Australische Raketen-Versuchsfelder Im vorliegenden UTOPIA-Heft hat Jim Parker mit seinen Gefährten spannende Abenteuer...
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Australische Raketen-Versuchsfelder Im vorliegenden UTOPIA-Heft hat Jim Parker mit seinen Gefährten spannende Abenteuer in einem australischen Raketenwerk zu bestehen. Raketen-Versuchsfelder in Australien? Es gibt wohl kaum ein geeigneteres Gelände für die gefahrvollen Versuche mit Großraketen, als die menschenleeren Wüsten des dünnbesiedelten Fünften Erdteils. Von dieser Tatsache hat man bereits in unseren Tagen in großem Umfang Gebrauch gemacht. Das größte Versuchsfeld für ferngelenkte Geschosse, das z. Z. in Betrieb ist, ist das von Woomera. An der Südküste des Kontinents beginnend, läuft es quer durch die Wüste Zentralaustraliens und endet bei der Weihnachtsinsel im Indischen Ozean, südlich von Java. Dieser gewaltige „Raketenschießplatz“ hat eine Länge von 5000 und eine Breite von 300 km. Rund 100 Millionen Pfund Sterling soll das britische Weltreich zu seinem Bau aufgewendet haben. Das technische Zentrum, mit seinen Werkstätten und Prüfständen, liegt in der Nähe von Salesbury. Seit dem Jahre 1947 werden in Woomera neue Fernwaffen und ferngesteuerte Flugabwehrraketen erprobt. Auch ein privates Versuchsfeld für Raketen und ferngelenkte Geschosse soll in Australien errichtet werden, und zwar durch die britische Flugzeugfirma Armstrong Whitworth Aircraft. – Das australische Versuchsfeld von Woomera wird allerdings in einigen Jahren an Größe durch eine amerikanische Versuchsstrecke übertroffen werden, die sich gegenwärtig noch im Bau befindet. Sie wird von der Ostküste Floridas aus rund 9000 km weit über den Südatlantik reichen.
von Alf Tjörnsen
Die Venus war in Menschenhand. Jim Parker mit der Expedition des amerikanischen „Staatlichen Atom-Territoriums“ und Jack Hudson mit seinen Australiern hatten sich durch die unwirkliche Wildnis dampfender Regenwälder und die todbringenden Umarmungen feucht-warmer Schlingpflanzen vorgekämpft und gemeinsam das weite und fruchtbare Tal des Silbernen Stromes entdeckt. Der junge Kommodore war von seiner Organisation beauftragt, ein Gebiet ausfindig zu machen, das zur Besiedlung geeignet war, gleichzeitig aber auch die geologischen Voraussetzungen für einen versuchsweisen Abbau unbekannter Bodenschätze zu bieten schien. Und Jade Hudson hatte die „Australian Industrial Company“ die gleichen Richtlinien gegeben. Das Tal des Silbernen Stromes erfüllte die Voraussetzungen. Sollten nun diese Männer mit ihren Leuten – Millionen Meilen von der Erde entfernt – versuchen, sich zu Alleinherrschern dieses blühenden, märchenhaften Tales zu machen und die an3
deren umzubringen? Inmitten der feindlichen Umwelt eines fremden Planeten, der noch unzählige Überraschungen vor ihnen verbarg? Sie dachten nicht daran. Gemeinsam nahmen sie das Tal in ihren Besitz, und gemeinsam setzten sie Funksprüche an die Erde ab, in denen sie dringend um ein Übereinkommen über die Kultivierung der Venus zwischen dem SA.T. und der A.I.C. baten. In Orion-City nahm man diesen Appell als etwas ganz Selbstverständliches hin. Man sagte sich, daß in einem gigantischen Tal von der Größe eines europäischen Kleinstaates eine enge Zusammenarbeit unter Wahrung der Rechte der beiden Partner sehr gut möglich sein würde. Man sagte sich das nicht aus Nächstenliebe, sondern in klarer Erkenntnis der Sinnlosigkeit eines Kampfes um die Venus. In Sydney sagte man ebenfalls ja. Zunächst war es der junge Henry Delmonte, der als künftiger Chef der A.I.C. mutig den Weg weiterging, den er vor Monaten mit seinen geheimen Verhandlungen in der Atomstadt beschriften hatte. Aber da war noch der alte George Barrados – schlau, durchtrieben und ungeheuer mächtig. Der feige Überfall seines Raumschiffes auf die „Trans Universum“ hatte ihm beinahe das Genick gebrochen. Aber auch die Macht eines Staatsanwalts von Sydney hatte Grenzen. Gegen eine fünfstellige Kaution hatte man den bereits verhafteten Mächtigen der A.I.C. wieder freigelassen. Barrados regierte weiter, und der junge Delmonte fühlte, wie er wieder ins Hintertreffen geriet. Denn auch Barrados sagte ja und war gleichzeitig eifrig bemüht zu beweisen, daß nicht er, sondern der mongolengesichtige Wood unseligen Angedenkens nebst einer seiner Direktoren für den Überfall verantwortlich gewesen wären. Er, George Barrados, war selbstverständlich unschuldig – bitte, hier waren die Beweise! Kein Mensch glaubte ihm, er aber hatte Zeit gewon4
nen und zeigte sich hocherfreut, mit dem berühmten Kommodore Jim Parker verhandeln zu können. Henry Delmonte war jedoch nicht bereit, sich auf solche Manöver seines alten Onkels einzulassen. Es gab in Sydney verschiedene Leute, die ernstlich befürchteten, Delmonte könnte eine Unbesonnenheit begehen. Zu ihnen gehörte auch der Staatsanwalt von Sydney. Dr. Bernhard Wellington hieß er und war dem jungen Delmonte sehr zugetan. Deshalb erfüllten ihn die vertraulichen Informationen, die er laufend aus internen Kreisen der A.I.C. erhielt, mit wachsender Sorge. Denn sie besagten nicht mehr und nicht weniger, als daß ein geheimer Machtkampf um die Führung des gigantischen Konzerns entbrannt war. Es schien nur noch darauf anzukommen, wer zuerst mit einem zerschossenen Schädel aufgefunden wurde. George Barrados? Oder Henry Delmonte? In dieser erbaulichen und höchst interessanten Situation wurde gemeldet, daß Jim Parker und Jack Hudson von der Venus zurückgekehrt wären und in wenigen Tagen in der australischen Riesenstadt eintreffen würden. Sydney bereitete sich darauf vor, die beiden Weltraumflieger gebührend zu empfangen. Nur der Staatsanwalt wurde seines Lebens nicht mehr froh. Er hielt sonst nicht viel von Ahnungen, aber er fuhr wenige Stunden vor der Ankunft der S.A.T.-Delegation zu den Plätzen des exklusiven Red-Gold-Clubs hinaus, wo er Henry Delmonte zu treffen hoffte. Er hatte Glück. Die schlanke, knabenhafte Gestalt des blutjungen Milliardärs tauchte zwischen den Plätzen auf, auf denen weiße Bälle von sausenden Raketts über die Netze geschossen wurden. Neben ihm ging Rose Astor – bildschön, scharmant und fast ebenso reich wie Delmonte. 5
„How do you do, Wellington!“ Der Staatsanwalt verneigte sich zunächst vor der jungen Dame, die mittelgroß und mit sehr aufmerksamen blaugrauen Augen vor ihm stand, und dann vor Henry Delmonte, der lässig seinen Schläger schwang. „Ich freue mich, die Herrschaften noch anzutreffen.“ Delmonte sah auf die große Uhr am Klubhaus. „Wir müssen uns allerdings beeilen, Doc – ich muß dann nachher zum Flughafen. Begleiten Sie uns in die Stadt?“ „Daher komme ich gerade.“ Delmonte lächelte bedeutungsvoll. „In Zivil wagen Sie sich auf die Tennisplätze – oder …“ „Ich muß Sie sprechen, Delmonte.“ Der Junge zwinkerte seiner schönen Begleiterin zu. Es herrschte eine bedeutsame Vertraulichkeit zwischen ihm und der Tochter des bekannten Reeders. „Sie machen sich mehr Gedanken über mein Schicksal als ich, Doc“, sagte Delmonte warm. „Schießen Sie also los – vor Miß Astor habe ich keine Geheimnisse.“ Sie gingen langsam über den Vorplatz des komfortablen, schneeweißen Gebäudes. Man hätte sie für flanierende Nichtstuer halten können – doch die Bewegungen, mit denen sie ihre Zigaretten anzündeten, und der verhaltene Ernst im schöngezeichneten Gesicht Rose Astors deuteten, anderes an. „Rundheraus gesagt, Delmonte“, der Staatsanwalt drehte seine Zigarette spielerisch zwischen Daumen und Zeigefinger, „was haben Sie mit Barrados vor?“ „Genau das, was er mit mir vorhat.“ „Ausgezeichnet geantwortet. Sie wollen ihn also – ahem – unschädlich machen?“ „Wenn Sie mir die Arbeit nicht abnehmen, muß ich es tun.“ Dr. Wellington hob die Schultern. „An mir soll es nicht liegen, Henry. Aber Sie wissen so gut wie ich, was es bedeutet› 6
einen so verschlagenen Fuchs wie Ihren Onkel zu fangen. Der Mann hat – verzeihen Sie – vielleicht mehr auf dem Kerbholz als zehn schwere Jungen. Die Sache mit dem Überfall im Weltall hat ihm einen schweren Stoß versetzt, aber noch hält er sich …“ „Sehen Sie, Doc“, unterbrach Delmonte ihn lebhaft, „und nun will ich ihm den letzten Stoß versetzen.“ Der Staatsanwalt legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter, und nun zwinkerte er Rose Astor zu, die ihn angstvoll und beunruhigt ansah. „Delmonte, seien Sie vernünftig. Ich kriege ihn schon, nur, Sie müssen mir Zeit lassen. Aber lassen Sie mich nicht erleben, daß man den alten Barrados mit zerschmettertem Schädel vorfindet.“ „Sie werden noch ganz andere Dinge erleben“, lachte Delmonte hart. „Zwischen uns beiden gibt es keinen Pardon mehr.“ Dr. Wellington schüttelte bekümmert den Kopf und seufzte. „Delmonte – wissen Sie auch, was Sie sagen?“ Aber der Junge schwieg trotzig. * „In Sydney scheint allerlei los zu sein.“ Jim Parker ließ den seitenlangen, vertraulichen Bericht über die internen Spannungen innerhalb der A.I.C. sinken, den ihm in Orion-City der Sicherheitsdienst in die Hand gedrückt hatte. „Über das Nachtleben der australischen Städte bin ich leider noch nicht unterrichtet“, erwiderte Fritz Wernicke bekümmert. „Darüber kann ich keine Auskunft geben. Findet ihr nicht auch, daß die Luft hier furchtbar trocken ist?“ „Der Himmel segne dein Kindergemüt“, grinste Jack Hudson und wie auf die horizontlose, wogende Meereslandschaft, die tausend Meter unter dem großen „Super-Meteor“ pulsierte. „Hier wagst du noch von Trockenheit zu reden?“ 7
Wernicke sah ihn aus unschuldigen, wasserblauen Augen an. „Dann muß mein brennendes Durstgefühl eine andere Ursache haben. Wenn ihr gestattet …?“ Sie schmunzelten, die Herren der S.A.T.-Kommission und der breitschultrige Australier, als sich der kleine Steuermann erhob, um Ihre Sonderkabine zu verlassen. Man würde in drei Stunden in Sydney sein, aber es wäre von Wernicke zuviel verlangt gewesen, so lange ohne anständige Erfrischung zu bleiben. „Die Milchbar ist gleich links neben der Tür“, rief ihm der gemütvolle Dr. Findels boshaft nach. Fritz Wernicke schüttelte sich. Stolzerhobenen Hauptes durchschritt er mit betonter Lässigkeit den Hauptpassagierraum, um ins gelobte Land zu kommen. Neugierig sah man dem Weltraumflieger nach, dessen Gesicht neben dem des jungen Kommodores schon so mancher Illustrierten als Blickfang gedient hatte. Auch ein hagerer Gentleman saß da und legte gelangweilt eine Patience. Neben ihm wuchtete eine mehr, als wohlbeleibte ältere Dame mit dem Aussehen eines Oberbefehlshabers. Sie warf dem kleinen Mann einen messerscharfen Blick zu, der ihn erschauern ließ. „Wie einer von den Venus-Sauriern“, murmelte er erschrocken und machte, daß er aus ihrem Blickfeld kam. Als er im Erfrischungsraum auf den Barhocker kletterte und der Duft scharfer Schnäpse in seine Nase stieg, wurde ihm wieder wohler. Ein schwarzhaariger Jüngling in schneeweißer Uniform fletschte freundschaftlich die Zähne. „Einen ‚Südstern’, Sir?“ „Sie können Gedanken lesen“, nickte Fritz wohlwollend. „Aber einen doppelten.“ Unternehmungslustig sah er sich um. Der Raum war nur mäßig besucht. Neben ihm traktierte ein Chinese seine braunhäutige Begleiterin mit irgendeinem fremdartigen Zeug. An der Milchbar hockte ein entzückendes junges Wesen mit den schönsten Beinen, die der gute Fritz jemals ge8
sehen hatte, und sah verstohlen zu ihm herüber. Er stieß einen Pfiff aus. Auch der Mixer verzog genießerisch sein Gesicht. „Nett, Sir – was?“ „Es gibt also doch noch Frauen, die Engeln gleichen. Reist die junge Dame allein?“ „Miß Newwater befindet sich in Begleitung ihrer Eltern“, lächelte der Schnapscowboy hintergründig. „Vielleicht darf ich eine Tanzplatte auflegen?“ Fritz verstand den Wink und goß sich rasch den doppelten „Südstern“ hinter die Binde. „Schön sind die Nächte nur in Rio“, sang eine wimmernde Männerstimme. Mal sehen, dachte der Steuermann, sprang elastisch auf und sah, wie das Mädel sich ebenfalls bemühte, rasch ihren Milchcocktail auszutrinken. „Verzeihung, gnädiges Fräulein“, räusperte er sich, „würden Sie mir das große Glück schenken, mit einem Engel über dem Atlantik tanzen zu dürfen?“ Sie schob ihre Schale zurück. Ihre Augen waren voller spitzbübischer Koketterie, sie trug ein silbergraues, sportliches Kostüm und war höchstens achtzehn. Ohne sich lange zu zieren, stand sie auf. Als er seinen Arm um sie legte, fühlte er sich wie im siebenten Himmel. „Sie interessieren sich also doch nicht nur für scharfe Getränke“, lächelte sie. „Das überrascht mich, Mister Wernicke.“ „Wenn ich etwas Besseres bekommen kann, lasse ich den teuersten Kognak stehen“, gab er schlagfertig zurück. „Übrigens – darf ich fragen, woher Sie mich kennen? Ich vergaß leider …“ „Von meiner Mutter.“ „Ahem – verstehe ich recht?“ Sie lachte hell auf, denn sein Gesicht war Studien wert. „Darauf brauchen Sie sich gar nichts einzubilden. Meine Mutter hat Sie – neben vielen anderen Prominenten – in ihrer Kartei.“ Daß er prominent sein sollte, gefiel dem kleinen Mann trotzdem ausgezeichnet, aber begreifen tat er nichts. 9
„Sie trinken doch gern einen“, stellte sie sachlich fest. Fritz hatte keinen Grund, es abzuleugnen. „Sehen Sie, Mister Wernicke – und meine Mutter ist die Präsidentin der ‚Ersten Amerikanischen Kampfliga gegen den Alkohol’. Ist Ihnen nicht gut?“ „Du barmherziger Himmel!“ „Meine Mutter ist hier an Bord“, plauderte sie weiter, während sie tanzte wie eine junge Göttin. „Vielleicht haben Sie sie bereits gesehen?“ „Ich habe sie gesehen“, nickte er schreckensbleich und dachte an den weiblichen Oberbefehlshaber aus dem Hauptpassagierraum – nur die holde Dame konnte es sein. „Das ist Ihre Mutter? Dann bin ich ja hier in Lebensgefahr.“ „Wenn sie mich mit Ihnen sieht, bestimmt.“ Sie schien sich herrlich über ihn zu amüsieren. „Lassen Sie sich den Appetit nicht verderben. Sie dürfen mich sogar zu einem Flip einladen.“ „Das ist ein Wort“, strahlte er, und da der Wimmerknabe seine Schallplattenserenade beendet hatte, führte er sie an die richtige Bar, wo es anständige, handfeste Sachen gab. „Sie sind also nicht so – so …“ „So fanatisch?“ lächelte sie. „Warum sollte ich es sein? Jeder Mensch ist schließlich für sich allein verantwortlich.“ * Mister James Newwater, der lange, dürre Vater dieser reizenden jungen Dame, sollte in der Kette unheilvoller Ereignisse, die nun über die A.I.C. hereinbrachen, eine recht undurchsichtige Rolle spielen. Zunächst einmal gab dieser Herr eine Depesche nach Sydney auf, die zur Folge hatte, daß eine Viertelstunde später in der Wohnung Henry Delmontes das Telefon schrillte. Delmonte, 10
