EWIGES EIS CIVITAS TERRENA #1
MARC H. ROMAIN
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Lissabon/Portugal, 04. Juli 2000 „Dr. Sagyard, warten Sie bitte.“ De...
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EWIGES EIS CIVITAS TERRENA #1
MARC H. ROMAIN
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Lissabon/Portugal, 04. Juli 2000 „Dr. Sagyard, warten Sie bitte.“ Der Ruf wurde durch schnelle Schritte begleitet, die durch die sterilen Korridore des Instituts für Altertumskunde hallten. Die Angesprochene blieb stehen und wandte sich langsam zu dem Rufer um, der kurz vor ihr zum Stehen kam. Ihr Gesicht ließ auf alles Mögliche, nur nicht auf Erbauung schließen. „Wie oft muß ich es Ihnen noch sagen?“, fragte sie leicht gereizt und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich habe kein Interesse.“ Ihr Gegenüber, ein vielleicht 35jähriger, recht vital wirkender Mann im maßgeschneiderten Anzug, entgegnete nichts. Er rückte seine Krawatte gerade, die im bei dem kurzen Spurt verrutscht war und zog dann ein gefaltetes Blatt Papier hervor. „Sehen Sie es sich wenigstens an“, schlug er vor und reichte ihr das Papier mit einem auffordernden Nicken. Sie zögerte kurz, dann nahm sie es mit spitzen Fingern und faltete es auseinander. Es war nur ein kurzer Blick, den sie darauf warf und der verwirrte Blick in das Gesicht ihres Gegenübers war nicht wesentlich länger, bevor sie sich wieder den wenigen Zeilen auf dem Blatt widmete. „Das ist unglaublich“, murmelte sie. „Das ist unser Angebot“, korrigierte er sie. „Aber ich kann mir vorstellen, daß sie diese Information erst einmal verdauen müssen.“ Er griff wieder in sein Jackett und zog eine kleine Visitenkarte hervor. „Sie können mich jederzeit kontaktieren, wenn Sie ihre Meinung geändert haben sollten. Allerdings müssen Sie sich schnell entscheiden, in zwei Tagen brechen wir bereits auf. Sie müssen dieses Herantreten im letzten Augenblick entschuldigen, aber die Sicherheit ...“ „Wann brauchen Sie meine endgültige Entscheidung?“ Sie hatte sich schnell wieder gefaßt und faltete das Blatt sorgfältig zusammen, bevor sie die Visitenkarte annahm.
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„Nun, so wie sich Sie einschätze, werden Sie keine lange Vorbereitungszeit brauchen. Geben Sie mir bis morgen Mittag Bescheid, wenn Sie teilnehmen wollen. Ich möchte Ihnen nicht verheimlichen, daß wir natürlich eine Alternative für Ihr Aufgabengebiet erfolgreich kontaktiert haben, aber ...“ Er machte eine Pause und wies auf das Blatt, welches sie immer noch zwischen den Fingern drehte, „ ... ich denke, daß sie daraus ersehen können, wieviel Wert wir darauf legen, daß Sie unsere Expedition begleiten. Assunto secundário, Fräulein Doktor.“ „Auf Wiedersehen“, meinte auch Liza und schaute ihm nach, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Dann musterte sie die Visitenkarte. „Robert Sander“, murmelte sie leise, „Rejissa-Stiftung.“ Sie warf noch einen letzten Blick auf die Stelle, an der ihr Gesprächspartner verschwunden war. „Also gut, Senhor Sander“, murmelte sie, „aber für meine Entscheidung hole ich mir noch ein paar Informationen ein ...“ „Die Rejissa-Stiftung? – Nein Liza, dazu kann ich Dir auch nicht viel sagen.“ Liza Sagyard blinzelte in die Sonne, die hoch über den roten Dächern und Kuppeln stand. Sie hatte ihre Mittagspause genutzt, um sich mit Piedro Coyavaléz zu treffen, einem ehemaligen Kollegen des Instituts, der einst ihr Tutor gewesen war und sich inzwischen als Analyst selbstständig gemacht. Er kam seitdem viel herum und es war pures Glück, daß er für einige Tage in Lissabon war. „Und was weißt du darüber?“, hakte sie nach. Piedro nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche und stellte diese neben der Bank, auf der sie beide saßen, auf den Boden. Sie waren sehr spät angekommen und hatten in dem kleinen Park keine freie Bank im Schatten mehr gefunden. „Hinter der Stiftung verbirgt sich ein Konglomerat von kleinen und mittleren Konzernen, die sich alle ziemlich bedeckt halten“, begann er. „Nicht ungewöhnlich, sonst wird man heut-
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zutage schnell geschluckt. Die Stiftung an sich wirkt auf mich vertrauenswürdig, falls du darauf hinaus willst. Sie finanzieren weltweit zahllose Projekte, viele davon wohltätiger, die meisten wissenschaftlicher Natur. Besonders die Altertumsforschung scheint’s denen angetan zu haben.“ „Aber was für ein Interesse sollten irgendwelche Firmen daran haben?“ „Ich persönlich vermute, sie gehören durchweg der Stiftung und das Plus ihrer Geschäfte fließt in die bewußten Projekte.“ Sie nickte. „Das erklärt vielleicht die Höhe des Angebots, daß sie mir machen konnten.“ „Darf ich fragen, wieviel?“ Sie nannte eine Zahl und Piedro pfiff leise durch die Zähne. „Wirklich überaus großzügig, damit ließe sich das Projekt finanzieren, mit dem du dich profilieren könntest.“ „Willst du mir damit sagen, ich sollte annehmen?“ Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und grinste sie verschmitzt an. „Ich will dich nicht beeinflussen, Mädchen, aber es wäre sehr dumm, wenn du es nicht tun würdest.“ „Aber ich weiß doch so gut wie gar nichts über diese geplante Expedition.“ „Diese Geheimhaltung ist an sich nicht ungewöhnlich. Als ich das letzte Mal angeheuert wurde, stieg ich in den Laderaum eines Großraumflugzeuges und erfuhr erst nach dem Aussteigen, daß man mich nach Zentralafrika verfrachtet hatte, um dort ... Egal, wir reden von dir. Wie lange soll denn das Ganze dauern?“ Sie holte tief Luft. „Ein gewisser Sander, irgend ein hohes Tier in der Stiftung meinte, ich müßte mich auf mindestens vier Monate und maximal ein Jahr einrichten. Selbst für diese Dauer ist die Bezahlung noch sehr hoch, aber es gefällt mir nicht, meine Arbeit hier so lange liegenlassen zu müssen.“ „Aber du würdest auch über diese kleinen Aufgaben nie hinauskommen, oder? Ich meine, deine Abhandlungen über die
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frühen Kulturen Nordostafrikas haben dich in Fachkreisen zu einer Kapazität gemacht, aber außerhalb der Institute bist du ein unbeschriebenes Blatt. Selbst die meisten Universitäten müssen erst einmal überlegen, woher sie dich kennen.“ Er schob sich die Sonnenbrille auf die Stirn und sah ihr in die Augen. „Glaub’ mir, Mädchen, diese Sache könnte dich bekannt genug machen, daß du dir über die Finanzierung deiner weiteren Vorhaben keine Sorgen mehr zu machen brauchst. Die Stiftung ist dafür bekannt, daß sie sich selbst im Hintergrund hält, aber die Ergebnisse wurden bisher stets publik gemacht.“ Er zögerte kurz. „Jedenfalls ein Großteil davon.“ Sie stand auf. „Weißt du was?“ Sie schaute auf die Uhr. „Ich werde meinen Kram hier so zusammenpacken, daß die nächsten Monate keiner daran herumpfuscht und diesem Sander Bescheid geben.“ Sie beugte sich zu ihm herunter und drückte ihm einen Kuß auf die Wange. „Danke für deine Hilfe, Piedro, du bist ein Schatz.“ Er grinste. „Wenn ich ein paar Jährchen jünger wäre ... Aber nun sieh zu, daß du etwas aus dir machst.“ „Klar doch“, meinte sie, ohne sich umzudrehen. „Und ich will alles erfahren, wenn du wieder zurück bist!“, rief er ihr noch nach und nur ein Heben ihres Armes verriet, daß sie ihn noch gehört hatte.
