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1. Außenwandung aus vergütetem Spezialstahl mit Schutzschicht gegen Kleinstmeteoriten 2. UKW-Antenne und Sender 3. Pilotensessel (2 Stück) 4. Kontrollpult mit Steuerelementen, Monitoren, Radarschirmen und Kleincomputern 5. Fach für Notverpflegung 6. Panzerplast-Kuppeln für Außenbeobachtung (insges. 20 Stück) 7. Energielader-Zellen 8. Projektoren für Photonen-Steuertriebwerke 9. Lichtspruchsender und -antenne (Reichweite max. 1,5 Lichtjahre)
10. Mannschleuse 11. Reparaturschott zur Triebwerkszelle 12. Turbine für Luftumwälzung mit Filtern (wird nur bei Landung auf Sauerstoffplaneten benutzt); darunter Projektoren für Magnetschirm 13. Arbeitsrobot Typ WORKER bei Reparatur 14. Sauerstoffzellen samt Klimaanlage und Heizung 15. Triebwerkszellen mit Photonenmeiler, Antigravgenerator und Schubtriebwerk 16. Ausklappbares Landebein (3 Stück).
Band 49 der Fernseh-Serie Raumpatrouille Horst Hoffmann
Invasionsbasis Roter Planet
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Fehlleistungen des Terrestrischen Computerzentrums TECOM hatten zu wirtschaftlichen Einbußen und zu einem Aufhorchen der Verantwortlichen geführt. Der Verdacht, daß TECOM von Unbekannten manipuliert worden sein könnte, war zum zweitenmal aufgetaucht – und diesmal schaltete der GSD sich ein und beauftragte die ORION-Crew mit der Aufklärung der Angelegenheit. Doch auch die ORION-Crew stand dem Problem anfänglich hilflos gegenüber, denn die Sicherheitsmaßnahmen gegen unbefugte Manipulationen an TECOM erwiesen sich als absolut perfekt. Erst als Mario de Monti ein unkalkulierbares Risiko einging und sein Bewußtsein mit Hilfe einer SimultanKupplung in das Innenleben von TECOM projizierte, kam Bewegung in die anscheinend festgefahrene Situation. Marios Bewußtsein – ein Impulsbündel unter zahllosen anderen Impulsbündeln – begegnete in TECOM dem Bewußtsein des Mannes aus der Vergangenheit. Dieser Geheimnisvolle war kein anderer als der ehemalige Lieutenant der US-Navy Charles Taylor, der am 5. Dezember 1945 Schwarmführer einer Gruppe Torpedobomber vom Typ TBM 3 Avenger war und zusammen mit den fünf Flugzeugen seines Schwarms und ihren Besatzungen unter mysteriösen Umständen im BermudaDreieck verschwand. Charles Taylor kennt seine Vergangenheit nicht mehr, denn ein uraltes Werkzeug des Rudraja hatte ihn in der »Hypnobasis« des Planeten Vyamar »umgedreht« und für eine Aufgabe präpariert, die durch das Erste Weltende längst seinen Sinn verloren hat. Da er außerdem für seine Aufgabe mit einem »höherwertigen« Wissen ausgerüstet wurde, konnte er Marios Bewußtsein eine Alptraumwelt vorgaukeln und sich anschikken, es auszulöschen. Erst als auch Cliff McLane sein Bewußtsein in TECOMs Inneres projizierte und Mario zu Hilfe eilte, gelang es den beiden Freunden in einem grauenhaften Kampf, den Rudraja-Agenten zu besiegen. Kurz vor seinem Tode erlangte Charles Taylor die Erinnerung an seine Vergangenheit zurück – und er warnte Cliff und Mario in Erkennung der Sachlage vor der INVASIONSBASIS ROTER PLANET ...
Die Hauptpersonen des Romans: Han Tsu-Gol – Der Chef der Erdregierung wird mit schwierigen Problemen konfrontiert. Cliff McLane – Der Commander handelt unorthodox, wie üblich. Tunaka Katsuro – Direktor des GSD. Admiral Mahavira – Kommandant der Wega-Flotte. Nascom Brenthor – Ein Mann, dem die Befehlserfüllung zum Verderben wird.
1. »Langsam beginne ich zu glauben«, sagte Cliff McLane, »daß gewisse Urängste der Menschheit ihren durchaus realen Hintergrund haben, der sich uns nun Stück für Stück offenbart.« »Der Meister hat seine philosophische Phase«, kommentierte Mario de Monti und zwinkerte Han Tsu-Gol zu, der den Raumfahrern gegenübersaß. Han winkte ab. »Reden Sie weiter, Cliff.« »Ich denke an die Angst vor dem Mars. Nicht nur, daß unsere Ahnen den Nachbarplaneten als Symbol des Krieges betrachteten, gegen Ende des zweiten Jahrtausends kam es zu wahren Hysterien unter den Menschen, weil sie an einen bevorstehenden Angriff der ›Marsmenschen‹ glaubten.« »Die kleinen grünen Männchen«, lachte Helga. »Ich habe einmal einen dieser alten Filme gesehen. Die Naivität der Leute war köstlich.« »Ich hoffe, daß Ihnen die gute Laune nicht schneller vergeht, als Ihnen lieb ist«, sagte der Regierungschef. »Wenn Taylors Warnung kein schlechter Scherz war, dann steht uns vielleicht etwas bevor, gegen das
die Alpträume unserer Vorfahren noch harmlos waren.« Cliff wollte etwas entgegnen, aber Han Tsu-Gol brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. Eine der im Konferenzraum des Flottenhauptquartiers anwesenden Ortungstechnikerinnen reichte dem kahlköpfigen Asiaten eine Folie. Han nickte der Frau lächelnd zu und las. »Die Wega-Flotte hat ihre Position eingenommen«, sagte Han gedehnt. »Die Schiffe bilden einen schalenförmigen Sperriegel um den Mars und kümmern sich um die Evakuierung der in den Forschungsstationen arbeitenden Menschen. Außerdem suchen sie mit allen zur Verfügung stehenden ortungstechnischen Mitteln nach eventuellen Verstecken der Invasionsarmee.« »Mahavira!« stöhnte Cliff McLane laut. »Da haben Sie den Bock zum Gärtner gemacht, Han.« »Ich verstehe nicht ...« »Das ist ganz einfach«, versuchte Mario de Monti zu erklären. »Stellen Sie sich einen wunderbar gepflegten Rasen vor, vielleicht mit einer Bank und ein paar bezaubernden jungen Damen, und dann ...« »Ich wußte nicht, daß Sie mit Ihrer Crew geradewegs aus dem Starlight-Casino kommen«, sagte Han Tsu-Gol ironisch. »Sie kennen uns immer noch nicht gut genug, Han, sonst wüßten Sie, daß unser Kybernetiker das gar nicht nötig hat. Er ist immer so.« »Ich darf doch bitten!« protestierte Mario. »Ich bin ›Chefkybernetiker‹, und was das Starlight-Casino betrifft, so können Sie sich Ihre Anspielungen sparen, Han. Seitdem die Preise dort erhöht worden sind,
bleibe ich lieber in meinen vier Wänden und genieße die Freuden der ...« Cliff räusperte sich vernehmlich und brachte Mario zum Schweigen, ehe er noch größeren Unsinn hervorbringen konnte. »Wirklich, Cliff«, sagte Han Tsu-Gol mit einem seltsamen Blick auf Mario. »Sie sollten sich doch etwas mehr um das Image Ihrer Crew kümmern.« »Mir macht eher das Image der Raumflotte Kummer«, versetzte der Oberst ungerührt, »solange ein Mann wie Admiral Mahavira einen derart wichtigen Flottenverband wie die 4. Strategische Raumflotte kommandiert. Denken Sie an sein Verhalten, als der Todeskristall auftauchte.« »Mahavira ist ein verdienter Offizier der Flotte«, beharrte Han. »Außerdem habe ich keine andere Wahl. Wie Sie alle wissen, habe ich sämtliche Raumflotten ins Sonnensystem zurückbeordert, aber es wird Wochen dauern, bis sie hier eintreffen. Vorerst bleibt uns nur die Wega-Flotte, und damit Admiral Mahavira.« »Sie rechnen also fest mit einer Invasion?« »Cliff«, sagte Han beschwörend. »Sie wissen doch ganz genau, daß die Aktivitäten der kosmischen Mächte und ihrer schlummernden Erben nicht auszurechnen sind. Gerade das macht es uns so schwer. Allerdings sehen wir uns seit Ihrer Rückkehr einer Kettenreaktion gegenüber, deren Ende nicht abzusehen ist. Immer wenn wir glauben, eine Gefahr von der Erde abgewendet zu haben, taucht eine neue auf. Und jetzt ...« »Sie meinen, daß wir bald einem leibhaftigen Gegner aus der Zeit des Kosmischen Krieges gegenüberstehen könnten?«
»Können Sie sich das in seinem ganzen Ausmaß vorstellen, Cliff?« fragte Han zurück. »Nach allem, was wir bisher andeutungsweise von den Kräften wissen, die sich damals gegenüberstanden, haben wir nicht den Hauch einer Chance!« »Wir sollten uns nicht über ungelegte Eier unterhalten«, meinte Mario. »Was soll das schon wieder?« »Nun, vielleicht läßt sich die Situation besser mit einem ungeborenen Tiger vergleichen, der durch den Bambuswald schleicht und ...« »Können Sie einmal versuchen, sich wie ein normaler Mensch auszudrücken, de Monti?« fragte der Regierungschef mit leidvoller Miene. »Ich versuche lediglich, mich Ihrer bildhaften Ausdrucksweise zu befleißigen, Han.« »Dann überlegen Sie, bevor Sie den Mund aufmachen. Wie kann ein ungeborener Tiger durch den Bambusdschungel schleichen?« »Im Mutterbauch!« warf Atan Shubashi ein. Han bedachte ihn mit einem seltsamen Blick. »Aber nehmen wir nun an«, nahm Cliff McLane den Faden auf, »daß die Tigermutter schläft, bis die Schafe kommen und die Mutter wecken. Was passiert dann, Han?« »Ihre Kenntnisse auf zoologischem Gebiet sind geradezu umwerfend, Cliff. Sie meinen also, daß Ihr Freund Mahavira wieder einmal übers Ziel hinausschießt und dabei den Tiger weckt.« »Ich befürchte es, Han.« »Ich habe ihm genaue Anweisungen gegeben. Außerdem hat er momentan genug Ärger mit dem Personal in den Forschungsstationen, das sich mit Hän-
den und Füßen gegen die Evakuierung wehrt. Sie sind der Ansicht, daß bei der gründlichen Erforschung des Mars in der Vergangenheit die Möglichkeit einer versteckten Macht ausscheidet.« »Sie könnte in Tiefbunkern auf ihre Aktivierung warten«, überlegte Hasso Sigbjörnson laut. Han nickte ihm zu. »Genau das versuchen wir ihnen klarzumachen. Viel mehr Sorge bereiten mir die verborgenen Basen auf dem Mars, wenn wir davon ausgehen, daß sie existieren. Und wir haben einfach keine andere Wahl.« »Und damit käme unser Auftritt«, vermutete Cliff. »Sie haben es erfaßt«, antwortete der Regierungschef mit seinem berühmten Lächeln. »Ihre Aufgabe wird es sein, sich zum Mars zu begeben und sich dort an der Suche nach eventuellen Tiefbunkeranlagen zu beteiligen.« »Heißt das, daß wir Mahavira unterstellt sein werden?« fragte Cliff mißtrauisch. »Das möchte ich Ihnen nicht antun, Cliff!« »Gott sei Dank!« entfuhr es Helga Legrelle. »Dafür werden Sie einen Sonderstab des Galaktischen Sicherheitsdiensts an Bord nehmen, der die Untersuchungen leiten wird.« Cliff stöhnte vernehmlich. »Ich wußte, daß ein Haken dabei sein würde, Han. Also gut, wann geht es los?« »Sie haben noch etwa einen Tag Zeit. Der Stab muß noch zusammengestellt werden. Bereiten Sie sich auf den Start vor, Sie erhalten Bescheid.« »Das wär's, Han?« fragte Cliff. »Das wär's. Ich wünsche Ihnen und uns allen Glück. Und Cliff ...«
»Ja, Han?« »Mahavira hat seine Anweisungen. Er mag zwar seine Fehler haben, aber er zeichnet sich dadurch aus, daß er das tut, was man ihm befiehlt.« »Ich verstehe nicht ganz«, meinte Cliff. »Sie wollen doch nicht andeuten, daß wir das nicht tun?« »Nie im Leben, Cliff! Welchen Grund hätte ich wohl?« »Eben!« sagte Atan grinsend und zwinkerte seinen Freunden zu. »Wir verstehen uns«, sagte Han Tsu-Gol. »Sehen Sie zu, daß Sie die Tigermutter nicht aufwecken.« »Wir werden es uns merken, Meister der Fabeln«, sagte Cliff und stand auf. Die anderen Mitglieder der Crew folgten seinem Beispiel. »Im Fabulieren ist er uns über«, murmelte Mario, als sie den Konferenzraum verließen. Mit einem Blick auf Cliff bemerkte er: »Unser Herr Kommandant scheint Probleme zu wälzen.« »Der Herr Kommandant hat ein ziemlich dummes Gefühl«, entgegnete McLane. »Ich fühle mich wie eine Birke in der Ruhe vor dem Sturm.« »Hans Vergleiche scheinen ansteckend zu sein«, sagte Arlene. »Bevor du ins Grübeln versinkst, Liebling, würde ich vorschlagen, den vorerst letzten Abend auf der Erde im Starlight-Casino zu verbringen.« »Bei den Preisen?« fuhr Mario de Monti auf. »Schon gut, ich lade euch ein«, sagte Cliff. »Also – in einer Stunde im Casino.« *
Das tiefe Unbehagen der Verantwortlichen hatte seinen Grund. Noch zu gut steckte der Schock über die jüngsten Ereignisse im Sonnensystem und auf der Erde in der Erinnerung der Menschen. Der plötzlich aufgetauchte Todeskristall hatte sie aufgeschreckt. Doch noch viel wichtiger waren die Erlebnisse der ORION-Crew auf dem Planeten Vyamar im DreifachSystem 0 2 Eridanus, wo ganze Armeen für den Einsatz auf der Erde herangebildet worden waren. Das ganze Ausmaß der Gefahr, in der die Erde schwebte, war allerdings nur den Eingeweihten klar. Nur knapp war die Menschheit dem Chaos entgangen, das von dem zehnköpfigen Vorauskommando des Rudraja heraufbeschworen worden war. Die Frauen und Männer, die auf der Hypnobasis ausgebildet worden waren, hätten es um ein Haar geschafft, durch Manipulationen TECOMs das computerabhängige und somit hochanfällige Verkehrs- und Versorgungsnetz der Erde lahmzulegen. Mario de Monti und Cliff McLane waren fast ums Leben gekommen, als sie in einem unbarmherzigen Psychokampf gegen den Anführer der Gruppe antraten. Schließlich war es ihnen gelungen, Charles Taylor zur Strecke zu bringen. Kurz vor seinem Tod konnte der Mann den Bann abschütteln, der auf ihm und seinen Gefährten gelastet hatte, und gab Cliff und Mario alle Informationen, die er über seinen Einsatz hatte. Mehr noch: Taylor behauptete, daß seine Arbeit nur der Vorbereitung der wirklichen Invasion gedient hätte, die vom Mars ausgehen sollte. Im Hauptquartier der Raumflotte und beim GSD wurde fieberhaft daran gearbeitet, Wahrscheinlichkeiten für die Art und den Zeitpunkt des zu erwar-
tenden Angriffs zu errechnen. Außerdem mußten die Evakuierung des Mars und die Flottenbewegungen gesteuert werden. Die Menschen befanden sich in heller Aufregung. Sie ahnten, daß es nach den Erfahrungen der letzten Wochen und Monate nur eine Frage der Zeit war, bis der unbekannte Gegner zum nächsten Schlag ausholte. Die ORION-Crew mußte warten, bis ihre Stunde kam. Sie vertrieb sich die quälenden Stunden der Untätigkeit auf ihre Weise. »Das Starlight-Casino ist auch nicht mehr das, was es früher 'mal war«, murrte Mario de Monti und warf einen müden Blick zu den Gruppen von Frauen und Männern, die sich auf schwebenden Antigravplattformen tanzend durch die große Halle bewegten, die mit den oberen beiden Dritteln ins Meer des Carpentaria-Golfs ragte. »Heute ist nicht viel los«, sagte Hasso. »Nicht alle Leute haben so viel Muße wie wir.« Mario ließ sich nicht ablenken. »Sogar die Bedienung ist automatisiert. Wenn ich da an diese Rothaarige zurückdenke, hinter der Wamsler ...« »Wamsler«, meldete sich Atan. »Ich dachte immer, daß jemand aus unseren Reihen Probleme mit den Augen hatte, wenn Nastassja an den Tisch kam.« »Das mußt du gewesen sein«, konterte der Kybernetiker. »Sonst wüßtest du, daß ich mich nie für diese Frau interessiert habe. Und wenn ich ihr auch dann und wann ein paar nette Worte ins Ohr flüsterte, geschah das aus reiner Höflichkeit.« »Und die Einladung zur Großwildjagd auf Tareyton? War das auch reine Höflichkeit?«
»Das verstehst du nicht«, winkte Mario ab. »Aber da du gerade von Tareyton sprichst, der Heimat jenes köstlichen Getränkes, wie hieß es doch gleich ...?« »Schon gut, Mario«, sagte Cliff. »Ich habe eine Flasche kaltstellen lassen.« Der Commander drückte eine Taste und gab der Robotbedienung eine entsprechende Anweisung. Zwei Minuten später hatte jeder ein Glas Archer's tears vor sich stehen. Mario prostete den anderen zu und schloß genießerisch die Augen. »Wenn du so weitermachst, bändelst du nachher noch mit der Robotbedienung an«, kommentierte Helga schmunzelnd. Arlene, die sich bisher ruhig verhalten hatte, rückte näher an Cliff heran. »Was ist mit dir los, Liebling? Du machst ein Gesicht, als ob dir Michael Spring-Brauner über den Weg gelaufen wäre.« »Ich fühle mich auch so«, entgegnete McLane. »Es braut sich etwas zusammen, ich spüre es. Und die anderen auch. Glaubst du, Mario betrinkt sich heute aus Spaß? Und die Ausflüge in die ›Gute alte Zeit‹ zeigen doch deutlich genug, daß sie das zu vergessen versuchen, was irgendwo draußen im All auf uns lauert. Es ist alles anders geworden, Liebes. Früher hatten wir Gegner, die wir sehen und orten konnten. Heute haben wir es mit Phantomen zu tun, die aus dem Dunkel zuschlagen. Die Warterei macht mich verrückt.« »Ich glaube, das ist bald vorbei«, meinte Arlene und machte ein Zeichen. »Dort kommt lieber Besuch.« Sie hatte so laut gesprochen, daß auch die anderen sie hörten. Die Raumfahrer sahen auf und blickten in
das Gesicht des frischgebackenen GSD-Direktors Tunaka Katsuro. Cliff rückte ein Stück zur Seite. Katsuro lächelte ihm dankbar zu und setzte sich. »Ich ahne etwas, Katsuro-san«, sagte Cliff und versuchte, in der Miene des Asiaten zu lesen. »Ja, Cliff, es geht los.« »Aber ich denke, daß Sie noch damit beschäftigt sind, einen Sonderstab zusammenzustellen.« »Das können Sie vergessen, Cliff. Wir fliegen nicht zum Mars.« »Wir?« Katsuro lächelte hintergründig. »Die Geheimstation Ganymed hat sich gemeldet. Die Wissenschaftler sind bei ihren Untersuchungen auf den Zugang zu einem Nebensektor der Station gestoßen. Wir haben sie angewiesen, vorerst nicht zu versuchen, in diese Nebenstation einzudringen, da sie möglicherweise durch Abwehrsysteme unbekannter Art gesichert ist.« »Mit anderen Worten ...« »... hat Han Tsu-Gol Ihren Auftrag kurzfristig geändert, Cliff. Da Sie die Geheimstation entdeckten und einen guten Teil der dortigen Fallensysteme kennenlernten, schickt er Sie zum Ganymed. Sie sollen sich um die Angelegenheit kümmern. Wahrscheinlich glaubt Han, daß Ihnen wieder einmal das V'acora von Nutzen sein wird.« »Wir konnten damit das Stasisfallensystem ausschalten«, überlegte Cliff laut. »Eben. Die Entdeckung muß von großer Wichtigkeit sein, wenn Han die ORION hinschickt.« »Und der Mars?« fragte Hasso dazwischen.
»Ein anderes Schiff wird den Sonderstab hinbringen.« »Sie sagten eben, daß ›wir‹ zum Ganymed fliegen würden, Katsuro-san«, erinnerte Cliff. »Ich werde Sie begleiten, damit der GSD wenigstens durch meine Person vertreten ist.« »Keine Hintergedanken?« »Aber nein, Cliff. Sie glauben doch nicht, daß Han mich Ihnen als Aufpasser mitgeben will?« »Ich bitte Sie, Katsuro-san! Welch abwegiger Gedanke!« »Na, sehen Sie. Wir können starten, sobald Ihre Crew ihre Besinnungsstunde beendet hat. Ihr Kybernetiker macht einen recht vergeistigten Eindruck.« »Der Chefkybernetiker denkt nach!« behauptete Mario. »Das konnte ich nicht ahnen«, sagte Katsuro mit undefinierbarem Lächeln. »Also schön«, sagte Cliff. »Brechen wir auf, aber ganz wohl ist mir bei der Sache nicht.« Drei Stunden später startete die ORION von Basis 104 aus in den Weltraum. * Der größte Mond des Riesenplaneten Jupiter füllte die gesamte Bildplatte in der Zentrale der ORION IX aus. Die Landung stand unmittelbar bevor. Atan Shubashi trat neben Cliff McLane und stieß plötzlich eine Verwünschung aus. »Das ist es, was mir die ganze Zeit über nicht gefallen wollte«, sagte der kleine Astrogator beim Anblick des Himmelskörpers.
»Was meinst du?« erkundigte sich Cliff. »Ich muß es verdrängt haben, damals hatten wir nur Augen für den Kristall!« »Willst du uns nicht endlich ...?« »Ihr wißt es auch«, fuhr Atan eifrig fort. »Damals, als wir neben Ganymed schwebten und mit den Wissenschaftlern sprachen, entdeckte ich an der Horizontlinie Ganymeds ein schwaches Leuchten, das schnell pulsierte, während die Anlage in der Ganymed-Station eingeschaltet war. Als ich später die entsprechende Gegend noch einmal absuchte, war das Leuchten verschwunden.« Cliff stieß die Luft aus. »Du hast recht, jetzt erinnere ich mich auch. Bevor wir uns weiter darum kümmern konnten, wurden elf weitere Schiffe von den Todesimpulsen des Kristalls getroffen, und Mahavira befahl den Rückzug. Die Ereignisse spitzten sich so schnell zu, daß deine Beobachtung ganz in Vergessenheit geriet.« »Du meinst, daß diese Erscheinung etwas mit dem Nebensektor der Station zu tun haben könnte?« fragte Arlene. »Wer sagt uns eigentlich, daß nicht die von uns gefundene Station der Nebensektor einer viel größeren ist?« »Malen Sie den Teufel nicht an die Wand, Cliff!« sagte Katsuro. »Auf jeden Fall sind wir gewarnt«, sagte der Commander. »Das Pulsieren kam nicht von ungefähr. Irgend etwas auf Ganymed ist uns bisher verborgen geblieben.« Die ORION driftete langsam auf die Mondoberfläche zu.
»Wie wäre es mit einer Verbindung zur Station, Helga-Mädchen?« »Verbindung steht bereits«, erklärte die Funkerin. Im nächsten Augenblick verschwand das Bild der Mondoberfläche von der Bildscheibe und machte dem geschminkten Antlitz eines Mannes Platz, der die Kombination der Raumflotte trug. Die graumelierten Haare waren zu einem wahren Federbusch hochtoupiert, dazu trug er mit glitzernden Steinen besetzte Platinohrringe. »Professor Ontox!« strahlte Cliff. »Das ist eine Freude!« »Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, versicherte der Wissenschaftler. »Es ist nicht jedem Sterblichen vergönnt, zweimal im Leben der berühmten ORIONCrew gegenüberzustehen.« »Oh«, versetzte Mario ungerührt, »wir können Sie gerne einmal auf einen unserer Einsätze mitnehmen, dann werden Sie sehr schnell sehen, daß auch wir nur ganz normale Erdenbürger sind.« »Sehr freundlich, aber ich bedanke mich. Wer sich an Bord Ihres Schiffes begibt, muß entweder verrückt oder selbstmörderisch veranlagt sein.« Die Raumfahrer grinsten, als Tunaka Katsuro aus dem Hintergrund der Zentrale in den Erfassungsbereich der Kameras trat. Professor Ontox zuckte heftig zusammen, und sein Adamsapfel vollführte einen wilden Sprung. Natürlich kannte er den GSD-Direktor. »Sie dürfen das nicht ernst nehmen«, stammelte der Wissenschaftler von der Stützpunktgruppe Ganymed. »Es war ... ein Scherz.« »Er redet oft dummes Zeug«, erklärte Atan Shubashi grinsend. »Aber davon abgesehen ist er ein
ganz patenter Kerl. Fluidum-Pax-geschädigt, verstehen Sie?« Katsuro verstand, und er verstand auch den Seitenhieb. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Professor«, begrüßte der GSD-Direktor den Wissenschaftler. »Wie ist die Lage bei Ihnen?« »Unverändert. Wir warten auf Sie.« »Na, dann weisen Sie uns schleunigst ein, Professor«, sagte Cliff. »Sofort, ich gebe Ihnen eine meiner Mitarbeiterinnen. Inzwischen kann ich mich um die Vorbereitungen kümmern.« Ontox verabschiedete sich knapp. An seiner Stelle erschien das phantasievoll geschminkte Gesicht einer jungen Frau. Sie musterte die Crew aus dunklen Augen, die unergründlich wirkten. »Na, was ist nun?« flüsterte Mario de Monti Atan zu, als die Schönheit immer noch nichts sagte. »Die starrt uns an, als wären wir aus dem Zoo entlaufen.« Als hätte sie Marios Worte gehört, kam Leben in die Wissenschaftlerin. Mit kühler Sachlichkeit gab sie die Landedaten. Kurze Zeit später stand die ORION IX zwischen drei Leichten Kreuzern in einem großen Krater, in dem der Ammoniakschnee glitzerte. Die Raumfahrer und Katsuro trugen ihre schweren Raumanzüge, als sie das Schiff verließen. Cliff legte einen Schutzschirm um die ORION. Auf dem Weg zur Station tastete er mehrmals nach dem V'acora, das er um sein rechtes Handgelenk geschnallt hatte, als könnte die Berührung seine finsteren Ahnungen verscheuchen.
