Heute Nacht und dann für immer Robin Wells Bianca 1233 23/2 2000
scanned by suzi_kay
1. KAPITEL "Was soll das heißen,...
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Heute Nacht und dann für immer Robin Wells Bianca 1233 23/2 2000
scanned by suzi_kay
1. KAPITEL "Was soll das heißen, wir haben keinen Sprecher?" Harold Walker blickte nervös über die Studiokamera zu Jamie hin. Er wies auf die Uhr, die an der Wand des verdunkelten Fernsehstudios hing. "In neunzehn Minuten gehen wir auf Sendung! Wo zum Teufel ist Todd?" Jamie versuchte, die aufkommende Panik zu unterdrücken, und stieg über die am Boden liegenden Kabel. "Du weißt doch, wie Todd ist, er kommt vermutlich im letzten Moment." Harold schnaubte verächtlich. "Ja, ich weiß, wie er ist. Wahrscheinlich schläft er wieder mal seinen Rausch aus." Der große schwarze Zeiger bewegte sich unaufhaltsam auf sechs Uhr zu. "Hör mal. So spät ist Todd noch nie gekommen! Was ist, wenn er gar nicht auftaucht?" Jamies Puls raste. Das Gleiche hatte sie sich auch schon gefragt. Als Produzentin für die Morgennachrichten des Fernsehsenders KFS war sie verantwortlich. Nervös kaute sie an ihrer Unterlippe. Beim ersten Anzeichen dafür, dass Todd zu spät kommen könnte, hätte sie für Ersatz sorgen sollen. Er kam fast immer zu spät, hatte aber noch nie eine Sendung verpasst. Nun sah es ganz danach aus, als wenn er überhaupt nicht auftauchen würde, und sie hatten keine Zeit mehr, einen Ersatz aufzutreiben. Du lieber Himmel, wieso musste das ausgerechnet heute passieren! Der Medienberater, den der Generalmanager
angeheuert hatte, um die Einschaltquoten zu erhöhen, war am Vorabend angekommen und sollte heute mit seiner Arbeit beginnen. Als Erstes würde er garantiert den Fernseher einschalten, Kanal drei. Deshalb wollte Jamie natürlich gerade jetzt einen guten Eindruck machen! Sie hatte nämlich vor, ihm eine wöchentliche Sendung vorzuschlagen, durch die schwer vermittelbare Adoptivkinder Pflegeeltern finden sollten. Zu diesem Thema hatte sie schon eine Geschichte in die Morgennachrichten geschmuggelt, mit der sie ihm das Konzept schmackhaft machen wollte. Aber erst einmal musste sie dafür sorgen, dass es überhaupt Nachrichten gab! Was würde Stone in einer solchen Situation machen? Das fragte Jamie sich immer, wenn sie bei der Arbeit ein Problem hatte. Ihr Exmann war ein absoluter Nachrichten-Profi, der nie um eine Antwort verlegen war. Schon der Gedanke an ihn half ihr oft, eine Lösung zu finden. Das einzig Negative war, dass sie, wann immer sie an Stone dachte, gefühlsmäßig ins Schleudern geriet. "Ist denn sonst niemand da?" fragte sie den Kameramann. "Ein Reporter? Einer vom Wetterdienst?" Harold schüttelte seine graue Mähne. "Vor ein paar Minuten war ich in der Kantine, da war keine Menschenseele. Nur du und ich, der Regisseur und der Techniker sind da." So früh am Morgen hatte immer nur die Basismannschaft Dienst. Jamies Magen zog sich nervös zusammen. Eine Produzentin, die eine Sendung platzen ließ, konnte gleich gehen! Und in einem kleinen Ort wie hier in Fairfield, in Texas, waren Fernsehjobs nicht gerade üppig gesät! Jamie musste eine Entscheidung fällen. Leider kam ihr nur eine einzige Idee, und schon der bloße Gedanke daran ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. "Sieht ganz danach aus, als musste ich die Nachrichten selbst verlesen", sagte sie mit gespielter Fröhlichkeit.
Jamie versuchte den erstaunten Gesichtsausdruck des Kameramannes zu ignorieren und eilte in die Maske nebenan. Ob Harold so entsetzt war, weil sie kaum Erfahrung hatte oder weil sie nicht gut genug aussah? Ausgeblichene Jeans und ein altes Sweatshirt waren nicht gerade die passende Kleidung für einen Nachrichtensprecher, aber das war noch ihre geringste Sorge! Was der Kameramann nicht wusste, war die Tatsache, dass sie bei der Vorstellung, in der Öffentlichkeit zu sprechen, vor Angst beinahe starb! Nein, das stimmt nicht ganz, dachte sie, während sie eine Bürste vom Schminktisch nahm und ihr schulterlanges blondes Haar zu einem Pferdeschwanz kämmte. Sie hatte Angst zu stottern! "Du hast es doch überwunden", sagte sie aufmunternd zu ihrem Spiegelbild. "Du hast seit Jahren nicht gestottert! Bleib ruhig, denk nur an das, was du liest, dann wird schon alles glatt gehen." Die Wahrheit war allerdings, dass sie es seit über zehn Jahren nicht mehr ausprobiert hatte. Sie nahm einen Lippenstift vom Bord. "Du schaffst es!" flüsterte sie. "Du bist jetzt Produzentin, musst eine Sendung in Gang bringen und darfst die Kinder nicht im Stich lassen." Der letzte Gedanke gab ihr Kraft. Als sie mal eine Geschichte über elternlose Kinder gedreht hatte, lernte sie das Waisenheim von Fairfield kennen. Da gab es Dutzende von Kindern, die darauf warteten, adoptiert zu werden, und Jamie war entschlossen, diesen Kindern zu helfen. Der Lippenstift war knallig rot, eine Farbe, die sie normalerweise nicht benutzte. Sie wollte ihn gerade wieder abwischen, aber ein Blick auf die Uhr ließ sie ihre Meinung ändern.
An der Garderobe des Umkleideraums hingen ein paar Kleidungsstücke. Eilig zog Jamie ihr Sweatshirt aus und statt dessen eine weiße Bluse an. Noch sechs Minuten bis zur Sendung, Gerade Zeit genug, um in den Senderaum zurückzugehen, einen Blazer überzuziehen und an den Platz zu eilen. "Lieber Himmel", betete sie leise, "lass Todd inzwischen da sein!" Als sie ins Studio kam und den hell erleuchteten leeren Platz sah, hatte sie plötzlich das Gefühl, ihre Füße seien schwer wie Blei. Harold winkte hektisch. "Los, los! Wir haben noch zwei Minuten, und ich muss den Ton checken!" In zwei Minuten würde sie vor einer Viertelmillion Zuschauer erscheinen! Jamie trat ins Scheinwerferlicht, setzte sich ans Sprecherpult, bog das Mikrofon mit zitternder Hand auf ihre Höhe herunter und versuchte krampfhaft, positiv zu denken. Immerhin kannte sie den Text, den hatte sie vor einer Stunde selbst geschrieben. "Los geht's, Mikrofon-Check", verlangte Harold. "Eins, zwei, drei." Das klang zögerlich und unsicher. Jamie räusperte sich und versuchte es noch mal. "Eins, zwei, drei." Harold nickte zufrieden. "Ja, ich hab's." "Noch eine Minute!" kam es über die Sprechanlage. Jamie zuckte zusammen. Obgleich die Einminutenwarnung aus der gläsernen Kontrollkabine oberhalb des Studios bei jeder Nachrichtenlesung stattfand, kam sie ihr auf einmal vor wie eine Katastrophenmeldung. "Alles in Ordnung?" fragte Harold. "Du siehst so blass aus!" Jamie nickte nur, sie wagte nicht zu sprechen. Die Scheinwerfer waren glühend heiß, doch ihr lief es kalt über den Rücken. "Unterm Tisch steht ein Glas Wasser", informierte Harold sie hilfsbereit. Jamie nahm dankbar einen Schluck, aber irgendwie rann ihr das Wasser den Hals hinunter, ohne ihn zu befeuchten. Ihr Herz
schlug so laut, dass sie fürchtete, man könnte es durchs Mikrofon hören. Was hatte ihr die Logopädin damals gesagt? "Denk nur an das, was du sagen willst, und nicht daran, wie es klingt." Sich auf den Inhalt zu konzentrieren und nicht auf die Form, das war der Trick. Jamie hatte ihre Konzentrationsfähigkeit derart verfeinert, dass ihre Großmutter manchmal klagte, sie verfalle geradezu in Trance. "Noch dreißig Sekunden!" rief der Studioleiter. Jamie legte die Papiere vor sich zusammen, blickte angestrengt darauf und versuchte, an den ersten Punkt der Berichterstattung zu denken. Die Wörter schienen jedoch zu verschwimmen wie Nudeln in der Buchstabensuppe. Panik schnürte ihr die Kehle zu. Lieber Himmel, hilf mir! betete sie still. Sie war so nervös, dass ihr der Text ganz unverständlich erschien. Den könnte sie doch niemals laut ablesen! Die Einleitungsmusik erklang. Entsetzt starrte Jamie auf den Monitor, wo der Vorspann zu sehen war. "Und nun ...", verkündete eine Ansagerin, "ist es Zeit für die Morgennachrichten mit Todd Dodson." Jamies Kopf schien wie versteinert. Sie war wie gelähmt vor Angst. Wenn Sie nicht sofort etwas tat, würde sie in Ohnmacht fallen! Plötzlich fiel ihr eine Entspannungstechnik ein, die ihr Exmann einmal erwähnt hatte, und sie griff danach wie nach dem rettenden Strohhalm. ,Stell dir jemanden in Unterwäsche vor.' Die einzige Person in ihrem Blickfeld war Harold. Die Vorstellung, wie der behäbige Mann nur in Kniestrümpfen und mit einer riesigen Unterhose, die seinen dicken Bauch überspannte, im Studio stand, half Jamie, wieder Luft zu bekommen, wenn auch zitterig. Als sie noch ein bisschen bei diesem albernen Bild blieb, gelang es ihr sogar zu lächeln.
Das rote Lämpchen der Kamera blinkte, und Harold wedelte mit seinem Arm auf und nieder wie beim Flaggenmann eines Autorennens. Jamie schaute in die Kamera und bemühte sich, im grellen Licht nicht zu blinzeln. "Guten Morgen, ich bin Jamie Erickson. Anstelle von Todd Dodson verlese ich heute früh die Nachrichten." Als dreißig Minuten später das rote Lämpchen erlosch, ließ Jamie sich erleichtert in den Stuhl zurückfallen. "Gut gemacht, Kleines!" rief Harold. Gut? Grauenhaft war wohl eher die korrekte Bezeichnung! Jamie hatte sich so auf den Inhalt der Geschichten, konzentriert, dass sie völlig vergessen hatte, was sie da eigentlich tat. Bestimmt war alles ganz amateurhaft gewesen. Ihr waren Tränen in die Augen geschossen, als sie den Bericht über die Waisenkinder gelesen hatte, die auf eine Adoption warteten. Ihre Stimme war zitterig geworden, als sie von den Nöten einer obdachlosen Familie berichtet hatte, und als e£ um die Verschwendung von Steuergeldern ging, hatte sie vermutlich gewirkt wie eine Furie. Nicht gerade das Verhalten eines sachlichen Nachrichtensprechers! Der Generalmanager würde sicher schimpfen. Jamie konnte nur hoffen, dass der neue Medienberater ein Langschläfer war. Sie lächelte gequält. "Danke für deine Hilfe, Harold." Sie dachte an sein Bild in Unterhosen. Harold würde nie erfahren, wie sehr er ihr geholfen hatte! "Danke, Leute!" rief sie dem Techniker und dem Regisseur zu, als die beiden aus der Kontrollkabine kamen. Harold drückte die Schutzkappe auf das Objektiv der Kamera und schaute zur Uhr. "Zeit für eine Pause, gehst du mit frühstücken, Jamie?" "Nein, danke, ich bin viel zu nervös, um etwas essen zu können. Ich glaube, ich bleibe noch hier und versuche, mich ein bisschen zu entspannen." Es kam ihr vor, als hätte sie gerade
einen doppelten Marathon gelaufen. "Ich werde vielleicht mal die Dusche ausprobieren." Harold stellte die Scheinwerfer aus, dann schloss sich die schwere Studiotür hinter ihm. Plötzlich war alles dunkel und still. Endlich konnte Jamie in Ruhe über die ganze Situation nachdenken. Sie hatte es getan! Bestimmt war es nicht gerade großartig gewesen, aber sie war auf Sendung gegangen und hatte nicht gestottert! Die Anspannung in ihrem Körper ließ nach, und das Staunen über das, was sie gemeistert hatte, verwandelte sich in tiefe Zufriedenheit. Sie hatte es wirklich geschafft! Stolz verließ Jamie das Studio und ging den Flur hinunter. Sie hatte ihren ganz persönlichen Dämon herausgefordert und hatte gewonnen! Ein herrliches Gefühl! Ihr Schritt wurde immer fröhlicher, und als sie die Tür des Umkleideraums hinter sich geschlossen hatte, begann sie regelrecht zu tanzen. "Ja!" jubelte sie und warf die Jacke über den Make-up-Spiegel. Eilig knöpfte sie die Bluse auf und schleuderte sie übermütig herum, bis sie auf dem Garderobenhaken landete. Als Jamie gerade den BH öffnen wollte, sang sie: "Ich bin eine Frau..." "Und was für eine!" Erschrocken hielt sie inne. Die Stimme kam ihr doch bekannt vor? Sie drehte sich hastig um. Und da stand er, groß und breitschultrig, in der dunkleren Ecke des Raums, mit einem amüsierten Lächeln um die vollen Lippen. Seit drei Jahren hatten sie sich nicht mehr gesehen. Doch sein Gesicht geisterte noch immer durch ihre Träume. Ihr Exehemann, der frech und verführerisch grinste. Jamie brauchte eine Weile, bis sie wieder etwas sagen konnte. "Stone!" brachte sie schließlich heraus. "Was machst du denn hier?"
"Ich wollte hier warten, um mit dir zu sprechen." Das so vertraute Grübchen trat auf sein Kinn. Jamie versuchte noch immer zu begreifen, dass Stone leibhaftig vor ihr stand. Als ihr einfiel, dass sie wenig anhatte, schlug sie verlegen die Hände vor die Brust. Er lachte, und seine makellosen Zähne waren zu sehen. "Keine Sorge, Jamie, du hast nichts, was ich nicht schon gesehen hätte", bemerkte er mit einem bewundernden Unterton in der Stimme. Ihre Wangen wurden warm, aber sie versuchte zumindest, lässig zu wirken. "Ich habe nichts, was du je wieder sehen wirst", erklärte sie kühl, griff nach ihrer Jacke, drückte sie vor die Brust und versuchte mit der anderen, den BH zu schließen. "Entspann dich, Jamie", sagte er dicht hinter ihr und machte den Verschluss ihres BHs zu. "Ich wollte dich nicht erschrecken." Als seine Hände ihre Haut berührten, rann ihr ein Schauer über den Rücken. Sobald er fertig war, wich sie zurück. Verdammt noch mal, sie waren seit drei Jahren geschieden, und Stone hatte kein Recht, sie noch so nervös zu machen! Schon wegen der Nachrichtensache war sie noch ein Nervenbündel und nun auch noch das! Kein Wunder, dass sie Herzklopfen hatte! Sie hatte die Jacke noch immer an die Brust gedrückt, schaffte es aber irgendwie, in die Ärmel hineinzukommen. Falsch herum allerdings. "Ah, das ist wohl eine ganz neue Mode", scherzte er. Jamie war rasend wütend. "Und ich sehe, dass dir deine sonst so guten Manieren abhanden gekommen sind. Was fällt dir ein, hier einfach hereinzuschneien und mich zu Tode zu erschrecken?" Sie verschränkte die Arme vor der Brust. "Was willst du hier überhaupt?" Stone setzte sich auf die Kante des Schminktisches und lächelte breit. Dieses Lächeln ..., dachte Jamie. Zu ihren Bedauern wirkte es noch immer!
"Ich bin als Berater hier", erklärte er. "Die Firma möchte mit dem Sender in den Markt gehen, aber um einen guten Preis zu erzielen, müssen erst die Einschaltquoten erhöht werden. Ich bin hier, um herauszufinden, wie." "Ach, ich dachte, du bist Nachrichtenredakteur in Seattle." Jamie war völlig verwirrt. "Das war nur eine Stufe auf der Karriereleiter. Du weißt ja, wie es in der Medienindustrie ist." Das wusste Jamie tatsächlich nur allzu gut. Hauptsächlich die "vielen Versetzungen hatten Probleme in ihrer Ehe verursacht. "Jetzt arbeitest du also für eine Firma, die Unternehmensberatung macht." "Nein, ich habe im vergangenen Jahr meine eigene Firma gegründet, und das ist mehr als nur Beratung. Ich habe mich auf das Direkt-Management im Nachrichtenbereich spezialisiert." Seine eigene Firma! Na ja, das dürfte sie eigentlich nicht überraschen, Stone war immer äußerst ehrgeizig gewesen. Das war der Hauptgrund für ihre Trennung gewesen. Jamie hätte keine Lust, den Rest ihres Lebens hinter seiner Karriere die zweite Geige zu spielen. Sie hatte schon erlebt, wie ihre Mutter mit einem arbeitswütigen Vater geschlagen war, das wollte sie sich selbst ersparen! "Was heißt Direkt-Management?" "Es bedeutet, dass ich Änderungen vorschlage und direkt mit dem Team arbeite. Bis dieser Sender einen neuen Chef bekommt, übernehme ich dessen Position." "Für wie lange?" wollte Jamie wissen. "Ein paar Monate. Bis Mai etwa." Oh, je, das hieße, ihn für eine ganze Weile jeden Tag zu sehen! Stone schien Jamies Gedanken zu lesen. "Ich hoffe, du hast nichts dagegen, mit mir zusammenzuarbeiten." "Warum sollte ich?" Sie tat gleichgültig.
Stone schaute sie mit einem langen Blick an. "Dafür gäbe es tatsächlich keinen Grund." Er ging hin und her. "Es hat mich wirklich überrascht, dass du heute die Nachrichten Verlesen hast", wechselte er das Thema. "Ich dachte, du würdest Dokumentarfilme über Kinder für PBS produzieren." Jamie setzte sich. "Das habe ich auch gemacht, aber leider ging denen das Geld aus." "Und so bist du in den Nachrichtensektor gekommen?" "Produzenten-Jobs sind in diesem Gewerbe rar." "Und woanders hast du dich nicht umgesehen?" Jamie schnaubte innerlich. Das Thema Wechseln und Umziehen war zwischen ihnen immer ein Reizthema gewesen. Stone verstand nicht, dass Jamie sich danach sehnte, einen festen Standort zu haben. "Nein, ich hatte gerade ein Haus gekauft." Er zog erstaunt eine Braue hoch. "Allein?" "Ja, wieso?" "Es könnte ja sein, dass deine Großmutter zu dir gezogen ist." "Ach so." Jamie tat, als betrachtete sie ihre Finger. Sie war irgendwie enttäuscht, dass er nicht gefragt hatte, ob sie wieder geheiratet hatte. Von ihm hätte sie das liebend gern gewusst, aber sie verkniff sich die Frage. "Nein, Grams und ich sind viel zu unabhängig, um zusammen zu leben. Mein Haus ist allerdings nur wenige Straßen von ihrem entfernt." "Wie geht es ihr?" "Sehr gut. Sie mag noch immer Vorabendserien, Talk-Shows und Komödien. Wenn sie nicht am Fernseher klebt, um die Straße zu beobachten, organisiert sie Reisen für Senioren nach Madagaskar oder Timbuktu." "Freut mich zu hören." Stone schmunzelte. "Sie ist eine tolle Person, ich mag sie sehr." Und Grams hatte Stone bewundert. Aber das würde Jamie ihm nicht erzählen!
Er lockerte die Krawatte, öffnete den obersten Knopf seines weißen Hemdes - und Jamie reagierte prompt darauf wie früher. Unwillkürlich legte sie die Hände auf den Magen. "Ich wäre beinahe umgefallen, als George Milton heute Morgen im Büro den Fernseher anstellte und ich dich am Sprecherpult sah", sprach er völlig gelassen weiter. Jamie erschrak. "Hast du etwa zusammen mit Milton die Nachrichten angeschaut?" "Ja, und er war genauso erstaunt, dich dort zu sehen, wie ich." "Kann ich mir vorstellen." Jamie nagte an ihrer Unterlippe. "Ich kann es erklären. Unser Sprecher ist nicht erschienen. Ich hätte um Ersatz bitten sollen, dachte aber bis zum letzten Moment, dass er noch auftauchen würde und ..." "Genau wie ich fand er, dass du großartig warst." "Wie bitte?" Stone nickte. "Du warst geradezu genial." "Hör auf, dich lustig zu machen." "Das tue ich nicht! Du wirktest interessiert und engagiert und warst völlig bei der Sache." "Komm schon, Stone, ein Nachrichtensprecher, soll eigentlich sachlich und objektiv sein." "Wer sagt das?" "Na ja, das weiß man einfach." "Wenn die Anrufe, die heute Morgen kamen, ein Hinweis sind, kann man daraus schließen, dass die Leute es satt haben, die schlimmsten Nachrichten sachlich und trocken aufgetischt zu bekommen." Jamie staunte. "Es gab Anrufe?" "Ja, und zwar unglaublich viele. Es begann nach der ersten Werbepause und ging immer weiter. Als die Sendung zu Ende war, hörte es gar nicht mehr auf." Er lächelte. "Du hast Ausstrahlung, Jamie, und das kommt rüber! Du könntest einen
Job als Sprecherin bei einem großen Sender bekommen. Vielleicht sogar überregional." Jamie erstarrte. "Nicht jeder teilt deine Meinung über das, was man unter Erfolg versteht, Stone. Zufällig gefällt es mir, Produzentin zu sein. Und sobald sich eine Gelegenheit bietet, möchte ich wieder etwas für arme Kinder tun." Stone seufzte. "Ich ahnte, dass du das sagen würdest." Er rieb sich die Wange. "Ich mag es dir gar nicht sagen, Jamie, aber ich habe gerade dafür gesorgt, dass du befördert wirst." Jamie stand mucksmäuschenstill da. Hatte sie richtig gehört? "Ich habe vorgeschlagen, dass du die neue Sprecherin für die Morgens- und Mittagsnachrichten wirst." Wie bitte!? Sie konnte es nicht fassen. "Das glaube ich nicht!" "Heißt das, du machst es, oder nicht?" "Nun komm schon, Stone. Du weißt, was ich davon halte, in der Öffentlichkeit zu sprechen." "Hast du noch immer Angst, du könntest stottern?" Verdammt noch mal, dass sie stotterte, war ihre Privatsache! Dass ein alter Schulkamerad es mal in Stones Gegenwart erwähnt hatte, hieß noch nicht, dass es ein echtes Problem für sie bedeutete. Sie hatte es während ihrer Ehe immer vermieden, darüber zu sprechen, und im Sender sollte es schon gar nicht bekannt werden! Wenn die Leute wüssten, dass sie stotterte, würden sie nur darauf warten, dass sie es tat, und genau dann passierte es! Jamie ballte die Fäuste. Schnell behauptete sie: "Nein, natürlich nicht." Irgendwie schien Stone ihr ihre mühsam gespielte Gelassenheit abzukaufen. "Ich habe es auch nie geglaubt, denn als wir zusammen waren, hast du nie gestottert." Plötzlich legte er ihr von hinten die Hände auf die Schultern. "Du bist ja ganz verspannt." Er massierte ihre Muskeln.
Immer hatte Stone genau gewusst, wo und wie er Jamie anfassen musste, damit sie sich entspannte. Eigentlich sollte sie verlangen, dass er sie losließ, aber sie saß wie angewachsen da, unfähig, sich zu bewegen. Sein Streicheln brachte sie in einen träumerischen Zustand. Als sie spürte, wie er mit seinen Fingern weiter oben knetete, beugte sie unwillkürlich den Kopf nach vorn. Es war einfach herrlich, und ein paar Augenblicke würden bestimmt nicht schaden. Sie schloss die Augen und atmete den vertrauten Duft nach Seife und Rasierschaum ein, der romantische Erinnerungen weckte ... Stone, wie er sich das Kinn einschäumte, nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Wie sie beide vorm Badezimmerspiegel standen, wie sie mit Rasierschaum herumspielten, was dann in einem heißen Liebesakt unter der Dusche geendet hatte... Als sie die Augen wieder öffnete, stellte sie fest, dass Stone sie im Spiegel beobachtete. Verwirrt wendete sie den Blick ab. "Natürlich bin ich verspannt. Auf Sendung zu gehen hat mich so nervös gemacht, dass ich mir Harold in Unterwäsche vorstellen musste, um es zu überwinden." Stones Lachen war so herzlich wie früher, und er fuhr fort, sie zu massieren. "Der alte Trick mit der Unterwäsche, wie? Freut mich, dass ich dir etwas Nützliches beigebracht habe." Oh, ja, er hatte ihr allerlei beigebracht. Ihre Ehe hatte nur ein Jahr gehalten, aber die Erinnerungen daran würden nie verblassen. Jamie genoss den Druck seiner Hände. Ihre Gedanken schweiften ab in die Vergangenheit. Auch damals hatte Stone ihre Schultern massiert, aber dann schob er ihr die Träger ihres gelben Sommerkleides herunter, küsste sie, und sie spürte seinen kraftvollen Körper ... Heißes Verlangen durchflutete sie plötzlich. Sie hatte völlig vergessen, wie leicht Stone sie immer erregt hatte.
Auf einmal wurde Jamie bewusst, dass er sich mit seinen Händen schon bis unter ihre Jacke vorgetastet hatte. Du liebe Zeit, da träumte sie vor sich hin und verfiel erneut seinem Zauber! Jamie richtete sich unvermittelt auf. "Vielen Dank für die Massage. Aber was die Empfehlung für den Job angeht - nein, danke." Mit diesen knappen Worten erhob sie sich. "Die meisten würden für eine solche Chance alles geben, Jamie." "Ich bin eben nicht wie die meisten Menschen. Ich passe eher in den Hintergrund, nicht ins Scheinwerferlicht. Dafür bin ich viel zu schüchtern." "Selbst routinierte Sprecher haben Lampenfieber, wenn sie vor die Kamera treten, das ist ganz normal." Er lächelte. "Und was deine Schüchternheit angeht, so erinnere ich mich an Momente, in denen du alles andere als schüchtern warst." Die Temperatur im Raum schien schlagartig anzusteigen. Das Gespräch musste auf ein sichereres Thema gebracht werden, und zwar sofort! "Der Sender hat schon einen Sprecher: Todd Dodson." "Dieser Dodson hat heute Morgen einen Kündigungsgrund geliefert. Wenn er wegen seines Fehlens nicht rausfliegt, wird er zumindest zum Report herabbefördert." Stones Gesichtsausdruck zeigte, dass er sich zu etwas entschlossen hatte Und dass nichts ihn von dieser Meinung wieder abbringen könnte. Wenn Jamie ihn überhaupt vom Gegenteil überzeugen wollte, musste sie es sofort tun. "Ich habe eine Idee, wie man die Quote anheben könnte. Du solltest sie dir anhören, bevor du etwas so Drastisches entscheidest. Es gibt da ein Waisenheim mit Kindern, die schwer vermittelbar sind, da sie nicht der Vorstellung süßer Neugeborener entsprechen. Kinder, die schon älter sind oder behindert. Sie sind sehr lieb, und ich glaube, wenn sie im Fernsehen vorgestellt würden, könnte man ein neues Zuhause
für sie finden. Du hast selbst gesagt, dass die Leute es leid sind, negative Nachrichten von gleichgültigen Sprechern zu hören. Vielleicht sind sie nur das Gefühl leid, nichts tun zu können. Wenn wir ihnen zeigen, wie sie helfen können, tun sie es möglicherweise." "Du hast also noch immer eine Schwäche für Kinder, Tiere und sozial Benachteiligte", stellte Stone mit weicher Stimme fest. "Das gehört zu den Dingen, die ich besonders an dir mochte." Mochte, hatte er gesagt, also Vergangenheit. Jamie wurde die Kehle eng. Aber was erwartete sie denn? Schließlich waren sie geschieden. Außerdem: Wenn auch ihm Kinder und Tiere wichtig waren, wieso hatte er sich nie ein festes Zuhause suchen und sich welche anschaffen wollen? "Ich glaube, eine regelmäßige Sendung würde eine Menge Zuschauer interessieren", fuhr sie fort. "Man könnte es ja wenigstens mal versuchen." "Ich kenne ähnliche Konzepte aus anderen Bereichen", antwortete er. "Sie sind durchaus nützlich, haben aber selten Wirkung auf die Quoten. Ganz anders, als die richtige Person zur Nachrichtensprecherin zu machen." "Ich glaube, dass es den Leuten in unserem Sendebereich gefallen würde, etwas Positives zu sehen, besonders wenn wir daraus eine Art Fortsetzungsgeschichte machen würden." Die Jacke rutschte, und Jamie schob sie mit einem Arm zurück. "Jedenfalls bin ich nicht die richtige Person für die Nachrichten." "Oh, doch, das bist du. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand eine solche Wirkung hatte." Jamies Großmutter pflegte zu sagen, dass Stone beharrlich war wie ein Hundefloh. Diese Eigenschaft hatte er offensichtlich kein bisschen verloren. Jamie wusste nicht mehr, wie sie ihn noch von seiner Idee abbringen konnte. "Das war reiner Zufall, Stone, und es würde nicht wieder passieren. Wenn man mich zur
Sprecherin macht, wird mir innerhalb einer Woche gekündigt. Und dann?" "Du kannst ja zur Bedingung machen, dass du deinen alten Job wiederbekommst, falls es nicht klappt. Das kann man vertraglich festlegen. Außerdem - wenn es dir so sehr am Herzen liegt, eine Sendung über Kinder zu machen - könntest du auch das zur Bedingung machen." "Du verstehst mich nicht: Ich möchte keinen Vertrag unterzeichnen!" "Hast du jetzt etwa keinen?" "Doch, natürlich." "Wenn es der Standardvertrag ist, heißt es darin, dass du .professionelle Arbeit' für eine bestimmte Zeit zu liefern hast. Ob man dich nun als Produzentin oder Nachrichtensprecher oder Toilettenfrau einstellt - du musst die entsprechende Arbeit liefern. Es sei denn, du gehst vor Gericht, um aus dem Vertrag herauszukommen. " Stone empfahl ihr nicht, den Job anzunehmen. Nein, er zwang sie regelrecht dazu! Jamie saß in der Falle. Und das machte sie wütend. "Stellen wir doch noch einmal klar: Auf Grund deines Vorschlags möchte man mich als Nachrichtensprecherin, wird mich aber weiterhin wie eine schlichte Produzentin bezahlen?" "Nein. Du bekommst einen neuen Vertrag." Er nannte ein Gehalt, bei dem ihr ganz schwindelig wurde. Schön, das Gehalt war also akzeptabel. Na und? Um Geld ging es ihr nicht. Es ging darum, dass sie sich nicht zu etwas zwingen lassen wollte, was überhaupt nicht zu ihr passte! Zornig blickte Jamie ihn an. "Ich möchte es aber nicht!" "Ich zwinge dich nicht." "Aber du bist der Berater, und man wird deinen Vorschlägen folgen. Du hast die Leitung des Senders auf diese Idee gebracht, du kannst sie ihnen auch wieder ausreden."
"Das werde ich nicht tun, Jamie. Nachdem ich dich heute Morgen auf Sendung gesehen habe, bin ich davon überzeugt, dass du es schaffen könntest, hier alles zum Besseren zu wenden. Und ich halte es für meine Pflicht, dem Generalmanager die Wahrheit zu sagen." Stones Entschlossenheit war etwas, das Jamie immer bewundert hatte. Dennoch war sie wütend. "Was glaubst du eigentlich, wer' du bist! Du schneist hier herein und stellst alles auf den Kopf!" "Ich bin Berater und werde dafür bezahlt, meine ehrliche Meinung abzugeben." "Aber es ist mein Leben, in das du dich einmischst! Ich werde noch hier sein, wenn du längst wieder das Weite gesucht hast. So wie vor drei Jahren." "Nun hör mal zu, Jamie. Du hast dich von mir getrennt und nicht umgekehrt, nicht wahr? Ich wollte, dass du mit mir nach Seattle ziehst." "Stone, innerhalb eines Jahres sind wir drei Mal umgezogen, nur deiner Karriere wegen. Ich hatte gerade die Möglichkeit bekommen, meinen ersten Dokumentarfilm zu produzieren, aber du hast dir nicht mal die Mühe gemacht, mich nach meiner Meinung zu fragen, bevor du den Job annahmst, der über tausend Kilometer weit weg lag." Stones Augen wurden dunkel. "Unsere Ehe sollten wir nicht noch einmal durchkauen, Jamie. Wir waren unerfahren und ahnungslos, und das ist Vergangenheit. Es gibt keinen Grund, warum wir uns jetzt nicht vertragen sollten." Jamie atmete scharf ein. Zu unerfahren, um zu heiraten? "Oh, doch, es gibt einen triftigen Grund. Du machst genau das Gleiche mit mir wie damals: Du fällst elementare Entscheidungen für mich, ohne mich zu fragen." Stone ging in Richtung Ausgang. "Tut mir Leid, dass du damit nicht glücklich bist, Jamie. Ich habe der Sendeleitung empfohlen, was ich für das Beste halte. Dann bin ich persönlich
gekommen, um dich darauf vorzubereiten, damit du nicht aus allen Wolken fällst, wenn Mr. Milton dich zu sich ruft: Da wir in den nächsten zwei Monaten zusammenarbeiten werden, hoffe ich, dass wir uns wie zivilisierte Menschen benehmen." Mit diesen Worten ging er hinaus und schloss die Tür hinter sich. Draußen blieb er kurz stehen. Er fühlte sich weit weniger souverän, als er aufgetreten war. Es war drei Jahre her, dass er Jamie gesehen hatte, aber das hatte die Wirkung, die sie auf ihn zu haben pflegte, keineswegs gemindert. Als er sie auf Sendung gesehen hatte, hatte sein Herz wild geklopft. Und als sie in die Tür des Umkleideraums gestürmt war und wie ein Rockstar getanzt hatte, erst recht! Sie war noch dieselbe wie damals, mit diesen umwerfend blauen Augen, dem weizenblonden Haar und ihrer atemberaubenden Figur. Nicht zu vergessen ihren zwiespältigen Charakter. Aber genau das gefiel ihm an ihr. In der Öffentlichkeit wirkte sie verhalten, doch wenn sie allein waren, kam ein anderer Zug ihrer Persönlichkeit zum Tragen. Dann konnte sie temperamentvoll - und sehr sinnlich - sein. Oder alles zugleich. Der bloße Gedanke weckte die gleiche unstillbare Lust auf sie. Nein, er sollte sich lieber ihre problematischen Seiten vor Augen führen. Jamie hatte keine Ahnung, welche Anstrengung es kostete, eine solide finanzielle Basis zu schaffen, sie wusste Geld nicht zu schätzen. Vermutlich weil sie immer welches gehabt hatte. Ihre Ansprüche waren nicht hoch, und sie war stolz darauf, sich selbst ernähren zu können. Aber sie kam aus einer wohlhabenden Familie, und Stone hatte nicht vergessen, wie unterschiedlich ihrer beider Herkunft war. Viel zu verschieden, als dass sie auf Dauer zusammenpassten. Das hatte ihre schnell gescheiterte Ehe ja leider auch bewiesen. Aus dem Umkleideraum hörte er Geräusche. Stone öffnete die Tür noch einmal einen Spaltbreit. "Wie zivilisierte Menschen!" hörte er sie schimpfen. "Ich werde es dir schon zeigen!" Sie zog eine Grimasse und wackelte
mit den Fingern hinter den Ohren wie eine aufsässige Vierjährige. Stone musste innerlich lachen. Der Blazer war zu Boden gefallen, so dass sie oben herum nichts außer ihrem weißen Spitzen-BH trug, der sich perfekt um ihre vollen Brüste schmiegte. "Ich hab' dich erwischt!" Hastig griff Jamie nach ihrer Jacke. Stones Blick ruhte auf ihrem Dekolleté. "Übrigens", sagte er, "dein Temperament ist nicht das Einzige, was noch heiß ist an dir." Jamie schleuderte die Jacke nach ihm, aber er duckte sich geschickt weg. Oh, ja, das ist noch die alte Jamie, dachte er, und nicht nur sein Herz reagierte noch genauso stark auf sie wie früher. Wenn ich meinen Verstand noch beieinander habe, sollte ich lieber einen großen Bogen um sie machen, dachte er, während er in den Aufnahmeraum ging. Dass Jamie ihn damals verfassen hatte, saß ihm tiefer in den Knochen als erwartet. Das wollte er nicht noch einmal erleben! Es gab eine Menge Frauen, die um seine Aufmerksamkeit buhlten, denen es gefiel, dass er ehrgeizig war, die stolz wären auf seinen Erfolg und die nicht so taten, als sei es ein Verbrechen, wenn er hart arbeitete. Wieso fühlte er sich ausgerechnet zu der Frau hingezogen, die ihn ablehnte? Die ihn ganz eindeutig nicht wollte? Die ihn aus ihrem Leben ausgeschlossen hatte? Hatte er womöglich eine masochistische Seite an sich? Wieso sonst hatte er diesen minderwertigen Job an einem schlecht laufenden Sender in der Provinz angenommen und weit bessere Angebote ausgeschlagen? Nur um die Station wieder auf Vordermann zu bringen? Das glaubte nicht mal er selbst. Nein. Er hatte den Job angenommen, weil er gehört hatte, dass Jamie dort arbeitete, und weil er sie unbedingt wieder sehen wollte.
