Scan by Schlaflos G.F. UNGER
Westernroman
BASTEI-LUBBE-TASCHENBUCH Band 43 268 Erste Auflage: März 1993 © Copyright 1...
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Scan by Schlaflos G.F. UNGER
Westernroman
BASTEI-LUBBE-TASCHENBUCH Band 43 268 Erste Auflage: März 1993 © Copyright 1993 by Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach All rights reserved Titelillustration: Publispain, S. L. Umschlaggestaltung: Quadro Grafik, Bensberg Satz: Fotosatz Steckstor, Bensberg Druck und Verarbeitung: Brodard & Taupin, La Fleche, Frankreich Printed in France ISBN 3-404-43268-1 Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Über das, was damals im Sagebee Valley geschah, ist man heute noch geteilter Meinung, denn die vielen Legenden aus jener Zeit widersprechen sich in einigen Punkten. Es hing damals wohl viel davon ab, von welcher Seite man die Sache betrachtete. Nur in einer Beziehung sind sich alle Überlieferungen einig und widersprechen sich nicht, und zwar dann, wenn von Jim Overland die Rede ist. Denn als Jim Overland damals heimkehrte, war er ein neuer Big Jesse geworden. Er war ein Mann geworden, an dem sich ein verzweifelter Bruder aufrichten konnte. Und so wurde auch Cliff Overland endlich ein Mann. Weil das so war, fiel die Entscheidung in Gulch City. Denn dort bewährte sich Cliff. Ja, in jener toten Stadt Gulch City fiel bereits die Entscheidung. Denn weil auch Cliff Overland plötzlich kämpfen konnte, blieb Jim Overland am Leben. Und das änderte alle Dinge. Die ganze Geschichte begann im Herbst des Jahres 1878 in Arizona. Arizona war damals noch kein Staat, sondern ein wildes Territorium. G.F.UNGER 1 Am Bahnsteig der einst so wilden Treibherdenstadt hält Jim Overland an und blickt noch einmal zurück. Ein ernster und etwas bitterer Stolz erfüllt ihn. Ja, da liegt diese Stadt Rainbow in der Mittagssonne. Es ist jetzt eine gute Stadt. Von all den tausend Lastern, Sünden und Gewalttätigkeiten ist nichts mehr vorhanden. Rainbow ist eine friedliche und ordentliche Stadt geworden. Und wie wild und gewalttätig war sie! Aber er, Jim Overland, hat sie gezähmt und gebändigt. Dies erfüllt ihn mit einem ernsten und bitteren Stolz. Einige Männer haben sich um ihn versammelt. Der Vorsitzende des Stadtrates räuspert sich und sagt dann fast bittend: »Jim, Sie sollten nicht fortgehen. Gewiß, wir haben Sie damals als Revolvermarshai angeworben, und wir hielten Sie für eine Art Tiger, den wir auf all die vielen anderen Tiger losließen, die unsere Stadt zu einer Hölle machten. Aber Sie waren kein wilder Tiger, Jim Overland. Das wurde uns sehr bald klar. Sie waren von Anfang an ein sehr verantwortungsbewußter Mann, dessen Bestreben auf Schonung und Duldung gerichtet war, wo immer es ging. Und wir begriffen sehr bald, welche Überwindung es Sie kostete, immer wieder zur Waffe greifen zu müssen, um uns Schutz zu geben und diese wilde Stadt zu befrieden. Jim, wir haben Sie oft kämpfen gesehen. Und einmal krochen Sie blutend und fast schon tot durch den Staub. Sie kämpften fast ganz allein gegen die wilde Meute, die diese Stadt beherrschen und sie zu einem Sodom machen wollte. Und wir hatten uns in unseren Häusern verkrochen, waren feige 6 und furchtsam. Wir ließen Sie einen einsamen und bitteren Kampf kämpfen. Aaah, wir dachten, daß dies Ihre Pflicht wäre, weil wir Ihnen einen hohen Revolverlohn zahlten. Wir kannten Sie ja noch nicht so gut wie jetzt. Und dann haben Sie die ganze Stadt beschämt, Jim Overland. Ja, wir wissen jetzt, daß Sie aus Rechtlichkeit und innerer Überzeugung unsere Stadt bändigten. Wir wissen jetzt, daß Sie es nicht für den hohen Revolverlohn taten, sondern für die Kleinen, Schwachen und Friedfertigen, die Schutz und Hilfe nötig hatten. Wir wissen jetzt, daß es hier sehr viele bittere Stunden für Sie gab. Und gestern erfuhren wir, daß Sie der Mann sind, der für unsere Gemeinde die Kirchenglocke und die Turmuhr spendete. Das bedeutet, daß Sie keinen Cent Lohn angenommen haben, sondern dieser Stadt auch noch ein nobles Geschenk machten; dieser Stadt, die so feige war, in der Sie so einsam waren, und in der sie keine Freunde hatten. Sie haben den Lohn, den wir Ihnen zahlten, dazu verwandt, um uns ein Geschenk zu machen. Sie haben uns nun zum zweiten Male beschämt. Jim Overland, ich spreche im Namen aller Bürger von Rainbow! Bleiben Sie hier! Bleiben Sie unser Marshai! Denn diese Stadt ist schon seit einiger Zeit verdammt stolz auf Sie. Bleiben Sie auch in friedlichen Zeiten bei uns. Jim, diese Stadt
will Ihnen ein Haus bauen. Wir achten Sie, wir haben Sie gern. Wir möchten nicht, daß Sie uns verlassen. Bleiben Sie, Jim Overland!« Er verstummt beschwörend, und er ist erregt von seiner Rede. Alle anderen Männer des Stadtrates sind erregt. Das sieht man ihnen an. Nur Jim Overland wirkt ruhig und gelassen. Er ist ein sehr großer und etwas hager wirkender Mann, mit einem dunklen und hageren Gesicht. Seine braunen Augen haben einen stillen und ernsten Ausdruck. Über 7 seiner linken Schulter hängt sein Waffengurt. Die Patronenschlaufen sind leer. Und der alte Revolver im Halfter wirkt jetzt irgendwie nebensächlich und unscheinbar. Ja, er trägt heute diesen Waffengurt nicht umgeschnallt. Dies ist irgendwie symbolisch. Er trägt ihn wie ein mehr oder weniger lästiges Gepäckstück. Neben seinem rechten Fuß steht eine Reisetasche. Und indes der Vorsitzende des Stadtrates sprach, blickte Jim über die Männer hinweg auf die Stadt. Er konnte die Hauptstraße entlang bis zum anderen Ende sehen. Jetzt kommt sein Blick wie aus weiter Ferne zurück und richtet sich auf die Männer. Der Artflug eines Lächelns verändert seinen hartlippigen Mund und erzeugt in den Augenwinkeln einige Fältchen. Er schiebt den hellgrauen Stetson aus der Stirn, und nun kann man seine fast weiße Haarsträhne erkennen, die zu seinem sonst so dunklen Haar einen deutlichen Kontrast bildet. Er spricht dann mit ruhiger Stimme: »Ich gehe nicht gern, denn ich liebe diese Stadt. Yeah, zuerst war es anders. Zuerst verachtete ich sie. Aber je mehr Kummer sie mir machte, und je mehr ich auf mich nehmen mußte, um so lieber wurde sie mir. Und ich konnte sogar die Bürger dieser Stadt mehr und mehr verstehen.« Er verstummt für einige Sekunden und wischt sich über Stirn und Augen. Dann aber spricht er weiter: »Vielleicht sollte ich bleiben. Aber meine Heimat ist nicht hier. Ich habe als junger Bursche nicht viel getaugt, gar nichts! Manchmal rief mein Vater in seiner Verzweiflung den Himmel an und fragte, womit er sich einen so mißratenen Sohn verdient hatte. Und eines Tages hatte er genug von mir und jagte mich davon. Er sagte mir, daß ich nicht früher heimkommen solle, als 8 bis ich endlich einmal etwas vollbracht hätte, auf das auch er stolz sein könne. Dann vergingen viele Jahre. Nun, ich konnte nie etwas vollbringen, was auch meinen Vater stolz gemacht haben würde. Ich war all die vielen Jahre ein Satteltramp mit einem traurigen Revolverruhm, ein Spieler und ein Glücksjäger, bis ich in eure Stadt kam. Ja, ich war für euch ein gestreifter Tiger wie all die vielen anderen, die euch bedrängten und diese Stadt zu einer Hölle machten. Und mich lockte zuerst auch nur der hohe Revolverlohn, den ihr mir zahltet, damit ich euch die anderen Tiger vom Leibe hielte. Doch dann wurde in mir... Aaah, es vollzog sich in mir eine Wandlung. Und nun glaube ich, daß ich heimkehren und meinem Vater ins Auge sehen kann. Das will ich jetzt tun.« Nach diesen Worten beugt er sich nieder, nimmt die Tasche auf und wendet sich ab. Er geht mit langen und geschmeidigen Schritten zum wartenden Zug hinüber und verschwindet in dem einzigen Personenwagen. Dann fährt der Zug an und läßt die Treibherdenstadt Rainbow hinter sich zurück, eine Stadt, die wild und gewalttätig war, zügellos und ohne Sicherheit, eine Stadt, die den Tingeltangelbesitzern, Spielern, Revolverhelden, Banditen und üblen Geschäftemachern gehörte und in der es nun Ordnung, Sicherheit und Rechtlichkeit gibt. Es ist eine Stadt, für die Jim Overland sein Blut vergoß und für die er es auf sein Gewissen nahm, anderes Blut zu vergießen. Die Männer des Stadtrates blicken dem sich entfernenden Zuge nach. Dann sagt der Schmied: »Er kehrt heim! Das ist es also! Nun gut! Aber selbst wenn sein Vater ein großer Mann ist, der alle anderen Männer überragt wie ein Berg und der einen großen Schatten wirft, in dem jeder andere Mann leben muß, dieser Jim Overland wird bestimmt keinen einzigen Zoll kleiner sein als sein Vater. Das wird sein Vater herausfinden, wenn sie sich in die Augen sehen und darin ihre Größe messen. Und er wird glücklich sein, daß sein Sohn heimgekommen ist.« Die anderen Männer nicken zu diesen Worten. Dann wenden sie sich um und wollen zur Stadt zurück. Und da sehen sie Jane Baker kommen. Sie kommt schnell und mit schwingenden Röcken. Sie trägt ein grünes Kleid, zu dem ihr rotes Haar einen wundervollen Kontrast bildet. Sie ist groß, reif und begehrenswert. Und sie fragt mit ihrer dunklen Stimme zornig: »Warum habt ihr ihn fortgelassen? Zum Teufel, warum habt ihr den Mann fortgelassen, der selbstlos und aus einer starken inneren Verantwortung heraus alles auf sich genommen hat, wozu ihr alle zu feige wart? Warum habt ihr Jim Overland fortgelassen, der für diese Stadt einen so einsamen und bitteren Weg ging? Ihr müßtet ihm ein Denkmal errichten und dieser Stadt eigentlich seinen Namen geben. Ihr...« »Er wollte heim«, sagte der Schmied. »Und einen Mann, der heim will und der glaubt, seinem Vater endlich in die Augen sehen zu können, solch einen Mann kann und soll man nicht aufhalten.« Die Frau senkt den Kopf und denkt einige Sekunden lang nach. Die Männer beobachten sie, und sie erkennen jetzt deutlich, was diese Stadt bisher nur ahnte. Sie erkennen es an den beiden Tränen, die über Jane Bakers Wangen rollen. Sie wischt diese Tränen nicht einmal ab. Sie ist so stolz, daß sie ihren Schmerz offen zeigt. »Das ist es also«, sagt sie langsam. Dann blickt sie einen Mann an und sagt: »Mister Traft, Sie wollten damals, als ich Witwe wurde, meinen Saloon
kaufen. Sind Sie immer noch interessiert?« 10 »Mein Angebot gilt immer noch«, sagt einer der Männer. »Dann verkaufe ich Ihnen den Saloon und verlasse mit dem nächsten Zug diese Stadt«, erwidert sie ruhig und fest. Jim Overland fährt genau dreiundzwanzig Stunden mit dem Zug nach Westen und verläßt ihn in einer kleinen Mormonenstadt in Utah. Dann beginnt eine endlos lange Reise in Postkutschen, die fünf Tage und vier Nächte dauert. Bei Anbruch der fünften Nacht rollt die Postkutsche in eine kleine Stadt und hält vor einem verwitterten Hotel. Der Fahrer ruft vom hohen Bock nieder: »Hier endet die Linie! Hier ist Sagebee!« Ein schnaufender Handelsreisender, eine dicke Frau mit einer schielenden und sommersprossigen Tochter und Jim Overland steigen aus. Der Begleitfahrer wirft ihm die Reisetasche vom Dach der Kutsche herunter. Jim nimmt sie und entfernt sich einige Schritte, um aus dem Staub der nun zum Wagenhof fahrenden Kutsche zu kommen. Als die Staubwolke sich verzogen hat, blickt Jim sich um. Und es kommt ihm vor, als hätte sich in Sagebee nichts verändert, als wäre er nicht fast zehn Jahre von daheim fortgewesen. Nein, größer ist die Stadt bestimmt nicht geworden, nur älter und verwitterter. Aus den Adobebauten und Holzhäusern fallen Lichtbahnen. Es ist eine warme Nacht. Vor dem Sagebee Saloon stehen Sattelpferde. Der große Generalstore und einige andere Geschäfte sind noch erleuchtet und geöffnet. Aus dem Saloon klingen die Stimme einer Frau und 11 das Klimpern einer Gitarre. Da und dort bewegen sich Fußgänger auf den Plankengehsteigen. Einer dieser Fußgänger nähert sich Jim Overland und hält bei ihm an. »Bleiben Sie in dieser Stadt, Fremder?« fragt eine ruhige Stimme mit betonter Sanftheit. Jim Overland wendet den Kopf und blickt den Frager von der Seite her an. Oh, er kennt Tom Randell gut. Dieser Mann war schon vor zehn Jahren Marshai von Sagebee. Und einmal hat er Jim Overland schrecklich verprügelt und dann fünf Tage in eine Zelle gesperrt. Jim kann sich gut daran erinnern. »Tom«, sagt er, »ich bin kein Fremder. Wir sind alte Bekannte.« Der Marshai tritt sofort einen Schritt zur Seite. Jim wendet sich ihm zu, und er sieht, daß Tom Randell noch schwerer und massiger geworden ist. Auch seinen Colt trägt Tom Randell immer noch auf die alte Art: einfach im Hosenbund. Jim weiß, daß Randell diesen Colt aus seinem Hosenbund schneller ziehen kann als so mancher Revolverheld die Waffe aus einer geölten Halfter. Im Halbdunkel betrachten sie sich. Das dauert eine volle Minute. Dann sagt Tom Randell noch ruhiger und sanfter: »Jim Overland?« »Richtig!« Und dann schweigen sie wieder eine Weile. »Nun«, murmelt Tom Randell dann, »nun, ich erinnere mich, daß ich dich einmal verprügeln und einsperren mußte, Jim. Du warst übel betrunken und hast auf alle Fensterscheiben geschossen. Als ich deinen Colt haben wollte, machtest du Schwierigkeiten. Und als ich dich dann später aus dem Gefängnis entließ, da sagtest du, daß du mir die Prügel eines Tages heimzahlen würdest.« 12 »Ich war ein wilder und verrückter Junge«, erwidert Jim langsam. »Diese Prügel waren nötig. Ich weiß das jetzt. Ich hab dir damals eine Menge Schwierigkeiten und Ärger gemacht.« »Nicht nur mir«, brummt Tom Randell. Er steht immer noch regungslos da, breit, kantig und klotzig, und sehr hart und unversöhnlich wirkend, ein wortkarger, verschlossener und einsamer Mann, der schweigend durch die Stadt geht und dessen Kern tief in ihm verborgen ist, so daß nichts davon an die Oberfläche dringen kann. »Und warum bist du heimgekommen, Jim?« fragt er. »Hat jemand dich gerufen?« »Nein«, sagt Jim. »Ich wollte heim, nichts anderes.« Der Marshai nickt langsam und überlegt. Dann sagt er trocken: »Dann setz dich schnell auf ein Pferd und reite heim. Vielleicht kommst du dann noch rechtzeitig, um von einem lebenden Big Jesse Overland Abschied nehmen zu können. Dein Vater ist verdammt krank.« Als er es gesagt hat, steht er still da und beobachtet, wie Jim es aufnimmt. Jim bewegt sich nicht und verdaut die Worte. Nach einer Weile sagt er: »Deshalb zog es mich wohl heim. Das also war die starke Kraft, die mich auf die Heimatweide trieb.« Er wendet sich schnell ab und geht davon. Den Mietstall findet er sofort, denn es ist noch der alte Mietstall, in dem er früher vor zehn Jahren so oft ein rauh und wild gerittenes und schweißbedecktes Pferd einstellte. Nur der Stallmann ist ein anderer. Aber auch ihn kennt Jim. Denn es ist Link Howell, der früher einmal als Cowboy für die Overland Ranch geritten ist. Als Link Howell Jim erkennt, sagt er sofort: »Jim, mein Junge, du mußt dich wahrhaftig beeilen. Der Doc ist schon zwei Tage bei Big Jesse und kämpft mit dem
13 Tod um Big Jesses Leben. Ich gebe dir den grauen Wallach. Der hält zwanzig Meilen durch ohne Rast und kann selbst dein Gewicht tragen.« Mehr Worte spricht Link Howell nicht. Auch Jim sagt nichts mehr. Er reitet wenige Minuten später aus der Stadt. Nun glaubt er zu wissen, was ihn mit aller Kraft heimwärts gezogen hatte. Es war wohl eine starke Ahnung. 2 Auch der Weg zur Overland Ranch ist noch der gleiche wie vor zehn Jahren. Vielleicht ist er jetzt etwas ausgefahrener und staubiger. Aber es ist der alte Weg, den Jim Overland früher oft geritten ist. Er reitet schnell und erreicht nach etwa sieben Meilen die Zollbrücke am Fluß. Der Little Colorado hat sich eine tiefe Rinne in den Boden gefressen, und diese Rinne kann nur über diese Brücke überquert werden. Es ist die einzige Brücke weit und breit. Und sie gehört Broderick Webbs, der sie vor etwa fünfzehn Jahren von der Armee gekauft und zu einer Zollbrücke gemacht hat. Von diesem Brückenzoll lebt er und hält die Brücke in Ordnung. Als Jim vor der Schranke sein Pferd verhält, ruft aus dem Fenster der nahen Hütte eine Stimme: »Wenn Sie hinüber wollen, dann müssen Sie einen halben Dollar in die Büchse werfen. Und ich kann genau hören, ob es ein Halbdollarstück oder ein Hosenknopf ist!« Jim Overland erwidert nichts. Er reitet dicht an den Pfahl der Brückenschranke heran und wirft ein Geldstück in die Büchse. Dann geht die Schranke hoch. Jim 14 weiß noch, daß sie gut ausgewogen ist und von ihr ein Draht in die Hütte führt. Broderick Webbs kann diesen Draht vom Bett aus anziehen und somit die Schranke öffnen, ohne aufstehen zu müssen. Solche Erfindungen, die der Bequemlichkeit dienen, dachte Broderick Webbs sich schon damals gerne aus. Jim reitet unter der schräg gen Himmel zeigenden Schranke hindurch auf die Brücke. Als der Hufschlag seines Pferdes dumpf auf den Bohlen dröhnt, vernimmt Jim einen anderen Hufschlag. Er hält unwillkürlich an und lauscht. Nun kann er es besser hören. Es ist der Hufschlag einer starken und rauh und verwegen reitenden Mannschaft. Dieser Hufschlag eilt den Reitern weit voraus, und er ist irgendwie drohend, warnend. Er tönt wie das Geräusch einer Sache, der man besser aus dem Wege geht. Jim reitet langsam von der Brücke. Der Weg führt zu einer Bodenwelle hinauf und wird mehr und mehr zu einem tiefen Einschnitt. Er ist jedoch breit genug für schwere Wagen, und zur Not können drei Reiter nebeneinander auf ihm reiten und würden dennoch nicht mit den Knien gegen die Wände des Einschnittes stoßen. Als die verwegen reitende Mannschaft nun dicht vor Jim ist, lenkt dieser sein Pferd scharf nach rechts, hält jedoch nicht an. Ein scharfer Schrei ertönt vor ihm. »Platz da!« Und dann kommt das rauhe und verwegen reitende Rudel den Weg heruntergedonnert. Ein großer Mann auf einem riesenhaften gelben Pferd reitet an der Spitze. Im Mondschein kann Jim alles gut erkennen. Hinter diesem Anführer drängt sich das rauhe Rudel. Es sind mehr als ein Dutzend Reiter. Dann ist der Riese auf dem löwengelben Pferd dicht 15 vor Jim Overland. Wieder tönt die scharfe Stimme: »Platz da!« In Jim Overland ist plötzlich ein grimmiger Zorn auf diese rücksichtslos reitende Mannschaft. Er hält sein Tier nicht an, drängt es auch nicht noch mehr zur Seite, sondern treibt es unwillkürlich schärfer an, und behauptet so die rechte Seite des Weges. Er und der Vorreiter begegnen sich nun. Und da erkennt er auch diesen Mann. Es ist Terz Beasley. Es kann nicht anders sein. Jim Overland sieht zu spät, wie der Mann eine heftige Armbewegung macht. Er kann dem Schlag mit der Reitpeitsche nicht ausweichen. Er bekommt das Leder quer über das Gesicht, scharf und schmerzvoll. »Platz da!« brüllt die Stimme dazu. Dann ist Terz Beasley vorbei. Ihm folgt das rauhe Rudel. Und nun bekommt Jim Overland einige Lassoenden und Bullpeitschen zu spüren. Sie treffen ihn und sein Pferd. Einer der Reiter prallt von der Seite gegen sie, und weil er mehr Wucht durch die größere Schnelligkeit hat, werden Jim und sein Tier hart gegen die Wand des eingeschnittenen Weges gestoßen. »Yeah, Platz da, wenn wir reiten!« gellt eine Stimme scharf aus dem Rudel. Und dann ist die rauhe Horde vorbei. Der Hufschlag dröhnt auf der Brücke, und die Schranke öffnet sich sofort. Doch Jim achtet nicht darauf. Er ist von einem wilden Zorn erfüllt. Er möchte sein Pferd herumreißen, dem Rudel folgen und einen Kampf anfangen. Aber da sieht er noch einen Nachzügler über die Bodenwelle kommen. Vielleicht mußte dieser Nachzügler unterwegs anhalten und den Sattelgurt anziehen. Oder vielleicht war das Pferd sogar unterwegs über ein Hindernis gestürzt. 16 Jedenfalls handelt es sich ganz klar um einen Nachzügler, der nun das Rudel wieder einholen will. Auch dieser Mann brüllt scharf:
»Platz da!« Und dann will er an Jim Overland vorbei. Dessen jäher und wilder Zorn findet nun endlich eine Betätigung. Es ist ein Ausbruch wie eine Explosion. Denn als der Reiter an ihm vorbei will, schlägt er ihn mit einem wilden Hieb aus dem Sattel. Und dann bringt er sein tanzendes Pferd zur Ruhe, sitzt ab und befühlt schnaufend die blutige Strieme auf seinem Gesicht. Er spürt auch die Schmerzen all der anderen Schläge, doch die Strieme im Gesicht ist schlimmer. Sie brennt wie Feuer, und er wird dieses Zeichen gewiß viele Wochen im Gesicht tragen. Dann tritt er langsam auf den Mann zu, der noch leblos am Boden liegt. Er lauscht auf den verklingenden Hufschlag, und als der Mann am Boden sich zu regen beginnt und leise stöhnt, bückt er sich nieder, reißt ihn hoch und stößt ihn hart gegen die Wand des Wegeeinschnittes. Der Mann beginnt nun schmerzvoll zu fluchen. Es ist ein großer, hagerer und sehniger Bursche, aber er ist noch sehr benommen. Jim nimmt ihm den Revolver ab und wirft ihn fort. Dann wartet er. Und er braucht nicht lange zu warten. Der harte Bursche erholt sich schnell, wird still und braucht sich auch bald nicht mehr anzulehnen. Er betrachtet Jim Overland und sagt dann: »Aha, sie haben dich auf eine ziemlich rauhe Art aus dem Wege gestoßen. Und weil ich zu ihnen gehöre, willst du es mir zurückzahlen. Nun gut!« Nach diesen Worten greift er an, ein harter und unduldsamer und stolzer Bursche, der begriffen hat, was in Jim Overland ist, und der bereit ist, ihm stellvertretend für die Mannschaft Genugtuung zu geben. 17 So ist das! Denn dies hier ist eine rauhe Weide mit eigenen ungeschriebenen Gesetzen, die aber dennoch Gültigkeit haben. Jim Overland blockt zwei Schwinger ab. Dann trifft er mit dem ersten Aufwärtshaken, folgt dem Mann schlagend, trifft ihn mehrmals hart und mit aller Kraft, nagelt ihn an die Wand fest und läßt ihm keine Chance mehr. Es ist ein wilder und geradezu gnadenloser Ausbruch. Als Jim Overland damit fertig ist, tritt er schnaufend zurück. Er verspürt mit einem Mal ein bitteres Bedauern. Nun, da sein wilder Zorn verraucht ist und er das scharfe Brennen des Peitschenhiebes nicht mehr so spürt, und nun, da der Mann wieder am Boden liegt, bedauert er seinen Zorn und wird sich wieder einmal darüber klar, daß dieser Zorn eine seiner Schwächen ist. »Verdammt«, murmelt er keuchend und geht zu seinem Pferd. Langsam sitzt er auf und wartet im Sattel, bis der Mann sich wieder bewegt und auf Hände und Knie kommt. »Es war nicht persönlich«, sagt er zu ihm nieder. »Ich habe es dir gegeben, damit du es Terz Beasley zeigst. Denn du bist sein Mann. Und wenn er so stolz ist, wie es ausgesehen hat, dann wird er es so aufnehmen, als hätte er es von mir bekommen. Sag ihm, daß er nie wieder an der Spitze einer wilden Horde auf mich losreiten und mit der Peitsche nach mir schlagen soll. Sage ihm das!« Er will anreiten, doch da fragt der Mann heiser und krächzend: »Und wer bist du, Mister? He, wer bist du, der du so stolze Worte redest und keine Furcht haben willst?« »Jim Overland ist mein Name.« 18 Nach diesen Worten reitet Jim weiter, und der Zorn in ihm ist nun fast verraucht. Er denkt wieder an seinen Vater und auch an Cliff, seinen jüngeren Bruder. Und er fragt sich, was in diesem Land und auf dieser Weide geschehen sein mag. Denn zu Big Jesse Overlands Zeiten hätte es keine andere Mannschaft gewagt, so rauh, so wild und so unduldsam zu reiten. Big Jesse hatte immer für Ordnung und Frieden gesorgt. »Er muß wohl schon eine lange Zeit krank sein«, murmelt Jim Overland einmal bitter. »Und er war wohl nicht mehr groß und hart genug, um all die wilden und ehrgeizigen Burschen in ihren Schranken zu halten. Das wird es wohl sein. Burschen wie Terz Beasley haben Morgenluft gewittert und fühlen sich nun mit jedem Tag größer und mächtiger. Das wird es sein.« Es ist Mitternacht, als er die große Overland Ranch erreicht. Sie liegt geschützt in einem Hügelhalbkreis, und das große Ranchhaus ist erleuchtet. Unter dem Querbalken des Tores steht ein Mann, der eine Schrotflinte in den Händen hält. »Wer sind Sie, und was wollen Sie?« fragt dieser Mann scharf. »Ich will zu meinem Vater. Mein Name ist Jim Overland«, erwidert Jim ruhig. Der Wächter schweigt einige Sekunden. Dann murmelt er: »Also doch! Der Boß hat vor einer Stunde behauptet, daß sein ältester Sohn bald kommen würde. Er hat gesagt, daß wir ihn sofort zu ihm lassen sollen. Und wir haben gedacht, der Boß wäre nicht ganz bei Sinnen. Wie kann er nur gewußt haben, daß Sie unterwegs zu ihm sind, Jim?« Jim Overland gibt keine Antwort. Er reitet in den 19 weiten Hof hinein und auf das große Ranchhaus zu. Dabei denkt er an die starke Kraft, die ihn mit aller Macht heimwärts zog. Und nun weiß er fast sicher, daß diese starke Kraft von seinem Vater ausströmte, über Hunderte von Meilen hinweg bis zu jener Treibherdenstadt Rainbow in Kansas. Und er weiß noch mehr. Er gleicht seinem Vater sehr. So wie er jetzt äußerlich aussieht, so sah Big Jesse vor
dreißig Jahren ebenfalls aus. Aber sie gleichen sich jetzt gewiß nicht nur äußerlich. Denn jetzt, da Jim ein gereifter Mann geworden ist, hat er in sich immer wieder Eigenschaften entdeckt, die er damals auch an seinem Vater erkannte. Vielleicht ist es wirklich kein Wunder, daß sie zuletzt über Hunderte von Meilen hinweg irgendwie durch eine geheime Kraft oder eine bestimmte Strömung miteinander verbunden waren. Als Jim vor die Veranda des Ranchhauses reitet, erkennt er drei Menschen. Es sind zwei Männer und eine Frau. Im Lichtschein, der aus den Fenstern und der offenen Tür fällt, betrachten sie sich einander. Und Jim weiß, daß der eine der beiden Männer sein Bruder Cliff ist. Als Jim damals vor zehn Jahren fortging, war Cliff fünfzehn Jahre alt. Jetzt ist er fünfundzwanzig, und er wirkt sehr beachtlich und wie ein harter Mann. Jim erkennt ihn an den rotblonden Haaren und an seinem runden Gesicht mit der kleinen Nase. Ja, so sah Cliff schon als Junge aus. Nun ist er breit, bullig und klotzig geworden. Und das einst so runde Jungengesicht wirkt nun männlicher. Doch die blauen Augen wirken irgendwie unstet und ruhelos. Aber das kann täuschen, weil die Beleuchtung wirklich nicht gut ist. Auch Cliff Overland hat den Reiter betrachtet. Jetzt nickt er, hebt die Hand und sagt seltsam gepreßt und völlig ohne jede Freude: 20 »Du bist Jim, nicht wahr? Du bist mein großer Bruder Jim, den Vater damals zum Teufel jagte? Nun gut, steig ab und komm herein!« Jim bleibt noch einige Sekunden im Sattel. Für einen Moment wirkt er sehr müde. Man sieht das an der Art, wie seine Schultern sich nach vorn senken. Er hat in der letzten Woche kaum Schlaf bekommen, nur dann und wann eine Stunde sitzend in einer der Postkutschen. Doch er strafft sich wieder, sitzt ab und betritt sporenklirrend die Veranda. Er hält an, betrachtet Cliff aus nächster Nähe, und nun wird er sich darüber klar, daß der Blick seines Bruders sehr unruhig und unsicher ist. Cliff wendet den Kopf zur Seite und sagt: »Das ist meine Frau Jennifer. Und das ist Jeremy Hammer, unser Vormann.« Jim betrachtet die Frau. Jennifer ist mittelgroß, schlank und zierlich. Auf ihrem braunen Haar glänzt das Lampenlicht. Ihre Augen leuchten grünlich, sind bei Tageslicht aber sicherlich grau. Es sind zwei klare und feste Augen, aber sie sind auch sehr abschätzend und forschend. Sie hat ein sehr regelmäßiges Gesicht, einen vollen Mund und eine kleine Nase. Sie wirkt sehr klug, sehr eigenwillig und sehr erfreulich, denn an ihr ist alles vorhanden, was ein Mann gern an einer Frau sieht. »Willkommen, Jim!« sagt sie ruhig und reicht ihm die Hand. »Ich habe mich immer gefragt, wie Cliffs großer Bruder aussehen mag. Und jetzt sehe ich eine jüngere Ausgabe von Big Jesse.« Ihre Hand ist klein und geschmeidig, aber sie hat einen festen Druck. »War das ein Peitschenhieb?« fragt sie, als er ihre Hand losläßt und deutet auf sein Gesicht. »Terz Beasleys Peitsche war das«, murmelt er. Und er hört Cliffs schnellen Atemzug und dann die 21 Frage des bulligen Vormanns Jeremy Hammer: »Und lebt dieser Beasley noch?« Jim betrachtet den Vormann. Er sieht ihn zum ersten Mal. Und er sieht einen harten Mann, in dessen Augen eine starrsinnige Härte zu erkennen ist. Irgendwie steigt eine leise Ahnung in ihm auf, warum es auf dieser Ranch einen Vormann gibt. »Terz Beasley lebt noch«, sagt er ruhig. Da betrachtet ihn Jeremy Hammer schweigend von oben bis unten, wendet sich ab und geht davon. Er verschwindet am Ende der Veranda im Büro der Ranch. Ein kleiner Mann tritt aus dem Ranchhaus, hält an und betrachtet Jim. Auch diesen Mann kennt Jim, denn es handelt sich um Doktor Ben Crawford. Er wirkt älter, kleiner, hagerer und zerknitterter als damals. Auch trägt er immer noch den gleichen Sergeanzug und die alte Nickelbrille. Anders hat Jim ihn nicht in Erinnerung gehabt. »Hallo, Jim!« murmelt Ben Crawford. »Dein Vater hat eben zu mir gesagt, daß du da wärst. Du sollst zu ihm kommen.« »Oh, wie konnte Dad wissen, daß Jim gekommen ist?« ächzt Cliff heiser. »Das ist doch übernatürlich und unwahrscheinlich! Wie konnte Dad überhaupt wissen, daß Jim heimkommen würde? Erklären Sie mir das doch endlich, Doc!« Der kleine Arzt nimmt seine Brille ab und greift mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel. Er preßt diese stark und sagt dann ruhig: »Seit Wochen ruft Big Jesse nach seinem ältesten Sohn. Oh, er ruft nicht mit seiner Stimme. Er ruft ihn mit einer starken Kraft, die wie etwas Greifbares aus ihm herausströmt. Und es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir Menschen nicht verstehen 22 und die dennoch vorhanden sind. Jim, warum bist du heimgekommen?« »Ich mußte, etwas zwang mich dazu«, murmelt Jim. Dann geht er ins Haus hinein. Hinter ihm verharren die beiden Männer und die Frau eine Weile stumm und regungslos auf der Veranda. Dann atmet Cliff zitternd aus und stöhnt: »Das ist doch nicht möglich! Dad hat sich einfach gewünscht, daß Jim
heimkommt, und Jim hat es gespürt und konnte...« »Big Jesse hat wochenlang mit aller innerlichen Kraft an seinen ältesten Sohn gedacht und um Hilfe gerufen«, unterbricht ihn der Doc. »Er hat all seine Gedanken und seine Hoffnungen auf die Reise geschickt. Und sie kamen an.« »Ich hätte nie etwas gespürt, bei mir wäre nie etwas angekommen«, würgt Cliff hervor. »Nein, bei dir nicht«, sagt Ben Crawford trocken. »Bei dir nicht, denn du bist anders, ganz anders als Big Jesse und Jim. Doch das ist nicht deine Schuld.« »Vielleicht doch«, sagt Jennifer hart und wendet sich ab. »Jeder Mann ist sein eigener Hüter, und wenn er feige ist, dann ...« Sie spricht nicht weiter, aber sie wendet sich heftig ab und geht ins Haus. Cliff Overland atmet zitternd aus und setzt sich auf die Bank an der Hauswand. Der alte Arzt sagt sanft: »Du bist schon in Ordnung, Cliff. Dein Unglück war es nur, daß dein Vater dich gern so groß gesehen hätte, wie er selbst einmal war. Und dazu fehlte dir etwas. Doch das ist nicht deine Schuld. Keine Birke oder Pappel kann dafür, daß sie keine Eiche ist. Und kein Hund kann dafür, daß er niemals ein Löwe sein kann. Cliff, du solltest aufhören, dich zu schämen. Du ...« »Meine eigene Frau nennt mich einen Feigling«, 23 unterbricht ihn Cliff bitter. »Und ich bin ein Feigling! Ich habe versagt! Die Mannschaft verachtet mich! Mein Vater mußte sich einen Vormann nehmen. Und ...« 3 Jim Overland betritt langsam das Zimmer seines Vaters. Big Jesse Overland liegt nicht im Bett. Er sitzt bequem und halb liegend in einem Lehnstuhl. Seine Beine sind unter einer warmen Decke verborgen. Auf seinen Knien liegen seine großen Hände. Es sind braune, starke und sehnige Hände, mit Lassonarben auf den Handrücken und mit breiten Handgelenken. Es waren kraftvolle und schnelle Hände. Jetzt wirken sie kraftlos und müde, sehr bewegungslos. Zuerst sieht Jim diese Hände, denn sie befinden sich | noch im Lampenschein. Erst als er dicht vor Big Jesse steht, kann er dessen Gesicht betrachten. Es ist ein eingefallenes, bewegungsloses und sehr müdes Gesicht. Jetzt erst wird Jim sich darüber klar, wie ausgebrannt, krank und müde sein Vater ist. Sie blicken sich an. In den grauen Augen des Alten leuchtet es nun plötzlich auf. Dann bewegt er seine Lippen, und er sagt mühsam: »Du bist heimgekommen, Jim. Seit einigen Wochen wünsche ich mir das mit aller Kraft. Aber sag mir zuerst, wer dir eine Peitsche über das Gesicht gezogen hat.« Jim sagt es ihm, und er erstattet einen kurzen und genauen Bericht. Als er geendet hat, nickt Big Jesse unmerklich. »Gut so«, murmelt er. »Nun muß Terz Beasley vor dich hintreten und die Sache austragen. Und dann wird es sich 24 erweisen, ob du ein Stück größer bist als dein Bruder Cliff.« Er hebt den Kopf und betrachtet Jim lange. »Du bist größer«, sagt er dann. »Ich kann das sehen. Und ich habe schon vor vielen Wochen einen Mann nach Rainbow geschickt, der mir einen ausführlichen Bericht über dich schickte. Jim, es hat viele Jahre gedauert, aber nun hast du wirklich etwas vollbringen können, was mich stolz auf dich macht. Es ist so gekommen, wie ich es insgeheim erhoffte, als ich dich damals fortjagte. Du bist ein Mann nach meinem Herzen geworden. Du hast dich bewährt. Yeah, du hast das Recht, heimzukommen. Und ich brauche dich! Ich brauche dich für diese Ranch, für deinen Bruder und zum Wohl dieses Landes. Denn du mußt jetzt an meine Stelle treten, Jim. Ich kann nicht mehr. Ich scheide aus.« »Was ist mit dir, Vater?« »Der Herzanfall hat mich gelähmt, und ich bin alt und ausgebrannt. Meine Feinde haben auf diesen Tag gewartet. Nun sind sie dabei, die Overland Ranch zu zerbrechen. Doch es geht nicht nur darum, daß die Overland Ranch zerbrochen wird. Jim, du weißt, was die Overland Ranch für das ganze Land bedeutet hat. Du weißt, daß ich meine Macht und Größe nie mißbraucht habe. Gewiß, ich warf einen mächtigen Schatten, aber in diesem Schatten lebten alle die Kleinen, Schwachen und Minderen in Sicherheit und Frieden. Sie alle lebten in meinem Schutz. Und nun kann ich sie nicht mehr schützen. Das mußt du jetzt tun, Jim! Denn es ist die Pflicht des Großen und Starken, daß er die Kleinen und Schwachen schützt. Das ist vom Schöpfer so gewollt, denn warum sonst gibt es Große und Starke? Ich bin froh, daß du hier bist, Jim. Denn nun kann ich ruhig abwarten und habe keine Sorgen mehr. Du bist jetzt der Boß der Overland.« 25 Jim steht eine Weile bewegungslos da. »Und was erwartest du, Vater? Was soll ich tun?« »Ich habe keine Befehle für dich, Junge. Und was du auch tun wirst, es wird für mich richtig sein. Ich weiß, was du in Rainbow getan hast und wie du dort deinen Weg gegangen bist. Du wirst auch hier alles richtig machen. Ich habe keine Sorgen mehr in dieser Beziehung. Und vielleicht kannst du aus deinem Bruder sogar einen richtigen Mann machen. Mir ist das nicht gelungen. Jetzt möchte ich schlafen. Ich bin verdammt müde geworden nach dieser langen Warterei, sehr, sehr müde! Ich will schlafen — lange! Bitte, lege mich in dieses Bett dort.«
