Jochen Gerber / Hanjo Arms / Matthias Cord / Mathias Wiecher Kalkulierte Flexibilität
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Jochen Gerber / Hanjo Arms / Matthias Cord / Mathias Wiecher Kalkulierte Flexibilität
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Maria Akhavan/Sabine Bernatz Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Bild auf Umschlagseite: Joexx / Quelle: PHOTOCASE Gestaltungskonzept und Design: WE DO communication GmbH GWA, Berlin Fotos: ATB Bildagentur München Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1866-6
KALKULIERTE FLEXIBILITÄT Strategisch entscheiden in einem sich schnell ändernden Umfeld Jochen Gerber Hanjo Arms Matthias Cord Mathias Wiecher
„DER BESTE DIE ZUKUNFT ZUSAGEN, GESTALTEN“.
WEG, VORHERIST, SIE ZU (ALAN KAY)
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VORWORT „If the only tool you have is a hammer, you tend to see every problem as a nail.“ Abraham Maslow
Wer eine getroffene strategische Entscheidung rückblickend noch einmal betrachtet, weiß, dass das Ergebnis oft nicht dem entspricht, was ursprünglich erwartet wurde. Manche Investition entwickelt sich schlechter, eine andere entwickelt sich viel besser als gedacht. Häufig werden auch Ideen, die auf der Hand liegen, nicht aufgegriffen und machen so die Geschichte des Managements zu einer Geschichte der verpassten Chancen. Wenn eine Entscheidung nicht zu dem Resultat führt, das vorher so aufwändig errechnet wurde, wird das oft damit erklärt, dass es eben „immer anders kommt, als man denkt“. Wenn Abweichungen gering sind, ist das unproblematisch. Schwierig wird es allerdings, wenn man sich tatsächlich besser gegenteilig entschieden hätte, wenn Geld verloren gegangen ist oder die Chancen einer Markt- oder Technologieentwicklung nicht richtig erkannt wurden. Es gibt einige bekannte und auch spektakuläre Fälle. Vielleicht kennen Sie auch einen in Ihrem näheren Umfeld. Uns hat die Frage, warum Entscheidungen häufig zu kurz greifen, zu einer Untersuchung veranlasst. Das Ergebnis ist verblüffend: Nicht unerwartete Entwicklungen oder Ereignisse sind dafür verantwortlich, sondern sehr häufig bereits bekannte Faktoren. Oft wurde deren mögliche Entwicklung bei der Entscheidungsfindung nicht ausreichend berücksichtigt. Das liegt vor allem daran, dass unsere Entscheidungsfindung oft wenig mit den Herausforderungen und Gegebenheiten des täglichen Management-Lebens zu tun hat. Wir stellen uns eine zukünftige Entwicklung, zum Beispiel die eines Marktes, in relativ starren Szenarien vor und gehen davon aus, dass eine einmal getroffene Entscheidung nicht veränderbar
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ist. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus, denn das Unternehmertum ist von Unsicherheiten, Risiken und Flexibilitäten geprägt. Deswegen stellen wir Ihnen eine in der Cashflow-Praxis bereits erprobte dynamische Methode vor: Dynamic Decision Management. Sie führt Unsicherheit sowie unternehmerische Flexibilität als Wert in die Unternehmenspraxis ein. Investitionen, die aufgrund dieser Methode getätigt werden, sind auf die sich immer schneller drehende Welt von heute besser zugeschnitten als die, die sich allein auf die Discounted Cashflow-Methode stützen. Das Kernproblem hat der CFO eines renommierten Unternehmens klar beschrieben: „Die meisten unserer Strategie- und Einzelinvestitionsentscheidungen beinhalten erhebliche Unsicherheiten sowie zukünftige Handlungsalternativen, aber wir ermitteln deren Einfluss auf den Wert derzeit nicht.“ Dieses Buch erhebt nicht den Anspruch, wissenschaftlich-theoretische komplexe Aspekte der Wahrscheinlichkeits- und Optionsrechnung zu erläutern. Vielmehr soll es Entscheidern und Führungskräften eine Übersicht darüber geben, inwieweit Unsicherheit und Flexibilität von Wert sind beziehungsweise den Wert beeinflussen. Denn wer sich damit auseinandersetzt, kann in Zukunft nachhaltigere strategische Entscheidungen treffen und sie besser gegenüber Eigentümern, Mitarbeitern, Aufsichtsräten und Politikern vertreten. Kapitel 1 bietet einen Überblick über die Methode und soll gleichzeitig Verständnis und Bereitschaft dafür schaffen, dass strategische Herausforderungen in Unternehmen umfassender und schneller erfasst werden müssen. Nur so kann der Wert künftiger Strategien deutlich besser bewertet werden.
VORWORT
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Kapitel 2 erläutert, wie die Discounted Cashflow (DCF)-Methode und ihre bisherige starre Anwendung grundsätzlich funktioniert und warum sie für die Strategieentwicklung und Strategiebewertung nicht ausreichend oder sogar irreführend ist. Kapitel 3 beschäftigt sich mit dem Thema Unsicherheit: wie sie das Ergebnis einer Investition oder strategischen Entscheidung beeinflusst, wie sie gemessen oder abgeschätzt werden kann und wie gegenseitige Abhängigkeiten zwischen mehreren Unsicherheitsfaktoren zu berücksichtigen sind. Kapitel 4 stellt dar, wie sich der zukünftige Wert einer Strategie oder einzelnen Investition aus der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten ableitet und wie die Berücksichtigung von Unsicherheiten die Entscheidungsfindung verbessert. Kapitel 5 beschreibt, wie existierende Handlungsalternativen gefunden, aktiv gestaltet und wie Flexibilität generell genutzt werden kann. Kapitel 6 zeigt, wie der Wert von Flexibilität zu berechnen und zu interpretieren ist. Daraus ergibt sich ein konkretes Vorgehen für eine verbesserte Entscheidungsfindung. Den Praxistest für die neue Methode bietet Kapitel 7: Es erläutert die Vorteile des neuen Ansatzes anhand dreier in der Praxis bewerteten Fälle und macht die Vorteile gegenüber der klassischen Analyse anschaulich. Wessen Neugier auf die praktische Anwendung der neuen Methode bereits in Kapitel 1 geweckt wurde, der kann die Herleitung in den Kapiteln 2 bis 6 überspringen und sich gleich den Umsetzungsbeispielen in Kapitel 7 zuwenden.
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Uns geht es nicht darum, nur eine weitere Beratermethode oder neue Rechenmechanik zu propagieren, die die Probleme vermeintlich lösen kann. Es geht uns um nicht weniger als eine neue Art des strategischen Denkens, das Unsicherheiten und Handlungsalternativen weder ignoriert noch pauschaliert, sondern sie zur Basis strategischer Entscheidungen macht. Wir wissen, dass Neues immer erst einmal auf Widerstand stößt. Aber wir wissen auch: Der Ort des Denkens ist der Kopf. Und der ist bekanntermaßen rund – damit das Denken die Richtung ändern kann.
Jochen Gerber, Hanjo Arms, Matthias Cord, Mathias Wiecher Berlin, im April 2010
VORWORT
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INHALTSVERZEICHNIS
Kapitel 1: Flexibilität mitdenken heißt nachhaltig entscheiden
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Kapitel 2: Warum Entscheidungen heute nicht mehr zeitgemäß gefällt werden
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Kapitel 3: Was ist Unsicherheit?
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Kapitel 4: Trotz unsicherem Umfeld sicher entscheiden
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Kapitel 5: Flexibilität ist etwas wert – und kann bewertet werden
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Kapitel 6: Der TotalValue
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Kapitel 7: Der TotalValue in der Praxis – drei Beispiele
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Danksagung Glossar Literaturhinweise Autoren
INHALTSVERZEICHNIS
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1. FLEXIBILITÄT MITDENKEN HEISST NACHHALTIG ENTSCHEIDEN
Motorsport ist nicht nur schnell und attraktiv – er ist eine komplexe Sportart, und zwar in jeder Disziplin. Deshalb müssen die Rennteams ständig an ihren Strategien feilen. Das gilt für die Saison als Ganzes wie auch für jedes einzelne Rennen. Was bedeutet es für die Formel 1, wenn wieder profillose Reifen verpflichtend oder Heckflügelmaße reduziert werden? Und wie wird sich das Verbot des Nachtankens während der Rennen auswirken? Oder: Bleibt das Wetter stabil? Entwickeln die Reifen optimalen Grip, und wenn ja, nutzen sie sich dadurch zu schnell ab? Bis zum letzten Augenblick heißt es für den Strategen und sein Team: Flexibel auf nicht vorhersehbare Situationen reagieren. Und dann? Nach dem Rennen ist vor dem Rennen. Nicht anders erlebt der Unternehmer seinen Alltag – und zwar unabhängig davon, ob sich die Wirtschaft oder das Unternehmen gerade in einer Phase des Aufschwungs oder in der Krise befindet. Die Chefs stehen täglich vor der Herausforderung, wichtige Entscheidungen zu ihren Produkt-, Kunden- oder Vertriebsstrategien treffen zu müssen. Da sich die Welt immer schneller dreht, stellen sich auch zahlreiche Fragen immer häufiger und auf immer vielfältigere Weise: Wann ist der ideale Investitions- oder Desinvestitionszeitpunkt, wie viel Geld soll eingesetzt, auf welche Technologie soll gesetzt werden? Wenn sich Rahmenbedingungen immer drastischer und kurzfristiger verändern, wird Flexibilität zur Maxime. Das lässt sich leicht am folgenden Beispiel nachvollziehen: In einem internationalen Unternehmen wurde aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage konkret geprüft, ob und wann eine bestehende Produktionsanlage weiterbetrieben, J. Gerber et al., Kalkulierte Flexibilität, DOI 10.1007/978-3-8349-8942-0_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 KAPITEL 1: FLEXIBILITÄT MITDENKEN HEISST NACHHALTIG ENTSCHEIDEN
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stillgelegt oder ganz abgebaut werden sollte. Die Analyse erfolgte bisher mit Hilfe der Discounted Cashflow-Methode, die auch als Kapital- oder Barwertmethode bezeichnet wird. Wie immer wurden auf der Grundlage von verschiedenen Szenarien Parameter wie zum Beispiel Bezugskosten für Rohmaterialien, Absatzmengen und Absatzpreise sowie diverse variable und fixe Kosten berechnet. Das Resultat war das bislang übliche Bündel von „Was-wäre-wenn“-Analysen. Der Nettobarwert (Net Present Value, NPV) bewegte sich von + 250 bis – 180 Mio. Euro. Aber es war nicht vorherzusehen, wie wahrscheinlich die einzelnen Szenarien eigentlich waren. Abgesehen davon war der Unternehmensführung bewusst, dass es neben den gerechneten noch unzählige weitere Varianten gab. Die Ergebnisse taugten also nicht als Entscheidungsgrundlage. Mit dem im Folgenden vorgestellten Dynamic Decision Management-Ansatz können die Unternehmer nun alle denkbaren Handlungsalternativen der Zukunft bewerten: Vom Weiterbetrieb der Produktionsanlage über eine zeitlich beschränkte Stilllegung mit der Möglichkeit, den Betrieb später wieder aufzunehmen, bis hin zu einem endgültigen Rückbau der Anlage. Sie können zusätzlich für die einzelnen Entwicklungen Werte ermitteln, also zum Beispiel, wie wahrscheinlich es ist, dass sich die wirtschaftliche Lage innerhalb der Restlaufzeit der Anlage verbessert oder sogar noch schlechter wird. Darüber hinaus können sie noch zahlreiche weitere Fragen beantworten, die die volatilen Rahmenbedingungen genau unter die Lupe nehmen: Lohnt es sich, eine neue Technologie einzusetzen, obwohl sie noch nicht erprobt und deshalb unsicher ist? Und wenn es sich lohnt – wann ist der beste Zeitpunkt dafür? Wenn sich bestimmte Parameter meiner Branche ständig verändern, welche Märkte sind dann wann anzugehen? Mit welchen M&A-Kandidaten erreiche ich die Wachstumsziele am wahrscheinlichsten, und welche Handlungsalternativen bieten sich an? Intuitiv weiß jeder Manager Handlungsalternativen, also Flexibilität im Handeln, zu schätzen. Viele wissen auch, dass es keinen Widerspruch bedeutet, eine klare Strategie zu verfolgen und sich trotzdem „alle Türen offenzuhalten“, um schnell auf Veränderungen der Märkte oder des Wettbewerbsumfelds reagieren zu können. Trotzdem versäumen es die meisten, systematisch nach alternati-
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ven Handlungspfaden zu suchen oder sie zu entwickeln. Das liegt vor allem daran, dass Flexibilität und strategische Handlungsalternativen mit traditionellen Verfahren schwer zu bewerten sind oder sich sogar einer Strategiebewertung vollständig entziehen. Ein Manager, dessen Firma von der Entwicklung des Ölpreises oder neuer Technologien abhängt, hat es schwer, seine Kosten zu kalkulieren. Der Spielraum wird aber mindestens ebenso sehr von unklaren politischen, gesetzlichen oder gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen beeinflusst. Das sind Wahlen genauso wie die Einführung von kostenpflichtigen CO2-Zertifikaten in energieintensiven Industrien wie Stahl, Papier etc. Aufsichtsräte, Aktionäre und nicht zuletzt die Gesellschaft erwarten zu Recht, dass die Unternehmenslenker die Risiken und Chancen ihrer strategischen Entscheidungen umfassend prüfen und die Qualität ihrer Entscheidung trotz des immer komplexeren Umfelds möglichst verbessern. In der Praxis hilft es dabei wenig, die bestehende Vielschichtigkeit stark oder sogar zu stark zu vereinfachen beziehungsweise zu pauschalieren. Dennoch ist gerade das in einigen Unternehmen zum Alltag geworden. Die Finanzkrise 2008/2009 hat aber überdeutlich gemacht, dass es sich existenzbedrohend auswirken kann, wenn Einflussfaktoren so grob verallgemeinert werden, dass sie nicht ausreichend in die Entscheidungsfindung eingehen. Auch die Annahme, dass bestimmte Entwicklungen einem kontinuierlichen Trend folgen, hat sich als irreführend und gefährlich herausgestellt. Dabei müssen gerade die Unsicherheiten, ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten und die aus ihnen entstehenden Handlungsalternativen möglichst umfassend bewertet und in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass Strategien überflüssig sind und nur noch opportunistisch auf den Markt reagiert werden sollte. Sicher ist, dass Flexibilität der Schlüssel zu optimalem unternehmerischen Handeln ist. Sie entspricht dem Maß an Reaktionsfähigkeit und ist als solche Bestandteil jeder Entscheidung, ob es um die Größe oder den Standort einer Produktionsstätte geht, ob ich heute oder morgen investiere, ob ich in einer Krise hochqualifizierte Fachkräfte freistelle oder sie in der Erwartung auf baldigen
KAPITEL 1: FLEXIBILITÄT MITDENKEN HEISST NACHHALTIG ENTSCHEIDEN
Flexibilität bestimmt den Alltag jedes Unternehmers in hohem Maße.
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Die Herausforderung ist, Unsicherheiten abzuschätzen und Flexibilität zu bewerten.
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Aufschwung weiter beschäftige. In jedem Fall muss der Wert der Flexibilität den Kosten, die oft damit verbunden sind, gegenübergestellt werden. Dazu ist eine quantitative Analyse unbedingt notwendig, die aber aus Gründen der methodischen Unsicherheit und fehlender Berechnungsansätze zurzeit meistens unterbleibt. Mit der neuen Methode wird es nun möglich, Unsicherheit zu messen und den Nutzen von Flexibilität zu bewerten. Auf der Basis der entsprechenden konkreten Zahlenwerte können dann zukünftige Handlungsoptionen besser bewertet werden. Die methodische Vorgehensweise ist in zwei Stufen zu unterteilen. In der ersten Stufe (siehe Abbildung 1.1) werden zwei Faktoren eingehend mitberücksichtigt, und zwar zum ersten Mal, obwohl sie den Unternehmeralltag seit jeher prägen. Es handelt sich um die Bewertung von Risikoannahmen und die Einführung von Volatilität als Risikomaß. Die in der neuen Methode zum Einsatz kommende innovative Informationstechnologie macht es möglich, alle denkbaren Cashflow-Punkte zu ermitteln und Wahrscheinlichkeiten zu erforschen, die in der klassischen Strategie- und Investitionsbewertung oft nur intuitiv abgeschätzt werden. Die Ergebnisse sind also viel aussagekräftiger als die „Stichproben-Analyse“ der Szenario-basierten Methode.
Abb. 1.1: Vergleich Bewertungsansätze – Stufe 1 „Bewertung von Risiken“ Klassische Strategie-/ Investitionsbewertung
Dynamic Decision Management-Ansatz
Einige wenige Szenarien, oft intuitiv ausgewählt
Gesamthaft, durch Vollständigkeit aller Cashflow-Punkte
Pauschal, projektspezifischer WACC
Volatilität als Risikomaß
Oft nicht berücksichtigt, nur intuitiv abschätzbar
Explizit ermittelt
Je Szenario ein Wert, ohne Angabe von Wahrscheinlichkeit und Risiken
Wertermittlung auf Basis von Risikoannahmen
Stufe 1: Bewertung von Risiken • Betrachtungsumfang • Risikomaß • Wahrscheinlichkeit • Ergebnis (z. B. NPV)
Wert der Investition
Wahrscheinlichkeit (P)
Annahme: hohe externe Umsätze Expected case
Annahme: steigende Kosten
Best case Worst case
Szenarios „Bündel 1“
Worst case
Expected case
Best case
Szenarios „Bündel 2“
Annahme: starke externe Einflüsse Expected case
Best case
Wahrscheinlichkeit, Projektwerte zu erreichen
Worst case
Wert der Investition
Szenarios „Bündel 3“ NPV
Stufe 2 (siehe Abbildung 1.2) besteht darin, den sogenannten TotalValue zu errechnen, den Gesamtwert, der die beiden wesentlichen Faktoren Flexibilität und Volatilität mit einbezieht. Er liefert zuverlässigere Zahlen, weil er auf detaillierten Eingaben beruht. Die Dynamic Decision Management-Methode vermeidet es, die Komplexität einer Entscheidung unzulässig zu vereinfachen. Als Erweiterung des traditionellen Bewertungsverfahrens bildet sie die bessere Grundlage für unternehmerische Entscheidungen. Deshalb wird sie die Discounted Cashflow (DCF)-Methode als das traditionelle Verfahren für Bewertung ersetzen.
KAPITEL 1: FLEXIBILITÄT MITDENKEN HEISST NACHHALTIG ENTSCHEIDEN
Das Neue am Dynamic Decision Management ist der TotalValue: Er bündelt Werte, die bisher nicht errechnet werden konnten.
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Abb. 1.2: Vergleich Bewertungsansätze – Stufe 2 „Bewertung von Handlungsalternativen“ Stufe 2: Bewertung von Handlungsalternativen • Anzahl Handlungsalternativen • Wert Handlungsalternativen • Empfehlung
Klassische Strategie-/ Investitionsbewertung
Dynamic Decision Management-Ansatz
Wenige
Beliebig viele (Portfolio)
Kein Wertermi lung
Wert von Unsicherheit und Flexibilität
Keine Empfehlung
Analytisch fundierte Empfehlung: Ausübungswahrscheinlichkeit
Wert der Investition 180
Wert der unternehmerischen Flexibilität nicht berechnet
150 120 90 60 30 0
NPV Baseline
Werteband RiskValue
FlexValue
TotalValue
Denken in Handlungsalternativen: Wie ist Flexibilität zu bewerten? Der TotalValue ist der Wert einer strategischen Entscheidung unter Berücksichtigung sämtlicher Einflussfaktoren, Volatilitäten und Handlungsalternativen. Für eine Investition bedeutet das beispielsweise, dass im relevanten Zeitfenster eine Erweiterung, ein Verkauf oder sogar das Ende der unternehmerischen Aktivität abzuwägen ist. Um den TotalValue berechnen zu können, werden Strategieentwicklung und Strategiebewertung mit Hilfe moderner Instrumente der Finanzmathematik erforscht. Den Kern bilden dabei einige Elemente zur Betrachtung von Risiko und Chance, während im Vergleich dazu die meisten traditionellen finanzwirtschaftlichen und ökonomischen Analysen die Wahrscheinlichkeiten, mit der bestimmte Ereignisse eintreten, ignorieren oder zumindest quantitativ nicht ausreichend betrachten.
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Im Vergleich zur traditionellen DCF-Methode, die allein auf der Grundlage mehr oder minder willkürlich ausgewählter Szenarien beruht, schafft die Berechnung des TotalValue innerhalb des Dynamic Decision Management-Ansatzes über die Szenarien hinaus wesentliche Vorteile:
1. Die weitverzweigten Folgen zukünftiger Handlungspfade und Entscheidungsketten können nun vollständig abgebildet werden. 2. Volatile Einflussfaktoren auf die Cashflows können benannt und auf kurzfristige Veränderungen hin prompt angepasst werden. So werden alle denkbaren Zukunftssituationen schnell und effizient abgebildet und sind dadurch deutlich genauer als die ausgewählten „best, expected oder worst case“-Szenarien nach der DCF-Methode. 3. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Markt in der Weise entwickelt, dass eine bestimmte strategische Handlungsalternative die vorteilhafteste ist, wird genau ermittelt. Wie wahrscheinlich die Entwicklung wirklich ist, kann dann auf oberster Unternehmensebene diskutiert werden.
