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Der Sonnenaufgang an diesem Morgen des 20. Juni 1593 war ein grandioses Schauspiel. Ö...
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Burt Frederick 1.
Der Sonnenaufgang an diesem Morgen des 20. Juni 1593 war ein grandioses Schauspiel. Östlich der Azoren-Insel Flores färbte sich der Himmel blaßrot und tauchte bald darauf die zerklüfteten BergFormationen in ein mildes Licht. Von Minute zu Minute wurde die Helligkeit stärker und verdrängte die Dunkelheit in den tiefer gelegenen Regionen der Insel. Die Männer an Bord der „Isabella“ hatten keinen Blick für die Schönheit der Natur. Für sie war diese Insel nichts weiter als ein häßlicher Buckel, der aus dem Atlantik ragte und mitsamt seinen durchtriebenen Bewohnern besser in der Tiefe verschwunden wäre. Da sich ein solcher Wunsch aber nicht erfüllte, galt es, einen anderen Ausweg zu finden, um den Seewolf und seine Begleiter zu befreien. Die Dreimastgaleone ankerte vor jener Bucht, in der in der Nacht zuvor Philip Hasard Killigrew und seine kleine Einsatzgruppe an Land gegangen waren. Seit Batuti mit der alarmierenden Nachricht vom Scheitern der Unternehmung zurückgekehrt war, hatte keiner der Arwenacks mehr ein Auge zugetan. Ein durchdringender Warnruf ertönte unvermittelt aus dem Großmars. Bill hatte seinen Posten als Ausguck bezogen und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den öden Landstrich, der nur um Kanonenschußweite entfernt lag. Schlagartig war es mit der Ruhe an Bord vorbei. Schritte polterten über die Decksplanken, Stimmengewirr setzte ein. Die allgemeine Aufregung erfaßte auch das „Viehzeug“ an Bord, wie Ed Carberry die Tiere auf der „Isabella“ liebevoll zu nennen pflegte. Arwenack, der Schimpanse, enterte mit hellem Keckern in den Großmastwanten an Steuerbord auf. Sir John, der karmesinrote Papagei, verließ seinen ruhigen Platz in der festgezurrten großen Jolle und flatterte mit schrillem Keifen hinauf zum Fockmars. Und Plymmie, die Wolfshündin, fegte wie ein geölter Blitz zum Backbord-
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Schanzkleid, stützte sich mit den Vorderpfoten und spähte hechelnd zur Insel. Im selben Moment brach der Wortwechsel der Männer jäh ab. Silhouetten erschienen oberhalb der Bucht und zeichneten sich vor der aufgehenden Sonne wie scharf umrissene Scherenschnitte ab. Über einen gewundenen Pfad begann die Kolonne den Abstieg zur Bucht. Fünf Männern waren die Arme auf den Rücken gebunden. Außerdem hatte man ihnen einen Strick um das rechte Fußgelenk geschlungen. Durch den Strick waren sie miteinander verbunden, in einem Abstand von jeweils etwa zwei Yards. Die restlichen Silhouetten waren deutlich als spanische Soldaten zu identifizieren. Ihre Brustpanzer und die Helme glänzten im frühen Sonnenlicht, matte Reflexe blinkten auf dem Laufstahl ihrer Musketen. Den Arwenacks lief ein Schauer über den Rücken. Betroffen starrten auch die Schiffbrüchigen von der spanischen Galeone „Confianza“ zur Bucht. Ein heiseres Knurren drang tief aus Plymmies Kehle. Sie schien zu begreifen, was für eine niederschmetternde Bewandtnis es mit der Marschkolonne dort drüben an Land hatte. Ed Carberry fand als erster die Sprache wieder. „Diese dreimal verlausten Zwiebelfresser“, sagte er wild, „denen drehe ich höchstpersönlich und eigenhändig das Genick um. Aber vorher ziehe ich ihnen die Haut in Streifen von ihren verdammten Affenärschen.“ „Wenn's soweit ist, bin ich dabei“, sagte Ferris Tucker grollend, „ich meine, wir sollten sie kielholen, anschließend teeren und federn und dann an der Großrah zum Trocknen aufhängen.“ „Eins nach dem anderen“, entgegnete der Profos und reckte sein Rammkinn in die Morgenbrise, „notfalls stimmen wir darüber ab.“ Auf dem steilen Weg zur Bucht gerieten die Gefangenen mehrmals ins Stolpern, denn sie konnten den Gleichschritt nicht
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halten. Jedesmal wurden sie von den Soldaten mit brutalen Kolbenhieben wieder auf die Beine gebracht und vorangetrieben. Die Männer auf der „Isabella“ begannen vor Wut zu kochen. Am schlimmsten war das Gefühl der Ohnmacht, die Tatsache, das Verhängnisvolle ansehen zu müssen und nicht das Geringste tun zu können. Dann, nach endlosen Minuten, erreichte die Formation von Gefangenen und Bewachern den Strand. Die fünf Gefesselten wurden unmittelbar ans Wasser getrieben und mußten sich in einer Reihe aufbauen. Zehn Soldaten postierten sich in Reihe hinter ihnen und richteten die schußbereiten Musketen auf die Rücken der Gefangenen. Die restlichen Soldaten formierten sich in Hab-Acht-Stellung nur wenige Yards abseits. Ben Brighton beobachtete das Geschehen zähneknirschend durch sein Spektiv. „Batuti!“ rief er, ohne den Kieker abzusetzen. Der herkulische Gambianeger enterte mit wenigen langen Sätzen zum Achterdeck auf. „Erkläre mir, wer diese Kerle sind“, sagte Ben Brighton gepreßt. Er ließ das Spektiv sinken und drückte es Batuti in die Hand. Dem Gambianeger genügte ein kurzer Blick durch die Optik. Dann gab er dem Ersten Offizier den Kieker zurück. „Dieser kantige Kerl mit dem schwarzen Bart auf der Oberlippe ist der Teniente. Der hat letzte Nacht den Angriff auf die Fischerhütte geleitet. Und der andere, dieser Aufgeblasene mit dem Spitzbart, das kann nur der Kommandant sein. Ich nehme an, daß der Teniente ihn holen ließ.“ Batuti atmete tief durch, und seine Stimme vibrierte, als er weitersprach. „Ist verdammt miserabel, hier an Bord zu stehen. Und die anderen da drüben .. .“ Er brach ab. Der Zorn schnürte ihm die Kehle zu. Ben Brighton schüttelte energisch den Kopf. „Hör auf damit, Batuti. Du hast absolut richtig gehandelt. Wenn dir die Flucht
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nicht geglückt wäre, wüßten wir nicht, was mit Hasard und den Männern passiert ist. Dann könnten uns die Spanier schmoren lassen, solange sie wollen.“ Der schwarze Herkules preßte die Lippen aufeinander. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel, doch wer Batuti kannte, wußte, daß er selten so niedergeschlagen gewesen war wie in diesem Moment. Alle Beschwichtigungen nutzten nichts. Er würde mit seinen Selbstvorwürfen nicht eher aufhören, bis sich alle fünf Gefangenen in Freiheit befanden. Ben Brighton setzte erneut das Spektiv ans Auge. Der Seewolf stand regungslos, hoch aufgerichtet und mit ausdrucksloser Miene. Neben ihm Adriano de Mendoza y Castillo, der jetzt wahrscheinlich endgültig davon überzeugt war, welche freundlichen Absichten seine Landsleute ihm gegenüber hegten. Castillo war schlank, mittelgroß und kräftig gebaut. Durch sein mittelblondes Haar sah er nicht so aus, wie man sich einen typischen Spanier vorstellte. Er stammte aus der Nähe von Barcelona, wo seine Familie ihren Sitz auf einem angesehenen, alteingesessenen Weingut hatte. Ebenso wie die anderen Gefangenen war Castillo von den Spuren des Kampfes gezeichnet. Unter seinem rechten Auge leuchtete eine rote Schürfwunde, seine Kleidung war verschmutzt und eingerissen. Als die „Confianza“ versenkt worden war, hatte Castillo nicht glauben wollen, daß er den Fangschuß seinen Landsleuten auf dem Flaggschiff „Vencedor“ verdankte. Erst Al Conroy, der Stückmeister der „Isabella“ hatte ihm exakt auseinandergesetzt, was sich wirklich ereignet hatte: daß die „Confianza“ im Gefechtsgetümmel zwischen dem Verband des Seewolfs und den Spaniern nach einem gezielten Schuß von der „Vencedor“ auf Tiefe gegangen war. Hasard hatte Castillo versprochen, ihm dabei zu helfen, auf Flores die Wahrheit herauszufinden. Daß es sich um eine grausame Wahrheit handelte, der sie auf
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der Spur waren, bewiesen die Geschehnisse der vergangenen Nacht. Dan O'Flynn stand neben Castillo, und auch die Miene des schlanken, hochgewachsenen Mannes zeigte nicht die geringste Spur von Respekt vor den spanischen Bewachern. Die beiden weiteren Gefangenen waren Alfredo Vergara und Juan Luis Benitez. Vergara, Erster Offizier der „Confianza“, stammte aus Madrid. Groß, schlank und dunkelhaarig, war er der Typ, der in jedem Hafen weibliche Blicke auf sich lenkte. Nichtsdestoweniger gehörte er zur gleichen ehrlichen Sorte wie sein Kapitän. Benitez stammte ebenfalls aus Barcelona. Von der Statur und der Haarfarbe her ähnelte er Castillo. An Bord der versenkten Galeone war Benitez Zweiter Offizier gewesen. Ben Brighton schwenkte den Kieker weiter. Jener Mann, den Batuti als Inselkommandanten bezeichnet hatte, stolzierte wie ein Pfau vor den angetretenen Soldaten hin und her. Die Optik zeichnete ein scharfes Bild von ihm. Der Mann hatte ein verlebtes Gesicht, unter den stumpfen Augen lagen dunkle Ränder. Graue Strähnen durchzogen den Spitzbart und das schwarze Haar, soweit es unter seinem breitkrempigen Federhut zu sehen war. Seine gold- und silberbetreßte Uniform und die kostbaren Schnallenschuhe drängten den Vergleich mit einem eitlen Pfau geradezu auf. Er beendete seine Musterung der Soldaten, wandte sich dem Teniente zu, und an seinen herrischen Gesten war zu erkennen, daß er Befehle erteilte. Der Teniente salutierte und stelzte ans Wasser. Dort blieb er breitbeinig stehen und hob den rechten Arm zu einer unmißverständlichen Geste. Die Männer an Bord der „Isabella“ konnten es auch mit bloßem Auge sehen. „Der Mistkerl meint uns“, sagte Batuti grimmig. „Was hast du sonst erwartet?“ entgegnete Ben Brighton und setzte das Spektiv ab. „Dieser ehrenwerte Kommandant hat die Gefangenen nicht aus Spaß aufmarschieren
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lassen. Jetzt wird man uns Bedingungen stellen.“ Der schwarze Herkules antwortete nicht. Er mußte sich noch immer mächtig anstrengen, um seine Wut nicht hinauszubrüllen. Ben Brighton trat an die Querbalustrade. „Mister Carberry!“ „Sir?“ Der Profos wandte sich um, warf den Kopf in den Nacken und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Laß die kleine Jolle abfieren und mit sechs Mann besetzen. Unbewaffnet!“ Ed schluckte trocken. „Hab mich wohl verhört, was, wie? Ich denke, wir versohlen den Dons den Hintern, oder? Willst du allen Ernstes ...“ „Es geht um das Leben der Gefangenen“, entgegnete Ben, „alles andere zählt nicht. Wir werden uns anhören, was man uns zu sagen hat. Ich bitte um Ausführung meines Befehls.“ „Aye, aye, Sir“, erwiderte der Profos knapp. Gegen die Borddisziplin gab es keine Argumente. * Capitan Manuel Orosco Torres rieb sich die Hände. Dabei wandte er allerdings dem vor Anker liegenden Schiff den Rücken zu, denn die Britenbastarde brauchten nicht unbedingt zu sehen, wie sehr er sich freute. Er winkte den Teniente zu sich, und gemeinsam entfernten sich die beiden Männer einige Schritte von den Soldaten. „Menacho“, sagte Torres mit wohlwollendem Lächeln, „ich habe leider bislang keine Zeit gefunden, Ihnen meine Anerkennung auszusprechen. In der Hast der Geschehnisse unterbleibt so etwas oft. Ich hole es hiermit nach. Sie und Ihre Männer haben hervorragende Arbeit geleistet.“ Teniente Menacho deutete eine steife Verbeugung an, konnte sich aber nicht verkneifen, irritiert die linke Augenbraue hochzuziehen. „Ich habe nur meine Pflicht getan, Capitan“, entgegnete er schnarrend, „und als einen vollen Erfolg können wir die
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Angelegenheit ohnehin noch nicht betrachten. Vergessen Sie nicht, daß die Hundesöhne bislang keinen Ton von sich gegeben haben.“ Torres winkte ab und lachte meckernd. „Halten Sie das für ein Problem? Warten Sie nur ab. Sie sollten meine Methoden kennen, jemanden zum Reden zu bringen.“ „Ich zweifle nicht an Ihren Methoden, Capitan. Nur habe ich das Gefühl, daß wir es hier mit einer unglaublichen Verschwörung zu tun haben. Ich fürchte, die Kerle werden sich eher die Zunge abschneiden lassen, als daß sie auch nur ein einziges Wort sagen.“ „Ihr Gefühl in allen Ehren, Menacho.“ Torres lachte abermals. „Aber Sie nehmen die Dinge wirklich etwas zu ernst. Das ist ein Haufen englischer Piraten, der sich mit ein paar spanischen Strolchen verbündet hat. Sie schickten einen Stoßtrupp an Land, um die Möglichkeit für eine Plünderung auszukundschaften. Dabei wurden sie erwischt. Und jetzt ziehen wir ihnen die Hammelbeine lang. Das ist alles.“ Menacho bewegte zweifelnd den Kopf hin und her. „Erlauben Sie, daß ich widerspreche, Capitan.“ „Oh, tun Sie sich keinen Zwang an“, sagte Torres gönnerhaft, „es ist Ihre Aufgabe als Offizier, mitzudenken. Also lassen Sie Ihre Gegenargumente hören.“ „Es handelt sich um die drei Landsleute, die wir festgenommen haben. Ich meine, sie sehen nicht aus wie verbrecherische Subjekte. Und, kommt Ihnen der eine nicht bekannt vor?“ Torres runzelte die Stirn. „Welchen meinen Sie?“ „Den Blonden. Und dann ist da noch dieser große dunkelhaarige Engländer. Wie ein einfacher Pirat scheint er mir ebenfalls nicht auszusehen.“ Torres schüttelte verwirrt den Kopf. „Menacho, Sie bringen mich zum Nachdenken. Nun, wenn Sie mit Ihren Vermutungen recht haben sollten, dann ist Ihr Verdienst natürlich umso größer.“ „Es war nicht meine Absicht, das hervorzukehren, Capitan.“
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Torres nickte gedankenverloren. Dann gab er sich einen Ruck und stolzierte auf die Front der angetretenen Gefangenen zu. Zwischen ihnen und dem seichten Uferwasser war nur knapp ein Yard Platz. „Tretet einen Schritt zurück, ihr Hunde!“ befahl der Kommandant schneidend. Der Seewolf und die vier anderen Männer gehorchten. Auf einen Wink des Teniente begab sich auch die waffenstarrende Reihe der Bewacher in neue Position. Jeweils zwei Musketen waren auf den Rücken eines Gefangenen gerichtet. Capitan Torres legte die Hände auf den Rücken und schritt mit der gelangweilten Grandezza eines Sonntagsspaziergängers vor den Gefesselten auf und ab. Unvermittelt blieb er vor dem Seewolf stehen und musterte ihn nachdenklich. „Du bist nicht irgendwer“, sagte Torres. „Du wirst mir nicht den Gefallen tun, mir deinen Namen zu verraten, wie?“ Hasard verzog die Mundwinkel zu einem verächtlichen Lächeln. „Das habe ich erwartet“, sagte Torres und nickte, „aber du brauchst dich nicht zu bemühen, Engländer. Ich finde es auch ohne deine Mithilfe heraus. Ich habe das Gefühl, daß mir dein Name auf der Zunge liegt. Es fehlt nur noch der zündende Funke, gewissermaßen.“ Der Capitan lachte und entblößte dabei eine häßliche Reihe schadhafter Zähne. Hasard gab sich keinen Illusionen hin. In Spanien war er fast so bekannt wie ein bunter Hund, und nach dem Kopfgeld, das die spanische Krone auf ihn ausgesetzt hatte, gierte so mancher. Dieser schmierige Kommandant lebte auf seiner Insel ein wenig isoliert, deshalb war ihm nicht sofort aufgegangen, wen er da in seine Gewalt gebracht hatte. Torres trat einen Schritt weiter und baute sich vor Castillo auf. „Und du, Landsmann? Auch von dir kein Sterbenswörtchen?“ Castillo spie aus, voller Verachtung. Das Gesicht des Kommandanten verzerrte sich. Seine gepflegten Hände zuckten vor,
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und er packte den Kapitän der versenkten Galeone am Kragen. „Was nimmst du dir heraus?“ schrie er. Sein Gesicht rötete sich, und seine Schläfenadern traten hervor. „Legst du es mit Macht darauf an, gemaßregelt zu werden?“ Hasard war versucht, seinem Nebenmann eine Warnung zuzurufen, denn er spürte geradezu, wie Castillo vor Wut zu kochen begann. In seiner Position als Kapitän der spanischen Marine und noch dazu als Mann von Adel brauchte er sich wahrhaftig nicht bieten zu lassen, sich von diesem kleinen Inselkommandanten abkanzeln zu lassen. Doch das Verhängnis ließ sich schon nicht mehr aufhalten. Adriano de Mendoza y Castillo explodierte. Sein rechtes Knie zuckte so blitzartig hoch, daß Torres nicht die geringste Chance hatte, noch zu reagieren. Und der Kommandant wurde sehr empfindlich getroffen. Er brüllte wie ein Stier, seine Finger lösten sich vom Kragen des Gefangenen, und er krümmte sich vor Schmerzen. Unbarmherzig versetzte Castillo ihm einen zweiten Rammstoß mit dem Knie, bevor Menacho oder einer der Soldaten eingreifen konnte. Diesmal wurde Torres vor die Brust getroffen. Sein immer noch anhaltendes Schmerzensgebrüll steigerte sich zu schrillem Diskant. Der Stoß trieb ihn rückwärts. Stolpernd versuchte er zur selben Zeit sich zu krümmen und die Schmerzen zu überwinden und, mit den Armen rudernd, das Gleichgewicht zu halten. Beides mißlang. Der Länge nach schlug er ins seichte Uferwasser. Immer noch von Schmerzen gepeinigt, wälzte er sich herum, und sein Geschrei ging in ein Blubbern über, als er Wasser schluckte. Erst jetzt war der Teniente zur Stelle. Mit wutverzerrtem Gesicht stürmte Menacho auf Castillo los, und der Kapitän der „Confianza“ konnte sich gegen das nun
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einsetzende brutale Trommelfeuer von Fausthieben nicht wehren. Hasard und die anderen mußten das hilflos mit ansehen. Es gab nicht die geringste Chance, etwas zu tun. Die Soldaten standen in angespannter Haltung, und es gab keinen Zweifel darüber, daß für Menacho nur noch ein kleiner zündender Funke genügte, um den Feuerbefehl zu geben. So mußten sie hinnehmen, daß Castillo unter den mörderischen Schlägen bewußtlos zusammenbrach. Capitan Torres kroch stöhnend und triefend naß an Land. Menacho trat einen Schritt zurück, rieb sich die Knöchel und starrte die Gefangenen mit flammendem Blick an. „Ihr verfluchten Bastarde“, sagte er knurrend, „laßt euch das eine Warnung sein. Noch eine falsche Bewegung von euch, und ich schwöre, es wird euch verdammt schlechter ergehen als dem da.“ Er versetzte dem Bewußtlosen einen derben Tritt mit der Stiefelspitze. Dann wandte er sich um und half dem durchnäßten Inselkommandanten auf die Beine. Torres stöhnte noch immer vor Schmerzen. Menacho nahm den Federhut an sich, den sein Vorgesetzter im Wasser verloren hatte. Die Kopfbedeckung glich jetzt mehr einem schlappen Lappen. Torres trat auf den Bewußtlosen zu und spie ihn an. „Dieses Schwein“, keuchte er, „das wird er mir büßen! Ich werde mir eine Spezialbehandlung für ihn ausdenken, die er sein Leben lang nicht vergißt.“ „Fragt sich, wie lang sein Leben überhaupt sein wird“, sagte Teniente Menacho grinsend. Torres sah ihn von der Seite an. „Allerdings, Menacho, allerdings.“ Ein häßlicher Zug grub sich in die Mundwinkel des Kommandanten. 2. Die Männer stießen das Boot von der Bordwand der „Isabella“ ab. Alle hatten gesehen, was sich an Land abgespielt hatte.
