zu rechnen, dass sich in den benachteiligten Milieus auch informelle Beschäftigungen stärker ausbreiten werden. Die Alternative, sich entweder für einen bescheidenen Lebensstandard unablässig zu engagieren und dabei in den sozialen Beziehungen zurückstecken zu müssen oder aber in informelle Tätigkeiten und Netzwerke einzusteigen, wird ausschließlicher. Daneben werden auch halbund illegale Tätigkeiten, in denen sich immer auch die Werte der Mehrheitsgesellschaft spiegeln, attraktiver. Die Einzelfälle extremer zwischenmenschlicher Gewalt, die bei den Erhebungen vorgefunden wurden, zeugen ebenso wie vereinzelte Hinweise auf Prostitution, Waffenhandel, Erpressung und andere Delikte davon, dass auch in deutschen Städten bald Viertel entstehen könnten, in denen die verbrämten Kehrseiten der kapitalistischen Ökonomie den Lebensunterhalt vieler sichern.72 Damit würde ein weiterer Qualitätssprung in den Lebensverhältnissen eingeleitet. Dieses Szenario zeigt aber auch, dass der Entwicklung einer sozialen Perspektive für die benachteiligten Quartiere Priorität eingeräumt werden müsste.
—————— 72 Vgl. etwa die Studie von Philippe Bourgois (2003), der die soziale Funktionsweise und Bedeutung der Drogenökonomie in einem US-amerikanischen Armutsviertel untersucht.
Anhang: Methode
Im Folgenden werden die Methode der Erhebung in Eisenach und Wolfen, das Sample, Auswertungsverfahren und weitere Forschungstätigkeiten zu den Plattenbausiedlungen dokumentiert. Am Ende wird der Leitfaden der Bewohnerinterviews wiedergegeben. Die Erhebung in Eisenach und Wolfen verlief in drei Wellen (1997 Eisenach-Nord, 2001 Wolfen-Nord, 2003 Eisenach-Nord). Befragt wurden zuerst ExpertInnen besonders aus der Wohnungswirtschaft, sozialen Einrichtungen und städtischen Ämtern (vgl. Tab. A.1). Anschließend wurden BewohnerInnen der Siedlungen mit unterschiedlichem materiellen Status (arm-prekär-gesichert) interviewt. Bei dem Auswahlverfahren handelt es sich um ein theoretisches Sampling 73 : Hauptorientierung war, zwei Drittel materiell arme und prekäre sowie ein Drittel gesicherte unter jeweils 30 Bewohnerhaushalten zu interviewen. Dem Auswahlverfahren lag die Hypothese zugrunde, dass materiell deprivierte stärker als nicht-deprivierte Haushalte von benachteiligenden Effekten des Quartiers getroffen werden. Die Vorgaben wurden weitgehend realisiert; für Eisenach liegt durch die Erhebung von 1997 ein umfassenderes Sample vor (vgl. Tab. A.2). Die Kontakte zu den BewohnerInnen wurden erstens über die ExpertInnen, zweitens über Information und Kontaktierung in den Häusern und drittens über Weitervermittlung durch BewohnerInnen hergestellt. Als am wichtigsten erwies sich der Zugang über die ExpertInnen (Wohnungswirtschaft und soziale Einrichtungen). Es wurde auf einen breit gestreuten Zugang zum Feld der BewohnerInnen geachtet (so wenig BewohnerInnen wie möglich über dieselbe Einrichtung respektive dasselbe Netzwerk).
—————— 73 Vgl. zum theoretischen Sampling Strauss (1998) und Flick (1996).