Irgend etwas lauerte hier auf sie, und Cliff wurde das Gefühl nicht los, daß dieses Etwas in einem noch unbekannten Zusammenhang mit ihren letzten Abenteuern und der Gefahr vom Mars stand. Es war, als hätte sich der Weltraum wie eine schwarze, alles erstickende Haube über die Menschen gestülpt, in der das Grauen der Vergangenheit lebendig wurde.
2. Der Zugang zu der »Nebenstation« befand sich etwa vier Kilometer von der Geheimstation entfernt in einem kleinen Krater. Die Raumfahrer und Katsuro hatten sich mit einem Frachtgleiter hierher befördern lassen. Vier Wissenschaftler begleiteten sie. Ein etwa vierzigjähriger, hagerer Mann hatte sich zu ihrem Sprecher gemacht. Sein Name war Sidney Turner, die anderen drei hießen Orbonow Runge, Sentor KaderBeye und Irva Kaboule. Turner schritt neben Cliff McLane und Tunaka Katsuro an der Spitze der Gruppe. Alle trugen sie ihre schweren Raumanzüge mit der dazugehörigen Ausrüstung. »Und die Entdeckung geschah tatsächlich ganz zufällig?« fragte Katsuro zum wiederholten Mal. »Sie dürfen mir das ruhig glauben«, antwortete Turner unwillig. »Ich kann Ihnen beim besten Willen nicht mehr darüber sagen, als Sie bereits aus unseren Berichten wissen. Einer unserer Männer verlor die Nerven und floh aus der Station. Als wir ihn nach stundenlanger Suche endlich fanden, lag er zusammengekrümmt dort vorne«, Turner zeigte auf den Kraterrand direkt vor ihnen, »und redete sinnloses Zeug. Minuten später war er tot. Aber vor unserer Ankunft mußte er die dicke Eis- und Schneeschicht von der Platte abgekratzt haben. Es sah tatsächlich so aus, als hätte er den Zugang gesucht, verstehen Sie?« »Sie meinen, daß er von einer unbekannten Kraft hierhergelockt worden war?« hakte Cliff ein. Turner atmete tief durch und schien sich vor einer
eindeutigen Aussage zu scheuen. »Das können Sie interpretieren, wie Sie wollen, McLane. Immerhin ist er als einziger beeinflußt worden, wenn es eine solche Beeinflussung gab.« »Dieser Mann«, erklang Katsuros Stimme in den Helmlautsprechern, »war er vielleicht ein Sonderling?« »Sonderlinge sind wir alle«, antwortete Turner. »Wer hier auf Ganymed nicht seine Macke entwikkelt, ist zu bewundern. Kennen Sie das Gefühl, auf einem Pulverfaß zu sitzen?« »Oh doch«, sagte Cliff. »Das kennen wir ganz gut, darauf können Sie sich verlassen.« Katsuro ließ nicht locker. »Wieso glauben Sie, auf einem Pulverfaß zu sitzen, Turner?« »Erwarten Sie wirklich eine Erklärung?« kam die prompte Gegenfrage. »Es ist ein Gefühl, mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Unsere Psychologen reden schon von einem ›Ganymed-Koller‹, und für einige Leute des Personals wird es höchste Zeit für eine Ablösung.« Cliff McLane schwieg, aber in Gedanken beschäftigte er sich schon wieder mit dem neuen Phänomen. Er erinnerte sich dunkel an andere Fälle, in denen Menschen vollkommen überraschend völlig irrational gehandelt hatten. »Hier ist es«, sagte Turner und blieb am steil in die Höhe ragenden Rand des kleinen Kraters stehen. Das Licht seines Handscheinwerfers fiel auf eine Stelle in der Wand, die von Schnee und Eis befreit worden war und ihnen nun metallisch entgegenschimmerte. Weitere Lichtkegel fielen auf die Platte. Die Raum-
fahrer erkannten eine große dreieckige Fläche, auf deren Oberfläche sich unbekannte reliefartige Symbole befanden. »Ein Dreieck«, murmelte McLane. »Ich hatte eine runde Platte vermutet, wie bei der eigentlichen Station.« »Entsprechend schwierig wird es werden, das Schott zu öffnen«, vermutete Atan. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Cliff trat an die freigelegte Stelle in der Kraterwand und fuhr vorsichtig mit gespreizten Fingern über die Reliefsymbole. Was erwartete sie hinter der Platte? Welche Sicherungen hatten die unbekannten Erbauer getroffen? Der Oberst nahm die zweite Hand und berührte das Dreieck an zwei Stellen gleichzeitig. Im nächsten Augenblick fuhr er zusammen und taumelte zurück, als habe ihn eine unsichtbare Faust in den Magen getroffen. »Cliff!« schrie Arlene auf. Sie war sofort bei ihm und stützte ihn. McLane schüttelte benommen den Kopf. »Schon gut, Liebling, es geht wieder.« »Was war los, Cliff?« wollte Katsuro wissen. »Nichts, Katsuro-san. Ein kleiner Schock, nichts weiter.« »Das können Sie Han erzählen«, widersprach der GSD-Direktor. »Es wird besser sein, wenn wir ein paar Roboter anfordern, um ...« »Beruhigen Sie sich«, entgegnete der Commander. Dann aktivierte er das V'acora an seinem Handgelenk und trat erneut auf die Platte zu. Diesmal geschah nichts, als er mit den gespreizten Fingern beider Hände die Fläche berührte. »Kein Mechanismus«, murmelte er.
»Wieso feuern wir nicht ein paar Salven mit der HM 4 dagegen?« erkundigte sich Mario. »Genausogut könntest du es mit ›Sesam-öffnedich!‹ versuchen.« »Wie war das?« fragte Katsuro befremdet. »Ich kenne kein Verfahren namens ...« »Eine Methode aus der Steinzeit«, wurde er von Atan belehrt. »Damals war alles viel einfacher, müssen Sie wissen.« »Hört auf mit dem Unsinn«, fluchte Cliff. »Es mit Beschuß zu versuchen, wäre ebenso, als ob ...« »Als ob was?« fragte Atan, als Cliff plötzlich verstummte. »Es vibriert«, sagte der Commander tonlos. »Die Platte hat vibriert, als ich eine bestimmte Stelle mit der rechten Hand berührte. Das muß die Lösung sein! Die Reliefsymbole! Sie müssen in einer bestimmten Reihenfolge berührt werden!« »Laß mich 'mal 'ran!« forderte Mario de Monti. Bevor McLane den Kybernetiker hindern, konnte, trat Mario an das Schott und legte beide Hände auf die Platte. Noch im gleichen Moment schrie er auf und taumelte rückwärts, wo Katsuro ihn auffing. Dann konzentrierten sich alle wieder auf McLane. Nach einer knappen Viertelstunde hatte der Commander Erfolg. Das dreieckige Schott fuhr zur Seite und gab den Weg in einen unbeleuchteten Gang frei, dessen Ende nicht zu erkennen war. Über eine ebene Grundfläche wölbte sich ein ovaler Stollen, der in der Mitte über drei Meter hoch war. Die Wände waren mit ähnlichen Reliefsymbolen übersät wie das Schott. Cliff bedeutete den anderen zu warten und ging vorsichtig einige Schritte in den Gang hinein.
»Die gleiche Atmosphäre wie draußen«, sagte er nach einem Blick auf seine Detektorinstrumente. »Was haben Sie erwartet?« fragte Katsuro verwundert. »Sie verstehen mich nicht ganz«, erwiderte Cliff. »Es hat kein Atmosphärentausch stattgefunden. Selbst wenn in dem Gang ein Vakuum bestanden hätte, hätte es die Luft von draußen hineingesogen. In diesem Gang herrschten schon Ganymed-Verhältnisse, bevor wir das Schott öffneten.« »Und was folgert der Meister daraus?« erkundigte sich Hasso. »Vorerst gar nichts, was auf Erbauer und Zweck der Station schließen ließe. Vielleicht ist die Anlage im Lauf der Zeit defekt geworden. Wie ist es? Versucht ihr's?« »Ich komme, Cliff!« verkündete Mario, der sein angeschlagenes Image aufpolieren wollte. Vorsichtig betrat der Kybernetiker in seinem schweren Raumanzug den Gang. Nachdem er einige Schritte getan hatte, blieb er stehen. Er neigte den Kopf, als ob er auf etwas lauschen würde. »Was ist, Mario? Alles in Ordnung?« »Ein Ton, Cliff! Es ist wie eine leise Melodie ...« »Kommen Sie zurück!« forderte Katsuro. »Beide! Ich kann die Verantwortung nicht übernehmen.« »Und ich kann nicht die Verantwortung übernehmen, auch nur ein paar Minuten zu warten, während sich auf dem Mars und vielleicht hier direkt vor unserer Nase etwas zusammenbraut, das das Sonnensystem ins Chaos stürzen kann, Katsuro-san. Mario, was ist nun? Spürst du etwas?«
»Es ist tatsächlich eine Art Melodie, Cliff, direkt in meinem Kopf, aber ansonsten ist alles in Ordnung. Kein Anzeichen von einem Fremdeinfluß, wenn du das meinst.« »Sie haben es gehört, Katsuro. Denken Sie daran, daß wir durch das V'acora geschützt sind, obwohl die Intensität dieses Schutzfeldes bei mir und Ihnen unterschiedlich sein dürfte. Ich höre keine Melodie. Wir müssen dicht beieinander bleiben, also kommen Sie!« Zögernd traten die Frauen und Männer in den Gang. Die Lichtkegel der Handscheinwerfer bestrichen die Wände und brachten die Reliefsymbole zum Vorschein. »Runge und Kader-Beye sind draußen geblieben«, erklärte Turner. »Wenn wir in zwei Stunden nicht wieder bei ihnen sind oder uns bei ihnen gemeldet haben, geben sie Alarm.« »Sehr gut«, sagte Cliff. Dann redeten sie nicht mehr, sondern folgten dem Gang, der sich schlangenförmig in das Gestein hineinwand. Der Gang war leicht abfällig angelegt, nur an wenigen Stellen ging es so steil bergab, daß sie Mühe hatten, das Gleichgewicht zu halten und nicht einfach auf dem glatten Material abzurutschen. Sie mochten etwa zweihundert Meter zurückgelegt haben, als sie das zweite Schott erreichten. Während des Marsches hatte sich nichts Ungewöhnliches ereignet, abgesehen von der fremdartigen Melodie, die alle, außer Cliff McLane, wahrzunehmen glaubten. Wie erwartet, war auch dieses Schott mit den Symbolgruppen übersät. »Die Reliefs erinnern mich stark an ähnliche Symbole in einigen alten Tempelbauten auf der Erde«, sagte Helga Legrelle plötzlich.
»Darüber denke ich die ganze Zeit nach«, gab Cliff zu. »Ich habe solche Symbole auch auf der Erde gesehen – an den verschiedensten Stellen.« »Das ist unmöglich«, mischte sich der GSD-Chef ein. »Wir haben festgestellt, daß zahlreiche unserer uralten irdischen Tempelsymbole jenen Figuren gleichen, die wir im Innern des Planetoiden Vesta fanden, und die Vesta-Station gehörte eindeutig dem Varunja. Folglich können Sie sich den Gedanken, auf der Erde Spuren dieses Rudraja-Hilfsvolks zu finden, aus dem Kopf schlagen.« »Wieso eigentlich?« beharrte Helga. »Wer sagt uns denn, daß nicht in grauer Vorzeit Hilfskräfte beider Mächte der Erde Besuche abstatteten?« »Dann hätte es zwangsläufig auch auf der Erde zu Kämpfen kommen müssen, deren Spuren wir längst gefunden hätten!« »Ihren Optimismus, was die Möglichkeiten der Menschheit angeht, in Ehren, Katsuro-san«, sagte Cliff, während er bereits wieder mit den Fingerspitzen nach dem »Berührungsschlüssel« zum Öffnen des Schottes suchte. »Aber beide Hilfsvölker müssen nicht gleichzeitig die Erde besucht haben.« »Außerdem gibt es Hinweise auf solche Auseinandersetzungen«, nahm Helga den Faden wieder auf. »Denken Sie an die alten Mythologien! Allein die indische Mythologie kennt massenhaft Beispiele für Besuche vermeintlicher ›Himmelsgötter‹ und Schilderungen von unbarmherzigen Kämpfen zwischen Gottheiten und ihren Hilfskräften!« »Sie sind mir über«, lenkte Katsuro lächelnd ein. »Kommen Sie voran, Cliff?« Wie zur Antwort fuhr in diesem Augenblick das
Schott zur Seite und verschwand in der Wand. Die Eindringlinge sahen direkt in eine gewaltige, nach oben hin spitz zulaufende Kuppelhalle, in deren Mitte ein riesiges Götzenbild stand. Die kreisrunde Grundfläche der Halle mochte knapp hundert Meter Durchmesser haben, ebenso hoch schätzten die Raumfahrer die Decke an ihrer höchsten Stelle in der Mitte der Halle. Alle Wände waren mit den mittlerweile fast vertrauten Reliefsymbolen versehen, ansonsten wirkte die Kuppel schlicht. Die Statue war der einzige Gegenstand, den die Menschen von ihrem momentanen Standpunkt aus erkennen konnten. »Die Melodie«, meldete Katsuro. »Sie war für kurze Zeit abgebrochen, jetzt höre ich sie wieder. Sie wirkt eindringlicher.« »Sobald jemand einen beginnenden psychischen Einfluß bemerkt, verschwinden wir«, sagte Cliff McLane. Er trat langsam auf die Statue zu. »Mein Geschmack wäre die Dame nicht«, murmelte Mario de Monti. Auf einem mannshohen Sockel von mehreren Metern Durchmesser stand das hochaufgerichtete Abbild eines humanoiden Wesens mit unverkennbar weiblichen Formen. Anstelle der Arme jedoch ragten vier tentakelartig gewundene Auswüchse in die Luft, deren Spitzen sich vor der Brust berührten. Auf einem schmalen, langen Hals saß ein kleiner Kopf. Das »Gesicht« der Statue glich einer bösartigen Teufelsfratze, die von fingerdicken Haarsträhnen umrahmt wurde. »Die mißt gut und gerne ihre zehn Meter«, schätzte Helga. »Wir scheinen ein Heiligtum der früher hier statio-
nierten Hilfskräfte des Rudraja gefunden zu haben«, vermutete Cliff. »Auch hier fand beim Öffnen des Schottes kein Atmosphärenaustausch statt«, stellte Helga Legrelle fest. »Das könnte bedeuten, daß der Tempel von seinen Erbauern aufgegeben wurde, vielleicht in der entscheidenden Phase des Kosmischen Krieges. Durch die dichten Schotte kann die GanymedAtmosphäre nicht eingedrungen sein.« »Wir wissen nichts über die Mentalität dieses Volkes, Helga-Mädchen«, sagte Cliff. »Trotzdem kann ich nicht ganz glauben, daß diese Dame alles ist, was sich hier verbirgt. Denkt an das Leuchten. Wahrscheinlich gibt es weiterführende Gangsysteme, die erst in die eigentliche Anlage führen.« Atan hatte sich schweigend von der Gruppe gelöst und war um den Sockel herumgegangen, um die Götzenstatue von allen Seiten zu betrachten. Die Freunde bemerkten sein Verschwinden erst, als er einen lauten Schrei ausstieß. »Was ist los, Atan?« »Mit mir ist alles in Ordnung«, tönte es aus den Helmlautsprechern. »Aber hier liegt ein ... ein Mharut!« * Einen Augenblick lang legte sich lähmendes Entsetzen über die Mitglieder der ORION-Crew. Ein Mharut! Sofort war die Erinnerung an den Mordroboter wieder da, der nach der Rückkehr der ORION VIII aus der Parallel-Raumkugel sein Vernichtungswerk auf der Erde begonnen hatte, um in
den Besitz der kosmischen Daten der Erde zu gelangen und diese dann unverzüglich an eine Basis des Rudraja weiterzugeben. Das war in letzter Sekunde verhindert worden, wobei der Diktator Orcuna sein Ende gefunden hatte. Mharut! Immer wieder hallte das Wort in den Ohren der Raumfahrer wider. Wie sie mittlerweile wußten, hatte das ganze Unheil, das in der letzten Zeit über die Erde und die Menschen gekommen war, in dem Roboter seinen Ursprung. Und nun behauptete Atan Shubashi, einen zweiten Mharut hinter der Statue gefunden zu haben! »Wir kommen, Atan!« Die Starre fiel von den Freunden ab. Nacheinander zogen sie die HM 4 und liefen um den Sockel herum, bis sie neben dem kleinen Astrogator standen. Atan hatte ebenfalls die Waffe im Anschlag. »Tatsächlich!« stieß Cliff aus. »Er gleicht dem Mharut, den wir einschleppten, wie ein Ei dem anderen. Nur die Tentakelarme fehlen.« »Ich habe ihn mit meinen Detektoren untersucht«, berichtete Atan. »Keine energetische Aktivität, offensichtlich ist er desaktiviert.« »Ich traue dem Frieden nicht«, murmelte McLane. Die Menschen hielten sich in respektvoller Entfernung von dem eiförmigen Roboter. »Kann mich vielleicht endlich jemand aufklären?« verlangte Tunaka Katsuro. Cliff berichtete ihm und den Wissenschaftlern knapp über die Ereignisse, die schließlich zu Orcunas Tod geführt hatten. »Nach unseren bisherigen Erfahrungen genügt der kleinste Auslöser, um den Mharut zu wecken«, sagte
Cliff abschließend. »Was uns dann blüht, wage ich mir nicht auszumalen. Mit herkömmlichen Waffen anzugreifen, wäre jetzt das Falscheste, was wir tun können.« »Wieso das?« fragte Mario verständnislos. »Wenn wir ihn konzentriert mit unseren Strahlwaffen beschießen, wie es bei dem Mharut in TECOM der Fall war, müßten wir Erfolg haben.« »Damals war der Roboter hilflos, Mario. Ich befürchte, daß dieser hier sofort aufwacht, wenn wir ihn beschießen, und sich auflöst, ehe wir Erfolg haben. Du weißt, daß diese Dinger in der Lage sind, zehn Minuten lang in quasi materieloser Form zu existieren.« »Außerdem müßten wir befürchten, durch einen Beschuß andere verborgene Mechanismen dieser Station zu aktivieren«, ergänzte Sidney Turner. Cliff nickte. »Es wird das beste sein, ein paar von uns als Wachen hierzulassen, während wir Han Tsu-Gol über den Fund informieren.« »Einverstanden!« sagte Katsuro. »Und wer meldet sich freiwillig zur Tempelwache?« Zur Überraschung aller hob Arlene N'Mayogaa, die sich bisher immer im Hintergrund gehalten hatte, die Hand. »Bei solcher Gesellschaft will ich nicht zurückstehen«, kam es von Mario de Monti. »Ich bin dabei.« »Na schön«, sagte Cliff. »Zwei Personen sollten genügen. Wir halten über Funk Kontakt.« »Das V'acora, Cliff!« Mario streckte verlangend die Hand aus. Der Commander verstand. Ohne das Amulett wä-
ren sie alle höchstwahrscheinlich niemals bis hierher gelangt. Cliff schnallte das V'acora ab und reichte es dem Kybernetiker. Draußen brauchte er es nicht. * Cliff hielt sich bewußt etwas abseits von der Gruppe, als sie durch den gewundenen Gang zur GanymedOberfläche zurückkehrten und den Gleiter bestiegen. Er sah seine geheimen Befürchtungen bestätigt. Obwohl er wußte, daß es irrational war, wehrte er sich dagegen, an einen Zufall zu glauben. Er mußte an den Mann denken, der plötzlich Amok gelaufen war und den Zugang zur Nebenstation gefunden hatte. Wieso hatten sie den zweiten Mharut gerade jetzt gefunden, während die Erde mit einer Invasion vom Nachbarplaneten rechnen mußte? Sein Verstand sagte dem Commander, daß kein Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen bestehen konnte, doch das Gefühl ließ sich nicht abstellen. »Turner«, fragte Cliff spontan. »Haben Sie Schirmfeldprojektoren in der Station?« »Selbstverständlich, McLane. Ich hatte den gleichen Gedanken.« »Sorgen Sie bitte dafür, daß das erforderliche Gerät sofort in die Kuppelhalle geschafft wird. Wir wollen kein Risiko eingehen. Wenn der Mharut erwacht und sich auflöst, sind unsere Chancen gegen ihn gleich Null.« »Verstanden«, meldete Sidney Turner. Cliff fieberte dem Gespräch mit Han Tsu-Gol entgegen. Er mußte wissen, wie es auf dem Mars und
auf der Erde aussah. Dort genügte der kleinste Funke, um eine verheerende Panik auszulösen. Das Chaos, das durch den Schwarzen Kristall ausgelöst worden war, steckte noch in den Gehirnen der Bevölkerung. Sie müßten uns hassen! dachte Cliff. Mit unserer Rückkehr begannen für sie die Schwierigkeiten. Aber seltsamerweise waren die Gefühle, die der ORION-Crew von der Erdbevölkerung entgegengebracht wurden, gemischt. Sie reichten von wahrer Heldenverehrung bis hin zur stillen Ablehnung. Die ORION war zur Legende geworden, und unbewußt vertrauten selbst die Gegner der Crew darauf, daß McLane und seine Gefährten die Kastanien auch jetzt wieder für die Erde aus dem Feuer holen würden. Der Gleiter landete vor dem Eingang zur Station. Professor Ontox selbst erwartete die Gruppe in einem leichten Raumanzug. Cliff konnte sehen, wie ein paar Männer ein schweres Gerät in ein anderes Fahrzeug verluden. »Sie machen Fortschritte, Professor«, lobte der Commander. »Das macht nur Ihre Nähe, wissen Sie?« konterte der Wissenschaftler. »Sie hat so etwas Inspirierendes an sich.« Sie betraten die Station und konnten endlich die Raumanzüge ablegen. »Ich brauche sofort eine Verbindung zum Flottenhauptquartier«, sagte McLane. »Das haben wir uns schon gedacht«, entgegnete Ontox lächelnd. »Han Tsu-Gol erwartet Sie bereits am Bildschirm. Ich führe Sie hin.« *
Han Tsu-Gol schwieg lange, als Cliff McLane seinen Bericht beendet hatte. Es war deutlich zu sehen, daß es in dem Politiker arbeitete. »Das ist übel, Cliff«, sagte er schließlich mit gerunzelter Stirn. »Und gerade zum jetzigen Zeitpunkt.« »Haben Sie Neuigkeiten vom Mars?« Der Ministerpräsident nickte. »Die 4. Strategische Flotte hat die ersten Hohlräume unter der Planetenoberfläche entdecken können. Sie liegen in Tiefen von zwölf bis fünfzehn Kilometern.« McLane stieß einen Pfiff aus. Katsuro, der neben ihm stand, fragte: »Ist es nicht denkbar, daß die Hohlräume natürlichen Ursprungs sind?« Han Tsu-Gol schüttelte den Kopf. »Leider nein. Die Wissenschaftler sind davon überzeugt, daß wir es mit künstlichen Höhlen zu tun haben. Aber zu dem Mharut. Was schlagen Sie vor?« »Mittlerweile müßte der Roboter unter einem Fesselfeld liegen«, erklärte Cliff. »Wir müssen dennoch vorsichtig sein. Eine Aktivierung des Mharuts unter den jetzigen Umständen wäre tödlich. Wir brauchen ein Spezialistenteam, das unter Wahrung aller Vorsichtsmaßnahmen versucht, den Roboter auseinanderzunehmen, ohne ihn dadurch zu aktivieren. Wenn wir wissen, wie sein innerer Aufbau beschaffen ist, könnte uns das wertvolle Aufschlüsse über die Waffentechnik des Rudraja geben.« »Ich verstehe«, sagte Han Tsu-Gol. »Wir wären eventuell in der Lage, entsprechende Waffenprinzipien zu entwickeln, mit denen wir den Invasoren trotzen könnten. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie
riskant ein solcher Versuch ist, Cliff?« »Allerdings nicht.« »Was meinen Sie dazu, Katsuro?« »Ich kann McLane nur beipflichten«, versicherte der GSD-Direktor. »Also schön, ich schicke Ihnen die Spezialisten. Unternehmen Sie nichts auf eigene Faust, Cliff, bis die Leute bei Ihnen sind.« »Das tun wir nie, Han!« sagte der Commander mit gespielter Entrüstung. »Außer, wenn Sie uns dazu zwingen. Außerdem dürften die Wissenschaftler der Ganymed-Station als Empfangskomitee vollauf genügen, Han. Ich würde mich viel lieber auf dem Mars umsehen.« »Das kann ich mir lebhaft vorstellen, aber es ist mir lieber, Sie und Ihre Crew in der Nähe dieses Roboters zu wissen, bis die Gefahr durch ihn beseitigt ist. Solange werden Sie sich noch gedulden müssen. Noch ist der Mars ruhig.« »Und Mahavira?« »Zerbrechen Sie sich nicht meinen Kopf, Cliff. Mahavira weiß, was er zu tun und zu lassen hat.« »Ihr Wort in Gottes Ohr, Meister der Zuversicht.« Die Männer verabschiedeten sich, und die Bildschirme im Funkraum wurden dunkel. »Es ist so ein komisches Gefühl in der Magengegend, nicht wahr?« fragte Katsuro unvermittelt. »Nicht nur da«, brummte Cliff. Er sah den GSDChef interessiert an. »Wieso fragen Sie?« »Ich habe es auch.« *
Die ORION-Crew hatte sich in die ihr zugewiesenen Quartiere zurückgezogen, nachdem sie lange mit den Wissenschaftlern diskutiert hatte. Nur Mario und Arlene fehlten. Die Crew hatte bis zum Eintreffen der Spezialisten die provisorische Leitung der Station übernommen. Die Nachricht von ihrem Fund hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, und die Wissenschaftler hatten fast alle ihre Arbeiten eingestellt. Man vertraute auf die Fähigkeiten der Raumfahrer um Cliff McLane, denen allein man zutraute, mit der unvermittelt aufgetauchten Bedrohung fertig zu werden. Cliff, Helga, Atan und Hasso saßen in einem Kommunikationsraum beieinander und unterhielten sich über die Situation im Sonnensystem, als ein Bildschirm aufflammte und das geschminkte Gesicht Professor Ontox' erschien. »Han Tsu-Gol für Sie, McLane«, sagte der Wissenschaftler. »Kommen Sie in den Funkraum, oder soll ich gleich ...?« »Geben Sie das Gespräch herüber, Professor«, bat Cliff. »Wenn Han sich jetzt schon wieder meldet, kann das nichts Gutes zu bedeuten haben.« Ontox verschwand vom Schirm. Wenige Sekunden später sah ihn statt dessen die ausdruckslose Miene des Regierungschefs entgegen. »Sie haben Kummer, Han«, erriet Cliff. »Habe ich recht?« »Kummer und das Gefühl, daß es Ärger geben wird.« »Wie dürfen wir das verstehen, Meister der Rätsel?« »Ich habe Ihren Vorschlag bei der Regierung und dem Verteidigungsrat vorgebracht, Cliff.«
»Das war nett von Ihnen, Han. Und wo ist der Haken?« Der Asiate holte tief Luft und verdrehte die Augen. »Kyll Lennard hat beantragt, den Mharut zur Erde überführen zu lassen, weil er nur dort in einem wissenschaftlichen Institut der Raumflotte gründlich genug untersucht werden kann.« »Das darf nicht wahr sein!« fuhr McLane auf. »Sagen Sie nichts, Han. Der Antrag wurde angenommen.« »So ist es, Cliff. Ein Kreuzer der Flotte, die TOPSCORE, ist bereits unterwegs, um den Roboter an Bord zu nehmen.« »Niemals!« Cliff war aufgesprungen. »Das werden wir nicht zulassen, Han. Haben Sie denn vergessen, was der erste Mharut auf der Erde anrichtete? Wollen Sie das riskieren, jetzt, da wir alle Kräfte auf den Mars konzentrieren müssen?« »Beruhigen Sie sich, Cliff! Ich kann doch nichts gegen den Beschluß ausrichten! Verstehen Sie doch!« »Ich verstehe nur, daß wieder einmal ein Haufen von Theoretikern den hoffnungslosen Versuch unternommen hat, mit dem zu arbeiten, was man bei normalen Menschen ›Hirn‹ nennt. Ich hätte gute Lust ...« »McLane!« »Er hat doch recht!« fuhr Helga Legrelle dem Regierungschef ins Wort. »Lennard ist Minister für Wissenschaft und Forschung! Er hat keine Ahnung, was hier draußen im Weltraum vorgeht. Wenn Sie als Regierungschef nicht in der Lage sind ...« »Ich brauche mir von einer Raumschiffscrew keine Belehrungen über meine Kompetenzen geben zu lassen«, sagte der Asiate beherrscht. »Ehrlich, Han: was halten Sie von dem Beschluß?
