Im Traumland der Liebe
Violet Winspear
Julia Exklusiv
1.KAPITEL Janna arbeitete jetzt seit etwa acht Monaten für Mil...
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Im Traumland der Liebe
Violet Winspear
Julia Exklusiv
1.KAPITEL Janna arbeitete jetzt seit etwa acht Monaten für Mildred Noyes. Obwohl sie das Gefühl hatte, dass die Autorin ihr ein wenig viel abverlangte, war es doch besser als die ewige Monotonie eines Großraumbüros in der Stadt. Mildred reiste auf der Suche nach Handlungen, szenischen Hintergründen und Charakteren für ihre Bücher umher. Janna war zwanzig und ohne Familie. Die Chance, für Mildred Noyes zu arbeiten, hatte sich Janna durch die Anzeige einer Personalagentur geboten, an der sie jeden Tag auf dem Weg zu ihrem Büro am Piccadilly Circus vorbeikam. Sie war stehengeblieben und hatte sie gelesen und sich das Gehalt durch den Kopf gehen lassen. Es war ein wenig niedriger als das, was sie im Büro bekam. Aber die Worte "muss in der Lage sein, als Gesellschafterin und Sekretärin zu reisen", hatten alle Überlegungen beiseite gewischt. Janna hatte das tiefe Verlangen, aus dem Verkehrsgewühl von London herauszukommen, und war zum Hilton-Hotel gegangen, um sich vorzustellen. Unter mehreren jungen Mädchen und Frauen war die Wahl auf sie gefallen. Mildred hatte mit den Gründen nicht hinter dem Berg gehalten. Janna war allein auf der Welt. Sie hatte keine Männerfreundschaften. Sie schrieb schnell und sauber. Sie war ein nettes Mädchen. Mildred hatte es sofort bemerkt. Janna Smith war in einem Waisenhaus aufgewachsen. Sie war es gewohnt, zu gehorchen, dankbar zu sein und nicht anmaßend zu werden. Außerdem war sie nicht auffallend genug, um die Aufmerksamkeit der Männer von Mildred abzulenken, der männliche Schmeicheleien viel bedeuteten, obwohl sie nicht wieder heiraten wollte. Die Unterhaltszahlungen ihres Ex-gatten waren zu gut. Sie genoss ihre Freiheit und ihren Ruhm als bekannte Schriftstellerin. Im Moment wohnten sie in einem Hotel an der Cote d'Azur. Während einer der kurzen Pausen, in denen Mildred nichts für sie zu tun hatte, war Janna in den Hotelgarten gewandert und saß auf einer von samtenen Mimosen übergossenen Steinstufe. Sie ließ ihre Finger über die Blumen wandern und genoss diese Minuten der Entspannung, als ihre Aufmerksamkeit von zwei Menschen erregt wurde, die wenige Meter von ihr entfernt unter Bäumen miteinander sprachen. Sie wusste, dass das Paar sie nicht sehen konnte. Mit Interesse bemerkte sie das seidene, sariartige Kleid der Frau. Deren Begleiter war ein hochgewachsener, sehniger, sonnengebräunter Mann. Die beiden schienen eine Auseinandersetzung zu haben, und er war offenbar entschlossen, seinen Willen durchzusetzen. Er sprach mit Entschiedenheit und griff nach der Hand der Frau. Janna begann sich bei dem Anblick unwohl zu fühlen und wollte eben fortgehen, als die schöne Frau plötzlich in Tränen ausbrach. "Raul, Raul..." Mit unnachgiebigem Gesichtsausdruck beugte er sich nieder und küsste ihre beringte Hand. Gleich darauf drehte sich dieser dunkle Südländer mit der autokratischen Miene und dem Aussehen eines vermögenden Mannes auf dem Absatz herum und kam auf Janna zu. Gerade in diesem Augenblick sprang sie auf die Füße und fand sic h unbeabsichtigt mit ihm konfrontiert. Er hielt an, als sei er von ihr überrascht worden. Für einen kurzen Moment blitzte in seinen Augen fast etwas wie Erkennen auf. Dann war es vorüber, und er musterte sie von Kopf bis Fuß mit glühenden schwarzen Augen. "Wenn Sie gestatten, Senorita." Er ging an ihr vorbei, nachdem er ihr durch seine Worte bestätigt hatte, dass er Spanier war. Sie konnte nicht umhin, von ihm beeindruckt zu sein. Während sie noch immer unentschlossen in den Mimosen stand, sah sie seine schwarzen, verwirrenden Augen, die feingeschnittene Nase mit den sensitiven Nasenflügeln, den festen Mund und das energische Kinn unverwandt vor sich.
Das Gesicht war ein wenig grausam, sehr viel Leidenschaft lag darin, mit einer Spur unterdrückter Emotion, als hätte irgend etwas sich der Freiheit in den Weg gestellt, die solch gutaussehende, arrogante und geschmeidige Kreaturen für sich beanspruchen. In der Woche, die auf ihre beunruhigende Begegnung in den Mimosen folgte, hatte Janna so viel zu tun, dass sie kaum Zeit fand, Atem zu schöpfen. Sie machte es sich zur Angewohnheit, sehr früh aufzustehen und ganz für sich allein am Hafen spazierenzugehen, wenn alle noch schliefen, einschließlich Mildred mit ihren unersättlichen Wünschen. Janna lächelte vor sich hin. Sie begann fast so neugierig zu werden wie Mildred, und jedes neue Gesicht schien in eine bestimmte Geschichte zu passen. Sie hätte zu gern gewusst, warum der gutaussehende Spanier die schöne Frau zum Weinen gebracht hatte. Die Liebe, so hatte sie gehört, war nicht immer nur ein zärtliches Gefühl, und er schien ein Mann, der sich nicht gern etwas vorschreiben ließ. Am darauffolgenden Sonntag stand Janna wieder früh auf und entschloss sich, einen Spaziergang am Strand entlang zu machen. Kleine Boote verbreiteten einen salzigen Geruch nach Fisch und sonnengetrockneten Planken. Sie sah, dass noch jemand an diesem Morgen draußen war. Ein dunkler Kopf tanzte im Blau, gebräunte Arme teilten rhythmisch das Wasser, als der Schwimmer sich jetzt dem Ufer näherte. Es war ein Mann, schlank und sehnig, und irgend etwas an ihm kam Janna so bekannt vor, dass sie reglos stehenblieb. Die Kehle zog sich ihr zusammen. Näher - und noch näher -, bis er Wasser zu treten begann. Sie unterdrückte einen Ausruf, brach aus ihrer Trance und floh den Strand hinauf. Ihr Gesicht brannte, und ihr Herz hämmerte vor Aufregung. Sie erreichte den Schutz eines Bootes und stand mit dem Rücken zur See, während sie versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Es war der Spanier. Also war er doch noch nicht abgefahren! Vor einigen Tagen hatte sie ihn mit einem Panther verglichen. Jetzt wusste sie, warum! Er war ebenso sehnig und aktiv und voller stahlharter Muskeln wie eine dieser herrlichen Dschungelkreaturen. Auch besaß er nicht das geringste Schamgefühl, denn als er sie bemerkt hatte, war er nicht in die Wellen zurückgegangen, sondern war weiter hoch zum Strand gekommen, braungebrannt von der Kehle bis zu den Fußspitzen und so nackt wie die Statue Apollos in eine m antiken Garten. Er musste sein Handtuc h und die Kleider hinter einem der Felsen zurückgelassen haben. Er musste sich auch sehr schnell angezogen haben, denn Janna wollte gerade zum Hotel zurück, als der Sand hinter ihr knirschte und eine Stimme sagte: "Also treffen wir einander erneut, Senorita, und ebenso unerwartet." Sie schwang herum und wusste, dass ihr die Farbe ins Gesicht gestiegen war. Er sprach ein makelloses Englisch mit einer gewissen Betonung der Zischlaute. "Ich dachte, ich wäre allein am Strand", brachte sie endlich heraus. "Dasselbe dachte ich auch." Ein Lächeln glomm tief in seinen schwarzen Augen; er wusste genau, dass sie ihn mit nichts anderem als seiner nassen, bronzenen Haut bekleidet gesehen hatte. Selbst in dem Kaschmirpullover und den schwarzen Kordhosen, die er jetzt trug, behielt er dieses geschmeidige und irgendwie gefährliche Aussehen. "Schwimmen Sie auch gern, Senorita?" Mit einer lässigen Bewegung, sein schwarzes Haar glänzend vom Wasser, nahm er ein Zigarettenetui aus der Hosentasche und ließ es für sie aufschnappen. "Nein, ich kann nicht gut schwimmen. Und ich rauche auch nicht, danke." "Ah, ein Mädchen aus der Alten Welt in einem sehr snobistischen Land." Er nahm seine Augen nicht von ihrem Gesicht, als er sein Feuerzeug an die Zigarette hielt und den Rauch durch die Nase herausströmen ließ. Aus der Nähe sah er sogar noch besser aus, wenn auch keineswegs wie ein Filmstar oder sonst irgendwie eingebildet. Sein Lächeln war nicht darauf aus, ihr zu gefallen. Statt dessen meinte sie zu spüren, dass er sie ein wenig spöttisch betrachtete.
"Sie sind ein Gast im Splendide, nicht währ? Ich habe Sie mit einer recht korpulenten Dame gesehen, die sich entsetzlich schlecht anzieht. Irgendwie kommt sie mir nicht vor wie Ihre Mutter. Vielleicht eine Tante?" Er hob eine schwarze Augenbraue, und Janna konnte sich ein Lächeln über seine Beschreibung Mildreds nicht verkneifen, die überzeugt davon war, auf gutaussehende Männer anziehend zu wirken. "Mrs. Noyes ist meine Arbeitgeberin", erklärte sie. "Sie ist eine berühmte Schriftstellerin, und ich tippe die Geschichten, die sie mir diktiert." "Ah so." Er hob seine Zigarette und zog daran. "Sie sieht aus, als könne sie eine Menge Lärm machen." Sein Spott war zuviel für Janna, sie musste lachen. Es hätte Mildred hart getroffen, wenn sie gehört hätte, wie dieser außergewöhnliche Mann sich über sie lustig machte, aber Janna hatte sofort geahnt, dass er grausam sein konnte. "Sie sehen so anders aus als die Königin der Romanze", sagte er gedehnt und gab damit zu, dass er mehr von Mildred wusste, als er vorgegeben hatte. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass es Ihnen viel Spaß macht, für sie zu arbeiten. Sie wirkt so bombastisch, und Sie sind ein schlankes, junges Ding, das möglicherweise nicht fähig ist, dem Gewicht ihrer Selbstüberschätzung standzuhalten." "Oh, ich weiß nicht. Das Reisen macht mir Spaß. Vor zwei Monaten waren wir in New York, es war sehr aufregend." "Sie trafen ein paar junge Amerikaner und haben sich gut amüsiert, wie?" "Nein, das nun auch wieder nicht. Ich hatte meine Arbeit zu tun. Aber vom Hotelfenster aus ..." "Durch die Gitterstäbe Ihres Käfigs sahen Sie der Parade zu", unterbrach er sie. "Sie mussten zu Hause bleiben und auf der Schreibmaschine Musik machen, während Mildred sich aufspielte und all den charmanten Männern Amerikas auf den Füßen herumtanzte." "Sie bezahlt mich, damit ich meine Arbeit mache!" protestierte Janna. "Ich bin keine Gesellschafterin." "Aber auch kein Arbeitspferd, Senorita, obwohl man Sie mit einem scheuen Füllen vergleichen könnte, das nur allzu gern mit den Hinterbeinen ausschlagen würde." "Was fällt Ihnen ein!" Er lachte, als er den blauen Blitz aus ihren Augen auffing "Gelingt es Ihnen je, abends zu entkommen, oder gibt es nur in der Morgendämmerung Fluchtmöglichkeiten?" "Das geht Sie überhaupt nichts an, Senor." "Ich lasse es mich aber etwas angehen, Senorita. Ich würde Sie gern einmal abends ausführen, falls der Drachen in Grün Sie aus seinen Klauen entlässt, um mir das Vergnügen Ihrer Gesellschaft zu gönnen." "Oh", machte Janna und zog die Luft ein. "Oh", ahmte er sie nach und riss seine Augen auf. "Haben Sie kein Kleid, keine Tanzschuhe, keinen Willen, sich dem Drachen entgegenzustellen?" "Sie sperrt mich nicht ein." Janna lächelte nervös und spürte die dunkle Faszination seiner Augen. "Ich kann nur nicht verstehen warum Ihnen an meiner Gesellschaft liegen sollte. Gewöhnlich bekommt meine Arbeitgeberin die Einladungen." "Ihre Arbeitgeberin ist kaum mein Typ." "Ich glaube, ich bin auch nicht Ihr Typ. Und außerdem - was ist mit Ihrer Frau?" "Meiner - was, Senorita?" Seine Stimme sank tiefer, samtig und gefährlich. "Die schöne, dunkelhaarige Frau, mit der ich Sie gesehen habe." "Rachael ist nicht meine Frau." Er lachte Janna spöttisch an. "Sie ist meine Cousine, und auch das nur durch ihre Heirat. Jetzt ist sie verwitwet." "Dann haben Sie vor ein paar Tagen ..."
"Muss ich Ihnen meine Familiengeschichte erzählen, bevor Sie meine Einladung zum Abendessen annehmen?" "Es tut mir leid, wenn ich Ihnen aufdringlich vorkomme." Janna ärgerte sich, dass sie wieder rot wurde. "Aber ich verstehe Sie nicht - Männer wie Sie fragen mich nicht." "Wirklich nicht? Dann müssen Sie sich bis heute versteckt haben, Senorita?" "Sie wissen, was ich meine." Sie sagte es ein wenig wild, denn es schien ihr, als wolle er sie nur einladen, um seinen Spaß an ihr zu haben. "Außerdem habe ich kein Kleid für einen Abend im Nachtklub." Sie entfernte sich bereits von ihm, als sie plötzlich den warmen Druck seiner Hände auf ihren Schultern fühlte. Er drehte sie zu sich herum und einen atemlosen Moment lang war sie seinem geschmeidigen, schwarzgekleideten Körper sehr nah ... "Lassen Sie mich los!" rief sie. "Wie bezaubernd naiv Sie sind!" "Ich meine es wirklich." Sie blickte wild zu ihm hinauf, starrte direkt in seine Augen mit ihrem tiefen, spanischen Feuer, ihren glimmenden Leidenschaften und Absichten. Sie fühlte sich seltsam willenlos am Rande einer nie erträumten Gefahr. "Die Motte kämpft und kommt dem Feuer doch immer näher", spottete er. "Sie haben kein Recht, sich so zu benehmen!" "Tue ich Ihnen weh?" "Sie machen mir angst." "Warum? Waren Sie noch nie einem Mann ausgeliefert?" "Sie machen sich über mich lustig, als hätten Sie ein Recht dazu! Als ob es nicht meine Sache wäre, Ihre Einladung abzulehnen. Hat Ihnen noch nie eine Frau einen Korb gegeben?" "Natürlich. Ich bin nicht so eitel, dass ich mich für unwiderstehlich halte. Aber es fiel mir auf, dass Sie ein Mädchen sind, das in der Phantasiewelt von Madam Noyes lebt, und dass das Leben an Ihnen vorbeigehen wird, wenn Sie sich nicht vorsehen. Eines Tages werden Sie nicht mehr in der Lage sein, dieser Frau zu entkommen, die nur an sich selber denkt. Vielleicht kann ich Ihnen das klarmachen, indem ich Sie so festhalte, dass Sie nicht fortkönnen?" "Vielleicht." Ihre Stimme bebte. "Aber wie können Sie so viel über mich wissen? Ich habe Sie seit jenem Tag nicht mehr gesehen. Sie essen nie im Hotel." "Ich wohne im Hotel, weil es nahe bei der Villa meiner Cousine liegt. Ich esse gern mit Rachael und ihren kleinen Söhnen. Manchmal gehe ich in den Persian Room oder das Casino." "Wo Sie auf Mildred getroffen sind?" "Exactamente. Und wo ich von dem jungen Mädchen gehört habe, das sie an eine Schreibmaschine gekettet hält." "Sie hat mir gegenüber nicht von Ihnen gesprochen, Senor." "Ich wage zu behaupten, dass Mildred Noyes Sie als eine Bedienstete betrachtet und nicht als Vertraute." Janna biss sich auf die Lippen. Obwohl die Worte recht grausam waren, hatte er doch recht. Sie war eine Schreibkraft und ein Laufbursche und oft furchtbar einsam. "Wollen Sie die Wahrheit dessen, was ich sage, abstreiten, Miss Smith?" "Also kennen Sie sogar meinen Namen!" "Wollen Sie andeuten, dass Sie gern meinen wüssten?" "Ich hätte nichts dagegen, ihn kennenzulernen." "Sie wundern sich über mich, nicht wahr?" Seine Zähne glänzten weiß in seinem sonnenbraunen Gesicht. "Nein, streiten Sie es nicht ab. Blaue Augen können ebenso wenig verbergen wie der Himmel." "Ich würde meinen, dass der Himmel viel undurchdringlicher ist als eine Kohlengrube."
Er nahm seine Hände von ihren Schultern und verbeugte sich kurz und förmlich. "Ich bin Raul Cesar de Romanos, zu Ihren Diensten. In Marokko, wo ich zu Hause bin, trage ich den Namen Raul Cesar Bey. Meine Großmutter ist die Prinzessin Yamua aus der Wüstenprovinz El Amara." Seine dunklen Augen hielten Jannas Blick gefangen. "Vielleicht war es klug von Ihnen, sich ein wenig vor mir zu fürchten. In meinen Adern fließt die Neigung, Frauen zu behandeln, als seien sie Granatäpfel, die man von der Mauer eines Innenhofes pflückt. Unser Haus in der Wüste heißt das ,Haus der Granatäpfel'." Von Anfang an, schon als sie ihn zum erstenmal sah, hatte Janna gespürt, dass dieser Mann außergewöhnlich war. Jetzt wusste sie warum. Er war ein Sohn der Wüste. Er lächelte, als läse er ihre Gedanken. "Sind Sie nun überzeugt, dass man mit mir essen gehen kann? Oder haben Sie jetzt Bedenken, dass ich Sie in meinen Harem entführen könnte?" "Haben Sie einen ..." Sie brach verwirrt ab. Eine dunkle Blutwelle stieg ihr bis in die Schläfen, wo ihr Haar sich honigfarben lockte. "In meiner Heimat, Miss Smith, stellt man einem Mann nie solch eine Frage." In seinen Augen blitzte der Schalk. "Das wäre ebenso unhöflich, als fragte man einen Engländer, wieviel Geld er auf der Bank hat." "Ich bitte um Verzeihung." "Zur Strafe werden Sie mit mir essen gehen. Sagen Sie mir, geht Madam Noyes morgen abend zum Casino?" "Ja, freitags immer. Sie nennt es ihre Glücksnacht." "Hervorragend. Dann schleichen Sie sich morgen abend davon, ohne ihr zu sagen, dass sie eine Verabredung haben, und wir treffen uns hier auf der Terrasse. Mein Mietwagen ist ein Silver Cloud, sie werden ihn nicht verfehlen können." "Aber warum treffen wir uns im geheimen?" fragte Janna alarmiert. "Kleine Närrin!" Er schien einen Moment lang ärgerlich. "Ich bitte Sie um diese Zusammenkunft, weil es wichtig ist. Und ich bitte Sie, es für sich zu behalten, weil ich einen guten Grund dafür habe. Ich gebe Ihnen genau zwei Minuten, um ja oder nein zu sagen." "Warum ist es wichtig?" bohrte sie. "Sie sind eine Frau und daher neugierig. Wenn Sie es wirklich so sehr wissen wollen, dann treffen Sie mich morgen abend. Kommen Sie mit mir in den Persian Room, und ich werde Ihre Neugier befriedigen." "In den Persian Room?" Ihre Augen füllten sich mit Staunen. Sie hatte von dem berühmten Restaurant gehört. Nur die Reichen konnten es sich leisten, dort zu essen. Ihr Herz hämmerte vor Aufregung. Wie sollte sie nein sagen? Sie konnte nur nachgeben. "Nun gut", sagte sie atemlos, "ich komme mit Ihnen." "Ich werde auf Sie warten." Er verbeugte sich erneut. "Und nun gehen Sie allein zum Hotel zurück. Ich bezweifle nicht, dass Madam Noyes nach Ihnen Ausschau hält." "Auf Wiedersehen ..." Janna lief davon, verfolgt von einem kleinen Dämon, der an ihr nagte, weil sie es gewagt hatte, sich mit solch einem Mann einzulassen. Janna versuchte sich einzureden, dass es Don Raul nicht das Herz brechen würde, wenn sie ihre Verabredung brach ... Aber dann kam das Paket von einem berühmten Modesalon am elegantesten Boulevard der Cote d'Azur. Ein Bote brachte es während Mildreds Siesta. Die Adresse lautete einfach: Miss Janna Smith. Verwirrt, verwundert und ein wenig alarmiert trug Janna den großen, viereckigen Karton in ihr Schlafzimmer und drehte leise den Schlüssel im Schloss. Sie stellte das Paket aufs Bett und betrachtete es, als hätte sie den Verdacht, es enthielte eine Schlange. Plötzlich hob sie den Deckel ab, faltete mehrere Lagen weiches Seidenpapier zurück und starrte mit stockendem Atem auf den Inhalt. Sie zog das Kleid heraus, das sich sanft und seidig auseinanderfaltete. Es hatte die Farbe des Mondlichts, mit einem Hauch von Blau
darin. Sie wandte sich zum Spiegel und hielt das Kleid an den schmalen Trägern hoch. Sie konnte sofort sehen, dass es ihre Größe war. Aufgeregt suchte sie in dem Karton nach einer Karte und fand sie in einem der silbernen Abendschuhe versteckt, die zu dem Kleid gehörten. Sie nahm sie aus dem Umschlag und las, was darauf stand: Senorita Smith, ich bin vielleicht nicht ganz die gute Fee aus dem Märchen, aber wenn Aschenputtel zum Persian Room geht, möchte sie wie eine Prinzessin aussehen. Bitte gestatten Sie mir dieses kleine Geschenk, das, wie mir glaubhaft versichert wurde, nicht Schlag Mitternacht in Lumpen zerfallen wird. Vielleicht gibt es in Ihrer Heimat eine Sitte, die Ihnen vorschreibt, von einem fremden Mann kein Kleid anzunehmen, aber uns in Marokko macht es einfach Freude zu schenken. Ich werde um halb neun heute abend auf Sie warten. Bis dann. Raul Cesar Bey Die Karte fiel Janna aus den Fingern. Sie wusste nicht, ob sie das Kleid wieder in den Karton packen und es so schnell wie möglich in den Laden zurückbringen oder ob sie es behalten sollte. Es war so wunderschön! Noch nie in ihrem Leben hatte sie ein solches Kleid in ihren Händen gehalten. Aber woher konnte er ihre Größe wissen, wenn er nicht sehr, sehr viel über Frauen wusste? Sie berührte die silbernen Schuhe, und dann bemerkte sie noch ein Päckchen in dem' Seidenpapier. Es war ein kleines Samtkästchen. Ihre Wangen brannten in schockiertem Entzücken, als sie darin ein Paar Lapislazuli-Ohrringe in Form winziger Herzen fand. "Das hätte er nicht tun sollen! Oh, ich kann sie unmöglich annehmen, und das Kleid ..." Aber während sie die Worte noch vor sich hin sprach, befestigte sie die blauen Edelsteine schon an ihren Ohrläppchen und sah, wie vollkommen sie zu ihren Augen passten. Und ihre Augen leuchteten. Würde es wirklich soviel ausmachen, wenn sie ein einziges Mal in ihrem uninteressanten Leben einem Mann erlaubte, sie in Seide und Silber und blaue Edelsteine zu kleiden? Selbst wenn er vorhatte, sie zu verführen, wen würde das kümmern? Nur sie selbst, natürlich. Ihr würde es etwas ausmachen, wenn sie ihm erlaubte, sie zu lieben, einem Mann, für den Frauen nur Spielzeug waren, hübsch zurechtgemacht, sanft genug, um sich ein paar Stunden mit ihnen zu amüsieren. Es war fast zuviel für ihre ohnehin schon überforderten Nerven, als plötzlich an der Tür gerüttelt wurde und Mildred ungeduldig rief: "Warum haben Sie sich eingeschlossen? Was machen Sie da?" Janna stand wie versteinert. Mildred durfte das Kleid und die Schuhe nicht sehen. "Ich ... ich komme", rief Janna. "Ich ziehe mich nur gerade um." "Dann beeilen Sie sich", sagte Mildred mit nörgelnder Stimme. "Ich möchte meinen Hals massiert haben." "Mit Vergnügen", murmelte Janna. "Ich würde ihn dir am liebsten umdrehen." "Ich hoffe, Sie halten nichts vor mir zurück", raunzte Mildred. "In der letzten Zeit haben Sie sich eigenartig benommen. Fast, als hätten Sie etwas zu verbergen." "Ich versichere Ihnen, Mrs. Noyes ..." "Wenn es ein Mann ist, meine Liebe ..." "Ich würde ihn wohl kaum unter meinem Bett verstecken." Janna war verstört und sprach in einem Ton, der nicht ganz so unterwürfig war, wie Mildred Noyes es erwartete. "Wirklich!" rief die Schriftstellerin. "Sie werden immer unausstehlicher, Janna Smith, und ich möchte Sie daran erinnern, dass es Sekretärinnen wie Sand am Meer gibt. Alle laufen sich die Hacken danach ab, für jemanden zu arbeiten, der so berühmt ist wie ich. Wenn Sie nicht besser aufpassen, meine Liebe, werfe ich Sie hinaus, und was wollen Sie dann tun, gestrandet
an der Cote d'Azur mit nichts als ein paar Pfund in der Tasche und nur ein paar Brocken Französisch?" "Was schon. Ich suche mir eine andere Arbeit", versetzte Janna, ermutigt durch den Gedanken an Raul Cesar Beys Interesse an ihr. Irgend etwas musste schließlich an ihr sein, wenn er mit ihr ausgehen wollte. "Es gibt eine Menge Hotels an der blauen Küste, die englische und amerikanische Gäste haben. Ich könnte einen Job im Empfang bekommen." "Sie?" Mildreds Ton war sarkastisch. "Sie haben nicht die Selbstsicherheit, die Sie brauchen, um mit den Reichen und ihren Wünschen fertig zu werden. Selbst wenn Sie eine solche Stelle bekämen, wären Sie sie in 24 Stunden wieder los." "In welchem Falle ich sicher eine Abwascharbeit in der Küche finden würde." Jannas Augen flammten. Sie sahen ungemein blau aus, und schon starrte Mildred auf die blauen Ohrringe, die Janna abzunehmen vergessen hatte. "Wo haben Sie die her?" fragte sie. "Sie sehen teuer aus." Janna fühlte sich sofort schuldbewusst. "Oh, ich habe sie schon lange. Sie sind eigentlich nicht teuer, nur gute Imitation." "Mir scheinen sie ziemlich echt." Mildreds Augen waren schmal wie Katzenaugen und hatten eine blasse Bernsteinfarbe, die ihnen einen gehässigen Ausdruck gab. "Sind Sie sicher, dass Sie nicht irgend etwas im Schilde führen? Was weiß ich schließlich von Ihren Tätigkeiten, wenn ich nicht hier bin, um auf Sie aufzupassen?" "Ich würde meinen, dass der Haufen Arbeit, durch den ich mich jeden Abend wühle, eine ausreichende Antwort ist", sagte Janna steif. "Ich hätte kaum die Zeit, Hotelgäste auszurauben, und Sie haben mir oft genug zu verstehen gegeben, dass ein Mann von Welt mich nicht einmal anschauen würde." "Sie sind heute unerträglich vorlaut, Smith." Mildreds Gesicht rötete sich auf eine recht unansehnliche Weise, und ihr großer Körper in dem Spitzen-Neglige war auch nicht besonders eindrucksvoll. "Also machen Sie sich diese Glasklunker von den Ohren, und dann kommen Sie und massieren Sie mir den Nacken. Er tut mir weh von all dem Schreiben." Von all dem Beugen über die Spieltische, dachte Janna, als sie in ihr Zimmer ging, um die Ohrringe abzunehmen. Sie legte sie in das kleine Samtkästchen zurück und schob es in ihre Handtasche. Ihr eigenes Gesicht war ebenfalls gerötet, aber es stand ihr gut. Ja, sie wollte heute abend ausgehen und das Mondlichtkleid tragen und sich endlich einmal amüsieren! Mildred sagte nichts mehr über ihre Auseinandersetzung. Sie wusste sehr wohl, dass gute Sekretärinnen schwer zu bekommen waren, jedenfalls bei dem Gehalt, das sie zahlte. Aber während der ganzen Zeit, in der sie ihr den Nacken massierte, war Janna sich der Bernsteinaugen bewusst, die sie mit eigentümlicher Intensität musterten. Es war eine Erleichterung, die Tür hinter Mildred zu schließen und sich an die Arbeit zu setzen, die wenigstens eine Stunde vor ihrem Treffen mit Raul beendet sein musste. Sie wollte sich von duftendem Badeschaum durchtränken lassen und sich Zeit mit dem Anziehen nehmen. Sie konnte nicht hoffen, wie eine Schönheit auszusehen, aber sie wollte das Beste aus sich machen. Das Kleid würde helfen ... und falls Mildred bis dann schon ins Casino gegangen war, hatte Janna den heimlichen Plan, die weiche honigfarbene Pelzstola zu leihen, die ihre Arbeitgeberin so selten trug. Sie wollte ungemein vorsichtig damit sein und sie in den Schrank zurückhängen, lange bevor die Schriftstellerin die Spieltische verließ. Die Stola würde um ihre Schultern soviel hübscher aussehen als ein Mantel, und sie hatte es noch nie zuvor gewagt, etwas zu leihen, das Mildred gehörte, die so viele weltliche Besitztümer hatte. Es war zwanzig vor acht, als Janna das fertige Kapitel zusammenklammerte und mit Durchschlag in einen Umschlag steckte. Sie deckte die Maschine zu, streckte ihre schmerzenden Arme und spähte in den anderen Raum, um zu sehen, ob Mildred zum Abendessen nach unten gegangen war. Alles war still.
Janna verlor keine Zeit, ihr Bad einlaufen zu lassen und ihre Unterwäsche bereitzulegen. Sie hatte ein Fläschchen mit ihrem Lieblingsparfüm. Make- up benutzte sie nicht viel. Nur Lippenstift und eine Spur blauen Lidschatten, um ihre Augen zu betonen, die mit den dunklen, gebogenen Wimpern das beste an ihr waren. Gebadet, duftend und mit schnell schlagendem Herzen schlüpfte sie in das Seidenkleid mit den strassbesetzten Trägern. Sie betrachtete sich im Spiegel und staunte. Es stimmte schon, dachte sie, das Sprichwort "Kleider machen Leute". Sie war fast fertig. Jetzt müsste sie ihren Mut zusammennehmen und in Mildreds Schlafzimmer gehen, wo die honigfarbene Stola mit den anderen Pelzen zusammen in dem großen Schrank hing. Sollte sie es wagen? Mildred würde wütend werden, wenn sie es je herausfand. Sie mochte sie sogar des Diebstahls bezichtigen. Janna lief zur Schlafzimmertür, drückte die Klinke herunter, schoss hinein, und einige Sekunden später legte sie sich die weiche Stola um die Schultern. Der Pelz fühlte sich herrlich an auf ihrer Haut. Er gab ihr das Gefühl, ein teures Bündel Weiblichkeit zu sein, das nur darauf wartete, von Raul Cesar Bey im exotischen Persian Room ausgepackt zu werden. "Hoppla", sagte sie zu ihrem Spiegelbild. "Du bist auf dem besten Wege, diesen Abend mit einem gefährlichen Mann zu verbringen. Also, pass auf dich auf."
