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Roy Palmer 1.
Es waren erbarmungswürdige Gestalten, die der Ausguck im Großmars der Viermast-Galeone „C...
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Seewölfe 158 1
Roy Palmer 1.
Es waren erbarmungswürdige Gestalten, die der Ausguck im Großmars der Viermast-Galeone „Candia“ an diesem milden, sonnigen Junimorgen 1587 in einem Boot an der südlichen Kimm erblickte. Eben erst waren sie aufgetaucht, so unvermittelt, als hätte es sie vorher nie gegeben, aber schon vermochte der Ausguck auf seinem luftigen Posten die Einzelheiten ihrer Gesichter auseinanderzuhalten. Die Luft war klar, der Wind aus Nordwesten hatte die milchigen Schleier fortgekehrt, die im Morgengraben über den Atlantik gezogen waren. Deutlich hoben sich die Männer in der Jolle durch die kreisrunde Optik des Spektivs vom Hintergrund ab. Sie hockten zusammengesunken auf den Duchten und schienen von den Seglern, die sich auf sie zubewegten, überhaupt keine Notiz zu nehmen. Und doch mußten sie sie bemerkt haben, denn wenn der Ausguck der „Candia“ das kleine Boot gesichtet hatte, dann mußten. die Schiffbrüchigen die Galeone und die Karavelle des einst so stolzen Verbandes allemal entdeckt haben — auch ohne Fernrohr. Die Sonne stand noch als glutiger Feuerball im Osten über dem Festland und konnte keinen Mann, der nach Norden Ausschau hielt, blenden. Ja, auf diese Distanz mußten die Männer im Boot ihre Retter mit bloßem Auge sehen können. „Senor Comandante!“ schrie der Ausguck der „Candia“ aufs Deck hinab. „Treibendes Boot voraus! Wir segeln genau darauf zu!“ Im selben Augenblick ließ auch der Ausguck der spanischen Kriegskaravelle „Santa Angela“ einen Ruf vernehmen. Auf beiden Schiffen liefen Offiziere, Decksleute und Soldaten nach vorn und erklommen das Vorkastell, um die Entdeckung ebenfalls in Augenschein zu nehmen. Erst jetzt hoben einige der entkräfteten, zerlumpten Gestalten in dem Boot die Hände und winkten den beiden Schiffen träge zu. Sie fanden augenscheinlich nur
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noch einen winzigen Rest Energie, um Zeichen zu geben und heisere Schreie auszustoßen - das Pullen hatten sie längst aufgegeben. Das Segel, das nur noch in Fetzen an dem niedrigen Mast des Bootes hing, konnte ihr Fahrzeug auch nicht mehr voranbewegen, so daß sie den Meeresströmungen ausgeliefert waren und mit unbestimmtem Kurs an der portugiesischen Küste entlang trieben. Die Erschöpfung und die Verzweiflung hatten diese Männer zu willenlosen Marionetten in der unendlich wirkenden Weite der Wasserwüste werden lassen. Sie waren nervlich zerrüttet und körperlich nahezu zugrunde gerichtet. Die Geschehnisse der Sturmnacht hatten sie nachhaltig gezeichnet, Hunger und Durst hatten ein Weiteres bewirkt. Sie hatten sich hingesetzt, hatten vor sich hingestarrt, kein Wort mehr gesprochen und auf den Tod gewartet. Lucio do Velho stand jetzt an der vorderen Schmuckbalustrade der Back der „Candia“ und spähte durch sein Spektiv zu den Schiffbrüchigen hinüber. Zu seinen Füßen erstreckte sich die Galionsplattform der großen Galeone, darunter rauschte die Bugsee. Der frische raume Wind blähte die Blinde unter dem Bugspriet, wie er die gesamte Besegelung der „Candia“ wölbte und dem Schiff beachtliche Fahrt verlieh. Sie war kein altes Schiff, diese ViermastGaleone, sie war vielmehr erst knapp mehr als zwei Jahre alt und in ihrer Bauweise, Manövrierfähigkeit und Geschwindigkeit einer der modernsten Kriegssegler, den die Armada zu bieten hatte. Respektvollen Abstand hielten die Offiziere der „Candia“ von ihrem Kommandanten - ganz zu schweigen von dem „gemeinen Schiffsvolk“, das auf diesem wie allen anderen Kriegsschiffen des Vereinten Königreiches SpanienPortugal aus Seeleuten und Soldaten bestand. Keiner traute sich zu nah an diesen äußerlich nicht sonderlich auffälligen, seinen Charaktereigenschaften nach jedoch zu fürchtenden Mann heran. Keiner, außer Ignazio. Der bullige Mann aus Porto war auch diesmal vom
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Achterdeck aus seinem Kapitän nachgeeilt und verharrte nun neben ihm, um ihm mit „Rat und Tat“ zur Seite zu sein. Keiner ertrug den beißenden Spott und die Ungerechtigkeiten des Lucio do Velho so geduldig wie dieser Ignazio, keiner verfügte über ein so dickes Fell wie er. Wie Ignazio es fertigbrachte, unter do Velhos Fuchtel zu existieren, da doch unzählige gestandene Kerle an der Unberechenbarkeit des Kommandanten zerbrochen waren - dies war sein Geheimnis. Wahrscheinlich wußte er es selbst nicht genau, warum er do Velho in solcher Treue verbunden war, warum er noch nicht desertiert oder wegen Insubordination bestraft war. Mit Leichtigkeit hätte do Velho diesem recht einfältigen Bootsmann der „Candia“ etwas anhängen können, wie es seiner überheblichen, unduldsamen Wesensart entsprach. Do Velho drohte es auch immer wieder an, daß er Ignazio degradieren und von seinem Schiff weisen würde, aber letztlich setzte er es dann doch nicht in die Tat um. Im Gegensatz zu dem Bootsmann war er sich dabei über die Gründe seines Handelns voll bewußt. Ignazio hatte ihm, do Velho, schon zweimal das Leben gerettet. Einmal bei Formosa und einmal in Südafrika, im Land der Buschmänner. So absurd es klang: Solange Ignazio an do Velhos Seite weilte, schien der Tod immer wieder an ihnen vorbeizuschlüpfen und der Höllenfürst sie zu verachten. Dies war ausschlaggebend für Lucio do Velho, sonst hätte er sich des geistig ganz und gar nicht beschlagenen Mannes längst entledigt. Do Velhos Gesicht war ausdruckslos und undurchdringlich. Ohne sichtliche Gemütsregung betrachtete er die Männer im Boot. „Senor!“ rief der Ausguck. „Es sind die Männer der ,Extremadura`, ich habe sie erkannt!“ „Ja“, sagte do Velho. „Ungefähr ein Drittel der Besatzung, und der Kapitän ist nicht mit dabei.“
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„Vielleicht stoßen wir noch auf das zweite Boot der Karavelle“, erwiderte Ignazio. „Das glaubst du wirklich?“ „Ich hoffe es, Senor.“ Do Velho würdigte seinen Bootsmann nicht einmal eines Seitenblicks, er schaute weiter durch sein Spektiv voraus. „Ich habe das untrügliche Gefühl, daß wir die einzigen Überlebenden des Untergangs der ,Extremadura` vor uns haben“, sagte er. „Gäbe es auch das zweite Beiboot noch, dann hätten die Insassen versucht, den Kontakt mit den Kameraden nicht zu verlieren. Aber dir, Ignazio, fehlt natürlich der Scharfsinn, um eine solche Feststellung zu treffen.“ Der Mann aus Porto entgegnete diesmal nichts. Was hätte er auch sagen sollen? Daß er nur versuchte, die Situation zu beschönigen, da doch offensichtlich war, daß sie einen Fehler begangen hatten, als sie dem Sturm getrotzt hatten, statt sich unter Land oder in einer Bucht vor dem Toben des Wetters zu schützen? Ein paar ehrliche Worte hätten in diesem Fall garantiert bewirkt, daß do Velho die Beherrschung verloren hätte. Den Kommandanten durfte keiner kritisieren, auch wenn er seine Untergebenen mal nach ihrer Meinung fragte. „Sieh sie dir an“, sagte do Velho. „Eigentlich sollten sie hocherfreut sein, daß wir umgekehrt sind und sie gefunden haben. Aber sie können nicht einmal richtig winken, und ihre Gesichter gleichen Totenmasken. Ein undankbares Volk ist das.“ „Ja“, antwortete Ignazio. „Eigentlich sind sie es gar nicht wert, daß man sie auffischt, Senor.“ „Ach? Sollen wir also an ihnen vorbeisegeln und sie ihrem Schicksal überlassen?“ fragte der Kommandant lauernd. „Aber nein, Senor!“ „Siehst du“, sagte do Velho voll Verachtung. „Du solltest es dir wirklich abgewöhnen, mir nach dem Mund zu reden. Ich kriege es ja doch heraus, daß du gegen deine Überzeugung sprichst. Du
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bedauerst diese traurigen Figuren doch noch, gib es ruhig zu.“ „Sie haben viel durchstehen müssen.“ „Und wir? Haben wir nicht genauso die Zähne zusammenbeißen und gegen das Wüten der Natur kämpfen müssen?“ „Sicher, Senor Comandante.“ Lucio do Velho ließ das Spektiv sinken und sah seinem Bootsmann in die Augen. Sein Blick war bohrend, vernichtend, und insgeheim wünschte sich der Kommandant, Ignazio möge darunter zusammenzucken und vor Respekt zerfließen. Aber das tat der Mann aus Porto nicht. Seine Verhaltensweisen waren phlegmatischer Natur, außerdem kannte er seinen Vorgesetzten ja nun lange genug, um sich nicht durch jede Geste, jeden Blick einschüchtern zu lassen. Er schob nur seine Unterlippe ein wenig vor und hielt dem tödlichen Ausdruck in do Velhos Augen stand. „Aber wir haben das bessere Schiff, wolltest du doch sagen“, fuhr do Velho seinen Bootsmann an. „Gib es zu. Wir waren im Vorteil, weil die ,Candia` jeden Sturm abreiten kann, nicht aber die vier Schiffe, die sich in unserer Begleitung befanden.“ „Wir haben den besseren Schiffsführer, Senor Comandante.“ „Du bist ein elender Stiefellecker, Ignazio.“ „Danke, Senor.“ Ohne eine Miene zu verziehen, fuhr do Velho fort: „Aber es stimmt. Ob man den Tücken der See trotzt, hängt in erster Linie vom Kapitän, nicht von seinem Schiff ab. Auch der Kapitän der ,Santa Angela' ist ein Könner, dieses Lob muß ich ihm erteilen, denn im Gegensatz zum Kapitän der ,Extremadura` hat er es verstanden, seine Karavelle einigermaßen glimpflich durch den Sturm zu bringen.“ „Senor, si.“ „Wir drehen bei und nehmen die Schiffbrüchigen über. Ein Teil entert bei der ,Santa Angela' auf, einen Teil nehmen wir an Bord. Ich habe unter den Männern im Boot den ersten Offizier der
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,Extremadura` erkannt. Mit diesem Mann will ich reden. Er wird also bei uns auf der ,Candia` untergebracht.“ „Verstanden, Senor.“ Ignazio wandte sich um und gab den Befehl weiter. Rufe hallten über Deck. Auch drüben auf der „Santa Angela“ wurde auf ein Zeichen von Bord des Flaggschiffes hin die Order zum Beidrehen gegeben. Fast gleichzeitig richteten die Viermast-Galeone und die ZweimastKaravelle ihr Vorschiff in den Wind, nahmen Zeug weg und glitten mit verringerter Fahrt auf das Boot zu. Wirklich, die Schiffbrüchigen zeigten keine Begeisterungsstürme, sondern sahen dem Ende ihres unglücklichen Abenteuers eher apathisch entgegen. Sie hatten zuviel erlitten und waren zu abgekämpft, um lachen, weinen, gestikulieren oder lärmen zu können. Aber ihre Teilnahmslosigkeit lag zum Teil auch darin begründet, daß sie alles andere als ein Wiedersehen mit dem Kommandanten Lucio do Velho herbeigesehnt hatten. Do Velho hatte in Lissabon durch seine Hartnäckigkeit einen neuen Verband zusammenstellen können,, mit dem er den Seewolf jagte, aber niemand hatte sich darum gerissen, sich ihm anzuschließen, denn do Velho galt als einer der ungnädigsten, unmenschlichsten Geschwaderführer. Sein Ruf war ihm vorausgeeilt, er war als „El Milagrolado“, einer, der vom Wunder heimgesucht worden war, berühmt und berüchtigt geworden. In der Tat erschien es wie ein Wunder, daß Ignazio und er nach allem, was ihnen im Land der Buschmänner zugestoßen war, noch am Leben waren. Aber die meisten seiner Untergebenen wünschten sich inständig, jenes Wunder wäre nie geschehen. Auch jetzt, als die „Candia“ zunächst alle Schiffbrüchigen in Lee übernahm, zeigte der Kommandant nicht den Anflug von Humanität. Der Anblick der Gestalten, die mehr tot als lebendig wirkten, rührte ihn nicht. Im Gegenteil, er empfand es eher noch als richtig, mit dem ersten Offizier der
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„Extremadura“ im barschen Tonfall zu verfahren. „Senor, wo steckt Ihr Kapitän?“ Der Erste der Karavelle nahm vor do Velho Haltung an. Er räusperte sich, um seiner Stimme etwas von ihrer Heiserkeit zu nehmen, aber er hatte Mühe, nicht auf die gleiche rüde Art zu antworten. „Mit Sicherheit noch an Bord der ,Extremadura', Senor Comandante“, erwiderte er. „Das heißt, das Schiff ist nicht gesunken?“ „Das heißt, unser Capitan hat mit. der ,Extremadura' den ewigen Frieden gefunden, und zwar auf dem Grund der See, Senor.“ „Und da wagen Sie es noch, Witze zu reißen?“ Do Velho brüllte es fast. „Ich antworte nur auf Ihre Fragen, Senor“, entgegnete der erste Offizier mit bewundernswerter Ruhe. „Sie werden sich wegen Ihrer dreisten Art noch zu verantworten haben“, sagte do Velho eisig unterkühlt. „Und nicht nur deswegen. Sie werden noch sehen, was Sie sich eingehandelt haben, als Sie Ihr Schiff und Ihre Kameraden im Stich gelassen haben.“ „Mehr als die Hälfte der Besatzung war bereits vor die Hunde gegangen, als der Capitan uns den Befehl gab, von Bord zu springen“, verteidigte sich der Erste. „Die ,Extremadura' sank wie ein Stein, es gab keine Hoffnung mehr. Wir nahmen an, der Capitan würde uns folgen, Senor Comandante, deswegen gingen wir außenbords und griffen uns das Boot, das irgendjemand noch abgefiert hatte.“ „Sie haben ja ein erstaunliches Geschick, Tatsachen zu verdrehen“, meinte do Velho in seiner unvergleichlich ätzenden Art. „Aber damit kommen .Sie bei mir nicht durch. Bei mir nicht! Ich weiß, daß die ,Extremadura' hätte gerettet werden können!“ „Ich schwöre, daß ich die Wahrheit gesprochen habe!“ rief der entsetzte erste Offizier. „Meine Leute können es bestätigen. Gott ist unser Zeuge, daß die Dinge sich so abgespielt haben, wie ich es gesagt habe!“
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Lucio do Velho winkte ab. Ignazio ließ die übrigen Schiffbrüchigen, die jetzt aufbegehren wollten, zur Ordnung rufen. Stille trat ein, nur unterbrochen durch das Knarren der Rahen und Blöcke. „Lassen wir das jetzt“, sagte der Kommandant schließlich. „Wir vergeuden nur unsere Zeit. Die ,Santa Angela' haben wir wiedergefunden. Von der ,Extremadura' wissen wir, daß sie nicht mehr existiert. Was aber ist aus den beiden portugiesischen Galeonen ,Sao Sirio' und ,Sao Joao' geworden?“ „Wir wissen es nicht, Senor“, erwiderte der Erste der gesunkenen Karavelle, als sich alle Blicke auf ihn richteten. „Im Sturm verloren wir jeden Kontakt zu den anderen Schiffen.“ „Welches Schiff haben sie als letztes gesehen?“ fragte der Kommandant ungehalten. „Die ,Sao Joao'.“ „In was für einem Zustand befand sie sich?“ „In einem besseren als unsere Karavelle.“ „Und die ,Sao Sirio'?“ „Wir verloren sie sehr früh aus den Augen“, sagte der erschöpfte Mann. „Ich sah sie achteraus in Regen und Dunkelheit verschwinden. Sie schien ein Spielball der Wellen geworden zu sein:' Do Velhos Miene war jetzt eher verkniffen als arrogant. Er hatte die Hände auf dem Rücken ineinandergelegt und grübelte nach, ob es sich überhaupt lohnte, nach dem Rest des Verbandes zu forschen. Rasch faßte er seinen Entschluß. „Senores, wir segeln weiter. Die Hälfte der Männer von der ,Extremadura` wechselt jetzt mit einem Boot an Bord der ,Santa Angela' über, dann setzen wir wieder die Segel und fahren mit südlichem Kurs weiter an der Küste entlang.“ Eine halbe Stunde später trafen das Flaggschiff „Candia“ und die lateinergetakelte Karavelle „Santa Angela“ etwa fünfzehn Meilen von der Küste entfernt auf die arg lädierte Galeone „Sao Joao“, die vor dem Wind trieb. Der Sturm hatte ihr den Besanmast zerschlagen, wie ein Baum war er gefällt worden. Mit nur
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noch zwei Masten und unzureichender Takelung hatte der Kapitän getrachtet, das Land zu erreichen. Jetzt gab es ein Wiedersehen, das in etwas angenehmerer Atmosphäre als das zwischen Schiffbrüchigen und Rettern verlief - Lucio do Velho fand in einem Gespräch von Bord zu Bord sogar ein paar lobende Worte für den Kapitän der „Sao Joao“, der sich so tapfer gehalten hatte. Mit neuen Segeln wurde die „Sao Joao“ versorgt, dann konnte sie sich den beiden anderen Schiffen anschließen. Die Suche nach dem Rest des Verbandes ging weiter, immer an der Küste entlang in Richtung Süden. Der Rest des Verbandes - das konnte jetzt nur noch die „Sao Sirio“ sein. Do Velho hatte seine Zweifel, daß das Schiff den heftigen Sturm überstanden hatte, aber er wollte endgültige Gewißheit haben und ließ nicht locker, bis er die ganze Wahrheit erfuhr. Sie offenbarte sich ihm nicht sehr viel später, und seine düsteren Ahnungen wurden mit einem Schlag bestätigt. Der Ausguck der „Candia“ sichtete zunächst die Steilküste, der sie sich jetzt genähert hatten, und dann die Schatten, die unweit dieses ungastlichen Ufers aus der See ragten. Sofort wies er seinen Kommandanten darauf hin. Do Velho richtete wieder sein Spektiv auf die Entdeckung, „Ein Riff“, sagte er zu den Männern des Achterdecks. „Ein sehr gefährliches Riff. Wir haben jetzt ablaufendes Wasser, und man kann die Felsen aus den Fluten hochwachsen sehen. Bei Flut sind sie aber völlig verdeckt. Einer, der die Gegend nicht genau kennt, muß unweigerlich mit seinem Schiff auflaufen, falls er in Ufernähe gerät. Der auflandige Wind konnte heute nacht ein Schiff leicht auf Legerwall drücken.“ Ignazio, der sich ebenfalls mit einem Fernrohr bewaffnet hatte, stieß plötzlich einen bestürzten Laut aus, eine Mischung aus Seufzen und Keuchen. „Senor, ich sehe Schiffstrümmer auf dem Riff.“ „Ich sehe sie auch, du Narr!“
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„Sie meinen doch wohl nicht, daß es die Wrackteile der - mein Gott, laß es nicht wahr sein.“ „Warum so melodramatisch, Bootsmann?“ entgegnete do Velho: „Ich habe keinen Zweifel daran, daß wir die total zertrümmerte ,Sao Sirio` vor uns haben. Warum soll man sich Illusionen hingeben, wenn die Tatsachen unverkennbar sind?“ Ignazio ließ das Spektiv sinken. „Ich frage mich, was aus dem Kapitän und seiner Mannschaft geworden ist. Monforte - so heißt der Capitan doch, nicht wahr, Senor? Ob er noch lebt? Ob sich die Besatzung an Land retten konnte?“ „Darauf, werter Ignazio, können uns die Wrackteile weiß Gott keine Antwort geben“, erwiderte do Velho bissig. 2. Hasard blickte noch einmal in Joseas dunkle, traurige Augen, ehe er in das am Ufer der Bucht bereitliegende Beiboot der „Isabella VIII.“ stieg und an Bord seines Schiffes zurückkehrte. „Du glaubst also nicht mehr, daß alle Engländer gottverfluchte Schufte sind?“ fragte er sie. „Nein, ganz bestimmt nicht. Unter den Ingleses gibt es gute und schlechte Leute, genau wie bei uns.“ Hasard lächelte. „Hoffentlich ist das nicht nur ein Lippenbekenntnis. Nein, nein, du brauchst jetzt nicht zu beteuern, daß du aufrichtig bist. Ich will dir vertrauen, Josea. Laß dir zum Abschluß nur noch eins gesagt sein. Der Kampf, den wir gegen Spanien-Portugal führen, hat nichts mit unserer Einstellung zu der Bevölkerung dieser beiden Länder zu tun. Man findet überall Freunde, wenn man nur will, und wir haben sogar einmal einen Spanier an Bord unseres Schiffes gehabt.“ „Teilt deine Königin diese Ansichten?“ „Die ‚Isabella' gehört nicht der offiziellen englischen Flotte an, Josea.“ „Aber wer bist du dann eigentlich, Lobo del Mar?“ „Ein Korsar - und ein Rebell, wenn du so willst.“
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Eines ist sicher“, sagte sie leise. „Ich werde dich nicht vergessen. Es tut mir leid, daß ihr schon wieder aufbrechen müßt. Könnt ihr nicht noch bleiben?“ Segura und Franca, ihre jüngeren Schwestern, standen dich hinter ihr, blickten den großen Mann mit dem schwarzen Haar und den eisblauen Augen an und drückten allein durch ihr Mienenspiel die gleiche Bitte aus: Ja, bleib doch noch, Seewolf! Hasard schaute an den Klippfelsen hoch, die die geschützt liegende Bucht säumten. Ganz oben stand die Abuela, die Großmutter Brancate, eine urwüchsige, knorrige Gestalt, die mit dem schroffen Gestein verwachsen zu sein schien. Sie hatte die halbe Meile Weg vom Haus der Brancates zur Bucht nicht gescheut. Mitgelaufen war sie, um den Seewölfen Adios zu sagen, und in diesem Augenblick hob sie ihren Stock und winkte Hasard damit zu. Auch der Profos Carberry, der gerade in dem zweiten Beiboot zur „Isabella“ übersetzte, blickte zu der alten Frau hinauf. Er grinste, richtete sich dann kerzengerade auf und brüllte in seinem fürchterlichen spanischen Kauderwelsch: „Leb wohl, Rose von Portugal, und nochmals vielen Dank für den guten Landwein. Wir werden das Zeug schon alle kriegen. Und natürlich passen wir auf, daß wir die Flaschen nicht verwechseln, du kannst dich darauf verlassen!“ „Na“, sagte Big Old Shane, der auf der Ducht hinter Carberry saß. „Da würde ich mal nicht so sicher sein. Es gibt Leute, die vor lauter Zerstreutheit den falschen Wein saufen. Und dann buddeln sie ab und pennen ein, wie man so schön sagt.“ Der Profos drehte sich halb zu ihm um. „Sag mal, auf was willst du eigentlich anspielen, du alter Eisenbieger?“ „Ach, ich meine das nur so“, erwiderte Shane mit breitem Grinsen. Ferris Tucker, Ben Brighton, Dan O'Flynn und die anderen im Boot begannen zu lachen. „Ihr Heringe“, brummte Carberry. „Paßt bloß auf, daß ihr nicht baden geht. Das kann euch nämlich ganz schnell passieren,