Ich frage Sie nicht als Politiker, sondern als Mensch.« »Sie sind ein Fuchs, Cliff.« »Und Sie tun mir ehrlich leid, Han. Sie brauchen nichts zu sagen, ich weiß es auch so, daß Sie sich des Wahnsinns bewußt sind, der hinter dem Unternehmen steckt. Ich schlage einen Kompromiß vor: Unsere liebe Helga wird jetzt gleich in die Funkzentrale der Station gehen und dort eine Funkstörung vortäuschen. Das sind zwar nicht unsere Methoden ...« »Gott bewahre!« murmelte Han Tsu-Gol voller Ironie. »... aber dadurch sind Sie von jeglicher Verantwortung für das befreit, was hier passieren wird, wenn die TOPSCORE über Ganymed auftaucht.« Cliff gab Helga hinter dem Rücken einen Wink, und die Funkerin der ORION schlich sich, für Han nicht sichtbar, aus dem Raum. »Das geht zu weit, Cliff. Ihre Funkstörungen haben sich bereits im Flottenhauptquartier herumgesprochen, das nimmt mir niemand mehr ab.« »Das Mißtrauen war schon immer eine Untugend der Menschen«, entgegnete Cliff mit geheimnisvollem Lächeln. »Han, ich beschwöre Sie. Achten Sie auf den Mars, mit dem Mharut werden wir schon fertig. Und auf die Gefahr hin, daß ich mich wiederhole: achten Sie auf Mahavira. Wir kennen solche Männer. Es hat Sie lange vor Ihrer Geburt gegeben, und immer wieder waren es diese Leute, die ...« »Hol's der Teufel«, grinste Atan, als der Bildschirm plötzlich verblaßte. »Schon wieder eine Funkstörung.« Cliff grinste nun auch, wurde aber schnell wieder ernst. »Es wird wirklich Ärger geben, Freunde. Je nach-
dem, wer die TOPSCORE kommandiert, sogar großen Ärger. Gott sei Dank scheint ein großer Teil der Wissenschaftler auf unserer Seite zu stehen.« Helga kam zurück und lachte spitzbübisch. »Immer noch Alpträume, Cliff?« fragte Hasso Sigbjörnson. »Sie werden immer schlimmer, Hasso. Irgendwo geschieht etwas oder es wartet etwas darauf, gegen uns aktiv zu werden. Und wir stehen vor einer Wand aus Unfähigkeit!« »Leandra de Ruyter«, murmelte Hasso. »Das ist eine Frau! Sie gehörte an Stelle von Han auf den Stuhl des Ministerpräsidenten.« »Laß nur«, beschwichtigte Cliff. »Han hat keine leichte Aufgabe, ich möchte nicht an seiner Stelle sein. Und die Admiralin wird alle Hände voll zu tun haben. Sie kann uns auch nicht helfen.« »Was hast du vor?« wollte Atan wissen. »Das werden wir sehen. Zunächst werde ich Ontox bitten, Mario und Arlene durch zwei seiner Leute ablösen zu lassen. Wir brauchen sie, wenn es hier losgeht.« »Danke, Meister«, sagte Hasso mit wissendem Lächeln. »Mehr wollte ich gar nicht hören.« * Die Stunden bis zum Eintreffen der TOPSCORE waren von teilweise heftig geführten Diskussionen zwischen der ORION-Crew einerseits und dem Personal der Ganymed-Station andererseits gekennzeichnet. Der größte Teil der Wissenschaftler stand auf McLanes Seite, aber inzwischen hatte sich ein starker Block gebildet, der dafür plädierte, den Mharut abtrans-
portieren zu lassen. Sie machten den Vorschlag, den gefährlichen Roboter an Bord der ORION oder der TOPSCORE aus dem Sonnensystem befördern zu lassen und ihn dort auseinanderzunehmen, aber dieser Vorschlag war, so sympathisch er der ORION-Crew erschien, undurchführbar. Die ORION hatte ihren Platz im Sonnensystem, und die TOPSCORE war an die Weisungen der Erdregierung gebunden. Dann wurde das Auftauchen des Kreuzers wenige hundert Kilometer über Ganymed gemeldet. Die ORION-Crew und Katsuro begaben sich, begleitet von einigen Wissenschaftlern, zu denen auch Turner und Professor Ontox gehörten, in den Funkraum. »Ein gewisser Kommandant Nascom Brenthor will Sie sprechen, McLane«, sagte eine grüngeschminkte Frau an den Geräten. »Nascom Brenthor? Nie gehört. Lassen Sie hören, was er will.« Bildmonitoren erwachten zum Leben und zeigten das harte Gesicht eines Offiziers der Raumflotte. Der Mann nickte kurz und stellte sich vor. »Sie müssen Cliff McLane sein«, stellte er fest. »Kaum zu glauben, aber wahr«, entgegnete Cliff sarkastisch. Der Offizier ging nicht darauf ein. »In wenigen Minuten legen wir an der Station an, um den Roboter abzuholen, Oberst. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Burschen schon bereithalten würden, so daß wir ihn gleich verstauen können.« »›Den Burschen‹!« preßte Hasso hervor. »Hat dieser Mensch überhaupt eine Ahnung, wovon er redet?« »Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Brenthor«, empfahl Cliff mit erzwungener Ruhe. »Wir denken nicht
daran, den Mharut herauszugeben, damit sie ›den Burschen‹ zur Erde schaffen können. Ich gebe Ihnen einen wirklich guten Rat, Brenthor: drehen Sie ab und fliegen Sie zur Erde zurück. Wenn man Sie fragt, weshalb Sie ohne den Mharut kommen, dann sagen Sie einfach, wir seien schon dabei, ihn auseinanderzunehmen und könnten es aus Sicherheitsgründen nicht verantworten, den Roboter wieder zusammenzubasteln, weil er dabei zwangsläufig aktiviert würde.« Brenthor schien einen kurzen Moment lang verwirrt. Dann entblößte er eine Reihe strahlendweißer Zähne und produzierte etwas, das eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Lächeln hatte. »Jetzt verstehe ich, was die auf der Erde meinten, als sie mich vor Ihnen warnten, McLane. Die Leute sagten uns, daß Sie ein Querulant seien und Schwierigkeiten machen würden. Wir haben uns darauf vorbereitet, McLane.« Cliff atmete tief durch und ballte die Hände zu Fäusten. »Junger Mann«, sagte Cliff so ruhig wie möglich, »ich habe versucht, Ihnen eine goldene Brücke zu bauen. Aber es geht auch anders. Wenn Sie unbedingt landen wollen, können wir Sie nicht daran hindern. Aber Sie bekommen den Mharut nicht. Wenn Sie sich also eine Blamage ersparen wollen, dann drehen Sie ab und gehen Sie auf meinen Vorschlag ein. Wir nehmen die Angelegenheit auf unsere Kappe, Ihnen wird niemand einen Vorwurf machen können.« »Geben Sie's auf, McLane. Und jetzt holen Sie den Robot. Wir landen.« »Laß mich mit ihm reden, Cliff«, bat Mario und stellte sich neben den Commander.
»Nun hören Sie 'mal gut zu, Sie aufgeblasener ...« Aber der Kommandant der TOPSCORE schien nicht gewillt zu sein, sich Marios Komplimente anzuhören. Die Bildschirme wurden schlagartig dunkel. »Hat man Töne?« fragte Mario fassungslos. »Nimm's nicht so tragisch«, tröstete ihn Cliff. »Die TOPSCORE kann den Mharut gar nicht ohne unseren Willen abtransportieren.« »Wieso das?« erkundigte sich Katsuro, der das Rededuell scheinbar unbeteiligt verfolgt hatte. »Nur mit Hilfe des V'acora war es uns möglich, die Kuppelhalle zu betreten. Sie haben an Mario gesehen, was geschieht, wenn jemand ungeschützt an die Anlage herantritt. Jetzt tragen die beiden Wissenschaftler, die den Mharut bewachen, das Amulett bei sich. Wir müssen es uns schnellstens holen, bevor dieser Brenthor dahinterkommt.« »Das ist nicht nötig, Cliff«, murmelte Mario fast unhörbar. »Wieso nicht?« Der Kybernetiker versuchte, McLanes Blick auszuweichen. »Heraus mit der Sprache, Mario. Wieso ist es nicht nötig, das V'acora zurückzuholen?« »Weil ... weil ...« Mario de Monti breitete die Arme zu einer verzweifelten Geste aus. »Ich muß dir etwas beichten, Cliff. Als wir abgelöst wurden, vergaß ich, den beiden Wissenschaftlern das Amulett zu übergeben. Es fiel mir erst wieder ein, als wir schon draußen waren. Du kannst dir vorstellen, welchen Schrecken ich bekam.« »Und weiter?« fragte Cliff ahnungsvoll. »Nun ... wir riefen sie über Funk an, und zu unse-
rer Erleichterung berichteten sie, daß sie keinen fremden Einfluß spürten. Die Station muß ihre Abwehrmechanismen außer Kraft gesetzt haben, ohne daß wir es bemerkt haben.« »Also, wo ist das V'acora?« Mario fuhr mit der Hand in die Brusttasche seiner leichten Kombination. Dann brachte er das Armband zum Vorschein. »Das kann ja heiter werden«, sagte Cliff nur. Einer der Wissenschaftler meldete sich und berichtete, daß die TOPSCORE soeben direkt neben der ORION IX gelandet war. * Die ORION-Crew und die Wissenschaftler der Ganymed-Station hatten keine Chance. So entschlossen der Kommandant der TOPSCORE auf den Bildschirmen gewirkt hatte, so brutal ging er bei der Ausführung seines Auftrags vor. Kaum daß die TOPSCORE gelandet war, ließ Brenthor ein Kommando schwerbewaffneter Raumsoldaten ausschwärmen und die Station besetzen. Cliff McLane erkannte die Lage und befahl, keine Gegenwehr zu leisten, um ein Blutbad zu vermeiden. Cliff brachte es trotz der ernsten Situation nicht fertig, auf Menschen schießen zu lassen. Einige der durch den Mharut eingeschüchterten Wissenschaftler führten Brenthors Soldaten willig zu dem freigelegten Zugang zur Nebenstation und in die Kuppelhalle. Die ORION-Crew mußte ohnmächtig zusehen, wie der Roboter in die TOPSCORE geschafft und abtransportiert wurde. Die Soldaten zogen sich im Schutz ihrer Waffen zurück und verschwanden im
Teleskoplift des Kreuzers. Ohne eine weitere Kontaktaufnahme startete die TOPSCORE mit ihrer tödlichen Fracht. »So sind wir noch nie abgeschmettert worden«, fluchte Hasso. Cliff McLane preßte die Zähne zusammen. »Du hättest uns schießen lassen sollen«, warf Mario dem Commander vor. »Sie sind zwar Menschen, aber durch ihr Verhalten beschwören sie eine furchtbare Gefahr für alle Menschen herauf. Vielleicht hätte allein der Anblick unserer Waffen schon genügt, um sie zur Vernunft zu bringen.« Cliff schüttelte den Kopf. »Die nicht, Mario. Es wäre nicht ohne Tote über die Bühne gegangen.« »Zumindest weiß ich, was ich jetzt zu tun habe«, meldete sich Tunaka Katsuro. »Das freut mich«, sagte McLane. »Bisher haben Sie nämlich geschlafen, Katsuro-san.« »Sie haben recht. Die Art und Weise, wie die Regierung uns überfahren hat, ist ein Skandal. Der GSD wurde nicht einmal zu Rate gezogen! Ich werde sofort mit Han sprechen und protestieren. Natürlich hilft uns das nicht mehr, aber die Herren sollen wissen, was man hier von ihrer Art hält, Entscheidungen zu treffen!« Wütend verließ der GSD-Direktor den Raum und bat einen Funker, ihm eine Verbindung zur Erde zu schaffen. »Der ist ganz schön sauer«, kommentierte Atan. »Er hat recht«, sagte Cliff. »Aber es ist zu spät.« *
Ganymed war von den Bildschirmen der TOPSCORE bereits verschwunden. Nach der vorläufig letzten Kurskorrektur wandte Kommandant Nascom Brenthor sich von der Bildplatte ab, ging zu einem Automaten und tippte ein paar Wahltasten. Sekunden später entnahm er dem Ausgabeschlitz einen Becher mit Fruchtsaft. Der Astrogator des Kreuzers stand ebenfalls auf und stellte sich zu Brenthor. »Denen haben Sie's gegeben, Nascom. Es wurde Zeit, daß dieser McLane einmal gezeigt bekam, daß er sich nicht andauernd als unser großer Lehrmeister aufspielen kann.« Brenthor sah sein Gegenüber fast traurig an. »Sie haben gar nichts verstanden, Skoran. Glauben Sie im Ernst, ich hätte etwas gegen diese Burschen von der ORION? Ich gäbe einiges dafür, 'mal ein paar Einsätze auf diesem Teufelskahn mitfliegen zu können.« »Aber wie Sie McLane abgefertigt haben ...« »Es fiel mir bestimmt nicht leicht. Wir haben einen Auftrag, Skoran, und den müssen wir ausführen. Nur darum geht es. Und da ich mich auf der Erde über McLane informierte, wußte ich, daß ihm mit Argumenten und guten Worten nicht beizukommen ist. Wir hatten den Überraschungseffekt auf unserer Seite, das war alles. McLane würde niemals einfach auf Menschen schießen lassen. Es war ein Pokerspiel, und wir haben gut geblufft und gewonnen.« »Heißt das, daß wir uns zurückgezogen hätten, wenn man sich gewehrt hätte?« »Notfalls ja«, sagte Brenthor. »Respekt!« sagte der Astrogator anerkennend. In diesem Augenblick ertönte ein Rufsignal. Der
Bordfunker tippte zwei Tasten. Dann stand das Gesicht eines jungen Kadetten auf dem Schirm. »Östay«, wunderte sich der Kommandant. »Einer der Männer, die den verdammten Roboter im Frachtraum bewachen sollten.« Brenthor trat an seinen Platz und wandte sich direkt an den Kadetten. »Was gibt's, Östay? Haben Sie Schwierigkeiten?« »So kann man es nennen. Der ... der Mharut ist verschwunden.« Brenthor ließ den Becher fallen. Seine Augen waren weit aufgerissen, als er sich nach den genauen Umständen erkundigte. »Die Feldprojektoren begannen zu flackern, dann fielen die Geräte aus. Wir kümmerten uns um den Defekt, konnten aber nichts feststellen. Dafür schrie Kemmler plötzlich auf. Als wir uns umdrehten, war der Roboter verschwunden!« »Bleiben Sie am Gerät«, sagte Brenthor. »Ich rufe gleich zurück.« Nacheinander fragte der Kommandant alle Abteilungen des Raumschiffs ab, aber nirgendwo hatte jemand den Mharut gesehen. »Das war es, was McLane befürchtete!« stieß Brenthor leise hervor. »Der Mharut ist aktiviert, irgend etwas hat ihn geweckt.« »Das ist unmöglich«, warf Skoran ein. »Wir haben alle Sicherheitsmaßnahmen getroffen.« »Wir müssen die Nerven behalten.« Nascom Brenthor tippte die Ruf taste zum Frachtraum, aber die Schirme blieben dunkel. Der Kommandant versuchte es immer wieder. »Östay würde niemals ohne Befehl seinen Posten verlassen, nicht wahr?« fragte er tonlos.
»Ganz bestimmt nicht«, sagte der Astrogator mehr zu sich selbst. Plötzlich legte sich das Grauen wie ein eisiger Schleier über die Zentrale der TOPSCORE. Irgendwo im Schiff befand sich der reaktivierte Mharut, und jeder der Raumfahrer konnte das nächste Opfer sein. »Kursänderung!« befahl Brenthor knapp. »Wir steuern das Schiff aus dem Sonnensystem.« Aber sie kamen nicht mehr dazu, den Befehl auszuführen ...
3. Nicht nur an Bord der TOPSCORE braute sich das Unheil zusammen. Die 4. Strategische Raumflotte, kurz »Wega-Flotte« genannt, bildete immer noch eine Schale um den Mars, während einzelne Spezialschiffe mit hochwertigen Detektoren umfangreiche Ortungen durchführten. Im Lauf der letzten beiden Tage waren mehrere riesige Hohlräume festgestellt worden, die in Tiefen von zwölf bis fünfzehn Kilometern unter der Oberfläche lagen und bisher unentdeckt geblieben waren. Admiral Mahavira verfolgte die Aktionen seiner Mannschaften von seinem Flaggschiff aus. Vor 27 Stunden hatte er in aller Eile zusammengestellte Stoßtrupps auf den inzwischen evakuierten vierten Planeten bringen lassen, die mit hochmodernen Fahrzeugen ausgerüstet waren, sogenannten »Maulwürfen«. Diese »Maulwürfe« waren schwer gepanzert und isoliert und in der Lage, sich mit Energiefräsen durch härtestes Gestein zu fressen und hohe Drücke und Temperaturen von den Besatzungen fernzuhalten. Die Stoßtrupps hatten den Befehl erhalten, sich durch die Planetenkruste bis zu den Hohlräumen vorzuarbeiten. Dort sollten sie, falls die Hohlräume sich als künstlich angelegt erwiesen, atomare Sprengladungen anbringen und zurückkehren. Anschließend würde Mahavira die Ladungen durch Funkimpulse zünden lassen. »Wie lautete die letzte Meldung der Stoßtrupps?« erkundigte sich Admiral Mahavira mit näselnder Stimme bei einem der Offiziere, von denen es in der
großen Zentrale des Flaggschiffs wimmelte. Mahavira, ein schlanker, mittelgroßer Mann mit feingliedrigen Händen, braunem, asketisch wirkendem Gesicht und stechenden Augen, stand in Feldherrenpose vor dem Kommandopult und beobachtete die große Bildplatte, über die ständig Daten geliefert wurden. »Die Maulwürfe haben die vorgesehene Tiefe fast erreicht, Admiral«, erklärte der Mann. »Die Meldung kam vor vier Minuten.« Ein zufriedenes Lächeln huschte über die harten Züge des Admirals. Bisher war alles reibungslos verlaufen. Mahavira zweifelte nicht daran, daß sie tatsächlich auf Feindbasen gestoßen waren. Sie würden sie ausheben und kurzen Prozeß machen. Die Aktion verlief genauso, wie der Admiral sich das vorgestellt hatte. Diesmal würde er im Rampenlicht stehen, und gewisse Kreise im Flottenhauptquartier und in der Regierung würden endlich merken, was Mahavira selbst schon lange wußte: daß er ein überlegener Flottenführer war und durchaus imstande, die Menschheit auch ohne Hilfe von Leuten zu schützen, die eigentlich gar nicht in diese Zeit gehörten. Doch ganz so einfach schien das Schicksal es dem Admiral nicht machen zu wollen. »Die CAPELLA meldet sich«, sagte plötzlich der Funkoffizier. »Die scheinen sehr aufgeregt zu sein, wenn ich mir die Bemerkung gestatten darf.« Mahavira nickte dem Offizier auffordernd zu. Die CAPELLA war eines der 15 Spezialschiffe, die in extrem niedriger Höhe über dem Mars ihre Positionen bezogen hatten und die Aktionen der Maulwürfe mit ihren Spezialortungsgeräten verfolgten. Außerdem
hatten sie auf eventuelle Aktivitäten unter der Planetenkruste zu achten. »Ich höre«, sagte der Admiral herablassend, als das Gesicht einer Frau auf den Schirmen erschien. Sie trug die Kombination der Flotte. »Die telemetrische Überwachung hat vor wenigen Augenblicken festgestellt«, begann sie nach einer knappen Vorstellung, »daß die Temperatur in den Maulwürfen sprunghaft auf 5000 Grad Kelvin angestiegen ist.« Mahavira wurde bleich. »Was reden Sie da? Das ist unmöglich. Die Kommandos stehen kurz vor ihrem Ziel. Außerdem hatten sie Notrufe gesendet, wenn ihnen eine Veränderung in ihren Fahrzeugen aufgefallen wäre!« »Ich teile Ihnen mit, was die Instrumente der telemetrischen Fernüberwachung anzeigen, Admiral«, beharrte die Frau. »Warten Sie!« befahl Mahavira knapp. Dann gab er seinem Funkoffizier ein Zeichen. »Stellen Sie eine Verbindung zu den Stoßtrupps her!« Der Offizier zuckte resigniert die Schultern. »Ich habe es bereits versucht, Admiral. Der Funkkontakt ist abgebrochen. Tot, Admiral!« Mahavira verlor für einen kurzen Augenblick die Kontrolle über sich und stieß eine Reihe von Verwünschungen aus. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt. »Versuchen Sie es weiter. Funken Sie jeden Maulwurf einzeln an!« Der Funkoffizier bestätigte und machte sich an die Arbeit. Seine Miene verriet, wie er die Erfolgsaussichten beurteilte.
Wenige Minuten später waren die letzten Hoffnungen geschwunden und die letzten Zweifel beseitigt. Keiner der Maulwürfe meldete sich mehr auf Anrufe. Für Admiral Mahavira ließ die Situation nur einen einzigen Schluß zu. Er wurde durch eine schnell durchgeführte Computerrechnung bestätigt. »Wir haben von nun an davon auszugehen«, erklärte der Admiral, »daß die Besatzungen der Maulwürfe durch Feindeinwirkung umgekommen sind.« Mahavira machte eine Kunstpause. Er wußte, daß sein Bild in alle Schiffe der 4. Strategischen Flotte übertragen wurde. »Da als sicher gilt, daß niemand von unseren Stoßtrupps mehr lebt, ordne ich hiermit den massierten Strahlenbeschuß auf jene Gebiete der Marsoberfläche an, in denen unterirdische Hohlräume angemessen wurden. Bleiben Sie an Ihren jetzigen Positionen, Sie erhalten alle erforderlichen Daten direkt aus der Feuerleitzentrale meines Flaggschiffs. Wir arbeiten mit Simultanbeschuß. Alles weitere von meinem Feuerleitoffizier. Ende.« Nur wenige der in der Zentrale versammelten Frauen und Männer konnten den Schrecken verbergen, den ihnen der Befehl ihres Admirals versetzt hatte. Aber Mahavira kümmerte sich nicht um Gefühle. Der Gegner hatte ihn herausgefordert und den ersten Schritt getan. Er, Admiral Mahavira, würde dem Spuk schnell ein Ende bereiten. Der Admiral beugte sich über die große Bildscheibe in der Mitte der Zentrale und beobachtete. Für ihn gab es keinen Zweifel daran, daß die endgültige Vernichtung des Feindes nur eine Frage der richtigen Dosierung der Strahlsalven war.