Die neue Methode verzichtet darauf, umfangreiche und aufwändige Szenarien für die einzelnen Handlungsalternativen zu bilden, die immer nur einen ausgewählten Teil der Realität wiedergeben können. Stattdessen wird jeder entscheidungsrelevante Parameter mit Volatilitäten hinterlegt und hinsichtlich der Wechselbeziehungen zwischen den Parametern abgebildet. Dadurch können (fast) alle denkbaren Entscheidungsketten abgebildet und ihre Wahrscheinlichkeiten berechnet werden. Die Verteilungsfunktionen von Parametern sowie die des Gesamt-Cashflows werden in Abbildung 1.3 beispielhaft dargestellt.
KAPITEL 1: FLEXIBILITÄT MITDENKEN HEISST NACHHALTIG ENTSCHEIDEN
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Abb. 1.3: Verteilungsfunktionen von Parametern und des Gesamt-Cashflows Wahrscheinlichkeit (P)
Verteilungsfunktion Gesamt-Cashflow
Cashflow Parameter 1 Wahrscheinlichkeit (P) Wert
Wahrscheinlichkeit (P)
Cashflow Parameter 2
Wert Wert
Wahrscheinlichkeit (P)
Cashflow Parameter n Wert
Verteilungsfunktion des Gesamt-Cashflows wird über die Verbundvolatilität der einzelnen Parameter ermittelt Normalverteilungsfunktionen als gängige Funktionen, die sich in der Praxis als hilfreich zeigen Innovative Software-Werkzeuge ermöglichen den flexiblen Einsatz diverser Verteilungsfunktionen
Die Ergebnisse müssen natürlich trotzdem gründlich diskutiert werden, die Analyse bezieht sich dann aber auf die richtigen Parameter. Zudem ist damit die Möglichkeit gegeben, alle zukünftigen Entscheidungen zu modellieren und zu bewerten, vergleiche dazu Abbildung 1.4.
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Abb. 1.4: Modellierung und Bewertung aller Handlungsalternativen Modellierung aller zukünftigen Entscheidungen DCF-Wert eines ausgewählten Szenarios mit starren/ohne Unsicherheiten
Dynamic Decision Management bedeutet: Ermittlung des FlexValue je Periode unter Berücksichtigung aller zukünftigen Handlungsalternativen inklusive Unsicherheit
Zeit t=0
t=1
t=2
t=3
t=4
Situative Entscheidung
Flexibilität ist heute zu einem Wert an sich geworden. Also kann und muss sie auch gerechnet werden.
Mit Hilfe des TotalValue als ökonomischem Wert kann die Unternehmensführung eine eindeutige Aussage zum Wert der Anlage treffen. Bezugnehmend auf das oben genannte Beispiel über den Weiterbetrieb einer Produktionsanlage bedeutet das: Die Flexibilität, die Anlage später wieder in Betrieb zu nehmen, falls sich die ökonomischen Bedingungen verbessern, hat trotz jährlicher Fixkosten einen höheren Wert als der sofortige Rückbau. Der TotalValue bindet nämlich auch Zahlungsströme ein, die erst durch künftige Entscheidungen entstehen werden, wie etwa den künftigen Ausbau des bestehenden Standorts oder den Bau eines zweiten Standorts. So ermöglicht er nachhaltigere Entscheidungen, während die klassische Bewertung in unserem Beispiel zu der unwiderruflichen Empfehlung geführt hätte, die Anlage sofort zurückzubauen.
KAPITEL 1: FLEXIBILITÄT MITDENKEN HEISST NACHHALTIG ENTSCHEIDEN
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Die differenzierte Betrachtung unterschiedlicher „Wert-Bausteine“ macht deutlich:
• Basis der Wertbetrachtung sind Zahlungsströme mittels NPV-Bewertung ohneBerücksichtigung von Unsicherheiten und Flexibilitäten. • In Abhängigkeit von den gewählten Cashflow-Parametern und deren Unsicherheiten ergibt sich je nach Ausprägung ein veränderbares Werteband, das wir mit RiskValue bezeichnen. • Unter Berücksichtigung möglicher Handlungsalternativen und deren Unsicherheiten bildet sich ein Flexibilitätswert, den wir FlexValue nennen. • Aus dem NPV Baseline sowie dem FlexValue bildet sich der TotalValue, mit dem strategische Entscheidungen nun vergleichbar sind.
Abb. 1.5: Investitionsbewertung mit Szenario-basierter DCF-Methode und mit Dynamic Decision Management-Ansatz
FlexValue
Wert der Investition 180 150 120 90 60 30 0
NPV Baseline
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Werteband RiskValue
FlexValue
TotalValue
Diese wesentlichen neuen Begriffsdefinitionen als Basis des Dynamic Decision Management-Ansatzes sind in Abbildung 1.6 zusammengefasst. Dass es sich auszahlt, mehrteilige zukünftige Zahlungsströme mit der neuen und besseren Vorgehensweise zu bewerten, werden wir in den weiteren Kapiteln ausführlich erläutern. Abb. 1.6: Begriffe zum Dynamic Decision Management-Ansatz
Net Present Value (NPV)
RiskValue
• Abgezinster heutiger Wert zukünftiger Cashflows für einen definierten Zustand (Baseline) • Wert in Abhängigkeit definierter Szenarien und eines pauschalen Abzinsungsfaktors • Berechnungsmethode: Discounted Cashflow Zeigt den Wert einer Strategie über fest definierte Annahmen, ohne dass das Management weitere bzw. geänderte strategische Maßnahmen ergreift • Abgezinster heutiger Wert zukünftiger Cashflows unter Berücksichtigung von Unsicherheiten • Wert in Abhängigkeit spezifischer Unsicherheiten der Cashflow-Parameter • Berechnungsmethode: Dynamic Decision Management-Ansatz Zeigt die mögliche Wertabweichung einer Strategie durch die Variation der Annahmen
FlexValue
• Abgezinster heutiger Wert zukünftiger Cashflows durch Handlungsalternativen • Zusätzlicher Wert zukünftiger Handlungsalternativen unter Berücksichtigung spezifischer Unsicherheiten der Cashflow-Parameter • Berechnungsmethode: Dynamic Decision Management-Ansatz Zeigt den Wert von strategischen Handlungsalternativen, der durch ein aktives Management auf Grundlage der „Baseline“ ermöglicht wird
TotalValue
• Abgezinster heutiger Wert durch Ausübung von Handlungsalternativen, ermittelt auf Basis von Volatilitäten zuzüglich des FlexValues • Wert in Abhängigkeit von Volatilitäten und zukünftiger Handlungsalternativen • Berechnungsmethode: Dynamic Decision Management-Ansatz Zeigt den Gesamtwert einer strategischen Entscheidung als Summe von NPV Baseline und FlexValue
Dynamic Descision Management
Ein ganzheitlicher Ansatz zur quantitativen Bewertung von Unsicherheit und Flexibilität in strategischen Entscheidungen
Der TotalValue basiert auf einer aus den gegenwärtigen Umständen konsequent folgenden – aber immer noch häufig missachteten – einfachen Erkenntnis: Nicht die Bewertung von Investitionen in Einzelprojekte macht ein Unternehmen nachhaltig wettbewerbsfähig, sondern die Gesamtstrategie. Strategie und Finanzen dürfen dabei nicht als separate Themenblöcke betrachtet werden.
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Unternehmenslenker, die vor der Frage stehen, ob und wann relevante Investitionsvolumina freigegeben werden sollen, brauchen diesen neuen Ansatz, um bei immer komplexer werdenden Rahmenbedingungen und Unsicherheiten Transparenz zu erhalten und darauf ihre Entscheidungen aufzubauen. Sie können sich stärker auf die Folgen und Vorteile möglicher Ereignisse konzentrieren.
Kopf oder Bauch und der Wert von Erfahrungen
Ohne Erfahrung geht auch heute nichts. Aber sie kann nun besser untermauert und in die Bewertung einbezogen werden.
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Der Dynamic Decision Management-Ansatz bereitet Unternehmer also auf alle Eventualitäten vor. Trotzdem wissen wir natürlich, dass zukünftige Handlungsmöglichkeiten nie genau vorherzusehen sind. Denn Patentrezepte für den Umgang mit komplexen, dynamischen Realitäten gibt es nicht. Dafür aber bringt ein Unternehmer auch immer „einen Sack voll“ Erfahrung in jede Entscheidung mit ein. Und da, wo der Dynamic Decision Management-Ansatz bereits erfolgreich angewandt wurde, ist deutlich geworden, dass Erfahrung auch weiterhin von großer Bedeutung ist: Konkrete Branchen- und Marktkenntnisse oder Technologiewissen sind bares Geld wert. Kein guter Unternehmer wird eine Entscheidung ausschließlich aufgrund von Zahlen fällen. Er wird sich immer auf die Balance zwischen der Ratio einerseits und seiner Intuition und Erfahrung andererseits verlassen. Und das ist auch gut so! Die Fähigkeit, zwischen Gefühl und rationaler Überlegung hin und her zu schalten, bringt eine wichtige Begleiterscheinung mit sich: Das Nachdenken über den eigenen Entscheidungsprozess – wie man überlegt und damit Entscheidungen vorbereitet. Es mag wie eine Computerobsession wirken, wenn wir diesem Nachdenken mit neuen informationstechnischen Analysewerkzeugen auf die Sprünge helfen wollen, wie wir sie für das Dynamic Decision Management einsetzen. Aber sie begünstigen tatsächlich einen offenen Austausch unterschiedlicher Standpunkte zur neuen (oder alten) Strategie, weil Unsicherheiten diskutiert und quantifiziert werden können. Es geht darum, endlich auch die Fragen zu stellen, die bisher nicht
gestellt werden konnten, weil ohnehin klar war, dass es unmöglich war, sie zu beantworten. Nehmen wir zum Beispiel an, ein Logistik-Unternehmer möchte sich ein Rückgaberecht für bestellte Fahrzeuge vertraglich sichern, falls die wirtschaftliche Entwicklung eine Reduzierung der Flotte sinnvoll macht. Mit der neuen Methode kann er nicht nur genau ausrechnen, wie viel diese Flexibilität wert ist, sondern auch den Rückgabepreis besser kalkulieren. Dynamic Decision Management heißt also, alle Fragen zu stellen. Das gestaltet den Entscheidungsprozess noch umfassender. Derartig kritisch mit dem eigenen unternehmerischen Handeln umzugehen, beugt Fehlern vor und ist notwendig, um sich immer wieder an wechselnde Marktbedingungen anzupassen. Oft genug führt es auch zu überraschenden neuen Erkenntnissen. Solch geistige Beweglichkeit ist ein Kennzeichen der Kalkulierten Flexibilität – und lässt die Manager bessere Entscheidungen treffen. Einfach, indem sie auf neue Art denken.
KERNFRAGEN FÜR ENTSCHEIDER: 1. Welche Rolle spielen Kopf und Bauch bei Ihren Entscheidungen? 2. Wie werden Planungsprozesse in Ihrem Unternehmen gemacht: Nur in bestimmten Rahmenbedingungen oder in kreativem, offenen Austausch von Ideen und Argumenten? 3. Sind Sie bereit, unternehmerische Handlungsalternativen bei Ihren Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen?
KAPITEL 1: FLEXIBILITÄT MITDENKEN HEISST NACHHALTIG ENTSCHEIDEN
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2. WARUM ENTSCHEIDUNGEN HEUTE NICHT MEHR ZEITGEMÄSS GEFÄLLT WERDEN
Auch im Motorsport kennt man den Methodenwandel. Es geht beispielsweise immer wieder um die aerodynamische Effizienz. Um sie zu testen, wurden früher Modelle der Neuentwicklungen im Verhältnis 1:3 hergestellt und im Windkanal erprobt. Seit die Computational Fluid Dynamics (CFD)-Technik auf der Bühne des Motorsports erschienen ist, hat sich die Vorgehensweise grundlegend verändert. Bauteile beziehungsweise Autos werden heute vollständig am Simulationsrechner entwickelt, gemessen und berechnet. Ergibt die Nachahmung ihrer Funktionsweise ideale Werte, werden die Tools gebaut und in hoch komplizierten Windkanälen getestet. Da die CFD-Technik überaus zuverlässige Daten liefert, verzichten manche Teams inzwischen vollkommen auf Windkanaltests und überführen ihre Neuentwicklungen direkt vom Simulationsrechner auf die Rennstrecke. Testinstanzen sind dann die Stoppuhr, die Sensoren im Fahrzeug und natürlich der Fahrer selbst. Windkanaltests waren eine wichtige Grundlage für die Entscheidung über den Autobau. Doch so, wie sie mittlerweile fast vollständig überlebt sind, wird es auch der Discounted Cashflow-Methode gehen. Bis heute hat sie als Standardbewertungsmodell für alle Arten von unternehmerischen Entscheidungen ihre Berechtigung, egal, ob es um Investitionen, Strategieentscheidungen, Unternehmenstransaktionen oder um Auswirkungen von Vertragsgestaltungen geht. Dabei hat sie andere Verfahren zur Entscheidungsfindung, zum Beispiel die Pay-back-Methode, die Rentabilitätsrechnungen und die Gewinnvergleichsrechnungen, weitgehend verdrängt.
Die Probleme der Discounted CashflowBewertung überwiegen mittlerweile ihre Vorteile.
J. Gerber et al., Kalkulierte Flexibilität, DOI 10.1007/978-3-8349-8942-0_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 KAPITEL 2: WARUM ENTSCHEIDUNGEN HEUTE NICHT MEHR ZEITGEMÄSS GEFÄLLT WERDEN
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Bei der Anwendung der DCF-Methode gibt es verschiedene Schritte, die im Sinne von „Entwicklungsstufen“ aufeinander aufbauen. Um die erheblichen Probleme der klassischen Methode zu erkennen, vergegenwärtigen wir uns die wesentlichen Elemente der Entwicklungsstufen:
• Bei der Barwertmethode werden zukünftige positive und negative Zahlungsströme einer Investition, Entscheidung oder Strategie auf einen einheitlichen Bezugszeitpunkt mit einem Kapitalkostensatz abgezinst. • In der Praxis wird dabei zwischen dem Cashflow der Planungsperiode und dem Cashflow der Nachplanungsperiode unterschieden. Die Nachplanung wird üblicherweise als „ewige Rente“ in die Bewertung aufgenommen. Ein positiver Nettobarwert (Net Present Value) ergibt sich, wenn sich ein Vermögen über die Kapitalkosten der Gesellschafter hinaus vermehrt. Ist der Nettobarwert negativ, verringert sich das Vermögen. Gleiches gilt für eine unternehmerische Entscheidung, die, oft im Sinne einer Differenzbetrachtung, negative und positive Zahlungsströme verursacht und einem Kapitalkostensatz unterliegt, siehe dazu Abbildung 2.1. • Der interne Zinsfuß (IRR – Internal Rate of Return) – eine Variante der DCF-Anwendung – verdeutlicht die Gesamtverzinsung des eingesetzten Kapitals, ist also der Zins, bei dem der Barwert (Present Value) der Cashflows gleich null ist. Die Berechnung des IRR ist vor allem dann sinnvoll, wenn es darum geht, Investitionen in sehr unterschiedlicher Höhe hinsichtlich ihrer Profitabilität vergleichbar zu machen.
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Abb. 2.1: Nettobarwertberechnung
Freier Cashflow
Die Methode hat gegenüber früheren Methoden einen entscheidenden Vorteil: Sie berücksichtigt den Zeitwert des Geldes. Trotzdem sind seit vielen Jahren auch ihre Schwachpunkte bekannt. Die Kritik hat sich berechtigterweise vor allem auf zwei Punkte konzentriert:
• Die Art und Weise, wie der „richtige“ Kapitalkostensatz (WACC – Weighted Average Cost of Capital) als entscheidende Einflussgröße des Zeitwertes ermittelt wird, ist sehr schwierig und höchst angreifbar. Das Problem hat wiederum drei Facetten, siehe auch Abbildung 2.2. −
Die Einflussgröße soll das jeweils spezifische Risiko zum Beispiel einer Investition abbilden, spiegelt aber nur das Risiko einer bestimmten
Ein zentrales Problem der DCF-Methode ist die Bestimmung des Kapitalkostensatzes.
Industrie oder eines bestimmten Unternehmens im Vergleich zum Marktdurchschnitt für einen bestimmten Zeitpunkt wider; außerdem kann sie mit der Zeit stark variieren.
KAPITEL 2: WARUM ENTSCHEIDUNGEN HEUTE NICHT MEHR ZEITGEMÄSS GEFÄLLT WERDEN
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−
Die Anwendbarkeit der Marktrendite als Bestandteil einer spezifischen Bewertung ist willkürlich, da auch sie im Laufe der Zeit erheblichen Schwankungen unterworfen ist.
−
Die Berücksichtigung weiterer spezifischer Risiken, zum Beispiel das Risiko einer Länderstrategie oder technologische Risiken einer Investition, erfolgt durch einen willkürlich gewählten Risikoaufschlag auf den WACC.
• Die Bestimmung des Terminal Value, das heißt des Wertes eines Unternehmens vom Zeitpunkt nach der ermittelten Cashflow-Periode bis zur Beendigung aller Unternehmensaktivitäten, erfolgt relativ ungenau und oft pauschal. Wenn beispielsweise im Terminal Value eine Wachstumsrate für den Cashflow – methodisch-theoretisch begründet durch Inflation oder auch weiteres Wachstum des Geschäfts – verwendet wird, kann er stark „gesteuert“ werden. Die Annahme, dass der Cashflow in Zukunft 3 bis 4 Prozent statt vielleicht 1 Prozent wächst, kann den Terminal Value leicht um 50 Prozent erhöhen. Das hat wiederum einen erheblichen Einfluss auf den Gesamtwert, da bei einer Drei- bis Vierjahresplanung der Terminal Value oft 60 bis 90 Prozent des Gesamtwerts einer Strategie oder Investition ausmacht.
30
Abb. 2.2: Abzinsungsfaktor als gewichteter Durchschnitt der Kapitelkosten Eigenkapitalkosten
Risikofreier Zins1)
+
BetaFaktor
4,5%
+
1,0
x
x
Risikofreier Zins
Marktrendite
–
(10,5%
– 4,5%)
Fremdkapitalkosten
Zinssatz
Eigen= für kapital
=
Kapitalstruktur:
10,5%
Eigenkapitalanteil: 70%
WACC
8,52%2)
Korrigierter WACC
6,0%
Fremdkapitalanteil: 30%
+
2,0%
Risikoaufschlag
10,52%
1) Durchschni szinssatz langfristiger Bundesanleihen 2) Tax Shield berücksichtigt (35% Steuersatz) Quelle: A.T. Kearney -Analyse
Weitere Problempunkte der Szenario-basierten Net Present Value (NPV)-Methode sind: 1. Jede Meinung oder Einschätzung, die nicht auf harten Daten beruht, ist subjektiv. Sie muss zwar deshalb nicht falsch oder unzureichend sein, denn erfahrungsbasierte Expertenratschläge sind mit hoher Wahrscheinlichkeit wohlbegründet, ist aber in der Regel nicht durch Fakten untermauert und bleibt von daher spekulativ. 2. Unabhängig davon, wie viele Szenarien verwendet werden, bleiben sie immer unvollständig. Das tatsächlich eintretende liegt in der Regel irgendwo zwischen den ausformulierten Szenarien. Damit geben sie auch nur ein lückenhaftes Bild der Wirklichkeit wieder. 3. Die Wahrscheinlichkeit, ob und wie weit ein Szenario so eintritt, wie es beschrieben ist, setzt sich aus unterschiedlichen Einzelwahrscheinlichkeiten zusammen, die weder singulär noch in ihrem Zusammenspiel berück-
KAPITEL 2: WARUM ENTSCHEIDUNGEN HEUTE NICHT MEHR ZEITGEMÄSS GEFÄLLT WERDEN
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sichtigt werden. Die ignorierten Einzelwahrscheinlichkeiten bestimmen aber wesentlich den Erfolg und Misserfolg einer unternehmerischen Entscheidung. 4. Wie wahrscheinlich der Eintritt eines Ereignisses ist, wird nicht analysiert. Es ist nur eine (aus Expertensicht) relative Bewertung möglich, zum Beispiel, dass „A“ wahrscheinlicher ist als „B“ oder dass beide Szenarien nahezu gleich wahrscheinlich sind.