2. KAPITEL Da stand er auf dem Parkplatz vor der Esplanade, ein langer, schimmernder Silver Cloud Rolls-Royce. Jemand in einem weißen Dinnerjacket saß rauchend am Steuer. Janna fühlte sich etwas beklommen. Langsam ging sie auf den Wagen zu. Er bemerkte sie, öffnete die Tür und stand mit einer einzigen, geschmeidigen Bewegung neben ihr. "Guten Abend, Miss Smith." Sein Blick lag auf ihrem Gesicht. "Ich war mir nicht sicher, ob Sie in letzter Sekunde nicht doch den Mut verlieren würden." "Guten Abend, Senor." Sie lächelte nervös. "Wie Sie sehen, habe ich es geschafft." "Und Sie tragen das Kleid. Das freut mich." Er sagte es wie ein Sultan, und ihr Gesicht wurde warm. Das Innere des Wagens war luxuriös. Weiche Polster, sanftes Licht und überall das Aroma guten Tabaks und gepflegter Männlichkeit. Janna fühlte sich in der intimen Abgeschlossenheit des Wagens ein wenig scheu. Sie war sich außerordentlich intensiv seiner Männlichkeit bewusst. Er war eigentlich ein Fremder, und doch hatte er sie in wenigen Stunden dazu gebracht, ein teures Geschenk von ihm anzunehmen, sich einen Pelz von ihrer Arbeitgeberin auszuleihen und fristlose Entlassung oder noch Schlimmeres zu riskieren, falls sie entdeckt wurde. "Bitte entspannen Sie sich", sagte er leise, als spüre er ihre Spannung. "Mein Wagen ist bequem, die Nacht ist jung, und ich bin sicher, dass Aschenputtel es genießt, ihren Pflichten für ein paar Stunden entkommen zu sein." "Das ist nur ein Märchen, Don Raul. Dies hier ist nur allzu wirklich, und ich weiß immer noch nicht, ob ich Sie nicht lieber bitten sollte, mich zum Hotel zurückzufahren." "Ich würde es nicht tun", erwiderte er gedehnt. "Mein liebes Mädchen, Sie hätten sich erst gar nicht mit mir getroffen - und dazu noch in dem neuen Kleid -, wenn Sie nicht Lust gehabt hätten, die verbotene Frucht wenigstens einmal zu kosten." "Ich weiß nicht, ob ich die Art mag, in der Sie darüber sprechen." Er lachte. "Wie schnell man den kleinen Vogel erschrecken kann, den Mildred Noyes sich eingefangen hat! Ich wage zu behaupten, dass diese Frau Ihnen Ihre Flügel immer mehr stutzen wird, je länger Sie bei ihr sind, bis Sie zu guter Letzt überhaupt nicht mehr fliegen können. Erschreckt Sie diese Aussicht nicht mehr als meine Gegenwart?" Während er sprach, fuhr er den silbrigen Wagen auf den Parkplatz des Persian Room mit seiner weißen Kuppel. Ein persischer Portier im traditionellen Kaftan mit Seidenturban kam, um sie in das mit weichen Teppichen ausgelegte Foyer zu führen, wo ein gewölbter Durchgang zwischen weißen Oleanderblüten ins Innere des Restaurants führte. Janna war wie verzaubert von den kostbaren, mit leuchtenden Steinen besetzten Lampen, den Tischen, um die man Diwane gestellt hatte, und dem eigenartigen Rhythmus der versteckten Musik. Das Aroma von Gewürzen hing in der Luft und vermischte sich mit dem Duft der Rosen, die sich um Marmorsäulen rankten, die die einzelnen Alkoven mit ihren Tischen voneinander trennten. Die Gäste schienen im Flüsterton miteinander zu sprechen und gaben dem Ganzen den Anschein des Geheimnisvollen und Intimen. Ein Kellner führte sie an einen abgeschiedenen Tisch nahe beim Bogengang, hinter dem im Halbdunkel ein Springbrunnen zwischen Blumen emporstieg. Der Persian Room war wie ein orientalischer Palast, und Janna fühlte sich, als sei sie auf einem fliegenden Teppich ins Reich der Phantasie entführt worden. Die Berührung sehniger Finger, die ihr die Pelzstola abnahmen, brachen den Zauber nicht. Raul Cesar Bey verstärkte ihn nur noch. Hier an diesem exotischen Ort schien er noch gefährlicher, noch attraktiver, als brächte die Atmosphäre den Araber in ihm noch stärker hervor. "Bitte setzen Sie sich, Janna." Sie setzte sich, und er ließ sich neben ihr auf dem Diwan nieder. Einen langen Augenblick sah er sie nur an, betrachtete ihre schlanken Schultern, so verführerisch gemacht von den
strassbesetzten Trägern ihres seidenen Kleides. Sie spannte sich, als seine dunklen Augen über ihre Kehle und die Wölbung ihrer Brust glitten. "Es ist wirklich erstaunlich", murmelte er. "Ich kann kaum meinen Augen glauben." "Don Raul", sie lächelte nervös, "dadurch, dass Sie mit Ihrem Scheckbuch gewinkt haben, ist aus dem hässlichen Entlein noch kein stolzer Schwan geworden." "Nein", er schüttelte den Kopf, "ich dachte gerade an etwas anderes. Aber darüber wollen wir später sprechen, wenn wir den Wein und das Essen gekostet haben und Sie sich in meiner Gesellschaft etwas wohler fühlen." Sie war verwirrt, bezaubert, auch ein wenig ängstlich. Sie spürte, dass er etwas von ihr wollte, und sie fürchtete sich. Denn mit jedem Moment, der verging, schien er ihr einsames, unberührtes, junges Herz unwiderruflicher an sich zu binden. Das Abendessen im Persian Room war ein denkwürdiges Ereignis für Janna. Als Dessert gab es flambierte Pflaumen in einem Überzug aus Likör. Sie waren köstlich und brachen einem zwischen den Lippen auf, während persische Musik spielte und Nachtfalter aus dem Garten hereinflatterten, um um die Tischlampen zu kreisen. "Und jetzt trinken wir Kaffee, nicht wahr?" Don Raul lächelte über ihr kindliches Vergnügen an den Pflaumen. "Ich glaube, es gefällt Ihnen hier, das Geheimnisvolle und die Musik. Für mich ist es ein wenig wie zu Hause." "Es klingt, als hätten Sie Heimweh nach der Wüste, Don Raul." Die Süße der Pflaumen und der Nachgeschmack des Likörs hingen an ihren Lippen, als sie ihn mit einem interessierten Lächeln in den Augen ansah. "Warum bleiben Sie an der Riviera, wenn Sie doch gehen können, wann immer Sie wollen?" "Ich kam, um Rachael zu besuchen, und ich blieb ein wenig länger, als ich wollte, weil ich vor sechs Tagen in einem Mimosengebüsch mit einem Mädchen zusammenstieß." Jannas Augen weiteten sich, ein Azurblau im sanften Lampenlicht. Er meinte sie. Es war erregend zu denken, dass er vielleicht so von ihr angezogen gewesen sein könnte, dass er geblieben war, um ihre Bekanntschaft zu machen. Aber es war nicht klug, ihm Glauben zu schenken. Die Cote d'Azur war voll von hübschen, sonnengebräunten Blondinen, die kaum etwas anderes zu tun hatten, als sich zu amüsieren und Männer wie Raul Cesar Bey zu unterhalten. "Ich glaube, Sie machen sich über mich lustig." Sie betrachtete die nahe gelegene Loggia mit ihrem Springbrunnen und den Blumen. "Ich bin nicht die Art Mädchen, die Männern wie Ihnen besonders auffällt." "Was wissen Sie denn über Männer wie mich?" sagte er spöttisch. "Ich mache Ihnen nichts vor. Ich wollte schon vor einer Woche nach Marokko zurückkehren. Dann sah ich Sie im Garten des Hotels und überlegte es mir anders." "Aber warum?" "Wir werden unseren Kaffee im Springbrunnengarten trinken, und dort erzähle ich Ihnen, warum ich Sie kennenlernen wollte." Er winkte dem Kellner und bat ihn, den Kaffee in die Loggia zu bringen. Dann stand er auf und führte Janna durch den Bogengang zu einem Sitzplatz neben dem Springbrunnen. Wasserblumen schwammen in dem Marmorbassin, das Plätschern klang wie besänftigende Musik. Aber Janna fühlte eine Spannung in sich, die durch die Berührung seiner Hand nicht gemindert wurde. "Ihr Puls jagt ja", sagte er. "Sie fürchten sich. Trotzdem bleiben Sie, um mir zuzuhören. Ich bin froh, dass Sie den Mut dazu haben." "Werde ich Mut für das brauchen, was Sie von mir wollen?" "Ja", gab er zu. "Sie werden Nerven brauchen, wenn Sie meinen Vorschlag annehmen." Der Kellner stellte die Kaffeetassen auf einen kleinen Tisch und goss den Kaffee heiß aus einer Silberkanne. Dann ließ er sie allein.
"Nur Menschen aus dem Orient wissen, wie man wirklich guten Kaffee bereitet", sagte er mit einem entspannten Seufzer. "Jetzt müssen Sie mir eine Frage beantworten: Haben Sie jemals davon geträumt, die grenzenlose, goldene Weite der Wüste zu sehen? Das Strahlen des Sonnenuntergangs? Die Abgeschiedenheit eines Innenhofes und den Jasmin, der dort wächst?" In seinen Worten lag ein verführerischer Unterton, als er für sie ein Bild aus sonnenbeschienenem Sand und dem kühlen Schatten eines Jasmingartens malte. In seinen Augen glomm etwas, als könne er es kaum erwarten, in seine vertraute Umgebung zurückzukehren ... und als wolle er sie mit dorthin nehmen! Als er ihre Bestürzung sah, glitt ein Lächeln um seine Lippen. "Warum sehen Sie mich so erschreckt an? Habe ich meinen Harem erwähnt?" "Don Raul, spielen Sie Katz und Maus mit mir? Oder ist es Ihnen ernst mit Ihrer Frage, ob ich gern die Wüste sehen würde?" "Ich habe noch nie etwas ernster gemeint, Senorita. Und nun sagen Sie mir, erregt Sie der Gedanke an eine Reise dorthin?" "Als was, Senor?" Sie blickte ihn offen an und hob ihr Kinn. "Vielleicht als Ihre Sekretärin?" "Nein." Er schüttelte seinen dunklen Kopf und nahm ein schmales Goldetui aus der Tasche seiner weißen Jacke. "Ich erinnere mich, dass Sie nicht rauchen, aber gestatten Sie?" "Selbstverständlich." Er zündete sich eine Panatella an. Eine kleine Rauchwolke hing zwischen ihnen und kitzelte ihr die Nase mit feinem Tabakaroma, das sich mit dem Duft des Kaffees und der vielen Blüten vermischte. "Das Haus, in dem ich lebe, liegt am Rande der Wüste und ist von Orangenhainen und Granatäpfelgärten umgeben. Auf der anderen Seite fließt die Wüste wie ein goldenes Meer bis an den Fuß der blauen Berge. Viele Kilometer trennen die Oase von El Amara von der nächsten Stadt. Aber wir leben ein ausgefülltes, aktives Leben in der Oase. Es gibt viel zu tun in den Obstpflanzungen, und es gibt immer die Wüste." Er zog an seiner Panatella und studierte Janna durch den Rauch. Sein Blick lag gleichzeitig träge und aufmerksam auf ihrem Gesicht. "Man kann ein Leben lang an ihrem Rand verbringen und doch nie ihr Herz erreichen. Die Wüste ist launisch und temperamentvoll wie eine Tigerin, von Sternen verschleiert, die Sonne brennt vom Himmel. Sie lo ckt wie eine Verführerin, und manchmal erstickt sie im Zorn das Haus und die Oase in erdrückenden Sandwogen, die der Schirokko mit sich bringt. Dann hassen wir sie. Dann verfluchen wir sie. Aber wenn der Wind sich legt und die Morgendämmerung sich blau und silbern entfaltet, dann verlieben wir uns wieder in ihren Zauber, in ihre verführerische, einzigartige Schönheit." Er schlug die Beine übereinander, seine Schultern gegen die Lehne des Sitzes gelegt, den er mit Janna teilte. "Wenn ich Sie einladen würde, mit mir nach El Amara zu kommen, würden Sie ja sagen? Oder würden Sie aufspringen und voller Entsetzen davonlaufen?" "Ich wüsste gern den Grund für Ihre Einladung." Ihr Herz raste. Sie fühlte sich leicht schwindlig. "Sie haben schon gesagt, dass Sie keine Sekretärin brauchen. Ich kann mir nicht vorstellen, was ich sonst für Sie tun könnte ..." Und dann wurde sie rot, als er mit einem Finger an ihrem nackten Arm entlangfuhr. "Sie haben seidenweiche Haut, Miss Smith. Azurblaue Augen und eine Unschuld, die einen Mann zum Staunen bringt. Vielleicht möchte ich Sie ganz für mich allein, weit weg von allen Einschränkungen aus Ihren Waisenhausjahren und den Forderungen Ihrer Dienstherrin, die aussieht, als habe sie nie die Liebe kennengelernt, über die sie so unaufhaltsam schreibt." "Sie machen sich über mich lustig." Janna zwang sich dazu, nüchtern zu denken. "Es wäre eine große Dummheit, mir einzubilden, dass Sie mich auf einem fliegenden Teppich in den
Orient zaubern könnten. Wenn ich Ihnen glauben wollte, könnte ich den Gedanken an einen weiteren Tag als Mildreds Sekretärin nicht ertragen." "Glauben Sie, ich sei nicht aufrichtig?" Seine Stimme senkte sich gefährlich tief. "Die Mitglieder meiner Familie sind es nicht gewohnt, ihre Ehre in Zweifel gezogen zu sehen. Wenn Sie nicht ein Mädchen wären ..." Sie machte eine kleine Bewegung von ihm fort, aber seine Augen hielten sie fest, und er griff nach ihrer Hand. Sie hätte nicht von ihm fortlaufen können, selbst wenn er ihre Hand an seinen Mund geführt und mit seinen starken Zähnen hineingebissen hätte. "Das Leben hat Sie gelehrt, wenig von den Menschen zu erwarten, nicht wahr?" Er hob eine Augenbraue und studierte ihre schmale Hand in der seinen, ihre Blässe im Vergleich zu seiner eigenen bronzenen Haut. "Nicht die Hand eines verwöhnten jungen Dings, das nie etwas anderes zu tun hatte, als sich selbst hübsch zurechtzumachen. Aber ein Smaragdring daran wird die Prinzessin täuschen." "Worüber reden Sie denn, um Himmels willen?" fragte Janna mit heiserer Stimme. "Ich besitze keinen Smaragdring." "Aber das werden Sie, wenn Sie meinem Antrag zustimmen." "Antrag?" brachte sie atemlos hervor. "Ach, ich hätte wohl Vorschlag sagen sollen." Er lächelte hinterlistig. "Ihr Schreck ist kaum schmeichelhaft, Miss Smith. Sehe ich aus wie ein Räuber?“ "Nein ... aber Sie sagen solch eigenartige Dinge, Senor. Bitte, können Sie mir nicht ganz einfach sagen, was Sie von mir wollen?" "Ich möchte, dass Sie vorgeben, ein Mädchen namens Joyosa zu sein." Janna starrte ihn verständnislos an. Alles, was er sagte, schien immer unglaublicher und phantastischer, und doch konnte sie nicht protestieren. Sie sah in seinem Gesicht, im Glitzern seiner Augen, dass er jetzt todernst war. "Von dem Moment an, als ich Sie zum erstenmal sah", fuhr er fort, "war ic h von Ihrer Ähnlichkeit mit Joyosa gefesselt. Vor einigen Tagen sahen Sie einen Mann, der fast verzweifelt über etwas war, und ganz plötzlich schien sein Problem halb gelöst. Er sah einen Weg, eine Frau glücklich zu machen." Janna starrte ihn an. "Wer ist Joyosa?" "Die jüngere Halbschwester von Rachael, die Sie fälschlich für meine Frau hielten. Ich muss Ihnen erklären, dass meine Familie noch immer feudal strukturiert ist. Als Junge musste ich nicht nur lernen, wie man durch den Wüstensand galoppiert, sondern auch, wie man die Obstpflanzen pflegt, wie man ein Geschäft führt und sogar, wie man Verletzte versorgt, falls bei einem Unfall einmal kein Arzt zur Stelle sein sollte. Ich musste außer den Gesetzen der Welt auch die Gesetze der Wüste lernen. Als kleines Kind schloss meine Großmutter Joyosa in ihr Herz und machte sie zu ihrem Schützling. Sie lebte nicht in El Amara, aber als Schulmädchen kam sie ein- oder zweimal, um Madrecita zu besuchen. Einmal ging ihr bei einer Dorfhochzeit das Pony durch. Ich galoppierte hinter ihr her, bekam die Zügel ihres Ponys zu fassen und ersparte dem Mädchen einen bösen Sturz. Seit diesem Vorfall waren alle überzeugt, dass ich mir im echten Wüstenstil eine Braut eingefangen hatte. Die Idee hat der Prinzessin immer gefallen, obwohl sie damals nichts darüber sagte. Ich habe das Thema immer vermieden, aber sobald Joyosa ihre Erziehung abgeschlossen hatte, wurde ich angewiesen, sie mit Rachael abzuholen, damit meine Großmutter sie wiedersehen ... und, wie ich glaube, einen endgültigen Entschluss über eine Heirat zwischen uns fassen konnte." Er machte eine Pause, als wolle er jedes Wort in Jannas Kopf sinken lassen. Und jedes Wort, das so herabsank, schien eine scharfe Schneide zu besitzen. Er sprach nicht davon, dass er das Mädchen liebte oder von ihr geliebt wurde. "Ganz gleich, wie Sie darüber fühlen?" sagte sie voller Staunen.
"Meine Großmutter ist eine maurische Prinzessin, vergessen Sie das nicht. Ihre eigene Heirat wurde von ihren Eltern arrangiert, und weil sie mit ihrem Mann glücklich geworden ist, entschloss sie sich, die meine ebenfalls zu arrangieren." "Aber das ist unfair! Ihnen und dem Mädchen gegenüber." Janna sah ihn mitfühlend an. "Hat Joyosa es mit der Angst zu tun bekommen und ist weggelaufen?" "So könnte man es nennen." In seinen Augen war ein amüsierter Ausdruck. "Rachael hat keine Ahnung, wo sie ist, obwohl wir von zwei Schulfreundinnen erfahren konnten, dass sie sich im letzten Schuljahr mit einem jungen Mann angefreundet hatte. Wir haben ausgedehnte Nachforschungen angestellt, in der Hoffnung, sie zu finden, aber wir hatten keinen Erfolg. Sie ist mit ihrem jungen Freund verschwunden, irgendwo in Paris, nehme ich an. Mir bleibt die unerfreuliche Aufgabe, zu meiner Großmutter zurückzukehren, um ihr klarzumachen, dass ihr Schützling fortgelaufen ist. Joyosa kann mich offensichtlich nicht ausstehen, ebensowenig wie den Gedanken an ein Leben in El Amara." "Ich bin sicher, dass Sie sich nicht vor Ihrer Großmutter fürchten." Janna musste über den Gedanken lächeln. "Im Hinblick auf Ihre eigene ablehnende Haltung einer solchen Heirat gegenüber sind Sie doch vermutlich froh, entkommen zu sein." "Es gibt aber eine Komplikation. Eigentlich sogar zwei." "Und deshalb brauchen Sie meine Hilfe?" Seine Augen glommen im Licht der Laternen. "Meine Großmutter ist alt und gebrechlich. Sie klammert sich an ihre schwindende Kraft in der Hoffnung, alles mit mir und der Zukunft von El Amara wohlgeordnet zu sehen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass ich sie sehr liebe, obwohl sie eine herrische alte Dame ist, entschlossen, am Ende alles so zu haben, wie sie es sich vorstellt. Wenn sie erfahren würde, dass Joyosa fortgelaufen ist, um mit einem anderen Mann zu leben, wäre sie unglaublich schockiert und zornig." "Sie sprachen von zwei Komplikationen, Senor." Er sah Janna forschend an. "Sie hatten nie eine eigene Familie. Also können Sie sich vielleicht nicht vorstellen, was es heißt, diejenigen schützen zu wollen, die Sie schon von Anbeginn Ihres Lebens gekannt und geliebt haben. Die Prinzessin ist von schwacher Gesundheit, aber ihr Verstand ist immer noch sehr wach, und sie hat einen äußerst starken Willen. Wenn sie hört, dass Joyosa geflohen ist, kann es sein, dass sie so ärgerlich wird, dass sie die großzügigen Unterhaltszahlungen abbricht, von denen Rachael und ihre zwei kleinen Söhne abhängen." Er ließ den Stummel seiner Zigarre in einen Aschenbecher fallen. "Ich hoffe, dass ich mit Ihrer Hilfe die Prinzessin davon überzeugen kann, dass die Heirat eines Mannes seine Privatangelegenheit ist. Wollen Sie mir helfen?" "Ich weiß nicht, wie." "Ich weiß, wie wir es schaffen könnten. Joyosa war noch ein Schulmädchen, als sie zuletzt in El Amara war. Mädchen verändern sich, wenn sie älter werden, obwohl sie blaue Augen und blonde Haare behalten, wenn sie sie haben. Ich habe vor, Sie als Joyosa auszugeben. Ich möchte Rachael schützen und der Prinzessin keinen Kummer bereiten." Als er sah, wie entgeistert Janna ihn ansah, musste er lachen. Er zuckte leicht die Schultern, als erwarte er nicht von ihr, seine Familienangelegenheiten zu verstehen - aber sie verstand. Don Raul sorgte sich um Rachaels Wohlergehen. War es möglich, dass er sie liebte, eine junge Witwe mit zwei kleinen Söhnen von einem anderen Mann? Eine Frau, die die Prinzessin als Braut für ihren Enkel nicht akzeptieren würde. Er sollte El Amara übernehmen, wenn sie starb, und deshalb mussten die Kinder aus seiner Ehe seine direkten Abkömmlinge sein. Ihr Stolz als Matriarchin forderte das von ihm. Janna hatte nie Familienloyalität kennengelernt, aber sie hatte Herz und eine lebhafte Vorstellungskraft. Sie konnte die Zwickmühle, in der Raul sich befand, gut verstehen ... hinund hergerissen zwischen seiner Verehrung der Prinzessin und seiner maskulinen Reaktion auf die schöne Witwe.
"Aber ich sehe nicht, wie eine Täuschung helfen könnte!" Die Worte brachen aus Janna heraus. "Ihre Großmutter würde sich nicht täuschen lassen." "Wollen Sie es nicht einmal darauf ankommen lassen?" Er beugte sich plötzlich vor. "Kommen Sie, ich bitte Sie doch nicht, mich tatsächlich zu heiraten. Ich möchte nur, dass Sie nach El Amara kommen, eine Weile dort bleiben, um dann von mir fortgeschickt zu werden, wenn die Prinzessin selber sehen kann, dass wir kein liebendes Paar sind." "Einem solchen Täuschungsmanöver kann ich auf gar keinen Fall zustimmen." Janna sah ihn schockiert an. "Ich hätte viel zuviel Angst, und der Gedanke, Ihre Großmutter zu betrügen, ist mir unerträglich. Sie sagen, dass es zu ihrem Besten ist, aber ich glaube Sie sorgen sich mehr um Rachael. Sie schützen ihre Interessen." "Das ist richtig", stimmte er zu. "Aber ich schütze damit auch meine Großmutter vor Tatsachen, die ihrer schwachen Gesundheit abträglich wären." "Ich meine trotzdem", beharrte Janna, "dass es klüger wäre, Ihrer Großmutter die Wahrheit zu sagen." Sie stieß einen überraschten Ausruf aus, als Raul sie bei den Schultern packte und sie nah an sich heranzog. Er starrte ihr direkt in die Augen, in seinem Blick lag nicht die Spur einer Bitte. Nur Befehl und Verlockung. "Es gibt vieles in El Amara, das Ihnen Freude machen würde", sagte er mit tiefer Stimme. "Sie werden die meiste Zeit sich selbst überlassen sein. Es wird keine Madam Noyes da sein, um Ihnen die Stunden zu stehlen. Und da ist noch etwas, das Sie vielleicht mehr geängstigt hat als alles andere: Ich werde Ihnen nicht übermäßig den Hof machen. Wir werden der Prinzessin das Bild eines Paares vermitteln, das sich allmählich einander entfremdet." Sein Blick fiel auf ihren Mund und blieb dort. "Fürchten Sie sich vor meinen Küssen?" sagte er. "Haben Sie Angst, dass ich Dinge von Ihnen verlangen werde, die Sie nicht tun wollen? Kleine Närrin! Ich verlange nicht von Ihnen, dass Sie in mich verliebt sind ... ich möchte, dass Sie mir gegenüber kühl bleiben. Die Prinzessin glaubt, dass eine Frau das Werben eines Mannes mit Wärme erwidern sollte, und wenn sie bei Ihnen das Gegenteil sieht, dann wird sie nichts dagegen haben, wenn ich erkläre, dass ich Sie nicht heiraten möchte." "Das kann ich nicht. Es tut mir leid, Don Raul, aber ich bin keine Schauspielerin." "Sie brauchen nicht zu schauspielern", spottete er, "um die Eisjungfrau zu spielen. Ich kann schon jetzt sehen, wie Sie vor meiner Berührung zittern, und Ihre Augen stehen voller Tränen. Sie brauchen nur Sie selbst zu sein, und die Prinzessin wird erkennen, dass sie mich an einen Eiszapfen gefesselt hat." "Bitte ... versuchen Sie nicht, mich zu überreden!" Janna schrak fast körperlich vor solch einem Plan zurück. Sie entzog sich gewaltsam dem Griff seiner Hände und sprang hastig auf. "Ich möchte nach Hause ... bitte!" "Sie nennen das zu Hause?" höhnte er. "In einem Hotel an eine Schreibmaschine gekettet zu sein?" "Ich bin daran gewöhnt, Don Raul." Er erhob sich langsam. Seine Augen lächelten nicht, und er sprach nicht mehr mit ihr, bis sie in dem Rolls saßen und zum Hotel zurückfuhren. Janna war froh, dass er schnell fuhr. Sie hatten lange miteinander geredet, und es war spät. "Es tut mir leid, dass mein Vorschlag Ihnen nicht zusagt", sagte er. "Ich hatte gehofft, einen Sinn für das Abenteue r in Ihnen zu finden. Und den Wunsch, der Monotonie trübseliger Schreibmaschinenarbeit in einem Hotelzimmer zu entkommen. Ich weiß, Sie sind ein scheues Mädchen. Aber ich dachte, ich hätte irgendwo in Ihnen eine kleine Flamme des Widerstandes brennen sehen. Ich muss mich wohl geirrt haben." "Ja, Senor", stimmte sie zu. "Sie müssen mich für verzweifelter gehalten haben, als ich bin."
"Es scheint so, Senorita." Sein Lächeln war unergründlich. Er half ihr aus dem Wagen, und bevor sie etwas dagegen tun konnte, hatte er sie in seine Arme gezogen und zu seiner Gefangenen gemacht. Außer dem Chor der Zikaden im Hotelgarten lag die Nacht still um sie herum. Janna war von seiner plötzlichen Umarmung erschreckt. Sie war ihm hilflos ausgeliefert. Er zog sie in den Schatten der Bäume, tief in die samtenen Mimosen, so dass der nächtliche Duft der Gärten dem Augenblick etwas primitiv Erdhaftes verlieh. Niemals zuvor hatte Janna solch machtvoll verlangende Männerarme kennengelernt. Er hielt sie in der Dunkelheit an sich gepresst und machte es ihr unmöglich, ihm zu entkommen. Sie sah zu ihm auf, sah das dunkle Glitzern seiner Augen. Sie wusste, dass sie einem Mann der Wüste ausgeliefert war, für den Frauen wie junge Fohlen waren, die man zähmte. Das wilde Lächeln, das in seinen Augen glomm, verriet ihr, dass sie auf dem besten Wege war, ein Beispiel seiner Zähmungsmethode zu erleben. Ihr Herz hämmerte ... sie fühlte, dass seine Kraft sie entzweigebrochen haben könnte ... und dann hörte sie sein leises Lachen. "Lassen Sie mich los!" keuchte sie. "Sie zittern so sehr, dass Sie hinfallen würden", spottete er leise. "Nein, bevor ich Sie loslasse, will ich Ihnen etwas über die Männer - und über Frauen - beibringen." "Nein!" "Ja, mein kleiner Mimosenzweig. Ja!" Seine Lippen kamen immer näher, sein Atem streifte warm ihre Haut, er zog ihren seidigen, schlanken Körper dicht an sich. "Für jedes Mädchen kommt einmal die Zeit, geküsst zu werden. Für Sie ist es jetzt soweit." "Ich werde Sie dafür hassen." "Was, einen Mann hassen, den Sie wahrscheinlich nie mehr wiedersehen?"
