Kefil, der Golem-Macher »Ihr Taxi wartet, Sir«, sagte der Kellner würdevoll. William Sippy Burnside nahm seine Hand vom...
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Kefil, der Golem-Macher »Ihr Taxi wartet, Sir«, sagte der Kellner würdevoll. William Sippy Burnside nahm seine Hand vom Ausschnitt der Bardame und hob den Kopf. »Taxi?« nuschelte er verwundert. »Ist es denn schon wieder mal vier vorbei?« »Es ist sogar bereits halb fünf, Mylord«, bestätigte der Kellner mit ernstem Gesicht. Sippys heitere Miene verfinsterte sich ein wenig. Er hob sein Schoppenglas, das noch halb voll Scotch war, und brachte das Betthupferl mit drei kurzen Schlucken weg. »Halb fünf! Dann hab ich scheinbar doch 'n Taxi bestellt, das mach' ich immer um diese Zeit. Was kostet die Kneipe?« Der Kellner kapierte. Scheinbar wollte der Herr zahlen. »Sie beliebten, zwei Fläschlein White Horse zu trinken. Hoheit. Das macht….« Sippy Burnside zahlte und ärgerte sich ein wenig. Zwei Flaschen! Er schien tatsächlich nicht in bester Form zu sein. Das brachte das neblige Londoner Klima mit sich. Er nahm sich noch eine Flasche mit für den Weg und für den kaum denkbaren Fall, daß er nicht einschlafen konnte. Dann brach er seine Zelte in der »Rathead Bar« ab und verzog sich. Er schwankte kaum beim Gehen. Um William »Sippy« Burnside ernsthaft ins Wanken zu
bringen, brauchte es mehr als lächerliche zwei Flaschen milden Scotchs. Vor der Tür, unter der roten Leuchtreklame der Bar, wartete sein Taxi, ein schwarzer Morris -Diesel. Der Cabby öffnete Mister Burnside zuvorkommend die Tür zum Fond. Sippy ließ sich in die abgewetzten Polster rutschen und stöhnte wohlig. »Wohin, Sir?« fragte der Fahrer über die Schulter. Sippy kam in Schwierigkeiten. Ab zwei Promille hatte er immer Ärger mit seinem Gedächtnis. Dann fiel es ihm wieder ein. »Natürlich, das war da in der Nähe von diesem Bau mit dem Pelzmützen-Dressman davor .. .« »Der Buckingham Palace, Sir?« »Richtig«, sagte Sippy zufrieden. »In der Nähe wohne ich nämlich. Im Kohlenkasten unter einem Foto der Queen.« Der Cabby schüttelte sich kurz, bedachte dann, daß sein früher Fahrgast erstens Amerikaner und zweitens blau war. Also legte er den ersten Gang ein und gab Gas. Der Wagen schudderte in seinen altersschwachen Verbänden und fuhr los. Da die »Rathead Bar« im Londoner East End liegt, war die Strecke ziemlich lang. Sie querten Morehood und Kensington. Als sie den Stone Hill hochfuhren und die hell angestrahlte Kuppel der St.Pauls-Kathedrale in Sicht kam, hatte Sippy seine Wegzehrungsflasche bereits zu einem Drittel leer. Dann kamen sie in die Fleet Street. Um diese frühe Morgenstunde war sie noch menschenleer. Lediglich die Bürofenster der Zeitungshäuser waren erleuchtet. Da waren die Umbruchredakteure der Mittagsblätter fleißig beim Arbeiten. Dann bog der Taxifahrer mit achtzig Sachen in die Garter Road ein, und da stand ein Mensch mitten auf der Fahrbahn; urplötzlich war alles lebensgefährlich und nach Meinung des Cabbys ganz großer Unfug. Dem Taxifahrer - schon ein älterer Mann - blieb die Luft weg. Der Mensch stand mitten auf der Straße, hell angestrahlt von den Scheinwerfern des Wagens, und machte keinerlei Anstalten, sich durch einen schnellen Sprung zur Seite zu retten. Überdies schien es sich um einen Carnabyhippie zu handeln, jedenfalls trug er eine schmutzige Parka, lange, strähnige Haare und eine Art Stirnband. Das alles bekam Sippys Fahrer noch im Bruchteil einer Sekunde mit.
Dann reagierte er erst. »Festhalten, Sir!« brüllte er. Aber wer hält sich nach mehr als zwei Flaschen Scotch noch fest? Sippy Burnside nuckelte gerade an seinem Reisefläschchen, ein Umstand, der ihn beide Schneidezähne im Oberkiefer kostete. Der Fahrer riskierte nämlich eine Vollbremsung. Sippy Burnside flog nach vorn und machte sich mit den harten Lehnen der Vordersitze näher bekannt. Da er gerade die Flasche am Hals hatte, rutschte die zur Hälfte in die Gurgel des Amerikaners und nahm - wie bereits erwähnt - zwei Zähne mit. Die Reifen des Taxis kreischten wie gequälte Perserkatzen und versuchten verzweifelt, sich am schlechten Londoner Pflaster festzukrallen. Der Cabby wirbelte das Lenkrad herum, hoffend, daß er sich an dem irrsinnigen nächtlichen Fußgänger noch vorbeimogeln könnte. Er erreichte lediglich, daß sich sein Morris querstellte und den Hippie seitlich mit dem linken vorderen Kotflügel erwischte. Es krachte, und die Flasche schob sich noch ein wenig tiefer in Sippys Hals. Langsam machte sich in seinem umnebelten Gehirn der Gedanke breit, daß etwas nicht stimmte. Der Angefahrene flog einige Meter weg und schwer auf die Fahrbahn. Damit war es nicht genug. Der Wagen schien plötzlich ein Eigenleben zu bekommen. Jedenfalls wollte er nicht mehr so wie sein Fahrer. Das Fahrzeug nahm pfeilgerade Richtung auf den auf der Straße liegenden Körper. Mit vollblockierten Rädern hoppelte der Morris darüber hinweg. Einige Meter weiter kam er endgültig zum Stehen. Der Fahrer war fix und fertig. Er ließ seinen Kopf auf die über dem Steuer verschränkten Arme fallen. Seine Schultern zuckten. Zu einer unmittelbaren Aktion war er momentan nicht fähig. William »Sippy« Burnside quälte sich verschwommen fluchend aus dem Fußraum des Fonds hoch. Er spuckte ungeniert seine beiden Zähne aus. Dann t ippte er seinem Fahrer ins Genick. »Jetzt ham'se wohl einen umgefahren, was?« fragte er mitfühlend. »Aber machen'se sich nichts draus, die englischen Wagen sind ja robust. ..« Der Fahrer drehte ihm sein Gesicht zu. Soviel Entsetzen lag in seinen Augen, daß Sippy den Satz nicht vollendete, »Wir.. . wir müssen nach ihm schauen«, brachte der Cabby schließlich hervor. Er öffnete die Tür. Burnside überlegte, ob es sich lohnen würde, ebenfalls auszusteigen. Er tat es.
Das Opfer lag flach auf dem Pflaster. Gebrochene Augen starrten blicklos in Richtung einer Laterne, die windschief am Bürgersteigrand stand. »Der ist tot«, konstatierte Sippy. Diese Bemerkung hob den Schock des Fahrers ein wenig auf. »Sie ...«, knirschte er, »sie ...« »Burnside«, sagte Sippy freundlich. »William Burnside.« Er wollte dem Cabby noch sagen, daß er ihn mit »Mister Präsident« anzureden habe, unterließ es aber. Denn in diesem Moment, von einer Sekunde zur anderen, wurde Sippy Burnside nüchtern. Er schüttelte seinen zerzausten Kopf und ließ sich langsam neben dem Toten nieder und schob ihm die langen Haare aus dem Gesicht. Seine Bewegungen waren plötzlich zart und fürsorglich. »Bob .. .?« flüsterte er leise. »Bob ... das gibt's doch nicht! Wie siehst du denn aus?« Der Taxifahrer verstand nicht alles, was da gerade vorging. Aber er kapierte, daß sein Fahrgast das Unfallopfer offensichtlich kannte. »Kennen Sie ihn?« fragte er überflüssigerweise. Sippy drehte sich um und sah den Cabby von unten herauf mit schiefem Blick an. »Klar«, entgegnete er langsam. »Und ob ich ihn kenne! Sie haben Robert Robeson überfahren, mein Bester. Sehr schlimm...« »Robeson?« »Ja. Er ist ein Schulfreund von mir. Sie brauchen mich nicht anzugucken, als wäre ich ein Mastodon. Meine Mutter hat mir tatsächlich eine englische Erziehung vermittelt. In Winchester. Robeson! Noch nie gehört, wie? Erbe der Robeson Steel Factory in Newcastle oben im Norden. Schlimm, wirklich.« »Ich schaue, wo ich telefonieren kann«, sagte der Taxifahrer unbehaglich. »Wir müssen die Polizei kommen lassen, einen Unfallwagen ...« »Natürlich«, meinte Sippy. Er hatte seinen Schock überwunden. Ich komme nach England, setze mich in ein Auto und überfahre meinen Freund Bob, dachte er. Ich werde nie mehr Auto fahren. Er schraubte sich wieder in die Höhe. Seine Hose war jetzt ziemlich schmutzig. »Worauf warten Sie noch?« fragte er den Cabby freundlich. Der Mann stand immer noch da und war sehr blaß. Fast so blaß wie die auf der Fahrbahn liegende Leiche. »Ich hab noch nie ...«
»Ach so«, blickte Sippy jetzt durch. »Noch nie einen umgefahren, was? Trösten Sie sich, aller Anfang ist schwer. He, was haben Sie denn? Fallen Sie bloß nicht um, Sie müssen mich noch nach Hause bringen! « Burnsides Frage war berechtigt. Der Cabby würgte plötzlich ein bißchen, und seine Gesichtsfarbe spielte auf einmal ins Grünliche. Im schwachen Licht der Straßenlaterne wirkte es sehr effektvoll. »Hhh-h-hrps .. .da ...« Sippy wurde durch das schabende Geräusch hinter seinem Rücken aufmerksam. Er drehte sich um und sah, was dem Taxifahrer so zusetzte. Es war allerdings auch ein ziemlich schweres Kaliber, das hier gerade aufgefahren wurde. Robert Robesons Leiche schüttelte gerade den Kopf und knirschte geräuschvoll mit den Zähnen! Dabei hatte sie die Augen offen. Über den Augäpfeln lag immer noch der milchige Film, der anzeigte, daß Robeson tatsächlich tot war. »Bob ...« reagierte Sippy schockiert. Der Cabby sagte gar nichts. Er stand da wie paralysiert. Die Leiche sagte auch nichts. Statt dessen stemmte sie beide Hände auf das Pflaster und arbeitete sich in sitzende Stellung. Sippy wurde langsam von einem gruseligen Gefühl erfaßt. Dann erhob sich der Tote vollends. Mit einer durchaus mühelos anmutenden Bewegung kam er auf die Füße. Seine gestorbenen Augen starrten Burnside mit dem Ausdruck totaler Indifferenz an. Dann drehte er sich um und lief mit festen Schritten davon. William »Sippy« Burnside wurde wach. Nicht nur das! Er wurde mit jeder Sekunde nüchterner. »Bob!« brüllte er laut. Stolpernd rannte er hinter dem sich Entfernenden her. Nach wenigen Metern hatte er ihn eingeholt. Mit krampfhaftem Griff packte er ihn an der Jacke. »Bob, ist dir was passiert?« Der Schlag kam ungeheuer schnell und mit einer Unbedenklichkeit, die den neutralen Beobachter erschreckt hätte. Er traf Sippy an der linken Schulter und schleuderte ihn einige Meter weit weg. Der Amerikaner hatte sekundenlang das Gefühl, unter eine Dampfwalze gekommen zu sein. Als sich die Nebel vor seinen Augen lichteten, war der Mann in der Parka verschwunden.
Der Cabby kam herangelaufen und half Burnside auf die Beine. Ein Blick in sein Gesicht belehrte Sippy, daß der Mann fertig war. »Dort ist er hingerannt, Sir«, schluchzte der Taxifahrer. »Dort, um die Hausecke.« Sippy startete ohne Verzögerung. Als er um die Hausecke trudelte, erstreckte sich vor seinen Augen eine schmale Seitenstraße. Sie war von einigen Laternen schwach ausgeleuchtet und definitiv leer. Kein Mensch war zu sehen, von einer gerade überfahrenen Leiche ganz zu schweigen. »Bob«, schrie der Amerikaner laut. »Ich bin es, Sippy.« Als Antwort erhielt er das Echo seiner eigenen Stimme zurück. Dann merkte er, daß er etwas in der Hand hielt. Er lief unter eine Laterne und öffnete die Faust. Auf der Handfläche lag ein Knopf. Sippy betrachtete ihn genau und nickte. »Ich hatte mich an seinem Jackenärmel festgeklammert«, sagte er laut. »Als er mich wegwarf wie einen Lappen, ging der Knopf mit. Ein Hemdenknopf oder ein Knopf vom Ärmel oder was ...« »Sir ...?« Es war der Cabby. Er war Burnside gefolgt. »Nix, Sir!« knarrte Sippy. Er wirkte jetzt sehr agil. »Schauen Sie nach, ob es Ihre Karre noch tut und vergessen Sie die Polizei! Fahren Sie mich dorthin, wo ich hin wollte!« Zehn Minuten später stoppte das Taxi in der Drury Lane. Sippy warf dem Fahrer einen Zehnpfundschein hin. »Am besten ist, Sie vergessen die Sache«, sagte er. »Sie haben halt geträumt. Nehmen Sie sich einen Tag Urlaub und kippen Sie einen hinter die Binde.« Als Sippy mit Getöse in die Empfangshalle des Hauses polterte, wurde er vom Butler des Earls erwartet. Dieser, ein gewisser CarlHenry, zog ein sehr indigniertes Gesicht. »Sir ...« setzte er an. »Mund halten, C. H.«, schnarrte Sippy. »Machen Sie einen Topf Kaffee und werfen Sie zuvor Tony aus dem Bett. Auf geht's!« Der Butler wollte scheinbar Einwände erheben. Als Sippy einen herumstehenden Aschenbecher ergriff, ließ er es sein und verzog sich. Zwei Minuten später kam der Earl of Shotton die Treppe herunter. Sein männlich-energisches Gesicht mit den scharfen Fotografenaugen war ärgerlich verzogen. »William, also ich darf doch bitten...«
»Klappe! Im übrigen heiße ich immer noch Sippy. Tom, was ich dir erzähle, wird dich aus den Pantoffeln holen. Rate, wen ich vor ein paar Minuten getroffen habe!« »Den Obersten der Trinker vermutlich«, sagte der Earl gequält. »Ich bin total nüchtern«, biß Sippy zurück. »Seit über einer halben Stunde habe ich keinen Schluck getrunken. Nein, ich habe Robert Robeson gesehen. Du erinnerst dich doch? Er war mit uns in Winchester.« Der Earl of Shotton blickte seinen Gast traurig an. »Sippy, geh zu Bett«, bat er. »Und denk' dir bessere Witze aus. Wegen was wirft der Bursche mich aus dem Bett! Verflucht nochmal!« »Überfahren habe ich ihn«, schrie Sippy. »Mit einem Taxi!« Tom Earl of Shotton schüttelte den Kopf. »Delirium«, sagte er laut und deut lich. »Laß dich besser gleich einsargen. Bob Robeson ist tot, er starb vor einem halben Jahr. Ich selbst war bei seiner Bestattung zugegen.« Einige Sekunden lang war es still. »Was sagst du da?« ächzte Sippy Burnside schließlich. »Du hast es gehört«, erwiderte der Earl kühl. »Ich habe einen Zeugen. Den Taxifahrer«, Dann kam ihm die Idee. Ein Grinsen lief über sein Gesicht. »Er ist also begraben und husch, wie?« flüsterte Sippy. »Tom, kannst du dich an Bobs Marotte mit seinen Knöpfen erinnern?« »Sicher.« Der Earl zündete sich eine Zigarette an. »Seine Initialen waren RR. Er ließ sich extra Kleiderknöpfe anfertigen, auf denen dieses RR eingraviert war und zwar in derselben verschlungenen Art wie beim Firmenzeichen von Rolls Royce. Richtig?« »Genau«, grinste Sippy. »Ich traf also unseren alten Spezi vor einer halben Stunde und riß ...« »Bob ist tot!« schrie der Earl wütend. »Wenn ich selber einen Kranz auf seinen Sarkophag gelegt habe, muß es wohl stimmen.« »Okay«, beruhigte ihn Burnside. »Ich traf also jemand, der so aussah wie Robeson. Ich riß ihm einen Knopf von der Jacke. Kann auch das Hemd gewesen sein. Hier!« Der silberne Kleiderknopf rollte auf den Rauchtisch. Langsam nahm der Earl ihn in die Hand. Er führte ihn vor die Augen und betrachtete ihn genau. Die Initialen, das verschlungene »RR«, waren deutlich zu sehen. »Allright«, sagte Tom langsam. »Erzähle!«
William Burnside berichtete. Das dauerte eine halbe Stunde. Als er fertig war, holte der Earl tief Luft. »Für dich als Amerikaner dürfte das Ganze äußerst unerklärlich sein, ich weiß«, sagte er. Sippy grinste. Seine Antwort ließ auf ein gesundes Selbstbewußtsein schließen. »Ich lese Horrorromane, mein lieber Tom«, erklärte er mit sanftem Lächeln. »Immer dann wenn ich zufälligerweise mal halbwegs nüchtern bin, lese ich Horrorromane. Die Dinger vertreiben so schön die weißen Mäuse. Robert Bloch, Bush, Dan Shocker - all die großen Klassiker zählen zu meiner liebsten Lektüre. Verstehst du?« »Nein«, gab Sir Tom zu. »Aber dafür weiß ich, was in dieser Sache zu tun ist.« »So?« »Jawohl! Ein toter Robert Robeson, der nächtlicherweise durch London schleicht und sich von Taxis überfahren läßt, ist ein gefundenes Fressen für meinen Freund Stanley.« »Stanley?« »Sir Stanley, Earl of Depford. Ein Schotte. Wir haben uns früher gut verstanden. Er hat eine riesige Bücherei über magische Techniken und Phänomene. Ein lebendiger Toter - das dürfte ihn interessieren. Das müßte sogar genau seine Kragenweite sein.« Sippy verstand zwar nicht alles, dafür war er plötzlich zu müde. Aber Sir Toms Bemerkung, daß sie am nächsten Tag nach Schottland fliegen würden - das bekam er doch mit... Sie flogen nicht gleich am nächsten Tag. Sippy Burnside war nämlich nicht ganz aktionsfähig. Als er nach dem Aufwachen einen Kaffee anstelle eines Wodkas verlangte und diesen dann auch tatsächlich trank, wurde er ohnmächtig. Ein herbeigerufener Arzt stellte fest, daß es sich um typische Alkoholentzugssymptome handelte. Er empfahl Burnside, besser bei seiner hergebrachten Lebensweise zu bleiben. Aber Sippy machte nicht mit, er blieb knallhart. »Ich habe mir gestern geschworen, nie wieder eine Flüssigkeit mit einem Alkoholgehalt von mehr als null Prozent über die Lippen zu bringen. Ich bin nicht für Meineide. Und aus meinem Club werde ich austreten. Telegrafisch! Wo ist ein Telephon?« Lebendige Tote haben manchmal ihr Gutes . ..
An diesem nicht besonders warmen, aber dafür recht nebligen Londoner Morgen passierte noch etwas. Es schien mit Burnsides schockierendem Erlebnis in keinem Zusammenhang zu stehen. Schauplatz der Handlung war der Schalt ersaal der Bank von Pliman, Pliman & Pliman. Dieses Institut gehört zu den gediegensten der britischen Insel, was wohl bedeuten soll, daß es vor 1800 gegründet wurde. Die Bank arbeitete fast ausschließlich für mittlere Unternehmen der Stahlbranche, darunter auch für Robeson in Newcastle. Die Gesamtaktiva des Bankhauses betrugen neunhundert Millionen Pfund Sterling. Mister Sounds, der Kassierer des Unternehmens, erschien wie an allen Wochentagen pünktlich drei Minuten vor neun. Er betrat das Gebäude - die Bank liegt in London WI - durch einen Seiteneingang. Der Direktor war schon da. Sein Name war Pliman, was niemand verwundern wird. Ihm gehörte auch ein Teil der Bankaktien. Die beiden anderen Plimans, die dem Haus seinen Namen geben, sind seit langer Zeit tot. Mister Sounds betrat das Büro des Direktors, nieste (er hatte sich beim letzten Windhunderennen erkältet) und fabrizierte einen Kratzfuß. »Guten Morgen, Sir Dagobert«, sagte er verschnupft. Mister Pliman schenkte ihm einen uninteressierten Blick. Dann klappte er doch seine Lektüre zu und erhob sich ächzend. Sounds sah auch noch aus den Augenwinkeln den Titel des Taschenbuches, das sein Boß gerade aus der Hand gelegt hatte. Porno, natürlich, dachte der Kassier angewidert. Dieser feiste Typ, dieser ... ob er mir das Ding mal zum Lesen leiht, wenn ich ihn darum bitte? »Morgen, Sounds. Alle hier?« »Jawohl, Sir.« Die Bank hatte fünf Angestellte, den Kassier eingeschlossen. Drei der Angestellten waren teilweise dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen - teilweise deshalb, weil man nicht genau wußte, ob Mrs. Shrimps, die Kontenbearbeiterin, nicht ein Zwitter war - die beiden restlichen waren Männer, obwohl auch das nicht ganz sicher war, da Mister Mangler, der Devisensachverständige, im Rufe stand, es manchmal nicht nur mit Frauen zu treiben. »Okay, dann können wir ja zur Tagesordnung übergehen«, sagte der Bankdirektor zufrieden. Die Tagesordnung sah vor, daß Sounds und er vor der Öffnung des Schalterraumes in den Tresorraum
hinunt erstiegen, diesen mit zwei Schlüsseln öffneten, das jeweils benötigte Geld entnahmen und es dann an der Kasse deponierten. »Wieviel brauchen Sie heute, Sounds? Irgendwelche besonderen Kunden, na ja, sie wissen schon ...« »Vierhunderttausend Pfund, Sir!« Die Stimme des Kassierers zitterte ein wenig. »Sie wissen, daß Loans und auch Hester heute Zahltag haben. Die Boten dieser Firmen holen das Geld direkt nach der Öffnung der Schalter ab. Ich bin, ehrlich gesagt, immer froh, wenn es außer Haus ist. Wenn derartige Summen dauernd an meiner Kasse liegen würden, also das wäre ein Anreiz für gewisse Elemente . ..« »Malen Sie nicht den Teufel ans Kirchenfenster, Sounds«, grinste Sir Dagobert. »Los, gehen wir!« Die beiden Herren stiegen in den Tresorkeller. Sie mußten dabei die Schalterhalle durchqueren. Pliman begrüßte seine Angestellten mit einem leutseligen Winken und einem vergnügten »Na, ihr Sumpfeulen, seid ihr alle da?« Die Sumpfeulen intonierten traditionsgemäß im Chor ein »Jawohl, Sir Dagobert, Heil Ihnen!« Wie man sieht, war das Bankhaus Pliman, Pliman & Pliman anderen Instituten seiner Art zumindest bezüglich des Betriebsklimas weit voraus. Vierhunderttausend Pfund sind ein Klacks. Man kann sie in einer mittleren Leinentasche unterbringen, vorausgesetzt, die Summe setzt sich aus großen Noten zusammen. Das war hier der Fall. Das Geld sollte ja auch gleich abgeholt werden. Mister Sounds schaffte die Kopeken in die Schalterhalle und verstaute sie in den Fächern seines Kassensekretärs. Dann zählte er schnell je hundertachtzigtausend Pfund für die Boten der Firmen ab. Dieses Geld legte er extra. Als das geschehen war, befahl er Mrs. Shrimps, den Haupteingang des Bankhauses zu öffnen. »Pliman, Pliman & Pliman sind bereit, den Dienst am Kunden aufzunehmen. Mrs. Shrimp s - walten Sie Ihres ehrenhaften Amtes!« Die Angeredete tat das. Sie lief durch die Schalterhalle und betrat den Vorraum. Die Tür zur Straße bestand aus Glas. Die Straße selbst war um diese Stunde mäßig belebt. Um ganz genau zu sein - Mrs. Shrimps sah in einiger Entfernung lediglich zwei Straßenkehrer, die sich gemütlich auf ihre Besen stützten und einen Plausch hielten. Die Kontenbearbeiterin drehte mit einer Kurbel, die neben der Tür in die Wand eingelassen war, das Scherengitter hoch. Dann holte sie einen Sicherheitsschlüssel aus ihrer Bluse und öffnete die Tür. Sie
zog den linken Flügel auf und stellte ihn mit einem Feststeller in Offenstellung fest. Als sie dasselbe auch mit dem rechten der beiden Glasflügel machte, lief der junge, langhaarige Mann vorbei. Mrs. Shrimps sah ihn nur aus den Augenwinkeln. Sie bückte sich gerade, um den Türfeststeller herunterzudrücken. Als sie sich aus ihrer gebeugten Stellung erhob und sich eine Haarsträhne aus den Augen strich, klimperte sie ein wenig erstaunt mit ihren getuschten Augenwimpern. »Eben war es noch einer«, sagte sie laut. Das mochte stimmen, änderte aber nichts daran, daß es jetzt drei waren ... Auf dem Bürgersteig der Wargot Street, direkt vor dem Eingang des Bankhauses Pliman x 3 standen diese jungen Männer. Mrs. Shrimps schüttelte den Kopf. Also nein, wie die Kerle aussahen! Zu ihrer Zeit hatte es so etwas nicht gegeben ... Alle drei sahen aus wie Drillinge. Sie trugen lange, schmutzige Jacken, Militärjacken, wie die Bankangestellte bemerkte, sogenannte Parkas. Die Haarlänge der Burschen war katastrophal. Die Strähnen reichten bei jedem bis weit über den Kragen. Da war es kein Wunder, daß sie nach Indianerart Stirnbänder tragen mußten. Schwarze Stirnbänder, die den jeweiligen Haarwust einigermaßen an Ort und Stelle hielten. Und auf diesen Stirnbändern war irgend etwas eingestickt. Oder nicht? Mrs. Shrimps kniff ein wenig die Lider zusammen. Ja, da stand etwas drauf. Unleserlich, keine englischen Worte, stellte die Kontenbearbeiterin fest. Sie wollte sich umdrehen und wieder in die Schalterhalle zurückgehen. Ihres »ehrenhaften Amtes« hatte sie für heute schließlich gewaltet. Genau in dem Moment setzten sich die drei Gammler in Bewegung. Sie taten es mit seltsam abgezirkelten und absolut synchronen Bewegungen. Mit drei kurzen Schritten stiegen sie die Stufen zum Bankeingang hoch, passierten die offene Tür und standen vor Mrs. Shrimps. »Guten Morgen«, sagte die Angestellte verwirrt. »Ein schöner Tag, nicht wahr? Der Nebel hebt sich ...« Der mittlere der drei zog wortlos ein Messer aus der Innentasche seiner Jacke. Die Klinge des Instruments war etwa zwanzig Zentimeter lang. Diese Mordwaffe stieß der langhaarige
Stirnbandträger Mrs. Shrimps ohne mit der Wimper zu zucken in den Bauch. Die Frau schrie nicht. Dazu war sie viel zu überrascht. Mrs. Shrimps blieb noch einige Sekunden aufrecht stehen, obwohl sie bereits tot war. Dann rutschte sie langsam an der Wand des Vorraumes hinunter auf den Boden. Der Mörder ließ das Messer wieder in seiner Parka verschwinden. Dann betraten die drei nebeneinander den Schalterraum der Bank. Mister Sounds sagte später vor der Polizei aus, daß er sofort bei ihrem Erscheinen ein mulmiges Gefühl in der Magengrube verspürt habe. Die Einrichtung der Bank stammte noch aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg. Das heißt, daß der Kassier keines wegs durch eine Barriere aus kugelsicherem Glas geschützt war. Überdies hätte das auch nicht der Tradition des Hauses entsprochen. Die drei jungen Männer mit den langen Haaren liefen ohne zu zögern quer durch den Raum. Dann standen sie vor der Kasse. »Guten Morgen! Sie wünschen?« Mrs. Sounds Stimme klang ein wenig krächzend. Er war ja stark erkältet. Keiner der drei gab eine Antwort. Dafür stützten sie ihre Hände auf den Tresen, federten kurz in den Knien und setzten dann in einer gemeinsamen Flanke über den Tisch. Es sah nicht schlecht aus, bei einem Turnfest hätten sie bestimmt Beifall bekommen. Mr. Sounds spendete keinen Applaus. Er fing an zu brüllen. »Hilfe, Hilfe!!« Dem Mittleren, der Sekunden zuvor Mrs. Shrimps ermordet hatte, schienen die Heultöne des Kassiers zu mißfallen. Diesmal zog er allerdings nicht sein Messer. Er hob den linken Arm und verabreichte Sounds eine Ohrfeige. Der Kassier flog quer durch das abgeteilte Quadrat, das seine Kasse bildete, durchbrach mühelos eine brusthohe Holz wand und landete vor dem Schreibtisch von Mister Mangler. Der Devisenmensch hatte sich im Lauf seines fünfzigjährigen Lebens eine gehörige Portion Zynismus angeeignet. Er wünschte dem angeschlagenen Kassier mit freundlicher Stimme »Mast - und Schotbruch.« Es kann aber auch sein, daß Mr. Mangler lediglich dumm war. Die beiden Kollegen des schlagkräftigen Hippies begannen jetzt in aller Ruhe das zu tun, weshalb sie gekommen waren. Der eine schnappte sich die Leinentasche, in der Sounds das Geld aus dem
Tresorraum geholt hatte. Er öffnete sie und hielt sie der Nummer drei hin. Dieser wiederum machte sich daran, die herumliegenden Geldbündel wieder in die Tasche zurückzupacken. Und keiner der drei sprach ein einziges Wort! Jetzt allerdings erwachten die Bankangestellten aus ihrer Erstarrung. Mr. Mangler drückte einen auf seinem Schreibtisch angebrachten Alarmknopf, die Damen begannen zu schreien, in der Nähe des Chefbüros tauchte Mister Pliman auf. »Was geht hier vor?« donnerte er. »Vermutlich ein Überfall, Sir Dagobert«, erwiderte Mangler. Sir Dagobert regte sich auf »Drücken Sie den Alarmknopf!« »Habe ich, Sir. Wie es aussieht, scheint die Sirene nicht zu funktionieren. Möglicherweise ist es bei der Verbindung zum Polizeirevier ebenso. Was sollen wir tun?« Pliman faßte den Entschluß, Mangler rauszuwerfen. Aber das war vorerst zweitrangig. Der Direktor rannte in die Kasse. Sein Gesicht war krebsrot. Als er versuchte, dem linken der frechen Räuber die Leinentasche zu entreißen, zeigte sich zum ersten Mal eine Regung auf den Gesichtern der drei. Es war eine Art Verwunderung. Mister Pliman nahm denselben Weg wie sein Kassier. Allerdings wurde er nicht bewußtlos. So konnte er mitansehen, wie die Räuber seelenruhig mit der wohlgefüllten Leinentasche zur Tür des Schalterraumes gingen und verschwanden. Er quälte sich mit viel Mühe hoch und rannte hinterher. Im Vorraum stolperte er über die tote Mrs. Shrimps. Er schaute und wollte es nicht glauben. Dann guckte er noch mal und fiel in eine erlösende Ohnmacht. Mister Mangler, der ihm gefolgt war, war ein wenig härter gestrickt als sein Brötchengeber. Er würgte zwar ein wenig, als er an der Blutlache vorbeischritt, in deren Zentrum Mrs. Shrimps lag, aber er dachte auch an das Nächstliegende. Er rannte auf die Straße und schrie »Hufe, Banküberfall, Hilfe!!« Das Dumme war, daß die Wargot Street auch jetzt, drei Minuten nach Mrs. Shrimps Ableben, nicht wesentlich mehr belebt war als zum Zeitpunkt der Tat. Zu den beiden Straßenreinigern hatte sich
allerdings ein dritter hinzugesellt. Auch er stützte sich auf seinen Besen, rauchte eine Zigarre und redete. Sie schenkten Manglers Geschrei keine weitere Beachtung. Der Bankangestellte entsann sich, daß er schließlich Brite war. »Verzeihen Sie, meine Herren«, sagte er. Die Straßenkehrer sahen ihn mißbilligend an. »Ich möchte Sie nicht stören, aber vor wenigen Sekunden wurde unsere Bank ausgeraubt. Haben Sie vielleicht zufällig drei Herren gesehen, die . ..« » .. . eine mittelgroße Leinentasche trugen, aussahen wie Penner und in einen Wagen stiegen, der dort drüben parkte«, vollendete einer der Rinnsteinpfleger Manglers Frage. »Jawohl, genau«, schrie der Bankmensch erfreut. »Die Bank beraubt haben die Kerle, sagen Sie?« »Ja, haben sie vielleicht auf die Autonummer geachtet?« Mister Mangler war sehr aufgeregt. »Welche Autonummer?« »Die vom Wagen der Räuber natürlich, Mann!« Die mißbilligenden Blicke der Straßenkehrer wurden stechend. Dann drehten sie sich um und liefen davon. Auf Mister Manglers Geschrei reagierten sie nicht mehr. Es muß an dieser Stelle gesagt werden, daß Höflichkeit im Umgang mit anderen Menschen - Höflichkeit in JEDER Situation - zu den traditionsreichsten britischen Tugenden gehört. Auch ein Bankraub gibt niemand die Berechtigung, einen Bürger Englands einfach mit »Mann« anzusprechen. Speziell dann, wenn jedes kleine Kind weiß, daß sich unter Londons Straßenkehrern ungewöhnlich viele Nachkommen ehemaliger russischer Großfürsten finden. Mister D. Pliman war zwischenzeitlich aus seiner Ohnmacht erwacht. Da er das Vertrauen in seine Alarmanlage verloren hatte, verständigte er die Polizei per Telefon. Eine Stunde nach dem Überfall kam diese auch, und zwar in Gestalt eines Bobbys, der sich freundlich erkundigte, was geschehen sei. Als er erfuhr, daß es sich um Mord und Bankraub handelte, stellte er bedauernd fest, daß ein derartiger Fall seine Kompetenzen übersteige. Er verständigte den Yard. Scotland Yard allerdings setzte eine Polizeimaschinerie in Tätigkeit, die sich gewaschen hatte. Auf der ganzen Insel rollte eine gewaltige Fahndung an. Gesucht wurden drei junge Männer mit langen Haaren, Stirnbändern und Armeeparkas. Und vierhundertdreitausendzweihundertsiebzehn Pfund ...