Warum? Vielleicht, weil er hoffte, dass ihn das Wiedersehen ernüchtern und von seinem Liebeskummer heilen würde. Vielleicht erwartete er, dass er durch eine Wiederbegegnung endlich alles verarbeiten und wieder ein normales Leben führen könnte. Er hoffte wahrscheinlich, dass Jamie in Fleisch und Blut nicht mehr so reizvoll war wie in seiner Phantasie, die ihn daran hinderte, ein Liebesleben mit anderen Frauen zu haben. Viel zu oft riss der Gedanke an sie ihn außerdem aus dem Schlaf. Vielleicht ging sein Gefühl für sie ja gar nicht so tief, noch war es so positiv wie in der Erinnerung. Vielleicht ging es ihm lediglich wie einem Preisboxer, der nicht akzeptieren konnte, dass er den Kampf verloren hatte, und darauf bestand, noch eine Runde weiterzukämpfen. Vielleicht brauchte sein Herz noch weitere Schläge, bis es endlich aufhörte, für sie zu schlagen. Was immer der Grund für sein Kommen war - nun war er hier. Und er hoffte, dass er sich endlich auch innerlich von Jamie lösen würde. Ein für alle Mal.
2. KAPITEL "Hallo, Lulu." Jamie drückte die Tür zum Haus ihrer Großmutter zu und beugte sich hinunter, um den Nacken der grauen Katze zu kraulen, die sich schnurrend an ihren Beinen rieb. Nach dem leisen Geräusch des Fernsehers und dem vertrauten Duft, der in der Luft hing, zu urteilen, befand sich Grams in der Küche, wo sie kochte und gleichzeitig ihre bevorzugte Talk-Show ansah. Jamie zog ihre Jacke aus. Sie wünschte, sie hätte die Einladung ihrer Großmutter zum Essen nicht angenommen, auch wenn es deren berühmtes Knusperhühnchen geben sollte. Sie hatte keinen Appetit. Die Aufregung wegen der Begegnung mit Stone und dem langen Nachmittag, an dem es um den neuen Vertrag gegangen war, hatte ihren Magen zu sehr in Mitleidenschaft gezogen. Wie Stone angekündigt hatte, bestand der Generalmanager des Senders darauf, dass sie den Posten des Nachrichtensprechers übernahm. Ob sie nun wollte oder nicht, sie würde die nächsten zwei Monate auf Sendung gehen. Der einzige Trost war, dass man ihr ausgezeichnete Vertragsbedingungen geboten hatte. Falls sie die Arbeit nach einer Anlaufzeit noch immer nicht mochte, könnte sie in ihren alten Job zurückgehen. Außerdem war ihr zugestanden worden, dass sie eine wöchentliche Sendung produzieren könnte, in der es um die schwer vermittelbaren Adoptivkinder ging.
Die Verhandlungen waren dennoch äußerst anstrengend gewesen. Das Schlimmste war, Stone die ganze Zeit gegenüberzusitzen. Er hatte zwar dafür gesorgt, dass diese beiden Bedingungen in den Vertrag aufgenommen wurden, aber das war ja wohl das Mindeste, was er tun konnte, nachdem er sie in diese unangenehme Situation gebracht hatte! Wie hatte er es nur wagen können, wieder in ihrem Leben aufzutauchen und alles durcheinander zu bringen? Und ihr so mühsam wiedergewonnenes seelisches Gleichgewicht zu zerstören... Jamie war völlig durcheinander, seit sie Stone wieder gesehen hatte. Er dagegen wirkte, als berühre ihn das alles kein bisschen. Vielleicht war es nur die Eitelkeit, aber der Gedanke, dass er gefühlsmäßig alles überwunden zu haben schien, irritierte sie! Dabei war sie der Meinung gewesen, es selbst einigermaßen geschafft zu haben. Oder etwa nicht? Jamie folgte Lulu in die Küche, wo die Großmutter Salatblätter in eine große Schüssel zupfte und dabei über den Rand ihrer schmalen Brille zum Fernseher schaute. Die grauhaarige alte Dame strahlte, als Jamie die Küche betrat. "Na, da ist ja unser neuer Fernsehstar!" Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und stellte den Apparat aus. Dann umarmte sie ihre Enkelin und drückte sie. "Ich bin so stolz auf dich, dass ich platzen könnte!" rief sie fröhlich. Grams war ganz fernsehversessen und begeistert von jedem, den man als eine Art Star betrachten konnte. Nach der Nachrichtensendung hatte sie Jamie gleich angerufen und zum Essen eingeladen. Dass ihre Enkelin im Fernsehen zu sehen gewesen war, fand sie so aufregend, als wäre sie selbst Kandidatin in einer Quiz-Show. Sie konnte nicht verstehen, dass Jamie über ihren neuen Job nicht entzückt war. Auch dass Stone wieder in der Stadt war, erschien ihr nur positiv.
"Du wirst ganz anders über alles urteilen, wenn ich erst einmal vor der Kamera zu stottern beginne, Grams", gab Jamie zu bedenken. Ihre Großmutter streichelte ihr die Wange. "Ach Unsinn, Kind, du hast seit Jahren nicht mehr gestottert, das ist überwunden. Vielleicht hast du genau das gebraucht, um es dir klarzumachen." Von ihrer ewig optimistischen Großmutter war ja nichts anderes zu erwarten, dachte Jamie. "Du bist schlimmer als jede Bühnenmutter, Grams." "Keine Bühnenmutter hatte je ein so talentiertes Küken wie dich. Selbst die miesepetrige Mrs. Hutchison fand dich gut. Und Harriett Myerson sagt, sie hätte mitgeweint, als dir wegen der armen Kinder die Tränen gekommen seien. Myrtle Crevins meinte, du hättest wunderbar ausgesehen, wie eine jüngere Version von Dianne Sawyer!" Jamie pickte sich ein Karottenstück aus dem Salat. Grams hatte vermutlich den halben Tag damit zugebracht, ihre Bekannten anzurufen und ihnen die Neuigkeit mitzuteilen. "Agnes hat den gesamten Damenkreis angerufen und ihnen gesagt, sie sollten den Fernseher einschalten. Und danach hat sie sie dazu angehalten, beim Sender anzurufen." Jamie, die gerade ein Stück Paprika in der Hand hatte, erstarrte. "Beim Sender anzurufen?" Grams hob erschrocken die Hand vor den Mund. "Oje, das ist mir so rausgerutscht." "Was meinst du damit, wieso hat Agnes beim Sender angerufen?" Grams beschäftigte sich eifrig mit einem Topf auf dem Herd. "Na ja, ich habe so ein bisschen Erfahrung, was Werbung betrifft. Ich war mal in einem Literaturclub dafür verantwortlich, weißt du? Und nachdem ich dich heute Morgen in der Sendung gesehen hatte, dachte ich, du könntest ein bisschen Unterstützung gebrauchen."
"Grams, wovon sprichst du? Was hast du gemacht?" Die alte Dame zuckte mit den Schultern. "Oh, nichts weiter. Ich habe nur dafür gesorgt, dass ein paar Freunde beim Sender angerufen und gesagt haben, wie gut sie dich fanden." "Das glaube ich nicht!" Grams Augen funkelten. "Oh, doch, so war es. Wir haben erzählt, wie toll wir dich fanden und was für ein Vergnügen es war, ein so hübsches Gesicht auf dem Bildschirm zu haben, und dass wir alle hofften, dass du den Job weiterhin machen würdest." Jamie ließ die Hände sinken und stöhnte laut auf. "Oh, nein, Grams ..." Ihre Großmutter schaute sie besorgt an. "Ich habe das gemacht, bevor wir miteinander telefoniert haben, Schätzchen. Ich wusste ja nicht, dass du gar nicht im Fernsehen sein magst. Du hast es so gut gemacht und sahst so hübsch aus, dass ich dachte, ich könnte deiner Karriere einen kleinen Schubs geben." Jamie ging zum Telefon, nahm den Hörer ab und hielt ihn ihrer Großmutter hin, "Bitte ruf den Sender an und sag Stone, was du getan hast", verlangte sie ernst." Grams rührte in der Tomatensoße herum. "Das geht nicht, Schätzchen." "Wieso nicht?" "Weil er nicht dort ist." Wenn ihre Großmutter sich unschuldig gab, musste man auf der Hut sein. Misstrauisch fragte Jamie: "Und woher willst du das wissen?" "Weil er auf dem Weg hierher ist. Nachdem du mir erzählt hast, dass er in der Stadt ist, habe ich ihn selbstverständlich auch zum Abendessen eingeladen." Jamie knallte den Hörer auf. "Grams! Wie konntest du?" "Wieso denn nicht? Ich dachte, er freut sich über ein leckeres, hausgemachtes Essen."
"Wieso nicht? Ich sage dir, warum. Erstens ist er mein Exmann, und ich habe nicht das geringste Interesse, wieder mit ihm Kontakt zu haben. Unsere Beziehung ist beendet, und damit Schluss." Jamie fuhr mit der Hand durch die Luft. "Zweitens zwingt er mich zu etwas, was ich nicht ausstehen kann, und meine Gefühle dabei interessieren ihn nicht im Geringsten. Und drittens - und das ist am wichtigsten - zerstört er meine Karriere. Sobald dieser alberne Kurzzeitjob vorüber ist, wird mich niemand mehr als Produzentin ernst nehmen." Grams rührte weiter in der Soße herum. "Das ist aber kein Grund, ihm kein hausgemachtes Essen zu gönnen", wandte sie milde ein. "Grams, ich weiß, was du vorhast, aber es wird nicht funktionieren. Außerdem hat er wahrscheinlich inzwischen eine Frau und Kinder." "Hat er nicht, ich habe ihn gefragt." Auf einmal hatte Jamie das Gefühl, der Boden schwanke unter ihren Füßen. Sie lehnte sich an den Tresen. Ob Stone verheiratet war oder nicht, ging sie doch gar nichts an! Und es konnte keine Rede davon sein, dass sie je wieder zusammenfanden. Ihre Ehe war gescheitert und vorüber. Sie wollte nur nicht, dass er wieder heiratete, bevor sie es tat. Außerdem war sie wütend auf ihn und nicht in der Stimmung, ihm auch noch ein glückliches Familienleben zu wünschen. "Grams, du kannst aufhören, uns wieder zusammenbringen zu wollen. Stone und ich sind für alle Zeiten getrennt." Grams schaute sie unschuldig an. "Wer redet denn davon, euch wieder zusammenzubringen? Ich versuche nur, nett zu sein." Ihr zufriedenes Lächeln sagte allerdings etwas anderes. "Aber es hat ihn interessiert zu hören, dass du keinen anderen hast." Jamie hüpfte der Magen. Im selben Moment klingelte es an der Haustür. Grams tat so, als verlange das Essen größte
Aufmerksamkeit. "Da ist er, könntest du ihm vielleicht aufmachen, Liebes?" Jamie ging zur Tür. Stone stand auf der Schwelle, in einer Hand eine Weinflasche, in der anderen eine Lederjacke, die perfekt zu seinen samtbraunen Augen passte. Er sah verwegen und wild aus - für Jamies Geschmack viel zu attraktiv. Finster blickte sie ihn an. "Ich kann es kaum glauben, dass du den Nerv hast, hierher zu kommen." "Oh, was für eine warmherzige Begrüßung!" Stone lächelte und trat ein. "Deine Großmutter hat dir anscheinend nicht erzählt, dass sie mich eingeladen hat." "Hat sie dir auch gesagt, dass ich ebenfalls da sein würde?" "Nein, aber das habe ich vermutet. Besonders nachdem sie mich über mein Privatleben ausgehorcht hat." Jamie kniff die Augen zusammen. "Und trotzdem hast du die Einladung angenommen?" "Ich mag deine Großmutter viel zu gern, als dass ich hätte ablehnen können. Außerdem werden wir zusammenarbeiten, Jamie, da können wir uns auch gleich wieder aneinander gewöhnen." Als er an ihr vorbeiging, berührte er sie aus Versehen. Jamie wich zurück, als hätte sie sich verbrannt. Das hat nichts zu bedeuten, sagte sie sich, schließlich war der Sex zwischen ihnen immer sehr intensiv gewesen, und der Körper hatte kein Gewissen - er erinnerte sich bloß. Dennoch war sie ärgerlich, dass sie so eindeutig auf ihn reagierte. "Hallo, meine kleine Lulu, dich habe ich ja lange nicht gesehen." Stone beugte sich hinab, um die Katze zu streicheln, die sich an seinem Bein rieb und zufrieden schnurrte. "Wenigstens eine, die sich freut, mich zu sehen." Er richtete sich wieder auf und eilte in die Küche. Wieso brachte seine Anwesenheit sie nur so durcheinander, fragte Jamie sich irritiert. Als sie die Küche betrat, sah sie, wie
Stone ihre Großmutter gerade hochhob und liebevoll umarmte. Frauen den Boden unter den Füßen wegzuziehen ist seine Spezialität, dachte Jamie wütend. Genau das hatte er damals auch bei ihr gemacht. Doch jetzt stand sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden und würde ihm schon zeigen, wo es langging! "Grams hat dir etwas zu sagen, Stone", erklärte sie, wobei sie ihrer Großmutter einen bedeutungsvollen Blick zuwarf. "Gleich, Jamie, erst mal sollten wir unserem Gast etwas zu trinken anbieten. Du könntest ja schon mal den Wein öffnen, den er mitgebracht hat." "Stone ist kein Gast, sondern ..." Jamie unterbrach sich. Was wollte sie denn gerade sagen, dass er mit zur Familie gehörte?? Das nun wirklich nicht! Eher ein unwillkommener Gast! Sie riss eine Schublade auf. "Er war oft genug hier und braucht keine Sonderbehandlung." Sie warf die Schublade zu und zog eine andere auf. "Wo zum Teufel bewahrst du den Korkenzieher auf, Grams?" "Warte." Stone trat neben sie und holte aus dem hinteren Teil der Schublade den Korkenzieher heraus. "Ich wusste doch noch, wo er liegt." Er blies einen Hauch von Staub davon ab und sagte zu Grams: "Wenn ich mich recht erinnere, servierst du Wein gern zu besonderen Anlässen, Flossie. Ich vermute, es hat eine ganze Weile keinen gegeben." "Wenn man deprimiert ist, soll man keinen Alkohol trinken", bemerkte Grams klug. "Und es hat nicht viele Gründe gegeben, etwas zu feiern." Na, wunderbar, stöhnte Jamie innerlich. Sorg bloß dafür, dass er glaubt, ich hätte mich nach ihm verzehrt! Sie warf ihrer Großmutter einen warnenden Blick zu, nahm drei Gläser aus dem Schrank und stellte sie mit einem Knall auf den Tisch. Stone spülte den Korkenzieher kurz ab und öffnete dann die Flasche.
"Lasst uns auf etwas anstoßen", schlug Grams unbekümmert vor, nachdem er die Gläser gefüllt hatte. "Stone, du hast doch immer gute Einfälle für so etwas." Er hielt sein Glas hoch und lächelte erst Grams zu und dann Jamie. "Auf eine alte Freundschaft und einen Neubeginn." "Von einem Neubeginn halte ich wenig", entgegnete Jamie giftig. "Dann trinkst du eben nur auf den ersten Teil des Toastes. Auf die alte Freundschaft." Er stieß mit Jamie an und hob das Glas an die Lippen. Seine Worte irritierten sie. Schließlich waren sie weit mehr als nur Freunde gewesen - Mann und Frau, vereint in der Ehe und sich so nahe, wie zwei Menschen nur sein können. Hatte ihm das gar nichts bedeutet? Wahrscheinlich weil er ihre Ehe nicht so ernst genommen hatte wie sie, vermutete Jamie. Sonst hätte er seine Karriere ja nicht wichtiger genommen als ihre Bedürfnisse. Grams beobachtete sie. Jamie wollte sich nichts anmerken lassen, also trank sie ein bisschen Wein. Dabei bekam sie eigentlich gar nichts runter, ihr Magen rebellierte. Das waren sie also in seinen Augen, nichts als alte Freunde! Stone war schon so gut über sie hinweg, dass er sie nur noch platonisch sah. Das erklärte auch, wieso er einfach wieder in ihrem Leben auftauchen konnte, als sei nichts weiter passiert. Jamie wünschte, sie könnte es ebenso sehen. Wenn sie nichts als Freunde gewesen wären, hätte er ihr nicht das Herz brechen können. Dann hätte sie auch nicht jeden Mann, der ihr begegnet war, mit ihm verglichen und ihn daraufhin wieder verworfen. Alte Freunde, also wirklich! Jamie stellte ihr Glas so hart auf, dass ein bisschen Wein überschwappte. Stone nahm einen Lappen, während Jamie gleichzeitig nach einem Küchenpapier griff. Prompt stießen sie gegeneinander. Beide hielten in der Bewegung inne, als erwarteten sie, dass der andere zuerst in Aktion treten würde.
Das erinnerte irgendwie an das Ende ihrer Ehe. Jamie zog die Hand zurück und ließ Stone den Tisch abwischen. "So, Grams, du hast lange genug gewartet. Wir müssen ja nichts feiern, wo es nichts zu feiern gibt. Erklär Stone doch bitte, was du heute Morgen gemacht hast." Grams schaute Stone an. "Ich habe Jamie heute Morgen im Fernsehen gesehen, wie sie die Nachrichten verlas. Und ich fand, dass sie es verdammt gut gemacht hat. Ich war unglaublich stolz auf sie." "Komm zum Wesentlichen." Jamies Stimme klang scharf. Grams hörte nicht auf das, was ihre Enkelin sagte, sondern lächelte. "Ich fand, dass sie es so wunderbar machte, dass ich mit all meinen Freunden telefoniert habe und sie darum bat, doch bei der Sendeanstalt anzurufen, um zu sagen, wie begeistert sie von Jamie waren." Stones Lippen kräuselten sich amüsiert. Er wrang das Tuch aus und hängte es über den Wasserhahn. "Hmm. Und?" Grams blickte zu Boden. "Na ja, das ist natürlich eine Art Betrug." "Was meinst du, Flossie, wie viele Leute wohl beim Sender angerufen haben." Grams zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Mit Agnes' Damenkreis können es an die zwanzig gewesen sein." Sie legte das Salatbesteck hin und wischte sich die Hände an der Schürze ab. "Ich wollte Jamie doch nur etwas Gutes tun." An Stones Mundwinkeln tauchten die so vertrauten Grübchen auf. "Das macht überhaupt nichts und ändert nichts an der Sache." Jamie fuhr auf. "Wenn die Anrufe nicht gewesen wären, hättest du keinen Grund gehabt, mir den Vorschlag zu machen, dass ich den Job übernehme." Stone nahm Sein Weinglas wieder auf. "Nicht alle Anrufe stammten von den Freunden deiner Großmutter, Jamie", erklärte er ruhig.
"Woher willst du das wissen?" "Dafür gibt es mehrere Hinweise." Er wandte sich Grams zu. "Wie ist der Altersdurchschnitt der Damen ungefähr, die du dazu ermutigt hast anzurufen?" "Ach, du liebe Zeit." Grams rührte eifrig in der Soße herum. "Alle so in meinem Alter." Sie sah Stone mit schelmischem Gesicht an. "Du solltest wissen, dass man eine Dame nicht nach ihrem Alter fragt, Junge." Stone tätschelte ihr die Wange. "Das würde ich mir auch nicht einfallen lassen. Wie alt du auch immer bist, Flossie, du bist prima." Oje! Jamie verdrehte die Augen. Stone setzte mal wieder seinen altbewährten Charme ein, und das in dickster Auflage. Und Grams fiel auch prompt darauf herein! "Um deine Frage zu beantworten, Jamie", sagte Stone, "ich habe selbst ein gutes Dutzend Telefonate entgegengenommen, und viele Anrufer waren noch ziemlich jung." Jamies Handflächen wurden feucht. "Man kann doch übers Telefon nicht sagen, wie alt jemand ist. Eine Menge älterer Personen wirken am Telefon weit jünger, als sie wirklich sind." Während sie das sagte, guckte sie ihre Großmutter entschuldigend an. "Kann sein." Stone nahm einen Schluck Wein. "Aber deswegen klingen sie nicht gleich wie Männer." Seine Augen blitzten belustigt. "Und es haben mehr als hundert Zuschauer beim Sender angerufen." Einhundert Personen hatten angerufen, um zu sagen, dass sie Jamie gut gefunden hatten? "Du bindest mir einen Bären auf!" "Jamie Lee Erickson, wo bleiben deine guten Manieren!" schimpfte Grams. Stone zuckte die Achseln. "Wenn du mir nicht glaubst, kannst du ja die Sekretärin fragen." Das würde Jamie auch tun. "Vielleicht haben Grams' Freunde ja mehrmals angerufen oder noch andere dazu ermuntert."
"Nein, das würden sie nicht tun. Um auf so eine Idee zu kommen, sind sie nicht raffiniert genug." Grams lächelte Stone zu. "Ich wollte, mir wäre das eingefallen." Jamie unterdrückte ein Stöhnen. Ihre Großmutter war eindeutig zum Feind übergelaufen! Hoffentlich hatte sie das Essen bald hinter sich und konnte nach Hause flüchten, wo niemand versuchte, sie zu manipulieren, wo Stone sie nicht verunsicherte und Grams nicht versuchte, sie beide wieder zusammenzubringen! "Das war köstlich, Flossie." Stone trank einen Schluck Espresso. Jamie hatte während des Essens kaum ein Wort gesagt. Wenn sie schlechter Stimmung war, saß sie immer kerzengerade da. Ein weiteres Zeichen war ihr unberührtes Schokoladendessert, denn Jamie war sonst geradezu süchtig danach. Stone hatte noch nie erlebt, dass sie eine Mousse au Chocolat hatte stehen lassen! "Vielen Dank, Stone. Das Soßenrezept habe ich von dem Fernsehkoch auf Kanal zwölf, und ..." Stone lauschte freundlich Grams' Geplauder über den Nutzen von Fernsehsendungen, beobachtete dabei aber unauffällig Jamie. Obgleich sie so abweisend wirkte, fühlte er sich nach wie vor zu ihr hingezogen. Schon weil sie genauso hübsch war wie früher. Nein, hübscher! Damals war sie zweiundzwanzig, gerade vom College abgegangen und Produktionsassistentin bei einer Show. Er war Nachrichtenchef bei einem Sender in Tulsa und verliebte sich auf Anhieb in sie. Jamie war lustig, intelligent und warmherzig - und äußerst sexy! Beide hatten einen unterschiedlichen familiären Hintergrund, aber damals schien das keine Rolle zu spielen. Als sie heirateten, hätte Stone sich vorgenommen, hart zu arbeiten, erfolgreich zu werden und dafür zu sorgen, dass es ihr an nichts fehlte. Aber genau das war dann der Grund, warum sie ihn verließ.
Wie hatte er nur glauben können, dass ihre Beziehung ewig halten würde! Er hatte doch genug Erfahrung, um es besser zu wissen! Wie war er nur auf die Idee gekommen, dass ein Landei wie er, der aus einfachem Hause kam, jemals eine Frau wie Jamie glücklich machen könnte? Hatte sie sich verändert? Ihre feine Nase, die vollen Lippen, ihr seidiges blondes Haar, alles war genau so, wie er es in Erinnerung hatte. Der Unterschied lag in ihrem Blick. Ihre Augen waren groß und von einem unglaublichen Blau. Aber jetzt lag ein Schatten von Misstrauen darin. Seinetwegen? Sie war zornig auf ihn, das stand fest. Aber vielleicht war das gar nicht mal schlecht. Immerhin bedeutete es, dass er noch irgendwelche Gefühle in ihr wachrief! Gleichgültigkeit wäre unerträglich gewesen. Als er sie am Morgen auf Sendung gesehen hatte, war ihm heiß und kalt geworden. Vor den Studio-Leuten war es ihm schwer gefallen, ruhig zu bleiben. Der hoch bezahlte Berater mit dem professionellen Ruf, den sie sich leisteten, damit er den Sender aus den roten Zahlen brachte, hatte Mühe gehabt, unbeteiligt zu wirken. Seine Frau vor der Kamera! Ach nein, Exfrau. Merkwürdig, dass er das immer vergaß. Sie, die ihn verlassen hatte. An seiner Wange zuckte ein Muskel, und er wischte sich schnell den Mund mit der Serviette ab, um es zu kaschieren. Dieser wunde Punkt seiner Seele war noch nicht geheilt. Er würde Jamie das jedoch auf keinen Fall merken lassen. Er würde nur an seine berufliche Aufgabe denken. Bislang hatte er es noch bei jedem Sender, der ihn angeheuert hatte, geschafft, ihn wieder auf Erfolgskurs zu bringen. So sollte es auch bleiben. Erfolg war der Schlüssel zu finanzieller Sicherheit. Und die war sein Lebensziel. Die brauchte er für seine Frau und eventuelle Kinder. Bitterkeit stieg in ihm auf. An so etwas durfte er im Augenblick gar nicht denken. Was vorbei war, war vorbei. Im
Moment ging es nur darum, Jamie zur Mitarbeit zu motivieren. Wenn sie sich nicht beruhigte, würde das schwer werden. Ihm war allerdings nicht klar, ob sie wegen seiner Einmischung so verärgert war oder ob das persönliche Gründe hatte? Er schob seinen Stuhl zurück. "Flossie, setz dich doch ins Wohnzimmer, und entspann dich ein bisschen. Jamie und ich kümmern uns um den Abwasch." Grams sah ihn dankbar an. "Ja, ich glaube, das tue ich gerne. Schließlich ist es Zeit für meinen Lieblingskrimi." Stone lächelte. Die alte Dame wollte sie wieder zusammenbringen. Aber Jamies düstere Miene bewies, dass sie ihrer Großmutter alles andere als dankbar dafür war. Stone half Flossie beim Aufstehen. Jamie begann hastig und geräuschvoll, das Geschirr abzuräumen. Stone wollte ihr den Tellerstapel abnehmen. "Gib her, Jamie, sonst geht noch alles kaputt." Sie schaute ihn giftig an. "Ich hätte nicht übel Lust, sie dir an den Kopf zu werfen." "Tut mir Leid, dass du auf mich wütend bist. Ich wollte, du würdest es nicht so persönlich nehmen." "Wie soll ich es denn wohl sonst nehmen?" Sie brachte die Teller in die Küche. Stone folgte ihr mit weiterem Geschirr und stellte es auf die Arbeitsfläche. "Meine Empfehlung an den Sender war rein geschäftlich und hat nichts mit uns zu tun." "Und das soll ich glauben?" "Ich habe dich schließlich nicht vorgeschlagen, um dich zu quälen!" "Genau das tust du aber!" Auf einmal drückte Stone Jamie an die Wand und drängte sich an sie. Und sofort erregte ihn das. "Wenn ich dich quälen wollte, hätte ich dafür einen interessanteren Vorschlag." Ihre Augen hatten die Farbe von tiefem Meerwasser. Stone spürte, dass auch Jamie dieselbe Anziehungskraft empfand.
Ihre Lippen öffneten sich. Stone beugte sich vor und hatte große Lust, Jamie zu küssen, ihren Körper an sich zu pressen. Er wusste noch genau, wie dieser Körper sich anfühlte. Die letzten drei Jahre, alles was er in dieser Zeit erlebt hatte, war auf einmal bedeutungslos, schmolz zu unwichtigen Episoden zusammen. Jamie atmete stoßweise, ihre Augen waren halb geschlossen. Und Stone konnte nicht anders. Er küsste sie zart. Wie weich ihre Lippen waren, wie köstlich sie schmeckten! Sanft knabberte er an ihrer Unterlippe. Jamie stöhnte leise, und diese Reaktion nahm ihm alle restlichen Bedenken. Er zog sie eng an sich und drang dann mit der Zunge in ihren Mund. Heißes Verlangen durchströmte ihn im selben Moment. Er hatte gedacht, er sei längst über Jamie hinweggekommen. Nun kam es ihm jedoch auf einmal vor, als befände er sich in gefährlichem Treibsand, und wenn er sich nicht sofort zurückzog, würde es ihn hoffnungslos in die Tiefe ziehen. Verwirrt über die Intensität seiner Reaktion, löste er sich von Jamie. Er schaute sie noch eine Weile an, dieses schönes Gesicht mit den geschwungenen Wimpern und dem verführerischen Mund ... Dann trat er zurück und ging wieder ins Esszimmer. Er hätte jetzt gut eine kalte Dusche brauchen können. Du lieber Himmel, was hatte er nur getan? Er war heute Abend gekommen, um die Wogen zu glätten. Stattdessen machte er alles nur noch schlimmer. Er hatte alles vergessen, auch die Verantwortung gegenüber dem Sender. Und ihn interessierte nur, wie Jamie aussah, wie sie sich anfühlte, schmeckte und wie sehr er sie begehrte ... Noch schlimmer: Er hatte vergessen, dass sie ihn nicht mehr wollte, dass es ihr sogar unangenehm zu sein schien, sich mit ihm im selben Raum aufzuhalten. Aber den Kuss hatte auch sie gewollt! Stone beschimpfte sich im Stillen. Eigentlich sollte er auf der Stelle verschwinden, aber das war natürlich keine Lösung. Da er
Jamie schon am nächsten Tag wieder sehen würde, wollte er keine Auseinandersetzung im Studio riskieren. Außerdem hatte er versprochen, den Tisch abzuräumen. Seufzend ging er in die Küche zurück. Jamie stand regungslos an der Spüle und starrte versonnen hinaus in die Dunkelheit. "Jamie, wir müssen miteinander reden." Sie begann eifrig/einen Topf abzuwaschen. Stone sollte nicht sehen, wie gerötet ihr Gesicht war. Sie konnte kaum glauben, wie schnell sie wieder seinem Zauber verfallen war - und wie sehr sie sich danach gesehnt hatte. Um ihre Verwirrung zu überwinden, dachte sie schnell an den Ärger, den sie seinetwegen empfand. "Nein, Stone, ich muss mit dir reden!" Sie stellte das Wasser ab und zerknüllte ein Geschirrtuch in der Hand. "Wenn du mich schon bei der Arbeit manipulierst, dann lass mich aber außerhalb des Studios zufrieden." "Wenn sich hier jemand zum Narren macht, bin ich es." Er schien es ernst zu meinen. "Es tut mir Leid, Jamie." Sein Blick war ernst, ja beinahe traurig. Auch wenn er sich entschuldigte, so fand Jamie den Gedanken, dass es ihm Leid tat, sie geküsst zu haben, nicht gerade aufbauend. Er räusperte sich. "Ich möchte dich um Verzeihung bitten. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte, es muss mich wohl eine Art Erinnerung gepackt haben." "So wie die Erinnerung an einen Krieg, wie? Sehr schmeichelhaft!" "An unserer sexuellen Beziehung war nicht das Geringste auszusetzen." Das stimmte. Es wäre alles viel leichter, wenn es so gewesen wäre. Aber auf dem Gebiet hatten sie sich immer wunderbar verstanden. Bei der geringsten Berührung, einem Wort, einem
Blick, war zwischen ihnen Leidenschaft aufgeflammt, als hätte jemand trockenes Stroh in Brand gesetzt. Manchmal reichte schon ein Gedanke. Jamie nahm zwei Teller und stellte sie in die Spülmaschine. Dann begann sie, mit einem Schwamm die Pfanne in Angriff zu nehmen. "Das Wichtige daran ist das Wörtchen ,war'." "Ich werde versuchen, es mir zu merken." Stone ballte hinter seinem Rücken die Hände zu Fäusten. "Es war wohl die alte Gewohnheit." Die alte Gewohnheit? Das gefiel Jamie noch weniger als "alte Freundin" oder "Erinnerung"! "Lass es uns ganz einfach vergessen, Stone." Sie ließ Spülmittel in die Pfanne laufen. Dabei wusste sie ganz genau, dass sie eher ihren Namen als den Kuss von eben vergessen würde. Sie durfte jedoch nicht zulassen, dass Stone sich einen Weg zurück in ihr Leben bahnte! Dazu war es viel zu schwer gewesen, über ihn hinwegzukommen und einen neuen Anfang zu finden. Sie durfte sich nicht wieder gefühlsmäßig gefangen nehmen lassen. Auch gegen den Vorschlag, sie zur Nachrichtensprecherin zu machen, musste sie sich wehren, nicht nur wegen ihrer Karriere, sondern wegen ihres Selbstbewusstseins. Sie wollte sich beweisen, dass Stone keine Macht mehr über sie hatte, sie nicht mehr verletzen konnte und dass es kein seelisches Band mehr zwischen ihnen gab.
3. KAPITEL Jamie blickte auf ihren Notizblock. Angestrengt versuchte sie, die Geräusche im Studio zu überhören und an den Plan für die Adoptionsserie zu denken. Aber sie war noch zu aufgeregt von den Morgennachrichten. Der zweite Tag vor der Kamera war nicht leichter gewesen als der erste/Wieder hatte sie sich voll darauf konzentrieren müssen, nicht in Panik zu geraten. Und nun fühlte sie! sich völlig ausgelaugt. Wie konnte sie den Job bloß schleunigst wieder loswerden? Sie hatte erwöge», es absichtlich schlecht zu machen, aber dann bestand die Gefahr, dass sie anfinge zu stottern. Und genau das war ja der Grund, warum sie das Ganze nicht machen wollte. Eine vertrackte Situation. Jamie rieb sich die Stirn. Kopfschmerzen kündigten sich an, Ergebnis von zu viel Stress und zu wenig Schlaf. Und der ständige Gedanke an Stone machte alles noch schlimmer. Sie nahm Aspirin aus der Schreibtischschublade. Die Begegnung mit Stone lief immer und immer wieder vor ihrem geistigen Auge ab. Selbstvorwürfe hatten ihr den Schlaf geraubt. Wie konnte sie nur so heißblütig auf ihn reagieren - zumal er ohnehin ein Herzensbrecher war! Andererseits war es schon immer so gewesen. Seit er sie das erste Mal angeschaut hatte! Jamie nahm seufzend zwei Tabletten und spülte sie mit einem Schluck Wasser hinunter.
War das wirklich schon vier Jahre her? Es kam ihr vor, als sei es erst gestern gewesen, als sie Stone im Nachrichtenstudio von Tulsa aufgesucht hatte, um ihn von einem Projekt zu überzeugen, mit dem sie behinderten Kindern helfen wollte. Von der Medienindustrie hatte sie nicht die geringste Ahnung und war ganz naiv zu ihm in den Kontrollraum gegangen, als gerade die Fünf-Uhr-Nachrichten liefen. Die Erinnerung an damals war ihr ins Gedächtnis eingebrannt. Er hatte seine Krawatte gelockert, aus dem geöffneten Hemd lugten ein paar dunkle Brusthaare heraus, das Licht im Studio betonte sein Grübchen. Sein dunkles, welliges Haar hing ein wenig zu lang über den Kragen. Die aufgerollten Hemdsärmel entblößten kräftige, braun gebrannte Arme. Stone hatte Jamie damals mit einem Blick bedeutet zu schweigen, und die nächsten fünfzehn Minuten hatte sie bewegungslos wie eine Statue verharrt und zugeschaut, wie er die Sendung leitete. Er wirkte äußerst männlich auf sie, entschieden und einflussreich. Jamie war sehr verunsichert gewesen. Merkwürdig, dass genau das, was sie auf Anhieb so fasziniert hatte, sie dann später wieder auseinander brachte. Ein Schatten fiel auf Jamies Zettel, und sie blickte auf. Todd Dodson stand neben ihr, das Gesicht missmutig verzogen. "Hey, wenn das nicht Fräulein Opportunist ist..." Seine Lippen wurden schmal. "Du verstehst sicher, dass ich dir nicht zu deiner Beförderung gratuliere, oder?" Aus den dunkel umränderten Augen und dem üblen Mundgeruch, den er hatte, konnte man auf seinen Zustand schließen. Unwillkürlich wich Jamie zurück. "Todd, es tut mir sehr Leid. Ich habe gestern Morgen x-mal versucht, dich zu erreichen. Und als du nicht kamst, wusste ich einfach nicht, was ich tun sollte." "Na ja, das ist dir ja ziemlich schnell eingefallen", bemerkte er böse. "Du hast mich eiligst ausgebootet." "Ausgebootet? Wieso?"