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ANHANG: METHODE
Tabelle A.1: Experteninterviews* Wohnungsunternehmen
Soziale Einrichtungen
Stadt
Schule, Kirche Anderes
EN 97
EN 03
WN 01
AWG (Leiter, Wohnungsvermittlung), SWG (Wohnungsvermittlung, Hausmeister), TLG/Präzisa (Hausmeister)
AWG (Leiter, Wohnungsvermittlung), SWG (Leiter, Wohnungsvermittlung), TLG (Verwalterin), Eichsfeld (Hausmeister)
AWG (Leiter), SWG (Leiter, Wohnungsvermittlung, Verwalterin, Hausmeister)
ASB (Leiterin, Verwalterin), Kindereinrichtung (Leiter), Jugendeinrichtungen (LeiterInnen und BetreuerInnen in zwei Clubs), Caritas (Familienbetreuerin)
ASB (Leiterin), Kindereinrichtung (Betreuerin), Jugendeinrichtungen (LeiterInnen und BetreuerInnen in drei Clubs), Caritas (Familienbetreuerin, Kinderbetreuer), Kulturarbeit (Leiterin)
Kindereinrichtung (Leiterin, Betreuerinnen), Jugendeinrichtungen (LeiterInnen und BetreuerInnen in drei Clubs), Rotes Kreuz/Kleiderkammer (Mitarbeiterinnen), Frauenhilfe (Leiterin)
Stadtplanungsamt (Leiterin), stellv. Oberbürgermeister, Pressestelle (Mitarbeiterinnen), Polizei (KOOB)
Stadtplanungsamt (Mitarbeiterin), Sozialamt (Leiterin, Mitarbeiterinnen), Jugendamt (Leiter, Mitarbeiterin), Polizei (KOOB)
Stadtplanungsamt (Leiter), Sozialamt (Leiter, Mitarbeiterin), Wirtschaft (Leiterin, Mitarbeiter), Aussiedlerheim (Leiter)
Schuldirektor, Pfarrer
Vizedirektorin Schule
Pfarrer EWN (Leiter, Mitarbeiterin, Quartiersmanager), Gewerkschaft (Vorsitzender, drei Mitglieder), Industriemuseum (Mitarbeiter)
Gewerbe- und Gründerpark (Leiter), Arbeitsamt (Leiter),
Interviews/ Personen
19/22
18/26
21/29
*Abkürzungen: AWG = Allgemeine-Wohnungs-Genossenschaft, SWG = Städtische Wohnungsgesellschaft, TLG = Treuhand-Liegenschaft-Gesellschaft, ASB = Arbeiter-SamariterBund, KOOB = Kontakt-Orts-Bevollmächtigter, EWN = Erneuerungsgesellschaft Wolfen-Nord
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Tabelle A.2: Die drei Erhebungswellen und die finanzielle Situation der befragten Haushalte* Samples EN 97 EN 03 WN 01 Gesamt
ExpertInnen 22 26 29 77
Haushalte (Personen) 30 (33) 22 (30) 29 (54) 81 (117)
Arm 7 12 11 30
Finanziell prekär 12 6 9 27
Finanziell gesichert 11 4 8 23
*Die Nettoäquivalenzeinkommen der Haushalte wurden nach den Gewichten der neuen BSHGSkala berechnet. Referenz sind gesamtdeutsche Einkommen, so dass für 1997 das durchschnittliche Nettoäquivalenzeinkommen bei 1020 Euro, für 2001 und 2003 jeweils bei 1100 Euro eingestuft wurde, da für 2003 noch keine Einkommensstatistik vorlag. 2001 und 2003 sind auch Vermögen respektive Schulden abgefragt worden, die ebenfalls berücksichtigt werden. Fast ausschließlich ergeben sich verstärkende Effekte: Haushalte in Armut geben Schulden, finanziell gesicherte dagegen Vermögen an. Arm: bis zu 50%, Finanziell prekär: über 50 und bis zu 75%, Finanziell gesichert: mehr als 75% des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens. EN 97 = Eisenach-Nord 1997, EN 03 = Eisenach-Nord 2003, WN 01 = Wolfen-Nord 2001.