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wenn ihr nicht eure dämlichen Schandmäuler haltet.“ Es wurmte ihn mächtig, daß sie ihn wegen seines Ungeschicks auf den Arm nahmen. Etwas zu voreilig hatte er nämlich Pinho Brancates Gastfreundschaft angenommen und einen Becher von dem „vorzüglichen portugiesischen Landwein“ in sich hineingekippt. Daß dem Rebensaft eine gehörige Dosis Schlafmittel beigepanscht war, hatte er etwas später dann am eigenen Leib erfahren. Die Abuela hatte gegen ihren Willen den Schlaftrunk zubereitet, weil ihr Sohn Pinho ihr immer wieder angedroht hatte, er würde sie in einem kleinen Boot den Dämonen der See ausliefern, falls sie sich weigere. Carberry hatte dieses Boot im Keller des Hauses inzwischen zerstört - und die Abuela war zufrieden. Fässer und Korbflaschen verschiedener Größen waren an Bord der „Isabella“ gemannt worden, nachdem die unerfreuliche Episode in der Herberge der Brancates überstanden gewesen war. Trinkwasser aus dem Brunnen befand sich in den Fässern, die Korbflaschen enthielten weißen und roten Wein, wobei der Großteil davon tatsächlich naturrein und unverfälscht war, wie die Abuela und die drei Mädchen glaubhaft versichert hatten. Vorsichtshalber und für alle Fälle hatte der Seewolf aber auch den Rest des Schlaftrunks mitgenommen der schwappte in drei besonders gekennzeichneten Flaschen. Hasard richtete seinen Blick wieder auf die Mädchen. „Und ihr werdet nun wirklich keine Seeleute mehr in euer Haus locken und überrumpeln?“ „Wir schwören es“, sagte Josea. „Wer am Riff Schiffbruch erleidet, dem werden wir helfen“, versicherte Segura. „Nur das - ohne uns zu bereichern.“ „Und wovon wollt ihr leben?“ „Von ehrlicher Arbeit“, antwortete die dreizehnjährige Franca. „Das ist seltsam“, entgegnete der Seewolf. „Ich glaube euch wirklich. Vielleicht muß ich es eines Tages bereuen. Aber auf eins könnt ihr euch verlassen: Sobald sich mir
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die Gelegenheit dazu bietet, komme ich wieder und prüfe nach, ob ihr Wort gehalten habt.“ Josea musterte ihn ernst. „Seit wir durch einen reinen Zufall vernommen haben, daß unser Vater und unsere Brüder uns hinters Licht geführt haben, ist alles anders. Für uns ist eine Welt zusammengebrochen. Unsere Eltern und unsere Brüder -sie haben uns angelogen und uns für ihre verbrecherischen Zwecke ausgenutzt. Niemals hätten wir mitgemacht, wenn wir gewußt hätten, daß sie ihre Opfer von den Klippen stürzten, statt sie irgendwo auszusetzen und unbehelligt zu lassen.“ „Der Padre sagte uns immer wieder, der Schlaftrunk raube einem Mann auch die Erinnerung“, fügte Segura bitter hinzu. „Deswegen glaubten wir ihm. Wir dachten, keiner der um sein Hab und Gut Erleichterten würde jemals in Erwägung ziehen, zu uns zurückzukehren, weil er eben nicht mehr wußte, wie ihm geschehen war.“ Franca sagte: „Du solltest auch von den Klippen stürzen, Lobo del Mar. Du und deine Männer. Und genauso sollte es dem Capitan Monforte und seinen Freunden ergehen.“ „Pinho, Emilia, Charutao und Ipora haben ihre gerechte Strafe verdient“, sagte Hasard. „Vergeßt aber nicht, daß sie eure Eltern und eure Brüder sind. Vielleicht bereut ihr noch, daß ihr ihnen trotz allem nicht mehr beigestanden habt.“ „Nein“, sagte Josea, und es klang fast erschreckend hart. „Wir können sie nicht bedauern. Jetzt nicht mehr. Mörder gehören hingerichtet, so bitter das auch für die Familie ist. Aber wir haben die Abuela, die uns als guter Geist des Hauses zur Seite steht.“ Hasard drehte sich zum Beiboot um. Matt Davies und die anderen Insassen blickten ihn fragend an. Ja, es wurde Zeit, daß auch sie sich an Bord der Galeone begaben. Je länger sie jetzt noch in der Bucht verweilten, desto gefährlicher wurde dieses Versteck für sie. Die See hatte sich beruhigt, und ein frischer Wind aus Nordwesten konnte
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schon bald die Konfrontation mit einem gegnerischen Schiff oder gar mit einem ganzen Verband herbeiführen. Die Spanier und Portugiesen kontrollierten ihre Küsten scharf, denn nach dem Überfall auf Cadiz waren sie außer sich vor Wut. Es war gut, jetzt Abstand zu ihnen zu gewinnen. Hasard wandte sich wieder zu den Mädchen um. „Der Richter, dem Capitan Monforte die vier übergibt, wird Pinho, Emilia, Charutao und Ipora schwerlich nachweisen können, was sie in den vergangenen Jahren getan haben. Nur Alvaro Monfortes Wort hat Gewicht. die Aussage eines Kapitäns der unüberwindlichen Armada. Wegen des Versuchs, die Männer der ,Sao Sirio` nach allen Regeln der Kunst auszuplündern, wandern eure Angehörigen sicherlich für einige Jahre hinter Gitter. Wenn sie wieder freigelassen werden, wird ihnen die Lust vergangen sein, ihre Mitmenschen auszunehmen.“ Josea seufzte. „Hoffentlich.“ „Hin und wieder bringen wir ihnen etwas zu essen in den Kerker“, sagte Franca. „Nicht wahr, das tun wir doch, oder?“ „Ja, ja“, erwiderte Segura. „Aber darüber brauchen wir uns jetzt noch nicht den Kopf zu zerbrechen.“ Hasard griff in die Tasche. „Das finde ich allerdings auch. Sorgen müßt ihr euch vielmehr um euren Lebensunterhalt machen. Es ist furchtbar, hungern zu müssen, ihr habt es am eigenen Leib erfahren, und ich will nicht, daß ihr wieder in so große Not geratet.“ Er brachte einen kleinen ledernen Beutel zum Vorschein. „Ja, Josea, es stimmt, wir befördern natürlich kein Getreide für die irischen Speicher in den Frachträumen unseres Schiffes. Ihr könnt erraten, was ein Korsar als Ladung mit sich führt.“ „Schätze“, flüsterte Segura. „Haufenweise Kostbarkeiten — wie die in deiner Kammer. Lobo del Mar. Mein Gott.“ Hasard drückte Josea den Lederbeutel in die Hand. „Ich hoffe, ihr habt ein sicheres Versteck irgendwo in eurem Haus. Keiner außer euch darf von diesem Beutel wissen.“
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„Sicher!“ rief Franca begeistert e aus. „Der ausgehöhlte Ziegelstein in der Kammer unserer Madre und unsres Padre Einen besseren Platz gibt es nicht!“ „Na also“, sagte der Seewolf lächelnd. „Einen Augenblick“, stieß Josea jetzt hervor. „Das können wir aber nicht annehmen. Hasard. Erst werdet ihr in unserer Herberge angegriffen und riskiert euer Leben, und dann übergibst du uns auch noch ein Geschenk.“ „Mein Geschenk an drei blühende Schönheiten'', entgegnete der Seewolf. „Ihr dürft es 'nicht zurückweisen, denn vielleicht hängt eure Zukunft davon ab. Eure Zukunft ist mir nicht gleichgültig. Haben wir uns jetzt verstanden?“ Joseas Augen schimmerten feucht, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, dem Seewolf die Hände auf die Schultern legte und ihm einen Kuß gab. Sie verlor dabei den Lederbeutel aus den Händen. Er fiel auf die Kieselsteine des Ufers. Franca bückte sich und hob den Beutel auf. Hasard löste mit sanfter Gewalt Joseas Hände von seinen Schultern. Er verabschiedete sich auch von Segura und Franca, indem er sie väterlich auf die Wange küßte, kehrte dann auf dem Absatz um und ging zum Boot. Josea und Segura hielten ihre Tränen nicht mehr zurück. Francas Abschiedsschmerz wurde indes durch den Inhalt des Beutels gelindert. Das Mädchen hatte sich auf die Steine gehockt und die kleine, weiche Ledertasche geöffnet. Perlen und Goldschmuck glitten in ihre Hand, als sie den Beutel umstülpte und schüttelte. „Por Dios“, hauchte sie überwältigt. „Santissima Madre, das darf nicht wahr sein.“ Das Beiboot der „Isabella“ dümpelte im Flachwasser. Matt Davies, Batuti und die anderen Rudergasten saßen auf den Duchten und hielten die Riemen bereit, um loszupullen. Hasard watete ein Stück durchs Wasser und kletterte auf die Heckducht. Er ergriff die Ruderpinne und gab seinen Männern das Zeichen zum Pullen.
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Kaum hatte das Boot sich in Bewegung gesetzt, da erklang aus dem Großmars der „Isabella“ ein Ruf. Hasard hatte alle Posten an Land abgezogen. Die komplette Crew befand sich an Bord der „Isabella“, und als Ausguck war wieder Bill, der Moses, in den Großmars aufgeentert. „Sir!“ rief der Junge. „Schiffe im Nordwesten! Ich habe ihre Mastspitzen soeben hinter den Felsen auftauchen sehen!“ „Besuch“, sagte der Seewolf gepreßt. „Verdammt und zugenäht, wir hätten doch eher in See gehen sollen. Wenn das Dons sind, sitzen wir in der Falle.“ Die Männer begannen wie besessen zu pullen. * Kaum an Bord der „Isabella“ angelangt, enterte Hasard mit Dan O'Flynn in den Vormars auf, um sich selbst ein Bild von der Lage zu verschaffen. Mit ihren Kiekern spähten sie über die Klippfelsen nach Nordwesten –dorthin, wo sich das Riff befand, von dem die Brancate-Mädchen ihnen mittlerweile erzählt hatten. Nur die Masten waren von den fremden Schiffen zu erkennen, einen Ausblick. auf ihre Aufbauten und Rümpfe ließen die sichtversperrenden Felsen nicht zu. „Drei Schiffe“, sagte Dan O'Flynn. „Eine lateinergetakelte ZweimastKaravelle und zwei Galeonen, wie es den Anschein hat“, meinte der Seewolf. „Auf jeden Fall zwei Rahsegler, einer mit zwei, der andere mit vier Masten. Sie führen die spanische Flagge, wir brauchen uns also keinen Hoffnungen hinzugeben, es etwa mit Freibeutern zu tun zu haben.“ „Nein. Aber eine Galeone mit zwei Masten, hältst du das wirklich für möglich?“ Hasard grinste. „Ich halte es für möglich, daß die Galeone im Sturm schwer angeschlagen worden ist und einen Mast eingebüßt hat, so wie sein Rigg durchs Spektiv aussieht.“ „Richtig, das kann natürlich sein. Mann, bin ich denn heute total vernagelt?“
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„Vergiß die Mädchen, Dan.“ „Das habe ich schon getan.“ „Es wird ernst, mein Freund. Wir kriegen gleich ein genaueres Bild von den Seglern dort, denn sie sind nach meiner Schätzung inzwischen an dem Riff vorbei und steuern mit raumem Kurs fast direkt auf die Einfahrt der Bucht zu.“ „Der Teufel soll sie holen! Konnten, die nicht aufs Riff brummen?“ „Nicht bei Ebbe, Dan.“ „Hölle, sie haben die Felsen aus dem Wasser ragen sehen“, wetterte der junge Mann. „Und genauso entdecken sie gleich auch die Bucht, die bei diesem Wetter und dieser klaren Sicht höchstens ein Blinder verfehlen könnte. Wer sind die Hunde? Eine Patrouille, die die Küste nach Störenfrieden absucht?“ „Dan, schau genau hin. Sollten wir den Viermaster nicht kennen?“ Dan ließ den Kieker sinken und kratzte sich am Hinterkopf. „Also, gesetzt den Fall! Da wäre doch ein ganz klarer Widerspruch. Gut, wir wissen jetzt, daß Monforte mit seiner 'San Sirio' dem Verband von do Velho angehörte und dieser Verband aus fünf Schiffen bestand. Wir wissen ferner, daß Lucio do Velho, dieser Bastard, wie durch ein Wunder unser letztes Rendezvous in der Walfischbucht überlebte und auch seine ,Candia' wiederfand. Aber ich frage dich, wieso sollte der nach Süden zurücksegeln, da er doch geradezu versessen darauf zu sein scheint. Nordkurs zu halten?“ „Stellen wir jetzt keine Mutmaßungen an“, erwiderte Hasard. „Monforte wollte ja auch nichts über den Auftrag sagen, mit dem da Velho unterwegs ist. Soweit ließ unser Freund die Geheimhaltung einem ‚Iren' gegenüber eben doch gelten.“ „Sir!“ rief Bill aus dem Großmars zu ihnen herüber. „Die Schiffe geraten ziemlich nahe an uns heran!“ „Danke, Bill“, erwiderte der Seewolf. „Von jetzt an nicht mehr rufen, verstanden? Der Gegner könnte uns hören.“ „Aye, Sir“, sagte Bill.
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Hasard und Dan enterten wieder ab. An Deck herrschte rege Tätigkeit. Die Beiboote waren hochgehievt und festgezurrt worden, jetzt bedienten die Männer unter Carberrys barschen Anweisungen das Gangspill auf der Back, um den Anker zu hieven. „Ben, Ferris, Shane, Smoky“, sagte der Seewolf. „Wir machen gefechtsklar. Haltet auch die Höllenflaschen und die Brandsätze bereit, die wir noch haben, vergeßt nicht, Brandpfeile vorzubereiten.“ Sekunden später wurden die Culverinen der „Isabella“ ausgerannt, die Drehbassen auf Vor- und Achterdeck geladen. sowie alle weiteren Vorbereitungen für einen eventuellen Kampf getroffen. Routinemäßig wickelte die Crew jeden Handgriff ab. und im Nu hatte sich die Galeone in eine schwimmende Bastion verwandelt. Brüllen durfte auch Carberry nicht mehr, aber das Ganze lief doch nicht ohne sein Gefluche und Gemecker ab, denn wenn der Profos nicht mehr fluchte, fehlte der Suppe die Würze, wie der Kutscher gelegentlich zu sagen pflegte. Carberry „flüsterte“ also, was bei ihm mit normalem Sprechen gleichbedeutend war. Wehe, wenn er wirklich mal richtig flüsterte! Dann war Holland in Not und knüppeldicker Verdruß in Sicht, denn jedem Höllensturm geht meist eine beängstigende Ruhe voraus. Zum Auslaufen bereit lag die „Isabella VIII.“ in der Felsenbucht. Ihr Bug wies nach Norden. Hasard ließ die Fock setzen, um seinem Schiff ein wenig Fahrt zu verleihen und es von der Einfahrt wegzumanövrieren. Falls der Feind von außen nur einen Blick in die Bucht warf, sollte er die „Isabella“ nicht sehen. Josea, Segura und Franca waren inzwischen in die Felsen aufgestiegen und hatten sich zu ihrer Abuela gesellt. Die alte Frau, immer noch im Vollbesitz ihrer Sinne, hatte die fremden Schiffe ebenfalls entdeckt und bedeutete den Mädchen in diesem Moment, sich ruhig zu verhalten. Die vier duckten sich hinter die Steinquader, zwischen denen Dan O'Flynn
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am Vorabend seine erste Begegnung mit Segura und Franca gehabt hatte. Hasard kontrollierte die Gefechtsstationen nur kurz, er konnte sicher sein, daß seine Männer es nicht an der nötigen Sorgfalt mangeln ließen. Der Kutscher lief noch auf und ab und streute Sand an Oberdeck aus, der der Crew im Gefecht einen sicheren Stand auf den Planken sicherte und außerdem das Ausbreiten von Feuersbrünsten eindämmte. Hasard schritt an ihm vorbei, erklomm die Hauptwanten und enterte zu Bill in den Großmars auf. Arwenack, der Schimpanse, leistete dem Jungen dort oben Gesellschaft. Der Affe rückte bei Hasards Erscheinen respektvoll zur Seite, hob die Augenbrauen, furchte die Stirn und beobachtete mit wachsender Besorgnis, wie der Kapitän und der Moses nach Backbord blickten und sich unterhielten. Ärger würde es geben, das hatte auch Arwenack bereits begriffen. Er stellte sich sozusagen seelisch darauf ein. Wenn es ganz hart kam, würde er sich unter Deck verkriechen, aber nur im äußersten Notfall. Von dem Viermaster, der den beiden anderen Schiffen voraussegelte, war jetzt etwas mehr zu erkennen. Hasards Blick durchs Spektiv wanderte an den Masten und Rahen und am Rigg der Galeone auf und ab. Erinnerungen wurden in ihm wach, und sein Herz schlug plötzlich schneller. „Ich habe keinen Zweifel mehr, Bill“, sagte er. Bill, der von den Ereignissen im Haus der Brancates und von Alvaro Monfortes Schilderungen noch keinen genauen Bericht vernommen hatte, erwiderte: „Sie meinen — Sie haben das Schiff erkannt, Sir?“ „Ja. Es ist die ,Candia`.“ „Die Galeone des Hetzers“, sagte der Schiffsjunge. „Allmächtiger, da können wir aber wirklich auf ein heißes Gefecht gefaßt sein, Sir. Da werden die Fetzen fliegen.“ „Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Wir haben zwar die denkbar ungünstigste Position, falls die Kerle uns hier aufstöbern und das Feuer auf uns
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eröffnen, aber wir werden ihnen trotzdem eine Überraschung bereiten, Bill, das schwöre ich dir.“ „Und dann wagen wir den Durchbruch, nicht wahr?“ „Mit Todesverachtung, jawohl.“ „Sir, ich wünsche diesem Kommandanten do Velho und seinen Leuten, daß sie sich vor Schreck die Hosen vollmachen, sobald sie uns zu Gesicht kriegen“, sagte der Moses. Hasard mußte lachen, obwohl ihm nicht gerade danach zumute war. „Ein wirklich frommer Wunsch, Junge, aber ich habe meine Zweifel, daß er in Erfüllung geht.“ 3. Do Velho stand immer noch am Backbordschanzkleid auf dem Achterdeck seines Viermasters und suchte mit dem Spektiv die Küste ab. Seine Haltung versteifte sich plötzlich, als er etwas weiter südlich die Lücke entdeckte, die im grauschwarzen Gestein der Steilküste klaffte. Diese Öffnung konnte man leicht übersehen, denn in ihrem Hintergrund erstreckte sich der gleiche schroffe, zerklüftete Fels mit derselben Farbe, so daß sich die Passage selbst im Fernrohr kaum von dem eintönigen Einerlei der ganzen unwirtlichen Uferregion abhob. Do Velho hatte jedoch festgestellt, daß die Öffnung in eine Bucht führte. Ohne das Spektiv sinken zu lassen, erteilte er seinen Befehl. „Bootsmann, sofort abfallen und Kurs auf die Einfahrt der Bucht nehmen.“ Er streckte die rechte Hand aus und wies auf seine Entdeckung, damit auch Ignazio darauf aufmerksam wurde. „Das scheint nur eine kleine Bahia zu sein, Senor“, sagte der Mann aus Porto. „Und bei der geringen Wassertiefe werden wir ohnehin Schwierigkeiten haben, die Einfahrt zu durchsegeln.“ „Wir pirschen uns ganz vorsichtig heran“, sagte do Velho. „Gib den Kapitänen der ‚Santa Angela' und der ,Sao Joao' ein Signal, daß sie in Kiellinie hinter uns hersegeln.“ „Si, Senor.“
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„Ich will wissen, was es mit dieser Bucht auf sich hat. Vielleicht haben sich Schiffbrüchige der ‚Sao Sirio` dort hinein retten können. Vielleicht warten sie auf uns.“ „Senor“, sagte Ignazio. „Verzeihen Sie mir die Bemerkung, aber was ist, wenn nicht die Männer der Galeone, sondern jemand anders dort auf uns wartet?“ „Zum Beispiel?“ „Ich will nicht sagen, der Seewolf, Senor, aber es gibt genug andere Freibeuter, die diesen Küstenstrich verunsichern. Darauf wurden wir doch auch in Lissabon hingewiesen, wenn ich mich nicht irre.“ Do Velho beschrieb eine fast joviale Geste zu seinem Bootsmann hin. „Donnerwetter, Ignazio, das nenne ich einen Geistesblitz. Ausnahmsweise muß ich einmal eingestehen, daß du recht haben könntest. Himmel, es wäre schon ein ungeheuerlicher Zufall, wenn wir hier tatsächlich Killigrew und seinen Bastarden begegnen würden. Ich glaube einfach nicht daran. Aber wir müssen für den Ernstfall gerüstet sein, selbst wenn nur eine lächerliche Seeräuber-Schaluppe versucht, uns aufzulauern.“ „Also rüsten wir zum Kampf?“ „Schiff klar zum Gefecht“, sagte do Velho. Ignazio eilte zunächst zum Rudergänger und gab ihm den neuen Kurs an, dann teilte er den Offizieren, dem Profos und dem Schiffsvolk die Order des Kommandanten mit. Die Rahen der „Candia“ wurden geradegestellt, das Schiff legte sich platt vor den Wind, aus den Toppen wurde der „Santa Angela“ und der „Sao Joao“ signalisiert, wie sie sich zu verhalten hatten. Dann trappelten Schritte über Deck, bewegte sich ein Wirrwarr von Gestalten auf der Kuhl auf und ab. Über die Niedergänge hasteten die Seeleute und die Soldaten auch zum unteren Batteriedeck, und kurz darauf wurden die Stückpforten hochgezogen. Rumpelnd rollten die Kanonen aus. Die Stückmeister, Geschützführer und Gehilfen nahmen an ihren genau vorgeschriebenen Plätzen Aufstellung. Pützen und Kübel mit
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Seewasser zum Befeuchten der Wischer wurden bereitgestellt, Kellen, Kratzer, Ansetzer, Borstenschwämme und anderes Ladegerät wurden rasch verteilt. Im Nu breitete sich eine fiebrige Atmosphäre aus. Lucio do Velho war an die vordere Schmuckbalustrade des Achterdecks getreten und wohnte diesem Schauspiel bei. Er, der studierte Mann, der Mime aus Passion, konnte sich immer wieder an dieser großartigen Szenerie begeistern. Gab es eine überzeugendere Demonstration von Macht, etwas Überwältigenderes als ein schwimmendes Meisterwerk der Baukunst, aus dessen offenen Stückpforten drohend die Kanonenmündungen hervorlugten? Zwanzig bronzene 17-PfünderCulverinen befanden sich auf der Kuhl der „Candia“, auf dem darunter befindlichen Batteriedeck stand noch einmal die gleiche Zahl von Geschützen desselben Kalibers bereit. Eine Armierung, mit der die „Candia“ fast jedem anderen Schiff haushoch überlegen war. Die Klippfelsen schienen auf den Viermaster zuzugleiten. Do Velho erteilte wieder seine Kommandos. Er ließ mehr Zeug wegnehmen und schickte einen Mann auf die Galionsplattform, der auf dem Bauch liegend fortwährend die Wassertiefe ausloten und aussingen mußte. Untiefen, Felsenriffe mit messerscharfen Auswüchsen - davor hatten do Velho und seine Mannschaft sich im Augenblick am meisten zu fürchten. Aber der Kommandant ging das Risiko ein. Eine merkwürdige Unruhe hatte ihn erfaßt, er folgte einem schwer zu erklärenden inneren Antrieb und wußte, daß seine Anspannung erst wieder nachließ, wenn er die Felsbucht erkundet hatte. Keine Kabellänge trennte die „Candia“ jetzt mehr von der Einfahrt zur Bucht. Do Velho blickte wie gebannt voraus. Nur noch mit Großsegel und Blinde näherte sich die „Candia“ ihrem Ziel. „Fünf Faden“, sang der Mann auf der Galionsplattform aus. „Ignazio“, sagte do Velho.