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Julio Chocano, der Bootsmann der „Confianza“, knurrte einen Fluch, den die Arwenacks nicht verstanden, obwohl sie alle hervorragend Spanisch sprachen. Schweigend tauchten die Männer die Riemenblätter ins Wasser und begannen, mit kraftvollen Schlägen zu pullen. Ben Brighton, der den Platz auf der Achterducht eingenommen hatte, brachte die Jolle mittels der Pinne auf Kurs. Außer Chocano befanden sich Ferris Tucker, Luke, Morgan, Stenmark, Bob Grey und Gary Andrews als Rudergasten im kleinen Beiboot der „Isabella“. Ben Brighton hatte Chocano mit Bedacht mitgenommen, denn er wollte, daß die spanischen Schiffbrüchigen von einem der ihren erfuhren, was sich bei der Verhandlung mit dem Inselkommandanten ergab. „Julio“, sagte Ben, während die Jolle mit rascher Fahrt auf die Bucht zusteuerte, „wer ist dieser Kommandant? Kennen Sie ihn?“ „Und ob“, erwiderte Chocanco grimmig, „wir laufen Flores oft als letzten Stützpunkt an, bevor die Reise über den Atlantik beginnt. Der Gockel da drüben heißt Torres. Er ist zwar Capitan, aber darauf kann er sich nicht viel einbilden, weil er hierher zwangsversetzt wurde. Und er weiß, daß dies allgemein bekannt ist. In Cadiz, wo er zuletzt stationiert war, soll er irgendwelche Weibergeschichten gehabt haben.“ Ben Brighton nickte. „Kennt er Kapitän Castillo?“ „Kann ich nicht sagen.“ Chocano zog die Schultern hoch. „Die beiden müssen sich nicht unbedingt schon mal begegnet sein. Meistens erledigt ja der Generalkapitän alles, was mit dem StützpunktKommandanten zu klären ist.“ Der Erste Offizier der „Isabella“ konzentrierte sich auf das Geschehen am Strand. Es bereitete jetzt keine Mühe mehr, die Einzelheiten mit bloßem Auge zu erfassen. Castillo begann sich zu bewegen. Er hatte Mühe, auf die Beine zu gelangen, und Hasard und Dan O'Flynn konnten ihm wegen ihrer Fesseln nicht einmal helfen.
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Mit schmerzverzerrtem Gesicht schaffte es Castillo bis auf die Knie. Schwankend versuchte er, sich vollends aufzurichten. Er sah nicht, daß Menacho dem Soldaten hinter ihm einen Wink gab. So wurde Castillo völlig unverhofft von einem Kolbenhieb zwischen die Schulterblätter getroffen. Doch kein Schrei drang über seine Lippen, als er vornüberstürzte und mit dem Gesicht in den Sand schlug. Er war hart im Nehmen, dieser Kapitän Castillo, das mußten Ben Brighton und die anderen anerkennend feststellen. Aber diese Tatsache erleichterte es ihnen nicht, den ohnmächtigen Zorn hinunterzuschlucken. Torres und seine Schergen waren Peiniger, deren Grausamkeit keine Grenzen kannte, wenn sie erst einmal richtig loslegten. Ben Brighton war sich darüber im klaren, daß er dies bei der bevorstehenden „Verhandlung“ nicht außer acht lassen durfte. Knapp außerhalb der Reichweite der Musketen gab er das Kommando: „Halt Wasser!“ Das Boot stoppte seine Fahrt, als die Männer die Riemenblätter senkrecht im Wasser verhielten. Ben Brighton richtete sich auf und stellte sich breitbeinig auf die Achterducht. „Wie sind Ihre- Forderungen?“ brüllte er. Am Strand stelzte Torres bis ans Wasser, stemmte die Fäuste in die Hüften und wippte auf den Zehenspitzen. Mit seiner klatschnassen Kleidung sah er lächerlich aus, doch seine wutschnaubenden Worte zerstörten diesen Eindruck. „Ich bin Capitan Manuel Orosco Torres!“ schrie er. „Zuallererst will ich wissen, mit wem ich verhandele!“ Die Männer im Boot begannen unwillig zu murmeln, und es würde nicht mehr viel fehlen, bis Ed Carberry eine passende Bemerkung hinüberbrüllte. „Ruhe'', sagte Ben Brighton leise, „reißt euch gefälligst zusammen. Diese Kerle sind zu allem fähig.“ Es wirkte. Das Gemurmel brach ab. Ben wandte sich wieder mit lauter Stimme dem Strand zu, nannte seinen Namen und seinen Rang an Bord der „Isabella“.
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Torres antwortete nicht sofort. Sein Kopf ruckte herum, und minutenlang starrte er sinnierend den Seewolf an. Im nächsten Moment schrie er zu der Jolle herüber: „Dann ist dieser Mann Ihr Kapitän. Habe ich recht?“ In seiner Geste lag etwas Triumphierendes, als er mit ausgestrecktem Arm auf Philip Hasard Killigrew zeigte. Ben Brighton biß sich auf die Unterlippe. Es war verdammt klar, zu welcher Erkenntnis Torres' Vermutung führen würde. „Stimmt“, sagte Hasard, um seinem Ersten die Entscheidung abzunehmen. Mehr nicht, nur dieses eine Wort. Torres wandte sich ihm mit einer höhnischen Verbeugung zu. „Besten Dank, .Senor. Ich sehe ein wenig klarer. Man nennt dich den Seewolf, wenn mich nicht alles täuscht.“ Hasard antwortete nicht. „Nun, eine deutlichere Zustimmung kann ich nicht erwarten“, sagte Torres ölig, „und deinen Namen werde ich auch noch herausfinden. Wie gesagt, er liegt mir auf der Zunge.“ Ben Brighton verfolgte den Wortwechsel mit wachsender Ungeduld. Dieser Torres weidete sich in seiner Überlegenheit. Er würde es noch stundenlang hinauszögern, wenn ihn nicht vielleicht die nasse Kleidung daran hinderte. „Stellen Sie Ihre Bedingungen!“ brüllte Ben. Der Kommandant grinste gemein. „Aber gern!“ schrie er. „Punkt eins: Ich verlange eine klare Auskunft, und zwar darüber, was ihr Engländer gemeinsam mit einigen Spaniern hier zu suchen habt. Was hat eure verdammte Nacht- und NebelAktion zu bedeuten?“ Ben zerbiß einen Fluch auf den Lippen. Wie sollte er auf diese Frage antworten? Wie sollte er das tun, ohne Hasard oder Castillo in ihren Entscheidungen vorzugreifen? „Ich sehe, ich muß ein bißchen nachhelfen.“ Torres lachte überheblich. Er gab dem Teniente ein Handzeichen. „Ihre
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Gedanken werden gleich beflügelt werden, Senor Brighton.“ Den Männern im Boot stockte der Atem. Menacho zog seinen Säbel, war mit wenigen Schritten bei Dan O'Flynn und hielt ihm die Klingenspitze an die Kehle. Dabei baute er sich seitlich versetzt auf, so daß die Arwenacks es klar und zweifelsfrei erkennen konnten. „Ich warte auf die Auskunft!“ schrie Torres. „Wenn ihr Hunde nicht pariert, stirbt der Mann. Jetzt und auf der Stelle. Vergeßt nicht, daß ich fünf Gefangene habe. Genug, um meine Forderungen durchzusetzen.“ Ben und den anderen war klar, warum der Kommandant ausgerechnet Dan O'Flynn für diese Drohung ausgewählt hatte. Torres wußte, daß er zu ihrer Crew gehörte. Aus seinem eigenen niederträchtigen Denken heraus folgerte er offenbar, daß sie Castillo, Vergara oder Benitez ohne weiteres über die Klinge springen lassen würden. Castillo, der auf den Knien hockte, räusperte sich vernehmlich. „Nehmen Sie den Säbel weg, Teniente“, sagte er mit fester Stimme. Menacho schickte einen fragenden Blick zu seinem Vorgesetzten. Hasard wußte, was folgen würde. Dieser Mann, der geschunden und geschlagen neben ihm kauerte, empfand eine tiefe Abscheu gegen jegliches Unrecht. Und eben dieser Gerechtigkeitssinn war es, der ihn so sehr in Schwierigkeiten gebracht hatte - bis ein Punkt erreicht gewesen war, an dem man bei Hofe nicht mehr gezögert hatte, den Mordbefehl zu erteilen. Hasard empfand immer mehr Hochachtung und Respekt vor Castillo. Torres zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Ach nein“, sagte er, „da hat sich doch nicht etwa jemand entschlossen, den Mund aufzutun?“ „Unter diesen Umständen bleibt mir keine andere Wahl“, entgegnete Castillo mit mühsam unterdrückter Wut.
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„Also, einverstanden.“ Torres nickte zufrieden und gab dem Teniente einen Wink. Menacho gehorchte, widerstrebend zwar, doch er ließ den Säbel sinken. „Heraus mit der Sprache!“ forderte der Kommandant ungeduldig. Castillo sah ihn einen Atemzug lang aus schmalen Augen an. „Können Sie sich nicht selbst denken, warum ich hier bin?“ sagte er. Torres' Gesicht verzerrte sich abermals in jäh aufwallender Wut. „Reiß dich zusammen, Kerl. Ich stelle keine Fragen, um sie mir mit Gegenfragen beantworten zu lassen.“ „Nun gut”, entgegnete Castillo ruhig, „ich bin der Kapitän der Kriegsgaleone ,Confianza`. Genügt das?“ Torres erbleichte. Doch nur sekundenlang. Sehr schnell hatte er sich wieder in der Gewalt. „Ich weiß nicht, wovon du faselst, Mann. Willst du gefälligst aufhören, mich mit Andeutungen hinzuhalten?“ „Also gut“, sagte Castillo, „die ,Confianza' gehörte zum Geleitschutz für fünf Handelsgaleonen. Der gesamte Verband wurde vergangene Woche hier im Stützpunkt Flores zusammengestellt. Der Geleitschutz bestand aus drei Kriegsgaleonen und vier Karavellen, die ,Confianza` mitgerechnet. Flaggschiff ist nach wie vor die ,Vencedor` unter dem Kommando von Generalkapitän Ramon Firuso de Fernandez. Mein Name ist Adriano de Mendoza y Castillo. Mein Schiff wurde während eines Gefechts mit einem englischen Verband versenkt.“ „Was ist daran so ungewöhnlich?“ höhnte Torres mit einem Seitenblick zu seinem Teniente. Er brachte es nicht mehr fertig, seinem blonden Landsmann in die Augen zu sehen. .Das will ich Ihnen gern sagen“, fuhr Castillo fort, „ich habe es zu Anfang selbst nicht glauben können. Aber mehrere Augenzeugen haben es mir bestätigt: Die ,Confianza` wurde in den Wirren des Gefechts durch einen gezielten Schuß von der ‚Vencedor' versenkt. Nun wissen Sie
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es, verehrter Capitan. Ich bin hier, um die Ungeheuerlichkeit aufzuklären. Diese Engländer, die uns an Bord nahmen, haben sich als ausgesprochen fair erwiesen - was ich von meinen eigenen Landsleuten nicht behaupten kann.“ Torres hatte seine Fassung wiedergewonnen, und er reagierte auf eine lautstarke Art und Weise, hinter der sich nach Meinung von Hasard nichts anderes als ein schlechtes Gewissen verbarg. „Das ist unglaublich!“ schrie der Inselkommandant. „Sie wagen, einen Generalkapitän der spanischen Marine derart zu verdächtigen? Das reicht, um Sie vor ein Kriegsgericht zu bringen, Castillo.“ Die Gefangenen registrierten mit einem geheimen Lächeln, daß Torres immerhin zum angemessenen „Sie“ zurückgefunden hatte. Er hatte begriffen, daß er Castillo als einen Mann von Adel trotz allem nicht wie den letzten Dreck behandeln konnte. „Im übrigen“, fuhr Torres schnaubend fort, „ist es für diese Engländer natürlich ein gefundenes Fressen, mit Ihrer ortskundigen Unterstützung hier auf Flores zu landen. Das ist Zusammenarbeit mit dem Feind, Castillo! Eine Verschwörung gegen die spanische Krone. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel darauf, daß ich Sie und Ihre Komplicen dafür vor Gericht bringen werde.“ „Dem sehe ich mit Vergnügen entgegen“, erklärte Castillo, „es wird eine Menge Unrat ans Tageslicht gekehrt werden.“ Capitan Torres schluckte und brachte nicht sofort eine Antwort heraus. Castillo wechselte einen Blick mit dem Seewolf. Zweifellos wußte der Inselkommandant etwas über den Mordauftrag. Wie vermutet. Nur standen die Chancen, darüber die Wahrheit herauszufinden, im Augenblick denkbar schlecht. Torres wandte sich ruckartig wieder der Jolle zu, die in Rufweite vor der Bucht lag. „Hören Sie jetzt meine Entscheidung, Senor Brighton! Sie haben mit Ihrem Schiff unverzüglich die Küstengewässer von Flores zu verlassen. Ich gebe Ihnen dafür eine Frist von sechs Stunden. Falls
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Sie sich widersetzen, werde ich die Stützpunktflotte gegen Sie einsetzen.“ Der Erste Offizier der „Isabella“ hörte zu, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Drohung, die Torres mit seiner Flotte ausgestoßen hatte, war nicht unbedingt etwas, von dem sich die Arwenacks beeindrucken ließen. „Ich habe verstanden!“ rief Ben. „Und was wird mit Ihren Gefangenen, Capitan?“ Torres stimmte ein höhnisches Lachen an, in das auch Teniente Menacho pflichtschuldigst mit einfiel. „Halten Sie mich für einen Einfaltspinsel?“ schrie der Kommandant. „Es steht nicht in meiner Befugnis, über das Schicksal dieser Invasoren zu entscheiden. Nur soviel kann ich Ihnen versichern, Senor Brighton: Wenn Sie sich nicht an meine Anordnungen halten, wird der erste der Gefangenen sterben.“ Ben Brighton ballte die .Hände zu Fäusten. Er sah die versteinerten Mienen der anderen Männer im Boot und wußte, wie sie alle in diesem Augenblick empfanden. Niemals würden sie Hasard, Dan und die drei Spanier der Willkür dieses Möchtegern-Tyrannen überlassen. Nur waren sie sich darüber im klaren, daß sie im Augenblick absolut nichts unternehmen konnten. Das war niederschmetternd. „Wir werden uns an die Bedingungen halten“, sagte Ben zähneknirschend. „Das will ich Ihnen auch geraten haben!“ rief Torres. „Ihre Kumpane werden es Ihnen danken. Sie werden zu schätzen wissen, den Rest ihres Lebens als Galeerensklaven oder Zwangsarbeiter zu verbringen, statt durch einen höchst unsinnigen Umstand zu sterben. Und ich warne Sie, Senor Brighton! Bilden Sie sich nicht ein, daß Sie sich meiner Anordnung widersetzen können. Ich verfüge über genügend Kräfte, um alle Küstenbereiche der Insel jederzeit unter Kontrolle zu halten. Jeder Vorstoß Ihrerseits würde sofort bemerkt werden, und einer Ihrer Freunde müßte das mit dem Leben bezahlen. Verschwinden Sie jetzt. Die Sechs-Stunden-Frist beginnt mit dieser Minute.“
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Ben mußte alle innere Kraft aufbieten, um nicht doch noch die Beherrschung zu verlieren. Er blickte zu den Gefesselten und sah, wie Hasard ihm kaum merklich zunickte. Fast lag etwas Aufmunterndes in dieser Geste des Seewolfs. Ben begriff. Hasard und die anderen wußten, daß sie nicht im Stich gelassen wurden. „In Ordnung“, sagte der Erste Offizier der „Isabella“ leise, „es muß also sein. Und keine Widerworte, verstanden?“ Er ließ sich auf die Achterducht sinken, ergriff die Pinne, und die Männer begannen zu pullen. Ben Brighton wandte sich nicht um. In den verbitterten Mienen seiner Rudergasten las er, daß sich am Strand nichts änderte. Torres war ein Teufel. Vielleicht schickte er bereits einen Boten los, um seine Stützpunktflotte zu alarmieren. Auf jeden Fall aber würde er sich vergewissern, daß die „Isabella“ tatsächlich Segel setzte. An Bord war es ungewohnt still. „Was steht ihr rum wie die Trauerklöße?“ brüllte Ed Carberry, nachdem sie aufgeentert waren. „Davon wird die Sache auch nicht besser, ihr Trantunten. Bewegt euch gefälligst! Hievt die Jolle auf, hurtig, hurtig! Und wenn ihr glaubt, daß dieser spanische Latrinenmolch uns zu schlau wird, dann habt ihr euch aber mächtig getäuscht, was, wie?“ Die Männer wurden wach. Begeistertes Gejohle ertönte. Carberrys Gedröhn war die richtige Musik, die sie brauchten. Für den Moment hatten sie sich von der Niedergeschlagenheit packen lassen. Aber verdammt, sie hatten sich gegenseitig so manches Mal mitten aus dem Höllenfeuer gezupft. Und es mußte schon mit dem Teufel zugehen, wenn sie Hasard und seine Begleiter nicht aus der Gewalt dieser Kerle befreien würden. Genau das war es, was Ed Carberry ihnen verklaren wollte. Wenn sie jetzt scheinbar klein beigaben, dann bedeutete das noch lange nicht, daß sie eine Niederlage eingestanden. Ben Brighton beobachtete durch den Kieker, wie Torres und Menacho am Strand irritierte Blicke wechselten. Das Gebrüll an Bord der „Isabella“ mußte
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ihnen unter den gegebenen Umständen merkwürdig erscheinen. Sollte es. Der Erste Offizier lächelte eisig, und dabei grub sich eine Härte in seine Gesichtszüge, die seine ganze Entschlossenheit widerspiegelte. Er wandte sich dem Hauptdeck zu. Seine Kommandos waren knapp und präzise wie gewohnt. Behende enterten die Arwenacks in den Wanten auf, stemmten sich in die Fußpferde und ließen das schwere Tuch unter ihren rauhen Fäusten hinabgleiten. Am Ankerspill gab sich die Crew mit rhythmischem Singsang den Takt. Und Pete Ballie, der das Steuerruder mit seinen riesigen Fäusten unerschütterlich hielt, reckte herausfordernd den Kopf in den Wind. Nein, keiner von ihnen hatte jetzt noch das Gefühl, daß sie den Schwanz einzogen wie ein geprügelter Hund. Der Rückzug war taktisch notwendig, mehr nicht. Torres und seine Halunken würden Feuer unter dem Hintern kriegen, ehe sie richtig zu Besinnung gelangten. Die „Isabella“ ging auf Südkurs, bei raumem Wind über Backbordbug segelnd. Ben Brighton beobachtete die Küstenlinie in kurzen Abständen. Es zeigte sich, daß der Kommandant, die Soldaten und die Gefangenen tatsächlich ausharrten, bis die Galeone hinter der Kimm verschwunden war. 3. Als die Insel nur noch als blasser, dunstähnlicher Streifen zu erkennen war, ließ Ben Brighton die Segel aufgeien und einen Treibanker ausbringen. In der Geschäftigkeit an Bord fielen ihm plötzlich die Zwillinge auf. Die beiden hockten auf einer Taurolle nahe beim Steuerbord-Niedergang zur Back. Sie hatten Plymmie zwischen sich genommen, und die Wolfshündin sah genauso traurig aus wie die Jungen. Ben schalt sich einen Narren, daß er sich nicht eher um die Söhne des Seewolfs gekümmert hatte. In der eigenen Erbitterung über das