3. KAPITEL Er bog sie über seinen Arm zurück und presste seine Lippen auf die ihren. Lange Zeit hielt er sie so und zwang sie, sich ihm zu ergeben. Ihr ganzes Wesen wurde wie von Schockwellen geschüttelt, als er seine Lippen in einer Reihe von raschen Küssen über ihr Gesicht und ihre Kehle wandern ließ, an ihrem Ohrläppchen verhielt und seine Hände dann unter die Pelzstola glitten, um ihre Taille zu umschließen. Sie keuchte, wand ihren Körper in einer verzweifelten Anstrengung, ihm zu entkommen, aber er hielt sie fest. "Kleine Närrin", lachte er tief in seiner Kehle. "Ich könnte Sie zerbrechen, und niemand würde sich darum kümmern. Niemand kümmert sich um Sie, verstehen Sie mich? Sie sind nichts als Treibgut auf dem geräuschvollen Strom des Lebens von Mildred Noyes. Sie wird sich nie um Sie Gedanken machen. Sie wird sich nie die Frage stellen, ob Sie einsam oder müde sind oder ob Sie ein wenig Liebe brauchen. Sie werden Ihr ganzes Leben lang ein kleiner Niemand sein, wenn Sie sich nicht von ihr freimachen." "Sie sagen das nur, um mich zu verletzen. Sie küssen mich, weil Sie grausam sind." Wieder versuchte sie, ihm zu entkommen, aber es war, als sei sie angekettet. Sie hatte noch nie zuvor solch geschmeidige Kraft kennengelernt, noch war sie je solcher Unbarmherzigkeit begegnet. Sie hatte das Gefühl, als würde es ihm ein leichtes sein, sie mit bloßen Händen zu zerbrechen. Dann ließ er sie abrupt los, und sie stolperte zurück gegen den Kühler des langen, silbrigen Wagens. Sie starrte ihn an, ihre Augen riesig im blassen Gesicht, ihre Lippen rot wie zerdrückte Beeren. Die Nerzstola hing ihr von den Schultern, das Haar fiel ihr wirr in die Stirn. Raul Cesar Bey betrachtete sie wie ein Sultan. "Es war ein höchst ungewöhnlicher Abend", sagte er und richtete sich mit einer Hand die Krawatte. Die dunkelrote Blüte war ihm aus dem Knopfloch gefallen. "Ich werde mich daran erinnern, wenn ich wieder in Marokko bin." "Warum, Don Raul?" Sie bemühte sich um Haltung und sprach mit aller Kühle, deren sie fähig war. "Weil zum erstenmal in Ihrem Leben eine Frau sich Ihrem Willen widersetzt hat?" "Ja, auch deshalb." Sein Blick glitt über sie hin. "Es ist töricht von Ihnen, zu glauben, Sie seien nur die Krumen wert, die vom Tisch des Lebens fallen. Denken Sie darüber nach, Janna Smith, selbst wenn Sie nicht mit mir nach El Amara kommen wollen." "Ich kann nicht!" rief sie. "Um keinen Preis." "Nun gut." Er breitete mit einer fatalistischen Geste die Hände aus. "Wie wir in der Wüste sagen: Was in den Sternen geschrieben steht, muss sich in Taten offenbaren. Ich werde Ihnen gute Nacht sagen, Senorita." Er verbeugte sich knapp. "Senor!" "Ja?" "Es war sehr großzügig von Ihnen, mir das Kleid und die Schuhe zu schicken. Aber, ich ich würde gern dafür beza hlen." "Das wäre eine Beleidigung!" Seine Augen glitzerten, er machte einen Schritt auf sie zu, und in plötzlicher Furcht vor ihm schlang sie sich die Stola enger um den Körper und floh auf den Hoteleingang zu. Sie blickte nicht zurück. Es war nicht nötig. Sie wusste auch so, dass ein überlegenes Lächeln über ihre überstürzte Flucht seine Lippen verzog. Sie erreichte einigermaßen atemlos die Suite und schob den Schlüssel in ihre Schlafzimmertür. Sie hatte ihren eigenen Eingang zur Suite, so dass sie Mildred während ihrer Siesta nicht zu stören brauchte, falls sie etwas zu erledigen hatte. Heute nacht konnte sie nur hoffen, dass Mildred noch nicht aus dem Casino zurück war. Sie trat ins Zimmer und schaltete das Licht an. Sofort erklang die Stimme aus dem angrenzenden Zimmer:
"Sind Sie das, Smith? Wie spät Sie sind! Kommen Sie hierher, und erklären Sie mir Ihre Abwesenheit." Janna stand wie versteinert. Sie konnte nicht denken, anderenfalls hätte sie sich die Stola von den Schultern gerissen und sie unter das Bett geworfen, um sie in einem günstigeren Moment zurückzuhängen. Aber ihr Schuldbewusstsein nagelte sie fest. Ihre Nerven waren an diesem Abend schon zu sehr mitgenommen. Bevor sie sich fassen konnte, wurde die Tür aufgerissen, Mildred marschierte ins Zimmer. Mit harten, bernsteingelben Augen starrte sie ihre Sekretärin an. Ihr entging weder das leicht zerzauste Haar noch das dünne Trägerkleid oder die honigfarbene Stola, die sie sofort erkannte. "Meine Nerzstola!" zischte sie und riss sie Janna von den Schultern. "Sie freche Diebin! Schleichen sich hier herein, ganz groß aufgemacht mit meinen Sachen! Ich wette, das Kleid ist auch von mir." "Nein, ist es nicht!" Janna erwachte wieder zum Leben und war erstaunt über ihre eigene Heftigkeit. "Es würde Ihnen gar nicht passen, Mrs. Noyes, und ich kann Ihnen die Karte zeigen, die dabeilag. Das Kleid ist ein Geschenk ... Es tut mir leid, dass ich Ihre Stola ausgeliehen habe, aber ich habe sie sorgsam behandelt und hatte natürlich vor, sie wieder zurückzubringen." "Das soll ich Ihnen glauben?" Mildreds Augen brannten vor Gehässigkeit. "Ich werde die Polizei rufen und Anzeige erstatten, bevor Sie mir noch etwas stehlen. Anständige Leute sind vor Ihnen ja nicht sicher." "Ach, reden Sie keinen Unsinn", unterbrach sie Janna. "Ich bin keine Diebin, das wissen Sie auch." "Tatsächlich?" Mildreds lackierte Fingernägel gruben sich in den Pelz, als unterdrücke sie nur mit Mühe den Drang, Jannas Haut damit zu zerkratzen. "Ich will Ihnen etwas anderes sagen: Ich habe genug von Ihnen! Entweder entschuldigen Sie sich bei mir, oder Sie können sofort Ihre Sachen packen." Janna starrte die Frau an, für die sie so duldsam gearbeitet hatte. Sie hatte nie ein Dankeschön für ihre Dienste übrig gehabt und konnte ihr jetzt nicht vergeben, dass sie sich für ein paar Stunden von einer Pelzstola hatte verführen lassen. Janna erinnerte sich an Rauls Worte, an die Offenheit, mit der er ihr klargemacht hatte, dass ihre Arbeitgeberin sie wie ein Stück Dreck behandelte. "Wie Sie wollen, Mrs. Noyes", sagte sie entschlossen. "Ich packe meine Sachen und gehe morgen früh." "Wenn, dann gehen Sie heute nacht noch", kreischte Mildred. "Sie können sich an den wenden, der Ihnen das Kleid geschenkt hat. Gehen Sie gleich jetzt zu ihm, und sagen Sie ihm, Sie hätten heute nacht keinen Platz zum Schlafen." "Aber Sie können mich doch nicht so mir nichts, dir nichts hinauswerfen", rief Janna verstört. "Das ist doch lächerlich. Alles nur wegen einer Stola, die Sie nie tragen. Ich habe hart für Sie gearbeitet, und Sie behandeln mich, als hätte ich es mir auf Ihre Kosten gutgehen lassen." Sie musste plötzlich lachen. Die Krumen vom Tisch des Lebens, nicht wahr? Zur Abwechslung wollte sie jetzt einmal einen kleinen Kuchen haben. Offensichtlich zahlte es sich nicht aus, demütig zu sein. Niemand schien es zu schätzen zu wissen, wenn man hart für ihn arbeitete. "Vielleicht suchen Sie meine Steuerkarte heraus, während ich meinen Koffer packe, Mrs. Noyes!" Janna machte auf dem Absatz kehrt und ging in ihr Zimmer, wo sie begann, ihre Sachen zu packen. Sie zog das Silberkleid und die Schuhe aus und schlüpfte in ein Kostüm. Dann fuhr sie sich mit dem Kamm durchs Haar, ließ den Koffer zuschnappen und ging ins Wohnzimmer zurück. Der Raum war leer. Ihre Steuerkarte lag auf dem Tisch. Sie steckte sie
in ihre Tasche. Die Tür zu Mildreds Schlafzimmer war fest geschlossen - ein letzter Affront, kein Wort des Abschieds für sie. Janna zuckte die Achseln und verließ die Suite. Sie ging zum Aufzug, ohne es zu bedauern, ihre Stelle aufgegeben zu haben. Es war nicht angenehm, um ein Uhr morgens hinausgeworfen zu werden, aber man würde ihr ein Zimmer nicht verweigern. Der Nachtportier im Empfang sah sie mit argwöhnischen Augen an. "Wir haben nichts mehr frei", sagte er kalt. "Nein, nicht einmal eins der preiswerten Zimmer. Jetzt ist Hochsaison, Sie verstehen." "Könnte ich vielleicht heute nacht hier im Empfang bleiben?" frage Janna. "Ich würde Sie bestimmt nicht stören." "Das ist gegen die Vorschriften, Miss. Es ist nicht gestattet, die öffentlichen Räume nachts zu benutzen - tut mir leid." Er breitete die Hände aus, aber es war offensichtlich, dass er mit einem Mädchen, das aus den Diensten eines Hotelgastes entlassen worden war, kein Mitleid empfand. Wie gewöhnlich hatte Mrs. Noyes recht, weil sie reich war. Janna war die Verliererin. Sie musste das Hotel verlassen und versuchen, irgendwo anders ein Zimmer zu finden ... und es war schon so spät. Die anderen Hotels waren wahrscheinlich ebenfalls voll ausgebucht, und der Gedanke an eine Nacht am Strand behagte ihr nicht besonders. Während sie noch zögernd dastand, wandte der Portier sieh ab, um ein Telefongespräch anzunehmen. Instinktiv reckte Janna den Hals und blickte auf das Hotelregister. Ein gewisser, wohlbekannter Name sprang ihr entgegen, und bevor der Portier sich wieder umgedreht hatte, hastete sie auf die Treppe zu. Ohne auf den Aufzug zu warten, lief sie, ohne anzuhalten, bis hinauf in den dritten Stock. Es war verrückt von ihr, das zu tun, aber es gab niemanden sonst, an den sie sich wenden konnte. Sie drückte auf den Klingelknopf von Rauls Suite und wartete voller Unruhe, dass er die Tür öffnete. Mehrere Minuten vergingen, und sie zwang sich dazu, noch einmal zu klingeln. Jeder Nerv in ihrem Körper zuckte, als die Tür plötzlich aufschwang und Raul ihr gegenüberstand. Er trug einen schwarzen, seidenen Morgenmantel, sein schwarzes Haar war vom Liegen zerzaust. Seine Augen waren voller Verwunderung. Er sah ihren Koffer, und seine Augenbrauen hoben sich. "Sie reisen ab und sind zu dieser eigenartigen Stunde gekommen, um mir Lebewohl zu sagen?" fragte er. "Mildred hat mich hinausgeworfen", stieß sie hervor. "Im Hotel gibt es kein Zimmer, das ich für die Nacht bekommen kann. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Es ist so spät, und ich möchte nicht die ganze Nacht auf der Straße herumlaufen." Seine Augen verengten sich, dann streckte er eine Hand aus und zog sie zu sich herein. Er schloss die Tür, und sie stand atemlos vor ihm. "Ich dachte, Sie könnten den Nachtportier vielleicht dazu überreden, mich die Nacht im Empfang verbringen zu lassen. Sie sind ein einflussreicher Mann, Senor. Und ich bin nur ein dummes Mädchen, das seine Stelle verloren hat." "Sie stecken in der Klemme", sagte er nachdenklich. "Was ist geschehen? Hat Madam sich auf Sie gestürzt, als Sie nach Hause kamen? Hatten Sie den Mut, ihr entgegenzutreten, und wurden Sie gefeuert, weil Sie es gewagt haben, sich zu verteidigen?" Janna nickte. "Das ist ziemlich genau, was geschah." "Und da hat sie Sie gleich heute nacht vor die Tür gesetzt?" "So ungefähr. Sie war furchtbar verärgert." "Zweifellos", meinte er gedehnt. "Es muss sie verärgert haben, eine so willige Kraft zu verlieren. Ich hätte gern ihr Gesicht gesehen, als Sie Ihren Koffer packten und tatsächlich fortgingen." Janna lachte nervös. "Das Ganze ist so lächerlich. Fast wie eine Farce. Sie hätte mich ebensogut bis morgen bleiben lassen können. Jetzt sitze ich hier ohne ein Zimmer für die Nacht."
"Ja, was für eine peinliche Lage", sagte er mit jener gefährlich sanften Stimme, die sie bereits so gut kannte. "Und Sie kommen zu mir, obwohl Sie vor noch nicht einer Stunde vor mir davongelaufen sind, als sei Ihnen ein Tiger auf den Fersen." Janna sah ihn an und gestand sich, dass es töricht gewesen war, irgend etwas anderes als Spott von Raul Cesar Bey zu erwarten. "Es tut mir leid, dass ich Sie aufgeweckt habe, ich gehe jetzt besser." "Sie bleiben besser hier", erwiderte er. "Ich habe keine Lust, per Telefon mit dem Nachtportier zu streiten, und es ist sehr wahrscheinlich, dass die Hotels in der Umgebung ebenfalls ausgebucht sind. Sagen Sie mir eins: Was ist mit meinem Vorschlag? Haben Sie es sich doch noch anders überlegt?" "Wenn Sie es sich noch nicht anders überlegt haben, Senor?" Janna hielt seinem Blick stand. "Ich habe hart für Mildred Noye s gearbeitet, und heute hat sie mich eine Diebin genannt." "Warum das?" forschte er. "Ich lieh mir ihre Nerzstola", erzählte Janna ernst. "Sie müssen es bemerkt haben. Ich hoffte, dass sie erst spät aus dem Casino zurückkommen würde, aber offenbar hatte sie heute kein Glück und kam früher als gewöhnlich wieder. Sie wartete auf mich und beschuldigte mich, sie bestohlen zu haben. Wenn ich sie gebeten hätte, mir die Stola zu leihen, hätte sie mich ausgefragt und am Ende nein gesagt. Dabei trägt sie sie nie." "Sie ist eine selbstsüchtige Frau und neidisch auf ein junges Mädchen, das in einem Pelz schlank aussehen kann, statt unförmig." Er legte seinen Arm um Janna, nahm ihren Koffer in die andere Hand und führte sie aus dem kleinen Foyer seiner Suite ins Wohnzimmer. "Setzen Sie sich, ich gieße Ihnen einen kleinen Kognak ein. Sie sehen etwas zittrig aus!" "Ich ... ich muss zugeben, dass ich mich nicht besonders wohl fühle, Senor. Ich habe nicht gern Streit mit Leuten, und sie hat mit mir gesprochen, als sei ich ein Flittchen oder so etwas." Er lachte, als er an der kleinen Bar Kognak in zwei Schwenkgläser goss. Er hielt sie in seinen schlanken Fingern und kam quer über den Teppich zu Janna, die auf einer weichen Ledercouch saß, "Trinken Sie das, Janna. Es wird Ihre Nerven beruhigen und die ganze Sache viel undramatischer aussehen lassen. Ein Flittchen, wie? Nun, das wird Ihnen nichts mehr ausmachen, wenn Sie heute nacht hierbleiben." "Was meinen Sie damit?" Jannas Augen öffneten sich weit und voller Schrecken. Beinahe wäre ihr das Kognakglas aus der Hand gefallen. "Ein Schluck davon wird Ihre Lebensgeister zurückbringen", riet er. Sie befolgte seinen Rat und versuchte nicht zurückzuzucken, als er sich auf der Lehne der Couch niederließ und seinen Kognak einatmete. "S ie haben kein Bett für die Nacht, Janna. Deshalb schlage ich vor, dass Sie hierbleiben." "Das geht nicht - das ist unmöglich!" "Ich bin sicher, es geht." Seine Augen blitzten sie schalkhaft an. "Mit meiner Bettdecke müsste diese Couch ein bequemes Bett für Sie hergeben. Ich würde Ihnen meins anbieten, aber ich möchte Sie nicht wieder fortjagen, nachdem Sie dem Drachen die Stirn geboten haben und zu mir gekommen sind. Wissen Sie denn nicht, dass ein Mann der Wüste nie das Vertrauen eines Gastes enttäuschen würde, dem er den Schutz seines Zeltes gewährt?" "Dies ist kein Zelt in der Wüste." Janna fühlte sich ein wenig schwindlig von dem Kognak und den Ereignissen dieser ungewöhnlichen Nacht. "Falls jemand mich sehen würde, wie ich am Morgen Ihre Suite verlasse - nun, Sie wissen ja, wie die Leute sind! Man würde annehmen, dass Sie und ich ..." Ihre Wangen röteten sich, und sie brach in hilfloser Verwirrung ab. Er kippte sein Kognakglas und kostete den Inhalt. "Ein reines Gewissen ist das beste Ruhekissen, Senorita. Dummes Geschwätz kann uns nicht verletzen, wenn wir wissen, dass wir so unschuldig wie zwei Säuglinge sind."
"Ich weiß nicht, wo ich sonst hin soll." Sie sagte es schläfrig und sehnte sich plötzlich danach, ihre Füße hochzulegen und sich der Nachgiebigkeit der Couch und dem Vergessen des Schlafs hinzugeben. "Ziehen Sie sich die Schuhe und die Kleider aus", befahl er. "Ich hole inzwischen eine Decke und ein Kissen. Dann schlafen Sie so fest wie ein Kind und machen sich keine Sorgen mehr um morgen." Er ging ins andere Zimmer, und sie musste daran denken, wie nett er zu ihr war, nun, da sie nachgegeben hatte. Sie schlief schon fast, als er mit der Steppdecke wiederkam. Er stand neben der Couch und sah auf sie hinab. Sie hatte die Schuhe und die Jacke ausgezo gen, trug aber immer noch den Rock. "Sie werden ihn zerknittern", sagte er trocken. "Kommen Sie, seien Sie nicht so scheu." Sie zuckte zusammen, als er sie berührte, ihre Augen flogen weit auf, als er ihr den Reißverschluss aufmachte und den Rock auszog. "Nein! Nicht!" stammelte sie. "Schon geschehen, Miss Smith. Und ich beginne zu ahnen, dass es höchst amüsant sein würde, Sie aus Ihrem Schneckenhaus zu locken." Sie griff nach der Decke und wickelte sich fest darin ein. Er lachte und legte ihr ein Kissen unter den Kopf. "Morgen um diese Zeit, Sie komisches Kind, werden wir auf dem Weg nach Marokko sein, und Sie werden Madam Noyes nie wiedersehen." Als sie aufwachte, strömte Sonnenlicht in das Wohnzimmer. Raul stand drüben am Tisch und goss Kaffee ein. Er drehte sich zu ihr herum. "Guten Morgen", sagte er und brachte ihr eine Tasse Kaffee. "Ich muss für eine oder zwei Stunden fort, und ich möchte, dass Sie mir versprechen, in meiner Suite zu bleiben. Dass Sie es sich nicht wieder anders überlegen und mir fortlaufen, nun, da es Morgen geworden ist." Sie hielt die Kaffeetasse in beiden Händen und sah zu ihm auf. "Ich habe keine andere Wahl mehr, Don Raul. Sie haben mich in Ihrer Gewalt, nicht wahr?" Raul sah auf seine Armbanduhr. "Ich muss unsere Flugtickets buc hen, und ich möchte meine Cousine besuchen. Um zwölf Uhr sollte ich damit fertig sein. Dann essen wir zusammen und gehen danach zu Louis Jean wegen Ihrer neuen Kleider." "Meiner neuen Kleider?" echote sie. "Aber natürlich. Wenn Sie an Bord der Maschine gehen, werden Sie der Schützling einer Prinzessin und dementsprechend angezogen sein."
4. KAPITEL Die Reise nach Casablanca war ein Wirbelwind ungewöhnlicher Eindrücke für Janna. Sie bestiegen den Jet in der Abenddämmerung; ihr brandneues Gepäck wurde zusammen mit Rauls weitgereisten Koffern verstaut. Ihre eleganten Kleider und die neue Frisur gaben ihr ein eigenartiges Gefühl, als sie ihre Plätze einnahmen und er ihren Sitzgurt einschnappen ließ. "Entspannen Sie sich", sagte er. "Sie sehen aus, als würden Sie gegen Ihren Willen nach Marokko gebracht ... der Wüstenscheich, der zu seinem persönlichen Vergnügen ein Mädchen entführt." "Es war ein seltsamer und irgendwie unwirklicher Tag für mich, Senor. Erst all die neuen Sachen, dann der Schönheitssalon, und zuletzt noch die Begegnung mit Mildred, als wir gerade das Hotel verlassen wollten." Er lachte leise, winkte einer der Stewardessen und fragte Janna, was sie gern trinken würde. "Salud." Raul hob sein Glas. "Denken Sie an Madam Noyes und wie sie uns angesehen hat?" Er beugte sich vor, in seinen Augen lag ein Lächeln. "Machen Sie sich nichts daraus, was solch eine Frau sich denkt, wenn sie Sie in Gesellschaft eines Mannes sieht. Die Überraschung hat ihr gutgetan. Sie konnte sich davon überzeugen, dass Sie nic ht an eine Schreibmaschine gefesselt sein werden." "Sicher." Janna lächelte herb. "Ich schätze, sie hat genau das Gegenteil angenommen: Dass ich meine Seele Luzifer persönlich verkauft habe." "So?" Seine Augenbrauen schössen steil nach oben. "Sie sehen in mir den dunklen Engel? Glauben Sie, dass ich Sie dazu überredet habe abzufallen?" "Nun, ich würde es nicht ganz so dramatisch ausdrücken." Sie machte sich mit einem weiteren schnellen Schluck Mut "Aber es war nicht gerade schön, mich von Mildred so von oben bis unten anstarren zu lassen." "Wissen Sie, was Ihr Fehler ist?" sagte er. "Sie haben kein Selbstvertrauen. Warum sollte ein Mann nicht den Schnee beiseite räumen, um den Enzian freizulegen? Sie erinnern mich an die blaue Blume, die an einsamen, schneebedeckten Hängen wächst." "Ich bin aus einem ganz bestimmten Grund freigelegt worden", erinnerte sie ihn. "Wenn ich nicht wie Joyosa ausgesehen hätte, hätten Sie sich dann noch einmal nach mir umgedreht?" "Warum sind Sie nicht ganz einfach froh, dass mir Ihr Aussehen aufgefallen ist?" Sein Blick glitt über sie hin. "Ich freue mich zu sehen, dass Sie schöne Kleider mit natürlicher Anmut tragen, Janna Smith. Wer wohl Ihre Eltern waren? Hat das Waisenhaus es je herausfinden können?" Sie schüttelte den Kopf. "Ich wurde in der Mauernische gefunden, nur diese goldene Kette war dreimal um mein Handgelenk geschlungen." Sie zeigte ihm die Kette, die sie nie abnahm. Ein kleiner, goldener Fisch baumelte daran. "Sie ist mein einziger weltlicher Besitz." Sein Blick wurde plötzlich ernst. "Sie haben es nicht besonders leicht gehabt, nicht wahr, Janna? Die kalten, hohen Mauern dieser Anstalt waren Ihre Welt; meine waren die sonnendurchglühten Mauern einer großen Villa in der Wüste. Ich wuchs in der Sonne auf. Unter dem brennenden, blauen Himmel. Mitten in einer wilden Freiheit. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es sein muss, in einem engen Eisenbett zu schlafen und keine Prinzessin Yamila zu haben, der man seine jungenhaften Entdeckungen erzählen kann." Er berührte die Kette mit dem kleinen Fisch an ihrem Handgelenk. "Alles, was wir gemeinsam haben, ist, dass auch ich meine Eltern verlor, als ich noch ein Kind war. Wir fuhren nach einem Besuch in Spanien mit dem Schiff heim und befanden uns wenige Meilen vor Tanger, als im Laderaum ein Feuer ausbrach. Innerhalb einer halben Stunde stand das ganze Schiff in Flammen. Mein Vater küsste mich, warf mich ins Wasser, und ich schwamm
davon, überzeugt, dass meine Eltern bald folgen würden. Erst viel später fiel mir ein, dass mein spanischer Vater nicht schwimmen konnte. Als man mich endlich auffischte, wusste ich, dass meine Mutter mit all ihrer Kraft versucht hatte, ihn über Wasser zu halten, bis sie selbst mit ihm ertrunken war. Sie liebten sich sehr. Wenn einer von ihnen sterben musste, dann wollten sie lieber gemeinsam sterben. Solche Hingabe soll man nicht auseinanderreißen." "Mein Gott, das muss schrecklich für Sie gewesen sein." Janna war bewegt von der Geschichte des Jungen, den man von einem brennenden Schiff in den Ozean geworfe n hatte. "Ich hatte die Prinzessin", sagte er leise. "Sie hatten niemanden." "Man gewöhnt sich daran", versicherte sie ihm. "Nach einiger Zeit scheint es ganz natürlich, immer allein zu sein." "Es ist unnatürlich", gab er zurück. "Vögel sitzen selten einma l allein, Fische schwimmen in Schwärmen, und etwas stirbt im Herzen, wenn es niemanden gibt, dem man seine Liebe schenken kann. Hat es denn gar niemanden gegeben, Chica? Keinen Jungen, keinen Mann? Ah, natürlich nicht. Ich wusste es, als ich Sie küsste ... es war, als hielte ich Schnee in den Händen." "Ich möchte nicht darüber sprechen ..." Sie sah von ihm weg aus dem Fenster, das ihr den Blick auf eine unendliche, von Sternen durchsetzte Finsternis öffnete. "Haben Sie Rachael von mir erzählt?" fragte sie. "Nein." Eine Flamme spiegelte sich im Fenster, als er sich seine Zigarette ansteckte. "Ich habe ihr lediglich gesagt, dass ich nach Hause zurückkehre und sie sich keine Sorgen zu machen braucht. Ich würde dafür sorgen, dass meine Großmutter ihr nicht wegen Joyosa die finanzielle Unterstützung entzieht. Diesmal trennten wir uns ohne Tränen." Janna konnte sich das Lebewohl vorstellen. Die Küsse, die voll sanfter Leidenschaft waren, statt voller wildem Schmerz. "Ich bin froh, dass Sie nichts über mich gesagt haben, Don Raul. Ich bin nicht besonders stolz auf die Rolle, die ich spielen soll. Angenommen ..." "Angenommen was, Miss Smith?" wollte er wissen. "Joyosa könnte plötzlich in El Amara auftauchen." "Das glaube ich kaum. Habe ich Ihnen nicht schon gesagt, dass sie in mir nur den Wüstenscheich sieht? Sie hätte viel zuviel Angst." "Ich glaube, ich könnte auch vor Ihnen Angst haben." "Dann sagen Sie mir bitte, warum, Janna. Es fasziniert mich, Ihre Gedankenwelt kennenzulernen. Habe ich ein böses Gesicht?" "Sie ... Sie wissen zuviel über die Menschen", sagte sie abwehrend. "Sie meinen, ich lasse mir nicht so leicht etwas vormachen?" "Es ist unmöglich, Ihnen etwas vorzumachen oder Sie zu verblüffen." "Da haben Sie unrecht. Sie sind mir ein Rätsel, Janna. Zum erstenmal hat ein Mädchen meinen Pfad gekreuzt, das mich an eine im Eis gefangene Blüte erinnert. Ich frage mich, was unsere Wüstensonne Ihnen antun wird. Werden Sie aufblühen oder einfach schmelzen?" Er lächelte, seine dunklen Augen glitzerten durch den Zigarettenrauch. "Wissen Sie, es ist eigentlich nicht gar so schlimm, Sie darum zu bitten, die Geliebte ohne Liebe und ohne Herz zu spielen. Die Rolle sollte Ihnen Freude machen. Es müsste Ihnen doch leichtfallen, einem Mann gegenüber kühl zu bleiben, den Sie verachten - ah, da öffnen sich die blauen Augen weit! Nicht um zu protestieren, sondern vor Staunen, dass ich so offen zu sprechen wage. Ich bin Spanier, haben Sie das vergessen?" "Ich habe es nicht vergessen", entgegnete sie. "Und wie könnten Sie auch die Lebensart eines Mannes billigen, wie ich es bin? Wo man Ihnen doch beigebracht hat, demütig und dankbar zu sein, sich nie den Sünden des Stolzes und des Eigenwillens hinzugeben - wie ich, nicht wahr? In Ihren Augen muss ich wohl so etwas wie eine männliche Mildred sein. Nur ohne das tizianrote Haar."
"Natürlich sind Sie das nicht." Janna musste lachen. "Sie ist unmöglich - und nur allzu bereit, das Schlimmste von anderen zu denken, obwohl sie selbst kein Engel ist." "Darf nur ein Engel die Fehler anderer beurteilen?" Sie warf ihm einen schnellen Blick zu, als sie den ironischen Unterton in seiner Stimme bemerkte. "Ich bin kein Engel, Senor. Das wollte ich damit nicht sagen." "Ganz im Gegenteil, ich finde, Sie sind einer der wenigen Menschen, die ein Gewissen haben. Es macht Ihnen Sorgen, dass die Menschen sich nur um sich selbst zu kümmern scheinen. Es stört Sie, dass die Jagd nach dem Glück das Übergewicht über Nachsicht und Hilfsbereitschaft bekommt. Janna Smith, ich glaube, Sie werden die Leute von El Amara mögen. Mein Großvater heiratete die Prinzessin Yamila, die eine echte Tochter Marokkos ist. Sie war eine hinreißend schöne Frau. Selbst heute ist ihr noch viel von ihrer Schönheit geblieben, wie bei einem alten Stück Jade oder geschnitztem Elfenbein. Sie werden von ihr fasziniert sein." "Ich werde mich fürchten, Don Raul, falls sie herausfinden sollte, dass ich eine Betrügerin bin." "Selbst wenn", sein Lächeln war leicht spöttisch, "so wird sie Ihnen nicht den Kopf abschneiden lassen. Wir sind nicht völlig unzivilisiert." "Machen Sie keinen Witz daraus, Don Raul. Ich bin nervös." Das schien Raul Cesar Bey nicht zu stören. Seine Hauptsorge galt der schönen Rachael. Janna war sicher, dass es ihm nichts ausmachen würde, wenn man sie am Ende schimpflich aus dem Haus seiner Großmutter jagte. "Entscheiden Sie sich jetzt." Seine Stimme war auf einmal hart. "In wenigen Stunden landen wir in Casablanca, wo ich in einem Hotel Zimmer gebucht habe. Entweder kommen Sie ganz mit mir, oder wir trennen uns dort." "In einem Hotelgarten?" fragte sie launisch. Sie sah aus dem Fenster in die sternenbesetzte Dunkelheit hinaus. Eine zauberhafte Nacht... und all diese Nächte würden aufs neue so einsam sein, wenn sie sich nicht entschloss, mit ihm in die Wüste zu gehen. Zu dem Haus, das dort stand, strahlend weiß und sicherlich wunderschön. Wo war ihr Zuhause? "Ich biete Ihnen eine Reise ins Märchenland, kleines Waisenkind." "Es könnte sich als Fata Morgana erweisen, Senor." "Ich versichere Ihnen, El Amara ist echt. Zum erstenmal in Ihrem Leben werden Sie behandelt werden wie eine Prinzessin." Sie sah ihn direkt an, und in ihren Augen blitzte es. "Ich habe keine dummen Träume, Don Raul. Ich verliebe mich auch nicht in Männer, die nicht zu meiner Welt gehören." Er erwiderte ihren Blick aus engen Augenschlitzen. "Dann sind Sie ein kluges Mädchen", sagte er kurz. Den Rest der Reise sprach er über allgemeine Dinge. Es war eine Erleichterung, als das Landezeichen aufleuchtete und sie über dem Flugplatz einschwebten. "Wir sind in Casablanca", sagte er. "Morgen früh nehmen wir den Zug nach Benikesh, wo ein Wagen auf uns wartet." Jannas erster Eindruck von Benikesh war ein Gemisch aus Erregung, Farbe und Geräuschen. Der Wagen, der am Bahnhof auf sie gewartet hatte, musste sich seinen Weg durch enge Straßen bahnen, vorbei an hochbeladenen Eseln, Männern in Burnussen und Kindern, die mit all der furchtlosen Wendigkeit junger Tiere hin und her schössen. Der Wagen hielt auf dem Hauptplatz, der voller Straßenverkäufer war und von einer Moschee mit einer leuchtendgrünen Kuppel und einer Gruppe schlanker Türme überragt wurde. Das Haus, das sie betraten, hatte einen Innenhof, in dem die Bäume voller goldener Früchte hingen. "Bitterorangenbäume", sagte Raul. Janna blinzelte gegen das heiße Sonnenlicht, als sie zu ihm aufsah. Er trug einen makellosen weißen Anzug, und hier in dieser belebten Wüstenstadt wirkte er orientalischer und weniger weltmännisch. Ihr Herz setzte eine Sekunde lang aus. Er
war so hochgewachsen. Die Sonne lag auf seinem Haar, das glänzte wie das Gefieder eines Raben. Er sah ganz wie der Enkel einer maurischen Prinzessin aus, und aus den geschnitzten Toren des Familiensitzes in Benikesh kamen die Leute gelaufen, um ihm zu dienen. Janna verstand kein Wort der Sprache, die in erregten Schwallen Um sie herum ertönte. "Wir werden etwas essen", sagte Raul auf englisch zu ihr und führte sie durch die kühle Mosaikhalle des Hauses, wo die Sonne durch die verschlungenen Ziergitter der Bogenfenster fiel und auf dem Boden ihr Muster wob. Sie traten hinaus in einen Brunnenhof. Nach all der Betriebsamkeit des Platzes nahmen der plötzliche Friede und die Schönheit Janna den Atem. Kaffee wurde serviert. Sie schlenderten unter den Oleanderbäumen und gelben Melonenblüten umher, während sie auf das Essen warteten. Es gab prächtige Geranien von reiner, violetter Farbe, und im persischen Flieder zwitscherten die Vögel. Janna fühlte sich, als ob sie träumte. Aber es war Wirklichkeit, als sie mit dem Absatz an einer Fliese hängenblieb und beinahe gefallen wäre, wenn er sie nicht gehalten hätte. "Danke." Sie wurde ein wenig rot, als sie seinem Blick begegnete. "Ich bin so an flache Schuhe gewöhnt, dass ich mir mit hohen Absätzen seltsam vorkomme." "Sie kommen sich überhaupt seltsam vor, nicht wahr? Unsicher, was Sie von dem Mann halten sollen, der Sie auf einem fliegenden Teppich hierhergebracht hat." "Ich dachte, wir würden wieder in einem Hotel wohnen, Senor." "Warum, wenn dieses ausgezeichnete Haus jetzt so wenig benutzt wird, weil die Prinzessin die meiste Zeit in El Amara verbringt? Haben Sie etwa Angst, weil Sie keine Anstandsdame für die Nacht haben? Sie, ein Mädchen aus England, wo solche Dinge als ebenso altmodisch gelten wie viktorianische Polstermöbel." "Ich versuche nicht, den Muffel zu spielen." Sie machte sich von ihm los und setzte sich auf den fliesenbelegten Rand des Springbrunnens. "Ich frage mich nur, womit Sie mich als nächstes überraschen oder erschrecken werden." "Das ist die Essenz des spanischen Charakters, Chica. Vergessen Sie nicht, dass ich ein Teil dieses geheimnisvollen Landes bin." Sie tauchte ihren Finger in das Wasser des Brunnens und war sich nicht bewusst, dass die Sonne die blonden Locken ihres Haars an Schläfen und im Nacken silbern aufleuchten ließ. Sie sah unschuldig jung und köstlich aus in diesem Garten, in dem vor langer Zeit die Favoritinnen eines maurischen Prinzen sich die Zeit vertrieben hatten. "Erschreckt Sie das?" Er nahm ihre Hand, die kühl vom Wasser war. "Kommen Sie, Hussein bringt uns das Essen an den Tisch. Sie müssen nach der langen Reise hungrig sein." Sie aßen im Schatten der Mauer, die mit einer Masse duftender lila Blüten überwachsen war. Das Essen war ohne Zweifel hervorragend. Rosa Melonenhälften, die mit süßem, kühlem Geschmack unter den Zähnen barsten. Maiskolben, auf denen die Butter schmolz. Reis, in dem man Huhn zusammen mit Rosinen, Zwiebeln und Auberginen gebacken hatte. Ein Karamelpudding, der es ihr unmöglich machte, dem Mann nicht zuzulächeln, der die Mahlzeit bestellt hatte ... der es gewohnt war, Anweisungen zu geben und sie befolgt zu sehen. "Was steckt wohl hinter Ihrem Lächeln?" Er grub seine Zähne in eine Feige, aber diesmal wollte sie ihm ihre Gedanken nicht verraten. Wenigstens das konnte er nicht erzwingen. "Wie sehr es Mildred in Ihrem ma urischen Garten gefallen hätte, Senor. Was für einen herrlichen Hintergrund für einen Roman er hergeben würde!" "Einen Hintergrund für eine Romanze, wollen Sie sagen?" Sie warf ihm als Antwort einen kühlen Blick zu. Es war nicht das erstemal, dass sie in seinen Augen einen beunruhigenden Ausdruck bemerkte. Als sei er gefesselt von dem Mädchen, das noch nie eine romantische Affäre gehabt hatte, und als wolle er ihre Reaktion auf einen Angriff auf ihre Gefühle testen. "Das war ein köstliches Essen, Don Raul." "Ich habe bemerkt, wie sehr Ihnen das Essen geschmeckt hat, Miss Smith." Sein Blick glitt über sie hin. "Und doch könnte man nach Ihrem Aussehen zu dem Schluss kommen, dass
Sie bisher von wildem Honig gelebt haben. Hatten Sie wirklich genug zu essen, als Sie noch ein Kind waren?" Ein sprudelndes Lachen brach aus ihrem Mund. "Ich nehme an, dass ich für Sie wie ein Haufen Knochen und Haare aussehe, Senor. Ich glaube, spanische (Männer mögen ihre Frauen plump wie Tauben mit rabenschwarzem Haar." "Es gibt Ausnahmen von der Regel", sagte er gedehnt. "Im Hinblick auf Joyosa schlugen mehrere meiner maurischen Freunde vor, ich solle sie mit Süßigkeiten und Buttercremetorten füttern, wie man es in den Harems macht, wenn ein Mädchen nicht so rund wie erwünscht ist." Mit einem hinterlistigen Glitzern in den Augen schob er Janna die Dattel- und Nussfondants zu, die mit dem Mokka gebracht worden waren. "Möchten Sie etwas Süßes, Chica?" "Sind Sie mehr ein Mann der Wüste als ein Spanier?" Sie nahm eine Kleinigkeit und knabberte daran. "Ich fange an, das zu glauben." "Sind Sie mehr eine Frau als eine kleine Heilige? Ich beginne, mich das zu fragen." "Ich bin eine Sekretärin, die als Schauspielerin eingestellt wurde. Ich bin sicher, dass es Ihnen nicht viel Sorgen macht, wie schlecht ich mir vorkomme, nachdem ich nun beginne, mich zu benehmen, als sei ich bereits mein ganzes Leben verwöhnt und bedient worden." Sie sah einem orangefarbenen Schmetterling zu, der sich an eine Melonenblüte klammerte. Sie war ein verängstigtes junges Mädchen, keine Frau, die wusste, wie man mit einem so vitalen Mann umging. Sie bebte innerlich, so verletzlich wie der Schmetterling, der an der Blüte hing. "Macht es nicht wenigstens ein kleines bisschen Spaß vorzugeben, das Spielzeug eines Mannes zu sein?" fragte er spöttisch. "Kommen Sie, es muss Ihnen doch Freude machen, sich zur Abwechslung einmal verwöhnen zu lassen." "Ich könnte mich daran gewöhnen, verwöhnt zu werden, Don Raul." "Dann muss ich die Augen nach einem reichen und freigebigen Ehemann für Sie offenhalten, damit Sie nicht einer anderen Mildred in die Falle gehen, wenn wir uns trennen." "Wirklich?" Sie lachte, aber seltsamerweise schmerzten sie seine Worte "Glauben Sie, dass Reichtum das wichtigste in einer Ehe ist? Vielleicht denke ich anders darüber." "Wie zum Beispiel?" Er lockte sie auf die offensichtliche Antwort zu, aber sie ging ihm nicht in die Falle. "Vielleicht möchte ich ein Teehaus aufmachen oder Kosmetikerin werden. Ich fand es sehr faszinierend in dem Salon vor zwei Tagen." Er lächelte über ihre Antwort und lehnte sich in seinen Rohrstuhl zurück. "Vielleicht überraschen Sie sich eines Tages selbst und verlieben sich, Chica. Was wird aus Ihrem Teehaus werden, wenn Sie sich Hals über Kopf in jemanden verlieben?" "Darüber werde ich mir Sorgen machen, falls und sobald das geschieht", gab sie lächelnd zurück. "Mildred sagte immer, ich sei die geborene alte Jungfer. Viele scheue Menschen verheiraten sich lieber mit einer Karriere als mit einer Person." "Sind Sie sehr scheu?" Sie mied seinen direkten und amüsierten Blick. Dies, so dachte sie verzweifelt, war auf dem besten Wege, eines jener gefährlichen Gespräche zu werden, denen sie immer auszuweichen suchte. Es war unfair von ihm, damit anzufangen, als läge ihm daran, ihre heimlichen Träume aufzudecken. "War Joyosa scheu?" wehrte sie ab. "Wenn sie nicht scheu war, wird Ihrer Großmutter die Veränderung auffallen, sobald sie mich sieht." "Die Prinzessin hat Joyosa nur zweimal in ihrem Leben getroffen. Damals war das Mädchen noch ein Kind. Entsetzt es Sie, dass sie für einen Mann wie mich ausgewählt wurde?" "Ich ... ich weiß wirklich nicht, was ich darauf antworten soll, Senor."