Die Interviews wurden entlang von Leitfäden geführt. Für die ExpertInnen wurden unterschiedliche Leitfäden erstellt, die neben dem Beschäftigungsprofil besonders darauf abzielten, die mit der jeweiligen Arbeit zusammenhängenden Einsichten in die Entwicklung der Siedlungen und des sozialen Milieus zu erkunden. Die durchschnittlich 90minütigen Bewohnerinterviews wurden auf der Grundlage von themenzentrierten Leitfäden geführt (vgl. Leitfaden). Sie enthielten folgende vier Themenblöcke und einen Demographiebogen: – – – –
Sichtweisen auf und Nutzung der Siedlung Wohnkarriere und Wohnleitbilder Biographischer Verlauf, Lebenslage und Alltagsstrategien Zukunftseinschätzungen und abschließende Fragen
Neben den Haushaltsinterviews, die großenteils in den Wohnungen, aber auch in zur Verfügung gestellten Räumen von Einrichtungen geführt wurden, sind vier Gruppeninterviews (mit sechs bis 14 Personen) umgesetzt worden – zwei mit jugendlichen, zwei mit erwachsenen BewohnerInnen. Darüber hinaus wurden systematische Begehungen, teilnehmende und nicht-teilnehmende Beobachtungen in Verbindung mit mehrwöchigem Wohnen in den Siedlungen
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ANHANG: METHODE
sowie eine Photodokumentation durchgeführt. Sämtliche Erhebungen sind in Zusammenarbeit mit Olaf Groh-Samberg (Münster) realisiert worden. Die Auswertungen der Bewohnerinterviews erfolgten auf Basis von qualitativen (Protokollierung, Transkription, Inhaltsanalyse, Kodierung, Sequenzanalysen, Gruppendiskussion einzelner Interviews) und quantitativen Verfahren (Kodierung, Häufigkeiten, Kreuztabellen, Cluster). Die Experteninterviews sind überwiegend auf der Grundlage von Protokollierungen ausgewertet worden; nur einige wurden teiltranskribiert. Zur Anonymisierung wurden sämtliche im Text zitierten Namen von Personen, Straßennamen oder Hausnummern etc. geändert. Bei der Auswahl der Städte spielte neben dem Fokus auf Mittelstädte eine Rolle, dass die städtebaulichen und wirtschaftlichen Kontraste Aufschluss darüber zu geben versprachen, welche Bedeutung regionalen Kontextfaktoren bei der Entwicklung und den Lebensverhältnissen in den beiden großen randstädtischen Plattenbausiedlungen zukommt. Die Kontraste der Städte liegen darin, dass Eisenach ein historisch gewachsene Stadt ist, wo der Anteil des Plattenbaus mit ca. 30 Prozent (1989) durchschnittlich und seit der Wende eine wirtschaftlich positivere Entwicklung zu verzeichnen ist (Investition Automobilindustrie und Zulieferer). Wolfen stellt dagegen eine stark sozialistisch überformte Stadt dar, 75 Prozent des Wohnungsbestands wurden nach 1949 in industrieller Bauweise errichtet, und die wirtschaftliche Entwicklung seit der Wende ist als vergleichsweise negativ zu bezeichnen (radikaler Abbau der Sektoren Chemie und Braunkohle). Tabelle A.3: Eisenach und Wolfen: Charakteristika zweier industrieller Mittelstädte Industrielle Schwerpunkte
Wirtschaftl . Entwicklung
Einw. 1989
Stadtstruktur
Anteil Plattenbau 1989
Größe untersuchter Gebiete 1989
Eisenach
Automobilindustrie/ Zulieferer
positiv
45.650
historisch
30%
3.600 WE (20%)
Wolfen
Chemie/ Braunkohle
negativ
47.030
sozialistisch
75%
13.500 WE (70%)
Quellen: SZS 1990; Bodenstein 1993; Stadt Wolfen 1995; SAE 1996; GdW 1999
Neben Dokumenten und Statistiken zu den beiden Untersuchungsgebieten wurden Sozialstudien zu anderen Plattenbausiedlungen Ostdeutschlands gesammelt, um deren Entwicklung vergleichen zu können. Schließlich sind fünf Gespräche mit ExpertInnen aus Forschungs- und Stadtplanungsinstitutionen geführt worden, die Begleitstudien zu Plattenbausiedlungen durchführen, zwei davon telefonisch (Stadtbüro Hunger, Institut für Stadtplanung und
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Sozialforschung Weeber + Partner, Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Deutsches Institut für Urbanistik, Empirica).