Jim gehorcht sofort. Als er den Vater auf die Arme nimmt, wundert er sich über das leichte Gewicht. Und doch weiß er, daß sein Vater früher mehr als zweihundert Pfund wog und dennoch kein Gramm überflüssiges Fleisch am Körper hatte. Jetzt ist Big Jesse sehr leicht. Jim bettet ihn vorsichtig. Und Big Jesse schläft sofort ein. Hinter Jim ist ein Geräusch. Als er sich umwendet, sieht er den alten Doc. »Vielleicht bessert sich jetzt sein Zustand noch einmal«, sagt der Doc. »Das wäre gar kein großes Wunder.« Jim erwidert nichts. Er geht langsam hinaus. Draußen auf der Veranda sitzt Cliff auf der Bank an der Hauswand. Jim bleibt bei Cliff stehen, blickt auf ihn nieder und dreht sich dabei eine Zigarette. Als er das Zündholz vor sein Gesicht hält und die Zigarette anzündet, sagt Cliff bitter: »Jetzt ist mein großer Bruder da und hat das Kommando übernommen, nicht wahr?« Jim geht auf diese bittere Feststellung nicht ein. Er setzt sich neben Cliff und schweigt eine Weile. Er betrachtet die Gebäude der Ranch, all die vielen Schup26 pen, Werkstätten, Ställe, Magazine und das lange Schlafhaus der Mannschaft, an das sich der Speiseraum und das Küchenhaus anschließen. Am Ende der Veranda tritt Jeremy Hammer aus dem Büro, steht einen Moment still an der Verandatreppe, wendet seinen massigen Kopf und blickt zu den beiden Overland-Brüdern hinüber. Plötzlich setzt er sich in Bewegung und kommt herbei. »Mister«, beginnt er hart, »wenn Terz Beasley Sie mit der Reitpeitsche verprügelt hat, dann können Sie hier nicht herumsitzen und warten, bis er auch Ihnen die Hosen auszieht und Sie mit nacktem Hintern durch die Gegend laufen müssen. Ich kann die Mannschaft binnen zwei Minuten in die Sättel bringen. Und dann ...« »Wenn ich Befehle für Sie habe, Hammer, dann werden Sie diese Befehle zu hören bekommen. Und wenn Sie es beruhigt, so verspreche ich Ihnen, daß mir Terz Beasley nie die Hosen ausziehen wird, so daß ich halbnackt durch die Gegend laufen muß.« »Vielleicht nicht, vielleicht doch«, brummt der riesige Vormann. »Ein Overland hat das alles schon hingenommen. Und wenn ich nicht wäre, dann hätte diese Ranch keine Mannschaft mehr. Denn diese Mannschaft ist stolz, und sie schämt sich jeden Tag mehr. Machen Sie nur alles richtig, Jim Overland.« Nach diesen Worten geht er langsam die Treppe hinunter, quer über den Hof und verschwindet in einem Anbau des langen Schlafhauses. Jim Overland aber wendet sich an seinen Bruder: »Jetzt erzähl mir alles, Bruder«, murmelt er. Cliff lacht leise und bitter. »Das kann ich tun«, murmelt er danach. »Warum nicht? Das ganze Land weiß Bescheid. Es ist schnell erzählt. Aber ich will von vorn anfangen, damit du richtig verstehen kannst, daß auch 27 du eine gewisse Schuld trägst. Paß auf, ich will dir das alles richtig klarmachen.« »Nur zu«, murmelt Jim. Er muß noch eine Minute warten, dann hat Cliff sich alles richtig zurechtgelegt und beginnt: »Ich war immer nur ein durchschnittlicher Junge, in der Schule, in allen Dingen, und auch beim Spiel unter gleichaltrigen Gefährten. Ich war immer nur Durchschnitt, und ich war ganz glücklich dabei. Auch unser großer Vater Big Jesse fand schnell heraus, daß in mir verdammt wenig von seiner Art steckte. Spätestens an jenem Tag, an dem er mich zum ersten Male auf ein Pferd setzte und ich vor Angst zu weinen begann, weil ich mich auf diesem großen Tier fürchtete, fand er das heraus, denn du, Jim, du konntest reiten und dich auf diesen Biestern halten, bevor du deinen Namen schreiben konntest. Nun gut, mir fehlte viel. Ich war nur ein durchschnittlicher Junge, und vielleicht noch nicht einmal das. Für mich wäre es gut gewesen, wenn mein Vater einen kleinen Laden besessen hätte, einen Store oder einen Barbierladen. Aber es war ja am Anfang nicht einmal schlimm. Big Jesse hatte ja noch einen anderen Sohn. Dich hatte er, meinen großen Bruder, dich! Und in dir glaubte er alles zu finden, was er sich erhoffte. Du warst mutig, verwegen, zäh und hart. Du hattest vor keiner Sache Furcht. Du warst mit fünfzehn Jahren ein vollwertiger Cowboy, und du konntest auf hundert Schritt erkennen, von welcher Art Fliegen ein Rind gequält wurde. Du konntest eine Lassoschlinge über ein Rind bringen, ohne vorher dein Pferd zuschanden zu reiten. Du konntest ein Brandeisen handhaben und dich sehr bald unter den härtesten und rauhesten Burschen behaupten. Du warst damals für ihn alles, was er sich von einem Sohn erhoffte, der einmal sein Nachfolger werden sollte. Und deshalb ließ er 28 mich zufrieden. Ich war dein kleiner Bruder, von dem nichts verlangt wurde und der einem Tages in deinem Schatten leben würde. Ich war damals glücklich und zufrieden. Und vielleicht wäre mein Herzenswunsch in Erfüllung gegangen. Vielleicht hätte ich studieren und Arzt werden können. Aber was kam dann? He, was kam dann?« Er verstummt schwer und bitter und atmet gepreßt. Jim sagt nichts. Er sitzt nur da und läßt Cliffs Worte in sich wirken. Cliff erwartet auch wohl keine Antwort von ihm. Denn nach einigen tiefen Atemzügen spricht er weiter: »Du wurdest immer wilder und verwegener, und leichtsinniger«, sagt er. »Du wurdest groß und stark. Kein Mann dieser Mannschaft, auch der verwegenste, härteste und erfahrenste, konnte es dir gleichtun. Du konntest
sie in allen Dingen überbieten und jede Sache besser und schneller ausführen. Auch mit dem Revolver wurdest du Sonderklasse. Du wurdest mehr und mehr der junge Tiger im Land, dem keiner gewachsen war. Auch das wäre nach Big Jesses Herzen gewesen, wenn er dich nur unter Kontrolle hätte halten können. Doch das konnte er nicht. Du brachst ihm immer wieder aus. Du kümmertest dich immer weniger um seine Befehle. Du machtest immer mehr, was du wolltest. Und bald ließest du dir von ihm nichts mehr sagen. Dein ganzer Spaß und Lebensinhalt waren wilde Ritte, ein freies Leben unter freiem Himmel. Jagden, Händel mit anderen wilden Burschen, scharfe Pokerspiele, Mädchen und alle wilden Vergnügungen, die es gab. Ich kann mich erinnern, daß du während eines Round-ups das Herdencamp verließest und in Sagebee drei Tage und drei Nächte mit Simson Brackett und Vic Hammond Poker spieltest. Und zwischendurch trankst du Whisky wie Wasser, hattest Spaß mit den Mädchen 29 und ließest im Hof des Saloons einen Ochsen am Spieß braten. Dann machtest du ein Wettrennen rund um die Stadt, konntest gegen Simson Bracketts schwarzen Hengst gewinnen und setztest endlich das Pokerspiel wieder fort. Und wenn es dir einfiel, bliebst du zwei oder drei Wochen fort. Yeah, du wurdest immer mehr ein wilder und zügelloser Bursche. Vielleicht dachte unser Vater, du würdest dich eines Tages ausgetobt haben. Doch du wurdest immer schlimmer.« »Und dann jagte er mich eines Tages davon«, sagt Jim ruhig. »Er hatte die Hoffnung verloren, daß ich vernünftig werden würde. Und ich sagte ihm, daß ich, wenn er mich auch nur einmal schlüge, fortreiten und nie wieder heimkommen würde. Yeah, da schickte er mich fort und rief mir nach, daß es mit mir ein schlimmes Ende nehmen werde und ich nur heimkommen dürfe, wenn ich vernünftig geworden wäre und endlich mal was vollbracht hätte, auf das er stolz sein könne. So ähnlich war es damals.« Sie schweigen nun beide eine Weile. Dann aber beginnt Cliff wieder zu reden, und sehr viel bitterer als zuvor. »Du warst fort, und du warst der verlorene Sohn. Unser Vater rechnete nicht mehr auf dich. Und damit begann für mich die Hölle. Denn Big Jesse hatte nur noch mich. Er hatte mich wohl nie wie ein Vater geliebt, vielleicht deshalb, weil unsere Mutter bei meiner Geburt gestorben ist. Von jenem Tage an, da du fortgeritten warst, begann für mich die Hölle. Denn nun setzte er alles daran, mich zu seinem Nachfolger zu erziehen. Er zielte darauf ab, daß ich ein zweiter Big Jesse würde. Und dazu fehlte mir wahrhaftig viel. Denn ich war ja nur ein durchschnittlicher Junge, ohne jene Eigenschaften, die in ihm und in dir vorhanden sind. Ich war nicht so hart und zäh, nicht so schnell und ver30 wegen — und sicherlich auch nicht so furchtlos. Selbst als ich dann zwanzig war, war ich nichts anderes als ein mittelmäßiger Bursche, der von den gleichaltrigen Reitern unserer Mannschaft in vielen Dingen übertroffen wurde. Vater wollte mich gern als seinen Vormann einsetzen, aber ich hatte nicht das Zeug dazu. Ich war nicht imstande, unsere rauhbeinige und hartgesottene Mannschaft zu führen. Ich war nie mehr als nur Durchschnitt. Und noch immer nicht hatte Vater die Hoffnung aufgegeben, aus mir einen Mann von seiner Art zu machen. Er stellte mir immer wieder schwere Aufgaben, und ich versagte immer wieder. Oh, ich könnte dir aufzählen...« Er verstummt bitter, holt tief Luft und fährt fort: »Wir hatten einen wilden Hengst, den keiner reiten konnte. Aber Vater zwang mich immer wieder dazu. Er jagte mich immer wieder auf dieses wilde Biest, bis es mich fast zerbrochen hatte und ich einige Wochen krank im Bett zubringen mußte. Er schickte mich mit einer Rinderherde auf den Trail. Bis zum Reservat, wo die Herde abgeliefert werden mußte, waren es nur hundert Meilen. Doch ich verlor unterwegs die Herde. Und für die Mannschaft war ich eine Null. Die Männer gehorchten mir nur deshalb widerwillig, weil ich Big Jesses Sohn war. Sie verachteten mich und lachten mich oft aus. Vielleicht hätte ich innerhalb dieser Mannschaft einen Platz finden können, wenn ich nur ein einfacher Cowboy gewesen wäre, von dem keiner mehr verlangte, als er geben konnte. Aber ich war Big Jesses Sohn! Und von diesem Gesichtspunkt aus war ich eine Niete. Verstehst du das, Bruder? Dazu kam, daß ich immer mehr an mir selbst verzweifelte. Ich hatte immer mehr Furcht davor, etwas falsch zu machen. Ich fürchtete mich vor einem neuen Versagen. Und diese Furcht wurde immer größer in mir. Vater schickte mich eines 31 Tages los, als einige Apachen, die aus dem Reservat ausgebrochen waren, raubend und mordend durch das Land streiften. Sie hatten einige Siedler überfallen und getötet. Vater gab mir drei Reiter mit. Und wir sollten I diese roten Banditen erledigen. Wir stellten sie auch | eine Tages. Aber als sie einen meiner Reiter getötet hatten, verspürte ich wieder jene große Furcht vor einem Versagen. Ich fürchtete mich davor, daß auch meine beiden anderen Begleiter und vielleicht sogar ich selbst getötet werden könnten. Ich ließ die Apachen entkommen, gab auf und ritt zurück. Und von diesem Tage an verachteten sie mich alle. Mein Vater stellte endlich einen Vormann ein, diesen Jeremy Hammer. Und er ritt ganz allein hinter diesen fünf Apachen her, stellte sie allein, tötete drei von ihnen und schleppte die beiden anderen zum Reservat zurück, wo sie der Regierungsbeauftragte aufhängen ließ. Nun, dann kam Jeremy Hammer auf die Ranch, ein harter und eiserner Bursche, der von Anfang an Big Jesses Befehle zuverlässig und haargenau ausführte und die rauhe Mannschaft unter Kontrolle halten konnte. Aber Jeremy Hammer ist nicht Big Jesses Sohn. Das ist der ganze Kummer.« Wieder macht Cliff eine Pause und atmet schwer. Als er dann erneut zu sprechen beginnt, weiß Jim, daß er | nun zum Ende kommt. »Big Jesse wollte nun einen Enkel. Und er suchte mir eine Frau aus. Von einer Reise brachte er Jennifer mit.
Einige Wochen später wurde sie meine Frau. Doch ich war auch hier wieder ein Versager. Ich konnte Big Jesse nicht einmal zu einem Enkelsohn verhelfen. Nach drei Jahren glaubte er nicht mehr daran, daß dies vielleicht eines Tages doch noch geschehen könnte. Und da begann er zu altern. Er wurde immer mehr zu einem alten und ausgebrannten Mann. Sein Herz machte bald auch nicht mehr mit. Er bekam einige Anfälle, und 32 jedesmal verfiel er mehr und wurde hilfloser. Bald war er nur noch auf Jeremy Hammer angewiesen. Oh, dieser Vormann ist ihm treu. Hammer liebt diese Ranch und tut alles für sie. Aber es war nicht richtig. Big Jesse konnte sich ausrechnen, was nach seinem Tode geschehen würde. Eine große Ranch hat immer Feinde. Und so hatten auch wir Feinde. Big Jesse hat in seiner Zeit einige große Burschen zurechtgestutzt und auf die Knie gezwungen. Da ist Simon Brackett, der große Pläne hat und die Stadt Sagebee gerne auf eine andere Art leiten würde. Da ist auch Terz Beasley, dessen Vater Big Jesse auf die Knie zwang. Dieser Terz Beasley ist ein stolzer und unduldsamer Bursche geworden, und er hat nun die Idee im Schädel, daß er in diesem Land Big Jesses Nachfolger sein wird. Es gab in letzter Zeit immer wieder auf der Weide Zusammenstöße mit Terz Beasley und dessen Mannschaft. Und eines Tages stieß ich in Sagebee mit Terz Beasley zusammen. Es war ein unwichtiger Anlaß. Aber ganz Sagebee sah zu, wie Beasley mich verprügelte. Und zuletzt zog er mir die Hosen aus. Nur im Hemd lief ich aus der Stadt, und alle Leute lachten. Vater bekam wieder einen Herzanfall und ist seit diesem Tag gelähmt. Meine Frau verachtet mich und ist nur noch auf der Ranch, um Big Jesse zu pflegen. Alle verachten sie mich. Denn sie erwarten von mir, daß ich Terz Beasley zu einem Revolverkampf fordere und die Ehre der Overlands wiederherstelle. Aber ich will mich von Beasley nicht totschießen lassen. Zum Teufel mit all diesen Dingen! Ich will leben! Ich will ganz einfach leben! Und deshalb bin ich jetzt sehr froh, daß du heimgekommen bist, Jim! Denn nun kann ich endlich verschwinden. Ja, ich will nun fort. Mein großer Bruder ist da! Ich habe jetzt genug! Ich pfeife auf diese Ranch! Ich pfeife auf meine Ehe mit Jennifer! Ich will fort! Irgendwo werde ich mir eine Arbeit suchen. Und 33 dann werde ich nicht mehr zu sein brauchen, was ich in Wirklichkeit gar nicht bin! Ich werde für dreißig Dollar im Monat eine bescheidene Arbeit verrichten. Man wird nicht mehr von mir verlangen, als ich geben kann. Ich werde glücklich und zufrieden sein. Jetzt weißt du alles, Bruder!« Er verstummt und atmet zitternd aus. Und dann will er sich erheben. Aber Jim streckt seine Hand aus und legt diese auf seine Schulter. Er drückt ihn auf den Sitz zurück und sagt sanft: »Warte, Bruder!« »Wozu? Was willst du von mir?« »Geh nicht fort, Cliff. Bleib hier! Bleib hier, bis ich meine Schuld an dich bezahlt habe. Ja, ich habe eine Schuld an dich zu zahlen. Weil ich damals versagte und Vater mich fortjagen mußte, verlangte er mehr von dir, als du geben konntest. Und das zerbrach dich. Die Aufgaben waren zu groß und zu schwer für dich. Dir ging es wie einem jungen Hund, der plötzlich ein Tiger werden sollte. An dieser Aufgabe mußtest du zerbrechen. Wäre sie dir nicht gestellt worden, so hättest du deinen Platz als zweiter Mann auf dieser Ranch schon ausgefüllt. Du wärest bestimmt gewachsen. Alles wäre anders gekommen. Der große Versager war ich. Denn ich war zu wild und leichtsinnig. Ich konnte nicht gebändigt werden, und ich begriff damals die Verantwortung nicht, die ich zu tragen hatte. Aber ich habe mir die Hörner abgestoßen. Ich bin gereift. Ich weiß jetzt Bescheid. Und wir sind Brüder. Cliff, ich bitte dich, bleib hier und hilf mir. Und du kannst mir sicherlich in vielen Dingen helfen. Wir sind Brüder. Und Brüder sollten zusammenbleiben. Denn irgendwie hat die Schöpfung dafür gesorgt, daß sie sich ergänzen können. Ich glaube daran. Was hast du getan, nachdem Jeremy Hammer als Vormann die Mannschaft führte?« 34 »Ich habe den ganzen Bürokram und die Buchführung erledigt«, brummt Cliff. »Eine große Ranch wie diese, erfordert auch eine Menge Verwaltungsarbeit. Überdies haben wir in Sagebee eine Bank gegründet. Die Overland-Bank gibt an Siedler Kredite. Ich leite diese Bank. Und mache die gesamte Verwaltungsarbeit. Da bin ich kein Versager. Doch das zählt in den Augen unseres Vaters nicht. Er steht auf dem Standpunkt, daß Bürokram und Schreibarbeit von Angestellten erledigt werden können und der Boß einer Ranch in erster Linie ein richtiger Mann sein muß.« »Auf irgendeine Art bist auch du sicherlich ein Mann, Cliff. Und ich brauche dich. Denn ich würde mit Büround Verwaltungsarbeit nicht zurechtkommen. Bleib bei mir, Cliff. Hilf mir in allen Dingen, die du besser verstehst als ich. Und pfeife auf die Meinung der Leute! Ich wette, es gibt in der ganzen Stadt Sagebee keinen Mann außer dem Marshai, mit dem Terz Beasley nicht auf die gleiche Art ungestraft hätte umspringen können. Du bist ja jetzt nicht mehr Big Jesses Nachfolger. Damit ändert sich fast alles. Denn nun wird man von dir nicht mehr verlangen, daß du ein zweiter Big Jesse bist. Von nun an genügt es, daß du nicht größer bist als du bist. Bleib!« Cliff zögert mit einer Antwort. Er erhebt sich langsam und tritt an den Rand der Veranda. Er starrt über den Hof auf das lange Mannschaftshaus. »Yeah, ich fühle mich jetzt freier, so ganz ohne Last. Ich spürte plötzlich keine Furcht mehr davor, versagen zu müssen. Eine schwere Last wurde mir abgenommen. Vielleicht werde ich wirklich bleiben und es noch einmal
versuchen.« Nach diesen Worten wendet er sich ab, verläßt die Veranda und entfernt sich über den Hof in die Nacht. Irgendwo will er wohl mit sich allein sein. 35 Als er verschwunden ist, tritt Jennifer aus dem Haus. Sie bleibt neben Jim stehen und blickt auf ihn nieder. »Ich habe dein altes Zimmer hergerichtet, Schwager«, murmelt sie kehlig. »Du wirst müde sein, nicht wahr?« »Mächtig müde«, erwidert Jim und erhebt sich. Sie gibt ihm den Weg zum Eingang nicht gleich frei, sondern blickt forschend zu ihm auf. »Du bist wie Big Jesse«, sagt sie. Dann läßt sie ihn eintreten. Aber sie folgt ihm durch die Halle und die Treppe hinauf in sein altes Zimmer. Sie beobachtet, wie er sich mitten im Raum umblickt und die alten Erinnerungen auf seinem dunklen Gesicht einen besonderen Ausdruck erzeugen. »Ist alles richtig?« fragt sie sanft. Er betrachtet sie nun bei Licht. Und nun sieht er, daß sie anziehender und schöner ist, als er dachte. Und in ihren Augen erkennt er, daß sie sehr erfahren ist und ihre früheren Wege rauh und bitter waren. Sie ist nicht viel jünger als Cliff und dennoch sehr viel weiser und reifer. »Warum bist du Cliffs Frau geworden?« fragt er plötzlich. Sie hebt auf eine herausfordernde Art ihr Kinn. Und ihre grauen und weit auseinanderstehenden Augen blicken frei und gerade. »Big Jesse hat mich aus einem Saloon geholt«, sagt sie herb. »Ich sang und tanzte dort für betrunkene Männer, für Viehtreiber, Bahnarbeiter, Viehdiebe, Siedler und all das Gesindel der Grenze. Big Jesse kam drei Tage lang in den Saloon und beobachtete mich. Dann kam er zu mir in mein Zimmer und fing die Blumenvase auf, die ich warf, als sich die Tür öffnete. Er sagte mir, daß er mit mir ein Geschäft machen möchte. Und ich ging auf dieses Geschäft ein.« 36 »Ein Geschäft?« fragt Jim bitter. Er kann sehen, wie sie sich noch gerader aufrichtet. »Yeah!« sagt sie hart. »Und es war ein sauberes und ehrliches Geschäft. Er sagte, daß er zu alt wäre, um noch einmal zu heiraten. Aber er hätte einen Sohn, der nicht viel taugte, aber ehrlich, anständig und rechtschaffen wäre. Er sagte, daß er einen Enkelsohn haben möchte und seine ganzen Chips darauf setzen würde, daß dieser Enkel nach seiner, Big Jesses, Art geriete. Er fragte mich, ob ich mit ihm auf die Overland Ranch kommen möchte, um mir Cliff anzusehen. Und er versprach mir, alle Auslagen und Unkosten zu ersetzen, wenn ich Qiff nicht haben, sondern wieder fort möchte. Ich ging mit Big Jesse und kam hier an diesen Ort. Und ich war ein Mädchen, dessen Wege rauh und hart waren und das sich nach einem festen Platz, nach Freundlichkeit, Sicherheit und Anständigkeit sehnte. Was ist dabei? Ich sah Cliff und lernte ihn kennen. Oh, er war bestimmt nicht das, was ich mir einst mal erträumt hatte, damals, als ich noch ein junges Mädchen war und bevor meine Eltern von den Indianern getötet worden waren. Aber Cliff war gut und anständig und irgendwie hilflos. Nein, ich liebte ihn nicht. Aber ich mochte ihn. Und so erging es wohl auch ihm. Jim, es sind schon Millionen von Ehen auf dieser Basis geschlossen worden. Und ich war ihm bis jetzt eine gute Frau. Er hatte sich über nichts zu beklagen. Und vielleicht hätte ich ihn eines Tages wahrhaftig und von Herzen geliebt, denn er war gut zu mir. Eine Frau wie ich, die weiß das zu schätzen. Denn ich habe längst erkennen müssen, daß man auf dieser Welt nicht alles bekommen und auch mit wenigem glücklich sein kann.« Sie verstummt und wirkt innerlich sehr erregt. Jim aber fragt: »Und jetzt?« »Cliff ist feige«, sagt sie herb. »Wenn Big Jesse mich 37 nicht mehr braucht, werde ich von hier fortgehen. Mein Vater war bestimmt nicht bedeutender als Cliff, und er hat meine Mutter glücklich gemacht, obwohl auch sie ihn bestimmt nicht aus Liebe heiratete, sondern nur deshalb, weil sie keinen anderen Mann bekommen konnte. Er war bestimmt nicht bedeutend, nur ein Siedler, der von einem Stück Land zum anderen zog und der viele Fehler machte. Aber er war nicht feige. Er wußte genau, daß ein Mann sich seinen letzten Stolz erhalten muß. Auch meine Brüder waren so. Es waren nur durchschnittliche Burschen. Und dennoch besaßen sie diesen letzten Stolz. Cliff besitzt ihn nicht. Ich habe darüber geweint. Cliff ist groß und stark. Er sieht wie ein richtiger Mann aus, aber er ist eine Maus. Ich werde ihn verlassen.« Nach diesen Worten kommt sie ein Stück ins Zimmer herein und blickt zu Jim auf. »Du bist anders«, sagt sie und lächelt müde. »So wie dich, so stellte ich mir immer meinen zukünftigen Mann vor.« Er schüttelt den Kopf. »Laß das, Schwägerin«, sagt er grob. »Nur keine Sorge«, murmelt sie. »Ich will nichts von dir. Ich bin nur ehrlich.« 4 Jim Overland schläft lange. Als er erwacht, steht die Sonne schon hoch am Himmel. Er nimmt sich auch beim
Ankleiden und beim Rasieren Zeit. Er geht später zum Küchenhaus hinüber, tritt ein und sieht Jube David, der schon seit zwanzig Jahren für die 38 Overland Ranch kocht und mit Big Jesse in dieses Land gekommen ist, als es noch dem Apachenhäuptling Ricahu gehörte. Jube David grinst über sein breites Gesicht. »Ich habe noch was für einen Mann, der in Rainbow Nachtmarshai war und an frühes Aufstehen nicht gewöhnt ist«, sagte er. »Willkommen, Jim! Es ist verdammt gut, daß du wieder daheim bist.« Jim erwidert das Grinsen, und er kann sich daran erinnern, daß Jube ihm früher oft einen Leckerbissen vorsetzte und ihn das Pokern lehrte. »Du hast dich nicht viel verändert, Jube«, brummt er. »Wer ist noch von den Jungens da, die ich damals kannte?« Jube brummt seltsam und bringt dann eine Pfanne mit Spiegeleiern und Speck auf den Tisch. Er stellt eine Tasse und einen Topf Kaffee dazu und setzt sich. »Colorado, Pecos, Ringo Monk und Tube Britt sind noch da«, sagt er. »Link Howell hat sich den Mietstall gekauft, und Bück Sander und Amb Wayne haben sich in den Hügeltälern selbständig gemacht. Mehr sind von der alten Mannschaft nicht im Land. Dieser Jeremy Hammer ist ein harter Mann, mit dem man schwer auskommt. Viele Jungens sind fortgeritten, und auch Colorado, Pecos, Ringo und Tube haben bald genug. Jim, hier hat sich viel verändert. Dies ist nicht mehr die alte Mannschaft. Jeremy Hammer kann ziemlich gemein werden.« Jim sagt nichts zu diesen Worten. Er verspeist ruhig sein Frühstück und erhebt sich dann. »Wo finde ich die Mannschaft?« fragt er. »Beim Round-up in der Silver-Springs-Senke«, erwidert Jube. Jim nickt und geht hinaus. Wenig später fängt er sich ein Pferd aus einem der Corrals und sattelt es. Dem 39 Pferdeburschen, der dabeisteht und zusieht, sagt er: »Bring das Pferd, mit dem ich gestern kam, in den Mietstall zurück.« Dann reitet er davon. Als er sich einmal umblickt, kann er Jennifer auf der Veranda des Ranchhauses stehen sehen. Bis zur Silver-Springs-Senke braucht er etwa zwei Stunden, denn er beeilt sich nicht sonderlich, sondern hält dann und wann an, um die Heimatweide zu betrachten und sich wieder an all die alten Landmarken zu erinnern. Es ist fast Mittag, als er das Round-up-Camp erreicht, und er kommt gerade zurecht, um zu sehen, wie Jeremy Hammer einen Mann mit einem einzigen Fausthieb zu Boden schlägt. Ein Kreis von schweigenden Männern sieht zu. Und dann wenden diese Männer ihre Köpfe und blicken zu Jim empor, der sein Pferd verhält. Einige dieser Männer kennt Jim gut. Es sind alte Nachbarn der Overland Ranch, kleine Rancher oder Siedler, die nebenbei einige Rinder halten. Sie lebten schon immer am Rand der OverlandWeide und im Schutz der großen Ranch. Nun sind sie wie immer zum jährlichen Round-up gekommen. Das ist im Rinderland so üblich, denn die Rinder wandern im Laufe eines Jahres viel herum und vermischen sich dann und wann untereinander. Jim nickt den Männern zu und wendet sich dann an Jeremy Hammer. »Was ist das?« fragt er ruhig. Er betrachtet den bewußtlosen Mann am Boden und erkennt, daß es Frank Hopkins ist, ein kleiner Rancher aus den Hügeln, bei dem er dann und wann früher einmal zu Gast war, wenn er in den Hügeln Wölfe oder Pumas jagte. Jeremy Hammer knurrt seltsam und sagt dann mürrisch: 40 »Hopkins hat mich soeben einen verdammten Viehdieb genannt.« »Hatte er einen Grund dazu?« Jeremy Hammer schnauft unwillig. »Wenn ich sage, daß es sich um ein Overland-Kalb handelt, dann ist es ein Overland-Kalb und bekommt unseren Brand.« Jim nickt und blickt zum Brennfeuer hinüber. Dort knien zwei Männer auf einem Jährling und ein dritter drückt dem Tier soeben das Brandeisen auf. Dann springen sie alle drei fort, und der Jährling kommt brüllend auf die Hufe, keilt aus und rast davon. Jim blickt ihm nach. »Das ist noch kein richtiger Jährling«, sagt er dann. »Der braucht noch Muttermilch. Das ist noch kein Jährling.« Er reitet dem Tier nach und folgt ihm zwischen die Rinderherde, die von einigen Cowboys zusammengehalten wird und in der sich außer den Muttertieren auch richtige Jährlinge und gebrannte Kälber befinden. Jim kann wenig später sehen, wie das gebrannte Kalb sich zu einem Muttertier gesellt und wie diese halbwilde Longhornkuh den schmerzenden Brand des Kalbes zu belecken beginnt. Er betrachtet das Brandzeichen der Kuh und reitet zurück. »Es ist eine Hopkins-Kuh mit einem Hopkins-Kalb«, sagt er zu Jeremy Hammer. »Setz dich auf dein Pferd, treibe Kuh und Kalb heraus und zu Frank Hopkins kleiner Herde hinüber.« »Ich?« fragt Jeremy Hammer staunend.
»Yeah, du!« »Zum Teufel, das werde ich nicht tun!« Inzwischen hat sich der niedergeschlagene Frank Hopkins wieder aufgerafft. An seiner linken Schläfe zeigt sich nun eine Schwellung, und er ist noch etwas unsicher auf den Beinen. 41 »Ich kann meine Kuh und das Kalb selbst aussondern und zu meinem Rinderrudel treiben«, krächzt er. »Nein!« sagt Jim Overland hart. »Jeremy Hammer hat sich geirrt, und er wird diesen Irrtum selbst berichtigen. Du hast ein Recht darauf, Frank Hopkins. Die Overland Ranch war immer fair und gerecht. Und so bleibt das auch.« Er blickt wieder auf Jeremy Hammer, der mit einem bösen und störrischen Trotz zu ihm hochstarrt und schnaufend durch die Nase atmet. »Hammer, entschuldige dich bei Frank Hopkins, und hol dann die Kuh mit dem falsch gebrannten Kalb aus der Herde! Hast du mich verstanden? Auf was wartest du noch?« Jeremy Hammer schüttelt wieder unwillig seinen massigen Kopf. »Du stutzt mich hier in aller Öffentlichkeit zurecht, mich, den Vormann? Frank Hopkins soll sich die beiden Tiere selbst aussondern!« »Nein, er hat ein Recht darauf, daß du ihm auf diese Art Genugtuung gibst. Entschuldige dich!« »Und wenn ich nicht gehorche? He, wenn ich dir jetzt meinen Job vor die Füße werfe?« Jim Overland nickt langsam. »Du kannst jederzeit aufhören und gehen, Jeremy Hammer«, sagt er. »Aber zuvor bringst du diese Sache wieder in Ordnung.« »Ich denke nicht daran!« grinst Jeremy Hammer. »Ich bin fertig hier. Ich habe mir gleich gedacht, daß wir nicht miteinander auskommen werden. Das konnte ich gestern schon riechen. Denn auch du bist ein Mann, den Terz Beasley ungestraft mit der Reitpeitsche verprügeln kann. Von solch einem Mann nehme ich keine Befehle an. He, ich war Vormann der Overland Ranch, weil dein Bruder nichts taugte. Und ich habe stets zum Nutzen und zum Wohle der Overland Ranch gehan42 delt. Und jetzt kommst du daher und mit Terz Beasleys Zeichen im Gesicht! Oha! Und willst mir Befehle geben? Ich habe keine Lust mehr, für die Overlands zu reiten!« Nach dieser verächtlichen Rede wendet er sich ab und will zu einem der vielen Sattelpferde gehen, die überall in der Nähe der Männergruppe mit zu Boden hängenden Zügeln herumstehen. Aber Jim Overland treibt sein Pferd heftig an. Es springt vorwärts und rammt mit der Schulter gegen Jeremy Hammer. Der taumelt von diesem heftigen Stoß zur Seite und fällt. Brüllend springt er wieder auf. »Aaah! Das kannst du haben, Mister Overland! Das kannst du haben! Komm herunter vom Gaul, damit ich es dir geben kann!« Und dann wartet er begierig. Jim Overland sitzt ab und läßt die Zügelenden fallen. »Die Overland Ranch stand immer für ihre Fehler gerade«, sagt er. Dann stürmt er vorwärts. Jeremy Hammer wirft sich ihm entgegen und versucht es mit gewaltigen Schwingern. Er ist ein erfahrener Mann, der schon durch hundert wilde Kämpfe ging und der eine rauhe Mannschaft mit den bloßen Fäusten bändigen und die wildesten Burschen klein bekommen konnte. Doch er kann Jim Overland nicht richtig treffen. Jim trifft ihn besser und genauer. Er trifft ihn hart und schmetternd. Ja, er ist schneller, genauer und kühler. Er schlägt den Vormann von den Beinen und wartet dann keuchend, bis dieser sich auf Händen und Knien wieder erholt hat und aufspringt. Als Hammer wieder angreift, fängt er ihn mit zwei gewaltigen Schlägen ab und legt ihn mit einem Aufwärtshaken auf den Rücken. Und wieder wartet er. Diesmal dauert es länger. Die Zuschauer verharren stumm und bewegungslos. Ei43 nige Reiter kommen heran und verhalten in der Nähe auf ihren Pferden. Eine Stimme sagt aus dem Halbkreis der Zuschauer heiser: »Oh, Himmel, so habe ich Big Jesse in Erinnerung, als er noch seine beste Zeit hatte.« Dann ist es wieder still. Jeremy Hammer kommt langsam auf die Beine. Nun greift er nicht mehr an, sondern wartet auf Jim Overland. Der tritt langsam vor ihn hin und sagt: »Also los, wie willst du es haben?« Jeremy Hammer betrachtet ihn eine Weile mit seltsam glitzernden Augen. Sein massiges Gesicht ist gezeichnet. »Ich habe genug«, würgt er hervor. »Heute mache ich nicht weiter. Heute nicht!« Er wendet sich halb zur Seite und entdeckt Frank Hopkins. »Ich habe mich geirrt, Hopkins«, sagt er gepreßt. »Es war deine Kuh mit deinem Kalb. Ich habe dich zu Unrecht zu Boden geschlagen. Nun, dafür wurde ich jetzt verprügelt, nicht wahr? Und ich hole dir nun auch die beiden Rinder aus der Herde.« Nach diesen Worten wendet er sich ab, geht zu seinem Pferd und sitzt auf. Er reitet auf die Herde zu und beginnt nach den beiden Tieren zu suchen. Es wird nicht sehr schwer für ihn sein, diese zu finden, da das Muttertier einen anderen Brand trägt. Jim Overland beobachtet ihn eine Weile. Dann wendet er sich den Männern zu. Ja, er kennt sie fast alle. Es sind
die kleinen Rancher, die schon immer im Schatten der großen Overland Ranch leben. »Ist das oft geschehen?« fragt er sanft. Bück Sander, der früher als Cowboy für die Overland Ranch ritt und von dem der Koch Jube David erzählte, 44 daß er sich nun als Rancher selbständig gemacht hat, nickt langsam. »Das war Jeremey Hammers Art«, sagt er. »Wo immer er konnte, vermehrt er euren Viehbestand auf diese Art. In den vergangenen Jahren wurden von der Overland-Mannschaft viele Kälber gebrannt, deren Mütter ein ganz anderes Brandzeichen hatten. Er hat uns immer wieder demonstriert, wie klein und hilflos wir gegen die starke Overland Ranch sind. Und es war nichts anderes als Viehdiebstahl. Dieser Narr hat nur den Vorteil der Overland Ranch im Kopf, und er scheut sich nicht davor, ihr auf diese krumme und verdammte Art und auf unsere Kosten zu Vorteilen zu verhelfen. Ein guter Vormann für einen Raubrancher wäre das! Zu Big Jesses Zeit hat es solche Dinge nie gegeben. Und wir sind sehr zufrieden, daß du Big Jesses fairen Stil wieder eingeführt hast, Jim.« Die anderen Männer nicken zu Bück Sanders Worten. Jim überlegt. Dann sagt er ernst: »Die Overland Ranch hat mit ihren kleineren Nachbarn immer in Frieden gelebt. Sie hat ihre Nachbarn gestützt und ihnen geholfen, wenn es notwendig war. Ich weiß das noch. Mein Vater stand immer auf dem Standpunkt, daß eine große Ranch an ihren Grenzen keine Feinde, sondern Freunde haben müßte. Ich denke genauso. Schätzt ab, was ihr durch Jeremy Hammers rauhe Art verloren habt, und ihr werdet es zurückbekommen. Denn ich leite die Ranch jetzt auf Big Jesses Art. Wer ist der Boß des Round-ups?« »Das war Jeremy Hammer«, sagt einer der Männer. »Seit dein Vater nicht mehr im Sattel sitzen kann, leitet Jeremy Hammer jedes Jahr das Round-up. Früher, ja früher, da kam jeder Rancher einmal an die Reihe. Dieses Jahr wäre Ambrose Wayne an der Reihe gewesen, 45 den Round-up-Boß zu machen. Aber Jeremy Hammer sagte, daß wir kleinen Pintscher gar kein Recht dazu hätten, all den anderen Mannschaften und schon gar nicht der großen Overland-Mannschaft Befehle zu geben.« Wieder denkt Jim Overland nach. Dann nickt er Ambrose Wayne zu, der neben Bück Sander steht. Er kennt diesen Ambrose Wayne gut, denn auch dieser Mann war einmal ein Cowboy der Overland Ranch. Von Ambrose Wayne hat Jim früher als Junge so manchen Trick gelernt. »Nun, wenn ihr alle einverstanden seid, dann leitet Amb jetzt das Round-up«, sagt Jim ruhig. »Ich bin nicht heimgekommen, um neue Methoden einzuführen. Können wir weitermachen?« Die Männer sehen ihn nun sehr zufrieden an. Ihre Bitterkeit, die vorhin noch deutlich von ihren Gesichtern abzulesen war, ist verschwunden. Einer sagt herzlich: »Willkommen auf der Heimatweide, Jim Overland! Und wir sind verdammt froh, daß du deinem Vater sehr ähnlich geworden bist. Was du uns soeben demonstriert hast, das war der gute alte Big-Jesse-Stil. Das war die noble Art, die uns immer dazu brachte, ihn zu achten und ihm den Beinamen >Big< zu geben.« Als der Mann dies gesagt hat, bilden sie alle um Jim eine Gruppe. Er muß ein Dutzend Hände schütteln, auf Schultern klopfen und freundliche Worte erwidern. Plötzlich ruft eine Stimme laut: »Dort kommt Terz Beasley mit seiner ganzen Mannschaft!« Und mit einem Male wird es still. Die Männergruppe tritt auseinander und wendet sich nach Süden zu. Auch die Reiter in der Nähe, all die Cowboys von den verschiedenen Ranches und die Reiter der Overland46 Mannschaft, die überall in der Nähe beschäftigt sind, halten inne und starren nach Süden. Denn da kommt wahrhaftig eine starke Mannschaft angeritten. Es sind zwei Dutzend Reiter, und Terz Beasley reitet an ihrer Spitze. Die beiden einstigen Overland-Cowboys und nunmehrigen Ranchers Bück Sander und Ambrose Wayne treten rechts und links neben Jim. Bück Wayne sagt bitter: »Du mußt das verstehen, Jim. Wir alle hatten genug von Jeremy Hammer. Denn wir wußten genau, wie er auch diesmal wieder Round-up-Boß sein würde. Und da haben wir uns mit Terz Beasley besprochen.« »Ich verstehe schon«, murmelt Jim ruhig. »Ihr habt Terz Beasley um Hilfe gebeten. Und nun kommt er, um sie euch zu geben.« »So ist es, Jim. Wir konnte nicht wissen, daß du heimkommen und die Dinge so schnell und gründlich ändern würdest. Jetzt brauchen wir Terz Beasleys Hilfe natürlich nicht mehr.« Jim Overlands Stimme klingt sehr gedehnt, als er erwidert: »Es wird nicht ganz einfach sein, dies Terz Beasley klarzumachen. Denn er hat sich gewiß sehr auf diesen Tag gefreut, da er euch alle auf seiner Seite hat und die Overland Ranch zurechtstutzen kann. Auf diesen Tag hat er sich sicherlich sehr gefreut.« Nach diesen im gedehnten Tonfall gesprochenen Worten blickt Jim sich nach Jeremy Hammer um. Er sieht ihn eine Kuh und ein Kalb zu einem kleinen Rinderrudel treiben, das von einem Reiter der Hopkins Ranch bewacht und abgesondert gehalten wird. Es gibt noch viele solche Rinderrudel im weiten Umkreis. Und es sind alles ausgesonderte Tiere, die verschiedenen Ranches gehören. Zu diesem Zwecke findet ja ein 47 Round-up statt.* Die Ranches sortieren ihre Rinder aus, branden die Kälber und bekommen so einen Überblick, um wie viele Tiere sich ihre Herden vermehrt haben.