"Na, komm schon, Jamie, du hast mich ausgetrickst! Du hättest mir helfen und sagen können, dass ich Probleme mit dem Wagen hatte oder so was. Stattdessen hast du mir den Job unterm Hintern weggezogen! Dir habe ich es zu verdanken, dass ich in die Reporterabteilung straf versetzt worden bin!" Jamie hatte Todd schon öfter in schlechter Stimmung erlebt, wenn er so verkatert war, dass er kaum stehen konnte. In solchen Situationen hatte sie ihn dann mit Aspirin voll stopfen und schminken müssen, weil seine Hände zu sehr zitterten. Doch so wütend wie jetzt war er noch nie gewesen. In seiner Stimme schwang eine Feindseligkeit, dass es ihr kalt den Rücken hinunterlief. Jamie versuchte trotzdem, ruhig zu bleiben. "Todd, es tut mir wirklich Leid, ich schwöre, ich habe es nicht gewollt!" "Lügnerin!" Er spuckte ihr dieses Wort förmlich entgegen. Dann beugte er sich zu ihr hinunter, so dass sie seinen schlechten Atem wahrnahm. "Du hast meine Karriere ruiniert, und dafür werde ich mich rächen. Vergiss das nicht, Jamie, dafür wirst du büßen!" Damit verließ er das Studio. Jamie klopfte das Herz. Noch nie in ihrem Leben hatte ihr jemand so unverhohlen seinen Hass gezeigt. Sie schloss die Augen, um sich wieder zu beruhigen. "Was wollte Todd von dir?" Stone schaute dem ehemaligen Nachrichtensprecher hinterher. Jamie überlegte hastig. Wenn sie die Wahrheit sagte, würde Stone sie vermutlich alle beide feuern - Mr. Milton hatte ihm die volle Verfügungsgewalt über das Studio erteilt. Dafür wollte sie nicht verantwortlich sein! Sie kam sich ohnehin schon schlecht genug vor, dass sie Todds Job übernommen hatte. Außerdem nahm sie seine Drohungen nicht recht ernst. Sobald er sich beruhigt hätte und sie ihm alles erklärte, würde er den Hergang sicher verstehen. Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen sachlichen Klang zu geben. "Nichts weiter, wir haben uns unterhalten."
Stone zog misstrauisch eine Braue hoch. "Ja, bestimmt. Aus seinem Gesichtsausdruck zu schließen, kann ich mir genau vorstellen, worüber." Er setzte sich auf die Schreibtischkante vor Jamie und ordnete einen Stapel Papiere auf seinem Bein. "Todd hat sich über seine Versetzung nicht gerade gefreut. Wenn er dir Schwierigkeiten macht, lass es mich wissen." "Ich werde mit ihm schon fertig", behauptete Jamie lässig. "Aber an wen wende ich mich, wenn du mir Schwierigkeiten machst?" Stone beugte sich vor, die eine Hand auf den Oberschenkel gestützt, in der anderen die Papiere. "Hör zu, Jamie, es tut mir Leid wegen gestern Abend. Ich möchte nichts tun, was du als .sexuelle Belästigung' empfinden könntest." Sexuelle Belästigung? Jamies Wangen röteten sich bei dem Gedanken daran, wie sie sich an ihn gedrängt hatte, die Finger in seinem Haar vergraben und ihn geküsst hatte, als gäbe es kein Morgen. Wenn überhaupt, dann hatte sie ihn sexuell belästigt! Wenn er nicht aufgehört hätte, wer weiß, wo sie gelandet wären! "Schon gut", murmelte sie. Stone erhob sich. "Ich werde mich in Zukunft beherrschen", erklärte er, "und dich nicht mehr anfassen. Es sei denn, du machst den ersten Schritt." "Keine Sorge, das wird nicht passieren." Er lächelte sein verführerisches Lächeln, und es weckte die Erinnerung an heiße Liebesnächte. Während ihrer Ehe hatte Jamie keinerlei Probleme damit gehabt, den ersten Schritt zu tun. Und das Glitzern in seinen Augen bewies, dass er sich auch daran erinnerte. "Also gut, das wäre ja dann geregelt." Er klopfte mit den Papieren auf den Schreibtisch. "Hier ist Fanpost für dich." "Fanpost? Mach keine Witze." "Du glaubst, ich scherze? Dann guck mal hier." Er legte einen Haufen Faxe und handgeschriebener Briefe auf ihren Schreibtisch.
Jamie blätterte sie kurz durch. Sie wurde immer nervöser. Es gab Einladungen von Organisationen, Bitten um Autogrammkarten und darum, eine Rede zu halten, Vorschläge für Nachrichten - mehr als ein Dutzend Briefe, alle von Fremden, die irgendetwas von ihr wollten. "Oh, sieh mal", Jamie hielt eine Seite hoch, die aus einem linierten Notizbuch gerissen worden zu sein schien. "Der hier will sich mit mir verabreden!" Stone überflog den Brief. "Das ist ja einer! Welcher Idiot schickt dir eine so schlampige Notiz und gießt noch eine Flasche billiges Parfüm darüber, um dich zu beeindrucken!" Sollte das heißen, dass sich höchstens ein Idiot für sie interessieren würde? Jamie ergriff sogleich die Partei des Unbekannten. "Irgendwie finde ich es ganz rührend." "Du hast doch nicht etwa vor, mit diesem Kerl auszugehen, oder?" Jamie hatte Lust, Stone ein bisschen zu ärgern. "Na ja, vielleicht. Wieso denn nicht?" "Weil das womöglich ein Irrer ist! Davon gibt es nämlich eine ganze Menge, Jamie! Und Leute, die im Fernsehen auftreten, sind schon oft Opfer von irgendwelchen Verrückten geworden." Jamie nahm den Brief wieder an sich. "Wenn dir das solche Sorgen bereitet, kannst du mich ja von dem Job befreien." "Du weißt genau, dass es nicht geht. Aber du solltest vorsichtig sein." Er schaute sie besorgt an. Jamie rührte das irgendwie. So hatte sich niemand mehr Gedanken um sie gemacht, seit... Seit ihrer Ehe. Wehmut ergriff sie, die zugleich süß und bitter war. Bei niemandem hatte sie sich beschützter gefühlt, höher geachtet, mehr verwöhnt als bei Stone. Er hatte sie ständig um ihre Meinung gefragt, wirklich zugehört, wenn sie etwas erzählte, und er vergaß nie, was sie gesagt hatte. Manchmal rief er sie mitten am Tag an, nur um ihre Stimme zu hören,
schmuggelte ihr kleine Liebesbriefe in die Handtasche, schnitt Zeitungsartikel für sie aus und legte ihr Schokoladenküsse aufs Kopfkissen. Das Leben mit ihm war heiter und warm gewesen. Doch dann waren sie erneut umgezogen, und seine Karriere hatte all seine Aufmerksamkeit beansprucht. Er ging frühmorgens weg, wenn sie noch schlief, und kam erst weit nach Mitternacht wieder. Meistens arbeitete er auch am Wochenende, und selbst wenn er zu Hause war, war er unter Papierbergen begraben. Stück für Stück war er genau das geworden, was Jamie so schrecklich fand: ein Workaholic wie ihr Vater. Nie wollte sie ein Leben wie das ihrer Mutter führen, ein Leben voller Enttäuschungen und Einsamkeit. Und das nur, weil ihr Mann so damit beschäftigt war, Geld zu machen und einen bestimmten Status zu erreichen, dass er nicht auf seine Gesundheit achtete und erst recht nicht auf die Bedürfnisse seiner Familie. So hatte Stone ihre Ehe kaputtgemacht, und nun wollte er sie in etwas hineinzwingen, was ihr nicht gefiel. Sie legte die Briefe zusammen und steckte sie in den Umschlag zurück. "Ich passe schon auf mich auf", sagte sie, "vielen Dank. Und was soll ich mit den Briefen jetzt machen?" "Ich besorge dir die Standardantworten, die der Sender zu verschicken pflegt. Was Autogrammkarten betrifft, so habe ich heute Nachmittag einen Termin für dich gemacht. Nach dem Treffen mit dem PR-Berater." "Wie bitte? Ein PR-Berater?" "Das ist eine Standardprozedur, wenn neue Leute auf Sendung gehen. Sie werden hinsichtlich Kleidung, Frisur und Make-up beraten. Das weißt du doch, Jamie." Oh, ja, das wusste sie. Und genau deshalb mochte sie es nicht. "Zufällig gefällt es mir, wie ich aussehe." Stone musterte sie bewundernd. "Mir auch, Jamie. Das war schon immer so." Seine Stimme war samtweich. "Aber ein Berater sorgt dafür, dass du professionell aussiehst."
Professionell? Was sollte denn das nun schon wieder heißen? Dass jedes Haar an seinem Platz saß, alles glatt gesprayt war und das Make-up mit einem Spachtel aufgetragen war? "Ich möchte aber nicht verändert werden!" "Also, Jamie ..." "Mr. Johnson!" rief ein Redakteur durchs Studio. "Wir haben zwei Geschichten, aber nur eine Crew ist greifbar. Welche sollen wir bringen, die mit dem Feuer oder die mit dem Unfall auf der Interstate?" "Ich komme!" rief Stone zurück und stand auf. Er warf Jamie noch einen Blick zu, der bedeutete, dass es ausschließlich um die Arbeit ginge. "Keine Diskussion, Jamie. In einer Stunde triffst du dich mit dem Berater in der Garderobe." Jamie stand kerzengerade in der Mitte der Studiogarderobe. Jeffrey Hill, der Mode- und Kosmetikberater des Senders, begutachtete sie von allen Seiten. "Hmm", murmelte er und strich sich mit der manikürten Hand übers Kinn. Er war ganz in Schwarz gekleidet, hatte das blond gesträhnte Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und war Solariumgebräunt. "Hmm", sagte er noch einmal. Jamie kam sich wie ein Pudel auf einer Hunde-Show vor. Als er sie von hinten betrachtete, drehte sie sich nach ihm um. Missbilligend wackelte er mit dem Finger. "Nein, nein, bleiben Sie ganz still stehen, ich muss Sie von allen Seiten sehen." "Wenn der Kameramann nicht gerade einen schlechten Tag erwischt, bin ich nie von hinten zu sehen", grummelte Jamie. "Können Sie nicht ein bisschen schneller machen?" Jeffrey zog einen Schmollmund. "Na, na, Ms. Erickson, wir wollen es doch richtig machen, oder?" Jamie verkniff sich eine scharfe Antwort. "Stylen Sie sie sorgfältig, Jeffrey", sagte eine vertraute Stimme jetzt. Stone stand im Türrahmen, ein Bein lässig über dem anderen gekreuzt.
"Wenn ich so ein hoffnungsloser Fall bin, sollten wir Jeffreys Zeit nicht verschwenden", bemerkte Jamie empört. "Oh, sie ist keineswegs hoffnungslos", erklärte Jeffrey ernst, als hätte Stone den Einwand gemacht. "Es gibt nichts, wofür es keine Lösung gäbe." Was bin ich denn dann? Ein Stück Fleisch, fertig zum Sezieren? dachte Jamie wütend, während Jeffrey eine ihrer Locken anhob. "Als Erstes kommen die Haare dran." Jeffrey tat; als schnitte er das Haar zentimeterkurz. Er sagte zu Stone: "Wenn sie ernst genommen werden soll, muss sie auch eine seriöse Frisur haben." "Mein Haar wird nicht abgeschnitten!" widersprach Jamie hitzig. Auf ihren Wangenknochen zeigten sich vor Zorn rote Flecken. Sie ist hinreißend, wenn sie so wütend wird, dachte Stone entzückt. Er verkniff sich ein Lächeln und tat, als betrachte er sie rein objektiv. Dabei konnte er das gar nicht. Vielleicht war Jamie keine klassische Schönheit, aber für ihn war sie die attraktivste Frau auf Erden, eine Tatsache, die sein Liebesleben seit ihrer Trennung schwer beeinträchtigt hatte. Er fühlte sich nur zu Frauen hingezogen, die ihr ähnelten, aber keine konnte Jamie das Wasser reichen. Wie sehr er sie vermisst hatte, war ihm am Vorabend wieder bewusst geworden. Nach der Scheidung hatte er sich nur in die Arbeit gestürzt und sein Privatleben völlig vernachlässigt. Es waren lange, einsame Jahre gewesen. Und dann küsste er sie ein einziges Mal, und es war, als bräche eine ganze Flut verschiedenster Gefühle über ihn herein! Jamie sah ihn noch immer empört an. Stone tat, als dächte er über Jeffreys Vorschlag nach. Seiner Meinung nach war Jamie perfekt. Auch wenn sie morgens ganz verschlafen war oder mit nassen Haaren aus der
Dusche kam. Was Jamie betraf, so war sein Urteilsvermögen hoffnungslos subjektiv. Deshalb schaltete er lieber einen neutralen Imageberater ein. Dafür schien Jamie allerdings wenig dankbar zu sein. Sie konnte unheimlich stur sein. Wenn er sie dazu bringen wollte zu kooperieren, musste er dafür sorgen, dass es wie ihr eigener Vorschlag aussah. "Ich stimme Jamie zu, lassen Sie das Haar, wie es ist. Am besten kommt sie vielleicht als ,Die Frau von nebenan' rüber." Er wippte auf den Füßen und tat so, als merkte er nicht, dass Jamie ihn mit Blicken durchbohrte. "Also lieber keine gründliche Veränderung. Es reicht, wenn Sie hier und da eine leichte Korrektur vornehmen und sie ganz einfach, so, wie eine Durchschnittsfrau aussieht. Wenn ich es mir recht überlege vielleicht ist genau das ihr besonderer Reiz." An Jamies beleidigter Miene merkte Stone, dass er getroffen hatte. "Ich wusste gar nicht, dass du neben allem anderen auch noch Schönheitsberater bist", bemerkte sie bissig. "Das bin ich auch nicht", erklärte er milde. "Aber ich sehe, was ich vor mir habe." Wenn du mich ansiehst, siehst du anscheinend gar nichts! dachte Jamie. Sie guckte in eine andere Richtung, um nicht zu zeigen, wie gekränkt sie war. Wieso war es ihr eigentlich wichtig, was Stone dachte? Sie wollte doch gar nicht, dass er sie attraktiv fand! Oder doch? Natürlich nicht! Das war nur eine normale Reaktion auf die Kritik an ihrem Aussehen. Jamie richtete sich selbstbewusst auf und schaute Stone an. Sie versuchte, gelassen und unberührt zu wirken. "Ich dachte, ich würde nur von Jeffrey beraten werden. Aber wenn du ein solcher Fachmann bist, kannst du ja hierbleiben und eine Farbe für den Lidschatten auswählen."
Stone legte eine Hand auf den Türgriff. "Würde ich gern machen, aber ich muss noch die neuesten Meldungen überprüfen." An Jeffrey gewandt, sagte er: "Vergessen Sie nicht, was ich sagte. Verändern Sie sie nur wenig. Sie sollte nicht zu aufgemacht wirken." Dann nickte er Jamie zu und verschwand. Jamie biss sich auf die Lippen. Dieser Mann brachte sie zur Weißglut! Sie wusste gar nicht, worüber sie sich mehr ärgern sollte. Darüber, dass er fand, dass sie einen Imageberater brauchte, oder darüber, dass der sie als "Frau von nebenan" stilisieren sollte. Wie er sie beschrieben hatte! Durchschnitt, normal, alltäglich oder so! Dem würde sie es zeigen! Jeffrey klappte einen metallenen Kosmetikkoffer auf und begann, eine beeindruckende Menge von Pinseln, Pudern und Sonstigem aufzubauen. "Setzen Sie sich", er wies Jamie einen drehbaren Sessel zu und legte ihr einen Umhang um die Schultern. "Hören Sie, Jeffrey, Stone möchte, dass ich schlicht und durchschnittlich aussehe, aber es gibt bestimmt Gelegenheiten, bei denen ich, sagen wir, etwas eleganter wirken sollte. Könnten Sie mir das auch bitte zeigen?" Jeffreys Reaktion bewies, dass er genau darauf gehofft hatte. "Selbstverständlich! Ich werde Sie total verändern. Wenn ich fertig bin, werden Sie sich nicht mehr wieder erkennen!" "Sehr gut." Jeffrey entnahm dem Koffer verschiedene Töpfe und Tuben. "Das ist die schwere Artillerie", erklärte er kichernd. Jamie lehnte sich zufrieden zurück. Was Stone wohl für ein Gesicht machen würde, wenn sie morgen, angemalt wie ein Nummerngirl in Las Vegas, auf Sendung gehen würde! "Je schwerer, umso besser", erklärte sie. Abends saß Jamie vor dem Schlafzimmerspiegel und zog den Lidstrich noch ein wenig nach. Dann trat sie zurück, um sich zu
begutachten. Sie hatte sorgfältig die Anweisungen von Jeffrey beherzigt und alles noch ein bisschen verstärkt. Die Frau, die ihr im Spiegel entgegensah, hatte markante Wangenknochen, schimmernde rote Lippen und eine ebenmäßige Haut. Aber eigentlich war es doch nicht die Wirkung, die sie erzielen wollte, Sie wollte sich gerade abschminken, als es klingelte. Auf Strümpfen ging sie zur Tür. "Heiliger Strohsack, Jamie, bist du es?" Ihre Großmutter stand mit einem Topf in der Hand vor der Tür. "Natürlich bin ich es", bestätigte Jamie grimmig und ließ die alte Dame eintreten. "Ich habe ein neues Rezept aus dem Fernsehen ausprobiert, und das ist so viel geworden, dass ich dachte, ich bringe dir etwas davon vorbei", sagte Grams. Im Flur blieb sie stehen und schaute Jamie an, die gerade im Licht der Deckenlampe stand. "Donnerwetter, du siehst ja aus wie ein Filmstar!" Jamie schloss die Tür. "Schlimmer als das", fand sie. "Deinem Gesichtsausdruck nach zu schließen kann es kaum etwas Schlimmeres geben." Grams fixierte Jamie über den Brillenrand hinweg. "Kannst du mir mal sagen, was dich daran stört?" "Ich möchte Stone davon überzeugen, dass ich als Sprecherin ungeeignet bin." Fragend zog Grams die Augenbrauen hoch. "Ich begreife ja normalerweise nicht so langsam, aber im Moment kann ich dir nicht folgen." "Komm mit, dann erkläre ich es dir, während ich die Kriegsbemalung wieder abwische." Jamie ging voran. In der Küche stellte sie den Topf auf den Herd und setzte sich ihrer Großmutter gegenüber. Stone hat dafür gesorgt, dass mich ein Imageberater begutachtete. Er sagte ihm aber, dass er keine drastischen Veränderungen wolle, lieber etwas Gewöhnliches, etwas Normales, das Mädchen von
nebenan. Er findet, ich sehe schlicht aus!" Allein es auszusprechen brachte Jamies Blut zum Kochen. Sie stand auf und lief hin und her. "Kannst du dir etwas Beleidigenderes vorstellen? Darum habe ich den Imageberater gebeten, alle Register zu ziehen und aus mir etwas Glamouröses zu machen, eine richtige Diva!" Verächtlich rollte sie mit den Augen. "Und das ist daraus geworden." Grams legte den Kopf schief und lächelte. "Vielleicht wollte Stone ja genau das." Jamie blieb stehen. "Du meinst, er hat ,umgekehrte Psychologie' bei mir angewandt?" Grams zuckte die knochigen Schultern, ihr zartes Gesicht wurde ganz faltig. "Könnte immerhin sein." Stone hatte sie also genau dahin gebracht, wo er sie haben wollte. "Dieser durchtriebene, hinterhältige Mistkerl..." "Ich weiß nicht recht, ob ich ihn so bezeichnen würde", unterbrach Grams sie mit milder Stimme. "Wie denn sonst?" Grams zuckte die Achseln. "Schlau vielleicht. Jemand, der dich gut kennt, weiß, wie er dich behandeln muss." Wenn Grams Recht hatte, rechnete Stone also damit, dass sie genau das Gegenteil von dem tun würde, was er vorschlug. Oh, verflixt, war sie so leicht zu durchschauen? Und wenn ja, wusste er, wie sie das treffen würde? Der Gedanke war demütigend. Jamie holte die Lotion zum Abschminken und schimpfte: "Dem werde ich es zeigen!" Wie hatte sie nur so naiv sein können! Stone hatte ihr eine psychologische Falle gestellt, und sie war ahnungslos hineingetappt! Aber nun war ihr Widerstand geweckt. "Das Spiel ist noch nicht zu Ende, Grams." Sie verstrich zwei Kleckse Lotion auf den Wangen. "Stone wird eine Lektion erhalten." "So ein Gesicht hast du nicht mehr gemacht, seit du vier warst und Desinfektionslösung auf Tommy Bakers Hose
gegossen hast." Grams schaute besorgt drein. "Was hast du vor?" Jamie riss ein Blatt Küchenpapier von der Rolle. "Ich werde ihm ein bisschen von seiner eigenen Medizin zu kosten geben." Eine leise Vorfreude lockerte die Spannung in ihrer Brust. Stone hatte ihr vielleicht gerade das Mittel zugespielt, das ihr helfen würde, den Sprecherjob loszuwerden. Sie zog eine Spur durch die weiße Creme auf ihrem Gesicht. "Ich werde die umgekehrte Psychologie noch einmal umkehren", erklärte sie. "Und jede Sekunde genießen."
4. KAPITEL Als Jamie am nächsten Morgen das Studio betrat, schaute Harold sie zweifelnd an. "Willst du so vor die Kamera treten?" Jamie sah auf das schlabberige graue Sweatshirt, das sie trug. War sie zu weit gegangen? Schlichte Kleidung und kein Makeup, na ja, aber die Zöpfe waren vielleicht ein bisschen übertrieben. So wie sie jetzt aussah, wäre sie normalerweise nicht mal einkaufen gegangen, und jetzt würde sie im Fernsehen von Millionen von Zuschauern so gesehen werden! "Ich habe keine Wahl!" sagte sie mutig zu sich selbst. Um aus dem Vertrag herauszukommen, mussten drastische Maßnahmen ergriffen werden. Über ihre äußere Erscheinung stand nichts im Vertrag, weder was die Frisur noch was die Kleidung oder die Schminke betraf. Und es wäre ja noch schöner, wenn Stone oder irgend so ein dämlicher Imageberater ihr sagen würde, wie sie sich zurechtzumachen hatte! Es war besser, einen Moment der Peinlichkeit zu ertragen, als die Demütigung, am Mikrofon zu stottern. Außerdem war es zu spät für eine Änderung. Die Studiouhr zeigte, dass es nur noch knapp drei Minuten bis zur Sendung waren. Jamie stieg über das Kabelgewirr am Boden und setzte sich ans Sprecherpult. Rob Estes, der sie als Produzent vertrat, schaute von seinem Monitor auf. "Hey, Jamie, wieso bist du noch nicht angezogen?"
"Ich bin angezogen!" erklärtet Jamie kühl und klemmte das Mikro am Ausschnitt des Sweatshirts fest. Der ausgeleierte Stoff hing unter dem Gewicht ein wenig herab. "Äh, ich dachte, du wärst in der Garderobe, um dich umzuziehen", sagte Rob nervös. Jamie empfand Mitleid mit ihm. Von den schwierigen Momenten mit Todd konnte sie sich vorstellen, wie er sich gerade fühlte. "Schön gut, Rob, ich übernehme die Verantwortung." "Noch eine Minute!" rief der Regisseur über die Sprechanlage. "Es ist deine Sache, wie du aussiehst!" rief Harold, "aber meine, wie du klingst. Ich brauche einen Mikrofon-Check!" Jamie kam der Bitte nach. Rob stand regungslos neben der Kamera. "Noch dreißig Sekunden!" "Alles in Ordnung, Rob", versicherte Jamie ihm. "Ich sorge dafür, dass du keine Schwierigkeiten bekommst." Er rührte sich nicht. "Es sei denn, du bist so durcheinander, dass du das Studiotelefon nicht bedienen kannst." Die Worte brachten ihn wieder in Bewegung, während der Regisseur den Sendebeginn verkündete. Dreißig Minuten später nahm Jamie das Mikrofon erleichtert wieder ab. "Mr. Johnson bringt uns um!" stöhnte Rob. "Ich spreche mit ihm", versprach Jamie. Sie eilte in den Nachrichtenraum und wappnete sich innerlich. Wenn Stone darauf bestand, dass sie weiterhin vor die Kamera trat, würde sie im selben alten Sweatshirt auftreten, jeden Tag! Dann würde er garantiert bald kapitulieren. Die Sekretärin grinste, als Jamie den Raum betrat. "Na, wenn das nichts ist! Die Telefonleitungen laufen heiß!" Man konnte viele rot blinkende Knöpfe an der Anlage sehen. "Einfach jeder hat etwas zu deinem Outfit zu sagen!"
Jamie hatte sich so auf Stones mögliche Reaktion vorbereitet, dass sie gar nicht an die Wirkung aufs Publikum gedacht hatte. "Wer nimmt die Anrufe entgegen?" "Stone. Er ist im Büro." "Oje. Wie ist seine Stimmung?" "Schwer zu sagen. Aber er will dich sprechen, sobald du hier auftauchst." Stone ist vermutlich außer sich, dachte Jamie beunruhigt. Sie blieb einen Moment vor der Tür stehen, holte tief Luft und trat dann ein. Stone saß hinter seinem Schreibtisch, den Hörer am Ohr. Er winkte Jamie herein. "Vielen Dank für Ihre Anmerkungen", sagte er in den Hörer. "Wir sind immer an der Meinung unserer Zuschauer interessiert und werden sie gern berücksichtigen." Er gab Jamie ein Zeichen, sich in den Ledersessel zu setzen. Wenn sie doch nur wüsste, was sie erwartete! Sein Gesichtsausdruck verriet nicht das Geringste. Das gehörte zu den Dingen, die Jamie verrückt machten - seine Beherrschung, seine Fähigkeit, unbeteiligt zu wirken. "Vielen Dank für Ihren Anruf, wir freuen uns, dass Sie unser Programm sehen." Er legte auf und wandte sich Jamie zu. Dass er lächelte, überraschte Jamie. Stone gab sich offenbar Mühe, nicht verärgert zu wirken. "Na ja", sagte er schließlich, "ein toller Anblick warst du heute Morgen nicht gerade." Er drückte auf den Knopf der Sprechanlage. "Sue, könnten Sie einen Moment lang die Anrufe entgegennehmen? Hören Sie nur zu, und notieren Sie kurz das Wesentliche des Inhalts." Er setzte sich auf die Schreibtischkante ganz nah vor Jamie. Die rechnete nun mit einem Schwall von Vorwürfen. "Ich muss mich bei dir entschuldigen, ich habe dich unterschätzt."
Jamie war überrascht, dass er das Gespräch so begann! Misstrauisch schaute sie ihn an. Gleich würde es ganz dick kommen. "Eigentlich dachte ich, ich kenne schon alle Tricks, und da kommst du mit ein paar neuen an." "Wieso? Was meinst du?" Stone lächelte. "Ich muss gestehen, als ich heute Morgen beim Rasieren den Fernseher anstellte und dich in diesem Aufzug sah, na ja, ich dachte, ich falle tot um." Er beugte sich vor, so dass zu sehen war, wie kräftig seine Oberschenkel waren. "Wieso, ich habe nur deine Anweisungen befolgt." "Ach, tatsächlich? Du willst damit sagen, dass dieses ...", er musterte sie von oben bis unten, "diese Aufmachung das Resultat von Jeffreys Beratung ist?" Jamie sah ihn mutig an. "Ja, indirekt." "Was heißt das?" "Na ja, du meintest, ich sähe aus wie ,das Mädchen von nebenan'. Ich glaube, du sagtest so was wie .durchschnittlich, alltäglich, schlicht'. Also bin ich deinem Rat gefolgt." Stone legte den Kopf zurück und lachte herzlich. "Du wolltest also unbedingt meinem Vorschlag folgen und hast deshalb etwas so Extremes gewählt? Also wirklich, das rührt mich." Dass ihn das Ganze zu amüsieren schien, ärgerte Jamie. "Ich glaube, ich weiß genau, was für ein Mensch ich bin. Aber du scheinst es anders zu sehen", sagte sie giftig. "Ich möchte keine Moderatorin sein, dafür halte ich mich für ungeeignet. Und es passt mir nicht, dass du mich zu etwas zwingst, was mir nicht entspricht." "Ach, und das wolltest du mir damit beweisen? Aber es hat nicht funktioniert, Jamie." Er wirkte milde wie ein Erwachsener, der mit einem aufsässigen Kind spricht.
Glaubte er, sie würde ihre Meinung ändern, weil er nicht reagierte? "Wenn du denkst, dass es ein Ausrutscher war, irrst du dich. In meinem Vertrag steht nichts darüber, wie ich auszusehen habe. Ich habe vor, ab jetzt immer so aufzutreten, und zwar jeden Tag, den du mich weiter zwingst, vor die Kamera zu treten." Stone lächelte amüsiert. "Von mir aus." Jamies Zorn wuchs. "Wenn du mir nicht glaubst, warte es nur ab", drohte sie. Stone nickte freundlich. Ihr eisiger Ton schien ihn nicht im Mindesten zu beeindrucken. "Ich glaube dir, Jamie. Und wie ich schon sagte, von mir aus tu das." Stone schien es ernst zu meinen. Einen Moment lang wusste Jamie nicht, was sie sagen sollte. Er lächelte sein berühmtes Lächeln, bei dem die Grübchen sichtbar wurden. "Vielleicht interessiert es dich zu erfahren, was die Leute hier im Osten von Texas über dein neues Outfit gesagt haben." Er drückte einen Knopf an der Sprechanlage. "Sue, würden Sie mir bitte die letzten Anrufnotizen bringen?" Als die Sekretärin hereinkam, warf sie Jamie einen neugierigen Blick zu, reichte Stone einen Packen rosafarbener Zettel und verschwand wieder. Stone blätterte sie durch. "Hier zum Beispiel. ,Wie die Neue heute aussah, hat mir gefallen. Es kam mir vor, als würden die Nachrichten von einer alten Freundin verlesen.'" Wie bitte? Jamie runzelte verwirrt die Stirn. "Hier noch eine", fuhr Stone fort. "Die muss von einer Dame sein. ,Es war großartig, jemanden morgens um sechs im Fernsehen zu sehen, der genauso aussieht wie ich zu der Zeit. Er zwinkerte Jamie zu. "Meine Güte, muss ja ziemlich schlimm sein." Er schaute wieder auf die Notizen. "Wie war's mit der hier: Ich konnte mich endlich mal auf das konzentrieren, was die Sprecherin sagte, anstatt mich davon ablenken zu lassen, wie sie gekleidet ist.' Stone nahm die nächste Notiz. "Schön, dass
endlich mal jemand im Fernsehen war, der ganz normal und natürlich aussah.'" Jamies Gedanken wirbelten durcheinander. Die Leute mochten diesen Schlampen-Look? Das durfte doch nicht wahr sein! Stone nahm sie bestimmt auf den Arm! "Gib mal her", verlangte sie und streckte die Hand aus. Stone hatte vermutlich alles Mögliche erfunden, um sich über sie lustig zu machen. Lächelnd reichte er Jamie die Papiere. Sie sah die Zettel durch. ".Endlich mal eine Frau im Fernsehen, die nicht so aussieht, als wäre sie aus Plastik'", las sie laut vor. Erstaunt blickte sie auf. Stone beobachtete sie schweigend. Sie nahm eine weitere Notiz. ,Mit der Zöpfchen-Frau kann ich mich identifizieren. Ich hoffe, wir sehen sie öfter.' Jamie blätterte weiter. ,An wen muss ich mich wenden, um ein Foto mit Autogramm von der neuen Sprecherin zu bekommen?' Nur weil all diese Anrufe auf dem Papier des Senders standen, bedeutete das noch lange nicht, dass sie auch echt waren, dachte Jamie. "Stone, du musst mich für ziemlich unterbelichtet halten, wenn du glaubst, dass ich auf die Masche ,umgekehrte Psychologie hereinfalle." "Ach, das soll ,umgekehrte Psychologie' sein?" Jamie schnaubte kurz. "Ich weiß doch genau, was du vorhast." Stone rieb sich das Kinn. "Mal sehen, ob ich dir folgen kann. Ich sagte dir, dass ich es passend fände, wenn du eher normal aussiehst als allzu unnatürlich und aufgedonnert. Und das hast du so interpretiert, dass du dich zurechtgemacht hast, als wolltest du die Garage putzen." "Ganz richtig." "Und nun glaubst du, dass die Anrufe getürkt sind?" Jamie nickte.
"Na, dann hör mal zu." Stone nahm den Telefonhörer, drückte den Sprecherknopf und dann einen, der rot blinkte. "Guten Morgen, hier ist der KFS", sagte er. "Was kann ich für Sie tun?" "Ich rufe wegen der Lady an, die die Morgennachrichten verlesen hat", sagte eine weibliche Stimme. "Sie meinen Jamie Erickson, nicht?" fragte Stone nach. "Ganz richtig", sagte die Dame am Telefon. "Ich wollte nur dem Verantwortlichen sagen, dass wir es toll fanden. Normalerweise sehe ich immer Kanal vier, aber Ihr Sender war gerade eingestellt, als wir den Fernseher anmachten, und sie sah so anders aus, dass ich mich entschloss, eine Weile zuzuschauen. Ich fand sie prima! Deshalb rufe ich an. Ob Sie das wohl weitergeben wurden?" "Sehr gern", versprach Stone, "und vielen Dank für Ihren Anruf." "Das kann reiner Zufall gewesen sein", meinte Jamie." "Ach, glaubst du?" Stone drückte noch einen Knopf. "Hier KFS." "Die Nachrichtensprecherin heute Morgen hat mir sehr gefallen", sagte eine männliche Stimme, die von weither zu kommen schien. "Ich fand, sie hat mit der Kleidung eine politische Aussage gemacht. Sie hat damit nämlich gezeigt, dass es auf den Inhalt ankommt und nicht darauf, wie jemand angezogen ist. Wir müssen alle lernen, dass die Unterschiede von Rasse, Alter und Äußerlichkeiten völlig unwichtig sind, dass nur menschliche Beziehungen zählen und ..." "Ihre Aussage interessiert uns sehr", unterbrach Stone den Redefluss, "ich werde es gern weitergeben. Vielen Dank für Ihren Anruf!" Er legte auf. Aus Jamies Blick konnte er schließen, dass sie ihm endlich glaubte. "Hältst du die Anrufe noch immer für getürkt?"
"Nein, das sind sie wohl nicht." Sie massierte sich den Nackenmuskel, und Stone fiel ein, wie sensibel sie an der Stelle war. "Wir können noch ein paar Anrufe entgegennehmen, wenn du möchtest." Jamie war sichtlich durcheinander. "Nein, ich glaube dir." Dass sie auf einmal wie erschlagen wirkte, rührte Stone. "Es gibt Schlimmeres, als ein Medienliebling zu sein, Jamie", sagte er leise. "Moderatorin zu sein hat auch seine Vorteile." "Welchen?" "Abgesehen vom Gehalt und der Garderobe, die einem zusteht, wird man zu schicken Partys eingeladen. Heute Abend zum Beispiel. Der Sender sponsert einen Tisch beim ,Ball der Künste'. Eine Reihe potenzieller Werbekunden ist eingeladen, und das Erscheinen dort ist für den Sender gute Reklame." "Ich hasse solche Partys", widersprach Jamie. Der "Ball der Künste" war das größte gesellschaftliche Ereignis des Jahres. Aus sieben Gemeinden kamen Gäste, um daran teilzunehmen. Er pflegte in einem großen, alten Haus stattzufinden, das ein Ölmillionär dem Fairfield Arts Council gestiftet hatte. "Wir müssen ja nicht lange bleiben. Wir zeigen uns kurz, nehmen am Abendessen teil und verschwinden dann wieder." "Wir?" fragte Jamie. "Ja. Mr. Milton hat mich gebeten, dich mitzunehmen. Ich hole dich um sieben Uhr ab." "Aber ich möchte nicht..." "Tut mir Leid, Jamie, aber dein Erscheinen dort ist obligatorisch." "Ich habe aber nichts anzuziehen!" Stone verkniff sich ein Grinsen. "Wenn man bedenkt, wie die Reaktion auf heute Morgen war, könntest du eigentlich so kommen, wie du jetzt gekleidet bist. Vielleicht sollte dieser schlampige Look zu deinem Markenzeichen werden."