Anwendung der Discounted Cashflow-Methode in Szenarien Die Methode ist aus einem weiteren Grund unzureichend: Die Szenarien passen nicht mehr zu dem immer komplexeren und unsichereren Unternehmensumfeld von heute. Derzeit werden bei fast allen wichtigen Entscheidungen Szenarien auf unterschiedlichen Ebenen erstellt und teilweise miteinander verbunden. Ein relativ weit entwickeltes Vorgehen zur Erarbeitung von Szenarien ist das Folgende (siehe Abbildung 2.3):
32
Abb. 2.3: Herausforderungen bei der Bewertung von Unternehmensstrategien TechnologieModell
MarktModell
Worst Case
Worst Case
Base Case
Base Case
Bestents Case
Best Case
Technologische Entwicklungen
Marktentwicklungen
Ausgewählte Unternehmensstrategien Strategische Option … Strategische Option 2 Strategische Option 1
FinanzModell Worst Case Expected Case Best Case
Finanzbewertung ausgewählter Geschä sstrategien
Hohe Unsicherheiten hinsichtlich
Hohe Unsicherheiten hinsichtlich
• Ausschließlich ausgewählte Optionen
• Begrenzte Qualität von Finanzergebnissen
• F&E-Status
• Marktdurchdringung
• Wirtscha licher Verfügbarkeit
• Marktanteil
• Keine "Ausübungswahrscheinlichkeiten"
• Reduzierte Transparenz für interne/ externe Kommunikation von Investitionsentscheidungen
• Entwicklung von CAPEX und OPEX
• We bewerbern • Kundenanforderungen
• Hohe Komplexität zur Integration von Marktund Finanzaspekten
• Technologische Herausforderungen der Zukunft werden mit einem Experten so weit besprochen, dass sich daraus Technologie-Szenarien ableiten lassen. • Prognosen zu Märkten und Kunden bleiben häufig spekulativ, weil sie gemeinsam einen sehr komplexen Körper bilden. Deshalb ist eine ganze Reihe von Parametern notwendig, um Marktmodelle bilden zu können. • Aufbauend auf diesen beiden Punkten werden im nächsten Schritt die strategisch wichtigen Geschäftsmodelle ausgearbeitet und allgemein verständliche Gesamtszenarien gebildet. • Erst im letzten Schritt wird zu jedem Szenario ein Finanzmodell erstellt. Dieses Finanzmodell bildet die Grundlage für die Entscheidungsfindung.
KAPITEL 2: WARUM ENTSCHEIDUNGEN HEUTE NICHT MEHR ZEITGEMÄSS GEFÄLLT WERDEN
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Am Ende beruht der so gefällte Beschluss also auf drei bis fünf Momentaufnahmen einer möglichen Zukunft, ohne zu wissen, wie wahrscheinlich sie sind, und ohne die zigtausend weiteren möglichen Entwicklungen in Betracht zu ziehen – zudem ist diese Momentaufnahme auch noch unzureichend gerechnet. Das ist, als ob der Rennstratege sich drei Szenarien ausdenkt: Worst Case „starke Gegner, Dauerregen und Sturm“, Expected Case „durchschnittliche Gegner, trockene Fahrbahn“, Best Case „schwache Gegner, die noch dazu die Strecke nicht kennen, trockene Fahrbahn“ – als ob es nicht auch die Möglichkeit gäbe, dass er starke Gegner hat, die die Strecke im Gegensatz zu ihm aber nicht kennen, und das Wetter gut ist. Und davon gibt es noch unendlich viele andere Möglichkeiten – schließlich hängen Wetter, Fahrbahnbeschaffenheit und Qualität der Gegner nicht voneinander ab.
Entwicklungsstufen hin zu einer neuen Bewertung Das Spektrum und der Nutzen des Dynamic Decision Management-Ansatzes werden in Abbildungen 2.4 und 2.5 deutlich. Zentraler Punkt ist dabei der traditionelle Umgang mit Szenerien und Wahrscheinlichkeiten, der in Abbildung 2.4 dargestellt wird. So ist es üblich, Szenarien zunächst zu entwickeln und in einem zweiten Schritt diesen Szenarien Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen, ohne dass diese rechnerisch zu ermitteln sind. Denn diese Szenarien wurden aus einer Vielfalt von Konstellationen ausgewählt, die sich nur hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeit unterscheiden.
34
Abb. 2.4: Einschränkungen bei Szenarien und der Zuordnung von Wahrscheinlichkeiten Wahrscheinlichkeit
Wahrscheinlichkeit
?
Worst Case Szenario
Expected Case Szenario
Best Case Szenario
• Unterschiedliche Szenarien haben unterschiedliche Werte
NPV
Worst Case Szenario
Expected Case Szenario
Best Case Szenario
NPV
• Den Szenarien werden Wahrscheinlichkeiten zugeordnet, auch ohne diese rechnerisch zu ermi eln
Szenario 1
Szenario 2
Szenario 3
NPV
• Szenarien sind nur Spezialfälle der „WertWahrscheinlichkeitsverteilung“ einer Entscheidung
Die Darstellung in Abbildung 2.5 fasst bisherige und zukünftige Entwicklungsstadien hinsichtlich der Berücksichtigung von Risiken und der Bewertung von Strategieund Investitionsentscheidungen zusammen.
KAPITEL 2: WARUM ENTSCHEIDUNGEN HEUTE NICHT MEHR ZEITGEMÄSS GEFÄLLT WERDEN
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Abb. 2.5: Entwicklungsstufen des Dynamic Decision Management-Ansatzes 1
2
NPV mit Risikoabschlag Risiko
3 Szenariobasierter NPV
Wahrscheinlichkeit (P)
Risiko
Risiko
WACC 10%
WACC 8%
NPV
4
NPV mit pauschalen Wahrscheinlichkeiten
Expected Case
Szenarienbündel 2
Worst Case
Szenarienbündel 3
Best Case
• Höheres Risiko • Abbildung unsicherer bedeutet projektspezizukün iger Cashflows mi els diskreter fische, höhere WACC Szenarien und • Risikoerhöhung führt zu Sensitivitäten geringerem NPV • Vollständigkeit der • Chancen damit beHandlungsalternativen nachteiligt gegenüber bzw. Szenarien nicht Risiken • Unterschiedliche Risiken gegeben • Keine Aussage zu einzelner CashflowWahrscheinlichkeiten Elemente nicht einzelner Szenarien berücksichtigt
NPV
5
neu
Total Value Wahrscheinlichkeit (P)
Wahrscheinlichkeit (P)
Szenarienbündel 1
NPV
neu
NPV mit spezifischen Wahrscheinlichkeiten
Wahrscheinlichkeit, Projektwerte zu erreichen
NPV
• Diskrete Szenarien mit • Erwartungswert und jeweiligem Risiko Volatilitäten bedeutet: werden subjektiv/ Stetige Verteilung von pauschal WahrscheinCashflows und deren lichkeiten zugeordnet Wahrscheinlichkeiten • Keine Herleitung der • Vollständigkeit aller Wahrscheinlichkeiten, Cashflow-Punkte durch deshalb nicht bewertbar analytische Methodik sta Intuition • Risiko durch Wahrscheinlichkeiten berücksichtigt
Werterhöhung durch Investitionsentscheidung
TotalValue
• Berücksichtigung von aktivem Management (Flexibilität) in der Zukun • Wertoptimierung durch aktives Management = Ausübung von Handlungsalternativen • NPV plus Wert der Flexibilität = TotalValue
An vorderster Stelle steht die Entwicklungsstufe „NPV mit Risikoabschlag“. Sie berücksichtigt nicht die unterschiedlichen Risiken einzelner Cashflow-Elemente, sondern will sogenannte fallspezifische Risiken durch einen Aufschlag auf den WACC einkalkulieren. Der „Szenario-basierte NPV“, der zukünftige unsichere Cashflows mit Hilfe diskreter Szenarien abbildet, leitet zwar nicht alle, aber zumindest mehrere Handlungsalternativen ab. Entwicklungsstufe Nummer 3 – „NPV mit pauschalen Wahrscheinlichkeiten“ – ordnet diskreten Szenarien mit definiertem Risiko subjektiv und pauschal Wahrscheinlichkeiten zu. Allerdings ist es hier noch nicht möglich, die Wahrscheinlichkeiten vollständig zu analysieren.
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Erst der „NPV mit spezifischen Wahrscheinlichkeiten“ in der Entwicklungsstufe Nummer 4, der nun seit kurzer Zeit zur Erleichterung von unternehmerischen Entscheidungen eingesetzt wird, schließt jegliche Intuition aus: Er ermöglicht die vollständige Abbildung aller Cashflow-Punkte und berechnet spezifische Wahrscheinlichkeiten auf der Basis von Analysen. Allen vier beschriebenen Entwicklungsstadien ist ein Nachteil gemeinsam: Sie verhelfen nicht zu unternehmerischer Flexibilität. Die Auswahl einiger weniger diskreter Szenarien wird nie ausreichen, um alle denkbaren Möglichkeiten und deren Wahrscheinlichkeiten in die so vorbereitete Entscheidungsfindung einfließen zu lassen. Die Beliebigkeit in der Auswahl birgt immer die Gefahr, dass besonders werthaltige Entscheidungsalternativen gar nicht erst erwogen werden. Eine Entscheidung über Zukunftsfragen, die auf einem solchen Szenario basiert, bleibt immer situationsgebunden: Sie beruht ausschließlich auf den Gewissheiten von heute. Kein in dieser Weise gefasster Beschluss kann der Realität, die jeden Tag komplexer wird, gerecht werden. Das kann nur der TotalValue (Entwicklungsstufe 5) als sinnvolle Erweiterung der bisherigen Berechnungen: Wenn Flexibilität an sich bewertet wird, werden weit mehr Handlungsalternativen und deren Volatilitäten sichtbar. Die Auswahl spiegelt die Realität besser wider und macht unternehmerisches Tun anpassungsfähiger. Nehmen wir beispielsweise an, dass in einem Betrieb die Umsätze immer stärker schrumpfen, weil jahrelang nicht oder nicht zukunftsträchtig investiert wurde. Wer nun zur Rettung der Firma Innovationen fördern will, tut gut daran, neue Wege zu gehen: „Wir fördern grundsätzlich alle Ideen ohne lange Prüfung und rollen für jede ein Pilotprojekt aus. Wenn es dann schiefgeht, ist immer noch Zeit genug, das Projekt wieder zu stoppen, bevor Schaden angerichtet wird“, sagt ein junger Telekommunikationsunternehmer aus Osteuropa.
KAPITEL 2: WARUM ENTSCHEIDUNGEN HEUTE NICHT MEHR ZEITGEMÄSS GEFÄLLT WERDEN
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Beispiel Einsatzmodus Gasturbinenkraftwerk „Kaltreserve“ Ein Energieunternehmen, das eigene Kraftwerke betreibt, muss wegen der Unsicherheit über die in Zukunft vom Markt nachgefragten Energiemengen immer über ausreichende Möglichkeiten verfügen, rasch mehr oder weniger Energie anbieten zu können. In einem Beispielfall der jüngsten Vergangenheit existierte zu diesem Zweck eine zunächst aufgrund ungünstiger Marktbedingungen stillgelegte Gasturbine als Stromerzeugungsanlage, die noch eine Restlaufzeit von 21 Jahren hatte und kurzfristig aus dem Zustand der Kaltreserve wieder in den Betriebszustand zurückversetzt werden konnte. Eine Alternative war auch der frühzeitige vollständige Rückbau der Anlage. Die Kaltreserve verschlang jährlich 1,5 Millionen Euro, während die Rückbaukosten sich nur auf einmalige zwei Millionen Euro beliefen. Die Investitionen für den Betrieb nach Kaltreserve betrugen vier Millionen Euro, genauso wie die Investitionen für die Wiederherstellung des Kaltreserve-Stadiums nach Betrieb. Folgende Fragen waren zu beantworten: Welche Unsicherheiten gibt es für den Business Case? Welche Handlungsalternativen hat das Management? Und: Welchen Wert hat die Kraftwerksanlage? Bezüglich der Wirtschaftlichkeit der Anlage waren die zukünftige Fahrweise und die zu erwartende Auslastung die relevanten Kriterien. Über zwei Entscheidungsbäume „Betrieb“ und „Kaltreserve“ wurden die strategischen und operativen Handlungsalternativen modelliert. Damit wurde der jeweilige Wert der unternehmerischen Flexibilität ermittelt und eindeutig die Frage beantwortet, dass in der Entscheidungsperiode der Modus „Kaltreserve“ zu wählen ist. Nach der alten Methode wäre der Rückbau als die wirtschaftlichste Lösung ausgewiesen worden – und hätte dazu geführt, dass alle anderen Handlungsalternativen abgeschnitten worden wären. Eine detaillierte Ausführung des Beispiels finden Sie im Kapitel 7.
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3. WAS IST UNSICHERHEIT?
Der Kick beim Autorennen ist das Wagnis: Der Fahrer setzt sein Leben aufs Spiel. Deshalb ist schon seine Tagesverfassung ein Risiko – nicht nur für ihn selbst, sondern für das ganze Team. Rennsport ist aber auch ein Geschäft: Nicht als Erster ins Ziel zu kommen, heißt auch für eine ganze Reihe weiterer Menschen, Geld zu verlieren. Nicht alle Risiken sind so gefährlich: Die Regeln werden plötzlich geändert, die Konkurrenz startet mit einer neuen, besseren Technologie, eine Wirtschaftskrise verkleinert das Budget. Ist all das bedacht und so weit wie möglich kalkuliert, bleibt als höhere Gewalt das Wetter. Darauf hat kein noch so erfahrener Stratege Einfluss – er kann sich nur auf die Satellitenüberwachung des Wetters und seine Erfahrung verlassen. Dann muss der Ingenieur blitzschnell entscheiden: Wechsle ich jetzt zu Regenreifen oder warte ich bis zum nächsten Boxenstopp? Bei einem Industrieunternehmen ist das nicht anders: Der Manager kann den „Boxenstopp“ nicht vorteilhaft für sich nutzen, wenn er sich nicht über die Unsicherheiten seines Umfelds im Klaren ist. Wer nicht weiß, mit welchen Cashflows nach einer bestimmten Maßnahme zu rechnen ist, der wird zögern. Wer sich zu keinerlei Entscheidung durchringt, kann in der Folge auch keine schlagkräftige Produktoder Marktstrategie vorgeben. Unsicherheit oder Volatilität basiert immer auf Risiken. Wir definieren Risiko als Abweichung von der Erwartung, bewertet mit einer spezifischen Wahrscheinlichkeit. Damit ist der Begriff zunächst weder negativ noch positiv belegt.
J. Gerber et al., Kalkulierte Flexibilität, DOI 10.1007/978-3-8349-8942-0_3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 KAPITEL 3: WAS IST UNSICHERHEIT?
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Unternehmertum hatte schon immer mit Unsicherheiten und Risiken zu kämpfen. Aber heute kann man deren Auswirkungen transparenter und messbar machen. Das hilft, Konsequenzen von Entscheidungen besser zu bewerten.
Trotzdem spürt jeder Firmenchef Unsicherheit, wenn er sich einem oder mehreren Risiken gegenübersieht. Schließlich kann es ihn teuer zu stehen kommen, wenn ein neues Medikament nicht in der erwarteten Menge abgesetzt wird, wenn die Prognosen für die Einführung einer neuen Technologie danebenliegen oder wenn die Entwicklung eines Zukunftsmarktes falsch eingeschätzt wird. Unsicherheiten müssen also unbedingt gemindert, wenn nicht sogar ausgeräumt werden. Es gab vermutlich nie eine Zeit, in der Unternehmen keinerlei Risiken und Unsicherheiten ausgesetzt waren. Aber das unternehmerische Umfeld ist heute ungewisser denn je, wenn auch nicht jede Unsicherheit, nicht jedes Risiko bedrohlich ist. Auflagen und Bedingungen können sich von heute auf morgen ändern, und nicht immer sind Unternehmen in der Lage, schnell genug zu reagieren. Ein Betrieb als Ganzes weiß zwar meistens sehr genau, welchen Unsicherheiten er sich gegenübersieht. Der einzelne Manager hat dagegen häufig ein Problem, alle Volatilitäten vollständig zu verstehen. Genau das muss er aber. Denn nur dann kann er seine unternehmerische Flexibilität richtiger bewerten und seine Entscheidungsfindung verbessern.
Definition von Risikoarten Es gibt sehr unterschiedliche Arten von Risiken. Jedes Unternehmen kennt operative Risiken, die sich aus der Geschäftstätigkeit ergeben. Wenn die Fertigung beschleunigt werden muss, sind Investitionen in Automatisierung erforderlich; wenn die Produktion wie bisher weitergeführt wird, kostet das zwar zunächst weniger, aber das Marktrisiko, speziell das Risiko des Kundenverlustes, wird größer, weil entweder nicht in der gewohnten Zeit geliefert wird oder weil die Qualität nachlässt. Neue Steuergesetze oder Umweltauflagen oder eine Weltwirtschaftskrise können im Handumdrehen auch die beste Strategie zumindest vorübergehend aushebeln.
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Wenn beispielsweise eine neue Fabrik gebaut werden soll, setzt sich das Unternehmen hinsichtlich des neuen Produktionsstandortes diversen Risiken aus.
• Die operativen Risiken, die mit einer Veränderung im Fertigungsnetzwerk verbunden sind, beziehen sich zunächst auf die Unklarheit über den Ausbildungs- und Erfahrungsstand der Mitarbeiter am neuen Standort, so dass auch über die Versetzung erfahrener Fachkräfte und Manager nachzudenken ist. Sollte die Beschäftigtenstruktur in einem Billiglohnland durch Einsatz von externen Fachkräften gestärkt werden müssen, verändert diese Maßnahme die Produktionskostenentwicklung. Werden weniger externe Fachkräfte eingesetzt, erhöht sich zunächst die Fehlerquote im Produktionsablauf. Auch Lieferverzögerungen aufgrund von Veränderungen der Versorgungskette bilden operative Risiken. • Der tatsächlich erreichte Markt kann stark von dem Umfang abweichen, der ursprünglich ins Auge gefasst worden war. Das verändert die Menge der absetzbaren Produkte. Auch die Produktpreise und das Verhalten der Wettbewerber sind nicht vorhersehbar. • Die politischen Risiken betreffen die Steuergesetzgebung oder eventuelle Baugenehmigungsverfahren. Außerdem hängen Subventionen und Umweltauflagen stark von der politischen Richtung einer Regierung ab. • Auch allgemeine ökonomische Veränderungen wie die Finanzkrise oder folgenreiche Firmenzusammenbrüche bergen erhebliche Risiken. Noch größer sind sie bei Inflation oder nachhaltigen Zinsveränderungen. • Alle Arten höherer Gewalt bergen große Risiken: Naturkatastrophen können ganze Standorte zerstören oder von der Umwelt abschneiden, in denen produziert wird oder in denen viele Rohstoff-Lieferanten oder Kunden angesiedelt sind. Terroranschläge und schwere Unfälle können ähnlich dramatische Folgen haben.
KAPITEL 3: WAS IST UNSICHERHEIT?
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Ein Projekt wird immer mit einem besseren Ergebnis umgesetzt werden, wenn eine genaue Risikobetrachtung stattgefunden hat. Ohne sie bleibt unternehmerisches Handeln eine Sache des Glücks.
Unsicherheiten analysieren Bis vor wenigen Jahren reichten Erfahrung und der gesunde Menschenverstand aus. Unternehmenslenker entschieden häufig spekulativ und lagen dabei zu circa 70 Prozent richtig. Heute aber wechseln sich wirtschaftliche Hoch- und Tiefzeiten immer schneller und überraschender ab. Je besser also die Cashflow-Komponenten mit Risiken hinterlegt werden können, desto einfacher ist eine Strategie umzusetzen. Und desto schneller kann der Unternehmenswert erhöht werden. Die Unsicherheiten – wie in unserem Beispiel des Fabrikbaus – können in zwei Kategorien unterteilt werden:
1. „Topline“-Unsicherheiten (fehlende Gewissheit über die Entwicklung der Umsätze) sind zum Beispiel a) Entwicklung der Absatzmenge b) Entwicklung der Absatzpreise (Wettbewerb, Kunden etc.) c) Veränderungen der Währungsparitäten 2. „Bottomline“-Unsicherheiten (fehlende Gewissheit über die Entwicklung der Kosten) sind zum Beispiel a) Entwicklung der Kapitalkosten b) Entwicklung der Betriebskosten c) Entwicklung der Transportkosten
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Diese Faktoren werden in der Kalkulation der Cashflows einzeln bewertet. Jeder dieser Werte beeinflusst den Gewinn, ist aber unsicher – und sie hängen darüber hinaus noch voneinander ab.
Strategien absichern Strategien müssen immer wieder angepasst werden, wenn sie den Anforderungen der Umgebung nicht mehr genügen oder wenn sich die Ziele verändern. Wer etwa seinen Umsatz in einem neuen Markt steigern möchte, muss sich überlegen, ob es günstiger ist, anstatt einer großen neuen mehrere kleine Fabriken zu bauen. Die Entwicklung einer Strategie muss an den langfristigen Trends ausgerichtet werden. Dabei müssen möglichst alle Risiken berücksichtigt werden: Sollten sie zu groß sein, ist eine andere Strategie zu verfolgen. Hinsichtlich unseres Beispiels wäre das Outsourcing der gesamten Produktion eine völlig andere Strategie. Mit Hilfe der Dynamic Decision Management-Methode haben sich Unternehmen bereits teure strategische Irrtümer ersparen können. Es ist schon vorgekommen, dass ein Energieversorger auf den Bau eines Kraftwerks verzichtete, weil dieser sich aufgrund der unsicheren Strompreise in der Rezession nicht gerechnet hätte. Angenommen, Sie könnten die spezifischen Unsicherheiten Ihrer Strategie genau beziffern und Sie hätten eine Methode zur Verfügung, mit deren Hilfe Sie ableiten können, wie wahrscheinlich der Erfolg Ihrer Strategie ist.
KAPITEL 3: WAS IST UNSICHERHEIT?
Wer weiß, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmtes Risiko tatsächlich auftritt, kann sicherer entscheiden, ob er es in Kauf nehmen möchte oder nicht.