Jim sieht, wie Jeremy Hammer dann sein Pferd wendet und fortreitet. Der Vormann schlägt die Richtung zur Overland Ranch ein. Wahrscheinlich wird er dort sein Bündel packen und sich von Cliff auszahlen lassen. In Jim ist ein bitterer Zorn auf diesen Mann, und dennoch weiß er, daß diese Sorte nicht selten ist. Es gibt überall im Rinderland solche Vorleute oder Rancher, die ihre Macht und Stärke gegenüber kleineren Nachbarn mißbrauchen und so manches Kalb branden, welches ihnen oder ihrer Ranch gar nicht gehört. Hier in diesem Fall hätte Jeremy Hammers unredliche Art fast einen großen Schaden angerichtet, denn all die kleinen Nachbarn hatten sich an Terz Beasley um Hilfe gewandt. Und mit ihrer Hilfe hätte Terz Beasley sicherlich heute die Overland Ranch oder deren Mannschaft auf die Knie zwingen können. Es wäre heute eine Sache zum Ausbruch gekommen, die Terz Beasley gerade recht gewesen wäre. * To round up heißt eigentlich um die Herde herumreiten«, oder »eine Herde einkreisen«. Ein Round-up bezeichnet aber gleichzeitig die Stelle, beziehungsweise das Zusammentreiben von mehreren Herden zu irgendeinem Zweck. Es findet im Herbst statt, bevor die Kälber der Muttermilch entwöhnt sind, denn all die Kälber erhalten den Brand des Muttertieres. Da es damals noch keine Zäune gab und die halbwilden Weiderinder sich oft auf die Wanderschaft begaben und sich mit den Tieren anderer Ranches vermischten, wurde das große Round-up von allen Ranchern der betreffenden Gegend gemeinsam durchgeführt. Diese Rancher wählten einen Round-up-Boß, der in Zweifelsfällen zugleich auch Schiedsrichter war. Und selbst die ganz entfernt liegenden Ranches entsandten zumindest einen Vertreter, da es immer wieder vorkam, daß sich einzelne Rinder mehr als fünfzig Meilen von der Heimatweide entfernten. G. F. Unger 48 Jim Overland denkt einige Sekunden darüber nach, ob Jeremy Hammer der Overland Ranch wirklich treu war. Denn es könnte wahrhaftig genau das Gegenteil der Fall sein. Es könnte sein, daß Jeremy Hammer einem ehrgeizigen Mann wie Terz Beasley einen guten Grund zum Eingreifen liefern wollte. Doch darüber kann Jim nun nicht mehr länger nachdenken, denn Terz Beasley und seine1 Reiter erreichen das Camp und kommen zwischen zwei Wagen hindurch auf die Männergruppe zugeritten. Sie halten an. Terz Beasleys Augen suchen und prüfen scharf. Dann richtet sich sein Blick fest auf Jim Overland. Er grinst auf seine schnelle und blitzende Art und lacht dann leise: »Sicher, ich sehe dich, Jim Overland«, sagt er. »Du kamst mir gestern in den Weg, nicht wahr? Und jetzt trägst du auch schon mein Zeichen im Gesicht! Oha, dafür hast du einen meiner Reiter schlimm verprügelt! Warum das? Du hättest doch zu mir kommen können! Du kannst zu jeder Zeit zu mir kommen, Jim, wenn du etwas auf dem Herzen hast!« Er verstummt hohnvoll und herausfordernd, und er ist ein großer und schwergewichtiger Mann, ein Riese, auf einem großen löwengelben Wallach. Sein gelbes Haar trägt er sehr lang, und ein gelber Schnurrbart hängt über seine Mundwinkel, kann jedoch die aufgeworfenen Lippen nur schlecht verdecken. Er ist ein Mann, in dessen gelben Augen ein seltsames Feuer brennt und der von einer vitalen Kraft angefüllt ist. Er ist ein heftiger, ehrgeiziger und an seine Unüberwindlichkeit glaubender Mann, ein Löwe, der seine Kraft und Stärke deutlich spürt, sich für unüberwindlich hält 49 und den dieser Glaube gefährlich, unduldsam, herausfordernd und verwegen gemacht hat. Ja, er wirkt wie ein Löwe, der sich ein Reich Untertan machen will. Jim Overland erkennt das an ihm. Er kannte Terz Beasley schon als Junge, denn sie sind in einem Alter, und sie haben sich als Knaben oft genug geprügelt, wobei jeder Kampf zumeist unentschieden endete. Jim Overland kann sich noch gut an das Feuer erinnern, welches schon damals in Terz Beasley war und ihn immer dazu antrieb, sich mit Big Jesses ältestem Sohne zu messen. Jim kennt dieses Geheimnis gut. Und dieses Verlangen ist in Terz Beasley jetzt noch heftiger vorhanden. Ja, es ist da! Jim kann es erkennen. Denn dieser Terz Beasley faßte es schon damals als eine Schmach und als eine Schande auf, daß sein Vater nicht so groß wie Big Jesse Overland war. Er setzte immer alles daran, um wenigstens größer als Big Jesses Sohn sein zu können. Jim Overland betrachtet ihn lange. Dann nickt er und sagt: »Gewiß, ich habe einen deiner Männer verprügelt. Ich hatte dich gerade nicht zur Hand. Denn du hattest es ziemlich eilig. Ich gab einem deiner Reiter die Prügel, die für dich bestimmt war. So solltest du es auffassen! Wenn du dafür Genugtuung haben möchtest, dann komm nur herunter von deinem Pferd. Du kannst dir aussuchen, auf welche Art du den Spaß bekommen möchtest!« Es ist eine harte und zornige Herausforderung. Terz Beasley zuckt zusammen, und er macht auch schon den Ansatz einer Bewegung, um sich aus dem Sattel zu schwingen. Doch dann hat er sich wieder unter Kontrolle. Er lacht leise, hebt seine Hand und streicht sich den blonden Bart. »Wir haben ja Zeit«, sagt er dann. »Wir brauchen 50
nichts überstürzen. Ich bin hergekommen, um diesem Jeremy Hammer einige Dinge klarzumachen. Einige Gentlemen, die von Jeremy Hammer ständig bestohlen und bedroht werden, haben um meine Hilfe gebeten. Und, bei Gott, ich werde ihnen jetzt diese Hilfe geben! Wo ist dieser Jeremy Hammer?« »Ich habe ihn soeben verprügelt und entlassen«, erwidert Jim Overland ruhig. »Die Overland Ranch ersetzt allen Nachbarn den Schaden, den Jeremy Hammer ihnen durch seine verblendete, unredliche und rauhe Art zugefügt hat. Und wir haben soeben Ambrose Wayne zum Round-up-Boß gewählt. Du wirst nicht mehr benötigt, Terz Beasley. Die Overland Ranch wird wieder auf Big Jesses Art geleitet. Du bist mit deiner Armee umsonst hergekommen.« Als er verstummt, tritt Ambrose Wayne neben ihn. »Es ist so, Terz«, sagt er ruhig. »Jim Overland hat jeden Verdruß ausgeblasen. Er leitet jetzt die Overland Ranch, und wir werden mit ihm genausogut auskommen wie damals mit seinem Vater. Es ist alles geklärt und erledigt.« Als es nach diesen Worten still wird, sitzt Terz Beasley eine volle Minute bewegungslos im Sattel und denkt nach. Hinter ihm verhält seine Mannschaft ebenso bewegungslos. Und es ist eine hartbeinige und hartgesottene Mannschaft, das kann man sehen. Diese Reiter sind sorgfältig ausgesucht. Wenn Jim Overland jemals eine Revolvermannschaft gesehen hat, dann ist es diese. Terz Beasley ist mit seinem Nachdenken fertig. Er hebt den Kopf und blickt Jim an. »Ja, dann ist diese Sache ja erledigt«, sagt er langsam. »Dann habt ihr ja meine Hilfe nicht mehr nötig.« Er wendet sich an Ambrose Wayne. »Ich habe sonst nur wenig mit eurem Round-up zu tun, denn der Fluß 51 trennt unsere Weidegebiete. Und ohne Brückenzoll läßt I Brod Webbs selbst meine Rinder nicht auf diese Seite, j Nun gut, ich kann also wieder fort und mich um ein 1 neues Round-up kümmern. Oder will Mister Jim Over- g land noch etwas von mir?« Er starrt Jim haßvoll an. Jim weiß plötzlich, daß Terz J Beasley soeben eine bittere Niederlage erlitten hat. 1 Beasley zeigte die Niederlage nicht äußerlich. Aber es I ist für Jim klar, daß Beasley sehr enttäuscht ist. Denn J Terz Beasley war hergekommen, um den Vormann der Overland Ranch und damit die Overland-Mannschaft zu zerbrechen. Und er hätte dabei die Hilfe und Unter- | Stützung aller Nachbarn bekommen. Jim macht unwillkürlich einen tiefen Atemzug. Ihm wird jetzt erst so richtig klar, wie instinktiv richtig er mit Jeremy Hammer umgesprungen ist. Er ist wahrhaftig im letzten Moment heimgekommen und konnte die Dinge in letzter Sekunde noch einmal wenden. Er tritt langsam vor und blickt zu Terz Beasley auf, der groß und wuchtig auf dem mächtigen Pferd sitzt und zu ihm nieder grinst. »Beasley«, sagt er langsam, »vielleicht war dieser Jeremy Hammer sogar dein Mann. Ich werde das noch herausfinden. Vielleicht war das ein schlauer Trick, um über den Huß kommen zu können. Die Nachbarn der Overland Ranch fühlten sich bedrängt und betrogen. Sie wandten sich an dich um Hilfe. Aber sie wären dich danach sicherlich nicht wieder losgeworden. Wahrscheinlich wärest du auf dieser Seite des Husses geblieben und hättest Rinder über die Brücke gebracht. Das war doch wohl dein schlauer Plan, nicht wahr? Nun gut, Beasley, dieser Plan wäre fast geglückt. Doch jetzt bin ich wieder da. Schon dein Vater wollte über den Huß. Big Jesse hielt ihn auf. Und genauso werde ich dich aufhalten.« 52 Nach diesen Worten tritt er einige Schritte zurück. Seine Rechte hängt nun hinter dem Revolverkolben. »Komm herunter vom Gaul, Beasley, wenn du Lust hast«, sagt er ruhig. Hinter Beasley bewegen sich nun dessen Reiter. Hände legen sich an die Waffen. Aber auch hinter Jim kommt etwas in Bewegung. Er hört einige Reiter kommen, aber er wendet nicht den Kopf. Er beobachtet Terz Beasley und dessen Mannschaft. Beasleys starker Körper zittert einige Sekunden vor Verlangen. Auch in seinen gelben Augen ist dieses Verlangen deutlich zu erkennen. Aber dann schüttelt er den Kopf. »Wir haben ja Zeit, Mister«, sagt er. Dann reißt er sein Pferd herum und reitet mit seiner Mannschaft den Weg zurück, den er gekommen war. Als der Hufschlag verstummt, hört Jim einige heftige Atemzüge. Ja, fast alle Männer atmen auf. Jim wendet sich langsam um. Hinter ihm stehen einige Männer, und sie haben sich hinter ihn gestellt, als der Atem von Gefahr wehte und die gewalttätige Auseinandersetzung drohte. Terz Beasley hatte eine rauhe Mannschaft hinter sich. Aber auch die Männer, die sich hinter Jim gestellt hatten, sind nicht weniger hart. Da sind Ambrose Wayne, Bück Sander, Frank Hopkins und einige andere kleine Rancher. Nur wenige dieser Nachbarn hielten sich abseits. Und da sind vor allen Dingen vier Männer, die Jim schon damals gut gekannt hat, und die immer noch für die Overland Ranch reiten. Es sind Tube Britt und Ringo Monk, zwei jetzt schon etwas verwitterte Texaner mit Falkenaugen. Und da sind Colorado und Pecos. Ja, das sind die alten Jungens 53 von damals, mit denen er eine Menge Spaß gehabt hatte. Sie grinsen ihn an.
Pecos-Charly sagt lässig: »Das war die richtige Melodie, Jim! Wir hatten die Hoffnung schon aufgegeben, daß wir sie noch einmal hören würden. Und deine Nase ist gut. Dieser Jeremy Hammer war wirklich mächtig hart zu den Nachbarn, zu hart und gemein! Er brachte sie immer mehr gegen die Overland Ranch auf. Fein, daß du dieses so schnell begriffen hast.« 5 Am Abend verläßt Jim Overland das Round-up-Camp und reitet zur Ranch. Die Mannschaft bleibt mit all den anderen Reitern der benachbarten Ranches im Camp zurück, und das wird noch wochenlang so sein. Für alle Cowboys ist nun jene Zeit angebrochen, da sie draußen auf der Weide und unter freiem Himmel leben und die harte Arbeit des Zusammentreibens, Aussortierens, Brändens und Zählens verrichten. Alle paar Tage wird man das Camp verlegen und ein neues Gebiet durchkämmen. Erst wenn das Round-up vorbei ist und der Winter von den Bergen in die Täler gezogen kommt, werden die Reiter wieder ihre Quartiere bei den Ranches beziehen. Jim Overland wäre noch gerne einige Tage beim Round-up geblieben und hätte sich mit den Männern besser bekannt gemacht und mit den alten Freunden und Bekannten alte Erinnerungen aufgefrischt. Doch er muß sich jetzt um viele andere Dinge küm54 mern. Er will die Leitung der Overland Ranch fest in die Hand nehmen. Und dazu ist es nötig, daß er sich auch über die geringsten Nebensächlichkeiten informiert. Als er die Ranch erreicht, ist es schon tiefe Nacht. Die Sattelarbeit hat ihn müde gemacht, und er verspürt einen gesunden Hunger. Einer der alten Cowboys, die auf der Hauptranch als Pferdewärter und Stallhelfer ihr Gnadenbrot verdienen, nimmt ihm sein Pferd ab. »Jeremy Hammer hat seine Siebensachen gepackt und ist fortgeritten«, sagt der Mann vorsichtig. »Yeah, ich weiß«, erwidert Jim und geht zum Küchenhaus hinüber. Jube David empfängt ihn brummend und stellt ihm bald darauf ein gutes Essen auf den Tisch. »Jeremy Hammer hatte einige Zeichen im Gesicht«, sagt der Koch dann. »Die habe ich ihm gegeben«, brummt Jim kauend. »Wie geht es meinem Vater?« »Er schläft immer noch. Cliff s Frau sagte es mir, als sie das Essen ins Ranchhaus holte. Sie sagte, daß er tief, fest und ruhig schliefe, so gut, wie schon seit vielen Monaten nicht mehr.« Jim nickt. Er ißt eine Weile schweigend. »Und wo ist Cliff?« fragt er dann. »Drüben im Büro. Er hat mir gesagt, daß du zu ihm kommen möchtest, sobald du gegessen hast.« Wenig später geht Jim hinüber. Auf der Veranda des Ranchhauses sitzt Jennifer im tiefen Schatten. Er bemerkt sie erst, als er die Veranda betreten hat. »Hallo«, murmelt er, bleibt stehen und dreht sich eine Zigarette. Als er das Zündholz anreibt, betrachten sie sich eine Sekunde lang im Schein des kleinen Flämmchens. »Du hast Jeremy Hammer verprügelt und entlassen«, murmelt sie. »Du machst lange Schritte, Jim. Du hast 55 schon am ersten Tag getan, was Cliff schon vor Monaten hätte tun sollen. Aber er hat es nicht gewagt. Und Big Jesse war krank und konnte es auch nicht tun.« »Vergleiche deinen Mann nicht mit mir«, sagt er. »Das ist dein Fehler. Cliff ist nicht so groß wie ich. Aber er ist groß genug. Es gibt im Land eine ganze Menge Männer, die sehr viel kleiner sind. Vergleiche ihn mit diesen Männern. Und dann wird dir wohler sein.« Dann geht er weiter, gelangt zum Ende der Veranda und öffnet die Tür zum Büro. Cliff sitzt im Dunkeln hinter dem alten, narbigen Schreibtisch, den Big Jesse mit seinen Sporen zerkratzt hatte, damals als er hier saß, nachdachte und die Füße auf den Tisch legte, damals, als er noch die Ranch leitete und die Geschicke dieses Landes und der Menschen beeinflußte. Jim Overland tritt ein und setzt sich auf einen Stuhl. Er kann von Cliff nur undeutlich die Umrisse erkennen. Doch er spürt deutlich die Nähe des Bruders. Er raucht seine Zigarette und wartet. Als er sie bis auf einen Rest aufgeraucht hat, wirft er diesen Rest in den großen Spucknapf neben dem Schreibtisch, nachdem er dessen Standort mit der Fußspitze ertastet hat. »Bruder, es hat keinen Sinn, im Dunkeln zu sitzen. Sieh den Dingen bei Licht ins Auge, und mache das Beste daraus. Das ist besser. Du wolltest mich sprechen?« »Yeah«, murmelt Cliff. Er bewegt sich im Drehsessel, und dann zündet er die Lampe auf dem Tisch an. Er vermeidet es jedoch, Jim anzusehen. Er starrt auf die Schreibtischplatte. »Du hast sofort getan, was ich nicht wagte«, sagte er. »Du hast Jeremy Hammer gefeuert, diesen Hammer, vor dem ich mich fast genauso * fürchte wie vor Terz Beasley. Und nun schäme ich mich wieder aufs neue. Aber das ist es nicht, warum ich dich 56 sprechen wollte. Es ist etwas anderes zu besprechen. Die Pacht muß bezahlt werden.« Jim Overland denkt nun nach. Er hat sich früher nie um die geschäftlichen Dinge der Ranch gekümmert, doch er weiß sofort, was Cliff mit den Worten meint: »Die Pacht muß bezahlt werden.« Als Big Jesse damals in dieses Land kam und eine Ranch gründete, gehörte dieses Land noch den Indianern. Und auch das Heimstättengesetz war noch nicht in Kraft.
Ein Mann nahm sich damals so viel Land, wie er erobern und behaupten konnte. Später wurde es anders. Später durfte ein Mann sich laut Heimstättengesetz nur fünfundsechzig Hektar abstecken und auf seinen Namen eintragen lassen. Das tat Big Jesse. Und einige seiner Reiter, denen er dann die Besitztitel abkaufte, taten es ebenfalls. Auf diese Art kam Big Jesse zu etwa tausend Hektar eigenem Land, das auf seinen Namen eingetragen ist und ihm so sehr gehört wie ein Arm oder der Kopf. Doch das andere Land, diese große Weide in weiter Runde, gehört ihm nicht. Es gehört der Regierung. Es ist Regierungsweide. Als aber damals mit den Indianern Friedensverträge gemacht und die Roten in Reservaten zusammengefaßt wurden, übernahm die Regierung die Verpflichtung, für diese befriedeten Indianer zu sorgen. Sie betrachtete die Regierungsweide auch nicht als ihr Eigentum, sondern trat als Treuhänder auf. Sie machte damals mit Big Jesse einen Pachtvertrag auf neunundneunzig Jahre. Sie verpachtete Big Jesse so viel Land, wie er nur haben wollte. Und Big Jesse verpflichtete sich, die Pachtsumme jedes Jahr an die Verwaltung der Indianerreservation zu zahlen. Der Indianeragent kaufte dann für dieses Geld viele notwendige Dinge für seine Reservatsschützlinge ein und rechnete Ein- und 57 Ausgaben an den Indianerbeauftragten, also an das Indianerbüro in der Hauptstadt, ab. So war es damals! Und so ist es noch jetzt. Denn Cliffs Worte lassen keine andere Deutung zu. Jim Overland denkt darüber nach. Und plötzlich bekommt er wieder die Witterung von Verdruß in die Nase. »Heraus mit der Sprache, Cliff!« sagt er ruhig. Der Bruder seufzt. »Wir zahlen jedes Jahr pro Hektar einen Dollar Pacht an die Reservation. Da wir zwanzigtausend Hektar gepachtet haben, müssen wir zwanzigtausend Dollar in die Reservation bringen. Bargeld! Der Vertrag lautet so, daß in Bargeld gezahlt werden muß. Das Geld liegt auf unserer Bank in Sagebee bereit.« »Und?« fragt Jim knapp, und die Witterung eines Verdrusses ist nun ganz deutlich für ihn. Cliff blickt ihn seltsam an. »Ich habe mir etwas ausgerechnet«, sagt er dann gepreßt. »Wenn wir die Pachtsumme nicht vor Ablauf des Termins zahlen, kann der Indianeragent das Land sofort meistbietend an andere Interessenten verpachten. Und das ist Terz Beasleys große Chance. Dieses Jahr ist er nämlich zahlungskräftig genug, um solch eine Summe auf den Tisch legen zu können. Seine Rinderherden haben sich vermehrt, und er hat einige Kontakte mit der Armee und den Silberminen im Süden. Er hat Geld genug eingenommen.« »Weiter, Bruder«, sagt Jim ruhig. Cliff nickt. »Terz Beasley will über den Huß. Er will größer werden und sich ausbreiten. Er träumt von einem Rinderreich und von Macht und Größe. Es war immer sein heißer Wunsch, größer als die Overlands zu werden. Ich kenne seinen Plan zu genau. Er will über den Huß, will sich hier ausbreiten und die Overland Ranch abwürgen. Und wenn er das geschafft hat, wird 58 er all die kleinen Nachbarn unter Druck setzen, sie auskaufen oder auf die rauhe Art vertreiben. Er will mit allen Mitteln über den Huß. Jetzt hat er eine Chance. Er braucht nur zu verhindern, daß die Overland Ranch rechtzeitig die Pachtsumme zahlt. Dann hat er die Möglichkeit, diesseits des Husses ein mächtiges Stück Weide pachten zu können. Er kann dann über den Huß kommen und sich hier ausbreiten. Selbst das Gesetz müßte ihm dann Hilfe geben.« Cliff verstummt seufzend. Jim aber nickt. Ja, es ist alles einfach zu begreifen. Und plötzlich ist er selbst fest davon überzeugt, daß Terz Beasley sich diese einmalige Chance nicht entgehen lassen wird. Er hat heute Beasley gesehen und in dessen Augen seine heißen Wünsche erkennen können. Er weiß auch, daß Terz Beasley schon als Knabe immer wieder angetrieben hatte. Nun ist er ein Mann, der noch ehrgeiziger geworden ist. Cliff spricht wieder. Und er sagt es trocken und ehrlich: »Jim, ich fürchte mich davor, mit zwanzigtausend Dollar zur Reservation reiten zu müssen. Es sind siebzig Meilen durch wildes und rauhes Land. Es ist ein harter und gefährlicher Ritt von mehr als zwanzig Stunden im Sattel. Und eine verdammte Banditenbande hätte mehr als zwei Dutzend Chancen, mir das Geld abnehmen zu können.« »Das glaube ich auch, Bruder«, murmelt Jim langsam. Cliff seufzt. »Ich habe gezögert und gezögert«, spricht er dann weiter. »Zuerst wollte ich mit Jeremy Hammer und mit der ganzen Mannschaft reiten. Ja, ich wollte mir die ganze Mannschaft als Leibwache mitnehmen. Doch das ging aus verschiedenen Gründen nicht. Die Mannschaft muß jetzt das Round-up durchführen. Auch wir 59 müssen ja Lieferungskontrakte erfüllen. Wir müssen fünftausend Stiere an die Armee liefern. Wir haben weitere Lieferkontrakte an Aufkäufer im Minenland bei Tombstone, Tucson und kleineren Städten. Wir müssen kleine Herden an verschiedene Reservate liefern. Wenn wir das. Round-up beendet haben, haben wir einige tausend Rinder in verschiedene Richtungen zu treiben. Bis zum Aufbruch des Winters hat unsere Mannschaft alle Hände
voll zu tun. Wir haben nicht einmal genug Reiter, vertrauenswürdige Reiter. Von der alten und prächtigen Mannschaft sind nur noch Colorado-Jack, Pecos-Charly, Ringo Monk und Tube Britt da. All die anderen guten Jungens hatten bald von Jeremy Hammer genug und ritten davon. Jeremy Hammer machte hier, was er wollte. Denn ich fürchtete mich vor ihm, und Vater lag krank danieder und war machtlos. Die Burschen, die Jeremy Hammer einstellte, taugen zumeist nicht viel. Du wirst das noch herausfinden. Es sind alles Männer, für die Jeremy Hammer der Boß war, und die mich nur angrinsten, wenn ich ihnen einen Befehl erteilen wollte. Ich hatte also auch Furcht, mit dieser unzuverlässigen Mannschaft als Leibwache zu reiten. Und so habe ich Tag für Tag verstreichen lassen. Ich habe gezögert und gezögert und ...« »Hat Jeremy Hammer sich nicht erboten, die Pachtsumme nach der Reservations-Verwaltung zu bringen?« fragt Jim dazwischen. »Nein«, erwidert Cliff. »Und ich wette, daß er, wenn ich von ihm verlangt hätte, er solle mich mit der Mannschaft begleiten, dies abgelehnt haben würde.« »Sicherlich«, nickt Jim. Und dann stellt er die Frage: »Wann muß das Geld bezahlt werden?« »Am ersten Oktober bis Mittag zwölf Uhr!« Jim Overland springt mit einem Satz auf die Beine. 60 Dann holt er seine Nickeluhr aus der Tasche und wirft einen Blick darauf. »In genau achtunddreißig Stunden also!« sagt er trocken. »Warum hast du mir das nicht früher gesagt, Cliff?« Der Bruder senkt seinen runden Kopf, und auf seinen runden Wangen zeigt sich eine dunkle Röte. »Warum?« murmelt er tonlos. »Warum? Warum? Oh, zum Teufel, ich schämte mich ganz einfach, wieder einmal versagt zu haben! Gestern abend nahm ich mir vor, heute allein loszureiten. Doch ich zögerte dann wieder den ganzen Tag. Ich wollte ja losreiten! Ich war heute morgen schon in der Stadt und habe auch schon das Geld aus dem Tresor genommen und verpackt. Aber dann verspürte ich wieder die verdammte Furcht. Ich legte es wieder zurück in den Panzerschrank und kam auf die Ranch zurück.« Jim blickt ihn an, und es ist ein sanfter und ruhiger Blick. Es ist ein guter und verständnisvoller Blick in seinen Augen. Dann geht er um den Schreibtisch herum, hält dicht bei dem Bruder an und legt ihm die Hand auf die Schulter. »Cliff«, sagt er, »wenn wir zusammen nach dem Reservat ritten, hättest du dann immer noch Furcht? Wenn wir zusammen ritten .. .« Cliff Overland erhebt sich langsam. Er ist einen Kopf kleiner als Jim, aber breiter und bulliger. Er wirkt auf den ersten Blick wie ein massiger, starker und harter Mann. Und dennoch ist er es nicht. Er blickt zu seinem großen Bruder empor. Er sieht ihm sogar fest in die Augen. Was er in Jims Augen erkennt, scheint ihm Zuversicht und Mut zu geben. Er atmet tief ein. »Wenn wir zusammen ritten...«, murmelt er. 61 »Wenn ich nur tun müßte, was du für richtig hältst...« Er hebt seine Hand und wischt sich über das Gesicht. »Das ist es ja!« sagt er dann schnell. »Ich werde immer nur ein zweiter Mann sein. Ich bin nicht dazu geboren, der erste Mann zu sein. Das war es ja, woran ich scheiterte! Ich kann keine Entscheidungen treffen. Ich kann keine Verantwortung übernehmen. Ich kann nicht einmal für mich selbst Entscheidungen treffen. Ich bin ein Zögerer, ein Zauderer, ein Unentschlossener, der sich stets davor fürchtet, etwas falsch zu machen. Bruder, wenn du mir nur immer sagst, was ich tun soll, dann werde ich wohl nicht versagen.« Jim nickt. Er hätte viel zu erwidern, doch er läßt es. Er sagt vielmehr: »Pack Proviant zusammen, Cliff. Und für mich eine gute Winchester und für dich eine Schrotflinte. Genügend Munition. Ich sattle die Pferde. Wir nehmen jeder noch ein zweites Tier mit. Und dann reiten wir!« Nach diesen Worten geht er schnell hinaus. Seine Müdigkeit ist verschwunden. Er hat wieder gerade Schultern und geht sehr leicht und geschmeidig. 6 Als er die vier Tiere vor das Ranchhaus bringt, ist auch Cliff bereit. Er hat zwei Bündel gepackt und kommt nun herunter, um diese hinter den Sätteln festzuschnallen. Jim untersucht die beiden Gewehre, die an der Verandabrüstung lehnen. Dann schiebt er sie in die Sattelhalfter. Jube David bringt zwei Proviantbeutel herüber und verstaut sie in den Satteltaschen. Er hat auch zwei Was62 serflaschen mitgebracht und hängt sie über die Sattelhörner. Auf der Veranda erscheint Jennifer. Sie sagt: »Big Jesse ist aufgewacht. Ich habe ihm schon alles berichtet, was inzwischen geschah und was ihr nun vorhabt. Er will Jim sehen.« Jim nickt. Er geht an ihr vorbei ins Haus. Jennifer blickt auf Cliff nieder, der nun wartend bei den Pferden steht. Der Koch hat sich wieder entfernt. Auch von den Ranchhelfern ist nichts zu sehen.