George McLowrie, hochherrschaftlicher Butler auf Schloß Helmet and Chain, dem Sitz der Depfords seit König Artus Zeiten, schritt gemessen durch die große Empfangshalle. Sein weißes Haar leuchtete und bot einen seltsamen Kontrast zu seinem jung aussehenden Gesicht. Er trug an diesem Nachmittag eine schwarze Dienerjacke und schottische Tradition - einen Kilt. Mit ruhigen Bewegungen stieg er die breite Treppe zum zweiten Stock empor. Vor der Tür zur Bibliothek machte er halt und klopfte. »Kommen Sie rein, George!« Woher weiß er, daß ich es bin, dachte George kopfschüttelnd. Er öffnete die Tür und trat ein. Die Bücherei des Schlosses war, wenn auch gewaltig bezüglich ihrer Abmessungen, keineswegs ein finsterer Ort. Lange Regale aus edlem Mahagoni zogen sich an den Wänden entlang. Alle waren mit Büchern überladen. Die großen Fenster an der Südwand des Raumes spendeten Helligkeit. Vor einem dieser Fenster hatte Lady Anne Rose, Sir Stanleys Gattin, gerade ihr Domizil aufgeschlagen. Sie saß an einem zierlichen Sekretär und blätterte in einem alten Folianten, »Mylady ...« Der Butler deutete eine Verbeugung an. Anne Rose hob den Kopf und sah ihn an. Ihre blauen Augen musterten George interessiert. Sie wirkte auf eine komische Art immer so, als würde sie gleich anfangen zu lachen. Im übrigen war sie mit ihren vierunddreißig Jahren eine schöne und attraktive Frau. »Was gibt es, George? Haben Sie was ausgefressen?« Der Butler erstarrte. Sie versuchte immer, ihn durch eine möglichst burschikose und ungezwungene Redeweise ein wenig zu schockieren. Ihrer Ansicht nach war er nämlich zu hölzern in seinen Umgangsformen. George spielte immer schön mit. »Mylady, ich vermeinte auf mein Klopfzeichen hin, Sir Stanleys Stimme vernommen zu haben.« »Haben Sie, George, haben Sie!« Sir Stanley, der elfte Earl of Depford, Großmeister der Magie und Angehöriger der Weltbruderschaft der Magier, kam hinter einem Regal hervor. »Was ist los?«
»Mylord, ich darf vermelden, daß vor wenigen Minuten Sir Tom of Shotton aus Glasgow angerufen hat. Er teilte mit, daß er in einer Stunde auf Helmet and Chain eintreffen wird.« »Ah ja.« Sir Stanley wirkte etwas zerstreut. »Der gute Tom! Er rief mich gestern schon an. Behauptete, daß in London ein Mann in der Gegend herumläuft, dem schon vor sechs Monaten der Totenschein ausgestellt worden sei. Ich wurde nicht recht klug aus seinen Worten. Wollte er nicht jemand mitbringen?« »Den Präsidenten des Clubs der Alkoholiker aus Boston, Sir«, sagte George gemessenen Tones. Lady Anne Rose hustete. »Wen?« fragte sie. Der Butler wiederholte seinen Satz. »Einen Säufer!« Mylady schüttelte sich. Dann griff sie in eine Schublade ihres Schreibtischs und brachte eine Flasche zum Vorschein. »Einen Säufer«, wiederholte sie. Mit geübten Griffen öffnete sie das Fläschlein und füllte ein Glas. Ein betäubender Duft nach Chivas Regal wehte zu George hinüber. »Club der Alkoholiker«, sagte sie. »Pfui Teufel!« Dann kippte sie den Inhalt des Glases mit einem kurzen Schluck hinunter. An dieser Stelle muß erwähnt werden, daß Lady Anne eine ausgepichte Liebhaberin edler Getränke ist. Freunde der Familie Depford wissen das natürlich bereits. Sie dürfen über den letzten Absatz hinweglesen. Sir Stanley Depford betrachtete seine Gemahlin mit einem nachsichtigen Kopfschütteln. Dann wandte er sich an George. »Bereiten Sie einen kleinen Imbiß vor! Und noch etwas: Ich möchte, daß Sie später bei der Unterredung mit Sir Tom dabei sind. Es scheint sich um ein magisches Problem zu handeln. Vielleicht ist es auch für Sie von Interesse.« George McLowrie war nicht nur der Butler Sir Stanleys. Er war auch dessen Freund und engster Vertrauter. Und selbstverständlich war auch er auf dem Gebiet der Schwarzen, Weißen und Bunten Magie nicht unerfahren. Als Adept ersten Grades kannte er sich in den Schriften eines Paracelsus und eines Albertus Magnus aus. Eine Leiche zum Leben zu erwecken, wenn diese nur noch einigermaßen gut erhalten war, bedeutete für ihn kein Problem. Während seine Herrin, Lady Anne Rose, eine graduierte, theoretische Vampiristin war, neigte er mehr der Praxis zu. George verbeugte sich und ging. Lady Anne wandte sich wieder ihrer Lektüre zu, und Sir Stanley genehmigte sich ein Gläschen.
Um vier Uhr nachmittags kam der Earl of Shotton. In seiner Begleitung war William Sippy Burnside. Sippy war es in der Hauptsache, der redete. Schließlich hatte ja er und nicht Sir Tom jenen makabren Verkehrsunfall erlebt. Der Earl of Shotton rundete das Bild ab. Er konnte sich dafür verbürgen, daß das nächtliche Unfallopfer gar nicht hätte am Leben sein dürfen. »Ich sah ihn in seinem Sarkophag liegen, Stanley. Sein Vater, der alte Robeson, hatte geheult wie ein Schloßhund. Robert war sein einziges Kind. Sein Erbe, verstehst du?« »Ich habe keine Kinder«, erwiderte Stanley höflich. Dann drehte er sich seinem Butler zu. George saß steif wie ein Stock auf der äußersten Kante eines Sessels. Die Konferenz fand im roten Salon statt. Freunde der Depfords wissen, daß in diesem Raum ein Teil des Fußbodens von dem unter den Magiern dieser Welt berühmten Gilgit -Teppich bedeckt ist. »Was halten Sie von dieser Sache, George?« Der Butler räusperte sich. »Es deutet alles darauf hin, daß irgend jemand in England mit Toten zu experimentieren scheint. Andererseits ist es ebensogut möglich, daß Mister Burnside sich vielleicht getäuscht hat. Immerhin war es Nacht und ...« »Nacht und Nebel, und ich war blau, was?« mischte Sippy sich ein. »Sie vergessen den Kleiderknopf, Mister McLowrie!« »Es könnte auch andere Menschen geben, die die Initialen »RR« als Anfang ihres Namens haben.« »Natürlich!« Sippy grinste spöttisch. George wußte selbst, daß seine Argumentation ein wenig schwach war. Trotzdem wollte er nicht so recht an diese Sache glauben. Dieser Amerikaner war schließlich ein Alkoholiker, nicht wahr? Der Earl of Depford machte den Spekulationen ein Ende. »Es gibt eine ganz einfache Möglichkeit, nachzuprüfen, ob Mister Burnside nicht geträumt hat«, meinte er trocken. »Ach ja? Welche denn?« Das war Sir Tom. »Man schaut nach, ob der Tote noch in seinem Sarkophag liegt.« Stanley lächelte sardonisch. »Deinen Worten nach, mein lieber Tom, wurde Robeson in der Familiengruft beigesetzt. In Newcastle, wenn ich recht gehört habe. Da er in einem Sarkophag liegt, dürfte er sich recht gut gehalten haben. Man wird ihn noch identifizieren können.«
»Pfui Teufel«, sagte Lady Anne. Auch sie wohnte dem Gespräch bei. Dieses »Pfui Teufel« waren allerdings die ersten Worte, die sie dazu beisteuerte. Stanley ließ sich nicht stören. »Wenn er noch drin liegt, haben sie sich verguckt, Mister Burnside. Wenn er allerdings verschwunden ist, dann, ja dann eben...« »Klar ist er verschwunden«, rief Sippy Burnside temperamentvoll. »Irgend jemand hat die Leiche gestohlen und einen Zombie daraus gemacht. Vielleicht war er gar nicht richtig tot, als er beigesetzt wurde. Ich kenne mich aus, und wie! Lesen Sie Horrorromane, Sir Stanley?« Der Earl musterte ihn kühl und ein wenig amüsiert. »Nein, Mister Burnside«, entgegnete er langsam. »Ich pflege sie zu erleben.« Von der Tür her kam ein dezentes Klopfen. George hatte ausnahmsweise Walter, den Schloßverwalter, damit beauftragt, heute die Anrichtung des Dinners zu überwachen. Walter meldete, daß es so weit sei. Man ging zum blauen Salon hinüber, der als Eßzimmer eingerichtet war. Auf dem Weg fiel George etwas ein. Er nahm den Verwalter beiseite und fragte: »Hören Sie, Walter, hat der Bote bereits die Mittags- und die Abendzeitungen gebracht? « Sir Stanley Depford hatte die zehn wichtigsten Tageszeitungen der Insel abonniert. Irgendwie mußte man ja auf dem laufenden bleiben. »Vor zehn Minuten, Mr. McLowrie«, sagte Walter. »Ich kann sie Ihnen holen. Für Sie ist im Speisezimmer der Bediensteten serviert.« Das war korrekt. Nie im Leben wäre es George eingefallen, auf Helmet and Chain an einem Tisch mit seiner Herrschaft zu speisen. Sir Stanley schätzte seinen Butler und Vertrauten sehr. Manchmal lächelte er über seine altmodischen Ansichten. »Sie sitzen doch auch mit uns am Tisch, wenn wir auf Reis en sind, alter Junge?« hatte er George mal gefragt. »Warum nicht im Schloß?« Weil es sich nicht gehört, hatte der Butler damals gedacht. Weil es dem Stil des Hauses nicht entspräche. Und noch ein Dutzend andere »Weils« dazu. »Ich bitte, meinen Standpunkt in dieser Frage zu respektieren, Sir.« Walter brachte das Zeitungspäckchen und legte es neben George auf den Tisch.
»Ich habe übrigens drüben an der Flugpiste den Ras en neu einsäen müssen, Mr. McLowrie. Der Samen reichte nicht ganz, ich muß morgen nach Glasgow, um Nachschub zu holen. Soll ich sonst etwas mitbringen? « George aß gedankenlos einen Happen Brot und griff zerstreut nach der obersten Zeitung. »Nein, Walter, nicht nötig. Ich bin wunschlos glücklich.« Er hielt die Zeitung nahe an seine Augen. »Ein Banküberfall in London«, schnarrte er. »400 000 und ein paar Zerquetschte. Lese ich richtig??« »Ach ja«, lachte Walter. »Das hörte ich vor zwei Stunden auch im Radio. Die Polizei fahndet nach den Tätern und ruft die Bevölkerung zur Mithilfe auf. Es soll sich um drei Männer handeln. Richtige Hippies sollen es sein, jedenfalls dem Aussehen nach.« »Hippies?« Georges Augen flogen über die Zeitungsspalten. Dann legte er das Blatt weg und nahm sich das nächste vor. Walter wunderte sich. Der Butler schien in jeder Zeitung nur den Artikel über diesen Londoner Bankraub zu lesen. Dann wunderte sich der Verwalter noch mehr. George erhob sich nämlich mit einem Ruck und verließ das Speisezimmer. Sein Essen ließ er stehen. Er lief mit unstandesgemäß schnellen Schritten hinüber zum blauen Salon. Sir Stanley blickte erstaunt vom Essen auf, als George hereinkam. »George?« »Ich bitte für dieses unbotmäßige Benehmen um Verzeihung, Mylord«, sagte er. Dann wurde er noch unbotmäßiger und wandte sich an Sippy, der gerade voller Behagen eine Tasse Kaffee schlürfte. »Mister Burnside, Sie sagten, ihr ... ähem ... Opfer sei gekleidet gewesen wie ein sogenannter ... äh ...« »Hippie«, sagte Burnside freundlich. Es schien ihn kaum zu stören, daß er beim Essen unterbrochen wurde. »Richtig, das war das Wort.« George schien erleichtert. »Weiterhin sagten sie, er trüge sein Haar sehr lang und hielte es mit einer Art Stirnband zusammen. Das herausragendste Merkmal seiner Kleidung sei gewesen, daß es sich offensichtlich um alte Armeeklamotten Verzeihung - gehandelt habe.« »Die Jacke, nur die Jacke«, brummte Sippy. »Parkas nennt man diese Dinger in den Staaten.«
»Danke! Und er hat tatsächlich kein Wort gesprochen, als sie mit ihm zusammentrafen? « »Als ich ihn totfuhr, meinen Sie wohl. Nein, er war ziemlich schweigsam.« »Eine Frage an Sie, Mylord.« George wandte sich Sir Tom zu, der dem Dialog verständnislos gefolgt war. »Hatte Robert Robeson bereits zu Lebzeiten eine Vorliebe für . . .äh .. . pittoreske Kleidung? »Bob? Hören Sie, er zählte zu den bestangezogenen Männern Großbritanniens, aber...« »Was soll das, George?« Die Stimme des Earls of Depford klang ein klein wenig befremdet. George neigte den Kopf. »Ich bitte nochmals um Verzeihung, Mylord . ..« »Schon gut. Sie bezwecken doch etwas mit ihren Fragen.« »Mylord ... vor neun Stunden wurde in London das Bankhaus Pliman, Pliman & Pliman ausgeraubt. Eine Angestellte wurde bestialisch ermordet, vierhunderttausend Pfund wurden erbeutet. Bei den Tätern - sie sind flüchtig - handelt es sich um drei junge Leute. Zeugenbefragungen ergaben, daß sie fast wie Drillinge aussehen sollen. Sie trugen schmutzige Parkas, hatten lange Haare und hielten diese mit Stirnbändern zusammen. Und sie sprachen während des Überfalls kein Wort!« Einige Sekunden lang war es sehr still. Sippy hatte sogar aufgehört zu kauen. »Jetzt haben wir schon vier lebendige Leichen«, sagte Lady Anne Rose zufrieden. » Georgie, meinen Sie etwa, diese Sache könnte doch noch interessant werden?« »Ich bin überzeugt davon, Mylady«, entgegnete der Butler steif. Nachdem die beiden Besucher wieder abgereist waren - Stanley hatte Sir Tom versprochen, ihn auf dem laufenden zu halten - diskutierten der Earl, seine Gattin und George die Angelegenheit. Sie konnten natürlich noch nicht festlegen, mit welcher Technik hier gearbeitet worden war. Vermutlich mit einer sehr schwarzen. Vielleicht hatte Sippy als Liebhaber von Horrorromanen sogar recht mit seiner, Annahme, daß irgend jemand auf britischem Boden unerlaubterweise Zombies produzierte. Das Verhalten des toten Robeson jr. deutete darauf hin. Andererseits wiederum ... »Andererseits wiederum existieren Fakten, die gegen die Zombietheorie sprechen«, weinte Lady Anne. »Wir sind doch nicht auf Haiti!«
»Was nicht heißen soll, daß ein Haitianer sich nicht in London aufhalten könnte. Ein Mann vom Fach sozusagen «, entgegnete ihr Sir Stanley mit schmalem Grinsen. »Und da wäre, mit Verlaub noch eine dritte Möglichkeit, Sir«, meldete sich George. Ihm waren wieder Zweifel gekommen. »Welche denn?« »Mister Burnside war betrunken, als er sein seltsames Erlebnis hatte. Zweifelsohne saß er in einem Taxi, mit dem ein nächtlicher Fußgänger angefahren wurde. Dieser konnte vielleicht nur sekundenlang bewußtlos gewesen sein, erhob sich dann wieder und machte sich davon. Er stand noch unter dem Eindruck des Schocks. Das würde auch seine Wortlosigkeit erklären.« »Und der Banküberfall, den Sie vorhin so lautstark publizierten?« »Hängt mit dem Fall - jetzt sage ich bereits Fall - Robeson nicht zusammen. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, daß die jungen Leute von heute ihre Haare fast ausschließlich lang zu tragen pflegen. Stirnbänder und Parkajacken sind modische Attribute, mit denen sich jeder dritte Teenager schmückt.« »Das stimmt schon, George«, lächelte der Earl of Depford. »Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß ein Mann glaubt wohlgemerkt, glaubt - einen lebendigen Toten gesehen zu haben. Und bevor seine Angaben nicht überprüft sind, kann ich sie auch nicht zu den Akten legen. Das ist meine Pflicht als Großmeister und erster Exekutor der Weltbruderschaft der Weißen Magier. Bereiten Sie deshalb alles Notwendige vor! Wir werden uns davon überzeugen, ob Robert Robeson noch in seinem Sarg liegt oder ob vielleicht... nun ...« »Schließlich hat jeder Mensch, sogar der Ärmste, einen unbestreitbaren Anspruch auf die ewige Ruhe«, vollendete Lady Anne Rose. Sie verzog das Gesicht dabei wie ein halbflügger Teenager. Dem Vorhaben stellten sich von vornherein Hindernisse in den Weg. Mister Doudlin Robeson, der Vater des Verstorbenen, weigerte sich nämlich, einer Exhumierung seines Sohnes zuzustimmen. Zuerst versuchte George telefonisch den alten Mann umzustimmen. Als das nichts fruchtete, fuhr er persönlich nach Newcastle auf das Robesonsche Landgut. Er kam lediglich bis zum Butler. Dieser wies ihm höflich die Tür. Stanley sah schließlich ein, daß auf legalem Weg nichts zu holen war.