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Geschehen hatte er zu angestrengt darüber nachgedacht, was nun zu unternehmen war. „Philip und Hasard!“ rief er kurz entschlossen. „Zu mir aufs Achterdeck!“ Die beiden Jungen schraken aus ihren trüben Gedanken auf und brauchten einen Moment, um in die Wirklichkeit zurückzufinden. Dann aber erhellten sich ihre Mienen, und sie sprangen auf. Plymmie folgte ihnen hechelnd, als sie nach achtern stürmten. Äußerlich ähnelten sich die Junioren wie ein Ei dem anderen. Schlank und schwarzhaarig, hatten sie den unverwechselbaren gleichen Gesichtsschnitt wie der Seewolf. In ihren Bewegungen waren sie geschmeidig wie Katzen, und schon jetzt, in ihren jugendlichen Jahren, ließen sie erkennen, daß sie als erwachsene Männer einmal alle überragenden Eigenschaften und Fähigkeiten ihres Vaters haben würden. Als Kinder fühlten sie sich schon lange nicht mehr, denn schließlich standen sie bei allen Aufgaben, die sie an Bord zu erledigen hatten, ihren Mann. Entsprechend wurden sie auch von der gesamten Crew respektiert. Eine Vorzugsbehandlung gab es für die beiden indessen nicht. Jeder wußte, daß das der Einstellung des Seewolfs in höchstem Maße widersprochen hätte. Eilig enterten sie über den Niedergang zum Achterdeck auf. Plymmie verharrte schwanzwedelnd zwischen ihnen. „Sir?“ sagte Philip junior. Die beiden Jungen blickten erwartungsvoll zu Ben Brighton auf. Der Erste Offizier lächelte verhalten. „Ich habe nichts Besonderes für euch. Nur mein ich, daß ihr nicht untätig an Deck herumhocken solltet. Ihr meldet euch sofort in der Kombüse. Sagt dem Kutscher und Mac Pellew, daß ihr Order von mir habt, ihnen zu helfen. Bis zum Backen und Banken gibt es noch eine Menge zu tun. „Aye, aye, Sir“, antwortete Hasard junior. „Und wenn ihr in der Kombüse fertig seid, meldet ihr euch wieder bei mir“, fuhr Ben
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fort, „wir brauchen jede Hand. Zeit zum Trödeln gibt es nicht.“ Die Jungen sahen sich an und drucksten einen Moment herum. „Ist noch etwas?“ fragte Ben Brighton stirnrunzelnd. „Eigentlich nicht, Sir“, antwortete Philip junior zögernd, „es ist nur - ich meine ...“ „Sie brauchen sich wegen uns nicht zu sorgen“, ergänzte sein Bruder. „Wir lassen den Kopf nicht hängen, falls Sie das denken, Sir.“ Ben Brighton fühlte sich bis auf die Knochen durchschaut. Seine Absicht, sie mit Beschäftigungen zu überladen, damit sie nicht ins Grübeln gerieten, hatten sie sofort richtig gedeutet. Sie waren für ihr Alter eben doch intelligenter, als man das manchmal wahrhaben wollte. Ben runzelte die Stirn. „Es läßt euch doch nicht etwa kalt, was mit eurem Vater passiert ist?“ „Das haben wir nicht gesagt, Sir“, entgegnete Hasard junior beinahe entrüstet. „Aber wir wissen doch, daß alles getan wird, um Dad und die anderen zu befreien.“ „Am liebsten würden wir dabei sein, wenn Sie diesen spanischen Inselaffen den Marsch blasen“, fügte Hasard junior hinzu, „aber wir wissen natürlich, daß wir das nicht dürfe n. Ben konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, obwohl ihm danach überhaupt nicht zumute war. „Nein, das dürft ihr nicht“, sagte er energisch, „aber was ihr dürft, ist, euch eines anständigen Tons zu befleißigen. Spanier sind ebenso wenig Affen wie Engländer, egal, ob sie auf einer Insel leben oder nicht.“ „Das habe ich damit nicht gemeint“, verteidigte sich Jung-Hasard, „ich wollte damit nur ausdrücken, wie niederträchtig es ist, was sieh diese ganz bestimmten Spanier auf Flores geleistet haben.“ „Um eine Ausrede seid ihr nie verlegen, wie?“ „Nein, Sir“, antworteten die beiden w e aus einem Mund. Auf ein Handzeichen Ben Brightons vollführten sie eine Kehrtwendung und
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zogen ab in Richtung Kombüse. Plymmie wedelte als treue Begleiterin hinter den Jungen her. Ben sah ihnen nach und dachte an die Geschehnisse in der finnischen Hafenstadt Abo. Das Band zwischen der Hündin und den Zwillingen war Unzerreißbar. Auch wenn sie nicht denken konnte, mußte es in Plymmies Hundehirn doch so etwas wie ein Erinnerungsvermögen geben. Und ihre Erinnerung daran, wie Philip und Hasard sie davor bewahrt hatten, von finnischen Gassenjungen gesteinigt zu werden, war bestimmt unauslöschlich. Ben riß sich aus seinen Gedanken los und trat an die Querbalustrade des Achterdecks. Er rief Batuti, Ed Carberry und Julio Chocano zu sich. Die drei Männer eilten herbei. „Endlich“, sagte Ed Carberry dröhnend, „wird aber auch höchste Zeit, daß wir was unternehmen. Diese Affenärsche von InselDons sollen ja nicht glauben, daß sie ihr stinkiges Süppchen ungestraft weiterkochen dürfen.“ „Beruhige dich“, entgegnete Ben Brighton, „vorerst unternehmen wir überhaupt nichts.“ Julio Chocano, der die meiste Zeit seines Lebens auf Schiffsplanken zugebracht hatte, sprach ein passables Englisch, das er im Laufe seiner Seefahrtszeit gelernt hatte. Die Männer wußten es und konnten sich ihrer Muttersprache bedienen. „Völlig richtig“, sagte Chocano, „bei Tageslicht wäre es heller Wahnsinn, auf die Insel vorzudringen. Wir würden unseren Freunden damit wahrhaftig keinen Gefallen tun.“ Ed Carberry tippte ihm mit dem Zeigefinger auf den Brustkasten. „Willst du mir erzählen, daß diese Kanalratte von Kommandant seine ganze verlauste Insel kontrollieren kann?“ „Vielleicht nicht.“ Chocano zog die Schultern hoch. „Aber wichtig ist doch, daß wir an die entscheidenden Stellen herangelangen. Also in erster Linie an den Stützpunkt. Und das schaffen wir bei Helligkeit nie im Leben.“
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Ben Brighton beendete die Debatte mit einer energischen Handbewegung. „Darüber brauchen wir uns nicht zu ereifern. Ein Angriff bei Tage scheidet aus. Punktum.“ „Aye, aye, Sir“, sagte der Profos beleidigt. „Hab ich vielleicht das Gegenteil verlangt?“ „Das nicht.“ Ben grinste. „Aber ich kenne dich. Wenn es nach dir geht, fällst du mit dem Schott in die Kammer. Damit will ich aber nichts Schlechtes über dich gesagt haben.“ „Das hast du fein ausgedrückt, Sir.“ Ed Carberry grinste zurück. Ben wandte sich wieder dem Bootsmann der „Confianza“ zu. „Mich interessiert vor allem folgendes: Wie groß ist diese angebliche Flotte, über die Torres verfügt? Was wissen Sie darüber, Julio?“ „Wahrscheinlich spuckt er große Töne“, erwiderte Chocano, „ich will das aber nicht beschwören. Als unser Verband den Stützpunkt Flores letzte Woche verlassen hat, lagen im Hafenbecken zwei Galeonen und ein mickriger Zweimaster.“ „Mehr nicht?“ sagte Ed Carberry staunend und stieß sein Rammkinn vor. „Mit so ein paar Suppenschüsseln will dieser Gockel gegen uns anstinken?“ „Wie groß sind die Galeonen?“ fragte Ben Brighton. „Höchstens zweihundertfünfzig Tonnen.“ Chocano wiegte den Kopf. „Aber nageln Sie mich jetzt um Himmels willen nicht darauf fest, Ben. Was sich in den letzten Tagen im Stützpunkt ereignet hat, kann ich natürlich nicht wissen. Vielleicht hat Torres Verstärkung erhalten. Ich nehme das zwar nicht an, aber möglich ist schließlich alles.“ „Soll ich euch was sagen?“ erklärte Ed Carberry. „Dieser Torres ist irgendwie größenwahnsinnig oder so was. Der glaubt wohl, daß er den Fang seines Lebens gelandet hat.“ „Womit er wohl auf dem richtigen Kurs liegt“, entgegnete Ben Brighton düster, „es sieht mir ganz danach aus, daß er ahnt, wer Hasard ist. Es dürfte nur eine Frage der
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Zeit sein, wann er die Wahrheit herausgefunden hat.“ „Durch Folter natürlich“, sagte Batuti grimmig. „Das wird nicht mal nötig sein“, wandte Chocano ein, „Torres lebt nicht allein auf Flores. Bestimmt gibt es unter seinen Leuten irgendjemanden, der schon von Philip Hasard Killigrew gehört hat. Oder Torres wälzt seine vertraulichen Dokumente. Vielleicht findet er einen Hinweis. Alles, was mit Menschenjagd zu tun hat, wird von Madrid so weit und so gründlich verbreitet wie nur möglich.“ „Wie dem auch sei“, sagte Ben Brighton, „wir müssen damit rechnen, daß sich Torres inzwischen schon die Hände reibt. Denn wenn er erst einmal weiß, daß er den Seewolf gefangen hat, dann wird er alles daransetzen, ihn auch der spanischen Krone auszuliefern. Für Torres würde das doch zumindest bedeuten, daß er von seiner Strafversetzung erlöst wird.“ „Und das Kopfgeld nicht zu vergessen“, sagte Julio Chocano, „wahrscheinlich kann er sich damit zur Ruhe setzen.“ Ben Brighton wandte sich dem Gambianeger zu. „Angenommen, wir würden nachts unbemerkt auf der Insel landen. Könntest du uns führen?“ Batuti entblößte sein perlweißes Gebiß zu einem breiten Grinsen. „Sicher. Fragt sich nur, wohin. Viel habe ich ja von der Landschaft nicht gesehen.“ „Was würdest du vorschlagen?“ „Wir müssen zuerst herausfinden, wo sie Hasard und die anderen gefangen halten. Da könnte uns nur unserer besonderer Freund Casero weiterhelfen.“ „Das ist dieser versoffene Fischer, von dem du erzählt hast“, sagte Ed Carberry, „nicht wahr?“ „Genau“, erwiderte Batuti und lachte. „Aber der Sohn ist noch versoffener als sein Alter. Die beiden sind wahrscheinlich fertig mit sich und der Welt. Ich glaube nicht, daß sie von Torres und Menacho die Belohnung erhalten, die sie erwartet h ben.“
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„Gut“, sagte Ben Brighton, „gehen wir also davon aus, daß die beiden Caseros uns weiterhelfen werden, freiwillig oder unfreiwillig. Dann gibt noch eine andere Frage: Wo können wir bei Nacht unbemerkt ankern und an Land gehen?“ Er sah Julio Chocano fragend an. „Östlich der Insel“, erklärte der Bootsmann der ,Confianza' prompt, dort sind wir am Weitesten vom Stützpunkt entfernt.“ „Und wenn wir genau da erwartet werden?“ wandte Batuti ein. „Torres auch nicht von gestern.“ „Himmel, Arsch und Halleluja“, sagte Ed Carberry grollend, „hört auf mit dem Wenn und Aber. Der Gockel kann mit seiner lächerlichen Flotte von Dreckeimern nicht überall sein. Und wenn sie uns wirklich in die Quere geraten sollten, dann schicken v sie zu den Fischen.“ „Mister Carberry“, sagte Ben Brighton scharf, „du weißt verdammt genau, daß ich unter normalen Umständen längst Befehl gegeben hätte, den Stützpunkt anzugreifen. Aber so, wie die Dinge nun einmal liegen, müssen wir alles, was wir anpacken, heimlich tun. Geht das in deinen Dickschädel hinein?“ Ed kratzte sich nachdenklich am hinteren Ende des von Ben erwähnten Schädels. „Habe verstanden“, brummte er, „ich halte das Schott dicht, wenn es losgeht.“ „Das wird gleich nach Einbruch der Dunkelheit sein“, entschied Ben Brighton. 4. Selbst Hasard konnte sich dieses elenden Gefühls nicht ganz erwehren, und er wußte, daß es den übrigen Männern mindestens ähnlich erging. Die „Isabella“ davonsegeln zu sehen, war nicht einfach zu verdauen. Es war, als zöge man ihnen den Boden unter den Füßen weg. Und das, obwohl sie wußten, daß es sich nur um ein Scheinmanöver handelte, zu dem sich Ben Brighton gezwungenermaßen entschlossen hatte. Der Schatten und die morgendliche Kühle waren vom Strand gewichen. Mit zunehmender Hitze brannte die
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aufsteigende Sonne herab, und die Männer hatten eine vage Vorstellung von dem, was sie an diesem Tag noch erwartete. Manuel Orosco Torres rappelte sich von einem Felsblock auf und stelzte steifbeinig auf die Gefangenen zu. Seine Kleidung war bereits halbwegs getrocknet. Auch die Soldaten verharrten in unveränderter Stellung, seit die englische Galeone ankerauf gegangen war. Weder Torres noch der Teniente hatten daran gedacht, den Uniformierten Erleichterung zu gewähren. Mit höhnischem Grinsen baute sich der Inselkommandant vor dem Seewolf auf. „Nun, Engländer? Immer noch der eiskalte Bursche, der sich durch nichts erschüttern läßt?“ Hasard maß ihn mit verächtlichem Blick von oben herab, was ihm nicht schwerfiel, da er mindestens einen halben Kopf größer war als Torres. Kein Wort drang über die Lippen des Seewolfs. Auch in den Augen der anderen Männer lag nichts als Verachtung. Ihr Stolz war ungebrochen, und es mußte schon eine Menge mehr geschehen, daß sie vor einem Halunken wie diesem Capitan zu winseln begannen. Castillo hatte sich aufgerappelt, von den Nachwirkungen der brutalen Schläge war ihm nicht mehr viel anzumerken, bis auf die Schrammen und Beulen, die er davongetragen hatte. „Wie ihr wollt“, sagte Torres giftig, „ich hätte mich gefreut, wenn es möglich gewesen wäre, daß wir vernünftig miteinander reden. Aber ihr werdet allesamt Zeit genug haben, darüber nachzudenken. Vielleicht werdet ihr schon bald regelrecht Sehnsucht nach einem Plauderstündchen mit mir haben. Nur dann werde ich euch warten lassen.“ Er wandte sich zur Seite. „Teniente!“ „Capitan?“ Menacho nahm Hab-AchtStellung an. „Schaffen Sie die Kerle weg. 'Ich will sie nicht mehr sehen. Sie sind mir persönlich verantwortlich, verstanden? Bei einem Fluchtversuch ist sofort die Schußwaffe einzusetzen.“
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„Einen solchen Versuch wird es gar nicht erst geben“, erklärte der Teniente schnarrend, „dafür verbürge ich mich.“ Torres nickte mit gnädigem Gesichtsausdruck und stolzierte davon. Zwei Soldaten begleiteten ihn zu seinem Reitpferd, das oberhalb der Bucht angebunden war. Kurz darauf waren die beiden Soldaten wieder zur Stelle. Menacho wartete, bis der Hufschlag verklungen war. Dann baute er sich breitbeinig vor den Gefangenen auf. „Zwei Schritte zurücktreten!“ brüllte er. „Und jetzt kehrt!“ Die Männer gehorchten. Sie sahen ein, daß es keinen Sinn hatte, jetzt noch aufzumucken. Jeder Versuch konnte sie Kraft kosten, die sie vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt dringend brauchten. Auch Castillo war einsichtig, obwohl Hasard gerade von ihm befürchtete, daß er sich erneut als Hitzkopf zeigen würde. Menacho formierte die Soldaten zu zwei Linien, beiderseits der Gefangenen. Alfredo Vergara wandte sich mit beherrschter Stimme an den Anführer des Trupps. „Teniente, können Sie uns nicht wenigstens die Stricke von den Füßen nehmen lassen? Sie behindern sich und Ihre Männer doch nur selbst damit, weil wir zu langsam ...“ „Halt den Mund“, befahl Menacho schneidend, „niemand hat dich um deine Meinung gefragt. Vorwärts jetzt, los, los!“ Einer der Soldaten versetzte Vergara einen Kolbenhieb ins Rückgrat. Der Erste Offizier stolperte, konnte jedoch sein Gleichgewicht mit knapper Mühe halten. Schweigend, mit zusammengepreßten Lippen, setzten sich die Männer in Bewegung, auf den Pfad zu, der zum höher gelegenen Land führte. Es erwies sich als höllisch mühsam, den Gleichschritt zu wahren. Einen Vorgeschmack auf diese Strapaze hatten sie auf dem Weg von der Fischerhütte bis zur Bucht erhalten. Hasard unterdrückte seine Wut. Es war vor allem wichtig, jetzt einen kühlen Kopf zu bewahren. Der Strick an den Fußgelenken war eine reine Schikane, nichts weiter.
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Über den gewundenen Pfad erreichten sie das Gelände oberhalb der Bucht, das mit flachen Anhöhen und einem unüberschaubaren Gewirr von Bodensenken landeinwärts führte. Die Vegetation war kläglich. Ausgedorrtes Gestrüpp, nicht mehr als kniehoch, so weit das Auge reichte. Wie einsame Skelette ragten einige wenige Bäume auf, deren Blätter Längst in der Sonnenglut vertrocknet waren. Weit entfernt waren die zerklüfteten Felsformationen als eine drohende, unüberwindbar scheinende Wand zu erkennen. Es war ein menschenfeindliches Land. Bauern hätten keine Aussichten gehabt, hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und die wenigen Fischer, die es auf Flores gab, lebten mehr schlecht als recht. Das hatten Hasard und die Männer am Beispiel von Vater und Sohn Casero deutlich gesehen. Der Marsch wurde zu einer Schinderei. Die Sonne entfaltete ihre sengende Kraft mit geradezu boshafter Schnelligkeit, und schon nach der ersten halben Meile rann den Männern der Schweiß aus allen Poren. Doch den Soldaten erging es nicht besser unter ihren Brustpanzern und Helmen. Gereizte Stimmung breitete sich aus. Hasard bemerkte wütende Blicke, mit denen die Uniformierten ihren Anführer bedachten. Menacho schien indessen von einer Strapaze nichts zu spüren. Mit überheblicher Gelassenheit marschierte er zeitweise an den Flanken der Kolonne, dann wieder vorn, und manchmal fiel er bis zum Schluß zurück. Er dachte nicht daran, seinen Leuten eine Pause zu gönnen. Aber sie waren Befehlsempfänger und würden trotz aller Wut nicht aufbegehren. Hasard war unterdessen überzeugt, daß ihr Weg weder zum Stützpunkt selbst noch in dessen Nähe führte. Die geschundene Marschformation bewegte sich in nordöstliche Richtung, auf das Bergmassiv zu. Hasard schätzte, daß die Entfernung noch mindestens zehn Meilen betrug. Er war ziemlich sicher, daß sich das Ziel dort
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in den Bergen befand, was immer dieses Ziel auch sein mochte. Je weiter sie landeinwärts vordrangen, desto beschwerlicher wurde es. Die Gefangenen hatten immer mehr Mühe, ihren erzwungenen Gleichschritt einzuhalten. Es gab keine ausgetretenen Wege mehr. Das vertrocknete Strauchwerk entwickelte ein tückisches Eigenleben und schien die Männer festhalten zu wollen. Immer häufiger verfing sich der Strick, der ihre Fußgelenke verband, in dem Gestrüpp. Unvermittelt blieb Castillo in einem kniehohen Dornenstrauch hängen. Verzweifelt versuchte er, seinen Stiefel freizukriegen. Zu spät. Dan O'Flynn, der vor ihm marschierte, wurde durch den Strick jäh aufgehalten. Vergeblich versuchte er, sich aufrecht zu halten. Fluchend stürzte er vornüber, fast auf Vergaras Absätze. Vergara und Benitez schafften es, nicht die Balance zu verlieren. Rechtzeitig verharrten sie. Auch Castillo konnte sich nicht mehr halten und kippte wie eine hilflose Puppe neben O'Flynn in das Strauchwerk. Durch die Fesseln waren sie alle hilflos wie Marionetten. Die Soldaten stoppten ihre Schritte, schrien Flüche und Verwünschungen. Musketenkolben wurden drohend erhoben. Menacho, an der Spitze der Kolonne, wirbelte herum und eilte mit langen Sätzen herbei. „Was ist hier los?“ brüllte er. „Ihr verfluchten Piraten, wollt ihr schon wieder mit Scherereien anfangen?“ Einer der Soldaten zeigte mit der Muskete auf Dan O'Flynn, der mühevoll im Begriff war, auf die Beine zu gelangen. „Der da war es, Teniente. Der Mistkerl hat sich einfach fallen lassen.“ Menachos Gesicht verzerrte sich vor Wut. Er stieß einen Knurrlaut aus und trat zu. Sein Fußtritt fegte O'Flynn die Beine unter dem Körper weg. Hart prallte Dan mit dem rechten Oberarm auf den Boden, und das Gestrüpp wirkte dabei kaum dämpfend. Dennoch drang kein Schmerzenslaut über seine Lippen.