Das Gesicht des Feuerleitoffiziers erschien auf einem kleinen Monitorschirm. Der Mann sah Mahavira abwartend an. Der Admiral gab das Zeichen. Fast im gleichen Augenblick traten die Geschütze aller Schiffe gleichzeitig in Aktion, die die Oberfläche des roten Planeten in eine brodelnde Gluthölle verwandelten. * Auf der Erde schlug die Nachricht über Mahaviras Vorgehen wie eine Bombe ein. Ohne Absprache mit den Ministern befahl Han Tsu-Gol dem Admiral, den Beschuß unverzüglich einzustellen und sich mit der Flotte auf eine Position zwischen Erde und Mars zurückzuziehen. Erst nach einem heftigen Wortgefecht gehorchte Mahavira. Trotzdem hatten die Geschütze seiner Schiffe in der knappen Viertelstunde des Beschusses große Teile der Marsoberfläche in glutflüssige Lava verwandelt und tiefe Furchen in die Planetenkruste gefressen. Nur langsam erkaltete die Lava wieder. Große Flächen würden auf Jahrhunderte hinaus verwüstet sein. In aller Eile wurde der Krisenstab der Regierung und des Verteidigungsrats zusammengerufen, wo es ebenfalls zu erregten Diskussionen über die Vorfälle auf dem Nachbarplaneten kam. Es konnte jetzt keinen Zweifel mehr daran geben, daß tatsächlich tief unter der Oberfläche des Mars Basen einer fremden Macht, eines alten Hilfsvolkes des Rudraja lagen. Mitten in die Wortgefechte hinein platzte die nächste Hiobsbotschaft.
4. »Ich habe Sie oft genug gewarnt, Han, und ich hätte gute Lust, Ihnen den ganzen Kram vor die Füße zu werfen und mit der Mannschaft einen unbegrenzten Urlaub anzutreten, weit weg von hier.« Der Ministerpräsident versuchte gar nicht erst, seine Hilflosigkeit zu verbergen. »Ich weiß, daß es ein Fehler war, Cliff. Aber was hätten Sie denn tun können, wenn Sie an meiner Stelle gewesen wären?« »Können Sie sich das nicht denken, Han?« »Doch, Cliff, das kann ich.« »Also rekapitulieren wir noch einmal«, sagte McLane. »Mahavira hat wieder einmal gezeigt, welch genialer Stratege er ist, nachdem die Stoßtrupps offensichtlich durch Feindeinwirkung zerstört wurden. Kaum hatten Sie ihn zurückgepfiffen, als auch schon die Meldung von der Raumüberwachung kam, daß die TOPSCORE mit dem Mharut an Bord ihren Erdkurs verlassen und nun Kurs auf den Mars genommen hat.« »Genau, Cliff. Die TOPSCORE reagiert nicht mehr auf Anrufe.« »Da haben wir den Schlamassel«, flüsterte Mario de Monti Atan zu. Die gesamte ORION-Crew war, ebenso wie Tunaka Katsuro, im Funkraum der Ganymed-Station versammelt. »Was das bedeutet«, sagte Cliff, »können Sie sich selbst ausrechnen. Der offensichtlich erwachte Mharut ist mit der TOPSCORE zum Mars unterwegs, wo eine Invasionsarmee des Rudraja auf ihre Aktivie-
rung wartet. Und nun fällt Ihnen wieder ein, daß die ORION IX noch auf Ganymed steht, weil wieder einmal die Karre in den Dreck gefahren wurde.« »Nicht doch, Cliff!« rief Atan aus dem Hintergrund. »Schockiere den Herrn Ministerpräsidenten nicht mit unseren Jargonausdrücken, heute ist so etwas verpönt.« »Machen Sie nur Ihre Scherze«, preßte Han heraus. »Mir ist nicht danach zumute.« Cliff McLane fuhr auf. »Und uns ist nicht danach zumute, je nach Situation und Brauchbarkeit von Ihnen mit Zuckerbrot oder Peitsche behandelt zu werden. Und damit stehen wir nicht allein da. Fragen Sie Katsuro, was er von Ihrer wechselnden Sympathie hält!« Der GSD-Direktor winkte ab. Er sympathisierte zwar mit der ORION-Crew, hatte aber Angst vor der letzten Konsequenz. Cliff war in Rage geraten. Die gesammelte Wut der letzten Stunden verschaffte sich jetzt Ausbruch. »Einverstanden, Han. Wir werden uns um die Angelegenheit kümmern, aber auf unsere Weise. In der parallelen Raumkugel erhielten wir den Auftrag, uns um die Erde und ihre Bewohner zu kümmern. Aber es fällt uns verdammt schwer, immer wieder die Dummheiten anderer auszubügeln.« »Beruhigen Sie sich doch, Cliff!« rief Han beschwörend. »Will es denn nicht in Ihren Kopf hinein, daß es Sie nicht gerade sympathischer macht, wenn die Regierung immer wieder das Gefühl haben muß, mit der urplötzlich von den Toten auferstandenen ORION-Crew eine ... eine Gegenregierung akzeptieren zu müssen?«
Cliff wurde mit einem Schlag vollkommen ruhig. Er starrte Han bestürzt an. »Ist das tatsächlich Ihre Meinung?« Han machte eine verzweifelte Geste. »Es ist mir so herausgerutscht, Cliff. Haben Sie denn immer noch nicht gemerkt, daß ich im Grunde auf Ihrer Seite stehe?« »Ich würde vorschlagen, die Diskussion auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen«, sagte Katsuro. »Es brennt lichterloh, und Sie streiten sich über Kompetenzfragen!« Cliff sah den GSD-Direktor dankbar an. »Sie haben recht, Katsuro-san. Also schön, Han. Ich nehme an, die bösen Buben von der ORION IX sollen jetzt versuchen, die TOPSCORE aufzuhalten und umzudirigieren.« Der Regierungschef atmete sichtlich erleichtert auf. »Genau das, Cliff. Wenn die TOPSCORE den Mars unbehelligt erreicht, ist das der Beginn der Invasion.« »Was Sie nicht sagen«, brummte Mario hinter Cliff. »Das muß ihm der Wind geflüstert haben.« »Wirklich, Cliff«, sagte Han Tsu-Gol. »Es ist nicht leicht mit Ihnen.« Jetzt schmunzelte der Oberst. »Das hat unser früherer Chef auch immer gesagt. Trotzdem kamen wir miteinander aus.« »Wamsler, nicht wahr?« »Wieso fragen Sie, Sie kennen doch die Geschichte.« Han winkte hastig ab. »Vergessen Sie's. Also, Cliff. Nehmen Sie die Verfolgung der TOPSCORE auf und verhindern Sie, daß der Kreuzer den Mars erreicht.«
»Wieso lassen Sie eigentlich nicht unseren wackeren Admiral auf den Kreuzer los?« fragte Cliff sarkastisch. »Mahavira steht mit seiner Flotte zwischen Erde und Mars. Er würde die TOPSCORE niemals vor ihnen erreichen können.« »Noch eines, Han: Ich verlange alle Handlungsvollmachten.« Der Regierungschef schlug die Hände vor die Augen. Erst nach zehn Sekunden nahm er sie wieder weg und nickte, wobei er eine Miene aufsetzte, als ob er jeden Moment zu weinen anfangen würde. »Sie haben die Vollmachten, Cliff, und nun starten Sie endlich!« »In Ordnung, Han. Wir werden den Tiger jagen!« Cliff wartete ab, bis die Verbindung unterbrochen war, dann drehte er sich grinsend zu seinen Gefährten um. »Na also, die Erde braucht uns wieder.« »Sie zu begreifen, McLane, werde ich wohl niemals schaffen«, stöhnte Katsuro. »Wie kann man in einer solchen Situation seine Scherze machen?« »Geben Sie die Hoffnung nicht auf, Katsuro-san. Wir sind zwar hoffnungslose Fälle, aber eines Tages werden Sie uns vielleicht verstehen. Ich nehme an, Sie wollen uns begleiten?« »Was habe ich schon zu verlieren«, meinte der GSD-Chef resigniert. Eine halbe Stunde später war die ORION IX im Weltraum. *
»Das wird knapp!« fluchte Atan. »Die haben einen zu großen Vorsprung.« »Wir schaffen es«, beruhigte Cliff den Astrogator. »Hasso, was sagen deine Maschinen?« »Sie ächzen und stöhnen«, berichtete Hasso Sigbjörnson vom Maschinenleitstand über Videophon. »Viel ist nicht mehr drin.« »Hole alles heraus, was du kannst. Wir müssen sie erreichen, bevor sie in die kritische Nähe des Mars geraten.« »Hast du dir schon einmal überlegt, daß in der TOPSCORE vielleicht niemand mehr am Leben ist?« fragte Mario von seinem Platz aus. »Ich meine, wenn wir davon sprechen, daß der Mharut sie umgebracht hat, könnten wir einfach ein paar ...« »Das kommt nicht in Frage«, schnitt der Commander ihm das Wort ab. »Solange auch nur ein Funke Hoffnung besteht, werden wir nicht auf den Kreuzer schießen.« Auf der Bildplatte war ein schwacher Punkt zu sehen. Die Zahlenwerte nahmen ständig ab, aber immer noch zu langsam. »Wir brauchen mehr Dampf, Hasso!« »Wenn du hören würdest, wie sie leiden, meine Kinderchen«, protestierte Sigbjörnson. »Sie fliegen schon jetzt bald auseinander.« »Wenn wir die TOPSCORE erreicht haben, bekommen sie von mir eine Tüte Zuckerstangen, aber dafür müssen sie sich noch etwas mehr anstrengen.« Sigbjörnsons Bild verschwand von dem kleinen Schirm des Videophons. Die Entfernungswerte nahmen bald darauf immer schneller ab. Der Ortungsreflex auf der Bildplatte wurde stärker.
»Wir müßten sie bald sehen können«, sagte Atan. Arlene trat an ein Bedienungspult und drückte ein paar Tasten. Die Bildplatte zeigte den Weltraum. Der Mars stand genau in Flugrichtung vor der Kulisse der Sterne. »Dort ist sie!« Atan zeigte auf einen schwach leuchtenden Punkt, der scheinbar bewegungslos vor der Scheibe des Planeten stand. Die auch weiterhin eingespielten Entfernungsangaben bewiesen jedoch, daß der Abstand zur TOPSCORE rapide abnahm. Bei dem Gedanken daran, was sich an Bord des Kreuzers abgespielt haben mochte, lief Cliff McLane eine Gänsehaut über den Rücken. Die Besatzung hatte nicht den Hauch einer Chance gegen den reaktivierten Roboter. Tatsächlich gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder hatte der Mharut die Raumfahrer unter seine Kontrolle gebracht und sie gezwungen, den Kurs zu ändern, oder er hatte sie getötet und die Steuerung selbst übernommen. Von der letzten Möglichkeit wollte Cliff vorerst nichts wissen. Die ORION IX wurde leicht erschüttert, als Hasso noch einmal alle Reserven aus seinen Maschinen herausholte. Dann, nach etwa einer halben Stunde, war die ORION endlich an den Kreuzer heran. »Hast du versucht, die TOPSCORE anzufunken, Helga-Mädchen?« fragte Cliff. »Ich tue seit Minuten nichts anderes. Das Schiff antwortet nicht.« »Das war zu erwarten«, stellte Arlene fest. »Ja«, sagte Cliff. »Wir müssen uns ihnen also auf andere Weise verständlich machen. Wir versuchen,
ihnen den Weg abzuschneiden.« »Kollisionskurs?« fragte Atan. Cliff nickte grimmig. »Wenn die Burschen auch nur einen Funken Verstand bewahrt haben, werden sie ein Ausweichmanöver fliegen. Und wenn sie erst einmal ihren sturen Marskurs verlassen haben, sieht die Angelegenheit schon anders aus.« »Wenn sie noch leben«, unkte Arlene. Mit eingeschalteten Schutzschirmen überholte die ORION IX den Kreuzer, der keine Reaktion zeigte. Der Anblick des monoton seinen Kurs verfolgenden Schiffes hatte etwas Bedrückendes an sich. Die ORION-Crew verfolgte das Manöver schweigend. Jedem von ihnen war bewußt, daß dort, wenige Kilometer von ihnen entfernt, der Tod auf den Mars zuraste. Die TOPSCORE mit dem Mharut an Bord war der Zünder, der den Nachbarplaneten der Erde in wenigen Stunden in eine kosmische Bombe verwandeln würde, wenn es nicht gelang, den Kreuzer aufzuhalten. Über die Motive des Mharuts gab es keine Zweifel. Daß er den Kreuzer auf Marskurs gebracht hatte, bewies, daß der Mharut alle Informationen über die Invasionsbasen unter der Planetenkruste besaß. Er würde nicht zögern, das Signal zur Aktivierung der schlummernden Armee zu geben. Das mußte unter allen Umständen verhindert werden, aber nicht durch die Vernichtung der TOPSCORE. Es mußte einen anderen Weg geben, und das wiederum war eine Aufgabe, die Cliff McLane reizte. Die ORION hatte sich weit vor die TOPSCORE geschoben.
»Na, dann los!« sagte Cliff. Die ORION IX änderte leicht den Kurs und verringerte die Geschwindigkeit. In wenigen Sekunden würde sie dicht vor dem Kreuzer dessen Bahn kreuzen. Aber die TOPSCORE dachte gar nicht daran, sich aufhalten zu lassen. Das Schiff kam nun mit rasender Geschwindigkeit auf die ORION IX zugeschossen. »Volle Kraft, Hasso!« schrie Cliff. Die ORION machte einen gewaltigen Satz nach vorne, als Hasso die Triebwerke aufheulen ließ. Die gesamte Schiffszelle wurde heftig erschüttert. Nur wenige hundert Meter entfernt raste die TOPSCORE am Schutzschirm der ORION vorbei, immer weiter auf ihr Ziel zu. »Das war knapp, Cliff!« sagte Atan mit belegter Stimme. »Sie können es auch anders haben. Vielleicht ändern sie ihre Meinung, wenn wir ihnen ein paar Salven vor den Bug setzen. Werfer frei, Hasso?« »Werfer frei, aber ich sage dir jetzt schon, daß wir keinen Erfolg haben werden. Die TOPSCORE wird nicht von Menschen gesteuert, Cliff!« »Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt!« brüllte McLane. »Entschuldigung, Herr Kommandant«, sagte Hasso beleidigt. Cliff schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich habe es nicht so gemeint, Hasso. Entgegen der allgemeinen Meinung habe auch ich Nerven.« Cliff lachte trocken. »Und außerdem muß der Mharut infolge seiner Programmierung daran interessiert sein, den Mars zu erreichen. Also kann er es sich nicht leisten, daß sein Schiff zerstört wird.«
»Vielleicht weiß der Mharut, daß wir zartbesaitete Wesen sind und vertraut auf unsere Nächstenliebe. Die Tatsache, daß er noch nicht von sich aus das Feuer auf uns eröffnet hat, zeigt immerhin, daß er sich hinsichtlich unserer Schutzschirme und der Wirkung seiner Waffen sehr gut auskennt.« »Das sind Spekulationen. Er könnte uns mit Overkill angreifen. Also versuchen wir's. Nach ein paar Strahlsalven vor den Bug wissen wir mehr.« »Wie der Herr Kommandant befehlen«, meinte Hasso und verschwand vom Monitorschirm. Wieder jagte die ORION an dem Kreuzer vorbei. Dann schossen nacheinander fünf Strahlbahnen direkt vor der TOPSCORE in den Weltraum. Das Schiff zeigte keine Reaktion. Es wich kein Grad von seinem Kurs ab. »Der läßt sich nicht bluffen«, stellte Arlene fest. »Er schaltet noch nicht einmal die Schutzschirme ein!« »Jeder Robotraumer mit einer einigermaßen klaren Programmierung hätte das längst getan«, überlegte Cliff. »Je mehr ich darüber nachdenke, desto sicherer werde ich, daß das Schiff gar nicht mehr in der Lage ist, die Schirme aufzubauen. Wenn es tatsächlich zu einem Kampf auf Leben und Tod in der TOPSCORE gekommen ist, müssen dabei etliche Zerstörungen an Bord erfolgt sein. Ein Mann wie Brenthor gibt nicht kampflos auf.« »Wir verlieren Zeit«, meldete Helga Legrelle. »Wir kommen dem Mars immer näher.« »Es bleibt nur eine Möglichkeit«, drängte Mario de Monti. »Ich habe eine Computerrechnung angestellt, nach der die Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Besatzung noch lebt, knapp unter sechs Prozent liegt.«
»Wir haben Einsätze überstanden, in denen unsere Überlebenschance weniger als ein Prozent betrug«, erwiderte Cliff. »Han ruft uns«, rief Helga dazwischen. »Das habe ich befürchtet. Na schön, schalte ihn auf die Bildplatte.« Zu Arlene gewandt, sagte Cliff: »Sei so nett, Liebling, und mixe uns zwei starke Kaffees.« »Spezialkaffee für besondere Fälle?« fragte sie. »Genau den«, lächelte Cliff. Arlene versuchte, in seiner Miene zu lesen, aber Cliff ließ sich nicht anmerken, was er vorhatte. Han Tsu-Gols markantes Gesicht erschien auf der Bildplatte. »Wie sieht es aus bei Ihnen, Cliff?« Der Commander verzichtete auf alle unnötigen Bemerkungen und erstattete Bericht. Han Tsu-Gol wirkte müde und abgespannt, als er zuhörte. »Dann bleibt uns nur noch die letzte Möglichkeit«, sagte er schließlich. »Ich tue es bestimmt nicht gern, Cliff, aber unter den gegebenen Umständen muß ich Ihnen den Befehl erteilen, die TOPSCORE unverzüglich zu vernichten.« Cliff sah Han in die Augen. »Sie wissen, wie meine Antwort lautet, Han?« »Oh ja, ich weiß es, aber ich muß darauf bestehen. Das ist ein dienstlicher Befehl, der in diesem Augenblick auf Magnetband aufgezeichnet wird. Da hilft Ihnen auch keine Funkstörung mehr.« Cliff hob den Zeigefinger. »Einen Moment bitte, Han. Helga, hast du das Band bereit?« »Selbstverständlich, Commander!« Han Tsu-Gol versuchte, an Cliff vorbei in die Zentrale der ORION zu sehen.
»Was haben Sie sich jetzt wieder ausgedacht?« »Das werden Sie sofort hören. Bitte, HelgaMädchen!« Die Funkerin tippte zwei Tasten. Im nächsten Augenblick ertönte über sämtliche Lautsprecher der Zentrale die Stimme des Regierungschefs. »... Sie haben die Vollmachten, Cliff, und nun starten Sie endlich!« »Das ist nicht fair, Cliff. Ich bestehe ...« »Schließen wir einen Kompromiß, Han. Wir werden versuchen, auf unsere Art die Landung der TOPSCORE zu verhindern. Sollte uns das nicht gelingen, werden wir den Kreuzer in dem Augenblick zerstören, in dem er die Marsatmosphäre erreicht. Ist das ein Vorschlag?« »Ich sagte wohl schon, daß Sie ein Fuchs sind, oder?« »In der Tat, Sie sagten es.« »Also schön, Cliff. Sie wissen, was es für uns alle bedeutet, wenn Ihr Spiel ins Auge geht.« Helga schaltete auf ein Zeichen des Commanders hin ab. »Und nun?« fragte Arlene, die mit zwei Bechern dampfenden Kaffees in die Zentrale gekommen war. »Wir nehmen eine LANCET und entern den Kreuzer«, erklärte Cliff. »Mario, darf ich bitten?« Arlene reichte dem Kybernetiker den Becher, der nach Kaffee und Alkohol duftete. * Die LANCET, mit Cliff und Mario an Bord, schoß aus dem diskusförmigen Leib der ORION IX und führte
einige Orientierungsmanöver durch. Dann »trieb« das Beiboot langsam hinüber zur TOPSCORE, was allerdings nur relativ zu den Positionen der beiden Raumschiffe war. »Wir legen per Magnetverankerung an der TOPSCORE an und versuchen, uns einen Einstieg durch eine der Notschleusen zu verschaffen«, sagte Cliff. »Wir sind gewarnt, wenn der Mharut auftauchen sollte.« »Optimist«, murmelte Mario. Cliff steuerte das Beiboot bis auf wenige hundert Meter an den Kreuzer heran. Er richtete die LANCET so aus, daß sie sich langsam mit den Landestützen voran auf die Außenhülle des Diskusschiffs senken würde. »Sie rühren sich immer noch nicht, Cliff. Langsam wird mir die Sache unheimlich.« McLane antwortete nicht und konzentrierte sich auf die Steuerung der LANCET. Auch ihm war alles andere als wohl in seiner Haut. Noch sechzig Meter bis zur TOPSCORE! »Wir dürfen auf keinen Fall riskieren, daß der Mharut an Bord der LANCET und später in die ORION IX gelangt«, sagte Cliff. »Noch einmal soll uns das nicht passieren.« »45 Meter«, las Mario laut ab. Plötzlich schien es, als begänne der Schiffsleib der TOPSCORE zu zittern. »Energieemission!« schrie Mario. »Nichts wie weg, Cliff!« Bevor der Commander eine Antwort geben konnte, sackte die TOPSCORE plötzlich unter der LANCET weg und wurde binnen weniger Sekunden zu einem winzigen Leuchtpunkt vor der Kulisse der Sterne.
»Sie weichen aus«, stellte Mario verwirrt fest. »Was soll das nun wieder? Das paßt nicht zu ihrem bisherigen Verhalten.« Cliff rief die ORION. »Kursangleichung, wir folgen der TOPSCORE. Vielleicht ist das eine Chance.« »Sei nicht leichtsinnig, Cliff!« drang es beschwörend aus dem Lautsprecher des Bordfunkgeräts. »Wir treffen uns bei der TOPSCORE, bevor wir sie verlieren!« Der Commander schaltete ab. Im nächsten Augenblick beschleunigte die LANCET und jagte dem Lichtpunkt der TOPSCORE hinterher. Nach nur zwei Minuten war sie wieder bis auf einen Kilometer heran. Neben der TOPSCORE tauchte die ORION IX auf. Wieder begann das Anlegemanöver. Und wieder schoß der Kreuzer mit höchsten Beschleunigungswerten unter dem Beiboot weg. »Es hat keinen Sinn, Cliff!« beschwor Mario de Monti den Commander. »Laß uns zurück in die ORION fliegen. Wenn überhaupt, so können wir nur mit dem Schiff etwas ausrichten. Wir geraten immer näher an den Mars.« Cliff sah durch eine der transparenten Bullaugen der LANCET. Der Mars stand als große Scheibe vor ihnen im Raum. Schon jetzt waren Einzelheiten auf der Oberfläche zu erkennen. »Du hast recht, Mario. Wir kehren in die ORION zurück«, verkündete Cliff. Er machte sich an den Steuerungsinstrumenten zu schaffen und war gerade im Begriff, sich mit dem Mutterschiff in Verbindung zu setzen, als sich Marios Hand schwer auf seinen Arm legte.