Jamie zupfte an ihrem Sweatshirt. "Ich soll so zu dem Ball gehen?" fragte sie ungläubig. Stone wusste, wenn er nur im Geringsten dagegen war, würde Jamie genau das tun. Sie hatte das Recht auf eine großzügige Summe für Kleidungsausgaben, und er hoffte, dass sie sich davon etwas Passendes für den Abend kaufen würde. Ab Nachmittag war sie offiziell nicht mehr im Dienst, dann hätte sie Zeit, ein bisschen Shopping zu machen. Er beschloss, noch einen draufzusetzen. "Wenn du so kämest, könntest du damit gleich dein morgendliches Outfit verkaufen." Das entsetzte Gesicht, das Jamie machte, war Belohnung genug. Und Stone fand sie zum Küssen schön. Aber was waren denn das schon wieder für Gedanken? Er wollte sich niemandem auf drängen, der ihn nicht wollte, und dass Jamie ihn nicht wollte, war deutlich genug. Schließlich hatte sie ihn verlassen! Es war ein Fehler gewesen, zurückzukommen. Zwischen ihnen war nichts mehr, es war vorbei. Das musste er endlich begreifen. Was Jamie anging, so sollte er sie sich besser schleunigst aus dem Kopf schlagen. Er ging zur Tür und hielt sie auf. "Wir treffen uns dann um sieben", sagte er. Wenn er die Gedanken an Jamie nur auch so hinter sich schließen könnte wie eine Tür ...
5. KAPITEL Als Stone seinen Jeep vor Jamies Haus im historischen Teil von Fairfield zum Halten brachte, hatte der Himmel sich schon abendlich verdunkelt. Er blickte durch die Windschutzscheibe zu ihrem Haus hinüber. Es war alt, hatte hohe spitze Giebel, eine gewölbte Eingangstür und eine Terrasse. Es war nicht groß, aber irgendwie besonders. Genau wie Jamie. Das Zuschlagen der Autotür hallte in der Stille wider. Stone stieg die Treppe zum Eingang hinauf. "Hey, wie geht's?" rief eine vertraute Stimme. "Meine Güte, siehst du im Smoking elegant aus!" Stone entdeckte Grams, die in einer Schaukel auf der Terrasse saß. "Du siehst auch gut aus", antwortete er galant. Grams strahlte und zupfte am Kragen ihres gemusterten Kleides. "Setz dich einen Moment zu mir, Jamie ist noch nicht fertig." "Heißt das, sie kommt nicht im Sweatshirt?" fragte Stone, während er sich neben Grams setzte. Sie kicherte. "Das wirst du gleich sehen. Ich glaube, du wirst überrascht sein." Sie schob die Brille hoch. "Ich bin selbst gespannt. Eigentlich bin ich nur vorbeigekommen, um einen Topf abzuholen, aber dann entschloss ich mich zu warten, um das Endergebnis zu begutachten. Das ist bestimmt spannender als jedes Fernsehprogramm."
Oje, würde Jamie womöglich als Buffo, der Clown, auftreten? Stone rieb sich nervös die Schläfen. "Heute Morgen hat sie mich ziemlich überrascht. Deine Enkelin ist wirklich eine Nummer!" Grams legte den Kopf schief. "Weißt du, Jamie hasst es, wenn man ihr vorschreibt, was sie zu tun hat. Das war schon immer so. Sie kann es nicht ausstehen, manipuliert zu werden." Das konnte Stone gut verstehen. Während ihrer Ehe hatte er immer das Gefühl gehabt, dass Jamie ihn manipulieren wollte! "Ach, sie glaubt, das tue ich mit ihr?" "Ja, ist es denn nicht so?" Stone stieß mit dem Fuß auf den Boden und brachte damit die Schaukel in Bewegung. "Kann sein. Aber warum wehrt sie sich gegen etwas, was in ihrem eigenen Interesse liegt? Manchmal verstehe ich sie nicht." Grams tätschelte seine Hand. "Um Jamie zu verstehen, muss man ihre Eltern kennen. Aber darüber spricht sie nicht gern. Du hast Cheryl nur einmal getroffen, nicht?" Cheryl war Jamies Mutter. "Ja, gleich nach der Hochzeit sind wir einmal übers Wochenende zu ihren Eltern nach Florida geflogen." "Na, dann weißt du ja, dass meine Tochter eine schillernde, kontaktfreudige Person ist, eine Frau, die es liebt, im Mittelpunkt zu stehen. Ihr größter Traum war es, Schauspielerin zu werden und ihren Namen in Leuchtbuchstaben prangen zu sehen." Die Information passte zu dem Eindruck, den Stone damals gehabt hatte. Er erinnerte sich, dass Jamies Mutter platinblond gefärbt war, Unmengen von Schmuck trug und dramatische Gesten liebte. "Sie wirkte wie das genaue Gegenteil von Jamie." Grams nickte. "Cheryl hat es nie an den Broadway oder nach Hollywood geschafft und wollte unbedingt, dass wenigstens ihre Tochter diesen Traum erfüllte. Da ihr Mann nie zu Hause war,
hatte sie viel Zeit und verwandte alle Energie darauf, aus Jamie einen Star zu machen." Stone sah die alte Dame nachdenklich an. "Und Jamie hat natürlich rebelliert." "Anfangs nicht. Jamie war Einzelkind, wollte ihrer Mutter gefallen und die Aufmerksamkeit ihres Vaters erringen. Der war aber...", Grams zögerte, "... man soll ja nicht schlecht von Toten sprechen, aber er war entsetzlich kritisch. Jamie wollte, dass ihre Eltern stolz auf sie waren, kämpfte sich durch Schauspielkurse, quälte sich mit Tanz- und Gesangsstunden ab." "Aber sie hasste es." "Ja. Das Merkwürdige ist, dass Jamie wirklich gut war. Sie ist eigentlich ein eher stiller Mensch, aber sie hat Bühnenpräsenz." Grams blickte ihn von der Seite an. "Ich nehme an, du weißt, dass sie früher gestottert hat?" "Ja. Ein Freund von ihr erwähnte es mal, aber Jamie hat mir nie irgendwelche Details erzählt. Sie mochte nicht davon sprechen. Ich habe ein paar Mal davon angefangen, aber sie wechselte immer das Thema." Das tat sie immer, wenn ihr etwas unangenehm war, dachte Stone. Und dann kam er sich jedes Mal vor wie aus ihrem Leben ausgeschlossen. Und dieses Gefühl, ein Außenseiter zu sein, kannte und hasste er seit seiner Kindheit. Sowie Jamie sich innerlich zurückzog, kamen die traurigen Erinnerungen wieder hoch, die kalte Angst im Magen, das Gefühl der Leere in der Brust. Er hatte in seiner Jugend nie gelernt, mit diesem Gefühl des Ausgeschlossenseins umzugehen und in seiner Ehe genauso wenig. Also hatte er sich angewöhnt, von allem distanziert zu bleiben. Manchmal war es ihm vorgekommen, als sei eine gläserne Wand zwischen ihnen, so als könnte er Jamie zwar sehen, sie aber nicht berühren. Nur im Bett war es anders, da gab es keinerlei Reserviertheit, da waren sie wirklich eins gewesen.
"Jetzt stottert sie aber nicht mehr", nahm Stone das Gespräch wieder auf. "Nur dann, wenn sie davon spricht. Also meidet sie das Thema. Sie hat eine Therapie gemacht und das Problem damit in den Griff bekommen." Jamies Stottern war also so schlimm gewesen, dass sie eine Therapie gebraucht hatte? Stone war immerhin ein Jahr mit ihr verheiratet gewesen und hatte etwas so Wichtiges über sie nicht erfahren? "In welchem Alter war denn das?" "Als sie in der Oberstufe war. Ihre Mutter hatte sie gedrängt, einem Sprachkurs beizutreten. Mitten in einer Debatte in der Aula brachte Jamie plötzlich kein einziges Wort mehr heraus. Es war schrecklich! Minutenlang versuchte sie immer wieder, dieselbe Silbe über die Lippen zu bringen. Die anderen Schüler fingen an zu kichern, dann lachten sie laut. Und Jamie verließ weinend den Raum. Von da ab boykottierte sie dann die Pläne ihrer Mutter. Jamie ist eigentlich ein sanfter Mensch, aber wenn sie sich mal zu etwas entschlossen hat, kann sie entsetzlich stur sein." "Oh, ja, das kann ich bestätigen." Was Grams ihm da von Jamie erzählt hatte, konnte Stone gut nachvollziehen. Er empfand tiefes Mitleid mit ihr, wusste er doch aus eigener Erfahrung, wie schrecklich es war, ausgelacht zu werden. "Ich vermute, die Tatsache, dass du sie so drängst, Nachrichtensprecherin zu sein, erinnert sie an damals, und deshalb findet sie es furchtbar." Grams legte Stone eine Hand auf den Arm. "Aber du bist nicht allein. Sie war auch alles andere als glücklich, als ich neulich Abend dieses kleine Treffen arrangierte." Stone schaute Grams nachdenklich an. "Wie soll ich mich verhalten? Kannst du mir keinen Rat geben?"
Grams zuckte die Schultern. "Ich fürchte, das kann ich nicht. Aber ich dachte, es hilft dir, wenn du weißt, was für, Probleme sie hat." "Von welchen Problemen sprichst du?" kam eine Stimme von hinten. Stone schaute auf. Vor ihnen stand, beleuchtet von der Flurlampe, eine echte Dame. Jamie trug ein langes, schwarzes Kleid, das ihre Kurven elegant umschmiegte. Verblüfft sprang Stone auf. Als Jamie nun ins volle Licht der Deckenlampe trat, musterte Stone sie von oben bis unten und nahm jedes Detail wahr: den schmeichelnden Stoff, die glitzernden Ohrringe und die hochhackigen schwarzen Satinpumps. So hatte er Jamie noch nie gesehen! Die Haare waren raffiniert aufgesteckt, Augen und Lippen zart geschminkt, und ihre Figur ... Sie sah einfach unglaublich aus. "Donnerwetter!" entfuhr es ihm. "Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht", sagte Jamie. Stones Blick landete auf ihrem Dekolleté, das sich bei jedem Atemzug hob und senkte. "Enttäuscht?" wiederholte er. Er konnte noch immer nicht glauben, dass diese umwerfende Erscheinung seine Exfrau Jamie war. "Dass ich weder Sweatshirt noch Zöpfe trage, meine ich." Stone räusperte sich. "N...nein, wirklich nicht!" "Worüber hattet ihr denn gerade gesprochen? Ihr schient über irgendein Problem zu reden." "Ach das", meinte Grams wegwerfend und fuchtelte mit der Hand in der Luft herum. "Ich hatte Stone nur erklärt, wie sehr wir hier unter der Insektenplage leiden und wie lästig das ist." Man sah Jamie an, dass sie ihrer Großmutter nicht glaubte. "Na ja, wir haben hier etliche Plagen." Sie warf Stone einen bedeutungsvollen Blick zu. "Und es kommen täglich neue dazu."
Stone lachte. Wie verändert Jamie auch aussehen mochte sie war noch dieselbe! "Gehen wir?" "Habe ich denn eine Wahl?" Stone lächelte. Ja, tatsächlich, ganz die alte Jamie. Aber genau das gefiel ihm. "Nicht wirklich. Das Management von KFS erwartet von dir, dass du an diesem Remmidemmi teilnimmst." Jamie unterdrückte ein Lachen. "Die Damen auf der Veranstaltung würden vor Entsetzen umfallen, wenn sie wüssten, dass du den Ball ein Remmidemmi nennst." "Siehst du? Es ist also doch gut, dass du bei mir bist, um dem Sender diese Peinlichkeit zu ersparen." Sie saßen an einem weiß gedeckten Tisch. Jamie aß ein bisschen Champagnertorte, nickte höflich und täuschte Interesse an dem vor, was Mrs. Milton, die Frau des Sendechefs, erzählte. Sie war von Stones Gegenwart viel zu abgelenkt, um dem Geplauder zu folgen. Er dagegen wirkte völlig entspannt und schien Jamie kaum wahrzunehmen. Während des opulenten Fünfgängemenüs war er umsichtig, richtete aber nur selten das Wort an sie. Stone hatte sich vorgenommen, nichts zu tun, was Jamie womöglich als sexuelle Belästigung auslegen konnte. Allerdings mit der Wirkung, dass sie das Gefühl hatte, er ginge ihr aus dem Weg. Jamie erhielt mehr Aufmerksamkeit von anderen Besuchern des Balls. Eigentlich hätte sie über sein distanziertes Verhalten froh sein sollen, komischerweise aber enttäuschte es sie. Ein Kellner mit weißen Handschuhen machte sich daran, den Tisch abzudecken. Im Hintergrund des prunkvollen Ballsaals begann eine Band Tanzmusik zu spielen. Stone stand auf und sagte in die Runde: "Ich habe gerade eine frühere Mitarbeiterin von mir gesehen und möchte sie gern begrüßen. Würden Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen."
Jamie sah ihm nach. Auch andere Frauen blickten hinter ihm her. Kein Wunder, denn er sah umwerfend aus in seinem Smoking. Stone blieb bei einem Tisch stehen und berührte die Schulter einer blonden Frau in kirschrotem, weit ausgeschnittenem Kleid. Sie sprang auf, umarmte ihn und küsste ihn auf die Wange. Jamie fiel auf, wie kokett sie ihn ansah und wie verführerisch sie lächelte. Jamie zerknüllte die Stoffserviette. Wozu hatte sie sich nur so viel Mühe gegeben, sich hübsch zu machen? Zwar hatte sie sich gesagt, dass sie Stone nur damit überraschen wollte, aber in Wirklichkeit ging es ihr darum, ihm zu beweisen, dass sie kein langweiliger Durchschnitt war und durchaus imstande, ihn zu beeindrucken! Und nun musste sie leider feststellen, dass es nicht gewirkt hatte. Die Blondine hatte ihre Hand auf Stones Arm gelegt und lachte gerade, den Kopf in den Nacken gelegt. Mrs. Milton beugte sich verschwörerisch vor. "Gordy hat mir erzählt, dass Sie mal mit Stone verheiratet waren. Ich weiß ja nicht, was passiert ist, meine Liebe, aber glauben Sie mir, Sie hätten es weit schlechter treffen können. Er ist wirklich faszinierend." Jamie war erstaunt. Hatte Stone Milton etwa erzählt, dass sie beide verheiratet gewesen waren? Na ja, er war immer sehr offen mit allem. Und es könnte peinlich sein, wenn es später herauskäme, zumal er Jamie als neue Sprecherin befürwortet hatte. Vielleicht War das ein Weg, um aus dem neuen Vertrag wieder herauszukommen? Die Blondine drückte Stone gerade eine Karte in die Hand. "Ist unsere ehemalige Verbindung denn ein Problem?" fragte Jamie ihre Tischnachbarin. "Ich glaube, ich habe in den Bestimmungen irgendwo gelesen, dass es zwischen Mitarbeitern
keine Privatverbindungen geben sollte. Vielleicht hat Ihr Mann etwas dagegen, dass ehemalige Ehepartner zusammenarbeiten?" Mrs. Milton schüttelte den Kopf, wobei ihre straff toupierte Hochfrisur sich keinen Deut bewegte. "Ich habe Gordy gesagt, dass diese Vorschrift mit zum Albernsten gehört, was ich je gehört habe. Aber keine Sorge, meine Liebe, diese Regel bezieht sich nur auf aktuelle Romanzen, nicht auf vergangene." Die Band spielte gerade einen Slowfox, als Stone zum Tisch zurückkehrte. Er brachte den Duft eines schwülem Parfüms mit, auf seiner Wange prangte Lippenstift. Jamie empfand auf einmal einen Hauch von Eifersucht. Sie wischte ihm den Lippenstift vom Gesicht und fragte unvermittelt: "Wollen wir nicht tanzen?" Stone schaute sie misstrauisch an, aber Jamie nahm seinen Arm. "Komm, sei kein Spielverderber." Es gefiel ihr, dass der gesamte Tisch, inklusive Mrs. Milton, interessiert herübersah. "Komm schon, Schatz, das war doch mal eins unserer Lieblingsstücke." Wenn Stone keine Szene machen wollte, musste er akzeptieren. Also spielte er ihr Spiel mit. Jamie lächelte zufrieden. Auf der Tanzfläche stellte sie sich vor ihn und legte die Hand auf seine Schulter. Er umschlang ihre Taille und zog sie an sich. Oje, wie hatte sie vergessen können, wie wunderbar sie körperlich zueinander passten, wie muskulös und sexy er war ... Als er sie übers Parkett bewegte, wurden alle möglichen Erinnerungen wach. Bei der Weihnachtsfeier des Fernsehsenders in Tulsa hatte sie zum ersten Mal mit ihm getanzt. Von dem Moment an, als er sie in die Arme genommen hatte, war Jamie ihm verfallen. Stone hätte mit ihr durch die ganze Stadt tanzen können, sie hätte nichts von der Umgebung wahrgenommen, so intensiv empfand sie seine Gegenwart. Sie verliebte sich Hals über Kopf in ihn. Schon nach wenigen Wochen wusste sie, er oder keiner. Das war der Mann, von dem
sie immer geträumt hatte: attraktiv, intelligent, witzig, nachdenklich, liebevoll. Und äußerst verführerisch. Außerdem ging er die Dinge, die er erreichen wollte, direkt an. Und er wollte sie! Zu wissen, dass sie das Ziel seiner Aufmerksamkeit war, war das Aufregendste, das sie je erlebt hatte. Bei der Weihnachtsfeier damals hatte er sie gefragt, ob sie wohl mit ihm über die Feiertage zum Skilaufen fahren würde. Und sie hatte sofort Ja gesagt. Zumal Grams damals eine Reise ins Heilige Land gebucht und ihre Mutter gerade wieder geheiratet hatte und nach Florida gezogen war. So war sie also mit Stone nach Tahoe gefahren ... Und kam selbst frisch verheiratet zurück! "Erklärst du mir dein plötzliches Bedürfnis, mit mir zu tanzen, oder soll ich raten, ,Schatz'?" Jamie wusste, dass sie ein gefährliches Spiel trieb, denn sie fand diesen Mann so attraktiv wie eh und je. Auf einmal wusste sie gar nicht mehr, wieso sie ihn zum Tanzen aufgefordert hatte. Stone tanzte mit ihr in eine etwas abgelegene Ecke, so dass Jamies Absicht, die Kollegen vom Sender zu provozieren, gar nicht zu verwirklichen war. Er lächelte amüsiert. "Lass mich raten. Du möchtest, dass Mr. Milton glaubt, wir hätten wieder etwas miteinander, nicht?" Jamie fühlte sich ertappt. "Und der Grund? Er soll denken, dass ich gegen die Firmenregeln verstoße, die private Verbindungen zwischen Mitarbeitern verbieten." Jamie presste die Lippen aufeinander. Stone zwang sie, ihn anzusehen. "Es wird nicht funktionieren, Jamie. Erstens bin ich unabhängiger Berater und kein Angestellter, also gilt die Regel nicht. Zweitens irrst du dich, wenn du glaubst, den Eindruck zu erwecken, dass du wegen unserer privaten Beziehung und nicht wegen deines Könnens vor die Kamera geholt wurdest. Die Reaktion der
Zuschauer ist viel zu stark, und die Quoten sind das Einzige, was Mr. Milton interessiert." Stone legte die Hand an Jamies Rücken und machte eine leichte Drehung. "Ich wollte, ich könnte von mir das Gleiche sagen", sagte er leise an ihrem Haar. "Was meinst du?" fragte Jamie. "Es ist lange her, dass ich etwas als so angenehm empfunden habe, wie dich in den Armen zu halten." Seine Worte berührten sie. "Wie lange ist es her?" fragte sie. "Drei Jahre, fünf Monate und ...", er überlegte und zählte innerlich, "... zwölf Tage." Dass er es so genau wusste, brachte Jamie beinahe aus der Fassung, und ihr wurden die Knie weich. Zum Glück hielt Stone sie fest im Arm. "Ich hatte dir versprochen, dich nicht anzurühren, es sei denn, du machst den ersten Schritt", erinnerte Stone sie. "Und nun hast du mich zum Tanzen aufgefordert." Er schwenkte sie ein paar Mal herum, und der Saal, die Menschen darin, selbst die Musik, alles schien in weite Ferne zu rücken. Nur Stone existierte noch, seine Körperwärme, seine Wange an ihrem Gesicht, seine Hand an ihrem Rücken, die Berührung seiner festen Schenkel bei bestimmten Tanzschritten. Als das Stück beendet war und Stone sie losließ, fühlte Jamie sich auf den hohen Hacken offensichtlich unsicher, so dass er sie schnell festhielt, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor. "Danke für den Tanz, Jamie." Sie wagte nicht, ihn anzusehen, aus Angst vor dem, was sie in seinem Blick lesen würde. Und aus Angst vor dem, was er in ihrem entdecken mochte. Als er sie zum Tisch zurückführte, war sie noch so durcheinander, dass sie sich nicht vorstellen konnte, nun wieder belanglosen Small Talk mit den Tischnachbarn zu führen. Um sich sammeln zu können, murmelte sie eine Entschuldigung, nahm ihre Handtasche und eilte zur Damentoilette.
Der Raum war hell erleuchtet. Jamie befeuchtete ein Papierhandtuch und betupfte sich damit den Nacken. "Heiß im Saal, wie?" meinte eine Frau, die sich neben ihr die Hände wusch. Heißer, als Sie sich vorstellen können, dachte Jamie. Sie wischte sich mit dem feuchten Tuch den Hals ab. Wieso reagierte sie bloß so stark? Dass Stone die Trennungszeit auf den Tag genau wusste, musste man ja nicht überbewerten. Damit hatte er doch nichts anderes gesagt, als dass er sie vermisst hatte! Vermutlich ging es ihm vor allem um den Sex, der zwischen ihnen immer gut geklappt hatte. Erotische Anziehungskraft reichte aber nicht, um eine gute Ehe zu führen! Dafür mussten beide Partner das gleiche Ziel haben. Für Stone war vor allem die Karriere wichtig. In seinem Leben gab es keinen Platz für eine Frau, er war mit seiner Arbeit verheiratet. Jamie verließ den Raum mit dem Gedanken, dass sie sich endlich von ihren romantischen Illusionen trennen sollte. Als sie den Ballsaal wieder betrat, legte jemand ihr plötzlich eine Hand auf den Arm. Erschrocken blieb sie stehen. Todd stand mit geröteten Augen vor ihr. "Ich höre, du warst mal mit diesem supertollen Medienberater verheiratet!" Seine Zunge war schwer, die Worte undeutlich ausgesprochen. "Muss er nun im Tausch für den Sprecher-Job weniger Alimente zahlen?" "Ich bekomme keinen Unterhalt von Stone." Jamie versuchte, sich loszumachen, aber Todd hatte sie fest gepackt. "Nein? Na, dann kriegt er sicher eine andere Art von Belohnung dafür." Er zeigte ein hässliches Lächeln. "Ihr beiden habt beim Tanzen wirklich reizend ausgesehen." Dass sie mit Stone getanzt hatte, war ein Fehler gewesen. Das musste Jamie jetzt erkennen. Aber wieso wagte Todd es, solche plumpen Mutmaßungen anzustellen? "Du hast zu viel getrunken, Todd, und solltest nach Hause gehen, bevor es peinlich wird. Soll ich dir ein Taxi rufen?"
Todd verzog die Lippen. "Mach dir keine Mühe, du solltest dich lieber um dich selbst kümmern." Jamie konnte sich endlich losmachen, ging zu ihrem Tisch zurück, setzte sich und griff mit zitternder Hand nach dem Wasserglas. Stone bemerkte ihren aufgeregten Zustand. "Alles in Ordnung, Jamie?" fragte er besorgt. Obgleich sie Todds Benehmen abscheulich fand, wollte sie ihn nicht vor anderen schlecht machen. Schließlich hatte sie ihm ja tatsächlich den Job weggenommen, auch wenn es nicht ihre Absicht gewesen war. Todd war betrunken, nichts weiter. Und wenn sie jetzt etwas Negatives über ihn sagte, würde er womöglich gefeuert. "Alles in Ordnung", behauptete sie, "hier drinnen ist es nur ziemlich warm." "Ich sagte ja, dass wir nicht lange bleiben müssen. Möchtest du gehen?" "Ja, gern. Es war ein langer Tag." Sie verabschiedeten sich und verließen das Fest. An der Tür des Ballsaals flammte plötzlich ein Blitzlicht auf. Als die Sterne vor ihren Augen nachließen, entdeckte Jamie einen Mann mit einer Kamera. "Ich bin von der Morgenzeitung, Ms. Erickson, darf ich noch ein Bild von Ihnen machen?" Stone trat zur Seite, und noch bevor Jamie protestieren konnte, flammte das Blitzlicht erneut auf. "Danke, Ms. Erickson", sagte der Mann und ließ die Kamera sinken. Stone nahm sie am Arm und führte sie zum Ausgang. "Was sollte denn das?" fragte Jamie verständnislos. "Na ja, das liegt an deinem neuen Bekanntheitsgrad." "Ich fühle mich eher wie das Opfer eines Überfalls." "Leider sind das die Begleiterscheinungen. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen, du bist ausgesprochen fotogen'." Er hielt ihr die Tür offen. Darum ging es ja gar nicht! Seit dem schrecklichen Vorfall damals in der Schule mied Jamie jedes Scheinwerferlicht. Sie
fand den Gedanken beängstigend, jetzt erneut in eine solche Situation zu geraten. Es war, wie auf dem Seil zu balancieren, und würde nur eine Frage der Zeit sein, wann sie hinunterfiel. Sie fröstelte bei diesem Gedanken wie von der kühlen Nachtluft. Stone zog sofort sein Jackett aus und legte es ihr fürsorglich um die Schultern. Die Jacke war noch warm von seinem Körper. Irgendwie kam es ihr intim vor und erinnerte sie daran, wie Stone manchmal das Bettlaken auf ihrer Seite für sie vorgewärmt hatte. Eine schöne Erinnerung. Er legte den Arm um sie. "Ich sehe, du hast dich nicht verändert. Vermutlich hast du auch ganz kalte Füße." Dass Jamie immer kalte Füße hatte, war ein ständiger Anlass für Scherze zwischen ihnen gewesen. "Schläfst du noch immer in Wollsocken?" Die Frage machte Jamie verlegen. Sie war froh, dass das Licht auf dem Parkplatz so schwach war. "Worin ich schlafe, geht dich nichts an, Stone." "Aber ich weiß es noch." Schade, dass es mich nichts mehr angeht, dachte er, während er Jamie die Beifahrertür öffnete. Der Gedanke erschreckte ihn sogleich. Als er nach Fairfield gekommen war, wusste er eigentlich nicht, was er sich von einer erneuten Begegnung mit ihr erhoffte.' Er stieg ebenfalls in den Wagen. Nach dem Lärm im Ballsaal kam ihm das Wageninnere wie eine ruhige Insel vor. Jamie zog sich das Jackett vor der Brust zusammen. Die Jacke hat es gut, dachte Stone. Sie konnte Jamies wundervolles Dekolleté berühren, das er den ganzen Abend bewundert hatte. "Vieles hat sich geändert", erklärte sie. Stone legte den Arm auf die Lehne ihres Sitzes. Am liebsten hätte er die Nadeln aus ihrem Haar gezogen und seine Hände in ihrer Mähne vergraben. Er wusste noch genau, wie sie sich
anfühlte, wie sie roch ... "Hast du dir je gewünscht, es wäre nicht so, Jamie?" Sie schloss eine Weile die Augen. "Ich finde, darüber sollten wir nicht diskutieren." Ausweichmanöver. Also musste er eine neue Taktik anwenden. Er zündete den Motor, stellte die Heizung an und fuhr vom,; Parkplatz hinunter. "Worüber sollten wir denn deiner Meinung nach lieber sprechen?" "Zum Beispiel darüber, was du in den vergangenen dreieinhalb Jahren gemacht hast." Dich vermisst, hätte er am liebsten gesagt. "Gearbeitet. Erst in Seattle, anschließend in Denver und in Baltimore. Im vergangenen Jahr habe ich mich dann selbstständig gemacht. Seitdem bin ich viel unterwegs, alle zwei Monate woanders." Stone betrachtete Jamies Profil - die feine Nase, die geschwungenen Wimpern, das zarte Kinn. Schön wie eine griechische Statue, fand er. Hatte er ihr das eigentlich je gesagt? Und ob Jamie wohl ähnliche Versäumnisse zu bereuen hatte? Wenn sie beide ehrlicher miteinander umgegangen wären, hätte ihre Ehe dann wohl funktioniert? Vielleicht sollte er ihr mal sagen, wie sehr er sie vermisst hatte. Oder wie schön sie war. Oder wie gern er mit ihr tanzte. Aber Jamie wirkte so abweisend, dass ihm die Worte im Hals stecken blieben. Abweisung hatte Stone früh in seinem Leben kennen gelernt, und solchen Situationen ging er nach Möglichkeit aus dem Weg. Es tat einfach zu weh. Er konzentrierte sich aufs Fahren. Mit erzwungener Leichtigkeit fragte er: "Und du? Warst du auch viel unterwegs?" "Nein. Im Gegensatz zu dir habe ich versucht, Wurzeln zu schlagen." Das klang vorwurfsvoll, abwehrend. Und wie früher schmerzte es ihn. Stone hatte sich immer gewünscht, Jamie möge stolz auf ihn sein, aber sie warf ihm nur vor, wie viel Zeit
er seiner Karriere widmete. Wieso verstand sie nicht, dass er es tat, um sie beide für immer abzusichern? Sie hätte doch froh sein können, dass er so viel Ehrgeiz und Energie besaß! Oder wollte sie lieber einen Nichtstuer wie seinen Vater? Bittere Erinnerungen kamen in ihm hoch. Seine arme Mutter hatte zwei Jobs gleichzeitig gemacht, um ihn und den Vater ernähren zu können. Die Arme war ständig müde und erschöpft gewesen. Und sein Vater bediente sich für seine Spielleidenschaft auch noch aus ihrem Portemonnaie. Wenn es ihn wieder packte, zog es ihn auf die Rennbahn, anstatt dass er die Stromrechnung bezahlte, dann saßen sie im Dunkeln und ohne Heizung da. Die Schulkameraden hatten ihn gehänselt, als sein Vater nach etlichen Schlägereien im Gefängnis landete. "Johnsons Vater im Knast, zu faul zum Arbeiten, schafft es nicht, die Kaution aufzubringen", hieß es. Stone bemerkte, dass er das Lenkrad unnötig fest umfasst hielt. Er bemühte sich, die traurigen Erinnerungen zu verdrängen. Was mit seinem Vater gewesen war, hatte er Jamie nie erzählt. Sie wusste nur, dass seine Familie nicht gerade reich gewesen war, aber nichts davon, wie schlimm es wirklich gewesen war und wie sehr Stone sich geschämt hatte. Öfter nahm er sich vor, Jamie davon zu erzählen, aber er wusste nicht, wie. Er hatte seine Kindheit so lange verdrängt, dass er Schwierigkeiten hatte, sich anderen gegenüber zu öffnen. Obendrein war Jamies Hintergrund das genaue Gegenteil von seinem. Ihr Vater war Vorstandsmitglied bei einer renommierten Firma und gehörte zu den Honoratioren der Gemeinde. Sie war mit Geld und Sicherheit aufgewachsen und dem Bewusstsein, geachtet zu werden. Deshalb würde sie vermutlich sein Leben gar nicht nachvollziehen können. Mit Geld konnte sie allerdings umgehen, und es hatte Stone immer gewundert, wie einfach sie lebte. Sie kannte jedoch nicht die Einsamkeit eines
vernachlässigten Kindes, das in Armut auf gewachsen war. Und das Letzte, was er wollte, war Mitleid; Nun spielte es keine Rolle mehr. Sein Vater war schon lange tot, und seine Mutter starb zwei Jahre, bevor er Jamie kennen lernte. Das Einzige, was für ihn zählte, war, das genaue Gegenteil von seinem Vater zu werden. Stone bog in Jamies Straße ein. Beide hatten die ganze Fahrt über geschwiegen. Dabei hatte Stone vorgehabt, die Dinge zwischen ihnen wieder geradezubiegen. Er parkte. "Erzähl mir etwas von deinem Haus. Seit wann hast du es?" Jamies Gesicht hellte sich auf. Das richtige Thema, dachte Stone erleichtert. "Ich habe es im vergangenen Jahr gekauft, bei einer Zwangsversteigerung. Es muss noch viel gemacht werden, aber es gefällt mir sehr, und ich habe große Lust, es richtig herzurichten." Jamie hatte sich immer ein eigenes Haus gewünscht. Stone wusste noch, dass sie einen Ordner voller Fotos, Zeitungsausschnitte und Einrichtungsvorschläge hatte, ihr Traumbuch, wie sie es nannte. Er spähte durch die Dunkelheit zu dem Haus hinüber, das durch die Außenlampe nur schwach beleuchtet wurde. "Es erinnert mich an ein Märchenhaus. Hast du den Garten auch selbst gestaltet?" "Ja", bestätigte sie stolz. "Die Bäume gab es schon, aber ich habe zusätzlich noch Büsche gepflanzt und Blumenbeete angelegt. In diesem Jahr möchte ich im hinteren Teil einen Gemüsegarten einrichten." "Alle Achtung! Und wie sieht es innen aus?" "Da gibt es noch viel zu tun. Als Erstes habe ich die Holzfußböden abziehen und neu lackieren lassen, dann tapeziert und gestrichen." "Dürfte ich es mal sehen?"
Jamie zögerte, dann sagte sie lächelnd: "Also gut, machen wir eine Besichtigung." Als sie an der Eingangstür vor ihm stand und in der Tasche nach dem Schlüssel kramte, fiel sein Blick wieder auf ihren Nacken, und Stone dachte daran, wie gern er diese Stelle immer geküsst hatte. Er schloss kurz die Augen. Jamie bemerkte das und schaute ihn neugierig an. Er tat schnell so, als müsse er niesen. "Gesundheit! Siehst du, ich hätte dein Jackett nicht annehmen dürfen, jetzt hast du dich erkältet." Das Gefühl, dass sich jemand um ihn sorgte, hatte Stone lange nicht mehr empfunden. Jamie zog die Jacke aus und reichte sie ihm zurück. "Möchtest du vielleicht einen heißen Tee oder einen Kaffee?" "Kaffee hört sich gut an." Drinnen machte Jamie Licht, und Stone schaute sich interessiert um. Was er sah, erstaunte ihn. Obgleich vieles so wirkte, als sei es von einem Innenarchitekten eingerichtet, war es weniger perfekt als gemütlich. Der Kamin, die vielen Bilder, die warmen Farben - alles hatte den Charme eines Landhauses. "Wunderschön", sagte er. "Und das hast du mit deinem Gehalt geschafft?" "Na ja, ich habe versucht, die fehlenden Mittel durch Kreativität auszugleichen. Die beiden Lehnstühle stammen zum Beispiel vom Flohmarkt, ich habe sie selbst aufgepolstert." Da stand das Sofa, das sie gekauft hatte, als sie noch verheiratet waren! Sie hatten sich damals deswegen gestritten ... Stone wollte keine Möbel anschaffen, und schon gar kein Haus. Im Medienbereich musste man mobil sein, und er wollte sich nicht belasten. Er fand es sinnvoller, ein möbliertes Apartment zu mieten, als sich bei Umzügen mit dem Ein- und Auspacken zu belasten.
Jamie dagegen sehnte sich nach einem richtigen Zuhause. Als sie das Sofa kaufte, stritten sie sich nicht so sehr deswegen, sondern wegen Stones endloser Arbeitstage, der häufigen Umzüge und des ständigen Wechsels. Er wollte für eine sichere Zukunft sorgen und fühlte sich von Jamie in diesem Vorhaben nicht unterstützt. Sie dagegen meinte, er bekäme nie genug und würde nur in der Zukunft leben anstatt in der Gegenwart. Als Stone sich umschaute, wurde er ganz wehmütig. Jamie hatte sich offensichtlich ihren Traum erfüllt - ohne ihn! Das Haus war geschmackvoll, warm und einladend, voller Pflanzen und hübscher kleiner Gegenstände, die sie liebevoll zusammengetragen hatte. Sein steriles Hotelzimmer dagegen ... Jamie legte ihre Handtasche weg. "Ich mache schnell den Kaffee." Er folgte ihr in die Küche, die in feinem Graublau gestrichen war. An der Wand hing eine kleine Sammlung von Hühnerbildern, und auf einem Beistelltisch in der Essecke stand ein frischer Blumenstrauß. Es musste herrlich sein, hier in der Morgensonne am Fenster zu sitzen und mit Jamie zu frühstücken, dachte er schwärmerisch. Sie goss Wasser in die Kanne und legte Filterpapier bereit. Stone ging zum Kühlschrank, da Jamie dort den Kaffee aufzubewahren pflegte. Dabei fiel ihm auf, dass er voller Schnellgerichte war. Sofort musste er daran denken, wie gern sie damals zusammen gekocht hatten. Sie überraschten sich gegenseitig mit gastronomischen Experimenten, schon das Einkaufen war immer ein Abenteuer gewesen. Leckeres Filet, ein ungewöhnliches Gewürz oder eine exotische Frucht zu finden war ein Grund zum Feiern, Und jetzt? Nachdem sie nach Phoenix umgezogen waren, hatte Stone praktisch rund um die Uhr gearbeitet, hatte kaum noch Zeit zu schlafen, geschweige denn für Mahlzeiten oder Hobbys. Und auch keine Zeit für Jamie.