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Menacho dachte nicht daran, von ihm abzulassen. Abermals holte er aus. Seine Stiefelspitze traf den Wehrlosen. Dan krümmte sich, aber noch immer blieb er stumm. Der Teniente kannte diese Sorte von Männern nicht, die an Bord der „Isabella“ eine verschworene Gemeinschaft bildeten. Niemals gönnten sie einem Feind die Genugtuung, sich an ihren Schmerzen zu weiden. Menachos Wut steigerte sich. Wieder und wieder trat er zu. „Aufhören!“ schrie Castillo. „Verdammt noch mal, hören Sie doch auf! Diesen Mann trifft überhaupt keine Schuld. Ich war es. Ich ...“ Er kam halb hoch und wollte sich zwischen Dan O'Flynn und den tobenden Menacho werfen. Zwei Soldaten waren mit einem Sprung zur Stelle und rammten ihre Musketenläufe gegen Castillos Oberkörper. Er erstarrte sekundenlang, dann sank er mit einem Fluch zurück. Menacho versetzte O'Flynn einen letzten brutalen Fußtritt, trat einen Schritt zurück und starrte Castillo höhnisch an. „Es interessiert mich nicht, wer hier für was verantwortlich ist. Wenn einer die Kolonne aufhält, kriegen ab sofort alle ihre Strafe. Alle! Dann dürft ihr euch bei dem bedanken, der den Mist gebaut hat.“ Er tippte O'Flynn, der noch immer zusammengekrümmt lag, mit der Stiefelspitze an. „Hast du verstanden, Britenbastard? Du darfst dich bei deinem spanischen Freund für die nette Behandlung revanchieren.“ „Fahr zur Hölle!“ stieß Dan durch zusammengepreßte Zähne hervor. Hasard atmete tief durch. Er rechnete damit, daß der Teniente erneut seiner Brutalität freien Lauf lassen würde. Doch Menacho lachte nur, und er hörte sich dabei an wie ein Halbwüchsiger, der sich über einen gelungenen Schabernack freut. Er wandte sich Castillo zu, der vor Fassungslosigkeit kein Wort mehr herausbrachte. „Hoch mit dir, Kerl! Und achte ein bißchen besser auf deine Füße. Sonst steinigen dich deine Briten-Kumpane später noch!“ Er
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brach wieder in Gelächter aus und wollte sich dabei fast ausschütten. Die Soldaten fielen mit ein, denn sie wußten offenbar, wann es angebracht war, ihren Teniente bei Laune zu halten. Die beiden, die Castillo mit den Musketen bedrohten, packten ihn und rissen ihn hoch. Auf einen Wink von Menacho stellten sie auch Dan O'Flynn auf die Beine, in dessen Gesicht nicht das geringste Zeichen von Schmerz zu erkennen war. Dan streifte den Seewolf mit einem Blick, und Hasard nickte kaum merklich. Sie wußten beide, was dieser Menschenschinder von einem Teniente beabsichtigte. Sein Ziel war es, Zwietracht unter den Gefangenen zu säen. Dann, so hoffte er womöglich, konnte er den einen oder anderen eher zum Reden bringen und sich bei Torres eine goldene Nase verdienen. Menacho gab das Zeichen zum Weitermarsch. Die Soldaten, die anscheinend auf eine Rast gehofft hatten, verzogen enttäuscht die Gesichter. Etlichen lief der Schweiß bereits in Strömen von der Stirn, ihre Helme begannen bei jedem Schritt zu rutschen. Möglich auch, daß sie die Gefangenen beneideten, die wesentlich leichter bekleidet waren und ihre Mühe eher den Fesseln verdankten. Hasard, Castillo und die anderen strengten sich höllisch an, nicht noch einmal aus dem Marschtakt zu geraten. Sie wußten, daß sich Menacho bei jedem weiteren Wutausbruch immer neue Schikanen ausdenken würde. Die Zeit dehnte sich scheinbar endlos, und die Stunden wurden zu Ewigkeiten. Die Berge mit dem unbekannten Ziel, das für die Männer nun beinahe zu einer Verlockung wurde, schienen noch immer nicht näher gerückt zu sein. Die Strapazen bestraften sie zusätzlich mit dem quälenden Gefühl, sich auf der Stelle zu bewegen. Erst in der späten Mittagsstunde, als die Sonne erbarmungslos aus dem Zenit brannte, ließ sich Teniente Menacho gnädig herab, eine Pause einzulegen. Die
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Soldaten erhielten Genehmigung, aus ihren Wasserflaschen zu trinken. Doch für die Gefangenen gab es keinen einzigen Tropfen. Menacho beobachtete sie spöttisch, während er selbst seine Wasserflasche an den Mund setzte und sich das Naß genüßlich durch die Kehle rinnen ließ. Castillo, Vergara und Benitez waren aus einem ähnlichen Holz geschnitzt wie die Männer von der „Isabella“. Nicht die leiseste Gefühlsregung zeigte sich in ihren von Schweiß und Staub überzogenen Gesichtern. Schweigend standen sie da. Der Teniente hatte ihnen nicht die Gnade erwiesen, daß sie sich auf den Boden hocken durften. Längst waren ihre Arme wie abgestorben, denn die Fesseln schnitten tief in die Handgelenke. Nur die eiserne Willenskraft hielt sie aufrecht, die Entschlossenheit, vor dem Schinder nicht klein beizugeben. Schon sehr bald trieb Menacho erneut zur Eile an. Die Gefangenen hatten sich an den mühsamen Gleichschritt gewöhnt, ihre Beinmuskeln funktionierten wie mechanisch. Sie hielten die Köpfe gesenkt, um sich besser auf die Unebenheit des Bodens konzentrieren zu können. Allmählich rückte das Bergmassiv näher. Der Teniente hatte seine Bosheit abgelegt und marschierte verbissen an der Spitze der Kolonne, denn auch an ihm gingen die Strapazen nicht länger spurlos vorüber. Er war jetzt nicht mehr der geifernde Bluthund, der nur darauf wartete, daß einer der Gefesselten einen Fehler beging. Im Westen begann die Sonne bereits zu sinken, als sie den Eingang eines Canyons erreichten. Pflanzenwuchs gab es nicht mehr. Der Boden war von Geröll bedeckt, das Gestein strömte die Gluthitze aus, die es während des Tages aufgesogen hatte. Selbst durch die Stiefelsohlen konnten die Männer dies deutlich spüren. Beiderseits des etwa zehn Yards breiten Canyons stiegen die Felswände immer höher an und erreichten schließlich eine Höhe von fast hundert Fuß. Das senkrecht aufragende Gestein war glatt und ohne
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Vorsprünge, es gab keine Möglichkeit, hinaufzuklettern. Nach einer letzten Biegung lag das Ziel vor ihnen. Ein mehr als mannshohes Gatter versperrte den Eingang zu einem Talkessel, der durch die beiderseits zurückweichenden Felsenhänge zu erkennen war. Tiefe Narben waren in das Gestein geschlagen worden. Hasard und die anderen brauchten nicht zweimal hinzusehen, um ihren Bestimmungsort einzustufen. Ein Steinbruch. Capitan Torres gewährte ihnen die Gnade, ihre Galgenfrist mit Fronarbeit zu verbringen. Menacho gab das Zeichen zum Halten. Auf seinen scharfen Befehl hin wurde das Gatter geöffnet. Die Männer sahen jetzt, daß sich gleich dahinter ein zweites Gatter befand. In dem Zwischenraum von etwa zwei Yards Breite patrouillierten zwei schwerbewaffnete Posten. Hasard legte den Kopf in den Nacken und sah seine Vermutung bestätigt. Oberhalb des Taleingangs hielten je ein weiterer Posten auf beiden Seiten Wache. Die Helme der Männer blinkten im Sonnenlicht, als sie neugierig nach unten spähten. Das Innengatter wurde geöffnet, und Menachos Truppe geleitete die Gefangenen mit schußbereiten Musketen in den Talkessel. Nach zwanzig Schritten folgte wieder das Kommando zum Halten. Sie befanden sich auf einem weiten Platz, der mit feinen Gesteinssplittern eingeebnet war. Die sinkende Sonne warf lange, harte Schatten in den Talkessel. An den nördlichen Felsenhängen gab es mehrere Abbaustellen. Barsche Stimmen waren von dort oben zu hören. Aufseher trieben Menschen zusammen wie Vieh. Spitzhacken klirrten, als sie zu Boden geworfen wurden. Die Sträflinge, mit nackten Oberkörpern und schweren Fußketten, mußten soeben ihre Arbeit beendet haben. Insgesamt fünf verschiedene Kolonnen waren es, die jetzt ihren Abstieg aus dem zerklüfteten Gesteinsmassiv begannen. Hasard zählte weit über hundert
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Gefangene, die hier tagtäglich unter sengender Sonne schufteten. Wahrscheinlich wurde das herausgehauene Gestein andernorts zu Quadern geschlagen und dann für Festungsanlagen oder Kaimauern verwendet. Rechterhand, unter den südlichen Hang geduckt, grenzten zwei große Baracken an den Platz. Zweifellos handelte es sich dabei um die Unterkünfte der Aufsehertruppe. In der Mitte des Talkessels befand sich ein Palisaden-Oval, das zwei weit auseinander stehende Baracken umschloß. Vor dem Tor stand ein Posten, mit Muskete, Säbel und Pistole bewaffnet. Das Bewachungssystem war lückenlos. Auf den ersten Blick gab es nicht die geringste Chance, aus diesem Höllental zu entfliehen. Am östlichen Ende des Felsenkessels waren weitere Holzgebäude zu erkennen, vermutlich Stallungen und Wirtschaftsräume. Westlich von den Gefangenenbaracken erstreckten sich ausgedehnte Halden von abgebautem Gestein. An der Westseite des großen Platzes waren schwere vierrädrige Frachtwagen in Reih und Glied abgestellt. Teniente Menacho trat vor die Gefangenen hin. „Euer neues Zuhause“, sagte er spöttisch. „Ich hoffe, ihr werdet euch hier wohlfühlen. Wenn ihr das Verlangen verspüren solltet, ein paar klärende Worte mit Capitan Torres oder mit mir zu wechseln, dann meldet euch getrost bei einem der Aufseher.“ Er wandte sich ab, ohne die Gefangenen noch eines Blickes zu würdigen. Von rechts näherte sich knirschender Marschtritt - ein Sargento, gefolgt von zehn schwerbewaffneten Aufsehern. Menacho ging auf den Unteroffizier zu, der salutierte und seine Weisungen entgegennahm. Hasard und die anderen konnten heraushören, daß der Teniente beabsichtigte, am nächsten Morgen mit seinen Leuten zurückzukehren.
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Noch bevor die Sträflinge aus dem Steinbruch heranmarschiert waren, wurden die fünf neuen Gefangenen in das umzäunte Areal gebracht. Menacho und seine Truppe zogen sich zurück. Währenddessen ließ der Sargento die Gefangenen vor der Stirnseite einer der Baracken Aufstellung nehmen und von seinen Männern mit schußbereiten Musketen bewachen. Weitere Aufsehertrupps marschierten herbei. Der Unterführer gab knappe Kommandos, alles Weitere lief wie am Schnürchen. Den Gefangenen wurden die Fesseln abgenommen, nachdem der Posten das Palisadentor geschlossen hatte. Ein Mann mit einem Eimer und einer Schöpfkelle tauchte auf. In dem Eimer schwappte kristallklares Wasser. Hasard und seinen Gefährten erschien es wie ein Geschenk des Himmels. Als ihnen großzügig einige Schlucke gewährt wurden, hatten sie Mühe, die Kelle zu halten. Denn nur allmählich setzte die Blutzirkulation in ihren Armen wieder ein. Daß die Bewegungsfreiheit nur vorübergehend war, hatten sie von vornherein erwartet. „Hockt euch auf den Boden“, befahl der Sargento, „und zieht die Stiefel aus.“ Es gelang ihnen nur mit einiger Mühe, den Befehl auszuführen. Immerhin war das pelzige Gefühl aus ihren Kehlen gewichen. Die paar Schlucke Wasser waren wie ein köstliches Labsal gewesen. Ein weiterer Trupp von Aufsehern schleppte Ketten und Schellen heran. Die Ketten waren jeweils etwa zwei Yards lang. Die Schellen wurden den Männern um die rechten Fußgelenke gelegt. Auf Unterlegblöcken aus Hartholz wurden Eisenbolzen mit Hammerschlägen in die Schellenösen getrieben und die Ketten dadurch verbunden. Zum Abschluß der Prozedur erhielten die Gefangenen statt ihrer Stiefel dicke Ledersandalen, die mit Riemen an ihren Füßen befestigt wurden. „Damit habt ihr alles, was ihr braucht“, sagte der Sargento, „gerade genug Bewegungsfreiheit für die Arbeit, nicht
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mehr als unbedingt nötig. Es wird euch gut tun, eure eigenen Grenzen zu erkennen.“ Hasard vermutete, daß der Sargento diesen Spruch auswendig gelernt hatte. Der Mann war ein stiernackiger Klotz, einer, der nicht unbedingt danach aussah, daß er seinen Kopf zum Nachdenken gebrauchte. Die Stiefel der Gefangenen wurden fortgeschafft. Dann ließ der Sargento die Männer in die Baracke treiben und die Tür von außen verriegeln. In dem langgestreckten Gebäude lastete trübes Halbdunkel, die dreistöckigen Kojen strömten muffigen Geruch aus. „Richtig gemütlich“, sagte Dan O'Flynn dumpf, „und mit den Fußverzierungen fühlt man sich besonders wohl.“ „Das ist nur für den Anfang“, entgegnete Castillo, „später tragen nur immer zwei Mann eine Kette. Das ist das Reglement. Natürlich nur bei guter Führung.“ „Das ist wichtig“, sagte der Seewolf und nickte, „wir werden uns in jeder Beziehung zurückhalten. Vor allem keine Auseinandersetzungen mit den anderen Gefangenen!“ Die anderen brummten zustimmend. Daß Hasards Warnung berechtigt war, zeigte sich wenig später, als die Sträflinge aus dem Steinbruch zurückkehrten. Galgenstricke übelster Sorte waren es, Schwerverbrecher überwiegend, die man aus dem spanischen Mutterland hierhergeschafft hatte. Wenn sie an diesem Abend nur mäßiges Interesse für ihre neuen Mitgefangenen zeigten, so lag das in erster Linie daran, daß sie sich bei der Arbeit im Steinbruch die Seele aus dem Leib geschuftet hatten. So waren es in erster Linie abschätzende Blicke und hämische Bemerkungen, die Hasard und seine Gefährten jedoch gelassen ertrugen. Nach dem kräftezehrenden Marsch waren sie selbst viel zu erschöpft, um noch besonderes Interesse an ihrer neuen Umgebung zu zeigen. Die dünne Wassersuppe, die es zum Abend gab, rief ein bißchen von ihren Kraftreserven wieder wach.
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Im Stützpunkt war abendliche Ruhe eingekehrt, als sich Manuel Orosco Torres in sein Privatgemach zurückzog Mit einem Seufzer schloß er die Tür hinter sich. Er spürte alle Knochen im Leib, denn es geschah nicht jeden Tag, daß er sich zu Pferde fortbewegen mußte. Seine vorgesetzte Dienststelle ignorierte die Anträge, in denen er immer wieder darum bat, daß man ihm wenigstens eine einspännige Kutsche für Dienstfahrten zur Verfügung stellen möge. „Oh, endlich!“ flötete es vom Himmelbett her, das mit hauchzartem seidenem Stoff verhangen war. „Warum hast du mich nur so lange warten lassen, Manuel?“ Das Letztere klang vorwurfsvoll. Torres stutzte und runzelte die Stirn. Die hauchzarten Vorhänge wehten auseinander, und zwei nackte weibliche Beine schwangen über die Bettkante. Zwischen dem duftigen Stoff erschien der Rest eines drallen weiblichen Körpers, bekleidet lediglich mit einem funkelnden goldenen Halskettchen. Darüber waren glutvolle dunkle Augen und schwarzes Haar bis auf die Schultern. „Ich habe mich gelangweilt, Manuel. Es war nicht schön von dir, mich so zu vernachlässigen.“ Er setzte ein Grinsen auf. „Halt die Klappe, Carmencita. Um mir so etwas anzuhören, könnte ich mir auch eine Ehefrau leisten.“ Sie kicherte. „Bist du ganz sicher? Deine bessere Hälfte würde dich nicht so nett empfangen wie ich. Die würde dich am Küchenfeuer erwarten und dir eins mit dem Suppenlöffel überbraten, wenn du unpünktlich bist.“ „Ich fürchte, du hast recht.“ Er verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Aber du weißt, wie sehr ich deine Vorzüge schätze.“ „Tust du das wirklich? Ich glaube, du hast mich bald satt, und was wird dann aus mir? Dann steckst du mich zu den anderen Weibern in dein verdammtes Hurenhaus.“
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Er ließ sein meckerndes Lachen hören. „Gut, gut. Du weißt wenigstens, woran du bist. Also streng dich an, damit ich deiner nicht überdrüssig werde.“ Sie stand auf und ging mit wohlgewählten Schritten auf ihn zu. „Wie vornehm du dich ausdrückst, Manuel. Ich glaube, ich muß noch eine Menge von dir lernen.“ Er starrte auf ihre großen Brüste, die bei jedem Schritt auf und ab schwangen. „Nur, was die Sprache betrifft“, entgegnete er, „sonst kannst du von niemandem mehr etwas lernen.“ Sie schlang die Arme um seinen Hals und hauchte in sein Ohr. „Denkst du dabei an etwas Bestimmtes, mein Schatz? Kriege ich eine Belohnung, wenn ich deine Wünsche erfülle?“ „Belohnung?“ Er starrte an ihr vorbei. Das Wort hallte in ihm nach. Jäh durchzuckte ihn ein Gedanke. Er stieß die Frau von sich. „Aber Manuel!“ protestierte sie. „Was ist in dich gefahren? Hast du plötzlich den Verstand verloren? Willst du denn nicht ...“ „Sei still“, zischte er, „verschwinde, hau ab in die Koje. Ich muß nachdenken.“ Sie wollte widersprechen, doch da war etwas in seinem stechenden Blick, das sie verstummen ließ. Irritiert sah sie ihn an und zog sich widerstrebend in das Himmelbett zurück. Torres trat ans Fenster. Minutenlang waren seine Augen auf einen imaginären Punkt in der Ferne gerichtet. Dann wirbelte er aus einer plötzlichen Eingebung heraus herum und eilte aus dem Schlafgemach. Krachend fiel die Tür hinter ihm zu. Nebenan, in seinem Dienstzimmer, schloß er sorgfältig ab, ehe er das Geheimfach des kunstvoll verschnörkelten Sekretärs öffnete. Er zog einen Packen zusammengeschnürter Dokumente heraus und löste die Fäden mit fliegenden Fingern. Etliche der Urkunden waren bereits vergilbt. Das Pergament knisterte, während er es hastig durchblätterte. Seine Nerven vibrierten, als er endlich die Namensliste fand, die schon seit mehreren
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Jahren hier aufbewahrt wurde. Bereits sein Amtsvorgänger hatte das Dokument wie seinen Augapfel gehütet. Bei den aufgeführten Namen handelte es sich um Feinde der spanischen Krone, auf deren Ergreifung hohe Kopfgelder ausgesetzt waren. Torres überflog die Buchstabenkolonnen, und dann, plötzlich, hatte er ihn. Der Name sprang ihm buchstäblich ins Auge. Killigrew, Philip Hasard, Engländer, genannt der „Seewolf“. Besonders gefährlich! Der letzte Hinweis war doppelt unterstrichen. Es fehlte lediglich eine Angabe über die genaue Höhe des ausgesetzten Kopfgeldes. Torres rieb sich dennoch die Hände. Eilends schnürte er den Papierpacken wieder zu und verstaute ihn in dem Geheimfach. Es fiel ihm jetzt wie Schuppen von den Augen. Ja, er hatte von diesem gefährlichen Engländer gehört. In der spanischen Marine wurden eine Menge blutrünstiger Geschichten über den Seewolf erzählt, und auch sein Aussehen war bekannt. Ein sehr großer, breischultriger Mann mit schwarzen Haar und eisblauen Augen. Äußerlich alles andere als ein typischer Engländer. Alles stimmte haargenau. Torres schalt sich einen Narren, daß er nicht eher darauf gekommen war. Aber wahrscheinlich lag das an der Eintönigkeit des Insellebens, daß das Erinnerungsvermögen nachließ. Was die Höhe des Kopfgeldes betraf, so war das kein Grund zur Sorge. Es konnte in den Jahren, in denen man Killigrew nicht erwischt hatte, nur gestiegen sein. Torres war sicher, dass er diese Frage sehr rasch klären würde. * Barba, der Steuermann an Bord von „Roter Drache“, hielt das Ruder mit eisernen Fäusten, und dennoch sah es wie spielerisch aus. Das Kielwasser des Viermasters bildete eine Linie die
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schnurgerade und wie mit dem Lineal gezogen war. Barba hob die Nase in den Wind, schnupperte und zog mißmutig die Stirn kraus. Dann sah er die Rote Korsarin an, die neben ihm auf dem Achterdeck stand. mir nicht, das.“ Siri-Tong erwiderte lächelnd seinen Blick. „Wovon redest du? Siehst du etwa Gespenster?“ „Es ist nichts, was ich sehe. Es ist was ich rieche und fühle – in jedem einzelnen Knochen.“ Barba zog ein Gesicht, als müsse er sich für diese besonderen Fähigkeiten entschuldigen. Er war ein Riese von Gestalt und sah aus wie ein Schlagetot übelster Sorte. Tatsächlich aber war er ein grundanständiger Kerl, der für Siri-Tong den Teufel aus der Hölle holen würde, wenn sie das von ihm verlangte. Sie schüttelte energisch den Kopf. „Es wird dir nicht gelingen, Barba. Welche schrecklichen Prophezeiungen du dir auch ausdenkst, ich gehe von meiner Entscheidung nicht ab. Wir verfolgen diese Dons so lange, bis sie wieder auf ihre Handelsgaleonen stoßen. Und dann kriegen sie Zunder, daß sie ihre eigenen Verwandten nicht mehr kennen.“ „Roter Drache“, der Schwarze Segler, die „Wappen von Kolberg“, die „Le Vengeur III.“ und die „Tortuga“ lagen in gestaffelter Formation auf Kurs Südwest. Bei raumem Wind über Backbordbug segelnd, liefen die fünf Schiffe rauschende Fahrt. Der handige Nordwest ließ die Segel steif wie Bretter stehen. Weder die beiden Viermaster noch die Dreimaster hatten die Besansegel gesetzt. Sie konnten ohne Sorge darauf verzichten und dennoch mühelos Fühlung halten. Von der Bauweise her waren alle fünf Schiffe den Spaniern weit überlegen. Das galt insbesondere für die beiden Neubauten „Le Vengeur III.“ und „Tortuga“, die sich gewissermaßen noch auf ihrer Jungfernfahrt befanden. Über der südwestlichen Kimm zeichneten sich die Segel der Spanier deutlich ab. Die Sichtverhältnisse waren hervorragend,