Porta/Portugal, 06. Juli 2000 Der militärische Bereich des Hafens von Porta machte auf Liza keinen großen Eindruck, was sie jedoch nicht wirklich wunderte. In dieser Richtung gab es nur den Ozean, dann kam die Neue Welt, dann wieder Ozean ... Und dann die besten Freunde, welche die EUMON für Geld hatte kaufen können, auch
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wenn das Ganze unter dem Deckmantel exklusiver Handelsverträge lief. Nippon war vom Wohlwollen der europäischen Königshäuser genauso abhängig wie diese von der Hochtechnologie des Kaiserreiches. Die einzigen Zusammenstöße hatte es zuweilen auf den „Splittern“, dem australischen Kontinent gegeben, doch ein exklusiv lizenzierter neuer Mikrochip von der einen und die Öffnung einer weiteren Handelroute von der anderen Seite war stets geeignet gewesen, die Streitigkeiten in kürzester Zeit wieder beizulegen. Als viel wichtiger betrachtete die EUMON jedenfalls die Sicherung ihrer Grenzen im Osten und Südosten sowie den exterritorialen Konflikt auf den Splittern selbst. Umweht von einem leichten, salzig riechenden Seewind ging die junge Wissenschaftlerin an dem Drahtzaun entlang, dessen Höhe und Stärke niemanden aufhalten würde, ebenso wie das Kontrollhäuschen, dessen dünne Bretter rissig und von der Sonne gebleicht waren. Die Schranke, welche die Einfahrt in den militärischen Bereich des Hafens verwehren sollte, fehlte ebenfalls, offenbar hatte jemand befunden, daß das Öffnen und Schließen derselben bei jedem Passanten zu einer unnötigen Arbeit werden würde. Angesichts dieser Unterfinanzierung der portugiesischen Marine wunderte es sie nicht, daß die Rejissa-Stiftung keine Schwierigkeiten damit gehabt hatte, die zuständigen Stellen zu einer Kooperation zu überreden. Nicht zuletzt durch ihre Überlegungen erschrak sie ein wenig, als ihr tatsächlich ein Posten entgegen trat und abwehrend die Hand hob. „Exuse por favor, Senhorita, esta é uma área restrita“, meinte der Marinesoldat, der etwa in ihrem Alter, also um die 26 Jahre alt sein mochte. Sperrgebiet also, dachte sie skeptisch, wuchtete ihre schwere Sporttasche von den Schultern und ließ diese zu Boden fallen. „Esclareça isto com Senhor Sander“, meinte sie, um die
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Sache abzukürzen. Sie hielt es für unwahrscheinlich, daß der Posten denjenigen nicht kannte, der sie hierher bestellt hatte. „Você é doutora Sayard? O Senhor Sander espera-o já.“ „Ich weiß, daß er mich erwartet, sonst wäre ich nicht hier“, bestätigte sie. „Wären Sie so gut, mir Tragen zu helfen? Die Tasche ist ziemlich schwer.“ Sie verkniff sich ein Lachen, als sie den verwirrten Blick bemerkte, den er seinem Kameraden zuwarf, der vor sengenden Sonne Zuflucht im Wachhäuschen gesucht hatte. Der Andere zuckte nur mit den Schultern, nickte aber dann zustimmend. „Hilf dem Fräulein Doktor beim Tragen, und zeig’ ihr auch gleich den Weg. Ich kann hier auch allein aufpassen. Außerdem mußt du ja sowieso längere Zeit mit ihr auskommen.“ Der Andere nickte, hob die Tasche auf und deutete mit der Hand einladend in Richtung des Hafengeländes und setzte sich gleich darauf in Bewegung, um die Führung zu übernehmen. „Was meinte er damit?“, fragte sie unvermittelt, als sie das Tor einige Meter hinter sich gelassen hatten. „Hm?“, er wandte den Kopf in ihre Richtung, ohne anzuhalten. „Ich werde auch auf dem Boot sein“, meinte er dann, bevor sie dazu kam, ihre Frage zu präzisieren. Liza beschloß, das Interview fortzusetzen. „Ein Boot? Ich denke, es soll eine längere Reise werden?“ „Haben Sie noch einen kleinen Moment Geduld, Sie werden es gleich mit eigenen Augen sehen, Fräulein Doktor.“ „Nennen Sie mich Liza, ich mag es nicht, wenn ...“ Sie stockte, als sie die Reihe von Lagerschuppen hinter sich ließen bogen und das erste Pier sichtbar wurde. Sie sog scharf Luft ein. Gleich einem gefesselten Wal lag das gewaltige U-Boot im reglosen Wasser des Hafens. Der Stahl hob sich als finsterer Fremdkörper von der Wasserfläche ab, die das Sonnelicht glitzernd reflektierte und Techniker in orangen Overalls kletterten
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auf dem Boot herum, nahmen Überprüfungen vor und machten Notizen. Einige trugen kleinere Lasten an Bord. „Damit werden wir fahren?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte. „Natürlich, wie sonst sollten wir zum ...“ Als er stockte wie sie selbst zuvor, blickte sie hoch und bemerkte, daß er sie überrascht musterte. „Was ist?“, fragte sie. „Sie sind noch nicht informiert, was das Ziel dieser Expedition angeht?“ „Nein“, sagte sie, „ich war bis vor wenigen Stunden noch unter Leuten und Sander hielt es wohl für zu unsicher. Ich glaube, weder die Stiftung noch das Militär haben es gerne, wenn sie von der Presse belagert werden, oder?“ „Da könnten Sie Recht haben, Liza. Es ist wohl besser, ich sage Ihnen nichts weiter dazu, das kann Senhor Sander übernehmen.“ „Wenn man vom Teufel spricht ...“, murmelte sie, als sie Sander am Pier bemerkte. Er hatte seinen Zweiteiler gegen einen Overall ausgetauscht, wirkte aber zwischen den zivilen Technikern und Uniformierten dennoch äußerst deplaziert. Das ihn nicht davon ab, ein Auge auf die Prüfungs- und Verladearbeiten zu haben und nebenbei im Weg herumzustehen. Als er die Ankömmlinge bemerkte, unterbrach er diese Tätigkeiten und kam den Beiden entgegen. „Ah, da sind Sie ja, Fräulein Doktor, ich habe Sie bereits erwartet.“ Er hielt ihr grüßend die Hand entgegen und runzelte die Stirn, als sie diese ignorierte. „Gibt es Probleme?“ „Allerdings, Senhor Sander. Es scheint, daß jeder hier mehr über die Expedition weiß als ich und ich kann nicht sagen, daß mir das gefällt.“ Sanders mißfälliger Blick wanderte zu ihrem Begleiter. „Wieviel haben Sie erzählt? Sie wissen ganz genau, daß Sie der Schweigepflicht unterliegen.“ Seine Stimme wurde noch eine Spur schärfer. „Ihre Vorgesetzten werden davon erfahren.“
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Der Mann wollte zu einer Entgegnung ansetzen, aber Liza kam ihm zuvor. „Er hat mir nichts erzählt. Sie sollten Ihre Sicherheitsvorkehrungen prüfen, die Spatzen pfeifen sozusagen von den Dächern, was Sie nicht für nötig halten, mir im Vorfeld mitzuteilen.“ Sander blickte sie für einen längeren Moment durchdringend an, es war ihm nicht anzusehen, ob er ihr glaubte. Schließlich stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. „Sie sind eine sehr energische Person, Fräulein Doktor, und ich bin sicher, Sie werden das auch im Sinne unserer Aufgaben einsetzen können. Ich schlage vor, Sie gehen an Bord, ziehen sich etwas Praktischeres an und ich werde Sie dort über alle Details informieren.“ Sein Blick wanderte zu dem Marinesoldaten. „Auch Sie gehen besser so schnell wie möglich auf Ihre Station.“ Er blickte vielsagend auf seine Uhr und drehte sich auf dem Absatz um. „Wir laufen in einer Stunde aus“, rief er noch, bevor er seine Schritte in Richtung eines einstöckigen Gebäudes lenkte, der verblichene Schriftzug auf dem weißen Putz über dem Eingang wies es als Hafenkommandantur aus. Das Tempo, welches Sander vorzulegen begann, deutete darauf hin, daß er dem vermeintlichen Sicherheitsleck auf die Spur zu kommen gedachte, bevor er sich auf eine monatelange Reise begab. „Danke“, meinte der Soldat, nachdem Sander von der Bildfläche verschwunden war. „Das Sie mich gedeckt haben, meine ich.“ „Nichts zu danken, ich mag diesen Typen nicht sonderlich, Senhor ... Sagen Sie, wie heißen Sie eigentlich?“ „Miguel Vaniruó, aber nennen Sie mich Miguel. Was Sander angeht: Er gibt sich keine Mühe, irgend jemandem sympathisch zu sein. Bitte kommen Sie mit, ich zeige Ihnen, wo Sie sich ungestört umziehen können.“ „Was stimmt eigentlich mit meiner Kleidung nicht?“, fragte sie.
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Er musterte sie etwas länger als nötig gewesen wäre und grinste. „Es steht Ihnen, Liza, aber glauben Sie mir, auf einem U-Boot kann es sehr schnell sehr kühl werden, da sind Shorts und T-Shirt auf Dauer nicht das Richtige. Ich hoffe, Sie haben Alternativen für eine längere Fahrt dabei, ansonsten muß ich noch etwas organisieren.“ Sie wies auf ihre Tasche, die er noch immer in der Hand hielt. „Ich habe mich auf jede Eventualität vorbereitet.“ Er verdrehte vielsagend die Augen. „Ich nehme an, Sie wurden auch nicht darüber informiert, daß für unsere Reise keine Zwischenstops eingeplant sind. Sie werden noch einige Sachen für die Zeit an Bord brauchen, auch wenn für die Expeditionsbekleidung bereits gesorgt ist.“ „Wie das?“ „Sander mag ein wenig merkwürdig sein, aber er ist gut in organisatorischen Dingen. Alles, was sie am Zielort brauchen werden, ist bereits an Bord. Wie dem auch sein, ich werde Ihnen noch ein paar Overalls aus dem Kleidungslager bringen, das Personal hier wurde derart reduziert, daß die Marine es sicher verschmerzen kann.“ „Vielen Dank. Meine Größe ...“ „35 bis 36“, unterbrach er sie. „Ich war dabei, als der Kasten mit ihrer Standardausrüstung verladen wurde“, erklärte er, als er ihren erstaunten Blick bemerkte. „Und ich hätte Sie vorhin am Tor beinahe für etwas langsam gehalten“, meinte sie schnippisch, „aber Sie sind beängstigend clever, Miguel, wissen Sie das?“ „Haben Sie eine Ahnung, wie oft ich genau diesen Satz zu hören bekomme?“ Er grinste. „Es ist besser, etwas beschränkt zu wirken, wenn man nur ein paar Streifen auf der Schulter hat und in einem Verein ist, der jährlich um rund drei Prozent reduziert wird. Es sichert einem die Gunst der hohen Tiere.“ Sie lächelte. „Es ist überall das Selbe.“