Cliff und seine Frau sind ganz allein. »Mich wollte Big Jesse nicht sehen?« fragt er nach einer Weile gepreßt. »Nein«, erwidert sie, »dich nicht.« Er blickt dann eine Weile schweigend zu ihr empor. Plötzlich kommt sie zu ihm herunter und tritt ganz dicht zu ihm. »Fürchtest du dich jetzt nicht mehr?« fragt sie herb. »Mir ist jetzt besser«, erwidert er. »Ich bin ein Mann, der einen Berg tragen sollte. Jim hat mir diesen Berg abgenommen.« »Yeah«, murmelt sie. »Genauso ist es!« »Du verachtest mich, Jennifer?« »Ich weiß nicht«, murmelt sie. »Manchmal denke ich, daß ich dich verachte, und manchmal habe ich Mitleid. Wenn du doch jetzt wenigstens als zweiter Mann nicht versagen würdest, ich wäre zufrieden damit. Und wenn du doch wenigstens zurückschlagen würdest, wenn man dich angreift. Ich verlange nicht, daß du ein Sieger bist. Aber, zum Teufel, schlage zurück! Kämpfe! Ein Verlierer braucht sich nicht zu schämen, wenn er nur sein Bestes gegeben hat.« Nach diesen Worten stellt sie sich plötzlich auf die Zehenspitzen und küßt ihn. Dann eilt sie ins Haus zurück. 63 Cliff betastet seine Lippen. Er spürt dort noch den warmen Kuß seiner Frau. Und er murmelt: »Ich habe noch einmal eine Chance. Sie gibt mir noch einmal eine Chance, mir ihre Achtung gewinnen zu können. Oh, du lieber Gott im Himmel, steh mir bei!« Indes steht Jim am Bett des Vaters. Big Jesse ist sehr wach. Und der tiefe Schlaf hat ihm gutgetan. Er wirkt frischer, hoffnungsvoller und lebendiger. Er sagt: »Jennifer hat mir alles berichtet. Du machst alles nach meinem Herzen, Junge. Jetzt ist es für mich nicht mehr so verdammt schwer, krank zu sein und machtlos zusehen zu müssen. Jim, es war gestern ein guter Tag für mich. Viel Glück für den Ritt!« Jim nickt. »Der Tag meiner Heimkehr war auch für mich ein guter Tag, Vater.« Dann will er sich abwenden, denn es gibt eigentlich zwischen ihnen nichts mehr zu sagen. So wenig sie sich früher verstanden haben, so sehr ist dieses Verstehen jetzt vorhanden. Sie brauchen kaum noch Worte zu wechseln. Es ist etwas zwischen ihnen, was nur zwischen Vater und Sohn sein kann, die sich sehr, sehr ähnlich sind, und das nicht nur äußerlich, sondern vor allen Dingen im innersten Kern. Aber Big Jesse hält seinen Ältesten noch einmal zurück. »Jim, du nimmst Cliff mit«, sagt er. »Ich habe mit Cliff alles falsch gemacht. Ich wollte nicht einsehen, daß ich zu viel von ihm verlangte. Er hat es sehr schwer gehabt. Ich war hart und ungerecht zu ihm. Ich verlangte zu viel von ihm, mehr, als er geben konnte. Das hat ihn wohl zerbrochen und unsicher in allen Dingen gemacht. Er hat den Glauben an sich selbst verloren. Daran bin ich schuld. Jim, mach es anders! Hab Geduld mit ihm und gib ihm eine Chance.« 64 »Ich bin sehr froh, daß du mir das sagst, Vater, sehr froh. Wir Overlands machen auf irgendeine Art wohl alle unsere Fehler. Aber wir werden jetzt schon zurechtkommen.« Er macht eine grüßende Handbewegung und geht hinaus. Jennifer steht in der Halle und blickt ihn an. »Viel Glück!« sagt sie. »Hast du das auch Cliff gewünscht?« fragt er. Sie nickt. »Mehr als das, Schwager!« Da geht er hinaus. Draußen wartet Cliff im Sattel. Er hält die Leine des zweiten Pferdes in der Hand. Jim sitzt auf und nimmt auch die Leine seines Reservepferdes. Einer der Ranchhelfer kommt herbei. »Noch Befehle, Boß?« fragt er. Es ist einer der alten Cowboy-Veteranen. Jim sagt zu ihm nieder: »Du bist Mack McClure, nicht wahr? Setz dich auf ein Pferd und reite zum Round-up-Camp. Sag den Jungens, daß ich mit Cliff das Geld zum Reservat bringe. Tube Britt ist Vormann. Er soll alles tun, was er für notwendig hält. Wenn er eine schwere Entscheidung zu treffen hat, dann soll er sich mit Colorado-Jack, Ringo Monk und Pecos-Charly beraten. Sag diesen Jungens, daß ich mich auf sie verlasse.« »Ich werde alles ausrichten, Wort für Wort«, brummt der alte Weidereiter. Und dann reiten Jim und Cliff Overland los. Gegen Mitternacht erreichen sie die Stadt. Zehn Minuten später haben sie den Kassierer und stellvertretenden Bankleiter der Overland-Bank aus dem Bett getrommelt und öffnen den Geldschrank. Der Kassierer ist ein dunkelhaariger, dünner und nicht mehr junger Mann. Er kleidet sich städtisch und trägt ein dunkles Bärtchen über der Oberlippe. Er wirkt leicht nervös und sagt unruhig: 65 »Jetzt haben wir nicht mehr viel Bargeld in der Bank. Diese zwanzigtausend Dollar könnten uns fehlen, wenn einige größere Beträge abgehoben werden. Sie haben zu viele Kredite gegeben, Cliff. Wenn Terz Beasley auf die Idee kommen sollte, sein Konto zu löschen, dann...«
»Wie hoch ist das Konto?« fragt Jim. »Jetzt noch siebzehntausend Dollar. Zwanzigtausend hat er gestern abgehoben.« Jim und Cliff blicken sich an. Aber sie sagen nichts, obwohl es für sie sehr bedeutsam ist, daß Terz Beasley genau die Summe abgehoben hat, die nun auch sie zum Reservat als Pachtgeld bringen wollen. Als sie draußen aufsitzen und Jim die beiden prallen Ledertaschen mit dem Geld vor sich über den Pferdenacken legt, tritt ein Mann aus der Dunkelheit zu ihnen. Es ist der Marshai Tom Randell. Er kommt vom Gehsteig herunter und tritt dicht an Jims Pferd. Er legt Jim die Hand gegen das Knie und blickt zu ihm auf. »Viel Glück!« sagt er ruhig. »Ihr werdet es brauchen. Ich habe in meinem ganzen Leben nur selten jemandem einen Tip gegeben. Heute möchte ich es wieder mal tun. Die Bank wurde in den letzten Tagen genau beobachtet. Als ihr vorhin hineingegangen wart, blickte ein Bursche durch das Fenster, und dann ritt er sehr schnell aus der Stadt. Jim, du weißt, was das bedeuten könnte?« »Genau!« sagt Jim. »Jemand wollte wissen, wann wir das Pachtgeld aus der Bank holen und damit zum Reservat aufbrechen. Du beobachtest gut, Tom Randell.« »In dieser Stadt entgeht mit nichts«, sagt der Marshai. »Ich kenne hier die schwarzen und weißen Böcke sehr genau.« Er blickt sich dabei um und zur Tür der Bank, 66 die von dem Kassierer John Moore soeben geschlossen wird. John Moore schließt klirrend ab und will zum Hotel, in dem er ein Zimmer bewohnt. Der Marshai sagt plötzlich hart: »Moore, kommen Sie her!« Und er wendet sich dabei um und geht dem Kassierer entgegen. Jim und Cliff sitzen noch unbeweglich auf den Pferden und hören, was der Marshai zu sagen hat. Und sie hören es deutlich. Sie begreifen auch, daß Tom Randell ihnen damit auf seine verschlossene Art einen Hinweis auf den Mann geben will, der stellvertretend für Cliff Overland die Bank leitet. »Moore«, sagt der Marshai hart, »Sie haben vorhin im Restaurant eine Lady belästigt. Miß Jane Baker ist zwar fremd hier, aber das bedeutet nicht, daß sie ohne Schutz ist. Verstanden?« »Oh, zum Teufel, sie ist keine Lady«, sagt John Moore ärgerlich. »Ich wollte ihr nur klarmachen, daß ich sie schon mal in St. Louis gesehen habe, wo sie in einem Saloon die Bank hielt und auf der Bühne für die Gäste sang.« »Miß Jane Baker ist als Lady nach Sagebee gekommen und wird hier als Lady respektiert, solange sie es will«, murmelt der Marshai, wendet sich ab und geht davon. Auch Jim und Cliff reiten jetzt los. Doch in Jim ist eine tiefe Nachdenklichkeit. »Jane Baker«! Dieser Name erweckt ganz plötzlich Erinnerungen in ihm, die er zurückgelassen zu haben glaubte. Er kann gar nicht glauben, was er soeben hörte. Und dennoch ist er sich fast sicher, daß jene Jane Baker nach Sagebee gekommen ist, die er in Rainbow kannte. »Oh, zum Teufel!« murmelt er bitter. Sie reiten gerade am Hotel vorbei. Einige Fenster des oberen 67 Stockwerkes sind erleuchtet. Als Jim hinauf zu diesen Fenstern blickt, ja, da sieht er Jane Baker. Es ist kein Irrtum! Er kann sie im Lichtschein erkennen. Ihr Haar ist rot, und er erkennt sie an der Art, wie sie sich aus dem Fenster beugt. Gerade dieses Bild ist fest in seiner Erinnerung. Denn die Zeit ist noch nicht lange her, da er als Marshai durch die Straßen von Rainbow ging, jener wilden Goldgräberstadt, die er zähmte und bändigte. Er hat sie oft so in einem erleuchteten Fenster gesehen und auf sich niederblicken sehen. Viele andere Dinge sind plötzlich wieder in seiner Erinnerung. Oh, Jane, warum bist du mir gefolgt? Diese Frage stellt er sich immer wieder, obwohl er sich eine ganz klare Antwort geben kann. Und dennoch muß er immer wieder diese Frage stellen, indes er mit dem Bruder aus der Stadt reitet. Denn seiner Meinung nach gibt es für Jane und ihn keinen Weg zueinander. Das kann nicht sein. Deshalb ging er von Rainbow fort, ohne sie noch einmal zu sehen. Und jetzt ist sie nach Sagebee gekommen! Es kostet Jim viel Mühe, sie aus seinen Gedanken zu verdrängen und seine Aufmerksamkeit diesem Ritt durch die Nacht zuzuwenden. Terz Beasley führt seine Mannschaft den Weg zurück, den sie gekommen waren. Und wie immer reiten sie rauh und verwegen. Diese rauhen Ritte braucht Terz Beasley wie die Luft zum Atmen. Wenn er so an der Spitze seines rauhen Rudels durch das Land reitet, wenn der donnernde Hufschlag weit vorauseilt, ja, da spürt er einen wilde Freude. Irgendwie ist dann in ihm 68 ein Gefühl von Unüberwindlichkeit, von Größe und Stärke und Macht. Er kommt sich dann stets wie ein großer Häuptling vor oder wie eine Art Eroberer, der mit seiner wilden Schar durch das Land reitet und gegen den es keinen Widerstand gibt. Doch heute hat er eine Niederlage erlitten, das weiß er genau. Heute reitet er mit einem bösen Zorn.
Sie erreichen die Zollbrücke. Broderick Webbs steht am Schlagbaum, ein alter Mann, der sich auf einen Stock stützt. Er öffnet diesmal die Schranke nicht, wie er es sonst immer tut, wenn Terz Beasley mit seinem rauhen Rudel über die Brücke will. Dicht vor der immer noch geschlossenen Schranke hält Terz Beasley sein schäumendes Tier an. Auch seine Hosen sind bis zu den Hüften mit flockigem Pferdeschweiß besudelt. »Webbs, bist du verrückt?« fragt er böse. »Ich habe dir damals gesagt, daß ich die Brückenschranke stets geöffnet haben möchte. Bist du verrückt geworden, Großvater?« Broderick Webbs schluckt etwas mühsam. »Wir hatten eine monatliche Pauschalsumme ausgemacht«, sagt er. »Wir hatten ausgemacht, daß die Beasley Ranch eine monatliche Pauschalsumme zahlt und jeder Reiter der Beasley Ranch auf Grund dieser Pauschalsumme die Brücke in beiden Richtungen überqueren kann, so oft er nur will. Nun gut, ich habe von der Beasley Ranch schon seit zwei Monaten keinen Brückenzoll erhalten. Diese Brücke aber ist mein Eigentum. Ich lasse euch zum letzten Male über diese Brücke reiten. Es kommt von der Beasley Ranch niemand mehr über die Brücke, solange die rückständigen Gebühren nicht beglichen sind. Es ist eine Privatbrücke. Wer sie benutzt, muß Zoll zahlen. Und wem das nicht paßt, der soll sich eine eigene Brücke über den Fluß bauen.« 69 Terz Beasley hört sich das alles schweigend an. Er schweigt auch nachher noch eine Weile, indes die Pferde schnaufen und mit ihren Hufen dumpf auf den Brückenbohlen tanzen. Sättel knarren und Metallteile klimpern. Und Broderick Webbs, der ein alter Mann ist, bekommt plötzlich Furcht, als er in Terz Beasleys Augen blickt und auf dessen Erwiderung wartet. Terz Beasley sagt nach einer langen Pause ganz ruhig und kalt: »Ich bin es jetzt leid, Webbs. Ich bin es jetzt leid, daß ich dich um Erlaubnis bitten muß, um über diese Brücke reiten zu können. Well, ich werde mir eine eigene Brücke verschaffen. Doch ich werde keine Brücke bauen. Ich werde eine Brücke kaufen. Und welche Brücke wird das wohl sein, Webbs?« Er stellt diese Frage mit einem bösen Lächeln, das von seinem gelben Schnurrbart nicht verborgen werden kann. Wenn Terz Beasley lächelt, dann ist dies immer ein breites Zähnefletschen, weil seine Lippen so aufgeworfen sind. Broderick Webbs erschrickt leicht. »Meine Brücke ist unverkäuflich«, sagt er. »Sie ist verkäuflich«, nickt Terz Beasley. »Ich gebe dir drei Tage Zeit mir das Kaufangebot zu machen und mir den Preis zu nennen. Wenn du diese einmalige Chance nicht nutzt, wirst du es bitter bereuen. Und du weißt genau, daß ich nicht bluffe, sondern eine ganze Reihe von Möglichkeiten habe, dir...« Er vollendet den Satz nicht, sondern bricht ab und fügt mit scheinheiliger Sanftheit hinzu. »Ich möchte dir nicht drohen, Großvater. Und jetzt mach diese verdammte Schranke auf. Vorwärts!« Broderick Webbs gehorcht. Die Reiter donnern vorbei und lassen eine Staubwolke zurück. Als sich diese 70 Staubwolke verzogen hat, steht Broderick Webbs immer noch am selben Heck und verspürt eine starke Furcht. Denn er weiß jetzt, daß Terz Beasley nun diese Brücke haben will. Und diesseits des Husses hat Beasley bisher alles bekommen, was er haben wollte. Sehr langsam und sehr nachdenklich geht Broderick Webbs zu seinem kleinen Blockhaus zurück. Er ist ein alter Mann, dessen Zeit längst vorbei ist. Er hat sich einige Ersparnisse zurückgelegt und selbst schon daran gedacht, die Brücke zu verkaufen. Mit dem Kauferlös und seinen Ersparnissen wäre sein Lebensabend gesichert. Aber an Terz Beasley verkaufen? An diesen Weidepiraten verkaufen? Aus Furcht an Beasley verkaufen? Broderick Webbs ist nicht sehr dafür. Er ist alt. Seine Zeit ist fast schon abgelaufen. Und doch ist er ein mutiger Mann. Und er ist fest davon überzeugt, daß diese Brücke niemals in den Besitz eines selbstsüchtigen und machtlüsternen Mannes geraten darf. Diese Brücke muß stets in neutraler Hand bleiben. Das war für Broderick Webbs immer einwandfrei klar. Und er war immer ein neutraler Mann. Vielleicht hat er deshalb nicht viele Freunde im Lande. Aber einen Freund besitzt er. Es ist Tom Randell, der Town Marshai!* von Sagebee. Und es wird gut sein, sich mit Tom Randell einmal zu besprechen. * Ein Town Marshai ist kein Sheriff. Solch ein Town Marshai, wie hier in diesem Falle Tom Randell, vertritt nur das Stadtgesetz, und seine Amtsbefugnis reicht über die Stadtgrenzen nicht hinaus. Ein Town Marshai war damals ein von der Bürgerschaft angeworbener oder unter Vertrag genommener Mann, der innerhalb der Stadt für Ordnung, Frieden und Sicherheit zu sorgen hatte. 71 Indes reitet Terz Beasley mit seiner Mannschaft zu seinem eigenen Round-up-Camp. Er entläßt die Mannschaft zur Arbeit und erteilt seinen beiden Vormännern einige Befehle. Mit seinen beiden ständigen Begleitern Barton Douglas und Arnos Buchanan, zwei schweigsamen Revolvermännern aus Texas, reitet Terz Beasley dann am späten Nachmittag weiter zur Hauptranch. Und als er dem Pferdewärter sein Pferd übergibt, sagt der junge Bursche zu ihm:
»Jeremy Hammer ist gekommen und wartet auf Sie, Boß.« Terz Beasley knurrt grimmig und macht sich auf den Weg. Jeremy Hammer sitzt in der Wohnhalle des Ranchhauses und erhebt sich langsam bei Beasleys Eintritt. Sein Gesicht ist von Jim Overlands Fäusten deutlich gezeichnet, und der ganze Jeremy Hammer wirkt wie eine störrische und haßerfüllte Bulldogge. Terz Beasley stemmt seine Hände in die Seiten und betrachtet ihn von oben bis unten. »Er hat dich verprügelt und zum Teufel gejagt«, sagt er kalt. »Und warum kommst du Narr jetzt zu mir?« »Ich habe das Spiel richtig gespielt«, brummt Jeremy Hammer. »Ich habe die Overland Ranch unbeliebt gemacht und die Nachbarn unter Druck gesetzt und offensichtlich betrogen und bedrängt, so daß sie sich an dich um Hilfe wandten. Ich habe das ganze Spiel richtig gemacht, so wie wir es besprochen hatten. Was kann ich dafür, daß Jim Overland wenige Minuten vor dir eintraf und alles wieder in Ordnung brachte? Was kann ich dafür, daß du einige Minuten zu spät kamst? Und was kann ich dafür, daß ihn die Leute für einen zweiten oder neuen Big Jesse halten, ihm vertrauen und an ihn glauben? Ich kann nichts dafür! Denn ich habe alles genau richtig gemacht. Du hättest heute mit Hilfe der kleinen Rancher die Overland-Mannschaft zerbrechen 72 und zum Teufel jagen und auf der anderen Seite des Husses Fuß fassen können, wenn du nur einige Minuten früher gekommen wärest. Das ist nicht meine Schuld. Gib mir also die fünftausend Dollar, die du mir für meine Arbeit versprochen hast. Ich bin gekommen, um mir meinen Lohn zu holen.« Terz Beasley atmet langsam aus. Er starrt Jeremy Hammer eine Weile grimmig an. Dann sagt er kalt: »Du hast versagt, Hammer. Du hast dich von Jim Overland verprügeln und fortjagen lassen. Dadurch bekam er Gelegenheit, sich die kleinen Ranchers wieder zu Freunden zu machen. Ich habe keinen Lohn für dich, Jeremy Hammer.« »Betrüg mich nur nicht«, sagt dieser. »Ich hatte am Anfang auf der Overland Ranch einen guten Job. Und es wäre immer noch ein guter Job, wenn du mich nicht auf deine Seite gezogen hättest. Ich habe diesen Job aufs Spiel gesetzt, weil ich den harten und ungerechten Vormann spielte und die Nachbarn gegen die Overland Ranch aufbrachte. Ich will meinen Lohn haben.« Terz Beasley schüttelt den Kopf. »Verschwinde!« sagt er hart. »Drohst du mir, Beasley?« »Yeah!« Jeremy Hammer macht den Ansatz einer schnellen Bewegung, doch er läßt es sein, denn er weiß zu genau, daß Terz Beasley mit dem Revolver sehr viel schneller ist als er. Er senkt seinen massigen Kopf und denkt nach. »Nun gut«, murmelt er, setzt sich in Bewegung und geht an Terz Beasley vorbei durch die offene Tür hinaus. Beasley folgt ihm. Drüben beim Küchenhaus sitzen die beiden Revolvermänner aus Texas auf einer Bank und blicken herüber. 73 Jeremy Hammer geht langsam zu seinem Pferd, sitzt auf und reitet wortlos davon. »Reite aus dem Land und laß dich nie wieder blicken«, sagt Terz Beasley hinter ihm her. Jeremy Hammer blickt sich nicht einmal um. Mit gesenktem Kopf reitet er davon, einige Meilen weit, bis er bei Anbruch der Nacht die Hügel erreicht und anhält. Er hat nun lange genau nachgedacht. »Du bist dumm, Beasley«, sagt er jetzt laut. »Du bist dumm, weil du mich um den versprochenen Lohn betrogen hast. Du bist wirklich verdammt dumm, Mister Beasley!« Nach diesen Worten denkt er wieder eine Weile nach. Und er denkt nun nicht mehr an Terz Beasley, sondern daran, wie er zu Geld kommen könnte. Denn er ist jetzt ein Mann, der eine gute Stellung aufs Spiel gesetzt und verloren hat. Es ist ihm auch das Geld entgangen, welches Beasley ihm zahlen sollte. Fünftausend Dollar! Dafür muß ein Spitzencowboy mehr als zehn Jahre arbeiten. Der durchschnittliche Monatslohn für einen Cowboy beträgt etwa dreißig Dollar. Jeremy Hammer denkt wirklich tief darüber nach, wie er zu Geld kommen könnte. Und er fragt sich, ob Cliff Overland nicht bald mit der Pachtsumme zur Reservatsverwaltung reiten wird. Wenn Cliff Overland allein reitet, dann wäre das eine leichte Sache für Jeremy Hammer, zu Geld kommen zu können. Aber wenn ... Er denkt diesen Gedanken nicht zu Ende, sondern lenkt sein Pferd in Richtung Sagebee. Bald darauf verläßt er wieder die Hügel und reitet auf die Poststraße, die nach Sagebee führt. Kurz vor der Stadt begegnet ihm ein Reiter, der es sehr eilig hat. Er läßt den Reiter an sich vorbei, hält an und blickt ihm nach. 74 Mond und Sterne leuchten nun. Er hat den Reiter erkennen können, genauso, wie dieser ihn erkannt hat. Er weiß, daß es einer von den texanischen Revolvermännern war, die Terz Beasley importiert hat, um seine ohnehin schon rauhe Mannschaft zu verstärken und sich mit einer Art Leibwache zu umgeben. Jeremy Hammer denkt darüber nach, warum es der Mann so eilig hatte. Er kommt sichtlich zu einem bestimmten Ergebnis, reitet deshalb von der Straße hinunter und auf eine Waldgruppe zu. Im tiefen Schatten der Bäume
verschwindet er, sitzt ab und stellt sich neben den Kopf seines Pferdes. Er braucht nicht lange zu warten. Bald darauf vernimmt er Hufschlag. Er hält seinem Pferd die Nüstern zu und späht scharf zur Straße hinüber. Das bleiche Mondlicht macht ihm die Sache leicht. Zuerst glaubt er, es kämen vier Reiter. Dann erkennt er, daß es nur zwei Männer sind, die jeder ein Reservepferd bei sich haben. Er erkennt auch die Männer. Es sind Jim und Cliff Overland. »Sie reiten beide«, murmelt er. »Sie sind mit zwanzigtausend Dollar unterwegs zum Reservat. Und Terz Beasley weiß das, sobald der Mann die Ranch erreicht, den er in der Stadt auf der Lauer gehalten hat. Nun gut, Beasley wird seine drei Revolvermänner losschicken, damit sie den Overland-Brüdern das Geld abnehmen. Und Beasley selbst wird ...« Er spricht seine Gedanken nicht zu Ende, denn sie sind jetzt schneller als seine Worte. Er reitet los. Und er sitzt auf einem guten Pferd, einem häßlichen, aber echten >Criollo<. Diese inzwischen ausgestorbene Pferderasse gab es damals noch. Sie waren nicht schnell, diese Criollos, aber sie konnten so stetig, ausdauernd und ohne Pause trotten wie Wüstenwölfe. Auf Strecken über hundert Meilen schlu75 gen sie jeden Renner. Es waren häßliche Pferde mit starken Herzen, großen Lungen und unwahrscheinlichen Reserven. Sie stammten von den Vollblutpferden der spanischen Conquistadores ab, lebten aber seit endlosen Generationen in der Wildnis, die eine mitleidlose Auslese traf. Sie behaupteten sich Jahrhunderte in einem Land, das grausam und mitleidlos zu allen Geschöpfen war. Auf solch einem Criollo oder Grulla sitzt Jeremy Hammer. Und er hat keine Sorge, daß er zu weit zurückbleiben wird. Für ihn ist alles klar. Vor ihm sind die Overland-Brüder mit zwanzigtausend Dollar. Doch vor den OverlandBrüdern wird Terz Beasley mit seinen Texanern reiten, ebenfalls mit zwanzigtausend Dollar. Er wird diese drei Texaner irgendwo zurücklassen, damit sie den Overland-Brüdern den Weg versperren. Und weil das so sein wird, rechnet sich Jeremy Hammer eine gute Chance aus. 7 Jim und Cliff Overland kommen in der hellen Nacht gut vorwärts. Erst nach etwa dreißig Meilen müssen sie die Poststraße verlassen und sich östlicher halten. Sie folgen nun einem Weg, der nur von Huf spuren gekennzeichnet ist, und sie reiten in ein wildes und zerhacktes Land hinein, in dem es tausend versteckte Winkel gibt. Die Sonne steigt empor, und es wird noch einmal ein heißer Tag. Der Weg führt durch enge Schluchten, über felsige Rächen, durch tiefe und mit Dornenge76 strüpp gefüllte Senken und dann in einem aufsteigenden Canyon* hinauf zur Wasserscheide des KriegsbaumPasses. Die Hufschläge ihrer Pferde hallen im Canyon, der8 den Namen >Kriegsbaum-Canyon< trägt. Als sie auf der Wasserscheide sind, ist es früher Mittag. Ihre Pferde sind erschöpft, und sie müssen nun eine längere Rast einlegen. Sie sitzen ab und beginnen die Tiere abzusatteln, abzureiben und durchzumassieren. Jim beobachtet seinen Bruder. Cliff hat sich gut gehalten. Er hat den rauhen Ritt gut durchgestanden, obwohl man ihm ansehen kann, wie sehr sein Körper verkrampft, verzogen und gemartert wurde. »Wie geht es dir, Cliff?« fragt Jim nach einer Weile ruhig. Cliff massiert erst noch die Brustmuskeln seines zweiten Pferdes durch. Dann wendet er sich schnaufend um und grinst. Es ist das erste frohe und zufriedene Grinsen, welches Jim an Cliff beobachten kann. Dann sagt Cliff ächzend: »In meinem Magen rumort ständig ein Wolf. Meine Rippen sind verbogen. Und dort, wo Nieren und Leber sein müßten, piekt dauernd jemand hinein. Mein Rückgrat muß gebrochen sein, und in allen Muskeln sitzt der Krampf. Aber sonst geht es mir gut. Ich gehe jede Wette ein, daß der Wolf in meinem hüpfenden Magen bald richtig zu heulen beginnt. Und wie geht es dir, großer Häuptling?« »So ähnlich, Bruder«. Jim grinst zurück. »Aber wir haben gut den halben Weg geschafft, obwohl das Ge* Canyon kann man eigentlich nur mit dem deutschen Wort >Röhre< übersetzen, und das ist auch der Unterschied zu einer Schlucht, die ja mehr mit einer mehr oder weniger breiten Spalte zu vergleichen ist. In einem Canyon gab es oder gibt es immer einen Wasserlauf. G. F. Unger 77 lande jetzt gewiß noch rauher wird und wir unsere Knochen, Muskeln und unser Inneres noch mehr durcheinanderbringen und martern werden.« Nach diesen Worten schweigen sie und machen an ihren Pferden weiter. Als sie fertig sind, drehen sie sich eine Zigarette und rauchen. Sie bewegen sich ständig, und das lockert ihre verkrampften Muskeln. Manchmal blicken sie sich an und lächeln sich zu. Ja, sie sind Brüder, und das spüren sie nun sehr deutlich. Es ist etwas Gemeinsames und Gutes zwischen ihnen. Nach einer Weile, als sie geraucht haben, ihre verkrampften Muskeln sich wieder gelockert haben und die Schmerzen in Rückgrat, Nieren und Magen nicht mehr so scharf sind, holen sie Proviant aus den Satteltaschen
und beginnen zu essen.* »Bis jetzt ging alles gut«, sagt Cliff einmal kauend. Vielleicht habe ich mir unnötig Sorgen gemacht und hätte auch allein reiten können.« Aber Jim schüttelt den Kopf. Er deutet auf einen Pferdeapfel und sagt: »Der war schon vor uns da, und er ist frisch. Vor uns sind Reiter. Ich habe schon auf dem ganzen Weg immer wieder Spuren entdeckt. Vor uns reiten vier Männer. * Man meint allgemein, daß richtige Cowboys mühelos rauhe Ritte unternehmen konnten und so zäh und hart waren, daß sie nichts spürten. Aber das war nicht so. Mit vierzig Jahren war damals ein Cowboy alt und verbraucht, krumm und schief. Ein Leben im Sattel forderte seinen Zoll. Nach einem rauhen Ritt saß jeder Cowboy nur noch mit Schmerzen im Sattel. Das konnte gar nicht anders sein. Und gerade das kennzeichnet ja die große Härte jener Cowboys von damals. Wenn also hier beschrieben wird, wie Jim und Cliff Overland nach dem rauhen Ritt ihre Schmerzen spüren, so entspricht dies der Wirklichkeit. G. F. Unger 78 Und ich frage mich schon eine ganze Weile, wann und wo sie anhalten und auf uns warten werden. Ich war nie im Reservat. Als ich damals noch daheim war, ritt mein Vater immer allein.« »Ich war schon dreimal dort«, sagt Cliff ruhig. »Und wenn du mich fragst, wo die Reiter vor uns vielleicht auf uns warten könnten, dann könnte das vielleicht in der Nugget Gulch sein. Es gibt dort eine verlassene Goldgräberstadt, und wir müssen mitten hindurch.« Er verstummt erregt, wischt sich über das Gesicht und hat mit einem Male wieder unruhige Augen. »Sicher«, sagt Jim ruhig, »wir müssen mitten hindurch. Man muß durch alles hindurch, Bruder. Denn manchmal kann man keine Umwege machen. Man muß die Karten nehmen, wie sie fallen, das Beste daraus machen und auf sein Glück vertrauen. Vor was hast du Angst?« Cliff wird plötzlich ruhiger. Er grinst wieder. »Richtig«, sagt er, »du bist ja der Häuptling. Ich reite nur mit dir und brauche nur zu tun, was du sagst. Wenn ich mir es richtig überlege, dann gibt es eigentlich keinen Grund zur Furcht für mich. Denn du wirst schon alles richtig machen.« Jim betrachtet ihn nachdenklich. »Bruder«, sagt er dann ernst. »Wenn es rauh wird, dann überleg nicht lange, sondern schieß. Wir haben für dich eine Schrotflinte mitgenommen. Damit kannst du jeden Revolverhelden schlagen. Ich kannte mal einen Marshai, der konnte mit dem Revolver auf zwanzig Schritt kein Scheunentor treffen. Und dennoch bändigte dieser Mann eine wilde Stadt und nahm es mit all den verrückten und ehrgeizigen Revolverschwingern auf, denn er hatte stets eine Schrotflinte bei sich und gute Nerven. Dieser Mann konnte sich gegen die wilde Meute behaupten. Nun gut, reiten wir weiter!« 79 Sie sitzen auf, nachdem sie ihre Tiere gesattelt haben, reiten über die Wasserscheide hinweg und in einen abfallenden Canyon hinein. Nach einigen Meilen kommen sie in ein langes Tal, durchreiten es und erreichen dann am Nachmittag das Ende des Tales. Es ist eine Schluchtöffnung. »Zwei Meilen vor uns liegt Nugget Gulch«, sagt Cliff gepreßt. »Die Schlucht ist dort etwa eine halbe Meile breit. Und wir müssen mitten durch die längst verlassene Goldgräberstadt hindurch.« »Sicher, mitten hindurch«, sagt Jim trocken und reitet in die anfänglich schmale Schlucht hinein. Der Hufschlag hallt mächtig zwischen den Felswänden. Allmählich verbreitert sich die Schlucht, und überall sind die Zeichen dafür vorhanden, daß hier mal tausend oder noch mehr Goldgräber wie emsige Ameisen gearbeitet haben. Überall sind Minenlöcher. Stollen führen in die Felswände hinein. Dort, wo der Schluchtboden weich ist, wurde er umgewühlt. Auch verfallene Hütten, Erdlöcher mit beschädigten Dächern und andere Überreste von Behausungen sind noch vorhanden. Ja, diese Schlucht wimmelte damals vor vielen Jahren von rauhen Burschen, die nach Gold suchten. Sie war gewiß angefüllt mit Lärm und emsiger Arbeit. Jetzt ist alles still und ausgestorben, verlassen und aufgegeben. Als die Goldfunde seltener wurden und dann völlig ausblieben, zogen auch die Goldgräber wieder ab, vielleicht nach Colorado oder nach den Black Hills, oder gar nach Montana, wo neue Goldfunde lockten. Jim und Cliff reiten langsam weiter, und Cliff beobachtet immer mehr seinen Bruder Jim. Er vergleicht ihn in Gedanken schon bald mit einem Tiger, einem vorsichtigen, wachsamen, schlauen und erfahrenen Tiger. Denn mit Jim Overland ging eine Veränderung vor 80 sich, und diese Veränderung ist nicht so sehr äußerlich. Jim sitzt wie immer im Sattel, locker und lässig. Doch er reitet jetzt mit gesenktem Kopf. Die breite Hutkrempe verbirgt viel von seinem Gesicht. Er dreht oder wendet den Kopf auch nicht. Und dennoch weiß Cliff, daß Jim jetzt sehr angespannt, wachsam und aufmerksam ist. Er ahnt, daß Jim trotz seines gesenkten Kopfes und unter der Hutkrempe hervor alle Dinge scharf betrachtet und aus den Augenwinkeln beobachtet. Cliff kennt das von Big Jesse. Und der hatte es von den Indianern gelernt. Ja, es ist ein Indianertrick, den Cliff jedoch nie gelernt hat. Aber er weiß, daß es Männer gibt, die so mit gesenktem Kopf reiten oder durch eine nächtliche Stadt gehen können und die dennoch die geringste Bewegung,
ein kurzes Blinken oder einen schnellen Schatten in ihrer näheren und auch weiteren Umgebung wahrnehmen können. Das Senken ihres Kopfes und ihre lässige Haltung sind nur ein Trick, der irgendwelche lauernden Gegner zu unvorsichtigen Bewegungen verleiten soll. So reiten die Brüder also weiter in die Schlucht hinein, die sich immer mehr ausbreitet und dann einen ziemlich scharfen Knick macht. Hinter dem Knick liegt die verlassene Goldgräberstadt. Sie füllt die Schlucht, und die Straße führt mitten hindurch. Dies war der Ort, in den damals jeden Tag tausend oder noch mehr Goldgräber strömten, um nach einem harten Tagewerk Vergnügen und Spaß zu bekommen. Hier in Nugget Gulch City gab es damals alle Sünden, Laster und Leidenschaften der Menschheit. Ja, dies war einmal eine wilde Stadt, mit Saloons, Spiel- und Tanzhallen, Hotels, Speiseküchen und Geschäften, einer Fracht- und Postlinie und all den guten und schlechten Menschen aus tausend Meilen in der Runde. 81 Solch eine Stadt war auch Rainbow, in der Jim Overland Marshai war und die er bändigte. Die beiden Overlands reiten langsam die Hauptstraße hinauf, und rechts und links reihen sich die verfallenen Gebäude. Sie können manchmal noch die Aufschriften lesen: HOLIDAYPALACE 20 schöne Beine ROYAL FLUSH HALL Jedes Spiel — jeder Einsatz BLANCA ROSA IMPERIAL Alle Freuden der Welt So kommen sie auf einen freien Platz, über den die Straße führt. Genau in der Mitte des Platzes stehen drei Bäume. Es sind mächtige Bucheichen, und sie umgeben einen großen Brunnen. Dieser Brunnen ist ein kleines Naturwunder, denn er wird von einer unterirdischen Quelle gespeist und versorgte damals die ganze Goldgräberstadt mit Wasser. Ohne diesen Brunnen wäre diese Stadt gar nicht existenzfähig gewesen. Und dieser Brunnen ist immer noch da. Niemand in diesem Lande zerstört einen Brunnen. Und die Indianer und einsamen Goldsucher, die immer noch dieses Land durchstreifen, die Schafhirten, Wildpferdjäger und auch all jene Geächteten und Verlorenen, die vor dem Gesetz in die Berge flüchten mußten, haben diesen Brunnen erhalten und gehütet. Cliff kennt diesen Brunnen. »Dort unter den Bäumen gibt es Wasser«, sagt er, doch Jim lenkt schon von selbst hinüber, denn der Brunnen ist unter den mächtigen Bäumen mit seinen oder: oder: 82 Wassertrögen und der Schöpfvorrichtung deutlich genug zu erkennen. Bald darauf halten sie an und sitzen ab. Sie lassen an dem Hebebaum den Ledereimer hinunter, holen einige Male Wasser herauf, füllen einen der Tröge damit, waschen sich Staub und Schweiß von den Gesichtern, trinken und lassen dann auch ihre Pferde heran. Dann drehen sie sich eine Zigarette und rauchen. Es tut gut, hier unter den Bäumen im kühlen Schatten zu sitzen. Denn die Sonne steht nun hoch am Himmel und wirft ihre Wärme senkrecht in die Schlucht. Im Hochsommer muß der Platz wie in einem Brutkasten sein. Cliff beobachtet seinen Bruder, und in seinem Blick steht eine drängende Frage. Jim lächelt sparsam. »Sie sind hier«, sagt er ruhig. »Ich spüre, daß sie hier sind und auf uns gewartet haben. Ich habe noch keinen Mann gesehen, und dennoch spüre ich, daß wir nicht allein in dieser verlassenen Stadt sind. Und noch etwas ist klar: Die Männer, die hier auf uns gewartet haben, sind keine zweitklassigen Burschen, die solch eine Arbeit lieber aus dem Hinterhalt erledigen. Denn das hätten sie schon machen können. Sie hätten sich in einigen Häusern auf die Lauer legen und auf uns schießen können, als wir die Hauptstraße entlang in die Stadt geritten kamen.« Cliff starrt ihn an. Dann hebt er die Hand und wischt sich heftig über das Gesicht. Und seine Hand zittert. Auf seinem Gesicht glänzt Schweiß. »Mann, hast du Nerven, Bruder!« sagt er heiser. »Ich bin in Rainbow oft genug durch die Straßen gegangen und mußte jede Sekunde damit rechnen, daß man aus dunklen Gassen oder aus einem Fenster auf mich schoß«, erwidert Jim sanft. »Ich bin daran gewöhnt. Denn ich war der Nachtmarshai von Rainbow. Aber ich sage dir, daß mich mein Instinkt gewarnt 83 hätte. Es mag dir unwahrscheinlich vorkommen, aber ich hätte es deutlich gespürt, wenn ein Revolver- oder Gewehrlauf auf mich gerichtet gewesen wäre.« Er lächelt wieder sparsam. »Du kannst zurückreiten, Cliff«, sagt er mit plötzlicher Schärfe. »Wir kommen ohne Kampf nicht aus der Stadt, das ist sicher. Der Weg hinter uns ist jedoch frei. Du könntest ohne Sorge zurückreiten, Bruder.« Cliffs Gesicht verzerrt sich vor innerer Erregung. »Jetzt hast du mich in eine Pferdekur genommen, Jim«, sagt er gepreßt. »Jetzt kommt es darauf an, ob ich zerbreche oder durchhalte, nicht wahr?« Jim nickt. »Yeah«, sagt er. Cliff macht drei tiefe Atemzüge. Dann grinst er verzerrt und stößt heiser hervor: »Heute nicht, heute bin ich nur der zweite Mann. Heute laufe ich nicht fort und fürchte mich auch nicht. Nur zu, großer Bruder, nur zu!«