"Ich bin sicher, dass Sie eine Antwort wissen, Senorita." Er schloss seine sehnigen Finger um eine lila Blüte und zerdrückte sie langsam in seiner Hand. Dabei sah er Janna in ihrem einfachen Kleid unverwandt an. Sie hatte die Jacke ausgezogen, ihre Arme waren nackt bis auf das Armband mit dem kleinen Fisch. "Sagten Sie nicht einmal, Sie könnten verstehen, dass eine Frau vor mir Angst hat? Angst vor meiner Leidenschaft?" "Ich glaube, Sie können grausam sein mit Frauen", sagte sie tapfer. "Schließen Sie sich da mit ein?" Sie sah zu, wie er die Blüte zerdrückte und die Blätter auf den Boden fällen ließ. Nur mit der Prinzessin würde er Samthandschuhe tragen. Mit allen anderen nicht. Janna hatte seinen stahlharten Griff schon zu spüren bekommen. "Ja", nickte sie. "Ich glaube, ja." "Wie mutig von Ihnen, sich dann in meine Hände zu geben." "Es wird wahrscheinlich der Tag kommen, an dem ich es bereue, so impulsiv gewesen zu sein." "Das gemütliche Teehaus sollte Sie für all die Schrecken entschädigen, die ich Ihnen im Laufe unserer Beziehung bereite", sagte er träge. "Ich kann Ihnen nicht versprechen, voraussehbar zu handeln, aber ich glaube, es wird Ihnen Freude machen, am Rande der Wüste zu leben. Es wird ein Erlebnis für Sie sein, von dem Sie nie zu träumen gewagt haben. Durch einen Palmengarten zu wandern, den goldenen Mond über den Sand steigen zu sehen, zu hören, wie der Wind der Morgendämmerung Ihnen zuflüstert, aufzustehen und zu reiten ... vielleicht mit mir." "Aber ich kann gar nicht reiten", sagte sie atemlos. "Dann werde ich es Ihnen beibringen." "Es gibt wahrscheinlich mehrere Dinge, die ich nicht kann ... Dinge, die man von Joyosa erwarten wird. Ich kann kein Spanisch." "Nur keine Panik." Er sprang auf und kam um den Tisch zu ihr. Er zog sie hoch und hielt sie in den Händen, die die Blüten zerdrückt hatten. Seiner dunklen Kraft, der Leidenschaft und der Gefahr so na he zu sein war genug, um jede Frau zu alarmieren. Janna hatte nicht vergessen, wie seine warmen, harten Lippen sich auf die ihren gepresst hatten. Er war unberechenbar, und sie war unbeschützt. Eine explosive Verbindung. "Wie ich Ihnen schon gesagt habe, hatte Joyosa eine englische Mutter und spricht deshalb gut Englisch. Die restlichen Probleme lassen sich leicht lösen. Sie werden früh am Morgen reiten lernen, und dabei werde ich Ihnen gleichzeitig ein wenig Spanisch beibringen. Vergessen Sie nicht, dass es nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen wird, um der Prinzessin zu zeigen, dass Sie nicht gerade verrückt nach mir sind. Sobald sie erkennt, dass ich einen Eiszapfen zur Frau haben würde, dürfen Sie aus meinem Leben hinwegschmelzen, Chica." Schmelzen war das richtige Wort ... sie war schon jetzt nahe daran. Denn bewusst oder unbewusst hielt er sie so, dass ihr schlanker Körper gegen den seinen gepresst wurde, ihr schneller Atem musste sein Gesicht streifen. "Joyosa hatte nie solch große und sprechende Augen", murmelte er, machte aber keine Anstalten, sie aus ihrer wehrlosen Lage zu erlösen. "Sehen Sie mich nur in Gegenwart meiner Großmutter so an wie jetzt, und sie wird bald davon überzeugt sein, dass Ihnen meine Berührung zuwider ist." "Ich mag es nicht, wenn jemand mich hält wie ein zahmes Kaninchen. Don Raul, Sie tun mir weh ..." "Kleine Lügnerin!" Seine Augen lachten sie an. "Sie können mich nicht ausstehen, weil ich ein arroganter Teufel bin, und wenn ich Sie berühre, Nina, dann wissen Sie nie, was ic h als nächstes tun werde. Sie haben Angst, dass ich meinen Kopf noch ein bisschen mehr senken und so meine Lippen den Ihren noch näher bringen könnte. Haben Sie Angst davor, geküsst zu werden?" "Nicht von Ihnen", keuchte sie. "Für Sie ist das Ganze nur ein Spiel. Ein Katz- und-MausSpiel. Ihr ganzes Leben lang haben Sie mehr oder weniger getan, wozu Sie Lust hatten,
während ich immer eingesperrt gewesen bin. Sie sind neugierig zu sehen, wie ich reagiere, wenn Sie mich aus der Mausefalle hinauslassen. Vielleicht glauben Sie, ich sollte meine Dankbarkeit beweisen, indem ich mich von Ihnen küssen lasse?" "Sind Sie denn so dankbar?" fragte er schalkhaft. "Ich würde lieber als Tellerwäscher arbeiten!" gab sie zurück. Sofort wurde sein Griff noch fester, und sie wurde noch enger an ihn gepresst. Ein Kuss schien unvermeidlich zu sein. Doch dann kam zu ihrer unbeschreiblichen Erleichterung Hussein aus dem kühlen Schatten des Hauses. Eine weiß gekleidete Gestalt, die Augen niedergeschlagen, als er sich Raul bemerkbar machte. Sie sprachen auf arabisch, danach verbeugte sich Hussein und zog sich zurück. Raul begegnete Jannas rebellischem Blick. "Für dieses Mal kommen Sie davon. Ich habe geschäftlich zu tun, deshalb möchte ich, dass Sie hier im Garten bleiben. Oder soll Hussein Ihnen Ihr Zimmer zeigen? Sie können sich dort ausruhen, während ich nicht da bin." "Ich würde gern hierbleiben", sagte sie und rieb sich die Handgelenke, als er sie losließ. "Habe ich Sie wirklich verletzt?" Er lächelte auf sie herab. "Oder versuchen Sie, die Berührung meiner Hände abzuwischen?" Sie sah ihm nach, wie er zum Haus hinüberging. Ein hochgewachsener, muskulöser Mann, dessen Umrisse sich einen Augenblick lang unter dem Bogengang abzeichneten. Dann war er verschwunden. Der Brunnenhof schien sonderbar still zu werden. Janna überlief ein Schauer. Sie wanderte von dem Tisch fort, den sie mit Raul Cesar Bey geteilt hatte. Sie kam zu einem Durchgang, der in einen ihr noch unbekannten Teil des maurischen Gartens führte, und wanderte einen von Myrten überschatteten Pfad entlang. Ein Teich schimmerte, ein Lufthauch flüsterte, Blütenblätter fielen aus einem Rosengebüsch. Die Brise seufzte. Oder war sie es selbst? Sie wünschte sich jemanden, der unvorstellbar zärtlich zu ihr war. Ohne Motiv, ohne irgend etwas anderes als den Wunsch, sie glücklich zu machen. Wie wunderschön. Schöner als das schönste Geschenk. Wärmer als das wärmste Feuer. Nur einmal in ihrem Leben ein paar Augen zu sehen, die für sie allein leuchteten. Doch in El Amara musste sie verberge n, was in ihrem Herzen wuchs, und die Eisjungfrau spielen. Das war Rauls Wunsch - eine eisige Kühle, um seine Großmutter davon zu überzeugen, dass diese Braut nicht die richtige für ihn war.
5. KAPITEL Sie wollten mit einem Geländewagen nach El Amara fa hren. Erst als die Abfahrt schon kurz bevorstand, erfuhr Janna, dass die Reise zwei Tage dauern würde und sie eine Nacht in der Wüste verbringen mussten. Raul schien von den Konventionen, die das Leben eines Spaniers bestimmen, nicht gestört zu sein. Er war weit mehr ein Mann der Wüste. Sie würden sehr alleine sein. Als er diesen Gedanken in ihren Augen widergespiegelt sah, lächelte er sein vertrautes, halb spöttisches Lächeln. "Sollen wir Hussein mitnehmen, oder vertrauen Sie mir, dass ich mich wie ein perfekter Gentleman benehmen werde?" Er ging um den Wagen herum, untersuchte den Motor, versicherte sich, dass sie genug Wasser und einen Ersatzreifen hatten. Der Wagen war robust und für Wüstenfahrten gebaut. Ihr Gepäck wurde eingeladen. Es gab einen Strohkorb mit Nahrungsmitteln, ein paar Schlafsäcke und einen Revolver, den er in eine Tasche neben dem Fahrersitz gleiten ließ. Janna sagte nichts dazu. Sie war vernünftig genug, um zu wissen, dass in der Wüste Gefahren drohten ... Giftschlangen, wilde Schakale und Wüstenluchse, groß genug, um einen Menschen in Stücke zu reißen. "Ich glaube, ich habe alles überprüft." Er stand einen Moment nachdenklich und sah Janna an. "Möchten Sie, dass Hussein mit uns kommt?" "Ich glaube, es wird nicht nötig sein", sagte sie. "Das meine ich auch." Seine Stimme klang trocken. "Ich habe nicht vor, die Nacht sündig zu verbringen. Sie haben vielleicht bemerkt, dass wir zwei Schlafsäcke dabeihaben?" Sie lächelte, obwohl ihre Nerven sich spannten, als sein Arm den ihren berührte. "Sind wir abreisebereit, Senor?" "Ja, fahren wir los." Sie glitt über die breite Sitzbank auf ihren Platz neben dem offenen Fenster. Das Dach des Wagens war aus Segeltuch, was ihnen Schatten und gleichzeitig kühlenden Wind verschaffen würde, wenn sie durch die Wüste fuhren. "Hat Benikesh Ihnen gefallen?" fragte er. "Die Stadt trägt immer noch Spuren früheren Glanzes." "Warten Sie, bis Sie El Amara sehen ... ein wirkliches Juwel. Die Prinzessin hat alles getan, um es dazu zu machen, und ich selbst war auch nicht müßig. Wir sind keine Despoten, sie und ich. Wir beuten das Land und die Leute nicht aus." "Haben Sie keine Geschwister?" "Ich habe ein paar Cousins und Cousinen, die in unserem Haus leben." "Und die haben Joyosa kennengelernt?" Als er nickte, wurde Janna wieder ängstlich. "Ich wünschte, ich könnte als Gast nach El Amara gehen statt als Schwindlerin." Sie seufzte und fühlte seinen Blick auf sich ruhen, als der Wagen das Stadttor von Benikesh hinter sich ließ. "Und was wäre, wenn Sie als Janna gingen? Ohne jeden Schwindel?" Sie warf ihm einen großäugigen Blick zu, und er fuhr fort: "Vielleicht mag die Prinzessin Sie so gern, dass sie all ihre Pläne in bezug auf Joyosa vergisst. Es war nie eine beschlossene Sache. Was sie wirklich will, ist, mich mit jemandem zu sehen, den ich vielleicht heiraten möchte." Jannas Herz schlug schneller. "Aber was ist mit Dona Rachael? Sie sprachen von Geld, dass es die Sache für Joyosas Schwester komplizieren könnte, wenn die Pläne Ihrer Großmutter durchkreuzt würden." "Das wäre wahr gewesen, wenn ich allein nach Hause gekommen wäre. Ohne ein blondes junges Ding als mögliche Braut für mich. Sie werden den Zorn meiner Großmutter besänftigen, Chica. Sie kann ihr Interesse Ihnen zuwenden ... einem scheuen, englischen Mädchen mit der Haut einer Teerose und mit solch verwunderten blauen Augen. Sie werden wie ein neues Spielzeug für sie sein. Sie wird Pläne machen, aber nach etwa einem Monat
oder so werden Sie vorgeben, es nicht mehr aushalten zu können vor Heimweh nach England, und wir werden uns freundschaftlich einigen, die ganze Sache zu vergessen. Niemand braucht verletzt zu werden." "Das klingt vernünftig ..." "Und so, wie Sie es lieber hätten, nicht wahr? Sie brauchen keine Lügenmärchen zu erzählen." "Ich konnte den Gedanken an solch einen offenen Betrug nicht ausstehen." "Die kleine Miss Ehrlich!" lachte er. "Dann sind wir uns darüber einig, dass wir von jetzt an inoffiziell ein Liebespaar sind. Ich habe Sie ausgewählt, weil Sie Joyosa so ähnlich sehen. So machen, wir die Prinzessin glücklich, wir sichern Rachaels Existenz, und wir verschaffen Janna große Erleichterung, weil sie keine Rolle zu spielen braucht." "Und was ist mit Ihnen, Don Raul?" "Ich werde das Ganze genießen." "Ich verstehe nicht ..." "Wir werden uns ein wenig öfter küssen", sagte er schalkhaft. "Wir werden uns ein wenig verliebter geben - bis der Tag kommt, an dem Sie frei sein wollen." "Muss das sein?" fragte sie mit stockendem Atem. "Ich kann Sie nicht zwingen, es schön zu finden", spottete er. "Aber wenn wir unseren Plan ändern und meine Großmutter davon überzeugen wollen, dass Sie mir gefallen, dann müssen Sie schon ab und zu eine Umarmung über sich ergehen lassen. Meinen Sie, dass Sie das schaffen werden?" "Ich denke, dass ich es ertragen kann", gab sie zurück, "solange es ein Kuss auf die Wange oder die Hand ist." "Das wird es auch sein", sagte er gedehnt. "Wenn wir nicht allein sind." Sie warf ihm einen schnellen Blick zu, aber sein Profil verriet ihr nichts. Ihr Herz raste. Wenn sie schon jemanden lieben musste, dachte sie, dann gab es für sie keine andere Wahl als diesen Mann an ihrer Seite. Er war unberechenbar und herausfordernd, aber er war auch der erregendste Mann, den sie sich vorstellen konnte. Sie mochte seine Augen und die Wärme seiner Haut, wenn er ihr zu nahe kam. Vielleicht hatte sie sich in sein gutes Aussehen verliebt. Doch was es auch sein mochte, es freute sie, ihm behilflich sein zu können. Sie hätte vieles getan, um ihm eine Freude zu machen. "Hatten Sie das schon die ganze Zeit lang vor?" Die Worte entschlüpften ihr. "Ich meine, es schien mir immer schon ein bisschen unglaublich, dass ich mich für jemand anderen ausgeben sollte. Wollten Sie mich schon immer als Janna Smith vorstellen?" "Natürlich", gab er schamlos zu. "Warum haben Sie mir dann etwas vorgemacht?" "Männer sind grausam, Chica, besonders wenn es um jemanden geht, der ihnen ein Rätsel aufgibt. Es hätte ja sein können, dass ich eine junge Abenteurerin darum bat, sich für den Schützling meiner Großmutter auszugeben. Nur ein wirklich aufrichtiges Mädchen hätte gegen diesen Vorschlag angekämpft, wie Sie es taten. Eine Abenteurerin hätte sich auf die Chance gestürzt. Sie hätte sich sicher gefühlt, die Rolle spielen zu können. Sie hatten Angst." "Da Sie wussten, dass ich Angst hatte, hätten Sie mir doch Ihren wahren Plan enthüllen können." "Ich wollte Ihnen Zeit geben, sich an mich zu gewöhnen. Jedesmal, wenn ich von Joyosa sprach, stand sie zwischen uns, eine dritte Person in unserem Leben. Aber die Gefahr bestand, dass Sie die Nerven verlieren würden, wenn ich Ihnen sagte, dass ich Sie für die Rolle meiner Geliebten haben wollte. Ich wartete bis zu unserer letzten Minute in Benikesh, um zu sehen, ob Sie einen Rückzieher machen. Als das nicht geschah, wusste ich, dass die Zeit gekommen war, offen mit Ihnen zu sein." "Waren Sie denn so sicher, dass ich Ihrem Plan beistimme, Don Raul?"
"Ja. Ich wusste, dass Sie aus purer Erleichterung zustimmen würden. Als ich sagte, seien Sie Janna Smith, da war es doch, als hätte ich Sie aus dem Flugsand gerettet, in dem Sie schon bis zu den Ohren versunken waren." "Sie Teufel!" stieß sie hervor. "Kein Wunder, dass Sie das Ganze amüsant fanden. Oh, wie gern ich Ihnen das zurückzahlen würde!" "Da Sie eine Frau sind, werden Sie sicherlich einen diabolischen Weg dazu finden." Ein Lachen verzog sein braunes Gesicht. "Hinten im Korb ist eine Kaffeeflasche, und ich beginne, durstig zu werden. Würden Sie mir eine Tasse geben, Chica?" "Was immer Sie sagen, Meister." Sie kniete auf dem Sitz und langte nach dem Korb. Sie öffnete ihn, nahm eine der Flaschen und zwei Tassen heraus und setzte sich wieder. Dann begannen ihre Wangen zu glühen, als sie seinen Blick auf dem kurzen Chiffonkleid spürte, das ihre Beine, ihre Arme und ihre Schultern freigab. Sie wurde sich seiner Nähe intensiv bewusst. Winzige Pf eile schienen einen köstlichen Schmerz durch ihren Körper zu schießen. "Der Kaffee ist ausgezeichnet", sagte sie in dem Bedürfnis, das intime Schweigen zu überbrücken, das zwischen sie gefallen war. "Wir haben Mokkabäume in El Amara. Sie wachsen zwischen den Tangerinenbäumen, die einen unwahrscheinlichen Duft verbreiten, und vielen anderen Fruchtsorten. Kilometerlange Obstgärten. Eine der größten Pflanzungen in ganz Marokko. Kommt es Ihnen eigenartig vor, dass die Wüste Früchte in solchem Überfluss hervorbringt?" "Wie wohl die meisten Menschen dachte ich immer, die Wüste sei ein unfruchtbarer Ort." "Wo unter der Wüstenoberfläche Wasser fließt, wächst ganz von selbst eine Oase. Aber unser Volk hat schon seit mehr als hundert Jahren Dattelpalmen und Obstbäume gepflanzt. Es begann zu Lebzeiten meines Urgroßvaters, und die Prinzessin hofft, dass es unter mir und meinem Sohn weitergehen wird." "Sie haben einen Sohn?" Janna versuchte, beiläufig zu sprechen. Er lachte. "Nein, nein, ich habe keine Söhne, Chica. Aber ich möchte welche haben." Rachaels? Sie hatte bereits zwei kleine Jungen, so schön und so hilflos und ganz von ihm abhängig. "Mögen Sie Tangerinen?" fragte er. "Sie erinnern mich an Weihnachten. Wir bekamen immer eine zu Weihnachten. In Silberpapier eingewickelt, damit es aufregender aussah." "Wo ich zu Hause bin, werden Sie sehr viele sehen. Sie hängen rotgolden und prall von den Bäumen und füllen die Luft mit ihrem Duft. Wir warten nicht auf ein besonderes Fest, um ihre Süße zu kosten." Sie traf seine Augen und sah einen zärtlichen Ausdruck darin. Sehr im Kontrast zu dem Spott, den sie gewöhnlich in ihm hervorrief. "Ich werde mich nicht zu halten wissen, Senor. Ich werde mir vorkommen wie ein Kind, das man in einem Bonbonladen losgelassen hat." "Sie sind sehr unverdorben, Janna. Sehr jung. Sie haben noch viel zu lernen, aber auch viel zu geben. Ich glaube, Ihr Liebhaber wird sich einmal glücklich schätzen können." "Ich will keinen Liebhaber, Senor." "Wenn ich von eine m Liebhaber spreche, Senorita, dann meine ich den Mann, der Sie heiraten wird." Sein Ton wurde neckend. "Ist in Ihrer Heimat ein Ehemann kein Liebhaber?" "Das Wort hat eine andere Bedeutung", erklärte sie verwirrt. "Außerehelich?" Die spöttische Note vertiefte sich. "Ja, meistens." "Hier betrachten wir einen Mann zuallererst als Liebhaber. Das muss er sein, um später ein Beschützer, ein Vater und ein Gefährte werden zu können. Haben Sie nichts darauf zu entgegnen, Janna? Mache ich Sie mit meinen offenen Bemerkungen verlegen? Oder verwirrt es Sie, daran zu denken, von einem Mann geliebt zu werden?" "Ich bin es nicht gewohnt, solch ein Thema mit einem Mann zu diskutieren."
"Wie denken Sie über die Liebe, Senorita? Oder können Sie das einem Mann nicht verraten?" "Da gibt es nicht viel zu verraten." Ihre Wangen fühlten sich warm an, und sie starrte hinaus auf die Wüste. "Es muss schön sein, für jemanden der Mittelpunkt seines Lebens zu sein, zu teilen und durch die Jahre immer enger zusammenzuwachsen, so dass all die traurigen, kalten Dinge ausgeschlossen sind, wenn man beisammen ist. Ich stelle mir vor, dass die Liebe - wirkliche Liebe - etwas Ähnliches ist." "Sie vergessen die Erregung, Chica. Die leidenschaftliche Hingabe, die ebenfalls ein Teil der Liebe ist." "Die nehme ich als selbstverständlich an", sagte sie ernst. "Aber das sollte man nie tun, obwohl Sie in all Ihrer Unschuld wahrscheinlich wenig darüber wissen." "Wollen Sie damit sagen, dass ich meine schreckliche Unschuld über Bord werfen sollte?" "Nein, ich betrachte sie als einen Teil Ihres Charmes ... da vorne kommt ein Schlagloch, deshalb werde ich Sie nicht anschauen, falls Sie rot werden wollen." Sie fuhren durch das Loch, und Janna war von Staunen erfüllt. Niemand hatte ihr je gesagt, dass sie Charme besaß. Obwohl es sein konnte, dass er sich nur über sie lustig machen wollte, zog sie es doch vor zu glauben, dass er es gemeint hatte. Das Leben war viel aufregender, wenn sie sich von ihm bewundert glaubte. Freilich machte es diese unwirkliche Situation noch gefährlicher. "Wenn die Hitze Sie müde macht, dann schlafen Sie eine Weile, Berida", schlug er vor. "Ruhen Sie Ihren aktiven, kleinen Kopf aus." "Berida? Das Wort habe ich noch nie gehört." "Auf arabisch bedeutet es Mädchen." "Ein hübsches Wort." "Das Arabische ist eine Sprache der Dichter." "Und Sie sprechen sie fließend?" "So fließend wie jeder andere Wüstenscheich." Sein Ton war leicht neckend, aber sie wusste, dass er keinen Spaß machte. Er war Raul Cesar Bey, nicht mehr der weltmännische Reisende, den sie im Garten eines eleganten Riviera-Hotels getroffen hatte. Hier warf er die glatte Maske des Weltmannes ab und wurde der Mann, der er wirklich war - der Enkel einer marokkanischen Prinzessin. Auf dem Flug nach Casablanca hatte er sie gefragt, ob sie sich wie die Gefangene eines Wüstenscheichs vorkäme. Hier in diesem Safariwagen wusste sie plötzlich, dass es nicht länger ein Scherz war. Er hielt ihr Herz gefangen und hatte sie durch ein Versprechen an sich gebunden. Sie würde ihm wirklich gehören, bis er bereit war, sie aus ihrer vorgetäuschten Rolle zu entlassen. Janna erwachte, als der Wagen plötzlich anhielt. Sie rührte sich und dachte schläfrig, dass die Lehne des Sitzes bequemer war, als sie geglaubt hatte. Sie öffnete die Augen und stellte überrascht fest, dass ihre Sonnenbrille abgenommen war und ihr Kopf an den Muskeln einer maskulinen Brust ruhte. Einige Augenblicke lang wagte sie nicht, sich zu bewegen, hatte nur das Aroma warmer männlicher Haut in der Nase. Ein wildes Gemisch von Gefühlen jagte ihr durch den Kopf - der Wunsch, ihr Gesicht tiefer in ihn zu vergraben, ihn tief einzuatmen und nie mehr loszulassen. "Aufgewacht?" fragte er leise. Sie nickte, und dann fühlte sie, wie er ihr Haar streichelte. "Sie schlafen so still und leicht", sagte er. "Wie eine Lilie auf einem schlanken Stengel. Als könnten Sie brechen, wenn man Sie nicht beschützte. Sie sind sehr zart, Janna." Ihre blauen Augen wurden von seinem dunklen Blick gefangen. Ihr Kopf lag in die warme Höhlung seiner Schulter gebettet. Ihr Herz schlug so stark, dass er es fühlen musste. "Manche Leute sind von Natur aus dünn", erwiderte sie.
Seine Hand berührte ihren Nacken, ihre Schulter und leicht ihr Gesicht. "Feine Knochen, weiche Haut, eine Lilie oder ein Vogel in der Hand eines Mannes. Ich kann Ihr Herz wie einen Flügel spüren, der gegen meine Finger schlägt. Erschreckt es Sie, mir hilflos ausgeliefert zu sein, Nina? Wenn Sie schreien würden, gäbe es nur Adler und Saridechsen, die Ihnen zuhörten." "Ich bin sicher, dass mein Flehen Sie nicht umstimmen würde", sagte sie und kämpfte gegen den Einfluss, den er auf ihre Gefühle hatte. "Ich würde bis zum bitteren Ende kratzen und beißen." Sie zwang sich dazu, gelassen zu scheinen, aber sie konnte das Beben ihrer Stimme nicht verhindern. "Und wie wäre es jetzt mit einem Mittagessen?" "Um das wilde Tier zu zähmen?" "Sie sind ein spöttischer Dämon!" Sie riss sich von ihm los, griff nach der Tür und sprang aus dem Wagen. Um sie herum gab es kilometerweit nichts als Wüstensand. Über ihnen ragte der Sandsteinfels, in dessen Schatten sie essen und den Motor abkühlen lassen konnten. Raul kam um den Wagen herum. Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel. "Wir werden die kalte Mahlzeit essen, die Hussein für uns eingepackt hat, und die Koteletts und Eier für heute abend aufbewahren. Es ist viel zu warm, um ein Feuer anzuzünden." "Die Eier würden von selber kochen." Janna zog sich in den Schatten zurück, nachdem sie einen Augenblick in der brennenden Sonne gestanden hatte. "Wie schrecklich, unter solch einem Himmel verirrt und ohne Wasser zu sein!" "Ja, die Natur kann grausam sein. Vielleicht macht das unsere eigenen Fehltritte verzeihlich." "Ich glaube, Sie genießen die Ihren." Sie begann, den Picknickkorb aus dem Wagen zu laden, und er lachte hoch über ihrem Kopf. "Mein kleiner Waisenengel, ich mag es, wenn Sie zornig werden und mich den Pfeffer auf Ihrer Zunge spüren lassen. Ihnen macht es ebenfalls Spaß, also sehen Sie mich nicht so an, als könnten Sie kein Wässerchen trüben." Sie kniete sich nieder, um den Teppich auszulegen, darüber breitete sie das weiße Tuch und das Geschirr. Er öffnete den Korb und reichte ihr den geschlossenen Behälter mit Huhn und Salat, das mit Sesam besprenkelte Brot, die Butter, die Datteln und die zweite Kaffeeflasche. Sie aßen recht schnell, denn selbst im Schatten des Felsens gab es Sandfliegen. Nachdem sie die Reste ihrer Mahlzeit wieder verpackt hatten, genossen sie mit mehr Muße den köstlichen Kaffee. Raul streckte sich auf einem schattigen Fleckchen aus. "Warum schlafen Sie nicht ein wenig?" schlug Janna vor. "Ich bin nicht müde und lese mein Buch." Die Buchstaben tanzten Janna vor den Augen. Sie gab es auf, lesen zu wollen, und überließ sich einer warmen Lethargie. Sie träumte schon halb, als etwas ihr Bein berührte, auf ihr Kleid kroch und sie blitzschnell wach werden ließ. Mit unaussprechlichem Entsetzen starrte sie das schwarze, krummbeinige Ding an, das auf dem hellen Chiffon ihres Kleides hockte. Sie hatte noch nie ein so großes Insekt gesehen. Mit einem unkontrollierbaren Schrei sprang sie hoch und versuchte wie wild, es abzustreifen. Sekundenschnell war Raul wach und stand neben ihr. "Was war es?" fragte er. "Ein ... ein Skorpion ... groß und schwarz!" Er runzelte die Stirn. Dann warf er gerade noch rechtzeitig eine n Blick zu Boden, um das Insekt unter einem Büschel vertrockneten Grases verschwinden zu sehen. Dort machte es ein schnarrendes Geräusch, und Janna sah mit gekränktem Staunen, wie Raul lachte. "Es war ein Grashüpfer ... hier in der Wüste werden sie größer als sonst" Die Kehle war ihr trocken. "Sie brauchen gar nicht so zu lachen! Es sah mir schrecklich aus. So schwarz und langbeinig. Ich dachte Grashüpfer wären klein und blassgrün. Die Männer kommen sich immer so überlegen vor, wenn es sich um Dinge dreht, vor denen Frauen Angst haben. Gibt es denn nichts, das Sie erschrecken würde?"
Er stand da und dachte über ihre Frage nach. Er hatte die Hände in den Taschen und sein Blick wanderte mit trägem Interesse über ihr Gesicht. "Ich glaube, ich hätte Angst, etwas zu verlieren, das ich wirklich haben will. Das könnte mich zu einem Teufel machen ... obwohl ich glaube, dass Sie mich ohnehin schon für etwas Ähnliches halten." Einige Minuten später entfernten sie sieh von den Felsen und ließen nur ihre Fußabdrücke im Sand zurück. Aber Janna wusste, sie würde den Ort nie vergessen. Hier hatte er davon gesprochen, dass er ein Teufel werden konnte, wenn man ihm etwas vorenthielt, was er wirklich haben wollte. Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Er wusste nicht, dass sie ihn liebte, und sie musste verhindern, dass er es herausfand, um wenigstens ihren Stolz zu bewahren. Sie war das Mädchen, das er gemietet hatte. Sie wurde für kurze Zeit gebraucht, um die Prinzessin zu amüsieren ... von Liebe war bei diesem Geschäft nicht die Rede.