der sich für den Empfang der Weltraumflieger zurechtmachen wollte, hob ab. Es war Rose Astor. „Ist etwas geschehen, Rose?“ fragte er besorgt und winkte gleichzeitig seinem Bekannten, Bob Barring, zu, der eben eintrat. „Hat dir Dr. Wellington etwa auch schon Flausen in den Kopf gesetzt?“ „Du solltest auf ihn hören, Henry“, bat sie ihn. „Wenn nun etwas …“ „Pssst“, zischte er scharf. „Du vergißt, daß man Fernsprechleitungen anzapfen kann. Was ist geschehen, Rose?“ „Bei mir hat sich Besuch angemeldet, Henry. Ist dir der Name Newwater ein Begriff?“ Henry Delmonte sah gedankenlos zu, wie der Engländer neben ihm an den Schreibtisch trat und die Morgenblätter zur Hand nahm. Es ging auf die zweite Nachmittagsstunde, und die brütende Hitze, die über der Stadt am Tasman-See lag, ließ die Bewegungen der Menschen unwillkürlich langsamer werden. „Newwater? Ich habe den Namen schon gehört.“ „Er ist ein entfernter Verwandter meines Vaters, von dem niemand recht weiß, was er treibt und wovon er seine Familie unterhält. Er hat mir mitgeteilt, er komme, um während der Verhandlungen der A.I.C. zur Seite zu stehen.“ „Was …?“ „Ja“, lachte sie leise mit ihrer schönen, warmen Stimme. „Das hat er mir wörtlich mitgeteilt.“ „Wichtigtuer!“ Henry Delmonte schüttelte verständnislos den Kopf. „Für harmlose Verrückte haben wir keine Zeit. Das kannst du ihm ruhig antworten.“ „Mach’ ich, Henry. Bis nachher.“ „Bis nachher, Rose – good-by.“ Er legte langsam auf und wandte sich dem Engländer zu, der ihn lächelnd ansah. „Liebe muß schön sein, Henry. Ruft ihr euch alle halbe Stunde an?“ 11
„Rose hat da irgendwo einen leicht angegangenen Verwandten“, meinte er ärgerlich, „aber das ist nicht so wichtig. Haben Sie etwas Neues erfahren, Bob?“ Dieser Engländer – schlank, sehnig, mit einem Gesicht, aus dem man neben einer fast brutalen Energie eine immer etwas skeptische Sachlichkeit herauslesen konnte – war Vertreter eines britischen Nachrichtenbüros und wollte über den heimlichen Kampf in der A.I.C.-Spitze einen Tatsachenbericht schreiben. Sie hatten sich irgendwann einmal kennengelernt, waren zwar keine Freunde geworden, aber Delmonte hatte ihn in alles eingeweiht, und nun war der Engländer so etwas wie Vertrauter und Generalstabschef zugleich.. „Sie beabsichtigen immer noch, Barrados irgendwie einen Schaden zuzufügen“, sagte er in seiner ruhigen, unaufdringlichen Art. „Ich würde es nicht tun, Delmonte.“ Henry Delmonte war an das Fenster getreten und sah einen schwarzen Buick aus der Neuseeland-Street herausschießen und vor seinem Hause scharf bremsen. George Barrados kam. Delmonte wirbelte herum. „Warum nicht?“ fragte er scharf. Bob Barring rollte eine Zeitung zusammen. „Einmal ließe es sich mit Ihrer künftigen Stellung nicht vereinbaren, diese durch ein Verbrechen zu festigen, zum zweiten besteht gar kein Anlaß, sich so zu exponieren.“ Henry Delmonte umklammerte die Fensterbank mit zitternden Händen. Auch Barring wollte nicht mitmachen? „Sie sprechen genau so wie Dr. Wellington“, keuchte er. War es das leise Motorengebrumm des schweren Wagens draußen vor der Tür oder die nüchterne Feststellung seines überlegenen Ratgebers – der Junge verlor plötzlich viel von seiner guten Haltung und begann zu zittern. „So dürfen Sie nicht reden, Barring. Ich bin kein Meuchelmörder, aber ich will nicht der erste sein, der daran glauben muß.“ 12
Seine Augen weiteten sich. Angst stand in ihnen, und der verzweifelte Wille, sich von dem verhaßten Mann nicht übertölpeln zu lassen. Barring kam nicht dazu, zu antworten, denn der Diener trat ein – eine gutmütige Bulldogge, die sich für ihren Herrn in Stücke reißen ließ. „Perkins?“ „Mister Barrados ist draußen, Sir. Er möchte Sie zum Flughafen mitnehmen.“ Delmonte stieß sich vom Fensterbrett ab. „Bestellen Sie Mister Barrados meinen herzlichen Dank – ich fahre allein.“ Die Bulldogge grinste und verschwand. Barring nickte anerkennend. „Sehen Sie, Delmonte – das können Sie ruhig tun – Distanz bewahren. Sie brauchen mit Ihrem Onkel keinen verwandtschaftlichen Händedruck für die Presse zu tauschen. Aber Sie dürfen nicht mehr tun!“ „Ich werde mehr tun.“ * Dr. Bernhard Wellington war von den Tennisplätzen des RedGold-Clubs wieder in sein Büro gefahren. „Barrados besucht gerade seinen Neffen“, meldete Kriminalinspektor Williams, der ihm zur Untersuchung der Affäre „Raumschiff Australia II“ beigegeben worden war. Wellington rauchte hastig seine Zigarette und ärgerte sich über seine eigene, unerklärliche Unruhe. Er sah auf die Uhr. Es war 13.25 Uhr. „In einer Stunde landet der ‚Super-Meteor’. Barrados wird Delmonte zum Empfang der S.A.T.-Leute abholen wollen. Der Himmel geb’s, daß es dabei nicht kracht.“ Williams notierte sich die Uhrzeit auf dem Meldezettel und schob die Unterlippe mit der kurzen Pfeife vor, was ihm ein 13
verwegenes Aussehen gab. „Was sagte denn der Junge, als Sie mit ihm sprachen?“ „Delmonte ist drauf und dran, Dummheiten zu begehen“, knurrte Wellington böse. „Er rast wie ein Cowboy, der entschlossen ist, den Colt als erster zu ziehen Und bei den Raketenleuten von Delmonte-Field in der Großen Sandwüste gärt es auch schon mächtig. Die A.I.C. befindet sich kurz vor dem offenen Aufruhr.“ Die Unterlippe mit der Pfeife schob sich wieder zurück. „Ach was – gegen Barrados?“ „Jeder hetzt gegen jeden. Alles, was zum Konzern gehört – bis zum letzten Laufburschen – hat sich in zwei Lager gespaltet. Aber Delmonte scheint dabei den Ton anzugeben.“ „Tüchtig von dem Jungen. Dann ist ihm auch noch mehr zuzutrauen. Hätte ich nicht gedacht.“ Wellington zog sein Jackett aus und krempelte sich die Ärmel hoch. Hinter seiner schweißglänzenden Stirn jagten sich die Gedanken. Und während er noch überlegte, ob es nicht das beste wäre, sowohl Delmonte wie Barrados in Schutzhaft zu nehmen und die A.I.C. unter die Treuhänderschaft des Bundes zu stellen, um einen offenen Bürgerkrieg zu vermelden, schrillte der Fernsprecher auf. Es war 13.28 Uhr. Wellington nahm ab. Inspektor Williams nahm die Pfeife aus dem Mund und sah gedankenverloren in die Tabakschwaden. „Was – wer sind Sie?“ fragte Wellington scharf und unterdrückte mühsam ein Beben seiner Stimme. „Ich verlange, daß Sie mir Ihren Namen nennen.“ Seine Linke trommelte nervös einen Marsch auf einen Schnellhefter. Dann warf er den Hörer hin. „Los, Williams.“ „Was ist, Doc?“ Dr. Bernhard Wellington stürzte bereits an ihm vorbei. „An14
onymer Anruf. Delmonte soll Anschlag auf Barrados vorbereiten.“ * George Barrados wurde bleich, als der grinsende Perkins ihm die Absage seines Neffen überbrachte. Für Bruchteile von Sekunden wankten die helltapezierten Wände vor dem alten Mann. „Ich wünschte meinen Neffen zu sprechen“, sagte er leise und gefährlich scharf. Perkins war stur. „Gewiß, Sir – aber Mister Delmonte bedauert.“ Das war beschämend für den Alten, so beschämend, daß es ihm in der Kehle würgte. Er sah das Bulldoggengesicht des kräftigen Burschen vor sich. Das wagte man ihm anzutun! Dreißig Jahre rastloser Arbeit für den Konzern. War das nichts? Die Verdreifachung des Vermögens der A.I.C. War das nichts? Die neuen Schiffswerften von Sydney und Melbourne – die Raketenwerft in der Großen Sandwüste. Zwei neue transozeanische Fluglinien. Drei neue Großbanken. Besitzungen in Brasilien, Peru, Pakistan und Japan. Aus dem Boden gestampft. Aufgekauft für ein Butterbrot. In seiner Zeit. Das sollte nichts sein? Einen Dreck wert? George Barrados dachte nicht daran, mit wieviel dreivierteldunklen Machenschaften er das geschaffen hatte. Er fühlte sich gedemütigt, und wenn etwas in seinem Leben ihm in tiefster Seele nahegegangen war, dann dieser unverhohlene Hinauswurf. „Es tut mir leid, Sir.“ 15
Barrados konnte das gutmütige, treuherzige Gesicht des Dieners nicht mehr sehen. Jäh flammte ein kalter Zorn in ihm auf, und alles an ihm straffte sich. Er sah an dem breiten Burschen vorbei auf die Tür, hinter der er Henry Delmonte wußte. Eine Uhr tickte laut und aufreizend. Aber dann atmete er tief auf, drehte sich wortlos um und verließ das Haus. Gut, Henry Delmonte. Das sollst du mir büßen. Sein Fahrer öffnete den Schlag. Ohne sich noch einmal umzusehen, stieg George Barrados ein. Fast unmerklich ruckte der hochpferdige Wagen an und glitt davon. Es war inzwischen 13.32 Uhr geworden. Die Maschine, die Kommodore Parker und seine Herren an Bord hatte, stand über Charleville und ließ sich bereits einlotsen. Auf dem Flughafen drängten sich schon die Neugierigen, die Nichtstuer und die Pressemeute. Barrados ahnte nicht, daß in diesen Minuten der Polizeiapparat zu hohen Touren anlief und man seinen Wagen genau beobachtete. In diesen Minuten geschah aber noch mehr. Henry Delmonte ließ Bob Barring für einen Augenblick allein, ging in sein Bibliothekszimmer und gab seinem Diener in wilder entschlossener Hast eine Anweisung, die diesen veranlaßte, mit seinem schweren Motorrad davonzubrausen. Und Tausende von Meilen von Sydney entfernt, zwischen den Wellblechbaracken der geheimnisvollen Raketenwerft Delmonte-Field, kam einer der Vorarbeiter armfuchtelnd durch den schmerzenden Sonnenglast der trostlosen „Ortsstraße“ gerannt. *
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„Mensch, renn doch nicht so“, knurrte der dicke Lagerkoch, der gerade mit zwei fluchenden Männern die Lunchration auf einem Elektrokarren zum Ingenieurheim fuhr. „Ist das neue Raumschiff wild geworden, oder hat einer ’nen Sonnenstich?“ Er wies grinsend mit seinem dicken Wurstfinger zu der südlichen Hügelkette hinüber, hinter der die ausgedehnten Anlagen der einsamen Werke aufragten. Weit zurück schoß der hohe graue Kommandoturm gegen den unbarmherzigen blauen Himmel. Hier wurden die Großraketen und die Raumschiffe der A. I. Cgebaut. Von hier aus war vor Monaten die „Australia I“ gestartet. Der Mann, der mit keuchenden Lungen weiterhetzte, hatte den geistreichen Scherz gar nicht gehört. Er bog kurz vor dem Elektrokarren in eine Art Nebenstraße ein, die von einem größeren weißen Haus abgeschlossen wurde. Hier war das „geistige Zentrum“ von Delmonte-Field, wo es neben allen Sorten hochprozentiger Getränke auch zweitklassige Tänzerinnen gab. „Zum goldenen Paradies“ stand in verwegener Schrift über der breiten Tür, und der Himmel mochte wissen, wie der Laden zu seinem Namen gekommen war. Einer von der Montageabteilung kam gerade heraus. „Ist Arden drin?“ „Den Chef kannst du jetzt nicht stören“, schüttelte der andere den Kopf. „Sie haben das Radio eingeschaltet. Es ist gleich zwei, dann wird der Empfang von Parker und Hudson übertragen.“ Marschmusik klang auf. In Sydney marschierte nun eine starke Polizeikapelle vor der Rollbahn auf. Man wartete zunächst noch – so sagte ein Sprecher – auf die Ankunft von Barrados und Delmonte. Aber der Mann war schon in der Tür. Lautes Stimmengewirr scholl ihm entgegen. Gläser klirrten. Dreimal mußte er rufen. „Arden!“ 17
Ein hochgewachsener Deutscher erhob sich. Der Mann winkte Ihn beiseite und öffnete die Hand. „Wissen Sie, was das ist, Sir?“ Eine große, längliche Sprengkapsel kam zum Vorschein. „Wo haben Sie das Ding gefunden?“ fragte Arden scharf. „Am Eingang zum Werk West, Sir.“ * Während im fernen Delmonte-Field der keuchende, atemlose Mann seinem Ingenieur die Sprengkapsel unter die Nase hielt, hatte der „Super-Meteor“ Sydney erreicht. „Wo steckt denn Wernicke?“ Der junge Kommodore sah sich suchend um. Schon schob sich unter ihnen wie auf einer riesigen Drehscheibe das Straßenmuster der Stadt heran, und stellte sich schräg. Die Maschine setzte zur Landung an. Wernicke war natürlich aus der Bar nicht wieder aufgetaucht. Nun aber kam er mit hochrotem Kopf und strahlendem Gesicht durch die Schiebetür der für die S.A.T.-Leute reservierten Kabine geschossen. „Gepriesen sei Australien, Kameraden!“ „Gesegnet sei dein Durst“, erwiderte Jim Parker brocken. „Warum du aber so voreilig Loblieder auf Australien singst, ist mir nicht ganz klar. Warte doch erst einmal ab, was uns hier bevorsteht.“ Wernicke sah seinen „großen Bruder“ mit verklärten Augen an. „Sie steigt auch in Sydney aus“, sagte er inbrünstig. „Wer, du komische Mondschlange.“ „Mabel Newwater.“ Die Herren – die dicken Konferenztaschen unter dem Arm und schon im Banne der kommenden Verhandlungen – lachten laut auf. 18
„Mabel Newwater“, machte der wohlbeleibte Dr. Pindels dem Steuermann schwärmerisch nach und sah dabei aus wie eine komische Alte vom Film. „Ist sie wenigstens hübsch?“ „Ein Engel.“ „Das hat mir noch gefehlt“, seufzte Jim Parker. „Mach mir in Sydney bloß keine Dummheiten. Wir haben, weiß der Himmel, anderes zu tun.“ Durch das Fenster grüßten die imposanten Anlagen des Flughafens herein. „Wir haben uns für morgen abend verabredet“, berichtete Fritz redselig. „Hoffentlich funkt uns ihre Mutter nicht dazwischen.“ Jack Hudson grinste. „Dir gönne ich eine handfeste Schwiegermutter. Ist die Dame etwa auch an Bord?“ „Die ganze Familie. Sie kommen von New York und reisen in wichtigen Geschäften. Mabels Mutter ist Präsidentin der ‚Ersten Amerikanischen Kampfliga gegen den Alkohol’!“ Dr. Findels warf vor Begeisterung seine Mappe gegen die Decke, und Jim Parker lachte laut auf. Der gute Fritz hatte Glück; denn das Aufsetzen der Maschine auf die Rollbahn rettete ihn vor heillosen Lästereien seiner Kameraden. Ein Bordoffizier trat ein. „Wir landen, meine Herren!“ „Wir kommen schon.“ Musik klang herein. Erwartungsvoll drängte sich draußen die Neugierde heran. Eine grenzenlose Begeisterung schlug ihnen entgegen. „Hurra – Hurra – Jim Parker!!“ Jim hob salutierend die Hand und legte sie dann ostentativ seinem ehemaligen Gegner auf die Schulter. Ein brausender Schrei war die Antwort. „Hurra – Hurra – Jack Hudson!!“ Aus dem wogenden Meer der stürmischen und herzlichen 19
Zuneigung trat eine Gruppe von Herren auf sie zu. Eine junge Männerstimme sagte: „Willkommen in Australien!“ Sofort versank der ganze laute Zauber um den Kommodore. Seine Augen richteten sich fest und fragend auf den jungen Menschen, der vor ihm stand. „Mister Delmonte?“ „Delmonte“, verneigte sich der andere. Sein schmales Gesicht verbarg nur mühsam eine ungeheure Erregung. Zum erstenmal vertrat er sein Unternehmen. „Seien Sie mir willkommen, meine Herren. Australien ist stolz, gemeinsam mit dem großen S.A.T. und mit Ihnen, Mister Parker, ein Werk in Angriff zu nehmen, das die Menschheit um hundert Jahre voranbringen wird.“ Ein Rundfunkreporter reckte sein Mikrophon hin. Filmkameras fraßen lautlos die Szene. Weiter zurück war die Television aufmarschiert. „Leider kann Mister Barrados Sie nicht bereits hier begrüßen, meine Herren“, fuhr Henry Delmonte fort. Seine Lippen preßten sich zusammen. ‚Was hast du nur, Junge?’ dachte Jim Parker. ‚Warum versagt dir auf einmal die Stimme?’ Auch an allen Rundfunkempfängern spürte man fast körperlich, daß plötzlich irgend etwas nicht stimmte. „Mister Barrados hat leider auf der Fahrt zum Flughafen einen Autounfall erlitten.“ * Dr. Bernhard Wellington ließ die flache Hand auf den Tisch klatschen, als die gepreßte Stimme im Empfänger schwieg. „Delmonte – das hätte dir den Kopf kosten können.“ Inspektor Williams hatte den schlotternden Fahrer des alten 20