»Cliff, die TOPSCORE ... Sie kehrt zurück!« Der Commander sah auf. Der Kreuzer schwebte mit rasender Beschleunigung auf die LANCET zu, als wollte er sie rammen. Aus den Lautsprechern der Funkanlage kamen die erregten Rufe aus der ORION IX, wo man das wahnsinnige Manöver der TOPSCORE ebenfalls bemerkt hatte. Cliff reagierte blitzschnell. Mit einer Hand schaltete er den Schutzschirm um die LANCET ein, während er gleichzeitig beschleunigte. Das Beiboot machte einen Sprung und brachte sich aus der Gefahrenzone. Die TOPSCORE raste zwischen der LANCET und der ORION IX an dem Beiboot vorbei. Ohne das Ausweichmanöver hätte sie die LANCET voll getroffen und zertrümmert. »Sind die endgültig verrückt geworden?« fluchte Mario, als der Kreuzer sofort wieder verzögerte und die Richtung erneut änderte. Er wurde schon wieder größer und kam rasend schnell näher. »Wir können nicht schießen, ohne euch zu gefährden!« kam es aus den Lautsprechern. »Schon gut, Hasso. Bleibt, wo ihr seid!« Cliff spannte alle Muskeln an und wartete, bis die TOPSCORE fast heran war. Wieder drückte er den Beschleunigungshebel bis zum Anschlag durch und brachte die LANCET im allerletzten Augenblick aus der Kollisionslinie. Aber die TOPSCORE ließ ihnen keine Zeit zum Verschnaufen. Noch während des Vorbeiflugs blitzte es bei dem Kreuzer auf, und mehrere Salven aus den Lichtkanonen des Schiffes fuhren nur wenige Dutzend Meter neben der LANCET durch das All. »Bist du immer noch der Meinung, daß da noch
jemand lebt?« fragte Mario leise. Er hatte Mühe, die Worte herauszubringen, weil Cliff schon wieder beschleunigte. Der Commander wartete nun nicht mehr auf den nächsten Angriff der TOPSCORE, sondern versuchte nun seinerseits, den Gegner zu verwirren. »Nein, Mario«, gab er verbittert zurück. »Solche präzisen Manöver bringt kein Mensch zustande. Das ist nicht mehr die TOPSCORE, sondern der Mharut selbst.« »Ich komme mir vor wie der Bauer im Schachspiel«, keuchte Mario, als die TOPSCORE erneut zum Angriff ansetzte. »Dann wird es Zeit, daß unsere Dame eingreift. Ruf die ORION und sage ihnen, daß ich versuche, die TOPSCORE geschützgerecht zu servieren. Ich bringe sie in Schußposition!« Mario beugte sich über die Kontrollen des Bordfunks und sprach mit der ORION IX, während Cliff begann, verwirrende Manöver zu fliegen, um die TOPSCORE zu irritieren. Doch der Mharut reagierte jedesmal unverzüglich. Der Kreuzer änderte seine Taktik und schoß schon aus der Distanz. Ein Treffer brachte den Schutzschirm der LANCET zum Flackern und erschütterte das Beiboot schwer. »Arlene sagt, daß sie nicht schießen können!« preßte Mario hervor. »Die TOPSCORE scheint zu wissen, was wir vorhaben, und richtet ihren Kurs so aus, daß sie immer entweder vor oder hinter der LANCET steht – von der ORION aus gesehen.« Cliff ließ das Beiboot einige wilde Manöver ausführen, was ihnen einige Sekunden Ruhe brachte. Das Gesicht des Commanders war schweißüberströmt. »Wir haben nur eine Möglichkeit. Wir steigen aus!« »Bist du verrückt? Wir haben nur die leichten
Raumkombinationen an. Wie sollen wir jemals zurück zur ORION gelangen? Außerdem reicht der Sauerstoff nur für kurze Zeit!« Ein weiterer Treffer fuhr in die Schirme der LANCET. Als nur Sekunden später ein Streifschuß die Kapazität der Schirme endgültig überlastete und sie zusammenbrechen ließ, programmierte Cliff eilig einen Kurs und überließ die Steuerung der LANCET der Automatik. Mario fragte nicht mehr lange und stülpte sich ebenfalls den Raumhelm über den Kopf. Noch einmal fuhr eine Strahlbahn gefährlich nahe an ihnen vorbei, dann hatten sie die Luke geöffnet und ließen sich nacheinander in das schwarze Nichts des Weltraums gleiten, der von den Strahlschüssen der TOPSCORE in ein gespenstisches Licht getaucht wurde. Cliff drehte sich langsam um die Körperachse. So konnte er nur unvollständig mitverfolgen, was um ihn herum vorging. Der Mharut schien auf das Täuschungsmanöver hereingefallen zu sein, denn er kümmerte sich offensichtlich nicht um die beiden Raumfahrer, sondern jagte der LANCET nach. Genau sieben Sekunden nach dem Ausstieg der Raumfahrer verging das Beiboot in einer grellen Explosion. Cliff schloß geblendet die Augen. Als er wieder sehen konnte, war die TOPSCORE verschwunden. Nur die Silhouette der ORION IX schimmerte hell vor der Scheibe des Mars. »Das war knapp!« hörte Cliff die Stimme Mario de Montis. Er atmete auf, denn es war nicht auszuschließen gewesen, daß Mario zufällig in einen Schuß hineingeschleudert worden war. »Alles in Ordnung, Mario?«
»Voll tauglich, Herr Kommandant!« »Wo steckst du?« »Keine Ahnung, aber ich sehe die ORION IX. Ich gebe Peilsignale.« »In Ordnung. Von der TOPSCORE haben wir augenblicklich nichts zu befürchten. Ich glaube zu wissen, was der Mharut bezweckte.« »Wir sind hilflos, Cliff. Ohne Flugaggregate kommen wir nie zum Schiff.« »Die können sich auch einmal anstrengen«, gab der Commander zurück. Dann rief er die ORION. »Hier sind zwei Schiffbrüchige auf dem Weg zum Mars. Könnt ihr vielleicht jemanden schicken, der uns aufsammelt?« * »Danke, Liebling«, sagte Cliff McLane und nahm den »Spezialkaffee« aus Arlenes Hand entgegen. Ebenso wie Mario hatte er keine Zeit gefunden, den leichten Raumanzug abzustreifen. Die ORION IX beschleunigte mit Höchstwerten und jagte der TOPSCORE nach, die kurz vor dem Eintauchen in die Marsatmosphäre stand. Cliff trank den Becher genußvoll aus. Dann musterte er Helga Legrelle, bis die Funkerin die Geduld verlor. »Was gibt's da zu starren, Commander McLane?« Cliff lächelte geheimnisvoll. »Die Helden des Kosmos erleiden eine Schlappe nach der anderen, und in dem bezaubernden Köpfchen unserer Funkerin reift die einzig brauchbare Idee, die wir in den letzten Tagen hatten.«
»Abwarten!« rief Mario de Monti von seinem Platz am Bordcomputer, mit dem er einige Planspiele durchführte. »Alter Neidhammel!« kommentierte Atan Shubashi. »Die TOPSCORE taucht übrigens gerade in die Marsatmosphäre ein, falls das jemanden an Bord interessieren sollte.« Cliff verstand die Anspielung, winkte aber ab. »Niemand kann den Kreuzer jetzt noch aufhalten. Der Mharut wußte von Anfang an, was er wollte, als er die LANCET angriff. Er muß so gut über unsere Verhaltensweisen Bescheid wissen, daß er regelrecht Katz und Maus mit uns spielte. Er zwang uns zum Aussteigen, wenn wir nicht in der LANCET umkommen wollten. Als das erreicht war, floh er mit der TOPSCORE, und zwar mit Höchstbeschleunigung. Als ihr uns an Bord geholt hattet, hatte er bereits einen unaufholbaren Vorsprung. Ohne deine Überlegungen sähe es jetzt bitter für uns aus, Helgalein.« »Soll ich eine Verbindung zur Erde herstellen?« fragte die Funkerin. »Noch nicht, wir wollen erst das Ergebnis von Marios Simulationsspielen abwarten, damit wir Han etwas Handfestes liefern können. Also wiederholen wir noch einmal. Du gehst davon aus, daß der Mharut und die Invasionsarmee in den Tiefbasen des Mars nicht zwangsläufig den gleichen Fehler begehen werden wie die Hypnobasis, die die Erde als die Welt des Feindes ansah, weil die Schiffe und Flugzeuge von dort entführt worden waren.« »Richtig«, bestätigte Helga. »Der Erbfeind des Rudraja, und damit des Mharuts, saß zur Zeit des Kosmischen Krieges auf dem fünften Planeten, Vritru.
Die Erde kann gar nicht interessant für das Rudraja gewesen sein, weil es damals mit Sicherheit noch keine Zivilisation – und somit keinen Feind auf unserer Welt gegeben hat.« »Du gehst bei allem davon aus, daß die Invasionsarmee und der Mharut das Kosmische Inferno in desaktiviertem Zustand überstanden und nicht über die Vernichtung Vritrus informiert sind.« »Ebenfalls richtig, denn sonst wäre anzunehmen, daß sie ebenfalls durch die Schwingen der Nacht, die das Erste Weltenende herbeiführten, vernichtet worden wären.« »Das leuchtet ein. Demnach würden die Invasoren, wenn der Mharut sie aktivieren würde, nach dem fünften Planeten suchen, und das ...« »... ist heute der Jupiter!« vollendete Arlene. »Das ist alles schön und gut«, meinte Cliff. »Aber habt ihr euch schon einmal überlegt, daß sich der Mharut an den Bordcomputer der TOPSCORE angeschlossen haben muß, um das Schiff als quasi integrierte Einheit zu steuern? Und dabei muß er zwangsläufig alle Informationen aufgenommen haben, die in dem Rechner gespeichert waren.« »Dann wäre alles verloren«, sagte Arlene. »Allerdings könnten die Speicher der TOPSCORE bei den Kämpfen, die mit Sicherheit im Schiff stattgefunden haben, beschädigt oder gar vernichtet worden sein.« »Ist das nicht ein bißchen zuviel des Guten?« fragte Atan. »Auch wenn der Zufall oft unser bester Verbündeter war, sollten wir ihn nicht überschätzen.« »Vielleicht hat Arlene gar nicht einmal so unrecht«, sagte Cliff. Er stand auf und ging in der Zentrale auf und ab. »Versetzt euch in die Lage des Roboters. Sei-
ne Programmierung muß der des ersten Mharuts ähneln. Demnach müßte er, wenn er über die Erde und die derzeitigen Verhältnisse im Sonnensystem informiert wäre, nicht den Mars ansteuern, sondern die Erde. Er würde versuchen, dort solange zu spionieren, bis er genügend wüßte, um es irgendwelchen Basen des Rudraja in den Tiefen des Weltraums weiterzumelden. Diese Aufgabe hätte zweifellos Vorrang für ihn.« »Und wenn er sich alle benötigten Informationen bereits aus den Speichern der TOPSCORE beschafft hätte?« »Das ist gar nicht möglich!« rief Mario plötzlich in die Zentrale. »Haben wir denn alle ein Brett vor dem Kopf, Freunde? Sobald einer unserer Rechner registriert, daß irgend jemand oder irgend etwas versucht, seinen Speicher anzuzapfen, werden alle Daten, die nicht direkt mit der Navigation zusammenhängen, sofort gelöscht. Der Mharut kann gar nichts über die Erde wissen! Für ihn ist immer noch der fünfte Planet das Nest des Erbfeinds!« »Potzblitz!« staunte Cliff. »Mario verdient einen Orden. Erinnert mich daran, wenn wir Han auf der Erde treffen.« »Rege dich ab«, erwiderte der Kybernetiker. »Auch ohne Speicher wird dem Mharut nicht verborgen bleiben, daß auf der Erde eine hochstehende Zivilisation existiert. Der Roboter wird sich in diesem Fall in einem Zielkonflikt befinden. Entweder aktiviert er die Marsarmee und beordert sie zum Jupiter, oder aber er denkt um und läßt die Erde direkt angreifen, was mit großer Sicherheit der Vernichtung gleichkäme.« »Hast du dies alles in deinen Computer eingegeben?«
»Selbstverständlich, Herr Kommandant! In wenigen Minuten werden wir das Ergebnis haben, und dazu eine vorzügliche Gebrauchsanweisung für unsere künftigen Aktionen.« »Vorerst fliegen wir mit allem, was die Maschinen hergeben, hinter dem Kreuzer her. Aber die Landung können wir nicht mehr verhindern«, stellte Cliff fest. »Wir hätten die TOPSCORE vernichten sollen, als das noch möglich war.« Cliff gab keine Antwort. Die Crew debattierte weiter, bis das Ergebnis aus dem Rechner kam. »Na bitte!« freute sich Mario. »Die Wahrscheinlichkeit spricht eindeutig dafür, daß die Invasionsarmee des Rudraja sich den Jupiter als Angriffsziel aussuchen wird.« »Das ändert alles«, sagte Cliff erleichtert und eilte auf Mario zu. »Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit?« »Du wirst es nicht glauben wollen, Cliff«, sagte Mario nun etwas kleinlaut. »Halte keine Volksreden. Wie hoch?« »50,77 Prozent ...« Cliff starrte seinen Kybernetiker an wie einen Mann, der sich gerade einen Teller Hafergrütze als Henkersmahlzeit bestellt hat. »Und das nennst du eindeutig?« * Der Computer bestätigte Helga Legrelles Überlegungen und lieferte gleichzeitig das Konzept der unter den gegebenen Umständen den größten Erfolg versprechenden Vorgehensweise. Demnach sollte die Erde die im Sonnensystem zusammengezogenen
Flottenverbände zum Jupiter beordern, wo sie dem zu erwartenden Angreifer ein Scheingefecht liefern sollte. Auf diese Weise müßten die Feindverbände den Eindruck gewinnen, daß in Wahrheit Jupiter der Hauptstützpunkt des Varunja sei. Dadurch würden die Gegner von der Erde abgelenkt, und die Menschen erhielten die Chance, ihnen durch geschickte Manöver in der Nähe des Riesenplaneten erhebliche Verluste beizubringen. Auf jeden Fall würde die Erde eine wertvolle Frist erhalten, in der man sich auf die neue Situation einstellen konnte. Außerdem gewann man Zeit, bis die ersten außerhalb des Solsystems stationierten Flotten eintrafen. Der Unsicherheitsfaktor war indes immer noch, ob der Mharut (oder entsprechende Steuergehirne in den Marsbasen) nicht doch dem Angriff auf die Erde den Vorrang gaben. Außerdem wußte man noch nichts über die Stärke der Rudraja-Streitkräfte. Helga Legrelle stellte eine Verbindung zum Flottenhauptquartier her, wo Han Tsu-Gol auf eine Nachricht der ORION IX wartete. Cliff unterrichtete den Ministerpräsidenten von den letzten Ereignissen und unterbreitete ihm den Vorschlag, den der Computer geliefert hatte. »Es besteht also keine Möglichkeit mehr, die TOPSCORE aufzuhalten?« fragte Han noch einmal. »Keine, Han. Wir haben diesmal keine gute Figur gemacht.« »Unter anderen Umständen hätte ich dieses Eingeständnis dazu benutzt, auf der Erde einen Feiertag ausrufen zu lassen«, entgegnete der Regierungschef. »Aber ich mache Ihnen keinen Vorwurf, Cliff. Ich bin
sicher, daß Sie Ihr Bestes getan haben. Sie schlagen also vor, daß ich alle verfügbaren Schiffe zum Jupiter beordere?« »So ist es, Han. Wir kennen zwar die Kampfstärke der unter der Marsoberfläche stationierten Einheiten nicht, aber wenn wir von dem ausgehen, was wir bisher von den Relikten der Urmächte zu sehen bekamen, dürfte die Erde nicht den Hauch einer Chance haben. Wir müssen sie von uns ablenken. Daß der Gegner, vielleicht schon in den nächsten Stunden, aktiv werden wird, geht aus den Planspielen mit großer Wahrscheinlichkeit hervor.« »Sie verlangen von mir, daß ich die Erde schutzlos einem eventuellen Angriff preisgebe, Cliff! Außer der 4. Strategischen Raumflotte ist bisher kein Verband ins Sonnensystem zurückgekehrt.« »Es ist ein Vabanquespiel, Han«, sagte Cliff. Tunaka Katsuro, der sich bisher zurückgehalten hatte, stellte sich jetzt neben McLane. »Als Vertreter des GSD muß ich Cliffs Vorschlag unterstützen«, sagte er ernst. »Wir haben keine andere Möglichkeit mehr. In diesem Augenblick landet die TOPSCORE auf dem Mars. Wir haben keine Zeit zu verlieren.« »Also gut«, sagte Han Tsu-Gol nach einer Weile, aber sein Gesichtsausdruck verriet nur allzu deutlich, daß er nicht glücklich bei dem Gedanken war, die Erde bei einem eventuellen Angriff ohne Schutz zu wissen. »Ich veranlasse alles Notwendige. Was werden Sie tun, Cliff?« »Wir verfolgen die TOPSCORE weiter«, erklärte der Commander. »Wir werden neben ihr landen. Vielleicht gelingt es uns doch noch, den Mharut un-
schädlich zu machen, was jedoch nichts mit den bevorstehenden Flottenmanövern zu tun hat.« »Es hat wohl nicht viel Zweck, Ihnen diese Wahnsinnsidee ausreden zu wollen?« »Allerdings nicht, Han.« »Viel Glück Ihnen allen«, wünschte der Regierungschef. Dann wurde die zentrale Bildplatte dunkel. »Wir werden es brauchen können«, murmelte Katsuro mit einem seltsamen Blick zu Cliff. Der Commander nickte, aber sein Lächeln wirkte künstlich. Alle an Bord der ORION IX spürten, daß das Spiel begonnen hatte, an dessen Ende nur die Vernichtung eines der beiden Kontrahenten stehen würde. Die Hinterlassenschaften des Rudraja waren unbarmherzig und würden der Erde keine Chance lassen. Die Menschen waren ebenso entschlossen, dem Gegner zuvorzukommen. Die Tatsache, daß sie gegen Phantome aus einer unvorstellbar lange zurückliegenden Vergangenheit kämpften, nahm ihnen die Skrupel. Die Weichen waren gestellt. In diesen Minuten gab Han Tsu-Gol der Wega-Flotte den Befehl, sich zu einem Abwehrriegel vor dem Jupiter zu formieren und durch kontrollierte Energieemissionen den Gegner auf sich aufmerksam zu machen, sobald er die unterirdischen Basen verließ. Alles kam nun darauf an, wie dieser Gegner sich verhalten würde. Auf den Gedanken, daß der Plan aus den eigenen Reihen heraus zunichte gemacht werden könnte, kamen weder die Verantwortlichen auf der Erde noch die ORION-Crew, die sich ganz auf die Verfolgung des Mharuts konzentrierte.
5. Eine knappe halbe Stunde später tauchte die ORION IX in die obersten Schichten der dünnen Marsatmosphäre ein. Atan Shubashi hatte den Flug der TOPSCORE mit den Ortungsgeräten verfolgt und aufgezeichnet. In einer Höhe von 3000 Metern kam die ORION zum Stillstand. »Von nun an können wir dem Metallreflex folgen«, erklärte Cliff und deutete auf den Punkt auf einem der Ortungsschirme. »Die TOPSCORE muß irgendwo in der Schlucht dort unten stehen.« Die zentrale Bildplatte zeigte einen Ausschnitt der kraterübersäten, zerfurchten Marsoberfläche. Direkt unter dem Raumschiff verlief eine riesige, über eintausend Meter lange Schlucht, die sich von dem als Syrtia Fontana bekannten Gebiet tief in die Hügelkette der Herschel-Gallura hineinfraß. An ihrem Beginn war die Schlucht noch flach und wirkte eher wie ein breites Flußbett. Der Reflex kam aus der Richtung der Berge, wo sie einen tiefen Einschnitt bildete. »Wir steigen um, Freunde. Meldet sich jemand freiwillig, Mario?« »Woher soll ich das wi...« Mario setzte eine grimmige Miene auf. »Freiwillig!« äffte er Cliff nach. »Mario de Monti meldet sich freiwillig, zu Befehl, Herr Kommandant!« »Es geht doch nichts über eine einsatzfreudige Mannschaft«, lobte Cliff. »Und ein eingespieltes Team.« »Aber nur unter einer Bedingung«, forderte der
Kybernetiker. »Diesmal steuere ich die LANCET.« »Zweifelst du an meinen Flugkünsten?« »Eben nicht!« brummte Mario. Hasso begann lauthals zu lachen, und der Rest der Crew stimmte ein. Sogar Katsuro schmunzelte. »Sie sind ein verrückter Haufen«, sagte der GSDDirektor. »Aber ich mag Sie.« Cliff fuhr herum. »Hast du das aufgezeichnet, Helga?« »Wie denn? Kann unser neuer GSD-Chef seine Komplimente nicht vorher ankündigen?« »Bilden Sie sich nichts darauf ein«, warnte Katsuro. »Diese Äußerung war vollkommen inoffiziell!« »Sicher, Katsuro-san, sicher«, lächelte Cliff und gab Mario das Zeichen. Als sie diesmal eine LANCET bestiegen, trugen sie schwere Raumanzüge mit allem Zubehör. Die ORION blieb in Warteposition, während das Beiboot ausgeschleust wurde und Kurs auf die Berge nahm. Sie folgten der Schlucht, bis sie derart zerklüftet wurde, daß ein Einflug von oben kaum mehr möglich war. »Wir fliegen von hier aus ein«, sagte Cliff. Mario ließ die LANCET absinken. Das Flußbett hatte sich hier schon zweitausend Meter tief in die beginnende Hügellandschaft eingefressen. Mario steuerte das Boot in die Schlucht und hielt einen konstanten Abstand von etwa zweihundert Metern vom Boden. Nach hundert Kilometern hatte sich das Bild drastisch verändert. Die Wände der Schlucht ragten jetzt steil zu beiden Seiten auf, und mit zunehmender Tiefe schwand das Sonnenlicht. Cliff schaltete die Scheinwerfer ein.
»Früher einmal glaubten die Menschen, der Mars sei übersät von unzähligen ›Marskanälen‹ künstlichen Ursprungs. Auch diese Schlucht wird einer dieser ›Kanäle‹ gewesen sein«, sagte Cliff. »Dann sind wir also die Gondolieri der Zukunft«, scherzte Mario. Cliff sah hinab auf den Grund der Schlucht, der durch das Licht der Scheinwerfer in ein faszinierend anzusehendes Spiel von Licht und Schatten getaucht war. Der Boden war von Trümmern und aus den Wänden gebrochenen Felsstücken übersät, zwischen denen sich Staub und Sand zu kleinen Dünen aufgetürmt hatten. »Tiefe?« fragte Cliff. »Nun annähernd 5000 Meter«, las Mario ab. »Wenn wir der Ortung glauben dürfen, befinden wir uns noch etwa 200 Kilometer von der TOPSCORE entfernt. Sie liegt nach wie vor an der gleichen Stelle.« »Wollen wir doch einmal bei der ORION nachfragen«, meinte Cliff und rief das Mutterschiff. Atan bestätigte Marios Angaben. Nach seinen Messungen lag die TOPSCORE in einer Tiefe von neunzehntausend Metern unterhalb der Oberfläche in der Schlucht. Cliff stieß einen lauten Pfiff aus. »Er hat recht«, murmelte Mario. »Jetzt geht's rapide bergab.« »Hat Han sich noch einmal bei euch gemeldet?« fragte Cliff Helga Legrelle, die jetzt wieder am Funkpult der ORION IX saß. »Das nicht, aber wir haben einen heftigen Streit zwischen ihm und Mahavira aufgefangen. Offen-
sichtlich weigert Mahavira sich, den Befehl auszuführen.« Cliff und Mario sahen sich bestürzt an. »Soll das heißen, daß die Wega-Flotte noch nicht auf dem Weg zum Jupiter ist?« fragte der Commander fassungslos. »Genau das, Cliff.« »Solch ein hirnverbrannter Idiot! Halte uns auf dem laufenden, Helga-Mädchen. Wenn Mahavira nicht schnellstens seine angewiesene Stellung bezieht, war alles umsonst!« Helga Legrelle antwortete noch etwas, aber Cliff hörte ihre Worte nicht mehr. Vor seinem geistigen Auge sah der Commander gigantische Flotten eines übermächtigen Gegners, der mit unbekannten Waffen die Erde angriff, gegen die es keine Gegenwehr gab. Und plötzlich kristallisierte sich die Vision zu einem klaren Bild. Cliff schrie laut auf, als die Erinnerung durchbrach. Undefinierbare Schattenballungen, die spiralförmige Energieblitze nach dem über der ParallelErde liegenden Sternenschiff schleuderten – und es zur Explosion brachten! »Was ist?« fragte Mario besorgt und nahm für ein paar Momente die Geschwindigkeit der LANCET zurück. »Es ist gut, Mario, es war nichts, fliege weiter«, stöhnte Cliff. Es hatte keinen Zweck, den Freund auch noch zu verunsichern. In Gedanken fragte Cliff sich jedoch, wieso die Erinnerung gerade jetzt in ihm durchgebrochen war. Handelte es sich bei den Rudraja-Verbänden in den Invasionsbasen um ähnliche Vernichtungsmaschinerien?