Wie traurig. Im Grunde war ihre Ehe voller Harmonie gewesen. Warum hatten sie dieses Glück nur kaputtgehen lassen! Stone hielt ein Paket Lasagne hoch. "Du kochst wohl auch nicht mehr oft?" Jamie wirkte schuldbewusst. Sie füllte Kaffee in den Filter. "Nein. Und du?" "Ich habe in Seattle eine Wohnung, lebe aber meistens im Hotel. Hier in deiner Küche zu stehen ist die größte kulinarische Erfahrung seit Monaten", scherzte er. Jamie drückte auf den Knopf der Maschine. "Ich nehme an, Leute wie wir halten Tiefkühlfirmen am Laufen. Kommst du mit? Ich zeige dir den Rest des Hauses, während der Kaffee durchläuft." Stone folgte ihr den Flur hinunter und spähte in die Räume: ins Gästezimmer, ins Büro und ins Gästebad. "Und das hier ist das Schlafzimmer." Jamie knipste das Licht an. Stone dachte sofort, dass auch hier alles zu Jamie passte. An der Wand hing ein zauberhaftes Landschaftsbild, auf dem breiten Bett lag eine feine Tagesdecke in Pastellfarben. In der Ecke stand ein prachtvoller alter Schaukelstuhl. Als Stone eine kleine Spieluhr aufnahm und den Deckel öffnete, war ein winziges Brautpaar zu sehen, das sich zu den Klängen von "Wir haben gerade erst begonnen" im Kreis drehte. Ihm wurde die Kehle eng. Diese Spieluhr hatte er ihr kurz vor der Trauung gekauft. Sie hatten sich über das kitschige Ding lustig gemacht, aber während der Hochzeitsfeier bekam es einen Ehrenplatz. "Du hast sie also noch immer", bemerkte er nachdenklich. Oje, warum hatte sie die Spieluhr nur herumstehen lassen, dachte Jamie. Warum hatte sie Stone überhaupt in ihr Haus eingeladen! Das war ja gerade so, als wolle sie ihn wiederhaben!
Mit der Spieluhr in der Hand, trat Stone auf sie zu. Er blieb dicht vor ihr stehen. Die beiden Figürchen drehten sich langsamer, die Musik wurde schleppend. "Wieso hast du sie behalten, Jamie?" fragte er, stellte die Uhr auf der Kommode ab und legte seine Hände auf ihre Schultern. "Was ist nur mit uns passiert?" fragte er leise. In seinem Blick stand tiefe Betrübnis. Jamie tat das Herz weh. Drei Jahre lang hatte sie versucht, ihr Leben wieder in Ordnung zu bringen, sich daran zu gewöhnen, ohne Stone auszukommen, und ein paar Worte machten alles wieder zunichte. Drei Jahre lang hatte sie so getan, als ginge es ihr gut, als hätte sie die Trennung überwunden, und auf einmal entpuppte sich alles als ein Selbstbetrug. Aber das durfte Stone nicht merken! "Du bist weggegangen, das ist passiert." "Ich wollte, dass du mitgehst!" "Aber ich hatte es satt, schon wieder umzuziehen! Meine ganze Kindheit war ein einziges Umziehen, ich wollte einfach nicht, dass der Rest meines Lebens ebenso verläuft. Außerdem hatte ich gerade die Möglichkeit bekommen, einen Dokumentarfilm zu produzieren." "Als ich den neuen Job annahm, wusste ich noch nichts von deinem Angebot." "Genau das ist der Punkt. Ich war in deinem Leben so unwichtig, dass du den Job akzeptiertest, ohne mich nach meiner Meinung zu fragen. Du nahmst einfach an, dass ich immer mitgehen würde. Wie die anderen Male zuvor." "Du warst sehr wichtig in meinem Leben, Jamie." Stone schaute sie eindringlich an. "Ich wollte mit dir darüber sprechen, aber ich musste sofort zusagen, und du warst zu Dreharbeiten weg. Mein Job war zu gut, als dass ich hätte ablehnen dürfen." Stone ließ Jamie los, "Ich dachte, du hättest genug Vertrauen zu mir, dass ich die richtige Entscheidung treffen würde. Ich war dabei, mir eine solide Karriere aufzubauen, damit wir eine sichere Zukunft hätten. Als wir heirateten, wusstest du, dass
meine Arbeit mich ein paar Jahre lang zwingen würde, oft umzuziehen." "Aber ich wusste nicht, dass ich jedes Mal, nachdem wir umgezogen waren, weniger von dir hatte als zuvor. Du warst so viele Stunden weg, dass ich nicht mal mehr das Gefühl hatte, noch mit dir zusammenzuleben." "Das war nur vorübergehend. Es war klar, dass es nicht für alle Zeiten so weitergehen würde." "Das plante mein Vater auch nie! Es war immer nur noch eine Beförderung, noch ein Umzug und dennoch nie genug. Jeder Erfolg, den er hatte, ließ ihn nach einem weiteren streben. Es sollte Selbsthilfegruppen geben für Leute wie dich: die Anonymen Erfolgskranken." Die Spieluhr kam zum Stehen. Schweigen hing in der Luft, schwer und lastend. Stone umschmiegte Jamies Gesicht und fuhr mit dem Daumen über ihre Wange. "Es tut mir so Leid, Jamie, ich hatte keine Ahnung, wie sehr es dich belastete." Das Letzte, was Jamie erwartet hatte, war eine Entschuldigung. Stone hatte sonst immer eine perfekte Erklärung für jede Handlung zur Hand! Aber nun war es zu spät. Er hätte sich vor drei Jahren Gedanken machen sollen. "Ich habe dich damals gewarnt, dass unsere Ehe beendet wäre, wenn du führest. Und du bist gefahren." "Du hast mir ein Ultimatum gestellt, hast versucht, mich zu manipulieren!" Beide schauten sich mit funkelnden Augen an. Ja, sie hatte damals geblufft, weil sie wollte, dass er den Job ablehnte. Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass es nicht funktionieren würde. Nie war Stones Widerstand größer, als wenn jemand versuchte, ihn zu etwas zu drängen. So hatte sie selbst den Schaden gehabt.
"Ich hätte nie gedacht, dass du tatsächlich fährst", flüsterte sie. In seinen Augen stand Schmerz. "Und ich nicht, dass du wirklich nicht mitkommst." Ihre Blicke hielten einander gefangen. Schließlich sagte Jamie leise: "Ach, Stone ..." "Mein Liebling!" Stone zog sie an sich, umschlang sie und senkte seine Lippen auf ihre. Jamie war zu Mute, als käme sie nach Hause. Nichts war so schön wie das Gefühl, in Stones Armen zu liegen, seinen Mund zu spüren, seinen kräftigen Körper. Der Kuss war fordernd, und Stone presste Jamie voller Verlangen an sich. Oh, wie sehr sie ihn vermisst hatte! Er drängte seine Zunge gegen ihre, suchend und gebend, und sie streichelte seinen muskulösen Rücken und genoss das vertraute Gefühl. Auf einmal zog Stone den Reißverschluss ihres Kleides auf und schob es ihr von den Schultern, so dass es mit leisem Rauschen zu ihren Füßen landete. Zärtlich ließ er seinen Blick über ihren Körper gleiten, und Jamie war froh, dass sie einen Spitzenbody und elegante Strümpfe trug. Stone seufzte. "Oh, Jamie, du bist so schön!" Dann löste er den Verschluss ihres BHs, umfing ihre Brüste und beugte den Kopf, um eine der Spitzen in den Mund zu nehmen. Jamie stöhnte und grub die Finger in sein welliges Haar. Er widmete sich auch der anderen Brust und glitt dann ihr Dekolleté hinauf, um erneut ihre Lippen zu suchen. Jamie bewegte sich lustvoll, und Stone umfasste mit beiden Händen ihren festen Po. Unwillkürlich schob Jamie ihr Bein hoch und umschlang damit seinen Schenkel. Stone stöhnte auf. Dann hob er sie hoch und trug sie, ohne von ihr abzulassen, zu ihrem Bett. Er kniete sich über sie und fuhr zärtlich küssend über ihre Brust. Jamie fühlte sich von
Leidenschaft überflutet - für den Mann, mit dem sie verheiratet gewesen war und den sie noch immer liebte. Verliebt, verheiratet, geschieden. Meine Güte, was tat sie denn nur? Sie hatte drei Jahre lang versucht, über ihren Exmann hinwegzukommen, und nun war sie kurz davor, wieder mit ihm zu schlafen! Der Gedanke wirkte, als hätte ihr jemand eine kalte Dusche verpasst. "Stone", murmelte sie, "nein, wir können es nicht tun." Er hob den Kopf. "Wenn es wegen des Schutzes ist, kann ich schnell etwas besorgen, mein Liebling." "Nein, deshalb nicht ... Stone, wir müssen miteinander reden." Seufzend setzte er sich auf. "Du hast meine volle Aufmerksamkeit." Jamie drückte sich ein Kissen vor die Brust und lehnte sich ans Kopfteil des Bettes. "Stone, wir lösen unsere Probleme nicht, indem wir miteinander schlafen." Er schwang sich zur Seite und zog seine Hose glatt. "Mir fällt etwas ein, was unsere Probleme wunderbar lösen würde." "Du weißt, was ich meine. Ich möchte keine kurze Affäre mit dir." "Du meinst, das würde es nur sein?" "Ich weiß es nicht, aber es passiert einfach zu schnell. In zwei Monaten bist du wieder weg. Dein Leben scheint jetzt noch viel unsteter zu sein, als es bereits während unserer Ehe war." "Jamie, mein Schatz, diesen Lebensstil werde ich nicht immer haben." "Wann ändert er sich, in einem Jahr? In fünf Jahren? In zehn?" Er fuhr sich nervös durchs Haar. "Ich weiß es nicht." "Siehst du, nichts hat sich geändert. Wir sind genau da, wo wir waren, als du damals weggingst und unsere Ehe damit beendet war." "Nein, das sind wir nicht", widersprach er leise.
"Was soll jetzt denn anders sein?" In seinem Blick lag etwas, als sei ein Licht aufgeflammt. "Ich bin anders, Jamie." Inzwischen wusste er, was es hieß, ohne Jamie zu leben. Sie hatte in seinem Herzen eine Lücke hinterlassen, die niemals jemand außer ihr wieder füllen konnte. Er wollte sie wiederhaben! Unter welchen Umständen oder für wie lange spielte keine Rolle. Er sehnte sich danach, Jamie nachts in den Armen zu halten, mit ihr zu schlafen, zusammen mit ihr aufzuwachen ... "Es ist schon spät, wir müssen früh raus", sagte er dennoch. "Ich lasse dich jetzt schlafen. Wir sehen uns morgen früh im Studio." Aber er mochte nicht gehen, bevor er nicht ein kleines bisschen Hoffnung, ein winziges Zugeständnis von ihr bekommen hatte. "Darf ich dich Freitag zum Abendessen einladen?" "Ich glaube nicht, dass es klug ist, wenn wir uns außerhalb der Arbeitszeit sehen." "Nun komm schon, Jamie. Die Tiefkühlfirmen kommen einen Abend ohne deinen Einkauf aus. Du hast doch nicht etwa Angst, oder?" Das war natürlich ziemlich billig von ihm, denn Jamie hätte nie zugegeben, dass sie vor irgendetwas Angst hatte. "Natürlich nicht", behauptete sie. Stone freute sich über seinen kleinen Trick. "Gut, dann sind wir also für Freitag verabredet." "Ach, nein, das geht nicht!" rief sie. "Ich nehme an einem Gärtnerseminar teil, das Freitagabend beginnt und das ganze Wochenende dauert." So schnell ließ er sich nicht abschütteln. "Dann treffen wir uns eben Montag." Sein Blick blieb noch kurz an ihrem Spitzenbody hängen. "Also, bis morgen früh im Studio." Und damit ging er.
Tief atmete er die angenehm kühle Nachtluft ein, die ihn draußen vor der Tür empfing.
6. KAPITEL Jamies Hände lagen auf dem Sprecherpult. In Gedanken an den Abend mit Stone starrte sie blicklos auf den Monitor, auf dem Werbespots liefen. Im nüchternen Tageslicht konnte sie nicht mehr begreifen, wieso sie sich so hatte hinreißen lassen. Obgleich Stone so unglaublich sexy war ... Aber vor allem das Gefühlsmäßige zwischen ihnen setzte ihr zu. War das Ende ihrer Beziehung für ihn eben* schmerzlich gewesen wie für sie? Bislang hatte sie das nicht glauben können. Als sie ihm damals das Ultimatum stellte, hatte er weder gebettelt noch argumentiert. Er war einfach gegangen. Vergangene Nacht jedoch hatte sie etwas in seinem Blick entdeckt, was sie nie vorher gesehen hatte, etwas Dunkles, Trauriges. Und als er fragte, was mit ihrer Beziehung passiert sei, hatte seine Stimme belegt geklungen. Dass er bis auf den Tag genau wusste, seit wann sie getrennt waren, erstaunte sie ebenfalls. Er verhielt sich nicht wie jemand, der die Ehe leichtfertig abtat. Konnte es sein, dass er sie doch geliebt hatte? In den vergangenen dreieinhalb Jahren war ihr öfter der Gedanke gekommen, dass er sich vielleicht deshalb in die Arbeit gestürzt hatte, weil er bei ihr schwere Fehler entdeckt hatte.
Man konnte Stone nicht leicht einschätzen. Er behauptete, er habe sich verändert. Stimmte das? Und wenn ja, in welcher Hinsicht? Sie hatte sich die ganze Nacht lang herumgewälzt und alle Möglichkeiten abgewogen. Ihre Gefühle schwankten zwischen wilder Hoffnung und Verzweiflung. Morgens hatte sie dann versucht, nur die nüchternen Tatsachen zu betrachten. Das Entscheidende blieb, dass Stone nicht in der Lage war, Fragen hinsichtlich seiner Karrierepläne klar zu beantworten. Offenbar hatte er sich nicht geändert, zumindest nicht in der Hinsicht, die für sie wichtig war. Wenn sie sich erneut auf eine Beziehung mit ihm einließ, würde sie also genau da landen, wo sie vorher gewesen war. Alles andere war Illusion. Der Regisseur war über die Sprechanlage zu hören. "Achtung, die Werbepause ist gleich zu Ende. Zehn, neun ..." Jamie schaute auf das Blatt, das vor ihr lag. Während der Sendung konnte sie sich meist gut konzentrieren, aber heute war sie unausgeschlafen und durcheinander. Wenn sie nicht riskieren wollte, vor laufender Kamera zu stottern, musste sie sich sofort in die Arbeit vertiefen. Sie holte tief Luft und sammelte die Gedanken. Als das Kameralicht zu blinken begann, zwang sie sich zu einem Lächeln. Zwanzig Minuten später löste sie erleichtert das Mikrofon aus der Halterung. Noch immer fand sie es schrecklich, live zu sprechen, aber die entsetzliche Angst, die sie bei den ersten Malen gepackt hatte, war inzwischen weniger geworden. Stones Vertrauen in ihr Können schien ansteckend zu wirken; allmählich glaubte sie ebenfalls daran, nicht mehr stottern zu müssen. Harold knipste die Lampen aus, das Studio versank im Dämmerlicht. Als Jamies Augen sich daran gewöhnt hatten, bemerkte sie, dass Stone sich ebenfalls im Raum befand. Sie stand auf und ging zu ihm.
"Guten Morgen." Seine weißen Zähne blitzten in der Dunkelheit. "Hast du gut geschlafen?" "Ja, wunderbar", log sie, "und du?" "Ich habe kein Auge zugetan;" Seine Stimme klang weich und verführerisch. "Wir sollten den gestrigen Abend vergessen, Stone." "Was dich angeht, so habe ich Mühe, etwas zu vergessen, Jamie, aber wenn du willst, sprechen wir lieber über die Arbeit." Er musterte ihr elegantes rotes Kostüm. "Du warst heute Morgen sehr gut. Wo sind denn das Sweatshirt und die Zöpfe geblieben?" Jamie zuckte mit den Schultern. "Wenn ich schon ins Rampenlicht trete, kann ich es ja auch so tun. "Nicht dass ich mich beschweren möchte", fuhr Stone fort, "schließlich bist du das neue ,Chamäleon der Mode'." "Wieso?" "Hier, die Morgenzeitung." Er reichte ihr die aufgeschlagene Zeitung. Da gab es ein Foto vom vergangenen Abend sowie eins von ihr im Sweatshirt und mit Zöpfen mit einer Unterzeile, die erklärte, dass beide vom selben Tag stammten. Jamie überflog die Geschichte, die von einem Klatschreporter verfasst war. "Die neue Nachrichtenmoderatorin von KFS fesselt die Zuschauer", las sie laut. "Sie vermittelt die Neuigkeiten nicht nur auf mitfühlende, emotionale Weise, sondern weigert sich, sich den Moderegeln, die für Menschen des öffentlichen Lebens gelten, anzupassen. Mit ihrer schlichten Kleidung steigt sie sozusagen vom Prominentensockel und stellt sich auf eine Ebene mit den Fernsehzuschauern." Jamie blickte auf. "Ach, du liebe Zeit", murmelte sie, bevor sie weiterlas. "Im Gegensatz dazu hat ihr elegantes Auftreten beim gestrigen Künstlerball bewiesen, dass sie keine Scheu davor hat, auch ihre weibliche Seite zur Schau zu stellen. Ms. Erickson ist als eine Art modisches Chamäleon zu sehen, eine
mutige Vorreiterin, die die moderne, vielseitige Frau repräsentiert." Jamie verzog das Gesicht. "Das ist ja ein fürchterlicher Artikel. Typisch Klatschspalte." "Mir gefällt vor allem der letzte Satz", scherzte Stone. ",Wir können es kaum erwarten zu sehen, womit sie uns wohl als Nächstes überrascht'", las Jamie weiter vor. Stones Lachfältchen waren zu sehen. "Das muss ich dir lassen, Jamie, du hast in zwei Tagen mehr Werbung für den Sender gemacht, als ich in sechs Monaten erreichen könnte. Der halbe Bundesstaat schaltet nur ein, um zu sehen, wie du nun wohl wieder aussiehst." "Na, großartig!" "Vom Standpunkt des Senders aus, ja. Ich wollte, du würdest dich so darüber freuen, wie Mr. Milton es tut. Kannst du mir nicht endlich mal erklären, wieso du dich mit Händen und Füßen gegen diesen Job sträubst?" Jamie biss sich auf die Unterlippe. Am liebsten hätte sie Stone alles gesagt, aber das Thema verdrängte sie lieber. Seit frühester Kindheit hatte sie eine innere Mauer errichtet, und jedes Mal, wenn ihr Vater sie wieder herabgesetzt hatte, war diese Mauer höher geworden. Jamie war mit dem Gefühl aufgewachsen, unfähig und minderwertig zu sein. Ihr Vater hatte ihr eingebläut, dass die einzige Chance, im Leben zu bestehen, darin läge, niemals Schwäche zu zeigen. Verstandesmäßig wusste Jamie, dass es falsch war, aber gefühlsmäßig ... Es hatte nicht gerade geholfen, dass Stone ihr am Beginn ihrer Beziehung gesagt hatte, dass ihm zwei ihrer Eigenschaften am besten gefielen: ihre Stärke und ihre Unabhängigkeit. So hatte sie nie gewagt, auch mal Schwäche zu zeigen. Und jetzt würde sie es erst recht nicht tun. "Ich hasse es, wenn man mich zu etwas zwingt, was ich nicht will. Das ist alles."
Stone schien enttäuscht darüber, dass sie ihm so gar nicht entgegenkam. Aber wieso erwartete er eigentlich absolutes Vertrauen von ihr? Er selbst gehörte nicht gerade zu denjenigen, die ihr Herz auf der Zunge trugen! "Außerdem liebe ich meine Arbeit als Produzentin. Ich möchte damit etwas bewirken. Nachrichten kann fast jeder lesen. Ich dagegen möchte Einfluss auf den Inhalt der Geschichten haben. Mir ist es wichtig, dass wir mit unserer Sendung bei den Zuschauern etwas bewirken können." Stone nickte. "Das verstehe ich. Aber auch so bewirkst du etwas, Jamie. Die Art, wie du die Nachrichten moderierst, weckt die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Übrigens nimmst du auch Einfluss auf das Leben deiner Kollegen. Du ziehst reihenweise neues Publikum an, und die braucht der Sender unbedingt. Er steht zum Verkauf, und wenn die Einschaltquoten sich nicht verbessern, wird der Interessent alle hiesigen Mitarbeiter entlassen und nur seine eigenen Leute einstellen." Jamie schaute Stone erschrocken an, "Ich hatte keine Ahnung, dass von mir Arbeitsplätze abhängen! Wieso hast du mir das nicht vorher gesagt?" "Ich wollte dich damit nicht belasten. Aber so wie es im Moment aussieht, wird es ja auch gar nicht zu Entlassungen kommen." "Ich möchte niemanden in die Gefahr bringen, seinen Job zu verlieren!" Sie legte eine Hand auf seinen Arm. "Dich inklusive. Ich meine, ich habe das Sweatshirt nicht getragen, um deine Karriere zu sabotieren." "Freut mich zu hören, Jamie," Seine Stimme war heiser, die Spannung zwischen ihnen war greifbar. Er hob sacht eine Locke von Jamie und ließ sie durch seine Finger gleiten. Eine vertraute Geste von ihm ... Jamie überlegte, was sie sagen könnte, um die Stimmung etwas zu entspannen. "Da wir gerade von einer Beeinflussung
der Zuschauer sprechen. Hast du mein Expose für die Kinderserie gelesen?" "Ja. Grundsätzlich gefallen mir deine Ideen." Er nahm die Hand wieder von ihrem Arm. "Was planst du als Nächstes?" "Montagnachmittag treffe ich mich mit der Leiterin des Waisenhauses." "Ich begleite dich, dann können wir unterwegs über die Gestaltung sprechen." Er schaute auf die Uhr. "In zwei Minuten habe ich eine Besprechung mit jemandem vom Planungsbüro. Wenn du warten magst, könnte ich dich danach zum Mittagessen einladen." Er lächelte sie auf eine Weise an, die nur für sie bestimmt zu sein schien. Das besagte wohl, dass die Einladung mehr beinhaltete als nur ein Essen ... Jamie hatte große Lust, Ja zu sagen. Wenn er sie so ansah, konnte sie sich gar nicht vorstellen, dass sie bei einer erneuten Beziehung mit Stone mit einer Enttäuschung rechnen musste! Dabei war eine Enttäuschung unausweichlich. Ihre unterschiedliche Lebensauffassung hatte sich nicht geändert, und auch die sexuelle Anziehungskraft zwischen ihnen konnte das nicht überbrücken. "Ich bin mit Grams zum Essen verabredet", erklärte Jamie. "Na gut, Jamie, aber vergiss nicht, dass wir Montagabend verabredet sind. Und lass dir nicht einfallen abzusagen, ich akzeptiere keine Ausrede." Damit verließ er das Studio. In Jamie klangen seine Worte noch nach, ihre Haut sehnte sich nach seiner Berührung, und ihr Herz ... Verdammter Kerl, diese Wirkung hatte er immer auf sie gehabt! Und das, obgleich er ihr so wehgetan hatte! "Du bist heute irgendwie abwesend, meine Liebe", sagte Grams, die die Speisekarte aufnahm. "Hat es etwas mit Stone zu tun?"
Jamie nahm einen Schluck Wasser. Grams schien vor Neugier zu platzen. Hatte ihre Großmutter sie nur deshalb zum Mittagessen eingeladen? "Wieso?" Die alte Dame faltete die weiße Stoffserviette auseinander und breitete sie sorgfältig auf ihrem Schoß aus. "Na ja, ich bin gestern Abend mit Lulu spazieren gegangen und habe seinen Wagen in deiner Auffahrt stehen sehen. Es war schon ziemlich spät, und das einzige Licht, was bei dir brannte, war das im Schlafzimmer." , Jamie verschluckte sich heftig. Sie musste husten und trank ein halbes Glas Wasser, um den Hustenreiz zu lindern. Grams sah ihre Enkelin forschend an. "Hör schon auf, die Unschuldige zu spielen", begann Jamie, als sie wieder Luft bekam. "Du willst mir doch nicht weismachen, dass du mitten in der Nacht mit Lulu spazieren gegangen bist!" Grams zuckte mit den Schultern. "Wenn Lulu mal muss, dann muss sie eben." "Wieso, was ist denn mit dem Katzenklo?" "Sie macht lieber draußen." "Aha. Und ich vermute, dieses Bedürfnis packt sie immer genau vor meinem Haus." "Das gehört zu ihren Lieblingsstellen." "Gib es zu, Grams, du hast mir hinterherspioniert." Die alte Dame öffnete mit einer schwungvollen Bewegung die Speisekarte. "Na gut, wenn du nicht darüber reden willst." "Nein, will ich nicht." Grams schaffte es, volle fünf Sekunden zu schweigen. Dann beugte sie sich vor. "Solltest du dich mit Stone versöhnen, möchte ich dir nur sagen, dass ich es von ganzem Herzen begrüßen würde." Jamie schob sich eine Locke hinters Ohr und seufzte. "Wir werden wohl nicht wieder zusammenkommen."
Grams Lächeln erstarb. "Wieso denn nicht, Liebes? Man sagt, beim zweiten Mal ist die Liebe viel tiefer als beim ersten Mal." "Wir sind im richtigen Leben, nicht in einer Seifenoper. Das Hauptproblem zwischen Stone und mir hat sich nicht geändert. Im Gegenteil, Stones neue Karriere als Berater für Medienbetriebe verlangt noch mehr Zeit und noch mehr Mobilität als früher. Und so möchte ich einfach nicht leben." Grams Blick schien Jamie festzunageln. "Du willst so weitermachen, ohne ihn?" Auf einmal spürte Jamie einen schmerzhaften Stich in ihrer Brust. Ihr wurde bewusst, wie deprimiert sie seit der Trennung von Stone war. Aber darüber wollte sie nicht diskutieren, das würde nur Illusionen wecken. Wenn sie ernsthaft darüber nachdachte, sich wieder mit Stone zu versöhnen, hieße das, erneut mit einer Enttäuschung rechnen zu müssen; Und sie wusste nicht, ob sie das ein zweites Mal ertragen könnte. "Ich möchte nicht darüber sprechen, Grams. Können wir bitte das Thema wechseln?" Grams schaute sie mit einem langen, traurigen Blick an. "Mir geht es doch nur darum, dass du glücklich bist, Kind." Sie nahm einen Schluck Wasser. "Wie läuft es denn zwischen Stone und dir bei der Arbeit?" Trotz ihrer gemischten Gefühle musste Jamie über die Hartnäckigkeit ihrer Großmutter lachen. Grams hatte nicht gerade das Thema gewechselt, aber immerhin war nun das Schlafzimmer ausgeklammert. Genau das sollte sie bei ihrer Beziehung mit Stone auch tun.
7. KAPITEL Am Montagnachmittag eilte Jamie den Flur des Fernsehsenders hinunter. Auf ihrem Schreibtisch wartete ein Haufen Korrespondenz, und in weniger als einer Stunde wollte sie zum Kinderheim fahren. Stone würde sie dorthin begleiten, und abends waren sie zum Essen verabredet. Warum hatte sie sich dazu nur bereit erklärt? Zeit mit ihm zu verbringen hieß, mit ihrem seelischen Gleichgewicht zu spielen! Wann immer sie ihn sah, geriet in ihrem Inneren alles durcheinander. Das ganze Wochenende über hatte sie - trotz der Ablenkung durch das Gärtnerseminar - an Stone gedacht. Sie musste sich um Abstand bemühen, sonst würde sie nicht bis zum Ende seines Aufenthaltes durchhalten, und dann wäre die erneute Trennung von ihm um so schwerer. Vielleicht würde es helfen, wenn sie sich auf die Kinderserie konzentrierte und alles Persönliche ausklammerte. Ganz in Gedanken bog sie um die Ecke und stieß prompt mit Todd zusammen. Trotz des Unbehagens, das sie empfand, wünschte sie ihm höflich einen guten Morgen. Er reagierte nur mit einem eisigen Blick. Seine Feindseligkeit war so deutlich, dass es Jamie kalt überlief. Seit dem Künstlerball hatte sie jede Begegnung mit ihm vermieden, aber das war keine Dauerlösung. Da sie im selben Haus arbeiteten,
würden sie sieh immer wieder treffen. Jamie musste irgend etwas tun, um seinen Groll zu mildern. Sie hatte auch schon eine Idee. Eigentlich wollte sie die Sache erst mit Stone besprechen, aber nun sagte sie es lieber sofort. "Todd, ich weiß, dass man hart mit dir umgesprungen ist, und ich möchte es wieder gutmachen. Ich arbeite gerade an einem Projekt, mit dem du ins Rampenlicht zurück könntest" Er sah sie skeptisch an. "Ach, ja?" Jamie nickte ermutigend. "Wir planen eine wöchentliche Serie über Pflegekinder und brauchen jemanden, der das moderiert. Ich denke, es wäre eine gute Gelegenheit für dich, wieder vor die Kamera zu treten. Hättest du Lust dazu?" "Ja, natürlich. Aber wie kommst du auf die Idee, dass man mich dafür nehmen würde?" "Ich produziere die Serie, also habe ich ein gewisses Mitspracherecht. Wenn du interessiert bist, könnte ich mich für dich verwenden." "Ja, das bin ich." "Also gut. Stone und ich besprechen demnächst die Details. Anfang nächster Woche dürfte ich definitiven Bescheid bekommen." Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. "Ich werde mich bemühen, dass es klappt." Jamie eilte weiter und wartete weder auf Dank noch auf eine Entschuldigung. Wie sie wusste, fiel ihm beides schwer. Mein Angebot wird Todd bestimmt versöhnlich stimmen, dachte sie, als sie sich an ihren Schreibtisch setzte. Da das Ganze keine Wirkung auf die Einschaltquoten haben würde, hätte Stone sicher nichts dagegen, dass sie entschied, wer als Moderator verpflichtet wurde. "Bist du so weit?" Es war eine Stunde später, und Jamie sah vom Schreibtisch auf. Stone stand in der Tür. Er sah wieder umwerfend aus, aber davon wollte sie sich keinesfalls beeindrucken lassen! Sie nahm ihre Handtasche und folgte ihm.
"Du bist Stadtgespräch, Jamie", berichtete er auf dem Weg zum Parkplatz. "Mr. Milton ist außer sich vor Freude." Jamie verzog das Gesicht. Sie hatte den größten Teil des Freitags und den halben Montag damit verbracht, sich um die Nebenwirkungen dieser plötzlichen Beliebtheit zu kümmern: Briefe, Karten, Telefonanrufe, bei denen man alles Mögliche von ihr erbat. Das reichte von einer Haarlocke bis zur politischen Unterstützung. Diese ungewollte Popularität irritierte sie. "Mir liegt etwas anderes am Herzen. Wir sollten über die Kinderserie sprechen." "Gern." Sie stiegen in Stones Wagen. "Hast du schon einen Titel?" "Wir könnten es vielleicht ,Ein Zuhause für mich' nennen." Stone lenkte den Wagen auf die Straße. "Hört sich gut an und spricht die Gefühle an." Jamie war unsagbar erleichtert. Sie hatte schon gefürchtet, dass er für ihr Vorhaben nur ein Scheininteresse hatte. "Wie ich schon in dem Memo kurz erwähnte, möchte ich jede Woche ein neues Kind vorstellen." "Und welche Art von Bildmaterial schwebt dir vor?" "Das hängt von der jeweiligen Geschichte ab. Die Kinder könnten im Park herumlaufen, reiten, Ball spielen, in einen Tierpark gehen oder einen Drachen fliegen lassen." "Das Ganze Von einem Begleitkommentar untermalt?" "Ja. Aber man sollte auch Originalgeräusche verwenden. Der Schlüsselteil jeder Geschichte könnte der Moment sein, wenn das Kind über seine Hoffnungen und Träume spricht." Stone lächelte. "Das gefällt mir. Es hört sich an, als hättest du alles schön bis ins Detail geplant." Er bog in eine Seitenstraße ein. "Es wird sicher eine ausgezeichnete Sendung werden." "Danke." Das unerwartete Kompliment freute Jamie. Sie betrachtete seine Hände, mit denen er das Lenkrad sicher umfasst hält. Sie waren gebräunt und gepflegt. Dabei fiel ihr ein,
dass am Ringfinger der Ehering gesteckt und Stone ihn während der Ehe nie abgenommen hatte, Der sei jetzt ein Teil seiner selbst, hatte er damals gesagt. "Genau wie du." Wann hatte er wohl seine Meinung geändert? Als sie die Scheidung einreichte? Oder als die rechtskräftig wurde? Jamies eigener Ehering lag tief unten in der Schmuckschatulle, unberührt seit dem Tag, an dem sie ihn schluchzend vom Finger gezogen hatte. Zu ihrem Entsetzen spürte sie plötzlich Tränen aufsteigen. Sie starrte aus dem Fenster und versuchte, sie wegzublinzeln. Seit dem Künstlerball hatte sie sich viele Gedanken über ihre Beziehung zu Stone gemacht. Dauernd schwirrte er ihr im Kopf herum. Und Grams direkte Fragen hatten das Durcheinander noch verstärkt. Wenn sie nicht beide so stur gewesen wären und Jamie ihm kein Ultimatum gestellt hätte, wären sie dann womöglich noch zusammen? Doch all diese Überlegungen waren sinnlos. Für Stone kam die Arbeit an erster Stelle. Und wenn Jamie nicht ihr Leben lang die zweite Geige spielen wollte, gab es Wohl keine gemeinsame Zukunft. Es war das, was man im Scheidungsprotokoll als "unvereinbare Differenzen" bezeichnet hatte. Es war ein Fehler, seine Einladung zum Essen angenommen zu haben. Es hatte keinen Sinn, einen Neubeginn zu versuchen, wenn es keine Lösung für die Probleme gab! "Stone, was heute Abend angeht..." "Ich freue mich schon darauf. Wo möchtest du am liebsten essen?" "Ich glaube, es ist keine gute Idee, wenn wir uns außerhalb der Arbeitszeit treffen." "Darüber haben wir doch schon gesprochen, Jamie. Ich finde es schrecklich, allein zu essen. Und in Anbetracht dessen, was in deinem Kühlschrank steht, könntest du ebenfalls ein vernünftiges Essen brauchen. Wie wäre es mit mexikanisch?"
Stones Lächeln wirkte ansteckend. Und die Aussicht auf ein Abendessen in seiner Gesellschaft war trotz aller Bedenken sehr reizvoll. "Das ist nicht fair. Du weißt genau, wie sehr ich mexikanische Küche liebe." "Wie kommst du darauf, dass ich mich um Fairness bemühe? Du kennst doch das alte Sprichwort über die Zusammengehörigkeit von Krieg und Liebe, oder?" Er lenkte den Wagen durch das große Tor des Kinderheims. "Wer will mitspielen?" fragte Jamie. "Ich! Ich!" Die acht Kinder, die um sie herum auf dem Rasen saßen, hoben alle die Hand und wippten aufgeregt auf und ab. Stone stand an eine Mauer gelehnt und beobachtete die Szene. Anfangs waren die Kinder schüchtern und ruhig gewesen, aber Jamie hatte es in Rekordzeit geschafft, sie aus der Reserve zu locken. Es war das erste Mal, dass er sie als Produzentin erlebte, da sie bislang immer in verschiedenen Abteilungen gearbeitet hatten. Sie machte es wirklich gut. Als sie Mrs. Mathis, der Leiterin des Waisenhauses, die Details des Projekts erklärte, war Stone von Minute zu Minute beeindruckter. Jamie schien an alles gedacht zu haben. Daran, dass die Kinder, die kein neues Zuhause fänden, nicht allzu enttäuscht wären, daran, wie man verhinderte, dass diejenigen, die nicht vor die Kamera kamen, sich vernachlässigt fühlten, und wie man die besonderen Bedürfnisse der Kinder erklärte, ohne dass man sie damit in Verlegenheit brachte. Es rührte ihn, dass sie so viel Anteil nahm. Ihm wurde bewusst, dass Jamie sich oft um andere kümmerte, während er eher selbstsüchtig handelte. "Sie kann gut mit Kindern umgehen, nicht wahr?" meinte auch Mrs. Mathis. Die Kinder saßen mit gespannten Gesichtern da. "Peter, was würdest du gern spielen?" fragte Jamie.