Barrados verhört und nickte düster, während er das Protokoll in seine Mappe legte. „Das Ganze riecht verdammt nach einem Mordversuch, Doc.“ „Daß der Junge kein reines Gewissen hat, zeigte sich eben, als er nicht mehr wußte, was er sagen sollte“, knurrte Wellington. „Nun, zunächst einmal der Tatbestand. Was haben Sie bisher herausbekommen?“ „Vorderachse angesägt.“ „Einwandfrei?“ „Einwandfrei, Wellington. Die Achse zeigt bis auf eine geringe Stärke einen glatten Schnitt und erst in der Mitte einen schartigen Bruch. So klar, wie ein Glas Wasser.“ Wellington schaltete den Empfänger leise. Die Uhr zeigte nun die dritte Nachmittagsstunde an, und in der kurzen Zeit seit seinem Gespräch mit Delmonte auf den Red-Gold-Feldern war eingetroffen, was er befürchtet hatte. „Also ein Verbrechen“, sagte er schwer. „Daß Barrados mit einer leichten Armverletzung davongekommen ist, ist nicht das Verdienst des Täters. Was sagte der Fahrer aus?“ „Nicht viel. Er hatte den Wagen kurz vor der Abfahrt vom Garagenmeister übernommen.“ „Und der?“ „Herson wird sich den Mann noch vornehmen.“ „Der Wagen stand doch immer in Barrados’ Privatgarage?“ „Gestern nicht.“ Williams weidete sich an der Überraschung des Staatsanwalts und zwinkerte ihm zu. „Gestern stand der Wagen in der hiesigen Werkstatt der A.I.C. und wurde überholt.“ „Ach!“ Wellington hörte nur noch im Unterbewußtsein, wie aus dem leisegestellten Empfänger die Reportage von der Fahrt der Weltraumflieger durch die City kam. Jim Parker saß neben dem bleichen Henry Delmonte, dessen Hände unruhig waren und der sich Vergeblich bemühte, Selbstsicherheit vorzutäuschen. Viel21
leicht ahnte er, daß Dr. Wellington in seinem Büro laut und deutlich sagte: „Ach!“ Wie eine Feststellung hörte es sich an, und der Kriminalinspektor verstand ihn sogleich. „Tja, Doc, und es wird Sie noch interessieren, daß ausgerechnet gestern der Diener Delmontes, ein gewisser Perkins, sich den ganzen Tag in der Autowerkstatt aufgehalten hat.“ „Dumm, Williams – verflucht dumm!“ Williams klopfte sorgfältig seine Pfeife aus und stopfte sie mit der feierlichen Langsamkeit des kultivierten Rauchers. „Und doch sträube ich mich unwillkürlich, zu glauben, daß dieser weiche Knabe so etwas planen und durchführen könnte. Man kann den Verdacht ja noch in eine andere Richtung schieben.“ „In welche?“ fragte Wellington leise und mit einer gewissen Ironie. „Vielleicht sitzen die Urheber des Anschlages überhaupt nicht in Australien.“ „Sie denken an die ausländische Konkurrenz oder so etwas Ähnliches?“ „Warum eigentlich nicht?“ Der Tabak brannte, und der Inspektor begann sich für seine Theorie zu erwärmen. „Schließlich wird ein Mann wie Barrados genug Feinde haben, und das war heute auch nicht der erste Anschlag auf ihn.“ „Sehen Sie“, lächelte Wellington ironisch. „An diesen. Strohhalm hatte ich mich auch schon geklammert.“ „Sie machen mich neugierig.“ „Aber leider führt auch dieser Weg zu Henry Delmonte.“ Er seufzte noch einmal resigniert und erhob sich. „Sie wissen nämlich noch nicht alles, Williams.“ Williams ließ die Pfeife sinken. „Raus mit der Sprache, Doc – was haben Sie da in Ihrem Notizbuch?“ 22
Der Staatsanwalt hatte ein grünes Taschenbuch hervorgekramt, das er wie ein rohes Ei anfaßte. Unwillkürlich sah er auf die Tür seines Dienstzimmers. Aber sie war fest verschlossen. „Es ist Ihnen bekannt, daß ich in der A.I.C. meine V-Leute habe, um so einen ständigen Überblick über den dortigen kalten Krieg zu gewinnen. Von einem meiner besten Leute wird nun der dringende Verdacht ausgesprochen, daß Delmonte mit Unterstützung einer ausländischen Mächtegruppe versucht, Barrados zu stürzen und zu beseitigen.“ „Und welche Mächtegruppe soll das sein?“ „Das S.A.T.“ „Ausgeschlossen!“ Die Pfeife flog auf den Tisch. „Ausgeschlossen, Wellington.“ Wellington schüttelte den Kopf und sah seinen Mitarbeiter mit kühler Verwunderung an. „Warum ausgeschlossen, mein Lieber? Barrados macht die Arbeitsgemeinschaft mit dem S.A.T. doch nur mit halbem Herzen mit, weil ihm nichts anderes übrigbleibt. Das weiß man in Orion-City genau. Und man weiß auch, daß der Alte nur auf eine Gelegenheit wartet, um querschießen zu können. Warum sollte nicht der S.A.T.Sicherheitsdienst mit Delmonte versuchen, ihn auszuschalten? Auch in der Atomstadt sitzen Männer, die nicht übermäßig weichherzig sind.“ „Wenn schon – aber ob Jim Parker ein solches Spiel mitmachen würde?“ Der Staatsanwalt betrachtete tiefsinnig sein kleines Büchlein und schien sich ernsthaft damit zu beschäftigen, den Charakter des Kommodores zu ergründen. Dann meinte er: „Das würde Parker nicht tun. Aber er dürfte kaum über alle Aktionen des Sicherheitsdienstes unterrichtet sein.“ „Trotzdem, Wellington: Es wäre unvernünftig vom S.A.T. gehandelt.“ Wellington klappte energisch sein Buch zu. „Mein bester 23
Mann pflegt solche Behauptungen nicht aufzustellen, ohne gute Gründe dafür zu haben. Ich fürchte, wir werden noch böse Überraschungen erleben.“ „Ich auch“, nickte Williams trocken. Und er nahm seine Pfeife wieder auf. * Aber ein Barrados war nicht so leicht unterzukriegen. Er begrüßte – reichlich zitterig zwar, und mit dem rechten Arm in der Binde – Jim Parker und die anderen Herren. Und es sprach unbedingt für die ungeheure Vitalität dieses Mannes, daß er die Herren sogleich zu einer ersten Besprechung bat. Inzwischen aber flossen die ersten Gerüchte durch die große Stadt, flossen mit dem brausenden Verkehr durch die breiten Hauptstraßen, sickerten zu stillen Parkbänken. „Mordanschlag auf Barrados.“ Wie ein heißer, peitschender Strom war das. „Barrados’ schwerer Renner erleidet in der großen Kurve der Flughafenstraße einen Achsenbruch und überschlägt sich.“ „Delmonte wird es leid tun, daß der Alte sich dabei nicht das Genick gebrochen hat.“ „Ob Delmonte dahintersteckt?“ „Wer denn sonst?“ * „Wer denn sonst?“ Diese lapidare Feststellung geisterte auch schon in den Extraausgaben, die von den Zeitungen mit den ersten Berichten vom Flughafen herausgeworfen wurden. „Wenn man das so liest, könnte man den hübschen Jungen mit seinen ernsten Augen für einen kaltblütigen Mörder halten.“ 24
Mabel Newwater schüttelte den Kopf und ließ die Zeitung sinken. Sie hatte sich Sydney nicht so spannend vorgestellt – das war ja aufregender als ihr Flirt mit dem schneidigen Steuermann. Aber was hatte Rose nur – das Mädel sah ja furchtbar aus. „Rose, ist dir nicht gut?“ Sie saßen sich auf der Terrasse des Astorschen Hauses am Stadtrand gegenüber. Rose war allein – ihr Vater flog irgendwo an der indischen Käste seine Schiffahrtslinien ab. Mabels Eltern mußten jeden Augenblick eintreffen. „Es ist furchtbar“, sagte Rose leise und senkte ihren kastanienbraunen Kopf. „Warum Henry das tun mußte.“ „Kennst du ihn?“ fragte Mabel neugierig. „Ich liebe ihn.“ Ein Diener trat unhörbar dazwischen und servierte Zitronengetränke, in denen kleine Eisstücke schwammen. „Und ich weiß, daß er imstande ist, alles zu tun, aus Furcht vor Barrados.“ „Henry Delmonte?“ Rose Astor nickte. Ihr schönes, klares Gesicht wurde von den Sorgen um diesen Mann überschattet und wirkte irgendwie leblos. Nur die großen, aufmerksamen Augen sprachen von ihrer inneren Unruhe. Schweigend rückte sie ihrem Besuch die Gebäckschale hin und nahm sich eine Zigarette aus einem feinverzierten Kästchen. „Es ist nur ein Glück, daß Barrados nicht tot ist.“ „Aber das ist ja furchtbar.“ Die junge Amerikanerin Übersah sogleich die ganze nervenzermürbende Situation. „Du mußt etwas unternehmen, Rose.“ „Ich tue schon alles, was ich kann“, antwortete sie heftig und verzweifelt. Dann wechselte sie plötzlich das Thema. „Wie geht es deinen Eltern, Mabel?“ Mabel Newwater kam nicht dazu, auf diese unverhoffte Frage zu antworten, denn der alte weißhaarige Diener trat wieder auf 25
leisen Sohlen heran und verneigte sich vor ihr. „Verzeihung, Miß Newwater – Sie werden am Telefon gewünscht.“ Mabel wurde rot. „Von einem Herrn?“ Aber leider war es nicht der kleine Steuermann. „Ihre Frau Mutter.“ „Oje, da stimmt was nicht! Einen winzigen Moment, Rose.“ Rose Astor war eigentlich froh, dieses frische junge Mädchen bei sich zu haben, deren zupackende Entschlossenheit ihr wohltat. Und irgend etwas unternehmen mußte sie – sie mußte Henry Delmonte dem Dämon dieser bösen und ihm fremden Handlungsweise entreißen. „Rose, wir sind doch eine komische Familie.“ Lachend kam Mabel aus dem Gartenzimmer zurück. Sie schien wieder einmal etwas furchtbar komisch zu finden. „Manchmal wird man nicht recht klug aus euch“, gab Rose lächelnd zu. „Na, siehst du?“ Die Amerikanerin blickte in den blauen Himmel und rückte ihre extravagante Sonnenbrille zurecht. „Das liegt vor allem an meinem Vater, weißt du. Privatgelehrter, Psychologe, Chefredakteur einer Sektenzeitung und nun wieder Wirtschaftsberater. Weißt du, was er hier in Australien will?“ „Dem A.I.C. zur Seite stehen“, erwiderte Rose trocken, „Aber Delmonte braucht ihn nicht – und Barrados auch nicht.“ Mabel nickte gleichgültig. „Ich weiß, Darling. Aber nun ist ihm wieder etwas Neues eingefallen. Unterwegs erzählte er uns schon von eurer geheimen Raketenwerft Delmonte-Field.“ Rose zog an ihrer Zigarette, und der feine, würzige Rauch legte sich wie ein Schleier vor ihr Gesicht. „Delmonte-Field liegt irgendwo in der Großen Sandwüste, Kind. Bisher ist noch kein Unberufener da hineingekommen.“ „Mein Alter Herr kommt aber rein, verlaß dich drauf.“ 26
Plötzlich war ein unbestimmter Verdacht da, der sie nicht wieder freigab. „Was will dein Vater in der Raketenwerft – Raumschiffe besichtigen?“ „Nie sollst du mich befragen. Jedenfalls hat er plötzlich seinen Plan geändert und, anstatt in Sydney zu bleiben, ist er vorhin mit einer gecharterten Sportmaschine nach dem Süden abgeflogen – Mama meint, er wolle nach Delmonte-Field.“ * In Delmonte-Field war es vorbei mit dem eintönigen Trott des einsamen Alltagslebens. Jim Parker sollte kommen und die Anlagen besichtigen, während gleichzeitig in den USA eine A.I.C.-Kommission Orion-City kennenlernen sollte. Aber das war es nicht allein, was die Gemüter der rauhen, abgehärteten Männer trotz der mörderischen Hitze, die aus dem bösartig blauen Himmel herunterknallte auf die weiße Wüste, nicht zur Buhe kommen ließ. Da war die geheimnisvolle Sprengkapsel. Der Mann, der sie gefunden hatte, hatte nicht dichthalten können, und nun geisterte sie im blauen Dunst des „Goldenen Paradieses“ herum. „Es stinkt hier in dieser verfluchten Gegend“, wetterte einer, nach dem achten Gin. „Es dauert nicht lange, dann fliegen wir alle in die Luft.“ „Pah“, machte ein anderer verächtlich, der gleich seinen Wachtdienst in den Werken antreten sollte und dein nun doch etwas unheimlich zumute wurde. „Hier ist noch keiner reingekommen, der nicht Barrados’ Unterschrift in der Tasche hatte. Schließlich sind wir Werkpolizisten auch noch da. Danke dir, Neuer.“ Der neue Kellner, den der saufende Wirt vor wenigen Stunden erst eingestellt hatte, langte eine neue Flasche herüber. Sie grinsten und stießen sich an. 27
„Wie heißt du denn, Neuer?“ erkundigte sich einer. „Alfonso Sponzo“, verneigte sich der dünne Mann mit dem schwarzen Bart höflich. „Ich wünsche guten Appetit, Gentlemen.“ „Danke, Herr Graf!“ Der Neue stelzte davon, und sie nahmen das Gespräch wieder auf. Sie ließen sich auch nicht von dem Schallplattengedudel ablenken, das von der Theke her kam, wo eine der Tänzerinnen sich in den Hüften wiegte. „Miller hat schon recht, wenn er meint, daß hier etwas nicht stimmt“, sagte der alte Raketenmonteur bedächtig und schob sich den breitrandigen Hut aus der schweißverschmierten Stirn. „Sollte mich gar nicht wundern, wenn Jim Parker hier einmal anständig aufräumen müßte.“ „Wieso Jim Parker?“ fuhr einer vom Südwerk gereizt auf. „Du kannst wohl nicht mehr logisch denken, Gollon. Wer hat denn vorhin in Sydney Barrados’ Wagen durch die Luft fliegen lassen?“ „Weiß ich doch nicht“, hob der Monteur die Schultern. „Soll sich doch die -Kriminalpolizei darum kümmern.“ „Henry Delmonte, und sonst keiner“, hetzte der andere weiter. „Quatsch!!“ Und vier, fünf von den Männern nickten eifrig. Aber es waren auch andere da, und die drängten jetzt heran. Der Hetzer tippte mit seinem krummen Zeigefinger gegen die Schnapsflasche. „Ihr wißt eben nicht, Gentlemen, daß im Hauptbüro eine vertrauliche Anweisung aus Sydney liegt, in der vor Agenten Delmontes und der Amerikaner gewarnt wird.“ Die meisten lachten ungläubig. Der Raketenmonteur fuhr mit der flachen Hand über den Tisch. „Was bekommst du für die Hetze, Kopra?“ 28
Der Hetzer fuhr auf. Sein häßliches Gesicht brannte vor Wut. Mit einem Schlage war Hochspannung da. Sogar die schwarze Isabella. hörte mit dem Hüftenwiegen auf. „Sag das noch mal!“ Der alte Raketenmonteur hatte keine Angst. Gelassen sah er zu, wie der andere sich langsam erhob und um den Tisch herumkam. „Sag das noch mal!“ „Du bekommst für deine Haßreden gegen Delmonte bezahlt, Kopra. Und, wenn du es genau wissen willst, von Barrados. Faß mich nicht an, mein Junge!“ „Laß den Alten los, du Hundesohn!“ „Kopra hat recht, Delmonte und das S.A.T. stecken unter einer Decke. Jim Parker soll nur kommen.“ „Ihr Idioten!“ Schon schossen die ersten Fäuste dumpf in erregte Gesichter. „Wir werden Jim Parker schon zeigen, was wir von den Amerikanern halten.“ Der Werkpolizist mußte seinen Dienst antreten. Er machte sich leise davon und ging in die flirrende Hitze hinaus. * Fremd und störend reckten sich hinter der Hügelkette die mächtigen Anlagen der Raketenwerft in die kochende Einsamkeit der weiten Wüste. Der Boden war ausgedörrt und aufgesprungen, und die verloren am Horizont stehende Gruppe von Eukalyptussträuchern unterstrich nur noch diese Verlassenheit. Unerträglich war das, und es legte sich schwer auf die Seele. Wer das hier erlebte, konnte verstehen, warum es die A.I.C. längst aufgegeben hatte, das Arbeitstempo in Delmonte-Field zu steigern. Die Hitze, der Staub, der unbarmherzig grinsende 29
Himmel, das große summende Schweigen von Horizont zu Horizont waren stärker. Aber der Werkpolizist beeilte sich. Er war jung und hatte sich vorgenommen, bei der Entlarvung der Brüder, die so liebenswürdig mit hochexplosiven Sprengstoffen arbeiteten, eine Rolle zu spielen. „Wir kriegen sie schon“, sagte er vor sich hin. Vor ihm lag das nochmals abgesperrte Gebiet der eigentlichen Raketenwerft. Vor der Kontrollbude bremste er sein Motorrad und meldete sich. „Eben ist einer von den Neuen durchgekommen“, kaute der Kontrollmann schläfrig. „Soll ein mächtiger Krach sein im ‚Paradies’?“ Der Polizist grinste vergnügt. „Die erste Runde war ganz nett. Na, bis nachher, Johnson!“ Der Schlagbaum hob sich. „Wo hast du Dienst?“ „Versuchsfeld IV.“ „Einsame Gegend.“ Der Werkpolizist nickte und schaltete. Sein Rad brummte weiter. Als er an der langen Montagehalle vorbei war, aus der das knallende Zischen der Schweißer drang, konnte er linker Hand das leere Vorgelände der Versuchsfelder liegen sehen. Welt im Süden wuchtete der Panzerklotz des Hauptprüfstandes auf, von dem aus eine Schienenspur heranführte, die auch eines der flachen Magazine berührte. Ruhig lag alles da. Nur ein mit vier Mann besetzter Jeep ratterte mit seinem Gerüstanhänger westwärts davon. Und hinter dem flachen Magazingebäude trat eine winzige Gestalt hervor, blieb wie angewurzelt stehen und verschwand wieder. Unwillkürlich bremste der Werkpolizist abermals sein schweres Rad, stützte sich mit den Füßen auf und hob sein Glas gegen die Augen. Verlassen lag das Magazin da. 30