»Tiefe elftausendzweihundert Meter«, informierte Mario. »Entfernung noch knapp dreißig Kilometer.« Cliff sah auf sein Chronometer und stellte überrascht fest, daß über seine Grübeleien eine gute halbe Stunde verstrichen war. »Etwas Neues von Mahavira?« fragte er zur ORION hoch. »Vor ein paar Minuten brach der Kontakt zwischen Han und dem Admiral abrupt ab«, berichtete Helga. »Es sieht so aus, als verließe die Flotte jetzt ihre Position zwischen Erde und Mars. Sie nehmen Kurs auf Jupiter. Allerdings mit Manövern, die keinen rechten Sinn ergeben.« »Haltet weiterhin die Augen offen!« rief Cliff und schaltete ab. »Na, bitte«, meinte Mario zufrieden. »Auch ein Admiral Mahavira kann sich nicht ohne weiteres über die Befehle der Regierung hinwegsetzen.« »Abwarten«, sagte McLane, von düsteren Ahnungen erfüllt. »Zwanzig Kilometer!« Mario hatte jetzt alle Hände voll zu tun, um nicht gegen die Wände der Schlucht zu prallen, die nun in scharfen Zickzackwindungen verlief. Immer wieder mußte er Hindernissen ausweichen. Das Licht der weit entfernten Sonne reichte längst nicht mehr bis in diese Tiefen. Nur wenn sie genau über der Schlucht stand, würde es hier unten Tag sein, und dann auch nur für Minuten. »Der Gedanke daran, daß dort vorne der Mharut auf uns wartet, ist mir nicht gerade behaglich«, brummte Mario. »Glaubst du vielleicht, daß ich mich nach der Bekanntschaft sehne?« fragte Cliff sarkastisch. »Aber ich
bin ziemlich sicher, daß der Robot längst irgendwo verschwunden ist, auf dem Weg zu den Basen. Er flog mit einem ganz bestimmten Plan hierher und nicht, um auf uns zu warten.« »Weshalb sind wir dann eigentlich hier?« »Ich muß wissen, was aus der Besatzung der TOPSCORE geworden ist. Außerdem hat der Mharut uns herausgefordert. Im Weltraum könnten wir jetzt sowieso nicht viel ausrichten.« Cliff konnte bei allem Mißtrauen nicht ahnen, wie sehr er sich irrte. »Gleich muß die TOPSCORE in Sicht kommen. Wir sind jetzt tatsächlich fast neunzehntausend Meter unterhalb der obersten Kante der Schlucht.« Mario hatte kaum gesprochen, als die silberne Silhouette des Kreuzers im Licht der scharf gebündelten Scheinwerfer vor der LANCET auftauchte. Beiden Raumfahrern lief es bei dem Anblick kalt über den Rücken. Sie spürten den Hauch des Todes, der von der TOPSCORE zu ihnen herüberschlug. * Während Cliff McLane und Mario de Monti sich zum Verlassen der LANCET bereitmachten, fiel an Bord von Mahaviras Flaggschiff die endgültige Entscheidung. Die 4. Strategische Flotte hatte vor einer Viertelstunde ihre Position zwischen Erde und Mars verlassen und sich in Richtung Jupiter in Bewegung gesetzt, dabei allerdings den Verband neu formiert. Admiral Mahavira hatte den Kontakt zur Erde abbrechen lassen, als Han Tsu-Gol ihn ultimativ aufge-
fordert hatte, unverzüglich seinen Befehl auszuführen. Mahavira hatte sich mit seinen Offizieren besprochen und seinen Entschluß gefaßt. In einem Blitzmanöver verließ die Flotte ihren Kurs und flog abermals den Mars an. Mahavira zog einen Sperrgürtel um den vierten Planeten und baute die Flotte so auf, daß sie sofort zuschlagen konnte, wenn die erwarteten Raumschiffe der Invasionsarmee aus ihren Basen brechen und den Mars verlassen sollten. Als die vom Flottenhauptquartier kommenden Rufe auch nach weiteren Minuten nicht verstummen wollten, wies der Admiral seinen Funkoffizier an, noch einmal einen Kontakt zu Han Tsu-Gol herzustellen. »Ich fordere Sie ein letztes Mal auf, die Ihnen angewiesenen Positionen einzunehmen, Mahavira!«, sagte Han Tsu-Gol mit bebender Stimme. »Andernfalls sehe ich mich gezwungen, Ihnen das Kommando über die Wega-Flotte zu entziehen.« »Tun Sie, was Sie nicht lassen können!« entgegnete der Admiral herablassend. »Ich lasse mich durch nichts und niemanden davon abbringen, die Erde vor einer Invasion zu schützen. Wir werden uns auf die Invasoren stürzen, sobald sie auftauchen. Wenn die Politiker versagen, muß ich die Verantwortung allein übernehmen. Sie werden mir noch einmal dankbar sein, Han!« Han Tsu-Gol kniff die Augen zusammen. Mit letzter Kraft beherrschte er sich. »Sie sähen sich wohl zu gern auf meinem Stuhl, Mahavira?« »Darum geht es nicht! Wir haben eine Aufgabe, und wir ...«
Der Bildschirm wurde dunkel, Han Tsu-Gol hatte die Verbindung von sich aus unterbrochen. »Nun wird er versuchen, seinen McLane zu erreichen und gegen uns zu mobilisieren«, sagte der Funkoffizier. »Damit täte er mir einen ganz persönlichen Gefallen«, antwortete Mahavira. »Er gäbe uns endlich die Gelegenheit, diese Abenteurer mitsamt ihrem Schiff ein für allemal unschädlich zu machen.« * Der Marsstaub am Boden der Schlucht reichte den beiden Raumfahrern an manchen Stellen bis zu den Oberschenkeln. Diese Behinderung in der Fortbewegung wurde allerdings durch die um etwa 60 Prozent geringere Schwerkraft des Mars wieder aufgehoben. Im Lichtkegel der LANCET-Scheinwerfer, die voll auf die TOPSCORE gerichtet waren, warfen die Körper der Männer gespenstische Schatten. Überall tauchten bizarre Felsbrocken auf. Wo es ging, sprangen Cliff und Mario von einem Felsvorsprung zum anderen und vermieden so, im Sand zu versinken. Die TOPSCORE war durch ein Kraftfeld wenige Meter über dem Boden der Schlucht verankert. Der Teleskoplift war nicht ausgefahren worden, dafür stand eine Notschleuse weit offen. »Riskieren wir's?« fragte Cliff. »Vielleicht bleibst du besser draußen und wartest, für alle Fälle.« »Das sollte mir einfallen!« protestierte der Kybernetiker. »Ich habe zwar weiche Knie, aber Angst ist dazu da, um überwunden zu werden!« »Dummes Zeug!« gab Cliff zurück. »Wenn es keine
Angst gäbe, dann gäbe es längst keine Menschheit mehr. Sie ist genau wie der Schmerz Teil eines komplizierten Warnsystems, das ...« »Kannst du dir deine Vorträge nicht für später aufheben?« »Dann los, Mario.« Mit Hilfe der Rückenaggregate schwebten die Raumfahrer bis zur Schleuse empor und zogen sich hinein. Beide hatten die HM 4 schußbereit in der Hand, obwohl niemand von ihnen damit rechnete, daß an Bord noch jemand lebte. Immerhin bestand die Möglichkeit, daß der Mharut noch an Bord war. Cliff schloß das Schott hinter sich und wartete ab, bis sich die Schleusenkammer mit Luft gefüllt hatte. Dann öffnete er das Innenschott. Mario war bereit, sofort zu schießen, falls ein Gegner vor ihnen auftauchen sollte. Nach den Erlebnissen auf dem Planeten Vyamar schlossen die beiden Männer nicht aus, daß der Mharut über Kräfte verfügte, die Raumfahrer der TOPSCORE einfach »umzudrehen«. Insgeheim rechneten sie mit dem Angriff einer Gespensterarmee. Aber der Gang hinter dem Schott war leer. Cliff ging voran. »Die offene Schleuse deutet darauf hin, daß jemand ausgestiegen ist«, flüsterte Mario in sein Helmmikro, als ob ihn jemand hören könnte. »Das konnte er einfacher haben«, sagte Cliff ebenso leise. »Wenn er über die Fähigkeiten des ersten Mharuts verfügt, kann er sich in verflüchtigtem Zustand durch feste Materie bewegen.« »Vielleicht hat er mit seinen Manövern soviel Energie verbraucht, daß dies eben nicht mehr möglich war.«
»Das mag sein«, gab Cliff zu. »Trotzdem müssen wir auf alles gefaßt sein, Mario.« »Aye, aye, Sir!« Sie arbeiteten sich langsam weiter in den Gang vor. Die Innenbeleuchtung der TOPSCORE war eingeschaltet, und auch sonst zeugte nichts davon, daß es schwere Beschädigungen im Schiff gegeben hatte. Cliffs und Marios Schritte hallten von den Wänden wider. Sie erreichten den äußeren Ringkorridor. Rechts und links ging es zu den Quartieren der Mannschaft. Cliff wollte Mario das Zeichen geben, weiter zum Zentrallift zu gehen, als der Kybernetiker ihn am Arm packte. »Dort, Cliff!« Der Commander sah ihn die Richtung, in die Mario deutete. Dann sah er es auch. Ein Strahlschuß hatte eine lange Furche in das Material der Gangwand gefressen. »Da liegt etwas!« Sie drangen in den Korridor zu ihrer Linken ein, bis sie vor dem Gegenstand standen, der mitten im Gang auf dem Boden lag. »Ein Raumhelm«, stellte Mario fest. »Jemand muß ihn in aller Eile weggeworfen haben.« »Verloren hat ihn bestimmt niemand.« Cliff sah sich um. Wieder kroch das Grauen in sein Bewußtsein. Was, um alles in der Welt, hatte sich an Bord des Kreuzers zugetragen? Sie erreichten die ersten Kabinen. Ihre Gedanken befaßten sich mit dem Drama, das sich hier abgespielt haben mußte. Wenige Meter vor den Männern stand eine Kabinentür offen.
»Bleib hier, Cliff!« flüsterte Mario, als McLane sich darauf zu in Bewegung setzte. Der Commander hörte nicht auf die Warnung. Mario folgte ihm. »Mein Gott!« stöhnte Cliff, als sie die Kabine betreten hatten. Zwischen zwei umgestürzten Sesseln lag der in unnatürlicher Starre gekrümmte Körper einer jungen Frau, die noch die HM 4 in der Hand hielt. Sie war auf die Brust gerichtet, wo sich der Strahlschuß in ihren Körper gefressen hatte. Die Kombination war ringsherum verkohlt. Cliff mußte gegen die aufkommende Übelkeit ankämpfen. Was konnte so schrecklich sein, daß es eine hartgesottene Mannschaft wie die TOPSCORE einfach in den Freitod getrieben hatte? »Zur Zentrale!« Mario war aschfahl im Gesicht, was Cliff selbst durch die reflektierende Sichtscheibe des Raumhelms sehen konnte, den sie aus Vorsicht aufbehalten hatten. Sie schlichen den Korridor zurück, als ob sie fürchteten, jeden Augenblick auf weitere Opfer zu stoßen. Sie waren plötzlich sicher, den Mharut nicht mehr an Bord vorzufinden. Das Verderben hatte die TOPSCORE verlassen, um sich ein noch schrecklicheres Ziel zu suchen. Während sie sich dem Zentrallift näherten, wurde Cliff sich wieder einmal bewußt, daß alle Gefahren und Gegner, gegen die Menschen bisher anzutreten gehabt hatten, keinen Vergleich mit der Brutalität und Kompromißlosigkeit aushielten, mit der die wiedererwachten Kräfte des Rudraja vorgingen. Und einmal
mehr fragte sich der Commander, welche Monstrosität sich hinter der eigentlichen Urmacht verbarg. Bisher waren sie nur Hilfskräften und Hinterlassenschaften des Rudraja begegnet, aber würde es eines Tages dazu kommen, daß die Menschheit der Reinkarnation des Rudraja selbst gegenüberstehen würde? Sie wußten nichts über die Mächte, die irgendwo in der Verbannung lauerten, nachdem die Schwingen der Nacht das Erste Weltenende herbeigeführt hatten. Konnten sie sich darauf verlassen, daß ihnen im Ernstfall das Varunja zur Seite stehen würde? »Aufgewacht, Cliff!« Marios Stimme riß McLane aus seinen finsteren Gedankengängen. Sie standen vor dem Lift. Die Raumfahrer waren auf alles gefaßt. Trotzdem drohte ihr Verstand auszusetzen, als sie eine Minute später die Zentrale der TOPSCORE betraten. * »Ist der Kerl total verrückt geworden?« rief Atan von seinem Pult aus, wo er die Bewegungen der 4. Strategischen Flotte verfolgte. Sofort war Arlene bei ihm und sah ihm über die Schulter. Es fiel ihr nicht schwer, aus den Ortungsreflexen schlau zu werden. »Sie kommen«, stieß sie fassungslos hervor. »Sie ändern ihren Kurs und kommen zum Mars. Jetzt fächern sie aus!« Katsuro fuhr aus seinem Sessel auf und überzeugte sich davon, daß Arlene nicht scherzte. Er begriff augenblicklich, was die Manöver der Flotte zu bedeuten hatten.
»Sofort eine Verbindung zur Erde, Helga!« Der GSD-Direktor war bleich geworden. Helga Legrelle nickte. Ihre Finger huschten über ihre Kontrollen. Hasso Sigbjörnson, der aus dem Maschinenleitstand gekommen war und sich einen Imbiß zusammengestellt hatte, verschwand kommentarlos aus der Zentrale und begab sich an seinen Platz. »Wie lange dauert das denn?« fluchte Katsuro, als nach fünf Minuten noch keine Verbindung zustande gekommen war. Helga zuckte die Schultern und versuchte immer wieder, das Flottenhauptquartier zu erreichen. Inzwischen rief Arlene N'Mayogaa nach Cliff und Mario. Endlich verschwand das Symbol des HQ von den Bildschirmen, und eine grüngeschminkte Frau erschien an seiner Stelle. Sie stellte sich als Regierungsassistentin Mara Baschoff vor und teilte Katsuro mit, daß Han Tsu-Gol sich in einer eilig zusammengerufenen Besprechung des Krisenstabs befand. »Dann schalten Sie durch!« verlangte der GSDChef. »Hier ist, die ORION IX, Tunaka Katsuro. Wenn wir nicht schnellstens mit Han sprechen können, geschieht ein Unglück.« Die Schöne musterte den Asiaten mit einem amüsierten Lächeln. »Ich wußte noch gar nicht, daß Sie bei der ORION angeheuert haben, Katsuro. Immerhin, Sie geben kein schlechtes Bild als siebtes Besatzungsmitglied ab.« »Sie sind auch nicht auf den Mund gefallen, Liebste. Bekommen wir nun den Ministerpräsidenten auf die Schirm oder nicht?« Die Regierungsassistentin begann laut zu lachen.
Dann verschwand sie von den Monitoren. Ein Symbol zeigte an, daß das Gespräch nicht unterbrochen war, sondern weitergeschaltet wurde. »Notieren Sie den Namen, Shubashi«, sagte Katsuro ernst. »Ich werde mir die Dame bei Gelegenheit einmal persönlich vorknöpfen müssen.« Arlene grinste. »Dabei hat sie recht, Sie gewöhnen sich langsam an unseren Umgangston, Katsuro-san. Sollte Cliff seine Absicht wahrmachen, eines Tages eine Hühnerfarm irgendwo in Südamerika zu erwerben, dann wird man Sie zum neuen Kommandanten der ORION vorschlagen.« »Machen Sie sich nicht lächerlich«, winkte der GSD-Direktor ab. »Wenn wir diesen Einsatz hinter uns haben, wird das hier vergessen sein, jedenfalls für mich. Und überhaupt, was ist eine Hühnerfarm?« »Hühner sind Tiere, die es früher in Massen auf der Erde gab. Die Syntho-Eier, die man heutzutage serviert bekommt, wurden damals von diesen Hühner gelegt, reine Naturprodukte. Heute gibt es auf der ganzen Erde höchstens noch zweihundert echte Hühner, und ihre Eier werden zu Wucherpreisen gehandelt.« »Was Sie so alles wissen ...« »Achtung!« rief Helga Legrelle. »Han ist am Apparat!« »Irgendwann werde ich doch noch einmal ein Seminar über die Technologie und die damit verbundenen Ausdrucksweisen unserer Vorzeit besuchen«, murmelte Katsuro kaum hörbar. Dann beugte er sich über die zentrale Bildplatte, auf der das Gesicht Han Tsu-Gols abgebildet war. Katsuro erkannte den Re-
gierungschef fast nicht wieder. Han wirkte wie ein gebrochener Mann. »Es ist alles aus, Katsuro-san«, kam er einer Fragte zuvor. »Mahavira verweigert den Befehl und handelt auf eigene Faust. Cliff hatte recht. Wo ist er überhaupt?« »McLane und de Monti sind mit einer LANCET zur TOPSCORE geflogen und untersuchen den Kreuzer.« »Beordern Sie ihn sofort zurück!« sagte Han beschwörend. »Wir wissen keinen Ausweg mehr. Sie müssen versuchen, Mahavira von seinem Wahnsinnsakt abzuhalten, sonst ist alles verloren. Wir haben ebenfalls durch TECOM Berechnungen anstellen lassen, die Ihre Ergebnisse vollauf bestätigen.« »Ausgerechnet wir?« lachte Arlene. »Mahavira wird den Befehl geben, uns abzuschießen.« »Ich weiß keine andere Möglichkeit mehr. Versuchen Sie alles in Ihrer Macht Stehende. Vielleicht können Sie ihn zur Vernunft bringen, Katsuro. Er wird nicht wagen, auf die ORION schießen zu lassen, wenn Sie sich an Bord befinden.« »Ihre Komplimente für die ORION-Crew sind wirklich herzergreifend, Han«, sagte Atan bissig. »Ich muß Schluß machen, ich werde hier gebraucht. Holen Sie Cliff zurück, jetzt geht es um alles!« Das Bild des Regierungschefs verschwand, die Schirme wurden dunkel. »Er tut mir leid«, sagte Arlene. »Han weiß, daß er sich die fatale Situation durch sein Vertrauen zu Mahavira selbst zuzuschreiben hat.« »Sollten wir und die Erde dies hier lebend überste-
hen, dann werden wir ihm eine gesalzene Rechnung auf den Tisch legen«, verkündete Atan Shubashi. »Hast du Kontakt zu Cliff?« »In diesem Moment«, bestätigte Arlene. »Weiß der Teufel, weshalb sie sich erst jetzt melden.« Am Himmel über dem Mars tauchten die ersten Einheiten der Wega-Flotte auf. * Die Zentrale der TOPSCORE bot ein Bild vollkommener Verwüstung. Zwischen umgestürzten und aus der Verankerung gerissenen Sitzen lagen die Leichen von drei Männern und einer Frau. Nascom Brenthor, der kompromißlose Kommandant des Kreuzers, lag über das Kommandopult gekrümmt und umklammerte noch im Tod einen Navigationshebel. Aus seinen aufgerissenen Augen sprach das beispiellose Entsetzen. Der Tod mußte ganz plötzlich über sie gekommen sein. Die Zerstörungen an den Kontrollen waren so umfangreich, daß eine Navigation durch die Mannschaft, sollte sie während der Verfolgungsjagd noch gelebt haben, vollkommen ausgeschlossen war. Cliffs Theorie fand ihre Bestätigung. Der Mharut mußte sich direkt an den Bordcomputer angeschlossen haben und über ihn den wahnwitzigen Flug der TOPSCORE gesteuert haben. Es dauerte ein paar Minuten, bis sich das Entsetzen gelegt hatte. Cliff fragte Mario: »Kannst du feststellen, ob der Speicher des Computers abgefragt wurde?« »Ich kann es versuchen, Cliff. Der Rechner sieht unbeschädigt aus.«
»Dann beeile dich, ich will so schnell wie möglich hier heraus.« Mario machte sich an den Kommunikationselementen des Computers zu schaffen, während Cliff verzweifelt nach Hinweisen auf die Aktivitäten des Mharuts suchte. Mario wollte ihm etwas zurufen, aber Cliff winkte ab. Arlenes Stimme kam aus dem Helmfunkempfänger. Sie berichtete, was vorgefallen war, und drängte Cliff und Mario zur sofortigen Rückkehr. »So ein Idiot!« fluchte der Commander. »Komm, Mario, wir haben keine Minute zu verlieren. Mahavira ist nicht zum Jupiter geflogen, sondern steht mit seiner Flotte über dem Mars!« »Ich habe etwas gefunden, Cliff. Der Speicher ist gelöscht worden, und zwar durch die Sicherheitseinstellung. Der Mharut kann keine umfassenden Informationen über die Erde haben.« »Das macht Mahaviras Glanztat doppelt schlimm. Wenn er versucht, den Mars zur Erde hin abzuschirmen, wird sich die Invasionsflotte ihren Reim darauf machen können, und dann ...« »Du brauchst nicht weiterzureden, Cliff. Machen wir, daß wir zurück zur ORION kommen. Ich frage mich allerdings, wie wir etwas gegen eine ganze Flotte ausrichten wollen.« »Ich nehme keine Rücksicht auf Mahavira mehr«, versicherte Cliff. »Ich werde die Kommandanten der Schiffe auffordern, sich unserem Befehl zu unterstellen. Dieser Kerl soll mich kennenlernen!« Die beiden Männer verließen die TOPSCORE auf dem gleichen Weg, den sie gekommen waren. Als sie in der Notschleuse standen, hielt Mario Cliff zurück.
»Dort vorne in der Felswand, das sieht mir ganz nach einem schlecht getarnten Zugang aus.« Cliffs und Marios Handscheinwerfer vereinigten ihre Lichtkegel auf der betreffenden Stelle. Tatsächlich waren hier große Stücke aus dem Marsfelsen herausgebrochen, und zwischen zwei großen Geröllhalden befand sich eine vollkommen glatte Stelle in der Wand. »Wir haben keine Zeit mehr. Wenn wir später ...« Cliffs Worte gingen in einem plötzlich hereinbrechenden, ohrenbetäubenden Tosen unter. Und dann begann der Boden unter ihnen zu zittern. Große Brocken lösten sich aus der Wand über ihnen, und die TOPSCORE wurde von einem wahren Gesteinshagel überschüttet. »Zur LANCET!« schrie Cliff in einem Anflug von Panik. Das Beiboot stand ohne Schutzschirm in der Schlucht. Die Männer stießen sich ab und schwebten mit eingeschalteten Körperschirmen hinüber. Es gelang ihnen, unverletzt in ihr Boot zu gelangen und die Schirme zu aktivieren. Die Maschinen liefen an, und Mario beschleunigte mit wahnwitzigen Werten. »Es geht los!« preßte Cliff hervor. Er deutete auf die Ortungsanzeigen, die starke Energieemissionen anmaßen. »Das müssen gigantische Kraftstationen sein, die hier anlaufen. Das ist die Invasion, Mario!« Mario konzentrierte sich auf den Kurs und steuerte die LANCET mit der Routine des abgebrühten Raumfahrers aus der Schlucht. Als sie eine Tiefe von 3000 Metern erreicht hatten, riß er das Beiboot hoch und steuerte es aus der Schlucht. Über ihnen wartete die ORION IX. Und der Himmel wimmelte von glitzernden Punkten, den Schiffen der Wega-Flotte.
6. Eine halbe Stunde später befand sich die ORION IX jenseits der Schale, die die Wega-Flotte um den Mars gebildet hatte, im freien Raum. Man hatte sie nicht angefunkt, als sie durch die Reihen der Schiffe stieß. Wahrscheinlich, so sagte sich die Crew, hatte Mahavira Befehl gegeben, die ORION zu ignorieren. Cliff und Mario hatten sich von den Gefährten ausführlich über die letzten Entwicklungen informieren lassen, auch über das Gespräch mit Han Tsu-Gol. »Was halten Sie von dem Vorschlag, die Schiffe zur Meuterei aufzufordern, Katsuro-san?« fragte Cliff. »Es ist das einzige, was uns bleibt. Es sei denn, Mahavira wird im letzten Augenblick noch vernünftig. Selbst ein Fanatiker wie er muß erkennen, was sich da unten tut.« Katsuro spielte auf die angemessene Energieentfaltung an. »Helga«, bat Cliff, »versuche doch, diesen netten Funkoffizier auf Mahaviras Flaggschiff vor die Linse zu bekommen, und frage ihn, ob der Herr Admiral einige kostbare Minuten für die ORION erübrigen kann.« »Wenn nicht, soll ihn der Teufel holen«, fügte Mario hinzu. Wider Erwarten kam die Verbindung prompt zustande. Die Reaktion des sonst so steifen Funkoffiziers überraschte die Crew und Katsuro noch mehr. »Ah, die ORION IX!« strahlte der in allen Regenbogenfarben geschminkte Mann und entblößte dabei eine Reihe goldgefärbter Zähne. »Der Admiral er-
wartet Ihren Anruf schon seit langem. Ich schalte weiter.« »Hast du Töne!« entfuhr es Atan. »Der Bursche wirkt ja direkt fesch!« »Der Traum meiner schlaflosen Nächte«, stöhnte Arlene. Cliff stöhnte noch lauter, als ein zweites Gesicht auf den Monitoren und der großen Bildplatte erschien. »Admiral Mahavira spricht«, begann der arrogant dreinschauende Offizier die Unterhaltung. »Ich denke, Sie wollen gegen mein Vorgehen protestieren, nicht wahr, McLane?« »Irgendwann müssen Sie mir verraten, wie Sie darauf gekommen sind«, entgegnete Cliff voller Ironie. Mahavira ging nicht darauf ein. »Ich gedenke nicht, meine kostbare Zeit mit ein paar Abenteurern zu vergeuden, deshalb gebe ich Ihnen den guten Rat, sich zurückzuziehen und sich aus dem Kampf herauszuhalten. Andernfalls sehe ich mich gezwungen, Sie wie Saboteure zu behandeln.« Cliff holte tief Luft und suchte nach Worten. »Sie armer Irrer!« sprudelte es dann aus ihm heraus. »Sehen Sie denn gar nicht mehr, was um Sie herum vorgeht? Hat der krankhafte Ehrgeiz den letzten Rest Ihres Gehirns vernebelt, Mahavira? Schauen Sie auf Ihre Ortungsgeräte! Was sich unter der Marsoberfläche zusammenballt, wird Ihre Flotte innerhalb weniger Minuten aus dem Universum fegen! Wollen Sie wirklich das Leben unzähliger Menschen, von der Erde einmal ganz abgesehen, aufs Spiel setzen, um Ihren Ehrgeiz zu befriedigen?« »McLane, ich verbitte mir derartige Unverschämtheiten!«
»Verbitten Sie sich, was Sie wollen. Zum letzten Mal, Mahavira: Ziehen Sie Ihre Flotte zum Jupiter zurück!« »Sie langweilen mich, McLane.« »Lassen Sie mich mit ihm reden«, flüsterte Tunaka Katsuro dem Commander zu. Er trat vor die Aufnahmeoptiken. »Als Direktor des Galaktischen Sicherheitsdiensts fordere ich Sie auf, dem Befehl nachzukommen, den Ihnen die Erdregierung erteilt hat, Mahavira!« Der Admiral setzte ein mitleidiges Lächeln auf. »Bei allem Respekt, Katsuro. Ich lasse mich nicht von meinem Entschluß abbringen. Ich werde die Menschheit retten und als Triumphator zur Erde zurückkehren!« Cliff zog Katsuro am Ärmel der Kombination beiseite. »Lassen Sie nur, Katsuro-san. Mahavira ist nicht mehr in unserer Welt.« »Es geht los!« schrie Atan Shubashi, der an den Ortungsgeräten saß und den Mars beobachtete. Gleichzeitig verblaßten die Bildschirme, die Mahaviras Gesicht gezeigt hatten. Helga schaltete sie auf Außenübertragung. Jeder an Bord konnte so von seinem Platz aus mitverfolgen, was sich unter ihnen tat. Noch während Atan meldete, daß die energetische Aktivität unter der Marsoberfläche um ein Vielfaches zunahm, kam es zu heftigen Explosionen auf der Oberfläche. Ganze Landstriche flogen förmlich in die Luft, Felsmassive wurden weggesprengt und in die Höhe geschleudert. Starke Beben erschütterten den Mars. Plötzlich drang aus einigen der freigesprengten
Stellen grellviolettes Licht. Strahlende Schlünde taten sich auf. Felsstücke, die wieder herabfielen, wurden von Kraftfeldern weggeschleudert. Und dann kam der Augenblick, auf den alle insgeheim gewartet hatten. Aus den strahlenden Öffnungen in der Marsoberfläche drangen die rotsilbern schimmernden Körper fremdartiger Raumschiffe und glitten langsam in die Höhe. »Schnell, Helga, setze den Spruch an die Einheiten der Wega-Flotte ab!« rief Cliff, während er den Blick nicht von dem Bild nahm, das sich ihnen bot. Über hochleistungsfähige Optiken konnten sie von der ORION IX aus verfolgen, was sich auf dem Mars tat. Plötzlich eröffneten einige hundert Einheiten der Wega-Flotte das Feuer auf die Invasoren. Zwei der Fremden vergingen in atomaren Explosionen, dann trat eine unbekannte Defensiveinrichtung in Kraft. Die Strahlschüsse verschwanden einfach kurz vor den Zielen, als hätte ein unbekanntes Kontinuum sie verschluckt. Die gegnerischen Schiffe waren jetzt genauer auf den Beobachtungsschirmen zu erkennen. Sie waren annähernd quaderförmig, mit abgerundeten Ecken und Kanten, und auf der Oberseite befand sich eine wulstartige Erhebung. Die Gesamtlänge mochte etwa 150 Meter betragen, die Breite etwa die Hälfte. Die Höhe der Schiffe schätzte Cliff auf knapp sechzig Meter. Und immer mehr der Invasoren drangen aus den strahlenden Schächten. Schon jetzt waren es mehr als 500 Schiffe, und es war noch kein Ende abzusehen! »Läuft der Spruch?« fragte der Commander. Helga nickte.
