Eine Invasion aus dem Bereich der Riesensonne Rigel bedroht die Erde. Unabwendbar rast von dort ein Komet mit feindlich...
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Eine Invasion aus dem Bereich der Riesensonne Rigel bedroht die Erde. Unabwendbar rast von dort ein Komet mit feindlichen Invasoren auf unseren Planeten zu. Von ihnen geht eine unheimliche Wirkung aus, unter der sich der molekulare Aufbau aller menschlichen Substanz, Muskulatur wie Organe verwandeln. Niemand auf der Erde, kein einziger Wissenschaftler, weder Physiker noch Astronomen, Chemiker oder Biologen oder Mediziner hatten vorausahnen können, daß die Menschheit einer unabschätzbaren Gefahr ausgesetzt sein würde. Daß sich die Umlaufbahn der Erde mit der Kometenbahn kreuzen würde, hatte man vorausgesehen, aber allen Berechnungen nach würde kein Menschenleben vernichtet, kaum eine Zerstörung angerichtet werden. Die Panik war ausgeblieben. Bis zu jenem Morgen, als die Menschen erwachten ...
In der Reihe der Ullstein Bücher: SCIENCE-FICTION-STORIES Band 1 bis Band 49 SCIENCE-FICTION-STORIES 50 (Ullstein Buch 3153) Erzählungen von Larry Niven, James Tiptree jr., Frederik Pohl SCIENCE-FICTION-STORIES 51 (Ullstein Buch 3159) Erzählungen von Robert Sheckley, Burt Filer, Poul Anderson, Robert Silverberg u.a. SCIENCE-FICTION-STORIES 52 (Ullstein Buch 3166) Erzählungen von Colin Kapp, R. A. Lafferty, Sidney van Scyoc, Laurence Yep, Ryu Mitsuse SCIENCE-FICTION-STORIES 53 (Ullstein Buch 3178) Vier Erzählungen von Eric Frank Russell SCIENCE-FICTION-STORIES 54 (Ullstein Buch 3187) Erzählungen von Brian W. Aldiss, Fred Saberhagen, Katherine McLean Terry Carr, H. H. Hollis SCIENCE-FICTION-STORIES 55 (Ullstein Buch 3195) Erzählungen von Tom Purdom, Ben Bova und Myron R. Lewis, Christopher Anvil u.a. SCIENCE-FICTION-STORIES 56 (Ullstein Buch 3202) 3 Erzählungen von Lewis Padgett SCIENCE-FICTION-STORIES 57 (Ullstein Buch 3212) Zwei Erzählungen von Henri Kuttner und Lewis Padgett
Ullstein Buch Nr. 3213 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Titel der Originalausgabe: INVADERS FROM RIGEL Aus dem Amerikanischen von Otto Kuehn
Umschlagillustration: ACE Umschlaggraphik: Ingrid Roehling Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1960 by Fletcher Pratt Übersetzung © 1976 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1976 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3 548 03213 3
Fletcher Pratt
Komet der Verwandlung SCIENCE-FICTION-Roman
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch
1 Murray Lee erwachte jäh. Ein schmerzhaftes Dröhnen in seinem Hinterkopf und eine Steifheit jedes einzelnen Muskels gaben ihm das Gefühl, als sei er entsetzlich geschlagen worden; aber er konnte sich an nichts Derartiges erinnern. Mühsam drehte er sich im Bett um und betastete seinen linken Ellbogen, von dem ein unerklärlicher Schmerz ausging. Da traf ihn der furchtbarste Schock seines Lebens: Der Ellbogen fühlte sich nicht an wie Fleisch und Blut, sondern wie ein Maschinenteil, und die Bewegung verursachte ein metallisches Klappern. Erschrocken richtete er sich auf und warf die Decke zurück. Wieder klapperte es, und der Arm bot sich seinem entsetzten Blick als ein verwirrender Fremdkörper dar: ein System von Metallbändern, die am Ellbogen in eben dem Mechanismus zusammenliefen, den er vorhin gespürt hatte. Die Finger waren stählerne Klauen und endeten in gummiartigen Kuppen. Trotzdem war das Gefühl in dem so grotesk veränderten Glied erhalten geblieben. Ein paar Sekunden lang starrte er auf seinen Arm und glaubte zu träumen. Dann hob er vorsichtig den rechten Arm. Er war das genaue Gegenstück des lin-
ken. Er bewegte die Finger – sie gehorchten seinem Willen, als seien sie immer noch aus Fleisch und Blut. Eine grauenhafte Angst packte ihn. Er riß die Pyjamajacke auf. Es überraschte ihn kaum, daß statt der Rippen und Muskelstränge glänzende Metallplatten zum Vorschein kamen. Träumte er? War er betrunken – oder wahnsinnig geworden? Er sprang aus dem Bett und rannte zum Spiegel. Seine Schritte hallten und dröhnten wie die Schläge schwerer Hämmer. Jede Bewegung brachte ein Kreischen wie von schlechtgeölten Maschinenteilen in seinem Körper hervor. Dann stand er vor dem Spiegel, vor dem er sich seit Jahren rasiert hatte. Das Gesicht, das ihm daraus entgegenstarrte, trug metallene Züge, die den seinen entfernt ähnelten, darüber eine Bürste wirrer Haare aus steifem, feinem Draht. Man wird nicht wahnsinnig in solchen Momenten. Das Bewußtsein ist gar nicht fähig, einen solchen Schock sofort aufzunehmen und in seiner ganzen Tragweite zu begreifen. Murray Lee beschloß, sich auf alle Fälle erst einmal anzuziehen. Dabei betrachtete er sein neues Selbst mit wachsender Bestürzung und doch zugleich mit einer gewissen Bewunderung. Er war tatsächlich eine unerhört komplizierte und gut funktionierende Maschine.
Die Metallbänder griffen ebenso glatt ineinander wie seine früheren Muskeln. Die Gelenke waren leicht beweglich. Angenehm überrascht stellte er fest, daß seine Zehen sich zum Greifen eigneten; er konnte sogar den linken Schuh mit dem rechten Fuß anziehen, ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen. Erst als er fertig angekleidet war, fiel ihm die ungewohnte Stille auf. Das Dröhnen New Yorks, das sonst bis zum achtundvierzigsten Stockwerk dieses modernen Wohnblocks heraufdrang, war verstummt. Wie spät mochte es sein? Der Wecker war auf Viertel vor zwei stehengeblieben. Er würde Ben nach der Zeit fragen müssen. Dies brachte ihn auf einen neuen Gedanken. Ben Ruby, mit dem er zusammenwohnte, war Wissenschaftler. Drüsenspezialist. Vielleicht konnte der ihm erklären, was eigentlich mit ihm geschehen war. Er klopfte an Bens Tür – der Schlag hallte unerwartet laut in der Stille. Die Tür wurde aufgerissen. Auf der Schwelle stand eine Karikatur Ben Rubys in Metall – eine ähnliche Maschine wie Murray selbst, nur halb bekleidet. »Nur herein!« rief Ben scheppernd. Seine Stimme klang wie eine alte zerkratzte Grammophonplatte. »Du siehst köstlich aus. Der eiserne Murray! Wozu hast du dich so in Schale geworfen? Könntest ebensogut einem Steinbohrer Hosen anziehen. Ich bin gerade beim Frühstück.«
Nun, Ben schien jedenfalls seinen Humor nicht eingebüßt zu haben. Wahrscheinlich war er schon länger wach und hatte Zeit gehabt, sich mit der neuen Lage abzufinden. Lee fragte: »Was ist los? Bin ich verrückt – oder du – oder alle beide?« »Keine Spur. Das Tollste, was je passiert ist! Der große Komet – weißt du nicht mehr? Alle Zeitungen waren doch voll davon. Es hieß, er sei radioaktiv und rase geradewegs auf die Erde zu. Niemand glaubte daran. Jetzt haben wir die Bescherung.« Murray erinnerte sich dunkel der Zeitungsberichte. »Alle Menschen sind in Metall verwandelt«, fuhr Ben fort. »Mir scheint, du brauchst Schmierfett. Augenblick mal.« Er stampfte ins Nebenzimmer und kam gleich darauf mit einer Radiobatterie in der einen und einem Ölkännchen in der anderen Hand zurück. »Abschmierfett steht leider heute nicht auf der Speisekarte«, bemerkte er munter. »Nur Schreibmaschinenöl.« Er machte sich daran, Lees metallene Gelenke zu ölen. Dann deutete er mit einer Zehe auf die Batterie. »Schließ sie selbst an. An einen Arm und das entgegengesetzte Bein. Sie lädt dich auf. Irgendwo in uns muß ein Akku sein, der den Strom speichert.«
Murray Lee gehorchte, obwohl er nichts von alledem verstand, und schloß die Batterie an seine Glieder an. Es war die seltsamste Mahlzeit, die er je eingenommen hatte. Aber er fand sie erstaunlich belebend. »Noch eine Portion?« fragte Ben zuvorkommend. Murray winkte ab. »Erzähl mir endlich, was geschehen ist!« bat er. »Genau weiß ich es auch nicht. Muß eine Art radioaktiver Gassturm gewesen sein, ausgelöst durch den Kometen. Hat uns auf irgendeine Weise in Maschinen verwandelt. Wir werden in Zukunft von elektrischem Strom leben und keinen Arzt mehr brauchen – eher einen guten Mechaniker. Aber die meisten Menschen sind dabei umgekommen. Komm mit.« Er faßte Murray klirrend am Arm und führte ihn auf den Flur hinaus. Murray wollte zum Aufzug, aber Ben schüttelte den Kopf. »Kein Strom.« »O Gott! Achtundvierzig Stockwerke zu Fuß!« »Man gewöhnt sich daran.« Sie stiegen eine Treppe hinunter, und Ben stieß die Tür einer Wohnung auf, deren Schloß aufgebrochen war. Auf Murrays fragenden Blick zuckte Ben die Achseln. »Ich habe die Tür aufgebrochen. Dachte, ich könnte
noch helfen. Aber es war nichts mehr zu machen. Die dicke Frau hat hier gewohnt – du weißt, die immer im Fahrstuhl über uns die Nase rümpfte, wenn wir einen gehoben hatten.« Murray zögerte einen Augenblick auf der Schwelle. Er scheute den Anblick des Todes. Aber seine Bedenken erwiesen sich als überflüssig. Die unförmige Gestalt, unter deren Gewicht das Bett fast zusammenbrach, hatte nichts von einem menschlichen Körper an sich. Es war eine plumpe, häßliche, gußeiserne Statue, die in einem billigen Nachthemd aus Kunstseide steckte. »Siehst du?« sagte Ben. »Die Verwandlung war nicht vollständig. Sie ist einfach zu leblosem Metall geworden. Vielleicht, weil ihre Fenster geschlossen waren.« Murray sah unbehaglich auf den gewaltigen Metallklumpen hinunter. »Können wir nichts für sie tun?« »Nicht das Geringste. Komm, wir haben noch eine Unmenge Treppen hinunterzusteigen. Scheußlich, was für einen Lärm wir machen! Ein Bad in Rostschutzöl täte uns gut.« Die Treppen schienen kein Ende zu nehmen. Endlich erreichten sie die Straße. Totenstille umgab sie. Hoch oben über den Straßenschluchten segelten weiße Wölkchen am blauen Himmel. »Ein Glück, daß schönes Wetter ist«, bemerkte Ben.
»Für Regenwetter müssen wir uns noch was ausdenken; schließlich wollen wir ja nicht rosten.« Sie betraten den erstbesten Drugstore. Er bot ein Bild plötzlich erstarrten Lebens: Die gußeiserne Statue des Verkäufers lehnte lässig an der Theke, wie im Gespräch mit dem ebenfalls leblosen eisernen Mädchen, das ihm gegenüber auf einem Barhocker saß. Auf dem Gesicht des Mädchens war noch eine Puderschicht zu sehen und auf den eisernen Lippen eingetrocknete Reste von Lippenstift. »Übrigens«, fragte Murray, »hast du eine Ahnung, welches Datum wir haben? Das alles kann doch nicht gestern passiert sein ...« Ben zuckte die Achseln. »Wer weiß?« Er stöberte in den Schubladen herum. »Was suchst du eigentlich?« fragte Murray. »Gummihandschuhe. Ich möchte nicht mit den Metallfingern an Starkstrom kommen.« »Hier sind welche. Was nun?« »Jetzt suchen wir uns Gummigaloschen«, entschied Ben, der auf seinen glatten Metallfüßen immer wieder ausglitt. »Wir nehmen uns ein Taxi und fahren zu einem Schuhladen.« Sie fanden ein Taxi und zerrten den eisernen Fahrer von seinem Sitz. Es war erstaunlich, wie leicht es ihnen fiel, das schwere Gewicht des metallenen Körpers zu heben.
Glücklicherweise steckte der Zündschlüssel, und der Wagen sprang ohne weiteres an. Als sie in die Madison Avenue einbogen, bot sich ihnen ein Bild der Verwüstung. Mehrere Busse waren ineinandergefahren. Die Fahrgäste waren in allen möglichen Stellungen zu Metall erstarrt. Der Unfall mußte genau im Augenblick der allgemeinen Verwandlung stattgefunden haben, als die Hände am Steuer und die Hirne der Fahrer zu Metall wurden. Die meisten Fahrgäste waren schwer verletzt worden, und das Blut aus ihren Wunden war zu metallenen Rinnsalen erhärtet. Sie hielten vor einem Schuhgeschäft. Es war geschlossen, aber Ben trat ohne weiteres die Schaufensterscheibe ein. Es war schwierig, passende Überschuhe zu finden, denn die neuen Füße waren bedeutend länger als ihre alten. Murray schlitzte mehrere Galoschen mit seinen eisernen Zehen auf, bevor er die richtigen fand. »Jetzt hätte ich Lust auf einen Drink«, seufzte er, als sie den Laden verließen. »Bloß nicht!« sagte Ben. »Alkohol würde dir schlecht bekommen. Ich schlage vor, wir versuchen, weitere Überlebende zu finden. Bis jetzt scheint es, als wären wir die einzigen. Ob das daran liegt, daß wir so hoch wohnten? Unten auf der Straße sind offenbar alle umgekommen.«
»Vielleicht«, meinte Murray, »sind die anderen Überlebenden früher zu sich gekommen und haben die Stadt verlassen.« »Möglich. Auf jeden Fall müssen wir die höhergelegenen Wohnungen durchsuchen.« Er wollte auf das Taxi zugehen, als Murray ihn zurückhielt. »Horch! Was ist das?« Schwere Schritte stampften die Seitenstraße herauf. »He! Hallo! Hierher!« schrie Ben. Die Schritte kamen näher. Murray rannte ihnen entgegen, blieb aber wie angewurzelt stehen, als der Ankömmling um die Ecke bog. Es war ein Mädchen – oder vielmehr, es war vor der Verwandlung ein Mädchen gewesen, denn jetzt war es eine Maschine wie sie. Die metallene junge Dame war nach ihren bisherigen Schönheitsbegriffen nicht gerade hübsch. Sie war gut gekleidet, trug aber keinen Hut – das Drahtgeflecht der Haare auf ihrem Kopf ließ keinen Hut zu. Sie war offenbar sehr erleichtert, Leidensgenossen zu finden. »O mein Gott!« jammerte sie. »Ich habe einen Schluck Wasser getrunken, und seitdem tut mir alles weh!« »Kein Wunder«, sagte Ben sachlich. »Sie müssen frisch geölt werden. Warten Sie, ich hole Ihnen etwas.«
Er klapperte die Straße hinunter und ließ Murray mit dem Mädchen allein. »Darf ich mich vorstellen?« verbeugte sich Murray höflich. »Ich bin – oder vielmehr, ich war Murray Lee. Mein Freund heißt Ben Ruby. Er ist Wissenschaftler und er meint, der Komet muß uns durch irgendein radioaktives Gas in Metall verwandelt haben. Ihre Wohnung liegt wohl ziemlich hoch?« »Woher wissen Sie das?« fragte sie erstaunt. »Ja, im obersten Stock des Sherry-Netherland Gebäudes. Ich heiße Gloria Rutherford. Entschuldigen Sie, das Sprechen tut mir weh.« Sie hörten das Klirren von Glas, als Ben eine Tankstelle aufbrach. Gleich darauf kam er mit einem Armvoll Flaschen zurück. »Rizinusöl«, erklärte er. »Das Beste für den Darm. Nehmen Sie einen tüchtigen Schluck.« Er bot jedem eine Flasche, öffnete dann eine für sich selbst und trank in langen, durstigen Zügen. Mit dem Rest des Öls rieb er sich von Kopf bis Fuß ein. Gloria zog eine kleine Grimasse, folgte aber doch seinem Rat. »Schmeckt nicht einmal schlecht«, sagte sie, als sie die Flasche absetzte. »Hätte nicht gedacht, daß ich noch einmal Rizinusöl trinken würde! Aber jetzt sagen Sie mir endlich, was wir machen sollen?« »Andere Überlebende suchen.«
»Vielleicht könnten wir ein großes Feuer anzünden«, schlug Murray vor. »Das würde andere Menschen anlocken.« »Was sollen wir anzünden?« »Ein Gebäude«, meinte Ben. »Warum nicht? Es gibt kein Eigentum mehr, wenn alle Eigentümer tot sind.« »Ich weiß was!« fiel Gloria ein. »Die alte Metropolitan Oper! Dieses scheußliche Bauwerk hat mich schon jahrelang geärgert.« Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall. Sie stiegen in das Taxi. Zwanzig Minuten später steckten sie die Kulissen auf der Bühne der alten Oper an. Das Feuer griff schnell um sich. Sie gingen zum Wagen zurück und beobachteten mit kindlichem Vergnügen, wie eine dicke Rauchwolke aufstieg und das alte Bauwerk bald lichterloh brannte. Gloria fragte etwas besorgt: »Was passiert, wenn das Feuer um sich greift und die ganze Stadt erfaßt?« »Das wäre kein großes Unglück, denn hier scheint ja doch kaum mehr jemand am Leben zu sein. Aber ich glaube nicht, daß die umliegenden Gebäude Feuer fangen. Stahl und Glas brennen nicht.« Gloria seufzte. »Übrigens – was werden wir essen? Sollen wir uns in Zukunft nur noch von Rizinusöl ernähren?«
2 Man unterhielt sich über die Möglichkeiten der neuen Lebensform. Würde man zum Beispiel Schlaf brauchen? Würde es nicht ratsam sein, an Stelle von Ärzten Mechaniker heranzubilden? Während sie noch darüber debattierten, tauchte ein bärtiger Maschinenmensch auf, der sich als Rechtsanwalt Roberts vorstellte. Er war zusammen mit seiner Familie und seinem japanischen Diener auf dem Dachgarten des French Building von der Katastrophe überrascht worden. Murray erbot sich sofort, die Überlebenden aus dem French Building mit dem Taxi zu holen. Es handelte sich um Roberts' Tochter Ola Mae, ein sechzehnjähriges Mädchen, dessen hohe Absätze unter dem schweren Körpergewicht bedrohlich nachgaben; Roberts' Frau, eine üppige Dame, die sich zur Bestürzung der Männer als die Kräftigste von allen herausstellte – Fett verwandelte sich nämlich genauso in Metall wie Muskeln. Und schließlich Yoshio, der japanische Diener. Roberts und Ben vertieften sich sofort in ein Gespräch über die wissenschaftlichen Hintergründe ihrer Verwandlung. Ben meinte, der Komet müsse irgendeine unbekannte Substanz ausgestrahlt haben, die Materie völlig umwandeln konnte.
»Eine so flüchtige Substanz, daß weder von dem tierischen Gewebe, noch von der Substanz selbst eine Spur zurückgeblieben ist. Diese Metallbänder entsprechen fast vollkommen den früheren Muskeln.« »Gewiß«, meinte Roberts. »Aber dieses Metall ist bedeutend elastischer als irgendein uns bisher bekanntes. Ich glaube nicht, daß alle Verwandlungen nur durch Kontakt mit dieser unbekannten Substanz bewirkt wurden. Ich glaube vielmehr, daß sie von irgendeiner außerirdischen Macht ausgehen. Anders kann ich mir die mechanische Vollkommenheit unserer neuen Körper nicht erklären. Sehen Sie sich doch nur einmal die Gelenke an! Und wie sinnvoll, daß unsere Fingerspitzen und Nasen aus einer gummiartigen Masse sind! Dahinter steckt mehr als eine Naturkatastrophe – nämlich eine hohe Intelligenz.« Der Japaner räusperte sich bescheiden. »Bitte ehrenwerte Herrschaften, nach sonderbarem Flugkörper zu sehen.« Er zeigte nach oben. Während er noch sprach, rauschte es über ihren Köpfen. Ein riesiger Vogel mit vier Flügeln und einem langen gefiederten Schwanz flog über die Straße hinweg. Er hatte einen unverhältnismäßig großen kugelrunden Kopf mit klugen, tückischen Augen und schien die kleine Gruppe unten auf der Straße scharf zu beobachten. Aufgeregte Stimmen wurden laut.
»Was ist das für ein Ungeheuer?« »Hat der Komet dieses Küken ausgebrütet?« »Sieht verdammt bösartig aus!« Wenige Sekunden später war der Vogel ihren Blikken entschwunden. »Was nun?« fragte Gloria. »Sollten wir uns nicht auf die Suche nach weiteren Überlebenden machen? Je mehr wir sind, desto besser können wir einander beistehen.« Roberts meinte: »Am besten, jeder von uns nimmt sich einen Wagen und sucht einen Stadtbezirk ab. Offenbar hat es nur Sinn, in den höhergelegenen Stockwerken zu suchen. Wir treffen uns alle wieder an dieser Ecke.« Als man sich einige Stunden später wieder traf, hatte sich die Gesellschaft tatsächlich um einige Mitglieder vergrößert. Roberts selbst hatte zwar keine Menschen gefunden, aber er wußte ein sehr merkwürdiges Abenteuer zu berichten. Im obersten Stockwerk des Waldorf war eine Fensterscheibe zerbrochen, und in einer Zimmerecke lagen, in einem Nest aus weichen Tüchern, vier gewaltige Eier, jedes so groß wie eine Wassermelone. Roberts hatte mit dem Gedanken gespielt, eines davon mitzunehmen; aber dann sagte er sich, daß es Wichtigeres zu tun gäbe.
Als er wieder in seinen Wagen einstieg, hörte er ein Kreischen und sah einen riesigen vierflügeligen Vogel dicht über sich kreisen. Roberts gab Gas und fuhr davon. Der Vogel folgte ihm in einiger Entfernung, offenbar unschlüssig, ob er ihn angreifen solle. Roberts schrie und hupte und fuchtelte mit den Armen. Dies schien auf den Vogel nicht den geringsten Eindruck zu machen. Er bewegte sich mit Hilfe der beiden Hinterflügel vorwärts, während die Vorderflügel nur als Tragflächen dienten. Schließlich wurde Roberts die Verfolgung unheimlich. Er bremste scharf und rannte in ein Haus. Er hörte, wie der Vogel mit dem Schnabel die Haustür zu bearbeiten begann. Roberts versteckte sich in einem dunklen Flur, bis der Vogel die Suche aufgab und davonflog. Gloria hatte einen dicken kleinen Mann mitgebracht, der sich als F. W. Stevens vorstellte. Er war Bankier aus der Wallstreet. Ben hatte drei Überlebende gefunden, unter ihnen den kahlköpfigen Beeville, den bekanntesten Biologen Amerikas. Beevilles charakteristischer dicker Schnurrbart war zu einer kompakten Drahtbürste geworden. Yoshio brachte einen und Mrs. Roberts nicht weniger als vier Neue – unter anderem eine sehr elegante junge Frau, die leider ebenfalls in eine Maschine verwandelt worden war: Marta Lami, die ungarische
Tänzerin, die Sensation am Broadway in den Wochen vor der Katastrophe. Sie versammelten sich in dem Drugstore am Times Square, und Roberts ergriff als erster das Wort. »Ich halte es für unsere vordringlichste Aufgabe«, erklärte er, »nach weiteren Überlebenden zu suchen und uns alle eng zusammenzuschließen. Meine Familie und ich zum Beispiel hätten ohne Mister Rubys freundlichen Rat nicht gewußt, daß wir regelmäßig aufgeladen und geölt werden müssen. Gewiß gibt es noch andere in dieser Stadt, die solche Dinge nicht wissen. Darum ist es wichtig, daß wir zusammenhalten und einander helfen und raten.« Stevens widersprach. »Nach meiner Ansicht ist es das Wichtigste, unsere Gruppe zu organisieren und einen Präsidenten zu wählen.« Es war nicht schwer zu erraten, wen er für diese Präsidentschaft am geeignetsten hielt – nämlich sich selbst. Der Biologe Beeville gab der allgemeinen Meinung Ausdruck, als er sagte: »Ich finde das im Augenblick mehr als überflüssig. Halten wir uns doch nicht mit solchen Formalitäten auf. Es gibt viel Wichtigeres. Zum Beispiel müssen wir mehr über unsere Existenz herausfinden. Wir wissen noch fast nichts. Es handelt sich darum, unsere neuen Körper wissenschaftlich zu erforschen. Dazu
müssen wir unser ganzes biologisches und medizinisches Wissen über Bord werfen und neu anfangen. Damit haben wir für die nächste Zeit genug zu tun. Heben wir uns die Präsidentenwahl für später auf.« Stevens protestierte beleidigt: »Wir können doch nicht die Anarchie als Staatsform anerkennen!« Gloria versuchte zu vermitteln: »Ich schlage vor, zeitraubende Wahlen und Organisationsarbeiten auf später zu verschieben. Wählen wir doch inzwischen einfach einen Boss auf Zeit – sagen wir auf drei Monate. Wie wär's mit Ben Ruby?« Elf Hände hoben sich zustimmend. Gloria sah Stevens an. »Und Sie, Mister Stevens? Sind Sie dagegen?« Stevens sagte steif: »An sich ja. Aber ich füge mich der Mehrheit.« »Und Sie, Mister Yoshio?« »Ich weiß nicht, ob elendem Wurm Stimmrecht gewährt wird ...« »Klar! Wir sind alle gleich. Was sagen Sie, Mister Lee?« »Ich bin befangen. Ich kenne Ben Ruby zu gut.« So endete die Abstimmung unter allgemeiner Heiterkeit. Und damit war Ben Ruby für die nächsten drei Monate zum Präsidenten der neuen Kolonie New York gewählt.
»Zunächst«, erklärte der neugebackene Präsident, »müssen wir uns Kerzen verschaffen. Vielleicht gibt es in dem Drugstore welche, aber wir haben kein Licht zum Suchen.« Murray schlug vor: »Wir könnten in dem nächsten Elektroladen nach Taschenlampen suchen.« »Gut. Tu das, Murray. Miss Roberts, wollen Sie unsere Sekretärin sein? Schreiben Sie von jedem Namen und Beruf auf. So stellen wir fest, wozu jeder zu gebrauchen ist. Miss Rutherford, fangen Sie an.« »Ich heiße Gloria Rutherford und kann nicht viel mehr als Tennis spielen, trinken und Auto fahren.« Die andern folgten: Stevens, Bankier. Roberts, Anwalt. Tholfsen, Kaufmann. Dangerfield, Verleger. O'Hara, Garagenbesitzer. »Sind Sie auch Mechaniker?« fragte Ben interessiert. »Kein erstklassiger. Aber ich verstehe einiges von Maschinen.« »Gut. Sie sind hiermit zu unserem Arzt ernannt.« Farrelly, Journalist. Massey, Kunstmaler. So ging es weiter.