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Der Bootsmann fuhr zu ihm herum, do Velho winkte ihm zu, und sie stiegen beide auf die Kuhl hinunter, überquerten sie, klommen die Back hoch und gingen bis nach vorn an die Balustrade, von wo aus sie den besseren Ausblick hatten. „Die Wassertiefe!“ rief der Kornmandant. „Fünf Faden, Senor“, erwiderte der Mann, der das Senkblei bediente. „Gleichbleibende Tiefe“, sagte Lucio do Velho. „Ausgezeichnet. Wir dürfen hoffen, daß wir bis in die Bucht gelangen. Wir befinden uns jetzt direkt vor der Passage und können in die Bucht spähen. Was siehst du?“ Der Mann aus Porto hob das Spektiv ans Auge, hielt angestrengt Ausschau Und verkündete dann: „Felsen, nichts als Felsen, Senor Comandante.“ „Was schließt du daraus?“ „Daß sich niemand in der Bucht befindet.“ „Aber es könnte einen toten Winkel geben, den wir von hier aus nicht einsehen. Wir werden auch den erkunden. Ignazio, ist auch auf den Felsen kein menschliches Wesen zu sehen?“ „Nein, Senor.“ Do Velho blickte selbst durchs Rohr und befand, daß die Landschaft rund um die Bucht tatsächlich trostlos und verlassen erschien. „Al diablo“, murmelte er. „Wie ist das nun eigentlich - sind sämtliche Männer der 'Sao Sirio' ertrunken, oder haben sie Angst, sich uns zu zeigen?“ * Nördlich der Buchteinfahrt erhoben sich die mächtigsten Klippfelsen, und genau dahinter hatte der Seewolf seine „Isabella“ jetzt gesteuert, sonst hätten do Velho und seine Leute mittlerweile zumindest die Mastspitzen der Galeone gesichtet. So aber lag die „Isabella“ für eine Weile völlig versteckt. Sie dümpelte nahe der Felsenmauer, die die Bucht zur See hin abschirmte, und lief nur ganz wenig Fahrt. Weder Bill noch sonst jemand an Bord konnte den Gegner in diesen Minuten sehen, das war der Nachteil des Manövers,
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jedoch im Vergleich zu allen Widrigkeiten, die noch eintreten konnten, ein Handikap, das man verkraften konnte. Hasard stand auf dem Achterdeck unweit des Besanmastes. Ben Brighton, Ferris Tucker und die beiden O'Flynns befanden sich in seiner Nähe. Big Old Shane war mit Pfeil und Bogen in den Großmars zu Bill aufgeentert, Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, hatte den. Vormars erklommen. Smoky und Al Conroy hatten auf Hasards Anweisung hin auf der Back an den beiden vorderen Drehbassen Position bezogen. Carberry und der Rest der Crew hielten sich auf der Kuhl zum Einsatz bereit. Rudergänger Pete Ballies Hände verkrampften sich ein wenig um das Ruderrad der „Isabella“. Er wußte, daß er, wenn es hart auf hart ging, eine Meisterleistung zu vollbringen hatte. „Sie kommen“, sagte Hasard. „Daran besteht kein Zweifel mehr. Als wir sie zum letztenmal gesehen haben, haben sie Direktkurs auf die Bucht genommen. Die ,Candia' segelt ihren beiden Begleitern voran.“ „Das gibt ein Wiedersehen“, versetzte Ben Brighton grimmig. „Ich möchte wirklich wissen, wie der Hundesohn do Velho es fertiggebracht hat, sein Fell zu retten. Nach menschlichem Ermessen hätte er bei dem Kampf in der Walfisch-Bucht krepieren müssen.“ „Und mit ihm sein verdammter Bootsmann“, sagte Ferris Tucker. „Haben die einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, daß sie immer wieder mit einem blauen Auge davonkommen, oder was ist los?“ „Vielleicht sind sie wirklich mit Satan und den Dämonen der Hölle im Bund“, orakelte Old Donegal Daniel O'Flynn. „Ich habe ja stets gesagt, es geht nicht mit rechten Dingen zu, daß diese Himmelhunde es schaffen, sich immer wieder an unsere Fersen zu heften. Seit Formosa sind sie jetzt hinter uns her, um den halben Erdball sind sie uns gefolgt. Die müssen magische Kräfte haben, Männer, und ...“
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„Hör doch auf“, fiel sein Sohn ihm ins Wort. „Selbstverständlich gibt es für alles eine vernünftige Erklärung. Ich begreife nicht, wieso du immer wieder deine Spukgeschichten auspacken mußt, Dad, das ist doch nun wirklich nicht angebracht.“ „Was?“ zischte der Alte. „Fängst du jetzt auch schon an, mich zu kritisieren? Habt ihr Halunken denn alle keinen Respekt mehr vor einem weisen, erfahrenen Seemann?“ „Ich finde, es ist richtig, frei von der Leber weg zu reden“, entgegnete sein Sohn. „Keiner kann deine Gruselmärchen verkraften, Dad. Du solltest wirklich endlich damit aufhören, dieses Zeug zu verbreiten.“ „Also, das schlägt doch dem Faß den Boden aus“, ächzte Old Donegal. „Ich hätte am besten gar nicht erst vom Teufel gesprochen“, meinte Ferris. „Schluß jetzt“, sagte der Seewolf. „Ihr könnt das von mir aus später erörtern. Ben, es ist klar, daß wir unter normalen Umständen kreuzen würden, um die Bucht zu verlassen und auf die offene See hinauszugelangen. Wir haben den Wind ungünstig von Nordwesten, und deshalb gibt es nur eine Möglichkeit, dem Feind ein Schnippchen zu schlagen. Rammen können wir ihn nicht, es wäre das Dümmste, was wir tun könnten. Nein, wir lassen ihn lieber passieren und rauschen dann mit Kurs Südwesten hart am Wind aus der Bucht, klar?“ „Aye, Sir. Hauptsache, auch do Velho geht auf dieses Spielchen ein“, entgegnete Ben trocken. „Er liegt mit seinem Schiff platt vor dem Wind, und auch mit wenig Zeug hat er noch immer so viel Fahrt drauf, daß er mit vier, fünf Knoten Geschwindigkeit in die Bucht eindringt.“ „Und wir?“ „Wir nutzen zuerst das bißchen Wind aus, das über den Klippfelsen wegstreicht. Dann, in der Passage, setzen wir jeden Fetzen, meinetwegen auch dein Hemd und deine Hose, 'Ben Brighton.“
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Ben grinste. „In Ordnung, Sir. Wird schon schiefgehen, das Ganze.“ Die „Isabella“ dümpelte weiter. Stille breitete sich an Bord aus, das Rauschen des Wassers an den Bordwänden, das leise Knarren der Blöcke und Rahen klang überlaut. Bill, der Moses. hockte im Großmars neben Big Old Shane und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß doch alles klappen möge. Im Logis saßen Philip und Hasard, die Söhne des Seewolfs, nebeneinander auf einer der Kojen und kneteten die Hände, denn auch sie hatten begriffen, daß etwas außerordentlich Schwerwiegendes bevorstand. Bei Sturm oder vor einem Gefecht schickte ihr Vater sie grundsätzlich ins Vorschiff, und von dort rührten sie sich auch nicht fort, denn jüngst vor Cadiz hatten sie erfahren, was es hieß, zu naseweis zu sein. Hoch oben auf den Klippfelsen kauerten immer noch die Abuela Brancate sowie die Mädchen Josea, Segura und Franca hinter den mächtigen Steinquadern. Sie hielten in diesem Augenblick alle vier den Atem an, denn die „Candia“ schickte sich gerade an, die Buchteinfahrt zu durchqueren. Natürlich war auch der Alten und den Mädchen klar, was ihren Freunden, den „Corsarios ingleses“, jetzt blühte. Hasard blickte zur Einfahrt. Zu seiner Rechten ragten die Felsen wie drohende Giganten auf. Der Bugspriet des Viermasters erschien, er brachte eine prall geblähte Blinde mit, zog eine rauschende Bugwelle schräg unter sich nach, den Bug und Vorsteven, die Galion, die Galionsplattform mit der Gestalt eines liegenden Mannes darauf, und danach erschien der Namenszug des feindlichen Seglers im Blickfeld der Seewölfe: „Candia“. Hasards Hand flog hoch. Auf sein Zeichen hin lösten die Männer das Vormars- und Großmarssegel aus dem Gei. Genug Wind strich flach über die Klippfelsen, um diese Segel zu füllen. Die „Isabella“ beschleunigte, krängte ein wenig nach Backbord und lief genau auf die „Candia“
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zu, die nun in ihrer ganzen Größe und Pracht aus der Felsenöffnung auf - tauchte. Lucio do Velho und sein Bootsmann Ignazio standen auf der Back des Schiffes; Hasard und seine Männer konnten sie in aller Deutlichkeit erkennen. Do Velhos Kopf flog herum, er erstarrte und war fassungslos. Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hatte er sich auszumalen gewagt, daß er den verhaßten Gegner ausgerechnet in dieser Bucht antreffen würde. Er war geschockt - und genau dieser Umstand zögerte alles, seine Entscheidung, sein Handeln, die offene Auseinandersetzung, um Augenblicke hinaus. Schneller lief die „Isabella“ auf die Passage zu. Die Steinbarriere glitt an ihr vorbei, die Einfahrt öffnete sich mehr und mehr, der Wind nahm zu -Hasard gab seinen Männern durch eine Gebärde zu verstehen, sie sollten Vollzeug setzen. Fast war die „Candia“ an der „Isabella“ vorbei, da hatte Lucio do Velho sich gefaßt und brüllte: „Feuer!“ Die Geschützführer auf der Backbordseite senkten ihre Luntenstöcke auf die Bodenstücke der Culverinen. Nur die achteren vier Kanonen des oberen und unteren Batteriedecks wurden gezündet, alle übrigen konnten auch durch einen raschen Schwenk nicht mehr in Zielposition auf die „Isabella“ gebracht werden. „Feuer!“ tönte nun auch der Ruf des Profos' der „Candia“. Die Kanonen spie ihre tödliche Ladung aus und ruckten auf ihren Lafetten zurück, bis die Brooktaue den Rückstoß abfingen. Achtfaches Feuer orgelte auf die „Isabella“ zu und sprang sie mit Urgewalt an. Hasard und seine Männer lagen in dieser Sekunde bereits flach an Deck und deckten die Köpfe mit den Händen ab. Der Abstand zwischen beiden Schiffen vergrößerte sich noch, als die Kugeln auf die „Isabella“ zurasten. Dann waren sie heran und jagten den Seewölfen allein durch ihr Pfeifen und Heulen kalte Schauer über den Rücken. Sechs Kugeln aus den weiter vorn gelagerten Geschützen der „Candia“
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strichen wirkungslos hart an Backbord der „Isabella“ vorbei. Zwei trafen. Sie rasierten an der Bordwand entlang und über das Schanzkleid weg und spellten die hölzerne Haut der Galeone auf. Es krachte, barst und splitterte, und ein feiner Ruck lief durch das ganze Schiff. Carberry brüllte nicht, Carberry sprach nicht — Carberry flüsterte. „Zum Teufel mit dir und deiner Bande von Bastarden, do Velho“, raunte er, während er sich zwei Yards vom Großmast entfernt hinter die Lafette eines 17-Pfünders duckte und darauf wartete, daß die Trümmer auf ihn und die anderen Männer niederprasselten. Dann war es vorbei. Schaden hatten die zwei Kugeln der „Candia“ angerichtet, aber sie hatten keinen der Männer getötet, nicht einmal Verletzungen durch ihre Eisensplitter hervorgerufen, als sie zersprungen waren. Hasard war auf den Beinen und schrie: „Feuer!“ Carberry sprang wie ein Tiger auf, war neben Jeff Bowie und entriß diesem die Lunte für eine der Backbord-Culverinen. Ferris Tucker war hinter seine „Höllenflaschenabschußkanone“ gekrochen, hob jetzt den Kopf und zündete die erste Flasche, die fix und fertig in der hölzernen Pfanne der Schleudervorrichtung ruhte. Im Groß- und Vormars züngelten Feuerlanzen auf. Sie wurden durch die mit ölgetränkten Lappen umwickelten Pfeilspitzen verursacht, die Big Old Shane und der Gambia-Mann in Brand gesetzt hatten. Hasard und Ben stürzten an die achteren Drehbassen. Sie schwenkten die Hinterlader auf ihren Gabellafetten herum und zielten auf das Schiff des Erzfeindes. Edwin Carberry hielt die glimmende Lunte an die Öffnung des Zündkanals im Bodenstück der Culverine. Knisternd fraß sich die Glut bis zum Zündkraut durch. Der Profos kniete immer noch hinter dem Geschütz und justierte es mit größtmöglicher Präzision — auf die Gefahr
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hin, daß es losdonnerte und ihn im Zurückrollen überfuhr und zerquetschte. Buchstäblich im letzten Augenblick wich der Profos zur Seite. Die Culverine spuckte brüllend ihre Ladung aus, dann wummerten auch zwei andere Geschütze der Backbordseite los, die von Matt Davies und Blacky gezündet worden waren. Es hatte keinen Zweck, mit den weiter vorn befindlichen 17-Pfündern noch auf Lucio do Velhos Flaggschiff zu feuern. Der Viermaster segelte bereits außerhalb der Reichweite dieser Kanonen. Die „Isabella“ drang in die Passage zwischen den turmhohen Felsen ein und hatte mit einemmal die anderen beiden Gegner vor sich: die „Santa Angela“ und die „Sao Joao“. „Feuer!“ schrie der Seewolf erneut. Im selben Moment hieben die Kugeln der „Isabella“-Geschütze in die Heckpartie des feindlichen Viermasters. Carberrys Kugel war die erste. Sie zertrümmerte dem Portugiesen einen Teil der Heckpartie, ein Weiteres besorgten den Bruchteil einer Sekunde später die beiden anderen Geschosse. Fast die gesamte Heckpartie brach der „Candia“ weg, und dann zerklirrten auch ihre Heckfenster, knackten ein paar Yards Schanzkleid weg, wirbelte eine der drei Achterlaternen durch die Luft. In hohem Bogen segelte sie über den Abschluß des Achterkastells und klatschte schließlich ins Wasser. Hasard und Ben zündeten die Ladungen der achteren Drehbassen. Zweimal rasch hintereinander krachte es, weiße Qualmwolken pufften hoch — und dann jubelten die Seewölfe, denn auch diese beiden Kugeln fanden ihr Ziel. Sie hieben der „Candia“ in die Besanrüsten der Backbordseite. Das Holz knickte weg, die Wanten lösten sich. Nicht nur das stehende Gut, auch das Rigg der „Candia“ geriet in Unordnung, denn Shane und Batuti ließen ihre Brandpfeile von den Bogensehnen. schwirren. Flackernd senkten sich die Feuerzungen auf die Segel des Gegners, und hier, im trockenen Tuch, fanden die Flammen
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reichliche Nahrung. Sofort schossen sie bis über die Toppen des Viermasters hinaus. Schreie gellten zur „Isabella“ hinüber. Do Velho brüllte seine Befehle, Männer seines Schiffes enterten in den Wanten auf, bewaffneten sich mit wassergefüllten Pützen und Kübeln, um das Feuer im Rigg zu löschen. Ferris Tucker sandte die Höllenflaschen zur „Candia“ hinüber, dann war die „Isabella“ aus der Passage heraus. Hoch am Wind segelte sie mit südwestlichem Kurs in Schrägrichtung zur Küste aus der Bucht davon und krängte weit nach Backbord. Carberry hastete zu den Kanonen der Steuerbordseite hinüber und konnte gerade noch „Achtung, es gibt Zunder!“ rufen. In diesem Moment eröffnete die Kriegsgaleone „Sao Joao“, die vor der Karavelle „Santa Angela“ lief, das Feuer. Zwei Buggeschütze spuckten ihr Eisen gegen die Galeone der Seewölfe aus. Ferris Tuckers Explosionsflasche landete unterdessen auf dem Achterdeck der „Candia“, rollte bis zum Steuerbordschanzkleid und drohte dort durch eins der Speigatten zu rutschen. Dann aber verfing sie sich doch. Mit einem gelbroten Blitz ging sie hoch, als Carberry auf der „Isabella“ gerade wieder „Feuer!“ schrie. Planken und Balken wirbelten. Die Abuela und die drei Mädchen konnten von ihrem erhöhten Platz aus erkennen, daß eine beachtliche Bresche im Achterkastell der „Candia“ klaffte. Man konnte fast bis in die Kapitänskammer sehen, es hätte wirklich nicht viel gefehlt, und auch do Velhos Allerheiligstes wäre in Schutt und Asche gelegt worden. Der Kommandant tobte. Er versuchte, sein Schiff herumzumanövrieren. aber in der Felsenbucht hatte der Wind nicht genug Macht, es dauerte eine Ewigkeit, bis die „Candia“ wendete. Eine Kugel der „Sao Joao“ heulte flach über die Kuhl der „Isabella“ weg, die andere lag zu kurz und trieb eine Fontäne vor der Bordwand hoch, die rauschend wieder in sich zusammenfiel.
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Carberry hatte den Befehl gegeben, die komplette Breitseite auf den Gegner abzufeuern. Als die acht Culverinen der Steuerbordseite losdonnerten, stieß er ein wildes, grimmiges Lachen aus. 4. Reto, der erste Offizier der „Sao Sirio“, zerrte auf einen Wink seines Kapitäns hin an den Zügeln und brachte das Maultiergespann zum Stehen. Mit einem Ruck stoppte der hohe zweirädrige Karren, und Kapitän Alvaro Monforte blickte sich betroffen nach Süden um. Von dorther wälzte sich der Kanonendonner über Land, von dort drang das Schreien von Männern herüber. „Allmächtiger“, sagte Monforte. „Das kann nur beim Riff oder in der Bucht sein. Sollten unsere irischen Freunde Schwierigkeiten gekriegt haben?“ Der Seewolf hatte sich in Portugal als der „irische Kapitän Philip Drummond“ ausgegeben, denn Irland, das dem englischen Königreich nicht botmäßig war, stand in einem guten Verhältnis zu Spanien-Portugal. Nur den Mädchen Josea, Segura und Franca hatte Hasard mittlerweile anvertraut, daß er alles andere als ein irischer Handelsfahrer war, der Getreide geladen hatte. „Senor“, entgegnete der Erste. „Wir sind erst schätzungsweise eineinhalb bis zwei Meilen von dem Haus der Brancates entfernt. Wir könnten in schnurgerader Richtung zur Küste fahren und von dort aus feststellen, was geschehen ist.“ „Sie halten es nicht für ratsam, die Bucht aufzusuchen?“ „Das würde zweifellos mehr Zeit in Anspruch nehmen.“ Monforte konnte sich diesem Argument nicht verschließen. Er wandte sich zu den übrigen Insassen des Gefährts um. Während der Kapitän und der erste Offizier der gesunkenen Kriegsgaleone „Sao Sirio“ auf dem Kutschbock des geräumigen Karrens Platz genommen hatten, saßen die vier Brancates auf der Ladefläche zusammengepfercht: der
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bärtige Pinho, ein Riese von einem Mann, seine stämmig gebaute Frau Emilia, die beiden Söhne Charutao und Ipora. Bewacht wurden die gefesselten Verbrecher von Tarquinho, dem Decksältesten der „Sao Sirio“, Josefe, dem Decksmann, und dem Soldaten Tulio, dem fünften Überlebenden des Schiffsunglücks. „Pinho Brancate“, sagte Monforte zu dem Bärtigen. „Gibt es einen Pfad zur Küste? Antworte!“ „Es gibt ihn, und ich wünsche dir und uns, daß wir an seinem Ende von den Klippen geradewegs in die See stürzen“, sagte der Kopf der Brancate-Sippe bissig. „Fahr noch ein paar Schritt weiter, Capitan, und biege dann nach links ab.“ Monforte gab seinem. Ersten durch ein Kopfnicken zu verstehen, daß er dem Hinweis folgen sollte. Wenig später hatten sie tatsächlich die Abzweigung erreicht und bogen auf den geradewegs zur Küste verlaufenden schmalen Weg ab. Monforte war mit seinen Gefangenen in die nächste Stadt unterwegs, um sie dort dem Stadtkommandanten und der Gerichtsbarkeit zu übergeben. Diese Übereinkunft hatte er mit „Captain Philip Drummond“ getroffen, bevor dieser seine Reise fortgesetzt hatte. Monforte hatte ihn nicht zur Bucht begleitet, denn vordringlicher schien die Aufgabe zu sein, die vier verbrecherischen Herbergsleute ihrem gerechten Schicksal auszuliefern. Jetzt aber konnte Monforte nicht umhin, nach dem Rechten zu sehen. Wenn der Ire in Bedrängnis geraten war, dann wollte er wenigstens versuchen, ihm zu helfen. Monforte stellte die verschiedensten Überlegungen darüber an, was Drummond und seiner Crew wohl passiert sein könnte. Nach wie vor grollte der Kanonendonner, und der erfahrene Kapitän hörte heraus, daß mehr als zwei Schiffe im Gefecht miteinander liegen mußten. Das bedeutete: Drummond war dem Gegner unterlegen. „Schneller“, drängte Monforte seinen Ersten. „Himmel, was ist denn nur mit den Tieren los?“
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„Es liegt nicht an den Tieren, Senor“, antwortete der Erste. „Aber ich kann nicht schneller fahren, denn auf dem holprigen, felsigen Untergrund drohen wir umzukippen.“ Es stimmte. Schon jetzt schaukelte der Karren bedrohlich hin und her, der Weg wurde immer schlechter. Monforte nahm eine Muskete zur Hand, die er in einem der vielen Verstecke entdeckt hatte, die der durchtriebene Pinho Brancate in seinem Haus eingerichtet hatte. Er spannte den Hahn und war unausgesetzt auf der Hut, denn er rechnete mit einem Trick des bärtigen Wirtes. Gab es irgendwo eine Falle? Ein Felsenloch, in das man geraten konnte? Eine unvorhersehbare Tücke, dank derer die Brancates sich zu befreien vermochten? Monfortes düstere Ahnungen erfüllten sich nicht. Die See war in Sicht, und außer dem miserablen Zustand des Weges hoch oben auf den Klippen gab es keinerlei Widrigkeit. Brancates Hoffnung, seine Verwünschungen gegen die fünf Männer der „Sao Sirio“ könnten früher oder später doch in Erfüllung gehen, war wirklich die einzige „Waffe“, die er in der Hand hielt. Reto, der Erste, stoppte das Maultiergefährt wieder. Alvaro Monforte glitt vom Kutschbock und lief mit der Muskete in den Händen zum nahen Abbruch der Felsen. „Lauf!“ rief Emilia Brancate ihm nach. „Warum hältst du an? Es geht noch ein paar Schritte weiter! So lauf doch, du Bastard von einem Capitan, du wirst sehen, was für einen großartigen Aussichtspunkt du erreichst!“ Monforte verharrte. Die Frau bedachte ihn mit den übelsten Flüchen. Immer neue Verwünschungen ließ sie sich einfallen, ihr Register schien unerschöpflich zu sein. „Nun hör dir das an“, sagte Tarquinho grinsend zu seinem Kameraden. „Da wird ja selbst noch eine in Ehren ergraute, hartgesottene Hafenhure rot. „Ja, du!“ zischte die Frau. „Spotte du nur. Die Pest wünsche ich dir an den Leib.“
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„Die Blattern sollen dich bei lebendigem Leib verfaulen lassen“, sagte Charutao, der ältere der Brüder. „Dich und alle deine Leute“, fügte Ipora hinzu. Reto drehte sich auf dem Bock um. Sein Gesicht war maskengleich und von wächserner Färbung. Nicht sonderlich laut sagte er: „Noch ein Wort von euch, ihr Mistkerle, und ich stopfe euch Knebel zwischen die Zähne und ziehe euch Säcke über die Köpfe.“ Alvaro Monforte spähte unterdessen nach Süden. Er trug kein Spektiv bei sich, aber er konnte auch ohnedem gut erkennen, was dort, vor der Bucht, gerade seinen Lauf nahm. Eine Dreimast-Galeone mit sehr hohen Masten,. viel Segelfläche und auffallend niedrigen Aufbauten hatte soeben die Bucht verlassen. Den Beschreibungen nach, die „Philip Drummond“ ihm, Monforte, gegeben hatte, konnte es sich nur um das Schiff der Iren handeln, dessen Name dem Portugiesen allerdings nicht bekannt war. Feuerspeiend segelte die Galeone zwei auf die Buchteinfahrt zulaufenden Schiffen davon, die Monforte in diesem Augenblick deutlich wiedererkannte. „Die ,Sao Joao`“, murmelte er. „Im Sturm hat sie ihren Besanmast eingebüßt, aber sonst scheint sie das Wetter recht glimpflich überstanden zu haben. Und die ,Santa Angela' -mein Gott! Aber wo sind die anderen Schiffe, die ,Candia` und die ,Extremadura`?“ Er stellte keine Erwägungen in dieser Richtung an, das Geschehen dort vor der Bucht nahm ihn völlig in Anspruch. Warum feuerten die beiden Kriegsschiffe des Verbandes, zu dem auch die ,Sao Sirio` gehört hatte, auf Drummond? Weshalb mußte sich der Ire mit ihnen herumschlagen? Hatte er sich ihnen nicht zu erkennen gegeben? Verwechselten sie ihn mit jemandem, hielten sie ihn etwa für einen Piraten? Monfortes Blick senkte sich, denn er hatte zu seinen Füßen eine Bewegung registriert.