»George, lassen sie den Rolls waschen«, befahl Sir Stanley gleichmütig. »Wir fahren heute abend nach Newcastle, Packen Sie ein Stemmeisen und einen Bund Dietriche in den Kofferraum! Wir werden die Leiche auch ohne die Genehmigung der Hinterbliebenen unter die Lupe nehmen.« Das Robesonsche Anwesen in Newcastle - Sirroc bedeckte ein Areal von gut drei Quadratkilometern. Auf dieser Fläche lagen erstens ein Herrenhaus von der Größe eines Tausend-Betten-Hotels, zweitens mehrere Stallungen - Mister Robeson senior machte nicht nur in Stahl, sondern auch in Gäulen - und drittens eine Kirche. Kirche ist vielleicht übertrieben. Es handelte sich bei dem Gebäude um eine größere Kapelle. Sir Stanley wußte, daß in den Kellern dieses Gotteshauses -sagt man Krypta, anstatt Keller? - die Familiengruft der Robesons untergebracht war. Der Earl of Shotton hatte ihm das erzählt und gleichzeitig einen recht detaillierten Plan der Baulichkeiten geliefert. Aus selbigem ging hervor, daß der Steinsarkophag Nummer vier rechts vom Eingang der des jüngst verstorbenen Robert Robeson war. Sir Stanley Depford und George McLowrie, sein Butler, saßen auf einem Hügel etwa drei Kilometer von der Kapelle entfernt. Es war vier Uhr am Nachmittag, und die Sonne brannte ziemlich. »Wird Zeit, daß es dunkel wird«, gab Sir Stanley seine Meinung bekannt. »Bei diesen Temperaturen wird auch der standhafteste Mensch zum Trinker.« Er schraubte eine Thermosflasche auf und goß sich ein Glas mit eiskaltem Tee voll. Daß dieser mit einem Fünfzigprozentanteil edelsten schottischen Whiskys versehen war, merkte man nicht vorn bloßen Hinsehen. Aber riechen konnte man es. George lag flach auf dem Bauch und hielt ein starkes Fernglas an die Augen gepreßt. Gegen fünf meldete er sich. »Sir, soeben geht jemand auf den Eingang der Kapelle zu. Es dürfte sich um einen der Bediensteten des Robesonschen Haushaltes handeln. Das ist an der Kleidung unschwer zu erkennen.« »Woolworth?« fragte Stanley. Sein Butler schaute ihn nichtverstehend an. »Okay! Schauen Sie weiter! Was macht der Mann?«
»Er - ich bitte um Geduld, eine Sekunde - jawohl, er verschließt das Portal der Familienkirche. Jetzt geht er weg. Den Schlüssel hat er eingesteckt.« Der Earl of Depford nickte zufrieden mit dem Kopf. »Dann dürfte heute wohl niemand mehr auf den Gedanken kommen, ein stilles Gebet vor dem Hausaltar zu sprechen. Das kommt unserem Vorhaben entgegen.« Sie warteten bis gegen neun Uhr. Dann schien es Stanley dunkel genug zu sein, das Unternehmen zu starten. Den metallicgrünen Rolls -Royce ließen sie stehen. George hängte sich eine Tasche um, in der einige notwendige Utensilien untergebracht waren. Auch eine gewaltige Rohrzange gehörte dazu. Aus Erfahrung wußte der Butler, daß Sarkophage modernen Zuschnitts fast immer verschraubt sind. Dann liefen sie los. Bäume und Buschwerk, das die parkähnliche Landschaft verzierte, gaben ihnen immer wieder Deckung gegen das etwa achthundert Meter entfernte Herrenhaus. Punkt halb zehn standen sie vor dem geschnitzten Portal der Kapelle. »Tatsächlich abgeschlossen«, stellte Sir Stanley fest, nachdem er die Türklinke heruntergedrückt hatte. »George, setzen Sie Ihre Talente ein! Machen Sie aber nicht zuviel kaputt!« Der Butler bedachte seinen Herrn mit einem gekränkten, vorwurfsvollen Blick. Er machte nie etwas kaputt. Dazu war er viel zu geschickt. Er öffnet e seine Tasche und kramte darin im Schein einer abgeblendeten Kugelschreiberlampe. '' »Würden Sie bitte für wenige Sekunden die Lampe halten, Sir?« Das Schloß an der Kirchentür war ein modernes Sicherheitsschloß der Firma Yale. Eigentlich ein Stilbruch. Auch ein Zeichen dafür, daß Robeson trotz seines Reichtums nicht allzuviel Kultur mitbekommen hatte. George erledigte das Hindernis innerhalb hundertundzwanzig Sekunden. Alles, was er dazu benötigte, waren ein Stück starrer Stahldraht und ein Blättchen Kunststoff. »Es ist eigentlich erstaunlich, mit welcher Unverfrorenheit die Hersteller derartiger Schlösser ihre Produkte als einbruchssicher ausgeben«, meinte der Butler kopfschüttelnd. Er öffnete die große Tür einen spaltbreit und machte eine einladende Handbewegung. Der Earl ging voraus. George folgte ihm und drückte hinter sich das Kirchenportal wieder ins Schloß. »Die Fenster des Gebäudes sind vom Herrenhaus aus nicht zu sehen«, ließ der Earl sich vernehmen. »George, schrauben Sie die
Linsenkappe von ihrer Lampe ab und halten Sie das Ding über den Kopf. Wir wollen uns mal einen Überblick verschaffen.« Ein Kugelschreiberlämpchen liefert normalerweise ein recht funzeliges Licht. Wenn allerdings eine hochaktivierte, moderne Quecksilberzelle die elektrische Energie für die Birne liefert, kann man auch größere Räume ganz gut damit ausleuchten. Der Innenraum der Kirche war groß, erstaunlich sogar. Zwanzig Meter lang und sechs bis sieben Meter breit. Das erste, was dem Earl auffiel, war, daß der Altar nicht an der Stirnwand des Raumes stand, sondern in dessen Mitte. Irgendeine Bestuhlung war in der Kapelle nämlich nicht vorhanden. »Und der Altar ist schwarz«, stellte George mit trockener Stimme fest. »Diese Farbe erweckt bei einem Kenner des Metiers immer gewisse Gedankenverbindungen. « »Ich habe sogar das Gefühl, daß diese Kirche nicht zum Abhalten normaler Gottesdienste benutzt wird«, ergänzte Stanley grimmig. »Sehen Sie sich das Kreuz an, George!« Das Kruzifix hing an der nördlichen Stirnwand des Innenraumes. Es stand auf dem Kopf, das heißt, es war herumgedreht, und kein Christus hing daran. Seine Stelle wurde von dem Kadaver einer ziemlich ausgetrockneten Ziege eingenommen. Das Tier hatte gewaltige Hörner. Vor und hinter dem Altar waren zwei große Pentagramme auf den Boden gemalt. Der Künstler hatte Phosphorkreide benutzt. Die Linien glommen in drohendem Blau. Der Earl untersuchte die beiden Zeichnungen schnell. Dann maß er die Zackenlänge mit seinen Schritten ab. »Geeignet, um Dämonen der dritten Klasse zu beschwören«, urteilte er. »Der Schwarze Magier, der hier arbeitet, ist in der Hierarchie der Schwarzen Internationale noch nicht allzuweit fortgeschritten. Übrigens, George, zweifeln Sie immer noch daran, daß dieser Amerikaner einem lebenden Toten begegnet ist?« »Jetzt nicht mehr, Mylord«, gab der Butler ruhig zurück. Er schwenkte seine Lampe und trat näher an den schwarzen Altar heran. Das Möbel war allem Anschein nach mit Samt überzogen und reflektierte das Licht kaum. George strich langsam mit der Hand über die Oberfläche des Altars.
»Trotz dieser Tatsache würde ich vorschlagen, in die Krypta zu steigen und den Sarkophag des jungen Robeson zu untersuchen, Sir«, sagte er langsam. »Es wäre gut, sich die allerletzte Gewißheit zu verschaffen. Vielleicht läßt sich Sarkophag auch ablesen, mit welcher Technik die Leiche Robesons wieder zum Leben erweckt wurde. Ich habe nämlich bereits einen gewissen , Verdacht.« »Verdacht? Sie auch?« Im Ungewissen Licht sah der Butler, daß um die Lippen seines Herrn ein gruseliges Grinsen lag. »Ich auch«, entgegnete er unerschütterlich. »Zweifellos fiel auch Ihnen auf, Mylord, daß in den Erzählungen Mister Burnsides immer wieder vorkam, daß der »Tote« eine Art Stirnband trug, auf dem etwas geschrieben stand. Auch die Verbrecher, die dieses Bankhaus in London überfielen, trugen Stirnbänder. Ganz zweifellos wird hier mit einer mehr alten, hebräischen Technik gearbeitet.« »Sie denken an Golems«, stellte der Earl fest. »Richtig, Sir.« »Meines Wissens ist die Technik der Golemherstellung seit dem siebzehnten Jahrhundert verlorengegangen. Der Rabbiner Löw in Prag soll sie ein letztes Mal angewandt haben.« Der Earl schüttelte zweifelnd den Kopf. »Okay, lassen wir ihre Vermutung mal als Arbeitsgrundlage bestehen«, entschied er schließlich. »Zuerst gehen wir mal ein Stockwerk tiefer und schauen uns Robert Robesons letzte Ruhestätte an. Vielleicht lassen sich daraus einige vernünftige Schlüsse ziehen.« »Die Tür ist dort drüben, Sir«, sagte George ruhig. Sie war nur eineinhalb Meter hoch, diese Tür, und aus dicken, stabilen Bohlen gefertigt. Auch sie war durch ein Sicherheitsschloß verschlossen. »Reichlich seltsam für ein Gotteshaus«, monierte der Earl. »Es dürfte sich eher um ein getarntes Teufelshaus handeln«, knurrte der Butler böse. Im Schein des Lämpchens nahm er das Schloß unter die Lupe. Auch dieses Hindernis kostete ihn nur zwei Minuten, dann öffnete sich die Bohlentür mit grausigem Knarren. Hinter ihr kamen Stufen zum Vorschein, die in recht steilem Winkel abwärts führten, der Hölle entgegen. Sie waren glitschig und glatt, keineswegs verstaubt, und bewiesen, daß sie öfters begangen wurden, als den Toten in der Krypta lieb sein konnte. »Dann wollen wir mal«, sagte Sir Stanley zufrieden. »George, eine Frage: Haben Sie zufälligerweise ihr Messer dabei?«
»Mylord!« Der Butler war aufs äußerste gekränkt. Verständlich .. . Freunde der Depfords wissen, daß George sein magisches Schlachtermesser immer bei sich hatte. Er trug es stets in einer Wadenhalfter. Über die entsetzliche Kraft dieses Mordwerkzeuges ein einziges Wort zu verlieren, erübrigt sich. Nur soviel sei gesagt, daß sich dieses Messer hervorragend zum Guillotinieren von Vampiren und Werwölfen eignet... Die Krypta schien tief unter der Erdoberfläche zu liegen. Die Treppe zog sich in scheinbar endlosen Wendeln hinunter. Stanley schätzte, daß sie fünfzig Meter tief waren, als die Stufen endeten. Ein weiter Kellerraum, dessen Wände aus rohem, kaum behauenen Fels bestanden, öffnete sich vor ihren Augen. Im Schein der Lampe sahen die beiden nächtlichen Eindringlinge acht große Steinsarkophage in der Raummitte. »Das also ist die private Gruft der Industriellenfamilie Robeson«, sagte der Earl zufrieden. »Nobel geht die Welt zugrunde!« »Sir Toms Beschreibung nach, müßte der rechte äußere Sarkophag der des armen Robert Robeson sein«, ließ sich George vernehmen. Sir, falls Sie erlauben...?« »Ich erlaube«, erwiderte Stanley sanft. »Ich mache Sie aber gleichzeitig darauf aufmerksam, daß Sie im Begriff sind, eine Grabschändung zu begehen.« So unglaublich es klingen mag - diese Worte entlockten dem ansonsten sehr ernsthaften Butler tatsächlich ein trockenes Kichern. Dann machte er sich an die Arbeit. Der Steinbehälter war tatsächlich nicht vermauert, sondern der Deckel war mit dem Unterteil verschraubt. Übrigens wies eine Bronzetafel auf der Stirnseite ihn tatsächlich als letzte Ruhestatt von Robert Robeson aus. George leuchtete die Metallplatte an. »Sir!« sagte er aufs äußerste schockiert. »Ja?« Stanley lief um zwei Steinsärge herum und stieß sich das Schienbein. Er fluchte. »Sir, lesen Sie!« George hielt den Lichtkegel der Lampe auf die Bronzeplatte gerichtet. Der Earl zog scharf die Luft ein. Robert Lingmore Robeson Geboren am 25. Juni 1944 Gestorben am 1. Januar 1974 Geboren am 3. Januar 1974
Gestorben am . . . ... und hier war noch kein Datum eingetragen! »Da staunt sogar der erfahrenste Fachmann«, sagte Sir Stanley leise. »öffnen, George! Schnell!« Zehn dicke, einzöllige Stehbolzen hielten den Deckel des Sarkophags auf seinem Unterteil. Es war eine Hundearbeit, alle Muttern aufzudrehen. Aber endlich war es geschafft. Der Earl griff zusammen mit dem Butler zu. Die Platte war schwer, bot aber für zwei kräftige, durchtrainierte Männer kein allzu großes Problem. Sie verdrehten sie einfach auf ihrer Unterlage um neunzig Grad. Kopfund Fußteile des Sarkophags waren jetzt frei einzusehen. »Sir... ich ... ähem ... ich gebe zu, daß ich tatsächlich ein wenig verblüfft bin.« Das war Stanley ebenfalls. Er nahm dem Butler das Kugelschreiberlämp chen aus der Hand und richtete den Lichtstrahl auf den Sarginhalt. Seine und auch Georges Erwartung, einen leeren Leichenbehälter vorzufinden, hatte sich nicht erfüllt. Der Sarkophag war besetzt! »Sehr häßlich«, stellte der Herr von Depford Castle fest. George konnte ihm nur beipflichten. Bei dem Inhaber des Sarges handelte es sich um einen jungen Mann, gut erhalten, mit langen, blonden Haaren. Gekleidet war die jugendliche Leiche in speckige Nietenhosen und eine... Parka! »Allerdings fehlt das Stirnband«, registrierte George mit ausdrucksloser Stimme. »Sir, ich hege die grauenhafte Vermutung, daß dieser junge Mann sozusagen . .. auf Vorrat gehalten wird!« »Sie können sogar recht haben, mein Bester«, erwiderte Stanley nachdenklich. Die Leiche blickte sie mit geöffneten Augen ausdruckslos an. Der Earl griff nach unten und versuchte, die Lider zuzudrücken. Es ging nicht. Die Augen blieben offen. »Um den jungen Robeson handelt es sich nicht«, murmelte der Butler leise. »Der war schwarzhaarig, wie Mister Burnside sagte. Und dieser Tote ist blond.« »Und definitiv tot«, ergänzte Stanley hart. Er hielt seine Hand am Armgelenk der Leiche. »Kein Pulsschlag und eiskalt.« »Es würde sich empfehlen, den Vater von Robert Robeson zu fragen, was er zu den Umständen meint«, dachte der Butler laut. »Und warum er sich so sträubte, einer Exhumierung zuzustimmen. «
»Wir werden ihn fragen«, erwiderte der Earl kühl. »Und zwar jetzt gleich, das heißt, wenn wir diesen Sarkophag wieder abgedeckt haben. George, packen Sie an!« Es knirschte und knackte, dann war der Steindeckel wieder da, wo er hingehörte. Der Butler nahm seine Leuchte und packte die Rohrzange wieder in die Tasche. »Ich glaube, wir sind hier einer riesengroßen Sache auf der Spur«, sagte Stanley, als sie langsam die Treppe hochstiegen. Es roch modrig und feucht. George glitt einmal auf einem Stiegenabsatz aus. »Meiner Ansicht nach handelt es sich bei den lebenden Toten um Golems, ganz einwandfrei«, gab der Butler seine Gedankengänge kund. »Auch wenn die magischen Formeln bereits vor Jahrhunderten scheinbar verlorengegangen sind, besagt das noch nicht, daß nicht ein Mensch doch davon Kunde haben könnte.« »Wir werden es erfahren«, erwiderte der Earl eisig. »Jetzt gleich, wenn wir hinübergehen zum Haupthaus und eine Audienz bei Mister Robeson erbitten.« »Sie sind sicher, daß man uns selbige gewähren wird, Mylord?« fragte George leise zweifelnd. »Ich bin völlig sicher!« erwiderte Sir Stanley freundlich. Dann waren sie oben. Im Schein der Kugelschreiberlampe tauchte die Bohlentür auf, die den Treppengang gegen das Innere der Kapelle abschloß. »George . .. ließen Sie die Türe nicht offen, als wir nach unten gingen?« fragte der Herr von Schloß Depford leise und scharf. »Ich glaube, mich erinnern zu können, selbiges getan zu haben«, entgegnete der Butler steif. Stanley schüttelte den Kopf. Dann gab er der Bohlentür einen Tritt. Sie öffnete sich ohne Widerstand. »Schau an«, meinte der Earl ruhig. Der Innenraum der Kapelle war nicht mehr stockdunkel. Ein netter Mensch hatte auf dem schwarzen Altar in der Mitte einige Kerzen aufgestellt und dieselben angezündet. Auch an den Wänden brannten einige Leuchter. Das unruhige Kerzenlicht reichte aus, um den Earl und seinen Butler erkennen zu lassen, daß sie arbeitsreiche Minuten vor sich hatten ... Fünf Meter vor dem Kryptaniedergang standen im Halbkreis drei Männer. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen. Alle trugen Nietenhosen und -Parkas. Jeder von ihnen trug das Haar unhygienisch lang.
Und ... ach ja ... Stirnbänder trugen sie. Der Earl beugte sich ein wenig vor. Seine anfängliche Überraschung machte sofort kühler Überlegung Platz. Dann sah er aus den Augenwinkeln, daß noch ein vierter Mann vorhanden war. Er stand am Altar. Durch seine schwarze Kleidung war er fast kaum zu sehen. Aber jetzt trat er einen Schritt vor. Die Kerzen beleuchteten ein schmales, asketisches Gesicht. »Mister Robeson, wenn ich mich nicht irre, wie?« fragte Stanley. »Sie irren sich«, erwiderte der Mann ruhig. Dann fuhr er fort. Seine Stimme hob sich ein wenig. »Sie sind wahrscheinlich dieser Earl of Depford, der gestern per Telefon die Erlaubnis erbat, die Grabkammer betreten zu dürfen.« »Bin ich«, nickte Sir Stanley freundlich. Der Dunkelgekleidete deutete auf George. »Und dieser Verruchte ist Ihr Butler, dem noch heute vormittag die Tür gewiesen wurde, wie ich erfuhr.« »Richtig.« Der Earl lächelte. »So?« Der Schwarze betrachtete sie mißtrauisch. Er gab den drei Hippies einen Wink und trat einen Schritt näher. Die Atmosphäre wurde mit einem Mal eiskalt und drohend. »Sie sind zu neugierig .. . viel zu neugierig!« Es klang so, als würde ein Inquisitionsrichter ein Todesurteil bekanntgeben. George McLowrie trat neben seinen Herrn. Sein Gesicht war eine Studie in Kälte und Arroganz. »Würden Sie die Freundlichkeit besitzen, uns zu sagen, wer Sie sind? Speziell woher Sie das Recht nehmen, sich hier aufzuhalten?« wandte er sich an den Scnwarzgekleideten. Auf dessen Gesicht erschien ein Lächeln. Es war so unirdisch und grauenhaft, daß dem Earl eine gestandene Gänsehaut den Rü cken rauf und runter lief. Als Großmeister der Magie war er allerhand gewöhnt, aber dieses Lächeln . .. »Das sollen Sie erfahren, Mister McLowrie!« Woher kennt dieser Schmierenkomödiant meinen Namen, dachte George böse. Dann hörte er den anderen weitersprechen. »Es ist sowieso das Letzte, was sie in dieser Welt erfahren werden. Ich bin ...« «... Sekunde bitte!« unterbrach ihn der Earl of Depford. »Das Letzte in dieser Welt? Wollen Sie damit etwa andeuten, daß Sie beabsichtigen, uns umzubringen?«
»Sie haben es erfaßt. Kompliment!« Das Lä cheln dieser schwarzen Horrorfigur konnte noch immer einen Eskimo zum Zittern bringen. Stanley drehte sich zur Seite und sah George an. »Was halten Sie von der Absicht dieses Herrn, mein Bester?« Der Butler lächelte nicht. Seine Miene blieb völlig unbeteiligt und kühl, als er antwortete. »Ich glaube, er meint es nicht so ernst, Mylord. Aber, um ehrlich zu sein, ich finde seine Witze etwas ... ähem ... kalauerhaft.« Stanley mußte lachen. Daß er gerade vor einigen Herren stand, die es offensichtlich auf seinen Skalp abgesehen hatten, schien ihn nicht zu stören. »George, George ... normalerweise finden Sie bessere Ausdrücke. Finden Sie nicht, daß ihr letztes Wort ein wenig konstruiert klang?« »Keineswegs Mylord, ich fand es sogar recht treffend ...« Noch während er das Wort »Treffend« aussprach, begann er zu handeln. Er sank blitzartig in sich zusammen und wurde einen Meter kleiner. Im Blick des Schwarzgekleideten stand unverkennbare Überraschung. Das gut gebastelte Ablenkungsmanöver von Stanley und George schien geklappt zu haben. Während der Butler mit unheimlich schneller Bewegung sein Schlachtermesser aus der Wadenscheide riß, kam auch Stanley ins Rollen. Aus dem Stand stieß er sich ab und flog mit nach vorn gereckten Füßen auf den nächsten Gegner zu. Bei dies em handelte es sich um den äußersten Linken der drei schweigsamen Stirnbandträger. Stanleys rasche und unbedenkliche Aktion erwischte ihn kalt, wie Sportler sich auszudrücken pflegen. Er hatte noch keinen Muskel seines Körpers bewegt, als die Füße des Earls ihm mit unsanfter Gewalt gegen die rechte Kopfseite donnerten. Stanley kam zu Boden, fing seinen Fall mit einem kurzen Handflächenaufschlag ab und federte sofort wieder auf die Füße. Was er sah, bewog ihn erstaunt Luft zu holen. Sein Gegner, der normalerweise in irgendeiner Ecke liegen mußte, stand immer noch ruhig da. Mit der einen Hand fuhr er sich gerade prüfend am Kopf entlang. Das war alles. »Welche Nehmerqualitäten«, staunte der Herr von Schloß Depford. »George, haben Sie das gesehen?« Der Butler konnte im Moment allerdings keine Antwort geben. Die beiden anderen Hippies waren beim Anblick von Georges glitzernder
Klinge nämlich aktiv. Die Art, wie sie aktiv wurden, war es, was den Butler ungeheuer beeindruckte. Es war ungefähr so, als würden sie ferngesteuert. Genau in der gleichen Sekunde scherten sie aus, der eine nach rechts, der andere nach links. Dieses Manöver bewirkte, daß sie George plötzlich in der Zange hatten. Und diese Zange schlossen sie mit Vehemenz. Wie auf ein Kommando warfen sie sich vorwärts. Georges Metzgermesser schien sie in keiner Weise zu stören. Der Butler vermeinte zwischen zwei harte Mahlsteine geraten zu sein, mit derartiger Wucht prallten sie gegen ihn. Ihre nächste Handlung lief wieder synchron ab. Zwei Armpaare schossen nach vorn und schlossen sich um den Oberkörper des Butlers. Sie brechen mir die Knochen, dachte George entsetzt. Sein Messer konnte er nicht einsetzen, es war, als sei er mit stählernen Ringen gefesselt. Und dann begannen die zwei Langhaarigen zu drücken. »Sir!« Es war nur noch ein Röcheln. Stanley, der sich gerade ein zweites Mal mit seinem Gegner anlegen wollte, wirbelte herum. Noch im Anstürmen nahm er Maß. In dieser kleinen Schnaufpause kann eingeflochten werden, daß der Schwarzgekleidete, der offenbar der Meister dieser Kreaturen war, sich um die Geschehnisse nicht weiter kümmerte. Er stand am kerzenbeleuchteten Altar, hielt die Arme über der Brust verschränkt und sah dem Spektakel mit mäßigem Interesse zu. Die geballte Rechte des Earl fegte dem Linken von Georges Gegnern in die kurzen Rippen. Es war ein weltmeisterlicher Schlag, George Foreman hätte es nicht besser gekonnt, nur - der Schlag zeigte keinerlei Wirkung. Stanley verlor wieder eine kostbare Zehntelsekunde mit Verblüfftsein. Schnaufpausen innerhalb eines Kampfes wirken immer in hohem Maße lebensverkürzend. Der Earl bekam es zu spüren. Der dritte Hippie schritt nämlich zur Tat. Entweder war er durch Stanleys Fußtritt beleidigt worden oder er wollte Tabula rasa machen. Auf jeden Fall ließ er sich auf keine Diskussionen mehr ein, sondern machte zwei blitzartige Stepschritte nach vorn und schlug zu. Sir Stanley bekam den Hieb zwischen die Schulterblätter. Dem Earl pfiffen etwa fünf Liter Luft aus den Lungen, und vor seinen Augen lief eine ganze Reihe kleinerer Explosionen ab. Gleichzeitig fühlte er sich angelupft. Dann kam der Blackout, der kurzzeitige. Daß sein Gegner ihn titanisch hochriß und von sich schleuderte, bekam er nicht mehr mit. Daß er gegen die Dreiergruppe donnerte,
die von George und dessen Gegnern gebildet wurde, entging ebenfalls seiner zur Zeit etwas eingeschläferten Aufmerksamkeit. Für den Butler wurde der fliegende Earl allerdings zur Rettung aus höchster Luftnot. Stanleys Körper riß den Butler und seine Kletten mit. Das ganze Trio geriet nicht nur ins Wanken, sondern sogar ins Rutschen und Stolpern. Und dann begann es zu poltern. Die Tür zu den steil abwärts führenden Stiegen stand immer noch offen. Der Flug des Earls wurde durch den Anprall gegen die drei gestoppt, die Wucht allerdings an diese weitergegeben. George krümmte sich instinktiv zusammen und wurde trotz der klammernden Arme um ihn zu einer ganz kleinen Kugel. Dann verschwand das Menschenknäuel im Treppenniedergang und rollte dort abwärts, der Krypta der Kapelle entgegen. Zwischen den Poltergeräuschen wurde immer wieder ein melodisches Klingen hörbar. Das war Georges Messer, das ab und zu auf den Treppenstufen aufschlug. Denn aus den Händen ließ der Butler seine Waffe nie. Sir Stanley Depfords Bewußtlosigkeit dauerte nur wenige Sekunden. Direkt nach dem Wiedereinsetzen der Denktätigkeit riß er die Augen weit auf. Das bewirkte der unbewußte Reflex, sofort einsatzbereit zu sein. Dann sah er allerdings, daß er sich keine allzugroße Chance ausrechnen konnte. Zwei Meter vor ihm stand der Schwarzgekleidete mit dem asketischen Magiergesicht. Und direkt über seinem Gesicht schwebte die Sohle eines Armeestiefels. Ein kurzes Blinzeln sagte dem Earl, daß der Stiefel sich am Fuß des Stirnbandträgers befand, der ihn so blitzartig außer Gefecht gesetzt hatte. Von der ungeheuren Reaktionsschnelligkeit dieses Kerls hatte Stanley alles mitbekommen. Er sagte sich, daß der Hippie ihn treten würde, wenn er nur die geringste Bewegung machte. »Okay, Sie haben vorerst gewonnen«, flüsterte er, ohne die Lippen zu bewegen. »Wo ist mein Butler?« Der Schwarze lachte ausgesprochen boshaft. Stanleys Entschluß, ihn bei der allerersten Gelegenheit über den Styx zu schicken, wurde felsenfest. Es sah im Moment nur nicht nach einer Gelegenheit aus. Ganz im Gegent eil! Es sah danach aus, als würde der elfte Earl of Depford nie wieder Gelegenheit haben, überhaupt etwas zu tun.
»Ihr Butler!« Der Schwarzgekleidete lachte hämisch. »Diese seltsame Figur absolviert gerade den Treppensturz von Sankt Pauli. Ich glaube kaum, daß er selbigen unbeschadet überstehen wird.« Stanley schloß sekundenlang die Augen. »Es war nicht auf Sankt Pauli...« Seine Stimme flüsterte nur. »Wie bitte?« Der Earl hatte es schon wieder geschafft, den Golemspezialisten zu verblüffen. Daß es sich bei den langhaarigen Superkämpfern um Golems handelte, daran glaubte Stanley jetzt fest. Er hatte die auf den Stirnbändern eingestickte Schrift entziffern können. »Es war nicht auf Sankt Pauli. Es war in Prag. Und es war auch kein Treppensturz, sondern ein Fenstersturz!« Stanleys Grinsen wurde ganz langsam sonnig und hohnvoll. Daß sich auf der Niedergangstreppe zur Krypta etwas tat, hatte er mit seinen scharfen Ohren schon längst gehört. »Ob Prag oder Hamburg, in ihrer jetzigen Situation dürfte Ihnen das doch ziemlich egal sein, Sir Depford«, lächelte der Schwarze mörderisch. »Sie haben fünf Sekunden Zeit für ein letztes Gebet. Also ... eins ... zwei...« »Moment, Moment«, sagte der Earl aufgeregt. »Sie wollten doch vorhin sagen, wer Sie sind, oder?« »Abraham Kefil ist mein Name. Drei... vier ...« »Fünf!!!« Der Fuß über Stanleys Gesicht blieb stehen. Dann kippte er langsam zur Seite. Der Earl sah, daß der Hippie über ihm plötzlich total kopflos war, und das im wahrsten Sinn dieser Redensart. Gleichzeitig sah er George, der von der Treppe her gerade zu einem Kurzstreckensprint ansetzte, um sein Messer wieder zu holen, das er Sekundenbruchteile zuvor geworfen hatte. Es war dann auch richtig mit der Klinge in Querrichtung vor dem Stirnbandträger angekommen und hatte ihn gefällt. Der Earl witterte Morgenluft. Trotz seines etwas desolaten Zustandes war er innerhalb einer Zehntelsekunde auf den Beinen. Seine Absicht, sich um Mister Abraham Kefil zu kümmern, mußte er allerdings mangels Masse einer Revision unterziehen. Der Schwarzgekleidete war nämlich urplötzlich weg. Stanley hörte das Geräusch von schnellen Schritten, sehen konnte er den Flitzer aber nicht. Seine schwarze Kleidung macht ihn fast unsichtbar, dachte der Earl wütend. Wo ist dieser verfluchte Kerl...