"Power Rangers!" Der blonde Junge, der eine Beinschiene trug, sprang freudig erregt auf und machte ein paar wilde, kriegerische Bewegungen. Stone hatte sich Jamie oft als Schwangere mit rundem Bauch vorgestellt, als Mutter seiner Kinder, und hatte überlegt, wie ihr gemeinsamer Nachwuchs wohl aussehen würde. Sie wäre garantiert eine wunderbare Mutter, könnte Aufmerksamkeit und Wärme geben - alles das, was Stone in seiner Kindheit gefehlt hatte und was er sich dringend für seine eigenen Kinder wünschte. Immer wieder hatte er versucht, Jamie klarzumachen, dass er so hart arbeitete, um seine Familie abzusichern, aber sie hatte es als Ausrede abgetan und ihn mit ihrem Vater verglichen. Stone ballte die Fäuste. Seine Karriere sollte zu einem Ziel führen und nicht das Ziel selbst sein. Aber das hatte er offenbar verfehlt. Und in einem Punkt hatte Jamie Recht: Erfolg machte einsam. Das war er seit mehr als drei Jahren. Er hatte sich in die Arbeit vergraben und es vermieden, seine Gefühle zu überprüfen. Jetzt, wo er Jamie wieder sah, wurde ihm der Schmerz, an dem er heimlich litt, um so bewusster. Aber vielleicht gab sie ihm ja eine zweite Chance! Als er die kleine Spieluhr in ihrem Schlafzimmer gesehen hatte, war in seiner Brust eine Zärtlichkeit erwacht, die er für erloschen gehalten hatte, und in seinem Herzen war neue Hoffnung erwacht. In Jamies Augen hatte er genau das gesehen, was er sich im Leben wünschte. Und dass auch sie noch etwas für ihn empfand, zeigte ihre Reaktion auf seine Küsse und Berührungen. Er musste Jamie unbedingt zurückgewinnen! Eine Glocke ertönte, und die Kinder auf dem Spielplatz stellten sich in Reih und Glied auf, um ins Haus zurückzugehen. Auch der Kreis um Jamie löste sich auf. Sie beugte sich gerade zu einem kleinen Jungen mit dunklen Locken hinunter, der noch da geblieben war, legte ihm die Hand auf die Schulter und sah
ihn liebevoll an. Dann umarmte sie den Kleinen Und schaute ihm nach, als er den anderen Kindern dann hinterherlief. "Was für nette Kinder es sind!" rief sie, als sie nun auf Stone und Mrs. Mathis zukam. "Ich würde sie am liebsten alle in die Sendung bringen." Mrs. Mathis lächelte. "Der Einzige, bei dem ich Bedenken habe, ist der Kleine, mit dem Sie gerade sprachen. Michael ist ein liebes Kind, aber ich fürchte, vor der Kamera wird er sich nicht so gut machen, er ist nämlich sprachbehindert. Sobald er aufgeregt ist, bringt er kein Wort heraus." "Das ist mir schon aufgefallen." Jamie spielte nervös mit dem Riemen ihrer Handtasche. "Aber das kann man ja berücksichtigen und die Aufnahmen mit einem Begleittext versehen. Dann muss er gar nichts sagen." Mrs. Mathis nickte. "Er ist äußerst schüchtern, aber ein sehr lieber Junge." "Es wäre auch zu traurig, wenn sein Handicap ihn daran hinderte, die gleiche Chance wie die anderen Kinder zu haben. Bekommt er Hilfe? Ich kenne mich ein bisschen mit Sprachbehinderung aus, und eine Therapie k...kk...könnte sehr h...hilfr... ", Jamie holte tief Luft, "hilfreich sein." Stone sah sie überrascht an. Es war das erste Mal, dass er Jamie stottern hörte. Ihm fiel ein, was Grams gesagt hatte: dass Jamie nur dann stotterte, wenn sie übers Stottern sprach. Er drückte ihr aufmunternd den Arm. "Eine der Betreuerinnen hier versucht mit ihm zu arbeiten, aber sie ist keine ausgebildete Logopädin", erklärte Mrs. Mathis. "Unser Budget ist leider recht begrenzt." "Vielleicht könnte meine Firma dabei behilflich sein", erklärte Stone. "Lassen Sie uns doch mal eine Aufstellung der Kosten zukommen." Mrs. Mathis' Gesicht erhellte sich. "Das tue ich gern, Mr. Johnson, vielen Dank!"
"Wie nett von dir, dass du eine Sprachtherapie für Michael angeboten hast", sagte Jamie, als sie zum Sender zurückfuhren. "Kein Problem." Stone überlegte, wie er mit dem heiklen Thema umgehen sollte. "Ich habe während der Zeit, in der wir zusammen waren, nie gehört, dass du gestottert hast, Jamie." Sie saß kerzengerade da. Am ihrem Hals waren rote Flecken zu sehen. "Ich wollte, du würdest mit mir darüber sprechen und mir erzählen, wie du es überwunden hast. Wenn dein Schulfreund es damals nicht zufällig erwähnt hätte, wäre ich nie darauf gekommen." "Ich werte das als Kompliment." Ihre Stimme klang betont lässig. Aber Stone ließ sich nicht vom Thema abbringen. Darüber hätten sie schon vor Jahren sprechen sollen. Wenn Jamie kein Vertrauen zu ihm fasste und nicht bereit war, mit ihm darüber zu sprechen, hatte er auch keine Chance, ihre Beziehung wieder aufzubauen. "Ich wollte, du würdest mir davon erzählen, Jamie, damit ich dich besser verstehe. In manchen Bereichen hast du mich nie wirklich an dich herangelassen." "Wie sollte ich auch! Du wärst ja nie zu Hause." Stone wollte sich nicht auf den alten Streit einlassen. "Welche Therapie wäre denn für den kleinen Michael gut?" Jamie sah aus dem Fenster. "Ich weiß nicht, ob ich jetzt darüber sprechen kann." "Wieso nicht?" "Ich m...möchte n...nicht vor d...dir stottern." Stone hatte schon damit gerechnet, aber es tat ihm weh, denn die Antwort drückte Jamies mangelndes Vertrauen aus. So als wäre er nicht ihr Freund, sondern ein Fremder. Er kannte sie in so vielen Momenten, auch in den intimsten, wieso hatte sie sich ihm, was das Stottern betraf, nie anvertraut? Wenn er Jamie je zurückbekommen wollte, musste er versuchen, diese innere
Barriere zu überwinden und den Weg zu ihrem Herzen zu finden. "Was ist denn so schrecklich daran?" "Ich ... ich m...möchte nicht, dass du mich so erlebst." "Wie denn, Jamie?" Sie atmete zitterig ein. Zögernd sagte sie: "So f...fehlerhaft, so g...gestört." "Fehlerhaft? Du glaubst, so sehe ich dich?" Stone bremste, lenkte den Jeep an den Straßenrand und hielt an. "Jamie!" Er fasste sie an den Armen und schaute sie an. "Wie kommst du denn auf die Idee?" Unruhig rutschte sie im Sitz hin und her. "Hältst du mich für derart oberflächlich? Du meine Güte, weißt du denn gar nicht, was ich für dich empfunden habe? Was ich noch immer für dich empfinde?" Als Jamie den Blick hob, waren ihre Augen feucht und drückten etwas aus, was Stone nicht recht deuten konnte. Angst, Sehnsucht, Trauer, Hoffnung? Vor allem wohl Angst. War er zu grob mit ihr? Oder hatte sie nur Angst, vor ihm zu stottern? Was immer es war, es zerriss ihm das Herz. "Bitte sprich mit mir, Jamie", bat er. Sie schluckte nur. "Liebes, es ist mir völlig egal, ob du stotterst oder nicht. Das ändert doch nichts an meinen Gefühlen für dich! Aber es enttäuscht mich, wenn du kein Vertrauen zu mir hast. Ich dachte immer, du bist ein mutiger Mensch." Er setzte sich zurück. "Aber vielleicht habe ich mich geirrt." Wenn es etwas gab, das Jamie nicht ausstehen konnte, dann war es, feige genannt zu werden. Darauf zählte er jetzt. Zorn flammte in ihrem Blick auf. Sie schaute aus dem Fenster. "Mein Vater hat m...mein Stot...tern ei...nen D...d,.defekt genannt, ei...ne St...Störung. Ich f...fühlte m...mich immer m...minder...w...wertig. Er sagte, ich so...sollte m...meinen; M...m...mund ha...halten, w...wenn ich n...nicht
spre...chen' k...k...könnte, ohne zu stot...stottern. W...wenn ich sto...stott...stotterte, h...hat er m...mich immer in m...mein Zimmer geschickt." Sie atmete zitternd ein. "Er sagte, ich m...müsste d...das, überwinden, so...sonst w...w...würde ich nie ein...nen Job? kr.i.kriegen oder einen Fr...Freund, und k...keiner w...würde m...mich 1...L..lieben." Sie senkte den Kopf. "Dieser verdammte Schei...", Stone unterbrach sich, bevor er das Wort zu Ende sprach, schließlich ging es um Jamies Vater, Dieser Idiot verdiente es nicht, eine Tochter wie Jamie zu haben! Aber es würde nicht helfen, ihr das zu sagen. Liebevoll nahm er Jamie in die Arme. "Jamie, Liebling, das glaubst du doch nicht, oder?" "Jetzt n...nicht m...mehr. N...nicht versta...Verstandesmä...mäßig, aber gef...fühlsmäßig." Sie zuckte die Achseln. "Ich hasse es, zu st...stottern. D...dann f...fühle ich m...mich so ... sie holte wieder Luft, "so h...hilflos und seh...schäme m...mich." Wenn sich jemand schämen sollte, dann war es ihr Vater! Stone versuchte seinen Zorn zu beherrschen, denn der nützte Jamie im Augenblick wenig. Sie brauchte Zuwendung und Verständnis. "Jamie, Liebes, das macht dich nicht wertloser, sondern menschlicher. Jeder hat Probleme, bei einigen sind sie nur nicht so auffällig wie bei anderen." Stones Worte wurden mit einem wehmütigen kleinen Lächeln belohnt. "Wie hast du es denn überwunden? Vielleicht hast du einen Rat dafür, wie man bei Michael vorgehen kann." Jamie atmete tief ein und aus. "Ich h...habe mit einer Th...therapeutin gearbeitet, die mir Entspannungste...techniken beigebracht h...hat. M...mein Sto... stottern wird d... durch eine Span...nung in den St... Stimmbändern, verur... sacht." Sie lächelte gequält. "W... wie du s...siehst h...habe ich vor allem
Schwie...schwierigk...keiten m...mit d...den K...konsonanten. Und w...wenn ich erst mall stot...stottere, k...k...kann ich k...kaum aufhören." "Und was tust du, wenn es passiert?" "Erst v...versuche ich, ein W...wort zu f...finden, eh..das einfacher auszusprechen ist. Manche St...stott...terer sind so gut darin, Ersatzw...Wörter zu f...finden, d...dass niemand merkt, d...dass sie ein Pro...blem haben." Stone wunderte sich. Bis zu dem Gespräch neulich Abend mit Grams hatte er keine Ahnung gehabt, dass Jamie dieses Problem noch immer belastete. Er dachte, sie hätte es längst überwunden, so wie man eine Kinderkrankheit überstanden hat. Jetzt wollte er die verlorene Zeit aufholen und alles über sie erfahren. "Was für Entspannungstechniken sind das?" "Den Atem kontr...trollieren, 1...langsamer sprechen, den K...körper entspannen, t...tief ein- und ausatmen - und v...vor allem, s...sich zu k...k...konzentrieren. Daran zu d...denken und Angst d...davor zu haben führt oft unweigerlich dazu, dass genau das passiert. Ich h...habe g...gelernt, m...meine Aufmerksamkeit auf das jeweilige Th...thema zu lenken. Anstatt auf die Art, in d...der es angesprochen wird. Aber w...wenn es ums St...stottern selbst g...geht", sie schaute ihn traurig an, "ist es ein Di...dilemma." "Wie lange hast du gebraucht, um es zu überwinden?" "W...wie du siehst, habe ich es noch immer nicht g...ganz geschafft. Nach der Therapie ist es b.. .besser geworden, aber es ist ein lebenslanges Problem." Stone begriff schlagartig, warum Jamie sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hatte, die Nachrichten zu moderieren. Er strich ihr über die Wange. "Und darum wolltest du nicht vor die Kamera." Sie nickte.
"Warum hast du es mir nicht gesagt, Jamie? Nun steckst du in diesem Vertrag, und Milton wird dich auf keinen Fall vorzeitig daraus entlassen." Jamie schaute ihn betrübt an. "Glaubst du wirklich, es hätte einen Unterschied gemacht?" "Natürlich!" "Du hättest mich davor bewahrt, vor die Kamera treten zu müssen?" "Ich hätte alles getan, um es dir zu ersparen!" sagte er überzeugt. Hätte er das wirklich getan? Und wenn ja, hätte er es ihretwegen getan oder im Interesse des Senders? Stone streichelte ihre Schulter. "Jamie, Liebes, jetzt ist es zu spät, noch etwas zu ändern. Aber du scheinst vor der Kamera nicht die geringsten Probleme zu haben. Du machst es großartig." "Abgesehen von den Ausrutschern hinsichtlich meiner Kleidung." Stone lachte. "Du imponierst mir", gestand er leise. "Weißt du das eigentlich?" In seinem Blick stand eine Bewunderung, die Jamies Misstrauen dahinschmelzen ließ. Sie war erleichtert und empfand geradezu eine leichte Überdrehtheit, ein Gefühl der Freiheit, weil sie endlich jemanden in ihr Geheimnis eingeweiht hatte. "Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber nachdem du mir von deinem Stottern erzählt hast, hattest du sichtlich weniger Probleme mit dem Sprechen." "Ach, ja?" Jamie strahlte. "Allerdings." Er zog sie enger an sich, und sie saßen da und schauten sich an. Jamies Lippen zitterten, als sie auf Stones Mund schaute. Der Abstand zwischen ihnen verringerte sich, gleich würde er sie küssen ...
Jamies Verstand sagte ihr, dass sie einen Kuss verhindern sollte. Wenn sie ein Fünkchen Vernunft hätte, müsste sie sich jetzt abwenden! Aber ein wundervolles Gefühl der Zärtlichkeit umhüllte sie wie eine wärmende Decke, und an Vernunft war nicht zu denken. Bei Stone fühlte Jamie sich geborgen und verstanden. Sie fühlte sich ihm unendlich nahe und sehnte sich danach, dass es für immer so bliebe. Stone sah Jamie an, als warte er auf ihr Einverständnis. Sie schloss die Augen, als sein Mund ihren streifte und sie seine warmen, festen Lippen spürte. Es war ein zarter Kuss, wie ein Schmetterling auf einer Blüte, und Jamies Herz öffnete sich. Er fuhr mit den Fingern durch ihr Haar und vertiefte den Kuss. Jamie schlang die Arme um seinen Nacken und genoss es, seinen festen Körper zu spüren, seinen verführerischen Mund und das Bewusstsein der absoluten Vertrautheit. Plötzlich hielt ein Fahrzeug neben ihnen. Eine Tür wurde krachend zugeschlagen, so dass Jamie erschrocken hochfuhr. Eine Frau mittleren Alters mit einer schräg geformten Sonnenbrille schaute ins Wageninnere, die Handtasche an die Brust gepresst. "Sieh mal, Harry, ist das nicht die Frau von der Nachrichtensendung?" Sie klopfte an die Scheibe. "Juhu!" rief sie. Ein Mann mit einem groben Gesicht trat neben sie. , "Oh, nein!" stöhnte Jamie. Stone startete den Motor. "Entschuldigen Sie, wir wollen losfahren!" rief er. "Harry, das ist die Nachrichtenfrau!" kreischte die Frau. "Und der Mann da hat überall Lippenstift im Gesicht, am hellichten Tage!" Stone fuhr mit quietschenden Reifen davon. "Wie peinlich!" stöhnte Jamie erneut.
"Mach dir keine Sorgen", sagte Stone lächelnd. "Das Einzige, was diese Schnepfe seit Jahren auf den Lippen hatte, war vermutlich Pflaumensaft." Jamie müsste lachen, und Stone fiel in ihr Lachen mit ein. Das herrliche gemeinsame Gelächter erinnerte sie an frühere Zeiten. "Dabei fällt mir ein, wie wir einmal in Tulsa festhingen. Weißt du noch?" Wie könnte sie das vergessen! Beim bloßen Gedanken daran errötete sie. Sie hatten sich auch gerade geküsst, und Jamies Beine waren um seine Hüften geschlungen gewesen. "Wie gut, dass der Fotograf damals nicht fünf Minuten früher gekommen ist. Oh, wie sehr ich dich begehrte, Jamie!" Er griff nach ihrer Hand. "Und das tue ich noch immer." "Ja, körperlich passten wir perfekt zusammen." "Das kann ich nur bestätigen." Er schaute Jamie so leidenschaftlich an, dass es sie heiß durchfuhr. "So etwas wie mit dir habe ich noch nie erlebt." "Hast du denn so viele Vergleichsmöglichkeiten?" Wie dumm, das klang reichlich eifersüchtig! Dennoch wollte sie eine Antwort haben. "Keine mehr seit unserer Trennung." Nichts hätte ihr mehr gefallen können als diese Antwort! Jamie unterdrückte ein erleichtertes Lächeln und schaute aus dem Fenster. Sie müsste an die wenigen Male denken, die sie sich mit jemandem verabredet hatte. Immer hatte sie alle Männer mit Stone verglichen, jedes Mal auf die Uhr geschaut und gehofft, dass sie bald Müdigkeit vorschützen und sich verabschieden konnte. Und danach fragte sie sich, warum um alles in der Welt sie sich überhaupt verabredet hatte. Einmal, lediglich als Versuch, hatte sie sich einen GutenachtKuss geben lassen. Aber da war kein Hauch von Knistern
gewesen wie bei Stone, im Gegenteil, sie hatte eher den Wunsch, sich gleich danach den Mund abzuwischen! Jamie betrachtete Stones Profil. Besonders wenn er lächelte, fand sie ihn hinreißend. Nie hatte jemand annähernd die Wirkung auf sie gehabt wie er. Bei ihm fühlte sie sich richtig lebendig. Wahrend sie in die vorüberziehende Landschaft schaute, wurde ihr bewusst, wie sehr ihre Gefühle, was Stone betraf, zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt hin und her schwankten.
8. KAPITEL "Hmm, ist das lecker!" murmelte Jamie, schluckte den letzten Bissen des mexikanischen Kuchens hinunter und leckte sich den Honig von den Fingern. Stone lehnte sich zurück und lächelte. "Ich habe es vermisst, dir beim Essen zuzuschauen. Aber nicht nur das, ich habe dich sehr oft vermisst." Es war ein schöner Abend gewesen, voller Spaß, Gelächter und fröhlichem Geplauder. Jamie konnte sich gar nicht daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal so wohl in jemandes Gesellschaft gefühlt hatte. Sie hatten über laufende Ereignisse gesprochen, sich gegenseitig von ihrem Leben erzählt, miteinander geflirtet, Erinnerungen ausgetauscht und den leichten, ironischen Ton wieder gefunden, der immer zwischen ihnen geherrscht hatte. Gleichzeitig war die Anziehungskraft zwischen ihnen erneut spürbar. Stone lächelte sie über den Tisch hinweg verführerisch an. Sein Blick war unmissverständlich, und allein die Phantasien brachten Jamies Blut in Wallung. Hätte er nicht zu den Fünf-Uhr-Nachrichten wieder ins Studio gemusst, weiß der Himmel, was noch passiert wäre. Er legte seine Hand auf ihre. "Du warst heute wunderbar mit den Kindern, Jamie. Du wirst die Sendung bestimmt sehr gut moderieren."
"Ich?" Das Dessert lag ihr auf einmal bleischwer im Magen. "Ich produziere die Sendung nur, ich moderiere sie nicht." "Selbstverständlich machst du das." Kälte kroch ihr über den Rücken. "Wenn das ein Scherz sein soll, ist es nicht komisch, Stone. Mein Vertrag für die Serie läuft über mindestens sechs Monate, ob ich noch Nachrichtensprecherin bin oder nicht." Stone nickte. "Das ist richtig. Aber da steht auch, dass du die Serie moderierst, solange sie läuft." Jamie erstarrte. Wie bitte? Wie konnte sie das übersehen haben? Sie hätte den verdammten Vertrag einem Anwalt zeigen sollen! "Wieso hast du mir das nicht gesagt?" "Ich dachte, du wüsstest es." Verdammter Mist! Jamie war während der Vertragsverhandlungen so durcheinander gewesen, dass sie diese Klausel offenbar übersehen hatte. Vielleicht konnte sie Stone noch dazu bringen, das zu ändern. "Sobald ich keine Nachrichtensprecherin mehr bin, möchte ich nicht mehr vor die Kamera. Wir könnten Todd moderieren lassen." "Todd? Das ist doch wohl nicht dein Ernst, Jamie, Kannst du dir den mit Kindern vorstellen?" "Das bekommen wir schon hin. Ich werde ihm ein genaues Drehbuch vorlegen." "Das reicht nicht! Man müsste ihm jede Bewegung vorschreiben, ihn in eine Charmeschule schicken und ihm dann noch ein neues Mienenspiel verpassen." Jamie fand das nicht lustig. "Ich habe schon öfter mit ihm gearbeitet, es kann durchaus funktionieren." "Nein, das kommt nicht infrage, Jamie. Dass du vor der Kamera Ausstrahlung hast, war der ausschlaggebende Punkt dafür, dich auch die Serie machen zu lassen. Wenn du dich weigerst, wird Mr. Milton alles abblasen." Stone sah besorgt
drein. "Wenn du meinst, nicht genug Zeit für beides zu haben, könnten wir einen anderen Produzenten verpflichten." "Einen anderen Produzenten? Nur über meine Leiche!" Jamie wirkte kampfbereit wie eine in die Enge getriebene Raubkatze. "Wenn du glaubst, dass ich die Serie irgendeinem hergelaufenen Produzenten überlasse, der sich einen Teufel darum schert, ob die Kinder ein neues Zuhause finden, und nur daran interessiert ist, irgend etwas zu produzieren, hast du dich geschnitten! Wir wollen Menschen dazu bringen, sich für ein Adoptivkind zu entscheiden, und das heißt, die Geschichten müssen gut sein, gefühlsmäßig ansprechend und sorgfältig recherchiert. Außerdem", fuhr sie erregt fort, "habe ich vor, nachdem dieser unselige Nachrichtenjob vorüber ist, noch lange als Produzentin zu arbeiten. Und ich werde nicht auf das einzige Zugeständnis verzichten, das der Vertrag enthält!" Stone hob resigniert die Hände. "Das will ich dir auch gar nicht ausreden. Ich mache mir nur Sorgen über die Belastung, die es für dich bedeutet." "Steht noch etwas in dem Vertrag, das ich dringend wissen muss?" "Hast du eine Kopie bei dir zu Hause?" "Ja." "Gut." Stone gab dem Kellner ein Zeichen, er möge die Rechnung bringen. "Wir werden ihn uns noch einmal gemeinsam ansehen." Der Vertrag war das Letzte, was Stone sehen wollte, als er eine Stunde später neben Jamie auf dem Sofa saß. Sie waren dicht zusammengerückt, um gemeinsam den Text überfliegen zu können. So dicht, dass er den Duft ihrer Haare und ihre Körperwärme wahrnehmen konnte. Als ihr Arm seine Brust beim Umblättern streifte, gingen seine Gedanken sogleich in eine andere, erotische Richtung. Doch Jamies Aufmerksamkeit war nur bei dem Vertrag.
Stone seufzte. Sie waren über jedes "Deshalb" und "Hiermit" und "Wie schon vorher erwähnt" gegangen, hatten alle schwer verständlichen Ausdrücke geklärt sowie alle Klauseln. Bei jedem Punkt war Jamie nervöser geworden. Der Abend verlief leider nicht annähernd so, wie Stone es sich erhofft hatte. Sie legte das Dokument beiseite, stand auf und ging vorm Kamin hin und her. "Damit habt ihr mich ganz einfach festgenagelt! " stellte sie verärgert fest. "Was ich möchte oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle." "Als wir den Vertrag aufgesetzt haben, wusste ich nichts von deinem Sprechproblem, Jamie", versuchte Stone entschuldigend zu erklären. "Ich dachte, ich helfe dir, indem ich die Kinderserie in alles mit einbeziehe. Mr. Milton interessiert das Konzept als solches nicht. Und wenn du dich weigerst, die Sendung zu moderieren, lässt er das ganze Projekt womöglich platzen." "Das dürfen wir nicht zulassen! Wir können doch die Kinder nicht enttäuschen!" Jamie hatte die Hände in die Hüften gestemmt. "Ob du schon von meinem Stottern wüsstest oder nicht, du hättest Rücksicht auf meine Gefühle nehmen sollen! Wieso hast du mich überhaupt dazu gezwungen, vor die Kamera zu treten?" "Jamie, darüber haben wir doch schon gesprochen." "Allerdings, das haben wir. Wenn es einerseits um deinen Ehrgeiz und andererseits um meine Gefühle geht, gewinnt dein Ehrgeiz in jedem Fall. Schon als ich mit dir verheiratet war, ging es immer ums Geld!" "Das stimmt nicht, Jamie." "Ach nein?" Stone stand auf und schob die Hände in die Hosentaschen. Er fand es sehr unangenehm, wenn Jamie sich so aufregte wie jetzt. Dann erfasste ihn das gleiche, schreckliche Gefühl des Ausgeschlossenseins wie damals, als er Kind war.
Sollte er gehen? Nein, das würde den Konflikte nicht lösen. Er seufzte. Er wollte Jamie zurückgewinnen. Also musste er einen anderen Weg finden. Einen neuen Weg. Jamie wirkte abweisend und verschlossen. Aber vielleicht war ihr Zorn auch nur eine Art Selbstschutz. Und dahinter steckte die Angst, Menschen zu sehr an sich heranzulassen. Als sie sich heute geöffnet und über ihr Stottern gesprochen hatte, waren das Schritte in Richtung einer besseren Beziehung gewesen. Der Abend hatte wunderbar begonnen, aber dann fand sie heraus, dass sie erneut vor die Kamera sollte. UND damit waren sie genau da, wo sie schon einmal gescheitert waren. Wenn Stone je zu einem wirklichen tiefen Verständnis mit ihr kommen wollte, musste er sich vielleicht ebenfalls öffnen. Allein bei dem Gedanken zog sich sein Magen zusammen. Denn auf den Zorn eines Menschen reagierte er unwillkürlich mit Rückzug. Das war die Überlebenstechnik, die er in der Kindheit gelernt hatte, die einzige Verteidigung gegen die Wutausbrüche seines Vaters. In der Ehe hatte dieses Sichzurückziehen jedoch nicht funktioniert, und im Moment schien es auch keine Lösung zu sein. Jamie stand noch immer stocksteif da. Ihr blondes Haar hing ihr auf die Schultern, ihr feines Profil hob sich gegen die dunklen Steine des Kamins ab. Wenn Stone sie zurückhaben wollte, musste auch er einen Schritt auf sie zu machen, musste sein Verhalten ändern! Er holte tief Luft. "Ich bin nicht wie dein Vater, Jamie. Und ich bin auch nicht darauf aus, so viel Einfluss wie möglich zu gewinnen. Mir sind Statussymbole egal, und reich will ich schon gar nicht werden. Ich möchte nur sichergehen, nie wieder so arm zu sein wie früher." Er legte die Hände auf den Kaminsims und überlegte, wie viel er ihr zumuten durfte. Seine Kindheit war so anders gewesen als ihre, dass er Angst hatte, ihr die volle Wahrheit zu sagen, um sie nicht zu schockieren.
Jamie wusste, dass ihr Exmann in einer Kleinstadt in SüdostOklahoma aufgewachsen war, dass seine Eltern nicht wohlhabend gewesen waren, dass er sich mit Hilfe mehrerer Jobs durch die Schule und das College geboxt und im Sommer als Hilfsarbeiter auf einer Farm gearbeitet hatte. Aber sie wusste nicht, wie schlimm es wirklich bei ihm zu Hause gewesen war. Schon früh hatte Stone erfahren, dass seine Familie gesellschaftlich nicht akzeptiert wurde, als "asozial" galt. Er war so daran gewöhnt, es zu verbergen, dass er nun nicht wusste, wie er davon anfangen sollte. Er schaute Jamie an. "Du hältst mich für wahnsinnig ehrgeizig, und in einer bestimmten Hinsicht bin ich das auch. Ich habe den unbedingten Drang, dafür zu sorgen, dass ich nie wieder aus einer Wohnung rausgeschmissen werde, dass mir nie wieder der Strom abgedreht wird, dass ich nie wieder eine Dosensuppe mit Wasser verdünnen muss, damit sie für zwei Mahlzeiten reicht, weil kein Geld mehr da ist, der Monat aber dreißig Tage hat. Wenn ich eine Familie habe, möchte ich unbedingt verhindern, dass meine Kinder Tag für Tag in derselben schmutzigen Hose in die Schule gehen müssen, weil ich es mir nicht leisten kann, ihnen neue Kleidung zu kaufen und weder Zeit noch Geld habe, sie waschen zu lassen." Jamies Zorn verflog. Sie war schockiert. "So schlimm war es?" "Es war noch schlimmer. Das, was meinen Vater davon abhielt, einen Job zu behalten, lag nicht nur daran, dass er kein Rückgrat hatte, sondern dass er Spieler und Trinker war. Meine Mutter hatte zwei, manchmal drei Jobs gleichzeitig, um uns durchzubringen, mit dem Ergebnis, dass er oft ihr Geld nahm, um wieder auf die Rennbahn oder an den Pokertisch zu gehen. Und jedes Mal, wenn wir glaubten, es würde nun besser, wurde es noch schlimmer." Stone fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Als ich acht Jahre alt war, arbeitete mein Vater eine Weile als Lieferant, und die
Situation schien sich zu bessern. Wir zogen in eine Wohnung, ich bekam sogar ein eigenes Zimmer, und meine Mutter besorgte ein paar billige Möbel dafür. Nichts Tolles, oh, nein, aber ich war stolz darauf. Es war das erste Mal, dass ich ein richtiges Bett hatte und nicht auf dem Böden schlief. Ich habe sogar mal gewagt, ein paar Schulfreunde einzuladen. Es war das erste Mal, dass ich überhaupt Freunde hatte." Er hielt kurz inne. "Na ja, meine Freunde und ich kamen herein, als die Möbel gerade wieder abgeholt wurden. Mein Vater war sternhagelvoll, tobte und schimpfte auf die Möbelleute und versprach Besserung. Aber er versprach dauernd etwas und hielt es nie. Die guten Zeiten lagen immer direkt vor uns, nur eine kleine Wette von uns entfernt. Oh, wie ich diese Versprechen hasste! Und das tue ich noch immer." Sein Blick war bedeutungsvoll. "Ich habe noch nie erlebt, dass ein Versprechen gehalten wurde." Damit meinte er wohl ihren Eheschwur! Tränen stiegen Jamie in die Augen. Wie konnte es sein, dass sie mit Stone verheiratet gewesen war und all das nicht wusste? "Damals habe ich mir geschworen, dass ich, wenn ich erwachsen wäre, nie wieder arm sein würde. Und dass ich mein Wort immer halten würde." Jamie legte eine Hand an seine Wange. Sie wünschte, sie könnte die Zeit zurückdrehen und für ihn da sein. Einige Sekunden lang sah sie in seinem Blick den enttäuschten, traurigen Jungen, der es irgendwie geschafft hatte, sein Milieu zu verlassen, sich gesellschaftlich hochzuarbeiten und einen Erfolg zu erringen, von dem viele Männer träumten. Das schien ihm jedoch nicht bewusst zu sein, denn er kämpfte noch immer, wollte sich noch immer etwas beweisen. Nachdem Jamie das nun wusste, sah sie vieles anders. Stone trieb also weniger der Ehrgeiz als die Angst, wie sein Vater zu werden. "Warum hast du mir das alles nicht gesagt?" flüsterte sie.
"Wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem du mir das mit dem Stottern nicht erzählt hast." Sie waren verheiratet gewesen, sich aber dennoch fremd geblieben, dachte Jamie. Beide hatten Angst, dem anderen ihre Schwächen einzugestehen. So war ihre Ehe voller geheimer Ängste gewesen. Stone schaute sie betrübt an. Jamie sagte leise: "Oh, Stone, ich hatte doch keine Ahnung." Er zog sie an sich, und Jamie schlang die Arme um ihn und barg den Kopf an seinem Hals. Und in dieser Umarmung lag all das, was sie im Moment nicht aussprechen konnten. Als sie den Kopf hob, küsste er sie, und seine Lippen waren fest und voller Verlangen. Als er sich wieder von ihr löste, sagte sein Blick etwas, das Jamie noch nie darin entdeckt hatte: Stone brauchte sie! Es war das erste Mal, dass ihr das bewusst wurde, und es berührte eine ganz besondere Saite in ihrem Herzen. Stone hatte ihr oft gezeigt, dass er sie begehrte, aber nie, dass er sie brauchte, dass sie etwas besaß, was ihn trösten konnte, etwas, nach dem er sich zutiefst sehnte. Er brauchte ihr Verständnis. Genauso wie sie es von ihm gebraucht hatte. Als sie ihn ansah, war sie tief erfüllt von Liebe. Sie fühlte sich ihm näher, als sie sich je im Laufe ihrer Ehe mit ihm gefühlt hatte. Sie verstärkte den Griff an seinen Schultern noch. "Ich möchte mit dir schlafen", flüsterte sie, berührte sein Gesicht und drängte sich seinem Mund entgegen. Stöhnend zog er sie an sich und küsste sie. Dann hob er sie hoch und trug sie durch den Flur zu ihrem Schlafzimmer. Mit einem Fuß schob er die Schlafzimmertür auf und legte sie vorsichtig aufs Bett. Dann beugte er sich über sie und küsste sie erneut. Als er begann, sie von Kopf bis Fuß zu streicheln, durchlief Jamie ein Schauer. Behutsam öffnete er die Knöpfe ihrer Bluse, schob den Stoff zur Seite, beugte sich zu ihrem Ausschnitt und öffnete den Verschluss ihres BHs.
Jamie hielt den Atem an. Mit zitternden Fingern öffnete sie die Knöpfe seines Hemdes, das er mit ein paar Schulterbewegungen abschüttelte. Genussvoll streichelte Jamie seine muskulöse Brust. Im schwachen Licht, das vom Flur hereindrang, sah Stone so aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte stark, schön und männlich. Erinnerungen kamen, Erinnerungen an andere Nächte, an andere Male, als sie sich geliebt hatten. Stone war immer ein wunderbarer Liebhaber gewesen, sensibel und aufmerksam. Ein Liebhaber, der Dinge tat, bevor Jamie überhaupt wusste, dass sie den Wunsch danach hatte. Heiße Lust überflutete sie. Sie ließ ihre Finger dem Pfad seiner dunklen Bauchbehaarung folgen, hinunter bis zu dem Teil, der seine Erregung bewies. Er umschmiegte ihre Brüste und spielte mit den Daumen an den festen Knospen. Ganz langsam fuhr er mit dem Mund ihren Hals hinunter bis zum Brustansatz, wo er einen Moment verhielt, dann beschrieb er mit seiner Zunge verführerische Kreise, was ihr Verlangen ins Unermessliche steigerte. Als Jamie glaubte, es nicht mehr aushalten zu können, umschloss sein Mund eine der harten Knospen. Und Jamie bog sich ihm genussvoll entgegen. Oh, wie sehr sie ihn vermisst hatte! Nicht nur die sexuelle Begegnung, sondern vor allem die Nähe, das Zusammensein, das Gefühl, sich zu schenken und beschenkt zu werden. Erschrocken fuhr sie hoch, als Stone sich plötzlich von ihr löste. "Ich sollte besser gehen", bemerkte er heiser. "Willst du mich denn nicht?" fragte Jamie flüsternd. Ob er sie nicht wollte? Du lieber Himmel! Stone schaute Jamie an, die völlig verwirrt war. Er wollte gehen, weil er sie so sehr begehrte! Seine Gefühle für sie waren tief und zärtlich und der Wunsch übermächtig, ihr nie mehr wehzutun. Wenn er jetzt mit ihr schlief, bevor sie über ihre Zukunft gesprochen hatten, fürchtete er, genau das zu tun.
Jamie gehörte nicht zu den Frauen, die Sex leicht nahmen, und Stone wollte ihr weit mehr bieten als eine leidenschaftliche Nacht. "Ich habe nie etwas mehr begehrt als dich, Liebling. Aber ich möchte nichts tun, was du später bereust. Und ich fände es schrecklich, wenn du mir dann im Studio ausweichen würdest." Er strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. "Kannst du mir hundertprozentig sagen, dass du es, wenn wir uns heute lieben, morgen nicht bereust?" Ein Schatten huschte über Jamies Gesicht, und damit bestätigte sie Stones Befürchtung. "Siehst du, das habe ich mir gedacht." Enttäuscht setzte er sich auf. "Sex stellte eins unserer Probleme dar." Bestürzt fragte sie: "War er für dich denn nicht gut?" "Er war zu gut, Jamie. Er überdeckte alles andere und hielt uns davon ab, uns auch in anderer Hinsicht nahe genug zu kommen und Dinge zu entdecken, die wir erst jetzt entdeckt haben." Er hielt kurz inne, weil ihn die Gefühle zu übermannen drohten. "Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich begehre, Jamie, aber nicht nur für eine Nacht. Auch wenn es mich fast umbringt - ich gehe jetzt besser." Er zog sein Hemd wieder an, knöpfte es zu und stand auf. Als er sie noch einmal ansah, zögerte er. Ob es richtig war? Er wusste genau, dass er diese Entscheidung den Rest der Nacht bereuen würde. "Und ich muss sofort gehen, sonst schaffe ich es nicht."