Jim betrachtet ihn prüfend. »Sie werden uns stellen und einkeilen«, sagt er dann. »Wenn das so ist, dann mußt du mir den Rücken freihalten. Wenn du das schaffst, werden wir gewinnen. Denn es sind nur vier Männer. Ich glaube aber, daß wir es nur mit dreien zu tun bekommen.« »Das glaube ich auch«, erwidert Cliff nach kurzem Nachdenken. »Wenn du nämlich sicher bist, daß du die Spuren von vier Reitern erkannt hast, dann wird es sich um Terz Beasley und seine drei Texasmänner handeln. Er hat sich vor einigen Monaten drei Revolvermänner aus Texas angeworben.« »Sicher, die schießen nicht aus dem Hinterhalt«, nickt Jim. »Richtige Revolverkämpfer aus Texas tun das nicht. Denn sie haben ihren Stolz. Terz Beasley muß sich drei wirklich gute und erstklassige Burschen angeworben haben. Das ist mir jetzt klar, weil sie bisher auf einen Hinterhalt verzichteten. Bruder, wir haben es mit drei Stolzen zu tun*. Terz Beasley wird sie hier zurückgelassen haben und mit seinem Geld schon zum Reservat geritten sein. Nun gut, bringen wir es hinter uns. Es muß nun einmal sein, Bruder.« Er sitzt auf. Cliff zögert nicht eine Sekunde, sondern folgt seinem Beispiel. Und in Cliff ist ein großes Staunen über sich selbst. Noch vor zwei Tagen hätte er große Furcht verspürt und wäre zumindest jetzt geflüchtet. Doch jetzt verspürt er keine Furcht. Es ist alles anders geworden. Er ist jetzt nur der zweite Mann. Sein Bruder kam heim und nahm alle Verantwortung von ihm. Zugleich strömte der große Bruder von Anfang an eine starke Kraft aus, die in Cliff einige Dinge veränderte. Vielleicht ist es wie Zauberei, aber er spürt nun keine wirkliche Furcht. Sie reiten unter den Bäumen hervor, überqueren den Platz und reiten in die Fortsetzung der Straße hinein, die sie aus der Stadt führen muß, weil es ja nur diese eine Straße gibt. * Es gab jene Sorte von Revolverkämpfern, die sehr stolz war. Man darf sie nicht mit heutigen Maßstäben messen und mit Banditen oder Revolverhelden verwechseln oder vergleichen, die es damals sehr viel häufiger gab. Jene wirklichen Revolverkämpfer aus Texas, wie sich Terz Beasley welche angeworben hatte und von denen hier in dieser Szene die Rede ist, beachteten stets ganz streng besondere Regeln und hielten sich an bestimmte Grundsätze. Sie sind zu vergleichen mit jenen Kavalieren, die ihre Händel mit dem Degen oder dem Florett austrugen und sich oft an Könige und Fürsten vermieteten. Sie waren Überbleibsel aus einer Zeit, die zu Ende ging, als die Feuerwaffe erfunden wurde und den Degen ablöste. Dies alles mußte hier wohl mal erwähnt werden, um den Unterschied zwischen Revolverhelden oder Revolverschwingern und Revolverkämpfern einmal aufzuzeigen. Auch die geschilderte Szene will das deutlich machen. G. F. Unger 85 Als sie hundert Schritt geritten sind, hält Jim plötzlich an und blickt über die Schulter zurück, Cliff folgt seinem Beispiel, und da sieht er einen Mann, der aus einem der verfallenen und verlassenen Häuser tritt und bis zur Mitte der Straße geht. Es ist ein großer, sehniger Mann, der sich mit einer geschmeidigen Lässigkeit bewegt. Als er die Mitte der Straße erreicht hat, wendet er sich ihnen zu, stellt sich breitbeinig hin und hakt seine Daumen in den Waffengurt. Jim Overland wendet sich wieder nach vorn, und da kann er endlich die beiden anderen Revolverkämpfer sehen, die Terz Beasley hier zurückgelassen hat. Diese beiden Männer treten nämlich hundert Schritt vor ihm aus seinem einstigen Saloon und bis zur Mitte der Fahrbahn. Dort wenden sie sich ihm und Cliff zu. Damit ist alles offen und klar. Ein Mann wie Jim Overland braucht keine Fragen zu stellen. Er braucht nicht nachzudenken. Es sind alle Zweifel behoben. Die Sache ist klar. Drei stolze Revolvermänner aus Texas, die sich an Terz Beasley vermietet haben, kommen nun zum Einsatz. Und es sind drei Männer, die solch eine Sache nach bestimmten Regeln austragen. Jim hört seinen Bruder Cliff neben sich tief einatmen. Er wendet den Kopf und kann erkennen, wie Cliff unter seiner gesunden Hautfarbe blaß geworden ist. »Sie haben einen Fehler gemacht, Cliff«, murmelt er ruhig. »Cliff, mein Junge, sie haben einen Fehler gemacht. Steig ab und nimm die Schrotflinte.« Als er es gesprochen hat, sitzt er ab. Cliff folgt seinem Beispiel. Und als sie einen Moment zwischen ihren vier Pferden stehen, fragt Cliff hastig und drängend: »Ich kann keinen Fehler erkennen, Jim! Zeig mir den Fehler, den sie machten!« »Sie haben sich getrennt«, erwidert Jim. »Ihr dritter 86 Mann steht zu weit entfernt hinter uns. Wenn du ihn aufhalten kannst, komme ich mit den beiden anderen sicherlich zurecht. Cliff, jetzt muß du kämpfen, oder sie schießen uns tot. Du mußt den dritten Mann aufhalten. Nimm die Schrotflinte! Das ist alles!« Nach diesen Worten verläßt er Cliff, tritt zwischen den Pferden hervor und geht langsam und ruhig auf die beiden Texaner zu, die nebeneinander mitten auf der Straße stehen und ihm den Weg versperren. Und er läßt Bruder Cliff einfach zurück. Cliff aber steht nun vor der Entscheidung. Er muß sich jetzt ganz allein zu einem Entschluß durchkämpfen. Cliff schwitzt, und es ist ein kalter Schweiß. In ihm sind wieder all die tausend Gedanken an Sicherheit und
Schonung. Er spürt wieder stark, wie schwer es ist, einen Entschluß zu fassen, der unheilvoll für das eigene Leben und die eigene Sicherheit sein kann. Der Hauch einer drohenden Gefahr trifft ihn heiß, und der Atem stockt ihm in der Brust. Es sind schlimme Sekunden. Sein großer Bruder ist fort. Er hört noch Jims sporenklirrende und feste Schritte, die sich entfernen. Aber er blickt ihm nicht nach. Er blickt auf den dritten Texaner, der hundert Schritte hinter ihnen auf die Straße trat, um ihnen den Weg zu verlegen und sie einzukeilen. Er sieht, wie dieser Revolvermann aus Texas sich plötzlich in Bewegung setzt und sich nähert. Und da begreift er alles. Es wird ihm klar, daß er diesen Mann aufhalten muß, um Jim den Rücken freizuhalten. Wenn er diesen dritten Mann nicht aufhalten kann, hat Jim keine Chance. Plötzlich geht in Cliff Overland eine Veränderung vor. All die selbstsüchtigen Wünsche nach Sicherheit und Schutz sind plötzlich fort. Er spürt plötzlich eine innere Stärke, die sehr viel stärker ist als sein Furcht87 gefühl. In Cliff Overland ist plötzlich ein entschlossener Wille. In ihm ist jetzt das, was er sich so oft gewünscht hat, wenn er vor einer Auseinandersetzung stand. Er spannt die beiden Hähne des Schrotgewehres und geht dem Revolvermann entgegen. In ihm ist jetzt sogar eine Art Glücksgefühl. Ja, er fühlt sich mit einem Male frei und stolz. Denn er ist ein Mann, der die Furcht besiegen konnte, zum ersten Mal in seinem Leben! In ihm kam nun endlich etwas zum Durchbruch, was in seinem Bruder Jim und seinem Vater Jesse von Anfang an vorhanden war. Cliff Overland meint, er wäre jetzt erst richtig auf die Welt gekommen. Und so geht er ruhig und entschlossen dem Revolvermann entgegen, hält das Parker-Gewehr in der Armbeuge und den Zeigefinger an den beiden Abzugsbügeln. Seine Colts haben eine weitere Reichweite als meine Schrotflinte, denkt er kühl und ruhig. Ich muß schnell an ihn herankommen. Und wenn ich schnell genug bin, trifft er mich vielleicht nicht mit dem ersten Schuß. 8 In Jim Overland ist ein kalter Zorn. Und dieser Zorn ist verständlich. Er ist ein Mann, der eine fällige Pachtsumme zum Verpächter bringen will. Und dort sind zwei angeworbene Revolverkämpfer, die ihn aufhalten wollen. Das ist Terror! Es ist Nötigung! Man will ihn mit brutaler Gewalt davon abhalten, seine berechtigten Interessen zu wahren. Und das Gesetz ist weit. Es gibt keinen Schutz, nur den Schutz, den Jim Overland sich selbst und aus eigener Kraft geben kann. 88 Deshalb ist in ihm ein kalter Zorn. Zwanzig Schritte vor den beiden Texanern hält er an. Er betrachtet sie und fragt kalt: »Was ist das?« Sie betrachten ihn ebenfalls und schätzen ihn ab. Sicherlich haben sie auch schon von ihm gehört. Seitdem er die wilde Goldgräberstadt Rainbow bändigte, ist er eine schon fast legendäre Gestalt. Sein Name wird in einem Atemzug mit anderen berühmten Namen genannt, mit Namen von anderen Städtebändigern. Wie zum Beispiel Bill Hickock, genannt >Wild Bill<, der einen großen Anteil an der Zähmung des einst so wilden Kansas City hat, oder mit Wyatt Earp, der die wilde Treibherdenstadt Dodge City bändigte. Es gibt noch ein halbes Dutzend solcher berühmter Städtezähmer. Und Jim Overland gehört dazu. Diese Texaner haben also bestimmt schon von ihm gehört. Sie starren ihn an, und dann beantwortet einer seine Frage. »Mein Name ist Barton Douglas. Und das ist Arnos Buchanan. Wir haben nichts gegen Sie persönlich, Jim Overland. Aber wir hätten gerne die zwanzigtausend Dollar, die Sie gestern nacht aus der Bank holten. Wir möchten das Geld haben. Unser dritter Mann wird es von Ihrem Pferd holen. Rufen Sie Ihrem Bruder zu, daß er keine Schwierigkeiten machen soll. Und wir hätten euch gewiß auch aus dem Hinterhalt aus den Sätteln schießen können. Doch wir haben uns gedacht, daß Sie vernünftig sind, Jim Overland. Ihr Bruder ist eine Niete. Und Sie allein haben gegen uns keine Chance. Also?« »Ihr arbeitet für Terz Beasley?« fragt Jim zurück. Die beiden Texaner lächeln kalt. Es ist ein seltsames Lächeln. »Terz Beasley weiß von nichts«, sagt Barton Douglas sanft. »Wir waren bei ihm beschäftigt. Aber jetzt haben 89 wir unsere Arbeit bei ihm aufgegeben. Wir wollen die zwanzigtausend Dollar als Reisegeld in ein neues Land, auf eine neue Weide — irgendwo. Also?« »Ihr werdet das Geld nicht bekommen«, sagt Jim Overland ruhig. »Ihr werdet ohne Beute auf eine lange Reise gehen, wenn ihr eure Absichten nicht aufgebt.« Er sagt es fest und ruhig. Und es ist klar, daß er nicht blufft, sondern bereit ist. Die beiden Revolvermänner begreifen, daß er kämpfen wird. Hinter Jim Overland kracht plötzlich ein Revolver, einmal, zweimal. Dann donnert eine Schrotflinte mit beiden Läufen zugleich. Die Pferde hinter ihm wiehern und stampfen. Doch es sind Tiere, die an Gewehr- und Revolverfeuer gewöhnt sind. Jedes richtige Cowboypferd ist daran gewöhnt. Das gehört zur Schulung eines jeden Rinderpferdes. Jim Overland blickt sich nicht um. Aber er weiß, daß sein Bruder Cliff heute nicht feige ist. Cliff hat gekämpft. Jim starrt die beiden Texaner an. An ihnen kann er fast sicher erkennen, was hinter ihm geschehen ist. Denn er sieht deutlich ihre Überraschung. Und dann werden sie von einer Art Panik erfaßt. Was hinter Jim geschah, muß
anders ausgegangen sein, als es sich die beiden Revolvermänner ausgerechnet oder erwartet hatten. Und nun ziehen sie beide ihre Waffen. Vielleicht hatten sie das gar nicht vor. Vielleicht hatten sie gar nicht die Absicht, zu zweit gegen Jim Overland zu ziehen. Doch jetzt tun sie es. Die Panik hat sie erfaßt und zwingt sie zu einem unheilvollen Entschluß. Auch Jim Overland schnappt die alte Waffe heraus. Es geht jetzt ums nackte Leben. Wer schneller und besser schießen kann, der hat dann die Chance, es zu überstehen. 90 Jim Overland ist eine Idee schneller, obwohl er es mit wirklichen >Großen< jener traurigen Zunft zu tun hat. Er schießt zuerst auf Barton Douglas, und durch den Pulverrauch sieht er ihn schwanken. Er schießt weiter, Schuß auf Schuß. Und nun blickt er immer wieder in das Revolverfeuer der Gegner. Er erwidert es, und er spürt, wie ihn deren Kugeln treffen. Er steht breitbeinig da, mit vorgebeugtem Oberkörper. So hält er den Kugeln stand und schwankt kaum. Er denkt nicht mehr. Nur der grausame Wille zur Selbsterhaltung und Vernichtung des Feindes beherrscht ihn noch. Es geht alles so unheimlich schnell, viel schneller als jeder Gedanke. Als er wieder abdrückt, verspürt er keinen Rückstoß mehr in der Faust. Er weiß nun, daß seine Waffe leergeschossen ist. Durch den Pulverrauch sieht er die beiden Gegner am Boden liegen. Sie wirbelten Staub auf, als sie fielen. Nun verziehen sich Staub und Pulverrauch. Jims linkes Bein knickt plötzlich ein. Auch in seiner linken Seite ist ein heftiger Schmerz, so als hätte ihn ein Schwerthieb getroffen. Er knurrt unwillig und wird sich darüber klar, daß er kniet, aus zwei Wunden blutet und die Schwäche wie Blei durch seine Glieder strömt. Eine wilde Energie strömt plötzlich aus seinem tiefsten Kern. Es ist jene Kraft, die ihn immer wieder antrieb, wenn andere Männer an seiner Stelle sich hingelegt und die Augen geschlossen hätten, um endlich auszuruhen. Er erhebt sich mit einem Ruck, steht schwankend da und setzt sich in Bewegung. Er blickt sich immer noch nicht nach dem Bruder um. Er geht vorwärts und zieht sein schmerzendes und blutendes Bein hinter sich her durch den Staub. Als er bei den beiden Texanern angelangt ist, lebt Barton Douglas noch. Er liegt auf dem Rücken und starrt zu Jim empor. Jim fällt wieder auf ein Knie. 91 »Und was hast du Narr jetzt davon?« fragt er bitter. »Zum Teufel, deine Mutter hat dich nicht dazu geboren, daß du als Revolvermann im Staube stirbst!« Barton Douglas senkt seine Augenlider. »Was ist mit meinen Partnern?« fragt er gepreßt. Jemand nähert sich mit schweren Schritten. Jim blickt sich um. Es ist Cliff, und er zieht seine Schrotflinte am Lauf gepackt mit dem Kolben durch den Staub hinter sich her. Er hält an, blickt auf Jim nieder und murmelt tonlos: »Ich habe ihn getötet. Er schoß zweimal auf mich, aber ich war schneller. Ich sprang geduckt auf ihn los und drückte dann ab. Es war leicht und einfach. Ich habe ihn totgeschossen. Du lieber Gott, wie ist mir schlecht!« Jim nickt. Dann blickt er zu Arnos Buchanan hinüber. Doch der ist tot. Das kann man sehen. Er wendet sich wieder an Barton Douglas. »Nur du lebst noch, Barton Douglas«, murmelt er bitter. »Nicht mehr lange«, seufzt dieser. »Zum ersten Male kämpfte ich unfair. Wir zogen zu zweit gegen dich. Das war nicht anständig, und es hat uns auch kein Glück gebracht.« »Wo ist Terz Beasley?« fragte Jim. »Ihr hieltet uns doch in Terz Beasleys Auftrag hier auf?« Der Texaner zögert, schließt die Augen und liegt eine Weile so da, daß Jim schon glaubt, er hätte die Besinnung verloren. Doch dann öffnet der Texaner wieder seine Augen. »Wir waren unfair, weil wir zu zweit auf dich losgingen«, sagt er. »Deshalb bin ich dir wohl etwas schuldig, Freund. Yeah, wir standen auf Terz Beasleys Lohnliste. Er ist mit zwanzigtausend Dollar zum Reservat unterwegs und verläßt sich darauf, daß wir euch aufhalten. Doch das konntest du dir selbst ausrechnen, Jim Overland. Ich will dir noch etwas anderes sagen. Dieser Terz 92 Beasley hat noch einen Partner. Er ist nicht allein. Er hat sich mit einem Mann zusammengetan, der ganz bestimmt größer und gefährlicher ist als Beasley. Dieser Mann ist es, der die Pläne macht. Er sitzt in Sagebee und sieht zu. Und vor ihm müßt ihr euch mehr hüten als vor Beasley.« Der Revolvermann verstummt erschöpft, schließt die Augen und verfällt zusehends im Gesicht. »Wer ist dieser Mann?« fragt Jim. Und auch Cliff kniet jetzt nieder. Er hat seine eigene Not und Schwäche und Bitterkeit etwas überwunden und lauscht nun ebenfalls. »Der Mann leitet die Stadt Sagebee und möchte eines Tages das ganze Land leiten und unter Kontrolle haben«, murmelt der sterbende Texaner. »Euer großer Feind heißt...« Er spricht den Namen nicht mehr aus. Er streckt sich mit einem Seufzer und liegt still. »Simson Brackett leitet die Stadt Sagebee«, sagt Cliff unnatürlich ruhig. »Und Simson Brackett ist einer der Männer, die Big Jesse damals zurechtstutzte, damit all die Kleinen ein Auskommen hatten. Er kann nur Simson Brackett gemeint haben. Terz Beasley und Simson Brackett, das könnte schon sein.«
Er blickt neben Jim zu Boden. »Oh, du blutest Jim!« Er faßt Jim unter und legt sich des Bruders Arm über die Schultern. So führt er ihn langsam zu einem Haus hinüber, welches früher einmal ein Hotel war. Als sie sich durch die in den Angeln kreischende Tür drängen, verliert Jim die Besinnung. Als Jim erwacht, liegt er in einem richtigen Bett. Es ist eines der alten Hotelbetten. Cliff hat jedoch ihre eige93 nen Decken genommen. Jim erwacht langsam, aber nach einer Weile hat er einen ziemlich klaren Kopf und erinnert sich an das Geschehene. Er entdeckt auch, daß seine Wunden verbunden sind. Sein Sattel und sein Gepäck liegen neben seinem Bett. Und dann hört er Schritte. Bald darauf tritt sein Bruder ein. Cliff ist dunkelrot im Gesicht und atmet noch schwer. Er sieht wie ein Mann aus, der eine Arbeit verrichtet hat und sich keine Zeit zum Verschnaufen nahm. Er setzt sich auf einen alten Hocker und blickt Jim forschend an. Dann sagt er ruhig: »Ich habe eine Kugel aus deinem Oberschenkel geholt. Eine zweite Kugel ist dir an der linken Rippe entlanggefahren. Du hast eine Menge Blut verloren. Ich glaube nicht, daß du reiten kannst.« »Das glaube ich auch nicht«, murmelt Jim. »Es sind noch fast dreißig Meilen durch rauhes Land. Ich würde dir wirklich nur lästig fallen und nach zehn Meilen aus dem Sattel kippen. Wahrhaftig, Bruder, ich scheide jetzt für eine Weile aus. Du mußt allein weiter. Und vor dir ist Terz Beasley, der dich schon einmal schlimm verprügelt hat, dir die Hosen auszog, dich zum Gespött der Leute machte, und vor dem du dich so sehr gefürchtet hast.« Cliffs rundes Gesicht verhärtet sich. Er knirscht sogar mit den Zähnen. »Jetzt nicht mehr«, sagt er gepreßt. »Jetzt nicht mehr! In mir ist jetzt plötzlich alles anders. Ich kann mir kaum noch vorstellen, daß ich mich einmal gefürchtet habe. In mir ist alles anders geworden.« »Das ist gut«, murmelt Jim. Cliff nickt langsam. »Durch dich wurde alles anders, Jim. Und ich bin in der Hölle gewesen, denn ich habe einen Mann getötet. Ich habe ihn soeben mit den bei94 den anderen Männern beerdigt. Als ich damit fertig war, fand ich aus der Hölle einen Weg zurück. Und nun denke ich, daß ich endlich ein Mann geworden bin, der durchhalten kann und sich nicht mehr fürchtet. In mir ist eine tiefe Bitterkeit, und ich weiß jetzt über tausend Dinge Bescheid. Aber zugleich ist auch in mir etwas aufgebrochen, was mich trotz aller Bitterkeit stolz macht. Zum ersten Mal habe ich nicht versagt. Bruder, ich danke dir. Es kam irgendwie durch dich.« Er macht eine Pause, holt Rauchzeug hervor und dreht zwei Zigaretten. Er raucht sie an und steckt eine zwischen Jims Lippen. »Ich habe die Pferde der drei Texaner und deine beiden Tiere in einen Stall gebracht. Es ist ein guter und großer Stall, vier Häuser weiter von hier in einer Quergasse. Die Männer sind auch beerdigt. Und du bist verbunden. Dort steht Wasser, und da ist Proviant! Ich habe das Bett hier an das Fenster gerückt. Unter deinem Kopfkissen liegt dein Revolver. Das Gewehr lehnt dort an der Fensterbank. Und nun muß ich wohl reiten, Bruder, nicht wahr?« »So ist es, Cliff«, sagt Jim. »Wenn du auf dem Rückweg bist, werde ich mich sicherlich erholt haben. Dann kannst du mich mitnehmen. Und ich werde hier ruhig liegen und schlafen.« Cliff nickt und erhebt sich. »Yeah, ich komme wieder«, sagt er und geht zur Tür. Dort wendet er sich noch einmal halb. »Wenn du den Kopf hebst, kannst du vom Bett aus die Straße beobachten«, sagt er und will endgültig gehen. Doch da sagt Jim ruhig: »Eines will ich dir noch sagen, Cliff.« »Was denn, Bruder?« »Du bist ein prächtiger Partner, Cliff. Ich freue mich auf die Zeit, da wir wieder Seite an Seite reiten werden. 95 Cliff, selbst wenn du nicht mein Bruder wärst, ich hätte dich immer gern als Partner an meiner Seite. Man kann sich auf dich verlassen.« Cliff schweigt eine Weile. Er stößt einen Laut aus, der fast wie ein Schluchzen klingt. »Danke, Bruder, danke!« sagt er und geht hinaus. Jim hört seine Schritte im Haus verklingen. Er hebt mit Mühe den Kopf und blickt vom Bett aus durch das Fenster auf die Straße. Er sieht Cliff aufsitzen und fortreiten. »Er ist ein Mann geworden«, sagt er. »Big Jesse und Jennifer werden nichts mehr an ihm auszusetzen haben.« Als er es gesagt hat, schläft er ein. 9 Jeremy Hammer hatte etwas Pech. Denn sein häßliches Pferd verlor sein linkes Vordereisen und begann bald darauf zu hinken. Jeremy Hammer kommt deshalb mit großer Verspätung nach Nugget Gulch City, und weil er ein Mann ist, dessen Pferd ein Hufeisen braucht, sieht er sich zuerst nach einer Schmiede um. Er hofft, daß in der verlassenen und toten Stadt vielleicht noch Möglichkeiten vorhanden sind, sein Pferd beschlagen zu können. Er findet die Schmiede, aber er findet noch mehr. Er hört nämlich die Pferde im Stall wiehern, der zur Schmiede gehört. Mit gezogenem Colt betritt er bald darauf den Stall und betrachtet die Tiere. Sie sind mit altem Heu und Wasser gut versorgt. Er betrachtet die Brandzeichen der Pferde und zuckt zusammen.
96 Seine Gedanken eilen jetzt hundert Meilen in der Sekunde. Doch er kann sich die vielen drängenden Fragen nicht beantworten. Denn da stehen zwei Pferde mit dem Overland-Brand. Und da sind drei Pferde mit dem Beasley-Brand. Jeremy Hammer macht auf dem Absatz kehrt und beginnt zu suchen. Vor dem Hotel findet er die ersten Spuren, blutgetränkter Staub. Nur die Spuren, die in das Hotel führen, wurden von den Pferdehufen zertrampelt, weil Cliff die Pferde vor dem Hotel angebunden hatte. Jeremy Hammer kommt auch gar nicht auf die Idee, daß im Hotel ein verwundeter Mann liegen könnte. Seine Idee ist ganz anders. Er glaubt, aus den Spuren und Zeichen lesen zu können, daß hier auf der Straße fünf Männer gekämpft haben und vier von diesen fünf Männern gefallen sind. Und der fünfte und überlebende Mann hat die vier anderen dann fortgebracht. Jeremy Hammer sucht weiter. Er findet bald darauf den Friedhof der einstigen Stadt, und hier findet er ein großes und noch frisches Grab. Er betrachtet es forschend und schätzt ab, daß es breit genug für vier Männer sein könnte. »Er hat sie alle nebeneinander in die Grube gelegt«, murmelt er. »Er hatte keine Zeit, vier einzelne Gräber auszuheben. Aber wer von den Overlands war es nun, Jim oder Cliff?« Er kann sich die Frage nicht beantworten. Und doch sieht die Sache jetzt ganz einfach für ihn aus: Beasleys drei Revolvermänner konnten die Overlands nicht aufhalten. Einer der Overlands blieb noch am Leben und ist nun mit dem Pachtgeld zum Reservat unterwegs. 97 Als Jeremy Hammer mit seinen Gedanken so weit gekommen ist, beginnt er zu grinsen und sagt zu sich selbst: »Es ist ja gleich, wer mit zwanzigtausend Dollar zurückkommt. Es ist gleich. Sicher ist nur, daß einer mit zwanzigtausend Dollar den Rückweg antreten wird. Und selbst wenn Terz Beasley auf Nummer Sicher gehen sollte, sich in einen Hinterhalt legt und abwartet, ob ihm nicht die Overlands doch noch mit ihrem Geld folgen, selbst wenn er diesen Verfolger tötet und sich dessen Geld nimmt, so muß er doch auch zwanzigtausend Dollar übrighalten. Oha, es würde mir gefallen, wenn ich Terz Beasley diese Summe abnehmen könnte.« Und als Jeremy Hammer dies zu sich gesprochen hat, macht er sich daran, für einige Zeit eine Unterkunft zu suchen. Ja, er will hier in der verlassenen Stadt warten. Er quartiert sich in einem einstigen Saloon ein, der dem Hotel, in dem Jim Overland liegt, schräg gegenübersteht. Jim Overland entdeckt Jeremy Hammer erst am nächsten Tag, als er nach einem langen Schlaf erwacht und den Kopf hebt, um aus dem Fenster zu blicken. Jim sieht Jeremy Hammer drüben auf der Saloon-Veranda auf einem Stuhl sitzen und aus einer Hasche trinken. Es ist genau Mittag. Um diese Zeit muß Cliff das Pachtgeld abgeliefert haben, wenn die Overland Ranch den Pachtvertrag behalten will. Terz Beasley erreicht das Reservat einige Stunden zu früh. Doch das war seine Absicht. Er reitet vor das Verwaltungshaus des Reservates und steht bald vor dem Indianerbeauftragten der Regierung. Sie kennen sich 98 flüchtig, wechseln einige Worte, und dann sagt Terz Beasley sanft: »Diesmal rechne ich mir eine Chance aus, daß die Overland Ranch ihren Pachtvertrag vielleicht nicht erfüllt. Big Jesse Overland ist sehr krank. Seinem Sohn Cliff ist der Vormann weggelaufen, und mit der Overland-Bank in Sagebee steht es nicht besonders gut. Ich bin also hergekommen, um zur Stelle zu sein, wenn das Pachtland für andere Interessenten frei werden sollte.« Der Indianeragent blickt ihn prüfend an. Es ist ein eisgrauer Mann, mit einem scharfen Gesicht und Falkenaugen. Es ist ein Mann, der seine Gedanken tief unter der Oberfläche verbirgt. Nach einer Weile sagt er: »Die Zeit läuft erst in einigen Stunden ab. Bis zwölf Uhr mittags sind es noch mehr als vier Stunden. Wenn bis dahin die Overland Ranch den Pachtvertrag nicht erneuert, dann können Sie sich bewerben, Mister.« »Sicher«, murmelt Terz Beasley. »Ich kann warten.« Er geht hinaus, nimmt im Store einen Drink und läßt sich in der Gaststube ein Frühstück vorsetzen. Dem Indianerburschen, der inzwischen sein Pferd versorgt hat, schenkt er einen Dollar. Er ist in guter Laune und sehr zufrieden. Später sitzt er dann auf der Veranda in einem bequemen Schaukelstuhl, raucht Zigarren und beobachtet das Leben und Treiben in der Reservation. Um den Handelsposten und das Verwaltungshaus ist eine kleine Stadt entstanden. Es gibt hier indianische Handwerker. Vor allen Dingen werden hier Decken und Teppiche gewebt. Allerlei Lederarbeiten werden angefertigt. Squaws mit großäugigen Kindern kommen in den Store. In den nahegelegenen Corrals reiten junge Krieger Pferde zu. Terz Beasley wartet Stunde um Stunde. Manchmal 99 sieht er nach der Uhr, und manchmal tritt er in den Store, trinkt einen Whisky und kommt mit einer frischen Zigarre heraus. Als er kurz nach elf Uhr wieder einmal aus dem Store tritt, sieht er einen Reiter vor dem Verwaltungshaus
anhalten. Er erkennt den Reiter auf den ersten Blick, und ein heftiger Schock läßt ihn starr und bewegungslos verharren. Als sich seine Starre löst, flutet es heiß durch seinen Körper. Er murmelt einen bitteren Fluch. Und dann wird er von einem wilden Zorn erfaßt. Denn dieser Reiter dort drüben, der jetzt absitzt, zwei Ledertaschen vom Pferd nimmt und in die Verwaltung geht, ist Cliff Overland. »Oh, wie ist das möglich?« fragt Terz Beasley sich heiser. Mit langen Schritten setzt er sich in Bewegung, geht hinüber und tritt ebenfalls ein. Cliff Overland sitzt vor dem Schreibtisch des Indianerbeauftragten und leert gerade die beiden Ledertaschen. Es sind Geldscheinbündel und klirrende Leinenbeutel, die Cliff auf den Schreibtisch legt. Bei Terz Beasleys Eintritt wendet er den Kopf und blickt Beasley an. Und da erlebt Beasley die zweite Überraschung. Es ist der feste und ruhige Ausdruck in Cliffs Augen, der ihn so sehr überrascht und der in ihm eine starke Verwunderung verursacht, ein ungläubiges Staunen. Denn es ist erst wenige Wochen her, da wurde Cliff Overland von Terz Beasley aus einem nichtigen Anlaß furchtbar verprügelt. Beasley riß ihm sogar die Hosen herunter und prügelte Cliff aus der Stadt. Es war eine beschämende und traurige Sache. Cliff war ganz einfach jämmerlich anzusehen, ein wimmernder Feigling, der zerbrochen wurde und für den sich die Zuschauer schämten, weil so wenig von einem Mann in ihm war. 100 Es war ein übles und beschämendes Schauspiel. Die ganze Stadt sah damals zu, wie Big Jesses Nachfolger zerbrochen wurde. Es wirkte irgendwie symbolisch, wie ein Zeichen dafür, daß die Overland Ranch im Land nichts mehr bedeutete und daß Terz Beasley nun der neue Mann im Lande ist, mit dem man zu rechnen hat. Dieses war von Terz Beasley so gewollt. Er wollte damals auf diese Art den Bürgern von Sagebee klarmachen, daß eine Verschiebung der Kräfte stattfand. Er hätte nicht erwartet, daß Cliff Overland ihm ruhig ins Auge blicken könnte. Vielmehr erwartete er, einen furchtsamen Mann zu sehen, dem bei seinem Anblick das Herz vor Schreck und Furcht in die Hose rutschte und der erschaudern und erzittern würde. Dies ist nicht der Fall. Cliff Overland blickt ihn fest und gerade an, ohne jede Furcht. Es ist, als wäre Cliff nie von Beasley verprügelt worden, als hätte er sich nie gefürchtet und als wäre er nie vor den Augen der Bürger von Sagebee zerbrochen worden, hätte nie eine klägliche Rolle gespielt, die selbst für die Zuschauer beschämend war. Und darüber staunt Terz Beasley jetzt. Er spürt, daß mit Cliff eine sehr starke Veränderung vorgegangen sein muß, etwa so, als hätte sich ein Schaf in einen Berglöwen verwandelt oder eine Maus in einen Kater. Und das erscheint ihm so unmöglich und unglaublich, daß er staunt und vollkommen verblüfft ist. »Hallo, Beasley!« sagt Cliff kühl. »Sie stören jetzt im Moment. Warten Sie draußen, bis ich hier fertig bin. Haben Sie mich verstanden?« Terz Beasley macht vor Staunen sogar seinen Mund auf. Er stößt einen seltsamen Laut aus. »Yeah, Sie stören im Moment, Mister Beasley«, murmelt auch der Indianerbeauftragte sanft. 101 Und da zerbeißt Terz Beasley einen Fluch auf den Lippen und geht hinaus. Er stolpert sogar dabei, und er ist verwirrt, erschüttert, voll ungläubigen Staunens und ratlos. Tausend Fragen zerhämmern seinen Kopf. Und eine Frage kehrt immer wieder und verdrängt alle anderen Fragen: Was ist geschehen? Was ist in Nugget Gulch City passiert? Was wurde aus meinen drei Revolvermännern aus Texas? Warum ist Cliff Overland hier? Und wo ist Jim Overland? Hat es einen Kampf gegeben? Oh, es sind noch sehr viele andere Fragen in ihm. Und trotz seiner Verwirrung ist ihm eines klar: Die Overlands haben ihren Pachtvertrag auf zwanzigtausend Hektar auch dieses Jahr erfüllt. Seine, Terz Beasleys, Anstrengungen waren ohne Erfolg. Als er daran denkt, steigt der heiße Ehrgeiz wieder machtvoll in ihm auf. All die tausend heißen und ehrgeizigen Wünsche sind plötzlich wieder machtvoll in ihm lebendig. »Ich schaffe es dennoch«, murmelt er. »Ich bringe zustande, wozu mein Vater nicht groß genug war. Ich zerbreche die Overlands und trete an ihre Stelle. Ich werde einen anderen Weg finden. Und Simson Brackett, der mein Freund ist und der die Overlands genauso haßt wie ich, dieser Simson Brackett wird mir helfen. Simson wird jetzt aktiv werden müssen. Ja, wir werden einen anderen Weg finden.« Fünf Minuten später reitet Terz Beasley davon. Quer vor seinem Sattelhorn hängen die beiden Taschen mit dem Geld. Er hat es nicht gebraucht und muß es wieder mitnehmen. Irgendwas hat nicht geklappt. Und Terz Beasley möchte herausfinden, was da schiefgegangen ist. Unterwegs denkt er manchmal daran, anzuhalten 102 und auf Cliff Overland zu warten, der ja sicherlich auch bald den Heimritt antreten wird. Er verspürt immer wieder das heiße Verlangen, anzuhalten, auf Cliff Overland zu warten und ihn nochmals zu verprügeln. »Das hat noch Zeit«, murmelt er einmal bei diesem Gedanken. »Zuerst muß ich herausfinden, was in Nugget
Gulch City geschehen ist. Vielleicht warte ich dann in der toten Stadt auf Cliff Overland. Und es wird mir Freude machen, ihn in Stücke zu schlagen.« 10 Jim Overland beobachtet Jeremey Hammer den ganzen Tag, und der kann es leicht und unbesorgt tun, denn die Scheibe seines Zimmerfensters ist verschmutzt und voller Spinngewebe. Sie hat einige Sprünge, außerdem einige Löcher. Durch diese kleinen Löcher beobachtet Jim den einstigen Vormann der Overland Ranch dann und wann. Zwischendurch ruht er sich aus und schläft sogar einmal. Es geht ihm verhältnismäßig gut. Die Wunden bluten längst nicht mehr. Seine Schmerzen sind erträglich. Er hat sogar mehrmals vom Proviant gegessen und getrunken. Das ruhige Liegen tut ihm gut. Sein Körper ruht sich aus und ist mit allen Kräften und Säften beschäftigt, den Blutverlust wieder auszugleichen. Stunde um Stunde vergeht. Es wird Abend. Draußen steigt jetzt der Mond am Himmel hoch und hängt dann rund und hell über der Nugget Gulch. Er wirft bleiches Licht auf die tote Stadt und verursacht tiefe Schatten. Manchmal jagen sich Ratten in den verfallenen und 103 verlassenen Häusern. Ein Coyote schleicht durch die Straße. Jeremy Hammer war eine lange Zeit verschwunden. Vielleicht streifte er durch die tote Stadt oder er war bei den Pferden. Gegen Mitternacht taucht er jedoch wieder auf, und er trägt nun ein Gewehr in der Armbeuge. Er geht wieder zu seinem alten Platz auf die Saloonveranda und wird im Schatten des überhängenden Daches zu einer undeutlichen Silhouette. Er raucht pausenlos. Jim kann immer wieder das rote Aufglühen der Zigaretten oder Zigarren erkennen. Einmal wirft Jeremy Hammer eine leere Flasche auf die Straße. Oben vom Schluchtrand heult plötzlich ein Bergwolf. Und ganz oben in der Luft tönt der scharfe Schrei eines jagenden Nachtfalken. Jim ißt wieder einmal, und er zwingt sich dazu. Er weiß zu gut, wie sehr sein Körper neue Säfte nötig hat. Nach einer Weile erhebt er sich vorsichtig. Er hat inzwischen auch scharf gerechnet, und obwohl er den Weg zum Reservat nur nach Cliffs Beschreibung kennt, weiß er, daß jetzt bald die Stunde da ist, da Cliff wieder hier eintreffen muß, wenn ihm nicht unterwegs etwas zugestoßen ist. An diese Möglichkeit denkt Jim mit anwachsender Sorge. Und er denkt in diesem Zusammenhang auch an Terz Beasley. Es ist dann etwa zwei Stunden nach Mitternacht, als Jim die ersten Gehversuche macht. Ihm ist etwas schwindelig, und er kann sein verletztes Bein nicht belasten. Seine Wunden schmerzen heftiger. Aber er ist ein harter Mann, der nicht zum ersten Mal verwundet ist und dem die langen Stunden der Ruhe Kraft und Härte zurückgegeben haben. Er nimmt das Gewehr und bewegt sich dann mühsam die knarrende Treppe hinunter. Einige Ratten, die hier unten hausen, ergreifen quiekend die Flucht. 104 Die Tür auf die Hotelveranda steht halb offen und hängt nur noch an einer Angel. Und die Veranda liegt in tiefem Schatten. Neben der Tür steht ein altes Bierfaß. Darauf setzt sich Jim vorsichtig. Er hat den ganzen Weg auf Strümpfen zurückgelegt und ist jetzt vor Anstrengung etwas atemlos. Er ist in Schweiß gebadet, und die beiden Wunden schmerzen wieder. Und er weiß, daß Jeremy Hammer dort drüben vor dem Saloon sitzt. Er kann ihn nur ganz undeutlich sehen. Er selbst macht sich keine Sorgen, daß Hammer ihn sehen kann, denn vor ihm ist das Geländer der Hotelveranda mit einigen Stützpfosten, die das überhängende Dach tragen. Und Jim Overland ist noch keinem Manne begegnet, der in der dunklen Nacht besser sehen konnte als er. Wenn er also Jeremy Hammer undeutlich erkennen kann, so bedeutet das noch lange nicht, daß dies auch umgekehrt sein könnte. Dazu kommt, daß Hammer überhaupt nicht damit rechnet, nicht allein zu sein. Eine halbe Stunde verstreicht. Jims Wunden schmerzen nicht mehr so scharf. Er ist auch wieder zu Atem gekommen. Und auch der Schweiß ist getrocknet. Plötzlich erklingt Hufschlag. Ein Reiter kommt durch die Schlucht geritten, erreicht den Anfang der verlassenen Stadt und kommt die einzige Straße entlang. Jim Overland kann Jeremy Hammers dunkle Gestalt jetzt einen Moment deutlicher erkennen, denn sie bewegt sich. Dann wird sie unsichtbar. Wahrscheinlich hat Hammer sich hinter einen Stützpfosten des überhängenden Daches gestellt. Aber Jim hört einen bestimmten Laut. Solch ein Geräusch wird immer dann erzeugt, wenn ein Mann ein Winchestergewehr durchlädt. Und der Hufschlag des Reiters kommt immer näher. Bald kann man den Reiter im Mondlicht gut erkennen. 105 Er reitet langsam und vorsichtig. Er fühlt sich sichtlich nicht sicher und ohne Sorge. Der Mann starrt nach allen Seiten in die tiefen Schatten unter den Gehsteigdächern und überhängend oder vorgebauten Stockwerken. Er starrt in die schmalen und dunklen Gassenmündungen, und er selbst befindet sich im bleichen Mondlicht, weil er ja auf der Straße reiten muß. Als der Reiter nahe genug gekommen ist, erkennt ihn Jim und atmet zufrieden auf.