Es krachte, daß der Verputz von den Wänden rieselte. Abraham Kefil hatte in seinem taktischen Rückzug die Eingangstür der Kapelle eine Kleinigkeit zu heftig zugeschlagen. Stanley rannte los. Für die Distanz bis zur Tür brauchte er drei Sekunden. Er kam gerade noch zurecht, um das unverwechselbare Knarren zu hören, mit dem sich ein Schlüssel im Schloß dreht. Damit war der Film für den Earl of Depford und seinen Butler fürs erste gelaufen. Stanley rüttelte zwar an der Tür, aber diese war stabil. Vorkriegsqualität sozusagen. »Er dürfte sich einen Vorsprung verschaffen, den wir auch bei allergrößter Eile kaum mehr aufholen können«, meldete sich George. Der Earl drehte sich um und sah im Licht der Kerzen, wie der Butler sein Messer gerade am Samtüberhang des Altars abwis chte. »Äh, George!« »Sir?« »Danke!« »Es war mir ein ehrliches Vergnügen, Mylord.« Stanley mußte ein bißchen grinsen. »Der Bursche sagte mir, Sie wären in den Keller gekullert«, fragte er trocken. »Wie haben Sie es geschafft, von den Kerlen freizukommen?« George verstaute umständlich sein gesäubertes Messer, bevor er eine Antwort gab. »Die beiden zudringlichen Herren waren einige Sekunden lang damit beschäftigt, nach der Landung am ersten Treppenabsatz ihre Fassung wiederzugewinnen. Sie lagen nebeneinander, und da ...« »George, .sagen Sie bloß ...?« Der Earl machte große Augen. George schlug verschämt die Augen nieder. »Sehr richtig, Mylord! Es mag sich zwar nach unbilligem Overstatement anhören, aber ich war tatsächlich in der glücklichen Lage, beide mit einem Streich auszuschalten.« »Mein Bester«, erwiderte Sir Stanley grinsend, »schreiben Sie an Obermeyer, den Herausgeber der »Vampiristischen Rundschau«. Dann hat der Märchenschatz dieser Welt nicht nur ein tapferes Schneiderlein, sondern auch einen tapferen Butler.« Zwei auf einen Streich! »Und jetzt wollen wir mal das Würstchen unter die Lupe nehmen, das mich so verhauen hat.« Stanley schien es wieder gut zu gehen. Er ging hinüber zu dem gefällten Körper seines direkten Gegenspielers.
»Nichts Interessantes«, gab er bekannt. »Ein bewußtloser Körper, nicht mehr und nicht weniger.« »Dafür ist der Kopf um so beachtenswerter«, meldete der Butler. »Sir, sehen Sie?« Stanley sah. George deutete gerade auf das Haupt des Hippies. Der Anblick war eigentlich umwerfend. Aber das war für Stanley nicht interessant. Interessant war, daß der Kopf verzweifelt mit den Augendeckeln klapperte und dazu noch die Lippen bewegte. Über diese kam allerdings kein Ton. »Der Kopf allein .. . lebt?« Stanleys Stimme war sehr leise. Vorsicht ig kam er näher. Er schrak zusammen, als ihn aus den Augen des Hippiefragments ein Blick konzentrierten Hasses traf. »Er lebt, Sir«, erwiderte George mit ruhiger Stimme. »Es dürfte sich in diesem speziellen Fall allerdings kaum um bewußtes Leben handeln. Wenn es sich um Golems handelt. . .« »Dann handelt es sich bei den Stirnbändern um den Sehern«, vollendete der Earl langsam. »Und solange der erste Buchstabe des Sehern nicht gelöscht ist, leben sie. Natürlich nur pseudo-, aber es ist trotzdem eine Art von Leben.« Der Herr von Schloß Depford trat näher. Seine Hand näherte sich dem Stirnband des Schädels, der sich vom Körper getrennt hatte. Der Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei. »Mylord, mir ist die Technik der Golemmagie nicht näher bekannt«, sagte George in aller Ruhe. Für die Dramatik der Situation schien er kein Gespür zu haben. »Es wäre mir ein Vergnügen, eventuell einige aufklärende Worte zu hören.« »Gleich«, murmelte Stanley. »Eine Sekunde noch. Passen Sie auf, was jetzt geschieht! Aber erschrecken Sie nicht!« Die seltsamen, fremden Buchstaben auf dem Stirnband des Exhippies waren nicht eingestickt. Das sah Stanley erst jetzt, und es bestärkte ihn in seiner Theorie. Die Zeichen waren einfach mit weißer Kreide auf den dunklen Stoff aufgemalt. »Ich wische jetzt den ersten Buchstaben aus«, sagte Stanley leise. »Schauen Sie ...« St anley Depfords Hand glitt leicht , über das Stirnband hinweg. Der erste Buchstabe wurde verwischt und dann... George McLowrie ließ das Haupt los. Das Gesicht des Butlers wurde von einer Sekunde zur anderen bleich wie ein Blatt unbeschriebenen
Papiers. Er stöhnte entsetzt auf. Mit zitternden Fingern deutete er auf den Schädel. »Ich sagte Ihnen doch im voraus, daß Sie nicht erschrecken sollen«, murmelte Sir Stanley. Dabei hatte er im Moment die gleiche erstrebensunwerte Gesichtsfarbe wie sein Butler. Das Haupt des Golems machte innerhalb weniger Sekunden eine schreckliche Verwandlung durch. Man sah förmlich, wie das Fleisch des Gesichtes sich von den Knochen löste und zerfiel. Nach einer halben Minute lag ein nackter Knochenschädel auf dem Boden der Kapelle. Lediglich die langen, dunklen Haare verzierten ihn noch. Das Erstaunlichste war, daß der Körper genau dieselbe Metamorphose durchmachte. In den Blue Jeans und der Parka steckte nur noch ein kopfloses Gerippe. »Also wirklich... erstaunlich«, flüsterte George entnervt. Er hatte zwar! schon die wildesten Sachen erlebt, aber was hier gerade geschehen war, schlug alles. »Scheinbar war dieser junge Mann schon längere Zeit tot«, ließ sich Stanley vernehmen. Scheinbar besaß er wieder mal den totalen Durchblick. »Andernfalls hätte er sich nicht so schnell skelettiert.« »Würden Sie mir bitte erklären, Mylord ...« George war so ratlos, daß eil sich sogar ein wenig im Ton vergriff. Stanley nahm es ihm nicht übel. Er lieferte ihm in drei Dutzend Worten die Erklärung des wahrhaft erschrecklichen Phänomens. »Ein Golem, George! Das Wort Golem kommt aus dem Hebräischen und bedeutet etwa Erdkeim oder ungestaltetes Erdklümpchen. Im Talmud steht der Begriff für alles Unfertige, noch zu Bearbeitende.« »Ich dachte, im Mittelalter stand »Golem« für . ..« Georges Stimme klang ganz dünn. »Für einen unbeseelten Körper, da haben Sie recht«, vollendete Sir Stanley. »Well, im zwölften Jahrhundert tauchte im Schrifttum der jüdischen Kabbalisten Deutschlands zum ersten Mal der Begriff »Golem« auf. Dort hieß es, daß der Golem sich mit Hilfe magischer Praktiken herstellen ließe. Die Sage vom Rabbi Löw aus Prag, der einen Golem aus Lehm herstellte, ist natürlich ein Witz. Aber aus der Kabbala ging hervor, daß unbeseelte, also tote Körper sich mit Hilfe des Wortes wieder zum Leben erwecken ließen. Elazar aus Worms schrieb gegen 1250 seinen Kommentar zum Buch Jezirah. In diesem Kommentar beschreibt er recht genau die Praxis zur Schöpfung eines Golems . Seine Worte wurden auch in viele schwarze Bücher des Mittelalters übernommen. Das Verfahren, soweit ich es in
Erinnerung habe, war Folgendes: Man nehme eine Leiche, wenn's geht eine frische, fertige einen Sehern an und lege ihn dem Toten auf die kalte Stirn.« »Einen .. . Sehern, Mylord?« »Sehern, richtig.« Stanley kam langsam in Fahrt. Magische Referate zu halten, war eine Leidenschaft von ihm. »In unserem Fall wird die Aufgabe des Sehern von den Stirnbändern übernommen. Also, der Leiche wird der Sehern auf die Stirn aufgelegt. Auf diesem steht das jüdische Wort EMETH, das heißt Wahrheit. Dann wird der Tote mit Hilfe bestimmter Formeln aus dem hebräischen Tetragrammatons wiederbelebt. Diese Formeln wurden in einer Schrift des Kabbalisten Knorr von Rosenroth um 1684 vollständig zitiert, gingen dann aber verloren. Ich jedenfalls habe in meiner Bücherei keine Kabbala Denudata, wie Rosenroth sein Machwerk nannte, kann also keine Golems herstellen.« »Sir, darf ich unterbrechen?« Georges Gesichtsfarbe war wieder normal. »Meine beiden Gegner auf der Treppe zur Krypta .. . wäre es nicht besser, sie ebenfalls zu .. .« »Die leben garantiert noch, es sei denn, Sie hätten bei ihnen aus Versehen den Sehern, das Stirnband, entfernt«, grinste Stanley. Er bewegte sich bereits in Richtung Treppe. »Schön, Sie haben jetzt also mit Hilfe kabbalistischer Formeln einen lebenden Toten hergestellt. Sprechen kann dieses Wesen nicht, versteht aber alle Worte seines Erzeugers und befolgt von ihm gegebene Befehle mit unbedingtem Gehorsam.« Sie stiegen langsam die Treppe hinunter. Der Earl trug eine brennende Kerze in der Hand. »Wenn ich also Geld benötige«, spann George einen Gedanken, »schaffe ich mir einen oder zwei Golems, vielleicht auch drei, und befehle ihnen die nächste Bank ein wenig auszurauben. Zum Beispiel die von Pliman, Pliman & Pliman in London W I.« »Sicher«, meinte Stanley. »Es besteht die Möglichkeit, daß unsere Gegner auch die Robber von London waren. Ich würde sagen, das ist fast eine feststehende Tatsache. Der Sehern selbst hat nach Rosenroths Worten einen einzigen Zweck: Den Golem zu töten! Ein Golem hat die Kraft von zehn Männern. Er ist durch nichts, ich wiederhole, nichts, umzubringen. Sie haben die Burschen ja auch nur kampfunfähig machen können. Sie leben noch. Das einzige Mittel, den Golem zu entseelen ist, den ersten Buchstaben des Wortes
EMETH - Wahrheit - auf seiner Stirn auszulöschen. Ist das geschehen, also das ALEPH, wie das E im Hebräischen genannt wird, weggewischt, dann steht auf dem Sehern nur noch METH. Das heißt ganz schlicht und einfach TOD. Danach fällt der Golem in sich zusammen und nimmt wieder die Form an, die er bei seiner Erschaffung hatte.« »Was darauf schließen läßt, daß die Leiche unseres Freundes oben in der Kapelle nicht mehr ganz neu war, als an ihr gedreht wurde«, sagte der Butler pietätlos. In der Zwischenzeit waren sie am Ort von Georges Sieg eingetroffen. Die Kerze in der Hand des Earls beleuchtete eine makabre Szene. In der einen Ecke des Treppenabsatzes lagen zwei kopflose Körper. Zwei Meter weg standen zwei Köpfe sozusagen aufrecht auf den Schnittstellen, sahen einander an und blinzelten aufgeregt. »Entsetzlich«, sagte Sir Stanley. Er beugte sich nach unten und radierte bei jedem das ALEPH aus. Die Überreste der Golems machten die gleiche Verwandlung durch, wie ihr Kollege oben im Innenraum der Kapelle. »Und jetzt...« »Jetzt ist die Jagdsaison offiziell eröffnet«, sagte Sir Stanley Depford, der Großexekutor der Magierbruderschaft hart. »Der Meister dieser Golems, vermutlich auch ihr Erzeuger, heißt Abraham Kefil. So sagte er jedenfalls, bevor er verschwinden konnte. Der Abend wird so verlaufen, wie er geplant war. Wir werden um eine Audienz bei Robeson senior ersuchen. Und er wird uns einige Auskünfte geben müssen. Gehen wir. Schätze, Sie werden das Kirchenportal auch von innen öffnen können.« Welche Frage! Die achthundert Meter zum Robesonschen Herrenhaus legten der Earl of Depford und George im Spazierschritt zurück. Demgemäß benötigten sie auch fast zwanzig Minuten für die Strecke. Bereits beim Verlassen der Kapelle hatten sie gesehen, daß alle Lichter des Herrenhauses dunkel waren. »Ich glaube nicht, daß Mister Robeson uns eine Unterredung gewähren wird«, meinte der Butler. Er hatte seine Kleidung in Ordnung gebracht - nach der Rauferei hatte sie ein wenig derangiert gewirkt - und bot wieder den üblichen korrekten Anblick.
»Ich auch nicht«, sekundierte Stanley. »Trotzdem werden wir dem Haus einen Besuch abstatten. Vielleicht finden wir etwas, das uns weiterhilft. Bis jetzt wissen wir praktisch noch gar nichts.« »Einiges schon«, ließ George sich vernehmen. »Es steht fest, daß Mister Burnside nicht geträumt hatte, als er dem toten Robert Robeson begegnete. Soweit ich sehen konnte, war der Junior auch nicht unter den drei Golems, die nun ihre wohlverdiente ewige Ruhe haben. Jedenfalls hatte keiner von ihnen Ähnlichkeit mit dem Foto, das Sir Tom uns gezeigt hatte. Robert Robeson dürfte also immer noch aktiv sein. Damit wären wir bei diesem Abraham Kefil. Der Name klingt jüdisch. Vermutlich ein Kabbalist der Moderne. Die Vermutung liegt nahe, daß er hinter allem steckt. Welche Rolle der alte Robeson spielt, muß noch herausgefunden werden. Vermutlich eine sehr dunkle.« »Auf einen einfachen Nenner gebracht: Mister Kefil experimentiert mit Leichen und benutzt diese, um sich auf ungesetzliche Art zu bereichern. Da dies nicht genehmigt werden kann .. .« » .. . muß man ihm das Handwerk legen«, vollendete George zufrieden. Das riesige Herrenhaus, ein Prachtbau aus roten Ziegeln in einem etwas modifizierten viktorianischen Stil, schien verlassen zu sein. Stanley rüttelte an der Eingangstür. Sie war verschlossen. »Ich möchte nur noch wissen, woher dieser Kefil unsere Namen wußte«, grübelte der Earl, während sie langsam um das finstere Gebäude herumgingen. »Nun, als ich telefonisch um die Erlaubnis bat, die Familiengruft der Robesons betreten zu dürfen, gab ich natürlich an, von wem dieses Begehren ausgeht«, dachte George laut. »Vermutlich sprach ich sogar mit Kefil persönlich. Schließlich konnte ich nicht ahnen, daß er allen Grund hatte, mir eine Abfuhr zu geben. Er wird sich nach uns erkundigt haben. Entsprechende Auskünfte zu bekommen, ist heutzutage nicht schwer.« »So kann es gewesen sein«, murmelte Stanley leise. »George, ist dieses Fenster dort drüben offen, oder spielt mir das Zwielicht einen Streich?« Das Fenster war offen. Es führte in die Küche. George, der technisch Begabtere von beiden, fand innerhalb drei Minuten den Kasten mit den elektrischen Sicherungen. Diese waren zwar herausgedreht, lagen aber neben ihren Fassungen. Der Butler schraubte sie wieder ein. Stanley ging durchs Haus und schaltete überall die Deckenbeleuchtung ein.
Das Haus war leer, definitiv leer. Der Butler und der Herr von Helmet and Chain machten sich daran, alle Räumlichkeiten zu untersuchen. Viel kam nicht dabei heraus. »Was mich wundert, ist, daß nirgends eine Spur von einem überhasteten Aufbruch zu sehen ist«, sagte Stanley laut. Sie nahmen gerade die Bibliothek unter die Lupe. George sagte nichts. Als sie ins Rauchzimmer kamen, sahen sie auch, wieso Kefil davon gewußt hatte, daß in der Kapelle jemand herumgeschlichen war. In einer Ecke stand ein Fernsehgerät. Neben diesem war eine Reihe von Impulstastern zu sehen. Als George probehalber einen davon niederdrückte, wurde der Fernsehschirm hell und zeigte das Innere der Kapelle. Die Kerzen auf dem Altar brannten immer noch, waren aber schon ziemlich klein. »Eine VCR-Anlage«, sagte der Butler ruhig. »Vermutlich kann man von hier aus mittels verborgener Monitorkameras das ganze Gelände um das Herrenhaus herum überwachen. Abraham Kefil wußte zu jeder Sekunde, wo wir uns gerade befanden. Vermutlich war ihm unsere Anwesenheit bereits bekannt, noch bevor wir überhaupt im Innern der Kapelle waren.« »Kostet Geld so was, wie?« »Das kommt beim nächsten Bankraub wieder herein.« George erlaubte sich ein sparsames Lächeln. Die weitere Durchsuchung des Hauses brachte sie nicht vorwärts. Nirgends war ein Hinweis auf den Verbleib der Bewohner zu finden. Nach zwei Stunden brach der Earl die Aktion ab. »Abraham Kefil, der Golemmacher, ist geflüchtet«, faßte er zusammen. »Wohin, das ist vorerst nicht zu eruieren. Was mit den Hausbewohnern geschehen ist, ist ebenfalls ein Geheimnis. Nur dies er Kefil kann die Erklärung liefern. Wir müssen ihn also haben. Frage: Wohin ist der Kerl geflüchtet? « George zuckte die Schultern. Die ganze Sache paßte ihm sowieso nicht. Solange er es mit Hexen, Vampiren oder Werwölfen zu tun hatte, wußte er immer, was zu tun war. Vampire waren durchweg harmlose Zeitgenossen, aber diese Golems, diese lebenden Toten ... nicht nur neu, das Ganze, sondern auch sehr gefährlich. »Wie spät ist es, George?« Der Butler zog seine Taschenuhr heraus und schüttelte erstaunt den Kopf.
»Seit unserer Ankunft hier im Haus sind bereits zwei Stunden vergangen, Mylord. Es ist fast Mitternacht.« »Mitternacht!« knurrte Sir Stanley. »Zieht man die Zeit noch ab, die seit der Flucht Kefils vergangen ist, dann dürfte er einen Vorsprung von gut drei Stunden haben. Aber diese Kenntnis nützt uns so und so nichts. Schließlich wissen wir nicht, wohin er verduftet ist. Er kann sogar in einem geheimen Raum dieses Hauses sitzen ...« »Kaum, Mylord«, hob George an, unterbrach sich aber sofort. Der Earl zuckte zusammen. Beider Nerven waren doch ziemlich angespannt. »Es kommt von dort, Sir«, flüsterte George und deutete in Richtung der Bibliothek. Es war das Telefon. Es stand auf einem niederen Tisch vor einem der großen Fenster und rasselte vergnügt vor sich hin. »Heben Sie ab, George! Oder halt, warten Sie .. .« Sir Stanley hob selbst ab. Das Telefon war mit Gold überzogen und so schwer, daß ihm der Hörer fast aus der Hand fiel. »Hier Haus Robeson«, meldete sich Stanley kurz. In der Hörmuschel knackte es. Das Rauschen vieler Leitungen war zu hören. Der Earl deckte die Sprechmuschel mit einer Hand ab. »Scheint sich um ein Ferngespräch zu handeln«, flüsterte er George leise zu. »Haus Robeson. Hallo!!« sagte er noch mal. Ein Kichern klang an sein Ohr. Ein Kichern ... und dann kam die Stimme. »Hallo, Sir Depford, Sie haben sich scheinbar Zugang zum Haus verschafft, wie?« klang es amüsiert. »Einbruch könnte man so etwas nennen.« »Ah, Mister Abraham Kefil«, erwiderte der Earl mit größter Ruhe. »Haben Sie sich bereits aus England abgesetzt?« George trat neben seinen Herrn und hielt das Ohr dicht an den Telefonhörer. So konnte er mithören, was Kefil sagte. »Natürlich«, kam es amüsiert zurück. »Sie ließen mir ja Zeit genug dazu. Tja, werter Sir, Sie haben mir sehr geschadet Bes onders Ihr Butler war ein wenig zu schlagkräftig. Vermutlich haben Sie als Magier gemerkt, womit Sie es zu tun haben. Was ist mit meinen drei Dienern? Haben Sie sie eliminiert?« »Ja«, entgegnete der Earl wortkarg. »Das ist kein Beinbruch. Ich werde mir andere schaffen. Das Rohmaterial hierzu habe ich mir bereits verschafft.«
Rohmaterial - den Earl schauderte es. Rohmaterial war hier gleichzusetzen mit Leichen. »Wenn Sie sich aus England abgesetzt haben. .. wo sind Sie dann? Aber das werden Sie mir kaum sagen wollen, wie?« fragte Sir Stanley. Aus dem Hörer tönte erstauntes Räuspern. »Warum nicht, Sir Depford? Gerade des wegen rief ich Sie doch an. Sir Stanley Depford hielt die Luft an. George wurde bleich. Der Butler ahnte bereits, was jetzt kam. »Deswegen riefen Sie an?« Stanleys Stimme klang brüchig. »Nur deswegen!« Kefils Lachen klang leicht irre. »Ich befinde mich zur Zeit in Schottland, mein Unwertester. In der Nähe von Stirling bei Glasgow. Um ganz genau zu sein: Ich bin auf Schloß Helmet and Chain, dem Sitz einer gewissen Familie Depford. Kennen Sie die Leute zufälligerweise? Die Dame des Hauses, Lady Anne Rose, ist eine sehr aparte Frau, tatsächlich. Sir Stanley Depford wankte. Er wäre gefallen, wenn George ihn nicht gestützt hätte. Aber den Hörer hielt er krampfhaft weiter ans Ohr gepreßt. Kein Wort sollte ihm entgehen. »Sie haben drei meiner Diener ausgeschaltet, Sir Depford. Auge um Auge, Zahn um Zahn, so steht es bereits in der Bibel. Ich finde es nur gerecht, ihre Gemahlin zu meiner ergebensten Dienerin zu machen. Robert Robeson, der letzte meiner Golems, wie Sie meine Diener nennen würden, holt sie gerade. Meine Hand wird ihr zum Verhängnis, die Kraft meines Wortes wird sie wieder befreien. Sie dürften auch mit ihrem Rolls-Royce gute zweieinhalb Stunden bis zu ihrem Schloß brauchen. Bis dahin bin ich längst weit weg. Mit einer neuen Dienerin. Deshalb, Sir Depford, darf ich mich wohl jetzt bereits von ihnen verabschieden. Arrivederci und Shalom!« Im Hörer knackte es. Er hatte aufgelegt. »George«, flüsterte Sir Stanley totenblaß. »George ...« Sie hatten schon allerhand mitgemacht. Sie hatten es mit Zauberern zu tun gehabt, mit Kriminellen und mit Vampiren, und was es halt so an Unleidlichem in dieser Welt gibt. Einen derartigen Tiefschlag hatten sie noch nie einstecken müssen. Abraham Kefils Worte, daß sein letzter Golem, der verschiedene und wiederauferstandene Robert Robeson, gerade dabei sei, Lady Anne zu grabschen, entsprachen durchaus der Wahrheit. Der Golembastler hatte auch die Absicht, Mylady zu seiner ergebensten Dienerin zu machen, wie er sich ausgedrückt hatte. Aber nicht alles ist »machbar...«
Peter Winstone war ein junger Mann von achtundzwanzig Jahren. In Stirling war er als schwachsinnig bekannt. Da niemand in ganz Schottland ihm Arbeit geben wollte (eine Dynamitfabrik in Randops hatte ihn mal als Packer eingestellt. Drei Tage nach seiner Einstellung hatte er es prompt geschafft, die Fabrik in die Luft zu sprengen) erbarmte sich «der Earl of Depford seiner. Und siehe da, das Sprichwort vom richtigen Mann am richtigen Platz bewahrheitete sich wieder mal. Peter erwies sich als Pferdepfleger der Extraklasse. Tagsüber versorgte er also die Gäule des weltberühmten Depfordschen Gestüts, nachts hatte er noch die Nebenbeifunktion eines Torwächters. Er schlief in dem kleinen Häuschen neben dem schmiedeeisernen Tor am Parkeingang von Schloß Helmet and Chain. Falls nächtliche Besucher Einlaß begehrten, drückten sie auf einen Klingelknopf neben dem Tor, ein Signal weckte Peter, dieser sah nach, wer da war und fragte telefonisch im Hauptbau nach, ob er die jeweiligen Leute hereinlassen sollte. Das war der normale Ablauf. An diesem lauen Spätabend in der zweiten Hälfte des Juni 1974 klingelte es in Peters Wohnung so gegen halb zwölf. Der Pferdesachverständige war noch wach Er hatte sich im Fernsehen die Zack Laurence Show angeguckt und freute sich im übrigen des Lebens. Beim Klingeln dachte er, daß vermutlich Sir Stanley, sein Brotherr, zusammen mit Mister McLowrie wieder zurückgekommen sei. Der Earl hatte heute mittag, als sie weggefahren waren ja gesagt, daß sie spät zurückkommen würden. Peter schnappte sich also den Schlüssel zum Tor vom Brett und trat vor die Tür. Im Ungewissen Licht der beiden Laternen auf den Torpfeilern sah er zwei düstere Gestalten vor dem Gitter stehen. »Sir Stanley, Mister McLowrie, sind Sie das?« fragte Peter und trat ein wenig näher, Er trat, genauer gesagt, direkt vor das Gittertor. Den Schlüsselbund hielt er in der linken Hand. »Ah, Sie sind ja gar nicht Sir Stanley! Bitte, was möchten ...« Das »Sie?« konnte er nicht mehr aussprechen. Durch die Gitterstäbe des Tores fuhr ein Arm, packte den völlig Überraschten an der Hemdbrust und zerrte ihn vorwärts. Peter schnaufte entsetzt auf und versuchte, sich zu befreien, aber es war schon zu spät.
Und - wie der Earl of Depford bereits an einer früheren Stelle des Buches erwähnte - Golems haben die Kraft von zehn Männern. Ein zweiter Arm fuhr durch das Gitter, und eine große, gigantenstarke Hand beförderte Peter ins Land der Träume. Jetzt trat auch die zweite Figur ans Tor heran. Wäre Sir Stanley in der Nähe gewesen, hätte er zweifelsohne Abraham Kefil erkannt. Der Verfluchte griff durch das Gitter und nahm Peter den Schlüsselbund aus den Händen. Der mörderische Golem Bob Robesons ließ den Pferdepfleger aus. Der Bewußtlose sackte auf den Kiesweg. Mit aller Ruhe suchte Kefil sich den passenden Schlüssel aus dem Bund heraus und öffnete das Tor. Dann betrat er den Park von Schloß Helmet and Chain, dem Sitz der Depfords seit Artus' Zeiten. Der Golem blieb stehen. Erst auf ein gezischtes Kommando in hebräischer Sprache setzte er sich in Bewegung und folgte seinem Meister. »Meinen Informationen nach, befindet sich jetzt außer der Gattin dieses Depford nur noch der Schloßverwalter im Gelände. Und eine Zofe, nicht zu vergessen. Aber diese beiden schlafen in einem Seitenbau des Schlosses und stören kaum. Im Hauptbau dürfte nur die Earless sein.« Die beiden dunklen Gestalten liefen sorglos mitten auf den Kieswegen des Parks. Unverfrorenheit schien eine hervorstechende Charaktereigenschaft Abraham Kefils zu sein. Als sie vor dem Hauptbau von Helmet und Chain ankamen, sah der Golemmacher, daß zwei Fenster der Vorderfront beleuchtet waren. Hinter einem dieser Fenster sah man schattenhaft einen Frauenkopf. »Oh, Mylady ist noch wach und scheint auf ihren Gatten zu warten«, flüsterte Kelif leise. »Um so besser...« Ein Umstand kam dem Vorhaben des Mannes sehr entgegen: Das Hauptportal des Schlosses wird bei Nacht nie abgeschlossen. Das liegt nicht etwa an der Vertrauensseligkeit Sir Stanleys. Den Glauben an das Gute im Menschen hatte er bereits verloren. Es liegt vielmehr daran, daß der Schlüssel zum Portal gegen siebzehnhundertneunzig vom damaligen Schloßverwalter verlegt wurde. Bis dato hat er sich nicht wiedergefunden. Ein neuer wurde nie angefertigt. Es darf in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, daß die Depfords dem schottischen Hochadel angehören. Mit der Betonung auf »schottisch«.