Merkwürdig. Die Stahltüren waren fest verschlossen. Nun die Fenster. Auch an ihnen war alles in Ordnung. Und von einem Menschen keine Spur. „Verflucht noch mal, träume ich, oder …“ „Oder, Mann?“ Plötzlich war der Deutsche Arden neben ihn getreten. Sein längliches Gesicht wirkte noch verschlossener als sonst. „Sind Sie unseren geheimnisvollen Freunden auf der Spur?“ „Da – tatsächlich – ein Mann!“ Ohne sich um den verblüfften Ingenieur zu kümmern, haute der Polizist Gas rein und raste auf das Vorgelände hinaus. Er hatte sich nicht geirrt. Weit vor ihm rannte eine Gestalt davon, die wieder aus dem Schatten des Magazins hervorgetreten war. „Halt – stehenbleiben!“ Unsinn, Polizeimann, auf eine so große Entfernung zu rufen, aber das Jagdfieber hatte ihn gepackt. Sein Zeigefinger drückte den Sirenenknopf, und heulend klang das Alarmsignal über die Wüste. Du kannst nicht mehr entkommen! Schon raste er am Magazin vorbei – der andere rannte planlos in die Gegend hinein – er würde nicht mehr lange ren31
nen in der Glut des frühen Nachmittags – nett von dir, daß du in gerader Linie türmst. Unbarmherzig schob sich der Polizeimann heran. Noch gut hundert Meter. „Stehenbleiben, du Wüstengespenst!!“ Diesmal mußte es der da vorn hören. Aber er tat ihm nicht den Gefallen. Mit einer jähen Bewegung warf er sich herum. Aha – er wollte Haken schlagen. Damit haben wir gerechnet, old fellow. Runter vom Rad und auf ihn mit Gebrüll. * Barrados trank einen seiner Spezialschnäpse mehr, als sonst bei wichtigen Konferenzen. Jim Parker sah ihn mit großer Bewunderung an. „Mein Kompliment, Sir. Nach einem solchen Unfall hätte ein Junger es vorgezogen, das Bett zu hüten.“ Barrados lächelte verbindlich. Solche Blumensträuße akzeptierte er gern. „Wer ein großes Werk vollbringen will, muß die Bedürfnisse seiner eigenen Person zurückstellen. Doch – vielleicht fahren wir fort, meine Herren.“ Papiere raschelten. Um den großen grünen Tisch im Sitzungssaal des A.I.C.-Palastes saß man schon seit über einer Stunde und versuchte die ersten Fäden zueinander zu spinnen. „Ich durfte Ihnen eben die Vorschläge des S.A.T. zur Gründung einer ‚Arbeitsgemeinschaft Venus’ bekanntgeben.“ Der junge Kommodore legte sorgfältig die Seiten seiner Schriftstücke aufeinander und sah seinem alten, verschlagenen Gegenüber offen in die Augen. „Wünschen Sie zu einzelnen Punkten noch nähere Erläuterungen?“ Für einen Augenblick lastete eine unnatürliche Stille in dem vornehmen Raum, in den das grelle Sonnenlicht, durch grüne 32
Fensterjalousien gefiltert und gedämpft, fiel. Nun hatte Barrados das Wort. Er pendelte den Kopf hin und her und sah versonnen auf seine Hände. „Sie haben sich präzise ausgedrückt, Kommodore. Das S.A.T. schlägt die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft vor – unter Wahrung der Rechte beider Arbeitspartner.“ Lautlos trat der schleichende Privatsekretär Skrater ein und blieb an der Tür stehen. Barrados lächelte untergründig und lehnte sich dann plötzlich zurück. „Das ist der einzige Vorschlag, den Sie uns zu machen haben, Kommodore?“ „Yes, Sir“, antwortete Jim gelassen. „Schade.“ „Haben Sie bessere Vorschläge, Sir?“ An der Tür machte Skrater ein Zeichen zu dem Alten hin, der aber nicht darauf achtete. Er zündete sich mit besonderer Ruhe eine Zigarette an und sah sich in der Runde der Herren um. „Ich habe einen anderen Vorschlag, meine Herren. Wie wäre es, wenn sowohl das S.A.T. wie auch wir auf alle Sonderrechte verzichten und ein Unternehmen zur Ausbeutung des Planeten gründen würden?“ Langsam fielen diese Worte. Jim Parker gab es einen Ruck. Auch die anderen Herren vergaßen für Sekunden die drückende Schwüle, die von den kreisenden Propellern über ihnen nur notdürftig verdrängt wurde. Wie war das möglich? George Barrados ging weiter als das S.A.T. – er, der sich sonst gegen jede Zusammenarbeit gestellt hatte. Was bedeutete das? „Nun, meine Herren?“ Barrados genoß die Überraschung der anderen. Das war wieder eine seiner großen Stunden. Mit dieser Taktik der überraschenden und kühnen Schritte hatte er sie noch alle fertiggemacht. Aber was wollte das Gespenst dort an der Tür? 33
„Skrater?“ Skrater schlich heran. „Verzeihung, Sir – ein wichtiges Ferngespräch aus Delmonte-Field.“ Barrados nickte, erhob sich und verließ mit einer gemurmelten Entschuldigung den Raum. Sofort setzte ein leises Getuschel ein. „Mister Parker – ich bin überrascht!“ Henry Delmonte, der bisher nur den stillen Zuhörer gespielt hatte, sagte es leise. Der behäbige pfeiferauchende Doktor Findels blinzelte herüber. „An die Möglichkeit der Gründung einer neuen Gesellschaft wagte das S.A.T. nicht zu glauben“, grollte er. „Bewerten Sie den Vorschlag positiv?“ Henry Delmonte fuhr sich mit einer nervösen Geste über die Stirn. Der Junge sah furchtbar müde zerquält und verzweifelt aus. Dr. Findels wechselte einen raschen Blick mit Jim Parker. „Grundsätzlich ja, Mister Delmonte. Warten wir ab.“ Barrados trat wieder ein. Seine gute Laune hatte er offensichtlich verloren. Unmutig setzte er sich wieder Jim Parker gegenüber. „Kommodore“, sagte er scharf, „war es nicht ausgemacht, daß für die Zeit der Verhandlungen und gegenseitigen Besichtigungen zwischen den Nachrichtendiensten unserer Organisationen Burgfrieden herrsche?“ Jim Parker hob die Augenbrauen. „Gewiß, Sir. Darf ich fragen, was Sie veranlaßt, dieses Thema anzuschneiden?“ „Einer Ihrer Agenten wurde soeben in Delmonte-Field gestellt, als er versuchte, in einem Magazin eine Sprengkapsel anzubringen.“ Jim war es, als lege sich eine würgende Hand um ihn. Er wurde genau so steif wie Barrados. „Ähem – Sir, ich nehme an, daß Sie sich der Tragweite Ihrer Worte bewußt sind.“ „Mindestens ebenso sehr, wie Sie sich der Tragweite einer solchen Handlungsweise bewußt sein sollten.“ 34
„Ich muß Sie bitten, sich verständlicher auszudrücken!“ Warum wurde Henry Delmonte so bleich? Barrados sah es voller Hohn. Dann wandte er sich mit einer abrupten Bewegung wieder an Jim Parker. „Was gesagt werden mußte, habe ich gesagt, Sir. Der Agent heißt Snider. An Ihnen liegt es jetzt, meine Behauptung zu widerlegen.“ „Das soll geschehen. Legen Sie auf eine Fortsetzung der Verhandlungen unter diesen Umständen noch Wert?“ Dr. Findels schüttelte mißbilligend den Kopf. Warum so überspitzt, Jim? Aber Barrados schien keinen Abbruch der Verhandlungen zu wünschen. Er wurde wieder freundlicher. „Meine Herren – wir wollen hoffen, daß sich dieser Zwischenfall beheben läßt.“ Sie verabschiedeten sich. „Eine tolle Geschichte“, sagte Jim im Wagen. Sein Gesicht war hart und verschlossen wie nur selten. Fingerte sich schon wieder ein Geheimnis heran – dunkel und gefahrvoll? Dr. Findels hob beruhigend die Pfeife. „Fragen Sie erst einmal in Orion-City bei Mortimer an.“ „Yes – das wird das beste sein.“ Eine halbe Stunde später hielt Jim bereits die Auskunft der Atomstadt in Händen. Sie machte ihn wild. „Agent namens Snider ist in Australien tätig. Zur Zeit nur Beobachtungsdienst.“ „Nur Beobachtungsdienst“, schnappte Findels nach Luft. „In Orion-City sind sie verrückt geworden.“ „Scheint fast so.“ Trotzdem bat Jim die A. I. C, ihm den Mann gegenüberzustellen. Das wurde zugesagt. *
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Inzwischen hatte Fritz Wernicke anderes zu tun. Konferenzen hatte er noch nie Geschmack abgewinnen können. Hübschen Mädchen um so mehr. Als er sich zurechtmachte, um Mabel Newwater zu treffen, klopfte es an die Zimmertür. „Come in!“ Ein Kellner überreichte ihm einen gelblichen Umschlag und steckte gewandt das Trinkgeld ein. Wernicke sah gedankenlos zu, wie er wieder die Tür schloß. Dann betrachtete er den Umschlag. „To Mr. Wernicke, Gloria-Hotel“, stand in Maschinenschrift darauf. Achselzuckend öffnete er. Auf einem erstklassigen Briefpapier warf man ihm liebevolle Worte entgegen: „Mr. Wernicke! Es wird langsam in der ganzen Öffentlichkeit bekannt, daß das S.A.T. versucht, die A.I.C. zu vernichten und ihre ersten Persönlichkeiten zu ermorden. Hoffen Sie in Ihrem eigenen Interesse, daß Barrados und den anderen Herren nichts zustoßen möge.“ Eine Unterschrift fehlte. Natürlich war das Hetze, und Wernicke war weit davon entfernt, Herzklopfen zu bekommen. Er grinste und überlegte flüchtig, wer hinter dem Wisch stecken könnte. Aber gründliche Überlegungen waren auch nicht seine Stärke. Und unten wartete bestimmt das netteste Mädel der letzten Monate. „Für die Raritätensammlung.“ Das war auf den komischen Drohbrief gemünzt – beileibe nicht etwa auf das hübsche Wesen vom „Super-Meteor“. Stolz, wie es einem Bezwinger der Sternenwelt zukam, schritt er auf den Aufzug los. Minuten später verneigte er sich – nicht mehr ganz so selbstsicher – vor dem Traum seiner einsamen Seele. Mabel Newwater trug ein Jackenkleid, das für ihren Typ erstaunlich dezent war. „Ich freue mich, daß Sie mir Sydney zeigen wollen“, strahlte 36
sie ihn an. „Haben Sie sich bereits etwas Spannendes ausgedacht?“ „Spannendes?!“ Er warf sich in die Brust und zückte den Reiseführer. „Kennen Sie den Botanischen Garten?“ „No, Mister Wernicke.“ „Sie sollen ihn kennenlernen“, versprach Fritz großartig und ärgerte sich über zwei gutgekleidete Herren, die dort drüben an einem Tisch saßen und sie zu beobachten schienen. „Kennen Sie die Excelsior-Bar in der Main Street?“ Sie lachte hell auf. „Haben Sie vergessen, wer meine Mutter ist?“ „Die Präsidentin der ‚Ersten Amerikanischen Kampfliga gegen den Alkohol’“, nickte er trübe. „Bedenken Sie aber bitte, daß es dort auch alkoholfreie Getränke gibt.“ „Sie setzen sich Gefahren aus“, drohte sie. „Was glauben Sie, was passiert, wenn meine Mutter uns heimlich folgt?“ Unwillkürlich zuckte er zusammen. Diese Vorstellung war furchtbarer als Mondschlangen und Drohbriefe. Aber er riß sich zusammen und reichte ihr den Arm. „Nun vergessen Sie aber, mit wem Sie es zu tun haben“, meinte er großartig. Sie lachte Immer noch. „Mit einem Mann, der zittert.“ „Tatsächlich?“ stotterte er. „Aber Ihre Nähe verzeiht auch das. Darf ich bitten?“ Sie stiegen in den kleinen knallroten Sportwagen, den er sich für die Sydneyer Tage gemietet hatte, und rauschten ab. Mabel betrachtete ihn von der Seite – liebevoll, kameradschaftlich und etwas nachdenklich. Sie mußte an die Mission der S.A.T.-Leute hier in Australien denken, an den furchtbaren Verdacht, der auf Henry Delmonte lastete, und an das geheimnisvolle Verschwinden ihres Vaters. „Den da vorn kenne ich doch!“ Ihr Blick folgte seiner ausgestreckten Hand. Sie fuhren über 37
den Unionsplatz, um in die südlichen Bezirke zu gelangen. Ihnen entgegen kam ein eleganter Zweisitzer, der weich dahinglitt. Ein Mann saß am Steuer. „Das ist ja Mister Barring“, rief sie aus. „Richtig – der englische Berater Delmontes. Hallo!!!“ Er hob die Hand zum Gruß. Barring hatte sie erkannt und antwortete. Sie fuhren ganz langsam aneinander vorbei. „Konferenz beendet, Mister Barring?“ Über das düstere Gesicht Bob Barrings glitt ein freundliches Lächeln. „Für heute ja, Mister Wernicke“, nickte er, während er sich grüßend verneigte. „Guten Tag, die Herrschaften.“ „Erfolg gehabt?“ Mit keiner Miene verriet sich der Engländer. „Wir werden es schon schaffen. Gefällt es Ihnen bei uns?“ „Ich habe hier noch nichts getrunken, Mister Barring“, antwortete Fritz prompt „Aber ich hoffe, die australischen Getränke werden mich nicht enttäuschen.“ Sie lachten. Barring wollte Gas geben, als er plötzlich neben sich griff und eine Abendzeitung herüberreichte. „Eine tolle Sache, Mister Wernicke – müssen Sie unbedingt lesen.“ „Angriff der Marsbewohner?“ „Verschwörung von unbekannter Seite gegen die A.I.C.“ „Ach was.“ „By-by.“ Noch einmal grüßten sie. Dann glitt der Wagen mit großer Geschwindigkeit davon. Fritz hatte das Blatt seiner hübschen Begleiterin gegeben, die es auseinanderfaltete. „Lesen Sie doch bitte mal vor, Miß Newwater.“ „No!“ Sie schrie auf – eine unnatürliche Blässe überzog ihr Gesicht, und die festen Hände, die das Blatt hielten, fielen kraftlos auf den Schoß. 38
„Mabel!“ Seine rechte Hand faßte nach ihrer Schulter. „Was ist denn?“ Sie legte den Kopf zurück. Der brausende Strom des machtvoll pulsierenden Verkehrs floß wie hinter einem verschwimmenden Schleier vorüber. In ihren schönen Augen war eine große Ratlosigkeit. „Was hat mein Vater nur schon wieder angestellt?“ fragte sie ganz leise. Sie schien allerlei Kummer gewohnt zu sein. „Was ist denn, Mädel?“ drängte er besorgt. „Hier steht es doch, Mister Wernicke.“ Nun fielen auch ihm die knalligen roten Schlagzeilen auf, die den Kopf des Blattes beherrschten. „Wer ist James Newwater? Amerikaner baut in Australien Geheimorganisation gegen A.I.C. auf. Wer sind die Drahtzieher?“ Mabel hielt den Kopf noch immer zurück. „Das ist doch nicht möglich“, sagte sie leise. Er sah sie scheu an. „Ihr Vater?“ „Yes“, sagte sie traurig. „Ihm ist alles zuzubauen – aber das kann doch nicht wahr sein.“ Sie tat ihm furchtbar leid. Die Geisternase aus dem „SuperMeteor“ ging seltsame Wege. Aber darunter durfte sie nicht leiden. „Wir werden die Geschichte schon aufklären“, versprach er großzügig. „Jetzt fahren wir zur Excelsior-Bar, und ich telefoniere mit meinem ‚großen Bruder’. Mal sehen, Darling, was wir tun können.“ Mabel war so überwältigt, daß sie ihm willenlos folgte. * Wenige Minuten später bremste der knallrote Sportflitzer vor der pompösen Fassade des. Vergnügungspalastes. Es war 18 39
Uhr geworden. An einer anderen Stelle wurde ein dunkles Unternehmen vorbereitet. „In einer Stunde dürfte der Zauber losgehen. Was gibt es Neues, Wendell?“ Drei Männer saßen sich in einem Haus vor der Stadt gegenüber. Einer von ihnen war eben erst mit einem Wagen gekommen, den er allerdings in der nächsten Querstraße abgestellt hatte. Die Leute wären im Straßenverkehr nicht weiter aufgefallen – farblose. Gesellen ihrer Art sah man massenhaft. Nun allerdings, in der vertrauten Atmosphäre eines Herrenzimmers, sah man, daß sie nicht zu den ehrlichen Bürgern gehörten. „Jack Hudson ist nach Delmonte-Field abgeflogen – soll dort Vorbereitungen für Jim Parkers Besuch treffen. Nett, was?“ „Allerdings.“ Der Chef wurde sofort sehr aufmerksam und richtete sich aus seiner nachlässigen Haltung am Bücherschrank auf. „Das wollen wir mal im Auge behalten. Ansonsten ist hier alles klar?“ „Von mir aus schon“, nickte der Autofahrer. Auch der dritte machte ein Zeichen der Zustimmung. Aber der Chef wollte lieber noch einmal zusammenfassen. Er trat an den Schreibtisch, auf dem ein ausgebreiteter Stadtplan lag. Verschiedene Stellen waren durch Kreise und Pfeile markiert. „Unsere Aufgabe ist zunächst einmal, Unruhe und Verwirrung zu stiften. Die bevorstehende Vernehmung des Mannes aus Delmonte-Field ist eine günstige Gelegenheit. Es wird auch nichts schaden, wenn wir den Burschen mundtot machen können. Für heute stehen uns drei Maschinen zur Verfügung. Unsere Hauptarbeit beginnt aber erst, wenn Jim Parker in DelmonteField ist.“ „Soll das ganze Wüstennest. hochgehen wie die Raketen, die in ihm gebaut werden?“ höhnte einer. „Möglich.“ 40