9. KAPITEL Jamie zog einen Ordner aus der Schreibtischschublade. Ihr Blick ging noch einmal hinüber zu der geschlossenen Tür von Stones Büro. Er hatte sich schon den ganzen Morgen darin vergraben. Dauernd musste sie an ihn denken. Verwirrt öffnete sie den Ordner und nahm eine Liste mit möglichen Drehorten für die Kinderserie heraus. Es gab Wichtigeres zu tun; als sehnsuchtsvollen Gedanken über Stone nachzuhängen. Doch sie konnte sich nicht auf die Arbeit konzentrieren. Sie verstand nicht, wieso er gegangen war. Er hatte gesagt, er wolle sie nicht nur für eine Nacht. Hieß das, dass er sie für immer wollte? Oder glaubte er, einen Fehler zu machen, wenn er sich wieder auf eine Beziehung mit ihr einließ? Sie hatte noch lange darüber gegrübelt. Stone glaubte, dass sie eine Liebesnacht mit ihm bereuen würde. Nun bereute sie, es nicht getan zu haben! Sein unvermittelter Abschied war grausam gewesen. Sie kam sich allein gelassen vor, kuschelte sich in die Decken, lauschte noch seinen Schritten im Flur und dem dumpfen Klacken der Haustür, als sie hinter ihm ins Schloss fiel. Und dann kamen erlösende Tränen. Tränen, die sie vor drei Jahren hätte weinen müssen, als ihre Ehe zerbrach. Als sie erschöpft noch einmal aufstand, um die Haustür abzuschließen und das Licht auszuknipsen, merkte sie, dass
Stone es schon für sie getan hatte. Und diese Geste brachte sie erneut zum Weinen. Irgendwann schaffte sie es bis ins Wohnzimmer und verbrachte den Rest der Nacht auf dem Sofa. Dabei hätte sie dankbar sein sollen, dass Stone es nicht dazu hatte kommen lassen und sie es vielleicht beide bereuten. Jamie durfte sich nicht wieder auf eine Beziehung mit ihm einlassen, egal wie reizvoll das in sexueller Hinsicht war. Jamie seufzte. Sie verstand ihn jetzt besser, aber das änderte leider auch nichts. Das, was Stone antrieb, unterschied sich von dem, was ihren Vater motiviert hatte, aber das Ergebnis war das Gleiche. Stone würde nach wie vor von Ort zu Ort ziehen, und die Arbeit hatte für ihn absolute Priorität. Für sie dagegen blieb es am wichtigsten, ein Zuhause zu haben und ein übersichtliches Leben. Sie waren viel zu gegensätzlich veranlagt, um zusammen leben zu können. Eigentlich sollte Jamie ihm dafür dankbar sein, dass er rechtzeitig gegangen war. Aber wieso war sie dann bloß so deprimiert? "Wie ist es gelaufen?" Erschrocken blickte Jamie auf. Todd stand neben ihr. Warum hatte sie ihm nur etwas von der Serie erzählt, bevor sie die Sache mit Stone abgesprochen hatte? Es war unfair, bei Todd Hoffnungen geweckt zu haben, ohne dass alles geklärt war. Sie überlegte hektisch, was sie sagen sollte. "Nicht so gut, Todd. Ich fürchte, Mr. Milton hat schon festgelegt, wer als Moderator infrage kommt." "Und wer ist das?" Oje, nun hatte sie sich in die Bredouille gebracht! "Tut mir Leid, es dir zu sagen, aber ich soll es machen." Todds Lippen wurden ganz schmal. "Ah, so, wie praktisch." Jamie spielte nervös mit dem Bleistift. "Nein, das ist es nicht. Ich habe gar keine Lust dazu und wollte tatsächlich, dass du es machst."
"Ja, natürlich, Jamie, ganz klar." Todds Augen glitzerten. "Und das soll ich dir abnehmen? Milton hält dich im Moment für die Gans, die goldene Eier legt. Und er und dieser Berater tun alles, was du willst, nur damit du zufrieden bist." "Das stimmt nicht, Todd!" "Was stimmt nicht?" Das war Stones kühl klingende Stimme. Er fixierte Todd mit einem argwöhnischen Blick. "Ach, Stone", meinte sie verlegen. Es war alles ihre Schuld! Sie hätte Todd gegenüber nichts von der Serie sagen dürfen. Und sie wollte nicht, dass er deswegen nun auch noch Schwierigkeiten bekam. "Was stimmt nicht?" wiederholte Stone seine Frage. "Das mit dem, ahm, dem feinen Herrenmodengeschäft. Todd fragte, ob es an der First Street im Norden liegt, aber es ist auf der anderen Seite im Süden." "Herrenmoden? Aha." Stones Blick zeigte deutlich, dass er ihr das nicht abnahm. Todd lächelte gequält, dann eilte er davon, als hätte er etwas Wichtiges zu tun. Stone zog eine Grimasse. "Du wärest glaubhafter, wenn du sagtest, du hättest ihm die Richtung zu einem Schnapsladen gewiesen." Er ließ sich offenbar nicht täuschen. Besorgt schaute er Jamie an. "Ich mag den Kerl nicht und traue ihm keinen Zentimeter über den Weg. Ich weiß, dass du eine Schwäche für Kinder und Tiere hast, aber Todd gehört zu keinem von beidem; Der Kerl ist nicht sauber, Jamie!" "Er hat natürlich Probleme damit zu akzeptieren, dass er degradiert wurde. Aber er wird es schon überwinden." "Sieht mir nicht danach aus. Er hat eine merkwürdige Einstellung, arbeitet nicht mit den anderen Reportern zusammen, streitet sich mit dem Chefredakteur, und seine Geschichten sind nicht gut. Ich habe schon mit Mr. Milton über ihn gesprochen. Wir werden ihn in die PR-Abteilung versetzen, und wenn er da nichts bringt, ist er draußen." Stone hockte sich
auf die Schreibtischkante. "Wenn ich mich nicht täusche, deckst du ihn schon seit einiger Zeit." Jamie betrachtete verlegen die Spitze ihres Bleistiftes. "Du kannst ihm nicht helfen", fuhr Stone fort. "Er muss es selbst wollen." Ihr wurde peinlich bewusst, dass sie auf seine kräftigen Beine starrte. Aber ihm in die Augen zu schauen, wäre noch riskanter. Eilig beschäftigte sie sich mit ihrem Stift. "Wolltest du mich sprechen?" versuchte sie das Thema zu wechseln. "Eigentlich wollte ich dich nur sehen." Sofort knisterte es wieder zwischen ihnen. Und dass Jamies Wangen sich röteten, erregte Stone zusätzlich. Es hatte ihn enorme Kraft gekostet, nicht mit ihr zu schlafen. Die ganze Nacht hatte er an sie denken müssen. Nach den Ringen unter ihren Augen zu schließen, schien auch Jamie nicht gerade gut geschlafen zu haben. "Hast du Lust, mit in mein Büro zu kommen und einen Tee zu trinken? Du siehst erschöpft aus." "Nein, danke, es geht mir gut", behauptete sie. "Wie hast du geschlafen?" "Wie ein Baby." "Ich auch. Ich bin alle zwei Stunden aufgewacht und habe geweint." Jamie musste lachen, und ihr Lachen wärmte seine Seele. Die ganze Nacht hatte er darüber nachgedacht, wie er sie wiedergewinnen könnte. Die einzige Möglichkeit schien darin zu liegen, dass er etwas an seiner beruflichen Situation änderte, dass er etwas machte, bei dem er seine Talente nutzen, gleichzeitig aber fest an einem Ort bleiben konnte. Ohne genug Herausforderung würde er unglücklich sein, und dann könnte er auch Jamie nicht glücklich machen. Als die Morgendämmerung durch die Vorhänge drang, war ihm endlich eine Idee gekommen, und er hatte den ganzen
Vormittag damit verbracht, an der Umsetzung dieser Idee zu arbeiten. Es war ein großes Risiko, denn wenn es schief ging, lief er Gefahr, seinen Ruf als Berater aufs Spiel zu setzen, dann könnte er sein Unternehmen in den Wind schreiben. Aber selbst wenn er es schaffte, gab es keine Garantie dafür, dass Jamie ihm eine zweite Chance geben würde. Stone war sich nur einer Sache ganz sicher: Er wollte Jamie wiederhaben! Nicht nur für eine Nacht, sondern für den Rest seines Lebens. Wenn es auch nur die geringste Möglichkeit gab, das zu verwirklichen, war es jede Anstrengung wert. "Ich musste die ganze Nacht lang an dich denken." Als Jamie ihn fragend anschaute, war er drauf und dran, ihr von seinem Plan zu erzählen, aber dazu war es zu früh. Es gab noch zu viel Ungeklärtes. Und niemals würde er etwas versprechen, was er nicht halten konnte! Er wollte Jamie erst dann einweihen, wenn er konkrete Ergebnisse hatte. "Ich hätte Lust, etwas mit dir zu unternehmen. Was machst du am Samstag?" Jamie staunte. "Sag mir nicht, du nimmst dir mal einen Tag frei!" "Doch. Und den möchte ich mit dir verbringen." "Ich kann nicht. Ich muss Drehorte für die Kinderserie ausfindig machen." "Hört sich interessant an." "Tut mir Leid, Stone, aber ich bin schon verabredet." "Wie bitte? Mit wem denn?" "Mit Michael." "Wer ist Michael?" Stone war augenblicklich alarmiert. Jamie zögerte dramatisch, dann lächelte sie. "Ein Junge aus dem Waisenhaus. Ich möchte, dass die Kinder selbst etwas sagen, und dazu muss ich sie vorher genauer kennen lernen."
Einen Moment lang war Stone wirklich eifersüchtig gewesen, etwas für ihn völlig Neues. "Hättest du was dagegen, wenn ich mitkäme?" "Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist." "Wieso nicht? Vielleicht ist ein bisschen männliche Gesellschaft für Michael ganz gut." Jamie sagte immerhin nicht gleich Nein. "Wir hätten dann auch gleich einen Anstandswauwau, falls du glaubst, dich in meiner Gegenwart nicht beherrschen zu können", scherzte er und erhob sich von der Schreibtischkante. "Ich hole dich um neun Uhr ab, okay?" Stone verknotete das Band des zitronengelben Drachens und reichte es Michael. "Alles bereit für den Testflug." "Oh, toll!" Michael sprang auf die Füße. Stone erhob sich ebenfalls von der Decke, auf der sie ein kleines Picknick gemacht hatten. "Warte, ich helfe dir, ihn steigen zu lassen. Kommst du mit, Jamie?" "Nein, ich gucke es mir von weitem an, dann kann ich die Sonne ein bisschen genießen." Sie lehnte sich auf die Ellbogen zurück und schaute den beiden nach, wie sie zu einer Lichtung gingen. Stone hatte die Hand auf die Schulter des Jungen gelegt. Man hätte sie leicht für Vater und Sohn halten können. Der Gedanke war merkwürdig. Jamie hatte sich Stone noch nie mit einem Kind vorgestellt und war überrascht, wie locker er auf Anhieb mit Michael umging. Seine Scherze hatten den Sechsjährigen schon bei der Feuerwehr aus der Reserve gelockt, wo sie sich den Aufenthaltsraum angesehen hatten und auf einen Einsatzwagen geklettert waren. Nach wenigen Minuten mit Stone hatte Michael kaum noch gestottert. Jamie schaute zu Michaels leerem Imbisspaket hin. Wenn sein Appetit ein Hinweis war, musste der Junge bester Stimmung sein.
Und sie desgleichen, dachte sie, zufrieden seufzend. Sie streckte sich auf der Decke aus und genoss die warme Sonne, die nach dem rauen Winter gut tat. So wie Stone ihrem Herzen gut tat. Gefühle, die sie für erloschen gehalten hatte, waren wieder in ihr erwacht und wuchsen wie die zartgrünen Knospen der Bäume. In der Ferne konnte man erkennen, wie Stone den Drachen hochhielt, während Michael am Ufer entlangrannte. Das Band wurde straff, der Wind ließ ihn aufsteigen. Michael stieß einen Jubelschrei aus, und Stones tiefes Lachen vermischte sich damit, während der Drachen immer höher stieg. Er machte Michael ein Daumen-hoch-Zeichen, kam zu Jamie zurück und legte sich neben sie auf die Decke. "Du kannst gut mit einem Drachen umgehen", lobte sie. "Anfängerglück. Ich habe es noch nie gemacht." "Du hast noch nie einen Drachen steigen lassen?" "Nein." Im Sonnenlicht wirkten seine Augen eher goldfarben als braun. "Das ist das erste Mal, dass ich in einem richtigen Park bin. Und - abgesehen von geschäftlichen Anlässen - war das auch mein erstes Picknick." Seine Eltern hatten ihm nie einen Drachen gekauft, ihn nie mit in einen Park genommen und nie ein Picknick mit ihm veranstaltet, dachte Jamie. Wie konnte sie mit Stone verheiratet gewesen sein und von all dem keine Ahnung gehabt haben? Er hatte also eine sowohl einsame, als auch materiell gesehen arme Kindheit gehabt, wie traurig! Ihr Väter war verschlossen und kritisch gewesen, aber dafür hatte sie zumindest die Zuwendung ihrer Mutter und ihrer Großmutter gehabt. Stone dagegen hatte niemanden gehabt. Dass aus ihm ein so tüchtiger und liebevoller Mensch geworden war, war eine wirklich enorme Leistung. Jamie lächelte. "Auf die Idee wäre ich nie gekommen, du machst den Eindruck, als sei dir das alles vertraut."
"Wenn man aus einer Familie wie meiner kommt, lernt man, so zu tun, als wüsste man alles. Das mit dem Drachen war einfach. Der flog ja sozusagen von allein." Stone rollte sich auf den Bauch und berührte sanft Jamies Nasenspitze. "Bei dir dagegen war es ganz anders." Er war so nahe, dass sie die goldfarbenen Flecken in seinen Augen erkennen konnte. "Hätte ich dir eine Gebrauchsanweisung mitliefern sollen?" Er lächelte. "Na ja, so ein kleiner Hinweis wäre nicht schlecht gewesen." Jamie lachte und gab ihm einen Stubs. "Du hattest doch keinerlei Schwierigkeiten damit!" Stone schlang den Arm um Jamies Taille. "Du bist ja auch unwiderstehlich." Er rollte sich zurück und zog sie so eng an sich, dass Jamie sein Herz pochen fühlte. Ihr Lachen erstarb, als er sie dunkel und sehnsuchtsvoll ansah. Heißes Verlangen durchströmte sie, und sie senkte ihren Kopf, um ihn zu küssen. Dann jedoch hielt sie inne. Sie hatte Angst, einfach so am hellichten Tag die Kontrolle zu verlieren. Schnell löste sie sich aus der Umarmung und setzte sich auf. "Wir dürfen Michael nicht aus den Augen lassen", erklärte sie atemlos. Stone schaute zu dem Jungen hinüber, der noch immer mit dem Drachen spielte. "Du hast Recht", pflichtete er ihr seufzend bei. Jamie versuchte, wieder sachlich zu werden. "Du sagtest vorhin etwas von einer Gebrauchsanweisung." Stone schaute zu den feinen Blüten eines nahen Baumes hinauf. "Ja, ich wünschte, ich hätte in unserer Ehe besser gewusst, wie ich dich hätte glücklich machen können." Er schaute sie ernst an. "Und nun wüsste ich gern, wie ich dich wiedergewinnen kann." Er streichelte Jamies Wange und sah sie wehmütig an. "Jamie, ich versuche ernsthaft, meine berufliche Situation zu ändern. Ich weiß nicht, ob es funktioniert, deshalb
erzähle ich dir noch keine Einzelheiten, aber ich bemühe mich darum." Jamie hätte am liebsten sofort viele Fragen gestellt. "Was einen eventuellen Neuanfang unserer Beziehung betrifft ... würdest du mir eine Chance geben?" Bevor sie antworten konnte, hörten sie ein durchdringendes Weinen. Erschrocken fuhren sie hoch. Noch bevor Jamie Michael entdeckt hatte, war Stone schon aufgesprungen und zu ihm gelaufen. Sie folgte ihm auf dem Fuße. Als sie ankamen, nahm Stone den Kleinen in den Arm. "Was ist denn passiert?" fragte er den aufgelösten Jungen. "Er ... er ist k...k...kaputt!" Schluchzend wies der Junge zu einem Baum hoch, wo sich der Drachen in den Zweigen verfangen hatte. Stone streichelte ihn beruhigend. "Schon gut, Michael, wir holen ihn wieder herunter." "Ich ... ich w...w...wollte das n...n...nicht!" stammelte der Junge. "Ich weiß, niemand schimpft mit dir." Schimpft? dachte Jamie, wieso denn das? Als Stone den Jungen absetzte, wirkte der Kleine ganz verkrampft, so als erwarte er, geschlagen zu werden. In seinem Blick lag pure Angst. "W...w...wer...de ich d...d...dafür bestraft?" Wer um Himmels willen würde ein Kind bestrafen, nur weil der Drachen aus Versehen kaputtgegangen war? So musste Michael in der Vergangenheit behandelt worden sein, dachte Jamie betroffen. Stone hockte sich neben den zitternden Jungen und legte den Arm um ihn. "Nein, natürlich nicht, das ist doch überhaupt nicht schlimm, Michael." Während Stone beruhigend auf den Kleinen einredete, legte sich allmählich dessen Angst. Jamie dachte entsetzt an das, was er erlebt haben musste, bevor er ins Waisenhaus gekommen war.
Und wie mochte es Stone als Kind ergangen sein, dachte sie weiter. Er hatte Michaels Panik sofort nachvollziehen können! Stone erhob sich. "Komm, Kleiner, lass uns mal sehen, ob wir den Drachen vom Baum holen können", sagte er aufmunternd. Michael wischte sich die Augen und nickte. Dann legte er seine Hand vertrauensvoll in die von Stone und ging mit ihm zu dem Baum. Jamie musste sich verstohlen selbst ein paar Tränen abwischen. Dann dachte sie an Stones Frage. Sollte sie ihm noch einmal eine Chance geben? Je öfter sie ihn sah, desto vertrauter waten sie wieder miteinander. Sie spürte, wie tief ihre Gefühle noch für ihn waren. Durfte sie ihm noch eine Chance geben, obgleich das Leben mit ihm bedeutete, hinter seiner Arbeit Zurückstehen zu müssen? Obwohl es hieß, nachts oft allein zu sein und sogar am Wochenende? Dass er gehetzt frühstückte, nicht zum Abendessen kam, dass sie dauernd umzogen und ihre eigene Karriere darunter litt oder sogar ganz unmöglich wurde? Durfte sie es tun, obgleich sie genau wusste, wie schwierig es unter solchen Umständen war, eine Familie zu gründen? Er hatte gesagt, er versuche sich beruflich umzuorientieren. Aber was wäre, wenn er das nicht schaffte? Die Nachmittagssonne stand schon tief, als Stone und Jamie die Treppe des Kinderheims wieder hinuntergingen. Sie hatten Michael ins Spielzimmer gebracht, wo er aufgeregt davon erzählte, wie er den Drachen hatte steigen lassen und wie sie ihn wieder aus dem Baum geholt hatten. "Ich glaube, für Michael war es heute ein besonders schöner Tag", meinte Jamie. Stone nickte. Es war ihm schwer gefallen, den Kleinen zurückzulassen, der Junge hatte es ihm richtig angetan. Als er ihm zum Abschied die Arme um den Hals geschlungen hatte,
war Stone tief gerührt gewesen, und es tat ihm Leid, den Jungen so aufgeregt in dem unpersönlichen Gebäude zurückzulassen. Ein Kind brauchte eine Familie und ein richtiges Zuhause! Auch er hatte sich als Junge eine Traumfamilie ausgedacht. Mit einer Mutter, die zufrieden lächelte, die immer zu Haus War und ihn abends ins Bett brachte. Mit einem Vater, der ihn auf die Schultern nahm, mit ihm spielte - und der seine Versprechen hielt. Mit einem Haus mit Garten und einem gut gefüllten Kühlschrank. Genug zu essen, Geborgenheit, Liebe. Davon träumte der kleine Michael vermutlich ebenso. Besonders davon, geliebt zu werden. Das war auch das, wonach Stone selbst sich sehnte... Unauffällig sah er zu Jamie hin. Die Liebe, die es damals zwischen ihnen gab, hatte er leichtfertig aufs Spiel gesetzt, weil er nicht wusste, wie man damit umging und wie er Jamie glücklich machen konnte. War er jetzt in der Lage, ihr zu geben, was sie brauchte? Wonach sie sich sehnte? "Alles in Ordnung mit dir?" fragte Jamie. "Du wirkst so nachdenklich. " Er schloss die Wagentür auf. "Ja, ich dachte nur gerade an Michael." Jamie stieg ein, Ihre Augen hatten das gleiche Blau wie der Nachmittagshimmel. "Er ist doch süß, nicht? Mit ihm zusammen zu sein, weckt in mir immer den Wunsch ..." Sie wandte den Blick ab. "Welchen Wunsch?" Jamie seufzte leise. "Ihn mit nach Hause zu nehmen und ihn all das. vergessen zu lassen, was er Schlimmes erlebt hat. Wenn ich nicht wusste, dass zwei Eltern besser sind als eine allein stehende Mutter, würde ich ihn am liebsten adoptieren." Stone spürte einen Kloß in seiner Kehle. "Dass du ein Zuhause für ihn suchst, ist schon sehr fürsorglich."
"Ich hoffe nur, es klappt. Er braucht eine männliche Bezugsperson in seinem Leben. Das kann man daran sehen, wie er sich dir gegenüber verhält." "Wahrscheinlich haben er und ich viel gemeinsam." Stone dachte an seine eigene schwere Kindheit. Jamie schien es auch zu tun. Stone war dankbar, dass sie ihn jetzt nicht nach Details fragte. "Er brauchte jemanden wie dich", sagte sie nur mit weicher Stimme. "Schön, dass du ihn am nächsten Wochenende mit zum Fischen nimmst." "Ja, darauf freue ich mich auch. Es wird bestimmt lustig, wenn du die Köder aufsteckst." "Köder aufstecken?" Jamie wedelte mit dem Finger. "Hey, Johnson, niemand hat etwas davon gesagt, dass ich mitkomme! Und schon gar nicht davon, dass ich Köder aufstecken muss." Er lächelte. "Schon gut, die Würmer kannst du mir überlassen, aber du kommst doch mit, oder?" "Nur wenn du versprichst, Plastikköder zu besorgen." "Einverstanden." Stone zündete den Motor. Er freute sich darüber, dass er eine neue Verabredung mit Jamie hatte. "Weißt du, so gut wie heute habe ich mich schon lange nicht mehr amüsiert." "Ja, schade, dass der Tag schon fast zu Ende ist." Das fand Stone ebenfalls. "Der Tag muss ja nicht schon zu Ende sein", sagte er und fuhr vom Parkplatz herunter. "Wir könnten einkaufen und bei dir etwas kochen. Ich bin das Essen im Restaurant ziemlich leid." Jamie lächelte. "Von mir aus." Eine halbe Stunde später durchstreiften sie einen Supermarkt. Es war wie in alten Zeiten. Gerade das Alltägliche daran gefiel Jamie. Beim Ausgang nahm sie eine Zeitung vom Ständer und zeigte Stone die Schlagzeile. "Sieh mal: ,Alien-Babys in Weizenfeld entdeckt'. Wenn du jetzt in der Redaktion anrufst, ist noch Zeit genug, es mit in die Spätnachrichten hineinzunehmen."
Stone lächelte. "Es ist mir völlig egal, ob außerirdische Babys sich durch unser Abendessen futtern. Heute habe ich frei!" Frei. Das Wort nahm Stone sonst nicht mal in den Mund! Er bemüht sich, dachte sie, er bemüht sich wirklich! Sie brachten die Einkäufe zum Wagen, fuhren zu Jamie nach Hause und trugen die Tüten hinein. Wie ein vertrautes Ehepaar. Jamie wollte gerade ein Paket Käse weglegen, hielt aber in der Bewegung inne. Wenn sie sich nicht hätten scheiden lassen, wären sie das jetzt. Vielleicht wären sie sogar Eltern! Der heutige Tag mit Stone und Michael war herrlich gewesen. So als wären Sie eine richtige Familie. Der Gedanke schmerzte. Nein, heute Abend wollte sie nicht über ein "Was wäre, wenn" nachdenken, sondern nur die Gegenwart genießen. Sie legte den Käse in den Kühlschrank. "Was kochst du uns eigentlich?" fragte sie. "Das sage ich dir gleich." Er kramte im Küchenschrank herum und nahm eine Auflaufform heraus. "Keine Sorge, ich habe ein Konzept", scherzte er. Das war der Lieblingssatz eines Produzenten in Tulsa gewesen, der für seine halb garen Ideen bekannt war, aus denen dann nie etwas wurde. Jamie müsste in Erinnerung daran lachen. "Hey, ein bisschen Vertrauen!" beschwerte Stone sich, der den eingekauften Lachs auf einen Teller legte. Das hatte Jamie. Denn sein Verhalten heute hatte bewiesen, dass er wirklich versuchte, sich zu ändern. Sie lächelte. "Ich habe durchaus Vertrauen zu dir, Stone. Wie kann ich dir bei der Verwirklichung deines ,Konzepts' helfen?" Stone wirkte einen Moment lang nachdenklich, dann sagte er nur: "Du könntest den Salat machen." Es war wie in alten Zeiten, dachte Stone. Sie scherzten, gruben in Erinnerungen, und Stone brachte Jamie mit Anekdoten aus der Nachrichtenabteilung zum Lachen. Wie schön es mit ihm war!
Stone gefiel es, mal wieder selbst zu kochen, und er genoss die alte Vertrautheit, als sie zusammen am Küchentisch aßen. Jamie legte die Gabel hin und seufzte zufrieden. "Das war köstlich. Wie heißt das Gericht?" Das flackernde Licht der Kerze fiel auf ihr Gesicht. Und sein Vorsatz, Abstand zu wahren, war wie weggeblasen. Stone dachte nur noch an eines ... "Verführungsauflauf", sagte er ernster als beabsichtigt. "Wirkt er wenigstens ein bisschen?" "Stone, ich denke, wir sollten die Sache nicht komplizierter machen, als sie es schon ist." Jamie hatte natürlich Recht, aber seine Gefühle für sie waren nun mal alles andere als einfach. Wahrscheinlich sollte er gehen, bevor er eine Dummheit machte! "Stimmt." Er schob den Stuhl zurück. "Ich kümmere mich um den Abwasch, und du räumst den Tisch ab, okay?" Gemeinsam machten sie sich an die Arbeit, aber die lockere Stimmung war verflogen. Stone ordnete das Geschirr in die Spülmaschine ein und stellte sie an. Jamie sagte: "Vielleicht sollten wir den Abend damit beenden." Sie begleitete Stone in den Flur. "Vielen Dank, dass du heute mitgekommen bist. Michael hat deine Gesellschaft sehr genossen" , sagte sie, während sie die Haustür öffnete. "Du nicht?" "Doch, ich auch. Übrigens finde ich, dass du wunderbar mit Kindern umgehen kannst." Das Thema wollte Stone lieber nicht vertiefen. Erst müsste er seinen Lebensstil ändern. Nur wenn das klappte, war es sinnvoll, über eine gemeinsame Zukunft nachzudenken. Vielleicht waren es ohnehin nur Phantasiegespinste. Er hatte große Angst, dass ihre Herkunft für eine funktionierende Beziehung doch zu unterschiedlich war. Wenn er auch nur ein Fünkchen Anstand im Leib hätte, würde er gehen und Jamie den
Mann finden lassen, der ihrer Vorstellung entsprach, der ähnlich aufgewachsen war wie sie selbst. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Nein, so anständig war er aber nicht. Sein Vertrag beim Sender lief in wenigen Wochen aus. Vielleicht war es die einzige Zeit, die ihm noch mit Jamie blieb, und die wollte er jede Sekunde genießen. Wenn er sein ständiges Verlangen nach ihr bezwang, würde er ihr auch nicht wehtun. Er durfte eben nicht daran denken, sie zu berühren, sie langsam auszuziehen und jeden Zentimeter ihres Körpers zu küssen ... Dann würde er ihr auch nicht erneut das Herz brechen, wenn es zwischen ihnen in anderen Bereichen nicht funktionierte. "Gute Nacht, Jamie." Er küsste sie liebevoll auf die Stirn und ging. Jamie fand seine Zurückhaltung so aufregend wie seine leidenschaftlichen Küsse. Sie blickte ihm nach, bis die Schlusslichter in der Kurve verschwanden, und machte dann die Tür zu. Bevor sie schlafen ging, fiel ihr Blick auf die Spieluhr. Sie hob den Deckel, und die feine Musik erklang. Erinnerungen umwehten sie. Als ihr Blick auf den Schaukelstuhl fiel, sah sie plötzlich einen anderen Schaukelstuhl vor sich - einen, der in dem Hotel gestanden hatte, in dem sie die Flitterwochen verbracht hatten. Sie schloss die Augen, Sie waren aus der Dusche gekommen. Ihre Haut glühte noch vom heißen Wasser und aufregenden Küssen. Gegenseitig trockneten sie sich ab. Stone setzte sich in den Schaukelstuhl und nahm Jamie auf den Schoß, Er bewegte sich langsam unter ihr und brachte auf diese Weise den Schaukelstuhl immer mehr ins Wiegen. Es war wie ein Schweben, und der einzige Bodenkontakt war der mit Stone gewesen. Sie ritt auf ihm und hatte das Gefühl, zu den Sternen zu reisen. Die Erregung hatte sich gesteigert wie eine sich ballende Wolke, die irgendwann geborsten war.
In dem Moment waren sie völlig eins gewesen. Die Erinnerung war so schön, dass Jamie Tränen in die Augen stiegen. Würden sie so etwas je wieder erleben können? Würde ihre Beziehung wieder so sein können, wie sie damals war? So offen, so voller Vertrauen und Liebe? Jamie setzte sich in den Schaukelstuhl. Noch einmal mit Stone zusammenzukommen und dann einen erneuten Bruch zu erleben - nein, das würde sie nicht überstehen! Dabei hatte ihr Herz sich längst entschieden. Ihr war klar, dass sie sich erneut in ihren Exmann verliebt hatte. Erneut? Nein, sie hatte nie aufgehört, ihn zu lieben. Was sollte sie nur tun? Stone wollte versuchen, sich beruflich zu verändern. Jamie bezweifelte, dass ihm das gelang, denn sein Bedürfnis nach Erfolg und Karriere schien einfach zu groß zu sein. Sobald das nächste Angebot käme, würde er bestimmt zugreifen! Schlimmer noch, er würde es Jamie übel nehmen, wenn sie ihn daran hinderte. Sie erhob sich und klappte die Spieluhr zu. Nein, sie konnte Stone nicht ändern, höchstens sich selbst. Wenn ihre Beziehung jemals funktionieren sollte, müsste sie sich auf seine Bedingungen einlassen. Und das bedeutete, ein Nomadenleben zu akzeptieren, den Traum von einem festen Zuhause aufzugeben und mit Stones unvorhersehbar langem Arbeitstag zu rechnen. War sie dazu bereit? Die Alternative dazu war ein Leben ohne ihn. Und das war schlimmer. Was nützte ein geregeltes Leben, wenn es innerlich leer war? Ja, sie müsste ihre Einstellung ändern und versuchen, die Dinge anders zu sehen, sich auf mehr Unberechenbarkeit einstellen, alte Vorstellungen über Bord werfen und an das denken, was sie dabei gewinnen würde, und nicht an das, was sie dabei verlor.
Dies war die einzige Möglichkeit, der Beziehung noch einmal eine Chance zu geben und ihre Liebe zu Stone zu verwirklichen.
10. KAPITEL Jamie rückte das Stativ unterm Arm zurecht, während sie den sonnenbeschienenen Weg auf die Reitställe zu ging. Herunterhängende Zweige warfen wechselnde Schatten, Azaleen blühten in herrlichen Farben, und die Luft roch nach Frühsommer. Tief atmete sie ein. "Was für ein wunderschöner Tag! Alles sieht so frisch aus", schwärmte sie. Harold hatte die Kamera geschultert und trug einen schweren Koffer mit Filmausrüstung. Wenn er lächelte, wirkte sein wettergegerbtes Gesicht wie das eines Indianers. "Ich muss sagen, es steht dir gut, verliebt zu sein." Jamie war verlegen. Es hatte sich schon herumgesprochen, dass sie und Stone sich seit einigen Wochen wieder trafen. Stone ging fast jeden Tag mit ihr zum Mittagessen, kam oft in ihr Büro und lud sie abends ins Restaurant ein. Auch mit Michael verbrachten sie viel Zeit. Und am Wochenende kümmerten sie sich um das Gemüsebeet in Jamies Hintergarten, besuchten Grams oder machten kleine Ausflüge. Michael hatte Jamies Herz erobert. Und sie war sicher, dass es Stone genauso ging. Beide verstanden sich großartig. Michaels Schüchternheit verflog, sobald er mit Stone zusammen war, und Stone war viel geduldiger mit ihm, als Jamie es je bei ihm erlebt hatte. Den körperlichen Kontakt beschränkten sie bewusst, sie gaben sich nur harmlose Küsse. Es war jedoch besser,
abzuwarten. Sex würde ihre Beziehung nur komplizieren. Erst mussten sie das klären, was sie getrennt hatte. Die Abstinenz verstärkte die erotische Spannung allerdings noch mehr. Wenn Michael nicht da war, trafen sie sich im Kino oder an anderen öffentlichen Orten und bemühten sich, das Knistern zwischen ihnen zu ignorieren. Es wurde jedoch immer schwieriger. Es war, als wäre ein Gummiband zum Zerreißen gespannt. Deshalb aßen sie auch nicht mehr bei Jamie zu Hause, dort war die Versuchung einfach zu groß. In den vergangenen Wochen hatte Jamie hin und her überlegt, wie ihre Zukunft wohl aussehen sollte. Und sie zwang sich, die Rolle zu überdenken, die sie in der Ehe mit Stone innegehabt hatte. Auch sie traf Schuld am Zerbrechen der Ehe. Auch sie war geprägt durch ihre Kindheitserfahrung, so wie Stone durch seine. Jamie glaubte, wenn sie nicht perfekt sei, sei sie es nicht wert, geliebt zu werden. Sie hatte gedacht, Stabilität bedeute, an einem Ort zu wohnen. Erst seit kurzem wusste sie, dass es viel wichtiger war, jemanden zu lieben. Ein Haus war nicht gleichbedeutend mit einem Zuhause. Geborgenheit fand man dort, wo das Herz war. Und das hatte sie für alle Zeiten Stone geschenkt! Er hatte sich wirklich verändert. Zwar arbeitete er noch immer lange, aber er ließ auch mal etwas ungetan. Und wenn er mit Jamie zusammen war, war er aufmerksam und interessiert. Alles schien perfekt zu sein - außer einer Kleinigkeit. Stone hatte nicht gesagt, dass er sie noch einmal heiraten wolle! Und er hatte auch kein einziges Mal das Wort mit dem großen "L" benutzt. Über seine Gefühle sprach er so wenig wie über eine gemeinsame Zukunft. Vielleicht wartete er nur auf den richtigen Zeitpunkt? Auch von beruflichen Veränderungen war nicht mehr die Rede, Und Jamie drängte ihn nicht. Womöglich waren seine Pläne undurchführbar. Stone zu lieben bedeutete, ihn so zu
akzeptieren, wie er war. Sein Ehrgeiz war vermutlich zu ausgeprägt, als dass er ihn hätte abschaffen können. Vielleicht könnten sie sich auf halbem Wege treffen. Wenn sie für Stone das Wichtigste in seinem Leben wäre, würde sie mit ihm dorthin gehen, wo es ihn hintrieb. Deshalb hatte sie auch das Haus verkauft. Jamie lächelte bei dem Gedanken, was Stone wohl dazu sagen würde! Heute Nachmittag musste er zu einem Geschäftsbesuch nach Chicago fliegen. Nach seiner Rückkehr würde sie es ihm erzählen. Er schätzte Taten weit mehr als bloße Worte. Sie konnte ihm wohl kaum besser ihre Liebe beweisen als damit, dass sie bereit war, ihm zu seinem nächsten Standort zu folgen, sollte er das wollen! Jamie stellte sich die Szene schon vor. Sie würde ihn zum Essen zu sich einladen und ihn am Eingang erwarten, um sein Gesicht zu sehen, wenn er das Schild "Verkauft" im Garten entdeckte. Garantiert wäre er schockiert! Und er würde sofort fragen, was denn das bedeutete! Und dann würde sie die Arme um ihn legen und ihm sagen, dass sie ihn mehr liebte als altes in der Welt und nur noch dort sein wolle, wo er sei. Und dann ... "Gib mir mal das Stativ, Schätzchen." Jamie war tief in Gedanken versunken. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass sie längst bei den Ställen angelangt waren, wo sie drehen wollten. Eilig reichte sie Harold das Stativ. In dem Gehege stand ein heller Rotschimmel, der den Kopf rauf- und runterwarf und die Zähne bleckte. Jamie musste lachen. So ähnlich kam sie sich vor, wenn sie vor der Kamera am Sprechertisch saß! Es lahmte sie jetzt nicht mehr, vor der Kamera zu stehen, aber sie kam sich noch immer irgendwie lächerlich vor. Grams meinte, es sei wohl einfach nicht "ihr Ding". Harold nannte es "die fehlende Berufung". Bei dem Gedanken an die Kinderserie erfüllte Jamie dagegen tiefe Zufriedenheit. Alles lief bestens. Die Geschichten waren
wirkungsvoller als erwartet und bestätigten die kühnsten Hoffnungen. Bislang hatten sie vier Folgen abgedreht. Alle Kinder, die darin vorgestellt wurden, hatten schon mehrere Adoptionsangebote erhalten. Wenn alles gut ging, waren sie in wenigen Monaten alle untergebracht. Harold warnte Jamie: "Schau nicht hin, da kommt unser ganz besonderer Freund." Jamie sah eine nur allzu vertraute Person auf sie zukommen: Todd. Schon sein Anblick verursachte ihr Magenschmerzen. Seit ihrer Ernennung zur Moderatorin der Kinderserie war sie ihm ausgewichen und nun ganz und gar nicht begeistert, ihn zu sehen. Höflich sagte sie: "Hallo, Todd, was führt dich denn hierher?" Todd lächelte künstlich. "Ich soll einen Spot über dich machen." Jamie entdeckte einen anderen Kameramann, der gerade sein Stativ aufbaute. "Stone erwähnte das, aber ich wusste nicht, dass es heute stattfinden soll." Todd zuckte die Achseln. "Aus irgendeinem Grund wollte er, dass das Kind von heute dabei ist." Das war Michael, dachte Jamie gerührt. Stone wusste, dass ein Extra-Film für den Jungen eine größere Chance bedeutete, ein neues Zuhause zu finden. "Was wollt ihr denn aufnehmen?" erkundigte Jamie sich. "Nur ein paar Einstellungen mit dir und dem Kind." Jamies Blick fiel auf die Papiere in seiner Hand. "Darf ich mal das Skript sehen?" "Nein, Stone will, dass es eine Überraschung ist." "Wieso denn das?" "Ach, er meinte, du würdest sonst alle Nettigkeiten, die man über dich sagt, herausschneiden." Michael und Mrs. Mathis kamen um den Stall herum, und Jamie war froh, die Unterhaltung mit Todd beenden zu können.