Lady Anne saß in der Bibliothek und überlegte sich gerade, ob sie noch weiter auf Stanley und George warten sollte, oder ob es nicht besser sei, ins Bett zu gehen. Sie entschloß sich, zu schlafen. Aber zuvor mußte man natürlich noch ein Gläschen Wodka hinter die Binde kippen, als Schlaftrunk sozusagen. Ihre Hand, die nach der Flasche griff, blieb in der Luft hängen. An der Tür zur Bibliothek klopfte es. Sollten Walter oder Marianne, die Zofe, sie derart spät noch stören wollen? Mylady schüttelte unwillig das wohlondulierte Haupt. »Herein!« sagte sie halblaut, aber mit kaum zu überhörender Schärfe. Der linke Flügel der Tür öffnete sich. Herein kam ein schwarzgekleideter Mann, etwa vierzig Jahre alt, mit scharfen, asketisch wirkenden Gesichtszügen. Hinter diesem kam ein zweiter. Dieser trug keine Trauer. Statt dessen trug er die Haare schulterlang, hielt sie mit einem Stirnband zusammen, auf dem seltsame Schriftzeichen standen, und um seinen Oberkörper spannte sich eine dreckige Parka. Mylady hatte die Konferenzen der letzten zwei Tage noch gut im Gedächtnis. Deshalb besaß sie auch sofort den vollen Durchblick. Beim Anblick des Golems wurde ihr auch klar, daß sie in akuter Lebensgefahr schwebte. Sie verlor deswegen nicht den Kopf. Eine Lady Anne Rose Depford, geborene Viscountess of Landon, handelt nicht unüberlegt! »Guten Abend«, sagte sie eisig. »Können Sie mir erklären, wie Sie hier hereingekommen sind? Und vor allen Dingen, was Sie wollen?« Kefil stieß einen bewundernden Pfiff aus. »Nerven haben Sie«, meinte er anerkennend. Mit langsamen Schritten trat er näher, bis er nur noch wenige Zentimeter vor Lady Annes Schreibtisch stand. Der Golem blieb in Türnähe. Seine toten Augen betrachteten die Szenerie ausdruckslos. »Wenn Sie noch einen Schritt wagen, schreie ich«, sagte Anne Rose ganz ruhig. »Aber laut!!« Kefil mußte lachen. »Dann müßte ich Sie knebeln«, prustete er vergnügt. Wenn ein Asket vergnügt ist, das sieht wunderhäßlich aus. »Im übrigen: Wer sollte Sie hören? Ich weiß, daß Sie im Hauptbau des Schlosses allein sind.« So, das weiß er, dachte Lady Anne kühl. Dann weiß er mehr, als meiner Gesundheit zuträglich ist.
»Was wollen Sie?« fragte sie noch mal. Ihre rechte Hand war nach unten geglitten in die offene Schreibtischschublade. Ihre Finger umfaßten ganz langsam den Hals der Wodkaflasche. Sie war noch fast voll, diese Flasche. Bei einem Schlag mußte eine ziemliche Wucht dahinter sitzen. »Was ich will?« fragte Abraham Kefil zurück. »So naiv können Sie wohl kaum sein. Meinen Berichten zufolge, wissen Sie über die seltsamen Unternehmungen Ihres Mannes recht gut Bescheid. Nebenbei, ich darf Ihnen Robert Robeson vorstellen.« Er deutete auf den reglos stehenden Golem. Anne zeigte sich wenig beeindruckt. »Ich frage Sie zum dritten Mal: Was wollen Sie?« knirschte sie grimmig. Sie verlor langsam die Geduld. »Sie natürlich, meine Teuerste. Wen sonst? Aber ganz und gar«, lachte der Schwarzgekleidete fröhlich und beugte sich über den Schreibtisch. Lady Annes Aktion kam schnell und völlig unbedenklich. Stanley hatte ihr immer wieder eingepaukt, keinerlei Hemmungen zu haben, wenn es um die Verteidigung ihres eigenen Lebens ging. Ihre Hand mit der Kristallflasche sauste aus der Schublade hoch, nahm Schwung und Richtung und pfiff haarscharf neben Kefils Kopf durch die leere Luft. Dieser Spielverderber hatte sich nämlich blitzartig zur Seite geworfen! Anne wurde vom Schwung ihrer eigenen Bewegung mitgerissen und kam halb hinter ihrem Schreibtisch hoch. Dann fühlte sie einen scharfen Schmerz im linken Handgelenk. Kelif hatte ihr mit einem Ruck die Flasche entrissen. Er schleuderte sie von sich und griff mit beiden Händen zu. Er bekam die immer noch halb über die Platte des Schreibtisches gelehnte Anne am Vorderteil ihres leichten Hauskleides zu fassen. Seine Fäuste schlössen sich, und er warf sich zurück. Lady Anne Rose verlor den Boden unter den Füßen. Dann segelte sie über den Tisch und schrammte sich dabei ihre Knie auf. Sie schrie wie am Spieß, konnte aber nicht verhindern, daß sie mit Wucht auf den Teppichboden knallte. »Hoppla«, flüsterte Abraham Kelif leise. Er starrte auf seine Hände. In diesen Händen hielt er ein ziemlich großes Stück hellblauen Stoffs. Dann richtete er seine Augen auf die wie paralysiert auf dem Boden liegende Anne.
»Hoppla«, murmelte der Golemmacher noch mal. Er öffnete seine Hände und ließ den Stoffetzen fallen. In seinen Augen war ein ganz seltsamer Glanz, als er langsam auf die liegende Frauengestalt zuging. Der Golem Robert Robesons stand immer noch völlig reglos vor der Tür. So lange er keinen Befehl seines Meisters bekam, würde er auch nicht aktiv werden. Kefil stoppte mitten in seinem Weg ab. Er drehte sich auf dem Absatz um und lief zu einem der Fenster. Mit einem mühelosen Ruck riß er ein langes Stück Gardinenschnur ab. Sie kam zu sich, als er ihre Beine gefesselt hatte und gerade dabei war, ihre Hände auf dem Rücken zusammenzubinden. Anne bäumte sich auf, aber ihre Bewegung war recht kraftlos und bedeutete für Kefil so gut wie nichts. In aller Ruhe beendete er ihre Fesselung. »Was wollen Sie?« Annes Stimme klang verschwommen. Die Benommenheit wich nur langsam aus ihrem Kopf. »Das fragten Sie bereits dreimal«, erwiderte Kefil sanft. »Sie will ich, das sagte ich schon. Ich bin Sportsmann. Ihr Gatte hat mir einen bösen Streich gespielt, also tue ich dasselbe. Einfach!« »Er wird Sie umbringen .. .« »Nein.« Bevor Anne richtig mitbekam, was ihr Gegner wollte, war es bereits geschehen. Er griff zu und riß ihr mit einem kraftvollen Ruck das Unterteil ihres Kleides vom Körper. Und jetzt bekam sie Angst. Kefil erhob sich und trat drei Schritte zurück. Mit gierigen Augen sah er auf den nun fast völlig nackten Frauenkörper. Der Slip, den Anne trug, war kaum der Rede wert. Im Gegensatz zu ihrem schwarzen BH war er hautfarben und transparent. »Verdammt«, flüsterte Kefil. Dann kam er heran. Anne versuchte verzweifelt, ihrer Angst Herr zu werden, aber es gelang ihr nicht. Als er sich bückte, rollte sie sich zur Seite. Nur dieses Gesicht nicht sehen ... Das Wegrollen war ein Fehler, das merkte die Herrin von Schloß Depford als ihr Kefil den Verschluß ihres Büstenhalters aufriß. Mit brutalem Griff drehte er die Frau wieder auf den Rü cken und fetzte ihr das winzige, delikate Kleidungsstück vom Körper. Dann fühlte sie seine Hände auf ihrer Haut. Scham und Ekel erstickten sie fast.
»Stanley wird Sie dafür töten«, bracht e Anne hervor. Kefils Hände wurden schlagartig ruhig. Dann strich er über die Spitzen ihrer Brüste und erhob sich. »Ach ja, Ihr Gatte«, sagte er leicht. »Das hätte ich fast vergessen. Sie sind wirklich eine begehrenswerte Frau. Sogar ich kann mir vorstellen, mit Ihnen . . . aber zuerst Ihr Stanley .. .« Galgenfrist, dachte Lady Anne. Bis jetzt ist noch nichts passiert. Galgenfrist! Kefil ging zu ihrem Schreibtisch und nahm dahinter Platz. Mit lässiger Bewegung zog er den Telefonapparat zu sich heran. Anne sah ihm zu, wie er wählte. Ein Ferngespräch, schoß es ihr durch den Kopf. Er wählte mindestens zehn Ziffern. Jetzt hielt Kefil den Hörer ans Ohr. Auf seinem Gesicht lag ein geradezu satanischer Ausdruck. Dann schien er seine Verbindung zu haben. Er kicherte in die Sprechmuschel hinein. Wieder lief eine Gänsehaut über Lady Annes nackten Rücken. Dieses Kichern war's wert. Und dann sprach Abraham Kefil. »Hallo, Sir Depford«, sagte er amüsiert. »Sie haben sich scheinbar Zugang zum Haus verschafft, wie? Einbruch könnte man so etwas nennen ...« Der Earl of Depford war zweifelsohne einer der fähigsten und kenntnisreichsten weißen Magier der Welt. Aber im Moment war er fertig. Zu seinen Fähigkeiten gehörte es auch, von jedem Punkt der Erde mit Hilfe alter Teleportformeln in Sekundenschnelle zurück in sein Schloß zu gelangen. Auf Helmet und Chain hatte er sich in drei Räumen sogenannte Teleportationsbezugspunkte eingerichtet. Es waren Bilder, die magische Linien zeigten. Normalerweise genügte dem Earl eine meditative Versenkung von wenigen Minuten Dauer, um den Geisteszustand herbeizuführen, der für eine Körperversetzung durch übergeordnete Räume notwendig war. Nach Kefils Telefonanruf verlor er fast zehn Minuten kostbarster Zeit mit Konzentrationsübungen. Aber sein Innenleben war derart gestört, daß es ihm nicht gelang, die geistigen Voraussetzungen für eine Teleportation zu schaffen. »George, es geht nicht.« Sein Gesicht war schweißüberströmt. »Meine Angst um Anne überlagert alles. Ich kann mich nicht konzentrieren. Verdammt . . .«
Er hatte auf einem Diwan gelegen und schwang jetzt seine Füße wieder auf den Boden. »Bleiben Sie liegen, Mylord! Schonen Sie sich!« Georges Stimme klang besorgt. »Ich hole den Wagen.« »Wir kommen zu spät!« knirschte Sir Stanley verzweifelt. Der Butler war bereits an der Tür und drehte sich noch mal um. »Ich teile Ihre Sorge um Mylady«, sagte er. »Aber soweit ich mitbekommen habe, rechnet Mister Kefil, dieser Satan in Menschengestalt, damit, daß wir frühestens in drei Stunden eintreffen können. Unter normalen Umständen hätte er damit sogar recht.« »George, es sind mehr als hundertdreißig Meilen bis Helmet and Chain. Und die Strecke ist kurvenreich bis dort hinauf.« »Ich hole jetzt den Wagen.« Der Butler kümmerte sich nicht weiter um Stanleys Worte und verschwand. Wenige Minuten später dröhnte vor dem Haus der Motor des Rolls auf. Stanley stürzte nach unten. George hatte die Fondtür bereits geöffnet. Der Earl hatte kaum die Tür zugeschlagen, als es bereits losging. Trotz der guten akustischen Dämpfung der Fahrgastzelle des Wagens wurde es auf einmal sehr laut. »Ich bitte, das Rauchen einzustellen und sich anzuschnallen, Mylord«, tönte Georges Stimme durch den Motorlärm. »Wir starten!« Aus den beiden Flammrohrauspufftüten des metallicgrünen Rolls Royce »Si lver Shadow« schlugen meterlange Flammen. Die achthundert Pferdestärken des Cosworth-Turboladermotors dröhnten wie ein vollbeladener Güterzug, der über eine holprige Schienenstrecke fährt. Die Kühlergrillimitation rollte zur Seite, dahinter erschien eine Sechserbatterie starker Jodweitstrahler, die die Nacht taghell ausleuchteten. Eine Spitzengeschwindigkeit von etwas mehr als dreihundert Stundenkilometern war aus dem Rolls herauszuholen. Bis nach Helmet and Chain waren es knappe zweihundertzwanzig Kilometer. Georges Gesicht wirkte schmal und verkniffen. Trotzdem saß er locker und entspannt in seinem Fahrersitz und führte den superschnellen Wagen mit leichter Hand. Lady Anne Rose hatte Worte Kefils während dessen Telefongesprächs genau mitbekommen. Als er sagte, daß seine Hand
ihr das Leben nehmen und wiedergeben würde, geriet sie in einen Zustand geradezu übernormaler Wachheit. Teilweise rührte das auch von dem Umstand her, daß irgendein sehr scharfer Gegenstand ihr in den Rücken schnitt. Als sie mit ihren gefesselten Händen danach tastete, spürte sie, daß es eine Glasscherbe war. Sie dachte zuerst daran, dem Schloßpersonal einen Rüffel zu verpassen. Dann erinnerte sie sich daran, daß Abraham Kefil vorhin die Wodkaflasche, die er ihr entwand, in eine Ecke gefeuert hatte. Dabei mußte sie zersprungen sein. Einer der Glasreste war in die Raummitte geflogen, und sie lag jetzt darauf. Überdies merkte sie, daß sie gar nicht so furchtbar stramm gefesselt war. Dazu hatte es der Golemmacher ein bißchen zu eilig gehabt. Ihre Hände konnte sie ganz gut bewegen. Sie war nicht nur eine trainierte Alkoholikerin, sondern trieb auch viel Sport. Das kam ihr jetzt zugute. Und eine Gardinenschnur hält einer scharfen Glasscherbe nicht allzulange stand. Der Golemmacher blieb nach seinem Anruf fast zwei Minuten reglos hinter Annes Schreibtisch sitzen. Sein asketisches Gesicht zeigte den Ausdruck konzentrierten Nachdenkens. Dann erhob er sich und ging zur Mitte des Raumes. Er lief an einem Bücherregal entlang, nahm einen Band heraus, guckte auf den Titel und legte ihn wieder weg. Zeitgewinn, dachte Lady Anne Rose dankbar. Sie merkte, daß ihr warmes Blut über die Hände lief. Scheinbar säbelte sie nicht nur an der Gardinenschnur, sondern auch an ihrer eigenen Haut herum. Dann riß etwas. Sie ließ sich nichts anmerken. Bestimmt ist er stärker als ich, dachte sie klar. Daß er schneller reagiert, habe ich bereits bemerkt. Aber ... Kefil unterbrach seine Wanderung. Seinem Gesicht war anzumerken, daß er zu einem Entschluß gekommen war. »Sie brauchen meine Worte, die ich eben am Telefon sprach, nicht allzu wörtlich zu nehmen, meine Liebe«, wandte er sich an Anne. In seinen Augen stand schon wieder jenes Glitzern. Hundesohn, dachte sie böse. Überdies merkte sie, daß sie wieder auf den Damm kam, wie die Ostfriesen so nett sagen. Sie wurde nämlich wütend. »Nein, das brauchen Sie nicht«, fuhr Kefil fort und schlich näher. Jetzt stand er vornübergeneigt über der nackten Anne. »Ich habe es mir überlegt. Wer weiß, welche seltsamen Fähigkeiten Ihr Gatte hat. Er ist ja Magier, so sagte man mir jedenfalls. Wir werden also
verschwinden, und sie kommen mit. Vor der Parkmauer wartet mein Wagen ...« Seine Hand kroch nach unten und fuhr über Annes Bauch. Sie bewegte sich nicht. Momentan war ihre Situation zu ungünstig. »Aber bevor wir fahren . ..« flüsterte Kefil heiser. Keinen Fehler machen, dachte Anne entsetzt. Beherrschen! Sie fühlte, wie seine Hand auf ihrem Bauch nach unten glitt und sich unter den Bund ihres Slips schob. Kein Gentleman, dachte sie. In Kefils Augen kam ein überraschter Ausdruck, als sie ihre Hüften leicht anhob und ihr Gesäß vom Boden lüftete. »Machen Sie diese verdammten Stricke doch los«, flüsterte Anne. Sie bemühte sich verzweifelt, ein bißchen Schlafzimmeratmosphäre in ihren Blick zu legen. »So ist das«, grinste Abraham Kefil. Sekundenlang wollte sich Mißtrauen in seine Augen schleichen, dann überwog wieder die Gier. Mit zitternden Fingern begann er, die Gardinenschnur an ihren Füßen zu lösen. Zuerst darf er mir noch das Höschen von den Beinen ziehen, dachte Lady Anne Rose völlig kalt und emotionslos. Es behindert mich beim Laufen. Einen Ausrutscher kann ich mir jetzt nicht leisten. Kefil benötigte für die Entfesselung mehr Zeit als für die Fesselung. Aber endlich hatte er es geschafft. Die Schnüre fielen, und er wandte Anne sein dunkles, scharfgeschnittenes Gesicht zu. Er war genau in der richtigen Position, lag auf den Knien, hatte deshalb keine besondere Standfestigkeit, sein Kopf war geneigt, da er wie hypnotisiert auf Annes schöne Beine starrte ... ... und sein Nacken war völlig frei und ungedeckt. Auseinandernehmen werde ich ihn, dachte die Herrin von Schloß Depford. Für einige Sekunden dürfte er jetzt schon hin sein. Sie explodierte regelrecht. Die fast völlig durchgeschabten Handfesseln rissen fast widerstandslos. Ihre rechte Hand fegte unter ihrem Rücken heraus, und ihr Oberkörper bäumte sich auf, um dem Schlag mehr Wucht zu geben. Diesmal war Mister Kefil nicht vorbereitet. Mit allem hatte er gerechnet, nur damit nicht. Der Handkant encrasher traf ihn voll im Nacken. In Höhe des dritten Wirbels. Er kippte wortlos zur Seite. Anne spritzte hoch wie ein Stehaufmännchen und rannte los. Sie war noch nicht ganz in der
Deckung eines Buchregals in Raummitte, als auch Kefil wieder auf die Füße kam. Er schrie einen heiseren Befehl in hebräischer Sprache und setzte der flüchtenden Lady Anne nach. Gleichzeitig mit ihm kam der bisher völlig inaktive Golem Robert Robeson in Fahrt. Und er war wesentlich schneller als sein Meister. Aber nicht schnell genug. Als er in der Mitte des langen Bücherregals angekommen war, war Anne bereits am Ende. Sie nahm sich zwei Zehntelsekunden Zeit, um probehalber an dem Regal zu rütteln. Dann stemmte sie ihre nackte Schulter dagegen und drückte. Ein Mensch in Lebensgefahr ist in der Lage, seinem Körper fast unmögliche Kraftleistungen abzuverlangen. Das Regal kam ins Schwanken, dann neigte es sich langsam, langsam ... langsam. Abraham Kefil stoppte mitten in seinem Sprint ab, machte auf dem Absatz kehrt und versuchte, sich in Sicherheit zu bringen. Trotzdem erwischte ihn eine Kante des Regals noch am Kopf und schmetterte ihn zu Boden. Es polterte gewaltig. Das Regal war acht Meter lang und schwer. Der Golem kam unter die Räder, bildlich gesprochen. Kefil schüttelte sich den Schlaf aus den Augen und blickte sich wild um. Wo war sie, diese ... In der Mitte des Trümmerfeldes aus Büchern und Teakholzteilen gab es eine kleine Explosion. Der langmähnige Kopf Robert Robesons tauchte aus dem Durcheinander auf, dann folgte der Körper. Einem Menschen hätte das stürzende Regal zumindest einige Knochen gebrochen, dem Golem war nicht das Geringste geschehen. Er war voll da. Dann erspähte Kefil auch Lady Anne. Ihr Anblick jagte sofort einen gewaltigen Schuß in seine Blutbahn. Mit einem Ruck kam er auf die Füße. Anne stand vor der Westwand der Bibliothek und kramte verzweifelt in einem Bücherregal. Der Golemmacher gab seinem Geschöpf einen Wink. Robert Robeson blieb starr stehen. »Suchen Sie etwas, meine Liebe?« fragte Kefil hohnvoll. Lady Anne gab keine Antwort und wandte ihm den Rücken zu. Ihre fliegenden Hände suchten weiter zwischen den Büchern herum. Abraham Kefil setzte sich langsam in Bewegung. »Ihre ungewöhnliche Aktivität, Lady Depford, kaum gutzuheißen, tatsächlich, kaum ...«
Die zweite Überraschung dieses Unterhaltungsabends ließ ihn verstummen. Nicht nur das, er blieb sogar einen Moment lang stehen. Lady Anne Rose hatte nämlich gefunden, was sie suchte. Ein Teil des Regals klappte urplötzlich in die Wand hinein und gab ein finsteres Loch frei. Anne nahm sich nicht die Zeit, sich zu verabschieden. Sie spurtete sofort los. Kein Schloß in Schottland ohne Geheimgang! Wenn in diesen Gängen dann noch Skelette aus allen Jahrhunderten herumliegen, dann ist es erst ein richtiges Schloß. Der Wechsel von Hell zu Dunkel machte Anne einen Moment lang blind. Trotzdem rannte sie ohne zu zögern in den Gang hinein. Sie war zehn Schritte weit gekommen, als sich der Zugang zur Bibliothek verdunkelte. Kefil hatte sein Überraschungsmoment hinter sich gebracht und war ihr wieder auf den Fersen. Aber Anne hatte einen Vorteil: Als Herrin von Helmet and Chain kannte sie sich in dem Schloß recht gut aus. Das Keuchen ihres Verfolgers kam näher. Kann der Kerl bei Dunkelheit sehen, fragte sie sich verzweifelt. Das konnte Kefil nicht, aber der helle Fleck des vor ihm eilenden, nackten Körpers war ein guter Wegweiser. Dieser Gang ist eine Röhre in der zwei Meter dicken Außenmauer des Schlosses, repetierte Anne. Nach fünfzig Metern kommt eine Treppe, eine sehr steile Treppe. Aufpassen ... nicht fallen. Sonst hat er mich. Sie hoffte nur, daß sie auf Anhieb den eisernen Hebel wieder fand, der am Fuß dieser Treppe aus der Seitenwand herausragte. Wenn sie schon beim Paneel, das die Geheimtür in der Bücherei öffnete, so viel Zeit mit Suchen vergeudet hatte... Dabei hatte George McLowrie ihr alles ganz genau gezeigt und erklärt. Jede Einrichtung im Schloß. Aber das war elf Jahre her. Damals hatte sie Stanley geheiratet und war gerade nach Helmet and Chain gekommen ... Sie wagte es, im Rennen nach hinten zu blicken," aber sie sah nur einen schwarzen Schatten, der ihr folgte. Und seinen japsenden Atem hörte sie ebenfalls. Nicht in Form, wie, dachte sie spöttisch. Kefil war trotzdem schneller als sie. Anne spürte seine Hand an ihrer Schulter, er wollte zugreifen, sie herumreißen ... Da kam die Treppe.
Anne schrie auf, als sie urplötzlich den Boden unter den Füßen verlor. Einige Schritte weit taumelte sie haltlos auf der steilen Stiege dahin, dann kam ihr endgültig letzter Stolp erer. Trotzdem war sie noch geistesgegenwärtig genug, sich im Fallen wie ein Igel zusammenzukrümmen und ihren empfindlichen Unterleib zu schützen. Ihren Kopf hatte sie fast zwischen den Knien. Abraham Kefil schaffte es gerade noch, seinen Lauf abzubremsen, bevor er ebenfalls die Treppe hinabkullerte. Er blieb stehen und griff in seine Jackentasche. Moderne Menschen, modernes Leben, da gehört Marlboro natürlich dazu. Genau so natürlich war, daß Kefil als Raucher ein Gasfeuerzeug in der Tasche hatte. Er stellte die Flamme so hoch, bis sie die engen Wände des Ganges einigermaßen ausleuchtete. Dann begann er vorsichtig mit dem Abstieg. Sein einziger Gedanke war, diese gefährliche Frau zu bekommen, koste es, was es wolle. »Hoffentlich hat sie sich nicht das Genick gebrochen«, sagte er laut. Dann kam der erste Absatz. Die Treppenstufen endeten auf einer steinernen Plattform. Kefil hielt seine rechte Hand mit dem Feuerzeug hoch über den Kopf. Daß er keinerlei Geräusche mehr hörte, irritierte ihn. »Sie müßte doch hier liegen, zum Teufel«, flüsterte er leise. »Kein Mensch übersteht einen solchen Sturz, ohne bewußtlos zu werden.« Er trat einen Schritt nach vorn. Im Lichtkreis seines Feuerzeuges sah er wieder Treppenstufen. »Ah, hier geht es weiter!« Er hatte seinen Fuß bereits auf der ersten der abwärts führenden Stufen stehen, als er das seltsame Knarren hörte. Zum zweiten Mal bewies er seine überdurchschnittliche Reaktionsgeschwindigkeit. Mit einem gewaltigen Satz sprang er zurück auf die Plattform des Treppenabsatzes. Sein Gasfeuerzeug erlosch. Das Knarren wurde zu einem zerreißenden Knirschen, dann krachte irgend etwas ohrenbetäubend und sehr metallisch. Eine Staubwolke stob Deckenwerts und brachte Mister Kefil zum Niesen. »Gesundheit, du Hund«, erklang eine vor Haß fast brechende Frauenstimme. Der Golemmacher zündete sein Feuerzeug wieder an. Was er in dessen Lichtschein sah, entlockte ihm einen unfeinen Fluch. Einen Meter vor ihm, quer über den Treppenabsatz verlaufend, zog sich ein stabiles Gitter aus zolldicken Stäben. Da war kein Durchkommen. Die Stahlwehr reichte von Wand zu Wand und vom
Boden bis zur Decke. Wäre ich nicht rechtzeitig gesprungen, hätte das verfluchte Fallgitter mich erschlagen. Er ging an das Gitter heran und steckte die Hand mit dem Feuerzeug zwischen zwei Stäben hindurch. Drei Meter hinter der Barriere, auf einem weiteren Treppenabsatz, lag ein zerschundener Körper. Aus ihm wuchs ein Arm heraus, und die Hand daran klammerte sich um einen Hebel, der aus der Wand ragte. Dann bewegte sich der Körper und richtete sich langsam auf. »Wenn du dir eine Überlebenschance ausrechnest, Satan, dann laß dir sagen: Für dich gibt es keine!« Lady Annes Stimme war nur ein Zischen. In diesem Moment meinte sie genau das, was sie sagte. Abraham Kefil allerdings war der Ansicht, daß es genau umgekehrt war. Jeder Mensch macht schließlich Fehler. Er steckte sein Feuerzeug in die Tasche und tastete sich in dem dunklen Gang, so schnell es ging, zurück in die Bibliothek. Der Golem Robert Robesons stand immer noch völlig unbeweglich in Raummitte. Zwischen den verstreut liegenden Büchern und den Überresten des umgestürzten Regals wirkte er recht malerisch. Er brüllte dem reglos dastehenden Ungeheuer einen Schwall hebräischer Worte ins Ohr und deutete auf den offenen Geheimgang. Der Golem drehte den Kopf und sah mit seinen toten Augen in die angegebene Richtung. Dann setzte er sich in Bewegung. Kefil raffte mit fliegenden Fingern einige herumliegende Blätter Papier zusammen und bündelte sie zu einer Fackel. Mit seinem Gasfeuerzeug zündete er das Provisorium an. Die Flamme qualmte, gab aber genügend Licht ab. Er stürzte seinem Golem nach, der bereits in dem Gang verschwunden war. Nach einer Minute kam er an das Fallgitter. Was er sah, veranlaßte ihn zu einem zufriedenen Grunzen. Robert Robeson stand völlig bewegungslos vor den Stahlstäben. Wie bereits erwähnt, waren sie etwa zolldick. Das Ungeheuer hielt zwei der Stäbe in seinen mächtigen Händen und versuchte sie auseinanderzuziehen. In dem Gewölbe wurde das leise Knistern überbeanspruchten Materials hörbar. Kefil leuchtete kurz hinter das Gitter. Die Frau seiner Träume war natürlich nicht mehr da. Das hatte er auch nicht erwartet. »Aber weit kann sie nicht sein ...« Die beiden Stäbe bogen sich unter der gigantischen Kraft der Golemfäuste ganz langsam, Millimeter
um Millimeter, voneinander weg. Das Gesicht des Golems war starr, kein Zeichen von Anstrengung stand darin. Er war, technisch gesehen, nur eine Maschine, die auf bestimmte Kommandos reagierte. »Zehn vor eins«, murmelte er leise. »Noch genügend Zeit, um hinter diesem Weib herzujagen und es einzufangen. Dieser Depford kann, auch wenn er sich sofort nach meinem Anruf auf den Weg gemacht hat, erst in etwa eineinhalb Stunden hier sein.« Ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte. Beide Eisenstäbe, traktiert von den Golemfäusten, lösten sich aus ihren Verankerungen. Mörtelstücke flogen durch die Luft. In dem Gitter war plötzlich eine Lücke, durch die auch ein schwergewichtiger Mann hindurchgepaßt hätte. »Vorwärts!« knurrte Kefil. Der Golem schlüpfte zuerst durch das gewesene Hindernis. Kefil folgte ihm. Seine provisorische Fackel war noch nicht mal halb abgebrannt.