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denn der Himmel dehnte sich azurblau und wolkenlos über dem Atlantik. Der spanische Verband bestand aus dem Flaggschiff „Vencedor“, einer 450Tonnen-Galeone, der 400Tonnen-Galeone „San Mateo“ und vier wendigen Karavellen, deren Namen in den Wirren des zurückliegenden Gefechts nicht zu entziffern gewesen waren. „Ich rede nicht von Prophezeiungen“, .sagte Barba beharrlich, „sieh dir nur mal die Kimm im Norden an.“ Siri-Tong folgte der Aufforderung. Dann zog sie die Schultern hoch. „Ja, und? Ein Dunststreifen, mehr nicht. In einer Stunde geht die Sonne unter. Das erklärt doch alles, oder?“ „Normalerweise ja. Aber ich habe vor den Azoren mehr als einen Sturm erlebt, und keinen davon konnte man vorhersehen. So was passiert hier aus heiterem Himmel.“ „Ich glaube, was ich sehe“, erwiderte SiriTong, „und das ist zur Zeit nur dein heiterer Himmel. Warten wir also ab und behalten wir unsere Freunde, die Dons, im Auge.“ „Was du dir einmal in den Kopf gesetzt hast“, Barba seufzte, „das hämmert keiner wieder raus.“ „Stimmt genau.“ Die Rote Korsarin lächelte und deutete mit einer Handbewegung zu den übrigen Schiffen. „Aber ich bin nicht die einzige. Sieh dir Thorfin an, oder Arne, oder Jean Ribault, oder Jerry Reeves. Die wären nicht bei uns, wenn sie nicht genauso eine Mordswut auf die Spanier hätten. Wie, frage ich dich, denkst du über jemanden, der seinen eigenen Landsmann versenkt?“ „Ich denke darüber nicht anders als du.“ Barba blinzelte listig. „Aber wie verhält es sich denn mit der Versenkung der ,Crown` vor Rame Head?“ Siri-Tongs Augen schossen zornige Blitze auf den Steuermann, zu dem sie ein besonderes Vertrauensverhältnis hatte. Kein anderer aus der Crew hätte riskieren können, ihr so zu widersprechen. „Ich glaube, das kannst du nicht beurteilen“, sagte sie wie eine gereizte Tigerin, „erstens war es Thorfin Njal, der
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die ,Crown` versenkt hat. Und da er kein Engländer ist, handelte es sich auch nicht um einen Landsmann. Zweitens ...“ „Aber Hasard wußte doch davon, oder?“ „Eben nicht“, sagte die Rote Korsarin scharf, „Thorfin hat ganz klar gegen Hasards Anordnungen verstoßen, und du solltest dich erinnern, was für eine Standpauke er dafür gekriegt hat. Aber zweitens vergleichst du hier völlig verschiedene Dinge. Die Engländer, die dem Seewolf etwas ans Zeug flicken wollen, sind Verschwörer, Intriganten, Verbrecher. Gegen sie muß man sich zur Wehr setzen. Du kannst sie aber nicht mit einem Mann wie Castillo vergleichen. Der ist nämlich das genaue Gegenteil.“ „Warum regst du dich auf?“ fragte Barba grinsend. „Ich habe längst verstanden. Ich meine nur, daß ich keinen Sinn darin sehe, diese lausigen Dons zu verfolgen.“ „O doch!“ entgegnete Siri-Tong auftrumpfend. „Wir sind Zeugen eines unglaublichen Vorfalls geworden. Und wir werden diese Heckenschützen dafür zur Rechenschaft ziehen. Jeder anständige Seefahrer würde sich so verhalten.“ „Also bin ich unanständig?” „Dreh mir nicht das Wort im Mund um!“ Die Rote Korsarin sah aus, als würde sie ihrem Steuermann jeden Moment die Augen auskratzen. „Außerdem gibt es noch einen neuen Kaperbrief der englischen Königin. Folglich haben wir alle Rechte auf unserer Seite, wenn wir den Dons ein bißchen Ballast abknöpfen.“ „Himmel noch mal, ich verstehe dich doch. Ich meine doch nur, daß wir den Spaniern gegenüber nicht leichtsinnig werden sollten. Diese vier Karavellen sind nicht zu verachten, wenn es hart auf hart geht. Im übrigen kriegen wir wirklich anderes Wetter.“ „Also gut.“ Siri-Tong nickte geduldig. „Ich habe deine sämtlichen Warnungen zur Kenntnis genommen, und ich werde sie beherzigen. Sonst noch etwas?“ „Vorläufig nicht“, erwiderte Barba. Ihr Gespräch versiegte. Die Rote Korsarin trat an die Querbalustrade und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit wieder
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auf jenen Punkt, dem ihr ganzer Zorn galt. Was sich dieser spanische Generalkapitän vor aller Augen geleistet hatte, war ein so unvorstellbares Verbrechen, dass es niemand glauben konnte, der es nicht selbst miterlebt hatte. Durch den Kieker beobachtete Siri-Tong den spanischen Verband, der ruhig seinen Kurs hielt. Die Kerle Schienen noch immer zu glauben, daß sie ihren Verfolgern davonlaufen könnten. Die Intensität der Sonne ließ nach. SiriTong schrieb dies der bevorstehenden Abenddämmerung zu. Doch als sie den Kopf hob, sah sie, daß der Feuerball noch eine Weile brauchen würde, bis er die Kimm erreichte. Das eben noch helle Tageslicht trübte sich zusehends, und die Scheibe der Sonne war nicht mehr grell, sondern blaß, wie durch einen Vorhang gefiltert. Die Rote Korsarin drehte sich um. Barba erwiderte ihren Blick mit einem Grinsen, doch kein voreiliges Wort drang über seine Lippen. Das will ich dir auch geraten haben, dachte sie, wenn du schon den Besserwisser spielen mußt, dann hast du noch lange kein Recht, deinen Kapitän das spüren zu lassen. Siri-Tong war sicher, daß Barba ihre Gedanken ahnte, denn er zog entschuldigend die Schultern hoch. Unvermittelt rasten die ersten Boen heran und packten wie mit Riesenfäusten und ungestümer Gewalt zu. Unter der jähen Belastung schien das Tuch zu ächzen wie ein menschliches Wesen. Siri-Tong handelte kurzentschlossen und zielstrebig, ebenso wie die Männer auf den übrigen Schiffen. Klar und energisch hallten die Befehle der Roten Korsarin über Deck. Die Männer enterten in den Wanten auf, und mit tausendfach geübten Handgriffen wurden die Sturmsegel gesetzt. Auf den Decks wurden Manntaue gespannt und alle Luken und Niedergänge verschalkt. Die Sonne hatte unterdessen ihre Kraft vollständig verloren. Sie war einem düsteren Zwielicht gewichen, das dem Himmel ein schwefeliges und drohendes
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Aussehen verlieh. In immer rascherer Folge und mit zunehmender Heftigkeit orgelten jetzt die Boen über den Verband der fünf Schiffe hinweg. Es war wie eine zornerfüllte Ankündigung dessen, was noch bevorstand. Und der Sturm brach los, wie Barba prophezeit hatte. Die entfesselten Naturgewalten tobten mit Geheul und Getöse und setzten eine verbissene Wut daran, den Schiffsverband auseinanderzureißen. Aber die Entschlossenheit und der Widerstandswille der Roten Korsarin und ihrer Freunde steigerte sich nur noch, je mehr sie gefordert wurden. Unerschütterlich stand Siri-Tong auf dem Achterdeck. Sie gab Befehl, eine Schlepptrosse auszubringen, die dem Viermaster bessere Stabilität verleihen würde. Fauchend und brüllend riß der Sturm tiefe Täler in die Fluten. Brecher wälzten sich immer häufiger über Vor- und Hauptdeck, und die Männer packten die Manntaue, um nicht über Bord gespült zu werden. Jedesmal richtete „Roter Drache“ seinen Bugspriet mit ungebrochenem Stolz wieder auf und bewegte sich mit unverändertem Kurs auf den nächsten Wellenberg zu. In all den Wirren der tobenden Gewalten behielt Siri-Tong dennoch einen kühlen Kopf. Soweit es die Sichtverhältnisse noch ermöglichten, beobachtete sie den spanischen Verband, der deutliche Not hatte, dem Sturm zu trotzen. Die Zeitabstände, in denen es der Roten Korsarin gelang, den Kieker anzusetzen, wurden immer länger. Der Sturm zwang auch sie, an ihre eigene Sicherheit zu denken. Wenig später, als sich der Viermaster erneut über einen Wellenberg erhob, spähte Siri-Tong abermals durch das Spektiv. Nur für einen Moment sah sie die Segel weit voraus in der sturmgepeitschten See. Sie stutzte und riskierte einen zweiten, genaueren Blick. Es gab keinen Zweifel. Das Flaggschiff „Vencedor“ war nicht mehr zu sehen,
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ebenso wenig die vier Karavellen. Nur noch die Galeone „San Mateo“ kämpfte einsam auf ihrem Kurs gegen die Fluten an. Der spanische Verband hatte sich schneller aufgelöst als Siri-Tong vermutet hatte. 6. Mit langen Kreuzschlägen näherte sich die „Isabella“ der Insel, die bislang in der Dunkelheit nur zu ahnen war. Der Wind aus Nordnordwest entwickelte eine geradezu widerwärtige Kraft. „Verhängnisvolles wird sich ereignen“, sagte Old Donegal Daniel O'Flynn düster. „Ich habe wieder dieses verdammte Kribbeln im Holzbein. Das ist ein sicheres Zeichen.“ Der alte Mann harrte neben Ben Brighton auf dem Achterdeck aus, denn angesichts der Lage brachte er es nicht fertig, sich in die unteren Decksräume zu verkriechen und Däumchen zu drehen. „Fängst du wieder an, Gespenster zu sehen?“ entgegnete der Erste Offizier besorgt. „Unsinn.“ Old Donegal knurrte unwillig. „Meine Vorahnungen waren noch immer richtig. Das Unheil spielt sich da draußen auf See ab, wenn du es genau wissen willst.“ Er deutete nach Backbord, obwohl Ben dies in der Dunkelheit nicht sehen konnte. „Wenn du meinst, daß es da draußen im Westen einen Sturm gibt, dann brauche ich keine übersinnlichen Fähigkeiten, um das zu wittern. Außerdem weiß ich, daß SiriTong und die anderen den Sturm abwettern werden. Darüber brauchen wir uns nun wirklich nicht den Kopf zu zerbrechen. Die eigentlichen Probleme liegen hier vor uns, auf der Insel.” „Du erzählst mir nichts Neues“, sagte der alte O'Flynn beharrlich, „und ich rede auch nicht von diesen - diesen besonderen Fähigkeiten, die ihr mir immer andichtet. Ich sage dir nur, es braut sich einiges zusammen, von dem wir noch nicht die geringste Ahnung haben.“ „Hör endlich auf“, erwiderte Ben Brighton unwillig. Er ließ sich sonst alten aus der
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Ruhe bringen, aber im Augenblick konnte er Schwarzseherei nicht ertragen. „Sollen wir etwa die Hände in den Schoß legen? Denk gefälligst daran, daß auch dein eigener Sohn in der Gewalt der Spanier ist.“ „Das habe ich nie vergessen“, sagte f der alte Mann beleidigt, „ich wollte dir nur verklaren, daß wir uns einen .günstigeren Zeitpunkt aussuchen sollten.“ „Für dich ist der Zeitpunkt immer ungünstig“, widersprach Ben, „außer dem verdammten Nordnordwest sehe ich im Augenblick nichts, was uns stören könnte.“ Old Donegal Daniel O'Flynn schwieg, und ein wenig war er wütend auf sich selbst, weil er es wieder einmal nicht verstanden hatte, seine Besorgnis in die rechten Worte zu kleiden. Ben Brighton hatte dennoch begriffen, was der Old Donegal sagen wollte. Es war ein höllisch riskantes Unternehmen, das sie sich vorgenommen hatten. Aber sie durften es nicht aufschieben. Jede Stunde, die sie verschwendeten, konnte für die Gefangenen auf Flores jenes Verhängnis bringen, das der alte Mann heraufbeschworen hatte. Längst hatte Ben alle Laternen und Lampen an Bord löschen lassen. Wie ein Schatten glitt die „Isabella“ durch die nachtdunklen Wogen, selbst die hellen Segel waren nur aus geringer Entfernung zu erkennen. Beide Marse waren besetzt. Bill hatte seinen Platz im Großmars bezogen, und Bob Grey war in den Fockmars aufgeentert. Zwei Augenpaare bedeuteten in diesem besonderen Fall eben doch eine größere Sicherheit. Die Möglichkeit, daß doch ein Schiff aus der Stützpunktflotte auftauchte, mußte man immerhin einkalkulieren. Ben Brighton hatte überdies angeordnet, daß nur gedämpft gesprochen wurde. Die Männer an den Brassen und Schoten erledigten ihre Arbeit mit nur halblauten Kommandos. Unvermittelt ertönte Bills unterdrückte Stimme aus dem Großmars. „Deck! Land in Sicht!“
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Ben Brighton hob den Kieker ans Auge, doch so sehr er sich auch anstrengte, er konnte nichts erkennen. Die Konturen verschwammen in der Dunkelheit. Einen Atemzug später erfolgte Bob Greys Bestätigung aus dem Fockmars. Es gab keinen Zweifel mehr. Sie befanden sich vor der unbesiedelten Ostküste der Insel - weit genug entfernt jedoch, daß sie auch von Land aus kaum zu erspähen waren. Ben Brighton ließ die Segel backbrassen. Der weitere Ablauf war bis ins Detail vorbesprochen. Es waren keine Worte mehr zu verschwenden. Eilends wurde die kleine Jolle abgefiert. Batuti, Edwin Carberry, Ferris Tucker, Smoky, Matt Davies, Luke Morgan, Al Conroy und der spanische Bootsmann Julio Chocano bemannten das Boot. Ihre Ausrüstung war bereits unter den Duchten verstaut. Neben Musketen, Pistolen und ausreichender Munition gehörten dazu zwei Kisten, die aus dem Spezialreservoir des Stückmeisters stammten. Die Männer waren für alles gerüstet, was immer ihnen auch bevorstehen mochte. Das Klatschen der Riemenblätter war kaum zu hören, als sie zu pullen begannen. Ben Brighton verlor die Jolle rasch aus den Augen. Die Dunkelheit verschluckte buchstäblich alles. Er wartete noch einige Minuten, dann schickte er die Männer an Bord erneut an die Brassen und Schoten. Die „Isabella“ ging auf Südkurs. Auch über das weitere Vorgehen bestand völlige Klarheit. Nur bei Dunkelheit würde sich die „Isabella“ der Position nähern, an der soeben die Jolle ausgesetzt worden war. In höchstens drei aufeinanderfolgenden Nächten sollte das geschehen. Waren die Arwenacks an Land erfolgreich, dann würden sie sich in einer dieser Nächte durch ein Lichtzeichen an der Küste zu erkennen geben. Gelang die Befreiung des Seewolfs und seiner Gefährten nicht, trat die zweite Stufe des Plans in Kraft.
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Ben Brighton würde dann mit der „Isabella“ zum direkten Angriff auf den Stützpunkt übergehen. * Fast geräuschlos glitt die Jolle auf den nachtdunklen Küstenabschnitt zu. Was Chocano gesagt hatte, bewahrheitete sich: Nirgendwo war ein Lichtschein zu erkennen, auch aus unmittelbarer Nähe nicht. Dieser Teil der Insel war folglich völlig unbewohnt. Die Augen der Männer hatten sich inzwischen weitgehend an die Finsternis gewöhnt. Sie hielten auf eine Landzunge zu, die zum Binnenland hin steil anstieg und in weit geschwungenem Bogen in die Steilküste überging. Es war ein unwirtlicher Bereich. Daher würden sich die Behausungen und Ankerplätze der wenigen Fischer von Flores an besser zugänglichen Stellen der Insel befinden. An der Südseite der Landzunge knirschte der Kiel der Jolle auf Grund. Die Männer holten die Riemen ein. Luke Morgan und Al Conroy sprangen als erste ins seichte Uferwasser, zogen das Boot höher, und dann folgten ihnen auch die anderen. Batuti stieß Ed Carberry an und ließ einen leisen Zischlaut hören. Der Profos brummte zustimmend, es war alles vorgeplant. Der Gambianeger und Julio Chocano rüsteten sich mit Pistolen, Pulverflaschen und Kugelbeuteln aus. die sie neben ihren Entermessern am Hüftgurt befestigten. Dann erklommen sie nacheinander die Landzunge und begannen den Aufstieg zum oberen Küstenbereich. Die Steilküste ragte hier ungefähr fünfzig bis sechzig Fuß hoch auf. Ed Carberry und die übrigen Männer sahen sich unterdessen um. Einen geeigneten Felsenüberhang entdeckten sie in nur dreißig Yards Entfernung. „Keine Müdigkeit“, flüsterte der Profos, „das haben wir im Handumdrehen geschafft.“ Eilends, doch auf leisen Sohlen, kehrten die Männer zum Boot zurück und
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verteilten sich auf beide Seiten an das Dollbord. Es war eine schweißtreibende Arbeit, die Jolle unter den Felsenüberhang zu wuchten. Aber sie bewältigten es in kürzester Zeit, und es gelang ihnen, dabei keine überlauten Geräusche zu verursachen. Bestenfalls von See her war die Jolle bei Tageslicht zu erkennen, doch auch das sicherlich nur auf geringer Entfernung. Das triste Grau der Felswand ließ Konturen verschwimmen, und ein Ausguck mußte schon höllisch genau aufpassen, wenn er solche Einzelheiten erkennen wollte. Ein halblauter Pfiff ertönte vom oberhalb gelegenen Land - Batutis Zeichen. Es gab keinen Grund zur Besorgnis. Das weitere Vorgehen konnte ablaufen, wie geplant. Luke Morgan und Al Conroy legten sich je eine Taurolle über den Oberkörper und huschten zu der Stelle, an der auch der Gambianeger und Julio Chocano ihren Aufstieg begonnen hatten. Wenige Minuten später fielen die Tampen von oben herab und schlugen mit einem dumpfen Laut auf das Geröll. Ed Carberry und die anderen begannen mit der Arbeit. Zuerst wurden die beiden Kisten festgezurrt, und auf einen Ruck an den Seilen hievten Luke und Al sie auf. Dann, als die Tampen zum zweiten Male hinuntergelassen wurden, verschnürten die Männer unter dem Felsenüberhang die Musketen und Pistolen damit. Wieder gaben sie das Zeichen durch einen Ruck am Seil. Sie warteten nicht länger, schnappten sich die Pulverflaschen und die Kugelbeutel und begannen den Aufstieg über die Landzunge. Oben waren Batuti und die drei anderen bereits damit beschäftigt, die Waffen zu verteilen. Auch Ed Carberry, Ferris Tucker, Smoky und Matt Davies schnappten sich ihren Teil. Luke Morgan und Al Conroy warfen sich wieder die Taurollen über und nahmen die beiden Kisten, die mit hölzernen Handgriffen versehen waren. Alle übrigen Männer waren zusätzlich zu Pistolen und Entermessern mit Musketen ausgerüstet, die sie in der Hand trugen.
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Unter der Führung von Batuti und Chocano begannen sie unverzüglich ihren Marsch ins Innere der Insel. Dabei entfernten sie sich jedoch nicht weiter als zweihundert bis dreihundert Yards vom südwestlichen Küstenverlauf. Dem Gambianeger würde es auf diese Weise gelingen, sich zu orientieren und die Fischerhütte wiederzufinden. * Die blakende Öllampe erhellte nicht viel mehr als den Tisch. Der Rest des Raumes mit seinem wüsten Durcheinander und dem Gerümpel blieb im Dunkeln. Sanchez Casero legte sein stoppelbärtiges, faltiges Gesicht in beide Hände und stierte durch die Ansammlung von staubigen Flaschenhälsen. „Du bist ein Taugenichts“, sagte er mit schwerer Zunge, „ein verdammter, nichtsnutziger Taugenichts.“ Diego Casero lachte glucksend, und seine schwammigen Körpermassen begannen dabei zu beben. „D-du hast es erk-annt, Alter. B-besser ein Nichts als ein G-arnichts.“ Der Sohn des Fischers linste mit seinen hervorquellenden rotgeränderten Augen in sein Weinglas. Mit zufriedenem Grunzen stellte er fest, daß noch hellrote Flüssigkeit darin schwappte. Er setzte das Glas an die wulstigen Lippen und leerte es mit einem einzigen Zug. „Mit dir kann man nicht reden“, sagte der hagere alte Mann düster. „Wenn man wenigstens jemanden hätte, mit dem man an so einem schwarzen Tag wie heute reden könnte. Aber was habe ich? Einen Sohn, der statt Grips nur Stroh im Kopf hat.“ Er hob nacheinander zwei, drei Weinflaschen an, die alle leer waren, bis er auf eine noch halb gefüllte stieß. Der Rotwein verursachte gluckernde Laute im Flaschenhals, als er sein Glas vollgoß. Sanchez Casero hatte seinen Kummer ertränkt, doch er war bei weitem noch nicht so benebelt wie sein aufgedunsener Sprößling.
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Diego klatschte mit der flachen Hand auf den Tisch. Eine Staubwolke puffte hoch, eine leere Flasche kippte nach unten und zersprang klirrend. „Ich las-lasse mir das - nicht mehr bieten“, sagte er weinerlich, „immer hackst du auf m-ir herum, w-enn du selbst was ver-versaubeutelst.“ „Wer hat denn hier Mist gebaut?“ schrie der alte Casero erregt. „Du Blödmann hättest deine Belohnung gleich im Stützpunkt verlangen sollen! Dieser Capitan ist doch ein gerissener Hund. Das hättest du doch merken müssen, du Idiot. Als er die Gefangenen auf Nummer Sicher hatte, da brauchte er niemanden mehr, der ihm einen Tip gab.“ Diego zog den Kopf zwischen die Schultern und sah seinen Vater mit hündischer Miene an. „Ich - ich habe doch bloß ge-gedacht ...“ „Du und denken? Schön wär's, wenn du das könntest.“ „Ich hab gedacht, ein - ein Capitan sei ein Ehrenmann“, sagte Diego Mit der Beharrlichkeit des Betrunkenen. „Und jetzt willst du mir die Sch-uld in die Schuhe sch-ieben. Du bi-bist doch bloß sauer, weil du s-elbst einen Tritt in den Aachtersteven gekriegt hast.“ Sanchez Casero seufzte tief und nickte in scheinbar plötzlicher Erkenntnis. „Ja, es muß wohl so sein. Undank ist der Welt Lohn. Und das gilt vor allem für kleine Leute wie uns. Wir ziehen doch immer den kürzer ...“ Die letzte Silbe brachte er nicht mehr heraus. Die windschiefe Tür der Hütte flog krachend auf. Vater und Sohn Casero zuckten zusammen und starrten mit schreckensweiten Augen auf die furchterregenden Besucher, die die Nacht in ihre erbärmliche Behausung spie. Allen voran der schwarze Herkules, den sie schon kennengelernt hatten. Und die anderen, die sich im Raum verteilten und das Gerümpel mit Fußtritten beiseite fegten, sahen nicht minder eindrucksvoll aus.