Es ist Terz Besley, und das bedeutet wahrscheinlich, daß er unverrichteter Dinge das Reservat wieder verließ. Jim erkennt auch deutlich die beiden prallgefüllten Ledertaschen, die Beasley vor sich über dem Pferdenacken liegen hat. Beasley war nutzlos mit zwanzigtausend Dollar zum Reservat geritten. Und dann hält Beasley plötzlich an. »Hoiii!« So ruft er laut. Doch er bekommt keine Antwort. Da versucht er es nochmals. Diesmal ruft er: »Hoii, Barton Douglas! Arnos Buchanan! Pete French! Ist einer von euch da? Hört ihr mich?!«. Er erhält keine Antwort, reitet ein Stück weiter und ist dann weit genug. Das sagt ihm nämlich Jeremy Hammer aus dem tiefen Schatten mit den knappen Worten: »Jetzt bist du weit genug, Terz! Jetzt habe ich dich richtig im Visier!« Und dann ist es wieder eine Weile still. Terz Beasley sitzt ganz ruhig und regungslos auf seinem Pferd. Und da das Tier müde ist, bleibt es ebenfalls bewegungslos, senkt den Kopf und ist froh über die Pause. Terz Beasley aber blickt in die Richtung, aus der die Stimme kam. Er sucht den Gegner. Und er kann ihn bald gut erkennen, denn Jeremy Hammer tritt mit angelegtem Gewehr aus dem Schatten des morschen Geh106 steiges auf die Straße nieder und bis an den Rand der Schattengrenze. »Ich habe gewußt«, sagt Hammer über den Lauf seines Gewehres zu ihm hin, »daß mir jemand zwanzigtausend Dollar bringen würde, entweder du oder einer von den beiden Overlands. Und obwohl ich die beiden Overlands bestimmt nicht liebe, bin ich sehr zufrieden, daß du mir das Geld bringst, Terz Beasley. Denn du bist ein elender Lump. Du hattest mich für fünftausend Dollar angeworben, und meine Aufgabe war es, die Nachbarn gegen die Overlands aufzubringen. All diese kleinen Ranchers und Siedler sollten die Overland Ranch wegen ihrer unduldsamen Härte und Ungerechtigkeit zu hassen beginnen und sich an dich um Hilfe wenden. Mit Hilfe dieser Unzufriedenen und Unterdrückten wolltest du die Overland-Mannschaft erledigen, denn ich hätte diese Mannschaft als Vormann im Stich gelassen. He, Beasley, ich habe alles getan, was du von mir verlangt hast. Daß du keinen Erfolg hattest, war nicht meine Schuld. Und dennoch zahltest du mir nicht den versprochenen Lohn. Deshalb zahlst du ihn jetzt doppelt, dreifach und vierfach! Du zahlst jetzt genau vier mal fünftausend Dollar. Wirf die beiden Ledertaschen vom Pferd. Los! Vorwärts!« Jeremy Hammer hielt seine lange Rede sehr triumphierend und frohlockend. Er genoß es sichtlich mit Behagen, Terz Beasley in der Hand zu haben. Und Beasley bewegte sich die ganze Zeit nicht, sondern hörte nur zu. Als Hammer verstummt, fragt Beasley: »Wieso wußtest du, daß entweder ich oder einer der beiden Overlands mit zwanzigtausend Dollar heimreiten würde?« Jeremy Hammer lacht leise, und er hat das Gewehr immer noch auf Terz Beasley angelegt, blickt am Lauf entlang und hält den Finger am Abzug. 107 »Es gab hier einen schlimmen Kampf, Beasley«, sagt 1 Hammer dann. »Drei Männer warteten hier auf die l Overlands. Die Pferde dieser Männer und zwei Pferde 1 mit dem Overland-Brand stehen in einem Stall. Auf dem Friedhof dieser toten Stadt wurde ein großes Grab ausgehoben, in dem vier Männer bestimmt Platz gefunden haben. Und ich habe mir ausgerechnet, daß einer der beiden Overlands den Kampf überstanden hat. Dieser Overland begrub die Toten, sorgte für die Pferde und ritt weiter, weil die Zeit drängte. Du mußt ihm begegnet sein, Beasely.« »Es war Cliff Overland«, sagt dieser langsam. Und er glaubt jetzt zu wissen, warum Cliff Overland so sehr verändert wirkte. Er weiß jetzt, daß es hier einen schlimmen Kampf gab und Cliff sich bewährt hatte und endlich ein Mann geworden war. Nun ist ihm fast alles klar. »Hast du denn die Toten gesehen, Hammer?« fragt er. »Ich breche keine Gräber auf«, sagt dieser. »Wir haben jetzt genug geredet, Beasley. Wirf das Geld vom Pferd und dann deine Waffen!« »Und dann?« fragt Terz Beasley. »Ich lasse dich zu Fuß laufen«, knurrt Jeremy Hammer. »Aber du kannst es auch anders haben, wenn es dich juckt.« »Vielleicht juckt es mich, Jeremy«, brummt Terz Beasley. »Du warst immer nur ein Muskelmann, der alles mit seinen harten Fäusten erledigte. Ich glaube, ich habe gegen dich jede Chance. Denn mit der Waffe bist du so ungeschickt wie ein Steinzeitmensch mit Messer und Gabel. Ich glaube, du wirst mich verfehlen. Und dann habe ich den nächsten Schuß und schieße dich von den Beinen. Hör lieber mit diesem Spiel auf, Jeremy. Du bist nicht groß genug gegen mich. Nimm 108 das Gewehr herunter. Ich will dir fünfhundert Dollar geben als kleine Entschädigung.« »Ich will zwanzigtausend Dollar«, sagt Hammer rauh. »Und ich zähle jetzt bis drei, Mister. Dann werden wir mal sehen, ob du Glück hast.« Bis zu dieser Sekunde hat Jim Overland bewegungslos zugehört. Nun hält er es an der Zeit, einzugreifen, denn er möchte nun doch nicht zusehen, wie zwei Männer sich umbringen. Dies würde seinen Grundsätzen zu sehr
widersprechen. Er meldet sich jetzt mit den Worten: »Jeremy Hammer, du wirst das Geld nicht bekommen. Terz Beasley ist zwar ein Schuft, aber was du vorhast, Hammer, ist Straßenraub. Gib es auf!« Sie erkennen beide seine Stimme. Denn beide rufen sie wie auf Kommando: »Jim Overland!« Und als sie es gerufen haben, geraten sie in rasende Tätigkeit. Terz Beasley gibt seinem Pferd heftig die Sporen. Das Tier wiehert schrill auf und rast davon. Jeremy Hammer aber drückt ab. Er trifft wirklich nicht, lädt jedoch schnell durch und ist nun von einem blindwütigen Zorn erfaßt. Er achtet nicht mehr auf den davonreitenden Beasley, sondern brüllt zu Jim Overland hinüber: »Jetzt bekommst du es!« Er will abdrücken, in wildem und blindem Zorn. Und dabei kann er Jim Overland gar nicht sehen. Er will ganz einfach in die Richtung abdrücken, aus der die Stimme kam. Inzwischen legte Beasley auf seinem Pferd etwa zwanzig Yard zurück. Zeit genug für ihn, um die Waffe zu ziehen und sich im Sattel zu wenden. Er feuert sofort. Schon sein erster Schuß trifft Jeremy Hammer, und 109 vier andere Kugeln schlagen in die Hotelwand, nicht weit von Jim entfernt. Jim macht einen schnellen Schritt, und da bricht sein verletztes Bein mit dem Fuß durch die morschen Planken des Gehsteiges. Ein heftiger Schmerz ist wieder in seinen Wunden. Er flucht bitter und schmerzvoll und weiß nun erst richtig, wie schnell und gefährlich dieser Terz Beasley ist, furchtlos und entschlossen. Es gehörte schon eine Menge Verwegenheit dazu, einfach loszureiten, obwohl Jeremy Hammer das Gewehr schußbereit angelegt hatte. Und was dann geschah, zeigt klar und deutlich Terz Beasleys Gefährlichkeit. Vom galoppierenden Pferd schoß Beasley mit dem Colt, traf Jeremy Hammer mit dem ersten Schuß und feuerte die nächsten Kugeln dorthin, wo er Jim Overland vermutete. Und Beasley gibt noch nicht auf. Indes Jim sein schmerzendes Bein aus dem Loch in den Gehsteigplanken zieht, hält Beasley unterhalb der Straße sein Pferd an, wendet es und kommt zurück. Er hält nun ein Gewehr in der Armbeuge, das er inzwischen aus dem Sattelhalfter zog. Es ist ganz klar, daß er weitermachen will, bis er auch Jim Overland erledigt hat. Terz Beasley hat jetzt einen festen Entschluß gefaßt und rechnet sich eine Chance aus. Vielleicht hat er sich auch inzwischen denken können, warum Cliff Overland allein zum Reservat geritten war und Jim Overland in Nugget Gulch City blieb. Weil Jim Overland beim Kampf mit den drei Revolvermännern verwundet wurde! Terz Beasley kommt also zurück, hält etwa hundert Yard entfernt sein Pferd an und will absitzen, um in die Schatten der Häuser und Gehsteige zu gelangen. Doch inzwischen hat Jim Overland sein Bein befreit, sich erhoben und das Gewehr angelegt. Er feuert sofort, und seine Kugel schleudert vor den Hufen von Beasleys Pferd den Staub hoch. Zugleich erklingt vom anderen Ende der Straße schneller Hufschlag. Eine Stimme ruft scharf und gellend: »Ich komme, Bruder! Ich komme! Hier kommt Cliff!« Ja, es ist Cliff! Er hat seine Geschäfte im Reservat schnell abgewickelt und ist Terz Beasley so schnell gefolgt, wie er nur konnte. Und als er in die Schlucht und in die Nähe der toten Stadt kam, hörte er die Schüsse. Da er von Jeremy Hammers Anwesenheit nichts wußte, rechnete er sich wohl sofort aus, daß Terz Beasley und Jim aneinandergeraten sind. Und nun kommt er dem verwundeten Bruder sofort zu Hilfe. Für Terz Beasley aber ist das zuviel. Er weiß ja nicht, ob Jim Overland schwer oder leicht verwundet ist. Und mit den beiden Overland-Brüdern möchte er sich jetzt ohne Hilfe doch nicht anlegen, zumal er im Reservat erkennen konnte, wie sehr Cliff Overland sich verändert hat und zu einem selbstbewußten Manne wurde, der sich wieder gefunden hat und sich bewies. Er reißt sein Pferd herum und jagt zum Ausgang der toten Stadt. Sein Hufschlag verklingt in der Schlucht. Indes ist Cliff vor dem Hotel angelangt. Schon vom Pferd aus ruft er drängend: »Alles in Ordnung, Jim?« »Sicher, sicher!« erwidert Jim. »Aber es war gut, daß du rechtzeitig eingreifen konntest. Ich bin nicht sehr beweglich. Und Terz Beasley ist gefährlicher, als ich dachte. Er hätte es vielleicht fertigbringen können, mich hier zu erledigen. Wahrscheinlich hätte er dann auf dich gewartet und die Sache auf diese rauhe Art zu einem Ende gebracht. Sieh mal nach Jeremy Hammer.« Cliff sitzt ab und geht zu Jeremy Hammers regungs111 loser Gestalt. Er kniet bei ihm nieder und untersucht ihn. Nach einer Minute erhebt er sich und ruft: »Er lebt noch! Aber die Kugel steckt in seinem Körper. Er wird einen Arzt nötig haben. Die Kugel in seinem Leib bringt ihn um, wenn wir ihn nicht zu einem Arzt bringen.« Jim Overland sitzt wieder auf dem alten Bierfaß. Als Cliff verstummt, ruft er ihm zu: »Nun, Bruder, jetzt hast du eine Menge Arbeit! Verbinde Jeremy Hammer, so daß er kein Blut mehr verliert. Und dann schaff die Pferde herbei. Ich selbst werde mich wohl im Sattel halten und den Ritt ohne besondere
Hilfe überstehen können. Aber Jeremy Hammer wird deine Hilfe brauchen. Los, Bruder! Es gibt Arbeit für dich!« Und nach einer kleinen Pause fügt er hinzu: »Und du bist jetzt groß genug, Cliff, um jede Schwierigkeit meistern zu können.« 11 Terz Beasley reitet schnell, und er ist ein Mann, der genau weiß, daß er eine wichtige Runde in einem großen Spiel verloren hat, eine Runde, die eine Entscheidung zu seinen Gunsten hätte bringen können. Und jetzt ist alles wieder sehr offen und unentschieden. In Terz Beasley ist ein wilder Sturm von Gefühlen, der sich nur langsam beruhigt und klaren und zielstrebigen Gedanken Platz macht. Erst nachdem er zehn Meilen geritten ist und seinem müden Pferd eine längere Rast gönnen muß, beginnt er wieder klar zu denken und Pläne zu machen. 112 Eines ist für ihn ganz klar: Wenn er seine ehrgeizigen Pläne verwirklichen will, dann muß er auf die rauhe Art weitermachen und offen kämpfen. Die Zeit der Tricks und schlauen Winkelzüge ist vorbei. Jim Overland wird jetzt auf ihn losgehen und ihn zurechtstutzen wollen, so wie damals Big Jesse seinen, Terz Beasleys, Vater zurechtstutzte. Es wird sich nun alles wiederholen. Schon David Beasley, also Terz Beasleys Vater, wollte damals über den Fluß, sich die ganze Weide erobern, alle kleinen Ranchers vertreiben und ein König werden. Er versuchte es, und Big Jesse stutzte ihn zurecht. In Terz, der damals noch ein Junge war, entstanden dann all die ehrgeizigen und heißen Wünsche. Und er will sie immer noch nicht aufgeben. Als er nach einer längeren Rast wieder in den Sattel steigt, sagt er laut in den grauen Tag hinein: »Und ich nehme mir die Zollbrücke und bringe meine Rinder über den Huß. Ich beginne jetzt den offenen Weidekrieg. Zum Teufel, die Overland-Mannschaft taugt nicht mehr viel. Die alten Reiter der Mannschaft hatten alle bald von Jeremy Hammer genug und ritten fort. Die Burschen, die Hammer dann einstellte, werden nicht kämpfen. Die Overlands haben nur noch wenige zuverlässige Reiter. Ich kann gewinnen. Und ich werde gewinnen, wenn ich nur richtig rauh werde und Jim Overland ausschalten kann. Dabei wird mir Simson Brackett helfen müssen.« Nach Stunden — es ist schon über die Mittagszeit — erreicht Terz Beasley die Zollbrücke. Er ist sattelmüde. Sein Pferd stolpert. Und beide sind mit Staub bedeckt. Als Terz vor der Schranke hält, ist er zu müde und erschöpft, um sich über Broderick Webbs zu ärgern, 113 dem er vor wenigen Tagen gedroht und dem er ein Ultimatum gesetzt hat, ihm die Brücke zu verkaufen. Doch dieses Ultimatum fällt ihm jetzt wieder ein. Die drei Tage sind verstrichen. Broderick Webbs müßte sich jetzt entschieden haben. »Hoiii!« ruft Terz Beasley über die Schranke hinweg zum Haus hinüber. Seine Stimme ist heiser und rauh. Und dann staunt er. Nicht Broderick Webbs, sondern eine Frau tritt heraus. Sie trägt eine Schürze und hat die Ärmel ihres Kleides aufgerollt. Ihre Arme sind mit Mehl bestäubt. Sie kommt schnell heran, mit langen und schnellen Schritten. Der Wind drückt ihre schwingenden Röcke gegen ihre langen Beine, und ihr Haar ist rot und die Augen sind grün. Terz Beasley starrt die Frau sprachlos und verwundert an. Sie erscheint ihm sehr schön und begehrenswert. Er hält sie für noch erfreulicher als Jenniver Overland, der er einmal gesagt hat, daß sie viel zu prächtig für einen Jämmerling wie Cliff wäre. Terz Beasley starrt diese Frau also an. Und sie lächelt ruhig zu ihm empor und sagt dann: »Tut mir leid, daß Sie warten mußten, Mister. Doch ich mußte erst das Blech mit den Biskuits in den Ofen schieben und das andere Blech herausnehmen, bevor sie mir verbrannten.« Nach diesen Worten öffnet sie die Schranke. Terz Beasley starrt sie immer noch an. Er reitet von der Brücke, wendet dann halb sein Pferd und blickt wieder auf die Frau nieder. »Wo ist Broderick Webbs?« fragt er rauh. Die Frau bekommt schmale Augen und hebt auf eine besondere Art ihr Kinn. »Wer sind Sie, Mister?« fragt sie herb und kühl. Von ihrer anfänglichen Freundlichkeit ist nichts mehr vor114 handen. Sie wirkt jetzt sehr kühl und selbstsicher. Und Terz Beasley begreift, daß dies eine Frau ist, die für sich sorgen kann und deren Wege rauh waren. Er wird sich darüber klar, wie fest und gerade sie ihn anblickt. Und das kann nur eine Frau, die gewöhnt ist, in einem rauhen Land unter rauhen Männern zu leben. »Ich bin Terz Beasley«, sagt er. »Ich dachte es mir fast«, erwidert sie ruhig. »Mister Broderick Webbs hat die Zollbrücke an mich verkauft. Er ist ein alter Mann, der seine letzten Jahre in Ruhe verbringen möchte. Er wohnt jetzt in Sagebee. Und ich bekommen den Brückenzoll von Ihnen, Mister Beasley.« Sie deutet bei diesen Worten auf die Büchse, die neben der Schranke an einem Pfahl befestigt ist. Terz Beasleys Staunen ist nur noch größer. »Sie haben die Zollbrücke gekauft?« fragt er. »Ja, ist denn Broderick Webbs verrückt geworden? Ich habe ihm
doch vor drei Tagen gesagt, daß ich diese Brücke kaufen will. Wie konnte er Ihnen die Brücke verkaufen, wenn ich sie haben will, dieser verdammte Narr?!« Indes Terz Beasley diese Worte spricht, steigt wieder ein heißer und böser Zorn in ihm auf. Es wird ihm klar, daß er wieder einmal eine Runde verloren hat. Auch fühlt er sich in seinem Stolz sehr verletzt. Er empfindet es als eine unerträgliche Beleidigung, daß ein alter Mann seinen Wünschen trotzte und die Brücke nicht an ihn, sondern an eine fremde Frau verkaufte, die er noch nie zuvor gesehen hat. Er beherrscht seinen bösen Zorn und spricht aus dem Sattel zu ihr nieder: »Und wer sind Sie, Madam? Warum haben Sie diese Zollbrücke erworben? Was bedeutet das?« »Mein Name ist Jane Baker«, entgegnet sie ihm. »Ich kam vor einigen Tagen nach Sagebee. Und ich suchte 115 eine Geldanlage. Ich wollte ein Geschäft, einen Saloon oder ein Hotel kaufen. Doch ich fand sehr schnell heraus, daß alle Geschäfte in Sagebee in Mister Simson Bracketts Hand sind. Durch Zufall hörte ich im Speisesaal des Hotels eine Unterhaltung zweier Männer. Der eine war Mister Broderick Webbs. Und er sagte dem Marshai, daß er genug von der Brücke hätte und diese verkaufen möchte, um sich endlich zur Ruhe zu setzen und Rosen zu züchten. Nun, ich machte mich mit den beiden Männern bekannt, fragte, was es mit der Brücke für eine Bewandtnis habe, ließ mir die Verhältnisse in diesem Lande erklären und kaufte die Brücke kurz entschlossen. Ich bin Ihnen also zuvorgekommen, Mister Beasley. Aber ich war schon immer eine sehr geschäftstüchtige Frau.« Terz Beasley starrt grimmig auf sie nieder. Ihre Schönheit ist ihm immer noch bewußt, und dennoch verspürt er einen Zorn auf sie. »Was haben Sie bezahlt?« fragt er. »Sie können es im Grundbuch lesen«, erwidert sie. »Dreitausend Dollar.« Er nickt und schlägt dann mit der Hand auf die beiden prall mit Geld gefüllten Taschen, die vor seinem Sattel über dem Pferdenacken liegen. »Ich zahle Ihnen sofort fünftausend Dollar«, sagt er. »Und ich habe das Geld bei mir. Sie werden sofort an mich verkaufen.« Sie blickt fest und stolz zu ihm auf. »Ich verkaufe um keinen Preis«, erwidert sie ruhig. »Dieses Gespräch ist beendet. Zahlen Sie den Brückenzoll und reiten Sie weiter, Mister.« Unter dem Staub auf seinem Gesicht wird er nun dunkelrot. »Sie sind schlau«, knurrt er. »Sie sind eine Glücksjägerin und Spekulantin. Sie haben etwas gewittert und 116 wollen nun den Preis in die Höhe treiben. Aber Sie werden zu meinem Preis und an mich verkaufen!« »Warum sollte ich das?« fragt sie scharf. Er verzieht unter dem blonden Schnurrbart seine aufgeworfenen Lippen zu einem harten Lächeln. »Diese Brücke ist ziemlich einsam, und Sie müßten auch hier sehr einsam und ohne jeden Schutz leben. Es gibt in diesem Land eine Menge rauhe Burschen, die eine einsame Frau ziemlich bedrängen könnten. Diese Brücke wird Ihnen bestimmt keine Freude bringen, nur Kummer und Verdruß. Verkaufen Sie lieber an mich, bevor Sie auf die bittere Art erkennen müssen, wie schlecht Ihre Idee war.« Sie betrachtet ihn eine Weile. »Sie sind kein Gentleman«, sagt sie dann ruhig. »Sie drohen mir?« »Richtig!« spricht er klirrend. »Ich drohe Ihnen. Sie sind schön und begehrenswert, und ich würde gern auf andere Art mit Ihnen verkehren. Aber Sie haben sich jetzt in ein Männerspiel eingemischt. Steigen Sie nur ganz schnell wieder aus, denn ich habe in den letzten drei Tagen mehr hingenommen, als ich ertragen kann. Ich kann auf die Brücke nicht verzichten. Ich brauche diese Brücke. Und ich werde sie bekommen. Denken Sie mal einige Stunden darüber nach, wie rauh es hier für Sie werden könnte und wie schutzlos Sie hier sein würden.« Nach diesen Worten treibt er sein müdes Pferd wieder an, ohne den Brückenzoll gezahlt zu haben. Und da erlebt er eine Überraschung. Jane Baker greift mit ihren mehlbestäubten Händen unter die Schürze. Sie holt mit der Rechten einen Revolver hervor und ruft: »Halt, Mister! Erst wird der Zoll bezahlt! Und Mister Webbs sagte mir, daß die Beasley Ranch schon zwei Monate den Pauschalbetrag schuldig wäre, Mister, ich kassiere jetzt für zwei Monate vierzig 117 Dollar. Vorwärts! Werfen Sie diesen Betrag in die Büchse dort!« Beasley hat angehalten und blickt über seine breite Schulter auf ihren Revolver. »Ich zahle fünftausend Dollar für die ganze Brücke«, sagt er. Dann reitet er weiter, und er sitzt ganz gerade im Sattel und blickt sich nicht mehr um. Jane Baker zielt auf seinen Rücken, aber es ist nur eine hilflose Geste. Sie drückt natürlich nicht ab. Sie blickt Terz Beasley lange nach, verbirgt den Revolver wieder unter der Schürze und geht schließlich schweigend und nachdenklich in das Blockhaus zurück. Terz Beasley ist müde und erschöpft, als er in die Stadt Sagebee einreitet. Doch die bittere Erkenntnis der erlittenen Niederlagen läßt ihn nicht zur Ruhe kommen. Er bringt sein erschöpftes Pferd in den Mietstall und verlangt, daß Link Howell ihm ein frisches Tier sattelt. Dann wirft er sich die beiden Geldtaschen über die Schulter und macht sich auf den Weg.
Dieser Weg führt zu Simson Brackett, einem Mann, der bisher in dieser Geschichte noch keine erkennbare Rolle spielte und von dem die Legenden aus dem Sagebee Valley zu berichten wissen, daß er sich lange Zeit aus dem Spiel heraushielt und erst dann tätigen Anteil nahm, als Terz Beasley mit offenen Karten zu spielen begann, rauh wurde und Hilfe nötig hatte, weil er es nicht mehr allein schaffen konnte. Und dennoch war zu jener Stunde die Entscheidung sicherlich schon in der toten Goldgräberstadt Gulch City gefallen. Nur war das noch nicht klar. Terz Beasley geht also zu Simson Brackett. Er findet ihn im Sagebee Saloon beim Billardspiel. Simson Brackett ist ein sehr dicker Mann mit einem 118 runden Glatzkopf, einer langen Nase und zwei kalten, und wasserhellen Augen. Seine Lippen werden von einem schwarzen Schnurrbart verborgen, und die feisten Wangen täuschen sehr. Diese feisten Wangen lassen einen Betrachter vermuten, daß Simson Bracketts dicker Körper fett und feist wie seine Wangen ist. Das ist ein großer Irrtum. Der so dick und fett wirkende Mann ist mit gewaltigen Muskeln bepackt, die sich in festem Fleisch verborgen halten. Simson Brackett ist so stark und hart wie ein Preiskämpfer. Er streift Terz Beasley mit einem kurzen Blick und führt dann erst seinen Stoß aus. Es ist ein sehr komplizierter Stoß, doch er ist haarscharf und genau berechnet. Als die drei Bälle schließlich in Berührung kommen, ist dies das Ergebnis einer geradezu unwahrscheinlichen Berechnung und eines geradezu artistischen Könnens. Simson Brackett schnalzt mit der Zunge, blickt Terz Beasley nun schärfer an und steuert dann wortlos auf eine kleine Tür zu, die in sein Büro führt. Terz Beasley folgt ihm. Der Barkeeper blickt dann auf die sich schließende Tür und reibt sich nachdenklich das Kinn. Dann blickt er wieder in die alte Zeitung, die vor ihm auf dem Schanktisch liegt. Drinnen im Büro setzt Simson Brackett sich hinter seinen Schreibtisch und sieht zu, wie Terz Beasley die gefüllten Ledertaschen achtlos von der Schulter auf den Boden fallen läßt und sich müde in einen der bequemen Sessel wirft. Beasley streckt die Beine von sich, lehnt sich weit zurück und schließt für eine Minute die Augen. Simson Brackett beobachtet ihn schweigend und regungslos und wartet. Denn warten konnte er schon immer, schweigen, rechnen und warten. 119 Nach einer Weile beginnt Terz Beasley zu sprechen, und er erstattet einen sehr genauen Bericht. Er faßt dann alles noch einmal knapp und trocken zusammen. Und das hört sich so an: »Die Overlands konnten den Pachtvertrag erneuern, und ich habe drei gute Männer verloren. Dazu kommt, daß Jim Overland in Gulch City zuhören konnte, wie ich mit Jeremy Hammer redete. Jim Overland weiß nun genau Bescheid. Für ihn gibt es nun keine Zweifel mehr über meine Pläne. Aber ich bin sicher, daß er verwundet wurde. Deshalb ist er in Gulch City zurückgeblieben. Er muß etwas bei dem Kampf mit meinen Männern abbekommen haben. Er wäre mir sonst ganz anders entgegengetreten.« Simson Brackett nickt langsam. »Das glaube ich auch«, sagt er. »Und warum bist du hier und erzählst mir das alles?« Sie blicken sich nach diesen Worten eine Weile schweigend an. Und sie wissen, daß sie beide etwas Gemeinsames haben. Sie sind durch ein gemeinsames Gefühl sehr miteinander verbunden. Es ist der Haß gegen die Overland Ranch und alles, was sie in diesem Lande bedeutet. Dieser Haß ist stark und machtvoll in ihnen vorhanden. Und er wurde in jener Zeit geboren, da Big Jesse Overland die Ordnung in diesem Lande auf seine Art aufrechterhielt und macht- und kraftvoll die Dinge im Lande beeinflußte. »Ich bin hier, weil ich nun deine tätige Hilfe brauche, Simson«, sagt Terz Beasley dann. »Ich kann nicht darauf warten, bis Jim Overland wieder gesund ist und mich angreift. Ich kann nicht warten, bis die OverlandMannschaft stärker und zuverlässiger wird, als sie zur Zeit ist. Simson, ich gehe über den Huß. Ich besetze diese verdammte Brücke und bringe zehntausend Rinder über den Huß. Ich will jetzt den offenen Weide120 krieg. Ich will jetzt ausführen, was damals mein Vater schon versucht hat und was ihm nicht glückte, weil Big Jesse ihn aufhielt und zerbrach. Ich habe meine Tricks und Schachzüge versucht und ausprobiert. Ich kam damit zu keinem Erfolg. Und jetzt bleibt mir nur noch der offene Kampf, oder ich kann gleich jetzt aufgeben und aus dem Land reiten.« »Und was verlangst du von mir, Terz Beasley?« fragt Simson Brackett sanft und bedächtig. »Jede Hilfe, Simson, jede Hilfe! Selbst dann, wenn du offen meine Partei ergreifen und aus dem Hintergrund ins Licht treten mußt. Du bist genauso ehrgeizig wie ich, Simson. Du wolltest dir schon vor vielen Jahren diese Stadt in die Hosentasche stecken. Es sollte deine Stadt werden. Aber Big Jesse duldete das nicht. Ergründete die Overland-Bank. Er gab all den kleinen Ranchern, Siedlern, Farmern, Handwerkern zu einem sehr niedrigen Zins Kredite für den Aufbau. Er schützte die Frachtlinie, die du übernehmen wolltest. Er sorgte dafür, daß Sagebee einen Marshai bekam, der nicht dein Marshai ist. Er trat dir überall entgegen, wo du auf die rauhe und rücksichtslose Art etwas an dich reißen wolltest: Grundstücke, Geschäfte, Häuser und all die anderen Dinge. Du besitzt nur den Store, den Saloon und das Hotel. Aber es gibt hier noch zwei andere Stores, zwei andere Saloons und ein anderes Hotel. Die Frachtlinie, mit der du hier die Preise diktieren könntest, ist immer noch in anderer Hand. Du kamst und kamst all die Jahre nur wenig vorwärts. Und die ganze Zeit hattest du Furcht vor Big Jesse.