»Gut«, sagte Ben, als die Liste fertig war. »Ich ernenne Mr. Beeville zum Leiter des Forschungswesens. Wir können gleich mit unserer Arbeit beginnen, denn in unserer neuen Form brauchen wir keinen Schlaf mehr – das ist immerhin ein Vorteil. Mr. O'Hara ist unser technischer Sachverständiger. Mr. Beeville wird uns alle sorgfältig untersuchen und beobachten. Wir machen das Rockefeller Institut zu seinem Hauptquartier. Dort hat er alle Instrumente und Apparate zur Verfügung, die er braucht.«
3 Sie fuhren im Geleitzug in den östlichen Stadtteil. Unterwegs hielt Ben, der die kleine Kavalkade anführte, vor einem Elektrogeschäft. »Nehmt so viel Taschenlampen und Batterien mit, wie ihr finden könnt«, ordnete er an. »Wir werden sie brauchen.« Das Rockefeller Institut lag schweigend und dunkel da. Rost zeigte sich auf dem hohen Eisenzaun, der das Gelände umgab. Im Schein der Taschenlampen hielt Ben in der großen Empfangshalle eine Ansprache. »Freunde«, begann er. »Unsere Aufgabe ist es, eine neue Zivilisation aufzubauen. Möglicherweise leben auch noch in anderen Städten Menschen. Mit diesen müssen wir Fühlung aufnehmen. Ich bin auch dafür, daß wir uns Waffen verschaffen. Denkt nur an den unheimlichen Vogel, der Mr. Roberts verfolgt hat! Vielleicht gibt es noch mehr von der Sorte – vielleicht auch noch andere neue Tierarten, die uns gefährlich werden könnten. Miss Lami und Mr. Tholfsen werden Waffengeschäfte ausfindig machen und uns Gewehre oder Pistolen und Munition verschaffen.« Stevens hob die Hand. »Lassen Sie uns regelrechte Suchgruppen organisieren.«
»Eine gute Idee. Wir brauchen nicht erst auf den Tagesanbruch zu warten. Jeder nimmt sich einen Wagen und fährt los.« Beeville meldete sich zu Wort. »Ich würde gern Röntgenapparate für meine Untersuchungen verwenden. Könnten wir uns nicht auf irgendeine Weise elektrischen Strom beschaffen?« Ben meinte: »Soviel ich weiß, hat dieses Institut ein eigenes Aggregat. Murray und Massey sollen es ausfindig machen und versuchen, es in Gang zu kriegen. Sonst noch Vorschläge?« »Ja«, sagte Dangerfield, der Verleger. »Jeder, der sich plötzlich in einen Roboter verwandelt sieht, wird versuchen, ein Radio aufzutreiben. Könnten wir nicht einen Sender einrichten?« »Ich weiß zwar nicht, ob wir genügend Strom dafür haben werden; aber versuchen können wir es ja. Verstehen Sie etwas von Radiotechnik?« »Es geht.« »Gut. Dann nehmen Sie diese Sache in die Hand. Wählen Sie sich selbst einen Assistenten. Noch irgendeine Frage?« Im Lauf der Nacht wurde die Suche nach weiteren Überlebenden fortgesetzt, allerdings mit geringem Erfolg. O'Hara brachte eine Putzfrau aus einem Büro-
gebäude, deren Eisenzähne völlig verrostet waren, da sie unvorsichtigerweise Wasser getrunken hatte. Stevens fand einen jungen Griechen, Pappagourdas. Mrs. Roberts führte der Gruppe wieder zwei neue Mitglieder zu, darunter Mr. Vanderschoof, einen bekannten Reeder. Im Morgengrauen kam Dangerfield zurück. Er hatte mit Hilfe von Batterien ein starkes Empfangsgerät gebaut; aber im Äther schien absolute Funkstille zu herrschen. Für einen Sender fehlte es ihm vorläufig an Strom. Ben schickte Tholfsen, Vanderschoof, Stevens und Murray fort, um Treibstoff für das Aggregat aufzutreiben. Dann begab er sich in das Laboratorium, wo Beeville an der Putzfrau inzwischen eingehende Untersuchungen angestellt hatte. »Ich habe eine interessante Entdeckung gemacht«, verkündete der Biologe. »Die Außenflächen dieses Metalls scheinen rostfrei zu sein. Aber wenn Wasser an die Innenteile gelangt, rosten diese. Ein sehr sonderbares Material. Sehen Sie nur –« Er griff nach dem Arm der Putzfrau und zupfte an den Außenbändern, die die Haut und Muskeln ersetzten. Die Bänder gaben nach wie Gummi und schnellten heftig zurück, als er losließ. Die Frau schrie auf. »Ich habe noch nie von einem so elastischen Metall gehört. Und –«
Die Tür wurde aufgerissen, und Murray und Tholfsen kamen ins Labor gestürmt. »Entschuldigt die Störung«, rief Murray. »Aber Stevens und Vanderschoof wollen nicht mitmachen!« Ben runzelte die Stirn und folgte den beiden in das Zimmer, wo Stevens und Vanderschoof saßen und sich offenbar angeregt unterhielten. Ben sagte: »Ich dachte, ich hätte Sie gebeten, Treibstoff zu besorgen?« »Ganz recht«, antwortete Stevens kühl. »Aber ich gehe nicht. Ich bin ein freier Bürger der Vereinigten Staaten und lasse mir von Ihnen nichts befehlen. Wie gesagt –« Er wandte sich wieder Vanderschoof zu und wollte das unterbrochene Gespräch fortsetzen. Murray machte einen Schritt vorwärts, aber Ben hielt ihn zurück. »Mr. Stevens«, erklärte er, »hier sind nicht die Vereinigten Staaten, sondern die neue Kolonie New York. Die Verhältnisse haben sich geändert. Je eher Sie das begreifen, desto besser für uns alle. Wir versuchen, eine neue Zivilisation aus den Ruinen der alten aufzubauen. Wenn Sie sich nicht an der Arbeit beteiligen wollen, werden Sie auch nicht in den Genuß der Vorteile kommen.« »Was wollen Sie tun?« »Sie ausschließen.«
Stevens machte eine rasche Bewegung – und Ben schaute in die Mündung einer Pistole, die der Bankier auf ihn gerichtet hielt. »Das werden Sie bleiben lassen, junger Mann«, sagte der Bankier höhnisch. »Sie sind selbst schuld an der Anarchie, weil Sie meine Wahl zum Präsidenten verhindert haben. Machen Sie, daß Sie fortkommen, und versuchen Sie nicht wieder, mich herumzukommandieren.« Einen Augenblick lag knisternde Spannung in der Luft. Keiner regte sich. Dann tauschten Vanderschoof und Stevens einen triumphierenden Blick. Diese Sekunde nützte Ben aus, um sich auf den Bankier zu stürzen. Stevens drückte ab. Der Schuß hallte wie Donnerschlag in dem kleinen Zimmer. Klirrend prallte die Kugel von Bens metallenen Schultern ab und bohrte sich in die Wand. Ben taumelte unter der Wucht des Anpralls gegen die Schreibtischkante, stolperte und fiel zu Boden. Murray setzte mit einem Sprung über ihn hinweg und schlug Stevens die Waffe aus der Hand, so daß der Schuß, der sich eben löste, in den Fußboden ging. Tholfsen wollte gleichfalls vorspringen, stolperte aber über Ben und schlug der Länge nach hin. Murray und Stevens rangen verbissen, und Murray drohte zu unterliegen. Da zog Tholfsen von unten her
dem Bankier ein Bein weg. Gleichzeitig raffte Ben sich auf und stürzte sich in das Handgemenge. Wenige Sekunden später lag Stevens am Boden, und der gewählte Präsident der Kolonie New York, Ben Ruby, kniete auf seiner Brust und hielt seine Arme fest. Vanderschoof, der sich während des Kampfes möglichst abseits gehalten hatte, kauerte in einem Sessel. »Gebt mir etwas Draht!« rief Ben. »Tau genügt nicht, um ihn zu fesseln!« Als Stevens wie ein Paket verschnürt war, sagte Ben: »Wir könnten Sie einfach in irgendeiner Ecke verrotten lassen. Sie hätten es verdient. Sie haben das Wohl der ganzen Gemeinschaft gefährdet. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wir geben Ihnen einen Wagen und ein paar Batterien – und Sie hauen ab und versprechen, sich hier nicht mehr blicken zu lassen.« Stevens lachte kurz auf. »Glauben Sie, ich lasse mich von Ihnen bluffen? Nein.« »Gut. Wie Sie wollen.« Ben erhob sich. »Paßt auf ihn auf, Jungs. Ich hole einen Wagen.« »Was haben Sie vor?« fragte Vanderschoof. »Wir werfen ihn in den Fluß.« »Das können Sie doch nicht tun!« rief Stevens entsetzt. »Es ist unmenschlich!«
»Hinaus mit ihm, Jungs«, sagte Ben. Sie zerrten den gefesselten Bankier hinaus und verluden ihn in ein Auto. Auf der Queensboro Brücke hielten sie an, hoben ihn heraus und machten Anstalten, ihn über das Geländer zu werfen. Im letzten Augenblick erst schrie Stevens: »Halt! Ich gebe auf!« »Laßt ihn los, Jungs«, befahl Ben. »Und nun hören Sie gut zu, Stevens. Ich will nicht härter als nötig gegen Sie sein. Aber wir können hier keine Quertreiber dulden. Ladet ihn wieder ein, Jungs. Wir lassen ihn laufen, wenn er verspricht, nicht mehr wiederzukommen. Okay, Stevens?« »Ich verspreche alles, was Sie wollen«, knurrte der Bankier mürrisch. »Gut. Sie können einen von unseren Wagen nehmen. Und dann verschwinden Sie.« Auf dem Rückweg kam Murray der Gedanke, zu fragen: »Ben, hat er dich nicht vorhin angeschossen?« »Ja«, sagte Ben verwundert und schaute auf seine Schulter hinunter. Bis auf einen dünnen Kratzer im Metall war er unverletzt.
4 Als Tholfsen und Murray später mit dem Treibstoff zurückkamen, war Vanderschoof verschwunden – zusammen mit Stevens. Roberts, der mit Marta Lami auf Suchexpedition gefahren war, kehrte am Abend allein zurück. »Wo ist Miss Lami?« fragte Ben. Roberts sah ihn erstaunt an. »Haben Sie nicht nach ihr geschickt? Stevens, Vanderschoof und der Grieche fuhren mit einem Wagen vor, während wir das St. George Hotel durchsuchten. Stevens sagte, er hätte Auftrag, Miss Lami zu Ihnen zu bringen.« »Hm. Ich verstehe. Na, solange sie nicht zurückkommen, ist es egal.« In raschem Tempo fuhr der Wagen auf der Straße nach Albany dahin, als Marta Lami plötzlich nach oben deutete und rief: »Ist das nicht ein Vogel?« »Tatsächlich«, bestätigte der Grieche und folgte ihrem Blick. »Und er sieht genauso aus wie der, von dem Roberts erzählt hat!« Vanderschoof holte seine Pistole aus der Tasche. »Vielleicht kommt er nahe genug für einen Schuß.«
Der Vogel kam tatsächlich näher. Bald konnten sie den großen runden Kopf, den scharfen, gebogenen Schnabel und die vier Schwingen unterscheiden. Er schien sie mit seinen klugen Augen zu beobachten wie ein Raubvogel ein kriechendes Reptil. Schließlich strich er so dicht über sie hinweg, daß sie deutlich die metallisch glänzenden Krallen an seinen Füßen sehen konnten. Vanderschoof feuerte. Der Vogel schien mehr erstaunt als erschreckt. Er hob sich höher in die Luft, kreiste noch ein paarmal über ihnen und machte keine Anstalten zur Flucht. Die Chance war zu gut, um sie sich entgehen zu lassen. Diesmal schossen Vanderschoof und der Grieche gleichzeitig. Der Vogel kreischte auf, überschlug sich und stürzte dann in wirbelnden Spiralen ab. Pappagourdas schrie aufgeregt: »Halt! Stop! Er muß dort unten am Fluß niedergegangen sein! Ich möchte ihn suchen!« »Wozu?« meinte Stevens. »Wir können ihn doch nicht essen.« Über das Motorengeräusch hinweg hörte man immer noch die Schreie des verwundeten Vogels. Eine halbe Stunde später sichteten sie den zweiten Vogel. Vanderschoof sah ihn zuerst und machte die andern darauf aufmerksam. Kurz darauf gesellten
sich zwei weitere hinzu – man wußte nicht woher. Die Vögel folgten dem Wagen in einiger Entfernung, verschwanden gelegentlich hinter einem Hügel und tauchten nach einer Weile wieder auf, diesmal so nahe, daß der Grieche erschrocken aufschrie. »Was ist los, Pappa?« fragte die Tänzerin. »Seht doch! Die Vögel! Scheint fast, als verfolgten sie uns.« »Unsinn«, sagte Stevens. »Vögel sind nicht intelligent genug dafür.« Sie hatten jetzt eine lange gerade Strecke vor sich, und er gab Gas. Die Vögel beschleunigten daraufhin auch ihr Tempo. Marta Lami bemerkte: »Einer von ihnen trägt etwas in den Klauen.« Sie hatte noch nicht ausgesprochen, da schwang sich der Vogel hoch über sie hinweg und ließ einen Felsblock auf die Straße hinuntersausen. Er prallte wenige Meter vor ihnen auf, und Stevens konnte gerade noch in letzter Sekunde den Wagen herumreißen. Marta Lami schrie auf. Vanderschoof stieß einen Fluch aus. Stevens brüllte: »Los! Feuert doch! Ihr Narren! Was mußtet ihr vorhin auf sie schießen! Jetzt haben wir sie auf dem Hals!«
Vanderschoof hatte bereits die Pistole gezogen und schoß mehrmals hintereinander. Er verfehlte den Vogel zwar, aber dieser erschrak immerhin und ließ seinen Stein zu früh fallen, um Schaden anzurichten. »Wir sind nicht mehr weit von West Point!« schrie Stevens. »Dort können wir Deckung nehmen.« Vanderschoof fuhr fort zu schießen. Er zielte langsam und sorgfältig. Pappagourdas feuerte wild drauflos. Der dritte Vogel kreiste jetzt hoch über ihnen und schien auf den geeigneten Moment zu lauern, um sie mit seinem Stein zu zerschmettern. Stevens lenkte den Wagen in einem halsbrecherischen ZickzackKurs. »Was sind das bloß für Vögel?« stöhnte er. »Ich habe nie etwas Ähnliches gesehen!« Vanderschoof meinte: »Sie erinnern mich an die Kondore von Südamerika. Nur daß sie noch viel größer sind.« Krach!!! Der dritte Felsbrocken schlug keine drei Meter neben ihnen auf und zerbarst in tausend Stücke. Eines von ihnen traf die Windschutzscheibe, die klirrend zersprang. Und schon war der erste Vogel wieder mit einem neuen Stein da, von den anderen mit lautem Krächzen begrüßt!
Die drei flogen jetzt in einer Reihe auf sie zu und ließen gleichzeitig ihre Last fallen. Es gelang Stevens, dicht vor dem Aufprall zu bremsen, wobei der Wagen ins Schleudern geriet und sich einmal um sich selbst drehte. Der Bankier sprang mit einem Satz aus dem Wagen und zerrte Marta Lami hinter sich her in die Kaserne. Vanderschoof folgte eiligst. Der Grieche stolperte beim Aussteigen und fiel. Auf der Schwelle zögerte Vanderschoof und sah sich nach Pappagourdas um. Aber Stevens warf hastig die Tür ins Schloß. Durch die vergitterte Milchglasscheibe konnten sie die drei Vögel auf den Griechen hinunterstoßen sehen. Der Bankier feuerte. Ein Schrei gellte auf. Die Vögel erhoben sich mit rauschenden Schwingen. Den Griechen entführte einer von ihnen in seinen Klauen. »Was sind das bloß für Ungeheuer?« fragte sie verstört. Der Bankier zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Irgendeine neue Art von hochentwickelten Vögeln, die sich zur gleichen Zeit herangebildet hat, als wir durch diesen Kometen in Maschinen verwandelt wurden. Ich nehme es zumindest an. Jedenfalls ist es entsetzlich. Sie haben den Griechen erwischt.«
»Können wir sie nicht verfolgen? Es muß doch hier irgendwo Flugzeuge geben.« »Bei diesen schlechten Sichtverhältnissen? Und können Sie überhaupt ein Flugzeug fliegen?« Die junge Frau hob den Kopf. »Jetzt frage ich mich, warum wir eigentlich hierher gekommen sind«, fragte sie. Diese provozierende Frage wirkte auf die Männer wie ein elektrischer Schlag. »Natürlich«, sagte Stevens. »Wir sind hergekommen, um nachzusehen, ob es hier noch Menschen gibt.« Er drehte sich um und öffnete die Tür, die in den angrenzenden Raum führte. Er war leer. »Moment«, sagte er. »Heute hat es keinen Sinn mehr, irgend etwas zu unternehmen. Wir haben keine Taschenlampen.« »Was sollen wir dann tun? Hier sitzen und Däumchen drehen? Los, suchen Sie eine Garage. In einem der Autos finden Sie bestimmt eine Lampe.« »Aber dann werden die Vögel aufmerksam.« »Mein Gott, was sind Sie doch für ein Angsthase. Die Vögel schlafen bei Nacht.« Stevens machte einen zögernden Schritt in die Richtung, in der die Tür lag. »Ich komme mit«, sagte Vanderschoof und stand auf. »Was ist denn? Glauben Sie nicht, daß er es allein schaffen könnte?«
»Das ist nicht der Grund. Aber ich lasse Ihnen meinen Revolver hier, Miss Lami.« »Bis bald«, sagte Stevens über die Schulter. »Machen Sie sich keine Sorgen.« Dann gingen sie hinaus. Der Tänzerin kam die Zeit endlos lange vor. Ein starker Drink wäre jetzt das Richtige, überlegte sie. Vielleicht doch nicht, wenn man bedachte, was Alkohol in ihren veränderten Innereien ausrichten könnte. Was war das? Sie horchte angestrengt. Ein leises Geräusch, wie ein metallisches Klappern. Eine Ratte? Nein, es hatte zu blechern geklungen. Die Männer vielleicht, oder einer von ihnen, der zurückkehrte? Sie blickte aus dem Fenster. Es war niemand zu sehen. Wieder kam das Geräusch – nicht von draußen, sondern von drinnen – etwa in diesem Zimmer? Sie packte den Revolver, den Vanderschoof ihr gegeben hatte. Wieder dieses Klappern. Verzweifelt wünschte sie, sie könne Licht machen. Die Vögel? Nein – Vögel schlafen bei Nacht. Es klapperte wieder. Diesmal ununterbrochen. Sie stand auf und versuchte, in der Finsternis etwas zu erkennen. Vögel konnten das nicht sein, die würden lautere Geräusche verursachen. Dieses Geräusch war verhältnismäßig schwach, wie das Klappern einer mechanischen Ratte. Auf Zehenspitzen schlich sie über den Teppich zur Tür. Als sie glaubte, sich ganz in ihrer Nähe zu befin-
den, drehte sie sich um, hielt die Hand mit der Waffe vor sich ausgestreckt und tastete mit der anderen nach der Tür. Ihre Hand berührte die Oberfläche, dann klapperte es, als ihre Metallfinger gegen die Türklinke stießen. Atemlos blieb sie stehen. Das leise Klappern im Raum ging weiter. Mit einem plötzlichen Ruck riß sie die Tür auf und stürzte fast die Treppe hinunter. Während ihrer hastigen und klappernden Flucht bemerkte sie einen bleistiftdünnen Strahl violetten Lichtes, der irgendwo aus den Hügeln kam, sich dreimal über den Himmel bewegte und so schnell wieder erlosch, wie er aufgeblitzt war. Der Strahl einer Taschenlampe blendete sie, und dann hörte sie ihre eigene Stimme sagen: »Da oben ist etwas.« Sie mußte sehr undeutlich gesprochen haben, denn Stevens packe sie ziemlich grob am Arm und fragte: »Was sagen Sie? Los, reißen Sie sich zusammen.« »Es muß hier noch irgend jemand anderen geben«, bemerkte Vanderschoof, der wahrscheinlich ihre Worte nicht verstanden hatte. »Haben Sie eben diesen Lichtstrahl gesehen?« Marta Lami richtete sich auf, schüttelte die Hand ab, mit der Stevens sie gepackt hatte. »Es war unheimlich«, sagte sie. »Es klang so, als ob jemand im Dunkeln mit Würfeln klapperte.«
Stevens' Lachen klang gezwungen. »Jedenfalls kein Grund zum Davonlaufen, es sei denn, es wäre einer von diesen widerlichen Vögeln, und der hätte uns inzwischen schon in Stücke gerissen. Kommen Sie!« Er rannte die Treppe hinauf, riß die Tür auf und stürzte in den Raum. Im Schein seiner Taschenlampe war der Raum leer. Es gab noch eine zweite Tür in dem Raum, neben der, die Stevens vorhin geöffnet hatte. Jetzt ging er darauf zu und stieß sie auf. Der Raum dahinter war ebenfalls leer. Nein, nicht ganz. Irgend etwas befand sich darin. Der Lichtkegel erfaßte den Teil einer braunen Armee-Uniform hinter einem Schreibtisch. Er wanderte daran in die Höhe, bis er auf dem Gesicht zur Ruhe kam. Ein starres Metallgesicht starrte ihnen entgegen. Aber es unterschied sich von allen denen, die sie bisher gesehen hatten. Es lag irgendwo in der Mitte zwischen den wandelnden metallenen Gliederpuppen, wie sie es waren, und den häßlichen starren Körpern auf den Straßen New Yorks, die wie von ihren Sockeln herabgestoßene Bronzestatuen aussahen. Die Gestalt hinter dem Schreibtisch trug einen Metallreifen um den Kopf, wie sie selbst, aber das Haar darüber war zu einer kompakten Masse erstarrt, so als sei es unter der Einwirkung großer Hitze geschmolzen. Die Nase war durch und durch metal-
lisch, die Augen – die Augen – es waren die Augen einer Statue, stumpf und leblos. Sie rührten sich nicht von der Stelle, wagten kaum zu atmen. Dann machten sie ein paar Schritte in den Raum hinein, und als sich dabei der Strahl von Stevens' Taschenlampe bewegte, hörten sie das Geräusch, von dem Marta Lami berichtet hatte. Dann fiel der Lichtstrahl wieder auf das starre Gesicht, und es konnte keinen Zweifel geben: die stumpfen Augen hatten sich bewegt. Während der nächsten Sekunden verschlug es ihnen allen die Sprache. Dann flüsterte Vanderschoof: »Mein Gott, es lebt!« Stevens brach den Bann, indem er mit raschen Schritten zum Schreibtisch ging. »Können wir etwas für Sie tun?« fragte er. Die starre Gestalt veränderte ihre Stellung nicht – nur die Augen bewegten sich in dem ausdruckslosen Gesicht, begleitet von dem schabenden Geräusch von Metall gegen Metall. Der Bankier ergriff eine Hand der Gestalt und versuchte, den Arm zu beugen. Dann ließ er ihn los, und der Arm fiel mit einem krachenden Poltern auf die Schreibtischplatte herab. Dieser Mensch bestand zwar aus Metall, aber das Metall war nicht hart, sondern so nachgiebig wie Fleisch. »Was ist mit ihm passiert?« fragte Marta Lami leise,
als habe sie Angst, sie könnte einen Schlafenden aufwecken. Stevens zuckte die Achseln. »Sie könnten genauso gut fragen, was mit uns allen geschehen ist? Ich sage Ihnen, er lebt. Gehen wir lieber. Mir gefällt das nicht.« »Aber wohin denn?« »Wir nehmen die Straße nach Albany«, sagte Stevens. »Es wäre zu gefährlich, hier zu bleiben. Wenn die Vögel am Morgen zurückkommen ...« »Und dieser arme Teufel hier?« fragte Marta Lami. »Wir müssen ihn hierlassen, was können wir anderes tun? Was hier geschehen ist, ist für meinen Geschmack zu mysteriös. Wenn Sie wollen, können Sie ja hier bleiben, bis Sie Wurzeln schlagen. Ich haue jedenfalls ab.«
5 Beevilles Untersuchungen kamen nur sehr langsam voran. Zum Beispiel geriet Farrelly in eine Maschine und verlor einen Finger. O'Hara stellte einen neuen Finger aus Eisen und Gummi her, und Beeville befestigte ihn an Farrellys Hand, aber der neue Finger blieb ohne Gefühl und ließ sich auch nicht bewegen. Die größte Schwierigkeit bestand darin, daß die meisten Mitglieder der Gruppe nicht die geringste technische Vorbildung besaßen. O'Hara war ein leidlich guter Mechaniker. Dangerfield Radiobastler, und die meisten verstanden es, mit einem Auto umzugehen. Aber das war auch alles. Um dem dringendsten Bedarf abzuhelfen, bestimmte Ben für jeden ein technisches Spezialgebiet, auf dem er sich einige Kenntnisse aneignen mußte. Bücher waren im Institut ausreichend vorhanden. So wurden nach einer Woche Tholfsen und Mrs. Roberts losgeschickt, um eine Lokomotive aus der Central Station aufzutreiben und in Gang zu bringen. Nach zahllosen Versuchen glückte es ihnen, eine Lok zu reparieren. Aber sie mußten den Plan bald aufgeben, sie einzusetzen; die Gleise waren von Trümmern völlig blockiert, die man nicht ohne Hilfe von Kränen beseitigen konnte.
Inzwischen versuchten Dangerfield und Murray Lee den Rundfunksender im Central Park in Betrieb zu setzen. Für ihre technischen Kenntnisse ein schwieriges Unterfangen. Sie mußten sich damit begnügen, eine Telegrafenverbindung zwischen dem Institut und der Sendestation einzurichten. Farrelly, Gloria und ein Textilhändler namens Kevitz studierten eine Woche lang Bücher über Seefahrt und Schiffsmaschinen. Dann kaperten sie einen Schlepper im Hafen und wagten sich auf Entdekkungsreise. Eine halbe Stunde später saßen sie vor Bedloe's Island mit der düsteren Aussicht auf Grund fest, den Rest ihres Lebens hier zu verbringen. An Schwimmen war bei ihrem Gewicht natürlich nicht zu denken. Glücklicherweise kam ihnen einige Stunden später die Flut zu Hilfe. Sie setzten ihre Reise fort und fanden auf Governors Island einen einsamen Artilleristen, der bereits halb verhungert war. Sie frischten ihn mit einer Batterie und einem Schuß Öl auf und nahmen ihn mit. Die großen Vögel (denen Beeville den naturwissenschaftlichen Namen »Tetrapteryxes« gegeben hatte) waren aus der Stadt verschwunden. Selbst das Nest mit den Eiern, das Roberts im Waldorf entdeckt hatte, war verlassen. Die Kolonisten waren übereingekommen, sich je-
den Abend um zehn Uhr im Institut zu treffen, um über die Tagesereignisse zu berichten. Eine Abends fehlte Massey, der Kunstmaler. Massey pflegte sich täglich mit seiner Staffelei auf die Jagd nach Motiven zu begeben. Gloria und Murray fanden seine Staffelei am nächsten Morgen auf der obersten Plattform des Daily News Gebäudes, wo er zuletzt gesehen worden war. »Er muß überstürzt aufgebrochen sein«, bemerkte Murray. »Sonst hätte er die Staffelei nicht zurückgelassen, an der er mehr als an seinem eigenen Leben hing.« »Vielleicht ist er hinuntergestürzt«, meinte Gloria. »Die Staffelei ist umgefallen, und der Klappstuhl liegt am anderen Ende der Plattform. Sieht aus wie ein Unfall. Oder – könnten ihn diese verdammten TetraEchsen oder wie sie heißen, geholt haben?« Dies war auch Bens Ansicht, als er später ihren Bericht hörte. Er erklärte am Abend den versammelten Kolonisten: »Es ist klar, daß diese Vögel für uns gefährlich sind. Wir werden nur noch in Gruppen das Haus verlassen und uns entsprechend bewaffnen. Bei einem Nahangriff dieser Bestien dürften sich Hieb- und Stichwaffen noch besser bewähren als Schußwaffen. Ich schlage vor, wir bilden Dreiergruppen, von denen je eine Person mit einer Pistole, eine mit einem Mes-
ser oder ähnlichem und die dritte mit einer Taschenlampe ausgerüstet ist.« Trotzdem kam in dieser Nacht Ola Mae Roberts abhanden. Der Angriff kam eine Woche später. Während dieser Woche hatten Dangerfield und Murray so weit Fortschritte gemacht, daß sie Funktelegramme senden und empfangen konnten; leider meldete sich vorläufig niemand aus dem Äther. Die Marinegruppe hatte einen Frachter von den South Street Docks zum Hudson gebracht. Eines frühen Morgens stiegen Gloria, Farrelly, Kevitz und Yoshio in eine Limousine, um zum Frachter zu fahren. Murray begleitete sie mit der Absicht, die Telegrafenverbindung zwischen dem Schiff und dem Institut auszuprobieren. Der Himmel war bewölkt, so daß sie die Tetrapteryxes nicht gleich sahen. Nur durch einen Zufall bemerkten sie sie überhaupt. Murray machte nämlich eine Bemerkung über die Statue General Shermans, und Gloria schaute auf. Dabei achtete sie nicht auf die Straße und streifte mit einem Kotflügel das Gitter, das das Denkmal umgab. Sie riß den Wagen herum. In diesem Augenblick krachte ein großer Steinbrocken auf den Asphalt – genau auf die Stelle, auf der der Wagen eigentlich hätte sein sollen.
Sie sprangen aus dem Wagen, um Deckung zu nehmen. Aber in derselben Sekunde stieß irgend etwas mit ohrenbetäubendem Gekreische auf sie herunter. Vier riesige Schwingen flatterten wild um ihre Ohren – und gleich darauf hob sich der Vogel in die Luft, den kleinen Yoshio in den Krallen. Kevitz wollte feuern, aber Murray hielt ihn zurück, um zu verhindern, daß er den Japaner traf. Sie sahen den Vogel mit seiner Beute davonfliegen und konnten nichts tun. Es blieb ihnen auch gar keine Zeit, denn schon griffen ein halbes Dutzend weiterer Vögel an. Gloria schoß kaltblütig in die kreischende Masse aus Schwingen und Schnäbeln. Zwei der riesigen Tiere klatschten aufs Pflaster, wo sie unter heiserem Krächzen verendeten. Aber sie hatte nicht verhindern können, daß auch Dangerfield und Farrelly entführt wurden. »Was jetzt?« stöhnte Murray. »Ins nächste Haus!« rief Gloria und rannte los. Sie schafften es bis zu einem Gebäude, das früher eines der vornehmsten Hotels New Yorks gewesen war. Kaum hatten sie die Tür hinter sich zugeworfen, als die Vögel den Eingang belagerten. Den ganzen Tag dauerte die Belagerung. Meist blieben die Vögel unsichtbar, aber sowie Murray und Gloria den Kopf zu irgendeinem Fenster hinausstreckten, waren sie wieder da.
Als es Nacht wurde, beschlossen sie, einen Ausbruchsversuch zu wagen. Sie schlichen sich hinten herum zur Hotelgarage und schoben einen Wagen zum Tor hinaus. »Moment«, sagte Murray, als Gloria eingestiegen war. »Was ist das?« »Der Starter. Er springt nicht an.« »Nein – das ist es nicht.« Ein Windstoß jagte ihnen einen Regenschauer ins Gesicht. Zugleich hörten sie einen fernen Schrei, dann Schüsse und einen dumpfen Knall. »Sie greifen an! Sogar bei Nacht!« Murray sprang in den Wagen, der jetzt endlich ansprang. Gloria gab Gas. Sie wichen dem Wrack eines Autobusses aus und rasten in Richtung First Avenue. Je näher sie dem Institut kamen, desto lauter wurde das Gewehrfeuer. In der Straße vor ihnen explodierte etwas wie eine Bombe und spie Feuergarben aus. Gloria bremste jäh. Sie stürzten aus dem Wagen und auf das Haus zu. Überall um sie her züngelten Flammen. Als sie die Tür erreichten, wurde diese von innen aufgerissen und jemand zerrte sie hinein. Gerade in dem Augenblick, als ein gewaltiger Vogel auf sie herunterstieß. Sie hörten Bens Stimme: »Gott sei Dank, daß ihr da seid! Sie haben Dearborn und Harris geholt und belagern uns hier.«
Er wies aus dem Fenster zu dem gegenüberliegenden Gebäude, das bereits in Flammen stand. »Sind es unsere süßen Küken, die es angesteckt haben?« fragte Gloria. »Scheint so. Sie haben Brandbomben. Was ist mit Kevitz und Farrelly?« »Entführt«, antwortete Gloria düster. »Auch Yoshio. Tut mir leid um den kleinen Japaner, er war immer so höflich.« »Danke freundlicher Dame für Kompliment«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Sie wandten sich um und sahen in das lächelnde Gesicht des Japaners. »Wie kommen Sie hierher?!« rief Gloria erstaunt. »Ich sah Sie zuletzt als Kunstflieger über dem Central Park!« »Ich hatte Glück. Konnte Vogel mit langem Messer verwunden, so daß er mich fallen ließ. Ich fiel in Baumkrone, kletterte in gepanzerten Polizeiwagen und fuhr wieder hierher!« »Alle Achtung!« sagte Gloria. Roberts kam die Treppe heruntergerannt, ein Gewehr in der Hand. »Sie haben das Gebäude in Brand gesteckt! Wir müssen 'raus!« Ben Ruby zog eine Trillerpfeife und stieß einen durchdringenden Pfiff aus.
Aus allen Räumen des Instituts kamen die Kolonisten in die Halle geströmt. Vor dem Fenster explodierte eine weitere Brandbombe. »Was wollen sie? Uns ausräuchern?« Ben sagte: »Nach Beevilles Ansicht sind sie nicht intelligent genug, um selbst einen solchen Plan zu haben. Er meint, sie werden von anderen, intelligenteren Wesen vorgeschickt. Alle mal herhören!« Die Kolonisten scharten sich um ihn. »Wir müssen sofort das Haus räumen. Ziel ist die Untergrundbahn am Times Square. Dort können sie uns nicht so leicht bombardieren. In Dreiergruppen, wie besprochen. Also los.« In fliegender Eile machten sich alle bereit. Als erste Gruppe gingen Gloria mit dem Gewehr, Yoshio mit dem Messer und O'Hara mit einer Taschenlampe. Mit ein paar Sprüngen erreichten sie den Wagen und fuhren in die Nacht hinaus. Die zweite Gruppe in Yoshios gepanzertem Polizeiwagen schaffte es ebenfalls. Aber die dritte war erst auf halbem Weg zu den geparkten Wagen, als eine Bombe dicht hinter ihnen krepierte. Die im Haus Verbliebenen sahen, wie die Gruppe sich verzweifelt zusammendrängte, Feuer aus der Pistole aufzuckte – und dann war alles nur noch ein wildes Gewirr von riesigen Schwingen, Krallen und Schnäbeln.