Sie umarmte den Kleinen zur Begrüßung. Mrs. Mathis winkte und setzte sich auf eine Bank im Schatten eines Baumes. "Freust du dich darauf, ins Fernsehen zu kommen?" fragte Jamie den Jungen, der sie gar nicht loslassen wollte. Michaels braune Augen spiegelten Besorgnis. "N...n...nein, ich habe Angst." Jamie kniete sich neben ihn. "Wenn du nicht sprechen magst, brauchst du nichts zu sagen", erklärte sie. "A...a..aber einer m...meiner Freu...nde hat gesagt, ich w...würde nur ein Zuhause f...f...finden, wenn ich was sage. Er hat gesagt, s...sonst w...will mich k...k...keiner." Jamie drückte ihn. "Das stimmt nicht." . "Aber ich habe m...m...mehr Chancen, W...w...wenn ich was sage, nicht?" Jamie überlegte genau, was sie sagen sollte. "Na ja, wenn du etwas sagst, merken die Leute, wie nett und intelligent du bist. Und dass dich dein Sprechproblem nicht davon abhält, Kontakt mit Menschen zu haben." Michael blickte sie zweifelnd an. Jamie ahnte, was er dachte: dass er nicht liebenswert sei. Genau das hatte sie als Kind empfunden. Stone war mit ihrem Problem so locker umgegangen, dass es ihr sehr geholfen hatte. Das würde sie auch gern für Michael tun. Vielleicht konnte sie ihm klarmachen, dass Stottern einen nicht zum Außenseiter machen musste. "Weißt du noch, wie ich dir erzählte, dass ich früher auch gestottert habe? Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis: Ich habe noch immer schreckliche Angst, dass es mir wieder passiert. Es ist wirklich albern, aber s..s..owie ich darüber spr...spr...spreche, f...fängt es wieder an." Jamies Gesicht rötete sich. "Siehst du, seh...schon w...wieder." Sie holte tief Luft. Vielleicht half es dem Jungen, wenn er sah, dass es auch anderen so ging. Michael schaute sie aufmerksam an. "Aber w...wie machst d...du d...das denn vor der K...k...kamera?"
"Ich k.. .konzentriere mich auf d.. .das, was ich sagen will, und versuche nicht mehr an mich selbst zu denken." Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. "Siehst du? Es funktioniert. Und manchmal stelle ich mir die Leute einfach in Unterwäsche vor." Michael kicherte. "Deine Sprachtherapeutin wird dir auch ein paar Tricks beibringen." Stones Beraterfirma hatte sich bereit erklärt, die Kosten für eine einjährige Sprachtherapie zu übernehmen, die demnächst beginnen sollte. "Pass auf, heute konzentrieren wir uns nur darauf, Spaß zu haben. Wir benutzen ein Galgenmikrofon, das alles aufnimmt, was wir sagen, und ich wette, du merkst gar nicht, dass es überhaupt da ist." "Ich m...m...muss nicht ins M...m...mikrofon sprechen?" "Nein." Michael strahlte übers ganze Gesicht. "Klasse!" Jamie hielt ihm die Handfläche hin. "Also schlag ein." Und der Junge schlug herzhaft ein. Jamie klopfte ihm lachend auf den Rücken. "Vielleicht setzt du dich noch ein bisschen zu Mrs. Mathis, bis wir anfangen. Dann satteln wir die Ponys und gehen reiten." "Super!" Damit rannte er zu Mrs. Mathis. Als Jamie sich umdrehte, prallte sie gegen Todd. "Oh, tut mir Leid, ich wusste nicht, dass du hier bist." "Schon gut." Todd wies auf den Kameramann, der das Objektiv auf Jamie gerichtet hatte. "Wir haben gerade dein Gespräch mit dem Kind gefilmt." Entsetzen packte Jamie. Hatten die alles aufgenommen? War das Mikrofon in Hörweite gewesen? Hatte Todd so nahe gestanden, dass er ihr Gespräch mit Michael mitbekommen konnte?
Ihr wurde ganz heiß. Na, egal, versuchte sie sich zu beruhigen. Todd hatte nur etwas Filmmaterial gebraucht, und der Ton würde in der Endfassung nicht benutzt. Und wenn Todd erfahren hatte, dass sie manchmal stotterte, na und? Das bedeutete nicht das Ende der Welt. Schließlich hatte er selbst Probleme genug. "Hallo", war eine vertraute Stimme zu hören. Stone! Jamie freute sich, ihn zu sehen. "Ich dachte, du seist schon auf dem Weg nach Chicago." Er gab ihr einen schnellen Kuss. "Ich habe beschlossen, auf dem Weg zum Flughafen vorbeizuschauen, um zu sehen, wie es läuft. So habe ich doch einen Vorwand, dich noch mal zu sehen." Er freute sich über Jamies Lächeln. Sein Vorhaben, die Karriere zu verändern, schien sich im Moment nicht verwirklichen zu lassen. Wenn in Chicago kein Wunder geschah, müsste er in knapp zwei Wochen weiter zu seinem nächsten Auftrag. Der Gedanke schmerzte ihn. Also hätte er Jamie nichts von dem zu bieten, was sie sich wünschte - ein richtiges Zuhause, eine Familie und einen liebevollen Ehemann. Sein Beruf war nicht mal das größte Problem. Selbst>wenn er das Fernsehen aufgab und einen geregelteren Job fände, wusste er nicht, ob er auch ein guter Ehemann oder Vater sein würde. Offenbar konnte man nur das verwirklichen, was einem vorgelebt worden war. Plötzlich bemerkte er Todd. "Chuck wird den Spot machen!" rief er ihm zu. Das war der Chef der Werbe-Abteilung. Todds Adamsapfel bewegte sich nervös rauf und runter. "Nein, der hat Grippe und bat mich, die Aufnahme zu übernehmen." "Todd, der Spot ist wichtig", erklärte Stone ernst. "Ich habe das Skript selbst geschrieben und möchte, dass es genau befolgt wird." "Selbstverständlich." Todd eilte davon.
"Ist der Spot wirklich nötig?" fragte Jamie. "Schließlich mache ich den Sprecherjob nur noch ein paar Wochen." "Die nächsten beiden Wochen sind aber besonders wichtig, weil sie die Quoten hochtreiben können." "Gibt es schon Interessenten für den Kauf?" "Ja, zwei. Darum fliege ich auch nach Chicago." "Stone!" rief Michael und rannte auf ihn zu. Er schlang die Ärmchen um ihn und drückte die Wange an seine. "Hallo, Sportsfreund!" Stone schwang den Jungen im Kreis herum. Es rührte ihn, dass der Kleine sich jedes Mal freute, wenn er ihn irgendwo entdeckte. Er schwenkte ihn noch einmal herum, dann stellte er ihn wieder auf die Füße. "Das hat Spaß gemacht!" rief Michael und begann, an Stone hochzuklettern. Der nahm ihn auf die Schultern. Er sah zu Jamie hinüber. Die Sonne glänzte auf ihrem hellen Haar und beschien ihr schönes Gesicht. Sie wirkt, als leuchte sie von innen, dachte er. Der Gedanke jedoch, dass sie sich vielleicht bald wieder trennen müssten, deprimierte ihn. Er setzte Michael ab und zwang sich, ganz gelöst zu wirken. "Na, bist du darauf vorbereitet, ein Fernsehstar zu werden, Michael?" Der Junge schüttelte die dunklen Locken. "Wieso nicht? Es wird dir helfen, eine Familie zu finden." "Aber ich habe doch schon eine Familie gefunden." Der Kleine schaute ihn ernst an. "Ich möchte bei dir und Jamie bleiben." Oje, das hätte er ja kommen sehen müssen! "Aber Jamie und ich sind keine Familie, Michael." "Das wäret ihr aber, wenn ihr heiraten würdet." "Michael, das ist nicht so einfach." "Wieso nicht? Hast du sie denn gar nicht lieb?" Stone schob verlegen die Hände in die Taschen. "Doch, das genügt aber nicht für eine Ehe." "Was braucht man denn noch?"
Stones Hände wurden feucht. "Man muss in jeder Beziehung zusammenpassen." "Tut ihr das nicht?" Die unschuldige Frage hing in der Luft. Stone schaute Jamie an, ihr Blick schmerzte ihn. Er wollte sie nicht verletzen! Aber er hatte selbstsüchtig ihre Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch genommen und geglaubt, dadurch, dass er nicht mit ihr schlief, ersparte er ihr Kummer. Was für ein Trugschluss! "Michael, Menschen können sich sehr gern haben, aber das reicht nicht, um zu heiraten. Sie müssen die gleichen Lebensziele haben und sich gegenseitig helfen, ihre Träume zu erfüllen. Und manchmal ist es trotzdem nicht möglich, auch nicht, wenn sie sich wirklich lieb haben." Michaels ließ die Schultern hängen. "Du und Jamie, ihr heiratet also nicht?" Stones blieben die Worte im Halse stecken. Er konnte sich nicht überwinden, Jamie mit ihrem betrübten Gesichtsausdruck anzusehen. "Michael, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu sprechen", sagte er schließlich. Der Junge seufzte. "Das heißt also, nein. So reden Erwachsene immer, wenn die Antwort ein Nein ist." Meine Güte, was habe ich da bloß angerichtet? dachte Stone. Nun war Jamie sicher wieder traurig. Am besten, er verschwand sofort. "Ich muss gehen, sonst verpasse ich das Flugzeug. Also, bis in zwei Tagen." Eilig ging er zu seinem Wagen. Er fühlte sich elend und war ärgerlich auf sich. Jamie würde ihm das nicht verzeihen, und er selbst verzieh es sich schon gar nicht.
11. KAPITEL "Noch zwei Minuten!" rief der Regisseur. Jamie ließ das Kabel im Ausschnitt ihrer Jacke verschwinden und klemmte das Mikrofon am Revers fest. Das Kostüm, das sie trug, hatte sie erst vor kurzem gekauft. Es war blau, Stones Lieblingsfarbe. Wahrscheinlich würde es ihm allerdings nicht mal auffallen. Aber das machte ja auch nichts. Er war die ganze Woche weg gewesen und hatte weder angerufen noch sich sonst irgendwie gemeldet. Sie glättete die Papiere auf dem Pult, legte sie sorgfältig nebeneinander, so als könne sie auf diese Weise auch Ordnung in ihre Gedanken bringen. Es war, als wenn die vergangenen Wochen gar nicht stattgefunden hätten, obgleich sie sich täglich gesehen, zusammen gegessen, miteinander gesprochen und abends vorm Schlafengehen noch telefoniert hatten. Es war fast so, als wäre alles nur eine Ausgeburt ihrer Phantasie. Sie war also praktisch wieder da, wo sie vorher gewesen war: einsam und allein. Vermutlich hatte sie Stone nicht realistisch eingeschätzt, sondern nur das gesehen, was sie hatte sehen wollen. Die körperliche Anziehungskraft, die es noch immer zwischen ihnen gab, hatte sie überbewertet und dabei ignoriert, dass er weder von Liebe noch von einer gemeinsamen Zukunft gesprochen hatte.
War sie denn naiv wie ein liebeskrankes Schulmädchen? Sie hatte ihm ihre Geheimnisse anvertraut, seinetwegen sogar das Haus verkauft und war so eifrig bemüht, ihm ihre Liebe zu beweisen, dass sie gar nicht auf die Idee gekommen war, seine Gefühle für sie anzuzweifeln. Verzweiflung legte sich wie grauer Nebel über ihre Gedanken. Wie hatte sie sich nur so täuschen können! Als er im Park gesagt hatte, dass er es noch einmal mit ihr versuchen wolle, dachte sie, er meinte eine neue Ehe! Hatte er seine Meinung geändert? Und wenn ja, lag es an ihrem Verhalten? Hatte sie etwas falsch gemacht? Wahrscheinlich war es sinnlos, sich den Kopf zu zerbrechen. Dass er sich seit einer geschlagenen Woche kein einziges Mal bei ihr gemeldet hatte, sprach doch Bände! Stone liebte sie einfach nicht genug! Jamie starrte blicklos auf die Papiere in ihrer Hand. "Noch eine Minute!" rief der Regisseur. Die nächste halbe Stunde musste sie sich zusammenreißen. Heute war Michaels Geschichte dran, und sie wollte ihr Bestes tun, damit er ein neues Zuhause fand. Über Stone könnte sie später nachdenken. Sie streckte den Rücken und richtete das Mikro. "Jamie, der Spot über dich kommt vor der Einleitung. Hast du ihn schon gesehen?" fragte der Regisseur sie über Mikrofon. Sie schüttelte den Kopf und schaute auf den Monitor. In diesem Augenblick war sie auch schon in Großaufnahme zu sehen. Das Bild wechselte zu einer Montage verschiedener Motive, und die Musik schwoll an. "Das neueste Mitglied des KFS-Nachrichten-Teams, Jamie Erickson, hat etwas ganz Besonderes an sich", verkündete eine Ansagerin. "Das kann man schon an ihrem Lächeln sehen, an der Art, wie sie die Berichte vorträgt und wie die Zuschauer darauf reagieren."
Über den Bildschirm gingen nun etliche Einstellungen von Jamie mit verschiedenen Kindern und dem Untertitel "Ein Zuhause für mich". Dann sah man Jamie und Michael beim Pferdestall. "Jamie hat Verständnis für besondere Probleme, da sie selbst unter einem leidet. Wann immer sie hinter dem Sprecherpult sitzt", die Kamera fuhr in einem dramatischen Schwenk auf das leere Studiopult, "kämpft sie dagegen an, nicht zu stottern. Obgleich sie diese Behinderung hat, geht sie tapfer jeden Tag auf Sendung." "Jamie Erickson und Kanal drei bringen Ihnen jetzt das Neueste vom Tage." Das Logo "Das Neueste vom Tage" füllte den Bildschirm, während die Musik verklang. Jamie starrte entsetzt auf den Monitor, das Blut in ihren Adern schien zu Eiswasser geronnen zu sein. Sie versuchte zu begreifen, was sie da eben gesehen hatte. Ihr war zu Mute, als sei ihr neues Kostüm durchsichtig und sie darunter nackt. Sie fühlte sich betrogen. Auf übelste Weise hereingelegt. Von wem? Sie begriff es nicht. In Gedanken ging sie den Spot noch einmal durch. Wie konnte das passieren? Stone hatte das Script doch selbst verfasst! Stone. Stone? Vielleicht liebte er sie nicht, aber er würde sie niemals bloßstellen! Todd! Es musste Todd gewesen sein. Und er wollte, dass sie Stone dafür verantwortlich machte! Als sie die Zusammenhänge begriff, konnte sie wieder frei atmen. Doch dann erschrak sie zutiefst: Die Zuschauer wussten nun alle, dass sie Probleme mit dem Sprechen hatte, dass sie stotterte! Die Einleitung war beinahe vorüber. Panik erfasste sie mit feuchtkalten Krallen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie würde keinen Ton herausbringen!
"Alles okay, Schatz? Dann los!" Harold hob als Signal dafür, dass sie auf Sendung war, den Arm und senkte ihn wieder. Jamie starrte auf das rote Licht an der Kamera, öffnete den Mund, aber es kam nichts heraus. "Du bist drauf, Jamie", sagte der Regisseur in ihrem Ohr. Jamie schaute wie blind nach vorn, war unfähig, sich zu bewegen, körperlich und geistig wie gelähmt vor Angst. "Mach schon!" zischte der Regisseur. Konzentrier dich! ermahnte sie sich. Aber ihre Gedanken waren durcheinander wie Puzzleteile in einem Karton. Was hatte sie Michael vor einer Woche gesagt? Es fiel ihr nicht ein, aber der Gedanke an den Jungen berührte einen Überlebensnerv. Heute würde sein Spot gesendet, und er schaute zu! Dieser Gedanke half ihr, durchschnitt die Angst wie ein Sonnenstrahl, der durch Nebel dringt. Michael schaute zu, und sie durfte ihn nicht dadurch enttäuschen, dass sie unfähig war zu sprechen. Wenn sie es jetzt nicht schaffte, würde er ihr niemals glauben, dass man so etwas überwinden könnte. Jamie holte tief Luft, dachte ganz fest an Michael und begann. "G...g...guten T...t...tag", stotterte sie. Der Regisseur rief etwas ins Mikro, so dass ihre Konzentration gestört war. Jamie riss es einfach aus dem Ohr. "Ich b...b...bin Jamie Erickson, und hier s...s...sind d...die neuesten Nachrichten." Sie nahm das erste Blatt auf und versuchte, sich auf den Sinn der Worte zu konzentrieren. Nach den ersten Worten hörte das Stottern auf. Sie atmete innerlich auf. Als das rote Licht von Harolds Kamera endlich erlosch, war sie schweißgebadet. Sie hatte in aller Öffentlichkeit gestottert. Das war immer ihr größter Alptraum überhaupt gewesen. Aber sie hatte es überstanden! Die Welt war nicht zusammengebrochen, die Studiowände waren nicht eingestürzt. Die entsetzliche Angst ließ von ihr ab, und auf einmal wusste sie, dass sie das nie wieder so schlimm erleben würde.
Sie fühlte sich wie erlöst! Vielleicht nicht vom Stottern, aber doch vor der Angst davor! Das Geheimnis war gelüftet, nun wusste jeder, dass sie stotterte, und damit musste sie keine Entdeckung mehr fürchten. Das Gefühl einer neuen Freiheit durchströmte sie. Sie löste das Mikrofon und stand auf. Auf einmal dachte sie wieder an Michael und erschrak. Er hatte nur gehört, dass sie gestottert hatte, aber nicht gesehen, wie erleichtert sie jetzt war! Er sollte auf keinen Fall den Glauben daran verlieren, dass man so ein Problem überwinden konnte! "Alles in Ordnung?" fragte Harold besorgt. "Ja!" rief sie, "und ich fahre sofort zu Michael, um sicherzugehen, dass auch mit ihm alles in Ordnung ist." Als Stone zwanzig Minuten später das Studio betrat, wirkte die Atmosphäre irgendwie frostig. Die Sekretärin, die er nach Jamie fragte, gab ihm nur knapp Auskunft, und die Reporter schwiegen ostentativ. Als er Harold begrüßte, senkte der seinen Kopf in den Kaffeebecher und murmelte etwas in sich hinein. Was hatten die denn alle? "Sag mal, was ist hier eigentlich los?" verlangte Stone zu wissen. Harold setzte seinen Becher so hart auf den Tisch, dass der Kaffee überschwappte. "Das war ja ganz übel, was du da mit Jamie gemacht hast!" "Was meinst du?" Harold zog eine buschige Braue hoch. "Du weißt doch genau, wovon ich spreche! In dem verdammten Einführungstext wird der ganzen Welt erklärt, dass Jamie stottert und jedes Mal vor Angst fast stirbt, dass es ihr vor der Kamera passiert!" "Wie bitte?" Stone war entsetzt. "Du hast es doch gehört." "In dem Spot, den ich geschrieben habe, steht keine Silbe davon!" erklärte Stone. "Erzähl mir .bitte genau, was passiert ist."
"Na ja, gleich am Anfang wurde Jamie in einem Extra-Spot vorgestellt und das mit ihrem Stottern erzählt. Daraufhin war sie natürlich total durcheinander! Anfangs konnte sie gar nicht sprechen, aber dann hat sie es geschafft und die Sendung perfekt zu Ende gebracht." Stone ballte die Hände zu Fäusten. "Das Telefon stand nicht mehr still", fuhr Harold fort. "Die Hälfte der Leute rief an, weil sie fanden, Jamie sei die Größte, die anderen schimpften auf den Sender, der so etwas mit ihr machte." Der Rest des Teams schien ebenso zu denken. Und es war klar, dass alle Stone für verantwortlich hielten. Um Himmels willen, tat Jamie das etwa auch? Der Gedanke war wie ein Schlag in den Magen. "Wo ist sie?" "Zum Kinderheim gefahren. Sie hat sich Sorgen gemacht, wie Michael das Ganze wohl verarbeitet." Typisch Jamie, dachte Stone. Gerade hatte sie den demütigendsten Augenblick ihres Lebens durchgestanden, und nun dachte sie nicht an sich, sondern an einen anderen Menschen. Was für ein großes Herz sie hatte! Und wenn sie es jemandem schenkte, dann ganz! In guten wie in schlechten Zeiten ... Bei dem Gedanken wurde ihm ganz kalt. Wieso hatte er es nicht eher begriffen? Sie hatten keine oberflächliche Billigtrauung in einer der lächerlichen Hochzeitskapellen von Las Vegas gehabt, sondern eine Zeremonie voller Andacht und Feierlichkeit. Sie hatten sich Liebe und Zuwendung geschworen, "in guten wie in schlechten Tagen, bis dass der Tod euch scheide". Und als er Ja sagte, hatte er es auch so gemeint und Jamie ebenfalls! Eigentlich war sie noch immer seine Frau! Wenn sie auch nur annähernd so für ihn empfand wie er für sie, könnte sie ohne ihn
gar nicht glücklich werden. Aber das musste sie selbst entscheiden. Wenn Jamie ihn zurücknehmen würde, wäre er der glücklichste Mann der Welt. Er würde sich bemühen, bis ans Ende ihrer Tage der liebevolle Partner zu sein, den sie verdiente. "Harold, ich möchte den Spot sehen und dann mit Todd sprechen." Harold schien zu verstehen. "Du meinst, dieses Miststück hat Jamie das angetan? Dieses verdammte, miese Schwei..." Stone hob die Hand. "Bewahr dir das für später auf, Harold, und zeig mir erst den Spot. Ich möchte ihn schnell sehen, um einiges in Ordnung zu bringen." "Ich weiß nicht", meinte Michael zweifelnd, "ich wäre bestimmt weggelaufen." Jamie stellte noch ein Klötzchen auf den Turm, den sie zusammen mit dem Jungen im Spielzimmer des Kinderheims gebaut hatte. "Wenn ich weggelaufen wäre, hätte kein Mensch deine Geschichte gesehen, und das ist doch wichtig." "Hast du dich nicht schrecklich gefühlt?" "Oh, doch, aber ich hätte mich noch viel schlechter gefühlt, wenn ich weggelaufen wäre. Dadurch dass ich da blieb, konnte ich das Stottern unter Kontrolle bringen." "Hattest du denn keine Angst?" "Doch, natürlich! Aber ich wollte mich nicht von der Angst besiegen lassen. Und weil ich da geblieben bin, habe ich gewonnen. Von jetzt an werde ich nie mehr so große Angst davor haben, denn nun weiß ich, dass ich sie überwinden kann." "Das nennt man Mut", sagte eine tiefe Stimme von der Tür her. "Stone!" rief Michael, sprang auf, lief zu Stone hin und fiel ihm um den Hals. "Michael, ich möchte kurz mit Jamie allein sprechen. Gehst du ein bisschen mit den anderen Kindern spielen? Wir holen dich in ein paar Minuten wieder."
"Gehen wir dann Eis essen?" "Ganz bestimmt." Michael lief hinaus. Als Jamie auf einmal mit Stone allein war, wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Nervös zupfte sie an ihrem Hock. "Seit wann bist du zurück?" fragte sie schließlich. "Seit einer Stunde. Ich bin vom Flughafen direkt zum Sender gefahren und habe gehört, was passiert ist." Er legte ihr die Hand auf den Arm. "Es tut mir Leid, ich hoffe ..." In seinem Blick lag etwas, das Jamie beinahe die Fassung verlieren ließ. "Ich hoffe, du weißt, dass ich den Text nicht geschrieben habe." "Ja, ich weiß, dass du es nicht warst", sagte sie. "Es war Todd, nicht wahr?" Stone nickte grimmig. "Er hat es zugegeben, als ich es ihm auf den Kopf zu sagte." Er musste Jamie ja nicht erzählen, dass er Todd regelrecht bedroht hatte, um die Wahrheit zu erfahren. "Er dachte, wenn du vor der Kamera stotterst, gibst du auf, und er bekommt seinen alten Job wieder. Er hat zugegeben, dass er ein Alkoholproblem hat und seitdem alles falsch macht. Er hat sich bereit erklärt, einen Entzug zu machen, aber wenn er sich danach noch den kleinsten Fehler erlaubt, fliegt er raus." "Todd tut mir irgendwie Leid", sagte Jamie. "Ich hatte schon immer das Gefühl, dass er sein Leben nicht im Griff hat. Es ist nett von dir, dass du Mr. Milton gebeten hast, ihn nicht sofort rauszuwerfen." Stone fand, dass Todd weniger Sympathie verdiente. "Mr. Milton entscheidet so etwas nicht mehr." "Wieso, ist der Sender verkauft?" Stone nickte. "Mr. Milton geht wie gewünscht in Pension, und der neue Besitzer übernimmt auch den Posten des Generalmanagers." "Wird niemandem gekündigt?"
"Nein. Das war einer der Vertragspunkte, von denen jetzt auch Todd profitiert. Alle Jobs sind für die nächsten sechs Monate sicher." "Und wer ist der neue Besitzer?" Stone zögerte. Dann sagte er: "Ich." "Was, du?" "Ja, ich." Er lächelte. "Und das heißt, ich bleibe hier." Jamie klopfte das Herz bis zum Hals. Stone blieb in Fairfield? Oh, du lieber Himmel, das bedeutete, weiterhin mit ihm zusammen zu arbeiten, ihn jeden Tag zu sehen ... "Ist das der Karrierewechsel, den du erwähntest?" "Ja, aber es sah bis zum letzten Moment so aus, als würde es nicht klappen. Eine andere Firma hätte mich beinahe überboten." "Warum hast du mir nichts davon gesagt?" "Ich wollte erst sicher sein, dass ich es schaffe." "Und wie hast du es geschafft?" "Ich habe eine Gruppe finanzieller Förderer zusammenbekommen, die vorwiegend aus ehemaligen Kunden besteht. Da ich der Berater bin, musste ich sichergehen, dass die Einschaltquoten gut waren, damit es nicht so aussah, als wollte ich den Preis künstlich drücken. Deshalb bestand ich auch darauf, dass du weiterhin als Moderatorin arbeitetest. Aber genug davon." Er lächelte. "Und jetzt möchte ich dir erklären, warum ich das alles gemacht habe." Er wickelte eine ihrer Locken um den Finger. "Ich dachte, wenn mir der Sender gehört, könnte ich an einem Ort bleiben und andere dafür engagieren, in Spätschichten und am Wochenende zu arbeiten. Ich kann noch immer nicht versprechen, dass ich keine Überstunden mache, aber die Arbeit wird nicht mehr mein alleiniger Lebensinhalt sein. Wenn du willst, und wenn du mich wiederhaben möchtest." Das Blut rauschte in Jamies Ohren. Hatte sie richtig gehört?
"Als ich zurückkam", fuhr Stone fort, "und hörte, was passiert war, war ich außer mir, Jamie. Ich habe mir den Spot angeschaut. Was du heute geleistet hast, ist großartig. Du bist noch mutiger, als ich dachte!" Jamie konnte gar nicht mehr klar denken. "Wenn du imstande bist, deiner größten Angst ins Auge zu schauen, dann sollte ich es auch mit meiner tun." In seinem Blick lag tiefe Besorgnis. "Ich habe große Angst davor, dir noch einmal wehzutun, Jamie, dich wieder im Stich zu lassen, nicht der zu sein, den du brauchst und verdienst. Aber ich werde alles tun, um dich nicht zu enttäuschen." Er hob ihr Kinn. "Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, Jamie. Würdest du mich noch einmal heiraten?" "Oh, Stone ..." Jamie konnte nicht weitersprechen. Sie nickte nur und ließ ihn die Antwort in ihren Augen lesen. Und Stone zog sie an sich und küsste sie zärtlich. Eine ganze Weile später löste er sich wieder von ihr. "Nun, da mir der Sender gehört, bestimme ich die Regeln. Und das Erste ist, dass ich dich aus dem Sprechervertrag entlasse. Du gehst nur noch vor die Kamera, wenn du es selber möchtest." Jamie könnte ihr Glück nicht fassen! Sie war genau dort, wo sie sein wollte: in seinen Armen, in seinem Herzen. Sie fühlte sich geliebt wie noch nie zuvor. Und das würde sie ihm von ganzem Herzen zurückgeben. Sie lächelte unsicher. "Einen Moment, Johnson, du bist doch der jetzige Besitzer, nicht? Und du hast sicher viel dafür bezahlt, da wir gerade die Quoten nach oben gebracht haben, stimmt's?" "Ja, und?" Sie strahlte. Noch nie hat Jamie schöner ausgesehen, dachte Stone. "Dann müssen wir das Geld jetzt durch Werbung wieder hereinholen. Wenn wir einen Fernsehsender betreiben, sollten wir damit doch auch Profit machen, oder?
Stone freute sich vor allem über das "wir". "Ja, das sollten wir", bestätigte er. "Dann werde ich weiterhin die Nachrichten moderieren", erklärte sie entschlossen. "Jedenfalls im Augenblick. Später könnten wir Raum schaffen für ein Kinderprogramm. Ich kenne eine Produzentin, die die richtige Motivation für den Job hat." "Ich kann es gar nicht erwarten!" Stone strich ihr über die Wange. "Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?" Sie lächelte. "Ich habe so eine kleine Ahnung." Er lachte und genoss das, was sich in ihrem Blick spiegelte. "Ich liebe dich auch, Stone. Und ich möchte wieder deine Frau werden. In jeder Hinsicht." Wie sehr er sich nach diesen Worten gesehnt hatte! Stones Stimme war heiser. "Und ich kann es gar nicht erwarten, wieder dein Mann zu sein. Lass uns so bald wie möglich heiraten." "Ja, erst müssen wir uns allerdings eine neue Bleibe suchen." "Wieso?" "Ich habe gerade mein Haus verkauft." "Du hast was?!" "Na ja, ich wusste ja nicht, dass dein Karrierewechsel dich in Fairfield halten würde. Und ich wollte nicht, dass du noch mal ohne mich gehst." Stone wusste genau, was Jamie das Haus bedeutet hatte. Sie war bereit, ihren Traum aufzugeben, nur um mit ihm zusammen zu sein! Er konnte es nicht fassen. Wie hatte er nur das Herz dieser wunderbaren Frau gewinnen können? Diesmal würde er alles daransetzen, sie nie wieder zu verlieren! Jamie lächelte. "Es war doch nur ein Haus." Sie legte eine Hand an seine Wange. "Zu Hause ist man dort, wo das Herz ist. Und meins wird für immer bei dir sein." Stone war so glücklich, dass er das Gefühl hatte, sein Herz müsse vor Glück zerspringen. Er zog Jamie an sich. "Willkommen zu Hause, Liebste", murmelte er. Sie schlang die Arme um ihn. "Willkommen zu Hause."
EPILOG "Hmm, der Kuchen schmeckt ja köstlich!" Harold schob noch eine Gabel voll in den Mund. Grams, der eine warme Brise unter die breite Krempe ihres Strohhuts fuhr, hielt ihn fest und balancierte einen Teller in der anderen Hand. "Freut mich, dass er Ihnen schmeckt", sagte sie, "aber ich habe ihn von jemand anders backen lassen, da ich im Moment zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt bin." Jamie lächelte Stone zu. "Grams ist stolz darauf, dass sie deinen Beraterjob übernommen hat." "Sie ist ein Naturtalent und weiß genau, was das Publikum will. Ihre Vorschläge kommen gut an. Und ich freue mich, dass ich mehr Zeit mit meiner Frau verbringen kann." Stone hatte den Arm um Jamie gelegt. Sie standen im Garten unter dem rosenbewachsenen Laubenbogen und schauten zu den Gästen, die an hell gedeckten Tischen saßen. Jamie trug ein duftiges weißes Kleid. "Habe ich dir heute schon gesagt, wie hübsch du aussiehst?" "Nur ungefähr ein Dutzend Mal." "Manche Dinge kann man gar nicht oft genug wiederholen." Er schaute sie zärtlich an. "Ich bin vor allem froh, dass wir unsere Trauung wiederholt haben. Und auch, dass sie diesmal in der Kirche stattfand." "Ich genau so. Das letzte Mal bist du darum betrogen worden. Diesmal haben wir auch richtige Hochzeitsfotos, die wir eines
Tages unseren Kindern zeigen können." Er lächelte, seine weißen Zähne blitzten. "Bald können wir noch etwas feiern: die Einweihungsparty unseres Schuppens." Jamie lachte. "Das ist doch kein Schuppen, das ist ein richtiges Landhaus!" "Egal, von mir aus kann es ein Hühnerkäfig sein, Hauptsache, es gefällt dir und verfügt über ein bequemes Schlafzimmer." Das Kreischen eines Kindes zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Wie ein Torpedo kam Michael über den Rasen auf sie zu gerast, und Stone fing ihn lachend auf. "Ich war doch ein guter Ringträger, nicht?" Michael strahlte. "Das hast du großartig gemacht", lobte Stone. "Da ihr nun verheiratet seid, darf ich euch jetzt Mom und Dad nennen?" Die Zärtlichkeit, mit der Stone sie anschaute, trieb Jamie Tränen in die Augen. Stone umarmte den Jungen und sagte: "Ja, das darfst du, mein Sohn." "Ich freue mich schon darauf, bei euch einzuziehen!" rief der Kleine. "Sobald wir aus den Flitterwochen zurück sind", versprach Jamie. Mrs. Mathis kam und nahm Michael mit, um die Hochzeitstorte zu probieren. "Es freut mich, dass Mrs. Mathis so schnell das Sorgerecht für uns erwirkt hat", sagte Stone, der ihr nachschaute. "Ja, ich auch", meinte Jamie. "Dass wir bis zur endgültigen Adoption seine Pflegeeltern sein können, war eine glänzende Idee." "Wenn wir in ein paar Monaten alle nötigen Papiere haben, müssen wir das ebenfalls feiern", sagte Stone. "Und später all die Taufen für die Kinder, die wir noch bekommen werden." Seine Augen funkelten. "Wollen wir nicht schon mal den Grundstein legen?" "Ich finde, damit warten wir bis zu den Flitterwochen."
"Na, wenn du meinst ..." Ihre Blicke verfinget sich, und in beider Augen lag ein heißes Versprechen. Jamie kuschelte sich an ihn. Stones Nähe bedeutete sowohl Geborgenheit als auch aufregende Erotik. Er war der Mann, nach dem sie sich immer gesehnt hatte. "Ich liebe dich", flüsterte sie. "Ich dich auch", raunte er an ihrem Haar. "Das darfst du so oft wiederholen, wie du magst." Sie reckte sich, um ihn zu küssen. "Von mir aus bis ans Ende unserer Tage."
-ENDE-