Leitfaden BewohnerInnen Der Leitfaden wird so wiedergegeben, wie er in den Erhebungen 2001 und 2003 verwendet wurde. Die Reihenfolge der Themenblöcke ist in den Interviews eingehalten, die der Fragen flexibler gehandhabt worden. Bestimmte Fragen – etwa zum biographischen Verlauf nach der Wende oder zu den Bezugspersonen – wurden durch Nachfragen besonders vertieft. Sofern sie bereits Aufschluss über andere Aspekte gaben, konnten diese schneller abgehandelt oder übersprungen werden. Der Demographie-Bogen wurde am Ende der Gespräche zum Ausfüllen vorgelegt. Beide Interviewer hatten den Leitfaden in Teilen zusammen entwickelt und waren gut mit seinen Inhalten vertraut. Bei der Erhebung 1997 ist der Leitfaden kürzer und offener gewesen: Insbesondere der dritte Themenkomplex wurde offener abgefragt, und einige Aspekte wie die Einstellungen gegenüber Sozialismus, Werbung und der Zumutbarkeit von Arbeit sind erst 2001 hinzugekommen. Außerdem sind 2001 und 2003 Pläne von den Siedlungen bei den Gesprächen vorgelegt worden, um die Bezüge zur Siedlung und auch Alltagsverläufe innerhalb der Siedlung nachzeichnen zu lassen.
1 Siedlung – Einmal ganz offen gefragt, was fällt Ihnen zur Siedlung X-Nord ein? – Welche Einrichtungen/Bereiche nutzen Sie in der Siedlung? (Infrastruktur/Umfeld/Vereine) – Wie hat sich die Siedlung entwickelt, seitdem Sie in X-Nord wohnen? (Mieten/Umfeld/Infrastruktur/Nachbarschaft/soziales Milieu) – Wie ist die Anbindung von X-Nord an Arbeitsplätze, Infrastruktur, Kultur? – Was bindet Sie an die Siedlung, was stört Sie? – Welche Konflikte gibt es hier und welche Probleme? (Abgrenzungen/Unsicherheit/Gewalt) – Gibt es Gegenden in der Siedlung, in denen Sie nicht wohnen möchten oder die sie meiden? Warum?
ANHANG: METHODE
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– Was ist das Bild der Bewohner und der Außenstehenden von X-Nord? Stimmen Sie zu?
2 Wohnkarriere und Wohnleitbilder – Können Sie einmal die Umstände und ihre Situation schildern, wie sie nach X-Nord gezogen sind? Wie würden sie den Umzug nach EN in ihre Biographie (Beruf, Familie) einordnen? – Wie haben Sie es erfahren, in eine Neubausiedlung zu ziehen? War das für Sie ein Kompromiss? – Wo am liebsten gewohnt/würden Sie am liebsten wohnen, in welcher Wohnform: Einfamilienhaus, Altbau, Platte? Begründung – Wie zufrieden sind Sie mit ihrer Wohnung und der Siedlung?
3 Biographischer Verlauf, Lebenslage und Strategien – Können sie einmal erzählen, wie sich ihre Lebenssituation seit der Wende verändert hat? (Arbeit/Einkommen/Qualifizierung/Haushalt – Biographie) – Wie sieht heute der Ablauf Ihres Alltags aus? (Aufstehen, Essen, Erledigungen, Beruf, Freizeit, Zeit in Wohnung, Wochenende) – Wenn Sie einmal in die Zukunft blicken: Auf welche Weise wird oder will sich Ihr Haushalt in den nächsten fünf Jahren seinen Unterhalt sichern? - Haben Sie bestimmte Ausbildungs- oder Berufsziele, auf die Sie hinarbeiten? Wie? - Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, Ihre materielle Lage verbessern zu können oder erwarten Sie eher Verschlechterungen? – Welche Kontakte oder Einrichtungen nutzen Sie für Ihre materielle und berufliche Lebenssicherung? - Erleben Sie Einrichtungen wie das Sozial-, Arbeits- oder Wohnungsamt als nützlich, oder verbinden Sie damit negative Erfahrungen? - Versuchen Sie angesichts der Arbeitsmarktlage, Ihr Einkommen durch Nebenverdienste zu verbessern? Wie und wo (Siedlung)? – Seit der Wende sind in Ostdeutschland ja auch Arbeitsplätze mit eher geringer Bezahlung entstanden – wo liegen für Sie die Grenzen der Zumutbarkeit? – Wie gut können Sie mit Ihren finanziellen Einkünften Ihr Leben planen?