»Jetzt! Solange sie beschäftigt sind!« schrie Ben. Die restlichen Kolonisten stürzten hinaus. Niemand wußte genau, was geschah. Jemand stolperte, jemand wurde verletzt, aber in einen Wagen gezerrt. Ein verwundeter Vogel auf dem Boden schlug wild um sich. Mit aufheulenden Motoren entfernte sich die kleine Karawane.
6 Es würde zu weit führen, die Einzelheiten dieser wilden Flucht zu schildern. Im Morgengrauen fanden sich vierzehn Kolonisten im Tunnel der Untergrundbahn zusammen. Alle waren in sehr gedrückter Stimmung. Gloria fragte besorgt: »Sollen wir hierbleiben, bis sie uns aufstöbern?« »Nein«, entschied Ben. »Hier nicht. Wenn sie erst einmal den Trick 'raushaben, können sie uns auch hier angreifen.« »Und was sollen wir tun?« Gloria hatte einen Einfall: »Könnten wir nicht irgendein Kriegsschiff klarmachen? Auf denen gibt es darauf Geschütze genug.« Jemand sagte: »Auf dem Hudson liegt ein Zerstörer.« »Wieviel Mann Besatzung braucht er?« »Hundertfünfzig.« »Pah«, meinte Gloria, »die Zahl gilt für Menschen von Fleisch und Blut. Aber wir sind bedeutend stärker, leistungsfähiger und brauchen weder Schlaf noch Essen.« Ben schloß sich ihrer Meinung an. Fünfzehn Minuten später machten sie sich vorsichtig auf den Weg, um die U.S.S. Ward zu kapern.
Als es Nacht wurde, machten sich alle eifrig an die Untersuchung des Maschinenraumes, der Kommandobrücke und aller technischen Einzelheiten des Schiffes. Murray war der einzige, der ein paar Monate zur See gefahren war und daher einige Erfahrung auf diesem Gebiet besaß. Während Murray und Beeville über den Navigationskarten saßen, steckte Gloria ihre wirre Drahtfrisur zur Tür herein. »Wie steht's? Fahren wir morgen zu den Kannibaleninseln?« fragte sie munter. »Kommt nicht in Frage!« erklärte Murray. »Wir verstehen viel zu wenig von der Schiffsführung, um uns auf große Fahrt zu wagen. Vorläufig schwitzen wir noch über den Navigationsberechnungen und kommen nicht damit zurecht.« »Meinen Sie, Mr. Beeville, daß sie uns wieder bombardieren, sobald sie uns ausfindig machen?« »Das möchte ich annehmen. Die letzte Schlacht haben sie nach Punkten gewonnen! Wenn ich nur wüßte, woher sie kommen. Sie widersprechen allen irdischen Entwicklungsgesetzen – mit ihren vier Flügeln und zwei Beinen!« In diesem Augenblick ging draußen eines der Bordgeschütze los. Die drei stürzten zur Tür und sahen hinaus. Zwischen den Abendwolken am Himmel segelte ein schwarzer Fleck mit schwirrenden Flügeln.
»Nun ist es entschieden«, seufzte Murray. »Ob wir wollen oder nicht, wir müssen fort. Warum mußten diese Idioten auch schießen! Jetzt wissen unsere Feinde Bescheid. Gloria, geh hinunter und sag den Leuten im Maschinenraum, daß wir auslaufen.« Der einsame Tetrapteryx schien nur ein Späher gewesen zu sein. Aber es dauert eine lange Zeit, bis ein Schiff, das lange im Hafen gelegen hat, seeklar ist – besonders wenn die Besatzung nicht allzuviel davon versteht. So kam der richtige Angriff, bevor sie auslaufen konnten. Es begann mit einem Bombeneinschlag im Wasser, der den Zerstörer heftig auf die Seite warf. In der ersten Panik wollten alle an Deck hinauf, aber Bens Stimme hielt sie zurück: »Ruhig bleiben!« befahl er. »Alles an die Maschinen, außer McAllister, O'Hara und den Navigatoren.« Die vier kletterten die Eisenleiter hoch, Murray als erster. Ein zweiter Einschlag ließ das Schiff einen wilden Satz machen. Murray zog sich an Deck hinauf. Statt der erwarteten Dunkelheit empfing ihn ein blendendes Feuerwerk. Eine riesige Fackel loderte auf dem Wasser, keine fünfzig Meter entfernt; eine fühlbare Welle von Hitze ging von ihr aus. Murray rannte vorwärts, um die Ankerwinde ein-
zuschalten. Dabei stolperte er und schlug der Länge nach auf die Planken. Der Sturz rettete ihm das Leben, denn in diesem Moment traf eine Bombe das Vordeck. Das ganze Vorschiff schien in Flammen zu stehen. Die intensive Helle blendete Murray so, daß er mit dem Gesicht am Boden liegenblieb, unfähig, die Augen zu öffnen. Auch die anderen, die ihm gefolgt waren, taumelten und stürzten. Aber die Vögel hatten offenbar die Wirkung ihres Treffers nicht erkannt oder sie fürchteten sich vor den Bordgeschützen. Sie zogen sich etwas zurück, verständigten sich mit schrillen Schreien und schienen Kriegsrat zu halten. McAllister und O'Hara warteten das Ergebnis nicht ab, sondern rafften sich auf und rannten auf das Geschütz zu. Die Kanone brüllte auf. Beeville, der der blendenden Helle am nächsten gewesen war, erholte sich langsamer, fand aber schließlich doch den Weg zur Kommandobrücke. Von hier aus gab er den Befehl zum Maschinenraum: »Volle Fahrt voraus!« Im Bauch des Schiffes entwickelte sich lebhafte Geschäftigkeit. Rauch und Dampf stiegen aus den Schornsteinen, und langsam setzte sich der Koloß in Bewegung, während die Bordgeschütze ihre Ladungen in den Himmel donnerten.
Beeville hörte Murray die Leiter zur Brücke hinaufklettern und schreien: »Der Anker!« Aber es war zu spät. Mit einem gewaltigen Ruck hatte das Schiff den Anker aus dem Grund gerissen und drehte sich halb um sich selbst, während die Ankerkette rasselnd gegen die beschädigte Flanke schlug. In diesem Augenblick ging dicht neben ihnen eine Bombe ins Wasser, die sie unweigerlich mittschiffs getroffen hätte, wäre das Schiff nicht durch den Ruck herumgeworfen worden. Murray riß das Ruder herum, dann stellte er den Maschinentelegraf auf »Stop«. Keinen Augenblick zu früh, denn schon stieß der Kiel des Zerstörers auf Grund, der Bug streifte ein Schnellboot, und das Schiff legte sich quer zur Fahrtrichtung. Glücklicherweise brach der Angriff so rasch ab, wie er begonnen hatte. Ein weiterer Schuß löste als Antwort nur ein paar schrille Schreie in der Dunkelheit aus. Dann wurde es still. Aber niemand konnte wissen, ob dies nicht nur die Stille vor einem neuen Sturm war. Murray und Beeville mühten sich verzweifelt ab, durch geschicktes Manövrieren das Schiff wieder in Fahrtrichtung zu bekommen. O'Hara gabelte einen Schweißbrenner auf und bearbeitete die Ankerkette,
die unter der Hitze der Brandbombe zu einer kompakten Masse zusammengeschmolzen war. Im Morgengrauen hatten sie die Ward glücklich aus dem Hafenbecken hinausmanövriert und fuhren langsam stromabwärts auf die See hinaus. »Na, wie weit sind wir?« fragte eine fröhliche Stimme. »Australien schon in Sicht?« Es war Gloria, die auf die Kommandobrücke spaziert kam. »Warten Sie«, sagte Murray Lee. »Ich übergebe das Ruder an Beeville, um mich wieder etwas mit dem Funkgerät zu beschäftigen. Hoffentlich hat ihm die Bombe nichts geschadet. Sie hat ja allerhand Unheil angerichtet.« Er wies auf die Bordgeschütze am Bug, die wie weichgewordene Kerzen herunterhingen; das ganze Vorschiff war nur noch ein Schrotthaufen. Gloria pfiff durch die Zähne. »Ein hübsches Ei haben uns diese Vögelchen gelegt! Was war das bloß?« »Keine Ahnung. Jedenfalls eine hochwirksame Brandbombe, die Stahl wie Wachs schmilzt. Bloß gut, daß sie keine Atombomben haben.« Er hatte währenddessen am Radio gearbeitet. »Moment!« rief er plötzlich. »Ich glaube, ich hab was!«
Er drehte an den Knöpfen, dann setzte er die Kopfhörer auf. »Tatsächlich! Morsezeichen! Das bedeutet, daß wir nicht ganz allein auf der Welt sind. – Was? – AM RUFT – Wer ist AM ...?« Er griff nach einem Bleistift und schrieb die Botschaft nieder, die er empfing: »Position 73° 53' westliche Länge, 38° 03' nördliche Breite – hier!« Er reichte den Zettel Beeville. »Rechne das einer aus! Er will unsere Position wissen. Gloria, hol Ben!« Sie lief davon und kam gleich darauf mit dem Präsidenten zurück. Inzwischen hatte Beeville die Zahlen mit der Karte verglichen. »Sie müssen ganz in unserer Nähe sein!« rief er aufgeregt. »Genau kann ich unsere eigene Position nicht so schnell berechnen. Sagen Sie ihnen das.« Ben entschied: »Erst wollen wir wissen, wer sie sind. Nach allem, was wir erlebt haben, traue ich den Tetrapteryx sogar zu, daß sie morsen können!« Murray berichtete: »Es ist das australische Kriegsschiff Brisbane. Moment mal, wir sind so nahe, daß wir uns vielleicht sogar über den Lautsprecher verständigen können.« Er schaltete um. Gleich darauf hörten sie eine tiefe, volle Stimme: »Captain Entwhistle von der Australi-
schen Marine an den Kommandanten der U.S.S. Ward. Können wir uns treffen? Es scheint, daß der Komet in Ihrem Land große Verwüstungen angerichtet hat. Sie sind die ersten Menschen, denen wir auf dieser Hemisphäre begegnen.« »Wo ist das Mikrofon?« fragte Ben. »Ah, hier. Hallo! Benjamin Ruby, zur Zeit Kommandant der U.S.S. Ward, an Captain Entwhistle. Wir sind keine Seeleute. Wir kommen mit diesem Schiff nicht zurecht. Wenn Sie uns treffen wollen, müssen Sie hierherkommen. Wir versuchen, entlang der Küste unseren Kurs auf Cap May zu halten.« Der australische Kapitän lachte trocken. »Gut, wir kommen. Gibt es auch in Ihrem Teil der Welt diese sonderbaren großen Vögel? Sie haben uns den ganzen Sommer belästigt.« »Sie sind es, die uns aus New York vertrieben haben! Sie haben hochwirksame Bomben und führen einen regelrechten Krieg gegen uns.« »Solche Erfahrungen haben wir noch nicht mit ihnen gemacht«, antwortete der Australier. »Augenblick – ich höre gerade, unsere Wache meldet, daß der Rauch aus Ihren Schornsteinen bereits zu sehen ist. Halten Sie weiter Ihren Kurs. Wir kommen.« Damit unterbrach er die Verbindung. Mit einem Seufzer der Erleichterung schaltete Ben das Radio aus.
»Es wird Zeit, daß wir diesen Pott verlassen. Er leckt wie eine alte Regentonne.« Wenig später wurden die Aufbauten des australischen Kreuzers am Horizont sichtbar. Die Schiffe näherten sich einander, bis sie nur noch ein paar hundert Meter voneinander entfernt waren. Dann ließen die Australier ein Boot zu Wasser, das den Kapitän mit einigen seiner Leute zur Ward brachte. Die Überraschung war gegenseitig. Die Australier sperrten Mund und Augen auf, als sie die amerikanischen Maschinenmenschen erblickten. Aber die Australier selbst boten ebenfalls einen überraschenden Anblick. Sie waren zwar aus Fleisch und Blut – aber von tief dunkelblauer Hautfarbe!
7 Ein paar Minuten lang starrten die beiden Mannschaften einander verblüfft an. Captain Entwhistle traute seinen Augen nicht. Endlich fragte er zögernd: »Seid ihr – Menschen?« Gloria antwortete für ihre Gefährten: »Wenn uns nicht alles täuscht, ja. Aber wieso seid ihr alle blau?« »Das war die Wirkung des Kometen in Australien. Soviel wir wissen, ist er auf eurem Kontinent niedergegangen, darum seid ihr noch viel härter betroffen worden. Was ist mit dem Schiff los?« Er deutete auf das schwer angeschlagene Vorschiff. »Ein kleines Geschenk der Vögel«, erklärte Ben. »Könnt ihr uns aufnehmen? Wir sind nicht viele.« »Selbstverständlich. Kommen Sie, in meiner Kabine können wir alles Weitere besprechen.« Als sie an Deck der Brisbane kletterten, staunten die blauen Matrosen nicht wenig über die lebenden Roboter mit ihren metallenen Gesichtern und den Haaren aus Draht. In der Kapitänskabine fragte Entwhistle: »Möchte jemand von Ihnen einen Whisky mit Soda?« »Nein, danke«, sagte Murray. »Aber wenn ich um einen Schluck Schmieröl bitten dürfte –«
»Wie Sie wünschen«, antwortete der Kapitän verblüfft. »Williams –« Ben sagte: »Erklären Sie uns doch, was geschehen ist, Captain. Wir wissen fast gar nichts – nicht einmal das Datum.« »Aber gem. Der Komet traf die Erde am 16. Februar vorigen Jahres – nach amerikanischer Zeit am Abend des 15. Selbst in unserem Land, auf der anderen Seite der Welt, hat er großen Schaden angerichtet. Seine Gase haben uns alle für kurze Zeit betäubt, und dies führte natürlich zu einer Kette von Unfällen. Unsere Wissenschaftler haben herausgefunden, daß diese Gase das Eisen im Hämoglobin unseres Blutes in Kobalt verwandeln. Daher wohl unsere blaue Farbe.« »Was für ein Datum haben wir jetzt?« »Heute ist der 18. August 1982.« »Großer Gott! Dann ist ja mehr als ein Jahr seitdem vergangen!« Ben erklärte: »Wir haben etwa vor zwei Monaten das Bewußtsein wiedererlangt. Wir wissen nicht, wie der Komet diese Verwandlung unserer Körper bewirkt hat. Wir sind einfach aufgewacht und waren so, wie Sie uns jetzt sehen. Wir wissen nur, daß wir aus Metall bestehen, das nicht leicht rostet; daß wir uns von elektrischem Strom ernähren und Geschmack an Schmieröl finden. Das Schlimmste sind diese Vögel –«
»O ja, die Vögel«, fiel Entwhistle ein. »Sie haben uns lange nicht so viel zu schaffen gemacht wie Ihnen. Ab und zu stehlen sie ein Schaf – gelegentlich sogar einen Menschen. Unsere Wissenschaftler haben ihre Herkunft noch nicht erklären können.« »Wir ebensowenig. Sie haben uns mit ihren verdammten Brandbomben aus New York vertrieben.« »Brandbomben?« wiederholte Captain Entwhistle ungläubig. »Wollen Sie damit sagen, daß sie soviel Verstand haben?« »Und ob! Wenn Sie Näheres über sie wissen wollen, kommen Sie nach New York und versuchen Sie, mit ihnen fertig zu werden. Sie sind immerhin besser für einen solchen Kampf ausgerüstet als wir.« Der Australier überlegte. »Gut. Ich bin bereit, den Vögeln einen Kampf zu liefern – oder zumindest eine Erkundungsfahrt nach New York zu machen. Nach der Katastrophe hörten wir nichts mehr von den anderen Kontinenten. Darum wurden wir auf Entdeckungsreise geschickt. Unsere Regierung will gern wissen, was in den übrigen Teilen der Welt vorgeht.« Wenige Stunden später tauchte das wohlbekannte Panorama der Wolkenkratzer von New York vor ihnen auf. Von den Tetrapteryxes (in Australien nannte man sie »Dodos«) war nichts zu sehen.
Murray Lee stand an der Reling und schaute zu den Wolkenkratzern hinüber. Jemand berührte ihn an der Schulter. Es war Gloria. »Es ist so schön, daß ich heulen möchte!« sagte sie zornig und deutete auf die Silhouette der Stadt. »Ich kann mich nicht damit abfinden, daß eine Schar dummer Hühner uns aus unserer eigenen Stadt vertreiben sollte!« Der schrille Ton einer Pfeife unterbrach sie. Mit seemännischer Disziplin eilten die blauen Matrosen über Deck. Die Brisbane verlor an Fahrt. Die Ankerkette lief rasselnd über das Spill. Captain Entwhistle kam von der Brücke herunter. »Ich sehe noch nichts von Ihren Dodos. Halten Sie es für richtig, ein Boot an Land zu schicken?« Ben riet entschieden ab. »Auf keinen Fall! Sie wissen noch nicht, mit was für einem Gegner Sie es zu tun haben!« Der Kapitän lächelte spöttisch. Offenbar wollte er nicht die Überlegenheit dieser Vögel über die australische Marine anerkennen. Er zuckte nur die Achseln. »Wir können ja bis morgen früh abwarten, wenn Sie wollen. Sollten sie sich bis dahin nicht zeigen, so gehen wir an Land und sehen uns die Stadt einmal näher an.« Mitten in der Nacht erklang der Ruf der Wache: »Lichter – ahoi!«
Die Amerikaner stürzten eilig auf die Brücke, wo sich bereits eine Gruppe von australischen Offizieren versammelt hatte. Hoch über Jersey sahen sie eine Leuchtschrift am Himmel. Überrascht lasen sie: »WEICHE MENSCHEN FORTGEHEN. HARTE MENSCHEN SKLAVEN – HIERBLEIBEN. WARNUNG!« Captain Entwhistle schüttelte verwundert den Kopf. »Was soll das heißen? Klingt wie der Scherz eines Analphabeten.« Gloria meinte nachdenklich: »Vergeßt nicht, daß unsere Feinde mehrere Gefangene gemacht haben, die ihnen etwas Englisch beigebracht haben könnten. Dangerfield, Farrelly und die anderen.« »Sehen Sie nur!« rief einer der Offiziere. »Die Schrift wechselt!« Tatsächlich verblaßten die Buchstaben und machten neuen Worten Platz: »GEFAHR! FLIEHT AUS DIESER STADT!« »Möchte nur wissen, wie sie dieses Licht erzeugen«, murmelte Ben. »Wir werden es herausfinden«, sagte Captain Entwhistle. Er gab einem seiner Offiziere den Befehl: »Scheinwerfer drei und vier auf die Lichtquelle richten!«
Aber so schnell der Befehl auch ausgeführt wurde, es war zu spät. Die Leuchtschrift war blitzschnell verschwunden. »Offenbar wünscht uns jemand zum Teufel«, meinte Captain. »Aber so leicht lassen wir uns nicht einschüchtern. Sturgis, lassen Sie alle Geschütze bemannen. Vielleicht bekommen wir diese Nacht noch Feindberührung.« Um vier Uhr zog sich Captain Entwhistle zurück, und als er sich um acht Uhr wieder zu ihnen gesellte, wirkte er so frisch, als habe er die ganze Nacht geschlafen. Während die Matrosen mit morbider Neugierde zusahen, tankten die Siedler von einem der Schiffsdynamos elektrische Energie. Am frühen Vormittag versammelten sich alle auf den oberen Decks. Man brannte darauf, irgend etwas zu unternehmen, allen voran McAllister, der während der ganzen Nacht technische Gespräche mit den Kommandanten der Geschütztürme der Brisbane geführt hatte. »Was schlagen Sie vor?« fragte der Kapitän. »Sollen wir ein Landungsboot zu Wasser lassen?« »Ich verlasse das Land ungern, ohne es vorher diesen Biestern heimgezahlt zu haben«, entgegnete Ben, »aber ich fürchte, ein Landeunternehmen wäre zu riskant.« »Wie wäre es mit dem Flugzeug?« fragte Gloria.
Der Kapitän blickte Ben an. »Keine schlechte Idee. Sie oder einer Ihrer Leute kann als Beobachter mitfliegen.« »Es würde mich schon reizen«, sagte Ben. »Über den oberen Teil der Stadt sind wir nicht hinausgekommen. Die Gefahr, die von den Vögeln drohte, war zu groß. Ich würde gern erfahren, wie es dort aussieht.« »Und was ist mit mir?« fragte Gloria. »Kommt gar nicht in Frage. Dieses Mal bleibst du zurück. Wenn uns die Vögel angreifen, könnten wir schneller wieder herunterkommen als wir aufgestiegen sind. Und ich möchte diesen freundlichen Menschen hier nicht die Freude nehmen, die dein Anblick ihnen bereitet.« »Anker lichten!« kam das Kommando. »Geschwindigkeit zehn Knoten voraus. Ich fahre ein Stück weiter in die Bucht hinaus«, erklärte der Kapitän. »Falls es Ärger gibt, brauche ich Platz zum Manövrieren. Besonders dann, wenn sie mit Bomben auf uns losgehen.« Fünfzehn Minuten später waren Ben und der Pilot des Aufklärungsflugzeuges, ein junger Bursche, dessen Wangen rosig gewesen waren, bevor der Komet ihnen die bläuliche Färbung verliehen hatte, in der Luft. Unter ihnen lag die Brisbane und das Meer, dessen Oberfläche wie eine Glasscheibe wirkte.
Das Panorama des Hafens von New York zog unter ihnen vorbei. Während sie noch höher stiegen, konnte Ben das Band des Flusses erkennen, wie es im Dunst der Ferne verschwand. Die Wolkenkratzer der Stadt schienen zu kippen, als der Pilot eine Schleife zog, um besser erkunden zu können. Alles schien normal zu sein; nur im Norden und Osten hing dünner Rauch über den Gebäuden, die sie besetzt hatten. Keine Spur von Vögeln oder anderen Menschen. »Was jetzt?« fragte der Pilot. »In welche Richtung sollen wir jetzt fliegen?« »Den Hudson hinauf«, schlug Ben vor. »Aus dieser Richtung scheinen sie gekommen zu sein.« »Zu Befehl.« Sie stiegen höher und nahmen Kurs auf die neue Richtung. Unter ihnen lag Yonkers. An einem der Docks lag ein Flußdampfer – verlassen. »Legen Sie den Hebel herum, über dem RF steht. Dann haben Sie Verbindung mit dem Schiff.« »Okay«, sagte Ben. »Hallo ... ja, hier ist Ben Ruby. Bei uns nichts Neues. Alles ist ruhig. Wir fliegen jetzt den Fluß hinauf, um zu erkunden.« In der Ferne ragten die Umrisse der Catskill Mountains auf. Der Pilot berührte Ben an der Schulter, und dieser wandte sich um. »Was ist das da auf der linken Seite – drüben in den Bergen? Nein, dort.«
Ben blickte in die angegebene Richtung und sah etwas, das wie eine Narbe an einem Hügelhang aussah. Es war kein natürliches nacktes Gestein, sondern eine frisch geschlagene Schneise durch die Vegetation. »Keine Ahnung. Das habe ich noch nie zuvor gesehen. Wollen wir es uns einmal ansehen? – Hallo, Brisbane. Hier Ruby. Wir fliegen einen geheimnisvollen Kahlschlag in den Catskills an.«
8 In breiter Front zog sich die kahle Stelle den Berg hinunter bis in ein Tal. Unten bewegte sich ein grauer Fleck. Ben bemerkte das schwache Flackern eines roten Lichts im Tal. Ein Tor schien sich im Berg zu öffnen. Mit dem Fernglas machte Ben ein großes plumpes Etwas aus, das aus dem Berg hervorzurollen schien. Und dann flogen zwei – drei – vier – fünf der großen Dodo-Tetrapteryxes auf. »Hallo, Brisbane!« schrie Ben ins Mikrofon. »Fünf Dodos sind von der Lichtung aufgeflogen. Scheinen es auf uns abgesehen zu haben!« Der Pilot wendete in einer scharfen Kurve. Ben späht über die Schulter zurück. Die Dodos waren bereits in der Luft. Das sonderbare plumpe Etwas rollte weiter auf die Lichtung hinaus. Es sah aus wie ein riesiges Reptil – oder wie eine flexible Kanone, die sich jetzt gerade auf sie richtete. »Sturzflug!« schrie Ben in einer plötzlichen Eingebung. Der Pilot gehorchte automatisch. Das Flugzeug bockte und fiel dann wie ein Stein hundert Meter in die Tiefe. In der gleichen Sekunde schoß ein blendender
Strahl genau auf die Stelle zu, an der sie eben noch gewesen waren – so hell, daß er die Morgensonne überstrahlte. Ein donnerndes Geräusch drang an ihr Ohr. Das Flugzeug schwankte unter dem plötzlichen Luftdruck und drohte abzukippen. Der Strahl erlosch so jäh, wie er aufgeleuchtet hatte. »Was war das?« keuchte der Pilot entsetzt. »Weiß der Teufel. Irgendeine von ihren Wunderwaffen. Ich sagte Ihnen doch, daß mit denen nicht zu spaßen ist. Jetzt aber rasch nach Hause zu Muttern!« Während das Flugzeug vorwärts schoß, schickte ihnen die unbekannte Waffe aus dem Tal einen zweiten Strahl nach, glücklicherweise wieder ohne zu treffen. Aber nun waren die Vögel hinter ihnen her! Ben fragte: »Wie bedient man dieses Maschinengewehr?« »Drücken Sie nur auf den Knopf. Achtung! Wir machen noch einen Sturzflug!« Ben sah die Erde unter sich wegkippen und dann auf sie zuwirbeln. Dann flogen sie flach über den Hudson River hin. Ben bemerkte, daß eine Tragfläche da versengt war, wo der Strahl sie vorhin gestreift hatte. »Um ein Haar!« stellte der Pilot fest. »Glauben Sie, daß wir das den Dodos zu verdanken haben?«
»Schwer zu sagen. Beeville meint, daß sie nur das Werkzeug einer höheren Intelligenz sind. Da sind sie schon! Können Sie nicht schneller fliegen?« »Ich tu, was ich kann. Auf Ihren Funkspruch hin wird uns die Brisbane vermutlich entgegenkommen. Warten Sie nur, bis sie ihre Kanonen sprechen läßt! Mit diesem Geflügel nehmen wir es immer noch auf!« Sie überflogen Yonkers. Die fünf Dodos kamen näher und näher. Jetzt kam die 125. Straße in Sicht, die lange Brücke, Riverside Drive und die Reihe der Docks mit den verrottenden Schiffen. Ben brachte das Maschinengewehr in Stellung und drückte auf den Abzug. Es knatterte los – aber Bens Zielsicherheit ließ zu wünschen übrig. Wwwwummmm! Das Wasser unter ihnen brodelte auf. Ben sah auf: Die Vögel waren über ihnen und warfen Bomben ab. In der Ferne konnten sie jetzt die Brisbane sehen, die ihnen mit Volldampf entgegenkam. Aus den Bordgeschützen zuckten gelbe Flammen auf – im blauen Himmel platzten die weißen Wolken der Geschosse. Einer der Dodos scherte plötzlich aus dem Verband aus und stieß gerade auf sie herunter. Ben feuerte verzweifelt, ohne aber zu treffen. Und dann explodierte irgend etwas direkt neben ihm. Der Knall droh-
te ihm die Trommelfelle zu sprengen. Das Flugzeug tanzte wie ein welkes Blatt im Wirbelsturm. Das Ende! dachte Ben. Sein letzter Gedanke war, ob er wohl im Wasser rosten würde. Dann setzte sein Bewußtsein aus. Als er wieder zu sich kam, sah er eine weiße Decke über sich und Wände um sich. In einer davon bemerkte er ein Bullauge. Da wußte er, daß er auf dem Schiff war. Unter sich konnte er das Stampfen der Maschinen hören. Neben seinem Lager stand ein Tischchen und darauf ein Glas; es enthielt Maschinenöl. Er nahm einen tüchtigen Schluck und fühlte sich gleich besser. Er erhob sich, stellte fest, daß er unverletzt war, und stampfte zur Tür. Ein Matrose hielt draußen Wache. »Wo sind alle?« fragte Ben. »An Deck, Sir. Geht es Ihnen besser?« »Ausgezeichnet. Und dem Piloten?« »Gut, Sir.« Er stieg auf die Brücke hinauf, wo ihn seine Kameraden freudig begrüßten. Die Brisbane befand sich auf hoher See. »Was ist geschehen?« fragte Ben. »Habt ihr sie abschütteln können?«
»Wir hoffen es. Zwei haben wir abgeschossen und der Rest kehrte schließlich um. Was habt ihr herausgefunden?« Ben berichtete kurz über ihr Erlebnis. Captain Entwhistle fragte: »Wer mag diese Strahlenkanone bedient haben?« »Weiß der Teufel. Die Dodos waren es offenbar nicht.« »Also doch ein anderes höherentwickeltes Wesen?« Ben zuckte die Achseln. »Ich wundere mich über nichts mehr. Es gibt tausend Fragen, die wir nicht beantworten können. Woher kommen diese Vögel? Was hat uns alle so verwandelt? Welche feindliche Macht hat sich in den Catskills eingenistet?« »Eine Nachricht, Sir«, meldete ein Matrose. Der Kapitän nahm das Papier und las. »Hm«, sagte er dann. »Meine Regierung ruft alle Schiffe zurück. Unser Schwesterschiff, die Melbourne, ist in der Nähe von San Francisco angegriffen und schwer beschädigt worden. Die Dodos gehen in Massen über Sumatra nieder. Meine Herren, es scheint, daß der Krieg ausgebrochen ist.« Sir George Graham Harris, der Präsident der Wissenschaftlichen Kommission Australiens, konnte sich nicht genug über die amerikanischen Maschinenmenschen wundern.
»Wenn Sie nicht leibhaftig hier vor mir stünden«, rief er aus, »so würde ich kein Wort von den phantastischen Berichten glauben!« Ben sagte: »Es würde uns interessieren, was Sie inzwischen aus den anderen Teilen der Welt erfahren haben.« Sir George blätterte mit seinen blauen Fingern in den Berichten. »Die Katastrophe nimmt weltweite Ausmaße an. Im Süden Afrikas haben die Menschen die gleiche Verwandlung durchgemacht wie wir hier in Australien; der übrige Teil Afrikas scheint so gut wie ausgestorben – überall waren bisher nur eiserne Statuen in den Städten zu finden. Ein holländischer Dampfer kreuzte vor der japanischen Küste und erhielt die gleiche Warnung durch Leuchtschrift, wie Sie vor New York. Unglücklicherweise waren es japanische Schriftzeichen, und es befand sich niemand an Bord, der sie hätte lesen können. Das Schiff lief den Hafen von Nagasaki an und schickte einen Spähtrupp an Land. Die Leute sind nicht zurückgekehrt. Wie auch in den anderen Fällen wurde das Schiff bei Nacht bombardiert und erreichte nur unter den größten Schwierigkeiten Sumatra. Es liegen weitere Berichte von geringerer Bedeutung vor, die wir uns jedoch sparen können. Von größerer Wichtigkeit sind jedoch die Berichte von der Melbour-
ne. Sie suchte mehrere Häfen in Südamerika auf. Die Städte waren wie ausgestorben. Sie stießen jedoch auf einige Indianer, deren Blut ähnlich wie das ihre eine blaue Färbung angenommen hatte und deren Einstellung außerordentlich feindselig war. Es wird gemeldet, daß sie die Städte plündern und sich betrinken. Nördlich von Calao gab es überhaupt keine Anzeichen von Leben, bis hinauf zur San Pedro Bucht. Dort entdeckte man einen Mann, der an der Küste stand und winkte. Die Melbourne schickte ein Boot hinüber. Bevor es jedoch den Strand erreichte, erschien einer der Vögel, und der Mann verschwand. Bald darauf sichtete man auf der Melbourne die Dodos ständig, und in der Gegend von San Francisco bemerkte man eines der Leuchtsignale. Die Schriftzeichen bildeten die Mitteilung: Gefahr – nicht näher herankommen.« Gloria machte eine Bewegung, und Sir George blickte sie an. »Es ist weiter nichts, Sir. Ich mußte nur gerade daran denken, daß diese Dodos doch sehr ungewöhnlich sind. Uns empfahlen sie, von dem verfluchten Ort zu fliehen.« »Ja, ja. Die Melbourne lief in den Hafen ein, weil sie nicht mit Schwierigkeiten rechnete, wenn sie die Warnung nicht befolgte. Wie die anderen Schiffe wurde auch sie bei Nacht angegriffen. Eine der Bomben traf die Funkleitstelle.