George machte nicht den Fehler, die kurvenreiche Strecke von Newcastle über Hawick, Peebles und Edinburg nach Helmet and Chain zu nehmen. Diese Strecke war zwar relativ kurz, keine zweihundert Kilometer, aber, wie bereits erwähnt, sehr kurvig. Das hohe Endtempo des Rolls hätte er hier nicht ausnützen können. Im Gegenteil, bei seiner momentanen Eile hätte er alle Chancen gehabt, nicht nur sich, sondern auch seinen Herrn direkt in den Schnellfahrerhimmel zu befördern. Er machte einen Umweg und fuhr die vierspurige Straße an der Nordseeküste entlang. Diese verlief bis Edinburg fast gerade und war um diese Zeit absolut leer. Der »Silver Shadow« röhrte mit einer Geschwindigkeit von guten zweihundertundzehn Stundenkilometern dahin. Die Begrenzungspfähle rechts und links der Fahrbahn rasten vorbei wie ein flirrendes Lichterband. George hatte die Trennscheibe zwischen dem Chauffeurscompartement und dem Fond per Knopfdruck hochgedreht. Jetzt waren die Motorgeräusche bei Stanley kaum noch zu hören. Die elektroakustische Sprechverbindung zwischen beiden Räumen innerhalb des Rolls war eingeschaltet. »George, sind Sie sich darüber im klaren, daß bei diesem Tempo das kleinste Hindernis auf der Straße ausreicht, um uns gemeinsam in die
Hölle zu schicken?« klang es aus dem Lautsprecher neben Georges Kopf. »Ich muß gestehen, daß ich dem Wagen ein wenig mehr zutraue, Mylord«, gab er gemessen zurück. »Schließlich wurden wesentliche Teile seines Innenlebens nach meinen Entwürfen gebaut.« Sie umfuhren Edinburg auf der Umgehungsstraße. Der Butler hatte keine Lust, sich im Innern der Stadt mit einem Streifenwagen anzulegen. Gegen ein Uhr donnerten sie über die zwei Kilometer lange Soundbridge, die die Wasser des Firth of Forth überspannte. Sir Stanley versuchte, mit dem im Wagen eingebauten Telefon eine Verbindung nach Helmet and Chain herzustellen. Nach fünf nutzlosen Versuchen gab er es auf. Sie waren noch nicht im Empfangsbereich des Glasgower Funkfernamtes. Dann lief die vierspurige Straße aus und verwandelte sich in eine holprige, vielfach gewundene Landstraße. George mußte mit dem Tempo auf weniger als hundert heruntergehen. Nach der bisherigen Jagerei kam es dem Earl vor, als würden sie im Schneckentempo kriechen. Er begann zu fluchen wie ein Berserker. Dann kam die Stimme des Butlers aus dem kleinen Lautsprecher im Fond. Sie wirkte sehr beruhigend. »Noch zehn Minuten, Mylord. Noch zehn Minuten bis Helmet and Chain!«
Lady Anne Rose schreckte auf. Sie war, nachdem sie im wirklich allerletzten Moment das Fallgitter heruntergelassen hatte, weiter die Treppen hinabgelaufen, bis sie im ersten Kellerstockwerk des Schlosses angekommen: war. Dort hatte sie sich völlig erschöpft in eine Ecke geworfen und erst mal ihren Körper inspiziert. Gebrochen hatte sie nichts. Sogar den Sturz die Treppe hinunter hatte sie wie durch ein Wunder ohne größere Blessuren überstanden. Trotzdem hatte sie das Gefühl, daß es das beste für sie sei, sich mindestens einen Monat lang ins Bett zu legen. Und jetzt hörte sie schon wieder das Geräusch sich nähernder Schritte. Kaum anzunehmen, daß eines der Hausgespenster von Helmet and Chain noch spukte. Es mußte ein Uhr vorbei sein. »Der Golem«, flüsterte sie. »Er hat sogar die Gitterstäbe überwunden. Ich muß weg . ..«
Dann sah sie auch den flackernden Lichtschein, der von Kefils provisorischer Fackel verursacht wurde. Ihre Verfolger konnten gerade noch zwei Treppenabsätze über ihr sein. Ihre Augen hatten sich in der Zwischenzeit an die Dunkelheit gewöhnt. Eigentlich war es nicht vollkommen dunkel in den Kellern von Helmet and Chain. Die Holzteile der Tragekonstrucktion, die die Decke hielt, waren sehr alt. Phosphorpilze hatten sich in den Ritzen angesiedelt und gaben ein seltsames, diffuses Licht ab. Kaum der Rede wert, ließ es doch die Umrisse der Szenerie erkennen. Verzweifelt versuchte Lady Anne sich an den Verlauf der Gänge unterhalb des Schlosses zu erinnern. Ich hätte doch öfters den Weinkeller besuchen sollen, dachte sie. Ich weiß, daß hier unten irgendwo die Bastelwerkstatt von George liegt. Aber wo? im östlichen Teil? Der Gang, durch den sie gerade lief, erweiterte sich zu einer kleinen Halle. Jetzt kannte sie sich überhaupt nicht mehr aus. Sie tastete sich an den Wänden entlang. Der Gang muß sich doch irgendwo fortsetzen, dachte sie voller Entsetzen. Ich weiß es ... George hat damals gesagt, daß jede Halle hier unten mindestens zwei Zugänge hat. Dies e hier schien die Ausnahme zu bilden. Und dann kam aus dem Gang, den sie gerade verlassen hatte, schon wieder das Geräusch rennender Schritte. Es wurde heller. Kefils Fackel... Anne begann vor Wut zu weinen. In einer Minute haben sie mich. Wo bleibt nur Stanley? George? Das ist... Ihre tastenden Finger stießen auf eine Erhebung in der bisher glatten Wand. Wenn ich nur ein Feuerzeug hätte, aber ich habe ja gar nichts ... nackt. Es war eine Tür, eine Tür aus Stahl. Sie fühlte mit der linken Hand ein Scharnier und fuhr abwärts. Da war noch eins. Gegenüber der Scharniere muß das Schloß liegen, eine Klinke ... ja hier ... herunterdrücken ... abgeschlossen! Anne schrie auf vor Grauen. Aus dem Gang, zehn, fünfzehn Meter von ihr entfernt, stürmte der Golem. Direkt hinter ihm kam Kefil, die Papierfackel hoch über dem Kopf haltend. Urplötzlich wurde es hell in dem Gewölbe. Direkt unter der Türklinke saß ein Sicherheitsschloß, und in diesem Schloß steckte ein Schlüssel. Die qualmende Fackel ließ es deutlich erkennen. Anne überließ ihren Körper fast völlig ihren Reflexen. Bewußt handeln konnte sie nicht mehr.
Es wunderte sie nur, daß der Schlüssel sich leicht drehen ließ, als würde das Schloß dauernd geölt werden. Die Tür öffnete sich nach außen. Kefil brüllte auf. Er raste los wie ein Rekordsprinter. Anne war bereits halb drin und im Begriff, die Tür hinter sich zuzuziehen, als Kefil mit Wucht von außen dagegenkrachte. Mit der Linken hielt sie sich an der Klinke fest, ihre Rechte hielt den Schlüssel, den sie an der Außenseite abgezogen hatte. Jetzt war sie für einige Sekunden im Vorteil. Abraham Kefil versuchte von außen, die Türklinke herunterzudrücken, während die Herrin von Schloß Depford sie mit aller Kraft nach oben zog. Mit der rechten Hand tastete sie nach dem Schlüsselloch ... da war es. Der Schlüssel fand seinen Weg fast von allein. Genau in dem Moment, in "dem sie ihn umdrehte, wurde ihr die Klinke mit ungeheurer Kraft aus der Hand gerissen. Einige Fetzen Haut von der Innenfläche ihrer Hand gingen mit. Schmerz empfand Anne nicht dabei. Vor der Stahltür erklang Kefils infernalisches Wutgeheul. Ein schwerer Körper warf sich mit Gewalt gegen die Füllung, aber die Tür ächzte noch nicht mal. Gerettet, dachte Anne aufatmend. Fürs erste jedenfalls ... Wo bin ich hier überhaupt? Sie machte zwei Schritte nach vorn und stieß sich die Schienbeine. Sie tastete den Gegenstand, der ihr den Weg verstellte, ab. Es war ein Stuhl, auf einem Drehgestell, wie sie feststellte. Dann erfühlten ihre Hände die Umrisse eines Tisches. Zurück an die Tür! Niemand stellt einen Stuhl und einen Tisch in einen Raum, wenn er denselben nicht beleuchten kann. Sie befühlte die Wand rechts und links der Tür. Von außen kam immer noch die geifernde Stimme Kefils, aber das kümmerte sie jetzt kaum. Auch daß der schwere Körper des Golems regelmäßig gegen die Türfüllung knallte, war nur von zweirangiger Bedeutung. Nach zwei Sekunden hatten ihre Hände den Lichtschalter ertastet. Ein leises Knacken ertönte, dann wurde es hell, grellhell.. . Anne schloß geblendet die Augen und wagte erst nach einigen Sekunden, sie spaltbreit zu öffnen. Was sie sah, entlockte ihr einen kleinen, aber sehr erleichterten Schrei. Sie befand sich in einem niederen Kellerraum, der ausdehnungsmäßig allerdings recht groß war. Er mochte zehn Meter lang sein und etwa halb so breit. An einer Längswand zog sich eine Werkbank entlang, über dieser hingen elektronische Prüfschalttafeln
an der Wand. Auf verschiedenen Tischen, verteilt im ganzen Raum, sah Anne halbfertige Konstruktionen seltsamer Instrumente. Mit taumelnden Schritten trat sie an einen Tisch und ließ sich in den davor aufgestellten Bürosessel fallen. »Sieht so aus, als sei ich in Georges Bastelkeller gelandet«, sagte sie laut und blickte sich um in der Hoffnung, irgendeine Waffe zu finden. Draußen vor der Tür riß der Golem gerade die Klinke ab. Es knirschte gefahrdrohend. Lady Anne fragte sich, ob die Tür halten würde, bis Stanley kam. Wieder warf sich der Golem dagegen. Einige Nieten platzten bereits weg. Es würde nicht allzulange dauern. Dann sah sie, ganz am Ende der Werkbank, schwarz und unscheinbar, das Telefon. Ein ganz gewöhnliches Telefon ...
Hinter Stirling, acht Kilometer vor Schloß Helmet and Chain, passierte es. Der Butler kannte die Strecke wie seine Westentasche und fuhr sie trotz der vielen Kurven natürlich mit Optimaltempo. Er zog den Rolls gerade halbquer durch eine Kurve - so mit knappen hundertsechzig - als das Reh im grellen Lichtkegel der Jodweitstrahler auftauchte. Bei George war es eine automatische Reaktion. Er schätzte Geschwindigkeit und Bremsweg ab und kam zu dem Ergebnis, daß es nicht ganz reichte. Das dauerte eine Hundertstelsekunde. Also ging er voll auf die Bremse, riß das Steuer nach rechts - es darf daran erinnert werden, daß in Britannien links gefahren wird, obwohl das im Moment wirklich keine Rolle spielt - und stellte den mehr als zwei Tonnen schweren Wagen quer. Hätte dieses dämliche Reh jetzt einigermaßen gespurt, so hätte es einen Satz gemacht und sich in Sicherheit gebracht. Aber nein, das Vieh blieb mitten auf der engen Fahrbahn stehen und starrte wie hypnotisiert ins Licht der Scheinwerfer. Als der Wagen es rammte, hatte George immer noch runde hundert Sachen auf dem Tacho stehen. Der Rolls hob mit dem linken Vorderrad von der Straße ab. Sekundenbruchteile lang sah es so aus, als würde er sich überschlagen. Dann fiel er wieder auf alle Viere, änderte ohne Zutun seines Chauffeurs die Richtung und segelte elegant über den
Drainagegraben, der sich rechts der Straße entlangzog. Einige Büsche und junge Bäumchen wurden niedergewalzt, dann krachte es. Eine schottische Eiche von zwei Metern Durchmesser hält notfalls auch einen Chieftain-Panzer auf. Der Butler schaltete mit einer Handbewegung den immer noch laufenden Motor aus und kurbelte die Scheibe zwischen sich und dem Fond herunter. Sir Stanley sah im Schein der Innenbeleuchtung etwas blaß aus. »Es war mir leider nicht möglich, Sir, den Wagen auf der Straße zu halten«, sagte George sehr steif. »Es tut mir leid!« Der Earl erlitt einen mittelschweren Keuchhustenanfall. Als er sich einigermaßen erholt hatte, gab er Antwort. »Steigen wir aus. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, den Wagen wieder flott zu machen. Wie lange brauchten wir bis zum Schloß, wenn wir die Beine in die Hand nehmen?« »Es sind acht Kilometer, Mylord«, gab George zu bedenken. »Hölle und Verdammnis!!« Im Schein einer Taschenlampe sahen sie, daß vorerst nichts zu machen war. Noch nicht mal mit einer Brechstange. Das Vorderteil des Rolls war ziemlich deformiert, drei der sechs Jodlampen hatten ihren Geist aufgegeben. Und der linke Vorderreifen war platter als platt. »Wir müssen den Wagen auf die Straße zurückbringen«, ließ der Butler verlauten. »In diesem weichen Waldboden sinkt mir ein Wagenheber weg ins Bodenlose. Der Radwechsel beansprucht keine zwei Minuten. Ansonsten wäre er noch fahrbereit. Der Motor ist in Ordnung...« »Wie wollen Sie das Ding über den Straßengraben bringen?« »Ich weiß nicht, ob ich eine prophetische Begabung habe, legte aber gestern abend noch zwei Aluminiumschienen in den Kofferraum. Eine Sekunde, bitte...!« Die beiden Schienen reichten gerade, um die Breite des Grabens zu überbrücken. Dann setzte sich der Butler in den Rolls und ließ den Motor an. Er kam nach einigen geräuschvollen Fehlzündungen. Vorsichtig manövrierte er das Fahrzeug mit seinem platten Vorderreifen rückwärts. Sir Stanley wies ihn mit der Taschenlampe ein. Die Schienen bogen sich ein wenig nach unten durch, als die breiten Hinterreifen des Rolls über sie hinwegrollten, aber sie hielten. Nach weiteren zehn Sekunden Angst war der Wagen wieder auf der
Straße. George schaltete die noch verbliebenen Scheinwerfer ein. Dreißig Meter voraus lag der total verstümmelte Körper des Rehs auf der Fahrbahn. Dann wurde der Butler aktiv. Kein Rennmechaniker auf dieser Welt hätte ihn in diesem Moment schlagen können. Das Untersetzen des Hydraulikhebers und das Hochpumpen des Rolls waren ein Werk von nicht mehr als einer Minute. Dann suchte er fluchend nach einem Schraubenzieher um die Radkappe wegzudrücken. Im Kofferraum war nichts. Schließlich erinnerte er sich daran, daß er ihn nach einer kleineren Reparatur in eine der vorderen Türseitentaschen getan hatte. Genau in dem Moment, als er die Tür auf der Fahrerseite öffnete, blinkt e das Ruflämpchen des Autotelefons in einem sehr fordernden Rhythmus. Auch St anley sah es von außen. »Jetzt hat der Hund auch noch die Nummer des Autotelefons herausbekommen«, sagte er bitter und resigniert. »Will er mir sagen, daß ich mich nicht mehr zu beeilen brauche? Daß er alles bereits über seine teuflische Bühne gebracht hat ? Nehmen Sie ab, George!« Das tat der Butler. Er klappte den Deckel des Handschuhfaches herab und nahm den Hörer heraus. Er hielt ihn drei Sekunden ans Ohr. Sein Gesicht veränderte sich auf ganz überraschende Weise. Es zerfiel förmlich in lauter kleine Stücke. Dann straffte es sich wieder. »Mylady wünscht Sie zu sprechen, Sir«, sagte er korrekt. »Ich bekam keine Gelegenheit, mich zu melden, habe jedoch den Eindruck, daß Sie, Mylord, gewünscht werden.« Mit diesen Worten reichte er dem Earl den Hörer hinaus. Stanleys Gesicht war ohne weiteres ein Foto wert. »Sollte dieser Hund mich geblufft haben? Ist er gar nicht auf Helmet and Chain? Wir haben einen Fehler gemacht, George. Wir hätten sofort nach seinem Anruf zurückrufen müssen, um zu prüfen, ob er wirklich im Schloß ist. Dann hätten wir uns diese Hetzjagd und den demolierten Wagen ersparen können. Ja, Stanley hier!« meldete er sich. Aus dem Hörer erklang ein Schrei, der soviel Erleichterung verriet, daß es bereits komisch war. Dann erfuhr Stanley in den nächsten dreißig Sekunden, daß Kefil mit seinem Anruf im Robesonschen Herrenhaus doch nicht geblufft hatte. George sah im Licht der Wageninnenbeleuchtung, daß sein Herr bleich wie der Tod wurde.
»Sie ist in Ihrem Bastelraum, George«, flüsterte er. Aus dem Hörer erklang zwischen Annes hastig hervorgestoßenen Worten immer wieder das dumpfe Dröhnen, wenn der Körper des Golems gegen die Stahltür krachte. »Sie benutzt das Telefon, das Sie vor einem halben Jahr dort unten installieren ließen. Ich dachte, das wäre nur ein Haustelefon, damit Sie eine Verbindung mit den oberen Räumen des Schlosses haben.« »Ich schloß es vor wenigen Wochen an die Hausvermittlung an, Mylord.« Klang die Stimme des Butlers ein wenig belegt oder nicht? »Falls ich irgendwelche Ersatzteile in Glasgow bestellen muß ... ähem, damit ich nicht immer aus dem ersten Kellergeschoß nach oben laufen muß.« »Egal«, fluchte Sir Stanley bitter. »Das ändert nichts daran, daß wir hier stehen und noch mindestens zwanzig Minuten brauchen, um bis zum Schloß zu gelangen, Anne, hör zu ... nein!! George, hören Sie, dieses Ungeheuer versucht, die Tür zu sprengen. Sie stöhnt bereits in ihren Verbänden ... die Tür meine ich.« »Würden Sie die Freundlichkeit besitzen, mich einige wenige Worte mit Mylady wechseln zu lassen?« bat der But ler höflich und nahm Sir Stanley den Hörer aus der Hand ohne dessen Erlaubnis abzuwarten. »Mylady?« »George?« wisperte es leise aus dem Hörer. »George, dieser Kefil steht vor der Tür ...« »Mylord war bereits so freundlich, mir das Essentielle der Situation mitzuteilen«, gab George gemessen zurück. »Ich darf an dieser Stelle vielleicht erwähnen, daß es mich freut, daß Sie sich endlich entschließen konnten, meinem kleinen Bastellaboratorium einen Besuch abzustatten. Ich meine ...« »George!!« brüllte der Earl gepeinigt auf. »Verzeihung, Mylord«, sagte der But ler irritiert. »Immerhin ist es seit Jahren wieder das erste Mal, daß Mylady diese etwas abgelegenen Regionen des Schlosses aufsucht. Ahn ... nein, Mylady!« Er lauschte wieder in den Hörer des Telefons. Plötzlich hellte sein Gesicht sich ein wenig auf. »Noch einige Minuten geben Sie der Tür, Mylady? Wunderbar, ich glaube, das ist genug Zeit, ein kleines Experiment zu wagen.« »George!« Der Herr von Depford Castle flüsterte nur noch. Der Butler hörte gar nicht hin. Er war beschäftigt.
»An der linken Seite des Telefons ist ein kleiner Schalter«, sagte er ruhig in die Muschel. »Sehen Sie ihn? Ich darf Sie bitten, ihn in die »Ein«-Stellung zu drücken, Mylady ...« ' Lady Anne fand den winzigen Impulstaster erst nach einigen Sekunden. Sie lauschte angstvoll mit einem Ohr nach der Tür hin. In Abständen von zehn Sekunden knallte dort der Körper des Golems mit der Wucht eines Rammbocks dagegen. »Sehen Sie den Schalter, Mylady?« Georges Stimme an ihrem Ohr klang drängend. »Ja. Ich habe ihn eben eingedrückt«, gab sie erschöpft zurück. »Wunderbar!!« Lady Anne Rose ließ vor lauter Schreck den Telefonhörer fallen. Das »Wunderbar« des Butlers war nicht mehr aus dem Hörer gekommen, sondern aus einem großen Lautsprecher an der Stirnwand des Kellers. »Sie können den Telefonhörer jetzt neben den Apparat legen, Mylady«, erklärte George zufrieden. »Und Sie können auch frei sprechen. Das Gespräch läuft jetzt über eine Verstärkeranlage. Können Sie mich gut verstehen?« Anne verstand zwar nicht allzuviel im Moment, denn Dinge wie Telefonverstärker und Ähnliches waren für sie böhmische Dörfer. Aber sie akzeptierte die Tatsachen als solche. »Sehr gut, George, aber...« »Bitte lassen Sie nur mich reden, Mylady. Blicken Sie zur Tür! Wie lange kann sie ihrer Meinung nach dem Golem noch standhalten?« Anne drehte sich um. Was sie an der Tür sah, verursachte ihr ein tiefgekühltes und gar nicht angenehmes Grausen. »George ... die Füllung ist oben ein wenig weggebogen. Er schiebt seine Finger dazwischen und versucht, sie auf zuziehen. George!« »Ruhig bleiben, Mylady.« Die Stimme des Butlers klang ungeheuer beruhigend. »Ich habe diese Türe selbst eingebaut. Sie hält einiges aus, das darf ich Ihnen versichern. Bitte gehen Sie jetzt an das Ende der Werkbank, das der Tür am nächsten liegt.« Anne befolgte die Anweisung. Sie wußte zwar nicht, worauf der Butler hinaus wollte, vertraute sich ihm aber voll an. Sie war noch nie schlecht gefahren, wenn sie auf ihn gehört hatte. Der Golem rannte jetzt nicht mehr gegen die Tür. An der oberen rechten Ecke stand die Füllung ein wenig von der Zarge weg. Dort, in diesen schmalen Zwischenraum hatte er seine Finger geschoben und zog jetzt. Der Spalt wurde langsam breiter. Anne betrachtete voll
faszinierten Grauens die Finger des Ungetüms. Sie waren von tiefdunkelbrauner Farbe und sahen irgendwie vertrocknet aus. »George, ich bin hier... hören Sie mich?« »öffnen Sie den kleinen Schrank neben der Werkbank! Dort liegt ein recht schweres elektrisches Kabel. Haben Sie es?« Anne öffnete mit fahrigen Fingern den Schrank. »Ja, hier ... und jetzt?« Aus dem Lautsprecher erklang tatsächlich ein kleines Gelächter. Es machte Lady Anne ganz ruhig. Wenn George schon lacht, kann alles nur halb so schlimm sein, dachte sie. »Sie müssen jetzt zur Tür und ein Ende des Kabels fest um die Klinke wickeln.« Das war allerdings eine Nervensache. Nur durch zwei Millimeter dickes Stahlblech vom Verhängnis getrennt zu sein, diese Gewißheit ist nicht jedermanns Sache. Aber Anne hatte ihre Angst jetzt ziemlich verloren. »Fertig, George! Ein Ende des Kabels ist an der Klinke.« »Über der Werkbank hängen drei Schalttafeln. Sie sehen sehr kompliziert aus, sind es aber nicht. Gehen Sie bitte zur mittleren, Mylady. Klemmen Sie das andere Ende des Kabels unter die Klemmschraube, die mit der Zahl sieben bezeichnet ist. Die Flügelmutter ziehen Sie bitte so fest an, wie es irgend geht.« »George, ich werde Ihnen in Zukunft bei ihrer Bastelei sehr über die Schulter schauen«, flüsterte sie. Das empfindliche Mikro, das ihre Worte aufnahm, übertrug ihr leises Gewisper trotzdem bis zu dem Butler. Ein Räuspern krachte aus dem Lautsprecher. »Es wird mir ein Vergnügen sein, Mylady«, gab der Butler würdevoll zurück. »Was? Das Kabel ist fest, George. Und jetzt?« »Jetzt gibt es gebratenen Golem!« kam es zurück. Die Stimme des Butlers klang eisig. »Mylady, ich darf Ihnen mitteilen, daß Sie gerettet sind. Ziehen Sie den großen Hebel an der linken Seite der Schalttafel bitte nach unten. Und berühren Sie in den nächsten Sekunden weder das Kabel noch die Tür!« Den Hebel! Es war der Hauptschalter der Tafel, aber das wußte Lady Anne nicht. Sie hing sich mit ihrem ganzen Gewicht daran und zog. Ein Knarren ertönte, dann schnappte er nach unten.
Abraham Kefil fluchte wie ein Irrsinniger. Im Flackerlicht seiner langsam ausbrennenden Papierfackel wirkte sein Gesicht verzerrt. Seine Flüche stieß er in gepflegtem Hebräisch aus, ähnlich dem, das man in der Hafengegend von Tel Aviv spricht. Zwischendurch zischte er dem Golem Robert Robesons immer wieder vollkommen überflüssige Anweisungen ins Ohr. Die Kreatur strengte sich auch so genug an. Einen Freudenschrei stieß Kefil aus, als der Golem die Türfüllung soweit geschwächt hatte, daß sie ein bißchen vom oberen Rand wegstand. Er brüllt e dem Golem einige Worte zu, und dieser stellte daraufhin seine Rammbocktätigkeit ein, klemmte die Finger seiner großen Hände in den Schlitz und versuchte, die Tür aus dem Schloß zu reißen. Aber hier lag die Sache ein wenig anders als bei dem Fallgitter in dem Geheimgang von der Bibliothek aus. Der Golem konnte seine volle Kraft nicht einsetzen, weil der Ansatzpunkt dafür doch noch ein wenig zu klein war. Als nach zwei Minuten immer noch kein sichtbarer Erfolg zu verzeichnen war, griff der Meister ebenfalls zu, nach dem Motto, daß der Chef nicht nur mit Bierflasche und Bildzeitung hantieren sollte. Er drängte sein Geschöpf ein wenig zur Seite und zwängte ebenfalls seine Hände in den schmalen Zwischenraum am oberen Türrand. Dann herrschte einige Sekunden Ruhe! Beide sammelten ihre Kräfte zum großen Generalangriff. Und dann schaltete Lady Anne Rose den Strom ein. Auf der Klemmschraube Nummer sieben an Georges Experimentiertafel lag eine 220 Volt Phase. Abgesichert war diese mit hundert Ampere. Mit solchen Stromstärken hantierte der Butler des öfteren. Mister Kefil verdrehte die Augen in Richtung Kronleuchter. Jeder einzelne Muskel seines Körpers verkrampfte sich. Das verhinderte auch, daß er von der Tür abfiel wie eine reife Frucht. Seinem Golem ging es ein wenig besser. Er wollte nämlich gerade nachgreifen. So bekam er nur wenig ab. Es genügte aber, um ihn quer durch den Kellerraum segeln zu lassen. Im Schein der auf dem Boden flackernden Fackel sah sein von den langen Haaren umrahmtes Gesicht überrascht aus. Zwischen der Türfüllung und der Türzarge bildeten sich infolge der Stromstärke lauter kleine Lichtbogen. Sie schweißten die Tür regelrecht zu.