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Ed Carberry verzog sein Narbengesicht zu einem freundlich-grimmigen Grinsen. Ferris Tucker verschränkte die Arme über dem mächtigen Brustkasten. Smoky rieb sich die riesigen Fäuste, und Matt Davies strich mit einer beinahe liebevollen Geste über seine spitzgeschliffene Hakenprothese. Auch Luke Morgan, Al Conroy und Julio Chocano sahen ganz so aus, als würden sie den sauberen Vater und seinen mißratenen Sohn liebend gern in Stücke reißen. Chocano trat die Tür mit dem Fuß zu. Der krachende Laut ließ die Caseros erneut zusammenzucken, und beide waren schlagartig ernüchtert. „Nein!“ kreischte Diego. „Tut uns nichts! Ihr dürft uns nichts tun! Das ist ein Verbrechen!“ Er sprang auf und streckte abwehrend die Arme aus. Batuti ging seelenruhig auf ihn zu und entblößte seine perlweißen Zähne in raubtierhafter Art. Sanchez Casero verfolgte das Geschehen starr vor Entsetzen. Sein Kinn war herabgesunken, in seinem faltigen Gesicht zuckte es unkontrolliert. Diego wich zurück, stolpere und landete in einem Stapel morscher Fischkisten, die unter seinem Gewicht zersplitterten. Er schrie wie am Spieß, und Ed Carberry und die anderen hielten sich die Ohren zu. Batuti packte zu. zog den Schwammigen hoch und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Diegos Geschrei ging in ein Wimmern über. Anklagend zog er einen handspannenlangen Holzsplitter aus seinem edelsten Körperteil. „Nun sag nur noch, daß wir dich mißhandelt haben, du Mistkerl“, knurrte Batuti. Diego duckte sich unter dem harten Griff des Gambianegers, ließ den Splitter fallen und verstummte vollends. Mit beinahe spielerischer Leichtigkeit bugsierte Batuti ihn zurück an den Tisch und pflanzte ihn auf seinen Stuhl. Ed Carberry trat neben ihn und schob das mächtige Rammkinn vor. „Wir halten uns nicht mit einer langen Vorrede auf“, sagte er in grollendem
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Spanisch. „Ihr wißt genau, was wir von euch wollen. Wohin sind die Gefangenen gebracht worden?“ „Wie sollen wir das wissen?“ schrie Diego. „Wir haben doch damit überhaupt nichts zu ...“ „Maul halten, du Saufbold!“ brüllte der Profos. Er wandte sich dem alten Casero zu. „Ich hoffe, du bist älter und vernünftiger als dein Weinfaß von Sohn. Also?“ Sanchez Casero holte tief Luft. „Es gibt nur eine Möglichkeit“, sagte er gepreßt. „Der Teniente wird sie in den Steinbruch gebracht haben. Das ist das einzige Gefangenenlager hier auf Flores. Die meisten da draußen sind Sträflinge aus Spanien.“ „Bist du sicher?“ sagte Batuti drohend. „Ja“, erwiderte der Fischer verschüchtert, „wir haben sie vorbeimarschieren sehen.“ „Also gut“, sagte Ed Carberry entschlossen, „ihr beiden Halunken werdet uns hinführen. Jetzt sofort.“ „Jetzt?“ entgegnete der alte Casero entgeistert. „Das ist unmöglich.“ „Wieso unmöglich?“ Der Profos der „Isabella“ hob die Faust. „Weil es zu weit ist“, sagte Sanchez Casero eilig, „wir würden die ganze Nacht brauchen, wahrscheinlich noch ein paar Stunden mehr. Und dann wäre es hell, wenn wir ankommen.“ „Hm.“ Ed Carberry rieb sich das Rammkinn und sah erst Batuti und dann die anderen an. „Was haltet ihr davon?“ „Sieht so aus, als ob der Kerl die Wahrheit sagt“, entgegnete Smoky. „Wir müßten also am Vormittag aufbrechen“, sagte Al Conroy, „dann wären wir bei Dunkelheit an Ort und Stelle.“ „Hört sich vernünftig an“, fügte Matt Davise hinzu und nickte. „Und wenn die beiden Halunken uns anflunkern“, sagte Luke Morgan, „dann kriegen sie Feuer unter dem Hintern.“ Sanchez Casero sprang auf. „Es ist die Wahrheit!“ beteuerte er. „Ich schwöre es bei ...“
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„Schluck's runter“, unterbrach ihn Ed Carberry grinsend, „einer wie du sollte mit dem Schwören vorsichtig sein. Aber zur Sache: Wir nehmen deinen Vorschlag an. Du und dein Söhnchen werdet uns morgen zu diesem verdammten Steinbruch führen.“ „Muß das sein?“ entgegnete der alte Casero kleinlaut. „Können wir euch nicht den Weg beschreiben?“ Die Arwenacks brachen in schallendes Gelächter aus. Doch dann wurden sie sehr schnell wieder ernst. „Ihr habt uns einmal hereingelegt“, sagte Batuti zornig. „Ein zweites Mal wird das nicht passieren. Das könnte euch so passen: Wir marschieren los, und ihr flitzt heimlich zum Stützpunkt, um dem Kommandanten die Neuigkeit zu überbringen.“ Sanchez Casero konnte nichts darauf erwidern. Mit Unbehagen dachte er daran, daß Diego und er die Nachtstunden nun in der Gesellschaft dieser rauhbeinigen Kerle zubringen mußten. 7. In den späten Vormittagsstunden begannen sie ihren Weg durch die Einöde der Insellandschaft. Mit ausreichenden Vorräten an Wasser und Proviant versorgt, bedeutete der Marsch keine übermäßige Strapaze für sie. Doch sie konnten nachempfinden, wie es Hasard und den anderen in der Sonnenglut ergangen war. Gegen Mittag hatten sie bereits die Hälfte der Strecke zurückgelegt, und es war nicht ratsam, jetzt noch weiter in Richtung auf die Berge vorzudringen. Die Gefahr, daß sie von Beobachtungsposten erspäht wurden, war zu groß. Sanchez Casero hatte eine brauchbare Beschreibung von dem Gefangenenlager und dem Steinbruch geliefert. Der alte Fischer zeigte sich zur Zusammenarbeit bereit und wollte offenbar wiedergutmachen, was er den Arwenacks angetan hatte. Allerdings lag es etliche Jahre zurück, daß er das Sträflingslager gesehen hatte. Vieles konnte sich geändert
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haben. Vor allem über die Einzelheiten der Bewachung wußte er nichts. Die Männer wählten für ihre Mittagsrast eine Bodensenke aus, in der sie vor Blicken von den Bergen her vollständig geschützt waren. Diego Casero war der einzige, der sich überanstrengt fühlte. Er ließ sich auf den Boden fallen, streckte alle viere von sich und war innerhalb von wenigen Atemzügen eingeschlafen. Die Arwenacks beratschlagten, während sie aßen. Sie gelangten zu dem Ergebnis, daß es nicht ratsam war, den Weg jetzt schon fortzusetzen. Das Risiko, daß sie beobachtet wurden, war zu groß. Andererseits brauchten sie dringend Einzelheiten über das Gefangenenlager. „Spezialaufgabe für Batuti“, sagte der Gambianeger und schlug sich mit der flachen Hand auf den Brustkasten. Alle Blicke wandten sich ihm zu. „Du ganz allein?“ sagte Ed Carberry stirnrunzelnd, obwohl er doch wußte, daß sich der schwarze Herkules seinen Vorschlag sehr genau überlegt hatte. Denn es war beileibe nicht das erste Mal, daß Batuti einen Elchen besonderen Einsatz übernahm. Für ihn, der er in der Wildnis aufgewachsen war, bedeutete dies keine große Schwierigkeit. „Ich ganz allein“, sagte Batuti und nickte bekräftigend, „ich werde zurück sein, bevor es dunkel ist. Dann können wir einen genauen Plan entwickeln.“ „Einverstanden“, sagte der Profos ohne langes Überlegen, „ist einer dagegen?“ Nur Al Conroy meldete sich zu Wort. „Wäre es nicht besser, wenn einer von uns Batuti begleitete?“ „Würde mich nur behindern“, antwortete der Gambianeger, „allein bin ich schneller. Wenn ich bis zur Dunkelheit nicht zurück bin, wißt ihr, daß etwas nicht geklappt hat. Dann müßt ihr losmarschieren und alles zu Klump hauen.“ „Das werden wir auf jeden Fall“, versicherte Ed Carberry grimmig, „also los, wir machen es so, wie du gesagt hast. Hau schon ab.“
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Der schwarze Herkules nickte nur. Seine Muskete, die Pistole und die dazugehörige Munition ließ er zurück. Nur das Entermesser nahm er mit. Er nickte seinen Gefährten noch einmal zu. Dann lief er bis ans Ende der Bodensenke. Dort verharrte er nur einen Moment. Geduckt überquerte er die angrenzende Bodenerhebung und war Sekunden später in der nächsten Senke verschwunden. Auf diese Weise legte der Gambianeger auch seinen weiteren Weg zurück. Jeden Sichtschutz, den das eintönige Gelände bot, nutzte er geschickt aus. Dabei legte er einen wolfsartigen Trab vor, den er auch über Meilen durchhielt, ohne außer Atem zu geraten. Er schlug einen weiten Bogen nach Südosten und näherte sich dem Bergmassiv dann von dorther. Das Gelände wurde zunehmend welliger und bot entsprechend bessere Deckungsmöglichkeiten. Batuti rechnete jetzt nicht mehr damit, daß man ihn noch entdecken würde. Der alte Casero hatte die Lage des Steinbruchs ziemlich genau beschrieben. Batuti konnte sich daher gut an Form und Position der höher gelegenen Felsengipfel orientieren. Über schmale Pässe, durch Schluchten und Canyons drang er in die Bergregion vor. Auch hier hielt er sich an den Grundsatz, jeden nur möglichen Sichtschutz auszunutzen. Etwa zwei Stunden, nachdem er das Hügelland verlassen und begonnen hatte, die Berge zu durchstreifen, verharrte er auf einer Paßhöhe. Er drückte sich in den Schatten eines Felsvorsprungs. Die Sonne stand bereits tiefer im Westen, doch zwischen den Gesteinsmassen war es noch immer brütend heiß. Die Geräusche waren jetzt deutlicher zu hören, während er regungslos stehenblieb. Helles Klirren! Das Klirren von Metall auf Gestein. Es klang ungeordnet, ohne einen festen Rhythmus. Batutis Augen begannen zu leuchten. Er war dem Ziel nahe. Es mußten eine Menge Leute sein, die dort mit ihren Spitzhacken den Felsen bearbeiteten.
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Er verlor keine Zeit mehr und setzte seinen Weg fort. Der Paß mündete in ein Hochplateau, und da waren die Arbeitsgeräusche noch deutlicher zu hören. Der Gambianeger blieb am Ende des Passes stehen und plante seinen Weg vor. Das Plateau, von Felsbrocken verschiedener Größen übersät, erstreckte sich auf etwa fünfhundert Yards nach Norden, wo es mit einer schroffen Kante endete. Keine Frage, dort mußte der Talkessel beginnen. Batuti überlegte nicht lange. Er ließ sich zu Boden sinken und begann, über das heiße Gestein zu robben. Ständig hielt er sich dabei im Schatten der Felsbrocken, die ihm wirkungsvolle Deckung boten. Es war eine höllisch beschwerliche Art der Fortbewegung. Schon nach hundert Yards rann ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Aber er gönnte sich keine Pause. Geräuschlos arbeitete er sich weiter voran. Kurze Zeit später waren die Schläge der Spitzhacken bereits so laut zu hören, als seien sie zum Greifen nahe. Einen Steinwurf weit von der Kante des Plateaus entfernt, verharrte der Gambianeger ein letztes Mal. Schräg zur Rechten entdeckte er zwei Felsbrocken, die unmittelbar nebeneinander und kurz vor der Kante lagen. Er kroch hinüber und zwängte sich in den engen Zwischenraum. Hier war er von keiner Seite zu sehen. Sein Blick fiel auf die Weite des Talkessels, und ihm stockte der Atem. Die Menschen dort drüben wurden wie Tiere gehalten. Am jenseitigen Felsenhang schufteten sie sich die Seele aus dem Leib. Batuti schüttelte fassungslos den Kopf. Selbst wenn es sich in den meisten Fällen um Verbrecher handelte - gab es jenen, die über sie gerichtet hatten, das Recht, ihre Menschenwürde mit Füßen zu treten? Die Art und Weise, wie sie aneinandergekettet waren und vermutlich von frühmorgens bis spätabends Fronarbeit leisten mußten, wurde nicht einmal Tieren zugemutet. Ja, sie wurden schlimmer behandelt als Tiere. Zu dieser Überzeugung gelangte Batuti, je länger er hinsah.
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Und dann erspähte er Hasard und die anderen. Im Gegensatz zu den übrigen Gefangenen, die jeweils zu zweit mit Ketten verbunden waren, trugen der Seewolf, Castillo, Dan O'Flynn, Benitez und Vergara eine gemeinsame Fußkette. Zwei uniformierte Aufseher hielten ein besonderes Augenmerk auf sie, während sie ihre Spitzhacken in das harte Gestein trieben. Ihre Oberkörper glänzten schweißnaß im Sonnenlicht. Batuti zwang sich, seine Wut hinunterzuschlucken. Er wandte seine Aufmerksamkeit den Einzelheiten zu, die vordringlich waren. Ohne den Hals recken zu müssen, konnte er die Positionen sämtlicher Posten erspähen. Da waren die beiden Soldaten beiderseits des Canyon-Eingangs zum Tal. Im Osten führte ein schmaler Paß aus dem Tal hinaus, auch dort waren zwei Bewaffnete postiert. Batuti gelangte zu der Erkenntnis, daß dieser Paß der Weg war, über den auch die beiden Posten am Canyon ihren Standort erreichten. Denn dort vorn gab es keine Auf- und Abstiegsmöglichkeit, da die Felswände glatt und senkrecht waren. Zwei weitere Posten erblickte Batuti zwischen den Gattern, und nur einer patrouillierte um das Palisaden-Oval, in dem sich die Gefangenenbaracken befanden. Der Gambianeger vermutete, daß gerade diese Wache zur Nachtzeit verstärkt wurde. Im Grunde war sie jetzt, bei Tage, überflüssig. Aber die DienstTorschriften der spanischen Armeemaschinierie gingen manchmal seltsame Wege. Niemals konnten sich Hasard und die anderen aus diesem perfekt beachten Lager selbst befreien. Batuti zog sich eilends zurück. Dabei ließ er aber die gleiche Vorsicht walten wie zuvor. Obwohl er nun überzeugt war, daß es keine Posten abseits des Talkessels gab, wurde er doch nicht leichtsinnig. Der geringste Fehler konnte für den Seewolf und seine Gefährten das Ende bedeuten.
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Ohne Zwischenfälle erreichte der Gambianeger noch in der Dämmerung den Rastplatz der Arwenacks. Sie begrüßten ihn mit freudigem Schulterklopfen. Er setzte eine Wasserflasche an und ließ sich das wohltuende Naß durch die ausgedörrte Kehle rinnen. Dann berichtete er. „Sieht gar nicht so schlecht aus“, sagte Ed Carberry, nachdem er geendet hatte, „diese spanischen Rübenschweine werden sich noch wundern.“ * Der Himmel war sternenklar, nirgendwo zeigte sich auch nur die kleinste Wolke. Doch ein glücklicher Zufall wollte es, daß abnehmender Mond herrschte. Die dünne Sichel spendete kaum nennenswertes Licht. Die Männer erreichten das Hochplateau auf demselben Weg, den Batuti zuvor genommen hatte. Gemeinsam mit Ed Carberry, Ferris Tucker und Smoky robbte der Gambianeger auf den Talkessel zu, während die übrigen Arwenacks mit der Ausrüstung am Südrand des Plateaus warteten. Den alten Casero und seinen Sohn hatten sie bereits am Fuß des Bergmassivs zurückgelassen. Smoky verharrte hinter einem Felsbrocken, nachdem Batuti ihm die Richtung gezeigt hatte, in der sich der Posten an der Südwestseite des Canyon-Eingangs befand. Ohne Zeitverlust setzten der Profos, der Schiffszimmermann und der Gambianeger ihren lautlosen Weg fort, nun nach Osten, auf den Paß am anderen Ende des Talkessels zu. Bis auf zwanzig Yards schafften sie es, sich dem Posten diesseits des Passes zu nähern. Der Mann wandte ihnen den Rücken zu. Er hockte auf einer Decke und palaverte lautstark mit seinem Kameraden auf der anderen Seite. Die Entfernung zwischen beiden Posten betrug höchstens fünfzehn Yards. Der Paß war schmal, und die beiderseitigen Hänge hatten eine nur mäßige Steigung.
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Atemlos lauerten die drei Männer hinter einem brusthohen Felsbrocken. Nur eine Minute gönnten sie sich, um die Lage zu peilen. Ed Carberry stieß Ferris Tucker kaum merklich an. Ohne eine Reaktion abzuwarten, schnellte der Profos mit langen, federnden Sätzen los. Das Gespräch der Posten brach erst ab, als Carberry schon mehr als zehn Yards hinter sich gebracht hatte. Batuti sah deutlich, wie der Soldat diesseits des Passes erstarrte. Im selben Moment fegte Ferris Tucker bereits hinter dem Felsklotz hervor. Der Mann auf der anderen Seite des Passes .überwand seine Schrecksekunde. Doch viel zu langsam rappelte er sich auf. Er schaffte es noch, die Pistole aus dem Gurt zu ziehen. Aber es gelang ihm nicht mehr, die Waffe in Anschlag zu bringen. Ed Carberry überwand die letzten drei Schritte mit einem Riesensatz, und ließ seine mächtigen Fäuste niedersausen. Den Spanier traf es mit der Wucht eines Schmiedehammers. Er brach zusammen und brachte nur noch einen kläglichen gurgelnden Laut hervor. In derselben Sekunde schmetterte Ferris Tucker dem Wächter diesseits des Passes seine brettharte Rechte unter das Kinn. Und er fing den Bewußtlosen rechtzeitig auf, ehe dieser mit Getöse den Hang hinunterrollen konnte. Beide Spanier hatten den Fehler begangen, nicht sofort Alarmgebrüll auszustoßen. Doch dazu waren sie zweifellos zu sehr in Entsetzen geraten. Batuti huschte los, während Ed und Ferris damit begannen, die Bewußtlosen hinter schützenden Felsbrocken zu fesseln und zu knebeln. In der zerklüfteten Region an der Nordseite des Tales, knapp oberhalb des Steinbruches, hatte der Gambianeger ein leichteres Vorankommen als auf dem Plateau. Er konnte sich das beschwerliche Robben ersparen und drang geduckt im Schutz von Felsnadeln und Senken vor. Die beiden Posten oberhalb des Canyons standen sich gegenüber, in Luftlinie nur
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etwa einen Steinwurf weit voneinander entfernt. Beide stützten sich auf ihre Musketen. Dabei konnten sie sich unterhalten, ohne ihre Stimme nennenswert anzustrengen. Batuti hörte heraus, daß die beiden Spanier in Vorfreude auf den nächsten Urlaub im Stützpunkt Flores schwelgten. Ihr Gespräch kreiste um das Hurenhaus und die Frage, wie viele neue Mädchen seit ihrem letzten Besuch eingetroffen sein mochten. Der Gambianeger erhob sich lautlos hinter seiner Deckung und wartete, bis er sicher war, daß Smoky seine Statur erkennen konnte, die sich vor dem etwas helleren Nachthimmel abzeichnete. Ohne noch zu zögern, ließ er die geballte Kraft seiner Beinmuskeln explodieren. Wie von einer Bogensehne abgeschnellt, raste er auf den Posten zu. Der Mann spürte die Gefahr viel zu spät. Als er herumwirbelte, war der schwarze Herkules bereits heran. Batuti schickte ihn mit zwei blitzschnell aufeinanderfolgenden Fausthieben ins Land der Träume. Während er den Zusammensinkenden packte und vom Canyonrand wegzog, stockte ihm der Atem. Smoky hatte haargenau im richtigen Moment gehandelt und den Posten drüben auch erwischt. Aber der Mann mußte um einen Deut zu reaktionsschnell gewesen sein. Wahrscheinlich war er schon dem ersten Hieb ausgewichen. Es änderte nichts mehr an dem Verhängnis. Smoky setzte nach und versuchte die Schlappe mit zwei herausgestochenen Hieben auszubügeln. Dabei legte er offenbar zuviel Dampf hinter seine Fäuste. Schon beim ersten Hieb verlor der Soldat seine Muskete und geriet ins Stolpern. Smokys zweiter Hieb trieb ihn schneller rückwärts. Der Mann wankte, ruderte verzweifelt mit den Armen, doch keine gütige Fügung gab ihm das Gleichgewicht wieder. Vergeblich versuchte der Decksälteste der „Isabella“, das grausame Geschehen aufzuhalten. Er warf sich vor, kriegte jedoch nur noch einen Fetzen Hosenstoff
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zu fassen. Der Länge nach schlug er knapp vor der Felsenkante hin. Im selben Atemzug setzte der gellende Todesschrei des Spaniers ein. Dieser markerschütternde Schrei schien nicht enden zu wollen und hallte weit durch den Talkessel. Dem dumpfen Aufschlag folgte jähe Stille. Batuti und Smoky standen wie. erstarrt. Doch nur einen Sekundenbruchteil lang. Dann, als im Talkessel bereits aufgeregtes Gebrüll laut wurde, packten sie die Musketen der Posten und schoben sich bis an den Canyonrand. Zwei Fackeln brannten in Halterungen neben dem Palisadentor in der Mitte des Talkessels. Deutlich waren die Silhouetten zweier Soldaten zu erkennen, die sich aus dem Schatten der Palisaden lösten und mit durchdringendem Geschrei auf die Unterkünfte der Aufsehertruppe zurannten. Batuti und Smoky feuerten fast gleichzeitig. Und beide Kugeln trafen. Jäh brach das Alarmgebrüll ab, die beiden Soldaten überschlugen sich im Laufen und blieben regungslos liegen. Batuti und Smoky richteten sich auf. Beide wußten, daß sich erbarmungslose Härte jetzt nicht mehr abwenden ließ, wenn ihr Vorhaben noch gelingen sollte. Und sie wußten auch, daß ihre gut gezielten Schüsse nur einen Aufschub von Sekunden bringen konnten. Doch Al Conroy und die anderen waren bereits losgestürmt, als sie den Schrei des abstürzenden Postens gehört hatten. Auf Lautlosigkeit brauchten sie nicht mehr bedacht zu sein. Keuchend erreichten sie den südwestlichen Canyonrand. „Beeilt euch!“ rief der Stückmeister, nachdem sie die beiden Kisten abgesetzt hatten. „Um mich braucht ihr euch nicht mehr zu kümmern!“ Smoky, Matt Davies, Luke Morgan und Chocano schoben sich sämtliche Pistolen unter die Gurte, stopften die Munition in ihre Taschen, schnappten sich die Musketen und stürmten los. Als sie die Hälfte des Weges bis zum Paß am östlichen Ende des Talkessels zurückgelegt hatten, begann Al Conroy bereits mit seinem Feuerwerk.