Sie lief sofort aus und erwiderte den Angriff mit allen Geschützen, aber bevor sie entkommen konnte, wurde der Geschützturm Nummer 3 von einer weiteren Bombe getroffen und alle, die sich darin befanden, kamen ums Leben. Die Kuppel des Geschützturmes wurde eingedrückt, und selbst die Verschlußstücke der Kanone waren geschmolzen. Ich glaube, das ist in groben Zügen der Inhalt der Berichte, die wir erhalten haben. Wir haben einige der Vögel gesehen, meistens aus der Entfernung, und sie scheinen auch Menschen verschleppt zu haben, besonders auf Sumatra. Ich fürchte, mehr an Informationen können wir nicht beitragen.« Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. »Also, aus welchem Material die Bomben bestehen, kann ich nicht sagen«, sagte Ben. »Aber sie scheinen sie auf Leitstrahlen ins Ziel zu lenken.« »Die Eier, die Roberts gefunden hat, auch«, sagte Gloria. »Ah ja, Dr. Beeville kann Ihnen darüber berichten.« »Nun, darüber gibt es nicht viel zu sagen. Einer unserer Leute fand etwas in einem der Gebäude, das wie ein Vogelnest aussah. Es bestand aus weichen Tüchern und enthielt große Eier, aber bei einem zweiten Besuch waren die Eier verschwunden. Ich möchte noch hinzufügen, daß ich die Überreste eines ziemlich verstümmelten Vogels untersucht ha-
be. Der Schädel ist ungewöhnlich groß – größer als bei irgendeinem anderen Tier – und sie scheinen auch über eine höhere Intelligenz zu verfügen. Sie scheinen nicht die Absicht zu haben, uns mechanische Menschen zu vernichten, aber sie wollen uns verschleppen. Aus den von den Schiffen beobachteten Schriftzeichen geht hervor, daß es diese Intelligenz den Vögeln erlaubt, Englisch zu lesen und zu verstehen. Ich kann mir jedoch nur schwer vorstellen, daß die Vögel dazu ohne fremde Hilfe in der Lage sein könnten. Wir wissen auch aus Mr. Rubys Bericht, daß er beschossen wurde. In allen Fällen, wo diese Vögel Menschen angegriffen haben, haben sie Bomben benützt. Der Einsatz von Kanonen wäre wegen der höheren Zielgenauigkeit in seiner Wirkung sehr viel verheerender gewesen. Der Hitzestrahl hätte die Melbourne oder die Brisbane durchdrungen, wie ein glühender Schürhaken ein Brett aus Holz. Diese Erfahrungen veranlassen mich zu der Annahme, daß die Vögel gelenkt werden und nicht aus eigener Initiative handeln. Diese hinter ihnen stehende Intelligenz ist entweder zu arrogant oder schätzt uns für zu gering ein, die Menschen direkt anzugreifen und nicht über den verlängerten Arm der Vögel. Daraus schließe ich, daß wir es mit einer mächtigen und bis jetzt unbekannten Form von Leben zu tun
haben. Welcher Art sie ist oder wie sie auf die Erde gekommen ist, kann ich nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge noch nicht sagen.« »Das ist ja beruhigend«, sagte Gloria ziemlich respektlos, worauf die anderen sich ein Lächeln nicht verkneifen konnten. »Aber aus was bestehen die Bomben und wie funktionieren sie?« fragte Murray Lee. »Auf diese Frage würde auch ich sehr gern eine Antwort erhalten«, sagte Sir George und strich mit der Hand über seinen weißen Bart. »Vielleicht kann Mr. Naysmith, unser Experte für Chemie, uns zu diesem Punkt eine Erklärung geben.« »Keine erschöpfende«, sagte Naysmith, ein Mann mit einem kantigen Kinn. »Wir haben alle Teile der Melbourne, die von Bomben getroffen worden waren, einer chemischen Analyse unterzogen. Das Ergebnis war sehr ungewöhnlich. Die beschädigten Schiff steile bestanden aus Panzerstahl, wie Sie vielleicht wissen. Unsere Analyse zeigte, daß dieses Material nach der Bombardierung eine ganze Anzahl chemischer Elemente enthielt, darunter sogar Gold und Thorium, wenn auch nur in Spuren. Neben Eisen war vor allen Dingen Titan in größeren Mengen festzustellen.« »Dann stellt sich die Situation also wie folgt dar«, sagte Sir George. »Wir wissen nicht, was die Dodos sind oder wer hinter ihnen steckt. Aber sie beherr-
schen einen großen Teil des Planeten, den sie uns nicht betreten lassen. Sie verfügen über mächtige Waffen und betrachten uns als Feinde. Ich schlage also vor, daß als Ergebnis dieser Konferenz die Regierung sofortige Schritte unternimmt, Klarheit über die Lage zu schaffen und notfalls Gewalt anzuwenden.« »Sauber«, sagte Gloria. »Aber das meiste haben Sie noch gar nicht berücksichtigt. Wir wissen, was los ist, weil wir es selbst erlebt haben. Sie wären gut beraten, Ihre modernste Kriegstechnik einzusetzen.« Einige der Konferenzteilnehmer äußerten sich zustimmend. Als Sir George aufstand, um abstimmen zu lassen, wurde an die Tür geklopft. Alle Köpfe wandten sich dem jungen Mann zu, der rasch zum Präsidenten ging und ihm etwas zuflüsterte. Sir George wandte sich mit überraschtem Gesicht an die Versammelten. »Meine Damen und Herren«, sagte er, »die Dodos bombardieren Canberra, die Hauptstadt Australiens, und die australische Luftwaffe befindet sich in diesem Augenblick im Kampf mit den Angreifern.«
9 Gloria sagte zu Murray: »Ich bin froh, daß endlich etwas gegen diese Vögel unternommen wird. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß dieses Viehzeug uns aus unserem eigenen Land vertrieben hat!« Sie lehnten beide in ihren neuen Uniformen an der Reling der Paramatta, die sich mit einer mächtigen Flotte von Kriegsschiffen auf dem Weg nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika befand. Über dem Geleitzug brausten Kampfflugzeuge, die es mit jeder Menge Dodos aufnehmen konnten. In den vier Monaten seit ihrer Ankunft in Australien hatte die feindliche Macht manchen Schlag gegen die menschliche Rasse geführt. Die Bombardierung von Canberra war nur ein Anfang gewesen. Während Australien sich für den unvermeidlichen Krieg vorbereitete, fiel der zweite Schlag – Surabaya, die Hauptstadt von Java, wurde in einer einzigen Nacht durch Brandbomben eingeäschert. In Europa gab es offenbar überhaupt kein menschliches Leben mehr. Ende November wurde ein Flug von etwa fünfundzwanzig Dodos über Nordaustralien beobachtet, die offenbar Sidney anflogen. Die australische Luftwaffe
lieferte den Vögeln eine Schlacht, bei der alle fünfundzwanzig Dodos abgeschossen wurden. Es war klar, daß die feindliche Macht in irgendeiner Weise mit dem Kometen zusammenhing und ihren Sitz in Amerika hatte. Die drei übriggebliebenen Regierungen (Ben Ruby vertrat hierbei Amerika) beschlossen eine allgemeine Mobilmachung, um die Vögel in Amerika anzugreifen und womöglich auszurotten. Wenn das nicht gelang, wollte man sie wenigstens ganz auf den amerikanischen Kontinent zurückdrängen. Und so brach an einem Märzmorgen des Jahres 1983 die vereinigte Armada von Australien aus auf. Da die feindliche Macht ihren Hauptsitz in den Catskills zu haben schien, wurde beschlossen, in New Jersey zu landen und von dort aus vorzugehen. Die Amerikaner eigneten sich ihres schweren Gewichts wegen nicht zu Fliegern. Hingegen waren sie die idealen Panzerfahrer: Öldunst, Hitze und Luftmangel machten ihnen nicht das geringste aus. Die amerikanische Armee bestand daher aus vierzehn speziell angefertigten Tanks mit doppelter Panzerung. Jeder Panzer brauchte nur einen Maschinenmenschen als Besatzung und war mit einem schweren Geschütz ausgerüstet, das auch gegen Angriffe aus der Luft eingesetzt werden konnte. Bei Sonnenaufgang sichteten sie endlich die Türme von Atlantic City am westlichen Horizont. Die Vögel
hielten sich nach ihren Erfahrungen mit den Maschinengewehren in respektvollem Abstand. Ein Schiff nach dem andern ergoß seine Ladung von Menschen und Kriegsmaterial über die Piers. Beunruhigt wagten sich die Dodos wieder näher, um auszukundschaften, was vorging. Aber die australischen Flieger trieben sie zurück und brachten ihnen schwere Verluste bei. Am nächsten Morgen begann der Vormarsch der Truppen landeinwärts. Sie trafen auf keinen Widerstand und gelangten ungehindert bis Farmington. Hier gab es einen Flugplatz, der ihnen als Operationsbasis dienen sollte. »Sonderbar«, bemerkte Murray zu Ben. »Bisher haben uns die Dodos so schwer zu schaffen gemacht – und plötzlich lassen sie uns immer weiter vordringen und machen gar keinen Versuch, uns aufzuhalten. Ob wir sie endgültig in die Flucht gejagt haben?« »Das kann ich mir nicht denken«, meinte Ben. »Ich glaube eher, daß sie uns in eine Falle locken wollen.« »Beeville glaubt ja immer noch, daß sie nur Werkzeuge höherentwickelter Wesen sind, die genau wissen, was sie wollen.« Die Gegend zwischen Atlantic City und Philadelphia ist bis auf wenige sanfte Bodenerhebungen flach; kleinere Städte, Farmen und Waldgebiete sind über die Landschaft verstreut.
Der zweite Tag begann mit Regen und Kälte. Die Armee rückte wie eine riesige Schlange über die Straßen vor – voran die Panzer und Flugzeuge, dann die Masse der Infanterie und die schwere Artillerie. Ein Teil der Leute war in Atlantic City zurückgeblieben, um Waffenfabriken wieder in Betrieb zu setzen, die Bahnlinien in Ordnung zu bringen und so in jeder Weise den Nachschub zu sichern. Entlang der ganzen Straße herrschte geschäftiges Leben. Feldküchen, Jeeps mit Offizieren und Meldefahrer auf Motorrädern fuhren den Zug entlang. Die Dodos schienen spurlos verschwunden. Selbst Spähflugzeuge konnten nirgends etwas von ihnen entdecken. Der Vormarsch schien sich völlig reibungslos zu vollziehen. Aber gegen Mittag flammten die Stop-Signale in den Panzern auf. Die Amerikaner hielten an und kletterten hinaus. »Was ist los?« fragte jemand. »Bestimmt haben diese Dodos wieder irgend etwas ausgeheckt«, rief Gloria. »Wir werden es gleich erfahren. Da kommt ein Meldefahrer.« Der Mann auf dem Motorrad hielt neben ihnen an. »General Ruby?« fragte er und reichte Ben eine Depesche. Ben las und sagte:
»Da haben wir's, Leute. Hört zu: General Grierson an General Ruby. Schwerer Angriff auf unsere Flanke bei Atsion. Die Dritte Brigade der Vierzehnten Division erlitt schwere Verluste und wurde nach Chew Road zurückgedrängt. Wir bringen die Artillerie zum Einsatz. Der Feind scheint über eine große Anzahl von Strahlenkanonen zu verfügen. Vorhut wird zurückbeordert, um unsere linke Flanke zu unterstützen.« »Ich wußte doch, sie würden früher oder später die Katze aus dem Sack lassen«, murmelte Murray. Sie fuhren augenblicklich nach Waterford zurück. Außerhalb der Stadt waren Infanteristen damit beschäftigt, Schützengräben auszuheben. Maschinengewehreinheiten nisteten sich in Stein- oder Ziegelhäusern ein und bauten ihre Stellungen aus. Die Panzer bezogen Stellung unter Bäumen oder auf den Straßen der Stadt. Überall hatte Artillerie, gut getarnt hinter Baumgruppen oder in den verlassenen Häusern, abgeprotzt. Als die amerikanischen Panzer anrollten, eröffneten die 200-mm-Haubitzen am Bahndamm gerade auf ein unsichtbares Ziel in der Ferne das Feuer. Ein paar Flugzeuge kreisten über der Stadt. Aber von den Dodos war nichts zu sehen. Das Ganze wirkte wie ein Manöver. Die Amerikaner wurden in ihre Stellung in der Nähe von Chew Road eingewiesen.
»Was gibt es Neues?« fragte Ben einen Stabsoffizier. »Sie haben den rechten Flügel bei Atsion angegriffen. Aber was vorgeht, weiß ich auch nicht genau. Es heißt, sie haben eine Menge von diesen Strahlenkanonen. Wir sollen fünfzehnhundert Mann in einer Viertelstunde verloren haben! Auch Panzer. Aber ich glaube, wir haben den Angriff fürs erste abgeschlagen.« »Dodos gesichtet?« »Ein paar. Unsere Flugzeuge haben vor der Schlacht ein halbes Dutzend von ihnen heruntergeholt; daraufhin hat sich keiner mehr gezeigt. – Was gibt's? – Ich soll zu General Witherinton kommen? – Entschuldigen Sie mich.« Und weg war er. Der größte Teil des Nachmittags verging mit Warten. Die Infanterie bezog Stellung in den Gräben. Um vier Uhr begann es wieder zu regnen. Die Amerikaner suchten Unterschlupf in ihren Panzern. Dann kam Befehl für sie, nach Norden und Osten weiterzufahren, durch flaches kahles Land mit wenigen Bäumen. Es war bereits dämmerig, als die Fahrer einen Hügel hinaufrumpelten. Rechts von ihnen begann eine Batterie plötzlich zu feuern, hörte aber ebenso unvermittelt wieder auf. Offenbar waren irgendwo im Halbdunkel wieder Dodos.
Von der Anhöhe aus konnten sie über ein flaches Tal in Richtung Chew Road sehen. Hinter dem nächsten Hügel schien etwas zu brennen. Der Widerschein färbte die tiefhängenden Wolken rot. Maschinengewehre ratterten. Und die Erde bebte unter einer Explosion in den rückwärtigen Linien. Die Anhöhe war von Bäumen bestanden. Zwischen diesen konnte Murray die Umrisse leichter Panzer sehen, die ebenso wie er auf den Einsatzbefehl warteten. Er fragte sich, mit welchem Feind sie es heute zu tun hatten. Offenbar nicht mit den Dodos, da so viele Panzer an die Front geschickt worden waren. Das wies auf einen Feind hin, der sich auf dem Land bewegte; die Dodos pflegten aus der Luft anzugreifen. Die Alarmglocke riß ihn aus seinen Gedanken. Aus dem Kopfhörer kam der Funkspruch: »Achtung! Amerikanische Tankdivision! Feindpanzer-Annäherung gemeldet. Haltet sie solange wie möglich auf und zieht euch dann zurück. Kein Panzer darf unnütz aufs Spiel gesetzt werden. Bei Rückzug funkt eure Position zu Clark Creek. Es –« Die Stimme brach unvermittelt ab. Die Dodos hatten also Panzer! Murray spähte ins Dunkel hinaus. Dort vorn hob sich ein Schatten ab, neben dem Haus – Plötzlich sprang ein gewaltiger Blitz aus dem Dun-
kel, von einem ohrenbetäubenden Donnern begleitet, genau auf die Baumgruppe zu, hinter der Murray die leichten Panzer bemerkt hatte. Er sah einen der Bäume in Flammen aufgehen, sah einen Panzer, dessen Stahlplatten rotglühend wurden, bevor seine Munition explodierte und ihn in Stücke riß. Ein Schauer von Feuer und Funken regnete auf ihn herunter, und hastig richtete er sein Geschütz auf die Stelle, woher der Angriff gekommen war.
10 Aus allen Panzern brüllten die Geschütze auf. Rings um den dunklen Schatten am gegenüberliegenden Hang spritzten Fontänen von Erde und Steinen hoch. Das Farmhaus brannte lichterloh. Der Strahl aus der unbekannten feindlichen Waffe verlosch, blitzte aber gleich darauf wieder auf. Einer der leichten Panzer war getroffen. Von irgendwoher strich ein Scheinwerfer über den Hang. Eine Sekunde lang konnte Murray das feindliche Ungeheuer deutlicher sehen: Es war ein gewaltiger fischförmiger Körper, etwa acht Meter im Durchmesser. Von seinem Vorderende ging ein rüsselförmiges Gebilde aus – offenbar die Strahlenkanone, die biegsam war und beliebig nach allen Seiten geschwenkt werden konnte. In diesem Augenblick feuerte Murray einen Volltreffer auf die Breitseite des Ungeheuers ab. Der Erfolg war gleich Null! Eine Stichflamme, als das Geschoß explodierte, ein blendender Widerschein auf der metallenen glatten Flanke des Gegners – das war alles. Das Ungeheuer schien unverletzlich! Dann kam Ben Rubys Funkspruch: »Zurück, Leute! Es hat keinen Sinn. Unsere Waffen sind wirkungslos gegen dieses Biest.«
Murray sah durch die Seitenschlitze hinaus. Die amerikanischen Panzer schienen unbeschädigt. Das Ungeheuer hatte sich jetzt ganz den leichten Panzern der Australier zugewandt. Murray wendete und fuhr zurück. Als er sich umschaute, lag der Hang im Dunkeln. Der Feind befand sich hinter dem Kamm des Hügels. Vor sich bemerkte er starke Truppenbewegungen. Die Infanterie schien sich gleichfalls zurückzuziehen. Die Panzer ratterten durch die Straßen von Waterford bis hinter eine Steinkirche, die drei Maschinengewehrnester beherbergte. Ein Motorrad brummte die Straße herauf. Der Fahrer überbrachte jemandem eine Meldung. Gleich darauf kamen aus allen Häusern Infanteristen geströmt, um den Rückzug anzutreten. Und dann kam, von einem halben Dutzend Scheinwerfer angestrahlt, von der Artillerie unter heftigen Beschuß genommen, das Ungeheuer den Hügelkamm herauf gekrochen. Oben verhielt es einen Augenblick. Das seltsame Geschütz schwenkte langsam nach allen Seiten, als wittere es etwas. Gleich darauf tauchte ein zweites Ungeheuer auf dem Hügel auf. Beide schienen überhaupt nicht auf die schwere Artillerie zu achten, deren Geschosse donnernd um sie her explodierten. Plötzlich schoß das linke der beiden Ungeheuer
wieder einen seiner furchtbaren Vernichtungsstrahlen ab. Er traf ein altes Ziegelhaus, in dessen Keller sich eine Maschinengewehreinheit befand. Mit donnerndem Krachen brach das Haus zusammen, und die Trümmer standen augenblicklich in Flammen. Als hätten sie auf dieses Signal gewartet, eröffneten sämtliche Maschinengewehre und Artilleriegeschütze gleichzeitig das Feuer. Die metallisch glänzenden Ungeheuer kümmerten sich nicht darum. Sie schienen dicht über dem Boden zu schweben, man sah weder Räder noch Raupen oder sonstige Fortbewegungsmittel. Eines von ihnen glitt ein paar Meter vorwärts, schwenkte sein Geschütz herum und bestrich mit dem verheerenden Strahl die gegnerische Front. Ben Rubys Stimme kam aus den Kopfhörern: »Alles zurück! Wenn möglich bis Atlantic City.« Während Murray die ungefähre Richtung der Hauptstraße einschlug, packte ihn die nackte Angst. Wer war dieser furchtbare Feind, der sich offenbar die völlige Ausrottung der Menschheit zum Ziel gesetzt hatte? Woher kam er? Und mit was für grauenhaften, unbekannten Waffen kämpfte er? Die Nacht war schwarz. Der Zug, der sich in Richtung auf Atlantic City bewegte, war eine wogende, undefinierbare Masse. Aber niemand dachte daran, aufzugeben. Es war ein geordneter Rückzug, mit der
Möglichkeit zu einem neuen Kampf am folgenden Tag. Murray bog von der Straße ab, um den Vormarsch der feindlichen Ungeheuer zu beobachten und seinem General darüber zu berichten. Von einer Anhöhe aus konnte er die beiden plumpen Formen sehen, die, von Scheinwerfern angestrahlt, jetzt zwischen den äußersten Häusern der Stadt standen. Ab und zu spuckte eines der Ungeheuer einen grellen Lichtstrahl aus, der ein Haus oder eine Scheune in Brand steckte. Murray konnte feststellen, daß sie im ganzen zwanzig Meter lang waren. Die glatten Seitenwände glänzten spiegelblank. Ein phosphoreszierendes Leuchten hing über ihnen. Sie sahen nicht wie lebende Wesen, sondern wie große Maschinen aus. Kampfmaschinen. Er erhielt den Funkspruch: »Eisenbahnbatterie vierzehn eröffnet Feuer auf Feindpanzer. Wer in der Lage ist, Einschläge zu beobachten, gebe Feuerkorrektur. General Stanhope.« Er meldete sich: »Leutnant Lee, Amerikanische Panzerdivision, an General Stanhope. Ich beobachte Feuer von östlichem Vorort aus.« Bevor er noch ausgesprochen hatte, krachte es, und er sah den Einschlag, keine hundert Meter von dem schimmernden Feind entfernt.
Er rief aufgeregt: »Leutnant Lee an EisenbahnBatterie vierzehn! Hundert Meter Feuer vorverlegen, zehn Meter nach rechts!« Wwwummm! Der nächste Einschlag erfolgte in unmittelbarer Nähe des Kolosses. Wieder schrie Murray die Korrekturen ins Mikrophon. Der Koloß streckte den metallenen Rüssel in die Richtung, aus der das Feuer kam, als sei er neugierig auf seinen verborgenen Gegner. Dabei ließ er wieder einen Feuerstrahl los. Ein Geschoß traf ihn breitseits, ohne irgendeine sichtbare Wirkung. Murray schrie: »Nehmt Brisanzmunition! Sie scheinen schwer gepanzert zu sein!« Ein Einschlag, keine zehn Meter hinter dem Feind, riß einen gewaltigen Trichter ins Erdreich. Die Erde bebte. Einer der beiden Kolosse wandte sich ein wenig zur Seite, als betrachte er den Erdtrichter. Der andere reckte den Rüssel himmelwärts und sandte einen Strahl dünnen blauen Lichts in die Höhe – ganz anders als der blendend weiße Vernichtungsstrahl. Beide schienen das gegnerische Feuer überhaupt nicht ernst zu nehmen. Und dann – Murray hielt den Atem an – eine rote Feuergarbe, eine riesige Stichflamme, die in den Himmel züngelte, eine Wolke dicken Rauchs –
Und als die Wolke sich gelegt hatte, sah er eines der Ungeheuer auf der Seite liegen, die Flanke aufgerissen, das phosphoreszierende Leuchten erloschen, der tödliche Rüssel schlaff und reglos. Murray war mit einem Satz aus dem Panzer. »Hurra!« brüllte er außer sich. Er bekam irgend jemand zu fassen und umarmte ihn stürmisch, in einem ekstatischen Freudentanz. Der Feind war also nicht unverletzlich! »Hurra!« schrie auch der andere im Dunkeln. Die Stimme kam Murray bekannt vor. Bei näherem Hinsehen erkannte er Gloria. »Wie in aller Welt kommst du hierher?« »Wie kommst du hierher?« fragte sie lachend zurück. »Ich war die ganze Zeit da, auch nachdem Ben uns nach Hause geschickt hatte. Konnte mir den Spaß doch nicht entgehen lassen! Glaubst du, daß das lebendige Wesen sind?« »Möglich. Aber ebensogut können es außerirdische Panzer voller Dodos sein. Sie –« Ein sengender Blitz in unmittelbarer Nähe erinnerte sie daran, daß durchaus noch nicht alle Gefahr vorbei war. Der zweite Koloß bewegte sich langsam auf sie zu. »Ich glaube, wir machen uns aus dem Staub«, meinte Gloria.
In dieser Nacht hielt der Stab in Hammonton eine Beratung ab. Die Stimmung war nicht allzu optimistisch. General Grierson, der Kommandierende General der vereinigten Armeen, erklärte: »Es scheint, daß nichts außer unseren 30-cmEisenbahngeschützen den feindlichen Panzern etwas anhaben kann. Das bedeutet, daß unsere Infanterie völlig nutzlos ist. Ebenso unsere Panzer. Auch die gewöhnliche Artillerie kann nichts ausrichten.« Ben Ruby kratzte sich das metallene Kinn. »Einer der amerikanischen Panzer wurde angeschossen, kam aber durch. Die äußere Stahlwand war aufgerissen, die innere aber hatte gehalten. Wir könnten mehr von diesen Panzern bauen.« »Wozu?« fragte Grierson grimmig. »Wir könnten sie doch mit keiner wirkungsvollen Waffe ausrüsten, denn ein Panzer trägt nun einmal kein Eisenbahngeschütz.« »Wenn man nur wüßte, was das für Strahlen sind, mit denen sie uns beschießen«, sagte jemand. »Vielleicht Elektrizität.« Beeville war anderer Ansicht. »Denkt an das Wrack der Melbourne! Durch Elektrizität können nicht solche chemischen Veränderungen im Stahl hervorgerufen werden.« Ein Offizier faßte zusammen:
»Sie scheinen drei Arten von Kämpfern oder Kampfmaschinen zu haben: Erstens die Dodos selbst; über die wissen wir genug – und wir haben sie auch schon erfolgreich bekämpft. Zweitens ihre Artillerie – diese riesigen Geschütze, die einen Vernichtungsstrahl ausspeien, und die kleineren, die Geschosse mit ähnlicher Wirkung abschießen. Und drittens diese Ungeheuer, von denen wir noch nicht wissen, ob sie Kampfmaschinen oder etwa unsere unbekannten Gegner selbst sind.« Ben sagte: »Die Ungeheuer können diese Strahlen offenbar nur auf kürzere Distanz abgeben – bis zu viertausend Metern – sie haben also nicht die Reichweite Ihrer Artillerie. Sie sind etwa fünfzehn Meter lang, fischförmig, schwer gepanzert und verfügen über unbekannte Fortbewegungsmittel.« General Grierson meinte: »Diese Strahlen beweisen, daß es Maschinen und nicht Lebewesen sind.« »Das ist nicht gesagt«, mischte sich Beeville ein. »Denken Sie nur an den Zitterrochen –« General Grierson winkte ab. »Meine Herren, diese Debatte bringt uns nicht weiter. Wir sehen uns einer der größten Gefahren gegenüber, mit denen die Menschheit fertig werden muß. Wir müssen sofort Maßnahmen ergreifen. Ich sehe
mich gezwungen, die Einschiffung der gesamten Armee und den Rückzug vom amerikanischen Kontinent anzuordnen. Ich muß verhindern, daß noch mehr meiner Leute aufs Spiel gesetzt werden. Unsere Ausrüstung mit Eisenbahngeschützen ist zu mangelhaft, als daß wir auf die Dauer dem Feind standhalten können. Hat jemand etwas dazu zu bemerken?« Bedrücktes Schweigen herrschte im Konferenzraum. Der General erhob sich abschließend und sagte ernst: »Kommen Sie, meine Herren.« Ein Unteroffizier trat ein und meldete: »Verzeihung, Sir, aber einer der eisernen Amerikaner ist hier. Er besteht darauf, sofort vorgelassen zu werden. Er hat eine wichtige Mitteilung zu machen.« »Lassen Sie ihn eintreten.« Ein Maschinenmensch betrat das Zimmer, den weder Murray noch Ben Ruby zuvor gesehen hatten. Ein struppiger Schnurrbart aus Draht bedeckte seine Oberlippe. Er trug keine Kleidung, nur ein Tuch um die Hüften geknotet. Die Metallplatten seines Körpers rasselten, als er vortrat. »General Grierson?« »Ja.« »Leutnant Herbert Sherman von der US Luftwaffe. Ich bin soeben aus der Gefangenschaft der Lassans entflohen und biete Ihnen meine Dienste an. Sicher
werden Ihnen meine Informationen willkommen sein. Ihre Techniker werden wissen wollen, wie der Feind arbeitet und was man gegen ihn unternehmen kann.«
11 Herbert Sherman berichtete einer gespannten Versammlung von seinen Erlebnissen. Er war im Pilotensitz seiner Maschine mit dem beklemmenden Gefühl aufgewacht, daß irgend etwas passiert war. Der Motor schwieg. Die Zeiger auf dem Instrumentenbrett standen auf Null. Er sah sich um: Das Flugzeug stand auf dem Flughafen von Jackson Heights. Er erinnerte sich nicht an die Landung. Er wußte nur, daß er zuletzt über die schneebedeckte Stadt geflogen war – und jetzt war Frühling draußen. Er richtete sich auf. Sein Blick fiel auf seine Hände, die einen sonderbar metallischen Schimmer hatten. Und wie Murray und alle anderen entdeckte er zu seinem grenzenlosen Entsetzen, daß er nicht mehr aus Fleisch und Blut, sondern aus irgendeinem elastischen, fremdartigen Metall bestand. Er stieg aus und ging zu den Hangars hinüber. Der Flugplatz war verwahrlost und von Gras und Unkraut überwuchert. Er klopfte an eine Tür. Niemand antwortete. Er stieß sie auf und trat ein. Eine Gestalt saß in einem Stuhl zurückgelehnt. Er trat auf sie zu und berührte sie am Arm. »He! Hallo!«
Die Gestalt kippte zur Seite und fiel klirrend auf den Fußboden. Sherman beugte sich über sie. Zu seinem Entsetzen rührte der Mann sich nicht. Er war ganz aus Metall – aber im Gegensatz zu ihm aus hartem, totem Stahl. Eine leblose eiserne Statue. »Um Himmels willen!« murmelte Sherman erschrocken. Er sah bald, daß er hier nichts mehr tun konnte. Er verbrachte einen großen Teil des Tages damit, durch Jackson Heights zu streifen. Er fand unzählige eiserne Menschen in den Straßen und in den Stellungen, in denen die Katastrophe sie überrascht hatte. Gegen Abend kehrte er zum Flugplatz zurück und untersuchte seine Maschine. Eine Tragfläche war beschädigt. Der Benzintank war leer. Aber es kostete ihn keine große Mühe, ihn aus den vorhandenen Beständen aufzufüllen. Alles andere war in Ordnung. Herbert Sherman setzte sich in seine Maschine und startete. Er wollte sehen, was in New York los war. Über Manhattan glaubte er, Rauch zu sehen. Als er näher kam, stellte er fest, daß die Metropolitan-Oper abgebrannt war; die Trümmer rauchten noch. Das Feuer ließ auf Menschen schließen. Er kreiste mehrmals über dem Times Square und sah eine Menge kleiner Punkte – aber keiner von ihnen bewegte sich. Er kehrte zum Flugfeld zurück und stellte fest, daß er hungrig war. Seine technische Erfahrung brachte
ihn gleich auf den Gedanken, daß Schmieröl am besten sein würde. Herbert Sherman war immer ein ruhiger und eigenbrötlerischer Mensch gewesen. Die Einsamkeit störte ihn wenig. Da er nicht schlafen konnte, brach er in den nächsten Buchladen ein und holte sich einen Armvoll Bücher. Im Licht eines Scheinwerfers auf dem Flugplatz las er die ganze Nacht. Am Morgen startete er zu einem längeren Flug. Er hatte kein besonderes Ziel – nur die Absicht, sich ein wenig in der Welt umzusehen. Ob es überall so war wie in New York? Als er auf den Flugplatz von Newark zusteuerte, fiel ein Schatten auf eine Tragfläche. Er schaute auf und sah einen riesigen Vogel, der dicht über das Flugzeug hinwegstrich und ihn mit klugen, feindseligen Augen musterte. Sherman beeilte sich, in Newark zu landen. Sein Reisegefährte war ihm unheimlich geworden, und er hoffte, in Newark eine Waffe zu finden. Die Landung war nicht einfach, denn der Flugplatz war mit Wracks übersät und völlig verwahrlost. Aber schließlich landete er doch neben einem kleinen Sportflugzeug, dessen Tragfläche zerbrochen war. Er schaute auf: Der Vogel entfernte sich in großen Spiralen und kreischte bösartig. Er beschloß, sich schnellstens nach einer Waffe umzusehen.