* Dieser Agent war entweder tatsächlich ein Ausländer, oder er verstand sich meisterhaft auf die Kunst des Schauspielerns. Jim Parker sah mit zusammengekniffenen Augen zu, wie man ihn hereinführte. Dann erhob er sich und trat vor den Stuhl des anderen. Barrados, Delmonte und andere Herren der A.I.C. hielten sich Im Hintergrund. „Sie haben also in Delmonte-Field eine Sprengkapsel gelegt?“ Der Mann sah ziemlich zusammengeschlagen aus – mit blauen, dicken Augen und einer blutunterlaufenen Stelle am Kinn. Er grinste und schwieg. Aber behaglich fühlte er sich nicht. Der aufmerksame, überwache Blick des Kommodores tastete über sein Gesicht. „Sie heißen?“ „Snider.“ „Und gehören dem Sicherheitsdienst des amerikanischen S.A.T. an?“ Wieder bewegten sich diese ausgedörrten Lippen. Vielleicht hatte man ihm seit Stunden nichts zu trinken gegeben. Aber auch auf diese Frage antwortete er nicht. Jim schnippte mit den Fingern. Er konnte keine Rücksicht nehmen. „Sie müssen antworten, mein Lieber!“ „Ich gehöre zum S.A.T.“ Barrados verschränkte lächelnd die Arme über der Brust und lehnte sich gegen den Schreibtisch. Und Delmonte? Bisher hatte er neben seinem Onkel gestanden – nun wandte er sich angeekelt ab. „Zu welcher Gruppe des S.A.T.-Sicherheitsdienstes gehören Sie?“ „Gruppe Meteor-Luna.“ 41
„Behringer?“ „No, Sir – Hastings.“ Jim Parker riß sich ungeheuer zusammen. Hier wurde ihm ein furchtbarer Streich gespielt. Der Mann vor ihm schien wirklich zum S.A.T.-Sicherheitsdienst zu gehören. Und das Gesicht – wo hatte er das schon gesehen? „Sie brauchen sich nicht mehr zu bemühen, Sir.“ Der Mann holte sich eine zerknitterte Zigarettenpackung aus der Tasche, entnahm ihr eines der weißen Stäbchen und schob es sich in den Mund. „Wir haben uns drüben schon gesehen, Kommodore. Erinnern Sie sich noch an den Strahlenpilz über dem Great Bering Hill und den Kampf mit der Slogan-Bande? Damals haben wir in New Oregon nebeneinander gekämpft.“ Tatsächlich, so war es. Der Mann vor ihm war der S.A.T.Mann Snider – mußte es sein. Aber übte ein Mann von Mortimers Garde Verrat, wenn er geschnappt wurde? Fieberhaft schossen seine Gedanken. Und plötzlich mußte er auflachen. „Snider – wenn Sie …“ In diesem Augenblick brach die Hölle los. Der Mann sprang auf und warf sich zu Boden. Über das Dach des A.I.C.-Palastes schossen drei kleine Düsenjäger, wie wildgewordene, bösartige Phantome, dahin. Sie waren bewaffnet. Geschosse klatschten auf Metall. Fensterscheiben klirrten. Unwillkürlich hatte sich der Kommodore auf den Mann gestürzt, der sich wimmernd krümmte. Was hatte er nur – warum stemmte er sich so verzweifelt seinem Griff entgegen – warum – heilige Mondsichel – warum blutete er am Hals? Der Spuk verflog. Aus dem aufbrodelnden Entsetzen tauchte Barrados’ bleiches Gesicht auf. Delmonte war verschwunden. *
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Diese Schüsse machten eine friedliche Stadt wild. Man stelle sich vor: Am hellen späten Nachmittag jagen plötzlich aus dem Blau des Himmels drei hübsche, schnittige Maschinen heran und jagen hochexplosive Geschosse gegen das größte Gebäude der Stadt. Sydney tobte. Frauen waren ohnmächtig geworden – einen vierzehnjährigen Jungen hatte man splitterübersät In einen Ambulanzwagen gehoben – ein Motorradfahrer hatte die Gewalt über sein Rad verloren und sich an einem dicken Straßenkreuzer den Schädel eingeknallt. Der Krach war wie eine Fontäne hochgestiegen und hatte den Frieden der Stadt zerrissen. Sydney tobte. Ein Meer von Neugierde brandete gegen den Sitz der A.I.C. Polizeiketten fluchten und stöhnten. „Attentat auf Barrados.“ „S.A.T. – das war doch das S.A.T.!“ „Ihr seid verrückt! Die werden doch nicht ihre eigenen Männer gefährden.“ „Einer von ihnen ist erschossen worden.“ „Erschossen?“ fragte eine alte Frau gespannt. „Wie furchtbar – erzählen Sie doch.“ „Erzählen Sie doch“, forderte in seinem Arbeitszimmer Staatsanwalt Dr. Wellington den pfeiferauchenden Williams auf. „Ist er tot?“ „Schwerverletzt“, berichtete der Inspektor sachlich. Aber er sah aus wie eine gereizte Bulldogge. „Halsdurchschuß.“ „Und Barrados?“ „Zäh wie Leder. Aber mir langt es, Wellington – mir langt es. Das möchte ich hiermit festgestellt haben.“ Wellington sah belustigt zu, wie der sonst so eiskalte Kriminalist mit unruhigen Händen Bewegungen machte, die völlig sinnlos waren. „Was habe ich Ihnen gesagt?“ meinte er trübe. „Diese ver43
fluchte Angelegenheit wird immer mysteriöser. Allerdings tippe ich nicht mehr auf das S.A.T. …“ Williams knurrte gereizt. „Sie ahnungsloser Engel! Mit Kommodore Parker habe ich vorhin gesprochen. Er mußte zugeben, daß der Sprengkapselleger von Delmonte-Field aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem Mann seines Sicherheitsdienstes identisch ist.“ „Aber das ist doch Unsinn!“ begehrte der Staatsanwalt auf. „Das ist es ja eben – dieser Überfall auf die A.I.C.-Verwaltung wirft doch unsere ganze Theorie über den Haufen: Das S.A.T. wird doch niemals ein Gebäude beschießen lassen, in dem sich seine eigenen Leute aufhalten.“ Nun war es an Williams, ironisch zu lächeln. „Und wenn die A.I.C. zwei aggressive Gegner hätte? Das S.A.T. und diese geheimnisvollen Luftgangster?“ Der Staatsanwalt sah ihn atemlos an. „Williams, das hat Ihnen eine gütige Fee eingegeben. Sie denken an diesen – diesen – wie heißt er noch. …?“ „Newwater. Bekannt als vertrotteltes Genie mit nicht ganz einwandfreier Vergangenheit. Ich lasse ihm bereits nachspüren und seine Familie überwachen. Seine Tochter hat sich mit Wernicke angefreundet. Es gibt aber noch eine dritte Möglichkeit.“ „Und die wäre?“ „Barrados hat den ganzen Rummel inszeniert, um bei den Verhandlungen einen Druck auf das S.A.T. ausüben zu können.“ „Auch den Anschlag auf seine eigene Person?“ grinste Wellington. „Den wohl kaum“, mußte Williams zugeben. „Sie wollen schon fort? Der Empfang im Globus-Hotel beginnt erst um neun. Ich habe meine Leute schon dort.“ Wellington winkte ab. „Ich habe keine Ruhe mehr, Williams. Delmonte soll mir nicht wieder Dummheiten machen. Ich muß ihn noch abfangen.“ 44
Er hatte Glück. Als er mit seinem Wagen, vor dem bereits abgesperrten und von Presse- und Wochenschauleuten umlagerten Marmorklotz des Globus-Hotels ankam, konnte er sich noch in aller Ruhe davon überzeugen, daß alle Sicherheitsmaßnahmen getroffen waren. Mindestens jeder dritte Kellner trug unter seinem schwarzen Revers das silberne Abzeichen der Bundeskriminalpolizei. Draußen bremste ein schwerer Wagen. Henry Delmonte war eingetroffen. Mit ihm stiegen Rose Astor und Bob Barring aus. Rose erblickte den Staatsanwalt sofort und machte eine verstohlene Handbewegung. Sie war sehr schmal im Gesicht, und ihre Hände zogen nervös an ihrem weichen Pelzcape. Wellington verstand sie und nahm den Jungen beiseite. „Läßt Sie die Sorge um mein Wohlergehen schon wieder nicht zur Ruhe kommen“, fuhr Delmonte gereizt, auf. „Ich würde von Ihnen gern erfahren, wie Sie über den Luftangriff von heute nachmittag denken.“ „Sie wünschen mich zu verhören?“ Wellington hielt ihm die Zigarettenpackung hin. Widerwillig bediente sich Delmonte. Alles an ihm war voller Mißtrauen und Verschlagenheit. Der Junge war nicht wiederzuerkennen. „Ich will Ihnen helfen, Delmonte“, sagte der Staatsanwalt eindringlich. „Sie machen mich für den Anschlag auf meinen Onkel verantwortlich? Ich verzichte auf Ihre Hilfe, Wellington.“ „Sie sind ein großer, unvernünftiger Junge.“ „Lieber das, als ein unfähiger Kriminalist. Vielleicht geschieht heute abend noch etwas, das Ihnen Gelegenheit geben wird, Ihre beruflichen Qualitäten endlich einmal unter Beweis zu stellen.“ Rose Astor Und Bob Barring traten hinzu. Wellington war 45
sehr ernst. „Ich warne Sie, Delmonte – sollte etwas geschehen, dann weiß ich, an wen ich mich zu halten habe.“ Delmonte verneigte sich ironisch. „Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen.“ Sie traten in die festlich erleuchtete Halle. Draußen schlug eine Uhr. Es wurde dunkel. Henry Delmonte war fest entschlossen, heute abend seinen Onkel zur Rede zu stellen. „Ich habe alles durchschaut“, sagte er. „Barrados wird heute abend die Wahrheit erfahren – und gewisse andere Leute auch.“ „Ich würde heute abend nichts unternehmen“, meinte der Engländer ruhig. Einer der Kellner ließ sie nicht aus dem Auge. Rose Astor schüttelte den Kopf. Sie mochte nichts mehr sagen. Er war von einem Dämon besessen, der ihm befahl, seinen großen Feind zu vernichten. Nur gut, daß der Engländer bei ihnen war. „Dort kommen die Herren“, sagte Barring. „Barrados und unsere Gäste. Lassen Sie sich heute abend nichts anmerken.“ Die dezente Musik eines erstklassigen Orchesters klang vom Saal herüber. Eine festliche, leichte Stimmung breitete sich aus, und, als sei niemals ein Luftangriff gewesen, traten die Herren heran. „Evening, Henry“, begrüßte der alte Fuchs seinen Neffen freundlich. „Du bist zu beneiden, daß du die schönste Frau von Sydney ausführen kannst. Mein Kompliment, Miß Astor.“ Henry hörte nicht, was der Alte sagte. Er spürte auch nicht den prüfenden Blick des jungen Kommodores. Sein Herz hämmerte. Das ganze festliche Gewoge und Getuschel, die altmodischen, feierlichen Kronleuchter – alles verschwamm vor ihm. Er wußte, daß Barrados bald zuschlagen würde. Er mußte ihm zuvorkommen. *
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Jack Hudson stand in diesen Stunden in Delmonte-Field seinen alten Kameraden gegenüber. Sie standen in der großen Montagehalle, und die Augen des Venusfliegers glitten andächtig über den formschönen Leib des neuen Raumschiffes „Australia III“. Chefingenieur Hansen rieb sich die Hände. „Mit allen neuen Schikanen ausgestattet“, strahlte er stolz. „Das S.A.T. kann auch keine besseren Schiffe hauen. Da wir keine Außenstationen haben, müssen wir diese aerodynamische Bauart beibehalten.“ Hudson reichte ihm die Hand. „Alle Hochachtung, Hansen. Ein prächtiges Ding. Na, wenn wir erst unseren Vertrag mit dem S.A.T. in der Tasche haben, werden unsere Venusschiffe auch die Raumstation benutzen können.“ Hansen machte eine wegwerfende Bewegung. „Wird doch nichts draus, Jack.“ „Warum nicht?“ fragte Hudson verwundert. „Das gibt noch Kämpfe – paß auf, mein Lieber.“ Er nickte seinen Männern zu, die wie ein Bienenschwarm an dem wachsenden Leib des Raumschiffes klebten. „Gehen wir zu meinem Bungalow. Nein, Jack – wie gesagt –, ich glaube an nichts.“ Sie verließen die gigantische Halle. Über ihnen breitete sich der märchenhafte Sternenhimmel des Südens aus. Warm war die Nacht, und der Wind der großen Verlassenheit strich um die Anlagen. Jack Hudson war glücklich – in seinem Herzen klang noch das große interplanetarische Abenteuer des Venusfluges wider, aber er war doch froh, wieder einmal die Luft von Delmonte-Field atmen zu können. „Morgen kommt Jim Parker. Wir spielen mit offenen Karten, Hansen. Diese blödsinnigen Gerüchte darfst du nicht ernst nehmen.“ „Aber diesen Raubritter mit seiner Sprengkapsel haben wir 47
doch erwischt“, ereiferte sich der Däne. „Und es ist ein S.A.T.Mann.“ „Wer weiß, was dahintersteckt.“ „Ich wünsche, dein Optimismus sei berechtigt, Jack. Eine Zusammenarbeit mit dem S.A.T. würde für uns. von größter Bedeutung sein.“ Jack sah zum Süd-Werk hinüber – dort schlug das Herz der Raketenwerft, saßen die Männer an den Zeichenbrettern, wurde die Verwirklichung großartiger Projekte vorbereitet. „Eine Zusammenarbeit mit Jim Parker und seinen Leuten wäre entscheidend für uns, Hansen. Davon hängt überhaupt alles ab. Wie ist die Stimmung hier bei euch?“ Hansen wandte ihm überrascht den Kopf zu. „Weshalb, Hudson – du fragst so merkwürdig?“ „Ich möchte nicht gern, daß man dem Kommodore hier irgendwelche Unannehmlichkeiten bereitet.“ „Günstiges kann ich dir leider nicht sagen.“ Sie waren vor dem niedrigen Bungalow angelangt, der inmitten eines kargen Ziergartens angelegt war. Hansen schloß auf und ließ den Raumfahrer eintreten. „Die Stimmung ist nicht besonders gut, Hudson – es ist hier eine Hetze gegen das S.A.T. im Gange.“ „Wenn es dabei bleiben möge! Darf ich von hier aus ein Ferngespräch führen?“ Der Chefingenieur rückte mit einer Flasche heran. „Bitte, Hudson.“ Hudson drehte schon die Nummernscheibe. Nach einer Minute meldete sich die A.I.C.-Zentrale in Sydney. „Mister Barrados?“ „Yes – ich muß ihn dringend sprechen. Er erwartet meinen Anruf.“ „Mister Barrados hält sich im Globus-Hotel auf. Ich schalte um.“ Wieder verging eine Minute, dann hörte er im Apparat, wie eine Tür geschlossen wurde und Schritte näher kamen. 48
„Barrados – ah, Hudson – Evening!“ „Good evening, Sir. Ich möchte Ihnen nur mitteilen, daß hier alles in Ordnung ist. Dem Besuch der S.A·T.-Delegation dürfte nichts im Wege stehen.“ *
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George Barrados hörte aufmerksam zu und ließ sich von seinem besten Raumflieger noch einige Erklärungen geben. Dann legte er nach einem kurzen Gruß wieder auf. „Was ist nur mit mir los?“ Er fühlte sich nicht gut, der alte Fuchs. Still war es hier im Zimmer – nur durch die offenstehende Balkontür sang mit leisem Ächzen der warme Nachtwind herein. Klagend klang es, und dem Alten liefen eisige Schauer den Rücken hinunter. „Verfluchte Nerven!“ Unruhig waren seine schmalen, schönen Hände, als sie eine Zigarette aus der Dose nahmen, sie zurechtklopften und er das Stäbchen umständlich entzündete. Warum es wohl hier so still war, als gehörte der fröhliche Betrieb unten in den Gesellschaftsräumen nicht mehr zu ihm? „Ausspannen, Barrados – du mußt ausspannen!“ Was war das? Woher kam dieser Hohn – leise und schneidend? George Barrados sah auf und erstarrte. An der Wand vor ihm geisterte ein Schatten auf – ein furchtbares Gespenst mit ausgebreiteten Armen, das größer und breiter wurde. Er wollte schreien. Aber es wurde nur ein Gurgeln. Von Entsetzen geschüttelt warf er sich herum – nur eine halbe Körperumdrehung – da waren schon Hände um seinen Hals – unerbittliche, grausame Hände, nicht so alt und zitterig wie seine eigenen. „Henry“, würgte er, „laß mich leben …“ Verzweiflung war in diesen Worten – es war die erste Verzweiflung seines Lebens, und auch die letzte. Der rotgemusterte, kostbare Teppich wich unter ihm zurück – er schwebte – wurde auf den Balkon getragen. Auf dem Teppich brannte seine Zigarette. Der Nachtwind war warm, und er klagte leise.