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Unten stürmten die ersten Aufsehersoldaten aus den Unterkünften, nur flüchtig angekleidet. Nur ihre Waffen trugen sie bei sich. Doch schon nach wenigen Schritten warfen sie sich in panischem Entsetzen herum. Pfeifend und zischend regneten grelle Leuchtspuren nieder. Brüllende Detonationen folgten Schlag auf Schlag. Im gleißenden Licht der feurigen Blitze wurde der Talkessel in zuckende Helligkeit getaucht. Die Posten zwischen den beiden Eingangsgattern kauerten sich angstvoll zu Boden und rechneten damit, jeden Moment in Stücke gerissen zu werden. Die anderen verschanzten sich in der Unterkunft. Einige Wagemutige stießen ihre Musketenläufe durch die spaltbreit geöffneten Fensterläden. Während Batuti von der anderen Seite heranstürmte, trafen Smoky und seine Gruppe bei Ed Carberry und Ferris Tucker ein. Eilends wurden die Waffen ausgeteilt, dann jagten sie den Paß hinunter ins Tal. Al Conroys ohrenbetäubender Feuerzauber hielt mit unverminderter Heftigkeit an. Die Explosionen folgten rasend schnell aufeinander und bildeten ein nervenzerfetzendes Stakkato. Doch es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Spanier begriffen, daß es eher harmlos war. Keiner von ihnen hatte jemals etwas vom Chinesischen Feuer gehört, geschweige denn, daß sie es hautnah miterlebt hatten. Die Wirkung der Schwarzpulver-Zauberei, die die Seewölfe aus dem Reich der Mitte mitgebracht hatten, war indessen auch diesmal verblüffend. Ohne Frage hatten die Dons den Eindruck, daß oberhalb ihres Talkessels eine ganze Batterie von schweren Geschützen in Stellung gebracht worden war. Batuti, Ed Carberry und die anderen liefen auf die Ostseite des Palisaden-Ovals zu. Der Gambianeger stellte seine Muskete an die Rundhölzer, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Palisaden und faltete die Hände verkehrt herum vor den Oberschenkeln. Ed Carberry benutzte es
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als erster als Trittbrett, kletterte behutsam über die spitzen Enden der Hölzer und ließ sich fallen. Ferris Tucker, Smoky und Luke Morgan folgten ihm. Batuti, Matt Davies und Chocano blieben mit den Musketen zurück und jagten die ersten Schüsse zu den AufseherUnterkünften hinüber. Erneute Verwirrung entstand bei den Spaniern, zumal Al Conroys Feuerwerk in schöner Regelmäßigkeit anhielt. Ed Carberry und seine drei Begleiter hasteten währenddessen an der linken Gefangenenbaracke entlang. Aufgeregtes Stimmengewirr war von drinnen zu hören, doch es gab kein Fenster, aus dem Lichtschein zu erkennen gewesen wäre. Ein hartes Grinsen grub sich in die Gesichtszüge der Männer von der „Isabella“. Unter den mehr als hundert Gefangenen gab es nur fünf, die vermutlich ahnten, was es mit dem Feuerzauber auf sich hatte. Sie erreichten die vordere Tür. Ed Carberry wuchtete den Riegel hoch, ließ ihn fallen und riß die Tür auf. Augenblicklich verstummte das Stimmengewirr in dieser Baracke. „Sir!“ zischte der Profos. „Seid ihr hier drin?“ Klirrende Ketten näherten sich im selben Moment. „Schon unterwegs“, sagte der Seewolf aus dem Dunkeln heraus, und seine ganze Erleichterung lag in diesen beiden Worten. Ein weiterer Wortwechsel war nicht möglich, denn die Gefangenen stimmten ein frenetisches Freudengeheul an. „Die Freiheit winkt, Freunde!“ brüllte Ed Carberry mit Donnerstimme. „Brecht das Tor auf!“ Das Gejohle der Sträflinge steigerte sich noch und bildete einen gellenden Kontrast zum Krachen des Chinesischen Feuers und zum Peitschen der Musketenschüsse. Hasard, Dan und die drei Spanier von der „Confianza“ begriffen sofort, was der Profos beabsichtigte. Es war unmöglich, daß Tor schnell genug aufzubrechen und zu fliehen. Deshalb waren die fünf Aneinandergeketteten schon eilig ins Freie
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geschlüpft, als hinter ihnen die Sträflinge nachdrängten. Eine Traube von Menschen ergoß sich auf den engen Platz vor den Baracken. Die Mehrzahl stürzte auf das Tor zu, und eine Handvoll Männer hastete nach rechts, um die zweite Baracke zu öffnen. Hasard und die anderen, flankiert an Ed Carberry und seiner Gruppe, liefen bereits an der Seitenwand entlang zum östlichen Ende der Palisaden. Es war ein wahnwitziges Unterfangen, trotz der Ketten die Rundhölzer zu überwinden, die mehr als mannshoch waren. Doch sie schafften es. Ed Carberry und Ferris Tucker bauten sich als Stützen auf, während Smoky und Luke Morgan die nötige Hilfestellung gaben. Dann waren auf der anderen Seite auch Batuti und seine Gefährten zur Stelle, um zu helfen. Hasard und Castillo erklommen die Palisaden gleichzeitig, während Dan O'Flynn bereits auf den Schultern von Ed Carberry wartete. Dann, als der Seewolf und der spanische Kapitän auf Batutis und Matt Davies' Schultern hinunterstiegen, folgten Dan, Vergara und Benitez. Obwohl sie sich höllisch beeilten, zerrte doch jede verstreichende Sekunde an den Nerven. Aber noch hielt der Lärm an. Al Conroy gab sein Bestes, um die Dons mit dem Feuerwerk in Atem zu halten. Zudem steigerte sich das wilde Gebrüll der Gefangenen, die sich in einem wahren Freiheitsrausch befinden mußten. Ed Carberry schwang sich als letzter über die Palisaden, nachdem Ferris Tucker ihm hinübergeholfen hatte. Dann liefen sie auf den Paß zu. Die Ketten klirrten rhythmisch. „Ein paar Schritte müßt ihr noch schaffen!“ rief der Profos atemlos. „Al hat einen Hammer und einen Stahldorn in seinen Kisten!“ Der Seewolf, Dan O'Flynn und die drei Spanier verschwendeten keine Worte. Sie gaben ihr Äußerstes, um das Tempo ihrer Befreier auf der gemeinsamen Flucht durchzuhalten. Wie viele Minuten sie bis zu Al Conroy brauchten, konnten sie später nicht mehr
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sagen. Doch der Druck der imaginären Faust im Nakken ließ nach. Unten im Tal war die Hölle losgebrochen. Die Sträflinge waren über das Tor geklettert, hatten es geöffnet und strömten in alle Richtungen auseinander. Da sie nur zu zweit aneinandergekettet waren, entwickelten sie eine beachtliche Beweglichkeit. Mit Todesverachtung hasteten die Aufseher in die letzten Explosionen hinein, die der Stückmeister der „Isabella“ ihnen bescherte. Sie mußten endlich begriffen haben, daß ihnen von diesem Höllenfeuer keine Gefahr drohte. Dafür hatten sie alle Hände voll zu tun, die Gefangenen wieder zusammenzutreiben. Warnschüsse peitschten, und die dumpfen Schläge von Hartholzknüppeln waren zu hören. Das Gebrüll der Sträflinge nahm merklich ab, wich Schmerzensschreien und kläglichen Lauten. Al Conroy hatte bereits den Dorn angesetzt und trieb zuerst den Bolzen aus Hasards Fußschelle. Auch der Rest war im Handumdrehen erledigt. Dennoch blieb keine Zeit für einen Freudentaumel. Sie beeilten sich, ließen Al Conroys leere Kisten zurück, schnappten sich die Musketen, und hasteten in die Dunkelheit des Plateaus. Schreie und Gebrüll im Talkessel wurden immer leiser. Am südlichen Rand des Plateaus verharrten die Arwenacks einen Moment regungslos. Aber da waren keine Schritte zu hören, die ihnen folgten. Die Spanier hatten andere Sorgen, als fünf Ausbrechern zu folgen. Die hundert, die ihnen zu entwischen drohten, waren wichtiger. 8. Als sie das Bergvorland erreichten, war die Anspannung endgültig von ihnen abgefallen. „Ich weiß nicht, wie wir euch danken sollen“, sagte Adriano de Mendoza y Castillo, noch außer Atem. „Diese
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Befreiungsaktion war Maßarbeit. Ich hätte so etwas nie für möglich gehalten.“ Vergara und Benitez nickten zustimmend, und ihre Augen leuchteten. Ed Carberry winkte ab. „Ich will nicht sagen, daß es eine unserer leichtesten Übungen war. Aber so schlimm war's nun auch wieder nicht.“ „Tu nicht so!“ rief Smoky empört. „Durch meinen Fehler wäre beinahe alles schiefgegangen!“ „Ich höre wohl nicht richtig“, sagte Al Conroy, „wozu war ich denn als Eingreifreserve da? Hat das etwa nicht geklappt?“ Smoky schwieg. „Siehst du“, sagte Ed Carberry triumphierend, „bei uns werden sogar die Fehler eingeplant.“ Der Seewolf beendete das Geplänkel mit einer energischen Handbewegung. „Es reicht jetzt“, sagte er, „ihr habt hervorragende Arbeit geleistet, soviel steht fest. Und du, Smoky, brauchst dir wahrhaftig nichts vorzuwerfen.“ Der Decksälteste zog zweifelnd die Schultern hoch, aber nach einem Moment lächelte er doch. Dan O'Flynn räusperte sich und deutete auf die beiden Gefesselten in der Bodensenke zu ihren Füßen. Casero senior und junior waren in der Dunkelheit nur als Schatten zu erkennen, lediglich das Weiße ihrer angstvoll aufgerissenen Augen leuchtete. „Diese feigen Verräter“, zischte Castillo, „wenn ich nachtragend wäre, würden sie jetzt ihre Lektion erhalten. Aber im Grunde können sie einem nur leid tun.“ Hasard nahm ihn beiseite. „Der alte Mann ist ein armer Hund, Adriano“, sagte er leise, damit die Caseros es nicht hören konnten. „Dafür, daß er einen so mißratenen Sohn hat, trifft ihn wenig Schuld. Wahrscheinlich ist es mit ihm bergab gegangen, seit seine Frau gestorben ist. Er hat uns doch nur an Torres verraten, weil er hoffte, sein armseliges Leben ein bißchen aufbessern zu können.“
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„Ich weiß“, erwiderte Castillo halblaut, „aber wenn sich alle so verhielten, wäre es traurig um die Menschheit bestellt.“ „In diesem Fall sollten wir Gnade vor Recht ergehen lassen. Die beiden Caseros können uns nicht mehr gefährlich werden.“ „Da bin ich nicht so sicher.“ „Also gut, schließen wir einen Kompromiß. Diejenigen von uns, die zur ‚Isabella' zurückkehren, bringen Vater und Sohn in ihre Hütte und fesseln sie dort. Bis deine Mission erfüllt ist, werden sie keinen Schaden anrichten.“ Castillos Augen blitzten in der Dunkelheit, als er lächelte. „Du hast eine seltene Überzeugungskraft, Hasard. Natürlich bin ich einverstanden. Ich habe sowieso kein Recht, irgendwelche Forderungen zu stellen - nach allem, was du und deine Männer für mich getan habt.“ Der Seewolf schüttelte entschieden den Kopf. „Wir schulden uns gegenseitig nichts. Darüber waren wir uns von vornherein im klaren, und so soll es auch bleiben.“ Castillo reichte ihm stumm die Hand. Sie hielten sich nicht länger auf. Matt Davies, Luke Morgan, Al Conroy und Chocano erhielten den Auftrag, Sanchez und Diego Casero zu ihrer Hütte zu bringen und dann auf schnellstem Weg zu der Jolle zu eilen. Sie konnten es ohne weiteres schaffen, die „Isabella“ noch bei Dunkelheit zu erreichen. Hasard und Castillo brachen gemeinsam mit Dan O'Flynn, Batuti, Ed Carberry, Ferris Tucker, Smoky, Vergara und Benitez auf. Die neun Männer hatten sich neben ihren Entermessern mit Pistolen und Musketen und ausreichender Munition ausgerüstet. Lediglich der Seewolf verzichtete auf eine Muskete. Er brauchte Beweglichkeit. Wie seine Mitgefangenen aus dem Steinbruch trug auch Hasard noch die dicken Ledersandalen. Es mußte reichen, eine Möglichkeit, sich Stiefel zu verschaffen, gab es zur Zeit nicht. Castillo wußte, daß es vom Steinbruch bis zum Stützpunkt etwa vier Meilen in nordwestlicher Richtung waren. Da sie
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sich an der Südseite des Bergmassivs befanden, mußten sie einen Bogen schlagen. Dabei orientierten sie sich am Stand der Gestirne. Mehr als sechs Meilen, so rechnete Castillo, hatten sie trotzdem nicht zurückzulegen. * Noch bei Dunkelheit erreichten sie ihr Ziel. Sie unterbrachen ihren eiligen Marsch auf einer Anhöhe südlich des Stützpunkts. Es war fast völlig finster zwischen den kantigen Umrissen der Gebäude. Nur wenige Lichter waren zu erkennen - ein deutliches Zeichen dafür, daß niemand hier in seiner Nachtruhe gestört worden war. Hasard und seine Gefährten hatten es nicht anders vermutet. Der Steinbruch war weit genug entfernt, und durch die hohen Felswände des Talkessels waren Explosionen und Schüsse nicht bis hierher zu hören gewesen. Castillo deutete mit ausgestrecktem Arm auf die äußersten Gebäude des Stützpunkts. „Eine Befestigungsmauer gibt es nicht“, sagte er, „mit Angreifern von der Landseite rechnet man nicht, außerdem wird dieser Insel keine besondere strategische Bedeutung beigemessen. Die wichtigeren Stützpunkte befinden sich auf den größeren Azoren-Inseln.“ „Aber es muß doch Wachen geben“, wandte der Seewolf ein. „Sicher“, antwortete Castillo, „wenn Torres seine Sicherheitsmaßnahmen nicht verstärkt hat, patrouillieren zwei Doppelposten in entgegengesetzter Richtung auf einem Wachgang.“ Hasard traf eine schnelle Entscheidung. Gemeinsam mit Castillo, der seine Muskete zurückließ, pirschte er durch das mit Büschen bewachsene Gelände auf den Stützpunkt zu. Die Männer harrten auf der Anhöhe aus. Ihre Augen hatten sich so weit an die Dunkelheit gewöhnt, daß sie das Geschehen beobachten konnten und wissen würden, wann sie zur Stelle sein mußten.
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Der Seewolf und der Kapitän der „Confianza“ schlichen auf das Ende einer Gasse zu, die sich wie ein finsterer Schlund vor ihnen öffnete. Beiderseits befanden sich flache Gebäude, vermutlich Stallungen oder Werkstätten von Handwerkern. Nur weiter entfernt in der Gasse war matter Lichtschein zu sehen. „Halt“, flüsterte Castillo. Der Weg, von dem er gesprochen hatte, war ein Trampelpfad und verlief quer vor der Gassenmündung und dann nach beiden Seiten um den Stützpunkt herum. Die beiden Männer duckten sich hinter einen hüfthohen Busch. Noch war keine Menschenseele zu sehen oder zu hören. Hasard und Castillo begannen, mit dem Gedanken zu spielen, ob sie in die militärische Ansiedlung vordringen sollten, ohne die Posten auszuschalten. Zwei Minuten später wurden sie dieser Entscheidung enthoben. Gedämpfte Stimmen waren plötzlich zu hören, begleitet von dumpfen Schritten auf hartem Boden. Hasard und Castillo kauerten regungslos, hielten den Atem an. „ ... bist ein Narr, Jorge. Wenn du immer gleich auf alles eingehst ...“ „Du tust ja gerade so, als ob du über alles besser Bescheid wüßtest.” „In diesem Fall bestimmt, Compadre. Du darfst den Weibern nicht gleich alles geben, was sie verlangen. Die nehmen dich aus nach Strich und Faden. Handeln mußt du, den Preis drücken, verstehst du?“ „Blödsinn. Wenn ich das versuche, sagt so ein Miststück glatt: „In Ordnung, hau ab, Kleiner, ich habe genug Kundschaft, die bezahlt, was ich verlange.“' „Da fällst du auf einen Trick herein. Ich sage dir ...“ Die weisen Ratschläge über die Taktik im öffentlichen Haus von Flores blieben dem Soldaten im Hals stecken. Die beiden Männer, die blitzartig hinter dem Busch hervorschnellten, waren nur als huschende Schatten zu sehen. Die Wachsoldaten erstarrten, und im selben Moment war es auch schon zu spät.
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Ohne noch einen Laut von sich zu geben, sanken sie unter den Fausthieben ihrer Bezwinger zu Boden. Eilends schleiften Hasard und Castillo die beiden Bewußtlosen hinter das Gebüsch. Dort fesselten sie die Spanier mit deren eigenen Ledergurten und stopften ihnen ihre Halstücher als Knebel in den Mund. Abermals verharrten der Seewolf und sein spanischer Gefährte in sicherer Deckung. Wenn Castillos Erinnerung richtig war, mußte der nächste Doppelposten sehr bald aus entgegengesetzter Richtung auftauchen. Doch diesmal wurde ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Mehr als zehn Minuten vergingen, bis endlich Schritte zu hören waren. „ ... verstehe das nicht“, murmelte eine Männerstimme. „Irgendwas stimmt da nicht“, sagte der zweite Mann, „wir hätten ihnen längst begegnen müssen.“ Hasard und Castillo zögerten keinen Atemzug. Im selben Moment, als sie die Schatten aus der Dunkelheit auftauchen sahen, schnellten sie los. Obwohl die Posten Unrat gewittert hatten, traf es sie dennoch völlig überraschend. Ehe sie begreifen konnten, wie ihnen geschah, versanken sie in der Schwärze der Bewußtlosigkeit. Auch sie wurden gefesselt und geknebelt. Gleich darauf huschten auch die Männer von der Anhöhe heran. „Wir dringen durch diese Gasse vor“, sagte Castillo halblaut und deutete auf die Einmündung in unmittelbarer Nähe. „Seid ihr einverstanden, wenn ich die Führung übernehme?“ „Keine Frage“, entgegnete Hasard, „wer sonst sollte sich besser auskennen?“ Castillo schlich wortlos voraus, der Seewolf und die übrigen Männer folgten ihm mit Abständen von zwei bis drei Schritten. Bis das Verschwinden der beiden Doppelposten bemerkt wurde, blieb ihnen wahrscheinlich nicht viel Zeit. Es war anzunehmen, daß sich die Streifensoldaten nach jedem Rundgang bei ihrem Wachhabenden zu melden hatten.
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Geräuschlos pirschten die Männer an den Gebäudewänden entlang. Jede Türnische und jeden Torweg nutzten sie als Deckung aus und spähten ständig nach Versteckmöglichkeiten, damit sie notfalls blitzschnell von der Bildfläche verschwinden konnten. Doch unbehelligt erreichten sie die erste Gassenbiegung. Der Lichtschein, das zeigte sich jetzt, stammte von den weiter entfernt liegenden Unterkünften der Garnisonssoldaten. Wie Castillo flüsternd berichtete, befanden sich die Mannschaftsund Offiziersbaracken in einem höher gelegenen Teil des Stützpunkts. Dort oben mußte auch die Wachstube sein, von der vermutlich das schwache Licht in die Gassen hinunterfiel. Am Rand einer kleinen Plaza schlichen sie an den Hausfassaden entlang und folgten Castillo in eine schmalere Gasse, die in etwa nordöstlicher Richtung verlief. Hier war es fast völlig finster. Die Männer mußten dichter aufschließen und Tastkontakt halten, um sich nicht zu verlieren. Nach einer scharfen Rechtsbiegung blieb Castillo in einem Torweg stehen, und der Seewolf stoppte seine Schritte sofort neben ihm. Auch Dan O'Flynn, Ed Carberry und die anderen schlüpften in den Torweg. „Da drüben ist es“, flüsterte Castillo kaum hörbar. Sie konnten seinen Zeigefinger nicht sehen, aber sie wußten auch so, welches Haus er meinte. Es handelte sich um ein hohes, zweigeschossiges Gebäude, das durch die Mächtigkeit seiner Quadersteine auffiel. Verglichen mit den übrigen Bauwerken des Stützpunkts, erinnerte es an einen Festungsbau. Einzelheiten waren zu erkennen, da über dem Eingang eine Öllaterne brannte. Die Fenster dagegen waren samt und sonders verdunkelt. „Gibt es keinen Wachtposten?“ fragte der Seewolf kaum hörbar. „Wenn ich das wüßte, wäre mir wohler“, antwortete Castillo ebenso leise. Hasard lächelte.