Newark bot das gleiche Bild wie Jackson Heights – alles Leben war erstorben, die Bewohner lagen als eiserne Statuen auf Straßen und Plätzen herum. Er fand ein Waffengeschäft und beschaffte sich ein Schnellfeuergewehr mit ausreichend Munition und außerdem eine Pistole. Als er seine Maschine bestieg, sah er am nördlichen Himmel zwei Flecken, in denen er zwei dieser sonderbaren vierflügeligen Vögel vermutete. Er flog in Richtung Port Jervis und ließ die Blicke über die grünbewaldeten Abhänge der Catskills gleiten. Nördlich von Central Valley bemerkte er eine weite Lichtung, die ihm früher noch nie aufgefallen war. Er flog näher und sah, daß die großen Eichen und Ahornbäume wie von einem gigantischen Orkan niedergemäht waren. Die Verwüstung war vollkommen und systematisch – es gab keine halb abgebrochenen Bäume. Er kreiste noch einmal über der Lichtung, als er über das Motorengeräusch hinweg Flügelrauschen und ein durchdringendes Gekreisch vernahm. Instinktiv setzte er zum Sturzflug an – und der Vogel brauste dicht über ihn hinweg. Gleich darauf aber ging der unheimliche vierflüglige Vogel zum Angriff über. Er krallte sich an der Tragfläche fest und versuchte, mit dem Schnabel die Scheibe der Pilotenkanzel einzuschlagen. Sherman feuerte zwei-, dreimal. Das Flugzeug beb-
te und neigte sich seitwärts. Die Brust des Vogels färbte sich blutrot, die Krallen gaben nach, er stürzte in die Tiefe. Aber Sherman blieb keine Zeit, aufzuatmen. Der zweite Vogel setzte unter wütendem Kreischen zum Angriff an. Als die Kugeln dicht an ihm vorbeipfiffen, ließ er ab. Gleich darauf hörte Sherman einen heftigen Stoß gegen die Unterseite des Flugzeugs – der Riesenvogel griff jetzt mit Schnabel und Klauen von unten an! Sherman beugte sich so weit wie möglich hinaus, um auf seinen Angreifer zu schießen. Aber dieser war außer Schußlinie und hackte jetzt wütend von unten auf den Boden der Pilotenkanzel ein. Plötzlich hörte Sherman ein tiefes, fernes Summen. Augenblicklich ließ der Vogel von ihm ab und blieb zurück. Ein blendender Lichtstrahl traf seine Augen. Er fühlte, wie er die Gewalt über die Maschine verlor, wie alles sich um ihn drehte und er abwärts taumelte. Dann verlor er das Bewußtsein. Als er erwachte, fiel sein Blick auf eine blaue Kuppel über ihm. Es war nicht der Himmel, und ein diffuses Licht verbreitete weder Glanz noch Schatten. Seltsam, dachte Sherman. Er versuchte sich aufzurichten, aber irgend etwas, was er nicht sehen konnte, hielt ihn fest.
Sherman war ein geduldiger Mensch. Aber das ging ihm über den Spaß. Er öffnete den Mund weit und brüllte – einen wilden, zornigen Schrei, der mit einer Reihe von Flüchen endete. Ein blaues Licht traf ihn so, daß er für Sekunden völlig geblendet war. Dann erlosch es wieder, er hörte ein Klicken, ein Summen, wie das eines Motors. Gleich darauf fühlte er sich hochgehoben, herumgewirbelt und auf irgend etwas verladen. Die blaue Kuppel über ihm glitt rasch weiter, so, als werde er mit großer Geschwindigkeit fortgefahren. Er glitt durch einen Tunnel aus dunklem Stein. Dann wieder weiter unter einer blauen Kuppel. Sein Fahrzeug hielt mit einem Ruck. Wieder wurde er hochgehoben, herumgewirbelt und irgendwo abgesetzt. Aus einem Augenwinkel heraus sah er etwas Glänzendes, das wie der Kopf eines riesigen Tieres wirkte. Verzweifelt versuchte er seine Hände zu befreien. Er wurde aufs Gesicht geworfen und fand sich auf einer grauen, elastischen Masse wieder, die sich wie Gummi anfühlte. Erneut brüllte er zornig auf. Als Antwort erhielt er einen Schlag über den Hinterkopf. Er mußte einsehen, daß er völlig hilflos war. Irgend jemand untersuchte ihn eingehend. Er hörte leise Schritte hinter sich.
Nach einiger Zeit flammte ein helles rotes Licht auf, das in den Augen schmerzte und ihm das Rückgrat zu Versengen drohte. Er biß seine eisernen Zähne aufeinander, um einen Schmerzensschrei zurückzuhalten. Er hörte das metallische Klirren von Instrumenten, fühlte, wie jemand sich an seinem Rükken zu schaffen machte. Dann hörte der Schmerz auf, das Licht erlosch. Kurz darauf wurde er herumgedreht, so daß er jetzt auf dem Rücken lag. Der Motor von vorhin summte auf. Das unsichtbare Fahrzeug brachte ihn wieder durch den Tunnel zurück unter die erste blaue Kuppel. Immer noch hielt ihn irgend etwas fest. Aber er konnte wenigstens seine Hände bewegen. Mit einem mechanischen Klicken wurde er auf seinem Fahrzeug aufgerichtet. Ein Loch gähnte vor seinen Füßen. Er glitt hinein und eine sanfte Schräge hinunter durch absolute Dunkelheit. Dann fiel er auf etwas Weiches. Eine Tür fiel hinter ihm ins Schloß. Er fand sich, ungefesselt, in einer kleinen Zelle. Der Fußboden war aus einer gummiartigen Masse, die Wände waren schwere Gitter aus einem fremdartigen roten Metall. Die Zelle maß kaum drei Meter im Quadrat. In der Mitte befand sich ein Sitz aus der gleichen Gummimasse wie der Fußboden. Eine metallene Schiene endete genau vor dem Sitz.
An einer Wand der Zelle stand ein Pult, von dem Kabel ausgingen. Nachdem er so seine neue Behausung erforscht hatte, sah er sich die weitere Umgebung jenseits der Gitter an. Er stellte fest, daß seine Zelle nur eine von vielen in zwei langen Reihen war, die sich einen Korridor entlangzogen. Die Zelle zu seiner Rechten war leer. Aber in der linken Zelle bemerkte er einen Insassen. Aus Metall, wie er. Und doch irgendwie anders. Er trat auf das Gitter zu, das sie trennte, und rief: »Wo sind wir hier, Nachbar?« Der andere saß auf seinem Gummisitz und wandte ihm ein leeres, blödes Gesicht mit platter Nase und langer Oberlippe zu. Er brach in eine Flut unverständlichen Gestammels aus. Sherman hob die Hand. »Moment mal, immer langsam. Ich verstehe kein Wort.« Der andere glotzte ihn blöde an. Sherman deutete durch Gesten an, daß er eine Zigarette rauchen wolle. Sein Nachbar schien ihn ebensowenig zu verstehen, wie er ihn. Aber er erhob sich träge, trottete auf sein Pult zu, öffnete die Schublade mit den Zehen und holte etwas heraus. Es war ein Gummiball, und er reichte ihn Sherman durch die Gitterstäbe.
Und plötzlich wußte Sherman, worin der Unterschied zwischen ihnen bestand: Statt der aufrechten Kurve, die der menschliche Nacken auf den Schultern beschreibt, hatte dieses Wesen den gewölbten Nakken, die tierischen Züge und die lang herunterhängenden Arme eines Affen.
12 Um seine Überraschung zu verbergen, beugte sich Sherman über den runden Gegenstand, den sein Nachbar ihm gereicht hatte. Er war so groß wie ein Baseball und hatte kleine Löcher. Sherman steckte den Finger in eines der Löcher – worauf ihm Öl entgegenspritzte und ihm in die Augen drang. Sein Nachbar schrie unwillig über seine Ungeschicklichkeit und streckte die Hand durch die Gitterstäbe, um seinen Ball zurückzufordern. Als er ihn ergriff, flackerten plötzlich die Lichter entlang des Korridors wie rote und grüne Signale. Der mechanische Affe ließ den Ball fallen und trottete auf seine Zellentür zu. Sherman sah einen Rollwagen den Korridor entlangkommen, der auf Schienen lief. Er war fast so breit wie der Korridor und besaß eine Anzahl Türen. Er hielt so, daß eine seiner Türen genau an eine Zellentür stieß. Die Gitterstäbe glitten auseinander, der Insasse der Zelle betrat das Abteil, worauf sich die Tür wieder hinter ihm schloß. Als der sonderbare Wagen vor der Zelle des Affen hielt, beobachtete Sherman den Vorgang sehr aufmerksam. Ein kleiner Hebel erschien unter der Tür des Abteils und griff in die Gitterstäbe, rastete dort in eine Öffnung ein.
An Shermans Zelle fuhr der Zug vorüber, ohne zu halten. Kurz darauf folgte ein ähnlicher Zug, bei dem sich der entgegengesetzte Vorgang abspielte: Er brachte die Roboter zu ihren Zellen zurück. Er setzte in der Zelle rechts von Sherman den Menschenaffen ab und fuhr weiter. Am Ende des Korridors aber machte er kehrt und kam zurück. Diesmal blieb er vor Shermans Zelle stehen. Der Hebel fuhr aus, die Zellentür öffnete sich. Sherman dachte nicht daran, sich der Aufforderung zu widersetzen. Solange er gefangen und hilflos war, hielt er es für ratsam, zu gehorchen. Die Maschine vor ihm summte ungeduldig und drohend. Gleichzeitig flammte über seiner Zellentür eine blaue Schrift auf: »HINAUS!« Er gehorchte und stieg in das Abteil, das sich sofort hinter ihm schloß. Es war ein winziges fensterloses Loch mit einem einzigen Sitz. Sie fuhren einige Minuten und hielten wieder. Die Tür glitt auf. Er stieg aus und befand sich wieder in einer Halle mit blauer Kuppel, kleiner als die vorige. Vor einem weißen Bildschirm stand ein Gummisitz, auf dessen Armlehnen alle möglichen Apparate montiert waren. Gehorsam nahm Sherman Platz.
Sofort erschienen auf dem Bildschirm eine Anzahl Worte in dunklem Grün. Erstaunt las er: »EROBERUNG WAR UNVOLLSTÄNDIG. LASSANS BRAUCHEN SKLAVEN. ZUR VERSTÄNDIGUNG WIRD FLIEGER UNS TÄGLICH SPRACHUNTERRICHT GEBEN. WAS IST DAS?« Die Worte verschwanden, statt dessen zeigten sich auf dem Bildschirm die Abbildungen verschiedener Gegenstände. Eines Bettes, eines Flugzeuges, eines Buches. Ein Summen und ein Blinklicht lenkten seine Aufmerksamkeit auf einen Schreibstift und eine Tafel, die auf seiner Armlehne angebracht waren. Er erriet, daß man von ihm eine schriftliche Erklärung der gezeigten Gegenstände erwartete. Er griff nach dem Stift und schrieb: BETT. FLUGZEUG. BUCH. Augenblicklich erschienen die Worte auf dem Schirm. Ein tiefes Summen zeigte an, daß man mit seiner Auffassungsgabe zufrieden war. Dies war natürlich nur ein Anfang. Die Lassans (wer immer sie sein mochten) schienen das Grundwissen über die englische Sprache bereits zu beherrschen. Sie gingen rasch zu schwierigen Problemen über. Sherman mußte sich große Mühe geben, schwer erklärbare Worte wie GEHIRN, DENKEN, PHILOSOPHIE oder SEELENLEBEN zu erläutern. Wenn er sich nicht klar ge-
nug ausdrückte oder keine treffende Formulierung fand, wurde er augenblicklich durch einen weißen Lichtstrahl bestraft, der ihn schmerzhaft blendete. Dieser seltsame Sprachunterricht wurde drei oder vier Stunden lang fortgesetzt. Dann erschien das Wort HINAUS! Gehorsam wandte Sherman sich der Tür zu und fand auch den Wagen bereits wartend vor. Er wurde in seine Zelle zurückgebracht, und das Gitter schloß sich wieder hinter ihm. Was nun? fragte sich Sherman. Er machte sich daran, den Inhalt seiner Zelle näher zu untersuchen. In der Schublade des Lesepults fand er zu seinem Erstaunen außer einigem Werkzeug einen ganzen Satz metallener Finger, die aufs Haar den seinen glichen. Er beobachtete seine Zellennachbarn, die mechanischen Affen. Einer von ihnen hatte zwei Handgriffe gepackt, die aus der Wand herausragten, und schien großes Vergnügen dabei zu empfinden. Sherman sah sich nach ebensolchen Handgriffen in seiner Zelle um, ergriff sie und bekam einen angenehmen elektrischen Schlag. Danach fühlte er sich erfrischt und gestärkt. Offenbar war das die Art, wie sich diese Geschöpfe ernährten. Diese Geschöpfe! dachte er bitter. Ich bin ja jetzt eines von ihnen!
»He!« schrie er plötzlich laut durch den hallenden Korridor. »Ist hier irgendeiner, der mich verstehen kann?« Aus allen Käfigen wandten sich ihm metallene Gesichter zu. Eine Stimme antwortete: »Na klar!« Sherman fiel ein Stein vom Herzen. Er war also nicht der einzige Mensch unter all diesen metallenen Affen! »Wer hat uns hierhergebracht und wozu?« rief Sherman. »Soviel ich weiß, sehen die Eroberer wie Elefanten aus. Und sie brauchen uns zur Arbeit.« »Was?!« »Zur Arbeit. Als Sklaven. Wir arbeiten an ihren merkwürdigen Lichtmaschinen. Macht unsere Finger kaputt, und wir müssen uns fast täglich neue einschrauben.« »Was sagten Sie? Elefanten?!« »So was Ähnliches. Aber sie tragen Kleidung und sind verdammt klug.« »Wer sind Sie?« »Ich heiße Harve Mellen. Hatte eine Farm hier in der Nähe, bevor sie mich schnappten.« In Shermans Zelle begann ein blaues Licht zu blinken. Er hatte das unbehagliche Gefühl, beobachtet zu werden.
»Gibt es keine Möglichkeit, hier 'rauszukommen?« fragte er seinen Mitgefangenen. »Pst!« antwortete der andere ängstlich. »Das blaue Licht bedeutet, daß Sie still sein sollen. Wenn Sie widerspenstig sind, kriegen Sie den verdammten Strahl in die Augen, bis Sie wieder klein beigeben.« So war das also! Sie wurden hier als Sklaven einer mächtigen und intelligenten Rasse gefangengehalten. Es konnte nur eine außerirdische Rasse sein, die mit dem Kometen gekommen war, um die Erde zu unterjochen. Er schwieg, aber er betrachtete mit gesteigerter Aufmerksamkeit den Verschluß seiner Zellentür. Die größte Schwierigkeit für eine Flucht lag darin, daß er so gut wie nichts über seine Unterdrücker und seine neue Lage wußte. Am zweiten Tag riskierte er es, das Gespräch mit seinem Leidensgefährten fortzusetzen, nachdem die blauen Lichter ihm Schweigen geboten hatten. Ein greller Strahl gelben Lichts traf ihn genau in die Augen. Der Schmerz warf ihn zu Boden, wo er sich minutenlang in Qualen wand. Danach wiederholte er diesen Versuch des Widerstandes nicht mehr. Von nun an richtete er sein Hauptaugenmerk auf das Türschloß. Er konnte es trotz aller Bemühungen nicht finden. Es war unsichtbar. Andererseits erinnerte er sich an den Hebel, der aus dem Fahrzeug unter die Gitterstäbe griff. Dort also mußte irgendeine Öff-
nung sein, in die er einrastete, womit er das Zurückgleiten der Gittertür auslöste. Sherman legte sich flach auf den Rücken und untersuchte einen Gitterstab um den andern. Etwa in der Mitte der Gitterwand fand er eine winzige Öffnung in einem der Metallstäbe – nicht mehr als stecknadelkopfgroß. Er mußte die Feinmechanik der Lassans bewundern. Dann überlegte er, wie er seine Zelle öffnen könnte. Er besaß nichts als die paar Werkzeuge in der Schublade. Darunter befand sich ein kleines Messer mit gebogener Klinge und ein Schleifstein. In mühevoller Arbeit machte er sich daran, das Messer so zuzuschleifen, daß eine nadelscharfe Spitze entstand. Er brauchte mehrere Tage dazu, denn er konnte nur daran arbeiten, wenn er unbeobachtet war, wenn also seine Nachbarn, die Affen, entweder auf Arbeit oder mit anderen Dingen beschäftigt waren. Endlich, am dritten Tag, hatte er die Nadel fertiggestellt. Er benutzte den Augenblick, da der Käfig links leer war und der Affe zu seiner Rechten mit dem Ölball spielte. Er legte sich flach auf den Rücken und führte die Nadel in die kleine Öffnung ein. Zu seiner Enttäuschung geschah nichts. Hatte er die Funktion des Hebels nicht sorgfältig genug beobachtet?
Als der Wagen das nächste Mal kam, paßte er scharf auf. Er sah, daß die Nadel tatsächlich in die Öffnung eindrang. Aber gleichzeitig preßte der Hebel das Gitter auf beiden Seiten der Öffnung aufwärts. Dies bereitete ihm einige Schwierigkeiten. Er hatte nur zwei Hände. Wenn er mit einer die Nadel einführte, blieb ihm nur eine, um das Gitter an einer Stelle hochzuheben. Glücklicherweise fiel ihm ein, daß seine Zehen eine bemerkenswerte Greiffähigkeit besaßen. Schließlich gelang es ihm wirklich, das Gitter zu öffnen. Ließ er es los, so schloß es sich automatisch wieder. Ein neues Gefühl der Freiheit durchströmte ihn. Er beschloß, einen günstigen Augenblick abzuwarten, bevor er Gebrauch von seiner Freiheit machte. Dazu mußte er vor allem mehr über den Ort erfahren, an dem er sich befand. Inzwischen hatte er täglich seinen unsichtbaren Schüler mit Hilfe des Schreibstifts und des Bildschirms in englischer Sprache zu unterrichten. Die raschen Fortschritte dieses Schülers wiesen auf eine ungewöhnliche Intelligenz der außerirdischen Rasse hin. Besonders auf technischem Gebiet zeigten sich die Lassans unglaublich beschlagen. Als Sherman zum Beispiel das Wort ATOM schrieb, erschienen auf dem Bildschirm gleich eine ganze Reihe von Dia-
grammen und mathematischen Formeln, daß ihm selbst der Kopf schwirrte. Nach etwa vier Wochen – die Zeit war in diesem Gefängnis schwer zu schätzen – holte ihn der Wagen ab, und brachte ihn in einen Raum, der sich beträchtlich von dem Unterrichtsraum unterschied. An einer Wand befand sich eine große Maschine mit einem Gewirr von Röhren, Ventilen, Hebeln und Knöpfen. Selbst Shermans technisch geschulter Verstand konnte sich keinen Reim darauf machen. Ein großes Instrumentenbrett war ihm ebenso unverständlich. Er bemerkte eine große Tafel mit mehreren Reihen kleinerer Löcher – jedes etwa fingerdick. Die Löcher waren mit fremdartigen Zeichen beschriftet und in verschiedenen Farben markiert. Unterhalb dieser Tafel befand sich ein Brett mit ebenso vielen Reihen kleiner Lämpchen. Einer der mechanischen Menschenaffen stand vor der Tafel, als habe er bereits auf Sherman gewartet. Er trug einen unförmigen Helm auf dem Kopf, von dem verschiedene Drähte ausgingen, die wiederum durch ein Kabel mit der Maschine verbunden waren. Als Sherman eintrat, deutete der Affe auf die Tafel mit den Lämpchen und knurrte: »Achtung!« Ein rotes Lämpchen flammte auf. Der Affe steckte einen Finger in das Loch mit der roten Markierung
und ließ ihn dort, bis das Licht erlosch. Dann wandte er sich zu Sherman und deutete: »Tun!« Ein grünes Licht flammte auf, und Sherman tat, wie der Affe ihm befohlen hatte. Er steckte den Finger in das grüne Loch. Gleich darauf zog er ihn mit einem Schmerzensschrei zurück: Die Fingerkuppe war sichtbar angesengt. Der Affe grinste. Das Licht zuckte auffordernd. Vorsichtig steckte Sherman den Finger ins Loch und zog ihn hastig zurück, als der schmerzhaft brennende Schlag sich wiederholte. Beim drittenmal weigerte er sich einfach, zu gehorchen. Er hielt trotz des blinkenden Lichtzeichens beide Hände auf dem Rücken und trat einen Schritt zurück. Der Affe warf den Kopf zurück und stieß ein langgezogenes Geheul aus. Sherman fühlte sich von einer unsichtbaren Kraft gepackt und zu Boden geworfen, während sich gleichzeitig wieder der schreckliche gelbe Strahl in seine Augen bohrte. Er biß die eisernen Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Als er endlich wieder imstande war, sich aufzurichten, taumelte er auf die Maschine zu und tat, was ihm befohlen worden war.
Die Arbeit war einfach, und er begriff rasch. Wenn ein Leuchtzeichen aufflammte, mußte er einen Finger in das Loch mit der entsprechenden Farbe stecken und ihn trotz des Schmerzes dort lassen, bis das Licht erlosch. Nach zwei Stunden begannen sich seine Fingerkuppen zu schälen, so daß das blanke Metall zum Vorschein kam. Der Affenmensch grinste und brachte aus einer Schublade einen Satz neuer Finger zum Vorschein. Er zeigte Sherman, wie man die alten abschraubte und durch neue ersetzte. Sie paßten haargenau. Die Muskelbänder brauchten nicht eigens verbunden zu werden, sie griffen so glatt ineinander, daß sie auch so hielten, sobald die »Knochen« festgeschraubt waren. Danach wurde er wieder in seine Zelle zurückgebracht. Er hatte Zeit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was wohl als nächstes geschehen würde.
13 Als der Wagen ihn das nächste Mal abholte, dauerte die Fahrt bedeutend länger. Schließlich ging die Tür seines winzigen Abteils auf. Er stieg aus und fand sich in einer Art Tunnel, der anscheinend aus dem Felsgestein herausgehauen worden war. Die Felswände waren sorgfältig glattgeschliffen, der Boden des Tunnels rauh genug, um ein Ausgleiten der eisernen Füße zu verhindern. Gleichzeitig mit ihm hatte der Zug zwei Menschenaffen abgesetzt, die ihn nun in die Mitte nahmen und durch den Tunnel weiterführten. Der Tunnel machte eine Biegung und endete in einer großen Maschinenhalle. Ein Menschenaffe, der einen der unförmigen komplizierten Helme trug, kam ihnen entgegen. Er glotzte sie zuerst blöde an. Dann war es, als erhielte er über seinen Helm irgendeinen Befehl. Er ergriff Sherman am Arm und führte ihn quer durch den Raum zu einer Maschine. Die Maschine glich aufs Haar der anderen, in deren Gebrauch man ihn unterwiesen hatte. Als die Leuchtzeichen aufblinkten, begann Sherman mechanisch, seinen Finger in die verschiedenen Löcher zu stecken. Dabei sah er sich verstohlen um. Zu seiner Überra-
schung bemerkte er, daß sein Nachbar an der nächsten Maschine kein Affe, sondern ein Maschinenmensch wie er war. Bei näherem Zusehen stellte er fest, daß es sich um eine Frau handelte! Er flüsterte: »Wer sind Sie? Und wo sind wir?« Das Mädchen warf einen hastigen Blick nach ihren Wächtern und zischte zurück: »Pst! Nicht so laut. Ich heiße Marta Lami. Und dieser Ort muß mindestens die Hölle sein!« Er benutzte die nächste Atempause, die die Leuchtzeichen ihm gönnten, um weiterzuforschen: »Wer hält uns eigentlich hier gefangen?« »Keine Ahnung. Wahrscheinlich diese Elefanten.« »Was für Elefanten? Ich habe noch keinen gesehen.« »Sie werden sie schon noch zu sehen kriegen. Sie kommen gelegentlich auf Inspektion. Sie sind wohl neu hier?« »Neu an den Maschinen. Bisher mußte ich unseren Unterdrückern englischen Unterricht geben. Hier bin ich heute den ersten Tag.« »Ich bin seit achtzig Arbeitsperioden hier. Wir zählen nach Arbeitsperioden, statt nach Tagen.« »Wo sind wir? Gibt es noch andere Menschen hier?« »Einen in dem Käfig mir gegenüber. Stevens, ein Bankier aus der Wallstreet.«
»Muß er auch an der Maschine arbeiten?« »Ja.« »Haben Sie eine Ahnung, wozu diese Maschinen da sind?« »Stevens meint, daß damit nach irgend etwas gebohrt wird. Sie haben ihm zweimal den Helm aufgesetzt.« »Was für einen Helm?« »So einen, wie der Trottel an der Tür ihn trägt. All die Affen hier tragen sie. Wahrscheinlich, weil sie selbst kein Hirn haben. Ich mußte einmal einen aufsetzen, als man mich in meiner neuen Arbeit unterwies. Es sind Gedankenhelme.« »Was meinen Sie damit?« »Sie zwingen einem damit bestimmte Gedanken auf. Sobald man das Ding auf dem Kopf hat, ist man wie benommen. Unfähig, etwas anderes zu denken, als was sie wollen.« Sherman schauderte. »Wo haben sie Sie geschnappt?« fragte das Mädchen. »In einem Flugzeug. Haben mich irgendwie runtergeholt. Und als ich erwachte, steckten sie mich in einen Käfig. Und Sie?« »Die Vögel. Sie haben uns mit ihren Klauen gepackt und einfach durch die Luft davongetragen.« »Marta Lami«, wiederholte er nachdenklich. »Mar-
ta Lami – Sie sind doch nicht etwa die bekannte ungarische Tänzerin, die im Century Roof in New York aufgetreten ist?« »Stimmt genau.« Verwundert betrachtete er seine Nachbarin. Das also war die berühmte Tänzerin! Wie hatte sie sich verändert! Ein Maschinenmensch, die Karikatur ihres früheren Selbst. Und hier arbeitete sie sich die Finger kaputt, als Sklavin einer feindlichen, außerirdischen Rasse ... Sie fragte: »Glauben Sie, daß sie uns für immer hierbehalten?« »Wenn ich das wüßte! Wie sind die Chancen für eine Flucht?« »Denkbar schlecht. Ein Mann an der übernächsten Maschine dort hat es vor drei Arbeitsperioden versucht.« »Und?« »Sie haben ihm den gelben Strahl gegeben. Drei Stunden lang. Sie hätten ihn schreien hören sollen!« »Wie tief unter der Erde mögen wir sein?« »Pst! Der Lassan!« Er warf einen verstohlenen Blick über die Schulter. Der Menschenaffe am Eingang trat respektvoll beiseite. Und dann kam ein seltsames Wesen durch die Halle gestampft. Ein großer Fleischkoloß, graublau und bleich wie
ein toter Fisch. Ein gewaltiger runder Kopf, von dem ein langer Rüssel herunterschlenkerte. Das Wesen erinnerte entfernt an einen Elefanten. Aber es bewegte sich aufrecht auf zwei Beinen, die bedeutend länger waren als die eines Elefanten. Es ragte gut drei Meter hoch, hatte anliegende Ohren, eine lederne, runzlige Haut und große kluge Augen. Das Seltsame war, daß dieses Elefantenwesen Kleidung trug – einen Umhang, der vom Hals bis fast zu den Füßen fiel und die plumpen Formen verhüllte. Einen Augenblick stand das Wesen mitten in der Halle und schwang seinen Rüssel witternd nach allen Seiten. Dann kam es langsam auf Sherman zu und beschnüffelte ihn ausgiebig. Schließlich zog es mit dem Rüssel eine Sprachmuschel aus dem Helm des Affenmenschen, schnaubte etwas Unverständliches hinein und trottete wieder davon. Als es verschwunden war, sagte Marta Lami: »Das war unser Boss.« »Dieser Fleischkoloß?« »Unterschätzen Sie die Lassans nicht. Die wissen mehr als Einstein! Versuchen Sie, mit einem von ihnen anzubinden, und Sie werden sich wundern.« »Was machen sie?« »Kitzeln einen mit ihren Lichtkanonen. Tragen immer eine bei sich. Wo sie einen damit treffen,
schmilzt unser Metall wie Schnee an der Sonne. Dann wird man repariert – und das ist schmerzhafter als alles andere.« »So etwas müssen sie wohl mit mir gemacht haben, als ich nach der Katastrophe aufwachte. Sie machten sich irgend etwas an meinem Rücken zu schaffen, und das tat höllisch weh.« »Dann wissen Sie ja Bescheid. Später setzen sie Ihnen den Helm auf und befehlen Ihnen, was Sie denken sollen. Mit einiger Anstrengung kann man sie manchmal an der Nase herumführen. Mir ist es zum Beispiel gelungen, eine Stunde lang nur an gewisse Tanzschritte zu denken – und sie konnten nichts anderes aus mir herauskriegen.« Es war alles sehr sonderbar und verwirrend. Vernunftbegabte Elefanten, die über eine hochentwickelte Technik verfügten – die durch Gedankenhelme das Denken ihrer Gefangenen steuern konnten – die Menschen in Maschinen verwandelten und beschädigte Maschinen wieder in Gang setzten – und die Menschen als untergeordnete Rasse betrachteten, die nicht mehr zählte als Tiere ... Aber Sherman war nicht gewillt, sich mit der Unterdrückung durch die Lassans abzufinden. Er war ein denkender Mensch. Er fühlte sich kräftig und leistungsfähig. Er war überzeugt, daß er früher oder später einen Ausweg finden würde.