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Interessiert es Sie dann nicht,
• wie wahrscheinlich es ist, dass eine Projektrendite größer x Prozent ist oder diese zwischen den Eckwerten A und B liegt? • wie hoch Ihr Verlustrisiko als Eigenkapitalgeber ist? • mit welcher Wahrscheinlichkeit der Kredit an Sie als Fremdkapitalgeber zurückgezahlt wird? • wie wahrscheinlich es ist, dass das neue Produkt, das Sie als Manager auf den Markt gebracht haben, ein Erfolg wird?
Es ist immer wieder festzustellen, dass Entscheider auf diese Fragen nicht gerne eingehen. Sie leben lieber in großer Unsicherheit, weil Wahrscheinlichkeiten nach der bisherigen Methode nicht genau berechnet werden können. Wir wollen aufzeigen, dass man durchaus mittlerweile auch die „Unfragen“ beantworten und sie sogar berechnen kann.
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Wie wird Unsicherheit gemessen? Um Unsicherheiten ausschalten zu können, muss man sie erkennen. Das Motorsportteam wertet dafür alles aus, was es an Daten zu sammeln gibt: Daten der Computersimulation und vergangener Rennen sowie die Einschätzungen des Piloten fließen in einem Zukunftswert für das kommende Rennen zusammen. Während des Rennens selbst erfassen Sensoren alle Daten von Motor, Getriebe, Fahrwerk und Reifen und senden sie per Funk an die Kontrollmonitore. Das Team kann dann die Vorab-Analyse und die subjektive Einschätzung des Fahrers mit den life eingehenden Daten vergleichen, also den Soll- mit dem Ist-Zustand. Stellt sich nun heraus, dass wegen veränderter Streckenverhältnisse zum Beispiel die Fahrwerkeinstellungen während des Rennens anzupassen sind, so können sich Rennfahrer und Rennleitung darüber verständigen. Solche aktuellen Veränderungen der Strecke gelten auch für ein Unternehmensumfeld, das immer unsicherer wird und für das es gleichzeitig immer entscheidender wird, die Unwägbarkeiten exakt messen und bewerten zu können. Denn aus großen Ungewissheiten ergibt sich auch eine große Bandbreite operativer und strategischer Handlungsoptionen. Anstatt diese wie bisher intuitiv auszuwählen, sollten sie nach analytischen Gesichtspunkten ausgesucht werden. Die einfachste Art und oft der erste Schritt in diese Richtung ist eine qualitative Einschätzung der diversen Risiken auf einer Skala von 1 (einfach und beherrschbar) bis 10 (komplette Ungewissheit), wie in Abbildung 3.1 dargestellt.
KAPITEL 3: WAS IST UNSICHERHEIT?
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Abb. 3.1: Unsicherheit als qualitative Größe Unsicherheit
1 - gering, 10 - hoch
1. Erträge/Absatz 2. Operative Kosten
10
8
8 6
10
3. Investitionsvolumen
4
4. Politische/regulatorische Rahmenbedingungen
4
5. Technologie
1
Erträge/ Absatz
Technologie
4 2
Operative Kosten
0
Politische/regulatorische Rahmenbedingungen
Investitionsvolumen
Ø: 6,0
Als zweiter Schritt wird eine Vorauswahl der entscheidenden Parameter getroffen. Es gibt nun mehrere bewährte Verfahren, mit denen Unsicherheiten in einem dritten Schritt quantitativ festgestellt werden können: 1. Expertenaussagen (educated guess) Ein Beispiel: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Benzin wieder weniger als 50 Cent pro Liter kosten wird? Experten treffen ihre Aussagen in Kenntnis aller politischen und wirtschaftlichen Fakten und der persönlichen Einschätzung der handelnden Personen. 2. Regression (auf historischen Daten basierend) Auch vergangene Entwicklungen, also Erfahrungen, können als Wert ermittelt werden und bis zu einem gewissen Grad Schlüsse auf die Zukunft zulassen. Es ist beispielsweise möglich, von den Aktienschwankungen auf die Standardabweichung der Vermögenswerte in den betreffenden Industrien zu schließen. In den vergangenen Jahren hat die entsprechende Datenmenge immer mehr zugenommen.
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Durch den weiteren Zuwachs von internetbasierten Aktienverkäufen werden in Zukunft noch bessere statistische Auswertungsverfahren wie zum Beispiel die einer Regression möglich sein, denn Datenmenge und Datenqualität über Kunden und deren Verhalten werden deutlich zunehmen. Damit können Umsätze immer genauer geplant werden. 3. Ableitung aus Fundamentalmodellen Schwankungen aus Fundamentalmodellen ermöglichen es, den Grad der Unsicherheit dadurch abzuleiten, dass die sachlichen Zusammenhänge aufgezeigt werden: Beispielsweise hängt der Gaspreis systembedingt vom Ölpreis ab. Es ist ebenfalls möglich, Volatilitäten aus einem Fundamentalmodell abzulesen, um den Strompreis aufgrund von Nachfrageveränderungen, Ölpreisentwicklungen etc. vorhersagen zu können.
KERNFRAGEN FÜR ENTSCHEIDER: 1. Sind Ihnen die Volatilitäten für die wesentlichen Parameter Ihrer Projekte bekannt? 2. Haben Sie in Ihren aktuellen Projekten die Wahrscheinlichkeit der Projektrendite bereits ermittelt? 3. Stimmt die Risikobewertung der Projekte mit Ihrem „Bauchgefühl“ überein?
KAPITEL 3: WAS IST UNSICHERHEIT?
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50
4. TROTZ UNSICHEREM UMFELD SICHER ENTSCHEIDEN
Welches Team das Rennen gewinnt, ist Glückssache. Wer schließlich den Sektkorken knallen lässt und von den Damen geküsst wird, hängt aber nicht nur davon ab, ob er der Schnellste ist. Die Beschaffenheit der Rennstrecke kann auch einem Michael Schumacher das Leben schwer machen. Wieder ist der Ingenieur gefragt: Je nachdem muss er das Fahrwerk höher oder tiefer, weicher oder härter einstellen. Der Sieg wird dann schon ein bisschen wahrscheinlicher. Das Team hat noch mehr Chancen, wenn zwei Fahrzeuge mit unterschiedlicher Fahrwerksabstimmung starten. Alles eine Frage der Strategie. Natürlich haben Unternehmer auch bislang nicht nur zufällig richtige Entscheidungen gefällt. Aber wer sich allein auf den Nettobarwert (Net Present Value, NPV) eines bestimmten Szenarios stützt, braucht auch eine ordentliche Portion Glück, wenn seine Entscheidung zum Erfolg führen soll. Denn wir haben in Kapitel 2 beschrieben, dass die wenigen Szenarien und ihre Parameter die Realität nicht annähernd abbilden. Sie weichen so weit voneinander ab, dass jede Entscheidung für ein bestimmtes Szenario und damit gegen alle anderen zwangsläufig Abstriche in Kauf nimmt. Die Vereinfachung im NPV galt bislang als geeignet, den Entscheider in die Zukunft seines Unternehmens schauen zu lassen, weil es keine Alternative gab. Nun aber kann sie von der neuen Methode ersetzt werden, die auf die veränderten Bedingungen eines dynamischeren und komplexeren Umfelds zugeschnitten ist.
Wenn Bewertungen ausschließlich auf dem Bauchgefühl basieren, sind sie nur schwer vertretbar und nachvollziehbar.
J. Gerber et al., Kalkulierte Flexibilität, DOI 10.1007/978-3-8349-8942-0_4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 KAPITEL 4: TROTZ UNSICHEREM UMFELD SICHER ENTSCHEIDEN
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Ein Beispiel (ausführlich beschrieben in Kapitel 7, siehe Fallbeispiel 3): In einem Energieunternehmen steht die Investition eines Milliardenbetrags in einen Offshore-Windpark an. Die Verantwortlichen tun sich schwer mit der Entscheidung, ob und wann sie den Windpark bauen wollen. Das bautechnisch unerschlossene Tiefseeterrain der Nordsee bringt unkalkulierbare Baukosten mit sich. Die damit einhergehenden Wetterkonditionen (zum Beispiel Korrosion durch schlechtes Wetter) und die Anlagengröße bergen ebenfalls schwer vorhersehbare Risiken. Die Entscheidung für oder gegen den Windpark wird üblicherweise durch den Entwurf von drei Szenarien bewertet, wie zum Beispiel:
1. Expected Case Szenario: Bei einem Einsatz von 1,3 Mrd. Euro ergibt sich unter Berücksichtigung aller Faktoren ein Nettobarwert von 370 Mio. Euro. 2. Worst Case Szenario: Bei einer Investition von 1,8 Mrd. Euro beläuft sich der Nettobarwert auf -81 Mio. Euro. 3. Best Case Szenario: Hier wird nur 1 Mrd. Euro investiert, der Nettobarwert liegt bei 607 Mio. Euro.
52
Abb. 4.1: Klassische Szenariobewertung in Mio. Euro
Die entscheidende Frage in diesem Modell ist, wie wahrscheinlich die einzelnen Szenarien sind. Um die Berechnung zu vereinfachen, werden häufig Wahrscheinlichkeiten in die Überlegungen überhaupt nicht mit einbezogen, so dass sie alle als gleich wahrscheinlich angenommen werden. Das ist aber nicht realistisch, weshalb Experten den Szenarien in manchen Verfahren bestimmte Wahrscheinlichkeiten zuordnen (NPV mit pauschalen Wahrscheinlichkeiten). Damit hat jedes der drei Szenarien dieselbe Wahrscheinlichkeit, also je 33 Prozent. Oder die Experten treffen Annahmen, die ein Szenario wahrscheinlicher machen als die anderen.
KAPITEL 4: TROTZ UNSICHEREM UMFELD SICHER ENTSCHEIDEN
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Abb. 4.2: Wahrscheinlichkeiten des Nettobarwertes von Szenarien Die Frage ist, ob derartige Szenarien als Entscheidungsgrundlage überhaupt taugen. Entscheider wählen „ihr“ Szenario 50% überdurchschnittlich häufig aufgrund 30% ihres Bauchgefühls 20% aus, denn in der Regel erscheint NPV -81 370 607 jedem Unternehmer Mio. € Mio. € Mio. € oder Manager ein Worst Case Expected Case Best Case Szenario Szenario Szenario Szenario plausibler als alle anderen. Auch Sensitivitätsanalysen, die durch Änderung einzelner Parameter pro Szenario unterschiedliche Auswirkungen modellieren, geben keine zuverlässigen Informationen über die Wahrscheinlichkeit eines Szenarios. Der Manager bleibt dabei, das eine zu glauben und das andere nicht, auch weil er sich dabei auf seine Erfahrung stützt. Trotzdem kann Bauchgefühl trügen. Außerdem bleibt es in der Bewertung immer relativ („Ich halte Szenario A für wahrscheinlicher als B und das wiederum für wahrscheinlicher als C.“). Mathematisch betrachtet macht es aber einen großen Unterschied, ob Szenario A 10 oder 20 Prozent wahrscheinlicher als B ist. Wahrscheinlichkeit
54
Ein noch viel größeres Problem wird meistens übersehen: Szenarien setzen sich in der Regel aus mehreren teilweise voneinander unabhängigen Einzelannahmen zusammen, zum Beispiel Annahmen zum Marktwachstum in den nächsten Jahren, Annahmen zum Wettbewerberverhalten, Annahmen zur Entwicklung staatlicher Förderprogramme, Annahmen zur Entwicklung von Zöllen, Annahmen zu Finanzierungsmöglichkeiten etc. Dabei wird unterstellt, dass alle Einzelfaktoren gleich wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sind und zudem werden oft auch die möglichen Korrelationen zwischen einzelnen Parametern oder völlige Unabhängigkeit der Parameter schlichtweg übergangen. Derart pauschale Vermutungen machen ein Szenario aber tatsächlich ziemlich unrealistisch. Viel sinnvoller ist es, genau herauszufinden, welche Parameter einen Einfluss auf den Wert haben, wie stark der Einfluss ist und vor allem, wie abhängig einzelne Parameter in der Praxis wirklich voneinander sind. Wir werden im nächsten Abschnitt zeigen, wie das möglich ist.
KAPITEL 4: TROTZ UNSICHEREM UMFELD SICHER ENTSCHEIDEN
Ob und inwiefern die Parameter voneinander abhängen, beeinflusst die Bewertungsergebnisse enorm.
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Es gibt eine Lösung für das Szenario-Problem Will man nun die in Kapitel 3 erläuterte Unsicherheit beziehungsweise Volatilität mit einbeziehen und messen, beginnt man von Grund auf: Für jeden Parameter eines Businessplans oder einer Investitionsrechnung oder eines unternehmerischen Entscheidungsprozesses wird die erwartete Entwicklung und deren Volatilität definiert. In unserem Windpark-Beispiel handelt es sich in einer stark vereinfachten Betrachtung um drei Parameter: Die Investitionssumme (erster Parameter) ist unsicher, da sie durch eine neue, weitgehend unerprobte Technologie bestimmt ist. Man kann hier sehr ins Detail gehen und die jeweilige Unsicherheit jeder Technologie-Komponente einzeln darstellen. Bei den Betriebsführungskosten (zweiter Parameter) besteht kaum Unsicherheit, da hinsichtlich der laufenden Kosten auf Erfahrungswerte ähnlicher Anlagen zurückgegriffen werden kann. Außerdem können bestimmte Risiken durch vertragliche Zusicherungen und Garantien abgefangen werden. Auch beim Erlös (dritter Parameter) gibt es kaum Unsicherheiten: Ausführliche Windstudien lassen zuverlässige Prognosen für die Jahreswerte zu. Der nur mit Unsicherheit vorhersagbare Erlös ist durch die Anzahl der Betriebsstunden der Windräder gegeben, da die Vergütung (Preis) aufgrund der gesetzlichen Vorgaben (Erneuerbare Energien Gesetz) als sicher angesehen werden kann. Wechselbeziehungen können zum Teil aus historischen Daten abgelesen werden, wie etwa das Verhältnis der Entwicklung von BIP und Stromnachfrage. Oder es liegen systematische Gründe für die Wechselbeziehung vor. Das ist bei den Preisentwicklungen von Benzin und Diesel der Fall, die jeweils dem des Rohstoffs Öl folgen. Beim Hauptunsicherheitsfaktor, der eigentlichen Höhe der Investitionen, fallen bei genauer Betrachtung vor allem die Gondel und der Tripod ins Gewicht, die die teuersten und gleichzeitig unsichersten Komponenten beim Bau der Anlage sind. Belegt man ihren Einbau mit einer Volatilität von 20 Prozent und das übrige Investment mit einer Volatilität von 15 Prozent, so ergibt sich die als Verteilungsfunktion dargestellte Streuung der Kapitalkosten. Dabei geht es um die Wahrscheinlichkeit, mit der der Nettobarwert steigt oder sinkt.
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Um nun alle Faktoren in einem Cashflow-Wert zusammenzuführen, müssen deren Abhängigkeiten voneinander beachtet werden. Warum das wichtig ist, wird an einem einfachen Beispiel deutlich: Ein Verbraucher möchte sich ein Auto kaufen und schwankt zwischen einem Dieselfahrzeug und einem Benziner. Unentschieden ist er, weil er sich über die Preisentwicklung für den Treibstoff nicht sicher sein kann. Nun möchte der Käufer die künftigen Kosten seines Autos mit Hilfe des oben beschriebenen Ansatzes abbilden, um seine Wahlmöglichkeiten miteinander zu vergleichen. Führt er die beiden Treibstoffarten zusammen, ohne ihre Wechselbeziehung zu beachten, ergibt sich möglicherweise, dass ein Benziner viel günstiger ist, weil Benzin sehr billig und Diesel sehr teuer ist (oder umgekehrt). Dieser Schluss ist aber falsch: Bezieht man nämlich die enge Korrelation zwischen beiden Treibstoffen in die Betrachtung ein, so werden sich die Preise im Modell relativ parallel bewegen und andere Argumente werden bedeutender. In unserem Beispiel geht es um die Investitionskosten, die sich aus denen für die Einzelteile ergeben. Weil für die Kosten jedes Einzelteils die Entwicklung des Stahlpreises entscheidend ist, ist es unwahrscheinlich, dass das eine viel teurer als das andere wird. Es besteht also eine positive Korrelation. Werden nun alle relevanten Punkte zu einem Gesamt-Cashflow zusammengeführt, so errechnet sich daraus die Wahrscheinlichkeitsverteilung des Net Present Values oder anderer Kennzahlen, die zur Investitionsentscheidung herangezogen werden. Auch deren Aussagekraft kann verbessert werden, wie zum Beispiel:
• Der Return on Capital Employed • Der Economic Value Added (EVA) • Der IRR (Internal Rate of Return) beziehungsweise interne Zinsfuß
KAPITEL 4: TROTZ UNSICHEREM UMFELD SICHER ENTSCHEIDEN
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Nicht jedes Risiko ist negativ. Im Risk Value können auch solche ermittelt werden, die vorteilhaft sind.
Der Erwartungswert der abgeleiteten Verteilung entspricht dann dem Nettobarwert einer einfachen DCF-Betrachtung. Die Streuung um den Erwartungswert, die sich ebenfalls aus der Wahrscheinlichkeitsverteilung ergibt, bezeichnen wir als „RiskValue“, also Risikowert. Die Kombination von „Risiko“ und „Wert“ in einem Begriff erscheint zunächst widersprüchlich. Man muss sich aber vergegenwärtigen, dass der RiskValue Abweichungen nach unten und oben enthält. Die Herausforderung für Manager liegt nun darin, die Abweichung nach unten zu minimieren und möglichst alle Chancen einer Abweichung nach oben zu nutzen. Dafür sind künftige Handlungsalternativen, also Flexibilität, erforderlich. Mit ihr beschäftigen wir uns im nächsten Kapitel. Abb. 4.3: Kumulierte Wahrscheinlichkeit der Nettobarwerte Kumulierte Wahrscheinlichkeit 100% 90% 80% 70% 60%
50%
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 35% liegt der Barwert unter 0 bzw. mit 65%-iger Wahrscheinlichkeit über 0
40% 30% 20%
Erwartungswert bei 328,3 Mio. €
10% 0% -1.500
-1.000
-500
0
500
1.000
1.500
Nettobarwert (in Mio €) 2.000
2.500
3.000
Die Kurve in Abbildung 4.3 macht Aussagen über die markierten Punkte hinaus möglich. Damit liefert sie zusätzliche Gewissheit über sämtliche dazwischen liegenden oder darüber hinaus gehenden Werte. Das gilt auch für alle weiteren Faktoren, die den Nettobarwert verändern können.
58
Antwort auf bisher ungelöste oder falsch gestellte Fragen Wichtige Fragen, die bislang missachtet wurden, können jetzt beantwortet werden. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der NPV größer oder kleiner als null ist? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass er zwischen 300 Mio. und 1 Mrd. Euro liegt? Dies ist eine neue Art, Investitionen zu betrachten und miteinander zu vergleichen. Ihre Ergebnisse sind viel genauer, weil Unsicherheit und Flexibilität berücksichtigt werden. Im „Szenario-basierten NPV“ oder „NPV mit pauschalen Wahrscheinlichkeiten“, wie in Kapitel 2 Abbildung 2.5 dargestellt, ist es dagegen schwierig, zwei Projekte miteinander zu vergleichen. Denn in der Regel beruht jedes auf eigenständigen Szenarien, die sich nicht mit den anderen decken. Die Entscheider vergleichen oft die NPVs der beiden Expected Cases miteinander, ohne zu wissen, ob nicht vielleicht der Vergleich zwischen Expected Case Szenario und Best Case Szenario sinnvoller ist. Der „NPV mit spezifischen Wahrscheinlichkeiten“ als Teil des Dynamic Decision Management-Ansatzes lässt die Vergleiche nicht mehr hinken. Die Berechnungen liefern Ergebnisse, mit denen klar zu erkennen ist, welches Projekt dasjenige ist, das die ausgemachten Hürden mit höherer Wahrscheinlichkeit überwindet. Ein anderes Maß, mit dem Euro-Werte verglichen werden, ergibt sich aus der Antwort auf die Frage: Welcher Wert wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent mindestens erreicht? Mit Hilfe dieses Wertes wird auch berechnet, welcher Verlust mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. Also ist unser Maß eine auf die NPV-Kurve angewendete Umkehrung.
KAPITEL 4: TROTZ UNSICHEREM UMFELD SICHER ENTSCHEIDEN
Das Dynamic Decision Management beantwortet Fragen, auf die es bisher keine Antworten gab.
59
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der „NPV mit spezifischen Wahrscheinlichkeiten“ wesentliche Vorteile hat: Zum einen werden Wahrscheinlichkeiten, die bisher nur implizit und relativ in Szenarien enthalten waren, explizit berücksichtigt. Zum anderen werden Wahrscheinlichkeiten nicht subjektiv zugeordnet, sondern aus einzelnen Unsicherheiten errechnet. So bilden sie eine objektiv vertretbare Entscheidungsbasis. Schließlich werden die möglichen Entwicklungen vollständig und nicht nur in drei Szenarien abgebildet.