»Seit zwei Minuten.« Noch vor dem Gespräch mit Mahavira hatte Cliff McLane, zusammen mit Tunaka Katsuro, einen Aufruf an die Kommandanten der Wega-Flotte formuliert und auf Band gesprochen, in dem die Kommandanten dazu aufgefordert wurden, Mahavira den Befehl zu verweigern und sich der ORION IX zu unterstellen. Sie sollten zusammen mit der ORION einen Scheinverteidigungsgürtel vor Jupiter aufbauen und damit die letzte Chance wahren, den Gegner von der Erde abzulenken. »Achtung!« rief Atan. »Mahavira stellt um!« Tatsächlich zog sich die Wega-Flotte vom Mars zurück, aber nur, um sich neu zu formieren, nachdem der Admiral gemerkt hatte, daß der konventionelle Beschuß keine Erfolge brachte. Die Flotte formierte sich neu und stieß wieder auf den vierten Planeten hinab. »So ein Wahnsinn!« fluchte Mario de Monti. »Er wird sie alle umbringen!« »Wir scheinen Anklang zu finden«, sagte Helga Legrelle. »Zweiunddreißig Einheiten lösen sich von der Flotte und stoßen zu uns.« »Sende den Spruch weiter«, befahl Cliff. »Da kommen weitere fünf Schiffe!« rief die Funkerin. »Na bitte!« murmelte Mario. Jetzt eröffneten die Schiffe der Wega-Flotte erneut das Feuer auf die Feindschiffe. Doch sie richteten keinen Schaden an. Zwei Dinge geschahen dann gleichzeitig. Die fünf Schiffe der Wega-Flotte, die sich scheinbar auf die Seite der ORION geschlagen hatten, eröffneten das
Feuer auf den Schnellen Kreuzer, und die Invasoren schlugen zurück. Spiralen aus unbekannter Energie fuhren aus den quaderförmigen Schiffen und lichteten die Reihen der Verteidiger. Cliff McLane schrie bei dem Anblick auf. Wieder brach die Erinnerung durch. Durch solche Spiralen hatte das Sternenschiff sein Ende gefunden.
7. »Mahavira läßt uns abschießen!« rief Arlene in die Zentrale. Mit einer Handbewegung schaltete sie die Defensivschirme ein – gerade rechtzeitig, um zwei Treffer der Angreifer abzuwehren. Trotzdem wurde die Schiffszelle stark erschüttert. Cliff gewann die Kontrolle über sich zurück und wich weiteren Schüssen aus den Lichtkanonen der Angreifer aus. Minuten später befand sich die ORION IX in sicherer Entfernung vom Gesamtverband der Flotte, wo die Raumschlacht in vollem Gang war. »So etwas hat das Sonnensystem noch nicht erlebt, solange Menschen durch den Weltraum fliegen«, flüsterte Atan ergriffen. »Das ist Mahaviras Meisterstück!« »Ich bekomme laufend Meldungen von Schiffen, die zu uns stoßen«, sagte Helga. »Das hilft uns im Moment wenig«, fürchtete Cliff und konzentrierte sich wieder auf die Steuerung. Die fünf Schiffe, ebenfalls Schnelle Kreuzer wie die ORION, waren erneut herangekommen und eröffneten das Feuer. »Sagt mir lieber, wie wir diese lästigen Idioten los werden, ohne durchs halbe Universum fliehen zu müssen.« »Fliehen?« Mario schnappte nach Luft. »Ich höre wohl nicht recht, Commander McLane! Wir sollten ihnen einen Denkzettel verpassen!« »Ich lasse nicht auf Menschen schießen, nur weil sie einem verblendeten Fanatiker gehorchen«, erwiderte Cliff unwirsch.
»Die anderen tun's für uns! Sie eröffnen das Feuer!« rief Arlene dazwischen. Etwa dreißig Schiffe der Wega-Flotte, die dem Aufruf der ORION gefolgt waren, eröffneten gleichzeitig den Beschuß, als ob die Kommandanten sich miteinander abgesprochen hätten. Binnen weniger Sekunden vergingen die fünf Einheiten in einem einzigen großen Glutball, der sich verblassend in der Schwärze des Alls ausbreitete. »Diese Narren!« schimpfte Cliff. Dann ließ er sich fallen und schloß einen Moment lang die Augen. »Vielleicht hatten sie recht«, sagte er dann leise. »Es steht zuviel auf dem Spiel.« »Der Strom der Invasoren scheint abgerissen zu sein«, teilte Helga mit. »Die Fernortung zeigt keine neuen Reflexe mehr. Demnach haben wir es mit insgesamt 1387 Invasionsschiffen zu tun.« »Wieviel Schiffe sind zu uns übergelaufen?« »Genau 92 Einheiten der Wega-Flotte.« Schweigend betrachteten die Raumfahrer, was sich über dem vierten Planeten tat. Nur Helga hielt den Kontakt mit den Überläufern und gab ihnen Anweisung, noch abzuwarten. Der Weltraum schien in Flammen zu stehen. Über dem Mars tobte die Raumschlacht und brachte Tod und Verderben über Tausende von Menschen. Es war von vorneherein aussichtslos für die Terraner. Die Rudraja-Schiffe erwiesen sich als unzerstörbar, während die Todesspiralen ein Schiff der Wega-Flotte nach dem anderen explodieren ließen. Ein Glutball nach dem anderen entstand. Energieschüsse und die Spiralen der Invasoren fuhren durch den Weltraum. Wo sie auf der Marsoberfläche auftrafen, richteten sie
schreckliche Verwüstungen an. »Das ist Wahnsinn!« preßte Mario hervor. »Heller Wahnsinn! Cliff, können wir denn gar nichts tun?« Der Commander schüttelte den Kopf, ohne den Blick von der zentralen Bildplatte zu nehmen. »Nichts, Mario. Wir müssen zusehen, wie die armen Kerle und die Frauen an Bord der Schiffe umkommen. Das ist die schlimmste Stunde meines Lebens, aber wir müssen hart bleiben, wenn die Erde eine Chance haben soll. Die Spiralen sind in der Lage, einen ganzen Planeten in die Luft zu jagen. Wir müssen warten, Freunde, bis die Schlacht vorüber ist. Dann ziehen wir uns unter maximaler Energieentfaltung mit den 92 zu uns gestoßenen Einheiten zum Jupiter zurück und veranstalten dort ein Feuerwerk, daß den Rudraja-Raumern gar nichts anderes übrigbleibt, als uns zu folgen. Wir können dabei nur hoffen, daß uns die Reste der Flotte keinen Strich durch die Rechnung machen.« »Wieso das?« fragte Arlene. »Seht sie euch an«, sagte Cliff und zeigte auf die Bildplatte. Der Kampf tobte immer noch unvermindert verbissen, aber es wurde deutlich, daß die Formation der Wega-Flotte schnell auseinanderbrach. »Ich traue diesem Verrückten zu, sich mit den heil gebliebenen Schiffen zur Erde zurückzuziehen, und dann gute Nacht.« »Das wird er nicht mehr können, Cliff«, meldete Helga Legrelle, die über Kopfhörer mit den 92 Schiffen neben der ORION in ständigem Kontakt stand und nebenbei den Funkverkehr zwischen den Schiffen der Flotte abhörte. »Mahavira lebt nicht mehr. Sein Flaggschiff wurde
vor wenigen Minuten vernichtet. Unter den Kommandanten der Flotte herrscht heillose Verwirrung.« Cliff sah es auf dem Schirm. Die Raumschiffe stoben durcheinander wie aufgescheuchte Hasen, und die Invasoren hatten leichtes Spiel mit ihnen. »Rufe sie auf, zu uns zu stoßen, bevor alles zu spät ist!« rief McLane erregt. »Wir ziehen uns zum Jupiter zurück, der Zeitpunkt ist gekommen. Funke die Flottenschiffe ununterbrochen an, jetzt müssen sie doch vernünftig werden.« Cliff selbst setzte sich mit den Nachbarschiffen in Verbindung. Dann setzte sich der kleine Verband in Bewegung. »Wie sieht's auf der Erde aus, Helga?« fragte Cliff plötzlich. Die Funkerin hantierte an einigen Schaltungen herum, bis sie resigniert die Schultern zuckte. »Totale Funkstille. Die Erde wirkt wie ein toter Planet. Nicht die geringsten Energieemissionen sind von hier aus anzumessen.« Jetzt grinste McLane über das ganze Gesicht und nickte Tunaka Katsuro zu. »Han ist doch ein schlauer Fuchs, Katsuro-san. Können Sie sich vorstellen, wie er es fertiggebracht hat, fast sämtliche energetischen Aktivitäten auf der Erde lahmzulegen?« »Über TECOM, nehme ich an.« Cliff schüttelte grinsend den Kopf. »Nein, Katsuro-san. Da gehört schon mehr dazu. Im Augenblick dürften unsere Mitmenschen wieder wie einst in der Steinzeit leben.« »Wenn das 'mal gutgeht«, rief Mario von seinem Platz aus. »Ich erinnere mich an den großen Strom-
ausfall in unserer alten Flottenbasis. Neun Monate später gab es ...« »Aber Mario!« unterbrach Atan den Freund. »Das gehört nun wirklich nicht hierher.« »Richtig, Atan«, stimmte Cliff zu. Der Commander war wieder ernst. »Wir bekommen Verstärkung«, meldete Helga. »Weitere Schiffe aus der versprengten Flotte schließen sich uns an.« »Die Invasoren sammeln sich und kommen hinterher!« rief Atan freudig erregt. »Wir haben es geschafft, Freunde! Sie beachten die Erde gar nicht!« Cliff war skeptisch. »Abwarten. Jetzt geht es erst richtig los.« Der Verband beschleunigte weiter. Vor ihnen, in Flugrichtung, schälte sich der riesige Ball des Jupiter aus der Schwärze des Alls. »Und wie wollen Sie die Kastenraumer aufhalten?« fragte Katsuro mit Ironie. »Sie werden uns ebenso in Stücke blasen wie die 4. Strategische Flotte. Schließlich können wir uns nicht im Jupiter verkriechen.« Niemand an Bord wußte eine Antwort. Es ging um die Erde und die auf ihr lebende Menschheit. * Cliff McLane verfolgte schweigend die Annäherung an den Riesenplaneten. Atan hatte die Steuerung übernommen. Der Verband folgte der ORION IX in geschlossener Formation. Das Schicksal der Wega-Flotte bewegte McLane tiefer, als er es nach außen hin zeigte. Immer noch hatte er die Schreckensbilder vor Augen. In der Geschichte
der Menschheit gab es keinen Vergleich für das Ausmaß an Vernichtung, das innerhalb weniger Minuten über viele tausend Frauen und Männer gekommen war. Es gab nur eine Assoziation, die die Raumschlacht in Cliff ausgelöst hatte. Als der Weltraum in Flammen stand, war die Erinnerung mit Gewalt an die Oberfläche des Bewußtseins gespült worden, wie es im Zusammenhang mit dem Auftauchen des Schwarzen Kristalls geschehen war, der die Menschen einfach hatte erstarren lassen. Und wie damals wußte Cliff, daß sie Ähnliches in der Parallel-Raumkugel mit der Phantom-Erde erlebt hatten. Es waren immer nur Bruchstücke einer Erinnerung, die zum größten Teil immer noch verdrängt in den Raumfahrern schlummerte. Jene Macht, die das Sternenschiff mit der ORION VIII damals in diese Parallelwelt geführt hatte und die ORION-Crew zu »Hütern der Menschheit« bestimmte, hatte ihnen am Modell gezeigt, welche Gefahren auf die Erde und die Menschheit lauerten. Ja, dachte Cliff bitter, nur kommen die Erinnerungen erst immer, wenn es zu spät ist. Er versuchte, anhand der Fragmente weiter in diese Erinnerung einzudringen, die mit dem Durchflug durch das »Tor des Vergessens«, genommen worden war, aber wie immer waren seine Anstrengungen vergeblich. Was kam noch auf die Menschheit zu, wenn sie tatsächlich noch einmal davonkommen würde? Cliff hatte sich längst an den Gedanken gewöhnt, notfalls sich und die Begleitschiffe über dem Jupiter für die Erde zu opfern. Es mußte eine Möglichkeit geben, die Invasoren unschädlich zu machen, und McLane hatte
auch schon einen vagen Plan. Ungewollt hatte Katsuro den Commander mit seiner letzten Bemerkung auf eine Idee gebracht. Aber was kam dann? Cliff erinnerte sich zwar nicht an Einzelheiten, aber er wußte, daß in der parallelen Raumkugel noch weitaus größere Gefahren und Schrecken gelauert hatten, als die Kastenschiffe sie darstellten, die ohne Zweifel in der Lage waren, die Erde mit einem einzigen Feuerschlag zu vernichten. Sie haben uns zu »Hütern der Menschheit« gemacht, überlegte Cliff vorwurfsvoll. Aber erst durch sie sind die kosmischen Mächte auf die Erde aufmerksam geworden! Die geheimnisvolle Macht, die die ORION VIII zur Phantom-Erde geführt hatte, konnte nur aus dem Varunja gekommen sein. Wieso half sie ihnen nun nicht in der Stunde der Not? Cliff grübelte weiter, ohne zu einem brauchbaren Ergebnis zu kommen. Dafür nahm der Planet konkrete Formen an. Zunächst jedoch würden sie versuchen, den Invasoren doch noch auf konventionelle Weise beizukommen. Vielleicht fanden sie eine Achillesferse. »Wir sind da«, meldete Atan. Cliff stand auf und beugte sich über die Bildplatte. »Sie scheinen zu zögern«, bemerkte Mario. »So wie den Jupiter haben sie sich ihren Zielplaneten sicher nicht vorgestellt.« »Du hast recht«, sagte Cliff. Noch einmal drohte die Situation umzuschwenken. Wenn die Gegner das Täuschungsmanöver durchschauten ... »Wieviel Schiffe haben wir, Helga?« »124 Einheiten, darunter 87 Schnelle Kreuzer vom Typ der ORION«, sagte Helga Legrelle.
»Wir müssen den Verband auffächern und in Verteidigungsposition vor dem Jupiter gehen. Wir ziehen uns dicht an die Atmosphäre zurück und feuern mit allem, was wir zur Verfügung haben.« »Da meldet sich ein Kommandant von einem der zu uns gestoßenen Schiffe«, sagte die Funkerin. »Ein gewisser Horrar Schmitz.« »Nie gehört, den komischen Namen«, murmelte McLane. Er trat zu Helgas Pult. Ein korpulenter Mann mit strähnig in die Stirn hängenden, schwarzen Haaren blickte ihm entgegen. Der Kommandant wirkte aufgeregt. »Wir konnten beobachten, daß die Spiralen der Kästen nur eine begrenzte Reichweite haben, McLane«, berichtete er. »Nach etwa 1500 Kilometern verlieren sie ihre Wirkung.« »Sie sind ein Engel!« rief Cliff, woraufhin der Dicke einen Hustenanfall und einen hochroten Kopf bekam. Cliff war längst wieder am Kommandostand der ORION IX. »Durchsage an alle Kommandanten«, rief der Commander, nachdem Helga durch eine Rundumschaltung dafür gesorgt hatte, daß er auf allen Schiffen des zusammengewürfelten Verbandes gehört und gesehen wurde. »Wir ziehen uns zu den bereits angegebenen Positionen zurück und eröffnen das Feuer. Solange die Gegner nicht näher als 1500 Kilometer kommen, haben wir nichts zu befürchten.« »Und wenn doch?« fragte Mario leise. Cliff winkte ab. »Es kommt im Moment nur darauf an, den Invasoren keine Gelegenheit zum Nachdenken zu geben. Sie sollen annehmen, der Jupiter würde sich mit allen
Kräften gegen die ›Invasion‹ wehren, dann müssen sie glauben, an der richtigen Adresse zu sein.« Nacheinander liefen von den anderen Schiffen die Bestätigungen ein. Die Invasoren standen immer noch weit draußen im All. Jeden Augenblick konnten sie umdrehen und Kurs auf die Erde nehmen. »Ob sich der Mharut an Bord eines der Schiffe befindet?« fragte Arlene mit Unbehagen in der Stimme. »Es ist anzunehmen«, erwiderte Atan. Cliff konzentrierte sich auf die Manöver des Verbandes. »Er wird uns durchschauen. Ich habe das Gefühl, daß sie gleich abziehen.« »Jetzt nicht mehr«, sagte Cliff McLane. »Das Signal, Helga!« Fünf Sekunden später begannen die 124 TerraSchiffe, aus allen Rohren zu feuern. Wie erwartet, richteten die Strahlen keinen Schaden unter den Quaderschiffen an. Dann schossen die grellen Energiespiralen auf die Terraner zu. * Die Erleichterung darüber, daß die Invasionsflotte im erhofften Sinn reagierte, dauerte nur wenige Sekunden. Tatsächlich reichten die Todesspiralen nicht bis zu den terranischen Schiffen. Die Ernüchterung kam, als die gesamte Invasionsflotte sich in Bewegung setzte. Sie flogen nicht – die Quaderschiffe sprangen und befanden sich im nächsten Augenblick wenige hundert Kilometer vor dem Ring der »Verteidiger«. Die sofort abgefeuerten Ener-
giespiralen rasten in die Diskusschiffe und vernichteten innerhalb weniger Sekunden 18 Einheiten. Cliff McLane hatte etwas Ähnliches befürchtet und reagierte sofort. Jetzt blieb nur noch ein Ausweg, obwohl das mit Sicherheit weitere Opfer kosten würde. Cliff rief die Kommandanten der kämpfenden Schiffe auf, der ORION in die Atmosphäre des Jupiter zu folgen. Es gab heftige Proteste, aber der nächste Feuerschlag der Invasoren wischte sie beiseite. Der terranische Verband nahm Fahrt auf und stürzte sich in die Methanhölle des Riesenplaneten, wobei die Schiffe weiter auf die Verfolger feuerten. »Jetzt können wir zeigen, wozu wir fähig sind«, knirschte Atan Shubashi, der sich mit McLane in der Steuerung der ORION IX ablöste. »Deine Kinderchen müssen noch etwas für ihre Zuckerstangen tun, Hasso!« »Das fürchte ich auch«, meldete sich der Ingenieur aus dem Maschinenleitstand. »Aber dann bestehen wir auf einer doppelten Portion.« »Genehmigt«, sagte Cliff geistesabwesend. Die ORION wurde heftig durchgeschüttelt. Auf den Außenübertragungsschirmen waren die heftigen Protuberanzen der wirbelnden Luftschichten zu sehen. »Sie haben das Feuer eingestellt!« rief Arlene. »Sie folgen uns, aber sie schießen nicht mehr.« »Das ist unsere Chance!« Cliff gab Helga einen Wink. »Wir fliegen weiter auf die Oberfläche zu und täuschen eine Landung vor. Wenn die Turbulenzen übermächtig zu werden drohen, fliegen wir innerhalb der Atmosphäre um den Planeten herum und verlassen die Atmosphäre auf der anderen Seite. Wenn unsere Verfolger nicht im letzten Moment den Trick
durchschauen, werden sie allesamt versuchen zu landen und dabei in ihr Verderben fliegen. Mein Gott! Wir können es tatsächlich noch einmal schaffen! Gib den Kommandanten entsprechende Anweisungen, Helga! Sie sollen uns folgen und weiter feuern, bis wir den tiefsten Punkt innerhalb der Atmosphäre erreicht haben. Sie sollen alles aus ihren Maschinen herausholen. Das gilt auch für dich, Hasso!« Helga Legrelle befolgte die Anweisung kommentarlos. »Wir geraten immer tiefer in diese Hölle hinein, Cliff!« schrie Atan, um sich in dem plötzlich hereinbrechenden Getöse verständlich zu machen. »Das ist Wahnsinn! Wir schaffen es nie!« »Wir müssen es schaffen!« schrie Cliff. Seine Stimme ging in dem Krach der überlasteten Maschinen und dem Knistern der Instrumente unter, als das Raumschiff von heftigen Entladungsblitzen getroffen wurde und wild zu schlingern begann. Die dichte Atmosphäre aus Wasserstoff, Methan und Ammoniak war in Bewegung geraten. Wie ein furchtbarer Orkan brach sie über die terranischen Schiffe herein. »Weiter!« peitschte die Stimme des Commanders seine Gefährten an. »Wir dürfen jetzt nicht aufgeben! Sie folgen uns. Die Schiffe sollen langsam das Feuer einstellen, Helga. Alles muß nach einer Landung aussehen!« Es war nicht zu erkennen, ob die Funkerin Cliff verstanden hatte. Sie arbeitete wie besessen. Die Entladungen in der Atmosphäre machten einen Funkverkehr zwischen den Raumschiffen fast unmöglich. Es war wie ein Wunder, daß fast der gesamte Verband unverändert auf den Ortungsschirmen stand.
Die Minuten vergingen, während die ORION IX immer noch sank. Jetzt trafen die ersten Hiobsbotschaften von den anderen Einheiten ein. Innerhalb von acht Minuten stürzten vier Kreuzer ab, die der mörderischen Dichte der Jupiteratmosphäre zum Opfer fielen. »Das reicht!« fluchte Cliff mit einem Blick auf die Instrumente. Er stützte sich ab, als das Schiff heftig durchgeschüttelt wurde. Die Innenbeleuchtung begann zu flackern und erlosch für einige Sekunden. Cliff arbeitete sich zum Pult der Funkerin vor. »Hast du Kontakt zu den anderen Einheiten?« schrie er Helga ins Ohr. Die Frau schüttelte verzweifelt den Kopf. »Also schön, sie werden uns folgen. Wir steigen ein paar Kilometer höher, Atan. Hasso, jetzt zeige, was du kannst!« Wieder ging ein Ruck durch die ORION. Hasso Sigbjörnsons Stimme kam gebrochen und kaum verständlich durch die Lautsprecher des Videophons. »Wir schaffen es nicht! Die Turbulenzen sind zu groß!« Es knackte ein paarmal, dann drangen weitere verzweifelte Wortfetzen aus dem Lautsprecher: »... Maschinen voll belastet ... schaffe nichts mehr ...« »Mein Gott«, stieß Atan hervor. »Das ist also unser Ende.« Cliff fuhr den kleinen Astrogator unbeherrscht an. »Rede keinen Unsinn, Atan! Wir ...« »Sechs Schiffe sind abgestürzt!« rief Arlene von den Ortungsgeräten her. »Noch eins, Cliff, wir haben zuviel riskiert. Wir schaffen es wirklich nicht!«
Der Commander fluchte und trat an die Bildplatte, auf der die Höhenangaben abzulesen waren. Die ORION sank weiter. »Mehr Dampf, Hasso! Und wenn uns die Maschinen um die Ohren fliegen! Wir müssen an Höhe gewinnen!« Tunaka Katsuro stand zwischen zwei Konsolen an der Wand der Zentrale und hielt sich fest. Das Schiff schlingerte erneut, wieder zuckten heftige Blitze durch die Atmosphäre und trafen die ORION. Arlene meldete weitere Abstürze. Cliff McLane schlug sich die Hände vor die Augen und wartete darauf, aus diesem Alptraum aufzuwachen. Aber das grausame Schicksal schien nicht gewillt zu sein, ihm diesen Gefallen zu tun. Cliff nahm die Hände herunter und sah sich um. Die Gesichter der Gefährten sagten ihm alles. Alles in ihm wehrte sich dagegen, daß dies das Ende sein sollte. Trotzdem war Cliff McLane Realist genug, um sich einzugestehen, daß eine Rettung aus eigener Kraft unmöglich geworden war. Immer stärkere Entladungsblitze und die Hölle der dichten Atmosphäre machten das Schiff zu einem willenlosen Spielball. Cliff verscheuchte die quälenden Gedanken, als Arlene neben ihm erschien und ihm etwas zuschrie. Sie preßte beide Hände gegen die Schläfen, als ob sie unter furchtbaren Schmerzen litt. Der Commander kümmerte sich um die Gefährtin. Ein Blick auf die Ortungen zeigte ihm, daß die Invasionsflotte mit unverminderter Geschwindigkeit auf die Jupiteroberfläche herabstürzte, und zwar an jener Stelle, wo die Terra-Schiffe zu feuern aufgehört hatten.