Du wolltest in dieser Stadt der große Mann werden, ohne den in diesem Land kein Geschäft abgewickelt werden kann. Du wolltest diese Stadt erobern, die auf hundert Meilen in der Runde der Versorgungspunkt ist. Aber du kamst an Big Jesse nicht vorbei. Nun gut, jetzt kämpfe! Wir wollen 121 die Overland Ranch zerschmettern. Es wird Zeit, daß du die Stadt zu leiten beginnst und mir den Rücken deckst. Es wird Zeit, daß du die Overland-Bank erledigst.« Als er verstummt, denkt Simson Brackett eine Weile nach. Dann nickt er und murmelt: »Yeah, nachdem du nicht zum Ziel gekommen bist, wird es wirklich Zeit, daß ich anfange.« Er deutet auf die beiden Geldtaschen, die neben Terz Beasleys Fuß am Boden liegen. »Zahle das Geld wieder ein«, sagt er. »Und auch ich werde all mein Bargeld einzahlen. Es ist nicht wenig.« »Und dann?« fragt Beasley verwundert. »Wie erledigt man wohl eine kleine Privatbank?« fragt Simson Brackett sanft zurück. 12 Cliff Overland schafft es bis zu Bück Sanders Ranch, die ihnen am nächsten gelegen ist. Er schafft es, Jeremy Hammer noch lebend dort abzuliefern, und die letzten zehn Meilen hielt er den bewußtlosen Jeremy Hammer wie ein Kind in den Armen und vor sich auf dem Pferd. Das war eine ungewöhnliche Kraftleistung, denn Hammer ist ein schwergewichtiger Mann, und ein bewußtloser Mann ist doppelt schwer. Aber Cliff Overland schafft das alles. Er hätte nie gedacht, solche Dinge vollbringen zu können. Nun aber sind sein Selbstvertrauen und sein Glaube an sich noch stärker in ihm. Jim Overland hat den Ritt verhältnismäßig gut überstanden, da sie ja langsam reiten mußten. Er bleibt im 122 Sattel, indes Bück Sanders Frau und Cliff den Bewußtlosen ins Haus und in ein Bett bringen. Cliff kommt dann müde und mit am Körper niederhängenden Armen wieder heraus. Er sagt über die Schulter ins Haus hinein: »Wir reiten zum Round-up-Camp weiter und schicken von dort aus einen Reiter zur Stadt, der den Arzt zu Ihnen schickt, Mrs. Sander. Jeremy Hammer wird bestimmt Wundfieber bekommen. Binden Sie ihn fest auf das Bett.« Dann kommt Cliff zu Jim und blickt zu diesem auf. »Wie geht es dir, Bruder?« »Immer besser, Partner Cliff.« Jim grinst stoppelbärtig und hager. »Ich bleibe schon noch eine Weile im Sattel.« Cliff nickt. Er geht zum Brunnen, holt eine Schöpfkelle voll Wasser und bringt sie Jim. Der nickt, nimmt sie und trinkt. Bald darauf reiten sie weiter. Drei Stunden später sehen sie das große Feuer des Round-up-Camps in der inzwischen hereingebrochenen Nacht leuchten. Und als sie anhalten, beginnt Jim Overland im Sattel zu schwanken und fällt schließlich nach einer Seite. Einige Männer fangen ihn auf. Als Jim Overland erwacht, sind drei volle Tage vergangen. Er befindet sich auch nicht mehr im Round-upCamp, sondern auf der Overland Ranch. Denn als er sich lange genug im Zimmer umgesehen und einen klaren Kopf bekommen hat, erkennt er sein altes Zimmer wieder. Auch die Erinnerung an all das Geschehen ist wieder da. Seine Wunden schmerzen nicht mehr. Nur einen wilden Hunger verspürt er im Leib. Er setzt sich auf 123 und schiebt seine Beine aus dem Bett. Nun erst spürt er die Wunden schmerzvoll. Aber diese Art von Schmerzen kennt er. Dies sind Schmerzen von frischvernarbten Wunden, und er weiß, daß sie wieder aufbrechen werden, wenn er sich zu hastig bewegt. Er fühlt auch eine Schwäche und leichten Schwindel. Und da legt er sich lieber wieder lang. »Das hätte ich dir auch sehr geraten«, sagt eine Stimme. Er wendet den Kopf und erblickt Jennifer. Sie tritt ein und bringt ein Tablett mit, auf dem einige Schüsseln stehen, aus denen es herrlich duftet. »Ich bin ein kranker Wolf, der zehn Pfund rohes Fleisch essen muß«, sagt Jim. »Und ich wette, daß ich in drei Tagen wieder im Sattel sitzen kann.« »Als sie dich auf die Ranch brachten, lagst du wie tot im Stroh des Wagens«, sagt Jennifer herb. »Und als wir dich in dieses Bett legten, begannst du sofort laut zu schnarchen. Jim, was bist du für ein Mann? Und was hast du mit deinem Bruder Cliff angestellt?« Indes sie diese Worte spricht, hat sie ihm zwei Kissen unter den Kopf und hinter den Rücken gestopft, so daß er bequem sitzen kann, und stellt nun das Tablett vor ihm hin. Jim gibt ihr nicht sogleich Antwort. Er trinkt erst eine Tasse leer, in der sich Hühnerbrühe befindet. Dann nimmt er einen Hühnerschenkel aus der Schüssel und macht in wenigen Sekunden den Knochen blank. Erst dann fragt er kauend: »Was soll ich mit Cliff gemacht haben, Schwägerin?« »Er soll endlich ein Mann geworden sein«, erwidert Jennifer. »Cliff war noch nicht hier. Er ist immer noch bei der Mannschaft. Aber Jube David, unser Koch, war hier, um Vorräte zu holen. Und Jube erzählte mir, daß Cliff
sich vollkommen verändert hätte. Einige unserer Reiter, die Jeremy Hammer eingestellt hatte, erwiesen 124 ihm nicht den nötigen Respekt. Und er hat sie wahrhaftig verprügelt und zum Teufel gejagt. Cliff hat sich in den vergangenen drei Tagen mehr als ein Dutzend Male Respekt und Achtung verschafft und das Kommando über die Overland-Mannschaft übernommen. Er soll nicht wiederzuerkennen sein.« »Das glaube ich«, murmelt Jim kauend, und er spürt dabei, wie gut ihm die Speise tut. »Das glaube ich«, wiederholt er. »Denn Cliff hat in Gulch City seine Furcht besiegen können. Er hat in Gulch City wie ein Mann gekämpft und den Glauben an sich selbst und eine Menge Selbstvertrauen gefunden. Und nachher hat er einige Dinge vollbracht und erledigt, die ich nicht besser hätte machen können. In Gulch City fand eine Entscheidung statt, Schwägerin. Cliff ist in Ordnung. Selbst wenn er nicht mein Bruder wäre, würde ich ihn gerne zum Partner haben. Mit Cliff läßt es sich gut reiten. In ihm ist etwas durchgebrochen, als die Gefahr sehr groß war.« Nach diesen Worten ißt er weiter. Jennifer starrt ihn eine Weile sprachlos an. Dann eilt sie mit den Worten hinaus: »Das muß ich Big Jesse sagen!« Als Jim alle Schüsseln und Teller geleert hat, kommt Jennifer wieder. Doch sie kommt nicht allein. Sie schiebt Big Jesse in einem Rollstuhl vor sich her. Sie schiebt ihn bis dicht an Jims Bett. Und Big Jesse sagt drängend: »Erzähle mir alles, Junge! Ich will es wissen!« Und Jim erzählt. Als er fertig ist, sind Big Jesses Augen etwas feucht. Er wischt sich unbeholfen über das Gesicht. Es ist eine müde Bewegung. Dann sagt er: »Du lieber Gott im Himmel, ich danke dir, daß du Jim und Cliff heimkehren ließest und daß 125 Cliff die Kraft zu seiner Wandlung finden konnte. Ich danke dir, daß nun auch aus Cliff ein richtiger Overland wurde, nachdem ich alles bei ihm falsch gemacht habe. Oh, jetzt ist mir wohler!« Als er dies gesagt hat, betrachtet er seine Hand, mit der er sich über die Augen wischt. »Was ist das?« fragt er. »Ich konnte fast mühelos meine Hand bewegen. He, Jim, hast du das gesehen? Ob ich auch wieder meine Beine . . .« Er macht mit dem Oberkörper eine Bewegung, so, als wollte er aus dem Rollstuhl aufstehen. Doch dann erschlafft er wieder und sitzt still. »Man soll keine Wunder erwarten. Nein, meine Beine sind noch tot. Aber heute ist wieder einmal ein guter Tag für mich.« Zwei weitere Tage vergehen. Nachrichten kommen auf die Ranch, daß das Round-up gut vonstatten geht. Es kommen auch Nachrichten, daß Jeremy Hammer sicherlich am Leben bleiben wird. Und es kommen Nachrichten, daß die Zollbrücke von einer Frau gekauft worden ist. Am Abend des zweiten Tages kommt Cliff auf die Ranch geritten, ein etwas hager gewordener, müder und bärtiger Mann. Und er bringt schlechte Nachrichten, sehr schlechte! Er kommt müde in Jims Zimmer, setzt sich auf einen Stuhl und fragt ruhig: »Wie geht es dir, Bruder?« »Morgen steige ich aus diesem verdammten Bett«, grinst Jim. »Ich weiß, daß ich noch eine Weile in diesem Bett liegen und mich ausruhen könnte, weil du alles gut und richtig machst, aber ein Mann kann nicht ständig im Bett liegen.« Cliff nickt langsam und atmet aus. Nachdem er wie126 der eingeatmet hat, sagt er mit grimmiger Bitterkeit: »Wir bekommen einen richtigen, offenen und blutigen Weidekrieg, Bruder Jim.« Nach dieser trockenen Feststellung macht er eine kleine Pause und fügt dann nüchtern und knapp hinzu: »Seit einigen Stunden bringt Terz Beasley Rinder über den Huß und auf unsere Weide. Bis jetzt sind es schon fast tausend Stück. Und wenn er einige Tage so weitermacht, dann hat er bald zehntausend Longhorns auf dieser Seite. Er bringt sie alle über die Brücke. Und sicherlich wartet er nur darauf, daß wir ihn angreifen.« Als Jim Overland das hört, denkt er eine volle Minute nach. Er hat natürlich während der beiden vergangenen Tage einige Nachrichten gehört. Er weiß seit gestern, wer die Zollbrücke besitzt. Und er hat schon viele Stunden darüber nachgedacht, warum Jane Baker ihm aus Rainbow gefolgt ist und ausgerechnet die Zollbrücke kaufte. »Was ist mit der Brücke?« fragt er nach einer Weile. »Terz Beasley hat einige Reiter dort stationiert«, erwidert Cliff. »Er hat die Brücke ganz einfach besetzt, uns und alle Leute, die diesseits des Flusses leben, von der Stadt abgesperrt und das alles zu einer riesengroßen Herausforderung gemacht.« Er erhebt sich seufzend und tritt zum Fenster. »Terz Beasley ist stärker als wir. Selbst wenn wir das Round-up abbrechen und unsere Mannschaft sammeln, sind wir nicht stark genug. Von unserer alten, guten und verwegenen Mannschaft, die Big Jesse geschaffen hatte, sind nur noch wenige Männer da: Jube David, Colorado-Jack, Ringo Monk, Tube Britt und Pecos-Charly. Bück Sander und Amb Wayne haben sich selbständig gemacht. Sie haben nun Familie und sind kleine Rancher in den Hügeln. Link Howell ist alt und führt den Mietstall in der Stadt. Und ein Dut127
zend Jungens hielten es bei Jeremy Hammer nicht aus, kündigten und ritten davon. Was Hammer als Ersatz einstellte, taugt nicht viel. Diese Burschen arbeiten zwar, aber es fehlt ihnen die Treue zur Ranch. Sie würden nicht kämpfen. Die Overland-Mannschaft ist nicht mehr groß genug, Jim. Terz Beasley aber hat mehr als zwei Dutzend hartbeinige Burschen zur Verfügung. Er hat schon seit Jahren eine sorgfältige Auswahl getroffen. Er hat eine richtige Kampfmannschaft. Und wir dürfen auch nicht vergessen, daß Simson Brackett seit einiger Zeit sein Freund ist, wenn nicht sogar sein Partner in all den Bestrebungen, die Overland Ranch zu zerbrechen. Terz Beasley hat also überdies auch noch Rückhalt in der Stadt. Er greift uns von einer festen, sicheren und soliden Basis aus an.« Cliff verstummt wieder. Und nach einer Pause sagt er bitter: »Und das alles ist so gekommen, weil Big Jesse krank wurde, sich nicht mehr um die Leitung der Ranch kümmern konnte, und ich eine jämmerliche Null war, die zu nichts taugte. Dadurch kam es, daß Jeremy Hammer hier Vormann wurde. Oh, ich sehe jetzt alles klar und deutlich! Jeremy Hammer wurde bald darauf von Terz Beasley gekauft. Hammer zerstörte die gute und zuverlässige Overland-Mannschaft. Er brachte auch unsere Nachbarn gegen uns auf. Wir sollten ohne Freunde und ohne zuverlässige Mannschaft sein. Als du heimkehrtest, Bruder, war dieses Ziel schon fast erreicht.« »Fast«, murmelt Jim. »Die Entscheidung fiel jedoch in Gulch City, Bruder. Denn dort wurdest du ein Mann. Und Terz Beasleys Pläne und Absichten wurden offenkundig. Auch Jeremy Hammers falsches Spiel trat klar zutage. In Gulch City wurde alles klar. Ich sage dir, daß dort die Entscheidung fiel.« »Ich kann es nicht so sehen«, seufzt Cliff. »Alles, was 128 ich sehe, ist anders. Ich sehe nur, daß Terz Beasley mächtig stark ist, Freunde in der Stadt hat, uns angegriffen hat und wir nicht stark genug sind, um ihn aufhalten zu können. Das ist alles, was ich sehe.« Er verstummt bitter. Jim Overland aber lächelt ernst und schüttelt den Kopf. »Ich war Marshai in Rainbow«, sagt er langsam. »Und ich hatte dort eine wilde Horde gegen mich. Die wilde Horde war dort in der Überzahl. Und die guten, rechtlichen und friedfertigen Bürger wagten keinen Kampf. Sie waren zu angstvoll, um ihre Stadt zu säubern und aus ihr eine gute Stadt zu machen. Sie warben mich als Marshai an und sahen zu, wie ich kämpfte. Zuerst sah für mich alles aussichtslos aus. Oft dachte ich, daß ich den nächsten Tag oder gar die nächste Stunde nicht mehr erleben würde. Ich glaubte manchmal, ich stünde auf einem verlorenen Posten und hätte überhaupt keine Chance. Für mich sah dort in Rainbow alles so aus wie hier für dich, keine Chance, keine Hoffnung — nichts! Und dennoch war im Grunde alles anders. Denn ein einziger Mann kann stärker sein als . ..« »Wie kann er das, Bruder?!« Cliff ruft es ungläubig und fast verzweifelt. »Wenn er unerschütterlich wie ein Berg ist, Bruder«, sagt Jim langsam und schwer. »Wenn er jede Gefahr verachtet und es für seine Gegner klar ist, daß er nicht blufft. Wenn sie deutlich spüren, daß dieser Mann einen starken Glauben an sich selbst besitzt und zu jeder Sekunde zum Letzten bereit ist. In diesen Sekunden der letzten Entscheidung und des Unabänderlichen zerbrechen all die großen und stolzen Burschen, die für Lohn kämpfen. Es fehlt ihnen das Letzte. Sie spüren plötzlich Zweifel, zögern in ihren Entscheidungen .. . Aah, ich kann es dir mit Worten nicht erklären, 129 Cliff! Aber es ist so! Und ich werde es dir beweisen. Eine wilde Horde oder ein rauhes Rudel sind stets nur so stark wie der Anführer. Das ist ein altes Naturgesetz. Ich werde es dir zeigen, Bruder. Geh stets allein und ohne Hilfe auf den Anführer los, dann zwingst du das Rudel zum Zusehen. Und dann bekommst du deine Chance. Ich zeige es dir!« Nach diesen Worten schiebt Jim Overland seine Beine aus dem Bett. »Bringe mir meine Kleidung und meine Waffe, Bruder«, verlangt er entschlossen. Als Jim hinkend und mit etwas schiefer Körperhaltung auf die Veranda tritt, warten dort Big Jesse, Jennifer und Cliff auf ihn. Big Jesse sitzt in seinem Rollstuhl, und er sitzt aufrecht darin und mit erhobenem Kopf. Jennifer steht neben ihm. Und Cliff sitzt auf der Verandabrüstung. Sie betrachten ihn aufmerksam. Der lächelt. »Ich glaube, ich bin noch etwas schwach, weil ich zu lange im Bett gelegen habe«, sagt er. Und da grinst sogar Big Jesse, obwohl ein ernster Ausdruck in seinen Augen ist. Jennifer sagt bitter: »Du bist noch viel zu krank, Jim, um reiten zu können. Und wenn ihr gar die Idee haben solltet, kämpfen zu wollen, dann wird es euch übel ergehen. Laßt es lieber bleiben. Ich möchte nicht, daß man euch totschießt.« Nun betrachten die Männer die junge Frau. Big Jesse muß zu diesem Zweck seinen Kopf wenden. Sie erkennen Jennifers starke Erregung und ihre Furcht. »Du wolltest doch immer haben, daß ich kämpfe«, sagt Cliff ernst. Da schüttelt sie den Kopf. »Ich wollte, daß du ein 130 Mann bist, Cliff. Jetzt bist du einer geworden. Jetzt weiß ich, daß ich die Frau eines Mannes bin. Ich kann dich jetzt achten. Dieses Gefühl brauchte ich, um mit dir leben zu können. Denn" wie können wir einen Weg
zueinander finden, wenn du nicht zumindest meine Achtung besitzt. Aber ich verlange nicht von dir, daß du Selbstmord begehst, Cliff.« Er erwidert auf diese Worte nichts. Er blickt seine Frau nur seltsam ernst und nachdenklich an. Auch Jim sagt nichts. Dafür beginnt Big Jesse zu sprechen. »Du siehst es noch nicht richtig, Jenny«, sagt er ruhig. »Es geht jetzt nicht mehr darum, daß Cliff sich bewährt, daß er ein richtiger Mann mit Stolz ist und daß er dem Namen Overland keine Schande macht. Dies alles ist vorbei. In dieser Beziehung ist Cliff übern Berg. Es geht jetzt um andere Dinge, Jenny. Die Overland Ranch war in diesem Land immer die starke Kraft, die für Ordnung, Sicherheit, Rechtlichkeit und Frieden sorgte. Ich war immer ein großer Bursche, der größer und mächtiger war als alle anderen Männer auf hundert Meilen in der Runde. Der Schöpfer gab mir Eigenschaften, die in anderen Männern in geringerem Maße vorhanden sind. Dies sage ich jetzt nicht aus Selbstüberheblichkeit. Es war einfach so. Ich war ein Starker, gegen den kein anderer Mann ankommen konnte. Und als ich alt genug war, da fragte ich mich oft, warum mich der Schöpfer so viel größer als alle anderen Männer gemacht hatte. Ich las damals viele Bücher, die meine Mutter aus Old England mitgebracht hatte. Ich las von großen Männern, die ihre Größe und Macht entweder im guten oder im schlechten Sinne ausübten. Und ich kam zu der Erkenntnis, daß das Schlechte eines Tages stets vom Guten besiegt wird. Es wurde mir klar, daß der Starke nicht zufällig geschaffen wird. Er ist vom 131 Schöpfer so gewollt, damit er die Kleinen und Schwachen beschützt. Er kommt auf die Welt, damit in seinem Schutze all die vielen anderen Kleinen leben können. Mit seinen besonderen Eigenschaften bekommt er eine Pflicht auferlegt, die er zu erfüllen hat, wenn alles einen Sinn haben soll. Und danach habe ich stets gelebt und gehandelt. Ich kam in dieses Land, als es hier noch keinen Weißen gab. Ich baute meine Ranch auf. Bald war ich mächtig und groß. Ich hätte mir hier ein Königreich schaffen können. Es wäre leicht für mich gewesen, jeden Neuankömmling zu unterwerfen. Ich habe das nie versucht. Meine Nachbarn lebten stets in meinem Schutze. Im Schutze der Overland Ranch entstand die Stadt Sagebee. Ich sorgte in diesem Land immer für Frieden und Sicherheit, für gleiches Recht für alle. Und ich stutzte alle Burschen 'zurecht, die gegenüber den schwächeren Nachbarn zu rauh wurden. Und es kamen eine Menge Männer in dieses Land, die ihre Stärke dazu benutzen wollten, um die Kleinen aufzufressen. Da war Simson Brackett, der sich die ganze Stadt in die Hosentasche stecken wollte. Da war Terz Beasleys Vater, der sich ein Königreich schaffen wollte, obwohl er später gekommen war und schon andere Männer vor ihm da waren. Ich stutzte sie alle zurecht und zeigte ihnen deutlich die Grenzen. Und das war gut so, denn eine große Ranch hat Pflichten. Wer selbst leben will, muß leben lassen. Stärke ist nicht dazu da, um zu vernichten. Duldung, Schonung, Hilfe und Schutz, dies muß von einem Starken ausgehen. So will es die Schöpfung.« Nach diesen Worten macht Big Jesse eine Pause. Aber er spricht bald weiter, ruhig und fest: »Dann wurde ich krank. Und all die rauhen Burschen begannen sich ihre Chancen auszurechnen. Sie dachten wieder mehr und mehr daran, sich auf Kosten der 132 Kleinen etwas zu erobern, größer zu werden, mächtiger, und zu rauben. Und das wollen sie jetzt immer noch. Wir haben noch kein Gesetz im Land, welches auch den Kleinen und Schwachen Schutz geben kann. Aber die Overland Ranch ist noch da! Ich habe zwei Söhne, die mich abgelöst haben. Und diese beiden Söhne übernahmen auch meine Pflichten.« Er hebt seinen Zeigefinger und spricht hart und trocken: »Wenn Terz Beasley die Overland Ranch zerschlagen kann, vermag ihn nichts mehr aufzuhalten. All die kleinen Rancher und Siedler müssen dann weichen. Dann gibt es keinen Schutz mehr für sie. Denn er ist einer von den Burschen, die unersättlich werden, je weiter sie kommen. Sie berauschen sich an ihren Erfolgen, halten sich für Auserwählte und verlieren alle Maßstäbe. Sie werden schlimmer, je weiter sie kommen, und träumen von Königreichen, Selbstherrlichkeit und Macht. Sie zertreten jeden Widerstand und kennen kein Ende. Und so ist es auch mit diesem Simson Brackett. Brackett will die Stadt. Er will die Frachtlinie. Er will eine Bank gründen. Er will alle Geschäfte und jeden Handel und Wandel in die Hand bekommen. Wenn es ihm gelingt, schreibt er alle Preise vor. Er wird zum Blutsauger und kennt keine Gnade. Er ist noch schlimmer und gefährlicher als Terz Beasley, denn er träumt nur von einem großen Rinderreich, von Grenzen, die bis zum Horizont reichen und von stolzer Größe, Simson Brackett ist anders. Wenn er ins Spiel kommt, wird er mit Geld, Krediten, Schuldverschreibungen, Preisfestsetzungen und all den üblichen Methoden arbeiten, die ein skrupelloser Geschäftemacher anwenden kann, um sich ein ganzes Land mit allen Menschen zu erobern. Und das darf nicht sein! Die Overland Ranch muß diese beiden Burschen aufhalten. Dies geschieht nicht nur zu ihrem 133 eigenen Wohl. Es geschieht für das ganze Land und alle Menschen, die darin leben.« Er blickt nach dieser Rede Jennifer einen Augenblick schweigend an. »Ich war stets sehr hart zu meinen Söhnen, und bei Cliff habe ich fast alles falsch gemacht. Doch ich habe meine Jungens immer geliebt wie ein Vater. Glaubst du, ich lasse sie leichten Herzens reiten? Oh, sie sind jetzt alles, was mir in diesem Leben noch Freude macht! Und dennoch, die Overland Ranch hat in diesem Lande immer für Ordnung gesorgt und die Kleinen geschützt. Dabei bleibt es! Jenny, wenn du Cliff jetzt so sehr achtest, daß du
um ihn fürchtest und ihn eines Tages sogar von Herzen lieben könntest, so wie seine Mutter mich liebte, nun, dann kannst du nicht alles für dich verlangen. Dann mußt du warten, hoffen und beten, daß er am Leben bleibt. Mehr kannst du nicht!« Er blickt Jim und Cliff an. »Ich habe keine Befehle für euch. Ich bin nur der alte Jesse Overland, der zusehen muß. Aber mit dem Herzen bin ich bei euch und begleite euch überall hin. Ich weiß, daß ihr jetzt alles so seht, wie ich es sehe. Und ich danke dem Vater im Himmel dafür.« Das ist eine Verabschiedung. Jim nickt ihm zu und hebt grüßend die Hand. Dann geht er wortlos zu den beiden wartenden Pferden. Er kommt beim ersten Versuch in den Sattel, und er weiß, daß ihn bei jedem Schritt des Pferdes die kaum verharschten Wunden schmerzen werden. Aber es lächelt ernst, zieht das Pferd herum und reitet aus dem Hof. Auch Cliff ist zu seinem Pferd gegangen und will aufsitzen. Doch Jennifer verläßt plötzlich die Veranda und erreicht ihn noch rechtzeitig. »Cliff, ich küßte dich schon damals, als du zum Reservat rittest. Diesmal hast du keinen Grund, um auf das 134 zu warten, was ich bereit bin, dir mit auf den Weg zu geben. Zum Teufel, Cliff, diesmal kannst du fordern! Du kannst deinen Kuß haben, wenn du ihn nur willst.« Er betrachtet sie eine Weile. Es wird jetzt zusehends dunkler. Die Nacht eilt von Osten her heran. Cliff sagt: »Es tut einem Mann gut, wenn die Frau ihn achtet. Ja, es tut mir gut, Jenny. Aber ich wollte dich nicht bedrängen. Nach dem, was gewesen ist, kann ich von dir noch nichts fordern. Du mußt es mir immer noch von dir aus geben.« Da stellt sie sich auf die Zehenspitzen, legt ihre Arme um seinen Nacken und küßt ihn. Dann sitzt er wortlos auf und folgt seinem Bruder. Jennifer steht still und lauscht auf den verklingenden Hufschlag. Dann wendet sie sich scharf um und blickt zur Veranda hinauf. Big Jesses Gestalt und der Rollstuhl sind nicht mehr deutlich erkennbar, denn die Schatten der Nacht sind nun über der Ranch. »Und wenn sie getötet werden, Big Jesse?« fragt Jennifer. »Für jeden Mann und jede Frau gibt es von Anfang an ein Schicksal«, sagt Big Jesse ruhig. »Und die Overlands nehmen die Karten wie sie fallen, und reiten geradeaus. Wenn du Cliff jetzt liebst, nun gut! Aber es ist im Moment nicht so wichtig. Erst später wieder, wenn Ordnung herrscht und ein Overland wieder an das eigene Glück denken kann. Auch du bist eine Overland geworden, nicht wahr? Erst nach dem Ritt kommt die Stunde der Ruhe.« 135 13 Zwei Stunden später erreichen Jim und Cliff den Fluß. Vom Kamm der Hügel aus blicken sie auf den Fluß nieder und erkennen die beiden großen Feuer bei der Zollbrücke. »Terz Beasley hat eine Mannschaft dort bei der Brücke stationiert«, sagt Cliff bitter und bewegt sich müde im Sattel. »Er hat den ganzen Tag Rinder über den Fluß treiben lassen. Aber seine Reiter haben sich über die Brücke zurückgezogen. Wenn Terz Beasley jeden Tag einige hundert Rinder über den Fluß bringt, sind es bald einige tausend. Und sie wandern diesseits frei herum, vermischen sich mit unseren Herden und denen der Nachbarn. Innerhalb einiger Wochen ist das ganze Land auf fünfzig Meilen in der Runde mit Beasley-Rindern bevölkert, die sich mit unseren Herden vermischt haben. Und vertreibe mal einen Mann, der zehntausend Rinder auf einer Weide stehen hat.« »Er wird einen fairen Zoll und für das Gras ein faires Weidegeld bezahlen müssen«, erwidert Jim trocken. »Es geht nämlich auch andersherum zu machen. Wir können ihm seine Rinder erst dann wieder herausgeben, wenn er Brückenzoll und Weidegeld bezahlt hat. Denn er hat eine Brücke benutzt und läßt seine Rinder auf fremdem Gras weiden.« Nach diesen Worten reitet er weiter. Cliff flucht gepreßt und folgt ihm. Sie reiten langsam. Zehn Minuten später erreichen sie die Brücke. Sie reiten hinüber und halten vor der Schranke an. Neben der Brücke brennt eines der beiden großen Feuer. Und einige Männer stehen vor der Schranke. Andere Männer halten sich beim Haus auf. Sie sind gut 136 verteilt. Die meisten der Burschen halten Gewehre in den Armbeugen. Cliff atmet gepreßt. Ihm ist bestimmt nicht geheuer. Jemand fragt mit deutlichem Spott: »Wer seid ihr denn?« »Cliff und Jim Overland«, erwidert Jim. »Und ihr wollt hinüber?« klingt es zurück. »Es ist eine Zollbrücke, die jeder benutzen kann, wenn er den Zoll bezahlt, nicht wahr?« erwidert Jim lässig. Danach ist es eine Weile still. Die Burschen sind unschlüssig und denken nach. Sie suchen nach den Zeichen eines Tricks oder einer Gefahr. Es erscheint ihnen sehr ungewöhnlich und unwahrscheinlich, daß die beiden
Overlands einfach dahergeritten kommen und über die Brücke wollen. Denn sie wissen ganz genau, daß die Overland Ranch längst Bescheid wissen muß, daß Rinder über den Huß kamen und die Beasley-Mannschaft die Brücke besetzte. Endlich sagt der Sprecher langsam: »Für die Overland Ranch ist die Brücke gesperrt.« Jim gleitet aus dem Sattel. Einer der Männer lädt sein Gewehr durch. Es ist ein deutlich hörbarer Laut. Auch Cliff sitzt ab. Sie stehen nun halb hinter den Pferden verborgen. »Macht die Schranke auf und laßt uns durch«, klingt Jims Stimme ruhig. »Nicht ohne Terz Beasleys Erlaubnis!« erwidert der Sprecher der Beasley-Männer. Sie sind alle im Feuerschein gut erkennbar. Jim hat sich lange genug umsehen können. Drei der Burschen stehen hinter der Schranke. Und zwei andere Männer stehen links von ihm beim Haus. Die Tür des Blockhauses ist geschlossen. Doch hinter den Fenstern leuchtet Lampenschein. 137 Jim hört seinen Bruder Cliff gepreßt atmen. Und er kennt Cliffs Nöte ganz genau. Dies ist wieder einmal ein Moment, da ein Mann sich zu einem Entschluß durchringen muß. Und das ist schwer, so verteufelt hart und schwer! Vielleicht denkt Cliff jetzt, daß es Wahnsinn ist, was sie vorhaben. Vielleicht denkt er jetzt, daß es besser gewesen wäre, sie wären mit ihrer Mannschaft hergekommen. Denn es ist ganz klar, daß sie kämpfen müssen, wenn sie über die Brücke wollen. Und welcher Mann fängt schon einem Kampf an, wenn die Chancen so verteilt sind wie hier? Jim tritt nun zwischen den Pferden hervor und bis dicht an die geschlossene Schranke. Er hält sich sehr gerade und vermeidet es, zu hinken. Er wirkt hagerer als vor Tagen. Und seine Stimme klingt ganz ruhig, als er nun spricht: »Paßt genau auf! Ich will es euch erklären. Dies ist eine Zollbrücke. Sie wurde damals von der Armee gebaut und dient dem ganzen Verkehr im Land. Als die Armee diese Brücke an einen Privatmann verkaufte, machte sie es vertraglich zur Pflicht, daß diese Brücke stets frei und offen ist für jede Art von Verkehr. Ihr seid also im Unrecht, wenn ihr diese Brücke sperrt.« »Was soll das?« fragt der Sprecher der Beasley-Männer. »Es bedeutet, daß ihr im Unrecht und wir im Recht sind«, erwidert Jim ruhig. »Und wenn schon! Wir sind die Stärkeren!« erwidert der Sprecher. »In diesem Lande hat der Stärkere immer das Recht auf seiner Seite. Wer wollte das ändern können? Der Stärkere gibt hier die Befehle. Sein Wille ist hier Gesetz. Und Terz Beasley hat diese Brücke gesperrt. Damit ist wohl alles klar. Kehrt um!« 138 Jim Overland schweigt eine Weile. Dieses Schweigen dauert sicherlich nicht länger als eine halbe Minute, und doch ist diese an sich so kurze Zeitspanne wie eine Ewigkeit. Dieses Schweigen zerrt an den Nerven der Männer, denn es ist ein unheilvolles Schweigen. Der Atem eines Unheils und einer bevorstehenden Gewalttat weht plötzlich. »Mein Name ist Overland, Jim Overland«, sagt Jim nach dieser Pause sanft und ruhig. »Ich bin der Mann, der die Stadt Rainbow zähmte. Und ich sage euch das, damit ihr keine Zweifel daran habt, daß ich schießen werde. Barton Douglas, Arnos Buchanan und Pete French, die uns in Gulch City aufhalten wollten, sind tot. Rechnet euch also aus, ob ihr die Sache hier alle überleben würdet. Und jetzt fangen wir an!« Er wendet seinen Kopf um zwei Zoll und spricht zur Seite: »Cliff, öffne die Schranke!« Cliff tritt sofort zwischen den Pferden hervor. Er hält seine Schrotflinte in der Rechten. Indes er den ersten Schritt macht, spannt er beide Hähne. Man hört deutlich das Knacken. Die drei Männer hinter der Schranke halten ihre Gewehre in Hüfthöhe in Anschlag. Und auch die beiden anderen Männer, die drüben beim Blockhaus stehen, haben die Waffen bereit. Doch hinter ihnen verlöscht im Hause das Licht. Ein Fenster wird geöffnet. Und dann sagt die Stimme einer Frau aus dem dunklen Räume ins Freie: »Ich habe einen Revolver und werde schießen. Sobald der erste Schuß kracht, werde ich ebenfalls schießen. Und ihr steht gerade richtig vor mir.« Wieder ist es für einige Sekunden still, und nun ist die Spannung noch zermürbender, lastender. Jim Overland sagt dann scharf: »Jane! Zum Teufel, Jane, laß das sein! Geh vom Fenster weg!« 139 »Ich denke nicht daran!« erwidert die junge Frau. »Ich habe diese Brücke gekauft. Und dann kamen diese Banditen und nahmen sie in Beschlag. Natürlich werde ich schießen!« Indes hat Cliff die Schranke erreicht. Er legt seine linke Hand auf das Gewicht. Die Schranke ist so ausbalanciert, daß schon ein sehr geringer Druck auf das Gewicht genügt, um den langen Baum zu heben. Das geschieht jetzt. »Fangt nur an, wenn es euch juckt«, sagt Jim Overland kühl. Aber die drei Männer bewegen sich nicht. Sie stehen schweigend da, halten ihre Gewehre in Hüfthöhe und die Finger an den Abzügen. Aber sie wagen es nicht, nein, sie zögern immer noch. Sie können sich nicht zu jenem unheilvollen Entschluß durchringen.
Denn sie spüren deutlich und wie einen körperlichen Anprall den starken Strom von Jim Overlands eiskalter Entschlossenheit. Jim Overland wird vom Feuer angeleuchtet. Groß und hager steht er vor ihnen, nun nicht mehr durch die Schranke von ihnen getrennt. Der Feuerschein läßt die dunklen und tiefen Linien in seinem ruhigen Gesicht noch eindrucksvoller erscheinen. Und seine grauen Augen sind weit geöffnet. Die Männer auf der anderen Seite spüren deutlich, daß dieser Jim Overland nicht an die Schonung und Sicherheit seines eigenen Lebens denkt. Sie glauben plötzlich daran, daß dieser Mann nicht nachgeben wird, nie und nimmer! Sie sehen ihm an, wie sehr er bereit ist. Er steht breitbeinig vor ihnen. Sein Oberkörper ist etwas nach vorn gebeugt. Und seine Rechte hängt ruhig hinter dem alten Colt, den er am Oberschenkel festgeschnallt hat. Der Feuerschein läßt das dunkle Holz des Kolbens glänzen. 140 Die drei Männer denken mit einem Mal an die vielen Legenden, die damals ins Land drangen, von jenem Jim Overland, der die wilde Stadt Rainbow zähmte. Und jetzt wissen sie plötzlich, warum dies möglich war. Cliff steht immer noch dort, wo die Schranke zwischen zwei eingerammten Pfählen gelagert und das überragende Ende mit einem Gewicht belastet ist. Er sagt jetzt: »All right!« Und in seiner Stimme klingt der unabänderliche Entschluß. Und so sieht die ganze Sache nun aus: Da sind fünf rauhe Burschen von der Beasley-Ranch. Sie sollen die Brücke sperren. Und sie sind für Revolverlohn angeworben. Ihnen gegenüber stehen die beiden Overland-Brüder, und sie stehen nicht im Sold eines Mannes, sondern werden von eigenen Entschlüssen angetrieben. Und das genau ist der Unterschied. In den Söldlingen zerbricht jetzt etwas. Jetzt, wo sie nachgedacht und gerechnet haben und zu dem Schluß kamen, daß die Overlands die Sache bis zum Ende austragen werden, jetzt stellen sie sich die Frage, wer von ihnen es überleben wird. Bestimmt nicht alle. Das ist sicher! Und deshalb stellen sie sich die Frage, ob das Risiko nicht vielleicht doch zu groß ist. Gewiß, wenn dort zwanzigtausend Dollar lägen, dann würden sie es sicherlich riskieren. Zwanzigtausend Dollar oder noch mehr wären einen hohen Einsatz und ein großes Risiko wert. Aber sie stehen hier nur für einen Lohn, der sicherlich etwas höher liegt als der normale Cowboylohn, aber doch nicht so hoch, daß ein Mann dafür einen solch hohen Einsatz wagt. 141 Und so zerbricht in diesen Sekunden etwas in ihnen. Cliff bewegt sich plötzlich. Er geht seitlich an ihnen vorbei, befindet sich bald hinter ihnen und dem Haus genau gegenüber. Und niemand wagte es, gegen diesen Positionswechsel etwas zu unternehmen. Damit ist alles klar. »Wenn ihr nicht kämpfen wollt, dann reitet fort«, sagt Jim Overland ruhig. »Schert euch zum Teufel!« Einer der Männer seufzt tief. »Glaub nur nicht, daß wir feige sind, Mister«, sagt er gepreßt. Jim schüttelt den Kopf. »Das glaube ich nicht«, erwidert er. »Ihr habt nur nachgedacht und euch überlegt, was Terz Beasley von euch für fünfzig oder sechzig Dollar im Monat verlangt. Zwei oder drei von euch Jungens wären hier gestorben. Ihr seid nur angeworben und nicht mit eurem Herzen bei der Sache so wie wir. Und das ist der ganze Unterschied. Nein, ich glaube wirklich nicht, daß ihr aus Feigheit gekniffen habt. Wäre dies hier eure persönliche Fehde, so hättet ihr bestimmt gekämpft.« Sie denken über seine Worte nach, und sie verspüren sogar jeder für sich eine gewisse Befriedigung über diese Worte. Ihr Stolz ist nun nicht mehr so sehr verletzt. Sie begreifen, daß Jim Overland sie versteht und sie ganz bestimmt nicht für Feiglinge hält. Und darauf kam es ihnen zuletzt nur noch an. Ihr Sprecher wendet sich mit einer müden Bewegung ab. »Gehen wir!« sagt er. Nach drei Schritten hält er inne und blickt über die Schulter auf Jim Overland. »Sie haben uns eine Lektion erteilt, Overland«, sagt er. »Man kann für Geld nicht das Letzte geben, man muß wirklich mit dem Herzen dabeisein. Natürlich können wir nicht zu Terz Beasley zurück. Von ihm aus gesehen haben wir kläglich versagt. Wir werden aus dem Land reiten. Und ich wünsche Ihnen viel Glück, 142 Jim Overland! Ich habe schon oft einigen harten Männern gegenübergestanden, doch nie spürte ich deren unabänderlichen Entschluß so deutlich und stark wie soeben bei Ihnen. Yeah, Sie waren bereit, richtig bereit im tiefsten und innersten Kern. Das war es wohl, was in uns die Zweifel erzeugte, am Leben bleiben zu können. Und ich achte einen Mann, der entschlossen ist, für seine persönliche Sache jeden Weg bis zum Ende zu gehen.« Nach diesen Worten geht er davon. Die anderen Männer folgen ihm. Zuerst geschieht das zögernd, aber dann schneller. Neben dem Haus befindet sich ein Corral. Die Männer holen dort ihre Pferde heraus. Diese sind gesattelt. Das Rudel sitzt auf und reitet davon.