Alles deutete darauf hin, daß diese Maschinen vorwiegend elektrisch betrieben wurden. Ebenso schien der Wagen, der sie zur Arbeit brachte, elektrisch. Wenn er einen Kurzschluß machen könnte ... Sein neuer Körper war ein guter Stromleiter. Es müßte doch auf irgendeine Weise möglich sein, einen Kurzschluß auszulösen. Die dadurch entstehende Panik würde eine Flucht begünstigen. Aber er wollte nichts überstürzen. Es hatte keinen Sinn, zu fliehen, bevor er mehr über die Elefantenmenschen wußte, über ihre geheimnisvollen Strahlenwaffen, die unterirdische Stadt, die sie sich irgendwo im felsigen Untergrund der Catskills erbaut hatten, über ihre Chemie, Metallurgie und andere technischen Wissenschaften. All das mußte er herausbekommen, bevor er den Versuch machte, aus der Gefangenschaft zu fliehen.
14 Sherman entschied: »Als erstes müßte man den Gedankenhelm des Wächters am Eingang durch einen Kurzschluß außer Betrieb setzen.« Er sah sich diesen Helm und seine Verbindung genauer an. Die Drähte liefen in einem Kabel aus, und dieses wiederum war mit einer Schiene an der Decke der Halle verbunden. Die Verbindung ähnelte der eines Elektrobusses und gab dem Helmträger Spielraum, sich in der Halle frei zu bewegen. Ob es elektrischer Strom war, der durch dieses Kabel geleitet wurde, oder irgendeine unbekannte Energieform – das ließ sich nicht so einfach feststellen. Das einfachste wäre, beim nächstenmal sein kleines gebogenes Messer mitzubringen und in einem günstigen Augenblick das Kabel durchzuschneiden. Aber es war nicht sicher, ob das einen allgemeinen Kurzschluß verursachen würde. Auch würde seine Täterschaft zu offensichtlich sein. Besser war es, wenn alles wie ein Zufall aussah. Marta Lami erklärte sich sofort bereit, seinen Plan zu unterstützen. »Was kann ich dabei tun?« »Ich habe mir schon alles zurechtgelegt«, erklärte
Sherman. »Wir kommen beide gleichzeitig hier an. Ich bringe mein Messer mit. Sie bleiben ein wenig zurück, um den Wächter abzulenken. Inzwischen schneide ich das Kabel an – so, daß man es nicht gleich merkt. Eine Stunde später fange ich laut zu reden an. Der Wächter wird voraussichtlich auf mich zustürzen, um mich zur Ordnung zu rufen. Bei dieser jähen Bewegung aber muß das angeschnittene Kabel reißen. In der allgemeinen Verwirrung versuchen wir zu entkommen.« Die nächste Arbeitsperiode erwies sich als ungünstig. Der Wagen, der die Tänzerin brachte, kam wesentlich früher als Shermans Wagen. So mußten sie den Plan fallenlassen. Aber das nächste Mal klappte es. Sie kamen fast gleichzeitig an. Marta Lami blinzelte ihm zu und blieb ein wenig zurück. Er führte einen kurzen, kräftigen Hieb nach dem Kabel. Zwei dicke Drähte kamen zum Vorschein. Der zweite Teil des Planes erübrigte sich von selbst. Bevor Sherman noch dazu kam, die. Aufmerksamkeit des Wächters auf sich zu lenken, erschien ein Lassan. Der Affe trat zurück, um den Eingang freizugeben, und riß dabei das Kabel durch. Ein zischender Blitz, ein Funkenregen – und dann der erwartete Kurzschluß. Die Folgen allerdings waren unerwartet. Aus der Maschine vor Sherman nämlich zuckte eine Stich-
flamme auf, etwas barst mit einem Knall, Glassplitter flogen durch die Luft. Sherman wurde durch den Druck zu Boden geschleudert, während ein Hagel von Steinen und Glasscherben auf ihn niederging. Marta Lami ging es ähnlich. Die steinerne Decke der Halle über ihnen sah aus wie nach einem Bombenvolltreffer. Sherman raffte sich auf und sah sich um. Die Maschine war bei der Explosion in Trümmer gegangen. Die Flammen züngelten über das Wrack, eine unerträgliche Hitzewelle ging davon aus, während ein dumpfes Dröhnen eine neue Explosion ankündigte. Sherman beugte sich über das bewußtlose Mädchen und überlegte, wie man einen Maschinenmenschen wieder zu sich brachte. Marta Lami enthob ihn dieser Aufgabe, indem sie von selbst die Augen öffnete. »Verdammt, das saß«, murmelte sie und sah sich unter den Trümmern um. »Wir müssen 'raus«, sagte Sherman. »Und zwar schnell. Wo ist der Ausgang?« Sie kletterten über geborstene Maschinenteile und Felsbrocken. Der Ausgang war durch Geröll blokkiert. Das Dröhnen hinter ihnen verstärkte sich. »Schnell!« rief die Tänzerin und zerrte an den Steinblöcken. Gemeinsam stemmten sie sich gegen die größten
Felsblöcke. Als Menschen von Fleisch und Blut wäre es ihnen völlig unmöglich gewesen, auch nur einen von ihnen von der Stelle zu rücken. Es bedurfte aller Kraftreserven der Maschinenmenschen, um die Hindernisse zu beseitigen. Endlich bekamen sie ein leidlich großes Loch frei, durch das die Tänzerin sich mit einiger Mühe quetschen konnte. Sherman folgte ihr. Hinter ihnen zischte und grollte es bedrohlich. Er sah sich um. Eine weiße dampfende Flüssigkeit brodelte aus der zerstörten Maschine und floß über den Boden der Halle. Sie eilten durch den Tunnel bis zu der Stelle, wo sie den Schienenwagen verlassen hatten. Der Wagen stand da, dunkel und leer. Das Dröhnen hinter ihnen schien näherzukommen. »Los, Junge!« schrie Marta Lami. »Wir wollen hier nicht überwintern!« Sie hatten keine Ahnung, wie sie den Wagen in Gang setzen könnten. Also sprangen sie auf die breite metallene Schiene hinunter und folgten ihr aufwärts. Nach ein paar Schritten erloschen die Lichter des Tunnels. Sie waren in absoluter Finsternis und konnten sich nur vorwärts tasten. Der Tunnel schien kein Ende zu nehmen. Endlich erreichten sie eine kleine Plattform – so plötzlich, daß Marta Lami stolperte. Sherman, der sie an der Hand hielt, riß sie hoch.
Um eine Biegung sahen sie Licht schimmern. Es schien aus einem Seitentunnel zu kommen. »Wollen wir dorthin?« fragte er zweifelnd. Marta meinte: »Vielleicht führt der Seitentunnel nur zu einem weiteren Maschinenraum. Aber wir haben keine Wahl. Wenigstens ist es dort hell.« Sie kletterten weiter aufwärts. In der Ferne hinter sich hörten sie eine dumpfe Detonation, die in ein langanhaltendes unterirdisches Grollen überging. Sie gelangten in einen engeren, roh ausgehauenen Tunnel, der sich wenige Meter später gabelte. Sie wählten die rechte Abzweigung, aus der der Lichtschein kam. Je weiter sie vordrangen, desto heller wurde es. Es war, als ob die steinernen Seitenwände selbst ein mildes, schattenloses Licht verbreiteten. Der Tunnel ging eine Weile eben weiter, dann kam eine neue Steigung, diesmal in Spiralwindungen. »Das ist schlimmer als wenn man in der Freiheitsstatue 'raufklettert«, seufzte Marta. Aber auch die Spirale nahm schließlich ein Ende. Wieder kamen sie zu einer Abzweigung. »Pst!« machte Marta plötzlich. »Dort kommt jemand. Verstecken wir uns in dieser Nische!« Sie drückten sich eng in eine Vertiefung der Seitenwand. Eine Gruppe von fünf Menschenaffen lief nur we-
nige Meter von ihnen entfernt vorbei, ohne sie zu bemerken. Sie trugen lange Schilde, ähnlich denen der römischen Soldaten, und einen Feuerlöscher oder so etwas ähnliches. Jeder der Affen trug einen Helm. Hinter ihnen kam ein Lassan getrottet. Auch er trug einen Helm, der durch das Kabel mit denen aller Affen verbunden war. Die Gruppe hastete abwärts, dem Herd der immer noch andauernden Explosionen zu. Als sie vorbei waren, sprangen Sherman und Marta aus ihrer Nische und liefen weiter aufwärts, den Weg, den die Gruppe gekommen war. In dem Maß, da die Steigung sanfter wurde, weitete sich der Tunnel. Nach rechts und links zweigten zahlreiche Seitengänge ab. Nach einer scharfen Biegung mündete der Gang schließlich in einen großen Raum. Auch hier standen verschiedene Maschinen, aber andere wie die, an denen sie gearbeitet hatten. Am Ende des Raumes bemerkten sie eine offene Tür. Sie eilten hindurch – und fanden sich wieder in einer der blau überkuppelten Hallen, die sich kilometerweit zu erstrecken schien. Nirgends waren Säulen oder Stützen für die riesige gewölbte Decke zu sehen. Die Halle war mit Maschinen und Instrumenten angefüllt, deren Zweck sie auch nicht annähernd erraten konnten.
Am meisten fesselte ihre Aufmerksamkeit ein gewaltiges, silbern schimmerndes Gebilde, das in der Mitte des Raumes stand. Es sah aus wie ein riesiger Fisch. Die metallene Hülle glänzte spiegelglatt. Das Ding endete in einem stumpfen Schwanz, aus dem vier Düsen ragten. Die Schnauze lief rüsselförmig aus und bestand aus einer gummiartigen Masse. Marta zog Sherman weiter und suchte einen Ausgang aus der Halle. Der nächste war zwanzig oder dreißig Meter entfernt. Sie gelangten in einen schmalen Gang, von dem zwei Türen ausgingen. »Welche?« fragte Sherman. »Egal. Es ist doch Glückssache«, antwortete Marta und ging auf eine Tür zu. Entschlossen stieß sie sie auf, und beide traten ein. Einen Augenblick blieben sie vor Überraschung starr auf der Schwelle stehen. Sie sahen eine kleinere, aber ebenfalls blau überdachte Halle. An den Wänden entlang zogen sich sonderbar geformte Bänke aus einem weichen, grünen Material. Und auf jedem dieser Sitze thronte ein Lassan. Alle hatten ihre Rüssel in einen großen Bottich versenkt, der in der Mitte des Raumes stand, und schlürften eine grünschillernde, ölige Flüssigkeit. Ein halbes Dutzend behelmter Menschenaffen standen neben den Sitzen, um ihre Herren zu bedienen.
Als die beiden Amerikaner eintraten, richteten sich alle Blicke auf sie. Die Elefantenwesen erstarrten, als trauten sie ihren eigenen Augen nicht. »Guten Abend, Leute«, sagte Marta munter. »Wie geht's?« Der Klang ihrer Stimme brach den Bann. Mit einem zornigen Gebrüll sprang der zunächst sitzende Lassan auf und wühlte suchend in den Falten eines weiten Umhangs. Die Lichtkanone! durchfuhr es Sherman, und er duckte sich sprungbereit. Aber ein anderer Lassan hielt den Wütenden zurück. Es entspann sich ein Wortwechsel in unverständlichen, dumpfen Lauten. Schließlich griff einer der Lassans nach einem Helm und stülpte ihn über seinen mächtigen Schädel. Dann setzte er einem der Menschenaffen einen zweiten Helm auf, der mit dem seinen verbunden war. Der Affe schritt wie in Hypnose auf die beiden Menschen zu. Sie wollten sich zur Flucht wenden, aber der Lassan zog blitzschnell seine Lichtkanone – und sie hielten resigniert inne. »Na schön«, sagte die Tänzerin. »Eins zu null für euch.« Der Affe faßte beide an einem Arm und führte sie hinaus, während der Lassan folgte. Es ging durch die
Halle mit dem metallenen Riesenfisch, zwischen den Maschinen hindurch durch verschiedene Räume und Korridore bis zu einem Schienenstrang. Der Lassan berührte mit dem Rüssel die Wand. Gleich darauf kam einer der Schienenwagen angeflitzt. Zwei Türen glitten auf. »Auf Wiedersehen!« sagte Marta Lami. »Vielleicht treffen wir uns ein andermal.« »Hoffentlich«, sagte Sherman. Der Affe stieß jeden von ihnen in ein Abteil, und die Türen schlossen sich. Für Sherman dauerte die Fahrt nicht lange. Schon nach ein paar Minuten öffnete sich seine Tür wieder, und er wurde in einem kleinen Raum mit blauer Kuppel abgesetzt. Hier gab es nichts als einen der üblichen Gummisitze, eine grüne elastische Bank, wie die Lassans sie als Ruhelager verwendeten, und einen rätselhaften Apparat mit einem Gewirr von Drähten und Röhren. Da saß er nun. Und es blieb ihm nichts weiter übrig, als abzuwarten, was man weiter über ihn beschließen würde.
15 Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, als die Tür wieder aufging, um einen Lassan einzulassen. Dieser war kleiner als die meisten seiner Artgenossen. Seine Haut war heller und runzliger. Er schien sehr alt zu sein. Er näherte sich Sherman trotz seiner plumpen Gestalt auf leisen Sohlen und streckte den Rüssel vor, um den Gefangenen zu untersuchen. Dann holte er mit dem Rüssel einen Gedankenhelm aus seinem Gewand, setzte ihn auf Shermans Kopf und verband ihn mit dem Helm auf seinem eigenen Schädel. Zu seiner Überraschung fühlte er vorerst keinen Druck auf sein Denken. Der Gedanke blitzte in ihm auf: »Dieser Lassan will mir wohl!« Dann kam der Gedanke des Lassans durch den Helm: »Sie sind zu klug, um bei der Maschinenarbeit eingesetzt zu werden. Für Sie haben wir bessere Verwendung an einer unserer Kampfmaschinen.« Der Gedanke rief in seinem Kopf das Bild des großen Silberfisches aus der Halle hervor. »Es war ein Irrtum«, fuhr der Lassan fort. »Sie hätten gleich in eine andere Abteilung gebracht werden sollen. Wir wissen, daß es unter euch Erdenmenschen recht fähige Exemplare gibt. Ihr versteht sogar besse-
re Maschinen zu bauen als die, die wir mit uns führen. Ihr braucht nicht einmal einen Helm zu ihrer Kontrolle. Einige von euch sind sogar imstande, mit dem Licht umzugehen.« Natürlich erschienen nicht diese vollständigen Sätze in Shermans Hirn, sondern nur ungefähre Vorstellungen von dem, was der Lassan ihm vermitteln wollte. So sah er bei dem Wort »Licht« die Lichtkanonen der Lassans vor sich, sowie eine Menge komplizierter Apparate, deren Bedeutung er durchaus nicht begriff, die aber mit Lichtenergie zu tun haben mußten. »Nun«, fuhr der Lassan fort und übertrug seine Gedanken auf ihn, »sagen Sie mir, warum Sie von hier fliehen wollten.« Das war ein gefährlicher Augenblick. Sherman hatte Angst, sich zu verraten. Er bemühte sich krampfhaft, nicht daran zu denken, wie er das Kabel des Wächters beschädigt und damit den folgenschweren Kurzschluß ausgelöst hatte. Statt dessen rief er sich den Augenblick der Explosion ins Gedächtnis zurück: den zischenden Blitz aus dem Kabel, die donnernden Detonationen, den Strom kochender weißer Flüssigkeit, der sich aus der geborstenen Maschine ergoß. Der Lassan war zu klug, um sich mit diesem Bild zufriedenzugeben. Er fragte mißtrauisch weiter: »Aber was hat diesen Unfall verursacht? Sie sind technisch gebildet. Was ist geschehen?«
Blitzartig erkannte Sherman, daß der Lassan ihn langsam aber sicher dorthin führte, wo er ihn haben wollte. Jetzt nur nicht an die wirkliche Ursache des Kurzschlusses denken! Er versuchte, die Erinnerung daran abzuschalten. Er dachte an eine Schüssel Rindfleisch mit Kohl, er sagte sich das Einmaleins her, er rief sich jeden einzelnen Hebel aus der Pilotenkanzel seines Flugzeugs ins Gedächtnis zurück. Und die ganze Zeit spürte er einen unerträglichen Druck auf sein Hirn, ein Fordern, ein Bohren in seinen Gedanken. Plötzlich ließ der Druck nach. Wieder hatte er das Empfinden, der Lassan sei ihm freundlich gesinnt und wolle nur sein Bestes. Aber diesmal fiel er auf den Trick nicht herein. Der Lassan schmeichelte ihm: »Sie haben fast soviel Charakterstärke wie ein Lassan«, dachte es in ihm. »Ich habe nie ein Tier niedriger Ordnung getroffen, das seine Gedanken so lange vor mir geheimhalten konnte. Nun gut, ich will Sie nicht drängen. Was wir wissen wollen, werden wir auf andere Art von Ihnen erfahren. Schade, daß es nicht viele Erdenmenschen Ihrer Art gibt. Wir schätzen kluge, tüchtige Sklaven.« Sherman faßte Mut und fragte geradezu:
»Wie habt ihr es fertiggebracht, uns in Maschinen zu verwandeln?« Der Lassan zögerte. Dann kam sein Gedanke über den Helm: »Ich habe nichts dagegen, wenn Sie ein paar Fragen stellen, die Ihnen am Herzen liegen. Wir müssen miteinander leben – warum nicht in Freundschaft? Wir möchten mehr von eurer merkwürdigen Zivilisation wissen. Wenn Sie uns die verlangten Auskünfte geben, will auch ich Ihre Fragen beantworten.« »Gut«, dachte Sherman rasch. »Dann sagen Sie mir vor allem, wie wir zu Maschinen wurden.« »Das ist schwer zu erklären«, dachte der Lassan. »Ich fürchte, Sie verstehen zu wenig von den Geheimnissen des Lichtes. Das Raumschiff, in dem wir gekommen sind, ist zum Schutz gegen kosmische Strahlen mit einer Substanz umgeben, die eine eigenartige Wirkung auf tierische Zellen ausübt. Sie ähnelt Radium, nur wirkt sie tausendmal stärker. Bei unserer Ankunft verbreiteten sich die Ausstrahlungen dieser Substanz durch die Atmosphäre über eure ganze Erde. Die am meisten davon abbekamen, wurden in ihrer ganzen Zellstruktur verändert. Ihre Fleischatome wurden zu Metallatomen. Sie konnten jedoch weiterleben. Die zu wenig bestrahlt wurden, wurden in totes Metall verwandelt.« Das war ungefähr das, was er selbst schon erraten hatte. Er forschte weiter:
»Diese Vögel ...« »Unsere Vögel haben den Auftrag, uns alle noch lebenden Menschen zu bringen. In unseren Laboratorien werden sie bearbeitet, daß sie sich für Sklavendienste eignen. Die zu totem Metall konvertierten Menschen sind natürlich nicht mehr zu verwenden.« »Aber«, wandte Sherman ein, »ich bin doch als Maschinenmensch in meinem Flugzeug erwacht, in dem mich die Katastrophe getroffen hatte.« »Natürlich. Unsere Erfahrungen bei der Eroberung anderer Planeten haben uns gezeigt, daß Individuen, die in ungewohnter Umgebung als Maschinenmenschen erwachen, oft durch den Schock zu leblosem Metall werden. Deshalb bringen wir die Verwandelten an den Ort zurück, an dem wir sie aufgelesen haben, und lassen sie erst dort erwachen.« »Wer seid ihr und woher kommt ihr?« fragte Sherman in Gedanken weiter. Den Lassan schien sein Wissensdurst zu belustigen. »Wir kommen von einem fernen Planeten, der um einen Stern namens Rigel kreist.« Sofort verdichtete sich vor Shermans geistigem Auge das Bild einer Sonne. Er fühlte, daß es Jahrmillionen vor dem Abkühlen der Erde war. Er sah den Stern, der damals eine Sonne wie die unsere war, und von einer kosmischen Katastrophe bedroht. Das Bild verschwamm und wich einem anderen: Er
sah den Kometen, den die irdischen Astronomen schon so lange beobachtet hatten, bevor er die Erde traf. Und er erkannte, daß es kein Komet, sondern ein interplanetarisches Raumschiff war, mit dem die Bewohner des bedrohten Planeten sich aus der Katastrophe retteten. »Aber wie ...« Diesmal ließ der Lassan keine weitere Frage zu. »Genug. Jetzt frage ich. Wir wollen wissen, was für eine Maschine das ist, mit der ihr eure Atmosphäre durchfliegt. Wie funktioniert sie?« Sherman stellte sich plastisch die Pilotenkanzel seiner Maschine vor und zeigte im Geist dem Lassan die Steuerung und den Motor. Der Lassan forschte weiter: »Aber was bewirkt, daß sie fliegt?« Sherman stellte sich das Innere des Motors vor, dachte an Kompression und Zündung. »Gibt es viele Explosivstoffe auf der Erde?« erkundigte sich der Lassan nachdenklich. Sherman dachte an Schießpulver, Dynamit und was ihm sonst noch einfiel. Der Lassan schien überrascht und etwas verwirrt. Er erhob sich unvermittelt. »Das genügt für heute«, erklärte er und nahm Sherman den Helm ab. Gleich darauf glitt die Tür auf, der Schienenwagen wartete draußen und brachte ihn in seinen Käfig zurück.
Man verlor in diesem unterirdischen Gefängnis jedes Zeitgefühl. Er schätzte, daß vierundzwanzig Stunden vergangen waren, als man ihn wieder abholte. Er wurde in denselben Raum gebracht, in dem der Lassan ihn verhört hatte. Diesmal waren noch zwei andere Lassans anwesend, aber der Alte führte den Vorsitz und stellte die Fragen. Er begann ohne Umschweife: »Wir wollen mehr über eure Explosivstoffe wissen. Sind sie alle gleich?« »Nein«, antwortete Sherman. »Wodurch unterscheiden sie sich?« »Das weiß ich nicht. Ich bin kein Chemiker.« Diese Bemerkung löste Befremden aus. Bei den Lassans schien es den Begriff der Chemie als Spezialwissenschaft nicht zu geben. Sherman bat: »Ist es mir erlaubt, eine Frage zu stellen?« Der Lassan nickte: »Was wollen Sie wissen?« »Wozu sind die Maschinen da, an denen ich arbeiten mußte?« Der Lassan erklärte bereitwillig: »Im Mittelpunkt eurer Erde (wie in dem jedes Planeten und jeder Sonne) liegt die Substanz des Lebens. Unsere Maschinen schürfen nach diesem Lebensstoff.« »Was ist das?«
»Sie würden es nicht verstehen, auch wenn ich es Ihnen sagte. Es ähnelt keinem der Stoffe, die auf der Erdoberfläche vorkommen. Sie könnten es am ehesten reine Energie nennen – Licht, das Materie und Energie zugleich darstellt. Und nun wieder zu euren Explosivstoffen: Verwendet ihr sie im Kampf gegen eure Feinde?« »Ja.« »Welche Waffen verwendet ihr?« Sherman dachte an einen Revolver, an ein Geschütz. »Sind diese Waffen auch auf größere Entfernung wirksam?« »Ja. Darf ich noch etwas fragen?« Der Lassan schien etwas ungeduldig, gestattete aber noch eine Frage. »Wie viele von euch befinden sich auf unserer Erde?« wollte Sherman wissen. »Einige hundert. – Gibt es solche Waffen hier in der Nähe?« Sherman dachte an die Kaserne von West Point, an Watervliet Arsenal und Iona Island. Die Auskunft schien die Lassans sehr zu befriedigen. Der Älteste sagte herablassend: »Wir haben beschlossen, großzügig zu sein und Ihnen eine unserer Kampfmaschinen zu zeigen. Dafür zeigen Sie uns, wie man eure Waffen benutzt.«
Sherman erklärte sich einverstanden. Der alte Lassan erhob sich schwerfällig. »Sie werden Ihren Helm aufbehalten. Angehörige niedriger Rassen dürfen unsere Kampfmaschine nicht ohne Gedankenhelm betreten. Auch brauchen Sie ihn, um unsere Anweisungen zu verstehen.« Sie fuhren mit dem Schienenfahrzeug zu der blau überkuppelten Halle, wo er und Marta Lami den großen glänzenden Fisch gesehen hatten. Der Anblick erinnerte ihn an Marta, und er fühlte Sehnsucht nach der heiteren und hilfsbereiten Gefährtin. Der Lassan fing seinen Gedanken auf. »Nein«, antwortete er ihm, »der andere Sklave ist nicht hier. Ich habe den Eindruck, daß er einer anderen Abart angehört, als Sie! Was ist der Unterschied?« »Gibt es bei euch keine Geschlechter?« fragte Sherman zurück. »Ich verstehe. Der Unterschied zwischen zwei Angehörigen niedriger Rasse, der die Fortpflanzung der Art möglich macht. Bei unseren Vögeln gibt es diese sonderbare Einrichtung. Wir selbst haben sie nicht. Unser Nachwuchs wird künstlich erzeugt.«
16 Sie standen vor der großen Kampfmaschine. Der Lassan sagte: »Tun Sie genau, was ich Ihnen sage. Unsere Instrumente sind äußerst empfindlich. Zum Einstieg klettern Sie an der Seitenflosse hoch und stecken Ihren Finger in das Loch, das Sie dort vorfinden.« Sherman tat, wie der Lassan befahl. Sobald er den Finger in das Loch steckte, glitt eine Tür auf, die so haarscharf eingepaßt war, daß er sie vorher gar nicht bemerkt hatte. Der Innenraum der Kampfmaschine war bedeutend kleiner, als das imposante Äußere vermuten ließ. Ein Gang führte zur Mitte. Den Gang entlang waren zwei Reihen von Instrumenten angebracht, nicht unähnlich denen von Gesteinsbohrern. Vor jeder Instrumententafel lag ein behelmter Affe, offenbar in tiefem Schlaf. »Nein«, beantwortete der Lassan Shermans Gedanken. »Sie brauchen keinen Schlaf. Wir haben sie in einen Ruhezustand versenkt, bis wir sie wieder brauchen.« Am vorderen Ende der Kampfmaschine verbreiterte sich der Gang zu einer geräumigen Kontrollkabine. Hier befand sich ein Sitz für einen Lassan, über dem
ein Helm angebracht war; der Helm war mit denen der schlafenden Menschenaffen verbunden. Der Lassan nahm seinen Helm ab und setzte dafür den neuen auf. Dann wies er Sherman auf einen zweiten Sitz. Die Bedienung der Maschine erfolgte durch die bekannten Löcher, in die man die Finger zu stecken hatte – die übliche Methode in der Technik der Lassans. Direkt vor Shermans Sitz befand sich eine Milchglastafel. Sobald der Lassan den neuen Helm aufgesetzt hatte, erschien auf dem Glas ein genaues Bild der großen Halle, in der die Kampfmaschine stand. Sherman fragte: »Können Sie auch auf Entfernung sehen?« Die Antwort war verwirrend kompliziert. Er begriff nur so viel, daß die vierflügligen Vögel der Lassans in irgendeiner Form als Späher dienten und mit ihnen in telepathischer Verbindung standen. Es war erstaunlich, wie leicht der unförmige Koloß zu handhaben war. Sherman erriet, daß die Kampfmaschine durch eben dieselbe Lebenssubstanz angetrieben wurde, die so zerstörende Wirkung auf die tierischen Zellen ausüben konnte. Das Tor der Halle schwang auf, und die Kampfmaschine glitt unter der geschickten Führung des Lassan in eine noch viel größere Halle, in der zwanzig dieser Kampfriesen standen. Ein zweites Tor öffnete sich.
Und plötzlich befanden sie sich im Freien, an einem sonnigen Herbsttag in den Catskills. Die Sichtplatte schwang herum und zeigte ihnen drei Vögel, die aus einem Versteck aufschwirrten und sie als Eskorte begleiteten. Sherman wies dem Lassan den Weg nach West Point und fand dort unschwer ein Feldgeschütz und genügend Munition. Er verstand nicht viel von Artillerie, aber er war technisch genügend beschlagen, um die Kanone zu laden und nach ihrer Rückkehr zum Hauptquartier der Lassans einen Schuß auf ein Ziel in den Bergen abzugeben. Eine Anzahl Lassans hatte sich zu dieser Vorführung versammelt und war sehr beeindruckt. Dann bemerkte er plötzlich unter den Elefantenwesen große Unruhe. Der alte Lassan wandte sich hastig an ihn: »Sofort in die Kampfmaschine zurück!« befahl er. »Unsere Vögel haben uns wissen lassen, daß wir von einem sonderbaren Wesen eurer Welt angegriffen werden.« Als Sherman in die Maschine kletterte, warf er einen Blick über die Schulter zurück. In der Ferne bemerkte er einen schwarzen Punkt, der sich scharf vom Himmel abhob. Von da an verschärfte sich das Verhältnis zwischen ihm und den Lassans und führte täglich und stündlich zu geistigen Kraftproben.