KERNFRAGEN FÜR ENTSCHEIDER: 1. Welche Eintrittswahrscheinlichkeit hat jedes der vorgelegten Szenarien? 2. Welche Parameter sind zur Vereinfachung weggelassen worden, obwohl sie möglicherweise Einfluss auf das Ergebnis haben? 3. Wie wahrscheinlich ist es aus Ihrer Sicht, dass keines der vorgelegten Szenarien eintritt? 4. Können diese Parameter in Summe das Ergebnis der Bewertung wesentlich verändern? 5. Welche weiteren Parameterkombinationen (Szenarien) halten Sie für denkbar?
60
62
5. FLEXIBILITÄT IST ETWAS WERT – UND KANN BEWERTET WERDEN
Wie flexibel ein Motorsportteam ist, hängt auch von wirtschaftlichen Entscheidungen ab, zum Beispiel von der Frage, ob man einen eigenen Windkanal baut oder nach Bedarf von einem Dienstleister mietet. Die Einführung der Computational Fluid Dynamics (CFD)-Technik hat Windkanaltests fast vollständig überflüssig gemacht. Damit kann das bislang in Anlagevermögen gebundene Kapital in den Aufbau von Know-how investiert werden, wie beispielsweise die Optimierung der Heckflügel. Durch einen kleinen Schlitz in den Cockpits kann während der Fahrt Luft einströmen, die kanalisiert und zum Heckflügel geleitet wird. Auf diese Weise kommt es auf Geraden zu einem Strömungsabriss, es entsteht weniger Luftwiderstand. Das sorgt für Tempo, mit dem man einen komfortablen Punktevorsprung herausfahren kann. Während die Konkurrenz weiterhin Windkanaltests durchführt, gewinnt der eigene Fahrer ein Rennen nach dem anderen. Genau wie beim Rennsport ist auch in der Wirtschaft Flexibilität das A und O. Deshalb wird sie bei der Dynamic Decision Management-Methode als Einflussfaktor mit bedacht. Neben der Unsicherheit spielt sie bei Investitionsentscheidungen eine ausschlaggebende Rolle. Flexibilität ist die Möglichkeit, auf Veränderungen der ökonomischen Rahmenbedingungen und neu gewonnene Informationen schnell und adäquat zu reagieren.
J. Gerber et al., Kalkulierte Flexibilität, DOI 10.1007/978-3-8349-8942-0_5, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 KAPITEL 5: FLEXIBILITÄT IST ETWAS WERT – UND KANN BEWERTET WERDEN
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Schließlich muss ein Unternehmen seine Kapazitäten stets an den Markt anpassen. Es muss sie reduzieren, wenn Kunden wegbrechen, es muss sie verstärken, wenn die Nachfrage zunimmt. Unsicherheit über die Marktentwicklung erfordert die Flexibilität, entweder das eine oder das andere tun zu können und Investitionen nicht zu früh festlegen zu müssen. Denkbar ist beispielsweise, dass der Unternehmenslenker stufenweise investiert, wie in Abbildung 5.1 dargestellt. Damit hat er öfter die Möglichkeit, wieder neu zu entscheiden, und muss nicht von einer statischen Marktlage ausgehen. Abb. 5.1: Flexibilität durch Handlungsalternativen: Produktionslinien und -standorte Produktion Produktlinie 2 am neuen Standort in Südosteuropa
Investition am Standort SOE
Strategie 3
Produktion Produktlinie 2 am neuen Standort in Deutschland
Investition am Standort D
Strategie 2b
Produktion Produktlinie 2 am neuen Standort in Deutschland
Investition am Standort D
Strategie 2a
Produktion Produktlinie 1 am bestehenden Standort Deutschland
2009
2010
2011
2012
2013
2014
Strategie 1
2015
2016
2017
2018
Zeitfenster
Die Möglichkeit zu derartig großer Anpassungsfähigkeit wird von Entscheidern in der Regel geschätzt und gesucht. Ihr spezifischer Marktwert kann jedoch nicht ohne weiteres nachvollziehbar ermittelt werden. Flexibilität ist immer an bestimmte Handlungsoptionen gekoppelt, und diese Handlungsalternativen sind auf drei unterschiedlichen Ebenen gefragt:
64
1. Die strategische Ebene: Ein im Unternehmen verfolgtes strategisches Ziel kann auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden. Über größere Zeiträume besteht häufig auch die Möglichkeit, zwischen den Wegen zu wechseln, also neue Strategien zu verfolgen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn sich die anfängliche Planung nicht als schlagkräftig erweist. So war es vor zehn Jahren für ausländische Firmen in China noch üblich, sich zunächst in Joint Ventures mit staatlichen Unternehmen zu engagieren und dann durch organisches Wachstum Fakten zu schaffen. Heute investieren Betriebe direkt und errichten auch eigene Produktionsstätten vor Ort. 2. Die operative oder taktische Ebene: Innerhalb einer vorgegebenen strategischen Route gibt es zahlreiche Optionen, einen Markt zu erobern. Wenn wir beim Beispiel China bleiben wollen, dann sieht die Variante des organischen Wachstums zwei Wege vor: Entweder wird zuerst ein asienspezifisches Produkt entwickelt, bevor nach ersten Markterfolgen ein lokaler Vertrieb aufgebaut wird. Oder der Weg verläuft umgekehrt, und der Vertrieb wird mit einem bewährten, für den asiatischen Markt geeigneten europäischen Produkt aufgebaut. Erst danach wird ein den regionalen Bedürfnissen angepasstes asiatisches Produkt entwickelt und vermarktet.
Flexibilität ist dreifach gefragt: In strategischer, operativer und zeitlicher Hinsicht.
3. Die zeitliche Ebene: Hier geht es darum, wann das Unternehmen welche Schritte unternimmt. Wer zum Beispiel expandieren will, kann ein anderes Unternehmen je nach den Gegebenheiten während einer Krise oder einer Hochphase kaufen. Oder wer in neue Technologien investieren möchte, kann seine Ausgaben jeweils zu dem Zeitpunkt tätigen, an dem der nächste Entwicklungsstand erreicht ist.
KAPITEL 5: FLEXIBILITÄT IST ETWAS WERT – UND KANN BEWERTET WERDEN
65
Eine solche Betrachtung kann sehr komplex sein, weil immer mehrere Parameter Einfluss auf die einzelnen Ebenen ausüben. So spielen im Bereich Merger & Acquisitions (M&A) neben vielen weiteren Faktoren zum Beispiel die Verfügbarkeit von Übernahmekandidaten und die Art der Finanzierung wichtige Rollen. Darüber hinaus wirken sich indirekte, nicht durch den Markt beeinflussbare Unsicherheiten auf die Entscheidungen für oder gegen eine Investition aus: Das kann eine Veränderung in der öffentlichen Förderung einer bestimmten Technologie oder Energieart sein oder die allgemeine Steuergesetzgebung.
Das neue Denken – Denken in Flexibilität
Der FlexValue macht es möglich, in Flexibilität sinnvoll zu investieren.
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In der Vergangenheit wurde oft zu wenig in Handlungsalternativen, das heißt Flexibilität, gedacht, weil die DCF-Methode zur Unternehmensbewertung das nur begrenzt zulässt. Hier muss das Management umdenken und bestehende Wahlmöglichkeiten nicht nur verstehen wollen, sondern auch aktiv erarbeiten. Das verändert den Denkprozess rund um die Entscheidungen. In der Regel gehen die Unternehmen davon aus, dass sie ihre „Hausaufgaben“ bereits gemacht haben und ihre Optionen bestens kennen. Aber so trivial, wie es klingt, ist das Thema leider nicht. Firmen, die sich auf die Frage nach mehr Flexibilität einlassen, lernen eine ungeahnte Fülle an Alternativen kennen, die sie sich in dieser Vielfalt vorher nicht einmal ansatzweise vorstellen konnten. Es geht nicht nur darum, ob man Wachstum organisch erreicht oder mittels M&A-Strategien verfolgt. Eine Firma kann auch durch Kooperationen wachsen. Auch innerhalb der M&A-Strategien gibt es verschiedene Alternativen, sei es die Akquisition eines großen Wettbewerbers, vieler kleinerer Minderheitsbeteiligungen oder weniger Mehrheitsbeteiligungen. Für jede der strategischen Handlungsoptionen gibt es unterschiedliche Schrittfolgen, denn natürlich ist eine komplette Übernahme in der Vorbereitung und Durchführung wesentlich komplexer als ein
organisches Wachstum oder Minderheitsbeteiligungen. Und für jede taktische Schrittfolge gibt es wiederum zeitliche Varianten mit jeweils unterschiedlichen Folgen. In der Praxis werden erfahrungsgemäß viele dieser Alternativen nicht verfolgt, oft nicht einmal in die Überlegungen mit einbezogen. Entweder ist sich der Unternehmer vieler der Handlungsalternativen nicht vollständig bewusst oder er kann nicht alles bewerten. Auch wenn es das Vorgehen vereinfacht, führt eine nur selektive, damit oft grobe qualitative Betrachtung nicht zu einer zufriedenstellenden Entscheidungsgrundlage. Deshalb kann ein Unternehmenslenker sich selbst bei überschaubaren Alternativen keine gründliche Transparenz und Sicherheit über die folgenden Fragen verschaffen:
• Was ist es wert, mit einer Entscheidung ein Jahr zu warten? • Was ist es wert, einen Markteintritt mit einem kleinen Büro zu beginnen, das zunächst nur Geld kostet, aber keine Einnahmen bringt? • Was ist es wert, in die Produktentwicklung zu investieren?
Auch wenn Entscheider im Allgemeinen sagen, dass Flexibilität grundsätzlich wichtig und gut sei, machen sich die wenigsten klar, was sie mit mehr Flexibilität erreichen können. Sie erkennen, wenn Flexibilität „gratis“ in Projekten oder Entscheidungen enthalten ist. Aber niemand legt sich selbst gegenüber Rechenschaft ab, welchen Gegenwert sie liefert. Und was ist mit der Flexibilität, die nicht umsonst ist, sondern erst durch Investitionen erreicht werden kann? Wie viel ist diese Flexibilität wert?
KAPITEL 5: FLEXIBILITÄT IST ETWAS WERT – UND KANN BEWERTET WERDEN
67
Ein Beispiel aus der Automobilindustrie veranschaulicht das Problem: Bei einem Fahrzeughersteller besteht in Fabrik A die Möglichkeit, nur Fahrzeuge der Modellreihe I zu bauen, ohne viel investieren zu müssen. In Fabrik B können zusätzlich die Modellreihe II und III gebaut werden. Das Mehr an Flexibilität kostet allerdings auch erheblich mehr. Aber was ist diese Flexibilität im Gegenzug wert? Vielleicht kompensiert die Möglichkeit, zwischen den Modellreihen zu variieren, den erheblichen Kostenaufwand nicht. Dann ist Flexibilität nicht vorteilhaft. Aber auch das Gegenteil ist denkbar. Der FlexValue, also der Wert der Flexibilität, ist mit der traditionellen SzenarioMethode nicht zu ermitteln. Die Dynamic Decision Management-Methode hingegen wartet mit einem praxistauglichen mathematischen Instrument auf. Dessen Anwendung beschreiben wir im folgenden Kapitel .
KERNFRAGEN FÜR ENTSCHEIDER: 1. Haben Sie alle wesentlichen Handlungsalternativen für die anstehenden Entscheidungen diskutiert? 2. Haben Sie die in den Handlungsalternativen enthaltene Flexibilität für die anstehenden Entscheidungen bewertet? 3. Mit welcher Wahrscheinlichkeit können welche Werte erzielt werden? 4. Ist es wertvoller, die Entscheidung eventuell noch um ein Jahr zu verschieben?
68
70
6. DER TOTALVALUE
Beim Motorsport ist Schnelligkeit das Wichtigste. Jede strategische Entscheidung wird daran gemessen, in welcher Zeit der Rennfahrer des eigenen Teams die Strecke geschafft hat. Eine solche Entscheidung kann plötzlich während des Rennens gefragt sein: Wenn es anfängt zu regnen, müssen die Reifen gewechselt werden. Wartet das Team bis zum nächsten regulären Boxenstopp oder veranlasst es den Fahrer zu einem zusätzlichen Halt? Das kostet zwar Zeit, kann aber trotzdem vorteilhaft sein: Wird der Regen heftiger, ist der Wagen mit Regenreifen schneller als seine Konkurrenz, die noch nicht gewechselt hat. Die Situation eines Geschäftsführers oder Vorstands ist vergleichbar mit der des verantwortlichen Rennleiters: Auch im Unternehmeralltag geht es um Schnelligkeit und darum, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, die sein Unternehmen am Markt und im Branchenumfeld hat. Beim Motorsport ist es der plötzliche Regen, in vielen Branchen können es eintretende technologische Veränderungen sein, die noch nicht vollständig ausgereift sind oder keine ausreichende Kundenakzeptanz erreichen. Hier kann Warten die wertvollste Handlungsalternative sein. Denn vermutlich zahlt es sich aus, eine Umstellung der Produktion oder Produktionslinie erst vorzunehmen, wenn die Technologie fertig entwickelt beziehungsweise das Kaufverhalten positiv einzuschätzen sind.
J. Gerber et al., Kalkulierte Flexibilität, DOI 10.1007/978-3-8349-8942-0_6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 KAPITEL 6: DER TOTALVALUE
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Im TotalValue werden die Entscheidungen der Gegenwart und der Zukunft bewertet.
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Die Vielfalt der Wege, die sich jeden Tag wieder neu eröffnen, macht die Entscheidungen so anspruchsvoll. Der Ausbau von Vertriebskanälen bei guten Absatzperspektiven, die Akquisition eines Unternehmens, das Abstoßen einer Aktivität oder eines Unternehmensteils, der nicht mehr zur Kernkompetenz gehört, das Ersetzen veralteter Anlagen – das sind nur einige Beispiele, die illustrieren, wie hoch die Anforderungen an ein Management-Team heute sind und wie breit die Palette der anstehenden Entscheidungen ist. Wichtig ist, den Wert, der geschaffen werden kann, so genau wie möglich zu bestimmen. Denn davon hängt der zukünftige Erfolg des Unternehmens und damit der Mitarbeiter und Eigentümer ab. Die Ermittlung des TotalValue unterstützt das Management substanziell in seinen Entscheidungsprozessen, vor allem, wenn es darum geht, den Wert auch zukünftiger Entscheidungen zu bestimmen. Was ich heute über die Zukunft meines Unternehmens beschließe, ist oft mit der Vergangenheit und der Gegenwart verbunden: Jede neue (Investitions-) Entscheidung ist geprägt von den Rahmenbedingungen der Investitionen von gestern und heute. Deshalb ist es so wichtig, ihre Konsequenzen und damit ihren Wert zu kennen. Wer zur Modernisierung seiner Produktionsstandorte und Produktlinien wenig investiert, mag kurzfristig besser wirtschaften. Dadurch kann aber langfristig die Flexibilität der Produktion und der Produkte verringert und so die Wettbewerbsfähigkeit beeinflusst werden. Das erhöht das Risiko, dass die Investitionsentscheidung am Ende möglicherweise teurer wird als eine, die es dem Unternehmen gestattet, sich an veränderte Entwicklungen des Markts, des Lohnniveaus oder der Transportkosten etc. laufend flexibel anzupassen.
Der Wert künftiger Entscheidungen Im Dynamic Decision Management-Ansatz können die Handlungsalternativen anhand von zwei grundsätzlichen Fragen untersucht werden (siehe auch Abbildung 6.1):
• Welcher Wert stellt sich heute für die zukünftigen Perioden ein, wenn nicht unmittelbar entschieden, sondern abgewartet wird? Beispiel: Ein Unternehmer hätte die Chance, eine neue Produktionsanlage zu günstigen Konditionen zu kaufen. Er nimmt diese Gelegenheit aber nicht wahr, sondern produziert kurzfristig mit den alten Anlagen weiter, weil er die ökonomischen Rahmenbedingungen derzeit nicht positiv einstuft. • Welcher Wert stellt sich heute für die zukünftigen Perioden ein, wenn unmittelbar entschieden, das heißt die Handlungsalternative ausgeübt wird? Beispiel: Ein Unternehmer entschließt sich, einen Produktionsstandort zu verkaufen, um die damit verbundenen zukünftigen Verluste zu vermeiden und stattdessen in profitablere Standorte zu investieren.
KAPITEL 6: DER TOTALVALUE
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Abb. 6.1: Bewertung von Handlungsalternativen Wahrscheinlichkeit
Wert der Flexibilität z. B. durch die Alternative „Verkauf“
Wertentwicklung zukünftiger Cashflows durch Alternativen
Wert der Flexibilität z. B. durch die Alternative „Investition“
Wertentwicklung zukünftiger Cashflows ohne Alternativen TotalValue
Dynamic Decision Management führt zu wahrhaft nachhaltigen Entscheidungen.
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Was hier skizzenhaft für eine einzige Handlungsalternative respektive für eine einzige Entscheidung dargestellt wird, gilt auch für Optionen, die auf vorangegangenen Handlungsalternativen basieren, das heißt für Entscheidungen, die spätere Entscheidungen begründen und ermöglichen. Das Berechnungsprinzip bleibt dabei stets dasselbe, weil der Wert, den eine Handlungsalternative hat, den Wert späterer Alternativen automatisch mit einbezieht.
Portfolio-Betrachtungen Der Unternehmensalltag ist nicht nur deswegen komplex, weil Entscheidungen für morgen auf denen von gestern und heute aufbauen, sondern auch, weil Investitionsentscheidungen verschiedener Bereiche miteinander zusammenhängen können. Man muss also immer das ganze Spektrum eines Betriebs im Auge behalten. Das Portfolio ist charakterisiert durch mehrere anstehende Entscheidungen, verbunden mit der Notwendigkeit,
• Prioritäten zu setzen, da nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen. Für ein Energieversorgungsunternehmen stellt sich zum Beispiel die Frage, ob eher auf die Strom- oder die Gassparte gesetzt werden soll. • die inhaltlichen Abhängigkeiten der Entscheidungen zueinander zu betrachten. Die Entscheidung der Automobilindustrie für Elektro-Mobilität beinhaltet auch Antworten auf Fragen zum Aufbau der Infrastruktur für Strom-Tankstellen. • Risiken deutlich abzugrenzen, da sich bei mehreren Optionen die bestehenden Risiken mehrerer Projekte addieren oder gegenseitig kompensieren, also insgesamt größer oder auch geringer werden können. Konkret könnten große Investitionen im Bereich Erneuerbare Energie für Winderzeugungsanlagen, für Biomasseanlagen oder für Photovoltaikanlagen das Technologierisiko für das Gesamtunternehmen erhöhen, da auf mehrere Technologien gesetzt wird, die teilweise noch in der Erprobungsphase sind (siehe Abbildung 6.2).
KAPITEL 6: DER TOTALVALUE
75
Die Fragen rund um eine Portfolio-Betrachtung sind mit dem Dynamic Decision Management-Ansatz, in dem der TotalValue ermittelt wird, besonders gründlich und effektiv zu beantworten. Das gilt insbesondere dann, wenn die Nachteile der Discounted Cashflow-Methode überwiegen, also wenn hohe Unsicherheiten bestehen und wenn unternehmerische Flexibilität den Wert des Unternehmens steigert. Im Vergleich zu einer Einzelbewertung ist die Beurteilung eines ganzen Portfolios von Entscheidungen umfangreicher, methodisch aber grundsätzlich leicht durchführbar:
• Zunächst werden die zur Verfügung stehenden Entscheidungsalternativen einzeln bewertet. • Anschließend werden die Abhängigkeiten erarbeitet, und zwar inhaltlich, zeitlich und unter Risiko-Gesichtspunkten. • Abschließend werden die Portfolio-Alternativen miteinander verglichen und bestimmt, welche parallelen Handlungsalternativen optimalerweise in einer Entscheidung zusammenfließen.
76
Abb. 6.2: Portfolio von Handlungsalternativen Unsicherheit
10
Offshore-Option 8 Dimensionen
Pellet-Anlage
1. Erträge/ Absatz 2. Operative Kosten
Biomasse I
6
Gasspeicher1)
3. Investitionsvolumen 4. Pol./ regulatorische Rahmenbedingungen 5. Technologie
Offshore Projekt Dimensionen
Onshore Wind/Solar
4
1. Zeit
Hochschul Campus
2. Markt 3. We bewerb
2
4. Ressourcen 5. Optionspotential
Netzinvestitionen 0 0 1) Investitionsvolumen illustrativ
2
4
6
8
10
Handlungsspielraum
: Größe des Kreises entspricht dem Gesamtinvestitionsvolumen
Wer sich intensiv mit den Werten für Unsicherheit und Flexibilität auseinandersetzt, kann in Zukunft nachhaltigere strategische Entscheidungen treffen und sie besser gegenüber Eigentümern, Mitarbeitern, Aufsichtsräten und Politik vertreten. Die Dynamic Decision Management-Methode ist das optimale Werkzeug dazu, vor allem bei Entscheidungen, die durch große Unsicherheit, große Flexibilität oder hohe Investitionsvolumina geprägt sind.
KAPITEL 6: DER TOTALVALUE
77
Die Erfahrungen zeigen, dass strategische Herausforderungen in Unternehmen mit dem Dynamic Decision Management-Ansatz gründlicher und schneller zu erfassen sind. Auch der Wert künftiger Strategien ist damit deutlich besser zu beurteilen. Diese Methode wird sich daher aus unserer Sicht in Zukunft als Standard für die Strategieentwicklung und die Strategiebewertung etablieren. Im folgenden Kapitel veranschaulichen drei ausführlich erläuterte Fallbeispiele die Vorteile gegenüber bisherigen Analysen. Machen Sie auf den folgenden Seiten mit uns den Praxistest.