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Er lächelte zurück. „Gehen Sie besser schon an Bord. Als einzige Frau bei dieser Expedition bekommen Sie sicherlich eine Einzelkabine, dort können Sie sich auch ungestört umziehen. Besser, Sie richten sich auch gleich dort ein, bevor wir auslaufen, es wird dann einen ziemlichen Betrieb geben, bei dem Sie besser nicht im Weg stehen.“ „Ich sehe schon, ich werde Sie auch brauchen, damit ich an Bord nicht in jedes Fettnäpfchen trete.“ Sie lächelte ihn an. „Ich denke, wir werden uns während der Fahrt noch öfter unterhalten.“ „Es wäre mir ein Vergnügen, Liza.“ Sander betrat die Hafenkommandantur, wartete aber nur wenige Minuten im Eingangsbereich, bevor er das Gebäude wieder verließ. Er ging die wenigen hundert Meter bis zu einem kleinen Parkplatz, stieg in eine dort geparkte schwarze Limousine, schloß die Tür hinter sich und zog einen flachen Metallkoffer unter der hinteren Sitzbank hervor. Dieser barg ein audiovisuelles Satellitentelefon, der Aufbau der Verbindung dauerte nur wenige Sekunden. „Was wollen Sie?“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang sehr ungehalten, was Sander jedoch nicht aus der Ruhe brachte. Ihn überraschte es auch nicht, daß sein eigener Bildschirm schwarz blieb. Er hatte Mr. Toshing selbst noch nie zu Gesicht bekommen. „Wir haben vielleicht ein Sicherheitsleck“, eröffnete er. „Wie kommen Sie darauf?“ „Diese Wissenschaftlerin, Liza Sagyard, die Sie unbedingt dabei haben wollten, machte Andeutungen über Dinge, die ich sie bisher nicht wissen ließ. Außerdem hat sie durchblicken lassen, daß in gewissen Kreisen kein Geheimnis mehr ist, daß wir heute aufbrechen.“ „Wußte sie auch, wohin die Expedition gehen wird?“
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„Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber ich denke, Sie hat nur auf den Putz geklopft. Vielleicht hat ihr auch nur einer der Leute hier etwas erzählt.“ „Dr. Sagyard ist nicht dumm und Sie sollten davon ausgehen, daß sie sich das Eine oder Andere zusammengereimt hat. Das ist nicht weiter schlimm, da Sie ihr ohnehin alles erklären werden. Achten Sie aber bei weiteren Aktionen darauf, die Informationen im kleinen Kreis zu halten.“ „Leider mußte ich der portugiesischen Marine die Details darlegen und die Verantwortlichen hielten es offenbar nicht für nötig, zumindest den geringeren Dienstgraden Einzelheiten vorzuenthalten.“ „Insofern haben wir vielleicht wirklich ein Sicherheitsleck, wenn auch nicht dort, wo Sie es vermutet haben. Behalten Sie alle Expeditionsteilnehmer im Auge, ich möchte nicht riskieren, daß sich aufgrund dieser kleinen Unachtsamkeit jemand eingeschleust hat.“ „Und wenn dies der Fall sein sollte?“ „Ich lasse Ihnen freie Hand, was die Sicherheit unserer Operationen angeht. Tun Sie gegebenenfalls alles, was nötig ist.“ „Ich verstehe.“ Die einzige Antwort war ein kurzes Fiepen, als die Verbindung durch den Gesprächsteilnehmer am anderen Ende getrennt wurde. Sander klappte den Koffer zu und ließ ihn wieder unter dem Sitz verschwinden. Statt dessen zog er ein kleines Bündel hervor, wickelte es aus und verstaute eine kleine Pistole unter seinem Overall. „Also gut, Mr. Toshing“, murmelte er, „auch diese Operation wird zu Ihrer Zufriedenheit durchgeführt werden.“ Von der Kaimauer führte eine Laufplanke auf das Deck des Bootes, von der Liza Gebrauch machte. Ihr Auftauchen schien
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kaum Beachtung zu finden, die wenigen Leute an Deck waren offenbar zu beschäftigt, sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Miguel erklomm trotz Lizas schwerer Tasche gekonnt den Turm, sie folgte ihm nach kurzem Zögern. Die geriffelten Sprossen der in die Stahlwand eingelassenen Leiter waren von der Sonne aufgeheizt und so beeilte sie sich beim Klettern. Oben angekommen, war Miguel dennoch bereits in der Öffnung verschwunden, die ins Innere des Bootes führte. Diesmal zögerte sie nicht, ihm zu folgen, erschrak aber doch, als ihre Füße einige Meter tiefer keinen weitere Sprosse fanden. Ein kurzer Blick hinunter zeigte ihr, daß bis zum Boden nicht viel fehlte. Bevor sie sich allerdings Gedanken darüber machen konnte, was sie als nächstes tun sollte, fühlte sie sich an den Hüften gepackt und den fehlenden Meter hinunter gehoben. „He!“, rief sie und blickte Miguel empört an. Dieser hob nun abwehrend die Hände. „Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten“, sagte er und setzte ein entwaffnendes Lächeln auf. Es verfehlte seine Wirkung nicht. „Schon gut“, meinte sie. „Ich bin es nur nicht gewohnt, daß ... Ich meine ...“ „Sie helfen sich lieber selbst“, half ihr Miguel. „Genau.“ „Willkommen an Bord, Fräulein Doktor.“ Die Beiden fuhren herum und bemerkten erst jetzt den älteren Mann, der mit in die Hüften gestemmten Händen vor ihnen stand. „Mein Name ist Christophere Caliéz, ich bin der Kapitän von U-43. Es tut mir leid, daß ich mich Ihnen jetzt nicht sofort widmen kann, aber so kurz vor dem Auslaufen habe ich alle Hände voll zu tun.“ „Kein Problem, Kapitän. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“ „Das beruht auf Gegenseitigkeit, Fräulein Doktor. Der Hauptgefreite wird Ihnen Ihr Quartier zeigen, ich möchte Sie
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auch bitten, dort zu bleiben, bis wir ausgelaufen sind.“ Er wandte sich ab und verschwand durch ein kleines Schott, welches in den vorderen Bereich des Bootes führte. Liza atmete hörbar auf, als er verschwunden war. „Ich habe das Gefühl, daß er sich nicht wirklich gefreut hat, mich zu sehen.“ „Der Alte kann sich oft selbst nicht leiden“, antwortete Miguel leise. „Er ist nicht glücklich über seine Position in der Marine, die allgemeine Situation, über dieses Schiff und vor allem darüber, den Chauffeur für Wissenschaftler geben zu müssen.“ Er deutete auf das entgegengesetzte Schott. „Wir müssen hier entlang.“ „Sie meinen, ich sollte ihm aus dem Weg gehen?“, fragte sie, während sie ihm durch den engen Durchgang folgte. „Ich fürchte sogar, er wird Sie dazu auffordern, während der ganzen Reise in Ihrer Kabine zu bleiben. Er ist auch ziemlich altmodisch in seinen Ansichten und es würde mich nicht wundern, wenn er glaubt, daß eine Frau an Bord Unglück bringt.“ Sie lachte auf. „Wundervoll. Und was halten Sie davon?“ „Passen Sie auf die Druckausgleichsrohre auf“, meinte Miguel anstelle einer Antwort, „sonst stoßen Sie sich gleich heftig den Kopf.“ Sie hielt sofort inne und duckte sich dann vorsichtig unter dem Rohr hinweg. „Um ehrlich zu sein“, nahm Miguel das Thema wieder auf, „ich rechne nicht mit Problemen, wir sind schließlich nicht auf einem mittelalterlichen Segelschiff.“ Er grinste wieder. „Außerdem hat Sander aus irgend einem Grund auf einer integeren Besatzung bestanden, was immer er damit auch genau meinte. Jedenfalls sind die Meisten fest gebunden und größtenteils verheiratet.“ „Trifft das auch auf Sie zu?“
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„Das ist Ihr Reich für die nächsten sechs Wochen“, meinte Miguel, ihre Frage diesmal tatsächlich ignorierend, und wies auf eine seitliche Abzweigung. Sie hakte nicht nach und warf statt dessen einen Blick in die kleine Kajüte. Die erste Auffälligkeit war, daß dieses Abteil eine Tür aufwies, die sich nach Innen öffnen ließ. Irgend jemand hatte von außen einen Smiley daran geklebt, unter dem „VIP“ zu lesen war. Sie erinnerte sich, einmal irgendwo gelesen zu haben, daß die hohen Dienstgrade gelegentlich auch einmal Sardine in der Dose spielen wollten, war sich aber sicher, daß das U-43 seit langer Zeit durch solche Belästigungen verschont worden war. Dennoch machte das kleine Gelaß trotz seiner Kargheit und Beengtheit einen gepflegten Eindruck. Liza war nicht verwöhnt, sie hatte schon unbequemer unterkommen müssen. Kurzentschlossen trat sie ein, klappte die an der Wand befestigte Koje herunter und ließ sich darauf nieder. Miguel stellte ihre Tasche auf den einzigen Tisch. Dabei rutschte ein Schlüssel von der schmalen Platte herunter, den er sofort wieder aufhob und ihr zuwarf. „Sie haben hier das Wertvollste an Bord, Liza, nämlich Privatsphäre.“ Er deutete auf eine weitere, kaum erkennbare Tür im hinteren Teil der Kajüte. „In der Naßzelle ist ein eigenes WC vorhanden, allerdings keine Dusche, ich werde Ihnen aber ein separates Eckchen im Nutzungsplan der Gemeinschaftsdusche einrichten, falls Sander noch nicht daran gedacht haben sollte.“ „Das würde mich wundern, aber trotzdem danke“, meinte sie, stand auf und begann, ihre Tasche auszupacken. In Sekundenschnelle verschwanden die meisten Packen in dem kleine Spind, der die einzige sonstige Möblierung darstellte. Lediglich ein blaugrauer Overall flog im flachen Bogen auf das Bett. „Wenn Sie rauchen, dürfen Sie das hier und in der Messe tun, allerdings nirgendwo anders“, fuhr Miguel mit seiner Einweisung fort. „Die technischen Einrichtungen sind für Sie na-