Die Lassans waren höllisch darauf aus, ihm alle Informationen über irdische Kampfmethoden zu entlocken. Er mußte ständig auf der Hut sein und seine Gedanken gegen sie abschirmen. Auf der anderen Seite erfuhr er selbst manches, was ihm wichtig schien. Allmählich begann er einiges über die Lebenssubstanz zu begreifen. Eines Tages, als er von einem längeren Verhör zu seinem Käfig zurückgebracht wurde, begrüßte ihn aus der Nebenzelle eine freudig überraschte Stimme: »Wenn das nicht mein alter Freund, der eiserne Herbert Sherman, ist!« Zu seiner großen Freude erkannte der Marta Lami, die ihm die Hand durch die Gitterstäbe entgegenstreckte. »Wie kommen Sie hierher? Nein, so eine Überraschung!« rief er und schüttelte ihre Hand. »Nett, daß wir uns wieder treffen«, fand Marta Lami. »Na, Junge, haben sie Sie ordentlich in die Zange genommen? Mich haben sie die ganze Zeit auszuquetschen versucht, aber ich konnte meine Gedanken ganz gut abschirmen, wenn ich an den nächtlichen Broadway und seine Lichter dachte.« »Von mir wollten sie täglich neue Einzelheiten über unsere Waffen, besonders die Kanonen, herauskriegen«, berichtete Sherman. »Kanonen?« fragte Marta verwundert. »Haben sie
nicht genug an ihren Todesstrahlen? Ich habe den Eindruck, daß sie anfangen, nervös zu werden. Und ich glaube, ich weiß warum.« »Schießen Sie los«, bat Sherman neugierig. Sie sah sich vorsichtig um. Der Menschenaffe im Nachbarkäfig achtete nicht auf sie, sondern war mit seinem Ölball beschäftigt. »Kommen Sie ganz nah heran«, murmelte sie. »Vielleicht ist irgendwo ein Mikrophon versteckt, um unsere Gespräche auszuspionieren.« Durch die Gitterstäbe flüsterte sie ihm zu: »Ich habe die ganze Zeit bei der Erzeugung dieser Kampfmaschinen gearbeitet. Meist mit einem dieser abscheulichen Helme auf dem Kopf, durch den ich die Anweisungen für meine Arbeit empfing. Dabei kriegte ich einiges von dem mit, was mein Aufseher dachte. Ich glaube, sie warten auf einen Angriff von draußen.« »Meinen Sie – von Menschen, wie wir es sind?« »Das weiß ich nicht. Ich habe nicht alles verstanden. Aber ich glaube, es sind Menschen aus Fleisch und Blut. Eine Menge dieser Affen wurde in eine der neuen Kampfmaschinen verladen und fortgeschickt; sie kamen nie zurück. Irgend etwas ist im Gange.« Beim nächsten Verhör ließen die Lassans sich nichts anmerken, ob sie Shermans Gespräch mit Marta Lami
belauscht hatten. Aber als er in seinen Käfig zurückgebracht wurde, blinzelte die Tänzerin ihm bedeutungsvoll zu. Sie nahm ein Buch aus ihrem Lesepult und wies mit dem Fingernagel auf einzelne Buchstaben. Er begriff, daß sie auf diese Weise eine neue Art geheimer Verständigung suchte. Er las aus den einzelnen Buchstaben die Worte: »Vorsicht! Sie wissen, worüber wir reden! Sie haben mich in ein scharfes Verhör genommen!« Er nickte und sagte laut: »Was meinen Sie – haben die Lassans Talent zum Tanzen?« Sie lachte. »Kaum. Zu schwer und plump. Ich möchte gern mal wieder schräger Musik zuhören!« Während sie sprach, pickte er mit dem Fingernagel eine Anzahl Buchstaben aus ihrem Buch. Sie verstand: »Wie stehen die Chancen für eine Flucht? Wissen Sie, wo es hinausgeht?« Sie antwortete in der gleichen Zeichensprache: »Nur durch die Maschinenhalle. Sie hat einen Ausgang ins Freie.« Laut sagte sie: »Ich glaube, ich kann selbst gar nicht mehr tanzen. Bin ganz aus dem Training.« Er fragte weiter:
»Ich habe gelernt, mit ihren Fahrzeugen umzugehen. Ich riskiere es. Machen Sie mit?« Und sie antwortete: »Jederzeit!« Sherman begann nun, den Fluchtplan auszuarbeiten. Er bekam heraus, daß die Schienenwagen, die sie zur Arbeit abzuholen pflegten, nicht allzu schwer zu bedienen waren: die Vorrichtung mit der Nadel, die die Gittertüren öffnete, setzte auch den Wagen selbst in Gang. Er konnte also versuchen, mit dem Mädchen zusammen in einen Wagen zu kommen. Alles weitere war der Gelegenheit, dem Zufall überlassen. Sie verabredeten, daß sie ihm ein Klopfzeichen geben sollte, wenn ihr Abteil sich öffnete. Daraufhin würde er seines ebenfalls öffnen und hinausspringen. Als Waffe nahm er einen Hammer aus seiner Schublade mit, der ziemlich schwer war. Die erhoffte Stunde kam. Der Schienenwagen rollte den Korridor entlang und hielt vor Marta Lamis Käfig. Sie lächelte ihm zu, bevor sie einstieg. Hastig drückte er die Nadel in die winzige Öffnung unter seinen Gitterstäben. Das Gitter glitt auseinander, und er sprang in das nächste Abteil, das sich sofort hinter ihm schloß. Kurz darauf hörte er das verabredete Klopfzeichen. Er öffnete seine Abteiltür auf die gleiche Weise und sprang gerade noch rechtzeitig hinaus, bevor der Wagen weiterfuhr.
Sie standen in einer der großen blauen Hallen. Menschenaffen mit Helmen waren an den halbfertigen Kampfmaschinen beschäftigt. Die Tänzerin ergriff seine Hand. »Dort hinaus!« zischte sie. »Vorsicht! Langsam und unauffällig! Erst dann laufen, wenn sie uns bemerkt haben!« Als sie den halben Weg zum Ausgang zurückgelegt hatten, wurde einer der Lassans aufmerksam. Er hatte offenbar Marta an seiner Maschine erwartet und sah sich suchend um, als sie nicht kam. Blaue Lichter blinkten plötzlich überall auf. »Schnell!« sagte Marta. Sherman sah, wie der Lassan nach seiner Strahlenpistole griff. Er bekam einen der Ölbälle zu fassen, die auf dem Boden herumlagen, und schleuderte ihn mit aller Kraft nach dem Elefantenmenschen. In die Augen getroffen, schrie der Lassan vor Schmerz und Furcht auf und ließ seine Waffe fallen. Wieder blinkten die blauen Lichter auf. Und dann begann die Jagd. Sherman sah einen behelmten Menschenaffen auf Marta zustürzen. Blitzschnell landete Sherman einen linken Schwinger, und der Affe sackte stöhnend zusammen. Eine Strahlenpistole ging los, der sengende Licht-
strahl zischte dicht an ihm vorbei und traf in einem sprühenden Funkenregen die Wand. »Rasch!« schrie Marta und zerrte an der schweren Tür. Sherman eilte ihr zu Hilfe. Ein armdicker Feuerstrahl traf auf die Tür dicht über ihren Köpfen. Sie gab plötzlich nach. Die beiden stürzten ins Freie. Draußen war es dämmrig. Es regnete leicht. »Nein, nicht dorthin«, rief Sherman. »Sie werden uns im Tal unten suchen. Wir müssen in die Berge hinauf.« Er zog sie aufwärts. Von unten hörten sie Stimmengewirr. Lassans und Affen strömten aus dem Tor. Eine Lichtgarbe erhellte die Nacht. Sherman duckte sich mit Marta hinter einen umgestürzten Baumriesen. Vorsichtig spähte er hervor. Im Tal unten gewahrte er, von weißem Licht angestrahlt, eine der großen fischförmigen Maschinen – aber kleiner als die Kampfmaschinen und ohne den rüsselartigen Vorderteil. »Ich habe beim Zusammenbau solcher Maschinen mitgearbeitet«, flüsterte das Mädchen. »Aber ich weiß nicht, was sie für einen Zweck haben. Kampfmaschinen sind es nicht.« »Ich bin gespannt, wann sie ihre Vögel herausschicken«, flüsterte er. Gleich darauf flatterte einer der vierflügligen Vögel auf und umkreiste die Maschine.
Das blendende weiße Licht verengte sich zu einem scharfen Strahl, der die Seitenwände des Tals abstrich. Die Maschine bewegte sich langsam abwärts. Man konnte die Düsen am Heck blitzen sehen, während ein grünlich phosphoreszierendes Leuchten das plumpe Fahrzeug umspielte. Hoch oben in der Luft kreischte der Vogel.
17 Mühsam kletterten sie aufwärts. Es war jetzt ganz dunkel. Schließlich erreichten sie den Hügelkamm, auf dem sich ein Wald entlangzog. Sie gelangten in ein Seitental und erkletterten den nächsten Hügel, immer im Schutz des Waldes. Als sich der Himmel im Osten rosig zu färben begann, kamen sie zu einer Lichtung, auf der ein Farmhaus stand. Es war unbewohnt, das Dach geborsten, und die Türen hingen lose in den Angeln. Sie traten in der Hoffnung ein, Waffen und Munition und vielleicht eine elektrische Batterie zu finden. Sie waren beide an die üppigen elektrischen Mahlzeiten bei den Lassans gewöhnt, und der Mangel wurde jetzt fühlbar. Sie fanden nichts weiter als eine Axt, die sie als Waffe gebrauchen konnten, und einen Tiegel Fett, mit dem sie ihre Gelenke schmierten. Sie hielten sich nicht lange auf, sondern gingen weiter, bis der Tag anbrach. Dann hielten sie Kriegsrat. »Wohin sollen wir uns wenden?« fragte Marta. »Nach Süden«, schlug Sherman vor. »Am besten nach New York. Dort könnte ich uns ein Flugzeug verschaffen.« »Keine schlechte Idee. Gehen wir weiter«, sagte
Marta Lami. Während sie sich ihren Weg durchs Unterholz bahnten, bemerkte sie: »Ich bin sicher, daß es außer uns noch Menschen auf der Welt gibt, die entschlossen sind, die Lassans zu bekämpfen.« »Laß sie nur kommen«, sagte Sherman grimmig. »Ich bin sicher, gegen schwere Artillerie und Bomber kommen die Lassans mit ihren Strahlen nicht an.« »Ich fürchte, da täuschen Sie sich«, sagte Marta. »Sie haben sich irgendwoher eine Kanone beschafft und damit eine ihrer Kampfmaschinen beschossen, um die Panzerung auszuprobieren und entsprechend zu verbessern. Außerdem bauen sie jetzt Kanonen nach unserem Prinzip, um damit ihre Strahlenladung abzuschießen.« Sherman verwünschte sich innerlich. Es war also doch ein Fehler von ihm gewesen, den Lassans die Kanone in die Hände zu spielen! »Was ist das mit der Panzerung?« fragte er. »Ich konnte durch den Helm einige Gedanken meines Aufsehers auffangen«, berichtete Marta. »Ihre Kampfmaschinen sind mit dieser Lebenssubstanz gepanzert, so daß sie alles abstoßen und zurückwerfen, selbst Granaten. Um allerdings ihre Strahlen abzuwehren, ist noch eine zusätzliche Bleischicht nötig. Es scheint, daß Blei diese Strahlen abschirmt!« »Ob das auch gegen schwere Artilleriegeschütze hilft?«
»Weiß nicht. Der Lassan schien zu glauben, diese eine Kanone sei die größte auf der Welt.« Sie eilten weiter. In Kingston fanden sie eine Tankstelle und versorgten sich aus den vorhandenen Batterien mit einer ausreichenden Mahlzeit. »Wie wär's mit einem Wagen?« meinte Sherman. »Es ist ein Risiko. Aber wir müssen es auf uns nehmen. Zu Fuß kommen wir zu langsam vorwärts.« Mit Mühe fanden sie einen Wagen, dessen Motor noch in Ordnung war. An Waffen schien Kingston ziemlich arm. Marta machte schließlich einen kleinen Damenrevolver mit Perlmuttgriff ausfindig. Sherman grinste zweifelnd: »Das Ding hilft höchstens gegen Mücken.« »Besser als nichts«, meinte Marta. »Ich habe den Eindruck, daß die Lassans nicht allzu mutig sind. Vielleicht kann man sie im Notfall damit einschüchtern.« Sie fuhren weiter. Südlich von Chester griff die Tänzerin plötzlich nach Shermans Arm. »Was ist das?! Nein, dort drüben! Ist das nicht ...« Aber mit einem raschen Blick hatte er es bereits selbst gesehen. Er bremste jäh und sprang aus dem Wagen. »Schnell!« rief er. »Es ist eine Kampfmaschine. Wenn sie uns sehen, werden sie auf uns schießen!«
Er zog sie durch einen unkrautüberwucherten Garten hinter das nächste Haus. Und schon drang das wohlbekannte Dröhnen an ihre Ohren. Sie warfen sich flach auf den Boden, während die Hauswand krachend zusammenstürzte. Ein blendender blauer Strahl, heller als die Sonne, fegte über den Himmel und verlosch. Marta wollte sich erheben, aber Sherman hielt sie zurück. »Warten Sie! Wenn sie uns sehen, schicken sie uns noch so eine Ladung.« Er kroch auf dem Bauch bis zur nächsten Hecke, die einige Deckung bot. »Vorsicht!« schrie Marta plötzlich. »Die Vögel!« Sie duckten sich unter die Hecke und wagten nicht einmal mehr zu flüstern. Der Lassan, der die Maschine befehligte, war offenbar nicht davon überzeugt, daß er sie getroffen hatte. Die Maschine fuhr langsam an dem brennenden Haus vorbei. Der Vogel kreiste über den Trümmern. Offenbar hatte er ihre Spuren in dem weichen Boden entdeckt. »Hören Sie«, sagte Marta Lami. »Ich möchte, daß Sie durchkommen und andere Menschen finden. Sie können mich dann später aus dieser Hölle herausholen. Zu zweit kommen wir nicht durch. Ich lenke sie ab, damit Sie Gelegenheit zur Flucht finden.«
»Nein!« protestierte Sherman erregt. »Das kommt nicht in Frage!« Aber sie war bereits aufgesprungen und rannte aufs offene Feld hinaus. Die Maschine machte mit einem Ruck kehrt und schickte einen blauen Strahl in die Höhe. Der Vogel antwortete kreischend, stieß dann blitzschnell auf die Tänzerin hinunter, packte sie mit seinen Klauen und trug sie fort. Die Kampfmaschine trat den Rückweg an. Sherman blieb still liegen, bis die Luft rein war. Dann kroch er vorsichtig aus seiner Deckung hervor. Er brach in das nächste Haus ein und fand dort eine Stablampe und einen Revolver. Er knotete sich ein Laken, das er fand, um die Hüften, und machte sich zu Fuß auf den Weg nach New York. Später überlegte er sich, daß man ihren Wagen wahrscheinlich nur deshalb bemerkt hatte, weil sie zu schnell fuhren. Er suchte sich einen neuen Wagen und setzte die Fahrt langsam und vorsichtig fort, wobei er sich an einsame, von Bäumen beschattete Landstraßen hielt. Dann kam ihm ein neuer Einfall. Newark war näher als New York und besaß gleichfalls einen Flughafen. Er wandte sich also dorthin. Newark war eine tote Stadt. Der Flughafen war noch genauso, wie er ihn am Tag seines Erwachens
vorgefunden hatte. Das beschädigte Sportflugzeug stand immer noch da. Die Hangars waren geschlossen. Er brach einen von ihnen auf, fand aber nur ein Raketenflugzeug, das er nicht verwenden konnte, weil ihm der Spezial-Treibstoff fehlte. Der nächste Hangar enthielt einen Hubschrauber, dessen Tank glücklicherweise aufgefüllt war. Erst nach dem Start überlegte er, welche Richtung er einschlagen sollte. Wenn es zu einem Zusammenstoß zwischen Lassans und Menschen kommen sollte, so würde die Front vermutlich weiter südlich liegen. Er wandte sich also nach Süden und folgte der weißen Linie der Brandung. Er war etwa eineinhalb oder zwei Stunden geflogen, als er fernen Geschützdonner vernahm. Es war also wirklich eine Schlacht im Gang! In der Hoffnung, den Gegnern der Lassans wertvolle Informationen liefern zu können, flog er weiter der Front zu. Der Geschützdonner wurde von Minute zu Minute lauter. Plötzlich schoß ein Strahl weißen Lichtes vom Boden auf, traf ein großes Gebäude, das augenblicklich donnernd zusammenbrach und in Flammen aufging. Die Front! Er mußte die gegnerischen Linien erreichen, bevor die Lassans ihn bemerkten und abschossen! In der Dunkelheit unten konnte er Truppenbewe-
gungen ausmachen. Während er hinunterspähte, hörte er plötzlich in seiner unmittelbaren Nähe das Gekreisch eines der vierflügligen Vögel. Hastig riß er das Steuer herum. Aber es war zu spät. Der Vogel war in den Propeller geraten. Vogel, Mann und Hubschrauber überschlugen sich und stürzten ab.
18 General Grierson betrachtete die metallene Gestalt Shermans mit unverhohlener Neugier. »Die Lassans?« fragte er. »Meinen Sie diese Maschinenungeheuer?« Sherman zuckte zusammen. »So wie ich? Nein, Sir. Sie sehen etwa wie Elefanten aus und sind aus Fleisch und Blut.« Der General entschuldigte sich: »Ich meine nicht Sie und die anderen Amerikaner. Ich sprach von diesen langen, glänzenden Ungetümen, die Lichtstrahlen auf uns abschießen. Mit ihren gewöhnlichen Lichtkanonen werden wir fertig. Aber wenn wir diese Ungetüme nicht vernichten können, werden sie den Rest der Menschheit ausrotten. Bis jetzt haben sich nur Eisenbahngeschütze gegen sie wirksam erwiesen. Aber wir haben nur vier davon. Eins haben sie heute nachmittag getroffen.« »Sie meinen ihre Kampfmaschinen«, erklärte Sherman. »Ich glaube, daß ein Geschoß mit Bleimantel die Panzer dieser Maschinen durchdringen würde wie ein Messer ein Stück Käse.« Ein Offizier sagte nachdenklich: »Die Panzersprengmunition der Eisenbahngeschütze hat Bleimäntel.«
Diese Feststellung löste große Erregung aus. Sherman wurde mit Fragen bestürmt. Er hob lächelnd die Hand und bat um Ruhe. »Moment mal. Eine Frage nach der anderen. Ich bin nicht sicher, daß ich sie alle beantworten kann. Soviel ich weiß, sind die Kampfmaschinen mit Stahl gepanzert, der außen mit einer Bleischicht versehen ist, und darüber mit einer Schicht dessen, was sie die Lebenssubstanz nennen. Ich weiß nicht, was das ist, aber es ist das gleiche, was sie für die Energiestrahlen verwenden. Und ich weiß, daß Blei diese Substanzen unwirksam macht.« General Grierson gab einem Offizier einen Wink. »Hartnett! Sorgen Sie dafür, daß jedes Stück Blei in Atlantic City gesammelt und eingeschmolzen wird. Lassen Sie eine Fabrik einrichten, in der alle vorhandenen Geschosse mit Bleikappen versehen werden können.« Ben Ruby lehnte sich vor. »Ist es möglich, in ihre unterirdische Stadt einzudringen?« »Das will ich hoffen!« rief Sherman. »Marta Lami ist noch dort!« General Grierson sagte: »Keine Angst, junger Mann, Sie werden Gelegenheit haben, das Mädchen herauszuholen. Geben Sie uns jetzt noch so viele Einzelheiten wie möglich. Jede
Information ist für uns von unschätzbarem Wert. – Noch etwas, Hartnett. Erlassen Sie Befehl, daß die Infanterie die Spitzen ihrer Geschosse abschleift! So werden es Dumdumgeschosse, und das Blei wird freigelegt. Im übrigen soll der größte Teil der Infanterie von der Front zurückgezogen werden.« Am Tag der Schlacht führte Ben Ruby in seinem mit einem Bleimantel umkleideten Panzer die kleine Division der Amerikaner gegen drei gewaltige Kampfmaschinen der Lassans. Als sie angegriffen wurden, schossen die außerirdischen Ungeheuer fast gleichzeitig ihre gebündelten Todesstrahlen auf ihn ab. Sie prallten an dem Bleimantel ab und zischten unter einem Funkenregen zum Himmel hinauf. Der amerikanische Panzer feuerte einmal – zweimal. Ein rundes Loch erschien in der Flanke der Kampfmaschine – und sie sank kraftlos zu Boden wie ein sterbendes Tier. Die beiden anderen Kampfmaschinen machten kehrt. Aber sie kamen nicht weit. Von den Bleimantelgeschossen getroffen, blieben auch sie auf der Strecke. Freilich gab es auch danach noch Verluste, wenn die Lassans Treffer in den rückwärtigen Linien landen konnten. Aber der Vorteil war auf seiten der ver-
einigten Armee, und die Lassans wurden immer mehr zurückgetrieben. Sie zogen sich zu ihrem unterirdischen Stützpunkt zurück. Auch die Dodos verschwanden aus der Luft. Sherman meinte bedenklich: »Offen gestanden, mir gefällt dieser unvermittelte Rückzug nicht. Diese Elefanten sind nicht auf den Kopf gefallen. Ich bin überzeugt, daß sie irgendwas vorhaben.« »General Grierson ist nicht der Ansicht«, sagte Ben Ruby. »Er fühlt sich sehr siegessicher und hat zwei Infanteriedivisionen nach Hause geschickt.« »General Grierson hat leicht reden«, seufzte Sherman. »Seine Freundin sitzt nicht in einem Loch unter den Catskills und arbeitet sich die Finger kaputt. Und außerdem kennt er diese Elefanten nicht! Er neigt dazu, sie zu unterschätzen!« Sie standen an einer Straßenecke in Philadelphia, dem neuen Hauptquartier der vereinigten Armeen. »Was schlagen Sie vor?« fragte Ben Ruby. »Zunächst möchte ich General Grierson bitten, uns hier in der Stadt ein Laboratorium und Hilfskräfte zur Verfügung zu stellen. Ich will versuchen, etwas zusammenzubasteln, auf das die Lassans nicht gefaßt sind!« »Gute Idee!« stimmte Ben Ruby zu. »Ich verstehe
einiges von Chemie. Vielleicht bringen wir gemeinsam etwas fertig.« Eine Stunde später hatten sie sich bereits in ihrem neuen Versuchslaboratorium in der Nähe von Market Street eingerichtet. Grierson hatte ihnen genügend Hilfskräfte als Assistenten zugeteilt, darunter Gloria und Murray, um sie bei Stimmung zu halten. Sie unterhielten sich eine Weile über nebensächliche Dinge, während Ben sich nur zerstreut an den Gesprächen beteiligte und sein Hirn nach einem guten Einfall zermarterte. Es ist nicht leicht, sich hinzusetzen und eine neue, wirksame Idee einfach aus der Luft zu greifen. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Sherman kam aus dem Nebenzimmer hereingestürzt, ein Stück Metall in der Hand. »Ich hab's!« rief er strahlend. »Ich weiß, was wir machen! Einen Gravitationsstrahl, und diese Waffe bauen wir in unser neues Kampfflugzeug ein.«
19 »Ein Schwerkraftstrahl!« riefen sie alle durcheinander, die einen ungläubig, die anderen ziemlich ratlos. »Was ist das?« »Nun, das läßt sich nicht ganz einfach erklären, aber ich werde auf die technischen Einzelheiten verzichten. Ihr erinnert euch doch an Einsteins Beweisführung, daß Magnetismus und Schwerkraft im Grunde ein und dasselbe sind. Einige Astronomen und Physiker haben behauptet, daß Magnetismus und Licht ebenfalls das Gleiche sind. Das heißt, beides sind Schwingungen. Von den Leuten in der Lassan-Stadt habe ich unter anderem erfahren, daß Licht, Materie, Elektrizität, Schwerkraft, Magnetismus und überhaupt so ziemlich alles das Gleiche sind, nur eben in veränderter Form. Sie sind über Einsteins Theorie weit hinausgegangen. Sie haben eine Methode entdeckt, reines Licht, das heißt reine Materie in ihrer einfachsten Form zu erzeugen oder im Abbauverfahren zu gewinnen. Sobald das Produkt nicht mehr unter Druck steht, verwandelt es sich in Materie, und dann ist der Teufel los. Wie sie es unter Druck halten, weiß ich nicht. Das ist jetzt auch nicht wichtig.« »Eine sehr interessante Vorlesung«, bemerkte Gloria.
»Du hältst den Mund und hörst den Leuten zu, die mehr davon verstehen als du, bis sie fertig sind«, fuhr Sherman fort. »Das Stück Metallegierung, das ich hier habe, verhält sich unter bestimmten magnetischen Bedingungen schwerkraftneutral. Wenn wir also Schwerkraft auf diese Art und Weise neutralisieren können, dann müßte es doch auch eine Methode geben, sie zu bündeln und wie einen Strahl zu lenken.« »Schon möglich«, meinte Ben Ruby. »Aber bisher hat es noch niemand versucht, niemand weiß, wie man es macht.« »Der springende Punkt ist der: Wir können mit Schwerkraft alles anstellen, was wir nur wollen, solange wir es richtig tun. Wir wissen, daß das Atom der kleinste Materieteil chemischer Elemente ist. Der positiv geladene Kern und die ihn umkreisenden Elektronen bilden ein elektrostatisch neutrales System. Wenn es uns also gelingt, eine Anzahl von Atomkernen die negativen Elektronen wegzunehmen, fliegt ein Haufen von positiv geladenen Kernen durch die Gegend, ohne zu wissen, wohin mit seiner Energie. Wenn wir mit diesen also ein Stück Materie beschießen, bekommt es mehr positive Teilchen, als es aushalten kann. Dann wird dieses Stück Materie ungeheuer schwer. Zwischen den negativen und positiven Teilchen wird ein Ausgleich stattfinden, was da-
zu führt, daß die ganze Geschichte auseinanderfliegt.« »Mag sein«, sagte Ben. »Aber was nützt uns das?« »Ich glaube, ich habe von den Lassans genug erfahren, um das zu wissen. Sie verfügen über ein hohes technisches Wissen, aber auf chemischem Gebiet sind sie blutige Laien. Sie haben keine Ahnung, welche Energien sie freisetzen könnten, wenn sie es nur richtig anstellten. Jetzt paßt auf. Richtet man den Strahl aus einer Kathodenstrahlröhre auf fein verteilte Materie, kann man einige der Atome zertrümmern. Wir brauchen also nur eine ganz besonders starke Kathodenstrahlröhre, zertrümmern damit einen Haufen Atome und beschießen das von uns ausgesuchte Ziel mit den freigewordenen positiven Teilchen. Damit hätten wir unseren Schwerkraftstrahl.« »Woher willst du die Strahlung nehmen, um ausreichend viele Atome zu zertrümmern?« fragte Ben. »Ganz einfach, indem wir eine Radiumkathode verwenden. Die Lassans besitzen so etwas, kommen aber nicht auf den Gedanken, es einzusetzen. Sie halten es für ein Abfallprodukt bei der Lichtgewinnung.« »Das könnte klappen«, sagte Ben. »Allerdings nur in der Theorie. Wie es in der Praxis aussieht, das möchte ich gern sehen. Und wie willst du diese Energie auf ein Ziel lenken?«
»Eine berechtigte Frage. Aber ganz einfach zu beantworten. An einem Lichtstrahl entlang. Licht leitet Geräusch- oder Radiowellen selbst durch ein Vakuum, und diese Energie, die ich leiten möchte, ist gar nicht so viel anders. Die Stelle, wo sie auftrifft, wird wie ein Verstärker funktionieren und die Auswirkungen auf den ganzen Körper übertragen.« »Mann, dann paß aber auf, daß du nicht den Planeten in die Luft jagst«, sagte Murray Lee. »Also, Gloria, ich glaube, es bleibt uns nichts anderes übrig, als etwas Radium aufzutreiben. Voraussichtlich finden wir es in den Krankenhäusern. Ich hatte überhaupt nicht mehr damit gerechnet, daß wir mit der Atomkraft weiterkommen würden, aber jetzt sieht es so aus, als hätten wir einen ganz neuen Weg entdeckt.« Erst am nächsten Abend kehrten Murray und Gloria in das Labor zurück. Die seltsame Apparatur auf dem Metallständer sahen sie zum erstenmal. Dicke Kabel waren daran angeschlossen, und man hatte sie an die eine Wand des Raumes geschoben. Genau gegenüber, an der anderen Wand, war an einem Metallgerüst eine große Eisenblechtafel befestigt. Die Linse einer Kamera zielte genau darauf. »Und jetzt«, sagte Sherman, »paßt auf, was passiert.« Er drehte an einem Schalter. Die große Röhre in der Apparatur begann violett zu glühen, und ein tiefes Summen erfüllte den Raum.
»Ich habe mich entschlossen, pulverisiertes Blei zu verwenden«, erklärte er. »Es ist das schwerste Metall, das wir greifbar haben, und es liefert uns die größte Anzahl von Atomkernen.« Ein zweiter Schalter wurde gedreht, und aus der Kamera fiel ein Lichtstrahl genau auf die Mitte der Eisenblechtafel. Das Ergebnis war lediglich ein sanfter weißer Schein. »Ist das alles?« fragte Gloria. »Mit einer Taschenlampe schaffe ich das auch.« »Da hast du ganz recht. Das ist erst der Anfang. Halte den Atem an.« Er bückte sich und zog an einem Hebel. Zunächst geschah nichts anders, als daß der Lichtschein etwas heller wurde. Dann gab es einen Knall wie einen Donnerschlag. Ein gleißender Feuerball erschien über dem Metallgerüst, Rauch stieg auf, und Murray und Gloria stellten plötzlich fest, daß sie auf dem Fußboden saßen. Die Eisenblechtafel war völlig verschwunden. Und von dem Stuhl, auf dem das Metallgerüst gestanden hatte, waren nur noch zwei Beine übrig, die lichterloh brannten. Der scharfe Geruch von Stickstoffdioxyd erfüllte den Raum. »Mein Gott!« sagte Ruby, riß den Feuerlöscher von der Wand und richtete den Schaumstrahl auf die brennenden Stuhlbeine. »Das ist mehr, als wir erwar-
tet haben. Es hat sogar ein Loch in die Wand gerissen. Wir müssen mit dem Zeug umgehen wie mit rohen Eiern.« »Worauf du dich verlassen kannst«, sagte Murray und half Gloria beim Aufstehen. »Diese Energie ist für denjenigen, der sie auslöst, fast ebenso gefährlich, wie für den, auf den sie losgelassen wird. Aber ganz im Ernst, das ist eine tolle Sache. Was ist aus der Blechtafel geworden?« »Verschwunden. Wo steht eigentlich Eisen auf der Tafel der chemischen Elemente, Ben? Nummer 26? Dann wirst du wahrscheinlich Spuren von Elementen mit niedrigerer Zahl in der Asche finden. Pfui Teufel, wie das stinkt! Das muß die Auswirkung des Strahls auf den Stickstoffgehalt der Luft sein.« »Es liegt noch viel Arbeit vor uns, das Gerät einsatzfähig zu machen«, gab Ben zu bedenken. »Und die Zeit wird knapp. An vordringlichster Stelle brauchen wir einen Scheinwerfer, mit dem wir einen gebündelten Lichtstrahl über weite Entfernungen schikken können. Denn ich glaube nicht, daß diese Elefantenbabys zulassen werden, daß wir ihnen das Ding vor die Nase halten. Und außerdem brauchen wir Strom, und zwar eine Menge davon.« »Kann man es nicht in einen Panzer einbauen?« fragte Murray. »An den Antriebsmotor könnte man gleichzeitig einen Generator für den Strom anschließen.«
»Möglich wäre es schon, aber ich halte es nicht für sinnvoll«, entgegnete Sherman. »Die Lassans haben eine Vorliebe für unsere Flugzeuge entwickelt. Ich könnte mir vorstellen, daß sie, wenn sie uns angreifen, Flugzeuge oder irgendeine andere Art von Flugmaschinen einsetzen werden. Mit den Dodos können sie nicht viel ausrichten. Wenn sie also aus der Luft angreifen, könnten wir mit Panzern wenig ausrichten. Ich finde, wir sollten unsere Waffe in einen Düsenbomber einbauen.« Es dauerte noch eine Woche, bis es so weit war. In Tag- und Nachtarbeit, unter Verwendung aller technischen Hilfsmittel, die Philadelphia bot, stellte Shermans Arbeitsgruppe die neue Waffe fertig. Die Montage nahm weitere zwei Wochen in Anspruch. Die Versuchsfahrt wurde für die frühen Morgenstunden angesetzt, wenn am wenigsten mit atmosphärischen Strömungen zu rechnen war. Die Monitor stand in der Mitte des Flugplatzes von Philadelphia: ein langer, schlanker Flugkörper mit schimmerndem Rumpf, drei Meter im Durchmesser und fast doppelt so lang. Am Heck befand sich eine große trichterförmige Öffnung – der Auspuff für die Abgase des Triebwerkes. Das spitz zulaufende Vorderteil war abgeplattet und mit der starken parabolischen Scheinwerferlinse versehen worden. Um diese waren die Ausschußöff-
nungen für die Atomkerne angebracht, die durch den Führungsstrahl auf das Ziel zugeleitet werden sollten. Mit einem gewaltigen Satz erhob sich die Monitor in die Luft, so daß die Insassen in ihre gepolsterten Sitze zurückgeschleudert wurden. Dann fuhren die Schwingen aus, und das Schiff glitt sanft weiter. Die Passagiere schauten durch die Fenster hinaus. Sie hatten Philadelphia in wenigen Augenblicken hinter sich gelassen. »Ganz hübsch«, meinte Ben, noch etwas atemlos. »Wir müssen gut zwölfhundert Kilometer die Stunde machen.« »Klar«, sagte Sherman. »Wir könnten als Projektil glatt zweitausend machen. Aber das würde uns nichts nützen und nur unsere Manövrierfähigkeit beeinträchtigen.«
20 Inzwischen hatte die Armee der Vereinigten Regierung das öde Land durchkämmt, das früher zu den fruchtbarsten Gebieten der Erde gehört hatte. Im Osten, Westen, Norden und Süden das gleiche Bild – nirgends ein Anzeichen von Leben und nirgends eine Spur der Lassans. »Eine Meldung«, sagte der Offizier am Fernschreiber. »Scheint etwas Interessantes zu sein.« Er las den Streifen, wie er aus dem Apparat kam. »Lassan – Stadttor – öffnet sich – Riesenball kommt heraus – es ...« Erschrocken rief er: »Die Nachricht bricht unvermittelt ab! Kommt von der Beobachtungsstation in der Nähe des feindlichen Hauptquartiers. Es muß etwas passiert sein!« »Sie müssen die Station angegriffen haben!« sagte Sherman ernst. »Ich wette einen Dollar gegen eine Tonne Lassanstrahlen!« »Los, Jungs!« sagte Ben. »Ich habe das Gefühl, wir werden gebraucht!« Sie rasten mit einem Wagen aufs Flugfeld hinaus. Als sie bei der Monitor ankamen, näherte sich ein Flugzeug vom Norden. Es kreiste eine Weile über dem Feld, als wage der Pilot die Landung nicht. Es sah ziemlich mitgenommen aus, wie ein Wrack, das seit Jahren im Han-
gar gelegen hatte. Endlich landete es doch, trotz des beschädigten Fahrgestells. Der Pilot kletterte heraus. Sie rannten auf ihn zu. Sein Gesicht war blaß und schreckverzerrt. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. »Alles hin!« schrie er. »Was? Um Himmels willen?« »Alles. Panzer, Flugzeuge, Waffen. Unsere ganze Einheit aufgerieben. Der große Ball ...« Er fiel bewußtlos zusammen. »Los!« sagte Ben. »Wir starten sofort! Der Mann sieht ja aus, als ob sie ihn durch die Mühle gedreht hätten. Ein großer Ball? Die Lassans scheinen noch einige Trümpfe im Ärmel zu haben!« Donnernd verließ die Monitor die Rampe und nahm Kurs nach Norden. In weniger als fünf Minuten hatten sie den nördlichen Teil New Jerseys unter sich. »Ich wünschte, wir hätten Funk in unserem Bus«, bemerkte Ben Ruby. »Es wäre gut, wenn wir mit den anderen in Verbindung bleiben könnten.« »Man kann nicht alles haben«, sagte Sherman achselzuckend. »Die Lassans werden uns keine Zeit lassen, alle unsere Probleme zu lösen. Seht doch – dort!« Etwa auf gleicher Höhe wie sie schwebte über Newark ein riesiges rundes Gebilde, wie eine ungeheure Wassermelone. Von der Unterseite aus reichte ein dünner blauer Strahl zur Erde hinunter.