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(Sparen/Rücklagen, Anschaffungen, Prioritäten/Verzicht; Lösen von Zahlungsschwierigkeiten) Welche Rolle spielt bei der Sicherung Ihrer materiellen Lage (Beruf) die Siedlung? Haben Sie in den letzten Jahren (seit Wende) neue Kontakte in der Siedlung geschlossen? - Welche Rolle spielen für Sie diese Bekanntschaften? - In welchen Zusammenhängen treffen Sie Menschen, lernen Sie sie kennen? - Welche Leute interessieren Sie, würden Sie gerne kennenlernen – welche vermeiden Sie? Wichtige Bezugspersonen? Verwandte/Freunde/Bekannte? - Zu welchen Personen pflegen Sie regelmäßig Kontakt? - Unterstützen Sie sich gegenseitig: emotional/Infos/Hilfen/Geld? - Manchmal ist es gut, wenn man weiß, dass immer jemand für einen da ist. Glauben Sie, dass jemand für Sie da ist – sind Sie für jemand anderes da? - Einladen versus Besuchen? - Toleranz oder bestimmende Ratschläge gegenüber Bekannten aus der Siedlung (z.B. Hausordnung, fahrlässiges Verhalten)? Siedlung für Kontakte eher behilflich oder hinderlich? Einmal abgesehen vom Beruf, was sind für Sie die wichtigsten Lebensziele in den nächsten fünf Jahren? (Familie, Freizeit, Kultur, Lebensstandard) Ist Ihnen die Verwirklichung im Beruf genauso wichtig wie ein Familienleben? Die Anpreisung von Konsumgütern in den Medien spielt eine immer wichtigere Rolle in unserer Gesellschaft – wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Nach zehn Jahren Wiedervereinigung – ist der Sozialismus für Sie noch eine realistische Alternative?
4 Zukunftseinschätzung und abschließende Fragen – Was müsste sich an der Siedlung verändern, dass Sie zu dem Entschluss kommen, von hier wegzuziehen? - Können Sie sich vorstellen, dass sich Umstände in Ihrem Leben verändern, die Sie zu dem Entschluss bringen würden, von hier wegzuziehen? – Was würden Sie bei einem Wegzug an X-Nord vermissen? (Fühlen Sie sich hier zu Hause?) – Schätzen Sie Ihre Situation besser oder schlechter als der anderen Bewohner XNords ein?
ANHANG: METHODE
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– Was vermuten Sie, wer hier in zehn Jahren wohnen wird? – Haben Sie den Eindruck, dass man in der Siedlung auf eine bestimmte Weise auftreten muss, um sich das Leben hier angenehm/nicht unnötig schwierig zu machen? (Strategien des Verbergens, Vermeidens) – Denken Sie, dass manche Bewohner hier von anderen schikaniert oder nicht gerne geleidet werden? (z.B. SozialhilfeempfängerInnen) – Umgestaltung der Siedlung nach Ihren Wünschen: Wie würden Sie die Siedlung gestalten, wenn sie darüber entscheiden könnten? (Umfeld, Wohnungen, BewohnerInnen)
Soziodemographische Daten Abschließend bitten wir Sie um die Angabe einiger statistischer Daten. Vielen Dank für Ihre Mitarbeit! 1. Seit wann wohnen Sie in X-Nord? 2. Haben Sie in einem der großen Betriebe (z.B. AWE/Filmfabrik etc.) gearbeitet, wenn ja, wie lange und als was? 3. Wo haben Sie mit Ihren Eltern gewohnt? 4. Wie groß ist Ihre jetzige Wohnung und wie viel Räume hat Sie? 5. Wie viel kostet Ihre Wohnung im Monat warm? 6. Wie alt sind die Personen in Ihrem Haushalt? 7. Welche Ausbildung haben die Personen in Ihrem Haushalt gemacht? 8. Welche Berufe üben die Mitglieder Ihres Haushalts aus? 9. Sofern Sie Arbeitslosengeld, -hilfe oder Sozialhilfe beziehen: Wie lange beziehen Sie diese seit der Wende? 10. Geben Sie bitte das Nettoeinkommen (inklusive Wohngeld, Kindergeld etc.) an, das Ihrem Haushalt im Monat zur Verfügung steht. 11. Haben Sie Vermögen oder sind Sie verschuldet? Schulden
Vermögen
Mehr als 10.000 € 5.000 – 10.000 € 1.000 – 5.000 € Bis 1.000 € Mehr als 10.000 € 5.000–10.000 € 1.000 – 5.000 € Bis 1.000 €
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