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Tief unter ihm spiegelte sich das Sonnenlicht in den glitzernden Fluten des Atlantiks, eine schwache Brandung leckte gegen die Uferfelsen an. Dicht unter Land segelte mit raumem Kurs eine einmastige Schaluppe, in der der Kapitän die Gestalten von zwei Männern erkannte. Er sah auch die Netze, die sie an Bord gezogen hatten, und entdeckte zappelnde Beute in Körben, die fast den gesamten Innenraum des Fahrzeugs in Anspruch nahmen. Ein Fischerboot. Mit gemischten Gefühlen verfolgten seine Inhaber den Verlauf des Gefechts. Zweifellos hatten sie so dicht unter Land verholt, weil sie nicht gesehen werden wollten. Sie fürchteten sich und hatten kein Verlangen danach, auf irgendeine Weise mit in die Angelegenheit verwickelt zu werden. Monforte faßte augenblicklich seinen Entschluß. Er steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen gellenden Pfiff vernehmen. Die Köpfe der Männer in der Schaluppe flogen hoch und schauten zu ihm auf. Monforte gab ihnen ein Zeichen, sie sollten am Ufer anlegen und ihn an Bord nehmen. Da er nach wie vor die zwar etwas lädierte, aber noch vollständige Uniform eines portugiesischen Kriegsschiff-Kapitäns trug, mußten sie ihn als Respektsperson erkennen. Jeder Bürger des Landes hatte die Pflicht, einem Offizier der Armada nach Kräften beizustehen. Weigerte er sich, hatte er mit ernsten Konsequenzen zu rechnen. Die Fischer wußten das natürlich. Sie beschatteten ihre Augen mit den Händen, betrachteten Alvaro Monforte und trafen dann Anstalten, zwischen den Felsen im flachen Uferwasser zu vertäuen. Monforte hatte eine Spalte in den Klippfelsen entdeckt. Er ging hin und stellte fest, daß er mit einigem Geschick in diesem Einschnitt absteigen konnte. Er kehrte zum Maultierkarren zurück und sagte zu seinen Männern: „Ihr bringt die vier Brancates allein in die Stadt und tragt der Obrigkeit dort alles vor, was wir besprochen haben. Reto, man wird auch
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Ihnen dort genügend Gehör schenken, ich habe keinerlei Zweifel daran.“ „Aber — was haben Sie vor, Capitan?“ erkundigte sich der Erste überrascht. „Ich fahre unseren Schiffen entgegen und stoße zu unserem alten Verband. Vielleicht gibt es ein Mißverständnis zu klären, ich werde alles tun, um Drummond zu helfen.“ Er setzte seinen Leuten kurz auseinander, was er gesehen hatte. Danach gab er seinem Ersten und seinem Decksältesten noch ein paar knappe Anweisungen, nahm zusätzlich zu der Muskete noch ein Tromblon von der Ladefläche des Wagens, das man bei Brancate gefunden hatte, und begab sich zu dem Einschnitt in den Felsen. Reto, Tarquinho, Josefe und Tulio sahen ziemlich entgeistert zu, wie Monfortes Gestalt sich ihren Blicken entzog. „Por Dios“, sagte der Decksälteste. „Können wir ihn denn nicht begleiten?“ „Er will es nicht, und Befehl ist Befehl“, erwiderte Reto. „Fahren wir also.“ „Capitan“, murmelte Tulio, der Soldat. „Hoffentlich begehen Sie da keinen Fehler. Was versprechen Sie sich denn bloß davon?“ „Er will den Verband über das Schicksal der „Sao Sirio“ unterrichten“, sagte Josefe, der Decksmann. „Das ist nur recht und billig. Oder besser, es ist seine Pflicht.“ „Aber er begibt sich in des Teufels Küche.“ „Der Herr stehe ihm bei.“ Sie lauschten dem Wummern der Schiffsgeschütze. Reto gab die Zügel locker, bewegte sie und schnalzte mit der Zunge. Die zwei Maultiere vor dem Karren zogen an, das Gefährt rollte schwerfällig in die Richtung zurück, aus der es herangefahren war. * Durch die Einfahrt der Bucht konnte Lucio do Velho nur zu gut mit ansehen, wie es der „Sao Joao“ und der „Santa Angela' erging. Nach dem Feuer der vollen „Isabella“-Breitseite hatte die portugiesische Galeone mehrere
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Einschläge zu verzeichnen. Ihr Großmast war angeschlagen, das Rigg hing wirr und brannte, sie drohte gegen die Felsen zu laufen. An Deck herrschte die größte Wuhling. Schreie tönten zu der „Candia“ hinüber. Die spanische „Santa Angela“, die im Kielwasser der „Sao Joao“ lief, war durch die Breitseite der „Isabella“ auch in Mitleidenschaft gezogen worden, außerdem ging jetzt, als die Galeone der Korsaren mit rauschender Fahrt nach Südwesten ablief, ein dichter Hagel von Pfeilen auf sie nieder. Das Teuflische an diesen Pfeilen war, daß sie mit größter Präzision abgeschossen wurden – und daß ihre Spitzen ausnahmslos brannten und im Handumdrehen ein loderndes Feuer im Rigg oder auf dem Deck der ZweimastKaravelle säten. Die „Candia“ hatte auf do Velhos Order hin nach Backbord angeluvt. Jetzt ging sie über Stag, es war die einzige Möglichkeit, in der nicht sonderlich großen Bucht zu manövrieren und gleichzeitig die Gewähr zu haben, ohne Probleme wieder in die Passage zurückzusegeln. Bei einer Wende 'nach Steuerbord wäre die Viermast-Galeone zu weit nach Süden gedrückt worden. Noch mehr Zeit wäre verstrichen, bis sie das Versteck der Seewölfe wieder hätte verlassen können. „Sie entwischen!“ schrie do Velho. „Herrgott, der Durchbruch gelingt ihnen! Das darf nicht wahr sein!“ „Senor“, sagte Ignazio. „Die ,Sao Joao' und die ‚Santa Angela' luven in diesem Moment an. Sie nehmen den gleichen Kurs wie die verfluchte ‚Isabella' und stellen ihr nach!“ „Sie können sie nicht einholen!“ „Die Kapitäne tun, was sie können.“ „Sie sind zu langsam!“ brüllte der Kommandant. „Wir müssen 'raus aus dieser verdammten Bucht, weg von hier, damit wenigstens wir den Hundesohn von einem Seewolf hetzen können!“ „Senor“, sagte der Mann aus Porto, der mit seinem Herrn auf dem unversehrten Vordeck stand. „Die ,Isabella' hat mehr Tiefgang als wir. Vielleicht läuft sie im
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Ebbstrom auf, Santa Maria, ich wünsche es ihr.“ „Nein“, keuchte Lucio do Velho. „Nein, nein. Wie ich den Bastard kenne, hat er sich ein Bild von den Verhältnissen verschafft und weiß, wo sich die Untiefen befinden. Er hat Glück, wie immer, er steht mit dem Teufel im Bund!“ Eine erstaunliche Duplizität war das: Lucio do Velho ahnte ja nicht, daß ein gewisser Donegal O'Flynn senior vor kurzem genau das gleiche von ihm behauptet hatte. Der Vorsteven der „Candia“ wies auf den Durchlaß zwischen den schroffen Felsen. Auf ähnlichem Kurs wie vorher die „Isabella VIII.“ lief der Viermaster auf die offene See hinaus. Mehr Wind blähte die Segel, die „Candia“ beschleunigte und pflügte ihren Begleitschiffen nach. Die Feuer waren gelöscht worden, und jetzt war die Mannschaft eilig dabei, die gröbsten Schäden am Achterkastell, an der Heckgalerie und am Schanzkleid zu beheben. Wo Segelfläche durch die Brandpfeile vernichtet worden war, wurden provisorische Ersatzsegel gesetzt. Zwei oder drei Männer hatten ihr Leben gelassen, mehrere waren verletzt worden, aber do Velho hatte die Situation in der Hand. Er regierte eisern über sein Schiff und ließ keine Panik oder Disziplinlosigkeit zu. Der Feldscher verarztete die Verwundeten, der Profos kommandierte die Unverletzten. Alles lief plötzlich wieder wie am Schnürchen, denn die Portugiesen und Spanier, aus denen die Besatzung bestand, waren Meister der Improvisation und verstanden ihr Metier. So schnell wie möglich wurden auch die Gefechtsstationen wiederhergerichtet und die 17-Pfünder beider Batteriedecks nachgeladen. Stille trat ein. Die „Isabella“ befand sich außerhalb der Reichweite sämtlicher Geschütze, und auch der Seewolf verzichtete jetzt darauf, den Verfolgern noch einen flammenden Gruß zu entbieten. Er hätte einen der chinesischen Brandsätze zu ihnen hinüberschicken können, aber den sparte er sich lieber auf.
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Hoch oben auf den Klippfelsen der Bucht richteten sich die Abuela und die Mädchen langsam hinter den Felsquadern auf. Sie waren sicher, von ihren Landsleuten an Bord der „Candia“ nun nicht mehr gesehen zu werden. Die Aufmerksamkeit von do Velho und dessen Mannschaft richtete sich voll auf die Arbeiten zur Wiederherstellung des Schiffes und die Verfolgung des verhaßten Feindes. Die Mädchen ließen ihren Gefühlen daher freien Lauf, keiner konnte sie zur Rechenschaft dafür ziehen, daß sie für den Feind des Landes Partei ergriffen hatten. „Es ist vorbei“, sagte Segura aufatmend. „So ein Glück.“ Franca klatschte vor Begeisterung spontan in die Hände. „El Lobo del Mar hat es geschafft!“ Gegen drei Gegner! Was ist er doch für ein toller Kerl!“ „Ja“, versetzte die Großmutter mit leicht brüchiger Stimme. „Er segelt ihnen vor der Nase davon und lockt sie gleichzeitig von der Bucht fort. Sie werden also nicht landen. Der Kommandant des Verbandes verfällt nicht mehr auf die Idee, hier Nachforschungen anzustellen, die die Seewölfe betreffen. Keiner wird uns unangenehme Fragen stellen. Wir bleiben unbehelligt. Darauf kommt es an.“ „Nein“, stieß Josea heftig aus. „Darauf kommt es nicht an. Was mir passiert, ist mir ganz egal. Siehst du denn nicht, daß der Viermaster und seine Begleitschiffe sich an die Fersen unserer Freunde heften? Sie jagen sie erbarmungslos, sie geben nicht auf. Die Alte musterte ihre Enkelin, ihr Gesicht verzog sich zu einer galligen Grimasse. „Himmel, wie ist das nur furchtbar, wenn ihr jungen Dinger euch Hals über Kopf verliebt. Vergiß den Seewolf. Es bringt dir nichts ein, wenn du ihm nachweinst und dich um ihn sorgst.“ „Aber Abuela ...“ „Er schüttelt seine Jäger ab. Alle.“ „Die ‚Isabella' hat schwer geladen.“ „Trotz ihres Tiefgangs ist sie das schnellere Schiff, Josea.“
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Verzweifelt rief das hübsche Mädchen: „Aber was verstehst du denn von der Seefahrt!“ „Und du?“ „Ich – ich -habe das schreckliche Gefühl, daß Hasard und seinen Männern etwas Grauenhaftes zustößt“, sagte Josea. „Hör mich an“, entgegnete die alte Frau. „Diese Teufelskerle sind um die ganze Welt gesegelt, sie fürchten weder den Tod noch den Höllenfürst persönlich. Die lassen sich nicht packen. die kennen tausend Möglichkeiten. ihre Haut zu retten. Sonst wären sie nämlich schon längst nicht mehr am Leben.“ Josea holte tief Luft. „Ja, Abuelita“, antwortete sie dann. „Das sehe ich ein. Da magst du wirklich recht haben.“ „Fein. Gehen wir jetzt nach Hause. Es wartet eine Menge Arbeit auf uns.“ „O ja, wir werden keine Langeweile haben“, sagte Franca und dachte dabei an den ausgehöhlten Ziegelstein und den Beutel mit den vielen kleinen Kostbarkeiten, den sie darin verstecken wollte. Josea sandte der „Isabella“, die draußen auf See jetzt immer kleiner wurde, noch einen sehnsüchtigen Blick nach. Sie bemerkte nicht. daß Segura das gleiche tat. Segura hütete sich, mit einem einzigen Wort zu verstehen zu geben, wie sehr auch sie durch die Persönlichkeit des Seewolfs beeindruckt und überwältigt worden war. „Adios“, sagte Josea. „Leb wohl, Lobo del Mar.“ Sie wandte sich um und gab sich Mühe, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen. „In Ordnung, gehen wir nach Hause.“ 5. Der Geröllpfad, der in den Felsen hinunterführte, war steil und teilweise glitschig. Alvaro Monforte legte eine halsbrecherische Strecke voller Tücken zurück, und einmal glitt er aus und konnte sich nur deshalb gerade noch halten, weil er die Muskete und das Tromblon geistesgegenwärtig losließ. Die Waffen
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landeten klappernd auf dem Gestein und rutschten in die Tiefe. Der Kapitän fluchte. Er rappelte sich wieder auf und setzte seinen Abstieg fort. Gut vierzig, fünfzig Schritte trennten ihn noch von seinem Ziel. Auf halber Strecke hob er die Muskete und das Tromblon wieder auf, hängte sie sich an den Lederriemen über die Schulter und achtete scharf auf gefährliche Stellen im Gelände. Schließlich erreichte er das schmale Ufer, das teils mit grauschwarzem Kies übersät war, teils aus nacktem Gestein bestand. Die Fischer hatten mit ihrer einmastigen Schaluppe festgemacht. Es war ihren Mienen abzulesen, wie argwöhnisch sie dem Geschehen gegenüberstanden. Monforte beschloß insgeheim, sie notfalls mit der vorgehaltenen Waffe dazu zu zwingen, seinem Befehl Folge zu leisten. „Capitan Alvaro Monforte, Befehlshaber der gesunkenen Kriegsgaleone ,Sao Sirio`“, stellte er sich ihnen hastig vor.. „Senores, die brennende Galeone und die Karavelle dort drüben gehören zu meinem Verband, ich muß unverzüglich zu ihnen stoßen. Sie bringen mich zu ihnen hinüber.“ Der ältere der beiden Männer wurde aschfahl im Gesicht. „Senor Capitan, wir riskieren Kopf und Kragen.“ „Ich übernehme die volle Verantwortung.“ „Sicher, aber hören Sie nicht, wie geschossen wird, wie erbittert die Gegner kämpfen? Was geht dort vor?“ „Das frage ich mich auch“, erwiderte Monforte. Er stieg in die Schaluppe, begab sich in die Gesellschaft von Fischen und Meeresfrüchten und ließ sich auf einer Ducht nieder. „Es ist zwecklos, daß Sie sich sträuben. Sie zwingen mich' damit zu Maßnahmen, die ich selbst verabscheue. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“ „Ja“, entgegnete der jüngere Mann. Zu dem zweiten Fischer gewandt sagte er: „Vater, tun wir, was der Capitan befiehlt.“ „Wir haben keine andere Wahl“, sagte der Vater leise. „Wir legen ab, setzen das Segel und gehen hoch an den Wind“, ordnete Monforte an.
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„Wir nehmen Kurs auf die Galeone ,Sao Joao`, deren Kapitän und Besatzung ich am besten kenne. Ich werde alles tun, um Ihr Leben zu schützen, Senores.“ Er half mit, die schwankende Schaluppe von den Felsen fortzudrücken, und wenig später dümpelte das Fahrzeug in tieferes Wasser. Der Sohn des Fischers setzte das Großsegel und eine kleine Fock, dann glitten sie hart am Nordwest erstaunlich schnell auf die Stätte des Kampfes zu. Staunend verfolgte Monforte, wie die letzten Brandpfeile auf die „Santa Angela“ niederhagelten und sich die Galeone des „Iren Drummond“ mit südwestlichem Kurs davonstahl. Nur schwerfällig drehten auch die „Sao Joao“ und die „Santa Angela“ auf den neuen Kurs. Monforte nahm den Blick nicht von der Galeone mit den überhohen Masten und den niedrigen Aufbauten. Was war das für ein seltsames Schiff, und was hatte es mit Drummond und seiner Mannschaft wirk lieh auf sich? Das sollte ein harmloser Handelsfahrer sein? Monforte lächelte freudlos. Er begriff jetzt, daß er sich getäuscht und man ihn hinters Licht geführt haben mußte. Zu leichtfertig hatte er sich Drummond anvertraut. Aber der Mann hatte ihm und den vier anderen der „Sao Sirio“ doch das Leben gerettet! Wie reimte sich das zusammen? Monforte wußte es nicht. Er war verwirrt. Nur eines sagte er sich immer wieder. Kein normalbeschaffener Handelsfahrer hätte sich mit solcher Vehemenz ins Gefecht geworfen oder über die Mittel verfügt, die dieses Schiff besaß. Massives Kanonenfeuer, Brandpfeile - und auch eine Explosion glaubte Monforte vernommen zu haben. Nein, so konnte kein Kauffahrteischiff kämpfen. Welche Flagge wehte jetzt im Großtopp der davonsegelnden Galeone? War das das irische Nationalitätszeichen? Ohne Spektiv konnte der Kapitän es nicht erkennen, aber er glaubte noch, ein rotes Kreuz auf weißem Grund zu erkennen. Der White Ensign, die Flagge Englands!
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„Senor“, stieß der junge Fischer plötzlich aufgeregt aus. „Da ist es ja wieder - das andere Schiff!“ „Welches andere Schiff?“ fragte Monforte, während er seinen Blick nach links wandte, in die Richtung, in die die Fischer spähten. „Wir haben es vorhin an der Spitze des kleinen Verbandes in die Felsenbucht laufen sehen'', sprudelte der junge Mann hervor. Er stand im Bug der Schaluppe und hielt sich an den Wanten des Mastes fest. „Dann haben wir dicht unter Land verholt, um jeder Gefahr aus dem Weg zu gehen. Die Viermast-Galeone muß schwer beschossen worden sein. Dios, wie die aussieht! Aber ihre Mannschaft scheint noch recht glimpflich davongekommen zu sein.“ „Die ,Candia'„, sagte Alvaro Monforte betroffen. Er hatte wirklich nicht damit gerechnet, sie hier und unter so dramatischen Umständen wiederzutreffen. Außer der „Sao Sirio“ fehlte dem Verband also nur die „Extremadura“. Nur! Jäh keimte in Monforte wieder die Wut auf, die er gegen den Kommandanten Lucio do Velho verspürte. Leichtfertig hatte do Velho seiner Ansicht nach das Leben seiner Männer in die Waagschale geworfen, als der Sturm in der vergangenen Nacht begonnen hatte. Gewiß, sie waren hinter einem erbitterten Feind des Königreiches hergejagt - hinter diesem Philip Hasard Killigrew, den sie „El Lobo del Mar“ nannten. Aber hatte sich der Einsatz gelohnt? Nie und nimmer konnte do Velho seine Entscheidung damit rechtfertigen, daß Killigrews Vorsprung zu groß geworden wäre, hätte man das Wüten des Wetters irgendwo abgewartet. Keiner wußte genau, wo der Feind steckte, er konnte praktisch schon die Biskaya erreicht haben. Aber mußte ein Seemann nicht täglich mit seinem Ende rechnen? Sicher, Monforte stritt dies nicht ab. Nur zürnte er darüber, daß man Männer grundlos und leichtsinnig in den Tod hetzte.