Dann hielt die Sicherung in der Schalttafel der Kurzschlußüberlastung nicht mehr stand und fiel heraus. Gleichzeitig mit dem Wegbleiben des Stromes fiel auch Abraham Kefil zu Boden. Er blieb eine volle Minute reglos liegen. Dann bewegte er sich und kam taumelnd auf die Beine. Mit lautlosen Schritten kam der Golem Robert Robesons heran und blieb vor ihm stehen. Kefils Gesicht war total verkrampft. Er sah aus, als würde er vergnügt vor sich hingrinsen. Dann war er wieder da. Mit einem fixen Griff angelte er sich seine Fackel vom Boden - es ist erstaunlich, wie lange so ein Ding brennen kann - und untersuchte in ihrem Lichtschein die Tür. Als er sah, daß sie de facto zugeschweißt war, fing er an zu heulen wie ein mondsüchtiger Steppenwolf. Dann brach er abrupt ab. »Hören Sie mich, Lady Depford?« schrie er mit überkippender Stimme. »Natürlich, Hundesohn«, kam Annes Stimme gutgelaunt zurück. »Hat's weh getan?« Kefil benötigte dreißig Sekunden, um nach dieser Frechheit wieder zu Atem zu kommen. »Für diesmal sind Sie entkommen.« Er stand nahe vor der Tür. Seine Stimme war fast zu einem halblauten Flüstern herabgesunken. »Aber ich komme wieder. ICH KOMME WIEDER!!!« »Meinen Sie das ernst?« fragte Anne freundlich zurück. Sie hatte jetzt wieder "Oberwasser. Aber Kefil gab keine Antwort. Anne hörte einige halblaut gesprochene Kommandos in fremder Sprache und dann das Geräusch sich entfernender Schritte. »George?« sagte Lady Anne laut. »Ja, Mylady?« Der Butler hielt den Hörer des Autotelefons dicht ans Ohr gepreßt. Mit einer Hand winkte er Stanley zu sich heran. »George, dieser Kerl flüchtet. Zusammen mit seinem Ungeheuer.« Annes Stimme klang drängend. »Er sagte vorhin, daß er einen Wagen dabei hätte. Er stünde vor der Parkmauer.« »Mylady sind sicher?« »Georgie, reden Sie keinen Unsinn. Wie soll er sonst nach Helmet and Chain gekommen sein?« »Vollkommen richtig, Mylady, Verzeihung...« »Wo steckt ihr überhaupt?« Lady Anne Roses Stimme war auf einmal seidenweich und gefährlich. »Mich arme, schutzlose Frau
überlaßt ihr einem derartigen Untier ... und fahrt inzwischen in der Gegend spazieren, wie?« »Mylady, wir eilten nach Mister Kefils Anruf ... ähem, ich meine, wir sind bereits auf der Zufahrtstraße zum Schloß.« »Dann muß er doch an euch vorbeikommen, wenn er verduften will. Es gibt keine andere Straße! Geben Sie mir Stanley, sofort!« George gab den Hörer weiter. Dann machte er sich wieder an die Arbeit. Ächzend wuchtete er das schwere Reserverad aus dem Kofferraum. Sir Stanley, der elfte Earl of Depford, hielt den Hörer am Ohr und sagte nichts. Aus den Augenwinkeln sah der Butler, daß er immer blasser wurde. Vielleicht lag es auch am fahlen Licht der Wageninnenbeleuchtung. Nach zwei Minuten schien Anne mit ihrem Monolog fertig zu sein. Im Gesicht des Earls arbeitete es. »Ist gut, mein Liebes«, sagte er schließlich sanft. »Bleib im Keller von George, bis wir zurückkommen. Ich verspreche dir, daß es nicht allzulange dauern wird. Und ... äh ... treib ein wenig Gymnastik, das hält warm, weißt du?« Er nahm den Hörer vom Ohr und befestigte ihn wieder in seiner Halterung. Dann wandte er sich George zu. »Ah, Sie haben das Rad bereits ausgewechselt. Wunderbar! George, hören Sie...« »Sir?« »Ich glaube nicht, daß es einen allzuherben Verlust für die Menschheit bedeutet, wenn Kefil das Zeitliche segnet.« »Ich darf mir erlauben, Ihnen beizupflichten, Mylord.« Die Stimme des Butlers war kalt wie Trockeneis. »Er hat einiges mit meiner Gattin gemacht ... ich meine, er wollte es jedenfalls ... Auf alle Fälle hat er sich keineswegs wie ein Gentleman benommen.« »Ich verstehe, Sir.« George verstaute das platte Rad und das Werkzeug im Kofferraum des Silver Shadow. Mit einer sorgsamen Bewegung klappte er ihn zu. »Sir«, meinte er ganz nebenbei, während er zur Front des Wagens ging, »ich muß Myladys Worten, daß der Golemmacher hier vorbeikommen wird, vorbehaltlos zustimmen. Ich glaube nicht, daß er die Schleichwege durch den Wald kennt. Er wird auf der Straße bleiben. Und seiner Ansicht nach, wird es immer noch eine Stunde dauern, bis wir hier sein könnten.«
»Worauf wollen Sie hinaus, mein Ungutester? Sie haben doch bereits einen bestimmten Plan!« »Ich muß es gestehen, Sir ... ja.« George öffnete die Tür auf der Fahrerseite und nahm Platz. Stanley verholte sich in den Fond. Der Butler drehte den Zündschlüssel um. Ein beruhigend-kraftvolles Brummen unter der Haube zeigte an, daß der Rolls wieder voll einsatzfähig war. »Nun...« »Sofort, Sir. Einen Moment bitte.« Er ließ den Wagen langsam bis zum Kadaver des Rehs rollen, das an dem ganzen Aufenthalt schuld war. Dann stieg er aus und warf die pelzigen Überreste in den Straßengraben. »Es ist nicht unbedingt notwendig, Mylord, das Mister Kefil merkt, daß nach ihm noch jemand diese Straße befahren hat.« »Ach so ...« Der Earl begriff. »Sehr richtig.« George wählte seine Worte mit Bedacht, während er den Rolls vorsichtig rückwärts in einen Waldweg manövrierte. Dann schaltete er den Motor und die Scheinwerfer ab. Sie standen etwa zwanzig Meter von der Fahrbahn entfernt und konnten ein Teilstück von ihr recht gut überblicken. Der Rolls -Royce selbst war dagegen von der Straße aus nicht zu sehen. »Mylord werden zugeben müssen, daß mit dem plötzlichen Ableben des Golemmachers nicht gerade viel gewonnen wäre.« »Na, hören Sie ...« »Sie verzeihen, daß ich Sie unterbreche. Stürbe er hier auf der Straße, was sich ohne größere Schwierigkeiten bewerkstelligen ließe, wüßten wir nichts über den Hintergrund dieses Mannes. Und da sind, mit Verlaub gesagt, noch Vierhunderttausend Pfund .. .« »Der Zaster aus dem Coup bei Pliman, Pliman & Pliman, richtig.« Stanley nagte an seiner Unterlippe. »Es wäre natürlich schön, wenn den rechtmäßigen Besitzern das Geld wieder übergeben würde. Natürlich inkognito. Sie wollen also ...« »Genau!« Über das Gesicht des Butlers huschte ein erfreutes Lächeln. Man verstand sich wieder mal. »Ich bin der Ansicht, daß Mister Kefil außer dem Robesonschen Haus noch einen Stützpunkt in diesem Teil des Landes hat. Es steht zu erwarten, daß er diesen nach seinem Mißerfolg auf Helmet and Chain unverzüglich ansteuern wird. Er wird sich denken können, daß wir eine kleine Jagd auf ihn veranstalten wollen, und sich deshalb eine Zeitlang verbergen.«
»Sie meinen, wir sollen hier warten, bis er vorbeikommt und ihm dann unauffällig folgen?« »Sie sagen es, Mylord. Jetzt, da Mylady außer Gefahr ist...« »Sie friert bloß ein bißchen«, sagte Stanley gedankenverloren. Er schnippte eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an. »Okay«, fuhr er dann leise fort. »Vielleicht kann ich von diesem Hund sogar noch etwas lernen. Wie man einen Golem macht, beispielsweise. Den Wortlaut der Schemamphora, der kabbalistischen Schöpfungsformel zu erfahren ... das wäre nicht schlecht.« »Sir«, sagte der Butler im Ton tiefster Entrüstung. »Das ist Schwarze Magie!« »Da haben Sie wieder recht«, lachte Stanley. Er drehte die Seitenscheibe herunter und warf den Rest seiner Zigarette hinaus. Als er sie wieder hochkurbeln wollte, auch im Sommer sind die schottischen Nächte unangenehm kühl - hörte er es. »Still, George!« Aus der Ferne kam das Geräusch eines überdrehten Automotors. Dazwischen mischte sich das Kreischen überbeanspruchter Reifen. »Oho, Mister Kefil scheint es eilig zu haben, den Ort seiner Missetaten hinter sich zu lassen«, stellte der Butler fest. Er ließ den Motor des Silver Shadow an. Er brummte leise im Leerlauf. »Wenn ich Mylord bitten dürfte, sich anzuschnallen? Den Fahrgeräuschen nach zu urteilen, zählt der Golemmacher zur schnellen Truppe.« Mit einigen Handgriffen spann Sir Stanley sich in seinen Sechspunktgurt im Fond ein und drehte die Scheibe hoch. Das. Motorgeräusch des sich nähernden Wagens wurde zu einem Heulen. Dann kam er. Der Earl und George überblickten die Straße in einer Länge von etwa hundert Metern. Ein Wagen raste wie ein schwarzes Phantom um die leichte Kurve, die ihr Gesichtsfeld beendete. Die Scheinwerfer hatte er voll aufgeblendet, H4-Lampen leuchteten die Fahrbahn taghell aus. Er rauschte mit guten hundert-zwanzig Sachen am Eingang des Waldweges vorbei, in dem der Rolls stand. Stanley konnte schattenhaft zwei Köpfe im Wageninnern erkennen, dann war die Straße wieder dunkel. Das heulende Motorgeräusch wurde schnell leiser.
George legte den ersten Gang ein und ließ den Wagen langsam anrollen. Stanley sah im Rückspiegel, daß auf dem Gesicht des Butlers ein böses Lächeln lag. »Wie ich an der Scheinwerferform erkennen konnte - sie ist sehr charakteristisch - handelt es sich bei Mister Kefils Fahrzeug um einen Jensen des Typs Interceptor FF. Ein guter Wagen, er hat nur einen Fehler: Mehr als zweihundert Stundenkilometer schafft er nicht.« Mit diesen Worten lenkte George den Rolls auf die Straße. Die achthundert Pferdchen des Turboladermotors schüttelten sich kurz, dann stoben sie los. Die Scheinwerfer ließ der Butler ausgeschaltet. Erstens war Vollmond -eine wunderbare Werwolfnacht - und zweitens kannte er sich in der Gegend gut aus. George hätte es nie für möglich gehalten, trotzdem geschah es: Bis zur Einmündung auf die Hauptstraße bekam er die Rücklichter des Jensen nicht ins Blickfeld. Er rauschte zwar trotz ausgeschalteter Scheinwerfer mit zeitweise mehr als hundertsechzig dahin, aber es reichte nicht. Jetzt standen sie an der Hauptstraß e und hatten die Wahl. Wohin war Kefil gefahren? Nach rechts oder nach links? Nach Stirling und dann weiter nach Glasgow, oder nach Edinburg? »Das haben Sie jetzt davon!« knirschte der Earl wütend. »Vorhin auf der Straße zum Schloß hätten wir ihn sicher gehabt. Und jetzt?« »Verzeihung, Mylord, ich überlege . ..« »Nur zu, nur zu!!« Es konnte gar kein Zweifel daran bestehen, daß Sir Stanley, der elfte Earl of Depford, echt sauer war. »Als er vom Robesonschen Herrenhaus, beziehungsweise der Kapelle, losfuhr, nahm er wohl naturgemäß den kürzesten Weg. Ich glaube nicht, daß er sich schon längere Zeit in Großbritannien aufhält. Er wäre uns sonst bereits aufgefallen, und wenn nicht er, so doch seine satanischen Umtriebe. Ich schlage vor, wir versuchen es in Richtung Stirling.« »Sie mit ihrer Logik«, sagte Stanley bitter. »Na los, geben Sie ihren Gäulen die Sporen!« George schlenkerte den Rolls nach rechts und stellte den Bleifuß aufs Gas. Die Scheinwerfer schaltete er jetzt ein. Seiner Meinung nach kam es nicht mehr drauf an, ob sie gesehen wurden oder nicht. Nach knappen fünfundzwanzig Sekunden hatte der Rolls seine Spitzengeschwindigkeit auf dem Tacho stehen. Sir Stanley,
ansonsten ein sehr mäßiger Raucher, angelte sich die zweite Zigarette innerhalb einer Viertelstunde aus der Packung. Nach zwei Kilometern kamen weit voraus zwei rote Rücklichter in Sicht, und sie kamen rasend schnell näher. Es waren große Rücklichter, sie sahen aus wie zwei kleine, rote Monde. »Schalten Sie die Scheinwerfer wieder aus«, rief der Earl elektrisiert. »Das ist er! Nicht nötig, daß er erfährt, daß ihm jemand nachfährt!« George schaltete seine Jodlampen nicht aus. »Ich glaube kaum, daß er das ist, Sir«, gab er über die Schulter, ohne das Tempo zu vermindern. »Die Lichter sind zu weit auseinander. Bei dem Fahrzeug vor uns dürfte es sich um einen Lastwagen handeln.« Genau so war es auch. Der Butler setzte sich hinter den Laster und glich das Tempo an. Dann kam ihm eine Idee. »Wir fragen den Fahrer, ob ihm jemand mit hoher Geschwindigkeit ent gegenkam oder aber überholte.« George drückte erstens aufs Gaspedal und zweitens auf einige Knöpfe. Aus dem Dach des Silver Shadow klappte eine blauflammende Rundumleuchte, wie sie von Polizeifahrzeugen benutzt wird. Gleichzeitig hiermit begann unter der Haube eine Sirene zu heulen. Es wirkte nicht nur täuschend echt, es war es auch. Denn selbstverständlich hatte der Butler beim Einbau dieser kleinen Accessoires Originalteile benutzt. Der Fahrer des Lasters - Jeffries Fruit Transport stand auf den Seiten der Abdeckplane aufgemalt - bekam einen heillosen Schrecken, als urplötzlich ein Polizeifahrzeug mit Blaulicht und Sirene an ihm vorbeischoß, sich vor seinen Bug setzte und das Tempo verlangsamte. Dann klappte auch noch eine beleuchtete Stopkelle aus dem Seitenfenster des Wagens und wies ihn an zu halten. Er fing an zu fluchen. Er hatte nämlich zwei Tonnen amerikanischer Zigaretten auf der Ladefläche, und diese zwei Tonnen waren nicht gerade auf legalem Weg ins Land gekommen. Sie waren Schmuggelgut. Konterbande, wie der seemännisch beschlagene Fachmann sagt. Er ging auf die Bremse und brachte seinen Zehntonner zum Stehen. Was sollte er sonst tun. »Verdammte Bullen!« knirschte er durch die Zähne. Er sah im Licht seiner Scheinwerfer, daß aus dem Wagen vor ihm zwei Leute ausstiegen.
»Noch nicht mal Uniformierte. Kripo! Na ja, jeder wird früher oder später erwischt.« Er stellte seinen Motor ab und kletterte aus dem Führerhaus. Auf der Fahrbahn erwarteten ihn zwei Männer. »Grafschaftspolizei«, sagte der Linke kurz. »Okay, okay, ich ergebe mich«, knurrte der Lastwagenfahrer ärgerlich. »Das Zeug ist auf der Ladefläche. Wie habt ihr das herausgekriegt? Wer hat uns verpfiffen? « Der Butler sah den Earl an, Sir Stanley sah George an. Über die Züge des letzteren glitt ein freundliches Lächeln. »Schau an«, meinte er freundlich. »Man ergibt sich ... tck, tck, tck. Daß viele Leute so schnell aufgeben. Wollen Sie nicht ein bißchen um sich schießen? « »Bin nicht verrückt«, knurrte der Schmuggelkapitän der Landstraße. »Begehe doch keinen Selbstmord! Das überlasse ich den anderen. Zum Beispiel dem Kerl, der mir vorhin mit mindestens zweihundert Sachen entgegenkam. Warum sind Sie nicht hinter solchen Rowdys her? Warum müssen immer wir armen, schwer schuftenden Schmuggler dranglauben, ha?« Dann wunderte er sich sehr. Die beiden »Kriminalpolizisten« vor ihm machten nämlich auf dem Absatz kehrt und rannten zu ihrem Auto zurück. Sekunden später dröhnte der Motor des Wagens auf. Donnerwetter, die Kiste hört sich ja an, wie ein Formel I - Bolide mit Fittipaldi am Volant, dachte der Lasterfahrer benommen. Er kapierte einiges nicht. »He, bin ich jetzt verhaftet oder was oder wie?« brüllte er gegen den Motorenlärm an. Dann brachte er sich durch einen schnellen Satz zur Seite in Sicherheit. Der dunkle Wagen katapultierte sich nämlich los, drehte nach zehn Metern auf dem Teller - eine kleine Spezialität von Mister George McLowrie - und donnerte in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Das dröhnende Motorgeräusch verklang nach wenigen Sekunden. Der Schmuggler kratzte sich am Kopf. Dann beschloß er, die ganze Angelegenheit als Fata Morgana zu betrachten, so was kann ja mal vorkommen, nicht? Auch bei Nacht und sogar mitten im schottischen Highland. »Er hat den selben Weg benutzt, wie wir auf der Herfahrt«, rief George. »Jetzt bekommen wir ihn, kein Zweifel., Auf dieser Straße kann ich eine wesentliche höhere Endgeschwindigkeit ausspielen als er.«
Die Schnellstraße war absolut leer. Es war bald zwei Uhr in der Frühe, kein anständiger Schotte ist um diese Zeit noch auf den Rädern. Bloß Schmuggler und ähnlich gesetzlose Elemente. Zwischen Dunbar und Berwick holten sie ihn ein. George ging ein wenig vom Gaspedal, als die Rücklichter etwa einen Kilometer voraus ins Blickfeld kamen. »Er ist es«, sagt e er triumphierend. »Abraham Kefil! Unter allen Automobilen der Welt hat nur der Interceptor diese seltsam langgezogenen Rückleuchten. Er ist es!« »Licht aus!« befahl der Earl vom Fond aus. Auch ihn hatte das Jagdfieber gepackt. »Äh .. . George!« »Sir?« »Gut gefahren, Alter.« »Ich danke, Mylord.« Wäre es nicht dunkel geworden, so hätte Sir Stanley bestimmt gemerkt, daß der mehr als sechzig Jahre alte Mann vor ihm vor Freude ganz rot geworden war. Ein ehrlich gemeintes Lob ist für jeden Mensch ein Born der Erbauung, das sagte bereits Sir Walter Scott, und der mußte es ja wissen ... George hielt einen Abstand von etwa fünfhundert Metern. Es ging ziemlich flott voran, so mit etwa zweihundert Stundenkilometern. Kefil fuhr seinen Jensen voll aus, während der Butler den Rolls nicht so beanspruchte. Der Golemmacher mied die Ortschaften und benutzte immer die überall vorhandenen Umgehungsstraßen. Er schien sich in diesem Teil des Landes doch besser auszukennen, als George angenommen hatte. Die Hinweisschilder von Berwick huschten vorbei, eine Viertelstunde später donnerten sie durch einen Außenbezirk von Belford. Von da waren es nur noch hundert Kilometer bis Newcastle. George wartete, bis sie an die Abzweigung nach Blyth kamen. Kefil benutzte sie nicht. Er blieb auf der vierspurigen Schnellstraße nach Newcastle up on Tyne. »Sir, mir kommt eine ganz unwahrscheinliche Vermutung«, ließ der Butler sich vernehmen. Stanley hatte sich aus seinem Sicherheitsgurt herausgesponnen. Bei dem geringen Tempo braucht man so was ja nicht, oder? Er grinste wölfisch. »Ihnen auch? Ich hatte diese Vermutung bereits, als uns dieser Mitternachtsschmuggler erzählte, was wir wissen wollten. Für mich besteht kein Zweifel, daß der Golemspezialist nach Newcastle-Sirroc
zurück will. Er muß ja der Meinung sein, daß wir nicht mehr dort sind. Seiner Ansicht nach sind wir jetzt bereits auf Helmet and Chain. Ich schätze, er hatte vor vier Stunden in der Eile etwas vergessen. Wir ließen ihm ja keine Gelegenheit, großartig etwas mitzunehmen, nicht wahr?« »Wie roh von uns«, konstatierte George. »Mylord meinen eventuell, daß Mister Kefil das Plimangeld vergessen haben könnte?« »Möglich«, entgegnete Sir Stanley kurz. »Könnte ja sein, daß im Haus irgendwo ein versteckter Tresor ist, den wir in der Eile übersehen haben. Nein, ich denke eigentlich mehr an etwas anderes.« Der Butler dachte einige Sekunden lang nach. Bei weniger als zweihundert Sachen läßt es sich sehr gut nachdenken. Niedrigeres Reisetempo wirkte auf George stets wie ein geistiges Stimulans. Übrigens hatte er bei sich beschlossen, in Zukunft bei Nacht immer mit abgeschalteten Scheinwerfern zu fahren. Er fühlte sich im Moment genauso sicher, als würde vorn am Bug des Rolls die Sechserbatterie ihr Licht verschwenden, tatsächlich! »Sir, Sie denken doch nicht etwa an ... ähem ... die Leichen in der Krypta der Hauskapelle?« Stanley räusperte sich ungeduldig. »Sie sagten vor einigen Stunden selbst, daß es Ihnen so vorkäme, als würde der Golemmacher dort einige Leichname sozusagen auf Vorrat halten. Erinnern Sie sich? Wenn ich jetzt daran denke, daß in a 11 e n acht Sarkophagen ein Reservegolem liegt und bloß darauf wartet, auf eine höchst ungesetzliche Art und Weise zum Leben einem Pseudoleben - erweckt zu werden ... George, dann wird mir übel!« Kurz vor dem Ortseingangsschild von Newcastle bog Kefil nach rechts ab. Jetzt war es offenbar: Dieser Frechling wollte tatsächlich auf das Robesonsche Gut zurück. George hielt nicht länger Sichtkontakt mit den Rückleuchten des Interceptor FF. Er schleuderte den Wagen in einen schmalen Seitenweg hinein und brachte ihn zum Stehen. »Was soll das, George?« fragte der Herr von Helmet and Chain ein bißchen überrascht. Der Butler drehte sich um. Auf seinem Gesicht lag ein derart seliges Lächeln, daß es sogar den abgebrühten Earl schauderte. »Ich kenne mich in dieser Gegend ein wenig aus, Sir«, fuhr George sanft fort »Ich traue mir zu, mindestens eine Viertelstunde früher als Mister Kefil auf dem Robesonschen Grundstück einzutreffen. Wir
wissen jetzt mit fünfundneunzigprozentiger Gewißheit, daß er ebenfalls dorthin möchte. Man könnte ihm vielleicht einen würdigen Empfang bereiten. Es wäre eine schöne Erinnerung für ihn .. .« Sir Stanley versank einige Sekunde lang in angestrengtes Nachdenken. Die Sache hatte einiges für sich, aber . .. »Angenommen, er fährt nicht zum Haus und auch nicht zur Kapelle. Angenommen, er hat noch irgendeinen geheimen Schlupfwinkel ganz in der Nähe. Dann warten wir in der Kapelle oder im Haus, bis wir Schimmel ansetzen. Oder noch länger!« In diesem Zusammenhang muß erklärt werden, daß der Earl of Depford, obwohl sehr belesen und highly educated, sich in Situationen, die seine Nerven belasteten manchmal einer etwas burschikosen Ausdrucksweise bediente. Dies nur für den Fall, daß der Leser sich keine falschen Gedanken macht beziehungsweise kein falsches Urteil bildet über die geistigen Eigenschaften Sir Stanleys. »Sir, ich bin fast sicher, daß er nur die Kapelle zum Ziel haben kann«, erwiderte George. »Schließlich hat er zur Zeit nur noch einen einzigen Golem zur Verfügung, und die Leichen in der Krypta . . . ich meine ...« »In Ordnung, fahren Sie los«, sagt Sir Stanley kühl. »Wenn wir noch länger diskutieren, kommt er vielleicht noch vor uns an.« In einem Haus, hundert Meter entfernt, fiel ein junges Ehep aar vor Schreck aus dem gemeinsamen Bett, als der Turboladermotor aufröhrte .. . George drosch den Rolls durch einige Seitengassen. Zweimal streifte er auch Hausecken, der Putz rieselte. Aber auf so was nahm er selten Rücksicht, wenn er es eilig hatte. Und im Moment hatte er es sehr eilig! Nach drei Minuten waren sie zwischen den Häusern heraus. Stanley kannte sich überhaupt nicht mehr aus. »George, sind Sie sicher, daß das der Weg zum Gut ist? « brüllte er gegen den Motorenlärm an. Bei Tempo hundert-fünfzig drehte der Butler sich kurz um und zeigte sein indigniertestes Gesicht. »Mylord, als junger Mann las ich in dieser Gegend meine allererste Schwarze Messe...« Ja, dann ... Dann ging die wilde, verwegene Jagd über einen völlig unausgebauten Feldweg. Die Achsen, Federn und Stoßdämpfer des Chapman-Fahrgestells drohten lautstark, ihren Geist aufzugeben, und Sir Stanley kämpfte plötzlich mit nicht unerheblichen
physiologischen Schwierigkeiten. Aber dieser Spaß dauerte weniger als eine Minute. Ein Zaun kam in Sicht, ein relativ morscher Holzzaun, und George nahm denselben frontal aufs Korn. Es krachte ein wenig, dann waren sie durch. George drehte sich um. »Wir befinden uns nun auf Robesonschem Grund und Boden.« Der Earl war nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Er hielt sich krampfhaft an den Haltegriffen im Fond fest, wurde aber trotzdem wie ein Lumpenbündel hin- und hergeschleudert. Es war ... etwas für harte Männer . .. nicht für Puschkintrinker! Im bleichen Licht des vollen Mondes tauchte rechts neben dem Weg eine finstere, stabil aussehende Silhouette auf. Stanley schloß voller Entsetzen die Augen, als George das Steuer herumriß und darauf zuhielt. Dann machte der Butler das, was viele Rennfahrer schon auf der berühmten Nürburgringrennstrecke in Germany probiert haben, nämlich ... weg von der Fahrbahn - Feldweg in diesem Fall. Hecke auf ... Auto rein ... Hecke zu! Zweige rauschten an den geschlossenen Fenstern des Rolls vorbei, das gequälte Knirschen jungen Holzes war zu hören, dann trat George auf die Bremse und brachte das Geschoß zum Stehen. Mit einer endgültigen Bewegung drehte er den Zündschlüssel um und zog ihn ab. Es war stockduster. »Wir sind angelangt, Mylord«, erklärte der Butler in aller Ruhe. »Angelangt«, stöhnte der Earl, »Hölle und Teufel!« »Ich hielt es für angebracht, den Wagen gleich gegen Sicht zu decken und fuhr ihn deshalb in diese Hecke. Da sie sehr dicht ist, dürfte man den Rolls kaum bemerken, selbst dann nicht, wenn man fast direkt davorsteht.« »Na ja, ins Werk muß er so oder so«, seufzte Stanley. »Da können Sie ihn ruhig noch ein wenig mehr kaputtmachen ...« Der dunkle Schattenriß der Kapelle hob sich deutlich gegen den helleren Nachthimmel ab. Es sah irgendwie drohend aus. Die Hecke mit dem Silver Shadow drin befand sich gerade zwanz ig Meter hinter der Rückseite des Gebäudes. »Ich dürfte gegenüber Mister Kefil etwa zwanzig Minuten gutgemacht haben«, flüsterte George leise, als sie auf das Eingangsportal der Minikirche zugingen. Der Butler trug diesmal eine starke Taschenlampe in der Hand, die er aus dem Wagen