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türlich tabu, das gilt besonders für diejenigen, die besonders ausgewiesen sind.“ Sie trat wieder an ihre Tasche, deren Umfang beträchtlich abgenommen hatte. „Hat man Sie angewiesen, mir das ganze Zeug zu erzählen? Ich meine, das ist doch wohl alles logisch, oder?“ „Vorschriften“, meinte er achselzuckend. „Es spielen auch versicherungstechnische Gründe eine Rolle. Ich nehme an, wenn Sie Besucher in Ihrem Institut hatten, bekamen diese Ähnliches zu hören.“ „Stimmt“, gab sie zu. „Also gut, was weiter?“ Sie griff nach dem Overall und verschwand in der Naßzelle. „Das wäre soweit eigentlich schon alles“, antwortete er so laut, daß sie ihn auch durch die Tür verstehen konnte. Es gab keine Antwort. „Ach ja“, fügte er hinzu, „wenn Sie wider Erwarten irgendwo da drin ein Fenster finden sollten, lassen Sie es bitte während der Fahrt geschlossen.“ „Sehr lustig“, kommentierte sie trocken, lächelte aber doch. „Kriegt den Scherz jeder zu hören, der auf einem U-Boot zu Gast ist?“ „Das hat schon Tradition, was den Witz allerdings tatsächlich nicht besser macht.“ „Ich werde es überstehen“, kam es noch durch die Tür, bevor sich diese öffnete, „solange ich von einer etwaigen Äquatortaufe verschont bleibe.“ Sie zog den Reißverschluß des Overalls demonstrativ bis unter das Kinn zu und drehte sich einmal um sich selbst. „Den trage ich bei Ausgrabungen. Kann ich mich so blicken lassen, ohne Vorschriften oder Traditionen zu verletzen?“ „Sehr gut“, meinte er scherzhaft. „Zur Belohnung kann ich Ihnen versprechen, daß es schon rein geographisch keine Äquatortaufe geben wird.“ „Sagen Sie nichts weiter, das Ganze kann mir ebenso gut Sander erzählen, sobald er hier auftaucht.“
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„Sprechen Sie von mir?“ Miguel tippte sich grüßend an die Stirn. „Senhor Sander, Sie übernehmen jetzt, nehme ich an?“ Er nickte Liza zu. „Sie können sich an mich wenden, wenn Sie noch etwas benötigen, Senhora.“ Er zwängte sich an Sander vorbei und verschwand in Richtung Bug. „Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie so lange im Unklaren gelassen habe“, begann Sander und schloß die Tür. Sie setzte sich wieder auf die Koje und wies auf den einzigen Stuhl. „Sparen Sie sich die Entschuldigungen, nehmen Sie Platz und schießen Sie los.“ „Also gut, wenn Sie es so wollen, werde ich mich kurz fassen.“ Er räusperte sich. „Unsere Expedition wird uns auf das sogenannte nordpolare Festland führen. Wir werden bis zu Eisgrenze über Wasser fahren, dann unter dem Eis wegtauchen, es so dicht wie möglich an den kompakten Eismassen durchstoßen und den Rest des Weges darauf zurücklegen. Unser Ziel ist ein Punkt etwa 1200 Kilometer südwestlich des geographischen Nordpols. Dort wurden über Satellit Formationen entdeckt, die auf menschliches Wirken hindeuten und ich muß Ihnen sicher nicht sagen, was das bedeuten könnte, nicht wahr?“ Liza schwieg fassungslos und nickte schließlich. Sanders neue Eröffnung hatte sie noch mehr überrascht als das finanzielle Gebot vor drei Tagen. Sie wußte tatsächlich, was das bedeuten konnte. Die Zivilisation hörte ab dem 52 Breitengrad auf, hatte es bisher stets geheißen. Es hatte kaum Wanderungen früher menschlicher Kulturen gegeben, die weiter nach Norden gekommen wären, und diese hatten sich nicht gehalten. Die Wissenschaft war sich einig, daß es immer genug Lebensraum auf der Erde gegeben hatte, der es unnötig machte, weiter in die Urwälder Kanadas, Nordeuropas oder in die Steppen Nordasiens vorzudringen. Anders als in Australien gab es dort auch keine Rohstoffe, welche die
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modernen Industrienationen veranlaßt hätten, sich in diese Richtung zu engagieren. Spuren menschlicher Kulturen im ewigen Eis waren angesichts dieser Fakten nicht nur eine Sensation, sondern etwas, daß das komplette Geschichtsverständnis kippen konnte. Eigentlich es war auch ziemlich unglaublich und dieser Unglauben mußte auch seinen Weg in ihr Gesicht gefunden haben. „Ich weiß, daß sie nun etwas verstört sein müssen“, räumte Sander daher ein. „Schließlich rüttelt es an einigen der bisherigen Tragpfeilern Ihrer Wissenschaft. Sie können sich aber die Satellitenbilder ansehen und sich Ihre eigene Meinung bilden, wenn Sie möchten.“ „Das würde ich gerne tun.“ „Dann kommen Sie bitte ein einer halben Stunde in die Messe, dort werde ich Sie dem Team vorstellen und dafür sorgen, daß alle Informationen synchronisiert werden können. Wir bilden derzeit nur eine Art Prüfungskommission, welche sich vor Ort ein Bild machen soll, damit ist im positiven Falle natürlich die Option verbunden, an der eigentlichen Erforschung dieser Entdeckung teilzunehmen. Sie werden nun vielleicht auch verstehen, warum die Stiftung soviel Geheimniskrämerei betrieben und auch das Team selbst bisher voneinander ferngehalten hat.“ „Ja, zumindest ein wenig.“ „Also gut, ich sehe Sie dann.“ Er stand auf und verließ die Kabine. Zurück blieb eine nachdenkliche Liza Sagyard.
Nördlich von Nowaja Semlja, 09. August 2000
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Ein nervenzerfetzendes Schrillen hallte durch den kleinen Raum, eine unsichere Hand schlug nach dem Wecker, verfehlte den Schalter und schleuderte das Gerät unter die Koje. Mit einem ärgerlichen Knurren rappelte sich Liza auf, sprang aus der Koje, klappte diese hoch und brachte den mechanischen Störenfried zum Schweigen. Erst dann warf sie einen Blick auf das Ziffernblatt und überzeugte sich davon, daß das Gerät sie zu Recht aus dem Schlaf gerissen hatte. Murrend zog sie sich an und trottete schweren Schrittes zur Naßzelle, aber auch ein paar Schübe eiskalten Wassers ins Gesicht brachten nicht den gewünschten Effekt. Sie wußte natürlich, woher ihre Antriebsarmut kam, es waren die letzten Tage und Wochen, die begannen an ihren Nerven zu zehren. Zuerst war die Reise noch recht erbaulich gewesen, sie hatte anregende Gespräche mit Ilja Kotirnow und David Toraz, den beiden anderen Wissenschaftlern an Bord des U-43 geführt und sich mit den Daten vertraut gemacht, die bereits zur Verfügung standen. Doch irgendwann war das Alles in der Bordroutine untergegangen, es hatte weder mit dem Bakteriologen noch mit dem Geologen noch etwas zu besprechen gegeben, alle Informationen waren gesichtet worden und seit sie vor vier Tagen die Eisgrenze erreicht hatten, konnte sie nicht einmal mehr an Deck gehen, um sich ein wenig Seewind um die Nase wehen zu lassen. Wäre Miguel nicht gewesen, der jede dienst- und schlaffreie Minute damit verbrachte, mit zu reden, wäre es vermutlich noch schlimmer. Sie stützte sich auf das Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Obwohl ihr immer noch das feingeschnittene Gesicht mit den dunklen Augen und schwarzen Haaren entgegen blickte, welches ihr gelegentlich das männliche Interesse gesichert hatte, brauchte sie sich nichts vorzumachen: Ihr Blick wurde langsam trübe, die Haare waren wirr und ihre Züge begannen förmlich zu verschwimmen.
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Langeweile konnte auch eine Krankheit sein, dachte sie, wenn nicht bald etwas passiert, schlafe ich bis zum Auftauchen durch. Ein Klopfen an der Tür ließ sie die Naßzelle verlassen. „Wer ist da?“, rief sie und gab sich keine Mühe, ihrer Stimme eine Launigkeit zu verleihen, die sie im Augenblick gar nicht besaß. „Miguel“, kam es von außen. „Und wenn du nicht verpassen willst, wie ein paar hundert Tonnen Stahl durch ein paar tausend Tonnen Eis brechen, dann solltest du schnell fertig werden.“ Lizas träge Gedanken brauchten eine Weile, um Miguels Formulierung zu zerlegen, aber dann war sie in Sekundenbruchteilen auf dem Gang. „Wir sind endlich da?“, fragte sie aufgelöst. „Und ob“, lächelte Miguel. „Du kannst bald deine Winterkleidung herausholen und bis dahin ...“ „Ja?“ „Bis dahin solltest du dich festhalten.“ Er brauchte nichts weiter sagen. Ein Zittern lief durch den Rumpf des U-Bootes und die Wände ächzten unter der langsamen Zunahme der Belastung. Doch auch das Eis konnte einem Fahrzeug, welches für den Druck in den Tiefen des Meeres ausgelegt war, nichts anhaben und bald wich das Zittern einem lauten Knirschen, welches sich von außen durch die Wände des Bootes fortpflanzte. Schließlich gab es einen kurzen Stoß, ein letztes Zittern und das Boot lag wieder ruhig. Es knackte in der Bordsprechanlage. „Hier spricht der Kapitän. Meine Dame, meine Herren, wir sind vor Ort. Von nun an liegt der weitere Erfolg der Expedition in Ihren Händen. Senhor Sander erwartet Sie alle bei den Lagerräumen zur Ausgabe Ihrer Ausrüstung. Ich schließe mich seiner Meinung an, daß Sie alle es gar nicht erwarten können, Ihre Reise auf dem Eis fortzusetzen.“