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„Ich schätze Torres als einen Mann ein, der sich ohne persönlichen Schutz nicht wohlfühlt. Wenn wir davon ausgehen, daß er bewacht wird - wo könnte der Posten sich aufhalten?“ „Im Eingangskorridor“, sagte Castillo, „aber wahrscheinlich wird er auch Kontrollgänge im Haus und draußen unternehmen.“ Hasard legte den Plan für das weitere Vorgehen im Handumdrehen fest. Abermals begleitete Castillo den Seewolf. Auf leisen Sohlen überquerten sie die Gasse, drückten sich an der gegenüberliegenden Gebäudewand entlang und schlüpften dann in den Torweg des Kommandantenhauses. Die übrigen Männer folgten in kurzen Abständen und verteilten sich um das Haus, ohne jedoch dem Lichtkreis der Laterne zu nahe zu geraten. Auf dem Weg zum Hinterhof konnten Hasard und Castillo die eigene Hand nicht vor Augen sehen. Vorsichtig tastend setzten sie einen Fuß vor den anderen. Geruch von Abfällen drang ihnen in die Nase. Ein matter Reflex von Mond- oder Sternenlicht lag auf den beiden hinteren Fenstern im Erdgeschoß. Dazwischen befand sich die Hintertür, kaum erkennbar im Dunkeln, doch vermutlich aus sehr massivem Holz. Etwas raschelte. Hasard fühlte etwas Weiches, das über seine Füße huschte. Im nächsten Moment polterte etwas ganz in der Nähe. Eine leere Kiste, die umgekippt war. „Ratten!“ zischte Castillo, denn auch an mehreren anderen Stellen des Hinterhofes war jetzt dieses unverkennbare Rascheln zu hören. Hasard antwortete nicht. Wieder polterte etwas. Die langschwänzigen Viecher verursachten einen gehörigen Lärm. Unvermittelt knarrte die Hintertür. Warmer, gelber Lichtschein fiel in einem Streifen heraus. Hasard und Castillo prallten zurück, nur noch einen Yard entfernt. „Ist da jemand?“ fragte eine vorsichtige Stimme.
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„Ja, hier“, erwiderte der Seewolf kurzentschlossen. Im selben Atemzug schnellte er vor. Blitzschnell packte er die halboffene Tür, ehe sich der Mann dahinter von seiner Verblüffung erholen konnte - ein Soldat, unbehelmt und mit unordentlichem, zerknittertem Wams. Seine verschlafenen Augen starrten den Seewolf in grenzenlosem Erstaunen an. „Ein feiner Posten bist du“, sagte Hasard, „Torres wird sich freuen, daß du so gut auf ihn aufpaßt.“ Er riß die Tür auf und griff sich im selben Sekundenbruchteil den Soldaten. Der Mann stieß einen gurgelnden Entsetzenslaut aus, doch Hasards Faust brachte ihn sofort zum Schweigen. Vorsichtig ließ er ihn zu Boden gleiten und wollte ihn Castillo übergeben, der ihn hinausschleifen sollte. Eine Stimme ertönte plötzlich aus dem Hausflur. „He, was ist los da hinten, Guillermo?“ Hasard und sein Begleiter wechselten einen Blick. War Torres wachgeworden? Oder handelte es sich um einen zweiten Wachtposten? Wie auch immer - sie mußten die Situation in den Griff kriegen. An Lautlosigkeit war nun nicht mehr zu denken. Hasard stürmte voraus in den halbdunklen Korridor, dem Lichtschein entgegen. Castillo folgte ihm dichtauf. Noch im Laufen zog der Seewolf seine Pistole. Der Korridor erweiterte sich zur Eingangshalle. Eine Wandlampe brannte als Notbeleuchtung. „Guillermo! Was, zum Teufel ...“ Die Stimme brach jäh ab. Hasard sprang mit einem federnden Satz in die Weite der Halle, verharrte breitbeinig und geduckt. Der Mann starrte ihm vom oberen Treppenabsatz entgegen - ein zweiter Soldat, das Wams nur flüchtig zugeknöpft. Er bezwang seinen Schreck erstaunlich schnell und riß den Mund weit auf. Hasard brachte die Pistole mit beiden Fäusten in Anschlag. Das Knacken des Hahns durchdrang die Stille
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„Keinen Laut!“ warnte der Seewolf. Der Wachtposten schien es nicht zu hören. „Alarm!“ brüllte er aus Leibeskräften. „Alarm!“ Mit einem wilden Ruck zerrte er die Pistole unter seinem Gurt hervor und riß sie hoch. Aus den Augenwinkeln heraus sah Hasard, daß Castillo zurückgewichen war, aus der Schußlinie heraus. Es blieb jetzt keine andere Wahl. Der Bursche dort oben auf dem Treppenabsatz ließ sich durch Worte nicht zur Räson bringen. Reaktionsschnell zielte Hasard auf die rechte Schulter des Mannes und zog durch. Donnernd bäumte sich die Pistole in den Fäusten des Seewolfs auf. Einen Moment darauf krachte auch die Waffe des Soldaten. Das Krachen der beiden Schüsse vereingte sich zu einem urgewaltigen Wummern, das von den Wänden zurückhallte. Durch die Wucht des Einschusses wurde der Soldat herumgewirbelt und drehte sich wie ein Kreisel. Die Kugel aus seiner Pistole raste in die Decke, ohne Schaden anzurichten. Mit einem Schmerzensschrei sackte der Getroffene in sich zusammen. Noch bevor er den Boden erreichte, ging sein Schrei in ein Gurgeln über. Dann verstummte er vollends, als er das Bewußtsein verlor und sich ausstreckte. Castillo stieß einen Fluch aus und hastete zur vorderen Tür. Ihr Eindringen konnte jetzt nicht mehr unbemerkt bleiben. Es mußte schon an ein Wunder grenzen, wenn die Schüsse nicht gehört worden waren. Castillo riß die Eingangstür auf und gab den Männern, die draußen warteten, ein Zeichen. Sekunden später stürmten sie herein, während Hasard bereits auf dem Weg ins Obergeschoß war. Castillo folgte ihm und überholte ihn. Unten schlugen die Arwenacks krachend die Türen zu. Sie wußten, daß sie jetzt mit einer Belagerung rechnen mußten. „Hier entlang!“ rief Castillo und lief den Korridor hinunter, auf eine der Türen zu. Ohne zu zögern, nahm er Anlauf und warf sich mit der Schulter dagegen. Das Schloß löste sich splitternd und berstend,, und
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vom eigenen Schwung getrieben, segelte Castillo in den Raum. Hasard folgte ihm mit einem Satz, verharrte und brachte die ungeladene Pistole in Anschlag. Eine Tischlampe erhellte das Zimmer nur schwach. Dennoch reichte das Licht aus, um alles zu überblicken. Aus dem Himmelbett ertönte ein spitzer Schrei. Torres war aufgefahren und brachte vor Entsetzen keinen Ton heraus. Die glutäugige Senorita neben ihm schrie ununterbrochen, zitternd vor Angst bedeckte sie ihre Blöße mit dem Deckenzipfel. Castillo rappelte sich auf, ging hinüber und versetzte der Bettgefährtin des Kommandanten eine sanfte Ohrfeige. Sie verstummte, brach in Tränen aus und vergrub das Gesicht im Kissen. „Raus mit Ihnen!“ herrschte Castillo den Kommandanten an. Torres gehorchte, immer noch stumm vor Fassungslosigkeit. Mit zitternden Händen streifte er eine Hose und ein Hemd über und blieb vor dem Bett stehen. Dan O'Flynn und Ed Carberry stürmten in den Raum. Als sie die Lage erfaßten, ließen sie ihre Pistolen erleichtert sinken. Hasard war bereits dabei, seine Einschüssige nachzuladen. „Sperrt die Frau in einem Nebenzimmer ein“, sagte er, „und paßt auf, daß sie nicht entwischen kann.“ „Aye, aye, Sir“, antwortete Ed Carberry grinsend und stiefelte auf das Himmelbett zu. Die Glutäugige hörte die Schritte, warf sich herum und starrte den Narbenmann mit großen, staunenden Augen an. Ihr Entsetzen wich grenzenloser Bewunderung. „Was für ein Kerl“, hauchte sie, „so was gibt's im ganzen Stützpunkt nicht.“ Sie blinzelte in erneuter Überraschung, als der Profos auf Spanisch antwortete. „Leider haben wir keine Zeit für ein Spielchen, Carmencita. Los, los, beweg dich nach nebenan.“
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„Woher kennst du meinen Namen, Großer?“ „Ich denke, in Spanien heißen alle Ladys Carmencita.“ Ed Carberry grinste noch breiter. Die Glutäugige verzog beleidigt das Gesicht. Dann hüpfte sie aus dem Bett und warf sich eine der Decken über, nicht ohne einen beträchtlichen Teil ihrer Blöße sehen zu lassen. Doch weder Ed Carberry noch die anderen hatten in diesem Moment einen Blick dafür. Der Profos und Dan O'Flynn brachten Torres' Bettgefährtin hinaus. Hasard schob seine nachgeladene Pistole unter den Gurt und bedachte Torres mit einer auffordernden Kopfbewegung. „Auf die andere Seite des Hauses, Capitan. Wir suchen uns ein Fenster aus, das zur Gasse zeigt.“ Torres gehorchte zitternd und fühlte sich sichtlich unbehaglich, als Castillo und der Seewolf ihm folgten. Willig öffnete er die Tür zu einem Kaminzimmer und ging auf das linke der beiden Fenster zu. Schwaches Licht fiel von der Laterne des Hauseingangs herein. Zögernd blieb der Kommandant stehen. Im selben Moment wurden weithallende Schritte laut, verursacht von harten Stiefelsohlen, die auf das Steinpflaster der Gassen schlugen. „Öffnen Sie das Fenster“, befahl Castillo schneidend. Torres wirbelte herum, in jäher Wut. „Damit werdet ihr keinen Erfolg haben“, sagte er keuchend, „wenn ihr jetzt aufgebt, lasse ich euch am Leben. Ich schicke euch in den Steinbruch zurück.“ Castillo hob seine Pistole und ließ ihn in die Mündung blicken. Torres erbleichte. Der Seewolf lächelte nur. Es war ein eisiges, hartes Lächeln. Castillo schwenkte auffordernd den Pistolenlauf. Diesmal gehorchte der Kommandant. Sein Zittern hatte sich verstärkt, als er die Fensterflügel auseinanderzog. Ed Carberry polterte in die Tür. „Die Männer sind unten verteilt“, sagte er, „das Erdgeschoß haben wir unter
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Kontrolle. Und die kleine Carmencita ist auch auf Nummer Sicher.“ „In Ordnung“, sagte Hasard, „es wird nichts unternommen, ohne ausdrücklichen Befehl.“ „Aye, aye, Sir.“ Der Profos zog sich zurück. Draußen endete das Getrappel der Schritte. Erschrockene Rufe waren zu hören. Die Soldaten hatten ihren Kommandanten im offenen Fenster erblickt. „Sie wissen, was Sie ihnen zu sagen haben“, zischte Castillo, „beeilen Sie sich gefälligst damit, oder wir helfen nach.“ Er trat einen Schritt näher an Torres heran, und diese drohende Geste reichte aus. „Herhören, Männer!“ schrie der Kommandant mit angstvoller Stimme. „Ich befinde mich in der Gewalt von - von Piraten. Sie sind aus dem Steinbruch geflohen und werden nicht zögern, mich zu töten. Ihr dürft nichts unternehmen! Habt ihr verstanden? Zieht euch zurück, los, los, weg mit euch! Auf was wartet ihr noch!“ Murren setzte ein. Dann aber folgten Schritte, zögernd zunächst, doch immer rascher. „Ausgezeichnet“, sagte Castillo zufrieden, „wenn Sie weiter so gut gehorchen, Torres, werden Sie mit uns keine großen Probleme haben. Drehen Sie sich jetzt um. Aber bleiben Sie mit dem Rücken am Fenster. Ich will, daß Sie von draußen gesehen werden, falls es einen gibt, dem doch noch dumme Gedanken im Kopf herumgehen.“ Torres gehorchte. „Wie lange soll denn das dauern?“ sagte er weinerlich. „Ich werde mir eine Erkältung holen.“ „Wie entsetzlich“, sagte der Seewolf spöttisch, „Sie sollten glücklich und zufrieden sein, wenn Ihnen nichts Schlimmeres passiert.“ „Und jetzt heraus damit“, forderte Castillo rauh. „Was haben Sie von den Mordplänen gewußt? Fernández hat mit Ihnen darüber gesprochen, daß die ,Confianza` versenkt werden sollte. Geben Sie es zu.“ „Das ist nicht wahr!“ schrie Torres. „Ich weiß nichts davon. Überhaupt nichts!“
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„Sie lügen“, entgegnete Castillo unbeeindruckt. „Ich schwöre Ihnen, wir werden die Wahrheit aus ihnen herausholen. Wir haben Zeit, sehr viel Zeit.“ „So glauben Sir mir doch“, flehte Torres händeringend. Es fehlte nicht viel, und er wäre auf die Knie gesunken. „Ich habe nie etwas von irgendwelchen Mordplänen erfahren. Es stimmt, daß Capitan Fernández mit mir über Sie gesprochen hat, Senor Castillo. Es ging darum, ob Nachteiliges über Sie bekannt wäre. Aber ich versichere Ihnen, ich habe gesagt, daß hier bei den Soldaten im Stützpunkt nur Gutes über Sie geredet wird.“ Castillo wechselte einen Blick mit dem Seewolf. Beide Männer wußten, daß sie das gleiche dachten. Dieser winselnde Kerl widerte sie an. 9. Das Morgengrauen hatte eben eingesetzt. Der graue Streifen des beginnenden Tageslichts schob sich immer höher über die Kimm hinaus, und die Insel Flores zeichnete sich als ein dunkler Buckel ab. Der Wind hatte während der Nachtstunden gedreht und blies jetzt handig aus Südwest. Platt vor dem Wind rauschte die „Isabella“ unter Vollzeug auf den Stützpunkt zu. Matt Davies, Luke Morgan, Al Conroy und Chocano hatten dem Ersten Offizier berichtet, was sich abgespielt hatte, und es war an der Zeit, den Seewolf und seine Gefährten an Land zu unterstützen. Schon zeichnete sich die Einfahrt zum Stützpunkt-Hafen mit den beiden Felszungen ab, als unvermittelt ein gellender Ruf aus dem Großmars ertönte. „Deck! Mastspitzen Steuerbord voraus!“ Es war Bill, auf dessen scharfe Augen auch in der trüben Morgendämmerung Verlaß war. „Ein Zweimaster, der den Hafen verläßt!“ Ben Brighton überlegte nicht lange. Das konnte nur bedeuten, daß Torres schon am Abend oder in der Nacht Befehl gegeben hatte, seine vorgesetzte Dienststelle zu
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verständigen. Wahrscheinlich sollte Verstärkung angefordert, zumindest aber die Nachricht übermittelt werden, daß die Gefangennahme des Seewolfs geglückt wäre. Eine andere Schlußfolgerung gab es für den Ersten Offizier der „Isabella“ nicht. „Alle Mann auf Gefechtsstation!“ befahl er mit donnernder Stimme. Die „Isabella“ war nur noch sechs bis sieben Kabellängen von der Hafeneinfahrt entfernt, und bei der rauschenden Fahrt, die sie lief, würde sie rechtzeitig zur Stelle sein, um den Plan des Kommandanten zu vereiteln. Die Arwenacks standen ohnehin auf dem Sprung, und auch die Spanier von der „Confianza“ packten mit zu. Schlagartig setzte Wuhling auf den Decks ein, und nur einem Außenstehenden mochte dies als heilloses Durcheinander erscheinen. Die Männer waren aufeinander eingespielt wie eine perfekte Maschinerie. Jeder Handgriff lief nach tausendfach geübtem Reglement ab, Kommandos waren nicht erforderlich. Al Conroy teilte seine Geschützmannschaften ein und ließ die 25Pfünder und die 17-Pfünder klarieren. Auch die vier Drehbassen wurden geladen. In der Kombüse schürten unterdessen der Kutscher und Mac Pellew das Feuer und stellten die Kohlebecken bereit. Auch die Söhne des Seewolfs trugen ihren Teil zur Arbeit bei. Wieselflink halfen sie, Sand auf den Decksplanken auszustreuen. Sie schleppten Pützen mit Wasser heran, die nach einem genauen Plan auf den Decks verteilt wurden. Wenn nötig, konnten dadurch Brandherde schnell gelöscht werden. Anschließend trugen Philip und Hasard junior die Eisenbecken mit der glimmenden Holzkohle aus der Kombüse und platzierten sie zum Zünden der Geschützlunten. Mit einer Distanz von fünf Kabellängen zur Küstenlinie rauschte die Galeone auf die Hafeneinfahrt zu. Die Stückpforten an Steuerbord waren geöffnet, an den Geschützen standen die Männer geduckt mit den glimmenden Luntenstöcken.
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Die Mastspitzen, die über der südlichen Felsenzunge zu sehen waren, verloren an Fahrt. Spätestens in diesem Moment mußte die Crew des Zweimasters bemerkt haben, welche höllische Gefahr sich anbahnte. Vor den Arwenacks öffnete sich die Einfahrt zum Stützpunkt und gab den Blick frei. Der Zweimaster hatte die Segel backgebraßt. In fliegender Hast versuchten die Männer an Bord, das Wendemanöver noch zu bewerkstelligen. Der sichere Hafen war nah und doch unerreichbar fern. „Feuer!“ brüllte Al Conroy und senkte selbst die Lunte auf den vordersten 25Pfünder. Auch bei den übrigen Geschützen an Steuerbord fraß sich die Glut zischend in die Zündlöcher. Jäh brüllte die volle Breitseite der „Isabella“ auf. Pulverrauch wölkte in dichten Schwaden auf und verdüsterte das grellrot hinausleckende Mündungsfeuer. Rumpelnd rollten die Geschütze zurück, wurden von den Brooktauen aufgefangen, und unter dem mächtigen Rückstoß krängte die Galeone nach Backbord. Überdeutlich war das Krachen und Bersten der Einschläge zu hören. Die Männer an Bord der „Isabella“ stimmten den alten Kampfruf aus Cornwall an, und donnernd hallte es zum Stützpunkt hinüber. „Ar - we - nack! Ar - we - nack!“ Dann war die Einfahrt bereits vorüber, und sie konnten den Erfolg ihrer Breitseite nicht mehr sehen. Ben Brighton schickte die Männer an die Brassen. Eine halbe Seemeile nördlich des Stützpunkthafens beschrieb die „Isabella“ eine elegante Halse und ging auf Gegenkurs, jetzt bei halbem Wind über Backbordbug segelnd. Wenig später hatte die Galeone erneut die Position vor der Hafeneinfahrt erreicht,
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und diesmal standen die Männer an Backbord klar zum Gefecht. Doch ein kurzer Blick genügte. Es war überflüssig, die Geschütze noch zu zünden. Der Zweimaster hatte mehrere Treffer unterhalb der Wasserlinie eingefangen. Schon auf dem rettenden Gegenkurs, gab es doch keine Chance mehr. Die Leute sprangen über Bord und retteten sich schwimmend nach beiden Seiten auf die Landzungen. Das Heck des Zweimaster hob sich bereits, und Sekunden später rauschte er über den Bug in die Tiefe. Abermals brüllten die Männer an Bord der „Isabella“ ihr triumphierendes „Ar - we nack“. Spätestens jetzt mußten Hasard und die anderen wissen, wie die Dinge standen. Während die Männer auf der Kuhl und auf der Back Freudensprünge vollführten und sich gegenseitig auf die Schultern klopften, blickte Ben Brighton eher nachdenklich zur Insel hinüber. Er wußte, daß es noch nicht ausgestanden war. Es stand fest, daß die „Isabella“ erneut auf Gegenkurs gehen mußte, um nötigenfalls den Hafen selbst anzugreifen. Torres hatte behauptet, über eine Flotte zu verfügen. Selbst wenn er übertrieben hatte, war doch anzunehmen, daß diese Flotte nicht allein aus dem eben versenkten Zweimaster bestand. Was mochte sich auf der Insel abgespielt haben? Würden der Seewolf und seine Gefährten am Ufer auftauchen, um an Bord genommen zu werden? Ben Brighton hatte die dumpfe Ahnung, daß dies wohl mehr ein Wunschtraum von ihm wär. Aber er war entschlossen, den Stützpunkthafen in Stücke zu schießen. Den nötigen Zeitvorsprung hatten sie. Egal, wie viele Schiffe noch im Hafen lagen, ihre Besatzungen durften es nicht schaffen, auch nur die Segel zu setzen...
ENDE