mitgenommen hatte. Sie sahen sich um, aber es war alles ruhig. Das entfernte Herrenhaus war immer noch so dunkel, wie sie es kurz vor Mitternacht verlassen hatten. Auch das schwere Eichenportal der Kapelle war noch offen. George hatte, als sie die Kirche verließen, ein wenig Gewalt angewandt. Das Sicherheitsschloß war nicht mehr viel wert. Jedenfalls gab es auf dieser Welt keinen Schlüssel mehr, der für selbiges passend gewesen wäre. Sie huschten geräuschlos ins Innere. Der Butler schaltete seine starke Stablampe ein. Keine Veränderung! Die Kerzen auf dem Altar in Raummitte waren in der Zwischenzeit wieder erloschen, und das Gerippe des Exgolems, der Stanley so verprügelt hatte, lag immer noch friedlich in der Gegend herum und grinste mit sympathischen Goldkronen. »George«, flüsterte Sir Stanley leise, »meinen Sie, daß die Zeit noch reicht, um die restlichen Totenbehälter in der Krypta zu öffnen? Ich möchte mich gerne überzeugen, ob tatsächlich in jedem Sarkophag so ein langhaariger Hippie liegt. Dann wäre Kefil erwiesenermaßen ein achtfacher Mörder.« »Haben Mylord Gewissensbisse?« erlaubte sich George eine geradezu ungeheuerliche Frechheit. Der Earl schien es allerdings nicht zu bemerken. »Kaum, mein Bester«, grinste er schmal. »Aber mir kam gerade eine umwerfende Idee. Dafür wird mir dieses Jahr vermutlich der Award als phantasievollster Magier der Saison verliehen werden.« »Dürfte ich erfahren ...« »Dürfen Sie nicht! Wie ist es? Haben wir noch soviel Zeit?« »Noch eine Viertelstunde, Sir«, erwiderte der Butler nach einem Blick auf seine Taschenuhr. »Fein. Dann verziehen wir uns mal möglichst spurlos in die Unterwelt dieser Kapelle.« Was sie dann auch taten. Auf der Treppe lagen bleich und phosphoreszierend zwei Skelette. George spendete ihnen stummen Salut, indem er kurz seinen Schritt verlangsamte und den Bowler ein wenig lüftete. Stanley, der es aus den Augenwinkeln mitbekam, schüttelte nur den Kopf. Manchmal verstand er seinen Vertrauten nicht. Der Sarkophag Robert Robesons - besser der, an dem die Bronzeplatte mit Robesons Namen angebracht war - war immer noch
offen. Die Leiche darin sah immer noch mit trotzig-starrem Blick gegen die gemauerte Decke des Gewölbes. »Ich bin sicher, George, daß wir in den anderen Steinsärgen ganz ähnliche Figuren finden werden«, sagte der Earl of Depford. »Sie haben doch ihren Schraubenschlüssel oder ihre Zange oder was es war, hier unten irgendwo liegenlassen. Wo?« »Hier, Sir!« Der Butler wälzte den Leichnam ein wenig zur Seite und zog seine Rohrzange darunter hervor. ; »Gut! Wir fangen von hinten an. Den letzten in der Reihe. Los!« Die Schrauben, mit denen dieser Sarkophag verschlossen war, ließen sich ganz überraschend leicht lösen. Der Butler benötigte nicht mal seine Zange. Er konnte die Muttern mit der Hand aufdrehen. »Scheinbar wurde dieser Sarkophag öfters benutzt«, gab er seine Ansicht kund. Die letzte Mutter war lose. Gemeinsam wuchteten sie die schwere Steinplatte des Oberteils zur Seite. Sie verfuhren wie beim ersten Mal und legten sie einfach um neunzig Grad verdreht auf das Unterteil. »Leuchten, George!« Als der Strahl der Lampe ins Sarginnere fiel, stieß der Earl einen gedämpften Pfiff aus. Es war aber auch zu schön. »George, George ... vierhunderttausend englische Pfund Sterling! Haben sie schon mal soviel Banknoten auf einem Haufen gesehen? Pliman und Genossen werden sich freuen, wenn sie ihre Kohlen wieder bekommen.« »Die Versicherung, die der Bank den Schaden ersetzte, wird sich freuen«, berichtigte der Butler. Er griff nach unten und fuhr mit gespreizten Fingern durch die Päckchen gebündelter Pfundnoten. »Kein schlechtes Gefühl«, stellte er fest. »Obwohl ich es irgendwie pietätlos finde, einen Sarg als Sparbüchse zu benutzen.« »Sehr sicher, so was«, meinte Stanley achselzuckend. »Wer sucht darin schon nach Geld?« »Niemand. Äh ... Sir!!« »Hm?« »Da liegt noch etwas darunter... Sekunde ...« George beugte sich tief über den Sarkophag und zerrte an etwas herum. Dann kam sein ausgestreckter Arm mit einem Ruck hoch. Er hielt eine schwarzlederne Diplomatentasche. »öffnen!«
In der Tasche befanden sich erstens ein dickes Notizheft. Stanley öffnete es und blätterte ein wenig darin. Viel konnte er nicht damit anfangen. »Alles in Hebräisch«, gab er bekannt. »Wir werden einen Übersetzer benötigen. Und was ist das hier .. .?« Zweitens war noch ein Buch in der Tasche. Es sah alt aus und war es wohl auch. Einband Ziegenleder, Format Folio, gebunden nach Nürnberger Schule. Der Earl klappte es auf. »Mittelhochdeutsch«, sagte er erstaunt. Als Magier war er mit dieser Sprache natürlich höchlichst vertraut. Er überlas schnell die Einleitung zum ersten Kapitel. »George, eine bibliophile Rarität! Eine echte Bereicherung der Bücherei auf Helmet and Chain. Wissen Sie, was das ist?« George schüttelte den Kopf, obwohl er es sich denken konnte. »Es ist eine Handschrift des Elazar von Worms aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Titel: Praxis der Schöpfung eines Golems, wenn ich richtig übersetze. Gegen eine derartige Kostbarkeit sind die dabeiliegenden Vierhunderttausend Pfund natürlich ein Nichts ... Still!« Der Earl brach mitten im Satz ab und neigte lauschend den Kopf nach vom. »Hören Sie, George?« Der Butler hörte. Von oben, ganz weit weg, ertönte das Geräusch eines Automotors. »Er ist da!« zischte Stanley. »Schnell, George, helfen Sie mir noch, den Toten aus dem Sarkophag zu heben. Schnell!« Sie hoben den Hippie aus seinem steinernen Bett und legten ihn auf die Geldbündel im Sarkophag am Ende der Reihe. Mit einem kurzen Ruck verdrehten sie den Deckel des Behältnisses. Es war wieder zu. Bei näherem Hinsehen, konnte man zwar bemerken, daß die Verschlußmuttern fehlten, aber wer wird gleich so penibel sein? »George, verschwinden Sie nach oben. Er kann noch nicht in der Kapelle sein, der Motor läuft noch. Kümmern Sie sich nicht um mich. Alles, was sie tun müssen, ist, mir den Golem Robert Robesons vom Hals zu halten. Wenn Kefil in die Krypta steigt, lassen Sie ihn. Ich werde ihm einen freundlichen Empfang bereiten. Alles klar?« Der Butler nickte bloß. In der rechten Hand hielt er plötzlich sein Messer. Dann knipste er seine Taschenlampe aus und verschwand,
Stanley hörte keine Schritte. Nur ein leiser Lufthauch sagte ihm, daß sein Butler auf dem Weg war. So, Abraham Kefil, Kabbalist... jetzt kannst du kommen, dachte der Earl grimmig. Er dachte an das, was Lady Anne ihm per Autotelefon alles gesagt hatte, und eine grellrote Jähzornswolke drohte ihm die Sinne zu vernebeln. Er beherrschte sich. Er war immerhin Brite. Obwohl er sich in der fast zweistündigen, rasenden Autofahrt von Helmet and Chain nach Newcastle ein wenig abreagiert hatte, war Abraham Kefil immer noch ziemlich am Kochen. Es war aber auch ein wenig stark, was ihm heute alles zugestoßen war. Zuerst kam dieser Earl mit seinem Butler, schnüffelte in der Denudata-Kapelle herum und legte überdies noch drei seiner körperlich besterhaltenen Golems aufs Kreuz. Daß er in der ersten Panik geflüchtet war, bereute er jetzt. Am meisten bereute er allerdings seine Schnapsidee, nach Helmet and Chain zu steamen, um sozusagen aus Rache die Gattin dieses Dep ford zu kassieren. Dieses Schmock und Tuches-Weib hatte ihn derart fertiggemacht, daß er sich überlegte, ob es nicht besser sei, bald einen guten Psychiater zu konsultieren. Es war ja immerhin möglich, daß seine Erlebnisse auf dem Schloß ihm eine dauernde nervöse Depression eingebracht hatten Auf alle Fälle würde er sich jetzt einige Monate lang aus dem öffentlichen, wie auch dem nichtöffentlichen Leben zurückziehen. Geld genug hatte er ja fürs erste. Die knappe halbe Million war zwar nur ein Anfang, aber wer hätte ahnen können, daß seine weitreichenden Pläne bereits derart früh gestört werden würden? Er würde das Geld holen und drei von den fünf Toten mit den Sehern versehen. Sie würden erweckt werden durch die Macht des Wortes, und sie würden mit ihm kommen und ihm dienen. Denn bei dem Golem Robert Robesons war es doch bereits der Fall, daß er sich ziemlich rasch ... hm ... abnutzte. Na ja, was hatte der Gute in letzter Zeit alles tun müssen! Bei der Flucht - Flucht? Nein, Rückzug - von diesem höllischen Schloß waren dem Ärmsten beim Einsteigen ins Auto doch wirklich einige Zehen gebrochen. Einfach abgebrochen ... Nein, es wurde Zeit, daß er ausrangiert wurde. Er war jetzt sechs Monate in Aktion gewesen und ziemlich verschlissen.
»Das Geld ... und drei Diener«, flüsterte er leise. »Und dann in die Stadtwohnung nach Liverpool fahren und eine Zeitlang ruhig verhalten. Wenn dieser Depford seine Jagd aufgegeben hat, die er jetzt bestimmt beginnen wird, kann ich wieder aktiv werden. Und mein erstes Ziel wird sein, ihn wegzuschaffen. Ihn .. . und den Butler und diese Frau ...« Er stellte den Interceptor vor dem Kirchenportal ab und stieg aus. Der Golem Robert Robesons blieb reglos auf dem Beifahrersitz hocken. Erst nach einigen halblaut ausgestoßenen Worten bequemte er sich dazu, ebenfalls auszusteigen. Er lief ein bißchen krumm, aber Schmerzen hatte er keine. Er war ja tot.. . schon seit einem halben Jahr... Der Golemmacher holte sich ebenfalls eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach des Jensen. Dann ging er zusammen mit seinem Geschöpf auf das Portal zu. Er stutzte etwas, als er es offen fand, beruhigte sich aber. »Stimmt, ich hatte sie eingeschlossen. Dieser Butler hat das Schloß demoliert. Auch dafür wird er büßen! Es hat schließlich drei Pfund gekostet, nicht wahr? « Im Innern der Kapelle knipste er die Lampe an und ließ den Lichtstrahl schweifen. »Alles in Ordnung«, stöhnte er erleichtert. Dann drehte er sich zu seinem Golem um. »Golem Robesons«, sagte er klar und akzentuiert auf hebräisch. »Du wirst an dieser Stelle auf mich warten, im Namen des Schemamphora, das deine Stirn umschlingt und dir Leben gibt. Du wirst wachen! Und jeden, der versucht, in die Kapelle zu gelangen, wirst du töten. Doch wenn ich dich rufe, wirst du kommen und mir gehorchen.« Der Golem sah ihn im Schein der Taschenlampe mit seinen toten Augen an. Ein grauer Film lag über den Augäpfeln. Er war blind. Der Golemmacher fragte sich manchmal, wieso seine Kreaturen sehen konnten, auch dann, wenn sie gar keine Augen mehr hatten. Ein Golem hatte wohl andere Wahrnehmungsmöglichkeiten ... er war nicht auf die Augen angewiesen. »Es ist die Kraft meines Wortes«, sagte Kefil laut und betonte das »meines« dabei. Der Golem drehte sich von ihm weg und lief einige unbeholfene Schritte in Richtung Ausgang. Dann blieb er starr stehen. Er würde wachen.
Und, falls notwendig, auch töten ... Der Schwarzgekleidete wandte sich ab. Im Schein seiner Lampe tastete er sich vorsichtig die steile Treppe zur Krypta hinunter. Daß er seit diesem Moment verloren war, konnte er nicht ahnen. Daß es für ihn keine Überlebenschance gab, wie Lady Anne Rose, die Herrin von Schloß Depford gesagt hatte ... Dann erreichte er den Raum mit den acht Sarkophagen, die Familiengruft der Industriellenfamilie Robeson. Er leuchtete mit der Lampe vom Treppenabsatz aus in jede Ecke. Er sah acht geschlossene, steinerne Särge. Was dann geschah, war seltsam. Kefil lief drei Schritte nach links und machte sich an einem Mauerquader zu schaffen. Es klickte, und plötzlich war das große, triste Gewölbe von Licht überflutet. Dafür sorgten verborgen eingebaute Leuchtstofflampen, die im Winkel zwischen Decke und Wänden des Raumes saßen. Mit langsamen Schritten lief er zum nächststehenden Sarkophag. Er bückte sich, griff unter den Sockel, auf dem dieser stand, und zog einen Schraubenschlüssel hervor. Er paßte für die Muttern, mit denen die Deckel und die Unterteile der Totenbehälter miteinander verschraubt waren. Dann sah er es. »Oh, Hölle, sie haben einen Sarkophag geöffnet«, sagte er böse. »Ausgerechnet den, in welchem dieser Fußballspieler liegt. Hoffentlich haben sie ihn nicht beschädigt...« Er ergriff mit beiden Händen den Rand des steinernen Deckels und stemmte sich ächzend dagegen. Langsam bewegte sich das schwere Versatzstück und stellte sich quer. Vor lauter Anstrengung hielt Kefil die Augen geschlossen. Ich hätte den Diener mit herunternehmen sollen, dachte er. Dann warf er einen Blick in den nunmehr offenen Sarkophag. »Du wirst der erste sein«, meinte er trocken. Dann guckte er noch mal hin und seine Augen traten ein wenig aus den Höhlen. »Der erste ... was bitte?« fragte Sir Stanley, der elfte Earl of Depford kalt. Er setzte sich in seinem Steinsarg aufrecht, zupfte seine Krawatte zurecht und blickte den Golemmacher freundlich an. »Hrrps ... Sie ... Sie«, konnte Kefil sich kaum noch fassen. »Wer sonst?« entgegnete Stanley friedlich und traf Anstalten, aus seinem Sarg zu steigen. »Wie ... wie kommen Sie ...« , »Dumme Frage«, lächelte der Earl. Sie haben sich doch nach mir erkundigt und dabei bestimmt
erfahren, daß ich ein Hobbyzauberer bin. Das erklärt doch wohl alles, wie?« Für Mister Abraham Kefil erklärte es zwar nichts, aber er war bereit, sich mit den Tatsachen abzufinden. Nicht nur das, er stellte sich auf die unerwart ete Situation sogar blitzschnell ein. Seine linke Hand mit dem schweren Schraubenschlüssel fuhr ungeheuer fix nach oben, nahm Maß und Schwung und kam zurück. Sir Stanley, als Bersalitkämpfer und Inhaber des achten Dan in dieser Kampfsportart nicht gerade einer der Langsamsten, machte sich so winzig klein, wie es gerade noch ging. Der Schraubenschlüssel donnerte mit einem glockenreinen »Bim« Chromvanadiumstahl - auf den Rand des Sarkophags. Einige Steinsplitter sausten durch die Gegend. Kefil brüllte einige Worte in Hebräisch. Er rief den Golem, den er oben im Innern der Kapelle zurückgelassen hatte. Dann war der Earl of Depford am Zug. Aber richtig... Der Golemmacher fühlte einen betäubenden Schlag auf seinem linken Unterarm. Der Schraubenschlüssel prellte aus seiner Hand und fiel zu Boden. Stanley griff mit beiden Händen zu. Kefil schrie vor Schmerz auf. Dann fühlte er sich vorwärts gerissen und in den Sarkophag hineingezogen. »Hier ist deine letzte Ruhestatt«, knirschte Sir Stanley wild. Die Wildheit machte einer gewissen Atemnot Platz, da Abraham Kefil unfair wie immer - die Gelegenheit ausnutzte und dem Earl ein Knie in den Unterleib rammte. Damit nicht genug: Er legte ihm auch noch seine gesunde rechte Hand um den Kehlkopf und drückte ... Vor Stanleys Augen kreisten einige Sterne. Mit letzter Kraft bäumte er sich auf. Sein Peiniger flog in einem ballistisch eleganten Bogen aus dem Sarkophag heraus und landete auf dem Boden des Gewölbes. Dort suchte er als allererstes seinen Schraubenschlüssel. Wo blieb nur der Golem Robesons? Er schrie noch mal seinen Befehl hinaus. Kann sein, daß ihn die Kreatur beim ersten Mal nicht gehört hatte ... Ah, dort war ja der Schraubenschlüssel. Mit zitternder Hand tastete er nach dem Werkzeug, hatte die Finger daran ... ... da stand plötzlich ein Schuh auf dem blinkenden Instrument! Direkt über dem Schuh begann das Streifenmuster einer Stresemannhose.
Ganz langsam legte der Golemmacher seinen Kopf in den Nacken und blickte nach oben. »Sie ...?« fragte er erschöpft. Seine Stimme klang seltsam flach. »Ja, ich«, sagte George McLowrie freundlich. »Haben Sie noch einen allerletzten Wunsch, Mister Kefil?« Kefil brüllte entsetzt auf, als er die blitzende Messerklinge sah, die plötzlich in der Hand des Butlers lag. »Neeeeeeiiin!« »Langsam, George, langsam!« Sir Stanley krabbelte umständlich aus seinem Sarkophag. »Riecht irgendwie modrig, wenn der Deckel zu ist«, sagte er und klopfte sich die Jacke aus. »Was ist mit dem Golem, der als ständiger Begleiter dieser Ruine fungierte?« »Mister Robert Robeson hat endlich den Frieden, den er schon so lange verdient hatte, gefunden«, sagte der Butler gemessenen Tones. »Ich gestattete mir, das Aleph auf seinem Stirnband zu löschen. Es würde mir eine tiefe Genugtuung verschaffen, wenn er in seinem angestammten .. .ähem.« George deutete auf den offenen Steinsarg, »seine ewige Ruhe findet.« Stanley nickte nur. Dann wandte er sich an Kefil, der immer noch auf dem Boden lag. Nichts von seiner ehemaligen Überheblichkeit war mehr zu sehen. »Für das, was du meiner Frau angetan hast, du Sohn des Sheitans«, sagt e er leise, »werde ich dich bestrafen. Für alle anderen Untaten, die du je begangen hast, nicht.« George McLowrie schluckte. Dann wandte er sich ab und lief zur nach oben führenden Treppe. Seine Schritte wurden immer schneller. Trotzdem hörte er die Worte, die sein Herr sprach. Er kannte auch deren Bedeutung. Es wunderte ihn auch nicht, daß er plötzlich wie erstarrt stehenbleiben mußte. Das Licht, das von den Lampen in der Krypta geliefert wurde, hatte sich tiefdunkelblau verfärbt. Die Mauerquader rechts und links von George knisterten und knackten. Risse zogen sich durch das Gestein und von irgendwo weither erklang ein leises Dröhnen. »Mylord ...!« schrie George. »Kommen Sie, George«, kam Sir Stanleys Stimme zurück. Georg öffnete die Augen. Das Licht brannte wieder normal. Mit langsamen Schritten lief er zurück. Sein Herr stand in der Mitte des Gewö lbes und hatte ein seltsames Lächeln um die Lippen.
»Er wird nie mehr Unheil anrichten«, sagte er leise und deutete zum Boden Der Butler folgte mit seinen Augen den weisenden Hand. Ein Bündel schwarzer Kleider laß dort. Die schwarzen, halb zerfallenen Lumpen wickelten sich um ein Skelett. In seiner rechten Knochenhand hielt es einen Schraubenschlüssel. »Mylord ... Mylord benutzten das Kapitel des Todes aus der Ära magicorum«, stammelte George entsetzt. »Er wird nie mehr mit den Kräften der unsichtbaren Welten herumspielen können«, sagte Sir Stanley leise. »Und er wird nie mehr Menschen töten um sie zu Golems machen.« Damit wandte er sich von den Überresten Abraham Kefils ab. Sir Stanley, der elfte Earl of Depford, Großmeister der Magie und Erster Exekutor der Weltbruderschaft der Weißen Magier .. .
Durch den sonnendurchfluteten Pari von Helmet and Chain flanierte eine kleine Menschengruppe. Da war George McLowrie, Sir Stanleys Butler, Freund und Vertrauter. Er hielt sich diskret im Hintergrund, einige Schritte hinter den anderen und machte sein übliches, undurchdringliches Gesicht. Er trug einen Kilt in den Clanfarben der Lamoracs und ein? dunkle Dienerweste, und er war bereit, auf den kleinsten Wink seines Herrn zu Verfügung zu stehen. Dann war da noch Lady Anne Rose. Ihre furchtbaren Erlebnisse schien sie vergessen zu haben. Sie lachte und war fröhlich... na ja, es war wirklich ein herrlicher Tag. Neben Sir Stanley Depford lief Tom, Earl of Shotton, der Mann, der zusammen mit Sippy Burnside den Stein ins Rollen gebracht hatte. Sippy Burnside war nicht dabei. Er war wieder in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt. Wie Sir Tom erzählte, war er doch nicht aus dem Alkoholikerclub ausgetreten. Die anderen Mitglieder hatten ihn so sehr bedrängt, daß er den Vorsitz dieser Selbstmördervereinigung behalten hatte. »Ich kann es immer noch nicht glauben, Stanley«, sagte Sir Tom kopfschüttelnd. »Golems! So was liest man in alten Sagen, aber in Wirklichkeit...? Und Bob Robeson ist jetzt richtig tot? Ich meine ... ähem ...« »Er sah richtig zufrieden aus, als er endlich in seinem Sarkophag lag«, erwiderte der Earl of Depford und blinzelte in die Sonne. »Seinen Vater, den alten Doudlin Robeson, und drei Hausangestellte
fanden wir ebenfalls. Sie lagen alle in diesen Steinsärgen herum. Golems auf Vorrat, wie George es damals sehr treffend ausdrückte. Verblüffend ...« »Stanley?« »Ja, Liebes.« Er legte einen Arm um Annes Taille. »Stanley, ich begreife nicht, daß der alte Robeson nicht sofort merkte, daß mit diesem Kefil etwas faul ist.« »Mich wundert es weniger.« Sir Stanley fuhr sich gedankenverloren übers Kinn. »Der alte Robeson war schon immer ein wenig vertrauensselig. Nach dem Unfalltod seines Sohnes damals fühlte er sich auch ziemlich einsam, glaube ich. Als dann dieser junge Mann aus Deutschland kam - Kefil ist oder war tatsächlich keine dreißig, obwohl er zehn Jahre älter aussah - und sich als Freund Bobs aus dessen Studienzeit in Deutschland vorstellte, schön, da freute sich der Alte sehr. Nachforschungen ergaben in der Zwischenzeit, daß Bob Robeson Kefil tatsächlich vor neun Jahren in Deutschland kennengelernt hatte. Beide waren an der Universität Frankfurt eingeschrieben.« »Der alte Robeson bot Kefil also seine Gastfreundschaft an - Motto, die Freunde meines toten Sohnes sind auch meine Freunde, bleiben Sie, solange Sie wollen. Habe ich das richtig verstanden?« »Du hast, Tom«, sagte Stanley milde. »Und der Alte wußte nicht, daß er einen Teufel in Menschengestalt beherbergte. Kefil hatte Deutschland verlassen müssen. Er war Mitglied eines magischen Zirkels in Frankfurt. Dieser Zirkel war sogar der Schwarzen Internationale der Linken Hand angeschlossen. Sogar diesen Satansbeschwörern war Kefil unheimlich. Sein Wissen über kabbalistische Techniken - ich meine jetzt kabbalistisch-magische Techniken - war zuviel für sie. Denn das Experimentieren mit den Körpern von Toten ist seit Frankensteins Zeiten verpönt. Es ist etwas, das Satanas nicht gefällt. Als sie dann noch herausbekamen, daß Kefil in direkter Linie von Knorr von Rosenroth, einem großen Golemmagier des siebzehnten Jahrhunderts, abstammt, schickten sie ihm den schwarzen Brief. Das bedeutete, daß er innerhalb drei Tagen sterben muß. Er wollte seinen Tod verständlicherweise nicht abwarten und flüchtete. England kam ihm da recht. Er erinnerte sich seiner Verbindung mit Bob und reiste nach Newcastle.« »Bob war aber in der Zwischenzeit verstorben«, warf Sir Tom ein.
»Sicher. Und als Kefil das hörte, mußte er wohl den Gedanken gefaßt haben, seine Magischen Kenntnisse anzuwenden. Er leistete gleich ganze Arbeit. Nachdem sein Experiment mit der Leiche Bob Robesons geklappt hatte, wurde er wohl größenwahnsinnig. Er tötete auch den alten Robeson und erweckte ihn danach wieder. Als Golem! Der Alte entließ das Hauspersonal bis auf den Butler. Und der war vertrottelt. So vertrottelt, daß er sogar George rauswarf, als er einen Besuch dort machte.« »Und dann kam ihm die Idee, sich ein Heer von Golems zu schaffen. Diese sollten ihn reich und mächtig machen.« »So ungefähr. Er ließ von Bob einige Leute töten. Als Sippy ihm damals begegnete, war er gerade auf so einer Killtour. Die Leichen wurden ihm von Bobs Golem gebracht, und Kefil erweckte sie wieder mit Hilfe des Schemamphora. Dann schickte er seine Kreaturen aus, und sie beraubten eine Bank. Sie töteten auch dabei. Tja, Tom, ich dachte damals, dieser Burnside hätte weiße Mäuse gesehen, als er kam und behauptete, einen lebenden Toten gesehen zu haben. Nie hätte ich gedacht, daß sich diese Sache derart entwickeln würde.« »Nun«, tröstete Sir Tom, »jetzt ist alles vorbei. Die Erben des Robesonschen Gutes haben sich den Kram unter sämtliche Nägel gerissen, Pliman und Company haben ihr Geld wieder und deine Worte, daß diese Bestie tot ist, kann man wohl vorbehaltlos glauben. Aber irgendwie unglaublich ist das Ganze doch . ..« »Hm, ja, alles vorbei, alles gut«, flüsterte Sir Stanley leise und irgendwie gedrückt. Sie liefen gerade an einer Gruppe von Ahornbäumen vorbei. »Alles gut, bis auf eines. Das dort!« Sir Toms Blicke folgten der Hand seines Gastgebers. Zwischen zwei mächtigen Ahornstämmen lag ein großer Felsbrocken, ein Findling. Tom Earl of Shotton trat näher und las die Inschrift, die in seine Oberfläche gemeißelt war. »Peter Winstone«, murmelte er leise. »Ja«, sagte Stanley bitter. »Es ist traurig. Er war nur Pferdeknecht. Warum es ausgerechnet ihn treffen mußte, werde ich nie verstehen. Nie!« Sir Tom zuckte die Schultern. Er verstand es nicht...
ENDE