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„Und vor allem freut er sich, daß alle von seinem Boot herunter sind“, ergänzte Miguel sarkastisch. „Egal“, meinte Liza, „Hauptsache, es geht endlich los.“ „Du willst mich wohl loswerden, was?“ „Unsinn!“ Sie boxte ihm scherzhaft in die Seite. „Mir wäre es natürlich lieb, wenn du dabei sein könntest.“ Er grinste. „Dann wird es dich sicher freuen zu hören, daß ich zu denen gehören, die euch zur Unterstützung begleiten. Da ich auch gut mit den Kompaktschleppern klarkomme, bin ich jetzt vom Hilfsmaschinisten zum Chefmechaniker aufgestiegen.“ „Gratulation.“ Sie lächelte. „Zusammen werden wir schon herausfinden, wer von unseren Vorfahren so verrückt war, sich hier im Eis auszutoben, hm?“ „So lange wir nur heil wieder hier herauskommen, soll mir alles recht sein.“
Irgendwo im ewigen Eis, 15. August 2000 Der Mann an der Spitze des Zuges hob warnend die Hand. „Riß voraus!“ Die klare, eiskalte Luft trug seinen Warnruf unverzerrt bis an das hinterste Ende der Kolonne, deren Fahrzeuge nahezu zeitgleich anhielten. Die Fahrer der leichten Kettenschlepper ließen jedoch die Motoren laufen, wohl wissend, daß sie diese sonst nur unter Zeitverlust wieder in Gang bringen konnten. Jemand zwängte sich auf der Beifahrerseite des ersten Raupenschleppers aus der engen Führerkabine und stapfte, behindert durch seine unförmige Kleidung, zu dem Mann an der Spitze. „Breit?“, fragte er knapp. „Die kleine Brücke wird genügen“, antwortete der andere ebenso wortkarg. Das Sprechen war kein Vergnügen, denn der
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Atem kondensierte sofort und schlug sich gleich darauf als feiner Reif auf den Gesichtsmasken nieder, der die Sicht behinderte und nach einer Weile das Atmen auch durch den Kältefilter erschwerte. „Fangen Sie an.“ Sander wandte sich um und stapfte zur Kolonne zurück. Allerdings stieg er nicht wieder in die Führerkabine des ersten Schleppers, sondern ging zu dem langen Wohnanhänger, der zwischen dem zweiten und dritten Schlepper gekoppelt worden war. Mit einer unwirschen Bewegung riß er sich den rechten Handschuh ab und pochte mehrfach heftig gegen die seitliche Einstiegsluke, ungeachtet der kleinen Hautfetzen, die dabei an dem eisigen Außenblech kleben blieben. Es dauerte nicht lange und die Tür wurde geöffnet, ein Schwall warmer Luft drang nach draußen und zog für einen Augenblick Wärmeschlieren um Sander, bevor dieser mit einem Satz im Inneren des Anhängers verschwand und die Luke noch in der Bewegung hinter sich zuriß. Im Inneren des Anhängers war es angenehm warm und Sander beeilte sich, aus der dicken Polarkleidung herauszukommen. Unter dem orangen, dick gefütterten und kälteisolierten Anzug trug er einen schlichten Overall, welcher wie die der anderen Expeditionsmitglieder das Logo der Rejissa-Stiftung – ein unvollendeter Kreis mit einer stilisierten Hand darin, die sich nach einer Formation von drei Sternen zu strecken schien – auf der linken Brustseite aufwies. Lediglich drei Personen waren ohne dieses Erkennungszeichen: Ilja Kotirnow, David Toraz und Liza Sagyard, die drei einzigen Wissenschaftler auf dieser ersten Orientierungsexpedition. Insgesamt nahmen 12 Personen an dieser letzten Etappe der Expedition teil. Sander, seines Zeichens Vertreter der Rejissa-Stiftung und Leiter der Expedition nahm in der engen Sitzecke bei den Wissenschaftlern Platz, griff nach einer der unbenutzten Tassen auf
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dem Tisch und goß sich etwas von dem Tee ein, der auf der Wärmfläche in der Mitte des Tisches bereit stand. Er nippte erst eine Weile von dem heißen Getränk, bevor er das Wort ergriff. „Die Risse werden häufiger, aber schmaler“, meinte er. „Das hält uns auch auf, ist aber insgesamt eher ein gutes Zeichen.“ Toraz nickte. „Wir nähern uns dem polaren Festland“, meinte der Geologe. „Oder doch zumindest dem, was einem solchen am nächsten kommt ...“ Liza stützte sich auf die schmale Tischplatte. „Wie lange wird es in etwa noch dauern?“ „Wenn es keine weiteren Komplikationen gibt, können wir übermorgen am Ziel sein“, antwortete Sander. Er umfaßte die warme Tasse mit den Händen und drehte sie müßig hin und her. Lizas Blick war der Bewegung unwillkürlich gefolgt. „Was ist mit Ihrer Hand, Robert?“ „Wie?“ Sander blickte nur kurz auf seinen Handrücken. „Nichts weiter, nur die Luke ... Wegen der Kälte.“ Ohne ein weiteres Wort stand sie halb auf und entnahm dem Erste-Hilfe-Kasten, der schräg hinter hier an der Wand befestigt war, eine kleine Dose mit Desinfektionsspray. „Zeigen Sie mal her“, forderte sie. „Nicht nötig“, wehrte Sander ab. „Hören Sie auf Liza“, schaltete sich Kotirnow ein. „Wir wissen nicht viel darüber, wie es hier mit den Keimen aussieht, aber einige von denen, die wir eingeschleppt haben, könnten unter diesen Umweltbedingungen anders reagieren, als wir es gewohnt sind. Gehen Sie lieber kein Risiko ein.“ Sander widersprach nicht weiter und streckte die Hand aus, so daß Liza über die Abschürfungen sprühen konnte. „Danke“, meinte er lächelnd in ihre Richtung und zuckte nur kurz mit dem Mundwinkel, als das Desinfektionsmittel in den Abschürfungen zu brennen begann. Er wandte sich an Kotirnow. „Man
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sollte doch meinen, Sie wären froh darüber, endlich etwas für Ihr Fachgebiet gefunden zu haben.“ Der Russe lachte auf. „Sehr freundlich, daß sie sich für die Wissenschaft opfern wollen, aber ich warte doch lieber, bis wir das Festland erreicht haben. Sobald nicht mehr die Gefahr besteht, eine weitere Gletscherspalte durch Hineinfallen aufzuspüren, werde ich bei jeder Gelegenheit ein paar Bodenproben nehmen.“ „Noch bevor wir unser Ziel erreichen?“, fragte jemand, der in diesem Augenblick an den Tisch trat. Kotirnow blickte auf. „Sicher, Miguel“, antwortete er und rückte ein Stück, damit sich der Soldat auch setzen konnte. Aufgrund seiner Kenntnisse zur Wartung der Schlepper und der wissenschaftlichen Ausrüstung war Miguel Vaniruó das einzige Besatzungsmitglied der U-43, welche die Expedition begleitete – aber auch dies letztendlich nur, weil Kotirnow darauf bestanden hatte. Sander war noch immer nicht glücklich darüber, aber offensichtlich auch zu stolz, um dies zu zeigen und zu professionell, um es den Soldaten spüren zu lassen. „Mich interessieren hauptsächlich unverfälschte Proben der polaren Mikrobiologie“, fuhr Kotirnow fort, „und die bekomme ich unterwegs noch sauberer als in der Nähe eines Forschungslagers, in dem Dutzende von Leuten herumlaufen.“ „Ich verstehe“, nickte Sanders. „Der Khan hat uns die Ausrüstung zur Verfügung gestellt und deshalb war es selbstverständlich, daß auch ein Vertreter seines Reiches diese erste Erkundung begleitet. Sie werden Gelegenheit bekommen, ihre Proben zu nehmen, notfalls werden eben einige Stellen abgesperrt.“ Liza räusperte sich. „Ich verstehe immer noch nicht, warum das Reich der Himmelblauen Mongolen als einzige Weltmacht bisher Interesse an den Eiszonen gezeigt hat und entsprechendes Equipment besitzt.“
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„Meine Liebe, das ist ganz einfach“, setzte Kotirnow zu einer Erklärung an, „das Reich des Khans befindet sich in der gleichen Situation wie die EUMON vor hundert Jahren: Bei aller Stabilität nur festgefahrene Ansichten und kaum Fortschritt. Europa hat sich durch die Neue Welt einen Schub gegeben, wir versuchen das Gleiche im Norden. Sibirien ist groß und wenig wohnlich, aber es hat andere Vorzüge, die der Khan erschlossen sehen möchte.“ „Warum nicht auch auf den Splittern?“, warf Miguel ein. „Eine gute Frage“, entgegnete Kotirnow nachdenklich, „über die sich schon viele Leute den Kopf zerbrochen haben. Wenn Sie meine Ansicht dazu hören wollen: Der Khan betrachtet es womöglich als Unhöflichkeit, sich in diese Streitigkeiten auf dem australischen Kontinent einzumischen, solange er Alternativen hat. Mangel an Rohstoffen ist nicht unbedingt eines der Probleme des Reiches.“ „Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht“, übernahm Sander die Antwort. „Doch über kurz oder lang ...“ „... könnten auch wir uns dort Rechte sichern wollen“, unterbrach ihn der Bakteriologe höflich. „Aber das sind Spekulationen, die an dieser Stelle nur vom Hundertsten ins Tausendste führen würden.“ Ein Ruck, der durch den Anhänger ging, enthob Sander einer Entgegnung. „Es geht weiter“, stellte er überflüssigerweise statt dessen fest und stand auf. „Es kann nicht mehr lange dauern.“ Der nächste Tag ähnelte vom Ablauf her allen bisherigen, aber die Stimmung der Expeditionsteilnehmer unterschied sich merklich. Es war die Unterbrechung der Fahrt für die Entnahme einer Oberflächenbohrprobe, von der sich Kotirnow einige Ergebnisse versprach, sowie die Erwartung, in wenigen Stunden am Ziel zu sein, welche die allgemeine Stimmung spürbar hob.