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Deswegen hatte er vor seinen letzten vier Männern verkündet, daß er do Velho stellen und ein Disziplinarverfahren gegen ihn anstrengen würde. Zwei verlorene Schiffe, das war ein zu hoher Preis für ein wahnwitziges Unternehmen mit höchst vagen Erfolgschancen. „Die „Candia“ glitt an der manövrierenden „Sao Joao“ vorbei, näherte sich der ebenfalls noch brennenden „Santa Angela“ und überholte schließlich auch sie. Monforte vernahm die Rufe, die von Bord zu Bord hallten, aber er verstand sie nicht. Befehle wurden gegeben, wahrscheinlich war ihr Inhalt, daß man den Gegner um jeden Preis verfolgen solle. Wieder blickte Monforte zu der Galeone der Iren. Ein neuer Verdacht reifte in ihm heran und drohte sich zu einer ungeheuerlichen Gewißheit zu verdichten. Gestalten sah Monforte auf den Decks der Schiffe hin und her eilen, aber er konnte nicht sehen, welche Männer es waren. Lebte Lucio do Velho? Der Kapitän vermochte auch ihn unter den kleinen, dunklen, huschenden Gestalten nicht zu identifizieren. Monforte kletterte über die Fischkörbe bis zum Bug der Schaluppe. „Ich brauche eine Signalfahne“, sagte er zu dem Sohn des Fischers. „Ich muß dem Kapitän der ,Sao Joao` ein Zeichen geben.“ „Zu Befehl, Senor Capitan“, antwortete der junge Mann. „Wir haben eine kleine Signalflagge an Bord.“ Bewunderung lag in seinem auf Monforte gerichteten Blick, denn er hatte keinen größeren Traum als den, das eintönige Dasein eines Fischers mit dem Dienst auf einem Kriegsschiff der Armada zu vertauschen. Der Vater beobachtete voll' Besorgnis, wie sein Sohn dem Kapitän zur Hand ging. Er konnte letztlich aber nur mit den Schultern zucken und sich den Dingen fügen. Monforte richtete sich im Bug auf und schwenkte die Fahne. Eine Reihe geheimer Zeichen waren vereinbart worden, ehe der Verband den Hafen von Lissabon verlassen hatte, und dies kam Monforte nun zugute. Kein Außenstehender konnte über die besondere Art von Signalen unterrichtet
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sein. Als der Ausguck der ,.Sao Joao“ also die Schaluppe durchs Spektiv anpeilte und den gestikulierenden Mann in der Kapitänsuniform entdeckte, wußte er sofort, daß er ein Mitglied des Verbandes vor sich hatte. Die Stimme des Ausgucks überschlug sich. „Deck! Schaluppe Backbord achteraus! Sie bringt einen der verschollenen Kapitäne! Ein Wunder ist geschehen!“ Der Kapitän der Galeone, ein Mann namens Joaquin Galardes, richtete sich mit schweißüberströmtem, rußbedecktem Gesicht vom Achterdeck auf. Er hatte selbst mitgeholfen, einen der verletzten Offiziere zu versorgen, während um ihn herum die fieberhafte Tätigkeit der Besatzung war. Mit Mühe löschten die Portugiesen das Feuer im Rigg und an Deck. Sie stützten den ramponierten Großmast ab und brachten in aller Eile Ordnung ins laufende und stehende Gut sofern das unter diesen Bedingungen überhaupt möglich war. Galardes glaubte an einen Irrtum des Ausgucks. ja, er zog sogar in Betracht, daß der Mann im Gefecht den Verstand verloren haben konnte. Schließlich hatte der „Vijia“, wie man den Ausguck auf spanischen und portugiesischen Schiffen zu bezeichnen pflegte, für einige entsetzliche Augenblicke in der Gefahr geschwebt, mit dem brechenden Oberteil des Großmastes an Deck zu stürzen. Daß der Mast samt seinem Mars doch gehalten hatte, war genauso ein Wunder wie das unvermittelte Auftauchen des Kapitäns in der Schaluppe. Ja, der Mann war Wirklichkeit, und der Ausguck der „Sao Joao“ war immer noch geistig zurechnungsfähig. Galardes gewahrte durch sein Spektiv das Gesicht des Mannes, und er war mehr als erschüttert, als er ihn erkannte. „Monforte - por Dios, das ist ja schier unglaublich!“ Galardes fuhr zu seinen Leuten herum. „Kurs halten, nicht weiter anluven! Wir lassen die Schaluppe heran und nehmen sie in Lee wahr!“ Die Männer gehorchten. Sie nahmen Segelfläche weg, und die Galeone
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dümpelte nur noch dahin, als die Schaluppe längsseits ging. Die „Sao Joao“ gewann mehr und mehr an Distanz zur „Candia“ und zur „Santa Angela“, aber: „Das ist mir scheißegal!“ rief Galardes seinen Offizieren und Soldaten zu. „Jetzt geht es mir darum, meinem Freund Monforte zu helfen.“ Die Schaluppe schor längsseits, Monforte streckte schon die Hände nach einer rasch ausgebrachten Jakobsleiter aus. „Senor Capitan“, sagte der Sohn des Fischers. „Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie mit meinen Fragen belästige - aber hat die Armada keinen Bedarf an tüchtigem Schiffsvolk?“ „Doch, das hat sie“, erwiderte Monforte, ehe er von Bord ging. Er fing den geradezu verzweifelten Blick des Vaters auf, besann sich und fügte hinzu: „Aber du bist zu jung und zu unerfahren, mein Junge, glaube es mir. Bleibe noch ein paar Jahre zu Hause, dort bist du vorläufig besser aufgehoben. Senores, ich danke euch.“ „Ich danke Ihnen, Capitan“, sägte der Vater. Alvaro Monforte kletterte auf den Sprossen der Jakobsleiter hoch. Die Schaluppe löste sich von der Bordwand der Galeone und blieb zurück. Noch einmal blickte der Kapitän zu den Fischern und sah, daß sie ihm beide zuwinkten. Dann enterte Monforte auf die Kuhl. Galardes eilte auf ihn zu, begrüßte ihn stürmisch und überschüttete ihn mit seinen Fragen. „Die ,Sao Sirio' ist aufs Riff gelaufen und gesunken“, sagte Monforte als erstes. „Ihr habt das Riff sicher bei ablaufendem Wasser sehen können.“ „Ja. Dann hatte do Velho ja recht mit seiner Annahme, daß die Wrackteile auf den Felsen die Überreste der ,Sao Sirio' wären.“ „Richtig“, erwiderte Monforte. „Ich bin eben noch einmal daran vorbeigefahren, Amigo mio, und ich versichere dir, das ging mir nahe. So, do Velho lebt also noch?“ „Ja.“
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„Das freut mich außerordentlich“, sagte Monforte grimmig. „Aber wieso habt ihr euch mit meinem Freund Philip Drummond herumgeschlagen?“ „Mit wem?“ „Mit dem Iren von der großen Galeone. Er hat mir und meinen letzten Männern aus einer tödlichen Falle geholfen. Er hat uns heute früh sogar noch unterstützt, als wir die Toten der ,Sao Sirio' bestatteten.“ „Allmächtiger im Himmel“, stammelte Galardes. „Und du hast nicht die geringste Ahnung gehabt, wer das wirklich ist? Ein Ire? Das ist ja ein Witz! Do Velho hat es uns zugerufen, als er eben an uns vorbeisegelte, mit wem wir es da zu tun haben.“ „Mit El Lobo del Mar?“ flüsterte Monforte. „Du sagst es. Du hättest ihn überwältigen können.“ „Wenn ich es gewußt hätte“, sagte der fassungslose Mann. „Ich habe mich wie ein Trottel benommen, das sehe ich jetzt ein. Aber etwas ist mir klargeworden. Ich werde diesen Killigrew, der mich genarrt und mir noch das Leben gerettet hat, niemals hassen können. Nach dem, was ich erlebt habe, kann ich nicht glauben, daß er die Bestie in Menschengestalt ist, als die do Velho ihn uns gegenüber hingestellt hat.“ „Aber er ist Spaniens Feind“, gab Galardes zu bedenken. „Ja. Der Todfeind, auf dessen Ergreifung Philipp II. eine Belohnung ausgesetzt hat“, murmelte Alvaro Monforte. „Das dürfen wir nicht vergessen, das müssen wir uns immer vor Augen halten, verdammt noch mal.“ 6. Ferris Tucker grinste breit und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er nahm Hasard gegenüber auf dem Achterdeck der „Isabella“ Haltung an und meldete: „Sir, ich habe meinen Rundgang durchs Schiff abgeschlossen. Wir haben keine Lecks unter der Wasserlinie, und wegen der Ratscher an Backbord brauchen wir uns
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keine großen Sorgen zu bereiten. Wir haben genug Holz an Bord, ich fange gleich damit an, die Bordwand und das Schanzkleid auszubessern.“ „Gut. Such dir acht Mann aus, die dir dabei helfen.“ „Aye, Sir. Ich schlage weiter vor, daß wir neue Höllenflaschen basteln. Ein paar leere Pullen bewahrt der Kutscher in der Kombüse auf. Al Conroy wäre bereit, sie mit Pulver, Eisen, Blei und Glassplittern zu füllen.“ Der rothaarige Schiffszimmermann wies achteraus. „Ich habe so das Gefühl, daß wir bald wieder jede Menge Munition brauchen. Es ist noch nicht zu Ende.“ „Al soll anfangen. Ferris, du weißt ja, was du zu tun hast. Profos!“ „Sir?“ antwortete Carberry, der gerade vom Quarterdeck heraufstieg. „Daß mir die Kuhl und die Gefechtsstationen tipptopp aufgeklart werden. Ich will innerhalb der nächsten zwei Glasen wieder ein kampfbereites Schiff.“ „Aye, Sir.“ Carberry verharrte an der Balustrade und blickte zunächst seinen Kapitän an. Dann schaute er ebenfalls nach achtern und kniff die Augen zusammen. Seine Miene verzerrte sich. An der nordöstlichen Kimm war die Silhouette des portugiesischen Viermasters zu sehen. Von den anderen beiden Schiffen war nichts mehr zu entdecken, aber die „Candia“ erschien wie ein Scherenschnitt unter dem morgendlichen Sonnenglast. „Da haben wir den Hund also immer noch am Hals“, sagte der Profos. „Ich glaube nicht, daß wir ihn abschütteln können. Wir kennen sein Schiff ja allmählich und wissen, daß er schnell genug ist, um mit uns Schritt zu halten. Außerdem segelt er leer, und wir haben uns mit unseren Schätzen abzuschleppen.“ „Oh, dem wäre leicht Abhilfe zu schaffen“, entgegnete der Seewolf. Ein feines Lächeln spielte um seine Mundwinkel. „Wenn alle einverstanden sind. können wir einen Teil unseres Ballasts ja in die See kippen.“ Carberry hob abwehrend die Hände. „Um Himmels willen, nein! Das habe ich nicht
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damit sagen wollen. Wir haben unser aller Leben aufs Spiel gesetzt, um den Dons diese Kostbarkeiten abzunehmen. Lieber versenge ich mir an do Velhos Kanonenfeuer den Achtersteven, als auf nur eine Perle oder einen Goldbarren zu verzichten.“ „Richtig, Ed“, sagte Ben Brighton. „Da bin ich ganz deiner Meinung. Und ich glaube, ich spreche stellvertretend für alle anderen.“ „Worauf du Gift nehmen kannst“, brummelte der alte O'Flynn. „Der portugiesische Bastard wird uns zwar den ganzen Tag über wie die Zecke am Hintern einer Kuh auf den Fersen bleiben, aber deswegen lassen wir uns noch lange nicht zu unbedachten Handlungen hinreißen.“ „Gut“, sagte Hasard. „Das wollte ich nur von euch hören.“ Carberry dachte an Lucio do Velho. Allein das versetzte ihn dermaßen in Wut, daß er dunkel im Gesicht anlief und die Hände ballte. „Sir!“ brüllte er. „Warum warten wir nicht auf dieses Rübenschwein? Warum verpassen wir ihm nicht endlich ein Ding, von dem er sich nicht wieder erholt? Ich melde mich hiermit freiwillig, diesen Sohn einer verlausten Hafenhure ein Dutzend Höllenflaschen und zwei chinesische Brandsätze in den Rachen zu stopfen. Und wenn ich selbst krepiere -ich will den Hund erledigen!“ „Nun beruhige dich doch erst mal, Ed“, sagte der Seewolf. „Wie willst du das denn bewerkstelligen?“ „Ganz einfach, unser Profos steigt aus und wartet, bis do Velho heran ist“, meinte Dan O'Flynn. „Er könnte sich beispielsweise in ein Beiboot setzen und sich von den Portugiesen auffischen lassen. Ich an seiner Stelle würde behaupten, ein Meuterer und vom Seewolf gnädigerweise ausgesetzt worden zu sein. Das schluckt do Velho garantiert und ...“ „O'Flynn“, grollte der Profos. „Halt die Luke. Wenn du noch so einen idiotischen Vorschlag von dir gibst, ramme ich dich urangespitzt ins Kielschwein. Sir selbstverständlich müssen wir die
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Dunkelheit abwarten. Ich sehe ja ein, daß es zu riskant ist, do Velho bei Tag herauszufordern, ganz gleich, welchen Plan wir fassen.“ Hasard erwiderte: „Allerdings. Wir dürfen nicht vergessen, daß er die bessere Armierung hat. Der Durchbruch ist uns gelungen, aber ich will es jetzt nicht auf ein neues Gefecht mit der ,Candia' und den anderen beiden Kriegsseglern ankommen lassen, die zweifellos früher oder später nachrücken. Nein, wir werden ganz anders vorgehen.“ „Wie denn?“ erkundigte sich Big Old Shane. „Hast du schon einen Plan?“ „Fast.“ „Laß mich raten“, sagte Ben Brighton. „Vorläufig halten wir do Velho auf Distanz. Das dürfte uns nicht allzu schwerfallen. Er schafft es nicht, unseren Vorsprung aufzuholen —vorausgesetzt, wir behalten diesen Kurs bei.“ „Dazu sind wir gezwungen“, warf Carberry ein. „Um unsere alte Route einzuschlagen, müßten wir gegen den Mist-Nordwest kreuzen, anders gelangen wir ja nicht nach Norden. Aber mit jedem Kreuzschlag, den wir fahren, nähern wir uns natürlich der ,Candia`.“ „Viel zu riskant“, fuhr Ben fort. „Wie ich Hasard kenne, locken wir die ,Candia' und ihre Begleitschiffe weit nach Südwesten auf die offene See hinaus, bis zum Einbruch der Dunkelheit. Erst dann führen wir wieder ein Manöver aus. Ist es so, Hasard?“ Der Seewolf lachte unwillkürlich auf. „Man sollte meinen, du kannst meine Gedanken lesen, Ben. Also schön, wie die Dinge stehen, wünsche ich mir, daß der Wind im Laufe des Tages nicht dreht. Er trägt wesentlich zum Gelingen meines Plans bei. Do Velho soll von mir aus denken, wir wollen uns zu den Azoren oder sonst wohin retten. Umso überraschender trifft ihn dann unser Schlag.“ „Ein Schlag“, echote Carberry. „Herrgott, du machst es aber spannend.“ „Wenn es richtig finster wird — was ich hoffe —‚ gehen wir über Stag, segeln ohne
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Licht nach Ostnordost und halten auf die ,Candia' zu“, erklärte der Seewolf mit plötzlichem Ernst. „Wir müssen sie geentert haben, ehe die andere Galeone und die Karavelle heran sind. Heute nacht muß die ,Candia' in unsere Hand fallen, koste es, was es wolle.“ Der Profos stieß zischend die Atemluft aus. „Alle Achtung, Sir, das ist ein Teufelsplan, sage ich. Einer, der ins Auge gehen kann. Aber, Kreuzdonnerwetter noch mal, er ist so richtig nach meinem Geschmack.“ Hasard verzog keine Miene. „Ihr werdet alle bis zum Äußersten gefordert, vergeßt das nicht. Aber wir müssen etwas Spektakuläres, Außergewöhnliches unternehmen, um uns dieses hartnäckigen Kerls ein für allemal zu entledigen.“ „Wir werden alles daransetzen, daß die Sache gelingt“, versprach Ben Brighton. „Darauf kannst du dich voll und ganz verlassen.“ „Kommt“, sagte der Seewolf. „Ich will jetzt der Crew auseinandersetzen, was ich vorhabe. Wir müssen alle Einzelheiten durchsprechen und jedes Detail festlegen.“ Old O'Flynn sah den davonschreitenden Männern nach. „Wahnsinn“, murmelte er. „Der Feind wird uns zerfetzen und samt unseren Schätzen zu den Haifischen schicken. Ein Unstern steht über der ‚Isabella', das Schiff ist verflucht, es wird alles schiefgehen, alles.“ Plötzlich kicherte er jedoch und rieb sich die Hände. „Aber, beim Satan, mir juckt's auch in den Fingern, wenn ich daran denke, daß wir dem Hundesohn do Velho endlich mal kräftig die Jacke vollhauen.“ * Der Kutscher lächelte, als Hasard ihn auf der Kuhl ansprach. „Keine Sorge, Sir“, sagte er. „Die Moral der Kerle ist hervorragend. Matt Davies hat beim Kampf in der Bucht eine halbe Planke gegen den Kopf gekriegt, aber er hat einen harten Schädel, und ich habe ihn nicht mal zu verbinden brauchen. Stenmark hat sich einen Kratzer am rechten Bein weggeholt, aber es ist eine
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reine Fleischwunde. Ich habe sie gereinigt und verbunden und dem Schweden einen Schluck Whisky genehmigt. Hoffentlich war das nicht zu eigenmächtig von mir ...“ „Im Gegenteil.“ Hasard lächelte. „Hol sofort ein paar Flaschen aus der Kombüse herauf. Ich spendiere eine Sonderration. Ich glaube, die haben wir alle verdient.“ „Aye, Sir. Die Fässer mit dem portugiesischen Wein zapfen. wir aber noch nicht an, oder?“ „Nein. Wir lassen den Wein lieber noch ein bißchen lagern, das tut ihm gut.“ „Und der Schlaftrunk in den drei gekennzeichneten Korbflaschen wird kräftiger“, sagte Blacky, der mitgehört hatte. „Damit können wir, wenn wir am Ziel sind, halb Cornwall ins Reich der Träume schicken —oder eine Hundertschaft Profose auf die Planken legen.“ „Kerl!“ schnaubte Carberry, der jetzt ebenfalls anrückte. „Noch so ein Spruch, und die Vorpiek ist dir sicher, das schwöre ich dir.“ Natürlich wußte Blacky, daß Ed seine Drohung nicht ausführte, aber er schwieg vorsichtshalber doch lieber. Immerhin war Carberry eine Respektsperson an Bord, und keiner wagte es, den Bogen zu überspannen oder es zu weit zu treiben, wenn mal gewitzelt wurde. Es war ein ungeschriebenes Gesetz auf der „Isabella“, daß die Autorität des Profos' nicht untergraben werden durfte, und alle hielten sich daran. Nachdem Whisky und Rum ausgeteilt worden waren, unterhielt sich der Seewolf lange mit seinen Männern. Erst gegen Mittag suchte er das Vorschiff auf, um seine Söhne endlich von ihrer „Gefangenschaft“ zu befreien. Da erwiesenermaßen keine Gefahr bestand, daß im Laufe des Tages ein weiteres Gefecht mit dem Gegner stattfand — die „Candia“ segelte immer noch weit entfernt hinter der „Isabella“ —, konnten Philip und Hasard getrost das Oberdeck betreten. Hasard stieg bis ins Mannschaftslogis und verhielt seinen Schritt in der Tür zu dem Raum. Ein Idyll ganz besonderer Art bot
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sich ihm dar. Er lächelte, schwieg und beobachtete nur. Noch hatte man ihn nicht bemerkt. Philip und Hasard hockten nämlich auf dem Rand einer Koje und hatten sich dabei so gedreht, daß sie ihm den Rücken zuwandten. Rechts neben Hasard kauerte eine Gestalt, die man im Halbdunkel des Logis zunächst gut und gern für einen dritten Jungen halten konnte. Sie widmete sich irgend etwas Eßbarem mit größter Hingabe und gab durch lautes Schmatzen zu verstehen, daß es. schmeckte. Die Zwillinge futterten auch intensiv, taten dies aber geräuschlos —soviel gute Erziehung hatten sie immerhin. Hasard trat langsam und ohne einen Laut zu verursachen hinter die drei und blickte ihnen über die Schultern. Philip hielt einen Beutel mit Rosinen. Er teilte von dem Inhalt aus, und Rosine um Rosine wanderte an Hasard und schließlich an den Dritten im Bunde weiter, der bereitwillig seine linke Pfote aufhielt, während er sich mit der rechten die süßen Leckerbissen zwischen die Zähne schob. „Arwenack“, sagte Hasard. Der Affe fuhr herum. Aus großen Augen sah er den Kapitän der „Isabella“ an, seine Stirn furchte sich, und seine wulstigen Lippen verzogen sich zu einem verlegenen „O“. Fast hätte er die Rosinen aus der Pfote verloren, aber Philip und Hasard schauten nun ebenfalls auf und ergriffen sofort die Verteidigung des haarigen Gesellen. „Pa“, sagte Philip. „Dad“, formulierte Hasard. Sie hatten nun schon einigen Sprachunterricht erhalten und waren in der Lage, sich ganz gut mit ihrem Vater und der Besatzung zu unterhalten. Als der Seewolf sie in Tanger wiedergefunden und zu sich aufs Schiff geholt hatte, hatten sie nur türkisch und persisch gekonnt. Demzufolge hatten sich die Männer nur durch Zeichen mit ihnen zu verständigen vermocht. Immer, wenn er Zeit dazu gehabt hatte, hatte Hasard ihnen die Grundzüge der englischen Sprache beigebracht, und die Zwillinge hatten sich
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nach anfänglichem Bocken auch als gelehrige Schüler gezeigt. Philip hob den Rosinenbeutel an. „Vom Kutscher, Pa. Ein Geschenk.“ „Ist das wirklich wahr?“ „Aye, aye, Sir.“ Der Seewolf musterte die drei drohend. „Ihr habt die Rosinen nicht aus der Kombüse geklaut?“ Hasard junior legte sich die rechte Hand aufs Herz. „Ehrenwort nicht, Dad. Frag den Kutscher.“ Der Seewolf mußte lachen. „Nein, es genügt mir, wenn ihr mir euer Ehrenwort gebt. Ich habe euch ja erklärt, daß kein richtiger Mann etwas feierlich schwören darf, das nicht der Wahrheit entspricht. Versteht ihr?“ Sie nickten ernst. Arwenack nickte vorsichtshalber gleich mit, man konnte ja nie wissen. „Und ihr wollt doch richtige Männer werden, oder?“ fragte der Seewolf. Wieder bejahten die beiden Siebenjährigen. Dann standen- sie von der Koje auf und zeigten klar, wie sie es von der Crew der „Isabella“ gesehen hatten. Hasard stellte sich in ihre Mitte, legte ihnen die Hände auf die Schultern und sagte: „In Ordnung, dann laßt uns jetzt an Oberdeck gehen. Die Sonne scheint, es ist herrlich warm, und der Kutscher ist dabei, ein vorzügliches Mittagessen zu bereiten, wenn ich mich nicht irre.“ Sie verließen das Logis. Arwenack sah ihnen nach und stieß einen Seufzer aus. Dann glätteten sich seine Züge, er begriff, daß er diesmal keinerlei Grund hatte, ein schlechtes Gewissen zu haben. Er rutschte von der Koje und trottete den „drei Männern“ nach. Später, am Nachmittag, stand der Seewolf mit seinen Söhnen ganz achtern an der Heckreling seines Schiffes und zeigte ihnen, wie man mit dem Spektiv umging. Immer wieder spähten sie zu der mit prallen Segeln hoch am Wind segelnden „Candia“ hinüber. „Was für ein Schiff sein das?“ fragte der kleine Hasard schließlich. „Ist das“, berichtigte der Seewolf.
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„Ein Pirat“, vermutete Philip junior und wurde dabei ganz aufgeregt. Sein Vater schüttelte den Kopf. „Ein Portugiese. Ein Mann des Königs von Spanien, versteht ihr?“ Wieder nickten sie und taten so, als wüßten sie über alles bestens Bescheid. Der Seewolf nannte ihnen den Namen des stolzen Viermasters, teilte ihnen auch mit, wie der Kommandant hieß. „Ein guter Mann?“ wollte Hasard wissen. „Nein“, antwortete sein Vater. „Er ist unser Feind. Unser Todfeind.“ „Was will er?“ „Mich. Er will mich gefangen nehmen oder töten.“ „Nein“, hauchte Philip entsetzt. Dann schüttelte er seine kleine Faust gegen die „Candia“ und zischte außer sich vor Wut: „Verdammter portugiesischer Bastard, streich Flagge!“ „Holla“, sagte Ben Brighton, der sich ihnen genähert hatte. „Da hört man aber Carberrys Schule heraus. Er mußte den beiden ja unbedingt einige seiner Lieblingssprüche beibiegen.“ „Sir!“ schrie Philip. Er verlor fast das Spektiv, das er gerade hielt, um ein Haar wäre es in die See gefallen. Der Seewolf streckte im letzten Augenblick die Hand aus Und nahm dem Dreikäsehoch das Rohr aus den Fingern. „Sir, volle Breitseite!“ rief Philip. Er sprang hinter eine der Drehbassen und traf Anstalten, das Rohr des Hinterladers auf die „Candia“ zu richten. Nur ließ sich das Geschütz zu sch wer in seiner Gabellafette bewegen, Philip mangelte es an der nötigen Kraft. Das konnte ihn aber nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er winkte Hasard zu, und sein Bruder eilte ihm zu Hilfe. Gemeinsam stemmten sie sich gegen das Rohr der Basse und drückten es allmählich so herum, daß die Mündung tatsächlich auf den Bug der „Candia“ ausgerichtet war. „Donnerwetter!“ rief Ben Brighton überrascht aus. „Da frag' ich mich, wo haben die Burschen das überhaupt gelernt?“
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„Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm, ich sag's ja“, erklärte Old Donegal Daniel O'Flynn, der ebenfalls hinzugetreten war. „Unser Kapitän hat mit sieben Jahren ja auch schon ganz hübsche Töne gespuckt.“ „Bumm!“ rief Philip. „Don kaputt!“ schrie Hasard. Der Seewolf schritt zu ihnen und zeigte ihnen, wie sich der Hinterlader öffnen ließ und wo der Zündkanal saß. Wie man so eine Drehbasse lud, führte er ihnen allerdings nicht vor, es war ihm doch zu riskant. Kinder waren in gewisser Weise unberechenbar. Trotz aller Ermahnungen waren sie imstande und feuerten wirklich auf den „verdammten Don“, wenn ihnen gerade keiner zusah –und das konnte, wenn sich die Dunkelheit über die See senkte, Hasards ganzen Plan scheitern lassen. Trotzdem, der typische Vaterstolz war seinen Zügen abzulesen. Die Zwillinge hatten ihn nun endgültig akzeptiert, sie verteidigten ihn, sie fühlten mit ihm. Und sie zeigten ein geradezu erstaunliches Interesse und Geschick, was die seemännischen Belange betraf. Old O'Flynn fuhr sich mit der Hand über den Mund. Die Zwillinge hatten ihm gelegentlich Streiche gespielt, einmal sogar das Holzbein entwendet, aber er hatte trotzdem einen Narren an den „verdammten Teufelsbraten“ gefressen. „Ho“, sagte er. „Noch ein paar Wochen, und die beiden geben die besten Schiffsjungen ab.“ „Vergiß nicht, daß sie erst sieben Jahre alt sind“, mischte sich nun auch Big Old Shane ein. „Ach was, das spielt doch überhaupt keine Rolle“, meinte der Alte leichthin. Hasard wandte sich zu ihm um. „Donegal, wie du dir die Zukunft der Zwillinge vorstellst, geht es nun wirklich nicht. Wir dürfen sie nicht dazu erziehen, Korsaren zu werden, wir dürfen sie bei aller Liebe nicht dazu zwingen, an Bord der ‚Isabella' zu bleiben. Dieses Recht haben wir nicht. Vielmehr ist es unsere Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie in England eine Schule
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besuchen können. Hast du daran nie gedacht?“ Old O'Flynn schnitt eine säuerliche Grimasse. „Schule? Pfui Teufel. Was sind denn das für Sprüche? So kennt man dich ja gar nicht.“ „Hasard hat recht“, sagte Ben Brighton. „Es wäre sehr selbstsüchtig von uns, wenn wir Philip und Hasard daran hindern würden, sich ihre Zukunft selbst zu bauen. Außerdem sind die Gefahren an Bord der ‚Isabella' viel zu groß für sie. Was ist, wenn sie auch nur verletzt werden?“ „Ich mag gar nicht daran denken“, erwiderte Shane. „Je eher wir die beiden der Obhut einer Vertrauensperson übergeben, desto besser.“ „Finde ich auch“, pflichtete Ferris Tucker, der soeben auf dem Achterdeck erschien, ihnen bei. „Die Gentlemen sind sich mal wieder einig“, giftete Old O'Flynn. „Wie üblich. Auf mich will keiner hören, aber ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Zur Hölle mit der Schule und der Stubenhockerei, zu meinen Zeiten war eben doch alles anders.“ Er stiefelte von dannen und stieg aufs Quarterdeck hinunter, um Pete Ballie im Ruderhaus zu besuchen und ihm etwas über Meeresdämonen und den Fluch der Finsternis zu erzählen. Hasard richtete seinen Blick nach Nordwesten. Der Wind, der vom Atlantik auf Portugals Küste zu strich, brächte jetzt Wolken mit. Stück für Stück wurde der tiefblaue Nachmittagshimmel von den grauen Riesen zugedeckt. „Gut so“, sagte Hasard. „Die Wolken kommen wie gerufen.“ „Ja, bislang läuft alles wie am Schnürchen“, meinte Ben Brighton. Shane grinste unter seinem grauen Bartgestrüpp. „Ich glaube nicht, daß wir Sturm kriegen, es sei denn, der Wind frischt plötzlich auf. Das müßte aber schon mit dem Teufel zugehen. Nein, das da, das sind keine Sturmwolken,“ „Noch bleibt die See ruhig“, sagte der Seewolf. „Hoffen wir, daß sich das innerhalb der nächsten drei, vier Stunden
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nicht ändert. In dieser Zeit werden Wir die ,Candia` angreifen. Was danach geschieht, kann uns zwar nicht völlig egal sein, aber es beeinträchtigt unser Unternehmen nicht mehr.“ „Vorausgesetzt, wir haben Erfolg“, erwiderte Ferris Tucker. „Nun, wir können auch baden gehen, aber daran denken wir wohl lieber nicht.“ „Ferris, bist du Pessimist?“ erkundigte sich Hasard. „Ganz und gar nicht, Sir.“ „Dann solltest du auch nicht unken. Das überlassen wir Old Donegal, der kann's besser.“ „Aye, Sir. Ich habe wirklich keinen Grund zur Schwarzmalerei, denn wir haben die ‚Isabella' wieder so weit hergerichtet, daß man nicht mehr sieht, was mit ihrer Backbordseite los gewesen ist. Kurzum, sie ist wieder piekfein in Schuß.“ „Großartig, Ferris. übrigens, ich brauche noch Männer für die ‚erste Linie' unseres Aktionstrupps. Ed hat sich bereits freiwillig gemeldet.“ „Da steh ich nicht zurück“, sagte der rothaarige Schiffszimmermann. „Ich auch nicht“, ließ sich Shane vernehmen. „Ich bin mit von der Partie“, sagte Ben Brighton. Shane blickte zu den Wolkengebilden auf, die sich jetzt allmählich vor die Sonne schoben. „Eins steht fest, wir kriegen bald Regen, und das ist keineswegs schlecht für uns.“ „Je finsterer die Nacht und je schlechter die Sicht, desto besser“, entgegnete der Seewolf. „Lucio do Velho kann nur ahnen, wohin wir segeln, aber wir wissen mit ziemlicher Sicherheit, daß er den SüdwestKurs hält, weil wir schon den ganzen Tag über diese Richtung halten.“ Er zog eine Karte aus dem Wams und rollte sie aus. Ben Brighton rückte näher und hielt sie mit fest. Hasard deutete auf der Karte, die einen Teil Portugals und dessen Küstenregion zeigte, den Kurs der „Isabella“ und ihres Verfolgers an. Dann beschrieb er noch einmal das Manöver, das er plante.