Das allein zählte jetzt. * Die Erde glich in diesen Stunden einem ausgestorbenen Planeten. Han Tsu-Gol hatte dem Krisenstab kurz vor dem Anlaufen der Invasion unter der Marsoberfläche einen vom terranischen Computerzentrum TECOM gelieferten Krisenplan vorgelegt, der einstimmig angenommen worden war. Die Bevölkerung war über alle Medien aufgefordert worden, jede Energieentfaltung und -erzeugung einzustellen, während über TECOM der gesamte öffentliche Verkehr stillgelegt wurde und alle überflüssigen Aktivitäten im Bereich der Infrastruktur und der öffentlichen Versorgung eingestellt wurden. Nur die wichtigsten Kommunikationskanäle blieben offen. Die Erde war von den Vorgängen im Weltraum so gut wie abgeschnitten – taub und blind. Nur wenige kleine Satelliten lieferten ein ungefähres Bild der Vorgänge zwischen Mars und Jupiter. Die volkswirtschaftlichen Schäden, die aus der Energiesperre resultierten, würden gigantisch sein, aber außer wenigen Querulanten befolgte die Menschheit die Anweisungen der Regierung. Die Angst vor einer Invasion vom Mars war übermächtig. Die Regierung hatte alles getan, damit der Gegner nicht auf die Erde aufmerksam gemacht wurde. Das war alles, was in der Macht der Verantwortlichen und der Bevölkerung lag. Die Entscheidung mußte im Weltraum fallen. Die Mitglieder der Regierung, des Verteidigungsstabs und der diversen wissenschaftlichen Sektionen
verfolgten die Ereignisse über dem Mars in einem riesigen Konferenzraum im Flottenhauptquartier, der mit allen nötigen Geräten ausgestattet war. Aus den sparsam einlaufenden Informationen der Sonden ergab sich ein vages Bild der Vorgänge, das durch zusätzliche TECOM-Analysen vervollständigt wurde. Han Tsu-Gol beobachtete die Entwicklung schweigend. Er machte sich schwere Vorwürfe, und einige der Anwesenden bemühten sich nicht, ihre Vorwürfe zu verbergen. Leandra de Ruyter, die Chefin der Terrestrischen-Raumaufklärungsverbände und Vorgesetzte der ORION-Crew, bedachte den Ministerpräsidenten mit giftigen Blicken, und die Vertreter des GSD ignorierten Han vollkommen. Zur Untätigkeit verurteilt, verfolgten die Frauen und Männer des Krisenstabs die Raumschlacht über dem Mars und mußten mitansehen, wie die WegaFlotte an den Rand der völligen Vernichtung geriet. Dann verlagerte sich das Geschehen in Richtung Jupiter. Es war nicht schwer, die Absicht der zur ORION IX übergelaufenen Schiffe zu erkennen, als sie sich feuernd in die Atmosphäre des Riesenplaneten zurückzogen. Noch weniger schwer fiel es, die Konsequenzen zu erkennen. Die Invasoren folgten dem kleinen Verband, bis auch das letzte Schiff in der Gashölle verschwunden war. Die Sonden übermittelten die Echos von heftigen Explosionen. TECOM bestätigte, daß nur ein winziger Teil von abgestürzten terranischen Schiffen herrühren konnte. Die Invasoren fanden ihr Ende in der Hölle des Jupiter, und mit ihnen die Invasion. Die Erde konnte aufatmen.
TECOM stellte eine neue Rechnung an und kam zu dem Ergebnis, daß nun – vorerst, wie der Riesenrechner einschränkte – nichts mehr zu befürchten sei. Die Erde erwachte zu neuem Leben, und die Menschen kehrten zu ihren Beschäftigungen zurück. Nur im Hauptquartier der Flotte unterhalb des CarpentariaGolfs herrschte Begräbnisstimmung. Alles deutete darauf hin, daß die gesamte WegaFlotte, abgesehen von den etwa fünfzig Einheiten, die nach Mahaviras Tod nicht zur ORION gestoßen waren, sondern sich irgendwohin in den Weltraum abgesetzt hatten, von wo sie sich jetzt nach und nach zurückmeldeten, in der Atmosphäre des Jupiters ihr Ende gefunden hatte – und mit ihr die ORION. Als auch nach drei Stunden noch kein Signal von den Schiffen gekommen war, gab man auf der Erde die Hoffnung auf. * Han Tsu-Gol glich einem Häufchen Elend. Er hatte sich von seinen Mitarbeitern verabschiedet und sich in seine Arbeitsräume zurückgezogen, wo er mit sich und seinen Gedanken allein war. Nach einer halben Stunde rief er seine Assistentin Mara Baschoff zu sich. »Setzen Sie sich«, forderte er die attraktive Frau auf. Er versuchte, in ihren Augen zu lesen, aber sie beherrschte sich meisterhaft. »Sagen Sie's schon«, bat er schließlich. »Ich habe die Schiffe und die ORION auf dem Gewissen. Ich hätte auf McLane hören und Mahavira nicht vertrauen sollen.«
»Ich kann Ihnen nicht widersprechen, Han«, entgegnete die Regierungsassistentin. »Allerdings gebe ich Ihnen keine Schuld. Hätte McLane die TOPSCORE rechtzeitig abschießen lassen, wäre uns dies alles erspart geblieben.« »Und die Invasionsbasen unter der Marsoberfläche? Der Mharut wäre nicht dazu gekommen, die Schiffe zu aktivieren, aber sie wären eine ständige Bedrohung für uns gewesen. Nein, Mara, wir machen es uns zu leicht. Die ORION-Crew hat sich für uns geopfert. Sie waren oft in ähnlichen Situationen, aber sie hatten Glück.« Mara Baschoff schwieg. Han Tsu-Gol spielte nervös mit den Fingern an einem Bündel zusammengehefteter Folien. »Sie haben ihr Leben für uns gegeben, und ich warf Cliff noch vor Stunden vor, er würde sich aufführen, als wolle er eine Gegenregierung bilden! Können Sie sich vorstellen, wie mir zumute ist, Mara?« »Das kann ich, Han. Und ich möchte um nichts in der Welt in Ihrer Haut stecken.« »Sie sind wenigstens ehrlich, was man nicht von allen Assistenten behaupten kann. Tun Sie mir einen großen Gefallen, Mara?« »Selbstverständlich!« Jetzt verriet das Gesicht der Frau aufrichtiges Mitleid. Han Tsu-Gol war in diesen Stunden wohl der einsamste Mensch der Welt. »Dann gehen Sie zu Kyll Lennard und bitten Sie ihn, zu mir zu kommen. Ich werde der ORION und ihrer Mannschaft ein Denkmal setzen lassen, stellvertretend für alle, die ihr Leben für die Erde gaben. Verstehen Sie das nicht falsch, Mara. Ich verachte falsche Märtyrer und pathetische Gesten, die oft genug
dazu benutzt wurden, das Volk zu verdummen. Aber mit McLane und seinen Freunden ist ein Stück Menschheitsgeschichte zu Ende gegangen.« Mara Baschoff grüßte knapp und verschwand aus dem Arbeitsraum. Eine Viertelstunde später erschien der Minister für Wissenschaft und Forschung, Kyll Lennard. Han Tsu-Gol erläuterte ihm seine Absicht und bat ihn, entsprechende Schritte zu veranlassen. »Die Menschheit soll wissen, daß McLane einer von uns war, Kyll. Wir leben immer noch teilweise in einer Kunstwelt und sind zu oft an den Realitäten vorbeigegangen. Wir müssen endlich eine Brücke zur Vergangenheit schlagen, zu jener Zeit, aus der die ORION kam. Da gab es doch diesen Wamsler, dem die alte ORION unterstellt war. Er wäre das rechte Bindeglied. Benennen Sie einen Park oder etwas Derartiges nach ihm. Am besten lassen Sie sich von ein paar guten Psychologen beraten. Ein ›ORION-Park‹ wäre zu pathetisch. Sie verstehen mich?« »Ich glaube schon«, murmelte Lennard, der in Gedanken bereits bei dem Projekt war. »Also schön. Und noch etwas, Kyll. Wie ist die Stimmung?« Der Ex-Orcast verstand, was Han meinte. »Die Leute haben sich beruhigt und eingesehen, daß Sie nicht anders handeln konnten. Sie werden lachen, aber ausgerechnet Leandra de Ruyter, die an der ORION-Crew hing wie kaum einer von uns, hat sich zu Ihrer Verteidigerin gemacht.« »Ein schöner Trost für eine Tigermutter, die aus reiner Blindheit ihre Junge geopfert hat ...« »Wie meinen Sie, Han?«
»Vergessen Sie es, Kyll. Bitte, veranlassen Sie das Notwendige.« »Ich werde mich unverzüglich daranmachen«, versicherte Lennard und verabschiedete sich. Wieder war der Regierungschef allein. In diesen Minuten schwor er sich, nie wieder den Rat einer erfahrenen Raumschiffsbesatzung in den Wind zu schlagen. Er verzieh McLane all seine »Sünden«. Plötzlich summte das Videophon. Han drückte müde eine Taste. Das Gesicht von Mara Baschoff erschien auf dem kleinen Bildschirm auf dem Schreibtisch. »Da möchte Sie jemand sprechen, Han«, erklärte sie. Mit Befremden registrierte der Ministerpräsident das Zucken um die Mundwinkel der Frau. Sie schien über irgend etwas erheitert zu sein! »Wimmeln Sie ihn ab, Mara. Ich bin für niemanden zu sprechen, egal wer's ist.« »Egal, wer's ist?« fragte die Assistentin. Jetzt schmunzelte sie sogar! Han verbarg sein Befremden nicht länger. »Sie haben es ja wohl gehört! Überhaupt scheinen Sie sich sehr schnell getröstet zu haben!« »Das ist allerdings wahr.« Han spürte den Zorn in sich aufsteigen. Bevor er zu einer heftigen Entgegnung ansetzen konnte, sagte Mara: »Wollen Sie denn gar nicht wissen, wer Sie da sprechen will?« Jetzt wurde der Ministerpräsident stutzig. Immerhin kannte er Mara Baschoff als eine zuverlässige Mitarbeiterin, und er hatte sie in den Jahren der Zusammenarbeit schätzen gelernt.
»Na schön. Wer ist's?« »Ein gewisser Commander Cliff McLane von der ORION IX ...«
8. Das Wunder war geschehen, als niemand mehr damit rechnete. Die Reste der Wega-Flotte und die ORION IX waren schutzlos den Tücken der Jupiteratmosphäre ausgesetzt gewesen. Den Schiffen, die bisher dem Inferno getrotzt hatten, drohte ebenfalls der Untergang. Plötzlich aber war der Verband in eine Schicht heftiger Turbulenzen geraten, die die Schiffe in die Höhe rissen. Dabei waren noch einmal einige Schiffe ausgefallen. Andere wurden regelrecht zur Seite geschleudert, konnten aber mit geschickten Manövern wieder zum Gesamtverband aufschließen. Die terranischen Schiffe schossen genau auf der entgegengesetzten Seite des Jupiter wieder aus der Atmosphäre. Achtundachtzig Einheiten hatten die Hölle des Jupiter überlebt und sich im freien Raum neu formiert. Die kleine Flotte umflog den Planeten und registrierte die Explosionen der Invasorenschiffe. »Es war wirklich ein Wunder«, sagte Atan Shubashi in der Zentrale der ORION IX, als die Automatik die Steuerung übernahm. Die Flotte befand sich auf direktem Kurs zur Erde. »Es gibt keine andere Erklärung.« »Der erste von uns, der zugibt, daß er abergläubisch ist«, grinste Mario, aber jeder wußte, daß er lediglich versuchte, den überstandenen Schock zu verdrängen. Sie waren quasi von den Toten auferstanden. Aber es war nicht wie in den Einsätzen der Vergangenheit. Irgend etwas paßte nicht zusammen. »Atan hat recht«, sagte Cliff, der bei Arlene stand.
Sie litt unter etwas, das sie selbst nicht in Worte fassen konnte. Irgend etwas war in ihrem Kopf, hatte sie gestammelt, etwas Fremdes und Unbegreifliches. »Selbst in der dichten Atmosphäre des Jupiter dürfte es nach all unseren bisherigen Erkenntnissen keine Turbulenzen geben, die stark genug wären, eine ganze Flotte nach oben zu spülen.« »Du irrst, Cliff!« warf Mario ein. »Bedenke, wie tief wir gesunken waren ...« »Hört, hört!« rief Atan. »Wir sind tief gesunken!« »Du weißt, wie ich das meinte«, knurrte Mario beleidigt. »Wo wir uns befanden, war die Atmosphäre so dicht, daß es durchaus möglich war, durch eine heftige Luftbewegung aus dem Sumpf gerissen zu werden, wenn mir dieser bildhafte Vergleich gestattet ist.« »Schon gut«, meinte der kleine Astrogator. »Hans Vergleiche sind auch nicht viel besser.« »Mein Gott, Han!« stöhnte Cliff. »Helga, versuche, die Erde zu erreichen. Sie werden sich Sorgen um uns machen.« »Sorgen?« entgegnete die Funkerin. »Du bist ein hoffnungsloser Optimist, Cliff McLane!« »Mein Computer kommt übrigens auch zu dem Ergebnis, daß es sich um Turbulenzen handelte«, meldete Mario sich erneut. »Es ist so, als ob man sich im Wasser befinden würde. Als Kind war ich begeisterter Wildwasserfahrer und geriet auch einmal in eine Strömung, die so heftig war, daß meine Sportskameraden zwei Stunden nach mir suchen mußten, bevor sie mich ein Dutzend Meilen flußaufwärts fanden.« »Du mußt ein Prachtkind gewesen sein«, stellte Cliff sarkastisch fest.
»Ich bin jetzt noch ein Prachtkerl!« meinte Mario mit stolzgeschwellter Brust. »Was ist mit der Erde, Helga?« fragte Cliff. »Ich habe da diese Mara Baschoff in der Leitung«, meinte die Funkerin und zuckte die Schultern. »Sie bekam einen Lachanfall, als ich mich meldete.« »Die spinnen, die Weiber im Flottenhauptquartier«, murmelte Atan. »Sie sagt, wir sollten noch etwas Geduld haben.« »Warten wir also«, sagte Cliff. Arlene lehnte sich an ihn. Sie hatte den Schock immer noch nicht überwunden. Irgend etwas war mit ihr geschehen, für das es keine plausible Erklärung gab. »Ich habe Han!« rief Helga. Sekunden später zeigte die Bildplatte das Abbild des Regierungschefs. »Sie sehen schlecht aus, Han«, begann Cliff. »Fehlt Ihnen etwas?« * Die ORION IX flog nicht direkt zur Basis 104 auf der Erde zurück, sondern blieb noch zwei Tage im Weltraum. Die Crew versuchte, sich ein Bild von den Verwüstungen auf dem Planeten und den Verlusten der Wega-Flotte zu machen. Der Mars war von einem Gürtel aus Trümmerstücken und Raumschiffswracks umgeben. Überall waren bereits kleinere Schiffe dabei, die im Raum treibenden Leichen zu bergen. Es waren Bilder des Grauens, die sich hier boten. Erst jetzt wurde der ORION-Crew bewußt, was sich hier abgespielt hatte. Die in den Marsbasen stationierten Schiffe waren nur eine Hilfsflotte des Rudraja gewesen. Welche un-
vorstellbare Macht verbarg sich wirklich hinter diesem Begriff? Die Raumschlacht nach dem Erwachen des zweiten Mharuts war die bisher größte Konfrontation mit den Gegnern aus der Vergangenheit gewesen. Was war, wenn die schlummernden Erben der Urmächte, von deren Machtpotential sich Menschen nicht annähernd eine Vorstellung machen konnten, nun endgültig auf das Sonnensystem aufmerksam geworden waren? Was war aus dem Mharut geworden? War er an Bord eines Schiffes der Invasionsflotte umgekommen oder steckte der Roboter noch irgendwo in den Tiefen des Mars? Wieder die bange Frage: Würde es eines Tages einer der verbannten kosmischen Mächte gelingen, den Weg zurück ins reale Universum zu finden? Was hatte sich damals, vor unvorstellbaren Zeiten, tatsächlich ereignet? Schließlich nahm die ORION IX Kurs auf die Erde und verschwand im gewaltigen Einflugstrudel des Carpentaria-Golfs über Basis 104. * »Ja, Han, so war das«, schloß Cliff McLane seinen Bericht. Er und die übrigen Mitglieder der ORIONCrew saßen Han Tsu-Gol an einem runden Tisch in einem ruhigen Raum des Flottenhauptquartiers gegenüber. Außer ihnen waren Tunaka Katsuro, Mara Baschoff und einige Regierungsassistenten und Minister in der Runde. »Manchmal glaube ich, daß Sie mit dem Leibhaftigen im Bunde stehen, Cliff«, sagte Han. Er versuchte vergeblich, einen ernsthaften Eindruck zu machen,
aber die Erleichterung über die unversehrte Rückkehr der Raumfahrer war nicht zu übersehen. Die Besatzungen der zurückgekehrten Schiffe hatten vorerst unbeschränkten Ausgang erhalten und wurden wie Könige behandelt. Obwohl die ORION-Crew so etwas wie die »erste Wahl« für die Erde war, machte die Regierung keine Unterschiede, und niemand war darüber erfreuter als Cliff und seine Gefährten. Sie wollten und konnten sich nicht über die Mitmenschen stellen, denen nicht soviel Ruhm vergönnt war wie ihnen. »Mich beunruhigt immer noch, was aus dem Mharut geworden ist«, sagte Cliff. »Wenn er noch existiert, dann droht uns neue Gefahr.« »TECOM hat bestätigt, daß der Roboter mit der Invasionsflotte umgekommen ist«, beruhigte Han TsuGol den Commander. »Aus den vorhandenen Daten geht eindeutig hervor, daß schon kurz nach dem Eintauchen der Quaderschiffe in die Jupiteratmosphäre eine Explosion angemessen werden konnte, die andere Echos lieferte als die der vernichteten Schiffe. Mehr noch, die Werte stimmten mit den Impulsen überein, die bei der Vernichtung des ersten Mharuts im Computerzentrum registriert und gespeichert wurden.« »Gott sei Dank!« entfuhr es Atan Shubashi. »Vielleicht haben wir jetzt ein paar Tage Ruhe.« »Das glaube ich kaum«, sagte McLane. »Die Basen auf dem Mars warten darauf, daß wir sie uns anschauen.« »Sie bekommen auch nie genug«, stellte Han resigniert fest. »Wir sind eben pflichtbewußt«, stellte Cliff fest,
woraufhin die restliche Crew lauthals zu lachen begann. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und Kyll Lennard trat ein. Er hielt ein paar Papierrollen in der Hand. Als er die ORION-Crew sah, schüttelte er jedem der Raumfahrer begeistert die Hand und zwinkerte McLane vertraulich zu. »Ist der verrückt geworden?« fragte Cliff leise zu Mario hinüber, als Kyll neben Han Tsu-Gol Platz nahm. Kyll Lennard richtete sich auf und setzte zu einer Rede an. Der Ministerpräsident machte ihm einige Zeichen, daß er schweigen sollte, aber Lennard bemerkte sie in seinem Eifer nicht einmal. Han Tsu-Gol ahnte Schlimmes. In der allgemeinen Hektik war er gar nicht dazu gekommen, den Lennard gegebenen Auftrag zu widerrufen. »Ich nehme an, Sie wollen selbst die frohe Nachricht bekanntgeben«, sagte Lennard mit einem höflichen Lächeln. Der Ministerpräsident nahm die Rollen stöhnend entgegen und flüsterte Lennard etwas zu, was dieser jedoch nicht verstand. »Es ist gut«, sagte Han schließlich. »Das hat Zeit. Wir haben ... äh ... noch wichtigere Dinge zu erledigen.« Lennard setzte eine enttäuschte Miene auf. Er sah verlegen zur versammelten ORION-Crew herüber, als suche er bei ihnen Hilfe. »Wir haben Zeit, Han«, bemerkte Cliff. »Tun Sie sich nur keinen Zwang an.« »Sehr richtig«, rief Mario de Monti. »Kyll sagte etwas von einer ›frohen Nachricht‹. Das betrifft doch nicht etwa uns? Wollen Sie uns nicht in Ihr Geheim-
nis einweihen, Meister der unerfüllten Hoffnungen?« Der Regierungschef sah die Crew einen nach dem anderen an. Dann schüttelte er den kahlen Schädel. »Sie sind ebenso unverbesserlich wie unverwüstlich.« »Unkraut vergeht nicht, sagte schon ein altes Sprichwort«, meinte Cliff McLane. »Ich werde es mir merken«, versprach Han. Dann holte er noch einmal Luft und rollte die Pläne auf. »Dies ist der Entwurf für ein ...« Han Tsu-Gol stutzte und beugte sich über die Rolle. »Haben Sie Ihre Brille nicht dabei?« fragte Mario. »Kommen Sie her, Kyll!« rief Han statt einer Antwort. »Was soll dies hier?« Er zeigte auf ein paar Stellen des Plans, den die Crew von ihren Plätzen aus nicht einsehen konnte. »Das sind die Daten«, erwiderte der Minister, der sich sichtbar über die Frage wunderte. »Das meine ich nicht. Wenn ich noch richtig lesen kann, steht hier etwas von einem ›Heim für pensionierte Raumfahrer‹ ...« »Das stimmt, Han. Ein riesiges Heim, das unseren Veteranen die verdiente Altersruhe geben soll, mit großen Parks, einem Raumschiffsmodell, Casinos und Simulationsgeräten ...« »Hören Sie auf!« rief der Ministerpräsident barsch dazwischen. »Wer ist auf diese verrückte Idee gekommen? Ausgerechnet ein Heim für Raumfahrerveteranen!« »Ich habe ein Psychologenteam damit beauftragt, ein geeignetes Objekt zu finden, mit gewissem dezenten Symbolwert, um die Zeit zu überbrücken, wie Sie es wünschten.«
Han Tsu-Gol legte den Plan aus den Händen und zog ein kleines Tuch hervor, mit dem er sich den Schweiß von der Stirn wischte. »Wollen Sie uns nicht aufklären, Han?« fragte Cliff mit gespieltem Mitleid. »Geteilter Schmerz ist halber Schmerz.« »Ist das Projekt bereits in Auftrag gegeben?« fragte Han seinen Minister. Lennard nickte eifrig. »Also schön, Cliff. Sie werden es ja doch erfahren. Als ich Sie abgeschrieben hatte und unter ... sagen wir: sentimentalen Anwandlungen litt, wurde mir bewußt, wie sehr verschieden unsere Welten doch noch sind. Um die Jahre zwischen Ihrer und unserer Zeit zu überbrücken, bat ich Kyll Lennard, einen Park oder etwas Ähnliches nach Ihrem ehemaligen Vorgesetzten, Raummarschall Winston Woodrov Wamsler zu benennen. Einige unserer fähigsten Psychologen sollten ihm dabei helfen, ein geeignetes Objekt zu finden.« Atan und Helga begannen zu kichern. Cliff hielt sich mit Mühe ernst. »Und was hat das mit dem Altersheim zu tun?« fragte er scheinheilig. »Ich verstehe Ihre Unruhe nicht, Han, das ist doch eine sehr lobenswerte Idee, mit dem Park ...« »Das Objekt ist kein Park, sondern dieses Altersheim!« Kyll Lennard bemühte sich, den Blicken seines Chefs auszuweichen. Die ORION-Crew konnte sich nicht mehr ernst halten. Die Raumfahrer krümmten sich vor Lachen. »Was ist daran so komisch?« wollte Lennard wissen.
»Nichts«, brachte Cliff halbwegs verständlich hervor. »Nichts, Kyll, Wamsler hätte seine wahre Freude daran gehabt. Wenn er das noch miterleben könnte. Winston-Woodrov-Wamsler-Heim!« Helga Legrelle hatte Tränen in den Augen, während Atan einen Hustenanfall bekam. Nur langsam beruhigten sich die Raumfahrer und standen auf. »Doch, Kyll«, versicherte Cliff. »Das ist gut, sehr gut sogar. Unsere Psychologen haben wieder einmal mehr bewiesen, daß sie ihr Fach verstehen. Die haben sich nicht verändert, Han. Hier haben Sie Ihre Brücke zu unserer Zeit.« »Ich würde vorschlagen, daß wir unsere Brücke im Starlight-Casino schlagen«, meinte Mario. »Trotz der Preise?« fragte Arlene. »Trotz der Preise. Wir haben heute einen Grund zum Feiern!« Nachdem die Crew den Raum verlassen hatte, sahen sich die Politiker ziemlich ratlos an. »Ich habe den Plan wirklich von unseren fähigsten Psychologen ausarbeiten lassen«, beteuerte Lennard. »Ich weiß gar nicht, worüber die Burschen sich so amüsieren.« »Lassen Sie's gut sein, Kyll«, tröstete Han seinen Minister. »Es hat wohl etwas mit ihren Vorstellungen von ihrer Pensionierung zu tun. Und außerdem, was wissen Sie eigentlich über Wamsler?« Lennard zuckte die Schultern. »Nun, er war ...« »Also nichts, das dachte ich mir. Machen Sie sich keine Gedanken, Kyll, das renken wir schon wieder ein.« Und dann begann auch Han Tsu-Gol lauthals zu
lachen. Kyll Lennard verließ mit seinen Plänen den Raum. Er verstand die Welt nicht mehr. * Die ORION-Crew verbrachte den Abend im StarlightCasino und handelte sich zahlreiche Beschwerden anderer Besucher ein, die sich über ihr »ungebührliches Verhalten« angesichts der schweren Verluste der Wega-Flotte beschwerten. Selbst die Androhung des Lokalverbots durch einen Bedienungsroboter vermochte jedoch an diesem Abend nicht, die Raumfahrer zu beruhigen. Nur das Wort »Wamsler« genügte, um einen neuen Lachorkan hervorzurufen. Die Tischnachbarn warfen der Crew strafende Blikke zu. Es war für Außenstehende tatsächlich nicht einfach, die Art und Weise zu begreifen, wie die Crew ihren Gefühlen Ausdruck verlieh. Denn in Wirklichkeit versuchten sie nur, einige Stunden die grausame Realität zu vergessen. Jeder von ihnen wußte, daß ihnen nicht viel Zeit zum Ausruhen bleiben würde. Die Basen auf dem Mars existierten immer noch, und niemand konnte sagen, was sich in der Tiefe verbarg. Mit Sicherheit aber gab es dort Hinterlassenschaften einer fremdartigen, überlegenen Technik, die es auszuwerten galt. Außerdem bestand die Gefahr, daß die Anlagen unter der Marsoberfläche mit anderen Basen des Rudraja in Verbindung standen, von wo neue Gefahren auf die Menschheit zukommen konnten. Viele Fragen waren unbeantwortet, und die Menschen würden vielleicht nie eine Antwort finden. Was steckte wirklich hinter der »Entdeckung« der Neben-
station auf Ganymed? Was war mit Arlene geschehen – in der Hölle des Jupiter? Sie waren in eine Entwicklung hineingezogen worden, die sich nicht kontrollieren ließ. Die Menschen waren dazu verurteilt, auf den nächsten Schlag des unbekannten Gegners zu warten und zu versuchen, ihn abzuwehren. Das Ende dieser verhängnisvollen Kette war noch nicht abzusehen. Vielleicht würden sie eines Tages jener Macht gegenüberstehen, die die Fäden zog ... Cliff McLane und seine Freunde tranken und lachten über Lennards Paradestück. Aber der Schein trog. Ihre Gefühle schwankten zwischen ohnmächtiger Wut und Trauer um ihre gefallenen Kameraden und Angst vor dem, was als nächstes auf sie zukommen würde ... ENDE