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Während der Bakteriologe mit Miguel die Bohrvorrichtung aufbaute, standen Toraz und Sander etwas abseits auf einer vereisten Schneedüne und beobachteten nur scheinbar den Fortschritt der Arbeiten. Tatsächlich galt ihr Interesse mehr dem verstohlenen Gespräch unter vier Augen, zu dem sie nun endlich Gelegenheit hatten. „Glauben Sie, daß der Khan wirklich nur einen Bakteriologen mit der Ausrüstung geschickt hat?“, fragte Toraz, und nickte in Richtung der Stelle, wo soeben ein Bohrkopf auf das Dreibein montiert wurde. Sander schüttelte den Kopf. „Nein. Kotirnow stammt aus Rußland und trotz des legitimen Anschlusses des Zarenreiches an das Imperium des Khans durch die Heirat seines Sohnes vor zwanzig Jahren gibt es überwiegend separatistische Bestrebungen dort. Er wird nur einen Russen schicken, wenn er ihm bedenkenlos vertraut und sich sicher sein kann, über alles informiert zu werden, was hier interessant sein könnte.“ „Bakterien rangieren auf der Interessenliste des Khans nicht sehr weit oben, kann ich mir vorstellen. Ich halte Ilja zwar in erster Linie für einen Wissenschaftler, aber er ist sicher intelligent genug, um auch neben seiner Arbeit die Augen aufzuhalten. Was gedenken Sie in der Sache zu unternehmen?“ „Der Vorsitzende ist sich das Risikos bewußt und ich habe meine Anweisungen. Und vergessen Sie bitte nicht ...“ Seine Stimme wurde etwas schärfer. „... daß auch Sie hauptsächlich als Wissenschaftler für die Stiftung arbeiten. Überlassen Sie alle sicherheitsrelevanten Fragen mir.“ Toraz schniefte unbeeindruckt. „Wenn Drecksarbeit anfällt, können Sie diese gern übernehmen, ich reiße mich nicht darum. Und so lange Kotirnow und dieser portugiesische Wassertreter nur ein paar Ruinen sehen, besteht sowieso keine Gefahr, nicht wahr?“ Er runzelte die Stirn. „Was allerdings Liza Sagyard angeht ...“
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„Keine Sorge“, wandte Sander ein. „Sie tut ihre Arbeit und wird dafür bezahlt. Sie ist eine junge und intelligente Frau, die es noch zu etwas bringen will. Daher wird sie gerne über mehr als nur einige Dinge schweigen, wenn es ihrer Karriere dienlich ist. Ich könnte mir sogar vorstellen, da sie im Anschluß weiterhin für die Stiftung arbeitet.“ Toraz grinste. „Ich bin mir sicher, daß Ihnen dieser Gedanke angenehm ist.“ „Was wollen Sie damit andeuten?“, fragte Sander ruhig. „Mir fällt auf, wie Sie die Doktorin ansehen, wenn Sie sich unbeobachtet fühlen. Mir gegenüber sind Sie damit allerdings etwas nachlässig gewesen, vielleicht weiß ich auch nur besser, worauf ich bei Ihnen zu achten habe.“ „Und wenn schon“, entgegnete Sander, ohne sich die Mühe zu machen, die Feststellung des Doktors abzustreiten, „es wird meine Arbeit nicht behindern.“ „Natürlich.“ Der Geologe drehte sich um und stapfte davon, einen endgültigen Abschluß des Themas offen lassend. Am Fuß der Düne traf er auf Liza Sagyard und nickte ihr kurz grüßend zu. Dann wanderte er zu der Bohrstelle weiter, um sich die Sache nun doch aus der Nähe anzusehen und das Interesse zu zeigen, welches der Rolle entsprach, die er für die Stiftung spielte. Liza erklomm unterdessen die Düne und stellte sich wortlos neben Sander. Ihr Blick schweifte über die grenzenlos scheinende Schneewüste, die nur sporadisch von Dünen unterbrochen wurde, die jener ähnelte, auf der sie nun stand. Es war Sander, der das Gespräch eröffnete. „Wollten Sie mich sprechen oder nur die Aussicht genießen? Im zweiten Fall möchte ich Sie nicht stören ...“ „Sie stören mich nicht“, beteuerte sie. „Im übrigen würde ich schon gerne etwas mit Ihnen besprechen.“ „Wie kann ich Ihnen helfen?“
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„Ich wüßte gerne, was Sie und Ihre Stiftung wirklich mit dieser Expedition bezwecken.“ „Ich habe Ihnen doch bereits alles erzählt.“ „Ich bitte Sie, Robert, verkaufen Sie mich nicht für dumm!“, forderte sie heftig und blickte ihn wütend an. Sie schraubte ihre Stimme jedoch sofort wieder zurück. „Darf ich ehrlich zu Ihnen sein?“ „Ich bitte darum.“ „Seit unserem ersten Zusammentreffen und während der Reise hielt sich Sie für arroganten Nichtskönner. Während der Fahrt über das Eis in den letzten anderthalb Wochen habe ich meine Meinung dahingehend korrigiert, sie für einen Experten auf einer ganzen Reihe von Gebieten zu halten, der sich seiner Verantwortung bewußt ist und lediglich seine Schwierigkeiten damit hat, bei irgend jemanden Sympathien zu wecken. Im Moment sind Sie dabei, in eine ganz neue negative Kategorie zu rutschen.“ „Ich frage wohl besser nicht, welche Sie meinen?“ Sie lachte auf. „Ich fürchte, das wäre sinnlos, da sich diese Kategorie jederzeit erneut ändern könnte.“ Sie wurde wieder ernst. „Beantworten Sie nun meine Frage?“ Sander nahm seine Sonnenbrille ab und blinzelte in das gleißende Sonnenlicht, welches von der endlosen Schneewüste reflektiert wurde. Liza fühlte sich unwillkürlich an Piedro Coyavaléz erinnert, ihren Mentor, den sie vor Beginn der Expedition noch getroffen und um Rat gebeten hatte. Sander blickte sie nun direkt an. „Morgen“, meinte er nur. „Morgen werden Sie alles erfahren.“ Er setzte die Brille betont langsam wieder auf und wandte sich zum Gehen. „Es könnte sich aber zu einer Einbahnstraße für Sie entwickeln.“ Mit schnellen Schritten, als fürchtete er ihre Antwort, stapfte er die Düne herab. Liza blickte ihm stumm nach, bis er den Fuß des Hügels erreicht hatte.
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„Das Risiko gehe ich ein!“, rief sie ihm schließlich nach und preßte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, als er ohne jede Reaktion zum Wohnanhänger ging und in diesem verschwand. „Die Risse, David! Bleiben Sie stehen!“ Liza fuhr herum, als sie Miguels lauten Ruf hörte und konnte gerade noch erkennen, wie David Toraz, der auf dem Weg zur Bohrstelle gewesen war, dem Anschein nach vom Boden geschluckt wurde. Sein erschreckter Ruf verstummte nahezu in dem Augenblick, als er ihn ausstieß. Sie sah die Anderen zu der Stelle rennen und ihre Beine setzten sich wie von selbst in Bewegung. Den Unglücksort erreichte sie kurz nachdem Kotirnow und Miguel dort eingetroffen waren. Auf den letzten Metern hatte sie ihre Schritte verlangsamt und sich vorsichtig genähert, aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Sander aus dem Anhänger stürzte, gefolgt von den Mitarbeitern der Stiftung. „Was ist passiert?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte. Es reagierte auch niemand auf ihre Frage, erst als Sander mit seinen Leuten eintraf, wurde die unheimliche Stille von Kotirnow unterbrochen. „Wir brauchen die Seilwinde“, meinte der Wissenschaftler nur. „Wenn es nicht allzu tief ist, können wir wenigstens noch seine Leiche bergen.“ „Leuchte mal hierher, Miguel.“ Der Strahl der Taschenlampe wanderte mit einiger Verzögerung zu der Stelle an der Wand, auf die Kotirnow gezeigt hatte. Die anfängliche Bestürzung aller nach dem jüngsten Vorfall war einer zwar einer hektischen Betriebsamkeit gewichen, aber die gedrückte Stimmung betraf alle, nicht nur Miguel. Die Expedition hatte einen Teilnehmer verloren.
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Ilja Kotirnow hatte sich am ehesten wieder gefaßt hatte und war sofort bereit gewesen war, den risikobehafteten Abstieg zu wagen und zu versuchen, vielleicht den Leichnam von David Toraz zu bergen. Miguel hatte ihn dabei begleitet. Inzwischen war ihnen jedoch klar geworden, daß selbst dieses Unterfangen ziemlich aussichtslos war. Sie hatten sich bereits 120 Meter in die Tiefe abgeseilt und als er eben hinunter geleuchtet hatte, war kein Boden zu erkennen gewesen. Sie hatten zwar theoretisch genug Seil für die zehnfache Strecke, aber unter den besonderen Umständen waren mehr als 500 Meter pro Geschirr auch bei großzügigster Auslegung aller Sicherheitsvorschriften nicht möglich. „Die Thesen über das polare Festland scheinen sich zu bestätigen“, unterbrach Kotirnow die Gedankengänge Miguels erneut und wies auf die beleuchtete Stelle. Der Soldat stellte zuerst mit Unmut fest, daß ein Zittern des hellen Flecks nur zu deutlich seine Nervosität verriet, er konnte nicht einmal die Lampe still halten. Dann aber bemerkte er, was der Wissenschaftler ihm zeigen wollte. Und noch ein wenig mehr. „Kommen Sie ein wenig zurück, Ilja“, meinte er aufgeregt. „Man kann es nur aus einiger Entfernung sehen, aber es scheint fast, als wenn ...“ Er ließ den Satz unbeendet, denn Kotirnow hatte bereits die Ruftaste des Funkgerätes an seinem Geschirr gedrückt. „Hier Kotirnow, fahren Sie mich bitte auf Miguels Position zurück.“ „Geht in Ordnung“, schnarrte es aus dem Gerät, die Stimme war nur mit viel Fantasie als die von Sander zu identifizieren. Eigentlich hatte er Kotirnow begleiten wollen, aber der Wissenschaftler hatte ihn mit wenigen Worten davon überzeugt, daß er bei der Leitung des Abseiltrupps wichtiger war. Die Drahtseile am Geschirr Kotirnows sangen, als sich der Wissenschaftler mit einem kurzen Ruck in Bewegung setzte, um dann beinahe sanft auf Miguels Position zurückzugleiten.