KERNFRAGEN FÜR ENTSCHEIDER: 1. Kommunizieren Sie gegenüber Eigentümern oder Aufsichtsrat den Wert, den Flexibilität für Ihr Unternehmen hat? 2. Können Sie die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Bereichen wie Controlling, Strategie oder Risk Management verbessern? 3. Können Sie den Aufwand für Planungs- und Budgetierungsprozesse aufgrund extern bestimmter Faktoren reduzieren?
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7. DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE FALLBEISPIEL 1: KALTRESERVE – GASTURBINENKRAFTWERK ZURÜCKBAUEN ODER NICHT?
1. Die Ausgangslage Ein Energieunternehmen hat auf ungünstige Marktbedingungen reagiert und ein Gasturbinenkraftwerk stillgelegt. Die Kaltreserve bietet im Gegensatz zum Rückbau die Möglichkeit, bei erhöhtem Bedarf die Stromversorgung durch erneutes Umschalten in den Betrieb sichern zu können. Genauso kurzfristig kann die Gasturbine wieder in den Modus Kaltreserve zurückversetzt werden, wenn sich die Marktlage erneut verschlechtert. Sich alle Möglichkeiten in dieser Weise offenzuhalten, verursacht aber auch laufende Unterhaltskosten. Damit stellt sich automatisch die Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Die verantwortlichen Energiemanager müssen bewerten, ob ein vollständiger Rückbau der Anlage nicht die bessere wirtschaftliche Handlungsalternative darstellt, auch wenn das den Verlust von Flexibilität bedeutet. Der Entscheidungsfindung liegen folgende wesentliche Annahmen zugrunde:
J. Gerber et al., Kalkulierte Flexibilität, DOI 10.1007/978-3-8349-8942-0_7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
81
• Die Einmal-Investition in die Handlungsalternative „Einsatzmodus Kaltreserve“ aus dem „Einsatzmodus Betrieb“ beträgt 4 Mio. Euro. • Die Einmal-Investition in die Handlungsalternative „Einsatzmodus Betrieb“ aus dem „Einsatzmodus Kaltreserve“ beträgt ebenfalls 4 Mio. Euro. • Die Einmal-Investition in die Handlungsalternative „Rückbau“ beträgt 2 Mio. Euro.
Abb. 7.1.1: Betriebszustände und Cashflows für die Wechsel der Betriebszustände eines Gasturbinenkraftwerks - 2 Mio. € - 4 Mio. € - 4 Mio. €
Einsatzmodus Betrieb
- 2 Mio. €
Einsatzmodus Kaltreserve
Rückbau
Nach der bisherigen betriebswirtschaftlichen Bewertung mittels Discounted Cashflow-Methode (DCF-Methode) und den dafür zugrunde gelegten Hilfsgrößen wurde für den Einsatzmodus Betrieb ein negativer Nettobarwert von -3,8 Mio. Euro ermittelt. Da sich die Fixkosten im Einsatzmodus Kaltreserve pro Jahr auf „nur“ -1,5 Mio. Euro belaufen, müssten die verantwortlichen Führungskräfte konsequenterweise die Anlage in diesem Modus belassen oder einen sofortigen Rückbau der Anlage einleiten, um einen höheren Wertverlust zu vermeiden.
82
Um sich für eine der beiden Alternativen entscheiden zu können, stellen sich folgende Kernfragen:
• Welche konkreten Unsicherheiten sind bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung in welcher Form zu berücksichtigen? • Welche Handlungsalternativen hat das Management hinsichtlich diverser Einsatzmodi? • Welchen ökonomischen Gesamtwert hat das Kraftwerk über die Laufzeit, wenn diverse Handlungsalternativen berücksichtigt werden?
Grundsätzlich hat das Management während der nächsten 21 Jahre, die der technischen Restlaufzeit des Kraftwerks entsprechen, zu jeder Zeit konkrete Handlungsalternativen. Lediglich bei einer Entscheidung für den Rückbau sind ab dem folgenden Zeitabschnitt weitere Handlungen ausgeschlossen.
2. Die Szenario-basierte Discounted Casflow-Bewertung Um die Wirtschaftlichkeit der 300 MWel Gasturbine zu berechnen, werden zunächst die erforderlichen Parameter für das Cashflow-Modell definiert und mit Basisdaten hinterlegt. Folgende wesentliche Input-Größen sind dabei zu berücksichtigen: Die Investitionskosten je Einsatzmodus, die Fixkosten für den Einsatzmodus Kaltreserve, die Betriebsführungskosten für den Einsatzmodus Betrieb, die produzierten Strommengen, die zugrunde gelegten Energiepreise und die CO2Zertifikatskosten.
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
83
Tab. 7.1.2: Parameter und Werte für Nettobarwert-Berechnung Parameter
Bemerkung
Wert
Veränderung
Fixe Kosten "Einsatzmodus Kaltreserve" (z.B. jährliche Personalkosten)
Erfahrungswerte
-1.500.000 € p.a.
+2% p.a. (Inflation)
"One-time" Investition (Einsatzmodus Kaltreserve => Einsatzmodus Betrieb)
Erfahrungswerte
-4.000.000 €
+2% p.a. (Inflation)
Leistung Gasturbine
Techn. Auslegung
300 MWel
Volllaststunden
Erfahrungswerte
800 h
–
Absatzpreis
Strompreismodell
90 €/MWh
+2% p.a. (Inflation)
Fixe Kosten Einsatzmodus Betrieb
Erfahrungswerte
-4.000.000 €
+2% p.a. (Inflation)
Variable Kosten Einsatzmodus Betrieb
Erfahrungswerte
-4 €/MWh p.a.
+2% p.a. (Inflation)
Marktmodell
-60 €/MWh p.a.
–
CO2-Modell
-30 €/t
+2% p.a. (Inflation)
Erfahrungswerte
-4.000.000 €
–
Erfahrungswerte
-2.000.000 €
–
Kaltreserve
Betrieb
Brennsto
osten
CO2-Zertifikatskosten "One-time" Investition (Einsatzmodus Betrieb = > Einsatzmodus Kaltreserve) Rückbau Rückbaukosten des Kra werks
Die Output-Größen ergeben sich aus den jeweiligen Zahlungsflüssen für die beiden Zustände Betrieb und Kaltreserve. Daraus lässt sich der jeweilige Barwert ermitteln. Der Barwert des Einsatzmodus Betrieb setzt sich aus fünf CashflowKomponenten zusammen, wobei Umsatz und Brennstoffkosten die wesentlichen Einflussfaktoren darstellen:
• Umsatz • Brennstoffkosten • Zertifikatskosten • Sonstige variable Kosten • Fixkosten
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Abb. 7.1.3: Nettobarwert im Einsatzmodus Betrieb 250 Mio. €
-167 Mio. €
-30 Mio. € -11.1 Mio. €
-46,2 Mio. €
-3,8 Mio. € Umsatz
Brennstoffkosten
Zertifikate
Sonstige variable Kosten
Fixkosten
Ergebnis
Der Barwert im Einsatzmodus Betrieb wird sich natürlich abhängig davon verändern, wie die einzelnen Parameter variieren. Wie nach der DCF-Methode üblich, werden zehn Handlungsalternativen ausgewählt und dafür jeweils drei mögliche Szenarien simuliert: ein Best Case mit positiven Abweichungen der Hilfsgrößen, ein Worst Case mit negativen Abweichungen und ein Expected Case. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Simulation sind in Tabelle 7.1.4 dargestellt.
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
85
Tab. 7.1.4: Mittels DCF-Berechnung bewertete Handlungsalternativen Szenario-Werte (in Mio.€) Case
Case
Case
Dabei ist zu berücksichtigen, dass es neben den gerechneten Handlungsalternativen noch unzählige weitere Varianten gibt. Entsprechend werden sich die SzenarioWerte in Abhängigkeit davon ändern, welche Handlungsweise zu welchem Zeitpunkt gewählt wird. Bei der Betrachtung des Expected Case ist auffallend, dass alles, was auf den Szenarien basiert, in einer Spanne von -4,4 Mio. Euro bis -17,3 Mio. Euro negative Werte aufweist (siehe Tabelle 7.1.4). Der mit -17,3 Mio. Euro niedrigste Wert setzt voraus, dass Handlungsalternative 1 (Kaltreserve bis ins Jahr 2029) mit jährlichen Fixkosten von -1,5 Mio. Euro fortgeführt würde. Besonders interessant ist Handlungsalternative 4 (Kaltreserve bis 2010, dann Betrieb bis 2029), deren Ergebnisspanne sich von einem extremen Geldbetrag zum anderen erstreckt: Bei optimistischen Annahmen ergibt sich im Best Case Szenario der positive Wert von 226 Mio. Euro, bei negativen Annahmen im Worst Case Szenario der negative Wert von -239,1 Mio. Euro. Beide Ergebnisse sind objektiv gesehen unwahrscheinlich: Zum einen wird kein Management die Anlage mit jährlichen Verlusten in einer Höhe betreiben, aus der sich bis ins Jahr 2029
86
ein derartig hoher Gesamtverlust addiert. Zum anderen werden sich die wesentlichen ökonomischen Rahmenbedingungen über die gesamte Zeitspanne kaum so stabil positiv halten, dass ein Gesamtgewinn von 226 Mio. Euro zu erzielen ist. Wenn im Expected Case alle ermittelten Nettobarwerte negativ ausfallen, müssen die Energiemanager folgerichtig empfehlen, die Anlage sofort stillzulegen und einen Rückbau einzuleiten. Doch das kann bei einer zeitlichen Gesamtbetrachtung trotzdem wirtschaftlich unvorteilhaft und damit falsch sein. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn sich der Gaspreis verbilligt oder sich der Stromverkaufspreis erhöht. Für eine eindeutige Entscheidungsempfehlung der Manager an den Aufsichtsrat oder die Eigentümer muss Flexibilität als Wert beachtet werden.
3. Den Discounted Cashflow-Ansatz erweitern – Unsicherheiten und Flexibilität berechnen Energieversorger sehen sich beispielsweise ständig mit schnell wechselnden Rohstoffpreisen und einer unvorhersehbaren Entwicklung der CO2-Zertifikatskosten konfrontiert. Wenn sich die Rahmenbedingungen extrem nachteilig gestalten, kann es durchaus vorkommen, dass Stromerzeuger ihr Produkt unterhalb der variablen Kosten produzieren und eventuell sogar verkaufen müssen. Wie kann ein Unternehmer sich vor einer solchen Entwicklung schützen? Der Schlüssel zur Lösung liegt in der Erweiterung des DCF-Ansatzes um die Berücksichtigung von Unsicherheiten und Flexibilität. Um auf die Bildung von umfangreichen und umständlichen Szenarien verzichten zu können, werden in Zukunft mögliche Entwicklungen mittels Volatilitäten abgebildet. So werden die Basisdaten und Annahmen geordnet und vereinheitlicht. Am Ende steht eine transparente Bewertungsgrundlage für alle am Entscheidungsprozess Beteiligten: Eigentümer, Aufsichtsräte und verantwortliche Fachbereiche. Komplexe Szenario-Analysen, Entscheidungsbaumverfahren oder Monte-Carlo-Simulationen werden überflüssig.
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
87
Im weiterentwickelten DCF-Ansatz legen Management und Fachbereiche gemeinsam die Unsicherheiten für die jeweiligen Parameter fest. Das Vorgehen ist in Tabelle 7.1.5 dokumentiert. Tab. 7.1.5: Volatilität als Risikomaß für wesentliche Parameter Parameter
Bemerkung
Wert
Veränderung
Volatilität
Fixe Kosten "Einsatzmodus Kaltreserve" (z.B. jährliche Personalkosten)
Erfahrungswerte
-1.500.000 € p.a.
+2% p.a. (Inflation)
5%
"One-time" Investition (Einsatzmodus Kaltreserve => Einsatzmodus Betrieb)
Erfahrungswerte
-4.000.000 €
+2% p.a. (Inflation)
10%
Leistung Gasturbine
Techn. Auslegung
300 MWel
Volllaststunden
Erfahrungswerte
800 h
–
Absatzpreis
Strompreismodell
90 €/MWh
+2% p.a. (Inflation)
Fixe Kosten Einsatzmodus Betrieb
Erfahrungswerte
-4.000.000 €
+2% p.a. (Inflation)
5%
Variable Kosten Einsatzmodus Betrieb
Erfahrungswerte
-4 €/MWh p.a.
+2% p.a. (Inflation)
10%
Marktmodell
-60 €/MWh p.a.
–
30%
CO2-Modell
-30 €/t
+2% p.a. (Inflation)
30%
Erfahrungswerte
-4.000.000 €
–
–
Erfahrungswerte
-2.000.000 €
–
–
Kaltreserve
Betrieb
Brennsto
osten
CO2-Zertifikatskosten "One-time" Investition (Einsatzmodus Betrieb = > Einsatzmodus Kaltreserve)
30%
Rückbau Rückbaukosten des Kra werks
In die nachfolgende Berechnung sind auch die Wechselbeziehungen zwischen Brennstoffkosten, CO2-Zertifikatskosten und sonstigen variablen Kosten berücksichtigt. Es war bisher nicht möglich, derartige sogenannte Verbundvolatilitäten transparent zu machen. Das ist aber für eine nachhaltige Entscheidung sehr wichtig. Die Volatilität als Risikomaß ist deshalb eine so gute Grundlage für die Kommunikation beziehungsweise Legitimation von Entscheidungen, weil jede Veränderung der einzelnen Parameter und ihrer gegenseitigen Abhängigkeiten sehr kurzfristig gerechnet und dargestellt werden kann.
88
Mit dieser Vorgehensweise kann das Management nun die Eintrittswahrscheinlichkeit einer erwarteten zukünftigen Entwicklung bewerten. Der Erwartungswert des Nettobarwertes liegt bei -4 Mio. Euro. Das Ergebnis der Bewertung für den Einsatzmodus Betrieb lautet: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent liegt der Nettobarwert unter 100 Mio. Euro. Abb. 7.1.6: Bewertung für den Einsatzmodus Betrieb Kumulierte Wahrscheinlichkeit 1 00% 90% 80% 7 0% 60% 50% 40% 30% 20% 1 0% 0% -400.000.000
Ne obarwert -300.000.000
-200.000.000
-1 00.000.000
0
1 00.000.000
200.000.000
300.000.000
400.000.000
Weil die Zukunft also ungewiss ist und wesentliche Rahmenbedingungen leicht veränderlich sind, kann und muss das Management stets beweglich bleiben und in jeder Periode wieder neu zwischen Betrieb, Kaltreserve und Rückbau entscheiden. Was gestern noch galt, kann heute schon wieder falsch sein. Die Unternehmensführung ist sehr hoher Flexibilität unterworfen beziehungsweise kann sie sich zunutze machen. Die entsprechenden Handlungsalternativen sind in Abbildung 7.1.7 in zeitlicher Abfolge dargestellt. Das Bild entspricht der bisherigen Modellierung und veranschaulicht gleichzeitig ein Hauptproblem der Discounted Cashflow-Methode:
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
89
Sie unterstellt dem Management Passivität, indem sie so tut, als würden Entscheidungen nur mit Abschluss eines Investitionsprozesses gefällt. Das vereinfacht das Verfahren. Der Dynamic Decision Management -Ansatz hingegen setzt weitere Handlungen zu späteren Zeitpunkten voraus. Abb. 7.1.7: Traditionelle Modellierung von Handlungsalternativen Ist-Situation „Kaltreserve“
Handlungsalternativen in Periode n+1
Handlungsalternativen in Periode n+2
Handlungsalternativen in Periode n+3
Handlungsalternativen in Periode n+4
Handlungsalternativen in Periode n+...
Betrieb
Betrieb
Betrieb
Betrieb
...
Modus Betrieb
Rückbau
Rückbau
Rückbau
Rückbau
...
Modus Rückbau
Kaltreserve
Kaltreserve
Kaltreserve
Kaltreserve
...
Modus Kaltreserve
Kaltreserve
Kaltreserve
Kaltreserve
Kaltreserve
...
Baseline
2009
2010
Kaltreserve
2011
2012
201x
Dadurch wird möglich, alle denkbaren unternehmerischen Pfade für das Gasturbinenkraftwerk anschaulich darzustellen und den einzelnen Pfaden einen Wert zuzuordnen. Dabei können die einzelnen Handlungsalternativen mit innovativen Modellierungsansätzen effizient und transparent abgebildet sowie bewertet werden, wie in Abbildung 7.1.8 zu erkennen ist.
90
Abb. 7.1.8: Handlungsalternativen für Gasturbinenkraftwerk 2 Handlungsalternative „Abbrechen“
Betrieb
4 Handlungsalternative „Warten“
Kaltreserve
Rückbau
1
3
Handlungsalternative „Wechseln“
Handlungsalternative „Abbrechen“
5 Handlungsalternative „Warten“
4. Die Ermittlung des TotalValue Wenn akzeptiert ist, dass Flexibilität als Wert eine entscheidende Rolle spielt, gehen wir im Weiteren von der Grundentscheidung für die Kaltreserve aus. Das ist die Baseline, das heißt, der bisherige Zustand wird nicht verändert und hält die bekannten Handlungsalternativen weiter offen. Der TotalValue, also der ökonomische Gesamtwert der Gaserzeugungsanlage, ist die Summe aus Baseline Cashflows im Zustand Kaltreserve mit -17,3 Mio. Euro und dem FlexValue, dem Wert der Flexibilität, in Höhe von 50,4 Mio Euro. Zusammengerechnet sind das 33,1 Mio. Euro, siehe dazu Abbildung 7.1.9.
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
91
Abb. 7.1.9: TotalValue-Berechnung 50,4 Mio. €
33,1 Mio.€
-17,3 Mio. € NPV Baseline Kaltreserve
Wert der Flexibilität FlexValue
Gesamtwert TotalValue
Die Cashflows der Baseline Kaltreserve ergeben sich durch die jährlichen Bereitstellungskosten der Kaltreserve. Entscheidet das Management, das Kraftwerk bis zum Jahr 2029 im Zustand Kaltreserve zu belassen, führt das zu einem negativen Nettobarwert von -17,3 Mio. Euro. Geht man jedoch von einem beweglichen Management aus – alles andere wäre auch ökonomisch fahrlässig! –, ist diese Entscheidung unrealistisch: Bleibt die Entwicklung der relevanten ökonomischen Parameter nämlich negativ, werden sich die Unternehmer aus Kostengründen mit Ablauf der betrieblichen Laufzeit gegen die Kaltreserve und für den Rückbau entscheiden. Schließlich wird es immer unwahrscheinlicher, dass nach vielen schlechten Jahren in einem ökonomisch sehr guten Jahr die aufgelaufenen Verluste kompensiert werden können.
92
Dagegen steigen die Ertragschancen enorm, wenn bei verbesserten Rahmenbedingungen in den Betriebszustand gewechselt wird beziehungsweise können die Verantwortlichen durch den Rückbau der Anlage zukünftige Verluste vermeiden. Nach der neuen Methode wird allerdings deutlich, dass der Rückbau nur in sehr seltenen Fällen die beste Alternative ist (siehe Abbildung 7.1.10). Abb. 7.1.10 a und b: Wahrscheinlichkeitsverteilung der Handlungsalternativen in der ersten Periode
Die finanzielle Bewertung zwischen den Handlungsalternativen und die Auswahl der besten ökonomischen Variante wird durch den FlexValue in Höhe von 50,4 Mio. Euro ermittelt (siehe Abbildung 7.1.9).
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
93
EXKURS – Über die detaillierte Berechnung des FlexValues FlexValue = Summe aller wahrscheinlichkeitsgewichteten abdiskontierten Differenzwerte: In der wissenschaftlichen Bewertung von Handlungsalternativen werden Entscheidungen auf Basis der Kurve getroffen, die die Verteilung des Nettobarwerts künftiger Cashflows darstellt (siehe Abbildung 7.1.8a „Verteilungskurve“). Jedem Wert auf dieser Verteilungskurve ist eine Wahrscheinlichkeit zugeordnet, und jeder dieser Werte wird – zu jedem Entscheidungszeitpunkt – mit einer aus heutiger Sicht bestimmten Wahrscheinlichkeit erreicht. Wird nun an einem bestimmten Wertepunkt, beispielsweise heute in einem Jahr, eine Entscheidung getroffen, so ist der Wert dieser Entscheidung die Differenz zwischen dem damit erreichten Wert und dem Wert des „Nichtentscheidens“ (üblicherweise als Baseline bezeichnet). Dieser Differenzwert wird nach der Wahrscheinlichkeit gewichtet abdiskontiert. Die Summe aller so gewichteten abdiskontierten Differenzwerte ergibt den Wert der künftigen Handlungsalternativen, also der Flexibilität. Wir bezeichnen diesen Wert als FlexValue. Addiert man diesen FlexValue zum eigentlichen Nettobarwert der Baseline, ergibt sich der TotalValue der Entscheidung. Was skizzenhaft in Abbildung 7.1.11 für eine einzige Handlungsalternative respektive für eine einzige Entscheidung dargestellt und berechnet wird, gilt bei der Bewertung auch für Alternativen von Alternativen, das heißt für Entscheidungen, die spätere Entscheidungen ermöglichen.