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* Und in den Gesellschaftsräumen klangen die Gläser. Jim Parker war wie auf einem silbernen Präsentierteller herumgereicht worden – eine Woge von Bewunderung und Anhimmelung war über ihn zusammengeschlagen. Die Prominenz von Sydney hatte ihren großen Tag. Elf gute Partien hätte er machen können – von der scheuen Schönheit einer Siebzehnjährigen bis zum reifen Scharm der jüngeren Witwe war so ziemlich alles greifbar gewesen. Als der Kommodore, der in seinem Smoking aussah wie ein preisgekrönter Filmgott und sich unglücklich fühlte wie ein Schuljunge, alles hinter sich hatte, war er froh, bei Fritz Wernicke ein stilles Eckchen zu erwischen. „Das ist ja direkt anstrengend“, seufzte er. „Die Erde ist furchtbar aufregend, Fritz – findest du nicht auch?“ Wernicke konnte dieser Ansicht nicht zustimmen. Er hatte getanzt, bis alles um den alten Sternenfahrer Karussell fuhr, und um sich wieder ins Gleichgewicht zu bringen, stärkte er sich mit dem edelsten Schaumwein, den er auftreiben konnte. „Die Erde ist ein Paradies“, strahlte er. „Prost, großer Häuptling! Gepriesen sei Australien! Wann fliegen wir ab zum Wüstennest?“ „Sobald du wieder nüchtern bist“, grinste Jim. „Nüchtern?“ Ein mitleidiger Blick war die Antwort. „Willst du wirklich im Ernst behaupten, diese armseligen zwanzig Gläser hätten mich der Herrschaft über meine Sinne beraubt? Aber im Ernst, Jim – in Delmonte-Field wird wohl allerhand los sein?“ „Ist anzunehmen“, nickte Jim trocken. „Vor allem möchte ich den Mann entlarven, der für diesen Zauber verantwortlich ist.“ „Ahem – das sagst du so bestimmt, Mondrakete. Entwickelst du etwa die Fähigkeiten eines Meisterdetektivs? Hast du einen bestimmten Verdacht?“ 51
Jim sah gedankenvoll in den Trubel, der um sie pulsierte mit lautem Frauenlachen und heiterer Musik. „Der rote Faden ist nicht schwer zu erkennen. Er führt zu Barrados.“ „Äh?“ Das einundzwanzigste Glas wurde heruntergekippt. „Das wäre allerdings eine sensationelle Lösung. Mein Kompliment, gnädiges Fräulein.“ Diese letzte, artige Bemerkung galt Rose Astor, die plötzlich etwas hilflos und zögernd durch das bunte Gedränge auf sie zukam. „Meine Herren“, sagte sie verlegen, „es ist mir sehr unangenehm, Sie zu stören, aber …“ Jim Parker erhob sich bereits. Auch Wernicke – der viel von seiner Sorglosigkeit verloren hatte – kam hoch. „Ist etwas geschehen, Miß Astor?“ „Ich fürchte es“, antwortete sie leise. „Vielleicht sind Sie über die Spannung unterrichtet, die zwischen Mister Delmonte und seinem Onkel besteht?“ „Wir erfuhren einiges“, antwortete er vorsichtig. Sie atmete erleichtert auf. „Mister Barrados ist vor etwa zwanzig Minuten in sein Arbeitszimmer gerufen worden, das im ersten Stock liegt. Auch Delmonte hat kurz nach ihm die Gesellschaftsräume verlassen.“ Es sah aus, als sei ihr nicht gut, und unwillkürlich trat Jim an sie heran, um sie zu stützen. „Sie befürchten doch nicht etwa, daß zwischen den beiden Herren …?“ Sie nickte nur und wurde sehr bleich. Jim führte sie zu einem Sessel und winkte möglichst unauffällig einer Dame zu, die in der Nähe stand. Dann ging er hinter Wernicke her, der bereits mit großen Schritten vorauseilte. Man wurde bereits aufmerksam. „Menschenskind, wenn nur nichts …“ „Hier, rechts ab, Fritz …“ Die zitternde Angst des jungen, schönen Mädchens trieb sie vorwärts. Sie kamen leider zu spät. Durch den Hauptgang hetz52
ten zwei Kellner heran, die den Kommodore erkannten und wortlos nach hinten wiesen, wo der Gang durch eine – nun offenstehende – Tür in den Garten führte. „Dahinten, Jim – unter der Baumgruppe.“ Fritz zeigte auf eine Gruppe heftig gestikulierender Personen. Sie jagten heran, mitten in ein schauervoll aufklingendes Männerschluchzen hinein. Es war der völlig verzweifelte Skrater, der sich über eine Gestalt werfen wollte, die am Boden lag. Jim riß ihn zurück – die anderen Umherstehenden rissen sich zusammen. „Was ist geschehen?“ fuhr Jim sie an. „Tod und Verderben über den Mörder“, heulte der Privatsekretär. „Mein Herr – mein Herr …“ „Mister Barrados ist vom Balkon gestürzt“, sagte einer bedrückt. Jim trat in den Kreis. George Barrados lag auf einem bepflasterten Weg – der rötliche Stein schluckte sein Blut. Er rührte sich nicht, und der rechte Arm, den er im Sturze schützend ausgestreckt hatte, lag gebrochen unter seinem Körper. George Barrados konnte sich auch gar nicht mehr rühren. Er war tot. Oben in seinem Zimmer brannte noch das Licht. Jim stand erschüttert vor diesem Mann und seinem grausigen Ende. Was für ein Mensch war das gewesen, der hier mit gespaltenem Schädel lag? Ein Skrupelloser – gewiß – ein Mann, der mit Menschenschicksalen gespielt hatte, wie mit Bällen – aber immerhin einer der großen Wirtschaftsführer. Und ein alter Mann. Was mochte er alles durchlitten haben bei diesem schauerlichen Sturz? Wer konnte ein so furchtbares Verbrechen begangen haben? Henry Delmonte? 53
Der Privatsekretär heulte seinen Fluch gegen den Mörder weiter in die Nacht. Ein Arzt kam, und irgendwann hörte die Musik auf zu spielen. * Wenige Minuten später jagte man Henry Delmonte. Er blieb verschwunden. Dr. Wellington und Inspektor Williams hetzten unbarmherzig alles auf ihn, was sie zu einer Großfahndung einsetzen konnten. Es lagen bereits Beweise gegen ihn vor, die erdrückend waren. Delmonte hatte sich – während sein Onkel telefonierte – in einem Nebenzimmer aufgehalten, das durch einen großen Balkon mit Barrados’ vorübergehendem Arbeitszimmer verbunden war. Das war schlimm. Aber entscheidend blieb die Tatsache, daß einer der Hotelangestellten Delmonte aus dem Mordzimmer hatte fliehen sehen. Irgendwo in den Schatten der Nacht mußte er sich verborgen halten. Aber das Leben ging weiter. Zwei Stunden nach dem Mord trat das Direktorium der A.I.C. zusammen. Mit großer Mehrheit sprach man sich für eine planmäßige Fortsetzung der Verhandlungen und Besichtigungen aus. Orion-City wurde verständigt und gab sein Einverständnis. Während noch die Schauer dieser schicksalsschweren Nacht über dem Land geisterten, wurden in Delmonte-Field die letzten Vorbereitungen zum Empfang Jim Parkers und seiner Begleiter getroffen.
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Und als die Sonne über der Wüste aufstieg und in ihrem jungen Licht die Sandkristalle aufglitzerten, daß es wie ein Leuchten vor ihr herlief, landete auf dem kleinen Flugfeld eine Reisemaschine. Jack Hudson reichte dem Kameraden von der anderen Seite die Hand. Ihre Gesichter waren ernst. „Wer weiß, was jetzt aus der A.I.C. wird, Jim?“ „Es tut mir leid um euch, Jack. Für ein solches Verbrechen gibt es keine Entschuldigung.“ Sie gingen zu den Jeeps hinüber, die an der Rollbahn standen. Als Jim dort. weiteren Herren vorgestellt wurde, entging ihm nicht, daß in den Augen einiger versteckte Feindschaft lauerte. „Glaubst du, daß Delmonte der Täter ist?“ fragte Hudson auf der Fahrt in den Ort. „Ich kenne den Jungen nicht weiter, aber er ist kein Mann, der so etwas fertigbringt. Auch nicht im Affekt. Ich glaube nicht, daß er es getan hat, Hudson.“ „Menschenskind“, stöhnte der Raumflieger verzweifelt auf. „Aber wer denn – wer?“ *
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Rose Astor sah nicht einmal auf, als Inspektor Williams sich verabschiedete. Bob Barring, der Engländer, brachte ihn zur Tür. Als er zurückkam, hatte sie den Kopf in die seitwärts aufgelegten Arme gewühlt. „Ich kann nicht mehr, Barring.“ Die Hände in den Taschen, den Kopf zwischen die breiten Schultern geduckt, begann er, vor ihr auf dem grünen Teppich auf und ab zu gehen. „Ich habe eben noch einmal mit Dr. Wellington telefoniert“, berichtete er. „Man hat ganz Sydney durchgekämmt – bisher ohne Erfolg.“ „Wenn er sich nur nichts angetan hat.“ Über das ernste Gesicht des Engländers glitt ein kaum wahrnehmbares Lächeln. Er nahm eine der Morgenzeitungen, die er mitgebracht hatte, aus der Tasche. Als er jedoch sah, daß sie leise vor sich hin weinte, trat er neben sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Henry ist in Sicherheit, Miß Astor.“ Wie ein Schlag war das. wie ein heißer, lockender Wind. Sie warf ihren schönen Kopf hoch, ihre nassen Augen waren groß und fragend. „Barring – was heißt das?“ „Ich weiß, wo er sich aufhält. Es geht ihm gut.“ Er beugte sich etwas zu ihr herab. „Sie müssen Vertrauen zu mir haben und dürfen nicht fragen.“ „Doch, Barring“, widersprach sie. ihm heftig. „Ich will wissen, wo er ist.“ „Sie dürfen es nicht wissen“, lächelte er ruhig. „Ihr Herz würde Sie drängen, Dinge zu tun, die …“ „Ich verspreche Ihnen. Barring, daß ich …“ „No, no.“ Er holte eine Zigarette hervor und hielt sie ihr hin. „Rauchen Sie, Rose, und versprechen Sie mir lieber nichts. Sie werden Henry gesund wiedersehen, das verspreche ich Ihnen.“ 56
Die Zigarette tat ihr gut, und nun erst erfaßte sie richtig die Bedeutung seiner Worte. Aber in ihrer Freude waren neue Zweifel. „Warum verbirgt er sich – ich weiß, daß er unschuldig ist.“ „Es ist besser für einen Mann, in der Freiheit zu kämpfen als in der Untersuchungshaft, wenn es um sein Recht geht“, erwiderte er ruhig. „Wir müssen alles daransetzen, die wahren Hintermänner zu finden.“ Sagte er alles, was er wußte? „Habt ihr denn schon einen bestimmten Verdacht?“ „Vielleicht.“ Er nahm die Morgenzeitung wieder zur Hand. „Hier wird die Vermutung ausgesprochen, daß einer der Verbindungsmänner der Mörder ein gewisser Newwater sei …“ „Aber das ist doch unmöglich“, rief sie aus. „Ich kenne ihn – er ist sogar ein entfernter Verwandter von mir.“ „Das wußte ich nicht.“ „Er ist ein Phantast – ein Schaumschläger, den niemand ernst nimmt und der in seinem Leben noch nichts als Dummheiten angestellt hat.“ „Sehen Sie“, lachte er, „solche Leute sind gefährlich. Hinter ihnen kann alles mögliche stecken.“ „Er ist gestern nach Delmonte-Field abgeflogen.“ „Ich weiß – wir werden uns dort umsehen müssen.“ Bob Barring verließ gleich darauf Rose Astor, um sich nach Delmonte-Field zu begeben, Er achtete nicht darauf, daß ihm in der Stadt aufmerksame Blicke folgten. Währenddessen landete in dem Wüstenort ein kleiner Hubschrauber. * „Uff!“ Mabel Newwater ließ den Steuerknüppel los und verscheuchte mit der Rechten eine Fliege, die sich leichtsinnig auf 57
dem Oberbefehlshabergesicht ihrer Mutter niederlassen wollte. Wahrscheinlich ahnte die Fliege nicht, daß die nette junge Dame im Fliegerdreß ihr das Leben rettete. Frau Newwater öffnete die Kabinentür und sah sich mißbilligend um. „Wüster Haufen“, urteilte sie stirnrunzelnd, „und das dort drüben scheint der Tummelplatz alkoholgeschwängerter Seelen zu sein. Sehen wir uns diese Kneipe einmal an.“ Aus dem „Goldenen Paradies“ dröhnte ein wüster Lärm über den Platz. Auch die energische, helle Stimme des Steuermanns war zu hören. Fritz Wernicke warf gerade ein leeres Glas in die Luft und fing es wieder auf. „Was ist ein leeres Glas, Kameraden?“ „Ein Nichts!“ johlte eine wogende Menge von roten Köpfen und breiten Schultern. Hinter der Theke schwitzte die Neuerwerbung des Wirts, der sehr vornehme Alfonso Sponzo. „Und von einem Nichts kann man nicht leben, Kameraden! Sponzo, du komisches Mondkalb der Wüste, du ausgedörrtes Weltraumgespenst, schenk ein. Her mit der größten Flasche!“ „Jawohl, Steuermann, ich geb auch einen aus“, rief der alte Raketenmonteur begeistert. „Auch hierher, Sponzo!“ Gläser klirrten und übertönten die Unruhe, die über dem Barackenhaufen lag. Es war etwas in der Luft – das witterten diese einsamen Männer –, etwas Unheimliches. „Hierher, Alfonso!“ Wernicke hielt dem langen Spanier das Glas hin. Sponzo verneigte sich, und mit der Feierlichkeit eines Aristokraten kippte er die Flasche. Glucksend lief das edle Feuerwasser in das Glas. Grinsend sah sich Wernicke die komische Figur an. „Sponzo – Sie sind ein Spinner!“ „Ein Spinner?“ Der Spanier hob mit Würde die Augenbrauen. „Ich kenne zwar den Ausdruck nicht, mein Herr, aber …“ „Sie haben hier herausposaunt, daß der junge Delmonte ei58
nen Funkspruch an die Raketenwerft gerichtet haben soll. Mit unbekanntem Aufgabeort.“ Schweigen trat ein. Sponzo kraulte sich den schwarzen, modischen Bart, der ihn zierte, und suchte sichtlich nach Worten. „Es ist gewiß nicht gelogen.“ „Was ist nicht gelogen, Alfonso? Daß Delmonte angedroht hat, er wolle euer neues Raumschiff in die Luft jagen, wenn man der S.A.T.-Delegation nicht genügend entgegenkomme?“ „Yes.“ Unruhe, Schreckensrufe, Murren wurden laut. Fritz Wernicke hob die Hand. „Eine Frage, Kameraden: Traut ihr unserem Kommodore zu, daß er einen solchen Schwindel mitmachen würde?“ Es waren einige da, die schwiegen – zwei oder drei andere wollten ihre Hetzparolen gegen das S.A.T. dazwischenwerfen – aber die meisten dieser durstigen Kerle stimmten ein dröhnendes Gelächter an. „Seht ihr“, strahlte Wernicke. „Ein Hundsfott, wer solchen Unsinn glaubt.“ „Aber der Funkspruch ist wirklich eingegangen, Mister Wernicke“, verteidigte sich Alfonso Sponzo. „Sie können auf der Funkstelle anfragen.“ „Dann steckt etwas anderes dahinter, zum Donnerwetter.“ Er reckte abermals sein Glas hin. „Schenk wieder ein, edler Sponzo, Ritter der …“ In diesem Augenblick ging auf der anderen Seite die Tür zum Vorraum auf. Zwei Frauen standen im Türrahmen. „Heilige Mondsichel“, ächzte Fritz entgeistert. „Willkommen, Mabel! Sehen Sie, Alfonso, sehen Sie doch – zwei schöne Damen …“ Gehorsam wandte der Spanier sich um, um gleich darauf die schöne große Flasche fallen zu lassen. Mit gewaltigen Schritten 59
stürmte eine zürnende Walküre auf ihn zu und packte ihn am Sporthemd. „Du Nichtsnutz – du Heuchler – du Säufer – du erbärmlicher Heuchler! Habe ich dich zum Geschäftsführer der „Ersten Amerikanischen Kampfliga gegen den Alkohol“ gemacht, damit du nun wieder die Menschheit mit diesen gottlosen Getränken verdirbst?“ Alfonso Sponzo alias James Newwater sah zum Weinen aus. Der Schweiß rann ihm von der erbleichten Stirn in den schwarzen Bart. Und dieser Bart wurde von einer Frauenhand, die alles andere als zart war, gnadenlos abgerissen. „So, du lächerlicher Abenteurer – nun stehst du da in deiner ganzen kläglichen Persönlichkeit. Halt!!“ Mit der Kraft des Verzweifelnden hatte er sich losgerissen und stürmte durch das tosende Gelächter der begeisterten Männer auf die schmale Treppe zu, die zum Boden führte. „James!“ Ein scharfes Signal wurde ihm nachgerufen, konnte ihn aber nicht zurückhalten. In der Tür sagte Mabel ganz leise: „Fritz.“ Aber es hörte sich ganz anders an. Und Fritz war schon bei ihr und wischte ihr die Tränen ab. * Zehn Minuten später läutete es im Hauptbüro Sturm. Jack Hudson nahm ab. „Ein gewisser Newwater, über den die Zeitungen bereits berichteten, wurde hier soeben festgenommen, Sir“, meldete der Chef der Werkpolizei. „Falls Sie dem Verhör beiwohnen wollen, bitte ich auf meine Dienststelle zu kommen.“ „Newwater?“ Hudson sah Jim Parker an, der interessiert näher trat. „Der sagenumwobene Geheimorganisator?“ „Derselbe, Sir – seine eigene Frau hat ihn gestellt.“ 60