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Als er sich neben ihm befand, stoppte er mit einem weiteren Ruck und pendelte leicht hin und her. „Also?“ „Sehen Sie selbst.“ Miguel wies auf die Stelle, auf die er immer noch die Lampe gerichtet hielt. „Das ist kein Eis. Es ist dunkler und scheint ein bestimmtes Muster zu ergeben. Könnte das durch den Druck des Eises entstanden sein?“ „Kein übler Gedanke, vermutlich hast du sogar ...“ Er stockte und starrte weiter auf die Stelle. Ohne ein weiteren Wort drückte er langsam Miguels Arm etwas hinunter, der helle Fleck an der Eiswand folgte der Bewegung. Miguel brauchte nicht lange um zu erkennen, was dem Wissenschaftler die Sprache verschlagen hatte. „Wir benachrichtigen Sander“, schlug er vor. „Ja, das wäre wohl anzuraten.“ Er blickte Miguel an. „Du weißt, was wir jetzt zu tun haben.“ Miguel nickte nur stumm. Er hatte gehofft, daß es nicht so weit kommen würde. Sander blickte von Kotirnow zu Miguel und wieder zurück. „Was ist es, worüber Sie beide mit mir nicht über Funk und vor allen Leuten reden wollten? Und warum soll ansonsten nur Liza dabei sein?“ „Das würde mich auch interessieren“, meinte Liza und schaute zu den Leuten, die noch immer an der Gletscherspalte standen und neugierig zu der kleinen Gruppe blickten, die sich abgesondert hatte, nachdem der Wissenschaftler und Miguel wieder ans Tageslicht gekommen waren. „Sofort“, versprach Kotirnow. „Aber zuerst noch eine Frage, Robert: Sind Sie sich sicher über die Position der Bauten, die unser eigentliches Ziel sind?“ Sander lachte kurz auf. „Ich bitte Sie, Ilja, die Satelliten des Reiches dürften sich von den der EUMON nicht wesentlich unterscheiden. Sie arbeiten sehr genau, aber ihre relativen Daten mit unserer Reiseroute hier am Boden praktisch zu syn-
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chronisieren ist bei der ständigen Bewegung des Packeises sehr schwierig. Wir wissen die genaue Richtung und können nur darauf warten, auf Spuren der Ruinen zu stoßen.“ „Nun, dann kann ich ihnen mitteilen, daß wir bereits darauf gestoßen sind, wenn auch in einer Weise, die mir sehr rätselhaft erscheint.“ „Worauf wollen Sie hinaus?“ „Dort unten, in 120 Meter Tiefe, befindet sich hinter einer Eiswand eine bearbeitete Steinmauer. Wir konnten nicht viel erkennen, aber die Struktur war eindeutig. Und es gibt dort einen Zugang, Robert.“ „Von unserer augenblicklichen Position her wäre es eigentlich möglich, bereits auf Ausläufer des entdeckten Ruinengebietes zu treffen, aber in dieser Tiefe?“ Sander schüttelte den Kopf. „Nein, ich kann es nicht glauben.“ „Sie dürfen nicht vergessen, daß das gesamte Polargebiet so nah an der Eisgrenze ständigen Veränderungen unterworfen ist“, erinnerte ihn Kotirnow. „Ich bin kein Spezialist auf dem Gebiet, aber diese Ruinen können Jahrtausende alt sein und ich halte es für durchaus möglich, daß sich große Bereiche dieser Anlagen durch ihr eigenes Gewicht und den Zahn der Zeit unter das Eis verlagert haben.“ „So etwas Ähnliches wurde schon dokumentiert“, wandte Liza ein. „In Südostasien wurde eine alte Tempelstadt freigelegt, die binnen weniger Jahrzehnte im sumpfigen Untergrund versunken sein muß.“ Sander nickte. „Wir werden uns also die Sache ansehen und können daher auch die Anderen einweihen. Vielen Dank für Ihre Rücksicht in dieser Sache, Ilja.“ „Keine Ursache.“ „Was mir hinsichtlich der Satellitenaufnahmen schon die ganze Zeit durch den Kopf geht ...“, grübelte Liza und beschrieb mit der Fußspitze einen Kreis auf dem gefrorenen Untergrund. „Die Proportion zwischen der Größe der Ruinen und
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der Fläche, die sie bedecken stimmt nicht. Das entspricht keinem städtebauerischen Prinzip.“ Sie überlegte einen Moment. „Das wäre, als würde man einen Wolkenkratzer auf einem Campingplatz bauen. Hinzu kommt, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß eine menschliche Kultur direkt auf einem Gletscher baut, nicht einmal aus spiritistischen Gründen. Allerdings wäre die Konsequenz aus dieser Überlegung noch unglaublicher.“ „Inwiefern?“ Sie bedachte Sander mit einem Blick, als hätte er gefragt, ob sie eine Schneeballschlacht veranstalten wollten. „Robert, haben Sie bisher eigentlich auch nur einen Gedanken darauf verschwendet, wie lange es her ist, daß die nördlichen Polargebiete eisfrei waren?“ „Reichen Sie mir Ihre Hand, Liza.“ Sander stand, gesichert durch zwei seiner Leute, um mindestens 30 Grad geneigt am der Kante des Eingangs, unter sich die gähnende Tiefe, die Hand hilfreich nach vor gestreckt. „Keine Sorge, Sie bleiben durch die Seile gesichert, bis Sie festen Boden unter den Füßen haben.“ „Ist das jetzt Ihre Revanche dafür, daß ich Ihnen bei unserem ersten Treffen nicht die Hand gegeben habe?“, entgegnete Liza und versuchte, ihre Höhenangst in einen Winkel ihres Unterbewußtseins zu verdrängen, der sich mit Humor versiegeln ließ. „Gönnen Sie mir die nicht?“, fragte Sander und sein Gesicht bekam für einen Moment einen ungewohnt weichen Zug. Sie registrierte dies beiläufig und lächelte. „Als hätte ich die Wahl.“ Miguel, welcher dieses Mal mit Kotirnow und drei von Sanders Leuten an der Oberfläche zurückgeblieben war, konnte Bruchstücke des Gesprächs über eines der Funkgeräte hören
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und mußte ebenfalls lächeln. Allerdings nur für einen Moment, dann wurde sein Gesicht wieder ernst und er schaute nach den Mitarbeitern der Rejissa-Stiftung, die immer noch gemeinsam die Seilwinde überwachten. Er suchte den Blickkontakt mit Kotirnow. „Eigentlich sehr schade“, meinte er leise. „Ich mochte sie.“ „Ich auch“, bestätigte Kotirnow in gleicher Lautstärke. „Mir wurde sogar Sander langsam ein wenig sympathisch. Das ist die Gefahr in unserem Job.“ Er öffnete die Überjacke seine Polaranzuges etwas und ließ die Hand darin verschwinden. „Bringen wir es zuende.“ „In Ordnung.“ Miguel tat es ihm gleich. „Wir hätten gar nicht so lange warten sollen ... Ein Sturz in die Tiefe wäre sauberer gewesen.“ Beinahe gleichzeitig zogen die Beiden ihre versteckten Waffen und legten auf die drei Stiftungsmitarbeiter an. Bereits in der Bewegung wurde Miguel klar, daß die Leute Verdacht geschöpften haben mußten, denn noch bevor sich die ersten Schüsse lösten, waren sie bereits dabei, hinter dem Motor der Seilwinde Deckung zu suchen. Für einen war es zu spät, einer der Schüsse traf den Mann, ein zweiter saß, noch bevor er den Boden erreichte. Ein weiterer der Männer fiel, noch bevor er tatsächlich hinter dem schützenden Getriebeblock verschwunden war. Weitere Projektile schlugen in die Steuerung der Abseilvorrichtung und lösten die Sicherung für die Winde, mit einem schrillenden Surren wurden die Seile abgewickelt. Miguel ließ sich instinktiv nach vorne fallen, als sich ein weiteres Geräusch in das Stakkato mischte, eine helles Knattern, welches nicht aus ihren eigene Waffen stammen konnte. Neben ihm wurde Kotirnow von den Füßen gerissen, er bemerkte die roten Flecken im Schnee im gleichen Augenblick wie das Aufblitzen des Mündungsfeuers hinter dem Motorengehäuse.
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Er wußte in diesem Moment, daß sie versagt hatten: Indem sie zögerten und indem sie sich der Illusion hingegeben hatten, die Mitarbeiter der Stiftung würden in dieser Umgebung nicht auch selbst Waffen tragen. Blitzschnell analysierte er seine Situation: Er hatte selbst keine Deckung und es war nur eine Frage der Zeit, bis er getroffen werden würde. In diesem Moment zupfte bereits etwas an seinem Ärmel und er faßte einen verzweifelten Entschluß. Er sprang wieder auf und mit raschen Schritten, sich nach links und rechts werfend, stürmte er auf die Deckung seiner Gegner zu. Es geschah, was er selbst nicht für möglich gehalten hatte: Er wurde nicht getroffen und der Gegner unvorsichtig. Der Mann tauchte hinter seiner Deckung auf und wurde beinahe im selben Moment von einem oder zwei Treffern zu Boden gerissen. Miguel selbst hatte unterdessen keine Gelegenheit mehr, sich über diesen Umstand zu freuen, denn er rutschte auf dem glatten Boden aus und glitt, getrieben von seinem eigenen Schwung, gegen das Motorengehäuse. Sein Kopf schlug hart dagegen und die weiße Landschaft wurde binnen eines Augenblicks vor seinen Augen immer dunkler und machte schließlich ganz einer ohnmächtigen Schwärze Platz. Liza, die gerade wieder das Gefühl festen Bodens unter den Füßen genoß, ließ ihren Blick nach oben wandern, als der Hall der Schüsse nach unten wehte. „Was war das?“, fragte sie erschrocken. „Irgend etwas stimmt da oben nicht“, antwortete Sander mit unheimlicher Ruhe, aber auch seine Augen weiteten sich, als die Geschirre sich plötzlich in Bewegung setzen und in der Tiefe des Schachtes verschwanden. Kurz darauf hingen nur noch die Seile verführerisch vor ihnen.