94
Abb. 7.1.11: FlexValue – beispielhafte Berechnung Werte der Handlungsalternative
Wert
Wert
FlexValue
0
0
Wert = 1 Mio.
FlexValue
=
TotalValue
=
Das Berechnungsprinzip bleibt dabei stets dasselbe, weil die Ausübung der Handlungsalternative den Wert späterer Handlungsentscheidungen automatisch mit einbezieht. Die theoretischen Grundlagen für die Berechnung von Finanzoptionen wurden durch die Nobelpreisträger Fischer Black, Myron Scholes und Robert Merton geschaffen, die ihre Forschungen ihrerseits auf den Arbeiten des ersten Nobelpreisträgers für Ökonomie, Paul Samuelson, aufbauten. Dieser Ansatz wurde dann auf Investitionsvorhaben erweitert und wird in der Wissenschaft mit dem Begriff Realoption bezeichnet. Der Dynamic Decision Management-Ansatz ist vollkommen anders und weit effektiver als die üblichen konservativen Hilfen zur Entscheidungsfindung wie zum Beispiel der Entscheidungsbaum. Die Analyse der Handlungsalternativen mag in ihrer Struktur Ähnlichkeit mit einem Entscheidungsbaum haben, sie geht jedoch einen fundamental anderen Weg:
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
95
Bei der Entscheidungsbaum-Analyse werden (subjektive) Entscheidungswahrscheinlichkeiten zugeordnet und die Werte gewichtet diskontiert. Hier hingegen werden die Entscheidungen objektiviert (zum Beispiel „Rückbau der Anlage, falls nicht mehr rentabel“) und dann auf der Basis von WertWahrscheinlichkeitsverteilungen der zugrunde liegenden Cashflows berechnet. Die Entscheidungsbaum-Analyse liefert häufig falsche oder unbrauchbare Resultate, da nicht bedacht wird, risikoadjustierte Diskontierungssätze anzuwenden. Diese risikoadjustierten Diskontierungssätze orientieren sich an den Zinssätzen für Anlagemöglichkeiten, die ein sehr geringes Ausfallrisiko aufweisen. Zudem ist der Aufbau von entscheidungsbaumbasierten Finanzanalysen sehr viel mühsamer als eine Bewertung nach der Dynamic Decision Management-Methode.
Da der TotalValue positiv ist, sollte das Management die Anlage zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt im Einsatzmodus Kaltreserve belassen und im folgenden Zeitabschnitt, falls Veränderungen vorliegen, neu entscheiden. Damit können die Energiemanager die maximale Flexibilität der Anlage nutzen und den höchsten Wert, nämlich 33,1 Mio. Euro, für das Unternehmen schaffen.
96
5. Zusammenfassung Der wahre ökonomische Wert der Kaltreserve ist mit der Szenario-basierten DCFAnalyse nicht zu ermitteln, denn deren Werte vernachlässigen Faktoren wie Unsicherheit und Flexibilität und verleiten so zu ökonomisch oberflächlichen Aussagen. Die DCF-Bewertung empfiehlt dem Management den Rückbau der Anlage, ohne zu wissen, wie wahrscheinlich das Szenario eigentlich ist, das aus dem Annahmen-Set ausgesucht wurde. Der Dynamic Decision Management-Ansatz berücksichtigt hingegen bei der Entscheidung bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeiten. Für jeden wesentlichen Parameter werden eine Grundentwicklung und Volatilitäten einzeln definiert. Die Parameter werden auf der Zeitachse dynamisch verbunden und zukünftige Entscheidungen bewertet. Daraus resultiert eine eindeutige Aussage, welche Schritte wann sinnvoll sind und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie eintreten. Die Empfehlung, im kommenden Zeitabschnitt auf Kaltreserve zu schalten anstelle rückzubauen, steht auf einer wesentlich belastbareren, weil genauer ermittelten Grundlage.
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
97
FALLBEISPIEL 2: TOURISTIKUNTERNEHMEN – WIE VIELE REISEBUSSE SIND ERFORDERLICH?
1. Die Ausgangslage Ein Logistikkonzern plant die Gründung eines Reisebusunternehmens in einer touristisch noch nicht voll erschlossenen Region. Nach internen und externen Marktanalysen zeigt sich das Reisebusgeschäft in diesem Gebiet erfolgversprechend. Genauere betriebswirtschaftliche Analysen ergeben, dass sich der Konzern mit einem Fuhrpark von vier Reisebussen in den ersten 6 Jahren erfolgreich am Markt positionieren kann. Die Unternehmensleiter haben sehr gute Marktkenntnisse und Erfahrungen in der Branche. Deshalb wissen sie auch, dass die zu erwartende Anzahl potenzieller Fahrgäste und die Fahrpreisentwicklung nur sehr unsicher vorhergesagt werden können. Für die erste Planungsperiode gehen die Manager also von zwei Grundannahmen aus: Entweder entwickeln sich die Dinge positiv, dann könnte schon sehr bald ein fünftes Fahrzeug für die Reisebusflotte erforderlich sein. Oder die ökonomische Entwicklung verläuft negativ, dann würden auch nur drei Reisebusse ausreichen. Das Management wendet sich nun an mehrere Fahrzeughersteller. Sie sollen ein Angebot unterbreiten, das die Unternehmer in die Lage versetzt, flexibel auf die jeweilige Entwicklung reagieren zu können. Angebot 1 enthält folgende Vereinbarungen:
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
99
• Kauf von vier Reisebussen zu einem Stückpreis von 250.000 Euro mit Lieferung bis zum 1. Mai 2010 • Der Käufer kann in den Jahren 2 bis 6 eines der vier Fahrzeuge zu einem festgelegten Rückkaufpreis entsprechend der in Tabelle 7.2.1 dargestellten Wertansätze an den Fahrzeughersteller zurückgeben.
Tab. 7.2.1: Rückkaufspreis für Reisebusse aus Angebot 1 Jahr
1
2
3
4
5
6
Rückkaufpreis in Euro
–
180.000
140.000
100.000
80.000
60.000
• Der Reisebushersteller bietet dem Käufer zusätzlich das Recht (aber keine Verpflichtung) an, einen fünften Bus für 250.000 Euro zu kaufen. Dieses Recht beginnt im ersten Jahr und endet mit Ablauf des fünften Jahres.
Ein Alternativangebot 2 würde einen Kauf von vier Bussen in 2010 jeweils zu einem Stückpreis von 230.000 Euro vorsehen. Ein Alternativangebot 3 sieht zunächst den Kauf von drei Bussen im Jahr 2010 mit einem Stückpreis von 230.000 Euro und den Kauf eines vierten Busses im Jahr 2011 mit einem Preis von 170.000 Euro vor. Eine Übersicht der unterschiedlichen Vertragsangebote ist in Abbildung 7.2.2 dargestellt.
100
Abb. 7.2.2: Übersicht Vertragsangebote Stückpreis 240.000€ € Stückpreis je je 240.000
Kauf von 3 Bussen Betrieb von 3 Bussen
Kauf von 4 Bussen
Kauf eines Busses
Alternativangebot 3
Betrieb von 4 Bussen
Stückpreis je 230.000 €
Alternativangebot 2
Betrieb von 4 Bussen Stückpreis je 250.000 €
Handlungsalternative: Recht auf Kauf eines fünften Busses zwischen 2010 und 2016 Betrieb von 5 Bussen Kauf von 4 Bussen
Handlungsalternative: Rückkauf eines Busses zwischen 2011 und 2016 Betrieb von 3 Bussen
Festgelegte Rückkaufspreise p.a.
„Flexibles“ Angebot 1
Betrieb von 4 Bussen Kauf von 4 Bussen
Stückpreis je 250.000 €
Baseline Betrieb von 4 Bussen 2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
Um die Angebote richtig bewerten zu können, müssen folgende Kernfragen beantwortet werden:
• Welche Unsicherheiten sind bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung zu berücksichtigen? • Welchen Wert hat die dem Käufer in Angebot 1 eingeräumte Möglichkeit, eines der vier Fahrzeuge zu einem festgelegten Rückkaufpreis in den Jahren 2 bis 6 an den Fahrzeughersteller zurückgeben zu können?
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
101
• Welchen Wert hat die dem Käufer in Angebot 1 eingeräumte Möglichkeit, dem Hersteller innerhalb der ersten fünf Jahre ein fünftes Fahrzeug zu einem festgelegten Kaufpreis abzukaufen? • Mit welcher Wahrscheinlichkeit wird das Reisbusunternehmen ein Fahrzeug kaufen oder verkaufen? • Wie hoch ist der Wert der Flexibilität in Angebot 1?
2. Die Szenario-basierte Discounted Cashflow-Bewertung Das Management des Touristikunternehmens veranlasst nun eine Wirtschaftlichkeitsanalyse. Die Umsatzberechnung basiert darauf, wie das Management den Markt und seine Entwicklung einschätzt. Um die direkten Kosten, hier vor allem für Betrieb und Wartung der Fahrzeuge, einschätzen zu können, sammeln die Manager Informationen von den Herstellern. Außerdem legen sie sich auf die Annahme fest, dass der Bruttogewinn nach sechs Jahren jährlich um 20 Prozent sinken wird. Die wesentlichen Annahmen sind in Tabelle 7.2.3 dargestellt.
102
Tabelle 7.2.3: Parameter und Werte für Nettobarwert-Berechnung Parameter
Bemerkung
Wert
Veränderung
250.000 €
–
Rückkaufspreis für ein Reisebus im Jahr 2
180.000 €
140.000 € (Jahr 3) 100.000 € (Jahr 4) 80.000 € (Jahr 5) 60.000 € (Jahr 6)
Kauf eines fünften Reisebusses
250.000 €
_
ab Jahr 6
420.000 €
-20% p.a.
100.000 € p.a.
0%
15%
–
Kaufpreis bzw. Lieferung von vier Rückkaufpreis pro Reisebussen bis Reisebus 1.5.2010
Bruttogewinn Indirekte bzw. Gemeinkosten
Kapitalkostensatz –
Die Wirtschaftlichkeitsberechnung für die kommenden sechs Jahre ergibt die in Tabelle 7.2.4 dargestellten Ergebnisse:
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
103
Tabelle 7.2.4: Wirtschaftlichkeitsberechnung Baseline Jahr
1
2
3
4
5
6
Bruttogewinn
250.000
280.000
300.000
340.000
400.000
420.000
Indirekte bzw. Gemeinkosten
-100.000
-100.000
-100.000
-100.000
-100.000
-100.000
Betriebsergebnis
150.000
180.000
200.000
240.000
300.000
320.000
Wenn der Kapitalkostensatz für die getätigten Investitionen 15 Prozent beträgt, sich der Terminal Value mit -20 Prozent pro Jahr errechnet und die indirekten beziehungsweise die Gemeinkosten bei 100.000 Euro liegen, ergibt sich für die erwartete Marktentwicklung in der Baseline mit vier Reisebussen ein Present Value von 1.081.200 Euro beziehungsweise ein Net Present Value von 1.081.200 – (4 x 250.000) = 81.200 Euro. Der Net Present Value oder Nettobarwert zeigt den Wert der Investition in den Bus-Betrieb unter der Annahme, dass (1) alle künftigen Erträge und Kosten sich genau so entwickeln wie angenommen und (2) weder ein Bus an den Lieferanten zurückverkauft noch ein fünfter Bus gekauft wird. Mit anderen Worten: Der Net Present Value reflektiert weder die der Investition innewohnenden Unsicherheiten noch die im Angebot enthaltene Flexibilität, die Flotte um einen Bus zu reduzieren oder aufzustocken. Um die Aussagekraft zu verbessern, führen wir die DCF-Analyse für mehrere der möglichen Handlungsalternativen auf Grundlage des Angebots 1 durch. Dabei stellen wir die Unsicherheit für jedes Szenario mit je einem Wert für Worst Case, Expected Case und Best Case dar:
104
Tab. 7.2.5: Net Present Value der Handlungsalternativen für Angebot 1 Szenario-Werte (in €) Fünf ausgewählte Handlungsalternativen auf DCF-Basis
Worst Case
Expected Case
Best Case
1. Betrieb 4 Busse während 6 Jahren
-808.000
+81.200
+1.077.500
2. Betrieb 4 Busse während 2 Jahren, dann Verkauf eines Busses
-703.300
+70.900
+932.600
3. Betrieb 4 Busse während 4 Jahren, dann Verkauf eines Busses
-687.800
+39.700
+847.900
4. Betrieb 4 Busse während 2 Jahren, dann Kauf eines zusätzlichen Busses
-937.000
+145.100
+1.359.700
5. Betrieb 4 Busse während 4 Jahren, dann Kauf eines zusätzlichen Busses
-853.500
+110.500
+1.185.700
Wir erhalten durch die Szenario-basierte DCF-Analyse neben dem erwarteten Wert extreme Ergebnisse für einzelne, ausgewählte Szenarien. Daraus ergeben sich abgeschätzte Wertebereiche, ohne jedoch Aussagen darüber treffen zu können, wie wahrscheinlich es ist, dass einzelne Werte erzielt werden. Zudem sind die DCF-Analysen sehr zeitaufwändig, müssen doch in den der Bewertung zugrunde liegenden Kalkulationen viele Zahlen und sogar Formeln angepasst werden.
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
105
3. Den Discounted Cashflow-Ansatz erweitern – Unsicherheit und Flexibilität berechnen Marktkenntnisse und branchenspezifische Erfahrungswerte sind wichtige Faktoren im Touristikgeschäft. Da sie aber keine gesicherten Werte darstellen, gehen entsprechende Parameter in Form von Volatilitäten – also mögliche Abweichungen von den vom Management erwarteten Werten – in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ein. Das betrifft Unsicherheiten hinsichtlich der Umsatzentwicklung (Anzahl und Preise der verkauften Fahrkarten) genauso wie die der Kostenentwicklung, die sich durch die größere Flexibilität im vorliegenden Angebot 1 des Fahrzeugherstellers ergeben könnten. Über die Unsicherheiten trifft das Unternehmen folgende Annahmen, die in Tabelle 7.2.6 als Volatilität dargestellt sind: • Eine Volatilität des Bruttogewinns von 25 Prozent ist realistisch. • Die Unsicherheiten im Bereich der indirekten Kosten, zum Beispiel für Verwaltung, Werbung, Miete etc., entsprechen einer Volatilität von 8 Prozent. • Vergleichbar zu der Entwicklung des Bruttogewinns werden die indirekten Kosten nach dem achten Jahr jährlich um 20 Prozent fallen.
106
Tab. 7.2.6: Volatilität als Risikomaß für wesentliche Parameter Parameter
Bemerkung
Wert
Veränderung
Volatilität
Kaufpreis bzw. Rückkaufpreis pro Reisebus
Lieferung von vier Reisebussen bis 1.5.2010
250.000 €
–
–
Rückkaufspreis für ein Reisebus im Jahr 2
180.000 €
140.000 € (Jahr 3)
–
100.000 € (Jahr 4) 80.000 € (Jahr 5) 60.000 € (Jahr 6)
Kauf eines fünften Reisebusses
250.000 €
–
–
Bruttogewinn
ab Jahr 6
420.000 €
-20% p.a.
25%
Indirekte bzw. Gemeinkosten
bis Jahr 8
100.000 € p.a.
0%
8%
ab Jahr 8
100.000 € p.a.
0%
20%
15%
–
–
Kapitalkostensatz
–
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
107
Hinsichtlich der vorhandenen Handlungsalternativen geht das Unternehmen von folgenden Annahmen aus: • Die Möglichkeit, den vierten Bus zurückzuverkaufen, reduziert den Bruttogewinn um 15 Prozent und die indirekten Kosten um 8 Prozent. • Die Möglichkeit, einen fünften Reisebus zu kaufen, erhöht den Bruttogewinn um 25 Prozent und die indirekten Kosten um 10 Prozent. Wenden wir an Stelle der Szenario-basierten DCF-Analyse die Dynamic Decision Management-Methode an, stellen sich die Handlungsalternativen im Rahmen des Angebots 1 wie folgt dar: 1. Das Reisebusunternehmen hat die Möglichkeit, eines der vier Fahrzeuge zu den festgelegten Konditionen zurück zu verkaufen. Der FlexValue für diese Alternative beträgt 35.000 Euro. 2. Das Reisebusunternehmen hat die Möglichkeit, ein fünftes Fahrzeug zum festgelegten Preis von 250.000 Euro zu kaufen. Der FlexValue für diese Alternative beträgt 72.300 Euro. 3. Das Reisebusunternehmen kann eine dieser zwei Handlungsoptionen situativ wählen, das heißt, es hat die Möglichkeit, je nach schlechtem oder gutem wirtschaftlichen Verlauf ein Fahrzeug zu verkaufen oder ein weiteres dazuzukaufen. Der FlexValue beider Alternativen ist mit 96.400 Euro höher als der Wert jeder Alternative für sich genommen, weil je nach Entscheidung verkauft oder gekauft werden kann. Die verschiedenen Handlungsalternativen bedeuten weitreichende Flexibilität. Will man eine sinnvolle Entscheidung treffen, muss ihr Wert, also der FlexValue, mit bedacht werden.
108
4. Die Ermittlung des TotalValue Wird dem Net Present Value der Baseline bei vier Reisebussen mit 81.200 Euro also der FlexValue mit 96.400 Euro hinzugerechnet, ergibt sich ein TotalValue von 177.600 Euro für das Angebot 1. Er ist in Abbildung 7.2.7 dargestellt. Abb. 7.2.7: Der TotalValue für das flexible Angebot 1 Wert der Investition
96.400 Euro 177.600 Euro 81.200 Euro
NPV Baseline: Betrieb mit vier Bussen
FlexValue
TotalValue
Das Ergebnis ist detaillierter als das aus dem DCF-Ansatz, der Unsicherheiten und Flexibilität nicht berücksichtigen kann. Auch Wahrscheinlichkeiten können nur mit der neuen Methode berechnet werden. Sie sind in Abbildung 7.2.8 dargestellt. Die roten Balken stehen für den Rückverkauf eines Fahrzeugs, die blauen für den Kauf eines fünften Fahrzeugs. Die Darstellung veranschaulicht sehr gut, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein „Kauf“ oder „Verkauf“ erfolgt, basierend auf den aktuellen Annahmen einer zukünftigen Entwicklung.
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
109
Auf Basis der aktuellen Annahmen wird in 2011 ein fünfter Bus in circa 52 Prozent aller auftretenden Fälle gekauft, während man in 48 Prozent aller Fälle einfach abwartet und in dieser wirtschaftlichen Situation weder einen Bus kauft noch einen Bus verkauft. Demgegenüber verändert sich die Situation in 2012: Mit einer Wahrscheinlichkeit von circa 25 Prozent wird der vierte Bus verkauft und nur in circa 15 Prozent aller Fälle wird ein fünfter Bus beim Hersteller gekauft. Abb. 7.2.8: Wahrscheinlichkeiten für Kauf (blau) und Rückverkauf (rot) im Angebot 1 100% 90% 80%
Exercise Probability
70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
110
2011 Apr 30
2012 Apr 30
2013 Apr 30
2014 Apr 30
2015 Apr 30
2016 Apr 30
5. Zusammenfassung Vergleicht man nun alle drei Angebote miteinander, kann man klar erkennen, ob Flexibilität in Form einer Rückkaufmöglichkeit oder eines Bezugsrechts wertvoll ist: Angebot 2 sieht einen Kauf von vier Bussen zu je 230.000 Euro in 2010 vor. Bei vergleichbaren Umsatz- und Kostenannahmen beträgt der NPV für dieses Angebot 161.200 Euro. Angebot 3 sieht zunächst den Kauf von drei Bussen zu je 230.000 Euro im Jahr 2010 vor sowie den Kauf eines vierten Busses zu einem Preis von 170.000 Euro im Jahr 2011. Bei wiederum vergleichbaren Umsatz- und Kostenannahmen führt das zu einem NPV in Höhe von 159.000 Euro. Die Ergebnisse sind in Abbildung 7.2.9 dargestellt. Abb. 7.2.9: Bewertung Angebotsvergleich Wert der Investition
177.600 Euro
TotalValue Flexibles Angebot 1
161.200 Euro
NPV Alternativangebot 2
159.000 Euro
NPV Alternativangebot 3
Es ist eindeutig: Die Anschaffungskosten für Busse sind in den Angeboten 2 und 3 zwar günstiger. Die Handlungsalternativen und damit der FlexValue kompensieren aber die Mehrkosten für die Busse. Damit ist das vermeintlich teure Angebot 1 wirtschaftlich das attraktivste.
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
111
FALLBEISPIEL 3: OFFSHORE-WINDPARK – EINE INVESTITIONSENTSCHEIDUNG MIT VIELEN UNBEKANNTEN
1. Die Ausgangslage Die wirtschaftlichen, politischen und technologischen Herausforderungen für die Energiebranche haben sich verändert. Ein Strom erzeugendes Unternehmen will sein Portfolio entsprechend anpassen. Vor allem der Bereich Erneuerbare Energien soll ausgebaut werden. Die Manager ziehen auch milliardenschwere Investitionen in einen Offshore-Windpark in Betracht. Doch die Verantwortlichen tun sich nicht nur mit der Entscheidung schwer, ob der Windpark überhaupt gebaut werden soll, sondern auch, wann der beste Zeitpunkt dafür ist. Denn die geplante 5 MW-Anlagentechnologie für eine großindustrielle Stromproduktion ist an küstenfernen Standorten noch nicht erprobt worden. Abgesehen davon haben sich die Rahmenbedingungen zur Finanzierung einer solchen Investition seit 2009 signifikant geändert. Wie in Abbildung 7.3.1 dargestellt, diskutieren die Unternehmensführer folgende Optionen: Strategie 1 sieht die Investition in einen großen 400 MW Offshore-Windpark zum Startzeitpunkt 2009 vor. Strategie 3 plant diese Investition erst für 2011. Beide Vorgehensweisen können als „statische Strategien“ bezeichnet werden, weil der Bau der Windkraftwerke in unflexibler Weise stattfindet: Die gesamte Investition wird auf einmal getätigt.