„Ich komme rüber und bringe Mister Parker mit, wenn es Ihnen recht ist.“ „Selbstverständlich – gern, Sir.“ „So long.“ Hudson legte auf und wandte sich wieder dem Funkvordruck zu, der vor ihm auf dem Tisch lag und wie eine Bombe eingeschlagen hatte. Delmonte drohte mit der Vernichtung der „Australia III“. Hudson nahm das Formular hoch und knallte es erbost wieder hin. „Natürlich ist es Unsinn“, wetterte er los, „aber so etwas bringt Unruhe in die Werft. Der Funker hat natürlich nicht dichthalten können, und einige von den Männern benehmen sich, als hätten sie schon die Hosen voll.“ „Laß dich davon nicht anstecken“, lächelte Jim. „Eure Abwehrleute werden sich freuen, daß der Gegner zum erstenmal auf diesem Wege hervortritt.“ Hudson knurrte etwas und blickte noch einmal auf das Papier. „Ohne Aufgabeort – man weiß nur, daß der Spruch in Südafrika abgesetzt wurde. Wenn die Brüder sich wieder melden, wird man natürlich aufpassen. Ich möchte nur nicht, daß ihr dadurch Unannehmlichkeiten habt.“ „Wir – wieso?“ „Du bist wieder mal verflucht selbstsicher, Parker. Delmonte-Field hat immerhin 800 männliche Einwohner. Wenn die nun …“ Jim winkte lachend ab. „Großartig, Hudson – das stelle ich mir illustriert vor: 800 böse, erbitterte Männer stürzen sich auf uns. Ganz abgesehen davon, daß sie es niemals tun – wir würden auch damit fertig.“ „Immerhin – Vorsicht ist besser.“ Sie verließen das Bürogebäude. Jim Parker sah sich interessiert um – wie immer, wenn er durch den Ort ging. Was hier aus dem Wüstensand gestampft worden war, imponierte. Vor61
hin hatten sie die eigentliche Werft besucht. Hudson wies nach Süden, wo die Anlagen verschwommen am Horizont aufragten. Seine Stimme war irgendwie erwartungsvoll, als er sagte: „Hast du wirklich einen guten Eindruck von der ‚Australia III’ mitgenommen?“ Jim warf den Zigarettenrest auf den Boden. „Einen sehr guten, Jack. Mit solchen Kästen könnt ihr Ehre einlegen.“ Hudson hatte noch mehr auf dem Herzen. „Glaubst du, daß wir später einmal eure Außenstation benutzen können, wenn der Vertrag erst einmal geschlossen ist?“ „Für eure Venusflieger bestimmt.“ „Dank für die Information, Jim. Wir können unsere Produktion entsprechend ausrichten.“ „Diese grundsätzliche Zusicherung kann ich dir sogar verbindlich geben. Hast du dir einen Wagenpfleger zugelegt, Jack?“ „Einen Wagenpfleger?“ Hudson fuhr aus seiner Nachdenklichkeit auf. Sie überquerten gerade den Platz vor dem ‚Goldenen Paradies’, aus dem noch der ausgelassene Lärm der handfesten Zechrunde drang, und konnten von hier aus ein kleines, etwas abseits gelegenes Haus sehen, vor dem ein Jeep stand. „Das ist doch die Höhe. Halt, Kopra!“ Ein Mann hatte sich über den Jeep gebeugt und wirbelte herum. Das häßliche, schiefe Gesicht des Hetzers starrte ihnen entgegen. Es sah aus, als wollte er davonrennen. „Bleiben Sie mal stehen, mein Lieber – was haben Sie an meinem Wagen zu suchen?“ Kopra kaute mechanisch – sein Blick war verschlagen und schielte nach einem Ausweg. „Man kann sich doch mal einen Jeep besehen, Chef“, antwortete er gleichgültig. „Ich interessiere mich für die Motorenkunde.“ „Mein Wagen ist kein Studienobjekt. Gehen Sie mal etwas zur Seite.“ 62
„Laß, Jack – ich sehe schon nach.“ Während Hudson den Burschen nicht aus den Augen ließ, trat Jim an den Wagen und tastete sein Inneres ab. Der Karren war noch verstaubt von ihrer letzten Fahrt über die Wüste. Nichts? Doch – hier unter dem Führersitz. Die Augen Kopras machten seine Bewegungen mit. „Da ist nichts, Kommodore“, keuchte er. Jim holte bereits eine kleine rote Hülse unter dem Führersitz hervor und hielt sie hoch. Unwillkürlich sah Jack Hudson hin. Diesen Augenblick wollte Kopra benutzen, um Hudson einen Kinnhaken zu versetzen. Aber Jim hatte aufgepaßt. „Keine Bewegung, Mann – sonst fliegt Ihnen das Ding hier an den Kopf.“ Mit erstarrten Armen hielt Kopra in seinem Zuschlagen inne. Hudson hatte sich schon wieder gefaßt. „Verflucht noch mal“, murmelte er, „beinahe …“ „Keine Bewegung!“ „Wenn du mir das Ding an den Kopf wirfst, Kommodore, fliegt ihr mit mir in die Luft.“ „Ausgezeichnet“, lachte Jim. „Aber du scheinst am Leben zu hängen. Nimm die Arme herunter und sei friedlich.“ Kopra sah ein, daß nichts mehr zu machen war. Achselzuckend ergab er sich in sein Schicksal. Sie nahmen ihn in die Mitte, und Jim umfaßte sein Handgelenk. „Pech gehabt, Kopra. Hudson sollte hochgehen, wie?“ Mit zusammengebissenen Zähnen nickte der Hetzer. Jim überkam eine eisige Wut. „Ihr seid feine Helden! Was hat Barrados für solche Kunststücke gezahlt?“ „Verschieden.“ „Aha.“ Erleichtert blinzelte Jim seinem alten Kameraden zu. „Da hätten wir bereits den Urheber des ganzen Theaters.“ „Barrados?“ Hudson schnippte mit den Fingern. Er war sprachlos. 63
„Er mußte es sein!“ Sie gingen zur Polizeistation hinüber, von der bereits einige Uniformierte auf sie zukamen. Sie hatten den Vorfall beobachtet und waren entsprechend aufgeregt. „Ist Ihnen etwas geschehen,. Mister Hudson?“ „So weit kam es nicht“, lachte Jack, der seinen Humor wiederfand. „Was hätte auch meine Braut sagen sollen? Hier herein mit ihm, Boys.“ Kopra wurde in eine der drei Zellen gebracht. Vorsichtshalber ließ man einen Posten vor der Tür stehen und einen zweiten unter dem Fenster, beide mit entsicherter M. P. Man war nervös – die Luft knisterte vor Spannung – es würde noch mehr geschehen. „Wie weit seid ihr mit Newwater?“ Ein Polizeimann führte sie durch den kleinen Gang zum Büro des Polizeichefs. Eine weinerliche Stimme klang durch die Holztür. „Ich werde nichts verschweigen, meine Herren – nichts …“ „Ich würde es dir auch nicht geraten haben, James“, trompetete Frau Newwater dazwischen. Der Uniformierte ließ sie eintreten. Newwater war schon weich – er hatte aber offensichtlich mehr Angst vor seiner Frau, als vor dem verhörenden Polizeichef. „Guten Tag“, grüßte Jack Hudson. „Die Herrschaften sind ja gut bei Stimmung. Lassen Sie sich bitte nicht stören.“ „Was heißt hier stören?“ grollte die streitbare Frau. „Mein Mann soll nur endlich von seinen Dummheiten lassen. An dem ganzen Geschwätz, das er in die Presse gebracht hat, ist doch kein wahres Wort. James!“ James Newwater baute im Geiste Männchen vor seiner besseren Hälfte. Man konnte ihm ansehen, welchen Respekt er vor ihr hatte. Wie aus der Pistole geschossen antwortete er: „Gewiß, Elisabeth – du hast ganz recht.“ 64
Da stand sie auf, trat hinter seinen Stuhl und sagte mit einer Stimme, die nicht wiederzuerkennen war – leise und warm: „Denk doch an Mabel und mich.“ „Ich will ja auch alles sagen“, beteuerte er, „aber du bist heute viel aufgeregter als ich. Beim letztenmal …“ „Vor Monaten ging es nur darum, deine mißratene Versicherungsagentur wieder loszuwerden. Aber was du diesmal angestellt hast, ist viel schlimmer.“ „Ich sehe es ja ein, Liebste – aber bitte, bitte, laß mich zu Worte kommen.“ Hilfesuchend sah er die Männer an, als müßten sie ihn vor dem bösen anderen Geschlecht beschützen. Jim konnte ein belustigtes Grinsen nicht mehr unterdrücken – es war tragisch genug, was sich in diesen Tagen ereignete, aber Newwater war so etwas wie eine komische Einlage. „Wir sind ganz Ohr, Mister Newwater“, sagte er warm. „Sie sind da sicher recht unglücklich in ein großes Abenteuer gerutscht.“ „So kann man wohl sagen.“ Dankbar nahm er eine der berühmten „Maza Blend“, die der Kommodore ihm reichte. Der würzige Rauch ließ ihn ruhiger werden. „Das Ganze war ja nur ein Sonderauftrag.“ Es klopfte. Ärgerlich sah der Polizeichef auf. Hudson ging an die Tür und öffnete. Einer vom Hauptbüro winkte ihn beiseite. „Ein Anruf aus Sydney, Sir – Mister Barring wird in drei Stunden eintreffen.“ * Henry Delmonte ging in diesen Stunden tausendmal durch die Hölle. Die energische Faust seines englischen Ratgebers hatte ihn nach dem Mord in einen Wagen gestoßen, und irgendwann hatte er sich in diesem stillen Gartenhaus wiedergefunden. Er 65
hockte in einem kleinen Zimmer und brütete vor sich hin. Als jemand eintrat, sah er müde auf. „Kopf hoch, Delmonte.“ „Sie, Barring“, rief er erleichtert aus. „Das ist gut. Sagen Sie – habe ich es getan?“ Ganz von allein kam diese Frage – die furchtbare, niederdrückende. Was war geschehen, seit er seinem Onkel heimlich in das erste Stockwerk des Globus-Hotels gefolgt war? „Natürlich haben Sie es nicht getan“, lächelte der Engländer ruhig. „Aber es wird Zeit, daß wir uns an die Arbeit machen. Haben Sie Hunger?“ „Verschonen Sie mich mit Essen“, wehrte er ab. „Was können wir denn noch tun? Ich bin ein geschlagener Mann.“ „Ein Glück, daß nicht alle Menschen so rasch aufgeben.“ „Ich bin kein Kämpfer“, sagte Delmonte verlegen. „Meine ganze eingebildete Energie, als es gegen Barrados ging, war nur ein Strohfeuer. Heute, da es für mich um Kopf und Kragen geht, weiß ich nicht, was ich tun soll.“ „Sie haben mächtige Freunde.“ „Welche?“ „Zum Beispiel Kommodore Parker.“ „Er glaubt nicht an meine Schuld?“ „Er ist nicht der einzige, der nicht an sie glaubt.“ Er trat an den Bücherschrank und sah sich gedankenverloren die breiten Bücherrücken an. „Aber es wird Zeit – die anderen sind mit ihrer Arbeit schon weit vorangekommen“, sagte er leise. „Wie ist die Lage eigentlich, Barring?“ Bob Barring drehte sich um. Seine breiten Schultern warfen einen klobigen Schatten gegen den Bücherschrank. Was war mit diesem Mann – er wirkte noch schwerer und nachdenklicher als sonst. „Es ist etwas eingetreten, das uns zwingt, sofort zu handeln“, sagte er, ohne dem Jungen zu antworten. 66
Henry Delmonte spürte wieder sein Herz – dumpf und angstvoll klopfte es gegen die Brust. „Und was ist das?“ fragte er zögernd. „Hat etwa Rose …?“ „Ihre Gedanken weichen ab“, verwies ihn der Engländer ruhig. „Sie werden es später erfahren.“ Er nahm eine Flasche vom Tisch, die Delmonte bisher nicht angerührt hatte, und goß zwei Gläser voll. „Reißen Sie sich jetzt etwas zusammen, Delmonte, dann kann alles noch ein gutes Ende nehmen.“ Sein Gesicht war im Schatten. Der Junge erhob sich und leerte ein Glas. Ja – das tat gut – das gab wieder Lebensmut – das hätte er schon früher nehmen sollen. Der Engländer legte ihm die Hand auf die Schulter. „Sie sagten, Sie seien kein Kämpfer – gut, aber nun müssen Sie Ihren Mann stehen!“ „Ich werde alles tun!“ „Wir fliegen nach Delmonte-Field. Ich mit meinem Sportjäger – Sie mit einer Reisemaschine. Es ist notwendig, daß wir getrennt fliegen. Wagen Sie es?“ „Warum nicht?“ * „Barring kommt.“ Jack Hudson betrat wieder das Büro des Polizeichefs. Unwillkürlich hatte man solange mit dem Verhör ausgesetzt. Als Frau Newwater den Namen hörte, zuckte sie zusammen. „Wie heißt der Herr, den Sie eben erwähnten?“ fragte sie. „Barring“, antwortete Hudson höflich, aber verständnislos. „Sagt er Ihnen etwas, gnädige Frau?“ „Barring?“ wiederholte sie nachdenklich – der Name schien ihr wirklich etwas zu sagen, aber sie schüttelte den Kopf. „Ich hatte mich wohl verhört, Sir.“ 67
„Dann können wir also in unserer Unterhaltung fortfahren.“ Der Polizeichef räusperte sich. „Würden Sie, Mister Newwater, uns nun möglichst kurz und präzise sagen, welche Geheimnisse Sie vor uns verbergen?“ James Newwater wurde furchtbar verlegen. Er lachte hilflos wie ein Schuljunge, den man bei einem dummen Streich ertappt hat. „Meine Herren; es fällt mir schwer …“ „Wir sind allerhand gewohnt“, grinste der Polizeichef freundlich. „Uns kann so leicht nichts erschüttern.“ „Es handelte sich um einen Spezialauftrag. Nachdem ich meine Versicherungsagentur abgeben mußte, suchte ich einen neuen Job. Das Leben macht es manchem Menschen schwer, meine Herren. Da traf ich eines Tages durch einen – wie ich damals meinte – glücklichen Zufall einen Herrn, der von meinen Fähigkeiten gehört hatte. Er erzählte mir, daß er einen Mann suche, der imstande sei, einen ebenso interessanten wie gefahrvollen Auftrag durchzuführen. Um einen australischen Industriekonzern zu schädigen, müßte die Presse sensationelle Berichte über einen Mann bringen, der in Australien eine Geheimorganisation gegen das betreffende Unternehmen aufbaue. Diese „Geheimorganisation“ würde allerdings nur ein Windei sein und dem Zweck dienen, die Tätigkeit einer ausländischen Organisation zu decken.“ „Toll!“ Der Polizeichef wurde sichtlich ernster. „Gerissen – das muß man schon sagen. Sie hätten sich nicht darauf einlassen sollen.“ „Heute sehe ich es ein“, nickte Newwater kleinlaut. „Aber man bot mir immerhin 20 000 Dollar.“ . „Nicht schlecht!“ „Und weiter?“ drängte Hudson ungeduldig. Eine Handbewegung, die andeuten sollte, daß er nichts mehr wußte … „Ich löste meine Aufgabe, so gut ich es konnte, und 68
schnüffelte noch ein wenig hier im Ort herum – ein Mensch wie ich muß seine Nase in jeden Wind stecken.“ „Das habe ich gemerkt“, nickte der Polizeichef trocken. „Frau Newwater, Sie sehen so nachdenklich aus?“ Elisabeth Newwater hatte den Aussagen ihres Sorgenkindes kaum gelauscht – sie kannte diese Geschichten schon. Aber etwas anderes hatte sie auf dem Herzen. „Der Name Barring kommt mir doch bekannt vor“, grübelte sie. Die Männer wurden aufmerksam. Jim erhob sich – eine unerklärliche Unruhe überfiel ihn – so, als werde gleich eine wichtige Entscheidung fallen. Er ließ Frau Newwater nicht aus den Augen. Sie rieb sich mit der flachen Hand über die Stirn und hatte die Augen geschlossen. Plötzlich fuhr die Hand zurück und klatschte auf die Tischplatte. „Nun habe ich es!“ Die Stille war erwartungsvoll und stand in keinem Zusammenhang zu der Bedeutung, die man bisher dem Engländer Bob Barring zugemessen hatte. „Barring ist ebenfalls ein Neffe von Barrados.“ „Was??“ Der Polizeichef sprang auf. Hudson ebenfalls. Über das energische Gesicht Frau Newwaters glitt ein stolzes Lächeln. „Mein Gedächtnis, meine Herren! Und ich weiß noch mehr.“ „Erzählen Sie, bitte!“ Jim trat an den Schreibtisch und stand ihr gegenüber. Seine Gedanken jagten sich, daß ihm der Schädel brummte. War da wieder der rote Faden, den er suchte und bereits gefunden zu haben glaubte, der dann aber bei der Ermordung Barrados’ abgerissen war? „Barring ist der uneheliche Sohn einer Schwester von Barrados. Ich habe ihn in England kennengelernt, wo wir ihn auf einer Veranstaltung trafen. Es ging ihm sehr schlecht, er hatte 69
häßliche Geschichten mit Frauen, obwohl ein guter Kern in ihm zu stecken schien. Auch trank er viel, und das ist ja immer der Anfang vom Ende. Im Rausche prahlte er, die Australian Industrial Company an sich bringen zu wollen, da sein Onkel kinderlos und Mitinhaber des Riesenunternehmens sei. Man munkelte damals, er gehöre dem Geheimdienst einer asiatischen Macht an.“ Unauffällig verließ Jim das Polizeibüro. Es war 18 Uhr. In etwa zwei Stunden würde Barring hier eintreffen. Hatte er mit dieser Affäre etwas zu tun? * 18.27 Uhr. Henry Delmonte sah auf das Land, das in den tiefen Schatten der jähen Dämmerung unter ihnen dahingerissen wurde. Schon waren sie über der Großen Sandwüste. „Hallo, Frank – wo steht die Maschine von Mister Barring?“ „Fünf Meilen vor uns.“ In der engen Reisemaschine brannte die mattgeschaltete Deckenbeleuchtung. Barring hatte dem Jungen einen Flugzeugführer mitgegeben, und Delmonte war ihm darob nicht böse – er fühlte sich noch herzlich schwach. „Fünf Meilen?“ Er nahm ein. starkes Fernglas zur Hand und öffnete den Sichtschieber des Seitenfensters. „Dann mußte ich sie von hier ausmachen können.“ In dem Gesicht des Flugzeugführers zuckte es. „Die Sicht ist schlecht heute abend“, meinte er. „Es ist besser, Sie schließen wieder den Schieber.“ Delmonte lehnte sich hinaus. Der Flugwind tat ihm gut. Er löste die Schwere des Grübelns, das seit Stunden in seinem Gehirn wogte. Außerdem schwindelte der Boy da vorn – die Sicht 70
war nicht schlecht. Wohl war die Luft sehr unruhig, aber über ihm – unerreichbar fern und märchenhaft – zog das Kreuz des Südens mit seinem Gefolge auf. „Spurlos verschwunden, Frank.“ „Ich sagte Ihnen ja schon, Sie können ihn nicht ausmachen. Schließen Sie nun bitte den Schieber, Sir.“ Was der nur mit seinem albernen Sichtschieber hatte? „Warum denn, Frank – es ist wunderbar, den Kopf aus unserer Luftdroschke zu halten.“ Der Flugzeugführer knurrte etwas Unverständliches. Wirklich, es tat gut. Henry sah nach vorn in die surrenden Luftschrauben und schloß rasch die Augen. Aber was für merkwürdige Dinger waren da vorn an der Tragfläche angebracht – zwei röhrenartige Gebilde, die waagerecht mit der Maschine liefen? Waren das etwa Bordwaffen? Her mit dem Glas! Ein heißer Schreck durchfuhr den Jungen. Tatsächlich – es waren Bordkanonen recht achtbaren Kalibers, wie sie bei der Luftwaffe Verwendung fanden. Offensichtlich waren sie erst nachträglich an das für zivile Zwecke bestimmte Flugzeug montiert worden. „Frank!“ Aber der Flugzeugführer grinste böse und antwortete nicht. Nun hatte der Junge die Dinger gesehen. * Jim Parker war bis in die freie Wüste gegangen – er wollte allein sein und versuchen, den Faden weiterzuspinnen, den ein Zufall ihm hingeworfen hatte. Bob Barring? Er kannte diesen Menschen nicht – er hatte ihn ein- oder 71