Jim blickt ihnen nach, und es sind viele Gedanken in ihm. Er weiß, daß diese fünf Männer gewiß keine schlechten Burschen sind. Er weiß auch genau, daß sie keine Feiglinge waren. Natürlich schämen sie sich irgendwie. Und dennoch waren sie klug. Sie werden bestimmt nicht zu Terz Beasley, sondern noch in dieser Nacht aus dem Lande reiten, irgendwohin. Auch werden sie gewiß nicht beisammenbleiben, denn sie alle waren Zeugen ihrer Niederlage. Jeder schämt sich vor dem anderen. Also werden sie sich trennen, als Satteltramps durch das Land reiten und sich irgendwo einen Job suchen. Sie sind für Terz Beasley verloren. Jim hört seinen Bruder Cliff langsam ausatmen. Dann sagt Cliff fast stöhnend: »Oh, Jim, ich hatte eine verdammte Angst, daß unser Bluff nicht wirken würde.« Jim wendet sich scharf um und ist mit fünf schnellen Schritten beim Bruder. Er greift zu, faßt in Cliffs Hemd und reißt ihn an sich heran. »Junge«, sagt er gepreßt, »es war kein Bluff! Ich war bereit! Hörst du, ich war zum Sterben und zum Töten 143 bereit! Bei Gott, es war kein Bluff! Das hätten diese Burschen genau gewittert, und sie hätten es ausprobiert. Cliff, es stand auf des Messers Schneide!« Er läßt ihn los und tritt zurück. Cliff atmet aus und wischt sich über das schwitzende Gesicht. »Du lieber Gott«, ächzt er. »Das war wieder mal eine Lektion für mich. Und jetzt erst wird mir richtig klar, warum die fünf Männer es nicht riskierten. Bruder, was bist du für ein Mann?« »Ein besonderer Mann!« sagt eine Stimme. »Unerschütterlich wie ein Fels, groß wie ein Berg und so hart gegen sich selbst. Mister, was hier war, ist nichts gegen das, was ich gesehen habe. In Rainbow stand er ganz allein einer wilden Horde gegenüber, einer allein gegen fünfzig! Und sie spürten alle, daß er nicht bluffte, daß er nicht nachgeben würde, nie und nimmer, solange noch Atem in ihm war. Und da begannen sie ihn zu fürchten und zu achten. Das ist das ganze Geheimnis. Er gehört zu den ganz >Großen
verschränkt. In der Ofenecke hält sie an und wendet sich ihm wieder zu. »Gewiß, Duff Baker war mein Mann, und du mußtest ihn töten. Aber er war ein schlechter Mann. Er taugte nichts und hätte nie etwas getaugt, in tausend Jahren nicht. Er war ein Spieler, ein Revolverheld, ein Gauner und Schuft. Und er war in Rainbow dein großer Feind. Er führte deine Gegner an, die große, wilde Horde, die von den Sünden dieser wilden Stadt lebte. Er war der Anführer all dieser Hartgesottenen, die vor dem Gesetz nach Rainbow geflüchtet waren und diese Stadt beherrschten. Er war der Boß einer Bande von Goldräubern, Banditen und Mördern. Und er versuchte immer wieder, dich durch seine Handlanger töten zu lassen. Du aber wolltest einer wilden Stadt Frieden und Sicherheit verschaffen. Und so kam es, daß Duff Baker, nachdem all seine Anschläge auf dich ohne Erfolg blieben, 146 die rechtlichen Menschen immer mehr an dich glaubten und dir vertrauten, als du ihm endlich die Maske des Biedermannes herunterreißen konntest und ihn bloßstelltest, ja, so kam es, daß er dir schließlich selbst mit dem Revolver entgegentrat, um dich zu töten. Es war dein gutes Recht, dir das Leben zu erhalten.« »Das wohl«, murmelt er. »Aber zuvor liebte ich dich schon, Jane.« »Es ist zwischen uns nichts vorgefallen, was unschicklich war«, erwidert sie scharf. »Gewiß, wir begegneten uns manchmal. Und einige Male warnte ich dich vor Anschlägen auf dein Leben. Wir wußten auch, daß wir uns liebten. Und meine Ehe mit Duff Baker war längst zerstört. Ich wäre ihm damals fortgelaufen, wenn du nicht in Rainbow gewesen wärest. Ich blieb in dieser wilden Stadt, weil du dort...« »Schon gut!« unterbricht er sie. »Mag es sein, wie es will. Ich kann nicht eine Frau heiraten, deren Mann ich töten mußte. Das geht nicht! Vielleicht wurde er nur mein Gegner, weil er gespürt hatte, daß wir uns liebten. Und vielleicht mußte ich deshalb auf ihn schießen. Jane, geh schnell wieder fort!« »Nein, Jim! Ich werde dir bis ans Ende der Welt folgen. Und ich habe diese Brücke nur gekauft, weil du immer wieder über sie reiten mußt. Immer wieder, wenn du über diese Brücke kommst, werde ich an der Schranke stehen. Ich werde dich ansehen, und du wirst wissen, daß ich dich liebe. Du wirst daran denken, wie groß unser Glück sein könnte. Und du wirst eines Tages keine Scheu mehr davor haben, mich zur Frau zu nehmen. Was können wir dafür, daß Duff Baker ein Schurke war, den du in Selbstverteidigung töten mußtest? Wir haben ein Recht auf Glück.« Sie kommt dicht zu ihm. Da er auf dem Stuhl sitzt, berührt ihre Brust seine Schulter. Er blickt zu ihr auf. 147 »Es ist hier wie in Rainbow«, sagt er. »Ich kämpfe wieder. Und ich weiß nicht, ob ich am Leben bleibe.« Sie schüttelt den Kopf. »Es ist hier anders als in Rainbow«, sagt sie dabei. »Es gibt keinen Duff Baker mehr. Und ich habe schon damals zu dir gehalten. Jetzt kann ich es wieder tun, jetzt erst recht! Nimm mich, Jim!« Sie legt ihre Hand gegen seinen starken Nacken und beugt sich zu ihm nieder. Draußen klingt der Hufschlag eines schnellen Reiters. Und Cliffs Stimme erklingt. Der Hufschlag verstummt. Jane Baker tritt zurück. Sie gibt Jim frei. Der erhebt sich und tritt hinkend hinaus. Bei der Brücke verhält ein Reiter auf einem keuchenden Pferd. Cliff steht bei ihm. Jim aber erkennt die Stimme des alten Link Howell, der den Mietstall in Sagebee führt. Und er hört ihn sagen: »Die Overland Bank ist ausgeraubt worden. Der Kassierer John Moore ist verschwunden und mit ihm alles Geld. Der Panzerschrank ist leer und steht offen. Marshai Tom Randell schickt mich, damit ich euch diese Nachricht bringe. Die ganze Stadt jedoch ist in großer Aufregung. Die Leute ...« »Es ist gut, Link«, sagt Jim Overland scharf. »Cliff, wir reiten nach Sagebee!« Als sie in die Stadt kommen, ist es schon fast Mitternacht. Doch vor der Overland Bank steht eine Menschengruppe. Als sie ihre Pferde verhalten, sagt eine Stimme aus dieser Menschengruppe laut: »Da sind die Overland-Brüder! Sie werden uns sagen können, ob wir unsere Bankguthaben verloren haben oder die Overland-Bank einsteht.« Jim und Cliff hören es, und Jim blickt den Bruder an 148 und nickt ihm zu. »Das ist deine Sache, Cliff«, murmelt er. »Du führst die Bücher und leitest die Geschäfte von Bank und Ranch. Du entscheidest diese Dinge.« Cliffs Augen öffnen sich einen Moment weit. Denn wieder hat er etwas begriffen. Und es macht ihn stolz. Ja, es ist so. Sie sind Partner. Er ist nicht mehr der kleine Bruder. Jim hat es ihm soeben nochmals deutlich zu verstehen gegeben. Er, Cliff, erledigt die geschäftlichen Dinge, die Verwaltungsarbeit und die Geldangelegenheiten. Jim überläßt ihm diese Dinge. Das bedeutet, daß Jim später, wenn sie alles überstanden haben und wieder Ordnung herrscht, die Weidearbeit, die Rinder- und Pferdezucht und all die praktischen Dinge erledigen wird. Und er wird auch die Mannschaft führen. So werden sie sich alles teilen. Cliff begreift es. Er wird ein vollwertiger Partner seines großen Bruders sein. Und das macht ihn stolz. Er blickt auf die Menschengruppe, richtet sich gerade im Sattel auf und sagt ruhig: »Natürlich steht die Overland Ranch hinter der Overland-Bank und übernimmt deren Verpflichtungen. Ihr habt keinen Grund, Leute, euch Sorgen zu machen.«
Dann sitzen sie ab, binden die Pferde an und drängen sich durch die Menschenansammlung zum Eingang der Bank. Sie treten ein und schließen die Tür hinter sich. Cliff tastet sich durch den dunklen Raum. Bald darauf hat er eine Lampe entzündet. Gemeinsam lassen sie dann an den Fenstern die Rolläden herunter. Und als sie sich dann dem großen Geldschrank zuwenden, der drüben in der Ecke des Schalterraumes steht, da sehen sie, daß die dicke Panzertür nur angelehnt ist. Cliff geht hin und öffnet sie langsam. 149 »Etwas Kleingeld ist noch da«, sagt er bitter. »Wir könnten uns damit noch ein Abendbrot und einige Zigarren kaufen.« Dann wendet er sich ab und stößt die Tür zu dem angrenzenden Raum auf, in dem er sein Büro hat. Auch hier steht ein Geldschrank. Er ist kleiner, und er enthält Schuldverschreibungen, Wechsel, Urkunden und wichtige Geschäftsbücher. Sie treten ein, und Jim zündet die Lampe an. Cliff steht am Zahlenschloß dieses Tresors, öffnet ihn und wirft einen Blick hinein. »Hier ist noch alles vorhanden«, sagt er. Ein Mann kommt herein. Es ist der alte Schreiber Nuck Garret, ein alter Mann ohne besondere Fähigkeiten, jedoch fleißig und gewissenhaft in all den kleinen Dingen, die er als John Moores Gehilfe zu tun hatte. »Es tut mir leid«, sagt Nuck Garrett. Cliff setzt sich hinter den Schreibtisch. »Wie ist es passiert, Nuck?« fragt er ruhig. Der alte Bankgehilfe hebt seine mageren Schultern, holt ein rotes Taschentuch hervor und schneuzt sich. »Als es Abend wurde, sagte Mister Moore zu mir, daß ich Feierabend machen könne. Er selbst habe noch zu arbeiten. Ich fragte ihn, ob ich nicht noch die Lampe anzünden solle, aber er wollte es nicht. Da ging ich. Ich aß bei Witwe Bendow mein Abendbrot, kaufte mir im Sagebee Saloon ein Bier und wollte noch zu Frank Sander in den Store, weil heute der Tag ist, an dem wir immer einige Partien Halma spielen. Als ich an der Bank vorbeikam, da brannte immer noch keine Lampe. Und es war schon spät. Ich dachte, daß Mister Moore ebenfalls gegangen wäre. Ganz aus alter Gewohnheit — das mache ich immer, wenn ich nach Feierabend an der Bank vorbeikomme — überzeugte ich mich, ob die Tür verschlossen war. Sie war es nicht. Sie war offen. Ich trat 150 ein und rief nach Mister Moore. Aber er war nicht da. Ich zündete eine Lampe an und sah dann, daß der große Geldschrank geöffnet und leer war. Dann suchte ich John Moore. Aber er war nirgendwo in der Stadt zu finden. Vor dem Hotel traf ich auf Marshai Tom Randell. Er fragte mich, warum ich so verstört herumlaufe. Ich erzählte ihm alles, und da schickte er mich zu Link Howell in den Mietstall. Er sagte, daß Link sich auf ein Pferd setzen und. ..« »Schon gut, Nuck«, brummt Cliff grimmig. »Link Howell hat uns geholt. Und es sieht wahrhaftig so aus, als wäre John Moore, der Kassierer der Overland-Bank, mit allen Barbeständen der Bank ausgerissen. Kannst du mir sagen, wie groß die Summe gewesen sein könnte?« »Ziemlich genau«, sagt Nuck Garrett seufzend. »Es waren fast hunderttausend Dollar.« Da springt Cliff in die Höhe. »Wie ist das möglich?!« Er eilt zum Tresor und holt das Hauptbuch heraus. Schnell schlägt er die letzte Seite auf und liest einige Augenblicke darin. Als er den Kopf hebt, blickt er Jim an und sagt: »Zweiundachtzigtausend Dollar. Terz Beasley und Simson Brackett haben vor wenigen Tagen sehr große Summen eingezahlt. Ihre Guthaben machen zusammen mehr als sechzigtausend Dollar aus. Und wenn sie diese Guthaben jetzt abheben wollen, dann .. .« Er spricht nicht weiter, denn einige Männer kommen von der Straße in den Hauptraum der Bank, durchqueren diesen und betreten Cliffs Büro. Es sind zwei Männer, die hereinkommen. Ein dritter Mann bleibt im Kassenraum. Die beiden Männer sind Simson Brackett und Terz Beasley. Simson Brackett blickt den alten Nuck Garrett an und 151 macht eine Kopfbewegung zur Tür. »Du kannst gehen, Nuck«, sagt er trocken. Nuck Garrett blickt Cliff an. Der tauscht mit Jim einen Blick und sagt dann sanft: »Yeah, Nuck, du kannst dich für heute ins Bett legen.« Und da geht der alte Schreiber. Simson Brackett ruft durch die Tür in den Hauptraum hinein, in dem sich der dritte Mann aufhält: »Vic, laß den Alten hinaus, und sorg dafür, daß wir nicht gestört werden.« »Das mache ich«, erwidert eine kühle und lässige Stimme. Befriedigt zieht Simson Brackett die Tür von Cliffs Büro hinter sich zu und wendet sich den Overland-Brüdern zu. Er geht zu einem der schweren Sessel, setzt sich, holt ein geblümtes Taschentuch hervor und wischt sich damit über sein fleischiges Gesicht. »Nun können wir uns ja in aller Ruhe unterhalten«, sagt er mit trügerischer Sanftheit, die ganz im Gegensatz zu dem harten und kalten Ausdruck seiner Augen steht. Die vier Männer schweigen dann, und sie sind folgendermaßen im Raum verteilt:
Cliff sitzt hinter dem Schreibtisch. Rechts von ihm steht Jim an der Wand. Links vom Schreibtisch sitzt Brackett im Sessel. Und Terz Beasley steht neben der Tür an der Wand. Wie Jim, der rechts von ihm steht, hält auch Beasley sich deutlich zurück. Die Sache kommt zwischen Cliff Overland und Simson Brackett in Gang. Beasley und Jim sind vorerst nur stumme Beobachter und Zuhörer. Simson Brackett aber ist ein Mann, der nicht lange herumtändelt. Er sagt gelassen: »Wir möchten unser Geld abheben.« 152 Cliff bleibt ganz ruhig. »Die Bank ist beraubt worden«, sagt er. »Ich kann im Moment nicht auszahlen. Aber wir werden diesen John Moore wieder einfangen und ihm den Raub wieder abnehmen. Sollte das nicht gelingen, so werde ich auf andere Art Geld beschaffen. Die Overland Ranch steht hinter der Overland-Bank. Unsere Außenstände decken überdies auch noch bei weitem den Verlust. Ich bekomme leicht von einer Großbank...« »Darauf wollen und können wir nicht warten«, unterbricht ihn Simson Brackett. »Wir wollen jetzt unsere Guthaben abheben, nicht morgen, übermorgen oder in einigen Wochen. Und wenn Sie kein Bargeld haben, Cliff Overland, dann müssen Sie uns eben andere Sicherheiten überschreiben. Sie haben an viele kleine Ranchers und Siedler Kredite vergeben. Auch der Frachtlinie und einigen Geschäftsleuten dieser Stadt. Überschreiben Sie uns die Außenstände der Bank. Wir wollen Sicherheiten, jetzt sofort!« Cliff blickt ihn einige Sekunden fest an. »Ein feiner Plan«, sagt er dann. »So kann man eine Bank übernehmen und einige Dutzend kleine Rancher und Siedler abwürgen. So kann man sich ein mächtiges Stück Land erobern.« Simson Brackett sagt nichts. Aber er grinst. Es ist ein mitleidloses Grinsen. Erst nach einer Weile hebt er seine Hand und deutet mit dem Daumen nach draußen. »Meine Leute kaufen jetzt alles auf«, sagt er. »All die kleinen Guthaben kaufe ich auf. Die Leute sind von einer Panik erfaßt. Sie haben Angst, daß die Bank erledigt ist und nicht zahlen kann. Meine Leute kaufen jetzt schon überall von den Dummköpfen deren Bankguthaben auf. Es sind manchmal nur kleine Beträge, aber zusammen macht das wieder eine große Summe aus. Ja, ich übernehme die Bank. Ich mache mich zu ihrem 153 größten Gläubiger. Ich übernehme die Bank. Ich lege die Rechnung vor, und ich verlange die Überschreibung aller Außenstände als Sicherheit.« Cliff nickt. Dann hebt er den Kopf und blickt zu Terz Beasley hinüber, der sich jetzt gerade eine Zigarre ansteckt. »Und was verlangst du, Beasley?« fragt er ruhig. Beasley macht einige Züge, bläst genußvoll den Rauch aus und sagt dann knapp: »Den Pachtvertrag auf das Weideland von der Reservation. Ich will diesen Pachtvertrag überschrieben haben. Und ich bringe meine Rinder über den Fluß. Meine Weide ist knapp. Ich habe mehr Rinder, als meine eigene Weide ernähren kann. Ich brauche eure Pachtweide. Und nun bekomme ich sie.« Wieder nickt Cliff. Dann sagt er sachlich: »So wollt ihr uns also das Fell über die Ohren ziehen?« »Leicht und glatt.« Beasley grinst. Er richtet seinen Blick auf Jim Overland und wiederholt: »Leicht und glatt, Mister. Wie war der Ritt zur Stadt? Mußtet ihr durch den Fluß schwimmen?« »Nein, wir ritten über die Brücke«, erwidert Jim. »Einige Narren wollten uns aufhalten, so wie vor Tagen in Gulch City. Aber jetzt ist die Brücke wieder frei. Beasley, ich werde dich aus diesem Land jagen. Für dich ist kein Platz mehr in diesem Land.« Beasleys aufgeworfene Lippen verziehen sich unter dem blonden Schnurrbart. Er tritt einen Schritt vor und sagt scharf: »Versuch es gleich, Jim Overland! Vorwärts! Versuche es! Oh, zum Teufel, ich sehe immer noch das Zeichen meiner Peitsche in deinem Gesicht. Und du kannst mich nicht bluffen. Ihr seid irgendwo durch den Fluß geschwommen.« Jim Overland betrachtet ihn lange. 154 »In Gulch City bist du fortgelaufen, Terz«, sagt er dann. »Und hier lasse ich mir noch etwas Zeit. Aber mach dir nur keine Sorgen. Wir probieren es bald, sehr bald.« Er nickt dem Bruder zu. »Komm, Cliff!« sagt er. Simson Brackett erhebt sich schnell aus dem Sessel. Für seine massige Schwergewichtigkeit erhebt er sich wunderbar leicht und schnell. »He, wir schließen erst unsere Geschäfte ab«, sagt er knapp und hart. »Hört mir zu! Wenn ihr jetzt fortgeht, so ist das eine Flucht vor der Verantwortung. Dann übernehme ich in meiner Eigenschaft als Hauptgläubiger sofort die Bank!« »Nur zu, Mister«, sagt Jim kalt zurück. »Wir reden später wieder über diese Dinge, später, wenn wir John Moore haben. Und wir werden ihn bekommen. Er hat nur wenige Stunden Vorsprung. Und selbst, wenn er eine ganze
Woche Vorsprung haben würde, ich bekomme ihn. In diesem wilden und rauhen Land entkommt mir ein Mann wie John Moore nicht. Wenn wir ihn haben, werden wir uns wieder unterhalten.« Er wendet sich ab und geht zur Tür. Terz Beasley macht eine schnelle Bewegung, so als wollte er ihn aufhalten. Aber Simson Brackett sagt schnell: »Nur ruhig, Terz!« Und es klingt fast wie ein Befehl. Die Overland-Brüder gehen hinaus. Aus dem Hauptraum fragt die Stimme des dritten Mannes: »Soll ich sie hinauslassen?« »Sicher, Vic, sicher!« erwidert Simson Brackett. Jim geht indes an diesem dritten Mann vorbei, und er betrachtet ihn scharf. Der Bursche ist groß und hager, mit einem langen und dunklen Gesicht und zwei schmalen Augen. Er ist wie einer der berufsmäßigen Spieler gekleidet, und unter seiner offenen Jacke trägt er zwei Revolver in Schulterhalftern. Als Jim und Cliff auf der Straße sind und zu ihren Pferden treten, da fragt Jim: »Wer war dieser Vic?« »Vic Hammond heißt er«, erwidert Cliff. »Er leitet für Simson Brackett die Spielhalle. Und er ist schlimm. Brackett hat noch mehr Burschen von dieser Sorte zur Hand. Seit Big Jesse krank ist, haben Brackett und Beasley solche Männer ins Land geholt und auf ihre Lohnliste gesetzt.« »Es ist immer der gleiche Stil«, murmelt Jim und löst die Zügel seines Pferdes von der Haltestange. Cliff folgt seinem Beispiel und fragt dabei: »Drei Wege führen aus diesem Land, aber welchen hat John Moore mit seiner Beute genommen? Es ist Nacht, und wir verloren kostbare Zeit. Hast du eine Idee, Bruder?« »Zuerst zum Mietstall!« erwidert Jim. Er sitzt auf und reitet davon. Cliff folgt ihm. Hinter ihnen treten Brackett, Beasley und Hammond aus der Bank. Die Menschenmenge von vorhin hat sich verlaufen. Es ist nun lange nach Mitternacht. Die Stadt ist ruhig. Nur in den Saloons und im Hotel brennen noch Lichter. »Sollen sie doch nach John Moore suchen«, brummt Simson Brackett. »Dann haben sie wenigstens was zu tun, und wir können diese Zeit gut nützen.« »Yeah, ich muß zur Zollbrücke«, erwidert Terz Beasley unruhig. »Ich glaube immer noch, daß sie durch den Fluß geschwommen sind. Aber ich muß es genau wissen, daß meine Männer noch die Brücke besetzt halten. Ich muß zu meinen Leuten. Und morgen will ich mit meiner Herdenmannschaft eine zweite Rinderherde über den Fluß treiben. Ich habe eine Menge zu tun. Ich muß meine Leute jetzt ständig unter Kontrolle halten 156 damit kein Fehler gemacht wird. Ich reite aus der Stadt, Simson.« »Reite nur«, brummt dieser. »Hier ist alles in guten Händen. Die Overlands haben überhaupt keine Chance mehr. Ich bekomme die Overland-Bank, und du bekommst ein mächtiges Stück Weideland. Wir haben heute sehr lange Schritte gemacht. Und diesen John Moore ... Nun, sie werden ihn nie finden.« 15 Als die beiden Overlands den Mietstall erreichen, ist auch Link Howell inzwischen eingetroffen, denn er ist langsamer geritten, da sein Pferd vom Hinritt noch erschöpft war. Auch ist er schon ein alter Mann, den schon der Hinritt erschöpft hat. Er erhebt sich von der Futterkiste, als die Overlands ihre Pferde in den Stall bringen. »Wir brauchen zwei frische Tiere, die zäh und ausdauernd sind«, sagt Jim. Und dann stellt er die Frage: »Hatte John Moore ein Pferd bei dir im Mietstall?« »Es ist noch da«, erwidert Link Howell. »Es ist ein altes und langsames Tier. Und John Moore war kein guter Reiter. Ich denke, daß er sich irgendwie einen Wagen beschafft und vor der Stadt verborgen gehalten hat. Er ist gewiß in einem schnellen Wagen geflüchtet.« Jim steht mit gesenktem Kopf da und denkt nach. Cliff aber sagt: »Ich denke, er ist nach Nevada unterwegs und versucht dort eine Eisenbahnstation zu erreichen. Er ist kein Reiter. In alle anderen Richtungen ist das Land zu rauh. Er wird mit einem schnellen Wagen auf der Poststraße nach Nevada flüchten.« 157 »Nein«, sagt eine Stimme. Die Overlands und Link Howell wenden sich hastig um, denn der Mann kam so leise wie ein Schatten in den Stall. Sie sehen den Mann an. Es ist Tom Randell, der Marshai von Sagebee. Wie immer wirkt er sehr ernst und verschlossen. Doch in seinen Augen, die stets so kühl und unpersönlich blicken, tanzen seltsame Funken. »John Moore ist noch in Sagebee«, sagt er schlicht. »Ich habe ihn gesehen, als er mit zwei gefüllten Taschen die Bank verließ. Er ging dicht an mir vorbei, aber er konnte mich nicht sehen. Und dann folgte ich ihm. Er befindet sich im Sagebee Saloon. Seit Stunden warte ich darauf, daß er wieder herauskommen würde. Doch das wird vorerst nicht geschehen. John Moore ist mit seinem Raub zu Simson Brackett geflüchtet. Ich sah euch kommen und später zum Mietstall reiten. Ich wollte euch nur sagen, daß ihr nicht nutzlos nach ihm das Land absuchen sollt. Ihr würdet damit nur eure Zeit vergeuden. Und jetzt gehe ich ihn holen.« Er will sich abwenden. Doch Jim fragt schnell: »Allein?« Tom Randell blickt ihn an, und jetzt geht ein deutlicher Strom von Härte von ihm aus. »Ich bin hier der Marshai«, sagt er. »In dieser Stadt trage ich den Stern. Und es ist ein Bankraub verübt worden. Es ist meine Sache!«
»Allein?« fragt Jim sanft. Tom Randell betrachtet ihn. »Sie waren in Rainbow auch allein, Jim, nicht wahr? Jeder Mann hat seinen Stolz. Und ich war immer gern allein. Ich wollte es so. Und dennoch kenne ich alle Geheimnisse dieser Stadt, all die schwarzen und weißen Böcke. Ich weiß Bescheid, ich kenne jedes Spiel, alle Bestrebungen und Wünsche. Ich habe seit Jahren nichts anderes getan, als still durch 158 diese Stadt zu gehen und ihre Menschen zu studieren. Und ich habe auf diesen Tag gewartet, da ich in dieser Stadt Ordnung schaffen kann. Das steht mir zu! Denn diese Stadt hat mich zum Marshai und braucht nicht die Hilfe der Overlands! Diese Stadt hat Tom Randell zum Marshai!« Nach diesen Worten wendet er sich scharf ab und geht hinaus, leise und gleitend. Er trägt keine Stiefel mit Sporen, sondern Schuhe wie ein Städter. Und seinen alten Colt trägt er achtlos im Hosenbund. Die beiden Overlands und der alte Link Howell atmen langsam aus. Sie spüren deutlich den starrsinnigen und unabänderlichen Stolz dieses so schweigsamen Mannes. Und nun konnten sie auch etwas von seiner tiefen und starken Treue zu seinem Stern erkennen. »Yeah, es ist seine Stadt«, murmelt Jim. »Ich verstehe, ihn. Es ist seine Stadt, und er ist groß genug, um sie sauber und gut zu halten. Big Jesse hat früher alle Menschen beschützt, auch diese Stadt. Doch seitdem Tom Randell hier Marshai ist, braucht diese Stadt keinen Schutz mehr. Nun gut, es ist sein Vorrecht.« Indes hat auch Cliff nachgedacht. »Tom Randell kann es nicht schaffen«, sagt er jetzt schnell. »Wenn John Moore im Sagebee Saloon verborgen ist, dann bedeutet das, daß er Simson Bracketts Mann ist und sich in Bracketts Schutz begeben hat. Und Brackett hat Männer wie Vic Hammond, Mike Simms und Hank O'Connor zur Hand. Das kann Tom Randell nicht schaffen.« »Aber er weiß genau, mit wem er es zu tun bekommen wird«, brummt Link Howell. »Er kennt diese Stadt, alle ihre Sünder und auch die Guten. Er weiß es genau. Er geht auf John Moore los und wird außer 159 Moore noch vier harte Burschen gegen sich haben. Welch ein Mann!« Jim aber sagt gar nichts. Er setzt sich in Bewegung. Denn jetzt weiß er, daß Tom Randell wohl doch Hilfe nötig haben wird. Tom Randell betritt den Sagebee Saloon durch die Vordertür. Einige Gäste sind noch da, zumeist Fremde, die aus verborgenen Camps kommen, etwas Vergnügen suchen, Vorräte einkaufen und still wieder verschwinden. Zwei oder drei Städter sind da, einige Frachtwagenfahrer und zwei Handelsreisende. Simson Brackett und Vic Hammond sitzen neben der Treppe nach oben an einem Tisch. Hinter der Bar stehen Mike Simms und Hank O'Connor, zwei harte Burschen, die schon in wilden Städten Barkeeper waren, und die sich gegen jeden wilden Jungen behaupten können. Und all diese Männer blicken auf den eintretenden Marshai. Tom Randell geht am Schanktisch entlang und zur Treppe. Als er die erste Stufe betreten hat, sagt Simson Brackett gedehnt: »Wo willst du hin, Tom? Der Saloon, der Ausschank und die Spielhalle sind hier unten. Dort oben sind Privaträume.« »John Moore ist dort oben«, erwidert Tom Randell ruhig. »Ich weiß das, weil ich ihn schon seit Tagen beobachtet habe, und nicht nur ihn! Er ist vor einigen Stunden mit zwei prall gefüllten Taschen durch die Hintertür in diesen Saloon gelaufen und befindet sich jetzt oben im zweiten Zimmer von links. Er stand am Fenster und zündete sich eine Zigarette an. Ich aber stand unter dem Schuppen im Hof und konnte ihn erkennen. Simson, ich hole ihn jetzt!« 160 Die letzten Worte spricht der Marshai mit einer unversöhnlichen Härte. Und indes er sie spricht, erheben sich Simson Brackett und Vic Hammond. Dann ist es zehn Sekunden still, spannungsgeladen und drohend. Nach diesen zehn Sekunden sagt Simson Brackett hart: »John Moore ist nicht hier. Du gehst nicht nach oben, Tom! Du verläßt sofort meinen Saloon!« »Ich bin der Marshai«, erwidert Tom Randell. »Wer mich daran hindert, eine Verhaftung vorzunehmen, der macht sich am Bankraub mitschuldig! Mister Brackett, ich werde schießen.« Und dann geht er weiter die Treppe hinauf. Alle Augen richten sich nun auf Simson Brackett. Auf dessen fleischigem Gesicht glänzt jetzt Schweiß. Man kann das im Lampenschein deutlich erkennen. Tom Randell aber ersteigt Stufe für Stufe. Als er den Treppenabsatz erreicht, kreischt oben eine Stimme: »Laßt ihn doch nicht zu mir herauf! Haltet ihn doch auf! Brackett, er kommt mich holen! Du mußt ihn aufhalten, Brackett! Ich habe dir das Geld der Bank gebracht! Und du hast gesagt, daß ich in deinem Schutze sicher wäre! Halte ihn auf, Brackett!« Es ist die Stimme John Moores. Es ist eine verzweifelte und angstvolle Stimme. Tom Randell steht jetzt auf dem Treppenabsatz. »Moore, kommen Sie herunter«, sagt er hart. »Und bringen Sie das Geld der Bank gleich mit!«
»Das habe ich gar nicht mehr!« kreischt John Moore oben wieder los. »Ich habe es .. .« Mehr ist von John Moores Worten nicht zu verstehen. Denn jetzt ist genau der Punkt erreicht, da Simson Brackett sein Spiel ganz offen austragen muß. Und er zögert nun nicht länger. 161 Für ihn ist klar, daß alles verloren ist. Und gerade deshalb läßt er nun die Hölle los. Er selbst zieht zuerst seinen Colt. Vic Hammond folgt sofort seinem Beispiel. Und die beiden Barkeeper langen unter die Bar und holen ihre Schrotflinten hervor. Es sind gemeine Dinger mit abgesägten Läufen und verkürzten Kolben. Das Unheil ist nicht mehr aufzuhalten! Simson Bracketts Plan war nicht schlecht. Aber er mußte scheitern, weil Tom Randell mehr als nur ein durchschnittlicher Town Marshai ist. Diesem Marshai, der einsam und verschwiegen durch die Stadt ging, der keine Freunde hatte und einsam war, diesem Manne blieb in Sagebee nichts verborgen. Tom Randell wußte Bescheid. Und dazu kommt, daß John Moore nicht hart und rauh genug für dieses Spiel war. John Moore, ein Mann aus dem Osten, der in dieses Land kam, um Kassierer und stellvertretender Bankleiter einer kleinen Privatbank zu werden, war zuletzt nur noch ein furchtsames Nervenbündel. Ja, er hatte getan, was Simson Brackett von ihm verlangte. Aus Furcht tat er es. Er räumte den Tresor aus und verschwand mit der Beute durch die Hintertür in den Saloon. Simson Brackett nahm ihm das Geld ab und schickte ihn auf eines der Zimmer. Und dort saß John Moore all die Stunden und dachte nach. Je länger er sich alles überlegte, um so größer wurden seine Sorgen. Er traute Simson Brackett immer weniger. Er war aus seinem Zimmer geschlichen und hatte von der Galerie in den Saloon gespäht, angefüllt mit tausend Zweifeln, ob Simson Brackett sein Versprechen halten und ihn mit einem Anteil von zehntausend Dollar auf versteckten Wegen aus dem Land bringen würde. 162 Als John Moore dann den Marshai kommen sah und dessen Worte hörte, da zerbrach er vollkommen vor Angst. Und er rief dann verzweifelt jene Worte, die Simson Brackett bloßstellten und zum offenen Spiel veranlaßten. Und dann brach die Hölle los. Der schweigsame und einsame Marshai von Sagebee aber zeigt nun seine ganze Gefährlichkeit. Als die beiden Barmänner ihre Schrotflinten hochnehmen und damit zum Treppenabsatz hinauf zielen, beginnt Tom Randells Revolver zu krachen. Er schießt sehr schnell. Und er trifft. Eine Schrotladung zerfetzt den Behälter der großen Karbidlampe. Er explodiert mit einem gewaltigen Krach und schleudert brennendes Karbid nach allen Seiten. Die Gäste werfen sich unter die Tische oder springen durch die Fenster und die Schwingtür. Simson Brackett und sein Revolvermann Vic Hammond aber richten ihr Revolverfeuer auf den Treppenabsatz, auf dem der Marshai kauert. Da dieser erst die beiden Barmänner ausschalten mußte, treffen sie ihn. Und weil Tom Randell nun flach auf dem Treppenabsatz liegt, und sie sehr viel tiefer stehen, wollen sie nun die Treppe hinauf, um ihm den Rest zu geben. Eine wilde Wut treibt sie an. Für Simson Brackett ist in dieser Stadt und in diesem Lande alles verloren. Er weiß das zu gut. Und so ist in ihm nur noch der heiße Wunsch, zu zerstören. Und Vic Hammond ist sein Mann. Aber sie kommen nicht weit, nur zwei der drei Stufen hinauf. Dann nämlich kommt Jim Overland von der Straße durch die Schwingtür herein. Er hält den Revolver 163 schon in der Hand und erkennt mit einem einzigen Blick die Situation. Da er weiter entfernt steht, kann er Tom Randell mit dem Gesicht nach unten auf dem Treppenabsatz liegen sehen. Oben am Geländer der Galerie aber steht der angstvolle John Moore. »Hier!« ruft Jim Overland scharf. Simson Brackett und Vic Hammond wirbeln auf der Treppe herum. Sie begreifen sofort, daß Tom Randell Hilfe bekommen hat. Und sie beginnen zu schießen. Jim Overlands Waffe erwidert ihr Revolverfeuer, und der Raum ist wieder vom Krachen der Waffen erfüllt. Pulvergeruch breitet sich aus. Und dann wird es still. Unter einem Tisch hervor klingt die Stimme eines Mannes, der sich dort in Deckung brachte: »Oh, du lieber Himmel, laß sie endlich aufhören!« Die brennenden Karbidstückchen aus der explodierten Lampe verbreiten Rauch und Gestank, der sich mit dem Pulverdunst vermischt. Es ist alles vorbei. Vic Hammond ist die Treppe heruntergefallen. Er liegt stöhnend auf der Seite. Simson Brackett aber hat sich auf eine der Treppenstufen gesetzt und preßt sich beide Hände gegen die Seite. Er sitzt schwankend und mit geschlossenen Augen da, erträgt zähneknirschend den bösen und mitleidlosen Schmerz und fühlt, wie er blutet. Als er die Augen öffnet, kommt Jim Overland auf ihn zu. Jim hält vor der Treppe an, blickt in Bracketts schmerzerfüllte Augen und sagt bitter: »Du bist ein Narr, Brackett, ein großer Narr!« Dann stößt er Bracketts Revolver zur Seite, der auf einer Treppenstufe liegt. Cliff ist jetzt ebenfalls da, und Link
Howell macht schon an der Tür wieder kehrt und ruft laut: »Ich hole den Doc!« 164 Jim steigt an Simson Brackett vorbei die Treppe hinauf. Als er den Treppenabsatz erreicht, richtet sich Tom Randell stöhnend auf. Aus dem sandfarbenen und dichtgekräuselten Haar des Marshals läuft Blut. Er muß eine tüchtige Schramme abbekommen haben. Und er ist auch nicht gleich bei Verstand, denn er starrt eine Weile zu Jim empor. Dann hebt er beide Hände, hält eine Weile seinen Kopf damit umfaßt und stöhnt bei jedem Atemzug. Jim aber blickt jetzt nach oben. »Kommen Sie endlich herunter, John Moore!« sagt er. Und der Kassierer der Overland-Bank kommt. Er schluchzt dabei wie ein Junge. »Oh, ich kann nichts dafür!« sagt er dann gepreßt. »Ich fürchtete mich vor Simson Brackett und dessen rauhen Burschen. Brackett wollte die Bank übernehmen und befahl mir, ihm alles Bargeld zu bringen. Wenn ich es nicht getan hätte, wären seine rauhen Burschen auf mich losgegangen.« Inzwischen hat Tom Randell sich genügend erholt. Er kann nun wieder denken und sprechen. Und er sagt: »Auf die Idee, daß es in dieser Stadt einen Marshai gibt, an den Sie sich um Hilfe hätten wenden können, sind Sie wohl nicht gekommen, Moore? Zum Teufel, warum sind Sie nicht zu mir gekommen?« »Weil ich ihm einen Anteil von zehntausend Dollar und Schutz und ein gutes Versteck geboten hatte«, sagt Simson Brackett gepreßt. »Er ist ein kleiner Schuft und wäre längst mit dem Geld der Bank abgehauen, wenn er eine Chance gesehen hätte, aus diesem Lande zu entkommen. Doch das hätte nur ein rauher Reiter fertiggebracht, der dreihundert Meilen ohne Pause im Sattel bleiben und sich unterwegs immer wieder ein frisches Pferd verschaffen kann. Oh, ich weiß, daß ich verloren habe!« Nach diesen Worten fällt er zur Seite und verliert das Bewußtsein. 165 16 Eine Stunde später hat sich die Stadt wieder beruhigt, nachdem sie noch einmal aufgewacht und sehr erregt gewesen ist. Die Bürger von Sagebee liegen wieder alle in ihren Betten. Nur der alte Arzt Ben Crawford hat noch zu tun. Der wilde Kampf im Sagebee Saloon hat kein Todesopfer gefordert. Alle Beteiligten, außer Jim, wurden nur mehr oder weniger schlimm verwundet. Auch Jim Overland liegt in einem Hotelbett. Seine kaum verheilten Wunden schmerzen wieder. Der Ritt und all die Aufregungen danach waren zuviel für ihn. Aber er kann nicht einschlafen. Er liegt nur locker und entspannt auf dem Bett und denkt nach. Cliff ist in der Bank und erledigt dort noch einige Dinge. Aber er wird sicherlich ebenfalls bald ins Hotel kommen, um etwas zu schlafen. Und in einigen Stunden werden sie wieder zur Brücke reiten. Sie werden Terz Beasley aufhalten müssen. Gewiß wird Beasley mit Hilfe seiner Mannschaft eine weitere Rinderherde über die Brücke auf die andere Seite bringen wollen. Aber je länger Jim Overland darüber nachdenkt, um so weniger glaubt er jetzt noch daran. Er beginnt zu rechnen, und als er die Rechnung fertig hat, sieht sie etwa so aus: 1. Beasley war schon bei der Brücke und fand heraus, daß seine fünf dort stationierten Männer fort sind. 2. Beasley wird zu seiner Weidemannschaft geritten sein, die dabei ist, eine neue Herde zu sammeln, um diese als nächste über den Huß zu bringen. Auch wird Beasley gewiß schon einige Pläne ge166 macht haben. Er wird auch daran denken, die Brücke wieder besetzen zu lassen. 3. Doch bevor er all diese Pläne und Absichten ausführen kann, wird er gewiß Nachricht aus Sagebee bekommen. Obwohl die Stadt jetzt ruhig ist und keine weiteren Männer in den Kampf im Sagebee Saloon eingriffen, ist es sicher, daß noch genügend Anhänger von Simson Brackett und Terz Beasley in Sagebee waren. Zumindest ein Mann wird zu ihm geritten sein. So sieht also Jim Overlands Rechnung aus. Und er überlegt nun, was Terz Beasley tun wird. Er versucht sich Terz Beasley vorzustellen und sich in diesen Mann hineinzuversetzen. Was tut ein Mann wie Terz Beasley, wenn er erkennen muß, daß alles verloren ist? Was tut er? Als Jim lange genug darüber nachgedacht hat, flutet plötzlich eine heiße Erregung durch seinen Körper. Erschöpfung und Müdigkeit sind plötzlich verschwunden. Er erhebt sich vom Bett, tastet nach seinem Revolvergurt, der am Bettpfosten hängt und nimmt den Revolver aus dem Halfter. Dann geht er auf Strümpfen zum Fenster und öffnet es. Als er sich hinausbeugt und die stille Straße beobachtet, sieht er nirgends eine Bewegung. Fast nirgendwo brennt noch Licht in den stillen Häusern. Die dunklen Gassenmündungen verraten ebenfalls nichts. Jim Overland atmet langsam aus. Und er will sich abwenden. Er will sich die Stiefel anziehen und das Hotel verlassen. Er denkt jetzt ständig an Terz Beasley, und all diese Gedanken werden von irgendwelchen geheimnisvollen Warnimpulsen begleitet. Denn auch Terz Beasley hat verloren. Das ist klar. 167 Beasley kann sich ausrechnen, daß John Moore ihn schwer belasten wird. Und da Simson Brackett in dieser
Stadt nichts mehr bedeutet und angeklagt werden wird, sobald der Wanderrichter des Territoriums nach Sagebee kommt, ist für Terz Beasley nichts mehr drin, gar nichts mehr. Jim Overland will sich also abwenden, und er wirft noch einen letzten schnellen Blick zur Bank hinüber, in der sein Bruder Cliff noch einige wichtige Dinge erledigt und die Kasse wieder in Ordnung bringt. Die Tür der Bank öffnet sich jetzt. Cliff tritt heraus. Er ist also fertig und kommt nun zum Hotel. Doch da tritt aus einer dunklen Seitengasse ein Mann. Er tritt mitten auf die Fahrbahn und stellt sich breitbeinig hin. Es ist Terz Beasley. Jim erkennt ihn sofort. Er sieht, wie sein Bruder Cliff den Schritt verhält. Und dann hört er Terz Beaselys Stimme laut sagen: »Nun Cliff, ich werde aus diesem Land reiten müssen. Schon mein Vater hatte Pech gegen euch Overlands. Aber ich nehme die Niederlage nicht völlig hin. Ich versuche es erst noch einmal mit dir und dann mit deinem Bruder. Wo ist Jim?« »Im Hotel«, erwidert Cliff ruhig. Und dann geht er wieder vorwärts. Er marschiert genau auf Terz Beasely los. Jim, der sich aus dem Fenster beugt, zielt mit dem Revolver auf Beasley. Doch er drückt nicht ab, er kann es nicht. Denn es ist Cliffs Kampf. Cliff würde es ihm nie verzeihen. Dies wird Jim binnen eines Sekundenbruchteils klar. Die Entscheidung fiel schon in Gulch City, denn dort wurde Cliff Overland ein Mann. Er trat dort gewissermaßen aus dem Schatten seines großen Bruders, und 168