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„Wir müssen wieder hoch“, meinte Liza nun ohne jede Aufregung. Sie hatte sich von der Kaltblütigkeit Sanders anstecken lassen. „Und wie?“, gab er zurück. „120 Meter sind eine ganz schöne Strecke, um sie an einem Seil senkrecht hinaufzusteigen. Mit Handschuhen kann man ohnehin nicht klettern und ohne sind unsere Hände an diesen Drahtseilen nach wenigen Sekunden komplett taub. Und dann...“ Er ließ den Satz unvollendet und blickte vielsagend nach unten, wo die Geschirre längst außer Sicht waren. Die Seile bewegten sich allerdings auch nicht mehr, was nur bedeutete, daß sie oben ihren Anschlag erreicht hatten und sich ihre Enden jetzt mehrere hundert Meter unter ihnen befanden. „Außerdem wissen wir nicht, was uns jetzt dort oben erwartet.“ „Und was sollen wir dann tun?“ „Wir können warten und hoffen, daß was immer dort oben passiert zu unseren Gunsten ausgeht. Oder wir könnten diesem Gang folgen uns prüfen, ob wir woanders wieder an die Oberfläche kommen, obwohl ich dies für aussichtslos halte.“ „Entschuldigen Sie“, machte sich einer von Sanders Helfern bemerkbar, „wie wäre es mit einem Kompromiß?“ „Ich bin für jeden Vorschlag offen.“ „Einer von uns bleibt hier und beobachtet die Entwicklung, der andere begleitet Sie und Doktor Sagyard. Wir haben zwei Funkgeräte, für jede Gruppe eins. Soweit diese hier unten reichen, können sie vermutlich gefahrlos dem Gang folgen.“ Sander überlegte einen Moment. „In Ordnung, mit einer Änderung: Sie beide bleiben hier und halten die Stellung. Sie haben alle Befugnisse, auf Bedrohungen angemessen zu reagieren, egal von wem diese ausgehen. Um die Batterien zu schonen, werden wir uns im Wechsel nur jede Viertelstunde kontaktieren.“ Er blickte auf die Uhr. „Ich werde Sie in 15 Minuten anrufen.“
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Die beiden Männer nickten und kramten versteckte Waffen aus ihren Anzügen. Liza runzelte die Stirn. „Ich werde immer gespannter auf Ihre Erklärung, Robert.“ „Ich denke, wir werden unterwegs genug Zeit dafür haben. Nehmen Sie bitte die Lampe und folgen Sie mir.“ Miguel erwachte und sein erster Eindruck war der unbarmherziger Kälte, die sich über seinen Körper gelegt hatte. Was ihn dabei wunderte war, daß er überhaupt noch lebte, dies war keine Gegend, in der man ohne weiteres bewußtlos werden konnte um – reflexartig bewegte er die rechte Hand vor das Gesicht um einen Blick auf die Uhr auf dem Handrücken seines Handschuhs zu werfen – fast eine Stunde auf dem Eis zu liegen. Seine Hand wanderte zum Gehäuse des Motors, welches immer noch ein wenig wärmer als die Umgebung war und ihm wurde klar, was ihm das Leben gerettet hatte. Umständlich rappelte er sich auf und warf einen prüfenden Blick auf die Leichen der drei Mitarbeiter der Rejissa, nahm sich sogar die Zeit, ihre Lebensfunktionen zu prüfen. Es hatte ihm keine Freude bereitet, die drei zu erschießen, aber er wußte auch, daß diese Leute mit Sicherheit unter anderem Umständen genauso berechnend getötet hatten. Nachdem sichergestellt war, daß von dieser Seite keine Gefahr mehr drohte, ging er zu Kotirnow, der ebenfalls ohne jedes Lebenszeichen am Boden lag. „Mach’s gut, Ilja“, murmelte er, „irgendwann erwischt es jeden von uns.“ Ohne weitere äußere Anzeichen von Trauer nahm er Kotirnow seine Pistole ab und ersetzte mit dem halbvollen Magazin das entleerte seiner eigenen Waffe. Auch das Fernglas des vermeintlichen Bakteriologen nahm er an sich und ging zum Rand des Schachtes. Ein kurzer Blick hinab genügte, um einen hellen Fleck weiter unten auszumachen, genug, um mit Sicherheit sagen zu können, daß sich die Anderen noch dort befanden. Er ging
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wieder zur Abseilvorrichtung und prüfte den Zustand der Anlage. Es dauerte nur Sekunden, um festzustellen, daß die manuelle Steuerung noch einigermaßen funktionierte und die Winde wieder in Betrieb zu nehmen. In hoher Geschwindigkeit wurden die Seile eingeholt. Miguel entfernte sich einige Schritte von der Spalte und legte auf die Stelle an, wo die Geschirre wieder erscheinen mußten. Er war nicht überrascht, als das erste leer erschien, es hätte ihn auch gewundert, wenn sich jemand dort unten sich an den Geschirren festgeklammert hätte, nur um sich dann oben wehrlos einer ungewissen Bedrohung auszusetzen. Das andere Geschirr brauchte etwas länger, dort war die zugehörige Winde beschädigt. Miguel störte das nicht, das Geschirr würde genauso leer sein. Er hatte andere Dinge zu erledigen. „Diese Wände sind merkwürdig“, meinte Liza, fuhr noch einmal mit der bloßen Hand darüber und ließ diese dann schnell wieder im warmen Handschuh verschwinden. „Sie haben zwar Fugen, aber die Steine selbst sind glasiert, als wären sie unter großer Hitze bearbeitet worden. Ich wüßte nicht, daß frühzeitliche Völker die Mittel dazu gehabt hätten, allein die Tatsache, daß sie hier waren und das hier gebaut haben, wäre schon eine Sensation.“ „Das ist einer der Gründe, warum die Stiftung sich dafür interessiert“, sagte Sander und trat hinter sie. „Bitte lassen sie uns zurückgehen. Meine Mitarbeiter haben eben versucht, eine Verbindung zu uns zu bekommen und diese war extrem schlecht. Es ist zu gefährlich, weiterzugehen, der Gang könnte sich noch über Kilometer erstrecken.“ „Richtig“, gab Liza resignierend zu. „Wir haben einfach nicht die Mittel, der Sache jetzt nachzugehen. Und vermutlich im Augenblick auch andere Probleme, nicht wahr?“
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Sander nickte. „Allerdings. Aber keine Sorge, wir kommen wieder hier herunter, und dann werden Sie auch bereits einige Dinge wissen, die Ihnen alles klarer erscheinen lassen werden.“ „Ah ja, Ihr Versprechen ...“ „Ich werde es halten, aber bevor diese anderen Vorgänge nicht geklärt sind, erscheint es mir zu gefährlich, Ihnen dieses Wissen anzuvertrauen.“ „Es wird Sie vielleicht überraschen, aber da stimme ich mit Ihnen absolut überein.“ Sander grinste. „Kommen Sie, wir gehen zurück.“ Miguel war zu einem Entschluß gekommen. Das Einfachste wäre es zwar, die Leute dort unten ihrem Schicksal zu überlassen, aber irgendwie erschien ihm das falsch. Er hatte die Möglichkeit, ihr Leben schnell zu beenden, ohne sie dem grausamen Tod durch Erfrieren ausliefern zu müssen. Mit schnellen Schritten ging er zu dem Schlepper, in dessen Anhänger sich die Ausrüstung befand. Eine der Kisten dort war besonders gesichert, aber er hebelte das Schloß auf. In der Kiste lagen, sorgfältig in Schaumstoff abgepackt, mehrere Sprengladungen. Ursprünglich für die kontrollierte Räumung von Hindernissen gedacht, würden sie nun sein Werkzeug sein, diese Sache endgültig zu beenden. Er mußte sich beeilen, denn es würde eine Weile dauern, einen der Schlepper abzukoppeln und so zu beladen, daß er damit allein zum Treffpunkt mit dem U-43 zurückkehren konnte. Ohne Kotirnow würde es etwas schwieriger sein, die Geschichte durchzubringen, daß der Rest der Expedition einem Unfall zum Opfer gefallen war, aber er traute sich zu, dies zumindest der Besatzung des U-Bootes glaubhaft zu vermitteln. Schließlich war er nicht der einfache Marinesoldat, als der er sich im Rahmen seiner Tarnung die letzten Wochen ausgegeben hatte. Wenn die offizielle Prüfung des Vorfalls begann, würde er längst von der Bildfläche verschwunden sein und an-
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dere Leute würden es übernehmen, die Kanten der Geschichte abzuschleifen. Leute mit Einfluß in der EUMON. Was die Rejissa-Stiftung anging, würde diese natürlich einen Dreck auf die offiziellen Verlautbarungen geben und dieser Sache weiter nachgehen. Aber da sie selber allen Grund hatten, Details geheimzuhalten, würde die gesamte Sache in den Augen der Welt nur eine weitere traurige und insgesamt bedeutungslose Anekdote in der kurzen Geschichte der Polarforschung werden. Miguel war persönlich überzeugt, daß dies auch das Beste für die Welt war ... Und das war im Grunde auch der einzige Weg, um mit den unangenehmen Dingen fertig zu werden, die seine Arbeit öfter mit sich brachte. Während seiner Überlegungen hatte er die Kiste bereits zur Gletscherspalte gewuchtet und registrierte befriedigt, daß auch das zweite Geschirr inzwischen eingetroffen war und leer neben dem anderen hing. Er befestigte die Kiste an dem Geschirr der intakten Vorrichtung und nahm den Sprengsatz zur Hand, den er bereits vorher entnommen hatte. Mit den Zähnen zog er den rechten Handschuh ab, stellte den Sprengsatz routiniert auf verzögerte Fernzündung ein und befestigte ihn an der Kiste. Dann entnahm er seiner Jackentasche auch den Auslöser und griff mit der anderen Hand nach dem Hebel, der das Seil blockierte. Er zuckte zusammen, als sich eine andere behandschuhte Hand auf die seine legte und ihn daran hinderte, den Hebel nach oben zu ziehen. Er blickte zur Seite und sah das ausdruckslose Gesicht von Sander. „Eine reife Leistung, sich das defekte Geschirr zu greifen“, meinte Miguel trocken, seine Überraschung meisterhaft verbergend. „Ich wußte, daß Sie der gefährlichste Mann der Stiftung bei dieser Expedition sind.“ Sanders Gesicht blieb ausdruckslos. „Das hätten Sie vorher bedenken sollen. Ich weiß nicht, für wen Sie arbeiten und wie
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sie sich genau eingeschleust haben, aber das interessiert mich eigentlich auch nicht. Wichtiger ist, daß sie nun einen weiteren Fehler gemacht haben.“ „Welchen?“ „Sie haben mich zu lange reden lassen.“ Der Schuß, nahe an Miguels Körper ausgelöst, war kaum zu hören, aber die Augen des vermeintlichen Marinesoldaten weiteten sich unwillkürlich, als das Geschoß seinen Brustkorb durchquerte. „Liza hat Ihnen vertraut und sie gemocht“, redete Sander weiter, als hätte er keinen Sterbenden vor sich. „Und vielleicht ist es Ihnen eine Genugtuung, daß ich ihr nicht sagen werde, daß Sie und Kotirnow für dies alles verantwortlich waren. Mir wird sicher eine gute Geschichte einfallen, die ihr Ihren Verrat erspart. Ich kann ihr zuliebe auch gut mit einer weiteren Lüge leben.“ Miguel nickte schwerfällig. „Danke“, murmelte er mit brüchiger Stimme und blickte sein Gegenüber einen Augenblick mit leeren Augen an. „Aber sie werden nicht lügen müssen.“ Mit einem Ausbruch an Kraft, die ihm in seinem Zustand niemand hätte zutrauen können, stieß er Sander von sich, drückte den Hebel nach oben und betätigte den Auslöser. Nahezu gleichzeitig griff er wieder nach seiner Waffe, die er neben sich auf den Steuerblock gelegt hatte. Er kam nicht dazu, sie zu benutzen. Sander, der seine Sturzbewegung schnell wieder abgefangen hatte, legte an und drückte ab. Wieder und wieder. Schließlich belegte ein Klicken, daß das Magazin leer war und er ließ die Waffe achtlos auf den Boden fallen. Er machte keinen Versuch, das tödliche Paket zu stoppen, daß Miguel auf die Reise geschickt hatte, wohl wissend, daß dies ohnehin nichts ändern würde. Es war egal, wo die Sprengsätze explodierten.
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Er entfernte sich auch nicht von der Spalte und blieb selbst dann reglos stehen, als der Zündsatz explodierte. Gleich darauf folgte eine weitere Explosion, die brüllend heiße Luft aus der Gletscherspalte jagte und diese förmlich in sich zusammensakken ließ. Der Druck riß auch Sander von den Füßen. Er fiel rückwärts in den Schnee und blieb liegen. Während seine Ohren noch vom Lärm der Explosion dröhnten, starrte er mit leeren Blick in den fahlblauen Himmel. „Es hätte nicht sein müssen, Liza“, murmelte er. „Ich habe dich zu dieser Expedition gebracht. Verzeih mir.“
ENDE
3. Auflage (07/2002) © 2001 Sonnensturm Media. Alle Rechte vorbehalten. Umschlaggestaltung: Sonnensturm Media www.webprojekt.org
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