zweimal gesehen und flüchtig und belanglos mit ihm gesprochen. Sein kaltes, energisches Gesicht hatte ihn für einen Augenblick gefesselt, aber es war nicht durchgeistigt genug, um daraus einen bleibenden Eindruck werden zu lassen. „Hallo, alte Mondrakete, du pilgerst hier einher wie ein Philosophieprofessor.“ Mochte der Himmel wissen, wie Fritz Wernicke und Mabel Newwater in diese verlassene Gegend kamen. „Wälzt du so schwere Probleme?“ Mabel war etwas verlegen, mußte aber doch lachen, als Jim ärgerlich die Stirn runzelte. „Abgerissen“, knurrte er. „Was – der berühmte rote Faden?“ „Wenn du es so nennen willst.“ Er begrüßte das junge Mädchen. „Ich denke darüber nach, an welchem Punkt ein Mann scheitern muß, der eine Doppelrolle – jedesmal außerhalb des Gesetzes – spielt.“ „Wen meinst du?“ „Das ist zunächst einmal nebensächlich. Nehmen wir an, dieser Mann hätte …“ „Um Himmels willen“, rief Mabel aus. „Was ist denn das?“ Vom Ort herüber fuhr das Jaulen der Alarmsirenen durch die Stille des Wüstenabends – grollte ab – schwoll wieder an – grollte wieder ab – in gleichmäßigen Intervallen … „Alarm!“ Jim hatte sich schon herumgeworfen und jagte über die Wüste auf das Lichtphantom des Ortes zu. Hinter ihm hetzten mit keuchendem Atem Wernicke und Mabel Newwater. „Jim“, schrie Wernicke, „sind die Brüder noch immer besoffen?“ Der Kommodore antwortete nicht. Mit dem federnden Schwung des trainierten Sportlers flog er dahin. Am Ortseingang knallten ihnen die Scheinwerfer eines Jeeps entgegen. „Parker – Wernicke!“ 72
Es war Hudson. Der Wagen rutschte vor ihnen mit kreischenden Bremsen und stand. „Hinein mit euch“, schrie eine aufgeregte Stimme. „Und der Teufel soll den holen, der hier mit uns seinen Spaß treibt.“ „Was ist los?“ Sie saßen bereits neben Hudson, der sofort schaltete und den Karren herumriß. Sein Gesicht wurde hart, und um seinen Mund lag Spott. In dem anhaltenden Jaulen der Alarmsirenen rasten sie zurück. „Wieder ein Funkspruch von Delmonte.“ „Und darum gebt ihr Alarm?“ fragte Jim verwundert. „Wie lautet denn der Spruch?“ „An alle Männer von Delmonte-Field. Verlaßt den Ort! Raumschiff ‚Australia III’ wird heute abend vernichtet. Delmonte“, betete Hudson den Text herunter. „Nett, wie?“ Aus dem Ort drang der unbestimmte Lärm des Aufruhrs herüber. Nun verstand Jim den Spott in Hudsons Gesicht. „Quatsch“, sagte er trocken. „Gibt es denn Leute bei euch, die das ernst nehmen?“ „Massenhaft! Die Burschen sind wild und benehmen sich wie alte Frauen bei einem Schadenfeuer. So ein weiches Volk! Dabei liegt es doch klar auf der Hand, daß dieser Funkspruch der blödeste Witz ist, der mir jemals an den Kopf geworfen wurde.“ „Natürlich.“ Jim schwieg und sah in den Lichtbalken der Scheinwerfer. Wernicke, der mit Mabel hinter ihnen saß, sah an der Haltung seines „großen Bruders“, was die Glocke geschlagen hatte. Plötzlich langte Jim nach vorn und zog die Bremse. Der Wagen schüttelte sich und stand. „Bist du verrückt geworden?“ schnappte Hudson nach Luft. „Was soll das?“ „Scheinwerfer abschalten!“ Schneidend war der Befehl. Automatisch tastete die Hand des anderen. Der Lichtbalken fiel in sich zusammen. 73
„Und nun weiter in diesem Abstand um den Ort herum, bis wir auf der Höhe der Montagehalle sind.“ „Von mir aus.“ Hudson kannte seinen berühmten Kameraden zur Genüge. Der Wagen ruckte wieder an, bog nach links ab und rollte in der Dunkelheit um den Ort. „Himmel, wie ist das aufregend“, seufzte Mabel. Fritz legte vorsorglich seinen Arm um sie. „Drücken Sie sich ruhig an mich“, gestattete er großzügig. „Dann haben Sie einen festen Halt in allen Lebenslagen.“ „Stopp, Hudson!“ „Von mir aus“, grinste Hudson abermals. Er bremste, Jim sprang heraus und winkte Fritz zu, im Wagen zu bleiben. „Übernehmt ihr den Abwehrkampf von Delmonte-Field“, rief er heiter. „Ich werde mich mal in der Halle umsehen. Wenn was passieren sollte, Fritz – ich habe meinen Taschensprecher bei mir.“ „Du hast Einfälle“, schüttelte der Steuermann den Kopf. „Es wäre wirklich besser, du würdest mich hier behalten.“ „Ein Kavalier läßt seine Dame nicht allein“, schmunzelte Jim. „Haut ab – aber bitte ohne Licht.“ Der Wagen schoß davon. Jim blieb in der Dunkelheit stehen. Etwa dreihundert Meter vor ihm – seitlich der Hügelkette, hinter deren Ausläufer er stand – wuchtete geisterhaft die gigantische Montagehalle hoch. Das riesige Schiebedach war zurückgezogen, und zwei Kräne ragten aus den Mauern hervor. Die Arbeit schien zu ruhen – wohl wegen des Alarms. Aber hinein würde trotzdem kein Unberufener kommen – es war nicht anzunehmen, daß die drinnen postierten Wächter auch nur eine Sekunde zu spät abdrücken würden. „Evening, Kommodore!“ Jim fuhr herum. Ein Uniformierter war lautlos hinter ihn getreten. Das Mützenschild und die helle Gürtelspange blitzten im Ungewissen Licht. „Hatte Sie bereits kommen sehen, Kommodore. Hier ist alles in Ordnung.“ 74
„Bei euch kommt keiner durch, der nichts in der Halle verloren hat?“ „Ausgeschlossen!“ „Die einzige Möglichkeit, an das Raumschiff heranzukommen, bestände in einem Luftüberfall“, stellte Jim fest. „Das wäre schon möglich, Kommodore.“ Jim schnippte mit den Fingern. Das wäre allerdings eine Möglichkeit. Gegen Überfälle aus der Luft hatte sich DelmonteField kaum gesichert. Während Jim mit dem Uniformierten einen Rundgang um die Halle machte, lastete über dem Ort das lähmende Schweigen der Erwartung. „Wenn Delmonte kommt, schlagt ihm den Schädel ein.“ „Er kommt nicht. Kein Mensch ist so verrückt, einen Überfall vorher anzumelden.“ „Er kommt – verlaßt euch drauf.“ * „Frank!“ Henry Delmonte stand gebeugt hinter dem Flugzeugführer. Sein Atem ging stoßweise – seine Hände waren weiß und zitterten – ein unheimliches Entsetzen hatte ihn gepackt. „Frank!“ „Was ist, Sir?“ „Die Maschine ist ja bewaffnet.“ „Gewiß, Sir.“ Also doch! Bordkanonen! Auf dem Fluge nach DelmonteField. „Was bedeutet das, Frank?“ „Wir müssen uns schützen, Sir – Sie werden von der Polizei gesucht.“ „Ich glaube Ihnen nicht.“ 75
Da drehte der Flugzeugführer sich um. Sie standen 40 Meilen vor Delmonte-Field. Sein Gesicht war Hohn. „Das ist auch nicht mehr nötig, Sir.“ * „19.58 Uhr. Flugzeug vom Typ ‚A.I.C.-Meteor-Vier’ 40 Meilen nordöstlich Delmonte-Field gesichtet. Kurs Süd. Höhe 600 Meter.“ Jim nahm diese Meldung über den Taschensprecher entgegen. Er stand mit dem Uniformierten vor der Montagehalle und horchte in das eintönige Gurgeln des Abendwindes, der aus der Wüste heranstrich. „Kommodore.“ „Was?“ Jim fuhr auf. Der Uniformierte legte die Hand an den Mund. „Was?“ drängte Jim. „Ein Flugzeug.“ „Aus welcher Richtung?“ Ein ganz feines, fernes, unwirkliches Motorengesumm klang auf. Deutlich war es nun zu vernehmen. Die Maschine schien zu kreisen. Es konnte aber nicht die gemeldete sein. * So also war es! Man trieb ein falsches Spiel mit ihm. Henry Delmonte antwortete nicht auf die letzte, höhnische Bemerkung des Flugzeugführers. Er trat einige Schritte zurück und bemühte sich, die Situation zu durchschauen. „Vorsicht, Sir – ich sehe Ihre Bewegungen genau.“ Der Flugzeugführer hatte jetzt einen Revolver in der Hand – 76
er hatte die Automatiksteuerung eingeschaltet und die eine Hand frei. Das bedeutete viel. Delmonte war unbewaffnet. In eine Falle war er also gegangen. Wieder schien sich alles gegen ihn verschworen zu haben – wieder rasten seine Gedanken – es war aber keine Angst, die ihn würgte, sondern ein großer Zorn, der die Fäuste zucken ließ. „Kommen Sie wieder nach vorn, Sir.“ „Und dann, mein Lieber?“ „Passen Sie auf.“ Ohne sich zu beeilen oder einschüchtern zu lassen, trat der Junge wieder hinter den Führersitz. Der Revolver schwenkte mit und blieb in Brusthöhe auf ihn gerichtet. „Gehen Sie jetzt an die Bordkanonen.“ Durch die große Scheibe des Führersitzes konnte man auf Delmonte-Field sehen, das sich nun heranschob. Der Ort lag ohne Licht da – wie eine Stadt während des Luftkrieges. Auf einem Platz draußen im Werftgelände ballten sich Gestalten zusammen. „Ich denke nicht daran“, sagte Delmonte kalt. „Gehen Sie an die Bordwaffen.“ „Wollen Sie auf die Kerle da unten schießen?“ Das würde er nicht tun – und wenn es sein Leben kosten sollte. * Wie ein kleiner bösartiger Teufel jagte die Maschine auf die Männer zu, die sich vor der Montagehalle ballten. „Da haben wir ihn!“ „Die Hölle soll ihn holen.“ „Vorsicht, Männer – geht in Deckung – die haben Kanonen an Bord.“ Irgend jemand rief es aus – es war der alte Raketenmonteur, und sein Gesicht war hart-verbissen. Delmonte, an den er geglaubt hatte, griff den Ort an. 77
Die Maschine raste tief über den Platz. Für Bruchteile einer Sekunde konnte man erkennen, daß im Führerstand zwei Gestalten miteinander rangen. „Da oben stimmt etwas nicht.“ „Sie bringen sich gegenseitig um.“ Über das offene Dach der Halle raste die „A.I.C.-MeteorVier“. Dahinter stand Jim Parker mit seinem Atombrenner und fluchte wie ein Hafenkuli. Entwischt! Irgendwo in der nahen Wüste verschwand der Schreck – das geifernde Motorengedröhn mischte sich mit dem Summen der unheimlichen Maschine weit über ihnen. Jim wandte sich um. Oben auf dem Raumschiff hatten sie plötzlich ein MG in Stellung gebracht. „Was soll das? Weg mit dem komischen Spielzeug da!“ „Wir müssen doch das Raumschiff verteidigen.“ „Aber nicht mit Scherzartikeln.“ Jim tastete am Auslöser des Atombrenners. „Vorsicht da oben – er kommt wieder!“ Wieder heulte der Spuk heran – diesmal würde er ihn herunterholen. Aber es geschah etwas anderes. Als die Maschine auf etwa dreihundert Meter heran war, rutschte sie plötzlich nach links ab. Unheimlich heulte sie auf. Noch einmal fing der Flugzeugführer seinen Kasten ab. Dann fiel sie wie ein Stein herunter und klatschte im Wüstensand auf. „Kommodore – zurück …!“ Jim hatte sich geduckt und stand sprungbereit. Da rasten Splitter hoch – pfiffen heran – oben auf dem Schiff brachten sie sich rutschend und schimpfend in Sicherheit. „Hilfe – helft uns doch …“ Es war der Flugzeugführer, der hilflos und mit gebrochenen Gliedern in seinem Sitz eingeklemmt war und den grinsenden 78
Tod mit glühenden Fingern auf sich zukommen sah. Neben ihm, wimmerte es. „Delmonte“, schluchzte der Hilflose, „nun hat es uns beide erwischt.“ Aber da warf sich einer in die Glut, den nichts mehr zurückhalten konnte. Jim Parker. Ohne zu überlegen, mit angehaltenem Atem schnitt er die kraftlosen Körper frei – draußen hasteten andere heran – halfen, packten zu – sahen in blutverschmierte Gesichter. Der grinsende Tod züngelte zurück. * Aber noch hielt er Henry Delmonte fest. Der Junge stemmte sich dagegen – sein Bewußtsein war ausgeschaltet, aber sein Körper wollte nicht sterben – Glut war da – die Hölle des Absturzes – das Gesicht Bob Barrings, der ihn verraten und verlassen, hatte – die Gestalt eines Mannes, der sich über ihn neigte und ihn losschnitt – und dann Rose Astor. Über seine Stirn hasteten kühle, schlanke Hände. Und sie blieben bei ihm, bis er eines Tages die Männer empfangen konnte, mit. denen er irgendwie verbunden war. „Ich freue mich, daß Sie über den Berg sind“, sagte Jim Parker warm. „Die Verhandlungen haben wir inzwischen erfolgreich fortgesetzt, und es bedarf nur noch Ihres grundsätzlichen Einverständnisses.“ „Das sollen Sie haben“, lächelte Delmonte noch schwach, aber heiter. Und freier als früher. „Gemeinsam wollen wir die Venus bezwingen. Wie weit ist die ‚Australia III’?“ „In drei Wochen fertig.“ „Wo ist Hudson?“ „Er wartet draußen und kommt anschließend herein.“ 79
Jim Parker unterhielt sich noch eine Welle mit Henry Delmonte und verabschiedete sich dann. Als er draußen war, holte er die neueste Ausgabe der „Sydney News“ hervor, die berichtete, daß man Bob Barring in Südafrika verhaftet hätte, und daß dieser den Mord an seinem Onkel George Barrados gestehen mußte. Als Motiv seiner Tat hatte er angegeben, daß sein Doppelspiel von seinem Onkel durchschaut worden war. – Ende –
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Utopia-Briefkasten Briefe und Karten – mit Anfragen, mit Worten der Anerkennung, teils bebildert und mit Versen. Wir sind überrascht und erfreut! Jede Zuschrift werden wir nach Möglichkeit (in der Reihenfolge des Eingangs) beantworten, auf jede Anfrage eine möglichst erschöpfende und sachliche Auskunft erteilen – nur, werden Sie bitte nicht ungeduldig, wenn Sie einige Wochen warten müssen. Unsere Postmappen schwellen an, und der Raum für den Briefkasten ist nur klein. Jürgen N. in Duisburg: Dank für die freundlichen Worte der Anerkennung. „Alf Tjörnsen“ ist das Pseudonym eines erfolgreichen Autors, der gleichzeitig ein anerkannter Fachmann für Raketentechnik und Weltraumflug ist. Seine Jim-ParkerRomane schreibt er, um den Lesern einen Einblick in die Welt von morgen zu vermitteln, in eine Welt, die hoffentlich schöner sein wird, vielleicht aber auch gefährlicher und bestimmt noch abenteuerlicher als unsere heutige. Zuschriften – und er freut sich über jeden persönlichen Brief – erreichen ihn über den Pabel-Verlag, Rastatt. Heinz W. in Dinkelsbühl: 1) Meteoriten bewegen sich nicht von den Sternen fort, sondern sind Trümmer von irgendwie zerstörten Himmelskörpern. Oder sie finden sich als lockere Anhäufung in Kometenköpfen. Fortbewegung erfolgt auf Grund der Bewegung, die sie seit dem Augenblick ihrer Entstehung „mitbringen“. 2) Ein Weltraumschiff wird mit Strahlrudern ausgerüstet sein. d. h. mit Steuerflossen, die im Strahl der Verbren81
nungsgase stehen, und die Steuerung einer Rakete auch im luftleeren Weltraum ermöglichen. Walter K. in Wulmerheide: 1) Noch nicht abzusehen – unser Jim Parker soll noch eine stattliche Anzahl von Abenteuern erleben. 2) Er beschränkt sich zunächst auf Reisen im Sonnensystem; wir bleiben damit auf dem Boden des in absehbarer Zeit Erreichbaren. 3) „Alf Tjörnsen“ siehe unter: Jürgen N, Duisburg. 4) Übersetzungen sind in dieser Reihe zunächst nicht vorgesehen. Noch einmal: Schreiben Sie uns bitte. Freundliche Grüße Ihre UTOPIA-Schriftleitung
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Lesen Sie im nächsten (14.) UTOPIA -Band: Mit dem rasend schnellen Anwachsen der Menschheit drohen der Erde ständig Gefahren durch Übervölkerung. Auf der Suche nach neuem Lebensraum beschließt das Staatliche AtomTerritorium der USA, auf dem Planeten Venus Land urbar zu machen. Kommodore Jim Parker geleitet den ersten Transport freiwilliger Siedler in zwei Raumschiffen zum Nachbarplaneten der Erde. Nach menschlichem Ermessen sind alle Vorkehrungen für ein Gelingen des kühnen Plans getroffen worden – aber das ganze Unternehmen gerät in höchste Gefahr, als nach der Landung auf der Venus Gold entdeckt wird. Sollten Sie die vorhergehenden UTOPIA-Bände 1 bis 12 bei Ihrem Zeitschriftenhändler nicht mehr erhalten, dann wenden Sie sich bitte direkt an den Verlag Erich Pabel, Rastatt (Baden). Senden Sie dabei den Geldbetrag (je Band 50 Pf) auf das Postscheckkonto Karlsruhe 224 46 ein. Aber hierbei nicht vergessen, die gewünschten Nummern auf der Rückseite des linken Zahlkartenabschnittes anzugeben. Auch können Sie den Geldbetrag in bar sofort Ihrer Bestellung beifügen.