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„Wir luven nach Dunkelwerden an und gehen über Stag. Hart am Wind segeln wir dann eine Weile nach Ostnordost. Ich habe. die Entfernung zwischen uns und der ,Candia` berechnet und eine kleine Kalkulation aufgestellt. Ich weiß, wie lange wir auf Gegenkurs zur ,Candia` fahren müssen, aber natürlich gibt es einige Unsicherheitsfaktoren, die wir nicht unbeachtet lassen dürfen. Nur ungefähr kann ich darum den. Zeitpunkt bestimmen, zu dem wir mit unserer Lady wieder abfallen und in Luv auf die ,Candia` zuhalten. Ich werde diesen Moment etwas länger hinausschieben, so daß wir uns wahrscheinlich Steuerbord achteraus von unserem geschätzten Freund placieren werden. Ich traue mir aber -zu, ihn wieder einzuholen. Schlimmer wäre es, wenn wir ihm im Anschluß an die Halse voraus lägen.“ „Mann“, entfuhr es Ferris. „Sir, das ist so ziemlich das Tollkühnste, was wir seit langer Zeit in Angriff nehmen.“ „Na, nun übertreibe mal nicht. Hast du Cadiz vergessen?“ „Ach, das war doch nur Routinearbeit.“ „Angeber“, sagte Big Old Shane. „Sag uns lieber, wieweit Al mit dem Nachschub an Höllenflaschen ist.“ „Er hat schon über ein Dutzend gefüllt und zugekorkt. Es werden aber noch mehr.“ „Sehr gut“, sagte Hasard. „Mit Material dürfen wir nicht geizen. Wenn nötig, setzen wir alles ein, was wir zur Verfügung haben, auch die letzten Brandsätze. Ben, wir sehen uns gleich mal unsere Munitionsbestände an.“ „Aye, Sir.“ „Und die Männer sollen ihre Waffen kontrollieren.“ „Ich sage ihnen gleich Bescheid“, antwortete Big Old Shane. Die Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben, ein Vorhang schien über dem Meer geschlossen worden zu sein. Ein tristes Halbdunkel leitete die Abenddämmerung ein. „Noch etwas“, sagte Hasard. „Wer es von jetzt an wagt, auch nur ein Talglicht anzuzünden, den vergattere ich zu zwei
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Tagen Vorpiek. Ich will kein Licht, auch nicht unter Deck. Sobald wir auf neuen Kurs gehen, wird auch das Reden eingestellt.“ „Aye, aye, Sir“, erwiderten die Männer. Old O'Flynn, der vom Quarterdeck aus zugehört hatte, murmelte: „Die ‚Isabella' wird sich in ein Geisterschiff verwandeln. Wehe dem, der ihr begegnet. O Mann, hoffentlich treffen wir wirklich mit diesem verfluchten Portugiesen zusammen.“ 7. Mit der Dunkelheit kam auch der Regen. Zunächst ging er nur staubfein auf die portugiesische Kriegsgaleone „Sao Joao“ nieder, aber wenig später fielen dicke Tropfen, die das Oberdeck glänzend und schlüpfrig werden ließen, die Männer der Deckswache durchnäßten und die Segel einweichten. Das Wasser perlte von der flackernden Hecklaterne ab, die der Kapitän Joaquin Galardes hatte entzünden lassen. Backbord voraus war ein verlorenes Licht in den Weiten der See, es gehörte zur Karavelle „Santa Angela“. Galardes und Monforte standen auf dem Achterdeck unweit des zertrümmerten Besanmastes. Nur der Stummel ragte noch wie ein Baumstumpf von den Planken auf ein Andenken an den schweren Sturm, den der Verband in der Vornacht abgeritten hatte. Alle anderen Beschädigungen waren inzwischen wieder ausgebessert worden. Die Verwundeten aus dem kurzen Gefecht gegen die „Isabella“ lagen wohlversorgt unter Deck. Galardes und Monforte hatten sich alles erzählt, was es zu berichten gegeben hatte. Galardes hatte voll Staunen vernommen, was sich in der Herberge der Brancates abgespielt hatte. Er konnte wie sein Freund nicht umhin, diesen verwegenen Killigrew im stillen zu bewundern. Daß der Mann aber auch ihr Feind sein mußte! Gleichzeitig sagten sie sich aber auch beide, daß sie Killigrew nicht schonen durften, falls sie wieder mit ihm aneinandergerieten. Ein Kapitän der
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Armada durfte sich etwas Derartiges niemals leisten. Es war seine Pflicht, das Vaterland zu verteidigen. Alles Gegenteilige war mit Verrat oder Fahnenflucht gleichzusetzen. In einem anderen Punkt waren die Kapitäne sich aber auch einig: Sie würden bei ihren Vorgesetzten von der Admiralität gegen Lucio do Velho vorgehen. Ja, Galardes war bereit, das Ansinnen Monfortes zu unterstützen. Ein Kapitän durfte gegen einen Verbandsführer ein Disziplinarverfahren anstrengen - und genau das hatten sie vor. „Falls do Velho unsere Achterlaternen brennen sieht, wird er uns rügen“, sagte Joaquin Galardes. „Die ,Santa Angela' hat das Licht als erste entzündet, und wir haben es für richtig befunden, ihrem Beispiel zu folgen“, erwiderte Alvaro Monforte. „Wollen wir uns denn wieder aus den Augen verlieren?“ „Auf keinen Fall.“ „Glaubst du, daß es Sturm gibt?“ „Ich halte das für unwahrscheinlich, Alvaro.“ „Die See ist unberechenbar, aber vielleicht bleibt es heute nacht bei dem Regen. Ob wir El Lobo del Mar in dieser Stockfinsternis jemals wiederfinden? Ich rechne nicht damit.“ „Der Comandante jagt ihn. Unerbittlich.“ „Wo mag die ,Candia' stecken?“ sagte Monforte. „Weit voraus ...“ „Wir verlieren auch zu ihr jeglichen Kontakt, wenn die Sicht nicht besser wird.“ „Wahrscheinlich segelt do Velho stur auf dem Südwest-Kurs weiter“, entgegnete Galardes. „Das bedeutet, daß wir eine Chance haben, zumindest im Morgengrauen soweit aufgeholt zu haben, um unser Flaggschiff am Horizont sehen zu können.“ Monforte verzog den Mund. „Joaquin, machen wir uns doch nichts vor. Ohne den Besanmast und das Kreuzsegel ist die ,Sao Joao' langsamer als die ,Santa Angela', die
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ihrerseits schon Schwierigkeiten hat, mit der ,Candia' mitzuhalten.“ „Ja, das gebe ich zu. Wir sind die Nachzügler im Verband. Wenn der Wind zunimmt, wird sich auch unser provisorisch abgestützter Großmast nicht mehr lange halten. Erinnere mich daran, daß ich den Großmars räumen lasse, ehe der elende Mast umknickt.“ „Si, Senor.“ Monforte lachte plötzlich. „Kannst du dir vorstellen, was für ein lächerliches Ding dein Schiff mit nur einem Mast abgibt, Joaquin —mit dem Fockmast?“ Galardes wandte ihm sein nasses, tief zerfurchtes Gesicht zu. „Ja. Ich schätze, es sieht dann aus wie eine flügellahme Ente, die mit hängendem Schnabel dahintreibt.“ Er mußte nun auch lachen. Sie blickten sich an, schlugen sich im rauschenden Regen auf die Schultern und brüllten vor Vergnügen. Einer der Soldaten, der zur Deckswache auf der Kuhl gehörte, sah verdutzt seinen Kameraden an. „Hörst du das? Sag bloß, unser Capitan ist jetzt durchgedreht.“ „Nein, das glaube ich nicht.“ „Aber er lacht wie ein Irrer.“ „Wahrscheinlich hat Monforte ihm einen guten Witz erzählt.“ „Al diablo“, murmelte der Soldat. „Ich möchte wirklich wissen, wieso die beiden nicht die Hütte aufsuchen. Dort sind sie im Trockenen, dort können sie sich aufs Ohr hauen.“ „Capitan Galardes' Verantwortungsbewußtsein ist zu groß“, erwiderte sein Gegenüber. „Er weiß, daß wir nach den Strapazen der letzten vierundzwanzig Stunden alle hundemüde sind. Er will auch dann noch wachen, wenn wir zusammenklappen.“ „Ja, er geht uns mit gutem Beispiel voran. Nur eins will er nicht — wieder mit dem Schiff von El Lobo del Mar zusammentreffen.“ „Darauf ist keiner erpicht.“ „Weißt du was? Dieser ganze Auftrag kann mir gestohlen bleiben.“ „Ja“, sagte der Soldat. „Er ist uns scheißegal.“
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Dem Mann im Großmars der „Candia“ drohten immer wieder die Augenlider zuzufallen, Er versuchte, gegen die Müdigkeit anzukämpfen, indem er sich reckte und streckte und ständig auf den Beinen blieb, statt sich hinter der Segeltuchverkleidung hinzuhocken, aber auch das nutzte wenig. Der Regen tropfte ihm ins Gesicht, aber das Wasser war nicht kalt genug, um ihn des bleiernen Trans zu berauben, der sich in seinem Körper festgesetzt zu haben schien. Das Wetter der vergangenen Nacht, die harten Anforderungen, die jene Stunden an die Männer der „Candia“ gestellt hatten, dann die unablässige Suche nach den übrigen Schiffen des Verbandes, schließlich das Gefecht in der Felsenbucht und das Entsetzen, das sich bei Killigrews heftiger Attacke unter der Besatzung ausgebreitet hatte — dies alles zeitigte jetzt seine Folgen. Der Mann im Großmars war am Ende seiner Kräfte angelangt. Er wünschte sich sehnlichst, abgelöst zu werden. Aber bis zum Wachwechsel um Mitternacht waren es noch mehr als vier Glasen. Einmal schreckte er aus seinem Halbschlaf hoch. Er hatte unten, auf der Kuhl, Stimmen vernommen. Sofort beugte er sich über die Umrandung der Plattform und spähte in die Tiefe. Durch den Dunstschleier des Regens konnte er kaum etwas erkennen, aber er glaubte doch, das kurze Aufflackern eines Lichtes und die Umrisse von Gestalten zu sehen. Dann stellte er an den Stimmen der Männer auf der Kuhl fest, daß es der Profos und zwei Soldaten der Deckswache waren, die sprachen. „Was fällt euch Hunden ein, eine Laterne anzuzünden?“ wetterte der Profos. „Senor“, erwiderte der eine Soldat, „ich dachte, das eine Geschütz wäre nicht ordentlich festgezurrt, da wollte ich genau nachsehen.“
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„In der Tat mußten wir die eine Brook neu festlaschen“, erklärte sein Kamerad. „Hätten wir es nicht getan, hätte der 17Pfünder sich innerhalb der nächsten Stunden selbständig gemacht.,“ „Narren!“ fuhr der Profos sie an. „Dazu hättet ihr kein Licht gebraucht. Der Comandante hat es strikt untersagt, hier mit Öllampen oder Talglichtern herumzufunzeln oder gar die Hecklaternen zu entfachen.“ „Verzeihung, Senor, aber wir dachten, die Sicherheit an Deck sei wichtiger“, verteidigte sich der eine Soldat. „Schweig“, befahl ihm der Zuchtmeister. „Du kannst noch froh sein, daß der Bootsmann nicht in der Nähe ist. Der hätte den Vorfall nämlich sofort dem Comandante gemeldet.“ „Es wird nicht wieder geschehen, daß wir die Anweisungen vergessen“, beteuerte der zweite Soldat. „Ganz gewiß nicht.“ „Das will ich euch auch geraten haben. Und morgen früh knöpfe ich mir die Hunde vor, die für dieses Geschoß zuständig waren, als nach dem Gefecht aufgeklart wurde. So eine verfluchte Schlamperei darf nicht unbestraft bleiben.“ Damit schritt der Profos in Richtung Vordeck davon. Der Mann im Großmars sah ihn nicht, er vernahm nur noch, wie der Zuchtmeister einen derben Fluch ausstieß. Beruhigt lehnte sich der Ausguck wieder zurück. Er hielt sich mittels eines Tampens am Großmast fest, aber immer wieder fielen ihm die Augen zu, und seine Finger drohten von dem Tampen abzurutschen. Wenn sich ein Schiff nähert, wenn irgend etwas passiert, dachte er verdrossen, wenn du nicht rechtzeitig darauf aufmerksam wirst, läßt der Comandante dich auspeitschen: Wenn du vom Großmars abstürzt, kann der Comandante dich nicht mehr dafür bestrafen, denn in dem Falle ersäufst du entweder in der See oder du brichst dir auf dem Deck sämtliche Knochen, je nachdem, wie du fällst - was ist dir lieber? Ärgerlich versetzte er sich einen Ruck. Er versuchte, an Dinge zu denken, die ihn wach hielten. Zum Beispiel daran, wie es
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war, wenn sie endlich nach Lissabon zurückkehrten und dort einen Zug durch die Hafenkaschemmen unternahmen, Wein tranken, mit den Huren schäkerten... Aber auch das wollte nichts nutzen. Der Kampf gegen den bohrenden Schlaf ging weiter. Schätzungsweise eine halbe Stunde später schreckte der Ausguck jäh aus seinem nun schon traumdurchwebten Dahindämmern auf. Er war im Stehen eingenickt, und es war ein Wunder, daß er nicht von seinem luftigen Posten gefallen war. Irgendetwas, ein Instinkt oder etwas anderes, das er sich nicht zu erklären wußte, riß ihn in die Wirklichkeit zurück. War es die Angst, beim Schlafen ertappt zu werden? Das nie ruhende Pflichtbewußtsein, der Disziplingeist? Er wußte es nicht. Er drehte nur seinen Kopf nach rechts, blinzelte im Regen und fuhr in diesem Augenblick zusammen, weil in den gischtigen Schleiern, in der Tiefe der mondlosen, stockfinsteren Nacht etwas Ungewöhnliches zu sein schien. „Madre de Dios“, stammelte der Mann im Großmars im nächsten Moment. „Heilige Mutter Gottes, steh uns bei.“ Von Steuerbord achteraus näherte sich die Erscheinung. Unaufhaltsam schob sie sich auf die „Candia“ zu, durchbohrte den Regendunst und konkretisierte sich zu einer drohenden Silhouette. Ein Koloß war das, eine gewaltige Gespenstererscheinung hart am Schanzkleid des Viermasters. Die Mächte der Finsternis schienen ihre Greuel auf die Welt entlassen zu haben, die Stunde der Abrechnung war gekommen. Lautlos drängte sich das Ungeheuer heran, bis es Kontakt mit der „Candia“ hatte, und jetzt sprangen seine furchterregenden Krallen herüber, hakten sich hinter dem Schanzkleid fest. Gestalten regten sich im Dunkel. Alle Dämonen und Schimären, Teufel und Zerberusse der Hölle schienen sich auf das portugiesische Flaggschiff zu stürzen. Der Ausguck stieß einen würgenden Laut aus. Er taumelte, hielt sich an der
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Segeltuchumrandung fest, keuchte - und erst dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Zum Teufel mit allem Aberglauben! Er hatte sich täuschen und lähmen lassen, aber jetzt sah er, daß es menschliche Gestalten waren, die da im Regen von Schiff zu Schiff sprangen. Unten auf der Kuhl der „Candia“ wurden entsetzte Rufe laut, Schritte trappelten, die Soldaten und Seeleute der Wache stürzten zum Steuerbordschanzkleid - aber es war zu spät, viel zu spät! „Alarm!“ schrie der Ausguck. „Ein Überfall! Sie entern!“ „Schlagt sie zurück!“ brüllte in diesem Augenblick auch der Profos, der von einem Soldaten geweckt worden war und aus dem Vordecksschott hervorstürmte. „Schießt sie nieder! Alle Mann an Deck! Al diablo, laßt euch nicht überrumpeln, wehrt euch eurer Haut!“ Immer mehr Enterhaken flogen. Das große fremde Schiff lag Bordwand an Bordwand mit der „Candia“, als sei es mit ihr verwachsen. Behände jumpten die Angreifer auf die Kuhl des portugiesischen Viermasters und drangen mit Säbeln, Degen, Entermessern, ja, sogar mit Handspaken auf ihre Widersacher ein. „Arwenack!“ schrien diese Kerle. Ein Schwarzhaariger, ein Riese von einem Mann, befand sich an der Spitze des kleinen Trupps, der sich unheimlich schnell über Deck bewegte und kämpfend zum Achterkastell der „Candia“ strebte. Die Portugiesen erkannten ihn wieder. „El Lobo del Mar“, stieß der Profos do Velhos entgeistert aus. „Das kann doch nicht wahr sein.“ Dann hastete er mit erhobenem Säbel auf den Todfeind zu und trachtete, ihn zu stoppen. 8. Hätten die beiden Soldaten der Deckswache nicht die Lampe angezündet, um die Brook des einen Geschützes fester zu zurren, hätte der Seewolf wahrscheinlich noch sehr viel mehr Zeit
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benötigt, um sich an die „Candia“ heranzupirschen. So aber hatte der Feind ihm durch eine winzige Unachtsamkeit seine Position verraten. Als Stoßtrupp hatte Hasard seine besten Männer ausgewählt: Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane, Smoky, Dan O'Flynn, Carberry und Batuti. Old O'Flynn übernahm während des Entermanövers das Kommando über die „Isabella“. Der Rest der Crew hielt sich als Nachhut bereit. Die Zwillinge hatten sich selbstverständlich wieder ins Mannschaftslogis zurückziehen müssen. Dies war Hasards einfache, aber bewährte Strategie: Nicht alle Männer wollte er von Anfang an in den Kampf gegen die Portugiesen werfen, mehr als die Hälfte der Crew verweilte sprungbereit hinter dem Backbordschanzkleid der „Isabella“ und wartete die Entwicklung der Dinge ab. Mit seinen sieben Männern fühlte sich Hasard beweglicher als mit der kompletten Mannschaft, außerdem setzte er nicht ihrer aller Leben aufs Spiel. Die Männer der „Candia“ waren gründlich überrumpelt worden. Wie Hasard durch einen raschen Blick rundum feststellte, schien die Deckswache aus zehn, höchstens zwölf Männern zu bestehen. Die übrigen Besatzungsmitglieder kamen auf die Alarmrufe hin nicht flink genug auf die Beine, sie mußten erst ihren Schlaf abschütteln und aus den Kojen kriechen, zu den Waffen greifen und den Weg vom Logis im Vordeck bis aufs Hauptdeck zurücklegen. Hasards „Aktionskommando“ hatte den Weg zum Achterkastell des Viermasters fast frei. Kein einziger Schuß war bisher gefallen, alles lief verhältnismäßig geräuschlos ab, wenn man von den Rufen absah, die die Portugiesen ausstießen. Ben Brighton hatte einem Soldaten die Muskete aus den Händen geschlagen. Statt ihn anschließend mit dem Schiffshauer zu durchbohren, hatte er ihm den Knauf des Waffengriffs kurzerhand über die Stirn gezogen, und der Mann war bewußtlos zusammengebrochen. Gegen Hiebe wie
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diese schützte eben auch ein iberischer Eisenhelm nicht. Ferris, Shane und Smoky hatten bei diesem Überraschungsangriff gleichfalls Seeleute und Soldaten der „Candia“ durch gezielte Schläge gefällt, bevor diese ihre Schußwaffen einsetzen konnten — und ähnlich waren der junge O'Flynn, der Profos und Batuti verfahren. Hasard hatte ihnen eingeschärft, daß er kein Massaker anrichten wollte. Natürlich durften die Seewölfe andererseits auch nicht zu zaghaft mit den Portugiesen umspringen, aber das taten sie auch nicht. Ihre Devise bei diesem Entermanöver lautete nur: Getötet wird, wenn es unumgänglich ist, sonst nicht. Nur im Fall äußerster Notwehr gingen sie bis zur letzten Konsequenz. Durch diese selbstgesetzte Norm hatten sich Hasard und seine Crew immer von anderen Schiffsmannschaften unterschieden. Sie waren menschlicher als alle anderen Abenteurer und Schnapphähne, die über die Weltmeere segelten und verabscheuten im Grunde ihres Herzens Grausamkeiten. Genau dies machte nach Hasards Überzeugung den feinen Unterschied zwischen einem gewöhnlichen Piraten und einem Korsaren aus. Hasard dachte, das Achterkastell stürmen zu können, aber plötzlich schob sich eine breite Gestalt in sein Blickfeld. „Lobo del Mar!“ brüllte der Portugiese. „Nieder mit dir! Ich töte dich wie einen räudigen Hund!“ Seiner Kleidung nach war der Mann leicht als der Zuchtmeister der „Candia“ zu identifizieren. Sein Gesicht war zu einer haßerfüllten Grimasse verzerrt, seinen Säbel hielt er hoch erhoben, um ihn auf den Todfeind Spanien-Portugals niedersausen zu lassen. Eine fromme Rede hatte der Profos der „Candia“ da von sich gegeben, und er gedachte seine Drohung auch in die Tat umzusetzen. Hasard riß jedoch geistesgegenwärtig den langen Cutlass hoch, den er aus seiner Kammer mitgenommen hatte, parierte und ließ den
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gegnerischen Säbel von seiner Klinge abprallen. „Freund!“ stieß der Seewolf aus. „Mein eigener Profos hat ein Narbengesicht, aber er ist hundertmal schöner als du.“ Auf spanisch hatte er es gesagt, der Portugiese verstand ihn und wurde durch den Ausspruch noch mehr in Rage versetzt, Durch einen wilden Ausfall trachtete er, Hasards Verteidigung niederzusensen. Aber wieder war der Seewolf auf der Hut, wieder hatte der Zuchtmeister keinen Erfolg, sondern musste sich vor der Klinge des Gegners in Sicherheit bringen, die ihm nun bedrohlich um die Ohren pfiff. Der Kampf auf dem achteren Teil der Kuhl tobte hin und her. Ben, Smoky, Dan, Ed und Batuti hatten noch genug mit den übrigen Gegnern auf dem Hauptdeck zu tun, sie konnten ihren Kapitän nicht unterstützen. Big Old Shane und Ferris Tucker hatten sich mittlerweile bis zum Vordeck vorgearbeitet und bauten sich nun zu beiden Seiten des Schotts auf — so, wie der Seewolf es noch an Bord der „Isabella“ mit ihnen durchgesprochen hatte. Vorsorglich hatten die beiden Männer sich auch mit ein paar Belegnägeln versorgt, die sie sich in die Gurte geschoben hatten. Aber als Hauptwaffen hielten sie solide Handspaken in den Fäusten — Hölzer aus guter englischer Eiche. Dank des Überraschungsmomentes, das der Seewolf auf seiner Seite hatte und gründlich hatte ausnutzen können, war alles sehr, sehr schnell gegangen. Selten war ein derart großes Schiff von so wenigen Männern in so kurzer Zeit geentert worden. Von der richtigen Strategie und Taktik hing es jedoch ab, ob die Seewölfe auch im folgenden einen Erfolg für sich verbuchen konnten. Alles hing davon ab, ob sie verhindern konnten, daß die gesamte Mannschaft an Oberdeck erschien. Hasards Crew zählte zweiundzwanzig Köpfe — aber die Besatzung der „Candia“ war gut vier Dutzend Mann stark. Das Schott war nach dem Erscheinen des Profos' auf der Kuhl wieder zugeklappt.