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
113
Alternativ dazu ist die „dynamische“ Strategie 2 vorstellbar, die die Gesamteinlage in drei Teile staffelt, mit einer Investition in 100 MW in 2009, 200 MW in 2010 und weitere 100 MW in 2011. Abb. 7.3.1: Strategiealternativen Offshore-Windparks Invest & Bau 100 MW Invest & Bau 200 MW Invest & Bau 100 MW
Betrieb 100 MW
Invest & Bau 400 MW
Betrieb 400 MW
2009
2010
2011
Strategie 2
Betrieb 200 MW
Invest & Bau 400 MW
2008
Betrieb 100 MW
2012
Strategie 1
Betrieb 400 MW
2013
2014
Strategie 3
2015
2016
…
Um die Handlungsalternativen bewerten zu können, müssen folgende Fragen beantwortet werden:
• Sind alle Strategien für den Offshore-Windpark wirtschaftlich rentabel? • Welchen Einfluss haben Investitionszeitpunkt und Größe der Gesamtanlage auf die Wirtschaftlichkeit? • Welche Handlungsalternative liefert den höchsten Wert für das Unternehmen?
114
2. Die Szenario-basierte Discounted-Cashflow-Bewertung Die Entscheidungsgrundlage des Managements für oder gegen den Bau des Windparks ergibt sich üblicherweise aus je drei Szenarien für jede der vorliegenden Strategien. Dabei werden die Szenarien mit Expected Case, Worst Case und Best Case bezeichnet. Für Strategie 1 ist das in Abbildung 7.3.2 beispielhaft dargestellt: Abb. 7.3.2: Szenarien für Strategie 1 in Mio. Euro 607
370
-81 Expected Case
Worst Case
Best Case
Der wahrscheinlichste Fall, also der Expected Case, setzt ein Investitionsvolumen von 1,3 Mrd. Euro voraus. Die durchschnittlichen Erträge, die nach dem Erneuerbaren Energiegesetz (EEG) bei 3.300 Volllaststunden zu erwarten sind, addieren sich zu einem jährlichen Umsatzerlös von 202 Mio. Euro. Werden die jährlichen Betriebskosten von circa 26 Mio. Euro und der WACC von 6 Prozent berücksichtigt, ergibt sich schließlich ein Nettobarwert von 370 Mio. Euro.
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
115
Im Worst Case steigt die Investitionssumme auf 1,8 Mrd. Euro an. Wenn alle anderen Parameterwerte gleichbleiben, ergibt sich ein Nettobarwert von -81 Mio. Euro. Demgegenüber steht der Best Case: Bei einer Investition von 1 Mrd. Euro und sonst gleichbleibenden Parameterwerten beträgt der Nettobarwert 607 Mio. Euro. Jede der definierten Strategievarianten wird drei Mal durchgerechnet, so dass insgesamt neun Nettobarwerte vorliegen. Um die Wirtschaftlichkeit bewerten zu können, verständigen sich Manager und Fachbereichsleiter mit externen Sachkennern über die spezifischen Annahmen zu jedem Parameter (siehe Tabelle 7.3.3). Nur durch diese Vereinheitlichung kann die Entscheidungsgrundlage nachvollziehbar dokumentiert werden. Tab. 7.3.3: Parameter und Werte für Nettobarwert-Berechnung Parameter Investment pro MW
Wert
Veränderung
1.260.000 €
-
Tripod
552.000 €
-
Sonstiges
774,000 €
-
Gondel, Inbetriebnahme
Volllaststunden
3.371 h/a
-
Vergütungstarife
Jahre 1 – 14,25
15 ct/kWh (EEG)
-
Jahre 14,25 - 25
8 ct/kWh
0%
Betriebskosten pro MW
Wartung/ Instandhaltung
44.100 €
2%
Sonstiges
18.285 €
2%
-
0%
Sekundärkosten Rückbaukosten pro MW Fremdkapitalzins (=WACC)
nach 25 Jahren
150.000 €
-
6%
-
In diesem Beispiel sprechen die errechneten Ergebnisse für den Expected Case der Strategie 1: Wird die Investition vorgezogen, lässt sich bei den gegebenen Einspeisetarifen der höchste Wert ermitteln, nämlich 370 Mio. Euro, während im selben Szenario ein Abwarten bis zum Jahr 2013 nur zu einem Wert von 328 Mio. Euro
116
führt (siehe Abbildung 7.3.4). Die Entscheider werden sich aufgrund der Ergebnisse der traditionellen Discounted Cashflow-Methode also für die statische, einmalige Investition zum frühestmöglichen Zeitpunkt entscheiden. Abb. 7.3.4: Nettobarwert Expected Case der bewerteten Strategien
Strategie 1 400 MW 2011
370,2
Strategie 2 100 MW 2011 200 MW 2012 100 MW 2013
Strategie 3 400 MW 2013
349,0
328,3
NPV der "statischen" Strategie in Mio. €
3. Unsicherheiten kosten Geld Die DCF-Methode lässt einen wesentlichen Einfluss auf die Kosten unberücksichtigt: den Faktor Unsicherheit. Bei Wind Offshore-Projekten sind vor allem die mit dem Anlagetyp verbundenen Investitionskosten unsicher. Weil die neue Technologie mit 5 MW-Turbinen noch nie im Meer errichtet wurde, sind die Kosten für Bau, Betrieb und Wartung der Gesamtanlage nur schwer kalkulierbar.
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
117
Tab. 7.3.5: Volatilität als Risikomaß für wesentliche Parameter Parameter Investment pro MW (Werte als Untergrenze des möglichen Spektrums1))
Wert
Veränderung
Volatilität
1.260.000 €
-
20%
Tripod
552.000 €
-
20%
Sonstiges
774.000 €
-
15%
3.371 h/a
-
10%
Gondel, Inbetriebnahme
Volllaststunden Vergütungstarife
Betriebskosten pro MW
Jahre 1 – 14,25
15 ct/kWh (EEG)
-
0%
Jahre 14,25 - 25
8 ct/kWh
0%
15%
Wartung/ Instandhaltung
44.100 €
2%
10%
Sonstiges
18.285 €
2%
10%
Sekundärkosten Rückbaukosten pro MW Fremdkapitalzins (=WACC)
nach 25 Jahren
-
0%
0%
150.000 €
-
10%
6%
-
-
1) Der Erwartungswert wurde so angepasst, dass der hier angegebene Wert mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 90% nicht unterschri en wird
Die finanzielle Volatilität bedeutet in diesem Fall vor allem eine Unsicherheit nach oben, das heißt, dass die Investition wegen der oben beschriebenen Unwägbarkeiten wahrscheinlich teurer wird und nur in Ausnahmefällen eine Kostensenkung eintritt. Wechselbeziehungen zwischen den Preisschwankungen bei Gondel, Tripod und sonstigen Komponenten werden mit dem Faktor 1 bewertet, weil die Kosten dieser Gewerke unmittelbar zusammenhängen. Wenn die Manager die Volatilitäten je Parameter beziehungsweise die daraus resultierenden Verbundvolatilitäten definieren, können sie die Berechnungsergebnisse auch mit konkreten Erwartungen verbinden. Sie können also die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmter Wert erreicht wird (Wert-Wahrscheinlichkeit), sehr genau ermessen.
118
Das ist in Abbildung 7.3.6 beispielhaft für Strategie 3 dargestellt: Die 400 MWInvestition in 2013 hat einen Erwartungswert des Nettobarwerts in Höhe von 328,3 Mio. Euro (analog zum Nettobarwert der traditionellen DCF-Methode). Anhand der kumulierten Wahrscheinlichkeitskurve wird anschaulich, dass sich mit einer 35-prozentigen Wahrscheinlichkeit ein negativer Barwert einstellt. Entsprechend gilt auch, dass die Aussicht auf eine Wertsteigerung bei über 65 Prozent liegt. Das Spannende ist, dass auch für jeden beliebigen anderen Punkt der Werteverteilung eine Aussage über dessen Wahrscheinlichkeit kurzfristig möglich ist. Abb. 7.3.6: Kumulierte Wert-Wahrscheinlichkeitsverteilung Kumulierte Wahrscheinlichkeit 100% 90% 80% 70% 60%
50%
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 35% liegt der Barwert unter 0 bzw. mit 65%-iger Wahrscheinlichkeit über 0
40% 30% 20%
Erwartungswert bei 328,3 Mio. €
10% 0% -1.500
-1.000
-500
0
500
1.000
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
1.500
Nettobarwert (in Mio €) 2.000
2.500
3.000
119
4. Flexibilität ist etwas wert – die Dynamic Decision Management-Bewertung Die Manager sind den Unsicherheiten, die mit dem Einsatz der 5 MW-Erzeugungstechnologie in derartig großen Tiefsee-Windparks einhergehen, nicht zwangsläufig ausgeliefert. Sie können auch warten, bis die Technologie so ausgereift ist, dass Unvorhergesehenes weitgehend ausgeschlossen werden kann. Derartige Flexibilität ist in diesem Fall in Form von höherer Technologiesicherheit messbar – und bedeutet durch die Risikominimierung einen wesentlichen Wertzuwachs. Der Wert von Flexibilität wird in den Strategiealternativen 2 und 3 deutlich: Im Vergleich zu Strategie 1 wird in Strategie 2 erst ab 2011 investiert, und zwar nur stufenweise in den Schritten 100 MW in 2011, 200 MW in 2012 und 100 MW in 2013. Damit verbunden ist eine Wertsteigerung von 383,3 Mio. Euro auf 386,0 Mio. Euro. Eine weitere Verbesserung der Wirtschaftlichkeit ist in Strategie 3 mit 386,3 Mio. Euro zu erreichen, indem dort erst ab 2013 investiert wird.
120
Abb. 7.3.7: Bewertung von Handlungsalternativen
Strategie 1 400 MW 2011
383,8
Strategie 2 100 MW 2011 200 MW 2012 100 MW 2013
Strategie 3 400 MW 2013
386,0
386,3
TotalValue unter Berücksichtigung von Flexibilität in Mio. Euro
5. Die Ermittlung des TotalValue Die hohe Unsicherheit bei den Investitionskosten für den 5 MW-Anlagentyp hat bedeutenden Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit des Projekts. Aus diesem Grund ist es ratsam, den Anlagenbau zu verschieben und Informationen zu sammeln, um die Unsicherheit zu reduzieren. Entsprechend hat Strategie 3, die mit der Investition bis zum Jahr 2013 wartet, den höchsten TotalValue mit 386,3 Mio. Euro. Dagegen errechnet sich in Strategie 1 (Investition zum nächstmöglichen Zeitpunkt: in 2011) mit 383,8 Mio. Euro der kleinste TotalValue (siehe Abbildung 7.3.8). Flexibilität in Form von Abwarten kann sich also durchaus lohnen: Die dadurch gewonnene Sicherheit bezüglich der Investitionskosten ist mehr wert als früher anfallende Erträge, abzulesen am TotalValue.
KAPITEL 7: DER TOTALVALUE IN DER PRAXIS – DREI BEISPIELE
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Die Handlungsempfehlung des Dynamic Decision Management-Ansatzes steht also im deutlichen Widerspruch zur Discounted Cashflow-Bewertung, in der Strategie 1 als wertvollste Strategievariante ausgewählt wird. Für jeden wirtschaftlich denkenden Unternehmer ist zusätzlich bemerkenswert, dass sich – anders als bei der Discounted Cashflow-Bewertung – für alle drei Strategien höhere Werte ergeben, wenn Flexibilität mit berücksichtigt wird. Denn der Informationszuwachs, den man bis zur eigentlichen Entscheidung gewinnt, mindert auch in den anderen Fällen die Unsicherheit (auch in Strategie 1 wird nicht sofort gebaut) und wirkt damit wertsteigernd. Abb. 7.3.8: TotalValue-Berechnung
370,2
Strategie 1 400 MW 2011
+4% 383,8
Strategie 2 100 MW 2011 200 MW 2012 100 MW 2013
Strategie 3 400 MW 2013
349,0 +11% 386,0
328,3
NPV der „statischen“ Strategie in Mio. Euro
122
+18% 386,3
TotalValue unter Berücksichtigung von Flexibilität in Mio. Euro
DANKSAGUNG
Wie viele Bücher hat auch dieses viele Autoren, die durch unzählige Gespräche, Fragen, kritische Anmerkungen und Ermutigungen mitgewirkt haben. Ihnen allen haben wir zu danken. Ganz besonders möchten wir uns bedanken … »
bei Dietrich Neumann, Vice President & Partner bei A.T. Kearney, für seine Unterstützung bei der Erarbeitung dieses neuen Ansatzes,
»
bei Angelika Hoffmann für ihre unermüdliche Ausdauer bei der Bearbeitung dieses Buches,
»
bei Professor Christoph Scheller und seinem WE DO-Team in Berlin für ihre kreative Unterstützung beim Gestaltungskonzept,
»
bei Diane Nakschbandi, Freie Journalistin und Lektorin, für die konzeptionelle und redaktionelle Bearbeitung der Texte und Fallbeispiele.
Für ihre wertvollen fachlichen und branchenspezifischen Hinweise bedanken wir uns … »
bei Eva Deininger, Leiterin Logistik & Services Axel Springer AG, für die interessanten Diskussionen über Intuition und Kalkül bei strategischen Entscheidungen,
»
bei Heinz Fuchs, Leiter Informationstechnologie Deutsche Bundesbank, für seine wichtigen Hinweise und Ratschläge zur praxisgerechten Darstellung des Dynamic Decision Management-Ansatzes,
»
bei Michael Gerber, Managing Partner & CEO der Solution Providers AG, für seine Beurteilung von Chancen und Risiken bei der Durchführung von Wachstumsstrategien,
J. Gerber et al., Kalkulierte Flexibilität, DOI 10.1007/978-3-8349-8942-0, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 DANKSAGUNG
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»
bei Madjid Kübler, Geschäftsführer Team Consult, für seine substanziellen Hinweise zum Umgang mit Unsicherheiten in der Energiewirtschaft,
»
bei Dr. Hans-Rüdiger Lange, Leiter Energiewirtschaft Vattenfall Europe Generation, für die kreativen Anmerkungen zu innovativen Bewertungsansätzen,
»
bei Dr. Andreas Störzel, Leiter Strategie RWE Power, für die interessanten und hilfreichen Diskussionen über Strategie- und Bewertungsprozesse sowie seine wertvollen Hinweise zum Aufbau des Buches.
Für vertiefende wissenschaftliche Überlegungen und Anregungen bedanken wir uns ... »
bei Professor Dr. Christoph Kaserer, Inhaber des Lehrstuhls Wirtschaftswissenschaften und Head of Department for Financial Management and Capital Markets, Technische Universität München, für die interessanten Diskussionen zu finanzwirtschaftlichen Herausforderungen, die mit dem Thema des Buches verbunden sind,
»
bei Professor Dr. Felix Höffler, Inhaber des Lehrstuhls für Regulierungsökonomik/ Regulatory Economics, WHU − Otto Beisheim School of Management, für seine kritischkreativen Kommentare bei der Konzeption der neuen Bewertungsmethode, und
»
bei Professor Dr. Horst Stöcker, Geschäftsführer Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI), für seine Hinweise und Erläuterungen im Umgang mit Wahrscheinlichkeiten.
Ganz besonderen Dank schulden wir Professor Dr. Rudolf Marty, Opexis GmbH (Schweiz) und Universität Zürich, für die vielen Gespräche zum Thema Diffusion von Wahrscheinlichkeiten sowie die von ihm geschaffene innovative OPEXAR-Software, die den Anforderungen der Wirtschaftspraxis gerecht wird. Ein persönlicher Dank gilt Elena, Laurin, Luca und Angelika, Felix, Phillip und Antje, Frieder, Justus und Britt sowie Barbara für ihr Verständnis in den letzten 24 Monaten.
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GLOSSAR
NPV
• Abgezinster heutiger Wert zukünftiger Cashflows für einen definierten Zustand (Baseline)
• Wert in Abhängigkeit definierter Szenarien und eines pauschalen Abzinsungsfaktors
• Berechnungsmethode: Discounted Cashflow
» Zeigt den Wert einer Strategie über fest definierte Annahmen, ohne dass das Management weitere bzw. geänderte strategische Maßnahmen ergreift
RiskValue
• Abgezinster heutiger Wert zukünftiger Cashflows unter Berücksichtigung von Unsicherheiten
• Wert in Abhängigkeit spezifischer Unsicherheiten der Cashflow- Parameter • Berechnungsmethode: Dynamic Decision Management-Ansatz
» Zeigt die mögliche Wertabweichung einer Strategie durch die Variation der Annahmen
FlexValue
• Abgezinster heutiger Wert zukünftiger Cashflows durch Handlungsalternativen
• Zusätzlicher Wert zukünftiger Handlungsalternativen unter Berücksichtigung spezifischer Unsicherheiten der Cashflow- Parameter
• Berechnungsmethode: Dynamic Decision Management-Ansatz
» TotalValue
Zeigt den Wert von strategischen Handlungsalternativen, die durch ein aktives Management auf Grundlage der „Baseline“ ermöglicht wird
• Abgezinster heutiger Wert durch Ausübung von Handlungsalternativen, ermittelt auf Basis von Volatilitäten zuzüglich dem FlexValue
• Wert in Abhängigkeit von Volatilitäten und zukünftiger Handlungsalternativen • Berechnungsmethode: Dynamic Decision Management-Ansatz
» Dynamic Decision Management
Zeigt den Gesamtwert einer strategischen Entscheidung als Summe von NPV Baseline und FlexValue
Ein ganzheitlicher Ansatz zur quantitativen Berwertung von Unsicherheit und Flexibilität in strategischen Entscheidungen
J. Gerber et al., Kalkulierte Flexibilität, DOI 10.1007/978-3-8349-8942-0, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 GLOSSAR
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LITERATURHINWEISE
Black, Fisher/Scholes, Myron: The pricing of options and corporate liabilities, in: Journal for Political Economy, 81, 637-659, 1973 Boer, F. Peter: The Real Option Solution, Wiley Finance, New York, 2002 Copeland, Tom/Antikarov, Vladimir: Real Options – a practicioner’s guide, TEXERE, New York, 2001 Dörner, Dietrich: Die Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen Situationen, 8. Auflage, Rowohlt Taschenbuchverlag, Hamburg, 2009 Hommel, Ulrich/Baecker, Philipp: 25 Years of Real Options Approach to Investment Valuation: Review and Assessment, in: ZfB-Ergänzungsheft 03/2004 Hommel, Ulrich/Scholich, Martin/Baecker, Philipp: Reale Optionen, Gebundene Ausgabe – Springer, Berlin, 2003 Lehrer, Jonah: Wie wir entscheiden – Das erfolgreiche Zusammenspiel von Kopf und Bauch, Piper Verlag, München, 2009 Marty, Rudolf, Prof. Dr. , Advexo AG: Opexar Manual, in: www.opexar.com, Luzern, 2009, Uszczapowski, Igor: Optionen und Futures verstehen – Grundlagen und neue Entwicklungen, 6. Auflage, dtv, München, 2009 J. Gerber et al., Kalkulierte Flexibilität, DOI 10.1007/978-3-8349-8942-0, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 126
AUTOREN
Jochen Gerber nimmt seit Februar 2010 eine Führungsposition in der Energiewirtschaft ein und war bis Januar 2010 Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung im Bereich Energiewirtschaft bei A.T. Kearney. Die Schwerpunkte seiner dortigen Tätigkeit lagen in den Bereichen der Strategieentwicklung und Strategiebewertung sowie dem Technologie- und Innovationsmanagement. Vor seiner Beratungstätigkeit arbeitete Herr Gerber mehrere Jahre bei einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.
Hanjo Arms ist Vice President & Partner bei A.T. Kearney und verantwortet den Bereich Corporate Finance für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Er ist außerdem Mitglied der globalen Utilities Practice und leitet das Berliner Büro von A.T. Kearney.
J. Gerber et al., Kalkulierte Flexibilität, DOI 10.1007/978-3-8349-8942-0, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 AUTOREN
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Dr. Matthias Cord ist Vice President & Partner bei A.T. Kearney und leitet die Global Utilities Practice. Er berät seit 1995 weltweit Energieversorgungsunternehmen in diversen strategischen und organisatorischen Fragestellungen. Davor war Dr. Cord mehrere Jahre in der Erdöl-/Erdgasindustrie tätig.
Mathias Wiecher ist Senior Consultant im A.T. Kearney Büro New York und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Strategieentwicklung und -bewertung vor allem in den Branchen Energie und HighTech. Der Dipl.-Mathematiker ist Experte bei A.T. Kearney für den Aufbau von Bewertungsmodellen, insbesondere für Investitionen in Erzeugungsanlagen aus erneuerbaren Energien.
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