6. KAPITEL Fast unmerklich begannen samtene Schatten sich über den Sand zu stehlen, und Janna fühlte eine willkommene Kühle durch das Fenster wehen. "Bald werden Sie sehen, wie schön die Wüste sein kann", sagte Raul. Sie konnte bereits fühlen, wie sich ein Zauber über den Tag senkte. Auf einmal klangen Töne auf, die dem Ganzen etwas Magisches gaben. Ganz plötzlich tauchte vor dem Wagen ein weitläufiges Steindorf auf, das sich an den Fuß einer Hügelkette schmiegte. Die Töne kamen aus der Flö te eines Hirtenjungen, der "seine Schafe hügelabwärts nach Hause führte. Raul hielt an, und sie sahen zu, wie die kurzbeinigen Wollknäuel sich blökend um den Wagen drängten. Flammen sprangen im Schatten primitiver Hütten auf. Frauen in langen Kleidern kochten über Tamariskenfeuern das Abendessen. Kinder rannten umher. Hunde bellten. Eine Trommel dröhnte. Der Schäfer und seine Herde verloren sich in einer Seitengasse, die sich zwischen den Lehmziegelbauten hindurchwand. Sie fuhren weiter. Janna fühlte, wie unter den Kapuzen uralter Kleider dunkle Augen sie ansahen. Es war, als wären sie für ein paar Minuten in die Vergangenheit gereist, um Menschen zu besuchen, die noch immer lebten wie in biblischen Zeiten. "Die Dinge ändern sich nicht so schnell in der Wüste", sagte Raul. "Das Leben hier gleicht der Palme, die Wurzeln in der Vergangenheit verloren, dem äußeren Anschein nach immer gleich. Wir in der Wüste nehmen das Mysterium von Morgendämmerung und Abendrot, von Leben und Liebe mit Gleichmut hin. Sie sind ein Teil des Dramas des Lebens. Die Wellenkämme und die Täler, genau wie das Sandmeer selbst. In den Städten rast die Zeit an einem vorbei, Freunde kommen und gehen, nichts hat lange Gültigkeit. In der Stadt bewundert ein Mann die Fähigkeit, Besitz anzuhäufe n; hier ist es gut, die Dinge zu haben, die das Zelt nicht überfüllen; einen ausgezeichneten Teppich, eine Kupferlampe und ein Paar leuchtender Augen." Seine Worte bewegten Janna. Sie hatte ihn für einen Mann von Welt gehalten, der sich amüsieren wollte und sich nicht um morgen sorgte. Sie hatte sich sehr geirrt. Die Liebe zu der Wüste und ihren Menschen floss in seinen Adern, und hier war er noch viel beunruhigender als in jener Nacht, als sie zusammen flambierte Pflaumen gegessen hatten. Die funkelnde Dunkelheit seines Blicks hielt sie gefangen. Sie zwang sich wegzusehen und verlor sich in der wilden Schönheit eines Sonnenuntergangs in der Wüste. Ein phantastisches Farbenspiel. War es überhaupt Wirklichkeit oder eine Spiegelung, diese atemberaubende Schönheit aus Rosengold, sanftestem Grün und Violett, vor der sich eine Gruppe von Wüstenpalmen beugte? "Es ist mehr als nur schön", murmelte Janna. Die Dämmerung zog ihre große Tatze über den Sand, und es wurde langsam dunkler; die Abendwinde sangen über den Dünen. "Es wird jetzt kälter werden", sagte er nach einer Pause. "Machen Sie das Fenster neben sich zu, und ziehen Sie mein Jackett an. Es liegt neben der Taschenlampe und dem, Verbandskasten." "Brauchen Sie es nicht selbst?" "Im Moment noch nicht. Meine Sachen sind nicht so dünn wie Ihre. Ziehen Sie es an, bevor Sie anfangen zu zittern." Sie tat es und konnte sich ein Lachen nicht verbeißen. Sie kam sich völlig verloren darin vor, fühlte das seidige Futter an ihren Armen und das Gewicht des Zigarettenetuis und des Feuerzeugs in der Tasche. "Möchten Sie rauchen?" fragte sie.
"Ja, gern. Zünden Sie mir eine an, Nina. Ich möchte meine Hände nicht vom Steuer nehmen. Trotz all der Sterne ist diese Wüstenpiste sehr dunkel, und ich möchte nicht gegen einen Felsbrocken oder ein Tier fahren." Janna öffnete das flache Goldetui, nahm eine der Zigaretten heraus und steckte sich den Filter zwischen die Lippen. Sie ließ das Feuerzeug aufschnappen und entzündete die Zigarette. Und plötzlich war jenes unerträgliche Gefühl der Intimität wieder zwischen ihnen. Sie trug sein Jackett. Er nahm die Zigarette zwischen seine Lippen, die ihre Lippen berührt hatten. "Gracias." "Das ist ein hübsches Wort." Sie kämpfte darum, beiläufig zu klingen. "Werde ich lang genug in El Amara sein, um Spanisch zu lernen?" "Ein bisschen Spanisch und Arabisch sollte aus Ihnen eine ungewöhnliche Teestubenbesitzerin machen", meinte er gedehnt. "Die guten Damen werden zuhauf bei Ihnen einkehren, nur damit sie alles darüber hören, wie Sie von einem Wüstenscheich gefangengehalten wurden. Sie werden reich werden." Janna wusste keine Erwiderung, aber sie wurde ihr erspart, als er aus dem Fenster in die von den Scheinwerfern erhellte Nacht starrte und sagte: "Ich kann ein paar Palmen und ein Tamariskengebüsch sehen. Wir werden hier halten, ein großes Feuer anzünden, Kaffee kochen, unser Abendessen machen und uns unter den Sternen schlafen legen." Die undurchdringliche Wüste lag um sie herum. Ihr Tamariskenfeuer würzte die Luft. Sternenhaufen kurvten wie Kometen über den indigofarbenen Samt des Himmels. Alles war auf subtilste Weise beunruhigend - das vermischte Aroma von Rauch und Fleisch, das Rascheln der Palmen, die hochgewachsene Gestalt, die die Bratpfanne hielt, damit die Koteletts nicht verbrannten. Janna trug noch immer sein Jackett, während er mit achtloser Ungezwungenheit einen Burnus mit langen, klassischen Falten übergeworfen hatte, der ihn im Feuerschein mehr als je zuvor als Mann der Wüste erscheinen ließ. "Hungrig?" fragte er. Sie nickte. "Das Essen riecht herrlich." "Halten Sie Ihren Teller hin." Sie tat es, und das halbe Omelette wurde golden und locker darauf gelegt. Danach kam eines der knusprigen Lammkoteletts. "Und jetzt lassen Sie es sich schmecken." "Gracias." Sie lächelte, als sie dieses spanische Wort für danke gebrauchte. "De nada, Nina." Er setzte sich auf den weichen, sandigen Boden neben sie. "Das bedeutet: nichts zu danken." " "Mmm, köstlich." Sie hatte niemals etwas Wohlschmeckenderes als dieses Mahl neben dem knisternden Feuer gegessen, während über ihnen die Palmen raschelten und durch ihre Wedel der juwelenbesetzte Nachthimmel leuchtete. "Woran denken Sie?" Raul hatte den ersten Heißhunger befriedigt und warf ihr einen spöttischen Blick zu. "Dass das alles sehr viel anders ist als bei Madame Noyes?" "Es könnte nicht unterschiedlicher sein", antwortete sie mit einer Spur von Staunen und Freude in der Stimme. "Ich beginne mich zu fragen, ob ich träume." "Falls das stimmt, Nina, dann ist es ein ziemlich schöner Traum, nicht wahr?" "Das kann ich nicht abstreiten, Senor." Sie nahm noch eine Tasse arabischen Kaffee, zu dem er ihr Kandiszucker reichte. Sie suchte verzweifelt nach einem weniger persönlichen Gesprächsthema. "Erzählen Sie mir mehr von Ihrer Großmutter! Es klingt so faszinierend." "Sie ist eine der fesselndsten Frauen, die mir je begegnet sind." Er lag zwanglos auf einem Ellbogen und genoss die Wärme des Feuers. "Sie hat abwechslungsreiche, stürmische Zeiten miterlebt. Sie war schon immer eine große Schönheit, und wie die meisten Frauen schnurrt sie, wenn alles nach ihrem Willen geht, und kann furchtbar zornig werden, wenn das
Schicksal ihr ihre Pläne durchkreuzt. Sie hat den kraftvollen Willen der Überzarten. Ein Mann ist geneigt, ihr nachzugeben, aber es ist nicht immer ratsam, das zu tun. Ich habe wegen Joyosa nachgegeben, obwohl ich wusste, dass wir nicht zueinander passten. Jetzt muss die Prinzessin mir nachgeben, das wird nicht leicht sein." "Und ich stehe genau in der Mitte und werde hin und her gerissen", lachte Janna nervös. "Vielleicht ist sie von Ihnen entzückt", sagte er gedehnt. "Was die Sache nur noch schlimmer für Sie machen würde, Senor." Jannas Augen weiteten sich, tiefblau und erschreckt im Licht des Feuers. "Vielleicht erwartet sie sogar, dass Sie mich heiraten." "Das könnte gut sein, Nina." "Und was machen Sie dann? Don Raul, vor einer Weile sprachen Sie davon, mit der Frau zusammenzusein, die Sie lieben ... selbst wenn das bedeutet, Ihr Erbe aufzugeben!" "Mit ihr zusammenzusein, die ich liebe, wäre jedes Opfer wert. Ich bin Spanier von Geburt. Wenn ich eine Frau nehme, dann ist es für immer. Für den Beduinen ist das Leben einfacher. Er kann montags heiraten und sich freitags scheiden lassen, wenn ihm die Frau nicht zusagt. Islamische Gesetze schreiben ihm nicht vor, an eine Frau gebunden zu bleiben, von der ihn ein Abgrund trennt, soweit es die Dinge betrifft, die aus einer Ehe eine aufregende Liebesgeschichte machen können." "Das ist alles sehr verwirrend." "Mein armes Mädchen." Er nahm ihre schlanke, nervöse Hand in die seine. "So viel ist in so kurzer Zeit geschehen, und in Ihrem Kopf dreht sich alles. Heute nacht wollen wir nicht mehr davon reden, was Sie in El Amara erwartet. Lassen Sie sieh vom Kismet davontragen, denn das wird es ohnehin tun, ganz gleich wie sehr Sie sich sträuben mögen. Der Ausgang dessen, was Ihnen jetzt so verwirrend scheint, wird sich ganz von selbst ergeben." "Sie meinen, wir müssen den Dingen ihren Lauf lassen?" "Keine Angst, Chica." Der leicht spottende Ton kam wieder in seine Stimme. "Ich weiß, für Sie ist die Wüste der Ort, wo Männer ihren Willen durchsetzen, ganz gleich, was ein Mädchen sich wünscht. Aber so sieht es eigentlich nur in den Romanen von Madame Noyes aus. Ich verspreche Ihnen, wann immer Sie El Amara verlassen wollen, werde ich Ihnen nichts in den Weg stellen." "Ganz gleich, was die Prinzessin beschließt?" "Die Prinzessin bestimmt nicht über Ihr Schicksal, Janna." "Sie, Don Raul?" "Nur insoweit, als ich Sie nach El Amara, in meine Heimat bringe. Aber Sie können nach England zurückkehren, wann immer Sie wollen." "Ich dachte, die Entscheidung würde bei Ihnen liegen, Senor." "Nicht ganz. Ein Monat in der Oase mag schon mehr als genug für Sie sein. Ich bin kein Tyrann, was die Dauer Ihres Besuchs bei meiner Familie betrifft. Vielleicht gefallen wir Ihnen ja auch. “ "Und wenn das der Fall wäre?" Sie wartete mit einer Spannung auf seine Antwort, die sie zu verbergen suchte. "Eine englische Teestube wäre etwas ganz Neues im Souk von El Amara", sagte er beiläufig. "Sie könnten bleiben und eine aufmachen." "Wahrscheinlich könnte ich das." Sie versuchte, ebenso beiläufig wie er zu klingen. Als hätte sie nicht auf eine wärmere Antwort gehofft. Sie war eine Närrin. Machte er sich denn wirklich Gedanken um ihre Zukunft? Er sorgte sich doch nur um Rachael und seine Großmutter. Sie sollte die Brücke bilden, die sie zusammenbrachte. "Ich werde darüber nachdenken, Senor." "Sie meinen die Teestube im Souk?" Sie lächelte. "Ich sehe mich schon einem Haufen burnusbekleideter Araber Tee servieren. Mit einer Spitzenschürze und einem strengen schwarzen Kleid!"
"Eine höchst anziehende Vorstellung", gab er gedehnt zurück. "Ich werde kommen müssen, um Ihren Tee und den Kuchen zu kosten. Für jetzt können Sie mir einen Kaffee eingießen. Eine dieser köstlichen Feigen wäre auch nicht schlecht." Sie fand eine saftige und führte sie ihm mit einem Lächeln an die Lippen, das ihre wahren Gefühle verbarg. Er öffnete den Mund, und die gerade weiße Linie seiner Zähne schloss sich um die süße Kleinigkeit. Und die ganze Ze it sah er sie an. Seine Augen so dunkel und unergründlich wie die Wüste, die sie umgab. Stille senkte sich über sie. Es war eine Stille, die dann und wann von einem weit entfernten Bellen unterbrochen wurde. Schakale auf Beutesuche. Ab und zu brach auch das Tamariskenfeuer noch einmal in Flammen aus und sandte einen Schaft aus duftendem Rauch und Funken in den Himmel. "Wie friedlich", murmelte Janna. "Und doch spürt man etwas Primitives, etwas ganz nahe am Herzen der Dinge." "Eine Stadt sieht dagegen künstlich aus, nicht wahr? Die Neonlampen, die hohen Gebäude, die Paare, die in einem trübe beleuchteten Bistro Zuflucht suchen, wo Jazzmusik aus dem Radio tönt. Der Mensch hat sich eine Zivilisation geschaffen und sich selbst damit unzufrieden gemacht. Ich weiß, dass ich die Freiheit der Wüste lieber mag. Aber die Neuartigkeit mag sich für Sie abnutzen. Sie sind sehr jung und recht unsicher. In den Städten laufen die Leute aneinander vorbei. Sie fürchten sich davor, Freundschaften zu schließen, weil das bedeutet, in die Hoffnungen und Sorgen eines anderen Menschen hineingezogen zu werden. Sie sind wie ein kleines Kätzchen unter Tigern, Janna Smith." "Es muss etwas Neues für Sie sein, ein Mädchen meines Alters zu treffen, das noch nie eine Liebesaffäre gehabt hat." "Eine gefährliche Situation", sagte er gedehnt. "Vielleicht sind Sie schon aus Neugier reif für die Liebe. Ich habe einen gutaussehenden Cousin in El Amara - Achmed." "Glauben Sie, dass Mädchen auf ein gutaussehendes Gesicht achten?" "Es macht sie manchmal blind für andere Qualitäten." Sie wagte nicht, Rauls Gesicht im tanzenden Licht des Feuers anzusehen; schon jetzt liebte sie jeden Zug und jeden Ausdruck darin. Selbst diesen amüsierten Ausdruck, der in seine Augen kam, wenn sie ihre jugendliche Meinung zu einem Thema abgab oder es wagte, mit ihm, einem Mann von Welt, zu streiten. "Ich kann kaum vorgeben, viel über die Männer zu wissen, Senor. Ich bewundere interessante Gesichter, aber ich weiß, dass Männer mehr von schönen Gesichtern als von durchschnittlichen angezogen sind." "Sie erinnern mich an Verschiedenes. Immergrün und Wassergärten und Mimosen an einer hellen Mauer. Sie sind sicher keine klassische Schönheit, aber Sie sind auch kein Mädchen, das männlichen Blicken entgeht. Allerdings haben Sie eine verschlossene Art. Madam Noyes hat sich das so sehr zunutze gemacht, dass Sie schon fast völlig verschwunden waren - bis ich Sie in den Mimosen entdeckte. Selbst dann hätte ich Sie noch fast übersehen, wenn nicht diese riesigen Augen gewesen wären. Wie blau sie werden, wenn Sie erschreckt sind. Was habe ich an mir, das Sie so aussehen ließ wie ein Reh, das sich in einem Dickicht verirrt hat?" "Die Antwort darauf wissen Sie selbst, Don Raul." "Tatsächlich? Mein diabolisches Aussehen?" "Zum Teil." "Und was noch? Kommen Sie, ich bestehe darauf, es zu erfahren." "Die Tatsache, dass ich beobachtete, wie Sie etwas zu Dona Rachael sagten, das sie zum Weinen brachte." "Ah, soll ich Ihnen verraten, was ich ihr sagte?" "Nein."
"Ich habe ihr gesagt, dass sie nicht wegen ihrer dummen Schwester zu leiden haben würde. Dass ich dafür sorgen werde, dass der Zorn der Prinzessin Yamila nicht über den Rest von Joyosas Familie kommt." "Dann hat sie nicht geweint, weil Sie sie verletzt hatten?" "Ganz im Gegenteil." "Natürlich." Jannas Stimme wurde weich. "Sie könnten einer so schönen Frau nicht weh tun." "Nein. Es wäre, als nähme man einen zartflügeligen Falter zwischen die Finger und zerdrückte ihn." "Es tut mir leid, dass ich Sie so falsch eingeschätzt habe, Senor." "Sie beurteilen mich nach meinem Gesicht", sagte er spöttisch. Ja, dachte sie. Er sah so gut aus wie Luzifer. Und sie - dumm und naiv, wie sie war - hatte geglaubt, dass die Tränen Rachaels durch seinen Zorn hervorgerufen worden waren! "Ich habe noch nie einen Menschen wie Sie getroffen, Senor. Irgend etwas an Ihnen verwirrt mich. Als versuchten Sie absichtlich, eine Spur diabolischer auszusehen, als Sie wirklich sind." "Sind Sie erleichtert, dass ich zu guter Letzt doch nicht beiße?" Mit einer schnellen Bewegung hob er ihre Hand an seine Lippen. "Oder doch jedenfalls nicht bis aufs Mark." "Bitte ..." Sie versuchte, ihre Hand wegzuziehen, aber statt dessen wurde sie so eng an seine Lippen gepresst, dass sie spüren konnte, wie er lächelte. "Sie sprechen so tapfer mit mir, nicht wahr? Und innerlich haben Sie eine panische Angst vor mir und meinen Absichten. Armes Mädchen, Sie würden es vorziehen, mit einem grauäugigen, ernsthaften jungen Mann zusammenzusein, der über alles mögliche redet, nur nicht über Männer und Frauen und die Schlacht der Liebe." "Ich ... ich bin sehr müde", sagte Janna verzweifelt. "Können wir nicht vielleicht ins Bett gehen?" "Aber selbstverständlich", erwiderte er sanft. Das Feuer enthüllte das tiefe, hinterhältige Lächeln in seinen Augen. "Wenn Sie möchten." "Don Raul!" Sie sprang auf und riss ihre Hand aus seinen Fingern. Sie war nahe daran, fortzulaufen, als gäbe es ein Mädchenpensionat gleich hinter den Fahnen. "Sie wissen, dass ich es nicht gewohnt bin, so mit einem Mann allein zu sein. Sie scheinen diese Tatsache ausnutzen zu wollen." Er sah sie lediglich an. Dann stand er mit einer einzigen, geschmeidigen Bewegung auf den Füßen. Sein Burnus faltete sich dunkel um seine hochgewachsene Gestalt. Mehr als je war sie sich seiner unberechenbaren Männlichkeit bewusst. Und ihrer eigenen Hilflosigkeit vor ihm. Es war nicht fair, dass sie seinem gefährlichen Charme so gnadenlos ausgeliefert war. Nicht fair von ihm, sich so zu benehmen, weil sie allem waren und er sich wünschte, Rachael bei sich zu haben. "Bin ich zudringlich geworden?" sagte er schneidend. "Habe ich Ihnen das leiseste Zeichen gegeben, dass ich darauf aus bin, Sie zu verführen? Es schmeichelt mir, dass ich nur Ihre Hand zu berühren brauche, damit Sie sich bereits bedroht fühlen!" Ihre Wangen brannten. Er ließ es so aussehen, als sei sie diejenige, die es kaum erwarten konnte. Zu spät wurde ihr klar, dass er sie höchstens geneckt hätte, wenn sie nicht die Beherrschung verloren hätte. Jetzt sah er sie mit einem forschenden Ausdruck an, als habe er plötzlich den Verdacht gefasst, dass seine Berührung mehr bewirkte, als sie nur zu erschrecken. Ihr Herz schlug schnell, sie konnte nicht sprechen. Es gab nichts Schrecklicheres, als sich in einen Mann zu verlieben, vor dem man seine Gefühle verbergen musste, um wenigstens den eigenen Stolz zu bewahren. Und weil er bereits eine andere liebte. "Ihre Augen sehen aus, als könnten Sie sie kaum noch offenhalten." Damit ging er zum Wagen. Sie schwankte leicht von der Anspannung der letzten Momente.
Ihre Hände waren in den Taschen seines Jacketts zu Fäusten geballt. Sie sah ihm zu, wie er die Schlafsäcke aus dem Wagen nahm und sie zum Feuer brachte. Er rollte sie aus und öffnete die Reißverschlüsse. Das dicke, weiche Futter wurde sichtbar. Es sah warm aus, und das war nötig, denn der Wind, der jetzt über die Wüste blies, brachte eine Kälte, die Janna zittern ließ. "Kommen Sie, wir schlafen auf dieser Seite des Feuers. Die Bäume werden uns Schutz geben." Sie wagte nicht, seinem Blick zu begegnen. Sie ging zu dem Schlafsack, den er ihr zeigte, nahm sein Jackett und die Schuhe ab und schlüpfte hinein. Er kniete sich nieder und schloss ihn um sie herum, mollig und bequem. Sie fühlte sich wehrlos und doch sicher. "Danke", murmelte sie. "Demütig und herausfordernd zugleich, nicht wahr?" Er musterte ihr Haar, einen Kranz aus blassem Gold, und das Gesicht mit dem verräterischen Ausdruck jugendlicher Ungewissheit. Ihr Mund war weich, fragend. "Haben Sie Angst, ich könnte vergessen, dass Sie nur vorgeben, meine Verlobte zu sein?" "Es ist alles nicht wahr", sagte sie. "Ja, nur ein Spiel, Chica." Sein Lächeln stieg nicht bis in die Augen. Es war, als wolle er sie warnen, in Zukunft nicht ernst zu nehmen, was er tun oder sagen mochte. "Schlafen Sie heute zum erstenmal unter den Sternen?" "Ja. Wie nah sie scheinen. Wie warm sie leuchten. Als schauten so viele Augen auf uns herab." "Die Augen von Schutzengeln?" Sie musste lächeln. "Vielleicht, Senor." "Dann schlafen Sie sicher in dieser Nacht, obwohl ich Ihnen so nahe sein werde." "Ich bin froh." Sie biss sich auf die Lippen. "Ich meine, ich würde mich fürchten vor dieser Wüste und den Schakalen, wenn Sie nicht hier wären." "Sie kommen nicht nahe ans Feuer, und ich bin es gewohnt, leicht zu schlafen." Er schaute sie an. "Sie sehen aus wie ein Kind ... Ihre Füße reichen nicht einmal bis zum Ende des Schlafsacks!" Er berührte ihre Füße, während er sprach, und sie lachte nervös. "Nicht - ich bin kitzlig." "So jung", sinnierte er. "Und soviel zu lernen. Sie erinnern mich an das erste Mal, als ich draußen in der Wüste schlief. Wie riesig mir alles vorkam. Ich war gerade erst neun geworden, und nichts war mir je aufregender oder ehrfurchtgebietender vorgekommen. Ich verstehe Ihre Gefühle, Chica. Sind Sie froh, dass Sie gekommen sind?" "Ich hätte die Reise nicht missen wollen, Senor." "Morgen kommen wir nach El Amara. Dann geht es für Sie erst richtig los." "Ich frage mich immer noch, ob es nicht das beste wäre, wenn Sie der Prinzessin die volle Wahrheit erzählen würden." "Und wie würde ich ihr Ihre Gegenwart erklären?" "Ich weiß nicht." "Ich auch nicht. Und da sie erwartet, dass ich mit meiner zukünftigen Braut ankomme, halte ich es für das beste, das auch zu tun. Ich möchte nicht, dass sie enttäuscht, verärgert und besorgt um meine Zukunft wird. Der Sitte nach sollte ich längst verheiratet sein und Kinder haben, die sie verwöhnen könnte. Es wird sie nicht so hart treffen, wenn sie glauben kann, dass ich mir die Mühe gemacht habe, jemanden zu finden, der ebenso jung und hübsch ist wie Joyosa, aber mehr Charakter hat." "Es ... es wird mir nicht sehr viel Spaß machen, sie zu betrügen." "Sehen Sie es nicht als Betrug." "Aber es ist einer!" "Das sollte es doch noch einfacher für Sie machen. Dann wissen Sie, dass Sie nicht wirklich dazu verdammt sind, meine Frau zu werden."
Er erhob sich. Der dunkle Burnus gab ihm ein dramatisches Aussehen, als er sich umdrehte und zum Feuer ging, um mehr von den Ästen aufzuwerfen, die solch einen aufregenden Duft verbreiteten. Seine hochgewachsene Gestalt ragte vor dem tanzenden Feuer auf. Um ihn herum barsten Funken in der Luft. Und seine Worte waren kleine schmerzhafte Schläge, die Janna schweigend ertragen musste, bis sie einschlief.
7. KAPITEL Janna öffnete die Augen und streckte sich. Wo war sie? Sie versuchte, sich aufzusetzen, und bemerkte, dass sie in einem Schlafsack steckte. Sie wand sich, bis sie den Reißverschluss zu fassen bekam. Einen Augenblick später stand sie auf den Füßen und betrachtete ihre erste Morgendämmerung in der Wüste. Alles war bernsteinfarben und still. Die Bäume sahen aus wie Jadeschnitzereien. Als erwachte hier nichts zum Leben, bis die Sonne aufging und den bernsteingelben Sand zur Wärme und die langen Palmenblätter zu ihrem intensiven Grün erweckte. Janna drehte den Kopf und sah Raul bewegungslos in seinem Schlaf sack ausgestreckt, sein Gesicht so still, dass ihr Puls sich beschleunigte. Sie war unfähig, ihre Augen von diesem schlafenden Gesicht abzuwenden. Von dem dunklen Haar, das ihm in die Stirn fiel, den dichten Wimpern um den Bögen der Lider, der selbst im Schlaf noch autokratischen Nase, den leicht geöffneten Lippen, die kaum merklich zu lächeln schienen. Sie seufzte und hätte sich gern hingekniet, um dieses Lächeln auf seinem Mund zu küssen. Es war seltsam, dass man sich zu gleicher Zeit so verängstigt und bewegt, so schützend und hilflos, so bewundernd und scheu und so unglaublich anbetungswürdig fühlen könnte ... All das für einen Mann, der nichts davon für sie verspürte. Sie wandte sich entschlossen ab und ging zum Wagen, um ihr Waschzeug zu holen und frische Kleider aus dem Koffer zu nehmen. Sie ging unter die Palmen, wo sie sich mit dem Wasser wusch, das er für diesen Zweck reserviert hatte. Sie stellte den Spiegel in eine Astgabel und kämmte sich ihr Haar, bis es wie eine helle Wolke um ihre Schläfen wehte. In ihrer weißen Bluse und dem weißen Faltenrock kam sie sich ein wenig wie ein Schulmädchen vor. Sehr kühl und englisch. Sie lief aus der Baumgruppe heraus und stieß direkt mit Raul zusammen. Seine Hände schlössen sich um ihre Hüften, und sie konnte sich nicht bewegen. "Sie müssen schon früh wach gewesen sein", sagte er. "Wie frisch Sie aussehen! Sie geben mir ein sehr unrasiertes Gefühl." "Sie sehen aber auch ziemlich zerzaust aus." Sie lächelte nervös zu ihm auf. "Soll ich Frühstück machen, während Sie sich waschen und rasieren?" "Das wäre nett. Es liegt in der Natur des wilden Tieres, sich daran zu erfreuen, von jemandem bedient zu werden, der so frisch aussieht wie neue Milch." Während er sprach, schien er schne ller zu atmen. Janna fand ihn näher bei sich, so warm und lebendig, so attraktiv, trotz der dunklen Schatten seines Bartes. Ihre Augen schienen sich mit ihm zu füllen, ihre Lippen teilten sich unbewusst. Und dann spürte sie seinen Kuss in der winzigen Einbuchtung unter ihrem Wangenknochen. "Ihr Bart kratzt", sagte sie und drehte den Kopf blind weg, um seine Lippen auf den ihren zu vermeiden. Er durfte sie nicht richtig küssen. Sie würde sich verraten, wenn er das täte. "Vergeben Sie mir, Nina. Das ist die Schwierigkeit mit einem Mann. Weder sein Bart noch seine Wünsche lassen sich so ohne weiteres beherrschen. Sie auf der anderen Seite sind solch ein kühles junges Ding, Ich frage mich, was nötig wäre, um Sie so vollständig aus der Fassung zu bringen, dass Sie um einen Kuss betteln, statt ihm zu widerstehen. Was würde nötig sein, Sie kleine Schneewehe?" "Schnee in der Wüste?" spottete sie. "Sie sehen so aus. Und Sie fühlen sich auch so an." Seine Blicke verschlangen ihre kühle Haut, ihre weiße, Bluse, ihr blassgoldenes Haar. Sie waren ihre Verbündeten. Sie ließen sie so aussehen wie das kühle junge Mädchen, für das er sie hielt. "Bitte lassen Sie mich los, Senor." "Angst, dass meine Berührung Sie zum Schmelzen bringen könnte?"
"Sie haben kein Recht, so zu mir zu sprechen." Sie kämpfte gegen seine Hände, denn sie wusste, dass sie ihm nicht mehr bedeutete, als ein vorübergehendes Abenteuer. Er vermisste Rachael, und mit jemand anderem allein zu sein erregte ihn, brachte ein Verlangen in ihm zum Vorschein, das mit Liebe nichts zu tun hatte. "Sie benehmen sich wie ein verdorbener, arroganter Junge!" "Verraten Sie mir eins", seine Finger pressten das Goldkettchen fast absichtlich in ihr Handgelenk. "Sind Sie wie Joyosa ... voller Angst vor der Wüste in mir?" "Nein, das ist es nicht." "Warum mögen Sie es dann nicht, wenn ich Sie berühre?" "Ich bin nicht Ihr Eigentum, dazu da, Sie zu amüsieren, wenn Sie sich danach fühlen." "Was, wenn Sie mein Eigentum wären?" "Ich würde mich immer noch wehren." "Sagen Sie mir warum." "Nein. Nicht einmal, wenn Sie mich schlagen würden, Senor." "Sie widerspenstiges Kind! Ich nehme an, Sie sparen sich Ihre Küsse für einen ausgeglichenen jungen Mann, der Sie nie mit zuviel Leidenschaft erschreckt, der Sie behandelt, als wären Sie eines der vielen Möbelstücke in seinem sauberen und ordentlichen Haus." "Was für ein Unsinn! Nur weil ich nicht mit mir flirten lasse. Es ist nicht fair von Ihnen." "Ihnen die zarten Kükenfedern zu zausen, Miss Smith? Ich muss mich nochmals entschuldigen. Ich werde versuchen, mich in Zukunft daran zu erinnern, dass Ihnen meine Nähe nicht sonderlich zusagt. Meine Berührung ist viel zu primitiv ... sie könnte diese milchige Haut verletzen und das blonde Haar und die schmücke weiße Bluse in Unordnung bringen. Ich will Ihnen einen Rat geben, mein vorgetäuschter Schatz: Laufen Sie mir nicht unversehens in die Arme, ich könnte wieder vergessen, dass Sie nicht mein hübsches Eigentum sind." Sie war einen langen, gespannten Moment von seinen dunklen Augen gefangen. "Sie machen es sich zu leicht, Senor. Sich einfach irgend jemandem zuzuwenden, wenn Sie sich einsam fühlen." "Glauben Sie, dass ich mich einsam fühle?" "Das ist nur menschlich." "Und Sie haben keine Lust, diesem Zustand abzuhelfen?" "Nein." Diesmal riss sie sich mit Bestimmtheit los. Sie tat sich am Handgelenk weh und war froh über den Schmerz. Er gab ihr einen Entschuldigungsgrund, falls es so aussehen sollte, als wolle sie in Tränen ausbrechen. "Ich mache Frühstück ... die Sonne ist aufgegangen, und bald sollten wir uns wieder auf den Weg machen." "Das klingt ja fast, als könnten Sie es kaum erwarten", sagte er gedehnt. Die Sonne über ihren Köpfen vergoldete die Palmwedel. Der stille Zauber des frühen Morgens war vorüber. Große Vögel segelten durch den blauen Himmel, und die rollenden Dünen sahen aus der Entfernung aus, als fühlten sie sich an wie warmer, stachliger Samt. Raul ging zum Wagen, um sein Handtuch und das Rasierzeug zu holen. Janna stocherte in den warmen Kohlen, die bald darauf einige trockene Tamariskenzweige in Brand setzten. Wenige Minuten später kochte der Kaffeetopf. Sie stellte Brot, Butter und Aprikpsenpasteten für das Frühstück zurecht. Raul gesellte sich etwa eine halbe Stunde später zu ihr. Er war glattrasiert, sein Haar feucht und gekämmt, ein frisches Sporthemd zeigte die braune Haut seiner Unterarme und seiner Kehle. Janna goss ihm eine Tasse Kaffee ein, den Blick auf das Lederband seiner Armbanduhr fest gebannt. "Es ist acht Uhr", sagte er trocken. "Wir fahren los, sobald wir gegessen haben." "Ist es noch weit?" Sie knabberte an der köstlichen Kruste eines Butterbrotes.