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Jetzt öffnete es sich erneut, und der erste Mann des portugiesischen Nachschubs tauchte fluchend auf. Ferris nickte Shane zu. Der 'ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle tickte den Portugiesen mit der Handspake an, es gab einen dumpfen, beinah hohlen Laut, und der Mensch fiel nach zwei stolpernden Schritten der Länge nach auf die Planken und stand nicht wieder auf. Shane grinste, Ferris hieb nun ebenfalls mit der Spake zu, der nächste Gegner sank aufs Deck. Danach war wieder Shane an der Reihe. Der dritte Gegner riß die Arme hoch, nachdem er seinen Hieb eingesteckt hatte, torkelte noch ein Stück voran und strauchelte über die zwei bereits liegenden Gestalten. Die Dons hörten nicht auf, aus dem Vordecksschott hervorzustürmen. Big Old Shane und der Schiffszimmermann hatten redlich zu tun, sie schlugen in fast rhythmischen Abständen zu. Mehr als zehn Feinde setzten sie auf diese Weise außer Gefecht, aber dann schienen die übrigen Männer unten im Vordeck begriffen zu haben — sie zögerten. Nur noch einer schob sich vorsichtig auf die Schottöffnung zu. Er hatte eine Blunderbüchse im Anschlag, mit der man im Nahkampf ganz Verheerendes anrichten konnte. Shane stand mit dem Rücken gegen die Vordeckswand gelehnt. Wieder nickte er Ferris zu. Im richtigen Augenblick packte Ferris den Riegel des Schotts und versetzte es so heftig in Schwung, daß es zuknallte und den Gegner frontal erwischte. Der gurgelte, und man konnte hören, wie seine Waffe auf die Stufen des Niedergangs polterte. Der Widerstand, der den gespannten Hahn festhielt, war nicht groß genug für so einen Aufprall — die Blunderbüchse ging los. Das donnerte mächtig im Vordeck, und gleichzeitig brüllten die Portugiesen los. Shane und Ferris grinsten nicht mehr. Sie blickten kurz zur Kuhl und sahen Ben und Smoky, die sich inzwischen den Weg freigekämpft hatten, als Verstärkung
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anrücken. Ferris riß das Schott einfach wieder auf. Noch war es Zeit, in das Vorschiff der „Candia“ einzudringen. Die Blunderbüchse war lediglich auf eine freie Innenwand losgegangen und hatte mit ihrer Ladung, gehacktem Blei, ein hübsch anzusehendes Siebmuster hineingestanzt. Das Entsetzen hatte die Portugiesen schreien lassen, doch ehe sie jetzt dazu kamen, gegen die beiden HandspakenSchwinger vorzugehen und auf sie zu feuern, kippte ihnen die Gestalt des Blunderbüchsen-Mannes von den Stufen des Niederganges entgegen. Ein, zwei Kameraden raffte der Besinnungslose von den Stufen, dann stolperten such noch ein paar andere, die vom Fuß des Niederganges aus nachrücken wollten. Ben Brighton und der Decksälteste der „Isabella“ stürmten ohne zu zögern in das offene Schott. Wie es da unten im Vordeck aussah, wußten sie nicht, sie konnten es nicht einmal ahnen, sie riskierten Kopf und Kragen, denn ein geistesgegenwärtiger Don konnte sie in diesem Augenblick niederschießen. Tollkühn hechtete Ben Brighton von den oberen Stufen des Niederganges in die wabernde Masse von Leibern, die sich unter ihm im Dunkeln ineinander verkeilt hatte. Smoky folgte ihm, und dann erschienen auch Shane und Ferris. Die Portugiesen waren noch viel zu verblüfft und verwirrt, um den Angriff mit Säbeln und Messern abwehren oder auch nur eine Pistole oder eine Muskete auf die vier abfeuern zu können. Überdies bestand die große Gefahr, daß die Männer der „Candia“ sich untereinander verletzten. Dieser Umstand behinderte sie erheblich. Hasard focht immer noch mit dem portugiesischen Profos. Dan, Ed und Batuti hatten mit zwei Dons zu schaffen, die unversehens vom Achterdeck aufgetaucht waren. Es waren ein Soldat und ein Decksmann — wohl der Rudergänger. Der Soldat hob seine Muskete und legte über die Querbalustrade hinweg auf Dan O'Flynn an.
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Batuti hatte seine SchnapphahnschloßPistole gezückt. Er glitt ein paar Stufen des Backbordniederganges zum Achterdeck hinauf, blieb stehen, legte auf den Soldaten an und drückte ab. Die Kugel schlug dem Mann in die rechte Schulter. Mit einem Aufschrei sank er hintenüber. Abdrücken konnte er noch, aber die Ladung der Muskete stob krachend in den Nachthimmel. Der Soldat ließ die Waffe los, wälzte sich fluchend auf dem nassen Deck und blieb schließlich reglos liegen. Carberry hatte unterdessen den Steuerbordniedergang des Achterdecks erklommen. Der Rudergänger der „Candia“ erblickte ihn und fuhr mit der Pistole in der Hand zu ihm herum. „Wirf das Schießeisen weg“, befahl der Profos in seinem schauderhaften spanischen Kauderwelsch. „Du hast keine Chance mehr.“ Das wollte der Rudergänger nicht einsehen. Er stieß einen Fluch aus, duckte sich, stieß die Pistole vor und krümmte den Finger um den Abzug. Carberry ließ sich fallen. Leider hatte er noch den schweren Schiffshauer in der Faust, mit dem er sich auf der Kuhl Platz verschafft hatte. Ehe er diesen auf den Portugiesen schleudern oder seine Pistole zücken konnte, hatte der Mann bereits durchgezogen. Sehr unsanft landete der Profos auf den Planken. Er rutschte ein Stück, preßte ein saftiges „Himmel, Arsch und Zwirn“ hervor und drehte sich vom Bauch auf den Rücken. Er wunderte sich darüber, daß der Schuß nicht losgegangen war. Auch der Portugiese staunte. Im Regen war das Zündkraut seiner MiqueletschloßPistole naß geworden, ohne daß er es gemerkt hatte. Probleme gab es bei Niederschlag zwar vor allem mit Luntenschloß-Waffen, aber auch mit einer neuzeitlichen Pistole oder Muskete konnte so etwas passieren. Ehe der Rudergänger der „Candia“ sich von seiner Überraschung erholt hatte, war Batuti bei ihm. Ein Fausthieb gegen die Schläfe des Feindes, und er sank
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zusammen und blieb zu Batutis Füßen liegen, nicht sehr weit von dem besinnungslosen, schulterverletzten Soldaten entfernt. Dan O'Flynn, der jetzt von keiner Seite mehr bedroht wurde, hatte sich inzwischen dem portugiesischen Zuchtmeister zuwenden wollen, aber in dem Zweikampf zwischen diesem und dem Seewolf war eine Wende eingetreten. Der Profos hatte sich gut gehalten, geriet aber jetzt, als Hasard einen neuen Ausfall gegen ihn unternahm, auf den schlüpfrigen Planken außer Kontrolle. Er glitt beinah aus, mußte sich durch Armbewegungen fangen und konnte sich nicht mehr voll auf das Duell konzentrieren. Hasard setzte nach, zog den Cutlass tief von unten herauf und knallte ihn unter den Säbel des Gegners. Es lag so viel Wucht in diesem Schlag, daß der Profos das Heft der Waffe nicht länger halten konnte. Er verlor den Säbel, und dieser wirbelte ein Stück durch die Luft, landete auf den Planken, rutschte und blieb schließlich unter dem Niedergang der Steuerbordseite liegen. Do Velho hätte gut daran getan, das Oberdeck seines Schiffes wie vor einem Gefecht mit Sand bestreuen zu lassen. Dann hätten seine Männer einen sicheren Stand gehabt. Aber auch die Seewölfe hätten sich besser halten können, und darum handelte es sich um keine echte Unterlassungssünde. Die nassen Planken hätten dem Feind genauso zum Verhängnis werden können - nur leider hatte sich das Blatt zuungunsten der Portugiesen gewendet. Der Zuchtmeister wollte noch einen Schrei von sich geben, aber es wurde nur ein erstickter Laut daraus, weil Hasard ihm die linke Faust gegen die Schläfe setzte. Schwer fiel der Profos - und der Weg zum Achterkastell war wirklich frei. Dan, Ed und Batuti waren bei ihrem Kapitän. Sie ließen ihm den Vortritt in das „Allerheiligste“ des Kommandanten. Vom Vordeck der „Isabella“ sprangen inzwischen noch sieben Seewölfe zur „Candia“ hinüber: Blacky, Pete Ballie, Gary Andrews, Matt Davies, Al Conroy,
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Sam Roskill und Luke Morgan. Old O'Flynn hatte ihnen den Befehl gegeben, Ben, Ferris, Shane und Smoky bei dem Kampf, der im Vordeck entbrannt war, zu unterstützen. Seit den Alarmrufen der Deckswache der „Candia“ waren höchstens zwei, drei Minuten verstrichen.. * Lucio do Velho war aus finsteren Träumen aufgeschreckt worden. Schweißgebadet hatte er sich von seiner Koje aufgerichtet. Scheußliche Trugbilder hatte ihm die Einbildung vorgegaukelt, er hatte sich wieder im Land der Buschmänner befunden. Blutrünstige Gestalten hatten ihn umtanzt, Ignazio war fort gewesen, und ein brüllender Schamane mit gezücktem Dolch hatte sich auf ihn zu bewegt. Dieser Kerl hatte verblüffende Ähnlichkeit mit Philip Hasard Killigrew aufgewiesen. Einige Sekunden hatte do Velho benötigt, um die Situation zu erfassen. Früher hatte er sehr wache Sinne gehabt und war immer und zu jeder Stunde kampfbereit gewesen. Aber er hatte seit den Erlebnissen in Afrika nachgelassen. Ein Weiteres hatten diese gräßlichen vierundzwanzig Stunden bewirkt, die hinter ihm lagen. Do Velho streifte sich das Nötigste über: die Hose, das Wams, die Stulpstiefel. Er griff zu seinem Degen und steckte sich auch seine wertvolle, reich verzierte Radschloßpistole zu, während oben an Deck drei Schüsse kurz hintereinander fielen. Der eine klang dumpf und schien in einem geschlossenen Raum abgegeben worden zu sein, die anderen beiden tönten hell - offenbar vom Achterdeck. Sie sind über mir, dachte do Velho. Und er hatte seinen Profos den Namen „El Lobo del Mar“ brüllen hören. Es war zu ungeheuerlich, do Velho konnte es auch jetzt kaum fassen. Der Seewolf auf der „Candia“ - wie war das möglich? Mit allem hatte der Kommandant gerechnet, nur damit nicht. In der sicheren Annahme, der verdammte Engländer
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würde die ganze Nacht über auf südwestlichem Kurs weitersegeln, hatte er sich zur Ruhe begeben. Hatte Killigrew das vorhergesehen? Hatte er es ahnen können? Welcher Teufel ritt diesen Kerl, daß er in dieser finsteren Nacht bei Regen auf Gegenkurs ging und dann geradewegs auf die „Candia“ zusteuerte? Wie hatte er sie überhaupt finden können? Do Velhos Selbstbewußtsein war erheblich erschüttert. Er verließ seine Kammer und taumelte den Mittelgang des Achterkastells entlang. „Ignazio“, rief er immer wieder. „Ignazio, wo, zum Teufel, steckst du? Hund von einem Bootsmann, so antworte doch!“ Eine Tür knarrte, do Velho fuhr' herum. Aus einer der Kammern trat eine bullige Gestalt auf ihn zu, und do Velho verspürte in seiner Wut nicht übel Lust, die Faust in dieses vierschrötige, so unendlich einfältige Gesicht zu schlagen. „Ignazio, warum hast du dich nicht gemeldet?“ „Ich - Senor, es kommt alles so überraschend ...“ „Was geht hier vor?“ „Ich weiß es nicht, Senor Comandante.“ „Der Seewolf ist da!“ „Was? Patron, das geht nicht mit rechten Dingen zu.“ „Schweig“, zischte do Velho und schlich mit gezücktem Degen weiter. „Wir greifen in den Kampf ein. Ich habe keinen Zweifel daran, daß die Übermacht unserer Leute diesen englischen Bastarden das Fürchten beibringt. Killigrew wird es noch bereuen, dieses Schiff betreten zu haben.“ „Si, Senor.“ Der Mann aus Porto raffte seinen Hosenbund zusammen, packte nun ebenfalls seinen Säbel und eilte seinem Kapitän nach. Sie hatten das Achterkastell halb durchquert, da vernahmen sie Laute. aus dem Schiffsinneren. Do Velho blieb augenblicklich stehen. „Still“, raunte er. „Hörst du das nicht, Ignazio?“ „Doch, Senor. Der Feind - er kommt auch von dort.“
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„Du meinst, er hat schon das untere Batteriedeck besetzt?“ „Senor, ich sehe sofort nach.“ „Warte, ich komme mit“, sagte der Kommandant. Gemeinsam schlüpften sie in den Quergang zu ihrer Rechten, folgten seinem Verlauf und benutzten dann den Niedergang, der ein Deck tiefer führte. Stockdunkel war es in dem Batteriedeck, man konnte nicht einmal die Umrisse der festgezurrten 17-Pfünder erkennen. Wohl aber vernahm Lucio do Velho das Rumoren, das Scharren von Schritten und Tuscheln von Stimmen, das nicht weit von ihm entfernt war. Er zückte seine Pistole. „Halt!“ sagte er. „Wer da?“ „Senor“, antwortete eine Stimme, die ihm bekannt erschien. „Nicht schießen. Wir sind es - die Decksleute aus dem Vorschiff. Ich bin Bixio, der Fockmastgast.“ „Und ich Raoul, der Kombüsengehilfe“, sagte ein anderer Mann. Noch drei Männer meldeten sich mit ihren Namen. „Was habt ihr hier herumzuspuken?“ fuhr do Velho sie an. „Wieso kämpft ihr nicht gegen die Ingleses, die uns überfallen haben? Fast hätte ich auf euch geschossen, weil ihr Hunde wie die Galgenstricke durch das Schiff schleicht.“ „Senor, Sie haben selbst verboten, Licht anzuzünden“, erwiderte Bixio, der jetzt näherschritt. „Daran haben wir uns auch gehalten. Wir sind überhaupt froh, aus dem Vordeck entwischt zu sein. Dort wird hart gekämpft, dort sind schon gut zwei Dutzend unserer Leute zusammengeschlagen worden.“ „Was?“ Do Velho atmete schwerer und rang um Fassung. „Berichte mir sofort, was vorgefallen ist.“ Das war schnell geschehen. Bixio und Raoul wußten sehr anschaulich darzustellen, wie die Seewölfe das Vordeck gestürmt hatten. In einem günstigen Augenblick waren sie, der Fockmastgast und der Kombüsengehilfe, mit drei anderen Decksleuten nach achtern entwischt. Da sie sich ganz am Ende des
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nach oben drängenden Menschenpulks befunden hatten, schien der Gegner ihre Flucht nicht wahrgenommen zu haben. „Das ist die größte Schande, die mir je widerfahren ist“, keuchte Lucio do Velho. „Sind diese Hurensöhne etwa auch im Begriff, das Achterkastell zu vereinnahmen?“ „Ich glaube ja, Senor“, entgegnete Raoul. „Wir haben es gehört, konnten aber nicht sehen, was an Oberdeck vorging.“ „Es hat keinen Sinn, jetzt zum Vorschiff zu laufen“, sagte der Kommandant. „Wir würden dort auf verlorenem Posten kämpfen. Es ist auch für uns nicht ratsam, durch die Luke des unteren Batteriedecks auf das Hauptdeck zu klettern. Man würde uns rechtzeitig bemerken und niederknüppeln. Nein. Wir müssen vielmehr die Hütte um jeden Preis verteidigen, den Gegner niederstrecken und den Hunden, die im Vordeck wüten, in den Rücken fallen.“ Er drehte sich um und hastete zum Niedergang zurück. Ignazio und die fünf Decksleute schlossen sich ihm an. Im Achterkastell hatten sie gerade wieder den Mittelgang erreicht, da wurde vorn das Schott aufgerissen, das auf die Kuhl hinausführte. Die Gestalt, die do Velho in seinen schlimmsten Träumen heimsuchte und verfolgte, erschien in der rechteckigen Öffnung. Sie füllte sie mit ihren breiten Schultern völlig aus. Lobo del Mar, nun zu uns, dachte do Velho voll glühendem Haß. Er blieb stehen. In seinem Rücken verharrten Ignazio, Bixio, Raoul und die drei anderen. Sie verhielten sich mucksmäuschenstill, denn instinktiv begriffen sie, daß der Kommandant die und den Todfeind auf diese Art überrumpeln wollte. 9. Der Seewolf zügelte seinen Drang, sofort in den Gang des Achterkastells zu stürzen und mit gezücktem Cutlass bis zum Schott von do Velhos Kammer zu stürmen. Bislang hatten sich weder do Velho noch
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sein Bootsmann Ignazio gezeigt. Aber war es denn möglich, daß sie soviel Zeit brauchten, um sich zu bewaffnen und auf der Bildfläche zu erscheinen? Nein. Sie wollen dir eine Falle stellen, dachte Hasard. Er behielt den Cutlass in der rechten Hand, zog mit der linken Hand jedoch seine doppelläufige sächsische Reiterpistole aus dem Waffengurt. Er spannte einen Hahn, duckte sich und rief: „In Deckung, Freunde!“ Er ließ sich fallen, riß gleichzeitig die Pistole hoch und feuerte einen Schuß in die Decke des Ganges ab. Der kurze Feuerblitz genügte, um ihn davon zu überzeugen, daß er keiner Täuschung erlegen war. Dumpf tönte das Krachen der Pistole durch das Achterdeck. Im Aufzucken des gelblichen Lichtes erhaschte Hasard einen Blick auf zwei Gestalten. Zwar trachteten do Velho und seine Mitstreiter noch, sich gedankenschnell in den Quergang zurückzuziehen. Sie hatten ja allen Grund zu der Annahme, daß der Seewolf direkt auf sie feuern würde. Aber es gelang nur Bixio, Raoul und den drei anderen Decksleuten, sich noch rechtzeitig in Deckung zu bringen. Do Velho und sein Bootsmann ließen sich fallen. Der Kommandant hob seine Pistole gegen den Erzfeind und drückte ab. Wieder donnerte ein Schuß, aber die Kugel traf weder Hasard noch einen der anderen Männer der „Isabella“. Hasard rollte sich von der rechten Seite 'des Ganges nach links. Die Kugel strich um eine Handspanne über den Platz weg, an dem er eben noch gelegen hatte, raste weiter und pfiff ins Freie, aber Dan, der Profos und Batuti standen längst nicht mehr vor dem Schott, sondern waren nach den Seiten hin ausgewichen. Sie befanden sich in Sicherheit. Die Kugel pfiff durchs offene Schott an ihnen vorbei und bohrte sich, ohne Schaden anzurichten, in den Großmast der „Candia“. Hasard erhob sich, ehe Ignazio den nächsten Schuß abgeben konnte. Do Velho hatte seine leergeschossene Radschloßpistole mit einer Verwünschung
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in den Gang geschleudert und packte seinen Degen. Der bullige Bootsmann wollte mit seiner Steinschloßpistole auf den Seewolf anlegen, doch der Kommandant stand ihm dabei im Weg. Bevor Bixio, Raoul oder einer der drei anderen eingreifen konnten, war Hasard mit drei Sätzen bei ihnen. Er ging aufs Ganze. Sein Cutlass säbelte wie das scharfe Werkzeug eines Schnitters durch den engen Gang, klirrte gegen do Velhos Degen und trieb den Mann, für den dieser harte Angriff doch etwas zu wild und zu schnell ausfiel, tiefer in den Gang. Ignazio glaubte, seine Chance sei gekommen. Der Kommandant und der Seewolf tänzelten an ihm vorbei, er konnte sie jetzt beide recht gut erkennen, weil seine Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten. Ignazio zielte auf Philip Hasard Killigrews Rücken. Jetzt oder nie, dachte er, besser, diesen Hund zu töten, denn wir werden es ja doch nie schaffen, ihn lebend bis vor den König zu schaffen, wie der Comandante es ursprünglich vorgehabt hat. Aber ein ohrenbetäubendes Gebrüll war plötzlich hinter ihm. „Arwenack !“ schrien diese Korsaren, „Arwenack“ mit unvorstellbarer Lautstärke. Eine ganze Kompanie schien das Achterkastell zu stürmen, und doch waren es nur drei. Dan, Ed und Batuti hatten sich keinen anderen Rat gewußt. Sie hatten gesehen, wie Ignazio sich zu Hasard umgewandt hatte, und versuchten jetzt, den Mann aus Porto durch ihr Geschrei zu irritieren. Es funktionierte. Ignazio wußte zwar nicht, was dieses „Arwenack“ zu bedeuten hatte, daß es in einer Gegend, die Cornwall hieß, ein Kastell dieses Namens gab und daraus der Kampfruf der Seewölfe entstanden war, aber er fuhr zu den drei Seewölfen herum. Dan O'Flynn hatte seine Pistole gezückt. Er feuerte über Ignazios Kopf hinweg. Der Mann aus Porto duckte sich, legte auf den jungen Mann an und drückte ebenfalls ab, aber mit unglaublicher Gewandtheit hatte sich der Gegner plötzlich aus dem
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Schußfeld befördert. Carberry und Batuti warfen sich zu Boden, es war das Klügste, was sie tun konnten, denn besser war es, die Planken zu küssen, als eine heiße Eisenkugel zwischen die Rippen zu empfangen. Auch diese Kugel traf also nicht, und der portugiesische Bootsmann war es jetzt, der seine Pistole mit einem lästerlichen Fluch in den Gang warf. Er wünschte sich, Dan O'Flynn damit zu treffen, aber dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Dan hatte bereits den Quergang erreicht und focht mit seinem Entermesser gegen Bixio, Raoul und die drei anderen Decksmänner an. Batuti rappelte sich wieder auf und wollte auf Ignazio losgehen, aber da schob sich Edwin Carberrys breites Kreuz in Batutis Blickfeld. Wutschnaubend knallte der Profos die Klinge seines Schiffshauers auf Ignazios Säbel. Batuti rückte nach links und unterstützte Dan O'Flynn im Kampf gegen die übrigen fünf Portugiesen. Hasard gab sich keine Blöße und ließ do Velho keine Chance, in dem nun beginnenden Duell die Initiative zu übernehmen. Do Velho war in die Defensive getrieben worden, er konnte sich bei aller Fechtkunst keinen Vorteil verschaffen. So konnte er nichts dagegen unternehmen, daß der Seewolf ihn bis zur Kammer ganz achtern im Kastell drängte. Do Velho hatte genug damit zu tun, jede Parade abzuwehren, die auf ihn zuwirbelte. Es war erstaunlich, wie gut der Seewolf sich im Dunkeln zurechtfand. Er brachte Lucio do Velho mehrfach in lebensgefährliche Situationen. Links und rechts surrte der Cutlass an do Velho vorbei, mal drohte er ihm in die rechte Schulter zu hacken, mal seinen Kopf zu treffen, mal seine Brust. Der Portugiese indes vermochte keinen einzigen Ausfall aufzubauen. Er hatte keinen Zweifel daran, daß der Seewolf ihn jetzt töten wollte. Aus war es mit der Nachsicht Killigrews, er war schon seinerzeit in der Walfisch-Bucht zu sanft mit dem Erzfeind umgesprungen. Die Situation ähnelte jenem Kampf vor der
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Küste des Buschmann-Landes, aber der Ausgang schien diesmal kompromißlos zu sein. Damals! Carberry, Blacky und die zwölf anderen Männer der „Isabella“ hatten sich aus der Gewalt der Buschmänner befreien können, nachdem do Velho und Ignazio, die durch eine List Hasard überwältigt und als Geiseln genommen hatten, den „überflüssigen Ballast“ einfach ausgesetzt hatten. Damals — als die „Santa Monica“ unter dem Kommando der Meuterer die „Isabella“ in der Bucht zu beschießen begonnen hatte, hatten Carberry und sein Trupp ihr Schiff schwimmend erreicht, es von achtern geentert und Lucio do Velho und den Mann aus Porto in einem Blitzangriff besiegt. Von zwei Seiten hatten sie sich ins Ruderhaus geworfen. Der Profos hatte mit einem von den Buschmännern erbeuteten Messer zugestochen, ehe do Velho sich den Schnapphahn-Revolverstutzen hatten greifen können. Batuti und Pete Ballie hatten sich im selben Moment Ignazio vorgenommen. Pete hatte dem Bootsmann den RadschloßDrehling entrissen, und der Gambia-Mann hatte mit seinen mächtigen Fäusten auf Ignazio eingedroschen, bis dieser zusammengesunken war. Danach hatten die Seewölfe beide Portugiesen zur Backbordseite getragen, sie über das Schanzkleid gehievt und außenbords befördert. Anschließend hatten Hasard und seine Männer die Meuterer von der „Santa Monica“ in einem erbarmungslosen Gefecht besiegt. Brennend war die „Santa Monica“ in der Walfisch-Bucht zurückgeblieben, während die „Isabella VIII.“ mit neuem Kurs in See gegangen war. „Senor“, sagte Hasard, während er seinen Gegner mit Cutlass-Hieben durch die nur angelehnt stehende Tür in die Kapitänskammer des Viermasters trieb. „Ich bin seinerzeit zu glimpflich mit Ihnen umgesprungen. Ich hätte mich vergewissern sollen, daß es wirklich aus
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mit Ihnen war, dann hätten wir uns nie wiedergesehen.“ „Ich habe dir die Pest an den Leib gewünscht“, zischte do Er wich zurück, stand vor dem Pult nahe der Bleiglasfensterfront in der Heckwand und verteidigte sich schwitzend. „Warum bist du nicht daran krepiert?“ „Nie krank gewesen“, sagte Hasard höhnisch. „Je mehr Sie mich verfluchen, desto wohler fühle ich mich.“ In der Kapitänskammer war es wegen der Fenster nicht ganz so dunkel wie auf dem Gang. Nachdem Hasards Augen sich auf die Finsternis eingestellt hatten, nahm er diesen feinen Unterschied jetzt deutlich wahr. Ganz düster war die Nacht nie, etwas konnte man immer noch sehen, und so sah Hasard jetzt in einem matten Schimmer, der durch die Fenster eindrang, die Züge von do Velhos Gesicht. Verändert hatte er sich kaum, der stolze Comandante. Mittelgroß war seine Gestalt und ein bißchen untersetzt, seit ihrer letzten Begegnung hatte er weder zu- noch abgenommen. Sein volles dunkles Haar hatte sich immer noch nicht gelichtet, daher konnte do Velho nach wie vor darauf verzichten, eine Perücke zu tragen, wie es seinem hohen Dienstgrad angemessen gewesen wäre. In seinem breitflächigen Gesicht mit den ebenmäßigen, ausgeprägten Zügen mischten sich Haß und ein Anflug von Verzweiflung. „Immer noch der große Mime?“ fragte Hasard. Er führte dem Portugiesen eine Finte vor, auf die dieser prompt hereinfiel. Hasard parierte, zerbrach do Velhos Attacke und scheuchte ihn von dem Pult fort, näher auf die Bleiglasfenster zu. „Sehen Sie, ich verstehe mich auch aufs Schauspielern, Senor“, fuhr der Seewolf fort. „Aber, ganz unter uns, die Furcht in Ihren Augen scheint echt zu sein.“ „Nimm den Mund nicht zu voll“, warnte do Velho. Er schwitzte immer stärker, und seinen Degenhieben begann es an Vehemenz und Kraft zu mangeln. Wie lange konnte er sich noch halten?