Die von ihnen abgewandte Vorderseite des sonderbaren Flugkörpers schoß einen dicken Strahl gelben Lichts schräg auf die Stadt hinunter. Wo er auftraf, fielen die Gebäude wie Kartenhäuser zusammen. Es gab keine Flammen, keinen Rauch, keinen Laut. Das Ungeheuer glitt langsam über die Stadt hinweg und vernichtete sie lautlos. »Alles festhalten!« schrie Sherman. »Es geht aufwärts!« Die Schnauze der Monitor kippte hoch. Durch die Quarzfenster konnten sie eine Batterie Feldgeschütze sehen, die, hinter einem Gehölz verborgen, das Feuer eröffnete. Das Ungeheuer wälzte sich langsam in der Luft herum, der gelbe Strahl schwang mit und hinterließ eine Zone der Vernichtung, wohin er traf. »O, Gott!« schrie Gloria. Aber schon hatte der Strahl die Batterie erreicht, und die Geschütze schwiegen. »Was war das?« schrie sie und wandte sich angstvoll zu Sherman. »Ich weiß nicht. Drauf, Murray!« Die Monitor schoß vorwärts. Sie zog einen Schweif orangeroten Rauchs hinter sich her, wo der Gravitationsstrahl die Luftatome spaltete. »Fertig, Gloria?« rief Sherman und ließ die Monitor aus den Wolken auf das feindliche Schiff hinunter-
stoßen. Der gelbe Blitz zuckte zweimal, dreimal auf, und das Schiff erbebte wieder in allen Fugen, bis es Sherman gelang, es zur Seite zu reißen. Gloria schwenkte ihren Scheinwerfer herum, bis er die große grüne Kugel traf. Ruby riß an seinem Hebel. Unter ohrenbetäubendem Donnern fraß die orangerote Flamme sich tief in das feindliche Schiff. Die Gewalt des Rückstoßes warf die Monitor herum. Sie drehte sich um sich selbst und trudelte ab, bevor Sherman sie wieder in seine Gewalt bekommen konnte. Die Catskills rasten kreiselnd auf sie zu. Krachend schlugen sie auf die Wasseroberfläche des Hudson auf. Glücklicherweise waren die Tragflächen ausgefahren und fingen die Gewalt des Anpralls ab. Durch das Strahlenausstoßrohr am Heck gurgelte das Wasser ins Schiffsinnere. »Den Strahl, Murray!« schrie Sherman, während er selbst vergeblich an seiner Steuerung riß. Ein Stoß, eine Dampfwolke – und die Monitor erhob sich keuchend und zischend aus dem Wasser. Die gebrochenen Tragflächen hingen schlaff herunter. »Ich weiß nicht, ob ich die Kiste noch fliegen kann«, murmelte Sherman. »Gib ihr Saures, Murray! Wenn wir genügend Kraft haben, kommen wir auch ohne Tragflächen aus.« Eine Reihe neuer Explosionen brachten die Monitor
ruckweise höher, und sie gewann an Fahrt. In einer weiten Kurve lenkte Sherman sie südwärts. »Auf Philadelphia!« schrie er über das Donnern der Explosionen weg. Er hatte kaum ausgesprochen, als sie den Flugplatz vor sich auftauchen sahen – sie hatten über vierzehnhundert Kilometer Geschwindigkeit. Die Monitor senkte sich in einer scharfen Kurve. Die Explosionen hörten schlagartig auf. Schwankend setzte das Schiff auf der Landefläche mit einem so kräftigen Stoß auf, daß die vier Insassen aus ihren Sitzen flogen. »Kein Zweifel, wir haben ihre grüne Kugel in die Luft gesprengt«, sagte Sherman. »Aber unsere gute Monitor wird auch nie wieder fliegen. Hat jemand beobachtet, ob Trümmer dieses komischen grünen Flugschiffes abgestürzt sind?« »Ja«, sagte Gloria. »Ich habe welche auf dem Hang gesehen.« »Hm«, machte Sherman. »Ich wünschte, wir wüßten, aus was für einem Material sie gebaut war.« »Ich möchte noch etwas anderes wissen«, warf Ben ein. »Nämlich, ob sie Zeit hatten, die anderen Lassans zu warnen. Wenn ja, haben wir eine Chance. Ich meine, daß diese Elefantenwesen nur kämpfen, wenn sie ihres Sieges ganz sicher sind. Sobald sie eine neue Waffe fürchten müssen, ziehen sie sich erst mal in ihren sicheren Unterschlupf zurück. Vielleicht geben sie uns Zeit, unsere Monitor II zu vollenden.«
»Möglich«, sagte Sherman nicht gerade begeistert. »Aber wenn sie sich zurückziehen, könnt ihr Gift darauf nehmen, daß auch sie die Zeit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Wer weiß, was für eine Gegenwaffe sie sich zur Bekämpfung unseres Gravitationsstrahls ausknobeln.«
21 Die kleine Gruppe trennte sich. Jeder ging seiner Aufgabe nach. Ben schien mit seiner Vermutung recht zu behalten. Die Lassans waren in ihren unterirdischen Stützpunkt zurückgekehrt, als sie erkannten, daß die Erdmenschen eine wirksame Waffe gegen sie besaßen. Eine ganze Woche war nichts von ihnen zu sehen oder zu hören. Inzwischen bereitete sich die Vereinigte Armee auf den zu erwartenden Kampf vor. Nach dem Erfolg der Monitor I wurde beschlossen, schnellstens mit dem Bau neuer, verbesserter Flugzeuge zu beginnen. General Grierson stellte alle Hilfsmittel der Armee zur Verfügung, so daß fünf Flugzeuge gleichzeitig in Angriff genommen werden konnten. Von einer größeren Anzahl riet Ben ab: »Diese Kampfflugzeuge können nur von uns Amerikanern geflogen werden. Menschen von Fleisch und Blut sind den Belastungen nicht gewachsen. Auch würden die Ultraschallstrahlen der Lassans gewöhnliche Menschen auf der Stelle töten, während wir Maschinenmenschen einiges aushalten können. Für diesen Krieg brauchen wir Supermenschen. Ich rate Ihnen, General Grierson, möglichst viele Ihrer Truppen
einschiffen zu lassen. Je mehr von ihnen hier sind, um so mehr müssen wir beschützen. Wir kommen besser allein zurecht.« Der General sah das ein, weigerte sich aber, die Amerikaner im Stich zu lassen. Er schickte nur die Infanterie fort. Sie waren vierzehn Maschinenmenschen – genug, um drei der neuen Monitors zu bemannen. Aber eines Tages, als gerade die Suchscheinwerfer auf der brandneuen Monitor II installiert wurden, kam Herbert Sherman auf das Flugfeld und schwenkte ein Blatt Papier. »Ich hab's!« rief er aufgeregt. »Ich hab's! Ich habe von den Lassans etwas über Elektrizität gelernt, was ich vorher nicht wußte. Aber jetzt erst geht mir die ganze Tragweite auf. Sehen Sie!« »Radar?« fragte Ben. »Nein. Lesen Sie. Das ist tausendmal besser als Radar.« Ben warf einen Blick auf das Gewirr von Zahlen und Formeln und schüttelte den Kopf. »Sagen Sie mir, worum es sich handelt. Diese Berechnungen sind für mich chinesisch.« »Es sind die Formeln für die Erfindung, von der ich sprach.« »Erklären Sie.« »Für unseren Gravitationsstrahl haben wir Blei-
atome in negative und positive Ladungen zerlegt. Die positiven haben wir benutzt, die negativen freigemacht. Diese Methode nun verwendet beide und gibt uns eine ganz neue Waffe in die Hand. Für den Gravitationsstrahl können wir nämlich ebensogut die negativen wie die positiven Ladungen verwenden – es bleibt der gleiche Vorgang, nur mit anderen Vorzeichen. Die positiven heben wir uns für etwas anderes auf. Sie wissen, was eine Leidener Flasche ist? Man lädt sie mit Elektrizität auf und bekommt einen Schlag, wenn man den Deckel berührt. Nun, wir werden aus der Monitor eine riesige Leidener Flasche machen. Sooft sie den Gravitationsstrahl abfeuert, geht die positive Ladung in ihren Rumpf über. Auf diese Art sammelt sich bald eine ungeheure Kraftreserve an.« »Wie das?« fragte Ben. »Ich weiß, die Monitor hat eine bleierne Außenschicht, und ebenso ist es bei der Leidener Flasche. Aber wo ist der Zusammenhang?« »Es ist so: Wenn man eine Leidener Flasche auflädt, speichert sich die Ladung nicht in der Bleischicht, sondern im Glas. Die Monitor nun hat eine Menge Stahl, der die Ladung ebensogut aufnehmen kann wie Glas. Sobald der Gravitationsstrahl abgefeuert wird, lädt sich das Stahlgerüst bis zum Bersten mit den freiwerdenden positiven Teilchen auf. Die Erde wiederum erzeugt ständig negative Spannungen. Ge-
lingt es uns, den Feind zwischen uns und die Erde zu bekommen, so gerät er damit in den Bereich eines künstlichen Blitzes, der ihn vernichten muß. Als Leiter verwenden wir wieder unseren Scheinwerferstrahl, genau wie für den Gravitationsstrahl.« »Klingt nicht schlecht. Mit was für einem Potential rechnen Sie?« »Hm. Wir haben zwei Schichten neunzölligen Stahls – Volts pro Kubikzoll – mal Kubikzoll – das macht – großer Gott! Über elf Millionen Volt! Das ist natürlich Theorie. Einiges geht dabei verloren. Aber die Hälfte genügt auch, um ihnen den Rest zu geben. Kommen Sie her, Peterson. Wir wollen die Kiste hier etwas umbauen.« In verhältnismäßig kurzer Zeit wurden die Änderungen durchgeführt. Und eines Tages startete die Monitor II zum Versuchsflug. Es sollte zugleich ein Schulungsflug werden, daher flogen an Stelle von Murray Lee und Gloria diesmal Beeville und Yoshio mit. Bei der hohen Geschwindigkeit waren sie im Handumdrehen in Chicago. Langsam kreisten sie über der Stadt. Plötzlich rief Sherman: »Da unten bewegt sich etwas! Ein Wagen? Oder ein Mensch?« Mit ausgefahrenen Tragflächen glitten sie langsam abwärts. Sherman landete sicher auf dem Rasen eines
Parks. Als sie ausstiegen, kam eine Gestalt auf sie zu, metallisch wie sie, in der Hand eine Flinte. Ben streckte die Hand aus: »Ich heiße Ben Ruby, zur Zeit Kommandierender General der amerikanischen Armee.« »Und ich heiße Slasinger und bin Bürgermeister von Chicago. Außer mir sind noch sieben hier am Leben.« Slasinger und seine sieben Gefolgsleute wurden in die Monitor II verfrachtet und zum Hauptquartier mitgenommen. Sie waren ein willkommener Zuwachs für die Bemannung der restlichen Kampfflugzeuge. Ein Flugzeug hatte jeweils Wache über der Stadt der Lassans. Es konnte zwar im Notfall keine Funkwarnung geben. Dafür wurde verabredet, daß es zwei Schüsse abgeben sollte, wenn die Lassans aus ihrem Unterschlupf auftauchten. Ein Stördetektor im Hauptquartier sollte diese Schüsse registrieren.
22 Es war die Monitor VII, von den Chicagoleuten bemannt, die dieses Warnzeichen gab. Auf dem Flugplatz erfuhr man durch den Detektor von den beiden Schüssen. Wenige Minuten später waren die übrigen Monitors mit einer Geschwindigkeit von tausend Meilen auf dem Weg zu der Stadt der Lassans. Die Monitor II hielt die Spitze. Sherman sichtete den Feind als erster. »Da sind sie!« rief er und beugte sich in seinem Pilotensitz vor. Die Monitor VII war nach Norden ausgewichen und brauste jetzt heran, um sich mit der ankommenden Formation zu vereinigen. »Wie greifen wir an?« fragte Gloria. »Alle auf einmal?« »Nein. Wir zuerst, damit die anderen sehen, was passiert, und sich danach richten. Wir wissen ja nicht, mit was für tückischen Neuerungen die Lassans diesmal aufwarten.« »Los?« fragte Sherman von seinem Kontrollsitz her. »Los!« rief Ben. Die Monitor II setzte zum Sturzflug an. Gloria richtete den Suchscheinwerfer auf das nächtliche Feindschiff. Ben Ruby legte den Hebel um, und den Licht-
strahl entlang schoß ein Strom gespaltener Atome wie eine Welle der Vernichtung. Aber als sie die grüne Kugel traf, blieb die erwartete furchtbare Explosion aus. Es gab nur ein zischendes weißes Feuerwerk, einen Funkenregen, der von dem Schiff der Lassans abprallte. Die grüne Kugel schwankte heftig unter der Erschütterung, blieb aber unversehrt. »Verdammt!« stieß Sherman hervor, während er die Monitor hochriß, um dem Gegenangriff zu entgehen. »Sie müssen eine Abschirmung gefunden haben! Ich hätte es nicht für möglich gehalten! Vorsicht, Looping!« Die Formation der grünen Kugeln stieg jetzt immer schneller. Aus allen Schiffen stachen gelbe Strahlen nach dem vorwitzigen amerikanischen Kreuzer, der sich so weit vorgewagt hatte. Mit einem Looping entging Sherman mit knapper Not dem tödlichen Sperrfeuer. Erst als sie etwa dreißig Kilometer entfernt und weit unterhalb der immer noch steigenden Formation waren, atmeten sie auf. Als die übrigen Flugzeuge der Amerikaner erschienen, waren die Lassans mittlerweile auf etwa 10 000 Meter gestiegen. Sie schwebten gut 2000 Meter über den Flugzeugen und bildeten jetzt eine halbmondförmige Formation.
»Sieht aus, als wollten sie uns einkreisen«, bemerkte Sherman. »Wir greifen am besten eine Flanke an. Wie ist unser Potential, Gloria?« »Okay«, antwortete sie. »Soll's losgehen?« Die Monitor II schoß aufwärts. Auf jener grünen Kugel griff ein gelber Strahl nach ihr, aber durch diese Hölle aus reinem Licht hindurch stieg die Monitor unbeirrt, bis sie über der feindlichen Formation war. Dann ließ Gloria den künstlichen Blitz los. Ein Flammenstrahl sprang von der Monitor zur Erde über, ein gezackter Blitz, der auf seinem Weg genau durch eine der grünen Kugeln hindurchfuhr. Eine Sekunde schien es, als sei die Kugel unversehrt. Dann barst sie langsam, fast majestätisch, auseinander. Feuer brach aus ihr hervor. Die anderen Amerikaner feuerten vergeblich ihre Gravitationsstrahlen ab, die die magnetische Abschirmung nicht zu durchdringen vermochten. Aber der nächste Blitz, den Gloria auslöste, vernichtete wieder einen der feindlichen Flugkörper. Die anderen Amerikaner, die unterhalb der Lassans waren, konnten mit ihren Gravitationsstrahlen nichts ausrichten und blieben allmählich zurück. Aber die Monitor II schickte von oben her einen Blitz nach dem anderen, bis nur noch eine grüne Kugel übrig war. Als die Monitor sich der letzten grünen Kugel nä-
herte, schien diese sich um ihre eigene Achse zu drehen. Und plötzlich zuckte der gelbe Strahl auf und traf die Monitor mit voller Wucht. Das Schiff machte einen Satz und erzitterte. Und dann begann die Monitor zu fallen. Sie überschlug sich und trudelte ab, die Erde schien auf sie zuzustürzen, purpurnes Zwielicht umfing sie. Vergeblich versuchte Sherman, sie wieder in die Gewalt zu bekommen. Vergeblich riß Murray an den Hebeln, die die Heckraketen auslösen sollten. Es war Gloria, die ihnen allen das Leben rettete. Instinktiv feuerte sie den Gravitationsstrahl ab. Ein gewaltiger Stoß erschütterte das Schiff, aber dieser Stoß bremste die ungeheure Fallgeschwindigkeit. Es gelang Sherman, den Fall aufzufangen und die Monitor in einer gewagten Bauchlandung auf einem Feld in der Nähe der Lassan-Stadt aufzusetzen. »Das hing an einem Haar!« stöhnte Ben Ruby, als sie halb zerschlagen und noch ganz außer Atem aus ihrem Flugzeug kletterten. »Aber was, zum Teufel, hat uns eigentlich getroffen? Ich dachte, unsere Schiffe wären jetzt immun gegen diese Lichtstrahlen?« »Ja – in der Luft«, erklärte Sherman. »Die Luft setzt die Wirkung beträchtlich herunter. Aber dort oben haben wir eine volle Ladung bekommen! Trotzdem hätte die Monitor den Strahlenbeschuß überstehen
müssen. Aber ich nehme an, unser Bleipanzer war bereits arg mitgenommen und hatte Sprünge und Risse, durch die die gelben Strahlen eindringen konnten. Ich verstehe bloß nicht, wieso das Schiff der Lassans hochgegangen ist.« »Mir scheint, daran bin ich schuld«, sagte Ben. »Mir kam nämlich im richtigen Augenblick die Erleuchtung, daß der gelbe Strahl ein guter Leiter für unseren Gravitationsstrahl wäre – gleichgültig in welcher Richtung. Ich habe also den Gravitationsstrahl ausgelöst – und er gelangte durch ihren eigenen Strahl ins Innere ihres Schiffes.« »Was jetzt?« fragte Gloria. »Für mich gibt es nur eines«, erklärte Sherman grimmig. »Ich muß Marta Lami aus diesem unterirdischen Rattenloch herausholen. Aber ich kann nicht verlangen, daß ihr euch deswegen in Gefahr begebt.« »Sie glauben doch nicht, daß Sie uns hindern können, mitzumachen?« sagte Gloria fest. Und sie marschierte als erste auf die Lichtung zu, in der sich der Zugang zur Lassan-Stadt befand. Der Zugang selbst war nicht schwer zu finden. Das große Tor, durch das die grünen Kugeln ausgefahren waren, stand offen. Vorsichtig traten sie ein. »Junge, Junge«, flüsterte Gloria. »Wenn jetzt einer von den grünen Bällen angerollt kommt, werden wir plattgewalzt wie Oblaten!«
»Pst! Was ist das?« machte Sherman und wies nach vorn, wo der Gang eine Biegung machte. Eine Gestalt lehnte dort an der Wand. Eine Gestalt mit einem Gedankenhelm auf dem Kopf. Bei näherem Zusehen erkannte Sherman, daß es einer der Menschenaffen war. »Hört zu!« wisperte er. »Wir müssen ihn ausschalten, bevor er Alarm schlagen kann. Hat einer von euch ein Messer?« Murray reichte ihm seines. »Wir schleichen uns an«, entschied Sherman. »Das Wichtigste ist, daß er uns nicht sieht. Bedenkt, er trägt den Gedankenhelm, und am anderen Ende der Leitung sitzt ein Lassan! Auf mein Zeichen springt ihr ihn gleichzeitig an und schlagt ihn nieder, während ich ihm seinen Helm entreiße und die Verbindung zu dem Lassan unterbreche. Es muß alles sehr schnell gehen, bevor der Lassan etwas ahnt.« Sie schlichen vorsichtig näher. Der Wächteraffe drehte ihnen den Rücken. Erst als sie nur noch wenige Schritte von ihm entfernt waren, wurde er aufmerksam und wandte sich um. Im selben Augenblick packte Ben ihn an den Füßen und riß ihn zu Boden, während Murray ihm die Strahlpistole entwand und ihn mit einem wohlgezielten Schlag betäubte. Gleichzeitig bekam Sherman den Helm zu fassen, riß ihn dem Affen vom Kopf und stülpte ihn sich selbst auf.
Er fühlte die Gedanken an Lassan am anderen Ende, der irgend etwas gemerkt hatte und beunruhigt fragte: »Was war das? Was ist geschehen? Kommen die Schlachtschiffe zurück? Meutern die Sklaven? Zeig mir ein genaues Bild des Tunnels! Ich will sehen, ob alles in Ordnung ist!« Sherman dachte zurück: »Gewiß, alles in Ordnung.« Er schloß die Augen und stellte sich den Tunnel vor, wie der Wächter ihn vor dem Überfall gesehen haben mußte. »Es war nichts weiter. Ich bin nur gestolpert.« Dann riß er sich den Helm vom Kopf und durchtrennte das Kabel mit einem raschen Schnitt. »So«, sagte er befriedigt. »Das wird ihm für eine Weile zu denken geben. Wir müssen uns beeilen, bevor er mißtrauisch wird. Das wichtigste ist jetzt, den Käfig zu finden, in dem Marta Lami sitzt!« Aber es war schwer, sich in dem unterirdischen Labyrinth von Hallen und Gängen zurechtzufinden. Sie durchquerten mehrere der großen, blau überkuppelten Maschinenhallen, in denen Dutzende von behelmten Affen an der Arbeit waren. Die Affen waren so mit ihren Maschinen beschäftigt, daß sie sie nicht bemerkten. Nur in den Gängen waren Wächteraffen aufgestellt. Die Amerikaner schalteten weitere drei auf die gleiche Art aus wie den ersten.
Es blieb nichts anderes übrig, als weiterzusuchen. Vielleicht war sie einer anderen Maschinenhalle zugeteilt worden. Am Ende eines langen, dunklen Ganges fanden sie eine große Tür, die sich auf die übliche Weise, nämlich durch die Fingerlöcher, öffnen ließ. Nach einigem Zögern öffneten sie sie und traten ein. Erschrocken prallten sie an der Schwelle zurück: Sie sahen einen kleinen, aber ebenfalls blau überkuppelten Raum. In der Mitte ruhte auf einem grünen Sitz ein sehr alter Lassan – derselbe, der Sherman verhört hatte. Er trug einen Gedankenhelm, dessen Kabel mit dem Helm eines Menschen verbunden war, der vor ihm stand. Bei ihrem Eintreten fuhr der Lassan zornig auf, riß sich den Helm ab und griff nach seinem Lichtgewehr. Gleichzeitig drehte sich der Maschinenmensch vor ihm neugierig um. »Marta!« schrie Sherman, als er sie erkannte. »Hallo! Der eiserne Herbert!« rief Marta verblüfft. Gloria war schneller gewesen als das Elefantenwesen: noch bevor dieses seine Waffen ziehen konnte, hatte sie ihre Pistole auf es gerichtet. Der Lassan sah alt aus und machte den Eindruck von Würde und Weisheit. Er deutete mit dem Rüssel auf den Gedankenhelm, den Marta beiseitegelegt hatte, und setzte seinen eigenen wieder auf. Sherman verstand den Wink und befestigte Martas
Helm auf seinem Kopf. Er hörte die Gedanken des Lassans: »Wie könnt ihr es wagen, hier einzudringen? Wenn die Schlachtschiffe zurückkommen, wird man euch dafür empfindlich strafen. Der gelbe Strahl ...« »Ich sehe, Sie haben keine Ahnung, was geschehen ist. Eure Zeit ist um. Die Lassans sind besiegt. Wir haben alle eure Schiffe vernichtet. Kein Lassan wird zurückkommen. Sie sind der letzte.« Der Lassan starrte ihn entsetzt an, aber er zweifelte keinen Augenblick an der Richtigkeit von Shermans Worten. »Es ist die Wahrheit ...« dachte er bestürzt. »Ihre Gedanken liegen offen vor mir. Aber dann – dann ist die Katastrophe unausbleiblich! Wenn unsere Wissenschaftler tot sind, kann niemand die Lebenssubstanz aufhalten, die ihre Behälter und Tanks sprengen wird!« In diesem Augenblick hörten sie einen furchtbaren Donnerschlag, gefolgt von einem Zischen, als koche ein ungeheurer Kessel über. »Die Tanks sind geborsten! Die Lebenssubstanz quillt über!« dachte der Lassan. »Für mich gibt es keine Rettung mehr. Die höchstentwickelte Rasse des Alls, die Lassans, gehen mit mir zugrunde! Wir haben euch Menschen unterschätzt. Ihr habt gesiegt!« »Was nützt uns das?« dachte Sherman zurück. »Ihr
habt die Überlebenden Amerikas in Maschinen verwandelt und die Bevölkerung der übrigen Welt in eine Rasse dunkelblauer Mißgeburten ...« »Die blaue Färbung ist nur vorübergehend«, kam die Antwort des Lassans. »Und was euch betrifft, so könnt ihr euren metallenen Körper wieder in Fleisch und Blut verwandeln – obwohl ich nicht verstehe, warum ihr das wollt, da ihr doch in eurer jetzigen Gestalt viel stärker und widerstandsfähiger seid. Ihr habt mit eurem Sieg bewiesen, daß ihr eine intelligente Rasse seid. Und darum will ich großzügiger sein, als ihr es vielleicht im umgekehrten Fall wärt. Ich will euch das Geheimnis verraten: Wenn die Substanz des Lebens, die mich verschlingen wird, aus den Tiefen der Erde hervorquillt, so flieht, damit ihr nicht von ihr erfaßt und getötet werdet. Aber atmet ihre Dämpfe von weitem ein. Sie genügen, um das Metall zu erweichen und wieder in lebende Zellen zu verwandeln. Geht jetzt, bevor es zu spät ist.« Das Brodeln und Brausen draußen verstärkte sich. Die fünf warteten nicht länger ab. Sie rannten zu der Tür hinaus, durch die sie gekommen waren. Eine Welle glühender Hitze schlug ihnen entgegen. Sie liefen den Gang entlang bis zur nächsten Gabelung. Aus einem Tunnel schlugen bereits Flammen, und eine weißglühende Masse wälzte sich aufwärts. Sie schlugen die andere Richtung ein und eilten wei-
ter. Ein Menschenaffe taumelte heulend an ihnen vorbei. Sie folgten ihm, in der Hoffnung, daß er den richtigen Weg ins Freie wüßte. Als sie durch eine der blauen Hallen kamen, sahen sie, wie die Kuppel unter Knistern und Krachen zu bersten begann. Blitze zuckten aus den Maschinen. »Schnell!« schrie Sherman. »Gleich fällt die ganze Stadt der Lassans zusammen! Dort geht es aufwärts!« Als sie endlich ins Freie gelangten, wollten die beiden Mädchen instinktiv weiterlaufen. Aber Sherman hielt sie zurück: »Vergeßt nicht, was der alte Lassan uns gesagt hat!« Zögernd blieben sie stehen. Sie hörten noch eine furchtbare unterirdische Explosion – dann hüllte eine Dampfwolke sie ein, und sie verloren das Bewußtsein. Murray Lee gähnte und richtete sich auf. Die anderen lagen noch bewußtlos auf der Erde. Sein Blick fiel auf Ben Rubys Gesicht, und er stellte verdutzt fest, daß es nicht mehr aus Metall, sondern aus Fleisch und Blut war. Und nicht nur das – ein tagealter Bart sproßte darauf! Hastig faßte sich Murray selbst an die Wange: sie war weich und elastisch, bis auf den Stoppelbart. Er sah sich um. Der Eingang zu der unterirdischen Stadt war verschwunden, wahrscheinlich verschüttet.
In diesem Augenblick begannen auch seine Gefährten sich zu regen. In freudiger Überraschung stellten sie die Veränderung fest, die mit ihnen vorgegangen war. Nur Marta Lami war nicht ganz zufrieden: »Die Arbeit an den Maschinen hat meine Figur verdorben«, jammerte sie. »Ich bin viel zu dick geworden und werde nie wieder tanzen können.« Sherman lachte. »Macht nichts. Du sollst doch nicht mehr tanzen, wenn wir erst verheiratet sind.« »Verheiratet?« sagte Murray Lee. »Eine gute Idee.« Und er sah Gloria an, die ihm zulächelte.