"Noch ein schönes Stück, aber wir sollten gegen Mittag da sein. Mmm, Sie fangen an, guten Kaffee zu kochen." "Ich habe gestern abend zugesehen, wieviel Sie in den Topf tun. Es freut mich, dass er Ihnen schmeckt." "Sie sind ein komisches Mädchen." "Ich weiß, dass ich ein komisches Gesicht habe." Er lächelte mit den Augen. "Sie wissen schon, was ich meine. Sie machen jemandem gern eine Freude, aber gleichzeitig ziehen Sie sich von ihm zurück." Er biss mit Appetit in eine Pastete, und sie sah das Aufblitzen seiner starken weißen Zähne. Nachdem sie ihren Kaffee getrunken hatte, fühlte Janna sich hellwach und bereit für die Fahrt, die vor ihr lag. Obwohl sie sich ein wenig vor dem Treffen mit Prinzessin Yamila fürchtete, war sie doch sicher, dass El Amara ihr gefallen würde. Dort war Raul aufgewachsen. Dort hatte er die Obstpflanzungen durchstreift, war auf heißblütigen Pferden geritten und hatte sich gegen die Idee zur Wehr gesetzt, sich seine Frau vorschreiben zu lassen. "Wenn Sie nicht verstehen können, was ich für ein Mann bin", sagte er und sah sie forschend an, während er sich eine Zigarette ansteckte, "dann versuchen Sie zu verstehen, wie schwer ich es habe, zu verstehen, was für eine Art Frau Sie sind." Sie sah ihn mit Augen an, die so groß und blau wie der Himmel waren. "Ich weiß, dass ich Ihnen seltsam vorkomme, Senor. Ich bin von Kindesbeinen an dazu erzogen worden, gehorsam und demütig zu sein." "Janna ..." Er sprach ihren Name n so eindringlich, dass sie es kaum ertrug. Sie fühlte die Macht, die er über sie hatte. Sie wollte von ihm in die Arme genommen und geküsst werden, selbst wenn es nicht Liebe war, die ihn bewegte. Aber kaum spürte sie diesen Wunsch in sich, als sie auch schon aufsprang und das Geschirr in den Korb packte, als sei plötzlich der Schirokko über sie hereingebrochen. Er lachte. Nicht herzlos, doch irgendwie erstaunt. "Ich hätte nicht übel Lust, Sie noch ein paar Tage länger in der Wüste zu behalten", sagte er. "Ich beginne zu sehen, was unter Ihrer kühlen Oberfläche liegt." Sie marschierte mit dem Korb und dem Teppich zum Wagen. "Das Essen würde uns ausgehen, und ich weiß nicht, ob mir Aasgeierbraten so gut schmeckt", versetzte sie spöttisch. Im nächsten Moment erregte eine Staubwolke ihre Aufmerksamkeit. Sie schien auf sie zuzukommen. "Was ist das, Senor? Ein Sandsturm?" Er hob eine Hand an die Augen und studierte die näherkommende Wolke. Plötzlich wurde sein Gesicht ernst, und er sagte ein Wort, das Janna einen kalten Schauer über den Rücken jagte. "Heuschrecken! Ein ganzer Schwärm kommt auf diese Palmen hier zu, um sie kahlzufressen!" Noch während er sprach, drängte er Janna in den Wagen und schlug die Tür zu. Er hatte gerade die andere Seite des Wagens erreicht, als die Heuschrecken sich auf sie herabsenkten, eine wirbelnde Wolke beflügelter Monstren, die einen ohrenbetäubenden Lärm machten, als Raul sich neben Janna auf den Sitz warf. Die Tiere tauchten auf das Fahrzeug hinab und bedeckten die Fenster wie eine dichte Decke, so dass sie nicht fortfahren konnten. "Wie schrecklich!" keuchte Janna. Sie hielt sich gegen die kreischenden Insekten die Ohren zu und sah, wie der Scheibenwischer begann, hin und her zu hämmern, ohne je mehr als ein paar der Masse fortzustreifen. Einige waren durch die Fenster hereingekommen, bevor sie Zeit gehabt hatten, sie zu schließen, aber Raul machte kurzen Prozess mit den Eindringlingen. "Mein Gott, ich möchte in diesem siedenden Wirbelwind nicht draußen sein!" "Kommen Sie her, und machen Sie die Augen zu." Er zog ihren Kopf an seine Schulter. "Sie werden verschwinden, sobald sie alles in der Oase abgefressen haben." "Ich hoffe, sie haben es nicht auf El Amara abgesehen." Sie fühlte die Wärme seiner Schulter an ihrer Wange.
"Oh, Raul!" Schweigen entstand im Wagen. Jannas Herz schlug bis in den Hals hinauf. Sie hatte lediglich seinen Namen ausgesprochen und doch sofort gespürt, wie still er geworden war. Weil sie sich eine Freiheit herausgenommen hatte? Sie zog sich von ihm zurück und starrte aus dem Fenster. Die Heuschrecken flogen davon, an den Bäumen befand sich kein Blatt mehr. Langsam klärte sich die Luft. Der Lärm erstarb, und alles war wieder still. Das Schweigen war ebenso unglaublich wie die Ruhe nach einem Wirbelsturm. Dann zuckte Janna zusammen, als der Motor des Wagens ansprang und sie über den Sand zur Straße zurückfuhren. Sie waren unterwegs auf dem letzten Stück ihrer Reise nach El Amara. Janna war sich überdeutlich bewusst, dass sie einen Nerv berührt hatte, als sie seinen Namen ohne das formelle Don aussprach. Er fuhr schnell und schweigend. Sie konnte die Augen nicht von den Händen abwenden, die das Lenkrad des Safariwagens umschlossen. Die Knöchel zeigten sich weiß und gespannt unter der sonnenbraunen Haut. Sie waren seit mehreren Stunden unterwegs, als der heiße, goldene Sand abrupt endete und riesigen Fels-Kasbahs Platz machte. Federige Bäume und blütenüberladene Kletterpflanzen hingen in Schleiern von den Wänden der Schlucht. Nach der unbarmherzigen Hitze der letzten Kilometer waren der Schatten und die Kühle eine willkommene Abwechslung. Janna atmete erregt. Sie spürte, dass sie sich endlich El Amara näherten. Sie fuhren wieder in die Sonne hinaus, und sie blinzelte in das grelle Licht. Mit Entzücken betrachtete sie die weißen Häuser, die wie Zuckerwürfel an den löwenfarbenen Hügeln hingen. Es war eine Überraschung, nach soviel Raum und Leere wieder zivilisierte Behausungen zu erblicken. "Gleich werden Sie die Gärten von El Amara sehen." Ein erwartungsvoller Unterton schwang in seiner tiefen Stimme. "Sie liegen in einem Tal, umgeben von all diesem Fels, der ihnen Schatten spendet und den Boden vor dem Austrocknen schützt. Deshalb sind sie auch so unerwartet üppig und grün." "Ich hatte nicht mehr als eine große Oase erwartet, Senor." "Dann steht Ihnen eine Überraschung bevor." Er lachte wie ein heimwehkranker Junge. "El Amara ist ein fast unglaublicher Ort. Da sind schon die ersten Bäume ... Schauen Sie, die Gärten sind wie eine riesige Obstschale." Und da waren sie, dicht gedrängt zwischen den steil abfallenden Seiten des Tals. Sie füllten es bis zum Rand mit dem betörenden Duft von Zitrus und Tangerinen und dem Honig von Tausenden von reifenden Datteln. Ein grünes Wunder nach der wasserlosen Wüste, und so unendlich groß vo n der Straße aus. "Senor, das ist der überwältigendste Obstgarten, den ich je gesehen habe!" "Das üppige, grüne Herz von El Amara. Die Quelle, aus der wir unseren Lebensunterhalt und unseren Stolz schöpfen. Die Obsternte lässt alles andere wachsen, die Häuser, das Krankenhaus, die Schule, die Kirche und die Moschee. Wir sind eine gemischte Gemeinde. Die Glocken der Kapelle vermischen sich mit dem Schrei des Muezzins." "Es ist alles so eigenartig, so unerwartet", murmelte sie. Der Wagen fuhr jetzt am Rande der Obstgärten in ihrem natürlichen Tal entlang, wie eine Fliege an einer Obstschüssel. Ihr Atem stockte ein wenig. Wenn die Räder abrutschten, würden sie über den Rand der Straße in diese tiefe, duftende Schale fallen. Janna spürte seinen Blick auf sich gerichtet. Die Spannung kroch wieder zwischen sie und den Mann, der sie bald seiner Familie vorstellen musste. Mehr als je zuvor spürte sie das Trügerische ihrer Lage. "Was ist los, Janna?" fragte er. "Haben Sie Angst davor, meiner Großmutter zu begegnen?" "Ja, sehr. Ich möchte ihr keine Unwahrheit erzählen. Sie hat es nicht verdient." "Würde es Ihnen besser gefallen, wenn ich ihr erzähle, dass ihr Schützling mit jemand anderem davongelaufen ist?"
"Einmal muss es die Prinzessin ja doch erfahren." "Die ganze Geschichte war nie nötig, und ich werde sie ihr auch nicht erzählen. Sie ist eine stolze Frau. All ihre Hoffnungen konzentrieren sieh auf mich. Es ist besser, dass sie eine Unwahrheit glaubt, als dass sie verletzt wird." "Sie brauchen ihr ja nicht die ganze Wahrheit zu sagen." "Sie würde sie herausfinden, vielleicht von Rachael. Ich muss sie beide schützen." Jannas Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Gleichzeitig war sie wie gebannt von dem Zauber dieses Ortes. Sie schwieg ergriffen, als schließlich das Haus der Granatäpfel in Sicht kam.
8. KAPITEL Es wirkte wie ein Palast aus weißen Steinen auf dem Festungswall löwenfarbener Felsen. Und um die hohen Mauern herum drängten sich die Granatapfelbäume, ihre rotgoldenen Früchte schimmerten durch die Blätter wie verborgene Schätze. Janna wagte es nicht, ihre Bewunderung in Worte zu fassen. Von diesem Augenblick an musste sie unbeeindruckt von allem aussehen, obwohl ihr ganzes Wesen sich danach sehnte, sich mitreißen zu lassen. "Es ist sehr hübsch", sagte sie hö flich. Raul schoss ihr einen scharfen Blick zu und fuhr den Wagen unter einem großen steinernen Torbogen durch in einen Hof, der an einer riesigen Tür endete. Ein schwerer, eiserner Klopfer hing im Zentrum der Tür. Die Mauern, die sie umgaben, waren so massiv wie die einer Festung. Es gab kein Anzeichen der Üppigkeit, die Janna hinter dem großen, gewölbten Eingang spürte. Die hängenden Gärten konnte man von hier unten nicht sehen. "Willkommen in El Amara", sagte er. "Dieses Haus liegt Ihnen zu Füßen, Senorita." "Wie verschwenderisch, Senor." "Wir sind verschwenderische Menschen, und ich hoffe, dass Ihr Betragen etwas wärmer wird, wenn Sie das Innere des Hauses sehen. Die Prinzessin wird das erwarten." "Ich weiß nicht, wann ich mich richtig benehme und wann nicht." Janna sprach Worte aus, die während der letzten Kilometer ihrer Fahrt in ihr gebrodelt hatten. "Soll ich kühl sein oder herzlich? Ich selbst oder jemand anders? Alice im Palast, oder ein schickes junges Ding von der Cote d'Azur, das Sie zu lieben vorgeben?" Er starrte sie an. Seine Augen verengten sieh zu einem freudlosen Glitzern. "Es sieht Ihnen nicht ähnlich, schnippisch zu werden. Gewöhnlich bedeutet das, dass eine Frau verletzt und ärgerlich über etwas ist, es aber nicht zeigen will. Was habe, ich gesagt oder getan, um Sie zu verletzen?" "Ich bin nur ein wenig durcheinander." "Und warum sind Sie durcheinander, Nina?" "Ich weiß nicht, was Sie wirklich von mir wollen." "Ich möchte, dass Sie Sie selber sind." "Sie meinen, es macht nichts aus, wenn ich Ihrer Großmutter erzähle, dass ich eine Sekretärin ohne Familie bin?" "Es wird ihr gefallen. Sie wird Sie in unserem Familienkreis willkommen heißen wollen." "Haben Sie noch nie ein Mädchen wie mich nach Hause gebracht?" "Noch nie", sagte er langsam. "Ich hatte nicht die Angewohnheit, meine Freundinnen nach Hause zu bringen." "Damit Ihre Großmutter nicht eine von ihnen als mögliche Braut betrachten sollte?" "Glauben Sie, dass es so viele gab?" Er neigte sich auf sie zu, und sie hatte das schwindlige Gefühl, in seine Augen zu stürzen. "Es wäre eine Erleuchtung, in Ihren komischen, jungen Kopf sehen zu können, wo sich die kleinen Zahnräder unaufhörlich drehen und aus ein paar beiläufigen Bemerkungen sensationelle Affären spinnen. Würden Sie glauben, dass Raul Cesar Bey weitaus mehr ein Liebhaber guter Pferde als hübscher Mädchen gewesen ist?" "Ich will nicht sagen, dass Sie ein Herzensbrecher sind, aber Sie sind so ..." Sie brach verwirrt ab, während sich seine Augen langsam mit spöttischem Glitzern füllten. Lachfalten bildeten sich um seinen Mund, und sie hätte ihre Fingerspitzen in das Grübchen an seinem Kinn legen können. "Weiter so, Chica. Ich würde einen Diamanten geben -einen großen -, um zu erfahren, was Sie wirklich von mir denken." "Sie wissen selbst, dass Sie nicht der hässlichste Mann der Welt sind."
"Es hat viele Männer gegeben, die große Liebhaber waren, obwohl sie eigenartige Gesichter hatten. Aber weil ich zufälligerweise der Enkel einer der schönsten Frauen Marokkos bin, halten Sie mich für einen Lüstling, nicht wahr?" "Nein", brach es aus Janna heraus. Sie wollte sein Gesicht berühren - dieses dunkle, frappierende Gesicht, das die meisten Frauen mit verlangenden Augen ansehen mussten. Und gleichzeitig schrak sie davor zurück, sich ihm zu verraten. Es wäre zu unangenehm für sie beide, wenn er den Verdacht fassen sollte, dass sie ihr Herz an ihn verloren hatte. Lieber gab sie schon vor, dass er ihr nicht mehr bedeutete als irgendein Arbeitgeber, für den sie eine Zeitlang arbeiten wollte. "Don Raul! Als wäre ich so weit mitgekommen, wenn ich geglaubt hätte, Sie wären diese Art Mann. Ich dachte einfach, es sei selbstverständlich, dass ein gutaussehender, wohlhabender Mann auch viele Freundinnen hat... ich wollte Ihnen nicht unterstellen, Sie hätten eine Menge Liebesaffären hinter sich." "Was hätten Sie getan, wenn ich die Art Mann wäre? Ein zynischer und übersättigter Satyr, und Sie allein mit ihm in der Wüste?" Sie musste lachen. "Ich wäre entsetzt gewesen." "In Wirklichkeit aber wurden Sie nervös, sobald ich Sie nur ansah. Glauben Sie denn, dass ein Mann an nichts anderes denkt, als an Flirts und Sex?" "Nein, natürlich nicht!" "Sie werden rot wie eine Tomate." "Sie sind ein schamloser Mensch, ein Mädchen so zum Narren zu halten. Vielleicht erinnern Sie sich daran, Don Raul, dass ich noch nie so allein mit einem Mann gewesen bin. Es ist ganz natürlich, dass ich die Erfahrung verwirrend finde - nach Mildred." Er lachte und öffnete die Wagentür. "Kommen Sie, wir gehen hinein und stellen uns der Prinzessin vor. Man wird den Wagen bemerkt haben, und sie wird uns mit Ungeduld erwarten." Er hielt Janna seine Hand hin. Seine sehnigen Finger umschlossen die ihren, und er führte sie aus dem Wagen in die heiße Sonne, die in den Innenhof fiel. Sie ging mit ihm zu der großen Eingangstür seines Hauses. Kaum hatten sie sie erreicht, als sie auch schon klirrend aufschwang. In der Öffnung stand ein Diener in Weiß. Er verbeugte sich zuerst vor Raul und dann vor seiner jungen Begleiterin. Schnell verschleiertes Interesse blitzte in seinen Augen auf. Raul sprach Arabisch mit ihm, zeigte auf den Wagen und bat darum, das Gepäck ins Haus zu bringen. Dann legte er eine Hand unter Jannas Ellbogen und führte sie durch den inneren Patio des Hauses. Es gab viele Blumen. Sie wanden sich um Baumstämme und ergossen sich aus großen steinernen Schalen. Lebhaft gemusterte Fliesen lage n um die Bogengänge, und im Wasserbassin des hübschen Springbrunnens schwammen Lotusblüten. Ein Hauch von Abgeschiedenheit und Schönheit, uralt und maurisch, umgab den Ort. Es war, als sei ein arabisches Märchen zum Leben erwacht. Doch alles war Wirklichkeit, und der Mann neben Janna pflückte eine lilafarbene Blüte von einem eigenartig aussehenden Baum. Mit einer lässigen Bewegung steckte er sie ihr in den Ausschnitt ihrer Bluse. "Was ist das für eine Blume, Senor?" Die Berührung seiner Hand hatte sie einen Augenblick lang ganz schwach werden lassen. "Eine Blume vom Baum der Keuschheit", lachte er. "Meine Großmutter wird den Wink verstehen. Obwohl schon Ihre Augen verraten, dass Sie ein Mädchen sind, das noch nie einen Liebhaber hatte." Mit schnellschlagendem Herzen ließ sie die Blüte, wo er sie hingesteckt hatte, und ging mit ihm in einen kühlen, anmutigen Raum. Die geschnitzten Möbel waren aus altem, seidenmattem Holz in Kontrast zu BrokatDiwanen, kleinen Tischchen mit silbernen Beinen und der delikaten Ornamentik
schmiedeeiserner Kronleuchter, die von der Decke aus Zedernholz hingen. Ein orientalischer Raum mit spanischem Akzent. Ein Hauch Sinnlichkeit vermischt mit Strenge. "Was für ein. gutes Gefühl, wieder zu Hause zu sein." Er hob die Hand und ließ eine bunte Glaslampe an ihrer Kette hin und her schaukeln. "Alles ist so unverändert, jedes Kissen auf seinem Platz, und all die Düfte, nach denen ich mich gesehnt habe. Atmen Sie tief, Janna. Dies ist der Duft eines maurischen Heims." Sie sah ihn an, und sein ganzes Wesen schlug durch sie hindurch wie eine Erregung und ein Schmerz. So groß und so stark und dunkel; ein Mann, der Sinnlichkeit mit einem anspruchsvo llen wählerischen Wesen in sich vereinigte. Er wollte nur die wirklich beste Frau ... eine Madonna, warm und doch zurückhaltend; liebevoll und mutig, und doch schutzbedürftig. Das war Rachael. Plötzlich fürchtete sich Janna vor dem, was seine Großmutter in ihr finden könnte. Sie war ein Mädchen, das seinem Ideal so wenig ähnlich sah. Aber sie war jung, unerfahren und blond, wie die Prinzessin seine Frau wünschte. Angenommen, sie würde darauf bestehen, dass er sie heiratete! Wie könnte er jemanden heiraten, den er nicht liebte ... er hatte andere Pläne. Und er wollte sie sich nicht zerstören lassen. Wieder wurde Janna von dem Verlangen gepackt wegzulaufen, bevor die Prinzessin erschien. Dieses Spiel zu beenden, bevor es zu spät war. Sie sah sich gehetzt im Zimmer um und floh dann plötzlich auf den Türbogen zu, der zu dem Innenhof führte. Sie erreichte ihn, eine weiße Gestalt in seinem Schatten, als sie schnelle Fußtritte hinter sich hörte. Sie war bei einer Säule angekommen, als er sie erreichte, als seine Hände nach ihr griffen und sie grob herumwirbelten. Zorn stand in seinen, Augen, während sie versuchte, sich ihm zu entwinden, dort neben einer Säule, die fast völlig in den Blättern und Blüten unterging, die vom Dach des Bogengangs herunterwuchsen. Sie fühlte, wie sie in die Blätter gestoßen wurde, sah hinauf in Rauls dunkle Augen, und seine Berührung durchfuhr sie wie ein elektrischer Schlag. "Was soll das?" fragte er. "Was denken Sie sich eigentlich dabei?" "Ich kann Ihrer Großmutter nichts vorlügen." "Habe ich von Ihnen verlangt, dass Sie so tun, als wären Sie Hals über Kopf in mich verliebt?" Er schüttelte sie. "Sie verstehen nicht ..." "Natürlich verstehe ich!" fuhr er sie an. "Sie haben Angst, dass unser kleines Schauspiel in einer Heirat endet. Aber ic h versichere Ihnen, dass es nicht dazu kommen wird. Ich würde weder Ihnen noch mir erlauben, so weit hineingezogen zu werden." "Wie können Sie so sicher sein?" Sie sah zu ihm auf, das Haar fiel ihr weich in die Augen, ein Knopf an ihrer Bluse hatte sich geöffnet, als er sie so grob ergriff. Die Keuschheitsblume hing immer noch gegen die blasse Wärme ihrer Haut gelehnt. Sie fühlte, wie sein Blick darauf ruhte und sah, wie sein Mund sich zu einer Art Lächeln verzog. "Schon der Gedanke an eine Heirat mit mir erfüllt Sie mit Entsetzen, nicht wahr? Sie können meine Berührung kaum ertragen. Ich fühle, wie Sie beben. Sie bringen sogar die Blätter zum Zittern. Armes Mädchen", höhnte er, "kein Wunder, dass Sie fortlaufen möchten. Aber wo wollen Sie hin? Da draußen liegt eine Wüstenstadt, die Sie nicht kennen, und dahinter Kilometer um Kilometer Wüste und Ozean, die Sie von England trennen. Sie müssen bleiben, Chica. Sie müssen zu Ende bringen, was Sie begonnen haben- Die Prinzessin weiß, dass Sie hier sind, und Sie müssen sie sehen." "Bitte ..." Janna fühlte sich völlig zerstört von dem, was er über sie dachte. Dass sie seine Berührung nicht ertragen konnte und der Gedanke an eine Heirat mit ihm ihr zuwider war. Was sie nicht ertragen konnte, war der Gedanke, ihm aufgezwungen zu werden - dafür würde er sie hassen. "Bitte?" wiederholte er leise spottend. "Möchten Sie, dass ich Sie loslasse?"
"Ja." Sie musste das Wort sagen, obwohl ihr ganzes Wesen danach schrie, von ihm gehalten zu werden. Wenn Rachael nicht gewesen wäre, hätte sie geschehen lassen, was einem Mädchen geschehen musste, das einen Mann so sehr liebte. "Ich werde Sie loslassen, wenn ich Ihr Ehrenwort habe, dass Sie keine Dummheiten versuchen werden." "Dummheiten?" echote sie. "Zum Beispiel jemanden zu finden, der Sie Ihrer Meinung nach sicher durch die Wüste und aus meiner Reichweite bringen könnte." "Wie kann ich Ihnen versprechen, das nicht zu tun? Sie wissen, dass ich mich gezwungen fühlen könnte ..." "Sie werden nicht zu einer Heirat mit mir gezwungen werden", unterbrach er sie explosiv. "Ich würde Sie ebenso wenig heiraten wie - wie eine Puppe. Ich will kein liebloses Ding in meinem Leben. Verstehen Sie mich?" Er schüttelte sie erneut, und als ob sein Zorn sich nur durch eine Bestrafung Erleichterung verschaffen könnte, beugte er den Kopf vor. Sie stieß einen hellen, kleinen Schrei aus, als er sie eng an sich presste und seine Lippen in der warmen Rundung ihrer Schulter vergrub. Sie war verloren in den Blättern und Blüten, in seinen harten Armen und der warmen Gewalt seines Körpers. Sie fühlte, dass er sie brechen könnte, als er sie über seinen Arm zurückbog und seine Lippen auf die ihren zwang. Tiefer, noch tiefer, bis alles sich um sie zu drehen begann und sie an seinen Schultern hing, bis er seinen Zorn auf die uralte Weise verbraucht hatte. Er schob sie abrupt von sich. Sie sah, wie sich seine Lider schwer über den Augen schlössen, während ein Puls neben seinem Mund wie rasend schlug. Eine schwarze Haarsträhne war ihm in die Stirn gefallen. "Sie haben es nicht anders gewollt." Er sprach, als hasse er sie. "Wenn Sie mir nicht versprechen wollen, hierzubleiben, bis ich Sie selbst zurückbringen kann, dann garantiere ich für nichts. Ich kann Sie schließlich nicht verhauen ... oder vielleicht doch." Sein Blick lag überlegend auf ihrem Gesicht. Bevor sie zurückweichen konnte, griff er nach ihr und Zog sie zu sich heran. Mit Leichtigkeit schwang er sie sich über die Schulter. Ihre Zähne gruben sich in ihre Unterlippe, als er ihr einen schmerzenden Klaps auf das Hinterteil gab. Er schlenderte mit ihr zum Salon zurück. Sie war so wütend über die Behandlung, die er ihr zukommen ließ, dass sie nach seinem Haar griff und mit aller Kraft daran zog. "Sie gemeiner Kerl!" Er lachte, als mache ihm die ganze Sache unendlich viel Spaß. "Sie geben mir das Versprechen, das ich von Ihnen erwarte, kleine Tigerin, oder ..." "Ich lasse mir von Ihnen keine Angst machen!" "Tapfere Worte", spottete er. "Sie wissen, dass Sie das nächste Mal in meinen Armen eine gründlichere Lektion lernen könnten ... und es würde mir eine Freude sein, Ihr Lehrer zu sein." "Das würden Sie nicht wagen!" "O doch, Berida, und das wissen Sie auch." Sie schwieg, während sie über seine Drohung nachdachte. Als sie den Salon erreichten, fühlte sie die Entwürdigung, gegen ihren Willen geküsst, aufs Hinterteil geschlagen und wie ein Kartoffelsack ins Haus getragen worden zu sein. "Ich hasse Sie!" schimpfte sie und wusste im gleichen Augenblick schon, dass sie log. Er lachte noch immer, als eine tiefe, lächelnde, sanfte Frauenstimme sagte: "Wie passend, mein lieber Enkel, dass du mit einem Mädchen über deiner Schulter nach Hause zurückkehrst. Ich bin höchst angenehm berührt. Es ist lange her, seit diese alten Arkaden von der Jagd und dem Fang einer jungen Frau durch einen entschlossenen Mann belebt wurden. Mein lieber Raul, ich hätte diese Szene um keinen Preis missen wollen."
Janna fand sich auf die Füße zurückgestellt. Sie hatte sich noch nie in ihrem Leben dermaßen durcheinander und verlegen gefühlt. Sie hob eine Hand, um ihr Haar zu glätten, und fühlte das wilde Rosa ihrer Wangen, als sie in die lächelnden Augen der Prinzessin Yamila sah; der Frau, die das Volk von El Amara regierte, die für ihre Schönheit berühmt war und die nicht sterben wollte, bevor ihr größter Wunsch erfüllt war ... die Heirat ihres Enkels. Sie trug ein Kleid aus silber-purpurnem Brokat, ein Schmuckstück aus gehämmertem Silber hielt ihren Schleier. Ihr Gesicht war ein anmutiges Oval, in dem zwei dunkle Augen leuchteten, ihre Haut hatte eine sanfte Bernsteinfarbe, und in ihrem rechten Nasenflügel trug sie einen glitzernden Stein. Als junge Frau musste sie hinreißend schön gewesen sein. Selbst jetzt war ihr noch viel von ihrer Schönheit und eine königliche Anmut geblieben. Er ging zu ihr und küsste ihr die Hände, dann umarmte er sie, zog die schlanke, seidenumhüllte Gestalt an seine breite Brust Er Sprach Arabisch zu ihr, seine Stimme tief und liebevoll. Janna beobachtete die Szene ein wenig nachdenklich. Wie wunderbar es sein musste, sich seiner Liebe so sicher zu sein wie Prinzessin Yamila. Sie mochte versuchen, ihn herumzukommandieren, aber sie hatte einen festen, immerwährenden Halt in seinem Herzen. Um ihretwillen hatte er sie nach El Amara gebracht." Janna machte sich Sorgen um die Rolle, die er ihr auferlegt hatte, aber es gab kein Zurück mehr. Raul sah sie an, ein warnendes Glitzern in seinen Augen. Er wollte sie seiner Großmutter vorstellen, und sein Blick forderte von ihr, sich seinem Wunsch zu fügen. Es gab keinen Ausweg. Sie fühlte ihre Knie zittern, als sie auf die Prinzessin zuging. Raul sprach Englisch, während er Janna vorstellte. "Wir trafen uns in einem Garten, Prinzessin. Ich dachte, du würdest sie vielleicht mögen, deshalb überredete ich sie, für ein paar Wochen nach El Amara zu kommen. Ihr Name ist Janna. Sie ist Engländerin und ziemlich scheu vor mir, aber auch recht bezaubernd, nicht wahr?" Seine Großmutter sah Janna offen an. Ihr Blick wanderte über die geschwungenen Backenknochen, die Jugend und die Ungewissheit, die sich noch immer auf ihrem Gesicht abzeichnete. "Du hättest dieses Mädchen fast als meinen Schützling ausgeben können, Raul." Die Prinzessin streckte ihr ihre Hände entgegen. Sie ergriff sie zögernd, fühlte die Ringe und die überraschende Kraft. "Sie sehen für unsere Augen ungewöhnlich aus, meine Liebe. So sehr blond und so blauäugig. Ich kann verstehen, warum Raul Sie hierher zu mir gebracht hat - aber hat er Sie vielleicht ein wenig gegen Ihren Willen gebracht?" Janna wurde rot über diese amüsierte Anspielung. "Als Don Raul mir von Ihnen erzählte, Prinzessin, da wollte ich Sie gern kennenlernen." "Haben Sie sich nicht zuerst einmal in diesen gutaussehenden Teufel verliebt?" "Nein ... das heißt ..." Janna war verwirrt von der Offenheit seiner Großmutter. "Wir sind Freunde." "Tatsächlich, mein Kind? Ich dachte, er hätte Sie statt des Mädchens hierhergebracht, von dem ich gehofft hatte, dass er heiraten würde. Raul weiß, dass er heiraten muss, und er ist widerspenstig." "Männer geben ihre Freiheit nicht gern auf, Prinzessin." "Wir Frauen müssen die unsere aufgeben. Und man erlaubt uns nicht den Trost eines Liebhabers, wenn die Heirat ohne Liebe bleibt." Die Prinzessin warf ihrem Enkel einen scharfen Blick zu. "Das Mädchen ist sehr nett, aber es ist auch verletzlich. Bist du dir dessen bewusst, mi querido? Siehst du hinter diese zarte Haut und die tiefen blauen Augen?" Sein Blick glitt über Janna, und sie fühlte sich fast schockiert. Als stände sie auf einem Sklavenmarkt, um von ihrem zukünftigen Herrn taxiert zu werden. Er liebte sie nicht, aber wie weit würde er gehen, um der Prinzessin eine Freude zu machen? Er hatte gesagt, sie zu heiraten wäre, als heirate man eine Puppe. Aber was, wenn die Prinzessin ihn überredete? Janna war nicht ganz so unschuldig, um nicht zu wissen, dass ein Mann nach einer Frau verlangen konnte, ohne Liebe für sie zu empfinden. Erst vor kurzem hatte er sie im Schatten
des Bogengangs geküsst, und der Boden bebte ihr erneut unter den Füßen, als sie sich an jene langen, verlorenen Augenblicke in seinen Armen erinnerte. "Ich sehe nur, dass meine junge Freundin von unserer langen Fahrt durch die Wüste erschöpft ist, Prinzessin." Er lächelte in Jannas Augen. "Wir trafen auf einen Schwarm Heuschrecken und fürchteten beide, sie könnten es auf die Pflanzungen abgesehen haben. Hat Achmed dafür gesorgt, dass die Männer wachsam bleiben? Um diese Jahreszeit würden wir einen großen Teil unserer Ernte verlieren, wenn die Heuschrecken über die Gärten herfielen." "Es wäre eine Katastrophe!" Sofort wurde die Aufmerksamkeit der Prinzessin von Janna abgelenkt, und sie -war dankbar dafür. Sie war eine arme, einsame Närrin gewesen, ihm zu erlauben, sie so weit weg von zu Hause zu bringen. Sie hätte Mildred von selbst verlassen und nach England zurückkehren können; zu einer Arbeit in einem großen Büro, wo man in der Anonymität sicher war. "Ich glaube, Janna würde sich gern in ihrem Zimmer ausruhen, während wir über das Geschäft reden", sagte er. Die Prinzessin lächelte zustimmend. Ein Diener in Weiß erschien, um sie in eine n anderen Teil des Hauses zu führen; zu einem Apartment, das sich auf einen kleinen Patio öffnete. Es war so hübsch, dass Janna sofort spürte, man hatte ihr die Räume zugewiesen, die für Joyosa gedacht gewesen waren. Ihre Koffer standen offen auf einem Tisch zu Füßen des niedrigen, breiten Betts, das mit Seide bezogen war. Janna wäre ein undankbares Mädchen gewesen, wenn die Abgeschiedenheit und die Schönheit ihrer Umgebung ohne Einfluss auf sie geblieben wären ... Sie trat durch einen durchbrochenen Türbogen. Vor ihr lag ein versenktes Bad aus arabischen Kacheln. Kleine Dampfwölkchen kräuselten sich über dem Wasser, das jemand in der Erwartung hatte einlaufen lassen, dass die Lella ein Bad wünschen würde. Riesige türkische Badetücher lagen auf einem niedrigen Tisch neben dem Bad. Daneben stand ein bemalter Spiegel, ein Kasten mit Schminksachen und eine reichverzierte Truhe voller Seidenkleider. "Mein Serail", murmelte Janna. Einen Augenblick später schlüpfte Janna in das Bad, eine schlanke, helle Gestalt, die sich in dem bemalten Spiegel reflektierte ... zarthäutig, reif für die Berührung durch eine sehnige, sonnendurchglühte Hand. Jemand kam durch die Tür ins Badezimmer. Ein Mädchen, das ein Tablett trug. Sie stellte es auf einen der eingelegten Tische und warf einen verschleierten Blick auf Janna, die sich wie wild einseifte, um ihre Nacktheit zu verbergen. Ein Lächeln erschien auf den Lippen des Mädchens. Sie zeigte auf das Tablett, auf dem eine Kanne stand, die das köstliche Aroma heißer Schokolade verströmte. Es gab auch ein silbernes Kännchen Sahne, einen Teller mit Kuchen und mehrere große saftstrotzende Pfirsiche. "Danke." Janna hatte die arabischen Worte für Dankeschön vergessen. "Gracias." Das Mädchen kicherte. Dann wurde sie sich offensichtlich bewus st, dass die englische Dame lieber allein war, während sie badete, denn sie verschwand. Janna atmete vor Erleichterung auf. Arabische Haustüren mochten riesige Schlüssel besitzen, um sie verschlossen zu halten, aber alle anderen Türen schienen jedermann einzulassen. Raul selber mochte den Einfall haben, hier hereinzuschlendern, während sie badete! Halb erschreckt kletterte sie aus dem Bad und wickelte sich in ein riesiges Handtuch. Ihre Wangen waren hochrosa, ihr Haar hing ihr in goldenen Strähnen in den Nacken. Sie wagte nicht, daran zu denken, was Raul tun würde, wenn er sie so sehen könnte. Sie blickte sich furchtsam um, als hätte sie ihn kommen gehört und suchte nach einem Versteck vor ihm. Ihre Hände umfassten das Badetuch fester. Sie war sicher, Fußtritte auf den Fliesen des Patio gehört zu haben, und der Geruch nach Zigarettenrauch einen Moment später war keine Einbildung. Raul war da draußen ... und sie war hier drinnen und hatte sehr wenig an! Sie sah sich nach ihren Kleidern um, aber sie waren fort. Das Mädchen musste sie genommen haben. Janna stolperte fast über das Badetuch, so eilig hatte sie es, die Truhe mit
den Seidensachen zu durchsuchen. Sie fand eine knöchellange Robe aus Seidenbrokat und zog sie an. Ihre Finger bebten nervös, als sie sie vo n der Kehle bis zu den Füßen zuknöpfte. Sie drehte sich zum Spiegel. Der Brokat hatte eine sanfte Türkisfarbe. Wenn sie sich bewegte, schimmerte es irgendwie golden. Sie bemerkte, wie gut ihr die Farbe stand, und ihre Scheu verstärkte sich noch. Sie schreckte auf, als sie seine tiefe Stimme vom Patio her hörte: "Wollen Sie nicht zu mir herauskommen?" Sie hatte sich nie scheuer vor ihm gefühlt als gerade in diesem Augenblick. Sie waren zusammen durch die Wüste gefahren und hatten eine Nacht unter den Sternen gemeinsam verbracht. Aber jetzt war sie in seinem Haus und trug etwas aus arabischer Seide, das ihr das Aussehen und das Gefühl gab, sich selbst eine Fremde zu sein. "Janna?" Sie zögerte. Dann hob sie das Tablett mit den Erfrischungen auf und trug es hinaus auf den Patio, wo er in einem langen Korbstuhl zurückgelehnt Saß. Er hatte die Beine ausgestreckt, und Rauch kräuselte sich um seinen Kopf. Er sah aus, als fühle er sich vollständig zu Hause. Er lächelte träge, als er sie sah, und ließ seinen Blick die lange Reihe der winzigen Perlknöpfe bis zu ihren Füßen hinunterwandern. "Sie haben Ihre Pantoffeln vergessen", bemerkte er. "Die Fliesen sind warm." Sie ging zu ihm, trug das Tablett und kam sich vor wie eine barfüßige Sklavin auf dem Weg zu ihrem Herrn. "Die arabischen Kleider stehen Ihnen, Berida." "Bitte nicht!" "Mein liebes Mädchen, was mache ich jetzt falsch?" "Sie sehen mich an, als sei ich irgendein Sklavenmädchen." "Vielleicht ist es die Atmosphäre." Er lächelte hinterhältig. "Dieses Apartment und der Innenhof wurden vor langer Zeit von der Favoritin eines meiner Vorfahren bewohnt. Die Sitte ist noch nicht völlig ausgestorben." "Bin ich deswegen hier?" "Finden Sie es nicht hübsch - und abgeschieden?" "Es ist sehr hübsch. Ich nehme an, man hat es für Joyosa vorbereitet. Was haben Sie Ihrer Großmutter über ihren Schützling erzählt?" "Ich habe ihr gesagt, dass Joyosa einen anderen Mann vorgezogen hat ... und dass ich eine andere Frau vorziehe." Janna starrte ihn an und musste sich schnell auf den Rand des Springbrunnens setzen, bevor ihre Knie nachgaben. "Hat sie geglaubt, dass Sie mich gemeint haben?" "Ich nehme es an." Er nahm einen Honigkuchen und biss ihn sauber mittendurch. "Jetzt sehen Sie mich nicht so erschreckt an! Ich habe noch nie ein Mädchen gekannt, das so wenig schmeichelhaft war wie Sie. Ich habe Ihnen doch bereits versprochen, dass niemand Ihnen ein Schicksal aufzwingen wird, vor dem Sie zurückschaudern." Sie warf ihm einen schnellen Blick zu und goss sich dann eine Tasse Schokolade ein. "Sie wissen schon, was ich meine", sagte er gedehnt. "Auch wenn Sie Ihren Kopf so tief halten, dass ich Ihre Augen nicht sehen kann." "Diese Schokolade ist köstlich", meinte sie völlig belanglos. "Süßer als der Gedanke, Raul Cesar Bey zum Mann zu haben, nicht wahr?" Er bekam keine Antwort darauf. Gezwitscher drang aus den Pfefferbäumen, während Janna ihre Schokolade trank und diesen Mann das einzig Mögliche glauben ließ.