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„Senor“, sagte Hasard mit unüberhörbarem Spott. „Ich muß sagen, man hat Ihr Schiff hübsch wiederhergerichtet, nachdem wir uns in der Felsenbucht beschossen haben. Neue Fenster haben Sie einsetzen lassen, damit es in Ihrer Kammer nicht zieht. Das ganze Achterkastell haben Sie reparieren' lassen, und sicherlich ist auch die Heckgalerie wieder instandgesetzt. Erstaunlich, wie schnell Ihre Männer das fertiggebracht haben. Aber Sie haben sie zu sehr gefordert. Sie sind müde. Deshalb haben wir euch im Handumdrehen entern können. Senor Comandante - es tut mir leid, aber ich muß Ihr schönes Schiff erneut ramponieren.“ Er führte einen halbkreisförmigen Schlag über do Velhos Kopf weg. Aufstöhnend duckte sich. do Velho. Die Klinge des Cutlass' traf die Fenster. Sie zerbrachen klirrend, und es hagelte Scherben. Wind und Regen strichen in die Kammer. Do Velho stieß seinen Degen auf Hasards Unterleib zu, aber Hasard war auf der Hut. Er tänzelte zurück, blieb stehen, entging dem gemeinen Ausfall und hieb nun seinerseits wieder auf den Gegner ein. Do Velho wich wieder zurück und kam der Tür nahe, die auf die Heckgalerie hinausführte. „Wie haben Sie im Land der Buschmänner Ihre Haut gerettet?“ wollte Hasard wissen. „Verraten Sie es mir, Amigo, ich brenne darauf, die Zusammenhänge zu erfahren.“ „Dein Profos hätte besser mit dem Messer zustechen sollen“, stieß do Velho hervor. „Ich war nur am Arm und an der linken Schulter verletzt, ich kam durch. Ignazio schleppte mich bis zum Ufer, als ihr uns ins Wasser warft. Wir krochen an Land.“ „Aber die Buschmänner ...“ „Im Laufe der Nacht erschienen nur zwei, offenbar Späher.“ „Der Stamm war durch das Auftreten meiner Männer eingeschüchtert“, gab der Seewolf zurück. „Die Wilden wagten es ja nicht, dem Profos und den dreizehn anderen zu folgen, so nachhaltig war der Eindruck, den sie von der Befreiungsaktion meiner Männer hatten.“
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Do Velho wehrte sich mit verbissenem Eifer, konnte aber nichts dagegen tun, daß der Seewolf ihn bis unter den Rahmen der achteren Tür dirigierte. „Wir überwältigten diese beiden Wilden, wenn du es genau wissen willst!“ rief er Hasard zu. „Ignazio tat es. Sie waren dazu nicht in der Lage!“ „Also gut — er tat es!“ „Er hat Ihnen mehrfach das Leben gerettet“, sagte Hasard. „Sie müssen ihm ewig dankbar sein.“ „Ja!“ schrie der Kommandant. „Mein Gott, ja! Wir erbeuteten die Waffen der Buschmänner, pirschten am Ufer entlang und konnten später, als Ignazio mich notdürftig verarztet hatte, zur ‚Santa Monica' schwimmen. Die brannte inzwischen nicht mehr, Wie wir aufgeentert sind, wie wir die letzte Handvoll Meuterer erledigt haben, weiß ich selbst nicht mehr genau — aber wir schafften es.“ „Und weiter?“ „Ignazio reparierte das Ruder und stellte in zäher Arbeit das Schiff so weit wieder her, daß wir die Bucht verlassen konnten. Am Ufer standen die Buschmänner und drohten zu uns herüber. Sie führten die wildesten Tänze auf, aber sie hatten keine Boote, mit denen sie zu uns gelangen konnten.“ „Euer Glück, Amigo“, erwiderte Hasard. „Aber Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, daß Sie mit der lädierten ‚Santa Monica' die Heimreise nach Portugal bewältigt haben.“ „Nein. Die ,Candia' war inzwischen wieder repariert worden und lief auf der Suche nach meinem Verband die False-Bucht am Kap der Guten Hoffnung an. Dort traf sie auf die Karavellen ,San Julio' und ,Libertad', und die Besatzung meines Flaggschiffes erfuhr von den Kapitänen de Hernandez und Santillan, was sich ereignet hatte. Sie lief sofort wieder aus und fahndete nach dem Verbleib der ,Santa Monica' und der ,Isabella', eurem Teufelsschiff. Fast schoß man uns zusammen, als wir uns begegneten — meine Besatzung nahm ja an, es noch mit
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den Meuterern unter Fernando Sartez zu tun zu haben. Aber ich war inzwischen wieder leidlich genesen und konnte mich verständlich machen. Wir waren gerettet, gingen an Bord der ,Candia' und ließen die ‚Santa Monica' an der afrikanischen Küste zurück.“ „So war das also”, sagte der Seewolf. Er focht ununterbrochen weiter, und Lucio do Velhos Abwehr zerbrach an seinen mit Wucht und Können geführten Cutlasshieben. Rückwärts taumelte der Kommandant auf die Heckgalerie seines Schiffes hinaus. Do Velho stellte zu seinem Entsetzen fest, daß die hölzerne Plattform unter ihrem Gewicht zu schwanken begann. Offenbar hatten die Männer der „Candia“ bei der Instandsetzung dieses Teils des Schiffes doch nicht die nötige Sorgfalt walten lassen. Hasard schlug den Cutlass unter do Velhos Degen. Do Velho hielt dem Waffendruck unter mörderischem Kraftaufwand stand. Mit gegeneinander gepressten Waffen standen sie sich gegenüber. Hasard drängte seinen Erzfeind bis an die Balustrade, die unter der Belastung bedrohlich zu ächzen begann. 10. „Du dreimal verfluchter Sohn einer verwanzten Hafenhure“, sagte Carberry zu Ignazio. Er sagte es auf englisch, weil ihm auf spanisch eine wichtige Vokabel gefehlt hätte, er konnte sich nicht daran erinnern, jedenfalls nicht im Eifer des Gefechts. Dem Mann aus Porto, der des Englischen nicht mächtig war, entging also dieser wichtige Profos-Ausspruch. Aber es sollte nicht der einzige Verlust bleiben. Ignazio war stark, aber er konnte auf die Dauer nicht der Kraft eines Edwin Carberry trotzen — zumal der Profos fast schon wieder zu flüstern begonnen hatte. In diesem Zustand äußerster Wut war Ed dazu imstande, ein ganzes Segelschiff in Alleinarbeit in seine Bestandteile zu zerlegen.
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Ja, der Profos war „auf der Palme“. Er hatte genug von Ignazio, genug von do Velho und seiner „Candia“ und wollte dem Konflikt ein Ende setzen. Noch zweimal krachte der ProfosSchiffshauer gegen Ignazios Säbel, dann war es soweit : Beim letzten gewaltigen Streich zersprang die Klinge des edlen portugiesischen Säbels, auf den der Bootsmann so stolz gewesen war. Ignazio starrte fassungslos auf den Klingenstumpf, den er mit dem Griff und Handkorb der Waffe noch in der Faust hielt. Dann wollte er doch noch mit diesem Stumpf zustoßen, doch Carberry war schneller. Er rammte dem Mann aus Porto die Faust unters Kinn, ganz genau auf den richtigen Punkt. Ignazio hatte das Gefühl, aus den Stiefeln gehoben und durch die Decke katapultier t zu werden, sein Geist entschwebte in bodenlose, alles zudeckende Finsternis. Carberry sah noch zu, wie Ignazio schlaff an der Gangwand zu Boden sank, dann wandte er sich zu den anderen Kämpfenden um und unterstützte Dan O'Flynn und Batuti gegen die fünf portugiesischen Decksleute. Genauer: Es waren nur noch vier, denn einen hatten Dan und Batuti mittlerweile auf die Planken geschickt. „Ihr Rübenschweine und Kakerlakenfresser!“ brüllte Carberry die Portugiesen an. Jawohl, er konnte schon wieder brüllen. Bixio, Raoul und die anderen beiden Kerle wichen unwillkürlich einen Schritt zurück —und das nutzten Batuti und O'Flynn sofort aus. Sie schoben sich vor und fochten. Der Profos wurde auch wieder mit seinem Schiffshauer aktiv. Die Gegner verloren gänzlich an Boden und konnten sich jetzt überhaupt nicht mehr halten. Nach Steuerbord tobte der Kampf, aber dort hatten die Männer der „Candia“ das Achterkastell nur notdürftig ausgebessert, nachdem es von Ferris Tuckers Flaschenbombe aufgefetzt worden war. Aus einigen hastig zusammen gezimmerten Planken und großen Stücken Persenning bestand da die Außenhaut.
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Batuti hieb Bixio den Säbel aus der Hand, riß die freie Faust hoch und setzte sie dem Burschen in einem Haken gegen die Brust. Bixio torkelte rückwärts, krachte mit dem Rücken gegen die provisorische 'Verkleidung der Hütte, und die ganze Konstruktion gab nach. Bixio konnte sich nicht halten, obwohl er verzweifelt mit den Armen ruderte. Er stürzte aus der Poop der „Candia“ in die See, und zwar genau in den Zwischenraum, der zwischen der „Isabella“ und dem Viermaster geblieben war. Zwar dümpelten beide Schiffe jetzt fest vertäut ohne Fahrt in den Fluten, aber ihre sich zum Heck hin verjüngenden Achterschiffe ließen eben noch jenen Spalt offen, der Bixio zur Falle wurde. „Ho!“ rief Carberry. „Grüß dich, alte Lady!“ Er unterlief Raouls Deckung, drehte sich halb und rammte dem Mann den Ellbogen in den Leib. Raoul bewegte sich ebenfalls rückwärts, auf die Bordwand der „Isabella“ zu, verlor das Gleichgewicht und folgte Bixio. Der Klatscher, mit dem er im Wasser landete, war deutlich zu hören. Die beiden anderen Portugiesen hatten genug, sie wandten sich ab und ergriffen die Flucht. So schnell sie konnten, turnten sie den Niedergang zum unteren Batteriedeck hinunter. Ihre Schritte polterten auf den Planken. „Ihnen nach!“ brüllte der Profos. „Laßt sie nicht entwischen!“ Er war noch vor Batuti und Dan am Niedergang, raste ihn hinunter, fiel fast, fing sich aber wieder und stürmte quer über das düstere Batteriedeck. Er prallte ungefähr auf der Mitte des Decks mit einem Mann zusammen, stieß einen fürchterlichen Fluch aus und riß seinen Schiffshauer hoch, um diesem Kerl den Rest zu geben. „He“, ertönte in diesem Augenblick eine wohlbekannte Stimme. „Bist du denn wahnsinnig, Ed?“ Carberry tastete nach dem Sprecher und stellte fest, daß dieser mit dem Kerl identisch war, der ihn angerempelt hatte. Carberry zupfte an dem mächtigen Bart herum, der diesem Menschen im Gesicht
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wucherte, und jetzt bekam er ein paar Flüche zu hören, die er noch nicht in sein Repertoire aufgenommen hatte. „Mann, hör auf, mir am Bart zu zerren!“ brüllte es in seinen Ohren, „Bist du's‚ Shane?“ „Ja, zum Teufel.“ „Wo sind die beiden Portugiesen?“ „Portugiesen'? Ich habe mitgekriegt, daß zwei Kerle durch eine Stückpforte gestiegen und in den Teich gejumpt sind. Vielleicht waren sie das.“ „Ganz sicher sogar“, frohlockte der Profos. „Und wie sieht es im Vordeck aus?“ „Wir haben die Gentlemen allesamt schlafen geschickt bis auf die natürlich, die getürmt sind. Wir haben auch die Offiziere außer Gefecht gesetzt, denn die haben im Vordeck gepennt, weil das halbe Achterdeck im Moment nicht bewohnbar ist.“ „Es wird auch nie mehr bewohnt werden“, sagte Dan O'Flynn. „Los, wir sehen nach, ob der Seewolf mit do Velho fertig geworden ist.“ * Die Balustrade der Heckgalerie gab nach. Do Velho stieß einen keuchenden Laut des Entsetzens aus, versuchte noch, das Ringen mit dem Seewolf für sich zu entscheiden und Hasard mit dem Degen im Gesicht zu verletzen, aber Hasard wußte auch diesem letzten Stoß zu entgehen. Die Balustrade brach. Do Velho konnte die Balance nicht halten, er stürzte von der hölzernen Plattform und nahm Stücke des gedrechselten Geländers mit. Sein heiserer Aufschrei ging in dem Geräusch unter, mit dem er in der See landete. Hasard riß seinen Cutlass zu sich heran und tat einen Schritt zurück. Trotzdem mußte er auf der wippenden Plattform noch darum kämpfen, dem portugiesischen Kommandanten nicht zu folgen. Er bewegte die Arme nach hinten, drohte auszugleiten, hatte sich dann aber doch genügend in der Gewalt, um die Schwelle der Tür zur Kapitänskammer zu erreichen.
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In diesem Moment stürzten auch seine Männer in den Raum. „Hol's der Teufel, Hasard“, stieß Big Old Shane hervor. „Wo in aller Welt steckt denn do Velho?“ „Der sieht sich gerade sein Schiff von hinten an“, erklärte Hasard seelenruhig. „Und wie es den Anschein hat, ist die Lage im Vordeck auch entschieden, oder?“ „Ja. Die ,Candia' ist unser“, versetzte der Profos stolz. Der Seewolf schaute sich um. „Ich lege keinen Wert darauf, dieses Schiff als Prise zu nehmen. Wir sind zu wenige, um es bemannen zu können, außerdem erfordert es viel zuviel Aufwand, das Schiff instand zu setzen.“ „Wir versenken es?“ fragte Dan O'Flynn. „Ja. Laßt die beiden Beiboote zu. Wasser. Wir packen die Bewußtlosen und Verletzten hinein. Die Portugiesen, die in der See schwimmen, werden sich ebenfalls an Bord der Jollen retten. Es wird ein bißchen eng werden für die mehr als vierzig Mann, aber das ist nicht unser Problem.“ „Sir, soll ich vor die Tür zur Pulverkammer der ,Candia' eine von Al Conroys und Ferris Tuckers neu hergestellten Höllenflaschen legen?“ erkundigte sich Carberry grinsend. „Die mit der besonders langen Lunte vielleicht?“ „Ja. Ich schätze, die genügt. Wir können wirklich Material sparen. Wir haben keine Munition vergeudet und brauchen auch die Brandsätze nicht zu opfern. Ehrlich gesagt wären sie mir auch zu schade für den Lumpen do Velho.“ „Fangen wir an“, sagte Carberry. „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Verfrachten wir die Dons in die Boote. Sir, ich stelle hiermit den feierlichen Antrag, als letzter die ,Candia' verlassen zu dürfen.“ „Abgelehnt, Ed“, antwortete der Seewolf. „Ich will selbst die Lunte der Flaschenbombe zünden. Das lasse ich mir nicht nehmen.“ „Aye, „Und noch etwas. Wir geben jedem Boot der Portugiesen ein kleines Abschiedsgeschenk mit.“
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„Was?“ entrüstete sich der Profos. „Was wollen wir denen denn noch in den Rachen schmeißen - außer einem netten Feuerchen, das ihnen den Hintern wärmt?“ „Zwei Flaschen mit portugiesischem Landwein“, erwiderte Hasard. Da konnten sich die Männer nicht mehr halten - sie prusteten los. Nur Carberry verzog keine Miene. „Möchte wissen, was es da zu lachen gibt“, sagte er. „Sollen sich die Rübenschweine von Portugiesen doch besaufen - Befehl ist Befehl.“ Keine zehn Minuten später waren die Vorbereitungen getroffen. Die Beiboote entfernten sich von der „Candia“ und der „Isabella“. Hasard hatte den entwaffneten Portugiesen, die jetzt wieder bei Bewußtsein waren, angedroht, daß sie mit dem Viermaster in die Luft flögen, wenn sie sich nicht schleunigst entfernten. So pullten die Männer der „Candia“ und lasen nach und nach die Kameraden auf, die es vorgezogen hatten, in die See zu springen, um den Schauplatz des für sie so schimpflichen Geschehens zu verlassen. Lucio do Velho enterte als einer der letzten in die eine Jolle. Er kauerte sich zwischen die dicht an dicht auf den Duchten hockenden Männer. Eisige Stille umgab ihn. Hasard hatte auf der „Candia“ die Flaschenbombe mit der langen Lunte direkt in der Pulverkammer placiert. Die Tür des Raumes hatte er aufgebrochen. Jetzt, als Old O'Flynn ihm das Zeichen gab, daß die Leinen gelöst wären, zündete der Seewolf die Zündschnur, vergewisserte sich noch, daß sie nicht wieder erlöschen konnte — und lief an Oberdeck. Er hastete über die Kuhl, sprang auf das Schanzkleid der Steuerbordseite und sprang zu seinem Schiff hinüber, das sich langsam von dem Viermaster entfernte. „Segel setzen!“ schrie Carberry. „Bewegt euch, ihr faulen Brüder! Wir gehen auf Kurs Südwesten und sehen zu, daß wir Abstand von dem Kahn der Dons gewinnen.“
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Hasard trat zu Ben Brighton, Shane, Ferris und den anderen, die sich auf dem achteren Teil der Kuhl versammelt hatten. „Wir werden jetzt ungestört kreuzen können“, sagte er. „Ich glaube nicht, daß die beiden anderen Schiffe des Verbandes uns noch folgen.“ Als knapp eine Kabellänge zwischen der „Isabella“ und dem Flaggschiff do Velhos lag, erfolgte die Explosion. Dröhnend stieg fast der ganze Schiffsleib unter Feuer- und Rauchentwicklung aus den Fluten, wurde zerrissen und in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Das Donnern der Detonation rollte über See und glitt über die „Isabella“ und die beiden Boote der sinkenden „Candia“ weg. Do Velho sah eine bauchige Korbflasche in Ignazios Händen. „Was ist das?“ fragte er kaum hörbar. „Landwein, Senor“, erwiderte der Bootsmann. „Es scheint ein guter Tropfen zu sein, wir haben die Flasche soeben im Boot entdeckt. Sie scheint zufällig unter die Duchten geraten zu sein.“ „Her damit“, sagte der Kommandant. „Ich brauche dringend einen Schluck Wein, sonst werde ich wahnsinnig.“ Er nahm die Flasche aus Ignazios Händen entgegen, hob sie an die Lippen und trank. Er trank gierig, um zu vergessen. * Die Männer der „Santa Angela“ hatten die Schüsse in der Nacht vernommen. Daraufhin hatten sie der „Sao Joao“ Lichtsignale gegeben. Galardes gelang es, seine Galeone näher an die Karavelle heranzusteuern. Wenig später, als die Kapitäne sich von Bord zu Bord die Frage gestellt hatten, was es mit den Schüssen wohl auf sich haben konnte, gewahrten sie einen Feuerblitz im Südwesten. Sie hatten nun keinen Zweifel mehr, daß die Explosion von der „Candia“ oder der „Isabella“ herrührte. Aber wer war in die Luft geflogen, wer war der Sieger, wer der Verlierer?
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Die ganze Nacht über suchten sie nach ihrem Flaggschiff, fanden es aber nicht. Erst in den späten Morgenstunden des neuen Tages stießen die „Santa Angela“ und die „Sao Joao“ auf die beiden Beiboote der „Candia“, die weit nach Westen abgetrieben waren. Die vier Dutzend Männer auf den Duchten schienen tot zu sein. Sie regten sich nicht mehr. Als Galardes, Monforte und der Kapitän der „Santa Angela“ sie jedoch an Bord der Schiffe geholt hatten, stellten sie zu ihrer Überraschung fest, daß die Herzen dieser Männer noch schlugen und die komplette Besatzung der „Candia“ überdies auffallend nach Wein roch. Alvaro Monforte beugte sich über den Kommandanten Lucio do Velho, als dieser am Nachmittag in einer Koje der Kapitänskammer der „Sao Joao“ in die Wirklichkeit zurückkehrte. „Sie“, hauchte do Velho. „Woher kommen Sie denn, Monforte?“ „Aus dem Jenseits. Die Opfer des Untergangs der ,Sao Sirio' lassen grüßen, Comandante.“ Allmächtiger ...“ „Gott, wie Sie nach Wein stinken, Comandante. Das ist der Gipfel Ihrer Verantwortungslosigkeit.“ „Was reden Sie denn da?“ flüsterte do Velho verwirrt. „Wir kehren zur Küste zurück, Comandante“, sagte Monforte, ohne auf die Frage einzugehen. „Dort warten in einer Stadt, deren Name jetzt nichts zur Sache tut, mein erster Offizier, mein Decksältester sowie zwei andere 'Männer der ,Sao Sirio' auf uns. Sie haben eine vierköpfige Bande dem Richter ausgeliefert, und sie werden sich freuen, mit mir zusammen einen weiteren Halunken anzuprangern und dafür zu sorgen, daß er degradiert wird.“ „Aber der Seewolf ...“ „Den kriegen wir nicht mehr, Senor. Keiner von uns. Der segelt geradewegs in seine Heimat England zurück. Und, unter uns gesagt, ich finde auch, er hat es verdient, dort wohlbehalten anzukommen...
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