9.KAPITEL Janna war jetzt eine Woche in El Amara. An diesem Morgen spürte sie den Wuns ch, die Stadt zu erforschen. El Amara - ein Ort zum Verlieben. Glühende, verträumte, bezaubernde Wüstenstadt. Janna wanderte in ihr umher, atmete ihre Düfte, als wolle sie sie sich für die Zukunft aufsparen. Sie füllte ihre Augen mit all dem Wunderbaren, denn sie wusste, dass diese wenigen Wochen ein Leben lang reichen mussten. Zuletzt kam sie auf den Markt, wo Lärm und Geschäftigkeit herrschten. Die Menschen wussten, wer sie war, und in Umhänge gehüllte Männer verbeugten sich höflich vor ihr. Man belästigte sie nicht auf Schritt und Tritt, eine Schale, einen Kürbis oder eine Ledertasche zu kaufen. Sie war die junge Dame aus dem Haus der Prinzessin. Janna wusste, welche Gedanken hinter den Blicken lagen, die ihr in die, Straße der Gewürze folgten, wo sie stundenlang hätte bleiben können, nur um die Luft einzuatmen. -Sie schlenderte weiter, schlank und nonchalant in ihrem rosa Anzug, die Lella von Raul Cesar Bey - und wo war er an diesem schönen Morgen? Sie hatte ihn über den Abrechnungen für seine Großmutter zurückgelassen. Das weiße Hemd stand ihm an der Kehle offen, er trug noch immer die Reithosen und Stiefel seines frühmorgendlichen Ausritts auf Sultan, dem glänzend rotbraunen Araberhengst mit den unergründlichen Augen. Jemand ging an ihr vorbei, trug die eigenartig aussehenden Gemüse eines arabischen Marktes in der Kapuze seiner Jellabah. Ein Händler polierte seine Kupferwaren mit Zitrone und Sägespänen. Janna blieb stehen, um eine hübsche Teekanne zu bewundern. Sie sah zauberhaft aus. Als würde ein köstliches Getränk sich daraus ergießen. Sie lächelte und zeigte darauf. "Wieviel?" fragte sie. Ein Preis wurde genannt, und nach einer kleinen, freundlichen Verhandlung ging sie mit der Teekanne davon - ihr erstes Stück Inventar für die Teestube in dem ruhigen Kurort an der See. Wie anders alles hier war! Zwei völlig verschiedene Welten. In ihrem Herzen gefiel ihr diese hier weit mehr als jede andere. Alles war so voller Leben, so würzig und ungewöhnlich. Sie schlenderte vom Marktplatz fort und fand sich unter den herabhängenden Zweigen der Palmen am Rande des Dorfes. Sie hockte sich auf einen der gelbbraunen Brocken und knackte ihre Mandeln mit Zähnen, die ebenso milchweiß waren wie die Nüsse selbst. Janna war so in Gedanken versunken, dass sie aufschreckte, als eine Hand ihre Schulter berührte. Sie drehte sich rasch um und fand sich den samtschwarzen Augen von Rauls Cousin, Achmed, gegenüber. Er trug einen leichten, gutgeschnittenen Anzug, dazu aber die traditionelle Kopfbedeckung. Er lächelte, die makellosen Zähne blitzten in dem glatten, olivbraunen Gesicht mit dem schmalen, schwarzen Schnurrbart auf der Oberlippe. "Es freut mich, Sie endlich einmal allein zu treffen, Janna. Ich sagte gerade zu mir selbst, niemand sonst könnte zur selben Zeit so hübsch und tief sinnig aussehen wie Sie." "Hallo, Achmed." Sie lächelte und hielt ihm ihre Nusstüte hin. "Möchten Sie eine?" "Wenn Sie nichts dagegen haben, setze ich mich zu Ihnen und rauche ein Zigarillo." Er setzte seine Worte in die Tat um. Er hatte delikatere Hände als Raul und ein arabischeres Gesicht. "Und was haben Sie den ganzen Morgen unternommen?" fragte er. "Sich in der Stadt umgeschaut und eingekauft?" "Ja. Der Marktplatz hat es mir angetan. Ich habe diese Teekanne hier gekauft, um meine Teestube damit anzufa ngen, wenn ich …" Hier brach sie verwirrt ab, denn Achmed sah sie durch den Rauch seines Zigarillos mit zusammengekniffenen Augen an. "Sie wollen eine Teestube aufmachen, Janna?" "Na ja, das ist so eine Art Scherz zwischen mir und Don Raul."
"Ist es möglich, dass Sie ihn eigentlich gar nicht heiraten wollen?" Achmed lehnte sich vor und sah ihr in die Augen. "Sie reden immer von ihm als Don Raul, als hätten Sie Angst, seinen Namen allein auszusprechen. Haben Sie Angst vor meinem Cousin?" "Nein, natürlich nicht. Wie kommen Sie darauf?" "Es scheint mir, als seien Sie immer ein wenig nervös, mit ihm allein zu sein. Sie sind allein heute morgen, und es wäre mir ein Vergnügen gewesen, Ihnen El Amara zu zeigen." "Sie glauben nicht, dass ich vor Ihnen Angst haben könnte, Scheich Achmed?" Er lächelte warm und sah sehr anziehend aus. "Ich würde es mir nie verzeihen, Sie von mir abzuschrecken. Es war eine sehr angenehme Überraschung, als Don Raul Sie zu uns brachte statt des anderen Mädchens. Sie war eine kleine Schauspielerin. Ich erinnere mich gut an den Tag, als sie ihr Pony durchgehen ließ, damit Raul vor allen Leuten hinter ihr herritt und sie rettete. Sie hatte es gleich von Anfang an auf ihn abgesehen." "Aber ich dachte ... er hat mir gesagt, dass sie ihn nicht wollte und mit einem anderen davonlief." "Raul war nur höflich, als er das sagte. In Wahrheit ist es genau andersherum ... In dem verzweifelten Versuch, es so aussehen zu lassen, als sei er es, der den Korb bekommen hätte, suchte sie sich einen jungen Mann, mit dem sie davonlief. Ich kenne Raul viel zu gut. Er ist mein Cousin, wir haben gemeinsam gejagt und gearbeitet. Er hatte nie vor, der Bräutigam einer Frau zu werden, die er sich nicht selber ausgesucht hat. Aber da er unsere Großmutter sehr liebt, ließ er es so aussehen, als fügte er sich ihren Wünschen. Sie hat gewöhnlich eine erstaunliche Menschenkenntnis, doch in Joyosas Fall schien sie ein bisschen von der blonden Schönheit des Mädchens geblendet zu sein." Achmeds samtener Blick streichelte Janna. "Jetzt, wo ich Sie getroffen habe, verstehe ich, wie es möglich ist, einem Paar blauer Augen zu verfallen. In diesem Teil der Welt sieht ein Mann nur braune Augen." "Glauben Sie, dass Sie so mit Don Rauls Mädchen sprechen sollten?" fragte sie leichthin. "Er ist sehr besitzergreifend. Und sehr stark." Achmed lachte leise. "Sie sind nicht der Typ, der zu meinem Cousin laufen würde, um ihm alles zu erzählen. Sie machen sich zuviel Gedanken über die Menschen, um ihnen Schlechtes zu wünschen." "Und Sie glauben, dass Ihnen das die Freiheit gibt, mit mir zu ... flirten?" "Ich bin nur freundlich zu Ihnen, Janna. Ich habe selbst gesehen, dass Raul einen entnervenden Effekt auf Sie hat. Ich habe Sie beobachtet, wenn wir alle zusammen waren. Sie vermeiden es, ihm nahe zu sein. Sie schrecken vor seiner Berührung zurück. Sie sind ein Mädchen in einem Dilemma." "Ich fühle mich nur fremd in dieser Umgebung", sagte sie abwehrend. "Sie haben kein Recht, aus meinem Verhalten abzuleiten, dass ich mich vor Don Raul fürchte. Wäre ich mit einem Mann durch die Wüste gekommen, bei dem ich mich nicht sicher fühle? Wohl kaum!“ "Haben englische Mädchen etwas dagegen, ihre Gefühle in der Öffentlichkeit zu zeigen?" "Sind die Mädchen in Ihrem Land nicht ebenso scheu? Ich habe gehört, dass viele von ihnen ihren Verlobten bis zum Hochzeitstag nicht einmal treffen." "Diese Sitte stirbt aus. Heutzutage treffen wir uns öfter und öfter und entscheiden selbst über unser Schicksal." "Sie haben sehr moderne Ansichten, Scheich Achmed." "Ja, eigentlich mehr noch als Raul. Er hat ein spanisches Rückgrat." "Sie meinen, einen eisernen Ehrenkodex. Er gibt sich mit nichts anderem zufrieden, wenn er sich einmal auf etwas oder jemanden festgelegt hat, nicht wahr?" "Ja. Er glaubt an die Liebe, die ein Leben lang dauert." Achmed lächelte. "Ein bisschen erschreckend, so sehr darauf zu bestehen, oder? Deshalb kann ich Ihnen die Zweifel nachfühlen, die Sie im Augenblick zu haben scheinen, Janna. Ein solch hoher Anspruch muss einem ja den Mut nehmen."
Ihr Blick lag auf der Wüste vor ihnen. Sie hatte nur den Mut verloren, weil sie nicht diejenige war, für die er sich entschieden hatte, um sie zu nehmen, zu lieben, für immer in seinen Armen zu halten. Sie hatte diese Zielgerichtetheit in ihm gespürt. Diese Forderung nach unbedingtem Geben und Nehmen. Sie betrachtete Dona Rachael als die glücklichste Frau auf der Welt. Sie konnte sich nichts Wunderbareres vorstellen, als der Mittelpunkt und die Seele von Rauls Leben zu sein. "Vielleicht fühle ich mich nicht ganz in der Lage, seinem Ideal gerecht zu werden", sagte sie leise. "Aber Sie dürfen der Prinzessin nichts davon sagen. Sie darf jetzt noch nicht erfahren, dass zwischen Don Raul und mir nichts beschlossen ist.“ "Ich kann die Seele der Diskretion sein." "Was ich wirklich gern hätte, wäre etwas zu essen. Ihre Wüstenluft macht mich immer heißhungrig." "Möchten Sie einmal eine richtige arabische Mahlzeit versuchen?" Er stand auf und zog sie hoch. Sie reichte ihm bis zur Schulter und war sich seiner ungemein anziehenden Persönlichkeit bewusst. "Wohin wollen Sie mich zu dieser arabischen Mahlzeit führen?" fragte sie lächelnd. "Zum Cafe Moresque, wo die Kebabs so zart sind wie Ihr Herz und die Wachteln so köstlich wie Ihr Lächeln." "Arme Wachteln, gefangen, um uns gierige Menschen zu befriedigen!" "Sie amüsieren mich, Janna." Lachend führte er sie den felsigen Weg zum Zentrum El Amaras hinunter. "Niemand außer Ihnen könnte sich solche Gedanken um Vögel machen, die den Falken sonst ohnehin zum Opfer fallen würden." "Das ist natürlicher", sagte sie. "Sie fliegen durch die Luft und können entfliehen." "Würden Sie sich lieber im Flug töten lassen als in einem Netz?" Er warf ihr einen durchdringenden Blick zu. "Haben Sie vor, hier wegzulaufen?" "Als ob ich das wagen würde!" "Wenn Sie an Flucht denken, könnte es sein, dass ich Ihnen helfe. Ich mag es nicht, Sie so gespannt, so offenbar verängstigt zu sehen. Janna, haben Sie Angst vor der Heirat mit einem Mann, der Sie wie eine Wachtel im Netz fangen würde?" "Wir haben uns beide darauf geeinigt, dass er an eine Liebesheirat glaubt." "Wollen Sie damit sagen, dass er Sie nicht liebt?" "Sie sind ein intelligenter Mann, Achmed. Sie müssen selbst gesehen haben, dass er mich nicht liebt." "Vielleicht habe ich mehr auf Sie geschaut, ein solch hübsches Mädchen, und ganz selbstverständlich angenommen, dass er in Sie verliebt ist. Warum hätte er Sie sonst nach El Amara gebracht?" "Um die Prinzessin für Joyosa zu entschädigen. Er fürchtete, sie könnte enttäuscht sein, vielleicht zornig mit Joyosas Familie. Ich ... ich glaube, sie kann sehr zornig werden, wenn etwas gegen ihren Willen geht." "Das ist wahr. Die Prinzessin ist die Autorität, wir haben sie immer verwöhnt und uns ihrem Willen untergeordnet. Ja, sie hätte sich sehr aufgeregt, das wäre nicht gut für sie gewesen. Sie hatte nämlich erst vor ein paar Monaten einen Herzanfall und war eine Zeitlang krank. Als sie sich wieder erholt hatte, begann sie Raul wegen einer Heirat zu bedrängen. Voller Sorge, dass sie wieder krank werden könnte, verabschiedete er sich mit dem Versprechen, Joyosa aus Frankreich mitzubringen. Aber ich bezweifle, dass er sich dazu hätte bringen können, ihren leichtfertigen jungen Schützling zu heiraten. Ein hübsches Mädchen, nur leider mit nichts im Kopf." Einige Minuten später hielten sie vor dem Cafe Moresque: Tische standen unter schattigen Markisen, mehrere europäische Besucher genossen die exotische Küche und beobachteten die Passanten. Janna fühlte ihre Blicke auf sich, als sie sich an einen der Tische setzten, der sofort Mittelpunkt sich verbeugender Kellner wurde.
"Soll ich für Sie bestellen?" fragte Achmed. Janna überlegte, was die Touristen wohl denken mochten, während ihre Blicke über ihr blondes Haar unter dem Strohhut und dann über die arabische Kopfbedeckung ihres Begleiters streiften. Sie lächelte ihn an. "Bestellen Sie mir etwas, an das ich mich erinnern werde." Er sah für einen bedeutsamen Augenblick in ihre Augen, dann beriet er sich mit den Kellnern, und sie war frei, ihre Gedanken zu den Dingen wandern zu lassen, die er über Raul gesagt hatte. Er hatte ihr ihre ganze persönliche Angst bestätigt: Dass Raul, um der Prinzessin weitere Enttäuschungen zu ersparen, ihren Wunsch nach einer möglichst sofortigen Heirat erfüllen könnte. Und Janna war gleich hier in El Ama ra, während Rachael weit, weit weg war. Etwas musste geschehen. Achmed hatte in ihr den Wunsch wiedererweckt, aus El Amara zu fliehen, bevor Raul sie dazu überredete hierzubleiben und ihn zu heiraten. Sie wusste, dass er das fertigbringen würde, denn sie kannte ihr eigenes Herz, ihre Sehnsucht, mit ihm zusammenzusein. Aber ohne die Frau, die er liebte, könnte er nie glücklich werden, und mehr als alles andere wollte Janna, dass er Freude und Zufriedenheit fand. Lieber wollte sie aus seinem Leben verschwinden, als die Braut zu werden, die er um seiner Großmutter willen wählte, statt für sich selbst. Wenn sie fortlief, würde das die Situation vereinfachen. Die Prinzessin konnte ihm nicht noch einmal so ein flatterhaftes Mädchen wünschen. Sie müsste Rachael akzeptieren. Und wenn sie sie zusammen sah, würde sie erkennen, dass sie die einzig richtige und glückliche Wahl getroffen hatte. Still aß sie ihren safranfarbenen Kuskus, dann Lamm-Kebabs mit winzigen Kürbissen und grünen Bohnen. Schließlich Früchte mit Dattelcreme. "Das war köstlich, Achmed." Sie brachte ein Lächeln zustande, aber ihr war weh zumute bei dem Gedanken, El Amara zu verlassen. Hier fühlte sie sich zu Hause. Sie mochte die Menschen, die heiße Sonne, die die Kuppel der Moschee vergoldete, die gekachelten Eingänge und den Schatten der Palmen. Doch um Rauls zukünftiges Glück zu sichern, musste sie all das zurücklassen und zur Einsamkeit eines möblierten Zimmers und einer Schreibmaschine zurückkehren. Also würde es doch keine Teestube geben. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, sich dafür bezahlen zu lassen, hierhergekommen zu sein. Sie wollte heimlich fortgehen, ohne Lebewohl zu sagen. Raul würde sieh denken können, dass sie ihm die Freiheit gegeben hatte, Rachael zu heiraten. "Ihre Augen sind traurig." Achmed sah sie mitfühlend an. "Eine Frau sollte zufrieden sein, nachdem sie mit den Früchten El Amaras gefüttert worden ist." "Ich denke über Ihr Angebot nach, Achmed. Ich glaube, ich würde gern schnell und leise davongehen - wenn Sie mir helfen wollen." "Ah, dann habe ich also doch richtig vermutet. Sie haben Angst vor einer Zwangsheirat mit Raul. Sie möchten El Amara ohne sein Wissen verlassen?" "Ja, es wäre das beste", nickte sie, den Blick auf ihre Kaffeetasse gerichtet. "Könnten Sie dafür sorgen?" "Ich könnte noch mehr tun als das, Janna. Ich könnte Sie selbst fortbringen." "Wirklich?" Ihre Augen trafen die seinen. "Wenn Raul es erführe, wäre er sehr zornig." "Ich nehme an, dass er den Schuldigen in mir vermuten würde. Aber wir haben beide eine diabolische Ader und haben uns schon früher in den Haaren gelegen!" "Über ein Mädchen?" Sie lächelte halb. Er lachte. "Meistens über ein Pferd, das wir beide gern hatten." "Es kann sein, dass er ebenso zornig wird, wenn Sie mich durch die Wüste nach Benikesh bringen, wo ich den Zug nehmen kann. Sind Sie darauf vorbereitet?" "Ich bewundere Sie, Janna."
"Es scheint mir kaum das Risiko wert. Für ein Mädchen, das Sie gerade eine Woche lang kennen." "Manche Menschen kennt man nach einer Woche besser als nach einem Jahr. Ich weiß, was Sie für ein Mädchen sind. Sie möchten, dass die, die Sie lieben, glücklich sind. Und Sie können in einer widerwilligen Heirat kein Glück sehen. Sagen Sie mir ganz offen: Laufen Sie vor einem Mann davon, den Sie fürchten oder den Sie lieben?" "Ich würde wohl kaum davonlaufen, wenn ich Don Raul liebte." "Ich glaube, Sie sind ein Mädchen, das genau aus diesem Grund davonlaufen würde. Hier in der Wüste gibt es ein Sprichwort: ,Die Kühle der Nacht birgt die Wärme des Tages'." "Und das soll heißen?" "Dass Sie ebenso unzufrieden mit einer kühlen und höflichen Heirat wären, wie Raul selbst. Wollen Sie ihm nicht ganz offen sagen, dass Sie gehen wollen?" "Das könnte ich, aber er beherrscht die Kunst des Überredens." "Sie haben Angst, dass Sie ihm nachgeben. So, wie Sie ihm nachgegeben haben, als Sie ihn in Frankreich trafen und er Sie dazu überredete statt Joyosa hierherzukommen?" "Ja.“ "Dann müssen Sie ihn sehr gern haben, wenn Sie vor sich selbst mehr Angst haben als vor ihm." "Ich ... ich möchte meine Gefühle nicht diskutieren, Achmed. Ich möchte nur so bald wie möglich hier weg. Es klingt vielleicht melodramatisch, ich weiß, aber falls Sie willens wären, mich mit sich zu nehmen, wäre ich Ihnen zutiefst dankbar. Es gibt niemanden sonst, den ich fragen könnte. Niemanden, den ich zu fragen wagen würde. Ich möchte nicht, dass er von meinem Plan erfährt. Ich möchte ganz einfach so schnell und endgültig wie möglich einen Schlussstrich ziehen." "Dann schlage ich den Abend der Geburtstagsfeier unserer Großmutter vor. Aller Aufmerksamkeit wird ihr zugewandt sein. Ich könnte Sie in meinem Wagen nach Dafni fahren, einer Stadt etwa sechzig Kilometer von hier. Von dort wird ein Flugzeug Sie bis nach Casablanca bringen. "Ich habe nicht sehr viel Geld, Achmed." "Es wäre mir eine Freude, für Ihre Reise bezahlen zu dürfen. "Warum wollen Sie mir helfen? Was ist Ihr wirklicher Grund?" "Ich möchte Sie nicht unglücklich sehen." "Nein, da ist noch mehr. Ich frage mich, ob Sie Raul vielleicht nicht mögen und es ihm heimzahlen wollen." Achmed schüttelte langsam den Kopf. "Um die Wahrheit zu sagen, ich verehre Raul sehr. Er ist der Mann, der dazu ausersehen ist, El Amara zu regieren. Er ist schon heute das nominelle Oberhaupt - und ich bin überzeugt, dass er ein zufriedenes Familienleben braucht, um der weitsichtige und tatkräftige Gouverneur zu werden, den wir brauchen, um uns zu einer wirklich fortschrittlichen Provinz zu entwickeln. Ich weiß, dass Raul viele neue Pläne hat, aber er hat auch eine Seite, die einen engen Gefährten braucht. Die Liebe und Hingabe einer Frau nach seinem Herzen. Wenn Raul das bekommt, dann wird es nichts geben, was er für El Amara nicht erreichen könnte. Wir leben in einer Zeit politischer Umstürze und Rebellionen, Janna. Und Raul wird die Loyalität und die Liebe seines Volkes behalten, wenn sein persönliches Glück hier seinen Mittelpunkt findet, damit er am Ende jedes Tages dorthin zurückkehren kann." "Zu der Frau, die er liebt", sagte Janna leise. "Zu der einen, nach der sein Herz verlangt." "Genau. Raul ist nicht wie ich. Ich bin ein romantischer Mann des Orients, ich finde mein Glück leichter. Er hat ein sehr starkes Verantwortungsgefühl. Mit der richtigen Frau an seiner Seite wird er genau der Richtige für El Amara sein." "Sie lieben El Amara mehr als jede Frau, nicht wahr, Achmed?" "Die Liebe zu diesem Land liegt mir im Blut, Janna. Aber mir fehlt Rauls Kraft."
Sie lächelte Achmed nachdenklich an. "Also helfen Sie mir, weil Sie glauben, ich sei nicht die Richtige für ihn?" "Sie könnten die Richtige für mich sein, Janna." "Nein!" wehrte sie heftig ab. "Nein. Bitte helfen Sie mir ganz einfach, ihn zu verlassen sobald der Zeitpunkt geeignet ist. Vielleicht sollten wir jetzt gehen, Achmed." Auf dem Heimweg musste Janna auf einmal an Rauls Blick heute morgen denken. Es war, als ob sie seine Arbeit und seine Konzentration störte. Verletzt und ein wenig ärgerlich wünschte sie, ihm gesagt zu haben: "Sie wollten doch, dass ich nach El Amara komme. Sie bestanden darauf. Sie haben mich fast entführt ... und jetzt scheinen Sie ungeduldig darauf zu warten, mich wieder loszuwerden! Mit der Liebe spielt man eben nicht, Don Raul. Nicht mit meiner Liebe zu Ihnen ... nicht mit Ihrer Liebe zu Rachael... oder mit der Liebe der Prinzessin für El Amara." Janna versteckte die Tränen in ihren Augen unter dem Rand ihres Hutes. Falls Achmed sie bemerken sollte, konnte sie immer noch die sengende Sonne dafür verantwortlich machen, als sie in den Vorhof des Hauses eintraten. Die Tür des inneren Hofes wurde aufgestoßen, ma n hörte Hufgeklapper auf den Fliesen. Ein rotbraunes Pferd stürmte ins Sonnenlicht. Im Sattel saß Raul. Er warf Achmed ein paar schnelle Worte auf arabisch zu. Janna bemerkte seine blitzenden Augen, dann die Breite seiner Schultern, als er davongaloppierte. "Es hat einen Unfall in den Gärten gegeben", berichtete Achmed. "Raul ist los, um dem Verletzten zu helfen. Wussten Sie, dass er eine Ausbildung als Arzt hinter sich hat?" "Ja, er hat es mir erzählt." "Er ist ein überraschender Mann, nicht wahr? Er sieht aus, als habe die Natur ihn dazu bestimmt, Frauen zu lieben. Aber er zieht seine Arbeit vor und möchte nur eine einzige Frau in seinem Leben."
10. KAPITEL Janna wanderte ruhelos in ihrem Zimmer umher, als das Mädchen Fatima kam, um ihr zu sagen, dass die Prinzessin sie sprechen wolle. Es war das erste Mal, dass die Prinzessin sie zu sich rufen ließ. Sie ahnte, dass sie gewisse Fragen stellen würde, die sie mit einem kühlen Kopf beantworten musste. Sie legte die Hand an ihren Hals und fühlte ihren Pulsschlag. Ihre Augen wirkten riesig und sorgenvoll. Was sollte sie nur tun, falls die Prinzessin sie geradeheraus fragte, ob sie Raul liebte? Sie war keine besonders gute Schauspielerin, und sie wusste, dass es schwerer war, ein Geheimnis vor einer anderen Frau zu verbergen, als vor einem Mann. Die Prinzessin Yamila war klug; sie würde instinktiv wissen, dass ein Mädchen, das so allein auf der Welt war wie Janna, sich beinahe mit Sicherheit in einen so attraktiven Mann verlieben musste. Fatima berührte ihren Arm. Janna zwang sich zu einem Lächeln, und zusammen verließen sie den Raum. Schließlich hielten sie vor einem Eingang, über dem in tiefschwarzen Buchstaben eine Inschrift aus dem Koran stand. Die Tür war offen, ein Zeichen, dass die Prinzessin darauf wartete, ihren Gast zu empfangen. Janna betrat beklommen das Zimmer, sie fühlte, wie ihre Füße in der luxuriösen Weichheit eines orientalischen Teppichs versanken. Ihre Nase atmete den Duft von Orangenblüten und Rosenwasser. Das Zimmer war so exotisch wie die Prinzessin selbst. Sie trug einen Baracan aus weicher, goldener Seide, schwere Silberohrringe verstärkten noch ihr zerbrechliches Aussehen. Von ihr hatte Raul die Augen geerbt: so voller Leben, so dunkel und mit dem Glühen versteckten Feuers. Die Prinzessin streckte ihr eine Hand entgegen, das Blitzen ihrer Ringe war so gebieterisch wie die Forderung, sich neben sie zu setzen. Janna gehorchte und fand sich diesen dunklen Augen gnadenlos ausgeliefert, die Rauls so ähnlich waren. Sie sahen sie eine Weile forschend an. "Ich hoffe, Sie haben keine Angst vor mir?" Die Stimme war überraschend tief für eine so zerbrechlich aussehende Frau. "Ich bin nervös, Prinzessin", musste Janna zugeben. "Don Raul hat Ihnen über mich erzählt, also wissen Sie, dass all dies - ein Gast hier zu sein, Sie kennenzulernen - mich in eine schwierige Lage bringt. Ich weiß nicht, wie ich mich benehmen soll." "Sie benehmen sich sehr gut, mein Kind - ausgenommen in einer Hinsicht. Und darüber möchte ich mit Ihnen sprechen. Aber zuerst brauchen Sie eine Erfrischung. Möchten Sie ein Glas Pfefferminztee oder Limonade? Vielleicht sogar etwas Mandelmilch?" "Limonade, bitte." Die Prinzessin lächelte, als hätte sie diese Antwort erwartet, und klatschte in die Hände. Fatima erschien fast sofort mit einem Tablett aus gehämmertem Kupfer. Darauf standen eine Karaffe Limonade mit einem Eisfilter, schlanke Gläser in Silberständern und eine Silberkanne, die Sahne zu enthalten schien. Es war Mandelmilch. Fatima goss ein Glas damit voll und gab es der Prinzessin. Dann goss sie Janna kühle Limonade ein und zog sich ebenso lautlos zurück, wie sie hereingekommen war. Jetzt wurde es ernst. Janna blieb mit der Prinzessin allein. Sie hatte Angst davor, ein Opfer ihres Charmes zu werden. Sie musste auf der Hut sein, sonst konnte es ihr nur allzu leicht passieren, dass sie ihr ihre Liebe zu Raul gestand. Das mochte für die Prinzessin Grund genug sein, ihn mit ihr zu verheiraten. "Sie müssen nur die Freude machen und einen Kuchen versuchen, Janna. Diese hier nennen wir Gazellenhörner; das ist ein Hörn aus Blätterteig mit einer Füllung aus Sahne und Nüssen. Sie schmecken köstlich. Raul selber hat eine Schwäche für Süßigkeiten."
Jannas Wangen röteten sich leicht, als sie einen der Kuchen nahm. Es schmeckte köstlich. Sie lächelte und spürte, wie die dunklen Augen der Prinzessin Yamila das Lächeln zur Kenntnis nahmen. "Raul sagte mir, Sie seien völlig allein auf der Welt. Es muss sehr einsam sein, mein Kind, niemanden zu haben, der einem nahesteht. Das hat Sie wohl ein bisschen scheu vor den Menschen gemacht, nicht wahr?" "Ich nehme an, Prinzessin, dass es einen entweder begierig nach menschlichem Kontakt macht oder scheu davor." "Sie haben ein wenig Angst, nicht wahr? Angst davor, dass Freunde Sie verletzen könnten, weil sie Ihnen etwas bedeuten? Sie möchten sich in ihre Schale verkriechen wie ein kleiner Sandigel und sich vor dem Jäger im Manne - dem Liebhaber - verstecken?" "Ich weiß, dass man dem Leben ins Auge sehen muss." "Dem Leben, ja. Wir aber sprechen von der Liebe. Finden Sie, dass mein Enkelsohn ein gutaussehender Mann ist?" "Ich finde, dass Ihre beiden Enkel sehr gut aussehen." "Bewundern Sie Achmed?" "Man kommt gut mit ihm aus." "Ein angenehmeres Temperament als Raul, meinen Sie?" "Ja, in mancher Hinsicht." "Und in welcher Hinsicht ist Raul so schwer auszustehen, dass Sie ausschauen, als wollten Sie fortlaufen und sich verstecken, wann immer Sie in seiner Gesellschaft sind? Er hat mir erzählt, dass Joyosa durchgebrannt ist. Was für ein Unsinn! Selbst als Schulmädchen konnte sie ihre Augen nicht von ihm abwenden. Und weil sie lebhaft und hübsch war, hoffte ich, dass sie sich ineinander verlieben und heiraten würden, wenn sie zur Frau herangewachsen war. Aber Raul hat seinen eigenen Kopf. Er fügt sich manchen meiner Wünsche, doch nicht allen." Sie unterbrach sich und sah Janna nun direkt in die Augen. "Bitte sagen Sie mir, warum Sie Raul gegenüber so kühl sind." "Ich bin einfach so ..." Ein Beben war in Jannas Stimme, denn das Gespräch wurde gefährlich. "Wir sind nicht so, mein Kind. Für uns sind zärtliche Gefühle wie die Sonne; sie bereichert alles durch ihre Glut, und wir schaudern, wenn der Himmel sich bewölkt. Schrecken Sie vor einem herrischen Mann zurück? Möchten Sie lieber ein zahmes Kaninchen, das nie die Geduld mit Ihnen verliert?" Die Prinzessin lächelte ein wenig spöttisch und blickte dann auf ihr Armband. "Dies war das Hochzeitsgeschenk des Mannes, den ich geheiratet habe. Raul ist wie er." Janna saß still und aufmerksam neben der Prinzessin. Sie hörte zu, was sie über das Leben und die Liebe - und über Raul im besonderen - zu sagen hatte. Sie hätte zu gern etwas über seine Jungenstreiche und Jugendtollheiten gehört. Sie wollte plaudern wie ein verliebtes Mädchen. Doch um seinetwillen und wegen Rachael musste sie die Fremde bleiben, die zu Besuch gekommen war und wieder gehen würde. Raul musste die Frau seiner Wahl heiraten. Auch zum Besten der Menschen von El Amara. "Prinzessin, ich kann Ihren Wunsch verstehen, Don Raul glücklich verheiratet zu sehen. Aber ich glaube nicht, dass er mich hierher gebracht hat, um seine Braut zu sein." "Warum hat er Sie dann gebracht, Kind?" Die Prinzessin lächelte erheitert. "Als Zeitvertreib für seine störrische Großmutter? Um mich an Stelle meines Schützlings zu amüsieren, den er doch nie heiraten wollte?" "Sie wussten davon, Prinzessin?" "Ich kenne meinen Enkel." "Warum haben Sie ihn dann nach Frankreich geschickt, um sie zu holen?" "Ich dachte, er würde vielleicht statt dessen Rachael Corleza bringen." "Dann wissen Sie also, was er für Dona Rachael fühlt?"
Ein paar Augenblicke lang antwortete die Prinzessin nicht. Sie sah Janna einfach an, die schlank und blond gegen die Kissen des Diwans lehnte. "Was fühlt er denn für Rachael, mein Kind?" "Er liebt sie." „Sind Sie sicher?" "Sie ist sehr schön. Ich sah sie zusammen, und sie weinte, weil er sie eine Weile verlassen musste. Prinzessin, warum haben Sie ihm nie gesagt, dass Sie von seiner Liebe zu Rachael wissen? Es hätte ihm so vieles ersparen können." "Sie reden, als wollten Sie, dass er sein Glück bei einer anderen Frau findet als bei Ihnen." "Ich bin nur eine Freundin für ihn." "Und er hat Ihnen gesagt, dass Rachael mehr für ihn bedeutet als das?" "Er war so besorgt um Rachaels Wohlergehen, dass ich mir denken konnte, wie er fühlt. Liebe heißt, jemanden sicher und glücklich machen zu wollen." "Liebe ist eine Leidenschaft, mein junges englisches Mädchen. Liebe ist ein Trieb und ein Bedürfnis. Liebe ist oft mehr grausam als zärtlich. Liebe ist störrisch und verwirrend und eine Freude, die an Schmerz grenzt. Wissen Sie nichts von alledem?" "Doch." "Dann sagen Sie mir eins, mein Kind. Ich verspreche, dass ich Raul Ihre Antwort nicht verraten werde ... lieben Sie ihn?" "Bitte..." "Sie fühlen nichts für einen so hochgewachsenen, starken Mann mit solch schönen, blitzenden Augen? Ihr Puls schlägt nicht schneller, wenn er Sie ansieht?" "Man kann auch Erregung spüren, ohne zu lieben, Prinzessin." "Sehr wahr, aber in Ihren Adern fließt nicht das heiße Blut des Südens, Janna. Sie müssen lieben, oder Sie werden sich nur verschließen, wenn Sie umarmt werden. Sie sind kühl und zurückhaltend. Nur der richtige Mann wird Ihre Sinne erregen." "Es wäre töricht von mir ... mich in Don Raul zu verlieben." "Glauben Sie, dass man sich dagegen wehren kann?" "Man kann es versuchen." "Haben Sie es versucht, als ich Sie zum erstenmal mit Raul sah?" Die Prinzessin lächelte. "Ich mag Sie, Janna. Sie haben Mut und Schönheit." "Ich bin nicht schön", protestierte Janna. "Es ist sehr nett von Ihnen, das zu sagen, aber im Vergleich zu Dona Rachael..." "Ich vergleiche Sie nicht mit anderen Frauen, mein Kind. Rachael ist Spanierin. Sie beide sind so verschieden wie eine Kamelie und eine Lilie. Beide sind auf ihre eigene Weise schön ah, da sehen Sie mich mit Ihren großen, verwunderten Augen an. Sie sind zu bescheiden, Pequena. Ich bin sicher, dass Raul Ihre kühle Blondheit und Ihre Scheu anziehend gefunden hat." "Ich mag seine Neugier erregt haben", gab Janna zu. "Aber ein Mann begehrt schnell etwas und vergisst es auch schnell wieder, wenn die Liebe die Flamme nicht entzündet." "Sie sind klug, das zu wissen, Janna." "Ich möchte nicht der Ersatz für die Frau sein, die er wirklich liebt, Prinzessin." "Das werden Sie nie sein." Die beringten Hände nahmen Jannas und drückten sie beruhigend. "Das eine verspreche ich Ihnen, mein Kind. Sie verdienen es, einem Mann alles zu bedeuten. Und ich werde nicht zulassen, dass Sie mit jemandem verheiratet werden, dem Sie weniger bedeuten. Sie haben die Fähigkeit, viel Liebe zu geben, und sie darf nicht gegeben werden, ohne voll zurückgezahlt zu werden. Meine Liebe, betrachten Sie sich einfach als überaus willkommenen Gast in meinem Hause. Genießen Sie Ihren Besuch, und seien Sie versichert, Raul wird sehr bald erfahren, dass ich sein Geheimnis kenne und er meine Erlaubnis hat, die Frau seiner Wahl zu heiraten."
"Das wird ihn sehr glücklich machen, Prinzessin." Janna lächelte, obwohl es schmerzte. Sie hätte der Prinzessin leicht sagen können: "Ich möchte Ihren Enkel heiraten." Und der unerfüllbar scheinende Traum wäre vielleicht wahr geworden. Aber was hätte sie davon gehabt? Voller Zuneigung und Verehrung beugte sie ihren blonden Kopf und küsste die Hände seiner Großmutter. "Mein Kind." "Ich werde mich immer an das Haus der Granatäpfel erinnern, Prinzessin. Ich habe nie etwas Ähnliches erlebt. Sie sind alle so gut zu mir gewesen." "Sie haben in Ihrem Leben nicht allzu viel Freundlichkeit erlebt, nicht wahr? Ich bin froh, dass Raul Sie hierhergebracht hat. Der Junge hätte mir keine größere Freude machen können." Janna bemerkte den angestrengten Zug, der auf dem alten, doch immer noch schönen Gesicht dieser Frau lag, die El Amara so viele Jahre regiert hatte und jetzt bereit war, es ihren Enkel übernehmen zu lassen. Sie erhob sich leise und sagte lächelnd, dass sie nun gehen werde, damit die Prinzessin sich ausruhen könne. "In zwei Tagen haben Sie einen Geburtstag zu feiern, Prinzessin." "Und Sie glauben, dass ich mir meine Kraft einteilen muss, wie?" Die Prinzessin lächelte wehmütig. "Es gab eine Zeit, da konnte ich die ganze Nacht hindurch reden, einem Dutzend Männer den Kopf verdrehen und es im Sattel mit jedem aufnehmen. Ach, es ist ein gutes und langes Leben gewesen, voller Süße und Bitterkeit, traurig und wunderschön. Ich hoffe, dass auch Sie einmal so glücklich werden, Janna." "Ich danke Ihnen." Jannas Lächeln war ein Schmerz auf ihren Lippen, als sie den Raum verließ. Sie fühlte sich erleichtert und bedauerte es zugleich, dass ihr Gespräch mit der Prinzessin vorüber war und sie so offen miteinander gewesen waren. Also hatte diese kluge Frau die ganze Zeit über gewusst, wie es zwischen Raul und der schönen jungen Witwe stand. Janna wollte mit Achmed fort, ohne ein Lebewohl mit Raul zu riskieren. Sie wollte fliehen, während die Feier in vollem Gange war. Die Prinzessin würde verstehen und Raul bald vergessen, dass eine kleine englische Schneeflocke eine Weile seine Neugier gefesselt hatte. Sonnenlicht traf sie. Sie fand sich in einem der Innenhöfe des Hauses. Dem Aussehen einiger verwilderter Myrten nach war es ein unbenutzter Hof. Der runde Lilienteich war mit Blüten bedeckt. Ein einsamer Vogel zwitscherte in einem verblühten Granatapfelstrauch. Die scharlachroten trockenen Blätter fielen auf die alten Steinfliesen. Der Ort war genau richtig für Janna. Sie konnte schon den Beginn der Melancholie spüren, die sich einstellte, wenn man sich von jemandem trennen musste, den man liebte. Sie setzte sich auf den steinernen Rand des Bassins und berührte eine schwimmende Blüte. Sie trieb ihr aus den Fingern, und sie seufzte. Warum musste Liebe so weh tun? Warum konnte sie nicht fröhlich und sorglos sein und sicher, ihre Gefühle erwidert zu wissen? Nur eins wusste sie, dass Raul ihre einzige Liebe sein würde. Sie erhob sich und wanderte ruhelos durch den Inne nhof. Langsam nahm die Sonne am Himmel die Farbe glühender Bronze an, und um sie herum breiteten sich die exotischen Farben eines orientalischen Sonnenuntergangs aus. Janna fühlte sich unerträglich bewegt. Sie wollte gerade nach drinnen gehen, als sie Sporen klirren hörte und eine hochgewachsene Gestalt aus dem Schatten eines Torbogens kommen sah. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, denn es gab niemanden, der so war wie Raul. Überall würde sie seine geschmeidige Gestalt wiedererkennen, die breiten Schultern unter dem Reitmantel, dessen Falten bis hinunter zu dem blinkenden Stahl an seinen Absätzen fielen. Er kam zu ihr, hakte im Gehen den Mantel auf. Sie stand ganz still, wie ein gejagtes Tier, das hoffte, der Jäger würde Mitleid haben, und ließ es zu, dass er den Mantel um sie legte.
Seine Fingerspitzen berührten ihre nackten Arme. Sie schrie fast auf, denn seine Berührung durchzuckte sie bis in die Nervenenden. Sie folgte seinem Blick zu der Silbersichel, die zwischen den sich wiegenden Palmwedeln in Sic ht gekommen war. Sie schien so hell und schön wie die Augen eines Kindes, und Janna spürte, wie ein einziger Wunsch ihr die Lippen auseinanderreißen wollte: Dem neuen Mond zurufen, ihr Rauls Liebe zu schenken! Sie wusste, dass sie sich danach nie mehr etwas wünschen würde. Aber sie konnte nur lächeln, so tun, als wäre es ein Spiel, und sagen: "Ja, ich habe mir etwas gewünscht. Sie auch, Raul?" "Sie sprechen meinen Namen nicht oft ohne den spanischen Vorsatz aus", murmelte er. "Sind wir bessere Freunde geworden als früher?" Sie zuckte zusammen, denn sein Freund zu sein bedeutete, ihn mit vielen zu teilen. "Ohne Sie hätte ich El Amara nie gesehen", sagte sie. "Ich habe Ihrer Großmutter heute nachmittag gerade gesagt, wie sehr es mir hier gefällt. Es ist wie ein Traum. Selbst wenn ich die Blumen rieche, die Zikaden und die raschelnden Blätter höre, fühle ich mich noch halb verzaubert." "Also haben Sie mit Madrecita gesprochen?" Seine Stimme klang streng, als warne er sie davor, seine Chance mit Rachael zu gefährden. "Hatten Sie ein interessantes Gespräch? Und darf ich wissen, ob mein Name gefallen ist?" "Es war unvermeidlich, dass die Prinzessin Sie erwähnte, Don Raul." Janna wandte sich ihm zu, und das schwache Mondlicht zeigte ihr, dass sein Gesicht ebenso unnachgiebig aussah wie seine Stimme klang ... "Ich musste offen mit ihr sein. Um Ihret- und um meinetwillen musste ich ihr sagen, dass Sie mich nicht nach El Amara gebracht haben, um mich zu heiraten. Es war gut so! Sie verstand ... Ihre Gefühle ... unsere Gefühle über eine Heirat ohne Liebe. Sie war sehr nett zu mir. Sie bat mich, meinen Aufenthalt hier zu genießen und keine Angst zu haben, dass sie Sie zwingen würde, mich zu heiraten.“ "Davor hatten Sie Angst?" Seine Stimme hatte einen spöttischen Unterton. "Ich habe Ihnen doch selbst schon gesagt, dass Sie nie in diese Gefahr kommen würden." "Aber Sie lieben die Prinzessin. Sie machen sich Sorgen um ihre Gesundheit. Und ich hatte Angst, dass Sie ihr nachgeben könnten." "Um mir einen Eiszapfen zur Braut zu ne hmen?" Seine Stimme neckte sie, aber plötzlich umklammerten seine Hände ihre Hüften unter den Falten des Mantels. Sofort versteifte sie sich in Erwiderung seiner Berührung. Sie versuchte, sich ihm zu entziehen, doch er schlang die Arme zornig ganz um sie herum. "Sie sind nicht in Gefahr, meine widerwillige Braut zu werden", sagte er. "Also können wir uns ebensogut den Mond auf die traditionelle Art ansehen. Ein Mond, ein Garten, ein Mädchen mit geheimnisvollen Augen. Was könnte ein Mann mehr wollen? Ein Mann, der für einen Kuss nicht einmal seine Liebe versprechen muss." "Raul, bitte." "Ist es nicht so, Nina? Sie haben mir die Verpflichtung genommen, Sie zu heiraten. Also wollen wir uns erwachsen benehmen und den Augenblick genießen. Ich habe Sie schon früher einmal geküsst... habe ich Ihnen nicht gesagt, dass ich es wieder tun könnte?" "Sie sind nicht fair ... mich zu behandeln, als wollten Sie mich bestrafen. Ihre Großmutter wusste bereits, wie wir beide voneinander dachten. Nichts, was ich ihr sagte, war ihr eine Überraschung. Sie ist zu sensibel um zu wollen, dass Sie sich Ihr Leben ruinieren, indem Sie die falsche Frau heiraten. Sie wusste sogar, welche Gefühle Sie Joyosa gegenüber hegten. Ich kann mir nicht denken, dass Sie das nicht ahnten. Sie beide haben irgendein Spiel zusammen gespielt. Aber ich möchte darin keine hilflose Schachfigur sein ... Raul, Sie tun mir weh!" Seine Arme fühlten sich stahlhart an. Aber es war nicht der Schmerz, gegen den sie kämpfte, sondern die Wonne. Das Verlangen, sich hinzugeben und sich mit Küssen bestrafen zu lassen ... selbst wenn es die Küsse eines Mannes waren, der vom Zorn erregt war und nicht von der Liebe.
Er zog sie eng und hart an sich. Ihre Beine hätten sie nicht zu tragen vermocht, wenn er sie losgelassen hätte. Er beugte den dunklen Kopf zu ihr herunter, seine Augen durchforschten ihr Gesicht, und ein Lächeln hob seine Mundwinkel. "Schauen Sie nur recht erschreckt", spottete er. "Dieser Innenhof liegt im alten Teil des Hauses. Niemand wird uns hier sehen." "Sie benehmen sich wie ein Teufel", keuchte sie, drehte ihr Gesicht fort von seinen spöttischen, suchenden Lippen und stieß einen kleinen Schrei aus, als sie sich warm auf ihren Halsansatz pressten. Er lachte gegen ihre Lippen und brachte Sie zum Verstummen. Sie fühlte sich hilflos, als kröchen Flammen auf sie zu. Sie hätte fortlaufen sollen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Dann schien sie plötzlich zu schweben. Sie spürte, dass er sie in den Schatten des Bogengangs trug. Dort wucherte eine Heckenkirsche und bildete auf dem Boden einen dichten Teppich aus rostgoldenen Blüten, die einen betäubenden Duft verströmten. Sie fühlte sie unter sich, zerdrückt von ihrem Gewicht, als er sie darauf niederlegte. Er hielt sie fest, schmal und blass auf dem dunklen Mantel und den Heckenkirschenblüten, und sie schlug mit ihren Händen nach seinem Gesicht, seinen Schultern, seinem lachenden Mund. "Ich hasse Sie ... hasse Sie ..." "Das weiß ich", spottete er. Mit einer vorbedachten Handbewegung streifte er ihr das Kleid von der Schulter und küsste ihre zarte, reine Haut. "Davor haben Sie sich schon die ganze Zeit gefürchtet, nicht wahr? Das kleine englische Mädchen in den Klauen des Wüstenscheichs. Arme Janna! Wenn ich gewusst hätte, dass Ihr Entsetzen so groß sein würde, dann hätte ich Sie der Gnade von Madam Noyes überlassen. Ich bin sicher, sie hätte Sie wieder zurückgenommen - schließlich trifft man nicht oft ein Mädchen, das sich zur alten Jungfer berufen fühlt." "Ich würde lieber eine alte Jungfer sein als nur ein Objekt!" "Mein liebes Kind, Sie sind ein wenig zu dekorativ, um nur Objekt zu sein." "Sie wissen schon, was ich meine." "Nina, ich bin nicht zum Rätselraten aufgelegt." Seine Lippen glitten an ihrer Wange entlang zu ihrem Ohrläppchen, und die Berührung brachte sie in Panik. "Es macht Ihnen Spaß, mit mir zu spielen ... weil ich schüchtern bin und keine Geduld habe und niemanden, an den ich mich wenden könnte. Es macht Ihnen Freude, ihren Charme an mir zu erproben ... weil Sie reich und privilegiert sind und attraktiv!" "Sind Ihnen meine Küsse so zuwider?" "Ich finde sie abscheulich." Und das war die Wahrheit. Dies waren nicht die Küsse der Liebe, deshalb Waren sie ihr unerträglich. Sie erfüllten sie mit Scham, denn es verlangte sie danach, sie zu erwidern. Plötzlich begann sie zu weinen. Stürmische Tränen füllten ihre Augen und liefen ihr über die Wangen. Sie war verletzt und gequält, von Raul, von dem Mond und den Blüten und dem überraschten Ruf der kleinen Eule, die diesen Ort gewöhnlich für sich allein hatte. Heute nacht war Raul zornig mit ihr, weil sie es riskiert hatte, seine geliebte Prinzessin zu beunruhigen. Es war grausam von ihm, sie zu küssen, wenn es ihm nichts bedeutete. Sie sogar noch mehr fürchten zu lassen, während er sie, die weinte und wehrlos war, auf die zerdrückten Blüten presste. "Janna, was für ein Kind Sie doch sind." Er hob ihre Hände von den nassen Augen und begann, die Tränen mit einem großen Taschentuch abzutrocknen. "Ich hatte vergessen, dass Sie in mancher Hinsicht anders sind als die Mädchen von El Amara. Ihre Erziehung hat Sie übersensibel und unsicher gemacht." "Ich nehme an, Sie meinen naiv, Senor, aber ich habe meinen Stolz." "Ja, den haben Sie, Chica. Nun, haben die Tränen aufgehört?" "Ja, danke." "Dann kommen Sie." Er hob sie hoch und streifte die Heckenkirschenblüten von dem Mantel, in den er sie hüllte. Ihr Haar lag wie ein blasser Rahmen um ihr Gesicht mit den
unübersehbaren Tränenspuren. "Sie schauen wirklich elend aus, Janna. Als hätte ich Ihnen etwas Schreckliches angetan. Sie geben mir das Gefühl, als hätte ich Sie verletzt ... sind Sie verschrammt?" "Nein." Ihr Herz war verletzt. Zwei große Tränen sprangen ihr erneut aus den Augen, und sie wandte sich von Raul ab, damit er sie nicht sah. "Lassen Sie uns hineingehen." Seine Stimme hatte plötzlich einen kalten Unterton. "Es ist fast Zeit zum Abendessen." "Würden Sie mich entschuldigen?" "Haben Sie Angst, die Familie könnte bemerken, dass Sie geweint haben?" "Ja ... es wäre mir unangenehm." Janna war beunruhigt, von gemischten Gefühlen hin und her gerissen. Sie musste allein sein. "Würden Sie mir gestatten, in meinem Zimmer zu bleiben? Ich habe keinen Appetit und möchte nicht Fröhlichkeit vortäuschen, wenn ich das Gegenteil fühle." "Janna." "Bitte, seien Sie nett zu mir ... falls Ihnen das ohne allzu große Anstrengung möglich ist." Dann riss sie in einer Qual, die ihren Ausdruck in der Tat finden musste, seinen Mantel von den Schultern, warf ihn zu Boden und floh ins Haus, weg von ihm. Es war eine Erleichterung, endlich die Tür hinter sich zu schließen und mit ihren chaotischen Gedanken auf einen Diwan zu sinken. Sie musste fort von hier! Sie konnte es nicht mehr ertragen, Raul wiederzusehen. Aber am Morgen würde sie dazu gezwungen sein. Sie tauchte im Badewasser unter. Nach einer Weile hörte sie Schritte, doch das beunruhigte sie nicht. Es war sicher Fatima mit etwas Essen auf einem Tablett und einer Kanne köstlichen arabischen Kaffees. Sie hob einen Arm aus dem Wasser, um dem Mädchen zuzuwinken. "Ich stelle das Tablett hier auf den Hocker." Sie fuhr hoch. Das war Raul, unbeeindruckt davon, dass sie sich im Bad befand. Er machte die Miene eines Mannes, der ihr das Handtuch halten würde, falls sie herauskommen wollte. "I - Ich dachte, Sie seien Fatima!" brachte sie mühsam hervor. "Sehe ich so aus?" lachte er. „Ich kam, um Ihnen etwas zum Essen und Trinken zu bringen. Wenn Sie mir nicht versprechen, etwas zu essen, bevor Sie schlafen gehen, dann bleibe ich hier, um mich zu vergewissern, dass Sie es tun." "Sie werden gehen ... und zwar jetzt gleich!" Ihre Wangen brannten scharlachrot. Sie hielt einen Schwamm schützend an sich gepresst. Er war wirklich ein Teufel! Stand da, geschmeidig und dunkel, völlig ohne Reue über das Zwischenspiel in dem verlassenen Innenhof, und quälte sie erneut mit seinen Blicken. "Raul, bitte gehen Sie." Er lächelte. "Wenn Sie mich so hübsch bitten, muss ich vor lauter Unfähigkeit, Sie zu verlassen, hierbleiben." "Sie sind heute abend gar nicht nett zu mir." "Nein, weil ich mir Sorgen um Madrecita machte. Aber ich fand sie sehr zufrieden mit sich selbst. Sie hatte viel Spaß an dem kleinen Gespräch mit Ihnen und sagte, Sie seien ein nettes Mädchen, das mich glücklich sehen möchte. Wollen Sie das, Chica?" "Ich glaube, ja. Was wird aus El Amara werden, wenn Sie nicht bekommen, was Sie sich wünschen? Sie sind ein arroganter Mann, Raul Cesar Bey, aber es gibt keinen besseren für die Aufgabe." "Sie kleine Schwindlerin!" "Was?" Verstört starrte sie ihn an. "Sie unglaubliches Kind!" Er lachte, dass es in dem marmornen Badezimmer widerhallte. "Hatten Sie es sich wirklich in Ihren komischen kleinen Kopf gesetzt, dass ich in Rachael Corleza verliebt bin?"
"Aber Sie ... lieben sie doch." "Tatsächlich? Vielen Dank, dass Sie meinen Kopf und mein Herz besser kennen als ich selbst." "Die Prinzessin weiß, was Sie für Rachael fühlen." "Meine Großmutter hat immer gewusst, dass ich mich um meine hübsche angeheiratete Cousine kümmere. Rachael war ihrem Mann eine gute Frau, und wir alle hoffen, dass sie eines Tages wieder heiraten wird. Jemand, der so hübsch ist, sollte nicht allein sein und ohne einen Mann." "Aber -" Janna schrak in die Seifenblasen zurück, als er hereinkam und neben dem Bad niederkniete. Der Blick in seinen Augen machte ihr verzweifelt bewusst, dass ihr Mantel aus duftendem Schaum fast durchsichtig war. "Ich möchte herauskommen. Raul. Können Sie nicht vielleicht ins andere Zimmer gehen? Wir können dort miteinander sprechen." "Natürlich." Er sprang hoch und ging in den Salon. Janna kletterte aus dem Bad. Schnell trocknete sie sich ab und schlüpfte in ein Seidenkleid. Sie musste all ihren Mut zusammennehmen, um zu ihm zu gehen. Er saß bequem zurückgelehnt auf dem Diwan und goss Kaffee in zwei Tassen. "Kommen Sie." Seine Augen zogen sie zu ihm. "Eine Tasse Kaffee wird Ihre Nerve n beruhigen." "Raul ..." Die Knie wurden ihr weich, sie sank auf ein riesiges Samtkissen. "Was hat Ihre Großmutter Ihnen über mich erzählt?" "Es war ein wenig hinterlistig von ihr, Sie zu verraten, was?" "Oh, das ist mir alles unglaublich peinlich." "Ihr Kaffee, Nina, genau wie Sie ihn mögen." "Danke." Sie trank einige Schlucke zur Stärkung. "Sie glauben doch hoffentlich nicht, was Ihre Großmutter Ihnen erzählt hat?" "Wollen Sie nicht, dass ich ihr glaube, Janna?" "Es wäre wahrscheinlich besser, wenn Sie es nicht täten." "Ich dagegen halte es für überaus wünschenswert, ihr zu glauben." "Wirklich?" Ihre Augen weiteten sich und wurden von seinem Blick festgehalten. Sie saß ihm zu Füßen auf dem Samtkissen, das Haar in feuchten Locken um Schläfen und Nacken, eine schlanke, junge Sklavin ihrer Gefühle, die sie kaum noch im Zaum zu halten vermochte. "Möchten Sie nicht wissen, warum ich glauben möchte, was die Prinzessin mir anvertraut hat?" "Sie versprach mir, Ihnen nichts zu verraten." "Ich gebe zu, dass ich ihr das Geheimnis entlockt habe ... nicht dass es einer großen Anstrengung bedurft hätte." "Und nun möchten Sie, dass ich es noch einmal sage, damit Sie lachen können!" Sie war nahe daran aufzuspringen, als er schnell ihre Hände ergriff. "Sprechen Sie nicht so zu mir, Janna, oder ich werde so gefährlich werden, wie Sie immer befürchtet haben." Raul zog sie kraftvoll, zärtlich, unaufhaltsam in seine Arme. Er streichelte ihr Haar, ihr schmales Gesicht, die sanfte Kurve ihrer Schulter. "Warum haben Sie Angst vor mir, Nina? Ich liebe Sie doch nur." "Raul - " "Ich habe Sie schon von dem Augenblick an geliebt, als Sie mich aus diesen riesigen, nach Zuneigung hungernden Augen ansahen. Kleine Vagabundin. Vom Strand bis Benikesh und von der Wüstennacht bis heute abend in dem alten Innenhof haben Sie um jeden Zentimeter mit mir gekämpft. Warum, um Himmels willen?" "Weil ich dachte, Sie liebten Rachael." "Habe ich Sie nicht davor gewarnt, Ihrer Einbildungskraft die Zügel schießen zu lassen?" Er schüttelte sie ein wenig und holte sie dann noch näher an die warmen Muskeln unter dem
seidenen weißen Hemd. Warmhäutiger, goldener, schrecklicher Mann. Mit einem unzusammenhängenden Gemurmel vergrub sie ihr Gesicht an seiner Brust. "Sie haben mich nicht wie ein Mann geküsst, der sich etwas daraus machte, Raul. Sie waren grausam." "Und Sie waren kühl ... zu kühl für meinen Wüstengeschmack." Er hob ihr Kinn, zwang sie, ihn anzusehen, während er tief in ihren Augen las. "So war es für Sie also beschlossene Sache, dass ich der Bräutigam Rachaels sein sollte. Aber sie wäre höchst alarmiert, wenn sie davon erführe. Sie hält mich für einen schrecklichen Tyrannen. Ihr Mann war sehr viel mehr wie Achmed." Janna zuckte zusammen, als er Achmed erwähnte. Achmed, der so sicher gewesen war, dass sie nicht die Richtige für Raul war. Hatte er recht? Sollte sie immer noch weglaufen, wie geplant? "Raul, würden wir miteinander auskommen ... Sie und ich?" "Wie Honig und Toast, mi Querida", lachte er und küsste sie auf die Nasenspitze. "Wie Feuer und Schnee." "Soll das heißen, dass ich für Sie schmelzen muss?" "Mmm." Er beugte den Köpf und küsste sehr lange ihre Lippen, zärtlich, liebkosend, besitzergreifend, aber nicht mehr verletzend und zornig. "Schmelze und sei süß, meine Janna. Ich will dich so sehr. Ich will dich lieben, dich beschützen, dir zeigen, was es heißt, zu jemandem zu gehören. Ich möchte, dass die Prinzessin am Abend ihres Geburtstages unsere bevorstehende Heirat bekanntgibt. Es wäre das schönste Geschenk, das wir ihr machen könnten." Janna holte tief Luft. Sie war noch immer ungläubig. Aber ganz allmählich fasste sie Vertrauen in die warme, wundervolle Wirklichkeit seiner Liebe. Sie lag in seinen Augen. Sie war für sie bestimmt, wenn sie nur den Mut aufbrachte, danach zu greifen, die Liebe Raul Cesar Beys, des nächsten Gouverneurs von El Amara. Im Haus der Granatäpfel. "Dann wollen wir der Prinzessin ihr Geschenk geben", sagte Janna scheu. "Ich würde dich gern heiraten, wenn du mich wirklich willst." "Soll ich dir zeigen wie sehr, Janna?" Seine Augen lächelten auf sie herab. "Wirst du es aushalten, oder brauchst du erst etwas zu essen, um dich zu stärken?" "Was hast du mir gebracht?" "Alles, was du am liebsten magst ... einschließlich mich selbst." "Arroganter Mensch!" "Aber du liebst mich darum. " "Mehr, als du verdienst." Sie schlang die Arme um ihn. "Es war niemals wahr, dass ich Angst vor deinem Verlangen hatte, Raul. Ich hatte nur Angst, dich zuviel zu lieben und nicht wiedergeliebt zu werden. Ich glaubte so fest an meine Geschichte von dir und Rachael. Ich frage mich nur, warum?" "Ich denke, es war eine Abwehrreaktion mir gegenüber." Er lächelte und hielt sie fest an sich gepresst. "Eine instinktive Flucht in die Phantasie, weil du Angst hattest vor dem Wüstenscheich in mir." Er lächelte ihr in die Augen und versprach ihr, dass sie bald verheiratet sein würden, und sie fühlte, dass sie keine Zweifel mehr über ihre gemeinsame Zukunft zu haben brauchte. Er hatte sie und all ihre Ängste bezwungen. Sie erinnerte sich an Kleinigkeiten, die er in der Wüste zu ihr gesagt hatte, Dinge, die sie in ihrer Naivität nicht richtig verstand. Selbst damals schon hatte er ihr zu sagen versucht, dass er sie liebte. "Raul, ich bin so furchtbar glücklich", rief sie leise. Und mit selbstvergessenem Lächeln gab sie sich seinem Kuss hin. -ENDE-